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Full text of "Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 7.1911"

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4 — 


Jeilſchriſt für Behlspflege 


* il DONE 5 


7. Jahrgang 
1911 


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KKB 1674 .245x 


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5 


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5 


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IJieilſchrift für Rechtspflege 


—— in Bayern —— 


— TINTE 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Kgl. Landgerichtsrat, verw. im Kgl. Bayer. Staatsminiſterium der Juſtiz. 


VII. Jahr gang 1911. 


München 1911. 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 


to 


Franz Paul Datterer & Cie., München und Freiſing. 


d D f Gzyen 


Inhalts verzeichnis zum Regiſter. 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. 
A. Abhandlungen. 


Bürgerliches Recht 

Unlauterer Wettbewerb 3 
. Gerichtsverfaſſung. Zivilprozess 
Freiwillige Gerichtsbarkeit. 


Strafrecht. Strafprozeß 


Gewerberecht 

Verwaltung 

Juſtizverwaltung . 
Finanzweſen 
Rechtsſtudium. Prüfungsmejen . 
Ausländiſches Recht. 
Allgemeines 


B. Mitteilungen aus der Praxis. 


Bürgerliches Recht. 

Zivilprozeß S u a N 
Konkursverfahren. Zwangsverſteigerung 
Freiwillige Gerichtsbarkeit. 
Verſicherungsrecht. 
Strafrecht. Strafprozeß . 
. Gerichtskoſten. 
Verwaltung. Juſtizverwaltung 


Unlauterer Wettbewerb 


Gebühren 


C. Praxis der Gerichte. 


Bürgerliches Recht. 


A. Reichsrecht 
a) Allgemeiner Teil . 
b) Recht der Schuldverhältniſſe 
1. Allgemeiner Teil . . . . 
2. Einzelne Schuldverhältniſſe . 
e) Sachenrecht 8 
d) Familienrecht 
e) Erbrecht 
k) Uebergangsrecht 
B. Landesrecht 


Handelsrecht. 
Urheberrecht 


Grundbuchweſen 


Grundbuchweſeng. 


| Seite 
4. Genoſſenſchaftsrechhttetet XI 
Ste 5. Haftpflichtrecht. Verſicherungsrecht. XI 
6. Zivilprozeß . e XI 
IV 7. Zwangsverſteigerung XII 
IV 8. Konkursverfahren. e 
IV 9. Freiwillige Gerichtsbarkeit Zwangserziehung XIII 
IV 10 Grundbuchweſen u en er AN 
IV II. Gerichtskoſten. Gebühren XIII 
IV 22. Strafrecht XIII 
V A. Reichsrecht XIII 
v. a) Strafgeſetzbuch XIII 
v 1 Allgemeiner Teil XIII 
2. Beſonderer Teil XIII 
v b) Nebengeſetze XIv 
Sv Hl. Landesrecht. Xv 
13. Gerichtsverfaſſung. Strafprozeß . XV 
14. Staatsrecht. Verwaltung. XVI 
v 
VS D. Notizen. 
V I. Zivilprozeß. Grundbuchweſen . XVI 
V 2. Patentrecht . 8 XVI 
V 3. Strafrecht. Strafprozeß. XVI 
VI 4. Internationales Recht XVI 
VI 5. Juſtizverwaltung . XVII 
VI 6. Verwaltung XVII 
7. Allgemeines . XVII 
VI E. Sprachecke. XVII 
V 
vi II. Alphabetiſches Verzeichnis. Nun! 
VII 
VII III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. 
VII A. Reichsgeſetze XXX 
5 | B. Landesgeſetze XXXIV 
9 
IX C. Anhang XXXV 
IX 
. XXXVI 


140148 


| 

X | IV. Verzeichnis der Mitarbeiter 
| 
| 


V. Beſprochene Bücher und Zeitſchriften XXXVII 


I. Syftematiſches Verzeichnis. 


(Die Zahlen bedeuten die Seiten.) 


A. Abhandlungen. 


1. Bürgerliches Recht. 


Vertretbare und Gattungsſachen. — Mengeſa chen 
und Stückſachen. Profeſſor Dr. Langheineken 


in Halle 149, 176 
Die Rechtsmoral. Profeſſor Dr. Hans Albrecht 

Fiſcher in Gießen 145, 173 
Die Münchener Mietverträge. Landgerichtsrat 


Straub in München 


Die Bedeutung der Meſſungsanerkennung. Rechts⸗ 
anwalt Joſeph Feßler in Regensburg 235 
Die Feſtſtellung des Eigentums an Wegen. Oberit- 
landesgerichtsrat Hermann Schmitt im Staats- 
miniſterium der Juſtiz in München 53, 76, 


Unrichtiged Bekenntnis erhaltener Hypotheken⸗ 
darlehns⸗Valuta und Erwerb der faligen Hyvo⸗ 
thek durch einen neuen Geldgeber. Rechts⸗ 
anwalt r. Eugen Joſef in Freiburg i. Br. 

Die Uebernahme von Amortiſationshypotbeken 
einer Hypothekenbank in Anrechnung auf den 
Kaufpreis. Juſtizrat Dr Oberneck, Rechtsan⸗ 
walt und Notar in Berlin 9 

Die Einreichung des Vermögensverzeichniſſes bei 
fortgeſetzter Gütergemeinſchaft. Amtsgerichtsrat 
Sommer in Cöln 

Die Berufsvormundſchaft in München. Amts⸗ 
richter Matthias Mayr in München 353, 

Auslegung des $ 1935 BGB. mittels mathe⸗ 


matiſcher Methoden. Profeſſor Dr. Lang⸗ 
heineken in Halle 


109 


329 


2. Unlauterer Wettbewerb. 


Die Anordnungen der höheren Verwaltungsbe— 
hörde über die An eigepflicht bei Ausverkäufen. 


Rechtsanwalt Dr. Klein berger in München 256 


3. Gerichts verfaſſung. Zivilprozeß. 


Wiedergabe von Rechtsausführungen der Parteien 
im Tatbeſtande. Theodor von der Pfordten 
Die Reviſionszuſtändigkeit des Oberſten Landes⸗ 
reits im Zivilprozeſſe. Geheimer Hofrat Pro— 
feſſor Ur. Ernſt Jaeger in Leipzig 

Die Behandlung der Mahnſachen und der Ferien⸗ 


ſachen nach der Novelle zur ZPO. vom 1. Juni 
1909. Amtsrichter Theodor Gros in München 


355, 379, 395 

Die Vollſtreckbarkeit deutſcher Vollſtreckungstitel 

in Oeſterreich. Rechtsanwalt Dr. Arthur Lebrecht 
in Nürnberg 

Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungsver— 

fahrens. Rechtsanwalt Ur Hugo Kahn in 

Nürnberg 59, 


473 


73 


360 


81 


377 


4. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Grund buchweſen. 


Zum i bei Einleitung einer 
vorläufigen Vormundſchaft. Joſeph Wagner, 
Rat am Oberſten Landesgerichte 193 


Form der Beſchwerdezurücknahme in Grundbuch⸗ 
ſachen. Landgerichtsrat du Chesne in Leipzig 300 


Uebertragung von Grundbuchblättern. Dr. Wil⸗ 
helm Kriener, Amtsrichter in Landshut 195, 217 


5. Strafrecht. Strafprozeß. 


Wechſelnde Meinungen über Tateinheit und Taten⸗ 
mehrheit in den verſchiedenen Abſchnitten des 
Strafprozeſſes. Dr Fr. Doerr, II. Staats⸗ 
anwalt in Nürnberg 393 


Die ſtrafbare Verletzung der eee ee 
Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg 


Zur Anwendung des Art. 16 des Geſetzes 11 


10. März 1879 
20. Dezember 1807. betr. die Beſteuerung des Ge⸗ 


werbebetriebs im Umherziehen. Iſt bezüglich 
der Feſtſetzung der Jahresſteuer das Gericht an 
die Entſcheidung der Verwaltungsbehörde ge⸗ 
bunden? Senatspräſident v. Payr in München 101 


Die Strafvorſchriften der Reichsverſicherungsord⸗ 
nung. Amtsrichter Dr. Dürr in München 

Strafrechtliche Fragen auf dem VII. Internatio⸗ 
nalen Kongreß für Kriminalanthropologie. Land- 
gerichtsrat Dr. Kühle wein in München 436, 459 

Der 8 380 und der 8 372 der StPO. Heinrich 
Gerland, Univerſitätsprofeſſor und Oberlandes⸗ 
gerichtsrat in Jena 

Ne bis in idem! Ein Rechtsgutachten. Profeſſor 
Dr. Oetker in Würzburg 1 


Studien aus dem bayerischen Forſtſtrafrecht. 
Landgerichtsrat Hümmer in München 128, 

Alkohol und Verbrechen in Bayern. Dr. v. 
Valta, wiſſenſchaftlicher Hilfsarbeiter des K. B. 
Statiſtiſchen Landesamts. 


125 


475 


6. Gewerberecht. 


Das Stellenvermittlergeſetz. Legationsrat Dr. Georg 
Schmidt im Staatsminiſterium des K. Hauſes 
und des Aeußern. 


Der Ausſchank ſelbſterzeugter Getränke in der 
Rheinpfalz. Landgerichtsrat Otto Zoeller in 
München (früher in Landau, Pfalz) 


Der Straußwirtſchaftsbetrieb in der Rheinpfalz. 
Landgerichtsrat 3. Miche! in Frankenthal 


12 


14 


106 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. V 


7. Verwaltung. 9. Finanzweſen. 
Eine Frage aus dem bayeriſchen Fiſchereirecht. 1 Abzugsrecht der Gewerbetreibenden nach 
vom 14. Auguſt 1910. Rechtsanwalt Dr. Weil 
Zum Begriffe des „öffentlichen Elektrizitätswerks“ in Ludwigshafen a. Rh. 0 42, 62 


m Sinne der Novelle zum Zwangsabtretungs⸗ 
aejebe vom 13. Auguſt 1910. Juſtizrat Dr. Moritz 
bermeyer, Rechtsanwalt in München 169 


Proviſoriſche e ene der SR sr 
hörden in Wegſtreitigkeiten. Bezirksamtsaſſeſſor 
155 Sein bah in Rof ſenheim 327 


Landeskriminalpolizei. Dr. Theodor Harſter, 
Bezirksamtsaſſeſſor bei der Kgl. Boliyeibiretion . 
München 


Das Reichdzumacheſteuergeſez, Profeſſor Dr. H. 
Köppe in Marburg a ahn 233, 


10. Nechtsſtudinm. Prüfungsweſen. 


Die Reform des Rechtsſtudiums. Univerſitäts⸗ 
profeſſor und Oberlandesgerichtsrat Dr. Heinrich 
B. Gerland in Jena 213 
. für e und Rechtsanwendung. 
. Dr. Heinrich Schultz, Staatsanwalt am Ober⸗ 
landesgerichte München 433 


8. Juſtizverwaltung. Die Notwendigkeit einer allgemeinen Rechtslehre. 


dur Umgeſtaltung des Rechtsſtudiums auf den 
Die neuen bayeriſchen Vorſchriften über das niverſitäten. Amtsrichter K. Baer in Nürnberg 39 
Verfahren der Juſtizbehörden in Begnadigungs⸗ 


Rechtsanwalt Richard Berolzheimer in München 413 | Art. 11 und 12 des Einkommenſteuergeſetzes 
| 
| 
| 


e J. Bleyer, II. Staats⸗ 11. Ansländiſches Recht. 
eee eee 275, 293 Die Jahrhundertfeier des öſterreichiſchen Allge⸗ 
Gefangene der bayeriſchen e ee als meinen Bürgerlichen Geſetzbuchs. Univ.⸗Profeſſor 
land⸗ und forſtwirtſchaftliche Arbeiter. Amts⸗ Dr. Leopold Wenger in München 273 
richter Dr. Klimmer in München 439 Die engliſche Gerichtsverfaſſung. Oberlandes⸗ 
ar ſtaatliche Obſorge für entlaſſene Gefangene gerichtsrat Frhr. v. Richthofen in Jena 295, 325 
n Bayern. Landgerichtsrat Richard Degen in | 


München 415 | 12. Allgemeines. 


Der XX. deutſche Anwaltstag in Würzburg. Das Weſen des „Modernismus“. Oberlandes⸗ 
Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Roſenthal in München 373 gqgerichtsrat Dr. J. Gmelin in Stuttgart 453 


B. Mitteilungen aus der Praxis. 


1. Bürgerliches Recht. Zuſtändigkeit für die Bewilligung der 8.1 


| Zuſtellung notarieller Urkunden (ZBO. 88 
Zur Anwendung des 8610 BGB. auf Abreden 
über die Prolongation eines Darlehens. Gepr. V Winden Ar 


Rechtsprattifant Dr. Stahl in Neuftadt at. 199 Wim erteilt Die aan a 


Sicherung der Bauhandwerkerforderungen. Amts⸗ | Unterhaltgübereintommeng, wenn die Vormund⸗ 
richter Ehrenberger in Nürnberg 17 ſchaft im Ausl ande geführt wird? Amtsrichter 
Die amtliche Ermittlung des Wertes von Grund⸗ Matthias Mayr in München 44 
ſtücken. Bankdirektor Bonſchab in München 133 Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungsver⸗ 
Eine Lücke im Güterzertrümmerungsgeſetze? fahrens? Rechtsanwalt Dr. Neubürger in 
Amtsrichter Pösl in Mainburg 303 Fürth 198 
Iſt in den auf die Anzeige des Familienhauptes 
EHE he) aa der Schar un zur | 3. Konkursverfahren. Zwangs verſteigerung. 
ichnung de rtes der Geburt und des ö Notariats⸗ 
, 
i 
Rechtsanwalt 
genauere Bezeichnung der Oertlichkeit Wohnun Aus der Praxis des Konkursrechts. 
uſw.) 5 DER Amtsgerichtspdireftor Tiſ Landau in Nürnberg 
in Neuſtadt a. d. H 228 
4. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Grund buchweſen. 
; Zur Auslegung des 8 46 Abſ. 2 GG. Rechts⸗ 
2. Zivilprezeß. praktikant Fran in Hersbruck 222 
Zur Auslegung des 8 36 Nr. 3 ZPO. Referendar Unwirkſame und nachträgliche Auseinander- 
Dr. Eger in Berlin 298 ſetzungen. Rechtsanwalt Dr. Joſef in Frei⸗ 
Kann ein Rechtsanwalt nach 8 116 ZPO. einer burg i. Br. 241 
armen Partei beigeordnet werden? Rechts⸗ Die Anlegung eines Grundbuchblattes für ein 
anwalt Dr. Stenger in München 304 Erbbaurecht. Amtsrichter Ferling in Bamberg 132 
Zum Vollzug des $ 116 der 3PO. Amtsgerichts 
rat Leiendecker in München 305 5. Verſicherungsrecht. Unlauterer Wettbewerb. 


Koſtenurteil bei Zurücknahme der Klage. Gerichts Bürgerlich⸗rechtliche Schadenserſatzanſprüche der 


aſſeſſor Dr. Pfeiffer in Breslau 2 em Gewerbeunfallverſicherungsgeſetze unter⸗ 
Vorläufige Vollſtreckbarkeit von Verſäumnis⸗ liegenden Perſonen während der erſten 13 Wochen 
urteilen nach vorausgegangenem Mahnver⸗ nach dem Unfall. (8 135 GuV G.). Dr. Geigel 


fahren. Amtsrichter Gros in München 259 in Aſchaffenburg. 83 


vi 


gegen den ums 


Eine bedenkliche Lücke am NS on 
d r u ndikn 


lauteren Wettbewerb? 
der Handelskammer Regensburg 


6. Strafrecht. Straſprozeß. 


Körperliche Mißhandlung durch Anſteckung mit 
einer Geſchlechtskrankheit? Senatspräſident 
Oberſtlandesgerichtsrat a. D. Kunkel in München 


Der W 7 gegen Entziehung un⸗ 
beweglicher Sachen. echtsanwalt Juſtizrat 
Dr. Eiſenberger in München. 


a e Bultänbigfeitöfrage. Amtsrichter Dr. Bretz⸗ 
in Nürnberg 


A Sühnetermin im Privatklagever⸗ 
fahren. Amtsrichter Doſenheimer in Ludwigs⸗ 
hafen a. Rh. 


Gerichtlicher Sühnetermin im Privatklagever⸗ 
fahren. II. Staatsanwalt Dr. Doerr. 


Beitreibung von Koſten und Auslagen im Privat⸗ 
klagever ahren. Rechtsanwalt Dr. Blüthe in 
Schweinfurt 

Zur Frage der Doppelbeſtrafungen (ne bis in 
idem). II. Staatsanwalt Gick in München 


Die Ermittelung e 


anwalt Sotier in München 


Etwas über die Kriminalpolizei. 
Bretzfeld in Nürnberg 


mer Briefſchreiber. II. Staats⸗ 


134 


Inhaltsverzeichnis de der r Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. N 


| 


181 


19 


397 


421 
Amtsrichter Dr. 
1 


Die Bezeichnun 


7. Gerichtsksſten. Gebühren. 


Darf neben dem Gebührenvorſchuſſe (8 81 GKG.) 
vor⸗ 
ußweiſe erhoben werden? Oberſekretär 


f cpu der Pauſchſatz des 8 80b GKG. 


Reger in Nürnberg 


Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge⸗ 


bühren von Grundbucheintragungen. Miniſterial⸗ 
rat Dr. Unzner in München 


Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge⸗ 


bühren von Grundbucheintragungen. Finanz⸗ 
rechnungskommiſſär Weisbrod in München 


Zeugengebihren der Feſtbeſoldeten. Landgerichts⸗ 
rat Michel in Frankenthal 


2 been de f des Antragſtellers im Ver⸗ 
fahren der Zwangsverſteigerung und der 
wan e Amtsgerichtsſekretär Heſſel⸗ 

eh in Forchheim 


8. Verwaltung. Juſtizverwaltung. 


ng der Geſetze und Verordnungen. 
Zollinſpektor Wenig in München 


Iſt 8 55 der bayeriſchen Verordnung vom 4. Juli 


1899/22. Oktober 1910 über die Vorbedingungen 
für den Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt rechts⸗ 


wirkſam? Landgerichtsrat Dr. Schultz in 


München 


Zum Aufſichtsrechte des Vorſtandes der Anwalts⸗ 


kammer. Landgerichtsrat Pr. A. Friedländer 
in Limburg a. L. 


C. Praxis der Gerichte. 


RG. bedeutet Reichsgericht, Obe. 


VGH. - Verwaltungsgerichtshof, KK GH. — Gerichtshof für Kompetenzkonflikte. 


1. Bürgerliches Recht. 
A. Neichsrecht. 
a) Allgemeiner Teil. 


Zu 8 31 BGB. Der Verein haftet für die zum 
Schadenserſatze verpflichtende Handlung nicht 
allein; der Vorſtand haftet neben ihm. 


Darſ der Arzt an einem Minderjährigen ohne die 
Einwilligung des geleblichen Vertreters eine 
Operation vornehmen? RG. 


Kauf i. S. des Art. 1 GüterzertrG. (Verdeckung 
durch einen e ee Beginn der Friſt 
zur Ausübung des Vorkaufsrechts bei nach⸗ 
träglicher Aenderung des Vertrages. 


Kann in dem Vertrag über Erteilung einer Voll: 
macht zur Zertrümmerung eines Anweſens und 
Zahlung einer Proviſion ein Kaufvertrag über 
das Anweſen gefunden werden? üſſen die 
Beſchwerdeführer in Gebührenſachen über eine 
A der Regierungsfinanzkammer 
gehört werden? Aus welchen Gründen darf 
das u in ſolchen Sachen die 


RG. 463 


424 


ObL G. 369 


Erheb en) von angebotenen neuen Beweiſen 
ablehnen a 88 117, 133, 242, 433; Geb. 
Art. 48, 4 Ob LG. 315 


Bedeutung 3 Vereinbarung, daß eine Abrede 
über einen Pachtvertrag nicht in die notarielle 
Urkunde über einen damit zuſammenhängenden 
Tauſchvertrag „hineinkommen“ ſolle. 

Eine Eidesverweigerung kann nicht auf Grund 
des 8 119 BGB. angefochten werden. 


Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeſchäfts wegen 
Drohung ſetzt eine widerrechtliche Abſicht des 
Drohenden nicht voraus. RG. 


RG. 242 
RG. 165 


e Anhaltspunkte für die 
nnahme, daß eine ſolche Uebereignung ernſt⸗ 
lich gemeint iſt. Vereinbarung eines Rechts⸗ 
verhältniſſes, durch das der Erwerber den 
mittelbaren Beſitz erlangt. RG. 


Iſt die Auslegungsregel des 8 133 BGB. an⸗ 
wendbar, wenn Zweifel darüber beſtehen, ob 
eine Klage gegen eine Ortsgemeinde erhoben 
worden iſt oder gegen die politiſche Gemeinde, 
zu der die Ortsgemeinde gehört? Ob 


Zuläſſigkeit des geſchäftlichen Wettbewerbverbotes. 
itwirkung eines Dritten an der Verletzung 
dieſes Verbotes (88 138, 826 BGB.). 
OLG. Nürnberg 
Verſtoß gegen die guten Sitten bei einer Ring⸗ 
bildung. Eingehen der Verpflichtung unter 
gewiſſen Umſtänden ut zu werden. 
G. Zweibrücken. 
Verſtoß gegen die guten Sitten dh Annahme 
des Verſprechens einer übermäßig großen 
Mitgift. R 
Iſt eine letztwillige Verfügung zugunſten einer 
Konkubine unter allen Umſtänden wegen Ver— 
ſtoßes gegen die guten Sitten ungültig? RG. 
Zu 8 138 BGB.: Geheime Abmachungen von 
Unternehmern über die Höhe ihrer Gebote bei 
dem Wettbewerb um öffentlich ausgeſchriebene 
Arbeiten. RG. 


Ungültigkeit eines Vertrags, durch den ein 
Schuldner ſeinem Gläubiger alle gegenwärtigen 
und künftigen Geſchäftsaußenſtände abtritt und 
zugleich ſeine Fabrikeinrichtung, ſeine Rohſtoffe 
und Waren ihm übereignet, ſowie ſeine künftig 
zu erwerbenden Rohſtoffe und Waren ihm zu 
übereignen ſich verpflichtet. R 


279 


18 


65 
332 


158 


441 


— Oberſtes Landesgericht, OLS. — Oberlandesgericht, LG. S Landgericht, 


66 


LG. 139 


123 


— 


21 


G. 263 


21 


399 


G. 400 


Nichtigkeit eines Teiles eines Rechtsgeſchäfts. 
Kein e Ermäßigungsrecht hierbei (8 139 
BGB.). RG. 242 


„Höhere Gewalt“ i. S. des 8 203 Abſ. 2 8 


b) Recht der Schuld verhältniſſe. 


„1. Allgemeiner Teil. 


Inhalt des Schuldverhältniſſes. Nicht ernſtlich 
50 Willenserklärung (88 241, 305, 118 
B.) OLG. Nürnberg 248 


Erfüllungsort für eee G 
ünchen 


Entſprechende Anwendung des S 254 BGB. auf die 
Ausgleichung Ei wiſchen mehreren Geſamtſchuld⸗ 
nern, insbeſondere auf den 150 ſatzanſpruch des 
auf Grund des Haftpfl®. nſpruch ges 
nommenen Eisenbaßnunſerneh niet gegen den, 
Ber durch Fahrläſſigkeit den Unfall e 885 


Dem Hypothekgläubiger, der nn wegen 
nicht rechtzeitiger Zahlung verlangt, kann es 
als Mitverſchulden angerechnet werden, daß er 
den Schuldner nicht auf die d eines un⸗ 
Bohn hohen Schadens aufmerkſam gemacht 
hat. Doch gilt das nicht, wenn der Schuldner 
trotz einer ſolchen Mitteilung nicht rechtzeitig 
hätte zahlen können. RG. 


Wird die Annahme eines Mitverſchuldens des 
Verletzten durch die Feſtſtellung einer „löblichen 
Abſicht“ oder durch ſeine Abſtumpfung gegen 
die Betriebs an ar eſchloſſen? Mittelbarer 
urſächlicher Zuſammenhang zwiſchen dem b 
daten Verhalten des Verletzten und dem ſchädi⸗ 
genden Erfolg. G. 401 

i Verſchulden bei Schadenserſatzan⸗ 
595 en aus dem Eigentum. Gerichtliche 

un (88 254, 989 BGB.; 8 100 


67 


3 ammenhang bei Ausfall einer Hypothek 
na eilung einer unrichtigen Auskunft. 
Zuſammenhang im „natürlichen Sinne“ und 
im „Rechtsſinne“. RG. 

Zu $ 313 BGB.: Formbedürftigkeit einer nach⸗ 
träglich in einem Werkvertrage getroffenen 
Vereinbarung über die Verrechnung des Kauf⸗ 
preiſes. RG 

Unterliegt die Vollmacht zum Orunbftücgvertauf 
der Formvorſchrift des 8 313 BGB.? 
hältnis des 8 313 zu 8 167 Abſ. 2 BGB. RG. 306 


Inwieweit unterliegen Vergleiche der Formvor⸗ 
ſchrift des 8 313 BGB. RG. 307 

Muß die Formvorſchrift des 8313 BGB. beobachtet 
werden, vn no un verpflichtet, für einen 
anderen Grundſtücke nach außen hin im eigenen 
Namen zu kaufen? Anſpruch auf Erſatz von 
Verwendungen und Zurückbehaltungsrecht gegen⸗ 
er dem Anſpruch auf Berichtigung des un 


483 
i einer wirkſamen e 
nach 8 326 BGB. Folgen des fruchtloſen Ver⸗ 
ſtreichens a on. Beweislaſt. RG. 
ee des Gläubigers zur Erteilung einer 
u. Kann er nach der Zablung die Er⸗ 
2 eshalb verweigern, weil er noch andere 
Forderungen hat, die auf dem nämlichen recht- 
lichen Verhältniſſe beruhen? RG. 444 
Wenn ein in Zahlun ueber frei geratener 
Schuldner ſeinen Gläubigern freiwillig ſein 
Vermögen zur Verwertung mit der Verein— 


340 


45 


J. Syſtematiſches Verzeichnis. 


46 


VII 


barung überläßt, daß ſie ſich daraus befriedigen 

und einen etwaigen Ueberſchuß herausgeben 

ſollen, ſo verzichten damit die Gläubiger nicht 

ohne weiteres auf den 3 ihrer Forderungen, 

der bei Verwertung des Vermögens u ge⸗ 
eckt wird. RG. 135 


Vorausſetzung für 88 n der Hinter⸗ 
legung (8 372 B Ks Begriffe der Aus⸗ 
lobung (8 657 B RG. 

Se des $ 888 zur Hinterlegung nach 
8 372 B., wenn die geſchuldete Forde⸗ 
run ar Grund eines Arre tbeſchluſſes zu⸗ 
gun ten eines Dritten gepfändet worden iſt. 

9845 r Pfändun elle i nach 
in dieſem Falle OLG. Bamberg 

= Bankguthaben kann durch formlose e 
der Forderung unter Lebenden wie auf d 
Todesfall verſchenkt werden, ohne daß gleich 
das Bankkontobuch übergeben werden muB. 


30 


G. 307 


Wirkung des Vergleichs mit einem Wee 
für die übrigen Schuldner. ( (88 422 — 


2. Einzelne Schuld verhältniſſe. 


Umfang des e bei e Täu⸗ 
ſchung über den Umſatz eines gekauften ea 
hofs. Verjährung des Anſpruchs. G. 308 


Welche Nutzungen hat ſich der Käufer eines Pe 
ſtücks abziehen zu laſſen, der das Grundſtück 
zurückgibt und ſeine Anzahlung zurückfordert, 
weil der Kauf die geſetzlich notwendige Ge⸗ 
nehmigung eines Dritten nicht erhalten hat? 
Wie bereit ih der dem Käufer zurückzuer⸗ 
ſtattend etrag unter Berückſichtigun der 
Zinſen der Anzahlung einerſeits und der 11185 
gen anderſeits 
Der nachträgliche Wegfall des zur Zeit des 
Gefahrübergangs vorhandenen Mangels bewirkt 
nicht den Verluſt des Wandelungsrechtes. 2. Mit 
der a des Tieres nach der 
Erhebung der gal wen ei erliſcht der 


424 


— 


Wandelungsanſpruch, wenn ſeine Geltend⸗ 
machung gegen Treu und Glauben im Verkehr 
verſtoßen würde. LG. Kempten 470 
Wann Beat! Hr ſechswöchige Verjährungsfriſt 
der 88 492, 490 BGB., wenn beim Verkauf 
einer Kuh Teächtigkeit von einem beſtimmten 
Zeitpunkte an gewährleiſtet ve 
G. Schweinfurt 471 
In einem Bichgemährfihnftäprogefe find in der 
Regel die Koſten eines Vorprozeſſes 11 0 erſtatten. 
Kempten 471 


Rechtliche Bedeutung der Einbringung eines Auto⸗ 


0 


mobils in eine Garage, die ſich nicht in einem 
Hotel befindet. LG. Schweinfurt 347 


Beendigung der Verpflichtung der ee 
zur Verwahrung des Zollgutes. RG. 384 


Pflicht des Vermieters, mit Rückſicht auf den 
Geſchäftsbetrieb des Mieters in den Miet⸗— 
räumen den Hauseingang zu ändern, 

G. München! 


8539 a ſchließt Deliktsanſprüche nicht e 


hin aus 


Wichtiger Gru für die ſofortige Löſung br 
Dienſtvertrags: die Aufgabe der Zweignieder— 
laſſung, für die der Angeſtellte aufgeſtellt war 
Die widerrechtliche Entnahme von Geld aus 
der Geſchäftskaſſe? — Beweislaſt. — Nach— 
prüfungsrecht des Reviſionsgerichts. RG. 


31 


283 


28 


VIII 


Haftung des Rechtsanwalts, wenn er es ver⸗ 
ſäumt, in einem Rechtsſtreite rechtzeitig einen 
Einwand zu erheben u. darf er fi 
auf die von feinem Perſonal aufgenommene 
„Information“ verlaſſen, inwieweit iſt er ver⸗ 
pflichtet den Sachverhalt ſelbſt genauer zu er⸗ 
forſchen? Mitverſchulden der Partei, die den 
Rechtsanwalt ungenügend unterrichtet hat. RG. 


Rechtsverhältniſſe eines ſog. ene, 


Rechtsverhältnis zwiſchen dem Bürgen und dem 
Gläubiger, wenn die i 
unter der Vorausſetzung abgegeben wurde, da 

r Gläubiger dem Hauptſchuldner weiteren 
Kredit gewähren werde, das aber nicht geſchehen 
6 „ee des 8 812 Abſ. 1 a 


Wenn bei einem Grundſtückskaufe der Makler 
ohne 1 des Verkäufers dem Käufer aus 
ſeiner „Courtage“ eine Vergütung zahlt um 
5 zum Kaufe zu bewegen, ſo kann nicht des⸗ 

egen angenommen werden, der Kaufpreis ſei 

hrheit um den Betrag dieſer Vergütung 

gr inger, als er im Vertrage feſtgeſe ent iſt. 

eder für den Verkäufer noch für den Makler 

beſteht eine Verpflichtung einem Vorkaufs⸗ 

N von dem Vorgange Kenntnis ni 
geben 


See Unterſchri kai find unzuläſſig bei 
Unterschriften 1185 eil n en 
die unter den 87 fallen. Rechtli 
Natur der ſolchen Weilſchuldorrſchrelb ungern 
beigegebenen Zins⸗ und e eee 
Notwendigkeit der ſtaatlichen 705 5009 9900 
Ausgabe ſolcher Zinsſcheine (8 795 G. 

RG. 


Zu 88 812, 818 BGB. 
Bereicherungsklage des Erwerbers einer A 
rung gegen den Pfandgläubiger, dem die Forde- 
rung nach der Abtretung un gerichtlichen 
Beſchluß überwieſen wurde und der ſie darauf: 
in vom Schuldner beigetrieben hat. Kenntnis 
des Schuldners von der Abtretung. RG. 


Kla age auf Unterlaſſung einer üblen Nachrede. 
Vorausſetzungen für die Feſtſtellung, daß die 
Gefahr einer Wiederholung vorliegt. 


Ausſchließung der Schadenserſatzanſprüche wegen 
fremden Verſchuldens durch e 
e rechtfertigt der Umſtand, daß der 
Teilnehmer an einer Kraftwagenfahrt Kenntnis 
von der Unzuverläſſigkeit des a. führers 
bat, die Annahme eines ſolchen Vertrags? 
Mitwirkendes Verſchulden des e 

l 

Verletzung eines Wirtshausgaſtes infolge eines 
ſchaſt: Hofung des Zuſtandes in der Wirt⸗ 
chaft: Haftung des Wirtes trotz Anbringung 
einer warnenden Aufſchrift: Teilung des Schadens 
wegen Mitverſchuldens des Verletzten; Rechts- 
grund der Haftung; Anſpruch auf Schmerzens⸗ 
geld. R 

Unfall beim Rodelſport. Zuläſſige Fahr all 
digkeit des Rodlers. „Lenker“ und „Bremſer 
Kann die Stadtgemeinde haftbar gemacht werden, 
weil ſie das Rodeln in einer belebten Straße 
nicht verboten hat? Kann ſich die Haftung 
aus der Pflicht zur Unterhaltung der Straße 
oder aus unzulänglicher Handhabung der Polizei— 
gewalt ergeben? R 


Nichtbeachtung der Unfallverhütungsvorſchriften 
einer Berufsgenoſſenſchaft. Gibt es Ausnahmen 
von dem Satze, daß fahrläſſig handelt, wer die 
Unfallverhütungsvorſchriften nicht einhält, wer 


281 


G. 401 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


| 


| 


19 


185 
136 


47 


RG. 261 


67 


G. 425 


G. 445 


2 


nos verbotswidrig jugendliche Arbeiter 
zu gefährlichen Verrichtungen verwendet? RG. 1 


Zu 88 823, 831 BGB. Unterſchied zwiſchen Lei⸗ 
tung und Aufſicht beim Forſtwirtſchaftsbetrieb. 
Oberaufſicht über die Forſtbeamten. RG. 201 


Anwendung der 88 823 oder 826 BGB. zugunſten 
der Gläubiger, die durch eine von ihrem 
Schuldner mit einem anderen Gläubiger ins⸗ 
geheim. abgeſchloſſene Sicherungsübereignun 11 5 0 
geſchädigt worden ſind. 


a des Gläubigers einer Bau⸗ 
80 der 8 bei unrichtiger Angabe ihrer 
übe (§S 826 BGB.). OLG. Nürnberg 470 
Der Verzicht des Schuldners auf den 8 
Lohnteil kann anfechtbar und 97 § 826 BGB. 
nichtig ſein. Frankenthal 
Wer erfährt, daß ſich auf 5 Bed el feine 
gelätichte Unterſchrift befindet, i 5 t unter 
en Umſtänden verpflichtet, den Wechſelgläubi⸗ 
ger auf die der Erg aufmerkſam u machen, 
der ihn von 5 Erwerbung des Wechſels be⸗ 
nachrichtigt hat. RG. 
Unterlaſſungs⸗ und Schadenserſatzklage eines 
1 enter gegen eine Stadtgemeinde 
wegen Schädigung ſeines Gewerbebetriebs durch 
die Art und Weiſe der Feſtſetzung der Ver⸗ 
gütung für die Benützung Aus en Ge⸗ 
werbebetriebs. G. Zweibrücken 


Gehört die Erteilung von a über die 
Kreditwürdigkeit eines Kunden zu den gewerb⸗ 
lichen Pflichten eines Bankhauſes? Haftet das 
Bankhaus hiernach gemäß 8 831 oder $ 30 
BGB. für den Schaden, den einer der Ange⸗ 
ſtellten bei der lg einer ſolchen Auskunft 
anrichtet? Bedeutung des Umſtandes, daß der 
Angeſtellte nur Geſamtprokura hatte. Haftet 
der Angeſtellte ſelbſt nur dann nach § 826 

„ wenn er die Auskunft wider beſſeres 

Wiſſen erteilt hat? Beweis ſeines guten 

Glaubens. RG. 283 
al, der Saftung des Tierhalters gegenüber 

dem Hufſchmied RG. 223 

Zu $ 833 BGB.: une durch eine will⸗ 
kürliche Handlung des Tieres; Haftung nach 
8 833 Satz 2 trotz Beſtellung eines tauglichen 
Tierhüters. RG. 

Unter welchen Vorausſetzungen kann angenommen 
werden, daß ein Haustier der Erwerbstätigkeit 
des Tierhalters zu dienen beſtimmt ſei? RG. 224 

Haftung des Tierhalters aus 8833 BGB. ä. F. 
bei n eines Gefälligkeitsdienſtes durch 

Nachbar. Prüfung des Mitverſchuldens 


143 


445 


290 


einen 


des Verletzten von Amts wegen. Anwendung 
der 88 146 Abi. 1 und 151 Lwulverſ G. Bes 
weislaſt des Beklagten. RG. 137 


We es Tierhalters nach 8 833 Satz 2 BGB. 
trotz Beſtellung eines tauglichen Tierhüters. RG. 386 


Umfang der Haftung des Staats für das Ver: 
chulden des Grundbuchbeamten (8 12 GBO., 
8839 BGB.). Dit unter allen Umſtänden ein 
Mitverſchulden des Verletzten (8 839 Abf. 3 
BGB.) darin zu finden, daß er nicht die Be— 
ſchwerde gegen die Ablehnung einer Wale 
ergreift? RG. 117 


Umfang des 15 a Schadens 
nach 5 847 B OLꝶ G. Nürnberg 


In welchem 8 hat Schadenserſaß zu leiſten, 
wer einen anderen dadurch zum Eintritt in 
eine Genoſſenſchaft beſtimmt hat, daß er ihn 
über die Höhe des Geſchäftsanteils u 7 Eu 


230 


c) Sachenrecht. 


In welcher Form werden die Rechte aus einer 
Vormerkung übertra gen, die den Anſpruch auf 
Auflaſſung ſichern ſoll ? Sit eine Vereinbarung 
ungültig, wenn beide Teile in dem Irrtume 
befangen find, fie ſei in die Vertragsurkunde 
aufgenommen ? RG. 


Anfechtung einer Hypothekbeſtellun 270 00 der 
Ehefrau nach der Abtretung der Nr 
joe Denn | an einen 92 80 n m 
wendbarkeit des 8 892 B 


Wenn eine Auflaſſung Ti wurde, ae. 
keine Einigung über die Eigentumsübertragun 
vorlag, ſo bedarf es zur Beſeitigung des Fe . 
nicht einer Rückauflaſſung, ſondern nur 
Berichtigung des Grundbuchs. e 
3 unterliegen nicht der N 
des 8 31 Eine e ellung zur Auf⸗ 
laſſung 5 eine andere Perſon als den Eigen⸗ 
tümer — etwa an den Zeſſionar des un 
tümers — iſt unzuläſſig. 

Inwieweit ſetzen Schadenserſatzanſprüche nach 
88 907, 909 BGB. ein Verſchulden 9 


een von Sachen, die we 

Schuldner erſt nach der Vereinbarung 1 
Verhandeln des Schuldners mit ſich ſelbſt als 
Vertreter des Gläubigers (88 930, 868, 181 
BGB.). OL 


G. Nürnberg 

Rechte des Onnotbe Dub Den bei Entfernung 
von Beſtandteilen Grundſtücks, beſonders 
wenn er ſelbſt nachträglich das Grundſtück er⸗ 
fteigert hat. — Wirkſamkeit eines Eigentums⸗ 
vorbehalts an den in einen Neubau eingehän 10 


Fenſtern. 


1. Widerruf der Kündigung einer Hypothek. 2. Zu⸗ 
läſſigkeit der Zwangsvollſtreckung in den Bruch⸗ 
teil eines Grundſtücks. RG 


Kann der Hypothekſchuldner mit Wirkung für den 
Gläubiger mit einem Dritten vereinbaren, aug 
eine auf die Hypothek fol? Hewitt Zahlun 
nicht geſchehen gelten ſo ewirkt eine ſolche 
Vereinbarung das Wiederaufleben der Hypothek 
und ſteht ſie der auf die Zahlung Heſtüß 5 
Klage auf Hypotheklöſchung entgegen 

Die Beſtellung einer fen eee ige ee 
fremde Schuld enthält nicht notwendi 
gemein die Uebernahme einer enn ft durch 
den Eigentümer. Es ſteht ihm deshalb die 
Einrede der Vorausklage nach 8 771 BGB. 
nicht haf weiteres zu. Nebenabreden bei der 
Bürgſchaftserklärung. 


Beſtellung einer ee durch den 
915 Vertreter auf ſeinem eigenen Grund⸗ 
für ein von dem Minderjährigen aufzu⸗ 
ne Darlehen: 1. Unter welchen Vor⸗ 
ausſetzungen kann der Darlehensgeber, wenn 
. vormundſchaftsgerichtlicher Genehmi⸗ 
mg un Darlehensforderung entſtanden ift, 
5 . ungsklage des geſetzlichen 
Vertreters mit dem Einwande begegnen, daß 
die Hypothek für ſeine Bereicherungsforderung 
Kor den Darlehensempfänger oder für feine 
nſprüche gegen den geſetzlichen Vertreter aus 
dem von dieſem erteilten Kreditauftrage be— 
ſtehe? 2. Kann er beanſpruchen zur Einwilli— 
gung in die Umſchreibung der Hypothek auf 
den geſetzlichen Vertreter nur Gu um Zug 
mit der Begleichung ſeiner Bereicherungs⸗ 
forderung verurteilt zu werden? 3. Hat er 
einen Schadenserſatzanſpruch gegen den geſetz⸗ 
lichen Vertreter, der ihn nicht auf die Minder⸗ 


all⸗ 


463 


118 


208 


23 


18⁵ 


G. 402 


RG. 310 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. 


| 


. 


| 


jährigkeit des Darlehensempfängers aufmerkſam 
RG. 362 


gemacht hat 
Grundſchuldbeſtellung für Forderungen aus Dif⸗ 
ferenzgeſchäften. RG. 4 
Verpfändung einer Grundſchuld für künftige 
derungen. Erfordernis der „Beſtimm 
der Forderungen. 


d) Familienrecht. 


. zuge der auf Grund der Vermutung 

2 BOB. bewegliche Sachen pfänden 
laßt 55 ſich im Beſitze eines der Ehegatten 
oder beider Ehegatten befinden, haftet nicht 
ohne weiteres deswegen auf Schadenserſatz, 
weil die Vermutung des 8 1362 BGB. wider⸗ 
legt iſt. Es muß der Nachweis dazu kommen, 
daß der Gläubiger das Eigentum des anderen 
Teiles gekannt hat. Anhaltspunkte Me die 
Kenntnis des Gläubigers. RG. 


Ausgleichung arvichen dem 18 an und dem 
at 8115 Gute De rungen! e 
ſchaft (88 1529, 1539 BGB.). Bedeutung der 
tenen eines ae zu Ausbeſſermngen. 
mbau⸗ und Neubauarbeiten auf einem Grund⸗ 
ſtücke, das zum eingebrachten Gute gehört. RG. 


403 


reite 
RG. 200 


162 


263 


n als Grund für die Anfechtung einer 
RG. 364 


| 


Vertiefung und Befeſtigung einer ſchon vorhan⸗ 
denen vom Kläger verſchuldeten Ehezerrüttung 
durch den beklagten Ehegatten (8 1568 BGB.). 


„Beſondere Gründe“ zu einer von der Regel des 
§ 1635 B 


GB. abweichenden e ir 
Vormundſchaftsgerichts. 
Gehört der einem unehelichen Kinde vom a 
u gewährende Unterhalt zu den „künftigen 
echten“ einer Leibesfrucht nach $ 1912 BGB. 
Iſt der Vater, deſſen Antrag auf Beſtellung 
eines Pflegers für die Leibesfrucht ſeiner Tochter 
abgewieſen wurde, eee (FGG. 


§ 57 Abſ. 1 Nr. 
e) Erbrecht. 
Wa ung einer Sorberum nach 8 1994 
Ubi. 2 808 Gründe der Fest tel ung, 605 


eine Erbschaft im Sinne des 8 

a9. 1. 805 im 8 nn Feldt Art 131 
AG. z. BGB. Falle der Beſtimmung einer 
Inventarfriſt für den Erben auf e eines 
Nachlaßgläubigers. 


Iſt die Klage des Vermächtnisnehmers auf Auf⸗ 
laſſung eines Grundſtückes, das eine in Fahrnis⸗ 
Leere chaft lebende Frau als Miterbin in 


b G. 427 


G. 318 


Erbengemeinſchaft 5 hat, auch ge I ä 


den Ehemann zu richten ? 
Pflicht des Miterben zur Auskunftserteilung und 
Leiſtung des e nach 88 2027, 
2028, 2038 und 260 BG OLG. Bamberg 
Tragweite der 88 2064, 2156 BBG. RG. 
ang oder Verkauf zu en Preis? — 
Schenkun no Au 1800 ee 3 ittlichen Pflicht 
(8 2330 Kann die Klage aus 8 2329 
80 8 auf bi der Zwangsvollſtreckung 
wegen des an dem Pflichtteil fehlenden ng 
gerichtet werden ? Re 


f) Uebergangsrecht. 


Begriff und rechtliche Behandlung des Zubehörs 
in der Zeit zwiſchen dem Inkrafttreten des 
BGB. und der Einführung des Grundbuch— 


190 
68 


Y. 383 


rechts. Begriff des „für einen gewerblichen 
Betrieb dauernd eingerichteten Gebäudes“ und 
der „zum Betriebe beſtimmten . 
Erlöſchen der Zubeböreigenſchaft Due R Ver⸗ 
äußerung“ nach dem bayer. HypG. GB. 
ss 97, 98, EG. BGB. Art. 181, 189, Sc „ 
SS 33, 35— 88, 78). 

Kann e Stockwerkseigentum nach dem 
Inkrafttreten des BGB. in mehrere Stockwerks⸗ 


rechte geteilt werden? dt ein einheitliches 
Stockwerkseigentum bloß dadurch, daß mehrere 


X Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


1911. 


gefallen ſind, aber nach dem Mainzer Land⸗ 
rechte dem überlebenden Elternteile der Beiſitz 


zuſteht, ſo kann nicht ohne deſſen e 
auf dem Anteil eines Miterben eine a en 
hypothek eingetragen werden. ObL G. 166 


wangsmaßregeln zum Vollzuge des 8 1636 des 
8 BOB. (Art. 130 AGz BGB.). Ob G. 119 


2. Handelsrecht. 


Stockwerksrecht d lb eine 
Had e een Sn 10690 91 been Beipunf Art bee 85 tſtellung; an 
1 eitpunkt für d eurteilung; 
| anſtand ung der Be ichn eines Geſchäf tes 
B. Landesrecht. als 7 Dans (HGB. 8 18; FGG. $ 12 mit 
Geſetzliche e einer wagte mi Land⸗ | 88 1 Obs C. 410 
emeinde beim Vertragsabſch 59 mit einem | Fee Einwilli 91 5089 die Fortführun 105 
ritten und bei Zuſtellung einer Klage. 3 einer Firma (8 22 Ab 263 
amberg 231 Fortführung eines unter ee erworbenen 
"ee beginnt die ee In den l Handelsgeſchäfts unter der bisherigen Firma. 
erſatzanſpruch gegen den Staat wegen der 5 Erforderniſſe einer Bekanntmachung, die gegen 
letzung der Amtspflicht durch einen en den Eintritt der in 8 25 Abſ. 1 HGB. beftimmten 
2 12 8575 55 Gz BGB. Art 9 120 Folgen der Fortführung Schutz gewähren 90 19 
Eine Auflaſſung, die mit dem Vertrag über Ver⸗ Gegen das Wettbewerbsverbot des 8 60 HGB. 
äußerung von Grundſtücken an einen Güter⸗ verſtößt nicht eine Tätigkeit, mit der der Hand⸗ 
händler N iſt, wird nicht dadurch wir⸗ lungsgehilfe für ſpätere Zeit einen ſelbſtändi⸗ 
kungslos, * er Veräußerer von dem Ver⸗ gen Gewerbebetrieb vorbereitet. RG. 485 
rich Kr rt. 5 des bayer. e a: Beonifionsanfprui, e „Qesirtsogenten h 100 
= ). ine ahme von der Rege 
Wie je Teil Dart das e ee iur C den are $ 89, wenn der Geſchäftsherr die ſchon bei der 
ee e een 
äußerte Beſtandteile des Fideikommißgutes be⸗ ſetzt. e > 1187 312 


beſchränken? (VII. Verf.⸗Beil. 88 44, 70, 71. 72.) 
ObLG. 448 
Ueber die Befugnis des Fideikommißſtifters Ju 
Widerruf oder zur Abänderung des a om⸗ 
miſſes (8 94 der VII. Beil. z. Berfli. 
OLG. Nürnberg 431 
Können e Kinder die Wiederauf⸗ 
nahme der über den Nachlaß ihres Vaters ge⸗ 
pflogenen Verhandlungen unter der Behauptung 
verlangen, daß nach Oberpfälziſchem Rechte 
der Stiefmutter der in Anſpruch genommene 
7 am Nachlaſſe nur hinſichtlich ihrer leib⸗ 
lichen Kinder zufteht? 72 0 . III, 15: 
UeG. Art. 84; Bayer. NachlG 3, 4 mit 
Nachl O. 88 104, 126). I 317 


Unterhaltsanſprüche auf Grund eines unter der 
Herrſchaft der Fränkiſchen Landgerichtsordnung 
abgeſchloſſenen Einkindſchaftsvertrags. Können 

nach dem 1. Januar 1900 geborene Kinder ſolche 
Anſprüche gegen die Stiefmutter ihres einge— 
kindſchafteten Vaters erheben? (BGB. 88 1601 ff., 
EG. BGB. Art. 203 und 209, UeG. Art. 72 
a 2, Fränk. L608 Tit. 118 8 1 und Tit. 118 
51 Obe. 428 

Der es Ehemann, dem nach Mainzer 
LR. Tit. VII und UeG. Art. 88 der Beiſitz an 
dem auf ſeine Kinder übergegangenen Nachlaſſe 
ſeiner Frau zuſteht, kann gegen die Eintragung 
der Pfändung des Erbanteils ſeiner Kinder 
an den Nachlaßgrundſtücken Beſchwerde erheben. 
Ob durch die Pfändung des Anteils des Kindes 
in das Beſitzrecht des Witwers in unzuläſſiger 
Weiſe eingegriffen wurde, iſt nicht vom Grund— 
buchamt ſondern vom Vollſtreckungsgerichte zu 
entſcheiden. (GBO. 88 54, 71; BGB. 8 2033; 
ZPO. 8859). Obe. 

Wenn Grundſtücke nach dem Ableben des einen 
Elternteils den Kindern zum Miteigentum zu— 


70 


Kann auf Grund eines 15 Ae 2 0008 on 


kurrenzverbotes trotz 8 75 A 

trotz der Vereinbarung einer ne die 
Unterlaſſun I in einem ed e 
ausgeübten Tätigkeit als Gewerbegehil 

des 8 1331 Gew beanſprucht werden? RG. 311 


Gebrauch eines fremden Namens als Firmen⸗ 
beſtandteil. Angabe „hiſtoriſcher Tatſachen“ in 
der Firma. RG. 262 


Gegen den ſtillen F beſteht kein Kon⸗ 
kurrenzverbot (8 112 HGB.). RG. 264 


Unter welchen Vorausſetzungen können der Vor⸗ 
ſtand und der Vorſitzende des Aufſichtsrates 
einer Aktiengeſellſchaft für den Schaden ver⸗ 
antwortlich gemacht werden, der daraus ent⸗ 
ſteht, daß eine irrtümlich an dieſe ſtatt an einen 
Dritten geleiſtete Sablung zum Vorteile der 
Geſellſchaft verwendet wird? Wer iſt der Ge⸗ 
ſchadigte? RG. 335 


Hingabe eines Wechſels regelmäßig Zahlungs- 


halber“. Liegt in der Prolongation eines 
Wechſels eine Novation? OLG. Nürnberg 94 

1 85 keine „höhere Gewalt“ i. S. des 
RG. 244 


3. urheberrecht. 


Zu 8 13, 38, 41 des Literaturſchutzgeſetzes vom 

19. Juni 1901. Gegenſtand des Urheberrechts. 

Begriff der „freien Benützung“ eines fremden 

Werkes und der „eigentümlichen Schöpfung“. 
RG. 69 

Urheberrecht an Grabdenkmälern: keine Geſetzes— 


rückwirkung. 
OLG. München 411 


L Syſtematiſches Verzeichnis. 


4. Genoſſenſchaftsrecht. 


Kann die Ehefrau offer die Zuſtimmung des 
Mannes einer Genoſſenſchaft beitreten? Wie 
5 Ent das Regiſtergericht die Vorausſetzunge 

ieee in BD Hesel ere 

5 bien ann die Entſcheidung über die 

1 gegen eine Verfügung des Regiſter⸗ 

Bi verlangt werden, wenn ihr das Regiſter⸗ 

t auf ee la 
abgeholfen hat? (Gen 15, 161 und 8 29 

Abſ. 3, 4 der Vollzunsvorſchriſten des Bundes⸗ 

rats vom 1. Juli 1899; FGG. 8 19). 

Können ſtatutenwidrige Beſchlüſſe der General⸗ 
verſammlung einer Genoſſenſchaft dadurch rechts⸗ 
wirkſam werden, daß die Anfechtung e 
(Gen G. 88 16, 51). Obe G 


5. Haftpflichtrecht. Verſicherungsrecht. 


Betriebsunfall i. S. des 8 1 Ha F wenn 
eine Kraftdroſchke mit einem ſtille ſtehenden 
Zuge der Straßenbahn zuſammenſtößt. Höhere 
Gewalt. Mitverſchulden des Verletzten, wenn 
er die Kraftdroſchke gemietet hatte. 

Ein Sturz auf dem Bahnſteig infolge von Glatt⸗ 
eis iſt in der Regel kein Betriebsunfall, da⸗ 
genen haftet der Unternehmer auf Gruß, des 

eförderungsvertrags. RG. 


Der in § 3a 


fen Anſpruch auf 
Erſatz der t 


ilungskoſten wird durch einen 


Fa 
e 
Unterhaltsanſpruch des Verletzten nicht an 


Iſt die auf Grund der eee eee 
ergangene nt cheidung, daß ein Betriebsunfall 
8 de und Entſchädigung zu leiſten ſei, für 

die Gerichte bindend, wenn die Berufsgenoſſen⸗ 
ſchaft den kraft Geſetzes auf ſie übergegangenen 
Schadenserſatzanſpruch des Verletzten gegen den 


Urheber des Unfalls geltend macht? — Zum 
Begriffe Betriebsunfall (Unfall auf dem Rück⸗ 
wege von der Arbeit). — Begrenzung des Er⸗ 


ſatzanſpruchs der e durch die 
Höhe des dem Verletzten gegen den Urheber 
des Unfalls erwachſenen chadenserſatzan⸗ 
80. — Bemeſſung der Rente des 8 843 


Kann eine offene 9 A Uu 975 einer 
dab ile Gewllnf von 
Beruisgeroſfenß 10 für die 10 

ihrer Vertreter in Anſpruch genommen werden? 


G. 338 


Beſteht ein Auftragsverhältnis zwiſchen dem 


Ob G. 226 


86 


Agenten der Verſicherungsgeſellſchaft und dem 
RG. 310 


Verſicherungsnehmer 
Nichtigkeit eines Vertra 
ſchriften des 8 108 des 
Verſicherungsunternehmungen verſtößt. 


6. Zivilprozeß. 


Streitwert einer Einwilligungsklage gegen Mit⸗ 
erben. OLG. München 
Vernehmung eines Streitgenoſſen als Zeugen. 
Begriff des „Ausſcheidens“ eines Str an 
aus dem Rechtsſtreite. RG. 
Kann im Falle der Streitgenoſſenſchaft das Ur⸗ 
teil gegen einen Teil der Beklagten von der 
Leiſtung eines Eides abhängig gemacht werden, 
der von einem anderen Streitgenoſſen geleiſtet 
werden ſoll, für die Entſcheidung jenen dieſen 
a: aber ohne Bedeutung iſt? — Anwendung 
es 8 826 BGB. auf die Schädigung durch Er⸗ 


8, der gegen die Vor⸗ 
eſetzes über die privaten 
RG. 


464 


489 


69 


! 


. 
| 
| 


4 
| 


7 Ä 


| 


| 


0 


| 


teilung einer unrichtigen Auskunft; Erfordernis 
des Bewußtſeins von ihrer Unrichti eit. — 
Mitwirkendes Verſchulden des um die 1 
Nachſuchenden 
e zur 990 30 0 im e 
pro e nach wenn die beſſeren 
te des en 9 5 nur dem Ge⸗ 
richte gegenüber zum Zwecke der Einſtellung 
der Zwangsvollſtreckung glaubhaft gemacht 
werden. ürnberg 
Form des Armutszeugniſſes. 819 München 


Die e en die eine negative Feſtſtellungs⸗ 
klage aus ſachlichen Gründen abweiſt, enthält 
zugleich die Feſtſtellung, daß das Rechtsverhält⸗ 
nis beſteht. — Ein uß der Kündigung und 
Rückzahlung eines Darlehens auf die Ber: 
pflichtung des Schuldners zu zu r Gewährung der 
von ihm übernommenen Nebenleiſtungen; wann 
ſind ſolche Nebenleiſtungen als Zins re 7 


Wird gegenüber dem eingeklagten Teil einer For⸗ 
derung BUBEN Ne ‚ jo kann die Gegenforderung 
nicht auf Teil der Forderung verwieſen 
werden, der nicht eingeklagt iſt. RG. 

5 der Abtretung einer Grundſchuld während 

echtsſtreits auf das Klagerecht des ur⸗ 
Ipelinglihen Grundſchuldaläubigers (88 265, 
325 ZPO.). Wie iſt im Koſtenpunkte zu ent⸗ 
ſcheiden, wenn die Grundſchuld gr abgetreten 
wird, während der Rechtsſtreit ſchon in der 
Berufungsinſtanz anhängig ift? R 


Zahlung einer Geldrente als Entſchädigung für 
den durch einen Unfall verlorenen Verdienſt: 
kann der dazu Verurteilte nach $ 323 ZPO. 
auf Abänderung des Urteils klagen, 1 55 5 
Verunglückte anderweitigen . erlangt 
oder einen neuen ſeine 
trächtigenden Unfall erlitten hat? 


Zu 88 325, 567, 727 ZPO. OLG. München 


1. Rechtskraft des Urteils: Kann das Gericht 
gegenüber einer auf aralifige Täuſchung ge 
ſtützten Klage auf Er es negativen Ver⸗ 
tragsintereſſes die agli Täuſchung ver⸗ 
neinen, wenn der Kläger in einem Vorprozeß 
aus dem gleichen Grund auf Anerkennung der 
Nichtigkeit des Vertrags, ſowie auf Erſtattung 
des auf Grund des Vertrages Geleiſteten ge⸗ 
klagt und das Gericht in einem a. den 
Vertrag für nichtig erklärt hat? 2. Anſpruch 
auf Erſtattung der Koſten einer ungerecht⸗ 
fertigten einſtweiligen Verfügung (ZPO. 8 150 


Zum d riffe 35 e i. S. des 8 385 

Kein Wegfall des Zeugnis⸗ 
5 wenn die Ehefrau als 
Zeuge dafür benannt iſt, daß ſie We 
Handlungen nicht als Vertreterin des Mannes 
vorgenommen hat. RG. 


Tatſachen, mit denen in erſter Inſtanz die an⸗ 
gebliche Unſittlichkeit eines Rechtsge chäfts be⸗ 
ründet werden ſollte, dürfen in zweiter In⸗ 
ian nicht berückſichtigt werden, wenn ſie von 
den Parteien nicht mehr vorgetragen an 


Sit der Rechtsſtreit in der Rechtsmittelinſtanz 
anhängig, ſo kann nur der für dieſe Inſtanz 
beſtellte Prozeßbevollmächtigte die Klage zurück⸗— 
nehmen. RG. 


Erforderniſſe für die Angabe der Reviſionsgründe 


nach 8 554 Abſ. 3 Nr. 2 3PO. Verpflichtung 


zur Angabe von Aktenſtellen. 


XI 


RG. 337 


248 
51 


481 


G. 201 


rbeitsfähigkeit beein⸗ 
RG. 426 


142 


243 


223 


RG. 265 


XII 


Gefgeberwifte der Reviſionsbegründung 6971 554 


RG. 2 
Wann endigt die in 8 8 EG. ZPO. zugelaſſene 
fd ſich in der 5 ionsinſtanz durch 
Den bei einem LG. oder OLG. zugelaſſenen 
echtsanwalt vertreten N u laſſen? Unfallfür⸗ 
ſorge des Staates für Poſtbeamte: Erſatzan⸗ 
ſpruch 5 e für Ar Auf fmenbungen 
gegen den Urheber des Unfalls; kann das 
eichsgericht, wenn der ba eriſche Staat auf 
Sefeitel 900 dieſes Exſatzanſpruchs klagt, die 
vom O verneinte Frage nachprüfen, ob ein 
Veiricbsanfal i. des bayer. BG. vor⸗ 
liegt? Keine Zurückverweiſung vom RG. an das 
Oberſte LG. R 
e einer Reviſion, bei deren Einlegung 
ufhebung des Konkurſes der ordnun 5 
Nang beſtellte Prozeßbevollmächtigte den 
viſionskläger irrig als vertreten durch Den 
Konkursverwalter bezeichnet hat. Gründe 
für die Ablehnung eines Beweisantrages; kann 
die Reviſion trotz Aufhebung des Konkurſes 
darauf geſtützt werden, daß das Gericht die 
Vernehmung des früheren Gemeinſchuldners 
als Zeugen zu Unrecht abgelehnt habe? 
Sind bei heller Beleuchtung der ſicherheits⸗ 
e Stelle eines Weges noch weitere 
Sicherheitsmaßregeln geboten! RG. 


Zu 8 600 ZPO. Entſcheidung über die oe 
rufung im Wechſelprozeſſe nach rechtskräfti 
Erledigung des Nachverfahrens. OLG. Mün a 

Formelle Behandlung der Beſchwerden gegen Be⸗ 
ſchlüſſe der OLG. OLG. München 

Unter welchen Vorausſetzungen kann angenommen 
werden, daß eine Partei „ohne ihr Verſchulden“ 
außerſtande war, den Reſtitutionsgrund, in dem 
früheren Verfabren geltend zu machen? (Ver⸗ 
ſpätetes Wiederfinden eines Briefes). RG. 


Ueber eine e e dor den ungariſchen 
Ehegatten haben die deutſchen Gerichte nicht 
zu befinden. eſtſtellung der ungariſchen 
Staatsangehörigkeit. RG. 


Gilt in ee e eine Ausnahme von 
dem Grundſatze, daß gegen eine Entſcheidung 
nur die Partei ein Rechtsmittel einlegen kann 
die durch ſie irgendwie formell beſchwert ist? 
e vom Scheidungsantrag zum Antrag 
auf Aufhebung der ehelichen e, in 
der Reviſionsinſtanz. 


In Eheſachen darf der Kläger die Reviſion ein⸗ 
legen, auch wenn es nur geſchieht, damit er 
die Kla 105 zurücknehmen oder auf den Klage⸗ 
anſpruch verzichten kann. RG. 


Feſtſtellung der Perſon, mit der der Beklagte die 
Ehe gebrochen hat, im Scheidungsurteil (8 624 
3PO .); kann ein Ehegatte um dieſe; El 

gu erzielen das Scheidungsurteil anfechten, d 
en in ſeiner Klage behaupteten Ehebruch 8 
nicht erwieſen bezeichnet, die Scheidung aber 
aus einem anderen in der Klage geltend— 
gemachten Grund ausſpricht? RG. 4 


Kann ein Rechtsanwalt im ME OR kenn 
ſahren als Vertreter des zu Entmündigenden 
auftreten, der nach 8 1906 BGB. unter vor- 
läufige Vormundſchaft De u 

. Schweinfurt 

Muß der EN Entmündigende im Verfahren auf 
die Anfechtungsklage ſtets auch in der Berufungs- 
inſtanz perſönlich vernommen werden? Rö. 

Zu S8 707, 719 3PO. OLG. München 

Für den Antrag auf Anordnung der Rückgabe 
einer Sicherheit nach 8 715 3PO. ſteht dem 


265 


G. 333 


8⁵ 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bar in Bayern. 1 1911. 


— — — — — — — 3 


Rechtsanwalt eine beſondere en neben der 
Prozeßgebühr nicht zu (8 24 RA GELO.). 


OLG. Nürnberg 

Zu 83 727, 730 ZPO. OLG. München 
i gen egen die F 
115 22 8 we eräußerungsverbots. (88 10 


5 des Art. 2 AG. z. ZPO. auf Feſt⸗ 


431 


280 


RG. 403 


137 


137 
489 


ſtellungsklagen. Befriedigung des Klaganſpruchs 
durch den Fiskus iſt nicht gleichbedeutend mit 
der Einlaſſung auf die Klage. OLG. München 
Zu 88 771 ZPO., 816 BGB. 115 Anſpruch auf 
e einer Forderung w com ae 

1 ereicherung (8 816 B ıbt kein 
echt zur Widerſpruchsklage gegen! 5 d Mida 

der Forderung. G. München 
Erlangt der Gläubiger durch die a des 
Gehalts eines Beamten ein Recht, das von der 
Dienſtenthebung und Dienſtentlaſſung des Be⸗ 
amten nicht betroffen wird? Ob s G 


Die S des 8 852 ZPO. iſt 95 auf 
Schadenser Ban Dee nach 8 945 ZBO. an⸗ 
zuwenden. eginn der Verjährung hängt 
nicht davon ab, daß das Urteil im 
ergangen iſt. 


Abgeſehen von dem Falle des 8 301 ZPO. kann 
eine Sicherungshypothek auf Grund mehrerer 


469 


71 


. 487 


auptprozeß 
RG. 118 


vollſtreckbarer Schuldtitel, die zuſammen 300 1 


1 von denen aber 15 auf mehr 
300 M l lautet, im Grundbuch auch dann 

119 eingetragen werden, wenn die vollſtreck⸗ 
baren Schuldtitel dadurch entſtanden ſind, daß 
der Gläubiger eine Forderung in Teilbeträgen 
von 300 M und weniger einklagte. 8 8 866 
Abſ. 3). Ob“ G. 
Erzwingung Bun tändiger Auskunftserteilung als 
einer vom en des Schuldners 5 
abhängigen Handlung gemäß Ser ZPO. 
OLG. Barderg 


Welchen Einfluß hat es auf den Schadenserſatz⸗ 
anſpruch nach 8 945 ZPO., wenn der Schuldner 
zur Abwendung des Arreſtvollzugs entgegen 
der Vorſchrift des 8 923 8 5. nicht Geld, 
ſondern Wertpapiere hinterlegt? RG. 


7. Zwangsverſteigerung. 


on a gebührt als Werterſatz i. S. des 
8 92 1880 dem Dritten, deſſen Eigen⸗ 


188 


347 


tum 1 "Bubebörhiden durch den Zuſchlag er: 
RG. 334 


loſchen iſt? 


Der zur Verkündung der Entſcheidung über den 
uſchlag anberaumte beſondere Termin (8 87 
WG.) darf nur aus wichtigen Gründen ver: 

tagt werden. 8 darf dabei keine Rückſicht 
auf das Intereſſe des Schuldners oder unbe⸗ 
teiligter deren genommen werden. Jedoch 
handelt der Beamte, der ohne genügenden 
Grund vertagt, nicht unter allen Umſtänden 
fahrlaſſig. R 


8. Konkursverfahren. 


Das Vorrecht des 8 61 Nr. 5 der KO erſtreckt 
ſich auf die ganze Forderung des Kindes, auch 
wenn ſie wegen einer Ueberſchuldung des väter— 
lichen Vermögens nicht ganz einbringlich iſt. 
2. Anfechtung eines Vertrags, durch den der 
in Konkurs geratene Erbe eine gegen ihn ſelbſt 
gerichtete Nachlaßforderung an Vermächtnis: 
nehmer abgetreten hat (8 31 K O.). RG. 


N 


G 280 


87 


Ueber das Vorrecht für die Forderungen der 
kinder des ee. wegen 19 5 geſetz⸗ 

lich ſeiner Verwal 11 5 unterworfenen Ver- 
mögens (861 Nr. 5 KO.). Verwaltung eines 
vom Gewalthaber ſelbſt geſchuldeten Kapitals. 


I. L. Syſtematiſches Verzeichnis. 


2 


OLG. Nurnberg 208 


9. Freiwillige Gerichtsbarkeit. 
Zwangserziehung. 


„Wichtige Gründe“ für die Uebernahme einer 
Zwangserziehungsſache durch ein anderes Vor⸗ 
mundſchaſtsgericht. Ob 

Hat das Vormundſchaftsgericht bei der Ermitte⸗ 
lung des Erzeugers eines unehelichen Kindes 
mitzuwirken? RG. 


Wann wird die Vereinbarung über die Aus⸗ 
einanderſetzung einer fortgeſetzten Gütergemein⸗ 
ſchaft (Erbengemeinſchaft) wirkſam, wenn im 
Auseinanderſetzungstermine nicht alle richtig 
geladenen Beteiligten erſchienen find? Obe G. 


10. Grundbuchweſen. 


Iſt der Antrag auf Zuſchreibung eines Grund⸗ 
ſtücks „bei“ einem anderen Grundſtücke gleich— 
bedeutend mit dem Antrag auf Zuſchreibung 
des Grundſtücks „zu“ einem anderen Grund- 
ſtücke? Kann ein Grundſtück mehreren andern 
als Beſtandteil zugeſchrieben werden? Liegt 
in dem Antrag ein Grundſtück mehreren an⸗ 
deren auf einem gemeinſchaftlichen Blatte ein— 
N Grundſtücken zuzuſchreiben zugleich 

er Antrag auf Veremigung dieſer ee 


n Gemeinderechte öffentlichrechtlicher Natur 
as rundbu eingetragen werden: 
(Did H Bae. 8 123 Nr. 6). Obe G. 
Das Recht einer Gemeinde aus einer Waldung 
vor Anderen gegen die Bezahlung der forſt— 
amtlich feſtgeſtellten Preiſe die Eichelernte zu 
beziehen, kann ein die Waldung belaſtendes, 
dingliches und eintragungsfähiges an „fein 


Iſt die nach 8 332 StPO. angeordnete Vermögens⸗ 
eſchlagnahme ein son utes VBeräußerungds 
verbot nach 8 134 BGB., deſſen Eintragung 
in das Grundbuch nicht zuläſſig iſt, oder ein 
nn Veräußerungsverbot im Sinne des 

8 136 BGB. und deshalb eintragungs All 
Abs 


LG. 467 


446 


91 


467 


245 


166 


LG. 138 


Darf das Grundbuchamt a e einer 
Hypothek ablebnen, weil in der Beſtellungs⸗ 
urkunde die Hypothek, die ihr im Range vor⸗ 
gehen ſoll, mit einem höheren als dem einge— 
tragenen Betrag angegeben iſt? (GBO. SS 16, 
18, 19). Obe 

Sicherung eines vorbehaltenen Rangs durch eine 
Vormerkung nach § 18 GBO. Rechtliche Natur 
einer ſolchen Vormerkung. Beſeitigung durch 
eine ſpätere Eintragung, die einen Rangvor⸗ 
behalt nicht enthält. Erwerb in gutem Glauben 
(S 892 BGB.) auf Grund einer ſolchen Vor— 
merkung. RG 


e des Grundbuchamts im Falle des 

9 GBO. Welche Behörde iſt zuſtändig die 

für eine Gebührenforderung der bayeriſchen 

Staatskaſſe eingetragene Sicherungshypothek auf 
einen anderen zu übertragen! Ob eG 


Kann der Notar die weitere Beſchwerde ee 
wenn er die von ihm aufgenommene Urkunde 


bL G. 316 


486 


dem Grundbuchamt unter Anſchluß an die An⸗ 
träge der Beteiligten zum Vollzuge vorgelegt 
hat? (GBO. Ss 80, 15, 13). Ob G. 287 


11. Gerichtskoſten. Gebühren. 


Zu 89a GKG. OLG. München 208 

Als Zurücknahme des Rechtsmittels i. S. des 8 46 
GKG. kann auch eine Erklärung der Partei 
gelten, die nicht den Vorſchriften der 8950. 
entſpricht. 447 


Die durch das Geſetz vom 1. Juni 1909 einge⸗ 


führten Auslagenpauſchſätze ($ 80 b GKG.) 
haben nicht die rechtliche Natur von N. 
fondern die von Auslagen. 162 
Rechtliche Bedeutung des in. es Es 
der Anrechnung. G. München 229 
Gebührenfreiheit der „ 
im Ordnungsſtrafverfahren. OLG. Bamberg 
Der Rechtsanwalt erhält die Beweisgebühr auch 
dann, wenn er ſich bei der Beweiserhebung 
durch einen Rechtskundigen vertreten läßt, 
welcher, ohne als allgemeiner Stellvertreter 
aufgestellt zu fein, über 2 Jahre im Vorbe⸗— 
reitungsdienſt beſchäftigt iſt. OLG. Augsburg 123 
Erſtattung ausländiſcher Anwaltßgebühren. 
LG. München 289 
OLG. München 207 


51 


Geometergebühren. 


Zeugengebühren eines Volksſchullehrers. Obs G. 468 


G. 183 


Zeugengebühren bei Unterbrechung einer Geſchäfts⸗ 
reiſe. OLG. München 320 


Gebühren im Falle der un, der Rechte 
aus dem Meiſtgebot (nach dem Geb. m 5 
Faſſung vom 28. April 1907). G. 344 

Einheitlicher Vertrag oder Verbindung 1 
Rechtsgeſchäfte (Art. 186 Geb.). Ob LG. 287 


Gehören die Invalidenverſicherungsanſtalten in 
Bayern zu den ſtaatlichen Anſtalten NN 


des Art. 194 Ziff. 2 GebG.? 48 


12. Strafrecht. 
A. Reichsrecht. 


a) Strafgeſetzbuch. 
1. Allgemeiner Teil. 


Zum Begriffe des fortgeſetzten Verbrechens. RG. 


Befugnis der Polizeibeamten zum Waffen Due 
und zum 0 Angriff auf eine Menſchen⸗ 
menge. Drohung als Verteidigungsmittel. 
Verdrängen des Schutzmanns vom Poſten. 
Eingriff in die amtliche Tätigkeit durch die 
Aufforderung den Säbel einzuſtecken. Höhniſche 
Aeußerungen aus der Menge. Bereithalten 
der Waffe. RG 225 


Notwendiger Inhalt des Strafantrags. RG. 367 


Wie hat das Gericht bei der Bemeſſung der 
Geſamtſtrafe zu verfahren? RG. 
Muß das Gericht, das den mehreren ſachlich zu— 
ſammentreffender Vergehen beſchuldigten Ange: 
klagten bezüglich eines Teiles für nicht über— 
führt erachtet, ihn inſoweit freiſprechen, wenn 
es im übrigen ihn wegen eines fortgeſetzten 
Vergehens verurteilt? RG. 368 


70 


367 


2. Beſonderer Teil. 


Wann liegt rechtmäßige Amtsausübung im Sinne 
des 8 113 StGB. vor? RG. 314 
3 


XIV 


Rechtmäßigkeit der Amtsausübung des Noll 
ſtreckungsbeamten beſonders bei der Entſchei⸗ 
dung, gegen wen und in welche Vermögens⸗ 
ftü e zu vollſtrecken iſt. RG. 118 
„Ueberlaſſen“ unzüchtiger Poſtkarten im Sinne 
der 8$ 184 Nr. 2, 184 StGB. RG. 265 
Verhältnis der 88 185, 186, 73 des StGB. zus 
einander. Ob“ G. 140 
In der Aeußerung, daß jemand hexen könne, 
kann eine üble Nachrede gefunden werden. 
Obe G. 269 
Der de Vorwurf, daß man bei einer Be⸗ 
hörde durch „Schmieren“ etwas erreichen könne, 
iſt nach $ 185 StGB., nicht nach 8 186 StGB. 
ſtrafbar. RG. 
Beleidigungsabſicht im Falle des 8 193 StGB. 
RG. 266 
Schutz des 8 193 StGB. bei Veröffentlichung von 
Gerichtsverhandlungen in der Preſſe. R 
N Begriffe des Gewahrſams und eee 


204 


ams 90 
Entnahme von Gas nach Umſtellung der Gas⸗ 
uhr: Diebſtahl oder Betrug? RG. 47 
Wie iſt die Entwendung eines eingefangenen, aber 
herrenlos gebliebenen „jagdbaren Tieres ſtraf⸗ 
rechtlich zu beurteilen? RG. 426 


Vermögensſchädigung bei betrügeriſcher Gewin⸗ 
nung von Zeitungs⸗Abonnenten durch einen 
Reiſenden des Verlegers. RG. 


Vermögensbeſchädigung durch Erſchleichung eines 
Blankoakts bei einem Wechſel. eee 
Blankogiro). 

Kann Untreue begangen werden 1) dadurch, daß 
der Bevollmächtigte für den Vollmachtgeber 
einen Wechſel ausſtellt? 2) dadurch, daß er 
einen ſolchen zum Nachteil des Voll machtgebers 
ausgeſtellten Wechſel mit Mitteln des Voll- 
machtgebers einlöſt? RG. 341 


Untreue des Agenten, der nach außen hin im 
eigenen Namen handelt. RG. 4 


1. Urkundenfälſchung: ſteht der Annahme der 
rechtswidrigen Abſicht der Umſtand entgegen, 
daß die Abſicht des Täters auf einen materiell 
nicht rechtswidrigen Erfolg gerichtet war? 
2. Betrug: liegt eine ee e 
i. S. des § 263 StGB. vor, wenn ein Geld: 
geber für ſein Darlehen die Sicherheit nicht 
erhält, die er durch die Verpfändung eines 
Sparkaſſenbuchs erhalten ſollte? RG. 343 


Unbefugte Jagdausübung eines eee 
von ſeinem Jagdgebiete aus. 


Zuläſſigkeit der Veranſtaltung einer Lotterie der 
Rabattſparvereine unter ihren Mitgliedern 
($ 286 Abſ. 1 StGB.). Ob“L G. 469 


Gewerbsmäßiges Glücksſpiel: Kann das Vergehen 
des 8 284 StGB. im Inlande durch einen aus— 
ländiſchen Buchmacher begangen werden, der 
im Inlande weder den Sitz ſeines Gewerbes 
hat noch perſönlich tätig wird? Iſt es von 
Belang, ob das gewerbsmäßige Gluͤcksſpiel im 
Lande der gewerblichen Niederlaſſung ſtrafbar 
iſt, ſowie vb die Wettverträge im Inlande 


zuſtande kommen? RG. 90 
Zum Begriffe des Wuchers. RG. 118 


Vorſatz im Falle des 8 318 StGB. — Verleitung 
eines Untergebenen zu einer Falſchbeurkundung. 
RG. 341 


Gewerbsunzucht: Weſen der Gewerbsmäßigkeit: 


G 265 


Inhaltsverzeichnis Der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


| 


Verwertung von ſtrafloſen Einzelfällen. Obs G. 449 


1911. 


b) Nebengeſetze. 


1. Wer iſt i. S. des 8 6 PreßG. als Drucker 


einer nicht in einer Druckerei, ſondern von dem 
Verbreiter ſelbſt mit einer fremden Handpreſſe 
hergeſtellten Drudichrift anzuſehen? — 2, Liegt 
in chen dem durch die Verbreitung einer Druck⸗ 
chrift verübten Vergehen und einer bezüglich 
derſelben Druckſchrift begangenen Verfehlung 
nach 88 6, 18 oder 19 PreßG. Ideal⸗ oder 
Realkonkurrenz vor? RG. 
Verkehr mit Kraftfahrzeugen; das Befahren einer 
verbotenen Straße kann unter Umſtänden ſtraf⸗ 
los ſein. ObLG. 320 


Zu 8 19 Abſ. 3 der Oberpolizeilichen Vorſchriften 
vom 17. September 1906 (GVBl. S. 729); 
Vorbeifahren an eingeholten Fuhrwerken un 


388 


70 


Vergehen gegen den Poſtzwang: Vorſätzlichkeit 
als Vorausſetzung eines fortgeſetzten Vergehens 
— zum Begriffe Beförderung —; iſt außer dem 
Befördernden auch ſtrafbar, wer irgendwie ver⸗ 
ſchuldet, daß ein anderer dem Poſtzwang unter⸗ 
liegende Gegenſtände geſetzwidrig befördert? 
Beförderung durch „expreſſe Boten“. Feſt⸗ 
ſtellung des hinterzogenen, nicht genau zu er⸗ 
mittelnden Portobetrages. RG. 405 


Die Verpflichtung zur 1 10 nach 8 5 des 
Reblaus G. vom 6. Juli 190 RG. 


„Verkauf“ und „Verſchweigen“ 8 des §S 10 NMG. 
RG. 427 


Zu Ss 3 und 12 WeinG.: was verſteht man unter 
Moſt? Bedeutung der Entziehung der Gär— 
fähigkeit. RG. 

Vermiſchung von Traubenmoiten untereinander 
oder mit Wein. Verneinung der Fahrläſſigkeit, 
wenn eine Zuckerung dadurch erfolgt fein ſoll, 
daß ausländischer Wein mit gezuckertem in- 
ländiſchem Weine nach Beendigung der 1155 
miſchen Gärung verſchnitten wurde. G. 


Begriff des Haustrunks. Herſtellung unter Ver⸗ 
wendung ausländiſcher Weine. R 


Vorſchriften über den Haustrunk. Ein aus Ro⸗ 
ſinen bereitetes Getränke iſt kein . 
i. S. des $ 10 des WG. RG. 285 


Gegenüber den Straußwirten in der Rheinpfalz 
beſteht kein grundſätzliches Zuckerungsverbot. 
Ob LG. 287 
Betrieb der Straußwirtſchaften in der Pfalz; 
geſchichtliche Entwickelung; Umfang der Befug⸗ 
niſſe des Straußwirts. Ob“ G. 227 


Anwendung des 853 Gew. „Streikparagraph) 
bei Ausſperrungen und ſein Verhältnis zu dem 
eine härtere Strafe androhenden allgemeinen 
Strafgeſetze. Ob G. 249 


Mimoſatropfen. Unter welchen Vorausſetzungen 
unterliegen die reinen Deſtillate dem Apotheken— 
zwang? Der Satz von der Unentſchuldbarkeit 
des Strafrechtsirrtums gilt nicht ausnahmslos. 

b G. 120 


Naturheilkundiger; unbefugte Führung eines arzt⸗ 
ähnlichen Titels. Ob“ G. 270 

Begriff einer Schankwirtſchaft, eines Kleinhandels 
mit Bier und eines Auskochgeſchäftes. Ob“ G. 449 

Verkauf von Anſichtspoſtkarten an Sonn- und 

Feſttagen in den Schank- und Gaſtwirtſchaften. 
Obs G. 246 

Der Verkauf von Zigarren und Zigaretten in 
Gaſthäuſern an Sonn- und Feſttagen. Ob“ G. 410 


389 


I. Syſtematiſches Verzeichnis 


Macht ſich ein Bader durch die Abgabe und An⸗ 
wendung von Heftpflaſter oder anderer dem 
Handel freigegebener Heilmittel ſtrafbar Re ne 


Zuſammentreffen des 8 328 StGB. mit den Vor⸗ 
ſchriften des Ver 3G. RG. 285 

88 135, 136 des Vereinszollgeſetzes. Pferdezoll: 
Konfiskation, Wertserſatz; Zeit der ung | 
des Anſpruchs auf Wertserſatz. Obs G. 27 


e nach $$ 134, 146 V3G., sr = as Ä 


oe i. S. des $53 RStempG. 25 203 


Ein ed wird nicht dadurch zu einem 
„der Beförderung von Perſonen dienenden 
Kraftfahrzeuge“, daß gelegentlich Perſonen mit⸗ 
fahren dürfen. RG 485 | 
Erforderniſſe einer Bilanz. RG. = | 


| 
1. Strafbarkeit der Vorſtandsmitglieder einer ein⸗ 
5 e Genoſſenſchaft wegen e Hung | 
es Antrags auf Konkurseröffnung. — 
kundenfälſchung; zum Begriffe des Gebrauch 
machens zum Zweck einer Täuschung (Ver: | 
öffentlichung der mit einer gefälſchten Unter⸗ 
ſchrift verſehenen gan )! die Bilanz als be⸗ 
weiserhebliche Urkunde. RG. 342 
Einſtweilige Verfügung nach 88 3 und 25 UWG. 
wegen irreführenden Gebrauchs einer Firma. 
1 der tatſächlichen Vorausſetzungen | 
während de3 BEDEIEL HONMOSDEr DENE | 
LG. Bamberg 142 
Anzeige „Schmerzloſes Zahnziehen“ als unlauterer | 
ettbewerb. RG. 165 
Anſchein eines beſonders günſtigen Angebots bei | 
der Ankündigung: „Eigenefteparatur-Werkitatt“. Br | 
Namentliche Aufzählung der anzeigepflichtigen 
Arten der Ausverkäufe durch die höheren Ver⸗ 
waltungsbehörden (UnlWG. 8 7 Abi. 2 vom 
7. Juni 1909) ObLG. 
Befugniſſe der höheren Verwaltungsbehörde nach 
§ 7 Abſ. 2 Unl WG. RG. 
Nachſchieben von Waren beim Ausverkauf. RG. 


B. Landesrecht. 


Geltungsbereich der 55 Son 
vom 4. September 1905 zum Schuß der beim 
Tiefbau beſchäftigten Perſonen. Ob LG. 

Offenes Bau⸗(Pavillon⸗Syſtem. Begriff des 
Ueberbauens (Art. 101 P StGB.). Vorausſetzung 
der Gültigkeit einer ortspolizeilichen e 


— 
& 


29 


29 

Bedeutung des gleichzeitigen Verdingens an 
non ee (Art. 106 Abſ. 1 ul 2 
PStGB LG. 488 

Art. 112 ne 2 PStGB.: Sonnenweg, 
an einer Grenzeinrichtung. 

Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 des PStGB. 55 52 
kämpfung des Traubenwicklers (Heu: oder 
Sauerwurms). Ob“ G. 468 

Wahrſagen gegen Lohn iſt ohne Rückſicht auf die 
angewandten Mittel als Gaukelei zu beſtrafen. | 
Aſtrologie, Stellung des Horoſkopes. DLYG. 346 

Welche Grundſtücksumzäunung berechtigt zur 
Ausübung der Eigenjagd in der N 


186 | 
Begriff der in den 1 aufſichtslos under 
ſtreifenden Hun be G. 319 
Die Strafandrohungen des Art. 41 Abſ. 3 en 
beziehen ſich nur auf die Entziehung oder Ver: 
kürzung der e und nicht auf die rechts- | 


Art. 55 


| eee Zuſtändigkeit für Wrefwerg 


8 121 StPO. 


widrige Wenn einer Rückvergütung ge⸗ 

leiſteter Gefälle. Ob LG. 390 
Anbeften von 1 Sinn und Tragweite des 
Art. 12 AG. StPO. Ob LG. 
5 O Haftung des Betriebsleiters 

nach 8 151 G Ob G. 94 
Zum . Bande ee Meß⸗ 
und Marktverkehr; Weſen und Tragweite des 

ſog. Formaldeliktes. Ob“ G. 205 


| Zum bayeriſchen Wandergewerbeſteuergeſetz; Be⸗ 


riff des Wanderlagers; die Einrichtung einer 
abrik hat regelmäßig nicht die Eigen an 
eines Wanderlagers. Ob 
Gewerbebetrieb im Umherziehen durch dag 
vermittler. bLG. 
Sind vorübergehend bewilligte n bei 
der Berechnung der Einkommenſteuer anzuſetzen? 
Müſſen die Arbeitgeber ſolche Vergütungen dem 
Rentamte mitteilen ObL G. 


Y. 289 
51 


92 


13. Gerichtsverfaſſung. Strafprozeß. 


Welches Gericht hat den Streit eines preußiſchen 


und eines bayeriſchen Amtsgerichts über die 
Verpflichtung zur Uebernahme einer bei dem 
preußiſchen e anhängigen Vormund⸗ 
ſchaft zu enſcheiden? (GF G. 88 199, 46 in der 


Faſſung des RG. vom = Mai 1910). ObL G. 410 


n Bayern. 344 


N Karfreitag ift in Bayern, insbeſondere an 
Orten mit konfeſſionell gemiſchter 1 
kein allgemeiner Feiertag im Sinne des S 43 
Abſ. 2 Obe G. 346 

Abweſenheit des einem jugendlichen Angeklagten 
beſtellten Verteidigers zu Beginn der Raub 
verhandlung. RG. 188 


Ausübung prozeſſualer Befugniſſe des Beſchul⸗ 


digten außerhalb der Hauptverhandlung durch 
andere Perſonen als den Verteidiger. Ob“ G. 


Iſt das Gericht an die Ausſage einer beeidigten 


Zeugin Beben, daß fie die Verlobte des An⸗ 
geklagten ſei? RG. 447 
Erkundigungspflicht des Zeugen. RG. 48 
Zuläſſigkeit der Beſchwerde gegen einen von dem 
erkennenden Gericht auf Grund des 8 81 8805 
erlaſſenen Beſchluß. 


Wann beginnt die „Ausführung einer 9 1 1 2 


G. 229 


Umfang der ene von Briefen 81 der 
Poſt nach § 99 StPO. bL G. 318 

Wer iſt zum Antrage = a 

Scheidung über das „Freiwerden“ der noch nicht 


verfallenen Sicherheit berechtigt? Obs G. 


Wie muß der Antrag nach $ 170 StPO. unter⸗ 
ſchrieben ſein? OLG. München 


Verleſung von Schriftſtücken durch den Vertei⸗ 
diger beim Schlußwort. RG. 


50 
94 
286 


1. Verleſung von Briefen in der Hauptverhand— 


lung: Feſtſtellung des Zwecks der Verleſung 
im Protokoll? Begründung einer auf die Un⸗ 
zuläſſigkeit einer Verleſung ſich ſtützenden Re⸗ 
viſion. 2. Schwurgerichtliche Frageſtellung: 
Bezeichnung des Tatorts. RG. 447 


Berichtigungsverfahren beim Schwurgericht. Form 
der Niederſchrift des berichtigten Spruches. 


RG. 165 


Kann prozeßordnungswidriges Verhalten des 


Staatsanwalts die Reviſion begründen? Ag 407 


1. Bu 1. Bu 85 347 StPO. 2. Während der Vertagung 
des Landtags durch die Krone bedarf es zur 
Durchführung des Strafverfahrens gegen ein 
Landtagsmitglied nicht 8 ao au ei feiner 
Kammer. München I 

Erforderniſſe 8 1 einer Ntüge 
8 Si iff. 8 StPO. — zu 8 384 Abſ. 2 N 


Rechtliche Wirkſamkeit des in einem privaten Ver⸗ 
leich erklärten Verzichts auf die n 8 
Privatklage. 

Der Vergleich im Privatklageverfahren bildet einen 
Vollſtreckungstitel, auf Grund deſſen die Koſten 
gerichtlich feſtgeſetzt werden können. 

LG. Paſſau 

Bei Freiſprechung des Angeklagten iſt der Aus⸗ 
ſpruch. daß dem Nebenkläger „die Koſten der 
Nebenklage“ überbürdet werden, zu . 


Vorausſetzung zur Koſtenfeſtſetzung nach 30 496 
Abſ. 2 der StPO. LG. 


14. Staatsrecht. Verwaltung. 


Iſt 55 Rechtsweg zuläſſig, wenn ein zur Ruhe 
eſetzter Beamter eine Gehaltsforderung mit 
er Begründung geltend A daß die au 
ſetzung unrechtmäßig ſei? 
Beginn der Klagbarkeit des Anſpruchs der 75 
riſchen Beamten auf Gehaltserhöhung (Art. 178 
). Berechnung der Dienſtzeit (Art. 28 BG.). 
Unanwendbarkeit des $ 66 Ab}. 1 RMilG. auf 
Staatsdienſtaſpiranten. ObL G. 2 
Unter welchen Vorausſetzungen kann die VO. 
vom 13. November 1902, die Unfallfürſorge für 
die nichtpragmatiſchen Staatsbeamten und 
Staatsbedienſteten betreffend, auf einen früher 
eingetretenen Betriebsunfall angewendet werden? 
ObL G. 204 
Abſ. 2 des $ 1 der Unfallfürſorgeverordnung vom 
13. November 1902 iſt auf den mit einem Ruhe⸗ 
ehalt entlaſſenen Beamten nicht anwendbar. 


G. 387 


D 


t 


\ 8 | 
uſtändigkeit a) der Verwaltungsbehörden zur Pflicht zur Teilnahme am konfeſſionellen Religions⸗ 


Eniſcheidung über die dauernde Dienſtunfähig— 
keit nach Ab}. 1 a. a. O., b) der Gerichte zur 
Entſcheidung darüber, ob ein Ereignis als Be— 
triebsunfall zu betrachten und Urſache der Bes 
ſchädigung iſt. Klageänderung, wenn der An- 


Inhalts verzeichnis der Zeitſchrift m Rechtspflege in n Bayern. 


1911. 


ſpruch auf die Unfallfürſorge e 
einen anderen Unfall geſtützt wird. (ZB 
8 268). Keine Erholung eines 1 
„Obergutachtens“, wenn das Gericht durch die 
vernommenen Sachverſtändigen genügend 115 
geklärt iſt (ZPO. 58 286, 412). Obs G 


105 


Verhältnis der Beſtimmungen des e 


vom 31. Mai 1906 zu denen des KriegsinvG. 
vom 31. Mai 1901. RG. 405 


Einfluß der Anſtellung eines ee Offi⸗ 
ziers bei der Reichsbank auf ſeinen e 
bezug. RG. 

Zur Entſcheidung über einen Anſpruch gegen den 
bayeriſchen Fiskus auf Rückerſtattung zu Un⸗ 
recht erhobener Gebühren und von Zinſen 
hieraus ſind die bürgerlichen Gerichte nicht zu⸗ 
9899 ü e r. 80 200 90 9. nach 

B. und Art. 60 A BGB. Mit: 
un des Geſchädigten ne Unterlaſſung 
der Auſſichtsbeſchwerde. G. Bamberg 321 

Errichtung von Badeanlagen. Zuſtändigkeitsaus⸗ 
ſcheidung. VGH. 

Das Beſtreuen der Ortsſtraßen. VGH. 

Wenn die Eigentümer eines Hauſes gegenüber 
einer Gemeinde auf Grund unvordenklicher 
Verjährung oder Vertrags das Recht bean= 
ſpruchen, über Gemeindegrund Abfallwaſſer aus 
einem gemeindlichen Brunnen zu beziehen, ſo 
haben die bürgerlichen Gerichte zu u 


31 


49 
Zuſtändigkeit, wenn eine Gemeinde die Koſten der 
Verpflegung in einem Krankenhauſe vorge— 
1 hat und von den Erben Erſatz verlangt. 
O. iſt im Verfahren vor dem Gerichts— 
ie nicht anwendbar. Das Vorbringen des 
eklagten iſt bei der Entſcheidung über die 
Zuſtändigkeit in der Regel nicht zu berück- d. 
ſichtigen. KASH. 191 
Sind die Gerichte zuſtändig, wenn eine Kirchen⸗ 
gemeinde eine Feſtſtellung darüber beanſprucht, 
daß die Angehörigen einer Filialkirchengemeinde 
zu Hand⸗ und Spanndienſten für Kultusbauten 


in der Hauptgemeinde verpflichtet find? VGH. 95 


unterricht. Religiöſe Kindererziehung bei un— 

gemiſchter Ehe. GH. 450 
Zum Begriffe des Güterhändlers. (Güterhandel 

als Nebengewerbe). GH. 370 


Notizen. 


1. Zivilprozeß. Grund buchweſen. 
Koſtenbehandlung im Falle des 8 505 ZPO. 
Die kataſtermäßige Behandlung von Grundſtücken 

und Miteigentumsanteilen. 452 
Eine bemerkenswerte Bekanntmachung über die 
Führung des Grundbuchs. 


272 


ö 


2. Patentrecht. 


Das Geſetz betreffend den Patentausführungs⸗ 
zwang vom 6. Juni 1911 (RG Bl. 243). 


3. Strafrecht. Strafprozeß. 
Die Bekämpfung der Pornographie. 
Der Dienſt der Amtsanwälte. 


Das Strafverfahren gegen Jugendliche und deren 
bedingte Begnadigung. 


Strafverfahren gegen geiſtig Minderwertige. 


272 
52 


100 


Die Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910, die 
Mitteilungen im Strafverfahren betreffend 
(JIM Bl. S. 1000). 


Die Feſtnahme flüchtiger Verbrecher auf deutſchen 1 


Handelsſchiffen. 
Die Verfolgung der Fälſchungen von Nahrungs- 
und Genußmitteln. 251 
Die allgemeine Einführung des Fingerabdruckver⸗ 
fahrens im Königreiche Bayern. 


1 Die Wirkung des Fingerabdruckverfahrens auf die 85 
4 


Verbrecherſeele. 


4. Internationales Recht. 
Internationales Abkommen über das Verbot der 
Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen. 
Die rechtliche Stellung der öſterreichiſch-ungariſchen 

Konſularbeamten im gerichtlichen Verfahren. 192 
Neue Staatsverträge mit der Schweiz. 372 


72 


Rechtshilfeverkehr mit dem Auslande. 


Der Geſchäftsverkehr der Juſtizbehörden mit dem 
Auslande. 211 


Auslieferungverkehr mit dem Auslande. 
Auslieferungsvertrag mit Großbritannien. 


392 
212 


5. Inſtizverwaltung. 


Die Behandlung der Geſuche um Auffchub der 
Strafvollſtreckung. 32 

Die e der Begnadigungs⸗ und e 
aufſchubsſachen. 

Die Vormerkung der Begnadigungen in ben 
Strafregiſtern. 

Die Mitteilung gerichtlicher Akten an die en 
ftände der Anwaltskammern. 


Die bayeriſche Juſtizſtatiſtik für 1910. 


252 
412 


Die Einhebegebühren des gerichtlichen Diener⸗ 85 


und Botenperſonals. 
Die Mitwirkung der Juſtizbehörden beim Vollzuge 

des Zuwachsſteuergeſetzes. 351 
Die Mitwirkung der Juſtizbehörden beim Vollzuge 

des Einkommenſteuergeſetzes. 351 


I. Syfiematifche® Verzeichnis. 


392 


XVII 


6. Verwaltung. 


N 
| Abgekürzte Auszüge aus den Perſonenſtands⸗ 
| regiſtern. 492 
Die Beſeitigung von Tierkadavern und die Rege⸗ 
lung des Abdeckereiweſens. 324 
Der Schutz des zur Anfertigung von Reichsbank⸗ 
noten verwendeten Papiers gegen unbefugte 
| Nachahmung. 
Die Vorſchriften über den Gewerbebetrieb der 
| Pfandleiher und der Pfandvermittler. 144 
212 


72 


2 Der Verkehr mit Kraftfahrzeugen. 
Die Anrechnung der Militärdienſtzeit auf das 
„ Beſoldungsdienſtalter. 
Die Vorbedingungen für den höheren ſtaatlichen 
| Archivdienſt. 432 
Die Vertretung des Militärfiskus. 
Die ee amtlicher Schreiben an Hand⸗ 
werker. 472 


472 


Der Verkauf von Walderzeugniſſen. 491 
7. Allgemeines. 

Deutſcher Juriſtentag. 352 

Juriſtendeutſch. Geſetzesſprache. 100 


E. Sprachecke. 


Heeresſprache 32 
Mahnung für Beamte 124 
Euer Hochwohlgeboren und Eurer Hochwohl⸗ 
geboren 212 
Vom Datum 252 
Die ſchen Eheleute 252 


Die Faſſung der Beſchlüſſe in Vollſtreckungsſachen 272 
r Schuldner, Zahlungsunwillig⸗ ee 
eit 


Vernotwendigt ſich „ſich vernotwendigen“? 


352 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


(Die Zahlen bedeuten die Seiten.) 


A. 


Abbildungen, unzüchtige 265, 272 

Abdeckereiweſen 324 

Abfallwaſſer, Bezugsrecht 49 

Abgaben ſ. Gefälle 

ee Urteil 361 
b 


lehnung von Eintragungen im Grundbuch 300, 316 
— der Auflaſſung 117 


— von Beweisanträgen 85, 315 
Abmarkung, Bedeutung 78 
— Anſpruch auf A. 235 
Abonnenten, Fang 314 
Abſchreibungen vom Grundbuchblatt 217 
A bſicht der Beleidigung 266 
Abſonderung aus der Konkursmaſſe 462 


Abtretung von Forderungen 47, 71, 87, 400, 462, 466 


— von Bankguthaben 307 
— von Hypotheken 163, 331, 485 
— von Grundſchulden 201 
— der Rechte aus einer Vormerkung 463 
— der Rechte aus dem Meiſtgebot 344, 423 
Abzüge bei der Steuer 42 ff., 62 ff. 


Agent, Auftragsverhältnis zum Verſicherungsnehmer 310 


— Proviſion 312 
— Untreue | 465 
Alten, Einfiht im Zivilprozeß 198 
— Abgabe an die Anwaltskammer 252 
— über Begnadigungsſachen 278 
Aktenſammlungen 435 
Aktiengeſellſchaft 335 
Akzept, Erſchleichung 286 
Alkoholfreier Wein 365 
Alkoholſtatiſtik 412, 475 ff. 
Amerika ſ. Vereinigte Staaten 

Amortiſationshypothek, Uebernahme 9 ff. 
Amtsanwälte, Dienſtvorſchriften 52 
Amtsausübung, Rechtmäßigkeit 119, 314 
Amtsdeutſch 32. 100 
Amtspflicht, Verletzung 117, 120, 321 
Aenderung der Fideikommißſtiftung 431 
— der Klage 408 
Anerkenntnisurteil, abgekürztes 361 
Anerkennung des Eigentums 55 
— der Meſſung 235 
Anfechtung wegen Drohung 21 
— wegen Irrtums 165 
— wegen Benachteiligung der Gläubiger 87, 143 
— der Hypothekdeſtellung 163 


— von Generalverſammlungsbeſchlüſſen einer Ge— 


noſſenſchaft 389 
— der Ehe 364 
— prozeſſualer Erklärungen 165 
— der Entmündigung 137 


Angeklagter, Erforſchung des Geiſteszuſtandes 229 


Angeſtellte, Haſtung für 283 
— Zeugengebühren 332 
— Steuerabzüge 63 
— der Reichsbank 387 


Angrenzer, Eigentum an Wegflächen 

Anlagen, gefährliche 

— an der Grenze | 

Anmeldung bei nachträglicher Eintragung von 
Grundſtücken 110 


54, 77, 110 
484 
488 


— z r Verſicherung 457 ff. 
— zollpflichtiger Sachen 3, 28 
Annahme der Erbſchaft 318 
Annuitäten ſ. Amortiſationshypothek 

Anonyme Briefe 421 
Anpreiſungen, unwahre 165, 313, 410 
Anrechnung von Gebühren 229, 382 
— einer früheren Strafe 398 
Anſichtspoſtkarten ſ. Poſtkarten 

Anſpruch, Kennzeichnung 474 
Anſtandsgefühl, Verletzung 145 ff., 263 
Anſteckung als Körperverletzung 197 
Anſtiftung im Forſtſtrafrecht 153. 
Antrag auf gerichtliche Entſcheidung 94 
— ſ. a. Strafantrag, Eintragung 

Antragſteller, Vorſchußpflicht 159 


Anwaltskammer, Recht auf Ueberſendung von 


Akten 252 


— Auſſichtsrecht des Vorſtands 441 
An waltstag 373 ff. 
Anweiſung 176, 178 
Anzeige zum Perſonenſtandsregiſter 220 
— von Ausverkäufen 256, 269 
Apothekenzwang 120. 429 
Arbeiter, gewerbliche, Nachtarbeit 72 
— Verſicherung 83 
— Zeugengebühren 332 
Arbeitgeber, Mitteilungen über Steuerpflicht 92 
— Meldepflicht 457 
— Verſicherungsbeiträge 480 ff. 


Arbeitsbetrieb in den Gerichtsgefängniſſen 439 ff. 
12 ff. 


Arbeits nachweis ff 
Archivdienſt 432 
Argliſt beim Kaufvertrag 308, 385 
Armenpflege, Ausſtellung von Zeugniſſen 51 
— Stellung zum Berufsvormund 377 
— Aufforderung zur Unterhaltsleiſtung 419f. 


Armenrecht, Beiordnung von Rechtsanwälten 304 ff. 


Armutszeugnis. Form 51 
Arreſt, Vollſtreckung 360 
— in Forderungen 30 
— Hinterlegung beim A. 88 
Arzt, Verkauf der Praxis 173 
— unbefugte Titelführung 270 
— Operationsrecht 424 
Aſtrologie als Gaukelei 346 
Aufhebung der vorläufigen Vormundſchaft 193 
— der ehelichen Gemeinſchaft 403 
— des Konkursverfahrens 85 
— einſtweiliger Verfügungen 114 ff. 
Auflaſſung, Sicherung durch Vormerkung 463 
— Beurkundung 58 
— ungerechtfertigte Ablehnung 117 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Auflaſſung, ohne Einigung 
— bei der Güterzertrümmerung 
Außrechnung im Rechtsſtreit 443, 484 
Aufſchlag, Entziehung 


Aufſchub, Behandlung der Geſuche 32, 275 ff., 293 ff. 


A ufſicht des Vorſtands der Anwaltskammer 341 
Aufſichtsbeſchwerde 421 
A ufſichtsrat der Aktiengeſellſchaft 335 
Auftrag, Vorausſetzungen 310 
Ausbuchung von Grundſtücken 111 


Auseinanderſetzung einer Gemeinſchaft 91, 241, 423 
Ausfertigung, vollſtreckbare von Unterhaltsver⸗ 
trägen 44 


— wegen der Koſten 142 
Ausführungsvorſchriften, Bezeichnung 460 
Ausgleichung bei Geſamtſchuld 336 
— bei Errungenſchaftsgemeinſchaft 263 
— unter Erben 33 ff. 
Auskochgeſchäft, Begriff 449 
Auskunft, unrichtige, Schadenserſatz 283, 337, 340 
— Erzwingung 347 
Auskunftspflicht des Miterben 191 
Auslagen im Ermittlungsverfahren 183 
— im Privatklageverfahren 19 f. 
— des Nebenklägers 227 
— für Schreibwerk 396 f. 
— Pauſchſätze 162, 229, 279 
— Vorſchuß 159 ff. 
Ausland, Abſchluß von Wettverträgen 90 
— Weine 266 
— Vollſtreckung 360 ff. 
— Geſchäfts verkehr 211, 392 
— Gebühren der Anwälte 290 
Ausländer, Vormundſchaft 44 
— Vorſchußpflicht 159 
Auslegung der Klageſchriſt 139 
Auslieferung, Verfahren 452 
— aus der Schweiz 372 
— aus Großbritannien 212 
— aus den Vereinigten Staaten 392 
Auslobung, Begriff 444 
Ausmärkiſche Waldungen 112 
Ausſchank ſelbſterzeugter Getränke 14 ff., 106 ff., 
227, 287 
Ausſchreibung von Arbeiten 399 
Ausſonderung aus der Konkursmaſſe 462 
Ausſperrung 246 
Ausverkauf, Ankündigung 134 f. 
— Nachſchieben 465 


Gen ae A ꝑ— :! 2 ü— ͤ— 2—L—ęFñ:.!— ——— —— ͤ — —-t .. T—¼ 7˙‚r'———̃—— 
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— Anordnungen der Verwaltungsbehörde 256, 269, 407 


Auswärtiges Amt, Legationslkaſſe 211 
Ausweiſung aus der Schweiz 372 
Auszug aus dem Standesregiſter 492 


Automobile ſ. Kraftfahrzeuge. 


B. 


Badeanlagen, Errichtung 450 


Bader, Abgabe von Heilmitteln 429 
Bahnſteig, Unfall 224 
Bankguthaben, Abtretung 307 
Bankier, Kreditauskunft 283 
Baugeldhypothek., unrichtige Angaben 470 
Bauhandwerker, Forderungen 17 ff., 114 
Baupflicht, kirchliche 97 
Bauſyſtem, offenes 29 
Bauunternehmer, Verſicherungsbeiträge 480 f. 
Bauwerk, Begriff 29 
Beamte, Gehalts nſpruch 26, 204, 387, 408, 487 
— Unfallfürſorge 204, 333 
— Haftung für Amtspflichtverletzung 117, 120, 321 
— Strafverfahren 32 


Beerenweine 
Beförderung, unbefugte von Poſtſachen 
— mit Kraftfahrzeugen 


15 
405 
485 


Beförderungsvertrag mit der Eiſenbahn 224, 244 
Begnadigung, bedingte 214 
— neue Vorſchriften 275 ff., 293 ff. 
— Vermerk im Strafregiſter 490 


Begünſtigung, ſtrafbare 154 
Beihilfe im Forſtſtrafrecht 153 f. 
Beiordnung von Rechtsanwälten 304 ff. 
B eiſchlaf, außerehelicher 395 
Beiſitz am Nachlaß 70, 166, 317 
Beiſtand im Entmündigungsverfahren 249 
Beiträge zur Verſicherung 480 ff. 
Beitritt zu einer Genoſſenſchaft 226 


— im Zwangsverſteigerungsverfahren 160f. 
Beleidigung, Tatbeſtand 140, 204, 265, 266 
Beleuchtung von Wegen 85 


Benachrichtigung von der Pfändung 30 
Benützung, freie, eines Werkes 69 
Bereicherung, ungerechtfertigte 47, 71, 136, 147 f., 

308, 362 


Berichtigung des Grundbuchs 111, 114 ff. „ 118, 
236, 362, 483 
— des Geſchworenenſpruchs 165 


Berufsgenoſſenſchaft, Anſprüche N 


unfällen „ 86f. 
— Unfallverhütungsvorſchriften 167 482 
— Selbſtverwaltung 482 
Berufsvormundſchaft 353 ff., 377 ff. 
Berufung im Wechſelprozeß 431 
Beſchlagnahme in der Zwangsverſteigerung 160 
— von Briefen 318 
— des Vermögens 138 
Beſchwerde im Zivilprozeß 30, 208 
— im Strafprozeß 229 
— in Vormundſchaftsſachen 193 ff., 427 
— in Regiſterſachen 226 
— in Grundbuchſachen 117, 287, 300 ff. 
— in Gebührenſachen 315 
— gegen Ordnungsſtrafen 51 
— bei Verſagung von Strafaufihub 32, 295 
— wegen Geſchäftsverzögerung 321 
Beſitz, mittelbarer 66, 209, 467 
— am Wild 426 
Beſitzveränderungsgebühren 18, 65 
Beſoldungsdienſtalter, Berechnung 51 
Beſtallung des Berufsvormunds 378 
Beſtandteile, Grundſtück als B. 467 
— Weg als B. 54 
— Entfernung vom Grundſtück 23 
— eines Fideikommiſſes, Veräußerung 448 
Beſtätigung der Auseinanderſe ung 91, 241 
Betriebsausgaben, Begriff 42 ff. 
Betriebsbeamte, Verſicherung 84 
Betriebsgeheim!nis, Verrat 457 
Betriebsleiter, ſtraſrechtliche Haftung 94 
Betriebsunfall, Begriff 86, 202, 224 
— von Beamten 204, 408 
— Verſicherung 83 
Betriebs unternehmer, Begriff 138 
— Haftung für Unfälle 83 ff. 
Betriebs verluſt, Steuerabzug 63 
Betrug, Tatbeſtand 47, 314, 343 
Beurkundung, falſche 341 
Bevollmächtigter, Untreue 341, 465 
Beweisantrag, Ablehnung 85, 315 
Beweisgebühr des Rechtsanwalts 123 
Beweis laſt bei Verzug des Schuldners 46 
— bei Auszahlung des Darlehens 330 
— bei Aufhebung eines Dienſtvertrags 22 
Beweisſicherung 397 
Bezeichnung des Weins 16, 106, 287 
— der Geſetze uſw. 460 
Bezirksagent ſ. Agent. 
Bezirksamt ſ. Verwaltungsbehörde. 
Bezugsrechte, Eintragung im Grundbuch 166 
Bier, Ausſchank 14 


Inhalts verzeichnis der Zei tſchrift für Rechtspflege! in Bayern. 1911. 


Ehefrau, Zeugnisverweigerung 243 
Ehemann, Unterhaltspflicht 418 
— Rechte bei Fahrnisgemeinſchaft 365 
— Beiſitz am Nachlaß 70 
Eheſachen, Zuſtändigkeit 163 
— Reviſion 137, 493 
Ehezerrüttung 285 


Ehrenamt, Pflicht zur Annahme nach der RVO. 456 
Ehrengerichtliches Verfahren gegen Rechts⸗ 
anwälte 252, 441 


Eichelernte, Recht auf Bezug 166 
Eichpfahl 94 
Eid des Streitgenoſſen 337 
— Verweigerung 165 


— ſ. a. Offenbarungseid 
Eigentum, Uebergang bei Zahlung an den Bevoll— 


mächtigten 466 
— an Wegen 53 ff., 76 ff., 109 ff. 
— an Grenzeinrichtungen 488 


Eigentümer, Vorausſetzung der Eintragung im 


XX 

Bier, Kleinhandel 449 
— Verbrauchsſtatiſtik 476 
Bierlieferungs vertrag 242 
Bilanz, Erforderniſſe 138 
— gefälſchte 342 
Blankoakzept, Erſchleichung 286 
Bosnien, Vollſtreckung 361 
Bote, expreſſer 405 
Botenperſonal, Gebühren 168 
Branntwein, Statiſtik 476 
Braſilien, Gerichts verfahren 392 
Brauer, Ausſchank eigener Erzeugniſſe 14 
Briefe, Verleſung 447 
— Beſchlagnahme 318 
Bruchteil eines Grundſtücks 185 
Brunnen, Recht auf Benützung 49 
Buchführung der Rebenhändler 89 
Buchmacher 90 
Buchungsfreie Grundſtücke 54, 110 ff. 
Bühnenangehörige, Stellenvermittlung 12 ff. 
Bukowina, Vollſtreckung 360 


Bundesratsverordnungen, i 
Bürgermeiſter, Sorge für die Straßen 


Bürgſchaft, Einreden des Bürgen 308, 910 
— Nebenabreden 310 
C. 

Central Criminal Court 299 
Chriſtbaum, Verkauf 491 
Coroner 297 
Connty Courts 297 
Court of Appeal 299 
Courts of Assice 298 


D. 


Daktyloſkopie 183, 232, 238, 421, 492 
Dalmatien, Vollſtreckung 360 
Dänemark, Geſchäſtsverkehr 211 
Darlehen, Begriff 176 
— Bekenntnis des Empfangs 329 ff. 
— an Minderjährige 362 
— Erſchleichung 343 
— Kündigung 24 
— Stundung 199 
Darlehbensvermittler, Gewerbebetrieb 51 
Defraudation ſ. Hinterziehung 
Deklaration ſ. Anmeldung 
Denkmal ſ. Grabdenkmal 
Deſtillate 120 
Diebſtahl, Tatbeſtand 47, 426 
Dienſtbarkèit ſ. Grunddienſtbarkeit 
Dienſtboten, mehrfaches Verdingen 488 
Dienſtentlaſſung 487 
Dienſtunfähigkeit, Feſtſtellung 408 
Di nitvertrag, Kündigung 22 
Dienſtzeit, Berechnung 26, 51f. 
Differenzgeſchäft 403 
Diplomatiſcher Verkehr 211 
Diſſimulation ſ. Scheinverträge 
Diſtriktsſtraßen, Eigentumsverhältniſſe 57 
Disziplinarſtrafen, Begnadigung 276 
dolus eventualis 131 
Doppelbeſtrafung 5, 397 
Drohung als Anfehtungsgrund 21 
Drucker, Begriff 388 
D uldun'g 95 Vollſtreckung 83 
Durchſuchung Werdächtiger 310 
E. 
Ehe, Anfechtung 364 
Ehebruch, Feſtſtellung im Scheidungsurteil 404 
Ehefrau, Beitritt zu einer Genoſſenſchaft 226 
— Unterhaltspflicht 419 
— Pfändung 162 


Grundbuch 109 
— Schadenserſatzanſprüche 46 
— Jagdrecht 186 


Eigentümergrundſchuld bei Amortiſations⸗ 


hypotheken 9 
Eigentums vorbehalt an Fenſtern 23 
Eingebrachtes Gut bei Errungenſchaftsgemein⸗ 

ſchaft 263 
— bei Fahrnisgemeinſchaft 365 
Einheit der Handlung 141, 393 ff. 
— eines Rechtsgeſchäfts 287 


Einigung bei llebertragung von Grundeigentum 58,118 
— über Beſtellung des Erbbaurechts 133 
Einkindſchaftung 317, 428 
Einkommenſtener der Gewerbetreibenden 42ff., 62 5 
— aus Vergütungen 


— Mitwirkung der Juſtizbehörden 361 
Einlaſſung auf die Klage, Begriff 469 
Einrede, Kennzeichnung 474 


Einſtweilige Anordnungen des Beſchwerde⸗ 
gerichts 
Einſtweilige Verfügung als Grundlage einer 


194 


Vormerkung 17 ff. 
— Vollſtreckung 361 
— Aufhebung 114 ff. 
— Koſten 385 
— bei unlauterem Wettbewerb 142 
Eintragung, Antrag 300 ff., 316, 486 
— von Gemeinderechten 245 
— der Pfändung eines Erbteils 70 
— ins Genoſſenſchaftsregiſter 226 
— Gebühren 17 ff., 65 f. 
— ſ. a. Grundbuch 
Einziehung zollpflichtiger Sachen 27. 
— Geſuche um Freigabe 276 
Einzugsregiſter 19 
Eiſenbahn, Unfall 224, 336, 401 
— Haftung bei Transporten 244 
Elektrizitätswerk, öffentliches 169 
Einhebegebühren 168 
England ſ. Großbritannien 
Entfernung von Beſtandteilen 23 
Entmündigung, Verfahren 137, 249, 397 
— bei geminderter Zurechnungsfähigkeit 459 
Entwertung von Verſicherungsmarken 482 
Erbbaurecht, Behandlung im Grundbuch 132 f. 
Erbe, Ausgleichungspflicht 33 ff. 
— Abtretung von Nachlaßforderungen 87 


— Erteilung des Zuſchlags 422 


Erbengemeinſchaft, Verfügungsrecht 365 
— Auseinanderſetzung 91 
Erbſchaft, Annahme 318 
Erbſchaftsbeſitzer, Begriff 191 
Erbteil, Pfändung 70 
Erfüllungsort für Gehaltsanſprüche 346 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Erfüllungsort, Gerichtsſtand des E. 355, 361 
Erlaß vertrag 135, 282 
Ermäßigungsrecht, richterliches 242 
Ermittelung des Grundſtückswertes 133 
Ernährungspflicht, Begriff 417 


Erneuerungsſchein bei Teilſchuldverſchreibungen 185 
Ernſtlichket der Rechtsgeſchäfte 66, 248, 303 f., 306, 315 


Errungenſchaftsgemeinſchaft 263 
Erſitzung, Vorausſetzungen 57, 81 
— Anerkennung 236 


Erſuchungsſchreiben an ausländiſche Behörden 211 


Erziehungsanſtalt, Vorſtand als Vormund 353 
Erzwingung von Handlungen 347 
F. 

Fabrik, Einrichtung 289 
Fahrgaſt, Unfall 67 
Fahrläſſigkeit, Begriff im Forſtſtrafrecht 131 
Fahrnisgemeinſchaft 365 
Fahrzeuge, Ueberholen 70 
Fakſimile bei Unterſchrift 185 
Fälligkeit von Erſatzanſprüchen 484 
Falſcheid, fahrläſſiger 48 
Fälſchung von Urkunden 341, 342, 343, 445 
— von Quittungskarten 481 
— von Verſicherungsmarken 482 
— von Nahrungsmitteln 251 
Feiertage, allgemeine 346 

Feldwege \. Wege 

Fenſter, Eigen tümsvorbeholt 23 
Ferienſachen 395 ff. 
Fernſprecher 183 
Feſtnahme, Beginn 426 
— auf Handelsſchiffen 451 
Feſtſtellungsklage, negative 24 
— gegen den Konkursverwalter 464 
— gegen den Fiskus 469 


Fideikommiß, Zugehörigkeit von Wegflächen 58, 113 

— Veräußerung von Beſtandteilen 448 

— Widerruf 

Fiduziariſche Geſchäfte ſ. Sicherungsübereig— 
nung 

Filialkirchen gemeinde, Verpflichtung zu Hand⸗ 
dienſten 95 

Finanzbehörden, Zuſtändigkeit in Begnadi⸗ 
gungsſachen 276, 278 

Fingerabdruckverfahren 183, 232, 238, 421.492 


431 


— ——ͤ—ͤ——z ; 


Freirechtslehre 39, 453 
Friedensrichter in England 296 
Friſt für die Reviſionsbegründung 75 f. 
— Vorſetzung durch das Grundbuchamt 17 
— f. a. Nachfriſt 
Fruchtſaft, Begriff 285 
Funkenflug beim Eiſenbahnbetrieb 244 
Funkentelegraphie 451 
Fußſpuren, Erforſchung 183 
G. 
Galizien, Vollſtreckung 360 
Garage 347 
Gärung des Moſtes 365, 389 
Gas, Entnahme 47 
Gaſthof, Verkauf 308 
Gaſtwirtſchaft, Sonntagsruhe 246, 410 
— Unſall 425 
Gattungsſachen, Begriff 149 fl., 176 ff. 
Gaukelei, Tatbeſtand 346 
Gebäude, Zubehör 266 
Gebote bei Vergebung von Arbeiten 399 
Gebühren, Begriff 162 


Firma, Fortführung 263, 311 
— unzuläſſige Zuſätze 262 
— irreführender Gebrauch 142, 410 
Fiſchwaſſer, Abdämmen 413 ff. 
Fiskus ſ. Staat 

Flächenausſcheidung, Bedeutung 56 
Flugblatt, Verbreitung 388 
Flurbereinigung 452 


Forderung, Abe 


— Anſpruch auf Abtretung 71 
— unbefugte Einziehung 465 
— Wirkung der Pfändung 30, 47 


47, 71, 87, 400, 462, 466 


Form des Grundſtücksverkaufs 118, 236, 306, 307, 483 


58 
51 


— der Schenkung 307 
— der Eigentumsübertragung 

— des Armutszeugniſſes 

— des Eintragungsantrags 306, 307 
Formaldelikt 206 
Formulare im We 60 f. 
Forſtſtrafrecht 128 ff., 153 ff., 278, 491 
Forſtwirtſchaft, Auſſicht über den Betrieb 201 


Fortgeſetztes Verbrechen 4, 6, 70, 141, 154, 


308, 393 ff. 


Fränkiſche Landgerichtsordnung 428 
Frankreich, Geſchäftsverkehr 211 
— Kriminalpolizei 237 
Fremdwörter 32 


123, 143, 289, 382 
320, 332, 468 


der Rechtsanwälte 
der Zeugen 


— der Geometer 207 
— des Dienerperſonals 168 
— der Stellenvermittler 13 
— bei Vormerkung einer Hypothek 17 ff., 65 
— im Zwangsverſteigerungsverfahren 159 ff., 344 
— für Notariatsurkunden 48, 65 
— bei Verbindung von Rechtsgeſchäften 287 
— bei Ordnungsſtrafen 51 
— Anrechnung 229 
— Sicherungshypothek für G. 486 
— Beſchwerdeverfahren 315 
— Rückforderung 321 


— ſ. auch Beſitzveränderungsgebühr, Vorſchußpflicht 
Geburtsanzeige an das Vormundſchaftsgericht 378 
Geburtsurkunde 220 


Gefälle, Rückvergütung 390 
Gefangene, entlaſſene, Obſorge 415 ff. 
— als landwirtſchaftliche Arbeiter 439 ff. 
Gefängnisvorſtand, Befugniſſe 293 


Gegenſeitigkeit bei Vollſtreckung von Zivilur— 


teilen 361 
Gegenſtand, Begriff 483 
Gehalt, Erfüllungsort 346 

— Klagbarkeit 26, 387 
— Abzug bei der Steuer 62 
— Pfändung 487 
Geiſtliche, Strafverfahren 32 
Geld, Hinterlegung 88 
Geldrente ſ. Rente 
Geldſtrafe im Forſtſtrafrecht 155 
— nach der RVO. 456 
— Vollſtreckung 277 
Gemeinde, Vertretung 140, 231 
— Auslagen für Krankenpflege 191 
— Streupflicht 31 
— Haftung für Unfälle 445 
— Schädigung privater Gewerbe 290 
— als Beklagte 139 
— Zuſtändigkeit bei Anſprüchen gegen eine G 49 
nemeindebeamter als Vormund 353 ff., 377 ff. 
Gemeinderechte, Eintragung 245 
Gemein dewaiſenrat | 378 
Gemeindewege 54 ff., 77 
Gemeingebrauch, Schutz 327 
Gemeinſchaft, Auseinanderſetzung 91, 423 
E eheliche, Aufhebung 403 
Gemeinſchuldner, Vernehmung als Zeuge 85 
— Befugnis zur Prozeßführung 461 ff., 464 


XXII 


Genehmigung 
papieren 
— f. a. Konzeſſionspflicht 


zur Ausgabe von Inhaber⸗ 
| 185 


Generalverſammlung einer Genoſſenſchaft 389 
Genoſſenſchaften, Beitritt 226, 244 
— Pflichten des Vorſtands 342 
— Anfechtung von Beſchlüſſen 389 
— Enteignungsrecht 169 
Genußmittel. Fälſchung 251 
Geometer, Gebühren 207 
Geräte als Zubehör 266 
Gerichtsdiener, Gebühren 168 
Gerichtsgefängniſſe, Arbeitsbetrieb 439 ff. 
Gerichtsſchreiber, Erteilung vollſtreckbarer 
Ausfertigungen 

— Aufnahme von Geſuchen 276 
Gerichtsſtand ſ. Zuſtändigkeit 

Gerichts verfaſſung. engliſche 295 ff., 325 ff. 
Gerichtsverhandlungen, Veröffentlichung 265 


Gerichtsvollzieher, Widerſtand bei Vollſtrek⸗ 
kung 

Geſamtgut ſ. Gütergemeinſchaft, Errungenſchafts⸗ 
gemeinſchaft, Fahrnisgemeinſchaft 


119 


Geſamtſchuld, Wirkung des Vergleichs 282 
— Ausgleichung 336 
Geſamtſtrafe 125, 157, 367 
Geſchäſtsbeſorgung, Auftrag 483 
Geſchäftsfähigkeit, Verluſt 194 
Geſchäfts geheimnis, Verrat 457 
Geſchäftsreiſe des Zeugen 321 
Geſchlechtskrankheit, Anſteckung 197 


Geſchworene ſ. Schwurgerichtliches Verfahren 
Geſellſchaft, Rechtsverhältniſſe 


— Einſteigern von Grundſtücken 422 f. 
— ſtille 264 
Geſetze, Bezeichnung 460 
Geſetzeskonkurrenz 154 
Geſetzesſprache 100 
Gewährleiſtung beim Viehkauf 471 
Gewahrſam, Begriff 48, 90 
— am Wild 426 
Gewerbebetrieb im Umherziehen 51, 101, 205, 289 
— an Sonntagen 247, 410 
— Schädigung durch eine Gemeinde 290 
Gewerbegehilfe, Konkurrenzverbot 311 
Gewerbegericht, Ordnungsſtrafen 276 
Gewerbetreibende, Beſteuerung 42 ff., 62 N 101 
— Verſicherungsbeiträge 480 
Gewerbsmäßigkeit, Begriff 90, 370, 449 
Gewerbsun zucht, Begriff 449 
Gewohnheitsfrevel 131, 154 
Glatteis, Streupflicht 31 
— Unfall 224 
Glaubenswahl 450 
Glaubhaftmachung von Nachlaßforderungen 318 
Gläubiger, Benachteiligung ſ. Anfechtung 
Glücksſpiel, verbotenes 90 


411 
297 

421 

57, 77 

235 

488 

212 

295 fl., 325 ff. 
183, 202, 236 
118, 236, 362, 483 


Grabdenkmal, Urheberrecht 
Grafſchaftsgerichte in England 
Graphologie 

Gras an Straßen gräben 
Grenze, Ermittelung 
Grenzeinrichtungen 
Großbritannien, Auslieſerung 
— Gerichtsverfaſſung 
Grundbuch, öffentlicher Glaube 
— Berichtigung 111, 114 ff., 


— Eintragung von Bezugsrechten 166 
— von Gemeinderechten 245 
Grundbuchanlegung 53, 111 


Grundbuchbeamter, Anzeigen an das Rentamt 351 


— 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


. — — — — — ̃ —— — 


| 


| 


1911. 


| Srundbudbtatt, Umlegung 452 
— für ein Erbbaurecht 132. 
Grunddienftbarleit, kataſtermäßige Behandlung 452 


— an Wegflächen 54 ff., 81, 114 
— an Wäldern 166 
Grundſchuld, Abtretung 201 
— Verpfändung 200 
— bei Annuitätenzahlung 9 
— für eine unklagbare Forderung 403 
Grundſteuerkataſter, Angaben über Wege 53 
— über Miteigentum 452 
Grundſtück, Begriff 54 
— Zuſchreibung 467 
— „ im Kataſter 452 
— Form der Veräußerung 118, 236, 306, 307, 483 
— Vollſtreckung in Bruchteile 185 
— widerrechtliche Entziehung 181 
— Wertermittelung 133. 
Grund⸗ und Hausbeſitzerverein, Miet⸗ 
verträge 253 ff. 


Gütergemeinſchaft, fortgeſetzte, Auseinander⸗ 


ſetzung 91, 241 
— Vermögensverzeichnis 127 
— Unterhaltungs forderungen 418 
— Meiſtgebot bei G. 423 
Guter Glaube, Beweis 283 
Güterhändler, Begriff 370 


Güterzertrümmerung 303 f., 306, 315, 344, 369 
Gute Sitten. Verſtoß 21, 121, 143, 145 ff, 173 fl., 
242, 243, 263, 283, 290, 337, 339, 362, 445 


H. 


Haager Abkommen über den Zivilprozeß 360, 372 
Haftſtrafe im Forſtſtraſrecht 155 
Haftung des Grundbuchbeamten 17 ff., 65 f., 117 
des Verſteigerungsbeamten 280 


— des Rechtsanwalts 281 
— der Schätzleute 133. 
— des Tierhalters 137, 223, 224 
— mehrerer Antragſteller für Gebühren 160 
— für Angeſtellte 283 
— für Vertreter 338 
Handdienſte zu Kultusbauten 95 
5 89 
andelsagent ſ. Agent 
Handelsgeſchäft, Fortführung 311 


Handelsgeſellſchaft, offene, Haftung für Ver⸗ 
treter 338 

Handelsregiſter ſ. Firma 

Handelsſchiffe, Feſtnahme von Verbrechern 451 


Handlungen, Erzwingung durch Vollſtreckung 347 
Handlungsgehilfe, Konkurrenzverbot 485 
Handpreſſe, Herſtellung von Druckſchriften 388 
Handwerker, ſchriftlicher Verkehr mit den Behörden 472 
— f. a. Bauhandwerker 


Hauptverhandlung, Verleſung von Schrift- 
ſtücken 286, 447 
— gegen Jugendliche 188 


Hauseingang, Aenderung durch den Vermieter 31 
Hausgewerbetreibende, eee 
Hauſierſteuer, Feſtſetzung 101 


Haus ſchwam m 385 
Haustier, Verwendung im Erwerbsgeſchäft 224 
Haustrunk, Begriff 266 
— Verwendung von Roſinen 285 
Heftpflaſter, Verkauf 429 
Heil mittel, Verkauf 429 
Heilung, Koſten 387 
Heimatſchein 372 
Hecke an der Grenze 488 
Herrenloſe Tiere, Aneignung 426 
Herzegowina, Vollſtreckung 361 
Heuwurm 468 
High Court 298 


— Prüfung der Zuſtändigkeit bei Erſuchen 486 
— Haftung bei Verſchulden 117 
— Haftung für Gebühren 17 ff., 65f. 
Grundbuchblatt, Uebertragung 195 ff., 217 ff 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Hinterlegung, Vorausſetzungen 
— im Arreſtverfahren 


— im Strafprozeß 50 
Hinterziehung von Zoll 3 ff., 27f. 
— von Aufſchlägen 390 
— des Poſtportos 405 
Höhere Gewalt, Begriff 22, 202, 244 
Horoſkop 346 
House of Lords 299 
Hufſchmied, Unfall 223 
Hunde, Abſchuß 319 
Hypothek, Vormerkung 17 ff., 65 f. 
— Anfechtung der Beſtellung 163 
— Rangverhältnis 316 
— Uebernahme 9 ff. 
— Uebertragung 195 ff., 217 fl., 331 
— Kündigung 9, 185 
— Zahlung 402 
— für eine Darlehens forderung 329 ff. 
— Haftung der Beſtandteile 23 
— Haftung des Zubehörs 266 
Hypolhekenbanken 9 ff. 
Hypothekſchuldner, Verzug 67 


J. (i.) 


Idealkonkurrenz 141, 154, 246, 285, 389, 394 
Indoſſament bei Schuldverſchreibungen 185 
Information, mangelhafte des Rechtsanwalts 281 


In haberpapier, Begriff 186 
Intereſſe, berechtigtes 265 
Invalide, Penſion 405 
Invalidenverſiche rung, Anſtalten 48 
— nach der RVO. 458, 481 ff. 
Inventarfriſt 318 
Irrenanſtalt, Einſchaffung des Angeklagten 229 
Irrtum als Anfechtungsgrund 165 
— über den Inhalt einer Urkunde 463 
— im Strafrecht 120 
JSraeliten, religiöſe Kindererziehung 450 
J. (i.) 
Jagdausübung, unbefugte 370 
Jagdbare Tiere, Aneignung 426 
Jagdrecht in der Rheinpfalz 187 
Jagdrevier, Umherſtreifen von Hunden 319 
J a 5 resſteuer ſ. Hauſierſteuer 
Japan, Konſularvertrag 372 
$ugendgeridte 439 
J uge ndliche, Verwendung zu gefährlichen Ar- 
eiten 164 
— im Strafverfahren 211. 438 
— Verteidigung 188 
— im Forſtſtrafverfahren 156 
Juriſtendeutſch 32, 100 
Juriſtentag 352 


Juſtizbeamter als Vertreter der Armenpartei 304 ff. 
Juſtizminiſterium, Tätigkeit in Begnadigungs— 


ſachen 277 ff., 293 ff. 

Juſtizſtatiſtik, bayeriſche 412, 475 ff 
K. 

Kadaver, Beſeitigung 324 
Kaffee, Nachzoll 1 
Kapitän, polizeiliche Befugniſſe 451 
Karfreitag als Feiertag 346 
Kaſſe, Gewahrſam 90 
Kataſter ſ. Grundſteuerkataſter 
Kaufmannsgericht, Ordnungsſtrafen 276 
Kaufpreis. Anrechnung einer Hypothek 9 ff. 
Kaufvertrag, Begriff 427 


— verdeckter 303 f., 306, 315, 369 


— — — 


30, 444 Kaufvertrag, Abrechnung bei Auflöſung 424 
88 — Schadenserſatz wegen Täuſchung 308 
Kauſalzuſammenhang, Begriff 341, 401 

Kindes vermögen, Begriff 127 

— Verwaltung 208 
Kirchengemeinde, Anſpruch auf Handdienſte 95 

Klage, Aenderung 408 


— Zurücknahme 223, 442 


Klageſchrift, Auslegung 139 
Kleinhandel mit Bier 449 
Kompetenzkonflikt ſ. Zuſtändigkeitsſtreit 
Konfiskation ſ. Einziehung 
Konkubine, letztwillige Zuwendung 21 
Konkurrenzverbot 123, 173, 264, 311, 485 
Konkursverfahren, Pflicht zum Antrag auf 
Eröffnung 342 
— Vorrecht 87 
— Aufhebung 85 
Konkursverwalter, Befugnis zur Prozeß⸗ 
führun 461 ff., 464 


Geſellſchaft a 


An . 


Konſul, Rechtsſtellung 192, 372 
— Rechtshilfe 211 
Konſulargerichte, Vollſtreckung der Urteile 360 
Konterbande i 


Konzertagenturen 
Konzeſſionspflicht von Gewerben 


— des Ausſchanks eigener Erzeugniſſe 14ff., 106 ff., 

27, 287 
Körperverletzung, Tatbeſtand 197 
Korreſpondenzanwalt 290 
Koſten bei Zurücknahme der Klage 442 
— bei Verweiſung des Rechtsſtreits 272 
— bei Widerſpruchsklage 248 
— einſtweiliger Verfügungen 385 
— Umfang der Erjappflidt 289, 306 
— Verteilung 202 
— vollſtreckbare Ausfertigung 142 
— des Vorprozeſſes bei Wandelung 471 
— im Privatklageverfahren 19 
— bei Nebenklage 188, 227 
— in Begnadigungsſachen 278 
— Erlaß 276 


Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß, Vollſtreckung im 
Ausland 360 


Koſtkinder 378 
Koupon ſ. Zinsſchein 

Kraftfahrzeuge, Verkehrsévorſchriften 212 
— Straßenverbot 320 
— Ueberholen 70 
— Haftung 67, 202 
— Beſteuerung 203, 485 
— Vertrag über Verwahrung 347 
— Verwendung durch die Polizei 183 
Krankenhaus, Koſten der Verpflegung 191 
Krankenkaſſen nach der RVO. 457 


Kranken verſicherung, Eintreten bei Unfällen 83 


— nach der RVO. 480 
Kreditauftrag 362 
Kreditauskunft 283 
Kreisfiſchereiordnungen 413 ff. 
Kriegs miniſterium, Organiſation 472 
Kriegszulage 405 


Kriminalanthropologie 
Kriminaliſtik, Studium 
Kriminalpolizei, Verbeſſerung 
Kriminalſtatiſtik 
Kultusbauſachen, Rechtsweg 


436 ff., 459 f. 
433 f. 

182, 237 ff. 

251, 412, 475 ff. 
95 


Kündigung des Darlehens 24 
— des Geſellſchaftsvertrags 423 
— von Hypotheken 9, 185 
— der ſtillen Geſellſchaft 264 
Kunſtwein 285 
Kurſe im Vorbereitungsdienſt 4.5 


XXIV 


L. 


Lagerhalter 178 
Lagerkeller 14 
Landesfiſchereiordnung 413 ff. 
Landesgeſetze, Reviſionsfähigkeit 7. ff. 
Landeskriminalpolizei 273 ff. 
Landgerichtspräſident, Prüfung von Er— 
ſuchungsſchreiben 211 
Landtagsmitglied, Strafverfahren 322 
Laſten, öffentliche, Eintragung 245 
Laſtkraftfahrzeug, Begriff 485 
Lehrer, Mitwirkung im Strafverfahren 211 
— Zeugengebühren 468 
— Strafverfahren gegen L. 32 
Leibesfrucht, Pflegſchaft 427 
Leiſtung, bei Geſamtſchuld 282 
— Rückforderung 147. 


Letztwillige Verfügung, Nichtigkeit wegen 
Unſittlichkeit 21 

Liquidations verfahren bei der Grundſteuer— 
veranlagung 53, 56 f., 110 


Liquidations verträge 135 
Literatur, Schutz 69 
Lizenz beim Patent 291 
Lohn, Abzug bei der Steuer 62 
Lohnforderung, Verzicht 143 
Lohnkampf 246 
Lokalgerichte, engliſche 325 
Löſchung von Vormerkungen 114 ff. 
— gezahlter Hypotheken 402 
— Antrag auf L. 301 
Lotterie, unbefugte Veranſtaltung 469 
Luxemburg, Geſchäftsverkehr 211 
Luxustier, Begriff 224 
M. 
Mahnung des Schuldners 45 


ane eee neue Vorſchriften 355 ff., 379 ff., 395 ff. 
Verſäumnisurteil 259 


— 
“ 
122 ⁵˙ nr en af en PEN a a FE Te ——0 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


1911. 


Moder nismus f. Freirechtslehre 


Monat, Berechnung 156 
Moral ſ. gute Sitten 
Moſt, Begriff 365 
— Vermiſchung 389 
München, Mietverträge 253 ff. 
— Berufsvormundſchaft 353 ff., 377 ff. 
— Kriminalität 479 
N. 
Nachahmung des Papiers der Reichsbanknoten 72 


— Gebühren 230 
Mainzer Landrecht 70, 166 
Makler 199 
Malzaufſchlag 390 
Marktverkehr, Begriff 205 
Maſſeſchulden, Begriff 464 
Mathematik im Recht 33 ff. 


Meiſtgebot in der Zwangsverſteigerung 160, 345, 421 


Mengeſachen, Begriff 149 ff., 176 ff. 
Meſſungs verzeichnis f. Vermeſſung 

Meß verkehr, Begriff 205 
Mietvertrag, Pflichten des Vermieters 31 
— Unſittlichkeit 253 ff. 
— Mängel der Mietſache 283 
Militäranwärter, Anſtellung 52 


Militärfiskus, Vertretung 472 


Militärdienſtzeit, Anrechnung 51 
Militärpenſion 405 
Militärperſonen, Strafverfahren 32, 130 
Mimoſatropfen 120 
Minderjährige, Aufnahme von Darlehen 362 


— Operation 424 
— f. a. Vormundſchaft 


Minderwertige, Strafverfahren 100, 439, 459 
Miteigentum an Nachlaßgrundſtücken 166 
— an Wegflächen 54, 79, 110, 113 
— Angabe im Kataſter 452 
Miterbe, Anteil an Nachlaßgrundſtücken 166, 365 
— Auskunftapflicht 190 
Mitgewahrſam, Begriff 90 
Mitgift, Verſprechen 263 
Mitteilungen im Strafverfahren 32 


Mitverſchulden des Verletzten 46, 67, 86, 117, 137, 
202, 281, 321, 337, 401, 425 


— —— —Uä᷑ pe 


Nachfriſt zur Vornahme der Auflaſſung 45 
Nachlaß, Beiſitz 70, 166, 317 


Nachlaß behandlung, Wiederaufnahme 317 
Nachlaß forderung, Abtretung 87 
Nachlaßgläubiger, Antrag auf Inventarfriſt 318 
Nachlaßpflegſchaft beim Tode des Meiſt⸗ 
bietenden 422 
Nachmachung von Wein 285 
Nach ſchieben beim Ausverkauf 465 
Nachtarbeit, Verbot 72 
Nach verfahren im Wechſelprozeß 431 


Nachzoll auf Kaffee 1 


Nahrungsmittel, Fälſchung 251 
— verdorbene, Verkauf 427 
Name, unzuläſſiger Gebrauch 262 


Naturheilkundiger, unbefugte Bezeichnung als 
Arzt 2 
Naturwein ſ. Zuckerung 


Nebenabreden bei der Bürgſchaft 310 
Nebenkläger, Koſtentragung 188 
— Auslagen 227 
Neben leiſtungen beim Darlehen 24 
Nichtigkeit eines Rechtsgeſchäfts 242, 253 ff. 
Niederlande, Geſchäftsverkehr 211 
Niederlaſſungsvertrag mit der Schweiz 372 
Notare, Zuſtellung von Urkunden 279 
— Anzeigen an das Rentamt 351 
— Beſchwerderecht 287 
— Perſonal 32 
— Verletzung der Amtspflicht 120 
— Strafverfahren 32 
Notwehr, Vorausſetzungen 225 
Novation 94 
numerus clausus 373 ff. 
Nutzungen, Verrechnung 424 
Nutzungsrechte, Eintragung 245 
O. 
Oberlandesgericht, Beſchwerde gegen Be— 
ſchlüſſe 208 
Oberpfälziſches Recht 317 
Oberpolizeiliche Vorſchriften, Gültigkeit 29 


O berſtaats anwalt, 
aufſchubsgeſuchen 


Behandlung von Straf— 
32, 294f. 


Oberſtes Landesgericht, Zuſtändigkeit 73 ff., 410 


O bſtbäume an Straßen 


57 


Offenbarungseid, Verbeſſerung des Verfahrens 


des Miterben 


59 ff., 81 ff., 198 
191 
Oeffentlicher Glaube des Grundbuchs 184, 202, 236 


Oeffentliche Wege, Begriff 80f. 
Oeffentliches Werk, Begriff 169 ff. 
Offizier, Penſion 387 
Operation an Minderjährigen 424 
Orderklauſel bei Schuldverſchreibungen 185 
Ordnungsſtrafe bei der Zwangsvollſtreckung 347 
— gegen Rechtsanwälte 441 
— Gebühren bei Beſchwerde 51 
ö Begnadigung 276 
Srisgemeinde, Eigentum an Wegen 55 
— als Beklagte 139 
Orts polizeiliche Vorſchriften, Gültigkeit 29 


Ortsſtraßen, Eigentumsverhältniſſe 57 
ſ. a. Straßen 
D eſterreich, Bürgerliches Recht 273 
— Vollſtreckung 360 ff. 
— Konſul 192 
P. 
Pachtvertrag, Beurkundung 242 
Patent, Ausführungszwang 291 
Pauſchſätze für Auslagen 162, 229, 279, 382 
Pavillon ſyſtem 29 
Pecheln, unbefugtes 131 
Penſion der Offiziere 387 
— der Kriegsinvaliden 405 
V Anzeigen 220 
Aus 492 
p fal z ö Rheinpfalz 
Pfandleiher, Gewerbebetrieb 144 
Pfandrecht an Grundſchulden 200 
Pfändung von Forderungen 30, 47, 71 
— des Rechts aus dem Meiſtgebot 23 
— von Erbteilen 70 
— von Sachen der Ehefrau 162 
— von Gehaltsforderungen 487 
Pfand vermittler, Gewerbebetrieb 144 
Pfarrverband, Anſprüche 97 
Pferde, Zoll 27 


Pflegſchaft, Führung durch den Berufsvormund 377 


— für eine Leibesfrucht 427 
Pflichtteil 383 
Pfründeſtiftung, Nutzungsrechte 245 
Photographie im Strafverfahren 182, 239 
Plakate, Anheftung 449 
Plannummer, Bedeutung 56, 80 


Polizei ſ. Kriminalpolizei. Ortspolizeiliche, Ober⸗ 
polizeiliche Vorſchriften 


Polizeigefangene 232 
Polizeihund 183 
Pornographie, internationale Bekämpfung 272 
Poſtbeamte, Unfallfürſorge 333 
Po ſtkarten, Verkauf in Wirtſchaften 246 
— unzüchtige 265 
Poſtporto bei amtlichen Schreiben 472 
— Hinterziehung 405 
Poſtſachen, Beſchlagnahme 318 


Prämien ſ. Verſicherungsprämien 


Preſſe, Veröffentlichung von Gerichtsverhandlun— 
gen 265 
— |. a. Drucker 
Preß vergehen, Zuſtändigkeit 344 
Priatklage verfahren, Koſten 19 f. 
— Sühnetermin 260, 333 
— Vergleich 189, 209 
Seed Begriff 203 
Prolongation des Wechſels 94 
— des Darlehens 199 
Pro teſt, Koſten 95 
Proviſion des Agenten 312 
— des Bevollmächtigten 315 


Proviſoriſche Verfügungen in Wegeſachen 327ff. 


Prozeßgebühr des Rechtsanwalts 143, 304 ff., 382 
Prozeßkoſten ſ. Koſten 

Prozeßvollmacht, Umfang 223 
— im Mahnverfahren 380 


— im Entmündigungsverfahren 
— des Armenanwalts 305 f 


— Erteilung durch den Konkursverwalter 85 

Prüfung ſ. Staatsprüfung 

Pſychopathen, ſtrafrechtliche Behandlung 439 
Q. 

Quittung über Darlehensempfang 329 ff. 

— Verweigerung der Erteilung 444 

Quittungskarten nach der RVO. 481 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


t 
1 
I 


7 


. —. m Fr ESG — EL ln — — — — — 


XXV 

R. 
Rabattſparvereine 469 
Rabbiner, Befugniſſe 450 


Rang ver bältni 8, Angabe in der Eintragungs⸗ 
bewilligung 316 


Rang vorbehalt, Sicherung 183 


Realkonkurrenz 157, 368, 393 ff. 
Reallaſt, Begriff 166 
Reblaus, Bekämpfung i 89 
Rechtsanwalt, Zulaſſung 373 
— Beiordnung 304 ff. 
— als Vertreter des Entmündigten 249 
— Unterzeichnung von Anträgen 94 
— Tätigkeit in der Reviſionsinſtanz 333 
— Gebühren 123, 143, 289, 382 
— Haftung 281 
— ehrengerichtliches Berfahren 252, 441 
— Strafverfahren 32 
— in England 327 
Rechtsau 8führungen, Wiedergabe im Tatbe⸗ 
ſtande 473 ff. 
Rechtsauskunftſtellen 435 
Rechtsgeſchäfte, Verbindung 287 
— Unſittlichkeit 21, 242, 243, 253 ff. 
— Anfechtung 21 


— ſ. a. Ernſtlichkeit, Scheinverträge 


Rechtsgeſchichte, Studium 41, 213 


Rechtshilfe im Verkehr bei der Zuſtellung 361, 392 
— mit dem Auslande 211, 392 
Rechtsirrtum, Entſchuldbarkeit 120 


Rechtskraft im Zivilprozeß, Umfang 201, 5 474 
— bei Strafbefehlen 397f. 
— bei Strafbeſcheiden 1 ff. 
Rechtskundiger als Vertreter des Rechtsanwalts 123 
— Beiordnung 304 ff. 


Rechtslehre, allgemeine 39 
Rechtsmittel, Zurücknahme 447 
— in Eheſachen 403, 404 
Rechtsnachfolge im Prozeſſe 201 


Rechtsſtudium ſ. Univerſitätsunterricht 
Rechtsverhältnis, Feſiſtellung 


24 
Rechtsweg bei Gehaltsanſprüchen 26, 387, 408 


— bei Auslagen für Krankenpflege 191 
— bei Waſſerbezugsrechten 49 
— bei Rückforderung von Gebühren 321 
— in Kultusbauſachen 95 
reformatio in peius 125 ff. 


Regierungsfinanzkammer, Aeußerung 
Gebührenſachen 315 


— Vertretung des Staats 486 
Regiſtergericht, Prüfungsrecht 226 
Reichsbank, Angeſtellte 387 
Reichsbanknoten, Nachahmung 72 
Reichsgericht, Zuſtändigkeit 73 ff. 
Reichsgeſetzblatt 2 


Reichs verſicherungsordnung 455 ff., 480 ff. 
9 


Reineinkommen, Begriff 42 
Reklamation gegen Steuerfeſtſetzung 102 ff. 
Reklame, Steuerabzug 63 
— unlautere 165 
Religiöſe Kindererziehung 450 
Rentamt, Steuerfeſtſetzung 103 
— Zuſtändigkeit in Begnadigungsſachen 276, 278 
— Abtretung von Staatsforderungen 486 
Rente bei Unfall 86, 426 


Reſtitutionsgrund, verſpätetes Geltendmachen 186 


Reviſion im Zivilprozeß, Zuſtändigkeit 73 ff. 
— Zuläſſigkeit 85 
in Eheſachen 137 
zuläſſige Vertretung 333 
in Strafſachen, Zuläſſigkeit 125 ff., 447 


Begründung 


— 75 f., 265, 368, 407 
Reziprozität f. Gegenſeitigkeit 


XXVI 
Rheinpfalz, Ausſchank eigener Erzeugniſſe 14 ff., 
106 ff., 227, 287 
— Forſtſtrafſachen 130, 154 ff. 
— Jagdrecht 186 
Ringbildungen 121 
Rodelſport, Unfall 445 
Römiſches Recht, Studium 213 
Roſinen, Verwendung zum Haustrunk 285 
Ruhegehalt, Berechnung 204 
Rückfall im Forſtſtrafrecht 154 
Rücktritt vom Kaufvertrag 344 
Rückvergütung von Gefällen 390 
Ruhegehalt 408 
Ruheſtand, unrechtmäßige Verſetzung in den R. 387 
S. 
Sachregiſter, Eintragungen bei Wegen 113 
— Neuherſtellung 452 
Sachſen, Kriminalpolizei 238 
Sachverſtändige, Auswahl 251 
— Pflicht zur Vernehmung 408 
— Schätzung von Grundſtücken 133 f. 
— Gebühren 207 
Sauerwurm 468 
Säuglinge, Ueberwachung der Pflege 378 
Schaden serſatz wegen Verzugs 67 
— beim Kaufvertrag 308 
— bei Mängeln der Mietſache 282 
— wegen Schädigung eines Geſchäfts 290 
— wegen Unfalls 83 ff., 86, 164 
— bei Eigentumsverletzung 46 
— wegen gefährlicher Anlagen 484 
— wegen ungerechtfertigter Pfändung 162 
— wegen ungerechtfertigten Arreſts 89 
— bei einſtweiliger Verfügung 385 
— Berechnung 230, 244 
— Ausſchluß des Anſpruchs durch Vertrag 67 
— Verjährung des Anſpruchs 118, 120, 308 
— im Forſtſtrafverfahren 130 
Schankwirtſchaft, Begriff 449 
— Sonntagsruhe 246 
— f. a. Straußwirt 
Schätzung, amtliche 133 
Schein verträge bei Güterzertrümmerung 303 f., 
306, 315, 369 
Schenkung, Begriff 383 
— Form 307 
— Abzug bei der Steuer 63 


Schiedsgerichte, Vollſtreckung der Urteile 360 


— in England 325 
Schmerzensgeld bei Unfällen 85, 230, 425 
Schreibgebühren ſ. Pauſchſätze 
Schriftenvergleichung 421 
Schriftſtücke, Verleſung in der Hauptverhand— 
lung 286, 447 
Schulbehörden, Mitwirkung im Strafverfahren 
100, 211 
Schuldverſchreibungen, Unterzeichnung 185 


Schußgebietsgerichte, Vollſtreckung der Urteile 360 
Schutzmann, ſ. Polizei 


Inhalts verzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in n Bayern. 1911. 


2 — I A —— 


E 


60, 66, 209, 339 


Sicherungsübereignung 


400, 462 
Simulation f. Scheinverträge 
Sonntagsruhe im Wirtſchaftsgewerbe 246, 410 
Soziologie ſ. Freirechtslehre 
Spanien, Zuſtellungen 392 
Spanndienſte zu Kultusbauten 95 
Sparkaſſenbuch, Verpfändung 343 


Staat, Haftung für Beamte 120, 321 


— Zuläſſigkeit des Rechtswegs 469 
— Veriretung im Rechtsſtreit 472 
— Vertretung in Grund buchſachen 486 
Staatliche Anſtalt, Begriff 48 
Staatsanwalt, Prozeßverſtoß 407 
Staatsdienſtaſpiranten 26 
Staatsprüfung, Verzicht auf das Ergebnis 158f. 
— Reform 375 


Statiſtik, ſ. Kriminalſtatiſtik, Alkoholſtatiſtik, Juſtiz⸗ 
ſtatiſtik 


Stauanlagen 94 
Stellenvermittler 12 ff. 
Stellvertretung, ſtille 465 


Stempelabgabe bei Grundſtücksübertragungen 2 
Sterbeurfunde 


Steuer für Kraftfahrzeuge 203 
Steuerausſchuß, Strafbeſchlüſſe 104 ff. 
Steuerſtrafſachen 101 ff., 205, 278 
Stiefmutter, Beiſiß am Nachlaß 317 
— Unterhaltspflicht 428 
Stodwerfseigentum 91 
Strafanſtalt, Beſugniſſe der Vorſtände 293 
S trafantrag, notwendiger Inhalt 367 
— Verzicht 189 
Strafaufſchub 275 ff., 293 ff. 
Strafbefehl, Rechtskraft 6 ff., 397 f. 
Strafbeſcheid, Rechtskraft 1 ff. 
— Antrag auf gerichtliche Entſcheidung 101 
— Begnadigung 276 
Strafenhäufung 286 
Strafhaft, Beginn 293 
Strafklage, Verbrauch 5 ff., 397 ff. 
Strafort, Aenderung 279 
Strafrechtsreform 436 ff. 
Strafregiſter 492 
Strafverfahren, Mitteilungen 32 
— gegen Jugendliche 211 
— gegen Minderwertige 100 
— gegen Landtagsmitglieder 322 
Strafvollſtreckung, Aufſchub 32, 293 
— Unterbrechung 293 
Straßen. Streuen bei Glatteis 31 
Straßenbahn, Betriebsunfall 202 
Straßen polizei 445 


Schwangere, Unterhalt 427 
— Straſvollſtreckung 294 
Schweiz, Staatsverträge 372 
Schwurgericht, Verfahren 165, 447 
— Zuſtändigkeit 344 
Sicherheit als Vorausſetzung vorläufiger Voll— 
ſtreckbarkeit 381, 489 
— im Straſprozeß 50 
— Rückgabe 143 
Sicherungshypothek der Bauhandwerker 17 ff. 
— für fremde Schuld 310, 362 
— für Staatsſorderungen 486 
— f. a. Vollſtreckungshypothek 
Sicherungsmaßregeln im Strafrecht 437 


Straußwirte in der Rheinpſalz 14ff., 106 ff., 227, 287 


Streik 246 

Streitgenoſſen, Ausſcheiden aus dem Rechts— 
ſtreit 69 

— Eidesleiſtung 337 

— Gerichtsſtand 398 

Streitſtoff, Begrenzung 474 

Streitwert, Berechnung 488 

Stückſachen, Begriff 149 ff., 176 ff. 

Stundung des Darlehens 199 

— Zurücknahme 462 

Sudmiſſion ſ. Ausſchreibung 

Sühnetermin in Privatklageſachen 260, 333 

T. 

Tagung des Landtags, Begriff 322 

Talon ſ. Erneuerungsſchein 

Tatbeſtand der Zivilurteile 473 ff 

Täuſchung ſ. Argliſt 

Tauſchvertrag, Beurkundung 242 


— bei Güterzertrümmerung 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Teilnahme im Forſtſtrafrecht 153 f. 
Teilſchuldverſchreibungen, Unterzeichnung 185 
Teilurteil 385 
Telephon 
Theateragenten 
Tiefbau, Schutzvorſchriften 
Tierhalter, Haftung 


183 
13 


29 
137, 223, 224, 386 


Tierkadaver, Beſeitigung 324 
Titel, arztähnlicher 270 
Tokayer 365 
Trächtigkeit, Zuſage 471 
n ſ. Beförderungsvertrag 
Trauben moſt ſ. Moft 
Traubenwickler f 468 
Trunkenheit ſ. Alkoholſtatiſtik 

u. 
Ueberbauung, Begriff 29 
Ueberlandzentralen 172 
Uebernahme von Hypotheken 9 ff. 
— der Vormundſchaft 3 


— der Zwangs erziehung 467 
Uebertragung von Grundbuchblättern 195 ff., 217ff. 
Uebertretungen ſ. Forſtſtrafrecht 
Ueberſetzungen im Auslandsverkehr 
Ueberweiſung gepfändeter Forderungen 
Ueble Nachrede, Tatbeſtand 
— Klage auf Unterlaſſung 
Umzäunung, Begriff 
Umwandlung 15 Geldſtrafen 155 
Unbeſtimmte Verurteilung 437f. 
Uneheliche Kinder, Ermittlung des Erzeugers 446 


212 
47 


261 
187 


— Unterhaltsanſpruch 18, 427 
— Vormundſchaft 354, 378 
Unfall, Umfang des Schadenserſatzes 83, 86, 426 
— Ausſchluß der Haftung 67, 223 
— bei mangelhafter Beleuchtung 86. 
— im Wirtshaus 425 
— beim Rodeln 445 
— |. a. Betriebsunfall, Mitverſchulden 

Unfallfürſorge für Beamte 204, = 408 
— für Gefangene 440 f. 
Unfallverhütungsvorſchriften 164, 482 
Unfallverſicherung nach der RVO. 458, 480 f. 
Ungarn, Eheſcheidung 163 
— Konſul 192 


Univerſitäts unterricht, Reform 39, 213, 375, 
433 ff. 


Unterbrechung des Zwangsverſteigerungsver⸗ 
fahrens 422 


— des Verfahrens bei Zuſtändigkeitsſtreit 191 
— der Strafvollftredung 293 
— der Geſchäftsreiſe 320 


Untergebene, Verleitung zur Falſchbeurkundung 391 


Unterhalt, Sichernng des Anſpruchs 427 
— Beitreibung 377 
— ſtrafbare Nichtgewährung 417 ff 
— bei Einkindſchaftung 428 
— Abzug bei Steuer 63 
Unterhalts verträge, Vollſtreckbarkeit 44 
Unterhaltung der Wege 5, 57 f., 77 
Unterkonſortiumſ. Geſellſchaft 

Unterlaſſungsklage, Vorausſetzungen 261, 290 
Unternehmer, Abmachungen über Gebote 399 
— Verſicherungsbeiträge 480 f. 


Unterzeichnung von Teilſchuldverſchreibungen 185 
— des Antrags auf gerichtliche Entſcheidung 94 


— des Geſchworenenſpruchs 165 
Untreue, Tatbeſtand 341 
— des Agenten 465 
— nach der RVO. 456 
Unvordentlihe Verjährung 49 
Urheberrecht, Gegenſtand 69 
— an Grabdenkmälern 411 


140, 204, 269 | 


XxVIl 
Urkunden, Unvollſtändigkeit 463 
— notarielle, Zuſtellung 279 
— Verleſung 286, 447 
— Fälſchung 341, 342, 343, 481 f. 
Urkundenprozeß. Vorausſetzungen 178 
— Nachverfahren 431 
Urkundenſammlungen 435 
Urteil, Vollſtreckung im Ausland 360 ff. 

V. 

Vaginismus 364 
Valuta ſ. Darlehen 
Veräußerung von Zubehör 268 
— des Streitgegenſtandes 201 


Veräußerung sverbot als Grundlage der Wi⸗ 
derſpruchsklage 26 


— Eintragung ins Grundbuch 138 
Verbindung von Rechtsgeſchäften 287 
Verbreitung von Druckſchriften 388 
Verein, Haftung für den Vorſtand 463 
Vereinbarun g des Gerichtsſtands 355, 361 
Verdienſtentgang bei Unfall 426 
Vereinigte Staaten, Patentrecht 291 
— Ein wanderungsgeſetz 452 
— Auslieferung 392 
Vergleich mit einem Geſamtſchuldner 282 
— bei Privatklage 189, 209, 260, 333 
— Vollſtreckung im Ausland 360 
Vergütungen. Steuerpflicht 92 
Verhandlungsmaxime 243 
Verjährung des Wandelungsanſpruchs 471 
— von Schadenderſatzanſprüchen 118, 120, 308 
— unvordenkliche 49 
— bei Verletzung der Unterhaltspflicht 420 


Verkauf ſ. Kaufvertrag 

Verleſung von Schriftſtücken in der Haupt⸗ 
verhandlung 286, 447 

Verlobte. Zeugnisverweigerung 447 

Vermächtnis, Beſtimmung der Perſon des Ber: 
mächtnisnehmers 

— Klage auf Erfüllung 365 

— anſechtbare Erfüllung 88 

Vermeſſung 53, 56, 235 ff., 452 

Vermieter ö Mietvertrag 

Vermiſchung von Moſten 389 

Vermögen, Begriff der Beſchädigung 286, 314, 343 

— Beſchlagnahme 138 

— Gerichtsſtand des V. 

Vermögens verzeichnis bei fortgeſetzter Güter⸗ 
gemeinſchaft 127 f. 

— beim Offenbarungseid 61, 198 

Vernehmung im Entmündigungsverfahren 137 

Veröffentlichung von Verordnungen 2f. 


361 


Verordnungen, Bezeichnung 460 
— f. a. Bundesratsverordnungen 

Verpfändung des Sparkaſſenbuchs 343 
— der Grundſchuld 200 


Verſäumnisurteil, 


abgekürztes 
— im Mahnverfahren 


361 
359, 381 ff. 


— Vollſtreckbarkeit 259 
Verſchulden im Steuerſtrafrecht 205 
Verſchweigen, Begriff 427 
Verſicherungsbeiträge nach der RVO. 480ff. 
Verſicherungsgeſellſchaft, Zulaſſung in 
Oeſterreich 362 
— ausländiſche 464 
Verſicherungsmarken nach der RVO. 481 ff. 


Verſicherungsprämien, 

ſteuerung 43 
Verſicherungsträger nach der RVO. 456 
Verſicherungs vertrag, Stellung des Agenten 310 
Verſteigerungsbeamter, Haftung 280 
— Ermittelung der Erben 422 
Verſuch im Forſtſtrafrecht 154 


Abzug bei der Be— 


131, 


XXVII In haltsverzeichnis der Zeitſchrift 
Vertagung des Zuſchlagsbeſchluſſes 280 
— des Landtags 322 
Verteidiger, Befugniſſe 141 
— Abweſenheit in der Hauptverhandlung 138 
— Schlußwort 286 
Verteilung verfahren, Gebühren 159 
Vertragsbruch, Verpflichtung zum 121 
Vertragsintereſſe, negatives 385 
Vertragsſtrafe beim Konfurrenzverbot 311 


Vertretbare Sachen, Begriff 149 ff., 176 ff. 


Vertreter, Begriff 243 
— Beſtellung einer Sicherungshypothek 30 
— Zuſtellung 362 
— der offenen Handelsgeſellſchaft 339 
— geſetzlicher der Gemeinde 140, 231 
Verunſtaltung, Schadenserſatz 230 


Verwahrungs vertrag 176. 347, 384 
Verwaltungsbehörde, Verfügungen in Weg— 


ſtreitigkeiten 327 
— Anordnungen über Ausverkäufe 256, 269, 407 
— Feſtſtellung der Dienſtunfähigkeit 408 
— Feſtſetzung der Hauſierſteuer 101 


Verwaltungsrecht des überlebenden Ehegatten 


70, 166 
Verwaltungsſtrafverfahren Iff. 
Verwandte, Unterhaltspflicht 418 
Verweiſung an das höhere Gericht 45, 359, 380 
— Koſten bei V. 272 
Verwendungen, Erſatz 483 
Verzicht auf Forderungen 135, 143 
— auf Berichtigung des Grundbuchs 237 
— auf den Klaganſpruch 137 
— auf Privatklage 189 
— auf das Prüfungsergebnis 158 f. 
Verzug des Schuldners 45, 67 
Viehgewährſchaft 470, 471 
Viehmarkt 205 
Volksſchullehrer ſ. Lehrer 
Vollmacht zum Grundſtückskauf 306 
— zur Güterzertrümmerung 303 f. 
— im Strafverfahren 141 
— f. a. Prozeßvollmacht 
Vollſtreckung aus Verſäumnisurteilen 259 
— zur Erwirkung der Herausgabe 179 
— in Oeſterreich 360 ff. 
— in Grundſtücksteile 185 
— Duldung 383 
— aus Unterhaltsverträgen 44 
— im Privatklageverfahren 19, 209 


ſ. a. Strafvollſtreckung 
Vollſtreckungsbeamter, rechtmäßige Amts- 


ausübung 118 
Vollſtreckungsbefehl 379 ff. 
Vollſtreckungshypothek, Vorausſetzungen der 

Eintragung 188 
Vollſtreckungsklauſel, Erteilung 279 
— Verſagung 30 
Vorausklage, Einrede der 310 
Vorbereitungsdienſt, Reform 436 


— ſ. a. Rechtskundiger 
Vorkaufsrecht, Benachrichtigung des Berech— 


tigten 199 
Vormerkung von Hppotheken 17 fl. 
— zur Sicherung eines Rangvorbehalts 18.3 
— Abtretung der Rechte 463 
— Löſchung 114 
Vormundſchaft, vorläufige 193 fl., 249 
— Abgabe 222, 410 
— im Ausland 44 


ſ. a. Berufsvormundſchaft 
Vormundſchaftsgericht, Umfang der Tätigkeit 446 


echtspflege in Bayern. 1911. 
Vormundſchaftsgericht, Stellung zum Berufs⸗ 

vormund 378f. 
— Abgabe der Zwangserziehung 467 
Vorrecht im Konkursverfahren 87, 208 
Vorſatz,. Begriff im Forſtſtrafrecht 131 
— bei Falſchbeurkundung 341 
Vorſchußpflicht bei Gebühren 15, 159 ff., 279 
Vorſtand des Vereins 463 
— der Aktiengeſellſchaft 335, 463 
— der Genoſſenſchaft 342 

W. 

Waffengebrauch der Polizei 225 
Wahrſagen 346 
Wald, Bezugsrechte 166 
— Verkauf der Erzeugniſſe 491 
Waldwege 79, 112 
Wandelung beim Viebhkauf 470 
Wandergewerbe ſ. Hauſierſteuer 
Wanderlager 101, 289 
Warenlager, Veräußerung 66 


Waſſerbezugsrecht, Zuläſſigkeit des Rechtswegs 49 


Wechſel, Begebung 94 
— unbefugte Ausſtellung 341 
— Stundung 94 
— Fälſchung 445 
— ſ. a. Akzept 

Wechſelſachen als Ferienſachen 395 
— Nachverfahren 431 
Wege, Eigentumsverhältniſſe 53 ff., 76 ff., 109 ff. 
— Beleuchtung 85 
Wegnahme unbeweglicher Sachen 181 
— durch den Gerichtsvollzieher 182 
Wegſtreitigkeiten 327ff. 
Wein, konzeſſionsfreier Ausſchank 14f., 106 ff., 227 
— Zuckerung 15 fl, 106 ff., 287, 389 
— Vermiſchung mit Moſt 389 
— ausländiſcher 266 
— alkoholfreier 365 
— ſ. a. Haustrunk 

Wein bauer f. Straußwirtſchaft 

Werkmeiſter ſ. Betriebsbeamte 

Werkvertrag, Vermittelung 12 
— Form 307 
Wert von Grundſtücken, Ermittelung 133f. 
— des Streitgegenſtands 160, 208 
Wertpapiere als Mengeſachen 178 
— Hinterlegung 88 
Werterſaßz in der Zwangsverſteigerung 333 
— im Forſtſtrafverfahren 130 
— bei Zollvergehen 27. 


Wertzuwachs ſ. Zuwachsſteuer 
Wettbewerb, unlauterer 134 f., 142, 165, 256. 269, 
290, 313, 407, 465 


— öffentlicher um Arbeiten 399 

— ſ. a. Konkurrenzverbot 
Wettverträge 90 
Widerrechtlichkeit einer Drohung 21 
Widerruf der Kündigung einer Hypothek 185 
— der Fideikommißſtiftung 431 
Widerſpruch, Antrag auf Eintragung 301 
— im Mahnverfahren 356, 359, 382 
— bei einſtweiliger Verfügung 114ff. 
Widerſpruchsklage bei Veräußerungsverbot 26 
— bei Pfändung einer Forderung 71 
— Koſten 248 
Widerſtand, Tatbeſtand 314 
Wiederaufnahme im Zivilprozeß 186 
— der Nachlaßbehandlung 317 
— des Anlegungsverfahrens 111 
Wild, Anlocken 370 
— Aneignung 426 
Willenserklärung, Ernſtlichkeit 248 
— im Rechtsſtreite 474 
263 


1 


— Genehmigung der Darlehensaujnahme 362 
— Regelung der Sorge für die Perſon 368 
— Zwangsmaßregeln 119 
— Anzeigen an das Rentamt 351 


— ſtillſchweigende 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Winzer ſ. Straußwirtſchaft 
Wirtſchaftsbetrieb, Konzeſſionspflicht 14 ff., le 
2 


VV 253 ff. 
Wucher, Begriff 118 
“ 


Zählkarten ſ. Alkoholſtatiſtik N 
Zahlung durch Wechſelhingabe 94 


— der Hypothek 402 
Zahlungsbefehl ſ. Mahnverfahren 
Zaun ſ. Umzäunung 
30 itungen, Stellenvermittlung 12 
entralblatt für das Deutſche Reich 2 
Zeuge, Ablehnung der Vernehmung 85 
— Vernehmung in Vormundſchaftsſachen 446 
— Verweigerung der Ausſage 3, 447 
— Erkundigungspflicht 4 
— Gebühren 320, 332, 468 
— Streitgenoſſe als 3. 69 
— Konſul als Z. 192 
Zigarren, Verkauf in Wirtſchaften 410 
Zigeuner 232 
915 8Sſchein bei Teilſchuldverſchreibungen 185 
inszuſchläge ſ. Amortiſationshypothek 
Zinſen beim Darlehen 24 
— bei Eigentümergrundſchuld 9 
— bei Rückforderung von Gebühren 321 
Zivilanſtellungsſchein 52 


Zivilverantwortlichkeit in Forſtſtrafſachen 130 
nn Verwahrung des Bae 384 


ollſtraf verfahren 1 ff., 27 ff., 278 
Zubehör, Begriff 266 
— Wirkung des Zuſchlags 334 


Zuckerung des Weins 

Zulaſſung der Rechtsanwälte 
Zurechnungsfähigkeit, geminderte 100, 439, 459 
Zurückbehaltungsrecht an der Quittung 445 
— gegenüber dem Berichtigungsanſpruch 483 


XXIX 


Zurücknahme der Klage 
— der Reviſion 

— der Beſchwerde 300 ff. 
Zurückverweiſung durch das Reviſionsgericht 333 


223, 443 
447 


8 uſage beim Viehkauf 471 
uſchlag, Wirkung auf Zubehör 334 
— beim Tode des Meiſtbietenden 421 ff. 
— Vertagung 280 
— Gebühren 65 f. 
Zuſchreibungen zum Grundbuchblatt 217, 467 
Zuſtändigkeit im Mahnverfahren 355 
— in Eheſachen 163 
— bei Streeitgenoſſenſchaft 398 f. 
— des Reviſionsgerichts 73 ff. 
— des Schwurgerichts 344 
— in Forſtſtrafſachen 129 ff. 
— Prüfung bei Vollſtreckung im Ausland 361 
— in Wegſtreitigkeiten 327 ff. 
— in Waſſerſachen 450 
— bei der Unfallfürſorge für Beamte 408 
— ſ. a. Rechtsweg 
Zuſtändigkeitsſtreit, Verfahren 191 
Zuſtellung der Klage 361 
— öffentliche 279 
— im Auslande 392 
Zuwachsſteuer 233 ff., 257 ff., 351 
Zuwendungen, ausgleichungs pflichtige 33 ff. 
— letztwillige 68 
Zwangsenteignung 169 
Zwangserziehung 439, 467 
Zwangslizenz 291 
Zwangs verſteigerung, Zuſchlag 280 
— Widerſpruchsklage 26 
— Gebühren 65 f, 159 ff. 
Zwangs vollſtreckung ſ. Vollſtreckung f 
Zweigniederlaſſung, Auflöſung 22 
* 213 
wiſchenprüfung 214 f., 375 


III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. 


(Die fetten Zahlen bedeuten die Paragraphen oder Artikel, die kleinen die Seiten). 


1. Bürgerliches Geſetzbuch. 


261, 262 


424 


18 
136, 139, 315, 
384 


138, 146, 464 
138 


138 

21, 118, 122, 
123, 145, 173, 
242, 255, 263, 


399 
242, 255, 400 
2 


402 
136, 199, 224 


46, 67, 68, 137, 


3:36, 401, 425 
190 
484 
346 
331 
363, 445, 483 
134, 338, 347 
225 


298 


332 


A. Neichsgeſetze. 


85, 117, 118, 
236, 306, 307, 


483 


282 
282, 336 
315, 331 


308 


149 


13, 115 
149, 176 
12 
147 
444 
402, 483 
484 
483 
402, 471 
402 
481 


347, 385 


5 
149, 176, 179 
185 


186 

186 

136, 308, 403 
1 


33⁵ 
85, 201, 283 
137, 223, 386 


117, 120, 321, 


446 

282, 336 
230 

86, 387 

85, 230 

120, 308 
384 

384 

261 


66, 200 


85, 123, 236, 


317 


467 
330 
138, 163, 183 
114, 118, 363 


484 
58, 132, 236 


66 
66, 209, 466 
18² 


80, 110 
91, 110, 185 
5 


185 
202, 331, 402 
11, 402 


10, 11 


119, 162 


III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. XXXI 


1822 363 N 5. Genoſſenſchaftsgeſetz. 
1829 363 15 226 51 389 
1851 354, 378 16 389 140 342 
1852 353 17 343 161 226 
1897 377 
906 194, 249 ö 5 
3 193 6. Geſetz betr. die Geſellſchaften m. b. H. 
1909 377 42 138 83 138 
1910 377 64 342 
1912 427 
1915 377 
1916 377 | 7. Hypothekenbankengeſetz. 
174, 285 1924 427 18 9 | 219 
1985 33 19 9 
1943 318 
1949 318 8. Geſetz betr. die privaten Verſicherungsunternehmungen. 
1953 125 108 464 
1960 4 
1975 = 9. Geſetz über den Verſicherungsvertrag. 
1979 5 86 43 88 43 
1991 
1994 318 
2027 190 
2028 190 oo. 10. Patentgeſetz. 
63, 384 2033 70, 365 11 291 30 292 
36 2038 190 
2040 88, 91, 365 11. Geſetz betr. das Urheberrecht an Werken der 
a 7 Literatur und Tonkunſt. 
2056 34 13 69 41 69 
2064 68 38 69 
2092 38 
2141 427 N 12. Geſetz gegen den unlauteren Wettbewerb. 
2156 68 1 2 
2801 308 1 15 9 197 56, 269, 
353, 355 2306 34, 38 7 134, 256, 269, 10 407 
2329 383 ' s 255 
407 25 142 
an 5 8 407, 465 
13. Gewerbeordnung. 
. Einfü sgeſetz zum Bürgerli Geſetzbuch. 6 429 1051 246, 411 
sees . 26 484 1204 29, 165 
170 74 33 16, 108, 227, 1200 165 
181 266 287, 449 120e 29 
182 91 34 12 1831 311 
189 266 35 449 146b 411 
199 417 38 12 147 16, 29, 108, 227, 
203 428 4in 411 70, 287 
209 428 56a 57 148 51 
377 64 205 151 94 
70 205 152 246 
105b 411 153 246 
3. Handelsgeſetzbuch. 105e 411 
87 465 | . B 
263 89 312 14. Geſetz betr. die Einführung der Gewerbeordnung 
; 112 264 | in Bayern. 
240 343 1 15 
312 342 | 
337 264 2 0 
a 339 264 15. Stellenvermittlergeſetz. 
315, 465 363 178 1 12 9 13 
485 381 178 2 12 10 13 
392 71 3 13, 14 12 13 
406 178 4 1 14 12 
419 178 5 13 15 13 
456 244 6 13 16 13 
7 13 17 13 
8 13 18 13 
4. Wechſelordunng. 


41 95 16. Haftpflichtgeſetz. 
43 95 1 202, 224 7 387 
44 95 3a 387 


23. Einführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetze. 


17. Gewerbeunfallverſicherungsgeſetz. 
6 


8 


84 112 165 
84 135 83 
83 136 328 
84 140 86 
. Unfallverſicherungsgeſetz für die Land⸗ und 
Forſtwirtſchaft. 

83 151 86, 137 
83, 137 
fe 19. Invalidenverſicherungsgeſetz. 

20. Reichsverſicherungsordnung. 
456 767 481 
456 771 480 
456 851 482 
456 887 482 
456 891 482 
456 89 483 
456 911 480 
456 912 482 
456, 482 913 482 
457 973 482 
457 1030 482 
457 1031 456 
457 1033 483 
456 1045 480, 482 
456 1144 482 
456 1201 482 
457 1202 482 
457 1205 456 
456 1221 480 
457 1225 456, 482 
457 1416 481 
457 1447 458 
482 1487 458 
480 148 481 
480 1489 459 
458 1490 481 
458 1491 480 
458 1492 481 
458 1495 481 
457, 482 1496 481 
458 1497 481 
480 1498 482 
480, 481 1499 482 
483 1512 458 
456 1577 482 
482 1767 482 
480, 481 

21. Perſonenſtandsgeſetz. 

220 58 221 
221 59 220 
220 

22. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. 
158 159 447 
50 160 446 
192 180 51 
279 183 51 
279 202 395 


73 


24. Zivilprozeßorduung. 


21 
23 


346 
361 


— 


380 

202, 431, 470 
248, 470 

202 


422 
73, 223, 474 


201 
470 


382 


243 


945 
1042 


385 

19, 44, 179, 
210, 279, 360 
27 


114 
88, 118, 385 
360 


25. Einführungsgeſetz zur Zivilprozeßordnung. 


3 192 7 75, 208 
6 73 8 333 
26. Zwangsverſteigerungsgeſetz. 
1 447 81 345, 421 
3 162 87 280, 345 
10 160 90 345 
20 345 92 334 
21 345 107 345 
22 159 109 160 
25 161 143 159 
43 280 144 159 
48 184 170 161 
56 345 
27. Konkursordnung. 
1 461 46 74 
4 74 59 464 
6 85, 139, 462 61 87, 208 
31 88 64 462 
43 74 146 461 
4 74 1% 85 
192 85 
28. Aufechtungsgeſetz. 
3 143, 163 11 163 
29. Gerichtskoſtengeſetz. 
1 447 68 51 
4 230 79 162, 397 
6 230 81 159 
7 162 S0b 161, 229, 279 
8 159 382 
9 160 81 279 
9a 208 85 159 
13 160 90 161 
30 272 91 160 
37 230 97 397 
46 229, 447 98 162 
47 51, 76, 230 
30. Gebührenordnung für Zeugen und Sachver⸗ 
ſtändige. 
3 207 8 207, 469 
7 207 14 207, 468 
31. Rechtsanwaltsordnung. 
25 124 49 252, 441 
34 304 58 441 
40 123 66 252 
32. Gebührenordnung für Rechtsanwälte. 
12 208 35 143 
24 143 44 290 
29 143 45 123 
33. Geſetz über die Angelegenheiten der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit. 
2 446 57 193, 427 
12 194, 410, 447 60 193 
15 447 86 241 
16 193 87 241 
19 226 91 91, 241 
24 194 93 91, 241 
25 194 95 242 
29 194 99 241 
34 198 194 446 
46 222, 410, 467 199 140 
52 194, 249 


III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. 


10 


er 1 


34. 
132, 467 


17, 183, 316 


111, 118, 167, 


237, 316, 486 
133 
111, 114, 118 


Grundbuchordnung. 


25 114 

29 118, 167, 300, 
486 

30 


32 300 
36 
39 
48 
54 


71 70, 117, 300 
80 287 

90 81, 111 

91 111 


35. Strafgeſetzbuch. 


128 184a 265 
130 185 140, 204, 247 
129 186 140, 204, 261 
156 193 265, 266 

156 223 197 

155 223 197 

131 240 247 

132 242 132, 158, 426 
153, 426 213 426 

153 217 158 

153 257 154 

154 263 343 

479 266 342 

295 271 341 

449 274 131, 182 

156 281 90 

131, 265, 420 286 469 

140, 154, 247, 292 426 

285, 389 303 182 

6, 125, 156, 328 285 

367, 395 345 277 

157 318 341 

155 361 128, 154, 417 
157 449 | 
314 366 327 

427 368 327 

389 370 182 

265 


36. Einführungsgeſetz zum Strafgeſetzbuch. 


130, 154 
391 


344 
388 


5 391 
7 406 


37. Preßgeſetz. 


19 388 
28 388 


38. Nahrungsmittelgeſetz. 


427 


288, 389 
266, 287, 365 
285 
16, 109, 287 
365 


39. Weingeſetz. 


9 285 
10 285 
11 266, 285 
12 365, 389 


40. Reblausgeſetz. 


89 


1. Ausführungögejeg zum Bürgerlichen Geſetzbuch. 


22 
60 
8 
87 


3 


12 
43 
72 


2 
“ 


488 88 134 
120, 321 123 486 
58 125 322 
133 130 119 
131 318 
2. Geſetz betr. die Berufsvormundſchaft. 
353, 377 5 354 ö 
354 6 354 
353 7 379 
3. Nachlaßgeſetz. 
317 4 317 
4. Geſetz, Uebergangsvorſchriften betreffend. 
91 s4 317 
110, 114 88 70 
428 
5. Ansführungsgeſetz zur Zivilprozeßordnung und 
Koufursorduung. 
469 4 20 


6. Ausführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz. 


15 
35 


7. Ansführungsgeſetz zur Grundbuchordnung und zum 


41. Vereinszollgeſetz. 


28 141 285 
28 146 286 
28 154 28 
285, 286 155 29 
1, 3, 8, 27 158 285 
1, 3, 27 164 4, 8 
285 
42. Strafprozeßordnung. 
131 256 408 
131 259 45 
346 260 286 
447 2068 5, 7, 398 
447 266 
447 270 45 
229 284 286 
252 293 448 
318 312 165 
50 332 138 
452 334 139 
188 338 141 
188 339 141 
188 347 229, 322 
6 372 125 
94 376 90 
7 377 368 
7 380 125 
192 384 368, 448 
286, 408 385 94 
394 395 
447 399 397 
286, 447 420 189, 260 
408 431 1 


BE Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


— — nt 


6, 398 492 157 
7 494 157, 279 
8 495 227 
279, 294 496 19, 227 


5 
277, 279, 398 


43. Einführungsgeſetz zur Strafprozeßordnung. 


6 


6, 323 
44. Militärſtrafgerichtsordnung. 
. 131 397 126 
131 
45. Poſtgeſetz. 
406 27 406 
406 


46. Stempelgeſetz. 


203, 485 85 65 


47. Reichs militärgeſetz. 


26 
48. Kriegsinvalidengeſetz. 
405 20 405 
49. Mannſchaftsverſorgungsgeſetz. 
405 47 405 
405 
50. Offizierspenſionsgeſetz. 
387 41 387 


B. Landesgeſetze. 


44 69 277 
344 


Zwangsverſteigerungsgeſetze. 
58 25 345 


! 


10 


8. Geſetz betr. die Grundbuchanlegung. 
er 
9. Hypothekengeſetz. 


17 35 266 
17 78 266 
245, 266 

10. Notariatsgeſetz von 1861. 
57 Ä 

11. Notariatsgeſetz von 1899. 
303 i 126 120 
303 

12. Waſſergeſetz. 
51 55 94 
450 76 450 
450 153 169, 177, 450 
450 
18. Fiſchereigeſetz. 
413 
14. Forſtgeſetz. 

129 83 132 
156 85 131 
155 87 131 
155 1 132 
154 91 130 
154 92 132 
154 94 132, 154 
157 95 131 
157 96 131 
158 104 131 
130, 157 105 129, 157 
132, 154 106 157, 491 
129 188 157 
155 


2 
SS SAG Nie 


2 — 


ex. 


15. Forſtſtrafgeſetz für die Pfalz. 39 168 158 65 


; 4 322 186 287 
180 8 151 488 315 194 48 
155 35 132 5 49 315 234 278 
156 36 131 116 18, 65 252 18 
154 40 131, 157 1 78 is 
155 3 119 17, 18, 65 291 19 
157 42 157 145 345 292 65 
I 157 17 2 17, 18, 65 
157 38 130 
132 91 157 
25. Polizeiſtrafgeſetzbuch. 
16. Güterzertrümmerungsgeſetz. 0 en nn 190 
370 5 344 39 154 101 29 
304 3534 346 106 488 
70 324 112 488 
17. Grundentlaſtungsgeſetz. 10.02 
370 | 26. Ausführungsgeſetz zur Strafprozeßordnung. 
4 128, 131, 154, 12 449 
18. Jagdgeſetz. 157, 391 98 104 
370 5 131, 391 100 104 
102 329 
i 19. Zwangserziehungsgeſetz. a 
467 27. Beamtengeſetz. 
20. Flurbereinigungsgeſetz. 25 52 101 205 
76 28 26, 51 174 487 
31 487 175 487 
21. Gewerbegeſetz von 1868. 89 334 178 20 
1 183 27 
14 24 205 | 
14, 106 8 5 | 28. Richterdisziplinargeſetz. 
„Einkommenſteuergeſetz. 64 276 
42, 64 12 42, 62 
42, 62 29. Gemeindeordnung. 
4 54 41 390 
23. Hauſierſteuergeſetz. 3 55 55 55. 77 
205 15 289 33 245 138 31 
fit 19 an 36 50 145 231 
10 7 38 57, 77 159 112 
103 19 206 zu f 
103 24 103 30. Zwangsenteignungsgeſetz. 
1 169 
24. Gebührengeſetz. | : 
159 1 2 31. Verwaltungsgerichtsgeſetz. 
160 14 345 7 31 10 97 
159 16 159 8 49, 81, 450 13 50 
C. Anhang. 
Dienſtanweiſung für die Grundbuchämter. 
60 113 353 132 
122 139 354 132 
123 245 356 132 
130 491 358 133 
139 139 397 92 
170 54 468 217 
186 113 470 195 
189 79, 113 471 195 
213 132 472 195 
219 132, 467 475 219 
229 112 510 109 
300 79, 110 514 111 
343 132 578 112 


346 113 


IV. verzeichnis der Mitarbeiter. 


(Hier ſind nur die Mitarbeiter berückſichtigt, die Abhandlungen und Mitteilungen 
| aus der Praxis eingeſendet haben). 


Seite 
Baer, Amtsrichter, Nürnberg 
Berolzheimer, Rechtsanwalt, München 


Bleyer, II. Staatsanwalt im Staatsmini⸗ 
ſterium der Juſtiz, München 270, 293 


Blüthe, Dr., Rechtsanwalt, Schweinfurt 19 
Bonſchab, Bankdirektor, München 133 
Bretzfeld, Dr., Amtsrichter, Nürnberg 45, 182, 417 


415 


Cahn, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg 59, 81 
Clarus, Syndikus der Handelskammer, 
Regensburg 


Degen, Landgerichtsrat im Statsminiſterium 
der Juſtiz, München 


Diemayr, Amtsrichter, München 


Doerr, Dr., II. Staatsanwalt, Nürnberg lietzt 
München) 333 


Do! 10 0 heimer, Amtsrichter, Ludwigshafen 
a. Rh. 


279 


' 


Du Chesne, Landgerichtsrat, Leipzig 
Dürr, Dr, Amtsrichter, München 
Eger, Dr., Referendar, Berlin 
Ehrenberger, Amtsrichter, Nürnberg 


Eiſenberger, Dr., Juſtizrat, W 
München 


Ferling, Amtsrichter, Namberg 132 
Feßler, Rechtsanwalt, Regensburg 235 
Fiſcher, Dr., Univerſitätsprofeſſor, Gießen 145, 173 
Frank, Rechtspraktikant, Hersbruck 222 


Friedländer, Dr., Landgerichtsrat, Limburg 
a. Lahn 


Gabel, Notariatspraktikant, München 
Geigel, Dr., Aſchaffenburg 


Gerland, Dr., Univerſitätsprofeſſor und 
Oberlandesgerichtsrat, Jena 125, 2 


Gick, Il. Staatsanwalt, München 397 
Gmelin, Dr., Oberlandesgerichtsrat, Stuttgart 483 
Gros, Amtsrichter, München 259, 355, 379, 395 
Harſter, Dr., Regierungsaſſeſſor bei der Poli— 


300 

455, 480 
398 

17 


zeidirektion, München 237 
Heſſelbarth, Amtsgerichtsſekretär, Forchheim 159 
Hümmer, Landgerichtsrat, München 128, 153 
Jaeger, Dr., Geh. Hofrat, Profeſſor, Leipzig 73 
Joſef, r., Rechtsanwalt, Freiburg i. B. 241, 329 
Kleinberger, Dr., Rechtsanwalt, München 256 
Klimmer, Dr., Amtsrichter im Staatsmini— 

ſterium der Juſtiz, München 4.39 


Köppe, Dr., Profeſſor, Marburg a. Lahn 233, 257 
Kriener, Dr, Amtsrichter, Landshut 195. 217 
Kühlewein, Dr., Landgerichtsrat, München 346, 459 


S S Se 8 
— S 8 8 


Selte 
39 | Kunkel, Senatspräſident, Oberſtlandesge⸗ 
richtsrat a. D., München 
Landau, Rechtsanwalt, Nürnberg 114, 461 


Langheineken, Dr., Profeſſor, Halle 33, 149, 176 


Lebrecht, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg 360 
Leiendecker, Amtsgerichtsrat, München 305 
Mayr, Amtsrichter, München 44, 353, 377 
Michel, Landgerichtsrat, Frankenthal 106, 332 
Neubürger, Dr., Rechtsanwalt, Fürth 198 
Obermeyer, Dr., Juſtizrat, Rechtsanwalt, 
München 169 
Oberneck, Dr., Juſtizrat, Rechtsanwalt und 
Notar, Berli in 9 
Oetler, Dr., Profeſſor, Würzburg 1 
Payr, von, Senatspräſident am Oberſten 
Landesgerichte, München 101 
Pfeiffer, Dr., Gerichtsaſſeſſor, Breslau 444 
Pfor dten von der, Landgerichtsrat, München 473 
Pösl, Amtsrichter, Mainburg 303 
Reger, Oberſekretär, Nürnberg 279 
Richthofen, Frhr. v., Oberlandesgerichtsrat, 
ena 295, 325 
Roſenthal, Dr., Rechtsanwalt, München 373 
Schmidt, Dr., Legationsrat im Miniſterium 
des K. Hauſes und des Aeußern, München 12 
Schmitt, Oberſtlandesgerichtsrat im Staats⸗ 
miniſterium der Juſtiz, München 53, 76, 109 


Schultz, DDr., Staatsanwalt am Oberlandesge— 
richte, München 158, 433 


Sommer, Amtsgerichtsrat, Cöln 127 
Sotier, ll. Staatsanwalt, München 421 
Stahl, Dr., gepr. Rechtspraktikant, Neuftadt - 

a. A. 199 
Stenger, Dr., Rechtsanwalt, München 304 
Steinbach, Dr., Bezirksamtsaſſeſſor, Roſen— 

heim 327 
Straub, Landgerichtsrat, München 253 
Tiſch, Amtsgerichtsdirektor, Neuſtadt a. d. H. 220 
Unzner, Dr., Miniſterialrat, München 18 


Valta, Dr. v., wiſſenſchaftlicher Hilfsarbeiter 
des K. B. Statiſtiſchen & Landesamts, München 475 


Wagner, Rat am Oberſten Landesgerichte, 
München 


Weil, Dr., Rechtsanwalt, Ludwigshafen a. Rh. 42, 62 


Weisbrod, Finanzrechnungskommiſſär, München 65 


Wenger, Univerſitätsprofeſſor, München 273 
Wenig, Zollinſpektor, München 460 
Zöller, Landgerichtsrat, München 14 


V. Beſprochene Bücher und Seitſchriften. 


Affolter, Dr. Friedrich, Das Fruchtrecht 31 
Ausbildung und Fortbildung der Richter. 
Bericht über die Verhandlungen 155 2. Preußi⸗ 
ſchen Richtertages vom 17. Mai 1910 371 
Bauer, Dr. jur. Otto, Das Pollard⸗Syſtem und 
ſeine Einführung in Deutſchland 412 
Bleeck, Siegfried, Die Majeſtätsbeleidigung im 
geltenden deutſchen Strafgeſetz (Strafgeſetz⸗ 


buch vom 26. Februar 1876 — Geſetz vom 

17. Februar 1908) 124 
Bonſchab, F., Reichsgeſetz, betr. die Erwerbs⸗ 

und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. 2., neube⸗ 


arbeitete Auflage 
Brand, Dr. Arthur, Das Handelsgeſetzbuch mit 
Ausſchluß des Seerechts 392 
Braun, Friedrich Edler von, Das Bayeriſche Ge⸗ 
ſetz über die Güterzertrümmerung vom 13. Auguſt 
1910 mit Erläuterungen, Vollzugsvorſchriften 
und den ſonſtigen einſchlägigen Vorſchriften 
Braun, Friedrich Edler von, Das Bayeriſche Geſetz 
über die Güterzertrümmerung vom 13. Auguſt 
1910 mit Erläuterungen. 2. Auflage 
Buchert, Karl, Sammlung in der Praxis oft an⸗ 
gewandter Verwaltungsgeſetze nebſt einer An⸗ 
zahl derartiger Verordnungen ꝛc. für das König⸗ 
reich Bayern. 3., vermehrte und verbeſſerte 
Auflage 3 
Das deutſche Juriſtenbrevier. Herausge⸗ 
geben von Dr. A. Budeley 31 
Croner, Siegfried, Reform der deutſchen Rechts⸗ 
anwaltſchaft 271 
Cuno, Zuwachsſteuergeſetz vom 14. Februar 1911 
nebſt den Ausführungsbeſtimmungen des Reichs 
und der größeren Bundesſtaaten 491 
Cuno, Zuwachsſteuergeſetz vom 14. Februar 1911 350 
Damme, Dr. jur. F., Der Schutz techniſcher Er» 
findungen als Erſcheinungsform moderner Volks— 
wirtſchaft 323 
Degen, R., und Dr. O. Klimmer, Die Straf⸗ 
vollſtreckung in den bayeriſchen Gerichtsgefäng⸗ 
niſſen und Strafanſtalten 347 
Dietz, H., Die Beſchwerdeordnungen für das Heer 
(einschließlich Bayern und Schutztruppen) und 
für die Kaiſerliche Marine 324 
Doerr, Dr. F., Gerichtsverfaſſungsgeſetz nebſt 
Einführungsgeſetz und Anhang, die geſetzliche 
Regelung der deutſchen Konſular- und Schutz 
gebietsgerichtsverfaſſung enthaltend 98 
Doerr, Dr. Friedrich, Kolonialbeamtengeſetz vom 
8. Juni 1910 272 
Eckert, E., Die Vorbedingungen für den höheren 
Juſtiz⸗, Verwaltungs⸗ und Finanzdienſt in 
Bayern. Vierte umgearbeitete und erweiterte 
Auflage der von J. Schiedermair herausgegebe— 
nen Prüfungsvorſchriften 
Eger, Dr. Georg, Die Eiſenbahn-Verkehrsordnung 
vom 23. Dezember 1908 nebſt den Allgemeinen 
Ausführungsbeſtimmungen und Abfertigungs— 
vorſchriften auf der Grundlage des Deutſchen 
Handelsgeſetzbuchs vom 10. Man 1897. 3 


124 


432 


490 


— — . — ag — — — — —— —— — . ͤ P ä 


Hoepfel, Fr., 
„Aufl. 144 


Fiſcher, 
Fiſcher, 


Eger, Dr. jur. G., Das Reichsgeſetz über den Ver⸗ 


kehr mit Death un Vom 3. Mai 1909 271 
Dr. A. H., Die Rechtswidrigkeit mit be⸗ 
ſonderer Berückſichtigung des Privatrechts 72 
Dr. Karl H., Lexikon des in Bayern 
geltenden Verwaltungs-, Staats-, Polizei⸗ und 
Polizeiſtrafrechts nach den Entſcheidungen der 
bayeriſchen oberen Verwaltungs-, Straf⸗ und 
Zivilgerichte und nach den zum bayeriſchen Recht 
ergangenen Entſcheidungen der außerbayeriſchen 
Gerichte 51 
Foerſter, F. W., an und Sühne 490 
Friedländer, Dr. A. und Dr. M., Nachtrag zum 
Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung 100 
Fuld, Dr. Heinr., Die Eigentümerhypothek im 
Konkurs (Würzburger Abhandlungen zum deut- 
ſchen und ausländ. Prozeßrecht, Heft 4) 


Gaß, W., Tabellen zur Umrechnung der Steuer⸗ 
anſätze zur Umlagenverteilung 451 
Gerland, Dr. Heinrich, Die Reform des ait 
ſchen Studiums 210 
Gimmerthal, Max, Der deutſche Waiſenrat 350 
Das im Königreiche Bayern geltende 
Reichs⸗ und Landesrecht ſamt den Voll⸗ 
zugsbeſtimmungen in überſichtlicher Zuſammen— 
ſtellung. Ein Handbuch für den Gebrauch der 
amtlichen Geſetz- und Verordnungsblätter und 
der Amtsblätter der Miniſterien, bearbeitet von 
Landgerichtsrat Dr. Glock und Landgerichtsrat 
Schiedermair. — Nachtrag (bis zum 
Geſetzesſtand vom 1. September 1910) 
Grauer, Dr. jur. et phil. Anton, Das katholiſche 
Ordensweſen nach bayeriſchem Staatskirchenrecht 431 
Gudden, Dr. Hans, Die Behandlung der jugend— 
lichen Verbrecher in den Vereinigten Staaten 
von Nordamerika 
Güthe, Gg., Die Grundbuchordnung für das 
Deutſche Reich und die preußiſchen Ausführungs— 
beſtimmungen. 2. umgearbeitete Auflage 
Hein, Dr., Handbuch der Zwangsvollſtreckung. 
Unter Mitwirkung von Keup und Dr. Krahn 490 


451 


99 


100 


348 


Heinitz, Dr. E., Das Reichsgeſetz über das Ver⸗ 


B. 


lagsrecht. 
232 


Marwitz 

Heinsheimer, Dr. Karl, Typiſche Prozeſſe. Ein 
Zivilprozeßpraktikum zum Gebrauch bei akade— 
miſchen Uebungen und zum Selbſtſtudium. Dritte, 
veränderte und durch einen zweiten Teil er— 
weiterte Auflage 489 

Hellwig, Dr. Albert, Feuerbeſtattung und Rechts— 
pflege 472 

von Henle, Dr. W., Die Zwangsenteignung von 
Grundeigentum in Bayern, unter Berückſichti— 
gung der Novelle vom 13. Auguſt 1910. 2. neu⸗ 


2. Auflage bearbeitet von Dr. 


bearbeitete Auflage 99 
Heusler, Dr. phil. Andreas, Das Strafrecht der 
Isländerſagas 189 


Das Reichsgeſetz über den Verkehr 


mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 251 


XXXVIII 


Hotz, M., Das Telegraphenwege⸗Geſetz vom 18. De⸗ 
zember 1899 

Jaeger, Dr. Ernſt, Kommentar zur Konkursord⸗ 
nung und den Einführungsgeſetzen mit einem 
Anhang, enthaltend das Anfechtungsgeſetz, Aus⸗ 
züge aus den Koſtengeſetzen, Ausführungsgeſetze 
und Geſchäftsordnungen. 3. und 4. neube⸗ 
arbeitete Auflage. 3. Lig. 167 

Jaeger, Dr. Ernſt, Reichszivilgeſetze. 3. Auflage 
von Jaeger, BGB. Mit einem Anhang enthal⸗ 
tend: Landesgeſetze für das Königreich Bayern, 
herausgegeben von J. Schiedermair 

Jaſtrow, Hermann, Formularbuch und Notariats⸗ 
recht. Fünfzehnte (nach dem BGB. fünfte) 
Auflage 

Kaufmann, E., Handelsrechtliche Rechtſprechung. 
Unter Mitwirkung des Landrichters Dr. Lö wen⸗ 
thal. Elftes Bändchen 

Keyſſner, Dr. Hugo und Dr. H. Veit Simeon, 
Aktiengeſellſchaft und Kommanditgeſellſchaft auf 
Aktien (Handelsgeſetzbuch II. Buch, Abſchnitt 3 
und 4). 6. Auflage bearbeitet von J. Keyſſner 324 

Kleinfeller, Dr. Georg, Lehrbuch des Deutſchen 
Zivilprozeßrechts. Für das akademiſche Studium. 
2., völlig umgearbeitete Auflage 99 

Könige, H., Geſetz über die privaten Verſiche— 
rungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 2. Aufl. 168 

Kräußlich, Dr., Gerichtsverfaſſungs- und Straf— 


271 


251 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 


211 | 


168 


prozeß⸗Novelle oder umfaſſende Juſtizreform? 411 


Krech, Dr. J. und Dr. O. Fiſcher, Die Geſetz— 
gebung betreffend die Zwangsvollſtreckung in 
das unbewegliche Vermögen im Reiche und in 
Preußen. 6., vermehrte und verbeſſerte Auflage 98 

Kretzſchmar, Dr. F., Das Erbrecht des Deutſchen 
Bürgerlichen Geſetzbuchs 

Kretzſchmar, Dr. F., Die Zwangsverſteigerung 
und die Zwangsverwaltung 451 

Laforet, Dr. W., Das Zwangsabtretungsgeſetz 
vom 17. November 1837 in der Faſſung der 
Novelle vom 13. Auguſt 1910 und der Abſchnitt 
Zwangsenteignung des Ausführungsgeſetzes zur 
Reichszivilprozeßordnung in der Faſſung der 
Bekanntmachung vom 26. Juni 1899 

Lambertz, Hans, Der Richter 

Landsberg, E., Geſchichte der deutſchen Rechts— 
wiſſenſchaft, I. u. II. Abteilung von R. Stintzing. 
III. Abt. 2. Halbbd. 

Lehmann, Dr. jur. Heinrich, Der Prozeßvergleich 291 

Lindemann, Otto, Geſetz, betreffend das Ur— 
heberrecht an Werken der Literatur und der 
Tonkunſt vom 19. Juni 1901. 3. Auflage 144 

Ben B. Lindſey, Die Aufgabe des Jugend— 
gerichts 124 

Lößl, Dr. Franz, Die Volksſchulpflicht nach deut: 
ſchem Volksſchulrecht 272 

Das bayeriſche Malzaufſchlaggeſetz vom 
18. März 1910 (Schweitzers Textausg.) 350 

Maier, Dr. jur. Rudolf. Das Verſicherungsver— 
tragsrecht 47 

Meisner, Chriſtian, Das in Bayern geltende 
Nachbarrecht mit Berückſichtigung des Berg- und 
Waſſerrechts. 2. vollſtändig umgearbeitete und 
vermehrte Auflage 

Meiſter, Dr. Eckard, Die Veräußerung in Streit 

befangener Sachen und Abtretung rechtshängi— 
ger Anſprüche nach $ 265 ZPO. (Würzburger 
Abhandlungen zum deutſchen und ausländ. 
Prozeßrecht) 

Merzbacher, Sigmund, Reichsgeſetz, betreffend 
die Geſellſchaften mit beſchränkter Haftung in der 
Faſſung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898, 
erläutert und mit Entwurfen von Geſellſchafts— 
verträgen. 4., neubearbeitete Auflage 72 

Merzbacher, Sigmund, Zuwachsſteuergeſetz vom 
14. Februar 1911 2 


167 
272 


144 


1911. 


Meyer, Georg, Das Recht der Beſchlagnahme 
von Lohn⸗ und Gehaltsforderungen 4. Aufl. 144 
Meyer, Hans, Das bayeriſche Gebührengeſetz mit 
einem Anhang, enthaltend die mit dem Geb. 
zuſammenhängenden Geſetze, Verordnungen und 
Bekanntmachungen. Auf Grund der Faſſung 
des Geſetzes vom 13. Juli 1910 erläutert in Ver⸗ 
bindung mit Friedrich Degel 97 
Meyer, Hans, Nachtrag zur Zivilprozeßordnung 32 
Meyers Großes Kon verſations-Lexikon. 
Ein Nachſchlagewerk des allgemeinen Wiſſens. 
6., gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auf⸗ 
lage 
Mittermaier, Dr. jur., W., Wie ſtudiert man 
Rechtswiſſenſchaft? 210 
Moſel, Heinrich v. d., Examensfälle mit Löſun⸗ 
gen für Studierende und Referendare 1. Heft 251 
Neukamp, Dr. Ernſt, Die Gewerbeordnung für 
das Deutſche Reich in ihrer neueſten Geſtalt nebſt 
Ausführungsvorſchriften. 9., veränderte und 
durchgearbeitete Auflage 51 
Neukamp, Dr. Ernſt, Handkommentar zur Zivil: 
prozeßordnung nebſt dem Einführungsgeſetze. 
Unter Mitwirkung von Dr. Karl Becker, Walter 
Kuhbier, Dr. Paul Strauß. Zweite um⸗ 
gearbeitete Auflage 
Noeſt, Dr. B. und E. Plum, Die Reichsgerichts⸗ 
entſcheidungen in Zivilſachen. 72. und 73. Band 
der amtlichen Sammlung 210 
Oetker, Dr. Friedr., Wirkſamkeit der Entſcheidun— 
gen, Präkluſion von Beſchwerden, Einſtellungs- 
beſchluß und Rechtshängigkeit 
Pariſius, Ludolf, und Dr. Hans Crüger, Das 
Reichsgeſetz, betreffend die Geſellſchaften mit 
beſchrankter Haftung. 5. umgearbeitete Aufl. 349 
Pfaff, Dr. Hermann von, und Anton von 
Reiſenegger, Das e Gebühren⸗ 
geſetz mit Erläuterungen. 7. Auflage auf Grund 
der Faſſung vom 13. Juli 1910 bearbeitet von 
Hermann Schmidt 210 
Pfordten, Th. von der, Der dienſtliche Verkehr 
und die Amtsſprache. 3., verbeſſerte und er⸗ 
gänzte Auflage 270 


490 


167 


Rauck, A. von, Das Bayeriſche Berggeſetz vom 


13. Auguſt 1910. 2. verbeſſerte Auflage 271 


72 | Regers Handausgabe der Gewerbeordnung für 


das Deutſche Reich. In 3. und 4. Aufl. neu 
bearbeitet und nunmehr in 5. Aufl. herausge— 
geben von Th. Stöhſel 349 
Reger, A., Handausgabe des Bayer. Geſetzes über 
Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom 
16. April 1868 in der Faſſung der Bekannt- 
machung vom 20. Juli 1899 8. Aufl. 324 
Romberg, Dr. Kurt, Kolonialbeamtengeſetz vom 
8. Juni 1910 8 
Roſenthal, Dr. Alfred, und E. Wehner, Reichs⸗ 
geſetz gegen den unlauteren Weitbewerb vom 
7. Juni 1909. 3., ſtark vermehrte, umgearbeitete 
und ergänzte Auflage 351 
Ruck, Dr. jur. E., Verwaltungsrechtliche 1 
Württembergs. Erſter Band 


Sammlung von Geſetzen, WU; 


gen und Miniſterialerlaſſen ſtraf⸗ 
rechtlichen Inhalts für bayeriſche 
Polizeiorgane 51 


Sammlung von Steuergeſetzen für 
Bayern mit den Vollzugsvorſchriften 
(Schweitzers Textausg.) 432 

Sauter, Dr. jur. Fritz. Das Berufsgeheimnis und 
ſein ſtrafrechtlicher Schutz 349 

Schmidt, Chriſt., Anwaltsgebührentabelle gemäß 
der bayeriſchen Landesgebuhrenordnung in den 
Angelegenheiten der Rechtspflege mit Pauſch— 
ſätzen 35 


Schmitt, Wilhelm, Juſtizdienſtliches Handlexikon 
für das Königreich Bayern 250 
Schneider, H., Das Geſetz über die Sicherung 
der Bauforderungen vom 1. Juni 1909 350 
Schramm, Dr. Erich, Vor der Entſcheidung 432 
Schwerin, Dr. Claudius Freiherr von, Schuld 


und Haftung im geltenden Recht 249 
Sebalds Bayeriſcher Juriſtenkalender 
für das Jahr 1911 350 


Seuffert, Dr. Lothar von, Kommentar zur Zivil⸗ 
prozeßordnung in der Faſſung der Bekannt⸗ 
machung vom 20. Mai 1898 mit den Aende⸗ 
rungen der Novellen vom 5. Juni 1905, 1. Juni 
1909 und 22. Mai 1910 nebſt den Einführungs⸗ 


geſetzen. 11. neubearbeitete Auflage 168 
Siméon, Dr. P., Die löſchungspflichtige Eigen⸗ 
tümergrundſchuld 250 


Hans, 
14. Februar 1911 ; 

Sohm, Rudolph, Die Fränkiſche Reichs⸗ und Ge⸗ 
richtsverfaſſung 491 

Staatskonkurs⸗Aufgaben für den höheren 
Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt im? Königreich 

Die Aufgaben im Jahre 1910 

J. von Staudingers Kommentar zum 
Bürgerlichen Geſetzbuch und dem Ein⸗ 
führungsgeſetze herausgegeben von Dr. 
Theodor Loewenfeld, Philipp Mayring 5, 
Dr. Karl Kober, Dr. Felix Herzfelder, 
Dr. Erwin Riezler, Dr. Ludwig Kuhlen⸗ 
beck, Dr. Theodor Engelmann, Joſeph 


Simon, Dr. Zuwachsſteuergeſetz vn 


124 


V. Beſprochene Bücher und Zeitſchriften. 


| 


Wagner. 5./6. neubearb. Aufl. Lig. 18 144 
Lfg. 21 350 
Lig. 22 451 


Staudinger, Dr. Julius von, Strafgeſetzbuch 
für das Deutſche Reich. 10. Aufl. bearbeitet 
von Hermann Schmitt 432 

Stein, Dr. F. und Dr. R. Schmidt, Aktenſtücke 
zur Einführung in das Prozeßrecht. Zivilprozeß. 
Bearbeitet von Friedrich Stein. 7. Auflage 271 

Steinbach, Dr. F., Gewerbeordnung für das 
Deutſche Reich mit den Nebengeſetzen und den 
Ausführungsbeſtimmungen für das Reich, für 
Preußen und Bayern 168 

Stengleins Kommentar zu den ſtraf⸗ 
rechtlichen Nebengeſetzen des Deutſchen 
Reichs. 4. Auflage, völlig neu bearbeitet 
von Ludwig Ebermayer, Franz Galli, 
Georg Lindenberg. 6. Lig. 25 


XXXIX 


Stier⸗Somlo, Dr., Jahrbuch des Verwaltungs⸗ 
rechts. 6. Jah 5 


ahrgang 
1./2. Hälfte. 

Stier⸗Somlo. Dr. F., Zuwachsſteuergeſetz vom 
14. Februar 1911 324 

Sydow, Dr. R., Konkursordnung und Anfech⸗ 
tungsgeſetz. 11. Auflage. Fortgeführt von 
L. Buſch 349 

Warneyers Jahrbuch der Entſcheidun⸗ 
gen. Zivilrecht. 9. Jahrg. 1910. — Strafrecht 
5. Jahrg. 1910 124 

Waſſermann, Dr. Martin, Der unlautere Wett⸗ 
bewerb nach deutſchem Recht. 2. Auflage 349 

Weber, Bayeriſche Gemeindeordnung, 9. Auflage. 
Herausgegeben von Carl Auguſt von Sutner 168 


Weißer, Wilhelm, Die Einfuhr ausländiſcher 
Weine und deren Kontrolle in Deutſchland 
Willenbücher, Das Koſtenfeſtſetzungsverfahren 

und die Gebührenordnung für Rechtsanwälte. 
7., neu bearbeitete Auflage von Dr. P. Simson 
und W. Fiſcher 291 
Winter, Dr. jur. Paul, Konkursordnung und An⸗ 
fechtungsgeſetz in der Faſſung der Bekantmachung 
des Reichskanzlers vom 20. Mai 1898 
Wolf, Dr. B., Die Geſetzgebung über das Polizei⸗ 
verordnungsrecht in Preußen unter Berückſichti⸗ 
gung der Rechtſprechung und Literatur 
Woerner, Dr. Otto, Sammlung der für die 
Rechtskandidaten, Rechtspraktikanten und ge— 
prüften Rechtspraktikanten in Bayern geltenden 
Vorſchriften mit Anmerkungen und Sachregiſter 350 
Yblagger, Ludwig, Geſetz, die Fortſetzung der 
Grundentlaſtung betreffend, vom 2. Februar 1898 
mit den Novellen, den wichtigſten Miniſterial⸗ 
bekanntmachungen und Entſchließungen und ober- 
richterlichen Entſcheidungen. 2., verbeſſerte und 
ergänzte Auflage 250 
Yblagger, L., Wechſelſtempelgeſetz vom 15. Juli 
1909 350 


472 


412 


5 
Zacharias, Dr. A. N., Gedanken eines Praktikers 
zur Frage des juriſtiſchen Modernismus 
Zacharias, Dr. A. N., Ueber Perſönlichkeit, Auf— 
gaben und Ausbildung des Richters 371 
Zeiler, A., Ein Gerichtshof für bindende Geſetzes⸗ 
auslegung 371 
Zorn, Dr. Ph., Die Konſulargeſetzgebung des 
Deutſchen Reichs. 3., vollſt. neu bearb. Auflage 
von Dr. K. Zorn 350 


Zuwachsſteuergeſetz. (Textausg. Beck) 291 


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’ 
' 


Verlag von 
J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
München und Berlin. 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


8. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſterlum der Juſtiz. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 

„ Inſertionsgebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile 

% oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 

2 „ — 


Nachdruck verboten. 1 


Nachdem ſich nachträglich herausgeſtellt hatte, 
daß die Zollbehörde in dieſem Strafverfahren nicht 
die geſamte Menge des nichtangemeldelen Kaffees 
ermittelt hatte, erging wider X unterm 7. Mai 
1910 ein zweiter Strafbeſcheid der gleichen Ober⸗ 
zolldirektion, in Anwendung der nämlichen Be⸗ 
ſtimmungen, wieder auf Geldſtrafe und Einziehung, 
weil die Anmeldung vom 5. Auguſt nachzollpflich⸗ 
tige Kaffeevorräte nicht enthalten habe, die am 
4. und 5. Auguſt in den Beſitz des X gelangt 
ſeien, während dieſer bereits am frühen Vormittage 
des 4. und 5. Auguſt vor Abgabe der Deklaration 
von ihrem Eintreffen durch die Eiſenbahn⸗Güter⸗ 
abfertigungsſtelle benachrichtigt worden und zur 
alsbaldigen Mitanmeldung — noch am 5. Auguſt 
— in der Lage geweſen ſei. 

Gegen den zweiten Strafbeſcheid hat der An⸗ 
geſchuldigte auf Grund des § 38 des preußiſchen 
er un a 915 bund ei nn 
Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die 
kehr befindlichen Kaffee im Befitz oder Gewahrſam f =» 
hat, muß die Waren ſpäteſtens am 5. Auguſt 1909 nn Beſchwerde an den Finanzminiſter 
bei der Zollſtelle ſeines Bezirks anmelden; j Gutachten 


2. Kaffee, der ſich am 1. Auguſt 1909 unter⸗ . . . 
wegs befindet, iſt vom Empfänger anzumelden, . Die rechtliche Würdigung der Beſchwerde er: 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 
Im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich : 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
Poſtanſtalt. 


Ne bis in idem! 
Ein Rechtsgutachten. 
Von Profeſſor Dr. Oetker in Würzburg. 


Tatbeſtand. 


Durch Art. II 8 3 des RGeſ. vom 15. Juli 
1909 betr. Aenderungen im Finanzweſen iſt ein 
Nachzoll gelegt worden auf Kaffee, der ſich am 
1. Auguſt 1909 im freien Verkehr des Zollgebietes 
befand. 

In Ausführung dieſer Beſtimmung hat der 
Bundesrat die Nachverzollungsordnung vom 
24. Juli 1909 im Zentralblatt für das Deutſche 
Reich 1909 S. 351 veröffentlicht. 

Im 8 3 Abſ. 1 der Bundesratsverordnung 
find aus der reichsgeſetzlichen Nachverzollungspflicht, 
zwei Unterpflichten abgeleitet: 

1. Wer am 1. Auguſt 1909 im freien Ver⸗ 


a Dr ̃ :.:. ˙ Q ß p NE PRESS ERE ERS SEE SIR SEIEN RSREEREE GPEREEERSER, 
— m nn 


ſobald er in deſſen Beſitz gelangt ift. fordert die Prüfung dreier Fragen, einer ſtaats⸗ 

9 9 der Verordnung fügt die Strafvorſchrift rechtlichen, einer materiell⸗ſtrafrechtlichen und einer 
hinzu: „Hinterziehungen des Nachzolls und ſonſtige ſtrafprozeſſualen: 

Verletzungen der wegen ſeiner Erhebung gegebenen I. Iſt die in dem Strafbeſcheid zugrunde 
Vorſchriften werden nach den 88 135 ff. des gelegte Strafvorſchrift eine rechtsverbind⸗ 
Vereinszollgeſetzes geahndet.“ | liche Norm? 

In Anwendung der SS 3, 9 der Nachver⸗ II. Iſt die in dem Strafbeſcheid mit Strafe 
zollungsordnung mit § 136 des Vereinszollgeſetzes belegte Tat gegenüber dem Tatbeſtande, 
iſt der Kaufmann X zu Y durch Strafbeſcheid der Gegenſtand des vorangegangenen Straf— 
der Königlich Preußiſchen Oberzolldirektion zu Z beſcheids der nämlichen Königl. Preußiſchen 
vom 15. November 1909 zu einer Geldſtrafe ver⸗ Oberzolldirektion vom 15. November 1909 
urteilt worden, weil die von ihm am 5. Auguſt war, als ein ſelbſtſtändiges Delikt zu 
1909 der Zollbehörde erſtattete Deklaration be⸗ erachten oder in dieſem Tatbeſtande recht⸗ 
ſtimmte nachzollpflichtige Kaffeevorräte nicht um⸗ lich mitenthalten? 
faßt habe, die am 1. Auguſt 1909 bereits in III. Für den Fall der letzteren Annahme: Iſt 
ſeinem Befitze geweſen ſeien; auch find die Vor: durch den angefochtenen Strafbeſcheid der 
räte eingezogen worden. Dieſer Strafbeſcheid iſt Rechtsgrundſatz ne bis in idem verletzt 


rechtskraͤftig geworden. | worden? 


Zu J. 

Der Strafbeſcheid vom 7. Mai 1910 bringt 
(ebenſo wie der vorangegangene Strafbeſcheid vom 
15. November 1909) eine nicht gehörig publizierte 
und daher rechtsunwirkſame Straſporſchrift, den 
89 in Verbindung mit § 3 Abſ. 1 der Bundes⸗ 
ratsverordnung vom 24. Juli 1909, in Anwendung 
und iſt daher als rechtsungültig zu erachten. 

Art. II § 3 mit Art. VI Abſ. 1 des Reichs⸗ 
geſetzes vom 15. Juli 1909 betr. Aenderungen im 
Finanzweſen hat die Pflicht der Nachverzollung von 
Kaffee ꝛc., der ſich am 1. Auguſt 1909 im freien 
Verkehr des Zollgebiets befand, „nach näherer 
Beſtimmung des Bundesrats“ ausgeſprochen. Auf 
Grund dieſer Delegation iſt die erwähnte Bundes— 
rats⸗Verordnung, „Kaffee- u. Tee⸗Nachverzollungs⸗ 
Ordnung“, ergangen. Publikation iſt nur im 
Zentralblatt für das Deutſche Reich 1909 S. 351, 
nicht im Reichsgeſetzblatt erfolgt. 

Die Bundesratsverordnung enthält zweifellos 
beſonders in den hier maßgebenden SS 3 und 9 
Rechtsvorſchriften. Das Reichsgeſetz vom 15. Juli 
1909 hat die Nachverzollungspflicht nur grundſätzlich 
ausgeſprochen, nicht in einer ihre tatſächliche Durch⸗ 
führung ermöglichenden Weiſe auch normiert. 
Dieſe rechtliche Regelung iſt vielmehr dem Bundes: 
rat überlaſſen worden. Insbeſondere war es deſſen 
Sache, die nötigen Strafbeſtimmungen hinzuzu— 
fügen, wie ſie für die Wirkſamkeit eines Abgaben— 
geſetzes unerläßlich ſind. Dementſprechend leitet 
§ 3 Abſ. 1 der Verordnung aus der Nachver— 
zollungspflicht ſpezielle Deklarationspflichten ab, 
während § 9 Hinterziehungen des jo zu leiſtenden 
Nachzolls den Strafvorſchriften der SS 135 ff. 
des Vereinszollgeſetzes vom 1. Juli 1869 unterwirſt. 


Hiernach erſcheint in Anwendung der von 
Laband, Staatsrecht des Deutſchen Reiches (4. Aufl.) 
Bd. 2 S. 78 f., 185 gemachten Unterſcheidung 
die Bundesratsverordnung in ihrem hier maß— 
gebenden Inhalt als ausführende Rechtsverordnung, 
nicht als bloße Verwaltungsverordnung, denn 
ihre Normen wirken nicht lediglich innerhalb 
des Verwaltungsapparats zur bloßen Regulierung 
der Behördentätigkeit, verpflichten vielmehr un— 
mittelbar die Untertanen und bedrohen die Ueber— 
tretung dieſer Pflichten mit Strafe. Es iſt über— 
flüſſig, die weitergehende Anſicht von Zorn, Deutſches 
Staatsrecht Bd. 1 S. 484, der bereits in bloßen 
Verwaltungsvorſchriften Rechtsſätze erblickt, heran— 
zuziehen. Zum Exlaſſe von Verwaltungsvorſchriften 
im Sinne Laband's hätte es auch einer beſonderen 
reichsgeſetzlichen Ermächtigung des Bundesrats 
gar nicht bedurſt, da bereits Art. 7 Ziff. 2 der 
Reichsverfaſſung dazu die Grundlage bot. 

Als Normen des Reichsrechts haben die Be: 
ſtimmungen der Bundesratsverordnung die gleiche 
Verbindungskraft, wie ſie den eigentlichen Reichs— 
geſetzen zukommt. Insbeſondere gehen ſie, wie die 
letzteren, den Landesgeſetzen vor. „Reichsgeſetze“ 


2 Zeitſchrift für Rechtspflege 


in Bayern. 1911. Nr. 1. 


im Sinne des Art. 2 Satz 1 der Reichsverfaſſung 
mit Vorzug vor den Landesgeſetzen ſind zweifellos 
auch die in Reichsverordnungen enthaltenen Rechts⸗ 
ſätze. „Reichsgeſetz“ hat hier in Zugrundelegung 
der üblich gewordenen Terminologie (Laband a. a. O. 
S. 57f.) zugleich die Bedeutung des „Geſetzes im 
materiellen Sinne“. 

Ein Bedeutungswechſel des Wortes, Beſchrän⸗ 
kung auf ſog. formelle Reichsgeſetze, in dem un: 
mittelbar folgenden Satz 2 Art. 2: „Die Reichs⸗ 
geſetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre 
Verkündigung von Reichs wegen, welche vermittelſt 
eines Reichsgeſetzblattes geſchieht“, iſt von vorn⸗ 
herein unwahrſcheinlich. Und es ſprechen für die 
Erſtreckung der ſo beſtimmten Publikationspflicht 
auf Rechtsverordnungen des Reiches, ſog. mate: 
rielle Reichsgeſetze, auch entſcheidende innere Gründe. 

Zweck der Publikation iſt, den Untertanen und 
den rechtsapwendenden Behörden die zuverlaͤſſige 
Kenntnis der Rechtsſatzungen zu verſchaffen. Die 
einen wie die anderen müſſen ſich auf den Inhalt 
der publizierenden Druckſchrift durchaus verlaſſen 
können. Die Herausgabe einer offiziellen Geſetz⸗ 
ſammlung iſt daher Bedürfnis. Es bedarf eines 
Organs, dem für den Inhalt der Sammlung die 
ſtaatsrechtliche Verantwortlichkeit obliegt, auf deſſen 
Weiſung hin der Abdruck erfolgt, das für die 
Aufnahme und die getreue Wiedergabe aller Rechts- 
erlaſſe zu ſorgen hat. 

Das „Zentralblatt für das Deutſche Reich“ 
hat dieſen Charakter nicht. Die Reichsverfaſſung 
kennt es nicht und eine reichsſtaatsrechtliche Ver⸗ 
antwortlichkeit für ſeinen Inhalt beſteht nicht. 
Amtsblatt für die Rechtserlaſſe des Reichs iſt 
vielmehr lediglich das unter der Verantwortlichkeit 
des Reichskanzlers erſcheinende Reichsgeſetzblatt. 
Vgl. Laband a. a. O. S. 49, 50, 100 f.; Bin: 
ding, Handbuch des Strafrechts Bd. 1 S. 207; 
Meyer⸗Anſchütz, Lehrbuch des deutſchen Staats— 
rechts 6. Aufl. S. 607; Haenel, Deutſches Staats- 
recht Bd. 1 S. 296 (292) und die bei Laband 
S. 101 weiter zitierten. 

Die Kenntnisnahme von den reichsrechtlichen 
Satzungen iſt zugleich Pflicht der rechtsanwenden⸗ 
den Behörden und auch der Untertanen, ſoweit 
dieſe jene Normen zur Richtſchnur ihres Verhaltens 
zu nehmen haben. Dieſer Pflicht ſchafft Art. 2 
der RV. im Reichegeſetzblatt die maßgebende 
Beziehung und die Möglichkeit der ſicheren 
Erfüllung. Für bloße Verwaltungsvorſchriften 
mag Bekanntgabe in anderer Form genügen. 
Dagegen kann im Hinblick auf Rechtserlaſſe des 
Reichs die verfaſſungsmäßig begrenzte Pflicht der 


Erkundung und Kenntnisnahme nicht durch ander— 


weite Veröffentlichung erweitert werden. Es hat 
nicht das Reichsgeſetzblatt neben ſich ein offizielles 
Konkurrenzorgan. Tatſächlich befinden ſich denn 
auch die Gerichtsbehörden vielfach gar nicht im 
Beſitze des Zentralblattes für das Deutſche Reich, 
während ſich die Beſchaffung des Reichsgeſetzblattes 


für fie alle von ſelbſt verſteht. 


Ein abnormer 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 3 


werden, würde aber für die Zukunft als wert: 


Zuſtand wäre es, wenn ein Gericht die Kenntnis volles Präjudiz wirken, das geeignet wäre, einem 
von ihm anzuwendender reichsrechtlicher Strafvor⸗ oft beklagten Mißſtande, der „Publikations⸗Unord⸗ 
ſchriften ſich erſt im Einzelfalle mittels Anleihe | nung“ (Laband a. a. O. S. 101) im Hinblick 
bei der Bibliothek einer anderen Behörde zu ver⸗ 


ſchaffen hätte. 

Erſt mit der gehörigen Publikation kommt 
der geſetzgeberiſche Akt zum Abſchluß. Denn das 
Geſetz iſt nicht bloße Willensentſchließung, ſondern 
Willenserklärung des Staates, Reiches, die geſetz⸗ 
entſprechende Verkündung alſo Perfektionserfor⸗ 
dernis. Die verbindliche Kraft der Reichs⸗ 
geſetze einſchließlich der Rechtsverordnungen des 
Reichs wird durch die Verkündung im Reichs— 
geſetzblatte begründet, Art. 2 der RV. Dem⸗ 
gemäß iſt eine nur im Zentralblatt f. d. deutſche 
Reich veröffentlichte Rechtsverordnung des Reiches 
unverbindlich und es ſind insbeſondere ihre Straf⸗ 
beſtimmungen unanwendbar. Sonach durfte der 
Angeſchuldigte nicht wegen Verletzung der Nach⸗ 
verzollungsordnung vom 1. Auguſt 1909 in Strafe 
genommen werden und es iſt der Strafbeſcheid 
vom 7. Mai 1910 als ungültig zu erachten. 

Dieſe Konſequenz muß in gleicher Weiſe 
gezogen werden, mag nun ein Gericht — bei 
Antrag auf gerichtliche Entſcheidung — oder wie 
bier nach erhobener Beſchwerde die vorgeſetzte 
Verwaltungsinſtanz mit der Nachprüfung des 
Strafbeſcheides befaßt ſein. Denn Rechtsanwendung 
durch Behörden, mögen ſie dem Juſtiz⸗ oder Ver⸗ 
waltungsorganismus angehören, kann ſich immer 
nur auf wirkliche Rechtsſätze, auf verbindlich 
gewordene und daher anwendbare Normen beziehen. 
Ein „unanwendbarer Rechtsſatz“ iſt ein innerer 
Widerſpruch und die Anwendung einer unverbind⸗ 
lichen Norm eben nicht Rechtsanwendung. 

Mit dem vielumſtrittenen Problem des 
Prüfungsrechts im Hinblick auf die Rechtsgültigkeit 
von Geſetzen und Verordnungen hat die hier allein 
praktiſche Frage der Prüfung gehörig erfolgter 
Publikation nichts zu tun. Welchen Standpunkt 
man immer in jener Kontroverſe einnehmen mag 
— auch Laband a. a. O. S. 98, ſonſt Gegner 
des behördlichen Prüfungsrechts, bejaht dieſes für 
die rechtliche Zuläſſigkeit einer Verordnung —, 
der ganze Streit bezieht ſich nur auf gehörig 
publizierte Geſetze und Verordnungen (vgl. insbe: 
ſondere Art. 106 der preuß. Verfaſſung). Daß 
dieſe letztere Prüfung den „Gerichten“ oder wie 
vielmehr in unentbehrlicher und durchgängig an— 
genommener Verallgemeinerung geſagt werden muß, 
den rechtsanwendenden, in Rechtsſachen entſcheiden⸗ 
den Behörden, möchte auch ihre Hauptaufgabe auf 
dem Gebiete der Verwaltung liegen, zuſteht und 
zugleich ihre Pflicht iſt, da nur gehörig publizierte 
Erlaſſe gelten, iſt allgemein anerkannt. 

Ein Ausſpruch der Miniſterial-Inſtanz in 
dieſem Sinne mag. indem er einer Bundesrats— 
Verordnung die Rechtswirkſamkeit aberkennt, der 
gegebenen Situation gegenüber mißlich empfunden 


ö 


— — — — ge — — — — m — — — 


) 


auf Rechts⸗Verordnungen des Reiches wirkſam zu 
ſteuern. 
Zu II. 


Gemäß Art. II § 3 mit Art. VI Abſ. 1 des 
RG. vom 15. Juli 1909 beſteht ſür Kaffee, der 
ſich am 1. Auguſt 1909 im freien Verkehr des 
Zollgebiets befand, die Pflicht der Nachverzollung. 
Zur Durchführung dieſer einheitlich gedachten und 
formulierten Verpflichtung ſind in der Nachver⸗ 
zollungs⸗Ordnung vom 24. Juli 1909 zwei Unter⸗ 
pflichten geſetzt: 

a) die Pflicht deſſen, der am 1. Auguſt 1909 
im freien Verkehr befindlichen Kaffee in Be⸗ 
ſitz oder Gewahrſam hat, zur Anmeldung der 
Waren — in näher bezeichneter Weiſe — 
ſpäteſtens am 5. Auguſt 1909 bei der Zoll⸗ 
ſtelle ſeines Bezirks; 

b) die Pflicht des Empfängers von Kaffee, der 
ſich am 1. Auguſt 1909 unterwegs befand, 
zur Anmeldung alsbald nach erlangtem Beſitz. 


Die Beziehung dieſer beiden Verpflichtungen 
auf die eine im Reichsgeſetz beſtimmte Nachver⸗ 
zollungspflicht lehrt ohne weiteres, daß ihnen nicht 
untereinander die Bedeutung ſelbſtändiger Rechts⸗ 
pflichten zukommt. Sie dienen lediglich der Reali⸗ 
ſierung der einen reichsgeſetzlichen Pflicht. 

Nach $ 9 der Nachverzollungsordnung werden 
Hinterziehungen des Nachzolls nach den $3 135 ff. 
des Vereins zollgeſetzes geahndet. Dieſes Geſetz 
fügt zu dem allgemeinen Begriff der Defraudation 
eine Reihe beſonderer Formen dieſes Delikts hinzu 
83 135, 136. Daß in den letzteren Fällen nicht 
unter dem Geſichtspunkte eines eigenartigen Delikts, 
ſondern eben wegen Defraudation geſtraft wird, 
geht aus dem inneren Zuſammenhang des Geſetzes 
und aus dem Wortlaute des S 136 („Die Defrau— 
dation wird insbeſondere dann als vollbracht an⸗ 
genommen, wenn“ uſw.) klar hervor. Dement⸗ 
ſprechend hat das Reichsgericht II. StS. Entſch. 
Bd. 35 S. 242 den in $ 136 bezeichneten Hand: 
lungen den Charakter ſelbſtändiger Vergehenstat⸗ 
beſtände gegenüber dem Begriff der Defraude ab— 
geſprochen und es iſt ausgeſchloſſen eine reale 
Konkurrenz der verſchiedenen Nummern des § 136 
untereinander. In gleichem Sinne Oetker, Gerichts— 
ſaal Bd. 64 S. 83; Hwenſtein, Zollgeſetzgebung 
des Reichs 2. Aufl. S. 140. 

Von den Tatbeſtänden des $ 136 iſt im Hin⸗ 
blick auf die Nachverzollungspflicht ausſchlaggebend 
Nr. le: „wenn in Fällen der ſpeziellen Deklaration 
zollpflichtige Gegenſtände — gar nicht oder in zu 
geringer Menge — deklariert werden“. Die ganze 
oder teilweiſe Nichterfüllung der beiden in der 
Nachverzollungs-Ordnung ausgeſprochenen Unter: 


4 3 = Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


pflichten ordnet ſich dieſem Tatbeſtande unter und 
iſt weder in der einen noch in der anderen Form 
als ſelbſtändiges Delikt, vielmehr immer als De: 
fraudation zu ftrajen (es müßte denn dem An: 
geſchuldigten der Entlaſtungsgrund des 8 137 
Abſ. 2 — Nachweis, daß er eine Defraudation 
nicht habe verüben können, oder eine ſolche nicht 
beabſichtigt geweſen ſei — zur Seite ſtehen). 

Das Verſchulden des Kaufmanns X. beſteht 
nach den tatſächlichen Annahmen der beiden 
Strafbeſcheide vom 15. November 1909 und vom 
7. Mai 1910 darin, daß die von ihm am 
5. Auguſt 1909 der Zollbehörde erſtattete Dekla⸗ 
ration beſtimmte nachzollpflichtige Kaffeevorräte 
nicht umfaßt habe. Der erſte Strafbeſcheid bezieht 
ſich auf Kaffeequanten, die X. am 1. Auguſt 1909 
bereits in ſeinem Beſitz gehabt habe. Der zweite 
Beſcheid nimmt ferner an, daß X. Kaffeevorräte, 
die am 4. und 5. Auguſt in ſeinen Beſitz gelangt 
ſeien, nicht angemeldet habe, während er bereits 
am frühen Vormittage des 4. und 5. Auguſt vor 
Abgabe der Deklaration von ihrem Eintreffen 
durch die Eiſenbahngüterabfertigungsſtelle benach⸗ 
richtigt worden und zur alsbaldigen Mitanmeldung 
— noch am 5. Auguſt — in der Lage geweſen 
ſei. Hiernach liegt beiden Strafbeſcheiden das 
gleiche einheitliche Faktum, Erſtattung einer un— 
richtigen, d. h. unvollſtändigen Deklaration, zu— 
grunde. Es wird nur die Unvollſtändigkeit in 
dem einen, dem andern Strafbeſcheide nach ver: 
ſchiedener Richtung hin ſubſtantiiert. Ob die Nicht: 
aufnahme der betreffenden Quanta in die Defla: 
ration ein Begehungsdelikt (durch falſche Deklaration) 
oder ein reines Unterlaſſungsdelikt oder ein Kommiſſiv— 
delikt durch Unterlaſſung (Verkürzung der fiskaliſchen 
Anſprüche durch Verſchweigung) ergab (vgl. hierzu 
Binding, Lehrbuch des Strafrechts, Beſond. Teil 
Bd. 1 S. 341, 342), kann, weil ohne praktiſche 
Erheblichkeit für den gegebenen Fall, unerwogen 
bleiben. Sicher iſt, daß jede Nichtanmeldung als 
Defraude, keine von ihnen, weder die Verletzung 
der einen, noch der anderen Unterpflicht der Nach: 
verzollungsordnung, als ein beſonderes, der Defraude 
gegenüber ſelbſtändiges Delikt in Betracht kam. 
Und vom Standpunkte der Strafbeſcheide aus iſt 
dieſe Defraude betreffs aller nichtangemeldeten 
Vorräte einheitlich durch die eine unvollſtändige 
Deklaration begangen. 

Somit ergibt ſich — gemäß den Strafbejcheiden 
—- Deliktseinheit im eigentlichen Sinne, Einheit des 
objektiven und des ſubjektiven Tatbeſtandes: Er: 
ſtattung einer Falſchdeklaration mit dem Bewußt— 
ſein ihrer Unrichtigkeit. 


5 


kurrenz, denn nur ein Faktum, die falſche Dekla⸗ 
ration vom 5. Auguſt, iſt gegeben. 


Betreffs aller defraudierten Vorräte iſt das 
Delikt zur gleichen Zeit, am gleichen Orte — am 
5. Auguſt 1909 zu V. — begangen und für dieſes 
in jeder Richtung einheitliche Delikt begann, ohne 
daß die Beziehung der Defraude auf die eine oder 
andere unſelbſtändige Unterpflicht der Nachver⸗ 
zollungsordnung einen Unterſchied zu begründen 
vermochte, die Verjährung einheitlich mit dem 
6. Auguſt 1909 zu laufen ($ 164 Ver3G., dazu 
Binding, Handbuch des Strafrechts Bd. 1 S. 835). 


Einheit des Delikts würde auch dann beſtehen 
bleiben, wenn man in freierer Auslegung des $ 3 
Abſ. 1 S. 2 der Nachverzollungsordnung annähme, 
daß die Deklaration der nach dem 1. Auguſt in 
den Beſitz des Angeſchuldigten gelangten Vorräte 
noch am 6., 7. Auguſt rechtzeitig (alsbald nach 
erlangtem Beſitz) hätte erfolgen können. Die Nicht⸗ 
anmeldung am 6., 7. Auguſt wäre dann nur 
Fortſetzung der Defraude geweſen, die mit der 
falſchen Deklaration vom 5. Auguſt begonnen hatte. 
In ſubjektiver Hinſicht ergäbe ſich das gleiche Bild: 
einheitlicher Vorſatz von vornherein, gerichtet auf 
die Verſchweigung aller Vorräte, die in der Tat 
nicht deklariert wurden. Doch würde auch die 
höchſt unwahrſcheinliche Annahme, daß der An— 
geſchuldigte erſt durch die Anzeige von dem Ein⸗ 
treffen der weiteren Vorräte (in der Frühe des 
4., 5. Auguſt) auf dieſe aufmerkſam geworden 
wäre und nun erſt den Vorſatz gefaßt hätte, auch 
ſie zu verſchweigen, die rechtliche Beurteilung nur 
unweſentlich modifizieren. Es hätte ſich dann der 
Vorſatz der Defraude im Stadium der Ausführung 
auf die ſpäter eingetroffenen Vorräte erweitert: 
eine mit Annahme fortgeſetzten Delikts durchaus 
verträgliche, ja häufig bei ſolchen vorkommende 
Schuldgeſtaltung. Vgl. Binding, Handbuch des 
Strafrechts Bd. 1 S. 546. Daß auch fortgeſetztes 
Delikt Deliktseinheit begründet, iſt in Theorie und 
Praxis allgemein anerkannt Vgl. insbeſondere 
für die Defraude Weber, im Gerichtsſaal Bd. 58 
S. 48; Löbe, Deutſches Zollſtrafrecht 3. Aufl. 
S. 89. Die geänderte Datierung des Delikts bei 
dieſer Auffaſſung — auf den 6., 7. Auguſt als 
den für den letzten Tatakt entſcheidenden Tag, 
wobei der nächſtfolgende Tag den Anfangstag der 
Verjährung ergeben würde — wäre für die zur 
Entſcheidung ſtehenden Rechtsfragen ohne Belang. 


Zur Annahme einer realen Konkurrenz von 
Defrauden, d. h. zweier je mit ſelbſtändigem Bor: 


Nicht ideale Konkurrenz, ſatz und durch ſelbſtändiges Tun begangener Delikte, 


denn dieſe würde erfordern eine Mehrheit ſchuld- liefert der gegebene in den Strafbeſcheiden feſt— 


hafter Entſchließungen bei Einheit des äußern Tuns: 
es lag aber allen Verſchweigungen der eine Dolus 
der Defraude zugrunde, der ſich auf eine Mehrheit 


! 


geitellte Tatbeſtand nicht den mindeſten Anhalt. 
Es iſt daher überflüſſig, noch aus dem Rechts— 
grundſatze in dubio minus, demzufolge im Zweifel 


nachzollpflichtiger Vorräte bezog, dadurch aber nicht nicht reale Konkurrenz, ſondern Deliktseinheit oder 


ſeine Einheitlichkeit verlieren konnte. Nicht fort— 
geſetztes Delikt und noch viel weniger reale Kon⸗ 


fortgeſetztes Delikt anzunehmen wäre, zu argu— 
mentieren. 


3u III 


Mit der Rechtskraft eines Strafurteils iſt die 
ſtaatliche Strafklage aus dem Delikt konſumiert, 
ſo daß der nämliche Tatbeſtand nicht abermals 
abgeurteilt werden kann. Ein unter Verletzung 
dieſes Prinzips ergangenes zweites Strafurteil 
wäre abſolut ungültig, nicht nur heilbar nichtig, 
ſo daß es durch Verſäumung oder erfolgloſen 
Gebrauch der Rechtsmittel Rechtsbeſtand gewinnen 
könnte. Denn alle Rechtſprechung führt auf Voll⸗ 
macht des Souveräns zurück und dieſe iſt den 
Strafgerichten für den nämlichen Tatbeſtand nur 
einmal gegeben. Das Strafurteil ſoll dem Ge: 
meinweſen den urſachlichen Zuſammenhang von 
Schuld und Strafe und eventuell die Nichtſchuld 
des Verdächtigen verbürgen. 
muß es die Eigenſchaft der Exkluſivität haben. 
Nachdem die Vollmacht durch den Erlaß des erſten 
Urteils verbraucht iſt, kann nur dieſem Rechts⸗ 
beſtand zukommen, nicht auch einem zweiten ohne 
Vollmacht, alſo völlig nichtig erlaſſenen Urteil. 
Vgl. Oetker, Konkursrechtliche Grundbegriffe Bd. 1 
S. 63; v. Baligand, Gerichtsſaal Bd. 72 S. 243. 

Dieſe Rechtslage iſt beſonders klar bei direktem 
Widerſpruch der beiden Urteile, indem betreffs 
ganz der gleichen Tatſachen das eine verurteilt, 
das andere freiſpricht oder beide verurteilen ac. ꝛc. 
Die Urteile können ja hier nicht nebeneinander 
beſtehen und ſo verſteht ſich von ſelbſt die alleinige 
Wirkſamkeit des erſten, vollmachtgemäß ergangenen 
Urteils. 

Ganz ebenſo aber kommt auch bei Bezug der 
Urteile auf verſchiedene Teile eines materiell ein⸗ 
heitlichen, prozeſſual unzerreißbaren Tatbeſtandes 
dem erſterlaſſenen die ausſchließliche Geltung zu. 
Gegenſtand der Urteilsfindung iſt nach § 263 
StPO. die in der Anklage bezeichnete Tat, wie 
fie ſich nach dem Ergebniſſe der Verhandlung 
darſtellt. „Die in der Anklage bezeichnete Tat“ 
bedeutet nicht lediglich die Tatumſtände, die in 
der Klage angeführt ſind, wie nach der geſetzlichen 
Bezugnahme auf das Verhandlungsergebnis ohne 
weiteres klar iſt. Vielmehr iſt „Tat“ der geſchicht⸗ 
liche Vorgang, auf Grund deſſen die Klage er⸗ 
hoben wurde, einerlei, ob er in der Klage voll⸗ 
ſtaͤndig und getreu oder mehr oder minder 
unvollkommen, von dem wirklichen Sachverhalte 
abweichend, tatſächlich ſubſtantiiert iſt. Vgl. Löwe⸗ 
Hellweg, Kommentar zu § 263 StPO. Bem. 2; 
Berner, Der Grundſatz des ne bis in idem im 
Strafprozeß S. 51; Lang, Rechtshängigkeit im 
Strafverfahren (1910) S. 42. Da ſehr häufig 
erſt im weiteren Verlauf des Prozeſſes, insbeſondere 
in der Hauptverhandlung, das wahre Tatbild zu: 
tage tritt, ſo wäre ja auch der Kläger vielfach 
gar nicht imſtande, ſchon in der Klage die wirt: 
liche Tatgeſtaltung in allen Punkten getreu wieder: 
zugeben. Die Identität der Tat in dieſem Sinne, 
d. h. die Einheit des individuellen geſchichtlichen 
Faktums, iſt für Rechtshängigkeits- und Rechts⸗ 


Zu dieſem Zwecke 


\ 


5 


kraftswirkung entſcheidend. Vgl. Ullmann, Lehr: 
buch des Strafprozeſſes S. 492, 629; v. Kries, 
Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 568, 599; Bennecke⸗ 
Beling, Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 412 f.; 
Lang, Rechtshängigkeit S. 64. Es dürfen nicht 
mehrere Prozeſſe über dieſe eine Tat nebeneinander 
herlaufen. Es kann nicht über dieſelbe mehrfach 
rechtskräftig entſchieden werden. Die Strafklage 
aus dieſer Tat iſt unteilbar. Das Inſtitut des 
Teilurteils iſt dem Strafprozeß völlig fremd. 

Das Strafurteil erkennt immer über dieſe in 
der Klage bezeichnete Tat im Ganzen, nicht nur 
über beſtimmte Tatbeſtandteile, nicht nur über 
beſtimmte in der Tat etwa enthaltene Verbrechens⸗ 
formen. Die Entſcheidung ergreift die Tat unter 
den Geſichtspunkten des Vorſatzes, der Fahrläſſig⸗ 
keit, der Vollendung, des Verſuchs, der Täterſchaft, 
Anſtiftung, Beihilfe, der Idealkonkurrenz, der 
Deliktsfortſetzung uſw. Erneuerung der Klage iſt 
in keiner dieſer Richtungen möglich. Ging die 
Klage auf vollendetes Delikt und der Angeklagte 
wurde freigeſprochen, ſo kann nicht wegen Verſuchs 
neu geklagt werden uſw. Vielmehr hätte bei An⸗ 
nahme des Verſuchs aus dieſem Grunde verurteilt 
werden müſſen. Hat das Urteil Deliktseinheit 
angenommen, ſo iſt nicht Neuklage zuläſſig, um 
ſtatt jener Idealkonkurrenz zur Feſtſtellung zu 
bringen; Bennede-Beling S. 413. 

Demgemäß bedeutet die Freiſprechung, daß 
aus dem Klagfundament, dem in der Klage be⸗ 
zeichneten geſchichtlichen Vorgang, ein irgendwelcher 
Strafanſpruch nicht erwachſen ſei, die Verurteilung, 
daß nur der feſtgeſtellte Strafanſpruch beſtehe. 

Für dieſe Wirkung des rechtskräftigen Urteils 
begründet es keinen Unterſchied, ob der Richter 
alle einzelnen Momente der Tat und unter allen 
in Betracht kommenden rechtlichen Geſichtspunkten 
wirklich gewürdigt hat oder nicht, ob er nach dem 
Verhandlungsergebnis zu dieſer erſchöpfenden Be⸗ 
urteilung überhaupt in der Lage war oder be⸗ 
ſtimmte rechtserhebliche Seiten der Klagtat nicht 
zu ſeiner Kognition gekommen ſind. Vgl. RG. 
3. StrSEntſch. Bd. 9 S. 347: „Die rechtskräftige 
Verurteilung umfaßt die Tat in ihrer Geſamtheit, 
in allen ihren rechtlichen und tatſächlichen Er— 
ſcheinungsformen, gleichviel ob ſie im Urteile 
berückſichtigt ſind oder nicht, und welches der 
Grund iſt, aus welchem letzteren Falles ihre Be— 
rückſichtigung unterblieben iſt.“ Es kann insbeſondere 
nicht eine Nachklage erhoben werden, um beſtimmte 
in der Verhandlung nicht zum Vorſchein gekommene, 
im Urteil nicht gewürdigte Tatumſtände, die ge: 
eignet wären, einen Strafanſpruch zu ſtützen, zur 
nachträglichen Aburteilung zu bringen. Bennecke— 
Beling S. 413. Erſtreckte ſich ein Delikt, z. B. 
ein Diebſtahl, in Wahrheit auf weitere Gegen— 
ſtände, als nach der Verhandlung anzunehmen 
war, ſo bewendet es doch bei der einmal rechts— 
kräftig gewordenen Verurteilung. Freiſprechung, 
ohne daß für ein ergänzendes, berichtigendes Nach— 


Zeitſchrift ine Rechtspflege in Bayern. l Ir 1. 


tragsurteil Raum wäre. Demgemäß ſchließt insbeſondere mit Verurteilung wegen fortgeſetzter 
Verurteilung wegen Defraudation aus, den Täter Defraude alle vor dem Urteil liegenden, in der 
noch zuſätzlich im Hinblick auf weitere, in der nämlichen Handlungsreihe mitbefaßten Defrau— 
einen einheitlichen Tat mitbegriffene Defraudations- dationsakte erledigt, auch wenn fie in der Ber: 
akte zu verurteilen. Zu demſelben 1 führt handlung nicht zum Vorſchein gekommen waren. 
auch die materiellrechtliche Erwägung, daß für ein Können ſomit wegen einer einheitlichen Straf⸗ 
ſolches Zuſatzurteil geſetzentſprechende Strafbeſtim⸗ tat — mit ne e u ER 
mung unmöglich wäre, indem das StGB. in den zwei Strafurteile neben einander beſtehen, fo ergibt 
88 74 f. Mehrheit der Strafen und Nachtrags⸗ ſich ſchon wegen der Anfechtbarkeit durch Antrag 
urteile nur bei realer Konkurrenz, nie bei Delikts: auf gerichtliche Entſcheidung ohne weiteres auch die 
einheit anerkennt. gleiche Konkurrenz zweier Strafbeſcheide als unzu⸗ 

Mag unvollſtändige Aburteilung eines delik- läſſig. Jeder Strafbeſcheid gibt Urteilsanwart⸗ 
tiſchen Vorgangs auch im Einzelfalle bedauerlich ſchaft und iſt durch Urteil erſetzbar. Wie ſollte 
ſein, ſo läge doch in der Verletzung des ne bis das Geſetz den Verwaltungsbehörden die Befugnis 
in idem das weit größere Uebel. Vgl. RG. zu mehrfachen, konkurrierenden Entſcheidungen 
3. Str SEntſch. Bd. 9 S. 348: „Daß dabei tat: betreffs desſelben Tatbeſtandes gegeben haben, 
ſaͤchlich Einzelakte ſtraflos bleiben können, welche, während fie den Gerichten, deren Urteile doch auf 
waren ſie bei Erteilung des Strafurteils bekannt Verlangen den Beſcheiden ſubſtituierbar ſind, fehlte? 
geweſen, bei der Strafabmeſſung zu Ungunſten Das völlig Widerſprechende ſolcher Annahme liegt 
des Angeklagten Einfluß geäußert haben würden, auf der Hand. Es gibt wie nicht Teil-Straf⸗ 
iſt nicht zu bezweifeln, kann aber gegenüber dem urteile, jo nicht Teil⸗Strafbeſcheide. 


Grundſatz, daß wegen einer bereits rechtskräftig Die Strafbeſcheide (und Strafverfügungen) find 
abgeurteilten Tat eine nochmalige Strafverurteilung wie die FR au en 
ſchlechterdings unterbleiben ſoll, nicht in Betracht auf Grund einer mehr oder minder ſummariſchen, 
gelangen.“ Höhere rechtspolitiſche Rückſichten, jedenfalls dem ordentlichen Verfahrensgange gegen: 
die Erlangung definitiver Rechtsgewißheit durch über vereinfachten Vorprüfung. Daher der zunächſt 
Abſchneidung weiterer Prozeſſe über denſelben proviſoriſche Charakter der Entſcheidung, die erſt 
Gegenſtand, die Erhaltung der Einheit und des durch Nichtgebrauch der geſetzlichen Anfehtungs: 
Anſehens der Strafjuſtiz, ſtehen dem Verſuche mittel definitive Bedeutung erlangt. Das Straf— 
5 Korrektur rechtskräftig gewordenen Urteils beſcheids⸗ (und Strafverfügungs⸗) Verfahren hat 

m Wege. wegen des Fortbeſtehens landesgeſetzlicher Zuftändig: 

Es iſt die Pflicht der Strafbehörden, die in: keit ($ 6 Abi. 2 Ziff. 3 EG. zu SIPO.) in der 
kriminierte Tat nach beſten Kräften allſeitig zu St. nicht die gleiche abſchließende Regelung 
erforſchen. Die Unterſuchung und Entſcheidung | erfahren wie das Strafbefehlsverfahren. Bei der 
erſtreckt ſich nur auf die in der Klage bezeichnete gleichwertigen Bedeutung beider Entſcheidungs⸗ 
Tat, $ 153 StPO., auf dieſe aber auch ganz | arten aber kann die Analogie des Strafbefehls 
und ungeteilt. Sit aber die Kognition — ver: zur Ergänzung von Lücken in der Normierung 


meidlicher oder unvermeidlicher Weiſe — unvoll: des Strafbeſcheidsverfahrens dienen. So iſt ins— 
ſtändig geblieben, ſo liegt doch in dem rechtskräftig | beſondere der wichtige Grundſatz des $ 450 StPO.: 
gewordenen Urteil das definitive Prozeßergebnis. „Ein Strafbefehl, gegen welchen nicht rechtzeitig 
an dem nicht mehr zu rütteln iſt. | Einſpruch erhoben worden iſt, 1 Wirkung 
m Falle des fortgeſetzten Delikts ergreift die eines rechtskräftigen Urteils auf Strafbeſcheide 
. des Urteil on dem Urteil N (und Strafverfügungen) zu übertragen, ſoweit nicht 
Einzelakte, auch wenn ſie in der Verhandlung etwa landesgeſetzliche Beſtimmung entgegenſteht. 
n 9 iat; : Uebereinſtimmend Löwe-Hellweg zu Buch II Ab: 
nicht berührt wurden. Vgl. Lang, Rechtshängigkeit it 1 S 8 29 5 gr 
im Strafverfahren S. 60; Bennecke-Beling S. 413, ſchnit 1 . gl. auch v. Kries, 
414. Dem Rechtskraftsprinzip entipricht es, dies Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 597. 
gleichmäßig für Verurteilung und Freiſprechung Die Theorie nimmt ganz überwiegend an, daß 
gelten zu laſſen. In der erſteren Hinſicht iſt auch durch den Erlaß eines — mit Einſpruch 
dieſe Wirkung von der konſtanten Rechtſprechung nicht angefochtenen — Strafbefehls die Straf— 
des Reichsgerichts auch anerkannt, während für klage konſumiert werde und daher wegen der: 
den Fall der Freiſprechung das Reichsgericht in- ſelben Tat weder ein weiterer Strafbefehl, noch 
ſofern diſſentiert, als Neuklage zugelaſſen wird ein Urteil mehr ergehen könne. Vgl. beſonders 
im Hinblick auf Fälle, die von der Verhandlung v. Kries Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 596 f.; 
nicht umfaßt waren lentſprechend 2. StrSEntſch. Berner, Grundſatz des ne bis in idem S. 46f.; 
Bd. 24 S. 419 f.). Das Urteil ſelbſt ergibt Friedländer in der Zeitſchrift f. d. geſamte Straf— 
eine juriſtiſche Zaͤſur, jo daß nachher noch hinzu- rechtswiſſenſchaft Bd. 18 S. 690 f. Auch iſt nicht 
tretende Tatakte unter dem Geſichtspunkte neuen zu leugnen, daß dieſe Urteilswirkung des Straf— 
Delikts eine neue Klage begründen. Hiernach ſind befehles in dem allgemeinen Wortlaute des § 450 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 7 


mit enthalten iſt, während es für eine einſchrän⸗ betr. das Verwaltungsſtrafverfahren bei Zuwider⸗ 
kende Auslegung am geſetzlichen Anhalte fehlt und handlungen gegen die Zollgeſetze ausdrücklich und 
innere Gründe ihr nicht zur Seite, ſondern ent⸗ unzweideutig die volle Rechtskraſtswirkung aner⸗ 
gegen ſtehen. Ueberall ſonſt verbindet ſich in der kannt: „Ein vollſtreckbarer Strafbeſcheid oder 
StPO. mit der Vollſtreckbarkeit gerichtlichen Ent: Beſchwerdebeſcheid hat die Wirkung eines rechts⸗ 
ſcheids der Schutz des Betroffenen gegen aber⸗ kräftigen Urteils, insbeſondere findet wegen der⸗ 
malige Verfolgung wegen derſelben Tat. Es kann ſelben Tat eine fernere Anſchuldigung nicht ſtatt, 
beim Strafbefehl nicht anders ſein. Allerdings wenn nicht die Tat eine ſtrafbare Handlung dar— 
hat das Reichsgericht den Verbrauch der Straf: ſtellt, zu deren Beſtrafung die Verwaltungsbehörden 
klage inſofern verneint, als eine neue Verfolgung nicht zuſtändig find“. Alſo nicht einmal die Ein: 
durch öffentliche Klage unter einem im Straf: ſchränkung iſt akzepiert, die das Reichsgericht der 
befehl noch nicht gewürdigten, eine erhöhte Straf- Rechtskraftwirkung des Strafbefehls gegeben hat! 
barkeit begründenden Geſichtspunkte zugelaſſen Auch unter dem Geſichtspunkte erhöhter Straf: 
werden müſſe; 4. StrSEntſch. Bd. 14 S. 358, barkeit wird — und mit vollem Rechte — neue 
1. StrSEntſch. Bd. 28 S. 83. Doch iſt der Verfolgung an ſich ausgeſchloſſen, es müßte denn 
maßgebende Grund, daß der den Strafbefehl er⸗ das adminiſtrative Strafverfahren unzuläſſig 
laſſende Richter nicht in der Lage ſei, die Tat, geweſen ſein. Die hinzugefügte Ausnahme iſt im 
wie es nach $ 263 in der Hauptverhandlung zu Grunde ſelbſtverſtändlich. Denn mit der ſachlichen 
geſchehen habe, nach allen Richtungen hin zu Zuſtändigkeit fehlt den Verwaltungsbehörden die 
prüfen, ſchon deshalb nicht beweiskräftig, da die Vollmacht zum Erlaſſe von Strafbeſcheiden. Ein 
StPO. ſelbſt in den $8 172, 210 erkennen läßt, ohne Vollmacht ergangener Strafbeſcheid aber kann 
daß die Rechtskraſtswirkung eines Entſcheids mit der geſetzmäßigen Strafverfolgung gegen den Täter 
dem nn vorgängiger Bee nicht im Wege ftehen. 

nicht notwendig zuſammenhängt (vgl. auch 5 452 Es hat denn auch unter ganz analogen recht: 
StPO., wo die Verhandlung nur in der Ein lichen Vorausſetzungen — im Hinblick auf Straf: 
ſpruchsverwerfung beſteht und das verwerfende beſtimmungen des Schaumweinſteuergeſetzes vom 
Urteil doch zweifellos die volle Rechtskraftswirkung 9. Mai 1902 — das Reichsgericht 4. StS. Entſch. 
erlangt). Die Einſchränkung bringt eine Wert: Bd. 37 S. 427 ausgeſprochen, daß der im geord— 
minderung des Strafbefehlsverfahrens mit ſich, neten Verwaltungsverfahren ergangene rechtskräftige 
das nun feine Junktion, unter Vermeidung des Strajbeſcheid des Hauptzollamts in feiner prozeſ⸗ 
lungſamen Prozeßwegs die Strafſache zu baldigem ſualen den Strafanſpruch des Staates tilgenden 
A u au oe ne Wirkung einem gerichtlichen Strafurteil gleichſtehe. 
ELLE One neo, DIEBE SO IN ra Daß ein bei der höchſten Verwaltungsſpitze 


beftimmte Strafe dem Zäter auf die neu erkannte mit Beſchwerde angefochtener, von jener beſtätigter 


Strafe angerechnet werden, eine Operation. die f 
im einzelnen mangels aller geſetzlichen Beſtim⸗ = 1 0 1 ſch 1 
mungen zu nicht überwindlichen Schwierigkeiten ſcheinlich. Die Ni ter Abu Der dende ber 
führte. Doch iſt weitere Kritik überflüſſig, i 9 ’ 


denn auch das Reichsgericht hat einen zweiten Verzicht auf Nachprüfung kann aber im Hinblick 
Strafbefehl wegen derſelben Tat niemals für zu: auf die Konſumtion der Strafklage nicht anders 
läſſig erklärt und einem berichtigenden Urteil eden wirken als die erfolgte Nachprüfung. 
nur Raum gegeben, um höhere als die im Straf— Dieſe Erwägungen auf den vorliegenden Tat— 
befehl angenommene Strafbarkeit der Tat zur beſtand angewandt, ergeben, daß der zweite Straf— 
Geltung zu bringen. Daß nicht ein neuer Strafbefehl beſcheid vom 7. Mai 1910 rechtlich unzuläſſig 
oder ein Urteil den Strafbefehl durch Feſtſtellung war, wie auch ein Urteil in gleichem Sinne nicht 
weiterer, erhöhte geſetzliche Strafbarkeit nicht er⸗ hätte ergehen können. Denn dieſer Beſcheid bezieht 
gebender Objekte oder Akte der einen einheitlichen ſich auf Tatakte einer in vollſter Bedeutung oder 
Tat ergänzen kann, darüber herrſcht in Theorie doch im Sinne fortgeſetzten Delikts einheitlichen De— 
und Praxis volle Uebereinſtimmung. Dieſe Un: fraudation, die dem Erlaſſe des erſten Strafbeſcheids 
zuläſſigkeit gilt in gleichen Maße auch dann, vorangegangen waren. Die Pflicht des Angeſchul— 
wenn die weiter anzunehmenden, dem Strafbefehl digten ging einheitlich dahin, alle nachzollpflichtigen 
vorangegangenen Tatakte ſich mit den in ihm Kaffeevorräte, mochten ſie am 1. Auguſt 1909 
feſtgeſtellten zu fortgeſetztem Delikt — zu dieſer bereits in ſeinem Beſitze geweſen ſein oder nicht, 
beſondern Form der Deliktseinheit — verbinden zur Nachverzollung zu bringen in Wahrung der 
würden. in der Nachverzollungsordnung enthaltenen Friſt— 
Ganz die gleiche Konſumtionskraft eignet dem beſtimmungen. Die Verletzung dieſer Pflicht lag 
Strafbeſcheid, es müßte denn etwa das Landes- nach den tatſächlichen Annahmen der Strafbeſcheide 
recht abweichend beſtimmt haben. Das iſt in in der unvollſtändigen Deklaration vom 5. Auguſt 
Preußen nicht nur nicht geſchehen, vielmehr iſt | und in der Unterlaſſung ihrer alsbaldigen 
im $ 53 des preuß. Geſ. vom 26. Juli 1897 Ergänzung im Hinblick auf die erſt nach dem 


—— — — 


8 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


dem — — — — 


1. Auguſt in den Beſitz des Angeſchuldigten 
gelangten Vorräte. Die dem Strafbeſcheide vom 
15. November 1909 vorhergehende Unterſuchung 
bezog ſich auf alle etwaigen Lücken der Deklaration 
und damit auf die etwa verübte Defraudation in 
ihrem vollen Umfange, nicht konnte ſie die beſchränkte 
Aufgabe haben, lediglich beſtimmte einzelne Seiten 
des Tatbeſtandes zu erforſchen. Die ganze Struktur 
des Verfahrens im preuß. Geſetze vom 26. Juli 
1897 läßt nicht den geringſten Zweifel darüber, 
daß die Unterſuchung den Tatbeſtand im ganzen, 
den geſamten erheblichen Sachverhalt (vgl. 8 24 
Abſ. 2 und 3 des Geſetzes) feſtzuſtellen beſtimmt 
iſt und daß der Unterſchied von einer Unterſuchung 
durch die Staatsanwaltſchaft oder das Gericht 
nicht in Beſchränkungen des Feſtſtellungsgegen⸗ 
ſtandes, ſondern lediglich in der abgekürzten, mehr 
ſummariſchen Art der Prüfung liegt. Die gleiche 
Tragweite, wie der Unterſuchung, kommt dem 
Strafbeſcheide ſelbſt zu, er war beſtimmt und konnte 
nur beſtimmt ſein, das Defraudationsdelikt im 
ganzen, nicht nur betreffs einzelner Defraudations⸗ 
objekte oder Defraudationsakte, zu treffen. Vgl. 
dazu auch die zit. Entſch. des RG. Bd. 37 S. 428. 
Ließ die Unterſuchung Lücken und blieb demgemäß 
der Strafbeſcheid materiell unvollſtändig, ſo muß 
dieſer Mangel in Anerkennung und Wahrung 
des Rechtskraftsprinzips eben hingenommen werden, 
genau ſo wie es im eigentlichen Strafverfahren 
der Fall wäre, und kann zu einem ergänzenden 
Strafbeſcheid jo wenig Anlaß geben, als ein ent: 
ſprechendes Urteil noch erwirkt werden könnte. 
Selbſtverſtändlich behält der Fiskus bis zum Ab⸗ 
laufe der bezüglichen Verjährungsfriſt (8 164 Abſ. 2 
Ver3G.) den Anſpruch auf den weiter zu ent⸗ 
richtenden Nachzoll; Geldſtrafe aber und Einziehung 
wegen ferner anzunehmender Defraudationsakte 
fallen weg. Mag auch vom fiskaliſchen Stand⸗ 
punkte aus dieſes Ergebnis bedauert werden, ſo 
bleibt doch zu bedenken, daß dem Rechtskraftsprinzip 
unter Umſtänden noch weit wichtigere Intereſſen 
zum Opfer fallen, daß aus dieſem Grunde vielleicht 
ſchwere Delikte gegen die Perſon, gegen den Staat 
ꝛc. x. keine oder nur ungenügende Sühnung 
erfahren. Die Aufſtellung des Prinzips iſt eben 
das Ergebnis einer Intereſſen⸗Abwägung. Der 
Geſetzgeber hat zur Erhaltung der Rechtsſicherheit 
und des Anſehens der Strafentſcheidungen die 
mögliche Verletzung anderer an ſich voll bedeut⸗ 
ſamer Intereſſen bewußt in Kauf genommen. 
Der Umſtand, daß die Strafhöhe von der 
Quantität des Objekts, in bezug auf welche die 
Hinterziehung begangen iſt, abhängt — 8 135 
Ver 3G. —, iſt außerſtande, eine Abweichung 
von dem Grundſatze ne bis in idem inſoweit zu 
begründen, als es ſich um eine noch nicht zum 
Gegenſtand der Aburteilung gemachte Quantität 
handelt. „Iſt eine Tat rechtskräftig abgeurteilt, 
ſo kann die Tatſache, daß ſich danach herausſtellt, 


ſie habe ein größeres Objekt gehabt, als bei der 


Aburteilung angenommen wurde, und daß bei 
Kenntnis des Richters hiervon eine höhere Strafe 
zu verhängen geweſen wäre, keinen Grund bilden, 
eine abermalige Aburteilung derſelben zu ermög⸗ 
lichen“; ſo RG. a. a. O. Bd. 37 S. 429. 


Hätte der Angeſchuldigte den zweiten Straf⸗ 
beſcheid mit Antrag auf gerichtliche Entſcheidung 
angefochten, ſo wäre damit ein Anſpruch nicht 
auf Aufhebung des Strafbeſcheids, vielmehr auf 
Verhandlung und Entſcheidung betreffs der in 
ihm bezeichneten Tat geltend gemacht worden. Nur 
in dem Falle des 8 458 StBO. ſteht dem Richter 
die Aufhebung einer Strafverfügung zu, während 
von Aufhebung eines Strafbeſcheides im Geſetze 
überhaupt nicht die Rede iſt. Vgl. Oetker, Straf⸗ 
prozeßbegründung und Strafklagerhebung (1900) 
S. 54, 55. Aber nachdem die Verhandlung die 
Verletzung des ne bis in idem durch den Erlaß 
des zweiten Strafbeſcheides ergeben hätte, wäre 
unter Deklarierung der Ungültigkeit dieſes Beſcheids 
das Einſtellungsurteil wegen Unzuläſſigkeit eines 
weiteren Strafverfahrens zu erlaſſen geweſen. 


Das im Geſetze zur Wahl geſtellte anderweite 
Anfechtungsmittel, die vom Angeſchuldigten er⸗ 
griffene Beſchwerde, äußert inſofern ganz gleiche 
Wirkung, als ſie die höhere Inſtanz zur Prüfung 
der Rechtsgültigkeit des zweiten Strafbeſcheidsver⸗ 
fahrens, wie ein Gericht, legitimiert und verpflichtet. 
Es hat nur dieſe Inſtanz in ihrem Rechte, die 
verwirkte Strafe aus Billigkeitsrückſichten zu er⸗ 
mäßigen oder nachzulaſſen (Preußiſcher Allerhöchſter 
Erlaß vom 26. September 1897) — eine Be⸗ 
fugnis, zu deren Gebrauch auch erhebliche, wenn 
auch nicht für ausſchlaggebend erachtete Zweifel 
an der rechtlichen Zulaͤſſigkeit der Beſtrafung 
legitimieren würden —, eine viel weitergehende 
Vollmacht als der Richter, aber ſie übt als rechts⸗ 
anwendende Behörde auch deſſen Vollmacht aus 
mit allen daraus ſich ergebenden Rechten und 
Pflichten. Selbſt an die Rechtsnormen des Ver⸗ 
fahrens gebunden, hat ſie auch zu prüfen, ob dieſe 
im Verfahren der unteren Inſtanz beobachtet 
worden ſind, ob nicht insbeſondere der angefochtene 
Strafbeſcheid auf einer Verletzung des § 53 des 
preuß. Geſetzes vom 26. Juli 1897 beruht. Poten⸗ 
ziert iſt ihre Stellung dem Richter gegenüber 
wieder inſofern, als ſie vorgeſetzte Behörde iſt 
gegenüber dem Urheber des Strafbeſcheids und 
daher wie zur Beitätigung und Berichtigung, ſo 
auch zur Aufhebung des letzteren in der Lage iſt. 
Die Verletzung des ne bis in idem durch den 
Erlaß des zweiten auf ſchon rechtskräftig. — in 
gleicher Form — erledigte Tat bezüglichen Straf: 
beſcheids begründet daher deſſen Aufhebung. 


gie bean von Amortiſationshypo⸗ 
theken einer Nun rt in Anrerhuung 
auf den Kaufpreis. 


Von Juſtizrat Dr. Oberned, 
Rechtsanwalt und Notar in Berlin. 
Dem Praktiker begegnen ſehr häufig Grund⸗ 
ſtückskaufverträge, in denen der Käufer in An: 
rechnung auf den Kaufpreis auf dem Grundſtücke 


Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. Dil, Nr. 1. 9 


der Eigentümer nicht gewechſelt hat, jo iſt in 


Höhe dieſer Summe die Hypothek als Eigentümer⸗ 
grundſchuld auf den Eigentümer übergegangen. 
Dieſe hat jedoch die Rangſtellung hinter der Reſt⸗ 
hypothek der Hypothekenbank ($ 1176 BGB). 


Hierbei iſt aber wohl zu beachten, daß der $ 1177 
Abſ. 1 Satz 2 BGB., wonach in Anſehung der 


ruhende Hypotheken einer Hypothekenbank als 


Selbſtſchuldner übernimmt. Meiſt ſind dieſe 
Hypotheken Amortiſationshypotheken, d. h. ſolche, 
bei denen die planmäßige Tilgung durch Tilgungs⸗ 
beiträge in Form von Zuſchüſſen zu den Zinſen 
entrichtet werden und zwar ſind dieſe ohne Rück⸗ 
ſicht auf die allmähliche Amortiſation unverkürzt 
von der urſprünglichen Kapitalſumme bis zu ihrer 
vollſtändigen Tilgung zu entrichten. Wenn bei⸗ 
ſpielsweiſe ein Tilgungsdarlehen von 90 000 M 
gegeben und ee wird, daß für die erſten 

2 Jahre 4% z. B. vom 1. Juli 1911 bis 
1 e 1912 und für die Zeit vom 1. Ja⸗ 


Verzinslichkeit, des Zinsſatzes, der Zahlungszeit, 
der Kündigung und des Zahlungsortes die für 
die Forderung getroffenen Beſtimmungen maß⸗ 
gebend find, nicht ohne weiteres anwendbar iſt. 
Was die Verzinslichkeit betrifft, ſo ſind die Zinſen 


bei derartigen Amortiſationshypotheken, wie bereits 
oben dargelegt iſt, bis zur Beendigung der Til⸗ 


gungsperiode ohne Rückſicht auf die ſtattfindende 


Amortiſation von dem urſprünglichen Nominal⸗ 


kapital in voller Höhe zu zahlen, ſo daß dieſe 


Jahreszahlungen ſich bis zur vollſtändigen Kapitals⸗ 
tilgung immer gleich bleiben und an die Hypo⸗ 


nuar 1912 4½¼ %, letztere in der Weile au zahlen 


find, daß von dieſer Jahreszahlung // des 
Kapitals als Amortiſationsquote und 3% % als 


Kapitalszinſen zu entrichten find, Jo würden dieſe 


Jahreszahlungen in der Weiſe verrechnet werden, 
daß das Kapital durch die Amortiſationsquote von 
„% zunuglic der erſparten Zinſen in 58/ 
Jahren vom 1. Januar 1912 ab gerechnet amor⸗ 
tiſiert würde, wobei auf das letzte halbe Jahr 
nicht mehr die volle Geſamtrate entfällt. Der 
Stand des Amortiſationskontos läßt ſich in fol⸗ 
gender Weiſe berechnen: 


Darlehenskapital M 90 000. — 
Zinſen 3¾% . 1 3375.— 
Amortiſation % 1 450.— 
a M 3825.— 
a a; 3 4 | a 
am | Amortis | Erfparte || Summe Amortiſiert 
31. De⸗J ſatlon | Zinſen [von 2 u. 3 ne ſind 
1 rar e 
1912 | 450 - — — 450 —89 550 — 450 — 
1913 | 450 — 16 90 u u aße 083 u 916 90 
1921 450 | — 176 | ee 7034 6595 5340 50 


Eine 88 1 die Gläubigerin iſt 
bei einer ſolchen Tilgungshypothek in der Regel 
ausgeſchloſſen (vgl. $ 19 des Hyp BG. vom 13. Juli 
1899). 


Geſetzes eine Eigentümergrundſchuld zugunſten 
des zahlenden Eigentümers (vgl. darüber Oberneck, 
Grundbuchrecht, 4. Auflage II 244). Nach dem 
obigen Beiſpiele würde vom 1. Januar 1912 bis 
31. Dezember 1921 der Betrag von 5340 M 50 Pf. 
amortiſiert ſein, und wenn innerhalb dieſer Zeit 


Durch die Zahlung der Amortiſations- 
beiträge entſteht in Höhe des getilgten Teiles kraft, 


i 


Ä 


thekenbank als urſprüngliche Gläubigerin zu zahlen 
ſind. Daraus folgt, daß die aus den Tilgungs⸗ 
beiträgen entſtandene Eigentümergrundſchuld un⸗ 
verzinslich iſt. Hinſichtlich der Kündigungs⸗ 
bedingungen und der Zahlungszeit können die 
für die Forderungen getroffenen Beſtimmungen 
ebenfalls nicht entſcheiden, da bei den Amorti⸗ 
ſationshypotheken zugunſten der Hypothekenbank 
ein Kündigungsrecht in der Regel nicht bedungen 
5 darf ($ 19 HypBG.). Die Amortiſations⸗ 
| Enbotbet iſt alſo für die Bank unkündbar, 
während dem Schuldner gemäß 88 18, 21 
Hyp BG. ein Kündigungsrecht zuſteht, das jedoch 
bis zu einem Zeitraum von 10 Jahren, beginnend 
mit der Auszahlung des Darlehns und im Falle 
der Auszahlung in Teilen mit der letzten Zahlung 
ausgeſchloſſen werden kann; auch darf die Kündi⸗ 
gungsfriſt 9 Monate nicht überſchreiten. Ferner 
kann das Recht des Schuldners nach § 21 a. a. O. 
zur teilweiſen Rückzahlung der Hypothek bei Amorti⸗ 
ſatkionshypotheken in der Weiſe beſchränkt werden, 
daß eine Zahlung — abgeſehen von der Aus⸗ 
nahme in Satz 2 des § 21 a. a. O. — von der 


Bank nur angenommen zu werden braucht, wenn 


die Zahlung dazu beſtimmt und geeignet iſt, die 
Tilgungszeit unter Beibehaltung der bisherigen 


Höhe der Jahresleiſtungen um ein Jahr oder nm 


mehrere Jahre abzukürzen. Alle dieſe Beſtim⸗ 
mungen über die Kündigung paſſen daher nicht 
für die aus den Tilgungsbeiträgen entſtandenen 
Eigentümergrundſchulden, weil ſie in unmittel⸗ 
barem Zuſammenhange mit dem bei der Begrün⸗ 
dung der Amortiſationshypothek aufgeſtellten Til⸗ 
gungsplan ſtehen und durch dieſen bedingt find. 
Aus dieſem Grunde kann auch nicht davon die 


Rede ſein. daß die Eigentümergrundſchuld etwa 
erſt mit Ablauf der Tilgungsperiode, alſo in dem 


obigen Beiſpiel erſt 1970 getilgt zu werden 
braucht. Dieſe Art der allmaͤhlichen Tilgung bei 
Amortiſationskapitalien paßt auf das zur Eigen— 
tümergrundſchuld gewordene Teilkapital ſchon des: 


10 


halb nicht, weil dieſes bereits amortifiert iſt und 
für die Tilgung dieſer Eigentümergrundſchuld 
Tilgungsbeiträge nicht vorhanden find, da dieſe 
zur Tilgung der noch übrigen Amortiſations⸗ 
hypothek dienen. Auch die Vereinbarung über 
den Zahlungsort der zu amortiſierenden Dar⸗ 
lehnsforderung paßt nicht für die daraus ent⸗ 
ſtandene Eigentümergrundſchuld, weil die auf die 
Amortiſationshypothek zu leiſtenden Zahlungen in 
der Regel an der Kaſſe der Hypothekenbank oder 
an der von dieſer bekannt zu machenden Stelle er⸗ 
folgen. Es iſt natürlich ausgeſchloſſen, daß 
die Kaſſe für den Eigentümer, der einen Teil 
der Hypothek als Eigentümergrundſchuld erworben 
hat, und durch Verkauf ſeines Grundſtücks nun: 
mehr Grundſchuldglaͤubiger geworden iſt, Zahlungen 
auf dieſe Grundſchuld für ihn in Empfang 
nimmt. 

Aus dieſer Darlegung ergibt ſich, daß die aus 
dem amortiſierten Kapital entſtandene Eigentümer⸗ 
grundſchuld im Augenblick ihrer Verwandlung in 


belaſteten Grundſtücks nur den Vorſchriften der 
83 1191 ff. BGB. unterliegt. 
dem Kaufvertrage über die Verzinſung der Eigen: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


| 
| 


| 


. 


| 


Nr. 1. 


unter den im nachfolgenden § näher bezeich⸗ 
neten Bedingungen Hypothek beſtellt. 


Es findet ſich dann noch vielfach eine Vertrags⸗ 
beſtimmung, wonach die Beteiligten darüber einig 
ſind, daß, ſoweit die übernommene Hypothek 
amortiſiert iſt, der bei der Gläubigerin angeſammelte 
Amortiſationsfond dem Verkäufer verbleibt und 
gebührt. Eine ſolche Vereinbarung iſt jedoch zur 
Klarſtellung und Regelung der Rechtsverhältniſſe 
zwiſchen Verkäuſer und Käufer in keiner Weiſe 
ausreichend. Die Beſtimmung, daß der bei der 
Gläubigerin angeſammelte Amortiſationsſond dem 
Verkäufer verbleibt, trifft nicht den Kern der 
Sache, weil ein ſolcher Amortiſationsfond bei 
Privathypothekenbanken rechtlich gar nicht beſteht, 
vielmehr, ſoweit die Hypothek amortiſiert iſt, in 
Höhe der zur Tilgung verwendeten Beiträge un⸗ 


mittelbar mit dieſer Verwendung kraft Geſetzes 


eine Eigentümergrundſchuld entſtanden iſt. Die 
getroffene Beſtimmung über den angeblich ange⸗ 


. ſammelten Amortiſationsfond würde zunächſt nur 
eine Glaubigergrundſchuld durch Verkauf des die Auffaſſung zulaſſen, daß in Höhe dieſes Bes 


trages eine Grundſchuld für den Eigentümer ent⸗ 


Iſt daher in ſtanden iſt, es ſei denn, daß aus beſonderen 


Tatſachen nachweisbar eine andere Auslegung 


tümergrundſchuld, über deren Kündigung und Platz greifen könnte (ſiehe darüber unten S. 11). 
Verfallzeit nichts vorgeſehen, jo treten die geſetz: Die weitere Beſtimmung, daß die für die Hypo⸗ 
lichen Beſtimmungen ein. Mangels einer bejon: thekenbank eingetragene Hypothek in voller Höhe 


deren Vereinbarung iſt die Grundſchuld zinslos 
und das Kapital wird erſt nach vorhergehender 
Kündigung fällig, die ſowohl dem Eigentümer 
als dem Glaͤubiger zuſteht unter Innehaltung 
einer Kündigungsfriſt von 6 Monaten (88 1192, 
1193 BGB.); Zahlungsort iſt der Sitz des 
Grundbuchamts ($ 1194 BGB.; vgl. hierüber 
auch die Entſcheidung des KG. vom 2. Oktober 1908 
in den Blättern ſür Rechtspflege im Bezirk des 
Kammergerichts 1909 S. 26, 27; die in dieſem 
Urteil herangezogene Entſch. RG. 64, 215 paßt 
allerdings für den dortigen Tatbeſtand nicht). 

Vergegenwärtigt man ſich dieſen Charakter 
des vom Eigentümer amortiſierten Teiles der 
Tilgungshypothek als Grundſchuld, ſo ſind bei 
Abfaſſung des Kaufvertrages über das mit einer 
ſolchen Amortiſationshypothek belaſtete Grundſtück 
Beſtimmungen zu treffen, die nach meiner Er: 
fahrung häufig nicht beobachtet werden, was dann 
zu verwickelten Prozeſſen führt. 

In derartigen Kaufverträgen fand ich z. B. fol: 
gende Form über die Berichtigung des Kaufpreiſes: 


| 
| 


in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen 
werden ſoll, iſt ebenfalls irreführend, weil eine 
ſolche Hypothek in Höhe der urſprünglich einge⸗ 
tragenen Schuldſumme für die Hypothekenbank 
gar nicht mehr beſteht, die Belaſtung vielmehr geteilt 
iſt in eine Hypothek zugunſten der Bank in Höhe eines 
Betrages, der ſich unter Abzug des bereits amorti⸗ 
ſierten Teiles von dem Nominalbetrag ergibt, 
und in eine Eigentümergrundſchuld in Höhe des 
getilgten Teiles. Nach dem obigen Beiſpiel würde 
die Amortiſationshypothek nur noch im Betrage 
von 84 650.50 M beſtehen, dagegen der Reſt 
mit 5340.50 M eine Eigentümergrundſchuld ge: 
worden ſein und zwar eine unverzinsliche, die den 
allgemeinen Regeln der $$ 1192 ff. BGB. unter: 
worfen iſt, während für die 84 650.50 M Amor: 
tiſationshypothek die urſprünglichen Zins- und 
Zahlungsbedingungen aufrecht erhalten werden. 


Die Uebernahme der Amortiſationshypothek in 


voller Höhe in Anrechnung auf den Kaufpreis iſt 


b) Verkäufer erhält bei Auflaſſung Zug um 


Zug bar 
c) Käufer übernimmt in Anrechnung auf den 
Kaufpreis die zugunſten der Hypothekenbank 
auf dem Grundſtück haftende Hypothek von ... 
d) Das Reſtkaufgeld von wird geſtundet 
und für dieſes mit dem erkauften Grundſtück 


282 2 9906 e „ 


ſchulden, weil dieſe 


inſoweit ungültig, als darin auch die Uebernahme 
der Eigentümergrundſchuld enthalten iſt, denn der 
$ 416 BGB. findet nur Anwendung auf die Ueber— 
nahme einer Schuld, für die eine wirkliche Hypothek 
beſtellt iſt, dagegen nicht auf Grund- und Renten: 
als abſtrakte Grundſtücks— 
belaſtungen von einer perſönlichen Schuld unab— 
hängig find (vgl. Oberneck a. a. O. II 295). Die 
Uebernahme einer ſolchen Grundſchuld konnte nur 
in der Weiſe erfolgen, daß der Verkäufer mit 
dem Käufer vereinbarte, daß dieſe Grundſchuld 


in eine Hypothek für den vom Käufer zu zahlen: 
den und zu ſtundenden entiprechenden Teil des 
Kaufpreiſes umgewandelt wurde. Es könnte auch 
der Weg eingeſchlagen werden, daß der Käufer 
den bereits amortiſierten Teil der Hypothek an 
den Verkäufer zu zahlen hat, dieſer Teil des 
Kaufpreiſes wie das Reſtkaufgeld aber geſtundet 
wird und für dieſen geſamten Betrag mit dem 
erworbenen Grundſtück Hypothek beſtellt wird, 
während gleichzeitig (z. B. $ 16° GBO.) der 
Eigentümer zur Löſchung der Eigentümergrund: 
ſchuld verpflichtet wird, dieſe bewilligt und Ver⸗ 
käufer wie Käufer dieſe Löſchung beantragen. 
Geſchieht die Regelung nicht in der gedachten 
Weiſe, ſo kann der Käufer erheblich benachteiligt 
werden. Durch die Uebernahme der Amortiſations⸗ 
hypothek in Anrechnung auf den Kaufpreis wiegt 
er ſich in dem Glauben mit Rückſicht auf die 
Unkündbarkeit auch von der Rückzahlung des 
amortiſierten Teiles bis zur gänzlichen Tilgung 
der Amortiſationshypothek befreit zu ſein. In 
dieſem Glauben wird er noch dadurch beſtärkt, 
daß nach $ 1176 BGB. der getilgte Teilbetrag 


nicht zum Nachteil der bisherigen Gläubigerin 


geltend gemacht werden darf und ſomit der Ver⸗ 
käufer mit dem von ihm getilgten Teile der Poſt 
hinter den der Hypothekenbank verbleibenden zurück⸗ 
treten muß. Der Käufer nimmt gerade auf 
Grund des § 1176 BGB. an, daß der Verkäufer 
erſt nach Befriedigung der Forderung der Hypo⸗ 
thekenbank Zahlung des von dem Verkäufer als 
Eigentümer des Grundſtücks getilgten Betrages 
verlangen kann und zwar dann auch nur durch 
allmählige Tilgung in Form von Zinszuſchlägen. 
Dieſe Auffaſſung geht fehl, weil, wie oben hervor⸗ 
gehoben iſt, der $ 416 BGB. auf die Eigen: 
tümergrundſchuld und auf die Grundſchuld überhaupt 
nicht anwendbar iſt und die Uebernahme einer ſolchen 
in Anrechnung auf den Kaufpreis nichtig iſt. Es 
geht auch nicht an, in einer ſolchen Vertrags⸗ 
beſtimmung ohne weitere tatſächliche Unterlage 
eine Abrede dahin zu finden, daß die Eigentümer: 
grundſchuld in eine Hypothek umgewandelt worden 
iſt. Dieſe Auslegung ſcheitert ſchon daran, daß 
eine ſolche Umwandlung abgeſehen von der ding: 
lichen Einigung auch der Eintragung in das 
Grundbuch bedarf (83 1186, 1198, 1203 BGB.; 
Oberneck a. a. O. II S. 70); die Eintragung 
würde auch die vorhergehende oder gleichzeitige 
Umſchreibung der Grundſchuld auf den Eigentümer 
vorausſetzen (vgl. RG. 72, 274 Nr. 67). Die 
Folge dieſes Rechtsſtandpunktes iſt, daß der 
Verkäufer als ſpäterer Grundſchuld— 
gläubiger das getilgte Kapital nach 
vorhergehender ſechsmonatiger Kün⸗ 
digung gemäß $ 1193 BGB. im Wege 
der dinglichen Klage zurückfordern darf 
und der Käufer damit eine unliebſame Ueber— 
raſchung erfährt. Nur wenn der Erwerber den 
Nachweis erbringen kann, daß es für den Ab— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


ſchluß des Kaufvertrags weſentlich war, daß 
das Kaufgeld in Höhe des getilgten 
Teiles der Amortiſationshypothek nicht 
bar gezahlt werden, ſondern entſprechend 
dem Reſtkaufgelde geſtundet werden 
ſollte, würde der Verkäufer mit ſeiner 
dinglichen Klage auf Befriedigung der 
Grundſchuldſumme mit dem Einwande 
zurückgeſchlagen werden können, daß 
ihm nur das Recht zuſtände, durch Um— 
wandlung der beſtehenden Grundſchuld 
eine Hypothek in Höhe des von ihm ge⸗ 
tilgten Teiles der Amortiſationshypo⸗ 
thek zu den Bedingungen der Reſtkauf⸗ 
geldhypothek zu erhalten (ogl. RG. in 
Gruchot 31, 936; Oberneck a. a. O. II 313). 

Aber auch für den Verkäufer können 
Nachteile entſtehen. In der Annahme, daß der 
9 416 BGB. Anwendung findet, glaubt er ein 
perſönliches Forderungsrecht zu haben und ſtellt 
gegen den Käufer als ſpäteren Eigentümer nicht 
nur die dingliche, ſondern auch die perſönliche 
Klage an. Mit der perſönlichen Klage aber iſt 
er abzuweiſen, weil die Grundſchuld nicht in An⸗ 
rechnung auf den Kaufpreis übernommen werden 
Rund der Grundſchuldgläubiger nur Befriedigung 

aus dem Grundſtücke erlangen kann. 

Dringt der Gläubiger mit ſeiner dinglichen 
Klage durch, ſo geht die von dem Eigentümer 
gezahlte Grundſchuld gemäß $3 1163“, 1192 
BGB. auf den zahlenden Eigentümer über und 
er kann von dem Verkäufer und Grundſchuld— 
gläubiger Grundbuchberichtigung verlangen. 

Die Formulierung der Berichtigung des Kauf: 
preiſes könnte in dem hier beſprochenen Falle 
folgendermaßen gefaßt werden: 


a) Käufer zahlt bei Abſchluß des Vertrages 
bar 
b) Zug um Zug gegen die Auflaſſung bar... 
c) Käufer übernimmt die für die Hypotheken⸗ 
bank eingetragene Amortiſationshypothek nur 
in dem Betrage von als Selbſt⸗ 
ſchuldner in Anrechnung auf den Kaufpreis, 
der bereits amortiſierte Teil dieſer Hypothek 
von „der Eigentümergrundſchuld ges 
| worden ift und deren Löſchung der Käufer 
! hiermit bewilligt und Käufer wie Verkäufer 
beantragen, hat Käufer an Verkäufer zu 
! 
| 


„ 


i 


— — — — — — 6 — zu 


d 


— 


zahlen. Dieſer Betrag ſowie das Reitfauf: 
geld von werden geſtundet und für 
dieſen geſamten Betrag von mit 
dem erkauften Grundſtück Hypothek unter 
den im folgenden Paragraphen vereinbarten 
Bedingungen beſtellt. 


12 Zeitſchrift für Rechtspflege in 


Das Stellenvermittlergeſetz. 


Von Legationsrat Dr. Georg Schmidt im Staatsmini⸗ 
ſterium des K. Hauſes und des Aeußern. 


Bis vor kurzem galt in Bayern für die Ge⸗ 
ſinde⸗ und Stellenvermittler nur die Bekannt⸗ 
machung des Miniſteriums des Innern vom 29. 
Mai 1901 (GVBl. S. 435), die auf den durch die 
Novelle vom 30. Juni 1900 (RGBl. S. 321) ge⸗ 
änderten 88 34 und 38 GewO. beruhte. Nun: 
mehr ſind die Beſtimmungen für Stellenvermittler 
in ſechs Vorſchriften enthalten, nämlich im Stellen⸗ 
vermittlergeſetz vom 2. Juni 1910 (RGBl. S. 860), 
in der Kgl. Verordnung vom 5. Oktober 1910 
(GVBl. S. 923) und in vier Bekanntmachungen 
des Staatsminiſteriums des Kgl. Hauſes und 
des Aeußern vom 6. Oktober 1910 (GVBl. 
S. 924 — 944) betr. Stellenvermittler, Stellen⸗ 
vermittler für Bühnenangehörige, Gebührentarif 
der Stellenvermittler für Bühnenangehörige, Stellen⸗ 
und Arbeitsnachweiſe. 

Die frühere Regelung reichte für unſere Zeit, 
in der die rechtlichen und wirtſchaftlichen Verhält⸗ 
niſſe immer verwickelter geworden ſind, nicht mehr 


im Stellenvermittlergewerbe gezeigt haben. Der 
Geſetzgeber ſah ſich durch die allenthalben geführten 
Klagen veranlaßt, ſchärfere und mehr ins einzelne 
gehende Vorſchriften zu erlaſſen. Die Beſtim⸗ 
mungen der 88 34 und 38 GewO., die bisher die 
Grundlagen zu den einzelſtaatlichen Erlaſſen ge: 
bildet hatten, wurden zu einem beſonderen am 
1. Oktober 1910 in Kraft getretenen Geſetz 
— das in dem nunmehr aufgehobenen Geſetz über 
die Stellenvermittlung für Schiffsleute vom 2. Juni 
1902 (RGBl. S. 215) einen Vorgänger hatte — 
erweitert; im übrigen finden jedoch die Vorſchriften 
der GewO. auch auf die Stellenvermittler An: 
wendung ($ 14 St G.). 

Die Unzulänglichkeit der ſeitherigen Beſtim⸗ 
mungen hatte ſich hauptſächlich nach drei Rich⸗ 
tungen hin gezeigt. Einmal war zur Umgehung 
dieſer Beſtimmungen vielfach die Herausgabe von 
Stellenliſten gebraucht worden, die teilweiſe nur 
unter Benützung von Zeitungsinſeraten zu— 
ſammengeſtellt wurden und ſich als wertlos er— 
wieſen; die Herausgeber ließen ſich nicht ſelten 
ungebührlich hohe Bezugspreiſe von den Stellen: 
ſuchenden — die das Opfer einer Täuſchung 
waren — bezahlen. Weiterhin hatte ſich die Zahl 
der gewerbsmäßigen Stellenvermittler in einer 
über das Bedürfnis hinausgehenden Weiſe ver: 
mehrt; war doch dieſes Geſchäft mit der Zeit 
dadurch ein recht einträgliches geworden, daß die 
Stellenvermittler von Arbeitgebern. hauptſächlich 
aber von Arbeitſuchenden übermäßige Gebühren 
erhoben, die ſie noch durch beſondere Neben— 
zahlungen (Einſchreibgebühren, Extravergütungen) 
in die Höhe zu treiben verſtanden. Den Behörden 
war auf die Bemeſſung der Gebühren kein Ein— 


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Bayern. 1911. Nr. 1. 


fluß eingeräumt, denn nach $ 75a GewO. brauchten 
die Taxen, die jederzeit geändert werden konnten, 
nur angezeigt werden. Auch dieſem dritten Mangel 
mußte alſo abgeholfen werden. 

Die hauptſächlichſten Aenderungen gegenüber 
dem bisherigen Zuſtand find enthalten in den 
88 1, 2 und 5 des StVG. 

Nach I 1 iſt Stellenvermittler im Sinne dieſes 
Geſetzes, wer gewerbsmäßig 1. die Vermittlung 
eines Vertrags über eine Stelle betreibt, 2. Ge⸗ 
legenheit zur Erlangung einer Stelle nachweiſt 
und ſich zu dieſem Zwecke mit Arbeitgebern oder 
Arbeitnehmern in beſondere Beziehungen ſetzt. 
Durch letztere Definition iſt der Begriff des 
Stellenvermittlers gegenüber der Entſcheidung des 
Reichsgerichts vom 2. März 1903 (St. XXXVI 
224) erweitert und zum Ausdruck gebracht, daß 
auch die Herausgeber von Stellen- und Vakanz⸗ 
liſten als Stellenvermittler anzuſehen ſind; die 
Faſſung lehnt ſich an 8 652 BGB. (Mäkler⸗ 
vertrag) an. Herausgeber von Zeitungen, die 
hierin Stellenanzeigen gegen Druckgebühren ver⸗ 
öffentlichen, aber behuſs Nachweis oder Vermitt⸗ 


lung von Stellen zu Arbeitgebern oder Arbeit⸗ 
aus, um die Mißſtände zu bekämpfen, die ſich 


nehmern in keine beſonderen Beziehungen treten, 
fallen nicht unter das Stellenvermittlergeſetz. (Vgl. 
Begründung zum Geſetzentwurf, Reichstags-Druck⸗ 
ſache Nr. 231/1910 S. 6 f.). 

Die Frage, ob auch ein Werkvertrag im Sinne 
des § 631 Abſ. 2 BGB. dieſem Geſetz unter: 
liegt („Gegenſtand des Werkvertrages kann. 


ein durch Arbeit oder Dienſtleiſtung herbeizu⸗ 


Austrag gebracht werden. 


führender Erfolg ſein“) iſt bereits ſtrittig ger 
worden und wird wohl demnächſt inſtanziell zum 
Verwaltungsbehörden 
bejahen die Frage, wie denn auch in dem von 
Preußen, Bayern u. a. Bundesſtaaten einheitlich 
angenommenen Gebührentarif der Stellenvermittler 
für Bühnenangehörige (vgl. GVBl. 1910 Nr. 62 
S. 940 f.) beſtimmt iſt, daß bei Stellenvermitt⸗ 
lung für Muſikkapellen nicht mehr als 5% der 
monatlichen Vergütung für „Verträge zwiſchen 
Unternehmern und ganzen Kapellen“ als Gebühr 
erhoben werden dürfen. Die Entſcheidung in dieſer 
Frage iſt alſo von beſonderer Bedeutung für die 
ſogenannten Konzertagenturen. 

§ 2 StVG. beſtimmt, daß, wer das Gewerbe 
eines Stellenvermittlers betreiben will, der Er— 
laubnis der von der Landeszentralbehörde (in 
Bayern das Staatsminiſterium des Kgl. Hauſes 
und des Aeußern) bezeichneten (Diſtriktspolizei-) Be⸗ 
hörde (Bezirksamt oder unmittelbarer Stadtmagi— 
ſtrat) bedarf. Dieſe Vorſchriſt iſt dem $ 34 GewO. 
entnommen, jedoch mit einer weſentlichen Er— 


weiterung: Die Erlaubnis iſt nicht nur bei Un: 


zuverläſſigkeit des Nachſuchenden zu verſagen, ſondern 
auch wenn ein Bedürfnis nach Stellenvermittlern 
— insbeſondere wegen Beſtehens eines ausreichenden 
öffentlichen, gemeinnützigen Arbeitsnachweiſes — 
nicht vorliegt. Die Folge dieſer Beſtimmung wird 


fein, daß die gewerbsmäßigen Stellenvermittler 
an Zahl und Bedeutung zurückgehen werden; wo 
ein ſolcher Arbeitsnachweis beſteht, wird keine Er⸗ 
laubnis mehr erteilt oder erneuert und die Tätigkeit 
der vorhandenen Stellenvermittler immer mehr 
eingeengt werden. Die Tendenz des Geſetzes geht 
denn auch auf eine allmähliche Beſeitigung dieſes 
Gewerbes, das zu den ſog. „haſſenswerten Ge⸗ 
werben“ zählt. 

Nach 8 5 StVG. endlich werden die den 
Stellenvermittlern zukommenden Gebühren behörd⸗ 
lich feſtgeſetzt und zwar in Bayern von den Di⸗ 
ſtriktspolizeibehörden, für Theateragenten u. dgl. 
vom Miniſterium des Aeußern. 

Von den polizeilichen Beſtimmungen des 
. ſeien beſonders erwähnt: 

3, der dem Stellenvermittler den Betrieb 
gewiſſer Gewerbe, Geſchafte, Geſchäftsverbindungen 
u. dgl. verbietet; 

8 7, der zur Bekämpfung des internationalen 
Mädchenhandels dient; 

8 9, 10, die Beſtimmungen enthalten über 
die Verſagung oder Zurücknahme der Erlaubnis 
und die Unterſagung des Gewerbebetriebs, dann 
über das — in Bayern durch Geſetz vom 13. Juni 
1910 (GVBl. S. 287) eingeführte und hier durch 
die oben bezeichnete Kgl. Vdg. für anwendbar er: 
klärte — Verwaltungsſtreitverfahren. 

Zivilrechtlich bemerkenswert ſind folgende 
Vorſchriften: 


84: Verträge, durch die ſich ein Arbeitnehmer | 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


| 


oder Arbeitgeber verpflichtet oder verpflichtet hat, 


ſich auch in ſpäteren Fällen der Mitwirkung eines 
beſtimmten gewerbsmäßigen Stellenvermittlers zu 
bedienen, ſind nichtig. 

8 5 Abi. 2: Eine Gebühr darf nur erhoben 
werden, wenn der Vertrag infolge der Tätigkeit des 
Vermittlers zuſtande kommt. Haben beide Teile dieſe 
Tatigkeit in Anſpruch genommen, ſo iſt die Ge: 
bühr von dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer je 
zur Hälfte zu zahlen; eine entgegenſtehende Verein⸗ 
barung zu Ungunſten des Arbeitnehmers iſt nichtig. 

8 6: Die Stellenvermittler dürfen Dienſtbücher 
u. dgl., die aus Anlaß der Stellenvermittlung in 


ihren Beſitz gelangt find, gegen den Willen des 


Eigentümers nicht zurückbehalten, insbeſondere an 
ſolchen Gegenſtänden ein Zurückbehaltungs⸗ oder 
Pfandrecht nicht ausüben. 

In ſtrafrechtlicher Hinſicht gilt: Nach 
§ 12 wird mit Geldſtrafe bis zu 600 M (im 
Wiederholungsfalle von 100 — 600 ) oder mit 


Haft geahndet, wer das Stellenvermittlergeſchäft 
ohne Erlaubnis ausübt, ein nach § 3 Abſ. 1 ver⸗ 


botenes Gewerbe betreibt, die amtlich feſtgeſetzte 
Taxe überſchreitet oder ſich Nebenvergütungen ge⸗ 
währen läßt, einen Arbeitnehmer zum Bruche 
eines eingegangenen Arbeitsvertrags zu verleiten 
unternimmt u. dgl. mehr. Geldſtrafe bis zu 150 1 


oder Haft trifft nach $ 13 den Stellenvermittler, 
der u. a. den 88 6 und 7 oder den auf Grund 


13 


des $ 8 ergangenen weiteren Beſtimmungen zu⸗ 
widerhandelt. 
Letztere Beſtimmungen können von der Landes⸗ 
zentralbehörde „über den Umfang der Befugniſſe 
und Verpflichtungen ſowie über den Geſchäfts⸗ 
betrieb der Stellenvermittler“ erlaſſen werden und 
ſind für Bayern in den obenbezeichneten Bekannt⸗ 
machungen des Miniſteriums des Aeußern enthalten. 
Ihr Inhalt mag hier durch die Aufführung der 
einzelnen Abſchnitte angedeutet ſein, die Vor⸗ 
ſchriften enthalten Beſtimmungen über: Buchführung, 
Geſchaftsraume, Firma, Vermittlungstätigkeit, Ge: 


bühren (Erlöſchen des Anſpruchs hierauf), Pflichten 


gegen die Polizeibehörde, Tätigkeitsberichte, Aushang 
der Vorſchriften; in beſonderen Paragraphen ſind 
die dem Stellenvermittler auferlegten Verbote auf⸗ 
gezählt. Die Bekanntmachung über „Stellenver⸗ 
mittler“ enthält weiterhin eine Beſtimmung 
für Herausgeber von Stellen⸗ und Valanzenliſten. 
Die Bekanntmachung über „Stellenvermittler für 
Bühnenangehörige“ ſetzt in $ 1 feſt, wer als 
ſolcher zu gelten hat („Den Vorſchriften unter⸗ 
liegen Stellenvermittler, die im Sinne des 8 1 
des StVG. für Unternehmungen tätig find, durch 
welche theatraliſche Vorſtellungen, Singſpiele, In⸗ 
ſtrumentalkonzerte, Geſangs⸗ und deklamatoriſche 
Vorträge, ſowie Schauſtellungen von Perſonen oder 
Tieren dargeboten werden, gleichviel ob dabei ein 
höheres Intereſſe der Kunſt oder Wiſſenſchaft ob⸗ 
waltet oder nicht“). — 

Das StVG. bezieht ſich aber nicht nur auf 
gewerbsmäßige Stellenvermittler; es enthält in den 
88 14—18 auch Grundbeſtimmungen für „nicht 
gewerbsmäßig betriebene Stellen⸗ oder Arbeits⸗ 


nachweiſe 


| 


Nach § 15 kann die Landeszentralbehörde be- 
ſtimmen, inwieweit die Vorſchriften der 88 3, 5 
auf ſolche Nachweiſe anzuwenden ſind, und weitere 
Beſtimmungen über den Umfang der Befugniſſe 
und Verpflichtungen ſowie über den Betrieb dieſer 
Nachweiſe erlaſſen. Zuwiderhandlungen von Leitern 
oder Angeſtellten der Nachweiſe gegen die landes⸗ 
rechtlichen Beſtimmungen werden mit Geldſtrafe 
bis zu 150 M oder mit Haft beſtraft ($ 16); 
nach wiederholter rechtskräftiger Verurteilung der 
Leiter oder Angeſtellten innerhalb 2 Jahren kann 
die Landeszentralbehörde oder die von ihr bezeichnete 
Behörde (in Bayern die Diſtriktspolizeibehörde) 
den Betrieb unterſagen ($ 17); wer den Betrieb 
hiernach fortſetzt oder ohne Erlaubnis wieder auf⸗ 
nimmt, wird mit Geldſtrafe bis zu 600 M oder 
mit Haft beſtraft ($ 18). N 

Die Bekanntmachung, die das Miniſterium 
des Aeußern zu 8 15 erlaſſen hat, findet auf alle 
nicht gewerbsmäßig betriebenen Stellen⸗ und Ar⸗ 
beitsnachweiſe, alſo namentlich ſolche von Verbänden 
der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, von Vereinen, 
Schulen u. a. Anwendung, nicht dagegen auf ge: 
meindliche „Arbeitsämter“. (Die Terminologie der 
Miniſterialbekanntmachungen unterſcheidet alſo mit 


14 Zeitſchrift Die: Rechtspflege in in Bayern. alt Nr. 15 


— — —— — - —— x —-T—d — 


kurz gewählten Ausdrücken zwiſchen — gewerbs⸗ | 20 Mill. Mark belaufen würden. Dagegen zielt 
mäßigen — „Stellenvermittlern“, — nicht ge⸗ unſer Geſetz, wie bemerkt, auf eine allmähliche Be: 
werbsmäßigen — „Stellen: und Arbeitsnachweiſen“ ſeitigung der gewerbsmäßigen Stellenvermittler 
und — öffentlichen, in Bayern nur gemeindlichen hin. An ihre Statt ſollen — neben paritätiſchen 
— „Arbeitsämtern“ .) E die gemeinnützigen öffentlichen Arbeitsnachweiſe 
Die Vorſchriften über Stellen⸗ und Arbeits: treten, die ſich in den letzten Jahren immer mehr 
nachweiſe ſind im weſentlichen formaler Natur. | ausgeſtaltet haben, in Bayern namentlich die ge- 
Sie ordnen die Anzeige der Errichtung eines meindlichen Arbeitsämter. Daneben werden auch 
Stellen⸗ und Arbeitsnachweiſes an, die Vorlegung Facharbeitsnachweiſe von Arbeitgebern und Arbeit⸗ 
der Satzungen u. dgl., die Bezeichnung; Leiter nehmern, nichtgewerbsmäßige Stellennachweiſe von 
und Angeſtellte müſſen nach ihnen die erforder⸗ Vereinen, Schulen u. a. tätig ſein, wenngleich deren 
a” Zuverläſſigkeit beſitzen und unterliegen dem Ausdehnung angeſichts der Mißſtände, die ſich bei 
§ 3 StWG.; die Betriebsräume müſſen gewiſſen | ſolchen ergeben haben, nicht wünſchenswert iſt. 
Anſorderungen entſprechen; die Vermittlungs⸗ So zeigt ſich auch bei der Arbeitsvermittlung, 
tätigkeit und die Gebühren müſſen ſich, teilweiſe was ſonſt in unſerem wirtſchaftlichen Leben zu 
ähnlich wie bei den Stellenvermittlern, in geord⸗ beobachten iſt: an Stelle der Einzelperſon, die ſich 
neten Grenzen bewegen. Auch die Stellen- und als nicht mehr leiſtungsfähig genug erweiſt, über: 
Arbeitsnachweiſe haben wie die Stellenvermittler nimmt deren Aufgaben die Geſellſchaft in ihren 
einen monatlichen Tätigkeitsbericht zu erftatten, verſchiedenen Gruppierungen und Formen als: 
der es der Landeszentralbehörde wie den Diltrikts: Berufsvereinen, Genoſſenſchaften, Syndikaten, ge: 
polizeibehörden ermöglicht, einen beſſeren Einblick meindlichen und ſtaatlichen Einrichtungen. Das 
in den Geſchäftsbetrieb beider zu erhalten, den Um⸗ iſt die ſoziale Bedeutung des Stellenvermittler⸗ 
fang ſowie die Art ihrer Tätigkeit und damit die geſetzes, bei deſſen Vollzug auch der Richter mit⸗ 
Einhaltung der geſetzlichen Vorſchriften zu über⸗ | zuwirken berufen iſt. 
wachen; auch die Arbeitsmarkt⸗Statiſtik, die vom 


Statiſtiſchen Landesamt regelmäßig veröffentlicht 
wird, erfährt durch dieſe Tätigkeitsberichte eine ſach⸗ 
dienliche Ausgeſtaltung. Ein weiteres Eingreifen in 
den Betrieb der nichtgewerbsmäßigen Stellen⸗ 
und Arbeitsnachweiſe, die zu mancherlei Klagen 
bereits Anlaß gegeben haben, wurde unterlaſſen, 
da genügende Erfahrungen, die Grundlage jedes 
geſetzgeberiſchen Vorgehens, noch nicht vorliegen. 
Das Stellenvermittlergeſetz, das vielleicht man: 
chem unwichtig erſcheint, iſt von weſentlicher Be: 
deutung für unſere ſozialen und wirtſchaſtlichen 
Verhältniſſe, die es ſcharf beleuchtet. Hat es doch 
gewiſſe Seiten des gerade in unſerer Zeit ſo 
ſehr wichtigen Arbeitsmarktes zum Gegenitand. | 
Es ſucht die Ausbeutung der Arbeitſuchenden und 
auch der Arbeitgeber durch gewiſſenloſe Dritte zu 
bekämpfen und im Hintergrund ſteht der Sn: 
tereſſenkampf zwiſchen Arbeitgebern und Arbeit— 
nehmern. Die Stellenvermittler wären mitberufen 
geweſen, in dieſem Kampf ausgleichend zu wirken; 
allein ſie haben in der Hauptſache verſagt und 
ſich als untauglich hierzu erwieſen; ſtatt im Sn: 
tereſſe beider Parteien und damit im öffentlichen | 
A 3 ſelbſtgebrautem Biere und ſelbſterzeugtem Weine 


2 h in Frage kommen. Nun hat das oberſte Landes— 
12 8 . en gericht in München mit der bisherigen Uebung 
Weise vor: das dortige Geſeg vom 14. März gebrochen und in einem Urteile vom 10. April 
N bie ng 0 5 8 SE eg 
7 on En nn on 5 Art. 8 Abf. 1 Nr. 4 des bayeriſchen Gewerbsgeſetzes 
en end erstarkten Entwicklun der öffentlichen F VVV . 
1 Arbeitsna eie Ihen Beawenen diesſeits des Rheines beſchränkt war und Art. 9 
nicht ratſam, weil die Entſchädigungsſummen, die 1) u, abgebrudt in dieſer Zeitſchrift Jahrgang 
im Reich zu bezahlen wären, ſich vielleicht auf 1909 S. 


der Ausſchank ſelbſterzeugter Getränke in 
der Rheinpfalz. 


Von Landgerichtsrat Otte Zoeller in München 
(früher in Landau, Pfalz). 


| 
| 
1. Iſt der konzeſſisnsfreie Ausſchank eigener Erzenguifie 


in der Pfalz auf beſtimmte Getränke, etwa auf Bier 
und Wein, oder anf Wein und Obſtwein beſchränkt 7 


a) Die frühere Uebung der Gerichte hatte 
nach mehrfachem Schwanken angenommen, daß 
Art. 9 lit. b Nr. 1 des baheriſchen Geſetzes 
vom 30. Januar 1868 betr. das Gewerbsweſen 
auch in der Pfalz Anwendung zu finden habe und 
daß demnach auch in der Pfalz der Ausſchank 
des eigenen Erzeugniſſes nur den Bräuern in 
einem hierfür bezeichneten Lokale und auf ihren 
Lagerkellern, desgleichen nach Maßgabe des ört— 

lichen Herkommens und der ortspolizeilichen Vor⸗ 
ſchriften den Weinbauern geſtattet ſei. Hiernach 
konnte ein konzeſſionsfreier Ausſchank nur bei 


—— - 


— — — — — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


15 


— — 


nur eine Ausnahme von der Regel des Art. 8 2. Was verſteht man unter eigenen Erzengniſſen ? 


aufſtellte, die nur dort in Betracht kommen konnte, 
wo die Regel ſelbſt in Geltung war. Die Rechts⸗ 
lage iſt ſonach folgende: 

Während im allgemeinen der Schankwirt zur 
Ausübung ſeines Gewerbes gemäß 8 33 der 
R GewO. der Erlaubnis bedarf, iſt in der Pfalz 
der Ausſchank eigener Erzeugniſſe an Getränken 
von jeher ohne Konzeſſſon geſtattet geweſen. Art. 9 
lit. b Nr. 1 des Geſetzes vom 30. Januar 1868 
gilt in der Pfalz nicht. 

Das Reichsgeſetz vom 12. Juni 1872 betr. 
die Einführung der GewO. in Bayern hat in 
§ 1 Abſ. 3 wohl die Einſtellung des Betriebes 
aus Gründen, die in der Perſon des Ausſchänkers 
oder in der Beſchaffenheit des Ausſchanklokales 
liegen, für zuläſſig erklart, im übrigen aber in 
981 Abſ. 2 die in der Pfalz beſtehende Befugnis 
zum freien Ausſchank eigener Erzeugniſſe aus⸗ 
drücklich aufrecht erhalten. Das Reichsgeſetz vom 
23. Juli 1879 betr. die Abänderung einiger Be: 
ſtimmungen der GewO. hat hieran nichts ge 
aͤndert. Demnach ſteht in der Pfalz der Aus⸗ 
ſchank eigener Erzeugniſſe nicht bloß den Bier⸗ 
brauern und Weinbauern, ſondern jedermann zu. 


b) Auf Grund des erwähnten Urteils vom 
10. April 1909 iſt nun weiter die Meinung auf⸗ 
getaucht, die Konzeſſionsfreiheit beſchränke ſich 
auf eigene Erzeugniſſe an Getränken, die aus 
Obſtanlagen und Weinbergen gewonnen ſeien. 
Das Urteil ſtellt namlich am Schluſſe feiner 
ausführlichen Darlegungen S. 228 folgenden Satz 
auf: „Der jetzt erkennende Senat iſt zu der auch 
anderweitig ſchon in der Rechtslehre und Recht⸗ 
ſprechung vertretenen Anſchauung gelangt, daß in 
Bayern links des Rheines jedermann ohne polizei⸗ 
liche Erlaubnis befugt iſt die eigenen Erzeugniſſe 
an Getränken, die er aus ſeinen Obſtanlagen oder 
aus ſeinen Weinbergen gewonnen hat, auszu⸗ 
ſchänken“. Mit dem Zuſatze „die er aus ſeinen 
Obſtanlagen oder aus ſeinen Weinbergen ge⸗ 
wonnen hat“ ſollte aber nicht etwa der Kreis 
der konzeſſionsfreien eigenen Erzeugniſſe einge⸗ 
ſchraͤnkt werden. Eine ſolche aus den vorange⸗ 
gangenen Ausführungen ſich nicht ergebende Ein⸗ 
ſchraͤnkung hätte naturgemäß näher begründet 
werden müſſen, was nicht geſchehen iſt. Vielmehr 
ergibt die ganze Beweisführung, und ein Blick in 
die Strafakten und in die Urſchrift des Urteils 
beſtätigt es, daß der Zuſatz nur die Anwendung 
des zuvor feſtgeſtellten Rechtsſatzes auf das der 
Beurteilung zugrunde liegende Sachverhältnis iſt, 
bei dem es ſich eben nur um den Ausſchank von 
Obſtwein und Traubenwein handelte. Demnach 
darf nach der jetzigen oberſtrichterlichen Recht⸗ 
ſprechung als feſtſtehend erachtet werden, daß in 
der Pfalz der Ausſchank der eigenen Erzeugniſſe 
85 a. irgend welcher Art konzeſſions⸗ 
rei iſt. 


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Liegt ein eigenes Erzeugnis ſchon dann vor, 
wenn der Ausſchänker es ſelbſt hergeſtellt hat? 
Dann wäre auch Wein, aus zugekauften Trauben 
gekeltert, als eigenes Erzeugnis zu erachten. Oder 
wird erfordert, daß der Herſteller die Grundſtoffe, 
aus denen er das Getränk herſtellt, auch ſelbſt er⸗ 
zeugt, d. i. aus eigenen oder gepachteten und ſelbſt⸗ 
bewirtſchafteten Grundſtücken gewonnen hat? Dann 
wäre das Bier wohl nie eigenes Erzeugnis, 
außer wenn der Bierbrauer Gerſte und Hopfen 
ſelbſt gebaut hätte. Das Richtige wird ſein zu 
unterſcheiden zwiſchen lan d wirtſchaftlichen 
Erzeugniſſen, wie Traubenwein, Obſtwein, Beeren⸗ 
wein, Kaffee, Tee u. dergl. und Fabrikations- 
erzeugniſſen, wie Bier, Branntwein, Soda⸗ 
waſſer u. dergl. Bei Fabrikationserzeugniſſen ge⸗ 
nügt es, wenn der Ausſchänker ſie in ſeinem 
Fabrikationsbetriebe ſelbſt hergeſtellt hat, 
wobei die Herkunft der Stoffe keine Rolle ſpielt; 
bei landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen dagegen iſt 
überdies weiter noch zu fordern, daß der Herſteller 
die Grundſtoffe aus ſelbſt bewirtſchafteten 
Grundſtücken gewonnen hat. Dagegen kann 
hier nicht verlangt werden, daß das ganze Getränk 
mit allen ſeinen Zutaten ausſchließlich aus eigenen 
Erzeugniſſen herrühre. Es genügt vielmehr, daß 
die Grundſtoffe eigenes Erzeugnis ſind. Daraus 
ergibt ſich folgendes: 

Die Beerenweine, wie Johannisbeerwein, Stachel⸗ 
beerwein u. dergl., deren Moſte ſtets zu viel Säure 
und zu wenig Zucker enthalten und daher ohne 
Zuckerwaſſerzuſatz überhaupt nicht hergeſtellt werden 
können, verlieren durch den bei der Herſtellung 
verwendeten nicht ſelbſt erzeugten Zucker nicht ihre 
Eigenſchaft als eigenes Erzeugnis, wo anders es 
überhaupt keine eigenen Erzeugniſſe an Beeren⸗ 
weinen gäbe. 

Ein aus ſelbſterzeugten Trauben gekelterter und 
ſelbſtgebauter Traubenwein iſt eigenes Erzeugnis, 
mag ihm auch wegen zu hoher Säure oder zu 
geringen Alkoholgehalts Zucker oder Zuckerwaſſer 
zugeſetzt worden ſein, und es kann nicht überdies 
noch verlangt werden, daß der Herſteller auch den 
Zucker ſelbſt erzeugt oder das Waſſer aus eigenem 
Brunnen gewonnen habe. Das gleiche gilt für 
die durch die Bundesratsbekanntmachung vom 
9. Juli 1909 bei der Kellerbehandlung zugelaſſenen 
Stoffe. Mögen ſie auch zugekauft ſein, ihr Zuſatz 


wird ein „eigenes Erzeugnis“ dieſer Eigenſchaft 


nicht berauben. 


3. Darf der Stranßwirt gezuckerten Wein ansſchänken? 


Unter den Straußwirten der Rheinpfalz herrſcht 
gegenwärtig eine große Erregung. Der pfaͤlziſche 
Weinkontrolleur ſteht auf dem Standpunkte, der 
Ausſchank gezuckerten Weines durch Straußwirte 
ſei unzuläſſig. Ein pfälziſches Landgericht hat 
bereits in mehreren Entſcheidungen dieſe An: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


ſchauung gebilligt. So beginnt denn jetzt überall 
die planmäßige Verfolgung all derjenigen armen 
Straußwirte, deren 1909er und 1910 er Ge: 
wächs ſo ſauer iſt, daß es in Natur nicht getrunken 
wird, denen aber verboten ſein ſoll, ihr Erzeugnis 
in gezuckertem Zuſtande zu verſchänken. 
gründet ſich nun dieſes Vorgehen? In Betracht 
kommen zwei grundverſchiedene geſetzliche Vor⸗ 
ſchriften. Zunäaͤchſt gewerbepolizeiliche und dann 
nahrungsmittelpolizeiliche. 

a) Gewerbepolizeilich, ſo wird behauptet, ver⸗ 
fehle ſich der Straußwirt, der gezuckerten Wein ver: 
zapft, gegen 88 33, 147 GewO., da nur der reine, 
unveränderte Naturwein eigenes Erzeugnis ſei, der 
Ausſchank gezuckerten Weines daher eine unbefugte 
konzeſſionsloſe Wirtſchaftsführung darſtelle. Allein 
aus den oben unter 1 gemachten Ausführungen 
ergibt ſich, daß in der Pfalz jedermann, daher 
auch der Straußwirt, berechtigt iſt, ſein eigenes 
Erzeugnis ohne Konzeſſion auszuſchänken, und unter 
Ziff. 2 oben iſt nachgewieſen, daß der Zuſatz von 
Zuckerwaſſer einen ſelbſterzeugten Wein nicht ſeiner 
Eigenſchaſt als eigenes Erzeugnis zu entkleiden 
vermag. Vom Standpunkte der Gewerbepolizei 
iſt ſonach der Ausſchank gezuckerten ſelbſterzeugten 
Weines durch Straußwirte nicht zu beanſtanden. 

b) Nahrungsmittelpolizeilich kommen in Betracht 
die Vorſchriften des Wein G. vom 7. April 1909. 
Gemäß 8 5 Abſ. 1 dieſes Geſetzes iſt es verboten, 
gezuckerten Wein unter einer Bezeichnung feilzu⸗ 
halten oder zu verkaufen, die auf Reinheit des 
Weines ... deutet; auch iſt es verboten, in der 
Benennung anzugeben oder anzudeuten, daß der 
Wein Wachstum eines beſtimmten Weinbergbeſitzers 
ſei. Man behauptet nun, ein Straußwirt, der ge: 
zuckerten Wein ausſchänle, verſtoße in doppelter 
Richtung gegen 8 5 des Wein GG.: Durch die Be⸗ 
zeichnung einer Wirtſchaft als Straußwirtſchaft 
werde unter Berückſichtigung einer in der Pfalz 
beſtehenden Verkehrsauffaſſung der Ausſchank un⸗ 
gezuckerten Weines angekündigt und weiter werde 
dadurch — nicht weniger als durch die Aufſchrift 
„eigenes Gewächs“ außerhalb oder innerhalb der 
Straußwirtſchaft — der ausgeſchänkte Wein als 
Wachstum eines beſtimmten Weinbergbeſitzers, 
nämlich des Straußwirtes ſelbſt, bezeichnet. Wohl 
muß zugegeben werden, daß durch die Anbringung 
eines Plakats mit der Aufſchrift „Eigenes Ge: 
wächs“ am oder im Wirtslokale der in dieſem 
Lokale verſchaͤnkte Wein als eigenes Wachstum des 
Ausſchänkers bezeichnet wird. Der bei den Kom: 
miſſionsberatungen zum Weingeſetze geäußerten 
entgegenſtehenden Meinung eines Regierungsver⸗ 
treters, hierin liege, auch wenn gezuckerter Wein 
ausgeſchänkt werde, kein Verſtoß gegen $ 5 des 
Wein G., ſondern nur eine Verletzung des Wett: 
bewerbsgeſetzes, kann nicht beigetreten werden. 
Wer ein Plakat mit der Aufſchrift „Eigenes Ge— 
wächs“ aufhängt, nennt eben den Wein, auf den 
Rh das Plakat bezieht, ſein eigenes Wachstum. 


Worauf 


Wer aber feinen Ausſchank eine Straußmwirtichaft 
nennt, erklart nur, daß er keine konzeſſionierte 
Wirtſchaft, ſondern einen konzeſſionsfreien Aus⸗ 
ſchank habe und benennt ſeinen Wein überhaupt 
nicht. Wer nun aber ſeinen Wein überhaupt nicht 
benennt, von dem kann niemals behauptet werden, 
daß er in der Benennung etwas angegeben 
oder angedeutet habe. Es genügt nicht, wenn 
derjenige, der die geſetzlichen Beſtimmungen über 
die Führung von Straußbwirtſchaften kennt, aus 
dieſer Kenntnis den Schluß ableiten kann, daß 
ihm, die Beobachtung dieſer Vorſchriften durch den 
Straußwirt vorausgeſetzt, in der Straußwirtſchaft 
nur eigenes Wachstum des Straußwirts vorge⸗ 
ſetzt werden könne. 

§ 5 Abſ. 1 Halbſatz 2 Wein. erfordert viel⸗ 
mehr, daß das Wachstum aus der Benennung 
des Weines ohne weiteres oder wenigſtens an⸗ 
deutungsweiſe erſichtlich iſt, oder, anders ausge⸗ 
drückt, daß der Name des Erzeugers durch die 
Benennung des Weines kenntlich gemacht iſt. 
Vorausſetzung dafür iſt immer, daß der Wein 
überhaupt benannt wird, wobei die Kreszenzangabe 
allein allerdings genügt und weitere Namen neben 
der Bezeichnung des Wachstums nicht erforderlich 
ſind. Fehlt aber eine Benennung vollſtändig, 
dann iſt auch eine Verletzung des Verbots, in der 
Benennung das Wachstum anzugeben oder anzu⸗ 
deuten, naturgemäß ausgeſchloſſen. 

Aus der Bezeichnung eines Ausſchanks als 
Straußwirtſchaft kann allerdings, obwohl eine 
„Benennung“ des darin verzapften Weines nicht 
ftattfindet, mittelbar auf den Namen des Wein: 
bergbeſitzers geſchloſſen werden. Das genügt aber 
nicht, um einen Verſtoß gegen $ 5 zu begründen. 
Das genügt nicht einmal dann, wenn eine wirk⸗ 
liche Benennung des Weines vorliegt. Bei den 
Beratungen zum Weingeſetzentwurf iſt dies in 
einem beſonderen Falle ausdrücklich anerkannt 
worden. Man war nämlich darüber einig, daß 
die Angabe einer Lage, die ſich im Alleinbeſitz 
befindet, nicht als „Andeutung des Wachstums 
eines beſtimmten Weinbergbeſitzers“ im Sinne des 
Weingeſetzes angeſehen werden ſolle, obwohl in 
ſolchen Fällen aus der Angabe der Lage mittelbar 
auch der Name des Beſitzers erſichtlich iſt. So 
iſt es beiſpielswriſe in Weinfachkreiſen allgemein 
bekannt, daß ein „Schloß Vollradſer“ nur Wachs⸗ 
tum des Grafen Matuſchka ſein kann. Noch viel 
weniger wie hier kann im Falle der Bezeichnung 
nicht des Weines, ſondern nur des Weinlokales 
durch die Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ eine Ver⸗ 
letzung des $ 5 Abſ. 1 Halbſatz 2 erblickt werden. 

Ebenſowenig liegt eine Verfehlung vor gegen 
8 5 Abſ. 1 Halbſatz 1. Wohl iſt verboten ge: 
zuckerten Wein unter einer Bezeichnung feil— 
zuhalten oder zu verkaufen, die auf Reinheit des 
Weines deutet. Eine allgemeine Verkehrsanſchauung 
in der Pfalz dahin, daß in Straußwirtſchaften nur 
Naturwein zu finden ſei, beſteht nicht. Zumal im 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. | 17 


Tr m — — 


Grundbuchamt tätig werden kann, jo hat es doch die 
Abſicht, dem Prozeßgericht die Erlaſſung der einſt⸗ 
1 5 sun 75 1 en 

. : 8 8851 Satz 2 B. iſt nicht wie in ſonſtigen Fällen 
nn wäre. Lüge aber a der Bezeichnung | erforderlich, daß eine Gefährdung des zu ſichernden 

traußwirtſchaft zugleich die Bezeichnung der Rein: Anſpruchs glaubhaft gemacht wird (8 935 3800. 
heit des Weines, wie dies z. B. in der Bezeichnung | Eine wesentliche Erſchwerung des Bauhandwerker⸗ 
| 


ſogenannten Oberlande gibt es zahlreiche Strauß: 
wirtſchaften, die ſeit jeher gezuckerten Wein ver⸗ 
zapft haben, ohne daß dies bisher beanſtandet 


„Naturweinſtube“ zu finden iſt, dann hätten alle ſchutzes brachte die Novelle vom 29. April 1910 zum baye- 
dieſe Straußwirte auch ſchon unter den beiden riſchen Gebübrengeſetz. Art. 119 Abf. II Geb®. i. d. F. 
früheren Weingeſetzen verfolgt werden müſſen, was vom 13. Juli 1910 ſtellt die Eintragung einer Vor⸗ 
aber in den 18 verfloſſenen Jahren keinem Menſchen merkung zur Sicherung des Anſpruchs auf Ein 
eingefallen iſt. 18 Jahre lang haben weder Pu⸗ räumung einer Hypothek der Eintragung einer 
blikum noch Behörden in der Bezeichnung Strauß: | Hypothek gleich.. 

wirtſchaft eine Garantie für Naturreinheit des „ 7 ſind nn Ne re der Bau⸗ 
ausgeſchänkten Weines erblickt; es iſt nicht einzu⸗ F1ͤĩͤ˙7ĩ— 


ſehen, warum die allgemeine Anſchauung in dieſem 1 Bi en n 


Punkte jetzt plötzlich gewechſelt haben ſollte. Hier: | 2. Die Notariatsgebühr, welche an einen bayeriſchen 


nach gilt auch in dieſer Richtung das oben Ge⸗ Notar zu bezahlen wäre, wenn ein ſolcher die 
ſagte: Wer ſeinen Ausſchank Straußbirtſchaft Hypothekbeſtellung beurkundet hätte. 

nennt, bezeichnet ſeinen Wein überhaupt nicht und Nun läßt allerdings Art. 119 Abſ. III Satz 1 
kann daher auch nicht durch die Bezeichnung die a. a. O. eine Ausnahme zu, wenn die Eintragung er⸗ 


N f folgt, ohne daß es der Bewilligung desjenigen bedarf, 
Reinheit des Weines andeuten. a deſſen Recht durch die Eintragung betroſſen wird. 
Ich komme ſohin zu dem gleichen Ergebniſſe, Es liegt nahe, diefe Ausnahmevorſchrift auch auf die 
wie ich es ſchon in meinen Erläuterungen zum Bauvormerkungen zu beziehen, welche auf Grund einer 
Weingeſetze vom 7. April 1909 zu $ 5 Note 4 einſtweiligen Verfügung eingetragen werden ſollen, 
am Ende niedergelegt habe: „Ein Straußwirt, da es bier der Bewilligung des Betroffenen zur Ein⸗ 
der gezuckerten, ſelbſtgebauten Wein verſchänkt, tragung nicht bedarf. Allein Satz 2 des Abſ. III a. a. O. 
darf dieſen Wein nicht durch Aufſchrift auf dem beſtimmt ausdrücklich das Gegenteil. Darnach ſoll 
Wirtsſchild oder durch Aushang von Plakaten die Aus napmevorſchrift des Satzes 1 nicht gelten, 
als „ſelbſtgebaut“ oder als „eigenes Gewächs“ wenn die Eintragung auſ Grund einer ein ſt weiligen 
bezeichnen. Dagegen ift er, falls er dieſe Be: | Verfügung erfolgt. Der Bauhandwerker muß alſo, 
3 j geg er um die Eintragung einer Vormerkung für feine Baus 
zeichnung unterläßt und nur ſeinen Ausſchank als forderung zu erreichen, nicht nur zuvor das Prozeß⸗ 
Straußwirtſchaft bezeichnet hat, durch keine ge⸗ gericht um Erlaſſung einer einſtweiligen Verfügung 
ſetzliche Beſtimmung gehindert, ſelbſt- anrufen, ſondern auch noch die volle Staats- und 
gezogenen gezuckerten Wein auszuſchänken.“ Notariatsgebühr für eine Hypothekbeſtellung 
bezahlen, ohne daß er zunächſt die Rechte eines Hypo⸗ 
thekgläubigers erwirbt. Denn die Eintragung der 
Vormerkung verſchafft dem Bauhandwerker nur eine 
Sicherung des Ranges für den Fall, daß er künſtig 
a j durch freiwillige Beſtellung oder auf Grund Urteils 
Mitteilungen aus der Praxis. eine Hypothek erwerben ſollte; dann allerdings werden 
die bei der Eintragung der Vormerkung entrichteten 
Sicherung der Banhandwerkerforderungen. Unter Gebühren angerechnet. 
der Herrſchaft des bayeriſchen Hypotbekengeſetzes Die durch Art. 1191 Geb. geſchaffene Er⸗ 
konnte der Bauhandwerker raſch und ohne Koſten die ſchwerung der Durchführung des Anſpruchs des Bau⸗ 
Eintragung einer Hypothekvormerkung für feine Bau⸗ handwerkers wirkt um fo empfindlicher, als es nach 
forderung erreichen. Er brauchte nur unter Glaub⸗ Art. 293 GebG. dem Grundbuchbeamten bei Meidung 
haftmachung ſeiner Forderung einen Antrag an das der perſönlichen Haftung für die Gebühren verboten 
Hypothekenamt zu ſtellen; dieſes bewirkte ohne weiteres iſt, eine Eintragung eher vorzunehmen, als der Nach⸗ 
die Eintragung der Vormerkung (88 12 Ziff. 9,30 HypG.). weis über die Bezahlung oder Hinterlegung der Ge⸗ 
Umſtändlicher ſchon geſtaltete ſich das Verfahren bühren geliefert wird. Das GBA. kann zwar nach 
nach Reichsgrundbuchrecht. 8 18 GBO. eine Friſt zur Bezahlung der Gebühren 
Allerdings hat auch 8 648 BGB. den Schutz der ſetzen. Allein häufig kommt damit das GBA. nicht 
Bauhandwerker im Auge. Dieſer hat für ſeine Bau⸗ durch, nämlich dann nicht, wenn kurz nacheinander 
forderung gegen den Beſteller des Bauwerks einen mehrere das gleiche Grundſtück betreffende Anträge 
Anſpruch auf Einräumung einer Sicherungsbypothek. einlaufen, wie z. B. Hypothekbeſtellungen, mehrere 
Der Anſpruch kann jedoch, da der Beſteller faſt immer einſtweilige Verfügungen auf Vormerkung von Baus 
die freiwillige Einräumung der Sicherungshypothek forderungen, Zwangsverſteigerung und Konkurseröff⸗ 
verweigert, in der Praxis regelmäßig nur im Wege nung. Dieſe Fälle kommen nicht ſelten vor, da der 
der einſtweiligen Verfügung verwirklicht werden, durch Schuldner häufig kapitalſchwach iſt. In ſolchen Fällen 
welche die Eintragung einer Vormerkung angeordnet muß das GBA, wenn nicht etwa der Bauhandwerker 
wird (88 883, 885 BGB., 936. 941 ZPO.). Wenn telephoniſch zu erreichen iſt, den Antrag auf Eintragung 
nun auch das Reichsrecht den Bauhandwerker nötigt, der Bauvormerkung bloß mangels Zahlung der Ge— 
ſich zuvor an das Prozeßgericht zu wenden, ehe das bühren zurückweiſen, da eine Vormerkung der Bau— 


18 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


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vormerkung nach 8 181 GBO. unzuläſſig iſt (vgl. 
Meikel, GBO. 1908 S. 118). 

Dieſer Rechtszuſtand kann nicht als befriedigend 
bezeichnet werden. Um die Fälle der Zurückweiſung 
tunlichſt zu vermindern, iſt es bei dem Amtsgericht 
Nürnberg üblich, daß die Bauhandwerker ſchon bei 
der Stellung des Antrags auf Erlaſſung einer einſt⸗ 
weiligen Verfügung durch die Gerichtsſchreiberei zur 
Entrichtung der nach Art. 119 Abſ. II Geb. ge⸗ 
ſchuldeten Gebühren veranlaßt werden. 

Amtsrichter Ehrenberger in Nürnberg. 


Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge⸗ 
bühren von Grundbucheintragungen. Die vorſtehende 
Abhandlung veranlaßte den Herausgeber dieſer Zeit⸗ 
ſchrift mich mit Rückſicht auf meine Beteiligung bei 
der letzten Novelle zum Gebührengeſetze um eine 
Aeußerung zu erſuchen. 

Daß die in der Novelle vom 29. April 1910 vor⸗ 
geſehene Aenderung des Art. 119 Abſ. 2 GebG. eine 
gewiſſe Erſchwerung des hypothekenrechtlichen Ver⸗ 
kehrs bewirken werde, ſtand bei den geſetzgeberiſchen 
Verhandlungen, die zu der Novelle führten, von An⸗ 
fang an feſt. Im Landtage wurde ſogar gerade auf die 
dingliche Sicherung der Bauhandwerker hingewieſen. 
Man nahm aber eben an, daß die Erſchwerung das 
kleinere Uebel gegenüber dem Ausfall an Gebühren 
ſei, der bei der bisherigen Faſſung des Art. 119 ſicher 
war. Denn dieſe wurde nach den gemachten Wahr⸗ 
nebmungen dazu benutzt, um die Hypothekengebühr 
(Art. 119) durch Eintragung einer Vormerkung zu 
ſparen. Auch darf nicht überſehen werden, daß die 
bayeriſche Hypothekengebühr nicht nur Gebühr, ſondern 
in erſter Linie Stempel (Verkehrsſteuer) iſt, dem 
Stempel aber muß ſeiner rechtlichen Natur und ſeinem 
Zwecke nach die Vormerkung ebenſo unterliegen wie 
die Eintragung. 

Die vorſtehende Abhandlung geht davon aus, daß 
die Vormerkung einer Hypothek — ſofern nicht die 
Bewilligung zu ihr in einer bayeriſchen notariellen 
Urkunde enthalten iſt — vorherige Zahlung der Ge⸗ 
bühr des Art. 119 vorausſetzt. Sie beklagt insbe⸗ 
ſondere die hieraus ſich ergebende Verzögerung und 
Erſchwerung der Rechtsverfolgung. 

Der ausgezeichnete Kommentar zum Gebühren⸗ 
geſetze von Pfaff⸗Schmitt vertritt auch in ſeiner neueſten 
7. Auflage (1910) zu Art. 293 Geb. die Anſicht, daß 
der Grundbuchrichter ſich perſönlich haftbar macht, 
wenn er, ohne daß eine von einem bayeriſchen Notar 
aufgenommene Urkunde vorliegt, eine Eintragung vor- 
nimmt, ehe die Gebühren der Art. 118, 119 und die 
Beſitzveränderungsgebühren (Art. 252, 253) bezahlt 
oder hinterlegt ſind. Auch die Praris teilt überwiegend 
dieſen Standpunkt. Ich möchte jedoch zur Erwägung 
ſtellen, ob er in allen Stücken richtig iſt. 

Nach dem Art. 293 GebG. iſt es dem Grundbuch: 
amt unterſagt eine Eintragung in das Grundbuch eher 
vorzunehmen, als der Nachweis über die Entrichtung 
oder Hinterlegung der Gebühren vorgelegt iſt. Daß 
der Nachweis der Entrichtung oder Hinterlegung ver— 
langt wird, läßt klar erkennen, daß der Art. 293 nur 
auf ſolche Gebühren Anwendung findet, die im Zeit— 
punkte der Eintragung ſchon fällig ſind. Dies iſt un- 
zweifelhaft der Fall bei der Gebühr des Art. 118, der 
Auflaſſungsgebühr. Denn dieſe wird nach dem Art. 118 
„bei der Entgegennahme der Auflaſſung durch das 


. — —— — — 


Grundbuchamt ... erhoben“, die Auflaſſung aber liegt 
vor der Eintragung. Umgekehrt iſt es unzweifelhaft, 
daß die Eintragungsgebühr des Art. 116 nicht unter 
den Art. 293 fällt. Ihr „unterliegt die Eintragung 
in das Grundbuch“, ſie iſt alſo erſt geſchuldet, nach⸗ 
dem eine Eintragung erfolgt iſt. Die Gebühr des 
Art. 119 — alſo insbeſondere die Hypothekengebühr 
— wird „bei der Eintragung von Hypotheken 
erhoben“. Man iſt geneigt, aus der Verſchiedenheit 
des im Art. 116 und im Art. 119 gebrauchten Aus⸗ 
druckes die Vorſchrift „bei der Eintragung“ wörtlich 
dahin aufzufaſſen, daß die Gebühr gleichzeitig mit der 
Eintragung ſällig iſt. Dieſe Auslegung liegt auch der 
Anſicht zugrunde, welche den Art. 293 auf die Gebühr 
des Art. 119 anwendet. Allein da es ſelbſtverſtändlich 
ausgeſchloſſen iſt, daß die Eintragung und die Ent⸗ 
richtung der Gebühr Zug um Zug erfolgen, ſo führt 
die bezeichnete Auslegung dazu, daß die Gebühr des 
Art. 119 vorgeſchoſſen werden muß. Eine Vorſchuß⸗ 
pflicht in bezug auf Gebühren iſt indeſſen dem Ge⸗ 
bührengeſetze für Inländer (arg. Art. 287) ſo ſern⸗ 
liegend, daß der Wortlaut „bei der Eintragung“ nicht 
ausreichen dürfte, um ſie auf ihn zu ſtützen. Für die 
Auflaſſungsgebühr (Art. 118) iſt es m. W. unbeſtritten, 
daß ſie erſt nach der Entgegennahme der Auflaſſung 
geſchuldet iſt und von ihrer vorherigen Zahlung die 
Auflaſſung (anders natürlich die Eintragung) nicht 
abhängig gemacht werden darf; auch von ihr gebraucht 
aber das Gebührengeſetz den Ausdruck „bei“. Die 
Meinung des Gebührengeſetzes dürfte daher ſein, daß 
die Gebühr des Art. 119 erſt nach der Eintragung 
der Hypothek geſchuldet iſt. Wer dieſer Anſicht bei⸗ 
tritt, kann den Art. 293 nicht auf die Gebühren des 
Art. 119 anwenden. Der Grundbuchbeamte macht ſich 
alſo nicht haftbar, wenn er eine Hypothek einträgt 
oder vormerkt, ehe die für die Eintragung oder Vor⸗ 
merkung geſchuldete Gebühr entrichtet iſt. Dieſes 
Ergebnis dürfte auch vom Standpunkte der Rechts⸗ 


pflege allein ſachgemäß ſein. Sonſt iſt der Grund⸗ 


buchverkehr zu ſehr gebindert. Bei der Uebertragung 
des Eigentums muß das Verbot der Eintragung vor 
Zahlung der Gebühr — und ein ſolches Verbot liegt, 
wenn auch nicht rechtlich, ſo doch tatſächlich in der die 
Haftung des Grundbuchbeamten beſtimmenden Vor⸗ 
ſchrift des Art. 293 — mit Rückſicht auf das große 
Intereſſe der Staatskaſſe am Eingange der hohen 
Auflaſſungsgebühren hingenommen werden. Hier gilt 
es auch in anderen Staaten und für den Reichsſtempel 
($ 85 RStemp®.). Für die Hypotheken⸗Gebühren oder 
⸗Stempel aber iſt es m. W. nirgends Rechtens. Die 
Vormerkung des Anſpruchs auf Eigentumsübertragung 
fällt unzweifelhaft nicht unter den Art. 293. Es wäre 
doch ein kaum zu rechtfertigender Gegenſatz, wenn 
für die Vormerkung der Hypothekengebühr der Art. 293 
gelten würde. 5 

Ich kann auch nicht der Anſicht beipflichten, daß 
die Beſitzveränderungsgebühren (Art. 252, 253) unter 
den Art. 293 fallen. Der Art. 293 ſagt nicht, 
welche Gebühren als entrichtet oder hinterlegt nach— 
gewieſen werden müſſen. Hieraus muß man m. E. 
folgern, daß es ſich um eine mit der Eintragung in 
das Grundbuch zuſammenhängende Gebühr handeln 
muß. Es können nur Gebühren in Betracht kommen, 
die für ſolche Rechtsgeſchäfte oder Rechtsvorgänge ge— 
ſchuldet werden, die zu ihrer Wirkſamkeit die Ein— 
tragung in das Grundbuch erfordern. Bei den Beſitz— 
veränderungsgebühren der Art. 252, 253 handelt es 


—— 


ſich nur um einen außerhalb des Grundbuchs ſich 
vollziehenden Eigentumserwerb, insbeſondere den Er⸗ 
werb auf Grund Erbrechts. Auf ſolche Fälle, in denen 
die Eintragung ins Grundbuch nur die rechtliche Natur 
einer Berichtigung hat, den Art. 293 anzuwenden, 
verſtößt gegen die oberſten Intereſſen jeder geordneten 
Grundbuchführung. Wenn das Gebührengeſetz das 
wirklich beabſichtigt hätte — und m. W. war bei der 
Schaffung der jetzigen Faſſung des Art 293 im Jahre 
1899 dieſe Abſicht nicht vorhanden —, hätte es ſich 
ſchon anders ausdrücken müſſen. 
Miniſterialrat Dr. Unzner in München. 


Beitreibung von Stoften und Auslagen im Privat- 
klageverfahren. In Nr. 22 des Jahrg. 1910 dieſer 
Zeitſchrift, S. 412 ff., iſt eine Entſcheidung des Land⸗ 
gerichts Schweinfurt über Beitreibung von Koſten 
und Auslagen im Privatklageverſahren veröffentlicht. 
Die darin behandelte Frage wird in Theorie und 
Praxis verſchieden beantwortet, ſodaß es geſtattet ſei, 
auch die entgegengeſetzte Meinung zu begründen. 

J. Eine für die Klägerin günſtige Anſicht behauptet, 
unter Koſten und Auslagen i. S. des 8 496 Abſ. II 
ſeien die Auslagen, die dem Privatkläger oder Privat⸗ 
beklagten entſtehen, gar nicht inbegriffen. Von einer 
Feſtſetzung dieſer Auslagen könne daher nie die Rede 
ſein, die Forderung auf Erſtattung dieſer Koſten ſei 
ein privatrechtlicher Anſpruch, der einzig und allein 
auf dem Wege des Zivilprozeſſes geltend gemacht 
werden könne (vgl. Recht Bd. 11 S. 1307). 

II. Hält man die unter I dargelegte Anſicht für 
falſch und ſtellt man ſich auf den Standpunkt, daß 
8 496 StPO. auch die dem Gegner zu erſtattenden 
Auslagen einer Partei im Privatklageverfahren im 
Auge hat, ſo drängt ſich ſofort die Frage auf, inwie⸗ 
weit das nach 8 496 Abſ. ! erlaſſene Urteil und der 
nach § 496 Abſ. II erlaſſene Beſchluß für die Koſten 
Vollſtreckungstitel iſt, inwieweit insbeſondere für die 
Auslagen, die ſich die Parteien im Privatklagever⸗ 
ſahren gegenſeitig zu erſtatten haben. 

1. Das Reich hat die Regelung des Vollſtreckungs⸗ 
rechts der Verwaltungsbehörden den Landesgeſetzen 
überlaſſen (arg. 8 801 ZPO.). Bayern hat im Art. 4 
AG. z. ZPO. vom 23. Februar 1879 die beſtehenden 
Vorſchriften über das Vollſtreckungsrecht der Verwal⸗ 
tungsbehörden und über die Organe und die Mittel 
der Zwangsvollſtreckung in Kraft gelaſſen. Maß⸗ 
gebend für die Beitreibung der Gerichtskoſten und 
Auslagen iſt jetzt Art. 291 Geb. und die Bek. der 
Staatsminiſterien der Juſtiz und der Finanzen vom 
24. September 1879, das Koſtenweſen in gerichtlichen 
Strafſachen betr. (JM Bl. S. 1425). Danach hat der 
Gerichtsſchreiber alle in Strafſachen anfallenden Ges 
bühren und Auslagen zu berechnen und zu Soll zu 
ſtellen. Zur Einhebung und Zwangsbeitreibung ſind 
die Rentämter zuſtändig (88 2, 14, 21 ff. der Bek, 
Art. 291 GebG.). Zum Zwecke der Beitreibung der 
dem Staate geſchuldeten Strafen, Gebühren und Aus⸗ 
lagen hat der Gerichtsſchreiber für alle rechtskräftig 
gewordenen Urteile Auszüge (Einzugsregiſter) herzu⸗ 
ſtellen (S 24). Vor der Abgabe an das Rentamt iſt 
jedes Einzugsregiſter dem mit der Strafvollſtreckung 
betrauten Amtsrichter oder Staatsanwalt vorzulegen 
(8 25). Das Rentamt hat ſodann die in das Ein⸗ 
zugsregiſter eingeſetzten Beträge beizutreiben (8 34). 
Ausdrücklich erklärt 834, daß für das Verfahren bei 


in Bayern. 1911. Nr. 1. 


der Beitreibung die Beſtimmungen der ZPO. mit 
Art. 6 u. 7 AG. z. ZPO. und KO. maßgebend find. 
Zunächſt wird auf das Einzugsregiſter und die Voll- 
ſtreckungsklauſel der Vermerk geſetzt: „Vorſtehende 
Urkunde wird hiemit für vorläufig vollſtreckbar erklärt.“ 
Die Rentamtsdiener nehmen ſodann die Vollſtreckungs⸗ 
handlungen vor, und es kommt ihnen dabei die Eigen⸗ 
ſchaft von Gerichtsvollziehern zu (8 14 Abſ. II der 
BD. vom 23. XII. 1899, GVBl. S. 1223, IMBL. 1800 
S. 335). 

In dieſer Weiſe werden die dem Staate geſchul⸗ 
deten Gebühren und Auslagen im Strafprozeß bei⸗ 
getrieben. Wenn über die Höhe der gerichtlichen 
Koſten oder über die Notwendigkeit der Auslagen 
Streit entſteht, ſo ergeht allerdings eine beſondere 
Eniſcheidung. Aber dieſer ſog. Koſtenfeſtſetzungs⸗ 
beſchluß iſt kein Vollſtreckungstitel, ſondern in das 
Einzugsregiſter wird eben dann der im Feſtſetzungs⸗ 
beſchluß feſtgeſtellte Betrag eingeſetzt, und die Voll⸗ 
ſtreckung geſchieht durch den Rentamtsdiener auf Grund 
des vollſtreckbar erklärten Einzugsregiſters. 

Man kommt alſo zu dem Schluß: Das Urteil 
und der Beſchluß des 8 496 StPO. bilden zwar die 
Grundlage einer ſpäteren Koſtenbeitreibung, aber fie 
ſtellen die Koſten nur ſeſt wie ein Urteil auf eine 
Klage gemäß § 256 ZPO. Der Vollſtreckungstitel 
aber iſt nicht das Urteil und auch nicht der Beſchluß, 
ſondern das ſür vollſtreckbar erklärte Einzugsregiſter. 
Dieſes bekommt der als Gerichtsvollzieher tätige Rent⸗ 
amtsbote zur Vollſtreckung in die Hand. Das Urteil 
geht ihn gar nichts an. 

2. Bei der Vollſtreckung der einer Partei zu er⸗ 
ſtattenden Auslagen im Privatklageverfahren iſt zu 
unterſcheiden, ob ein Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nach 
§ 496 Abſ. II StPO. erlaſſen wird oder ob dies nicht 
der Fall iſt. 

a) Das erwähnte Urteil ſteht auf dem Stand⸗ 
punkt, daß ein Feſtſetzungsbeſchluß gemäß dem Wort⸗ 
laute des Geſetzes nur zu erlaſſen iſt, wenn über die 
Höhe der Koſten oder über die Notwendigkeit der 
Auslagen Streit beſteht. Es ſteht ferner auf dem 
Standpunkt, daß ein ſolcher, Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß“ 
ein vollſtreckbarer Titel ſei, den der Gerichtsvollzieher 
im Auftrag einer Partei zu vollſtrecken habe. Wie 
ich oben unter II 1 ſchon dargelegt habe, bildet im 
Offizialverfahren der Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nur 
die Grundlage für den Zwangsvollſtreckungstitel. 
Kann der Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß trotzdem in den 
Händen der Partei im Privatklageverfahren den Voll⸗ 
ſtreckungstitel bilden? M. E. nicht. 

Die Zwangsvollſtreckung iſt eine Maßnahme, die 
ſcharf in das Eigentumsrecht des einzelnen eingreift. 
Der Staat gewährt ſeinen Einwohnern die Sicherheit 
des Privateigentums. Nur in den geſetzlich beſtimmten 
Fällen darf das Eigentum verletzt werden. Im Wege 
der Zwangsvollſtreckung darf das Eigentum ange— 
griffen werden nach den 88 704, 794 und 801 ZPO. 
8 794 Ziff. 3 kann hier nicht eingreifen, da mit dieſer 
Geſetzesſtelle nur Entſcheidungen in Zivilſachen ge— 
meint find. Die ſonſtigen reichsgeſetzlichen Schuld- 
titel find bei Gaupp⸗Stein, 8. und 9. Aufl., II. Bd., 
VII zu 8 794 S. 537 aufgeführt. Urteil im Koſten⸗ 
punkt und Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß der StPO. ſind 
nicht darunter aufgeführt, obwohl die Ziff. 6 (Ent: 
ſcheidungen der Strafgerichte über Vermögensſtrafen 
und Bußen) doch dem Verfaſſer die Anregung dazu 
hätte geben können. Die StPO. enthält eben keine 


20 Zeitſchrift für Rechtspflege in 


Beſtimmung darüber, wie die nach den 88 496 Abſ. II, 
503 Abſ. II feſtgeſetzten Auslagen zwangsweiſe bei⸗ 
getrieben werden ſollen, der Beſchluß nach 8 496 
Abſ. II iſt nirgends als Zwangsvollſtreckungstitel be⸗ 
zeichnet, alſo iſt er nach Reichsrecht kein Zwangs⸗ 
vollſtreckungstitel. 

Nach 8 801 kann die Landesgeſetzgebung auf 
Grund anderer Schuldtitel die gerichtliche Zwangs⸗ 
vollſtreckung zulaſſen und inſoweit auch abweichende 
Vorſchriften über die Zwangsvollſtreckung treffen. Für 
die Gerichtskoſten hat ſie von dieſer Beſtimmung auch 
Gebrauch gemacht, wie ich unter II, 1 dargelegt habe, 
ſie hat nämlich das Einzugsregiſter zum Vollſtreckungs⸗ 


Bayern. 1911. Nr. 1. 


titel gemacht. Ueber die der Partei im Privatklage⸗ 


verfahren zu erſtattenden Koſten hat jedoch die Landes⸗ 
geſetzgebung keine Beſtimmung getroffen. 

Daß aus einem Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß des 
8 496 Abſ. II aber im Privaiklageverfahren in der 
Weiſe vollſtreckt werden kann, daß dieſer Beſchluß 
ebenſo behandelt wird wie ein Koſtenſeſtſetzungsbeſchluß 
der ZPO., indem das Gericht ihn für vollſtreckbar 
erklärt, und indem dann die Partei ihn einem Gerichts · 
vollzieher zur Vollſtreckung übergibt, halte ich umſo⸗ 
weniger für richtig, als in der StPO. die Vorſchriften 
genau angegeben ſind, in denen die Beſtimmungen 
der ZPO. analog angewendet werden ſollen, nämlich 


Da bei 8 496 StPO. die Vorſchriften der ZPO. nicht 


aufſtellung die Vollſtreckung betreibt. Daß die dem 
Staate geſchuldeten Gerichtskoſten auch ohne Feſt⸗ 
ſetzungsbeſchluß beigetrieben werden können, kann kein 
Analogon für die Vollſtreckung durch den Koſten⸗ 
gläubiger im Privatklageverfahren bilden. Denn die 
Beitreibung der dem Staat geſchuldeten Gerichtskoſten 
iſt, wie ich unter II 1 ausgeführt habe, durch Geſetze 
und Verordnungen geregelt (8 801 ZPO., Art. 291 
GebG., Art. 4 AG. z. ZPO., Bek. vom 24. Sept. 
1879) und es ſind auch die exforderlichen Vorſichts⸗ 
maßregeln getroffen. Der Gerichtsſchreiber, der 
Amtsrichter oder der Staatsanwalt, der Rentbeamte 
prüfen zuerſt die Einzugsregiſter, ehe ſie in die Hände 
des vollſtreckenden Rentamtsboten (Gerichtsvoll⸗ 
ziehers) gelangen. Aber ſelbſt wenn man dieſe 
Prüfung nicht hoch anſchlagen will, ſo hat ſich eben 
der Staat das Recht gegeben oder genommen, ſeine 
Gebühren und Auslagen auf eine einfache Weiſe bei⸗ 
zutreiben. Vor allem ſieht der Staat das Strafurteil 
nicht als Vollſtreckungstitel an, ſondern ſchafft einen 
neuen Titel in dem Einzugsregiſter, das etwa dem 
zivilprozeſſualen Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß entſpricht. 
Aber was ſich der Staat auf Grund ſeiner Geſetze 
erlauben kann, kann man nicht analog jeder Partei 
ohne geſetzliche Handhabe zugeſtehen. Der Staat gibt 


ſeinem Vollſtreckungsorgan das Einzugsregiſter mit 
die 88 37, 325, 495, 419 Abſ. III, 503 Abſ. V StPO. 


für anwendbar erklärt ſind, können ſie auch nicht an⸗ 


gewendet werden. 


Will alſo der Gläubiger einen zur Zwangsvoll⸗ 


ſtreckung wegen der Koſten geeigneten Titel haben, ſo 
muß er den Weg der Zivilklage betreten, wobei für 
ihn der ſtrafprozeſſuale Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß den 


Wert eines Beweismittels oder auch eines feſtſtellen⸗ 


den Urteils hat. 
Ich bemerke noch, daß die Geſchäftsanweiſung 
für die Gerichtsvollzieher (JMBl. 1900 S. 621 ff.) 


die Mitwirkung der Gerichtsvollzieher im Strafver⸗ 


fahren in den 88 207 ff. regelt, aber nicht davon 
ſpricht, daß ſtrafprozeſſuale Koſtenfeſtſetzungsbeſchlüſſe 
von den Gerichtsvollziehern zu vollſtrecken ſeien, daß 
ferner der 8 44 der Geſch A. erklärt, daß die Gerichts⸗ 
vollzieher die Zwangsvollſtreckung in bürgerlichen 
Rechtsſtreitigkeiten zu bewirken haben, daß ferner im 


ſind, aus denen der Gerichtsvollzieher vollſtrecken 
darf, daß ſich aber darunter der ſtraſprozeſſuale 
Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nicht befindet, daß ſonach 
der Gerichtsvollzieher, der den Geſchäftsanweiſungen 
ſeiner vorgeſetzten Behörden gehorchen muß, einen 
ſolchen Beſchluß gar nicht vollſtrecken darf. 

b) Wenn man auf dem Standpunkt ſteht, daß 
ein ſtrafprozeſſualer Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nicht 
durch den Gerichtsvollzieher vollſtreckt werden kann, 
fo kann man natürlich umſoweniger die Anſicht ver: 
treten, daß der Gerichtsvollzieher auf Grund eines 
Straſurteils in einer Privatklageſache, das auch die 
Verurteilung im Koſtenpunkt ausſpricht, und auf 


Grund einer einfachen Koſtenaufſtellung vollſtrecken 


dürfe. Aber auch wenn man annimmt, daß der ſtraf— 
prozeſſuale Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß gleich dem zivil— 
prozeſſualen ein Titel zur Vollſtreckung ſei, wird man 
es doch nicht als zuläſſig anfeben können, daß der 
Koſtengläubiger nur auf Grund einer vollſtreckbaren 
Ausfertigung des Strafurteils in Verbindung mit 
einer dem Vollſtreckungsorgan übergebenen Koſten— 


Vollſtreckungsklauſel, der Rechtsanwalt oder die Partei 
gibt dem Gerichtsvollzieher nur eine Koſtenrechnung 
und das Strafurteil, in dem kein beſtimmter Betrag 
feſtgeſetzt iſt. Der Gerichtsvollzieher hat auf Grund 
ſeiner Geſchäftsanweiſung zu prüfen, ob er vollſtrecken 
darf: in keinem Geſetz ſteht etwas von einer ſolchen 
Vollſtreckung. In der Geſchäftsanweiſung iſt ihm 
ausdrücklich eingeſchärft, nur auf Grund der ihm be⸗ 
zeichneten Vollſtreckungstitel zu vollſtrecken. Er darf 
nicht auf Grund eines Strafurteils und einer Koſten⸗ 
note vollſtrecken, und der Gerichtsvorſtand, der ihn 
dazu anweiſen würde, würde ebenfalls gegen die Ge⸗ 
ſchäftsanweiſung handeln. Es würde auch leicht zu 
falſchen und ungerechtfertigten Vollſtreckungen kommen. 
Angenommen, die Parteien wären nicht durch Anwälte 
vertreten. Sie können unter Umſtänden gar keine 
richtige Koſtenrechnung aufſtellen. Der Gläubiger 
verlangt zuviel, der Schuldner weiß auch nicht, ob 


der Gläubiger ſeine Auslagen mit Recht verlangt, 
§ 52 der Geſch A. die Vollſtreckungstitel aufgeführt 


nicht gewollt haben. 


erhebt aber keinen Widerſpruch, weil er ſich eben in 
der Sache nicht auskennt. Dem Gerichtsvollzieher 
kann man ſicherlich nicht das Recht geben, vor der 
Vollſtreckung darüber zu urteilen, welche Beträge er 
für richtig angeſetzt hält, und nach Belieben dann für 
die ihm angemeſſen erſcheinenden Beträge zu pfänden 
und für die übrigen nicht. Die Folge wäre zweifellos, 
daß der Gerichtsvollzieher einfach wegen der vom 
Gläubiger angeſetzten Beträge vollſtrecken müßte und 
dies würde ebenſo zweifellos ſehr häufig zu ungerechten 
Pfändungen führen. Und das kann der Geſetzgeber 
Denn er nimmt es ſonſt ſehr 
genau mit Vollſtreckungshandlungen. 

Die Klägerin hat daher meines Erachtens mit 
Recht den vom Gericht angegebenen Weg zur Be— 
friedigung der Koſtenforderung nicht eingeſchlagen. 
Da dieſer Weg nicht dem Geſetz entſpricht, kann die 
Klägerin nicht anders zu einem Vollſtreckungstitel 
kommen, der vom Gerichtsvollzieher mit Recht volls 
ſtreckt wird, als dadurch, daß ſie ein Zivilurteil er— 
ſtreitet. Das Rechtsſchutzbedürfnis iſt vorhanden. 

Rechtsanwalt Dr. Blüthe in Schweinfurt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 15 


21 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 


Zivilſachen. 
I. 


Die Anfechtbarkeit eines Nechtsgeſchäſts wegen 
Drohung fett eine widerrechtliche Abſicht des Drohenden 
nicht voraus.) Aus den Gründen: Obwohl das 
Berufungsgericht feſtgeſtellt hat, daß die Drohung an 
ſich widerrechtlich war, hat es dennoch die Einrede 
aus 8 123 BGB. verworfen, weil dem Drohenden das 
Bewußtſein der Widerrechtlichkeit, die zur Anwendung 
des § 123 BGB. erforderlich ſei, nicht innegewohnt 
habe. Dieſe Auffaſſung von der Bedeutung des 8 123 
BGV. kann nicht gebilligt werden. Allerdings hat 
der erkennende Senat in ſeinen Urteilen vom 16. De⸗ 
zember 1905 und 24. November 1906 beide Male unter 
Bezugnahme auf ein Urteil des VI. Senats (RG38. 
59, 351), ausgeſprochen, daß zur Anfechtbarkeit eines 
Geſchäftes nach 8 123 Abſ. 1 BB. wegen Drohung 
auch eine widerrechtliche Abſicht des Anfechtungsgegners 
erforderlich ſei. Bei näherer Prüfung des Urteils des 
VI. Senats ergibt ſich aber, daß dieſes Urteil für die 
in den beiden Urteilen des erkennenden Senats ver⸗ 
tretene Auffaſſung nicht verwertet werden kann. Es 
erwähnt das Wort ‚Abſicht“ nur in dem Zuſammen⸗ 
hange, daß das Os. die Drohung, eine Strafanzeige 
gegen den Beklagten zu bewirken, nur dann für wider⸗ 
rechtlich erklärt habe, wenn ſie zu dem Zwecke erfolgt 
wäre, den Beklagten zur Ausſtellung eines Schuld⸗ 
ſcheins zu bewegen. Da das Berufungsgericht aber 
feſtgeſtellt habe, daß der Beweis einer ſolchen Abſicht 
des Drohenden nicht erbracht ſei, ſo wendet ſich das 


Urteil gegen den Einwand der Reviſion, die es für 


ausreichend anſieht, daß der Drohende den durch ſein 
Vorgehen hervorgerufenen ſeeliſchen Zuſtand des Be⸗ 
klagten erkannt habe und ſich 
. gefallen laſſen müſſe. Das Urteil 
es 5 
widerrechtlichen Beſtimmen eines andern durch Drohung 
kann man nicht ſprechen, wenn nur etwas an ſich völlig 
Erlaubtes ohne den Willen, damit eine gewiſſe Leiſtung 
zu erzwingen, angedroht wird“. Damit iſt nur der 
allgemein als gültig anerkannte Satz zum Ausdrucke 
gebracht, daß um eine Drohung widerrechtlich zu machen, 
entweder ihr Zweck oder ihr Mittel gegen das objektive 
Recht verſtoßen muß, daß aber auch der Drohende in 
der Abſicht oder doch in dem Bewußtſein droht, ſeinen 
11 85 durch die Drohung zu erreichen, mag er auch 


die weiteren Ergebniſſe 


| 


den bei. Die Grundlage dafür findet ſich in dem in 
en Motiven enthaltenen Satze (Mugdan, Mat. z. BGB. 
I. 465 ff.), daß die freie Selbſtbeſtimmung, d. h. die 
nicht rechtswidrig beeinflußte Willensentſcheidung vor 
widerrechtlicher Beeinträchtigung geſchützt werden ſoll. 
Daß dieſer Gedanke der Motive im Geſetze ausgedrückt 
worden iſt, ergibt ſich daraus, daß es den Abſatz 2 
des § 123 BGB. auf den Drohungsfall nicht erſtreckt, 
ſo daß die Drohung, im Gegenſatze zur Täuſchung, 
ohne jede Einſchränkung Anfechtbarkeit hervorruft, 
gleichgültig ob ſie vom Geſchäftsgegner oder einem 
Dritten ausgegangen iſt (ſ. Oertmann § 123 BGB. 
B 3 a), was die Motive wieder mit der Freiheit der 
Willensentſcheidung als Vorausſetzung der Gültigkeit 
der Willenserklärung begründen. Sie bemerken aus⸗ 
drücklich: „Nicht ohne Grund ſchützen aber faſt alle 
Geſetze den Bedrohten ohne Rückſicht darauf, von 
welcher Perſon die Drohung angewendet worden iſt 
(ALR. 14 8 42; C. c. 1111; Sächſch B. 8 832; ZürchG B. 
8 923; SchweizOblR. 26; Bay Entw. I 20; DresdEntw. 
59).“ Hiernach genügt es zur Anfechtbarkeit wegen 
1 aus 8 123 BGB., daß feſtgeſtellt wird, daß 
die Dro 

(nicht auch ihre Widerrechtlichkeit) dem Drohenden 
bewußt war. (Urt. des V. 35. vom 22. Oktober 1910, 
V 196/10). 

2102 


ui — — n. 


II. 


Iſt eine letztwillige Verfügung zugunſten einer 
Konkubine unter allen Umſtänden wegen Verſtoßes 
gegen die guten Sitten ungültig? Aus den Grün⸗ 
den: Das OLG. nimmt an, der Erblaſſer der Be⸗ 
klagten habe in den Jahren 1904 bis 1908, alſo 
während er mit der Mutter der Beklagten verheiratet 
war, mit der Klägerin geſchlechtlich verkehrt und die 
von ihr in den Jahren 1905 und 1906 geborenen 
Töchter erzeugt. Bei ſeinen Lebzeiten habe er der 


Klägerin zum anſtändigen Unterhalt für ſie und ihre 


ivilſenats fährt dann fort: „Aber von einem N 


Kinder fortlaufend die nötigen Geldſummen zufließen 
Mit der Zuwendung des Vermächtniſſes von 


laſſen 
| 100000 M an die Klägerin habe er dieſe ſowohl für 


den geſtatteten Geſchlechtsverkehr entlohnen als auch 
an ſich feſſeln und zur fortgeſetzten Geſtattung des 
Geſchlechtsverkehrs beſtimmen wollen. In dem Brief⸗ 
wechſel zwiſchen dem Erblaſſer der Beklagten und 
der Klägerin habe erſterer ſogar der Hoffnung Aus⸗ 


druck gegeben, ſein eheliches Verhältnis aufzulöſen 


weck oder Mittel oder beides für erlaubt erachtet 
9123 (ſ. Staudinger § 123 III 1 a, b, e; Oertmann 


£ 1, a, c g. Kann fomit dieſes Urteil für die 
Aufſtellung des Erforderniſſes von dem Bewußtſein 
der Widerrechtlichkeit nicht verwertet werden, ſo haben 
der IV. Senat in ſeinem Urteile vom 28. Juni 1906 
(IV, 159/06) und der I. Senat in dem Urteile vom 
27. April 1910 ausdrücklich ausgeſprochen, und zwar 
der IV. Senat, daß es nicht darauf ankomme, ob der 


Reviſion rügt 


und ſich mit der Klägerin zu verbinden. Unter dieſen 
Umſtänden verſtoße die Zuwendung des Vermächt⸗ 
niſſes an die Klägerin gegen die guten Sitten. Die 
Verletzung des § 138 BGB. und der 
88 286, 551 Nr. 7 ZPO. Die Reviſionsangriffe ſind 
zum Teil begründet. 

Zwar iſt das Berufungsgericht im weſentlichen 
von zutreffenden Rechtsgrundſätzen ausgegangen. Es 


hat insbeſondere nicht verkannt, daß es bei Ent⸗ 


Drohende bewußt rechtswidrig handelte, ſondern nur, 


ob der Wille des anderen in unzuläſſiger Weiſe be⸗ 
einflußt worden iſt, während der I. Senat erklärt hat, 
daß zur Widerrechtlichkeit der Willensbeeinflußung 
weder die Abſicht eines rechtswidrigen Vermögens⸗ 
vorteils bei dem Drohenden noch ein Vermögensſchaden 
des Bedrohten erforderlich ſei, es vielmehr genüge, 
daß der Bedrohte ohne die Drohung die Willenser⸗ 


klärung nicht abgegeben hätte, und daß der Drohende 


kein Recht auf dieſe Willenserklärung hatte. Der er⸗ 
kennende Senat gibt die in ſeinen beiden früheren Ur⸗ 
teilen vertretene Auffaſſung auf und tritt dieſer Ans 

1) Vgl. dazu auch die Entſcheidungen des Reichsgerichts im 
Jahrgang 1906 S. 479 und im Jahrgang 1910 S. 429. 


ſcheidung der Frage, ob ein Rechtsgeſchäft gegen die 
guten Sitten verſtoße, nicht nur auf die Beweggründe 
des Handelnden und den Zweck des Geſchäfts, ſondern 
auch auf deſſen Inhalt und die begleitenden Umſtände 
ankomme. Allein die der Entſcheidung zugrunde 
liegenden tatſächlichen Feſtſtellungen entbehren in 
weſentlichen Punkten einer ſchlüſſigen Begründung. 
An und für ſich kann darin, daß ein Erblaſſer der 
Mutter zweier von ihm — wenn auch im ehe⸗ 
brecheriſchen Verkehre — erzeugten lebenden Kinder 
etwas vermacht, nicht ein Verſtoß gegen die guten 
Sitten (die Sittlichkeit iſt etwas anderes) erblickt 
werden. Eine ſolche Annahme wäre nur etwa dann 
gerechtfertigt, wenn durch das Vermächtnis die Witwe 
des Erblaſſers und ſeine ehelichen Kinder in Not ver⸗ 
ſetzt oder in empörender Weiſe benachteiligt wären. 
Daß dies hier der Fall ſei, iſt nicht feſtgeſtellt. Die 
Annahme des Berufungsgerichts, das Vermächtnis 


ung an ſich widerrechtlich, und die Drohung 


22 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. . 


habe nur eine Entlohnung der Klägerin für den dem 


Erblaſſer geſtatteten Geſchlechtsverkehr und die 
Sicherung der Fortſetzung dieſes Verkehrs bezweckt, 
wird durch die Feſtſtellungen nicht gerechtfertigt. Im 
einzelnen iſt folgendes zu beanſtanden. Das Be: 
rufungsgericht lehnt die Annahme, daß der Erblaſſer 
möglicherweiſe die Zukunft der Klägerin und der 


gemeinſchaftlichen Kinder wirtſchaftlich habe ſichern 


wollen, aus den Gründen ab, weil die Kinder nur 
Erſatzbedachte ſeien, der Geſchlechtsverkehr des Erb⸗ 
laſſers mit der Klägerin geheim gehalten und die 
letztwillige Verfügung ſchon bei Lebzeiten des Erb⸗ 
laſſers der Klägerin (verſchloſſen) überreicht worden 
ſei. Einer Fürſorge für die Kinder hätte er ver⸗ 
nünftigerweiſe durch Zuwendungen unter Lebenden 
Jam beſten Rechnung getragen. Alle dieſe Erwägungen 
ſind nicht ſtichhaltig. Sie ſchließen die Annahme 
nicht aus, daß es dem Erblaſſer dennoch auf eine 
Sicherung der Zukunft der Bedachten angekommen 
ſei. Für die Feſtſtellung des Berufungsgerichts, der 
Klägerin ſei der Vorwurf gewiſſenloſer Ausbeutung 
der Vermögenslage des Erblaſſers zu machen, reicht 
keineswegs der Umſtand aus, daß fie in einem Bor: 
prozeſſe mit einer Zuvielforderung gegen ihren da— 
maligen Bräutigam wegen Verlöbnisbruchs unter⸗ 
legen ſei. Ebenſowenig begründet iſt die Annahme, 
ihre Liebesbeteuerungen in ihren Brieſen an den 
Erblaſſer müßten unwahr ſein, da letzterer bedeutend 
älter als die Klägerin geweſen ſei. Gegenüber der 
Annahme des Berufungsgerichts, der Erblaſſer habe 
die Klägerin durch das Vermächtnis zur Fortſetzung 
des Geſchlechtsverkehrs beſtimmen wollen, entſteh: 
zunächſt die vom Berufungsgericht gar nicht erörterte 
Frage, ob denn die Klägerin nicht ohnedies bereit 
geweſen wäre, dem Erblaſſer der Beklagten treu zu 
bleiben, fo daß für dieſen gar keine Veranlaſſung 
vorlag, die Klägerin, um ſie an ſich zu feſſeln, neben 
den ihr unter Lebenden gemachten Zuwendungen noch 
beſonders von Todes wegen zu bedenken. Bei dieſem 
Punkte fehlt es endlich auch an einer ausreichenden 
Feſtſtellung, daß die Klägerin über den Inhalt der 
ihr wenige Monate vor dem Tode des Erblaſſers 
verſchloſſen übergebenen letztwilligen Verfügung im 
Klaren geweſen ſei und nicht etwa erſt bei der Er: 
öffnung der Verfügung nach dem Tode des Erblaſſers 
Kenntnis von deren Inhalt erhielt. (Urt. d. IV. 38. 
vom 29. September 1910, IV 548/09). 
2094 


— — — . 


III. 


„Höhere Gewalt“ i. S. des 4 203 Abſ. 2 B68. 
Aus den Gründen: 
Berufungsgerichts hat die Zuſtellung der am 12. Juni 
1908 eingereichten Klage eine Verſpätung erlitten, 
weil der Ort, an welchem zugeſtellt werden ſollte, 
nicht genügend bezeichnet worden war. Der Prozeß— 
bevollmächtigte des Klägers hatte den zur näheren 
Bezeichnung des Wohnortes der Beklagten erforder— 


enthalten war, aus Verſehen in die Klagſchrift nicht 
aufgenommen. Es iſt dieſem Sachverhalte gegenüber 
nicht rechtsirrig, daß das OLG. die Vorausſetzungen 
der bei Berechnung der einjährigen Anfechtungsfriſt 
durch § 1594 Abſ. 3 BGB. für entſprechend anwend— 
bar erklärten Vorſchriften des $ 203 BGB. nicht für 
gegeben erachtet hat. Von einem Stillſtand der 
Rechtspflege, von dem Abſ. 1 handelt, konnte keine 
Rede ſein. Es handelte ſich nur darum, ob eine 
unter Abſ. 2 fallende Verhinderung des Berechtigten 
durch höhere Gewalt in anderer Weiſe anzunehmen 
war. In den Motiven zu $ 203 BGB. (Bd. 1 S. 317) 
wird auf den Sinn verwieſen, den Wiſſenſchaft und 
Praxis mit dem Ausdrucke „höhere Gewalt“ ver: 
binden. Hiernach iſt, worauf auch ſchon die Yu: 
ſammenſtellung mit dem Stillſtand der Rechtspflege 


hinweiſt, zur Anwendung des § 203 Abſ. 2 BGB. 
mehr erforderlich, als ein gewöhnlicher Zufall. Es 
muß ſich — ähnlich wie in dem Falle des §8233 ZPO. — 
um ein von außen her einwirkendes Ereignis handeln, 
das unter den gegebenen Umſtänden durch die 
äußerſte, dieſen Umſtänden angemeſſene Sorgfalt und 
Umſicht nicht verhütet werden konnte. (Urt. d. IV. ZS. 
vom 29. September 1910, IV 551/09). 
2098 


— — en. 


IV. 
Wichtiger Grund für die fofortige Löſung eines 


Dieuſtvertrags: die Aufgabe der Zweigniederlaſſung, für 
die der Angeſtellte auſgeſtellt war? Die widerrechtliche 
Entnahme von Geld aus der Geſchäftskaſſe? — Beweis: 
laſt. — Nachprüfungsrecht des Neviſionsgerichts. Aus 
den Gründen: Der Beklagte war, wenn auch ſpe⸗ 
ziell zum Prokuriſten des Zweiggeſchaftes in G. be⸗ 
ſtellt, doch nach der Auffaſſung des OLG. als Hand⸗ 
lungsgehilfe für das Geſamtgeſchäft des Klägers 
angenommen worden. In einem ſolchen Falle liegt 
für den Prinzipal regelmäßig nicht ſchlechthin die Un⸗ 
möglichkeit vor, von den Dienſten des auf der einen 
Stelle nicht mehr verwendbaren Handlungsgehilfen 
fernerhin Gebrauch zu machen. Nicht einmal die 
Aufgabe des ganzen Geſchäftes berechtigt unter allen 
Umſtänden den Prinzipal zur d Kündigung. 
(Staub⸗Könige HGB. zu § 70 Anm. 5, 8. Aufl. S. 318; 
IJ W. 1901, S. 209 Nr. 9, 1903 S. 11 Nr. 26.) Es kann 
hier auch nicht entſcheidend darauf ankommen, daß die 
Auflöſung des Zweiggeſchäſts durch Umſtände veran⸗ 
laßt worden iſt, die vom Geſchäftsinhaber (ſubjektiv) 
nicht zu vertreten waren. Im übrigen aber iſt es im 
weſentlichen eine vom Richter unter Würdigung der 


Verhältniſſe des Einzelfalles zu entſcheidende Tat⸗ 


frage, ob ein wichtiger Grund zur ſofortigen Kün— 
digung i. S. der SS 70, 72 des HGB. (oder § 626 BGB., 
§ 133b Gewd.) gegeben iſt, und es iſt dieſe Ent⸗ 
5 für die Regel der Nachprüſung des Nevis 
ionsgerichts unzugänglich (JW. 1901 S. 209°, 1907 
S. 8135; RG. 111337/06, im Recht“ 1907 S. 635 Nr. 1302; 
Staub, HGB. 8 70 A. 6 S. 318.). Die von der Re⸗ 
viſion gerügten Verſtöße gegen andere, namentlich 
prozeſſuale Rechtsnormen oder gegen die Regeln über 
Beweislaſt ſind in der Entſcheidung nicht zu finden. 
Es war Sache des Klägers, denjenigen Tatbeſtand 
darzulegen, der eine vorzeitige Aufhebung des auf 
15 Jahre geſchloſſenen Dienſtvertrages rechtfertigte, 
alſo auch zu behaupten und nachzuweiſen, daß und 
weshalb er außerſtande ſei, den Beklagten weiterhin 


als Prokuriſten oder in einer gleichartigen Stellung 


Nach der Feſtſtellung des 


zu verwenden. — Eine widerrechtliche Geldentnahme 
aus der Geſchäftskaſſe, ſagt das OL G., ſei an ſich 
zweifellos ein Entlaſſungsgrund nach § 72 Abſ. 1 
Ziff. 1 HGB. Hier ſei jedoch die Entnahme der 
2594 M 13 3 in einem milderen Lichte zu betrachten 
mit Rückſicht darauf, daß der Beklagte an den Sohn 


des Klägers, (für den der Beklagte Schulden bezahlt 
lichen Zuſatz „Kreis L.“, der im Armenrechtsbeſchluſſe 


hatte), eine bedeutende Forderung und einigen Grund 
zu der Annahme gehabt habe, der Kläger werde die 
eigenmächtige Deckung dieſer Forderung genehmi— 
gen, indem er mit dem entnommenen Betrag das 
Tantiemenkonto ſeines Sohnes belaſtete oder den Be— 
trag dem Beklagten gegen die angebotene Pfandſicher— 
heit kreditierte. Unter dieſen Umſtänden ſei die wider— 
rechtliche Geldentnahme als Entlaſſungsgrund nicht 
anzuſehen. Das OLG. geht hierbei davon aus, daß 
die im $ 72 HGB. aufgeführten Beiſpiele nicht zwin— 
gend ſeien, und daß der Richter auch beim Vorliegen 
eines der hier aufgezählten Tatbeſtände (Untreue ꝛc.“ 
aus beſonderen Gründen die Berechtigung zur Auf— 
hebung des Dienſtvertrages verneinen könne. Mit Un: 
recht bezweifelt die Reviſion dieſe Befugnis des Rich— 
ters. Zuzugeben iſt ihr, daß bei einem Tatbeſtand, 
der an ſich die Merkmale der in 8 72 Abſ. 1 Nr. 1 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


erwähnten Verfehlungen aufweiſt, der Richter nur aus⸗ liche Seite und berührt die Frage nicht, ob der in der 


nahmsweiſe und aus beſonderen Gründen, für die der 
Handlungsgehilfe beweispflichtig iſt, die Aufhebung des 


Verhältniſſes für ungerechtfertigt erklären darf (Staub⸗ 


Könige zu 8 72 HGB. Anm. 1 S. 329). Aber hier find 
eben ganz beſondere Umſtände vom OLG. als erwieſen 
angenommen, die ſeiner Anſicht nach eine andere Be⸗ 
urteilung rechtfertigen. Im übrigen iſt dieſe Beur⸗ 
teilung — die Entſcheidung der Frage, ob die Hand⸗ 
lungsweiſe des Beklagten geeignet war, das Vertrauen 
des Klägers zu ſeinem Prokuriſten derart zu er⸗ 
ſchüttern, daß jenem nicht zuzumuten war, den Ver⸗ 
trag wider ſeinen Willen fortzuſetzen — wiederum eine 
ſolche von tatſächlicher Art, alſo hier nicht nachzu⸗ 
prüfen. (Urt. des VI. 3S. vom 27. Oktober 1910, VI 
4412/1909). E. 
2085 
V. 

Nechte des Hypothekglänbigers bei Entfernung von 
Beſtand teilen des Grunbſtüd, beſonders wenn er ſelbſt 
nachträglich das Grundſtück erſteigert hat. — Wirkſam⸗ 
keit eines Eigentumsvorbehalts an den in einen Neubau 
eingehängten Feuſtern. Aus den Gründen: Das 
Os. geht davon aus, daß die von den Beklagten 
vom Bau weggeſchafften Fenſterflügel, ſoweit fie ein⸗ 
gehängt geweſen waren, gemäß 88 93, 94 Abſ. 2 BGB. 
mit dem Einhängen weſentliche Beſtandteile des Neu⸗ 
baues geworden find, und daß, wenn auch dem Eigen⸗ 
tümer im Intereſſe feiner Wirtſchaftsführung im 8 1121 
das Recht verliehen worden ſei, bis zur Beſchlagnahme 
des Grundſtücks einzelne Beſtandleile der Haftung für 
die Hypotheken zu entziehen, doch eine den Regeln 
einer ordnungsmäßigen Wirtſchaft zuwider⸗ 
laufende Entfernung von Beſtandteilen, wie ſie hier 
in Frage ſtehe, eine widerrechtliche Verletzung der Rechte 
der Hypothekglaͤubiger enthalte, gleichviel ob die Weg⸗ 
ſchaffung vom Eigentümer ſelbſt oder mit deſſen Ein⸗ 
willigung von einem Dritten bewirkt worden ſei. Eben⸗ 
ſowenig könnten ſich die Beklagten darauf berufen, daß 
ihnen in dem Lieferungsvertrage das Eigentum an den 
zu liefernden Gegenſtänden bis zur Bezahlung des 
Kaufpreiſes 9015 4 worden ſei; der Vorbehalt habe 
nur obligatoriſche Wirkung gegenüber dem Eigentümer 
gehabt; dieſer habe trotzdem gemäß 8$ 93, 946 BGB. 
das Eigentum an den Fenſterflügeln erlangt, ſo daß 
die Hypotheken ſich auch auf dieſe Gegenſtände erſtreckt 
hätten. Die Beklagten hätten aber auch ſchuldhaft 
gehandelt; denn fie hätten gewußt, daß auf dem Grund— 
ſtücke Hypotheken eingetragen waren, insbeſondere auch 
für die Klägerin, und daß die Fenſterflügel wenigſtens 
zum größten Teile eingehängt waren. Endlich könnten 
ſie ſich auch nicht auf einen Rechtsirrtum berufen; 
denn die Annahme, daß das Einhängen die Flügel 
noch nicht zu weſentlichen Beſtandteilen mache und 
ihnen ihr Eigentum daran nicht nehme, ſei kein ent⸗ 
ſchuldbarer Irrtum. 

Die Reviſion beſtreitet, daß die Beklagten in die 
Hypothekrechte der Klägerin widerrechtlich einge⸗ 
griffen hätten, der Eigentümer des Grundſtücks ſei nach 
§ 1121 BGB. den Hypothekgläubigern gegenüber zur 
beliebigen Verfügung über die Beſtandteile berechtigt, ſo⸗ 
lange eine Beſchlagnahme zu ihren Gunſten noch nicht 
erfolgt ſei. Dieſe Auffaſſung iſt jedoch rechtsirrig. Die 
angeführte Beſtimmung gewährt dem Eigentümer keines⸗ 
wegs ein ſolches Recht. Die Hypothek erſtreckt ſich auch auf 
die weſentlichen Beſtandteile des Grundſtücks und auch vor 
der Beſchlagnahme hat der Hypothekgläubiger, wie die 
S9 1134, 1135 ergeben, einen Anſpruch gegen den Eigen— 
tümer, wie gegen jeden Dritten auf Unterlaſſung von 
Einwirkungen, die eine die Sicherheit der Hypotheken 
gefährdende Verſchlechterung des Grundſtücks befürch— 
ten laſſen. Der § 1121 beſtimmt nur, daß Beſtand— 
teile uſw. von jener Haftung frei werden, wenn fie 
vor der Beſchlagnahme veräußert und vom Grund— 
ſtück entfernt worden find. Das betrifft nur die dinge 


Veräußerung und Entfernung der Beſtandteile liegende 
Eingriff, der nach 8 1121 das dingliche Recht des Hypo⸗ 
thefgläubigers an den Beſtandteilen zum Erlöſchen 
bringt, ein widerrechtlicher und ein ſchuldhafter iſt. 
Iſt dies zu bejahen, fo iſt 8 823 Abſ. 1 BGB. 
anwendbar. Widerrechtlich iſt aber, wie auch 8 1122 
ergibt, ein Eingriff jener Art dann, wenn durch 
die Entfernung der Beſtandteile der wirtſchaftliche 
Beſtand des Grundſtücks ganz oder teilweiſe zerſtört 
wird, wenn alſo die Entfernung den Regeln einer 
ordnungsmäßigen Wirtſchaftsführung zuwiderläuft; 
dabei iſt es völlig unerheblich, daß es ſich — worauf 
die Reviſion Gewicht legt — hier um ein noch im Bau 
begriffenes und nicht um ein fertiges Haus oder ein 
Landgut handelt. Von den vorſtehenden Grundſätzen 
iſt auch der 5. ZS. in dem in Bd. 73 S. 333 ff. ab» 
gedruckten Urteil ausgegangen. Die ſonſtigen oben 
wiedergegebenen Ausführungen des O. enthalten 
ebenfalls keinen Rechtsirrtum (vgl. das angeführte 
Urteil); ſie werden auch von der Reviſion nicht be⸗ 
anſtandet. Irrig iſt auch die weitere Ausführung der 
Reviſion, die Beklagten hätten keine Verpflichtung ge⸗ 
habt, durch ihre unbezahlten Lieferungen und Arbeiten 
den Hypothekgläubigern Vorteile zuzuwenden, ſondern 
das Recht gehabt, auf Abwendung ihres eigenen 
Schadens bedacht zu fein, ſoweit es ohne Rechtsver⸗ 
letzung möglich geweſen ſei. Es liegt eben hier eine 
Rechtsverletzung vor, der rechtswidrige Eingriff in 
das Hypothekrecht der Klägerin. Dieſes Recht er- 
ſtreckte ſich auch auf die von den Beklagten gelieferten 
Fenſterflügel, ſobald ſie eingehängt waren; anderer⸗ 
ſeits erloſchen mit dieſem Augenblicke die Rechte, die 
die Beklagten an dieſen Gegenſtänden hatten; die Be⸗ 
klagten hatten insbeſondere auch kein Recht auf vor⸗ 
zugsweiſe Befriedigung ihrer Kaufpreisforderung. 

Zu der Frage, ob der Klägerin durch die Weg⸗ 
ſchaffung der Fenſterflügel ein Schaden entſtanden iſt, 
führt das OLG. Folgendes aus: die Klägerin habe 
zur Begründung ihres Schadenserſatzanſpruchs nur 
darzutun, daß der Wert des Pfandgrundſtücks durch 
die ſchädigende Handlung gemindert worden und 
welcher Betrag zur Herſtellung des früheren Zuſtandes 
erforderlich geweſen ſei. Die Minderung des Wertes 
des Grundſtücks ſei dann, wie zugunſten der aus⸗ 
fallenden Hypothekgläubiger zu unterſtellen ſei, kauſal 
für den durch den Ausfall entſtandenen Schaden, und 
der Schaden erreiche den Betrag, der zur Herſtellung 
des früheren Zuſtandes des beſchädigten Grundſtücks 
erforderlich wäre. Demgegenüber wäre es Sache der 
Beklagten, wenn ſie ſich von ihrer Verbindlichkeit be— 
freien wollten, den Beweis zu erbringen, daß trotz der 
ſchädigenden Handlung der Klägerin ein Schaden nicht 
oder nicht in der von ihr behaupteten Höhe entſtanden 
ſei, daß alſo trotz der Verminderung des Werts des 
Grundſtücks der Verſteigerungserlös nicht geringer ge» 
worden ſei, als er geweſen wäre, wenn das Grund— 
ſtück in unbeſchädigtem Zuſtande zur Verſteigerung 
geſtellt worden wäre. Zu dieſem Zwecke ſeien die be— 
ſonderen Umſtände darzulegen, die etwaige Steige— 
rungsluſtige ohne Rückſicht auf ſeinen Wert von weiteren 
Geboten abgehalten hätten. Einen ſolchen Beweis 
hätten aber die Beklagten nicht angetreten. Demgegen— 
über macht die Reviſion geltend, die Frage nach der 
Entſtehung eines Schadens habe nur dahin geſtellt 
werden können, ob das Grundſtück nach der Entfernung 
der Fenſterflügel ſo ſehr im Werte vermindert geweſen 
ſei, daß es für die Hypotheken der Klägerin keine 
Sicherheit mehr geboten habe; das habe die Klägerin 
zur Begründung ihres Schadenserſatzanſpruches zu be— 
weiſen. Nach dem Gutachten des Sachverſtändigen 
Sch. habe der Wert noch bei weitem die Hypotheken— 
grenze der Klägerin überſtiegen. Daß dieſe bei der 
Zwangsverſteigerung ihre eigenen Hypotheken nicht 
ausgeboten habe, biete keinen Anhalt für die Annahme 


24 


eines ihr erwachſenen Schadens. Dieſem Angriff kann 
der Erfolg nicht verſagt werden. Allerdings war der 
Klägerin ein Nachteil ſchon dadurch entſtanden, daß 
das Grundſtück durch die Entfernung der Fenſterflügel 
überhaupt in ſeinem Werte vermindert worden war; 
denn es war ihr mit allen ſeinen Teilen verhaftet, in 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 


ihr dingliches Recht war von den Beklagten ein⸗ 
gegriffen worden. Hierdurch entſtand ihr der Anſpruch 


auf Wiederherbeiſchaffung der Fenſterflügel, oder auf 
Erſatz ihres Wertes, um damit den alten Zuſtand 
wiederherſtellen laſſen zu können. Der hierauf ge⸗ 
richtete urſprüngliche Klagantrag war daher durchaus 
gerechtfertigt. Jener Anſpruch iſt aber im Laufe des 
Prozeſſes dadurch weggefallen, daß die Hypotheken der 
Klägerin durch den Zuſchlag erloſchen ſind. Jetzt iſt 


die Frage zunächſt darauf zu richten, ob die Klägerin 


durch den Ausfall ihrer Hypotheken einen 
Schaden erlitten hat. Denn die der Klägerin gegen 
den bisherigen Eigentümer zuſtehenden Forderungen 
waren aus dem Grundſtück zu zahlen ($ 1113) und es 
kann ihr ein Schaden nur dann entſtanden ſein, wenn der 
Wert des Grundſtücks zur Zeit der Zwangsverſteigerung 
ihre Hypothekenforderungen nicht oder nur zum Teil 


deckte, und dies durch die Entfernung der Fenſterflügel 
veranlaßt worden war. Die Zwangsverſteigerung war 


das Ereignis, das die Hypotheken der Klägerin zum 
Erlöſchen brachte und infolge des Ausfalls der Hypo⸗ 


theken den von der Klägerin behaupteten Schaden ver⸗ 


urſacht hat. Es iſt daher bei Beantwortung jener 
Frage von Bedeutung, daß und um welchen Preis die 
Klägerin das Grundſtück erſtanden hat. 
dadurch, daß ſie es billig erſtanden hätte, ihren Aus⸗ 
fall wieder eingebracht haben, ſo würde ihr kein Schaden 
durch die Handlungsweiſe der Beklagten entſtanden 
ſein und nur darum kann es ſich hier, wo ein Anſpruch 
aus unerlaubter Handlung geltend gemacht wird, 
handeln (vgl. die Urteile des erkennenden Senats 
Rep. VI 197/02 vom 13. Oktober 1902 und Rep. VI 


Sollte ſie 


591/07 vom 29. Oktober 1908, ſowie das Urteil des 


5. 35. vom 22. Februar 1905, Rep. V 385/04 in Seuff A. 
60 Nr. 117). Würde ihr Meiſtgebot zuzüglich des da⸗ 
durch nicht gedeckten Betrags ihrer Hypotheken den 
Wert des Grundſtücks zur Zeit der Zwangsverſteigerung 
überſtiegen haben, ſo würde wegen des Mehrbetrags 
ihr Hypothekenausfall ungedeckt ſein, und wenn die 
von den Beklagten weggeſchafften eingehängten Fenſter⸗ 
flügel zur Zeit der Verſteigerung auf dem Grundſtück 
vorhanden geweſen wären, ſo würde der Betrag, um 
den der Wert des Grundſtücks ſich durch dieſe Gegen: 
ſtände erhöht hätte, den Hypothekenausfall ge— 
mindert haben; der Schaden der Klägerin würde alſo 
darin beſtehen, daß ſie in Höhe dieſes letzteren Betrags 
mit ihrem Hypothekenausfall ungedeckt geblieben wäre. 
Ob und wieviel über das Gebot der Klägerin hinaus 
geboten worden wäre, wenn die von den Beklagten 
widerrechtlich fortgeſchafften Gegenſtände ſich zur Zeit 
der Verſteigerung noch auf dem Grundſtück befunden 
hätten, worauf das OLG. Wert legt, iſt daher für die 
Schadenberechnung nicht maßgebend (RG. 38S. 73, 338 ff.). 
Nun hat nicht nur der Sachverſtändige Sch. den Wert 
des Grundſtücks nach der Fortſchaffung der Fenſter— 
flügel auf 217 200 M angegeben, ſondern die Beklagten 
haben unter Beweisantritt ſogar behauptet, der Wert 
zur Zeit der Zuſchlagserteilung habe mindeſtens 
250 000 M betragen. 
Richtung hat das OLG. nicht getroffen. Legt man 
dieſen Wert zugrunde — oder auch nur den vom Sach— 
verſtändigen angenommenen —, ſo wird der Ausfall 
der Klägerin durch den Wert des Grundſtücks vollauf 
gedeckt. Dann hat aber die Klägerin durch die Hand— 
lungsweiſe der Beklagten überhaupt keinen Schaden 
erlitten. Denn der Nachteil, den die Verſteigerung 
der Klägerin brachte, beruhte dann nicht auf der un— 
genügenden Deckung der Hypotheken, ſondern auf dem 
ungenügenden, dem Wert des Grundſtücks nicht ent— 


Bayern. 1911. Nr. 1. 


ſprechenden Gebot und dem darauf erteilten Zuſchlag 
und dieſem Nachteil ſteht der ebenfalls durch die Ver⸗ 
ſteigerung erlangte Vorteil gegenüber. Allerdings 
kann bei dieſer Schadensberechnung der abſolute Wert 
des Grundſtücks nicht ſchlechthin eingeſtellt werden; 
es iſt immer zu berückſichtigeu, daß der Vorteil, den 
die Verſteigerung brachte, nicht in barem Gelde beſteht, 
und daß jener Wert des Grundſtücks nicht ſtets dem 
Werte gleich iſt, den es für den Erſteher hat. Gleich⸗ 
wohl läßt ſich, namentlich den von den Beklagten über 
den Wert des Grundſtücks aufgeſtellten Behauptungen 
gegenüber, nicht jetzt ſchon ſagen, daß der Klägerin 
durch die Handlungsweiſe der Beklagten ein Schaden 
entſtanden ſei. (Urt. des VI. 35. vom 24. Okt. 1910, 
VI 550/1909). E. 
2012 


VI. 


Die Entſcheidung, die eine negative N 
klage ans fachlichen Gründen abweiſt, enthält zugleich 
die Feſtſtellung, daß das Rechtsverhältnis beſteht. — 
Ginfln der Kündigung und Nückzahlung eines Darlehens 
anf die Verpflichtung des Schuldners zur Gewährung 
der von ihm übernommenen Nebenleiſtungen; wann find 
ſolche Nebenleiſtungen als Zins anzuſehen? Aus den 
Gründen: Der Beklagte erhielt von dem Kläger ein 
Darlehn von 550000 M unter den in dem notariellen 
Vertrage Nr. 1432 vom 28. November 1902 niederge⸗ 
legten Bedingungen und verpfändete dafür dem Kläger 
durch einen zweiten notariellen Vertrag vom gleichen 
Tage, Nr. 1431, ſeinen Geſchäftsanteil an K.s K.⸗Geſchäft, 
G. m. b. H., deſſen Höhe in dem Vertrage auf 800000 M 
angegeben iſt. Zum 15. Juni 1906 kündigte er das 
Darlehen. Der Kläger war mit der Kündigung eins 
verſtanden und machte nur den Vorbehalt, daß er, 
feinen Anſpruch auf eine Unterbeteiligung von 50000 M 
an K.s K.⸗Geſchäft aufrecht erhalte, die ihm der Beklagte 
in dem Vertrage Nr. 1432 abgetreten hatte. Von dem 
Darlehen wurden 358000 M am 16. Juni 1906, 88 240 M 
am 20. desſelben Monats und 103760 M nach dem 
1. Juli 1907 zurückgezahlt, nachdem der Kläger letzteren 
Betrag eingeklagt und in zwei Inſtanzen im weſent⸗ 
lichen geſiegt hatte. Mit der vorliegenden Klage ver⸗ 
langt der Kläger einmal die auf die erwähnte Unter⸗ 
beteiligung für das Geſchäftsjahr vom 1. Juli 1906 
bis 30. Juni 1907 entfallende Dividende in der ziffer⸗ 
mäßig unbeſtrittenen Höhe von 22 500 M und einen 
Dividendenreſt aus dem vorhergehenden Jahre, ferner 
weitere Beträge als „Gewinnbeteiligung“, indem er 
ſich darauf beruft, daß ihm in dem Vertrage Nr. 1432 
von der Darlehnsſumme 2/% „als Gewinnbeteiligung“ 
pro Jahr zugeſagt ſind. Der Beklagte und die Neben- 


intervenientin behaupteten die Nichtigkeit der Verträge 


Eine Feſtſtellung nach dieſer 


Nr. 1431 und 1432. Sie ſoll ſich zunächſt daraus er⸗ 
geben, daß der Verpfändungsvertrag wegen Form— 
mangels nichtig ſei, beide Verträge aber derart zu— 
ſammen gehörten, daß die Nichtigkeit des einen die 
des anderen nach ſich ziehe. Weiter habe er den vers 
pfändeten Anteil im Jahre 1902 nicht mehr ganz be= 
ſeſſen, da er im Dezember 1899 einen Teilbetrag von 
100 000 M an die Geſchwiſter L. abgetreten habe; es 
ſei ſomit etwas nicht Vorhandenes verpfändet worden. 
Auf den erſten Einwand iſt das OLG. ſachlich nicht 
eingegangen, weil hierüber in einem Vorprozeſſe rechts- 
kräftig erkannt ſei. Damals hatte der Kläger rück— 


ſtändige Zinſen, Gewinnbeteiligung und Dividende auf 


die Unterbeteiligung eingeklagt, der Beklagte aber 
hatte Widerklage erhoben, mit der er verlangte, die 
beiden Verträge, mindeſtens aber die in ihnen ſeiner 
Anſicht nach enthaltene Abtretung eines Teils ſeines 
Geſchäftsanteils für nichtig zu erklären, und hatte 
zur Begründung der Widerklage auch die angeblich 
mangelnde Genehmigung derGeſellſchaft geltend gemacht. 
Dieſe Widerklage iſt rechtskräftig abgewieſen worden. 

Die Reviſion betrachtet die Widerklage mit 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


25 


Recht als negative Feſtſtellungsklage, beftreitet aber 
unter Berufung auf ältere Reichsgerichtsurteile, daß 
mit der Abweiſung zugleich pofitiv die Exiſtenz des 
bekämpften 18 misc reftgefteilt ſei. Dieſer 
Kine vom I. 35. — Entſch. 6, 386, vgl. auch Urteil 

es III. 38S. vom 23. Nov. 1897, III 193/97 — aus⸗ 
geſprochenen Meinung iſt indeſſen aus den vom IV. 3S. 
— Entſch. 29, 345 ff. — entwickelten Gründen nicht 
zu folgen, auch iſt fie vom I. 38S. nicht aufrecht er⸗ 
halten worden. Beizutreten iſt vielmehr der herrſchend 
gewordenen Anſicht, daß eine die negative ee 
klage aus ſachlichen Gründen abweiſende Entſcheidung 
zugleich die Feſtſtellung des Beſtehens des Rechtsver⸗ 
hältniſſes enthält, vgl. Gaupp⸗Stein, Anm. V zu § 256 
ZPO. und die Entſcheidungen in Note 119 daf.; ferner 
RG. 8. und 10. Mai 1901, Reg. I 59/01 und III 384/01, 
ſowie das Urteil dieſes Senats vom 30. Mai 1910, 
Reg. VI 268/09. Daß in dem Vorprozeſſe eine ſach⸗ 
liche Entſcheidung ergangen iſt, ſtellt die Reviſion nicht 
in Abrede, es läßt ſich das auch füglich nicht bezweifeln, 
denn das OLG. hat damals, abgeſehen von der bereits 
erwähnten Einrede, noch weiter die ſpeziell gegen den 
Vertrag Nr. 1432 gerichteten Einwendungen geprüft, 
er ſei wucheriſch und die in ihm enthaltene Abtretung 
einer Unterbeteiligung verſtoße gegen § 17 Gmbh. 
Es iſt zu der Ueberzeugung gelangt, daß beide Verträge 
zu Recht beſtehen und hat deswegen die Widerklage 
abgewieſen. Hiermit iſt zugleich poſitiv die Gültigkeit 
der beiden Verträge feſtgeſtellt und der Beklagte kann 
dieſe Gültigkeit, die die Vorausſetzung der jetzt er⸗ 
hobenen Anſprüche bildet, nicht mehr ſtreitig machen, 
Entſch. 50, 418. Ob das OG. bei dieſer Rechtslage 
Veranlaſſung hatte, ſachlich auf die Einwendungen 
einzugehen, die ſich gegen die Gültigkeit der beiden 
Verträge richten, in dem früheren Rechtsſtreite aber 
nicht vorgebracht waren — vgl. Entſch. 50, 419 —, 
mag auf ſich beruhen; denn ſeine hierher gehörenden 
ſachlichen Ausführungen ſind unbedenklich und werden 
von der Reviſion nicht in Zweifel gezogen. 

Der Beklagte und die Nebenintervenientin rügen 
weiter Verletzung des 8 286 ZPO., der Auslegungsvor⸗ 
ſchriften des BGB. und des § 247 daſ. Es handelt ſich 
hiervei um die Auslegung der Beſtimmungen des Ver⸗ 
trages Nr. 1432, die ſich auf die Unterbeteiligung 
beziehen. Der Vorderrichter faßt dieſe Unterbeteiligung 
als eine Vergütung für die Gewährung des Darlehns, 
eine Art Proviſion, auf und nimmt an, daß ſie mit 
der Verzinſung des Darlehns nichts zu tun habe, von 
der Kündigung nicht berührt werde und ſo lange be⸗ 
ſtehe, als K.s K.⸗Geſchäft exiſtieren werde. Die Reviſion 
meint, hierbei ſei unberückſichtigt geblieben, daß Be⸗ 
klagter auf die Unterbeteiligung 155% Dividende 
garantiert habe, und zwar finde ſich dieſe Abmachung 
an einer Stelle des Vertrags, an der ſie als Ver⸗ 
gütung für den Darlehnsgenuß, alſo als Zins auf⸗ 
gefaßt werden müſſe. Wolle man ſie aber nicht direkt 
als Zins anſehen, ſo ſei ſie doch eine der verſchiedenen 
Gegenleiſtungen des Beklagten für den Genuß des 
Kapitals und müſſe daher im Verhältnis der Kapital⸗ 
rückzahlungen wegfallen. Auch dieſer Angriff geht fehl. 
Zuzugeben iſt dem Beklagten, daß es für die Frage, 
ob eine Leiſtung als Zins anzuſehen iſt, nicht ent⸗ 
ſcheidend darauf ankommt, wie ſie von den Beteiligten 
genannt wird. Eine Definition des Begriffs gibt das 
BGB. nicht, man wird aber unbedenklich annehmen 
können, daß die Zinſen eine Vergütung für den Ge⸗ 
brauch fremden Kapitals darſtellen — vgl. Oertmann, 
Anm. 1 zu $ 246 BGB. — nicht für deſſen Ueberlaſſung 
als ſolche und daß ſie von dem Beſtehen und der Höhe 
der Hauptſchuld abhängig ſein müſſen. Sie ſind inſo⸗ 
weit eine Nebenverbindlichkeit — RGRKomment., 
Anm. 1 zu § 246 BGB. —, deren Höhe ſich bei gleich⸗ 
bleibendem Zinsfuß mit der teilweiſen Zurückzahlung 
des Kapitals mindert und die mit der völligen 
Tilgung erlöſchen — vgl. auch Enneccerus, Lehrb. des 


bürgerl. Rechts, II S. 19 (4. und 5. Auflage). Eine 
anders geartete Vergütung kann nicht mehr den für 
Zinſen geltenden Vorſchriften unterſtellt werden. Von 
dieſem Standpunkte aus iſt die Auffaſſung des 
OL G., daß die Unterbeteiligung nicht als Zins anzu⸗ 
ſehen ſei, zutreffend. Es gebt mit Recht davon aus, 
daß der Vertrag Nr. 1432 kein reiner Darlehnsvertrag 
iſt, ſondern noch andere Abreden enthält, die mit dem 
Darlehn im Zuſammenhange ſtehen. Ohne Bedenken 
iſt zunächſt die Feſtſtellung, daß die Unterbeteiligung 
eine Gegenleiſtung für die Gewährung des Darlehns 
ſei; denn das wird zu Eingang des Vertrags deutlich 
ausgeſprochen und ebenfalls in dem vom Vorderrichter 
herangezogenen Briefe des Beklagten vom 28. November 
1902 zum Ausdruck gebracht. In der Unterbeteiligung 
erhielt mithin der Kläger für die Hingabe des Dar⸗ 
lehns eine beſondere Prämie, beſtehend in einem obli⸗ 
atoriſchen Anſpruche gegen den Beklagten, auf Ueber⸗ 
aſſung des Gewinnes, der auf eine Beteiligung von 
50 000 M an K.s K.⸗Geſchäft entfallen würde, vgl. ferner 
Staub, Exkurs zu § 122 HGB., Anm. 31; 8 15 GmbHG. 
Anm. 9. Daß dieſer Gewinnanteil in irgend eine 
andere Abhängigkeit von dem Darlehn gebracht wäre, 
als daß er für deſſen Hingabe zugeſtanden wurde, iſt 
nicht erſichtlich. Es geſchieht das auch nicht dadurch, 
daß der Beklagte eine jährliche Dividende von 15 % 
garantiert hat, da hiedurch nur den Schwankungen 
der Vergütung eine untere Grenze gezogen wird. Aus 
der Stelle, die dieſe Klauſel im Vertrage gefunden 
hat, iſt nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Mit dem 
Zinscharakter der Unterbeteiligung entfallen auch die 
Folgerungen, die die Reviſion daraus zieht; es verſteht 
ſich keineswegs von ſelbſt, daß ſie von der Kündigung, 
die übrigens auch für den Zinſenlauf keine unmittel- 
bare Bedeutung hat, oder von der teilweiſen Kapital⸗ 
rückzahlung beeinflußt werden müßte. Eine Verletzung 
des § 247 BGB. liegt mithin nicht vor, wozu noch 
bemerkt werden möge, daß dieſe Vorſchrift ſich nur 
auf die Zuläſſigkeit der Kündigung bezieht, deren 
Wirkſamkeit aber, da ſich der Kläger mit ihr einver⸗ 
ſtanden erklärt hat, nicht in Frage ſteht. Aus der 
Verneinung der Zinsnatur folgt noch nicht, daß über- 
haupt keine Abhängigkeit zwiſchen der Nutzung des Dar⸗ 
lehnskapitals und der Dauer der Unterbeteiligung be= 
ſtehen könnte. Eine ausdrückliche Abmachung hierüber 
fehlt. Ob nun anzunehmen iſt, daß die Unterbeteiligung 
dem Kläger für die ganze Exiſtenz von K.s K.⸗Geſchäft 
gebührt, wie die Vorinſtanz annimmt, mag unent⸗ 
ſchieden bleiben, denn jedenfalls iſt nicht abzuſehen, 
weshalb fein Recht vor der völligen Kapitalsrück— 
zahlung enden ſollte. Wollte man nämlich die Unter⸗ 
beteiligung auch als eine nicht Zinscharakter tragende 
Vergütung für den Genuß des Darlehns anſehen, 
ſo fehlt es doch an allen Anhaltspunkten dafür, daß 
die Parteien eine Verminderung bei teilweiſer Ab⸗ 
tragung des Darlehns gewollt hätten. Das genügt, 
um den Anſpruch des Klägers auf die Dividende für 
das mit dem 30. Juni 1907 beendete Geſchäftsjahr 
ſowie auch den Rückſtand aus früherer Zeit als be⸗ 
gründet erſcheinen zu laſſen; denn die letzte Kapitals⸗ 
zahlung erfolgte erſt nach dieſem Zeitpunkte. Hiernach 
iſt die von dem Beklagten und der Nebenintervenientin 
eingelegte Reviſion unbegründet. Das Gleiche gilt 
aber auch von der Reviſion des Klägers, die ſich gegen 
die auf die, Gewinnbeteiligung“ bezügliche Entſcheidung 
des OLG. wendet. Zutreffend ſagt das Urteil, daß 
ſie in dem Vertrage Nr. 1432 und ebenſo in dem Briefe 
vom 28. November 1902 als jährliche Vergütung neben 
die Zinſen geſtellt werde. In dem erſteren heißt es: 
„Außer dieſen Zinſen vergütet Herr K. dem Herrn H. 
alljährlich am 1. Oktober, zuerſt am 1. Oktober des 
nächſten Jahres, für die Zeit vom 1. Januar bis 
1. Juli 1903 von dem Betrage von 550000 32 zwei 
und ein halb Prozent als Gewinnbeteiligung pro Jahr.“ 
Hiermit ſtimmt es völlig überein, wenn in dem Briefe 


gefagt wird, daß Beklagter die Unterbeteiligung ab⸗ 
trete, „wenn Sie mir ein Darlehn ... gegen Ver⸗ 
gütung von 5% Zinfen und 2½ % Gewinnbeteiligung 
pro Jahr gewähren“. Die Gewinnbeteiligung wird 
mithin in unmittelbare Abhängigkeit von der Kapital- 
höhe gebracht und in Prozenten der Schuldſumme 
feſtgeſetzt, ganz ebenſo wie die Zinsvergütung. Als 
Gründe, die gegen die Zinsnatur der Gewinnbeteiligung 
ſprechen könnten, führt das OLG. an, daß ſie nur zu 
zahlen ſei, wenn K.s K.⸗Geſchäft Reingewinn verteile, 
ferner, daß vereinbart iſt, die Gewinnbeteiligung ſei 
zehn Jahre lang auch dann zu zahlen, wenn Beklagter 
von ſeinem Rechte, das Darlehn nach fünf Jahren zu 
kündigen, Gebrauch machen ſollte. Ob die Gewinn— 
beteiligung nur geſchuldet wird, wenn K.s K.⸗Geſchäft 
Reingewinn erzielt, iſt nicht ohne Bedenken. Die 
Faſſung des Vertrags, nach der die 2½ % „als 
Gewinnbeteiligung“ zu zahlen ſind, läßt die Auffaſſung 
des Beklagten, ſie ſeien in jedem Falle zu entrichten, 
umſoweniger als unmöglich erſcheinen, als andern— 
falls nicht abzuſehen iſt, wieviel Beklagter bei einer 
niedrigen Dividende von K. K.-Geſchaft, etwa bei 1% 
zahlen ſoll, in dieſem Falle auch die von dem Be— 
klagten am Schluſſe des Vertrags übernommene Haftung 
für jeden Ausfall in Frage käme. Nimmt man indeſſen 
die Vertragsauslegung des Vorderrichters als richtig 
an, ſo kommt, wie er mit Recht ausführt, in Be— 
tracht, daß die Gewinnbeteiligung trotzdem tatſäch⸗ 
lich als feſte Vergütung angeſehen werden kann, weil 
bei den glänzenden Erträgniſſen von K.s K.⸗Geſchäft 
die Möglichkeit einer hinter 2½ % zurückbleibenden 
Dividende ſo fern lag, daß die Vertragsparteien ſie 
nicht ernſtlich in Betracht gezogen haben. Schwer: 
wiegender iſt der zweite Einwurf, weil er auf eine ge— 
wiſſe Unabhängigkeit der Gewinnbeteiligung gegenüber 
der Hauptſchuld hindeutet. Das OLG. nimmt an, 
man könne eine über die Dauer der Hauptforderung 
hinausreichende Verzinſung bedingen und ſo mittelbar 
den Zinsfuß erhöhen, eine ſolche Abmachung werde 
aber durch eine nach $ 247 BGB. erfolgte Kündigung 
hinfällig. Dieſe Ausführungen werden von der Reviſion 
nicht ohne Grund beanſtandet. Zwar iſt es unbedenklich 
zuläſſig, im Zuſammenhang mit einem Darlehn eine 
in Prozenten der Hauptſumme ausgedrückte Vergütung 
auch für die Zeit nach der Rückzahlung zu vereinbaren, 
die zu entſcheidende Frage iſt aber gerade die, ob eine 
ſolche Vergütung hier als Zins behandelt werden 
darf. Als entſcheidend iſt zu erachten, daß die Ge— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


| 


rauten. 


winnbeteiligung im übrigen die charakteriſtiſchen Merk- 


male echter Zinſen aufweiſt, ſie auch nach der Feſt— 
ſtellung des Vorderrichters zuſammen mit den Zinſen 


den jährlichen Ertrag des Kapitals bilden ſollte und 


die Bezeichnung „Gewinnbeteiligung“ nur gewählt 
wurde, um das Kündigungsrecht des Beklagten aus— 
zuſchließen. Hiernach konnte der Vorderrichter die 
Gewinnbeteiligung ohne Rechtsirrtum als Zins be— 
handeln und ſie dem Kläger nur nach Maßgabe der 
noch geſchuldeten Kapitalbeträge zuſprechen. (Urt. des 
VI. 3S. vom 20. Oktober 1910, VI 456/1909). E. 
2107 


VII. 


Widerſpruchsklage gegen die Zwangs verſteigerung 
auf Grund eines Veräußerungsverbots. (66 771, 772 
SPD). Aus den Günden: Der Berufungsrichter 
führt aus, der Antrag der Klägerin, die Zwangsver— 
ſteigerung auf Grund der in Abt. III Nr. 9 einge— 
tragenen Grundſchuld für unzuläſſig zu erklären, finde 
in 8 772 3PO. keine Stütze, weil die Grundſchuld vor 
dem für die Klägerin eingetragenen Veräußerungs— 
verbot eingetragen worden ſei, alſo dem Verbot im Range 
vorgehe. Das unterliegt keinem rechtlichen Bedenken. 
Nach der durch die Novelle vom 17. Mai 1898 einge— 


führten Vorſchrift des 8 772 ZPO. kann auf Grund 


eines Veräußerungsverbots zum Schutze beſtimmter 


Perſonen (58 135, 136 BGB.) gegen die im Wege der 
Zwangsvollſtreckung betriebene Veräußerung eines 
Gegenſtandes nur dann nach 8 771 ZPO. Widerſpruch 
erhoben werden, wenn die Veräußerung wegen eines 
perſönlichen Anſpruchs oder auf Grund eines infolge 
des Verbots unwirkſamen Rechts erfolgen ſoll. Dieſe 
Vorausſetzung für die Widerſpruchsklage iſt nicht ges 
geben. Denn der Beklagte betreibt nicht wegen eines 
perſönlichen Anſpruchs gegen die Grundſtückseigen⸗ 
tümer, ſondern auf Grund einer eingetragenen Grund— 
ſchuld die Zwangsverſteigerung und dieſe Grundſchuld 
iſt nicht infolge des Veräußerungsverbots unwirkſam, 
weil fie ſchon eingetragen war, bevor das Veräuße— 
rungs verbot zugunſten der Klägerin eingetragen wurde. 
Auch auf S 771 ZPO. unmittelbar kann die Klage 
nicht geſtützt werden. Denn ein Veräußerungs verbot, 
das nur den Schutz beſtimmter Perſonen bezweckt, ent⸗ 
zieht dem Eigentümer nicht die Befugnis zur Verfügung 
über den Gegenſtand und iſt deshalb nicht ein die 
Veräußerung hinderndes Recht im Sinne dieſer Vor⸗ 
ſchrift. Deshalb kann die Klägerin nicht auf Grund 
des für ſie eingetragenen Veräußerungsverbots die 
Unzuläſſigkeit der vom Beklagten wegen der Grund— 
ſchuld betriebenen Zwangsvollſtreckung im Wege der 
Widerſpruchsklage deswegen geltend machen, weil der 
Beklagte in Wirklichkeit nicht Gläubiger der Grund— 
ſchuld ſei. (Urt. des V. ZS. vom 17. Oktober 1910, 
V 444/09). — — en. 
2103 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Beginn der Klagbarkeit des Anſpruchs der bayerischen 
Beamten auf Gehaltserhöhung (Art. 178 B.). Be: 
rechnung der Dienſtzeit (Art. 23 BG). Unauwendbar⸗ 
keit des 8 66 Abſ. 1 R Mil G. auf Staatsdienſtaſpi⸗ 
Der Poſtſekretär M. hat die Adjunktenprü⸗ 
fung am 3. Mai 1893 beſtanden. Er war dann Hilfs⸗ 
arbeiter im bayeriſchen Poſtdienſt (Aſpirant) und 
wurde zur Ableiſtung ſeiner Militärdienſtpflicht bom 
1. November 1894 ab auf ein Jahr des Dienſtes ent⸗ 
hoben. Am 1. November 1895 trat er ſeinen Dienſt 
als ſtändiger Hilfsarbeiter wieder an. Vom 16. De⸗ 
zember 1895 an wurde er zum Adjunkten (Kat. B III) 
in M. ernannt; feine Nachleute in der Adjunkten— 
prüfung waren ſchon am 1. Juli 1894 als Adjunkten 
angeſtellt worden. Am 16. Februar 1903 beſtand M. 
die Expeditorenprüfung und wurde darauf vom 1. Ok- 
tober 1903 an zum Expeditor I. Kl. befördert. Am 
11. März 1905 wurde ihm vom Oberpoſtamte eröffnet, 
er werde zufolge der Entſchließung des Miniſteriums 
für Verkehrsangelegenheiten vom 30. November 1904 


und Entſchließung der Generaldirektion der Poſten und 


| 


Telegraphen mit dem Ergebniſſe feiner Expeditoren— 
prüfung in die Erpeditorenprüfung vom 22. April 1901 
unter Platz 151 b eingereiht und das für feine Gehalts- 
vorrückung und Dienſtaltersfolge maßgebende Datum 
werde auf den 1. März 1903 feſtgeſetzt. Bei der Neu— 
regelung der Gehaltsverhältniſſe der etatsmäßigen 
Staatsbeamten durch das BG. vom 16. Auguſt 1908 
wurden die früher getrennten Klaſſen der Adjunkten 
und Poſtexpeditoren J. Kl. (Kategorie B III und BI) 
in eine Klaſſe (17) vereinigt. Durch die Entſchließung 
der Oberpoſtdirektion vom 15. Dezember 1908 wurde 
angeordnet, daß M. als Poſtſekretär vom 1. Januar 
1909 an den Gehalt der 5. Dienſtaltersſtufe der Klaſſe 
17 (13. bis 15. Dienſtjahr) von jährlich 3000 M er: 
halte und daß für die Vorrückung in die 6. Dienſt— 
altersſtufe der 1. Dezember 1910 in Betracht komme. 
Da die Poſtbeamten, welche die Expeditorenprüfung 
am 22. April 1901 gemacht hatten, ſchon vom 1. Juli 
1909 an in die 6. Dienſtaltersſtufe mit dem Gehalte 


Zeitſchrift für Rechtspflege i in Bayern. 


von 3300 M eingereiht wurden, richtete M. am 15. Ja⸗ 
nuar 1909 an die Oberpoſtdirektion eine Eingabe, in 


der er geltend machte, nach dem in der Adjunkten⸗ 1903 maßgebend ſei. 


prüfung erhaltenen Platze würde auch er wie ſeine 
Prüfungsgenoſſen am 1. Juli 1894 zum Adjunkten er⸗ 
nannt worden ſein, wenn ſich nicht ſeine Anſtellung 
durch die Ableiſtung der Militärdienſtpflicht verzögert 
hätte. Im Hinblick auf die durch die Entſchließung 


| 


vom 30. November 19041 angeordnete Vordatierung fei | 
deshalb das maßgebende Datum für feine Einreihung 
in die neue Gehaltsordnung der 1. Juli 1894; er habe 


hiernach nicht erſt am 1. Dezember 1910, ſondern ſchon 
am 1. Juli 1909 in den Bezug von 3300 M einzurücken. 
Er bitte deshalb den 1. Juli 1894 als das für ſeine 


Gehalts vorrückung maßgebende Datum feſtzuſetzen. Die 


Oberpoſtdirektion hat ſeinem Geſuche nicht entſprochen 
und ein weiteres Geſuch iſt vom Verkehrsminiſterium 
am 16. Juli 1909 abgewieſen worden. Die deshalb 
von M. gegen den Poſtfiskus erhobene Klage iſt ab— 
gewieſen worden. Seine Berufung wurde zurückgewieſen. 
Auch ſeiner Reviſion wurde der Erfolg verſagt. 


Gründe: Das Staatsdienſtverhältnis iſt vor⸗ 
wiegend öffentlichrechtlicher Natur, vor den Gerichten 
verfolgbare Anſprüche können aus dieſem Verhältniſſe 
nur ſoweit geltend gemacht werden, als es durch das 
Geſetz zugelaſſen iſt. Der Art. 176 Abſ. 1 BG. vom 
16. Auguſt 1908 beſtimmt, daß für die vermögens 
rechtlichen Anſprüche der Beamten aus ihrem Dienſt⸗ 
verhältnis, insbeſondere ihre Anſprüche auf Gehalt, 
der Rechtsweg offenſteht. Die Klage gründet ſich auf 
die Behauptung, daß der Kläger vom 1. Juli 1909 an 
einen höheren Gehalt zu beziehen habe, weil er an 
dieſem Tage in die ſechſte Dienſtaltersſtufe feiner Be- 
ſoldungsklaſſe hätte eintreten ſollen. Der Kläger ver— 
langt, daß ſein Gehalt in anderer Weiſe bemeſſen werde, 
als es durch die Entſchließung der Oberpoſtdirektion 
München vom 15. Dezember 1908 geſchehen iſt, durch 
die angeordnet wurde, daß der Kläger vom 1. Januar 
1909 an als Poſtſekretär den Gehalt der fünften Dienft- 
altersſtufe der Klaſſe 17 der Gehaltsordnung erhalte 
und daß für die Vorrückung in die ſechſte Dienſtalters⸗ 
ſtufe der 1. Dezember 1910 in Betracht komme. Ein 
im Rechtswege verfolgbarer Anſpruch auf Bemeſſung 
des Gehalts in einer beſtimmten Höhe oder auf Vor— 
rückung im Gehalte ſteht aber den Beamten — abge— 
ſehen von der Ausnahme für die richterlichen Beamten 
im Art. 183 Abſ. 2 Ziff. 2 BG. — nicht zu. Der Art. 178 
ſchreibt ausdrücklich vor, daß für die Beurteilung der 
vor dem Gerichte geltend gemachten vermögensrecht— 
lichen Anſprüche die Entſcheidungen der Verwaltungs— 
behörden über die Zuweiſung des Gehalts bindend 
ſind. Daraus ergibt ſich, daß die Tatſache der Zu— 
weiſung eines beſtimmten Gehalts mit der Rechtsfolge 
unanfechtbar feſtſteht, daß nur darnach der Umfang 
dieſer Anſprüche richterlich beſtimmt werden ſoll, daß 
aber das Gericht nicht befugt iſt, in den Kreis ſeiner 
Erwägungen auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit der 
Gehaltszuweiſung zu ziehen und die vermögensrecht— 
lichen Anſprüche auf einer anderen Grundlage feſtzu— 
ſetzen. Das Berufungsgericht hat auf Grund der Ge— 
ſetzesbeſtimmungen und der amtlichen Begründung 
dieſer Beſtimmungen ſowie unter Verwertung der in 
der Theorie hervorgetretenen Anſchauungen mit Recht 


ar Nr. 1. 27 


N und verfügt wurde, daß für die Dienftalters- 
folge und die Vorrückung im Gehalte der 1. März 
Dadurch habe der Kläger einen 
Rechtsanſpruch auf Vorrückung im Gehalte vom 1. Juli 
1909 an erworben, der ohne Verletzung von Treu 
und Glauben bei der Neuregelung der Gehalte durch 
das BG. und der hierbei erfolgten Einreihung des 
Klägers in die 17. Klaſſe der Gehaltsordnung nicht 
habe unberückſichtigt gelaſſen werden dürfen. Allein 
auch nach dieſer Richtung kann die Reviſion nicht von 
Erfolg ſein. Für die Einreihung des Klägers in die 
Klaſſe 17 der Gehaltsordnung und für die Bemeſſung 
der Vorrückung in den Gehalt einer höheren Dienjt- 
altersſtufe war nach Art. 28 Abſ. 3 BG. und § 4 Abſ. 3 
der VO. vom 6. September 1908, die Gehaltsverhält- 
niſſe der etatsmäßigen Staatsbeamten betr., nicht der 
Zeitpunkt ſeiner wirklichen oder vordatierten Ernennung 
zum Expeditor und die von da an ſich berechnende 
Dienſtaltersfolge, ſondern die Zeit maßgebend, die der 
Kläger feit feiner Ernennung zum Adjunkten in etats⸗ 
mäßiger Weiſe in den beiden Dienſtesſtellungen als 
Adjunkt und Expeditor zugebracht hatte. Als Inhalt 
der Entſchließung vom 2. März 1905 hat aber das 
Berufungsgericht feſtgeſtellt, daß die Beamten, die in⸗ 
folge der Ableiſtung ihrer Militärpflicht die Expedi— 
torenprüfung erſt ſpäter als ihre Konkursgenoſſen aus 
den Adjunktenprüfungen ablegen konnten, in die ent⸗ 
ſprechenden früheren Expeditorenprüfungen einzureihen 
und demgemäß vorzudatieren ſeien, daß hiernach auch 


der Kläger in die Expeditorenprüfung vom 22. April 


angenommen, daß der Beamte — abgeſehen von den 


Richterbeamten — einen Anſpruch auf Gehalt in be— 
ſtimmter Höhe, auf Gehaltsvorrückung und auf die 
mit der Vorrückung verbundene Gehaltserhöhung erſt 
durch die Zuweiſung erhält, daß ihm aber kein vor 
Gericht verfolgbarer Anſpruch darauf zuſteht, daß eine 
Erhöhung des bisher von ihm bezogenen Gehaltes 
verfügt werde. 

Die Reviſion ſucht demgegenüber geltend zu 
machen, daß dieſe Zuweiſung für den Kläger in 
der Entſchließung, vom 2. März 1905 zu erblicken 
ſei, durch die er in eine frühere Expeditorenprüfung 


1901 eingereiht und das für ſeine Gehaltsvorrückung 
und Dienſtaltersfolge als Expeditor maßgebende Datum 
auf den 1. März 1903 feſtgeſetzt wurde, daß aber eine 
Anordnung des Inhalts, daß M künftig und für alle 
Zeit in jeder Hinſicht denjenigen Beamten gleichſtehen 
ſolle, die gleichzeitig mit ihm ſeinerzeit die Adjunften- 
prüfung beſtanden hatten, in der Entſchließung nicht 
enthalten ſei; nur ſein Gehalt als Expeditor ſollte 
ſo berechnet werden, als wäre ſeine Ernennung zum 
Expeditor I. Kl. am 1. März 1903 erfolgt. Dieſe im 
Wege der Auslegung gewonnene Feſtſtellung des Sin— 
nes der Entſchließung vom 2. März 1905 iſt eine tat- 
ſächliche und wäre mit der Reviſion nur dann angreif- 
bar, wenn das Ergebnis der Auslegung unter Ver— 
letzung der Rechtsnormen der Auslegung von Willens— 
erklärungen oder der Geſetze der Logik gewonnen wäre. 
Dies iſt aber nicht der Fall. Verfehlt iſt auch die 
Rüge der Reviſion, daß dieſe Auslegung im Wider— 
ſpruche mit der Vorſchrift des $ 66 RMilG. vom 2. Mai 
1874 ſtehe und daß auch der Art. 28 Abſ. 7 BG. mit 
dieſer Vorſchrift nicht im Einklange ſtehe, der es, falls 
ſich die Ernennung eines Staatsdienſtaſpiranten zum 
etatsmäßigen Beamten durch die aktive Militärpflicht 
verzögert hat, in das Ermeſſen der Regierung ſtellt, 
die Zeit der Verzögerung bei der ſpäteren Ernennung 
zum etatsmäßigen Beamten für die Bemeſſung des 
Gehalts anzurechnen. Denn der 8 66 Abſ. 1 ſpricht 
nur davon, daß „Beamte“ durch ihre Einberufung 
zum Militärdienſt in ihren bürgerlichen Dienſtver— 
hältniſſen einen Nachteil nicht erleiden ſollen, berührt 
aber überhaupt nicht den Fall, daß ein Staatsdienſt— 
aſpirant wie der Kläger vor ſeiner Ernennung zum 


Beamten der Militärpflicht genügt. (Urt. des J. ZS. 
vom 21. Oktober 1910, Reg. l. 184/1910). W. 
2103 
B. Strafſachen. 
I. 
§§ 135, 136 des Bereinszollgeſetzes. Pferdezoll; 


Konfiskation, Wertserſatz; Zeit der Entſtehung des An: 
ſpruchs auf Wertöerfah. Der Angeklagte führte ein 
in Oeſterreich erzeugtes Pferd auf dem Eiſenbahnwege 
von Oeſterreich über P. nach Bayern ein und ließ bei 
der Verzollung den Wert des Pferdes zu „unter 1000 M, 


angeben, wofür ein Zoll von 50 M zu entrichten 
geweſen wäre. Durch Schätzung amtlicher Sachver⸗ 
ſtändiger wurde jedoch ein Wert von über 1200 bis 
1500 M und für den Fall, daß auf Erlegung des 
Wertes zu erkennen 1 auf 1201 M ermittelt; der 
Zoll betrug darnach 75 M und wurde bezahlt. Der 
Angeklagte hatte das Pferd um 1240 Kronen = 1054 M 
gekauft und alsbald wieder vertauſcht. Der Angeklagte 
wurde vom Schöffengericht wegen einer Zuwiderhand⸗ 
lung gegen die 88 135, 136 Ziff. 1e Ver. ZG. zum Wert⸗ 
erſatze von 1201 M und in eine Geldſtrafe von 100 M 
verurteilt. Die Berufung des Angeklagten wurde ver» 
worfen. Das Berufungsgericht hat den Angeklagten 
für überführt erachtet, daß er in P. es unternommen 
hat, Eingangsabgaben zu hinterziehen, indem er als 
Gewerbetreibender einen Gegenſtand, der zu ſeinem 
Gewerbe in Beziehung ſtand, im Falle ſpezieller De⸗ 
klaration in einer Beſchaffenheit deklarierte, welche 
eine geringere Abgabe (50 ſtatt 75 M) begründet haben 
würde (Uebertretung nach den 8$ 135, 136 Ziff. Le 
Ver. ZG.). Es hat den von dem Angeklagten verſuchten 
Nachweis, daß eine Defraudation nicht beabſichtigt ge⸗ 
weſen ſei, nicht als erbracht angeſehen, vielmehr die 
Defraudationsabſicht des Angeklagten angenommen. 

Aus den Gründen: Die Reviſion blieb ohne 
Erfolg. Das Berufungsgericht hat nicht angenommen, 
daß der Angeklagte einer Defraudation nach dem $ 135 
Ver. 3G. im begrifflichen oder gar ſachlichen Zuſammen⸗ 
hange mit einer Defraudation nach dem $ 136 Ziff. Le 
Ver ZG. ſich ſchuldig gemacht habe. Dies wäre fehler⸗ 
haft. Vielmehr hat das Berufungsgericht, ohne auf 
die 88 73, 74 StGB. Bezug zu nehmen, die im § 136 
Ziff. 16 bezeichneten Tatſachen als erwieſen angenommen 
und zufolge des Mißlingens des Nachweiſes, daß eine 
Defraudation weder habe verübt werden können, noch 
beabſichtigt geweſen ſei, die Zolldefraudation nach 8 135 
als vollbracht angenommen. Das Berufungsgericht 
hat alfo in der im $ 136 Ziff. Le bezeichneten Tat⸗ 
ſache in Anbetracht des Mißlingens des Entlaſtungs⸗ 
beweiſes die Verwirklichung des Tatbeſtandes des 8 135 
erblickt. Das entſpricht dem Geſetze. 

Wer Pferde aus einem Vertragsſtaat einbringt, 
darf nach dem auch hier maßgebenden Handelsvertrage 


mit Belgien vom =. Juni 1904 (Schlußprotokoll zu 


Art. 2 und 3 in neuer Faſſung) nicht einen bis zu 
10% geringeren Wert erklären; vielmehr ſoll nur der 
äußere Tatbeſtand des 8 136 Ziff. 1e Ver. ZG. erſt dann 
vorliegen, wenn der erklärte Wert um mehr als 10% 
hinter dem amtlich feſtgeſtellten Werte zurückſteht. 
Ausſchließlich eine ſolche Spannung zwiſchen dem er— 
klärten und dem amtlich feſtgeſtellten Werte wird nad)» 
geſehen; auf den Mangel der Uebereinſtimmung der 
Deklaration mit anderen für die Bewertung maß— 
gebenden Umſtänden (wie mit dem vom Einbringer 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


| 


1911. Nr. 1. 


mungen des Ver 3G. führen dazu, den Ausdruck „Be⸗ 
ſchaffenheit“ in einem weiteren Sinne auszulegen, der 
auch den Wert der zollpflichtigen Gegenſtände in ſich 
begreift. § 136 Ziff. 16 handelt von einer unrichtigen 
Deklaration der Menge oder der Beſchaffenheit; Be⸗ 
zeichnung „nach Quantität und Qualität“ gilt als die 
umfaſſendſte Bezeichnung von Waren, neben der hierzu 
nichts mehr notwendig iſt; darnach gehört der höhere 
oder geringere Wert zur „Qualität“, zur Beſchaffenheit. 
Der § 22 Ver 3G. verlangt bei der ſpeziellen Dekla⸗ 
ration die Angabe der Menge und Gattung der Ware 
nach den Benennungen und Maßſtäben des Tarifs. 
Wenn nun anknüpfend hieran der 8 136 Ziff. 16 von 
der Deklarierung in einer zu geringen Menge oder in 
einer eine geringere Abgabe begründenden Beſchaffen⸗ 
heit ſpricht, ſo iſt dieſer letztere Ausdruck aus dem 
§ 22 dahin zu erklären, daß hierunter die Angabe der 
Gattung, die tarifmäßige Benennung und die Angabe 
der tarifmäßigen Maßſtäbe zu verſtehen iſt. Für die 
Verzollung der Pferde iſt der Wert ein Maßſtab des 
Tarifs; insbeſondere iſt er im Tarife genau an der 
gleichen Stelle und in der gleichen Weiſe erwähnt, 
wie unzweifelhafte Beſchaffenheitsmerkmale z. B. die 
Feinheitsnummer von Geſpinſten, die Art der Be⸗ 
arbeitung oder Aufmachung, der phyſikaliſche Zuſtand. 
Nur vom Standpunkte der Anwendbarkeit des 8 136 
Ziff. 1e aus war die Vereinbarung zu Art. 2 und 3 


des Schlußprotokolls zum Handelsvertrage mit Belgien 


| 


im Auslande gezahlten Kaufpreiſe) iſt dies nicht aus⸗ 


zudehnen. Für den Wert, nach dem der Zoll ſich richtet, 
ſind dem Werte der Ware am Orte der Erzeugung 
oder des Ankaufs die bis zum Orte der Eingangs 
abfertigung erforderlichen Beförderungs-, Verſiche— 
rungs⸗ und Kommiſſionskoſten hinzuzurechnen. 

Der im 8 136 Ziff. le Ver ZG. angeführte äußere 


Tatbeſtand iſt gegeben. Das Pferd war ein zollpflich- 


tiger Gegenſtand und ſtand in Bezug zu dem Gewerbe 
des Angeklagten, der Pferdehändler iſt. Da das Pferd 
an der Grenze in den freien Verkehr treten ſollte, war 
ein Fall der ſpeziellen Deklaration nach dem 8 39 Ver 3G. 
gegeben. 
gegeben worden, welche eine geringere Abgabe (50 
ſtatt 75 M) begründet haben würde. Allerdings iſt 
der Wert einer Sache nicht eine Eigenſchaft im Sinne 
der SS 119, 459 BGB. Allein hier kommt es darauf 
an, was die Zollgeſetze unter dem Ausdrucke „Be— 
ſchaffenheit“ verſtehen. Der übrige Wortlaut des 8 136 
Ziff. 1e und der Zuſammenhang mit anderen Beſtim— 


Das Pferd iſt in einer Beſchaffenheit an- 


veranlaßt; außerdem würde zur Beſtrafung in allen 
Fällen der Nachweis erforderlich ſein, daß der Ein⸗ 
bringer die ungenügende Werterklärung in der Abſicht 
der Zollhinterziehung abgegeben hat. Die hier ge⸗ 
billigte Auslegung des § 136 Ziff. 1 enthält auch 
nicht etwa eine Unbilligkeit gegen den Einbringer, von 
dem vorausgeſetzt werden darf, daß er als Gewerbe⸗ 
treibender die zu ſeinem Gewerbe in Bezug ſtehenden 
Gegenſtände annähernd richtig zu ſchätzen verſteht. 
Die SS 135 und 136 Ziff. 16 Ver ZG. würden keine 
Anwendung finden, wenn der auf die Einfuhr von 
Pferden geſetzte Zoll als Wertzoll anzuſehen wäre; 
dann würde nach dem $ 93 Abſ. 8 Ver 3G. die Strafe 
nur in einer Erhöhung des Zolles um die Hälfte ſeines 
Betrags beſtehen und die auf die Defraudation ge— 
ſetzten Strafbeſtimmungen müßten außer Anwendung 
bleiben. Allein der geltende Zoll auf Pferde iſt kein 
Wertzoll. Das Geſetz kennt nur die Erhebung des 
Zolles nach Gewicht, nach Maß. nach Stückzahl oder 
nach dem Werte (8 9 Abſ. 1 Ver Z.); eine Verbindung 
der mehreren Erhebungsarten iſt dem Geſetze fremd. 
Der Zoll auf Pferde iſt ein nach dem Werte abgeſtufter 
Stückzoll, nicht ein Wertzoll. Dies ergibt der Ver⸗ 
gleich der Tarifnummer 100 (für Pferde) des Zolltarif: 
geſetzes vom 25. Dezember 1902 mit der Tarifnummer 
156 1 des Zolltarifgeſees vom 24. Mai 1885 für 
Eiſenbahnfahrzeuge, die mit 6% bzw. 10% des Wertes 
zu verzollen waren und in der betreffenden Spalte 
des Zolltarifs ausdrücklich als Wertzölle bezeichnet 
find, wie die ſonſtigen Zölle als Gewicht-, Maß- oder 
Stückzölle, zu welch letzteren der Zoll auf Pferde ge⸗ 
hörte (Ziff. 39a 1). Auch im neuen Zolltarife wird 


in der letzten Rubrik der Zoll auf Pferde als Stück— 


zoll bezeichnet. 

Die Geldbuße richtet ſich nach dem Betrage der 
vorenthaltenen Abgabe; eine Konfiskation iſt aber als 
eine unteilbare Strafe voll erwirkt, auch wenn die 
Abgabe nur zum Teile hinterzogen wurde. Der Wert— 
erſatz tritt an die Stelle der Konfiskation; es kommt 
alſo auch bei einer nur teilweiſen Abgabenhinterziehung 
für den Erſatzanſpruch des Staates der volle Wert 
des Gegenſtandes in Betracht, der defraudiert wurde. 
Die Konfiskation iſt durch die Defraudation verwirkt 
(S 135), nicht durch den Ausſpruch im Urteil; der 
Verluſt des Gegenſtandes tritt infolge der Defraudation 
ein (8 154). Durch die Defraudation erwirbt alſo der 
Fiskus das Recht, den Gegenſtand — auch auf dem 


Wege der Selbſthilfe — jederzeit ſich anzueignen mit 
dem Abmaße, daß das Eigentum wieder zurückfällt, 
wenn im geordneten Verfahren Fe wird, daß 
der Gegenſtand nicht der Konſiskation unterliegt. Kann 
wegen erfolgter Weiterveräußerung die Konſiskation 
nicht vollzogen werden, ſo tritt an ihre Stelle von 
ſelbſt das Recht auf den Werterſatz (8 155 Ver 3G.). 
Auch dieſes Recht wird durch das Urteil nicht ge⸗ 
ſchaffen, ſondern nur feſtgeſtellt; der einzige Unterſchied 
beſteht darin, daß es ohne einen dahin gehenden Aus⸗ 
ſpruch im Strafverfahren überhaupt nicht ausgeübt 
werden kann. Das Recht auf den Wertserſatz entſteht 
durch die Veräußerung des Gegenſtandes, bezüglich 
deſſen die Konfiskation verwirkt wurde; es iſt deshalb 
der Wert zur Zeit der Weiterveräußerung maßgebend. 
Dieſen Wert hat das Gericht nach ſeiner freien, aus 
dem Inbegriffe der Verhandlung geſchöpften Ueber⸗ 
zeugung en. (Urt. vom 25. Oktober 1910, 
Rev.⸗Reg. 435/10). Ed. 
2101 


II. 


Offenes Bau⸗(Pavillon⸗) Syſtem. Begriff des Weber: 
bauens (Art. 101 P StGB.). un der Giltig⸗ 
keit einer ortspolizeilichen Vorſchriſt. Aus den 
Gründen: „Ueberbauung‘* ift angeſichts des Zweckes 
der Borſchrift, die Einhaltung des Pavillonſyſtems 
zu ſichern, jede bauliche Anlage, die den Zwiſchen⸗ 
raum N den Vordergebäuden überdeckt und ihn 
dadurch feiner Beſtimmung entfremdet, den Bewohnern 
der Straße Licht, Luft und freien Ausblick zu ge⸗ 
währen. Belanglos iſt, ob die bauliche Anlage mehr 
oder minder maſſiv tft, und ob fie, wenn Vorſchriften 
über das Pavillonſyſtem nicht beſtehen, der bau⸗ 
polizeilichen Genehmigung bedarf. Die in 8 12 
Abſ. 3 über die Freihaltung der Pavillonzwiſchen⸗ 
räume getroffene Anordnung findet auch dann An⸗ 
wendung, wenn zwei Nachbaranweſen demſelben 
Eigentümer gehören. Es folgt dies aus der Natur 
der Sache. Nicht nachbarliche Rückſichten ſondern 
geſundheitliche Intereſſen ſind für das Pavillonſyſtem 
maßgebend. Wenn alſo der Bauherr, der auf einer 
Fläche von vorneherein mehrere Vordergebäude 
errichtet, an die Offenhaltung der Zwiſchenräume ve 
bunden iſt, fo kann ſich ihr auch derjenige nicht ent⸗ 
ziehen, welcher mehrere aneinander angrenzende 
Vordergebäude erſt nach der Bauvollendung erwirbt 
lauft zu ſeinem Anweſen ein Nachbaranweſen hinzu⸗ 
au 

Nach 8 1 der VO. vom 16. Mai 1876, die Auf⸗ 
führung von Gebäuden im offenen (Bavillon-) Bau⸗ 
ſyſtem betr., auf die in 8 11 der BauO. vom 17. Fe- 
bruar 1901 ausdrücklich Bezug genommen iſt, kann 
bei Anlegung von neuen Straßen für die Aufführung 
von Gebäuden das offene (Pavillon⸗) Bauſyſtem mit 
oder ohne Vorgärten durch ortspolizeiliche Vorſchrift 
angeordnet werden, wenn dieſe Bauweiſe zum Zwecke 
der Geſundheit von dem zuſtändigen techniſchen Organe 
als im 1 der en gelegen befürwortet 
wird. Nach 8 1 Abſ. 2 der VO. können in dieſem 
155 auch die durch die Anforderungen der Gefund- 
eitspflege veranlaßten Anordnungen über die Höhe 
und Länge der Gebäude, die Größe der Zwiſchen⸗ 
räume zwiſchen ihnen und die Ueberbauung der Hof 
räume durch ortspolizeiliche Vorſchriften getroffen 
werden. Da erſt durch die in Abſ. 2 bezeichneten 
Ausführungsbeſtimmungen die in Abſ. 1 vorgeſehene 
Einführung des offenen un praktiſch verwert⸗ 
bar wird, ſo iſt anzunehmen, daß nach der Abſicht 
der Verordnung auch die in Abſ. 2 erwähnten An⸗ 
ordnungen der Befürwortung durch das zuſtändige 
techniſche Organ bedürfen. Nach 8 2 iſt dieſes Organ 
in München der Geſundheitsrat, in den übrigen 
Orten der amtliche Arzt und zwar im Benehmen mit 
der Geſundheitskommiſſion, wo eine ſolche beſteht. 


Wenn hier ausdrücklich hervorgehoben wird, daß der 
amtliche Arzt nur im Benehmen mit der Geſundheits⸗ 
kommiſſion ſeine gutachtliche Aeußerung abgeben darf, 
ſo iſt der Schluß berechtigt, daß eine ohne ſolches 
Benehmen abgegebene Aeußerung die Bedingung des 
81 der VO. nicht erfüllt. (Urt. vom 29. Oktober 1910, 
Rev R. 219/10). Ed. 
2088 


III. 


Geltungsbereich der . Vorſchriſten 
vom 4. September 1905 zum Schutz der beim Tiefban 
beſchäftigten Perſonen. Aus den Gründen: Nach 
dem Art. 101 Abſ. 1 PStGB. werden Bauherrn, Bau⸗ 
meiſter und Bauhandwerker geſtraft, wenn ſie den bau⸗ 
er Vorſchriften * Solche Vor⸗ 
ſchriften können nach Abſ. 2 und 3 des Art. 101 durch 
Verordnung, ober⸗ oder ortspolizeiliche Vorſchrift er⸗ 
laſſen werden, jedoch nur inſoweit ſie eine Baufüh⸗ 
rung im Sinne der Bauordnungen zum Gegenſtande 
haben. Die polizeiliche Regelung der Bauführung iſt 
nicht auf Hochbauten beſchränkt, ſondern es unterliegen 
ihr auch gewiſſe Tiefbauten wie Brunnenſchachte, Keller 
u. dgl. (vgl. Englert, Komm. z. BauO. Einl. S. XI). 
Die oberpolizeilichen Vorſchriften zum Schutze der bei 
Tiefbauten beſchäftigten Perſonen vom 4. September 
1905 haben demnach ihre geſetzliche Grundlage in dem 
Art. 101 P StGB. Vorausſetzung für die Strafbarkeit 
einer Verfehlung gegen dieſe Vorſchriften nach dem 
Art. 101 iſt aber ſtets, daß es ſich um eine Bau⸗ 
vornahme d. i. die Herſtellung, Reparatur oder den 
Abbruch eines Bauwerks handelt. Der Begriff des 
„Bauwerks“ deckt ſich mit dem, was nach dem gemeinen 
Sprachgebrauche hierunter verſtanden wird. Darnach 
iſt ein Bauwerk eine unbewegliche, durch Verwendung 
von Arbeit und Material in dauernder Verbindung 
mit dem Erdboden hergeſtellte Sache, ein ſelbſtändiges, 
in ſich abgeſchloſſenes Ganze. Bei der Zugrundelegung 
dieſer Begriffsbeſtimmung kann die von der Straf⸗ 
kammer feſtgeſtellte Tätigkeit des Angeklagten, die Weg- 
nahme von Erdreich an der Bodenoberfläche behufs 
Verwendung an einem anderen Orte, nicht als eine 
Bauführung im Sinne der Baud. erachtet werden. 
Damit entfällt die Anwendbarkeit des Art. 101 PStGB. 

Die oberpolizeilichen Vorſchriften vom 4. Septem⸗ 
Be 1905 beruhen nicht nur auf dem Art. 101 PStGB., 
ſondern auch auf dem 8 120e Abſ. 1 und 2 Gew., 
wonach oberpolizeil iche Vorſchriften zur Durchführung 
des im § 120 a Abſ. 1 enthaltenen Grundſatzes er⸗ 
laſſen werden können, daß die Gewerbeunternehmer 
verpflichtet ſind, den Betrieb jo zu regeln, daß die 
Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Geſundheit 
ſoweit geſchützt ſind, wie es die Natur des Betriebs 
geſtattet. Zuwiderhandlungen gegen ſolche Vorſchriften 
unterliegen nach dem 8 147 Abſ. 1 Ziff. 4 GewO. der 
Beſtrafung. Auch dieſe Beſtimmung findet auf die 
Handlungen des Angeklagten keine Anwendung. Der 
8 120 e bietet die rechtliche Grundlage für Vorſchriften, 
die über den Rahmen der Baupolizei hinaus den ge— 
werblichen Betrieb im Intereſſe des Arbeiterſchutzes 
regeln. Hiernach können zweifellos Vorſchriften über 
den Betrieb von oberirdiſchen Gräbereien und Gruben 
erlaſſen werden. Die oberpolizeilichen Vorſchriften vom 
4. September 1905 haben aber nach dieſer Richtung 
keine Regelung getroffen. Abgeſehen von der in der 
Ueberſchrift enthaltenen Bezeichnung ihres Zweckes er— 
gibt ſich aus ihrem ganzen Inhalte, daß ſie ausſchließ⸗ 
lich den Schutz der bei Tiefbauten beſchäftigten 
Perſonen zum Gegenſtande haben. Sie können des— 
halb nicht auf die Tätigkeit des Angeklagten ange— 
wendet werden, die weder unter den Begriff des Tief— 
Br noch unter den der Bauvornahme überhaupt fällt. 


Eine Ausdehnung der Vorſchriften auf Arbeiten der 


Art, wie ſie der Angeklagte vorgenommen hat, iſt nicht 
ſtatthaft, ihre Zuläſſigkeit kann auch nicht aus dem 


30 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 


Inhalte der 88 22 Abſ. 2 und 48 Abſ. 2 abgeleitet 


werden, da dieſe ebenfalls nur die Herſtellung und 
Reparatur von Bauwerken im Auge haben. 
Vorſchriften nach dem 5 120e können nur für Ge⸗ 
werbe und Anlagen erlaſſen werden, die unter die 
GewO. fallen. Für oberirdiſche Brüche und Gruben 
trifft das zu, wenn ſie in größerem Umfang und ſtän— 
dig zu Erwerbszwecken betrieben werden; kleinere oder 
nur vorübergehend betriebene Brüche und Gruben 
fallen nicht unter die GewO., fie find häufig Neben— 
betriebe von landwirtfchaftlichen Betrieben. Da es 
ſich bei der Tätigkeit des Angeklagten um verhältnis- 


mäßig einfache, nur zeitweiſe zur Verbeſſerung der 


Grundſtücke als Nebenbetrieb vorgenommene Gra— 


bungen handelte, fallen dieſe überhaupt nicht unter 


die GewO. und unterliegen ſomit auch nicht den nach 
dem 8 120 e erlaſſenen Vorſchriften. 


Grunde ausgeſchloſſen. 
RevReg. 403/10). 


2089 


(Urt. vom 18. Oktober 1910, 
Ed. 


Oberlandesgericht München. 


Zu $$ 727, 730 ZPO. Durch Verſäumnisurteil 
waren die Eheleute R. auf Klage eines Nachbars zur 
Beſeitigung einer Dachrinne verurteilt; nach Rechts- 
kraft wurden auch die Koſten feſtgeſetzt. Als es zur 
Realvollſtreckung kommen ſollte, ſtellte ſich heraus, 


daß inzwiſchen das Haus im Zwangswege von dem 


Gaſtwirt S. eingeſteigert worden war. Die Klage— 
partei beantragt nunmehr gegen letzteren vollſtreckbare 
Ausfertigung des Verſäumnisurteils und des Kojtenfejt- 
ſetzungsbeſchluſſes; erſtere wurde vom Gerichtsſchreiber 
erteilt, letztere nach Weiſung des Vorſitzenden abge— 
lehnt. Nunmehr wendete ſich die Klagepartei an das 
Prozeßgericht, das durch (micht zugeſtellten) Beſchluß 
die Akten dem OLG. vorlegte, weil Abhilfe nicht ver— 
anlaßt ſei (83 577 Abſ. 4, 576 ZPO.) Das ORG. 
beſchloß, die Akten dem Landgerichte behufs ſelb— 
ſtändiger Verbeſcheidung des Antrages der Klage— 
partei zurückzugeben. 


Vollſtreckungsklauſel iſt nach erfolgloſer Anrufung 
des Prozeßgerichts die einfache, nicht die ſofortige 
Beſchwerde gegeben (RG. 31, 410). Es findet 
deshalb das Verfahren nach Abſ. 4 des 8 577 ZPO. 
hier nicht ſtatt: vielmehr hat zunächſt das Prozeß— 
gericht durch ſelbſtändigen, den Parteien zuzuſtellenden 
Beſchluß über die Berechtigung der Klauſelverweige— 
rung zu entſcheiden und erſt hiergegen kann die ein— 
fache Beſchwerde eingelegt werden. Eine Eventual— 
beſchwerde iſt außerhalb des 8 577 Abſ. 4 3PßO. unzu⸗ 


läſſig. Die Entſcheidung iſt gemäß $ 6 Gͤich ge: 

bührenfrei (Beſchl. vom 25. November 1910; Beſchw. 

Reg. Nr. 688/10). N. 
2009 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Befugnis des Schuldners zur Hinterlegung nach 
5 372 S. 2 BGB., wenn die geſchuldete Forderung auf 
Grund eines Arreſtbeſchluſſes zugunſten eines Dritten 
gepfändet worden iſt. Wirkung der Pfändungsbenach⸗ 
richtignng nach 8 845 3 PO. in dieſem Falle. Die 
Witwe G. zu B. hatte von den Erben ihres verſtorbenen 
Mannes rückſtändige Unterhaltsbeiträge zu 1080 47 
zu fordern. Sie ſchuldete dem Bauer M. ein Darlehen 
von 200 M. Am 2. September 1910 erhob M. beim 
Amtsgericht gegen die G. Klage auf Zahlung des 
Darlehens. Gleichzeitig ſtellte er den Antrag, einen 
Arreſt wegen dieſer Forderung zu erlaſſen, weil die 


Die Anwendung 
des § 147 Abſ. 1 Ziff. 4 iſt demnach auch aus dieſem 


— ——d•—6———— — — 


Erben ihre Schuld demnächſt zahlen und vielleicht 
gerichtlich hinterlegen würden, die Forderung des M. 


aber verloren ſei, wenn nicht ſchon jetzt durch einen 


Arreſt die Pfändung der Forderung und des etwaigen 
Herausgabeanſpruchs der G. gegen die Hinterlegungs— 
ſtelle erreicht werden könne. Das Amtsgericht gab 
dem Arreſtantrage am 8. September 1910 ſtatt, wobei 
es die Forderung der G. zu 1080 M und den etwaigen 
Herausgabeanſpruch gegen die Hinterlegungsſtelle ge- 
mäß 8 829 3PO. pfändete. Am 28. September 1910 
erließ es ein Anerkenntnisurteil zugunſten der Dar⸗ 
lehensforderung des M. Am 10. September wurde 
der Arreſtbeſchluß den Drittſchuldnern zugeſtellt; ſchon 
am 9. September hatte ihnen M. eine Benachrichtigung 
von der bevorſtehenden Arreſtpfändung gemäß 8 845 
ZPO. zuſtellen laſſen. Die Erben hinterlegten die 
1080 M hierauf gleichfalls am 9. September bei dem 
Amtsgericht W. und verzichteten auf das Recht der 
Rücknahme, „weil ihnen in drei verſchiedenen Prozeß⸗ 
ſachen gegen die G. Pfändungsbenachrichtigungen zu— 
geſtellt worden ſeien und ſomit Ungewißheit über die 
Perſon des Gläubigers gemäß 8 372 BGB. beſtehe“. 
Gegen die Zuläſſigkeit der Arreſtpfändung zugunſten 
des M. erhob die G. Einwendungen, indem ſie die 
Pfändbarkeit der Unterhaltsbeiträge und die Befugnis 
des Amtsgerichts zur Erlaſſung eines Ausſpruchs nach 
$ 829 Abſ. 1 ZPO. ohne einen ausdrücklichen Antrag 
des Gläubigers beſtritt. Das Amtsgericht wies die 
Einwendungen als unbegründet zurück. Die ſofortige 
Beſchwerde, in die als neuer Beſchwerdegrund die Be⸗ 
hauptung eingeführt war, daß die Hinterlegung und 
infolgedeſſen auch die Pfändung des Herausgabean- 
ſpruchs unwirkſam ſeien, wurde vom Landgerichte als 
unbegründet verworfen. Das Landgericht führte u. a. 
aus: Die Drittſchuldner hätten die 1080 M allerdings 
zunächſt zu Unrecht hinterlegt. Die Pfändungsbenach— 
richtigung habe ihnen ein Recht zur Hinterlegung mit 
befreiender Wirkung weder nach $ 853 ZPO. noch 
nach 8 372 BGB. gegeben, da die Perſon des Gläu— 
bigers nicht zweifelhaft geweſen ſei. Daß ſie auf Rück⸗ 
nahme verzichteten, ſei ohne Bedeutung. Dadurch aber, 
daß am 10. September die Pfändung zugeſtellt worden 
ſei — 8 829 Abſ. 3 ZPO. —, ſei die Hinterlegung 


Aus den Gründen: Gegen die Verſagung der gerechtfertigt worden und habe die befreiende Wirkung 


erlangt. Der Herausgabeanſpruch ſei daher an Stelle 
des Unterhaltsanſpruchs getreten und deshalb pfändbar. 
Die weitere Beſchwerde wurde teils als unzuläſſig 
gemäß $ 568 Abſ. 2 ZPO., teils als unbegründet ab» 
gewieſen. 

Aus den Gründen: Die Hinterlegung iſt nach 
Ss 372 BGB. zuläſſig, wenn der Schuldner aus einem 
in der Perſon des Gläubigers liegenden Grunde ſeine 
Verbindlichkeit nicht mit Sicherheit erfüllen kann. 
Dieſe Vorausſetzung iſt u. a. dann gegeben, wenn die 
Forderung mit Arreſt belegt iſt (vgl. Planck A 2 b, 


Staudinger I A 2a zu $ 372) und vollends nach 


8 853 3PO., wenn die Forderung für mehrere Gläu— 
biger gepfändet iſt. Run hat die Pfändungsbenach— 
richtigung nach 8 845 Abſ. 2 ZPO. bei rechtzeitig 
nachfolgender Pfändung die Wirkung des 8 930 ZPO., 
alſo die Wirkung der Arreſtpfändung, nicht etwa bloß 
die eines Arreſtbefehls, und die Arreſtpfaͤndung ſteht 
nach 8 930 der Vollſtreckungspfändung gleich. Der 
Schuldner kann daher von der Hinterlegungsbefugnis 
des 8 853 ſchon dann Gebrauch machen, wenn ihm 
mehrere Gläubiger auch nur Pfändungsbenachrich— 
tigungen zuſtellen laͤſſen. Selbſtverſtändlich verloren 
die Drittſchuldner die Befugnis zur Hinterlegung nicht 
etwa dadurch, daß die rechtliche Zuläſſigkeit der Pfän— 
dung rückſtändiger Unterhaltsbeiträge beſtritten iſt. 
Die Hinterlegung vom 9. September 1910 war daher 
gerechtfertigt und wirkſam. Demnach war im Ergebnis 
dem landgerichtlichen Beſchluſſe beizutreten. (Beſchl. 
des J. 35. vom 1. Dezember 1910, Beſchw.⸗Reg. 214/10). 


2105 Oberlandesgerichtsrat Gebrlein. 


Landgericht München J. 


ö 


} 


Pflicht des Vermieters, mit Nückſicht auf den Be: 


ſchäftsbetrieb des Mieters in den Mieträumen den 
Hanseingang zu ändern. Ein Kunſthändler mietete 
die Wohnungsräume des Erdgeſchoſſes eines Privat⸗ 
hauſes in M. zur Benützung 
und Geſchäftsraum“ für feinen Kunſthandel. Zur 
Zeit der Eingehung des Mietvertrags wurde das Haus 
umgebaut, vorher war im Erdgeſchoß ebenfalls eine 
Kunſthandlung betrieben worden. Als der Mieter 
einzog, fand er, daß die Haustüre ſo, wie es bei 
beſſeren Häuſern in M. mehrfach der Fall iſt, nur 
mit einem elektriſchen Türſchließer zu öffnen war, der 
von den einzelnen Stockwerken auf Anläuten in 
Tätigkeit geſetzt wurde. Der Kunſthändler ſah darin 
eine Beeinträchtigung ſeines Geſchäftsbetriebes und 
klagte auf Unterlaſſung. Die erſte Inſtanz wies ab, 
weil „der Hauseigentümer dadurch, daß er den Ver⸗ 
kauf von Bildern in der Wohnung geſtatte, dem 
Mieter zwar ein Benutzungsrecht eingeräumt habe, 
das dem Mieter ſonſt nicht zukomme, daß aber dieſe 
Erweiterung nicht ohne weiteres auch den Pflichten⸗ 
kreis des Vermieters ausdehne“, und daß eine Ge⸗ 
ſchäftsſchaͤdigung nach der Ueberzeugung des Gerichts 
ausgeſchloſſen ſei. Das Urteil wurde aufgehoben. 

Gründe: lt es der Wille der Beteiligten ge⸗ 
weſen, daß die Wohnung als „Wohnung und Ge- 
ſchäftsraum“ an den Kläger vermietet wurde, fo 
braucht nicht geprüft zu werden, ob damit die Eigen⸗ 
ſchaft der Räume als Wohnung oder als Geſchäfts⸗ 
raum in den Vordergrund geſtellt werden ſollte. Es 
genügt, daß die Wohnung auch als Geſchäfts raum 
dienen ſollte. Soviel ſteht jedenfalls feſt, daß ein 
Raum, in dem ein Handel mit Bildern betrieben 
werden ſoll, nicht mehr bloß die Eigenſchaft einer 
Wohnung hat. Die Folge davon iſt, daß der Be⸗ 
klagte den Mietgegenſtand in einen Zuſtande zu 
überlaſſen und zu erhalten hat, der ſeine Benützung 
als Geſchäftsraum ermöglicht. 

Jeder Geſchäftsmann trachtet danach, ſeine Ver⸗ 
kaufsräume dem Publikum ſo leicht und bequem als 
möglich zugänglich zu machen. Davon machen auch 
Kunſthandlungen keine Ausnahme. Denn wenn 
auch der Kunſthandel nicht vorwiegend mit ſog. 
Laufpublikum zu rechnen hat, ſo wird doch der 
Hauptteil der Käufer von Kunſtwerken durch die 


wenn man aber ein 
„als Wohnung 


der Eigenſchaft als Herrſchaftshaus entkleidet. 


in — tage — 


iſt, die ausſchließlich Wohnungszwecken dienen. 


— — 8 . 3 


Fremden geſtellt, die ſich vorübergehend in M. auf⸗ 


halten. 
in welchem Geſchäfte ſie etwas ihrem Geſchmacke und 
ihrer Liebhaberei Entſprechendes finden, und bei der 


Dieſen aber iſt es in der Regel gleichgültig, 


großen Zahl von Geſchäften dieſer Art in M. werden 


ſie den Beſuch eines Geſchäftes vorziehen, das ihnen 


ohne weiteres von der Straße aus zugänglich iſt und 


vor dem ſie nicht, vielleicht auch noch bei ſchlechtem 
Wetter, auf der Straße warten müſſen, bis ihnen 
die Haustüre von innen geöffnet wird. Es mag zu⸗ 


gegeben werden, daß elektriſche Türſchließer heut⸗ 


zutage nichts Außergewöhnliches mehr ſind und daß 
die Mehrzahl des Publikums mit ihrer Handhabung 
vertraut iſt. 
vor allem in Privathäuſern, insbeſondere bei ſog. 
Herrſchaftshäuſern üblich. Es iſt aber ein Unter⸗ 
ſchied, ob jemand in einem Herrſchaftshauſe eine 
Familie aufſuchen oder ob er in einem Geſchäfte, auf 
das er durch Reklametafeln aufmerkſam geworden iſt, 
Waren beſichtigen und kaufen will. Hier will er ohne 
viele Umſtände in die Verkaufsräume gelangen, und 
wenn er den Zugang verſperrt findet, ſo wird er 
ſich, wenn er nicht ein beſonderes Intereſſe daran hat, 
gerade in dieſes Geſchäft zu gelangen, häufig ſagen: 
es gibt ja noch genug andere Geſchäfte dieſer Art, in 
denen man von Mißhelligkeiten verſchont iſt. So 
wird die Folge ſein, daß ſich eine Anzahl Kaufluſtiger 
abſchrecken läßt, die Verkaufsräume aufzuſuchen, und 


Allein ſolche Einrichtungen ſind doch 


31 


1911. Nr. 1. 


bei Konkurrenten des Klägers ihren Bedarf deckt. 

Der Beklagte bringt vor, daß ſein Haus kein 
Geſchäftshaus, ſondern ein Herrſchaftshaus ſei. Selbſt 
Haus, in dem eine Penſion be⸗ 
trieben wird und in dem ein praktiſcher Arzt ſeine 
Praxis ausübt, noch als Herrſchaftshaus anſehen 
wollte, ſo hat der Beklagte doch dadurch, daß er die 
Wohnung im Erdgeſchoß auch zu Geſchäftszwecken 
vermietete, zum mindeſten dieſen Teil ſeines Hauſes 
Wenn 
ferner auch andere Kunſthandlungen unter den gleichen 
Verhältniſſen betrieben werden, ſo kann das doch immer 
nur die Ausnahme ſein und es iſt Sache der Geſchäfts⸗ 
inhaber, wenn ſie ſich damit abfinden. Deshalb kann 
man nicht dem Kläger, der die Wohnung mietete, als 
der Umbau noch im Gange und ein elektriſcher Tür⸗ 
ſchließer noch nicht angebracht war, zumuten, daß er 
ſich bei einer ſolchen Beſchränkung ſeines Geſchäfts⸗ 
betriebs beruhige. Treu und Glauben mit Rückſicht 
auf die Verkehrsſitte erfordern, daß der Vermieter 
dafür ſorgt, daß die Betriebsräume des Mieters ſo 
leicht und bequem als möglich zu erreichen ſind, zum 
mindeſten, daß nicht der Zugang in einer Weiſe ver⸗ 
ſperrt wird, wie ſie nur bei Häuſern verkehrsüblich 
Urt. 
vom 22. November 1910). 992 
2100 


Aus der Praxis des bayer. Verwaltungs⸗ 
gerichtshofs. 


Das Beſtreuen der Ortsſtraßen bei Glatteis. Eine 
für Haftungs⸗Prozeſſe wichtige Entſcheidung hat der 
VGH. am 28. Oktober 1910 erlaſſen (amtl. Sammlung 
Nr. 37 S. 149 ff.). Sie ſpricht aus Anlaß eines An⸗ 
trags auf Vorentſcheidung nach Art. 7 Abſ. 2 VGH. 
aus, daß der Bürgermeiſter nach den Vorſchriften in 


Art. 138 Abſ. I, II, IV GemO. verpflichtet iſt, das 


Beſtreuen der Ortsſtraßen bei Glatteis herbeizuführen 
und daß er eine Amtspflicht gegenüber einem Dritten 
verletzt, wenn er das unterläßt. Und zwar ſoll es 
nichts ausmachen, ob die Streupflicht der Gemeinde 
oder einer anderen Perſon obliegt. Im letzteren Falle 
hat der Bürgermeiſter dafür zu ſorgen, daß der Ver⸗ 
pflichtete ſeiner Verbindlichkeit nachkommt, gegebenen 
Falles hat er eine gerichtliche Entſcheidung herbeizu— 
zuführen, bis zur Entſcheidung des Streites aber den 
Weg einſtweilen für Rechnung der Gemeinde beſtreuen 
zu laſſen. 


Literatur. 


Affolter, Dr. Friedrich, a. o. Profeſſor in Heidelberg. 
Das Fruchtrecht. XII, 316 S. München 1911, 
er Beckſche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck. 

10.—. 


Die Monographie begnügt ſich nicht, wie man 
vielleicht vermuten könnte, mit einer Zergliederung 
und Auslegung der Vorſchriften in den 88 99 — 102 
BGB., verfolgt vielmehr den Fruchtbegriff durch das 
ganze Rechtsſyſtem. 5 


Das deutſche Juriſtenbrevier. Herausgegeben von Dr, 
A. Budeley, München. 8°. XII, 1332 S. Atten⸗ 
koferſche Buchdruckerei, Straubing. Geb. Mk. 18.— 

Ein Verſuch, durch Anwendung kleinen Drucks 
und ganz dünnen Papiers eine große Menge von Ge— 
ſetzen in einem kleinen Bändchen zu vereinigen. Der 

Vorzug handlichen Formats wird jedoch dadurch wieder 


€ 


32 Zeitſchrift für Rechtspflege 


zunichte gemacht, daß die Ausgabe unverhältnismäßig 
teuer iſt. 18 Mk. für bloßen Abdruck von Geſetzes⸗ 
texten iſt ein wenig viel. Die paar Anmerkungen und 
Verweiſungen bedeuten wenig, zumal, da ſie erſt ver⸗ 
ſtändlich ſind, wenn man ſich durch eine Anleitung 
hindurchgeleſen hat, die nichts weniger als klar und 
in gutem Deutſch geſchrieben iſt. von der Pfordten. 


Als Nachtrag zur Aide in iin yes Hans Meyer, 
esta a 


Amtsgerichtsfekretär in „ift ein Ab⸗ 
druck des Geſetzes betreffend die Zuſtändigkeit des 
Reichsgerichts vom 22. Mai 1910 erſchienen. (Verlag 
der Cl. Attenkoferſchen Buchdruckerei, Straubing.) 


Notizen. 


Die Behandlung der Geſuche um Aufſchub der Straf: 
vollſtreckuug und Stundung der Geldſtrafen iſt durch 
eine Allerhöchſte Entſchließung den Oberſtaatsanwälten 
übertragen worden, ſoweit nicht die Zuſtändigkeit der 
Strafvollſtreckungsbehörde (8 487 StPO.) oder des 
Staatsanwalts (8 488 StPO., Bek. vom 21. September 
1879 N S. 1170], vom 11. Juli 1896 [JMBl. 
S. 226] und vom 8. Januar 1900 [JMBl. S. 299) 
oder des zur Entſcheidung über die Wiederaufnahme 
des Verfahrens berufenen Gerichts (8 400 Abſ. 2, 
8 407 StPO.) gegeben tft (Bek. vom 16. Dezember 
1910, JMBl. S. 1013). Zugleich iſt den Oberſtaats⸗ 
anwälten die Entſcheidung über Beſchwerden gegen die 
Verfügungen der Staatsanwälte auf Grund der er: 
wähnten Bekanntmachungen zugewieſen worden. Dieſe 
Neuerung iſt außerordentlich zu begrüßen. Sie erhöht 
die Selbſtändigkeit der Oberſtaatsanwälte und ver⸗ 
einfacht und beſchleunigt den Geſchäftsgang. 

2113 


Die Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910, die 
Mitteilungen im Strafverfahren betreffend (JMBl. 
S. 1000), faßt teils durch Uebernahme, teils durch 
Verweiſung die Vorſchrifren über die Mitteilungen 
zuſammen, die im Strafverfahren mit Rückſicht auf 
die öffentlich⸗rechtliche Stellung der Beſchuldigten zu 
machen ſind. Maßgebend ſind fortan für die Erſtattung 
der Mitteilungen: 

a) im Strafverfahren gegen richterliche Beamte 
die 88 5 und 9 der Bekanntmachung vom 29. Dezember 
1908, den Vollzug des Disziplinargeſetzes für richter⸗ 
liche Beamte betr. (JM Bl. S. 381), 

b) im Strafverfahren gegen die übrigen Beamten 
im Sinne des Beamtengeſetzes und die in Art. 25 
dieſes Geſetzes bezeichneten Perſonen die SS 10 und 14 
der Bekanntmachung vom 22. Oktober 1909, die Dienſt⸗ 
aufſicht und das Dienſtſtrafrecht für nichtrichterliche 
Beamte betr. (GVBl. S. 737), 

e) im Strafverfahren gegen Notare der $ 3 der 
Bekanntmachung vom 25. April 1901, den Vollzug 
der geſetzlichen Vorſchriften über die Disziplin der 
Notare betr. (JM Bl. S. 321), 

d) im Strafverfahren gegen ſonſtige Zivilbeamte 
und öffentliche Bedienſtete, insbeſondere die Lehrkräfte 
der Volksſchulen, die Diſtrikts- und Lokalſchulinſpek— 
toren, die Gemeindebeamten und Gemeindebedienſteten 
Ziff. ! der neuen Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910, 

e) im Strafverfahren gegen Militärperſonen die 
Bekanntmachung vom 9. September 1902, die im Straf: 
verfahren 
Erſatzbehörden und den Militärbehörden zu machenden 
Mitteilungen betr. (JM Bl. S. 728), 


und im Stratvollitrefungsverfahren den 


in Bayern. 1911. Nr. 1. 


f) im Strafverfahren gegen Rechtsanwälte die 
autographierte Entſchliezung vom 26. Juni 1901 
Nr. 27422, die Ausführung der Rechtsanwaltsord⸗ 
nung betr., 

g) im Strafverfahren gegen Notariatsgehilfen, 
Inzipienten und Hilfsperſonen, die im Notariat be⸗ 
ſchäftigt ſind, 8 38 der Bekanntmachung vom 16. Ok⸗ 
tober 1909, das Kanzleiperſonal bei den Notariaten 
betr. (JM Bl. S. 411), 

h) im Strafverfahren gegen Geiſtliche Ziff. II der 
neuen Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910. 

Die Vorſchriften in Ziff. 1 der Bekanntmachung 
vom 7. Dezember 1910 entſprechen faſt vollſtändig den 
88 5 und 9 der 5 vom 29. Dezember 
1908 und den 88 10 und 14 der Bekanntmachung vom 
22. Oktober 1909. Für die Beamten und öffentlichen 
Bedienſteten iſt ſomit das Mitteilungsweſen jetzt in 
der Hauptſache einheitlich geregelt. 

Für das ſtrafrechtliche Verfahren gegen Geiſtliche 
iſt nur angeordnet, daß der unmittelbar vorgeſetzten 
kirchlichen Behörde von der Erhebung der öffentlichen 
Klage, von dem rechtskräftigen Strafurteil oder Straf⸗ 
befehl und von einer anderen Erledigung des Straf⸗ 
verfahrens Mitteilung zu machen iſt. 


Sprachecke 
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins. 


Heeresſprache. Die Zeitſchrift des Sprachvereins 
hat wiederholt die deutſche Heeresverwaltung wegen 
ihres Eifers für Sprachreinigung und Sprachver⸗— 
beſſerung rühmend erwähnt. Jetzt kann ſie folgendes 
berichten: Die jüngſt erſchienene, „Allerhöchſte Ver⸗ 
ordnung über die Ehrengerichte der Offiziere im 
Preußiſchen Heere vom 2. Mai 1874 und Ergaͤnzungs⸗ 
ordre, Neudruck 1910“ ſpricht geradezu eine muſter⸗ 
gültige deutſche Sprache: Fremdwörter ſind faſt ganz 
aus ihr verſchwunden. So wurden verdeutſcht: 


direkt — unmittelbar, 

relatives Stimmrecht — 
einfaches Stimmrecht, 

Präſes des Ehrenrats — 
Vorſitzender, 

Garniſon — Standort, 

Wahlakt — Wahl, 

einzeln garniſonierend — 
einzeln ſtehend, 

Inſtanzenweg —Dienſtweg, 

Zwiſcheninſtanz — 
Zwiſchenſtelle, 

Qualifizierung, — Beurs 
teilung, 

im Wege der Regquiſition 
beſchaffen — anfordern, 

direkter Befehlshaber — 
unmittelbarer Befehls- 
haber, 

Suspenſion — Enthebung, 


vom Dienſt ſuspendieren — 
vom Dienſt entheben, 
Rekurs — Einſpruch, 
Direktiven — Weiſungen, 
Requiſition — Erſuchen, 
requierieren — erſuchen, 
Protokollariſche Verhand⸗ 
lung, — ſchriftliche Ver⸗ 
handlung, 
zu Protokoll geben — als 
Verhandlung aufneh⸗ 


men, 
Präkluſivfriſt — Friſt, 
Protokoll verhandlung 
Sitzungsbericht, Spruch⸗ 
verhandlung, 
inaktiver Offizier — ver⸗ 
abſchiedeter Offizier, 
Konzept — Entwurf. 


Ferner hat das Wort „beziehungsweiſe“ dem 


„oder“ Platz machen müſſen. 
uſw. find in „er, fie, es“ umgeändert. 


Die Worte „derſelbe“ 
Der Satzbau 


iſt an vielen Stellen einfacher und klarer geworden. 
— Es verlohnt ſich der Mühe, dieſe Verordnung ihrer 
einfachen, klaren, deutſchen Ausdrucks weiſe wegen mit 
Aufmerkſamkeit durchzuleſen. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 


K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweißer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Nr. 2. München, den 15. Januar 5. Januar 1911. 7. C. Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Th. von der Pfordten in Bauern 9. 8 * 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats minlſterium der Zuitlz. München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
Inſertionsgebühr 30 Pig. für die balbgeſpaltene . 
oder deren Raum. Bel Wiederbolungen Rabatt. Stellenanzeigen 
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich : 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N. 
Poſtauſtalt. | 


Nachdruck verboten. 


Auslegung des er 58. mittels ae = N 3 des A alt 
alſo uwei ie hierin liegende Bena 
mathenati her Methoden. teiligung des N wird nun durch 8 1935 ver⸗ 
Von Profeſſor Dr. Langheineken in Halle. | mieden, wonach auch bei Fortfall des N! die 
h nn ſtatthat. 


Die Auslegung des 8 1935 BGB. ift Gegen- | Man kann nun in der Tat darüber im 
ſtand von Meinungsverſchieden heiten, die nament⸗ | Zweifel fein, ob 8 1935, wie es der Wortlaut 
lich die Bedeutung dieſer Vorſchriſt für die erb⸗ nahelegt, ganz allgemein gilt oder ob er nach der 
1 Ausgleichung betreffen. Soweit einen oder anderen Richtung hin aus inneren 
ſich F 1945 auf dieſe bezieht, lautet er: Gründen (Zweck des Geſetzes, Billigkeits⸗Rück⸗ 
„Fällt ein geſetzlicher Erbe vor oder nach dem ſichten) einſchränkend auszulegen ſei. 
Erbfalle weg und erhöht ſich infolgedeſſen der Eine ſolche Einſchränkung kann namentlich 
Erbteil eines anderen geſetzlichen Erben, ſo gilt nach zwei Richtungen hin behauptet werden.) 
der Teil, um welchen ſich der Erbteil erhöht, in Einerſeits ſoll § 1935 für den Fall außer An⸗ 
Anſehung der Ausgleichungspflicht als beſonderer | wendung zu bleiben haben, daß einer der durch 
. ii den Wegfall erhöhten Erbteile infolge der 
ieſe Vorſchrift hat eine Sachlage wie fol: Ausgleichungslaſt von vornherein überſchwert iſt. 
gende im Auge: Ein Nachlaß von 36 iſt zu ver⸗ (Dafür beruft man ſich auf die Billigkeit, indem 
teilen unter zwei geſetzliche Erben, den Sohn F man darauf hinweiſt, daß die Ausdehnung des 
und den Enkel N des Erblaſſers. Letzterer 8 1935 auf eine ſolche Sachlage zu einer un⸗ 
ſowie ein vorverſtorbener Enkel N“ ſtammen von gerechtfertigten Benachteiligung der nicht über⸗ 
des Erblaſſers Sohn k ab, der auf fein Erbrecht ſchwerten Erbteile führe.) Andererſeits ſoll 1935 
für ſich allein verzichtet hat ). N! hatte eine nur unter der Vorausſetzung gelten, daß der 
ausgleichungspflichtige Zuwendung nn 28 er⸗ wegfallende Erbteil ſelbſt ausgleihungabelaftet 
halten. „Ohne 3 1935 würde. da N zufolge iſt. (Dafür wird auf den Zweck des Geſetzes hin⸗ 
a Abſ. 1 die Ausgleichungslaſt Ss Ni zu gewieſen.) 
übernehmen hat, gemäß § 2055 auf F entfallen Die herrſchende Anſicht geht jedoch dahin, 
5 i 1 32. auf N daß das Anwendungsgebiet der Vorſchrift nicht 
as iſt unbillig, denn: Wäre N nicht vorher in dieſer Weile eingeſchränkt werden dürfe.“) Das 
geſtorben, ſo würde ſein Erbteil überlaſtet jein, Hauptargument, auf dem dieſe Lehre ruht, bildet 
N 5 en 1 on. 28) — . alſo weniger der Grundſatz, daß, wenn das Geſetz keinen Vor⸗ 
4 6 N rüge, und demnach 3 2356 ee ſen behalt enthält, alſo feinem klaren Wortlaut nach 
haben, der nach richtiger Auffaſſung?) dem F nicht unterſcheidet, auch die Auslegung nicht be⸗ 
fugt ſei, Unterſcheidungen einzuführen.“) 


K T— . ʃ——•— a a en 


1) Für die einzuführenden Beträge wähle ich ein- 1 
fache Ziffern ohne Benennung, jo daß man alſo jede Ks 
beliebige Einheit (etwa 1000 M) zugrunde legen kann. ) So Strohal a. a. O. 8 15 N. 9 S. 74 

2) Der Sohn F! bleibt hier gänzlich außer Betracht, Staudinger Kommentar Bd. V (4. Aufl 1909) Nr. 3 
da fi durch ſeinen Fortfall kein Erbteil erhöht, ſondern S. 47; Hellmann in Krit. e Bd. 39 
die Erbteile der Enkel erſt entſtehen und der Erbteil ©. 230 f. Küntzel in Gruchot Bd. 41 S. 453 f. 
des F unberührt bleibt. ) So von Hankwitz, Einwirkung von Zuwen— 

5) So namentlich Strohal, Das deutſche Erb- dungen des Erblaſſers auf die Pflichtteilsanſprüche S. 41f. 
recht (3. Aufl.), Bd. 1 8 15 1 S 73, der mit Recht die | Beſonders entſchieden von Beyer, Die geſetzliche 
Faſſung des Geſetzes als nicht genügend klar bemängelt. Erbenausgleichung S. 66 ff. (Marburg 1900). 

A. M. Zimmer im Sächſ. Archiv Bd. 6 S. 763, der 6) Nicht bezieht ſich aber 8 1935 auf den Fall, daß 
an 8 2056 die „wahrhaft muſtergültige Wortfaſſung? der wegfallende Erbe überhaupt nicht, weder aktiv noch 
lobt. paſſiv, an der Ausgleichung beteiligt iſt, wie der Ehe— 


34 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


Dem gegenüber iſt zunächſt feſtzuſtellen, daß 
die Auslegung nach dem Wortlaut“) immer nur 
prima facie Beweis führt, alſo nur unter Vor⸗ 
behalt anzunehmen iſt. Wie wenig jener Geſichts⸗ 
punkt Anſpruch auf entſcheidendes Gewicht hat, 
beweiſt gerade eine erbrechtliche Vorſchrift, nämlich 
8 2306 Abi. 1 Satz 1: 

„Iſt ein als Erbe berufener Pflichtteilsberech⸗ 
tigter . . .. beſchränkt oder . . . beſchwert, jo gilt 
die Beſchränkung oder die Beſchwerung als nicht 
angeordnet, wenn der ihm hinterlaſſene Erbteil 
die Hälfte des geſetzlichen Erbteils nicht überſteigt.“ 

Dieſe Vorſchrift kann, wie allgemein anerkannt, 8) 
nur den Fall im Auge haben, daß der als Erbe 
berufene Pflichtteilsberechtigte den Erbteil an⸗ 
nimmt. Sie gilt alſo nicht, wenn der Erbteil 
ausgeſchlagen wird. 

Ferner iſt nicht zu verkennen, daß die unein⸗ 
geſchränkte Anwendung des § 1935 gelegentlich 
zu Ergebniſſen führt, die auf den erſten Blick 
befremden. 

Man denke etwa an eine Sachlage, die ſich 
von der S. 1 behandelten nur dadurch unter⸗ 
ſcheiden mag, daß nicht der vorverſtorbene Enkel 
NI, ſondern der überlebende Enkel N die Zu: 
wendung von 28 erhalten hatte. Ohne $ 1935 
würde der Sohn F erhalten? (36 + 28) = 32, 
der Enkel N nur 32— 28 = 4. Zufolge 8 1935 


ändert ſich aber die Berechnung dahin, daß N 
zunächſt als vorhanden anzunehmen iſt, demnach 


der Erbteil des X 
trägt, 
§ 2056 außer Anſatz bleibt. 
ſich der (fiktive) Erbteil des N’ auf 3 des Nach⸗ 
laſſes, alſo auf 12, und dieſe Summe tft nun: 
mehr dem N zuzuweiſen, der mithin jetzt das 
Dreifache des obigen Betrages erhält. Hier ge— 


nur 4- (36 + 28) = 16 be: 


lediglich einen Schutz gegen eine Ueberſchwerung 
durch den wegfallenden Erbteil (denn dieſe Gefahr 
iſt hier ohnedies ausgeſchloſſen), ſondern einen 
darüber hinausgehenden poſitiven Vorteil. 


von Abkömmlingen. Hatte ſie ein Konferendum 
von 55 erhalten, ſo gebührt unzweifelhaft der 
älteren Tochter der ganze Nachlaß, alſo 48, gleich⸗ 
viel ob man § 1935 anwendet oder nicht. Denn 
im erſteren Falle beträgt der zufolge $ 2055 
Abſ. 1 Satz 2 um die ſämtlichen Zuwendungen 
vermehrte Nachlaß 48 + 172 = 220 und ein 
Viertel davon 55, im anderen Falle betragt 
der um die Auegleichungspoſten der Söhne) 
vermehrte Nachlaß 48 + 117 = 165 und ein 
Drittel davon ebenfalls 55, ſo daß alſo in 
jedem Falle die Anteile der ausgleichungspflichtigen 
Kinder voll erſchöpft ſind. — Hatte dagegen die 
vorverſtorbene Tochter keine Zuwendung erhalten, ſo 
ergibt ſich zwar bei Außerachtlaſſung des 8 1935 
offenſichtlich dasſelbe Reſultat. Dagegen führt 
die Anwendung des § 1935 hier dahin, daß, weil 
abermals die Erbteile der Söhne an ſich über⸗ 
laſtet ſind, zunächſt die Töchter am Nachlaß zu 
gleichen Teilen partizipieren (mit je 24), und 
ſich demnach die überlebende Tochter mit nur 
24 + 3-24 32 begnügen muß, während die 
Söhne je 8 davontragen. Man ſieht ſich darnach 
vor das eigentümliche Ergebnis geſtellt, daß, 
während im allgemeinen die Verminderung der 
Ausgleichungslaſt des einen geſetzlichen Erben ſehr 
wohl eine Verminderung des effektiven Erb⸗ 
teils eines anderen geſetzlichen Erben zur Folge 
haben kann, hier gerade umgekehrt die Ver⸗ 
minderung der Ausgleichungslaſt der jüngeren 


Tochter (von 55 auf 0) eine Erhöhung des effek⸗ 
alſo überlaſtet iſt und ſomit zufolge 
Alsdann beziffert 


tiven Erbteils der Söhne (von 0 auf je 8) bewirkt. 

Indeſſen löſen ſich dieſe ſcheinbaren Unbillig⸗ 
keiten und Widerſprüche wenigſtens teilweiſe auf, 
wenn man zunächſt das Ergebnis von einem 
juriſtiſchen Geſichtspunkt aus betrachtet, der bisher 


kaum gewürdigt ſein dürfte. 
währt alſo $ 1935 dem erhöhten Erbteil nicht 


Freilich führt, wie ſich zeigen wird, dieſe rein 
juriſtiſche Betrachtungsweiſe noch zu keiner ganz 
ſicheren Entſcheidung der Streitfrage. Um dieſe 
zu erreichen, iſt es erforderlich, mathematiſche 
Methoden zu Hilſe zu nehmen, deren objektive 


Noch auffallender iſt das Ergebnis in folgendem Ueberzeugungskraft kaum ernſtlich beſtritten werden 
Fall: Von des Erblaſſers 4 Kindern haben die wird. Ihre Einführung ſoll nun in den nach— 
beiden Söhne ausgleichungspflichtige Zuwendungen ſtehenden Erörterungen erfolgen, deren Zweck alſo, 
von 60 und 57 erhalten. Der Nachlaß (oder neben der Beſtätigung der herrſchenden Anſicht, 
Nachlaßteil, der den Kindern als geſetzliches Erbe vornehmlich darauf gerichtet iſt, die Eigenart und 
zufällt) beträgt 48. Von den beiden Töchtern iſt | die Verwendungsweiſe mathematiſcher Methoden 
die jüngere bereits verſtorben ohne Hinterlaſſung | in der Rechtslehre erneut vor Augen zu Stellen. 
gatte. Das ſcheint Coſack, Lehrbuch Bd. II $ 390 


S. 800, nicht genügend zu beachten. Umgekehrt iſt 
wieder dieſem Schrifiſteller Recht zu geben, wenn er ſich 


J. 


a. a. O. gegen eine Einſchränkung wendet, die Stros | 


hal a a. O. 
geben will. 

) Darauf ſtützt ſich namentlich Staudinger 
a. a. O. mit den Worten: „Dieſe Konſequenz ergibt ſich 
allerdings nicht mehr aus dem Zwecke der Vorſchrift, 
aber aus ihrer Faſſung.“ 

e) Bgl. namentlich Strohal a. a. O. 8 49 11 3° 
Anm. 18 S. 420; Staudinger a. a. O. 8 2306 
Nr. 8 S. 682. 


8 15 II a. E. S. 76 f. dem 8 1935 


Zunächſt ſoll die herrſchende Lehre verteidigt 
werden gegen die Meinung, daß § 1935 für den 
Fall außer Anwendung zu bleiben habe, daß 
nicht der wegfallende, ſondern ein anderer Erbteil, 


alſo einer der infolge des Wegfalls erhöhten 


) Zur Vereinfachung der Rechnung kann hier das 
Konſerendum der vorverſtorbenen Tochter außer Anſatz 
bleiben, weil es die drei Erdteile gleichmäßig belaſtet. 


Erbteile, durch die Ausgleichungslaſt von vorn⸗ 
herein überſchwert iſt. Zu dieſem Zwecke ſollen 
nacheinander zwei Beiſpielsfälle betrachtet werden. 

1. An einem Nachlaß von 48 ſind des Erb⸗ 
laſſers überlebende Kinder Fi und Fe beteiligt, 
von denen Fs eine Zuwendung von 50 zur Aus: 
gleichung zu bringen hat. Ein drittes Kind Ps, 
das ein Konferendum von as = 8 erhalten hatte, 
iſt bereits geſtorben ohne Hinterlaſſung von Ab⸗ 
kömmlingen. Wie groß ſind die geſetzlichen Erb⸗ 
teile von Fi und Fa? 

Offenbar iſt der Erbteil des Fer überlaſtet; 
ohne die Vorſchriſt des 8 1935 würde alſo Fi 
den ganzen Nachlaß erhalten und Fs leer aus: 
gehen. Zufolge 8 1935 ſoll jedoch der Erbteil 
des Fs beſonders berechnet werden, wie wenn Fs 
an der geſetzlichen Erbfolge wirklich beteiligt wäre, 
und ſodann dieſer Erbteil auf Fi und Fs zu 
gleichen Teilen übertragen werden. Hier iſt von 
vornherein der Erbteil des Fs natürlich erſt recht 
überlaſtet. Zufolge 8 2056 beziffert ſich nun der 
Erbteil des Fi auf 1 (48 + 8) = 28, der (fiktive) 
Erbteil des Fs auf 28 — 8 = 20, fo daß alſo Fi 
im ganzen 38 erhält, während Fs wenigſtens 10 
davonträgt. | 

Es erſcheint auf den erſten Blick unbillig, daß 
Fs, deſſen Erbteil, wie gezeigt, nicht nur bei 
Konkurrenz des Fs, ſondern auch ſelbſt bei deſſen 
Wegfall überlaſtet iſt, gleichwohl etwas erhalten ſoll. 

Indeſſen erſcheint das Ergebnis ganz erträg⸗ 
lich, wenn man folgendes erwägt: Würde Fs ſtatt 
etwa kurz vor dem Erbfall, erſt kurz nach dem 
Erbfall geſtorben ſein, und zwar ohne ein Teſta⸗ 
ment und ohne ſonſtige nähere Angehörige (ins: 
beſondere Ehegatten oder Mutter) zu hinterlaſſen, 
ſo wäre ſein Anteil am Nachlaß des Vaters, d. i. 
20, nachtraͤglich an Fı und Fs zu gleichen Teilen 
gefallen, und ſomit würde Fa zwar unmittelbar 
nichts, mittelbar aber doch 10 aus dem väter⸗ 
lichen Nachlaß erhalten haben. Kein anderes als 
dieſes Ergebnis iſt es nun, das 8 1935 herſtellt 
auch für den Fall, daß Fs kurz vor dem Erbfall 
geſtorben iſt. 

2. Noch ſichtbarer tritt die Berechtigung der 
Vorſchriſt des 8 1935 in ihrer unbeſchränkten 
Anwendung hervor bei folgender Sachlage: 

Neben des Erblaſſers Sohn F kommen als 
geſetzliche Erben noch zwei Enkel N und N’ von 
einem Sohn F! in Betracht, der verſtorben war 
oder verzichtet hatte. Der Nachlaß beträgt 
k = 28. Vorerſt mag angenommen werden, daß 
alle drei wirklich Erben geworden ſind. Die Aus⸗ 
gleichungspoſten der Erben ſeien ar = 72, a2 = 92, 
a3 8, in Summa 4 = 172. Der vermehrte Nach⸗ 
laßbeſtand beträgt k Ta = 200. Offenbar iſt der 
Erbteil des N überlaſtet, nämlich weil as (92) 


größer iſt als aan (S 50). Demnach find die 


Erbteile des F und des N! wie folgt zu bilden: 
Von der Summe k Far Tas (= 108) erhält F 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


35 


zwei Drittel, alſo 72, aber abzüglich a = 72, alſo 
Null, dagegen N’ ein Drittel, alſo 36, abzüglich 
as = 8, alſo 28, d. h. den ganzen Nachlaß. 
Würde nun nachträglich, etwa kurz nach dem Erb⸗ 
fall, der kinderloſe N verſterben auch ohne ſonſtige 
nähere Angehörige und ohne Teſtament, ſo würde 
faktiſch N den ganzen Nachlaß erhalten, F da⸗ 
gegen nichts. Wie aber, wenn NI bereits kurz 
vor dem Erbfall kinderlos geſtorben war? Ohne 
8 1935 würde hier, da die Ausgleichungslaſt des 
N, nämlich az T as = 92 + 8 = 100, ſeinen Erbteil, 


namlich ra 100, gerade erſchöpft, F den 


ganzen Nachlaß erhalten, N dagegen nichts. Dies 
Ergebnis iſt dem vorhergehenden, wo der Tod des 
Ni kurz nach dem Erbfall angenommen war, 
gerade entgegengeſetzt. Daß nun die Verteilung 
des Nachlaſſes unter die beiden Abkömmlinge F 
und N jo weſentlich abhängig ſein ſollte von dem 
Umſtande, ob N! kurz vor oder kurz nach dem 
Erbfall verſtirbt, hat der Geſetzgeber durch 8 1935 
verhindert. In der Tat erhält, auch im Falle 
des Todes des N! kurz vor Erbfall, zufolge 
8 1935 N den fiktiven Erbteil des N! und da⸗ 
mit den ganzen Nachlaß, während F leer aus⸗ 
geht. Daß dieſes Ergebnis annehmbarer iſt, als das 
ohne § 1935 gewonnene, leuchtet darnach ein. 

Es mögen noch in Kürze die allgemeinen 
Berechnungen dargelegt werden, die anzuſtellen 
geweſen ſind, um das zweite Beiſpiel zu kon⸗ 
ſtruieren, bei dem das Unbefriedigende und Wider⸗ 
ſpruchsvolle der gegneriſchen Lehre ſich beſonders 
grell herausgeſtellt hat. Es handelt ſich alſo um 
folgende rechneriſche Aufgabe: 

Wie find die Größen Kk, ar, as, as anzuſetzen, 
damit im Falle des Todes des N! vor Erbfall 
und bei Nichtanwendung des § 1935 das gerade 
entgegengeſetzte Ergebnis (nämlich für F ein 
Erbteil gi Sk, für N ein Erbteil ge = 0) 
heraustritt, wie im Falle des Todes des Ni nach 
Erbfall und Beerbung des N! durch N (nämlich 
für F ein Erbteil g = 0, für N! ein Erbteil 
ga = K)? 

Dabei muß von vornherein der Erbteil des 
Nals überlaftet, die Erbteile von F und N! als 
nicht überlaſtet angenommen werden. Dieſe Er⸗ 
wägung liefert zunächſt folgendes Formelſyſtem: 


8 0 
an 8 C0 
ee 3 
oder einfacher: 
Kk Tas Tas O a1 


K + ai + as C3 az 


(1) 
Pe 


Um weiter zu kommen, find zunächſt die An⸗ 
teile der Abkömmlinge F und N zu bilden unter 
der Vorausſetzung, daß N! vor Erbfall geſtorben 
iſt und unter der (unrichtigen) Annahme, daß 
§ 1935 nicht anzuwenden, d. h. der Erbteil des 
N! bei Seite zu laſſen ſei. Dann würde zu: 
kommen dem F der Erbteil 


Kk Tai a2 J a3 k — ai as + a3 
a ee ee ee 
2 2 
dem N der Erbteil 
nz ann — (a: s ö 


Sodann ſind die Anteile aller drei Abkömm⸗ 
linge zu bilden unter der Vorausſetzung, daß N! 
nach dem Erbfall geſtorben iſt. Da auch hier 
nach Vorausſetzung der Erbteil des N überlaſtet 
iſt, jo haben zufolge 8 2056 der Erbteil des N 
und ſein Konferendum außer Anſatz zu bleiben 
und es ſind zuzuweiſen dem F der Betrag 


g1 — 36 + a1 + 41 arm, 
dem N? der Betrag 
k 4. — 245 


0 = Ga 0 — 4 


Dieſes Ergebnis ſteht dann zu dem obigen im 
denkbar ſcharfſten Gegenſatz, wenn gleichzeitig dort 
der Erbteil ge des N, hier der Erbteil gi des 
F ſich auf 0 reduziert.“) 
wenn gleichzeitig angeſetzt wird 


OR 


Die vier Größen k, ar, ar, as find mithin 
derart zu wählen, daß dieſe beiden Relationen er: 
füllt werden. Durch beſtimmte Annahme zweier 
dieſer Größen ſind dann auch die beiden anderen 
eindeutig determiniert. Nimmt man alſo etwa 
k und as als gegeben an, fo beſtimmt ſich aı un 
mittelbar aus der zweiten, ae aus einer Verbindung 
(Addition) beider Relationen folgendermaßen: 


10 


k +L a1 — a2 — aa 2 0 
2k — aı + 2a =0. 


a = 2K ++ 23 
a2 = 3K + aa. 


geitſchrift für Rechtspflege in 


1 


überlaſtet. 


| 
| 
| 
8 
di 
5 
| 
| 


Es bedarf noch der Feſtſtellung, daß hiermit 
auch den Ungleichungen (1) genügt iſt. Das trifft 


in der Tat zu, weil alsdann iſt: 


10) Nicht etwa umgekehrt, da offenſichtlich die zu 
widerlegende Rechnungsart (Nichtanwendung des 8 1935) 
dem F günjtig, dem N ungünſtig iſt. 


— — — — 


Bayern. 1911. Nr. 2. 


k - a2 + as = 4k + 23:5 > 2k + 2a: 
k + ai as = 3K +E 3a C k + 63 
k + ai as = 6k +HE 3a O3as. 


Setzt man jetzt ſpeziell den Nachlaß K = 28 und 
des N! Konferendum as == 8, fo gelangt man dazu, 
für die beiden anderen Konferenda zu wählen die Be: 
träge ar = 2k + 2a = 72 und as = 3k + as = 92. 
Das ſind auch wirklich die bei obigen Betrach⸗ 
tungen eingeführten Zahlenwerte. 


II. 


Nunmehr iſt noch die Behauptung zu prüfen, 
8 1935 gelte nur unter der Vorausſetzung, daß 
der wegfallende Erbteil an der Ausgleichungs⸗ 
laſt beteiligt, alſo ſelbſt ausgleichungsbelaſtet iſt. 

Hierfür mag zuerſt (unter A) wieder ein 
juriſtiſcher, ſodann aber (unter B) ein mathe⸗ 
matiſcher Geſichtspunkt ganz allgemeiner Natur 
eingeführt werden, wobei dieſelben Tatbeſtände 
zugrunde gelegt werden ſollen wie unter I, jedoch 
mit der Verallgemeinerung, daß der Ausgleichungs⸗ 
poſten as ſtatt mit 8 mit t angeſetzt wird. 


A. 


1. Im erſten Beiſpiel iſt gegeben ein Nach⸗ 
laß von k= 48. Die Ausgleichungspoſten der 
drei Kinder Fı, Fe, Fa betragen aı = 0, as = 50, 
b 48), zuſammen alſo a = 50 + t. 
Berückſichtigt man zunächft auch das Kind Fa, 
ſo wird durch die Hinzufügung der drei Aus⸗ 
1 der Nachlaßbeſtand erhöht auf 

Fa = 98 Et, d. i. 146. Das dem Fa 


Dies wird erreicht, a. Drittel davon bleibt hinter as = 50 


etwas zurück. Folglich iſt der Erbteil des Fe 
Gemäß $ 2056 iſt nun die Summe 
k a + A = 48 t zu bilden und auf Fı 
und Fs in der Weiſe zu 3 daß Fi erhält 
24 F- t, Fa nur 24 — 3 t. 

Fällt nun Fs vor oder nach dem Erbfall als 
geſetzlicher Erbe weg, jo daß Fi und Fe die alleinigen 
Erben bleiben, ſo ergibt die Anwendung von 

§ 1935 für Fi einen Erbteil von 


g = (24 + 1 t) + (24 — t) = 36 }-t, 
für Fz einen Erbteil von 
g O + 4. (24— 3 t) 12 — 4 t. 


Dieſe Werte, die übrigens beide poſitiv ſind, 
da nach Vorausſetzung t T 48, alſo ft TJ 12 
iſt, ſind unbeſtritten richtig, wenn t D O iſt. 
Nach herrſchender Lehre trifft dies auch für t S 0 
zu. Nach gegneriſcher Auffaſſung aber gelten ſie 
dann nicht mehr; vielmehr ſoll hier F> außer 
Betracht bleiben und nur ſein Konferendum den 
anderen Kindern mit je d - t zur Laſt fallen 
(5 2051), jo daß Fe, weil ſein Erbteil 1 (98 = t) 
durch die Ausgleichungslaſt 50 12 t über: 


ne —— — 


— — — 


wogen wird (um 1), leer ausgeht, mithin Fi den 
ganzen Nachlaß erhält. 

Indeſſen läßt ſich das Ergebnis der herr⸗ 
ſchenden Lehre für t= 0 zunächſt wiederum 
mittels einer juriſtiſchen Betrachtung rechtfertigen 
genau wie unter I. Denkt man ſich nämlich den 
Wegfall des Fs in der Weiſe erſolgt, daß er 
zwar Erbe wurde, aber alsbald ohne Teſtament 
und ohne Hinterlaſſung näherer Angehöriger ge⸗ 
ſtorben iſt, ſo wird das Endergebnis offenbar 
genau das gleiche ſein, wie es durch die An⸗ 
wendung von § 1935 hergeſtellt wird für den 
Fall, daß Fs noch vor dem Erbfall geſtorben 
und daher nicht wirklicher Erbe geworden iſt. 
Und zwar gilt dies auch, wenn t So iſt, d. h. 
wenn der wegfallende Erbteil nicht an der Aus⸗ 
gleichungslaſt beteiligt iſt. 

2. Im zweiten Beiſpiel iſt gegeben ein Nach⸗ 
laß von K = 28. Die Ausgleichungspoſten des 
Sohnes F und der Enkel N und N’ betragen 
ai Ak + 2t = 56 T 2t, a: 3k Ft = 84 t, 
as = t, zuſammen a=5k + 4t = 140 + 4t. 
Der Erbteil des N iſt überlaſtet; denn ſein Kon⸗ 
ferendum as = 84 = t überſteigt feinen Anteil 
an den um die Summe aller Ausgleichungs⸗ 
boften a vermehrten Nachlaßbeſtand k, d. i. 

1k + a) = 4 (168 + 4t) = 42 +t Bu: 
folge § 2056 iſt daher nunmehr die Summe 
k + ai + aa =3k + 3t = 3 (28 + t) ) zu bilden 
und hiervon 1 dem F und 3 dem N! zuzu⸗ 
weiſen, ſo daß ſchließlich dem F die Differenz 
2 (28 +E t) — (56 T 2t), alſo nichts zukommt, 
dem N! dagegen die Differenz (28 t) — t = 28, 
alſo der ganze Nachlaß verbleibt. 

Nun haben wir den Fall ins Auge zu ſaſſen, 
daß N! vor oder nach dem Erbfall aus der Reihe 
der geſetzlichen Erben ausgeſchieden iſt und ſich 
dadurch der Erbteil von N erhöht hat. Wird 81935 
angewendet, jo iſt der (fiktive) Erbteil des NI, 
alſo der geſamte Nachlaß, dem N allein zuzu⸗ 
ſprechen. Nach herrſchender Anſicht gilt dies, 
gleichviel ob t 5 0 oder t = 0 iſt. — Die be: 
kämpfte Auffaſſung dagegen will für t = 0 den 
8 1935 nicht eingreifen laſſen. Danach ſoll N 
lediglich (nach 8 2051) das Konferendum as des 
N! übernehmen und von dem um a vermehrten 
Nachlaßbeſtand, alſo von k Ta = 6k . 4t = 
168 + 4t die Hälfte, alſo 84 + 2t, erhalten; 
da aber dieſer Betrag von der Ausgleichungslaſt 
a2 + as = 3k + 2t = 84 + 2t gerade erſchöpft 
wird, jo muß hiernach N leer ausgehen. 

Auch in dieſem Beiſpiel iſt das erſtere Er: 
gebnis annehmbarer deshalb, weil hier F und 
N „genau ſo viel erhalten, als ſie erhielten, wenn 

erſt, nachdem er geſetzlicher Erbe geworden, 
3 Teſtament und ohne Hinterlaſſung näherer 
Angehöriger ſterben würde. 

Indeſſen beſteht, wie in jenen beiden Beiſpielen, 
ſo allgemein, die durch die uneingeſchränkte Ans 
wendung des § 1935 hergeſtellte Uebereinſtimmung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in . 


9 Nr. 2. 37 


eben nur hypothetiſch, d. h. nur bei Annahme 
einer Geſtaltung, die zutreffen kann, aber nicht 
immer zutreffen an Ferner iſt zu beachten, 
daß, wie oben S. 1 Anm. 6 hervorgehoben, 
8 1935 nicht er iſt, wenn die Erhöhung 
des Erbteils erfolgt durch den Wegfall des Ehe⸗ 
gatten des Erblaſſers. Hier iſt alſo für die Er⸗ 
reichung jener Uebereinſtimmung nicht vom Geſetz⸗ 
geber geſorgt, wie folgendes einfache Beiſpiel 
zeigen mag: 

Der Erblaſſer hinterläßt nur eine Tochter und 
einen Sohn, der eine Zuwendung in gleichem oder 
höherem Betrage wie der ſchließlich vorhandene 
Nachlaßbeſtand einzuwerfen hat. Hier muß der 
Sohn leer ausgehen, weil $ 1935 nicht anwend⸗ 
bar iſt. Anders wäre das Ergebnis geweſen, wenn 
der Ehegatte des Erblaſſers (die Mutter dieſer 
Kinder) noch den Erbfall erlebt hätte und erſt 
kurz nachher ohne Teſtament geſtorben wäre. 
Alsdann hätte ſie ein Viertel des Nachlaſſes geerbt, 
und davon würde die Hälfte, alſo ein Achtel, auf 
den Sohn übergegangen ſein. 

Man erkennt daraus, daß jenes juriſtiſche 
Argument doch nicht vollkommen befriedigen kann. 
Es iſt daher von Wert, daß die vorliegende Frage 
auch noch von einem allgemeinen Geſichtspunkt 
aus behandelt werden kann, der ſpezifiſch mathe⸗ 
matiſcher Natur iſt und abermals zugunſten der 
von uns angenommenen Anſicht entſcheidet. 


B. 


In der Tat läßt ſich ein höherer Standpunkt 
gewinnen, wenn man ein allgemeines Prinzip 
mathematiſcher Natur zugrunde legt: das Stetig⸗ 
keitsprinzip. 

Dies Prinzip läßt ſich zunächſt folgendermaßen 
ausdrücken: 

Beſteht der Unterſchied zweier Tatbeſtände 
ausſchließlich im Größenunterſchied eines einzelnen 
Elements (3. B. eines erbrechtlichen Ausgleichungs— 
poſtens) und iſt dieſer Unterſchied nur ganz klein, 
ſo muß auch der Unterſchied in der wu 
Bewertung der beiden Tatbeſtände (3. B. der 
Größenunterſchied in dem reſultierenden Anteil 
irgend eines beſtimmten an der Ausgleichung be— 
teiligten Miterben) nur ganz klein ſein. Läßt 
man alſo jenen Unterſchied in einem einzelnen 
Element immer kleiner und kleiner werden, d. h. 
die beiden Tatbeſtände mehr und mehr mit 
einander zur Uebereinſtimmung gelangen, ſo muß 
auch der Unterſchied in der juriſtiſchen Bewertung 
immer kleiner und kleiner werden, d. h. die 
juriſtiſche Bewertung der beiden Tatbeſtände mehr 
und mehr zur Uebereinſtimmung mit einander 
gelangen. 

Oder auch ſo: Iſt neben einem beſtimmten 
Tatbeſtand, welcher quantitative Elemente (3. B. 
einen erbrechtlichen Ausgleichungspoſten) enthält, 
noch ein zweiter Tatbeſtand gegeben, der mit jenem 


38 | Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


— m — — — . — — — 


identiſch iſt bis auf ein einzelnes quantitatives Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben iſt, bei 
a 2 a = u 1 dem das Stetigfeitöprinzip gewahrt bleibt. 

gedacht in der Weiſe, daß es ſich dem entſprechenden ich nun zeigen, daß die Anſicht, 8 1935 
Element des erſtgenannten Tatbeſtandes mehr und „ daß 3 weg⸗ 
mehr annähert, ſo muß die juriſtiſche Bewertung fallende Erbteil ſelbſt ausgleichungsbelaſtet iſt, 
des zweiten Tatbeſtandes ſich gleichzeitig mehr und mit dem Stetigfeitsprinzip in Widerspruch gerät, 
mehr annähern der juriſtiſchen Bewertung des indem ſie zu einer Unſtetigkeit der juriſtiſchen Be: 
erſten Tatbeſtandes, mit der Maßgabe, daß fie wertung des Tatbeſtandes führt. Dies mag 
für beide Tatbeſtände dann vollkommen identiſch wenigſtens an dem erſten jener Beiſpiele gezeigt 
wird, wenn das veränderliche Element des zweiten werden. 

Tatbeſtandes gerade gleich dem entſprechenden Dort waren bei Ausſcheiden des L als geſetz 


| 
N e n licher Erbe vor oder nach dem Erbfall die Erb⸗ 
Schärfer formuliert lautet dieſer Grundſatz ſo: teile des Fi und des Fe auf 
Läßt man bei einem gegebenen Tatbeſtand an 
einem einzelnen Element (der „unabhängigen Ver⸗ 81 = 36 +Aet, 
änderlichen“) eine unendlich kleine (virtuelle) Ver⸗ 1 8. 121 t 
ſchiebung eintreten, ſo verändert ſich auch die | € 


juriſtiſche Bewertung des Tatbeſtandes (die „ab: feſtgeſtellt worden, wobei t ganz beliebig, nur < 48, 


haͤngige Veränderliche“) um ein unendlich kleines angenommen war. Nach der herrſchenden und durch 

Inkrement. eine juriſtiſche Argumentation bereits beſtätigten 
Oder ganz kurz: Lehre gelten dieſe Werte allgemein, insbeſondere auch 
„Die juriſtiſche Bewertung eines Tatbeſtandes für t - 0. Für dieſen Fall ergibt ſich alſo nach 

iſt eine ſtetige Funktion der (quantitativen) herrſchender Lehre: 

Elemente des Tatbeſtandes.“ 


Dieſes Prinzip iſt natürlich eine Hypotheſe, 2 [&]._-. 8 
wie ſolche auf allen Gebieten der angewandten (2°) 2 — 12 

Mathematik exiſtieren und zwar in um ſo größerer ee 

Zahl, je weiter fih auf dem Gebiete die mathe⸗ 

matiſche Betrachtungsweiſe entwickelt hat.“) Es Nach der gegneriſchen Auffaſſung gelten 
beſitzt auf juriſtiſchem Gebiete Bedeutung ebenſo die Formeln (1) nur, ſolange t 0 iſt, während 
für die Auslegung, alſo für Unterſuchungen de für t S 0 folgende Werte einzutreten hätten: 
lege lata, wie für Betrachtungen de lege ferenda. 


In letzterer Beziehung kann man die eigentüm: 1548 

liche Erſcheinung beobachten, daß im römiſchen (2) le | u 0 
2 . 
t 0 


Recht vielfach eine geſetzliche Regelung gewählt iſt, 
die ſich offenſichtlich in Widerſpruch ſtellt zum 
Stetigkeitsprinzip (wie bei der laesio enormis Denkt man ſich nun unter Feſthaltun 
gie 1 5 5 altung des 
n m Milan Zaiten ap u ann Bi 
Nachlaß erſchopfenden Erbquoten auftreten), daß daß 1 on er ne al 
dagegen das Recht des BGB. meiſt das Stetig. kleinere und kleinere Werte annimmt und ſich fo: 
keitsprinzip wahrt (wie gerade bei ber Regelung mit allmählich dem Betrag 0 nähert, jo wird 
1 n 11085 El . einerſeits der Erbteil gi des Fi fortdauernd kleiner 
. . 0 f ähli 36 2 
8 2306, einer Vorſchrift, die ſich bei Beachtung des a ae ſich „ 1110 a. il ro 
Stetigkeitsprinzipes einfacher und durchſichtiger 1 Ae e  OLSLBELLID. DEE SEEDIEL Ba de 
geſtaltet hätte. Solche Erwägungen treten aber | . Dan größer 5 0 1 
gegenwärtig in ihrer praktiſchen Bedeutung zurück 191 115 a er eu fun in en 
hinter die Verwendung des Stetigkeitsprinzipes ſtetig fortgehen, daß für einen Wert von t, der 
5 1 * nn 15 19 0 beliebig wenig von 0 verſchieden iſt, die Werte der 
fern, als überall 155 wo die A ung ai an: Kara 1 = für t 0 . 
5 er Se ä „an Werten verſchieden ſind, die ſie für t 0 annehmen. 
deren Hilfsmitteln unſicher bleibt, demjenigen M. a. W. Je kleiner t iſt, d. h. je mehr f 
— — ſein Betrag dem Werte 0 annähert, je mehr alſo 
En Als am meiſten bekannt iſt hier zu nennen auf dem ſich der Fal t O annähert dem Fall t=0, um 
Erhaltung der Kraft (genauer von der Konftang der Jo mehr müffen fih die Ergebulſſe des Na 
Energie des Weltalls), ferner in der analytiſchen Dies t 0 annähern den Ergebniſſen des Falles a 
chanit das Gauß'ſche Prinzip des kleinſten Zwanges. Formelmäßig ausgedrückt bedeutet das: Es muß ſein 


—— — —— — — 


lim gı 
t=0 


= [Ele 


(8) lim 55 —— [&®] ar 


Offenbar hat nun gemäß den unitrittigen 
Formeln (1) die Größe lim gi den Wert 36 
und die Größe lim ga den Wert 12. Nach 
herrſchender Lehre kommen nun, zufolge Formeln 
(2*), die gleichen Werte auch den Größen [gi]! «—. 
und [gz] . zu. Hier iſt alſo den Anforderungen 
des Stetigkeitsprinzips genügt. 

Dagegen kommen nach gegneriſcher Meinung 
zufolge Formeln (2) den Größen [gi] .= und 
[g]. ganz andere Werte zu, nämlich 48 und 0. 
Das ſteht in Widerſpruch mit dem im Stetigfeits- 
prinzip enthaltenen Poſtulat. 

Man kann dieſen Widerſpruch vielleicht auf 
ſolgende Weiſe noch anſchaulicher und ſchärfer ins 
Licht treten laſſen: Hatte der wegfallende Ab⸗ 
kömmling Fs nur eine ganz minimale aus⸗ 
gleichungspflichtige Zuwendung erhalten, ſo gebührt 
dem Fs unbeſtritten ein Anteil von nahezu 12; 
hatte dagegen Fs keine Zuwendung erhalten, jo 
ſoll nach gegneriſcher Lehre dem Fs nichts ge: 
bühren. Das iſt aber eine offenbare Diskordanz. 

Die vorſtehenden Darlegungen verfolgten nicht 
den Zweck, ein ſachlich neues Auslegungsergebnis 
herauszuſtellen. Vielmehr hatten fie ſich das Ziel 
geſteckt, gerade bei einer relativ einfachen Streit⸗ 
frage die Verwendung einer mathematiſchen Aus⸗ 
legungs methode zu entwickeln, die ihren Aus⸗ 
gangspunkt in einem wiſſenſchaftlichen Prinzip von 
denkbar größter Allgemeinheit nimmt.“) 


Die Notwendigkeit einer allgemeinen | 
Nechtslehre. 


Zur Umgeſtaltung des Rechtsſtudiums 
auf den Univerſitäten.“) 


Von Amtsrichter K. Baer in Nürnberg. 
| I. 


Es mag befremdlich erſcheinen, wenn ein in 
der Praxis ſtehender Juriſt zu einer Frage das 
Wort nimmt, die nichts weniger als praktiſch im 
landläufigen Sinne des Wortes genannt werden 
kann. Und doch iſt es nicht nur eine in der 
Geiſtesverfaſſung des Menſchen begründete Not⸗ 
wendigkeit, die Forderung einer allgemeinen Rechts⸗ 
lehre aufzuſtellen, wie die nachſtehenden Aus⸗ 
führungen zeigen werden, ſondern die Forderung 


R 3 Vgl. m. Anſpruch und Einrede S. 39 f., S. 41 
nm. 

1 8 bemerke, daß ich in Nachfolgendem nur meine 
perſönliche Meinung zum Ausdruck bringe, ohne auf 
Schriften und Werke eingehen zu können, die ähnliche 
Fragen behandeln. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


39 


wird auch zur praktiſchen Notwendigkeit, ſoll unſer 
Volk die Richter erhalten, die faͤhig ſind, ſeine 
Rechtsſachen mit dem nötigen allgemeinen Weit⸗ 
blick und nicht nur als Handwerker ihres Berufes 
zu führen. Es handelt ſich um die praktiſche 
Frage der Umgeſtaltung unſeres Rechtsſtudiums, 
über die ja in letzter Zeit viel geſtritten wurde. 
Umſomehr iſt aber die Forderung einer allge⸗ 
meinen Rechtslehre begründet, als die Schriften 
des Rechtsanwalts Ernſt Fuchs von Karlsruhe 
gezeigt haben, daß nicht einmal die Grundlagen 
der Rechtswiſſenſchaft auf ſicherem Boden ruhen, 
ſondern auch in der Rechtswiſſenſchaft der von der 
modernen Philoſophie ausgehende Geiſt der Skep⸗ 
ſis mächtig zu regen ſich beginnt. Ein Streit 
über die Grundlagen der Rechtswiſſenſchaft und 
Rechtſprechung hebt an, deſſen Ende noch nicht ab⸗ 
zuſehen iſt, den durchzukämpfen aber die Pflicht 
jedes Juriſten iſt, will er gefeſtigten Grund unter 
ſeinen Füßen haben und nicht kritiklos zwiſchen 
zwei Polen hin⸗ und herſchwanken. Inmitten dieſes 


Kampfes handelt es ſich darum, das Wahre, was 


die konſtruktive Methode der Rechtswiſſenſchaft 
geſchaffen, als wohlerworbenes Beſitztum zu wahren, 
andererſeits aber in Erkenntnis der Grenzen dieſer 
Methode den Weg, den die moderniftiihe Schule 
zeigt, zu gehen ſich nicht ſcheuen. Wenn auch 
einzelne Forderungen über das Ziel hinaus⸗ 
ſchießen, ſo darf unter Beachtung des geiſtigen 
Grundgeſetzes, daß jede neue Geiſtesrichtung auch 
Irrtümer in ſich enthält, dies uns nicht abhalten, 
das objektiv Wahre der neuen Richtung, losgelöſt 
von der ſubjektiven Meinung und dem Tempera⸗ 


mente ſeines Künders, rückhaltslos anzuerkennen 


als für das Gemeinwohl gewinnbringend, dem 
Kulturideal ſich nähernd. 

In dieſem Zuſammenhange gewinnt aber die 
an die Spitze geſtellte Forderung an weiterer Be⸗ 
deutung. Wie ſchwer es für jeden in der Praxis 
ſtehenden Juriſten iſt, Fragen wie die von Fuchs 
aufgeworfenen zu löſen, braucht wohl nicht weiter 
mit Zeitmangel und anderen Gründen belegt zu 
werden. Von entſcheidender Bedeutung wird es 
daher hier für die Zukunft unſerer rechtſtudierenden 
Jugend ſein, daß ſie an der Hand tüchtiger Lehr⸗ 
meiſter über die Schwierigkeiten dieſer allgemeinen 
Fragen des Rechts, die ſich ſpaͤter dem in der 
Praxis ſtehenden Juriſten doch aufdrängen müſſen, 
aufgeklärt wird und ohne viel in philoſophiſchen und 
pſychologiſchen Irrwegen umherſuchen zu müſſen, 
dem erſtrebten Ziele der Erkenntnis zugeführt wird. 
Und auch den weiter noch anzuführenden Gewinn 
dürfte die Forderung einer allgemeinen Rechtslehre 
im Gefolge haben, die Überbrückung des immer 
noch zwiſchen Theorie und Praxis klaffenden Gegen— 
ſatzes herbeizuführen. 

Zwiſchen den lehrenden und den in der Praxis 
ſtehenden Juriſten kann ja nicht die größere Summe 
an Kenntniſſen des poſitiven Rechts unterſcheiden, 
ſondern nur die Behandlungsweiſe des geltenden 


40 


Rechtes. Während dem letzteren die ſichere An⸗ | 
wendung der tauſend Einzelheiten des Rechts zur 

Pflicht wird, handelt es ſich für Erſteren nicht 
darum, z. B. eine ſchwierige Frage des Hypotheken⸗ 
rechts zu löſen, ſondern vielmehr die allgemeinen 
Grundlagen, auf denen das poſitive Recht ruht, 
mit ſicherer Hand zu kennzeichnen, die großen 
Geſichtspunkte der Rechtsentwicklung zum Rechts⸗ 
ideal klar zu legen und ſo der ſtudierenden Jugend 
Liebe und Begeiſterung für die Rechtswiſſenſchaften 
und den Rechtsberuf zu erwecken. Dafür iſt aber 
gerade in einer allgemeinen Rechtslehre Raum 


gegeben. 


II. 


Daß die Forderung nicht theoretiſch, ſondern 
herausgewachſen iſt aus den Erfahrungen der 
Praxis, mögen nachfolgende kurze Andeutungen, 
die leicht vermehrt werden könnten, zeigen. 
Schon bei der Schaffung des Bürgerlichen Geſetz⸗ 
buchs hat der Strafrechtslehrer Fr. v. Liszt in 
einer Schrift über das Grenzgebiet zwiſchen 
Straf: und Zivilrecht, ſowie in ſeinen Delikts⸗ 
obligationen im Syſtem des BGB. die Forderung 
einer einheitlichen Behandlung dieſer Fragen ge⸗ 
ſtellt. Liszt hat auch an den Anfang ſeiner Vor⸗ | 
leſung über das Strafrecht eine kurze Einführung 
in die Behandlungsweiſe der Geiſteswiſſenſchaften 
(Induktion und Deduktion) geſtellt. Der Zivil⸗ 
prozeßlehrer v. Hellwig hat in ſeinem Lehrbuche 
des Zivilprozeßrechts den im Strafrecht ausge⸗ 
prägten Begriff der Geſetzeskonkurrenz für das 
Zivilprozeßrecht nutzbar gemacht. In noch weiter⸗ 
gehendem Maße hat der Verwaltungsgerichtshof 
Bayerns allgemeine Normen des Verfahrensrechtes 
auf das Spezialverfahren des Verwaltungsſtreit⸗ 
rechtes anwenden müſſen. (E. B. 18 S. 248). 
Überall drängt die Rechtswiſſenſchaft und die 
Rechtſprechung über die künſtlichen Grenzen der 
einzelnen Rechtszweige (Zivilrecht, Strafrecht, Zivil⸗ 
prozeßrecht, Staats- und Verwaltungsrecht) hinaus 
und verlangt gebieteriſch eine einheitliche Behand⸗ 
lung der allen Rechtszweigen gemeinſam zugrunde 
liegenden Rechtstatſachen und Rechtsbegriffe. Gerade 
aber die Grenzgebiete ſind es meiſtens, die von 
beiden Seiten gemieden, eine ſtiefmütterliche oder 
doch mindeſtens für den Studierenden verwirrende 
Behandlung erfahren. Das Leben kümmert ſich 
jedoch nicht um dieſe künſtlichen, abſtrakten Grenzen, 
ſondern verlangt Einheit. Wie jede Wiſſenſchaſt, 
ſo wird auch di ſchaf ˖ 
das Einheitsbeſtreben des menſchlichen Bewußt— 
ſeins, das ſich in der Einordnung der realen | 
Einzelheiten in ein begriffsmäßiges Syſtem und 
in die zeitliche Verknüpfung der Einzelheiten nach 
dem Geſetze der Kauſalität alles Geſchehens 
äußert. Wie ſchon angedeutet, ſo trägt aber auch 
wie die andern Wiſſenſchaſten die Rechtswiſſen— 
ſchaft das Zeichen des Jahrhunderts an der Stirne; 
die Zerſplitterung in die einzelnen Fächer iſt auch 


hier zu ſehr eingetreten. 


allgemeiner, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


Es mag ja zugegeben 
werden, daß einzelne hervorragende Juriſten den 
harmoniſchen Ausgleich der Gegenſaͤtze in ſich ge⸗ 
funden haben, nicht jedoch iſt er erfolgt in der 
Praxis und in der ihr vorausgehenden Belehrung 
der rechtſtudierenden Jugend. 


Und doch iſt bei dem heutigen Stande der 
Rechtswiſſenſchaft eine allgemeine Rechtslehre und 
zwar als belehrende Einführung in das Studium 
der Rechtswiſſenſchaft nicht zu entbehren. 


Es bedarf wohl keiner beſonderen Begründung, 
daß Probleme wie der Handlungsbegriff, Vorſatz, 
Irrtum, Zeit und Raum, (zeitliche und örtliche 
Geltung der Geſetze und Rechtshandlungen) und 
wie die mit der Schaffung des BGB. neu auf⸗ 
getauchten allgemeinen Rechtsbegriffe heißen mögen, 
erſchöpfender und der Forderung, die an die Methode 
der Begriffsbildung geſtellt werden muß, entſprechen⸗ 
der behandelt werden können im Rahmen einer 
allgemeinen Rechtslehre, als innerhalb des künſt⸗ 
lich auf einen Rechtszweig des poſitiven Rechts 
zugeſchnittenen Rahmens. Fragen über die Un⸗ 
gültigkeit unſittlicher Verträge (ſ. die Recht⸗ 
ſprechung über den Bordellverkauf), über die Ein⸗ 
rede des Betrugs gegenüber rechtskräftigen Urteilen, 
über die Vertragsfreiheit nach modernem Rechte 
gewinnen an Bedeutung, wenn fie von allgemeinen 
Geſichtspunkten aus behandelt werden. 


Daß aber auch der Studierende dieſe allge⸗ 
meinen Probleme in ihrer philoſopoiſchen, die 
einzelnen Rechtszweige umſaſſenden Darſtellung 
kennen lernt, iſt unumgänglich notwendig; 
denn nur dann kann er die Rechtsidee erfaſſen, 
auf deren Verſtändnis auch die Kenntnis des 
poſitiven Rechts beruht. Durch die heutige, dem 
römiſchen Rechte fremde Pſychologie haben ja auch 
andrerſeits fehr viele dieſer Probleme eine ſolche 
Vertiefung erfahren, daß es zu offenem Wider⸗ 
ſpruche führen muß, wenn der Studierende, der 
eben noch im Strafrecht über Vorſatz und Irr⸗ 
tum eine tiefgehende moderne Belehrung erfahren 


hat, die dürre Irrtumslehre des römiſchen Rechts 


mit ſeiner nichtsſagenden Unterſcheidung von 
error in persona und error in re hören muß. 
Der im Strafrecht gewonnene Fortſchritt der 
pſychologiſchen Vertiefung ſo mancher Begriffe kann 


aber auf dem Wege einer allgemeinen Rechtslehre 


auch den anderen Gebieten zugute kommen, ſoll 


nicht der heute in der Praxis noch vielfach be⸗ 


dolus ſei etwas weſentlich verſchiedenes von dem 


ſtrafrechtlichen. 

An die Behandlung dieſer materiellrechtlichen 
Begriffe wäre denn anzureihen eine allgemeine 
Behandlung des Rechtsverfahrens. Wieviel Fragen 
nicht gerade poſitivrechtlicher Natur 
hier ſich auftun, hat die neuere Behandlung des 
Zivilprozeß- und Strafprozeßrechts gezeigt; eine 
gemeinſame Behandlung dieſer Fragen, ausgehend 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


41 


von der Rechtsidee, würde das Verſtändnis des ſprechung. Es bedarf nur des Hinweiſes auf die 


pofitiven Rechts nur fördern können. 


Dieſe beiden Problemgruppen bilden zuſammen 
mit dem ſchon zur Selbſtändigkeit gelangten all⸗ 
gemeinen Staatsrecht, den beſonderen Teil der 
allgemeinen Rechtslehre. 


Dieſem beſonderen Teile der allgemeinen Rechts⸗ 
lehre wäre nun aber voranzuſtellen ein allgemeiner 
Teil, der die Behandlung der Methoden der 
Rechtswiſſenſchaft, der Grundlagen des Rechts zum 
Vorwurfe haben müßte. Bisher wurde die Me⸗ 
thode der Rechtswiſſenſchaft als Einleitung zum 
Privatrecht oder als Einführung zum römiſchen 
Rechte, meiſtens ſehr kurſoriſch und wenig philo⸗ 
ſophiſch vertieft, gelehrt. Wie notwendig gerade 
hier ein neues Eingreifen iſt, hat die Bewegung 
des ſog. juriſtiſchen Modernismus gezeigt. Will 
dieſe neue Richtung ja letzten Endes nachweiſen, 
daß mißverſtändliche Anwendung der Methoden 
der Rechtswiſſenſchaft zu einer mit dem Rechts⸗ 
ideal nicht übereinſtimmenden Rechtspraxis geführt 
hat. Soll dieſer Prinzipienſtreit zu einem be⸗ 
friedigenden Ende geführt werden, ſo iſt die bis⸗ 
her als ſelbſtverſtändlich angewandte Methode der 
logiſchen Begriffsbildung und die Ableitung des 
1 aus den Begriffen in ſeiner Anwen⸗ 
dung auf den Einzelfall immerwieder im Ergeb⸗ 
niſſe in Zweifel zu ziehen und zuerſt zu unter⸗ 
ſuchen, ob die aufgeſtellten Begriffe auch richtig 
entſtanden und nicht wertloſe Schablonen ſind. 
Das Verfahren dazu muß aber, wie die Logik es 
allgemein tut, dem Studierenden, ſpeziell in der 
Rechtswiſſenſchaft, klargelegt werden und es genügt 
nicht, wenn der Studierende erſt mühſam aus den 
Schriften einzelner Gelehrter die Kenntnis über 
die Methoden ſeiner Wiſſenſchaft, in der er ſpäter 
zu Hauſe ſein muß, ſich zuſammen ſuchen muß. 
In der Praxis gar ſind die z. B. von Kipp in 
Windſcheids Pandektenrecht zu 3 24 angeführten 
Werke in den Gerichtsbibliotheken überhaupt nicht 
zu finden. 


Die Frage nach der Methode der Rechtswiſſen⸗ 
ſchaft kann aber nicht beantwortet werden, ohne 
daß man ihren Inhalt, den Rechtsſtoff ins Auge 
gefaßt hat. Sind Recht und Sitte, Rechtsgefühl 
und Rechtsideal, die Rechtsregel des poſitiven 
Rechts Tatſachen, wie die Erſcheinungen der Natur⸗ 
wiſſenſchaften, ſo daß eine naturwiſſenſchaftliche 
Behandlung im Sinne der modernen Geſell⸗ 
ſchaſtslehre angezeigt erſcheint?, wird jetzt gefragt. 
Iſt es nicht richtiger, das ſoziologiſche Element 
in den Rechtsſätzen aufzuſuchen, als in logiſch⸗ 
abſtrakten Gedankenſyſtemen ſich zu ergehen? 
In welchem Verhältnis ſteht der Richter zu der 
Rechtsregel, dem Rechtsideal? Darf er ſeinem 
Rechtsgefühl im Einzelfalle Raum geben? Es 
leuchtet ein, daß Fragen dieſer allgemeinen 
Natur nicht theoretiſch allein ſind, ſondern Aus⸗ 
gangspunkte werden für die Geſtaltung der Recht⸗ 


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* 


Schrift von Fuchs „Die Gemeinſchädlichkeit der 
konſtruktiven Jurisprudenz“, um die ganze Trag⸗ 
weite der Verſchiedenheit der Auffaſſungen in der 
praktiſchen Behandlung der einzelnen Rechtsfragen 
zu kennzeichnen. Andrerſeits iſt es nicht zweifelhaft, 
daß nur aus der Kenntnis des poſitiven Rechts 
eine Stellungnahme zu den aufgeworfenen Fragen 
nicht gewonnen werden kann, ſondern nur aus 
einer mit den Nebenfächern der Soziologie und 
der Nationalökonomie gewonnenen philoſophiſchen, 
nicht metaphyſiſchen Bildung. Dieſe zu vermitteln, 
iſt aber die Aufgabe einer allgemeinen Rechtslehre, 
die bis heute, ſoviel ich ſehe, nicht in das Lehr⸗ 
ſyſtem der Jurisprudenz aufgenommen iſt. 

Auch der Hinweis auf den in Bayern gefor⸗ 
derten Beſuch der philoſophiſchen Fächer ſchlaͤgt 
nicht durch, da der Beſuch in das Belieben des 
Einzelnen geſtellt iſt und dieſe Vorleſungen natür⸗ 
lich zu wenig das Ziel, Juriſten zu belehren, im 
Auge behalten. 


III. 


Dieſe allgemeine Rechtslehre mit den genannten 
Nebenfächern müßte nun an den Beginn des 
Rechtsſtudiums an Stelle der meiſtens in öͤdes 
Auswendiglernen ſich verlierenden Rechtsgeſchichte 
geſtellt und ſo aus philoſophiſchem Geiſte heraus 
eine Einführung in die Rechtswiſſenſchaft gewonnen 
werden. Die Verſchaffung der Kenntnis des 
poſitiven Rechts und der notwendigen Kenntniſſe 
in ſeiner Anwendung (Kriminalpſychologie und 
:piychiatrie, Pſychologie der Ausſagen ꝛc.) füllt den 
weiteren Abſchnitt des Rechtsſtudiums aus und 
gekrönt wird das Ganze durch eine Einführung 
in die Geſchichte des Rechts auf vergleichender 
Grundlage, wo auch das römiſche Recht in ſeiner 
ihm gebührenden Bedeutung zu würdigen wäre. 


Eine ſolche Einteilung des Studiums iſt 
nicht nur pädagogiſch richtig, während bei der 
jetzigen Einteilung das Pferd am Schweife auf: 
gezaͤumt wird, ſondern hat auch die Vorteile, daß 
der Examinator von Anfang an die Begabung 
des Studierenden erkennen kann, (denn Geiſtes⸗ 
wiſſenſchaft erfordert vorwiegend abſtrakte Be⸗ 
gabung), dann, daß der Student als gebildeter 
Juriſt in die Praxis tritt, fähig, von einem 
höheren Geſichtspunkte aus die Aufgaben ſeines 
Berufes zu erfaſſen und im Einzelfalle nicht der 
Präjudizienkrücken zu bedürfen. Denn das bleibt 
bei aller Achtung vor den Einzelkenntniſſen in 
einem Fache doch Wahrheit, daß nur die allge⸗ 
meine, philoſophiſche Bildung, vereint mit der 
richtigen Erkenntnis der Geſchichte den Blick frei 
macht, während die Fachbildung allein den weiten 
Blick nur hemmt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


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Das Abzugsrecht der Gewerbetreibenden 
nach Art. 11 und 12 des Einkommen⸗ 
ſteuergeſetzes vom 14. Auguſt 1910. 


Von Rechtsanwalt Dr. Weil in Ludwigshafen a. Rh. 


Zunächſt einige allgemeine Bemerkungen über 
die Beſteuerung der Gewerbetreibenden. Sie unter⸗ 
liegen einer doppelten Steuer, der Einkommen⸗ 
und Gewerbeſteuer. 


Die Einkommenſteuer erfaßt alle Einkünfte 
des Steuerpflichtigen, bei einem Gewerbetreibenden 
nicht bloß die Einnahmen, die ihm ſein Haus 
oder ſein zinstragendes Geld bringt, ſondern 
auch die Einkünfte aus ſeinem Geſchäft. Wenn 
ein Steuerpflichtiger aus mehreren Quellen Ein⸗ 
kommen hat, ſo wird zuerſt berechnet, wie hoch 
ſein Einkommen iſt, das er aus ſeinem Haus, 
feinem Kapital, ſeinem Geſchäſt zieht. Dieſe ein⸗ 
zelnen Poſten werden dann zuſammengezählt. Man 
erhält dann das geſamte Jahreseinkommen und 
auf dieſes wendet man den Einkommenſteuertarif 
an, um die Einkommenſteuerſchuld zu erfahren. 
Eine geſonderte Berechnung der Einkommenſteuer 
für Grund und Boden, Hausbeſitz, Gewerbe iſt 
unzuläſſig. Im Geſetz iſt das zwar nicht aus⸗ 
drücklich geſagt, es dürfte aber aus Art. 10 I 
und II EStG. hervorgehen. Die Bedeutung der 
Berechnungsart ergibt ſich aus folgendem: Be⸗ 
zieht jemand jährlich aus ſeinem Gewerbe 3750 M, 
aus Hausbeſitz und aus Kapitalvermögen je 500 M, 
ſo zahlt er, wenn die Steuer aus jeder einzelnen 
Einkommensquelle, Grundbeſitz, Kapitalvermögen. 
Gewerbe, für ſich berechnet wird, und dann die 
einzelnen Steuern addiert werden. jährlich 72 M 
Einkommenſteuer. Werden aber nicht die ein: 
zelnen Steuerbeträge, ſondern die einzelnen Ein⸗ 
kommensbeträge addiert, auf dieſe Weiſe das ge: 
ſamte Jahreseinkommen feſtgeſtellt und dann erſt 
aus dieſem die Steuer berechnet — wie das Ge⸗ 
ſetz es will — fo zahlt er jährlich 104 M Ein: 
kommenſteuer. Das verſchiedene Ergebnis rührt 
daher, daß bei der erſten Berechnung für das 
Haus und das Kapital überhaupt keine Steuer 
angeſetzt wird, weil das Steuerminimum von 
600 M nicht erreicht iſt. 

Wenn nun im folgenden das ſteuerliche Ab— 
zugsrecht des Gewerbetreibenden nach Art. 11 und 
12 EStG. geprüft werden ſoll, ſo wird ein 
etwaiges Einkommen, das ihm ſein Haus oder ſein 
Kapitalvermögen verſchafft, außer acht gelaſſen. 
Es ſoll nur unterſucht werden, was vom Gewerbe 
beſteuert wird. Es iſt hier zu unterſcheiden zwiſchen 
dem Einkommen- und dem Gewerbeſteuergeſetz. 

Das Einkommenſteuergeſetz beſteuert das Rein- 
einkommen. Das ergibt die Faſſung des Art. 11 
EStG. Um das Reineinkommen zu erhalten ſind 
zuerſt die Roheinkünfte, d. h. die Einnahmen, zu 


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berechnen. Von ihnen dürfen gewiſſe Ausgaben 
abgezogen werden, nämlich die Betriebs- und die 
Verbrauchsausgaben. 

Unter Betriebsausgaben verſteht das Ein⸗ 
kommenſteuergeſetz, Art. 11, alle zur Erwerbung, 
Sicherung und Erhaltung der Roheinkünfte ge⸗ 
machten Aufwendungen. Nur die tatſaͤchlichen 
Aufwendungen werden abgezogen, nicht bloße 
Paſſivpoſten. Unter die Betriebsausgaben fällt 
der Betrag, den jemand auszugeben hat, um ſich 
ein Geſchaͤft zu kaufen. Iſt der Kaufpreis in 
Teilbeträgen zu zahlen, ſo dürfen nur die in einer 
einzelnen Steuerperiode tatſächlich zu zahlenden 
Beträge ſamt Zinſen abgezogen werden. Dieſe 
fallen unter die in Art. 12 1 Nr. 3 genannten 
Schuldzinſen. Das gleiche gilt bei der für Laden, 
Werkſtätte, Büro zu zahlenden Miete. EStG. 
Art. 12 I Nr. 1 läßt zwar feinem Wortlaut 
nach nur die Miete für Gebäude, nicht aber für 
Teile von Gebäuden, abziehen. Aber da auch 
letztere unter die Betriebsausgaben fällt und 
Art. 12 nur Beiſpiele von abziehbaren Betriebs⸗ 
ausgaben gibt, darf zweifellos auch die Miete für 
Gebäudeteile abgezogen werden. Wer aber ſein 
Gewerbe im eigenen Haus betreibt, darf hierfür 
keine Miete veranſchlagen: Art. 12 III Nr. 3. 
Noch nicht einmal die Hausſteuer darf er ab: 
ziehen, wohl aber die Koſten für Unterhaltung 
und Verſicherung des Hauſes, des Ladens, der 
Werkſtätte, der Maſchinen und des Betriebsinventars. 
Art. 12 J Nr. 2 und 5. Wird jedoch ein Betrag 
für Abnützung von Gebäuden, Maſchinen und Be: 
triebsinventar abgeſchrieben, was dann bei der 
Steuer berückſichtigt wird, ſo darf ſelbſtverſtändlich 
die Neuanſchaffung von Inventar oder die Repa⸗ 
ratur eines Hauſes oder Ladens nicht eigens in 
Rechnung geſtellt werden. (Art. 12 III Nr. 1.) 
Entweder das eine oder das andere iſt zuläſſig. 
— Koſten, die zur Geſchäftserweiterung gemacht 
wurden, bleiben außer Betracht. (Art. 12 III 
Nr. 1.) Wenn jedoch die Geſchäftserweiterung 
in der Art vorgenommen wird, daß Gebäude oder 
Gebäudeteile gemietet werden, ſo darf hier ein 
Abzug nach Art. 12 I Nr. 1 erfolgen. Das 
ſteht zwar nicht ausdrücklich im Geſetz, ergibt ſich 
aber aus der vorgenannten Beſtimmung. Erfolgt 
die Geſchäftserweiterung in der Weile, daß der 
Gewerbetreibende das hierfür notwendige Geld 
ſich von einem Andern verſchafft, ſo kann er die 
ihm hierdurch erwachſenen Schuldzinſen nach 
Art. 12 1 Nr. 3 abziehen. Die Begründung 
zum Geſetzentwurf führt dies ausdrücklich als 
Beiſpiel zu dieſer Beſtimmung an. Der Geſchaͤfts— 
mann darf nur die „Schuldzinſen“ abziehen, aber 
nicht das Kapital; denn zu den Schuldzinſen ge— 
hören nicht die zur Tilgung der Kapttalſchuld 
gezahlten Gelder. Das ſind keine Zinſen, ſondern 
Amortiſationsquoten. — Erweitert jemand ſein 
Geſchäft dadurch, daß er Maſchinen auf Pump 
kauft, an denen ſich der Lieferant bis zur Zahlung, 


des Kaufpreiſes das Eigentum vorbehält und bei 
denen der Kaufpreis in der Art zu tilgen iſt, 
daß für die Maſchinen ein beſtimmter Mietzins 
zu zahlen und dieſer auf den Kaufpreis zu ver⸗ 
rechnen iſt, ſo iſt die Frage, ob dieſer „Mietzins“ 
nicht nach Art. 12 1 Nr. 1 abziehbar iſt. Für 
die Bejahung der Frage kann man anführen, daß 
es unbillig iſt, jemanden aus einem Vermögens⸗ 
objekt Steuer zahlen zu laſſen, das nicht einmal 
dem Steuerträger gehört. Richtiger Anſicht nach 
iſt die Frage aber zu verneinen, d. h. ein Abzug 
des Mietzinſes darf nicht erlaubt werden. Das 
entſcheidende Gewicht iſt nicht auf die juriſtiſche 
Struktur, ſondern auf den wirtſchaftlichen Zweck 
zu richten. Die Parteien haben im Endzweck den 
Verkauf und den Kauf der Maſchinen gewollt. 
Der ſogenannte Mietzins wird ja auch auf den 
Kaufpreis verrechnet. Er iſt eine Aufwendung, 
die zur Geſchäftserweiterung gemacht wurde. 
Allerdings keine einmalige, ſondern eine bis zu 
einem zeitlich unbeſtimmten Termin, der voll⸗ 
ſtändigen Zahlung des Kaufpreiſes, wiederkehrende 
Leiſtung. Auch ſolche fallen unter die Aufwen⸗ 
dungen im Sinn des Art. 12 III Nr. 1. Wollte 
man einen Abzug zulaſſen, fo fäme man zu dem 
ſonderbaren Ergebnis, daß derjenige, der Maſchinen 
zur Geſchäftserweiterung kauft und gleich bezahlt, 
hierfür bei der Steuer nichts anrechnen darf, daß 
aber der, der ſie nicht gleich bezahlt, ſeine Raten⸗ 
zahlungen, die ſogenannten Mietzinſen, in Rechnung 
ſtellen darf. 

Art. 12 I Nr. 4 und 5 gibt zu folgendem 
Zweifel Anlaß. Verſichert jemand ſein Gebäude, 
ſeine Maſchinen oder ſein Inventar gegen Brand 
und Jonftigen Schaden, jo darf er nach Nr. 5 
die Prämie abziehen. Er darf aber auch nach 
Nr. 4 einen angemeſſenen Betrag für Abnützung 
dieſer Gegenſtände in Rechnung ſtellen. Wenn 
ihm nun die Verſicherung den vollen Wert dieſer 


Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 2 


— — —— . & 


22 —»—T ͤ a a . —. — . —— 


Sachen ohne Rückſicht auf den zwiſchen alt und 


neu ſich ergebenden Minderwert auszahlt, ſo hat 


der Geſchäftsinhaber die Betriebsausgaben für 


denſelben Gegenſtand zweimal abgezogen. 
dings wird bei der Feuerverſicherung der zwiſchen 
alt und neu ſich 


ergebende Minderwert im 


Rahmen des $ 86 und des § 88 des Geſetzes über den 


Verſicherungsvertrag berückſichtigt. Soweit dies 
aber nicht geſchieht, könnte man zu der Anſicht 
verleitet werden, daß eine Abſchreibung nach Art. 12 
I Nr. 4 und 5 unzuläſſig fein dürfte. Das 


Haftpflichtverſicherung abziehen. 


wäre jedoch ein Fehlſchluß, da die Verſicherung 


nur in gewiſſen Schadensfällen eintritt und für 
andere der Geſchäftsinhaber ſich durch Abſchreibung 
vorſehen muß. Allerdings iſt er dann bevorzugt, 
1 ein von der Verſicherung zu deckender Schaden 
eintritt. 


Er hat hier bei der Steuerberechnung 


ſowohl ſeine Prämie als auch die Abſchreibung 


abgezogen, obwohl der durch Abſchreibung vor— 
1 Kapitalbetrag von ihm nicht aufzuwenden 
iſt. 


Da das Geſetz dieſen Fall nicht vorgejehen | 


43 


hat, braucht er auch bei der Steuer nicht berück⸗ 
ſichtigt zu werden. Man kann nicht einwenden, 
daß die Prämie nach Abſ. III Nr. 1 als Auf⸗ 
wendung zu einer Erſatzbeſchaffung nicht abgezogen 
werden darf. Wohl iſt die Praͤmie eine ſolche 
Aufwendung. Aber fie iſt nach Abſ. I Nr. 5 
abziehbar. Dieſe Beſtimmung iſt eine Sonder⸗ 
beſtimmung, die der Beſtimmung des Abſ. III 
Nr. 1 vorgeht. — Fraglich iſt auch, ob der Ge⸗ 
ſchäftsinhaber die Koſten für Transportverſiche— 
rung der an ſeine Kunden verkauften Waren ab- 
ziehen darf. Denn juriſtiſch iſt der Fall ſehr wohl 
denkbar, daß dieſe Sachen bereits Eigentum des 
Kunden und deshalb keine Vorräte des Geſchäfts⸗ 
inhabers im Sinne des Art. 12 I Nr. 5 find, 
und daß trotzdem der verkaufende Geſchaͤftsinhaber 
die Transportgefahr hat. Es iſt jedoch anzunehmen, 
daß auch in dieſem Fall ein Abzug, wenn auch 
nicht nach Art. 12 J Nr. 5, fo doch nach Art. 111 
erfolgen darf; denn die Transportverſicherung 
nimmt hier der Geſchäftsinhaber zur Sicherung 
des ihm aus einem beſtimmten Geſchäftsabſchluß 
zuſtehenden Einkommens. — In neuerer Zeit ſpielt 
auch die Verſicherung gegen Kreditverluſt 
eine Rolle. Es darf die hiefür zu zahlende Prämie 
nach Art. 12 I Nr. 5 nicht abgezogen werden, 
da es ſich hier weder um Vorräte noch um Er— 
zeugniſſe oder Betriebsinventar handelt. Jedoch 
dürfte ein Abzug auf Grund des Art. 12 I 
Nr. 9 zuläſſig ſein, da dieſe Prämien Rücklagen 
für wahrſcheinliche Betriebsverluſte ſind. Tritt 
dann ein von der Verſicherung gedeckter Betriebs⸗ 
verluſt ein, ſo darf er nicht veranſchlagt werden. 
Denn es liegt wirtſchaftlich gar kein Verluſt vor. — 
Hierher gehört auch die Frage, wie es bei der Dis: 
kontierung von Buchforderungen zu halten 
iſt. Ein Geſchäftsmann überträgt hier ſeine Außen⸗ 
ſtände an eine Bank, die ihm die Außenſtände 
bezahlt abzüglich eines Betrages für Zwiſchenzins 
und Vergütung für die Annahme der Außen: 
ſtände. Dieſer Betrag iſt der Diskont. Hat der 
Kaufmann ſchon nach Art. 12 I Nr. 9 Betriebs: 


Aller⸗ verluſte abgeſchrieben, ſo darf er ſich jetzt nicht 


auch den Diskont abrechnen. Anders, wenn er 
erſteres nicht getan hat; dann darf der Diskont 
als Betriebsverluſt nach dieſer Beſtimmung be— 
rückſichtigt werden. 

Art. 12 1 Nr. 5 läßt auch die Prämien für 
Man darf 
aber wohl annehmen, daß nicht die Prämien für 
jede Art der Haſtpflicht abgezogen werden dürfen, 
ſondern nur für eine Verſicherung, die ſolche Schäden 
umfaßt, die der Geſchäftsbetrieb mit ſich bringt. 
Ein Beiſpiel wird das veranſchaulichen. Ein Ge— 
ſchäftsmann, der zugleich Hausbeſitzer iſt, wird 
haftbar gemacht, weil er die Treppe ſeines Wohn— 
hauſes, das ganz wo anders liegt als ſein Ge— 
ſchäftsraum, nicht beleuchtet hat. Das hat mit 
ſeinem Geſchäftsbetrieb nichts zu tun. Zweifelhaft 
iſt es, ob es anders iſt, wenn gegen einen Wirt 


vorgegangen wird, weil er die zu ſeiner Wirtſchaft 
führende Treppe nicht beleuchtet hat. Doch können 
wir für die ſteuertechniſche Frage eine ſolche rück⸗ 
ſchauende Betrachtung überhaupt nicht verwerten. 
Man muß ſich einfach die Police anſehen und 
nach ihr und den tatſächlichen Verhältniſſen be⸗ 
urteilen, inwieweit eine durch Verſicherung vor⸗ 
geſehene Haftpflicht mit dem Geſchäͤftsbetrieb zu: 
\ammenhängt oder nicht. Es mag zugegeben 
werden, daß ſich das meiſtens aus der Police 
gar nicht erſehen läßt, weil ſie einen ſolchen 
Unterſchied nicht kennt. Es iſt dann Sache der 
Steuerbehörde, in Zweifelsfällen dieſe Frage auf 
Grund einer Schätzung zu beurteilen. Bei einer 
ſolchen Schätzung dürften ſich dann auf Grund 
der hier gemachten Unterſcheidung Zweifel mannig⸗ 
fachſter Art ergeben, z. B. wenn wir den oben⸗ 
genannten Fall des Wirtes betrachten, der ſich 
gegen Haftpflicht verſichert. Man könnte ſagen, 


hier hat ſich der Wirt in ſeiner Eigenſchaft als 


Hausbeſitzer verſichert und deshalb gibt es keinen 
Abzug der Prämie. 
treffend fein, einen Abzug zuzulaſſen; denn ge- 
rade dieſe Art des Gewerbebetriebs, nicht der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


— — — nn 


Handelsmäkler im Sinn des $ 93 HGB. nicht 


gabe im Sinn des Art. 11 iſt. 


. 


lagen, daß er für den Betrieb angenommen iſt. 
Aber trotzdem dürfte die Proviſion bei der Steuer 
in Rechnung geſtellt werden, da ſie Betriebsaus⸗ 


(Schluß folgt). 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Wer erteilt die vollſtreckbare Ausfertigung eines 
von einem bayeriſchen Amtsgerichte beurkundeten Unter: 
haltsübereinkommens, wenn die Vormundſchaft im Ans: 
lande geführt wird? Nach Art. 15 des bayeriſchen 
AGz GVG. find die Amtsgerichte neben den Notariaten 
zuſtändig für die Beurkundung von Vereinbarungen 


zwiſchen dem Vater eines unehelichen Kindes und dieſem 


über den Unterhalt für die Zukunft ꝛc. Aus dieſen 
Vereinbarungen findet gemäß 8 794 Nr. 5 ZPO. die 


Es dürfte aber wohl zu⸗ 


Hausbeſitz an ſich, erhöht die Gefahr haftpflichtig 


zu werden. Bei Haftpflichtverſicherung darf der 
hier gemachte Unterſchied nicht umgangen werden. 
Man darf nicht ſagen, daß ihn Art. 12 I Nr. 5 
nicht kennt. An ſich iſt das richtig. Aber mit 
Nr. 5 muß Abſ. II Nr. 2 verglichen werden. 
Hier erſt dürfen Beiträge, die vom Steuerpflich⸗ 
tigen „für ſich“, nicht ſür ſeinen Geſchäftsbetrieb, 
zu Haftpflichtverſicherungen entrichtet werden, ab⸗ 
gezogen werden. Eine ähnliche Unterſcheidung 
iſt auch bei der Verſicherung gegen Ein⸗ 
bruch, Diebſtahl und Unterſchlagung 
zu machen. Sie bezieht ſich nur auf die in 
Abſ. 1 Nr. 5 aufgeführten Gegenſtände. Bei 
anderen Sachen kann ſie überhaupt nicht berück⸗ 
ſichtigt werden, auch nicht unter dem Geſichts⸗ 
punkt des Art. 11 I. — Art. 12 J Nr. 7 erwähnt 
wohl Ausgaben für Heizung und Beleuchtung, 
aber nicht für Kraftanlagen. Soweit letztere 
der Geſchäftsinhaber nur mietet, darf er nach 
Abſ. 1 Nr. 1 einen Abzug machen; kauft er ſie 
aber, ſo fallen ſie unter die abzugsfähigen 
Betriebsausgaben nach Art. 11. Das gleiche 
gilt, wenn er einer Vereinigung angehört, die 
ihm gegen Zahlung eines Beitrages Bewegungs— 
kräfte zur Verfügung ſtellt. Sofern der Beitrag 
auch für Leiſtungen beſtimmt iſt, die mit dem 
Geſchäſtsbetrieb nicht zuſammenhängen, z. B. Liefe⸗ 
rung einer Zeitſchrift, kann er bei der Steuer nicht 
berückſichtigt werden. — Nr. 8 erlaubt den Ab— 
zug von Gehältern an die für den Betrieb an— 
genommenen Perſonen. Hier erhebt ſich ein 
Zweifel, ob die vom Geſchäftsinhaber an Handels— 
agenten und Handelsmaͤkler zu zahlenden Provi— 
ſion veranſchlagt werden darf. Denn eine Pro— 
viſion iſt kein Gehalt. Auch kann man von einem 


4 


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Zwangsvollſtreckung ſtatt, wenn ſich der Vater des 
Kindes der ſofortigen Zwangsvollſtreckung unterworfen 
hat. Die vollſtreckbare Ausfertigung der Vereinbarung 
erteilte bisher der Gerichtsſchreiber des Gerichts, 
welches die Vereinbarung oder doch die Verpflichtungs⸗ 
erklärung des Kindsvaters aufgenommen hatte, gleich⸗ 
viel bei welchem Gerichte die Vormundſchaft geführt 
wurde (8 797 ZPO.). Demnach wurde auch in den 
zahlreichen Fällen, in denen die Vormundſchaft im 
Auslande line beſondere in Oeſterreich) geführt wird 
und die Protokolle des bayeriſchen Amtsgerichts ſich 
bei den ausländiſchen Vormundſchaftsakten befinden, 
die vollſtreckbare Ausfertigung von dem Gerichts⸗ 
ſchreiber dieſes bayeriſchen Amtsgerichts anſtandslos 
erteilt, wenn das auswärtige Gericht ſeine Vormund⸗ 
ſchaftsakten überſandte. — 

Durch das Reichsgeſetz vom 1. Juni 1909 wurde 
nun der 8 797 ZPO. dahin geändert, daß die voll: 
ſtreckbare Ausfertigung von dem Gerichtsſchreiber des 
Gerichts zu erteilen iſt, welches die Urkunde, alſo das 
Protokoll mit der Verpflichtungserklärung des Kinds⸗ 
vaters verwahrt. Dieſe Aenderung hat zweifellos die 
Fälle vereinfacht, in denen die Vormundſchaft bei 
einem anderen deut ſchen Gerichte als dem beur⸗ 
kundenden anhängig iſt. Sie macht dagegen die Voll⸗ 
ſtreckung unmöglich, wenn die Vormundſchaft im Aus⸗ 
lande geführt wird. Da nämlich in Bayern die 
Uebung beſteht, die Vereinbarungen über den Unter⸗ 
halt in Urſchrift dem auswärtigen Gerichte zu über⸗ 
ſenden, fehlt in dieſen Fällen ein Gerichtsſchreiber, 
der die vollſtreckbare Ausfertigung erteilen könnte. 
Es geht m. E. nicht an, in dieſen Fällen etwa auf den 


früheren Rechtszuſtand zurückzugreiſen und den Ge⸗ 


richtsſchreiber des Gerichts, das die Urkunde aufge⸗ 
nommen hat, für zuſtändig zu erachten. Es geht auch 
nicht an, den vorübergehenden Beſitz der Akten, die 
von dem Gerichte des Auslands mit dem Erſuchen 
um Erteilung einer vollſtreckbaren Ausfertigung über⸗ 
ſendet wurden, als eine „Verwahrung“ im Sinne des 
8 797 3PO. zu erklären. 

Das Ergebnis iſt zweifellos ſehr mißlich. Denn 
einerſeits iſt zwar eine Urkunde vorhanden, aus der 
nach dem klaren Wortlaute des $ 794 ZPO. die Voll: 
ſtreckung „ſtattfindet“, anderſeits findet ſie aber doch 
nicht ſtatt, weil niemand die Urkunde vollſtreckbar aus- 
fertigen kann. Das auswärtige Mündel iſt genötigt, 


die rückſtändigen Unterhaltsbeiträge immer wieder 
einzuklagen, obgleich es einen Vollſtreckungstitel beſitzt. 
Das iſt umſtändlich, zeitraubend und koſtſpielig. Ab⸗ 
hilfe tut alſo dringend not. Sie könnte m. E. nur 
dadurch geſchaffen werden, daß die bayeriſchen Amts⸗ 
gerichte angewieſen würden, ähnlich wie in Preußen 
die Protokolle über ſolche Unterhaltsvereinbarungen, 
die für ein Gericht des Auslands beſtimmt ſind, in 
Urſchrift zu ſammeln und aufzubewahren und nur 
beglaubigte Abſchriſten zu den ausländiſchen Vor⸗ 
mundſchaftsakten zu geben. 
Amtsrichter Matthias Mayr in München. 


Eine Zuſtändigkeitsfrage. Es iſt gegen eine Perſon 
das Hauptverfahren wegen eines Vergehens gemäß 
88 152, 153 GewO. eröffnet. In der Hauptverhandlung 
kommt das Gericht zu der Auffaſſung, daß zwar kein 
Vergehen wider die GewO., wohl aber ein Vergehen 
der Beleidigung vorliege. Strafantrag iſt nicht geſtellt. 
Wie iſt zu verfahren? Freiſprechung kann nicht er⸗ 
folgen. Denn die Tat iſt nach allen rechtlichen Ge⸗ 
ſichtspunkten zu würdigen (Vgl. E. III, 384; VII, 232). 
Nach der von Stenglein in ſeinem Kommentar zur 
StPO. (8 270), vertretenen Anſicht müßte ſich das 
Schöffengericht für unzuſtändig erklären und die Sache 
an das Landgericht verweiſen. Dieſes müßte dann 
— wenn nicht etwa der Strafantrag rechtzeitig nach⸗ 
gebracht worden iſt — gemäß 8 259 II StPO. das 
Verfahren einſtellen. Das Ergebnis befriedigt nicht. 
Wozu die Verhandlung vor dem Landgericht, wenn 
man, wie meiſt, doch ſchon weiß, daß das Landgericht 
nicht verurteilen kann? 

Es bleibt ſohin zu erwägen, ob etwa das Schöffen⸗ 
gericht in eigener Zuſtändigkeit das Verfahren einſtellen 
darf. Ich halte es für zuläſſig. Löwe⸗Hellweg be⸗ 
handelt im Kommentar zur StPO. (Anm. 4 zu 8 279) 
den Fall, wenn nach dem Ergebniſſe der Hauptver⸗ 
handlung zwar feſtſteht, daß die Tat die Zuſtändigkeit 
des Schöffengerichts überſteigt, aber das Gericht der 
Ueberzeugung iſt, daß die Täterſchaft des Angeklagten 
nicht erwieſen iſt, oder daß ein Schuldausſchließungs⸗ 
grund vorliegt. Er erklärt es hier für angängig, 
daß das Schöffengericht in eigener Zuſtändigkeit frei⸗ 
ſpricht. Das gleiche dürfte für unſeren Fall gelten. 
Es kann m. E. nicht eingewendet werden, daß in dem 
bei Löwe angeführten Fall die Freiſprechung eben nur 
von dem — irrtümlich angenommenen — zur Zu⸗ 
ſtändigkeit des Schöffengerichts gehörigen Vergehen 
erfolgt. Tatſächlich war ja nicht die im Eröffnungs⸗ 
beſchluſſe bezeichnete Tat zu würdigen, ſondern die 
Tat, wie ſie ſich nach dem Ergebniſſe der Hauptver⸗ 
handlung darſtellt. Darauf, daß rein äußerlich die 
Freiſprechung von dem im Eröffnungsbeſchluß ge= 
nannten Vergehen erfolgt, kann kein entſcheidendes 
Gewicht gelegt werden. Denn Gegenſtand der Urteils⸗ 
findung iſt dieſes Vergehen nicht. Dagegen ſcheinen 
mir die anderen, von Löwe für ſeine Anſicht geltend 
gemachten Gründe ausſchlaggebend zu ſein (Vgl. a. 
a. O. Anm. 4 zu 8 270 StPO.). Dieſe Gründe haben 
aber auch hier in gleichem Umfange Geltung. Ins⸗ 
beſondere iſt auch hier zu betonen, daß 8 270 StPO. 
nur einen Schuldausſpruch wegen eines die Zuſtändig⸗ 
keit des erkennenden Gerichts überſchreitenden Ver: 
gehens verbietet, nicht aber überflüſſige Weitläufig⸗ 
keiten und Schwerfälligkeiten vorſchreiben will. 

Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


L 

Boransieungen einer wirkſamen „Friſtſetzung“ nach 

drift BGB. Folgen des fruchtloſen Verſtreichens der 

riſt. Beweislaſt. Durch notariellen Vertrag vom 
12. September 1908 verkaufte der Kläger aus einem 
Grundſtücke zwei Parzellen an den Beklagten. Die 
Uebergabe und die Auflaſſung ſollten ſpäteſtens am 
1. Oktober 1908 erfolgen, bis dahin ſollte auch der Kläger 
die Parzellen von den Hypotheken frei machen. Da 
die Auflaſſung bis dahin nicht erfolgte, auch ein Brief 
des Beklagten vom 4. November 1908 ohne Erfolg 
blieb, in dem er ſie bis ſpäteſtens den 10. November 
1908 verlangte, ſo ſetzte er dem Kläger durch Schreiben 
vom 4. Januar 1909 eine Friſt zur Erteilung der Auf⸗ 
laſſung bis zum 12. Januar 1909 mit der Androhung, 
daß er „ſonſt die Auflaſſung ablehne“. Nachdem der 
Beklagte auf die Antwort des Klägers, daß die Auf⸗ 
laſſung in Kürze erfolgen werde, feine Friſtſetzung mit 
Androhung aufrechterhalten hatte, forderte ihn der 
Kläger auf, ſich zur Entgegennahme der Auflaſſung 
am 12. Januar 1909 bei dem Grundbuchamt einzu⸗ 
finden. Trotzdem beide Parteien erſchienen, konnte die 
Auflaſſung nicht erfolgen, weil es zu der Entpfändung 
der Beſtellung eines Pflegers bedurfte, die ebenſo wie 
die vormundſchaftsgerichtliche Genehmigung an dieſem 
Tage noch nicht ſtattgefunden hatte. Da der Beklagte 
zu einem ferneren auf den 25. Januar 1909 vom 
Kläger beſtimmten Termine nicht erſchien, hat der 
Kläger auf Entgegennahme der Auflaſſung geklagt. 
Die Klage wurde in den Vorinſtanzen abgewieſen. Die 
Reviſion blieb ohne Erfolg. 

Aus den Gründen: 1. Zu Unrecht bemängelt 
die Reviſion, daß der Brief vom 4. Januar 1909 weder 
eine angemeſſene Friſt ſetze, noch die Beſtimmung des 
Zeitpunktes für die Vornahme der Auflaſſung enthalte, 
was nach dem Urteile des erkennenden Senats vom 
22. November 1902 erforderlich ſei (RZ. 53, 75). 
Der Senat iſt von dieſer ſtrengen Auffaſſung, die 
übrigens für einen Fall ausgeſprochen wurde, in dem 
die zu erfüllende Leiſtung in der Entgegennahme 
einer Auflaſſung beſtand, in ſeinen ſpäteren Urteilen 
(RG. 66, 430; 69, 103) inſoweit etwas zurückgegangen, 
als der Vorſchlag einer erſt noch zu vereinbarenden 
Auflaſſungszeit genügen ſoll. Ein ſolcher Vorſchlag 
iſt in dem Schreiben vom 4. Januar 1909 nicht aus⸗ 
drücklich enthalten. Aber es kann doch dahingeſtellt 
bleiben, ob mit dem Berufungsgericht in der Auf: 
forderung „binnen 8 Tagen die Vornahme der Auf⸗ 
laſſung zu bewirken“ die Erklärung des Auffordernden 
geſehen werden muß, er ſei bereit innerhalb dieſer 
Friſt zu jeder dem anderen genehmen und von dieſem 
zu beſtimmenden Zeit vor dem Grundbuchamte die 
Auflaſſung entgegenzunehmen. Denn mit Recht hat 
das Berufungsgericht dem Kläger entgegengehalten, 
daß er ſich darauf nicht berufen dürfe, daß etwa die 
briefliche Friſtſetzung nach dieſer Richtung mangelhaft 
war, da der Mangel dadurch geheilt ſein würde, daß 
der Kläger ſelbſt innerhalb der Friſt Tag und Stunde 
für die Auflaſſung beſtimmt hat. Ebenſowenig trifft 
der andere Vorwurf zu, daß die achttägige Friſt nicht 
ausreichend geweſen ſei. Denn es beſteht kein Zweifel 
daran, daß die Friſt nur ſo bemeſſen zu ſein braucht, 
um den Säumigen in die Lage zu ſetzen, die bereits 
begonnene Erfüllung zu vollenden, aber keineswegs ſo 
lang ſein muß, daß ſie ausreiche, um die erſt jetzt in 
die Wege zu leitende Bewirkung der Leiſtung zu voll— 
enden (ſ. Urteil vom 26. November 1907 II. 273/07). 
Es kann daher hier den Ausführungen des Berufungs— 
urteils nur beigetreten werden. 


2. Das Berufungsgericht unterſucht dann weiter, 
ob der fruchtloſe Ablauf der Nachfriſt auf einen vom 
Kläger zu vertretenden Umſtand zurückzuführen ift 
da nach feiner Anſicht gemäß 8 285 BGB. nur in 
dieſem Falle die Jerzugs folgen eintreten. Inſofern 
hieraus zu entnehmen wäre, daß dem Kläger die 
Schuld an dem fruchtloſen Verſtreichen der achfriſt 
nachgewieſen werden müſſe, ſo würde hierin ein zwei⸗ 
facher Rechtsirrtum des Berufungsgerichts liegen. 
Denn in der Regel hat der Gläubiger nur die 
Fälligkeit ſeines Anſpruchs, und, ſoweit Mahnung er⸗ 
forderlich iſt, auch dieſe zu beweiſen, um den Verzug 
des Schuldners darzutun, während dieſer den Beweis 
erbringen muß, daß die Leiſtung infolge eines Um⸗ 
ſtandes unterblieben iſt, den er nicht zu vertreten hat. 
Kann ſomit der Schuldner ſich durch dieſen Nachweis 
von den Folgen des Verzugs befreien, ſo gilt dies 
doch nicht für die Nachfriſt, na deren fruchtloſem 
Ablaufe die in 8 326 BGB. beſtimmten Folgen, abs 
geſehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen 
(ſ. Planck BGB. Bem. 2c zu 8 326), ohne weiteres 
eintreten, ſofern er zur Zeit der Stellung der Nach⸗ 
friſt im Verzuge war. Sollte aber hier eine unrichtige 
Auffaſſung in dem Berufungsurteile nach den beiden 
Richtungen vorliegen, ſo würde ſie dem Kläger zugute 
kommen, und er würde dadurch nicht beſchwert ſein. 
(Urt. des V. ZS. vom 12. Oktober 1910, V 685/09). 

2115 


-—- —ı 


II. 
Mitwirkendes Berſchulden bei Schadenserſatzau⸗ 


ſprüchen aus dem Eigentum. Gerichtliche Schadens: 
ſchätzung (SS 254, 989 BGB.; 5§ 287 3POO.). Die 
Klägerin K., eine Maſchinenfabrik in N., hatte die 


Verurteilung des Konkursverwalters S. in W. zur 
Herausgabe mehrerer Maſchinen erwirkt, die ſie dem 
Gemeinſchuldner M. in A. vor der Konkurseröffnung 
unter Eigentumsvorbehalt bis zur Zahlung des Kauf⸗ 
preiſes, geliefert und wofür fie noch 7260 M zu fordern 
hatte. Während der Anhängigkeit dieſes Rechtsſtreits 
im zweiten Rechtszuge wurden die Maſchinen mit dem 
Fabrikanweſen des M. auf Antrag eines Hypotheken- 
gläubigers zwangsweiſe verſteigert. Nun begehrte die 
Klägerin K. mit einer neuen Klage die Verurteilung 
des Konkursverwalters S. zur Zahlung von 7260 M 
nebſt Zinſen als Maſſeſchuld aus der Konkursmaſſe, 
da er die Klägerin von der bevorſtehenden Zwangs⸗ 
verſteigerung nicht unterrichtet habe und ſie daher 
ihre Rechte an den Maſchinen nicht habe geltend machen 
können; zur Mitteilung von der anberaumten Ver⸗ 
ſteigerung ſei der Konkursverwalter verpflichtet ge- 
weſen, weil ſich dies ſchon aus der Natur des Kaufs 
mit Eigentumsvorbehalt des Verkäufers ergebe und 
weil die Klägerin ſich ſchon vorher dem Konkursver⸗ 
walter gegenüber gegen jeden Verkauf der Maſchinen 
verwahrt habe; jedenfalls habe der Konkursverwalter 
für die Erhaltung des dem Gemeinſchuldner anver⸗ 
trauten Eigentums der Klägerin ſorgen und den Ers 
werb der Maſchinen durch Dritte verhindern müſſen; 
ſeine Leiſtung auf Herausgabe der Maſchinen ſei ihm 
infolge eines von der Konkursmaſſe zu vertretenden Um⸗ 
ſtands unmöglich geworden; die Klägerin könne deshalb 
den Wert der Maſchinen als Schadenserſatz verlangen. 


Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


Der beklagte Konkursverwalter S. beſtritt, daß er zur 


Wahrung der Rechte der Klägerin verpflichtet geweſen 
ſei, und daß ihn an der Verſteigerung der Maſchinen 
ein Verſchulden treffe, und behauptete, die Klägerin, 
die ſich nicht um ihr Eigentum gekümmert habe, treffe 
ein viel höheres Verſchulden; der Wert der Maſchinen 
ſei übrigens viel geringer geweſen als geltend gemacht 
werde. Das Landgericht erließ Urteil nach dem Klag— 
antrage, das Oberlandesgericht ſprach nur die Ver— 
urteilung des Beklagten zur Zahlung von 2500 M 
nebſt Zinſen aus und wies im übrigen die Klage ab, 
da der Pflichtwidrigkeit des Konkursverwalters ein 


Verſchulden der Klägerin ſelbſt gegenüberſtehe und die 
Konkursmaſſe daher nur für die Hälfte des ſich auf 
5000 M belaufenden Schadens der Klägerin aufzu⸗ 
kommen habe. Die Reviſion der Klägerin, die ſich 
gegen die Annahme eines mitwirkenden Verſchuldens 
und gegen die Veranſchlagung ihres Schadens auf nur 
5000 M richtete, wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Die Beſchwerde, daß 
8 254 BBB. auf den Eigentumsanſpruch gemäß 
58 985, 989 BGB. keine Anwendung finde, iſt unbe⸗ 
gründet; denn nach feſtſtehender Rechtſprechung des 
1850 (vgl. die Urteile vom 25. Oktober 1904, 
II. 36/04 und vom 23. Mai 1905, VI. 516/04) iſt 8 254 
auf alle durch das BGB. beſtimmten Fälle der Schadens» 
erſatzpflicht anwendbar. Es iſt namentlich kein Grund 
erfindlich, aus dem dieſe Vorſchrift nicht auch in Fällen 
des § 989 BGB. gelten ſollte, da auch hier eine 
Schadenserſatzpflicht des Beſitzers dem Eigen⸗ 
tümer gegenüber beſtimmt iſt. Da aber die Anwendung 
des § 989 auf den vorliegenden Fall rechtlich nicht zu 
beanſtanden iſt, ſo bedarf es keiner Erörterung der 
Frage, ob der Beklagte nicht auch aus einem obli⸗ 
gatoriſchen Rechtsgrunde zum Schadenserſatze verpflichtet 
iſt. Die Annahme eines mitwirkenden Verſchuldens 
hat das Berufungsgericht im weſentlichen wie folgt 
begründet: Die Klägerin fei mindeſtens ſofort nach 
erlangter Kenntnis von der Eröffnung des Konkurs⸗ 
verfahrens verpflichtet geweſen, ſich über den Verbleib 
der ihr noch gehörenden, wertvollen Maſchinen zu er⸗ 
kundigen, namentlich im Hinblick auf das von ihr im 
Konkurs geltend gemachte Ausſonderungsrecht ſich als⸗ 
bald zu vergewiſſern, wo und in weſſen Händen ſich 
ihr Eigentum befinde und in welchem Zuſtande es ſei, 
und neben dem Konkursverwalter dafür zu ſorgen, 
daß die Maſchinen nicht verloren gingen oder in die 
Hände Unberechtigter gelangten. Solche Schritte habe 
ſie tun müſſen, nachdem ſie aus dem Vorbringen 
des Konkursverwalters im Vorprozeß erſahren habe, 
welchen rechtlichen Standpunkt er hinſichtlich der Ma⸗ 
ſchinen eingenommen habe und hartnäckig vertrete. 
Sie habe mit der Möglichkeit rechnen müſſen, daß der 
Konkursverwalter, wenn auch pflichtwidrig, zur Siche⸗ 
rung der ſtreitigen Maſchinen gar nichts tun, und daß 
ein Konkursgläubiger abgeſonderte Befriedigung aus 
dem Fabrikgrundſtücke ſuche und dann die vom Kon⸗ 
kursverwalter als Beſtandteile dieſes Grundſtücks er⸗ 
klärten Maſchinen zwangsweiſe mitverkauft würden. 
Ihre Einwendung, ſie habe ſich auf den rechtskundigen 
Konkursverwalter verlaſſen dürfen, könne ſie nicht ent⸗ 
ſchuldigen, da ſie als Inhaberin einer großen Maſchinen⸗ 
fabrik ſelbſt gewußt habe, welche Schritte ſie zur Ver⸗ 
wirklichung ihres vom Konkursverwalter beſtrittenen 
Ausſonderungsanſpruchs zu tun habe, und da ſie auch 
ihren Anwalt damit hätte beauftragen können. 

Dieſe in tatſächlicher Hinſicht nicht nachzuprüfenden 
Ausführungen laſſen keine Geſetzesverletzung erkennen; 
ſie ſtehen namentlich im Einklang mit der Begründung 
eines Urteils des Reichsgerichts vom 2. Oktober 1902, 
VI. 75/02, wo ausgeführt iſt: Zur Annahme eines 
konkurrierenden eigenen Verſchuldens des Beſchädigten 
genüge es, wenn er bei ſeiner für den entſtandenen 
Schaden mit kauſal gewordenen Handlung oder Unter— 
laſſung dasjenige Maß von Aufmerkſamkeit und Sorg— 
falt nicht betätigt habe, das nach Lage der Sache zur 
Wahrnehmung ſeiner eigenen Intereſſen geboten ge— 
weſen ſei. Dies trifft nach den obigen Feſtſtellungen 
der Klägerin gegenüber zu. Die Anwendung des $ 254 
wird namentlich nicht durch die Pflichtwidrigkeit des 
Verhaltens des Konkursverwalters ausgeſchloſſen; 
denn die Klägerin mußte unter den gegebenen Um— 
ſtänden auch mit der Möglichkeit einer ſolchen Pflicht— 
widrigkeit rechnen. Trotz dieſer eigenen Pflichtwidrigkeit 
war aber der Konkursverwalter im Hinblick auf den 
unbeſchränkten Wortlaut und Zweck des & 254 bes 
rechtigt, ſich zur Verminderung ſeiner eigenen Ver— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


— 


antwortlichteit auf das Mitverſchulden der Klägerin 


zu berufen. Die Klägerin hat endlich die Feſtſetzung 


4 


des Betrags des Schadens als zu niedrig deshalb 


angefochten, weil es ſich hier gar nicht um einen 


8 
Schadenserſatzanſpruch handle, auf den 8 287 ZPO. 


Anwendung finde, und weil das Berufungsgericht ſeine 
Schätzung des Schadens nur in abſtrakter Weiſe, ohne 


Berückſichtigung der für die Entſtehung eines höheren 


Schadens ſprechenden Tatſachen begründet habe. Doch 
iſt dieſe Beſchwerde nicht gerechtfertigt; 8 287 ZPO. 
iſt zweifellos anwendbar, da es ſich nach der mit Recht 
angewendeten Beſtimmung des 8 989 BGB. hier nur 
um den Erſatz eines „Schadens“ handelt und 
es hierfür unerheblich iſt, daß dieſer Schadenserſatz⸗ 
anſpruch zunächſt und hauptſächlich aus dem Eigen⸗ 
tum des Berechtigten hergeleitet wird. Ferner iſt 
auch die Begründung der mit Recht nach 8 287 ZPO. 
vorgenommenen Schätzung des Schadens ausreichend, 
namentlich die zur Rechtfertigung eines Verkaufswerts 
der Maſchinen von höchſtens 5000 M angeführte „Er- 
fahrungstatſache, daß längere Zeit im Gebrauch be⸗ 
findliche Sachen jeder Art, insbeſondere Maſchinen 
nur weit unter dem wahren Werte, ja unter dem 
halben Werte verkäuflich find“. Namentlich bes 
durfte es auf Grund dieſer vom Berufungsgerichte für 


durchſchlagend erachteten Erwägung keiner weiteren 


Erörterung des von einigen Sachverſtändigen bekun⸗ 
deten Umſtands, daß zur fraglichen Zeit derartige, 
auch gebrauchte Maſchinen wegen beſonderer Umſtände 
einen höheren Verkaufswert gehabt haben, denn es 
ſtand im Ermeſſen des Berufungsgerichts, ob es dieſem 
Umſtand Bedeutung für ſeine Schätzung beilegen wollte. 
Aus der Nichterörterung des fraglichen Beweisergeb⸗ 
niſſes iſt aber nicht zu ſchließen, daß es das Berufungs⸗ 
gericht bei ſeiner Schätzung überhaupt nicht berück⸗ 
ſichtigt hat. (Urt. des II. 38. vom 7. Oktober 1910, 
II. 682/09). B -r. 
2083 
III. 

Bereicherungsklage des Erwerbers einer Forderung 
genen den Pfandalänbiger, dem die Forderung nach der 
Abtretung durch gerichtlichen Beſchluß überwielen wurde 
und der ſie daraufhin vom Schuldner beigetrieben hat. 
Kenntnis des Schuldners von der Abtretung. Aus 
den Gründen: Nach der Feſtſtellung des OLG. iſt 
die Forderung des K. gegen den Spar- und Bauverein, 
welche die Beklagte durch den am 6. Februar 1907 
dem Verein als Drittſchuldner zugeſtellten Beſchluß 
hat pfänden und ſich überweiſen laſſen, ſchon vorher 
von K. dem Kläger abgetreten geweſen. Die Beklagte 
iſt mithin dadurch, daß ſie den Betrag dieſer Forderung 
von dem Verein ſich hat auszahlen laſſen, auf Koſten 
des Klägers ungerechtfertigt bereichert. Durch die 
Auszahlung iſt an ſie als Nichtberechtigte eine Leiſtung 
bewirkt, die gegenüber dem Kläger als dem berech⸗ 
tigten Gläubiger nach 8 408 in Verbindung mit 8 407 
BGB. wirkſam iſt, und die Beklagte iſt deshalb nach 
8 816 Abſ. 2 BGB. zur Herausgabe des durch die 
Verfügung Erlangten an den Kläger verpflichtet. Nach 
der Vorſchrift des 8 407 muß der neue Gläubiger eine 
Leiſtung, die der Schuldner nach der Abtretung an 
den bisherigen Gläubiger bewirkt, gegen ſich gelten 


— . — — — — 


vorliege, weil der Kläger dem Spar⸗ und Bauverein 
durch Schreiben vom 7. Februar 1907 Anzeige gemacht 
hat, daß er, wie es in dieſem Schreiben heißt, die 
Forderung nebſt 4% Zinſen ſeit dem 1. Oktober 1906 
gekauft habe. Der Verein brauche nicht auch davon 
Kenntnis gehabt zu haben, daß die Abtretung der Zu⸗ 
ſtellung des Ueberweiſungsbeſchluſſes vorausgegangen 
ſei. Jedenfalls ſei die Annahme unzulänglich begründet, 
der Vorſitzende des Spar⸗ und Bauvereins habe mit 
einer am 7. Februar 1907 erfolgten Abtretung rechnen 
dürfen und gerechnet. Bei ſeiner Zeugenvernehmung 
habe dieſer nicht das Geringſte hiervon geſagt, viel⸗ 
mehr bekundet, daß er die Beklagte deshalb als die 
Berechtigte angeſehen habe, weil der von ihr erwirkte 
Pfändungs⸗ und Ueberweiſungsbeſchluß vor der Mit⸗ 
teilung des Klägers eingetroffen ſei. Dieſer Reviſions⸗ 
angriff muß ſchon daran ſcheitern, daß die bloße Be⸗ 
hauptung des Klägers in dem Schreiben vom 7. es 
bruar 1907 nicht genügte, dem Spar⸗ und Bauverein 
die wirkliche Kenntnis davon zu verſchaffen, daß die 
Forderung dem Kläger abgetreten war. Der Verein 
brauchte die bloße Anzeige des angeblichen neuen 
Gläubigers, der eine von dem urſprünglichen Gläubiger 
ausgeſtellte Abtretungsurkunde nicht beigefügt war, 
nicht zu beachten, da er von der Abtretung auch auf andere 
Weiſe keine ſichere Kenntnis erhalten hatte (8 409). 
Es iſt außerdem nicht richtig, wenn die Reviſion meint, 
daß es auf die Kenntnis des Schuldners von der Zeit 
der Abtretung nicht ankomme. Nach den Beſtimmungen 
der 88 407, 408 BGB. wird der Schuldner durch Leiſtung 
an den Dritten, dem die Forderung nochmals abge⸗ 
treten oder durch gerichtlichen Beſchluß überwieſen iſt, 
da es ſich hier um den Schutz des wirklichen Gläu⸗ 
bigers handelt, nur dann nicht befreit, wenn er Kenntnis 
hat, daß zu der Zeit der eee Abtretung oder 
der Zuſtellung des Ueberweiſungsbeſchluſſes die For⸗ 
derung von dem urſprünglichen Gläubiger bereits 
anderweit abgetreten war. Darüber aber, ob zu der 
Zeit, wo die Beklagte den Ueberweiſungsbeſchluß zu⸗ 
ſtellen ließ, der Kläger die Forderung bereits abge⸗ 
treten erhalten hatte, iſt aus dem Schreiben des Klägers 
vom 7. Februar 1907 nichts zu entnehmen. Die in 
dieſem Schreiben gemachte Mitteilung war hiernach 
für den Spar⸗ und Bauverein bedeutungslos und zwar 


um ſo mehr, als er bereits durch die in die Zuſtellungs⸗ 


laſſen, es ſei denn, daß der Schuldner die Abtretung 


bei der Leiſtung kennt. Die gleiche Regel findet nach 
8 408 Anwendung, wenn die bereits abgetretene For⸗ 
derung von dem bisherigen Gläubiger nochmals an 
einen Dritten abgetreten oder durch gerichtlichen Be— 
ſchluß einem Dritten überwieſen wird und der Schuldner 
an den Dritten leiſtet. Auch in dieſem Falle gilt die 
Ausnahme, daß der wirkliche Gläubiger die Leiſtung 
nicht gegen ſich gelten zu laſſen braucht, daß alſo der 
Schuldner durch die Leiſtung nicht befreit wird, wenn 
er bei der Leiſtung die Abtretung an den Gläubiger 
kennt, dem die Forderung ſchon früher abgetreten war. 


Die Reviſion meint nun, daß dieſe Ausnahme hier 


urkunde vom 6. Februar 1907 gemäß 8 840 ZPO. 
aufgenommene Erklärung der Beklagten gegenüber die 
Zahlung der Schuld nach Fälligkeit verſprochen hatte. 
(Urt. des IV. 35. vom 3. Oktober 1910, IV 574/09). 

2097 


— — en. 


B. Strafſachen. 
J. 


Entnahme von Gas nach Umſtellung der Gasuhr: 
Diebſtahl oder Betrug? Aus den Gründen: Nach 
den Gründen des angefochtenen Urteils hat der An⸗ 
geklagte, deſſen Wirtſchaft an die Leitung der ſtädti⸗ 
ſchen Gasanſtalt angeſchloſſen war, längere Zeit hin— 
durch durch Umdrehen der Gasuhr der Anſtalt 
„widerrechtlich Gas entzogen“. Er hat die Gasuhr 
jeweils einige Zeit nach der Prüfung abgeſchraubt 
und verkehrt wieder angeſchraubt, ſo daß von da an 
durch den Druck des beim Verbrauch einſtrömenden 
Gaſes der Zeiger ſtatt nach vorwärts nach rückwärts 
bewegt wurde. Vor der nächſten Prüfung der Gas— 
uhr hat er dann die Gasuhr wieder in ihre ordnungs- 
mäßige Stellung gebracht. Er hat dadurch erreicht, 
daß die Angeſtellten beim Ableſen von der Gasuhr 
über die Menge des verbrauchten Gaſes getäuſcht und 
ihm von der Anſtalt viel geringere Mengen berechnet 
wurden, als er gebraucht hatte. Auf Grund dieſes 
Tatbeſtandes iſt der Angeklagte wegen Diebſtahls von 


Zeitſchrift für 

Gas verurteilt worden. Die Prüfung des Urteils 
gibt zu rechtlichen Bedenken Anlaß gegen die Richtig⸗ 
keit der nicht näher begründeten Schlußfeſtſtellung, 
daß der Angeklagte das Gas der Anſtalt „in der 
Abſicht rechtswidriger Zueignung weggenommen hat“. 
Der Erſtrichter hat ſich nicht näher über die Frage 
ausgeſprochen, welche Rechtsverhältniſſe nach dem 
Vertrage zwiſchen der Gasanſtalt und dem Angeklagten 
entſtanden ſind. Soviel iſt indeſſen aus dem Urteile 
zu erkennen, daß nach der Auffaſſung des LG. der 
Angeklagte nach dem Vertrage berechtigt war, das 
Gas, das auf dem ordnungsmäßigen Wege die richtig 
geſtellte Gasuhr durchlaufen hatte, durch Oeffnen des 
Hahnes wegzunehmen und zu verbrauchen. Das L868. 
ſcheint ferner davon auszugehen, daß der Angeklagte 
nach dem Vertrag über den Bezug des Gaſes kein 
Recht hatte, durch die umgedrehte, nicht richtig gehende 
Gasuhr hindurch Gas ſich anzueignen. Schon von 
dieſer Auffaſſung des Erſtrichters aus iſt das Urteil 
nicht haltbar. Denn, da aus den Feſtſtellungen ſich 
ergibt, daß der Angeklagte nicht unerhebliche Gas⸗ 
mengen durch die richtig geſtellte Gasuhr ordnungs⸗ 
mäßig bezogen, den rechtswidrigen Vermögensvorteil 
aber erſt dadurch herbeigeführt hat, daß er durch 
das nachfolgende Ruͤckwärtsbewegen der Gasuhr die 
Anſtalt über die Höhe des Verbrauches täuſchte, ſo 
fehlt es inſoweit überhaupt an der Feſtſtellung der 
Rechtswidrigkeit der Aneignung. Mangels einer 
ſolchen durfte aber die Verurteilung wegen Dieb⸗ 
ſtahls nicht erfolgen. Es wäre vielmehr nach 
der Sachlage zu prüfen geweſen, ob nicht ſämt⸗ 
liche Tatbeſtandsmerkmale eines Vergehens des Be— 
truges vorlagen. Aber auch ſoweit es ſich um Gas 
handelt, das der Angeklagte durch die umgeſtellte Gas⸗ 
uhr hindurch bezogen hat, iſt wegen des Mangels 
näherer Feſtſtellungen über den Inhalt des Vertrags 
über den Bezug des Gaſes die Möglichkeit eines Rechts⸗ 
irrtums nicht ausgeſchloſſen. Von Belang iſt, daß 
dieſes Gas nicht vor ſeinem Eintreten in die Gasuhr von 
dem Angeklagten abgeleitet worden iſt, daß es erſt nach 
dem Durchlaufen der — allerdings umgedrehten — Gas⸗ 
uhr von dem Angeklagten verbraucht wurde, als es ſich 
ſchon in feinen, diesſeits der Gasuhr liegenden Röhren 
befand. Im erſteren Falle hätte es ohne weiteres der 
natürlichen Lage der Dinge entſprochen, anzunehmen, 
daß das Gas vor dem Eintreten in die Uhr ſich noch 
im Eigentum und im Gewahrſam der Gasanſtalt be: 
fand, daß es auch dem Angeklagten weder übergeben 
noch zur Aneignung zur Verfügung geſtellt war. Es 
hätte alſo, wenn dieſer 
Umgehung der Gasuhr vorgelegen hätte, einer be— 
ſonderen Ausführung über die Wegnahme in der Ab— 


Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


Fall der Gasentnahme mit 


ſicht rechtswidriger Zueignung nicht bedurft. Die An⸗ 


nahme eines Diebſtahls wäre in dieſem Falle unbes 
denklich geweſen (vgl. RGSt. 14, 121, 123). Anders 


aber in dem hier vorliegenden Falle, daß das Gas 


durch die Gasuhr hindurchgegangen und nicht vorher 
abgeleitet worden iſt. Für dieſen Fall entſpricht es 
der regelmäßigen Sachlage, anzunehmen, daß das Gas 
mit dem Austreten aus der Uhr in die Röhrenleitung 
des Abnehmers dieſem durch die Gasanſtalt übergeben 
oder zur Aneignung zur Verfügung geſtellt iſt. 
dieſe Rechtsfolge aber dann ausgeſchloſſen ſein ſoll, 
wenn durch äußere Einwirkungen der Gang der Uhr 
geſtört iſt, ſo daß ſie den Verbrauch nicht oder nicht 
richtig anzeigt, ob ſie insbeſondere ausgeſchloſſen iſt, 


Ob 


wenn die Einwirkungen von dem Abnehmer felbit 


herrühren, kann nicht von vornherein für alle Fälle, 
ſondern nur nach Prüfung und Würdigung des be— 
ſonderen Vertragsinhalts und der beſonderen Um— 
ſtände des Falles entſchieden werden. An einer ſolchen 
Prüfung und Würdigung mangelt es aber. Es iſt 
nicht ausgeſchloſſen, daß dieſe Prüfung und Würdigung 
zu der Annahme geführt hätte, daß der Angeklagte 
auch an dem durch die umgedrehte Gasuhr hindurch 


nn le ä (G— — — — 


bezogenen Gaſe auf Grund des Vertrages das Eigen⸗ 
tum erlangt und nur ſich der Bezahlung durch die 
Täuſchung der Gasanſtalt über die Höhe des Ver⸗ 
brauchs rechtswidrig entzogen hat. Dann würde aber 
auch inſoweit nicht wegen Diebſtahls ſondern wegen 
Betrugs zu ſtrafen geweſen ſein. (Urt. des V. StS. 
vom 4. November 1910, V D. 634/10). 
2125 


— — — n. 


II 


Erlundigunnspfliht des Zeugen. Aus den 
Gründen: Allerdings iſt im allgemeinen nicht zu 
verlangen, daß ein im Zivilprozeß vorgeſchlagener 
Zeuge bei der Gegenpartei oder den Gegenzeugen an⸗ 
fragt, wie der Sachverhalt in Wirklichkeit geweſen ſei. 
Wenn aber ſonſtige äußere Hilfsmittel zu Gebote ſtehen, 
die das Gedächtnis auffriſchen und die Erinnerung an 
den richtigen Sachverhalt wachrufen können, ſo iſt die 
Annahme rechtlich bedenkenfrei, daß der Zeuge zu ihrer 
Benutzung auch verpflichtet ſei. Das trifft hier be⸗ 
ſonders deshalb zu, weil, wie die Angeklagte wußte, 
bei dem Vertrage die Zeugen Z. und M. mitgewirkt 
hatten, bei denen ſie Erkundigung einziehen konnte 
und die über Zweck und Ziel des Vertrages beſſer 
unterrichtet waren als W. Daß der Zeuge M., auf 
den das Urteil als auf ein geeignetes und zur Ver⸗ 
fügung ſtehendes Hilfsmittel hingewieſen hat, hierzu 
nach Lage der Sache von der Angeklagten nicht in 
Anſpruch genommen werden konnte, iſt aus dem Urteil 
nicht zu erſehen. Die Auffaſſung des Landgerichts 
ſteht zu der Rechtſprechung des Reichsgerichts in keinem 
Widerſpruch (vgl. RGSt. 22, 297; 25, 122; 26, 133; 
42, 236). Mochte die Angeklagte ſich auch in die ihr 
von W. an die Hand gegebenen Ideen „verrannt“ und 
an ſie geglaubt haben, ſo konnte nach den Umſtänden 
des Falles doch angenommen werden, daß ſie die ihr 
obliegende Erkundigungspflicht ſchuldvoll vernachläſſigt 
hat, da ſie ſich bei der von W. erteilten Auskunft 
nicht beruhigen durfte und ihr die Möglichkeit gegeben 
war, bei Benutzung der ihr ſonſt noch zu Gebote 
ſtehenden Hilfsmittel die Unrichtigkeit deſſen, was ſie 
zu beſchwören im Begriffe ſtand, zu erkennen oder 
doch mit der Tatſache der Unrichtigkeit deſſen zu rechnen. 
Die letztere Möglichkeit genügte, um die Fahrläſſigkeit 
des Falſcheides zu begründen. (Urt. des V. StS. vom 
18. November 1910, 5 D 805/10). 

2119 


— — en. 


Oberſtes Landesgericht. 


A. Zivilſachen. 


I 


Gehören die Invalidenverſicherungsanſtalten in 
Bayern zu den ſtaatlichen Anſtalten im Sinne des 
Art. 194 Ziff. 2 GebG.? Laut einer Notariatsurkunde 
hat ein Jugendfürſorgeverein zur Sicherung eines von 
einer bayeriſchen Invaliden-Verſicherungsanſtalt ihm 
gewährten Darlehens von 30000 M an verſchiedenen 
Grundſtücken des Vereins Hypothek beſtellt und deren 
Eintragung im Grundbuche bewilligt und beantragt, 
die auch vollzogen wurde. Der Notar ſetzte für die 
Urkunde eine Staatsgebühr von 150 M an. Gegen 
dieſen Anſatz erhob der Fürſorgeverein Beſchwerde 
zum Landgerichte, indem er auf Grund des Art. 194 
Ziff. 2 GebG. Gebührenfreiheit in Anſpruch nahm. 
Das Landgericht hat die Erhebung einer Gebühr 
nicht als gerechtfertigt erklärt. Auf weitere Bes 
ſchwerde der Regierungsfinanzkammer hat das Oberſte 
Landesgericht die Entſcheidung des LG. aufgehoben 


und die Beſchwerde des Fürſorgevereins zurück— 
gewieſen. 
Gründe: Aus der Entſtehungsgeſchichte der 


nunmehrigen Faſſung des Art. 194 Ziff. 2 Geb. ift 


keineswegs zu entnehmen, daß auch die Sicherung 


von Forderungen ſolcher Staatseinrichtungen ge⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


bührenfrei ſein ſoll, die das fiskaliſche Intereſſe nur 


mittelbar berühren oder auch nur folder Staats- 
einrichtungen, deren ökonomiſche Förderung ſich der 
Staat zur Aufgabe gemacht hat. Der frühere Ar⸗ 
tikel 151 Ziff. 2 Geb. i. d. F. vom 6. Juli 1892 ließ 
nur Notariatsurkunden über Bürgſchaften, Verpfän⸗ 
dungen oder hypothekariſche Kautionen gebührenfrei, 
die ausſchließlich die Sicherung von Forderungen des 
Staates bezweckten. Unter der Herrſchaft dieſer Vor⸗ 
ſchrift wurde der Begriff „Forderungen des Staates“ 
eng ausgelegt. Das Oberſte Landesgericht hat in 
ſeinem Beſchluſſe vom 7. Dezember 1886 (ältere 
Sammlung Bd. 11 S. 529) ausgeſprochen, daß unter 
ſolchen Forderungen des Staates nur wirkliche un⸗ 
mittelbare Forderungen des Staates zu verſtehen 
feien, wie z. B. Taxen, Aufſchlag⸗Forſtgefälle uſw., 
nicht aber auch Forderungen der Kgl. Bank. 


In dem g 


im Jahre 1899 dem Landtage vorgelegten Entwurf 


einer Novelle zum GebG. wurde in den Art. XXXVIII 
(zum Art. 91 db) und LXX (zum Art. 151 Ziff. 2) vor⸗ 
geſehen, daß die bisherige Begünſtigung des Art. 151 
Ziff. 2 künftig den Sicherungshypotheken des Staates 
und der ſtaatlichen Anſtalten zuteil werden ſolle. 
Aus der Begründung iſt zu erſehen, daß die Aus⸗ 
dehnung der Begünſtigung auf Forderungen ſtaat⸗ 
licher Anſtalten dazu dienen fol, „Anſtände“ fern zu 
halten, die ſich bisher in der Praxis bei der An⸗ 
wendung des Art. 151 Ziff. 2 ergeben haben und daß 
zur näheren Erörterung dieſer „Anſtände“ auf den 
erwähnten Beſchluß des Oberſten Landesgerichts hin⸗ 
gewieſen wird, ſowie daß als Beiſpiele von ſolchen 
ſtaatlichen Anſtalten, die künftig für Sicherungshypo⸗ 
theken Gebührenfreiheit genießen ſollen, die Kgl. Bank 
und ihre Filialen ſowie „die Verſicherungsanſtalt“ 
angeführt ſind. Schon die Art dieſer Begründung, 
der Hinweis auf die Veranlaſſung der vorgeſchlagenen 
Aenderung ſowie die angeführten Beiſpiele (der 
Kgl. Bank und der „Verſicherungsanſtalt“, unter 
welch' letzterer wohl nur die unter der K. Ver⸗ 
ſicherungskammer vereinigten Anſtalten zu verſtehen 
find), im Zuſammenhalte mit dem Umſtande, daß es 
ſich hier um eine Ausnahme beſtimmung handelt, 
zwingen zu dem Schluſſe. daß die Vorſchrift des nun⸗ 
mehrigen Art. 194 Ziff. 2 nicht in weitem Sinne aus⸗ 
zulegen iſt, ſondern daß unter die „ſtaatlichen An⸗ 
ſtalten“ jedenfalls nur ſolche zu rechnen ſind, welche 
in einem ähnlichen Verhältniſſe zum Staate ſtehen, 
wie die Kgl. Bank und die Anſtalten der Verſicherungs⸗ 
kammer. Die Kgl. Bank iſt in der VO. vom 13. De⸗ 
zember 1878 ausdrücklich als Staatsanſtalt bezeichnet. 
Die unter der Verſicherungskammer ſtehenden An⸗ 
ſtalten aber ſind nach den Geſetzen vom Staate er⸗ 
richtete, von ihm mit Betriebskapital ausgeftattete, 
durch eine ſtaatliche Behörde von ſtaatlichen Be⸗ 
amten nach den Vorſchriften des Staates und mit 
der Verantwortlichkeit des Staatsbeamten verwaltete 
Anſtalten. 

In einem ſolchen Verhältniſſe zum bayeriſchen 
Staate ſtehen die Verſicherungsanſtalten der Inva⸗ 
lidenverſicherung nicht. Allerdings werden auch ſie 
in der Begr. des Entw. z. Geſ. vom 22. Juni 1889 
(Sten Ber. des Reichstags 7. LP. 4. Seſſion 1888/89 
Bd. 4 Nr. 10) an einer Stelle (S. 77) „beſondere mit 
eigener Verwaltung ausgeſtattete Einrichtungen des 
weiteren Kommunalverbandes bzw. des Staates“ ge— 
nannt und es wird von einem „Staatlichen Charakter“ 
der Verſicherungsanſtalten geſprochen. Allein dieſe 
Ausführung iſt nicht beſtimmt, die rechtliche Natur 
der Verſicherungsanſtalten ſeſtzulegen, ſondern foll 
nur dazu dienen, die Haftung des Kommunalverbandes 
oder Staates ſür den Fall des Unvermögens der 
Verſicherungsanſtalten zu begründen. Die rechtliche 


49 


Natur der Verſicherungsanſtalten iſt aus dem Inv. 
vom 13. Juli 1899 und den dazu erlaſſenen Verord⸗ 
nungen, insbeſondere vom 14. Dezember 1899 und 
21. Dezember 1908, zu entnehmen. Darnach ſind die 
Verſicherungsanſtalten der Invalidenverſicherung felb- 
ſtändige Körperſchaften mit eigener juriftifher Per⸗ 
ſönlichkeit, eigenen Organen, eigener, in der Haupt⸗ 
ſache von einem ihrer Organe ihr gegebenen Ber: 
faſſung und eigener Vermögensverwaltung. Sie 
werden denn auch in den Entwürfen zu den Geſetzen 
vom 22. Juni 1889 und vom 13. Juli 1899 ſowie im 
Entwurf einer NBerfd. als Körperſchaften der Selbſt⸗ 
verwaltung bezeichnet. Auch die Rechtslehre ſpricht 
ſich überwiegend dagegen aus, daß die Verſicherungs⸗ 
anſtalten der Invalidenverſicherung Anſtalten des 
Kommunalverbandes oder des Staates ſind. Die 
Rechtſprechung ſtimmt mit dieſer Anſicht der Rechts⸗ 
lehre überein (Os G. Rſpr. Bd. 17 S. 70, RG. 
Bd. 69 S. 183, Reger's Entſcheidungen Bd. 13 
S. 279). 

Die Heranziehung des 0 171 Inv G. durch das 
Beſchwerdegericht trifft nicht den Kern der Sache. 
Dem Beſchwerdegericht iſt nur zuzugeben, daß die im 
Geſetze vorgeſehene Organiſation der Invalidenver⸗ 
ſicherung von dem Beſtreben getragen iſt, ſie mit 
allen Mitteln ſtaatlicher Wohlfahrtspflege auch 
finanziell zu ſichern und zu fördern; daraus folgt aber 
weder, daß die Verſicherungsanſtalten ſtaatliche An⸗ 
ſtalten ſind, noch daß ihnen auch ſolche Vergünſti⸗ 
gungen zuteil werden ſollen, die das Geſetz nicht vor⸗ 
geſehen hat. Vielmehr konnte das Geſetz ſehr wohl 
zur Verwirklichung ſeines Zweckes eine Körperſchaft 
der Selbſtverwaltung ſchaffen und dieſer ſodann ſeine 
fördernde Fürſorge nach den einzelnen im Geſetze er⸗ 
wähnten Richtungen hin zuwenden. (Beſchluß des 
II. ZS. vom 24. Oktober 1910, Reg. V . 

2117 


II. 


Wenn die Eigentümer eines Hauſes gegenüber 
einer Gemeinde auf Grund uuvordenklicher Verjährung 
oder Bertrand das Necht beanſpruchen, über Gemeinde: 
grund Abfallwaſſer aus einem gemeindlichen Brunnen 
u beziehen, fo haben die bürgerlichen Gerichte zu ent ⸗ 
cheiden. (VGH G. Art. 8 Ziff. 31; GVG. 8 13). Die 
Stadt B. beſitzt von alters her eine gemeindliche 
Waſſerleitung, von der die öffentlichen Brunnen der 
Stadt, die ſog. Röhrkäſten geſpeiſt werden. Ein Teil 
des Abfallwaſſers aus dem Röhrkaſten am Markt⸗ 
platze, dem „mittleren Röhrkaſten“, wurde ſeit Jahr⸗ 
hunderten dem Hauſe Nr. 92 in B., das jetzt den 
Klägern gehört, in der Weiſe zugeführt, daß es aus 
der Umwandung des Brunnens durch ein Loch in 
einen Kaſten und von da durch eine Röhrenfahrt ab⸗ 
floß. Der Kaſten und die Röhrenfahrt liegen auf und im 
Gemeindegrund. Die Eheleute Th., die Eigentümer 
des Hauſes Nr. 92, bezogen früher das Abfallwaſſer 
unentgeltlich, ſeit 1886 zahlten ſie an die Gemeinde 
einen Zins. Im Sommer 1907 wurde in B. eine 
neue Hochdruckwaſſerleitung geſchaffen. Die Gemeinde 
ſperrte darauf die alte Waſſerleitung ab. Die Ehe— 
leute Th. erhoben deshalb Klage gegen die Stadt— 
gemeinde mit dem Antrag, auszuſprechen, daß die 
Gemeinde das Recht der Kläger auf Abfallwaſſer aus 
dem mittleren Röhrkaſten für das Anweſen Hs.-Nr. 92 
anzuerkennen, das Abfallwaſſer ihnen wieder zuzu— 
leiten und ſich jeder Störung des Waſſerbezuges zu 
enthalten, auch den Schaden aus dem Entzug des 
Waſſers zu erſetzen habe. Sie machten geltend, ihr 
Waſſerbezugsrecht beſtehe ſeit unvordenklichen Zeiten 
und ſei auch ununterbrochen durch Benützung der 
Rohrleitung ausgeübt worden. Der Waſſerbezug ſei 
daher mit ihrem Anweſen verbunden und als Zu— 
behör dinglicher Natur. Uebrigens beruhe das Recht 
auch auf einem zwiſchen Franz Joſeph Th. und Paul 


50 


W. am 24. April 1816 geſchloſſenen Vergleiche, dem 
die Beklagte beigetreten ſei. Die Beklagte erhob die 


Einrede der Unzuläſſigkeit des Rechtswegs, weil ge⸗ 


meindliche Waſſerleitungen und Brunnen gleich den 
Gemeindewegen im öffentlichen Intereſſe dem Privat⸗ 
rechtsverkehr entzogen ſeien. Der Anſpruch der Kläger 
auf die Benützung einer gemeindlichen Waſſerleitung 
ſei deshalb öffentlichrechtlich. Das Landgericht wies 
die Klage wegen Unzuläſſigkeit des Rechtswegs ab. 
Die Berufung der Kläger wurde verworfen. Das 
Oberſte Landesgericht hat die Urteile der Vorinſtanzen 
aufgehoben, die Einrede der Unzuläſſigkeit des Rechts⸗ 
wegs verworfen und die Sache zurückverwieſen. 
Aus den Gründen: Nach 813 GVG. gehört 


ABeitſchrift für Rechtspflege i in 1 Bayern. all. Nr. 2. 


die Streitſache vor die ordentlichen Gerichte, wenn es | 


ſich um eine bürgerliche Rechtsſtreitigkeit handelt und 


für dieſe nicht ausnahmsweiſe die Zuſtändigkeit einer 


Verwaltungsbehörde oder eines Verwaltungsgerichts 
begründet iſt. Eine ſolche Ausnahmevorſchrift beſteht 
nicht, insbeſondere wurde durch das VGHG. vom 
8. Auguſt 1878, wie der Art. 13 ausdrücklich hervor⸗ 
hebt, die Zuſtändigkeit der Zivilgerichte nicht berührt. 
Die Beſtimmung des Art. 8 Ziff. 31, daß zu den Ver⸗ 
waltungsrechtsſachen die „beſtrittenen Anſprüche und 
Verbindlichkeiten in Anſehung der Benützung der 
Gemeindeanſtalten“ gehören, gilt nur für Nutzungs⸗ 
rechte, die ſich auf den Gemeindeverband gründen, 
über die daher früher nach Art. 36 der GemO. im 
Streitfalle die Verwaltungsbehörden zu entſcheiden 
hatten. Für die Beantwortung der Frage, ob für 
den Anſpruch der Rechtsweg zuläſſig iſt, kommt es 
nur darauf an, ob die zur Begründung behaupteten 
Tatſachen an ſich geeignet find, ihn als einen An⸗ 
ſpruch erſcheinen zu laſſen, deſſen Entſtehung auf 
einem dem Gebiete des bürgerlichen Rechts ange— 
hörenden Rechtsgrunde beruht. Nicht erforderlich iſt, 
daß ſie erwieſen ſind. Die Entſcheidung über ihre 
Richtigkeit gehört zum Grunde der Sache und ſetzt 
die Zuſtändigkeit der Gerichte voraus. Nach den tat⸗ 
ſächlichen Behauptungen der Kläger ſind hier öffent⸗ 
lichrechtliche Anſprüche nicht in Frage. Es ſind nicht 
Anſprüche ſtreitig, die ihren Rechtsgrund im Unter: 
werfungsverhältniſſe des einzelnen zu einer im öffent⸗ 
lichen Rechte wurzelnden Gemeinſchaft haben, ſondern 
die Behauptungen der Klage gehen dahin, daß den 
Eigentümern des Hauſes Nr. 92 in B. das dingliche 
Recht zuſteht, mit einer durch ſtädtiſchen Grund ge— 
legten Röhrenfahrt Abfallwaſſer aus dem gemeind— 
lichen Brunnen am Marktplatze zu beziehen. Eine 
Grunddienſtbarkeit dieſes Inhalts iſt an ſich zuläſſig, 
insbeſondere kann dienendes Grundſtück nicht nur der 
Grund und Boden, auf dem eine Quelle entſpringt, 
ſondern auch das Grundſtück ſein, das einen aus der 
Quelle geſpeiſten Waſſerbehälter umſchließt. Daß das 
dienende Grundſtück im Eigentum der Gemeinde ſteht 
und daß der Brunnen, aus dem das Waſſer abfloß, 
dem Gemeingebrauche gewidmet war, bildet kein 
Hindernis für den Erwerb privater Sonderrechte, 
wenn und ſoweit dadurch die gemeindliche Anlage 
ihrer Zweckbeſtimmung nicht entfremdet wird. Davon 
kann hier nicht die Rede ſein. Die kurfürſtliche VO. 
vom 10. Juni 1805, die Wirtſchaften betreffend (Kur- 
pfalzbayeriſches Reg Bl. 1805 S. 509 ff.) hat den 
Rechtstitel der Verjährung nur für das Gebiet des 


— — — — — 
— Pe — 


des Privatrechts ſondern auch dem des öffentlichen 
Rechts an. Allein es beſteht keine Vermutung dafür, 
daß die Benützung gemeindlichen Eigentums, ſoweit ſie 
nicht Gemeingebrauch iſt, Thon des Eigentumsver⸗ 
hältniſſes halber im öffentlichen Rechte wurzelt (Kahr, 
GemO. Bd. 1 S. 313). Da behauptet wird, das Bes 
nützungsrecht ſei mit einem Grundſtücke dinglich ver⸗ 
bunden, könnte die Annahme, es handle ſich gleich⸗ 
wohl nicht um ein Privatrecht, nur berechtigt ſein, 
wenn das Nutzungsrecht etwa davon abhinge, daß 
der Eigentümer des Anweſens, mit dem es verbunden 
iſt, fortdauernd in öffentlichrechtlichen Beziehungen 
zum Gemeindeverbande ſteht. Es fehlt aber an jedem 
Anhaltspunkt dafür. 


Der Rechtsweg iſt auch nicht deswegen unzu⸗ 
läſſig, weil die Kläger in den letzten Jahrzehnten für 
den Waſſerbezug eine Abgabe an die Stadtgemeinde 


entrichtet haben. Ihre Behauptung, daß ſie dies nur 


auf Grund einer Vereinbarung mit dem Bürger: 
meiſter und zu dem Zwecke gemacht haben, um im 
Intereſſe ihres eigenen Waſſerbezugs eine beſſere In⸗ 


ſtandhaltung der gemeindlichen Waſſerleitung zu er⸗ 


möglichen, konnte nur im Wege eines Uebergriffs auf 
das zurzeit noch verſchloſſene Gebiet der Beweis⸗ 
würdigung als unwahrſcheinlich bezeichnet werden. 
Wenn die Kläger für den urſprünglich unentgeltlichen 
Waſſerbezug ſchließlich einen durch Gemeindebeſchluß 
ihnen auferlegten Waſſerzins als öffentliche Abgabe 
entrichtet hätten, könnte dieſer Umſtand im weiteren 
Verlaufe des Rechtsſtreites vielleicht zu der Annahme 
führen, daß die beanſpruchte Grunddienſtbarkeit durch 
ein factum contrarium des Verpflichteten und deſſen 
Hinnahme durch den Berechtigten erloſchen iſt; es 
kann aber daraus nicht gefolgert werden, daß der 
Anſpruch öffentlichrechtlicher Natur iſt. (Urteil des 
I. 35. vom 28. Oktober 1910, Reg. I 159/1910). 5 
2116 


B. Strafſachen. 
I. 


5 121 Stcd. Wer iſt zum Antrage auf Entſcheidung 
über das „Freiwerden“ der noch nicht verfallenen Sicher: 
heit berechtigt? A. hatte die für den ſpäter verurteilten 
Angeklagten B. zur Abwendung der Unterſuchungs— 
haft von ihr hinterlegte Sicherheit an die Beſchwerde⸗ 
führerin C. abgetreten; dieſe beantragte Auszahlung 
der Sicherheit an ſie, weil die Aufrechterhaltung des 
Haftbefehls gegen B. nicht mehr begründet ſei; die 
Strafkammer wies den Antrag als unzuläſſig zurück; 
die Reviſion wurde verworfen. 


Aus den Gründen: Nach 8 121 StPO. hat 
der Strafrichter nur über „das Freiwerden“ der Sicher— 
heit zu entſcheiden, nicht darüber, an wen die Sicher⸗ 
heit hinauszugeben iſt (Goltd Arch. Bd. 37 S. 224). 
Nun können allerdings diejenigen, welche für den Ans 


geſchuldigten Sicherheit geleiſtet haben, — die Hinter— 


Polizeirechts, insbeſondere in Anſehung des Gewerbe— | 


weſens, aufgehoben. Daß aber an Sachen einer 
Gemeinde dingliche Rechte durch unvordenkliche Ver⸗ 
jährung erworben werden können, iſt in der Recht— 
ſprechung anerkannt. Uebrigens haben die Kläger 
ihre Anſprüche auch auf einen Vergleich geſtützt und 
das OLG. durfte dieſem Vorbringen in dem Ders 
maligen Abſchnitte des Verfahrens nicht entgegen— 
halten, daß ein Beweis dafür fehle. Allerdings ge— 
hört der Rechtstitel der unvordenklichen Verjährung 
wie der des Vertrags nicht ausſchließlich dem Gebiete 


leger — nicht bloß in den beſonderen Fällen des 
8 121 Abſ. 2 StPO., ſondern auch nach 8 121 Abſ. 1 
StPO. aus anderen die Aufrechterhaltung der Sicher— 
heit nicht mehr rechtfertigenden Gründen ihre Be— 
freiung herbeiführen; allein dieſe im Strafprozeßrechte 
wurzelnden und nach den unzweideutigen Beſtimmungen 
der genannten Geſetzesſtelle ausſchließlich den Hinter— 
legern eingeräumten Befugniſſe können nicht auf die— 
jenigen übergehen oder übertragen werden, welche aus 
einem Rechtsgeſchäfte mit den Hinterlegern zivil— 
rechtliche Anſprüche auf die frei werdende Sicherheit 
ableiten, wie hier die Beſchwerdeführerin. (Beſchluß 
vom 26. November 1910, Beſchw.-Reg. 945/10). 

2121 Ed. 


II. 


Gewerbebetrieb im i durch e 
vermittler. Aus den Gründen: Nach §56a Gew. 
iſt vom Gewerbebetriebe im Umherziehen das Auf⸗ 
ſuchen oder die Vermittelung von i 
ausgeſchloſſen und der Zuwiderhandelnde nach § 148 
Abſ. 1 Ziff. 7a ſtrafbar. Unter Darlehensvermittelung 
iſt jede auf Verſchaffung eines Darlehens abzielende 
Tätigkeit zu verſtehen. Hierbei iſt es gleichgültig, ob 
die Tätigkeit des Vermittelnden zu einem Erfolge 
führt und ob der Vermittelnde das Darlehen ſelbſt 
gewähren will oder ein anderer, in deſſen Auftra 
und Intereſſe er tätig wird. Der Umſtand, daß 190 
die Tätigkeit einer anderen Perſon von vorneherein 
in Ausſicht genommen iſt oder nach den Umſtänden 
hinzutreten muß, kann der Tätigkeit des Angeklagten, 
die für ſich die Merkmale der Darlehensvermittelung 
vollſtändig enthält, dieſe Eigenſchaft nicht wieder 
nehmen. (Urt. vom 15. Oktober 1910, Rev. N 

2087 


Oberlandesgericht München. 


Form des Armutszengniſſes. Es genügt die äußere 
Form des Armutszeugniſſes, weil Siegel und Unter⸗ 
ſchrift des Armenpflegſchaftsvorſtandes (Pfarrers) vor⸗ 
handen und mehr in § 3 der VO. vom 5. Juli 1879 
(GBl. S. 693) nicht gefordert iſt. Daß der Bürger⸗ 
meiſter „Siegel und Unterſchrift“ verweigerte, kann 
auch nicht zu der Annahme führen, es ſei ein geſetz⸗ 
mäßiger Beſchluß des Armenpflegſchaftsrates über⸗ 
10105 nicht gefaßt worden. (Beſchl. vom 21. November 

1910; Beſchw.⸗Reg. Nr. 677/10). N. 


2˙086 


— — un 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Gebührenfreiheit der Beſchwerdeentſcheidungen im 
Ordnungsſtraſverfahren. Ein Rechtsanwalt wurde bei 
einem Beweiserhebungstermin in einer Zivilprozeß— 
ſache vom Amtsrichter wegen Ungebühr nach 88 180 
und 182 GVG. zu einer Geldſtrafe verurteilt. Die 
Beſchwerde wurde vom Oberlandesgerichte gebühren— 
frei zurückgewieſen. Zur Begründung der Gebühren— 
freiheit führt der Beſchluß im Gegenſatz zu der von 
Rittmann (Deutſches Gerichtskoſtengeſetz, 4. Aufl., § 68 
Anm. 2 mit 8 59 Anm. 1) vertretenen Anſicht aus: 

Eine Gebühr wird wegen des Mangels einer ge— 
ſetzlichen Vorſchrift nicht erhoben. Der § 183 GVG. 
enthält eine ſelbſtändige Regelung, für die das GKG. 
gegenüber der allgemeinen Beſchränkung ſeiner Vor— 
ſchriften auf die der ZPO., der StPO. und der KO. 
unterliegenden Rechtsſachen in 8 1 keine Sonderbe— 
ſtimmung getroffen hat. Ordnungsſtrafen ſind nicht 
Strafſachen im Sinne des GKG. und die Anwendung 
des 8 68 auf eine im Zivilprozeßverfahren verhängte 
Ordnungsſtrafe und auf die Beſchwerde iſt ausge— 
ſchloſſen. Wenn eine Gebührenpflicht für die Be⸗ 
ſchwerdeentſcheidung im Ordnungsſtrafverfahren ge— 
wollt geweſen wäre, hätte eine Beſtimmung getroffen 
werden müſſen, die den Vorſchriften im 8 47 GK. 
über Zwangsmaßregeln und Strafverhängung gegen 
Zeugen und Sachverſtändige entſprochen hätte (vgl. 
auch Pfafferoth, GG., 9. Aufl., 8 68 Anm. 2 und 
Struckmann⸗Koch, 9. Aufl., Anm. 3 Abſ. 2 zu 8 183 
GG.). Demgemäß fallen dem Beſchwerdeführer nur 
1 75 Auslagen zur Laſt. (Beſchl. des I. 35. vom 

Oktober 1910, Beſchw.⸗Reg. 181/10). 
2104 Oberlandesgerichtsrat Gehrlein. 


2. — v 22 = 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


9 


Nr. 2. 61 


Literatur. 


Fig Dr. Karl H., Rechtsrat in Nürnberg, Lexikon 
des in Bayern geltenden Verwaltungs⸗, 
Staats-, Polizei⸗ und Polizeiſtrafrechts 
nach den Entſcheidungen der bayeriſchen oberen 
Verwaltungs-, Straf⸗ und Zivilgerichte und nach 
den zum bayeriſchen Recht ergangenen Entſcheidungen 
der außerbayeriſchen Gerichte. Band I. Das ge⸗ 
ſamte Rechtsgebiet außer dem Forſt⸗, Weide⸗ und 
Wegerecht, dem Arbeiterverſicherungs⸗, Kirchen⸗ und 
1 en 1909, Verlag von Dr. Wachter. 
I. Ban 


Dieſes mit ſtaunenswertem Fleiße bearbeitete 
Sammelwerk bildet für das darin behandelte Gebiet 
eine wertvolle, ja unentbehrliche Ergänzung des Hand⸗ 
buchs von Glock⸗Schiedermair. Wie die Verfaſſer 
dieſer unübertrefflichen Sammlung hatte Dr. Fiſcher 
ein ungeheueres Material aus nahezu einem Jahr⸗ 
hundert zu ſichten und ſeine fortdauernde Brauch⸗ 
barkeit zu prüfen. Daß das bei der beklagenswerten 
Berzektelung des bayeriſchen Verwaltungs⸗ und Pos 
lizeirechts keine einfache Sache war, bedarf wohl keiner 
weiteren Ausführung. Man kann nur die unermüd⸗ 
liche Ausdauer des Verfaſſers bewundern. Selbſt⸗ 
verſtändlich iſt das Werk nicht nur für den Verwaltungs⸗ 
beamten, ſondern auch für den Richter — insbeſondere 
den Strafrichter — und den Staatsanwalt von größtem 
Werte. von der Pfordten. 


Nenkamp, Dr. Eruſt, Reichsgerichtsrat. Die Gewerbes 
ordnung für das Deutſche Reich in ihrer 
neueſten Geſtalt nebſt Ausführungsvorſchriften. 
Neunte, veränderte und durchgearbeitete Auflage. 
XX, 810 S., Tübingen 1910, Verlag von J. C. B. 
Mohr (Paul Siebeck). Geb. in Lwd. Mk. 7.—. 


Die handliche in der Praxis viel verwendete 
Ausgabe iſt allgemein bekannt und bedarf keiner 
weiteren Empfehlung. Der Verfaſſer hat ſich ent⸗ 
ſchloſſen, die Nebengeſetze zur GewO. (Kinderſchutz⸗ 
geſetz, Stellen vermittlergeſetz uſw.) in einem eigenen 
Bande herauszugeben. Das iſt zweckmäßig, da durch 
dieſe Trennung der erſte Teil trotz des Abdrucks der 
zahlreichen Vollzugs⸗ und Uebergangsvorſchriften 
(28 Anlagen) einen mäßigen Umfang behalten hat. 
Dem Wunſche des Verfaſſers im Vorworte zur 9. Auf⸗ 
lage, der Geſetzgeber möge nunmehr eine Zeitlang 
ſeine ſozialpolitiſchen Verſuche einſtellen und die 
Juriſten wie die Gewerbetreibenden zum Aufſchnaufen 
kommen laſſen, können wir uns nur anſchließen. 


Sammlung von Geſetzen, Bererdnungen und Miniſterial⸗ 
erlaſſen ſtrafrechtlichen Inhalts für bayeriſche Poli: 
zeiorgane. Mit ſyſtematiſcher Inhalts⸗Ueberſicht 
und ausführlichem alphabetiſchem Regiſter. 2. neu⸗ 


bearbeitete Auflage. München u. Berlin, 51 . i 


Berlag (Arthur Sellier) 1910. Geb. Mk. 


Eine auch im gerichtlichen und e 
ſchaftlichen Dienſte wohl verwertbare Sammlung. 


Notizen. 


Die Anrechnung der Militärdienitzeit auf das Be: 
ſoldungsdienſtalter. Die Vorſchriften hierüber, nämlich 
die Kgl. VO. vom 28. Dezember 1910 und die MinBek. 
vom 28. Dezember 1910 (GVBl. S. 1199 ff.) bilden 
eine Ergänzung zum Beamtengeſetz (Art. 28 Abſ. 5) 
und ſchließen ſich im weſentlichen den hierüber im 


Reich und in Preußen erlaffenen Beſtimmungen an. 
Ihr hauptſächlicher Inhalt iſt folgender: 

Anſpruch auf Anrechnung haben nur Militär⸗ 
anwärter, d. h. Inhaber des „Zivilverſorgungs⸗ 
ſcheins“ (nicht dagegen Inhaber des „Anſtellungs⸗ 
ſcheins“), ferner ehemalige Angehörige der Gendarmerie 
mit „Zivilanſtellungsſchein“. Die Anrechnung erfolgt 
bei der erſten etatsmäßigen Anſtellung. 
Jedoch kann bei der Ueberführung eines etatsmäßig 
angeſtellten Militäranwärters in eine Dienſtesſtelle, 
die von Militäranwärtern nach dem Stellenverzeichnis 
auch unmittelbar als erſte Anſtellung erreicht werden 
kann (zB. Gefängniswärter, Gerichtsvollzieher, Gerichts⸗ 
vollzieher in Strafſachen), die Anrechnung, wenn dies 
günſtiger iſt, auch in der neuen Stelle erfolgen. 

Eine Anrechnung erfolgt überhaupt erſt bei einer 
Militär⸗ (oder Marine⸗) Dienſtzeit von mehr als acht 
Jahren. Bei einer ſolchen Dienſtzeit zwiſchen 8 und 
9 Jahren wird die 8 Jahre überſteigende Dienſtzeit, 
z. B. 1 Monat bei einer Militärdienſtzeit von 8 Jahren 
und 1 Monat, angerechnet. Mit der Vollendung des 
9. Militärdienſtjahres iſt der Anſpruch auf Anrechnung 
eines Jahres erworben. Eine Steigerung tritt erſt 
wieder ein, wenn die Militärdienſtzeit oder eine aus 
mindeſtens 9 jähriger Militärdienſtzeit und nachfolgender 
Zivildienſtzeit zuſammengeſetzte Dienſtzeit mehr als 
13 Jahre beträgt. Hierbei erhöht ſich die anzurechnende 
Zeit um die das 13. Dienſtjahr überſteigende Dienſt⸗ 
zeit, beträgt alſo z. B. bei einer Dienſtzeit von 13 / 
Jahren 1 Jahre, bei 14 Dienſtjahren 2 Jahre, bei 
14½: Dienftiahren 2½ Jahre und bei 15 Dienſtjahren 
3 Jahre. Mehr als 3 Jahre können nicht angerechnet 
werden. Mit 15 Militärdienſtjahren oder einer ſich 
aus mindeſtens 9 Militärdienſtjahren und aus Zivil⸗ 
dienſtjahren zuſammenſetzenden Geſamtdienſtzeit von 
15 Jahren iſt alſo die höchſtzuläſſige Anrechnung erreicht. 
| Als Zivildienſtzeit, die neben der Militärdienſt⸗ 
zeit für die Berechnung heranzuziehen iſt, kommt die 
nach dem Ausſcheiden aus dem Heere abgeleiſtete 
informatoriſche Beſchäftigung, eine in der Eigenſchaft 
als nicht etatsmäßiger Beamter zurückgelegte Dienſtzeit 
(3. B. bei einem Gerichtsſchreibergehilfen) oder eine 
unter Art. 25 Beamt®. fallende Dienſtzeit in Betracht. 
Weitergehende Anrechnung, namentlich auch in Fällen, 
in denen dieſe Dienſtzeit nicht in der Eigenſchaft als 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2. 


K — — T——L——— —r T᷑——F—. ———ᷓ— an ai 


funden hat. 


Militäranwärter oder in denen fie in einem anderen 


Verwaltungszweige abgeleiſtet wurde, kann durch die 
Miniſterien genehmigt werden. 

Als Zivildienſtzeit wird endlich in den Fällen, 
in denen die Anrechnung ausnahmsweiſe nicht in der 


erſten etatsmäßigen Stelle erfolgt (z. B. bei einem 


Gerichtsvollzieher, der vorher Amtsgerichtsdiener war), 
auch die in den früheren Stellen zurückgelegte etats= 
mäßige Dienſtzeit (3. B. als Amtsgerichtsdiener) an- 
gerechnet. 

Die Vorſchriften finden rückwirkende An⸗ 
wendung auf die etatsmäßigen Beamten, die am 
1. Januar 1910 noch im Dienste ſtanden oder ſeit— 
dem ernannt oder wieder angeſtellt wurden. Ihre 
Gehaltsbezüge find, ſoweit veranlaßt, neu überzuleiten, 
wobei die Anrechnung der Militärdienſtzeit nur für 
die Bemeſſung des Gehaltes nach der neuen Gehalts— 
ordnung in Frage kommt. Befindet ſich ein Militär— 
anwärter ſchon in einer Beförderungs- oder Auf: 
rückaͤngsſtelle, fo kommt ihm die Rückwirkung dann 
zugute, wenn die Anrechnung der Militärdienſtzeit in 


ſtufe befindet, iſt die Anrechnung mit Rückſicht auf die 
Vorſchrift des SA Abſ. III Ziff. 5 der BO. vom 
6. September 1908 überhaupt ausgeſchloſſen. Dagegen 
kann bei Militäranwärtern, deren Ueberführung in 
eine neue Dienſtesſtelle der erſten etatsmäßigen An⸗ 
ſtellung gleichgeachtet werden kann (z. B. bei Gerichts⸗ 
vollziehern, die vorher Amtsgerichtsdiener waren), die 
Anrechnung in der neuen Stelle mit rückwirkender 
Kraft erfolgen. 

Infolge der Rückwirkung werden die ſich für die 
Zeit ſeit dem 1. Januar 1910 berechnenden Mehrbe⸗ 
träge nachbezahlt. Bei etatsmäßigen Beamten, die 
am 1. Januar 1910 noch im Dienſte ſtanden und ſeit⸗ 
dem in den Ruheſtand verſetzt worden oder, ſei es in 
Dienſtesaktivität, ſei es im Ruheſtand, geſtorben find, 
findet eine Neuberechnung des Gehalts und gegebenen- 
falls Nachzahlung des Mehrbetrags ſtatt. Soweit 
veranlaßt, hat auch eine Neuregelung der Ruhegehälter 
und der Witwen⸗ und Waiſengelder zu erfolgen. Die 
Nachzahlung des für einen verſtorbenen Beamten ſich 
ergebenden Mehrbetrags beſchränkt ſich auf die Witwe 
und die Kinder des Verſtorbenen, fo daß andere Hinter- 
bliebene oder Erben ausgeſchloſſen ſind. 


Der Dienſt der Amtsauwälte. Die auf S. 437 f. 
des 6. Jahrgangs dieſer Zeitſchrift beſprochenen Dienſt⸗ 
vorſchriften für die Staatsanwaltſchaft vom 29. Ok⸗ 
tober 1910 haben nur den Dienſt der Staatsanwälte 
an den Landgerichten und den höheren Gerichten zum 
Gegenſtand. Für die Amtsanwälte iſt die Schöffen⸗ 
gerichtsinſtruktion vom 20. Auguſt 1879 (Beil. z. JM Bl. 
1879) verbindlich geblieben. Sie iſt im Gegenſatze zu 
den alten Dienſtesvorſchriften für die Staatsanwälte 
vom 20. Juni 1862 auf Grund der Strafprozeßordnung 
erlaſſen und bildet noch eine brauchbare Grundlage 
für den Dienſt der Amtsanwälte. Allein fie iſt gegen- 
über den neuzeitlichen Anforderungen an die ſtaats— 
anwaltſchaftliche Tätigkeit etwas dürftig. Sehr zu 
begrüßen iſt daher, daß ſie durch die Bekanntmachung 
vom 22. Dezember 1910, den Dienſt der Amtsanwälte 
betr. (JM Bl. S. 1039), eine wertvolle Ergänzung ge⸗ 
Hiernach ſind die Dienſtvorſchriften für 
die Staatsanwaltſchaft vom 29. Oktober 1910 im 
ſtaatsanwaltſchaftlichen Dienſt bei den Amtsgerichten 
und den Schöffengerichten entſprechend anzuwenden. 
Die Bekanntmachung führt die Stellen der Dienſt— 
vorſchriften, die ſich zur Anwendung durch die Amts- 
anwälte eignen, unter kurzer Hervorhebung ihres 
weſentlichen Inhalts auf. So wird fortan der ſtaats⸗ 
anwaltſchaftliche Dienſt bei allen bayeriſchen Gerichten 
nach einheitlichen Geſichtspunkten geführt werden. 
Nur ein wichtiger Unterſchied bleibt zwiſchen der Be— 
handlung der Strafſachen durch die Amtsanwälte und 
die landgerichtlichen Staatsanwälte beſtehen, der ſich aus 
der verſchiedenen Bedeutung der zu ihrer Zuſtändigkeit 
gehörenden Strafſachen erklärt. Den Staatsanwälten 
iſt zur Pflicht gemacht, den Sachverhalt ſchon im Vor— 
verfahren tunlichſt vollſtändig aufzuklären und die 
Anklageſchrift nur einzureichen, wenn die Verurteilung 
des Beſchuldigten zu erwarten iſt. Dagegen beſchränkt 
ſich nach den ausdrücklich aufrecht erhaltenen 88 9 bis 
11 der Schöffengerichtsinſtruktion die Aufgabe der 
Amtsanwälte im vorbereitenden Verfahren in der 
Hauptſache auf die Erforſchung und Herbeiſchaffung 


der Beweismittel; fie dürfen die öffentliche Klage ers 


der erſten etatsmäßigen Stelle bei Anwendung der 


Grundſatze der neuen Gehaltsordnung zur Berechnung 
eines höheren Gehaltes für die Beförderungsſtelle führt. 
Eine unmittelbare Anrechnung auf den Gehalt der 
Beförderungsſtelle findet alſo nicht ſtatt. Bei einem 
Beamten, der ſich ſchon in der zweiten Beförderungs— 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Seller) München und Berlin. 


heben, wenn eine Verurteilung des Beſchuldigten mit 
Wahrſcheinlichkeit zu erwarten iſt. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ir. 3. München, den 1. Februar 1911. 7. Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Th. von der pfordten in Bauern 3. ä 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. = 
Staatsminifterium der Juftiz. München und Berlin. 


Redaktion und Ervedition: München, Lenbachplatz 1. 
Inſertionsgebübr 30 Pig. für die dalbgeſpaltene Beritzelle 
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Radatt. Stellenanzeigen 
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchbandlung und 
Poſtanſtalt. 


— — — — — ———— EEE 


Nachdruck verboten. 53 


Die Feſtſtellung des Eigentums an Wegen. nur auf die fteuerbaren, ſondern ohne Rückſicht 


auf den Eigentümer auch auf alle unſteuerbaren 
Von Oberſtlandesgerichtsrat Hermann Schmitt Grundbeſitzungen zu erſtrecken habe. weil das 
im Staats miniſterum der Juſtiz in München. Grundſteuerkakaſter zugleich als allgemeines Grund-, 


Unter der Herrſchaft des Hypothekenrechtes war [Saal- und Lagerbuch gelten ſollte und man dafür 
für den Richter nur ſelten Gelegenheit gegeben, auch bezüglich der unſteuerbaren Grundſtücke eine 
ſich mit der Prüfung der Eigentumsverhältniſſe zuverläſſige Unterlage ſchaffen wollte; allein die 
an den Wegen zu befaſſen. Geometer, Rentamt Verhältniſſe erwieſen ſich meiſt ſtärker als das 
und Notar hatten bei der Sachbehandlung im geſchriebene Wort; weitaus in der Mehrzahl der 
einzelnen Falle im weſentlichen freie Hand, zumal | Steuergemeinden hat man entgegen der beſtehenden 
auch die Beteiligten der Regelung ſolcher Ange- Vorſchrift bei den unſteuerbaren Flächen (Wegen, 
legenheiten in rechtlicher Hinſicht kein beſonderes Gewäſſern, Gräben) die Beſitzverhältniſſe nicht feſt⸗ 
Intereſſe entgegenbrachten. War ein Weg Gegen: geſtellt;) man hat dieſe Gru dſtücke im Liqui⸗ 
ſtand notarieller Beurkundung, ſo konnte ſich der dationsprotokolle vielmehr unter einer allgemeinen 
Hypothekenbeamte in den meiſten Fällen darauf Ueberſchrift wie „Beſitz Nr. / und ohne weiteres 
beſchränken, von der Urkunde Kenntnis zu nehmen; und ohne Vorwiſſen und Genehmigung der Be: 
die Eintragung des Weges wurde nicht beantragt, teiligten unter dem Beſitztitel der Gemeinde oder 
da er als geeigneter Pfandgegenſtand nicht in Be: Ortsgemeinde, zum Teil ſogar der Steuergemeinde 
tracht kommen konnte. zuſammengefaßt.“ | 

Es blieb aljo der Grundbuchanlegung vorbe: So hatte der Anlegungsbeamte für ſeine Feſt⸗ 
halten, die Eigentumsverhältniſſe zu ermitteln und ſtellungen als Unterlage in der Regel nur ein 
jeftzuftellen, ob und wie weit die Wege in das unbeſchriebenes Blatt. Es mag deshalb nach dem 
Hypothekenbuch einzutragen ſeien, eine Aufgabe, Abſchluſſe des Anlegungsverfahrens von allgemeinem 
die viele Schwierigkeiten bot. Während bei allen 
anderen Grundſtücken das Grundſteuerkataſter für 
die Löſung der Eigentumsfrage wenigſtens den 
Weg zeigte, weil es den derzeitigen Beſitzer oder 
doch einen Vorbeſitzer nannte, hat das Kataſter 


— — — 


N in ihrer geſchichtlichen Entwicklung, 
S. 1% 8 
) Amann a. a. O. (S. 200) führt die Nichtbe⸗ 
achtung der Vorſchrift auf eine unrichtige Auslegung 
des Erlaſſes vom 8. Nov. 1839 zurück, der verfügt hatte, 
5 10 f og: daß alle gemeindlichen Wege und Gewäſſer in 
bezüglich der Wege, wie überhaupt bezüglich der einer Verhandlung für die ganze Steuergemeinde zu— 
unſteuerbaren Flächen nahezu vollſtändig verſagt. ſammen unter Beſitz Nr. ½ vorgetragen werden müßten; 
Zwar hatte $ 7 der „Inſtruktion für die Liqui- dieſe Vorſchrift habe man dahin ausgelegt, daß alle 
dierung, Kataſtrierung und Umſchreibung der ſteuerfreien Wege und Gewäſſer eines Gemeinde- 
definitiven Grundſteuer“ vom 19. Januar 1830 ') bezirks ohne Rückſicht auf den Eigentümer in der 


5 f „ a Regel am Schluſſe der Liquidationsprotokolle unter der 
3 
vorgeſchrieben, daß ſich die Liquidierung!) nicht Beſitz Nr. ½ zu protokollieren ſeien. Bei einem Teil 


der Liquidationskommiſſäre mag dieſe Auslegung maß— 
gebend geweſen ſein; ſicher ijt aber, daß auch ſchon vor 
dem bezeichneten Erlaſſe vom 8. Nov. 1839 eine den 
beſtehenden Vorſchriften entſprechende Liquidierung der 
ſteuerfreien Grundſtücke unterlaſſen wurde, weil die 


—— —x=—.————— — 


1) Reg Bl. 1830 S. 301; Weber, Geſ.- u. VOSamml. 
Bd. II S. 503. 

2) Nach 8 61 des Grundſteuergeſetzes vom 15. Aug. 
1828 (Geſ.⸗ u. VOBl. 1910 S. 1029) ſollte ſich die 
Anlegung des Grundſteuerkataſters auf eine allgemeine [Löſung dieſer Aufgabe zu ſchwierig war. 

Liquidation gründen, bei welcher jeder einzelne Grund— ) Das Staatsminiſterium der Juſtiz hat wiederholt 
beiiger in Anſehung der auf ihn zu kataſtrierenden darauf hingewieſen: ſ. Bek. v. 30. Dez. 1910 (JM Bl. 
Grundſtücke die Richtigkeit der Vermeſſung und des | 1911 S. 40); vgl. auch Samml. 8 S. 606, dann Brenner, 
Flurplans in einer förmlichen Verhandlung anzuerkennen WG. S. 92 Anm. 1, II zu Art. 23 und die dort an— 
hatte. Das Nähere ſiehe bei Amann, Die bayer. | geführte Fin ME. vom 22. November 1906 Nr. 27903. 


——— a — — 


54 


Intereſſe ſein, zu erfahren, von welchen Grund: 
ſätzen man bei der Feſtſtellung des Eigentums 
ausgegangen iſt und welches Verfahren man ein— 
geſchlagen hat. Es iſt überdies nicht ausgeſchloſſen, 
daß man ſich aus beſonderem Anlaſſe nochmals 
mit der Sache zu befaſſen hat, ſei es, daß be- 
züglich der in das Verzeichnis?) der nicht gebuchten 
buchungsfreien Grundſtücke aufgenommenen Wege: 
plannummern nachträglich Eigentumsanſprüche gel⸗ 
tend gemacht und Buchungsantrag geſtellt wird, 
ſei es, daß infolge von Streitigkeiten unter den 
Beteiligten oder von Amts wegen die Wiederauf— 
nahme des Verfahrens geboten iſt, z. B. bei der 
Veräußerung von Wegteilflächen,“) dann im Falle 
einer Gemeindegrenzänderung mit Rückſicht auf 
Art. 4 der rechtsrhein. GO., der die Feſtſtellung 
des Kreiſes der Beteiligten verlangt. Auch für 
dieſe Fälle mögen die nachfolgenden Ausführungen 
von Intereſſe ſein. f 


I. Das Berfahren zur Feſtſtellung des Eigentums. 


Schon aus $ 170 Abſ. 2 der Dienſtanweiſung 
für die Grundbuchämter r. d. Rh. iſt zu ent: 
nehmen, daß man unterſcheidet 


Wege, die eigne Grundſtücke ſind und entweder 
im Eigentum einer beſtimmten Perſon oder 
im Miteigentum mehrerer Perſonen ſtehen, 


Wege, die nicht eigne Grundſtücke find, ſondern 
die Beſtandteile der Grundſtücke bilden, über 
die der Weg führt, bei denen alſo die als 
Weg benützten Teile nur mit einer Grund— 
dienſtbarkeit belaſtet ſind (ſog. Angrenzerwege 
auch Adjazentenwege). 


Bei dieſen Angrenzerwegen handelt es ſich nicht 
um ein Miteigentumsverhältnis; jeder Angrenzer 
iſt vielmehr Alleineigentümer der von ſeinem 
Grundſtück zum Wege gezogenen Teilfläche,“) mag 
der Weg ſein Grundſtück durchſchneiden oder an 
oder auf der Grenze laufen. Die Frage, ob ein 
ſolcher Weg, wenn er die Grundſtücke nicht durch— 
ſchneidet, ſondern zunächſt der Grenze läuft, auf 


) Vgl. hierzu Henle-Dandl, die Anl. des Grund— 
buchs, 2. Aufl. S. 291 Note 1 Abſ. 2, und IME. v. 
21. März 1903 Nr. 10 398. 

6) Auch auf Antrag des Meſſungsamtes. 

7) Bezüglich dieſer Wege iſt in der Dienſtanweiſung 
für Grundbuchämter keine Vorſchrift über die Frage 
enthalten, wie ſolche Teilflächen zu ermitteln ſind, wenn 
ein Weg auf der Grenze zweier Grunddſtücke läuft und 
die Grenze beider Grundſtücke zu beſtimmen und ab— 
zumarken iſt oder wenn die Teilfläche als Einlage im 
Flurbereinigungs verfahren zu berechnen iſt. 
genaueren Feſtſtellung dieſer Teilflächen durch den Richter 
beſtand und beſteht kein Anlaß. In den ſeltenen Fällen, 
in denen die Frage in der Praxis zu enticheiden iſt, 
wird im Zweifel anzunehmen ſein, daß die beiderſeitigen 
Nachbarn gleich breite Flächen als Wegflächen liegen ge— 
laſſen haben, daß die Grenze der Grundſtücke ſich alſo 
mit der Mittellinie des Weges deckt; es wird kaum 
vorkommen, daß ein Angrenzer ſich mit dieſer Löſung 
nicht abfinden ſollte, er müßte denn für ſeine abweichende 
Meinung Beweiſe in Händen haben. 


Zu einer 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


oder an der Grenze führt, ob er ſich alſo aus 
Teilflächen der beiderſeitigen Grundſtücke oder nur 
aus Teilflaͤchen der auf der einen Seite liegenden 
Grundſtücke zuſammenſetzt, iſt rein tatſächlicher 
Natur; eine Rechtsvermutung, wie ſie Art. 21 
WG. aufſtellt, gibt es für die Wege nicht.?) Aus: 
ſchlaggebend wird in der Regel ſein, ob die beider⸗ 
ſeitigen Angrenzer oder nur die Angrenzer auf 
der einen Seite den Weg benützen; im letzteren 
Falle wird anzunehmen ſein, daß auch nur dieſe 
Angrenzer Teilflächen dem Wege gewidmet haben. 

Dieſe Unterſcheidung in eigene und nicht eigene 
Grundſtücke beruht nicht auf einer willkürlichen 
Annahme, ſie iſt vielmehr das Ergebnis des An— 
legungsverfahrens, in welchem Rechtsverhältniſſe 
dieſer Art feſtgeſtellt wurden. Damit ſoll freilich 
nicht geſagt ſein, daß ſich ſolche Verhältniſſe in 
allen Steuergemeinden gleichmäßig finden. Die 
Flurverhältniſſe ſind in den einzelnen Steuerge⸗ 
meinden außerordentlich verſchieden;“) ſelbſt in 
benachbarten Steuergemeinden weichen fie oft er: 
heblich von einander ab. Es bleibt nur übrig, 
die Verhältniſſe in jeder Steuergemeinde genau 
zu unterſuchen. 


A. Selbſtändige und unſelbſtändige Wege 
(Gemeinde- und Angrenzerwege). 


Die Hauptſchwierigkeit wird immer darin be⸗ 
ſtehen, die Wege, die nicht eigene Grundſtlücke find, 
von den ſelbſtändigen Weggrundſtücken zu ſcheiden. 
Die Löſung dieſer Aufgabe iſt um ſo wichtiger, 
weil damit die Entſcheidung der Eigentumsfrage 
im engſten Zuſammenhange ſteht. Solange der 
Weg Beſtandteil der Grundſtücke iſt, über die er 
hinwegführt, iſt der Eigentümer des Grundſtücks 
auch Eigentümer der Wegteilflaͤche; der als Weg 
benutzte Teil iſt nur mit einer Grunddienſt— 
barkeit (Fahrtrecht) zugunſten der anderen vom 
Wege berührten Grundſtücke belaſtet, im übrigen 
iſt der einzelne Eigentümer als Alleineigentümer 
in der Benützung der zu ſeinem Grundſtücke ge— 
hörenden Teilfläche nicht beſchränkt, er kann dieſe 
überackern und bebauen, ſofern hierdurch die Aus— 


8) Man behauptet, in der Praxis wende man, wenn 
eine Teilfläche ſeſtzuſtellen fei, Art. 21 des Waſſergeſetzes 
entſprechend an. Dies gilt wohl nur, ſoweit die Ver⸗ 
mutung Platz greift, daß die Eigentumsgrenze in An— 
ſehung der gegenüberliegenden Grundſtücke durch eine 
durch die Mitte des Fluſſes zu ziehende Linie gebildet 
werde; dagegen iſt für die weitere in Art. 21 aufgeſtellte 
Vermutung, daß in Anſehung der anliegenden Ufer— 
grundſtücke durch eine von dem Endpunkt der Land— 
grenze rechtwinklig zu der Mittellinie des Waſſerlauſs 
zu ziehende Linie gebildet werde, bei den Wegen kein 
Raum; hier wird als Regel anzuſehen ſein, daß ſich die 
Abteilungslinie nicht ſenktecht zur Mittellinie des Weges, 
ſondern in der Richtung der Grundſtücksgrenze bis zur 
Mittellinie fortſetzt. 

) So können in einer Steuergemeinde nur wenige, 
in einer anderen Steuergemeinde wieder ſehr viele Ans 
grenzerwege feſtgeſtellt werden, während ſich in anderen 
gar keine, finden. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


— — — ——ẽʒ 


übung der Grunddienſtbarkeit nicht beeinträchtigt 
wird. Wird der Weg als ein jelbitändiges Grund: 
ſtück betrachtet, ſo kann als Eigentümer jede natür⸗ 
liche und jede juriſtiſche Perſon in Frage kommen; 
weitaus die Mehrzahl dieſer Wege wird jedoch 
nach Lage der Verhältniſſe Eigentum der politiſchen 
Gemeinde, vielleicht auch einer Ortsgemeinde ) ſein. 

Das Schwergewicht der Entſcheidung muß in 
der äußeren Beſchaffenheit ſowie in der Zweck⸗ 
beſtimmung und in der Verkehrsbedeutung der 
Wege geſucht werden. Bei Wegen, an denen die 
Allgemeinheit kein Intereſſe hat, die ausſchließlich 
zur Bewirtſchaftung der Grundſtücke eines be⸗ 
grenzten Gutsbeſitzerkreiſes dienen und ſich in der 
Natur nicht als ſelbſtändige Grundſtücke, als aus⸗ 
gebaute Wege darſtellen, ſpricht die Vermutung 
dafür, daß ſie Beſtandteile, der Grundſtücke find, 
über die fie hinwegführen.“) Dagegen darf bei 
allen übrigen angenommen werden, daß ſie eigene 
Grundſtücke ſind und, wenn nicht beſondere Ver⸗ 
hältniſſe eine andere Annahme rechtfertigen, im 
Eigentum der Gemeinde ſtehen. Dies gilt auch 
bei nicht ausgebauten Feldwegen, die urſprüng⸗ 
lich vielleicht ausſchließlich einzelnen Grund⸗ 
ſtückseigentümern gedient, im Laufe der Zeit je⸗ 
doch größere Verkehrsbedeutung erlangt haben, 
von den Grundſtückseigentümern preisgegeben und 
von der Gemeinde in Beſitz genommen wurden, 
die dann auch für die Unterhaltung der Wege 
Sorge getragen hat; in ſolchen Fällen wird die 
Gemeinde unbedenklich Eigentumserwerb durch 
Erſitzung behaupten können. 

Wenn nun auch bei der Mehrzahl der im 
Grundſteuerkataſter verzeichneten Wege die Ent⸗ 
ſcheidung über die Eigentumsfrage nach dieſen 
allgemeinen Geſichtspunkten erfolgen kann, ſo iſt 
doch bei vielen eine Prüfung der Verhältniſſe im 
einzelnen nicht zu umgehen. Dabei kommt fol⸗ 
gendes in Betracht. 

1. Die bloße Anerkennung der An: 
grenzer. Keinesfalls iſt es angängig, das 
Eigentum an einem Wege in der Weiſe feſtzu⸗ 
ſtellen, daß man die Eigentümer der von den Wegen 
berührten Grundſtücke ohne jede Unterlage erklären 
läßt, daß die Gemeinde Eigentümerin aller Wege 
ſei. Eine ſolche Sachbehandlung iſt rechtlich nicht 
bedenkenfrei; iſt die Gemeinde in Wirklickkeit 
nicht Eigentümerin, ſo wird durch die einſeitige 
Anerkennungserklärung eine Eigentumsübertragung 
nicht bewirkt, auch wenn die Gemeinde als Eigen— 
tümerin in das Grundbuch eingetragen wird; erſt 


10) Vgl. Art. 5 der rechtsrheiniſchen und der pfäl⸗ 
ziſchen Gemeindeordnung. 

1) Dieſe Auffaſſung wird im weſentlichen auch vom 
Oberſten Landesgericht gebilligt (Samml. 8 S. 604); 
die von ihm vertretene Meinung, daß als das unter— 
ſcheidende Merkmal nicht die Größe, ſondern die Zweck— 
beſtimmung anzuſehen ſei, iſt gewiß richtig, wenn man 
unter der Größe des Weges die Länge verſteht; bei 
breiten Wegen wird wohl die ee des Weges 
anzunehmen ſein. 


55 


— —— . — ——ñ ö — — — — —— — — — — — —— nn 


wenn die Eintragung ohne Widerfpruch dreißig 
Jahre beſtanden und die Gemeinde während dieſer 
Zeit das Grundſtück im Eigenbeſitze gehabt hat, 
würde das Eigentum der Gemeinde unanfechtbar 
ſein (BGB. $ 900). 

Im übrigen bietet das Anlegungsverfahren 
zu einer willkürlichen Verſchiebung der Eigentums⸗ 
verhältniſſe keinen Anlaß; ſie liegt auch gar nicht 
im Intereſſe der Beteiligten, die ſich in der Regel 
weder über die Rechtslage noch über die Sachlage klar 
find und mit Vorwürfen gegen die Sachbehandlung 
nicht zurückhalten, wenn ſie bei ruhiger Ueberlegung 
der Verhältniſſe zu der Meinung kommen, durch 
ihre Erklärung, wenn auch nur formell, ein Recht 
aufgegeben zu haben. Häufig wird zwar die 
Meinung vertreten, daß die Grundbeſitzer gar 
kein Intereſſe daran haben, als Eigentümer einer 
Teilflaͤche eines ihren Grundbeſitz berührenden 
Weges anerkannt zu werden, daß ihre Intereſſen 
ſogar beſſer gewahrt ſeien, wenn die Gemeinde 
als Eigentümerin des Weges gelte und als ſolche 
auch zur Unterhaltung des Weges verpflichtet ſei. 
Dieſe Meinung mag für gewiſſe (Fälle richtig ſein, 
trifft aber gewiß nicht für alle Feldwege zu und 
namentlich nicht für ſolche Wege, die ausſchließlich 
für die Angrenzer von Bedeutung ſind, einer 
Unterhaltung in der Regel überhaupt nicht be⸗ 
dürfen und tatſächlich auch nicht unterhalten 
werden.“) Es iſt nicht zu überſehen, zu welchen 
Weiterungen und Schwierigkeiten eine unrichtige 
Feſtſtellung des Eigentums an ſolchen Wegen 
Anlaß gibt. Ein Grundbeſitzer kauft zu Arron⸗ 
dierungszwecken in einer Feldlage mehrere von 
Wegen durchzogene Grundſtücke zuſammen; will 
er die Wege, die nur für ihn Bedeutung haben, 
zum Teil verlegen, zum Teil überhaupt eingehen 
laſſen, ſo muß er, wenn die Gemeinde als Eigen— 
tümerin dieſer Wegflächen eingetragen worden iſt, 
mit der Gemeinde eine Vereinbarung treffen, 


2) Unbegründet iſt die Befürchtung, daß es mit 
der Unterhaltung der Wege in Zukunft nicht mehr 
ſo gut beſtellt ſei, die als Eigentum der Angrenzer 
feſtgeſtellt werden. Die Vorſchrift des Art 55 Abſ. 2 
GemO. gibt der Gemeinde die Befugnis, jederzeit nach 
dem Rechten zu ſehen und die Gemeinde iſt auf Antrag 
eines Beteiligten ſogar verpflichtet, Anordnungen be— 
züglich der Unterhaltung der Wege zu treffen; der In⸗ 
halt dieſer Vorſchrift wird durch die Eigentumsfeſtſtellung 
in keiner Weiſe berührt, auch wenn man ihre Anwen— 
dung nur auf öffentliche Wege beſchränkt wiſſen will, 
denn auch die einmal begründete öffentliche Eigenſchaft 
eines Weges wird durch die Eigentumsfeſtſtellung nicht 
beeinträchtigt. Ebenſowenig kann man gegen die Feſt— 
ſtellung von Privatwegen eine Benachteiligung der wirt— 
ſchaftlichen Verhältniſſe ins Feld führen; gegenüber der An— 
nahme, daß kleine Leute ſich bisher einen kleinen Streifen 
Weg pachten und hier das Futter für das Kleinvieh be— 
kommen konnten, iſt hervorzuheben, daß, wenn die Gras— 
nutzung an einem beſtimmten Wege bisher von der Gemeinde 
wirklich verpachtet worden iſt, dies in der Regel für das 
Eigentum der Gemeinde ſpricht; vgl. hierzu unten Nr. 3b. 
Im übrigen muß ſich die Gemeinde eben auf ihr Eigen— 
tum beſchränken; fie darf ebenſowenig wie eine Privat- 
perſon über fremdes Gut verfügen. 


66 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


während er, wenn fie Beſtandteile der erworbenen 
Grundſtücke find, nach 8 1023 BGB. ver: 
fahren kann. Ein weiteres Beiſpiel: In einem 
Flurbereinigungsverfahren wird feſtgeſtellt, daß 
Feldwege, die bei der Grundbuchanlegung ohne 
weiteres als Eigentum der Gemeinde betrachtet 
wurden, in der Natur als Wege überhaupt nicht 
mehr beſtehen, vielmehr zu den von ihnen be⸗ 
rührten Grundſtücken gezogen und mit dieſen be⸗ 
baut und bewirtſchaftet werden; ſollen die Weg⸗ 
flächen in ſolchem Falle ohne weiteres als Ein⸗ 
lage der Gemeinde gelten? Dieſe Beiſpiele, deren 
Zahl aus den Erfahrungen des Alltaglebens be⸗ 
liebig vermehrt werden könnten, dürften zur Ge⸗ 
nüge beweiſen, daß es keineswegs gleichgültig iſt, 
ob man Eigentum der Gemeinde oder der An⸗ 
grenzer angenommen hat.““) 

2. Die kataſtermäßige Bezeichnung. 
Die Beſchreibung der Wege kann für die Eigen⸗ 
tumsfeſtſtellung in der Regel nicht verwertet 
werden. Man hat ſeinerzeit aus ſteuertechniſchen 
Gründen grundſätzlich alle Wege ohne Rüdficht 
auf die Eigentumsverhältniſſe mit beſonderen Plan⸗ 
nummern verſehen, auch dann, wenn ſie nur 
Beſtandteil anderer Grundſtücke waren. Daran 
hat man bis in die neueſte Zeit feſtgehalten.“) 
Die Bezeichnung eines Weges mit einer Plan⸗ 
nummer ſpricht alſo keineswegs dafür, daß der 
Weg als eigenes Grundſtück gelten ſoll. Aller⸗ 
dings finden ſich auch Wege, die eine Plannummer⸗ 
bezeichnung nicht haben, und ſchon aus dieſem 
Grunde als Beſtandteile der von ihnen berührten 
Grundſtücke gelten müſſen; allein auch dieſer Um⸗ 
ſtand berechtigt nicht ohne weiteres zu der An⸗ 
nahme, daß alle anderen, mit Plannummern be: 
zeichneten Wege eigene Grundſtücke ſind; denn 
wie heute!“) wurden auch früher ſchmale Wege, deren 
Flächen ſich in Kataſterplänen nicht darſtellen 
laſſen, nicht mit Plannummern bezeichnet, ſondern 
als unausgeſchiedene Beſtandteile der Grundſtücke 
behandelt. Abgeſehen hiervon iſt auch die Mög⸗ 
lichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß die Wege ohne 
Plannummerbezeichnung erſt nach der Landes— 
vermeſſung entſtanden ſind und die Ausſcheidung 


) Ein treffendes Beiſpiel führte auch der Abg. 
Kanzler in der öffentlichen Sitzung der Kammer der Ab— 
geordneten vom 27 November 1909 (Verh d. K. d. 
Abg. 1909 / 10, Sten. Ber. VIII S. 157 ff.) an; er ſagt: 
Es komme häufig vor, daß zu der Plannummer, die 
die Orteſtraße bezeichnet, noch Zu'ahrten oder Teile von 
Hoſräumen gehören, die von dem Ortsweg in das An— 
weſen hineinführen, die aber doch ganz beſtimmt Be— 
ſtandteile der Anweſen ſeien Wenn ſich nun bei 
Bauaufführungen herausſtelle, daß der Anweſensbeſitzer 
dieſe Zufab 1, die kataſtermäßig zur Ortsuraße gehöre, 
überbaut „abe, müſſe er dann von der zu Unrecht ein— 
getragenen Gemeinde ſein Eigentum käullich erwerben. 

1 Vgl Fin Min Bek. vom 15. Okt. 1910 Nr. 2 Abi. 1 
(JM Bl. S. 984). 

18) Vgl. Fin Min Bek. v. 15. Okt. 1910 Nr. 2 Abſ. 5 
(JM Bl. S. 985). 


und nähere Bezeichnung ihrer Flächen nur mit 
Rückſicht auf die Koſten unterblieben iſt. 

Aehnlich verhält es ſich mit der Flächenaus⸗ 
ſcheidung. Urſprünglich hat man den Flächen⸗ 
inhalt der Jämtlihen Wege in einer Steuergemeinde 
zu einer Geſamtwegflaͤche vereinigt; erſt in den 
Jahren 1829, 1830, 1834 und in den folgenden 
Jahren wurden Anordnungen getroffen, um durch 
Ausſcheidung und Numerierung der einzelnen Wege 
für die Liquidation wie bei dem ſteuerbaren Grund⸗ 
beſitz beſtimmte und auf dem Kataſterplane nachweis⸗ 
bare Objekte zu ſchaffen.“) Dieſe kataſtertechniſche 
Sachbe handlung hat alſo auf die Beurteilung der 
Frage keinen Einfluß, ob es ſich um ſelbſtändige 
Weggrundſtücke oder nur um ſervitutariſche 
Rechtsverhältniſſe an Beſtandteilen der Haupt⸗ 
grundſtücke handelt. Nur in den ſeltenen 
Fällen, in denen die Wegflächen trotz der Be⸗ 
zeichnung mit eigenen Plannummern den von den 
Wegen berührten Grundſtücken zugerechnet find, 
iſt man zu dem Schluſſe berechtigt, daß die Wege 
wenigſtens zur Zeit der Kataſtrierung nicht als 
eigene Grundſtücke betrachtet wurden. 


3. Die Liquidationsprotokolle. Die 
zuverläſſigſte Unterlage iſt immer das Liquidations⸗ 
protokoll, vorausgeſetzt, daß ſeinerzeit auch bezüg⸗ 
lich der unſteuerbaren Grundſtücke eine Ermitte⸗ 
lung der Beſitzverhältniſſe ſtattgefunden hat; das 
Liquidationsprotokoll ſelbſt muß alſo bei den 
Wegen zwiſchen dem Eigentum der Gemeinde und 
dem Eigentum der Angrenzer überhaupt unter⸗ 
ſcheiden, indem es bei einem Teil der Wege die 
Eigentümer der angrenzenden Grundſtücke als 
Eigentümer bezeichnet oder ſich wenigſtens dahin 
ausſpricht, daß dieſe Wege von den Eigentümern 
der Grundſtücke, über welche die Wege führen, 
geduldet werden müſſen, während andere Weg: 
flächen als Eigentum der Gemeinden anerkannt 
werden. Man wird alſo in jedem Falle zunächſt 
die Liquidationsprotokolle für die betreffende 
Steuergemeinde erholen müſſen. ““ 


Die weitere Geſtaltung des Verfahrens hängt 
im weſentlichen alſo davon ab, ob und wie weit 


16) Vgl. hierzu Amann, a. a. O. S. 200 

11) Bis zum Jahre 1837 wurde über die Liqui— 
dierung ein förmliches Protokoll aufgenommen, wie dies 
§ 13 der Inſtruktion für Liquidierung ꝛc. v. 19. Januar 
1830 (ſ. o. Anm 1) vorgeſchrieben hatte. Um die Ar— 
beiten raſcher zu fördern, verſuchte man dann, die Liqui— 
dierung in tabellariſcher Form fortzuführen; vom Jahre 
1840 an wurde dann die Liquidierung in Kataſter-Form 
zur Regel, während die Protokoll-Form nur ausnahms— 


weiſe zur Anwendung kam, wenn bei der Liquidierung 


beſondere Schwierigkeiten entſtanden, deren Beſeitigung 
eingehendere Nerhandlungen erforderlich machten. Die 
eigentlichen Liquidationsprotokolle wurden bei den Re— 
gierungsſinanzkammern hinterlegt, die in Kataſter Form 
aufgenommenen Liquidationsprotokolle wurden als Ur: 
kataſter den Rentämtern überwieſen. Siehe Näheres 
bei Amann a. a. O. S. 192 ff., wo auch angegeben 
iſt, welche Form in den einzelnen Bezirken verwendet 
wurde. 


— ——— — —— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 5 für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


die Eintragungen in den Steuerliquidations⸗ 
protokollen als zuverläſſig anzuſehen ſind. 

a) Zuverläſſige Liquidationdproto— 
kolle. Wird in den Steuerliquidationsproto⸗ 
kollen bezüglich der Wege zwiſchen Gemeinde⸗ 
eigentum und Angrenzereigentum unterſchieden, 
ſo kann man ſich auf die Prüfung der Frage be⸗ 
ihränfen, ob ſich ſeit der Kataſtrierung die Ver⸗ 
hältniſſe bezüglich der als Angrenzereigentum be⸗ 
zeichneten Wege weſentlich geändert haben; es iſt 
möglich, daß Wege, die zur Zeit der Herſtellung 
des Urkataſters als Beſtandteile der von ihnen 
berührten Grundſtücke gegolten haben, in der 
Zwiſchenzeit an Verkehrsbedeutung gewonnen 
haben, von der Gemeinde in Beſitz genommen, 
ausgebaut und unterhalten wurden und nun⸗— 
mehr von ihr auch als Eigentum beanſprucht 
werden; das Vorbringen der Gemeinde wird, 
wenn durch Tatſachen zuverläſſig belegt und 
glaubhaft gemacht, auch ſchon dann zu berück⸗ 
ſichtigen ſein, wenn die Eigenſchaft des Weges 
als eines Gemeindeweges im Sinne des Art. 38 
GemO. durch die Verwaltungsbehörde noch nicht 
ausdrücklich anerkannt worden iſt. 


b) Unzuverläſſige Liquidationsproto- 
kolle. Wenn in den Protokollen alle Wege, ins⸗ 
beſondere alle Feldwege ausnahmslos als Beſitz der 
Gemeinde, Ortsgemeinde oder der Steuergemeinde be⸗ 
zeichnet ſind, ſind dieſe Angaben und die auf ihnen be⸗ 
ruhenden Kataſtervorträge vollſtändig bedeutungs⸗ 
los; man muß unabhängig von der Kataſtrierung 
die Eigentumsfrage prüfen. Immerhin kann die 
Darſtellung im Kataſter als Wegweiſer dienen. 
Man hatte nämlich ſeinerzeit, um die Eigentums⸗ 
ermittelung zu erleichtern, vorgeſchrieben, die Wege 
nach ihrer Zweckbeſtimmung in Ortswege, Diſtrikts⸗ 
ſtraßen, Gemeindewege, Feld⸗ und Holzwege ein⸗ 
zuteilen und dieſe Einteilung hat auch in dem 
Kataſter Aufnahme gefunden.) Es empfiehlt 
ſich auch jetzt noch, nach dieſer Einteilung in die 
Prüfung der Eigentumsverhältniſſe einzutreten. 

Im einzelnen iſt folgendes hervorzuheben: 

a) Ortsſtraßen: Bei den Ortsſtraßen 
ſpricht wohl die Vermutung dafür, daß ſie im 
Eigentum der Gemeinde ſtehen; doch iſt die 
Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß einzelne 
Wegflächen Privateigentum find.') In der 
Regel weiſt darauf die Beſchreibung des Weges 
hin; ſo erinnere ich mich einer Ortsgaſſe, die im 
Kataſter als „Sackgaſſe zum Wirtskeller“, und 
einer anderen, die als „N. N.⸗Gäßchen' beſchrieben 
war; beide wurden ohne Widerſpruch der Gemeinde 
von Privatperſonen beanſprucht. In jedem Falle 
empfiehlt es ſich nach dem Flurplane, wenn möglich 
im Benehmen mit dem Meſſungsamte, feſtzuſtellen, 
welche Wege nach ihrer Lage für die Allgemein: 
heit kein Intereſſe haben, alſo e 


10) Vgl. Amann a. a. O. S. 200. 
10) Vgl. oben Anm. 13. 


57 


ſein können, und durch Vernehmung derjenigen 
Perſonen, die als Eigentümer in Betracht kommen 
können, ſowie durch Vernehmung ortskundiger 
Perſonen die Rechtsverhältniſſe zu ermitteln. Die 
Einſichtnahme des Flurplanes iſt namentlich dann 
geboten, wenn die ſämtlichen Ortswege im 
Kataſter unter einer Plannummer zuſammen⸗ 
gefaßt und nur als „ſämtliche Ortsſtraßen und 
Ortswege“ beſchrieben ſind, ſo daß aus der Be— 
ſchreibung ſelbſt über die Zweckbeſtimmung im 
einzelnen nichts entnommen werden kann. 


p) Diſtriktsſtraßen: Die im Kataſter als 
Diſtriktsſtraßen bezeichneten Wege können Eigen⸗ 
tum der Diſtriktsgemeinde oder der politiſchen 
Gemeinde ſein; häufig hat nämlich die politiſche 
Gemeinde das Eigentum an den in ihrem Bezirke 
liegenden Straßenteilen an die Diſtriktsgemeinde 
nicht abgetreten, ſie hat ihr nur das Recht ein⸗ 
geräumt die Diſtriktsſtraße als ſolche zu benützen, 
wogegen ſich die Diſtriktsgemeinde zur Unterhaltung 
dieſer Straße verpflichtet hat. Die Feſtſtellung 
iſt nicht ohne Bedeutung, weil die politiſche Ge⸗ 
meinde oft Wert darauf legt, als Eigentümer der 
Straße zu gelten, um ihre Nutzungsrechte an den 
an der Straße ſtehenden Obſtbaͤumen oder an 
dem an den Straßengräben wachſenden Gras 
ſicher zu ſtellen. Wenn die Gemeinde das Eigen: 
tumsrecht an der Diſtriktsſtraße nicht geltend 
macht, darf man, auch wenn eine förmliche Ab— 
tretung nicht nachzuweiſen iſt, wohl annehmen, 
daß fie ſchon lange das Eigentum preisgegeben 
hat und daß die Diſtriktsgemeinde durch Beſitz⸗ 
ergreifung im Wege der Erſitzung Eigentümerin 
geworden iſt. Nun iſt allerdings die Diſtrikts⸗ 
gemeinde erſt durch das Diſtriktsratsgeſetz vom 
28. Mai 1852 als juriſtiſche Perſon begründet 
worden; man möchte daraus vielleicht ſchließen, 
daß eine Erſitzung der Diſtriktsgemeinde erſt von 
dieſem Zeitpunkte an möglich geweſen wäre; es 
iſt jedoch zu beachten, daß häufig bereits beſtehende 
Wege, die beiſpielsweiſe im Eigentum der Gemeinde 
ſtanden, durch einen Akt der Staatsgewalt zu 
Diſtriktsſtraßen erklärt und von einem ſog. Kon⸗ 
kurrenzverbande (einer Vereinigung mehrerer poli⸗ 
tiſcher Gemeinden) unterhalten wurden.“) In 
zivilrechtlicher Hinſicht muß hier unter Umſtänden 
auf die früheren Rechtsverhältniſſe zurückgegriffen 
werden; die alten Diſtriktsſtraßen gingen, wenn 
auch nur auf Grund eines rechtsförmlichen Be: 
ſchluſſes des Diſtriktsrats, auf den neuen Diſtrikt 
im Sinne des Diſtriktsratsgeſetzes über; die neue 
Diſtriktsgemeinde darf ſich die Erſitzungszeit ihrer 
Vorgänger, d. i. der im Konkurrenzverbande 
vereinigten politiſchen Gemeinden anrechnen. Frei— 
lich kann eine Erſitzung mit Rückſicht auf Art. 14 
des Not G. v. 10. November 1861 nur dann in 
Frage kommen, wenn die Uebernahme der Straße 


20) Vgl. v. Seydel, Bayer. „ Bd. III 


S. 302; Entſch. d. Berw®H. Bd. XII S. 225. 


58 


durch den Diſtrikt ſchon vor dem 1. Juli 1862 
erfolgt iſt.“) 

Erachtet der Richter das Eigentum der Di⸗ 
ſtriktsgemeinde nicht als glaubhaft gemacht, hält 
dieſe aber ihre Eigentumsanſprüche aufrecht, ſo 
kann eine befriedigende Löſung der Streitfrage 
nur dadurch gefunden werden, daß die Diſtrikts⸗ 
gemeinde nach 88 873, 925 BGB. und Art. 83 
AGzBGB. das Eigentum erwirbt. Solange die 
Straßeugrundſtücke in das Grundbuch noch nicht 
eingetragen find, genügt hiernach die beſchluß⸗ 
mäßige Einigung der Gemeinde und der Diſtrikts⸗ 
gemeinde über den Eigentumsübergang (dinglicher 
Vertrag); einer Beurkundung der Einigung durch 
den Notar oder durch das Grundbuchamt bedarf 
es nicht;?) das Formerfordernis, das für den 
obligatoriſchen Vertrag beſteht, durch die ſich der 
Eigentümer (die politiſche Gemeinde) zur Ueber⸗ 
tragung des Eigentums (BGB. § 313) verpflichtet, 


wird durch die Vorſchrift des Art. 83 AGzBGB. 
nicht berührt; auf Grund der Einigungserklärung 


kann die Eintragung der Diſtriktsgemeinde in das 
Grundbuch aber ohne weiteres erfolgen, wenn die 
neue Eigentümerin Buchungsantrag ſtellt; der 
Vorlegung des obligatoriſchen Vertrags bedarf es 
nicht; denn die Vorſchrift des Art. 12 AGzGBO. 
trifft in dieſem Falle nicht zu. 

Handelt es ſich nach der Meinung der Be⸗ 
teiligten nur um ein ſervitutariſches Rechtsver⸗ 
hältnis und ſoll es hierbei nach ihrem Willen 
auch verbleiben,“) ſo iſt zu beachten, daß dieſes 
auch zur Erſitzung einer anderen rechtlichen Be— 
urteilung als die Eigentumsfrage unterliegt. 

Häufig iſt es vorgekommen, daß eine Diſtrikts⸗ 
gemeinde zur Vorbereitung einer Straße von den 
benachbarten Grundſtückseigentümern der Nachbar⸗ 


| 
| 


grundſtücke Grundſtücksteile gekauſt hat. daß aber 


die notarielle Verlautbarung unterblieben iſt, die 
nach Art. 14 des Not®. vom 10. Nov. 1861 vor: 
geſchrieben war. Wenn die Diſtriktsgemeinde das 
Eigentum an dieſen Teilflächen nicht auf Grund 
außerordentlicher Erſitzung beanſpruchen kann, ſo 
kann ſie es nur im Wege der Auflaſſung und 
Eintragung in das Grundbuch erwerben; zur Be— 
urkundung der Auflaſſung iſt zwar das Grund— 
buchamt zuſtändig, allein mit Rückſicht auf Art. 12 
AGzGBBO., der auch für das Bereinigungsver— 
fahren gilt, iſt in dieſem Falle die notarielle Be: 
urkundung des der Auflaſſung zugrunde liegenden 
obligatoriſchen Vertrags nicht zu umgehen. Die 


Beurkundungsbefugnis, die nach Art. 10 des Anleg. 


) Vgl. Henle-Dandl, Die Anl. d. Gb. 2. Aufl., 
252 Anm. 12. 

21) Vgl. Henle -Schneider, 
Anm. 3b, dann Vorbemerkung vor Art. 83. 

. Nicht ſelten kommt es auch jetzt noch vor, daß 
Diſtriktsgemeinden bei Anlegung. Erweiterung oder 
Verlegung von Diſtriktsſtraßen die Grundfläche nicht 
zu Eigentum, ſondern im Wege der Dienſibarkeit das 
Recht zur Straßenführung erwerben. 


S. 


vom 1. Juni 1898 dem Hypothekenbeamten ein⸗ 
geräumt war, ſteht dem Grundbuchbeamten in 
dieſem Umfange nicht mehr zu. 

Im übrigen werden ſich die Verhandlungen 
durch Vermittlung des Bezirksamts in der Regel 
ſehr einfach geſtalten. 

7) Gemeindewege: Die wenigſten Schwie⸗ 
rigkeiten bietet die Feſiſtellung des Eigentums an 
den Gemeindewegen, d. i. ſolchen Wegen, die eine 
Gemeinde mit den umliegenden Gemeinden oder 
Ortſchaften verbinden?) und die wohl aus dieſem 
Grunde im Grundſteuerkataſter auch Gemeinde⸗ 
verbindungswege genannt werden. Dieſe Wege 
müſſen ſchon mit Rückſicht auf ihre Zweckbeſtim⸗ 
mung unterhalten werden, ſie werden auch von 
der Gemeinde in der Regel ohne Zutun eines 
Dritten unterhalten,“) ſo daß der Richter ſich 
ohne weiteres für Gemeindeeigentum ſchlüſſig 
machen kann; es hat keinen Zweck über die Ver⸗ 
hältniſſe dieſer Wege Auskunftsperſonen zu ver⸗ 
nehmen, die dem Richter doch nicht mehr ſagen 
können, als er ſchon weiß oder aus dem Flurplane 
entnehmen kann. 

Nur in einem Falle ſind beſondere Erhebungen 
veranlaßt. Wenn im Bezirk der Gemeinde der 
Staat, eine Stiftung, eine Standesherrſchaft, ein 
Fideikommißbeſitzer oder ein ſonſtiger Großgrund⸗ 
beſitzer anſäſſig iſt, kann es vorkommen, daß dieſe 
von den Gemeindewegen diejenigen als ihr Eigen: 
tum beanſpruchen, die durch ihren (meiſt geſchloſſenen) 
Grundbeſitz hindurchführen; dieſe Wege werden in 
der Regel auch von dem Großgrundbeſitzer unter— 
halten; mit Rückſicht auf dieſe Unterhaltungspflicht 
beſtreiten die Gemeinden auch das Eigentum der 
Großgrundbeſitzer nicht; ſie haben hierzu um ſo 
weniger Veranlaſſung, als die Oeffentlichkeit der 
Wege angeſichts ihrer Verkehrsbedeutung meiſt 
außer Zweifel ſteht. In ſolchen Fällen wird man, 
um völlige Klarheit über die Rechtsverhältniſſe zu 
gewinnen, es nicht unterlaſſen dürfen, ſich durch 
Befragen bei dem Großgrundbeſitzer und bei der 
Gemeinde zu unterrichten. Bezüglich der Wege, 
die dem Beſitzer eines Fideikommiſſes im Sinne 
der VII. Verfaſſungsbeilage zugeſprochen werden, 
iſt dem Fideikommißgericht Kenntnis zu geben, 
damit dieſes die Berichtigung der Fideikommiß— 
matrikel veranlaſſen kann; dieſe Wege können bei 
der Errichtung des Fideikommiſſes überſehen worden 
fein, wenn ſie im Kataſter der Gemeinde ver: 
zeichnet waren. 

Was von den Gemeindewegen gilt, trifft im 
weſentlichen auch auf die Wege zu, die im Grund— 


ſteuerkataſter als Ortsgemeindewege bezeichnet ſind. 


Az 8B. Art. 83 


20) Vgl. v. Seydel a. a O. S. 302; Kahr, Gemeinde— 
ordnung 1 S 365 ff. 

25) Nach Art. 33 der GemO iſt es zwar grundſätzlich 
Sache der Gemeinde, die Gemeindewege zu unterhalten; 
doch werden durch dieſe Vorſchrift die Verpflichtungen 
Dritter zur Unterhaltung und Beſtreitung des erfſorder— 


lichen Koſtenaufwandes nicht berührt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


Dieſe Bezeichnung findet ſich häufig dann, wenn 
eine Gemeinde aus mehreren Ortſchaften mit ſelb⸗ 
ſtändigen Fluren beſteht; hier muß ſelbſtverſtändlich 
eine Auseinanderſetzung zwiſchen der politiſchen 
Gemeinde und ihren als ſelbſtändige Ortsgemeinden 
auftretenden Gliedern erfolgen; dabei iſt vor allem 


feſtzuſtellen, ob die Ortsgemeinde überhaupt ein 


vom Vermögen der politiſchen Gemeinde abge⸗ 
ſondertes Vermögen beſitzt.“) Nur in dieſem 
Falle und inſoweit kommt ihr Rechtsfähigkeit zu. 
Im übrigen hängt die Beantwortung der Frage, 
wer als Eigentümer der Ortsgemeindewege anzu⸗ 
ſehen iſt, meiſt von der Beantwortung der Vor⸗ 
frage ab, wer die Wege unterhält, die politiſche 
Gemeinde oder die Ortsgemeinde. Vom recht⸗ 
lichen Standpunkt aus iſt die Unterhaltungspflicht 
für die Entſcheidung der Eigentumsfrage natürlich 
nicht beſtimmend, allein tatſächlich wird ihr von 
den Beteiligten eine ausſchlaggebende Bedeutung 
beigemeſſen. Liegen andere für die Löſung der 
Eigentumsfrage geeignete Umſtände nicht vor, ſo 
wird nichts anderes übrig bleiben als die auf die 
Unterhaltungspflicht gegründete Vereinbarung der 
Beteiligten der Entſcheidung zugrunde zu legen. 
(Jortſetzung folgt). 


Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungs⸗ 
verfahrens. 


Von Rechtsanwalt Dr. Hugs Cahn in Nürnberg. 


Durch die Preſſe geht ſoeben die Mitteilung, 
daß in Handels- und Gewerbekreiſen lebhaſte Klagen 
darüber beſtünden, daß die Ableiſtung des Offen⸗ 
barungseides häufig kein verläſſiges Bild der Ver⸗ 
mögenslage des Schuldners liefere. Es ſei erfor⸗ 
derlich, den Inhalt des Offenbarungseides nach 
Maßgabe der beſonderen Verhältniſſe des Einzel⸗ 
falles feſtzuſetzen. Auch Vermögensgeſchäfte, welche 
einige Zeit vor der drohenden Eidesleiſtung voll⸗ 
zogen würden, könnten dann klar geſtellt werden. 
Die Normen der Zivilprozeßordnung ſeien jeden⸗ 
falls zum Schutz des Gläubigers nicht ausreichend. 
Die Frage hat bereits verſchiedene Handelsver⸗ 
tretungen beſchäftigt (den Handelsvorſtand Nürn⸗ 
berg am 4. Januar und die Handelskammer 
München am 13. Januar). Sie ſoll Veranlaſſung 
zu Anträgen an die geſetzgebenden Körperſchaften 
geben. 


| 
| 


hier 


59 


ſoll.) Die Gefahr der falſchen Eidesleiſtung iſt 
beſonders groß.“) 

Um ſich die letzten Stücke von Hab und Gut 
zu erhalten, zieht man Hinz und Kunz zu Rate. 
Zweifelhafte Berater, zufällige und erſt recht ge⸗ 
werbsmäßige, empfehlen Scheinmanipulationen. 
Das iſt ja gerade das Feld der liebwerten Links⸗ 
anwälte. Der Bruder und der Vater, der Freund 
und der Dienſtherr müſſen als Kontrahenten 
herhalten. Den Kindern in der Wiege werden 
Dinge verſchrieben, die ſie normaler Weiſe erſt 
ein Vierteljahrhundert ſpäter benützen können. 
So entſtehen Mobiliarüberlaſſungs⸗, Sicherungs-, 
Pfand⸗ und Schwindelverträge. Jeder Zivilrichter 
und Anwalt weiß ein Lied davon zu fingen. „Die 
War wird verſchrieben“, wie man ſich in Nürn⸗ 
berg ſo ſchön ausdrückt. 


Sorgſam war die Klage des Bevollmächtigten 
des Gläubigers entworfen, mühevoll iſt der Streit 
durch Rechts⸗ und Beweisklippen hindurchgeführt 
worden. Fein ſäuberlich mit der Maſchine mundiert, 
wandert das nun rechtskräftige Urteil von der 
Anwaltskanzlei zur Gerichtsvollzieherei. Doch mit 
des Geſchickes Mächten und dem Widerſpruchs⸗ 
kläger iſt kein Bund zu flechten. Wohl aber ein 
Bund zwiſchen letzterem und dem fkrupelloſen 
Schuldner. 

Raſch iſt auf unſern Vollſtreckungstitel hin 
gepfändet. Der Beamte der Gerichtsvollzieherei 
hat allemal weniger Muße, wie der Privatgerichts⸗ 
vollzieher der guten, alten Zeit (der ſich eifrigſt 
feinen ſtändigen Auftraggebern widmete) ). Noch 
raſcher ſauſt der ominöſe Vertrag, deſſen friſch ge⸗ 
ſchriebenes Datum anſcheinend auf Monate oder 
Jahre zurückweiſt, in das Bureau des Vertreters 
des Gläubigers. „Gib frei oder ich klage“. Kaum 
läßt man uns Zeit zur Beſinnung. Der aus⸗ 
wärtige Auftraggeber kann höchſtens dann noch 
benachrichtigt werden, wenn wir dem liebenswür⸗ 
digen Schuldner ſofort eine Verlängerung des 
Verſteigerungstermines gewähren. Meiſtens emp⸗ 
fehlen wir kein langes Federleſen an. Der Gläu⸗ 
biger richtet ja doch im größten Prozentſatz der 
Fälle nichts aus. Die reichsgerichtlichen Ent⸗ 
ſcheidungen der letzten Jahre ſind ihm hinſichtlich 
der fiduziariſchen Verträge nicht günſtig. Ich er— 
innere bloß an die Ausführungen der Entſcheidungen 


) Ueber „das Schmerzenskind Offenbarungseid“ 
Neumann⸗Breslau. Das Recht 1910, S. 412; Gold» 
mann⸗Leipzig, ebenda, 1910, S. 559. 


2) Charakteriſtiſch ift, wie häufig ſich der Straf» 
, e 5 e richter gerade mit dieſem Eid zu beſchäftigen hat. Der 
heikelſte Eid derjenige iſt, der ein Schlußglied in | V. Strafſenat des RS. z. B. hat am 15. März 1910 


der Kette der Vollſtreckungsmaßnahmen bilden (V D 1260/09, Bayg3fR. 197), am 19. April 1910 (V D 
3 5 6 | 57/10, Bay ZfR. 286) und am 13. Mai 1910 (VD 278/10, 


Bay 3fR. 367) die Fahrläſſigkeit bei Verletzung des Offen 
260) Art. 5 der Gem O., Henle⸗Dandl (ſ. Anm. 6) barungseides in Behandlung gehabt. 


Jeder Praktiker weiß, daß ſo ziemlich der 


S. 83 u. f., v. Seydel, Bayer. Staatsrecht Bd II S. 37 
(Seydel verſteht unter Ortsgemeinden die politiſchen Ge— 


meinden; die Ortsgemeinden bezeichnet er als Ortſchaften 


auch dann, wenn ſie Vermögen beſitzen!. 


3) Vgl. Freihandels-Korreſpondenz Nr. 4 vom 
24. Oktober 1910 „Die Unzulänglichkeit des Offen- 
barungseides“. Auch hier wird über die Mißerfolge 


des modernen Gerichtsvollzieherdienſies geklagt. 


60 


vom 11. März 1904 (35., Bd. 57, S. 175 ff.), 
vom 5. Dezember 1905 (3 S. Bd. 62, S. 126 ff.) 
und vor allem an die den Verträgen mit der 
Ehefrau über die Abtretung der Lohnforderungen 
über die Wertgrenze des S 850 ZPO. günſtigen 
reichsgerichtlichen Grundſätze. 

Der gegenwärtige gewerblichen Kreiſen recht 
befremdlich erſcheinende Rechtszuſtand gab und gibt, 
wie ſchon erwähnt, Anlaß zu Beratungen der 
maßgebenden Körperſchaſten. Vor einigen Tagen 
iſt bekannt geworden, daß unter anderem die Ab: 
ſicht beſtehe, die Verpflichtung zur gerichtlichen 
Regiſtrierung der ſogenannten Sicherungsverträge 
vorzuſchlagen.) In Handel uud Wandel iſt die 
Empfindung rege, daß der Gläubiger durch ſolche 
Rechtsgeſchäfte über's Ohr gehauen wird, ſelbſt 
wenn man es dem Schuldner meiſt nicht nad: 
weiſen kann. 

Die Perſönlichkeiten, die als Parteien und 
Zeugen im Widerſpruchsprozeſſe auftreten, haben 
erfahrungsgemäß oft ein leichtes Gewiſſen. Dem 
Schwager oder Sohn, dem Vereinsgenoſſen oder 
Angeſtellten erweiſt man in manchen Kreiſen jeden 
Gefallen, um ihm Schränke und Gerätſchaften zu 
erhalten. Dazu kommt die moderne Rückſicht und 
Nachſicht gegenüber dem wirtſchaftlich Schwachen 
im Kampf mit dem Kapital. So zieht der Waren⸗ 
kläger und Darlehensgeber meiſt den Kürzeren. 
Führt er den Streit mit dem Hintermann des 
Schuldners, jo iſt Schein und Gläubigerbenach— 
teiligung, wie geſagt, ſchwer nachzuweiſen. Alſo 
kommt meiſt ein zweiter Verluſt zum erſten. Der 
Kaufmann bekommt ſein Geld nicht und hat außer: 
dem die Koſten des verlorenen Widerſpruchspro⸗ 
zeſſes zu tragen. Das kann er nicht begreiſen. Ver⸗ 
ärgerte Briefe gehen an den Rechtsanwalt, der 
gegen die Zeugenſchwüre nichts ausrichten und 
den Eid des Schuldners nicht verhindern konnte. 
Das ultimum remedium: dem Anwalt Grob— 
heiten machen, läßt der Klient ſelten unverſucht. 
Iſt's doch ein Ventil, ein Luftmachen für den 
Aerger über den Mißerfolg. 

So mag es kommen, daß gerade wir Anwälte 
beſonders oft und tief über die Vollſtreckungen 
und ihre Schickſale nachdenken. Sind wir meiſt 
die Sündenböcke, wenn die Vollſtreckung mißlingt, 
ſo liegt es nahe, daß wir mit der guten lex lata, 
wie oft in anderen prozeſſualen Dingen, nicht recht 
zufrieden ſind. Wir machen es eben ſchließlich, 
wie die Parteien: unſer Sündenbock iſt die Prozeß— 
ordnung, dieſelbe Prozeßordnung, welche dem 
Schuldner als Notbedarf der heutigen SS 811 
und 812 beinahe mehr beläßt, wie dem Gläubiger, 
dieſelbe Prozeßordnung, welche die alte Offen— 

) Der Gläubigerſchutzverband wandte ſich an die 
Handelskammern und ſchlug Beſtimmungen vor, die 
ſpeziell den Minderkaufmann treffen ſollen, weil die 
Mißſtände vorzugsweiſe in dieſen Kreiſen vorkommen 
ſollen. Der Referent der Münchener Handelskammer 
hält es wenigſtens für notwendig, die Minderkaufleute 
zur Führung von Geſchäftsbüchern zu verpflichten. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 11. Nr. 3. 


barungseidsformel nicht ſchaͤrfte, Sondern milderte, 
indem ſie dem lieben Schuldner die prächtige Not⸗ 
brücke ſchuf mit den Worten: „ſo vollſtändig an⸗ 
gegeben, als ich dazu imſtande bin.“ 

Wozu iſt ein manifeſtierender Schuldner „im⸗ 
ftande"? Ich möchte einen Engquetebogen der 
amtierenden Richter und Anwälte ausgefüllt ſehen, 
am Kopfe dieſe Frage! Er iſt zu nichts, er 
iſt zu allem imſtande. Das wäre vielleicht 
eine kurze, aber nicht unrichtige Beantwortung. 
Welche Rolle ſpielen die güterrechtlichen Fragen! 
Wie verwickelt kann die Sach- und Rechtslage des 
nach geſetzlichem Güͤterſtande lebenden Manifeſtie⸗ 
renden ſein! Wie verwickelt iſt die Auskunfts⸗ 
pflicht der kleinen Leute, die mit Angehörigen die 
Wohnungen teilen! Welchen Wirrwarr bringen 
die Abzahlungs-, Eigentumsvorbehalts- und Möbel: 
leihverhältniſſe, zumal wenn mehrere Verträge 
desſelben Schuldners mit Abzahlungsgeſchäften 
vorliegen! 

An der Gerichtstafel prangen 60 oder 70 Fälle. 
Sie alle eingehend behandeln, hieße Tag und Nacht 
auf das ſchöne, ohnedies meiſt gräßlich langweilige 
Thema verwenden. Dazu gibt ſich der wackerſte 
Richter nicht her. D'rum hoch die Hand! „Ich 
ſchwöre, daß ich nach beſtem Wiſſen mein Ver— 
mögen ſo vollſtändig angegeben habe, als ich dazu 
imſtande bin.“ 

Und die Kautelen? Die Beſſerungsvorſchläge? 
Die Handelskammern gehn damit um — ſo heißt 
es — den Inhalt des Offenbarungseids nach Maß— 
gabe der beſonderen Verhältniſſe des Einzelfalls 
feſtzuſetzen.) Haben die gewerblichen Kreiſe hier 
eine reichlichere Frageſtellung für verdächtige Fälle 
oder für verwickeltere Tatumſtände im Auge, ſo 
kann z. B. in der Weiſe geholfen werden, daß 
der betreibende Anwalt oder Gläubiger ſelbſt ein 
Formular anwendet, das etwas kaſuiſtiſcher iſt, als 
das übliche. In meinem Formular heißt es ſchon 
ſeit Jahren: „Ich fordere den Schuldner auf, in 
dieſem Termin ein vollſtändiges Verzeichnis ſeines 
Vermögensſtandes beizubringen und im Betreffe 
der hiezu gehörigen ausſtändigen Forderungen die 
Zeit der Entſtehung, den Grund und die Beweis— 
mittel, auch die genaue Bezeichnung des Aufent— 
haltes und der Wohnung ſeiner Schuldner beizu— 
fügen. Schuldner hat anzugeben, ob er Anſprüche 
gegen Dritte (3. B. Verſicherungsgeſellſchaften) 
aus irgend welchem Rechtsgrun de geltend zu machen 
hat, ob er Eigentümer oder Hypothekengläubiger 
eines Anweſens iſt, ob er nicht etwa Ber: 


8) Die Aelteſten der Kaufmannſchaft von Berlin 
richteten bereits an das Reichsjuſtizamt den Antrag, das 
Offenbarungseidesverfahren in verſchiedenen Punkten zu 
ändern. Der Koſtenvorſchuß des Gläubigers ſoll auf 
eine Woche herabgeſetzt werden. Der Schuldner darf ſich 
nicht jederzeit vorführen laſſen, er ſoll nur nahen Termin 
beantragen dürfen, jo daß der Gläubiger on jein, 
Fragen und Vorhalte ſich erlauben kann. Zum Offen— 
barungstermin darf ein Vollſtreckungsbeamter zugezogen 
werden, um, wenn möglich, unverzüglich pfänden zu können. 


* 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


mögensſtücke verheimlicht, bei Seite ge: 
ſchafft, Forderungen oder andere Ber: 
mögensſtücke zum Scheine übertragen, 
oder in der Abſicht, Gläubiger zu be— 
nachteiligen, Vermögensgegenſtände 
irgend welcher Art veräußert oder ob 
er in Wahrheit nicht exiſtierende An⸗ 
ſprüche Dritter vorgeſchützt hat.“ 

Ein ſolches Formular erinnerte den Schuldner 
vor dem 1. April 1910 an ſeine einzelnen Pflichten 
im Offenbarungseidestermin und bei der Her⸗ 
ſtellung des ihn vorbereitenden Vermögensverzeich⸗ 
niſſes. Jetzt freilich werden die anwaltſchaftlichen 
Formulare dem Schuldner nicht mehr zugeſtellt. 
Er wird kurz und bündig geladen. Das Anwalts⸗ 
formular könnte daher höchſtens dem Richter die 
Fragearbeit erleichtern. Der Schuldner erhält 
dagegen beim hieſigen Amtsgerichte im Termine 
das Formular eines Vermögensverzeichniſſes mit 
aͤhnlichen Fragen und Rubriken. Letztere lauten: 
A. Vorbemerkungen: I. Verpflichtung zur Ab⸗ 
leiſtung des Offenbarungseides (Belehrung über 
die Normen des ZPO.). II. Strafbeſtimmungen. 
— B. Herſtellung des Vermögensverzeichniſſes: 
I. Das unbewegliche Vermögen. II. Mobilien. 
III. Bargelder und Wertpapiere. IV. Ausſtehende 
Forderungen. V. Sonſtige bisher nicht genannte 
Vermögensſtücke und Anſprüche. 

Unter II heißt es u. a.:: „Anzuführen find 
auch Gegenſtände, die als unentbehrlich zu er⸗ 
achten, die gepfändet, aber noch nicht verſteigert 
ſind, die verſetzt oder ſonſt in fremdem Gewahr⸗ 
ſame ſind, endlich die auf Abzahlung erworben 
find. Bei Gegenſtänden, die nicht mehr in der 
Wohnung des Schuldners ſind, iſt anzugeben, wo 
ſie ſich befinden, bei verſetzten Sachen, wo die 
Pfandzettel find, bei Sachen auf Abzahlung, 
wie viel noch Rückſtand beſteht.“ 

Unter III heißt es: (Obligationen, Aktien, 
Loſe und dgl.) Anzugeben ſind auch ſolche, die 
deponiert oder verſetzt ſind oder als Kaution dienen.“ 

Die ausſtehenden Forderungen (IV) ſind, wie 
folgt erläutert: „(auch die vorausſichtlich unein⸗ 
bringlichen, die unpfändbaren, die gepfändeten oder 
die verpfändeten), insbeſondere Darlehen, Wechſel⸗ 
forderungen, Geſchäftsaußenſtände, Renten: und 
Nutzungsrechte, Penſionen, Gehaltsbezüge und 
Löhne, Anſprüche aus Lebensverſicherungs⸗ und 
anderen Verſicherungsverträgen, Anſprüche aus 
Erbfällen, Vermächtniſſen und Auflagen, ausge⸗ 
machtes Vermögen, Mietzins und Pachtzins, (auch 
für Schlafſtellen, möblierte Zimmer uſw.). In 
allen Fällen ſind Name, Stand, Wohnort und 
Wohnung des Schuldners, der Grund der Forderung, 
ſowie die Beweismittel für die Forderung, (Schuld⸗ 
ſchein uſw.) anzugeben.“ 

Unter V heißt es: („z. B. Urheberrechte, 
Patente, Verlagsrechte, Anteile an Handels⸗ und 
ſonſtigen Geſellſchaften, an Vereinsvermögen uſw.).“ 

Damit iſt immerhin etwas gedient. Der 


61 


leichtſinnige, zerfahrene Schuldner wenigſtens hat 
Gelegenheit zum Nachdenken. Die große Bedeutung 
des Offenbarungseides wird ihm richtig und recht⸗ 
zeitig klar gemacht. Er weiß nun berlälfiger, 
was man juriſtiſch unter Vermögen verſteht und 
daß auch die in den Fragen gekennzeichneten Werte 
zu dieſem zaͤhlen. 

Der gewiſſenloſe Schuldner oder gar der bös⸗ 
willige und argliſtige ſchreckt freilich auch vor un⸗ 
genauer und ſogar poſitiv unrichtiger Beantwortung 
eindringlicher Fragen nicht zurück. Was hilft 
gegen ſein Gebaren, was gegen dieſes Handel 
und Wandel gefährliche Syſtem des hartnäckigen 
und zum Falſcheid neigenden Manifeſtanten? Es 
ließe ſich ein Beweisverfahren einführen, das vor 
dem Offenbarungseid des Manifeſtierenden einzu⸗ 
ſchalten wäre, ein Offenbarungsverfahren mit 
Zeugen, Sachverſtändigen, Urkunden, Augenſchein, 
kurz allen den primären Beweismitteln, m. a. W. 
ein Verfahren, das nicht auf dem Eid des Schuldners 
allein aufgebaut wäre. 

Ein ſolches Verfahren vor oder anſtatt dem 
Eide des Schuldners anzuordnen, müßte zwar 
zunächſt dem Ermeſſen des Gerichts anheim ge⸗ 
ſtellt werden, gegen die Verſagung aber müßte 
das Rechtsmittel der Beſchwerde zuläſſig ſein und 
die zugrunde liegende Entſcheidung müßte unter 
gewiſſen Umſtänden mit Gründen verſehen ſein. 
Wie ganz anders ſähe es dann mit den Ausſichten 
des Gläubigers, wie ganz anders mit den einen 
Falſcheid weit leichter hintanhaltenden Pflichten 
des Schuldners aus! Die ſummariſche und ſomit 
oft wertloſe Prüfung güter⸗, erb-, vereind-, grund⸗ 
buch⸗ rechtlicher Fragen“) fiele weg. Der Schuldner 
und ſein Anhang würden weit mehr vor einem 
geordneten Offenbarungsrechtsweg wie vor einem 
in Minuten ſich abſpielenden Eidesmoment zurück⸗ 
ſchrecken. 

Ferner müßte es dem Gerichte möglich ſein, 
einen Schuldner nicht zum Eide zuzulaſſen, wenn 
der Verdacht von Schiebungen, betrügeriſchen 
Handlungen, von Konſpirationen mit Dritten und 
der Verheimlichung von Vermögenswerten vorliegt. 
Auch in dieſem Falle müßte das Rechtsmittel der 
Beſchwerde zuläſſig und die zugrunde liegende 
Entſcheidung unter gewiſſen Umſtänden mit Gründen 
verſehen ſein. 

Würde dieſe Schutzmaßregel angewendet, ſo 
müßte auch dem in der Vollſtreckung gehemmten 
Gläubiger durch das Vollſtreckungsgericht eine 
Fortſetzung des Verfahrens ermöglicht werden. 
Hier iſt die Frage zu erörtern, wie es zur Zeit 
und wie es künftig — bei Ummodelung des Eides — 
mit der Pflicht des Schuldners ſteht, im Rahmen 


e) Vgl. z. B. die bei Mugdan⸗Falkmann Bd 10, 
378, Bd. 11, 190; JW. 1909, 321“; Warneyer, RGRſpr. 
1909, 433; RG3. Bd. 24, 74; RG. IV. 35. vom 
7. April 1909, IV. 390/08, Bay ZR. 1909, S. 355, 
Nr. 18; Warneyer, ZPO. Not. 12, 13, 17— 22 er⸗ 
wähnten Fälle. 


62 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


des Verfahrens des § 807 Rechenſchaft über die 
bekannten zweifelhaften Verträge zu geben. Gaupp 
führte zu 8 807 früher aus: „Die Verneinung 
fraudulöſer Veräußerung iſt nicht aufgenommen, 
damit der Schuldner nicht durch letztere gezwungen 
wird, eine ſtrafbare Handlung zu bekennen (StGB. 
8 288).“ Heute ſchreibt Gaupp Stein: „Eine 
Angabe über veräußerte Gegenſtände, die der 
Gläubiger durch Anfechtung erlangen möchte, wird 
nicht verlangt.“ 


Ich kann mich weder de lege lata, noch de lege 
ferenda, mit dieſer Ausführung befreunden. Denn 
einerſeits iſt es offenſichtlich ſchon jetzt ratio legis, 
daß in poſitiver und negativer Hinſicht der 
Schuldner dem Gläubiger reinen Wein einſchenken 
ſoll. Die Verheimlichung eines Schwindelvertrags 
würde daher ſchon jetzt eine Eidesverletzung be— 
deuten. Anderſeits beſteht unter allen Umſtänden 
ein dringendes, praktiſches Bedürfnis, durch das 
Verfahren vollſte Aufklärung über die heimlichen 
Verſchleppungen und Schiebungen zu erhalten, ſo 
daß mindeſtens bei Neugeſtaltung des Stoffes die 
Pflicht der Enthüllung der Vermögensverheim— 
lichung zweiſelsfrei zu regeln“) ſein wird. Die 
Verweigerung des Eides bei Selbſtbeſchuldigung 
iſt um ſo leichter zu regeln, wenn der künftige 
Offenbarungseid nicht mehr allgemein geformt iſt. 

Es müßte nämlich — und das iſt meine 
3. Theſe — Eid oder Eidesfrage oder Eidesformel 
elaſtiſcher ſein. Zur Verhütung der unzähligen 
— ſagen wir wohlwollend — Ungenauigkeiten 
des Offenbarungseides müßte das konkrete Rechts⸗ 
geſchäft in die Formel aufgenommen werden können. 
Die Eidesauflage des 8 481 n. F., über welche 
neuerlich Len = Königsberg in der DIZ. vom 
1. Auguſt 1910. S. 880 ſich ausgelaſſen hat, müßte 
die Geſchmeidigkeit der Offenbarungseidesnorm in 
spe ermöglichen. Etwa derart: Der Richter: Sie 
ſchwören, daß der Vertrag zwiſchen Eduard Müller 
und Ihnen vom 7. Oktober 1910 ernſt gemeint war? 
Der Schuldner: Ich ſchwöre es, ſowahr mir Gott helfe! 

Ganz gewiß aber müßte die die ſchlimmſten 
Unregelmäßigkeiten ermöglichende neue Faſſung des 
§ 807 3 PO. (und analog wohl ebenfalls des 
$ 260 BGB.“): „als er dazu imſtande ſei“ be 
ſeitigt werden. (Schluß folgt). 

) Die Aelteſten der Kaufmannſchaft von Berlin 
verlangen in ihrer Eingabe an das Reichsjuſtizamt, 
daß die Pflicht des Schuldners, ein Verzeichnis ſeines 
Vermögens vorzulegen und zu beſchwören, darauf erſtreckt 
werde, daß er auch Angaben über ſolche Gegenſtände zu 
machen habe, deren Veräußerung der Gläubiger nach dem 
Anfechiungsgeſetze anzufechten in der Lage ſein würde. 
Vgl. Bericht der Sitzung des Handelsvorſtands Nürn— 
berg vom 4. Januar 1911. 
Artikel der Freihandelskorreſpondenz Nr. 4 vom 24. Okto⸗ 
ber 1910 hinaus. 

) Welchen ich bei dieſer Betrachtung abſichtlich nicht 
näher behandeln will, weil zunächſt nur das zivil⸗ 
a Offenbarungsverfahren beleuchtet werden 
DU. 


(Der Kommentar beruft ſich auf 
L. G. Mainz, Heſſͤſpr. 2, 25 [Recht 5, 412.) 


Auf das nämliche will der 


das Abzugsrecht der Gewerbetreibenden 
nach Art. 11 und 12 des Einkommen⸗ 
ſteuergeſetzes vom 14. Augnſt 1910. 


Von Rechtsanwalt Dr. Weil in Ludwigshafen a. Rh. 
(Schluß). 

Die Abzugsfähigkeit der an Familienan⸗ 
gehörigen gezahlten Löhne und Gehälter 
regelt Art. 12 III Nr. 4. Soweit Gehalt und Lohn 
nicht ausbezahlt, ſondern nur in Rechnung ge⸗ 
ſtellt werden, iſt fraglich, ob ein Abzug berechtigt 
iſt. Zu Eingang dieſer Abhandlung wurde ge⸗ 
ſagt, daß Paſſivpoſten keine Aufwendungen im 
Sinn des Art. 11 I find. Von einer Aufwen⸗ 
dung kann man nur ſprechen, wenn das Ver⸗ 
mögen tatſächlich verringert wird. Das geſchieht 
aber im allgemeinen nicht durch eine bloße Buchung. 
Nun iſt in unſerm Fall das entſcheidende, ob es 
eine wiederkehrende Leiſtung iſt, wenn der Geſchäfts⸗ 
inhaber ſeinem wirtſchaftlich ſelbſtändigen Sohn 
einen Gehalt bloß gutſchreibt. Das iſt zu verneinen. 
Die Gutſchrift begründet nur eine Forderung. Erſt 
die Erfüllung dieſer Forderung durch den Geſchaͤfts⸗ 
inhaber iſt eine Leiſtung. Wie ſteht es mit der 
Abzugsfähigkeit, wenn dem Sohn ſein Guthaben 
ſpäter ausbezahlt, der betreffende Paſſivpoſten alſo 
wirklich berichtigt wird? Dann iſt dieſer Vorgang 
auf Grund des Art. 12 III Nr. 4 jedenfalls nicht 
abziehbar, da es ſich hier um keine wiederkehrende, 
ſondern um eine einmalige Leiſtung handelt. Wohl 
aber beſteht ein Abzugsrecht nach Abſ. I Nr. 8, 
da es fi hier um die auf einmal erfolgte Aus⸗ 
zahlung eines Gehalts handelt. Jedoch entſteht 
folgender Zweifel. Gilt hier, wo es ſich um keine 
wiederkehrende Leiſtung handelt, auch die Ein: 
ſchränkung des Abſ. III Nr. 4, daß der an Familien⸗ 
mitglieder bezahlte Gehalt nur abziehbar iſt, wenn 
er auf beſonderem Verpflichtungsgrund beruht und 
der Empfänger wirtſchaftlich jelbitändig iſt? Der 
Wortlaut des Geſetzes ſteht der Bejahung entgegen. 
Trotzdem dürfte es zutreffend ſein, die Frage zu 
bejahen. Der Wortlaut des Geſetzes darf nicht 
verführen; denn es wird unſern Fall wohl kaum 
im Auge gehabt haben. Die einmalige Zahlung 
ſtellt die kapitaliſierten wiederkehrenden Leiſtungen 
dar. Es iſt auch kein wirtſchaftlicher Grund ein— 
zuſehen, hier eine Verſchiedenheit zu machen. 
Allerdings kommt es bei der Kapitalzahlung nicht 
darauf an, ob im Zeitpunkt der Kapitalzahlung 
der Empfänger wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt, ſondern 
maßgebend iſt, ob während des Zeitpunkts, für 
welchen dem Empfänger ſein Gehalt in Form 
eines Kapitals jetzt ausbezahlt wird, der Familien— 
angehörige wirtſchaftlich ſelbſtändig war. Wann 
jemand wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt, läßt ſich am 
beſten an der Hand des einzelnen Falls entſcheiden. 
Die Tochter, die tagsüber in auskömmlicher Stellung 


ihren Beruf als Lehrerin verſieht, und abends ihren 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Eltern die Bücher führt, iſt wirtſchaftlich ſelbſtändig, 
auch wenn ſie ſozial als Angeſtellte unſelbſtändig 
iſt. Die Begründung zum Entwurf ſagt auf 
S. 80/81: „Eine wirtſchaftliche Selbſtändigkeit 
wird in der Regel erſt dann anzunehmen ſein, 
wenn nach Alter, Lebensſtellung und nach den 
Einkünften eines Familienangehörigen eine gewiſſe 
Abhängigkeit für ihn begründet iſt. Art. 12 III 
Nr. 4 ſetzt dazu noch voraus, daß die Tätigkeit 
auf einem beſonderen Verpflichtungsgrund, einer 
vertraglichen Abmachung beruht. Ein Kind darf 
nicht deshalb tätig ſein, weil es nach 81617 BGB. 
ſeine Kindespflicht iſt. Wenn es aber mit ſeinem 
Vater eigens eine Vergütung ausgemacht hat, 
ſo iſt dieſe als eine Schenkung zu betrachten. 
(Staudinger, Kommentar zum BGB., 5. und 
6. Aufl., zu 8 1617, Anm. 6). Dieſes Schenkungs⸗ 
verſprechen iſt dann ein beſonderer Verpflichtungs⸗ 
grund im Sinn des Art. 12 III Nr. 4. Er iſt 
aber erſt dann anzuerkennen, wenn das Kind 
tatſächlich ſeinen Gehalt vom Vater erhalten hat. 
Denn das Schenkungsverſprechen muß nach $ 518 
BGB. richterlich oder notariell beurkundet werden. 
Der Mangel dieſer Form gilt erſt dann als ge⸗ 
heilt, wenn die Schenkung vollzogen, die Leiſtung 
bewirkt iſt. Es iſt aber vorauszuſetzen, daß der 
Empfänger wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt. Im Ver⸗ 
hältnis von Mann und Frau gilt dasſelbe. 


beachten iſt hier 8. 1356 II BGB., wonach die 


Frau zu Arbeiten im Hausweſen und im Geſchäft 
des Mannes verpflichtet iſt, ſoweit eine 1 
Tätigkeit nach den Verhältniſſen, in denen die 
Ehegatten leben, üblich iſt. Inſoweit kann alſo 
von einem beſonderen Verpflichtungsgrund im 
Sinn des Art. 12 III Nr. 4 nicht geſprochen 
werden. Wenn aber trotzdem der Mann ſeiner 
Frau eine Vergütung zuſagt und ſie ihr gibt, 
darf er ſie nach dem vorhin Ausgeführten ab⸗ 
ziehen, falls nach den tatſächlichen Verhältniſſen 
die Frau wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt. Iſt aber 
die Vergütung nur zugeſagt, aber noch nicht be⸗ 
zahlt, ſo darf ſie nicht veranſchlagt werden. Denn 
der Mann iſt, weil ein Schenkungsverſprechen vor⸗ 
liegt. zur Leiſtung, wie ſchon dargelegt, erſt ver: 
pflichtet, wenn das Verſprechen notariell beurkundet 
it. Ob eine Frau wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt, 
iſt wie beim Kind nach Lage des einzelnen Falles 
zu entſcheiden. Es kommt nicht darauf an, ob 
die Frau tatſächlich eine vom Mann getrennte 
Wirtſchaft führt. Das iſt ein Ausnahmefall. 
Maßgebend iſt vielmehr, ob die Frau von ihrem 
eigenen Geld, ihren eigenen Einnahmen lebt oder 
auf ihren Mann angewieſen iſt. Eine Frau, die 
ihrem Mann ſoviel Geld in die Ehe eingebracht 
hat, daß ſie allein von den Zinſen leben könnte, 
iſt nicht ſelbſtändig, da dem Mann der Zinsgenuß 
gehört, falls durch Ehevertrag nichts anderes be— 
ſtimmt iſt. Darf aber die Frau vollſtändig frei 
über ihr Geld verfügen — was bei der Güter— 
trennung der Fall iſt — und lebt ſie auch tat— 


in Bayern. 1911. Nr. 3. 63 


ſächlich von ihrem Geld, ſo iſt ſie wirtſchaftlich 
ſelbſtändig. Gegen dieſe Anſicht kann Art. 9 
nicht verwertet werden. Denn er will die Frage, 
wann eine Selbſtändigkeit vorliegt, nicht entſcheiden. 
Er bezieht ſich nur auf die Veranlagung. 

Art. 12 J Nr. 8 geſtattet auch den Abzug von 
Unterhaltsbeiträgen für Angeſtellte. Fallen 
hierunter auch die vom Betriebsunternehmer, auf 
grund des Haftpflichtgeſetzes oder der bürgerlich⸗ 
rechtlichen Haftpflicht zu zahlenden Unterhalts⸗ 
beiträge? Soweit ſie der Unternehmer ohne Rück⸗ 
ſicht darauf leiſten muß, ob er ſie verſchuldet hat, 
wäre es unbillig, ihm einen Abzug verwehren zu 
wollen. Man denke nur an die ſtrenge Haft⸗ 
pflicht im Haftpflichtgeſetz, die in der Regel ohne 
Verſchulden des Unternehmers eintritt. Auch wenn 
die Haftpflicht infolge eines Verſchuldens des Unter⸗ 
nehmers eingriff, wird er die Unterhaltsbeiträge 
bei der Steuer abziehen dürfen. Es gilt wohl 
ein allgemeiner Grundſatz des bürgerlichen Rechts, 
daß ſich niemand auf ſeine unerlaubte Handlung 
berufen darf. Auf das Steuerrecht dürfte er aber 
nicht unbedingt anzuwenden ſein. Denn das Steuer⸗ 
recht geht auf ſolche Einzelheiten nicht ein. Das 
wäre praktiſch auch ſehr ſchwer durchzuführen. Für 
die Richtigkeit der hier vorgetragenen Anſicht 
ſpricht auch, daß Abſ. III Nr. 1 freiwillige 


Zu Leiſtungen, die nicht als Betriebsausgaben anzu⸗ 


ſehen ſind, für nicht abziehbar erklärt. Man kann 
dann aus dem Gegenteil folgern, daß Leiſtungen, 
zu denen der Unternehmer geſetzlich oder vertraglich 
gehalten iſt, Betriebsausgaben ſind. | 

Zu Art. 12 I Nr. 9 wäre das zu bemerken: 
Viele Firmen geben alljährlich tauſende von Mark 
für Geſchenke an Kunden aus. Das find ſtreng 
genommen keine Betriebsverluſte nach Nr. 9. Vom 
kaufmänniſchen Standpunkte aus werden ſie aber 
als ſolche angeſehen. Das iſt für die Steuer 
das entſcheidende. Es iſt genau dasfelbe Ver⸗ 
hältnis wie bei der Geſchäfts reklame, die ſelbſt⸗ 
verſtändlich auch zu den Betriebsausgaben zu 
rechnen iſt. — Das Geſetz berückſichtigt die Be⸗ 
triebsverluſte derart, daß entweder der Zeitpunkt 
des Betriebsverluſtes abzuwarten und dann der 
ganze Verluſt in Rechnung geſtellt werden darf 
oder ſchon vorher angemeſſene Rükklagen für wahr: 
ſcheinliche Betriebsverluſte abgerechnet werden dürfen. 
Das erſtere Verfahren dürfte vorzuziehen ſein. 
Denn es hat den Vorzug der Sicherheit. Aber 
es hat die Folge: Wird der Betriebsverluſt durch 
eine Verſicherung gedeckt, ſo darf er nicht abge— 
zogen werden. Denn hier iſt wirtſchaftlich kein 
Verluſt entſtanden. Auch wurden ſchon die Ber: 
ſicherungsprämien veranſchlagt. — Was unter 
Betriebsverluſt zu verſtehen iſt, kann im einzelnen 
Falle unſicher ſein. Das Wort Betriebsverluſt 
widerſpricht dem Syſtem des Geſetzes. Denn nach 
Art. 11 I ſollen doch nur Aufwendungen ab: 
ziehbar ſein. Und Art. 12 I ſpricht an ſeinem 
Anfang von Betriebsausgaben. Nun bedeutet 


64 


wohl jede Aufwendung oder jede Ausgabe, wenn 
man von einer Gegenleiſtung abſieht, einen 
Verluſt. Aber nicht jeder Verluſt iſt eine Aus⸗ 
gabe. Nr. 9 läßt alſo Poſten abziehen, denen 
für die betreffende Steuerperiode keine Ausgabe 
entſprechen muß. Bloße Rechnungspoſten, Paſſiv⸗ 
poſten werden abgezogen, obwohl doch nach Art. 111 
eigentlich nur Aufwendungen berückſichtigt werden. 
Wenn Betriebsausgaben nach der Beſtimmung 
des Art. 11 Aufwendungen find, die zur Erwer⸗ 
bung, Sicherung und Erhaltung der Roheinkünfte 
gemacht werden, ſo ſind Betriebsverluſte Einbußen 
an Geld, die bei der Erwerbung, Sicherung und 
Erhaltung der Roheinkünſte entſtehen. 
dieſem Geſichtspunkt iſt der Verluſt von Inventar 
und Waren ein Betriebsverluſt. Das gleiche 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


Unter 


trifft zu. wenn ſich beim Verkauf einzelner Waren 
deſſen Einkünfte im Sinn des Art. 11 I hat, 
zwiſchen Ein- und Verkaufspreis herausſtellt, alſo 


zu ungunſten des Geſchäftsinhabers ein Unterſchied 


zu teuer eingekauft wurde. Auch uneinbringliche 
Forderungen ſtellen einen Betriebsverluſt dar. Denn 
die Geſchäftsforderung hat, um mit dem Geſetz 
zu reden, die Erwerbung einer Roheinkunft zum 
Zweck. Die Erwerbung von Forderungen aus 
dem Verkauf von Waren iſt ein Hauptzweck des 
Geſchäftsbetriebes. Führt die Erwerbung dadurch 
zu Verluſt, daß der Geſchäftsinhaber ſeinerſeits 
geleiſtet, der andere Teil aber nicht dagegen leiſtet, 
ſo iſt das ein Verluſt, den die Erwerbung einer 
Geſchäftsforderung, einer Roheinkunft, zur Folge 
hat. Zweifellos iſt dies auch ein Vermögens— 
verluſt. Man könnte vielleicht verſucht ſein, hier 
die Abziehbarkeit auf Grund des Art. 12 III 
Nr. 1 verneinen zu wollen. Das wäre aber un: 
richtig. Denn dann kann überhaupt kein Abzug 
auf Grund des Abſ. 1 Nr. 9 in Frage kommen. 
Denn jeder Betriebsverluſt iſt ein Vermögens— 
verluſt. Vermögen iſt der Inbegriff ſämtlicher 
geldwerter Güter einer Perſon. Soweit ein Ver— 
luſt Betriebsverluſt nach Abſ. 1 Nr. 9 iſt, iſt er 
kein Vermögensverluſt nach Abſ. 3 Nr. 1. Denn 
erſtere Beſtimmung iſt die Sonderbeſtimmung, die 
lex specialis, welche nach einem allgemeinen 
Rechtsgrundſatz die lex generalis ausſchließt. 
Schadenserſatzforderungen, die gegen einen 
Geſchäftsmann aus ſeinem Geſchäftsbetrieb geltend 
gemacht werden, ſind nicht unter allen Umſtänden 
Betriebsverluſte. Es kommt darauf an, ob das 
Handeln des Geſchäftsinhabers, auf welches hin 
er mit einer Schadenserſatzforderung belangt wird, 
bei Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung von 
Einkünften geſchah. Es iſt nicht nötig, daß dieſes 
Handeln gerade die Erwerbung uſw. von Roh: 
einkünften bezweckte. Es genügt, wenn es damit 
in Zuſammenhang ſteht. Ein aus vertrags— 
widriger Warenlieferung abgeleiteter Schadenerſatz— 
anſpruch, oder die infolgedeſſen zu zahlende Ent: 
ſchädigung, iſt zweifellos ein Betriebsverluſt. Das 
gleiche gilt, wenn der Grund zu einer Ent— 


I 
| 
1 


ſchädigung in einem Verkauf unter Uebertretung 


eines einem Andern zuſtehenden Konkurrenzverbotes, 
eines Patentes liegt. Wird einem Unternehmer 
ein Patent aberkannt oder erliſcht es auf andere 
Weiſe, ſo liegt ein Betriebsverluſt, kein Vermögens⸗ 
verluſt nach Abſ. III Nr. 1 vor. Denn dieſer 
Verluſt tritt bei Erhaltung oder Erwerbung der 
aus einem Patent zu erzielenden Einkünfte ein. 
Das gleiche gilt auch beim Ablauf des einem Ver— 
faſſer zuſtehenden Urheberrechtes. Verliert jemand 
ſein aus ſeinen Geſchäftseinkünften ſtammendes 
angelegtes Geld, ſo iſt auch hier wie in allen 
übrigen Fällen im weiteren Sinn ein Vermögens-, 
im engeren Sinn ein Betriebsverluſt gegeben. 
Denn auch hier tritt der Verluſt bei Erhaltung 
oder Sicherung der Einkünfte ein. Das gilt auch 
ſoweit das Geld nicht aus einem Geſchäftsbetrieb 
ſtammt. Auch wer nur Kapitaliſt iſt und infolge— 


hat Betriebsausgaben, wenn er zur Erwerbung, 
Sicherung oder Erhaltung dieſer Einkünfte Auf— 
wendungen hat. In dieſem Fall werden die Auf— 
wendungen nach Art. 11 J eben Betriebsausgaben 
genannt, obwohl ein Betrieb nach dem allgemeinen 
Sprachgebrauch, ein Geſchäftsbetrieb, nicht da iſt. 
So gut aber dieſe unter der erwähnten Voraus— 
ſetzung dem Kapitaliſten erwachſenden Ausgaben 
Betriebsausgaben genannt werden und im Sinne, 
des Geſetzes auch ſolche ſind, ebenſogut ſind ſeine 
Verluſte Betriebsverluſte, auch wenn ſie mit keinem 
Geſchäftsbetrieb in Verbindung ſtehen. Soweit 
ſeine Verluſte aber bei der von ihm bezweckten 
Erhöhung ſeiner bereits beſtehenden Einkünfte 
entſtehen, fallen ſie nicht unter Art. 11 J. Wenn 
alſo in Art. 12 III Nr. 1 Vermögensverluſte als 
nicht abziehbare Ausgaben bezeichnet werden, ſo 
gilt das nur mit der Einſchränkung, daß dieſe 
Vermögensverluſte weder Betriebsverluſte nach 
Art. 11 I Nr. 9, noch überhaupt Betriebsaus— 
gaben nach Art. 10 J ſein dürfen. Auf die Frage, 
ob der in Art. 11 III Nr. 1 hinter dem Wort 
„Leiſtungen“ ſtehende Satz: „Soweit ſie nicht als 
Betriebsausgaben anzuſehen ſind“ ſich bloß auf 
die dort genannten freiwilligen Leiſtungen oder 
auch auf die vorher genannten Vermögensverluſte 
bezieht, braucht hier nicht angegangen zu werden, 
da dieſe Einſchränkung ſelbſtverſtändlich iſt. — 
Ein Betriebsverluſt, wie überhaupt jede vom Geſetz 
für abzugsfähig erklärte Ausgabe, darf ſolange 
abgezogen werden, bis ſie durch die Aktivppoſten 
ausgeglichen iſt. Das entſpricht der richtigen kauf— 
männiſchen Buchführung. Nach Ablauf eines Ge— 
ſchäftsjahres macht der Kaufmann eine Bilanz. 
Wenn er mit Verluſt gearbeitet hat, überträgt er 
den Verluſtpoſten auf das nächſte Jahr. Es 
wäre Eulenſpiegelei, wenn bei der Beſteuerung 
frühere noch nicht gedeckte Verluſte nicht berück— 
ſichtigt werden dürſten. Das widerſpricht auch 
dem Zweck des Einkommenſteuergeſetzes, das nur 
das Reineinkommen beſteuern will. Art. 10 II 
erklärt ausdrücklich für maßgebend die Vermögens-, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 65 


Beſitz⸗ und Einkommenverhältniſſe am 1. Oktober ziehen, auf Grund deren die Eintragung erfolgt und 
des dem Steuerjahr vorausgehenden Jahrs. Die | die durch die Eintragung Publizität erlangen. Das 


Vermögensverhältniſſe ſind alſo maßgebend. Wenn 
nun Paſſippoſten ſich aus abzugsfähigen Betriebs: 
ausgaben früherer Jahre zuſammenſetzen, ſo ſind 
ſie ſolange und inſoweit in Rechnung zu ſtellen, 
als ſie nicht durch Aktivpoſten ausgeglichen find. 
Wenn ein Geſchäftsmann in dem einen Jahr 
mit 1000 M Verluſt, und im folgenden Jahre 
— das Jahr für ſich allein betrachtet — mit 
4000 M Gewinn gearbeitet hat, ſo wird er trotzdem 
keinen Gewinn von 4000 M, ſondern bloß einen 
Gewinn von 3000 M berechnen. Denn die 1000 M 
Verluſt aus dem vorhergehenden Jahr wird kein 
richtig rechnender Kaufmann vergeſſen. Damit 
der Verluſt von 1000 M in feiner ganzen Höhe 
berückſichtigt werden darf, wird aber vorausgeſetzt, 
daß er ſich aus abzugsfähigen Poſten zuſammenſetzt. 
Hiermit ſind die wichtigſten Abzugspoſten bei 
der Beſteuerung der Gewerbetreibenden erörtert. 
Nach dem Gewerbeſteuergeſetz ſind dann die in 
Art. 8 und 9 aufgeführten Poſten zu berück⸗ 
ſichtigen, die aber weniger die Abzugsfähigkeit als 
den Umfang des Betriebskapitals beſtimmen. 


Ritteilungen aus der Praxis. 


Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge: 
bühren von Grundbucheintragungen. Die Ausführungen 
des Herrn Miniſterialrats Dr. Unzner in Nr. 1 dieſes 
Jahrgangs ſtimmen mit dem Standpunkte, den ſeither 
die Finanzbehörden durchgängig eingenommen haben, 
inſofern nicht überein, als die Finanzbehörden davon 
ausgegangen ſind, daß nach Art. 293 Geb. die Ein: 
tragungen in das Grundbuch von der Entrichtung 
ſowohl der Gebühren nach Art. 119 als auch der Be⸗ 
ſitzveränderungsgebühren abhängig zu machen find. 
Bei der Bedeutung der Sache für die Finanzbehörden 
möchte mir der Verſuch einer Rechtfertigung ihres 
Standpunktes geſtattet ſein. 


| 


Gundbuchamt als ſtaatliche Behörde fol nicht einen 
Akt vollziehen und den Beteiligten die wirtſchaftliche 
Ausnützung vermitteln, wenn nicht die für den Akt 
an die Staatskaſſe geſchuldeten Gebühren entrichtet 
ſind. Die Gebühren des Art. 119 ſind allerdings 
„bei der Eintragung“ zu erheben; der Art. 119 be⸗ 
zieht ſich aber auch auf Akte, die außerhalb Bayerns 
errichtet werden und dieſe konnten nicht eher der Ge- 
bührenpflicht unterworfen werden, bis ſie von einer 
bayer. Behörde benützt werden. Sonſt knüpft das 
GebG. die Gebührenpflicht ſchon an die Ver— 
pflichtung zur Beſtellung einer Hypothek ꝛc. Für 
die Praxis iſt gerade die Sicherung der Gebühren des 
Art. 119 am wichtigſten, weil dieſe Geſchäfte am 
häufigſten vorkommen. Es wäre unbefriedigend, wenn 
Hypothekerrichtungen, -Uebertragungen und Vor⸗ 
merkungen vor dem Grundbuchamt oder auf Grund 
von Urkunden außerbayeriſcher Notare ohne Zahlung 
der Gebühren erreicht werden könnten, auf Grund von 
Urkunden bayeriſcher Notare dagegen nicht. Es war 
doch von Anfang an das Beſtreben der geſetzgebenden 
Faktoren, den Rechtsverkehr vor dem Grundbuchamt 
und vor dem Notariat namentlich hinſichtlich der Ge— 
bührenpflicht gleichzuſtellen. Uebrigens ordnet die ge⸗ 
meinſchaftliche Bekanntmachung der Staatsminiſterien 
der Juſtiz und der Finanzen vom 22. Februar 1905 
(JMBl. S. 592) in Ziff. 2 Abſ. 4 ausdrücklich an, 
daß die Eintragung ins Grundbuch nur nach Ent⸗ 
richtung der Gebübren des Art. 119 erfolgen darf. 
Die Vormerkung des Anſpruchs auf Eigentumsüber⸗ 
tragung unterliegt an ſich überhaupt nicht einer ver— 
hältnismäßigen Gebühr. Bei der Anſicht, daß die Be⸗ 
ſitzberänderungsgebühren nicht unter Art. 293 fallen, 
wird darauf entſcheidendes Gewicht gelegt, ob die Ein⸗ 
tragungen zur Wirkſamkeit der Rechtsgeſchäfte er⸗ 
forderlich find. Dieſe Unterſcheidung macht das Geb. 
nach feinem Wortlaut nicht. Das GebG. begreift unter 
Eintragungen auch ſolche (Art. 116 ff. GebG.), die nur 
der Berichtigung des Grundbuchs dienen. Nach dem 
Zweck des Art. 293 wäre die Unterſcheidung nicht 
verſtändlich. Zur Uebertragung einer Briefhypothek 


iſt z. B. die Eintragung in das Grundbuch nicht er⸗ 


Der Art. 293 GebG. dient der Sicherung der 


Staatsgebühren und hat dieſen Zweck mit Art. 292 
gemein. Der Art. 292 verbietet den Notaren die Aus⸗ 
händigung und Vorlegung von Urſchriften und Aus: 
fertigungen ihrer Urkunden bis zur Entrichtung der 
Gebühren. Er bezieht ſich nicht etwa nur, wenn er 
die Aushändigung von Ausfertigungen unterſagt, auf 
die Gebühren für die Ausfertigungen ſondern auch 
auf die Gebühren für die beurkundeten Rechtsgeſchäfte. 
In der Praxis ſind damit hauptſächlich die Gebühren 
für die obligatoriſchen Veräußerungsverträge von 
Grundſtücken und die Auflaſſungen, Hypothekbeſtel— 
lungen und -Uebertragungen uſw. geſichert. Der 
Art. 293 will dieſe Sicherung für die als Ausnahmen 
gedachten Fälle geben, in welchen Eintragungen nicht 
auf Grund von Urkunden bayer. Notare erfolgen, und 
zwar dadurch, daß er Eintragungen ohne Entrichtung 


oder Sicherſtellung der Gebübren unterſagt. Nach 


ſeinem Zuſammenhang und Zweck können damit nicht 
zunächſt die Gebühren für die Eintragungen ſelbſt — 
die kleinen Gebühren des Art. 116 GebG. — gemeint 
ſein, vielmehr muß ſich der Art. auf die Gebühren 
für diejenigen Rechtsakte und Rechtsvorgänge bes 


| 
| 
| 
Ä 


forderlich. Sollte ſchon deswegen, weil die Eintragung 
der Uebertragung der Briefhypothek in das Grundbuch 
nur Grund buchberichtigung iſt, die Eintragung nicht 
von der Zahlung der Gebühr der Art. 119 und 158 ab⸗ 
hängig ſein? Ebenſo erfolgt der Eigentumsübergang 
im Zwangsverſteigerungsverfahren mit dem Zuſchlag. 
Hier nimmt das Oberſte Landesgericht in ſeiner Ent— 
ſcheidung vom 2. April 1909 (Bd. X n. F. S. 146) an, 
daß die Eintragung des neuen Eigentümers in das 
Grundbuch nur nach Entrichtung der Immobiliar— 
gebühr erfolgen darf.) Es macht auch das Reichs⸗ 
ſtempelgeſetz in 8 85 Abſ. 3 die Eintragung des neuen 
Eigentümers in das Grundbuch von der Abgabenent— 
richtung abhängig. Dieſe dem Art. 293 GebG. ähn⸗ 
liche Beſtimmung wird in der Praxis dahin ausgelegt, 
daß ſie ſich ſowohl auf Eintragungen bezieht, die 
Rechtswirkungen erzeugen, wie auf ſolche, durch die nur 
das Grundbuch berichtigt wird (vgl. Ricks, Amtsgerichts— 
rat und Grundbuchrichter in Berlin in der Zeitſchr. 
für deutſche Juſtizſekretäre Jahrgang 1910 S. 114) 
und auch die gemeinſchaftliche Bekanntmachung der 


) Vgl. auch dieſe Zeitſchrift, Jahrg. 1909 S. 233. 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


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Staatsminiſterien der Juſtiz und der Finanzen vom 
25. Oktober 1909 (JM Bl. S. 459) läßt in ihren Aus: 
führungsbeſtimmungen zu 8 85 Abſ. 3 RStG. (vgl. 
8 27) erſehen, daß ſie durch dieſe Geſetzesbeſtimmungen 
alle Fälle für erfaßt hält, in welchen eine Reichs⸗ 
ſtempelabgabe zum Anfall kommen kann. In gleich⸗ 
mäßiger Anwendung wird der Art. 293 Geb. auch auf 
die Beſitzberänderungsgebühr bezogen werden müſſen. 
Finanzrechnungskommiſſär Weisbrod in München. 


Nachſchrift des Herausgebers. Die Be⸗ 
denken, die Dr. Unzner gegen die herrſchende Meinung 
vorgebracht bat, werden durch die vorſtehenden Aus⸗ 
führungen nicht zerſtreut. Da es ſich um eine ſehr zweifel⸗ 
hafte Rechtsfrage handelt, kann die Berufung auf die 
Bek. vom 22. Februar 1905 für ſich allein nichts nützen, 
ebenſowenig der Hinweis auf die angebliche Zweck— 
mäßigkeit der von den Finanzbehörden vertretenen An⸗ 
ſicht. Entſcheidend dürfte die rein juriſtiſche Frage ſein, 
wann die Gebühren des Art. 119 fällig werden. Was 
Dr. Unzner hierüber vorgebracht hat, iſt nicht widerlegt. 

Die Analogie des 885 Abſ.3 des RStemp. verſagt 
jedenfalls inſoweit, als die Gebühren des Art. 119 in 
Frage ſtehen. Denn abgeſehen davon, daß die in Tarif⸗ 
nummer 11 bezeichneten Gebühren nicht für eine 
Eintragung geſchuldet werden, läßt er eine Befreiung 
von der Sicherheitsleiſtung für den Fall zu, daß einem 
Beteiligten aus der Ablehnung der Eintragung ein ſchwer 
zu erſetzender Nachteil erwächſt. Nach dem RStemp®. 
würde alſo ſchwerlich der Fall vorkommen können, daß 
ein Beteiligter, der zum Schutze ſeiner Rechte einer 
Vormerkung bedarf und deſſen Schutzbedürfnis durch 
eine einſtweilige Verfügung anerkannt iſt, eine Ge⸗ 
bühr entrichten muß, bevor er die erforderliche Siche⸗ 
rung erlangt. Und gerade dieſer Fall hat ja zu den 
Bedenken gegen die jetzige Praxis Anlaß gegeben. 

Die Frage, ob auch die Beſitzveränderungsge⸗ 
bühren unter Art. 293 Geb. fallen, wird durch den 
Wortlaut der Vorſchrift nicht entſchieden. Sie trifft 
nicht alle Gebühren, die für eine Eintragung in das 
Grundbuch geſchuldet werden: das erkennt auch die 
herrſchende Meinung an, indem ſie zugibt, daß die 
Gebühren des Art. 116 nicht darunter fallen. Nr. 2 
der Bek. vom 22. Februar 1905 ſpricht ſich nicht darüber 
aus, ob die Beſitzveränderungsgebühren vom Art. 293 
umfaßt werden. Das Schweigen deutet darauf hin, daß 
die Beſitzveränderungsgebühren ausgenommen fein 
ſollen. Will man eine feſte Grenze gewinnen, ſo kann 
man ſie eben nur ſo ziehen, wie es Dr. Unzner und 
Henle Schmitt (Grundbuchweſen S. 32) tun, nämlich 
den Art. 293 auf jene Eintragungen beſchränken, durch 
die die gebuhrenpflichtige Rechtsänderung bewirkt 
wird. Das Oberſte Landesgericht hat allerdings für 
den Fall des Zuſchlags in der Zwangsverſteigerung 
eine abweichende Meinung vertreten (Jahrg. 1909 
dieſer Zeitſchrift S. 233. Es hat jedoch dabei nur 
die Frage geprüft, inwieweit Art. 293 gegenüber dem 
Reichsrechte zuläſſig iſt und ſich mit ſeiner Auslegung 
im übrigen nicht näher befaßt. Gleichwohl dürfte die 
Entſcheidung im Ergebniſſe zutreſſend fein, aber nur 
deswegen, weil nach Art. 10 des GebG. das Ver: 
ſteigerungsprotokoll im Falle des Zuſchlags „wie ein 
Kaufvertrag“ zu bewerten, alſo gebührenrechtlich ſo 


Se mu — — — — — . ...... —-—t ——ç — 
— . ͤQĩ —a— 


zu behandeln iſt, wie wenn die Rechtsänderung erſt 


mit der Eintragung ins Grundbuch eintreten würde. 
Dieſer beſondere Fall kann nicht zur Auslegung des 
Art. 293 verwendet werden. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Sicherungs⸗Uebereignung. Anhaltspunkte für die 
Annahme, daß eine ſolche Uebereignnng eruſtlich gemeint 
iſt. Vereinbarung eines Nechtsverhältniſſes, durch das 
der Erwerber den mittelbaren Beſitz erlangt. Aus 
den Gründen: Mit Recht hat der Berufungsrichter 
den Vertrag nicht aus dem Grunde für unwirkſam 
erklärt, weil es ſich für die Klägerin um die Sicherung 
von Forderungen handelte; den SS 1205, 1253 BGB. 
iſt nicht die Bedeutung beizumeſſen, daß die Sicherung 
einer Forderung durch bewegliche Sachen nur im Wege 
der Verpfändung oo dürfte, auch iſt eine Eigen: 
tumsübertragung nicht deshalb nichtig, weil der wirt⸗ 
ſchaftliche Zweck in der Sicherung von Forderungen 
beſteht. Wie vielfach in Urteilen des Reichsgerichts 
betont iſt, kommt es darauf an, ob der Eigentums⸗ 
übergang ernſtlich gewollt iſt und ob, wenn die Sachen 
nicht übergeben werden, ein Rechtsverhältnis verein- 
bart wird, vermöge deſſen der Erwerber den mittel- 
baren Beſitz erlangt (58 929, 930, 868 BGB.; vgl. 
RG. 49, 173; 54, 398; 57, 177; 61, 432, 433). Mit 
dem Vertrage vom 30. März 1909 ſollte jedoch an⸗ 
geblich ein ganzes Warenlager übereignet werden. 
Gegen die Abſicht einer ernſtlichen Eigentumsüber⸗ 
tragung mußte ſchon die Tatſache ſprechen, daß nicht 
einmal Sorge getragen wurde, in der Vertragsurkunde 
die einzelnen Sachen zu bezeichnen, die den Gegenſtand 
des Rechtsgeſchäftes bilden ſollten. Wenn ſodann in 
8 2 beſtimmt wurde, die Klägerin überlaſſe der Firma 
P. die Objekte zur weiteren Inhabung, ſo konnte eine 
ſolche Vereinbarung ein Rechtsverhältnis im Sinne 
des 8 868 nicht begründen. Nach dieſer Abrede follte 
die Handelsgeſellſchaft P. die dem Eigentümer zuſtehende 
tatſächliche Gewalt über die Sachen ausüben; Ausfluß 
eines zwiſchen der Klägerin und P. beſtehenden Rechts⸗ 
verhältniſſes aber war die tatſächliche Gewalt, die P. 
ausüben ſollte, nicht. Auch die übrigen Vertragsbe— 
ſtimmungen laſſen erkennen, daß dem angeblichen Ver— 
äußerer die Befugniſſe eines Eigentümers weiterhin 
zuſtehen ſollten, und daß die Begründung von Eigen» 
tumsrechten des angeblichen Erwerbers nicht gewollt 
war, wenn auch die Vertragſchließenden das Geſchäft, 
mit dem ſie die rechtliche Wirkung einer Sicherung 
von Forderungen herbeiführen wollten, Uebereignung 
nannten. Die Handelsgeſellſchaft P. durfte über die 
Sachen verfügen; die Gefahr der Verſchlechterung und 
des Verluſtes traf fie, nicht die Klägerin; deren For⸗ 
derung blieb unberührt, mochten auch die Waren Zus 
grunde gehen; die Verſicherung gegen Feuersgefahr 
hatte auf Koſten des angeblichen Veräußerers zu ge— 
ſchehen; der Erlös gehörte dem angeblichen Veräußerer, 
wenn er auch in erſter Linie zur Tilgung der Anſprüche 
des angeblichen Erwerbers verwendet werden ſollte; 
kam die Handelsgeſellſchaft P. ihren Verpflichtungen 
nicht nach, ſo ſollte der angebliche Eigentümer die Be⸗ 
rechtigung erlangen, zum Zwecke ſeiner Befriedigung 
über die Sachen zu verfügen. Wenn unter dieſen Um- 
ſtänden das Berufungsgericht angenommen hat, daß 
die bei Eröffnung des Konkurſes vorhandenen Waren 
nicht der Klägerin gehörten, ſo iſt dies rechtlich nicht 
zu beanftanden. 

Die Reviſion meint, der Vertrag weiſe auf ein 
Kommiſſions- oder auf ein Auftragsverhältnis hin. 
Daß kein Kommiſſionsverhältnis begründet wurde, hat 
der Berufungsrichter zutreffend dargelegt. Die Handels- 
geſellſchaft P. hatte auch nicht die Stellung eines Be— 
auftragten; insbeſondere hatte ſie die Verſicherung auf 
eigene Koſten zu nehmen. Keinen Erfolg kann ferner 
die Rüge haben, es ſei der Beweisantrag, man habe 


ein Kommiſſionsverhältnis begründen wollen, mit Un⸗ 
recht abgelehnt worden. Wie der Berufungsrichter 
ausführt, war nicht etwa behauptet, daß die Vertrags⸗ 
urkunde die Vereinbarungen unvollſtändig oder un⸗ 
richtig wiedergebe, vielmehr war geltend gemacht, aus 
5 3 des Vertrags ergebe ſich die Verabredung eines 
Kommiſſionsverhältniſſes. Bei dieſer Sachlage war 
der angebotene Beweis unerheblich. (Urt. des IV. 38. 
vom 22. Oktober 1910, IV 188/10). 
2093 


— — gn. 


II. 


. Dem Hypothekglänbiger, der Schadenserſatz wegen 
nicht rechtzeitiger . verlangt, kaun es als Mit: 
verſchulden angerechnet werden, daß er den Schuldner 
nicht auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens 
aufmerkſam gemacht hat. Doch gilt das nicht, wenn 
der Schuldner trotz einer ſolchen Mitteilung nicht recht: 
zeitig hätte zahlen können. Aus den Gründen: 
Dem Berufungsrichter iſt darin beizuſtimmen, daß ein 
Verſchulden der Klägerin in der Unterlaſſung der 
Mitteilung zu finden wäre, wenn die Klägerin zeitig 
vor dem 1. Oktober ſie hätte machen können. Aller⸗ 
dings kann einem Hypothekengläubiger, deſſen Hypo⸗ 
thekenforderung an einem beſtimmten Tage fällig wird, 
im allgemeinen nicht zugemutet werden, den Hypo⸗ 
thekenſchuldner im voraus darauf hinzuweiſen, daß 
er bei nicht rechtzeitiger Zahlung Schadenserſatz zu 
leiſten haben werde. Vielmehr darf der Gläubiger 
bei ſeinen Maßnahmen mit Rückſicht auf die in Aus⸗ 
ficht ſtehende Bezahlung der Forderung regelmäßig 
ſich von der Vorſtellung leiten laſſen, daß der Schuldner 
ſeine Verbindlichkeit rechtzeitig erfüllen werde und, 
falls dies nicht geſchehen ſollte, ihm nach dem Geſetze 
ohne weiteres den entſtehenden Schaden erſetzen müſſe. 
Wenn aber ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, 
den der Schuldner weder kennt noch kennen muß, und 
der Gläubiger ſich die Erſetzung eines ſolchen Schadens 
ſichern will, ſo erfordert es die im geſchäftlichen Ver⸗ 
kehr zu beobachtende Sorgfalt, daß der Gläubiger, 
auch wenn gegen die Zahlungsfähigkeit und die Be⸗ 
reitwilligkeit des Schuldners keine Bedenken obwalten, 
den Schuldner vor dem Fälligkeitstermin auf die Ge⸗ 
fahr des Schadens aufmerkſam macht, damit der 
Schuldner alle Mittel in Bewegung ſetzt, um ſeine 
Verbindlichkeit rechtzeitig zu erfüllen und dadurch den 
Schaden zu verhüten. Hier iſt der Schaden, der durch 
die verſpätete Zahlung der 40000 M entitanden fein 
ſoll, ein ungewöhnlich hoher, den der Beklagte weder 
kannte noch kennen mußte. Denn es war ungewöhn⸗ 
lich, daß der Klägerin die Gelegenheit gegeben war, 
den bedeutenden Betrag von 40000 M im Falle recht⸗ 
zeitiger Zahlung auf ſichere Hypothek zu einem Zins⸗ 
ſatze von 7% 6 unterzubringen und dazu noch eine 
Vergütung von 2000 M zu erlangen, und es war 
nicht damit zu rechnen, daß der Klägerin infolge nicht 
rechtzeitiger Zahlung eine ſo günſtige Kapitalanlage 
entgehen würde. Deshalb mußte die Klägerin den 


Beklagten ſchon vor dem 1. Oktober 1907, ſobald fie | 


dazu in der Lage war, darauf aufmerkſam machen, 
daß das Unterbleiben rechtzeitiger Zahlung den Schaden 
für ſie zur Folge haben würde, und ſie ließ die im 
Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht, wenn ſie 
dem Beklagten davon keine Mitteilung machte. Die 
Reviſion meint zwar, die Klägerin ſei nicht verpflichtet 
geweſen, den Beklagten über ihre eigenen Geſchäfte zu 
unterrichten und ihn vor der Zögerung zu warnen. 
Dies wäre aber auch nicht nötig geweſen. Vielmehr 
hätte die Aeußerung genügt, daß die Klägerin Gelegen— 
heit zu einer außergewöhnlich günſtigen Kapitalanlage 
habe, jedoch nur bis zum 4. Oktober 1907 und daß 
ſie vorſorglich nicht unterlaſſen wolle, darauf auf— 
merkſam zu machen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


Jedoch erhellt aus den Gründen des Berufungs⸗ 


richters nicht, wann die Klägerin dem Beklagten die 


67 


Mitteilung machen konnte, und ob der Beklagte dann 
die 40 000 M bis zum 4. Oktober 1907 hätte beſchaffen 
können. In dem Schreiben an den Beklagten vom 
6. Oktober 1907 ſpricht zwar die Klägerin von „lange 
vorzeitigen Dispoſitionen“, durch die ihr der Erwerb 
der anderen Hypothek gelungen ſei. Der Berufungs- 
richter hat aber keine Feſtſtellung über den Zeitpunkt 
getroffen, in dem der Klägerin der Erwerb der Hypo⸗ 
thek zugeſagt war. Hätte die Klägerin erſt kurz vor 
dem 1. Oktober die Mitteilung machen können, ſo 
würde vielleicht auch die Mitteilung nicht dazu ge⸗ 
führt haben, daß der Beklagte rechtzeitig zahlte. Aber 
auch wenn die Möglichkeit der Mitteilung ſchon längere 
Zeit vor dem 1. Oktober gegeben geweſen wäre, käme 
in Frage, ob durch die rechtzeitige Mitteilung die 
Zahlung bis zum 4. Oktober veranlaßt worden wäre. 
Hätte der Beklagte auch bei ſofortiger Mitteilung nicht 
rechtzeitig zahlen können, wäre alſo trotz der Mit⸗ 
teilung der Schaden entſtanden, ſo würde die Unter⸗ 
laſſung der Mitteilung auf die Entſtehung des Schadens 
ohne Einfluß geweſen ſein. Es wäre dann für die 
Anwendung des $ 254 Abſ. 2 Halbſatz 1 BGB. kein 
Raum. Dieſe Vorſchrift enthält, wie ſich aus den 
Einleitungsworten „dies gilt auch dann“ ergibt, nur 
einen Anwendungsfall für den in Abſ. 1 ausgeſprochenen 
allgemeinen Grundſatz über die Wirkung eigenen Ber: 
ſchuldens des Beſchädigten. Deshalb iſt, wie nach 
Abſ. 1, ſo auch für die Anwendung des Abſ. 2 Halb⸗ 
ſatz 1 Vorausſetzung, daß das Verſchulden des Be⸗ 
ſchädigten, die Unterlaſſung, bei der Entſtehung des 
Schadens mitgewirkt hat. Dieſe Vorausſetzung würde 
fehlen, wenn der Beklagte trotz der Mitteilung von 
der Gefahr des ungewöhnlich hohen Schadens die 
40 000 M ſich nicht rechtzeitig hätte beſchaffen können. 
(Urt. des V. 35. vom 29. Oktober 1910, V 606/09). 
2130 . I 


III. 


Ausſchließung der Schadenserſatzanſprüche wegen 
fremden Verſchuldens durch ſtillſchweigenden Vertrag; 
rechtfertigt der Umſtand, daß der Teilnehmer an einer 
Kraftwagenfahrt Kenntnis von der Unzuverläſſigkeit des 
Wagenführers hat, die Aunahme eines ſolchen Vertrags? 
— Mitwirkendes Berfchulden des Teilnehmers. Aus 
den Gründen: Das LG. iſt zur Abweiſung der 
Klage gekommen, weil es, geſtützt auf RG. 65, 313 
einen ſtillſchweigenden Vertrag der Parteien auf Aus⸗ 
ſchluß der Haftung des den Wagen führenden Be— 
klagten annahm, wenigſtens bis zu grobem Verſehen, 
das es nicht für gegeben erachtet. Tas OLG. lehnt 
dieſe Auffaſſung ab und erklärt den Klageanſpruch dem 
Grunde nach zu ¼ für gerechtfertigt. Die Entſcheidung 
des RG. habe die Gefährdungshaftung des Tierhalters, 
nicht eine Haftung wegen Verſchuldens im Sinne; 
auf dieſe ſei die Entſcheidung nicht anzuwenden, wie 
auch die Regelung der Haftung durch das Geſetz über 
den Verkehr mit Kraftfahrzeugen jetzt ergebe.!“) Eine 
Fahrläſſigkeit, und zwar eine grobe, liege aber 
bei dem Beklagten vor. Doch treffe auch den Kläger 
ſelbſt ein mitwirkendes Verſchulden. Zwar folge aus 
der Kenntnis des Klägers von den früheren Automobil 
unfällen des Beklagten und von feinen Fahrereigen— 
ſchaften überhaupt weder eine Fahrläſſigkeit des Klägers 
noch ein Verzicht auf etwaige Schadenerſatzanſprüche. 
Ein Verſchulden ſtelle es aber dar, daß der Kläger, 
wenigſtens zu Beginn der Fahrt, den Sporteifer des 
Beklagten noch angefeuert und zu möglichſt ſchnellem 
Fahren aufgefordert habe. Den Anteil des Klägers 
ſchätzt das OVG. auf / des Schadens. Rechtsirrtümlich 
wäre es, wenn das OXYG. grundſätzlich und 
allgemein die Ausſchließung der Haftung aus un— 
erlaubter Handlung durch Vertrag oder auch nur durch 


1) Nach § 8 Z. 1 dieſes Geſetzes haben die in der obigen Ent— 
ſcheidung erörterten Fragen auch für das jetzige Recht noch Bedeutung. 


68 


ſtillſchweigenden Vertrag auf die Fälle der Gefähr⸗ 
dungshaftung ohne Verſchulden des Haftpflichtigen 
beſchränkt hätte. Dieſen Sinn haben aber die 
Ausführungen des Urteils, 
nahme eines ſtillſchweigenden Vertrags im gegebenen 
Falle abgelehnt wird, offenbar nicht. Der Hinweis 


darauf, daß die Entſcheidung in Bd. 65, 313 und die 


anderen in demſelben Sinne ergangenen Urteile des 
RG. (67, 431; JW. 1908, 108 Nr. 6; Warneyer 
1908 Nr. 157, 1909 Nr. 100), die den ſtillſchweigenden 
Abſchluß eines die Haftung ausſchließenden Vertrages 
zum Gegenſtande haben, durchweg Fälle der Gefähr⸗ 
dungshaftung betreffen, iſt zutreffend; die Annahme, 
daß die Feſtſtellung eines ſolchen ſtillſchweigenden, 
alſo nicht ausgeſprochenen Vertragsſchluſſes regelmäßig 
nur dann unbedenklich iſt, wenn es rl um den Aus» 
ſchluß einer Gefährdungshaftung, um die Uebernahme 
einer nicht durch ein Verſchulden des anderen Teiles, 
zumal durch ein grobes Verſchulden, ſondern allein 
durch die gegebenen Verhältniſſe von ſelbſt begründeten 
Gefahr handelt, iſt nicht rechtsirrtümlich. Im letzteren 
Sinne iſt aber die Ausführung des OLG. zu verſtehen, 
die nur beſagen will: Die Ausſchließung der Haftung 
aus unerlaubter Handlung durch einen ſtillſchweigenden 
Verzichtsvertrag bedarf einer Feſtſtellung aus den 


mit denen die An⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


— 


begleitenden Umſtänden des Falles; ſolche Umſtände, 
die ohne weiteres die Annahme eines derartigen ſtill⸗ 


ſchweigenden Vertrages nahe legen, liegen aber der 
Regel nach nur vor gegenüber einer Haftung wegen 
Gefährdung, wogegen es der Ermittelung beſonderer 
die Willenseinigung ausdrückender Aeußerungen bedarf, 
wenn eine Haftung für eine ſchuldhafte unerlaubte 
Handlung als durch Vertrag ausgeſchloſſen erachtet 
werden ſoll. Das iſt eine tatſächliche Erwägung, 
die nicht nur mit der Reviſion nicht angreifbar 
iſt, ſondern auch den Verhältniſſen des Lebens 
durchaus entſpricht. Zu demſelben Ergebniſſe führt 
es, wenn der vom erkennenden Senat in der Entſch. 
vom 29. März 1909 (Warneyer 1909 Nr. 357) ent⸗ 
wickelte Gedanke des Handelns auf eigene Gefahr für 
die rechtliche Betrachtung des gegenwärtigen Falles 
verwertet wird: auch eine ſolche llebernahme der Ge— 
fahr ohne ein beſonders feſtzuſtellendes Vertragsüber— 
einkommen kann nur da angenommen werden, wo 
eine aus der Sachlage von ſelbſt ſich ergebende Gefahr, 
die der von ihr Bedrohte erkannt hat, in Frage 
kommt, ſo wenn es ſich um die allgemeine Tiergefahr 
oder um die Gefahr einer Fahrt mit Kraftwagen über— 
haupt, oder etwa um die Gefahr einer Fahrt mit 
einem offenbar unzulänglichen Fuhrwerke handelt; 
der Geſichtspunkt verſagt, wenn die Gefahr oder deren 
Erhöhung erſt durch eine von dem Willen des Be— 
drohten unabhängige ſchuldhafte Handlung eines 
Dritten verurſacht wird. Ohne Rechtsirrtum hat das 
OLG. in Anwendung dieſer Grundſätze ausgeſprochen, 
daß die vom Beklagten unter Eidesbeweis geſtellten 
Tatſachen, der Kläger habe ihn als einen ſchnellen 
und mutigen Fahrer gekannt und von früheren Kraft— 
wagenunſällen des Beklagten gewußt, auf einen Ver— 
zicht des Klägers auf die Haftung des letzteren nicht 
ſchließen laſſen. Das OL G. ſtellt feſt, daß der Beklagte 
nicht nur ſchnell und wagemutig, was die Beachtung 
der Wegeverhältniſſe nicht ausſchließt, ſondern mit 
unſinniger Schnelligkeit und unbekümmert um Kurven 
und Abſchüſſigkeiten der Straße gefahren iſt, dergeſtalt, 
daß ſein Verſchulden als ein recht grobes erſcheint. 
Demgegenüber verneint es mit Recht einen die Haf— 
tung ausſchließenden Vertrag oder eine Uebernahme 
der Gefahr. Die Feſtſtellung ſelbſt wird nicht durch 
die Behauptung des Beklagten, deren Nichtbeachtung 
er rügt, erſchüttert, daß der Beklagte vor dem Unfalle 


zahlreiche ſcharſe Kurven in derſelben Schnelligkeit ohne, 
Schaden durchfahren habe. Daraus ergibt ſich keines 


wegs, was der Beklagte daraus ableiten will, daß die 
Urſache des Unfalles in einem zufälligen Schaden des 


— m — — 


Fahrzeuges (Verſagen der Steuerung), nicht aber in 
ſeiner Leitung des Wagens, zu ſuchen ſei, und das 
OLE. ſtellt ausdrücklich feſt, daß der noch neue Wagen 
und beſonders ſeine Steuerungsvorrichtung durchaus 
in Ordnung geweſen ſind, ſo daß dadurch der Unfall 
nicht verurſacht worden ſein kann. Das Mitver⸗ 
ſchulden des Klägers mag kein geringes ſein; es iſt 
feſtgeſtellt, daß er zu Anfang der Fahrt den Beklagten 
zu möglichſt ſchneller Fahrweiſe ermuntert und dadurch 
deſſen Leichtſinn beſtärkt hat. Es iſt aber anderſeits 
auch feſtgeſtellt, daß alle Mitfahrenden, auch der 
Kläger, vor dem Unfalle bei dem Aufenthalt in M. den 
Beklagten vergeblich zu größerer Vorſicht in Anbetracht 
der Terrainſchwierigkeiten der Gegend ermahnt haben. 
Unter dieſen Umſtänden kann auch in der von dem 
OLG. gemäß 8 254 BGB. vorgenommenen Verteilung 
des Schadens kein Rechtsirrtum erblickt werden; die 
ſpätere Ermahnung zur Vorſicht gleicht einigermaßen 
das frühere Verſchulden des Klägers, das in dem Ans 
feuern des Sporteifers des Beklagten lag, aus und 
mindert deſſen Gewicht. (Urt. des VI. 35. vo 

13. Okt. 1910, VI 611/1909). E. 

2108 


IV. 


Tragweite der §6z 2064, 2156 BG. Der 1902 
verſtorbene R. hatte am 24. Mai 1894 mit ſeiner im 
Jahre 1908 verſtorbenen Ehefrau einen Erbvertrag 
geſchloſſen und ihr darin u a. ein Vermächtnis von 
20000 1 zugewendet. In einem Kodizille vom 
25. Mai 1894 hatte R. ſpäter beſtimmt, „daß Fräu⸗ 
lein Sch. nach unſerm Ableben als Legat ſämtliche 
Mobilien des bei uns bewohnten Zimmers überlaſſen 
und ein Kapital von 20000 M ſteuerfrei ausgezahlt 
werden. Ferner überlaſſe es meiner mich über— 
lebenden Ehefrau vorſtehende Summe der Sch. ſchon 
nach meinem Ableben auszuzahlen, ebenſo derſelben 
eine gleiche Summe nach Gutdünken auch nach ihrem 
Ableben durch Kodizill zu vermachen.“ Die vers 
witwete R. hat ſchon nach dem Tode ihres Ehe— 
mannes die zuerſt erwähnten 20000 M der Sch. 
ausgezahlt und durch Teſtament vom Jahre 1903 
„auf Grund des Kodizilles“ ihrer Erbin Fräulein Sch. 
auch noch die weiteren 20000 M vermacht „welche ich 
nach dem Wunſche meines lieben Mannes außer der 
ihr von dieſem ſelbſt zugewendeten gleichen Summe 
ihr aus dem Nachlaß desſelben zuzuwenden aus— 
drücklich ermächtigt bin“. Der verklagte Teſtaments— 
vollſtrecker verweigert die Auszahlung dieſer 20000 M 
aus dem Nachlaſſe des Ehemannes R. Die Sch. hat 
Klage erhoben und vor dem Landgericht geſiegt. 
Auf Berufung des Beklagten hat das OLG. die Klage 
abgewieſen. Die Reviſion blieb erſolglos. 

Gründe: Der Berufungsrichter ſtellt in eins 
wandfreier Auslegung der vom R. am 25. Mai 1894 
errichteten letztwilligen Verfügung feit, daß darin der 
Erblaſſer eine eigene ſelbſtändige Vermächtnisanord— 
nung zugunſten der Sch. nicht getroffen hat. Er habe 
vielmehr damit nur ſeine Ehefrau ermächtigt, ihrer— 
ſeits, jedoch aus ſeinem, des Erblaſſer hinterlaſſenen 
Vermögen, der Sch. kodizillariſch ein Vermächtnis von 
weiteren 20000 M zuzuwenden. Wenn die über— 
lebende Witwe des Erblaſſers ſodann im Jahre 1903 
von dieſer Ermächtigung Gebrauch gemacht und der 
Sch. teſtamentariſch aus dem Nachlaſſe ihres Mannes 
jene 20000 M «ls Vermächtnis ausgeſetzt hat, fo hat 
der Berufungsrichter dieſer Anordnung mit Recht die 
Wirkſamkeit abgeſprochen. Daß eine derartige Stell— 
vertretung des Erblaſſers im Willen und in der 
Willenserklärung mit dem Grundſatze des S 2064 BGB. 
nicht verträglich iſt, zieht auch die Reviſion nicht in 
Zweifel. Es kann ihr aber nicht zugegeben werden, 
daß 8 2156 BGB., wie fie behauptet, durch Nicht— 
anwendung verletzt ſei. Zwar durchbricht das Geſetz 
bei Vermächtniſſen und Auflagen die Regel der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


58 2064, 2065 inſofern, als es zum Zwecke der Be⸗ 
ſtimmung der Perſon des Bedachten (88 2151, 2152) 
oder des Gegenſtandes der Zuwendung (88 2153 
bis 2156) die Mitwirkung des Beſchwerten oder eines 
Dritten zuläßt. Allein die allgemeine Vorausſetzung 
aller dieſer Beſtimmungen und insbeſondere auch des 
$ 2156 („bei der Anordnung eines Vermächtniſſes“) 
iſt, daß der Erblaſſer überhaupt ein Vermächtnis er⸗ 
richtet hat, alſo von ſich aus und aus ſeinem Ver⸗ 
mögen einem andern einen Vermögensvorteil zu⸗ 
wenden wollte und zugewendet hat, mag auch ſein 
Vermächtniswille bezüglich der Perſon des Bedachten 
oder des Gegenſtandes der Zuwendung gewiſſe Un⸗ 
beſtimmtheiten aufweiſen. Gerade an dieſer Voraus⸗ 
ſetzung fehlt es hier, da der Erblaſſer ſich einer 
eigenen Vermächtnisanordnung zugunſten der Sch. 
enthalten, vielmehr die Entſchließung darüber, ob es 
zur Errichtung des Vermächtniſſes kommen werde 
oder nicht, nur ſeiner Ehefrau überlaſſen hat. Damit 
war die Anwendung des § 2156 ohne weiteres aus» 
geſchloſſen. Es verbleibt mithin bei der Regel des 
§ 2064 und daraus folgt die Unwirkſamkeit des von 
der überlebenden 1 nachträglich errichteten 


Vermächtniſſes. (Urt. des IV. ZS. vom 20. Oktober 
1910, IV 596/09). -— — n. 
2095 


V. 


Vernehmung eines Streitgenoſſen als Zeugen. 
Begriff des „Ausſcheidens“ eines Streitgenoſſen aus 
dem Rechtsſtreite. Aus den Gründen: Als 
Zeugen können in einem Zivilprozeſſe grundſätzlich 
nur Perſonen vernommen werden, die den Parteien 
als Dritte gegenüberſtehen und nicht in die Lage 
kommen können, Parteihandlungen vorzunehmen. 
Eine Partei kann niemals als Zeuge vernommen 
werden. Auch dem Streitgenoſſen fehlt infolgedeſſen 
die Zeugnisfähigkeit, und zwar ſelbſt dann, wenn es 
ſich nur um die Feſtſtellung einer Tatſache handelt, 
die nur das Recht ſeines Genoſſen betrifft. Wohl 
kann freilich ein aus dem Progzeſſe ausgeſchiedener 
Streitgenoſſe als Zeuge vernommen werden, wobei 
maßgebend der Zeitpunkt iſt, in dem die Vernehmung 
erfolgen ſoll. Das iſt anerkannten Rechtens. Es 
fragt ſich nur, wann ein Streitgenoſſe als aus dem 
Rechtsſtreite ausgeſchieden angeſehen werden kann. 
Iſt für oder gegen ihn in vollem Umfange endgültig 
und rechtskräftig erkannt, ſo ſcheidet er zweifellos 
aus dem Rechtsſtreite aus. Anderſeits hat das 
Reichsgericht bereits ausgeſprochen (Urteil vom 
12. Juni 1906, III 449/05), daß ein Streitgenoſſe 
dieſe Eigenſchaft nicht dadurch verliert, daß gegen 
ihn ein Zwiſchenurteil über den Grund des Anſpruchs 
nach 8 304 ZPO. ergeht. Dort iſt mit Recht darauf 
hingewieſen, daß ein ſolcher Streitgenoſſe noch an 
dem Verfahren über den Betrag teilzunehmen hat, 
und darum angenommen, daß er in der Berufungs— 
inſtanz auch dann nicht als Zeuge vernommen werden 
könne, wenn er an dem Verfahren über den Grund 
in der Berufungsinſtanz gar nicht beteiligt iſt, das 
Zwiſchenurteil gegen ihn vielmehr rechtskräftig ge— 
worden iſt. So aber liegt die Sache hier. Dem 
Beklagten N. gegenüber iſt dem Betrage nach noch 
nicht entſchieden, auch war er, worauf mit einem 


früheren Urteile des Senats (Urteil vom 11. No= | 


vember 1907 IV 134/67) ebenfalls Wert zu legen iſt, 
zu der Zeit, zu der ſeine Vernehmung erfolgen ſollte, 
noch an der Koſtenentſcheidung beteiligt. Er hätte 
alſo als Zeuge nicht vernommen werden dürfen. 
(Urt. des IV. 35. vom 17. Oktober 1910. IV 590/10). 

2096 


_———ı 


69 


B. Strafſachen. 
I. 


Zu 8 13, 38, 41 des Literatur ſchutzgeſetzes vom 
19. Juni 1901. Gegenſtand des Urheberrechts. Begriff 
der „freien Benützung. eines fremden Werkes und der 
„eigentümlichen Schöpfung“. Aus den Gründen: 
Die Strafkammer ſtellt ausdrücklich feſt, daß der An⸗ 
geklagte das Buch des Nebenklägers M. bei der Ab⸗ 
faſſung ſeines Werkes benutzt hat. Sie mußte deshalb 
zu der Frage Stellung nehmen, ob das Buch des 
Angeklagten als eine Bearbeitung des M. 'ſchen 
Buches iſt. Denn wenn dies der Fall iſt, greift ſeine 
Abfaſſung nach 8 12 Abſ. 1 des Literaturſchutzgeſetzes 
vom 19. Juni 1901 in das Urheberrecht des Neben» 
klaͤgers ein, und zwar kann dieſer Eingriff, je nach 
der Sachlage, unter die Strafvorſchrift des 8 38 Nr. 1 
oder unter die des 8 41 fallen. Der Eingriff würde 
nur ausgeſchloſſen ſein, wenn es ſich um eine freie 
Benutzung des Werkes gehandelt hätte und dadurch 
eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht 
wäre ($ 13). Nach der Schlußausführung hat die 
Strafkammer dieſen rechtlichen Geſichtspunkt offenbar 
auch ins Auge faſſen wollen. Sie iſt hierbei aber 
von irrigen Anſchauungen beeinflußt worden. 

In der unmittelbar vorhergehenden Darlegung 
vertritt fie die Anſicht, daß das M.'ſche Buch kein 
„Kunſtwerk“, ſondern nur eine 1 Anleitung 
zur Ausführung eines Malereiverfahrens ſei, ſein 
geiſtiger Inhalt ſich deshalb nicht in den einzelnen 
Worten und deren Gefüge zeige, ſondern in dem Ges 
dankengange. Daraus folgert ſie weiter, daß nur 
größere Teile, die dieſen Gedankengang erkennen 
ließen, das Werk kennzeichnen. Hierin liegt ein 
Rechtsirrtum, nämlich eine zu enge Auffaſſung von 
dem Gegenſtande des Urheberrechts. Gegenſtand 
dieſes Rechts iſt in einem Falle, wie er hier vor— 
liegt, nicht nur der Gedankengang des Schriftwerks, 
ſondern die ganze Art der Verarbeitung des be— 
handelten Stoffes, alſo ebenſowohl die Art der Dar— 
ſtellung des Stoffes, deſſen innere und äußere Gliede— 
rung. Dieſer Rechtsirrtum beherrſcht erkennbar die 
ſich anſchließende Ausführung über die Frage, ob eine 
freie Bearbeitung vorliege. 

Die Ausführung hierüber erweckt aber auch noch 
andere Bedenken. Die Strafkammer verkennt gänzlich 
die Rechtsgrundlage, indem fie geſtützt auf § 13 an⸗ 
nimmt, eine freie Benützung des fremden Werkes ſei 
berechtigt, „ſofern dadurch nur etwas eigentümliches“ 
hervorgebracht werde. Davon iſt im Geſetze nicht 
die Rede. Erfordert wird vielmehr eine eigentümliche 
Schöpfung, d. h. ein Werk, das auf neuer ſelbſtändig 
ſchaffender Geiſtestätigkeit beruht und im Verhältniſſe 
zu dem fremden Werke eine neue geiſtige Eigenart er— 
kennen läßt. Deshalb ſehlt die Gewähr irrtumsfreier 
Beurteilung, wenn die Strafkammer annimmt, der 
Angeklagte möge ſich wohl einige Gedanken des M. 
zu eigen gemacht haben, er habe ſie aber mit einer 
Reihe eigener, bei M. nicht vorkommender Gedanken 
zu einem neuen Ganzen verarbeitet. Eine genauere 
Erörterung wäre umſomehr geboten geweſen, als die 
Strafkammer offenſichtlich davon ausgeht, daß das 
Buch des Angeklagten denſelben Zweck verfolgte, wie 
das M.'ſche Buch und ihn wie dieſes in der eines 
„Leſebuchs“ anſtrebte. Die Strafkammer hat auch 
ſonſt das Weſen der freien Bearbeitung verkannt. 
Denn das einzige, was ſich hierüber in den Gründen 
findet, paßt ebenſogut auf einen bloßen Auszug, den 
der Angeklagte aus dem M.ſchen Buche ganz oder 
zum Teil gemacht hat. Ein Auszug iſt keine freie 
Bearbeitung, liegt aber auch vor, wenn der Ange— 
klagte eigene Gedanken hinzugefügt hat, mag deren 
Wiedergabe 8 räumlich überwiegen. (Vgl. RG3S. 
Bd. 63 S. 158 

Auch 5 Schlußausführung kann das Urteil 


70 


nicht tragen. Soweit fie auf die Gedankengleichheit 
beider Schriften abgeſtellt iſt, tritt darin der ſchon 
dargelegte Rechtsirrtum hervor. Nicht der Gedanken⸗ 
inhalt als ſolcher iſt Gegenſtand des Urheberrechts. 
ſondern das ihn aufnehmende und verkörpernde 
Werk. Es kommt nicht darauf an, ob der Angeklagte 
nach ſeinen Kenntniſſen und Erfahrungen vielleicht 
auch ohne die M.'ſche Schrift zur Abfaſſung eines 
Werkes mit gleichem Gedankeninhalte hätte gelangen 
können, ſondern auf die Frage, ob er das M.'ſche Buch 
in der ſchutzfähigen Geſtalt als fremdes Geiſtes⸗ 
erzeugnis bei ſeiner Schrift benutzt hat und ob dieſe 
deshalb im Sinne des Geſetzes eine Vervielfältigung 
der M.'ſchen Schrift if. (Urt. des V. StS. vom 
2. Dezember 1910, V D 708/10). 
2134 


— — n. 


II. 

Zu 8 19 Abſ. 3 der Oberpolizeilichen Borſchriſten 
vom 17. September 1906 (G8 Bl. S. 729); Borbei⸗ 
fahren au eingehslten Fuhrwerken nw. Aus den 
Gründen: Der Angeklagte hat einen Straßen⸗ 
bahnwagen, der vor ihm hergefahren war und wie 
er wußte, nur für kurze Zeit anhielt um dann ſeine 
Fahrt fortzuſetzen, eingeholt und iſt ihm rechts vor⸗ 
an Mit Recht hat das Gericht gegen ihn die 
eſtimmung in § 19 der Oberpolizeilichen Vorſchriften 
vom 17. September 1906 angewendet, wonach das 
Vorbeifahren an eingeholten Fuhrwerken, Kraftfahr⸗ 
zeugen uſw. auf der linken Seite zu erfolgen hat. 
Der Verteidiger irrt mit ſeiner Anſicht, die Vorſchrift 
gelte ſchlechterdings nur für ſolche Fahrzeuge, die 
gerade im Fahren begriffen ſeien, während fie eins 


geholt werden. (Urt. des I. StS. vom 22. September 


1910, 1 D 521/10). E. 


2128 
III. 

Zum Begriffe des fertgeſetzten Verbrechens. Aus 
den Gründen: Allerdings können mehrere zeitlich 
auseinanderfallende und ſonach in natürlichem Sinne 
ſelbſtändige Einzelhandlungen dann, wenn ſie Ausfluß 
eines einzigen auf Verletzung desſelben Rechtsgutes 
oder gleichartiger Rechtsgüter gerichteten Vorſatzes 
find, unter dem Geſichtspunkt der fog. fortgeſetzten 
Handlung zu einer rechtlichen Einheit zuſammengefaßt 
werden. Die in jedem einzelnen Falle aus den Um— 
ſtänden zu beantwortende Frage, ob die Vorausſetzungen 
einer ſolchen Zuſammenfaſſung vorliegen, gehört im 
weſentlichen dem Gebiete der Tatſachen an, und die 
vom erſten Richter gegebene Beantwortung dieſer Frage 
iſt daher im allgemeinen der Nachprüfung durch das 
Reviſionsgericht entzogen. Nur dann, wenn bei dem 
Vorliegen zeitlich getrennter Einzelakte vom Vorder— 
richter zugleich alle Momente feſtgeſtellt wären, die 
zu einer Zuſammenfaſſung der einzelnen Taten zu 
einem einheitlichen Delikt rechtlich nötigen, wenn alſo 
davon ausgegangen werden mußte, die Zuſammen— 
faſſung ſei nur deshalb unterblieben, weil der Vorder— 
richter den Rechtsbegriff der fortgeſetzten Straftat ver— 
kannt habe, würde das Reviſionsgericht zu einer Auf— 
hebung des Urteils kommen können. Eine ſolche 
Geſtaltung der Sache iſt hier nicht gegeben. Denn 
das LG. hat in dieſer Richtung weiter nichts feſt— 
geſtellt, als daß der Zweck, den der Angeklagte bei 
den Fälſchungen verfolgte, nur der geweſen ſein könne, 
ſich aus Zahlungsſchwierigkeiten zu befreien, in denen 
er ſich befunden habe, ſich alſo einen Vermögensvorteil 
zu verſchaffen, und daß dieſe Abſicht den Angeklagten 
bei allen vier Wechſelfälſchungen geleitet habe. Dies 
genügt aber nicht, um das Vorliegen eines fortgeſetzten 
Deliktes zu begründen; denn es fehlt vor allem die 
Feſtſtellung, daß der Angeklagte von vornherein 
den einheitlichen Vorſatz gehabt habe, alle die 
den Gegenſtand der Anklage bildenden Wechſel oder 
überhaupt bis zur Erreichung eines gewiſſen Zieles 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


| 
| 


Nr. 3. 


alle ſeine Wechſel mit dem gefälſchten Akzept des 
J. zu verſehen und davon in rechtswidriger und 
auf die Erlangung eines Vermögensvorteils ge⸗ 
richteter Weiſe Gebrauch zu machen. Zu Unrecht be⸗ 
hauptet der Beſchwerdeführer, daß, wenn im übrigen 
die tatſächlichen Feſtſtellungen des Gerichts zutreffend 
wären, danach die einzelnen Handlungen, zumal die 
verletzte Perſon überall dieſelbe ſei, einem einheitlichen 
Willen des Angeklagten entſprungen ſeien, nämlich 
dem, ſich auf Koſten des Zeugen J. aus ſeiner Not⸗ 
lage zu befreien. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob 
eine Feſtſtellung, wie die vom Beſchwerdeführer be⸗ 
hauptete, ausreichen würde, um die Annahme eines 
fortgeſetzten Deliktes zu einer rechtlichen Notwendigkeit 
zu machen. Denn der Inſtanzrichter hat eine Feit- 
ſtellung dieſes Inhaltes nicht getroffen, jedenfalls aber 
nicht für erwieſen erachtet, daß der Angeklagte bei 
ſämtlichen, zu verſchiedenen Zeiten erfolgten Fälſchungen 
mit dem im voraus gefaßten Vorſatze gehandelt habe, 
ſich bei jeder durch ſeine Geſchäftslage gebotenen Ge⸗ 
legenheit durch fälſchliche Anfertigung des Itſchen 
Akzepts und Diskontierung die erforderlichen Geld⸗ 
mittel zu verſchaffen. Die Strafkammer verſtieß dem- 
nach nicht gegen ein prozeßgeſetzliches Gebot, als ſie 
ſich darüber nicht ausdrücklich ausſprach, ob ein fort- 
geſetztes Delikt in Frage komme, und ebenſowenig 
läßt ſich bei der Art des Falles der Vorwurf recht⸗ 
fertigen, fie habe ſich von einer rechtsirrigen Auf— 
faſſung des Begriffes der fortgeſetzten Handlung leiten 
laſſen. (Urt. des V. Strafſenats vom 29. November 
1910, 5 D 853/10). 


— — —ın. 


Oberſtes Landesgericht. 


Zivilſachen. 


Der überlebende Ehemann, dem nach Mainzer 
ER. Tit. VIE und UeG. Art. 8s der Beiſitz au dem 
auf feine Kinder übergegangenen Nachlaſſe feiner Fran 
zuſteht, kaun gegen die Eintragung der Pfändung des 
Erbauteils feiner Kinder an den Nachlaßgrundſtücken 
Beſchwerde erheben. Ob durch die Pfändung des Anteils 
des Kindes in das Beſitzrecht des Witwers in nuzu⸗ 
läſſiger Weiſe eingegriffen wurde, iſt nicht vom Grund: 
buchamt fondern vom Vollſtreckungsgerichte zu entſcheiden. 
(GBO. 83 54, 71; BGB. 8 2033, ZPO. 8 859.) Zu 
dem Nachlaſſe der 1909 geſtorbenen Katharina D. ge— 
hören die von ihr in die Ehe eingebrachten Grund— 
ſtücke Pl.⸗Nr. 17678, 17679. Auf Grund eines Erb» 
ſcheins wurde am 7. Januar 1910 in das Hypotheken- 
buch eingetragen, daß die Kinder Eigentümer der 
Grundſtücke in Erbengemeinſchaft find und daß dem 
Witwer nach dem Mainzer LR. der Beiſitz an 
den Grundſtücken zuſteht. Durch einen Beſchluß des 
Vollſtreckungsgerichts iſt zugunſten einer Forderung 
gegen einen Miterben deſſen Anteil an dem Nachlaſſe 
gepfaͤndet worden. In dem Beſchluſſe, der den übrigen 
Erben zugeſtellt wurde, wird dieſen verboten, „mit 
dem Schuldner ohne Zuziehung des Gläubigers die 
Auseinanderſetzung vorzunehmen und den gepfändeten 
Erbteil an den Schuldner herauszugeben,“ dem Schuld— 
ner aber geboten, „ſich jeder Verfügung über den Erb— 
teil zu enthalten.“ Auf Grund des Beſchluſſes wurde 
am 7. Januar 1910 in die 2. Abteilung des Blattes 
für die Grundſtücke Pl.-Nr. 17678, 17679 nach dem 
Beiſitzrechte des Witwers in das Hypothekenbuch ein 
Widerſpruch des Pfandgläubigers gegen jede Verfügung 
des Schuldners eingetragen. Am 1. November 1910) 
legte der Witwer gegen die Eintragung des Wider— 
ſpruchs Beſchwerde ein mit dem Antrage, ſie löſchen 
zu laſſen, weil ſie ihrem Inhalte nach unzuläſſig ſei 
(S 51 GBOO.). Das LG. hat die Beſchwerde als uns 
zuläſſig verworfen. Die weitere Beſchwerde hat das 
Obe G. zurückgewieſen, dabei jedoch ausgeſprochen, daß 


1) Inzwiſchen war das Grundbuch als angelegt erklärt worden. 


mm m mn 


die Beſchwerde gegen die Eintragung nicht unzuläſſig 
ſondern unbegründet iſt. 

Gründe: Die EBD. enthält keine Vorſchrift 
darüber, wer Beſchwerde in Grundbuchſachen einlegen 
kann. Es iſt aber anerkannt, daß die Beſchwerde 
jedem zuſteht, der durch die Entſcheidung des Grund⸗ 
buchamts in ſeinem Rechte betroffen wird und an 
ihrer Beſeitigung ein rechtliches Intereſſe hat, auch 
wenn ſich die Entſcheidung nicht unmittelbar gegen 
ihn richtet. Das Recht des Beiſitzes, das dem Be⸗ 
ſchwerdeführer nach Tit. VII des Mainzer LR. i. V. 
mit Art. 88 UeG. zuſteht, ift nicht auf den „usus fructus 
oder Nießbrauch“ am eingebrachten Gute der Frau 
beſchränkt. Aus der Pflicht des überlebenden Ehe— 
gatten, das Vermögen zu erhalten, folgt auch die Be⸗ 
fugnis zur Vermögens verwaltung. Das Verwaltungs⸗ 
recht ermächtigt allerdings nicht zu freier Verfügung 
über Grundſtücke. Verfügungsberechtigt ſind mit Zu⸗ 
ſtimmung des Elternteils die Kinder, die Eigentümer 
des Vermögens. Erachtet der überlebende Ehegatte 
aber eine Verfügung über das Stammvermögen für 
erforderlich und hat er die Zuſtimmung der Kinder 
erlangt, ſo iſt ſein Verwaltungsrecht beeinträchtigt, 
wenn der Verfügung Hinderniſſe bereitet werden. Das 
iſt bei dem Beſchwerdeführer der Fall, da die Ein- 
tragung des Widerſpruchs die Veräußerung und Bes 
laſtung der Grundſtücke erſchwert. Der Witwer hat 
auch ein rechtliches Intereſſe an der Beſeitigung des 
Hinderniſſes. Er iſt deshalb zur Beſchwerde berechtigt. 

Das LG. hat die Beſchwerde auch ſachlich geprüft 
und als unbegründet erachtet. Dem iſt beizutreten. 
Die Eintragung des Widerſpruchs iſt auf Grund eines 
Beſchluſſes des Vollſtreckungsgerichts erfolgt, durch den 
der Anteil eines Miterben an dem Nachlaſſe gepfändet 
wurde. Nach 83 2033 des BGB. kann jeder Miterbe 
über ſeinen Anteil an dem Nachlaſſe verfügen; der 
Anteil iſt deshalb auch pfändbar (8 859 ZPO.) Die 
Pfändung des Anteils an einem Nachlaſſe beſchränkt 
den Miterben in der Verfügung über den Anteil als 
Ganzes und in der Befugnis, gemeinſchaftlich mit den 
anderen Miterben über einen Nachlaßgegenſtand zu 
verfügen. Dieſe Wirkung konnte nach dem bayeriſchen 
Hypothekenrechte durch eine Proteſtation im Sinne 
der 88 27, 28 HypG. im Hypothekenbuch erſichtlich 
gemacht werden; nach dem Rechte der GBO. dient dem 
gleichen Zwecke die Eintragung einer Verfügungs— 
beſchränkung. In dem Beſchluſſe des ObèG. vom 
26. Juli 1909 (n. Sammlg. Bd. 10 S. 341) handelte 
es ſich um eine Erbſchaft, die vor dem Jahre 1900 
im Gebiete des Mainzer LR. bei dem Tode des Ehe— 
manns den Kindern angefallen war; durch den Pfän— 
dungsbeſchluß des Vollſtreckungsgerichts war der Anteil 
eines der Kinder gepfändet worden. Die Entſcheidung 
führt aus, daß das für das Rechtsverhältnis der Erben 
maßgebende gemeine Recht keine Verfügung über den 
Erbteil als Ganzes mit der Wirkung kennt, daß dadurch 
der Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenſtänden un— 
mittelbar ergriffen wird: ſie billigt deshalb die Löſchung 
der auf Grund des Pfändungsbeſchluſſes eingetragenen 
Proteſtation. Nach dem Rechte des BGB. dagegen 
kann der Miterbe über ſeinen Anteil am Nachlaſſe mit 
dinglicher Wirkung verfügen. Die Pfändung war des— 
halb hier dem Schuldner und ſeinen Miterben gegen— 
über wirkſam und die Wirkung iſt in der Eintragung 
des Widerſpruchs zum Ausdruck gebracht. Ob die 
Pfändung das Beiſitzrecht des Witwers verletzt, hatte 
das Hypothekenamt angeſichts des Pfändungsbeſchluſſes 
nicht zu prüfen; ſie kann deshalb auch in dem Be— 
ſchwerdeverfahren nicht erörtert werden. Will der 
Witwer geltend machen, daß die Zwangsvollſtreckung 
in unzuläſſiger Weiſe in ſeine Rechte eingegriffen habe, 
jo muß er auf dem durch die ZPO. vorgeſchriebenen 
Wege die Verfügung des Vollſtreckungsgerichts an— 
fechten und bei Aufhebung des Pfändungsbeſchluſſes 
die Berichtigung des Grundbuchs beantragen. Die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 


| 


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71 


Beſchwerde konnte dagegen keinen Erfolg haben. 
(Beſchluß des I, ZS. vom 9. Dezember 1910, Reg. III 
90/1910). W. 


2132 


Oberlandesgericht München. 


Zu 88 771 380. 816 B88. Der Anſpruch auf 
Uebertragung einer Forderung wegen ungerechtfertigter 
Bereicherung (8 816 B.) gibt kein Recht zur Wider⸗ 
ſpruchsklage gegen die Pfändung der Forderung. Der 
Kaufmann M. hat für ſein Guthaben zu 500 M gegen 
die Buchdruckersfrau K. an deren Kaufpreisforderung 
zu 1500 M gegen den Privatier L. und den Buch⸗ 
drucker H. durch einen Arreſt⸗ und Pfändungsbeſchluß 
des AG. D. vom 25. Auguſt 1909 (zugeſtellt den 
Drittſchuldnern am 28. Auguſt 1909, der Schuldnerin 
am 3. September 1909) Pfändungspfandrechte er⸗ 
worben. Der Kläger, Reſtaurateur M., erhob am 
29. Oktober 1909 Widerſpruchsklage mit der Be⸗ 
hauptung, der Gegenſtand des Kaufes, eine Buch— 
druckereieinrichtung, ſei ſchon am 25. Auguſt 1908 an 
den Privatier St. verkauft geweſen, der ſchon am 
7. April 1909 ſeine Rechte an den Kläger übertragen 
habe. Die am 22. Auguſt 1909 an L. u. H. verkaufte 
Druckerei habe alſo damals nicht mehr der Verkäuferin, 
ſondern dem Kläger gehört und wenn auch auf die 
Käufer zufolge ihres guten Glaubens das Eigentum 
übergegangen ſei, ſo habe doch der Kläger von An⸗ 
fang an auf die geſchuldeten 1500 M „ex lege“ einen 
dinglichen Anſpruch ſomit auch ein beſſeres Recht an 
dem Gegenſtande der Pfändung. Der Beklagte be⸗ 
antragte Abweiſung, weil der Verkauf an St. und 
an M. nur zum Scheine geſchehen und deshalb nichtig 
ſei. Dem widerſprach der Kläger. Das Land⸗ 
gericht wies die Klage ohne Beweiserhebung ab, 
weil dem Kläger kein dingliches Recht gegenüber dem 
Beklagten zuſtehe, ſondern nur das Recht, von den 
Schuldnern nach 8 816 BGB. Uebertragung der 
Kaufpreisforderung wegen Bereicherung zu fordern. 
Dieſes genüge zur Widerſpruchsklage nicht. (RG. 
Bd. 64 S. 314; SeuffArch. Bd. 60 Nr. 88). Die Be⸗ 
rufung wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Mit Recht bezeichnet 
das Erſtgericht den Anſpruch des Klägers nur als 
einen obligatoriſchen Bereicherungsanſpruch auf Ueber— 
tragung der Kaufpreisforderung für die angeblich zu 
Unrecht zum zweitenmale verkaufte Druckerei (§ 816 
BGB.) und deshalb als zur Erhebung der Wider— 
ſpruchsklage ungenügend ($ 771 3PO.). Nur bei 
kaufmänniſchen Kommiſſionsgeſchäften wird ausnahms— 
weiſe der Auftraggeber gegenüber den Gläubigern 
des Beauftragten inſoferne geſchützt, als dieſen gegen— 
über die Forderungen aus den kommiſſionsweiſen 
Verkäufen als Forderungen des Auftraggebers gelten 
(S 392 HGB.); ein ſolches Kommiſſionsverhältnis iſt 
hier nicht behauptet und nach dem Tatbeſtande auch 
nicht gegeben, da die Eheleute K. den Verkauf durch 
ihren Bevollmächtigten in offener Stellvertretung vor— 
nahmen. In ſolchen Fällen erwirbt aber der Ver— 
käufer die Kaufpreisforderung, mag der Verkaufs— 
gegenſtand auch einem Dritten gehört haben. Da der 
Kläger ſeinen Anſpruch auf Abtretung dieſer Kauf— 
preisforderung bis zur Pfändung nicht gütlich oder 
im Zwangswege ($ 894 ZPO.) durchgeſetzt hatte, traf 
die Pfändung des Beklagten nicht ein fremdes, 
ſondern ein dem Schuldner gehöriges Vermögensſtück 
und iſt deshalb ebenſowenig mit der Widerſpruchs— 
klage angreifbar, als wenn der Schuldner einen im 
Eigentum eines Dritten ſtehenden Gegenſtand ver— 


tauſcht hätte und nun das im Tauſchwege erworbene 


Erſatzſtück bei ihm gepfändet worden wäre. 


6 (Urteil 
vom 16. Dezember 1910; BerReg. L 5/10 J). N. 


2135 


Literatur. 


Landsberg, E., Geſchichte der deutſchen Rechts⸗ 
wiſſenſchaft. Fortſetzung zu der Geſchichte der 
Rechtswiſſenſchaft, I. und II. Abteilung von N. 
Stintzina. Dritte Abteilung. Zweiter Halbband. 
Text. 8°. XVI, 1008 S. München 1910, R. Olden⸗ 
bourg. Mk. 16.—. 

Dazu Noten. VIII, 415 S. Mk. 6.70. 


Die dritte Abteilung dieſes monumentalen Werkes 
behandelt die Geſchichte der deutſchen Rechtswiſſenſchaft 
vom Beginne des 19. Jahrhunderts an bis zur Gründung 
des Deutſchen Reichs, nur an einigen Stellen greift 
ſie noch über 1870 hinaus; die Neugeſtaltung des 
deutſchen bürgerlichen Rechts wird — abgeſehen von 
einigen gelegentlichen Ausblicken — nicht mehr be— 
handelt. Was aber hier niedergelegt iſt, hat nicht 
nur die größte Bedeutung für die Beurteilung des 
heutigen Rechtzuſtands ſondern weitet auch den Blick 
für die Betrachtung der lebhaften Kämpfe, in denen 
um das Recht der Zukunft gerungen wird. Es wird 
uns gezeigt, wie die Probleme, die uns heute bewegen, 
in etwas anderer Form ſchon vergangene Geſchlechter 
beſchäftigt haben; es geht uns das Verſtändnis dafür 
auf, wie tief die Auffaſſungen unſerer konſervativen 
Juriſten in der Vergangenheit verankert ſind, wie 
anderſeits vieles, was uns heute als allerneueſte 
Weisheit angeprieſen wird, von weitblickenden Geiſtern 
ſchon vorausgefühlt wurde. Die geſchichtliche Betrach— 
tung beruhigt erregte Gemüter und zwingt zur Ehr— 
furcht vor den Leiſtungen der Vorfahren: und ein 
wenig mehr Ruhe und Ehrfurcht täte dem heutigen 
Geſchlechte dringend not. Wenn man z. B. lieſt, wie 
jetzt verbiſſene Moderniſten auf Ihering herabſehen, 
ſo wird man unwillkürlich an das Gleichnis von dem 
Zwerge erinnert, der ſich rühmt weiter zu ſehen als 
der Rieſe, auf deſſen Schultern er ſteht. 

Der Praktiker braucht nicht zu fürchten, daß ihm 
hier eine trockene Zuſammenſtellung einzelner Daten 
oder eine ſchwer verſtändliche, in die Höhen der Ab— 
ſtraktion hinaufgeſchraubte gelehrte Abhandlung ge— 
boten werde. Das Werk lieſt ſich leicht und gefällig, 
fo daß man kaum fühlt, welche Fülle wiſſenſchaftlicher 
Forſchungen hier verwertet iſt. Auch die Verweiſung 
der umfangreichen Fußnoten in einen beſonderen Band 
erhöht die Lesbarkeit. von der Pfordten. 


Fiſcher, Dr. A. H., a. o. Profeſſor der Rechte in Gießen. 
Die Rechtswidrigkeit mit beſonderer Be» 
rückſichtigung des Privatrechts. XII. 303 S. 
München 1911, C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung 
Oskar Beck. Mk. 10.—. 

Man würde dem Verfaſſer Unrecht tun, wenn man 
auf Grund einer nur oberflächlichen Prüfung annehmen 
würde, es handle ſich hier um ein im weſentlichen 
rechtsphiloſophiſches Werk, das für die Praxis keine 
Bedeutung habe. Allerdings greift der Verfaſſer ſehr 
tief; er geht z. B. dem heiklen Problem der Abgrenzung 
von Recht und Moral mit dem ſchweren Rüſtzeug einer 
umfaſſenden hiſtoriſchen und philoſophiſchen Bildung 
zu Leibe: auch liegt es in der Natur des Stoffes, daß 
man nicht allen Ausführungen mühelos folgen kann. 
Aber dennoch wird der Praktiker aus den durchaus 
ſelbſtändigen Darlegungen reiche Belehrung ſchöpfen 
kunnen. Eine Reihe im juriſtiſchen Alltagsleben häufig 
anzuwendender Vorſchriften werden in neuer zum Teil 
eigenartiger Weiſe beleuchtet (3. B. alle Teile des BGB., 
in denen der Begrif der guten Sitten eine Rolle ſpielt, 
die Lehre vom Notſtand und der Notwehr uſw.). Nicht 
jelten tritt dabei der Verfaſſer in Gegenſatz zu der 
Rechtſprechung der Obergerichte, ſo werden z. B. gegen 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


— — 4 — 


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— — j — —ꝓ—ä—6—᷑— 4 ö —— ——— — 3 —— 


in Bayern. 1911. Nr. 3. 


die Stellungnahme des Reichsgerichts zu den Verträgen 
über die Veräußerung der ärztlichen und zahnärztlichen 
Praxis Bedenken erhoben, die eine ernſte Prüfung ver— 
dienen. Da unſere Rechtſprechung nicht ſelten unter 
dem Banne des Präjudizienkultus ſteht, iſt es nur zu 
wünſchen, daß der Praktiker zuweilen auch die Ge— 
dankengänge eines Zweiflers verfolgt, zumal dann, 
wenn die abweichende Meinung mit fo großer Sorgs 
falt begründet iſt, wie hier. von der Pfordten. 


Merzbacher, Sigmund, Rechtsanwalt und Juſtizrat in 
Nürnberg. Reichsgeſetz, betreffend die Geſell— 
ſchaften mit beſchränkter Haftung in der 
Faſſung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898, 
erläutert und mit Entwürfen von Geſellſchaftsver⸗ 
trägen. 4., neubearbeitete Auflage. IX, 239 S. 
München 1910, C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung 
(Oskar Beck). Gebd. Mk. 2.80. 


Merzbachers Ausgabe des Geſetzes, betr. die Geſell⸗ 
ſchaften m. b. H erfreut ſich eines zu guten Rufes, als 
daß es bei der Beſprechung der Neuauflage beſonderer 
Empfehlung bedürfte: ſo mag der Hinweis genügen, 
daß die neueſten Ergebniſſe der Literatur wie der 
Rechtſprechung gewiſſenhaft berückſichtigt ſind und 
bilanz⸗ und ſteuerrechtliche Fragen eine eingehende 
Behandlung erfahren. Die überſichtliche Druckanordnung 
und die gefällige Ausſtattung wird dem Werke zweifellos 
zahlreiche Freunde erwerben. — - 20 — — 


Notizen. 


Der Schutz des zur Anfertigung von Neichs⸗ 
bauknoten verwendeten Papiers gegen unbefugte Nach⸗ 
ahmuna wird geregelt durch das Geſetz vom 2. Januar 
1911 (RGBl. Nr. 3 S. 25). Es iſt nahezu wörtlich 
dem Geſetz vom 26. Mai 1885 (RGBl. S. 165) nach⸗ 
gebildet, das ſich auf den Schutz des zur Anfertigung 
von Reichskaſſenſcheinen verwendeten Papiers 
bezieht. Da bisher für Reichskaſſenſcheine und Reichs— 
banknoten das nämliche Papier verwendet wurde, er— 
ſtreckte ſich der durch das Geſetz vom 26. Mai 1885 
gewährte Schutz mittelbar auch auf die Reichsbank— 
noten. Das neue Geſetz wurde notwendig, weit jetzt 
Reichsbanknoten ausgegeben werden ſollen, die ein 
anderes Waſſerzeichen tragen werden als die Reichs— 
kaſſenſcheine. 

2133 


Internationales Abkommen über das Verbot der 
Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen. Die Mehr⸗ 
zahl der größeren europäiſchen Staaten hat am 
26. September 1906 ein Abkommen geſchloſſen, das 
den gewerblichen Arbeiterinnen in Betrieben, die mehr 
als zehn Arbeitskräfte beſchäftigen, eine Nachtruhe von 
mindeſtens elf aufeinanderfolgenden Stunden verbürgt 
(RGBl. 1911 S. 5f.). Nach einer ſpäteren Verein— 
barung ſoll das Abkommen erſt am 14. Januar 1912 
in Kraft treten (a. a. O. S. 16). Die Geſetzgebung 
des Reiches iſt mit dem Abkommen ſchon durch die 
Novelle zur Gewerbeordnung vom 28. Dezember 1908 
(RGBl. S. 667) in Einklang gebracht worden. Zu 
beachten iſt aber, daß der in Betracht kommende $ 137 
GewO. in der Faſſung dieſer Novelle ſchon am 
1. Januar 1910 in Kraft trat (mit Ausnahme des 
Abſ. 7, der erſt vom 1. April 1912 an gilt; Art. 5 
der Novelle). 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ar. 4. 


in Bayern 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich [: 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N“ 
Poſtanſtalt. U 


Ni Kevifionszuftändigfeit des 
Oberſten Landesgerichts im Zivilprozeſſe. 
Vom Geheimen Hofrat Profeſſor Dr. Eruſt Jaeger in Leipzig. 


I. In bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten kann die 
Revifion nach 8 549 Abſ. 1 3PO. mit § 12 
EGzZ3PO. nur darauf geſtützt werden, daß die 
angefochtene Entſcheidung auf der Verletzung eines 
reichsrechtlichen oder eines ſolchen landes recht⸗ 
lichen Rechtsſatzes beruhe, der im Bezirk des 
Oberlandesgerichts und über dieſen Be: 
zirk hinaus Geltung hat. Auf Grund des 
8 6 EGz3PO. iſt die Reviſionsfähigkeit einer 
landes rechtlichen Norm durch den 8 1 KaiſvO. 
vom 28. September 1879 (RGBl. S. 299) dahin 
eingeſchränkt worden, daß die Norm (abgejehen 
von Vorſchriften des gemeinen oder franzöſiſchen 
Rechts) über den Bezirk des Berufungsgerichts 
hinaus für den ganzen Umfang mindeſtens zweier 
deutſcher Gliedſtaaten oder zweier Provinzen 
Preußens oder einer preußiſchen Provinz und 
eines anderen Gliedſtaats Geltung erlangt haben 
muß. Nach dieſem Grundſatze würden 
bayeriſche Landesgeſetze, auch wenn ſie 
für das ganze Königreich, alſo für fünf 
Oberlandesgerichtsbezirke, in Geltung 
ſtehen, nicht reviſibel ſein. Indeſſen findet 
die Beſchraͤnkung des 8 1 VO. nach § 6 VO. 
auf die vom bayeriſchen Oberſten Landes- 
gerichte zu entſcheidenden Reviſionen keine An⸗ 
wendung. Inſoweit bleibt es vielmehr (von den 
jetzt unerheblichen Beſonderheiten des § 6 Satz 2 
BO. abgeſehen) bei der Regel des § 549 Abſ. 1 
ZPO. So ergibt ſich ein eigenartiger Zwie⸗ 
ſpalt: ein und derſelbe Rechtsſatz iſt bald reviſibel, 
bald nicht reviſibel, je nachdem über die Reviſion 
das Oberſte Landesgericht oder das Reichsgericht 
zu entſcheiden hat. Dahin gehören alle bayeriſchen 
Landesgeſetze, die im Bezirke des Oberlandesgerichts 
und darüber hinaus gelten, namentlich alſo Be⸗ 
ſtimmungen für das ganze Königreich oder für 
das ganze rechtsrheiniſche Bayern. Rechtsſätze, 


München, den 15. Februar 1911. 


7. Jahrg. 


Verlag von 


3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Sellier) 
München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 

„/ Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Betitzeile 
% doder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 73 


die ausſchließlich für die Pfalz Geltung haben, 
find — abgeſehen vom franzöſiſchen Rechte (8 2 
BO.) — überhaupt nicht reviſibel und bedürfen 
der Reviſionsfähigkeit auch gar nicht, da ihre ein⸗ 
heitliche Auslegung ſchon durch das Oberlandes⸗ 
gericht Zweibrücken überwacht werden kann. 
Hinſichtlich derjenigen Landesgeſetze dagegen, 
die vor dem Oberſten Landesgericht, nicht aber 
vor dem Reichsgericht reviſibel ſind, hat bisher 
eine ausreichende Gewähr für die Einheit der 
Rechtsanwendung gefehlt. Denn die Reviſions⸗ 
zuſtändigkeit!) iſt zwiſchen Reichsgericht und Oberſtem 
Landesgericht nach einem Grundſatze verteilt, der 
eine reviſionsgerichtliche Nachprüfung der ober: 
landesgerichtlichen Auslegung des für die Ent⸗ 
ſcheidung maßgebenden Landesgeſetzes in zahlreichen 
Fällen vereitelt. Für dieſe Verteilung iſt nämlich 
im Unterſchiede vom § 549 Abſ. 1 ZPO. nicht 
etwa maßgebend, ob die Reviſion auf Verletzung 
eines * oder auf Verletzung eines 
Landesgeſetzes geſtützt wird. Vielmehr gehören zur 
Reviſionszuſtändigkeit des Reichsgerichts ſchlechthin 
Prozeſſe, in denen „durch Klage oder Wider⸗ 
klage ein Anſpruch“ auf Grund eines nach 
5 8 Abſ. 2 EGzGWG. der Reviſionszuſtändigkeit 
des Reichsgerichts unterworfenen Reichsgeſetzes ver⸗ 
folgt wird. So namentlich bürgerliche Rechts⸗ 
ſtreitigkeiten, in denen „durch Klage oder Wider⸗ 
klage ein Anſpruch“) auf Grund des Bürgerlichen 
Geſetzbuchs geltend gemacht iſt“ (Art. 6 EGzBGB.).) 


1) Eine Art der Verrichtungszuſtändigkeit, der ſog. 
funktionellen Kompetenz (vgl. Stein, ZPO.“ Vorbem. 
VIII vor 8 1). 

) Im Sinne des § 253 Abſ. 2 Nr. 2 3PO., nicht nur 
in dem engeren Sinne des 8 194 BGB. Gemeint iſt alſo 
überhaupt ein materielles Recht mit Einſchluß der Ge⸗ 
ſtaltungsrechte (auch ſoweit die Geſtaltung durch Richter⸗ 
ſpruch vollzogen wird) oder Rechtsverhältnis (vgl. 
8 256 ZPO.). f 

2) Eine genaue Ueberſicht der ſonſtigen die Reviſion 
dem Reichsgericht zuweiſenden „beſonderen Reichsgeſetze“ 

eben L. Seuffert, Seuff Bl. 62 S. 97 ff. u. Stein, ZPO. 10 
8 1 unter VI 1. Alle dieſe Geſetze haben den im Texte be⸗ 
zeichneten Verteilungsmaßſtab. Ueber den 814 Geſetz vom 
12. Juni 1869 ſiehe unten in Note 7. Für das OberſteLandes⸗ 


74 


Daß die nachzuprüfende Entſcheidung ausſchließlich 
oder im weſentlichen von der Auslegung eines Landes⸗ 
geſetzes abhängt, bleibt alſo bisher unbeachtet. Iſt 
beiſpielsweiſe die Klage auf den $ 1004 BGB. ge: 
ſtützt, vom Beklagten aber eingewendet, er ſei kraft 
der Vorſchriften des bayeriſchen Nachbarrechts, 
Waſſerrechts oder Bergrechts zum Eingriff in den 
Herrſchaftsbereich des Eigentümers befugt, ſo fällt 
die Entſcheidung über die Reviſion dem Reichs— 
gericht zu, auch wenn die Parteien lediglich 
über die nach bayeriſchem Landesrecht 
zu beurteilende Eingriffsbefugnis 
ſtreiten. Auch dann iſt das Reichsgericht zuſtändig, 
wenn in der Klage auf Grund des $ 1027 BGB. 
(Art. 184 Satz 2 EGz BGB.) die Verurteilung 
zur Beſeitigung der eine altrechtliche Grunddienſt⸗ 
barkeit beeinträchtigenden Anlage begehrt wird, 
mag auch der Streit ſich ausſchließlich um die 
nach Landesrecht zu beurteilende Frage drehen, 
ob die Grunddienſtbarkeit entſtanden iſt oder 
nicht (ſo RG. vom 21. Januar 1904, IW. 
S. 138 Nr. 1 in Beſtätigung eines Erkenntniſſes 
des Oberſten Landesgerichts; vgl. ferner Bürck, 
JW. 1900 S. 801 f.). Ja es hat das Reichs— 
gericht bisher ſelbſt dann über die Reviſion zu 
entſcheiden, wenn durch die Klage ein auf Landes: 
recht beruhender Anſpruch (etwa aus einem alt— 
rechtlichen Schuldverhältnis. Art. 170 EGz BGB.), 
durch Widerklage) aber ein Gegenanſpruch auf 
Grund des BGB. erhoben worden iſt, mag auch 
der Widerklaganſpruch noch ſo geringfügig oder 
im Reviſionsverfahren gar nicht mehr ſtreitig ſein. 


Die unerträgliche Folge dieſer Rechtslage iſt 
die, daß in derartigen Prozeſſen den Parteien die 
dritte Inſtanz verkümmert und dem Oberſten 
Landesgericht die Erfüllung der ihm obliegenden 
Aufgabe, die Rechtſprechung der bayeriſchen Ober: 
landesgerichte zu überwachen und für einheitliche 


ee wird. 


— . — —ͤ—ũ— 


gericht bleibt vom Reichsrecht wenig übrig, beiſpielsweiſe 
die Zivilprozeßordnung (wenn etwa eine eigene Erſatzklage 
auf Grund der SS 302, 600, 717, 945 3PO. erhoben 
wird) oder die Konkursordnung (etwa ein Prozeß zur 
Feſtſtellung eines Konkursvorrechts, vgl. Jaeger, KO.“ 


861 Anm. 20), die letztere freilich nach Art. IX EG. z. 


Konkursnovelle vom 17. Mai 1898 nur abgejehen vom 


dritten Teil des erſten Buches (Anfechtung)z und — wie 


folgerecht hinzuzufügen iſt — vom § 222 (8 236) KO. 
Abſonderungs- und Ausſonderungsprozeſſe, in denen 
der Kläger ein Recht auf Grund des BGB. verfolgt, 
fallen unter Art. 6 EG z BGB (S8 4 II, 43 KO.). Da⸗ 
gegen bildet z. B. das Verfolgungsrecht des 8 44 KO. 
einen zur Reviſionszuſtändigkeit des Oberſten Landes— 
gerichts gehörenden reichsrechtlichen Anſpruch. Des— 
gleichen der Erſatzausſonderungsanſpruch nach 8 46 KO 

) Andrerſeits genügt es zur Begründung der 
Reviſionszuſtändigkeit des Reichsgerichts nicht, daß 
gegenüber dem vom Kläger kraft Landesrechts er— 
hobenen Anſpruch durch Einrede (im Sinne der 
ZPO.) etwa aufrechnungsweiſe, ein Gegenanſpruch auf 
Grund des BGB. geltend gemacht wird, mag auch der 
Streit ſich nur noch um dieſen Gegenanſpruch drehen. 


3 EN en — —ů— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 4. 


Normen, die vor ihm ſelber irreviſibel ſind, an 
die Auslegung des Oberlandesgerichts gebunden 
und darum in Fällen der erwähnten Art außer⸗ 
ſtande, ſachlich auf die Reviſion einzugehen (88 549, 
562 ZPO.). So entbehrt Bayern der Gewähr 
einer Einheitlichkeit der landesrechtlichen Recht: 
ſprechung. Die übrigen Gliedſtaaten ſind der 
Gefahr widerſprechender Auslegung ihrer Landes⸗ 
geſetze nicht im gleichen Grade ausgeſetzt. Die 
preußiſchen Landesgeſetze ſind nach Maßgabe des 
§ 1 30. vor dem Reichsgerichte reviſibel; für die 
einheilliche Anwendung ſonſtiger Landesgeſetze aber 
ſorgt, da jeder der anderen Gliedſtaaten (3. B. 
Sachſen, Württemberg, Baden, Heſſen) nicht mehr 
als ein Oberlandesgericht hat, bereits das Be: 
rufungsgericht. 

Es iſt daher mit Freuden zu begrüßen, daß 
der weitblickende und tatkräftige Leiter der bayeriſchen 
Juſtizverwaltung einen Antrag Bayerns im Bundes— 
rat auf Verbeſſerung der unzulänglichen Reviſions— 
vorſchriften erwirkt und perſönlich den Entwurf 
im Reichstage mit durchſchlagendem Erfolge ver— 
treten hat (Entwurf eines Geſetzes, betreffend 
die bei einem oberſten Landesgericht 
einzulegenden Reviſionen in bürgerlichen 
Rechtsſtreitigkeiten, mit Begründung, Reichs— 
tagsdruckſache Nr. 662, 12. Legislatur: Periode, 
II. Seſſion 1910,1911). Danach ſoll der für die 
Verteilung der Reviſionszuſtändigkeit zwiſchen Reichs— 
gericht und Oberſtem Landesgericht maßgebende 
Grundſatz nicht umgeſtoßen,“) auch das bahyeriſche 
Recht nicht in weiterem Umfang als bisher vor 
dem Reichsgerichte reviſibel werden,“) ſondern dem 
§ 8 Abſ. 5 EGzGWG. lediglich die Ausnahme 
hinzutreten „es ſei denn, daß für die Ent— 
ſcheidung im weſentlichen Rechtsnormen 
in Betracht kommen, die in Landesgeſetzen 
enthalten ſind“ (Art. 1). Der SS EGzGVG. 


Auslegung der Landesgeſetze zu ſorgen, unmöglich, wird alſo in neuer Faſſung lauten: 


Denn das Reichsgericht iſt bei 


„Durch die Geſetzgebung eines Bundesſtaats, in 
welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, 
kann die Verhandlung und Entſcheidung der zur 
Zuſtändigkeit des Reichsgerichts gebörenden Reviſionen 
in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten einem oberſten 
Lan desgerichte zugewieſen werden. 

Dieſe Vorſchrift ſindet jedoch auf bürgerliche 
Rechtsſtreitigkeiten, welche zur Zuſtändigkeit des 
Reichs⸗Oberhandelsgerichts gehören oder durch be— 
ſondere Reichsgeſetze dem Reichsgerichte zugewieſen 
werden, keine Anwendung, es ſei denn, daß für die 
Entſcheidung im weſentlichen Rechtsnormen in Be: 
tracht kommen, die in Landesgeſetzen enthalten ſind.“ 


) Unanfechtbar iſt dieſes Prinzip gewiß nicht. 
Seine Aufgabe hätte aber die Aenderung zahlreicher 
Geſetze nötig gemacht. 

e) Abgeſehen davon, daß jede weitere Belaſtung 
des Reichsgerichts zu vermeiden iſt und daß es übers 
haupt nicht Sache des Reichsgerichts ſein ſollte, die 
Auslegung von Landesgeſetzen zu überwachen, hätte 
eine ſolche Erweiterung ſich deshalb nicht empfohlen, 
weil ſie zwei Obergerichte neben einander zur letzt— 
inſtanzlichen Auslegung desſelben Rechtes berufen haben 
würde. Vgl. auch Begründung S. 3. 


Die Neuerung will der Zuſtändigkeit des Reichs: 
gerichts grundſätzlich keinen Abbruch tun, da ſie 
ſich ja „im weſentlichen“ auf Normen beſchränkt, 
die auch früher nicht zur Reviſionszuſtändigkeit des 
Reichsgerichts gehörten. Sie will vielmehr die 
ſchon bisher anerkannte Reviſionszuſtändigkeit des 
Oberſten Landesgerichts ficherſtellen und verwirk⸗ 
lichen. Dem Reiche bleibt, was des Reiches iſt. 
Bayern aber hat das lebhafteſte Intereſſe an einer 
realen Gewähr für die Einheitlichkeit der landes⸗ 
rechtlichen Rechtſprechung. Ueberzeugend führt die 
Begründung S. 3 aus: 

„Bisher kam die Irreviſibilität des bayeriſchen 
Rechtes hauptſächlich für Rechtsgebiete, die durch 
ältere Geſetze geregelt ſind, und für Rechtsverhältniſſe, 
die vor dem Inkrafttreten des BGB. entitanden find, 
in Betracht. Für das ältere Recht ließ ſich der 
Mangel einer Möglichkeit, die Rechtseinheit zu 
wahren, ertragen. Auf dem Gebiete des älteren 
Rechtes hat ſich im Lauſe ſeiner langen Geltungszeit 
eine feſte Uebung gebildet und überdies iſt es zum 
größten Teil ohnehin zum Ausſterben beſtimmt. Je 
mehr indeſſen erſt nach der Einführung des BGB. 
entſtandene Rechts verhältniſſe in Betracht kommen 
und je mehr Bayern dazu übergeht, größere der 
Landesgeſetzgebung vorbehaltene Gebiete durch neuere 
Geſetze zu regeln, um ſo dringender wird das Be⸗ 
dürfnis, durch eine oberſtrichterliche Rechtſprechung 
die Auslegung dieſer Geſetze in feſte Bahnen zu 
enken.“ 


Der Inhalt der neuen Vorſchrift iſt beſtimmt 
und klar. Sie lehnt ſich im Wortlaut an den 
$ 136 des Entwurfs eines Geſetzes, betr. Aenderungen 
des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes an, der für Strafpro⸗ 
zeſſe beſtimmen ſoll: „Das Reichsgericht kann die Ver⸗ 
handlung und Entſcheidung über das Rechtsmittel 
der Reviſion gegen Urteile der Berufungsſenate, für 
die es nach $ 136 Nr. 2 (bisheriger Zählung) zu⸗ 
ſtändig iſt, dem Oberlandesgericht überweiſen, wenn 
für die Entſcheidung im weſentlichen 
ſolche Rechtsnormen in Betracht kommen, 
die in Landesgeſetzen enthalten find.“ Die Ent: 
ſcheidung iſt nach dem Zuſammenhange „die Ent⸗ 
ſcheidung der Reviſion“. Geben für ſie nach dem 
Ermeſſen des ſchon bisher zur bindenden Vor⸗ 
entſcheidung über die Reviſionsverteilung berufenen 
Oberſten Landesgerichts (S 7 II EGzZ3PO.) aus: 
ſchließlich oder doch „im weſentlichen“ landes⸗ 
geſetzliche Rechtsfätze den Ausſchlag, ſo hat das 
Oberſte Landesgericht, in allen anderen Fällen 
hat das Reichsgericht über die Reviſion zu ent⸗ 
ſcheiden.) Daß man dem Oberſten Landes⸗ 
gerichte die pflichtmäßige Abwägung vertrauensvoll 
überlaflen darf, dafür bürgt ſeine ganze bisherige 


) Bei Klagenverbindung (8 260 ZPO.) genügt es 
ſonach zur Begründung der Zuſtändigkeit des Oberſten 
Landesgerichts noch nicht, daß der nach Landesrecht zu 
beurteilende Anſpruch den höheren Streitwert hat. 
Dieſen Maßſtab legt der 8 14 Geſetz, betr. die Errichtung 
eines oberſten Gerichtshofes für Handelsſachen, vom 
12. Juni 1869 (BGBl. S. 201) für den Fall feſt, daß 
bei Klagenverbindung (oder Widerklage) Handelsſachen 
un andere Sachen den Gegenſtand der Entſcheidung 
bilden. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


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75 


Rechtſprechung. Sie weiſt auch nicht die leiſeſte 
Spur eines Beſtrebens nach ungerechtſertigter Zu⸗ 
ſtändigkeitserweiterung auf und hat die Beſorg⸗ 
niſſe längſt widerlegt, die ſeinerzeit in der Juſtiz⸗ 
kommiſſion des Reichstags bei Beratung des jetzigen 
8 7 Abi. 2 EGzZ3PO. gegenüber der Betrauung 
eines Landesgerichts mit ſouveräner Zuſtändigkeits⸗ 
entſcheidung geltend gemacht worden find (vgl. 
v. Hahn, Materialien der ZPO. S. 1083). 

Die Bedeutung der Novelle liegt nicht darin, 
daß ſie künftig dem Oberſten Landesgericht eine 
große Zahl von Reviſionen zuführen wird. 
Nach den Erhebungen der bayeriſchen Juſtizver⸗ 
waltung (Begr. S. 4) würden von durchſchnittlich 
200 Revifionen, die in der Zeit von 1904 bis 
1909 alljährlich vom Oberſten Landesgericht an 
das Reichsgericht abgegeben worden ſind, nur 
etwa 17 im Jahre dem Oberſten Landesgericht 
verblieben ſein, wenn der $ 8 EGzGGVG. die 
nun vorgeſehene Faſſung gehabt hätte. Bei 
dieſer Berechnung iſt die im Jahre 1910 durch⸗ 
geführte Entlaſtung des Revifionsgerichts natürlich 
noch nicht in Anſatz gebracht. Immerhin darf 
der Gewinn, den die Novelle für die bayeriſche 
Rechtſprechung bedeutet, nicht unterſchätzt werden. 
Denn erſt ſie bietet, wie bereits betont, die un⸗ 
entbehrliche Garantie für eine gleichmäßige An⸗ 
wendung der Landesgeſetze. 


II. Von weit geringerer Bedeutung iſt die 
im Art. 2 des Entwurfs vorgeſehene Beifügung 
des folgenden (fünften) Abſatzes zum § 7 
EGz ZPO.: 

„Wird der Beſchluß des Oberſten 
Landesgerichts, durch welchen das 
Reichsgericht für zuſtändig erklärt 
wird, dem Reviſionskläger erſt nach 
dem Ablauf der Reviſionsfriſt zuge⸗ 
ſtellt, ſo beginnt mit der Zuſtellung 
des Beſchluſſes der Lauf der Friſt für 
die Reviſionsbegründung von neuem.“ 


Die Neuerung will einem von der Rechts⸗ 
anwaltſchaft beim Reichsgericht gerügten Mangel 
abhelfen. Wird nämlich gegen das Urteil eines 
bayeriſchen Oberlandesgerichts Reviſion eingelegt, 
ſo kann die Reviſionsbegründung ſolange beim 
Oberſten Landesgericht eingereicht werden, als 
dieſes über die Zuſtändigkeitsvorfrage nicht nach 
87 Abi. 2 EGz3PO. entſchieden hat (vgl. L. 
v. Seuffert ZPO. 1 8 554 Anm. 2). Nun 
beginnt aber nach 8 554 Abſ. 2 ZPO. die 
Reviſionsbegründungsfriſt mit Ablauf der Re⸗ 
viſionsfriſt auch dann, wenn das Oberſte Landes⸗ 
gericht ſeine eigene Reviſionszuſtändigkeit verneint 
und die Sache an das Reichsgericht abgibt. So 
kann der Fall eintreten, daß dem jetzt erſt zu 
beſtellenden reichsgerichtlichen Rechtsanwalt eine 
ausreichende Friſt für die Begründung des Rechts⸗ 
mittels nicht zur Verfügung ſteht. Deshalb ſoll 
nach Art. 2 künftig die Reviſionsbegründungsfriſt 


von neuem zu laufen beginnen, wenn die das 
Reichsgericht für zuſtändig erklärende Vorent⸗ 
ſcheidung erſt nach Ablauf der Reviſionsfriſt zu⸗ 
geſtellt wird (Begr. S. 4). Auch für dieſe zweite 
Begründungsfriſt beſteht die Möglichkeit einer 
Verlängerung durch den Vorſitzenden auf Antrag 
(3 554 Abſ. 2 Satz 2 ZPO.). 

III. Mit Recht verhält ſich der Entwurf 
weitergehenden Wünſchen gegenüber ablehnend. 
Hier ſei nur bemerkt: 

1. Nachdem die Novellen von 1898 und 1905 
es vermieden haben, an dem Grundſatze zu rütteln, 
daß die Reviſion gegen Urteile bayeriſcher Ober⸗ 
landesgerichte beim Oberſten Landesgericht einzu⸗ 
legen, und daß von dieſem eine bindende Vor⸗ 
entſcheidung über die Reviſionszuſtändigkeit zu 
fällen iſt, würde jetzt eine Aufgabe dieſes Grund⸗ 
ſatzes vollkommen unverſtändlich ſein. Freilich 
lautet die Vorentſcheidung in der überwiegenden 
Mehrheit der Fälle dahin, daß über die Reviſion 
das Reichsgericht zu entſcheiden habe. So ſind 
von 267 Reviſionen, die 1909 beim Oberſten 
Landesgericht eingereicht wurden, 224 dem Reichs⸗ 
gericht und nur 43 dem Oberſten Landesgericht 
zugefallen. Allein einerſeits würde eine Vorſchrift 
des Inhalts, daß die Reviſion gegen Urteile 
bayeriſcher Oberlandesgerichte ſtets oder auch nur 
wahlweiſe beim Reichsgericht einzulegen ſei, dem 
auch künftig noch ſtark überbürdeten Reichsgericht 
eine nicht unerhebliche neue Belaſtung aufladen. 
Andrerſeits aber läge in dieſer Aenderung ein 
Mißtrauensvotum gegenüber dem Oberſten Landes⸗ 
gerichte, das angeſichts der höchſt loyalen Praxis 
dieſes Gerichtshofes das äußerſte Befremden er⸗ 
regen müßte. 

2. Es beſteht auch kein zwingender Grund, 
die Vorſchrift des 8 8 Abſ. 1 Satz 2 EG33PO. 
fallen zu laſſen, derzufolge jeder bei einem 
Land- oder Oberlandesgericht (namentlich 
alſo beim Gericht erſter oder zweiter Inſtanz) zu⸗ 
gelaſſene Rechtsanwalt die Reviſionsſchrift ($ 553), 
die Reviſionsbegründungsſchrift ($ 554) und die 
Revifionsanſchlußſchrift ($ 556 Abſ. 2 ZPO.) ver: 
faſſen kann, ſolange die Zuſtändigkeits-Vorent⸗ 
ſcheidung den Parteien noch nicht bekannt gegeben 
iſt (vgl. RG. vom 7. Januar 1908 JW. S. 144 
Nr. 15). Der Anwaltſchaft des Reviſionsgerichts 
das Begründungsmonopol zuzuerkennen, wäre un: 
angemeſſen. Fortab hängt die Entſcheidung über 
die Reviſionszuſtändigkeit davon ab, ob Landes⸗ 
recht oder Reichsrecht anzuwenden iſt; der Inſtanz⸗ 
anwalt aber muß in der Lage ſein, ſich darüber 
zu äußern, welches Recht nach ſeiner Anſicht zur 
Anwendung zu gelangen hat. 

Mißſtände können ſich ergeben, wenn der 
Reviſionskläger die Beſtellung eines Anwalts beim 
Reviſionsgericht ungebührlich verzögert. Der 
Termin wird angeſetzt; Senatspräſident, Referent 
und Gegenanwalt bereiten ſich vor; ſchließlich ſtellt 
ſich heraus, daß der Reviſionskläger überhaupt 


6 
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


Pas u SEE = ER 


nicht verhandelt. Hier mag der Senatspräſident 
Abhilfe ſchaffen, indem er die Sache erſt bearbeiten 
läßt, nachdem der Anwalt beſtellt iſt. Erfolgt 
die Beſtellung nicht zeitig genug vor dem Termine, 
ſo wird die Sache in eine möglichſt nahe Sitzung 
vertagt und eine andere Sache eingeſchoben. Zu 
geſetzlichen Maßnahmen beſteht kein Anlaß. 

Zurücknehmen kann die Reviſion nur ein 
beim Reviſionsgericht zugelaſſener Rechtsanwalt. 
Hat fie ein anderer eingelegt (§8 8 Abſ. 1 EGz3P O.), 
ſo muß für den Zweck der Zurücknahme eigens 
ein beim Reviſionsgericht zugelaſſener Anwalt be⸗ 
ſtellt werden. Der bayeriſchen Partei erwachſen 
damit Mehrkoſten (vgl. 8 23 Nr. 1 RAnwGO. 
mit 5 47 Nr. 3 GKG.) Trotzdem wird es 
ſich kaum empfehlen, den Anwaltszwang (8 78 
ZP.) noch weiter durch den Satz zu durchbrechen, 
daß die Reviſion durch jeden Anwalt zurückge⸗ 
nommen werden dürfe, der ſie einlegen kann. Die 
Fälle leichtfertiger Reviſionseinlegung würden da⸗ 
mit ſicherlich vermehrt werden. 

IV. Für die Uebergangszeit will der Art. 3 
des Entwurfs beſtimmen, daß die Art. 1 und 2 
auf ſolche Reviſionen unanwendbar bleiben, die 
vor dem Inkrafttreten des neuen Geſetzes einge⸗ 
legt find.?) 


Die Feſtſtellung des Eigentums an Wegen. 


Von Oberſtlandesgerichtsrat Hermann Schmitt 
im Staatsminiſterium der Juſtiz in München. 


(Fortſetzung). 

d) Feldwege: Wenn in einer Gemeinde ein 
Flurbereinigungsverfahren ſtattgefunden hat und 
rechtskräftig abgeſchloſſen worden iſt, ſo können 
alle Wege, die in dieſem Verfahren der Gemeinde 
als Eigentum zugewieſen worden ſind, ohne 
weiteres als Eigentum der Gemeinde feſtgeſtellt 
werden; die Unterlage für die Entſcheidung im 
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Flurbereinigungsverfahren iſt nicht nachzuprüfen; 
denn die rechtskräftige Entſcheidung der Flur⸗ 
bereinigungskommiſſion iſt unanfechtbar.“) 

Im übrigen iſt folgendes zu beachten: Die 
erſten Anhaltspunkte für die Entſcheidung, ob es 
ih um Grundſtücksbeſtandteile und dement⸗ 
ſprechend um Eigentum der anliegenden Grund: 
ſtückseigentümer handelt, bietet der Flurplan, 
auf dem die ſämtlichen Feldwege einzeln auf⸗ 
geſucht werden müſſen. Man wird ſich ſchon 
auf Grund der Einſichtnahme des Flurplans 
darüber ſchlüſſig machen können, welche Wege 
zweifellos nicht Angrenzerwege, ſondern ſelb— 


) Zur Zeit der Korrektur dieſes Aufſatzes hat der 
Reichstag den Entwurt bereits in dritter Leſung un— 
verändert angenommen. 

*) Vgl. Art. 40 des Flurber.⸗Geſ. — In der Regel 

| werden im zylurbereinigungsverfahren alle Wege der 
Gemeinde als Eigentum überwieſen, wenn nicht beſondere 
Verhältniſſe eine Ausnahme rechtfertigen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


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ftändige Grundſtücke find, dann, welche Wege 
zweifellos Grundſtücksbeſtandteile bilden; bei einer 
dritten Gruppe von Wegen wird die Einſicht⸗ 
nahme des Flurplans zur Klarſtellung der Ver⸗ 
hältniſſe freilich nicht ausreichen. 

Breitere Wege, die nicht über Grundftüde 
hinweg⸗, ſondern zwiſchen Grundſtücken hindurch⸗ 
gehen und durch die ganze Flur laufen, ſo daß 
die Annahme begründet iſt, daß ſie nicht nur 
von den angrenzenden Grundſtückseigentümern 
benutzt werden, ſondern einem größeren Perſonen⸗ 
kreiſe, der Allgemeinheit, dienen, können ohne 
weiteres ausgeſchieden und als Gemeindeeigentum 
behandelt werden; beſondere Erhebungen werden 
nur veranlaßt ſein, wenn die Möglichkeit beſtände, 
daß ein Großgrundbeſitzer auf dieſe Wege Eigen⸗ 
tumsanſprüche geltend macht. 

Ebenſo können ſchmale Wege, die nach der 
Zeichnung auf dem Flurplan Grundſtücke in der 
Weiſe durchſchneiden, daß rechts und links vom 
Wege Teilflächen eines mit nur einer Plan⸗ 
nummer bezeichneten Grundſtücks liegen, Wege, 
die ſich in der Flur verlaufen und von denen 
nach Lage der Verhältniſſe mit Beſtimmtheit an⸗ 
genommen werden kann, daß ſie für die Gemeinde, 
für die Allgemeinheit keine Bedeutung haben, 
daß ſie ausſchließlich zur Bewirtſchaftung der 
von ihnen berührten Grundſtücke dienen (ſog. 
Sackwege), als Angrenzerwege angeſehen werden. 

Bezüglich der übrigen Wege, deren Verhäͤlt⸗ 
niſſe nach dem Flurplan allein nicht feſtgeſtellt 
werden können, ſind eingehendere Erhebungen 
notwendig. In der Regel wird es ſich empfehlen, 
dieſe Wege in der Natur zu beſichtigen und zu 
dieſer Augenſcheinseinnahme zwei flurkundige Per⸗ 
ſonen (Feldgeſchworene) und den Bürgermeiſter 
beizuziehen und zwar die Feldgeſchworenen als 
Auskunftsperſonen über Tatſachen, die für die 
Beurteilung der Rechtsverhältniſſe von Bedeutung 
ſein können, den Bürgermeiſter als Vertreter der 
Gemeinde, die an dem Ergebnis der Verhand⸗ 
lungen ein weſentliches Intereſſe hat und unter 
Umſtänden Eigentumsrechte geltend machen 
will. Die Vernehmung der Auskunſtsperſonen 
muß gründlich und zuverlaſſig ſein; man darf 
ſich nicht mit ganz allgemein gehaltenen Aeuße⸗ 
rungen begnügen; es genügt beiſpielsweiſe nicht, 
die Auskunftsperſonen erklären zu laſſen, daß alle 
Wege Eigentum der Gemeinde ſeien, daß noch 
kein Dritter Eigentumsanſprüche erhoben habe, 
daß die Gemeinde alle Wege unterhalte.) Die 


darf die Frage nicht dahin ſtellen, ob die Wege bisher 
Gemeindeeigentum waren. Mit der einfach bejahenden 
Antwort vermag der Richter nichts anzufangen; er muß 
ſeine Entſcheidung begründen, er kann ſie nur auf Tat⸗ 
ſachen, nicht auf die einer tatſächlichen Unterlage ent⸗ 
behrende Meinung der Auskunftsperſonen ſtützen, die 
ſich häufig über die Eigentumsverhältniſſe bezüglich 
der unbedeutenden Feldwege nicht klar ſind und ihre 


Meinung jederzeit wieder ändern können. Im übrigen 


in Bayern. 1911. Nr. 4. 


Verhältniſſe müſſen im einzelnen beſprochen und 
gewürdigt werden. 

Die Verhandlungen müſſen ſich zunächſt mit 
der Beſchaffenheit des Weges, mit der Unterhaltung 
befaſſen. Wenn die Gemeinde den Weg auf Grund 
des Art. 38 GemO. unterhält, jo wird hierdurch 
die Eigentumsfrage zwar nicht entſchieden, doch 
iſt damit ein gewichtiger Umſtand ſür das Eigen⸗ 
tumsrecht der Gemeinde gegeben, namentlich dann, 
wenn der Weg im Kataſter noch als Feldweg be⸗ 
zeichnet iſt. Weniger von Bedeutung iſt die Feſt⸗ 
ſtellung, daß die Gemeinde nach Art. 55 GemO. 
die Unterhaltung des Weges angeordnet hat; denn 
unter Feldwegen im Sinne dieſer Geſetzesſtelle 
ſind alle Feldwege, die öffentlichen und die nicht 
öffentlichen zu verſtehen;F“) ein Vorgehen auf 
Grund dieſer Vorſchrift läßt nicht ohne weiteres 
einen Schluß auf die Eigentumsfrage zu, auch 
dann nicht, wenn man die Meinung vertreten 
wollte,“) daß Art. 55 nur auf öffentliche Feld⸗ 
wege, nicht auch auf Privatfeldwege anzuwenden 
ſei, es müßte denn in einwandfreier Weiſe feſtge⸗ 
ſtellt werden können, daß die Gemeinde die Wege 
nicht nur als öffentliche Wege, ſondern auch als 
ihr Eigentum betrachtet hat. Dagegen kann die 
Tatſache, daß die Angrenzer die Wege unterhalten 
haben, ohne von der Gemeinde hierzu angehalten 
worden zu ſein, für das Eigentum der Angrenzer 
ſprechen, weil in dieſem Falle die Annahme be⸗ 
rechtigt iſt, daß ein allgemeines Intereſſe an den 
Wegen nicht beſteht. Weiter wird darüber zu 
verhandeln ſein, wer das auf dem Wege wachſende 
Gras nutzt, wer über die auf dem Wege ſtehenden 
Bäume verfügt. Daß die Gemeinde die Nutzungen 
an den Wegen verpachtet, kommt haͤufig vor; doch 
kann dieſer Pachtvertrag an ſich fremdes Eigentum 
nicht berühren; will man die Bedeutung einer 
ſolchen Verpachtung zuverläſſig feſtſtellen, ſo muß 
ermittelt werden, welche Wege im einzelnen durch 
die Verpachtung tatſächlich getroffen wurden, ob 
bei den Wegen, die nach Lage der Sache als An⸗ 
grenzerwege zu betrachten wären, eine Grasnutzung 
überhaupt ſtattfinden kann und bejahendenfalls 
ob ſie ſo bedeutend iſt, daß aus der ſtillſchwei⸗ 
genden Duldung der Angrenzer ein Schluß auf 
die Preisgebung ihres Eigentums an der Weg⸗ 
fläche ſelbſt gezogen werden kann. Wird feſtge⸗ 
ſtellt, daß die Angrenzer ſeit Jahren die Verpach⸗ 
tung einer wertvolleren Grasnutzung geduldet 


ſoll man überhaupt eine Frageſtellung vermeiden, die 
bei nicht gewandten Perſonen die irrige Meinung auf⸗ 
kommen laſſen kann, daß der Frageſteller eine Bejahung 
der Frage erwartet. 

0) Vgl. Entſch. d. VerwH. Bd. 3 S. 29: weil 
das Geſetz zwiſchen öffentlichen und nicht öffentlichen 
nicht unterſcheidet. A. M. Kahr; ſ. Anm 30. 

” Wie Kahr, GemO. 1 S. 586: die Regelung der 
Privatwegeverhältniſſe liege außerhalb des Rahmens 
einer Gemeindeordnung, die einſchlägigen Geſetzgebungs— 
verhandlungen bieten keinen Anhalt für die Annahme, 
daß dies gleichwohl beabſichtigt geweſen ſei. 


18 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911 in Bayern. 1911. Nr. 4. 


haben, ſo wird auch dieſer Umſtand zugunſten des 
Eigentums der Gemeinde verwertet werden können. 
Im übrigen iſt die Frage überhaupt von größter 
Bedeutung, ob die Gemeinde irgendwelche Hand⸗ 
lungen vorgenommen hat, welche dahin gedeutet 
werden können, daß ſie ſich als Eigentümerin des 
Weges betrachtet hat und daß auch die Angrenzer 
ſie als ſolche gelten laſſen wollten. So wird die 
Tatſache, daß die Gemeinde von den Angrenzern 
Teilflächen zur Verbreiterung oder zur Verlegung 
des Weges gekauft hat, ein ſprechender Beweis 
für das Eigentum der Gemeinde ſein, es müßte 
denn die Gemeinde ſelbſt geltend machen, daß ſie 
ſich beim Abſchluſſe des Rechtsgeſchäfts geirrt hat, 
oder ein Teil der Angrenzer dartun, daß ſie von 
dem Rechtsgeſchäfte keine Kenntnis erlangt haben. 
Auch die Verkehrsbedeutung des Weges muß hier 
gewürdigt werden; die Feldgeſchworenen können 
unter anderem wiſſen, daß ein Feldweg zugleich 
als Kirchen⸗, Schul⸗ oder Leichenweg für die 
Gemeinde dient, oder daß er den einzigen Zu⸗ 
gang zu einer großen Flurabteilung bildet, die 
wegen beſtehender Abhänge oder wegen eines in⸗ 
mitte liegenden Sumpfes auf anderen Wegen 
nicht zu erreichen iſt, oder daß der Weg allein 
zu einer Gemeindeweide führt und aus dieſem 
Grunde von ollen oder doch von einer unbe⸗ 
ſchränkten Zahl der Gemeindeangehörigen benützt 
werden muß. Anhaltspunkte für die Entſcheidung 
der Eigentumsfrage kann auch die Vermarkung 
bieten; es kann ihr jedoch nur dann Gewicht bei- 
gelegt werden, wenn die Zeit, der Anlaß und die 
Bedeutung der Abmarkung genauer feſtgeſtellt 
werden kann; ) die Feldgeſchworenen können ſich 
auch hierüber ausſprechen, insbeſondere können ſie 
wiſſen, ob die Vermarkung mit Zuſtimmung der 
Angrenzer vorgenommen wurde, ob ſie eine wirk⸗ 
liche Eigentumsgrenze darſtellen oder nur die 
Wegrichtung und die Wegbreite feſtlegen ſollte, 
die von den Fahrtberechtigten einzuhalten iſt. 
Dem Stand der Markſteine muß beſondere Auf⸗ 
merkſamkeit zugewendet werden; manchmal ſtehen 
ſie in der Mitte des Weges, manchmal abwechſelnd 
zu beiden Seiten des Weges, ) während ſie ſich 
in anderen Fällen nur an den am Wege liegenden 
Grundſtücksgrenzpunkten finden. Schließlich wird 
auch zu erörtern ſein, auf weſſen Koſten die Mark⸗ 
ſteine beſchafft wurden. Die Sorge der Gemeinde 
für die Inſtandhaltung der Abmarkung einzelner 
Wege kann unter Umſtänden für die Entſcheidung 
von weſentlicher Bedeutung ſein; vorausgeſetzt 
wird hierbei natürlich, daß die Gemeinde die er⸗ 
forderlichen Grenzſteine nicht, wie es an manchen 
Orten üblich iſt, für alle Grundſtücke der Ge⸗ 
meindeflur, ſondern nur für die ihr gehörenden 
Grundſtücke beſchafft. Man wird auch in dieſem 
Falle he können, daß die Gemeinde durch 


2 Vgl. Samml. Bd. 8 95 604. 
) Siehe unten s Abſ. 3 


die Inſtandhaltung der Markſteine zu erkennen 
gegeben hat, daß fie die Wegfläche als ihr Eigen: 
tum betrachtete; haben die Angrenzer die Gemeinde 
gewähren laſſen und ſie ſelbſt als Eigentümerin 
angeſehen, ſo kann dies die Annahme eines 
Beſitzverhältniſſes rechtfertigen, das für die Be⸗ 
teiligten trotz des Fehlens einer nachweisbaren 
Erwerbstatſache als der zu Recht beſtehende Zu⸗ 
ſtand gegolten hat und das infolgedeſſen im Wege 
der außerordentlichen Erſitzung zum Erwerbe des 
Eigentums führen konnte.) 

Unter Umſtänden wird auch das Meſſungs⸗ 
amt um Aeußerung zu erſuchen ſein, namentlich 
wenn Zweifel darüber beſtehen, ob die Wegfläche 
in die Fläche der vom Wege berührten Grund⸗ 
ſtücke eingerechnet iſt; der in der Flur bekannte 
Meſſungsbeamte wird ſachdienliche Aufſchlüſſe über 
die Verkehrsbedeutung und andere Verhältniſſe 
geben können; er wird ſich über den Zweck der 
Vermarkung und namentlich darüber äußern können, 
ob die aufgefundenen Steine überhaupt als Mark⸗ 
ſteine und nicht etwa, was einigemale feſtgeſtellt 
werden mußte, als Abweisſteine zu gelten haben. 
Zur Entſcheidung der Eigentumsfrage iſt er freilich 
ebenſowenig wie eine andere Auskunftsperſon oder 
ein anderer Sachverſtändiger berufen. Dieſe Auf⸗ 
gabe kommt nur dem Richter zu. 

Einer Vernehmung der angrenzenden Grund⸗ 
ſtückseigentümer wird es in der Regel nicht be⸗ 
dürfen; ſie iſt überflüſſig, wenn der Richter ſich 
für Eigentum der Angrenzer entſcheidet, ) und 
ebenſo entbehrlich, wenn er ſich auf Grund be⸗ 
ſtimmter Tatſachen für das Eigentum der Ge⸗ 
meinde oder einer Privatperſon ſchlüſſig macht. 
Ausnahmsweiſe kann natürlich auch die Vernehmung 
der Angrenzer, wenigſtens einzelner von ihnen 
zum Zwecke der Klarſtellung der Verhältniſſe ver⸗ 
anlaßt ſein. 

Beſondere Aufmerkſamkeit erfordert die Be⸗ 
handlung der zunächſt der Grenze einer Steuer⸗ 
gemeinde laufenden Feldwege.) Wenn ein 
ſolcher Weg an der Grenze läuft, alſo nur 
Grundſtücke einer Steuergemeinde berührt, fo iſt 
er auch nur in dieſer Steuergemeinde kataſtriert. 
Wenn ein Weg aber auf der Grenze läuft, alſo 
Grundſtücke der einen wie der benachbarten 
Steuergemeinde berührt, ſo hätte er ſchon mit 
Rückſicht auf § 62 des Grundſteuergeſetzes auch 
in beiden Steuergemeinden je mit einer beſonderen 
Plannummer kataſtriert werden ſollen; ganz ver⸗ 
einzelt iſt dies auch geſchehen; im Regelfalle aber 
wurde ein auf der Grenze verlaufender Weg nur 
in der einen Steuergemeinde kataſtriert, ſo daß 
zu dieſem Wege nun auch Teilflaͤchen von Grund: 


7) So zutreffend das Oberſte Landesgericht 
Samml. 8 . Für die Annahme der ordentlichen Er— 
jipung fehlt der richtige Titel. 

) Vorgeſchrieben iſt fie nicht; ſiehe unten Anm. 48. 

2% Siehe oben Ziff. I Abſ. 1. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


79 


— — — — — 


ſtücken der benachbarten Steuergemeinde gehören, die Straße oder der Weg ſpäter infolge einer 


gleichviel ob dieſe Steuergemeinde in demſelben 
Grundbuchamtsbezirke liegt oder nicht. Aus der 
kataſtertechniſchen Behandlung der Grenzwege 
dürfen alſo Schlüſſe auf die Zugehörigkeit der 
Teilflaͤchen nicht gezogen werden, insbeſondere 
darf aus der Tatſache, daß ein Weg nur in 
einer Steuergemeinde kataſtriert iſt, nicht ohne 
weiteres geſolgert werden, daß er ausſchließlich 
Grundſtücke dieſer Steuergemeinde berührt. Es 
iſt vielmehr in jedem einzelnen Falle geſondert 
ſeſtzuſtellen, ob der Weg an oder auf der Grenze 
läuft; eine Vernehmung der Angrenzer aus der 
benachbarten Steuergemeinde wird ſich in dieſem 
Falle nicht umgehen laſſen. 

e) Waldwege: Das Verfahren geſtaltet ſich 
bei dieſen Wegen, die nach den Erforderniſſen 
des jeweiligen forſtwirtſchaftlichen Betriebs häufig 
verlegt werden und daher in ihrem Beſtande 
(Verlauf und Flächeninhalt) fortwährendem Wechſel 
unterworfen ſind, aus dem Grunde einfacher, weil 
bei ihnen nach Lage der Sache die Vermutung 
dafür ſpricht, daß ſie Eigentum desjenigen ſind, 
der über ſie Verfügung getroffen hat, d. i. des 
Waldeigentümers; freilich keine Rechtsvermutung, 
es muß aber angenommen werden, daß ſie ſeit 
Beſtehen des Waldes Beſtandteile des Waldes 
geweſen find, der ja an und für ſich ein ge: 
ſchloſſenes Ganzes bildet; es würde auch jeder 
vernünftigen Waldwirtſchaft widerſprechen, wenn 
der Waldeigentümer ſolche Teilflächen des Waldes 
an einen anderen abtreten und ſo mitten in 
ſeinem abgeſchloſſenen Herrſchaftsbereiche einen 
anderen Gebieter aufkommen laſſen wollte. Dies 


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gilt nicht nur vom Staatswald, ſondern ebenſo 


von Gemeinde⸗, Körperſchafts⸗, Stiftungs⸗ und 
Privatwaldungen. Beim Staatswald iſt beſonders 
zu berüdfichtigen, daß die Wege innerhalb der 
geſchloſſenen Abmarkung liegen und vom Staats⸗ 
waldbeſitz nicht abgemarkt, daß ſie in den 
Grenzvermeſſungsregiſtern nicht als fremdes Eigen⸗ 
tum betrachtet worden ſind, 
Nutzungen auf den Wegen (Steine, Erde, Laub, 
Holzwuchs, Geaͤckerich ꝛc.) für das Staatsärar 


Verlegung wieder aufgelaſſen wurde, ſo daß der 
Eigentümer wieder frei über die Flache verfügen 
konnte. f 


Im Anlegungsverfahren hat denn auch die 
Staatsforſtverwaltung aus obigen Gründen an 
allen Staatswaldwegen Eigentumsanſprüche er⸗ 
hoben, gleichviel ob ſie ſich in inmärkiſchen oder 
ausmärkiſchen Bezirken befinden. Soweit für 
die Wege Buchungsantrag geſtellt war, hatte 
man die Wege als Beſtandteile der von ihnen 
berührten Waldgrundſtücke feſtzuſtellen und dann 
nach SS 189, 300 der Dienſtanweiſung zu be⸗ 
handeln, man durfte ſie aber nicht in das Ver⸗ 
zeichnis der nicht gebuchten buchungsfreien Grund⸗ 
ſtücke aufnehmen. Die bei einzelnen Gerichten 
erörterte Frage, ob ſür die Wege, die als Grund⸗ 
ſtücksbeſtandteile anerkannt werden, überhaupt 
Buchungsantrag geſtellt und die Anlegung eines 
Grundbuchblattes (nicht bloß eines Schutzblattes 
im Sinne des $ 300 Abſ. 2 DAnw.) verlangt 
werden kann, muß grundſätzlich bejaht werden; 
es ſteht ganz im Belieben des Eigentümers, 
Grundſtücksbeſtandteile als ſelbſtändige Grund⸗ 
ſtücke zu erklären und als ſolche den beſtehenden 
Vorſchriften entſprechend grundbuchmäßig behandeln 
zu laſſen. 


Eingehender ſind die Verhältniſſe der Wege zu 
würdigen, welche auf (nicht: an) der Grenze ver⸗ 
laufen und deren Abmarkungsſteine abwechſelnd auf 
beiden Wegſeiten ſtehen. Bei dieſen Wegen iſt, darüber 
beſteht allſeitiges Einverſtändnis, zu vermuten, daß 
die eigentliche Grenze auf der Mitte des Weges 
liegt und die eigenartige Stellung der Steine 


nur gewählt wurde, weil dieſe in der Mitte 


des Weges der vorausſichtlichen Beſchädigungen 
halber nicht aufgeſtellt werden konnten oder ſollten. 


Oefter hat man das Rechtsverhältnis in einem 


daß man alle 
Bruchteilen 
nicht der wirklichen Sach- und Rechtslage; denn 


verwertet hat, daß ſie abſichtlich und unabſichtlich 


verlegt, reguliert und verbeſſert worden ſind ohne 


daß jemand dazwiſchen getreten iſt; auch das 


kann nicht außer Betracht bleiben, daß ſie in 
der Natur zum Teil als Wege gar nicht mehr 
vorhanden ſind, daß ſie außer Gebrauch kamen 
und ſich auf natürlichem Wege mit Holz be⸗ 
ſtockten. 
Diſtriktsſtraßen und Gemeindeverbindungswege 
durch den Staatswald geführt hat; die Staats— 
forſtverwaltung hat dazu auch im Intereſſe der 
Allgemeinheit die Genehmigung erteilt, in keinem 


ſolchen Falle in Meſſungsverzeichniſſen in der 
Weiſe dargeſtellt, daß Forſtärar und Gemeinde 
(oder Steuergemeinde!) als Miteigentümer nach 
erſcheinen. Dies entſpricht jedoch 


wenn die Grenze auf der Mitte des Weges liegt, 
ſo ſteht damit doch feſt, daß die eine Weghälſte 
Beſtandteil des Staatswalds, jedenfalls aber 


Alleineigentum des Waldeigentümers, die andere 


der auf dieſer Seite 
die Möglichkeit iſt 


Weghälfte Beſtandteil 
liegenden Grundſtücke iſt; 


| freilich nicht ausgeſchloſſen, daß dieſe Weghälfte 
Wohl iſt es vorgekommen, daß man 


Eigentum der Gemeinde geworden iſt; trifft das 


letztere zu, ſo wäre der der Gemeinde gehörende 


Wegteil mit einer beſonderen Plannummer zu 
verſehen, wenn nicht die Beteiligten trotz der be⸗ 
ſtehenden Vermarkung in unzweideutiger Weiſe 


Falle iſt aber der Verſuch gelungen, nachzuweiſen, ihre Abſicht kundgeben, den Weg als Miteigen— 
daß die Staatsforſtverwaltung das Eigentum an tum im Sinne der bezeichneten Geſetzesſtelle zu 


der Wegſtrecke abgetreten hat; das war namentlich 
in den Fällen von großer Bedeutung, in denen 


beſitzen. Wohl zu unterſcheiden davon iſt der 
Fall, daß ein Weg an der Grenze verläuft; 


80 u Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


— — — —e— — — 


— LI 


dann kann der Weg in ſeiner ganzen Breite nur immer gleich bleibt, iſt eine häufig zu machende 
als Beſtandteil des Waldes gelten.) Wahrnehmung. Es kommt nicht ſelten vor, daß 
4. Ausſcheidung von Wegteilſtrecken. | Grundſtücke, über die nach dem Plane der Weg 
Nicht ſelten muß feſtgeſtellt werden, daß ein hinführt, in Wirklichkeit von ihm an einer 
mit einer Plannummer bezeichneter Weg auf anderen Stelle oder überhaupt nicht mehr be⸗ 
eine beſtimmte Strecke eigenes Grundſtück, auf rührt werden. Das Richtigſte wäre wohl, eine 
die Reſtſtrecke aber Beſtandteil der Grundſtücke Neuvermeſſung herbeizuführen, um den Plan mit 
iſt, über die er führt. Die Eintragung der als der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Die 
eigenes Grundſtück zu erachtenden Teilſtrecke in Vermeſſung könnte jedoch nur auf Koſten der 
das Grundbuch ſetzt voraus, daß dieſe aus: Beteiligten geſchehen und die Koſten würden zu 
geſchieden und mit einer beſonderen Plannummer dem erſtrebten Nutzen in keinem Verhältnis 
bezeichnet iſt. Die Ausſcheidung und die Aende⸗ ſtehen; auch ware es nicht ausgeſchloſſen, daß die 
rung in der Plannummernbezeichnung hat das Uebereinſtimmung alsbald wieder verloren geht. 
Meſſungsamt gebührenfrei in einem Meſſungs-. Man wird alſo im Regelfalle davon abſehen 
verzeichniſſe darzuſtellen; das Grundbuchamt hat müſſen, den Beteiligten zu empfehlen, eine Neu⸗ 
dem Meſſungsamt mitzuteilen, bei welchen geo- vermefſung zu veranlaſſen. Im übrigen muß 
metriſchen Punkten (Grenz⸗Eckpunkten der Grund⸗ man ſich damit abfinden, daß mit der im Grund⸗ 
ſtücke) die auszuſcheidende Teilſtrecke beginnt.) ſteuerkataſter vorgetragenen Plannummer nur 
Beſonders häufig wird dieſer Fall zutreffen diejenige Wegfläche beſchrieben iſt, die im Kataſter⸗ 
bei Waldwegen, die außerhalb des Waldes unter plane als ſolche eingezeichnet iſt; man darf alſo 
derſelben Plannummernbezeichnung weiterführen, nicht ohne weiteres dieſe Plannummer auf die 
innerhalb des Waldes Beſtandteile des Waldes Teilflächen übertragen, die nach dem derzeitigen 
bilden, außerhalb des Waldes aber Gemeinde⸗ Verlaufe des Weges von dieſem berührt werden.) 
eigentum find; aber auch bei gewöhnlichen Feld: Das gleiche gilt, wenn ein unſelbſtändiger Weg 
wegen kann ein ſolches Verhältnis gegeben ſein; vollſtändig aufgelaſſen und ein Erſatz überhaupt 
dieſes kann ſchon urſprünglich zur Zeit der Landes⸗ nicht oder als ſolcher an anderer Stelle ein völlig 
vermeſſung beſtanden, ſich aber auch erſt im Laufe neuer Weg geſchaffen wurde. Auch in dieſem 
der Jahre entwickelt haben; die Teilſtrecke eines Falle darf die dem aufgelaſſenen Wege zu⸗ 
Feldwegs kann beiſpielsweiſe als Zufahrt zu kommende Plannummer nicht ohne weiteres auf 
anderen abzweigenden Feldwegen für die All⸗ den neuen Weg übertragen werden; die Feſt⸗ 
gemeinheit beſondere Bedeutung erlangt und aus ſtellungen ſind jedoch dem Rentamte mitzuteilen 
dieſem Grunde von der Gemeinde in Beſitz ge⸗ und dieſem das weitere zu überlaſſen. Der Um⸗ 
nommen und von ihr erſeſſen worden ſein. ſtand, daß die unſteuerbaren Flächen des alten 
Nicht notwendig iſt eine ſolche Ausſcheidung Weges zu den Hauptgrundſtücken gezogen und 
natürlich dann, wenn ein Waldweg außerhalb mit dieſen bewirtſchaftet werden, alſo ſteuerbar 
des Waldes ſich fortſetzt und innerhalb wie geworden ſind, kann dem Rentamte Anlaß geben, 
außerhalb des Waldes Beſtandteil der von ihm die früheren Wegteilflächen den Hauptgrundſtücken 
berührten Grundſtücke und der Waldeigentümer zumeſſen zu laſſen. 
damit einverſtanden iſt, daß die innerhalb des Weichen ſelbſtändige Wege in Wirklichkeit von 
Waldes gelegene Wegſtrecke auch buchmäßig als der Richtung ab, die ſie nach dem Plane haben, 
Beſtandteils⸗Weg behandelt wird. ſo kann man ſich darauf beſchränken, dieſes dem 
5. Verlegung der Wege.) Daß die Meſſungsamte mitzuteilen; ein Eintragungs⸗ 
Richtung der unſelbſtändigen Feldwege nicht hindernis bildet die Abweichung nicht, auch dann 
2 nicht, wenn für den Weg eine beſondere Fläche 


*) Daß ein Weg im Innern des Staatswalds in ausgeſchieden iſt. 
der vorgeſchriebenen Weiſe abgemarkt ſein ſollte, iſt nur ; 5 . 
denkbar, wenn der auf der einen Seite des Weges 6. Oeffentliche Wege. Unter öffentlichen 
liegende Wald früher Eigentum einer anderen Wegen ſind ſolche zu verſtehen, welche der Staat 
Perſon war und erſt ſpäter in das Eigentum des oder ein gemeindlicher Verband zum allgemeinen, 


ae e in in e wird in der wenn auch in gewiſſen Richtungen beſchränkten 
ae, ene ache ai Claes, det _ Gebrauhe Befimmi hat, nabend Penaten old 
Veräußerer ſich das Eigentum an der Wegteilfläche vor: ſind, deren Gebrauch nur einzelnen Perſonen kraft 
behalten hat; aber auch hier wird von einem Miteigen⸗ Privatrechts zuſteht“). Der Begriff des öffent: 
tum im Sinne des 8 1008 BGB. nur dann die Rede lichen Weges wird zunächſt in $ 90 GBO. er: 


ſein können, wenn zwiſchen den Beteiligten eine be— 5 „ M 2 1 ; 
ſondere Vereinbarung in dieſem Sinne getroffen wähnt; auf Grund dieſes Geſetzes ſchreibt 5 1 Ab. 1 


worden iſt. der Kgl. VO. vom 1. Juli 1898 vor, daß öffent— 
) Vgl. Bek. des StM. der Finanzen vom 15. Of: a: 

tober 1910 und Bek. des StM. der Juſtiz vom 2. No- 30) Bei ſolcher Sachlage kann man ſich auf einen 

vember 1910 (JMBl. S. 983 ff.). Vermerk im Sinne des 8189 Satz 5 DA. beſchränken; 
25) Muſter jür die meſſungstechniſche Behandlung ſiehe unten Ziff. III. 

einer Wegverlegung ſ. Anl. z. Fin.-Min⸗Bek. vom 4) Vgl. Entſch. d. VGH. Bd. 11 S. 325, 585, Bd. 25 


15. Oktober 1910 (JM Bl. S. 984 ff.). S. 1; Kahr, GemO. I S. 338 — 403. 


Zeitſchrift für r Rechtspflege in t Bahern. 1911. Nr. 4 81 


——— en EN — — — 


liche Wege nur auf Antrag ein Grundbuchblatt 
erhalten, alſo buchungsfreie Grundſtücke ſind. Für 
die Entſcheidung der Eigentumsfrage iſt der Be: 
griff nicht von beſonderer, ſicher nicht von aus⸗ 
ſchlaggebender Bedeutung; denn öffentliche Wege 
können Eigentum eines öffentlichen Verbandes, 
aber auch Eigentum einer Privatperſon ſein. 4) 
In der Regel wird freilich derjenige Verband 
(Staat, Kreis⸗, Diſtrikts⸗ oder politiſche Gemeinde) 


Eigentümer ſein, der dem Wege die Zweckbeſtim⸗ 


| 


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mung verliehen hat; ift der Weg Privateigentum, 


ſo wird vorausgeſetzt, daß der Staat oder der 
Gemeindeverband, welcher den Weg zu einem 
öffentlichen Weg beſtimmt hat, auf privatrechtlicher 


Unterlage, auf Grund einer durch Vertrag oder 


Erfitzung erworbenen Dienſtbarkeit dieſe Zweckbe⸗ 
ſtimmung verfügen kann. Mit Rückſicht auf die 
Zweckbeſtimmung werden als öffentliche Wege zu gelten 
haben: Staats⸗, Diſtrikts⸗, Ortsſtraßen, Ortswege, 
Gemeinde⸗ und Gemeindeverbindungswege. Bei 
dieſen bietet die Eigentumsfeſtſtellung ohnedies 
keine beſonderen Schwierigkeiten; bei Feldwegen und 
Fußwegen müßte die Zweckbeſtimmung jeweils von 
Fall zu Fall feſtgeſtellt werden; die Oeffentlichkeit 
eines Weges wird zwar durch einen Verwaltungs⸗ 
akt der zuſtändigen ſtaatlichen oder gemeindlichen 
Organe begründet, die Erklärung der Organe iſt 
jedoch anfechtbar, bietet alſo ohne weiteres keine zu⸗ 
verläſſige Unterlage; Streitigkeiten über die öffent⸗ 


liche Eigenſchaft eines Weges find im Verwaltungs⸗ 


rechtswege zu entſcheiden. ) Sollte die Oeffent⸗ 
lichkeit eines Feldwegs feſtſtehen, ſo iſt es immer⸗ 
hin wenig wahrſcheinlich, daß die Grundfläche, 
beſchwert mit der Laſt, der Allgemeinheit als Weg 
zu dienen, im Eigentum einer oder mehrerer 
Privatperſonen ſteht; die Frage, ob der Weg nicht 
doch der Gemeinde gehört, iſt darum in dieſem 
Falle mit beſonderer Genauigkeit zu prüfen; in 
der Regel wird der Fall nur vorkommen, wenn 
in der Gemeinde ein großer, geſchloſſener Grund- 
beſitz liegt, innerhalb deſſen der Beſitzer (Staat, 
Stiftungen, Standesherrſchaften ꝛc.) überhaupt alle 
Wege als Eigentum beanſprucht. 

Auch diejenigen Feldwege, die nicht eigene 
Grundſtücke ſind, ſondern Beſtandteile der Grund⸗ 
ſtücke bilden, über die ſie hinwegführen, kommen 
als öffentliche Wege kaum in Betracht, wenn ſie 
auch im Sinne der Gemeindeordnung als ſolche 
gelten können.“) Dieſe Wege haben für die Al: 


4) RG3. 48, 299. 


42 ur betr. die Errichtung eines Verwaltungs: . 


gerichtshofs Art. 8 Nr. 34. Ohne vorherige Einvernahme 

8 bei der Herſtellung und bei der Unterhaltung eines 

eges beteiligten Perſonen kann die öffentliche Eigen⸗ 

aft eines Weges U N nicht 
eigefle er (Entſch. d. VGH. Bd. 1 S. 95). 

l. Kahr, GemO. I S. 386 > 118: „Daß 

die Gemeinde nicht Eigentümerin des Grund und Bodens, 


. v—p—ͤ—— — . 7⅛7i— —y—y—— — — 


ſondern nur ſervitutberechti g ift, kommt bei öffentlichen 


Feldwegen häufig vor“. Kahr kann hier nur die uns 
ſelbſtändigen Wege im Auge haben; denn ſelbſtändige 


— — Te — — ——ͤ 1uũ—ññ 
— —ü—k ._ — — Be — = ee ne — 


gemeinheit kein Intereſſe, fie werden als öffentliche 
Wege auch nicht beanſprucht, wenn ſie auch tat⸗ 
ſächlich vielleicht der allgemeinen Benützung offen 
ſtehen. Keinesfalls können die unſelbſtändigen 
Wege als öffentliche Wege im Sinne des $ 90 
GBO. angeſehen werden, da die Anlegung eines 
Grundbuchblattes, wie fie 8 90 im Auge hat, nur 
für ſelbſtändige Grundſtücke zuläſſig iſt. Sollte 
angenommen worden ſein, daß ein Gemeinde⸗ 
verband an einem unſelbſtändigen Wege durch 
Erſitzung eine Dienſtbarkeit erworben hat, die ihn 
berechtigen würde, den Weg als öffentlichen Weg 
zu erklären, jo wäre neuerdings die Frage zu 


prüfen, ob die Gemeinde nicht überhaupt Eigen⸗ 


tümerin geworden iſt. 

Hier darf ſchließlich noch die Frage erörtert 
werden, ob und wie weit an einem öffentlichen 
Wege Privatrechte zulaͤſſig find. Sowohl nach 
früherem Rechte, wie nach dem Rechte des Bürger⸗ 
lichen Geſetzbuchs iſt die Begründung und der 
Fortbeſtand von Privatrechten einzelner Perſonen 
an dem Wege nicht ausgeſchloſſen, wenn dieſe 
Rechte mit der Zweckbeſtimmung des öffentlichen 
Weges vereinbar ſind. Ein derartiges Sonder⸗ 
recht kann auch durch Verjährung erworben werden, 
es darf jedoch auch in dieſem Falle der Sonder⸗ 
anſpruch der Zweckbeſtimmung des Weges nicht 
entgegenſtehen; andererſeits kann allerdings eine 
noch ſo lange Ausübung allgemeiner Gebrauchs⸗ 
befugniſſe, die ſich auf die Oeffentlichkeit des Weges 
gründen, nicht die Unterlage für die Begründung 
eines derartigen Rechtes bilden.“) 

(Schluß folgt). 


Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungs⸗ 
verfahrens. 
Von Rechtsanwalt Dr. Hugs Cahn in Nürnberg. 


(Schluß.) 


Aus dem Geſagten erhellt, daß die Offen: 
barungspflicht eine ernſtere, minder ſtereotype und 
leichter kontrollierbare wird, wenn nicht mehr der 
Eid allein, im ſonſtigen prozeſſualen Leben das 
unſicherſte Mittel zum Erkennen der Wahrheit, 
das Verfahren beherrſcht. Das neue Syſtem 
hätte aber vor allem auch den Vorteil, daß der Gläu⸗ 
biger der ſchweren Alternative — „freigeben oder 
verklagt werden“ in den Widerſpruchsfällen mand)- 
mal Keniginge, Er könnte ruhiger freigeben; dieſer 


öffentliche Wege im Eigentum von Privatperſonen werden 
nicht zahlreich ſein. 

0 Vgl. Kahr, GemO. J S. 358 f.; Becher, Landes- 
zivilrecht S. 1074 ff.; Oertmann, Baylandesprivh. 
S. 394 ff.; Dernburg, PreußPrivR. 3. Aufl. Bd. I 
S. 138 ff., 629 ff., RG. 6, 162. 


82 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


= —— — — 


Akt hätte nicht immer die gleiche Tragweite, wie Eidesformalismus den Vorzug gibt. Und dann 


jetzt. 
en ja in dem de lege ferenda zu regelnden 
Verfahren die zum Schein oder durch nichtigen 
Akt übereigneten Werte einer genauen Würdigung 
im Offenbarungsbeweisverfahren unterziehen. Der 
einzelne Gläubiger, ſelbſt vielleicht in kleinen Ver⸗ 
hältniſſen, brauchte unter Umſtänden nicht die 
Kaſtanien für andre aus dem Feuer holen und 
koſtſpielige Prozeſſe mit den Hintermännern ſeines 
Schuldners durchführen.“) 

Sehr heilſam wären die von mir vorgeſchlagenen 
Aenderungen insbeſondere auch im Falle des 8 903 
3PO., d. h. im Falle eines erneuten Vollſtreckungs⸗ 


Denn der Offenbarungsrichter kann und der Vorzug für den Schuldner! 


Wie Kraus in 


den BIRA. Bd. 71 S. 372 darlegt, kann ſchon 


| 


bedürfniſſes, ehe die 5 Schonungsjahre abgelaufen 


ſind. Die ſehr heikle Prüfung des neuen Ver⸗ 
mögenserwerbes könnte am zweckmäßigſten in dem 
von mir angeregten Offenbarungsbeweisverfahren 
geſchehen. 

Das oben entwickelte Verfahren hätte den 
weiteren bedeutenden Vorzug des Wegfalles vieler 
verdächtiger Eide.“) Wo der Schwur in Frage 
kommt, ſtrebt man heute ſeine Verminderung an. 
Wenn irgendwo, ſo iſt in unſrem Falle die 
Minderung der Anzahl der Eide angebracht. Im 
Kampf um die letzten Daſeinsmittel der Familie 
iſt ein Abirren vom rechten Weg des wahren 
Eides menſchlich leider begreiflich. Die hier vor⸗ 
geſchlagenen Neuerungen ſetzen andere, oft zuver⸗ 
läſſigere Beweiſe, die Ausſagen minder Befangener, 
an die Stelle des gefaͤhrlichen Eides des Schuld— 
ners ſelbſt. 


Nach Aufklärung der Situation in dem neuen 
Offenbarungsverfahren, nach Anwendung des Rechts⸗ 
mittels, nach Verkündung der Beſchlüſſe, wird zu⸗ 
dem der Schuldner leichter zum Vergleiche bereit 
ſein, als in den kurzen Augenblicken des bisherigen 
Eidesverfahrens. Es unterliegt keinem Zweifel, daß 
die Mehrzahl der Gläubiger, wenn der gute Wille 
des Schuldners erkannt und ein Ratenabkommen 
vorgeſchlagen wird, die gütliche Erledigung dem 


) Die Bankkommiſſion des Deutſchen Handelstags 
verlangte ſchlechthin eine geſetzliche Neuregelung der 
Sicherungsübereignungen in ihrer Sitzung vom Of: 
tober 1910. Zur Wirkſamkeit ſoll die Eintragung in 
ein Regiſter erforderlich ſein, deſſen Einſicht jedem 
zu geitatten iſt, welcher ein berechtigtes Intereſſe dar: 
tut. Konkursordnung und Anfechtungsgeſetz ſollen dahin 
ergänzt werden, daß die innerhalb einer beſtimmten 
Zeit vor Zahlungseinſtellung oder Anfechtung vorgenom— 
menen Sicherungsübereignungen anfechtbar ſind und dem 


die Anſetzung eines Offenbarungseidestermins ſchwer⸗ 
wiegende Folgen für den Schuldner haben. Sein 
Kredit wird geſchädigt uſw. Die Sitzungsliſten 
werden in den mit Recht ſo unbeliebten Gerichts⸗ 
zeitungen veröffentlicht. Tritt an die Stelle des 
Offenbarungseides zunächſt das oben ſkizzierte 
Offenbarungsbeweisverfahren, jo wird das für 
den Schuldner ſo ſchädliche Bekanntwerden des 
peinlichen letzten Vollſtreckungsſtadiums mehr wie 
bisher vermieden. 

Endlich darf nicht vergeſſen werden, daß heut⸗ 
zutage die Mehrzahl der Schuldner nicht oder nicht 
ausreichend vorbereitet im Eidestermine erſcheint, 


ſo daß Vertagung oder Haftbefehl beantragt wird. 


Erſtere zieht die Sache hinaus und erſchwert des 
Gläubigers Lage, zumal an den ſehr beſchäftigten 
Gerichten. Letzterer legt dem Gläubiger neue 
Pflichten (Zahlung des Verhaftungs⸗ und Haft⸗ 
koſtenvorſchuſſes) “!) auf. Die in das Leben eines recht: 
ſchaffenen, wenn auch vermögensloſen, Schuldners 
einſchneidende Maßnahme der Verhaftung würde 
unzweifelhaft weit ſeltener werden, wenn anſtatt 
des Schuldners ſelbſt andere Perſonen die dem 
Gläubiger wichtige Auskunft über Vermögen, Grund 
und Beweismittel der Forderungen geben. 


Es iſt alſo angezeigt, daß einer der den wirt⸗ 
ſchaftlich Schwachen übermäßig ſchützenden, neu⸗ 
zeitlichen Rechtsgrundſätze ) verlaſſen, mindeſtens 
geändert wird, wenn die im Verkehrsleben befremd⸗ 
lich wirkenden Erfahrungen bei der Vollſtreckung 
beachtet und die künftigen Offenbarungsnormen 
dem Bedürfniſſe der Geſchäftsleute und Praktiker 
angepaßt werden ſollen. Die ſchon von Ihering 
im „Kampf ums Recht“ gegeißelte Parole unſerer 
modernen Jurisprudenz und Praxis: „lieber 
100 Gläubigern offenbar Unrecht thuen, als mög⸗ 
licherweiſe einen Schuldner zu ſtrenge behandeln,“ 
iſt nicht die meine. Die ſchnöde Mißachtung des 
Gläubigers im Vollſtreckungsſtadium, die Gejeß: 
loſigkeit des Gebahrens bösartiger Schuldner und 
ihrer Berater kann und muß durch eine Beſſerung 
der letzten Phaſe der Vollſtreckung verhütet werden. 
Die meines Erachtens ſehr wünſchenswerte Dis⸗ 
kuſſion, wie man beſſert, kann mannigfaltig ſein. 


Ich verſuchte nur einige Winke zu geben. 


begünſtigten Gläubiger der Beweis der nicht vorhan- 


denen Fraus auferlegt wird. Für den Eigentums— 
vorbehalt an Maſchinen wird die Eintragung in das 
Grundbuch verlangt. 

10) Das Reichsgericht hat ſchon in ſeiner Entſcheidung 
vom 19. März 1908 III. StS. 3 D. 84,08, BIN. 


Faſſung vom 17. Mai 1908 gemäß § 807 Manifeſtierenden 
ziemlich ſtreng ſeſtgelegt; nicht minder in den oben 


erwähnten Entſcheidungen des V. StS. vom Frühjahr 


heurigen Jahres. 


11) Vgl. die Vorſchläge der Aelteſten der Kaufmann— 
ſchaft von Berlin oben unter Anm. 4. 

12) Auch Goldmann-Leipzig Das Recht, 1910 S 560) 
betont, daß unſere „ſoziale“ Zivilprozeßordnung die 
Intereſſen des „wirtſchaftlich ſchwächeren Schuldners“ in 
ergiebigem Maße (u. a. in den 88 721, 811 f., 850 uſw.) 
reſpektiere. Auch er bringt in bezug auf den Offen- 


darungseid einen Vorſchlag de lege ferenda zugunſten 
73 Bd., S. 702) die Erkundigungs pflicht des in der 


des Gläubigers. 


! 


— nn nee 


Nitteilungen aus der Praxis. 


Bürgerlich rechtliche Schadenserſatzauſprüche der dem 
Gewerbennfallverſicherungsgeſetze unterliegenden Ber- 
ſonen während der erſten 13 Wochen nach dem Unfall. 
(8 135 G86.) 

I. Die Unfallverſicherungsgeſetze vom 30. Juni 
1900 verfolgen den Zweck, die Arbeiter und kleineren 
Betriebsbeamten und deren Familien gegen die peku⸗ 
niär nachteiligen Folgen eines Betriebsunfalles zu 
ſchützen. Von den Unfallverſicherungsgeſetzen ſollen 
der Erörterung nur die zwei Hauptgeſetze, nämlich 
das Gewerbeunfallverſicherungsgeſetz und das Unfall⸗ 
verſicherungsgeſetz für Land⸗ und Forſtwirtſchaft zu⸗ 
grunde gelegt werden, da die übrigen!) für unſere 
Frage weniger in Betracht kommen. 

Nach dem Gew VerſG. und dem LU Berf®. find 
einerſeits alle gewerblichen, das ſind die in Induſtrie 
und Handwerk beſchäftigten, anderſeits alle in land⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


| 
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und forſtwirtſchaftlichen Betrieben beſchäftigten Ar⸗ 


beiter und Betriebsbeamten gegen die Folgen eines 
Betriebsunfalles verſichert, letztere ſofern ihr Jahres⸗ 
arbeitsverdienſt an Lohn oder Gehalt 3 000 M nicht 
überſteigt. Die Unterſtützung, die bei einem Betriebs⸗ 
unfall den Verletzten oder deren Hinterbliebenen von 
der Berufsgenoſſenſchaft gewährt wird, ſetzt ſich zu⸗ 
ſammen aus dem Erſatz der Koſten des Heilverfahrens 
und aus der Unfallrente. 

Neben den durch die Unfallverſicherungsgeſetze 
begründeten Anſprüchen gegen die Berufsgenoſſenſchaft 
ſtünden den Verletzten gegen ihre Betriebsunternehmer 
an ſich auch noch die gewöhnlichen bürgerlich⸗recht⸗ 
lichen Schadenserſatzanſprüche aus dem Vertragsver⸗ 
hältniſſe oder aus unerlaubter Handlung zu. Allein 
8 135 Abſ. 1 Gew VerſG. und 8 146 Abſ. 1 LmUBeri®. 
beſtimmen, daß die Verletzten „einen Anſpruch auf 
Erſatz des infolge eines Unfalles erlittenen Schadens,“ 
alſo insbeſondere bürgerlich⸗rechtliche Anſprüche gegen 
den Betriebsunternehmer nur geltend machen lönnen, 
wenn durch ſtrafgerichtliches Urteil feſtgeſtellt worden 
iſt, daß der in Anſpruch genommene den Unfall vor⸗ 
ſätzlich herbeigeführt hat. Da eine ſolche ſtrafgericht⸗ 
liche Feſtſtellung natürlich nur äußerſt ſelten vor⸗ 
kommen wird, kann man jagen, daß die 88 135 Abſ. 1 
und 146 Abſ. 1 die bürgerlich⸗ rechtlichen Schadens⸗ 
erſatzanſprüche überhaupt ausſchließen. 

Die Motive zum GewUBeri®. vom 6. Juli 1884 
bemerken dazu: 

„Neben der Sicherung der Arbeiter gegen die 
wirtſchaftlichen Folgen der Unfälle verfolgt der Ent⸗ 
wurf das Ziel, alle Streitigkeiten zwiſchen Arbeit⸗ 
gebern und Arbeitern über Entſchädigungsanſprüche, 


83 


— m un 
— nn 
8 — — — — . ö ä —— —Ʒ— 


dadurch erhalten ſollen, daß ihnen für jeden aus einem 
Unfall entſtehenden Schaden ſelbſt in dem Falle eigenen 
Verſchuldens eine zwar begrenzte, aber vollkommen 
ſichere Entſchädigung gewährt wird.“ 

Der Ausſchluß der bürgerlich rechtlichen Anſprüche 
und der Gedanke, daß er nur da berechtigt iſt, wo die 
Arbeiterſchutzgeſetzgebung einen anderen Erſatz bietet, 
findet ſich auch wieder im Entwurf einer Reichsver⸗ 
ſicherungsordnung.“) 

Den Erſatz für die ausgeſchloſſenen bürgerlich⸗ 
rechtlichen Anſprüche ſollen alſo die Anſprüche gegen 
die Berufsgenoſſenſchaft bilden. Dieſe Anſprüche ſetzen 
aber nach $ 9 GewllVerſGG. und 88 LwlVerſG. erſt 
mit Beginn der 14. Woche ein. Für die erſten 13 
Wochen treffen die Unfallverſicherungsgeſetze zunächſt 
keine Vorſorge. Für dieſe Zeit ſind verunglückte Ar⸗ 
beiter in der Regel durch das Krankenverſicherungs⸗ 
geſetz geſchützt: Dieſes Geſetz gewährt den gegen 
Krankheit verſicherten Perſonen freie ärztliche Be⸗ 
handlung und Heilmittel, ſowie im Falle der Erwerbs⸗ 
unfähigkeit ein Krankengeld. Das Mißliche iſt nur, 
daß ſich der Kreis der nach dem KVG. gegen Krank⸗ 


heit verſicherten Perſonen nicht vollkommen mit dem 


auch während der erſten 13 Wochen verſorgt. 


welche den letzteren aus Unfällen erwachſen, zu be⸗ 


ſeitigen und zu dem Ende alle Entſchädigungsanſprüche, 
welche in Veranlaſſung eines Unfalles gegen den 
Arbeitgeber nach bisherigem Rechte erhoben werden 
konnten, aufzuheben. Die Berechtigung hiezu liegt in 


dem Erſatze, welchen die Arbeiter für die ihnen nach 


dem bisher geltenden Rechte zuſtehenden, in ihrer 
Realiſierung höchſt unſicheren Entſchädigungsanſprüche 


1) Bauunfallverſicherungsgeſetz, Seeunfallverſiche⸗ 
rungsgeſetz, Geſetz betr. die Fürſorge für Beamte und 
Perſonen des Soldatenſtandes infolge von Betriebs— 


88 896, 1032 und die Begründung zu 8 


Kreis derjenigen deckt, welche nach dem Gew Verſc. 
und LwüVerſG. gegen Unfall verſichert find. Die 
gewerblichen Arbeitnehmer ſind zwar faſt durch⸗ 
weg auch gegen Krankheit verſichert. Sie find a 

ie 
land⸗ und forſtwirtſchaftlichen Arbeitnehmer dagegen 
ſind großenteils gegen Krankheit nicht verſichert. 
Darum beantwortet ſich die Frage, ob ſich der Aus⸗ 
ſchluß der bürgerlich⸗ rechtlichen Schadenserſatzan⸗ 
ſprüche gegen den Betriebsunternehmer (8 135 Abſ. 1 
GewlVerſcG. und 8 146 Abſ. 1 LmUBerf®) auch 
auf die erſten 13 Wochen erſtreckt, verſchieden, da er 
natürlich nur für ſolche Zeiträume berechtigt iſt, in 
denen entweder die Unfallverſicherungsgeſetze oder das 
Krankenverſicherungsgeſetz einen anderen Erſatz ge⸗ 
währen. Für die land⸗ und forſtwirtſchaftlichen Arbeit: 
nehmer hält dementſprechend 8 146 Abſ. 3 die bürgerlich⸗ 
rechtlichen Anſprüche für die erſten 13 Wochen aus⸗ 
drücklich aufrecht, ſoweit die land⸗ und forſtwirtſchaft⸗ 
lichen Arbeiter und Betriebsbeamten gegen Krankheit 
nicht verſichert ſind. 

ll. Im Gewerbeunfallverſicherungs⸗ 
geſetz fehlt eine derartige Beſtimmung. Infolge⸗ 
deſſen herrſcht allgemein die Anſicht, daß 8 135 Abſ. 3 
GewllVerſG. die bürgerlich⸗ rechtlichen Schadens⸗ 
erſatzanſprüche durchweg auch für die erſten 13 Wochen 
ausſchließt. “) 

Die Motive bemerken dazu: 


„Zur Erreichung des gedachten Zieles (Be⸗ 
ſeitigung von Streitigkeiten zwiſchen Arbeitern und 
Arbeitgebern) iſt es unerläßlich, auch für die erſten 
13 Wochen der infolge eines Unfalles eingetretenen 
Erwerbsunfähigkeit, für welche nicht eine Ent⸗ 
ſchädigung nach Maßgabe dieſes Geſetzes, ſondern 
Krankenunterſtützung, und zwar in der Regel unter 


2) 12. Leg. Per. II. Seſſion 1909/10, 11 vgl. 
1032. 

2) Piloty, UBerf®. Anm. 3 zu 8 135 Gew VerſG., 
Handbuch der Unfallverſicherung 3. Aufl. Bd. I. Anm. 5 
zu 8 135 GewllBerj®., Woedtke-Caſpar GewUBeri®. 


Anm. 1 zu 8 135, Recht 1905 S. 2, Rechtſpr. der OLG. 


unfällen, Geſetz betr. die Unfallfürſorge für Gefangene. 


Bd. 14 S. 403. 


84 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


Mitheranziehung der Arbeitgeber gewährt werden 
ſoll, einen Entſchädigungsanſpruch gegen den Ar⸗ 
beitgeber nicht mehr zuzulaſſen, da andernfalls 
nicht nur die Unfälle, welche nur eine Erwerbs⸗ 
unfähigkeit bis zu 13 Wochen zur Folge haben, ſondern 
rückſichtlich der erſten 13 Wochen der Erwerbsunfähig⸗ 
keit auch alle übrigen Unfälle, nach wie vor, zu 
einer Quelle von Streitigkeiten werden würden.“ 


Daß im Gewerbeunfallverſicherungsgeſetz ein dem 
8 146 Abi. 3 des LwluVerſG. entſprechender Vor: 
behalt fehlt, erklärt ſich aber daraus, daß einerſeits 
die meiſten gewerblichen Arbeiter auch dem Kranken⸗ 
verſicherungsgeſetz unterliegen,) anderſeits daraus, 
daß das Gew VerſG. in 8 12 Abſ. 2 ſelbſt eine Für⸗ 
ſorge für die erſten 13 Wochen getroffen hat, indem 
es beſtimmt, daß der Betriebsunternehmer den nach 
81 und 2 des GewlUVerſG., aber nicht zugleich nach 
dem Krank VerſG. verſicherten Arbeitern und Betriebs⸗ 
beamten, letzteren allerdings nur bei einem Jahres⸗ 
arbeitsverdienſt bis zu 2000 M, für die erſten 13 Wochen 
aus eigenen Mitteln die im KrankVerſG. vorgeſehene 
Unterſtützung zu gewähren hat.“) 

Es iſt alſo auch für dieſe der Krankenverſicherung 
nicht unterliegenden Arbeitnehmer während der 
erſten 13 Wochen geſorgt, und man iſt infolgedeſſen 
berechtigt, zu ſagen, daß ſich im Vereich des 
GewlVerſG. der Ausſchluß der bürgerlich⸗ rechtlichen 
Anſprüche auch auf die erſten 13 Wochen erſtreckt 

1. bei allen gewerblichen Arbeitnehmern, die 
zugleich der Krankenverſicherung unterliegen, und 

2. bei allen jenen, die der Krankenverſicherung 
zwar nicht unterliegen, die aber gemäß 8 12 Abſ. 2 
gleichwertige durch das Gew VerſG. begründete An⸗ 
ſprüche gegen die Betriebsunternehmer haben. 

Damit iſt aber der Kreis der der Unfallver⸗ 
ſicherung unterliegenden gewerblichen Arbeitnehmer 
noch nicht erſchöpft; denn es gibt auch folde, die 
weder krankenverſicherungspflichtig ſind, noch auch die 
Anſprüche des 8 12 Abſ. 2 haben. Das ſind unter 
Umſtänden Betriebsbeamte mit einem Jahresgehalt 
von mebr als 2000, aber weniger als 3000 AM.“) 


) Piloty l. o. Anm. zu 8 146 Abſ. 3 LwüUVerſc. 

5) Unter die Beſtimmung des 8 12 fallen haupt- 
ſächlich Perſonen, die nicht gegen Lohn beſchäftigt 
ſind, ſowie ſolche, die der Krankenverſicherung deshalb 
nicht unterliegen, weil ihre Beſchäftigung durch die 
Natur ihres Gegenſtandes oder im Voraus durch den 
Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger als 
1 Woche beſchränkt iſt (8 1 KranfBerf®.; vgl. Woedtke⸗ 
Caſpar l. c. Anm. 9 zu 8 12). 

Daß hiebei für die Betriebsbeamten die Grenze 
bei einem Jahresgehalt von 2000 M geſteckt iſt, 
während die Betriebsbeamten doch bis zu einem 
Jahresgehalt von 3000 M der Unfallverſicherung 
unterliegen, erklart ſich daraus, daß der Geſetzgeber 
von der Vorausſetzung ausging, daß Betriebsbeamte 
mit einem Gehalt von mehr als 2000 M für die 
während der erſten 13 Wochen entſtehenden Unkoſten 


UF ae, Se 


einſtweilen mit eigenen Mitteln aufkommen können. 


unternehmer nach bürgerlichem Recht ſollte dadurch 
keineswegs eingeſchränkt werden. 

6) Nach 8 5 Abſ. le Gewilßeri®. kann durch 
Statut die Verſicherungspflicht auch auf Betriebsbeamte 
mit einem 3000 M überſteigenden Jahresarbeitsver— 
dienſt erſtreckt werden. Dieſe ſind dann in der 
gleichen Lage wie die Betriebsbeamten mit Gehältern 
zwiſchen 2000 und 3000 M. 


Diefe find nach 8 1 GemllBerf®. zwar unfallver⸗ 
ſicherungspflichtig, aber nach 8 2b KrankVerſG. nicht 
mehr krankenverſicherungspflichtig. Sie erhalten alſo 
während der erſten 13 Wochen keine Krankenunter⸗ 
ſtützung. Da fie mehr als 2000 M Jahresgehalt 
haben, ſtehen ihnen aber auch die Anſprüche des 8 12 
Ab) 2 Gew VerſG. gegen den Betriebsunternehmer 
nicht zu. Wollte man nun bei dieſen Leuten den 
Ausſchluß der bürgerlich⸗ rechtlichen Schadenserſatz⸗ 
anſprüche des 8 135 Abſ. 3 ebenfalls auf die erſten 
13 Wochen erſtrecken, dann wäre ihnen während 
dieſer Zeit überhaupt jede Möglichkeit genommen, 
Erſatz des ihnen entſtandenen Schadens zu erlangen, 
m. a. W. ſie wären während der erſten 13 Wochen 
vollkommen ſchutzlos. Setzen wird den Fall, daß ein 
Werkmeiſter mit 2400 M Jahresgehalt durch das 
grobe Verſchulden feines Vetriebsunternehmers einen 
Betriebsunfall erlitten hat, der ihn 12 Wochen arbeits⸗ 
unfähig macht und ihm bedeutende Heilungskoſten 
verurſacht, ſo ſoll dieſer Mann weder Krankenunter⸗ 
ſtützung erhalten, — weil er nicht gegen Krankheit 
verſichert iſt — noch ſoll er nach dem bürgerlichen 
Recht ſeinen Betriebsherrn auf Schadenserſatz ver⸗ 
klagen können? Er ſoll alſo infolge der Arbeiter⸗ 
ſchutzgeſetzgebung ſchutzlos geworden ſein? Es liegt 
auf der Hand, daß das Geſetz dieſe Abſicht nicht ge⸗ 
habt haben kann; denn die Arbeiterſchutzgeſetzgebung 
wollte die Arbeiter doch nicht ſchlechter ſtellen, als 
ſie nach bürgerlichem Recht ſtanden. 


Das iſt m. E. ſo klar, daß man darüber kein 
Wort weiter zu verlieren braucht. Es fragt ſich nur 
noch, ob ſich der Sinn des Geſetzes auch mit dem 
Wortlaut vereinbaren läßt, m. a. W., ob es möglich 
iſt, gegebenenfalls den Ausſchluß der bürgerlich⸗ 
rechtlichen Anſprüche nicht auf die erſten 13 Wochen 
auszudehnen, ohne dabei dem Wortlaut des Geſetzes 
Zwang anzutun. Und es iſt möglich. Wenn nämlich 
im GewllVerſG. eine dem 8 146 Abſ. 3 LwlUVerſG. 
entſprechende ausdrückliche Beſtimmung darüber fehlt, 
daß die Geltendmachung der bürgerlich rechtlichen 
Anſprüche den nicht gegen Krankheit verſicherten ge⸗ 
werblichen Arbeitnehmern für die erſten 13 Wochen 
vorbehalten bleibe, ſo muß doch anderſeits feſtgeſtellt 
werden, daß das Geſetz auch nicht ausdrücklich aus⸗ 
ſpricht, daß die bürgerlich-rechtlichen Schadenserſatz⸗ 
anſprühe unter allen Umſtänden auch für die erſten 
13 Wochen ausgeſchloſſen ſeien. Nach dem Wortlaut 
des Geſetzes kann man vielmehr zweifeln, ob ſich der 
Ausſchluß überhaupt auf die erſten 13 Wochen er- 
ſtrecke, und erſt im Wege der Auslegung kommt man 
zu dem Ergebniſſe, daß dies allerdings der Fall ſei. 
Aber gerade die Auslegungsbehelfe, als welche hier 
die Motive und der Abſ. 3 des 8 146 LwlUVerſG. in 
Betracht kommen, laſſen mit voller Klarheit erkennen, 
daß das GewllVerſG. den gegen Unfall verſicherten 
gewerblicken Arbeitnehmern die bürgerlüch- rechtlichen 
Schadenserſatzanſprüche nur da entziehen will, wo 
die Arbeiterſchutzgeſetzgebung einen anderen Erſatz 


Der Rückgriff der Betriebsbeamten gegen die Betriebs— geboten bat. 


Wir kommen alſo zu folgendem Ergebniſſe: 

§ 135 Abſ. 1 GewllVerſG. bezieht ſich nur bei 
jenen nach Maßgabe des GewllVerſG. verſicherten 
Perſonen auch auf die erſten 13 Wochen, die ent- 


weder zugleich krankenverſicherungspflichtig ſind, oder 
denen die Anſprüche des § 12 Abſ. 2 GewllVerſch. 


zuſteben. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


III. Anderen dem GewuVerſG. unterliegenden 
Perſonen bleiben für die Dauer der erſten 13 Wochen 
„die auf geſetzlichen Beſtimmungen beruhenden An⸗ 
ſprüche eines Verletzten auf Erſatz des infolge des 
Unfalls erlittenen Schadens“ vorbehalten. Hierher 
gebören insbeſondere die Schadenserſatzanſprüche aus 
dem BGB.) Dieſe Anſprüche können entſtehen aus 
dem zwiſchen Arbeiter und Dienſtherrn beſtehenden 
Vertragsverhältnis, oder aus unerlaubter Handlung. 
Zu ihrer Geltendmachung ſind die bürgerlichen Gerichte 
zuſtändig. 

Es iſt dabei zu beachten, daß die Vorausſetzungen 
für die Verfolgung der Anſprüche aus dem 
GewllVerſG. und dem BGB. keineswegs die näm⸗ 
lichen find. Nach dem Gew VerſG. iſt die einzige 
Vorausſetzung die, daß ein Betriebsunfall vorliegt. 
Auf das Verſchulden des Betriebsunternehmers kommt 
es nicht an. Bei der Geltendmachung bürgerlich⸗ 
rechtlicher Anſprüche muß jedoch dem Betriebsunter⸗ 
nehmer Vorſatz oder Fahrläſſigkeit nachgewieſen 
werden.) Anderſeits kann bei bürgerlich⸗ rechtlichen 
Schadenserſatzanſprüchen der Betriebsunternehmer 
konkurrierendes Verſchulden des Verletzten ein⸗ 
wenden,“) während es bei den Anſprüchen aus dem 
GewllVerſG. gleichgültig iſt, ob der Verletzte durch 
ſein Verhalten zur Entſtehung des Schadens beige⸗ 
tragen hat oder nicht. 


Die Anſprüche aus unerlaubter Handlung können 
außer auf 8 823 namentlich auch auf die Haftung des 
Tierhalters (8 833) und auf die Haftung für den 
Einſturz eines Gebäudes (8 836) geſtützt werden. 


Auch haftet bei unerlaubter Handlung der Be⸗ 
triebsunternehmer gemäß 8 831 für das Verſchulden 
ſeiner Werkführer uſw., wenn er nicht den Nachweis 
erbringen kann, daß er bei ihrer Auswahl die im 
Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. 


Der Umfang des zu erſetzenden Schadens bemißt 
ſich bei unerlaubter Handlung nach 8 842 ff. Von 
praktiſcher Bedeutung iſt die Frage, ob der Verletzte 
gemäß 8 847 Schmerzensgeld beanſpruchen kann. 
Für die Zeit von der 14. Woche an iſt dieſe Frage 
von der Rechtſprechung längſt verneint.“) Allein 
für die erſten 13 Wochen kann neben dem anderen 
Schadenserſatz ſehr wohl auch Schmerzensgeld ver⸗ 
langt werden. Denn für die erſten 13 Wochen ſind 
ganz allgemein die bürgerlich⸗rechtlichen Schadens⸗ 
erſatzanſprüche zugelaſſen, und wenn ſolche vom Ver⸗ 
letzten auf unerlaubte Handlung geſtützt werden, iſt 
gar kein Grund vorhanden und wäre es nicht folge⸗ 
richtig, die Anwendbarkeit des 8 847 auszuſchließen. 


Wo alſo die Geltendmachung bürgerlich⸗ rechtlicher 
Schadenserſatzanſprüche möglich iſt, beſtimmt ſich die 
Art und der Umfang ausſchließlich nach dem bürger⸗ 
lichen Recht. 

Dr. Geigel in Aſchaffenburg. 


7) Außerdem bleibt z. B. vorbehalten der An⸗ 
ſpruch auf Buße nach 8 231 StGB. 

) 88 276, BGB. 

) 8 254 BGB. 

10) Reger, Entſch. Bd. 14 S. 271, 27 S. 127, 
Erg.⸗Bd. 1 S. 103, RG. vom 6. Juni 1910 im Recht 
1910 Nr. 2920. 


— smiel we m nn nn mn 


ſollte befunden, daß 


85 
Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


nach Anſhebung des Konkurſes der ordunngsgemäß be: 
ſtellte Projeßzbevollmächtigte den Neviſionskläger irri 
als vertreten durch den Konkursverwalter ar inne hat. 
— Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrages; 
kann die Nepiſien trotz Anſhebung des Nonkurſes dar: 
auf geſtützt werden, daß das Gericht die Vernehmung 
des früheren Gemeinſchuldners als Zeugen zu Unrecht ab: 
gelehnt habe? — Sind bei heller Beleuchtung der ſicher⸗ 
e Stelle eines Weges noch weitere Sicher⸗ 
eitsmaßregeln gebeten? Aus den Gründen: Da 
ein Gerichtsbeſchluß, der die Aufhebung des Konkurs⸗ 
verfahrens ausſpricht, keiner Anfechtung unterliegt 
(KO. § 190), fo muß angenommen werden, daß der Be⸗ 
klagte zur Zeit der Einlegung der Reviſion keinen kon⸗ 
kursrechtlichen Beſchraͤnkungen N unterlag (KO. 
8 192), und daß insbeſondere das Verwaltungs» und 
Verfügungsrecht des Konkursverwalters (KO. 86) fein 
Ende erreicht hatte. Hieraus folgt indeſſen noch nicht 
die Unzuläſſigkeit der Reviſion. Auch während des 
Konkursverfahrens war der Beklagte und nicht der 
Verwalter ſachlich Prozeßpartei, die Aufhebung des 
Konkurſes führte ſomit keine Aenderung der Parteien, 
ſondern nur eine ſolche in der Vertretung des Be⸗ 
klagten herbei — vgl. das bei Warneyer, Erg.⸗Bd. I 
unter Nr. 471 abgedruckte Urteil dieſes Senats — ſie 
hatte auch keine Unterbrechung des Verfahrens zur 
Folge, das vielmehr jede Partei ohne weiteres fort⸗ 
ſetzen konnte (RG. 35. 58. 371). In Uebereinſtimmung 
mit den Ausführungen des II. 950 in ſeinem Urteile 
vom 3. Mai 1910 (JW. 1910, S. 656 Nr. 17) muß ferner 
aus der Verfügungsbefugnis, die dem Konkursver⸗ 
walter in bezug auf den vorliegenden die Konkurs⸗ 
maſſe betreffenden Rechtsſtreit zuſtand, geſchloſſen wer⸗ 
den, daß eine von ihm erteilte Prozeßvollmacht ihre 
Wirkſamkeit für die Zeit nach Beendigung des Kon⸗ 
kurſes auch gegenüber dem früheren Gemeinſchuldner 
behält, ſo lange dieſer ſie nicht ordnungsmäßig wider⸗ 
ruft. Durch die Veränderung, die mit der Aufhebung 
des Konkurſes in ſeiner geſetzlichen Vertretung eintritt 
und die in dem Wegfall der Vertretung beſteht, wird 
die Prozeßvollmacht nach 8 86 ZPO. nicht berührt. 
Da nun weder die Zurücknahme der den Prozeßbevoll⸗ 
mächtigten der Vorinſtanzen vom Konkursverwalter 
erteilten Vollmacht behauptet noch die ordnungsmäßige 
Beſtellung des Prozeßbevollmächtigten der Reviſions⸗ 
inſtanz durch einen Vertreter in den früheren Inſtanzen 
bezweifelt worden iſt, ſo unterliegt die Annahme keinem 
Bedenken, daß der gegenwärtige Vertreter des Beklag⸗ 
ten befugt war, für ihn die Reviſion einzulegen. Daß 
er das nicht getan habe, iſt aus dem Wortlaut der 
Reviſionsſchrift nicht zu folgern; vielmehr iſt davon 
auszugehen, daß er für die tatſächliche Prozeßpartei 
die Reviſion eingelegt hat und daß die Angabe, Be⸗ 
klagter werde durch den Konkursverwalter vertreten, 
nichts als ein Irrtum iſt, gegen deſſen Berichtigung 
keine Bedenken beſtehen. Die Reviſion war daher als 
zuläſſig zu erachten (ZPO. 8 554 a). 
Dagegen iſt ſie nicht begründet. Gerügt iſt 
einmal, daß das OL G. die Vernehmung des früheren 
Gemeinſchuldners als Zeugen abgelehnt hat. Er 
er einen zuverläſſigen Haus⸗ 
burſchen beauftragt habe, Paſſanten vor der offen 
ſtehenden Luke während des Kohlenabladens zu warnen. 
Wenn das Gericht daraus, daß der Hausburſche die 
Klägerin nicht gewarnt hat, bereits ſchließen will, er 
ſei keine zuverläſſige Perſon geweſen, ſo mag das nicht 
ohne Bedenken ſein, kann aber auf ſich beruhen, weil 


Zuläſſigkeit einer Neviſien, bei deren e 


86 


feine weiteren Erwägungen die Entſcheidung tragen. 
Es ſtellt feſt, daß die Hausburſchen des Beklagten häufig 
wechſelten, daß ſchließlich Wilhelm Sch. in N. als der 
Beauftragte bezeichnet wurde und dieſer als Zeuge er⸗ 
klärte, er ſei erſt einige Monate nach dem Unfalle der 
Klägerin in die Dienſte des Beklagten getreten. Hier⸗ 
aus ſchließt das OLG., daß der Beklagte den rich⸗ 
tigen Hausburſchen nicht kenne, und lehnt daher ſeine 
Vernehmung über die Zuverläſſigkeit und Brauchbar⸗ 
keit des unbekannten Burſchen ab. Mit dieſer Er⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


wägung bewegt ſich der Vorderrichter auf tatſächlichem 


Gebiete; es enthält auch keinen Rechtsirrtum, wenn 
er nicht auf die von der Reviſion hervorgehobene, üb- 
rigens fernliegende Möglichkeit eingegangen iſt, der 
Beklagte könne ſich trotzdem an die Perſon und den 
Charakter des richtigen Hausburſchen erinnert. 
gegen würde der von der Klägerin betonte Umſtand, 
daß Beklagter jetzt keinesfalls als Zeuge gehört werden 
kann, zur Zurückweiſung des Reviſionsangriffs nicht 
genügen: denn es müßte dem Beklagten, wenn der 
Beweisantritt zu Unrecht abgelehnt wäre, die Mög: 
lichkeit gegeben werden, andere Beweismittel geltend 
zu machen. 
Kelleröffnung ſei durch eine Straßenlaterne, das Licht 
aus dem Laden des Gemeinſchuldners und die Laterne 
des Kohlenwagens ſo hell beleuchtet geweſen, daß die 
Klägerin die Oeffnung hätte ſehen müſſen, wenn fie 
auf den Weg geachtet hätte. Das OLG. bemerkt, daß 
auch eine helle Beleuchtung der Unfallſtelle den Be⸗ 
klagten nicht von der Pflicht befreit habe, die Keller⸗ 
öffnung entweder mit einem Schutzgeländer zu ver⸗ 
ſehen oder eine Perſon zur Warnung aufzuſtellen. Die 
Klägerin habe ſich darauf verlaſſen dürfen, daß ſich im 


Das 


Weiter hat der Beklagte behauptet, die 


Trottoir einer Straße von der Größe von W. keine unge- 


ſchützten Oeffnungen befänden und daher feine Berans 
laſſung gehabt, auf ſolche zu achten, auch nicht, wenn ein 
Kohlenfuhrwerk in der Nähe geſtanden habe. Mit Recht 
wendet die Reviſion ein, daß die Paſſanten auch auf dem 
Trottoir einer größeren Stadt verpflichtet ſind, auf den 
Weg zu achten; ihr Angriff ſcheitert aber an der wei— 
teren Feſtſtellung, daß das Verſchulden des Beklagten 
ein ſo überwiegendes ſei, daß von der Anwendung 
des 5 254 BGB. nicht die Rede fein könne. Hierbei 
handelt es ſich allerdings nicht um eine der Nach⸗ 
prüfung in dieſer Inſtanz entzogene Feſtſtellung (vgl. 
JW. 1906 S. 544 Nr. 9), aber die tatſächlich feſtgeſtellte 
Sachlage rechtfertigt es, wenn das OLG. das in dem 
Nichtverwahren der Oeffnung des Kellers liegende Ver— 
ſchulden des Beklagten für ſo erheblich anſieht, daß 
ihm gegenüber eine Unachtſamkeit der Klägerin auch 
dann nicht in Betracht kommt, wenn die Unfallſtelle 
durch die Laterne ausreichend erleuchtet war. (Urt. 
des VI. 35. vom 1. Okt. 1910, VI. 496/1909). E. 
204 


II. 


Iſt die auf Grund der Unfall verſicherungsgeſetze 
ergangene Entſcheidung, daß ein Betriebsunfall vorliege 
und Entſchädigung zu leiſten ſei, für die Gerichte bindend, 
wenn die Berufsgensſſenſchaft den kraft Geſetzes anf fie 
übergegangenen Schadenderſatzanſpruch des Berlchten 
gegen den Urheber des Unfalls geltend macht? — Zum 
Begriſſe Betriebsunfall (Unfall auf dem Rückwege von 
der Arbeit). — Begrenzung des Erſatzanſpruchs der 
Berufsgenoſſenſchaft durch die Höhe des dem Verletzten 
gegen den Urheber des Unfalls erwachſenen Schadens: 
erſatzanſpruchs. — Bemeſſung der Neute des § 843 BGB. 
Aus den Gründen: Das RG. hat in ſeiner bis⸗ 
herigen Rechtſprechung, beſonders in dem in Bd. 55 
S. 385 der Entſch. abgedruckten Urteil, den Stand— 
punkt vertreten, daß die Entſcheidung der Verſiche— 
rungsinſtanzen, es ſei für einen Unfall Entſchädigung 
zu leiſten, für die erkennenden ordentlichen Gerichte 
in allen den Fällen nicht bindend ſei, in denen ein 
auf die Berufsgenoſſenſchaft kraft Geſetzes überge— 


in Bayern. 1911. Nr. 4. 


gangener Anſpruch der entſchädigungsberechtigten 
Perſonen auf Erſatz des ihnen durch den Unfall ent⸗ 
ſtandenen Schadens gegen Dritte erhoben werde. 
Das RG. hat in der erwähnten Entſcheidung ausge⸗ 
führt, daß 8 151 wu. ebenſo wie der entſprechende 
8 140 Gew VG. den Uebergang des Entſchädigungs⸗ 
anſpruchs auf die Berufsgenoſſenſchaft nicht ſchon an 
die bloße Feſtſtellung der Entſchädigungspflicht der 
Berufsgenoſſenſchaft durch die Unfallverſicherungs⸗ 
inſtanzen knüpfe; vielmehr ſei der Uebergang der 
Forderung davon abhängig, daß für die Berufsge⸗ 
noſſenſchaft die Entſchädigungspflicht auch wirklich nach 
dem Geſetz begründet ſei. Das ordentliche Gericht, 
dem die Prüfung obliege, ob der Entſchädigungsan— 
ſpruch auf die Berufsgenoſſenſchaft übergegangen ſei, 
habe zugleich auch zu prüfen, ob aus der Unfallver⸗ 
ſicherung Entſchädigung zu leiſten ſei. Dieſen Stand- 
punkt hat das RG. auch in der vom OLG. angeführten 
Entſcheidung in Sachen der Rheiniſchen landwirtſchaft— 
lichen Berufsgenoſſenſchaft gegen H. (VI 216/07) keines⸗ 
wegs verlaſſen. Die Aufhebung des Urteils erfolgte da- 
mals, weil die Frage nicht genügend geklärt war, ob der 
beklagte Dampfdreſchmaſchinenbeſitzer als Betriebs⸗ 
oder Arbeiteraufſeher des landwirtſchaftlichen Unter⸗ 
nehmers oder als ſelbſtändiger Betriebsunternehmer 
zu betrachten ſei. Die Bemerkung in den Gründen 
jenes Urteils, das erkennende Gericht ſei an die rechts⸗ 
kräftige Feſtſtellung der Berufsgenoſſenſchaft gebunden, 
daß ſie entſchädigungspflichtig ſei, iſt nur darauf 
zu beziehen, daß die weiteren Feſtſtellungen, welche 
das OLG. noch zu treffen habe, ergeben würden, Be⸗ 
klagter ſei kein Dritter i. S. des §S 151 L wu. ge⸗ 
weſen. Einer erneuten Stellungnahme zu der hier 
ſtreitigen Frage, ob die bindende Kraft der Entſchei⸗ 
dungen der Verſicherungsinſtanzen für das ordentliche 
Gericht nur bei der Verfolgung von Erſatzanſprüchen 
gegen die Betriebsunternehmer und deren Gehilfen 
beſtehe oder ob ſie unter analoger Anwendung der 
unmittelbar nur für dieſe Fälle gegebenen geſetzlichen 
Vorſchriften auch bei Geltendmachung von Erſatzan— 
ſprüchen gegen Dritte anzunehmen ſei, bedarf es indes 
für die Entſcheidung in der vorliegenden Sache nicht. 
Denn das Reviſionsgericht pflichtet in Uebereinſtimmung 
mit dem OLG. der in dem Feſtſtellungsbeſcheide des 
Vorſtandes der klagenden Berufsgenoſſenſchaft ent— 


haltenen Auffaſſung bei, daß der Unfall der Schul— 
dienersfrau D. in der Tat einen bei dem Betriebe der 


j 


— 


Landwirtſchaft vorgekommenen Unfall darſtelle, für 
welchen die Entſchädigungspflicht der Berufsgenoſſen— 
ſchaft nach dem LwulVG. begründet geweſen iſt. Für 
den Begriff des Betriebsunfalls iſt das Erfordernis 
aufzuſtellen, daß das körperlich ſchädigende, zeitlich 


begrenzte Ereignis mit dem Betriebe in einem inneren 


urſächlichen Zuſammenhange ſteht. RG. 44, 263; 
52, 76; 66, 434. Die Verbindung mit dem Betriebe 
braucht keine unmittelbare zu ſein; es bedarf keiner 
Einheit von Ort und Zeit zwiſchen dem Betriebe und 
dem den Unfall darſtellenden Ereignis. Es genügt, 


daß der Verletzte bei Eintritt des Unfalls in einer mit 


dem Betrieb in Zuſammenhang ſtehenden, dem Betrieb 
dienſtbaren Tätigkeit oder Lage, im Banne des Be— 
triebes, ſich befunden hat. Danach iſt es nicht not: 
wendig, daß der Unfall ſich gerade während der Arbeit 
ereignet; der Gefahrenbereich eines Betriebes erſtreckt 
ſich häufig über die Grenzen der Betriebsſtätte hinaus; 
es kann ein Betriebsunfall vorliegen, wenn der Ar— 
beiter die Betriebsſtätte bereits verlajien hatte, ſich 
aber noch innerhalb jenes Gefahrenbereichs befand. 
Es iſt allerdings richtig, daß die Zurücklegung des 
Weges von der außerhalb der Betriebsſtätte ge— 
legenen Wohnung des Arbeiters zur Betriebsſtätte 
und von dieſer zur Wohnung nicht ohne weiteres 
als Betriebsvorgang aufzufaſſen iſt; ſoll er dem Be— 
triebe zugerechnet werden, muß vielmehr der Umſtand 
hinzutreten, daß der Gang nach ſeiner unmittelbaren 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


87 


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Zweckbeſtimmung mit dem Betrieb und in deſſen In⸗ 
tereſſe 81905 (Handbuch der Unfallverſicherung 1909, 
Bd. 1 S. 89, 109; Bd. 2 S. 22). Auch das Mitſich⸗ 
führen von Arbeitsgerät, das beim Betriebe benutzt 
wird, ſtempelt den Unfall noch nicht zum Betriebs⸗ 
unfall, ſofern es nicht bei Entſtehung des Unfalls mit⸗ 
gewirkt hat. Im vorliegenden Fall iſt aber zu be⸗ 
achten, daß Frau D., als ſie den Heimweg antrat, ihre 
Arbeit noch nicht abgeſchloſſen, ihr Tagewerk noch 
nicht vollendet hatte. Der Unfall ereignete ſich vor⸗ 
mittags. Die Schuldienersfrau war noch in ihrer Ar⸗ 
beit begriffen, als das Gewitter heraufzog. Sie mußte 
ihre Arbeit abbrechen, um Schutz vor dem drohenden 
Unwetter zu ſuchen. Hätte ſich ihr auf dem Felde 
oder in deſſen unmittelbarer Nachbarſchaft ein Obdach 
geboten, hätte ſie dieſes aufgeſucht, um den Verlauf 
des Unwetters abzuwarten und wäre ſie hierbei durch 
Blitzſchlag oder ein anderes ſchädigendes Ereignis 
verletzt worden, ſo läge der Zuſammenhang mit dem 
Betriebe klar zutage. Sie hat nun allerdings den 
Heimweg angetreten; und erſt als ſie ſich ſchon auf 
der Rückkehr nach ihrer Wohnung befand, Unterkunft 
vor dem losbrechenden Unwetter im Hof der Gas⸗ 
anſtalt geſucht. Sie hat ſich aber unter vorzeitiger 
Abbrechung ihrer Arbeit nur deshalb auf den Heimweg 
begeben, weil ſie während der Arbeit auf dem 
Felde von der Gefahr des Gewitters überraſcht 
wurde, und ſie hat den Hofraum der Gasanſtalt nur 
betreten, um einer Gefahr, die ſie bei ihrer Landarbeit 
auf dem Felde bedroht hatte und vor der ſie geflüchtet 
war, zu entgehen. Unter dieſen Umſtänden iſt hier 
der innere Zuſammenhang mit dem Betriebe gegeben. 
Es iſt nun freilich richtig, daß ſie in der Gasanſtalt 
nicht durch das Unwetter beſchädigt, ſondern durch ein 
Ereignis verletzt wurde, das einer andern Gefahren» 
quelle entſprang. Dadurch wird aber der urſächliche 
Zuſammenhang nicht aufgehoben. Es iſt für den Be⸗ 
griff des Betriebsunfalls nicht weſentlich, daß beſondere 
eigentümliche Gefahren des Betriebes die Urſache ſeiner 
Entſtehung bilden (RG. 52, 77). Hiernach das OLG. 
ohne Rechtsirrtum einen Betriebsunfall angenommen. 
Die Berufsgenoſſenſchaft war demnach entſchädigungs⸗ 
pflichtig; denn daß die Verletzte als Ehefrau des land⸗ 
wirtſchaftlichen Unternehmers zu den verſicherungs⸗ 
pflichtigen Perſonen gehörte, iſt vom OLG. zutreffend 
angenommen und wird von der Reviſion ſelbſt nicht 
in Zweifel gezogen. In dem Umfang ihrer durch das 
UVG. begründeten Entſchädigungspflicht iſt der Erſatz⸗ 
anſpruch der Verletzten gegen die Beklagten auf die 
klagende Berufsgenoſſenſchaft übergegangen. Dagegen 
hat die Reviſion in letzter Linie noch geltend gemacht, 
daß die Beklagten nur zur Erſtattung der von der 
Klägerin bis zum vollendeten 70. Lebensjahre der 
Verletzten aufzuwendenden Rentenbeträge verpflichtet 
ſeien. Dieſem Reviſionsangriff war ſtattzugeben. Da 
die Berufsgenoſſenſchaft ihren Erſtattungsanſpruch 
gegen Dritte gemäß 8 151 Lwu VG. nur auf den 
Uebergang der Anſprüche der entſchädigungsberechtigten 
Perſonen an ſie ſtützen kann, wird der Umfang des 
Erſtattungsanſpruchs durch die Höhe des dem Ver— 
letzten oder deſſen Hinterbliebenen gegen den Dritten 
erwachſenen Erſatzanſpruchs begrenzt. Nach 8813 BGB. 
iſt dem Verletzten von dem Erſatzpflichtigen Schadens- 
erſatz dafür zu leiſten, daß infolge der Verletzung ſeine 
Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert wird 
oder eine Vermehrung feiner Bedürfniſſe eintritt. So— 
weit es ſich um die Entſchädigung für Verluſt oder 
Minderung der Erwerbsfähigkeit handelt, muß erwogen 
werden, ob der Verletzte nach dem natürlichen und 
regelmäßigen Gang der Dinge ohne die Verletzung 
in der Lage geweſen ſein würde, bis in das hohe 
Greiſenalter ſeine Arbeitskraft zu verwerten; wo dies 
nicht anzunehmen iſt, muß für die Dauer der Rente 
eine Altersgrenze feſtgeſetzt werden. IW. 1906, 308 19). 
Daß das OLG. dieſe Erwägungen angeſtellt hätte, iſt 


nicht erſichtlich. Auch iſt nicht ohne weiteres anzu⸗ 
nehmen, daß die Verletzte ohne den Unfall auch nach 
Vollendung des 70. Lebensjahres ihrer landwirtſchaft⸗ 
lichen Arbeit in ungemindertem Maße hätte nachgehen 
können. Andererſeits iſt in dem Urteil nicht erörtert, 
wieweit durch den Unfall eine Vermehrung der Be⸗ 
dürfniſſe der Verletzten eingetreten iſt und welcher 
Teil der ihr zuzubilligenden Entſchädigung hierauf zu 
rechnen wäre. Da dieſer Teil der Entſchädigung voraus⸗ 
ſichtlich über das 70. Lebensjahr hinaus zu gewähren 
ſein würde, iſt eine Sonderung von der Entſchädigung 
für den Erwerbsverluſt erforderlich. Mit Rückſicht 
darauf, daß die Reviſion ſelbſt davon ausgeht, daß 
die Verletzte bis zum vollendeten 70. Lebensjahre ihre 
volle Erwerbsfähigkeit behalten hätte, andererſeits der 
Umfang der Erſtattungspflicht der Beklagten über dieſen 
Zeitpunkt hinaus von der Höhe der der Verletzten nach 
ihrem 70. Lebensjahre gebührenden Rente abhängt, 
war das Urteil inſoweit aufzuheben, als die Beklagten 
zur Erſtattung der Rentenbeträge für einen weiteren 
Zeitraum als bis zum vollendeten 70. Lebensjahr der 
Verletzten verurteilt ſind. In dieſem Umfang war 
die Sache, da es ſich um noch zu treffende tatſächliche 
Feſtſtellungen und Würdigungen handelt, an die Vor⸗ 
inſtanz zurückzuverweiſen. (Urt. des VI. 38S. vom 
26. September 1910, VI 484/09). E. 
2109 


IL 


1. Das Vorrecht des 8 61 Nr. 5 der KO. erſtreckt 
ſich auf die ganze Forderung des Kindes, auch wenn ſie 
wegen einer Ueberſchuldung des väterlichen Vermögens 
nicht ganz einbringlich iſt. ö 

2. Anfechtung eines Vertrags, durch den der in 
Konkurs geratene Erbe eine gegen ihn ſelbſt gerichtete 
681.8 an VBermächtuisnehmer abgetreten hat 

Die verſtorbene Witwe H., die Mutter des Gemein⸗ 
ſchuldners Guſtav H. und die Großmutter feiner 
Kinder, der Kläger, hat in einem Teſtamente von einer 
ihr gegen ihren Sohn G. zuſtehenden Kapitalforderung 
zu 182 329.67 M an ihre Enkelin Elſa H. 12500 M, 
an die Enkel Guſtav und Hans H. je 7000 M ver⸗ 
macht. Den Reſt des Nachlaſſes ſollten ihre beiden 
Kinder Guſtar H. und Amalie W. geb. H. zu gleichen 
Teilen erben. In einem zwiſchen dieſen beiden Erben 
geſchloſſenen Erbteilungsvertrag wurde das ganze 
Vermögen der Erblaſſerin gegen eine an die Miterbin 
W. zu zahlende Abfindung von 69 000 M dem Buftav 
H. überlaſſen, der auch alle im Bermögensverzeichnis 
aufgeführten Verbindlichkeiten (Schulden und Legate) 
zur Zahlung übernahm. Später wurde über das 
Vermögen des Erben Guſtav H. das Konkursverfahren 
eröffnet. Die Kläger beanſpruchen durch ihren Pfleger 
das Vorrecht für die ihnen gegen den Gemeinſchuldner 
zuſtehenden Vermächtnisforderungen von zuſammen 
26 500 M. Der beklagte Konkursverwalter hat den 
Betrag dieſer zur Konkurstabelle angemeldeten For⸗ 
derungen und das behauptete Vorrecht beſtritten, da 
die der Witwe H. gegen ihren Sohn zuſtehende For⸗ 
derung von 182 329.67 M ü höchſtens auf 10% des Nenn⸗ 
betrags zu bewerten geweſen ſei. Der Nachlaß ſei 
deshalb mit Rückſicht auf die vorhandenen Paſſiven 
von 44000 M in Wahrheit überſchuldet, die Ver⸗ 
mächtniſſe aber ſeien damit hinfällig geweſen. Vor⸗ 
ſorglich werde der unter den Erben geſchloſſene Erb- 
teilungsvertrag als den Konkursgläubigern gegenüber 
unwirkſam angefochten. Die Vorinſtanzen haben die 
von den Klägern angemeldeten 26500 M als Konkurs- 
forderungen mit dem Vorrecht des § 61 Nr. 5 KO. 
feſtgeſtellt. Das RG. hob auf. 

Gründe: 1. Der Berufungsrichter nimmt an, daß 
die beiden Erben der verwitweten H. in dem Erb— 
teilungsvertrage zur Erfüllung des von der Erblaſſerin 
angeordneten Vermächtniſſes den Klägern 26500 M 


88 Zeitſchrift für Rechtspflege 


—— wi ᷣ —— — 


von denjenigen 182 329.67 M abgetreten haben, welche 
der Miterbe und fpätere Gemeinſchuldner Guſtav 9. 
zum mütterlichen Nachlaß ſchuldete, daß hierbei Guſtav 
H. die Abtretung namens ſeiner von ihm vertretenen 
Kinder angenommen hat und daß den Klägern, nach⸗ 
dem fie auf diefe Weiſe Gläubiger ihres Vaters in 
Höhe von 26500 M geworden ſind, das in 8 61 Nr. 5 
KO. geordnete Vorrecht im Konkurſe des Vaters zuſteht. 
Die Reviſion verſucht auszuführen, das Vorrecht ſei den 
Klägern nur für den Forderungsbetrag zuzubilligen, 
bis zu welchem ihr Vater, der Schuldner, zur Zeit 
des Ueberganges der Forderung zu zahlen imſtande 
geweſen ſei. Dieſer Betrag ſei mit Rückſicht auf die 
ſchon damals vorhandene Ueberſchuldung nur auf 10% 
der Forderung zu veranſchlagen. Allein mit Recht 
legt der Berufungsrichter dar, daß eine ſolche Unter⸗ 
ſcheidung zwiſchen dem Nennwert und dem wahren 
wirtſchaftlichen Wert einer den Kindern gegen ihren 
Vater zuſtehenden Geldforderung in dem Wortlaute 
des 8 61 Nr. 5 KO. keine Stütze findet. Inhalt und 
Umfang einer beſtehenden Schuldverpflichtung werden 
durch das Unvermögen des Schuldners in keiner Weiſe 
beeinflußt, auch die ganz oder zum Teil uneinbring⸗ 
liche Forderung bleibt, und zwar nicht bloß im Rechts⸗ 
finne ſondern auch nach der Verkehrsauffaſſung, For⸗ 
derung zum vollen urſprünglichen Betrage und genießt 
demgemäß auch in voller Höhe die Vergünſtigungen, 
mit denen ſie ſonſt das Geſetz ausſtattet. 

2. Dagegen beſchwert ſich die Reviſion nicht ohne 
Grund darüber, daß der Berufungsrichter auf die auch 
in zweiter Inſtanz vom Beklagten erklärte Anfechtung 
aus 8 31 KO. nicht eingegangen iſt. Wenn der Be⸗ 
klagte dort als Gegenſtand der Anfechtung den „Erb⸗ 
teilungsvertrag“ bezeichnet, ſo handelte es ſich dabei 
um eine unſchaͤdliche ungenaue Ausdrucksweiſe. Ges 
meint iſt augenſcheinlich die bei Gelegenheit jenes 
Vertrages von beiden Erben erklärte und zugleich von 
Guſtav H. namens feiner Kinder angenommene Ab⸗ 
tretung der dieſen als Vermächtnis ausgeſetzten 
26500 M von der Forderung, die Guſtav H. zum 
mütterlichen Nachlaß ſchuldete. 
Weſen der Erbengemeinſchaft als eines Rechtsverhält⸗ 
niſſes zur geſamten Hand, daß durch den Erbfall eine 
Vereinigung der zum Nachlaß gehörigen Rechte mit 
den von einem Erben zum Nachlaß geſchuldeten Ver⸗ 
bindlichkeiten nicht eintritt. Auch der Schuldnererbe 
iſt mithin in ſeiner Eigenſchaft als Erbe der urſprüng⸗ 
lichen Gläubigerin zugleich geſamtberechtigter Gläu⸗ 
biger des von ihm ſelbſt geſchuldeten Nachlaßaußen⸗ 
ſtandes geworden. In dieſer Eigenſchaft hat Guſtav 
H. durch die anteilige Abtretung an feine Kinder ge— 
meinſchaftlich mit ſeiner Schweſter und Miterbin über 
den Außenſtand verfügt ($ 2040 Abſ. 1 BGB.). Es 
bedarf keiner Ausführung, daß dieſe vertragsmäßige 
Verfügung ſowohl als Rechtshandlung (Nr. 1) wie 


Es folgt aus dem 


als entgeltlicher, weil in Erfüllung der Vermächtnis⸗ 


anordnung vollzogener Vertrag (Nr. 2) zu gelten hat. 


Es liegt ferner auf der Hand, daß die Guſtav H.ſchen 
Gläubiger wenn auch nicht durch die bloße Abtretung 
ſo doch dadurch benachteiligt worden ſind, daß die 


Zeſſionare hiermit zugleich den Anſpruch auf vorzugs⸗ 
weiſe Befriedigung im Konkurſe erworben haben. Es 
kann ſich mithin nur darum handeln, ob der ab— 
tretende Miterbe und nachmalige Gemeinſchuldner 


hierbei in Benachteiligungsabſicht gehandelt habe und 


wie gemäß $ 31 Nr. 1 und 2 KO. die Beweislaſt zu 
verteilen ſei. In dieſer Beziehung wird der Berufungs— 
richter bei Erörterung des Sachverhalts auch in Be— 
tracht zu ziehen haben, daß die Verbindlichkeiten aus 
Vermächtniſſen in 8 1967 BGB. zwar im allgemeinen 
zu den Nachlaßverbindlichkeiten gezählt und damit 
den Grundſätzen von der beſchränkten Haftung des 


| 


Erben unteritellt ſind, daß aber die Vermächtnis⸗ 


gläubiger im Nachlaßkonkurſe gemäß § 226 Nr. 5 KO. 


erſt an letzter Stelle zu befriedigen ſind und, daß dem, 


in Bayern. 1911. Nr. 4. 


Erben in 8 1978 Abſ. 1 verbunden mit 8 1979 BG. 
im Falle der Anordnung der Nachlaßverwaltung oder 
der Eröffnung des Nachlaßkonkurſes, nach 8 1991 
Abſ. 1, 4 auch im Falle des ſog. dürftigen Nachlaſſes 
eine beſondere Verantwortlichkeit für die Art und 
Weiſe der Verwaltung des Nachlaſſes auferlegt iſt, 
deren Verletzung ihn ſchadenserſatzpflichtig werden 
läßt. Gilt dies alles auch nur im Verhältnis zwiſchen 
dem Erben und den Nachlaßgläubigern, nicht auch 
den Privatgläubigern des Erben, ſo bleibt doch be⸗ 
ſtehen, daß ihm beſondere Vorſicht gerade in der VBe⸗ 
friedigung von Vermächtnisgläubigern zur Pflicht 
gemacht iſt. In dieſem Zuſammenhange kann deshalb auch 
von Bedeutung ſein, daß wie der Beklagte behauptet 
und der Berufungsrichter als möglich unterſtellt, in» 
zwiſchen über den Nachlaß der verwitweten H. der 
Konkurs eröffnet worden iſt, weil ſich vermöge der 
Uneinbringlichkeit der bei Guſtav H. ausſtehenden 
Forderung auch die Ueberſchuldung des mütterlichen 


Nachlaſſes herausgeſtellt habe. (Urteil des IV. 38. 
vom 24. Oktober 1910, IV D. 614/09). 
2153 — — — u. 
IV. 


Welchen Einfluß hat es auf den Schadenserſatz⸗ 
anſpruch nach 8 945 ZBO., wenn der Schuldner zur 
Abwendung des Arreſtvollzugs entgegen der Vorſchrift 
des 592330. nicht Geld, ſondern Wertpapiere hinterlegt? 
Der Beklagte hat gegen den Kläger einen Arreſt er» 
wirkt; als der zur Abwendung der Vollziehung er⸗ 
forderliche Geldbetrag wurde die Summe von 42000 M 
feſtgeſtellt. Kläger hinterlegte 42 000 M in 3½ prozent. 
Preußiſchen Konſols. Nachdem der Arreſt aufgehoben 
war, wurden von den hinterlegten Papieren 37100 M 
am 4. Dezember 1907 und der Reſt mit 4900 M am 
20. Oktober 1908 hinausgegeben. Der Kläger verlangt 
Erſatz des Schadens, den er durch die Sicherheitsleiſtung 
erlitten habe, und zwar 3651,20 M für Kursverluſt 
und 4628,85 M für Zinsverluſt; er macht geltend, daß 
er die Papiere eigens für die Hinterlegung angeſchafft 
und ſofort nach der Freigabe wieder veräußert habe, 
wobei der Kursverluſt entſtanden ſei, und daß er mit 
feinem Geld 6% ü hätte verdienen können. Das LG. 
hat die Klage abgewieſen. Das Berufungsgericht hat 
bezüglich des Zinſenverluſtes den Klageanſpruch dem 
Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache 
in die erſte Inſtanz zurückverwieſen, mit dem weiter⸗ 
gehenden Anſpruch die Klage abgewieſen. Soweit der 
Klageanſpruch für gerechtfertigt erklart worden iſt, iſt 
das Urteil rechtskräftig. Soweit die Klage abgewieſen 
iſt, hat der Kläger Reviſion eingelegt. Sie hatte Erfolg. 

Gründe: Die Entſcheidung hängt davon ab, 
welche Bedeutung der Tatſache beizumeſſen iſt, daß 
der Kläger entgegen der Vorſchrift des 8 923 ZPO. 
nicht Bargeld, ſondern Wertpapiere hinterlegt hat. 
Der Berufungsrichter nimmt an, daß die Hinterlegung, 
weil fie dem § 923 nicht entſpreche, den Schadens— 
erſatzanſpruch aus 8 945 ZPO. für den Kursverluſt 
nicht begründen könne. Er ſagt hierüber: weil eine 
Vereinbarung der Parteien über die Hinterlegung von 
Wertpapieren nicht behauptet werde, ſo müſſe ange- 
nommen werden, daß der Kläger eigenmächtig von 
ſeiner Pflicht abgewichen ſei. Der gegen dieſe Schluß— 
folgerung gerichtete Angriff der Reviſion iſt begründet. 
Es war zu prüfen, ob nicht ebenſo wie durch eine 
Vereinbarung auch ſchon durch die bloße Zuſtimmung 
des Beklagten zu der einmal geſchehenen Hinterlegung 
von Wertpapieren die Befugnis des Beklagten aus— 
geſchloſſen war, aus einer Zuwiderhandlung des 
Klägers gegen S 923 IPOD. für ſich Rechte herzuleiten. 
Es kommt hierbei folgendes in Betracht: wenn die 
ziemlich erhebliche Summe in Bargeld hinterlegt worden 
wäre, dann wäre bei der niedrigen Verzinſung, wie 
ſie die Hinterlegungsſtellen gewähren, ein bedeutender 
Schaden durch Zinſenverluſt unausbleiblich geweſen. 


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An der tunlichſten Verringerung dieſes Schadens hatte 
auch der Beklagte wegen feiner Erſatzpflicht nach 8 945 
ZPO. ein Intereſſe. Durch die Hinterlegung von 
Wertpapieren wurde alſo dem beiderſeitigen Intereſſe 
gedient, und der Kläger konnte wohl von vornherein 
darauf rechnen, daß der Beklagte dieſer Art der Sicher⸗ 
heitsleiſtung zuſtimmen werde. Der Beklagte hat denn 
auch auf die Hinterlegung der Wertpapiere hin die 
Vollziehung des Arreſtes unterlaſſen, obwohl er ſie 
hätte weiterbetreiben können. Der Berufungsrichter 
mußte deshalb der Frage nähertreten, ob der Beklagte 
— auch wenn eine Vereinbarung über die Art der 
Hinterlegung nicht anzunehmen iſt — der Hinterlegung 
von Papieren zugeſtimmt und ob und inwieweit er 
dadurch die Haftung für die Gefahr des Kursverluſtes 
übernommen habe. Dabei wird aber ins Auge zu 
faſſen ſein, ob nicht aus dem Stillſchweigen des Be⸗ 
klagten die Uebernahme der Gefahr des Kursverluſtes 
nur inſoweit wird gefolgert werden können, als die 
, Wertpapieren ſeinem eigenen Intereſſe 
diente, alſo bis zu der Höhe, in welcher ſich der Zinſen⸗ 
verluſt verringerte. 

Die Annahme des Berufungsrichters, daß der 
Schaden aus Kurs verluſt mit dem urſprünglichen 
ſchädigenden Ereignis in einem ſo entfernten Zuſammen⸗ 
hang ſtehe, daß er nach der Auffaſſung des Lebens 
vernünftigerweiſe nicht mehr in Betracht gezogen 
werden könne, iſt nicht haltbar. Kursrückgang bei 
Wertpapieren iſt eine ſo naheliegende Möglichkeit, daß 
jedermann, der Geſchäfte mit ſolchen macht, damit 
rechnen muß. Das Geſetz ſelbſt rechnet bei Regelung 
der Materie der Sicherheitsleiſtung mit dieſer Mög⸗ 
lichkeit, indem es die durch Hinterlegung von Wert⸗ 
papieren hergeſtellte Sicherheit nur in Höhe von drei 
Vierteilen des Kurswertes annimmt (8 234 Abſ. 3 
BGB.). Bei der nochmaligen Beurteilung der Sach⸗ 
lage wird der Berufungsrichter auch zu erwägen haben, 
ob die Verpflichtung des Beklagten zum Erſatze des 
Schadens nach dem Grundſatze des 8 254 BGB. durch 
ein Verſchulden des Klägers beeinflußt wird, ſoweit 
ein ſolches, ſei es in der Art der Hinterlegung ſelbſt, 
ſei es in dem Nichtumtauſche der hinterlegten Wert⸗ 
papiere (8 235 BGB.) gefunden werden könnte. (Urt. 
des IV. 35. vom 27. Oktober 1910, IV 144/10). 

2154 


— — gn. 


— —ů — —— 


B. Strafſachen. 
1 


Die Berpflichtung zur Buchführung nach 8 5 des 
Neblans. vom 6. Juli 1904. Der § 5 Reblaus GG. lautet: 
„Wer mit Reben oder Rebteilen Handel treibt, iſt 
verpflichtet, Bücher zu führen, aus welchen die Her⸗ 
kunft, die Abgabe und der Verſand der Reben oder 
Rebteile zu erſehen ift,..... „Die Bek. vom 27. Mai 
1906 (G BBl. 1906 S. 198) ſchreibt in § 10 vor, daß 
bei der Führung der Bücher ein beſtimmtes Formular 
zu benützen ſei. Der Angeklagte befaßte ſich gleich 
vielen Winzern und Weinbergsarbeitern zum Zwecke 
des Erwerbs damit, Blindreben zur Anzucht von 
Wurzelreben einzuſetzen und die bewurzelten Reben 
zu verkaufen, ſoweit er ſie nicht in ſeinem eigenen 
Weinberg verwendete. Das Blindholz entſtammte 
nicht ausſchließlich dem eigenen Grundbeſitz des An⸗ 
geklagten, ſondern er nahm es auch beim Schneiden 
fremder Weinſtöcke mit Zuſtimmung der Arbeitgeber 
an ſich oder es wurde ihm von dieſen überlaſſen, nicht 
als Lohn oder in Anrechnung auf Lohn, ſondern un- 
entgeltlich. Bücher nach 8 5 Reblaus. hat der An⸗ 
debate nicht geführt, obwohl ihm die Verwaltungs⸗ 

ehörde ein nach der Bek. vom 27. Mai 1906 einge⸗ 
richtetes Buch eingehändigt hatte. Die Strafkammer 
hat den Angeklagten von der Anklage wegen eines 
Vergehens gegen 88 5, 10 Nr. 3, 11 Nr. 2 Reblaus. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


89 


— 


freigeſprochen, weil der Angeklagte nicht „Handel mit 
Reben treibt“, ſo daß ihn die in 8 5 geſchaffene Ver⸗ 
pflichtung überhaupt nicht trifft. Das Reichsgericht 
hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückver⸗ 
wieſen. In den Gründen wird zunächſt die Aus⸗ 
legung der Strafkammer als dem Zwecke des Reblaus. 
zuwiderlaufend bezeichnet und darauf hingewieſen, daß 
für die Verbreitung der Reblaus der Verkehr mit 
Reben die größte Gefahr bilde, daß es das Ziel des 
Reblaus. ſei, wi Verkehr „ſoweit angängig“ ein⸗ 
zuſchränken, daß die Buchführung zur leichteren Ueber⸗ 
wachung des Verkehrs vorgeſchrieben ſei. Nur der 
Weg der Rebe von Weinberg zu Weinberg ſei von 
Intereſſe, die begleitenden rechtsgeſchäftlichen Vorgänge 
ſeien I die Frage der e an ſich 
ganz belanglos. Dies ſpreche nicht dafür, daß das 
Geſetz durch die Wahl der Bezeichnung „Handel treiben“ 
die Buchführungspflicht auf denjenigen Teil des Ver⸗ 
kehrs mit Reben habe beſchränken wollen, der durch 
Kaufleute im Betrieb des Handelsgewerbes und durch 
eigentliche Handelsgrundgeſchäfte vermittelt werde. 
Durch die Wahl der Worte „Handel treiben“ ſei nur 
der Teil des Rebenverkehrs von der Buchführungs⸗ 
pflicht ausgeſchieden worden, der in vereinzelten Ver⸗ 
äußerungen oder unentgeltlich ftattfinde, ſowie die 
Verpflanzung von Reben in Weinbergen eines und 
desſelben Beſitzers. Das Geſetz habe den fortgeſetzten 
Umſatz von Reben zum Zwecke dauernden Erwerbs 
durch Kauf oder Tauſch zweifellos wegen der erheb⸗ 
lichen Gefahr der Reblausverbreitung, die er in ſich 
berge, treffen wollen und zwar gleichviel, ob er Ausfluß 
des Betriebs eines Handelsgewerbes im engeren Sinne 
der Handels⸗ und Gewerbegeſetzgebung ſei oder nicht. 
Dann fahren die Gründe fort: 

„Auf die Landwirtſchaft, alſo auch auf den Wein⸗ 
bau und die Anpflanzung von Reben zu Zuchtzwecken 
finden allerdings die Beſtimmungen des HGB. keine 
Anwendung. Die Verwertung der Urerzeugniſſe, die 
Nutzbarmachung der Abfälle, H auch der durch die 
Bodenwirtſchaft gewonnenen bewurzelten Reben bildet 
nur den Abſchluß der land wirtſchaftlichen Tätigkeit. 
Dieſe wäre nicht nach Handelsrecht zu beurteilen, ſelbſt 
wenn die Blindreben angekauft oder ſonſt entgeltlich 
angeſchafft worden wären, um ſie nach der Bewurzelun 
weiterzuveräußern. Auch die GewO. findet, ſoweit fi 
aus ihren Beſtimmungen nicht das Gegenteil ergibt, 
auf Landwirtſchaft und landwirtſchaftliches Neben⸗ 
gewerbe keine Anwendung. Daraus folgt aber keines⸗ 
wegs, daß im Neblaus®., wo es ſich um die Ueber⸗ 
wachung des Verkehrs mit Reben handelt, das geſamte 
landwirtſchaftliche Nebengewerbe von der Buchpflicht 
habe freigelaſſen werden ſollen und daß zu dieſem 
Zwecke die Worte „Handel treiben“ gewählt ſeien, die 
im Sinne des Handelsrechts verſtanden auf die Ver⸗ 
wertung ſelbſtgezogener Erzeugniſſe durch den Land⸗ 
wirt nicht zutreffen. Vielmehr kann im Geſetz das 
Wort „Handel treiben“ nur im Sinne des allgemeinen 
Sprachgebrauches verwendet ſein und darunter fällt 
auch der vom Winzer gewerbsmäßig betriebene Ver⸗ 
kauf von Reben. Wäre es anders, ſo wäre die An⸗ 
wendung des Geſetzes in einem Maße eingeſchränkt, 
daß ihr nur wenig Bedeutung zukäme. Denn die ge⸗ 
werbsmäßige Veräußerung von Reben, insbeſondere 
friſch bewurzelter Reben erfolgt der Natur der Sache 
nach regelmäßig in Verbindung mit der Rebenzucht 
zum Zwecke der Verwertung ſelbſtgezogener Erzeugniſſe, 
ſteht alſo mit dem landwirtſchaftlichen Betrieb im 
engſten Zuſammenhang. Grundſätzlich beſteht inſoweit 
fein Unterſchied zwiſchen Fällen, in denen Reben aus⸗ 
ſchließlich zum Zwecke der Veräußerung eingeſetzt und 
gezogen werden, und den Fällen, in denen die 
Zucht zunächſt für den eigenen Bedarf erfolgt. Die 
Rebſchulen und die Gärtnereien mit Rebenzucht, für 
welche die Beſtimmung des § 5 Reblaus. nach der 


Begründung in erſter Linie getroffen iſt, würden hier⸗ 


-— | — 


90 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


nach entweder überhaupt nicht unter die Beſtimmung 


fallen, wenn dieſe in dem Sinne zu verſtehen wäre, 
daß nur der eigentlich handelsgewerbliche Betrieb für 
buchpflichtig erklärt werden ſollte, oder es bedürfte 
doch auch jenen landwirtſchaftlichen oder gewerblichen 
Unternehmungen gegenüber zur Begründung der Buch» 
pflicht des Nachweiſes im Einzelfall, daß die handels⸗ 
gewerbliche Tatigkeit, nicht Anpflanzung und Zucht 
von Reben, den Hauptbeſtandteil des Betriebs bilde. 
Werden aber die mehrerwähnten Worte im Sinne des 
gemeinen Sprachgebrauchs aufgefaßt, ſo beſteht kein 
Bedenken, darunter auch jede gewerbliche Weiterver⸗ 
äußerung von Reben zu begreifen, gleichviel ob ſie 
zunächſt im Anſchaffungsgeſchäft erworben ſind oder 
ob ſie der Verkäufer ohne ein ſolches erlangt, insbe⸗ 
ſondere in dem eignen landwirtſchaftlichen Betrieb dem 
Boden abgewonnen hat. Auf den Umfang, in dem 
der gewerbsmäßige Verkauf von Reben ſtattfindet, 
kommt es dabei nicht an; die kleinen Betriebe ſind 
im Geſetz nicht ausgenommen. Ebenſo legt das Urteil 
zu Unrecht Gewicht darauf, ob der Abſatz im Wege 
des Hauſierhandels erfolgt oder die Beſtellungen auf: 
geſucht werden. Nach gemeinem Sprachgebrauch gilt 
jeder Kauf und Tauſch als „Handel“, und Handel 
„treiben“ deutet nur auf die fortgeſetzte, gleichartige 
gewerbsmäßige Tätigkeit hin. Die Beſtimmung in 
§ 5 Reblaus. bietet für die Richtigkeit dieſer Aus⸗ 
legung auch inſofern einen Anhalt, als die Buchungen 
ſich auf „Herkunft“, Abgabe und Verſand zu erſtrecken 
haben, ſonach nicht unbedingt vorgeſehen iſt, daß der 
Verkäufer die Reben im Wege des abgeleiteten ent⸗ 
geltlichen Erwerbs (Anſchaffungsgeſchäft) erlangt hat.“ 
(Urt. des I. StS. vom 5. Januar 1911, I D 827/10). 
2147 3 


II. 


Sewerbsmäßiges Glücksſpiel: Kaun das Bergehen 
des § 284 StG. im Inlande durch einen ansländiſchen 
Buchmacher begangen werden, der im Julande weder 
den Sitz ſeines Gewerbes hat noch perſönlich tätig 
wird? Iſt es von Belang, ob das gewerbsmäßige 
Glücksspiel im Lande der gewerblichen Niederlaſſung 


ſtrafbar iſt, jowie ob die Wettverträge im Inlande 


zuſtande kommen? Aus den Gründen: Mit Un⸗ 
recht beanſtanden die Beſchwerdeführer die Annahme 
des Erſtrichters, daß die ausländiſchen Buchmacher, 
für welche die Angeklagten die Wettaufträge geſammelt 
haben, im Deutſchen Reich aus dem Glücksſpiel ein 
Gewerbe gemacht haben. Richtig iſt zwar und von 
dem Erſtrichter ſelbſt feſtgeſtellt, daß dieſe Buchmacher 
den Sitz ihres Gewerbes im Auslande haben und 
perſönlich innerhalb des Deutſchen Reichs nicht tätig 
geworden ſind. 
Nach den tatſächlichen Feſtſtellungen des angefochtenen 
Urteils haben jene ausländiſchen Buchmacher, wenn 
ſie auch ihren Sitz im Auslande hatten, doch ihren 
Gewerbebetrieb, das gewerbsmäßige Buchmachen, von 
dorther auf das Inland erſtreckt. Sie haben durch 
die Angeklagten Wettaufträge ſammeln, Einſätze ent— 
gegennehmen laſſen, die Einſätze ſich überſenden, die 
Gewinne auszahlen laſſen, alſo, da alles dies im 
Inlande geſchah, im Inlande förmliche Einrichtungen 
zur Ausübung des gewerbsmäßigen Buchmachens ge— 
troffen und dieſe Einrichtungen auch zu dieſem Zwecke 
benutzt. Das genügt, um die Annahme zu recht— 
fertigen, daß jene ausländiſchen Buchmacher ſich im 
Inlande gegen den $ 284 StGB. verfehlt haben. 
Das LG. geht mit Recht davon aus, daß, wer durch 
einen anderen, ſei es auch vom Auslande her, im 
Inlande den Tatbeſtand eines Vergehens verwirklichen 
läßt, ſich trotz ſeiner eigenen Abweſenheit doch des 
Vergehens im Inlande ſchuldig macht. Das L. 
nimmt ferner ohne Rechtsirrtum an, daß jemand 
gleichzeitig in mehreren Landern — ſo auch im In— 
lande und im Auslande — aus dem Glücksſpiel ein 


Allein deſſen bedurfte es auch nicht. 


| 


{ 


nn 


Gewerbe machen kann, indem er den gewerbsmäßigen 
Betrieb des Glücksſpiels gleichzeitig auf mehrere 
Länder erſtreckt und daß er ſolchenfalls im Inlande 
ſich durch das gewerbsmäßige Glücksſpiel ſtrafbar 
macht ohne Rückſicht darauf, ob es auch im Auslande, 
wo er feinen Wohnfig hat, ſtrafbar if. Die auf 
dieſer Grundlage getroffene tatſächliche Feſtſtellung, 
daß die ausländiſchen Buchmacher im Deutſchen 
Reiche aus dem Glücksſpiel eine Gewerbe gemacht 
haben, indem ſie durch Vermittelung der Angeklagten, 
ihrer Gehilfen, den gewerbsmäßigen Betrieb des 
Glückſpiels durch Abſchluß von Rennwetten in Deutſch⸗ 
land auf das Gebiet des Deutſchen Reichs ausgedehnt 
haben, iſt erſichtlich von falſchen Rechtsanſchauungen 
nicht beeinflußt. Vergeblich bekämpfen auch die Be⸗ 
ſchwerdeführer die Annahme des Erſtrichters, daß die 
Wettverträge im Inlande zuſtande gekommen find. 
Denn die Grundlage dieſer Annahme, die Feſtſtellung, 
daß der Abſchluß der Wettverträge durch die Auf⸗ 
gabe zur Poſt endgültig zuſtande kommen ſollte, iſt 
tatſächlicher Art und hinſichtlich ihrer tatſächlichen 
Richtigkeit nach 8 376 StPO. der Nachprüfung des 
Reviſionsgerichts entzogen. Indeſſen würde, ſelbſt 
wenn die ausländiſchen Buchmacher, wie mehrere 
Beſchwerdeführer behaupten, die Zurückweiſung der 
Wettaufträge für den Fall verſpäteter Aufgabe zur 
Poſt oder nach ihrem Gutdünken ſich vorbehalten 
haben ſollten, die Annahme nicht erſchüttert werden, 
daß die ausländiſchen Buchmacher im Inlande aus dem 
Glücksſpiel ein Gewerbe gemacht haben. Denn es 
muß angenommen werden, daß ſelbſt im Falle eines 
ſolchen Vorbehalts das Vergehen im Inlande ſchon 
dadurch vollendet war, daß die Buchmacher Wett⸗ 
aufträge und Einſätze durch die Vermittler im In⸗ 
lande für ſich hatten einſammeln laſſen. Für die 
Vollendung des Vergehens iſt mehr nicht erforderlich, 
als daß das Spiel begonnen hat, nicht, daß es end⸗ 
gültig geworden oder durchgeführt iſt. Begonnen 
aber hatte unter den feſtgeſtellten Umſtänden das 
Spiel ſchon mit der Entgegennahme der Wette und 
des Einſatzes des inländiſchen Wettluſtigen durch den 
vom Buchmacher dazu beauftragten oder ermächtigten 
Vermittler. Ob der Gegenſpieler verpflichtet war, 
es zu halten, iſt ohne Belang. Iſt aber hiernach 
die Feſtſtellung, daß die Haupttat im Inland be⸗ 
gangen iſt, einwandfrei, ſo wird die Berufung der 
Angeklagten auf deren Strafloſigkeit nach auslän⸗ 
diſchem Rechte hinfällig. (Vgl. auch Goltd Arch. 56, 92). 
(Urt. des V. StS. vom 16. Dezember 1910, V 


687/10). E. 


2139 
III. 


Zum Begriffe des Gewahrſams und Mitgewahr⸗ 
ſams. Aus den Gründen: Daß die Gelder fi 
im Gewahrſam des Angeklagten befunden haben, iſt 
rechtlich einwandfrei nachgewieſen. Es iſt feſtgeſtellt, 
daß er die Kaſſenführung hatte, und daraus, daß er⸗ 
wähnt wird, daß auch der Direktor K. einen beſonderen 
Schlüſſel zum Geldſchrank hatte, folgt, daß im übrigen 
die Schlüſſel zum Geldſchrank ſich in der Verwahrung 
des Angeklagten befunden haben. Damit waren aber 
die in dem Geldſchrank verwahrten Gelder in dem 
Gewahrſam des mit der Kaſſenführung im allge— 
meinen und ſomit auch mit der Beaufſichtigung und 
ordnungsmäßigen Verſchließung des Geldſchranks be— 
trauten Angeklagten. Daß der Direktor K., der die 
Kaſſenführung des Angeklagten zu beaufſichtigen und 
ihn während deſſen kurzer Reiſen und auch ſonſt wohl 
bei zufälliger Verhinderung in den Kaſſengeſchäſten 
zu vertreten hatte, auch einen beſonderen Schlüſſel 
zum Geldſchrank beſaß, nötigte den Vorderrichter 
gegenüber ſeinen ſonſtigen Feſtſtellungen nicht zu der 
Annahme, daß die in dem Geldſchrank verwahrten 
Gelder ſich im Mitgewahrſame K. s befunden hätten. 


— 


„ 


Die Feſtſtellung, daß die vom Angeklagten unter⸗ 
ſchlagenen Gelder ſich in deſſen Gewahrſam befunden 
haben, gibt alſo auch in dieſer Richtung zu rechtlichen 
Bedenken keinen Anlaß. Daß die Summen, die im 
Geldſchranke waren, meiſt von der R.⸗W. Diskonto⸗ 
bank herrührten, und von dort in der Regel durch 
einen Lehrling oder Boten der Aktiengeſellſchaft ab⸗ 
geholt worden waren, ändert ſelbſtverſtändlich an der 
Tatſache, daß ſie, ſolange ſie im Geldſchranke lagen, 
ſich im Gewahrſam des Angeklagten befanden, eben⸗ 
ſowenig etwas, wie der übrigens in dem Urteile nicht 
feſtgeſtellte Umſtand, daß der Angeklagte außerhalb 
der Dienſtſtunden keinen Zutritt zu dem Geſchäfts⸗ 
raume hatte, in dem der Geldſchrank ſtand. (Urt. 
des V. StS. vom 23. Dezember 1910, VD an) 

2140 & 


Oberſtes Landesgericht. ö 
A. Zivilſachen. 
1. 


Wann wird die Bereinbarung über die Anseinander: 
ſetzung einer fortgefeßten Gütergemeinſchaft (Erbenge⸗ 
meinſchaft) wirkſam, wenn im Auseinanderſetzungstermine 
nicht alle richtig geladenen Beteiligten erſchienen find? 
(838. 8 91 Abſ. 3, 8 93 Abſ. 2; BGB. SS 182, 184, 
1497, 2040). Die Tändlerseheleute Georg und Thereſe 
W. lebten in allgemeiner Gütergemeinſchaft. Nach 
dem Tode der Frau ſetzte Georg W. mit ſeinen Kindern 
Joſeph W., Georg W., Karoline H. und Anna G. und 
ſeiner Enkelin Thereſe W. die Gütergemeinſchaft fort. 
Am 27. Dezember 1907 ſtarb Georg W. In einem 
Teſtamente hatte er ſeine Söhne Joſeph und Georg 
W. zu gleichen Teilen als Erben eingeſetzt, ſeine Tochter 
Anna G. mit einer Abfindungsſumme von 1500 
bedacht und die beiden anderen Abkömmlinge nicht 
berückſichtigt, weil ihre Anſprüche an das Geſamtgut 
und an ſeinen Nachlaß ſchon befriedigt waren. Das 
Amtsgericht überwies die Vermittelung der Ausein⸗ 
anderſetzung dem Notariat. In der Verhandlung vom 
13. März 1909 waren nur Joſeph W. und Anna G. 
erſchienen. Sie einigten ſich dahin, daß das Eigentum 
an den Geſamtguts⸗ und Nachlaßſachen, insbeſondere 
an den Anweſen Hs.⸗Nr. 390, 391 auf Joſeph und 
Georg W. übergehen, dieſe dagegen ihrer Schweſter 
Anna G. eine Abfindung von 1500 leiſten und 
die Geſamtguts⸗ und Nachlaßverbindlichkeiten über⸗ 
nehmen ſollten. Nachdem Georg W. und Karoline H. 
die ihnen nach § 93 Abſ. 2 GF G. geſetzte Friſt unbe: 
nützt hatten verſtreichen laſſen und Thereſe W. am 
8. Mai 1909 zu gerichtlichem Protokolle die Erklärung 
abgegeben hatte, daß ihr Anſprüche nicht zuſtehen, 
beſtätigte der Notar die Auseinanderſetzung am 17. Mai 
1909. Der Beſchluß wurde nicht angefochten. In⸗ 
zwiſchen waren die Grundſtücke verſteigert worden. 
In dem Verteilungsverfahren ergab ſich für das Ge⸗ 
ſamtgut und den Nachlaß ein Ueberſchuß, der hinter⸗ 
legt wurde. Später wurden zugunſten vollſtreckbarer 
Forderungen des Rechtsanwalts und anderer Gläubiger 
einzelne Anteile an dem Geſamtgut und dem Nachlaſſe 
gepfändet. Am 8. Juni 1910 ſtellte Rechtsanwalt R. 
für ſich und die anderen Pfändungsgläubiger an das 
Amtsgericht den Antrag, die Auseinanderſetzung 
des Geſamtguts der Eheleute Georg und Thereſe W. 
und des Nachlaſſes des Georg W. zu vermitteln. Das 
Amtsgericht lehnte den Antrag ab. Die Beſchwerde 
wurde zurückgewieſen. Auch die weitere Beſchwerde 
der Gläubiger wurde verworfen. 

Gründe: Mit Recht haben die Vorinſtanzen dem 
Antrage keine Folge gegeben. Ihm ſteht entgegen, 
daß die Auseinanderſetzung von dem Notar beſtätigt 
und die Beſtätigung rechtskräftig geworden iſt. Damit 
iſt das Auseinanderſetzungsverfahren und die Ver— 
mittelungstätigkeit des Nachlaßgerichts beendet. Aller⸗ 


Rechtspflege in Bayern. 1911. 


M| 


Ä 
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Nr. 4. 


91 


— — — — — — 


dings kann der Auseinanderſetzungs vertrag trotz der 
Rechtskraft der Beſtätigung angefochten werden. Die 
Anfechtung muß jedoch durch Klage erfolgen, wenn 
nicht alle Beteiligten die Unwirkſamkeit anerkennen. 
Dagegen kann das Nachlaßgericht hierüber nicht ent⸗ 
ſcheiden. Uebrigens hat das Beſchwerdegericht mit 
Recht den Auseinanderſetzungsvertrag als wirkſam 
erachtet. Bei der Gemeinſchaft zur geſamten Hand 
nach den 8$ 1497, 2040 BGB. können die Verträge 
entweder von den ſämtlichen Teilhabern gemeinſchaft⸗ 
lich oder ſo geſchloſſen werden, daß einzelne den Ver⸗ 
trag ſchließen und die übrigen zuſtimmen. Im erſten 
Falle wird allerdings der Vertrag erſt mit der Abgabe 
der letzten Erklärung vollendet und wirkſam, wenn die 
Teilhaber die Vertragserklärungen zeitlich getrennt ab- 
geben. Im zweiten Falle aber gehören nur die Er⸗ 
Härungen der mitwirkenden Teilhaber zum Tatbeſtande 
des Vertrags, dagegen wird die Zuſtimmung der übrigen 
Genoſſen nach 88 182 ff. BGB. erteilt. Bei dem in 
§ 91 Abſ. 3, 8 93 Abſ. 2 GF G. geregelten Verfahren 
werden die Verträge in der zweiten Art geſchloſſen. 
Das ergibt ſich daraus, daß die Vereinbarungen über 
die Art der Teilung nicht von dem Erſcheinen aller 
Beteiligten abhängen, ſondern die Zuſtimmung der 
nicht erſchienenen Beteiligten als Verſaͤumnisfolge an⸗ 
genommen wird. Es iſt alſo anzunehmen, daß die 
Zuſtimmung der in dem Verhandlungstermine nicht 
erſchienenen Beteiligten auf den Zeitpunkt der Vor⸗ 
nahme der Auseinanderſetzung zurückwirkt und daß 
alſo die Auseinanderſetzung ſo zu behandeln iſt, als 
wenn ſie ſchon bei der Vornahme wirkſam getroffen 
worden wäre. In dieſem Zeitpunkte ſtimmte der Inhalt 
des Auseinanderſetzungsvertrags mit der wirklichen 
Sachlage überein. Die Auseinanderſetzung war des⸗ 
halb nicht etwa wegen des Mangels dieſer Ueberein⸗ 
ſtimmung nichtig. (Beſchluß des I. ZS. vom 9. De⸗ 
zember 1910, Reg. III 87/1910). W. 
2131 


II. 

Kann beſtehendes Stockwerkseigentum nach dem 
Inkrafttreten des BGB. in mehrere Stockwerksrechte 
geteilt werden? Entſteht ein einheitliches Stockwerks⸗ 
eigentum bloß dadurch, daß mehrere Stockwerksrechte 
an demſelben Hanſe in einer Hand zuſammentreffen ? 
(Art. 182 EGz BGB.; Art. 42 UeG.; 88 889, 1009 BGB.). 
An dem Hauſe Nr. 457 in M. beſteht Stockwerkseigentum. 
Die Witwe Maria D. iſt im Grundbuche als Eigen» 
tümerin des Wohnhausanteils Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 
457 a gemeinſchaftlich mit Hs.⸗Nr. 457 b, 4570, 457 d 
und 457e (im Erdgeſchoß: ein Keller; zu ebener Erde: 
Wohnzimmer, Küche, Werkſtätte; über einer Stiege: 
zwei Kammern, ferner ein Dachboden) und des Ge⸗ 
müſegartens Pl.⸗Nr. 479½ und als Eigentümerin des 
Wohnhausanteils Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 457e gemein⸗ 
ſchaftlich mit Hs.⸗Nr. 457, b, e, d (über eine Stiege: 
Wohnzimmer; über zwei Stiegen: eine Kammer und 
ein oberer Teil des Bodens) eingetragen. Die Wohn⸗ 
hausanteile Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 457 b, e, d befinden 
ſich im Eigentum anderer Perſonen. Die hypothekariſche 
Belaftung des Wohnhausanteils HS -Nr. 457a weicht 
von der des Wohnhausanteils Hs.⸗N. 457e ab. Laut 
notarieller Urkunde hat Maria D. ihren Hausanteil 
Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 457a und den Gemüſegarten 
Pl.⸗Nr. 479½ ihrem Sohne Gottfried D. übergeben. 
Die Uebergeberin und der Uebernehmer haben in der 
Urkunde die Auflaſſung erklärt. Das GBA. hat die 
Eintragung der Auflaſſung abgelehnt. Die Beſchwerde 
hat das LG. als unbegründet zurückgewieſen. Auf 
die weitere Beſchwerde wurden beide Entſcheidungen 
aufgehoben und das GBA. angewieſen anders zu 
verfügen. 

Gründe: Nach Art. 182 EGz BGB. bleibt das 
zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. beſtehende Stock— 
werkseigentum beſtehen. Die Neubegründung von 
Stockwerkseigentum iſt aber vom 1. Januar 1900 an 


92 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


—— U— — 


nicht mehr zuläfſig. Die Frage, ob die nach den bis⸗ 
herigen Geſetzen zuläſſige Teilung des Stockwerks⸗ 
eigentums auch nach dem 1. Januar 1900 noch zu⸗ 
läſſig iſt, wird in dem Kommentare von Planck 
(3. Aufl. Bd. 6 Bemerkung 3 Abſ. 3 zu Art. 182 
Gz BGB.) bejaht, von Habicht (Einwirkung des B88. 
auf zuvor entſtandene Rechtsverhältniſſe, 3. Aufl. S. 416 
Anm. 1) verneint. Wäre der erſteren Anſicht beizu⸗ 
treten, ſo würde zu prüfen ſein, ob die Entſcheidungen 
der Vorinſtanzen nicht ſchon aus dieſem Grunde auf⸗ 
gehoben werden müßten. Der Senat ſchließt ſich aber 
der auch von dem Os. Stuttgart in der Entſcheidung 
vom 2. Juni 1905 (RYAN. Bd. 6 S. 82) gebilligten 
Anſicht an, daß, weil das Geſetz die Neubegründung 
von Stockwerkseigentum nicht zuläßt, auch die Teilung 
eines beſtehenden Stockwerkseigentums unzuläſſig iſt. 
Hiernach können, wenn mehrere Stockwerksrechte durch 
eine hierauf gerichtete Willenserklärung zu einer recht⸗ 
lichen Einheit vereinigt worden ſind, die früheren 
Rechte nicht mehr getrennt veräußert werden (Henle⸗ 
Schneider, AGz BGB., 2. Aufl., Vorbem. zu Art. 42 
Ue®.). Mit Unrecht aber haben die Vorinſtanzen an⸗ 
genommen, daß ſich die Hausanteile Nr. 457 a und 
Nr. 457e ſchon dadurch, daß Maria D. Eigentümerin 
der beiden Stockwerksrechte geworden iſt, auf Grund 
der Vorſchriften des BGB. über das Miteigentum zu 
einer rechtlichen Einheit vereinigt haben. Nach Art. 42 
UeG. iſt das Stockwerkseigentum zwar Miteigentum 
an dem Grundſtück, aber mit der Maßgabe, daß jedem 
Miteigentümer das ausſchließliche und dauernde Be⸗ 
nützungsrecht der Teile des Gebäudes zuſteht, die ihm 
zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. gehören. Das 
Stockwerkseigentum iſt ſohin nicht Miteigentum ſchlecht⸗ 
hin, ſondern das Miteigentum der einzelnen Berech⸗ 
tigten iſt begrifflich verbunden mit einem einen weſent⸗ 


lichen Beſtandteil des Anteils an der Gemeinſchaft 


— 11 —ñf 


| 


1 
1 


bildenden, ausſchließlichen und dauernden Benützungs⸗ 


recht an beſtimmten Gebäudeteilen (Becher, Mat. 
III. Abt. S. 31; Henle⸗Schneider, AG. S. 455; Habicht 
a. a. O. S. 421). Durch dieſes räumliche Verhältnis 
wird der dem Stockwerksberechtigten zukommende 
Bruchanteil näher beſtimmt (Becher a. a. O. S. 66; 
Henle⸗Schneider a. a. O. Bem. 3a zu 8 42 S. 456) und 


damit das Stockwerkseigentum ſelbſt in einem gewiſſen 


Sinne räumlich begrenzt. Hierdurch unterſcheidet es 
ſich von dem Miteigentum, deſſen Bruchanteil nur ge⸗ 
dacht iſt. Aus dieſem Grunde wird bei dem reinen 
Miteigentum der Miteigentümer, der zu ſeinem bis⸗ 
herigen Anteil einen weiteren Bruchanteil hinzuerwirbt, 
in der Regel nicht zwei beſondere Bruchteile haben, 
ſondern einen einheitlichen Anteil in der Größe der 
beiden bisherigen Bruchteile. Eine ſolche Vereinigung 
kann aber bei dem Zuſammentreffen von Stockwerks⸗ 
rechten nicht angenommen werden, weil bei dieſen die 
Anteile jeweils mit einer beſtimmten räumlichen Be⸗ 
ziehung verknüpft ſind. Dieſem Ergebniſſe ſteht auch 
die Auffaſſung nicht entgegen, die das Stockwerksrecht 
als ein Miteigentum betrachtet, das durch die be— 
ſonderen ausſchließlichen Nutzungsrechte der anderen 
Berechtigten beſchränkt und belaftet iſt (Henle-Schmitt, 
Grundbuchweſen S. 232; DANWGBNE. 8 397). Hieraus 
ergibt ſich allerdings für den Fall, daß zwei Stock— 
werksrechte in einer Hand zuſammentreffen, daß das 
eine Miteigentumsrecht zugunſten des anderen belaſtet 
iſt, daß ſohin in Anſehung des einen Miteigentums— 
anteils dem Miteigentümer zugleich ein Sonderrecht 
zugunſten des anderen Anteils zuſteht. Dieſe Doppel: 
ſtellung unterliegt aber keinem rechtlichen Bedenken 
und iſt in den 88 889, 1009 BGB. ausdrücklich zu⸗ 
gelaſſen. Beſtehen hiernach die Stockwerksrechte Hs. 


Nr. 457a und 457e noch als geſonderte Rechte neben⸗ 


einander, ſo ſteht der Veräußerung des Hausanteils 

Nr. 457a kein rechtliches Hindernis im Wege. (Beſchluß 

des I. 8S. vom 2. Dezember 1910, Reg. III 85/1910). 
2145 W. 


—— Sue — 


— —L— 


B. Strafſachen. 
j J. 


Sind vorübergehend bewilligte Vergütungen bei der 
Berechnung der Einkemmenſtener anzuſetzen? Miüſſen 
die Arbeitgeber ſolche Vergütungen dem Neutamte mit- 
teilen? Die Aktiengeſellſchaften X. und J. gewähren 
Angehörigen ihres kaufmänniſchen und techniſchen 
Perſonals an Weihnachten, Neujahr ꝛc. Vergütungen 
in Geſtalt von Bargeldbeträgen. Ein vertragsmäßiger 
Anſpruch der Angeſtellten auf die Gewährung beſteht 
nicht; ob und mit welcher Summe der einzelne An⸗ 
geſtellte bedacht wird, ſteht im Belieben des Arbeit⸗ 
gebers. Unter Bezugnahme auf Art. 21 des bayer. 
Ein!St®. vom 9. Juni 1889 forderte das Stadtrent⸗ 
amt A. die Geſellſchaft ſchriftlich auf, ein Verzeichnis 
ihres kaufmänniſchen und techniſchen Perſonals nach 
dem Stande vom 1. Juli 1909 unter Benützung eines 
Formulars herzuſtellen und vorzulegen und in dieſes 
nebem anderen auch die Vergütungen einzutragen. Die 
Angeklagten als geſchäftsleitende Vorſtandsmitglieder 
der Aktiengeſellſchaften legten Verzeichniſſe ihrer An⸗ 
geſtellten vor, weigerten ſich aber, Einträge in die 
Spalte „Vergütungen“ zu machen, weil Vergütungen 
nicht ſteuerbares Einkommen der Angeſtellten ſeien; 
ſie beharrten auf dieſer Weigerung auch, als das 
Rentamt ſie in einer weiteren Zuſchrift darauf auf⸗ 
merkſam gemacht hatte, daß die Oberberufungskom⸗ 
miſſion in einer Entſcheidung vom 19. Juni 1909 
Vergütungen als ſteuerbares Einkommen erklärt habe. 
Daraufhin wurde durch Strafbeſcheide gegen jeden der 
Angeklagten wegen einer Zuwiderhandlung nach Art. 
61 Abf. 2 des Eink StG. und des 8 2 Abſ. 2 der Bek. 
der Staatsminiſterien des Innern und der Finanzen 
vom 4. Januar 1900, den Vollzug der Geſetze vom 
9. Juni 1899 über die Einkommen⸗ und Kapitalrenten⸗ 
ſteuer ꝛc. betreffend, nach Maßgabe des Art. 70 Abf. 1 
Ait 1 Eink StG. eine . feſcgeſden Die 

ngeklagten trugen auf gerichtliche Entſcheidung an. 
Das Schöffengericht hat ſie je wegen einer Zuwider⸗ 
handlung gegen das Eink St. verurteilt. Die Bes 
rufungen der Angeklagten wurden verworfen. Die 
Reviſionen der Angeklagten wurden für begründet 
erklart. 

Aus den Gründen: 1. Das EinkStG. vom 
9. Juni 1899 ſchreibt im 2. Abſchnitte: „Verfahren 
bei Anlage der Einkommenſteuer“ unter lit. A. vor, 
wie die Steuerliſten aufzuſtellen ſind. In erſter Linie 
haben die Steuerpflichtigen ihre Steuererklärungen 
nach Maßgabe der Art. 23, 24 ſelbſt abzugeben. In 
den Art. 18 bis 21 ſind Vorkehrungen dagegen ge⸗ 
troffen, daß Steuerpflichtige die Steuererklärung unter⸗ 
laſſen oder nur unvollſtändige Angaben machen. So 
hat nach Art. 21 Abſ. 1, wer andere Perſonen in 
ſtändiger Weiſe gegen Gehalt, Lohn oder ſonſtiges 
Entgelt beſchäftigt, auf dem dazu beſtimmten Formu⸗ 
lare der Gemeindebehörde Mitteilung über das von 
ihm herrührende Einkommen dieſer Perſonen zu machen. 
Nach Art. 61 Abſ. 2 kann durch Miniſterialvorſchrift 
angeordnet werden, daß die unter Art. 21 erwähnten 
Arbeitgeber ... innerhalb beſtimmter Friſt der Ge⸗ 
meindebehörde oder dem Rentamte die Mehrung im 
Stande der von ihnen beſchäftigten oder bei ihnen 
angeſtellten Perſonen ſowie die Bezüge der neu hinzu⸗ 
gekommenen anzuzeigen haben. Dieſe Anordnung iſt in 
8 2 der Bek. der Staatsminiſterien des Innern und der 
Finanzen vom 4. Januar 1900 getroffen worden. Der 


Arbeitgeber muß die Anzeige binnen vier Wochen nach 


Ablauf des Monats, in dem der Zugang eines Be— 
dienſteten ſtattfand, bei dem Rentamte eritatten. Sach— 
lich iſt die in Art. 61 Abſ. 2 des Eink StG. vorgeſehene 


Anmeldung der neu zugegangenen Bedienſteten von 


der in Art. 21 vorgeſchriebenen Mitteilung nicht ver⸗ 
ſchieden. 
2. Hier handelt es ſich, da die Steuerperiode am 


— 


1. Januar 1908 begonnen hatte, um die Mitteilung 
an das Rentamt gemäß dem Art. 61 Abſ. 2 und darum, 
ob die Anzeige den vorgeſchriebenen Inhalt hatte. 
Der in den Art. 21 und 61 EinfSt®. gleichheitlich 
feſtgeſtellten Pflicht des Arbeitgebers, über das von 
ihm herrührende Einkommen der bei ihm ſtändig be⸗ 
ſchäftigten Perſonen Mitteilung zu machen, hat das 
Berufungsgericht eine irrtümliche Auslegung gegeben, 
da es annimmt, daß dieſe Verpflichtung mit der 
Steuerpflicht des Arbeitnehmers nicht in innerem 
Zuſammenhange ſtehe. Der Steuerpflichtige ſelbſt hat 
nach Art. 24 die Art der Erwerbsquelle, aus der er „ein 
nach dem gegenwärtigen Geſetze ſteuerbares Ein⸗ 
kommen“ bezieht und den Jahresbetrag „des tref⸗ 
fenden Einkommens“ anzugeben. Etwas anderes 
iſt mit dem von dem Arbeitgeber „herrührenden Ein⸗ 
kommen“ in den Art. 21, 61 Abſ. 2 auch nicht ge⸗ 
meint. Eine Auskunftserteilung allgemeiner Art über 
alles dasjenige, was aus dem Vermögen des Arbeit⸗ 
gebers in Nahe des Dienſtverhältniſſes in das Ver⸗ 
mögen des Arbeitnehmers übergeht, iſt nicht verlangt. 
Der Geſetzgeber hat den Ausdruck „Auskunftgeben“, 
der ſich in Art. 18 des Entwurfs zum EintSt®. vom 
19. Mai 1881 vorfand, wohl gefliſſentlich vermieden, 
‚und dafür den Ausdruck „Mitteilung machen“ gewählt, 
der die Sachlage beſſer kennzeichnet. Es iſt nicht 
einzuſehen, warum dem Arbeitgeber eine umfaſſendere 
Steuererklärung zugemutet werden ſollte, als dem 
Steuerpflichtigen ſelbſt. Bei der Beratung des Geſetzes 
in der K. d. Abg. hat der Abgeordnete G. bei einer 
Anregung, den jetzigen Art. 21 zu ſtreichen, die hier 
feſtgeſtellte Pflicht als die Verpflichtung der Arbeit⸗ 
geber bezeichnet, für die Lohnarbeiter „zu fatieren, 
was ſie als einkommenſteuerpflichtiges Einkommen 
betrachten“ und der Regierungsvertreter erklärte wört⸗ 
lich: „Der hier ausgeſprochene Grundſatz der Ver⸗ 
pflichtung eines Dritten, ſeinerſeits über einen ſteuer⸗ 
baren Bezug desjenigen Aufſchluß zu geben, der von 
ihm dieſen Bezug erhält, iſt nicht etwa etwas ganz 

eues in unſerer Geſetzgebung, denn auch bei der An⸗ 
lage der Mietſteuer wird gemäß Art. 12 des Haus⸗ 
ſteuergeſetzes der Mietertrag nicht allein durch die 
Angaben des Hauseigentümers, ſondern auch durch jene 
des Mieters ermittelt, welche Angaben ſich gegen⸗ 
ſeitig zu kontrollieren haben.“ Dieſe Erklärungen 
und insbeſondere der Hinweis auf die Veranlagung 
der Mietſteuer, bei der die Angaben des ſteuerpflich⸗ 
tigen Hausbeſitzers und des Mieters ſich gleichfalls 
decken müſſen, laſſen keinen Zweifel darüber aufkommen, 
daß auch die in Art. 21, 61 und in Art. 24 Eink StG. 
vorgeſchriebenen Erklärungen des Arbeitnehmers und 
des Arbeitgebers, dasſelbe, nämlich das ſteuerbare 
Einkommen zum Gegenſtande haben. Wird dem 
Steuerpflichtigen zugemutet, daß er an der Hand des 
Geſetzes prüft, was ſteuerbares Einkommen iſt, ſo muß 
es auch dem, der ihn beſchäftigt, überlaſſen bleiben, 
ſich darüber zu entſcheiden, was der Arbeitnehmer an 
ſteuerbarem Einkommen von ihm empfängt. Irrt er 
in der Auslegung des Geſetzes, ſo tut er es, wie der 
Steuerpflichtige ſelbſt, auf ſeine Verantwortung. Er 
kann unter Umſtänden der Ordnungsſtrafe wegen un⸗ 
vollſtändiger Angabe verfallen. Seine Mitteilungs⸗ 
pflicht bezieht ſich aber nur auf die Bezüge, die von 
dem Arbeitnehmer verſteuert werden müſſen. 

3. Es iſt deshalb zu prüfen, ob Vergütungen, wie 
ſie die Arbeiter der Angeklagten beziehen, zu verſteuern 
ſind. Dabei iſt der Richter an eine Entſcheidung der 
Oberberufungskommiſſion über den Umfang der Steuer⸗ 
pflicht nicht gebunden; denn er hat, ſobald auf gericht⸗ 
liche Entſcheidung angetragen worden iſt, die Schuld- 
rage nach den allgemeinen Grundſätzen der 88 260, 
261 StPO. ſelbſtändig zu prüfen und der Umſtand, 
daß er dabei möglicherweiſe zu einer anderen Aus⸗ 
legung ſteuergeſetzlicher Beſtimmungen gelangt als die 
Steuerbehörde, kann ihn nicht daran hindern, auf 


on Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 44. 


ſtrafrechtlichem Gebiete die nach ſeiner Rechtsan⸗ 
ſchauung gebotene Entſcheidung zu treffen. Der 
Satz, daß der Einkommenſteuerpflicht nach dem Ge⸗ 
ſetze vom 9. Juni 1899 nur ſolche Einnahmen einer 
Perſon unterworfen ſind, auf deren Bezug ihr ein 
Anſpruch i. S. des bürgerlichen Rechts zuſteht, ließe 
ſich in dieſer Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten. 
Die ſteuerbaren Gattungen des Einkommens ſind in 
Art. 2, wie ſich aus Art. 3 ergibt, nicht erſchöpfend 
aufgezählt. Es iſt zuzugeben, daß, wenn zum Bei⸗ 
ſpiele die Arbeitsleiſtung einer Perſon von dem Arbeit⸗ 
geber ſelbſt nur teilweiſe, im übrigen aber nach dem 
Herkommen durch freiwillige Zuwendungen Dritter 
entlohnt wird, welche die Dienſte der Perſon in An⸗ 
ſpruch nehmen, wie dies bei den Angeſtellten des Gaſt⸗ 
und Schankwirtſchaftsgewerbes, beim Fuhrweſen u. dgl. 
häufig der Fall iſt, auch die Einnahme aus dieſen 
Zuwendungen zum ſteuerbaren Einkommen und zwar 
zu dem unſtändigen Einkommen nach Art. 1 gehören. 
Bergütungen dagegen, die der Dienſtherr dem Be⸗ 
dienſteten neben den vertragsmäßigen Reichniſſen ge⸗ 
währt, ſind in Art. 2 lit. d nicht neben den „nach dem 
Dienſtvertrage für einen Monat oder länger ge⸗ 
ſicherten Bezügen“ erwähnt; auch die Begr. des Entw. 
zum EinkSt. vom 31. Mai 1856, der in Art. 2, 
Abt. III lit. a die „auf einem laufenden Dienſtvertrag 
beruhenden Bezüge von Privatbedienſteten“ als fteuer- 
bar erklärt, ſpricht bei den Einnahmen unter Abt. III 
nur von „dem fixen Einkommen aus öffentlichen oder 
Privatkaſſen“. Dieſe Umſtände müſſen zu der An⸗ 
nahme führen, der Geſetzgeber habe ſolche freiwillige 
Nebenleiſtungen des Dienſtherrn, die Gelegenheitsge⸗ 
ſchenke ſind, und auf die der Bedienſtete nicht mit 
Sicherheit rechnen kann, ſteuerfrei laſſen wollen. 

Die Steuerfreiheit würde ſich übrigens auch aus 
Art. 9 lit. e des Geſ. vom 9. Juni 1899 ergeben. Hier⸗ 
nach find bei Dienſterträgniſſen als ſteuerbarer Gegen⸗ 
ſtand alle fortlaufenden Funktionsnebenbezüge ſowie 
dauernd gewährte Gebühren oder Entſchadigungen für 
beſtimmte Dienſtleiſtungen anzuſchlagen, ſoweit ſie nicht 
zur Beſtreitung des dienſtlichen Aufwandes verwendet 
werden. Diäten und Reiſekoſtenentſchädigungen, ſowie 
Vergütungen, die vorübergehend bewilligt werden, ſind 
nicht anzuſetzen. Daß die Vorſchrift des Art. 9 nur 
auf öffentliche Diener anzuwenden ſei, iſt aus dem 
Wortlaute des Geſetzes nicht zu entnehmen: der Zweck 
der Vorſchrift führt dazu, ſie auf öffentliche und pri⸗ 
vate Bedienſtete anzuwenden, und in dieſem Sinne iſt 
die Vorſchrift, die ſich in ähnlicher Faſſung ſchon in 
dem Geſetze von 1856 findet, auch bei der Beratung 
dieſes Geſetzes verſtanden worden. Der Begriff „vor⸗ 
übergehend bewilligte Remunerationen“ iſt auch nicht 
auf ſolche Reichniſſe zu beſchränken, welche ganz oder 
zum Teile zur Deckung eines Dienſtaufwandes beſtimmt 
ſind. Eine ſolche Auslegung würde ſchon mit dem 
Wortſinne des Ausdrucks „Remunerationen“ in Wider⸗ 
ſpruch ſtehen; eine Entſchädigung für einen Vermögens⸗ 
aufwand pflegt man nicht „Remuneration“ zu nennen. 
Sie entſpricht auch nicht der Abſicht des Geſetzgebers; 
allerdings war die Feſtſtellung der ſteuerfreien Bezüge 
in Art. 9 lit. c, die ihr Vorbild in dem Art. 8 Abſ. 3 
des Entwurfs zum Eink StG. von 1856 hat, zunächſt 
eine Folge des in Art. 8 Abſ. 1 dieſes Entwurfs feſt⸗ 
gelegten und in den Art. 8 Abſ. 2 des Geſ. von 1899 
herübergenommenen Grundſatzes, daß bei Berechnung 
des ſteuerbaren Einkommens der 2. und 3. Abteilung 
die eigentlichen Betriebskoſten abgezogen werden können. 
Bei der Aufzählung der ſteuerfreien Bezüge iſt der 
Grundſatz aber nicht ſtrenge eingehalten worden. Das 
hat auch der Berichterſtatter des II. Ausſchuſſes der 
K. d. Abg. ausdrücklich hervorgehoben. Billigkeits⸗ 
und Zweckmäßigkeitsgründe waren alſo für die Be⸗ 
ſtimmung maßgebend, daß bloß vorübergehend be— 
willigte Vergütungen bei der Verſteuerung außer An⸗ 
ſatz bleiben ſollen. Vergütungen, die vorübergehend 


— 


vertragsmäßig oder aus Freigebigkeit bewilligt werden, 
ſtehen begrifflich im Gegenſatze zu den im 1. Satze des 
Art. 9 lit. e erwähnten fortlaufenden Funktionsneben⸗ 
bezügen und den dauernd gewährten Gebühren oder 
Entſchädigungen. Die Vergütungen, die die Ange⸗ 
klagten nicht für einen Zeitabſchnitt im voraus, 
ſondern nach Umfluß eines Arbeitsjahrs für dieſes 
Jahr und ohne Folgewirkung für die Zukunft den 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


Bedienſteten zubilligen, ſind vorübergehend bewilligte 


Vergütungen, wie ſie das Geſetz im Auge hat. 

ſind deshalb bei der Berechnung der Einkommenſteuer 

nicht anzuſetzen und der Dienſtherr iſt nicht gehalten, 

die Steuererklärung nach Art. 21, 61 Abſ. 2 des EinkStG. 

auf ſie zu erſtrecken. (Urt. vom 22. November 1910, 

Rev.⸗Reg. 370/10). Ed. 
2122 


II. 


Art. 55 Waſſer S. Haftung des Betriebsleiters nach 
8 151 Gewo. Der Kaufmann K. in F. hat den Be⸗ 
trieb ſeines an dem Fluſſe Sch. gelegenen Schleifwerkes 
in Schw. und dieſes ſelbſt dem Paliermeiſter E. über⸗ 
laſſen. E. hatte die von K. zu liefernden Gläſer ſelbſt⸗ 
ſtändig mit ſeinen nur von ihm abhängigen Leuten 
zu verarbeiten. E. wurde wegen einer Uebertretung 
nach Art. 55, 203 Ziff. 7 Waſſer G. beſtraft. Die Be⸗ 
rufung und die Reviſion wurden verworfen. 

Aus den Gründen: Der Art. 55 WaſſerG. be⸗ 
ſtimmt, daß jeder Beſitzer einer Stauanlage für den 
Fall, daß und inſolange der Waſſerſtand über die feit- 
geſetzte Höhe ſteigt oder zu ſteigen droht, ohne An⸗ 
ſpruch auf Entſchädigung durch Oeffnung der Schleuſen 
und der ſonſtigen zur Senkung des Waſſerſpiegels 
beſtehenden Vorrichtungen uſw. für die Abführung des 
Waſſers ſorgen muß. Nach Art. 203 Ziff. 7 WaſſerG. 
wird beſtraft, wer den Vorſchriften des Art. 55 zu⸗ 
widerhandelt. Die Verpflichtung nach Art. 55 beſteht 
ganz im allgemeinen, nicht bloß im öffentlichen In- 
tereſſe. Die feſtqeſetzte Höhe iſt die durch den Eichpfahl 
nachgewieſene Höhe. Daß der Waſſerſtand der Schw. 
über die durch den Eichpfahl feſtgeſetzte Höhe bei der 
Stauanlage zu Schw. geſtiegen iſt, und daß der An⸗ 
geklagte den Grundablaß nicht geöffnet hat, der eine 
zur Senkung des Waſſerſpiegels dienende und be— 
ſtehende Vorrichtung bildet, iſt feſtgeſtellt. Der Beſitzer 
hat für die Abführung des Waſſers durch Oeffnung 
dieſer Vorrichtung zu ſorgen. Ohne Belang iſt es, 
ob auch andere Schleuſen geöffnet wurden; denn der 
Beſitzer hat durch Oeffnung der Schleuſen und der 
ſonſtigen Vorrichtungen für die Abführung des Waſſers 
zu ſorgen, und zwar auch dann, wenn die Senkung 
unter die feſtgeſetzte Höhe dadurch nicht oder nicht 
vollſtändig erreicht werden könnte. Der Angeklagte 
hat das Waſſer ſtändig über die zuläſſige Eichpfahl— 
höhe geſpannt, um die für den Betrieb des Schleif— 
werks erforderliche Waſſerhöhe zu gewinnen. Es mag 
richtig ſein, daß er bei der Erfüllung der Verpflichtung 
Schaden erlitten hätte. Dadurch war für ihn kein 
triftiger Grund gegeben, ſich der geſetzlichen Verpflichtung 
zu entziehen. 

Die Zuwiderhandlung iſt objektiv einwandfrei 
ſeſtgeſtellt. Ob die Begründung der ſtrafrechtlichen 
Verantwortlichkeit des Angeklagten durch das Be— 
rufungsgericht richtig iſt, ob dieſer Beſitzer im Sinne 
der S§ 854, 868 BGB. oder nur Beſitzdiener nach 
8 855 BGB. iſt, kann dahingeſtellt bleiben; jedenfalls 
ſteht nach den Ausführungen der beiden Urteile, ſo— 
wohl des Schöffengerichts als der Strafkammer, feit, 
daß er von dem Eigentümer des Stauwerks, dem 
Kaufmann K., der ſelbſt infolge der weiten Ent— 
fernung die nötigen Maßregeln nicht treffen konnte, 
mit der Vertretung und ſelbſtändigen Leitung des 
Betriebs betraut worden war. Als Leiter haftete er 
nach dem S 151 GewO. Unter den im $ 151 erwähnten 
polizeilichen Vorſchriften ſind nicht nur die in der 


Sie 


GewO. enthaltenen und die von der Landesgeſetzgebung 
nach 8 144 GewO. erlaſſenen gewerbepolizeilichen 
Vorſchriften, ſondern auch polizeiliche Vorſchriften 
anderer Art zu verſtehen, die nach Reichs⸗ oder Landes⸗ 
recht auch von Gewerbetreibenden beachtet werden 
müſſen (Landmann, GewO. 5. Aufl. 8 151 Anm. 2). 
(Urt. vom 20. Dezember 1910, Rev.⸗Reg. . 

21501 5 


Oberlandesgericht München. 


Wie muß der Antrag nach 8 170 StPO. unter⸗ 
ſchrieben ſein? Der Antrag auf gerichtliche Ent⸗ 
ſcheidung iſt vom Antragſteller ſelbſt geſchrieben und 
unterſchrieben; nach der Unterſchrift iſt beigefügt: 
„Gemäß 8 170 StPO. unterzeichnet: M., den 29. De⸗ 
zember 1910, Dr. F., Rechtsanwalt.“ Die Frage, ob 
dies der Formvorſchrift des 8 170 StPO. genügt, iſt 
zu verneinen. Nach 8 385 StPO. kann der Ange⸗ 
klagte die Reviſionsanträge und deren Begründung 
nur „in einer von dem Verteidiger oder einem Rechts⸗ 
anwalt unterzeichneten Schrift” (oder zu Protokoll 
des Gerichtsſchreibers) anbringen. Hierzu hat das 
RG. am 30. April 1907 (JW. 1907 S. 561 Nr. 89) 
entſchieden, daß aus der neben der Unterſchrift des 
Angeklagten ſtehenden, mit „Dr. P., Rechtsanwalt“ 
unterſchriebenen ee „die vorſtehenden Anträge 
und Ausführungen mache ich hiemit zu den meinigen“ 
nicht gefolgert werden könne, daß der Rechtsanwalt 
Dr. P. die Schrift verfaßt oder doch bei deren Ab⸗ 
faſſung weſentlich mitgewirkt habe, dies aber nach 
dem Zwecke der Vorſchrift der Fall ſein müſſe. Es 
hat ferner in dem Urteil vom 9. Auguſt 1910 
(Seuff Bl. Bd. 76 S. 35) dargelegt, daß dieſer Vor⸗ 
ſchrift durch die Mitunterſchrift des Anwalts auf 
einer vom Angeklagten verfaßten, geſchriebenen und 
unterſchriebenen Reviſionsſchrift nur zum Schein ge⸗ 
nügt werde. Auch 8 170 StPO. kann nur dahin vers 
ſtanden werden, daß der Anwalt nicht etwa bloß 
neben die Unterſchrift des Verletzten, der den Antrag 
verfaßt und geſchrieben hat, ſeine Unterſchrift ſetzen, 
ſondern daß er auch ſelbſt den Antrag verfaßt oder 
doch bei ſeiner Abfaſſung weſentlich mitgewirkt haben 
muß. Durch die Worte „Gemäß 8 170 StPO. unter⸗ 
zeichnet“ und die dieſen Worten beigefügte Unter⸗ 
ſchrift des Anwalts kommt das nicht zum Ausdruck. 
Vielmehr wird gerade durch dieſe Art der Unterzeich— 
nung, wie das RG. in ſeinem Urteil vom 2. Oktober 
1888 (RGSt. 18, 103) zutreffend ſagt, der Verdacht 
erweckt, daß der Rechtsanwalt Bedenken trägt, die 
Verantwortlichkeit für den Antrag zu übernehmen. 
Demgemäß war letzterer ohne ſachliche Würdigung 
als unzuläſſig zurückzuweiſen. (Beſchl. vom 23. Januar 
1911; RegRr. 82/10 J).) 

2145 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Hingabe eines Wechſels regelmäßig „jahlungs⸗ 
halber“. Liegt in der Prolongation eines Wechſels 
eine Novation? Aus den Gründen: Mit Recht 
iſt das Lch. davon ausgegangen, daß die Hingabe 
eines Wechſels an Zahlungsſtatt nicht vermutet, 
ſondern daß bis zum Beweiſe des Gegenteils Hingabe 


1) Tiefe dohe Reagiſterzlͤer für die in den weitaus meiſten 
Fällen unbegründeten Anträge legt die Vermutung nabe, daß die 
Patzteien der unterzeichnenden Anwälte vorber nicht genugend auf die 
beträchtlichen Koſten bingewieſen werden. Die Gebühr beträgt nach 
5 69 B 5. je nach der Qualifikation der behaupteten Straftat 100, 
50, 20 ; ein grundloſer Antrag gegen Ebenatten wegen Meineids 
foitet alſo 200 If Gebühr. Armenrecht iſt fur dieſe Anträge nicht 
voͤrgeſeben. Der Einſender. 


zahlungshalber als Regel angenommen wird. (Staub⸗ 
Stranz, Bd. 6 (6) S. 241 Anm. 60 zu Art. 82 u. 
S. 252 Anm. 25 zu Art. 83). Durch die Hingabe des 
zweiten und des dritten Wechſels an die Klägerin 
wurde alſo die Verbindlichkeit der Beklagten aus dem 
erſten Wechſel nicht getilgt und nicht durch die Ver⸗ 
bindlichkeiten aus den neuen Wechſeln erſetzt; dies 
war auch dann nicht der Fall, wenn die neuen oder 
doch der zweite Wechſel zur Prolongation der erſten 
Wechſelſchuld hingegeben wurden, da hierin keine 
Novation liegt und durch die Annahme ſolcher Wechſel 
der erſte Wechſel an und für ſich nicht berührt wird. 
(RG. Z. Bd. 9 S. 62 ff. u. 41 S. 23 ff.). Hingabe an 
Zahlungsſtatt könnte nur im Falle einer, wenn auch 
nicht ausdrücklich erklärten, aber doch deutlich erkennbar 
gemachten Willenseinigung der Parteien angenommen 
werden. Ein ſolcher Vertrag liegt nicht vor; die 
bloße Ueberſendung des Prolongationswechſels bindet 
den Inhaber des erſten Wechſels nicht; auch in der 
Annahme allein liegt ebenſo wie in der Verwendung 
zur verſuchsweiſen Einziehung des Betrags für Rech⸗ 
nung des erſten Wechſels nicht die Aeußerung des 
Willens, letzteren zu tilgen (Staub⸗Stranz, a. a. O. 
Anm. 27a zu Art. 1). Eine ſolche Abſicht iſt hier 
umſomehr ausgeſchloſſen, als die Klägerin trotz der 
neuen Wechſel in unverändertem Beſitze des erſten 
Wechſels blieb, als der zweite Wechſel den Zins⸗ 
anſpruch aus dem erſten Wechſel gar nicht berück⸗ 
ſichtigte, als der zweite Wechſel nicht förmlich in 
Umlauf geſetzt, ſondern offenbar nur zur Vermittlung 
der verſuchsweiſen Einziehung an die Handelsbank 
begeben und im übrigen nicht wechſelmäßig behandelt 
wurde und als der mit dem 3. Wechſel geſandte Bar⸗ 
betrag zu 400 M nicht angenommen wurde. Die 
Klägerin wollte nach ihrem geſamten Verhalten ihre 
Rechte aus dem erſten Wechſel offenbar nicht auf⸗ 
geben, ſondern vorbehalten; den zweiten Wechſel hat 
ſie nur verſuchsweiſe zur Verwirklichung ihrer Rechte 
aus dem erſten Wechſel angenommen und verwendet, 
jedoch unbeſtritten ohne Erfolg, den dritten Wechſel 
hat ſie nicht einmal unterſchrieben und dadurch im 
Zuſammenhalte mit der Rückſendung der 400 M jede 
Aenderung ihrer Rechte abgelehnt. Bei dieſer Sach⸗ 
lage iſt die Behauptung, die Klägerin habe für den 
erſten Wechſel die beiden neuen Wechſel erhalten und 
an Zahlungsſtatt angenommen, ohne Bedeutung. 
Zunächſt iſt ſie rechtlich zur Feſtſtellung einer Novation 
unzulänglich, da über den ſeinerzeitigen Willen der 
Beklagten und deſſen Aeußerung eine beſtimmte Be⸗ 
hauptung überhaupt nicht aufgeſtellt, ferner außer 
der Hingabe und der Entgegennahme der beiden 
neuen Wechſel beſondere Handlungen oder Aeuße⸗ 
rungen der Parteien, die entgegen der Regel auf eine 
Annahme an Zahlungsſtatt ſchließen laſſen ſollen, 
gar nicht behauptet ſind und der Eid der Klägerin 
auf eine rechtliche Beurteilung der Folgen ihres Ver⸗ 
haltens hinaus liefe, nicht auf die Feſtſtellung einer 
Tatſache. a 

Hiernach blieb die Verbindlichkeit der Be⸗ 
klagten aus dem erſten Wechſel unberührt. Hieran 
wurde auch dann nichts geändert, wenn in der 
Annahme des zweiten Wechſels durch die Klägerin 
eine Prolongation des erſten liegt. Die Be: 
hauptung der Beklagten, es fei hierwegen die Prä⸗ 
ſentation und die Proteſtierung des erſten Wechſels 
unzuläſſig geweſen, beruht auf Rechtsirrtum; da trotz 
der Prolongation der erſte Wechſel unberührt blieb, 
mußte zur Erhaltung aller Rechte hieraus beim 
Domiziliaten zur Verfallzeit Proteſt erhoben werden. 
(Art. 41, 43, 44 WO. i. d. F. des Gef. vom 30. Mai 
1908 betr. die Erleichterung des Wechſelproteſtes; 
Staub⸗Stranz, a. a. O. S. 25 Anm. 27a zu Art. 4). 
Denn durch die Prolongation wurde nur die vom 
Verfalltage verſchiedene Zahlungszeit geändert. Für 
die Proteſtkoſten hat die Beklagte als Akzeptantin 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


—— 3 ͤ —16— 
—— ———— ͤ—ͤ— 


95 


aufzukommen (Staub⸗Stranz S. 148 /9 Anm. 5, 14 u. 
15 zu Art. 51, S. 276 Anm. 19 zu Art. 87, S. 231 


Anm. 31 ff. zu Art. 82). Da die Klägerin ihrer Rechte 


aus dem erſten Wechſel ſich durch die Prolongation 
nicht begeben wollte, da ſie ferner mit der verſuchs⸗ 
weiſen Begebung des zweiten Wechſels zur Einziehung 
hierüber nicht förmlich verfügt und einer vertrags⸗ 
mäßigen Pflicht nicht zuwidergehandelt hat, (Rehbein, 
Bd. 6 (7) S. 27 Anm. 22 zu Art. 4), da ſchließlich 
auch eine Tilgung des zweiten Wechſels unterblieben 
iſt, ſo blieb auch das Recht der Klägerin auf die 
Zinſen aus dem erſten Wechſel ungeſchmälert er⸗ 


halten; denn die Prolongation bewirkte hier nach 


dem Parteiwillen nur die Hinausſchiebung der Geltend⸗ 
machung der Rechte aus dem erſten Wechſel bis zum 
Verfalltag — 15. Dezember 1909 — des zweiten 
Wechſels, ohne die Zinszahlungspflicht aus dem un⸗ 
berührten erſten Wechſel zu ändern. Da der zahlungs⸗ 
halber oder zur Prolongation gegebene zweite Wechſel 
bei Verfall nicht getilgt wurde, die Beklagte viel⸗ 
mehr den vergeblichen Verſuch einer neuen Teil⸗ 
zahlung und der Begebung eines dritten Wechſels 
machte, durfte die Klägerin alle ihre vorbehaltenen 
Rechte aus dem erſten Wechſel verwirklichen. Zu 
der Klage hat die Beklagte auch begründeten Anlaß 
gegeben. Wenn ſie auch nur gegen Rückgabe des 
alten und der neuen Wechſel zu zahlen brauchte, ſo 
lag es doch zunächſt ihr ſelbſt ob, mit ihrer am 
6. Oktober 1909 durch Präſentation bei der Domi⸗ 
ziliatin angeforderten und nur vorläufig und unter 
Vorbehalt aller Rechte bedingungsweiſe durch Prolon⸗ 
gation geſtundeten Leiſtung voranzugehen, wie ſie es 
am 26. Dezember 1909, 31. Januar und 9. Februar 
1910 der Klägerin wiederholt ſchriftlich verſprochen 
hat. Daß ſie ihre Zahlung angeboten und die 
Klägerin die Herausgabe der Wechſel verweigert hätte, 
hat die Beklagte nicht behauptet; einer Präſentation 
des zweiten, durch Nichteinlöſung gegenſtandsloſen 
Wechſels bedurfte es nach der Präſentation des nach 
wie vor zu Recht beſtehenden erſten Wechſels nicht 
mehr; dem abgelehnten dritten Wechſel kommt ohne⸗ 
hin keine weitere Bedeutung zu. Die Beklagte hat 
mit ihrer nach der Klageſtellung und vor der erſten 
mündlichen Verhandlung geleiſteten Zahlung von 
1000 M Wechſelreſtſumme zudem nicht den ganzen, 
auch die Zinſen ſeit 6. Oktober 1909 umfaſſenden 
Klageanſpruch befriedigt, ſo daß die Klägerin zur 
Ausantwortung der Wechſel an ſie gar nicht ver⸗ 
pflichtet war. (Staub⸗Stranz S. 124/55 Anm. 9 ff. zu 
Art. 39). Das Begehren, der Klägerin nach 8 93 
ZPO. die Prozeßkoſten zu überbürden, ift ſohin unbe⸗ 
gründet. (Urteil vom 11. Juli 1910). H. 
2091 


Aus der Praxis 
des Gerichtshofs für Kompetenzkouflikte. 


Sind die Gerichte zuſtändig, wenn eine Kirchen⸗ 
gemeinde eine Feſtſtellung darüber beauſprucht, daß die 
Angehörigen einer Filialkirchengemeinde zu Haud⸗ und 
Spaundienſten für Kultusbauten in der Hauptgemeinde 
verpflichtet find? Aus den Gründen: I. Der 
Pfarrſprengel L. umfaßt die Ortſchaft L. Bez.-Amts F. 
und die politiſche Gemeinde D. Bez.-Amts N. Ein 
Pfarrhaus befindet ſich nur in L., wo der Pfarrer 
ſeinen Wohnſitz hat. Kirchen befinden ſich in L. und 
in D. In beiden Kirchen werden von dem Pfarrer 
von L. Gottesdienſte abgehalten und die Sakramente 
geſpendet. In L. findet in der Regel alle Sonn- und 
Feiertage, in D. nur ſiebenmal im Jahre Gottesdienſt 
tatt. Kirchengemeinden beſtehen in L. und D.; jede 
er beiden Kirchengemeinden hat eine ſelbſtändige 


— 


96 Zeitſchrift für Rechtspflege 


Kirchenverwaltung und geſondertes Kirchenvermögen. 
Das Pfarrhaus zu L. wurde im Jahre 1905 zum 
Erſatz für das alte, baufällig gewordene Pfarrhaus 
errichtet. Die Baulaſt an dem Pfarrgebäude liegt 
ſeit dem am 20. Dezember 1870 zur Beendigung eines 
Rechtsſtreites zwiſchen dem Fiskus und der Kirchen⸗ 
gemeinde L. abgeſchloſſenen Vergleiche dem Staatsärar 
ob. Kurz nachdem im Jahre 1898 das Bedürfnis der 
Herſtellung eines Pfarrhausneubaues ſich heraus⸗ 
geſtellt hatte und von dem Staatsärar anerkannt 
worden war, nahm die Kirchenverwaltung L. bei der 
Inſtruktion der Sache die Mitglieder der Kirchen⸗ 
gemeinde D. zur Teilnahme an der nach dem ALR. 
Teil II Tit. 11 8 714 den „Eingepfarrten in jedem 
Falle“ obliegenden unentgeltlichen Leiſtung der Hand⸗ 
und Spanndienſte für den Neubau in Anſpruch; die 
Kirchengemeinde D. und deren einzelne Mitglieder 
beſtritten jedoch jede rechtliche Verpflichtung hierzu. 
Die Gemeindeangehörigen von D. blieben auf dieſem 
Standpunkte ſtehen, auch nachdem das Bezirksamt N. 
ſie wiederholt darauf hingewieſen hatte, daß ſie bei 
Aufrechterhaltung ihrer Weigerung Gefahr liefen, in 
einen Zivilprozeß hierwegen verwickelt zu werden. 
Die Kirchenverwaltung L. vertrat die Anſicht, daß die 
Entſcheidung auf dem Verwaltungsrechtsweg zu er⸗ 
folgen habe. Am 26. Juli 1902 erteilte das Bezirks⸗ 
amt F. ihr den Streitkonſens, wobei es von der An⸗ 
nahme ausging, daß es ſich um eine nach Art. 10 
Ziff. 13 VGG. auf dem Verwaltungsrechtsweg zu ent⸗ 
ſcheidende Streitſache handele. Die Regierung, 
Kammer des Innern, billigte gleich der Kammer der 


in Bayern. 1911. Nr. 4. 


dahin gehören auch die Streitigkeiten, 


Finanzen dieſe Anſicht nicht; die Entſcheidung des 
Streites komme den Gerichten im Zivilprozeßwege zu 


und es müſſe daher von Kuratel wegen gewürdigt 
werden, ob zur Führung des Zivilprozeſſes die Ge⸗ 
nehmigung zu erteilen ſei. Die Regierung empfahl 
zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung des Neu⸗ 
baues der Kirchengemeinde L., nötigen Falles den 


auf die Filialiſten von D. treffenden Teil der Hand⸗ | 
und Spanndienſte vorläufig und unter Vorbehalt der 


endgültigen Austragung der Rechtsfrage in einem 
ſpäteren Zivilprozeß zu übernehmen. 
verwaltung und die Kirchengemeindeverſammlung be= 
ſchloſſen dies zu tun, nachdem in einer Regierungs- 
entſchliezung vom 7. Mai 1903 ausdrücklich den 
Parochianen von L. das Recht vorbehalten worden 
war, gegen die Filialiſten von D. auf Anerkennung 
und Erfüllung ihrer Dienſtpflicht oder auf Erſatz für 
den an ihrer Statt geleiſteten Teil der Baudienſte zu 
klagen. Auf die Klage der Kirchengemeinde L. ſtellte 
das LG. F. mit Urteil vom 24. Mai 1909 feſt, daß 


ſind, die bei Baufällen am Pfarrgebäude L. not— 
wendigen Hand- und Spanndienſte zuſammen mit 
den Mitgliedern der Kirchengemeinde L. unentgeltlich 
zu leiſten. Die Filialkirchengemeinde D. legte Be— 
rufung ein. Am 31. März 1910 erklärte die Re⸗ 


gierung, Kammer des Innern, gegenüber dem Be⸗ 


rufungsgericht, daß ſie den Rechtsweg für unzuläſſig 
erachte und gemäß Art. 8 und 9 KompͤKonfl. vom 
18. Auguſt 1879 den Kompetenzkonflikt erhebe. Der 


Verwaltungsgerichtshof nehme die Zuſtändigkeit bei 


Baupflichtſtreitigkeiten dann für ſich in Anſpruch, 
wenn eine Verbindlichkeit der Kirchengemeinde für 
Kultusbauzwecke in Frage komme (Entſch. 24. 225). 
Da dies hier zutreffe, ſei die Erhebung des Kompe— 
tenzkonflikts umſomehr veranlaßt, als ſolche Streitig— 
keiten nicht ſelten ſeien. 

II. Für die Entſcheidung der Frage, ob die 


dieſer Beziehung das Allgemeine preußiſche Landrecht 
einnimmt, das ohnehin auch vielfach Gegenſtände und 
Fragen regelt, die dem öffentlichen Rechte zuzurechnen 
ſind. Die Zuſtändigkeit für die Entſcheidung von 
Streitigkeiten über die Bau- und ſonſtige Konkurrenz⸗ 
pflicht bei Kirchen⸗ und anderen Kultusbauten wurde 
in Bayern im erſten Drittel des 19. Jahrhunderts 
für das ganze rechtsrheiniſche Gebiet geregelt und 
zwar durch folgende geſetzgeberiſche Erlaſſe. Das vor 
der Verfaſſungsurkunde ergangene und deshalb mit 
Geſetzeskraft ausgeſtattete Kgl. Reſkript vom 16. De⸗ 
zember 1810 an das Kgl. Oberappellationsgericht 
(Döllinger, Verordnungsſammlung Bd. 11, 3. Teil, 
S. 1400) beſtimmt: „Zu dem Reſſort der Generals 
kommiſſariate gehört die Erledigung aller — früher 
den ehemaligen Landesdirektionen und dem geiſtlichen 
Rate zugewieſenen — in Betreff der Pfarrkirchen und 
Schulgebäude vorkommenden Anſtände, Irrungen und 
Differenzen in bloß adminiſtrativer Hinſicht. 
Dahin gehören z. B. die Fragen: Ob der Bau not⸗ 
wendig iſt, wie und wann gebaut werden fol? Ob 
der Fall wirklich vorhanden ſey, daß Dezimatoren 
und andere Baupflichtige zur Konkurrenz aufzurufen 
ſeyen? oder ob die vorkommenden Baureparationen 
bloß von dem Pfründengenießer oder den betreffenden 
Kirchenfonds ꝛc. beſtritten werden ſollen? oder ob der 
Baufall ein Hauptbau oder eine Hauptbaureparatur 
jey? . . . Dagegen müſſen alle privatrechtlichen 
Gegenſtände, welche in Beziehung auf ſolche Objekte 
vorkommen, den betreffenden Juſtizſtellen verbleiben; 
welche in 
privatrechtlicher Hinſicht über die Verbindlichkeit der 
Baulaſt oder zur Baukonkurrenz obwalten. ... Die 
. . . Deklaration vom 14. Auguſt 1794 ſpricht dieſes 
deutlich aus, indem die Beſchwerden der Beteiligten 
wegen ähnlicher Baukonkurrenz in petitorio .. an 
die Juſtizſtellen verwieſen werden, bei welchen ſodann 
der Prozeß ordentlich inſtruiert und beſchieden werden 
fol.” Das am 1. Oktober 1830 an die fieben Kreis» 
regierungen, Kammern des Innern, diesſeits des Rheins 


ergangene Kgl. Reſkript (Döllinger a. a. O. S. 1422) 


Die Kirchen⸗ 


verordnet unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das 
Reſkript vom 16. Dezember 1810: „1. Wenn bei 
einem Kirchen⸗ oder Pfarrhofbaue, bei welchem die 
Konkurrenzverbindlichkeit einer phyſiſchen oder juri⸗ 


diſchen Perſon in Anſpruch genommen wird, darüber 


Streit entſteht, ob dem in Anſpruch Genommenen 
überhaupt eine Verbindlichkeit zur Tragung der Bau— 
laft bei dem in Frage ſtehenden Gebäude obliege, fo 
iſt die Entſcheidung dieſes Streites ſowohl in posses- 


sorio als in petitorio den zuſtändigen Zivilgerichten 
die Mitglieder der Kirchengemeinde D. verpflichtet 


Gerichte zuſtändig ſind, iſt es weder von Bedeutung, 


daß an ſich die Beſtimmungen über die aus dem 
Kirchen⸗ oder Pfarrverband entſpringenden Anſprüche 
und Verbindlichkeiten nach der modernen Auſchauung 
zweifellos dem öffentlichen Recht angehören, noch 
kommt darauf etwas an, welchen Standpunkt in 


zu überlaſſen. . .. 2. Wenn dagegen die Konkurrenz⸗ 
verbindlichkeit im allgemeinen durch ein ausdrückliches 
Geſetz, durch das eigene unbeſtrittene Anerkenntnis 
des Beteiligten, durch Vertrag, Beſitz, Vergleich oder 
durch richterliches Urteil jedem Zweifel entrückt und 
daher nur davon die Frage iſt, ob der Fall 
einer Konkurrenz in conereto gegeben ſey, und wie 
hoch ſich der zu leiſtende Betrag zu belaufen habe? 
ſo iſt darüber von den Kreisregierungen, Kammern des 
Innern, nach vorausgegangener geſetzmäßiger Ver— 
handlung zu entſcheiden .. .“. Dieſes Reſkript hat die 
Grundlage zu einem Ausſpruche der bayeriſchen Geſetz— 
gebungsorgane gebildet. Im Dezember 1831 kam 
ein Geſamtbeſchluß der beiden Kammern der Stände— 
verſammlung über folgenden bei der Beratung des 
Budgets geſtellten Antrag zuſtande: „Es möge die 
Kgl. VO. vom 1. Oktober 1830 dahin erläutert werden, 
daß jede Baupflichtfrage bei obwaltendem Widerſpruche 
eines oder mehrerer Beteiligten den ordentlichen 
Gerichten zugewieſen . . . werde“ (vgl. Verh. der 
K. d. RR. 1831 X. Bd. S. 479 und der II. K. der 
Ständeverſammlung 26. Bd. Protokollnummer 148 
über die Sitzung vom 13. Dezember 1831 S. 43 und 
44). Die Kgl. Entſchließung hierauf in Ziff. III 8 46 


— — — 


des Landtags⸗Abſchieds vom 29. Dezember 1831 (GBl. 
S. 102) lautet: „Die von Uns unterm 1. Oktober 1830 
erlaſſene Entſchließung hinſichtlich der Concurrenz⸗ 
verbindlichkeit zu Kirchen⸗ und Pfarrhofbauten ſpricht 
mit voller Deutlichkeit aus, daß die Verhandlung und 
Entſcheidung der über ſolche Verbindlichkeiten ent⸗ 
ſtehenden privatrechtlichen Streitigkeiten dem ver- 
faſſungsmäßigen Wirkungskreiſe der ordentlichen 
Gerichte unter keinem Vorwande entzogen werden 
ſolle. . .. Es iſt daher in allen dieſen Beziehungen 
dem in dem Geſamtbeſchluſſe über das Finanzggeſetz 
vorgelegten 5 der Stände längſt entſprochen.“ 
Dadurch iſt dem Kgl. Reſkript vom 1. Oktober 1830 
ebenfalls materiell Geſetzeskraft verliehen worden, wie 
ſolche dem vor der Erlaſſung der Verfaſſung er⸗ 
gangenen Kgl. Reſkript vom 16. Dezember 1810 ohne⸗ 
hin zukommt. Was in all den angeführten geſetz⸗ 
geberiſchen Erlaſſen unter „privatrechtlichen Streitig⸗ 
keiten“ verſtanden wurde, erhellt aus den Aus⸗ 
führungen des Regierungskommiſſärs Miniſterialrats 
von Abel in der Sitzung der II. Kammer vom 18. Ok⸗ 
tober 1831 (Protokollnummer 111 S. 31 in der Verh. 
a. a. O. Bd. 20); er erklärte: „Sobald darüber ein 
allgemeiner Streit entſteht, ob irgend eine phyſiſche 
oder juridiſche Perſon bey einer Kirche oder einem 
Pfarrhofe die Baulaſt zu tragen oder dazu eine Con⸗ 
currenz zu leiſten verbunden ſey, — ſobald alfo der 
in Anſpruch Genommene dieſer Verbindlichkeit all⸗ 
gemein widerſpricht, iſt jederzeit ein ſtreitiges Privat⸗ 
rechtsverhältnis vorhanden; denn es gehören dieſe 
Verbindlichkeiten dem Gebiete des Privatrechts an. 
Die Verhandlung und Entſcheidung privatrechtlicher 
Streitigkeiten aber — das Richteramt und dergleichen 
Rechtsſachen — ſteht verfaſſungsmäßig den Gerichten, 
und nur dem Gerichte zu.“ Derſelbe Redner hob 
dabei hervor (a. a. O. S. 25 und 27), daß die Zu⸗ 
ſtändigkeit der Verwaltungsbehörden nur auf rein 
adminiſtrative Fragen ſich erſtrecke, namentlich 
darauf, ob, wie und wann zu bauen ſei, ob der Fall 
der Dezimatoren⸗ Konkurrenz gegeben oder der Bau 
von dem Pfründebeſitzer oder aus Kirchenmitteln zu 
errichten ſei u. dgl.... In dem gleichen Sinn äußerten 
ſich auch die anderen Redner (a. a. O. S. 20, 34, 38, 
56). Bemerkenswert iſt ferner, daß bei dem gleichen 
Anlaſſe (a. a. O. S. 35) der Miniſterialrat von Abel 
betonte, daß hinſichtlich der BO. vom 1. Oktober 1830 
„die Staatsregierung der Anſicht war, daß ſie durch⸗ 
aus nichts Neues enthalte, ſondern nur den Sinn der 
längſt beſtandenen Verordnungen, welcher mißver⸗ 
ſtanden worden, erläutere und die Mißverſtändniſſe 
berichtige.“ In allen angeführten geſetzgeberiſchen 
Erlaſſen iſt nicht unterſchieden, ob es ſich bei der 
Baupflicht um Leiſtungen wegen des Pfarrverbandes 
handelt oder nicht; namentlich überweiſt das Reſkript 
vom 1. Oktober 1830 und demzufolge auch ent⸗ 
ſprechend dem Geſamtbeſchluß der beiden Kammern 
der Landtagsabſchied von 1831 „jede Baupflichtfrage“ 
der Zuſtändigkeit der Gerichte. Seitdem wurden in 
Bayern die Baupflicht⸗ und Konkurrenzfragen zu den 
Juſtizſachen gerechnet und insbeſondere auch nicht 
unter die „adminiſtrativ⸗kontentiöſen! Sachen ein⸗ 
gereiht. Dabei wurde, wie in dem unten erwähnten 
Kompetenzerkenntnis vom 17. Oktober 1859 mit klaren 
Worten ausgeſprochen iſt, keineswegs verkannt, „daß 
die Entſcheidung von Streitigkeiten über die Pflichten, 
welche aus dem Gemeindeverband entſpringen, zu den 
Adminiſtrativbehörden kompetiert, da die Geſetze, aus 
welchen dieſelbe zu ſchöpfen iſt, Teile des öffentlichen 
Rechtes find“; gleichzeitig wurde aber auch die An— 
ſicht als unrichtig bezeichnet, „daß die Frage, ob die 
Gemeindeglieder zugunſten der primär oder ſubſidiär 
Baupflichtigen mit Hand» und Spanndienſten unent- 
geltlich konkurrieren müſſen, in den Geſetzen über die 
e und Verwaltung der Gemeinden und in 
dem Gemeindeumlagengeſetze ihre Entſcheidungsquelle 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


97 


— — — — — — 


habe“. Auf dieſer Grundlage hat gerade auch für 
Streitigkeiten über die Verpflichtung der Angehörigen 
einer Filialkirchengemeinde zu Hand⸗ und Spann⸗ 
dienſten bei Kultusbauten in der Hauptgemeinde der 
frühere Kompetenzſenat des bayeriſchen Oberſten 
Gerichtshofs am 19. Juli 1858 (Reg Bl. S. 1025) und 
am 17. Oktober 1859 (RegBl. S. 1042) die Gerichte 
für zuſtändig erklärt und der Oberſte Gerichtshof 
(Sammlung 1, 290; 2, 158; 3, 497, letzteres eine 
Plenarentſcheidung vom 26. Juli 1873) dies als ſelbſt⸗ 
verſtändlich ſeiner Entſcheidung zugrunde gelegt. Sie 
gingen dabei von dem Gedanken aus, daß die Frage, 
ob die Kirchengemeindeglieder zugunſten der primär 
oder ſubſidiär Baupflichtigen unentgeltlich mit Hand⸗ 
und Spanndienſten konkurrieren müſſen, ſowohl nach 
den älteren als nach den neueren Geſetzen und Ver⸗ 
ordnungen privatrechtlicher Natur ſei — eine An⸗ 
ſicht, die auch von Seuffert, Kommentar über die 
bayeriſche Gerichtsordnung (2) 1, 183; Krick, kirchliche 
Baupflicht und kirchliches Bauweſen S. 94 ff. und 
Handbuch der Verwaltung des Kirchenvermögens (4) 
S. 77, Luthardt BlAdmPr. 28, 260 und Knilling 
ebenda 47, 41 vertreten wird. Dies war die Rechts⸗ 
lage, als das VerwGG. vom 8. Auguſt 1878 erging 
und zunächſt in Art. 10 Ziff. 13 den Verwaltungs⸗ 
gerichtshof für zuſtändig erklärte für „Anſprüche und 
Verbindlichkeiten aus dem Kirchen⸗ und Pfarrverband, 
Dienſte, Umlagen, Abgaben und andere Leiſtungen 
für kirchliche Zwecke“, aber auch in Art. 13 Abſ. 1 be⸗ 
ſtimmte: „Die Zuſtändigkeit des Verwaltungsgerichts⸗ 
hofs erſtreckt ſich nicht: 1. auf Rechtsſachen, welche 
vor die Zivil⸗ oder Strafgerichte gehören“. Dies 
letztere trifft aber nach den vorſtehenden Darlegungen 
gerade bezüglich der Baulaſt⸗ und Konkurrenzſtreitig⸗ 
keiten zu. Auch die Einführung der Reichsjuſtiz⸗ 
geſetze führte in dieſer Beziehung keine Aenderung 
herbei: Nach 8 4 EGz GG. iſt die . 
nicht gehindert, ihren Gerichten jede andere Art der 
Gerichtsbarkeit zu übertragen; ſelbſt wenn man i. S. 
des Art. 10 Ziff. 13 Verw. die in Frage ſtehenden 
Streitigkeiten zu den öffentlich⸗ rechtlichen Sachen 
zählen wollte, würde deshalb die fortdauernde Rechts⸗ 
gültigkeit der mehrerwähnten Erlaſſe aus den 
Jahren 1810, 1830 und 1831 keiner Anfechtung zu⸗ 
gänglich fein. In der Tat hat denn auch das Obs. 
am 8. Juli 1903 (Samml. 4, 564) in einem dem 
gegenwärtigen gleichgelagerten Falle kein Bedenken 
gegen die Zuſtändigkeit der Gerichte gehabt. Nicht 
minder weiſt die Reichsgeſetzgebung die Vorſchriften 
über die Kirchenbaulaſt dem bürgerlichen Rechte 
wenigſtens inſoferne zu, als gerade nach Art. 132 
EGBGB. die landesgeſetzlichen Vorſchriften über die 
Kirchenbaulaſt und die Schul baulaſt unberührt gelaſſen 
wurden. Auch dies führt zur Zuſtändigkeit der Ge⸗ 
richte für Streitigkeiten auf dieſen Rechtsgebieten.) 
(Urteil vom 7. Dezember 1910). E. 


2152 
Literatur. 
Meyer, Haus, Amtsgerichtsſekretär in Neuſtadt a. A. 
Das bayeriſche Gebührengeſetz mit einem An⸗ 


hang, enthaltend die mit dem GebG. zuſammen⸗ 
hängenden Geſetze, Verordnungen und Bekannt— 
machungen. Auf Grund der Faſſung des Geſetzes 
vom 13. Juli 1910 erläutert in Verbindung mit 
Friedrich Degel in Neuſtadt a. A. München 1910, 
Franz Gais, Verlag. 
Der Verfaſſer, deſſen frühere Veröffentlichungen 
praktiſches Geſchick, reiches Wiſſen und ſcharfes Unter— 
1) Anm. des Herausgebers: 
Beweisgrund iſt wenig überzeugend. 


Der zuletzt angefübrte 


ſcheidungsvermögen zeigen, hat ſich hier an eine über⸗ 
aus widerhaarige Aufgabe gewagt. Einen Kommentar 
zum Gebührengeſetze, der allen Anforderungen ent⸗ 
ſpricht, kann nur ſchreiben, wer auf den verſchieden⸗ 
artigſten Rechtsgebieten gleich gut Beſcheid weiß, und 
ſich auch nicht ſcheut, die im Geb. verſteckten Probleme 
von Grund aus zu erforſchen. Mit der Verwertung 
der Motive und der — oft nicht einmal richtigen — 
Entſcheidungen iſt es da nicht getan. Bei den nahezu 
unlösbaren Schwierigkeiten, die der Stoff bietet, würden 
das hohe Streben und der Fleiß des Verfaſſers auch 
dann alle Anerkennung verdienen, wenn er vom Ziele 
weit entfernt geblieben wäre. Er hat aber ſtellen⸗ 
weiſe nicht nur Befriedigendes ſondern ſehr Gutes ge⸗ 
liefert, beſonders da, wo ihm die im Berufe gewonnene 
Erfahrung zur Seite ſtand, wie z. B. bei der Behandlung 
des Abſchnitts „Angelegenheiten der freiwilligen Ge⸗ 
richtsbarkeit.“ Auch die nicht gerade glücklich gefaßten 
Vorſchriften des Geſetzes über die Gebühren im Ver⸗ 
fahren der Zwangsverſteigerung und der Zwangsver⸗ 
waltung find ausführlich und erſchöpſend erläutert. 
Zu rühmen ſind die zahlreich eingeſtreuten rechneriſchen 
Beiſpiele. Wenn auch nicht alle Teile des Buches ſich 
auf gleicher Höhe halten und man zuweilen mehr 
eigenes Eindringen in den Stoff an Stelle des Zu— 


ſammentragens von Material wünſchen würde, ſo 


muß doch anerkannt werden, daß das Werk eine Be⸗ 
reicherung der ſpärlichen Literatur über das Gebühren⸗ 
weſen bedeutet und daß es der Praxis gute Dienſte 
leiſten kann. von der Pfordten. 


Romberg, Dr. Kurt, Gerichtsaſſeſſor in Berlin. 
Kolonialbeamtengeſetz vom 8. Juni 1910. Text⸗ 
ausgabe mit kurzen Erläuterungen, Zuſammen⸗ 
ſtellung der Ergänzungsvorſchriften und Sachregiſter. 
XVI und 391 S. Mannheim und Leipzig, J. Bens⸗ 
heimer. Mk. 5.—. 


Der im vorigen Jahre bei J. Schweitzer in München 
erſchienenen, von dem Referenten beſorgten Ausgabe 
des Kol BG. iſt ſoeben die vorliegende Handausgabe 
gefolgt, die ſich beſcheiden „Textausgabe“ nennt. Sie 
enthält nach einer die Geſchichte, die Grundgedanken, 
das Syſtem und die Bedeutung des Kol BG. würdi— 
genden Einleitung außer den beiden alten kolonial— 
beamtenrechtlichen Verordnungen den unkommentierten 
und den kommentierten Text des Kol BG. ſowie die 
ſäͤämtlichen ſeither ergangenen ergänzenden Geſetze und 
Verordnungen. Inhaltlich zeugen die erläuternden 
Anmerkungen von großer Sachkenntnis ihres Ver— 
faſſers, wenn ſie auch — wie dies bei der erſtmaligen 
Kommentierung eines neuen Geſetzes nicht zu ver— 
wundern iſt — von Ungenauigkeiten und Mißverſtänd— 
niſſen nicht frei ſind. So könnte man z. B. nach den 
Bemerkungen des Verfaſſers meinen, die Vorſchrift 
des $ 48 Abſ. 2 Kol BG. ſei neu, während fie doch 
wörtlich aus Art. 8 Nr. 3 der Kaiſerl. Verordnung 
vom 9. Auguſt 1896 (RGBl. S. 691) übernommen 
iſt. Zu 89 (Anm. 7c) wäre zu erwähnen, daß die 
Obergerichte in Ueberweiſungsſachen (GVG. SS 29, 75) 
nicht an die Landgerichte verweiſen können, es ſei denn, 
daß die Sache zuvor dem Schöffengericht überwieſen 
und von dort nach 8 I Kol BG. an das Schutzgebiets— 
gericht verwieſen war. Irrig iſt m. E. die Anſicht des 
Verfaſſers (Anm. 7 e a. a. O.), der Unterſuchungs— 
richter könne an den Bezirksrichter verweiſen und um— 
gekehrt; wie in den Konſulargerichtsbezirken fo gibt 
es auch in den Schutzgebieten keine Vorunterſuchung 
und infolgedeſſen keinen Unterſuchungsrichter in unſerem 
Sinne; umgekehrt kann der Bezirksrichter keine Vor— 
unterſuchung (in unſerem Sinne) eröffnen oder bean— 
tragen. Schwerwiegender als dieſe Ausſtellungen 
ſcheint mir aber der Umſtand zu ſein, daß die An— 
merkungen zu den einzelnen Paragraphen des Kol BG. 
durch die Einſchachtelung der ergänzenden Vorſchriften, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


5 — — — — u 
— ——— m UL UL I m UT ͤ—•U—ä — — — — 


ohne daß dieſe im Druck befonders kenntlich gemacht 
ſind, an Ueberſichtlichkeit ſehr verlieren. So ſind z. B. 
bei $ 1 Kol. das ganze RBG. und noch andere 
Beſtimmungen, bei 8 2 Kol BG. das Beſoldungsgeſetz 
vom 15. Juli 1909, vor 832 Kol BG. das Beamtenhinter⸗ 
bliebenengeſetz vom 17. Mai 1907 in extenso abge⸗ 
druckt. All dies hätte in den Anhang 1 werden 
ſollen. Doch wird die Güte des auch äußerlich ge⸗ 


diegen ausgeſtatteten Buches hierdurch nicht weſentlich 


beeinflußt. Dem Verlag möchte ich empfehlen, zur 
Vermeidung von Irrtümern die Angabe des Jahres 
des Erſcheinens auf dem Titel des Buches künftighin 
nicht zu unterlaſſen. Dr. Doerr. 


Doerr, Dr. F., Kgl. Amtsrichter, Privatdozent in 
München. Gerichts ver faſſungsgeſetz nebſt 
Einführungsgeſetz und Anhang, die geſetzliche Rege⸗ 
lung der deutſchen Konſular⸗ und Schutzgebiets⸗ 
gerichtsverfaſſung enthaltend. Textausgabe mit 
Anmerkung und Sachregiſter. VII, 123 S., München 
1910. J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 
Gebd. Mk 1.80. 


Doerr's Erläuterung des GBG. hält ſich, dem 
Charakter einer „Textausgabe mit Anmerkungen“ 
entſprechend, in beſcheidenen Grenzen, zeichnet ſich 
aber durch Verläſſigkeit und Beſtimmtheit ſowie durch 
Geſchick in der Auswahl der zahlreichen Verweiſungen 
aus. Allein für die Praxis, der das Büchlein ſeiner 
Anlage nach vor allem zu dienen beſtimmt iſt, bietet 


der Verfaſſer ſozuſagen eine ſtumpfe Waffe dar, weil 


er auf eine umfaſſendere Verarbeitung des Landes⸗ 
rechts verzichtet ll eine Darſtellung des Ineinander⸗ 
greifens reichs⸗ und landesrechtlicher Normen auf dem 
Gebiet der Gerichtsverfaſſung wäre nicht nur der Er⸗ 
läuterung des GVG. zugute gekommen, ſondern hätte 
auch eine Lücke ausgefüllt, die die bayeriſche Praxis 
zuweilen ſchmerzlich empfindet. — — 20 — 


Bonſchab, F., Direktor der Bayeriſchen Landwirt⸗ 
ſchaftsbank, Reichs geſetz, betr. die Erwerbs⸗ 
und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. Text⸗ 
ausgabe mit Erläuterungen und Sachregiſter. 
2. neubearbeitete Auflage. 302 S., München 1910, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Gebd. Mk. 3.—. 


Der Verfaſſer bietet bedeutend mehr, als die 
Bezeichnung „Textausgabe mit Anmerkungen“ ver— 
muten läßt, nämlich eine eingehende Darſtellung des 
Rechtes der Erwerbs- und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften 
in der Form von Erläuterungen zu den geſetzlichen 
Beſtimmungen. Die einſchlägige Literatur iſt mit er» 
freulicher Selbſtändigkeit verwertet, die Ergebniſſe 
der Rechtſprechung find bis in die neueſte Zeit nach⸗ 
getragen, ſo daß aus dem Buche eine vorzügliche 
Ueberſicht über den derzeitigen Stand von Theorie 
und Praxis des Genoſſenſchaftsrechtes gewonnen 
werden kann. Trotz der Fülle des verarbeiteten 
Stoffes hat es der Verfaſſer verſtanden, durch ge— 
ſchickte Gliederung die Ueberſichtlichkeit zu wahren; 
dadurch iſt auch eine raſche und bequeme Orientierung 
in den Fragen der täglichen Praxis ermöglicht. Das 
Werk kann Intereſſenten warm empfohlen werden. 

n 


Krech, Dr. J., Kaiſ. Geh. Regierungsrat in Berlin, und 
Dr. O. Fiſcher, Profeſſor in Breslau. Die Geſetz⸗ 
gebung betreffend die Zwangsvollſtreckung in 
das unbewegliche Vermögen im Reiche und 
in Preußen, Textausgabe mit Einleitung, An— 
merkungen, Koſten- und Gebührentabellen und Sach— 
regiſter. 6. vermehrte und verbeſſerte Auflage. XVI, 
333 S. Berlin 1910. J. Guttentag, Verlagsbuch— 
handlung. Gebd. Mk. 2.—. 

Dieſes den Bedürfniſſen der preußiſchen Gerichts— 

praxis angepaßte Werk enthält die SS 864 bis 871 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


ZPO., das ZwVG. mit feinem EG., das preußiſche 
AG. zum Zw., das preußiſche Geſetz über die Bahn⸗ 
einheiten, einen Auszug aus dem preußiſchen GKG. 
ſowie eine Reihe ſonſtiger einſchlägiger Beſtimmungen 
des preußiſchen Landesrechts. Für bayeriſche Ver⸗ 
hältniſſe kommt nur der der ZPO. und dem Zw. 
gewidmete Teil in Betracht; die Erläuterungen ſind 
verhältnismäßig knapp gehalten und berückſichtigen 
vornehmlich die Rechtſprechung; ſie ermöglichen eine 
raſche Orientierung, laſſen aber ein tieferes Eindringen 
in die Ergebniſſe der auf dem Gebiet der Zwangs— 
verſteigerung ſo wichtigen Theorie an manchen Punkten 
vermiſſen. 3 


Zacharias, Dr. A. N., Oberlandesgerichtsrat in Ham— 
burg. Gedanken eines Praktikers zur Frage 
des juriſtiſchen Modernismus. Berlin 1910, 
J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Geh. Mk. 0.60. 

Nachdem ſich die erſte Erregung über die heftigen 

Angriffe von Fuchs und Adickes gegen das Syſtem 

unſerer Rechtspflege etwas gelegt hat, kommen jetzt 

die „Gemäßigten“ zum Wort. Auch Zacharias ſucht 
zu vermitteln. Er empfiehlt größere Freiheit der 

Rechtsauslegung gegenüber dem geſchriebenen Rechte, 

ſtärkere Berückſichtigung der tatſächlichen Grundlagen 

des Rechtsfalls, Maßhalten in der Entwickelung 
ſog. „wiſſenſchaftlicher“ Gedanken im Urteil. Für die 
wichtigſte Aufgabe der Zukunft hält er jedoch eine 
beſſere Ausbildung der Juriſten auf anderen Gebieten 
(Technik, Naturwiſſenſchaften, Handel uſw.). Was 
hierüber vorgebracht wird, iſt unzweifelhaft ſehr be— 
achtenswert. Nur wäre vor der Ueberſchätzung der Viel- 
ſeitigkeit zu warnen, die einen gefährlichen Dilettantis— 
mus mit ſich bringen könnte. Durchaus zu billigen 
iſt es, daß Zacharias den Wert der Kenntnis lebender 

Sprachen gebührend hervorhebt, und es iſt ſehr zu 

bedauern, daß auf dieſem Gebiete das humaniſtiſche 

Gymnaſium kaum das Notdürftige lehrt. Bei der 

immer ſteigenden Bedeutung des internationalen Rechts— 

verkehrs wird bald der Zeitpunkt kommen, in dem 
der Juriſt mit dem Wenigen, was er auf die Uni— 
verſität mitbringt, nicht mehr ausreichen wird. 

von der Pfordten. 


von Henle, Dr. W., Staatsrat i. o. D. u. Miniſterial⸗ 
direktor im k. b. Juſtizminiſterium, Die Zwang s— 
enteignung von Grundeigentum in Bayern, 
unter Berückſichtigung der Novelle vom 13. Auguſt 
1910. Handausgabe mit Erläuterungen. 2. neu⸗ 
bearbeitete Auflage. XIV, 266 S. München 1910, 
C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed). 
Geb. Mk. 3.50. 


Die Darſtellung des bayeriſchen Zwangsenteig— 
nungsrechtes aus der Feder der bekannten Autori— 
tät auf dem Gebiete des Liegenſchaftsrechts war 
in der erſten Auflage ohne Zweifel das Beſte, was 
wir auf dieſem Gebiet hatten. Die zweite Auflage 
bedarf darum gewiß keiner Empfehlung. Die bayeriſche 
Staatsregierung hat die Vorlegung eines Entwurfes 
über ein neues Enteignungsgeſetz angekündigt. Allein 
es iſt mehr als fraglich, ob unſere Geſetzgebungs— 
maſchine mit dieſem ſchwierigen Stück Arbeit ſo ſchnell 
zuſtande kommen wird, und für die zahlreichen Fälle, 
in denen in unſerer Zeit großer wirtſchaftlicher Unter- 
nehmungen bis dahin noch das alte Recht zur An— 
wendung kommt, war die Neuherausgabe des vor 
zwanzig Jahren erſchienenen Buches entſchieden ein 
Bedürfnis — nicht nur wegen der Novelle vom 
13. Auguſt 1910, ſondern auch wegen der fonſtigen 
Neuerungen, die ſich ſeit dem Erſcheinen der erſten 
Auflage auf dem Gebiete des Enteignungsrechtes, 
beſonders durch das AGz BGB., ergeben haben. Das 
Buch wird deshalb gewiß allgemein willkommen 
geheißen. -e-. 


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in Bayern. 1911. Nr. 4. 


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99 


Meyers Großes Konverſations⸗Lexikon. Ein Nach⸗ 
ſchlagewerk des allgemeinen Wiſſens. Sechſte, gä 
lich neu bearbeitete und vermehrte Auflage. Mehr 
als 158 000 Artikel und Verweiſungen auf 19622 
Seiten Text mit 17673 Abbildungen, Karten und 
Plänen im Text und auf 1611 Bildertafeln (darunter 
188 Farbendrucktafeln und 355 ſelbſtändige Karten— 
beilagen) ſowie 176 Textbeilagen. 20 Bände und 
1 Ergänzungsband in Halbleder gebunden zu je 
12 Mark. (Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts 
in Leipzig und Wien.) 

Als im Herbſt 1908 der „Große Meyer“ mit dem 
XX. Bande ſeinen Abſchluß fand, ſtellte der rührige 
Verlag das Erſcheinen eines Ergänzungs bandes 
in Ausſicht, der alles das in ſich aufnehmen ſollte, 
was ſeit Beginn der ſechſten Auflage an Neuerungen, 
Veränderungen und Berichtigungen nachzutragen war. 
Nun liegt dieſer als XXI. Band mit dem Umfang von 
1029 Seiten in der gleichen würdigen Ausſtattung 
wie das Hauptwerk vor. Seinen weſentlichen Inhalt 
bilden längere oder kürzere Artikel über Staaten» 
geſchichte, neue Entdeckungen und Erfindungen, Um— 
geſtaltungen in Geſetzgebung und Militärweſen, über 
die Fortſchritte der Kolonien, die Ergebniſſe neuer 
Forſchungen auf allen Wiſſenszweigen, wichtige For— 
ſchungsreiſen, neue Volkszählungen, die Bewegung 
auf den Gebieten der bildenden Künſte. Ferner ent— 
hält er einen vollſtändigen Nekrolog und neue Bio— 
graphien zeitgenöſſiſcher Größen, eine planmäßige Er— 
gänzung der ſtatiſtiſchen Angaben, Literaturüberſichten, 
Pſeudonyme, uſw. Auf der gleichen Höhe der Voll— 
endung wie der Text ſteht die Illuſtrierung des Bandes, 
der über 800 Abbildungen, Karten und Pläne im Text 
und auf 89 Tafeln (darunter 8 farbige und 12 ſelb— 
ſtändige Karten) ſowie 16 Textbeilagen aufweiſt Wir 
ſehen in dem Ergänzungsband eine vortreffliche Leiſtung, 
durch die der „Große Meyer“ bis auf die unmittel— 
bare Gegenwart fortgeführt und vervollſtändigt wird, 
und empfehlen jedem Beſitzer des Hauptwerkes ſeine 
Anſchaffung. 


Kleinfeller, Dr. Georg, o. ö. Profeſſor in Kiel. Lehr⸗ 
buch des Deutſchen Zivilprozeßrechts. 
Für das akademiſche Studium. 2. völlig umgear⸗ 
beitete Auflage. XIII. 793 S. Berlin 1910. Franz 
Vahlen. broſch. Mk. 13.—, geb. Mk. 14.— 


Dieſes vortreffliche Buch, deſſen 1. Auflage wir 
früher eingehend beſprochen haben (Jahrgang 1905 
S. 62), iſt, ſoviel uns bekannt iſt, die erſte ſyſtema⸗ 
tiſche Darſtellung, die die Novellen von 1909 und 1910 
vollſtändig in den Text eingearbeitet hat. Dieſer Vor- 
zug ſowie die gedrängte und klare Darſtellung machen 
das Buch zu einem ſehr empfehlenswerten Hilfsmittel. 


Das im Königreiche Bayern geltende Reichs⸗ und Landes⸗ 
recht ſamt den Vollzugsbeſtimmungen in über— 
ſichtlicher Zuſammenſtellung. Ein Handbuch für 
den Gebrauch der amtlichen Geſetz- und PVerords 
nungsblätter und der Amtsblätter der Miniſterien, 
bearbeitet von Landgerichtsrat Dr. Glock 
und Landgerichtsrat J. Schiedermair. 
Karlsruhe 1909. Preis geb. 12 Mk. 


Nachtrag (bis zum Geſetzesſtand vom 1. September 
1910), ca. 240 S., mit ausführlichem alphabetiſchem 
Regiſter. Karlsruhe 1910. G. Braunſche Hofbuch⸗ 
druckerei und Verlag. Preis geb. 5 Mk. 

Zu der in den beteiligten Streifen allgemein geſchätz⸗ 
ten Sammlung iſt nunmehr der 1. Nachtrag erſchienen, 
der alle neuen Geſetze des Reichs und des Königreichs 
Bayern nebſt den Vollzugsvorſchriften bis zum 1. Sep⸗ 
tember 1910 gewiſſenhaft berückſichtigt. Auf das 
Regiſter, das mehr als 70 Seiten umfaßt, iſt beſondere 
Sorgfalt verwendet worden, ſo daß das Erſcheinen 
des Nachtrags den Wert der Sammlung noch bedeu— 


100 


tend erhöht und jedem Juriſten, gleichviel welche Art 
der Tätigkeit er ausübt, ſehr willkommen ſein wird. 

Die unbedingte Zuverläſſigkeit der Sammlung 
und die überſichtliche Anlage können nicht genug ge⸗ 
rühmt werden. Insbeſondere erleichtert es die oft 
ungemein ſchwierige Prüfung der Frage, ob ältere 
nicht ausdrücklich aufgehobene Geſetze und Geſetzes⸗ 
vorſchriften noch gelten oder ob ſie gegenſtandslos 
geworden ſind. Uebrigens läßt auch dieſes Buch wieder 
erkennen, welche Zerfahrenheit Geſetzgebung und Ver⸗ 
waltung durch überſtürzte Neuerungen, namentlich 
aber durch die unerträglichen Flickarbeiten in unſeren 
Rechtszuſtand gebracht haben. Auf dieſem Wege kann 
es nicht weiter gehen. 


Sudden, Hans Dr., a. o. Profeſſor in München. Die 
Behandlung der jugendlichen Verbrecher 
in den Vereinigten Staaten von Nord⸗ 
amerika. 166 S. Nürnberg 1910, Friedrich Korn'ſche 
Buchhandlung. Preis Mk. 1.50. 


Eine treffliche Schrift, allen, die mit der großen 
Sache der Fürſorge für die gefährdete Jugend zu tun 
en zur Lektüre und Beachtung dringend zu empfehlen. 

ne Fülle von Bildern zieht in buntem Wechſel am 
Auge des Leſers vorüber, Gedanken, Beſtrebungen, 
Berfuche, Taten, Erfolge — kurz das pulfierende Leben 
auf einem Gebiete, auf dem wir erſt taſtend und ſuchend, 
allzuoft beeinflußt und beeinträchtigt von grauer 
Theorie die erſten Schritte unternommen haben. Dem 
„Kenner“ mag das eine oder andere aus dem reichen 
ebotenen Material nicht neu ſein; leſenswert iſt die 
chrift auch für ihn, weil es der Verfaſſer in hervor⸗ 
ragendem Maße verſteht, den Geiſt, der die amerikaniſche 
Jugendfürſorge beherrſcht, lebendig und anſchaulich 
zu machen. Und darin liegt das eigentlich Wertvolle 
dieſer Schrift: Es kann ſich für uns nicht darum handeln, 
kritiklos amerikaniſche Einrichtungen in unſere anders 
gearteten Verhältniſſe zu übernehmen, aber was uns 
not tut, das iſt am Beiſpiele Amerikas zu lernen, aus 
welchem Geiſt heraus Jugendfürſorge betrieben werden 
muß. Wie oft hat man bei den Maßnahmen in Deutſch⸗ 
land das niederdrückende Gefühl, daß neuer Wein in 
alte Schläuche gefaßt wird, daß treffliche Gedanken 
mit Einrichtungen verwirklicht werden ſollen, die das 
Gute daran ſchon im Keime erdrücken. Möge dieſe 
Schrift in recht Vielen die Ueberzeugung ſtärken, daß 
der Dienſt an der gefährdeten Jugend nur getan 
werden kann im Geiſt des Verantwortlichkeitsgefühls 
und der Tatkraft, die ſich nicht ſcheut mit alten Vor⸗ 
urteilen aufzuräumen, und daß es bei der Jugend⸗ 
Ta weniger auf Einrichtungen ankommt als auf 
erſönlichkeiten. Mezger. 


Friedländer, Dr. A. und Dr. N. Nachtrag zum 
Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung. (Er⸗ 
läuterung der Novelle vom 22. Mai 1910. Berlin und 
0 1910, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 


Herr Dr. A. Buckeley in München und die 
Attenkofer'ſche Verlagsbuchhandlung in Straubing 
ſenden uns unter Bezugnahme auf die Beſprechung 
des Deutſchen Juriſtenbreviers (Nr. 1 S. 31) 
folgende Berichtigung: 

„In Nr. 1 der ZIR. wird von unſerm Juriſten⸗ 
brevier geſagt, daß es unter „Anwendung kleinen 
Druckes“ hergeſtellt und „un verhältnismäßig 
teuer“ ſei. 

Demgegenüber möchten wir berichtigen: 

1. Das Werk iſt nicht mit kleinen Lettern, 
ſondern mit Lettern vollſtändig normaler und all⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4. 


gemein üblicher Größe hergeſtellt, [in Lettern derſelben 
Type, in denen z. B. die Haupttexte der Deutſchen 
Juriſtenzeitung geſetzt find;] nur ein verſchwindend 
5 Bruchteil des Werkes iſt in kleinen Lettern 
geſetzt. 

2. Es iſt objektiv unrichtig, daß der Preis uu⸗ 
verhältnismäßig teuer ſei; richtig iſt vielmehr, 
daß es im geſamten deutichen Buchhandel keinen Ber: 
lag gibt, in dem ſämtliche im Juriſtenbrevier ent⸗ 
haltenen Geſetze — [ſelbſt in bloßen von allen Ver⸗ 
e abſehenden und keine Randſchlag wörter 
enthaltenden Geſetzesabdrücken]! — in neuer Faſſung 
weder in Kompendien noch in Einzelausgaben zum 
Preis des Juriſtenbrevier zu haben ſind. Der Aus⸗ 
druck unverhältnismäßig teuer iſt objektiv um 
jo unrichtiger, als die Verarbeitung des feinſten für 

as Juriſtenbrevier verwandten teuren Papieres 
außergewöhnliche Koſten verurſachte, was dem 
Herrn Rezenſenten bekannt war.“ 


Die Redaktion hat keinen Anlaß zu einer Be⸗ 
merkung. 


Notizen. 


Strafverfahren gegen geiſtig Minderwertige. Die 
MBek. vom 16. Januar 1911, Erhebungen im 
trafverfahren gegen geiſtig minderwertige Täter be⸗ 
treffend (JMBl. S. 49), macht die Aufzeichnungen, 
welche über Ort und Grad der geiſtigen Mängel 
ſchwachbegabter oder in der Entwickelung zurück⸗ 
n Kinder in den Volksſchulen und ins⸗ 
eſondere in den in größeren Städten für ſolche 
Kinder eingerichteten Hilfsſchulen geführt werden, der 
Strafrechtspflege nutzbar. Die Aufzeichnungen können 
auch bei erwachſenen Beſchuldigten zur Feſtſtellung 
des Geiſteszuſtandes wertvolle Anhaltspunkte geben. 
Deshalb werden die Staatsanwälte und die Amts⸗ 
anwälte allgemein angewieſen, wenn es ſich in einem 
Strafverfahren um die Beurteilung der Zurechnungs⸗ 
fähigkeit oder Strafwürdigkeit eines geiſtig Minder⸗ 
wertigen handelt, die Schulbehörden um Aufſchluß zu 
erſuchen, ob ſich während ſeiner Schulpflicht geiſtige 
Mängel gezeigt haben. Den Schulbehörden iſt die 
Erteilung der erforderlichen Aufſchlüſſe an die 
Staatsanwälte und Amtsanwälte zur Pflicht gemacht. 
2156 


Juriſtendentſch. Geſetzesſprache. Wir machen unſere 
Leſer auf ein hübſches Büchlein aufmerkſam, das 
ſoeben im Verlage von Arthur Roßberg in Leipzig 
als Band 300 der Juriſtiſchen Handbibliothek erſchienen 
iſt. Unſere Juriſtenſprache. Unſere neue 
Geſetzesſprache. Von W. Genſel, Vortr. Rat 
a. D., Geh. Rat. 100 S., geb. M 1,80. Es geht in 
ſeinem erſten Teile den gräßlichen Mißgeburten der 
Amtsſprache mit erfriſchender Herzhaftigkeit und ge⸗ 
ſundem Humor zu Leibe. Im zweiten Teile beſpricht 
der Verfaſſer die neue Geſetzesſprache in den Ent⸗ 
würfen einer Strafprozeßordnung und einer Reichs⸗ 
verſicherungsordnung. 

In dritter Auflage wird vorausſichtlich im 
März d. 38. erſcheinen: „Der dienſtliche Ver⸗ 
kehr und die Amtsſprache“ von Theodor 
von der Pfordten. Der Abſchnitt, der vom 
Juriſtendeutſch handelt, iſt bedeutend erweitert worden; 
zahlreiche neue Beiſpiele ſind angeführt. 

2157 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


— — — 


Zeitſchrift für Nechtapflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Th. von der Pfordten in Bayern 8. Be ze 
8 2 


nr. 5. Münden, den 1. März 1911. 7. Jahrg. 


K. Landgerichtsrat, verw. lm K. Baner. 
Stgatsminlſterlum der Yuftlz. München und Berlin. 


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Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats / u Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich : „ Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und „oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
Poſtanſtalt. , 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 101 


16 igener Zuſtändigkeit zu prüfen haben, ob in d 
dur 1 n art. 16 des beſete⸗ Tun bes Beſchuldigten die geſehüchen Mertmale 


vom 20, Dezember 1807, betr. die Veſteuerung eines Gewerbebelriebs im Umherziehen, des 
des Gewerbebetriebs im Umherziehen. Unternehmens eines Wanderlagers oder der Ver⸗ 


4 1 B zu erblicken ſind, 
Iſt bezüglich der Feſtſetzung der Jahres- und da im Falle der Bejahung der Frage die 
e ns Gericht an die Entſcheidung Strafe nach dem Mehrfachen des Betrags der 
der Verwaltungsbehörde gebunden? von der Verwaltungsbehörde endgültig feſtgeſetzten 
Vom Senatspräſidenten v. Payr in München. 6 hat 5 
Hat in dem Verfahren bei Zuwiderhandlungen 21. November 1905 (Entſch. Bd. VI S. 217, 
gegen die Vorſchriften über die Erhebung öffent: 223) ebenfalls ausgeſprochen, daß für die Feſt⸗ 
licher Abgaben und Gefälle der Beſchuldigke gegen ſetzung der Jahresſteuer nicht das Gericht ſondern 
den Strafbeſcheid auf gerichtliche Entſcheidung die Finanzbehörde zuſtändig iſt. Im Gegenſatze 
angetragen, jo hat der Richter in eigener Zus zu dieſer Anſicht hat das Reichsgericht in einer 
ſtändigkeit zu prüfen, ob der Beſchuldigte zur Strafſache wegen einer Zuwiderhandlung gegen 
Entrichtung der öffentlichen Abgabe und des das Bayeriſche Wandergewerbeſteuergeſetz am 

Gefälles verpflichtet war und ob gegen ihn wegen 12. Dezember 1910) ausgeſprochen, daß 
einer Unterlaſſung der Entrichtung eine Strafe „nach dem Willen des Bayeriſchen Geſetzes 
auszuſprechen iſt. Mehrere Geſetze über die Er⸗ die Feſtſetzung der Steuer durch die Ver⸗ 
hebung öffentlicher Abgaben und Gefälle enthalten waltungsbehörde nur finanzielle Bedeutung 
ff.... ⁊ ß 
i materielle Wirkung nicht beizumeſſen iſt, viel⸗ 
Betrage der vorenthaltenen öffentlichen Abgabe mehr die Prüfung der Vorausſetzungen der 
zu beſtimmen iſt. Zu dieſen Geſetzen gehört Strafbarkeit auch hinſichtlich der für die Be⸗ 
1. . Wandergewerbeſteuergeſetz vom meſſung der Strafe ge 5 
33 ’ dem Strafrichter ebenſo in vollem Umfange 
N d Art. 16 des G 9 
20. Dezember 1897 ach dem j g zuſtehen muß, wie hinſichtlich der Frage, ob 
ſetzes verfällt, . N . überhaupt eine den Gegenſtand einer ſtrafbaren 
geſſepung der n erh e ie W 

ö n egründet anzuerkennen iſt“. 
nd * 5 . 1985 5 Er u des i an 10 
n zu ein Anlaß die Erwägungen darzulegen, die für die 
betrieb im Umherziehen unterworfenes Gewerbe Anſicht des Oberſten Landesgerichts zu ſprechen 
betreibt, in eine dem zwei⸗ bis fünffachen, bei ſcheinen. 

Wanderlagern uns gg - 8 A. I. Schon das Bapyeriſche Zollſtrafgeſetz 
bis zehnfachen Betrage der Jahresſteuer für a — 8 33 — 

das betriebene Gewerbe gleichkommende Geld— DONE ER une ESP MOIN > 
ſtrafe“. y Siehe auch RGE St. 7, 220, 222 Satz 2; vgl. 8, 390, 


7 0 . ge 4 - . 7 
n uwider andlun en 399 letzter Satz. Es kann dahin geſtellt bleiben, ob die in 

In 919 1 ſetz 1115 gen der 12. Auflage des Kommentars von Löwe Note 7 zu 
ee Dune d b iſc 9 Geile bi § 462 der StPO. vorgetragene Anſchauung durch die 
ſoweit erſichtlich — die bayeriſchen Gerichte bisher | Entiheidungen Bd. 7 S. 220, Bd. 8 S. 390 vollſtändig 


ſtets an der Anſchauung feſtgehalten, daß fie in | geſtützt wird. 


„Erledigung der Zollſtrafſachen im admini⸗ 
ſtrativen Wege“. Die im Jahre 1856 erlaſſenen 
Steuergeſetze ermächtigten die Steuerausſchüſſe 
zur Erlaſſung von Straſbeſchlüſſen, gegen die 
— unter Ausſchluß des gerichtlichen Verfahrens — 
eine Reklamation an den „vermehrten Steuer⸗ 
ausſchuß“ angebracht werden konnte. 

Das Einführungsgeſetz zum Strafgeſetzbuche für 
das Deutſche Reich vom 26. Dezember 1871 hielt die 
Beſtimmungen über das Verfahren in Steuerſtraf⸗ 
ſachen nach den Geſetzen des Jahres 1856 aufrecht; 
es behandelte in dem Abſchnitte „Verfahren in Zoll⸗ 
ſtrafſachen“ (Art. 99 bis 106) das Verfahren bei 
Zuwiderhandlungen gegen das Vereinzzollgeſetz, 
gegen die Vorſchriften über die Beſteuerung des 
Salzes, des Rübenzuckers und über die Erhebung 
von Uebergangsabgaben. 

II. Der Entwurf eines Geſetzes zur Aus⸗ 
führung der Reichs⸗Strafprozeßordnung (Verhand⸗ 
lungen der Kammer der Abgeordneten 1878,79 
Beil.-Bd. V S. I ff.) enthielt in den Art. 57 
bis 69 Beſtimmungen über das „Verfahren in 
Zollſtrafſachen“ und in den Art. 70 bis 73 Be⸗ 
ſtimmungen über das „Verfahren in Steuerſtraf⸗ 
ſachen“. 

1. 17 5 Ar 72 lautete: 

Abſ. I: „Wird gegen einen Strafbeſchluß 
auf gerichtlich Entſcheidung angetragen, außer⸗ 
dem aber wegen ber. Steuer ſelbſt, ſei es vom 
Steuerpflichtigen oder von dem Vertreter der 
Finanzbehörde, an den verſtärkten Steueraus⸗ 
ſchuß oder die Regierungsfinanzkammer Be⸗ 
ſchwerde eingelegt, ſo bleibt die gerichtliche Ent⸗ 
ſcheidung bis zur rechtskräftigen Feſtſtellung der 
Steuer ausgeſetzt. 

Abſ. Il: Hat der Vertreter der Finanz— 


eine 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


— . .f. —— — 


S. 289 


— — 


5 a IE — 


lungen a. a. O. ©. 45); „. .. nach ausdrücklicher 
Konſtatierung in den Verhandlungen der Juſtiz⸗ 
kommiſſion des Reichstags bleiben die Fragen, 
ob und in welcher Höhe jemand zu beſteuern 
iſt, alſo die Vorſchriften der Steuergeſetze über 
Prüfung und Feſtſetzung der Steuererklärungen 
ſowie Steueranlagen von der Strafprozeßordnung 
völlig unberührt (Protokolle S. 701)“. “) 

3. Bei den Beratungen in 955 Verſamm⸗ 
lungen der geſetzgeben Körper fanden die Art. 57 
bis 69, Art. 70 bis 73 des Entwurfs keinen 
Widerſpruch. In der endgültigen Faſſung des 
Geſetzes entſprechen deſſen Art. 85 bis 97 den 
Art. 57 bis 69, die Art. 98 bis 101 den Art. 70 
bis 73 des Entwurfs (Verhandl. a. a. O. S. 419 
bis 423). 

B. I. Demſelben Landtage, der mit der 
Beratung des Entwurfs des Ausführungsgeſetzes 
zur Strafprozeßordnung befaßt war, wurde am 
27. Januar 1879 vom Staatsminiſterium der 
Finanzen der Entwurf eines Geſetzes über die 
Beſteuerung des Gewerbebetriebs im Umherziehen 
vorgelegt (Verhandlungen a. a. O. Beil.⸗Bd. IV 


Der Entwurf „ ſetzte ſich zur Aufgabe, unter 


tunlichſter Anlehnung an die in Bayern übliche 


— 


Art der Gewerbebeſteuerung — Steuertarif mit 
Normal- und Betriebsanlage — von den Geſetzen 
der Staaten Preußen, Sachſen, Sachſen-Weimar, 
Württemberg, Baden dasjenige zu benützen, was 
ſich für den Beſteuerungszweck als beſonders brauch⸗ 
bar erwies.“ „Demgemäß wurden die Verfahrens-, 


Kontroll- und Strafbeſtimmungen den preußiſchen 


behörde allein gegen einen Strafbeſchluß des 


Steuerausſchuſſes reklamiert, der Steuerpflichtige 
aber auf gerichtliche Entſcheidung angetragen, 
ſo bleibt letztere bis zur Beſchlußfaſſung über 
die Reklamation ausgeſetzt.“ 

2. Zu Art 72, den Abſaͤtzen 1 und 2 und den 
folgenden Abſätzen 3 und 4 äußert die Begrün⸗ 
dung des Entwurfs (Verhandlungen a. a. O. 
S. 46): 

„Einer weiteren Regelung bedurfte das Prä— 
judizialverhältnis zwiſchen den verſchiedenen Fällen, 
welche ſich bei Anfechtung von Beſchlüſſen der 
Steuerausſchüſſe wegen der Höhe der Beſteuerung 
einerſeits und wegen der Strafe anderſeits er— 
geben können. In erſterer Beziehung ſetzt der 
Entwurf feſt (Art. 72 Abſ. 1), daß die definitive 
Feſtſetzung des Steuerbetrags, welche für die 
Frage, ob und in welchem Umfang eine Be— 
ſtrafung des Pflichtigen veranlaßt ſei, präjudiziell 
zu ſein pflegt, immer der Verbeſcheidung der 
Beſchwerde gegen den Strafbeſchluß voranzugehen 
habe.“ 

Dieſe Aeußerung in der Begründung ſteht im 
Einklange mit der Aeußerung ebenda (Verhand— 


und ſächſiſchen Geſetzen nachgebildet“ (Begründung 
a. a. O. S. 296) 

II. 1. Die 8 über das admini— 
ſtrative und gerichtliche Strafverfahren ſind in den 
Art. 20, 21, 22 des Entwurfs ddieſen entſprechen 
die Art. 22, 23, 24 in der Faſſung des Geſetzes 
vom 10. März 1879 [Wandergewerbeſteuergeſetz]; 
Verhandl. a. a. O. S. 382) enthalten. 

Nach Art. 20 des Entwurfs ſteht dem Steuer— 


pflichtigen gegen den rentamtlichen Strafbeſcheid 


ein Reklamationsrecht an die Regierungsfinanz— 
kammer zu; nach Art. 22 Abſ. 6 des Entwurfs 
bleibt, wenn eine Reklamation wegen Feſtſetzung 
der Steuer zur Regierungsfinanzkammer ergriffen, 
außerdem aber wegen der vom Rentamte neben 
Anlage der Steuer verhängten Strafe auf gericht— 
liche Entſcheidung angetragen wird, die letztere bis 
zur rechtskräftigen Feſtſtellung der Steuer aus— 
geſetzt. 

2. Zu den Beſtimmungen des Entwurfs über 
das Strafverfahren äußert die Begründung (Ver— 
handl. a. a. O. S. 299): 

„Das Strafverfahren war in der Weiſe ein: 
zurichten, welche deſſen Handhabung vor und nach 

1 Hahn, Materialien z. StpO. Bd. I S. 1125. 
Vgl. v. Bomhard-Koller, Komm z. StpO. S 530 
Note 1 zu Art. 98 des AG. 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 103 


dem Zeitpunkte des Inkrafttretens der Strafprozeß⸗ | für das Ausmaß der Betriebsanlage öfter ein 
ordnung . . ermöglicht. Hiefür ſchien die Anpaſſung weiter Spielraum gelaſſen (ſ. die Nummern 5, 
an das Verfahren in Zollſtraſſachen als der ge: Za, b. c, g, 9 des Tarifs, Art. 15 Ziff. 3 des Geſ.); 
eignetſte Weg. Nur glaubte man den Beteiligten das Amt kann unter Umſtänden eine Steuerer⸗ 
die Ergreifung einer Beſchwerde gegen den Straf: | mäßigung gewähren. Gleichwie es in der Natur 
beſcheid an die Regierungsfinanzkammer nicht ver⸗ | der Dinge liegt, daß das Rentamt bei der An- 
wehren zu ſollen, da demſelben (ſo! denſelben?) | meldung der Beteiligten die Steuer nach Maß⸗ 
die gleiche Befugnis hinſichtlich der Steueranlage gabe des Geſetzes und unter Würdigung aller 
einzuräumen fein wird, die Entſcheidung der höheren einſchlägigen wirtſchaftlichen und ſteuertechniſchen 
Inſtanz über die Steuer in den Hinterziehungs- Verhältniſſe feſtſetzt, jo dürfe es auch durchaus 
fällen die Grundlage für Ausmeſſung der Strafe angemeſſen ſein, daß das Rentamt in Fällen der 
bildet und es daher zweckmäßig erſcheint, wenn Steuerhinterziehung die Steuer in demſelben Maß 
die Möglichkeit der gleichzeitigen Entſcheidung über feſtzuſetzen hat, das es im Falle der Anmeldung 
Steuer und Strafe ſeitens der im Beſchwerde⸗ des Gewerbebetriebs durch die Beteiligten beſtimmt 
wege angerufenen Finanzſtelle offen gehalten wird.“ haben würde. Man wird, ohne der Tätigkeit der 
Die Begründung nimmt hierbei Bezug auf den Gerichte nahezutreten, behaupten können, daß das 
Art. 89 Abſ. 4 AGz StPO., auf den Art. 99 Abſ. 1 | Gericht für die Bemeſſung der Strafe eine ficherere 
und den Art. 100 Abſ. 1 des bezeichneten Geſetzes. Grundlage hat, wenn es der Bemeſſung die Steuer⸗ 
C. J. Nach § 18 des Preußiſchen Geſetzes vom feſtſetzung der Steuerbehörde zugrunde legt, als 
3. Juli 1876, betr. die Beſteuerung des Gewerbe- wenn es die Steuer „nach ſeiner freien, aus dem 
betriebs im Umherziehen, wird, wer ein der Steuer Inbegriffe der Verhandlung geſchöpften Ueber⸗ 
vom Gewerbebetrieb im Umherziehen unterliegendes zeugung“ feſtſetzen muß. 
Gewerbe betreibt, ohne einen Gewerbeſchein gelöſt | 2. Die §§ 18, 28 Abſ. 1 (ſ. auch § 28 Abi. 2 und 
zu haben, mit einer dem doppelten Betrage der [8 24) des Preußiſchen Geſetzes enthalten eine klare, 
Jahresſteuer für das betriebene Gewerbe gleichen [durchaus zweckmäßige Abgrenzung der Zuſtändigkeit 
Geldſtrafe beſtraft; nach § 28 Abſ. 1 des Geſetzes der Steuerbehörde und der Befugniſſe des Gerichts. 
iſt bei den gerichtlichen Entſcheidungen hinſichtlich! Man darf annehmen, daß der bayeriſche Geſetz⸗ 
der Höhe der Geldſtrafe die von der Regie- geber dieſe Abgrenzung kannte, daß ihm ihre 
rung feſtzuſetzende Jahresſteuer zugrunde Vorzüge nicht entgingen und daß er ſie auch für 
zu legen. das gerichtliche Verfahren bei Zuwiderhandlungen 
Nach Art. 14 des Bayeriſchen Wandergewerbe-⸗ gegen das Wandergewerbeſteuergeſetz feſthalten 
ſteuergeſetzes wird die Steuer vom Gewerbebetrieb wollte. Es darf in dieſer un auf das 
im Umherziehen vom Rentamte feſtgeſetzt; nach hingewieſen werden, was oben A Nr. II Ziff. 1, 2 
Art. 16 verfällt, wer ohne mit dem Nachweis aus der Begründung des Entwurfs des Geſetzes 
| 


über die Feſtſetzung ... der Steuer verſehen zu ſein zur Ausführung der Reichsſtrafprozeßordnung (zu 
ein der Steuer .. . unterworfenes Gewerbe betreibt, Art. 72 des Entwurfes nun Art. 100 des Geſ.) 
in eine dem zwei- bis fünffachen oder dem fünf- hervorgehoben wurde, ferner darauf, daß (oben B 
bis zehnfachen Betrage des Jahresſteuer ... Nr. II Ziff. 1, 2) zur Begründung des Art. 22 
gleichkommende Geldſtrafe. Allerdings hat das des Entwurfs des Wandergewerbeſteuergeſetzes der 
dem Preußiſchen Geſetz „im allgemeinen nach— | Meinung Ausdruck gegeben worden ift, „daß die 
gebildete Bayeriſche Wandergewerbeſteuergeſetz eine Entſcheidung der höheren Inſtanz über die Steuer 
ausdrückliche „Beſtimmung wie die des 8 28 des in den Hinterziehungsfällen die Grundlage für die 
Preußiſchen Geſetzes nicht getroffen“, aber daraus Ausmeſſung der Strafe bildet“. 

darf nicht gefolgert werden, daß der bayeriſche Behält man dieſe Aeußerungen der bayeriſchen 
Geſetzgeber dem Gerichte die Befugnis einräumen Staatsregierung im Auge, ſo erhellt daraus wohl 
wollte, bei der gerichtlichen Entſcheidung den Be: ihre Anſchauung, daß wie in allen anderen Steuer: 
trag der Jahresſteuer ineigener Zuftändigfeit ſachen, jo auch in Sachen der Wandergewerbe— 


feſtzuſetzen. ſteuer die Entſcheidung darüber, in welcher Höhe 
II. In dieſer Beziehung dürfte folgendes zu | jemand zu beſteuern ſei, der Steuerbehörde zu: 
ſagen ſein: ſtehe. Beſtand aber dieſe Anſchauung — ein Wider: 


1. Nach dem Wandergewerbeſteuergeſetz iſt das ſpruch gegen fie iſt nirgends aufgetaucht — fo war 
Rentamt die Behörde, die auf Anmeldung der kein genügender Anlaß gegeben, ausdrücklich 
Beteiligten die Wandergewerbeſteuer feſtzuſetzen das auszuſprechen, was im $ 28 Abſ. 1 des 
hat (Art. 7, 8 des Geſ.). Das Rentamt hat als Preußiſchen Geſetzes beſtimmt worden iſt. 
ſteuerveranlagende Behörde die Steuer nach den 3. Die Anſchauung des Geſetzgebers hat aber 
Vorſchriften des Geſetzes, nach dem dem Geſetze auch im Wandergewerbeſteuergeſetze vom 10. März 
beigefügten Tarif und „nach den für den Anſatz 1879 einen unverkennbaren Ausdruck gefunden. 
der Normalanlage und für das Ausmaß der Be— Nach Art. 24 Abſ. 1 lit. c des Geſetzes kann 
triebsanlage maßgebenden Verhältniſſen“ (Art. 5) der Steuerpflichtige gegen den Straſbeſcheid des 
feſtzuſetzen. Es iſt dem Ermeſſen des Rentamts Rentamts Reklamation zur Regierung, Kammer 


104 


der Finanzen, ergreifen. Durch Art. 24 Ab. 6 


des Geſetzes iſt beſtimmt: 

„Wird eine Reklamation wegen Fe ſtſetzu ng 
der Steuer zur Regierung . . . ergriffen, 
außerdem aber wegen der vom Rent: 
amte neben Anlage der Steuer ver— 
hängten Strafe auf gerichtliche Entſcheidung 
angetragen, jo bleibt letztere bis zur rechts⸗ 
kräftigen Feſtſtellung der Steuer aus 
geſetzt.“ 

Nach dieſer Faſſung des Geſetzes dürfte be⸗ 
züglich des „Präjudizialverhältniſſes“ (ſ. oben A 
Nr. I Ziff. 2) zwiſchen dem Beſchluſſe des Rent: 
amts und der Entſcheidung der Regierungsfinanz— 
kammer hinſichtlich der Feſtſetzung der Steuer 
einerſeits und der Bemeſſung der Strafe als eines 
Mehrfachen der Jahresſteuer durch das Gericht 
anderſeits kein Zweifel mehr beſtehen und klar 
ſein, daß die Steuerbehörde endgültig und rechts⸗ 
kräftig die Jahresſteuer feſtzuſetzen, das Gericht 
den feſtgeſtellten Betrag der een der Strafe 
zugrunde zu legen hat. 

III. 1. Das Reichsgericht gibt dem Art. 24 
„Abſ. 5“ des Wandergewerbeſteuergeſetzes eine 
andere Auslegung; es äußert in den Gründen 
der Entſcheidung vom 12. Dezember 1910: 

8 Welche Bedeutung aber dieſer Be⸗ 

ſtimmung“ (Art. 24 Abſ. 5) „beizumeſſen iſt, er⸗ 
gibt die Begründung zum Entwurf des bayer. 
Ausführungsgeſetzes vom 18. Auguſt 1879 zur 
Strafprozeßordnung, deſſen Art. 100 (Art. 72 
des Entw) eine gleiche Beſtimmung enthält, wie 


die des .. Geſetzes vom 20 zen. 187. Dort ift zur 
Rechtfertigung der Zulaſſung der Vorſchrift aus⸗ 
drücklich geſagt, daß in Fällen der vorliegenden 
Art die Entſcheidung der Verwaltungsbehörde der 
gerichtlichen Entſcheidung vorauszugehen habe, 
„weil zwar die Entſcheidung einer höheren Ber: 
waltungsbehörde noch der Judikatur unterſtellt 
werden könne, nicht aber umgekehrt ein gericht- 
liches Urteil der Prüfung im Verwaltungswege 
(Beil.⸗Bd. V d. Vhdlgn. d. Abg. K. S. 46)“ —. 

2. Die Aeußerung des Reichsgerichts gibt den 
Anlaß zu den folgenden Bemerkungen: 

a) Gemäß der Geſetze vom 21. Mai 1856 
über die Kapitalrenten⸗ und die Einkommenſteuer 
und gemäß des Geſetzes vom 1. Juli 1856 über 
die Gewerbeſteuer ſind „Steuerausſchüſſe“ einge— 
richtet. Dieſe Ausſchüſſe find „kollegial organi— 
ſierte Behörden“, bei denen eine Staatsanwalt⸗ 
ſchaft beſteht, deren Amt von dem Rentbeamten 
verſehen wird. 

Nach Art. 98 AGzStpO. (Art. 70 des Eutw.) 
ſind die Steuerausſchüſſe zur Erlaſſung von Straf— 
beſcheiden (Strafbeſchlüſſen) im Sinne des § 459 


StPO. zuſtändig. Gegen die Strafbeſchlüſſe ſteht im Verwaltungswege“ 


nach Maßgabe der Steuergeſetze dem Staatsanwalt 
und dem Steuerpflichtigen die Beſchwerde an den 
verſtärkten Steuerausſchuß oder die Regierungs— 


— . —— ³—— 7] ̃ — ⁵⅛; . sjr . — — . . = Ä nn 


| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


finanzkammer zu; der Steuerpflichtige hat außer⸗ 
dem nach 8 459 StPO. die Befugnis zur Bean⸗ 
tragung gerichtlicher Entſcheidung. Durch das 
Nebeneinanderbeſtehen verſchiedener Rechtsmittel⸗ 
ſyſteme kann ſich das Verfahren leicht verwickelt 
geſtalten. Daher regelt der Art. 100 AG. 
(Art. 72 des Entw.) das Präjudizialverhältnis 
zwiſchen den verſchiedenen Fällen, die ſich bei der 
Anfechtung von Beſchlüſſen an Steuerausſchüſſe 
wegen der Höhe der Beſteuerung einerſeits und 
wegen der Strafe anderſeits ergeben können. 
Zum Zwecke dieſer Regelung ſetzt der Art. 100 
Abſ. 1 für den Fall, daß gegen den Strafbeſchluß 
des Steuerausſchuſſes auf gerichtliche Entſcheidung 
angetragen, außerdem aber wegen der Steuer 
ſelbſt vom Staatsanwalt oder dem Steuerpflich⸗ 
tigen Beſchwerde eingelegt worden iſt, feſt, daß die 
gerichtliche Entſcheidung bis zur rechtskräftigen Feſt⸗ 
ſtellung der Steuer ausgeſetzt bleibt. Die Motive 
ſagen zu dem Abſ. 1 des Art. 72 des Entw., daß 


„die definitive Feſtſetzung des Steuerbetrags, 
welche für die Frage, ob und in welchem Um⸗ 
fang eine Beſtrafung des Pflichtigen veranlaßt 
ſei, präjudiziell zu ſein pflegt, immer der Ver⸗ 
beſcheidung der Beſchwerde gegen den Strafbe⸗ 
ſchluß voranzugehen habe“ 

(ſ. Verhandlungen a. a. O. Beil.⸗Bd. V S. 45, 46 
zu Art. 70, 71, Art. 72 Abſ. 1 Abſ. 1 und 2 der 
Begründung). 

b) Der Art. 100 Abi. 2 des Geſetzes zur Aus⸗ 
führung der StPO. hat den Fall im Auge, daß 
der Vertreter der Finanzbehörde gegen 
einen Strafbeſchluß des Steuerausſchuſſes rekla⸗ 
miert, der Steuerpflichtige die Einlegung der 
Reklamation unterlaſſen und nur auf gerichtliche 
Entſcheidung angetragen hat; der Abſ. 2 beſtimmt 
aber auch für dieſen Fall, daß die gerichtliche Ent⸗ 
ſcheidung bis zur Beſchlußfaſſung über die Rekla⸗ 
mation ausgeſetzt zu bleiben hat. Dieſe Beſtim⸗ 
mung bringt das Präjudizialverhältnis zwiſchen 
der Beſchwerde wegen der Steuer ſelbſt und 
zwiſchen der Anfechtung des Beſchluſſes wegen der 
Strafe genau in derſelben Weiſe zum Ausdrucke 
wie der Abſ. 1 des Art. 100. 


Es äußert nun zu Art. 72 Abſ. 2 des Entw. 
die Begründung: 

„Aber auch die Verbeſcheidung einer vom 
Vertreter der Finanzbehörde gegen einen Straf: 
beſchluß ergriffenen Reklamation wird der Würdi— 
gung des Antrags auf gerichtliche Entſcheidung, 
welche der Pflichtige anſtrebt, vorauszugehen haben 
(Art. 72 Abſ. 2), weil zwar die Entſcheidung auch 
einer höheren Verwaltungsbehörde noch der ge— 
richtlichen Judikatur unterſtellt werden kann, nicht 
aber umgekehrt ein gerichtliches Urteil der Prüfung 
(Verhandlungen a. a. O. 
S. 16 Abſ. 3 der Begründung zu Art. 72). 

c) Der Sinn und die Tragweite der vom 
Reichsgerichte beſonders betonten Worte „weil 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


zwar die Entſcheidung ufm.“ erhellt, wenn man 
berüdfichtigt, daß fie ein Teil der | 
zu Art. 72 Abſ. 2 des Entwurfs find. Hat 
nämlich gegen den Strafbeſchluß des Steueraus⸗ 
ſchuffes der Steuerpflichtige nur wegen der Strafe 
auf gerichtliche Entſcheidung angetragen, der Ver⸗ 
treter der Finanzbehörde aber — der Rentamtmann 
als Staatsanwalt — wegen der Steuer ſelbſt 
reklamiert, ſo ſoll durch die Vorſchrift des Abſ. 2 
des Art. 72 verhütet werden, daß die gerichtliche 
Entſcheidung ohne Rückſicht auf die Ergeb⸗ 
niſſe des vom Staatsanwalt eingelegten 
Rechtsmittels ergeht. Iſt einmal die ge⸗ 
richtliche Entſcheidung ohne dieſe Rückſicht er: 
gangen und rechtskräftig geworden, ſo kann ſie 
— ſelbſtverſtändlich — im Verfahren über die 
Beſchwerde des Staatsanwalts keine Beachtung 
finden, wogegen das Gericht dies Ergebnis dieſer 
Beſchwerde dann berüdfichtigen kann, wenn ſeine 
Entſcheidung bis zur Entſcheidung über die Ver⸗ 
waltungsbeſchwerde ausgeſetzt zu bleiben hat. Es 
kann zugegeben werden, daß die Worte „weil 
zwar die Entſcheidung auch einer höheren Verwal⸗ 
tungsbehörde noch der gerichtlichen Judi— 
katur unterſtellt werden kann“ wegen 
ihrer allgemeinen Faſſung die Deutung zuzulaſſen 
ſcheinen, daß im Verfahren in Steuerſtrafſachen 
die Entſcheidung der Verwaltungsbehörde vom 
Gerichte nachgeprüft und durch eine von ihm in 
eigener Zuſtändigkeit erlaſſene Entſcheidung in 
allen Fällen erſetzt werden kann. Die Deu⸗ 
tung iſt richtig bezüglich der Entſcheidung der 
Frage, ob in dem Tun eines Beſchuldigten 
die Merkmale einer Steuerpflichtigkeit 
vorliegen. Daraus aber, daß das Gericht 
zur ſelbſtändigen Prüfung dieſer Frage befugt 
iſt, folgt noch nicht, daß es im Falle der Be: 
jahung dieſer Frage befugt ift. die von 
der Steuerbehörde feſtgeſetzte Steuer 
nachzuprüfen. Hätte dies durch die mehr: 
erwähnten Worte der Begründung ausgedrückt 
werden ſollen, ſo ſtünde es im direkten Gegenſatze 
zu der Begründung bezüglich des Art. 72 Abſ. 1 
des Entw., worin es heißt, daß die definitive Feſt⸗ 
ſetzung des Steuerbetrags, die für die Frage, ob 
und in welchem Umfange eine Beſtrafung des 
Pflichtigen veranlaßt ſei, präjudiziell zu ſein pflegt, 
immer der Verbeſcheidung der Beſchwerde gegen 
den Strafbeſchluß voranzugehen habe“. Hätte 
der Geſetzgeber gewollt, daß das Verf fahren vor 
dem Gerichte und das Verfahren über die Ver⸗ 
waltungsbeſchwerde in völliger Selbſtändigkeit 
nebeneinander einherzugehen haben und daß das 
Gericht die Ergebniſſe dieſes Verfahrens auch nicht 
bezüglich der definitiven Feſtſetzung des Steuer⸗ 
betrags zu berückſichtigen habe, ſo wäre der 
Art. 72 Abſ. 1 und 2 des Entwurfs (Art. 100 
Abſ. 1 und 2 des Geſetzes) ganz anders zu faſſen 
und die Vorſchrift nicht veranlaßt 1 
daß in den im Abſ. 1! und 2 des Art. 


in Bayern. 1911. Nr. 5. 


| bezeichneten Fällen das gerichtliche Verfahren bis 
zur rechtskräftigen Feſtſtellung der Steuer aus⸗ 
geſetzt bleiben ſoll. 


Demnach dürften beachtliche Erwägungen gegen 
die Auslegung ſprechen, die in der Entſcheidung 
des Reichsgerichts den mehrerwähnten Worten der 
Begründung zu Teil geworden iſt. 

d) Zu dieſen Erwägungen geſellt ſich eine 
weitere. 

Nach Art. 14 Abſ. 1. 2 des WGStG. wird 
in den Fällen der Anmeldung der Pflichtigen die 

Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen vom 
Rentamt ohne Beiziehungeines Steuerausſchuſſes feſt⸗ 
geſetzt; dieſem Ausſchuß iſt nur die Einſteuerung zur 
Kenntnisnahme und Stellung etwaiger Anträge 
vorzulegen. In den Faͤllen der Hinterziehung 

| der Steuer wird der Strafbeſcheid vom Rentamt 
erlaſſen und zwar ohne jede Mitwirkung des 
Steuerausſchuſſes. Der Unterſchied zwiſchen einem 
Verfahren, in dem der Steuerausſchuß einen Straf⸗ 
beſchluß erläßt und der Rentbeamte die Stelle 
eines Staatsanwalts verſieht, und einem Ver⸗ 
fahren, in dem der Rentbeamte den Strafbeſcheid 
erläßt, leuchtet ein. Der Rentbeamte kann nicht 
gegen den von ihm erlaſſenen Strafbeſcheid zur 
Regierungsfinanzkammer reklamieren. Im Ver⸗ 
fahren wegen Hinterziehung der Wandergewerbe⸗ 
ſteuer kommen nur Rechtsmittel des Steuer⸗ 
pflichtigen in Betracht. Daher wurde das be⸗ 
zeichnete Verfahren nicht dem Verfahren in Steuer⸗ 

| ſtrafſachen, ſondern „dem in Zollſtrafſachen an: 
gepaßt“, von dem es ſich aber auch darin wieder 
unterſcheidet, daß — während gegen den Straf⸗ 
beſcheid in Zollſtrafſachen eine Beſchwerde an die 
höhere Verwaltungsbehörde nach Art. 89 Abſ. 5 
des AGzStpPO. nicht ſtattfindet gegen 
den rentamtlichen Strafbeſcheid eine Beſchwerde 
hinſichtlich der Steueranlage zur Regierungs- 
finanzkammer zugelaſſen iſt. Eben mit Rückſicht 
auf die Verſchiedenheit der Geſtaltung des Ver⸗ 
fahrens bei Strafbeſchlüſſen der Steuerausſchüſſe 
und des Verfahrens bei rentamtlichen Straf: 
beſcheiden nimmt die Begründung des Entwurfs 
zum Wandergewerbeſteuergeſetze (Verhandl. a. a. O. 
Bd. IV S. 299 vorletzter Abſatz zu Art. 15 mit 
21) nur auf Art. 100 Abſ. 1 des AGzStpO. 
(Art. 72 Abſ. 1 des Entw.) Bezug und ſtimmt 
der Art. 24 Abſ. 6 des WGStG. mit Art. 
100 Abſ. 1 im weſentlichen überein, wo⸗ 
| 15 der Abſ. 2 des Art. 100 für das Ver⸗ 
fahren bei ber Hinterziehung der Wandergemerbe: 
| fteuer überhaupt nicht in Betracht kommt. 

Daher möchte es immerhin fraglich ſein, ob die 
| in der Begründung zu Art. 72 Abſ 2 des Entw. 


Art. 100 Abſ. des Geſ. zur 
Ausführung der StPO. enthaltenen Worte für 
die Auslegung des Art. 24 Abſ. 6 des WGStG. 
in der Weiſe verwertet werden können, wie es in 
der Sn ſcheidung des Reichsgerichts geſchehen iſt. 

Aus den vorſtehenden Darlegungen dürfte 


2 


ſich ergeben, daß nach dem Willen des bayeriſchen 
Geſetzgebers die Feſtſetzung der Steuer durch die 
Verwaltungsbehörde nicht bloß eine finanzielle 
Bedeutung haben ſondern daß ihr für die ftraf: 
rechtliche Beurteilung materielle Wirkung beizu⸗ 
meſſen ſein ſoll. Der bayeriſche Geſetzgeber wollte 
bezüglich der Frage der Höhe des Betrags der 
Jahresſteuer die Möglichkeit eines Zwieſpalts 
zwiſchen den Entſcheidungen der Finanzbehörde 
und des Gerichts verhüten, da es immer miß⸗ 
lich iſt, wenn bei der Anwendung eines und des⸗ 
ſelben Geſetzes die Entſcheidungen der Verwaltungs⸗ 
behörden und der Gerichte zu verſchiedenen Er⸗ 
gebniſſen führen. 


Der Etraußwirtſchaftsbetrieb in der 
Jheinpfalz. 
Von Landgerichtsrat J. Michel in Frankenthal. 


In Nr. 1 des 7. Jahrganges (1911) der 
Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern iſt auf 
Seite 14 ff. unter dem Titel: „Der Ausſchank 
ſelbſterzeugter Getränke in der Rheinpfalz“ eine 
Abhandlung von Landgerichtsrat Otto Zoeller in 
München (früher in Landau, Pfalz) veröffentlicht, 
in welcher der Verfaſſer unter anderem auch die 
für die Winzer und das weintrinkende Publikum 
der Pfalz wichtige Frage erörtert, ob der Strauß— 
wirt auch ſeinen ſelbſtgezogenen gezuckerten Wein 
ausſchänken darf. Unter Angabe gewichtiger 
Gründe bejaht der Verfaſſer dieſe Frage für den 
Fall, daß der Straußwirt ſeinen ſelbſtgezogenen 
gezuckerten Wein nicht durch Aufſchriften auf dem 
Wirtsſchilde oder auf Plakaten als „Selbſtgebaut“ 
oder als „Eigenes Gewächs“ bezeichnet. 

Dieſe Rechtsanſchauung hat, wie voraus— 
zuſehen war, das lebhafteſte Intereſſe der Winzer 
und des weintrinkenden Publikums der Pfalz ge— 
funden. Sie iſt in ihren praktiſchen Folgen für 
beide Teile bedeutſam. Ob ſie die Billigung der 
Gerichte finden wird, ſteht vorerſt noch dahin. 
Der Zweck des Folgenden iſt einen Beitrag zur 
Klärung einer weiter im Straußbwirtſchafts— 
betriebe aufgetauchten Rechtsfrage und der von 
dem genannten Verfaſſer behandelten Frage zu 
liefern. 


Zeitſchrift für Rachtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


ſchließlich nahezu unmöglich machte, gewann das 
Recht zum Straußmirtichaftsbetriebe erhöhte Be⸗ 
deutung. Die Winzer verlegten ſich in ſtärkerem 
Maße auf den Straußbwirtſchaftsbetrieb. Sie be⸗ 
gnügten ſich nicht damit an ihrem Wohnorte 
den „Strauß auszuſtecken“, ſondern ſie eröffneten 
auch an anderen Orten der Pfalz Straußwirt⸗ 
ſchaften. Sie mieteten geeignete Räume, ſtellten 
das erforderliche Wirtſchaftsinventar bereit und 
ließen durch Angeſtellte (ſog. Stellvertreter) ihren 
Wein ausſchänken. Dieſer Ausdehnung des 
Straußwirtſchaftsbetriebes machten jedoch die 
Gerichte bald ein Ende. In Anlehnung an die 
oberſtrichterliche Rechtſprechung ſtellten ſie ſich 
auf den Standpunkt, daß der Art. 9 lit. b 
Nr. 1 des bayeriſchen Geſetzes vom 30. Januar 
1868 betr. das Gewerbsweſen auch für die Pfalz 
gelte. Nach dieſem Artikel war aber der Strauß⸗ 
wirtſchaftsbetrieb nur den Weinbauern nach Maß⸗ 
gabe des örtlichen Herkommens und der orts⸗ 
polizeilichen Vorſchriften geſtattet. Ein örtliches 
Herkommen oder ortspolizeiliche Vorſchriften, 
welche den Straußwirtſchaftsbetrieb in der vor: 
geſchilderten Ausdehnung erlaubt hätten, beſtand 
aber nirgends. Demgemäß wurden die Strauß: 
wirte und ihre Stellvertreter, die den Beſtim⸗ 
mungen der Gewerbeordnung zuwider ohne Kon⸗ 
zeſſion Wirtſchaſten betrieben oder dazu behilflich 
waren, zu Strafen verurteilt. Ihre Straußwirt⸗ 
ſchaften wurden geſchloſſen. 

Das Oberſte Landesgericht in München hat 
nun in einem Urteile vom 10. April 1909 
(Bd. 9 S. 217 ff.)!) in durchaus zutreffender Be: 
gründung die Geltung des vorerwähnten Art. 9 
für die Pfalz verneint. Damit dürfte der Streit 
um die Geltung dieſes Artikels für die Pfalz in 


der Rechtslehre und in der Rechtſprechung end: 


1. Der Etraußmirtichaftsbetrieb iſt in der 


Pfalz uralt. Ein Strauß — meiſt ein Kiefernaſt — 
am Hauſe deſſen, der den Wein gebaut hat, alſo 
im Regelfalle eines Winzers, kündigte an, daß 
dieſer darin fein eigenes Erzeugnis an Wein aus— 
ſchaͤnke. Einer polizeilichen Erlaubnis, wie fie 
ſpäterhin die anderen Weinwirte nötig hatten, 
bedurfte er dazu nicht. Als in den letztver— 
floſſenen Jahren die überhandnehmende Wein— 
pantſcherei dem Winzer den Verkauf 


ſeines 


Weines im Großen immer mehr erſchwerte und 


gültig zur Ruhe gebracht ſein. 

Die für den Straußwirtſchaftsbetrieb durch 
dieſe Entſcheidung geſchaffene günſtige Rechtslage 
erweckte ihn in der ſoeben beſchriebenen ausgedehnten 
Form zu neuem Leben. Sie verlockte ſogar Winzer 
aus dem benachbarten Heſſen dazu ihren in 
Heſſen gebauten Wein in der Pfalz im Wege 
des Straußwirtſchaftsbetriebes auszuſchänken. Es 
hat ſich deshalb die Rechtsfrage aufgeworfen, ob 
auch ein Nichtpfälzer oder ein nicht in der Pfalz 
Wohnender ſeinen außerhalb der Pfalz gebauten 
Wein in der Pfalz im Wege des Straußwirt— 
ſchaftsbetriebes ausſchänken darf und ob dieſe 
Befugnis einem Pfälzer oder in der Pfalz 
Wohnendem auch hinſichtlich ſeines außerhalb der 
Pfalz ſelbſtgezogenen Weines zuſteht. Dieſe Frage 
wird zu bejahen ſein. 

In der erwähnten Abhandlung hat der Ver— 
faſſer ſchon mit Recht betont, daß die Befugnis 
zum Ausſchank des eigenen Erzeugniſſes an Wein 


) Auch abgedruckt in dieſer Zeitichrift Jahrg. 1909 
S. 419. 


im Straußwirtſchaftsbetriebe nicht dem Winzer, 
dem berufsmäßigen Weinbauer allein zuſtehe, 
ſondern jedermann, der Wein ſelbſt baut. Es 
muß aber auch geſagt werden, daß es keine 
geſetzliche Beſtimmung gibt, welche dieſes Recht 
wegen der Nationalität oder des Wohnortes des 
Straußwirtes oder wegen des Urſprungsortes des 
Weines beſchränkt oder aufhebt. 

Der Straußbwirtſchaftsbetrieb war in der 
Pfalz uralten Rechtens. Die ſpäterhin ein⸗ 
ſetzende franzöſiſche Geſetzgebung hat für die Pfalz 
die uneingeſchränkte Gewerbefreiheit eingeführt 
und damit den Straußwirtſchaftsbetrieb auf 
einen neuen geſetzlichen Boden geſtellt. Das Ziel 
dieſer Geſetzgebung war größtmögliche Hand: 
lungs⸗ und Bewegungsfreiheit für den Einzelnen. 
Die von ihr geprägten Rechtsſätze: „La liberté 
consiste à pouvoir faire ce qui ne nuit pas 
aux droits d'autrui“ und „Ce qui n'est pas 
defendu par la loi ne peut étre empeche“ 
laſſen dies klar erkennen. Die Gewerbefreiheit 
ftand dem Einzelnen zu ohne Rückſicht auf ſeine 
Nationalität, ſeinen Wohnort und auf den Ur⸗ 
ſprungsort des Erzeugniſſes, mit dem er ſein 
Gewerbe betrieb. Ausländer und Inländer, aus⸗ 
ländiſche und inländiſche Erzeugniſſe waren in 
dieſer Hinſicht einander gleichgeſtellt. Die ſo ge⸗ 
ſchaffene Rechtslage beſteht heute noch fort. Denn 
das bayeriſche Gewerbegeſetz vom 30. Januar 
1868 brachte in dieſer Hinſicht keine Aenderung 
und die Reichsgeſetze vom 12. Juni 1872, betr. 
die Einführung der Gewerbeordnung in Bayern, 
und vom 23. Juli 1879. betr. die Abänderung 
einiger Beſtimmungen der Gewerbeordnung, haben 
dieſen Rechtszuſtand aufrecht erhalten, indem 
beide Geſetze, erſteres mit ausdrücklichen Worten, 
letzteres, wie die Schlußfolgerung ergibt, be⸗ 
ſtimmen: „Inſoweit bisher in Bayern der Aus⸗ 
ſchank der eigenen Erzeugniſſe an Getränken ohne 
polizeiliche Erlaubnis ſtatthaft war, bedarf es 
einer ſolchen auch in der Folge nicht.“ 

Die vorgetragenen Gründe führen mithin 
notwendigerweiſe zur Bejahung der bezeichneten 
Rechtsfrage. 

2. Aus dem unter 1. Geſagten ergibt ſich, 
daß in der Pfalz jedermann, von Hinderungs⸗ 
gründen rein polizeilicher Natur abgeſehen, unein⸗ 
geſchränkt ſein eigenes Erzeugnis an Wein im 
Straußwirtſchaftsbetriebe ausſchänken darf. Un⸗ 
erläßliche Bedingung iſt aber, daß der Wein 
eigenes Erzeugnis des Ausſchänkenden iſt. Es 
wird ſohin die Entſcheidung über die von dem 
genannten Verfaſſer behandelte Frage, ob der 
Straußwirt ſeinen ſelbſtgezogenen, gezuckerten 
Wein konzeſſionsfrei ausſchänken darf, davon ab— 
hängen, ob ſelbſtgezogener gezuckerter Wein als 
eigenes Erzeugnis im Sinne des Geſetzes anzu— 
ſehen iſt. 

Der Verfaſſer hat dieſe Frage bejaht. Er 
unterſcheidet zwiſchen landwirtſchaftlichen Erzeug⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


... — — — C —T————— — . . —— , — nn ,, —rL̃—ßr—,— —— nn 


niſſen z. B. Traubenwein, Obſtwein, und Fabri⸗ 
kationserzeugniſſen wie Bier u. dgl. Letztere 
ſeien dann eigenes Erzeugnis, wenn ſie der Aus⸗ 
ſchänker in ſeinem Fabrikationsbetriebe ſelbſt her⸗ 
geſtellt habe, wobei es auf die Herkunft der Stoffe 
nicht ankomme. Bei den landwirtſchaftlichen Er⸗ 
zeugniſſen dagegen müſſe außerdem noch gefordert 
werden, daß der Herſteller die Grundſtoffe aus 
ſelbſt bewirtſchafteten Grundſtücken gewonnen habe. 
Dagegen könne nicht verlangt werden, daß das 
ganze Getränke mit allen ſeinen Zutaten aus⸗ 
ſchließlich aus eigenen Erzeugniſſen herrühre. Aus 
dieſer Begriffsbeſtimmung folgert der Verfaſſer, 
ein aus ſelbſterzeugten Trauben gekelterter und 
ſelbſtgebauter Traubenwein ſei auch dann eigenes 
Erzeugnis, wenn ihm wegen zu hoher Säure oder 
zu geringen Alkoholgehalts Zucker oder Zucker⸗ 
wſſaer zugeſetzt worden ſei. Es könne nicht außer⸗ 
dem noch verlangt werden, daß der Herſteller 
auch den Zucker ſelbſt erzeugt oder das Waſſer 
aus eigenem Brunnen gewonnen habe. 

Ich kann dieſer Anſicht nicht beitreten. 

Der Geſetzgeber hat ſelbſt nicht beſtimmt, 
was er unter eigenem Erzeugnis verſteht. Es 
wird dies deshalb im Wege der Geſetzesauslegung 
zu erforſchen ſein. Wenn es zu dieſem Zwecke 
auch förderlich iſt, nach der Methode des Ver⸗ 
faſſers eine Unterſcheidung zwiſchen Fabrikations⸗ 
erzeugniſſen und landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen 
zu treffen, ſo geht es doch nicht an, an der Hand 
dieſer Unterſcheidung allein den Begriff des eigenen 
Erzeugniſſes allgemein für jede Erzeugnisgruppe 
zu beſtimmen, wie es der Verfaſſer getan hat. 
Es muß vielmehr bei jedem einzelnen Getränke 
geprüft werden, ob nicht aus dem allgemeinen 
Sprachgebrauche, aus der Verkehrsanſchauung und 
aus der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes Anhalts⸗ 
punkte dafür zu gewinnen ſind, was der Geſetz⸗ 
geber jeweils als eigenes Erzeugnis anſehen will. 
In dieſer Hinfiht iſt nun zu jagen, daß, wenn 
von eigenem Erzeugnis an Wein die Rede iſt, 
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und der 
Verkehrsanſchauung darunter nur der Wein ver- 
ſtanden wird, der von den Weinbauenden aus 
Trauben von ſelbſt bewirtſchafteten Grundſtücken 
durch zuläſſige Kellerbehandlung gewonnen wurde, 
mit anderen Worten der Naturwein. Kein Menſch 
denkt dabei an gezuckerten Wein. Es folgt aber 
auch aus der Entſtehungsgeſchichte der oben er⸗ 
wähnten Reichsgeſetze, daß man gerade beſonderes 
Gewicht darauf legte, dem Winzer die Befugnis 


zum konzeſſionsfreien Ausſchanke ſeines Eigenbaues 


zu erhalten. Der Grund lag darin, daß der 
Winzer ſchon ſeit altersher ſein eigenes Gewächs 
im Straußwirtſchaftsbetriebe ausſchänkte und daß 
der Geſetzgeber gerade dieſe Art des Straußwirt— 
ſchaftsbetriebes nicht beſeitigen wollte. Es muß 
aber auch hervorgehoben werden, daß in der 
Pfalz bis in die neueſte Zeit herein in Strauß— 
wirtſchaften nur Naturwein ausgeſchänkt wurde, 


108 


und daß jedermann, der eine Straußmirtichaft 
betrat, von der Erwartung geleitet war Natur⸗ 
wein vorgeſetzt zu erhalten. In dieſer Hinſicht be⸗ 


finde ich mich allerdings im Widerſpruche mit 


dem Verfaſſer, welcher den Standpunkt vertritt, 
daß in der Pfalz keine allgemeine Verkehrsan⸗ 
ſchauung beſtehe, wonach man in Straußbwirt⸗ 
ſchaften nur Naturweine finde. Das Gegenteil 
iſt richtig. Es mag ſein, daß im ſog. Oberlande 
in einzelnen Straußbwirtſchaſten gezuckerter Wein 
ausgeſchänkt wurde. Es wird dies vielleicht auch 
im Unterlande vorgekommen ſein. Es wurde ſogar 
erwieſen, daß in einer Straußwirtſchaft gefälſchter 
Wein verabfolgt wurde. Es läßt ſich aber nicht 
ſagen, daß dies unbeanſtandet geſchah. Denn es 
wird nicht behauptet werden können, daß die zum 
Einſchreiten berufene Behörde von dieſen Fällen 
Kenntnis hatte und trotzdem nicht einſchritt. 
Fälle können nur als unzuläſſige Ausnützung des 
Straußbwirtſchaftsbetriebes angeſehen werden. Sie 
ſind nicht geeignet, ſeinen wahren Charakter zu 
aͤndern. 

Nach alledem wird man zu dem Schluſſe 
kommen müſſen, daß der Geſetzgeber unter eigenem 
Erzeugnis an Wein nur Naturwein verſtanden 
hat und daß der Straußwirt, der gezuckerten 
Wein ausſchänkt, ſich gegen 88 33, 147 GewO. 
verfehlt. 

Die Theorie des Verfaſſers, wonach auch ge: 
zuckerter Wein als eigenes Erzeugnis im Sinne 
des Geſetzes anzuſehen iſt, wenn nur der Aus⸗ 
ſchänker die Grundſtoffe ſelbſt erwirtſchaftet und 
den Wein ſelbſt fertig behandelt hat, wenn er 
auch nicht den zugeſetzten Zucker ſelbſt erzeugt 
oder das Waſſer aus eigenem Brunnen gewonnen 
hat, führt in Anſehung des Straußwirtſchafts⸗ 
betriebes zu einem merkwürdigen Ergebniſſe. 

Ein Beiſpiel mag dies dartun. Ein Strauß: 
wirt hat einen Wein mit hoher Säure. Um ſie 
zu mindern kauft er bei dem Kolonialwaren— 
händler Zucker und bei der Gemeinde durch Ent⸗ 
nahme aus der Waſſerleitung Waſſer. In zu: 
läſſigem Maße ſetzt er die hieraus bereitete 
Zuckerlöſung dem Weine zu. Nach der Theorie 
des Verfaſſers darf der Straußwirt dieſen Wein 
ausſchänken, weil er als eigenes Erzeugnis gilt. 
Würde der Straußwirt um die Säure zu mindern 
einen Naturwein mit hoher Süße kaufen und ihn 
dem Säuerling beimiſchen, ſo dürſte er nach der 
Anſicht des Verfaſſers den ſo gewonnenen Wein 
nicht ausſchänken, weil ein Teil der Grundſtoffe 
dieſes Weines nicht ſelbſt erwirtſchaftet iſt und 
deshalb kein eigenes Erzeugnis mehr vorliegt. Hier⸗ 
nach wäre ein Straußwirt, der ſeinen 
Kunden Naturwein bieten will, übler daran 
als einer, der ihnen gezuckerten Wein vor— 
ſetzen will. Das kann doch der Geſetzgeber un: 
möglich gewollt haben. Gerade dieſes Beiſpiel lehrt, 
daß der Geſetzgeber unter eigenem Erzeugnis an Wein 
nur Naturwein verſtanden haben kann und daß 


Dieſe 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


| 


zuckertem Wein verfolgt werden. 


der Begriff eigenes Erzeugnis in Anſehung des 
Weines nicht in abſtrakter Weiſe losgelöſt von der 
hiſtoriſchen Entwicklung des Straußbwirtſchaftsbe⸗ 
triebes, der einſchlägigen Rechtsentwicklung, dem 
Sprachgebrauche und der Verkehrsanſchauung be⸗ 
ſtimmt werden kann. Betrachtungen allgemeiner 
Art ſtehen dieſer Anſicht nicht entgegen. 

Der Verfaſſer läßt in ſeiner Abhandlung ein 
gewiſſes Mitleid mit den armen Straußwirten 
durchblicken, die wegen des Ausſchankes von ge⸗ 
Gewiß wird 
ihnen in ihrer derzeitigen, durch die Mißernte in 
den beiden letzten Jahren geſchaffenen üblen Lage 
niemand das Mitleid verſagen wollen. Dies darf 
aber nicht von der als richtig erachteten Geſetzes⸗ 
auslegung und Anwendung abbringen, zumal 
dann nicht, wenn dies ſo geübte Mitleid den Be⸗ 
mitleideten zum Verhängnis werden könnte. Die 
Beliebtheit der Straußwirtſchaft beruht nun ein⸗ 
mal auf der Gewißheit darin gegen einen ange⸗ 
meſſenen Preis Naturwein zu erhalten. Nicht der 
laute, urteilslos trinkende Zecher, ſondern der mit 
Behagen und Verſtändnis ſchlürfende Verehrer 
eines guten Naturtropfens hält in der Strauß: 
wirtſchaft Einkehr. Setzt man dieſem gezuckerten 
Wein vor, dann bleibt er weg. Der Strauß— 
wirtſchaft fehlt der Gaſt. Der Straußwirt kann 
ſein „eigenes Erzeugnis“ nicht abſetzen. Es liegt 
ſohin im Intereſſe der Straußwirte ſelbſt, wenn 
daran feſtgehalten wird, daß in der Straußwirt⸗ 
ſchaft nur Naturwein verabfolgt werden darf. Dies 
um fo mehr, als gerade jetzt durch den heilſamen 
Einfluß des neuen Weingeſetzes und durch das 
Vorgehen der Winzergenoſſenſchaften die Vorliebe 
und das Verſtändnis für Naturwein in weite 
Kreiſe getragen wird. Nur dadurch allein wird 
es gelingen, die nichtpfälziſche Konkurrenz fern⸗ 
zuhalten. 

Es kommt aber noch hinzu, daß ſich die 
Straußwirte nicht gerade der beſonderen Gunſt 
der übrigen Wirte erfreuen. Dieſe ſehen ſchon 


laͤngſt mit Neid, wie die Straußwirte ihren Be⸗ 
trieb nicht nur konzeſſionsfrei, ſondern auch ſteuer⸗ 


und umlagenfrei ausüben, während ſie ſelbſt unter 
dieſen Abgaben zu leiden haben. Das Wirtſchafts⸗ 
gewerbe iſt auch nicht auf Roſen gebettet. Es 
erblickt in den Straußwirtſchaften ſchon lange eine 
läſtige Konkurrenz. Wird dieſe noch verſchärft 
dadurch, daß die Straußwirte auch die Befugnis 
in Anſpruch nehmen gezuckerten Wein auszu— 
ſchänken, ſo wird der Gegendruck nicht ausbleiben. 
Man wird auf eine Einſchränkung des Rechtes 
zum Straußbwirtſchaftsbetrieb auch in anderer 
Hinſicht hinarbeiten. Es wird daher der Strauß— 
wirtſchaftsbetrieb beſſer abſchneiden, wenn daran 


feſtgehalten wird, daß in ihm nur Naturwein 


ausgeſchaͤnkt werden darf. 


Das weintrinkende 
Publikum würde auch ungern die Gewähr ſchwinden 
ſehen in der Straußwirtſchaft Naturwein zu 
erhalten. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


3. Unter 2. iſt ausgeführt, daß dem Strauß⸗ 
wirt der Ausſchank gezuckerten Weines gemäß 
88 33, 147 GewO. verboten iſt. Es iſt noch 
die Frage zu prüfen, ob dies nicht auch gemäß 
8 5 des nn vom 7. April 1909 der Fall 
iſt. Der Verfaſſer bejaht dies in ſeiner Ab⸗ 
handlung für den Fall, daß der Straußwirt 
ſeinen gezuckerten Wein durch Aufſchriften auf 
dem Wirtsſchilde oder auf Plakaten als „Eigenes 
Gewächs“ oder als „Selbſtgebaut“ bezeichnet. Dieſe 
Anſicht des Verfaſſers wird wohl allgemein als 
richtig anerkannt werden. 

Der Verfaſſer verneint dagegen die Frage für 
den Fall, daß der Straußwirt nur ein Schild 
anbringt mit der Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ 
oder daß er nur einen Strauß ausſteckt. In 
dieſem Falle erkläre der Straußwirt nur, daß er 
keine konzeſſionierte Wirtſchaft, ſondern einen kon⸗ 
zeſſionsfreien Ausſchank habe. Der Verfaſſer geht 
dabei allerdings davon aus, daß in der Pfalz 
eine allgemeine Verkehrsanſchauung dahin, daß in 
Straußwirtſchaften nur Naturwein ausgeſchänkt 
werde, nicht beſtehe. Ich habe oben behauptet, 
das Gegenteil ſei richtig, und muß deshalb bei 
meinen Ausführungen von dieſem Standpunkt 
ausgehen. 

Nach meinem Dafürhalten iſt 8 5 des Wein: 
geſetzes vom 7. April 1909 auch dann anwendbar, 
wenn der Straußwirt nur ein Schild anbringt 
mit der Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ oder wenn 
er nur einen Strauß ausſteckt. Denn Abſ. 1 da⸗ 
ſelbſt verbietet „gezuckerten Wein unter einer Be⸗ 
zeichnung feilzuhalten oder zu verkaufen, die auf 
Reinheit de? Weines deutet“ und „in der Benen⸗ 
nung anzugeben oder anzudeuten, daß der Wein 
Wachstum eines beſtimmten Weinbergbeſitzers ſei“. 
Eine hiernach verbotene Bezeichnung oder Benen— 
nung des gezuckerten Weines wird aber nicht 
allein dann vorliegen, wenn durch ausdrückliche 
Worte in Schrift oder Druck auf dem Wirtsſchild, 
auf dem Faß, auf Plakaten, oder durch raſch nach⸗ 
einander aufleuchtende und erlöſchende elektriſche 
Lämpchen ſichtbar gemacht der Wein als Natur⸗ 
wein oder als Wachstum des Ausſchänkers be⸗ 
zeichnet wird, ſondern auch dann, wenn dieſe Be⸗ 
zeichnung oder Benennung des Weines in ſolchen 
Worten oder Veichen erfolgt, daß der Perſonen⸗ 
kreis, für den fie berechnet find, ohne weiteres 
ihnen entnimmt, daß der ausgeſchänkte Wein 
Naturwein und eigenes Wachstum des Ausichän: 
kenden iſt. 

Dies trifft bei einem Schilde mit der Auf⸗ 
ſchrift „Straußwirtſchaft“ und beim ausgeſteckten 
Strauße zu. Wenn in einem Orte der Pfalz 
an einem Hauſe ein Schild mit der Aufſchrift 
„Straußwirtſchaft“ angebracht oder ein Strauß 
ausgeſteckt wird, dann weiß jeder von denen, an 
die ſich der Straußwirt damit wenden will, daß 
der Straußwirt damit ankündigt, daß er ſeinen 
ſelbſtgebauten Naturwein zum Ausſchank bringt. 


109 


Daß jedermann die Sprache des Straußes ver⸗ 
ſtehen muß, wird nicht verlangt werden können. 
Es wird eine verbotene Bezeichnung oder Benen⸗ 
nung auch dann vorliegen, wenn das gewählte 
ſymboliſche Zeichen oder das zu dieſem Zwecke 
allegoriſch gebrauchte Wort dem Perſonenkreis, 
an den es gerichtet iſt, dermaßen vertraut iſt, 
daß er ohne weiteres den wahren Sinn herausleſen 
kann. Dies iſt nach dem oben Geſagten ſowohl 
bei dem Wirtsſchilde mit der Aufſchrift „Strauß⸗ 
wirtſchaft“ als auch bei dem ausgeſteckten Strauße 
der Fall. Beide find eben für das Publikum 
mehr als bloße Wirtsſchilde und ſollen es nach 
dem Willen des Straußwirtes auch ſein. Sie 
erfüllen die Funktion des Wirtsſchildes und der 
Plakate ꝛc. mit der Aufſchrift „Eigenes Ge: 
wächs“ uſw. zugleich. Daß fie nur zum Aus: 
druck bringen ſollen, hier werde keine konzeſſionierte 
Wirtſchaft ſondern ein konzeſſionsfreier Ausſchank 
geführt, wie der Verfaſſer meint, trifft nicht zu. 
Für eine ſolche Erklaͤrung hätte der Straußwirt 
kein Bedürfnis und das Publikum kein Intereſſe. 

Sohin iſt der Ausſchank gezuckerten Weines 
im Straußwirtſchaftsbetriebe nach 8 5 des Wein⸗ 
geſetzes auch dann verboten, wenn nur ein Schild 
mit der Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ angebracht 
oder ein Strauß ausgeſteckt wird. 


— 


Die Feſtſtellung des Eigentums an Vegen. 


Von Oberſtlandesgerichtsrat Hermann Schmitt 
im Staatsminiſterium der Juſtiz in München. 


(Schluß). 

7. Das techniſche Verfahren. Die Vor⸗ 
ſchriften hierüber ſind in 88 510 ff. der Dienſt⸗ 
anweiſung enthalten, die im weſentlichen auf die 
Vorſchriften der Geſchäſtsanweiſung für die An⸗ 
legungsbeamten vom 1. Oktober 1898 (JMBl. 
S. 507) 45) und auf die Bek. vom 11. Juli 1901 
(JM Bl. S. 489) 45) verweiſen. 


In $ 510 wird u. a. auch auf 8 48 Geſch Anw. 
verwieſen; hiernach kann eine Perſon, ohne im 
Grundſteuerkataſter als Beſitzer eingetragen zu ſein, 
als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen 
werden, wenn ihr Eigentum glaubhaft gemacht iſt 
und der im Grundſteuerkataſter als Beſitzer Be: 
zeichnete der Eintragung zuſtimmt. In der Praxis 
| ift die Frage ftreitig geworden, ob auf Grund 
dieſer Vorſchrift die Zuſtimmung der Gemeinde 
erforderlich iſt, wenn die Wege im Kataſter unter 
einer allgemeinen Ueberſchrift, wie „Beſitz Nr. / 
und unter dem Beſitztitel der Gemeinde oder Orts⸗ 
2 gemeinde oder der Steuergemeinde zuſammengefaßt 


— — — — — — 


| 
| 
| 
| 


ind und nun einzelne von ihnen als Eigentum 


) Henle-Dandl, Die Anlegung des Grundbuchs, 


2. Aufl. S. 188 ff., 332 ff. 


eines anderen gebucht oder als Grundſtücksbeſtand⸗ 
teile behandelt werden ſollen. Das Oberſte Landes⸗ 
gericht hat die Frage für den Fall, daß die Wege 
der Steuergemeinde zugeſchrieben ſind, verneint.“) 
Das gleiche hat aber auch in allen anderen Fällen 
zu gelten, wenn das Kataſter überhaupt keinen 
Anhaltspunkt für die Eigentumsfrage bietet, weil 
ſeinerzeit im Liquidationsverfahren die Befitver: 
hältniſſe in Anſehung der unſteuerbaren Flächen 
überhaupt nicht ermittelt wurden, ſo daß ſich die 
Eintragungen im Kataſter alſo nicht auf eine 
Feſtſtellung des Beſitzſtandes der einzelnen Wege 
gründen; es kann keinen Unterſchied begründen, 
ob dieſe Flächen der Form nach der Steuergemeinde 
oder der politiſchen Gemeinde oder einer Orts⸗ 
gemeinde zugeſchrieben wurden.“) 

Ebenſowenig bedarf es einer Zuſtimmungs— 
erklärung der Angrenzer, wenn die Wege als Be⸗ 
ſtandteile ihrer Grundſtücke behandelt werden ſollen; 
ſie wird in den nach $ 510 der Dienflanmeifung | 
maßgebenden Vorſchriften nicht gefordert.“) 

§ 510 der Dienſtanweiſung verweiſt auch auf 
SS 15 ff. der Bekanntmachung vom 11. Juli 1901; 
darnach iſt für die nachträglich einzutragenden 
Grundſtücke eine Aufforderung zur Anmeldung 


von Rechten zu erlaſſen. Dabei iſt jedoch folgendes 


zu beachten: Wird nachträglich feſtgeſtellt, daß 
ein mit eigner Plannummer bezeichneter Weg, 
der im Anlegungaverfahren irrigerweiſe als ſelb— 

ſtändig und buchungsfrei angeſehen wurde, in 
Wirklichkeit Beſtandteil der Grundſtücke iſt, über 
die er führt, ſo braucht für dieſen Weg eine An⸗ 
meldungsaufforderung nicht erlaſſen zu werden, 
wenn für die Hauptgrundſtücke eine ſolche ergangen 
war; . gilt auch dann, wenn für den Weg 
nach § 300 DAnw. ein Schutzblatt angelegt wird. 
Ehe die Anmeldungsaufforderung erlaſſen wird, 
iſt deshalb feſtzuſtellen, ob die zu behandelnden 
Wege in Wirklichkeit Beſtandteile der Grundſtücke 
ſind, über die ſie führen. 

Nach der Durchführung des Verfahrens ſind 
alle Wegeplannummern, deren Flächen nicht ſelbſt⸗ 
ſtändige Grundſtücke, ſondern Beſtandteile der 
Grundſtücke find, aus dem Verzeichniſſe der nicht ge: 
en buchungsfreien Grundſtücke zu ſtreichen. 


s Sammlung Bd. 8 S. 604. 

) Für den Fall, daß die Wege im Kataſter der 
Gemeinde zugeſchrieben ſind, hat das Oberſte Landes— 
gericht mit Beſchluß vom 4. November 1910 die auf— 
geworfene Frage bejaht; die Bedeutung der Eintragung 


110 Zeitſchrift für Rechtspflege i in Bayern. 1911. Nr. 5. 


! ̃ ͤ—!: —n r. —.. .. —— 


B. Wege im Privateigentum. 


Wie ſchon oben hervorgehoben, kann als Eigen⸗ 
tümer eines ſelbſtändigen Weges jede natürliche 
und juriſtiſche Perſon in Frage kommen. Am 
häufigſten wird das Eigentum vom Staat, von 
Stiftungen, Standesherrſchaften, Fideikommiß⸗ 
beſitzern. Stammgutseigentümern und anderen 
Großgrundbeſitzern in Anſpruch genommen. Es 
muß im einzelnen Falle zwiſchen den Beteiligten 
und der Gemeinde verhandelt werden. 

Beſonderes Intereſſe beanſpruchen die Wege, 
die als eigene Grundſtücke von mehreren Perſonen 
beanſprucht werden; es kann ſich dabei um ge⸗ 
wöhnliches Miteigentum nach Bruchteilen oder um 
eines jener Rechtsverhältniſſe handeln, die der 
Art. 43 UeG. im Auge hat; es kann auch ſein, 
daß ein ſolcher Weg nur im Eigentum eines der 
e ſteht, während den übrigen Beteiligten 
nur ein Fahrtrecht zukommt. Bei Feldwegen, 
insbeſondere bei ſolchen, die nicht vor ſehr langer 


Zeit entitanden find, wird es näher liegen die 


Unſelbſtändigkeit der Wegteilflächen anzunehmen 
als ein immerhin verwickeltes Miteigentumsver⸗ 
hältnis der Angrenzer. 

Steht der Weg als ſelbſtändiges Grunditüd 
im Miteigentum mehrerer Perſonen, ſo iſt regel⸗ 


mäßig ein Miteigentum nach Bruchteilen im 


Sinne des $ 1008 BGB. gegeben. Mit Rück⸗ 
ſicht auf 848 GBO. und $ 748 BGB. find hier 
die Anteile der Berechtigten feſtzuſtellen; für die 
Berechnung der Bruchteile wird, ſoweit nicht be⸗ 
ſondere Vereinbarungen vorliegen, in der Regel 
das Verhältnis des Flächeninhalts der einzelnen 
Hauptgrundſtücke maßgebend ſein, deren Intereſſen 
der Weg dient.“) Aus Zbweckmäßigkeitsgründen 
empfiehlt es ſich, ſoweit nicht Art. 43 Ue®. in 
Betracht kommt, im Hinblick auf $ 749 Abſ. 1 
BGB. die Beteiligten noch darauf hinzuweiſen, 
daß die dauernde und unbedingte Benutzung des 
gemeinſchaftlichen Weges nur geſichert iſt, wenn 
eine Grunddienſtbarkeit im Sinne des $ 1009 
BGB. beſtellt wird. In der Regel wird der 


| Miteigentumsanteil am Wege nach der Meinung 


im Kataſter wurde in dieſem Falle vom Oberſten Landes— | 
kann die Frage nur in der Weile gelöſt werden, 


gericht gar nicht gewürdigt; es will die Eintragung im 
Kataſter auch dann nicht als belanglos gelten laſſen, 
wenn die Liquidationsprotokolle Erhebungen über die 
unſteuerbaren Grundflächen nicht entnehmen laſſen; dieſer 
rein formale Standpunkt iſt unhaltbar. Vgl. dagegen 
v. Henle im Recht 1911 Nr. 1 S. 47 Fußnote 1; durch 
die IM Bek. vom 30. Dezember 1910 (JIM Bl. 1911 S. 40 
ſ. o. Anm. 4) iſt die Streitfrage entſchieden, da das 
Staats- Min. d. Juſt. die Vorſchrift in $ 48 in eigner 
Zuſtändigkeit erlaſſen hat. 
“, So auch das Ob G. Samml. 8 S. 604. 


und nach dem Willen der Berechtigten mit dem 
Eigentum an beſtimmten (meiſt den angrenzenden) 
Hauptgrundſtücken verbunden jein;?°) bei den Ver: 
handlungen muß alſo für dieſe Verbindung die 
rechtliche Unterlage geſucht werden. Eine gewohn— 
heitsrechtliche Entwicklung im Sinne des Art. 43 
UeG. wird nur bei Rechtsverhältniſſen älteren 
Urſprungs angenommen werden können; im übrigen 


40) Jedenfalls iſt eine Vereinbarung, daß jeder der 
jeweiligen Miteigentümer gleichheitlich anteilsberechtigt 
ſein ſolle, nicht nur unbillig mit Rückſicht auf § 748 
Big B., ſondern auch rechtlich unhaltbar, da jede Aende— 
rung in der Zahl der Miteigentümer eine Aenderung 
in der Größe der Miteigentumsanteile zur Folge 
haben würde. 

800 Vgl. Henle-Dandl, Die Anl. d. GB. 2. Aufl. S. 254. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


daß die einzelnen Miteigentümer ihre Eigentums⸗ 
anteile am Wege nach $ 890 Abſ. 2 BGB. den 
Hauptgrundſtücken als Beſtandteil zuſchreiben laſſen. 


II. Die Wiederaufnahme des Verfahrens. 


Nach § 90 Abſ. 2 GBO. kann der Eigen: 
tümer buchungsfreier Grundſtücke beantragen die 
bereits eingetragenen Grundſtücke aus dem Grund⸗ 
buche wieder auszuſcheiden; durch dieſe Ausbuchung 
wird die Eigentumsfrage an ſich nicht berührt. 
Dem Antrage muß ſtattgegeben werden, wenn 
eine Eintragung, von welcher das Recht des 
Eigentümers betroffen wird, nicht vorhanden iſt. 


Wohl zu unterſcheiden hiervon iſt das Ver⸗ 
fahren, das einzuſchlagen iſt, wenn im Anlegungs— 
verfahren Wege als Eigentum einer (juriſtiſchen 
oder natürlichen) Perſon eingetragen worden ſind, 
deren Eigentumsrecht nachträglich von anderer 
Seite beſtritten wird, indem die Wege von 
anderen Perſonen ſei es als eigene Grundſtlücke 
oder als Beſtandteile der von den Wegen be⸗ 
rührten Grundſtücke beanſprucht werden. Dieſes 
Wiederaufnahmeverfahren bezweckt eine Berichtigung 
des Grundbuchs, im beſonderen eine Richtig⸗ 
ſtellung der Eigentumsverhältniſſe im Grundbuch. 


Während bei der Feſtſtellung des Eigentums an 


nicht gebuchten Wegegrundſtücken nach $ 91 der 
GBO. in erſter Linie die landesrechtlichen Vor: 
ſchriften (88 510 ff. DA.) maßgebend find, kommen 
für das Wiederaufnahmeverfahren in Anſehung 
der bereits gebuchten Grundſtücke ausſchließlich die 
Vorſchriften der GBO., namentlich die 88 13, 19, 
22 zur Geltung; hiernach bedarf es zur Ein⸗ 
tragung eines neuen Eigentümers grundſätzlich 
eines Antrags (8 13), der Bewilligung der als 
Eigentümer eingetragenen Perſon (§ 19) und der 
Bewilligung des einzutragenden Eigentümers 
ſelbſt (§S 22 Abſ. 2); “!) die Bewilligung des ein: 
getragenen Eigentümers iſt nur dann nicht er⸗ 
forderlich, wenn die Unrichtigkeit der Eintragung 
durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Ur⸗ 
kunden nachgewieſen wird. 


Das gleiche gilt natürlich auch dann, wenn 
das Verfahren bezüglich der bereits gebuchten 
Wegegrundſtücke, ſei es aus Anlaß einer Grund⸗ 
buchbereinigung oder aus einem anderen Grunde 
von Amts wegen wieder aufgenommen wird. 
Die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts 
wegen iſt nicht gleichbedeutend mit einer von 
Amts wegen zu betätigenden Berichtigung des 
Grundbuchs; fie verfolgt nur den Zweck feſtzu— 
ſtellen, ob die Eintragung im Grundbuche zu— 
treffend iſt, und verneinendenfalls die erforderlichen 


1) Der Vorſchriſt in 8 22 Abſ. 2 iſt auch dann 
zu genügen, wenn die Berichtigung des Grundbuchs 
dahin erfolgen ſoll, daß die als ſelbſtändige Grund— 
ſtücke gebuchten Wegflächen nur Beſtandteile der von 
ihnen berührten Grundſtücke ſind; in dieſem Falle wird 
alſo die Zuſtimmung der Angrenzer zu erholen ſein. 


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111 


Anträge und Bewilligungen“) anzuregen und 
entgegenzunehmen um die Berichtigung des 
Grundbuchs zu ermöglichen. Eine Berichtigung 
des Grundbuchs von Amts wegen kann nur im 
Falle des § 54 Abſ. 1 Satz 2 GB. ſtattfinden, 
der nur ſelten zutreffen wird. | 

Iſt nun die Wiederaufnahme des Verfahrens 
von einer im Grundbuche nicht eingetragenen 
Perſon beantragt oder liegt ein Anlaß vor das 
Verfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen, 
ſo wird man, ehe man umfangreiche Erhebungen 
einleitet, ſich zunächſt darüber vergewiſſern, ob 
die eingetragene Perſon überhaupt in Verhand⸗ 
lungen eintreten will. Im übrigen wird ſich der 
Umfang der Erhebungen nach der Sachlage im 
Einzelfalle zu richten haben. In manchen Fällen 
wird die Prüfung des Kataſterplans und der 
ſeiner Herſtellung vorangegangenen Liquidations⸗ 
verhandlungen zur Aufklärung genügen; in 
anderen Fällen wird die Einnahme eines Augen: 
ſcheins unter Zuhilfenahme des Kataſterplans und 
unter Beiziehung der Feldgeſchworenen die er⸗ 
forderlichen Aufſchlüſſe geben. In allen Zweifels⸗ 
fällen wird es notwendig fein die eingetragene 
Perſon zur Darlegung der Eigentumsverhältniſſe 
und namentlich, wenn fie auf ihrem Eigentum 
beſteht, zur Begründung ihrer Behauptung zu 
veranlaſſen. Im übrigen kann nur das unter I 
Geſagte hierher wiederholt werden. 


Bewilligt die eingetragene Perſon die Be⸗ 
richtigung des Grundbuchs nicht, ſo find die Be- 
teiligten auf den Rechtsweg zu verweiſen. Die Ein⸗ 
tragung eines Widerſpruchs kann nach $ 899 BGB. 
nur auf Grund einer einſtweiligen Verfügung des 
Prozeßgerichts oder des nach § 942 Abſ. 2 35 O. 
zuſtändigen Amtsgerichts erfolgen, es müßte denn 
die eingetragene Perſon ſelbſt die Eintragung eines 
Widerſpruchs bewilligen; die Ausnahme des $ 514 
D Anw. trifft auf das Wiederaufnahmeverfahren 
nicht zu. 

Handelt es ſich um die Berichtigung einer 
Eintragung, welche die Gemeinde als Eigentümerin 
von Wegegrundſtücken ausweiſt, ſo wird es von 
Vorteil ſein die Mitwirkung der Verwaltungs⸗ 
behörden in Anſpruch zu nehmen. Auch wenn 
die Gemeinde erklärt, daß fie ſich auf Verhand⸗ 
lungen überhaupt nicht einlaſſen wolle, wird man 
feſtzuſtellen haben, welche von den der Gemeinde 
zugeſchriebenen Wegflächen in der Natur als Wege 
nicht mehr beſtehen, ſondern zu den angrenzenden 
Grundſtücken gezogen find und mit dieſen bewirt⸗ 
ſchaftet werden. Es iſt nicht anzunehmen, daß 
die Gemeinde ſchließlich auch bezüglich dieſer 


) Einer Auflaſſungserklärung bedarf es nicht; 
es handelt ſich in dieſem Falle nicht um einen Wechſel 
in der Perſon des Eigentümers, ſondern nur um die 
Eintragung desjenigen, der in Wirklichkeit ſchon längſt 


Eigentümer iſt, wenn er bisher im Grundbuch auch 


als ſolcher nicht eingetragen war. 


112 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


Wegeflächen die Berichtigung des Grundbuchs 
verweigern wird. 

Es kann aber auch der Fall vorkommen, daß 
die Gemeinde die Berichtigung des Grundbuchs 
beantragt oder bewilligt, daß jedoch das Bezirks⸗ 
amt hierzu die Genehmigung verſagt. Hier wird 
zu unterſcheiden ſein, ob es ſich um eine ge: 
nehmigungsbedürftige Veräußerung der Gemeinde 
im Sinne des Art. 159 Abſ. 1 GemO. handelt 
oder ob nur die Anerkennung eines längſt be: 
ſtehenden Rechtsverhältniſſes in Frage ſteht. Im 
letzteren Falle muß die Bewilligung der Gemeinde 
zur Berichtigung des Grundbuchs genügen, der 
ſtaatsaufſichtlichen Genehmigung bedarf es nicht. 
Selbſtverſtändlich wird man aber, wenn das Ver— 
fahren von Amts wegen wieder aufgenommen wurde, 
die Tatſachen, die für das Bezirksamt bei der 
Verweigerung der Genehmigung maßgebend waren, 
würdigen und entſprechend berückſichtigen. Ergibt 
ih unzweifelhaft, daß die Feſtſtellung im An: 
legungeverfahren zutreffend war, ſo hat es hierbei 
ſein Bewenden; es empfiehlt ſich jedoch im Grund⸗ 
buche auf die neuerlichen Ermittlungen hinzuweiſen. 

Bei Staatswaldungen, die irrigerweiſe der 
Gemeinde zugeſchrieben wurden, läßt ſich die 
Gemeinde leicht verleiten die Berichtigung des 
Grundbuchs zu verweigern, weil ſie fürchtet, daß, 
wenn die Wege als Eigentum des Staates ein⸗ 
getragen werden, der ganze Staatswald als aus— 
märkiſch erklart werden könnte, was für die Ge: 
meinde natürlich einen Ausfall an Umlagen zur 
Folge haben würde. Bedenken dieſer Art können 
durch die Belehrung widerlegt werden, daß Wal⸗ 
dungen, welche nicht bereits im Jahre 1818 aus— 
märkiſch waren, künftig nicht als ausmärkiſch erklärt 
werden können.“) 


III. Die buchmäßige Behandlung der Wege.“ 


A. Wege, die nicht eigene Grund— 
ſtücke ſind, ſondern Beſtandteile der Grundſtlücke, 
über die ſie führen. 

1. Für dieſe Wege ſollen, ſoferne ſie mit 
Plannummern bezeichnet ſind, im Grundbuch 
Schutzblätter angelegt werden, die den Vorſchriften 
des 8 229 DAnw. entſprechen. Im Titel des 
Blattes wird die Wegeplannummer mit der im 
Sachregiſter enthaltenen Beſchreibung eingetragen; 
die Bildung von Sternplannummern iſt nicht zu: 
läſſig, auch überflüſſig. In der erſten Abteilung 
wird nach §S 300 DAnw. das Rechtsverhältnis 
dargeſtellt durch die Eintragung: 


„ Vgl. Entſch. d. VGH. Bd. 3 S. 713, Bd. 26 
S. 42. 

5% Ueber die kataſtertechniſche Behandlung der Wege 
ſ. Fin Min Bek. vom 15. Oktober 1910 (JM Bl. S. 984). 
Darnach ſoll das Meſſungsverzeichnis über die Ver— 
meſſung eines vom Wege berührten Grundſtücks darüber 
Aufſchluß geben, ob auch die mit neugeſchöpften Plan— 
nummern bezeichneten Grundſtücksteile vom Wege berührt 
werden. 


„Am .. . Eigentümer des Weges find nach 
Maßgabe der den Weg bildenden Teilflaͤchen 
die jeweiligen Eigentümer der Grundſtücke 
Pl. Nr. X Xx, über die der Weg führt.“ 

Ein Erwerbstitel wird hier nicht angegeben; 
unrichtig iſt es jedenfalls als Erwerbstitel für die 
Teilflächen als ſolche unvordenkliche Verjährung 
zu bezeichnen; denn jeder Eigentümer hat ſeine 
Teilfläche ohne weiteres mit dem Hauptgrundſtück 
erworben. 

Die Grundſtücke, über welche der Weg führt, 
ſind aus dem Kataſterplan zu entnehmen, in dem 
die Plannummern eingetragen find; außerdem gibt 
das Meſſungsamt hierüber den zuverläſſigſten Auf⸗ 
ſchluß, insbeſondere, wenn der vom Rentamte er⸗ 
holte Kataſterplan nicht richtig geſtellt iſt. Bei 
ſich kreuzenden unſelbſtändigen Wegen iſt zu be⸗ 
achten, daß, ſoweit die Wege ſich berühren, nicht 
Teilflächen des einen Weges als Beſtandteil des 
anderen Weges gelten können; wenn die Schnitt⸗ 
fläche der beiden Wege auf einem einzigen Grund⸗ 
ſtücke liegt, iſt ſie ausſchließlich Beſtandteil dieſes 
Grundſtücks; werden von der Schnittfläche mehrere 
Grundſtücke berührt, ſo muß ſie als Beſtandteil 
dieſer ſämtlichen Grundſtücke angeſehen werden. 

In der an das Rentamt gemäß 88 510, 578 
D Anw. zu machenden Mitteilung brauchen die 
vom Wege berührten Grundſtücke nicht angegeben 
zu werden.“) 

2. Auf den Grundbuchblättern der Grundftüde, 


| die von einem Wege berührt werden, iſt nach 
8 300 D Anw. die Zugehörigkeit der Teilfläche 


durch den Vermerk 

„hierzu die zum Wege Pl.⸗Nr. x gezogene 

Teilfläche“ 
erkennbar zu machen; unrichtig iſt es, die Aus⸗ 
drucksweiſe zu gebrauchen „hierzu Anteil (oder 
Miteigentum) an dem Wege Plan⸗Nr. x“, weil 
dieſe Ausdrucksweiſe Anlaß zu der Meinung geben 
kann, als handle es ſich bei den unſelbſtändigen 
Wegflächen um ein Miteigentumsverhältnis. Die 
Zugehörigkeit des vom Wege berührten Teiles iſt 
hier auch dann erkennbar zu machen, wenn für 
den Weg ein Schutzblatt nicht angelegt worden 
iſt. Der Zugehörigkeitsvermerk iſt in die zweite 
Längsſpalte des Titels im unmittelbaren Anſchluß 
an die Beſchreibung der Grundſtücke einzutragen; ““) 
iſt dies nicht möglich, weil die Grundſtücke ſchon 
eingetragen ſind und eine Umlegung des Blattes 
nicht veranlaßt iſt, ſo muß die Beiſchreibung des 
Vermerks in der Form einer ſelbſtändigen Ein— 
tragung geſchehen, z. B. in der Faſſung: 

„Am ... Zu Pl.-Nr. x gehört auch die 

zum Wege Pl.-Nr. Y gezogene Teilfläche“. 


In der Spalte für Anmerkungen iſt dann bei 


dieſer Eintragung auf die Nummer zu verweiſen, 
55) Vgl. IM Bel. vom 2. November 1910 (JMBl. 
S. 983). 
56) Vgl. Muſter XXI zur Dienſtanweiſung (Titel, 
fortl. Nr. 7 bei Plan-Nr. 155). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


unter der die Pl.⸗Nr. X vorgetragen iſt, bei dieſer 
Plannummer aber auf die den Zugehörigkeitsver⸗ 
merk enthaltende Eintragung („Teilfläche |. Nr...) 
Bezug zu nehmen. In jedem Falle iſt bei dem 
Zugehörigkeitsvermerk in der dritten Längsſpalte 
auch die Grundbuchſtelle anzugeben, an „welcher für 
den Weg ein Schutzblatt angelegt iſt; “) dagegen 
wird auf dem Schutzblatt der Wege⸗Plannumer nicht 
auf die Grundbuchblätter der Grundſtücke verwieſen, 
über die der Weg führt. Unzuläſſig iſt es den ganzen 
Zugehörigkeitsvermerk in der dritten Längsſpalte 
vorzutragen. 

Wurden Zugehörigkeitsvermerke bei Grund⸗ 
ſtücken eingetragen, die Beſtandteil eines Fidei⸗ 
kommißguts im Sinne der VII. Verfaſſungsbeilage 
find, jo hat der Grundbuchbeamte dem Fidei⸗ 
kommißgerichte nach 8 60 DAnw. hiervon Kenntnis 
zu geben; einer Ediktal⸗Ladung im Sinne des 
Tit. 2 8 26 der VII. Verf.⸗Beil. bedarf es na⸗ 
türlich in einem ſolchen Falle nicht. 

3. Im Sachregiſter iſt bei den Wegen in der 
fünften Spalte der Vermerk 

8 der Grundſtücke, über die der 


beiqufehen c l § 189 DAnw.). Die Beiſetzung dieſes 
Vermerks hat auch dann zu geſchehen, wenn für 
den Weg im Grundbuch ein Schutzblatt angelegt 
wird. Wenn im Grundſteuerkataſter bei der 
Plannummer eines Weges der Flächeninhalt nicht 
angegeben iſt, bleibt die zweite Spalte des Sach⸗ 
regiſters unausgefüllt, in der fünften Spalte wird 
der Vermerk 


„Ohne Flaͤchenangabe im Grundſteuer⸗ 
kataſter“ 
eingetragen. Iſt im Kataſter die Fläche des 


Weges nicht ausgeſchieden, aber in der Geſamt⸗ 
fläche enthalten, die der Weg gemeinſchaftlich mit 
anderen Wegen umfaßt, ſo iſt bei der erſten in 
der Geſamtfläche inbegriffenen Plannummer die 
Geſamtfläche unter Anführung der übrigen Plan⸗ 
nummern anzugeben. Wenn die Zahl der übrigen 
Plannummern ſehr groß iſt, genügt die Angabe 
der Geſamtflaͤche mit dem Zuſatz: 

„Geſamtfläche mit anderen nicht ſteuerbaren 

Plannummern“. 
Bei den übrigen Plannummern der in der 
Geſamtfläche inbegriffenen Grundſtücke iſt in der 
zweiten Spalte auf die erſte Spalte zu verweiſen 
(8 186 Abſ. 2 DAnw.). 

Bei den Grunditüden, über die der Weg 
führt, iſt der kataſtermäßigen Beſchreibung des 
Grundſtücks der Zuſatz 

„hierzu die zum Wege Pl⸗Nr. X gezogene 
Teilfläche“ 
beizufügen. Dieſer Vermerk iſt im Sachregiſter 
auch dann beizuſetzen, wenn er bereits im Titel 
des Grundbuchblattes eingeſchrieben iſt. 


7) Der Ausdruck „Zubehör“ ſtatt Beſtandteil iſt zu 
vermeiden. 


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113 


4. Beſondere Fälle: Iſt infolge der Ver⸗ 
legung eines unſelbſtändigen Weges die Abweichung 
des Planes von der Wirklichkeit jo groß.) daß 
es nicht angängig iſt, die im Plane ange: 
gebene Wegrichtung im Grundbuch zu beſchreiben, 
ſo kann man von der Anlegung eines Schutz⸗ 
blattes für die Wegplannummer und von der 
Beifügung des Zugehörigkeitsvermerkes zu den 
Hauptgrundſtücken im Grundbuch und Sach⸗ 
regiſter abſehen und ſich darauf beſchränken, der 
Wegeplannummer in der fünften Spalte den 
Vermerk nach $ 189 Satz 5 DAnw. beizuſetzen. 
Das gleiche gilt, wenn ein Weg als ſolcher in 
der Natur völlig verſchwunden iſt, ohne daß ein 
Erſatz für ihn geſchaffen wurde. In jedem Falle 
empfiehlt es ſich aber, die Ausnahme und ihren 
Grund in den Akten zu vermerken und hierauf 
im Sachregiſtervermerk kurz zu verweiſen. 

Wenn ein unſelbſtändiger Grenzweg auch 
Grundſtücke der benachbarten Steuergemeinde be⸗ 
rührt und dieſe zum Bezirke eines anderen 
Grundbuchamts gehört, darf die Mitteilung an 
das letztere nicht überſehen werden, damit es den 
in ſeinem Bezirke gelegenen Grundſtücken im 
Grundbuch und im Sachregiſter die vorgeſchriebenen 
Zugehörigkeitsvermerke beiſetzt. 

B. Wege, die eigene Grundſtücke 
ſind und im Eigentum einer einzelnen 
natürlichen oder juriſtiſchen Perſon ſtehen. 

Dieſe werden wie die übrigen Grundſtücke be⸗ 
handelt, gleichviel. ob ſie öffentliche Wege oder 
Privatwege, ob ſie Eigentum einer öffentlichen 
Korporation oder einer Privatperſon find. Die 
Eigenſchaft eines öffentlichen Weges kommt im 
Grundbuch nicht zum Ausdruck, auch dann nicht, 
wenn an dem öffentlichen Wege ein beſonderes 
auf privatrechtlicher Unterlage beruhendes Be⸗ 
nützungsrecht beanſprucht und eingetragen werden ſoll. 

C. Wege, die eigene Grunſtücke ſind 
und im Miteigentum mehrerer Per: 
ſonen ſtehen. 

1. Bei Wegen, die Miteigentum der je⸗ 
weiligen Eigentümer anderer Grundftüde find, 
kann nach $ 346 Abſ. 1 DAnw. davon abgeſehen 
werden in der erſten Abteilung des für das 
Grundſtück als Ganzes angelegten Blattes die 
Namen der als Miteigentümer in Betracht 
kommenden Eigentümer der Hauptgrundſtücke auf⸗ 
zuführen; es genügt hier die Eintragung: 

„Die jeweiligen Eigentümer der nach⸗ 
bezeichneten Grundſtücke, Miteigentümer 
nach Bruchteilen, und zwar der Eigentümer 
der Pl⸗Nr. x zu ½0 2c.“ 

Auf den für die Hauptgrundſtücke beſtehenden 
Grundbuchblättern nicht auch im Sachregiſter) 
ſoll nach $ 346 Abſ. 2 im Titel im Anſchluß 
an die kataſtermäßige Beſchreibung der Grund— 


sn) Benn der Weg in feinem neuen Verlaufe ganz 
andere Grundſtücke berührt. Siehe oben I, 4, 5. 


114 


ſtücke die Zugehörigkeit des Anteils an dem ge⸗ 
meinſchaftlichen Grundſtücke vermerkt werden, z. B. 

„hierzu Anteil“) an dem Wege Pl.⸗Nr. X.“ 
Dabei iſt in der 3. Längsſpalte auf die Stelle des 
Grundbuchs hinzuweiſen, an der das Blatt für 
das ganze Grundſtück angelegt iſt. 

Die Vorſchrift in § 346 Abſ. 1 gilt für alle 
Fälle, in denen das Miteigentum am Wege mit 
dem Eigentum an einem anderen Grundſtücke 
verbunden iſt, gleichviel ob dieſe Verbindung auf 
gewohnheitsrechtlicher Entwicklung, ſohin auf geſetz⸗ 


licher Unterlage (Art. 43 UebG.) oder auf einer 


Erklärung im Sinne des $ 34 HypG., nun des 
§ 890 Abſ. 2 BGB. beruht; dagegen iſt die 
Vorſchrift in 8 346 Abſ. 2 entbehrlich, wenn die 
Verbindung auf einer Erklärung der Berechtigten 
beruht; 
bindung ſchon durch die Zuſchreibung des Anteils 
als Beſtandteil des Hauptgrundſtücks im Grund— 
buch zum Ausdruck. 


denn in dieſem Falle kommt die Ver⸗ 


zu 8 924 3 
gleiche muß nach 8 936 ZPO. wegen des Mangels 


Sowohl im Falle des Art. 43 UeG. wie in 


dem Falle, wenn die Verbindung auf einer Er— 
klärung beruht, kann die Eintragung einer Grund— 
dienſtbarkeit auf dem gemeinſchaftlichen Wege ver— 
langt werden. Wenn für dieſen ſelbſt ein Blatt 
nicht angelegt iſt, ſondern nur die einzelnen Mit— 
eigentumsanteile auf verſchiedenen Blättern ein: 
getragen ſind, ſo begegnet die Eintragung der 
Grunddienſtbarkeiten gewiſſen Schwierigkeiten. Dieſe 
können nicht dadurch beſeitigt werden, daß die 
Dienſtbarkeiten als Belaſtungen der einzelnen Mit: 
eigentumsanteile zur Eintragung kommen; die 
Dienſtbarkeiten können nur als Belaſtung des 
Grundſtücks eingetragen werden. Dies kann in 
der Weiſe geſchehen, daß man die Blätter für die 
einzelnen Anteile zuſammen als Blatt des Grund— 
ſtücks betrachtet und für die Eintragung auf jedem 
Anteilsblatte die gleiche Faſſung wählt, alſo auf 
jedem Blatte die jeweiligen Eigentümer der ſämt— 
lichen herrſchenden Grundſtücke als Berechtigte 
bezeichnet z. B. 
„Am . . . Fahrtrecht an Pl.⸗Nr. 10 für 
die jeweiligen Eigentümer der Grundftüde 
Pl.⸗Nr. 1, 2, 3 nach der näheren Bezeichnung 
in der Eintragungsbewilligung ꝛc., einge: 
tragen als Belaſtung der Pl.-Nr. 10.“ 
Man kann aber auch für das gemeinſchaftliche 
Grundſtück Pl.⸗Nr. 10 ein eigenes Blatt anlegen, 
auf dieſem in der vorbezeichneten Faſſung die 


Grunddienſtbarkeit für ſämtliche Miteigentümer 


merkung für unnötig, wenn die einſtweilige Ver— 


(die jeweil. Eigentümer der Pl. ⸗Nr. 1, 2, 3) vor: 


tragen und durch gegenſeitige Verweiſungen in 


der dritten Spalte der vier Blätter (für die drei 
Anteile und das Grundſtück als Ganzes) den 


Zuſammenhang zwiſchen dem Blatte für das 


Grundſtück als Ganzes und den Blättern für die 
einzelnen Miteigentumsanteile erhalten. 


50) Anteil, nicht Le im Gegenſaße zu 8 300 
TAnw., ſ. oben Ziff. 2 


AZgettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


Mitteilungen aus ” Praxis. 


Löſchungsklage. Widerſpruch gegen eine einſt⸗ 
weilige Verfügung. I. Ein Konkursverwalter hatte 
beim Amtsgericht eine einſtweilige Verfügung er⸗ 
wirkt, derzufolge auf dem Grundbuchblatte für das 
Anweſen des Schuldners eine Vormerkung zur 
Sicherung des Anſpruchs auf Einräumung einer 
Sicherungshypothek für eine Bauforderung einge⸗ 
tragen worden war. Der Schuldner erhob nach der 
Zuſtellung der einſtweiligen Verfügung zum Land⸗ 
gerichte Klage auf Löſchung der Vormerkung. Die 
Klage wurde abgewieſen mit folgender Begründung: 


„Die ZPO. beſtimmt in 8 924, daß gegen den Be⸗ 
ſchluß, durch den der Arreſt angeordnet wird, Wider⸗ 
ſpruch ſtattfindet. Dieſe Vorſchrift ſchließt die Be— 
ſeitigung des Arreſtes und ſeiner Wirkungen auf 
einem anderen Wege, etwa durch Klage, Beſchwerde 
oder Einrede in einem anderen Rechtsſtreite aus. 
(Vgl. Gaupp-Stein, Peterſen, Struckmann und Koch 
O., RGS. 14, 391; 18, 376). Das 


einer gegenteiligen Beſtimmung in den 88 937— 945 
3PO. auch für die einſtweilige Verfügung gelten. 
Mit den Unterſchieden zwiſchen der einſtweiligen Ver— 
fügung und dem Arreſt kann man die gegenteilige 
Auffaſſung nicht begründen, ebenſowenig aus $ 942 
3PO. 8 942 ZPO. gibt nach richtiger Auslegung 
allerdings auch dem Schuldner das Recht, innerhalb 
der vom Amtsgerichte feſtgeſetzten Friſt ſeinen Gegner 
zur mündlichen Verhandlung laden zu laſſen, oder 
falls die Friſt nicht beſtimmt wurde, ſie nachträglich 
ſetzen zu laſſen (vgl. JW. 1897 S. 420, Sydow⸗Buſch 
Bem. 6 zu § 942). Dabei handelt es ſich aber wie 
beim Widerſpruchsverfahren nach $ 924 ZPO. um ein 
Verfahren, in dem nach der ausdrücklichen Geſetzes⸗ 
vorſchrift „über die Rechtmäßigkeit der einſtweiligen 
Verfügung“, nicht über die „ entſchieden 
werden ſoll (vgl. JW. 1902 S. 185). 

Da das Geſetz 1 das Widerſpruchs⸗ 
verfahren zuläßt, iſt kein Raum für eine Klage auf 
Aufhebung des Arreſtes oder der einſtweiligen Ver— 
fügung, auch nicht für eine Klage, die die Wirkungen 
des Vollzugs der einſtweiligen Verfügung beſeitigen 
will. Eine einſtweilige Verfügung beſteht mit der 
Kraft einer vollſtreckbaren Entſcheidung, ſolange ſie 
nicht aufgehoben iſt. Sie beſtehen zu laſſen, ihre 
Wirkſamkeit aber durch eine Entſcheidung in einem 
anderen Verfahren aufzuheben, geht ſo wenig an, wie 
die Beſeitigung einer anderen vorläufig vollſtreckbaren 
Entſcheidung durch ein neues Prozeßverfahren. 

Die Vorſchriften der 83 886, 894 BGB., auf die 
ſich der Vertreter des Klägers zur Begründung ſeiner 
Klage beruft, können nicht für das Verfahren maß— 


gebend ſein, ſondern ſetzen nur die Rechte des durch 
den Eintrag benachteiligten Grundeigentümers gegen— 


über dem Gläubiger feſt. Der 8 25 GBO., der den 
822 GBO. ergänzt, erklärt ausdrücklich die Bewilli⸗ 
gung des Berechtigten zur Löſchung einer auf Grund 
einer einſtweiligen Verfügung eingetragenen Vor— 


fügung durch eine vollſtreckbare Entſcheidung aufge— 
hoben wird. Kann und muß der Schuldner auf dem 
Wege des Widerſpruchs die Aufhebung der einſt— 
weiligen Verfuͤgung herbeiführen, ſo iſt eine Klage, 
durch die er den Gläubiger zur Löſchungsbewilligung 
nötigen und ſeine mangelnde Einwilligung durch ein 
Urteil nach 8 894 ZPO. erlegen will, unnötig und 
auch aus dieſem Grunde unzuläſſig. 

Zu prüfen iſt noch, ob nicht die Klage ſelbſt die 
Erforderniſſe des von der ZPO. vorgeſehenen „Wider: 
ſpruchs“ enthält. Das iſt zu verneinen; denn der 
Widerſpruchskläger hat die Aufhebung der Anord— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


115 


nung, der er widerſpricht, zu begehren. Ein ſolches 


| 


Begehren ift aber weder in der Klage enthalten, noch 
übrigens nicht allein aus 8 886 und 894 BGB. be- 


mündlich vorgebracht worden. Da die einſtweilige 
Verfügung vom Amtsgericht erlaſſen war, ſo wäre 
der Widerſpruch auch bei dieſem anzubringen geweſen, 
nicht beim Landgericht (88 924, 925 3PO.).“ 


Das Oberlandesgericht hob dieſes Urteil auf und 
verwies die Sache an das Landgericht zurück. 


Aus den Gründen: „Die auf Grund der 
einſtweiligen Verfügung eingetragene Vormerkung 
ſichert einen Anſpruch i. S. des S 883 BGB. Die 
Kläger behaupten, der der Vormerkung zugrunde ge— 
legte San fei zum Teil nicht vorhanden geweſen, 
zum Teil durch Aufrechnung erloſchen. Sie machen 
alſo eine Einrede geltend, welche die Geltendmachung 
des Anſpruchs dauernd ausſchließen würde (§886 BGB.). 
Der Weg, die Beſeitigung der Vormerkung zu fordern, 
ift hier die Klage auf Löſchung, fie iſt eine dingliche 
Klage, ſohin auch 
läſſig. Nach 88 885 BGB. wird eine Vormerkung 
auch auf Grund einer einſtweiligen Verfügung gemäß 
§ 935 ZPO. eingetragen. Das L hat ange⸗ 


nommen, daß eine ſolche Vormerkung nur durch den GB ftreifte und ihn nicht zum Ausgangspunkt für 


Widerſpruch gegen die einſtweilige Verfügung er— 
reicht werden könnte. Dieſe Annahme iſt irrig. 
Richtig iſt allerdings, daß nach 8 936 ZPO. auf die 
Anordnung und das weitere Verfahren bei einit- 
weiligen Verfügungen die Vorſchriften über das 
Arreſtverfahren entſprechende Anwendung finden, 
ſoweit nicht abweichende Vorſchriften getroffen ſind, 
und daß in dieſen nicht ausgeſprochen iſt, daß bei 
der einſtweiligen Verfügung außer dem Widerſpruch 
noch ein anderes Rechtsmittel gegeben ſei. Der 
Widerſpruch iſt der einzige prozeſſuale Rechtsbehelf 
gegen die einſtweilige Verfügung. Durch deren Auf— 
hebung wird aber keine Entſcheidung darüber ge— 
troffen, ob der Anſpruch unbegründet iſt, ſondern nur 
darüber, ob er glaubhaft gemacht iſt. 
ſchauung des LG. richtig, daß die einſtweilige Ver⸗ 
fügung eine gewiſſe Rechtshängigkeit ſchafft, die ein 
zweites Verfahren ausſchließt, jo wäre die Durch— 
führung des Hauptprozeſſes neben dem Verfahren 
über die einſtweilige Verfügung unzuläſſig, was aber 
nicht der Fall iſt. 


auf Grund einer i e Verfügung eingetragen 
iſt Die Klage auf Löſchung der Vormerkung iſt 


gründet, ſondern auch als Negatorienklage gemäß 


8 1004 BGB. zulaſſig. 


gegen den Konkursverwalter zu⸗ 


Wäre die An⸗ 


Die Berufung des Beklagten auf 8 25 GBO. geht 
fehl. Zunächſt hat der Prozeßrichter nicht zu prüfen, 
ob der Grundbuchrichter löſchen wird, wenn der 
Kläger ſiegt; der Klagantrag begehrt ja aber auch die in 
§ 25 GBO. vorgeſehene Bewilligung der Löſchung. 
Auch 8 894 BGB. könnte von den Klägern ange⸗ 
wendet werden.“ 


II. Ein Vergleich zwiſchen dieſen beiden Ent⸗ 
ſcheidungen ergibt, daß das LG. das Hauptgewicht 
auf die formell- rechtlichen Beſtimmungen legt, während 
das OLG. feine Entſcheidung auf die materiellerecht: 
lichen Vorſchriften gründet, ohne dabei anzugeben, 
welches Geſetz das rechtfertigt. Und doch wäre dieſe 
Angabe erforderlich, da die einſtweilige Verfügung 
den erſten Anſtoß gab und da ſie noch vor der An⸗ 
bringung der Löſchungsklage zugeſtellt war. Daß 
das OLG. in den Gründen nur am Schluſſe den 8 25 


ſeine Unterſuchungen nahm, daß es ferner nicht die 
geſetzliche Vorſchrift anführte, die neben dem Wider⸗ 
ſpruche gegen eine einſtweilige Verfügung die 
Löſchungsklage gewährt, das ſind vor allem die 
Gründe, warum die Ausführungen des OLG. nicht 
überzeugen können. 

Wie die Löſchung einer Vormerkung herbeizu⸗ 
führen iſt, beſtimmt nur die GBO. und ſie regelt in 
ihrem 8 25 den Fall, daß der Berechtigte, der eine 
Vormerkung auf Grund einer einſtweiligen Ver⸗ 
fügung erlangt hat, nicht in die Löſchung willigt: 
Hier iſt zu löſchen, wenn die einſtweilige Verfügung 
durch eine vollſtreckbare Entſcheidung aufgehoben iſt. 


Es iſt alſo zunächſt eine vollſtreckbare Entſcheidung 


und Inhalt dieſer Entſcheidung. 


herbeizuführen und es bleibt die Frage nach Form 
Dabei iſt zu be⸗ 
tonen, daß 8 25 GBO. ſich an 8 19 des preuß. AG. 


z. ZPO. vom 24. März 1897 anſchließt, der ſagt: 


Der Anſpruch auf Einräumung einer Sicherungs- 
hypothek an dem Baugrundſtück des Beſtellers febt . 


nach 8 648 BGB. eine Forderung des Unternehmers 
aus dem Bauvertrage voraus. 
einem Teile dieſer Forderung die Einrede der Auf— 
rechnung entgegen. Iſt dieſe begründet, ſo fällt die 
Vorausſetzung des 8 648 BGB. weg und es iſt die 
Geltendmachung des Anſpruchs auf Einräumung 
einer Sicherungshypothek 9 ausgeſchloſſen. 
Für dieſen Fall gewährt § 886 BGB. ausdrücklich 
demjenigen, deſſen Grundſtück von einer Vormerkung 
eines Anſpruchs i. S. des 8 883 BGB. getroffen wird, 
das Recht, die Beſeitigung der Vormerkung zu ver— 
langen, die Vormerkung ſelbſt erliſcht aber erſt 
durch die Löſchung; es iſt deshalb die Klage der 
richtige Weg. Daß etwa § 886 BGB. den Fall der 
Eintragung auf Grund einſtweiliger Verfügung nicht 
treffen wollte, iſt nicht zu vermuten, es müßte das 
ausdrücklich ausgeſprochen ſein. Aus dem Wortlaut 
des Schlußſatzes des §S 886 BGB. „fo kann er von 
dem Gläubiger die Beſeitigung der Vormerkung ver— 
langen“, geht deutlich hervor, daß der Gläubiger die 
Befeitigung auch mit beſonderer Klage fordern darf 
(vgl. Staudinger, Anm. b zu $ 886 BGB.). Wäre 
etwa in der Behauptung des Klägers, ein Teil der 
Bauforderung habe von Anfang an nicht beſtanden, 
keine Einrede i. S. des 8 886 BGB, ſondern die Er— 
hebung eines Anſpruchs aus 8 894 BGB. zu er⸗ 
blicken, ſo würde dafür gleichfalls die Klage auf 
Löſchung der Vormerkung geſtattet ſein, obwohl dieſe 


Die Kläger ſetzten 


„Die durch einſtweilige Verfügung angeordneten Ein⸗ 
tragungen im Grund⸗ oder Hypothekenbuch find durch 
Vorlage eines vollſtreckbaren Urteils oder Beſchluſſes, 
welche die einſtweilige Verfügung aufheben, auf An⸗ 
trag des Eigentümers zu löſchen.“ Alſo ergibt ſich 


die neue Frage, durch welche Entſcheidung — Urteil 


mm —ͤ ä — —— —— —́Gÿ¹AuV— 4 — — 


läutert, wie folgt: 


oder Beſchluß — wird eine einſtweilige Verfügung 
aufgehoben? Wenn auch 8 25 GBO. die Worte 
„welche die einſtweilige Verfügung aufheben“ nicht 
übernommen hat, ſo ergibt doch die Denkſchrift zur 
GBO. (abgedr. in der Ausgabe von Heymanns Ver⸗ 
lag, Berlin 1897 ©. 41), daß 8 25 GBO. nichts 
anderes vorſchreiben wollte, als das früher geltende 
preußiſche Recht; denn es heißt hier in der Denk: 
ſchrift: „Iſt zufolge einer einſtweiligen Verfügung 
eine Vormerkung oder ein Widerſpruch eingetragen, 
ſo verliert dieſe Eintragung ohne weiteres ihre Be⸗ 
rechtigung, wenn die gerichtliche Anordnung, auf der 
ſie beruht, wegfällt.“ 

Es bleibt alſo bei der Frage, durch welche Ent- 
ſcheidung eine einſtweilige Verfügung aufgehoben 
wird. Sie iſt in § 936 ff. ZPO. geregelt und es iſt 
von § 936 ZPO. auszugehen, den Gaupp-Stein 
(3) O. 8./9. Aufl., 1908, Bd. II S. 818 II) in Ueber: 
einſtimmung mit Literatur und Rechtſprechung er— 
„Auch das Widerſpruchsverfahren 
findet wie beim Arreſt in allen Fällen ſtatt, wo die 


116 


einstweilige Verfügung ohne vorgängige mündliche 
Verhandlung erlaſſen wurde. Hat dagegen das Amts⸗ 
gericht, in deſſen Bezirk ſich der Streitgegenſtand be⸗ 
findet, ausnahmsweiſe die Verfügung erlaſſen, ſo 
findet nicht der Widerſpruch, ſondern das Verfahren 
nach 8 942 ZPO. Anwendung.“ Alſo entweder 8 924 
oder 942 ZPO., kein anderer Weg, feine Bezug⸗ 
nahme auf Vorſchriften materiellen Rechts! Warum? 

a) Verfolgt man die Entſtehungsgeſchichte des 8 924, 
des 8 804 älterer, des § 749 älteſter Faſſung, ſo er⸗ 
gibt ein Vergleich völlig gleichen Wortlaut, gegen 
welchen ſich nie Einwände erhoben. (Vgl. Hahn, 
Materialien). Dort iſt nur auf S. 474 betont, daß 
das Ausnahmeverfahren den Zweck ſchnellſter Er⸗ 
ledigung verfolge. Auch die bis heute ergangenen 
Novellen zur ZPO. verändern dieſes Bild nicht. So 
brachte die Novelle von 1898 die Vorſchriften des 
Zivilprozeßrechts mit denen des bürgerlichen Rechts 
in Einklang, ohne eine Vorſchrift zu ſchaffen, wonach 
die Beſtimmungen über das Widerſpruchsverfahren 
ergänzt, abgeändert oder aufgehoben worden wären. 
Auf eine ſolche Vorſchrift müßte ſich aber berufen 
können, wer in die Vorſchriften der ZPO. über das 
Widerſpruchsverfahren materiell⸗ rechtliche Beſtim⸗ 
mungen einbeziehen will. Es handelt ſich hier nur 
um die Frage, in welchem Verfahren eine einſtweilige 
Verfügung aufgehoben wird. Zu einer befriedigenden 
Löſung wird nur gelangen, wer dieſe Grenze genau 
einhält und nicht behauptet, daß das Verfahren zur 
Aufhebung einer einſtweiligen Verfügung, die einen 
Grundbucheintrag bewirkt hat, geſondert geregelt ſei. 

b) Der Wortlaut des 8 924 und des 8 942 ZPO. 
läßt jeden Hinweis darauf vermiſſen, daß außer den 
hier feſtgeſetzten Wegen noch andere gangbar ſein 
ſollten. Das Geſetz hätte, wie auch ſonſt, durch den 
Gebrauch des Wortes „können“ eine Berechtigung 
zur Beſchreitung anderer Wege ausdrücklich feſtſetzen 
müſſen. So hat auch die Rechtſprechung vor der 
Novelle vom 17. Mai 1898 übereinſtimmend und 
gleichmäßig entſchieden und zwar nicht nur das 
Reichsgericht, ſondern auch das Oberlandesgericht Kiel 
und das bayerische Oberſte Landesgericht (vgl. RGS. 
14, 391; 18, 361, 377; 30, 472; Seuff. Arch. Bd. 38 
Nr. 293; ferner die zahlreichen Entſcheidungen über 
die ausſchließliche Zuſtändigkeit, die ſich gleichfalls 
nur auf der Grundlage der hier verteidigten Auf⸗ 
faſſung erklären laſſen, z. B. RGS. 29, 396; 37, 
369 und für Bayern Seuff. Arch, Bd. 40, Nr. 81; 
Bd. 46, Nr. 156). 

In einem dieſer letzteren Erkenntniſſe wird geilt- 
voll der Widerſpruch im Arreſtverfahren uſw. mit 
dem gegen einen Zahlungsbefehl verglichen und in 
der Tat wird man beide Widerſprüche mit Seuffert 
(ZPO. 9. Aufl. 1903 Bd. II, Anm. 1 zu 8 924 S. 623) 
als völlig gleich zu behandelnde Rechtsmittel in 
weiterem Sinne bezeichnen müſſen. Trotz des Wider- 
ſpruchs gegen einen Zabhlungsbefehl bleiben gemäß 
§ 695 ZPO. die Wirkungen der Rechtshängigkeit be— 
ſtehen. Die innere Gleichheit, wie auch der geſetzliche 
Wortlaut, der das „können“ vermiſſen läßt, zwingen 
beim Mangel einer ausdrücklich anderen geſetzlichen 
Beſtimmung das gleiche für den Widerſpruch anzu— 
nehmen. Die Verfabren beim Zahlungsbefehl, wie 
auch beim Arreſt und bei der einſtweiligen Ber: 
fügung ſind Vorverfahren, die es ihrem inneren 
Weſen nach nicht vertragen, daß ein Teil von dem 
einmal begangenen Wege abgeht und einen anderen 


— — — ͤ ᷓÜBœœ— 
— . a a ̃]—— — — . — ——— 


Zeitſchrift für e Nechtapllege in Bapern. 1911. Nr. 6. in Bayern. 1911. Nr. 5. 


betritt; auch der andere Teil muß auf dem Weg 
folgen, den der eine beſchritten hat. 

So die Rechtſprechung vor der Novelle vom 
17. Mai 1898. Aus der Zeit nach dieſem Tage 
wurde nur in dem in der JW. 1901 S. 160 Nr. 9 
veröffentlichten Reichsgerichtserkenntnis eine Stellung⸗ 
nahme zu der Frage gefunden; außerdem nur in dem 
in der OLG. Rſpr. Bd. 13 S. 190 veröfſentlichten 
Erkenntnis des OLG. Celle; beide weichen von der 
erwähnten Rechtſprechung nicht ab. Und in der Tat 
liegt kein Grund dazu vor. 

c) Auch die Literatur zur ZPO. pflichtet völlig 
der Rechtſprechung bei (Seuffert a. a. O. zu 8 928, 
Peterſen, 5. Aufl. 1906, Bd. II S. 667 Anm. 1. Neu⸗ 
miller EBD. zu 8 924 S. 415, Gaupp⸗Stein a. a. O. 
8 924 I S. 796). Dieſer beginnt die Erläuterungen 
in feiner jüngſt veröffentlichten Novelle zur ZPO. 
vom 1. Juni 1909 S. 167 zu 8 924 mit den Worten: 
„Ueber den Widerſpruch, den alleinigen Rechts⸗ 
behelf des Schuldners gegen den in Beſchlußform er⸗ 
laſſenen Arreſtbefehl“! 

Dieſe Unterſuchungen widerlegen die vereinzelte 
Anſchauung Staudingers a. a. O., die er ſelbſt zu 
begründen unterläßt, und zwingen die herrſchende An⸗ 
ſchauung als allein richtig anzuerkennen. Möglicher⸗ 
weiſe würde Staudinger doch auch im vorliegenden 
Falle mit der hier gewonnenen Löſung einverſtanden 
ſein, weil die einſtweilige Verfügung dem Kläger 
vor der Erhebung der Klage zugeſtellt wurde. Denn 
mit der angeführten Rechtſprechung des Oberſten 
Landesgerichts und Seufſert a. a. O. wird bebauptet, 
daß mindeſtens die Schritte zur Aufhebung einer 
zugeſtellten einſtweiligen Verfügung als Rechts⸗ 
mittel in weiterem Sinne zu beurteilen und zu 
würdigen ſind, ſo daß die einſtweilige Verfügung 
mindeſtens von der Zuſtellung an mit den Wirkungen 
der Rechtshängigkeit zu bekleiden iſt. Ob Staudinger 
für den Fall beigepflichtet werden könnte, daß noch 
nicht zugeſtellt iſt, braucht hier nicht unterſucht 
zu werden. 

Auch die gelegentliche Bemerkung des Kammer- 
gerichts (OLG. Rſpr. Bd. 10 S. 400) bezieht ſich auf 
eine noch nicht zugeſtellte Verfügung. Selbſtver⸗ 
ſtändlich iſt aber die Zuſtellung Grundbedingung für 
die Wirkung der Rechtshängigkeit. Deshalb wird 
vielleicht die hier erörterte Frage verſchieden zu be⸗ 
antworten ſein, je nachdem die einſtweilige Ver⸗ 
fügung vor der Zuſtellung der Löſchungsklage zuge⸗ 
ſtellt war oder nicht. 

Hieran ändert auch die vom Berufungsgerichte 
hervorgehobene Tatſache nichts, daß gleichzeitig mit 
dem Verfahren wegen einſtweiliger Verfügung der 
Hauptrechtsſtreit laufen kann; denn die Zuläſſigkeit 
des gleichzeitigen Laufes beider Verfahren iſt geſetzlich 
ausdrücklich gewährleiſtet. Sohin kann gemäß 8 25 
GBO. die Bewilligung des Berechtigten zur Löſchung 
einer Vormerkung, die auf Grund einer zugeſtellten 
einſtweiligen Verfügung eingetragen iſt, nur durch 
eine vollſtreckbare Entſcheidung erſetzt werden, die ſie 
in geſetzlichem Weg gemäß den formellen Vorſchriften 
der ZPO. aufhebt. Dieſe “ Löſung allein befriedigt. 
Denn der Vollzug einer ſolchen Eintragung im 
Grundbuch iſt nicht anders einzuſchätzen, als der 
einer jeden anderen Vollſtreckungsmaßregel. Eben— 
ſowenig, wie der Gerichtsvollzieher (abgeſehen von 
den ausdrücklich zugelaſſenen Ausnahmen in 88 767 ff.) 


die Pfändung aufheben darf, ſolange die fie bes 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


gründende Entſcheidung noch wirkſam iſt, ebenſowenig 
wie die Aufhebung etwa wegen einer der negativen Feſt⸗ 
ſtellungsklage ſtattgebenden Entſcheidung begründet 
wäre, ebenſowenig darf in folder Weiſe etwa der Grunde 
buchbeamte handeln. Er müßte trotz einer auf Löſchung 
erkennenden Entſcheidung die Löſchung verweigern, bis 
ihm der Wegfall der Grundlage, d. i. der einſt⸗ 
weiligen Verfügung, nachgewieſen iſt. Hierzu iſt 
aber nur der Weg des Widerſpruchs gegeben, allen⸗ 
falls der des 8 942 ZPO., gewiß aber kein anderer. 
Mit Recht weiſt auch das OLG. Celle in der ange⸗ 
führten Entſcheidung in OLG. Rſpr. Bd. 13 S. 190 
darauf hin, daß angeſichts der 88 924, 927, 936 ZPO. 
-ein Urteil auch nicht ein Intereſſe des Klägers an 
alsbaldiger richterlicher Feſtſtellung annehmen könnte, 
und deshalb eine Feſtſtellungsklage unzuläſſig ſei. 
Schließlich iſt die Frage der Tragung der Koſten 
aufzuwerfen: Es bedarf nur des Hinweiſes, daß 
dieſe weit geringer ſind, wenn die durch die ZPO. 
vorgeſchriebenen Wege eingeſchlagen werden, als 
wenn die Löſchungsklage gewählt wird. Nach aner⸗ 
kanntem Rechtsgrundſatz hat aber der unterliegende 
Teil nur die notwendigen Koſten zu erſtatten, d. h. 
für den Fall der Zuläſſigkeit auch der Löſchungsklage 
nur die Koſten, die beim Verfahren nach 88 936 ff. 
ZPO. entſtanden wären, während der Mehrbetrag 
vom Klageteil zu tragen und zu erſtatten iſt, auch 


wenn er ſiegt. 
Rechtsanwalt Landau in Nürnberg 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Umfang der Haftung des Staats für das N 
des Grundbuchbeamten (5 12 GBD., § 839 868.). Iſt 
unter allen Umſtänden ein Mitverſchulden bes Verletzten 
(8 839 Abſ. 3 BGB.) darin zu finden, daß er nicht die 
Beſchwerde gegen die Ablehnung einer Auflaſſung er: 
greift? Der Kläger hatte von den Landwirten E., B. 
und K. Brundbeſitz gekauft, ihn parzelliert und ſodann 
an fünfzig Perſonen weiter verkauft. Mit den drei 
Verkäufern und ſeinen fünfzig Abkäufern erſchien er 
dann zur Auflaſſung vor dem Amtsgerichte. 
Die Erſchienenen waren hier darüber einig, daß die 
einzelnen Grundſtücke unmittelbar von den drei Ver⸗ 
käufern an die Abkäufer des Klägers aufgelaſſen 
werden follten und ſtellten auch an den Grundbuch— 
richter das Verlangen, eine ſolche Auflaſſung 155 
nehmen. Der Grundbuchrichter lehnte die Aufnahme 
ab und erklärte ſich nur bereit, eine Verhandlung über 
eine Auflaſſung zwiſchen den drei Erſtverkäufern und 
dem Kläger und ſodann eine weitere Verhandlung über 
eine Auflaſſung zwiſchen dem letzteren und ſeinen Ab⸗ 
käufern aufzunehmen. Der Kläger ſah ſich dadurch 
genötigt. eine doppelte Auflaſſung ſtattfinden zu laſſen; 
zunächſt ließ er die gekauften Grundſtücke auf ſeinen 
eigenen Namen im Grundbuche überſchreiben und ſo— 
dann erteilte er ſeinen Abkäufern Auflaſſung. Durch 
die erſte Auflaſſung find 961.82 M Koſten entſtanden. 
Auf Erſtattung dieſes Betrages wurde der Fiskus ver⸗ 
klagt. Das OLG. hat die Klage abgewieſen. Die 
ee hatte Erfolg. 

s den Gründen: Nach 8 12 GB. trifft 
den Beteitinten gegenüber die im $ 839 BGB. be⸗ 
ſtimmte Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den 
Staat oder die Körperſchaft, in deren Dienſt der Be⸗ 
amte ſteht; daraus folgt hier allerdings, daß auch der 


117 


Staat nur unter den Beſchränkungen haftet, unter denen 
beim Fehlen des 8 12 GBO. der Beamte [ron nach 
8 839 BGB. gehaftet haben würde, daß mithin auch 
für die Haftung des Staates aus 8 12 GBO. die im 
Abſ. 3 des § 839 BGB. gegebene Beſchränkung gilt, 
wonach eine Erſatzpflicht überhaupt nicht eintritt, 
ſondern ausgeſchloſſen iſt, wenn der Verletzte vorſätzlich 
oder fahrläſſig unterlaſſen hat, den Schaden durch 
Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, wenn er 
alſo nicht bloß die Möglichkeit hatte, zur Abwendung 
des Schadens ein Rechtsmittel zu benutzen, ſondern 
wenn die Nichtbenutzung dieſes Rechtsmittels auch 
ſchuldhaft war. Hier ſteht ferner allerdings feſt, daß 
dem Kläger gegenüber der e eehgeD Weigerung 
des Grundbuchrichters gemäß 88 71 ff. GBO. das 
Rechtsmittel der Beſchwerde zuſtand und daß er von 
dieſem Rechtsmittel keinen Gebrauch gemacht hat. Ein 
Verſchulden kann aber darin nicht gefunden werden. 
Da der Abf. 3 des 8 839 BGB. nur eine Ausnahme 
von der gewöhnlichen Regel feſtſetzt, trifft die Beweis⸗ 
laſt für das Vorhandenſein der dort geforderten Voraus⸗ 
ſetzungen, mithin auch für das Verſchulden des Ver⸗ 
letzten, denjenigen, der ſich auf jene Ausnahmebe⸗ 
ſtimmung beruft, hier alſo den Fiskus. Dieſer hat 
aber irgend welche ſchlüſſige Tatſachen in den Vor⸗ 
inſtanzen nicht behauptet. Aber auch abgeſehen hier⸗ 
von ergibt die Sachlage kein Verſchulden des Klägers. 
Ein ſolches Verſchulden war ausgeſchloſſen, wenn an 
dem Tage, an dem der Kläger und ſeine fünfzig Ab— 
käufer zur Vornahme der Auflaſſung vor dem Grund— 
buchamt erſchienen, noch gar keine formgültigen, 
bindenden Kaufverträge nach 8 313 BGB. vor⸗ 
lagen. Denn wenn es an ſolchen Verträgen da— 
mals fehlte, wenn mithin die Abkäufer nicht ge= 
bunden waren, ſo konnte und mußte der Kläger für 
den Fall einer Ergebnisloſigkeit des Auflaſſungstermins 
Schwierigkeiten für die ſpätere Abwickelung des Ge— 
ſchäfts, Rücktrittserklärungen des einen oder anderen 
Abkäufers oder dgl. befürchten. Er handelte dann 
nur vernünftig und zweckentſprechend, wenn er eine 
Beſchwerde unterließ und die gleichzeitige Anweſenheit 
aller Beteiligten, die damals zur Vornahme der Auf- 
laſſung bereit waren, benutzte, um ſofort die Sache 
endgültig zu erledigen. Nun hat zwar das Berufun 

gericht nicht feſtgeſtellt, ob an dem Tage der Auf⸗ 
laſſung formgültige bindende Kaufverträge vorlagen 
oder nicht. Eine Zurückverweiſung behufs weiterer 
Aufklärung war indeſſen überflüſſig, da ſelbſt dann 
das Verſchulden des Klägers zu verneinen iſt, wenn 
Kaufverträge damals beſtanden haben ſollten. Es kann 
ihm als einem Laien nicht verübelt werden, wenn er 
glaubte, infolge einer Ergebnisloſigkeit des Auflaffungs- 
termins ſeinen fünfzig oder mehr Abkäufern gegenüber 
ſchon deshalb zu einer Entſchädigung insbeſondere 
wegen Zeitverſäumnis verpflichtet zu ſein, weil er ſie 
zu jenem Termine beſtellt hatte; ebenſowenig konnte 
von ihm verlangt werden, daß er die Höhe dieſer 
Entſchädigung und die Höhe des ihm bei einer doppelten 
Auflaſſung entſtehenden Schadens ſofort überſah und 
beide verglich. Endlich konnte er auch beim Vorliegen 
bindender Kaufverträge bei der großen Zahl von 
Käufern mit Grund annehmen, daß er Schwierigkeiten 
und Weitläufigkeiten haben, vielleicht ſogar der Klage 
des einen oder anderen Käufers ausgeſetzt ſein werde, 
wenn er die Auflaſſung nicht ſofort vor ſich gehen 
laſſe. Unter allen dieſen Umſtänden kann es ihm 
nicht zum Verſchulden zugerechnet werden, daß er von 
einer Beſchwerde Abſtand nahm und dem an ſich un— 
gerechtfertigten Verlangen des Grundbuchrichters nach 
Vornahme einer doppelten Auflaſſung nachgab. Die 
Vorſchrift des § 839 Abſ. 3 BGB. ſteht ſomit dem 
Beklagten nicht zur Seite; damit iſt die Erſatzpflicht 
des Beklagten aus 8 12 GBO. gegeben. (Urt. des V. 
38S. vom 21. Dezember 1910, V 83/10). 

2159 


—— — . 


118 


II. 


Wenn eine Auflaſſung vollzogen wurde, obwohl 
keine Einigung über die Eigentumsübertragung vorlag, 
ſo bedarf es zur Beſeitigung des Fehlers nicht einer 
Nückauflaſſung, ſondern nur der Berichtigung des Grund⸗ 
buchs. Vereinbarungen hierüber unterliegen nicht der 
Formvorſchrift des 5 313 B88. Eine Verurteilung 
zur Auflaſſung an eine andere Perſon als den Eigen⸗ 
tümer — etwa an den Zeifienar des Eigentümers — iſt 
unzuläſſig. Aus den Gründen: Das OLG. hat 
mit Recht angenommen, daß die Auflaſſung inſoweit 
nichtig war, als die Bezeichnung des Grundſtückes 
auch die S. wieſe umfaßte, daß ferner der Beklagte 
das Eigentum an der Wieſe nicht dadurch allein er⸗ 
langte, daß er als Eigentümer der Wieſe in das 
Grundbuch eingetragen wurde, die Wieſe vielmehr 
in dem Eigentume des H. blieb (vgl. Gruchots Beitr. 
34, 707, 44, 996; RG. 28, 307, 46, 227). Mit Recht 
hat das Berufungsgericht ferner angenommen, daß 
durch die Veräußerung eines Teiles der Wieſe der 
Beklagte ungerechtfertigt bereichert worden ſei und 
daß er zur Herausgabe der Kauffumme verpflichtet 
ſei. Die Verpflichtung ergibt ſich aus 8 816 Abſ. 1 
Satz 1 BGB. Der Berufungsrichter hat weiter ange: 
nommen, die notarielle Urkunde vom 24. Januar 1905 
gebe die Abreden des H. und des Beklagten unrichtig 
und unvollſtändig wieder; dem notariellen Vertrag ſei 
inſoweit keine rechtliche Bedeutung beizumeſſen, als er 
von den tatſächlich erfolgten Abmachungen abweiche; 


118 BZ3rutſchriſt für Rechtspf für Rechtspflege in im Bayern. 1911. Nr. 5. 


die Vertragſchließenden ſeien aber an ihre münd⸗ 


lichen Abmachungen gebunden, weil die Formvor— 
ſchrift des 8 313 BGB. nicht Platz greife, denn es 
handle ſich nicht um die Verpflichtung, das Eigentum 


an einem Grundſtück zu übertragen, ſondern um die 


Anerkennung, daß die Wieſe irrtümlich dem Beklagten 
zugeſchrieben worden ſei und daß H. ihr Eigentümer 
geblieben ſei. Die Erwägungen des Berufungsgerichts 
ſind zutreffend. Es handelt ſich um eine bloße Be— 
richtigung des Grundbuchs, nicht um einen nach 8 313 
zu beurteilenden Fall. Vereinbarungen über die Be⸗ 
richtigung des Grundbuchs ſind formfrei, abgeſehen 
davon, daß die Eintragungsbewilligung in einer der 
Formen des §8 29 GBO. nachgewieſen werden muß, 
wenn die berichtigende Eintragung nach §8 19 GBO. 
nicht nach 8 22 erfolgen ſoll (vgl. RG. 73, 154). 
Allein die Begründung des Berufungsurteils recht⸗ 
fertigt nicht die Entſcheidung. Das OLG. hat den 
Beklagten verurteilt, an den Kläger, (dem H. ſeine 
Anſprüche abgetreten hatte), oder an eine von dieſem zu 
ermächtigende Perſon die Wieſe aufzulaſſen. Würde 
dieſe Entſcheidung vollzogen, ſo würde das Eigentum 
an dem Grundſtück auf eine Perſon übertragen, der 
keine Eigentumsrechte an dem Grundſtücke zuſtehen. 
Es würde nicht das Grundbuch berichtigt, ſondern es 
würde Eigentum übertragen. Mit Recht beſchwert 
ſich der Beklagte über dieſe Verurteilung. Er konnte 
nach dem Sachverhaltnis nur verurteilt werden, zu 
bewilligen, daß H. als Eigentümer der Wieſe im 
Grundbuch wieder eingetragen werde. Weiter geht 
der Anſpruch des Eigentümers nicht (S 894 BGB.). 
Ein Auflaſſungsanſpruch ſteht weder dem H. noch 
dem Kläger gegen den Beklagten zu. (Urteil des 
IV. 85. vom 19. Dezember 1910, IV 730/09). 

2162 


— —— n 


III. 


Zum Begriffe des Wuchers. Aus den Gründen: 
Die Reviſion rügt zunächſt, daß der Berufungsrichter 
den Begriff des Wuchers verkannt habe, denn der Be— 
wucherte müſſe notwendig der Darlehnsſchuldner ſein. 
Dieſe Notwendigkeit ergibt ſich jedoch weder aus der 
geſetzlichen Begriffsbeſtimmung des 8 138 Abſ. 2 BGB., 
die nur von der Notlage „eines“ andern redet, noch 
ſonſt aus dem Begriffe des Wuchers. Dieſer wird in 


der Regel durch die Wahl verdeckender Rechtsformen 
verſchleiert und deshalb iſt gerade bei ihm der wirt⸗ 
ſchaftliche Zweck des Rechtsgeſchäfts von entſcheidender 
Bedeutung. Ueberdies aber war nach der Feſtſtellung 
des Berufungsrichters M. mit ſeiner Frau auch formell 
als Bürge an dem Darlehensgeſchäft beteiligt und es 
macht nach der Rechtſprechung keinen Unterſchied, ob 
bei einem ſolchen Rechtsgeſchäft, das eine Einheit bildet, 
der eine oder der andere von mehreren Mitſchuldnern, 
der Hauptſchuldner oder der Bürge von dem Wucher 
betroffen wird. (Urt. des V. 8 S. vom 4. Januar 1911, 
V. 72/10). 
2160 


— — n. 


IV. 


Die Vorſchrift des 8 852 ZBO. iſt auch anf Scha⸗ 
denserſatzanſprüche nach $ 945 SPD. anzuwenden. Der 
Beginn der Verjährung hängt nicht davon ab, daß das 
Urteil im Hauptprozeß ergangen iſt. Der Beklagte 
hatte dem Kläger durch einſtweilige Verfügung des 
Amtsgerichts jede Stauung in dem gemeinſamen 
Mühlgraben verbieten laſſen. Das Verbot wurde 
vom LG. teilweiſe aufgehoben. Durch Urteil des 
OLG. vom 12. Oktober 1905 wurde die Berufung der 
Beklagten zurückgewieſen. Der Kläger erhob hierauf 
einen Schadenserſatzanſpruch auf Grund des 8 945 
3PO. Die Klage wurde abgewieſen. Berufung und 
Reviſion blieben erfolglos. 

Aus den Gründen: Der Kläger rügt unrich⸗ 
tige Anwendung des $ 852 BGB. Es hat jedoch der 
erkennende Senat in dem Urteile vom 8. Oktober 1910 
(IV. 638/09) ſchon angenommen, daß die Vorſchrift 
des 8 852 BGB. gegenüber Anſprüchen aus 8 945 
ZBO. Platz greift. Von dieſer Auffaſſung abzugehen 
liegt kein Grund vor. Neues iſt nur inſofern vor⸗ 
gebracht worden, als der Kläger auf die Vorſchrift 
des 8929 Abſ. 2 ZPO. hingewieſen hat. Allein dieſe 
Vorſchrift ſteht der Annahme nicht entgegen, daß die 
in 8 945 ZPO. verordnete Haftung Haftung aus un⸗ 
erlaubter Handlung iſt. Die Partei, die einen Arreſt 


oder eine einſtweilige Verfügung vollzieht, ſetzt ſich, 


| 


wenn ihr auch eine kurze Friſt zur Vollziehung geſetzt 
iſt, der Gefahr einer Erjakpflicht für den Fall aus, 
daß die Anordnung des Arreſtes oder der einſtweiligen 
Verfügung ſich als von Anfang an ungerechtfertigt 
erweiſt oder die angeordnete Maßregel auf Grund 
des 8 926 Abſ. 2 oder des § 942 Abſ. 3 ZO. aufge⸗ 
hoben wird. Ebenſowenig kann der Reviſion Erfolg 
gewährt werden, wenn ſie geltend macht, die Verjäh— 
rung habe nicht beginnen können, bevor das Urteil 
im Hauptprozeß ergangen ſei. Von der Erledigung 
des Hauptprozeſſes hing der Schadenserſatzanſpruch 
des Klägers nicht ab. Der Anſpruch war begründet, 
wenn die Anordnung der einſtweiligen Verfügung 
ſich als ungerechtfertigt erwies. Daß aber die Ans 
ordnung der einſtweiligen Verfügung ungerechtfertigt 
war, hat ſich ſpäteſtens mit dem Eintritt der Rechts⸗ 
kraft des oberlandesgerichtlichen Urteils vom 12. Ok— 
tober 1905 ergeben. Die Klage iſt ſpäter als drei 
Jahre nach dem Zeitpunkt erhoben worden, in welchem 
der Kläger von dem Schaden und der Perſon des Er— 
ſatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. Der Anſpruch 


wurde daher mit Recht als verjährt abgewieſen. (Urt. 
des IV. 35. vom 3. Dezember 1910, IV 26/10). 
2164 3 — — —ı 
B. Strafſachen. 
Rechtmäßigkeit der Amtdausübung des Voll⸗ 


ftreckungobeamien beſonders bei der Entſcheidung, gegen 
wen und in welche Vermögensſtücke zu vollſtrecken iſt. 
Aus den Gründen: Wie das RG. wiederholt 
anerkannt hat, befindet ſich der Vollſtreckungsbeamte 
in der rechtmäßigen Ausübuung ſeines Amtes, ſofern 
und ſo lang er das ihm zuſtehende Ermeſſen walten 


VdBZeitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 11 


läßt und nach dem Ergebniſſe der ihm danach ob⸗ 
liegenden pflichtmäßigen Prüfung u amtliches Han⸗ 
deln einrichtet (vgl. u. a. RGSt. 6, 400 (403); 24, 
218; 26, 23; 5, 208, 296). Derſelbe Grundſatz iſt in 
dem vom 86. angeführten Urteil (35, 218) aus- 
geſprochen. Er greift auch hier Platz. Wer nach 
einem vollſreckbaren Schuldtitel als Vollſtreckungs⸗ 
ſchuldner in Betracht kommt, hängt allerdings nicht 
von dem bloßen pflichtmäßigen Ermeſſen des Voll⸗ 
ſtreckungsbeamten ab, iſt vielmehr — rein objektiv — 
durch den Inhalt des Schuldtitels bedingt. Allein 
pflichtmäßige Prüfung der im Einzelfalle gegebenen 
Vorausſetzungen für Richtung und Art des amtlichen 
Vorgehens hat einzutreten, ſobald es ſich um die 
Frage handelt, ob die Perſon, der der Vollſtreckungs⸗ 
beamte gegenüberſteht und gegen die er einſchreiten 
will, nach dem Schuldtitel als der Vollſtreckungs⸗ 
ſchuldner zu erachten iſt. Wäre beiſpielsweiſe der 
Schuldner in der Ausfertigung des Schuldtitels un⸗ 
richtig bezeichnet und würde der Vollſtreckungsbeamte 
hierdurch verleitet werden, fälſchlicherweiſe gegen die 
Perſon, auf die die Bezeichnung hinweiſt, mit Voll⸗ 
ſtreckungsmaßregeln vorzugehen, ſo befände er ſich 
mindeſtens ſo lange in der rechtmäßigen Ausübung 
ſeines Amtes, als er nicht in überzeugender Weiſe 
von ſeinem Irrtum unterrichtet wird. Nicht anders 
liegt die Sache, wenn die Bezeichnung des Schuldners 
in dem Schuldtitel zu Mißverſtändniſſen Anlaß geben 
kann und wenn ſie in Verbindung mit den Umſtänden 
des Falles nach der Auffaſſung des Vollſtreckungs⸗ 
beamten auf die Perſon als Vollſtreckungsſchuldner 
hinweiſt, gegen die er die Vollſtreckungsmaßregeln er⸗ 
greifen will und ergreift. So liegt nach dem Urteils⸗ 
inhalte die Sache hier. Der Reviſion mag zugegeben 
werden, daß die in dem Schuldtitel gewählte Aus⸗ 
drucksweiſe zur Kennzeichnung des Schuldners bei 
richtigem Verſtändniſſe ſagen will und auch ſagt, daß 
Schuldnerin die minderjährige Tochter des Ange⸗ 
klagten und er, der Angeklagte, nur deren geſetzlicher 
Vertreter ſei. Allein eine geſetzliche Vorſchrift oder 
eine ſonſtige allgemein bindende Beſtimmung dahin, 
daß die gewählte Ausdrucksweiſe dieſen Sinn habe 
und etwa zur Bezeichnung eines ſolchen Rechts— 
verhältniſſes zu wählen ſei, gibt es nicht. Ihre 
Auslegung ruht daher im weſentlichen auf tatſäch⸗ 
lichem Gebiete. Rein ſprachlich genommen, iſt als 
Schuldner nicht die minderjährige Tochter, ſondern 
der Angeklagte genannt und deſſen Perſon nur 
außerdem noch nach einer beſtimmten rechtlichen 
Eigenſchaft, eben der des geſetzlichen Vertreters ſeiner 
Tochter, näher gekennzeichnet. Hierzu kommt, daß 
nach den getroffenen Feſtſtellungen der Angeklagte 
ſelbſt ſich als den Schuldner d. h. als denjenigen be= 
trachtet hat, gegen den nach dem Schuldtitel die 
Zwangsvollſtreckung zu richten war. Er hat daher 
auch von ſeinem Standpunkt aus annehmen müſſen, 
daß ſich der Gerichtsvollzieher bei ſeinem Vorgehen 
gegen ihn als den Vollſtreckungsſchuldner in der 
rechtmäßigen Ausübung ſeines Amtes befinde. Auf 
dieſer ſich aus den Urteilsfeſtſtellungen ergebenden 
tatſächlichen Grundlage war es nicht rechtsirrig, 
wenn das LG. den Sachverhalt nach den hier im 
Eingange dargelegten rechtlichen Geſichtspunkten be= 
urteilte und die Rechtsmäßigkeit der Amtsausübung 
für nachgewieſen erachtete. Dieſe entfiel auch nicht 
bei der Wegnahme des Fünfzigmarkſcheins. Die 
Wegnahme geſchah nach dem Urteil in der ehelichen 
Wohnung des Angeklagten. Anderſeits fehlt es an 
jeder Andeutung, daß etwa deſſen Frau den Schein, 
den ſie hervorholte und in der Hand hielt, in ge— 
fondertem eigenen Beſiz und Gewahrſam gehabt 
hatte, oder, wenn es der Fall geweſen wäre, daß dies 
der Gerichtsvollzieher bei pflichtmäßiger Aufmerkſam— 
keit hätte erkennen müſſen. Der Umſtand allein, daß 
fie den Schein vorzeigte, war noch keinerlei recht» 


BGB 


liches Anzeichen dafür. (RGSt. 5, 296). Auf 8 1362 
. oder darauf, daß der Gerichtsvollzieher dieſe 
Geſetzesvorſchrift erweislich kannte, kommt es hiernach 
wie auch deshalb nicht an, weil die Prüfung und Ent⸗ 
ſcheidung der Frage, ob eine erkennbar oder ver⸗ 
meintlich im Beſitze des Schuldners beſindliche Sache 
Eigentum des Schuldners oder eines anderen iſt, 
nicht dem Gerichtsvollzieher zuſteht und Zweifel 
darüber die Pfändung nicht hindern. (Urt. des 
V. StS. vom 20. Dezember 1910, VD u) 
2138 


Oberſtes Landesgericht. 
A. R 


wangsmaßregeln um ori des 8 1636 des 
. (Art. 130 AGHBEB.). Die Ehe des M. mit 
feiner Ehefrau B. wurde am 9. März 1907 geſchieden; 
er Mann wurde für den allein ſchuldigen Teil er⸗ 
klärt. Aus der Ehe ſind zwei Kinder, beide noch 
minderjährig, hervorgegangen. Sie leben bei ihrer 
Mutter. Auf den Antrag des M. hat das Vormund⸗ 
ſchaftsgericht am 26. Februar 1908 ſeinen perſönlichen 
Verkehr mit den Kindern ſo geregelt, daß der Vater 
die Kinder während beſtimmter Tage bei ſich haben 
darf. Am 23. März 1910 hat das Vormundſchafts⸗ 
gericht den Gerichtsvollzieher des Aufenthaltsortes der 
Kinder ermächtigt, auf den Antrag des M. alle zum 
Vollzuge der Verfügung zuläſſigen und angemeſſenen 
Maßnahmen unmittelbaren Zwanges anzuwenden. Die 
Ermächtigung iſt damit begründet, daß M. zum Voll⸗ 
zuge der Verfügung Zwangsmaßregeln nach Art. 130 
AGz BGB. anzuordnen beantragt hat. Auf Grund 
der Verfügung vom 23. März 1910 hat M. in Be⸗ 
gleitung des Gerichtsvollziehers die Kinder aus dem 
Hauſe gegen den Widerſpruch der Mutter weggenommen 
und drei Wochen lang bei ſich behalten. Auf Be- 
ſchwerde der Frau B. hat das Landgericht E. die 
Verfügung vom 23. März 1910 aufgehoben. Die 
weitere Beſchwerde des M. iſt zurückgewieſen worden. 

Gründe: Durch die Aufhebung der Verfügung 
vom 23. März 1910 hat das LG. das Geſetz nicht 
verletzt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß nach 
Art. 130 AGzBGB. die Anwendung unmittelbaren 
Zwanges auch in den Fällen des § 1636 BGB. zuläſſig 
iſt, wenn es ſich um den Vollzug einer Verfügung 
handelt, durch welche die Herausgabe eines Kindes 
angeordnet wird, und die Anwendung unmittelbaren 
Zwanges erforderlich iſt, um die Herausgabe zu be— 
wirken. Ob dieſe Vorausſetzung gegeben iſt, hat das 
Vormundſchaftsgericht zu prüfen, wie auch nach der 
ausdrücklichen Vorſchrift des Abſ. 2 die Zwangsmaß— 
regeln, alſo die Handlungen, die im einzelnen Falle 
zur Bewirkung des Zwanges vorgenommen werden 
dürfen, von dem Gerichte ſelbſt anzuordnen ſind. Nach 
beiden Richtungen hat das Gericht ſeine Enſcheidung 
unter Berückſichtigung der Umſtände des einzelnen 
Falles nach ſeinem pflichtmäßigen Ermeſſen zu treffen. 
Da zur Anwendung von Zwang nur im äußerſten 
Falle geſchritten werden darf und peinliche Szenen 
ſchon mit Rückſicht auf das jugendliche Gemüt der 
Kinder möglichſt vermieden werden müſſen, wird in 
der Regel der Anordnung von Zwangsmaßregeln 
deren Androhung vorauszugehen haben (vgl. Böhm 
und Klein, AG., Bem. 4 zu Art. 130 S. 208). Ob 
die Androhung ſtets erfolgen muß oder ob es nicht 
auch Fälle geben kann, in denen wie bei Gefahr auf 
Verzug von der Androhung ausnahmsweiſe abgeſehen 
werden kann, mag dahin geſtellt bleiben, wie auch 
unerörtert bleiben kann, ob die Verfügung vom 
23. Februar 1908 ſchon die Anordnung enthält, daß 
dem M. von ſeiner geſchiedenen Frau die Kinder zu 


120 


den in der Verfügung genannten Zeiten herauszugeben 
find. Denn jedenfalls war es nicht zuläſſig, daß das 
Vormundſchaftsgericht, ehe überhaupt feſtſtand, ob die 
Anwendung unmittelbaren Zwanges erforderlich ſei, 
dieſe im Vornehinein für den Fall angeordnet hat, 
daß ſie etwa notwendig ſein könnte, und noch dazu, 
die Art und Weiſe des Vorgehens dem freien Belieben 
eines Dritten überlaſſen hat, ſtatt, wie es ſeine Pflicht 
geweſen wäre, ſelbſt zu prüfen und zu beſtimmen, 
welche Maßregel zuläſſig und angemeſſen erſchien. 
(Beſchluß des 1. ZS. vom 16. Dezember 1910, Reg. III 
94/1910). W. 


2149 


Wann beginnt die Beriährung für den Schadens⸗ 
an aufpruch gegen den Staat wegen der Berletzung 

mtspflicht durch einen Beamten? (Not. Art. 126, 
AGz BGB. Art. 60, BGB. §§ 839, 852, 198). Aus 
den Gründen: Mag die im Art. 60 AGz BGB. 
feſtgelegte Haftung des Staates aus einer „geſetzlichen 
Schuldüberweiſung auf den Staat gegenüber dem 
Gläubiger“ oder aus dem ſog. Vertretungsgedanken 
erklärt werden, in jedem Falle geht die Haftung des 
Staates gegenüber dem Dritten nicht weiter als die 
im § 839 BGB. beſtimmte Verantwortlichkeit des Be⸗ 
amten, an deſſen Stelle der Staat tritt. Es kann 


Zeitſchrift me Rechtspflege in in Bayern. 1911. 


Nr. 5. 


wer den Schadenserſatzanſpruch geltend macht. So⸗ 
lange der Verletzte noch damit rechnen darf, daß ihm 
von anderer Seite Erſatz zuteil wird, kann er nach 


8 839 Abſ. 1 Satz 2 BGB. mit Art. 60 AG z BGB. den 


alſo die Entſchädigungspflicht des Staates nur inſo⸗ 


weit in Anſpruch genommen werden, als der Der: 
letzte nicht auf andere Weiſe Erſatz finden kann. Der 
in Anſpruch genommene Staat iſt berechtigt, die Er⸗ 
ſatzleiſtung völlig zu verweigern, wenn die im § 852 
BGB. vorgeſehenen Vorausſetzungen für die Ver⸗ 
jährung der Erſatzanſprüche des Verletzten erfüllt 
ſind. Hier iſt der Schaden, deſſen Erſatz der Kläger 
von dem Beklagten begehrt, nach der Klagbehauptung 
dadurch entſtanden, daß der Notar die ihm dem 
Kläger gegenüber obliegende Amtspflicht fahrläſſig 
verletzt hat. Mit einer ſolchen Verletzung der Amts- 
pflicht war die Haftung aus dem § 839 Abſ. 1 Satz 1 
eingetreten; erſatzpflichtig im Sinne des §8 852 war 
der ſchuldige Beamte. Das im 8 852 für den Beginn 
der Verjährung geſetzte Erfordernis: Kenntnis von 
der Perſon des Erſatzpflichtigen, fällt alſo hier zu— 
ſammen mit der Kenntnis der den Notar als Beamten 
treffenden, die Schadenserſatzpflicht begründenden 
fahrläſſigen Amtspflichtverletzung. Mehr iſt nicht zu 
fordern und namentlich darf, um mit der Verjährung 
zu rechnen, nicht verlangt werden, daß der Kläger 
erſt noch Kenntnis davon bekommen mußte, daß die 
durch den § 839 geſchaffene Verantwortlichkeit nach 
Bayeriſchem Landesrechte an Stelle des Beamten den 
Staat trifft. Durch die Beſtimmung des Art. 60 
Az BGB. wurde, wozu der Vorbehalt des Art. 77 
EGz BGB. gar keinen Raum geboten hätte, nicht eine 


von der im 8 839 BGB. begründeten Erſatzpflicht un⸗ 
abhängige Haftung des Staates, mithin auch nicht 


ein eigener Erſatzpflichtiger im Sinne der 88 839, 852 
BGB. geſchaffen, ſondern immer iſt es nur die und 
gerade die im 8 839 dem Beamten auferlegte 
Schadenserſatzpflicht, die an Stelle des Beamten nun 
dem Staate überbürdet iſt. Unkenntnis der Vor— 
ſchrift des Art. 60 und der Notwendigkeit, in einem 
Falle des 8 839 BGB. die Klage ſtatt gegen den Bes 
amten gegen den Fiskus erheben zu müſſen, bedeutet 
darum nicht die Unkenntnis der Perſon des Erſatz— 


pflichtigen i. S. des 8 852 BGB.; es iſt deshalb auch 


nicht zu prüfen, ob die Verweiſung auf einen ſolchen 
Rechtsirrtum zuläſſig oder der Rechtsirrtum ent— 
ſchuldbar wäre. 

Dagegen beruht es auf einer irrigen Auffaſſung 
des 8 839 BGB. von einer „Einrede“ aus der „Sub— 
ſidiarität“ der Haftung des Staates zu ſprechen. 
Die Behauptung, daß nicht auf andere Weiſe Erſatz 
zu erlangen ſei, gehört zum Klagegrunde; den Be— 
weis, daß jene Vorausſetzung vorliegt, hat zu führen, 


Staat nicht in Anſpruch nehmen; der Schadenserſatz⸗ 
anſpruch aus der Amtspflichtverletzung kann inſolange 
nicht geltend gemacht werden, ein Klagerecht des Ver⸗ 
letzten iſt noch nicht entftanden. Das hat zur Folge, 
daß vorher auch die Verjährung nicht beginnen kann. 
Denn wenn es im 8 198 BGB. heißt: „Die Ber- 
jährung beginnt mit der Entſtehung des Anſpruchs“, 
ſo iſt dabei an einen klagbaren Anſpruch zu denken, 
Ein Anſpruch, der infolge einer ihm anhaftenden un⸗ 
vollkommenheit nicht geltend gemacht werden kann, 
iſt im Sinne des $ 198 ebenſowenig entſtanden, wie 
der nur bedingt begründete Anſpruch (vgl. Planck 


Anm. 2 zu § 198 BGB.). (Urt. des II. 3S. vom 
19. Dezember 1910, Reg. I 201/1910). W. 
2150 
B. Strafſachen. 
Mimsſatropfen. Unter welchen Boransſetungen 


unterliegen die reinen Deſtillate dem Apsthekenzwang ? 
Der Saß von der . des Strafrechts⸗ 
irrtums gilt nicht ausnahmslos. 

Der Drogiſt A. in M. war angeklagt ohne poli⸗ 
zeiliche Erlaubnis etwa ein halbes Jahr lang in ſeinem 
Geſchäfte eine Arznei, ſog. Mimoſatropfen, als Heil⸗ 
mittel im Kleinhandel feilgehalten und verkauft zu 
haben, obwohl ſie nach 8 1 der Kaiſ. VO. vom 22. Okt. 
1901, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln und nach 
der Nr. 5 des dieſer VO. beigegebenen Verzeichniſſes 
A außerhalb der Apotheken nicht feilgehalten oder 
verkauft werden darf. Das Berufungsgericht verurs 
teilte den A., indem es annahm, daß die Mimoſa⸗ 
tropfen dem Apothekenzwange unterliegen und aus⸗ 
führte, daß die Meinung des A., die Mimoſatropfen 
fallen nicht unter die Kaiſ. VO., weit fie im Verzeich⸗ 
niſſe A nicht aufgeführt ſeien, ihn vor Strafe nicht 
ſchützen könnte, da er ſich in einem Irrtum über die 
Strafgeſetze befunden habe. Das Urteil wurde auf— 
gehoben, A. freigeſprochen. 

Aus den Gründen: 1. In dem Verzeichnis A der 
Kaiſ. BO. find 2 Deſtillate dem ſreien Verkehr ausdrücklich 
überlaſſen, wenn auch als flüſſige Gemiſche oder Löſungen 
dagegen find in dem Verzeichniſſe B unter den „Stoffen“, 
die außerhalb der Apotheken nicht feilgehalten werden 
dürfen, eine Reihe von Deſtillaten aufgeführt; der 
Deſtillate als ſolcher gedenken weder die Verordnung 
ſelbſt noch die ihr beigegebenen beiden Verzeichniſſe. 
Deshalb iſt nur die Annahme gerechtfertigt, daß die 
reinen Deſtillate dem Apothekenzwang nicht unterliegen. 
Reine Deſtillate in dieſem Sinne grundſätzlich ſind aber 
nur ſolche Erzeugniſſe, zu deren Herſtellung die De— 
ſtillation unentbehrlich iſt. Dagegen kann das Er— 
zeugnis nicht als reines Deſtillat anerkannt werden, 
wenn die Deſtillation nur zur Umgehung der Saif. 
BD. dienen ſoll, namentlich wenn fie an Stelle einer 
wiſſenſchaftlich und ökonomiſch vorzuziehenden Mi— 
ſchung, Löſung, Ausziehung oder Abkochung ange— 
wendet oder an eine oder mehrere dieſer Verfahrens- 
arten angeſchloſſen wird, ohne daß ſie das Weſen oder 
weſentliche Eigenſchaften des Erzeugniſſes ändern kann 
oder ſoll, oder wenn ſie zu einem ſonſtigen Zweck er— 
folgt, der mit der Herſtellung des Mittels nicht in 
Beziehung ſteht. Unter ſolchen Umſtänden folgt aus 
der Bedeutungsloſigkeit des eingeſchobenen Deſtilla— 
tionsverſahrens für die Herſtellung des Heilmittels, 
daß dieſes letztere nur nach der zu ſeiner Herſtellung 
wirklich erforderlichen Zubereitungsart beurteilt werden 
kann und deshalb namentlich dann dem Apothefen- 
zwang unterliegt, wenn dieſe Zubereitungsart zu den 
im Verzeichnis A aufgeführten gehört. Nach den Feſt⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


ſtellungen der Strafkammer werden die Mimoſatropfen 
durch Zubereitungsarten gewonnen, wie ſie in der 
Kaiſ. VO. aufgeführt ſind, nämlich durch Löſung oder 
Herſtellung eines flüſſigen Gemiſches; die nachträgliche 
Deſtillation hat keine weſentliche Aenderung des Er: 
zeugniſſes zur Folge; die Dejtillarion iſt auch nur 
vorgenommen worden, um die Kaiſ. VO. zu umgehen. 
Aus den vorſtehenden Ausführungen ergibt ſich alſo, 
daß die Mimoſatropfen von dem freien Verkehre aus— 
geſchloſſen ſind und die Entſcheidung der Strafkammer 
en von dem Angeklagten mit Unrecht angefochten 
wurde. 

2. Der Erwägung des Berufungsgerichts dagegen, 
daß der Irrtum des A. über die Anwendung des 
Strafgeſetzes ihn nicht ſtraflos machen kann, kann der 
Senat mit Rückſicht auf die beſonderen Verhältniſſe 
des Falles nicht beipflichten. Bekanntlich enthält das 
StGB. keine allgemeine Vorſchrift darüber, ob die 
Unkenntnis des Strafgeſetzes oder ein ſonſtiger Irrtum 
auf dem Gebiete des Strafrechts zugunſten des Täters 
zu berückſichtigen ſei oder nicht, wenn es auch nach 
der Entſtehungsgeſchichte in ſeiner Abſicht liegt, daß 
ein ſtrafrechtlicher Irrtum nicht vor Strafe ſchützen ſoll. 
Die neuere deutſche Rechtſprechung, namentlich die des 
Reichsgerichts, hat die Unkenntnis des Strafgeſetzes 
für unerheblich erklärt. Die Rechtslehre hat ſich aber, 
namentlich in der jüngſten Zeit vielfach im entgegen- 
geſetzten Sinn ausgeſprochen, ſie geht dabei von dem 
Gedanken aus, daß der Rechtsirrtum die Kenntnis 
und mit ihr das Wollen der Tat als einer ſtrafbaren 
ausſchließe, und ſtellt insbeſondere als Vorausſetzung 
für die Strafbarkeit auf, daß der Täter ſich der Rechts⸗ 
widrigkeit oder Normwidrigkeit ſeiner Tat oder wenig⸗ 
ſtens ihrer Pflichtwidrigkeit bewußt geweſen ſei (vgl. 
Binding, Normen Bd. 2 S. 403, 499, ferner die bei 
Frank, Kommentar z. StGB., 5. Aufl. S. 130 verzeich⸗ 
neten Schriftſteller, ferner Hälſchner, Das gemeine 
deutſche Strafrecht Bd. 1 S. 296). Auch die Verfaſſer 
des Vorentwurfs zu einem deutſchen StGB. haben ſich 


dieſer Anſicht nicht verſchließen können; ſie haben die 


Berückſichtigung eines Strafrechtsirrtums offen gelaſſen, 
indem fie als 8 61 Abſ. 2 die Beſtimmung aufnahmen: 
„Hält der Täter die Handlung für erlaubt, weil er 

ch über das Strafgeſetz irrt, ſo können hinſichtlich der 

eſtrafung die Vorſchriften über den Verſuch ($ 76) 
angewendet werden“. Beſonders für die gegenwärtige 
Zeit weiſt Galli (Gerichtsſaal Bd 68 S. 64) darauf 
hin, „daß die zunehmenden ſtrafrechtlichen Spezial- 
geſetze den zu der Auslegung und Anwendung beru— 
fenen Perſonen und Behörden Schwierigkeiten bereiten“ 
6 380 v. Bar, Geſetz und Schuld im Strafrecht Bd. 2 


Als ausnahmsloſe Regel aufgefaßt enthält der 
Satz, daß der Angeklagte ſich nicht mit Erfolg auf die 
Unkenntnis oder die unrichtige Auffaſſung des Inhalts 
eines Strafgeſetzes berufen kann (error juris noret), in 
feinem letzten Grund eine unwiderlegbare Rechts ver⸗ 
mutung dahin, daß jedem normal entwickelten zivili⸗ 
ſierten Menſchen die mit Strafdrohungen ausgeſtatteten 
ſtaatlichen Gebote oder Verbote bekannt ſeien. Eine 
ſolche Rechtsvermutung iſt aber nur bei den allgemeinen 
Regeln des menſchlichen Handelns unbedenklich. Handelt 
es ſich aber um Geſetze, die Sondergebiete regeln, ſo 
kann ſich der Zweifel einſtellen, ob deren Kenntnis bis 
in alle Einzelheiten jedem zugemutet werden kann. 
In beſonderem Maße gilt dies aber dann, wenn als 
nicht entlaſtender Irrtum nicht bloß die Unkenntnis 
des Beſtehens eines ſolchen Geſetzes und feines weſent⸗ 
lichen Inhalts, ſondern auch die ſeiner jeweiligen 
Auslegung in ſeinem ganzen Umfang angerechnet wird. 
Hier wird man Beling (Unſchuld, Schuld und Schuld— 
ſtufen im Vorentwurf S. 72) beipflichten müſſen, wenn 
er meint, „daß es kraß unbillig iſt, denjenigen zu 
ſtrafen, der ſich nach beſten Kräften um die Vor— 
ſchriften gekümmert hatte und nur unvermeidlichem 


in Bayern. 1911. Nr. 5. 


121 


Irrtum erlegen war”. Eine ausnahmsloſe Durchführung 
der erwähnten Rechtsvermutung könnte leicht zu Härten 
führen, die nicht mehr als Folgen einer Anwendun 
des Rechtes angängig ſind und die darum nicht bloß 
erſt auf dem Wege der Begnadigung ausgeglichen 
ſondern namentlich vom Richter von vornherein ver— 
mieden werden können, namentlich wenn man bedenkt, 
daß der Satz von der Unentſchuldbarkeit des Rechts⸗ 
irrtums in Deutſchland z. Zt. nicht geſetzlich feſtgelegt iſt. 

Dieſe Erwägungen treffen gerade für den vor— 
liegenden Fall zu. Das Kammergericht hat erſt einige 
Zeit, nachdem der Angeklagte die Mimoſatropfen von 
Berlin bezogen und über deren freie Verkehrsfähigkeit 
ſich dort erkundigt hatte, ſeine Anſicht über das Ver⸗ 
hältnis der Deſtillate zur Kaiſ. VO. vom 22. Oktober 
1901 geändert. Da bis dahin das Kammergericht die 
Deſtillate ohne Unterſcheidung je nach der Notwen⸗ 
digkeit oder Ueberflüſſigkeit der Deſtillation als dem 
freien Verkehre zugänglich behandelt und auch das 
bagerifde Oberſte Landesgericht keine gegenteilige 
Stellung eingenommen hatte, fo würde es aller Ge⸗ 
rechtigkeit widerſprechen, wollte man die allerdings 
richtige neuere Rechtsanſchauung zum Nachteile des 
Angeklagten auf ſeine Handlung anwenden, obwohl 
ſie in ihren weſentlichen Teilen noch in die frühere 
Zeit fiel. Man kann es dem Angeklagten mit Fug 
auch nicht einmal zum Vorwurf anrechnen, daß er 
nicht ſofort von dem Wandel in der Rechtſprechung 
Kenntnis erhalten und fein Verhalten danach einge⸗ 
richtet hat. Die Tatſache allein, daß ſein Verhalten 
erſt nach dem Wechſel in der Rechtſprechung der ge⸗ 
richtlichen Beurteilung unterſtellt worden iſt, darf 
nicht überſehen werden, will man nicht — was 
doch in der Rechtspflege am wenigſten angeht — 
dem Zufalle Tür und Tor öffnen. Aus dieſen 
Gründen hält es der Senat für unerläßlich, den 
Angeklagten ſtraflos zu laſſen, weil er ſeine 
Handlung nach der zur Zeit der Vornahme überwie⸗ 
genden Auslegung der Kaiſerlichen Verordnung im 
Sinne dieſer Norm für erlaubt zu halten berechtigt 
war. Er hält grundſätzlich an der von der deutſchen 
Rechtſprechung beobachteten Regel „error juris crimi- 
nalis nocet“ feſt und erachtet nur mit Rückſicht auf die 
beſonderen Verhältniſſe des Falles ausnahmsweiſe eine 
Abweichung von der Regel für veranlaßt. (Urteil 
vom 3. Dezember 1910, RevReg. 445 / 10). Ed. 

21060 


Nachſchrift des Herausgebers. „Der Regel 
Güte daraus man erwägt, daß fie auch 'mal 'ne Aus⸗ 
nahm' verträgt.“ Das ſchöne Wort des Nürnberger 
Philoſophen klang dem Herausgeber im Ohr, als er 
dieſes erfreuliche Urteil las, das dem Buchſtabenglauben 
offen und ehrlich abſagt und den rechten Gebrauch von 
der Freiheit macht, deren ſich ein höchſter Gerichtshof 
rühmen darf. 


Oberlandesgericht Zweibrücken. 


1 gegen die guten Sitten bei einer Ning⸗ 
bildung. Eingehen der Verpflichtung unter gewiſſen 
Umſtänden vertragsbrüchig in werden. Im Regie⸗ 
rungsbezirke N. haben ſich zahlreiche Brauereien, dar— 
unter die Aktiengeſellſchaft F., zu einem „Verein 9.- 
ſcher Brauereien“ zuſammengeſchloſſen, der u. a. die 
„Regelung der Verkaufspreis- und Wettbewerbsver— 
hältniſſe“ zum Zweck hat. Die Vereinsbrauereien 
haben Mindeſtpreiſe feſtgeſetzt, zu denen an Wirte und 
Flaſchenbierhändler geliefert werden darf (ſog. Kun— 
denpreiſe), und Mindeſtpreiſe, die von ihren Kunden 
für den Ausſchank und für die Abgabe von Flaſchen— 
bier an Private einzuhalten ſind (Ausſchankpreiſe). 
Sie haben vereinbart, daß die Mitglieder ihren Kunden 


122 


nur zu den feſtgeſetzten Kundenpreiſen, ſolchen Kunden 
aber, welche die feſtgeſetzten Ausſchankpreiſe nicht ein⸗ 
halten, überhaupt nicht liefern dürfen, bis ſie ſich jenen 
Ausſchankpreiſen unterworfen haben, und zwar „uns 
bekümmert um ältere oder laufende Ver⸗ 
träge“. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen 
dieſe Vereinbarungen ſind Vertragsſtrafen angedroht, 
die ein Schiedsgericht feſtſetzen ſoll. Eine Vereins- 
brauerei, die infolge dieſer Vorſchrift von einem Kunden 
wegen Vertragsbruchs in Anſpruch genommen wird, 
ſoll aus der Vereinskaſſe Erſatz erhalten. Der „Ring“ 
hat den Ausſchankpreis von 24 Pfg. auf 30 Pfg. für den 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 


| 


Liter erhöht, mußte aber bald zum alten Preiſe zu 


rückkehren. Gegen die Aktiengeſellſchaft F. hat das 
Schiedsgericht wegen Zuwiderhandlung gegen die Ver— 
einbarungen Strafen feſtgeſetzt. Sie hat gegen den 
Verein Klage erhoben, mit der ſie auf Grund des 
§ 1041 Nr. 1 3PO. Aufhebung des Schiedsſpruches 
begehrt. Das LG. hat den Schiedsſpruch aufgehoben, 
weil die Vereinbarungen über den Schiedsvertrag 
nach 8 138 BGB. nichtig ſeien. Die Berufung wurde 
verworfen. 

Aus den Gründen: Die Vereinsbrauereien 
ſuchen durch die Ringbildung für das von ihnen ver— 
ſorgte Gebiet eine Monopolſtellung zu erlangen, um 
ſo den Auswüchſen der Konkurrenz entgegen treten 
und zugleich durch Erhöhung des Reingewinnes der 
wirtſchaftlichen Not abhelfen zu können. Darin liegt 
noch kein Verſtoß gegen die guten Sitten. Ein ſolcher 
würde aber vorliegen, wenn eine wucheriſche Verteue— 
rung eines notwendigen Lebensbedürfniſſes durch die 
Monopolſtellung bezweckt wäre. Allein man kann 
bezweifeln, ob das Bier wirklich ein notwendiges, 
nicht zu erſetzendes Lebensbedürfnis iſt. Und daraus, 
daß eine Preiserhöhung infolge des allgemeinen Wider⸗ 
ſtandes der beteiligten Kreiſe nicht durchgeführt 
werden konnte, kann nicht geſchloſſen werden, daß ſie 
wucheriſch war. Auch die den einzelnen Brauereien 
auferlegte Verpflichtung ihren Abnehmern nur zu 
beſtimmten Preiſen zu liefern und ihnen die Verpflich⸗ 
tung aufzuerlegen ihrerſeits nur zu beſtimmten Preiſen 
zu verkaufen, iſt an ſich nicht zu beanſtanden. Es iſt 
im gewerblichen Konkurrenzkampfe zuläſſig, daß die 
Produzenten die Eingehung von Verpflichtungen 
ſolcher Art durch Maßnahmen zu erzwingen ſuchen, die 
den Geſchäftsbetrieb der Zwiſchenhändler erſchweren. 
Aber Maßnahmen, die darauf hinauslaufen würden, 
ſelbſtändige Gewerbetreibende lahm zu legen und ſie 
um ihr wirtſchaftliches Daſein zu bringen, würden 
gegen die guten Sitten verſtoßen. Die Brauereien 
haben in weitem Umfange die Wirte, auch ſoweit ſie 
nicht als ſog. Zäpfler geradezu ihre Angeſtellten find, 
in wirtſchaftliche Abhängigkeit gebracht. Für Wirte 
beſteht alſo nur dann eine Möglichkeit, ſich erſchwerten 
Lieferungsbedingungen zu entziehen, wenn ſie eine 
andere Brauerei finden, die ihnen die Mittel gibt, 
ſich aus der wirtſchaftlichen Abhängigkeit von der 
erſten zu befreien. Deshalb liegt es ſchon an der 
Grenze des Zuläſſigen, wenn den Wirten, die be— 
ſtimmte Ausſchankpreiſe nicht einhalten wollen, ge— 
droht wird, daß ihnen die Weiterlieferung entzogen 
werde. Denn ſobald die Vereinsbrauereien die er— 
ſtrebte Monopolſtellung erreichen würden, wäre den 


Darin, daß jemand vertragsbrüchig wird, liegt nicht 
immer ein Verſtoß gegen die guten Sitten. Aber der 
Bruch eines Vertrags verletzt doch immer die Rechte 
des anderen Teiles und deshalb erkennt die Recht⸗ 
ſprechung an, daß gegen die guten Sitten und damit gegen 
§ 826 BGB. verſtoßen kann, wer fi an der Ver⸗ 
letzung von Vertragspflichten anderer beteiligt um 
ſich einen Vermögensvorteil zu verſchaffen. Keines⸗ 
falls aber kann die Rechtsordnung die Uebernahme 
einer Vertragspflicht billigen, einem Dritten gegen— 
über vertragsbrüchig zu werden, noch weniger eine 
Vereinbarung, in der fi die Vertragsteile unter der 
Androhung von Strafen verſprechen „unbekümmert um 
laufende Verträge“ die darin vereinbarten Lieferungs- 
preiſe zu erhöhen und keinem mehr zu liefern, der ſich 
auf die neuen Bedingungen nicht einlaſſen will. Der 
beklagte Verein behauptet, man habe ſich vor der Er⸗ 
höhung des Bierpreiſes mit allen Wirten in Berbins 


dung geſetzt und von einzelnen Ausnahmen abges 


ſehen ihre Zuſtimmung erhalten. Selbſt wenn das 
richtig wäre, würde der Vereinbarung des Vertrags— 
bruchs der bedenkliche Charakter nicht genommen. 
Belanglos iſt auch die Behauptung, daß die Wirte 
ſelbſt von den Brauereien verlangt hätten, es ſolle 
Wirten nicht mehr geliefert werden, welche die Preiſe 
nicht erhöhen wollten. In dieſen Behauptungen wers 
den die Erhöhung der Kundenpreiſe und die der 
Ausſchankpreiſe vermengt und Zweck und Wirkung der 
beanſtandeten Vereinbarung werden verſchleiert. 
Hätten die zahlreichen langfriſtigen Bierlieferungs> 
verträge nicht beſtanden, fo hätte man die Kunden- 
preiſe ſchon durch die Vereinbarung erhöhen können, 
in Zukunft nur zu beſtimmten Preiſen zu liefern. 
Man konnte die Wirte nur dadurch beſtimmen frei⸗ 
willig von ihrem Rechte abzugehen, auf Jahre hinaus 
das Bier zu beſtimmten Preiſen zu beziehen, daß man 
auch ihnen höheren Gewinn in Ausſicht ſtellte. Daran 
war man eben wieder durch die langfriſtigen Verträge 
gehindert, da man wohl den ſog. Zäpflern nicht aber 
den ſelbſtändigen Wirten beſtimmte Verkaufspreiſe 
vorſchreiben konnte. Deshalb konnten offenſichtlich 
die erhöhten Kundenpreiſe nur durch zahlreiche Ver— 
tragsbrüche erreicht werden. Dieſe aber konnte eine 
einzelne Brauerei nicht verſuchen, weil ſie den zu er⸗ 


wartenden Schadenserſatzanſpruch nicht erfüllen konnte. 


Wirten jene einzige Möglichkeit genommen, ſich den 
angedrohten Maßnahmen zu entziehen; ſie wären der 


Brauerei auf Gnade und Ungnade ausgeliefert und 
die Durchführung der angedrohten Maßnahme würde 
nicht bloß ihren Betrieb erſchweren, ſondern ſie vor 
ihren völligen wirtſchaftlichen Ruin ſtellen. Die Ver— 
einbarungen gehen aber noch weiter; ſie laufen nicht 
bloß darauf hinaus, die Abnehmer für die Zukunft 
zur Annahme der vereinbarten Bedingungen zu nö— 
tigen, ſondern auch darauf, durch den Zuſammenſchluß 
der Brauereien zum Ring den Bruch beſtehender Ver— 
träge zu ermöglichen. 


Verpflichtete ſich jedoch der ganze Verband, die Ver⸗ 
träge zu mißachten, ſo war zu erwarten, daß nur 
wenige Wirte auf ihren Rechten beſtehen würden, 
weil ſie infolge der Ringbildung keine andere Brauerei 
finden konnten, die ihnen zu den alten Bedingungen 
lieferte, und einen längeren Stillſtand ihres Geſchäftes 
nicht aushalten konnten. Es war zu erwarten, daß 
ſchon die Ankündigung des Vertragsbruches durch den 
Ring die Mehrzahl der vertragsberechtigten Wirte ge— 
fügig machen werde. Die Vereinbarung des Vertrags— 
bruchs war demnach dazu beſtimmt, einen Druck auf 
die Gegenkontrahenten auszuüben. Wenn die Wirte 
nach der Vereinbarung des Vertragsbruches der Er— 
höhung der Preiſe zuſtimmten, ſo beweiſt das nicht, 
daß ſie ſich der Nichtachtung der Verträge auch frei— 
willig unterworfen hätten. Das Recht Bier zu billi— 
geren Preiſen zu beziehen, hätte ſicherlich kein Wirt 
freiwillig aufgegeben. Hatte ein Wirt aber einmal 
dem Drucke nachgegeben und ſich zur Zahlung des 
höheren Kundenpreiſes und zur Forderung höherer 
Ausſchankpreiſe verſtanden, dann mußte er auch vers 
langen, daß alle Wirte zur Einhaltung der erhöhten 
Ausſchankpreiſe gezwungen würden. 

Auf der Achtung der Vertragsrechte und auf dem 
Vertrauen auf loyale Erfüllung der Vertragspflichten 
beruht der ganze wirtſchaftliche Verkehr. Treu und 
Glauben im Verkehr würden aufs Schwerſte erſchüttert, 


wenn ſolche Vereinbarungen als rechis verbindlich an— 


erkannt würden. Sie laufen dem Anſtandsgefühl 
aller billig und recht Denkenden um ſo mehr zuwider, 


als der Rechtsbruch von einem Verbande großer in⸗ 
duſtrieller Unternehmungen gegenüber wirtſchaftlich 
ſchwächeren Einzelperſonen ins Auge gefaßt 
wurde. Daß die größere Macht des in dem Ver bande 
zuſammengeſchloſſenen Kapitals ausgenützt werden 
ſollte, tritt namentlich in der Beſtimmung hervor, 
daß die Vereinsbrauerei, die ein Kunde wegen Ver⸗ 
tragsbruchs in Anſpruch nimmt, aus der Vereinskaſſe 
Erſatz erhalten ſoll. Damit ſollte das einzige Schutz⸗ 
mittel abgeſchwächt werden, das die Rechtsordnung 
dem durch Vertragsbruch Verletzten gibt. 

Soweit der Vertragsbruch auch für den Fall 
vereinbart wurde, daß ein Wirt die Ausſchankpreiſe 
nicht in der vom Verein vorgeſchriebenen Weiſe er⸗ 
höhen wollte, wurde auch ein Zwang auf die freie 
Willensbeſtimmung des Gewerbetreibenden bei ſeinen 
geſchäftlichen Maßnahmen ausgeübt. Gerade bei der 
weitgehenden wirtſchaftlichen Abhängigkeit der Wirte 
von den Brauereien und bei der Monopolſtellung der 
Brauereien liegt es ſchon hart an der Grenze des Zu⸗ 
läſſigen, wenn Wirten das Bier entzogen wird, die 
ſich an beſtimmte Ausſchankpreiſe nicht halten wollen. 
Dieſe Grenze wurde ſicher dadurch überſchritten, daß 
die Entziehung unter bewußtem Bruch von Vertrags⸗ 
pflichten geſchehen ſollte und daß die Vertragsbrü⸗ 
chigen gegen die Folgen geſchützt werden ſollten. In⸗ 
ſoweit enthält die Vereinbarung des Vertragsbruchs 
den Verſuch, durch unerlaubte, von der Rechtsordnung 
mißbilligte Mittel in die gewerbliche Selbſtbeſtimmung 
der Gewerbetreibenden einzugreifen. Es kommt nicht 
darauf an, ob und in welchem Umfange der Vertrags⸗ 
bruch wirklich durchgeführt wurde; der Verſtoß gegen 
Treu und Glauben lag ſchon in der Vereinbarung an 
ſich. Ueberdies hat ſie, wie oben dargelegt wurde, 
ihren Zweck auch erreicht, ſelbſt wenn es zu einem 
Vertragsbruche tatſächlich nicht gekommen fein oe: 
(Urteil vom 13. Juli 1910, L. 178/09). 

2161 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Inläſfigkeit des geſchäftlichen Wettbewerbverbotes. 
Mitwirkung eines Dritten an der Verletzung dieſes 
Berbstes (55 138, 826 BGB.). Aus den Gründen: 
Das Konkurrenzverbot, dem ſich St. bei dem Ver⸗ 
kaufe ſeines Bäckereianweſens an den Kläger N. 
unterwarf, iſt wirkſam. Infolge ſeiner Beſchränkung 
auf die Gemeinde Z. und auf eine Zeit von nur 
5 Jahren iſt das Verbot nicht ſo läſtig, daß es die 
Bewegungsfreiheit des Verkäufers St. unangemeſſen 
einengen und ſein gewerbliches Fortkommen unbillig 
erſchweren könnte, er kann überall außer in Z. und 
vom 1. Juli 1914 an auch dort wieder die Bäckerei 
ausüben. Soweit er ſich einer mäßigen Beſchränkung 
ſeiner perſönlichen Freiheit und ſeiner Gewerbefreiheit 
freiwillig unterworfen hat, entſprach das der durch 
die Veräußerung ſeines Anweſens und der Bäckerei 
geſchaffenen Lage: Er ſelbſt beabſichtigte, ſich anderswo 
niederzulaſſen und der Kläger N. hatte ein berech⸗ 
tigtes Intereſſe daran, ſich als junger Geſchäftsmann 
in Z., wo er fremd war, vor den Gefahren der Kon— 
kurtenz durch ſeinen dort eingebürgerten Vorgänger 
angemeſſen zu ſchützen. Die Vereinbarung dieſes Kon— 
kurrenzverbotes verſtößt daher nicht gegen die guten 
Sitten (8 138 BGB.; Sörgel, Rechtſpr. 1909 S. 44 
Nr. 28; 1908 S. 43 Nr. 16; Recht 11 Nr. 1780 und 
DJ Z. 1207 S. 664). Die Vereinbarung, St. dürfe 
5 Jahre in Z. „keine Bäckerei mehr betreiben“, iſt 
nach den Umſtänden des Falles dahin auszulegen, 
daß St. nicht bloß ſelbſt, allein oder mit anderen 
eine Bäckerei nicht mehr ausüben, ſondern auch eine 
ſolche durch einen anderen nicht ausüben laſſen dürfe. 


Dieſer Vereinbarung hat St. dadurch zuwidergehandelt, 


Zeitſchrift für Rechtspflege 1 in Bayern. 1911. Nr. 5. 


daß er nach vergeblichen Verſuchen einer gütlichen 
Einigung mit dem Kläger N. in dem auf den Namen 
ſeines einjährigen Kindes erworbenen neuen Anweſen 
in Z. eine Bäckerei einrichtete und an ſeinen Schwager, 
einen der Bäckerei unkundigen Schloſſer, verpachtete. 
Dieſer hat die Bäckerei nur übernommen, weil, wie 
er wußte, der Kläger N. den St. die Bäckerei nicht 
hätte beginnen laſſen. Mag St. ſelbſt in der Bäckerei 
tätig fein oder ſtatt feiner ein Gehilfe, nach dem Be- 
weisergebniſſe bezweckte die Verpachtung der von ihm 
vertragswidrig errichteten Bäckerei nur die Umgehung 
des Konkurrenzverbotes und iſt deshalb einer un⸗ 
mittelbaren Verletzung des Verbotes gleichzuſtellen. 
Der Beklagte Schloſſer R. hat unter bewußter Ver⸗ 
letzung von Treu und Glauben im Geſchaftsverkehre 
ſeine Hand dazu geboten, daß die von St. . - 
widrig gegründete Bäckerei im Anweſen des St. . 

Kindes unter der Form eines Pachtvertrags betri 

und der Kläger in ſeinem Geſchäftsbetriebe empfindlich 
gefhädigt wird. Der Beklagte hat von Anfang an 
wiſſentlich an der Vertragsverletzung des St. teil⸗ 
genommen und ermöglicht deſſen fortgeſetzten Ver⸗ 
tragsbruch im argliſtigen Zuſammenwirken mit ihm, 
hierdurch fügt er in einer gegen die guten Sitten 
verſtoßenden Weiſe dem Kläger N. vorſätzlich Schaden 
zu. Mit Recht wurde er daher verurteilt, dieſen 
Geſchäftsbetrieb während der Dauer des Konkurrenz⸗ 
verbotes zu unterlaſſen (8 826 BGB.; Staub HGB. I 


340 Anm. 13 und 14 zu $ 74; 3. II, 719; 1909 
S. 399; 1910 S. 404). (Urt. vom 16. Mai 1910, 
Ber.⸗Nr. 142/10). B — r 
2143 


Oberlandesgericht Augsburg. 


Der Rechtsanwalt erhält die Beweisgebühr auch 
daun, wenn er ſich bei der Beweiserhebung durch einen 
Nechtskundigen vertreten läßt, welcher, ohne als allge: 
meiner Stellvertreter anfgeſtellt zu fein, über 2 Jahre 
im Vorbereitungsdienſt beſchäftigt iſt. Aus den 
Gründen: Es iſt beſtritten, ob ein Rechtsanwalt, 
dem vom Prozeßbevollmächtigten einer Partei die Ver⸗ 
tretung in einem auswärtigen Beweiserhebungstermine 
übertragen iſt, die im 8 45 NAGEbDO. beſtimmte Be⸗ 
weisgebühr auch dann erhält, wenn er ſich bei der 
Beweiserhebung durch einen über 2 Jahre im Vor⸗ 
bereitungsdienſt beſchäftigten, bei ihm in Praxis be» 
findlichen, aber nicht als allgemeiner Stellvertreter 
aufgeſtellten Rechtskundigen vertreten läßt; bei der in 
RG. 21 S. 349 abgedruckten Plenarentſcheidung des 
Reichsgerichts hat es ſich um die Reiſeentſchädigung 
gehandelt. Die Ausführungen in dieſer Entſcheidung 
können nicht ohne weiteres auch für die Anwalts- 
gebühren als zutreffend anerkannt werden. Der 
die Frage verneinenden Entſcheidung RGZ. 31, 425 ſteht 
die die Frage bejahende Entſcheidung RG. 15, 433 
gegenüber. Den Vorzug verdient die vielfach (ſ. die 
Zitate bei Quednau, Komm. z. RAGebO. 1909 S. 13) 
vertretene Anſicht, wonach die Frage zu bejahen iſt. 

40 der RAD. macht es dem Rechtsanwalt zur 
Pflicht den im Vorbereitungsdienſt bei ihm beſchäf⸗ 
tigten Rechtskundigen Anleitung und Gelegenheit zu 
praktiſchen Arbeiten zu geben, und im § 30 der VO. 
vom 4. Juli 1899, die Prüfungen für den höheren 
Juſtiz- und Verwaltungsdienſt und die Vorbereitung 
für dieſe Prüfungen betr. — in der alten, hier noch 
maßgebenden Faſſung — iſt hervorgehoben, daß den 
Rechtspraktikanten volle Gelegenheit geboten werden 
ſoll, ſich in allen Geſchäftszweigen wiſſenſchaftlich und 
praktiſch genügend auszubilden und den Dienſt in 
materieller und formeller Hinſicht kennen zu lernen. 
Offenbar iſt alſo dem Rechtsanwalt auch die Ver— 
pflichtung auferlegt, den bei ihm in Vorbereitungs- 


124 Zeitſchrift für ür Rechtspflege in Bayer: 


praxis ſtehenden Rechtspraktikanten bei Gericht auf⸗ 
treten zu laſſen, ſoweit das nach 8 25 NAD. über⸗ 
haupt zuläſſig iſt. Es kann aber nicht angenommen 
werden, daß der Rechtsanwalt hiermit zugleich zu 
einer Einbuße an ſeinem Einkommen genötigt werden 
ſollte, was der Fall wäre, wenn er die bei perſönlicher 
Wahrnehmung eines Termins anfallende Gebühr bei 
Uebertragung der Vertretung an feinen Rechtsprakti⸗ 
kanten nicht an würde. 

Bei dem Mangel einer geſetzlichen Regelung der 
Gebührenfrage hinſichtlich ſolcher Fälle iſt es gerecht» 
fertigt überhaupt keinen Unterſchied zu machen, ob der 
Rechtsanwalt ſelbſt den Termin wahrnimmt oder ob 
er ſich in geſetzlich erlaubter Weiſe durch einen Rechts⸗ 
praktikanten vertreten läßt (ſ. Seufferts Archiv Bd. 46 
Nr. 126; 38 Nr. 260). (Beſchl. des I. ZS. vom 
16. Januar 1911, II 10/1911). 

2158 Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Stölzle in Kempten. 


Literatur. 


Warnehers Jahrbuch der Entſcheidungen. 

A. Zivil⸗, Handels- und Prozeßrecht. Unter Mit⸗ 
wirkung von Amtsgerichtsrat Meyer in Magdeburg, 
Amtsrichter Dr. Krauſe in Dresden und Land⸗ 
richter Mollner in Gne 125 bearbeitet von Amts⸗ 
gerichtsrat Dr. Otto Warneher⸗Leipzig. 9. Jahr⸗ 
gang, enthaltend die Literatur und Rechtſprechung 
des Jahres 1910 zu BGB., EGBGB, HGB., 

ZPO., KO., AG., GG., G80. 85 anderen 
Reichsgeſetzen und 172 Landesgeſetzen. XX, 630 S. 
Gebd. Mk. 10.—. 


B. Strafrecht und Strafprozeß. Unter Mitwirkung 
von Amtsrichter Hans Braun in Frauenſtein, be⸗ 
arbeitet von Amtsgerichtsrat Georg Noſenmüller⸗ 
Schandau. 5. Jahrgang, enthaltend die Literatur 
und Rechtſprechung des Jahres 1910 zu StGB., 
StPO., GewO., MStBB., MStG O. ſowie 83 anderen 
Reichs⸗ und 215 Landesgeſetzen. XXIII, 368 S. 
Gebd. Mk. 9.—. 


Leipzig 1911, Roßberg'ſche Verlagsbuchhandlung (Ars 
thur Roßberg). 


Staatskonkurs⸗Aufgaben für den höheren Juſtiz⸗ und 
Verwaltungsdienſt im Königreich Bayern. Die 
Aufgaben im Jahre 1910. München 1911, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 230 S. 
Mk. 1.50. 


Bleeck, Siegfried. Die Majeſtätsbeleidigung im 
geltenden deutſchen Strafgeſetz (Strafgeſetzbuch vom 
ar Februar 1876 — Geſetz vom 17. Februar 1908). 

„ 86 S. Berlin 1909, J. Guttentag. Mk. 2.50. 


re gründliche Unterſuchung, die auch die ziem— 
lich umfaſſende Literatur über den Gegenſtand ſorg— 
fältig prüft. 


Braun, Friedrich Edler von, k. Oberregierungsrat im 
Staatsminiſterium des Innern. Das Bayeriſche 
Geſetz über die Güterzertrümmerung vom 
13. Auguſt 1910 mit Erläuterungen, Vollzugsvor— 
ſchriften und den ſonſtigen einſchlägigen Vorſchriften. 
XXIII. 146 S. München und Berlin 1910. J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 2.—. 


Der Verfaſſer, der als Landwirtſchaftsreferent des 
Staatsminiſteriums des Innern bei der Schaffung des 


in Bayern. 1911. Nr. 5. 


gearbeitet hat, erläutert das Geſetz vor allem vom 
volkswirtſchaftlichen und verwaltungsrechtlichen Stand⸗ 
punkt aus und ſichert ſeiner Darſtellung damit den 
Vorzug der Anſchaulichkeit und Faßlichkeit; auch die 
eingehende Berückſichtigung der Vollzugsvorſchriften 
verleiht dem Buche Wert und Bedeutung. 


Ben B. Lindſey, Jugendrichter in Denver, Die Auf⸗ 
gabe des Jugendgerichts. Aut. Uebertragg. 
von Dr. A. Paul. Mit einer Einleitung von Dr. 
jur. Anna Schultz, Hamburg. Heilbronn 1909, 
E. Salzer. 134 S. Broſch. Mk. 1.60, geb. Mk. 2.20. 

Jugendgericht und Jugendfürſorge beherrſchen 
heute nicht nur das Intereſſe des Staates, ſondern 
auch das weiter Kreiſe von Privatperſonen. Die 
leſenswerte Schrift ſchildert in gemeinverſtändlicher 

Weiſe die günſtigen Erfahrungen eines amerikaniſchen 

Jugendrichters mit dem e ee Jugendgericht 

und den damit zuſammenhängenden Einrichtungen. 

Die Mitteilungen ſcheinen teilweiſe etwas optimiſtiſch 

gefärbt zu ſein; großen wiſſenſchaftlichen Wert 198 

ſie keinesfalls. 


Wolf, Dr. B., Landrichter in Elberfeld. Die Geſetz⸗ 
gebung über das Polizeiverordnungsrecht 
in Preußen unter Berückſichtigung der Recht⸗ 
ſprechung und Literatur. 220 S. Halle 1910, Buch⸗ 
handlung des Waiſenhauſes. Mk. 4.—, gebd. 4.75. 

Das Buch iſt auch für die bayeriſche Praxis ver⸗ 
wendbar, weil es eine Reihe reichsrechtlicher Vor⸗— 
ſchriften berückſichtigt. 


— — n. 


Sprachecke 
des Allgemeinen Dentſchen Sprachvereinz. 
Mahnung für Beamte. 


O Menſch, der du Beamter von Beruf, 


Schreib, wie du ſprichſt: natürlich, einfach, klar! 
Vermeide Redensarten wie „behuf', 

Auch „in Erwägung“ Elingt zu ſonderbar, 

Und willſt für klug du gelten und für weiſe, 

So ſage „oder“ ftatt „beziehungsweiſe“! 

Statt daß man ſchreibt „zum Zweck' bei vielen Sachen, 
— Zum Zweck der Anordnung der Vormundſchaft — 


Kann man es ſich mit „zu“ bequemer machen, 


vielumſtrittenen Geſetzes und bei ſeinem Vollzuge mit⸗ 


Auch „Für die Anordnung“ hat Sinn und Kraft. 
„Verwünſchter Zopf!“ ſo hört mit Recht man fluchen, 
Oft iſt's, als wär man im Chineſenreich, 

Und leſ' ich vom „dortſeitigen Erfuden“, 
Wünſch' ich den Sprachverein herbei ſogleich. 
Weitſchweifigkeit — der Ausdruck endlos breit, 
„Mitteilung machen“ und „in Abſatz bringen“, 
Und dabei iſt doch koſtbar unſre Zeit, 

Ein einzig Wort wird g'rad' ſo gut gelingen! 

Ach, und der fremden Wörter Flitterputz 

Paßt läppiſch zu dem ſchlichten deutſchen Kleid. 
Vereinigt euch fortan zu Schutz und Trutz, 

Dann iſt die Hilfe ſicherlich bereit. 

„Der Inkulpat“ — wer mag der Aermſte fein? 
„Das quäſtionierte Kind?! — unſchuld'ges Wurm! 
„Der Rubrizierte“ . Himmel, halte ein! 
„Expropriantin“ . nein, ich läute Sturm! 
Ich kenne meine „Pflicht, ich bin Beamter, 

Doch kein zu ew'ger Fremdherrſchaft Verdammter! 
Was das Geſetz befiehlt, das führ' ich aus: 

Deutſch ſei die Loſung im Behördenhaus! 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im m Staatsminiſteriumd. Justiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Selier) Nünchen und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


— — — — 


Ur. 6. 6. Miinchen, den 1 15. März 1911. 7. — 


Zeit ift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Th. von der Pfordten in Bayern 3. Pe. | zu 


K. Landgerichts rat, verw. im K. Baner. 
Staats minlſterium der Juftlz Münden und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
: u ebühr 30 Pfg. für dle halbgeſpaltene te 
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich : 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Ferdinand Regelsberger. 
Ein Nachruf. 


Hochbetagt aber immer noch unermüdlich ſchaffend iſt Ferdinand Regelsberger am 28. Februar 
1911 im 80. Lebensjahr abberufen worden. Sein Name hat einen guten Klang bei den bayeriſchen 
Juriſten und ein treues Andenken iſt ihm ſicher. 

Ferdinand Regelsberger iſt am 10. Dezember 1831 in Heidenheim a. H. geboren. Nachdem 
er den bayeriſchen Staatskonkurs mit ausgezeichnetem Erfolg als Erſter beſtanden hatte, habilitierte 
er ſich im Jahre 1858 an der juriſtiſchen Fakultät der Univerſität Erlangen. 1862 folgte er einer 
Berufung zum außerordentlichen Profeſſor nach Zürich, um dann im Jahre 1872 in ſein Heimatland 
zurückzukehren, wo er bis 1881 als Ordinarius des römiſchen Zivilrechts an der Univerfität Würz⸗ 
burg wirkte. 1881 wurde er an die Univerität Breslau berufen und in Göttingen endete ſchließlich 
ſeine Laufbahn. 

Nur ein kleiner Teil der akademiſchen Lehrtätigkeit Regelsbergers hat ſich in Bayern abgeſpielt. 
Gleichwohl haben wenige Rechtslehrer ein ſo großes Anſehen bei der bayeriſchen Praxis genoſſen 
wie er. Dieſen hohen Ruf verdankte er vor allem ſeiner ſyſtematiſchen Darſtellung des bayeriſchen 
Hypothekenrechts, deren erſte Auflage im Jahre 1874 in Leipzig erſchien. An dieſer glänzenden 
Leiſtung auf einem von der Theorie ſonſt etwas vernachläſſigten Gebiete, in der ſich wiſſenſchaftliche 
Tiefe mit feinem Geſühle für die Bedürfniſſe der Praxis glücklich vereinigte, haben ſich ganze Ge⸗ 
nerationen bayeriſcher Juriſten gebildet. Regelsbergers Hypothekenrecht war zumeiſt das erſte Buch, 
das der Rechtspraktikant nach ſeinem Eintritt in den Vorbereitungsdienſt zur Hand nahm um ſich 
über dieſen ihm noch fremden Rechtsſtoff zu unterrichten. Auch das Lehrbuch des Pandektenrechtes 
(Leipzig 1893) fand guten Eingang. Es iſt nicht über den allgemeinen Teil hinausgediehen; daß 
es aber eine hervorragende Leiſtung war, die den Werken Windſcheids und Dernburgs ebenbürtig zur 
Seite treten durfte, zeigt ſich darin, daß es auch heute noch — ein Jahrzehnt nach dem Inkrafttreten 
des BGB. — in wiſſenſchaftlichen Werken wie in gerichtlichen Entſcheidungen nicht ſelten angeführt wird. 

Auf eine Beſprechung der zahlreichen anderen Werke Regelsbergers müſſen wir hier verzichten. 
Jedoch ſei noch ſeiner langjährigen Mitarbeit bei der Herausgabe der Jahrbücher für die Dogmatik 
des bürgerlichen Rechts gedacht. Auch unſere Zeitſchrift hatte die Ehre ihn zu ihren Mitarbeitern zählen 
zu dürfen: im Jahrgang 1908 (S. 253 ff.) hat er einige vielumſtrittene moderne Probleme behandelt. 
Seine feinſinnigen Ausführungen zeigten, daß er niemals hinter ſeiner Zeit zurückgeblieben iſt ſondern 
mit offenen Augen auch die Strömungen des Gegenwartslebens verfolgte. 

Aus allen ſeinen Schriften mit ihrer ſchlichten und einfachen Darſtellung, ihrer vornehmen und 
ſtreng ſachlichen Schreibweiſe ſprach ein hochgebildeter Geiſt und ein lauterer Charakter. 


Der Herausgeber. 


Nr. 6 


München, den 15. März 1911. 


7. Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. Landgerichtsrat, verw. Im K. Bayer. 
Staate miniſterium der Juſtiz. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchbandlung und 
Poſtanſtalt. 


— — —ů—— — ee 


Nachdruck verboten 


Der 8 380 und der § 372 der SM. 


Von Heinrich Gerland, Univerſitätsprofeſſor und 
Oberlandesgerichtsrat in Jena. 


Die Frage, ob eine Reviſion auf Verletzung 
des § 372 StPO. geſtützt werden kann, wird 
von der Literatur, ſoweit ich ſehe, einſtimmig 
verneint,“) und auch die Praxis hat ſich über— 
wiegend auf dieſen Standpunkt geſtellt.) Die 
Gründe, die hierfür geltend gemacht werden, 
ſcheinen durchſchlagend zu ſein. Es wird nämlich 
behauptet, §S 372 enthalte eine das Verfahren be: 
treffende Vorſchrift, deren Verletzung mithin nach 
§ 380 im Wege der Reviſion nicht gerügt 
werden könne. Den Charakter als Norm formalen 
Inhaltes folgert man aber des weiteren und 
zwar mit Recht aus dem Hinweis des § 380 
auf 8 398 StPO. 8 398 enthält bekanntlich in 
ſeinem 2. Abſatz das Verbot der reformat io in 
peius für den Fall, daß in der Reviſionsinſtanz 
die Sache zur abermaligen Verhandlung an den 
iudex a quo zurückgewieſen wird. Da 8 380 dieſe 


in Bayern 


Berlag von 


3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zeller) 


München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachvlag 1. 
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— 


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Der weiteſtgehende, kaum denkbare Fall wäre der, 


Vorſchrift ausdrücklich als eine ſolche prozeſſualer 


Natur charakteriſiert, jo iſt der Schluß zwingend, 
daß das in $ 372 enthaltene Verbot der refor- 
matio in peius ebenfalls ein Verbot des Prozeß⸗ 
rechtes iſt. Kann aber deshalb ohne 
weiteres auch der Schluß gezogen werden, 
daß ſeine Verletzung nie die Möglichkeit 
einer erfolgreichen Reviſion begründet? 
Dieſe Frage ſcheint mir aufgeſtellt und in ver⸗ 
neinendem Sinn beantwortet werden zu müſſen, 
ſo ſeltſam das auch auf den erſten Blick er— 
ſcheint. 

Bedenkt man die möglichen Verletzungen des 
8 372, fo iſt natürlich die flagranteſte und 
damit auch einfachſte die, daß ſich der Richter 
nicht an die Vorſchrift des § 372 gehalten hat. 


) Vgl. v. Kries, Lehrbuch des g e 
S. 678: Löwe⸗Hellweg. StPO., 11. Aufl. 8 380 Anm. 8 
vor allem Schmidt, 8 380 der deutſchen StPO. S. 52. 

2) Vgl. die Angaben bei Schmidt, S. 52 Anm. 2. 
So auch Goltdammers Archiv Bd. XXXVII S. 368. 


| 


von Fällen, 


daß er wider beſſeres Willen den § 372 nicht an⸗ 
gewandt hat. Ein minder ſchwerer, eher denkbarer 
Fall wäre dagegen der, daß er aus Unkenntnis oder 
Unachtſamkeit die Vorſchrift des $ 372 nicht be: 
achtet hätte. Immer würde in dieſen Fällen eine 
ausſchließliche Verletzung des § 372 vorliegen, 
und derartige Rechtsverletzungen könnten im Wege 
der Reviſion nicht gerügt werden. Denn in der 
Tat wäre hier nur formales Recht verletzt, und 
es müßte § 380 zur Anwendung kommen, jo un: 
erfreulich das auch ſcheinen mag. 


Allein es gibt nun doch eine ganze Reihe 
die anders gelagert ſind. Und 
gerade ſie dürften die bedeutungsvollſten ſein. 
Ich möchte von einem konkreten Fall ausgehen: 
Es iſt auf Grund von § 74 StGB. wegen Dieb: 
ſtahls und Betrugs zu einer Geſamtſtrafe von 1 Jahr 
verurteilt worden, während die Einzelſtrafen auf 
9 und 6 Monate bemeſſen worden ſind. In 
der Berufungsinſtanz wird wegen Betrugs frei: 
geſprochen, die Geſamtſtrafe aber wird beibehalten. 
Dabei geht der Berufungsrichter von der Annahme 
aus, daß die eigentlich erkannte Strafe die 
Geſamtſtrafe als Einheit, die Einzelſtrafen nur 
als Strafberechnungsfaktoren ohne ſelbſtändige Be: 
deutung zu betrachten ſeien. Offenbar iſt hier 
§ 372 StPO. ſubjektiv nicht verletzt, denn der 
Berufungsrichter kennt die Norm betreffend die 
reformatio in peius, die er ſeinerſeits nicht übertreten 
zu haben wähnt. Tatſächlich aber hat er 
ſie übertreten. Denn tatſächlich find die 
eigentlich erkannten Strafen die Einzelſtrafen, die 
ihre Selbſtändigkeit nicht etwa durch die Geſamt⸗ 
ſtrafe verlieren. Nicht ſie ſind die Rechnungs— 
faktoren, ſondern Berechnungsfaktor iſt die Geſamt⸗ 
ſtrafe,) wie denn mithin die weſentliche Beſtim— 
mung des § 74 StGB. nur die iſt, daß 
mehrere erkannte Strafen unter beſtimmten Vor⸗ 
ausſetzungen nicht ganz zu verbüßen ſind. Daß 


) Vgl. z. B. Olshauſen, StGB., 7. Aufl. 8 74 
Anm. 20; Löwe-Hellweg $ 372 Anm. 4 b Abi. 1. 


126 


in dem oben gegebenen Beiſpiel der Angeklagte 
wegen Diebſtahls zu 9 Monaten Gefängnis ver⸗ 


urteilt iſt, wird nicht durch die Tatſache geändert, 


daß er insgeſamt nur 12 Monate zu verbüßen hat, 
wenn er noch wegen eines anderen Deliktes zu 
6 weiteren Monaten verurteilt wird. Allerdings 
iſt ja dieſe ganze Frage ſehr beſtritten, wie ich mir 
wohl bewußt bin. Aber für uns kommt es auch nicht 
darauf an das Problem der Geſamtſtrafe auf ſeine 
Richtigkeit hin zu unterſuchen, ſondern es genügt 
für unſere weiteren Erörterungen, daß wir uns 
auf den weiter oben präziſierten Standpunkt im 
Hinblick auf die Auslegung des 8 74 StGB. 
ſtellen. Es entſteht mithin für uns die Frage, 
ob die Entſcheidung des Berufungsrichters, die 
nach unſerer Auffaſſung fehlerhaft iſt, in der 
Reviſionsinſtanz angefochten werden kann. Und 
dieſe Frage iſt meiner Anſicht nach 
zu bejahen. Allerdings iſt ja $ 372 StPO. 
verlegt, allein nicht ausſchließlich, ſondern verletzt 
iſt auch die materiell rechtliche Beſtimmung des 
§ 74 StGB., ) indem der Richter ſich über 
den Begriff und die rechtliche Bedeutung der 
Geſamtſtrafe, namentlich in ihrem Verhältnis zur 
Einzelſtrafe geirrt hat. | 

Beachtet man nun die Beziehung, in 
welcher die beiden Geſetzes verletzungen zu einander 
ſtehen, ſo leuchtet ein, daß die Verletzung 
des 8 74 die primäre, die des § 372 die 
ſekundäre iſt. Allerdings beruht das Urteil in 
erſter Linie auf der Verletzung des 8 372, da 
aber dieſe Verletzung ihrerſeits wiederum beruht 
auf der Verletzung des § 74, fo beruht das Urteil 
nach dem Satz causa causae est causa causati 
in letzter Linie auf der Verletzung des 8 74. 
Eine Reviſion kann mithin den Fehler rügen. 


Allerdings kann fie ſich im Hinblick auf 8 380 


StPO. nicht auf eine Verletzung von $ 372 
StPO. ſtützen, wohl aber auf die des $ 74 StGB., 
die in der Verletzung des § 372 StPO. zum 
Ausdruck kommt.“) 


Das Ergebnis, welches wir in dem eben be⸗ 
handelten konkreten Fall gewonnen haben, läßt 
ſich verallgemeinern: Es iſt bei einer Verletzung 
des 8 372 ſtets zu unterſuchen, ob es ſich um 
eine ausſchließliche Verletzung dieſer Beſtimmung 
handelt oder nicht. Im letzteren Fall iſt des 
weiteren zu unterſuchen, in welchem Verhältnis 
die mehreren Verletzungen zu einander ſtehen. 
Iſt dies ein Abhängigkeitsverhältnis primärer 
und ſekundärer Verletzung, ſo iſt die Reviſion zu: 


) Vgl. ungen des Reichsgerichts in Straf: 
ſachen Bd. \ 

8) u et des Oberlandesgerichts Dres⸗ 
den vom 14. März 1883, Annalen Bd. V S. 101 f., und 
Colmar vom 20. Dezember nn sub] ſche Zeitſchrift 
für Elſaß-Lothringen Bd. X S. 110 f. 


) Und dieſes Ergebnis laßt a noch weiter ver⸗ 


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0 Beitfehrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


rechtlicher Natur iſt.) Und fo gelangen wir zu 
dem Endreſultat: Die Verletzung des Ver⸗ 
botes der reformatio in peius kann 
trotz der Beſtimmung des 8 380 StPO. 
zum Gegenſtand einer Reviſionsrüge 
gemacht werden, wenn die Verletzung 
ſelbſt durch einen Fehler bei der An: 
wendung oder Nichtanwendung des 
materiellen Rechtes bedingt iſt. 

Dieſes Ergebnis wird auch noch durch die 
andere Erwägung geſtützt, daß 8 380 StPO. 
eine Ausnahmebeſtimmung iſt, die als ſolche 
natürlich durchaus reſtriktiv auszulegen iſt.“) 
Und zwar ergibt ſich dieſer ihr Charakter einmal 
aus ihrem Inhalt ſelbſt, dann aber auch aus 
ihrer Entſtehungsgeſchichte. Iſt doch 8 380 in 
das Geſetz gekommen im Wege gegenſeitigen 
Nachgebens, indem die Regierung ihren Stand⸗ 
punkt, die Berufung bei ſchöffengerichtlichen Ur: 
teilen auszuſchließen, aufgab, der Reichstag ſeiner⸗ 
ſeits aber auf eine uneingeſchränkte Reviſions⸗ 
möglichkeit, wie ſie der Entwurf vorſah, ver⸗ 
zichtet.) Man hat ja das Reſultat, welches 
ſich bei dieſer Einigung ergeben hat, ſcharf an⸗ 
gegriffen, und man hat in dem Ausſchluß der 
Möglichkeit. die Reviſion gegen Berufungsurteile 
rein formal begründen zu können, einen der 
weſentlichſten Mißgriffe ſehen wollen, den die 
StPO. begangen hat.“) Allein dem kann 
ich nicht zuſtimmen. Gewiß, ich halte den 
heutigen Zuſtand auch nicht für erfreulich, allein 
nicht etwa, weil 8 380 zu weit, ſondern weil er 
zu eng iſt. Ich meine, man ſollte die Reviſion 
bei Berufungsurteilen ganz ausſchließen, wie das 
in durchaus richtiger Weiſe gegenüber den un⸗ 
bedeutendſten Delikten des täglichen Lebens der 
8 397 Abſ. 2 MStõGO. tut, der in dieſer Hin⸗ 
ſicht geradezu vorbildlich für die Reform auch des 
bürgerlichen Strafprozeſſes ſein ſollte. Wenn bei 
ſolchen Fällen auch im bürgerlichen Strafprozeß die 
Reviſion ganz ausgeſchloſſen würde, ſo hätten wir 
auf dem Strafprozeß doch nur dasſelbe erreicht, 
was wir auf dem Gebiet des Zivilprozeſſes längſt 
haben. Und daß gegen die Berufungsurteile der 
Zivilkammern keine Reviſion läuft, ſollte das ein 
Unglück ſein? Ich meine alſo, man ſollte 
ruhig die Reviſion gegen Berufungs⸗ 


ſtets zu unterſuchen iſt, ob ſie ausſchließlicher Natur 
find oder nicht. Die Reviſion kann alſo darauf geſtützt 
werden, um noch einen anderen Fall zu erwähnen, 


10 f | daß der Richter $ 244 Abſ. 2 StPO. angewendet hat, 
laͤſſig, falls die primäre Verletzung materiell: ni 

als Uebertretung qualifizieren. 
Kries, Strafprozeßrecht S. 677 Anm. 3. 


weil er irrtümlich angenommen hat. die Tat laſſe ſich 
Anderer Anſicht v. 


) Löwe⸗Hellweg, StPD.8 380 Anm. 2b; Binding, 
Grundriß des Strafprozeßrechtes 5. Aufl. S. 265 und 
andere mehr. 

s) Ueber die e sgeſchichte eingehend K. 
Schmidt, 8 380 StPO. S. I ff. 

) So Löwe⸗ Hellweg 8 380 Anm. 4; Binding J. e. 
S. 265 ſpricht gar von einer perverſen Beſtimmung des 


allgemeinern auf alle formalen Verletzungen, bei denen | Geſetzes. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


— — nm nn 


urteile der Strafkammern beſeitigen. 
Denn es iſt doch geradezu unerhört, daß 3 In⸗ 
ſtanzen, alſo 11 Richter damit befaßt werden 
können, wie ich das neulich erlebt habe, daß 
Meyer dem Müller vorwirft, er Müller habe ihn 
Meyer halb tot geärgert! Und wenn man da⸗ 
gegen einwendet, daß dann die Beſtimmungen 
über das Berufungsverfahren leges imperfectae 
ſeien “e), da kein Schutz durch Rechtsmittel gewährt 
ſei, ſo gilt das doch überall da, wo keine Rechts⸗ 
mittel gegeben find, alſo namentlich ſtets für die 
Vorſchriften des Reviſionsverfahrens. Daraus 
kann man, wie ich meine, wirklich keinen Grund 
gegen die Beſchränkung der Rechtsmittelmöglich⸗ 
keit entnehmen, denn einmal muß jede Sache 
ein Ende nehmen.“) 


Wie nun aber man auch über die kritiſche 
Frage de lege ferenda denken mag, de lege 
lata jedenfalls iſt $ 380 StPO. eng auszulegen, 
und auch das, ich wiederhole, läßt unſere weiter 
oben gegebene Entſcheidung der behandelten Frage 
gerechtfertigt erſcheinen. 


Die Einreichung des Vermögensverzeich⸗ 
niſſes bei fortgeſetzter Gütergemeiuſchaft. 
Von Amtsgerichtstat Sommer in Cöln. 


Die Rechtſprechung und die Rechtswiſſenſchaft 
nehmen ziemlich einſtimmig an, daß die in 
8 1640 BGB. ausgeſprochene Verpflichtung zur 
Einreichung eines Vermögensverzeichniſſes ſich bei 
fortgeſetzter Gütergemeinſchaft nicht auf dasjenige 
Vermögen des Kindes erſtreckt, das zum Anteil 
des verſtorbenen Ehegatten am Geſamtgut gehört. 
Die Begründung dieſer Rechtsauffaſſung, auf die 
im einzelnen hier nicht naͤher eingegangen werden 


10) K. Schmidt J. c. S. 5, vgl. auch weiter S. 7 und 
67 f. Uebrigens iſt Beſchränkung der Reviſion in ſor⸗ 
maler Hinſicht auch in anderen Rechten eine keineswegs 
Bern Erſcheinung; ich erinnere nur an das engliſche 
echt. 
1) Der Entwurf einer StPO. hat § 380 beſeitigt 
und die Reviſion in allen Fällen uneingeſchränkt zuge⸗ 
laſſen. Vgl. die Begründung Reichstag, 12. Legislatur⸗ 
periode II. Seſſion, Druckſachen Nr. 7 Begründung 
S. 184 f. Die Kommiſion des Reichstags hat ſich dem 
angeſchloſſen, vgl. Kommiſſionsbericht S. 866 ff. 
Proteſtieren möchte ich bei dieſer Gelegen- 
heit gegen die formale Aenderung, wonach 
Re viſion in Zukunft Rechtsrüge heißen ſoll. 
Der Begriff Reviſion iſt ein eingebürgter. 
Man erſchwert die Benutzung der ganzen 
bisherigen Literatur und Judikatur für die 
Zukunft außerordentlich, wenn man einen 
derartigen Grundbegriff anders benennt. 
Ein Grund dafür iſt wirklich nicht erſichtlich. 
und die Berechtigung des reinen Purismus 
hat doch auch ihre Grenzen. 


! 


| 


0 


1911. Nr. 6. 127 


ſoll, ſtützt ſich darauf, daß die Beſtimmung des 
§ 1940 BGB. ſich nur auf die Vermögensver⸗ 
waltung des Vaters oder der Mutter in ihrer 
Eigenſchaft als Inhaber der elterlichen Gewalt 
bezieht und auf die Vermögensverwaltung aus 
einem andern Titel, insbeſondere auf die Ver⸗ 
waltung des Geſamtguts bei fortgeſetzter Güter⸗ 
gemeinſchaft, nicht angewendet werden koͤnne. Mit 
anderen Worten: Der Anteil des Kindes am Ge⸗ 
ſamtgut iſt nicht Kindesvermögen im Sinne der 
85 1640 ff. BGB. Der Abkömmling hat keinen 
Anſpruch auf den Anteil des Geſamtguts, der 
ihm beim Tode des erſtverſterbenden Elternteils 
zukommt, ſondern nur Anſpruch auf den An⸗ 
teil, der ſich bei der dereinſtigen Schichtung für 
ihn ergibt. Dieſe Rechtsauffaſſung iſt juriſtiſch 
nicht wohl angreifbar; eine andere Frage aber 
iſt es, ob man dabei zu wirtſchaftlich befriedigenden 
Zuſtänden gelangt, und ob es ſich nicht vom ge⸗ 
ſetzgeberiſchen Standpunkt aus empfiehlt, dem 
überlebenden Ehegatten in den erwähnten Fällen 
wenigſtens die Einreichung eines Vermögensver⸗ 
zeichniſſes über das Geſamtgut aufzugeben. Die 
letzte Frage iſt zu bejahen, da ohne eine ſolche 
Verpflichtung ein wirkſamer Schutz des Vermögens 
Minderjähriger nicht ausführbar iſt. Nach 
8 1456 BGB. iſt der Mann der Frau für die 
Verwaltung des Geſamtguts nicht verantwortlich. 
Dieſe große Selbſtändigkeit des Mannes iſt durch 
wirtſchaftliche Rückſichten geboten. Die volljährige 
Frau hat aber durch perſönliche Einwirkung und 
ihr zu Gebote ſtehende Rechtsbehelfe hinreichende 
Möglichkeit einer Gefährdung ihres Vermögens 
entgegenzuwirken. Außerdem muß ſie die Folgen 
ihrer Handlungsweiſe tragen, wenn ſie vor Ein⸗ 
gehung der Ehe nicht Sorge getragen hat, eine 
Form des Güterrechts zu wählen, die dem 
Manne weniger Freiheit gewährt. „Die dem 
Manne traut, traut auch den Schulden“ ſagt 
das alte, franzöſiſche Rechtsſprichwort. Anders 
ſteht es mit den Kindern. Sie kommen in feſte 
güterrechtliche Verhältniſſe bei der fortgeſetzten 
Gütergemeinſchaft hinein und können als Une 
mündige ihre Rechte nicht ſelbſt wahrnehmen. 
Daraus ergibt ſich für fie ein erhöhtes Schuß: 
bedürfnis, dem aber das Vormundſchaftsgericht 
mit den ihm heute zu Gebote ſtehenden Mitteln 
nicht entſprechen kann. Da der Anteil des 
Kindes am Geſamtgut nicht Kindesvermögen im 
Sinne des 8 1640 BGB. iſt, verſagen die ſonſt 
dem Richter durch den §8 1667 BGB. ge 
währten Schutzbefugniſſe. Das Gericht kann dem 
Vater wohl die elterliche Gewalt nehmen, aber 
nicht ohne weiteres die Verwaltung des Geſamt— 
gutes. Erſt wenn die Vorausſetzungen des 
§ 1495 BGB. vorliegen, alſo regelmäßig ſtarke 
Gefährdung des Vermögens des Kindes einge— 
treten iſt, kann die Aufhebung der fortgeſetzten 
| Gütergemein] haft und damit die Herausgabe des 
Kindesvermögens erzwungen werden. 


128 


—— — — 


Aber auch abgeſehen von den Fällen einer | 
böswilligen Gefährdung des Kindesvermögens iſt 
der Umſtand, daß der überlebende Ehegatte von 
der Pflicht zur Einreichung eines Vermögensver⸗ 
zeichniſſes bei fortgeſetzter Gütergemeinſchaft ent⸗ 
bunden iſt, in wirtſchaftlicher Hinſicht bedenklich. 
Die Art und Weiſe, wie ein Vermögen angelegt 
iſt, kann als ſicher gelten, ſo lange ein geſchäfts⸗ 
kundiger Mann fie überwacht. Das Vermögen | 
iſt aber gefährdet, wenn die Verwaltung in die 
Hand einer geſchäftsunkundigen Frau übergeht. 
In derartigen Fällen kann aber der Vormund⸗ 
ſchaftsrichter nur dann der Mutter raten, ihr 
gegebenen Falles auch einen Beiſtand beſtellen, 
wenn er durch ein Vermögensverzeichnis Näheres 
über das Vermögen erfährt. Verheiratet ſich die 
Mutter wieder, ſo iſt der Vormundſchaftsrichter, 
wenn bereits beim Tode des erſten Mannes ein 
Vermögensverzeichnis eingereicht worden iſt, in 
der Lage, durch Vergleich mit dem neu einzu⸗ 
reichenden Verzeichnis feſtzuſtellen, ob die Mutter 
das Vermögen gut verwaltet hat und ſie demnach 
Vormünderin ihrer Kinder werden kann. Erfährt 
der Richter erſt bei der Wiederverheiratung etwas 
über die Vermögensverhältniſſe der Kinder, deren 
ganzes Vermögen bei fortgeſetzter Gütergemein⸗ 
ſchaft ja faft ausnahmslos in ihrem Anteil am 
Geſamtgut beſteht, ſo iſt er nicht in der Lage 
ſich ein Urteil über die Vermögensverwaltung der 
Mutter bilden zu können. Ebenſo ſtößt die 
Durchführung etwaiger Erſatzanſprüche der Kinder 
aus SS 1456, 1487 BGB. und die Feſtſtellung 
der gegenſeitigen Rechte und Pflichten nach 
8 1499 BGB. auf Schwierigkeiten, wenn kein 
Vermögensverzeichnis vorliegt, das über den 
Stand des Vermögens beim Tode des erſtver⸗ 
ſtorbenen Ehegatten Auskunft gibt! Endlich ſei 
noch darauf hingewieſen, daß nach § 14 Ziff. 9 
des preußiſchen Geſetzes vom 16. April 1860 (be: | 
treffend die Gütergemeinſchaft in Weſtfalen), wenn 
der erſtverſtorbene Gatte die Schichtung ange— 
ordnet hat, ein klagbarer Anſpruch darauf beſteht, 
und der Anteil des Abkömmlings am Geſamtgut 
dann bemeſſen wird nach dem Vermögensſtand 
beim Tod des verſtorbenen Ehegatten. Es liegt 
auf der Hand, daß auch hier den Kindern 
Schwierigkeiten entſtehen, wenn kein Verzeichnis 
über den Beſtand des Vermögens aus jenem 
Zeitpunkt vorliegt. Aus vorſtehendem ergibt ſich, 
daß die rechtlich nicht anfechtbare Auffaſſung, daß 
der überlebende Ehegatte bei fortgeſetzter Güter⸗ 
gemeinſchaft kein Vermögensverzeichnis einzu— 
reichen braucht, zu ſchweren, wirtſchaftlichen Miß— 
ſtänden führen kann, und deshalb eine ent— | 
ſprechende Aenderung der einſchlägigen Geſetzes⸗ 
beſtimmungen notwendig iſt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


Studien aus dem bayeriſchen Forſtſtrafrecht. 


Vom Landgerichtsrat Hümmer in München. 
1 


Die Einführung des Gerichtsverfaſſungsgefetzes 
und der Reichsprozeßgeſetze gab im Jahre 1879 
den meiſten deutſchen Bundesſtaaten den Anlaß 
neben dem Verfahren in Forſtſtrafſachen auch das 
Forſtſtrafrecht zu ändern. In Bayern machte ſich 
Mitte der ſiebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts 
eine Bewegung geltend, die auf Reviſion der Forſt⸗ 
geſetze, allerdings vorwiegend in forſtpolizeilicher 
Richtung, hinzielte; die Staatsregierung hatte bereits 
1877 einen darauf abzielenden Geſetzentwurf be⸗ 
arbeitet; er gelangte nicht zur Annahme, weil ſich 
inzwiſchen die Anſchauungen des Landtags in grund: 
legenden Fragen geändert hatten. Daher gelten die 
forſtſtrafrechtlichen Tatbeſtände in der Hauptſache 
noch ſo, wie ſie im rechtsrheiniſchen Forſtgeſetz und 
im pfaͤlziſchen Forſtſtrafgeſetz in den Jahren 1852, 
1831 und 1846 ins Leben traten. Aber auch 
die allgemein ſtrafrechtlichen Beſtimmungen beider 
Geſetze find nur in beſchränktem Maße den Vor⸗ 
ſchriſten des allgemeinen Teiles des Reichsſtraf⸗ 
geſetzbuchs angeglichen. Sie bereiten der praktiſchen 
Anwendung nicht ſelten Schwierigkeiten. Einen 
Teil davon wollen die folgenden teils unmittelbar 
aus der Straſpraxis geſchöpften teils durch ſie 
wenigſtens angeregten Ausführungen aus dem Wege 
räumen. 

Die allgemeinen Vorſchriften des Strafgeſetz⸗ 
buchs (88 1— 79) finden auf die beiden bayeriſchen 
Forſtgeſetze und auf das nicht kodifizierte pfaͤlziſche 
Forſtpolizeirecht Anwendung, ſoweit dieſe Landes: 
geſetze nichts anderes beſtimmen, Art. 4 AGz StPO. 
Ausland im Sinne des $ 4 StGB. iſt bei An: 
wendung des bayeriſchen Forſtſtrafrechts das „nicht: 
bayeriſche Gebiet“. Die Anwendung des 8 4 
Ab). 1 a. a. O. führt dazu, das Territorialitäts⸗ 
prinzip für die bayeriſchen Forſtrügeſachen: Forſt⸗ 
frevel, Forſtpolizeiübertretungen und die auf Forſt— 
frevel bezüglichen Zuwiderhandlungen gegen $ 361 
Nr. 9 StGB., aufzuſtellen. Es entſcheidet alſo 
der Ort der Begehung, der bei Forſtfreveln und 
Forſtpolizeiübertretungen leicht feſtzuſtellen ſein wird. 
Bei dem Unterlaſſungsdelikt des 8361 Nr. 9 StGB. 
kommen als Tatort der Ort oder die Orte in 
Betracht, an denen hätte gehandelt werden ſollen. 
Wenn alſo im bayeriſchen Grenzbezirk wohnende 
Eltern dulden, daß die von ihnen zu beaufſichtigenden. 
zu ihrer Hausgenoſſenſchaft gehörenden Kinder 
jenſeits der bayeriſchen Grenze Holz freveln, ſo iſt 
die Uebertretung aus $ 361 Nr. 9 in Bayern 
begangen, weil an ihrem Wohnſitz die Eltern ihre 
Kinder von den Forſtfreveln hätten abhalten ſollen. 
Allerdings dauert dieſe Abhaltungspflicht fort bis 
zu der Zeit, wo die Kinder außerhalb Bayerns 
das Holz entwenden; inſofern iſt die Uebertretung 


von den Eltern auch am Frevelorte verübt und 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Ar. 6. 129 


— . — — 


es könnten die Gerichte des nichtbayeriſchen Bundes⸗ 
ftaates aus $ 361 Nr. 9 StGB. gegen die Eltern 
ebenfalls einſchreiten. Da eine Doppelbeſtrafung 
der Eltern wegen derſelben Uebertretung unzuläſſig 
wäre, hätte die Prävention die Gerichtszuſtändigkeit 
zu beſtimmen. Nach den gleichen Geſichtspunkten 
wäre der Fall zu beurteilen, wenn die außerhalb 
Bayerns wohnenden Eltern duldeten, daß ihre 
Kinder auf bayeriſchem Boden Holz frevelten. 


Neben dem Grundſatz der Territorialität findet 
auf die bayeriſchen Forſtrügeſachen auch der der 
Perſonalität Anwendung. Art. 49 Abſ. 4 JG.) 
ſagt nämlich: „Bayeriſche Staatsangehörige können 
auch wegen der außerhalb des bayeriſchen Staats⸗ 
gebietes von ihnen verübten Forſtfrevel nach den 
in Abſ. 1 erwähnten Artikeln beſtraft werden.“ 
Hiernach erſtreckt ſich das Perſonalitätsprinzip nur 
auf die Forſtfrevel, nicht auf die Forſtpolizeiüber⸗ 
tretungen und die auf Forſtfrevel bezüglichen 
Zuwiderhandlungen nach $ 361 Nr. 9 StGB.; 
vielmehr unterliegen dieſe ausſchließlich der Ver⸗ 
folgung durch den nichtbayeriſchen Staat, in deſſen 
Gebiet fie begangen find (8 6 StGB. mit Art. 4 
AGzStpO.). Vorausſetzung für die Anwendung 
des Art. 49 Abſ. 4 a. a. O. iſt keineswegs, wie 
das der $ 4 Abi. 2 Nr. 3 StGB. vorſchreibt, 
daß den Forſtfrevel auch das Geſetz des außer⸗ 
bayeriſchen Begehungsortes mit Strafe bedroht; 
iſt die Tat dort mit Strafe bedroht, ſo iſt es 
unerheblich, wie ſie von dem dortigen Geſetzgeber 
ſtrafrechtlich qualifiziert iſt; es kommt nur darauf 
an, ob ſie ein Forſtfrevel im Sinne der Art. 79 
bis 105 JG. verbunden mit Abſ. 2 und 3 des 
Art. 49 iſt. Ob ſolche ausländiſche Forſtfrevel 
zu verfolgen find, darüber entſcheidet im Einzel⸗ 
falle das freie Ermeſſen des Forſtmeiſters als 
Forſtamtsanwalts.“) Iſt die vom nichtbayeriſchen 
Staate wegen eines ſolchen Forſtfrevels verhängte 
Strafe bereits vollſtreckt, ſo muß ſie auf die vom 
bayeriſchen Forſtrügegericht zu erkennende ange⸗ 
rechnet werden ($ 7 StGB.). Beſteht die außer⸗ 
bayeriſche Strafe in Forſt⸗ oder Gemeindearbeit 
(vgl. 8 14 preuß. Forſtdiebſtahls S. vom 15. April 
1878), jo hat der bayeriſche Forſtſtrafrichter dieſe 
mit dem bayeriſchen Strafenſyſtem nicht vergleich⸗ 
bare Strafart nach billigem Ermeſſen einzuſchätzen; 
er kann einen Tag Forſtarbeit eintägiger Haft 
oder einer Geldſtrafe von 2 & gleichſetzen, iſt aber 
nicht gehindert ſie höher oder niedriger anzuſchlagen. 

Nach den Motiven zu Art. 23 AGzStpO. 
wurde mit der Anfügung des Abſ. 4 an den 
Art. 49 JG. bezweckt, bayeriſche Staatsangehörige 
auch für die in Nachbarſtaaten verübten Forſt⸗ 
frevel beſtrafen zu können, um ſo mehr als derartige 


1) FG. = rechtsrheiniſches Forſtgeſetz; FStG. = 
Forſtſtraſgeſetz für die Pfalz. 
n einem Falle iſt die Verfolgung geboten; 
wenn der Frevel teils innerhalb teils außerhalb Bayerns 
verübt iſt. 


Beſtrafungen zur Sicherung der Gegenſeitigkeit oft 
dringend geboten ſeien. Dieſer Zweck des Geſetz⸗ 
gebers iſt im Geſetzestext nicht zum Ausdrucke 
gekommen: die Worte „außerhalb des bayeriſchen 
Staatsgebietes“ lauten allgemein und beziehen ſich 
auch auf Staaten,“) die nicht an Bayern grenzen. 
So kann ein Bayer in Bayern wegen eines Forſt⸗ 
frevels beſtraft werden, den er in Frankreich ver: 
übt hat. Der Staatsvertrag zwiſchen Deutſchland 
und Belgien vom 29. April 1885 (RGBl. ©. 251) 
ſchreibt in Art. 1 die gegenſeitige Verfolgung der 
durch die eigenen Untertanen im Gebiete des anderen 
Staates begangenen Forſtfrevel zwingend vor; auch 
dieſer beſchräͤnkt ſich nicht auf die in den Grenz⸗ 
waldungen verübten Delikte. | 

Eine Ausnahme erleidet die Beſtimmung des 
Art. 49 Abſ. 4 FG. durch die im Jahre 1839 
abgeſchloſſene, 1844 erneuerte Uebereinkunft zwiſchen 
Bayern und Oeſterreich zur wirkſamen Hintanhaltung 
der Jagd⸗, Fiſch⸗, Forſt⸗ und Feldfrevel an der 
Landesgrenze (Reg Bl. 1839, 825; 1844, 308). 
Nach dieſem noch geltenden Staatsvertrag darf ein 
in Oeſterreich wohnender Bayer, der in Oeſterreich 
einen Forſtfrevel begeht, hierwegen von den baye⸗ 
riſchen Behörden nicht verfolgt werden. Dagegen 
iſt Art. 49 Abſ. 4 JG. wieder anwendbar, wenn 
der auf öſterreichiſchem Gebiete frevelnde Bayer 
in Bayern wohnt. 

Beſitzt jemand neben der bayeriſchen noch eine 
andere (deutſche oder außerdeutſche) Staatsange⸗ 
hörigkeit, ſo ſchließt das die Anwendbarkeit des 
Art. 49 Abſ. 4 nicht aus. Wer etwa gleichzeitig 
Bayer und Oeſterreicher wäre, würde nach der 
Abſicht des vorerwähnten Staatsvertrages von 
jenem Staate zu beſtrafen ſein, in dem er wohnt, 
nicht aber von demjenigen, in deſſen Gebiet er 
frevelt und nicht wohnt. 


Frevelt ein Nichtbayer in Bayern, ſo wird er 
nach bayeriſchem Recht vom bayeriſchen Forſtrüge⸗ 
gericht abgeurteilt. Die deutſchen Bundesſtaaten 
ſind hierbei auf Grund des Titels 13 des Ge⸗ 
richtsverfaſſungsgeſetzes zur Rechtshilfe verpflichtet; 
ob andere Staaten Rechtshilfe leiſten, bemißt ſich 
nach den jeweils beſtehenden Staatsverträgen. Wenn 
der Heimatſtaat den in Bayern frevelnden Fremden 
ebenfalls beſtraft, ſo gilt das im folgenden Abſatz 
Bemerkte. Nur wenn ein in Oeſterreich wohnen⸗ 
der Oeſterreicher einen Forſtfrevel in Bayern be⸗ 
geht, darf er im Hinblick auf die angeführte Ueber⸗ 
einkunft in Bayern nicht verfolgt, ſondern muß 
ſeiner Heimatbehörde zur Beſtrafung überlaſſen 
werden. | 

Die bayeriſche Staatsangehörigkeit muß vor: 
handen ſein in dem Zeitpunkt, wo der Tatrichter 
— Amtsrichter oder Strafkammer — das Urteil 
fällt; daß der Frevler bei Erlaſſung des Reviſions⸗ 


) Die Verfolgung eines Bayern, der auf ſtaaten⸗ 
loſem Gebiet einen Forſtfrevel begangen, in Bayern 
dürfte kaum jemals praktiſch werden. 


130 


urteils nicht mehr Bayer iſt, hat für die Frage 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


Was bisher zu Art. 49 Abſ. 4 FG. ausge: 


feiner Beſtrafung keine Bedeutung. Die Be: führt wurde, gilt gleichmäßig für die Pfalz, da 
ſtimmungen des $ 4 Nr. 3 Abſ. 2 StGB. find | Art. 2 Abſ. 3 JStG. dem Inhalt nach das 


gegenüber der landesrechtlichen Sondervorſchrift 
($ 2 EGzStGGB.) des Art. 49 Abi. 4 J G. nicht 
anwendbar; insbeſondere bedarf es nicht des Straf⸗ 
antrags des außerbayeriſchen Staates und es kann 
von einer Anwendung ſeiner e ſoweit 
fie milder find als die bayeriſchen, keine Rede fein. 
Auch 8 5 StGB. ift durch Art. 49 Abſ. 4 FG. 
bei dem von einem Bayern außerhalb Bayerns 
verübten Forſtſrevel ausgeſchloſſen; ſelbſt die rechts⸗ 
kräftige Freiſprechung des Bayern durch das nicht⸗ 
bayeriſche Gericht oder die nach den Geſetzen des 
Tatorts eingetretene Verjährung der Straſver⸗ 
folgung oder »Vollſtreckung hindern nicht ſeine 
Beſtrafung durch das bayeriſche Gericht. | 

Der Wortlaut des Art. 49 Abſ. 4 bezieht ſich 
zwar unmittelbar nur auf die „Beſtrafung“ der 
von Bayern außerhalb Bayerns begangenen Forſt⸗ 
frevel. Da aber das bayeriſche FG. den Adhäſions⸗ 
prozeß beibehalten hat, entſpricht es ſicherlich dem 
Willen des Geſetzgebers, daß auch in einem ſolchen 
Falle der Frevler neben der Strafe zu Wert: 
und Schadenserſatz verurteilt wird. Für dieſe 
Auffaſſung ſpricht insbeſondere der Grundſatz des 
Schutzes der beteiligten Intereſſen, wenn der be⸗ 
ſchädigte, außerhalb Bayerns liegende Wald einem 
Bayern gehört, wie denn auch bayeriſche Gemeinden 
i B. im angrenzenden Böhmen Waldungen be⸗ 

tzen. 

Für einen nach Art. 49 Abſ. 4 zu ſtrafenden 
Forſtfrevler iſt eine Zivilverantwortlichkeit nur 
dann begründet, wenn der aus Art. 69 Haftbare 
in Bayern wohnt. Denn wie die bayeriſchen 
Forſtgeſetze überhaupt, ſo haben insbeſondere ihre 
durch Art. 107 EGz BGB. auſrechterhaltenen 
bürgerlichrechtlichen Beſtimmungen nur innerhalb 
des bayeriſchen Staatsgebietes Geltung, ſofern 
fie nicht eine ausdrückliche Beſtimmung enthalten, 


daß ſie auch außerhalb in gewiſſer Richtung 


gelten ſollen. Eine derartige Beſtimmung beſteht 
für die Zivilverantwortlichkeit nicht. Wird mit⸗ 
hin ein Bayer wegen eines außerhalb Bayerns 
verübten Forſtfrevels verfolgt, ſo können ſeine 
im Beſitze der bayeriſchen Staatsangehörigkeit 
befindlichen Eltern, bei denen er außerhalb Bayerns 
wohnt, nicht als zivilverantwortlich mitverurteilt 
werden. Die Zivilverantwortlichkeit iſt eine Haftung 
für die Folgen fremden Verſchuldens und beruht 
teils auf zivilrechtlichen teils auf forſtpolizeilichen 
Erwägungen. Dieſe machen Halt an der Landes— 
grenze: denn es iſt die Annahme berechtigt, daß 
für die Handhabung der Forſtpolizei in den fremden 
Waldungen der ausländiſche Geſetzgeber Vor— 
kehrungen trifft; zivilrechtlich iſt die Zivilver— 
antwortlichkeit Haftung für eine unerlaubte Hand— 
lung; dafür iſt im internationalen Privatrecht 
das Recht des Begehungsortes maßgebend, wie 


nämliche verordnet, wie jene Geſetzesſtelle. 

Die Pfalz und das rechtsrheiniſche Bayern 
ſind in forſtſtrafrechtlicher Beziehung von ein⸗ 
ander unabhängige Rechtsgebiete; jene wird durch 
das FStG., dieſes durch das FG. beherrſcht; 
beide Geſetze ſchließen ſich gegenſeitig formell aus, 
wenn ſie auch im Inhalt vielfach übereinſtimmen. 
Ob deshalb eine Handlung Forſtfrevel, Forſt⸗ 
polizeiübertretung oder Uebertretung nach $ 361 
Nr. 9 StGB. iſt, beſtimmt ſich für jedes der 
getrennten Gebiete nach den dort beſtehenden 
Geſetzen und geſetzmäßigen Verordnungen. Wer 
alſo in der Pfalz einen Forſtfrevel begeht, wird 
nach dem FStG. beſtraft, mag er in der Pfalz 
oder im rechtsrheiniſchen Bayern beheimatet oder 
Nichtbayer ſein. Iſt der Frevler Nichtbayer oder 
treffen bei einem Frevel mehrere in verſchiedenen 
Gerichtsbezirken wohnende Perſonen zuſammen, 
ſo iſt in erſter Linie das Gericht des Tatortes 
zur Aburteilung zuſtändig (Art. 58 Abſ. 2 FStG.). 
Iſt dagegen der Frevelnde ein Bayer, ſo beſtimmt 
ſein Wohn⸗ oder Aufenthaltsort das zuſtändige 
Gericht, Art. 58 Abſ. 1 daſ.; dieſe Beſtimmung 
iſt nach den Motiven zu dem Zwecke gegeben, 
um den Beteiligten eine Erleichterung zu ver⸗ 
ſchaffen, und iſt deshalb auch dann anwendbar, 
wenn ein im diesſeitigen Bayern wohnender 
Bayer in der Pfalz frevelt. Er wird hierwegen 
von dem Gerichte ſeines rechtsrheiniſchen Wohn: 
orts abgeurteilt, das aber das pfälziſche Recht 
anzuwenden hat. Bei Forſtpolizeiübertretungen 
richtet ſich die Zuſtändigkeit des Gerichts nach 
dem Tatort (Art. 58 Abſ. 1 FStG.), bei den 
Uebertretungen aus $ 361 Nr. 9 StGB. nach 
dem Tatort oder Wohnſitze des Täters, SI 7, 8 
StPO. mit Art. 91 Abſ. 1 FStG. Begeht 
ſohin ein im rechtsrheiniſchen Bayern wohnender 
Bayer eine Forſtpolizeiübertretung in der Pfalz, 
ſo wird die Tat nur nach pfälziſchem Recht be⸗ 
urteilt und von dem dortigen Forſtrügegericht 
abgeurteilt. Bei Uebertretungen aus § 361 Nr. 9 
StGB. tritt eine Kolliſion kaum je ein, da durch 
die zur Auswahl geſtellten Gerichtsſtände des 
87 und des 8 8 StPO. Zweifel über die Zu: 
ſtändigkeit nicht wohl auftauchen können. Das 
für die Pfalz im Verhältnis zum diesſeitigen 
Bayern Ausgeführte gilt auch umgekehrt im Hin: 
blick auf die Art. 117, 50, 188 FG. 

Begeht ein aktiver Soldat einen Forſtfrevel, 
der kriminellen Charakter trägt — im Gegen— 
ſatz zu einem ſolchen polizeilicher Natur z. B. 
nach Art. 93 Nr. 6 EG. — ſo wird er von dem 
zuſtändigen Militärgericht abgeurteilt, mag es 
ein bayeriſches ſein oder nicht. Dieſes hat je 
nach dem Orte der begangenen Tat das rechts— 
rheiniſche oder das pfaͤlziſche Forſtſtrafrecht anzu: 


das auch Art. 12 EGz BGB. mittelbar anerkennt.! wenden. Auf den Wohnort des Frevlers kommt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


es dabei nicht an; denn die Beſtimmungen des 
Art. 117 Abſ. 1 §G. und 58 Abi. 1 FStG. 
ſetzen voraus, daß der Frevel durch das bürger⸗ 
liche Gericht abgeurteilt wird. Dagegen unter⸗ 
ſtehen die Forſtfrevel polizeilichen Charakters und 
die Forſtpolizeiübertretungen!) ſtets der Abur⸗ 
teilung durch das bürgerliche Gericht, auch wenn 
ſie von einer Militärperſon des aktiven Heeres 
oder der aktiven Marine begangen werden (88 1 
und 2 MStõG0.). Dagegen fallen die Ueber: 
tretungen aus § 361 Nr. 9 StGB., weil wahl: 
weile mit Hajt zu ahnden, in die Zuftändigfeit 
der Standgerichte, wenn eine Militaͤrperſon der 
Täter iſt. Die Verurteilung durch ein wenn 
auch nichtbayeriſches deutſches Militärgericht ſteht 
der durch ein bayeriſches Forſtrügegericht gleich; 
das gilt insbeſondere für die Kollektivdelikte des 
ausgezeichneten Rückfalles und des Gewohnheits⸗ 
frevels. Bei dieſen macht es auch keinen Unter⸗ 
ſchied, ob die Frevel innerhalb oder außerhalb 
Bayerns verübt find; es ware denkbar, daß alle 
zur Begründung des ausgezeichneten Rückfalles 
oder des Gewohnheitsfrevels dienenden Frevel 
außerhalb Bayerns verübt find, wenn ſie nur 
durch ein bayeriſches Forſtrügegericht oder ein 
deutſches Militärgericht abgeurteilt wurden (Art. 49 
Abſ. 4 §G., Art. 2 Abi. 3 JStG.) 


II. 


Ueber die ſtrafrechtlichen Schuldformen des 
Vorſatzes und der Fahrläſſigkeit enthalten das 
FG. und das F StG. keine Beſtimmungen. Nach 
Art. 4 AGz StPO. kommen deshalb die im all: 
gemeinen Teile des Reichsſtrafgeſetzbuchs ent⸗ 
haltenen Vorſchriften zur Anwendung. Da dieſes 
aber weder vom dolus noch von der culpa eine 
Begriffsbeſtimmung gibt, ſind beide Verſchuldens⸗ 
arten auch für die Forſtrügeſachen nach ihrem 
durch Rechtſprechung und Wiſſenſchaft feſtgeſtellten 
Weſensinhalt anzuwenden. Die Forſtruͤgeſachen 
bilden in ihrer überwiegenden Mehrzahl Polizei⸗ 
übertretungen; hierher gehören zunächſt die auf 
Forſtfrevel bezüglichen Uebertretungen aus $ 361 
Nr. 9 StGB., dann die Forſtpolizeiübertretungen 
im engeren Sinn, endlich die große Menge der 
Forſtfrevel durch Uebertretung forſtpolizeilicher 
Beſtimmungen und andere Gefährden. Der für 
das Reichsſtrafrecht geltende Grundſatz, daß bei 
Polizeiübertretungen ſowohl vorſätzliches als fahr⸗ 
läſſiges Handeln beſtraft wird — ſoweit letzteres 
nach dem Einzeltatbeſtand überhaupt denkbar iſt — 
beherrſcht auch die Polizeiübertretung des baye- 
riſchen Forſtſtrafrechts.?) Die kriminellen Ueber: 


) Mit Freiheitsſtrafe (MStG O. 8 2) find ſolche 
Uebertretungen weder im FG. noch im F StG. bedroht. 
2) Ausnahmsweiſe iſt bloß die fahrläſſige Ber 


gehung ſtrafbar: Beſchädigung oder ſonſtige Verände— 
rung von Grenzzeichen (FG. Art. 92 Nr. 3, St. 
Art 30 Nr. 3 weil die vorſätzliche Verübung durch 


8 274 StGB. bedroht iſt. 


— ———— — 


131 


tretungen, die im früheren bayeriſchen Strafrecht 
Uebertretungen ſchlechthin hießen im Gegenſatze 
zu den Polizeiübertretungen — erſtere waren im 
Strafgeſetzbuch, letztere im Polizeiſtrafgeſetzbuch 
behandelt; ein Hinweis auf den Unterſchied findet 
ſich noch im Art. 5 AGzStPO., auf die Polizei⸗ 
geſetze auch im 8 2 Abſ. 2 EGz StGB. und $ 2 
MStGdᷣO. — können zum Teil bloß vorſätzlich 
zum Teil auch fahrläſſig begangen werden. 
Beiſpiele der erſteren Art bieten die Art. 79, 80, 
82, 83 Abſ. 1 und 2, 86, 95 Abſ. 5 JG., der 
letzteren Art die Art. 88, 95 Abſ. 1—4, 100 FG. 
Auch der zum Vergehen geſtempelte Gewohnheits⸗ 
frevel (Art. 104 G., Art. 40 FStG.) kann 
fahrläſſig begangen werden; ſo wenn jemand an 
nicht angewieſenen Waldorten pechelt (Art. 85 
und 87 5G.) und ſich in einem unentſchuldbaren 
($ 59 Abſ. 2 StGB.) Irrtum darüber befindet, 
daß ihm die Stelle zum Pecheln angewieſen ſei. 

Der bayeriſche Forſtſtrafgeſetzgeber hat auf die 
vorſätzliche und auf die fahrläſſige Begehung 
grundjäglich die gleiche Strafdrohung geſetzt. Er 
iſt dabei bewußt von dem damals geltenden all⸗ 
gemeinen Strafrecht abgewichen, das die Fahr⸗ 
laſſigkeit gelinder beſtrafte als den Vorſatz. 
Deshalb kann ein geringerer Grad des Ver⸗ 
ſchuldens bei der Strafbemeſſung nur inſoweit 
berückſichtigt werden als relativ beſtimmte Strafen 
in Frage ſtehen. Nur in zwei Fällen (Art. 33 
und 36 FStG., 95 und 96 JGG.) tritt bei vor⸗ 
ſätzlicher, in gewiſſer Abſicht begangener Ueber: 
tretung ſtatt der Geldſtrafe Haft ein. 

Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß 
zur Verübung eines nur bei Vorſatz mit Strafe 
bedrohten Forſtdeliktes auch der Eventualdolus 
genügt. Dagegen kommen im Gebiete des baye⸗ 
riſchen Forſtſtrafrechts ſolche Delikte nicht vor, 
die ein Verſchulden nicht vorausſetzen, wie dies 
z. B. häufig im Zoll- und Steuerſtrafrecht der 
Fall iſt. Insbeſondere kann das nicht etwa 
daraus gefolgert werden. daß es der Forſtſtraf⸗ 
geſetzgeber regelmäßig unterlaſſen hat, den Vor⸗ 
ſatz in den beſonderen Tatbeſtand aufzunehmen. 
Dieſe Erſcheinung kann man auch bei zahlreichen 
Strafdrohungen des Polizeiſtrafgeſetzbuchs beob⸗ 
achten, die zweifellos ein ſubjektives Verſchulden 
vorausſetzen. 

Ueber den Verſuch enthalten die beiden Forſt⸗ 
geſetze keine Beſtimmungen. Abgeſehen vom Ge- 
wohnheitsfrevel ſind die Forſtſtraftaten Ueber⸗ 
tretungen; deshalb find fie nach Art. 4 AGz StPO. 
mit $ 43 Abſ. 1 StGB., wenn nicht vollendet, 
ſtraffrei; das gleiche gilt nach $ 43 Abſ. 2 daſ. 
für den Gewohnheitsfrevel, da deſſen Verſuch 
nicht ausdrücklich mit Strafe bedroht iſt. Die 
Unterſcheidung zwiſchen Vorbereitungs- und Aus⸗ 
führungshandlungen kann im einzelnen Falle 
Schwierigkeiten bereiten. So wird im Faͤllen 
des Baumes durch den Frevler bereits eine Aus— 
führungshandlung und in dem Ergreifen des ge— 


132 


— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


fällten Baumes die Vollendung der Entwendung 
zu erblicken ſein; dagegen iſt das Heranſchaffen 
der Säge oder der Axt und der Transportmittel 
an den Stamm eine bloße Vorbereitungshandlung. 
Dabei iſt nicht außer acht zu laſſen, daß die 
als ſolche ſtrafloſe Vorbereitungs- oder Verſuchs⸗ 
handlung ſchon den Tatbeſtand einer anderen 
Forſtübertretung enthalten kann; ſo das Fahren 
außerhalb der erlaubten Waldwege oder der in 
den Schlägen angewieſenen Holzabfuhrwege. 
Oder: der Frevler hat mit dem Abſägen des 
Stammes begonnen und wird vom Waldaufſeher 
ertappt; es liegt zwar ſtrafloſer Verſuch der 
Entwendung (Art. 79 FGG.), zugleich aber eine 
nach Art. 95 daſ. ſtrafbare vollendete Ueber⸗ 
tretung der Beſchädigung vor; dieſe Strafbarkeit 
bleibt beſtehen, ſelbſt wenn der Frevler vom 
Verſuch der Entwendung zurücktritt. So kann 
auch der Täter, wenn er von der Entwendung 
verkaufs⸗ oder verbrauchsbereiten Holzes oder ge⸗ 
ſchälter Lohrinde (Art. 79, 83 Abſ. 3 JG.) zurück⸗ 
tritt oder tätige Reue beweiſt, zwar nicht wegen 
Diebſtahlsverſuchs beſtraft werden (8 242 Abſ. 2 
mit 8 46 Nr. 1 und 2 StGB.); wohl aber bleibt 
er nach Art. 92 Nr. 1 G., 30 Nr. 1 JStG. 
ſtrafbar, wenn er bei der Ausführung des ver: 
ſuchten Diebſtahls eine künſtliche Anſaat oder eine 
Pflanzung unter ſechs Jahren betreten hat. 
Wenn allerdings Handlungen, die ſachlich 
bloße Verſuchsakte ſind, unter ſelbſtändige Straf⸗ 
drohungen geſtellt ſind, ſo ſind ſie damit delicta 
sui generis geworden und müſſen in jeder Be⸗ 
ziehung wie vollendete Straftaten behandelt werden. 
So iſt nach Art. 94 Nr. 5 38. 35 FStG. 
ſtrafbar nicht nur, wer Erde und andere Boden— 
beſtandteile unbefugt hinwegnimmt, ſondern auch 
wer unbefugt danach gräbt. Der Geſetzgeber hat es 
in der Hand auch bloße Vorbereitungshandlungen 
zu ſelbſtändigen Delikten zu erheben, vgl. „wer 
es unternimmt . . .. in den 88 81—83, 105, 
114 StGB. In den bayeriſchen Forſtgeſetzen iſt 
dies nicht geſchehen; insbeſondere iſt das „Unter- 
nehmen einer Lichthauung“ in Art. 75 FG. gleich⸗ 
bedeutend mit „Ausführung“ einer Lichthauung; 


weder der Wortlaut noch die Entſtehungsgeſchichte 


dieſes Artikels ſprechen dafür, daß dadurch auch 
die Vorbereitung des Kahlhiebes mit Strafe be— 
legt werden ſollte. 

Vom Standpunkte der Geſetzgebungspolitik 
würde es ſich empfehlen, den Verſuch des Forſt— 
diebſtahls für ſtrafbar zu erklären, wie es das 
preußiſche Forſtdiebſtahlsgeſetz (5 4) und das 
württembergeriſche Forſtſtrafgeſetz (Art. 11) getan 
haben; vielleicht auch den der Forſtbeſchädigung, 
da hier zum Teil ſehr hohe Werte gegen den ver— 
breche riſchen Angriff geſchützt werden müſſen. 

(Schluß folgt). 


Mitteilungen ans der Praxis. 


Die Anlegung eines Grundbuchblattes für ein Erb: 
baurecht. Das Muſter XXII zur DAGBAe. enthält 
auch ein Beiſpiel für die Anlegung eines beſonderen 
Grundbuchblattes für ein Erbbaurecht und zwar 
in der zweifellos zuläſſigen Form der Eintragung auf 
einem gemeinſchaftlichen Blatte mit mehreren Grund⸗ 
ſtücken des Erbbauberechtigten, die mit dem Erbbau⸗ 
rechte gleichmäßige Belaſtung in der dritten Abteilung 
des Grundbuchblattes teilen. (GBO. 8 4; DA. 88 219, 
213 u. a.; BGB. 8 1017 ])). 


Die Anlegung eines beſonderen Grundbuchblattes 
für ein Erbbaurecht erfolgt nach GBO. 8 7 entweder 
auf Antrag oder von Amts wegen; letzteres ſoll ſtets 
geſchehen, wenn das Recht veräußert oder belaſtet 
werden ſoll. Das Muſter XXII geht von dieſem 
letzteren Falle aus. 


Am 15. Mai 1910 iſt im Titel des Blattes 
Nr. 211 das „Erbbaurecht an Pl.⸗Nr. 81 ¼ nach der 
näheren Bezeichnung in der Eintragungsbewilligung 
vom 10. Februar 1910, Urk. d. Not. Waslingen GR. 
Nr. 146“ mit nachfolgender Bezeichnung des Baus 
werkes nach dem Meſſungsverzeichniſſe eingetragen 
worden und am gleichen Tage wurde unter der näm⸗ 
lichen Tagebuchziffer in der zweiten Abteilung 
dieſes Blattes eine Reallaſt an dem Erbbaurechte 
Pl.⸗Nr. 81¼ “ eingetragen. Die Anlegung des Grund⸗ 
buchblattes für das Erbbaurecht iſt alſo von Amts 
wegen erfolgt, um deſſen Belaſtung mit einer Real⸗ 
laſt ſowie mit den in der dritten Abteilung des 
Blattes bereits eingetragenen Rechten den 88 1017 
Abſ. 1, 873 Abſ. 1 BGB. entſprechend ordnungsgemäß 
eintragen zu können. 


Nun gehört aber zur Anlegung eines Grundbuch⸗ 
blattes für ein Grundſtück oder grundſtücksgleiches 
Recht ſtets auch die Eintragung des Eigentümers oder 
Berechtigten in die erſte Abteilung des Grundbuch⸗ 
blattes oder, wenn die Eintragung des Grundſtückes 
oder Rechtes auf einem ſchon beſtehenden Blatte er: 
folgt, die Eintragung des rechtlichen Vorganges, 
auf Grund deſſen das Grundſtück oder Recht von dem 
ſchon eingetragenen Berechtigten erworben worden 
iſt, in der erſten Abteilung dieſes Blattes. (DA. 
SS 343 Nr. 1, 2; 353; vgl. auch 8 311). 

Bei der Eintragung eines Erbbaurechtes iſt dies 
gemäß BGB. Ss 873, 1015 die „Einigung“ des Eigen⸗ 
tümers und des Erwerbers über die Beſtellung des 
Erbbaurechtes. (Del. 8 354 Nr. 4). (Von einer 
„Auflaſſung“ kann bei einem Erbbaurechte gemäß 
BGB. 88 1017 Abſ. 2, 925 nur bei der rechtsgeſchäft⸗ 
lichen Uebertragung eines ſchon beſtehenden, nicht 
aber, wie hier, bei der Begründung des Rechtes ge— 
ſprochen werden.) Gemaß DA. 8 356 Abi. 1, 2 er: 
folgt daher die Eintragung in der erſten Abteilung 
durch Anführung des Tages der Einigung. 

Hier weiſt nun das Muſter XXII der Dienſtan— 
weiſung eine Lücke auf, inſoferne in der erſten Ab— 
teilung des Blattes Nr. 211 die notwendige Eintragung 
des Rechtsvorganges beim Erwerbe des am 15. Mai 
1910 im Titel eingetragenen Erbbaurechtes an Pl. 
Nr. 81 ½ fehlt. Es iſt wohl anzunehmen, daß dieſe 
Eintragung nur aus Verſehen weggeblieben iſt; ſie 
iſt daher aus den übrigen Eintragungen dieſes und 


des Muſters XXI ſinngemäß zu ergänzen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


1911. Nr. 6. 133 


In Muſter XXI iſt nämlich das Erbbaurecht als 
Belaſtung eingetragen in der zweiten Abteilung des 
Grundbuchblattes für das Grundſtück Pl.⸗Nr. 81": 
oder vielmehr für die nunmehr mit Pl.⸗Nr. 81¼; * 
bezeichnete Grundfläche des Bauwerkes und bleibt dort 
auch eingetragen nach Anlegung des Grundbuch⸗ 
blattes für das letztere. Dieſe Eintragung iſt am 
12. Februar 1910 erfolgt auf Grund der bereits er⸗ 
wähnten Eintragungsbewilligung vom 10. Februar 
1910; im Hinblick auf die Beſtimmung des $ 20 GBO. 
iſt deshalb anzunehmen, daß auch die Einigung über 
die Beſtellung des Erbbaurechtes in der nämlichen 
Urkunde des Notariats Waslingen vom 12. Februar 
1910 GR.⸗Nr. 146 protokolliert worden iſt. 

Aber nicht bloß der Tag der Einigung über die 
Beſtellung des Erbbaurechts iſt in der erſten Abteilung 
des hierfür anzulegenden Grundbuchblattes erſichtlich 
zu machen. Da der Erwerb oder die Entſtehung des 
Erbbaurechtes Einigung und Eintragung im 
Grundbuche zur Vorausſetzung hat (BGB. 88 873, 
1012), ſoll die erſte Abteilung des Blattes ſtets 
auch denjenigen Tag erſehen laſſen, an welchem die 
rechtsbegründende Eintragung erfolgt iſt; iſt 
dieſe Eintragung ſchon früher an einer anderen Stelle 
des Grundbuchs erfolgt, ſo iſt daher Tag und Stelle 
dieſer Eintragung anzuführen. 

8 358 der DA. ordnet dies zwar unmittelbar nur 
für den Fall an, daß ein ſchon früher an anderer 
Stelle eingetragenes Grundſtück ohne Aenderung 
im Eigentum auf ein ſchon beſtehendes Grundbuch⸗ 
blatt übertragen wird; aus den dieſer Anordnung 
zugrunde liegenden Erwägungen ergibt ſich aber 
ihre ſinngemäße Anwendung auch für den Fall der 
Eintragung eines ſchon beſtehenden Erbbaurechts; 
wenigſtens dann, wenn das Erbbaurecht wie hier 
bereits unter der Herrſchaft des neuen Liegenſchafts⸗ 
rechts begründet wurde. 

Der Anwendung ſteht auch nicht entgegen, daß 
für das Erbbaurecht bisher kein Blatt im eigentlichen 
Sinne angelegt war, ſondern daß es eben erſt ange⸗ 
legt werden ſoll; denn in gewiſſem Sinne kann doch 
auch ſchon die Stelle, wo das Erbbaurecht bei ſeiner 
Begründung als bloße Belaſtung in der zweiten Ab⸗ 
teilung eingetragen wurde, als Grundbuchblatt gelten; 
ja, wie Meikel (GBO. 8 7 Anm. 4c) mit Recht be⸗ 
merkt, ſie muß ſogar als ſolches gelten, falls das 
Grundbuchamt etwa dem 8 7 GBO. — der ja nur 
eine Verfahrensvorſchrift iſt — zuwider bei der Ver⸗ 
äußerung oder Belaſtung des Erbbaurechtes die Blatt⸗ 
anlegung unterlaſſen und die Rechtsänderung etwa 
nur bei der urſprünglichen Eintragungsſtelle des 


Rechtes (hier in der zweiten Abteilung des Blattes 


Nr. 188, Muſter XXI der DA.) eingetragen hätte. 

Um ſo weniger wird darum ein Bedenken beſtehen, 
die grundſtücksgleiche Eigenſchaft des Erbbaurechts 
hier zu verwerten, wo nicht entgegen, ſondern ſinn⸗ 
entſprechend mit den Beſtimmungen der GBO. und 
der DA. eine Eintragung erfolgen ſoll. 

Auch Zeitpunkt und Stelle der Eintragung des 
Erbbaurechts ſind alſo dem Muſter XXI zu entnehmen, 
wo die rechtsbegründende Eintragung unter dem 
Datum des 12. Februar 1910 in Bd. 2 S. 418 des 
angenommenen Grundbuchs für Waslingen erfolgt iſt. 
Nach alledem wird die Ergänzung des Muſters XXII 
in der Weiſe zu erfolgen haben, daß in der erſten 
Abteilung hinter der Eintragung Nr. 2 — unter ent⸗ 
ſprechender Abänderung der folgenden Nummern der 


| 
| 


erſten Längsſpalte — etwa die folgende Eintragung 
1 wird: 


m — — — — no. 


3. : en ss ai 1900, Das Erb⸗ Thb. 1008. 

baurecht an r. 81 ¼ 1 von Anl. IV 9, 31. 

Oskar Frei erworben durch Eini⸗ 

| gung vom 10. Februar 1910 und 

[Eintragung in II 418 vom 12. | 
Februar 1910. Altinger. 


Amtsrichter Ferling in Bamberg. 


Die amtliche Ermittlung des Wertes von 
Grundſtücken. Nach Art. 87 Abſ. 2 AGz BGB. 
können die Staatsminiſterien der Juſtiz und des 
Innern die Grundſätze beſtimmen, nach denen der 
Wert der Grundſtücke auf Antrag des Eigentümers 
durch Sachverſtändige feſtzuſtellen iſt, und das bei 
der Feſtſtellung zu beobachtende Verfahren regeln. 
Die Veſtimmung dieſer Grundſätze und des dabei 
zu beobachtenden Verfahrens iſt durch die Be⸗ 
kanntmachung der beiden vorgenannten Miniſterien, 
die Anweiſung für die amtliche Feſtſtellung des 
Wertes von Grundſtücken betreffend vom 14. Juli 1909 
(JM Bl. 1909 S. 307 ff.) erfolgt. Nach den bisher 
gemachten Erfahrungen bleibt das Anwendungsgebiet 
dieſer Bekanntmachung — die amtliche Feſtſtellung 
kann nach $ 12 (vgl. Art. 87 Abſ. 1 AGz BGB.) nur 
auf Antrag des Eigentümers erfolgen — hauptſächlich 
auf die Fälle beſchränkt, in welchen es ſich um den 
Rangrücktritt von Minderjährigen handelt, und auf 
Erbſchaftsauseinanderſetzungen. Die Darlehensſucher, 
die ſich an die Banken wenden — beſonders bei Be⸗ 
leihung von ländlichen Grundſtücken — legen dagegen 
unaufgefordert die Schätzungen der gemeindlich 
aufgeſtellten Schätzleute vor, wie ſie bisher üblich 
waren und auf unmittelbares Erſuchen des Eigen⸗ 
tümers von den Schätzern ohne jede amtliche Mit⸗ 
wirkung gefertigt werden; die Regel iſt auch nach 
wie vor — trotz § 29 Abſ. 1 Satz 4 der Bek. vom 
14. Juli 1909 und trotz des dankenswerten Hinweiſes 
auf die hiedurch möglichen Haftungsfolgen in der 
Bekanntmachung des Kgl. Staatsminiſteriums des 
Innern vom 2. Dezember 1909 (MA Bl. d. Innern 
1909 S. 1095; vgl. hiezu RG. Bd. 71 S. 60 und dieſe 
Zeitſchrift 5 S. 411, auch RG. 73, 205) — daß die 
Mehrzahl der ländlichen Bürgermeiſter ihre Unter⸗ 
ſchriftsbeglaubigung unter dieſe privaten Schätzungen 
ſetzt, wenngleich in letzterer Beziehung bei geſchäfts⸗ 
gewandteren Gemeinden eine Beſſerung zu ver⸗ 
ſpüren iſt. 

Es macht ſich jedoch in einer großen Anzahl von 
Fällen das bewußte Beſtreben geltend, ſich über die 
Vorſchriften der neuen Schätzungsbekanntmachung 
hinwegzuſetzen, anſcheinend nur aus dem Grunde um 
die Weitläufigkeiten des amtlichen Schätzungsver⸗ 
fahrens zu vermeiden. Hierunter fällt die folgende 
Faſſung am Schluſſe der privat aufgeſtellten 
Schätzungen: 

„Die unterzeichneten Schätzleute beſtätigen, daß 
ſie gegenwärtige Schätzung nach beſtem Wiſſen und 
Gewiſſen betätigt haben und von der in Art. 88 der 


[Ausführungsbeſtimmungen zum BGB. feſtgelegten 


Haftpflicht Kenntnis beſitzen.“ 
Dieſe Erklärung iſt auf den gedruckten Schätzungs⸗ 
formularen ebenfalls im Druck vervielfältigt! Nach 


134 


Lage der Sache wollen ſich die Schätzer damit nicht 
ihrer Haftung entziehen, ſie wollen vielmehr ihre 
Haftpflicht anerkennen, ſie ſind ſich aber nicht bewußt, 
daß ihre Erklärung völlig gegenſtandslos ift. Wo 
der geiſtige Urheber dieſer Erklärung, die in den 
Formularen der verſchiedenſten Gemeinden benützt 
wird, zu ſuchen iſt, wird ſchwer zu ermitteln ſein. 

Die Findigkeit, wer weiß welcher Perſonen hat 
nun aber einen neuen Modus gefunden, um, wie ſie 
anſcheinend meinen, der Weitläufigkeit des amtlichen 
Schätzungsverfahrens aus dem Wege zu gehen; ein 
anderer Grund dürfte wohl auch hier kaum anzu⸗ 
nehmen ſein. 

Darnach werden nämlich in der bisher üblichen 
ſummariſchen Weiſe auf Antrag des Darlehens⸗ 
ſuchers Haus und Grundſtücke von den gemeindlichen 
Schätzleuten abgeſchätzt ohne jede Berückſichtigung der 
Schätzungsvorſchriften der amtlichen Bekanntmachung, 
Haus⸗ und Grundſtückswert zuſammengezäblt und 
unter der ſo gefundenen Summe — bisher nur hand⸗ 
ſchriftlich — bemerkt: „Die unterzeichneten Schätzer 
haften für vorſtehende Schätzung in gleicher Weiſe 
als wenn gerichtliche oder notarielle Schätzung gemäß 
Art. 87 und 88 AGz BGB. vorgenommen worden wäre.“ 
Es iſt an dieſer Stelle nicht nötig, hierzu längere juri⸗ 
ſtiſche Ausführungen zu machen; nur kurz ſei bemerkt: 

Die Haftung für Vorſatz und Fahrläſſigkeit nach 
8 276 Abſ. 1 BGB. kann, abgeſehen von der Bes 
ſtimmung des $ 276 Abſ. 2, durch Parteivereinbarung 
oder durch Geſetz erweitert oder eingeengt werden. 
Die Uebernahme einer Haftung für eine private 
Schätzung dem Darlehensgeber gegenüber, der einen 
Auftrag zur Schätzung nicht erteilt hat und der dem 
Schätzer gegenüber nicht in ein Vertragsverhältnis 
tritt, iſt jedoch angeſichts der geſetzlich genau ge⸗ 
regelten Vorausſetzungen, unter welchen allein eine 
erweiterte Haftung Platz greift (Art. 79 EG., Art. 87, 
88 AGz BGB.) ausgeſchloſſen und wirkungslos. Die 
beſondere Haftung tritt eben nicht ein, wenn nicht 
das vorgeſchriebene amtliche Verfahren eingehalten 
iſt (val. auch Oertmann, Bayer. Landesprivatrecht 
8 58 II 3, Entſch. d. ObLG. 3 n. Samml. 71). 

Es war nun zwar nicht beabſichtigt nichtamtliche 
Schätzungen völlig zu unterbinden (vgl. 8 29 der MB. 
vom 14. Juli 1909): allein es beſteht doch die große 
Gefahr, daß wie unter der Herrſchaft der alten 
Schätzerinſtruktion die privaten Schätzungen der ge— 
meindlichen Schätzleute im Laufe der Jahre ſogar 
von Behörden als amtliche Schätzungen allgemein 
anerkannt wurden, das nämliche auch, wenigſtens in 
privaten und nicht rechtskundigen Kreiſen, mit den hier 
geſchilderten Schätzungen geſchieht, zumal da ſolche Er: 
klärungen durch den Druck vervielfältigt werden. Welche 
Gefahr hierin für den Privatkapitaliſten liegt, das 
liegt auf der Hand. Es dürfte daher wohl angezeigt 
ſein, dieſen abusus noch im Keim zu erſticken, die 
Verwendung ſolcher Vordrucke wie die irreführende 
und unſachgemäße Haftungserklärung durch eine Ab— 
änderung oder Ergänzung des $ 29 der MB. vom 
14. Juli 1909 zu verhindern. Nach Satz 3 a. a. O. 
haben die Schätzer bei der Abgabe einer ſolchen nicht— 
amtlichen Schätzung ohnehin irgendwie deutlich zu 
machen, daß es ſich nur um eine Privatſchätzung 
handelt. In welcher Weiſe dies geſchieht, vielmehr 
nicht geſchieht, iſt hier ausgeführt worden. 

Es würde ſich daher im Intereſſe des Kredits 
empfehlen — ob nun ein ſolcher weiterer Hinweis 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


auf die Unwirkſamkeit von Haftungserklärungen für 
private Schätzungen ergeht oder nicht — den gemeind⸗ 
lichen Schätzleuten geradezu vorzuſchreiben, daß der 
Wortlaut des zweiten Satzes des 8 29 a. a. O. in 
der bisherigen oder in der oben angedeuteten er⸗ 
weiterten Faſſung unverkürzt auf den zur Schätzung 
verwendeten Formularen zum Abdruck kommt. 
Bankdirektor Bonſchab in München. 


Eine bedenkliche Lücke im Geſetze gegen den un: 
lanteren Wettbewerb? In Nr. 3 der Zeitſchrift „Der 
Manufakturiſt“ wird auf ein am 12. Januar ds. Irs. 


ergangenes Urteil des Strafſenates des Oberlandes⸗ 


| 


gerichts Köln hingewiesen, in welchem ausgeſprochen 
wird, daß auf die im 8 9 des Geſetzes bezeichneten 
Ankündigungen zwar die Vorſchrift des 8 7 Abſ. 2, 
nicht aber auch die des 8 7 Abſ. 1 des Geſetzes An⸗ 
wendung fände. Der Tatbeſtand, der dieſem Urteile 
zugrunde lag, iſt kurz folgender: 

Ein Möbelhändler hatte in einem Inſerat, das 
in einem Lokalblatt erſchienen war, einen nur „noch 
kurze Zeit dauernden großen Möbelverkauf zur be⸗ 
ſchleunigten Räumung des Lagers aus den noch vor⸗ 
handenen Beſtänden“ angekündigt. Gegen den An⸗ 
kündiger wurde auf Grund des 8 7 Abſ. 1 und 8 9 
des Geſetzes gegen den unlauteren Wettbewerb An⸗ 
klage erhoben. Der Angeklagte wurde jedoch in allen 
Inſtanzen freigeſprochen; zwar ſei der in der Anzeige 
angegebene Grund, nämlich befchleunigte Räu⸗ 
mung des Lagers aus den noch vorhandenen Beſtänden, 
kein ernſtlicher im Sinne des 87 Abſ. 1 des Geſetzes, 
ſondern eine rein reklameartige Bezeichnung, welche 
daher die Forderung dieſer Geſetzesbeſtimmung nicht 
erfülle; trotzdem könne 8 7 Abſ. 1 keine Anwendung 
finden, weil in der Ankündigung nicht die Bezeichnung 
„Ausverkauf“ ſondern „großer Möbelverkauf“ gewäblt 
worden ſei. Nun ſtehe zwar nach 89 die beanſtandete 
Ankündigung der Ankündigung eines Ausverkaufs 
gleich, jedoch nach dem klaren Wortlaute des Geſetzes 
nicht im Sinne des 8 7 Abſ. 1, ſondern nur in dem 
des Abſ. 2, der die Anzeigepflicht für beſtimmte Arten 
von Ausverkäufen vorſchreibt, ſoferne die höhere Ver⸗ 
waltungsbehörde dies anordnet. Wenn es ſich auch 
hier vielleicht um eine Lücke im Geſetze oder ſelbſt 
um einen geſetzgeberiſchen Fehler handle, ſo ſei das 
Gericht doch an den klaren unzweideutigen Wortlaut 
des Geſetzes gebunden und könne deshalb auch einen 
etwaigen anderen Willen des Geſetzgebers nicht hinein 
legen. 

Dieſes Urteil iſt in der Tat geeignet, zu den 
Verwirrungen, die der vielfach unklare Wortlaut des 
Geſetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. 
Juni 1909 angerichtet hat, eine neue hinzufügen: es 
zeugt zudem von einem ungewöhnlich hohen Grad 
von formal juriſtiſcher Geſetzesauslegung. Wäre 
dieſes Urteil richtig, ſo bedürfte es bei allen Anzeigen 
über Ausverkäufe, ſoferne nur die Bezeichnung „Auge 
verkauf“ nicht ausdrücklich gewählt wird, keiner Uns 
gabe des Grundes, der zu dem Ausverkauf Anlaß 
gegeben hat, obwohl das in 87 Abſ. 1 ausdrücklich 
vorgeſchrieben iſt. Bei näherem Zuſehen zeigt ſich 
denn auch, daß das Urteil bei einigermaßen ſinnge— 
mäßer Auslegung der Geſetzesvorſchriften nicht wohl 
aufrecht erhalten werden kann. 

Die in 8 9 des Geſetzes bezeichneten Ankün— 
digungen — es ſind dies ſolche, die den Verkauf von 


Zeitſchrift für 


Waren wegen Beendigung des Geſchäftsbetriebes, 
Aufgabe einer einzelnen Warengattung oder Räumung 
eines beſtimmten Warenvorrates aus dem vorhandenen 
Beſtande betreffen — ſind u. a. den Ankündigungen 
eines Ausverkaufs im Sinne des 8 7 Abſ. 2 des 
Geſetzes, alſo den Ankündigungen „beſtimmter Arten 
von Ausverkäufen“ gleichgeſtellt, für welche durch die 
höhere Verwaltungsbehörde neben der ſchon im 87 
Abſ. 1 vorgeſchriebenen Angabe des Grundes des 
Ausverkaufs auch noch Erſtattung einer beſonderen 
Anzeige und Einreichung eines Verzeichniſſes vor⸗ 
geſchrieben werden kann. Wenn nun in 8 9 Abſ. 1 
des Geſetzes geſagt iſt, daß der Ankündigung eines 
Ausverkaufes im Sinne des 8 7 Abſ. 2 auch noch 
beſtimmte andere Ankündigungen gleich geachtet werden 
ſollen, ſo heißt dies doch nichts anderes, als daß für 
dieſe letzteren Ankündigungen dieſelben Vorſchriften 
gelten ſollen, wie für die in $ 7 Abſ. 2 bezeichneten 
Ausverkaufsarten. Da nun für die im 8 7 Abſ. 2 
erwähnten Ankündigungen, ſoferne die Regierung von 
der ihr zuſtehenden Ermächtigung Gebrauch macht, 
vorgeſchrieben iſt: 1. Angabe des Grundes, welcher 
zu dem Ausverkauf Anlaß gibt; 2 Erſtattung be⸗ 
ſonderer Anzeige bei der von der höheren Verwal⸗ 
tungsbehörde bezeichneten Stelle, ſo gelten genau die 
gleichen Vorſchriften auch für die in 8 9 Abſ. 1 ge⸗ 
nannten Ankündigungen, wobei noch zu beachten iſt, 
daß Angabe des Grundes für die Ausverkäufe im 
Sinne des 8 7 Abſ. II ſelbſtverſtändlich auch dann 
erforderlich iſt, wenn die höhere Verwaltungsbehörde 
von ihrer Ermächtigung, noch weiter gehende Vor⸗ 
ſchriften zu erlaſſen, keinen Gebrauch gemacht hat. 
8 9 Abſ. 1 ſagt nicht, daß für die dort bezeichneten 
Ankündigungen die Vorſchrift des 8 7 Abſ. 2 An⸗ 
wendung finden ſoll, ſondern nur, daß ſie ebenſo be⸗ 
handelt werden ſollen, wie die Ankündigungen der 
letztgenannten Geſetzesſtelle. Es iſt zuzugeben, daß 
die Faſſung des Geſetzes keineswegs glücklich iſt; 
außer dem 87 Abſ. 2 iſt im 89 bekanntlich auch der 
§ 8 des Geſetzes (Verbot des Vor⸗ und Nachſchiebens) 
angeführt. Die Bezugnahme auf dieſes Verbot hat 
zweifellos keine andere Bedeutung, als die, daß dieſes 
Verbot auch auf die Ankündigungen des 8 9 Ans 
wendung finden ſoll, ſo daß man zu dem Ergebnis 
gelangt, daß der in einem Satze erfolgten Zitierung 
des 8 7 Abſ. 2 einerſeits, des 8 8 anderſeits, eine 
verſchiedenartige Bedeutung beizumeſſen iſt. Auf den 
erſten Blick möchte es ſcheinen, daß eine ſolche Geſetzes— 
auslegung dem Wortlaute des Geſetzes einen uner— 
laubten Zwang antut. Gleichwohl iſt ſie nicht nur 
allein ſinngemäß, ſondern auch zwingend. Der Geſetz⸗ 
geber konnte, wenn er im 8 9 den 8 7 Abſ. 2 an: 
führte, deſſen unmittelbare Anwendung gar nicht an 
ordnen, weil zur Anwendung der Vorſchriften des 
9 7 Abſ. 2 (Erſtattung beſonderer Anzeigen, Ein: 
reichung eines Verzeichniſſes) immer erſt die Anord— 
nung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich iſt. 

Zu dem gleichen Ergebniſſe wie die vorſtehenden 
Ausführungen gelangt, wenn auch aus anderen Grün- 
den, der in 3. Auflage 1910 erſchienene Kommentar 
1 F Finger (Seite 139 zu 89 

1 
G. Clarus, Syndikus der Handelskammer Regensburg. 


Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


— . nl ul nn nn nn nn nn nn nn nn, 


185 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 
Wenn ein in Jahlungsſchwierigkeiten geratener 
Schuldner feinen Gläubigern freiwillig fein Vermögen 


zur Verwertung mit der Vereinbarung überläßt, daß 
ſie ſich daraus befriedigen und einen etwaigen Ueber⸗ 
ſchuß herausgeben ſollen, fo verzichten damit die Glän⸗ 
diger nicht ohne weiteres auf den Neſt ihrer Forde⸗ 
rungen, der bei Verwertung des Vermögens nicht gedeckt 
wird. Am 10. September 1906 wurde über das Ver⸗ 
mögen des beklagten Ehemannes S. das Konkurs⸗ 
verfahren eröffnet, das am 9. März 1907 infolge eines 
Zwangsvergleiches wieder aufgehoben wurde. In der 
Zeit nach dem 10. Dezember 1906 errichtete die be⸗ 
klagte Ehefrau, die mit ihrem Manne in geſetzlichem 
Güterſtande lebt, in L. ein Modewarengeſchaft unter 
ihrem Namen. Dieſem Geſchäft lieferte die Klägerin 
Waren für 10950 M. Am 14. März 1907 übernahm 
der beklagte Ehemann dieſes Geſchäft mit allen Schulden 
und führte es unter ſeiner eingetragenen Firma Julius 
S. weiter. Nun verklagte die Klägerin die beiden 
Beklagten auf den Reſtkaufpreis von 8612 M mit dem 
Antrage, den Beklagten S. zur Duldung der Zwangs⸗ 
vollſtreckung in das eingebrachte Gut ſeiner Ehefrau 
zu verurteilen. Die Ehefrau S. wurde als Käuferin, 
ihr Ehemann auf Grund des 8 25 HGB. ferner aus 
Bereicherung in Anſpruch genommen, weil die Waren 
in ſeinem Geſchäfte veräußert worden waren, und ihm 
der Erlös zugefloſſen ſei; endlich wurde die Klage 
auf Anerkennung geſtützt. Mit dieſer Anerkennung 
hat es folgende Bewandtnis: Der beklagte Ehemann 
hat, als er von neuem in Zahlungsſchwierigkeiten ge⸗ 
raten war, am 8. Auguſt 1908 mit der Mehrzahl ſeiner 
Gläubiger, darunter auch der Klägerin, ein ſchriftliches 
Uebereinkommen getroffen, dem auch die übrigen Gläu⸗ 
biger zuſtimmten. Durch dieſes Uebereinkommen über⸗ 
ließ S. unter Zuſtimmung ſeiner Frau dreien ſeiner 
Gläubiger, darunter der Klägerin, zur Vermeidung des 
Konkurſes das Warenlager, die Einrichtung, die Außen⸗ 
ſtände uſw.; aus den eingehenden Geldern ſollten die 
Gläubiger befriedigt, der Ueberſchuß ſollte dem Ehe⸗ 
manne ausgehändigt werden. Die Gläubiger verzich⸗ 
teten auf Zinſen. Die Gläubiger wurden auf dieſem 
Wege nicht ganz befriedigt. Die Klägerin hatte immer 
noch 2796.02 M nicht erhalten. Deshalb beſchränkte 
ſie ihren Klageantrag auf dieſen Betrag. Die Be⸗ 
klagten bekämpften dieſen Anſpruch mit der Behaup⸗ 
tung, daß die beklagte Ehefrau nicht hafte, weil nach 
der Vereinbarung mit der Klägerin bei der Beſtellung 
der Kauf nur äußerlich auf den Namen der Frau abs 
geſchloſſen wurde mit der Abrede, daß nach Erledigung 
des Konkurſes an deren Stelle der beklagte Ehemann 
durch Uebernahme des Geſchäftes trete; außerdem iſt 
es nach der Anſicht der Beklagten allgemeine Anſchau⸗ 
ung im Handelsverkehr, daß die Gläubiger auf den 
Ausfall verzichten, wenn der Schuldner ſeinen Gläu⸗ 
bigern ſein ganzes Geſchäft überläßt. In dieſem Sinne 
ſei auch das Verhalten der Gläubiger hier zu deuten. 
Das Landgericht hat der Klage ſtattgegeben. Das 
OLG. hat die Klage abgewieſen. Das RG. hob auf. 

Gründe: Das OLG. ſtellt feſt, daß in dem Ver⸗ 
trag vom 8. Auguſt 1908 nicht ausdrücklich ein Ver: 
zicht der Gläubiger auf ihre Forderungen ausgeſprochen 
iſt, ſoweit ſie etwa bei der Verwertung des Vermögens 
nicht befriedigt werden. Das OLG. nimmt aber doch 
an, daß die Klägerin auf den Ausfall durch den Ver— 
trag vom 8. Auguſt 1908 verzichtet habe, und weiſt 
die Klage aus dieſem Grunde ab. Zur Feſtſtellung 
des Verzichts gelangt das OLG. dadurch, daß es den 
Rechtsſatz aufſtellt, bei Verträgen, durch welche der 


136 


Schuldner feinen Gläubigern die Verwertung feines 
Vermögens auftrage, ſei die Befreiung des Schuldners 
gewollt, wenn ſie nicht ausgeſchloſſen werde. Dieſen 
Rechtsgrundſatz findet der Verufungsrichter ſchon in 
der „venditio bonorum“ des römiſchen Rechts ausge⸗ 
ſprochen; er meint, dieſer Rechtsgrundſatz ſei — aller⸗ 
dings unter Einſchränkungen — in die Konkursgeſetz⸗ 
gebungen übergegangen und verdiene nach dem recht: 
lichen und wirtſchaftlichen Weſen ſolcher Verträge 
Billigung. Angeſichts dieſer Rechtslage wäre es, — 
fo bemerkt das OLG. —, Sache der Gläubiger ge⸗ 
weſen, eine von der üblichen Art abweichende Rege⸗ 
lung vorzuſchlagen, einen abweichenden Vorſchlag 
hätten aber die Gläubiger nicht gemacht. Der Vertrag 
ſchweige darüber, wie es mit dem Ausfall gehalten 
werden ſolle; es ſei deshalb anzunehmen, daß es die 
Klägerin bei der (geſetzlichen) Regel habe belaſſen 
wollen; denn ſie hätte ihren Willen, daß dem Vertrag 
vom 8. Auguſt 1908 keine befreiende Wirkung zukommen 
ſolle, bei deſſen Abſchluß zum Ausdruck bringen müſſen; 
das habe ſie nicht getan; folglich habe ſie verzichtet. 
Der Berufungsrichter ſtellt ſomit eine geſetzliche Ver⸗ 
mutung dafür auf, daß die Gläubiger, die einem 
Liquidationsvertrag beitreten, auf den Ausfall ihrer 
Forderungen verzichten. Maßgebend für die Aus— 
legung von Verträgen find jedoch die 88 133, 157 
BGB. Nach den Beſtimmungen dieſer Geſetzesvor— 
ſchriften iſt aber der wahre Wille der Vertragſchließenden 
nach den Grundſätzen von Treu und Glauben mit 
Rückſicht auf die Verkehrsſitte zu erforſchen. Dieſe 
Beſtimmungen gelten namentlich dann, wenn es ſich 
um ſtillſchweigende Willens erklärungen handelt, und 
auch dann, wenn es ſich um die hier zu entſcheidende 
Frage handelt, ob etwa durch ſtillſchweigende Willens⸗ 
erklärungen ein Erlaßvertrag nach 8 397 BGB. zuſtande 
gekommen iſt. Angeſichts dieſer Beſtimmungen, mo» 
nach es immer auf den wirklichen Willen der Parteien 
ankommt, iſt kein Raum für die geſetzliche Vermutung 
eines Verzichts, auf welche der Berufungsrichter allein 
ſein Urteil geſtützt hat. Das OLG. hat ſomit die 
§S 133, 157 BGB. durch Nichtanwendung und durch 
Aufſtellung einer nicht beſtehenden Verzichtsvermutung 


verletzt. (Urt. des II. 35. vom 20. Dezember 1910, 
II 119/10). ee, 
2176 


Il. 

Zu 35 812, 818 B83. Wer zur Deckung 
einer Forderung eine Hypothek erworben 
und auf dieſe ohne Rechtsgrund in der 
Zwangsverſteigerung einen Betrag er⸗ 
halten hat, kann in der Regel nicht mehr 
wegen ungerechtfertigter Bereicherung 
in Anſpruch genommen werden, wenn er das 
Empfangene auf die Forderung feines 
Schuldners verrechnet und den Ueberſchuß 
herausgezahlt hat. Bereichert iſt er nur 
inſoweit, als die Forderung gegen ſeinen 
Schuldner nicht vollwertig war oder als 
ernocheinen einbringlichen Rückforderungs— 
anſpruch gegen ſeinen Schuldner hat. 

Der Beklagte hatte infolge unrichtiger Verteilung 
des Verſteigerungserlöſes auf ſeine Hypothek einen 
Betrag erhalten. 
der ausgefallen war, klagte gegen ihn. Das RG. 
führte Folgendes zu der Frage aus, ob der Beklagte 
noch ungerechtfertigt bereichert ſei: „Begründet iſt die 
Rüge der Verletzung des 8 818 Abſ. 3 BGB. Die Be— 
klagte hatte in der Berufungsinſtanz geltend gemacht: 
Sie habe die Hypothek nur zur Sicherung ihrer Forde— 
rungen gegen die Firma Schl. übertragen erhalten. Nach 
der Verteilung des Erlöſes habe ſie mit dem Zedenten 
abgerechnet. Bei der Abrechnung ſei zugrunde gelegt 
worden, daß ſie den auf die Hypothek entfallenen 
Betrag behalten ſolle. Sie habe demgemäß den Ueber— 
ſchuß über ihre Forderung mit 2564.64 M bar gezahlt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


— . ͤ 33ä—äñ ————— 2——e i — — ———— — — 


Ein ihm nachſtehender Gläubiger, 


und Wechſel ſowie Urteile gegen die Schuldnerin über 
2637.45 M herausgegeben. Die Wiedereinziehung der 
gezahlten Summe ſei wegen der Vermögensloſigkeit 
der Empfänger nicht mehr möglich, ebenſowenig ein 
Vorgehen gegen die Wechſelſchuldner. Sonach ſei zur 
Zeit der Klagerhebung die Beklagte nicht mehr be⸗ 
reichert geweſen. Der Berufungsrichter hat dieſen 
Einwand für unerheblich erachtet. Er führt an: Aller⸗ 
dings würde eine Bereicherung inſoweit nicht vor⸗ 
liegen, als die Beklagte aus dem an ſie gelangten 
Verſteigerungserlöſe nachträglich für Rechnung der 
Firma Schl. an Dritte Beträge ausgezahlt hätte, welche 
den Betrag ihrer Forderungen gegen die gedachte 
Firma überſtiegen. Es ließen aber die Anführungen 
der Beklagten nicht erkennen, ob es ſich bei ihren 
Leiſtungen aus dem Verſteigerungserlöſe um ſolche 
handle, welche mit ihrer Befriedigung für Forderungen 
an die Firma Schl. im Zuſammenhange ſtünden, oder 
um ſolche, welche unabhängig von ſolchen Forderungen 
gemacht ſeien. Die Beklagte hätte die ganze Abrech⸗ 
nung vorlegen müſſen. Die jetzigen Angaben ent⸗ 
hielten offenbar aus dem Zuſammenhang geriſſene 
Einzelpoſten, welche kein Urteil darüber zul ießen, ob 
wirklich die Bereicherung nachträglich wieder fort⸗ 
gefallen ſei. 

Den Ausführungen des Berufungsgerichts läßt 
ſich nicht beitreten. Wenn, wie die Beklagte geltend 
macht, die Hypothekforderung ihr nur zur Sicherung 
ihrer Anſprüche gegen Schl. diente, ſo könnte man 
zweifeln, ob durch den ungerechtfertigten Eingang der 
Hypothekforderung überhaupt das Vermögen der Be- 
klagten und nicht das Vermögen des Zedenten B. ver⸗ 
mehrt worden iſt; denn was die Beklagte aus der 
Forderung erlangte, kam dem Zedenten und für dieſen 
der Firma Schl. zugute. Immerhin hatte die Beklagte 
nach außen die Stellung einer Hypothekgläubigerin. 
Die Leiſtung bei der Verteilung u an fie kraft 
eigenen Rechtes, nicht als Vertreterin des Zedenten B. 
Der Betrag gelangte alſo bei der Zahlung in ihr Ver⸗ 
mögen. Aber gegenüber dem Anſpruch aus ungerecht— 
fertigter Bereicherung kann die Beklagte ſich darauf 
berufen, daß ſie den empfangenen Erlös ihrer Schuld⸗ 
nerin Schl. zur Tilgung von Schulden gut brachte 
und den Ueberſchuß der Firma Schl. oder dem Zedenten 
B. bar hinauszahlte. Wenn der Berufungsrichter dies 
nicht anerkennt, ſo geht er nicht von den richtigen, 
für die Anwendung der 8$ 812, 818 BGB. geltenden 
Grundſätzen aus. Soweit der Erlös zur Tilgung von 
Schulden der Firma Schl. verwendet worden iſt, wird 
ſich allerdings fragen, wie die Forderungen der Be— 
tlagten zu bewerten waren. Inſoweit, als die For⸗ 
derungen nicht vollwertig waren, wird auch mit der 
Abrechnung die Vermögensmehrung nicht weggefallen 
ſein. Waren die Forderungen gut, ſo wird das Ge— 
ſamtvermögen der Beklagten nicht dadurch vermehrt 
worden ſein, daß das Geld an die Stelle der For— 
derungen trat. Ferner kann die Beklagte nunmehr, 
nachdem ſich ergeben hat, daß die auf die Hypothek— 
forderung von 7500 M erfolgte Leiſtung des recht— 
lichen Grundes entbehrte, einen Anſpruch gegen ihre 
frühere Schuldnerin (oder den Zedenten B.) auf Heraus— 
gabe der bar gezahlten 2564.64 M und auf Zahlung 
der für getilgt erklärten Forderungen erheben und 
inſoweit wird eine Bereicherung vorliegen, als dieſe 


Anſprüche zu dem Vermögen der Beklagten gehören. 


Dieſe Bereicherung beſtünde aber nur in dem Wert 
der Anſprüche. Wie die Beklagte geltend gemacht hat, 


ſollen die Anſprüche ſchon zur Zeit der Klagerhebung 


) 


wertlos geweſen fein. Nach dieſen Richtungen war 
das Vorbringen der Beklagten erheblich. Die Auf— 
nahme des angebotenen Beweiſes konnte daher ohne 
Verletzung des 8 818 Abſ. 3 BGB. nicht abgelehnt 
werden.“ (Urt. des IV. 35. vom 19. November 1910, 
IV 729/09). 


2168 


— - n. 


III. 


Muß der zu Entmündigende im Verfahren anf die 
Anfechtungsklage ſtets auch in der Berufungsinſtanz 
perſönlich vernommen werden? Aus den Gründen: 
Seit dem Inkrafttreten der Zivilprozeßnovelle vom 
17. Mai 1898, durch welche der 8 654 ZPO. ſeine 
jetzige Faſſung erhalten hat, hat das Reichsgericht in 
gleichmäßiger Rechtſprechung angenommen, daß der 
Entmündigte im Verfahren auf die Anfechtungsklage 
nicht bloß in erſter ſondern auch in der Berufungs⸗ 
inſtanz unter Zuziehung eines Sachverſtändigen per⸗ 
ſönlich vernommen werden muß, wenn nicht die im 
5 654 Abſ. 3 ZPO. vorgeſehenen Ausnahmefälle 
vorliegen. Die Anſicht iſt hergeleitet aus der Stellung 
des 8 671 im Syſtem der ZPO., aus dem Zwecke des 
Geſetzes, das eine möglichſt zuverläſſige Beurteilung 
des Geiſteszuſtandes des zu Entmündigenden gewähr⸗ 
leiſten will, und aus der Begründung der Vorſchrift 
in den Motiven. Die erneute Prüfung der Frage 
gibt dem Senat keinen Anlaß, von der bisherigen 

nſicht abzugehen. Insbeſondere können die Aus⸗ 
führungen des Berufungsgerichts die Auffaſſung des 
Reichsgerichts nicht widerlegen. Mit Unrecht beruft 
ih das Berufungsgericht auf 8 526 ZPO. Der 
Paragraph enthält die allgemeine Vorſchrift, daß 
bei der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungs- 
gericht die Beweisverhandlungen ſoweit vorzutragen 
ſind, als es zum Verſtändnis der Berufungsanträge 
und zur Prüfung der Richtigkeit der Entſcheidung er⸗ 
forderlich iſt. Dieſe Vorſchrift gilt allerdings auch in 
Entmündigungsſachen. Es kann alſo in der münd⸗ 
lichen Verhandlung unbedenklich das Protokoll über 
die in erſter Inſtanz bewirkte perſönliche Vernehmung 
des Anfechtungsklägers vorgetragen werden. Für 
Entmündigungsſachen gilt aber außerdem die beſondere 
Vorſchrift des 8 671 ZPO., daß unter allen Umſtänden 
die perſönliche Vernehmung des Entmündigten in der 
Berufungsinſtanz wiederholt werden foll, und dieſe 
wird durch 8 526 nicht berührt. 

Das Berufungsgericht erkennt an, daß bei Unter⸗ 
laſſung der wiederholten Vernehmung dem Berufungs⸗ 
gerichte der perſönliche Eindruck des zu Entmündi— 
genden entgeht, macht demgegenüber aber geltend, 
daß das gleiche der Fall ſei, wenn der zu Ent⸗ 
mündigende, wie 8 654 Abſ. 2 ZPO. es zulaſſe, durch 
einen erſuchten Richter vernommen werde. Dabei ſei 
noch zu beachten, daß in vielen Fällen der erſuchte 
Richter und der zuzuziehende Sachverſtändige dieſelben 
Perſonen ſein würden, die in dem amtsgerichtlichen 
e mitgewirkt hätten. Das beweiſt 
aber nicht, daß die Auslegung des Reichsgerichts 
nicht richtig ſei, ſondern nur, daß eine unzweckmäßige 
Geſetzesanwendung den Zweck des Geſetzes vereiteln 
kann. Das Berufungsgericht hat nach ſeinem pflicht— 
mäßigen Ermeſſen zu entſcheiden, welche Art der Ver- 
nehmung des Anfechtungsklägers zweckdienlich iſt. 
Erachtet es daher die wiederholte Vernehmung durch 
den erſuchten Richter unter Zuziehung der früher ge— 
hörten Sachverſtändigen für bedeutungslos, ſo kann 
es die Vernehmung vor dem beauftragten Richter oder 
dem erkennenden Gerichte und die Zuziehung eines 
anderen Sachverſtändigen beſchließen und es ſo 
vermeiden, eine Maßnahme zu treffen, die nur den 
Wortlaut des Geſetzes erfüllt und auf eine leere 
Formalität hinauslaufen könnte. Daß das Berufungs— 
gericht die wiederholte Vernehmung nicht deshalb ab 
lehnen kann, weil es ſie für unerheblich hält, ergibt 
ſich ſchon daraus, daß die Novelle von 1898 die im 
§ 598 a. F. (= 8654) Abſ. 3 vorgeſehene Ausnahme 
beſeitigt hat, wonach die Vernehmung unterbleiben 
konnte, wenn ſie nach Anſicht des Gerichts unerheblich 
war. (Urt. des IV. 35. vom 15. Dezember 1910, 
IV 55/10). 

2163 


— — en. 


ZJZJettſchrift fü für Rechtspflege in Vat 


| 


— 


in Bayern. 1911. Nr. 6. 137 


IV. 


In Eheſachen darf der nder die Reviſien ein⸗ 
legen, auch wenn es nur geſchieht, damit er die Klage 
zurücknehmen oder anf den Klageanſpruch verzichten 
kann. Aus den Gründen: Die Reviſion iſt, ob» 
ſchon das Berufungsgericht nach dem Antrage der 
Klägerin erkannt hat, nur zu dem Zweck der Zurück- 
ziehung der Klage eingelegt. Das iſt zuläſſig. Der 
ſonſt im Prozeſſe geltende Grundſatz, daß nur die⸗ 
jenige Partei das Urteil durch Rechtsmittel anfechten 
kann, die durch das Urteil beſchwert iſt, findet in 
Eheſcheidungsſachen nach der beſonderen Natur des 
Scheidungsurteils keine Anwendung. Wahrend in 
anderen Prozeſſen der obſiegende Kläger zu jeder Zeit 
in der Lage iſt, die aus dem Urteil erlangten Rechte 
wieder aufzugeben, kann der Ehegatte, nach deſſen 
Antrag auf Scheidung erkannt iſt, dies nur dadurch 
erreichen, daß er in der Rechtsmittelinſtanz die Klage 
zurückzieht und damit eine die Aufhebung des Schei⸗ 
dungsurteils ausſprechende Entſcheidung des Gerichts 
herbeiführt. Es muß deshalb der Partei geſtattet 
ſein, nur zum Zweck der Zurückziehung der Klage 
das Rechtsmittel der Berufung, oder wenn in der 
Berufungsinſtanz erkannt iſt, der Reviſion einzulegen. 
Hier war nun allerdings nach $ 271 ZPO. die bloße 
Zurücknahme der Klage nicht möglich, da Beklagter 
der Zurücknahme widerſprochen hat. Die Klägerin 
mußte zur Beſeitigung des Urteils auf die aus ihm 
erlangten Rechte oder, was auf dasſelbe hinausläuft, 
auf den Klageanſpruch ſelbſt verzichten. Dieſe Er⸗ 
klärung, die nicht bloß materiellrechtlicher, ſondern 
zugleich prozeſſualer Natur iſt und deshalb noch in 
der Reviſionsinſtanz zu berückſichtigen iſt, hat der 
Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit ihrer aus⸗ 
drücklichen Zuſtimmung abgegeben. Das Berufungs- 
urteil war deshalb, wie die Klägerin beantragt hat, 


aufzuheben. (Urt. des IV. 3S. vom 19. November 
1910, IV 301/10). — — 2 · n. 
2167 


V. 


Haltung des Tierhalters aus 3 833 B68. ä. F. 
bei Erweiſung eines Gefälligkeitsdienſtes durch einen 
Nachbar. Prüfung des Mitverſchuldens des Ber- 
letzten von Amts wegen. Anwendung der SS 146 Abſ. 1 
und 151 Lwuverſs. Beweislaſt des Beklagten. Am 
19. Oktober 1906 forderte die Frau des Beklagten den 
auf deſſen Hofe zufällig anweſenden Kläger auf 
einen im Stalle des Beklagten ſtehenden, dieſem ge⸗ 
hörenden Ochſen wieder anzubinden, der ſich los⸗ 
geriſſen hatte. Der Kläger ging in den Stall. Dort 
wurde er nach ſeiner Angabe von dem Ochſen an die 
Wand gedrückt und am linken Arm und am Hand⸗ 
gelenk verletzt. Wegen der Folgen nahm er den Be— 
klagten als Tierhalter in Anſpruch. Das LG. erklärte 
die Klage dem Grunde nach für berechtigt. Die Be⸗ 
rufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Das OLG. 
erklärte die Klage auf Erſatz des ſchon entſtandenen 
Schadens dem Grunde nach für berechtigt und ſtellte 
feſt, daß der Beklagte auch den aus der Verletzung 
noch entſtehenden Schaden, nach Abzug des von der 
Berufsgenoſſenſchaft Gezahlten, zu vergüten habe. Die 
Reviſion des Beklagten wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Die Reviſion rügt die 
Verletzung der §§ 833, 254 BGB., ſowie der SS 146, 
151 Lwuüerſc. Die Rügen ſind nicht begründet. 
Nach dem Sachverhalte handelt es ſich um einen 
Tierſchaden im Sinne des 8 833 BGB. ä. F. Darauf, 
daß bei der Entſtehung des Schadens ein ſchuldhaftes 
Handeln des Klägers mitgewirkt habe, hatte der Be— 
klagte in der Berufungsinſtanz keinen Einwand ge— 
fügt, das OLG. hat den Sachverhalt trotzdem aus 
dem Geſichtspunkt des 8 254 BGB. geprüft. Es iſt 
nicht zu beanſtanden, wenn das Berufungsgericht 
darin kein Verſchulden erblickt hat, daß der Kläg 


138 


. a —— —— — — 


ein in der Behandlung von Vieh erfahrener Bauer, 
auf Grund des Erſuchens der Frau des Beklagten 
verſucht hat, den Ochſen wieder anzubinden. Der 
Beklagte hat keine Behauptungen darüber aufgeſtellt, 
daß etwa der Kläger bei dem Verſuche unvorſichtig 
vorgegangen ſei: er hat auch keine Tatſachen ange⸗ 
führt, die einen Schluß darauf zulaſſen, der Kläger 
habe durch einen ſtillſchweigenden Vertrag auf 
Schadenserſatzanſprüche verzichtet. Fehl geht die 
Meinung der Reviſion, der Fall liege gleich dem 
Falle des aus Gefälligkeit vom Tierhalter zur Mit⸗ 
fahrt aufgenommenen Fahrgaſtes. Der Kläger hat 
nicht, wie der Fahrgaſt, eine Gefälligkeit ange⸗ 
nommen, ſondern dem Tierhalter eine Gefälligkeit 
erwieſen. (Vgl. Warneyer Jahrb. 1910 Nr. 153). 
Der Rechtſprechung des Reichsgerichts entſpricht 
die Ausführung des OLG, der Beklagte ſei bemeis- 
pflichtig für die Tatſachen, aus denen ſich ergibt, daß 
ſich der Unfall in einem verſicherungspflichtigen Be⸗ 
triebe des Beklagten ereignet hat und daß deshalb 
31970 LwuVerſcß. anwendbar iſt (vgl. Warneyer 
ahrb. 1908 Nr. 143). Das OLG. hat die Einrede 
auf Grund des Vorbringens des Beklagten eingehend 
geprüft. Es hat ausgeführt: Dem Kläger habe es 
ferne gelegen ſich auf die Dauer der Dienſtleiſtung 
feiner Selbſtändigkeit zu begeben und in ein Ab⸗ 
hängigkeitsverhältnis zu dem Beklagten zu treten. 
Dieſem als Nachbar habe er in Erwartung ähnlicher 
Hilfe für den Bedarfsfall nur einen Gefälligkeitsdienſt 
ohne Entgelt geleiſtet. Der Beklagte ſtehe deshalb 
dem Kläger nicht als Betriebsunternehmer im Sinne 
des 8 146 ſondern als Dritter im Sinne des 8 151 
gegenüber. Die ſo begründete Nichtanwendung des 
146 Abſ. 1 iſt nicht zu beanſtanden (Jur W. 1908 
351%. Das OL. hebt ausdrücklich hervor, daß 
der Anſpruch auf die Berufsgenoſſenſchaft überge- 
gangen ſei, ſoweit dieſe den Kläger entſchädigt hat 
(8 151 a. a. O.), daß jedoch der Kläger dieſem Um: 
ſtande durch die Einſchränkung des 
Rechnung getragen habe. Auch in dieſer Hinſicht 
laſſen ſich Bedenken gegen die Ausführungen des 
OLG. nicht erheben. (Urt. d. IV. 38S. vom 28 Ja⸗ 
nuar 1911, IV 175 / 1910). G—ı. 
2174 


B. Strafſachen. 


Erforderniſſe einer Bilanz. Aus den Gründen: 
Das LG. hat angenommen, daß die beiden als 
Bilanzen bezeichneten Aufſtellungen nicht als Bilanzen 
angeſehen werden können. Daß dabei die rechtliche 
Natur der Bilanz, wie fie ſich aus den 88 39, 40 HGB. 
in Verbindung mit den 88 42, 83 GmbHG. ergibt, 
verkannt ſei, iſt der Urteilsbegründung nicht zu ents 
nehmen. Freilich iſt nicht klar, was damit geſagt 
ſein ſoll, wenn es im Urteil heißt, die aufgeſtellten 
Verzeichniſſe ſeien nur „Rohbilanzen“. Wenn damit 
ausgedrückt ſein ſoll, ſie enthielten nichts weiter, als 
eine rechneriſche Ueberſicht der Buchungen aller Konten 
und könnten deshalb die Stelle der reinen Bilanzen 
nicht erſetzen, die einen das Verhältnis des Vermögens 
und der Schulden darſtellenden Abſchluß haben 
müßten, ſo wäre rechtlich gegen eine ſolche Auffaſſung 
nichts zu erinnern. 
näher darlegen ſollen. Verfehlt erſcheint auch die 
Begründung dafür, daß die Eröffnungsbilanz nicht 
als Bilanz i. S. des Geſetzes gelten könne; denn das 
ausſchlaggebende Gewicht iſt darauf gelegt, daß die 
Bilanz falſch ſei, weil die Sacheinlage des Geſell— 
ſchafters Sch. als Bareinlage gebucht worden ſei. 
Die inhaltliche Unrichtigkeit hätte nur dahin führen 
können, in der mangelhaften Bilanz eine unordentliche 


Seitfärift für megtarſteg 


Klagantrags 


1911. Nr. 6. 


in Bayern. 


— VNÿ3H— 


Charakter einer Bilanz vollſtändig zu nehmen. Da⸗ 
gegen wird das Urteil getragen durch dasjenige, 
was über die zweite Bilanz feſtgeſtellt iſt. Unter 
den Aktiva iſt ein Warenbeſtand aufgeführt und 
von dieſem iſt als erwieſen angenommen, daß die 
Aufſtellung rein willkürlich und anſcheinend nur zu 
dem Zweck e iſt, einen Ausgleich zwiſchen 
Aktiva und Paſſiva herbeizuführen. Dieſer Umſtand 
konnte in Verbindung mit der ſchon vorher feſt⸗ 
geſtellten Tatſache, daß ein Inventar der vorhandenen 
Waren überhaupt nicht aufgeſtellt war, das Gericht 
ohne Rechtsirrtum zu der Ueberzeugung bringen, daß 
die als Bilanz bezeichnete Zuſammenſtellung vom 
Juni 1908 in Wirklichkeit eine ſolche nicht ſei. Beim 
Nichtvorhandenſein eines Inventars des Warenlagers 
fehlte die weſentliche Grundlage und Vorbedingung 
für die Bilanzziehung; eine willkürliche Schätzung 
von Beſtand und Wert der Warenvorräte ermöglichte 
keine unmittelbare ſichere Ueberſicht über den jeweiligen 
Vermögensbeſtand. (Urteil des V. StS. vom 13. De⸗ 
zember 1910, V D 759/10). E. 
2141 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


At die nach 8 332 StPO. angeordnete Vermögens: 
beſchlagnahme ein abſolutes Beräußerungdverbot nach 
9 134 868., deſſen Eintragung in das Grundonch nicht 
zuläſſig iſt, oder ein beſchränktes Veräußerungsverdot 
im. Sinne des 8 136 BGB. und deshalb eintragungs⸗ 
fähig? Ein Schwurgericht erließ gegen den An— 
geklagten Haftbefehl und belegte deſſen im Deut— 
ſchen Reiche befindliches Vermögen mit Beſchlag. Das 
Vormundſchaftsgericht hat eine Pflegſchaft eingeleitet 
und das GBA. erſucht, die Beſchlagnahme auf dem 
Blatte für die dem Angeklagten gehörenden Grund— 
ftüde einzutragen. Das gleiche Erſuchen ſtellte 
der Staatsanwalt. Das GBA. hat den Erſuchen 


keine Folge gegeben, weil die Beſchlagnahme auf 
Grund des 8 332 StPO zu den abſoluten Veräuße— 


rungsverboten gehöre und dieſe nicht eintragungs⸗ 
fähig ſeien. Die Beſchwerde des Staatsanwalts wies 
das LG. zurück. Das Obs G. hat die weitere Be⸗ 
ſchwerde des StA. zurückgewieſen. 

Gründe: Dem GA. iſt darin beizutreten, daß 
die Beſchlagnahme nach 8 332 StPO. ein unbe⸗ 
ſchränktes Veräußerungsverbot enthält und deshalb 
nicht eintragungsfähig iſt. Die Rechtslehre erkennt 
allgemein an, daß die geſetzlichen Veräußerungsver— 
bote nicht eintragungsfähig ſind, die im öffentlichen 


Intereſſe erlaſſen find; die Verbote dieſer Art wirken 


Das Gericht hätte dies aber 


Führung der Handelsbücher zu finden; ſie war aber 


nicht ausreichend, um der Zuſammenſtellung den 


nach § 134 BGB. unbeſchränkt gegen jedermann und 
ohne Rückſicht auf die Gutgläubigkeit eines dritten 
Erwerbers. Dagegen wirken die geſetzlichen Veräuße— 
rungsverbote, die nur den Schutz beſtimmter Perſonen 
bezwecken, nach SS 135, 892 BGB. nur zugunſten 
dieſer Perſonen und bedürfen zur Sicherung ihrer 
Wirkſamkeit gegen den gutgläubigen Erwerber der 
Eintragung in das Grundbuch. Aus den 88 135, 
136 ergibt ſich ferner ohne weiteres, daß ein Ver— 
äußerungsverbot, das von einem Gericht oder einer 
anderen Behörde zum Schutze beſtimmter Perſonen 
erlaſſen wird, ebenſo zu behandeln iſt wie das be— 
ſchränkte geſetzliche Veräußerungsverbot. Zweifel 
können entſtehen, in welcher Weiſe ein Veräußerungs— 
verbot zu behandeln iſt, das im öffentlichen Intereſſe 
erlaſſen iſt, aber auf der Anordnung eines Gerichts 
oder einer anderen Behörde beruht. In dem $ 136 
iſt anſcheinend allgemein beſtimmt, daß ein Veräuße— 
rungsverbot eines Gerichts oder einer anderen Be— 
hörde einem geſetzlichen Veräußerungsverbote nach 


8 135 gleichfteht, ohne Rückſicht darauf, ob es im 
öffentlichen Intereſſe oder zum Schutze beſtimmter 
Perſonen ergeht. Daß ſich aber der § 136 nur auf 
ein Veräußerungsverbot bezieht, das den Schutz be⸗ 
ſtimmter Perſonen bezweckt, folgt ſchon daraus, daß 
die im 8 135 getroffenen Vorſchriften den Schutz be⸗ 
ſtimmter Perſonen zum Inhalt haben und deshalb 
überhaupt nicht auf Veräußerungsverbote anwendbar 
95 die im öffentlichen Intereſſe erlaſſen ſind, ſohin 
en Schutz der Geſamtheit zum Zwecke und zum 
Gegenſtande haben. Jeden Zweifel löſt die Ent⸗ 
ſtehungsgeſchichte der 88 135, 136. Der 8§ 107 des 
1. Entwurfs, aus dem die SS 135, 136 hervorge⸗ 
gangen find, enthielt in ſeiner urſprünglichen Faſſung 
als 1. Abſatz die Beſtimmung: „Verſtößt die Vor⸗ 
nahme eines Rechtsgeſchäfts gegen ein im öffentlichen 
Intereſſe erlaſſenes Veräußerungsverbot, ſo iſt das 
Rechtsgeſchäft nichtig.“ Dieſen Abſatz ſtrich ſchon die 
1. Kommiſſion, weil ſich die Nichtigkeit eines gegen 
ein unbeſchränktes Veräußerungsverbot verſtoßenden 
Rechtsgeſchäftes ſchon aus der Vorſchrift des 8 105 
(S 134) ergebe. Dem Einwurfe, daß infolge der 
Streichung Zweifel entſtehen könnten, welche Folgen 
der Verſtoß gegen ein auf richterlicher Anordnung 
beruhendes unbeſchränktes Verbot nach ſich zieht, wurde 
mit der Erwägung begegnet, daß die Zuläſſigkeit eines 
ſolchen Veräußerungsverbots eine geſetzliche Ermächti⸗ 
gung vorausſetzt, daß es mithin zu den geſetzlichen 
Beräußerungsverboten gerechnet werden kann (Prot. 
der I. Kommiſſion S. 218). Deshalb behandelt der 
8 107 des Entwurfs in feiner endgültigen Faſſung 
nur die zum Schutze beſtimmter Perſonen dienenden 
geſetzlichen und gerichtlichen Veräußerungsverbote; das 
zu wird in den Motiven zu dem Entwurfe (Bd. I 
S. 212) ausgeführt: „Die Nichtigkeit einer Veräuße⸗ 
rung, welche gegen ein im öffentlichen Intereſſe er⸗ 
laſſenes abſolutes Veräußerungsverbot verſtößt, bedarf 
keiner beſonderen Hervorhebung; ſie ergibt ſich — auch 
hinſichtlich des mittelbar auf Geſetz beruhenden richter⸗ 
lichen Veräußerungsverbots (vgl. StPO. 88 332 bis 
335, 480) — aus der Vorſchrift des § 105.“ Die 
II. Kommiſſion änderte den 8 107 zwar inſoferne, als 
fie den Abſ. 2 ſtrich und den Inhalt des Abi. 1 
auf zwei Paragraphen (SS 135, 136) verteilte. In 
den Protokollen (Bd. I S. 135) wird aber hervor⸗ 
gehoben, daß dies nur eine Aenderung „formeller 
Art“ war. Es kann ſohin aus dem Inhalt und der 
Entſtehungsgeſchichte der 88 125, 136 entnommen 
werden, daß der 8 136 ſich nur auf Veräußerungs⸗ 
verbote bezieht, die den Schutz beſtimmter Perſonen 
bezwecken, und daß Veräußerungsverbote, die zwar 
von einem Gericht oder einer anderen Behörde, aber 
im öffentlichen Intereſſe erlaſſen werden, den un— 
mittelbar auf Geſetz beruhenden unbeſchränkten Vers 
äußerungsverboten gleichſtehen. Das Veräußerungs— 
verbot, das in der Beſchlagnahme nach 8 332 StPO. 
enthalten iſt, iſt im öffentlichen Intereſſe gewollt und 
deshalb wie ein unbeſchränktes geſetzliches Ver— 
äußerungsverbot zu behandeln. Deshalb iſt es nicht 
eintragungsfähig, auch wenn die DAB Ae. in 8 139 
Abſ. 3, S 122 Nr. 2 anſcheinend von einer anderen 
Auffaſſung ausgeht. 

Gegen die Eintragungsfähigkeit ſpricht auch noch 
ein weiterer Grund. Nach 8 334 StPO. verliert der 
Angeſchuldigte mit der erſten Bekanntmachung in 
dem Deutſchen Reichsanzeiger das Recht, über das in 
Beſchlag genommene Vermögen unter Lebenden zu 
verfügen, und es iſt eine Güterpflege einzuleiten. Der 
Pfleger tritt aber nicht, wie bei der gewöhnlichen 
Pflegſchaft, neben den Pflegling, ſondern an die Stelle 
des Pfleglings nnd übt Statt deſſen und zwar inner- 
halb der durch den Beſchlagnahmezweck gezogenen 
Grenzen das Verwaltungs- und Verfügungsrecht aus. 
Der Pflegling ſelbſt kann Rechtsgeſchäfte über das 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


— — — — — — —— — — ——— A — 


—— — — . : — — — — — 


Nr. 6. 


139 


iſt alſo in feiner Geſchäſtsfähigkeit beſchränkt (Gru⸗ 
chots Beitr. 29, 1112, RG. Z. 11, 188). Solche Ver⸗ 
hältniſſe find nicht eintragungsfähig (RJ A. 5, 260, 
Oberneck Grundbuchrecht 4. Aufl. Bd. J S. 394 846 Ib, 
Turnau⸗Förſter, Liegenſchaftsrecht 3. Aufl. Bd. 1 S. 255, 
256, Güthe, GBO. Bd. I S. 209 Bem. 38 a. E.). Gegen 
dieſe Auffaſſung kann der 8 6 KO. nicht verwertet 
werden, wie es im Recht 1909 S. 340 geſchieht; trotz 
des dort getroffenen Verfügungsverbots kann der Ge⸗ 
meinſchuldner über Maſſegrundſtücke zugunſten gut⸗ 
gläubiger Erwerber mit voller Wirkſamkeit verfügen 
(88 7, 113 KO., 8 892 BGB.; Jaeger KO., 3. Aufl. 
Bem. 24 zu § 6). (Beſchluß des I. 35. vom 13. Ja⸗ 
nuar 1911, Reg. III 100/1910). W. 


2165 
II. 
55 die Anslegungsregel des 5 133 888. an: 
wendbar, wenn Zweifel daräber beſtehen, ob eine Klage 


gegen eine . erhoben worden iſt oder gegen 
die politiſche Gemeinde, zu der die Ortsgemeinde ge: 
hört? L.⸗O. iſt eine ſelbſtändige Ortſchaft nach Art. 5 
GemO. und bildet mit L.⸗U. und anderen Orten die 
politiſche Gemeinde L. Die Ortsgemeinde L.⸗O. hat 
die Verwaltung ihres Vermögens der Gemeinde⸗ 
verwaltung der Geſamtgemeinde L. übertragen. Die 
Ortsgemeinde L.⸗O. iſt Eigentümerin des Grundſtücks 
Pl.⸗Nr. 597 im Sch.feld, auf dem mehrere Quellen 
entſpringen. In einem Protokolle der Gemeinde⸗ 
verwaltung L. vom 15. März 1885, betr. „die Er⸗ 
richtung einer Waſſerleitung aus dem Sch.feld“, in 
dem als gegenwärtig „die Gemeindeverwaltung L. 
und der Bürgermeiſter H.“ bezeichnet ſind, iſt im Ein⸗ 
gange erwähnt, daß der Schloſſer F. von Z. ſich zur 
Uebernahme der Waſſerleitung um einen beſtimmten 
Koſtenvoranſchlag bereit erklärt habe. Sodann heißt 
es weiter: „Diefem Koſtenpunkt wird von obenbezeich⸗ 
neten Verwaltungen unter nachſtehenden Beſtimmungen 
zugeſtimmt und zwar einſtimmig: 1. Die Gemeinde⸗ 
verwaltung L. (Abt. O.) genehmigt die Ableitung der 
auf ihrem Gemeindegrunde befindlichen Brunnenquellen 
im Sch.feld gelegen durch Anbringung von Röhren 
und den nötigen Brunnenſtuben mit den unter Ziff. 4 
angeführten Bedingungen unentgeltlich, wobei jedoch 
eine notarielle Verbriefung in Anbetracht der Koſten 
ausgeſchloſſen bleibt ... 4. Mit dieſem Beſchluß wird 
das Waſſerrecht 1. an das Pfarrhaus und deſſen ſämt⸗ 
liche angebrachte Gebäude und Nutzungen im Hof⸗— 
raum, ſoweit ſolche Waſſer bedürfen, 2. an G. mit 
feinen Beſitzungen Hs.⸗Rr. 3 und 5, an M. mit 
feinen Beſitzungen von Hs.⸗Nr. 4 unter folgenden 
Bedingungen verliehen uw nue Das 
Protokoll iſt von den Mitgliedern der Gemeinde⸗ 
verwaltung unterſchrieben; am 17. März 1885 unter⸗ 
ſchrieb es der Vertreter des Pfarramts und ſodann 
wurde es auch von G. und M. unterſchrieben. Die 
Waſſerleitung wurde gebaut und von G., M. und 
dem Pfarrer in Benützung genommen. Seit dem 
Jahre 1894 iſt das Schulhaus in L. an die Waſſer⸗ 
leitung angeſchloſſen. Am 21. April 1907 faßte der 
Ausſchuß der Marktgemeindeverwaltung L. den Be⸗ 
ſchluß, „daß die Waſſerleitung, welche auf dem Grund— 
ſtücke Pl.⸗Nr. 597 entſpringt und (wobei) das Grund⸗ 
ſtück Eigentum der Gemeinde L.-O. iſt und (fie) für 
das Pfarrhaus und das Schulhaus beſtimmt iſt, und 
auch der Oekonom M. und der Kaufmann G. ange⸗ 
ſchloſſen ſind, nunmehr nur für das Pfarrhaus und 
das Schulhaus und auch für das früher oder ſpäter 
notwendige Schulhaus benützt werden darf. Die bis— 
herigen Mitbenützer G. und M. haben von dieſer 
Waſſerleitung abzutreten und hat nur das Pfarrhaus 
und das Schulhaus Anteil an der vorgenannten Waſſer— 
leitung.“ Am 2. Februar 1908 erhob M. Klage gegen 
„die Gemeinde L., vertreten durch den Gemeinde— 


mit Beſchlag belegte Vermögen nicht mehr eingehen, ausſchuß, dieſer vertreten durch den Vorſtand, den 


140 


3 Zeitſchrift für Rechtspflege 


Bürgermeiſter von L.“, mit dem Antrage, feſtzuſtellen, 
daß der Kläger zur Ableitung des Waſſers der auf 
dem Grunde der Beklagten Pl.⸗Nr. 597 befindlichen 
Brunnenquellen durch die angebrachten Röhren und 
Brunnenſtuben zu ſeinem Anweſen Hs.-Nr. 4 und zum 
Bezuge des Waſſers berechtigt iſt. Die Klage ſtützt 
ſich auf den Vertrag vom 15. März 1885, vorſorglich 
auf Erſitzung und hebt hervor, daß der Beſchluß vom 
21. April 1907 von der Gemeinde als der Eigen⸗ 
tümerin des Quellengrundſtücks gefaßt worden ſei. 
Das Landgericht A. wies die Klage ab. Der Kläger 
legte Berufung ein. Erſt nachdem eine Verhandlung 
vor dem Berufungsgerichte ſtattgefunden hatte und 
Zeugen vernommen worden waren, machte die Be— 
klagte darauf aufmerkſam, daß das Quellengrundſtück 
nicht der politiſchen Gemeinde L., ſondern der Orts⸗ 
gemeinde L.⸗O. gehöre und deshalb dieſe hätte verklagt 
werden ſollen. In der Verhandlung vom 14. November 
1908 trug hierauf der Kläger vor, er berichtige den 
vollſtändigen Namen der Beklagten dahin, daß die 
Beklagte heißen ſolle „Gemeinde L.⸗O., vertreten durch 
den Gemeindeausſchuß, dieſer durch den Bürgermeiſter“. 
Hierin erblickte die Beklagte eine Klagänderung, der 
je ſich widerſetzte. Die Parteien waren darüber einig, 
aß der Vertrag vom 15. März 1885 namens der 
Ortsgemeinde L ⸗O. geſchloſſen wurde und daß der 
Beſchluß vom 21. April 1907 namens der gleichen 
Ortsgemeinde gefaßt worden iſt. Das OLG. wies 
die Berufung zurück. Das Ob“ G. hat auf die Reviſion 
des Klägers das Urteil des OLG. aufgehoben und die 
Sache zurückverwieſen. 

Gründe: Das Urteil des OLG. geht davon aus, 
daß die Klage gegen die politiſche Gemeinde L. er— 
hoben worden und daß deshalb die Erklärung des 
Klägers, er berichtige den Namen der Beklagten in 
„Gemeinde L.⸗O., vertreten durch den Gemeindeaus— 
ſchuß L.“ nicht eine Berichtigung, ſondern eine Klage⸗ 
änderung ſei. Das OLG. führt aus, daß im „Be⸗ 
treffe” der Klage und auch in der Klage ſelbſt wie 
in der Berufung ſtets nur von der „Gemeinde L., 
vertreten durch den Gemeindeausſchuß“ die Rede ſei 
und daß unter dieſer Bezeichnung nur die politiſche 
Gemeinde verſtanden ſein könne. Dieſe Ausführung 
wird den Auslegungsgrundſätzen nicht gerecht. Auch 
für Prozeßerklärungen gilt ſinngemäß die Auslegungs— 
regel des 8 133 BGB., daß nicht an dem buchſtäblichen 


3 — — — —g—: — 


* 


gegen wen die Klage ſich richtete; es iſt die Gemeinde, 
der das Quellengrundſtück gehört und die durch den 
Vertrag vom 15. März 1885 dem Beſitzvorgänger des 
Klägers das von dieſem behauptete Waſſerbenützungs⸗ 
recht eingeräumt, dann jedoch durch ihren in ihrer 
Eigenſchaft als Eigentümerin des Quellengrundſtücks 
gefaßten Beſchluß vom 21. April 1907 in dieſes Waſſer⸗ 
benützungsrecht eingegriffen hat. All dies trifft nicht 
auf die politiſche Gemeinde L., ſondern nur auf die 
Ortsgemeinde L.⸗O. zu. Die Anſicht des Berufungs⸗ 
gerichts, daß der Beſchluß vom 21. April 1907 von 
der Gemeindeverwaltung namens der politiſchen Ge⸗ 
meinde gefaßt worden ſei, iſt nicht gerechtfertigt; aus 
dem Betreffe „Waſſerleitung im Pfarrhaus und in das 
Schulhaus“ iſt nicht zu entnehmen, daß es ſich nur 
um eine Angelegenheit der politiſchen Gemeinde handeln 
kann. Es wird in dem Beſchluß angeführt, daß das 
Grundſtück, auf dem die Waſſerleitung entſpringt, 
Eigentum der Gemeinde L. (Abt. O.) iſt; das läßt 
eher einen Schluß darauf zu, daß die Auffaſſung der 
Parteien richtig iſt. Die Annahme, es ſei trotzdem 
die Klage wegen der Bezeichnung der beklagten Partei 
als „Gemeinde L., vertreten durch den Gemeinde— 
ausſchuß“ gegen die politiſche Gemeinde gerichtet 
worden, würde alſo vorausſetzen, daß der Kläger ſich 
bei der Klageerhebung in mehrfacher Beziehung irrte, 
die politiſche Gemeinde für die Eigentümerin des 
Quellengrundſtücks und für die Vertragspartei vom 
Jahre 1885 hielt und glaubte, es ſei der Beſchluß 
vom 21. April 1907 namens der politiſchen Gemeinde 
gefaßt. Das iſt wenig wahrſcheinlich, da der Kläger 
die Urſchrift des Vertrags vom 15. März 1885 beſaß 
und eine Abſchrift des Beſchluſſes vom 21. April 1907 
erhalten hatte. Einen Irrtum des Klägers hat die 
Beklagte gar nicht behauptet. (Urt. des II. ZS. vo 

12. Dezember 1910, Reg. I 230/1910). W. 

2166 


B. Strafſachen. 


1 


Verhältnis der 88 185, 186, 73 des E88. zu: 
einander. An das Bezirksamt M. gelangte ein 
Schreiben, worin behauptet iſt, daß in der Wirt— 


ſchaft in E. jeden Sonntag gerauft wird, daß der 


Sinne des Ausdrucks zu haften, ſondern der wirkliche 


Wille zu erforſchen iſt. Unter „Gemeinde“ wird aller— 
dings regelmäßig die politiſche Gemeinde verſtanden, 
gleichviel ob ſie eine Ortſchaft oder mehrere Ort— 
ſchaften umfaßt; für die Ortſchaften, die ein eigenes 
Gemeinde- oder Stiftungsvermögen beſitzen und des— 
halb inſoweit mit eigener Rechtsperſönlichkeit bekleidet 


find, hat ſich die Bezeichnung „Ortsgemeinde“ heraus- 


gebildet. Dieſer Begriff hat jedoch im Geſetze keinen 
Rückhalt und im gegebenen Falle iſt in den Ber: 
trägen und Protokollen nie von der Ortsgemeinde, 
ſondern nur von der „Gemeinde L. Abt. O.“ die Rede. 
Wenn es demnach auch an und für ſich in Fällen wie 
hier ſich nie empfehlen wird, ſchlechthin von der „Ge— 
meinde“, ſondern je nachdem von der politiſchen Ge— 
meinde oder von der Ortsgemeinde zu ſprechen und 
wenn auch eine gewiſſe Vermutung dafür angenommen 
werden kann, daß eine Klage „gegen die Gemeinde“ 
der politiſchen Gemeinde gilt, ſo iſt dieſe Vermutung 
doch nicht zwingend, es kann vielmehr auch durch 
Auslegung feſtgeſtellt werden, wer gemeint iſt. 

Bei dieſer Auslegung verſagt allerdings ein Um— 
ſtand, aus dem ſonſt ein Schluß darauf gezogen werden 
kann, welche Rechtsperſönlichkeit verklagt werden ſollte, 
nämlich die Bezeichnung der geſetzlichen Vertretung, 
da auch die Ortsgemeinde L.-O. von dem Gemeinde— 
ausſchuß und weiter von dem Bürgermeiſter der Ge— 
ſamtgemeinde vertreten wird. Dagegen läßt ſich aus 
dem weiteren Inhalt der Klage mit Gewißheit erſehen, 


Wirt immer ſelbſt beim Raufen dabei iſt uſw., und 
worin es ſchließlich heißt: „Es wurde ſchon einmal 
eine Anzeige gemacht bei der Gendarmerie in R. 
wegen der Polizeiübertretung, aber, was ich weiß, 
haben die Gendarmen keine Anzeige gemacht, weil ſie 
von dem Wirt immer beſchenkt werden, was Tatſache 
iſt, ich habe es ſelbſt ſchon mitangeſehen. Dem 
Wachtmeiſter in R. iſt ein Glas Branntwein und ein 
Rauſch lieber als eine Anzeige machen und der andere 
iſt der nämliche.“ 

Aus den Gründen des Reviſions⸗ 
urteils. Nach § 186 StGB. iſt es verboten in 
Beziehung auf einen andern eine ehrenrührige nicht 
erweislich wahre Tatſache zu behaupten. In der Be— 
hauptung der ehrenrührigen Tatſache ſteckt eine 
Aeußerung der Mißachtung der Ehre des andern. 
Dieſe Aeußerung wird „abjorbiert“ durch die Bee 
ſtrafung nach $ 186. Die Annahme eines rechtlichen 
Zuſammenhangs von 8 185 StGB. und 8 186 iſt in 
dieſem Falle abzulehnen; es liegt kein Grund vor, 
neben der üblen Nachrede noch den in ihr ſteckenden 
Gehalt der Aeußerung der Mißachtung zu berück— 
ſichtigen. Verbindet der Täter mit der Behauptung 
einer ehrenrührigen Tatſache ausdrücklich eine Aeuße— 
rung der Mißachtung und Beſchimpfung der Ehre 
des andern, jo enthält dieſe Aeußerung die Merkmale 
einer Beleidigung nach 8 185 Stg. Daß dieſe 
Aeußerung nicht unter allen Umſtänden durch die 
Beſtrafung nach 8 186 „abſorbiert“ wird, fondern 


EZ 


einer ſelbſtändigen rechtlichen Beurteilung unterliegen 
kann, ergibt ſich aus den 88 192, 193 StGB. Zur 
rechtlichen Kennzeichnung von Fällen dieſer Art wird 
häufig die Formel „LS 185, 186, 73 des StGB.” ges 
braucht; man geht dabei anſcheinend davon aus, daß 
durch die „eine Aeußerung“ — üble Nachrede und 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6. 


| 


Kundgebung der Mißachtung — mehrere Strafgefeße 


verletzt werden. Aber dieſe Auffaſſung entſpricht nicht 
ganz dem im $ 73 StGB. aufgeſtellten Merkmal, 
„einer und derſelben Handlung“. Eine Verletzung 
mehrerer Strafgeſetze durch eine und dieſelbe Hand⸗ 
lung im Sinne des 8 73 liegt vor, wenn jemand 
durch ein zeitlich und in ſeinem urſächlichen Wirken 
nicht unterbrochenes Tun einen Tatbeſtand verwirk⸗ 
licht, der den Merkmalen mehrerer verſchiedener Straf⸗ 
geſetze eniſpricht, ſo daß in dem Tatbeſtande jedenfalls 
fämtlide Merkmale eines Strafgeſetzes und neben 
ihnen noch eines oder mehrere Merkmale eines 
anderen Strafgeſetzes enthalten ſind. Die eine und 
dieſelbe Handlung des 8 73 StGB. iſt eine „Einheit 
des natürlichen Tuns und Laſſens, der körperlichen 
Tätigkeit und des ſie leitenden Willens, als eine 
natürliche Handlungseinheit“ (RG St. 32, 137, 138), 
die vom Standpunkte mehrerer verſchiedener Straf⸗ 
geſetze rechtlich zu beurteilen iſt. Ein in der Praxis 
der Gerichte nicht immer ſcharf genug erfaßter Unter⸗ 
ſchied beſteht zwiſchen der „Verbrechensmehrheit“ bei 
„Handlungseinheit“ im Falle des 8 73 StGB. einer⸗ 
ſeits und den Fällen des fog. fortgeſetzten Verbrechens 
anderſeits. Nimmt jemand durch mehrere zeitlich ge⸗ 
trennte gleichartige Akte mehrere äußerlich ſelbſtändige 
Handlungen gegen das Rechtsgut einer und derſelben 
Perſon vor, deren jede für ſich allein die geſetzlichen 
Merkmale eines ſtrafrechtlichen „Haupttatbeſtandes“ 
verwirklicht, ſo können die mehreren Handlungen als 
auf die fortſchreitende Ausführung des nämlichen 
Entſchluſſes — vorſätzlich — gerichtet angeſehen und 
mit Rückſicht auf die Einheit des Entſchluſſes und die 
Einheit des Objektes als eine — fortgeſetzte — ver⸗ 
brecheriſche Handlung, als eine „Verbrechenseinheit“ 
aufgefaßt werden. Der rechtlichen Möglichkeit, daß 
die mehreren, in gewiſſem Sinn gleichartigen Hand— 
lungen als ein Verbrechen behandelt werden, ſteht 
nicht entgegen, daß ſie nicht alle unter eine und 
dieſelbe ſtrafgeſetzliche Beſtimmung ( denſelben Para— 
graphen“ des StGB.) fallen oder daß einfache und 
qualifizierte Tatbeſtände vorliegen; es iſt ſtets nur 
ein Strafgeſetz, aber unter Umſtänden mit ver- 
ſchiedenen Qualifikationen in Frage, und das Straf— 
geſetz, dem der ſchwerſte Schärfungsgrund eignet, gibt 
die Grundlage für die Beſtrafung ab. 

Dem ſog. fortgeſetzten Verbrechen ähnlich iſt eine 
andere Erſcheinungsform ſtrafrechtswidrigen Ver⸗ 
haltens. Enthält ein Brief mehrere gegen die Ehre 
einer und derſelben Perſon gerichtete beleidigende 
Aeußerungen — üble Nachreden und Beſchimpfungen —, 
oder gebraucht jemand im Lauf eines Wortwechſels 
gegenüber dem Gegner mehrere Schmähworte oder 
verſetzt jemand im Lauf eines Angriffs dem Ange— 
griffenen mehrere Schläge mit der Folge mehrerer 
Verletzungen, ſo liegt eine Reihe von Handlungen 
vor, in deren jeder die Merkmale einer ſtrafbaren 
Handlung zu finden ſind. In Fällen dieſer Art 
ſchließen ſich die mehreren, in einem zeitlich ununter— 
brochenen Verlaufe ſich abwickelnden Tätigkeitsakte zu 
einem Tatbeſtande zuſammen, deſſen mehrere gleich— 
artige Einzelhandlungen auf einem verbrecheriſchen 
Vorſatze ruhen und auf die Herbeiführung eines Er: 
folges — der Verletzung der Ehre, des Körpers — 
gerichtet ſind, wie ſie ſich denn auch für das Gefühl 
des Beleidigten, des Verletzten zu einer Beleidigung, 
einer Körperverlezung vereinigen. Es entſpricht 
daher der natürlichen Auffaſſung, daß man — wie 
bei dem fortgeſetzten Verbrechen — eine einzige ſtraf— 
bare Handlung, — unter Umſtänden ein Strafgeſetz 


Rauſch lieber. 


— ö U2—ä— — — — 


mit mehreren Qualifikationen — annimmt und daß 
das Strafgeſetz mit dem ſchwerſten Schärfungsgrund 
die Grundlage für die Beſtrafung abgibt. 

Die Strafkammer geht davon aus, daß in dem 
Briefe in Beziehung auf die Gendarmen die Behaup⸗ 
tung einer ehrenrührigen Tatſache (Unterlaſſung einer 
Anzeige) enthalten iſt und daß die Stelle des Briefes 
„dem Wachtmeiſter iſt ein Glas Branntwein und ein 
.“ eine einfache Beleidigung enthält. 
Die Anſchauung, daß die fragliche Stelle nicht die 
Behauptung einer Tatſache im Sinne des 8 186 StGB., 
ſondern die Merkmale einer Beleidigung nach 8 185 
enthält, iſt nicht zu beanſtanden. Daraus ergibt ſich, 
daß der Angeklagte mit der Behauptung einer ehren⸗ 
rührigen Tatſache ausdrücklich eine Aeußerung der 
Mißachtung der Ehre der Gendarmen verbunden hat. 
Nach den obigen Ausführungen kann in dem ganzen 
vom Angeklagten verwirklichten Tatbeſtande nicht ein 
rechtliches Zuſammentreffen von § 186 und 8 185 
StGB. gefunden werden. Denn, wenn auch der 
8 185 und der 8 186 dem Schutze des Rechtsgutes der 
Ehre dienen, ſo kann doch im Hinblick auf die in den 
88 185, 186 feſtgeſetzten Tatbeſtande davon keine Rede 
ſein, a durch die Verwirklichung des Tatbeſtandes 
des S 186 zugleich auch ſämtliche oder auch nur eines 
der Merkmale des 8 185 verwirklicht werden. Hiernach 
kommt hier der $ 73 StGB. nicht in Frage. Da ferner 
die Tatbeſtände des 8 186 und des $ 185 vom Ange⸗ 
klagten nicht in mehreren zeitlich getrennten Akten 
verwirklicht wurden, kann von der Annahme eines 
fog. fortgeſetzten Verbrechens keine Rede fein. Dagegen 
iſt aus der Tatſache, daß der Angeklagte in einem 
Briefe ſowohl eine ehrenrührige Tatſache behauptete 
als eine Mißachtung der Ehre äußerte, der Schluß auf 
das Vorhandenſein eines auf Herbeiführung eines 
Erfolgs gerichteten Vorſatzes des Angeklagten gerecht⸗ 
fertigt und daraus ergibt ſich den obigen Aus⸗ 
führungen zufolge die Annahme einer einheitlichen 
Handlung des Angeklagten. Hat ein Angeklagter 
durch eine Handlung den Tatbeſtand des § 186 und 
des 8 185 verwirklichend ein Vergehen der Beleidi⸗ 
gung begangen, ſo wird es, da die Strafdrohungen 
des 8 185 und des § 186 (abgeſehen von den Straf⸗ 
drohungen bezüglich der mittels Tätlichkeiten be⸗ 
gangenen Beleidigung [8 185] und bezüglich der 
öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften be⸗ 
gangenen Beleidigung nach 8 186) gleich ſind, in der 
Regel gleichgültig ſein, welches der beiden Geſetze als 
bei der Strafbemeſſung angewendet bezeichnet wird 
— vgl. Olshauſen (8. Aufl.) Note 23 Abſ. 2 zu 
873 — aber die Straſe wird aus 8 185 oder 8 186 
feſtzuſetzen ſein, wenn Tatſachen feſtſtehen — Be⸗ 
gehung mittels Tätlichkeiten, Begehung durch Ber: 
breitung von Schriften —, an deren Vorhandenſein 
die ſtrengere Strafdrohung geknüpft iſt. (Urt. vom 
31. Dezember 1910, RevReg. 569/10). Ed. 

2172 


II. 


Ausübung prozeſſualer Befngniſſe des Beſchuldigten 
außerhalb der Hauplverhandlung durch andere Perſonen 
als den Verteidiger. Aus den Gründen: Nach dem 8338 
StPO. ſtehen die zuläſſigen Rechtsmittel gegen gerichtliche 
Entſcheidungen ſowohl der Staatsanwaltſchaft als dem 
Beſchuldigten zu. Der $ 339 StPO. gibt auch dem Bers 
teidiger das Recht für den Beſchuldigten Rechtsmittel 
einzulegen. Ob daraus zu folgern iſt, daß der Be— 
ſchuldigte dieſes Recht nur durch einen Verteidiger aus— 
üben dürfe, wenn er nicht nach dem 8 338 das Rechts- 
mittel in Perſon einlegen will, iſt beſtritten. Die 
StPO. enthält feine Beſtimmung darüber, ob der Bes 
ſchuldigte ſich bei der Ausübung ſeiner prozeſſualen 
Befugniſſe außerhalb der Hauptverhandlung durch 
andere Perſonen als den Verteidiger auf Grund einer 
Vollmacht vertreten laſſen kann. Der Senat ſchließt 


142 


ſich der Meinung an, die bei dem Schweigen des Ge⸗ 
ſetzes in ergänzender Anwendung der allgemeinen 
prozeſſualen Grundſätze die Vertretung des Beſchul⸗ 
digten bei einzelnen Prozeßhandlungen, insbeſondere 
bei der Einlegung von Rechtsmitteln, durch einen 
beliebigen Bevollmächtigten für zuläſſig erachtet, ſo⸗ 
ferne nicht die StPO. anderes ausdrücklich vorſchreibt. 
Da der Kommiſſionär B. von dem Angeklagten zur 
Einlegung der Berufung bevollmächtigt worden iſt, 
konnte er ſomit, ohne daß er die Genehmigung des 
Gerichts zu feinem Auftreten nach dem 8 138 Abſ. 2 
StPO. bedurfte, die Berufungserklärung wirkſam 


abgeben. (Urteil vom 31. Dezember 1910, BeſchReg. 
1023 / 10). Ed. 
2171 


Oberlandesgericht München. 


Zu 88 325, 567, 727 350. Durch rechtskräftiges 
Verſäumnisurteil waren auf Klage eines Nachbars 
die Baumeiſterseheleute R. zur Beſeitigung einer Dach⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


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rinne und zur Tragung der Prozeßkoſten verurteilt 


worden. Nunmehr beantragte der Klageteil gegen den 
Anſteigerer als Rechtsnachfolger vollſtreckbare Ausferti⸗ 
gung nicht nur hinſichtlich der Hauptſache, ſondern 
auch im Koſtenpunkt. Das Landgericht wies ab, weil 
ſich ſolchenfalls die Vollſtreckbarkeit nur auf die Haupt⸗ 
ſache beziehe (ROL G. 13, 154; Mot. BGB. 1, 380); 
die Beſchwerde blieb erfolglos. 

Aus den Gründen: Die Beſchwerde iſt aus 
den vom Erſtrichter angeführten Erwägungen unbe⸗ 
gründet. Auch ohne die Worte in Anſehung der 
Sache ſelbſt“ kann das Geſetz nur in dieſer Beſchrän⸗ 
kung ausgelegt werden; denn die Prozeßkoſtenhaftung 
iſt ebenſowenig ein Anhang des Beſitzes als ſolchen 
wie etwa die Schadenserſatzpflicht neben einem Ab: 
wehrausſpruch. Es beſtünde auch gar kein Grund 
zu einer derartigen Ausdehnung der Haftung, da für 
die Prozeßkoſten die urſprünglich Verklagten und 
deren allgemeine Rechtsnachfolger weiter haften. (Be⸗ 
ſchluß v. 16. Dezember 1910; BeſchwReg. Nr. N 

2118 8 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Einstweilige Verfügung nach 88 3 und 25 UW. 
wegen irreführenden Gebrauchs einer Firma. Wen: 
derung der tatſächlichen Voransſetzungen während des 
Nechtſertigungsverſahrens. Der Beklagte S., der ſeit 
1905 in A. unter der Firma „Pariſer Damenmäntel⸗- 
geſchäft“ einen Kleinhandel mit fertigen Damenmänteln 
betreibt, die er bis zum Jahre 1908 aus Paris, von 
da an aber ausſchließlich aus Berlin bezog ohne ſeine 
Firma zu ändern, errichtete 1910 in der benachbarten 
Stadt M. ein Zweiggeſchäft, das er an den öffentlichen 
Anſchlagstafeln und in den Zeitungen durch Bekannt— 
machungen folgenden Inhalts ankündigte: „Anfang 
Mai Eröffnung der Filiale M. des Pariſer Damen— 
mäntelgeſchäfts, Hſtraße 17.“ Auf Antrag des Be⸗ 
ſitzers eines Damenkonfektionsgeſchäfts in M. hat das 
Amtsgericht auf Grund der 88 3 und 25 UWG. dem 
S. durch einſtweilige Verfügung bei Meidung einer 
Geldſtrafe verboten, in Ausſchreibungen und dgl. für 
feine Zweigfirma in M. die Firma „Pariſer Damen: 
mäntelgeſchäft“ zu führen und geboten die Anſchläge 
zu beſeitigen, weil durch die Ankündigungen bei dem 
Publikum der Glaube erweckt werde, daß es ſich um 
ein Zweiggeſchäft einer Pariſer Firma handle, oder 
doch wenigſtens, daß die feilgehaltenen Waren aus 
Paris bezogen ſeien und ſohin dieſe Ankündigungen 
unrichtige Angaben über den Urſprung und die Be— 
zugsquelle von Waren enthalten, die geeignet ſeien, 


1911. Nr. 6. 


den Anſchein einer beſonderen Leiſtungsfähigkeit und 
eines beſonders günſtigen Angebots hervorzurufen. 
Während des Rechtfertigungsverfahrens vor dem LG. 
A. erklärte ſich S. bereit, in der Stadt M. nur zu 
firmieren: „Pariſer Damenmäntelgeſchäft in A., Zweig⸗ 
niederlaſſung in M.“ und die früheren Ankündigungen 
zu beſeitigen. Zu dieſer Firmierung ſei er befugt, 
da ſein Hauptgeſchäft in A. von Pariſer Kaufleuten 
gegründet wurde. Letzteres wurde nicht beſtritten. 
Ferner wies S. nach, daß er am 18., 21. und 27. Mai 
1910 mehrere Poſten Damenmäntel und Damenkleider 
aus Paris bezogen hatte. Auch erklärte er, daß er 
ſich entſchloſſen habe, ſeine Waren auch ferner zum 
überwiegenden Teil wieder aus Paris zu beziehen. 
Das LG. hat die einſtweilige Verfügung aufgehoben. 
Es nahm an, daß die urſprünglichen Ankündigungen 
gegen 8 3 UW. verſtoßen hätten. Da ſich aber der 
Beklagte der Entſcheidung des Amtsgerichts tat⸗ 
ſächlich unterworfen habe und die neue Firmierung 
nicht mehr gegen das UWG. verftoße, ſei die einſt⸗ 
weilige Verfügung zurzeit nicht mehr gerechtfertigt. 
Der Kläger legte Berufung ein. Das OLG. hob das 
landgerichtliche Urteil auf und erklärte die einſtweilige 
Verfügung unter Ueberbürdung aller Koſten auf den 
Beklagten für gerechtfertigt. 5 

Gründe: Die Ankündigung der „Filiale des 
Pariſer Damenmäntelgeſchäfts“ enthält eine Angabe 
über geſchäftliche Verhältniſſe, insbeſondere über die 
Beſchaffenheit und über die Bezugsquelle von Waren. 
Es fragt ſich, ob dieſe Angaben unrichtig ſind. Es 
kommt nicht darauf an, was der Urheber der Angaben 
mit ihnen hat ſagen wollen und ob er an ihre 
Richtigkeit geglaubt hat oder nicht, oder darauf. wie 
mehrdeutige Angaben vom Richter oder einem bes 
ſtimmten Teile der Bevölkerung verſtanden werden. 
Einflußlos iſt alſo der Umſtand, daß die Kenner des 
Gründungsvorgangs die Firma des Beklagten nicht in 
dem der einſtweiligen Verfügung zugrunde gelegten 
Sinne auffaſſen. Maßgebend für die Anwendbarkeit 
des §8 3 UWG. auf eine Ankündigung iſt nur die Auf⸗ 
faſſung, die das Publikum ihr beilegt, für das die 
Ankündigung beſtimmt iſt. Dem Publikum iſt es 


gleichgültig, ob der beklagte S. und die früheren In⸗ 


haber der Firma aus Paris ſtammen und ob das 
Geſchäft mit Pariſer Geld gegründet wurde. Es folgert 
aus dem Gebrauche der Bezeichnung „Pariſer Mäntel— 
geſchäft“ nur, daß das Geſchäft eine Zweigniederlaſſung 
eines zu Paris betriebenen Hauptgeſchäfts ſei und daß 
die dort feilgebotenen Waren aus Paris ſtammen. 
So verſtanden iſt aber die Angabe unrichtig, denn 
das neu eröffnete Geſchäft iſt keine Pariſer Filiale 
und ſeine Waren kommen nicht aus Paris, ausge— 
nommen einige Stücke, die der Beklagte mit Rückſicht 
auf den ſchwebenden Prozeß beſtellt hat, um der Ge— 
ſchäftsbezeichnung einigermaßen den Anſchein der Wahr— 
heit und dem Rechtsſtreit eine für ihn günſtige Wendung 
zu geben. Das erſtrebte Ziel kann der Beklagte damit 
aber nicht erreichen; denn dieſer Warenbezug kann 
fein Unternehmen nicht zu einem „Pariſer Damens 
mäntelgeſchäft“ machen. Die unrichtigen Angaben find 
auch geeignet den Anſchein eines beſonders günſtigen 
Angebtos hervorzurufen. Mit Recht hat das Amts— 
gericht angenommen, daß durch die Bezeichnung in 
dem Publikum die Anſchauung erweckt werde, es 
werde ihm beim Einkauf in dem von Paris aus ge— 
leiteten und mit Waren verſehenen Geſchäfte des Be— 
klagten etwas ganz beſanderes geboten. Es meint 
wegen des in Paris insbeſondere in der Kleidermode 
herrſchenden Reichtums könne es dort ſeinen Kleider— 
bedarf mit beſonders geſchmackvoller und moderner 


Ware aus erſter Hand decken. Dieſe Geſchmacksrichtung 


iſt auch dem Beklagten bekannt, deshalb hat er mit 
ſolcher Zähigkeit an der unrichtigen Geſchäftsbezeichnung 
feſtgehalten. 

Die einſtweilige Verfügung iſt nicht dadurch un— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr.6. 


gerechtfertigt geworden, daß der Beklagte im Laufe 
des Verfahrens verſprochen hat, ſeinen Ankündigungen 
die Form zu geben „Pariſer Damenmäntelgeſchäft in 
A., e e M.“ Auch die Bezugnahme 
auf das Geſchäft in entlaſtet den Kläger nicht, 
da immer noch auf die Stadt Paris als Bezugsquelle 
und Herkunſtsort der Waren hingewieſen wird. 
Uebrigens wäre das 1 des Klägers auch des⸗ 
wegen gerechtfertigt, weil der Unterlaſſungsanſpruch 
nicht einen fortdauernden rechtswidrigen Zuſtand er⸗ 
fordert, für ſeine Begründung vielmehr in der Regel 
ein einmaliger Verſtoß su Er wird nicht ſchon 
dadurch 1 daß der Beklagte im Prozeß erklärt, 
er wolle ſeine unlautere Geſchäftsanpreiſung einſtellen, 
auch nicht dadurch, daß er ſie tatſächlich einſtellt. Die 
Beeinträchtigten haben ein Recht darauf, daß ihr An⸗ 
ſpruch auf Unterlaſſung durch Urteil e werde. 
Dieſes Recht könnte nur durch den Nachweis beſeitigt 
werden, daß jede Gefahr einer künftigen Wiederholung 
dauernd ausgeſchloſſen iſt. Eine ſolche Gefahr liegt 
aber nach dem Verhalten des Beklagten nicht ferne. 


(Wird weiter ausgeführt.) (Urt. des I. 38S. vom 
3. Dezember 1910, Ber.⸗Reg. Nr. 312/10). 
2127 6 — — = n. 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Für den Antrag auf Anordnung der Rückgabe einer 
Sicherheit nach § 715 ZBO. ſteht dem Rechtsanwalt 
eine beſondere Gebühr neben der ET, nicht zu 
(8 24 RAGebO.). Von dem im GebO. auf⸗ 
hassen Grundſatze, daß die im 5 13 benannten Ge⸗ 
ühren die geſamte Tätigkeit des Rechtsanwalts von 
dem Auftrage bis zur Beendigung der Inſtanz um⸗ 
faſſen, können Ausnahmen nur in den geſetzlich vor⸗ 
geſehenen Fällen zugelaſſen werden. Solche Fälle ſind 
im 8 30 a. a. O. geregelt, der Antrag nach 8 715 
3PO. iſt hierbei nicht aufgeführt; im Gegenteil, es 
iſt in Nr. 3 des § 30 die befondere Erhebung der 
Gebühr (nach § 23 Nr. 1) nur für die 8 1 nach 
8 109 ZPO. durch die Verweiſung auf 8 38 Nr. 2 GKG. 
vorgeſehen. Hätte das en auch für den Fall des 
8 24 RAGebO. ($ 47 Nr. 16 GKG.) die beſondere 
Erhebung der Gebühr 15 der Prozeßgebühr zulaſſen 
wollen, ſo hätte es ſicher 9 Fall des Antrags 
nach 8 715 ZPO. neben dem ähnlichen Falle des Ans 
trags nach $ 109 daſelbſt erwähnt. Dieſe Erwähnung 
iſt ifenbar abſichtlich unterblieben; denn während 
der Antrag nach 8 109 3p. eine eingehende ſachlich 
prüfende Tätigkeit des Rechtsanwalts vorausſetzt, 
handelt es ſich bei dem Antrage nach 8 715 3PO. 
nur um eine rein förmliche Tätigkeit, die ſich an die 
Rechtskraft des Urteils ohne weiteres anſchließt. Der 
Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Tätigkeiten ſollte 
und konnte auch in dem bloßen Gebührenunterſchiede 
von ®/ıo und ½0 (§§ 23, 24 RA Geb.) allein um fo 
weniger zum Ausdruck kommen, als das Geſetz es für 
nötig gefunden 925 ſogar die Zuverläſſigkeit der „be⸗ 
ſonderen“ Gebührenerhebung für den ſachlichen An⸗ 
trag nach $ 109 ZPO. im 8 30 Nr. 3 RAGeb 0. eigens 
zu erklären. Hieraus folgt, daß der Antrag nach 
§ 715 ZPO., der mit dem nach § 35 RAGeb O. nicht 
gebüßzenpfiäfigen Antrage auf Erwirkung des Rechts⸗ 
aftzeugnifjes eng eee einer beſonderen 
Gebühr neben jenem des § 13 nicht unterliegen ſoll. 
Wenn er auch ein rechtskräftiges Urteil vorausſetzt, 
ſo gehört er doch zu der die Inſtanz beendigenden 
Tätigkeit im Sinne des 8 29 RAGebO.; daß er 
in Abſ. 2 daſelbſt nicht aufgeführt iſt, kann hieran 
nichts ändern, da die dort genannten Fälle nur 
als Beiſpiele, nicht erſchöpfend aufgezählt ſind. Der 
Antrag iſt hiernach durch die Prozeßgebühr mitabge— 


Ve • 6—j— — — — — DD 


143 


golten, was jetzt die Rechtſprechung vorwiegend an⸗ 


nimmt en Koſtenfeſtſetzungsverfahren (7) 
S. 193 .2 zu § 24 und S. 165 Anm. II 3h zu 
13 NAGEbD.: RechtſprOL G. 13, 259 ff.; 17, 239; 
ay 3 R. 1905 S. 135, 307; 1907 S. 332 — gegen 1907 
S. 135 —; Recht 1910 Beil. Nr. 356). Geſchluß an 
18. Januar 1911, Beſchw.⸗Nr. 12/11). B— 
2142 


Landgericht Frankenthal. 


Der Verzicht des Schuldners anf den gepfändeten 
Lohnteil kann anfechtbar und nach 8 826 BGB. ni tig 
fein. Für fällige Unterhaltsbeiträge wurden die 
ſprüche des S. an die Firma M. aus dem Arbeits- 
verhältniffe gepfändet, ſoweit fie den Betrag von 
20 M wöchentlich überſteigen. Am Tage der Zu⸗ 
ee des ee ee ſchrleb S. der 
Firma M.: „Ich eröffne hiedurch, daß ich nunmehr 
um einen Wochenlohn von 20 M arbeiten möchte, 
dagegen nicht gewillt bin, bewußter ſtarrköpfigen, un⸗ 
dankbaren Dirne auch nur einen Pfennig zukommen 
zu laſſen.“ S. bezog hierauf nur noch 20 M Wochen⸗ 
lohn, ſtatt wie bisher 24 M, im übrigen blieb das 
Arbeits verhältnis unverändert. Die Klage der Gläu⸗ 
bigerin gegen die Firma M. auf Zahlung von 4 M 
„ wies das AG. ab, das LG. gab ihr ſtatt. 

s den Gründen: Die Vorausſetzungen des 

f 3 gf. 1 des Anf®. find gegeben. S. hat der Be- 
lagten erklärt, er verzichte für die Zukunft auf 4 M 
ſeines Wochenlohnes; die Firma hat das angenommen 
und eine Aenderung der Beſtimmungen des Dienſt⸗ 
vertrages über den Lohn mit S. vereinbart; das 
ſind i Rechtshandlungen. Fraglich könnte 
nur ſein, ob der Schuldner durch den Verzicht auf 
Mehrverdienſt ein Vermögensſtück „aufgibt“. Es iſt 
zuzugeben, daß der Gläubiger kein Recht darauf hat, 
daß der Schuldner für ihn einen in Ausſicht ſtehenden 
Gewinn oder Erwerb mache. Die die Anfechtbarkeit 
verneinende Entſcheidung des Reichsgerichts (RG. 69, 59) 
legte Gewicht auf die Vertragsfreiheit und darauf, daß 
jener Angeſtellte entlaſſen worden wäre, wenn nicht 
ſeiner Frau der Gehaltsüberſchuß verblieben wäre, 
wodurch die Lage der Gläubiger jedenfalls nicht ge⸗ 
beſſert worden wäre. Abgeſehen davon, daß dieſe 
a in der Praxis Widerſpruch gefunden hat 
(Jahrb. d. deutſch. Rechts 8, 1245), liegt hier der Fall 
anders. Hier handelt es ſich um ein ſchon laufendes 
Vertragsverhältnis, das ein gewiſſes ſchon feſtgelegtes 
Einkommen gewährleiſtet, ſolange der Schuldner ſeine 
Arbeitskraft wie bisher verwertet. Wenn hier der 
Schuldner auf einen Teil ſeines Einkommens ver⸗ 
zichtet, gibt er einen Anſpruch auf, der die Befriedi⸗ 
gung der Gläubiger ſicherte und jetzt ihrem Zugriff 
willkürlich entzogen wird. Die Benachteiligung wird 
auch durch die Möglichkeit der Dienſtentlaſſung nicht 
ausge loſſen. Die unmittelbare Wirkung iſt der 
Wegfall des Anſpruchs, alſo die Benachteiligung. Die 
Entlaſſung oder Nichtanſtellung iſt nur eine entfernte 
Wirkung, die vielleicht eintreten kann. (DJ Z. 14, 765.) 
Die angefochtene Vereinbarung verſtößt auch gegen 
8 826 BGB. Es widerſpricht dem Anſtandsgefühl, 
wenn der Schuldner ſo verwerflich handelt, daß die 
Benachteiligung des Gläubigers geradezu den Zweck 
feines Handelns bildet. Für den Verzicht des S. 
ſind nicht beachtenswerte Rückſichten, wie Erhaltung 
der Stelle, Sicherung des Familienunterhaltes u. dgl. 
entſcheidend geweſen, ſondern er hat den Mehrverdienſt 
in der ausgeſprochenen Abſicht aufgegeben der Gläu⸗ 
bigerin nichts zukommen zu laſſen; dieſes Verfahren 
kann unbedenklich als Schikane im Sinne des § 226 
BGB. gekennzeichnet werden. An dieſer wider die 
guten Sitten verſtoßenden, vorſätzlichen Schadens- 


144 


— u — — 


ftiftung hat ſich die Firma M. beteiligt. Sie hat 
ihrem Arbeiter die argliſtige Handlungsweiſe ermög⸗ 
licht, indem ſie auf ſeinen Vorſchlag einging; ſie hat 
ſich in Kenntnis des Sachverhalts ſozuſagen ſchenkungs⸗ 
weiſe zuwenden laſſen, was durch Gerichtsbeſchluß dem 
Kinde zugewieſen war. Dabei kann unerörtert bleiben, 
ob nicht einer ſolchen offenſichtlichen Umgehung einer 
richterlichen Maßnahme ohne weiteres die richterliche 
Anerkennung zu verſagen wäre. Die Beklagte kann 
ſich alſo nicht darauf berufen, daß S. nur 20 M 
Wochenlohn verdient. (Urt. vom 17. Februar 1911.) 


2170 M. 


Literatur. 


J. v. Standingers Kommentar zum Bürgerlichen Geſeh⸗ 
buch und dem Einführungögeſetze, herausgegeben von 
Dr. Theodor Locwenfeld, Philipp Mayring, Dr. Karl 
Kober, Dr. Felix . Dr. Erwin Niezler, 
Dr. Ludwig Kuhlenbeck, br. Theodor Eugelmann, 
Joſeph Wagner. 5.6. neubearb. Aufl. 18. Lieferung. 
Band II, Lieferung 5 (Schluß). Preis Mk. 16.— 
München und Berlin 1910. J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Sellier). 

Die Lieferung 5, die für ſich ſelbſt einen Band 
von ca. 640 Seiten bildet, hat mit einem Schlage 
das Recht der Schuldverhältniſſe vom 8 659 bis zum 
8853 geführt. In zwei Teilen von zuſammen 1811 Seiten 
iſt ſomit der Band vollendet, deſſen Erſcheinen wir 
neben dem Familienrecht am ſtärkſten erſehnt haben. 
Die Leiſtung der beiden Redaktoren Kober und 
Engelmann, die nach der Vollendung ihres 3. und 
4. Bandes ſich an den beſonderen Teil des Rechts der 
Schuldverhältniſſe gemacht und ihn in fo kurzer Zeit 
bewältigt haben, iſt einfach ſtaunenswert. Die Recht- 
ſprechung des Jahres 1910 iſt bis gegen das Ende 

in verwertet. So habe ich Urteile vom 14., 18., 19., 
2. und 27. Oktober 1910 berückſichtigt gefunden. Nur 
einmal habe ich vergeblich eine Auskunft geſucht. 

Ich ſtellte die Frage, ob im Falle des 8 436 BGB. 

der Käufer eines Grundſtücks wegen Irrtums an— 

fechten könne, weil ihm unbekannt geweſen ſei, daß 
der Ortsbauplan die Hergabe eines Streifens des 

Grundſtücks zur Straße verlange. Die Frage iſt zu 

verneinen, da 8 436 ſolche öffentlich-rechtliche Laſten 

zwingend als allgemein bekannt behandelt und die 

Irrtumsanfechtung die durch 8436 gewährleiſtete Rechts- 

ſicherheit vereiteln würde. Eine vortreffliche Leiſtung 

bildet wieder das alphabetiſche Regiſter Keidels 


(S. 1745— 1811). 
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Kretzſchmar, Dr. F., Oberlandesgerichtsrat, Das 
Erbrecht des Deutſchen Bürgerlichen Geſetzbuchs. 
V, 567 S. Leipzig 1910, Dieterichſche Verlagsbuch— 
handlung. Mk. 12.—, geb. Mk. 14.—. 

So tief wie Strohals grundlegendes Werk geht 
Kretzſchmars Erbrecht nicht. Immerhin iſt es weit 
über den Rahmen eines Grundriſſes hinausgewachſen, 
den der Verfaſſer, wie er im Vorworte mitteilt, ur— 
ſprünglich zu ſchreiben beabſichtigte. Wegen der ſyſte— 
matiſchen Gliederung und der klaren Schreibweiſe 
eignet es ſich vor allem zum erſten, grundlegenden 
Studium der ſchwierigen Materie. 6. 


Neue Auflagen aus der Guttentagſchen Sammlung 
deutſcher Reichsgeſetze. 
1. Meyer, Georg, Juſtizrat, Rechtsanwalt bei den Kgl. 
Landgerichten I, II, III Berlin. Das Recht der 
Beſchlagnahme von Lohn- und Behaltfors» 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


—— — ͥ — 2— — 
en Be a — 


in Bayern. 1911. Nr. 6. 


— nn 5 


derungen. Auf Grundlage der Reichsgeſetze vom 
21. Juni 1869 und 29. März 1897 und der Zinil- 
prozeßordnung mit Einleitung, Anmerkungen und 
Sachregiſter. 4. vermehrte Auflage. 202 S. Berlin 
1910, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G. m. b. H. 


2. Lindemann, Otto, Oberlandesgerichtsrat in Frank⸗ 
furt a. M. Geſetz, betreffend das Urheberrecht 
an Werken der Literatur und der Tonkunſt 
vom 19. Juni 1901. In der Faſſung der Geſetzes 
vom 22. Mai 1910. Textausgabe mit Einleitung, An⸗ 
merkungen und Sachregiſter nebſt einem Anhang, 
enthaltend die revidierte Berner Uebereinkunft vom 
13. November 1908, 3. Auflage, 155 S. Berlin 1910, 
J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G. m b. H. 


Eger, Dr. Georg, Geheimer Regierungsrat, Die 
Eiſenbahn-⸗Verkehrsordnung vom 23. De⸗ 
zember 1908 nebſt den Allgemeinen Ausführungs— 
beſtimmungen und Abfertigungsvorſchriften auf der 
Grundlage des Deutſchen Handelsgeſetzbuchs vom 
10. Mai 1897. Dritte Auflage. XII, 628 S. Berlin 
1910, J. Guttlutag, Verlagsbuchhandlung. 


Dieſes vielbenützte und vielzitierte Werk unſerer 
erſten Autorität auf dem Gebiete des Verkehrsrechts 
zeigt auch in der neuen Auflage die alten Vorzüge. 
Von einer eingehenderen Würdigung kann wohl bei 
der . Meiſterſchaft des Verfaſſers abgeſehen 
werden. 5 


Notizeu. 


Die Vorſchriften über den Gewerbebetrieb der Pfand⸗ 
leiher und der Pfandvermittler find durch zwei Bekannt- 
machungen des Staatsminiſteriums des K. Hauſes und 
des Aeußern vom 11. Februar 1911 umgeſtaltet worden 
(GVBl. S. 83 ff. und S. 94 ff.). Geändert iſt im 
weſentlichen nur die Faſſung. So ſind die Vorſchriften 
der Bek. vom 12. Februar 1910 (GVBl. S. 76) in 
den Text eingearbeitet worden; der 8 13 der Bek. 
vom 5. November 1906 und der $ 10 der Bek. vom 
14. Januar 1909, die von der Buchführung handeln, 
ſind in mehrere kleinere Paragraphen zerlegt worden. 
Die Vorſchrift, daß der Pfandleiher Pfandſcheine nicht 
ankaufen, nicht belehnen und nicht mit ihnen Handel 
treiben darf, ſtand bisher im § 16 Abſ. 3 der Bek. 
vom 5. November 1906; fie iſt jetzt in den 8 3 der 
neuen Bek. über das Pfandleihgewerbe als Nr. 5 
übernommen. Von größerer Bedeutung iſt, duß dieſem 
§ 3 als Nr. 7 eine neue Vorſchrift hinzugefügt iſt: fie 
verbietet dem Pfandleiher die von einem Pfandver— 
mittler verſetzten Pfänder um den Betrag des Pfand— 
darlehens ſamt Zinſen zurückzugeben, wenn ſie nicht 
zu einem Preiſe verſteigert werden, der den Betrag 
des Pfanddarlehens ſamt Zinſen erreicht. Im Zu— 
ſammenhange damit ſteht die neue Vorſchrift im $ 6 
Nr. 7 der Bek. über das Pfandvermittelungsgewerbe, 
die dem Pfandvermittler gleichfalls ſolche Geſchäfte 
verbietet. Es iſt nicht recht einzuſehen, was mit dieſen 
Verboten erreicht werden ſoll. 

Im übrigen verweiſen wir auf die Abhandlungen 
im Jahrg. 1909 S. 144 ff., 160 ff. und im Jahrg. 1907 
S. 58 ff. Die darin enthaltenen Schilderungen des 
Rechtszuſtands treffen im Großen und Ganzen auch noch 
nach dem Inkrafttreten der neuen Bekanntmachungen 
(1. März 1911) zu. 

217.3 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Fran; Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


ur. 7. 7. - Münden, den 1. 1. April 1911. 191] 7. Jahrg. 


Zeilſchrift für Bechlapflege 


Verlag von 


Th. von der Pfordten in Bayern 3. ng | „ 


K. Sandgerichtsrat, verw. im K. Bayer. © 
Stantäminifterium der Juftiz- München und Berlin. 


> tion und edition: München, Lenbachplatz 1. 
: RE re ebühr 30 910. ur die balbgeſpaldene Vetltzelle 
oder 1 aum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Die Seen . am 1. und 1 5. jeden Mon 8 

im W n mindeftens 2 Bogen. Preis lertelſabr lic . 
Boca rn Bertelungen übernimmt jede Buchhandlung und I“ 
0 9 


Nachdruck verboten. 145 
| In dieſer letzten Gegenüberftellung zwiſchen 
de Aechtsworal Moral und Sitte liegt das Problem. Das muß 


Von Profeſſor Dr. Hans Albrecht Fiſcher in Gießen. a — erſten her rg un benn 
Das Reichsgericht hat für den Begriff der die eſensunterſchiede zwiſchen Sitte und Sittlich⸗ 
„guten Sitten“ eine kurze und konſtant wieder⸗ 1 era a Moral find groß und 
lehrende Formel gewählt. Seit der Entſcheidung allgemein bekannt. Allein zu einer gewiſſen ſprach⸗ 
im 48. Bande in Zivilf. S. 124 definiert der lichen Ungenauigkeit in der Verwendung der Aus⸗ 
oberſte Gerichtshof die guten Sitten als das drücke, „Sitte und Sittlichkeit kommen ſachliche 
Schwierigkeiten: die guten Sitten im Rechtsſinn 


= 5 1 15 ar . de . gehören nicht reſtlos einem der drei großen Ge⸗ 


; ; in: biete Sitte, Sittlichkeit und Recht an.) Wäre der 
zipielle N ge ut da 9 1 ichs. Verſtoß wider die guten Sitten nichts weiter ‚al 
gericht in den zahlreichen Entſcheidungen, bie ein Verſtoß gegen das Anſtandsgefühl aller billig 
ſich mit dem Gutenſittenbegriff beſchäftigen, der und gerecht Denkenden, ſo hätte die engſte Wort⸗ 
angegebenen Formel angefügt hat, ſich mit der in aan 3 lden se . 10 
dieſem Auflage vertretenen Auffaffung in Einklang d 8 1 Er en de ei in dem 15 1 880 15 
bringen laſſen. Allein jene Formel ſelbſt unter⸗ = r . 0 itte ai MILDE Ber 
liegt erheblichen Bedenken. Bei inhaltlicher und | ”. 1 wiedergegeben 55 n 905 . 
grundſätzlicher Uebereinſtimmung ſcheint freilich ziehung ließe ſich ein Hinüberneigen zu den Grenz⸗ 
das Bemängeln der Definition auf einen leeren gebieten der Moral und Ethik konſtatieren, inſo⸗ 
Wortſtreit auszulaufen. Aber nur ſcheinbar. Iſt Ba este . auf 5 und die 
ſchon an ſich keine Wiſſenſchaft in ihrem Inhalt di er 3 er beſten Sitt Sn 4 En nur auf 
fo ſehr von der Form abhängig wie die Rechts⸗ die Be ; FR 9 85 f e 5 des 8689. 
wiſſenſchaft, jo wird es bei dem berechtigten An⸗ nn e. Doch ii en S5 1 5 850 
ſehen, das der oberſte Gerichtshof genießt, bald keine Provinz der geltenden Sitten, die guten 
nicht mehr an jenen fehlen, welche nicht das Geſetz, Sitten bilden vielmehr ‚ein Grenzgebiet zwiſchen 
ſondern die Reichsgerichtsformulierung auslegen an und 1 in ihnen verkörpert ſich die 
und welche gerade, wenn fie exakt arbeiten, dann Rechtsmoral. 


8 Der Verkauf eines Buches, welches dem Ver⸗ 
zu unrichtigen Ergebniſſen gelangen müſſen. An⸗ käufer von ſeinen Schülern als Geſchenk gewidmet 


| 

| 

| 

| 

| 
zeichen hierfür find ſchon vorhanden. So hat ein u n 
im Jahre 1908 in Gruchots Beiträgen Bd. 52 5 ſei Fan Das 1 zu 8 7585 
S. 497ff. erſchienener Aufſatz von Hagen fi findet ſich ef eu a an 150 15 . o⸗ 
mit der Auslegung der Reichsgerichtsformel be⸗ | eu nn lee 8 0 . Si 
ſchäftigt, und der gekennzeichnete Erfolg ift m. E. den ſpäteren Auflagen verſchwindet das Beiſpie 

und in der fünften Auflage (1910) Bd. I S. 246 

| 


gen, Bee der det ne | Mh Kr Aalen de Baar a ch 


Herzog (Zum Begriff der guten Sitten. Breslau 
1910) verliert ſich ebenfalls nach der durch die 
Reichsgerichtsdefinition nahegelegten u. Her⸗ 
zog meint, daß es ſich beim Verſtoß gegen die des? . 1 

widrigteit (C. H. Beck, München 1911) S. 56—91. Dort 
. 110) Indem ee i. bee Ban der fe Fee e Jae ee de dn 

1 er egri er ozialethi ie Einwirkun er Unſt 

Sitte“, gegen die „ſozial wertvollen Sitten“ handle. lichteit aut die Rechtswidrigkeit näher rent 


1) Zur Ergänzung der hieſigen kurzen Ausführungen 
und zur Entlaftung von einer umfangreicheren litera= 
riſchen Polemik ſei auf ein kürzlich erſchienenes Buch 
des Verfaſſers verwieſen: H. A. Fiſcher, Die Rechts⸗ 


146 AZeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


als ein Verſtoß gegen die guten Sitten des BGB. 
aufgefaßt. Obwohl der heutige Standpunkt des 
Co ſackſchen Lehrbuchs durchaus zu billigen iſt, 
iſt eigentlich das Verſchwinden jenes Beiſpiels, 
welches in ſeiner pointierten Faſſung gerade zur 
Warnung dienen konnte, zu bedauern. 

Wird eine Handlung als gegen die guten 
Sitten verſtoßend charakteriſiert, ſo liegt darin ein 
ſchwerer Vorwurf. Wer contra bonos mores 
handelt, handelt nicht nur rechtswidrig, ſondern 
ſchuldhaft, wenngleich ſich dieſes Verſchulden 
in die üblichen Einteilungen von Vorſatz und 
Fahrläſſigkeit nicht einzwängen läßt. Die naͤhere 
wiſſenſchaftliche Begründung hierfür habe ich 
an anderer Stelle (Rechtswidrigkeit S. 140 ff.) 
zu geben verſucht. Wer beſtreitet, daß, wer 
einen Verſtoß gegen die guten Sitten begeht, 
ſchuldhaft handelt, kann m. E. zu einem rich⸗ 
tigen Verſtändnis des 8 826 nicht gelangen. 
Freilich ſcheint ſich, wie ein Blick in die 5. /6. 
Auflage des Staudingerſchen Kommentars 
(1911) 8 826 Erl. 6. Bd. II. S. 1634 lehrt, die 
Zahl derer, welche vermeinen, daß „S 826 an 
gewiſſe Handlungen zwar die Erſatzpflicht an⸗ 
knüpft, ſie damit aber noch nicht zu rechtswidrigen 
macht“, noch immer zu vergrößern. Gewiß iſt 
es richtig, daß 8 826 auch Anwendung finden 
kann auf Schadenshandlungen, welche auf Grund 
der allgemeinen menſchlichen Betätigungsfreiheit 
vorgenommen werden. In demſelben Augenblick 
aber, wo im Einzelfalle das Verdikt geſprochen 
werden muß: dieſe Betätigung verſtößt gegen die 
guten Sitten, iſt die Handlung nicht mehr harm⸗ 
los, ſondern auch rechtlich ſchlecht. Es iſt erfreu⸗ 
lich, daß jetzt auch der Kommentar der Reichs⸗ 
gerichtsräte (S 826 Erl. 1) dieſe Konſequenz zieht. 
Daß in $ 826 BGB. außerdem noch ein auf 
die Schadenszufügung gerichteter Vorſatz verlangt 
wird, um den Täter haftbar zu machen, iſt viel⸗ 
fach ohne Bedeutung, manchmal aber für den 
Schadensſtifter zu milde. 

Es wäre bedauerlich, wenn wir den Wert 
äußerer Anſtandsregeln jo überſchätzten, daß wir 
ihre Uebertretung mit einem derartigen Makel der 
Schuld, wie ſoeben geſchildert, belaſteten. Der 
Rechtsordnung vor allem ſteht es am wenigſten 
zu, eine ſolche Ueberſchätzung zu unterſtützen. Tut 
ſie es aber dennoch, verleiht ſie einem beſtimmten 
Brauche und beſtimmten Anſtandsregeln Zwangs— 
charakter und bedroht ſie ihre Uebertretung mit 
Rechtsnachteilen, ſo hören damit die geübten Regeln 
auf, „Konventionalregeln“ zu ſein, ſie werden zu 
Rechtsnormen. Der Verſtoß gegen die guten 
Sitten iſt aber im BGB. mit ſehr erheblichen 
Rechtsnachteilen belegt: Rechtsnachteile, welche ſogar 
noch größer ſind, als bei Verſtößen gegen ein 
geſetzliches Verbot. Es muß genügen, hier auf 
die unterſchiedliche Faſſung von 8 134 und 8 138 
ſowie auf den $ 309 BGB., welch letztere Vor— 
ſchrift bei Verſtößen gegen die guten Sitten keine 


Anwendung findet, zu verweiſen. Nach einer 
5 Bemerkung Savigny's (Syſtem III 
S. 171) in der Lehre von den unſittlichen Be⸗ 


! dingungen ſollte das Widerrechtliche ſtets unfittlich 


(contra bonos mores) fein. Das widerſpricht 
ſowohl dem römiſchen wie dem heutigen Recht. 
Nicht alles, was rechtswidrig iſt, iſt contra bonos 
mores; was aber contra bonos mores iſt, iſt 
mit erhöhtem Vorwurfsgehalt rechtswidrig. Dieſer 
ganze Gedankengang zeigt aber, daß der Ausgangs⸗ 
punkt, nämlich die Gleichſtellung der guten Sitten 
mit Sitte und Anſtand, offenbar unrichtig ſein muß. 

In den guten Sitten verkörpert ſich, wie ge⸗ 
ſagt, die Rechtsmoral. Drei charakteriſtiſche Züge 
der Rechtsmoral ſollen hier hervorgehoben werden, 
von denen ſie die beiden erſten dem Recht, den 
dritten denn doch der Moral verdankt. 

1. In der Rechtsmoral zeigt ſich zunaͤchſt die 
von den Philofophen ſogenannte negativ ſitt⸗ 
liche Funktion des Rechts. Das BGB. 
ſpricht nicht von der zwangsweiſen Verwirklichung 
der guten Sitten, ſondern von den Verſtößen 
wider ſie, von der Verhinderung ſolcher Verſtöße 
und der Beſeitigung ihrer üblen Folgen. Die 
vollſtändige Uebernahme reiner Moralvorſchriften 
in die Rechtsordnung iſt aus mancherlei Gründen 
unmöglich (vgl. Rechtswidrigkeit S. 63 — 70). Die 
fittliche Lehre, vor allem die chriſtliche Morallehre, 
ſtellt, auch wo fie fi) nur mit dem äußeren Ber: 
halten gegenüber den Mitmenſchen beſchäftigt, 
Idealvorſchriften auf, die niemand ganz zu erfüllen 
vermag. Das Recht als Maſſenordnung muß 
auch von den Maſſen erfüllt werden können. 
Rechtsſatzungen, welche Menſchenkraft überſteigen 
oder, was nur unter unſäglichen Anſtrengungen 
möglich iſt, täglich verlangen, bleiben nicht nur 
ohne den beabſichtigten Erfolg, ſondern richten 
noch obendrein großen Schaden an: ſie rufen ſo⸗ 
wohl Heuchelei der Uebertretenden als auch ſchwerere 
Verfehlungen als ein milderes Geſetz hervor, da 
bekanntlich, wenn einmal ein Geſetz übertreten 
wird, es dem Delinquenten auf ein mehr oder 
weniger nicht mehr anzukommen pflegt. So weit 
muß alſo die reine Morallehre in der konkreten 
Rechtsvorſchrift abgemindert erſcheinen, daß ihre 
Erfüllung billigerweiſe noch von dem Volksdurch⸗ 
ſchnitt erwartet werden kann. Dahin gehören die 
Vorſchriften über Wahrung von Treu und 
Glauben im Verkehrsleben. Nun iſt aber im 
allgemeinen das Recht zur Durchführung poſi— 
tiver Moralvorſchriften überhaupt nicht geeignet, 


da die äußeren Zwangsmittel, gerade wenn ſie 


wirken, jene Uneigennützigkeit und Reinheit der 
Geſinnung ausſchließen, welche der äußerlich guten 
Tat erſt ihren moraliſchen Wert gibt. Der Reli— 
gion und Ethik iſt alſo das Recht keine Hilfe. 
Seine eigenen Aufgaben erfüllt unſere auf das 
Privateigentum aufgebaute Rechtsordnung am 
beiten, wenn fie nicht poſitiv Moralität zu er: 
zwingen ſucht, ſondern negativ gegen allzugrobe 


— 
— 


moraliſche Verfehlungen einſchreitet und im übrigen 
den durch geſetzliche Schranken eingeengten Egois⸗ 
mus des Rechtsſubjekts ſelbſt für ſich ſorgen und 
ſich vor Schaden behüten läßt. Wiederholt und 
in geiſtreichen Wendungen iſt es daher in Wiſſen⸗ 
ſchaft und in Entſcheidungen ausgeſprochen, daß, 
wer die Verſtöße wider die guten Sitten meidet, 
noch lange kein anftändiger, geſchweige denn ein 
ſittlich hochſtehender Menſch zu ſein braucht. 
Wiederholt hat das Reichsgericht die Anwen⸗ 
dung des $ 826 BGB. abgelehnt, weil Rechts: 
ausübung oder auf Grund der allgemeinen Frei⸗ 
heit vorgenommene Handlungen jene weitgezogenen 
Grenzlinien noch nicht überſchritten hätten (vgl. 
RG. Bd. 67 S. 153 und 170, Bd. 69 S. 162 
und ſonſt). Dabei iſt das Grenzgebiet, wo feinere 
moraliſche Verfehlungen (oder was hier gleich⸗ 
geſtellt iſt: Anſtandsverletzungen) offenbar gegeben 
ſind, ein Verſtoß wider die guten Sitten aber 
noch nicht, keineswegs ohne juriſtiſche Bedeutung. 
Es läßt ſich der in Einzelregelungen unſeres 
Geſetzbuchs enthaltene Grundgedanke etwa dahin 
formulieren: wer ohne es zu wiſſen oder zu wollen 
anſtändig geweſen iſt oder ſo gehandelt hat, wie 
die feinere Moral (ſittliche Pflicht) es gebietet, 
darf das Mehr an Leiſtung gegenüber dem, was 
ihm nur nach formalem Recht abgerungen werden 
konnte, nicht zurückfordern. Die hier einſchlägigen 
Geſetzesſtellen, welche die soluti retentio garan⸗ 
tieren, ſind ſchon ſo oft in der Literatur behandelt, 
daß ich mich auf Folgendes beſchränken kann. 
Der § 814 BGB. und der $ 534 (mit feinen 
Ausſtrahlungen auf das Familien- und Erbrecht) 
koordinieren „ſittliche Pflicht“ und „auf den An⸗ 
ſtand zu nehmende Rückſicht“. Mehr noch als 
bei den „guten Sitten“ iſt für dieſe Geſetzesſtellen 
in der Literatur die Meinung vertreten, daß 
„fittlich“ hier ein ungenauer Ausdruck fer und als 
adjektiv von „Sitte“, nicht von „Sittlichkeit“ aus: 
gelegt werden müſſe, ſo daß alſo „Anſtand“ und 
„ſittliche Pflicht“ nicht mehr als ein Ly oed dvom 
bedeute. Man exemplifizierte dann bei § 534 
auf den von Ihering ſogenannten Liberalitäts⸗ 
zwang, dem zuwider zu handeln unanſtändig aber 
nicht unfittlich ſei. Dieſe Anſicht habe ich auch 
verteidigt (Rechtswidrigkeit S. 75) und in dieſer 
Beziehung habe ich mich zu berichtigen. Und 
zwar hat mich zur Aenderung meiner Meinung 
ein Aufſatz von Schierlinger (Blätter für 
Rechtsanwendung Bd. 71 S. 661 — 668) angeregt, 
wo gerade jene referierte, nunmehr von mir auf— 
gegebene Anſicht verfochten wird. Schierlinger 
folgert daraus, daß wahre Fälle der unvoll⸗ 
kommenen Verbindlichkeiten und damit des § 814 
die in den 88 656 und 762 — 764 geregelten 
ſeien, „dieſelben würden, wenn ſie nicht ſchon von 
jenen Spezialbeſtimmungen getroffen wären, ohne: 
hin den — erſt ſpäter dem BGB. eingefügten — 
Vorſchriften unſeres $ 814 Halbſ. 2 unterſtehen. 
Die geſchichtliche Grundlage der Regel, daß die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


— nn 


Zahlung von Spielſchulden, die Entrichtung eines 
ſog. Kuppelpelzes die Rückforderung ausſchließt, 
bildet offenbar die Sitte, die manchmal ſogar die 
Sittlichkeit überwindet; denn vor der ſtrengen 
Moral könnte hier die Gültigkeit auch der geleiſteten 
Zahlung nicht beſtehen“. (S. 664i5.) 
Tatſächlich mag manchmal die Sitte die Sitt⸗ 
lichkeit überwinden, aber es wäre ein ſchwerer Vor⸗ 
wurf für unſer Geſetzbuch, wenn es ſich in dem Kampfe 
dieſer beiden Mächte bewußt auf die Seite der 
Sitte ſtellte. Es kann zweifelhaft ſein, ob ohne 
die ausdrücklichen Vorſchriften der 88 656 Abſ. 1 
S. 2 und 762 Abſ. 1 S. 2 soluti retentio ſchon 
aus 8 817 S. 2 generell zu folgern geweſen wäre. 
Jedenfalls liegt der geſetzgeberiſche Grund für den 
Ausſchluß der Rückforderung von Ehemaklerlohn 
und Spielſchuldzahlung der Beſtimmung des $ 817 
S. 2 weit näher als dem $ 814 Halb}. 2: mit 
ſolchen Dingen ſoll ſich unſer Recht 
nicht befaſſen. Iſt es alſo unrichtig, daß die 
genannten Geſetzesbeſtimmungen einen Sieg der 
Sitte über die Sittlichkeit befiegeln, ſo iſt auf der 
andern Seite nicht einzuſehen, warum die soluti 
retentio, wenn einer moraliſchen Pflicht mit der 
Leiſtung genügt war, weniger begründet ſein ſollte, 
als wenn nur einer auf den Anſtand zu nehmen⸗ 
den Rückſicht ein Opfer gebracht war. Wenn 
etwas der Rechtfertigung bedurfte, ſo war es der 
Rückforderungsausſchluß bei Erfüllung der An⸗ 
ſtandsverpflichtung als dem Minus. Dieſe Recht: 
fertigung hat bereits Ihering gegeben. Daß 
Schierlinger irre geht, zeigen auch ſeine Bei⸗ 
ſpiele: „Mag die fittliche Pflicht noch ſo dringend 
mahnen, daß der kinderloſe Reiche ſeinem armen 
kinderreichen Bruder eine fortlaufende Unterſtützung 
gewähre: ein moraliſcher Zwang bierzu beſteht 
nicht, denn die Sitte gebietet ſolche Unterſtützung 
keineswegs; fie kann aber unter Umſtänden ver⸗ 
langen, daß der Reiche für den am gleichen Ort 
wohnenden armen Vetter und deſſen Kinder 
Kleider und Schuhe beſchafft, denn es ſchadet 
dem Anſehen des erſten, wenn jene zerlumpt und 
barfuß herumlaufen. Selbſt eine derartige not⸗ 
gedrungene Freigebigkeit iſt aber und bleibt zweifel⸗ 
los Schenkung, nur unterliegt ſie nicht der Rück⸗ 
forderung und dem Widerrufe“ (S. 663). Wenn 
ich recht verſtehe, bezieht ſich der zweite Satz nur 
auf den zweiten Fall des erſten Satzes. Ganz 
unverſtändlich bleibt mir aber die einleitende Be⸗ 
gründung des erſten Satzes, daß obwohl die 
ſittliche Pflicht noch fo ſehr mahnt, ein 
moraliſcher Zwang nicht beſteht, wenn oder 
weil die Sitte eine Handlung nicht gebietet. In 
der Sache meine ich allerdings, daß im erſteren 
Beiſpielsfalle eine ſittliche Pflicht, im zweiten Falle 
regelmäßig nicht einmal eine Anſtandspflicht zur 
Unterſtützung des Vetters beſteht. Denn was 
durch die Klugheit geboten erſcheint, braucht noch 
nicht durch den Anſtand geboten zu ſein. Wenn 
daher der Geber verarmt und der kinderreiche 


148 


— LL— — L nn 
ee DL — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


Bruder und der Vetter reich werden, würde ich Anſtandspflicht zu genügen oder nur gezwungen in 


dem Geber gegen den erſteren keinen, gegen den 
Vetter dagegen den Rückforderungsanſpruch nach 
§ 528 BGB. zugeſtehen. Und ebenſo würde ich, 
falls der Geber die Unterſtützung in Erfüllung 
einer vermeintlichen letztwilligen Verfügung eines 
gemeinſamen Verwandten gewährte, die condictio 


| 


auf Grund des 8 814 BGB. gegen den Bruder 


verſagen, gegen den Vetter gewähren. Freilich 
ſind das Pauſchalentſcheidungen: hat ſich der Bruder 
grober Verfehlungen gegen den Geber ſchuldig ge⸗ 
macht, welche im Verhältnis zwiſchen Aszendenten 
zu Deszendenten den Pflichtteilsanſpruch zerſtören 
(8 2333 Ziff. 1—4) und hat ſich der verarmte 
Vetter im bisherigen Leben für den Geber geopfert, 
ſo kann die Entſcheidung umgekehrt ausfallen. 
Das alteriert aber die prinzipielle Seite nicht. 
Bleiben wir noch einen Augenblick bei $ 814 
BGB. ſtehen, jo bilden, wie ein Blick in die 
Entſcheidungsſammlungen zeigt, gerade nicht ge⸗ 
ſchuldete, oder über das geſchuldete Maß hinaus 
geleiſtete Unterhaltsbeiträge, ſei es Verwandten, 
ſei es Ehegatten gegenüber ein wichtiges An⸗ 
wendungsgebiet für den Ausſchluß der Rückforde⸗ 
rung nach $ 814 Halbſ. 2 BGB. Dabei kann 
allerdings an Stelle oder neben der ſittlichen 
Pflicht auch der Anſtand die urſprüngliche Leiſtung 
erfordert haben. Von großer Bedeutung iſt ferner 
die Frage, ob die Leiſtung, welche auf Grund 
eines formnichtigen Geſchäfts gemacht iſt, dem 
Rückforderungsausſchluß nach $ 814 Halbſ. 2 unter: 
liegt. Das Reichsgericht hat prinzipiell den 
Rückforderungsanſpruch zugebilligt: „Wo das Geſetz 
die Gültigkeit einer Willenserklärung an eine be⸗ 
ſtimmte Form knüpft, kann die Nichterfüllung oder 
Nichtbeachtung derſelben nicht als eine Verletzung 
von Treu und Glauben oder als ein Verſtoß gegen 
die guten Sitten angeſehen werden, mag immer⸗ 
hin ein Mann von vornehmer Geſinnung Be 
denken tragen von dem Einwande des Formmangels 
Gebrauch zu machen“ (RG. 58, 218). Vgl. ferner 
RG. 72, 342 und RG. in der DIZ. 1903 S. 32. 
In dem Kommentar der Reichsgerichtsräte 
($ 814 Erl. 2) iſt auf eine nicht veröffentlichte 
Entſcheidung des IV. ZS. vom 14. November 1907 
verwieſen. wonach das Beſtehen einer ſittlichen 
oder Anſtandspflicht bejaht und damit die con- 
dictio verſagt iſt bei Erfüllung nichtiger Ver⸗ 
mächtniſſe aus frommer Achtung des letzten Willens 
des Erblafſers. Worauf die Nichtigkeit der Ver: 
mächtniſſe beruhte, iſt nicht geſagt; den häufigſten 
Fall wird jedenfalls ein Formmangel der letzt— 
willigen Verfügung bilden. Ich glaube, daß ſo— 
wohl der prinzipielle Standpunkt des Reichs- 
gerichts, wie die letzterwähnte abweichende Einzel— 
entſcheidung ſich halten laſſen. Will man das 
näher begründen, ſo iſt es mit dem Satze: es 
kommt auf den Einzelfall an, nicht getan. Jeden— 
falls iſt es nicht entſcheidend, ob der Leiſtende ſeiner— 


der irrigen Annahme einer rechtlichen Verbind⸗ 
lichkeit die Leiſtung aus dem formnichtigen Ge⸗ 
ſchäſt vollzog. Meiſt werden die Parteien die 
rechtliche und moraliſche Seite ihrer Verpflichtung 
nicht genügend ſcharf auseinander halten. Tun 
ſie es aber ausnahmsweiſe und ſind ſich über das 
Nichtvorhandenſein einer rechtlichen Verpflichtung 
klar, dann liegt bereits ein Ausſchluß der condictio 


nach 8 814 Halbſ. 1 vor. Am beſten iſt wohl die 


„ 


zeit aus freien Stücken, um der Sittlichkeits- oder 


allgemeine Faſſung, welche Reichel (Archiv Prax. 
Bd. 104 S. 21 ff.) vorgeſchlagen hat: Wer durch 
formnichtigen Vertrag eine Leiſtung verſpricht oder 
durch formnichtiges einſeitiges Rechtsgeſchäft eine 
Leiſtung aufgebürdet erhält, die zu vollziehen ſchon 
ohnedies d. h. ſchon ungeachtet des formnichtigen 
Geſchäfts Anſtand oder Sittlichkeit von ihm fordern, 
kann die vollzogene Leiſtung nicht zurückfordern, 
auch unter Bezugnahme auf den Formmangel 
nicht. Es kann alſo entweder ſchon an ſich An⸗ 
ſtand und Moral eine Leiſtung erfordern, oder 
es kann allein die Heiligkeit des gegebe- 
nen Wortes trotz Formnichtigkeit des Geſchäfts 
die Erfüllung verlangen. In dem erſteren Falle 
— mag er auch zufällig mit dem zweiten zu⸗ 
ſammenfallen — wird die condictio verſagt, im 
zweiten nicht. Die Zubilligung der condictio 
bei Formmangel des Verpflichtungsgeſchäfts zeigt, 
daß Anſtand und Moral nichts gelten, wenn 
ſie ſich mit den Zwecken, welche die Rechtsordnung 
verfolgt, in Widerſpruch ſetzen. Anſtand und 
Moral find in 8 814 nur zugelaſſen als Hilfs⸗ 
kräfte des Rechts, nicht als rechtszerſtörende Mächte. 
Es läuft alſo alles in letzter Linie auf die Aus: 
legungsfrage nach der Geltungsſtärke einer Rechts⸗ 
norm hinaus. Glaubt unſer BGB. die ihm wich⸗ 
tigen Formvorſchriften nur aufrecht erhalten zu 
können, wenn es nicht nur die Erzwingung der 
Leiſtung aus formnichtigem Geſchäſt verſagt, ſondern 
daneben noch eine condictio gibt, ſo müſſen ſitt⸗ 
liche und Anſtandsrückſichten weichen. Andere 
Rechte dachten anders.“) Und bei derſelben Ge⸗ 
ſetzesbeſtimmung kann ſich ſogar mit dem Laufe 
der Zeit die Auffaſſung ändern. Bis zur Börfen- 
geſetznovelle vom 8. Mai 1908 war auch die 
Rückforderung des zur Erfüllung eines verbotenen 
Termingeſchäfts Geleiſteten trotz $ 814 BGB. durch 
die Rechtſprechung zugelaſſen (RG. in JW. 1904 
S. 38 und 407). Durch das Börſengeſetz vom 
8. Mai 1908 88 64 Abſ. 2 und 66 Abi. 2 iſt 
iſt die Rückforderung teils gänzlich, teils nach 
einer Zeitſpanne von zwei Jahren ausgeſchloſſen. 
Freilich ſollen dieſem Rückforderungsausſchluß nach 
einer (im „Recht“ 1910 Nr. 3172, aber nicht in 
der offiziellen Sammlung veröffentlichten) Ent⸗ 


) Vgl. z. B. PrAL R. I, 16, 8 176: „Bei Zah⸗ 
lungen aus einem bloß wegen Mangels der geſetzmäßigen 
Form unverbindlichen Geſchäfte findet die Rückforderung 
aus einer vorgeſchützten Unwiſſenheit dieſer geſetzlichen 
Vorſchrift niemals ſtatt.“ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 149 


ſcheidung des Reichsgerichts „lediglich wirt⸗ 
ſchaftliche Geſichtspunkte“ zugrunde liegen und 
damit keineswegs weder allgemein noch wenigſtens 
für den Kaufmann eine ſittliche Pflicht oder eine 
auf den Anſtand zu nehmende Rückſicht zur Er⸗ 
füllung verbotener Börſenterminsgeſchäfte bejaht 
ſein. Mag man das glauben oder bezweifeln: 
Jedenfalls iſt es mit Freuden zu begrüßen, daß 
unſer Recht mit dieſer Neuerung des Börſen⸗ 
geſetzes eine Kluft überbrückt hat, welche zwiſchen 
unſerer faktiſchen moraliſchen und geſellſchaftlichen 
Auffaſſung und der Rechtſprechung auf dem Ge⸗ 
biete des Terminhandels klaffte. 

Wir kehren nunmehr zum Ausgangspunkt 
zurück: Wir haben in der Geſetzesſprache „gute 
Sitten“ und „fittliche Pflicht“ in dem Sinne zu 
unterſcheiden, daß ſich in erſteren die vergröberte 
Rechtsmoral, in der letzteren die reine Sittlich⸗ 
keitslehre darſtellt. Während die Rechtsordnung 
gegen die Verſtöße wider die Rechtsmoral in 
ſchärfſter Weiſe reagiert, ignoriert ſie die geringeren 
Verſehlungen gegen Moral und Anſtand, ſie will 
nur ſolcher geringeren Unfittlichkeit oder Unan⸗ 
ſtändigkeit nicht noch obendrein durch Gewährung 
einer condictio zum Siege verhelfen (8 814). 
Wenn wir ſagten: die guten Sitten enthalten die 
Rechtsmoral, ſo zeigt ſich das auch noch in folgen⸗ 
dem: der Satz: eine deutſche Reichsrechtsnorm ver⸗ 
ſtößt wider die guten Sitten d. h. verlangt ein 
Handeln oder Unterlaſſen, welches nach demſelben 
deutſchen Reichsrecht als wider die guten Sitten 
gebrandmarkt iſt — iſt perplex. Der Satz: eine 
Rechtsnorm ſteht mit einer „ſittlichen Pflicht oder 
einer auf den Anſtand zu nehmenden Rückſicht“ 
in Widerſpruch, deutet zwar einen bedauerlichen 
Konflikt zwiſchen Recht einerſeits, Moral und An⸗ 
ſtand andrerſeits an, iſt aber möglich. Inſofern 
beſteht eine Nüance zwiſchen der hieſigen und 
der Reichsgerichtsauffaſſung: m. E. entſpricht aller⸗ 
dings die Erfüllung eines formnichtigen Geſchäfts 
und die Erfüllung eines nicht privilegierten Börſen⸗ 
termingeſchäftes der in 8814 Halbſ. 2 erwähnten 
ſittlichen Pflicht oder auf den Anſtand zu nehmen⸗ 
den Rückſicht. Aber der 8 814 Halbſ. 2 kann im 
Tatbeſtande gegeben und dennoch durch andere 
ſpezielle Vorſchriften außer Kraft geſetzt ſein. 

(Schluß folgt). | 


—  —  ——— 


Lertretbare und Gattungsſachen. — Menge: 


ſachen und Etückſachen. 


Von Profeſſor Dr. Langheineken in Halle. 


I. 

Das BGB. kennt ſowohl den Begriff „ver⸗ 
tretbare Sachen“ als auch den Begriff 
„Gattungsſachen“. 

Den en Begriff definiert das Geſetz in $ 91 
wie folgt: 


„Vertretbare Sachen im Sinne des Geſetzes 
ſind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach 
Zahl, Maß oder Gewicht beſtimmt zu 
werden pflegen.“ 

Den zweiten Begriff umſchreibt es regelmäßig 
(z. B. in 8 243) durch die Formel „eine nur 
der Gattung nach beſtimmte Sache“. 

Beiden Begriffen ſteht gegenüber der Begriff 
der „individuell beſtimmten Sache“. 

Für die vertretbaren Sachen finden ſich 
Vorſchriften: 

in 8 473 (Die Minderung des Kaufpreiſes 
für eine mangelhafte Sache erfolgt, wenn der 
Kaufpreis in vertretbaren Sachen beſteht, 
direkt durch verhältnismäßige Herabſetzung an 
den vertretbaren Sachen, alſo ohne deren Ab⸗ 
ſchaͤtzung in Geld), 

in 8 607 (Nur vertretbare Sachen können 
Gegenſtand eines Darlehens ſein), 

in $ 651 Abſ. 1 (Für den Vertrag, bei 
dem der Unternehmer eines Werkes den Stoff 
zu beſchaffen hat, gelten, wenn vertretbare 
Sachen herzuſtellen ſind, die Vorſchriften über 
den Kauf), 

in 8 700 (Für den unregelmäßigen Ber: 
wahrungsvertrag über vertretbare Sachen 
gelten grundſätzlich die Vorſchriften über das 
Darlehen), 

in $ 706 Abſ. 2 (Beſteht der Beitrag eines 
Geſellſchafters in vertretbaren Sachen, ſo 
fallen dieſe im Zweifel in das Geſellſchafts⸗ 
vermögen), 

in 8 783 (Nur vertretbare Sachen 
können Gegenſtand einer Anweiſung ſein). 

Auf Gattungsſachen beziehen ſich die Vor⸗ 


ſchriften: 


in 8 243 Abſ. 1 (Wird eine Gattungs⸗ 
ſache geſchuldet, ſo iſt eine Sache mittlerer 
Art und Güte zu leiſten), 
in 8 243 Abſ. 2 (Wird eine Gattungs⸗ 
ſache geſchuldet, jo beſchränkt ſich das Schuld: 
verhältnis auf eine beſtimmte Sache nicht ſchon 
mit der Ausſcheidung der Sache durch den 
Schuldner, ſondern erſt mit dem Abſchluß der 
geſamten dem Schuldner obliegenden Täligkeit), 
in $ 279 (Bei der Gattungsſchuld 
liegt Unvermögen des Schuldners zur Leiſtung 
erſt dann vor, wenn die Leiſtung aus der 
Gattung unmöglich geworden iſt), 
in $ 480 (Beim Gattungskauf kann der 
Käufer, wenn eine mangelhafte Sache geleiſtet 
wird, die Leiſtung einer mangelfreien Sache 
verlangen), 
ferner die Vorſchriften in 8 300 Abſ. 2 
(Folgerung aus 8 243 Abſ. 2), in 88 491, 
524, 2182, 2183 (gleichgeartet mit 8 480) 
und in $ 2155 (Ausnahme von $ 243 Abſ. 1). 
Aus dem Umſtand, daß das Geſetz für die 
vertretbaren Sachen mehrfach eine andere Regelung 
trifft als für die Gattungsſachen, ergibt ſich mit 


150 


Deutlichkeit, daß es die beiden Begriffe voneinander 
getrennt wiſſen will. Ungewiß bleibt indeſſen, ob 
es dieſe Begriffe als ſubordinierte oder als koordi⸗ 
nierte oder als ſich kreuzende Begriffe auffaßt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 77 


vertretbare Sachen.“ — Dem ſchloß ſich das 


Im folgenden ſoll nun gezeigt werden, daß 


die Definition für die „vertretbaren Sachen“ in 


8 91 BGB. aus mehreren Gründen zu beanſtanden 
iſt und daß dieſer Ausdruck bald im Sinne von 
„Gattungsſache“ verwendet wird, bald auch in 


einem engeren Sinne, der jedenfalls nicht der 


Begriffsbeſtimmung in § 91 entſpricht. 

Die folgenden Unterſuchungen müſſen demnach 
darauf gerichtet ſein, zunächſt die in Betracht 
kommenden Begriffe exakt zu beſtimmen und von⸗ 
einander abzugrenzen, ſodann aber den Ausdruck 
„vertretbare Sachen“ in jedem feiner Anwendungs⸗ 
fälle auf ſeine wahre Bedeutung zu prüfen, ins⸗ 
beſondere auch nach der Richtung hin, ob an den 
einzelnen Stellen des BGB. und ebenſo des HGB. 
und der ZPO. dieſer Ausdruck im Sinne von 
„Gattungsſache“ oder in einem anderen, etwa 
engeren Sinne zu verſtehen iſt. 


II. 

Der Begriff „vertretbare Sachen“ und ſeine 
Definition in $ 91 BGB., ſowie die gleichbedeutende 
Bezeichnung „fungible Sachen“ gehen zurück auf 
das römiſche Recht, insbeſondere auf 1. 2 8 1 
D. de reb. cred 12.1: „res, quae pondere 
numero mensura consistunt, quae in 
genere suo functionem recipiunt per solutionem 
[magis] quam specie“. An das Wort functionem 
anknüpfend, hat man nun den wenig bezeichnenden 
Ausdruck „res fungibilis“ gebildet.) Daraus ent: 
ſtand die Bezeichnung „fungible Sache,“ wofür dann 
„vertretbare Sache“ gebräuchlich geworden iſt.“ 

Ebenſo iſt auf das Wort genus zurückzuführen 
die Bezeichnung „generiſch beſtimmte Sache“, wofür 
man jetzt ſagt „Gattungsſache“. 

Hiernach war es für das gemeine Recht ganz an⸗ 
gebracht, grundſätzlich den Ausdrücken „vertretbare 
Sache“ und „Gattungsſache“ einen überein⸗ 
ſtimmenden begrifflichen Inhalt zu geben, wie es 
insbeſondere Windſcheid tut mit den Worten:“) 
„Die Sachen, die für den Verkehr in Betracht zu 
kommen pflegen nach der Gattung, zu welcher ſie 
gehören, nennt man Gattungsſachen oder auch. 
weil bei ihnen jedes zu dieſer Gattung gehörige 
Sachindividnum durch jedes andere zu derſelben 


ſaͤchſiſche Recht an mit der Legaldefinition:) 
„Vertretbar ſind Sachen, die, wenn ſie Gegen⸗ 
ſtand eines Rechtsverhältniſſes find, durch Sachen 
derſelben Gattung geleiſtet werden können.“ — 
Das Allgemeine Landrecht kennt zwar den Begriff 
„Gattungsſache“ oder „genus“, “) nicht aber einen 
ſelbſtändigen Begriff „vertretbare Sache“, ſondern 
verwendet den Ausdruck „verbrauchbare Sache“) 
in einem ganz ähnlichen Sinne,“) ohne aber deſſen 
Verhältnis zur Gattungsſache klar herauszuſtellen.“) 

Im BGB. dagegen werden wie geſagt die 
beiden Ausdrücke unterſchiedlich verwendet. Für 
die „vertretbare Sache“ iſt weſentlich die Beſtim⸗ 
mung „nach Zahl, Maß oder Gewicht“. 
Die „Gattungsſache“ wird überall bezeichnet als 
„eine nur der Gattung nach beſtimmte 
Sache“, wobei offenbar die Anſchauung vorge⸗ 
herrſcht hat, daß eine einzelne Sache, alſo die 
in der Einzahl, in der Anzahl 1 auftretende 
Sache, immer nur Gattungsſache, niemals 


vertretbare Sache ſein könne. 


gehörige Sachindividuum vertreten werden kann, 


— — — 


) Der Urheber dieſes Sprachgebrauchs ſcheint Ulrich 


Zaſius zu fein. Vgl. Windſcheid, Pandekten Bd. I 
8 141 Anm. 3. 

2) Savigny, Syſtem des heutigen Römiſchen 
Rechts Bd. VI 8 268 S. 123, bevorzugt die Bezeichnung 
„Quantitäten“ und definiert dieſe (Obligationenrecht 
Bd. I S. 400 a. E) als „Sachen, welche innerhalb der 
Grenzen einer beſtimmten Gattung gar keinen indivi— 
duellen Wert haben, ſo daß bei ihnen aller Wert nur 
durch Zahl, Maß oder Gewicht beſtimmt wird, die 
Unterſcheidung der Individuen völlig gleichgültig iſt“. 

2) Pandekten Bd I § 141 a. A. 


Indeſſen muß hier eine dreifache Unklarheit 
oder Ungenauigkeit konſtatiert werden: Erſtens iſt 
die Beſtimmung „nach Maß oder Gewicht“ 
doch ſteis auch eine Beſtimmung „nach Zahl“; 
denn ſie erfordert nicht nur die Angabe einer 
Maß⸗ oder Gewichts⸗Einheit, ſondern auch die 
Angabe einer Zahl.“) Zweitens kommt im Ber: 
kehr neben der Maß⸗Einheit und der Gewichts⸗ 
Einheit auch noch die Münz⸗Einheit (der „Münz⸗ 
fuß“) in Betracht.) Drittens iſt auch die Zahl 1, 
die Einzahl alſo, eine Zahl. 


9) Sächſ. BGB. 8 61 Satz 2. 
) Teil I, Titel 5, 8 275. 


°) Teil I, Titel 2, 8 121 (Die Wiedererſtattung von 
ver brauchbaren Sachen geſchieht in Sachen von 
gleicher Gattung und Güte). 

) Förſter⸗Eccius, Preuß. Privatrecht Bd. I 
8 21 Anm. 17 S. 111, äußert: „Man hat fie [die ver⸗ 
tretbaren Sachen! mit den verbrauchbaren Sachen 
identifiziert.“ 

) Der Begriff „verbrauchbare Sache“ iſt den Be 
griffen „Gattungsſache“ und „vertretbare Sache“ weder 
gleich noch ſubordiniert. „Verbrauchbar“ und „vertrets 
bar“ ſind jedenfalls ſich kreuzende Begriffe, wie die 
Wortverbindung „verbrauchbare oder vertretbare 
Sachen“ in Art. 96 des Preuß. Entwurfs zum HGB., 
in Art. 91 des AüGB. und in S 706 Abſ. 2 BGB. 
erkennen läßt. 

») Etwas anderes wäre es, wenn im Geſetz ſtünde: 
„nach Zahl und Maß oder Gewicht.“ Vielleicht hatte 
dem Geſetzgeber unbewußt ein folder Gedanke vorges 
ſchwebt, als er vermied, die in den römiſchen Quellen 
(vgl. die fünf Zitate bei Windſcheid a. a. O. Anm. 2) 
ausnahmslos auftretende Reihenſolge (pondere, 
numero, mensura) abänderte durch Voranſtellung 
des Wortes „Zahl“ in § 91 (wie übrigens ſchon Wind— 
ſcheid a a. O. durch Voranſtellung des Wortes numero“), 
im Gegenſatz zum Sächſ BGB. § 61 Saß 2, wo noch die 
quellenmäßig genaue Reihenfolge eingehalten iſt, das Wort 
„Zahl“ alſo noch in der Mitte ſteht. 

10) Allerdings iſt die Münzeinheit urſprünglich nur 


eine aus der Gewichtseinheit abgeleitete Einheit. 


IH. 

Indem man den erftgenannten Einwand in 
den Vordergrund rückt, wird man zu einer bisher 
unbeachtet gebliebenen Unterſcheidung geführt; d. i. 
die dem Mathematiker wie dem Phyſiker ganz 
geläufige Unterſcheidung zwiſchen „benannten 
Zahlen“ und „un benannten Zahlen“. Wenn 
man auf dieſen Gegenſatz zurückgeht, gewinnt man 
einen einfachen, objektiven Geſichtspunkt für die 
Beſtimmung der hier in Betracht kommenden Be⸗ 
griffe und für ihr gegenſeitiges Verhältnis wie 
auch für ihr Anwendungsgebiet, und zugleich eine 
brauchbare Grundlage für die Einführung paſſender 
Bezeichnungen. 

„Benannte Zahlen“ ſind Zahlenwerte, die 
z. B. irgendwelche Längen: oder Flaͤchen⸗ oder 
Hohl⸗ oder Gewichtsmaße angeben, alſo bezogen 
find auf eine beſtimmte Einheit, wie Maßein⸗ 
heit (Langen⸗, Flächen⸗, Volumeneinheit), Gewichts⸗ 
einheit, Münzeinheit (Münzfuß), Zeiteinheit, Wärme: 
einheit, Arbeitseinheit, Energieeinheit. 

„Unbenannte Zahlen“ find Zahlenwerte, 
die eine Anzahl Stücke angeben, eine Stückzahl dar⸗ 
ſtellen.“) 

Den Unterſchied zwiſchen benannten und unbe⸗ 
nannten Zahlen kann man ſich klar machen, wenn 
man ſich vergegenwärtigt, daß die Frage: „Wie⸗ 
viel Stühle oder Teller oder Maſchinen ſollen es 
ſein (gekauft, gemietet, geliehen, hergeſtellt, zer⸗ 
ſtört ſein)?“ durch eine bloße Zahl (etwa 30) 
beantwortet werden kann. Nicht ſo dagegen die 
Frage: „Wieviel Bindfaden oder Draht oder 
Band oder Stoff oder Wein oder Leuchtgas oder 
Getreide oder Geld oder Zeit oder elektriſche Energie 
ſoll zur Verwendung kommen?“ Hier muß ſtets 
zu der Zahl noch eine Benennung hinzutreten, 
alſo die angegebene Zahl auf eine beſtimmte Ein⸗ 
heit bezogen ſein (z. B. 30 kg). Denn die Zahl 
allein kann eine ganz verſchiedene Bedeutung 
haben, je nach dem etwa an Getreide 30 kg oder 
30 dz (Doppelzentner) oder 30 Tonnen gemeint 
ſind. Ebenſowenig würde für ein Quantum Wein 
die Angabe 30 genügen, da hiermit nicht geſagt 
wäre, an welche Hohlmaß-(Volumen⸗) Einheit dabei 
gedacht iſt. Desgleichen läßt die Bezeichnung 30 etwa 
für den Preis einer Taſſe Kaffee in Kufſtein unklar, 
ob er 30 Pfennig oder 30 Heller betragen ſoll.“) 

Ein weiteres Unterſcheidungsmerkmal liegt 
darin, daß die unbenannten Größen, wenig⸗ 
ſtens in Beziehung auf Sachen, ſtets ganze 
Zahlen fein müſſen (4 Stühle oder 3¼10 Teller 
gibt es nicht), dagegen als benannte Größen 
auch die verſchiedenſten Brüche auftreten können, 


) So wenigſtens diejenigen unbenannten Zahlen, 
die in dieſem Zuſammenhange eine Rolle ſpielen. 

12) Keine benannte Zahl iſt z. B. ein Schock; denn 
dafür läßt ſich ſubſtituieren ſechszig, alſo eine Zahl ohne 
Benennung. Dagegen iſt ein Zentner auf keinerlei 
Weiſe durch eine unbenannte Zahl zu erſetzen; es be⸗ 
darf hier immer einer Benennung, wie 50 kg oder 
100 Pfund oder 50 000 g. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


151 


„ . g oder 7/10 Tonne oder 2 ¼ Liter oder 
2 


Hiermit hängt unmittelbar zuſammen die Ver⸗ 
ſchiedenheit, daß nur von den durch benannte 
Zahlen dargeſtellten Quantitäten ein beliebiger 
Bruchteil gebildet werden kann, wie z. B. bei der 
Minderung des Kaufpreiſes gemäß § 472, eine 
Vorſchrift, die in exakter Faſſung!) lautet: 

„Bei der Minderung iſt der Kaufpreis auf 
einen Bruchteil herabzuſetzen, der dem Verhält⸗ 
niſſe entſpricht, in welchem zur Zeit des Verkaufes 
der wirkliche Wert der Sache zu dem Werte der 
ar in mangelfreiem Zuſtande geſtanden haben 
würde.“ 

Eine ſolche „Minderung“ iſt alſo nur bei be⸗ 
nannten Größen (wie z. B. bei einer Summe 
Geld oder bei einem Quantum Wein oder Ge⸗ 
treide) allgemein ausführbar. — 

Uebereinſtimmung dagegen liegt, wie bereits 
betont, nach der Richtung hin vor, daß die Ein⸗ 
heit ebenſogut als benannte wie als unbenannte 
Zahl auftreten kann. 


IV 


Es ſoll nun an der Hand jener exakten Be⸗ 
griffe feſtgeſtellt werden, welche Bedeutung den 
Ausdrücken „Gattungsſachen“ und „vertretbare 
Sachen“ beizulegen iſt, und namentlich geprüft 
werden, in welchem Sinne der Ausdruck „vertret⸗ 
bare Sachen“ an den einzelnen Geſetzesſtellen (im 
BGB., im HGB. und in der ZPO.) zu ver⸗ 
ſtehen iſt.“) Dabei wird alſo grundſätzlich dar⸗ 
nach zu fragen ſein, ob im Einzelfall gemeint 
ſind „Sachen, die mittels benannter Zahlen 
nach einer Maß⸗, Gewichts⸗ oder Münzeinheit !) 
beſtimmt werden“, oder aber „Sachen, die mittels 
unbenannter Zahlen beſtimmt werden“, oder 
endlich beides, alſo „Sachen, die mittels be⸗ 
nannter oder unbenannter Zahlen beſtimmt 
werden“. 

Was zunächſt den Ausdruck „Gattungs⸗ 
ſache“, alſo die im BGB. mehrfach gebrauchte 
Formel „eine nur!“) der Gattung nach be: 
ſtimmte Sache“ anlangt, ſo darf wohl davon 
ausgegangen werden, daß ganz allgemein dar⸗ 
unter ebenſogut eine Quantität Wein oder Roggen 
(von einheitlicher Art und Güte) wie auch irgend⸗ 


15) Vgl. m. Mathem. Bemerkungen zum BGB. 
14 


10) Auch ſonſt können für „vertretbare Sachen“ be⸗ 
ſondere Rechtsſätze gelten, bei denen dann ebenfalls die 
Bedeutung dieſes Ausdruckes klar zu ſtellen iſt; ſo z. B. 
über die Art der Schadenderſatzleiſtung. Vgl. hierzu 
Oertmann, Kommentar $ 249 Nr. 2b S. 42 a. A. und 
N. 3a S. 43 g. E. (3. und 4 Aufl.). 

15) Vgl. oben Anm. 10. Die ſonſtigen Einheiten, 
insbeſondere die Zeit- und die Energieeinheit, kommen 
nicht in Betracht, weil weder Zeit- noch Energie⸗Größen 
in Beziehung auf Sachen rechtlich bedeutſam ſind. Be⸗ 
achtenswerte Ausführungen hierzu finden ſich in der 
intereſſanten Schrift von Bud de, Energie und Recht. Eine 
phyſikaliſch⸗juriſtiſche Studie (Berlin 1902), insbeſ. S. 78 ff. 


152 


eine Anzahl Tiere oder Stühle (ebenfalls mit ge⸗ 
wiſſen einheitlichen Merkmalen) begriffen wird. 
Damit gelangen wir zu folgender exakten Defini⸗ 
tion der Gattungsſachen: 

„Gattungsſachen“ ſind die der Gattung 
nach, d. h. durch gewiſſe einheitliche Merkmale 
bezeichneten Sachen, die entweder mittels be⸗ 
nannter Zahlen, d. h. nach einer Maß⸗, Gewichts⸗ 
oder Münzeinheit, oder mittels unbenannter 
Zahlen, d. h. nach Stücken, beſtimmt werden. 

Vergleicht man hiermit die Legaldefinition in 
$ 91 für die „vertretbaren Sachen“, jo wird evi⸗ 
dent, daß dieſe Begriffsbeſtimmung eher für die 
„Gattungsſachen“ paßt, und damit wird bereits 
der Gedanke nahegelegt, daß an der einen oder 
der anderen Stelle des Geſetzes der Ausdruck 
„vertretbare Sachen“ geradezu im Sinne von 
„Gattungsſachen“ gebraucht wird. Man wird 
ſogar weiter gehen und behaupten dürfen: In 
8 91 bedeuten die Worte „nach Zahl, Maß oder 
Gewicht“ genau genommen nicht „nach Zahl 
und Maß oder Gewicht“, fondern gerade „nach 
Zahl oder Maß oder Gewicht“. Nimmt man 
jetzt hinzu den oben vor Anm. 9 bei Betrachtung des 
8 91 in erſter Linie betonten Umſtand, daß eine 
Bezeichnung nach Maß oder Gewicht notwendig 
auch enthalten muß eine Bezeichnung nach Zahl, 
während nicht umgekehrt eine Bezeichnung nach 
Zahl ſtets mit einer Bezeichnung nach Maß oder 
Gewicht verbunden zu ſein braucht, ſo darf man 
ſich für berechtigt halten, an Stelle der letzteren 
Formulierung („nach Zahl oder Maß oder Ge: 
wicht“) zu ſubſtituieren: „nur nach Zahl oder 
nach Zahl und Maß oder Gewicht.“ 

Folglich: Wo das BGB. und die auf dieſes 
bezugnehmenden Geſetze die Worte „vertretbare 
Sachen“ anwenden, wird man im allgemeinen 
dieſen Ausdruck in dem umfaſſenden Sinne 
von „Gattungsſachen“ zu verſtehen haben, 
und nur dann, wenn ſich aus beſonderen Um⸗ 
ſtänden entnehmen läßt, daß die Wortgruppe 
„nach Zahl, Maß oder Gewicht“ umgedeutet 
werden müſſe in „nach Zahl und Maß oder 
Gewicht“, alſo inſofern einſchränkend zu deuten 
ſei, darf dem Ausdruck „vertretbare Sachen“ die 
engere Bedeutung von „Sachen, die mittels 
benannter Zahlen beſtimmt ſind“, beigelegt 
werden. Freilich werden ſich für jene weitere, dem 
Wortlaut entſprechende Auslegung auch ſtets noch 
materielle Anhaltspunkte ergeben. 

Damit hat ſich aber das Bedürfnis eingeſtellt, 
für dieſen wie für ſeinen komplementären Begriff 
beſondere Bezeichnungen einzuführen. Ich ſchlage 
vor, einerſeits diejenigen Gattungsſachen, die 


„meßbare oder Mengeſachen“ zu nennen,“) 
152) Dieſes „nur“ bedeutet offenbar nicht „ausſchließ— 


lich“, ſondern „bloß“, iſt alſo ziemlich überflüffig. 
16) Man könnte daran denken, für dieſen Unter— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


— 
—— — — —— ᷣ ö—õä—— ———— ö— — — — —— — — 4 —— 4 dA 


— —ñꝑ̃ —y— — 


andererſeits diejenigen Gattungsſachen, die mittels 
unbenannter Zahlen beſtimmt werden, „zähl⸗ 
bare oder Stückſachen“ zu nennen.“) Für 
dieſe Bezeichnungen ergeben ſich mithin folgende 
Definitionen: 

„Mengeſachen“ oder „meßbare Sachen“ 
ſind die der Gattung nach, d. h. durch gewiſſe 
einheitliche Merkmale bezeichneten Sachen, die 
mittels benannter Zahlen, d. h. nach einer 
Maß⸗, Gewichts⸗ oder Münzeinheit beſtimmt 
werden. 

„Stückſachen“ oder „zählbare Sachen“ 
ſind die der Gattung nach, d. h. durch gewiſſe 
einheitliche Merkmale bezeichneten Sachen, die 
mittels unbenannter Zahlen, d. h. nach 
Stücken beſtimmt werden. 

Zuſammengenommen bilden dieſe beiden Be⸗ 
griffe den Oberbegriff „Gattungsſachen“, ſo daß 
die Relation beſteht: 

Gattungs⸗S. Menge ⸗S. + Stück⸗S. 


V 


Die Aufgabe, die uns jetzt obliegt, beſteht ſo⸗ 
mit darin, die einzelnen Geſetzesſtellen, an denen 
der Ausdruck „vertretbare Sachen“ vorkommt, 
daraufhin zu prüfen, ob darunter „Gattungsſachen“ 
oder nur „Mengeſachen“ zu verſtehen ſind. 

Zuvor mögen noch zwei Punkte hervorgehoben 
werden. 

Eine Sache, die gewöhnlich als Gattungs⸗ 
oder als Mengeſache auftritt, kann im Einzelfall 
als individuell beſtimmte Sache zur Geltung 
kommen; ſo etwa ein Glas, aus dem ein berühmter 
Mann getrunken bat, oder ein Geldſtück, das 
jemand von einer hohen Perſönlichkeit geſchenkt 
erhalten hat, Gegenſtände, die ein intereſſierter 
Sammler vielleicht um den zwanzigfachen Betrag 
erwerben möchte. — Unter gewiſſen Umſtänden 
können Münzen auch als Stückſachen behandelt 


Gold ſchmidt, Handbuch des Handelsrechts Bd. I Abt. 2 
(Erlangen 1868) 8 61 S. 538 ff., ſcheint in der Tat 
die „vertretbaren Sachen“ (allerdings in einem ab— 
weichenden Sinne) als den engeren Begriff gegenüber 
dem weiteren Begriff „Gattungsſachen“ aufzufaſſen; ſo 
wenn er für das römiſche Recht ausführt (S. 539 
Anm. 25): „Weil bei vertretbaren Sachen die 
bloß generiſche Beſtimmtheit die Regel bildet, ſo wird 
der Ausdruck genus meiſt nur da gebraucht, wo nicht 
vertretbare Sachen nur generiſch beſtimmt ſind.“ Sodann 
ſchränkt er dieſen Begriff noch weiter ein (dgl. unten 
Anm. 21). Für das heutige Recht empfiehlt es ſich aber 
einſtweilen, den Ausdruck „vertretbare Sachen“ möglichſt 
zu vermeiden, da er, wie wir ſahen, nicht ſcharf definiert 
iſt und, wie ſich zeigen wird, in doppelter Bedeutung 
vom Geſetz gebraucht wird. — Das Wort „Mengeſachen“ 


wird gelegentlich bei Halpert, Ueber die juriſtiſche 
a g Natur der Vertretungsſachen, S. 24) in einem anderen, 
mittels benannter Zahlen beſtimmt werden, 


begriff den Ausdruck „vertretbare Sachen“ zu verwenden. 


die Stückſachen mitumfaſſenden Sinne gebraucht. 

11) „Stückſachen“ können in der Einheit auftreten, 
ohne daß eine Umrechnung in eine Mehrheit möglich 
wäre; ſo z. B. ein Stuhl (von beſtimmten Eigenſchaſten). 
Dagegen ſind „Mengeſachen“ ſtets als Mehrheit auf— 
zufaſſen; ſo ſelbſt ein Zentner Roggen, der ja zugleich 
50 kg Roggen darſtellt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


—— w—eͤt — — — .. 


werden; ſo wenn man eine Anzahl neu geprägte 
Jubiläumsmünzen erwerben will, oder wenn 
jemand, der ſich mit einem Vorrat an 50⸗ Pfg. = 
Stücken zu verſehen wünſcht, beim Bankier eine 
Rolle ſolcher Geldſtücke für 50 Mark kauft (denn 
er will und kann nicht 50 Mark kaufen, ſondern 
100 Stück Münzen beſtimmter, einheitlicher 
Art). — Ein weiteres Beifpiel: Es werden etwa 
Orangen vom Großhändler nach Gewicht (z. B. 
50 dz) eingeführt und damit als Mengeſachen 
behandelt, Dat vom einfacheren Zwiſchenhandler 
nach Stücken 6. B. 100 Stück) bezogen und 
damit als Stückſ achen behandelt, endlich im 
Kleinverkehr vielleicht in wenigen einzelnen, vom 
Käufer ausgeſuchten Exemplaren gekauft und 
damit als individuell beſtimmte Sachen 
behandelt. 

Dieſe Beispiele zeigen, daß dieſelben Sachen 
als Mengeſachen wie als Stückſachen wie als 
individuell beſtimmte Sachen in Betracht kommen 
können. Aber dadurch wird der grundſätzliche 
Unterſchied dieſer Begriffe nicht aufgehoben.) 

Ferner: Iſt von einer beſtimmt bezeich⸗ 
neten Mehrheit von Stückſachen eine Sache 
(oder eine Anzahl Sachen) gemeint in dem Sinne, 
daß es gerade auf dieſe Stückſachen ankommen 
ſoll, z. B. eines von meinen drei Reitpferden oder 
der aus dem Metall eines beſtimmten Geſchoß⸗ 
ſtücks gegoſſene Briefbeſchwerer oder das vor 
kurzem geworfene Füllen einer beſtimmten Stute, 
ſo handelt es ſich allerdings um eine in dividuell 
(im erſten Beiſpiel zugleich alternativ) beſtimmte 
Sache. Ebenſo verhält es ſich, wenn eine Quan⸗ 
tität von Mengeſachen vollſtändig indivi⸗ 
dualiſiert iſt, z. B. der geſamte Ertrag eines be⸗ 
ſtimmten Weinberges.'?) 

Wenn dagegen der Kreis der in Betracht 
kommenden Stückſachen zwar in beſtimmter 
Weiſe eingeengt, aber immerhin noch ſo weit ge⸗ 
zogen iſt, daß die einzelnen Stücke nicht mehr 
als ſolche vorſtellbar find oder vorgeſtellt werden, 
z. B. fünfzig Bäume eines beſtimmten Forſtes 
ein Schaf aus einer beſtimmten Heerde,“) oder 
wenn überhaupt nur aus äußeren Gründen eine 
Beſchränkung vorgenommen iſt, die nicht unbe⸗ 
dingt weſentlich ſein ſoll, z. B. ſechs von dieſen 
(gerade auf Lager befindlichen) dreißig Gläſern 
oder dieſe Kiſte Zigarren (die der Zigarrenhändler 


11) Entſcheidend iſt natürlich immer, ob im Einzel⸗ 
fall die Sache als Gattungsſache, Mengeſache, Stück⸗ 
ſache, individuell = beſtimmte Sache in Betracht kommt. 
Freilich iſt dafür allgemeine Vorausſetzung deren Eigen⸗ 
ſchaft, daß ſie beliebig mittels benannter oder unbe— 
nannter Zahlen beſtimmt werden kann (8 91: „beſtimmt 
zu werden pflegt“). Immerhin iſt ſtets zuzuſehen, ob 
im Einzelfall die Sache als Gattungsſache uſw. be⸗ 
ſtimmt wird. 

* = auch Gold ſchmidt a. a. O. S. 536 
Anm. 

0 Bol Motive zum 1. Entw. eines BGB., Bd. II 
S. 11; Litten, Die Wahlſchuld S. 90. 


153 


gerade aus ſeinem Vorrat von Kiſten gleicher 
Sorte herausgenommen hatte), bleiben die Sachen 


immerhin Stückſachen. Auch, wenn bei Menge⸗ 


ſachen der Vorrat, aus dem ſie entnommen wer⸗ 
den ſollen, irgendwie begrenzt iſt, z. B. zehn Sack 
Kaffee von einer im Magazin des Schuldners 
lagernden Schiffsladung von hundert Sack, be⸗ 
wahren ſie die Eigenſchaft als „Mengeſachen“. 
— Hier handelt es ſich überall nicht um indi⸗ 
viduell beſtimmte Sachen, ſondern um Stück⸗ 
ſachen oder um Mengeſachen, alſo um Gattungs⸗ 
ſachen.“) Denn nicht iſt hier „der Kreis, aus 
welchem geleiſtet werden ſoll, in anderer Weiſe 
als durch ein Gattungsmerkmal bezeichnet“, 
ſondern er iſt auch noch in anderer Weiſe als 
durch ein Gattungsmerkmal bezeichnet, in erſter 
Linie aber ind doch die Sachen gattungs mäßig 
beftimmt.?*) (Schluß folgt.) 


Studien aus dem bayeriſchen Forſtſtrafrecht. 


Von Landgerichtsrat Hämmer in München. 
(Schluß.) 
III 


Ueber die Teilnahme an Forſtfreveln beſtimmt 
Art. 8 FStG.: „wird ein Forſtfrevel durch das Zus 
ſammenwirken mehrerer Perſonen verübt, ſo wird die 
Strafe gegen jede derſelben ausgeſprochen“. Es wirken 
aber mehrere zu einem Frevel mit, wenn er das 
Ergebnis ihrer gemeinſamen Tätigkeit iſt. Der 
umfaſſende Ausdruck „Zuſammenwirken“ weiſt 
darauf hin, daß die einzelnen Teilnehmer nicht 
in gleicher Art und in gleichem Maße mitwirken 
müſſen. Es fallen darunter die Mittäterichaft 
und die Anſtiftung der 88 47, 48 StGB., aber 
auch die Beihilfe des $ 49. Daß der Geſetzgeber 
den Gehilſen dem Taͤter gleichſtellte, ergibt ſich 
aus den Verhandlungen der 2. Kammer der 
Ständeverſammlung 1831 Prot. der VIII. Sitzung 
S. 13 ſowie aus dem damals in der Pfalz geltenden 
code pénal Art. 59 (‚les complices d'un crime 
ou d'un delit seront punis de la méme peine 
que les auteurs de ce crime ou de ce delit‘) 
und Art. 60, der die Teilnahme definiert und 
dabei die Gehilfen eigens aufführt vv. „ceux qui 
auront aidé l'auteur de l’action‘. Dem In⸗ 


0) So auch Windſcheid, Pandekten Bd. II 
8 255 Anm. 17. Abweichend Oertmann a. a. O. 
8 243 N. 1a S. 19. 

2) Vgl. die Zitate bei Windſcheid a. a. O. Auch 
Goldſchmidt a. a. O. S. 537, der ſich gegen Wind— 
ſcheid wendet, ſcheint die ſo beſtimmten Sachen trennen 
zu wollen von den „reinen“ Gattungsſachen, für die er 
(S. 538) die Bezeichnung „vertretbare Sachen“ wählt. 

22) Man könnte fie „beſchränkt gattungsmäßig 
beſtimmt“ nennen. Auf ſie bezieht ſich der Ausdruck 
„gemiſcht⸗generiſche Obligation“ (vgl. Motive a. a. O.). 
Dieſe Kategorie wird uns bei den Erörterungen über 
8 884 ZPO. wieder begegnen (unten VIII 2). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


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halte nach gleich regelt Art. 561 F G. die Teil⸗ 


nahme am Forſtfrevel für das rechtsrheiniſche 
Bayern; nur drückt er ſich deutlicher aus als 
Art. 8 Abſ. 1 FStG., wenn er beifügt: „dieſe 


mögen als Miturheber oder als Gehilfen erſcheinen“. 
Die Bezeichnung „Miturheber“ iſt aus dem StGB. 
von 1813 ins FG. übergegangen; deſſen Art. 45 
des 1. Teiles rechnete zu den Urhebern des Ver⸗ 
brechens nicht bloß jene „die es durch eigene 
körperliche Kraft und Tat unmittelbar bewirkt“, 
ſondern auch „diejenigen, welche mit rechtswidriger 
Abſicht andere zur Begehung und Ausführung 
des Verbrechens bewogen haben“; letztere aber ſind 
die Anſtifter in der gegenwärtigen Terminologie. 
Das StGB. von 1813 unterſchied drei Grade 
von Gehilfen (Teil I Art. 73 — 78); dritter Grad 
war die Nichtanzeige von Verbrechen (Art. 78). 
Dieſe Begriffsbeſtimmung der Beihilfe iſt für das 
Gebiet des rechtsrheiniſchen Forſtſtrafrechts nicht 
mehr maßgebend, ſondern ausſchließlich die des 
8 49 StB. Daß dem Gehilfen die gleiche 
Strafe angedroht iſt wie dem Urheber, rechtfertigen 
die Motive zu Art. 40 — 65 FG. mit den niedrigeren 
im Geſetz überhaupt angenommenen Strafmaßen 
und der erhöhten Gefährlichkeit der im Zuſammen⸗ 
wirken Mehrerer verübten Forſtfrevel. Indes iſt 
es nicht ausgeſchloſſen, im Einzelfalle den Gehilfen 
niedriger zu beſtrafen als den Täter, ſoweit eine 
relativ beſtimmte Strafe dies zuläßt. 

Straflos ſind Anſtiftung und Beihilfe, wenn 
der Frevel oder die Forſtpolizeiübertretung, zu 
welchen angeſtiftet oder Hilfe geleiſtet wurde, im 
Stadium des — ſtrafloſen — Verſuchs ſtehen 
geblieben ſind. 

Auch im Gebiete des Forſtſtrafrechts iſt mittel⸗ 
bare Täterſchaft möglich, wenn ſich jemand eines 
Gutgläubigen zur Verübung eines Forſtfrevels 
bedient. 

Die Vorſchrift des § 50 StGB. findet auch 
auf Forſtfrevel und Forſtpolizeiübertretungen An⸗ 
wendung; dies gilt insbeſondere für die Straf— 
ſchärfungsgründe, den ausgezeichneten Rückfall und 
den Gewohnheitsfrevel. Eine Ausnahme gilt in— 
des für Mitglieder der nämlichen Familie, die 
gemeinſchaftlich gewiſſe Frevel durch Entwendung 
begehen: ſie werden ſamtverbindlich in die Geld— 
ſtrafe verurteilt; im Urteil oder Strafbefehl iſt 
auszuſprechen, gegen welchen der Frevler die Geld: 
ſtrafe bei Uneinbringlichkeit in Haft umgewandelt 
werden ſoll; wenn gleichzeitig gegen mehrere Frevler 
umgewandelt wird, ſo dürfen die Haftſtrafen zu— 
ſammen den geſetzlichen Höchſtbetrag der Erſatz— 
haft nicht überſteigen. Dieſe Vergünſtigung ge— 
nießen aber die frevelnden Familienglieder nur, 
wenn gegen ſie ausſchließlich Geldſtrafe erkannt 
iſt; ſind gegen einzelne von ihnen zunächſt Haft⸗ 
oder Gefängnisſtrafen verhängt, ſo zählen dieſe 
bei Berechnung der die übrigen treffenden Erſatz— 
5 nicht mit. (Art. 56 II. III FG. 811 

StG.). . 


—— — . . ——— —A—Z . —————————————— a | | nn ig, 


Eine ähnliche Vorſchrift enthalten die Art. 57 
und 75 36. für gemeinſchaftlich verübte Forſt⸗ 
polizeiübertretungen. f 

Auf die pfälziſchen Forſtpolizeiübertretungen 
ſowie die Uebertretungen aus $ 361 Nr. I StGB. 
finden in Ermangelung beſonderer Vorſchriſten die 
Beſtimmungen des StGB. über Teilnahme un: 
eingeſchränkte Anwendung (Art. 4 AGzSt O.). 

Die Begünſtigung iſt in den Forſtgeſetzen nicht 
mit Strafe bedroht; wird ſie zu einer Uebertretung 
aus 8 361 Nr. 9 StGB., zu einer Forſtpolizei⸗ 
übertretung oder zu einem als Uebertretung ſtraf⸗ 
baren Forſtfredel gewährt, ſo iſt ſie ſchon deshalb 
ſtraflos, weil 8 257 StGB. nur die Begünſtigung 
eines Verbrechens oder Vergehens unter Straf⸗ 
drohung ſtellt. Aber auch auf die Begünſtigung 
des Gewohnheitsfrevels, eines Vergehens, iſt $ 257 
Abſ. 1 StGB. nicht anwendbar; denn das Schweigen 
des Forſtſtrafgeſetzgebers iſt hier bewußt, da er den 
Forſtfreveln im allgemeinen keine ſo hohe Bedeutung 
beigelegt hat, um die Vereitelung des ſtaatlichen 
Strafanſpruchs unter Strafe zu ſtellen. Uebrigens 
iſt die Begünſtigungshandlung in einigen Fallen, 
in denen ihre Straflofigkeit bedenklich erſcheinen 
könnte, zu einem ſelbſtändigen Delikt erhoben; ſo 
in Art. 94 Nr. 4 F., Art. 34 Nr. 2 FStG.: 
Annahme von Sägblöden ohne Waldhammerzeichen 
durch Sägemüller; Art. 98 J G., 39 Nr. 3 FStG.: 
Erwerb von Walderzeugniſſen, die nicht veräußert 
werden durften, in Kenntnis dieſes Umſtandes. 


IV. 


Wenn jemand mehrere noch nicht abgeurteilte 
Forſtfrevel begangen hat, ſo treffen ihn die Strafen, 
die auf die einzelnen Frevel geſetzt ſind (Art. 58 
FG., 7 FStG.). Das gleiche beſtimmt der erſtere 
Artikel für die im diesſeitigen Bayern verübten 
Forſtpolizeiübertretungen. Dieſe Vorſchriften be⸗ 
ziehen ſich auf den ſachlichen Zuſammenfluß von 
Forſtfreveln und von Forſtpolizeiübertretungen. 
Ueber Idealkonkurrenz und fortgeſetzte Straftaten 
ſchweigen die beiden Forſtgeſetze. Daß Ideal⸗ 
konkurrenz ſowohl zwiſchen einzelnen Forſtfreveln 
und einzelnen Forſtpolizeiübertretungen als auch 
zwiſchen ihnen und gemeinrechtlichen Delikten möglich 
iſt, liegt ſo fehr in der Natur der Sache, daß der 
Forſtſtrafgeſetzgeber es nicht ausdrücklich zu be: 
ſtimmen brauchte. Die Schwierigkeiten beginnen 
praktiſch zumeiſt erſt da, wo es ſich darum handelt 
zu entſcheiden, ob Idealkonkurrenz und nicht viel⸗ 
mehr Geſetzeskonkurrenz vorliegt, m. a. W. ob der 
Forſtſtrafgeſetzgeber bei einer beſtimmten Straf: 
drohung von der ihm durch $ 2 EGzStGB. ges 
währten Befugnis Gebrauch gemacht und die Materie 
abſchließend geregelt hat. Hier ſei nur auf das 
Verhältnis des Art. 59 Nr. 4 JGG. zu Art. 39 
P StGB., Art. 59 Nr. 7 56. zu $ 360 Nr. 8 
StGB., Art. 59 Nr. 8 FG. zu den SS 137 und 
117 StGB. hingewieſen. Für die Beſtrafung der 


Idealkonkurrenz gilt auch bei den Forſtrügeſachen 
der $ 73 StGB. 

Ob es nach bayeriihem Rechte fortgeſetzte 
Forſtfrevel und Forſtpolizeiübertretungen gibt, iſt 
beſtritten. Brater, Anm. 1 zu Art. 57, Gang⸗ 
hofer, Anm. 1 zu Art. 58, Schwaiger, Anm. zu 
Art. 58 und Knoch, die allgemeinen Brundjäße 
des bayer. Forſtſtrafrechts S. 189, bejahen die 
Frage. Sie iſt richtiger zu verneinen. Denn der 
Wortlaut der Art. 58 JG., 7 JStG. macht keine 
Ausnahme. Ferner iſt in den Mot. zum Entw. 
des FG. (Vhdl. d. K. d. A. Beil. Bd. I S. 627) 
ausdrücklich bemerkt, daß der Art. 49 des Entw. 
(Art. 58 JGG.) von der realen Konkurrenz der 
Forſtfrevel handle, zu den Fallen der realen Kon⸗ 
kurrenz aber auch die im Art. 110 Abſ. 1 StGB. 
von 1813 T. 1 behandelten gehören. Endlich ſpricht 
für unſere Auffaſſung die Tatſache, daß für die 
mehreren Frevel der Grundſatz der Häufung ſtatt 
des Grundſatzes der Aufſaugung aufgeſtellt iſt; 
nach den Motiven zu Art. 49 des Entw. (Beil. 
Bd. 1 S. 627) iſt dies deshalb geſchehen, weil die 
Forſtfrevel regelmäßig nur periodiſch nach längeren 
Zwiſchenräumen abgeurteilt werden und der letztere 
Grundſatz ein ſehr ausgedehntes Vorrecht zur ſtraf⸗ 
loſen Verübung von Forſtfreveln zwiſchen den 
periodiſchen Forſtgerichtsſitzungen erteilen würde. 
Auf dem hier vertretenen Standpunkte iſt auch von 
jeher die oberſtrichterliche Praxis trotz wiederholter 
. wre Auffaſſungen der unteren Gerichte 
verharrt. 


Für die Uebertretungen nach 8 361 Nr. 9 
StGB. enthalten die Forſtgeſetze Beflimmungen 
ſachlichrechtlicher Natur nicht; fie richten ſich deshalb 
nach den allgemeinen Vorſchriften des StGB., 
insbeſondere auch was Deliktskonkurrenz und Fort⸗ 
ſetzung anlangt; übrigens werden derartige Ueber⸗ 
tretungen ſelten die Natur eines fortgeſetzten, ſondern 
regelmäßig die eines Dauerreates haben. 


Bei Idealkonkurrenz zwiſchen Forſtrüge⸗ und 
Nichtforſtrügeſache iſt im ordentlichen Verfahren 
vorzugehen, weil dieſes mit ſeinen höheren Garantieen 
für Forſtrügeſachen nicht ſchlechthin ungeeignet iſt. 
Wer etwa verkaufsfertiges und nichtverkaufsfertiges 
Holz durch die nämliche Handlung entwendet, be⸗ 
eht einen Diebſtahl in Tateinheit mit einem Forſt⸗ 
ſcevel; die Handlung wird durch das Schöffengericht 
oder durch die Strafkammer abgeurteilt. Doch 
kann im ordentlichen Verfahren weder Wert⸗ und 
Schadenserſatz zugeſprochen noch auf Zivilverant⸗ 
wortlichkeit erkannt werden. Sollte der Fall 
eintreten, daß der Frevler davon keine Kenntnis 
hatte, daß das noch im Walde liegende Holz bereits 
zum Verkauf oder Verbrauche zugerichtet war 
(Art. 81 FG.) — dies kann insbeſondere bei 
mittelbarer Täterſchaft vorkommen — ſo muß ihm 
ſeine, wenn auch ſchuldhafte Unkenntnis zu gute 
gerechnet werden, da es ſich hier um eine vorſätzliche 
Straftat handelt; er kann nicht wegen gemeinen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


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155 


Diebſtahls, ſondern nur wegen Forſtfrevels durch 
Entwendung beſtraft werden. N 


V 


Im Strafenſyſtem der Forſtdelikte ſpielt die 
Geldſtrafe die Hauptrolle. Sie kann bei der ſach⸗ 
lichen Konkurrenz der Forſtfrevel wie der Forſt⸗ 
polizeiübertretungen bis zu unbeſchränkter Höhe 
gehäuft werden. Dagegen iſt für die eventuellen 
Haftſtrafen ein Höchſtbetrag feſtgeſetzt. Er beträgt 
bei Forſtpolizeiübertretungen drei Monate, Art. 55 
„ 6 FSt®., dies in Uebereinſtimmung mit 
§ 78 Abſ. 2 StGB. Iſt dagegen nur für eine einzige 
wenn auch noch ſo hohe, wegen einer Forſtpolizei⸗ 
übertretung verhängte Geldſtrafe eine Haftſtrafe 
zu ſetzen, jo darf ſie höchſtens ſechs Wochen be⸗ 
tragen; das ergibt ſich aus dem Gebrauche des 
Plurals „Geldſtrafen“ in den Art. 6 Abſ. 2, 
Art. 55 Abſ. 2 a. a. O. im Zuſammenhalte mit 
8 29 Abi. 2 StGB. Wenn mehrere Forſtpolizei⸗ 
übertretungs⸗ und gleichzeitig eine oder mehrere 
Forſtfrevelſtrafen umgewandelt werden ſollen, ſo 
kann die Höchſtgrenze von drei Monaten Haft 
einerſeits für die erſteren und daneben von einem 
Monat Haft für die letzteren (Art. 54 Abſ. 4 
FG., Art. 5 Abi. 4 FStG.) erreicht werden. 
Das folgt daraus, daß die Forſtgeſetze für die 
Erſatzhaft bei Freveln und bei Forſtpolizeiüber⸗ 
tretungen je ein geſondertes Maximum aufgeſtellt 
haben; auch daraus, daß der Geſetzgeber urſprünglich 
davon ausging, daß ein Forſtpolizeiübertreter als 
Waldbeſitzer vermögend fein und deshalb einen Forſt⸗ 
frevel nicht begehen werde; erſt Art. 15 EVollzG. 
z. StGB. vom 26. Dezember 1871 ſah überhaupt 
die Umwandlung der wegen Forſtpolizeiübertretungen 
erkannten Geldſtrafen vor; bis dahin fehlte eine 
ſolche Beſtimmung. weil man angenommen hatte, 
daß bei Waldbeſitzern immer ein zureichendes 
Vollſtreckungsobjekt vorhanden ſein werde (Mot. 
Beil. I 626). Treffen dagegen Forſtfrevel⸗ oder 
Forſtpolizeiübertretungsgeldſtrafen auf der einen 
Seite und Geldſtrafen, die wegen gemeinrechtlicher 
Uebertretungen erkannt find, auf der anderen Seite 
zuſammen, ſo darf die für die letzteren zu ſetzende 
Haft mit der für die erſteren anzuſetzenden zu⸗ 
ſammen drei Monate nicht überſteigen; hier tritt 
mangels einer forſtgeſetzlichen Sondervorſchrift 
gem. Art. 4 AGzStpPO. die Beſtimmung des 
§ 78 Abſ. 2 StGB. in Geltung. 

Der Höchſtbetrag der Eventualhaftſtrafe bei 
den Forſtfreveln mit einem Monat iſt ſehr niedrig; 
das zeigt ſich auffällig beim Frevel wertvoller 
Bäume. Denn nach dem Umwandlungsmaßſtabe 
der Art. 54 Abi. 4 FG., Art. 5 Abi. 2 FStG. 
darf die Erſatzhaftſtrafe einen Monat nicht über⸗ 
ſteigen; der überſchießende Teilbetrag der Geld— 
ſtrafe, der vielleicht höher iſt als der zur Um⸗ 
wandlung verwendete, fällt ungeſühnt zu Boden. 
Der Monat als Höchſtbetrag der Erſatzhaft kann 
bei der Umrechnung Schwierigkeiten bieten. Bei 


156 


Erlaſſung des FStG. für die Pfalz galt dort der 
code pénal; dieſer beſtimmt in Art. 40 Abf. 4: 
celle (i. e. la peine) à un mois est de trente 
jours. Daher iſt es ohne weiteres einleuchtend, 
daß auch auf dem Gebiete des pfälziſchen Forſt⸗ 
ſtrafrechts der Monat zu 30 Tagen gerechnet wurde. 


| 


| 


Das im rechtsrheiniſchen Bayern im Jahre 1852 


noch geltende StGB. von 1813 enthielt keine 
Beſtimmung über die Berechnung des Monats; 
deshalb ſchrieb das FG. in Art. 52 vor: „Die 
Arreſtſtrafe darf nicht ... über einen Monat 
(30 Tage) zuerkannt werden“. Durch dieſe 
Spezialbeſtimmung war auch für das rechts⸗ 
rheiniſche Forſtſtrafrecht die Berechnungzweiſe des 
code pénal') angenommen, wie dies auch das 
StB. vom 10. November 1861 in Art. 2211 
getan hat. Mit Einführung des RStGB. wurde 
in die beiden Forſtgeſetze die Vorſchrift des 8 19 
Abſ. 1 StGB. aufgenommen, daß der Monat 
nach der Kalenderzeit zu berechnen iſt (Art. 531 
FG. 41 FStG.). Die Umwandlung ſtößt aller: 
dings da kaum auf Schwierigkeiten, wo dem Richter 
verſchiedene Strafgrößen und ein beweglicher Um⸗ 
wandlungsmaßſtab zur Verfügung ſtehen wie regel⸗ 
mäßig bei den Delikten des StGB.; dieſen folgen 
hierin die Forſtpolizeiübertretungen (Art. 55 Abſ. 1 
FG., Art. 61 FStG.). Anders bei den Forſt⸗ 


freveln! Hier herrſcht das Syſtem der abſolut 


beſtimmten Geldſtrafen vor und bei der Um⸗ 
wandlung find Geld: und Haftſtrafen in ein 
ſtarres Verhältnis zu einander geſetzt (Art. 54 
Abi. 2 G., Art. 5 Abſ. 2 FStG.). Ange: 
nommen: A ift wegen Forſtfrevels durch Ent: 
wendung rechtskräftig zu 100 M verurteilt. Er 
zahlt die Straſe nicht, ſie iſt deshalb, nachdem 
fie auch weder von ihm noch von einem Zivil⸗ 
verantwortlichen beigetrieben werden kann, in Haft 
umzuwandeln. Es würden treten an die Stelle 


der erſten 
20 M = 10 Tage Haft; an die Stelle 
der weiteren 80 „ = 20 „ „ 


100 M = 30 Tage Haft. 


A tritt die Strafe am 1. Februar 1911 an; 
fie endigt am 3. Marz 1911. Dadurch kommt 
er aber um die Vorteile, die ihm das Geſetz 
gewährleiſtet, indem es den Monat nach der 
Kalenderzeit berechnet, d. h. er verbüßt hier zwei 
Tage zuviel. Wandelt aber der Amtsrichter die 
100 M um in „einen Monat Haft“ — nach 
dem Wortlaute des Geſetzes — und A tritt die 
Strafe am 1. Marz 1911 an, ſo muß er erſt 
recht wieder einen Tag zuviel, nämlich 31 Tage 
ſtatt 30 erſtehen. Der einzig mögliche Ausweg 
aus dem Dilemma iſt m. E. nur der, daß der 
Monat, deſſen Dauer zwiſchen 28, 29, 30 und 


) Auch das italieniſche StGB. rechnet den Monat 
zu 30 Tagen, codice penale art. 30 II; ogni mese & di 
trenta giorni. 


—— ¶ͤ —ä66̃ Ü — — D2w— ß —ꝛ̃ ä .+ñöſ— — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


31 Tagen ſchwankt, mit der niedrigſt möglichen 
Dauer, nämlich mit 28 Tagen in Anſatz gebracht 
wird. Dann iſt eine Beſchwerung des Verur⸗ 
teilten ausgeſchloſſen, die das Geſetz ſelbſt nicht 
wollte. Die obigen 100 M find alſo in 
10418 28 Tage Haft umzuwandeln. 

Daraus folgt, daß auch die Erſatzhaftſtrafe 
bei Jugendlichen 14 Tage nicht überſteigen kann, 
und weiter, daß auch die primäre Haſtſtrafe der 
jugendlichen Frevler höchſtens 14 Tage beträgt. 
Hier 15 Tage anzunehmen, wäre willkürlich, weil 
von der geſetzlich verbotenen Vorausſetzung aus⸗ 
gehend, daß der Monat zu 30 Tagen zu rechnen 
ſei. Ueber das Mindeſtmaß der gegen jugendliche 
Frevler zuläffigen primären Freiheitsſtrafe be: 
ſtimmen zwar die Art. 53 G., 4 FSt. aus⸗ 
drücklich nichts; allein nach den Motiven zur Ab⸗ 
änderung des Art. 53 (Verh. d. K. d. Abg. 
1878/79 Beil. V 376) wollte man den 8 57 
Abſ. 1 Nr. 3 StGB. zur Auslegung des 
Art. 53 II heranziehen, da durch die Abänderung 
Uebereinſtimmung mit den Beſtimmungen des 
StGB. hergeſtellt werden ſollte. Die Mindeſt⸗ 
ſtrafe des jugendlichen Frevlers beträgt deshalb. 
wenn primär Haft oder Gefängnis angedroht iſt, 
1 Tag Haft oder 1 Tag Gefaͤngnis. 

Wenn der Frevler einen Teil der umge⸗ 
wandelten Haftſtrafe erſtanden hat und, wozu er 
nach $ 28 Abſ. 4 StGB. befugt iſt, von dem 
noch nicht verbüßten Teil ſich durch Erlegung des 
entſprechenden Betrags der Geldſtrafe freimachen 
will, ſo muß die Berechnung von vorne an er⸗ 
folgen. Wenn er z. B. zu 150 M verurteilt, 
dieſe Strafe in 28 Tage Haft umgewandelt iſt 
und er 10 Tage verbüßt hat, ſo muß er, um 
ſich von dem Reſt zu 18 Tagen freizumachen, 
noch 72 M zahlen; denn 92 M find in 28 Tage 
Haft umgewandelt. Der Anſpruch des Staates 
auf die überſchießenden 150 - 92 50 M iſt mit 
der Rechtskraft des Umwandlungsbeſchluſſes end⸗ 
gültig erloſchen. Verkehrt wäre es, wollte man 
die 10 Tage erſtandener Haft von rückwärts an 
der Geldſtrafe von 92 M abrechnen, ſei es, daß 
man die letzten 20 M oder 40 M der zehn⸗ 
tägigen Haft gleichſetzte; obwohl letzterenfalls der 
Verurteilte nur noch 92— 10 52 M zu zahlen 
hätte, iſt dies doch nicht als der Wille des Geſetz⸗ 
gebers anzunehmen. Denn er weiſt in den an⸗ 
geführten Art. 54 und 5 durch die Worte: „an 
die Stelle der erſten 20 M tritt ein Tag Haft“ 
für je 2 M deutlich darauf hin, daß bei der Um⸗ 
wandlung von vorne zu zählen iſt; der Geſetzgeber 
war offenſichtlich von dem Beſtreben beherrſcht, 
bei den die große Mehrzahl der Frevel bildenden 
geringwertigen Entwendungen die Erſatzhaft nicht 
zu niedrig anzuſetzen, damit ſie ihre abſchreckende 
Wirkung nicht ganz verliere. 

1 Aehnlich wie bei Teilverbüßung der umge⸗ 
wandelten Haft iſt es zu beurteilen, wenn gnaden⸗ 
weiſe Teilzahlungen bewilligt find und dieſe zum 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


Teil nicht eingehalten werden, ſo daß es zur 
Vollſtreckung von Teilbeträgen der Haft kommt. 
Allerdings kann der Gnadenakt bei Bewilligung 
der Teilzahlungen ausdrücklich gegenteilige Be⸗ 
ſtimmungen treffen; doch geſchieht das gewöhn: 
lich nicht. 

Ob primäre Freiheitsſtrafen, die wegen Forſt⸗ 
frevel verhängt ſind, neben den wegen gemein⸗ 
rechtlicher Straftaten erkannten, den Beſtimmungen 
des RStGGB. über die Realkonkurrenz unterliegen, 
darüber ſchweigen die Forſtgeſetze. Die Frage iſt 
zu bejahen. Zunaͤchſt kann daraus, daß die Forſt⸗ 
frevel in einem beſonderen Verfahren abgewandelt 
werden, nichts für die gegenteilige Anſicht ge⸗ 
folgert werden; denn dieſer Umſtand läßt das 
materielle Strafrecht unberührt, dem die 88 74, 
78 1 StGB. angehören. Aber auch daraus nicht, 
daß Art. 58 FG. und 7 JStG. einen Höchſtſatz 
von einem Monat für mehrfach verwirkte Haft 
aufſtellen; damit wollte der Geſetzgeber nur für 
das Gebiet des Forſtſtrafrechts eine Norm ſetzen. 
Sonach find gemäß Art. 1 AGzStpO. und Art. 
42 FStG. die Vorſchriften der 88 74, 77 II StGB. 
auch beim Zuſammentreffen der gemein⸗ und forſt⸗ 
ſtrafrechtlichen Freiheitsſtrafen anzuwenden, nötigen⸗ 
falls in dem Verfahren der 88 492—494 StPO. 
mit 8 79 StGB. und Art. 188 G., 91 FStG. 
Hierbei kann zur Feſtſetzung der Geſamtgefängnis⸗ 
ſtrafe bald der regelmäßige bald der Forſtrüge⸗ 
Richter zuſtändig ſein, $ 494 Abſ. 3 StPO. If 
Haft mehrfach verwirkt, jo kann der zuletzt ur: 
teilende Richter in die Lage kommen, daß er eine 
Haftſtrafe überhaupt nicht mehr ausſprechen darf. 
Geſetzt: A iſt vom Schöffengericht wegen drei 
Uebertretungen der Tierquälerei zu Haftſtrafen im 
Geſamtbetrage von drei Monaten rechtskräftig 
verurteilt. Bevor er dieſe verbüßt, wird er vom 
Forſtrügegericht wegen Frevels im ausgezeichneten 
Rückfall verurteilt, den er vor Erlaſſung des 
ſchöffengerichtlichen Urteils verübt hat. Da letzteres 
den Höchſtbetrag der Haft bereits erreicht hat, 
andrerſeits die einzelnen, zu drei Monaten ſum⸗ 
mierten Haftſtrafen, weil rechtskräftig erkannt, 
nicht mehr herabgeſetzt werden dürfen, kann der 
Forſtrügerichter den A zwar des Rückfallfrevels 
ſchuldig erkennen, ihm aber im Hinblick auf 3 77 
Abſ. 3 StGB. keine Strafe auferlegen. Wohl 
aber kann er ihn trotzdem zu Wert⸗ und Schadens⸗ 
erſatz verurteilen, auch die Zivilverantwortlichkeit 
ausſprechen. Dieſe Ausſprüche haben zivilrechtlichen 
Charakter und bleiben deshalb auch beſtehen, wenn 
eine wegen Gewohnheitsfrevels erkannte Gefängnis⸗ 
ſtrafe mit einer wegen eines gemeinrechtlichen 
Deliktes verhängten zu einer Geſamtſtrafe zu 
vereinigen iſt. Sollte in dieſem Falle die Straf: 
vollſtreckung auf eine außerbayeriſche Behörde 
übergehen, ſo bleibt gleichwohl die Vollſtreckung 
wegen des Wert⸗ und Schadenserſatzes und die 
gegen den Zivilverantwortlichen dem zuſtändigen 
bayeriſchen Amtsgericht. 


157 


VI. 


Das rechtsrheiniſche Forſtgeſetz ſteht nun nahe⸗ 
zu 60 Jahre, das pfälziſche Forſtſtrafgeſetz faſt 
80 Jahre in Geltung. Wenn auch in Einzelheiten 
wegen des Wechſels des allgemeinen Strafrechts 
wiederholt geändert, ſind ſie doch in den Grund⸗ 
lagen ihres materiellen Strafrechts ſich gleich ge⸗ 
blieben. Solch verhältnismäßig langes Leben 
eines Strafgeſetzes ſpricht zweifellos für ſeine 
innere Gediegenheit und praktiſche Brauchbarkeit. 
In der Tat brachten beide Geſetze bei ihrer Er⸗ 
laſſung einen gewaltigen Fortſchritt gegenüber den 
zahlreichen, buntſcheckigen, teilweiſe ins 17. Jahrhun⸗ 
dert zurückreichenden Forſtverordnungen, deren An⸗ 
wendbarkeit wegen des Mangels einer einheitlichen 
oberſten Inſtanz im einzelnen ſehr zweifelhaft war. 
Indes auch das beſte Strafgeſetz wird ſeine Auf⸗ 
gabe nicht mehr ausreichend erfüllen, wenn es 
mit den veränderten ſozialen und wirtſchaftlichen 
Verhältniſſen, mit den herrſchenden Anſchauungen 
über den Zweck und das Weſen der Strafe und 
der einzelnen Strafarten nicht mehr völlig im 
Einklange ſteht. 

Zunächſt muß es auffallen, daß für ein ein⸗ 
heitliches, wenn auch raumlich in zwei Teile ge⸗ 
trenntes Staatsgebiet zwei eigene Forſtſtrafgeſetze 
beſtehen. Hiſtoriſch erklärt ſich das daraus, daß 
bei Erlaſſung der 8 für jeden Teil ein 
beſonderes Strafgeſetzbuch beſtand, an das ſich das 
Forſtſtrafrecht anlehnen mußte, nämlich für die 
Pfalz der code pénal, für das diesſeitige Bayern 
der I. Teil des Strafgeſetzbuchs von 1813. Heute, 
wo die Rechtseinheit im Strafrecht durch das 
StGB. verkörpert iſt, iſt jener geſchichtliche Grund 
weggefallen. Es liegt aber auch kein innerer 
Anlaß vor, ein einheitliches Rechtsgebiet unter zwei 
ſich gegenſeitig ausſchließende Strafgeſetze zu ſtellen. 
Die waldwirtſchaftlichen und allgemeinen ölono⸗ 
miſchen wie ſozial geſchichteten Verhaͤltniſſe liegen 
in der Rheinpfalz in der Hauptſache nicht anders 
als im Hauptland. Das pfälziſche Forſtſtrafgeſetz 
enthält denn auch im weſentlichen die gleichen 
Beſtimmungen wie das diesſeitige Forſtgeſetz. 
Soweit fie von einander abweichen — vgl. Art. 41 
FStG. (allgemeine Strafmilderungsgründe) mit 
Art. 61 FG. (Notſtand), dann die verſchieden 
normierten Strafſchärfungsgründe des Art. 59 JG. 
und des Art. 10 FStG., den abweichend begrenzten 
Kreis der Zivilverantwortlichen in Art. 69 JG. 
und Art. 13 FStG. und die Mindeſtſtrafe des 
Gewohnheitsfrevels: 31 Tage in der Pfalz, Art. 40 
Nr. 1 FStG., 1 Monat diesſeits des Rheins, 
Art. 105 JG., das Fehlen der Beſtimmung des 
Art. 106 FG. für die Pfalz, dann zahlreiche 
Abweichungen in den einzelnen Deliktstatbeſtänden, 
aber auch im Forſtrügeverfahren — ſind ſie ohne 
grundſätzliche Berechtigung. Eine einheitliche Geſetz⸗ 
gebung würde wohl auch der Pfalz ein neues 
Forſtpolizeirecht an Stelle der vielfach veralteten 


158 


ert für Meditäpflege in Bayern. i611 et. . 


zerſplitterten, unzuſammenhängenden Forſtverord⸗ recht und das Forſtſtrafprozeßrecht je durch ein 


nungen bringen. 

Bei dem erheblich geſtiegenen Werte der 
Forſtprodukte. insbeſondere des Nutzholzes, iſt es 
fraglich, ob die faſt ausſchließliche Bedrohung der 
Entwendungen mit Geldſtrafen noch gerechtfertigt 
iſt. Es können Stämme im Werte von mehreren 
hundert Mark gefrevelt werden und doch trifft 
den Frevler nur Geldſtrafe oder die äußerſt nied⸗ 
rige Haftſtrafe von einem Monat, ſelbſt wenn er 
mehrere Frevel nacheinander begeht. Es wäre 
ferner zu erwägen, ob man nicht die Ent⸗ 
wendungen von Walderzeugniſſen von einem ge⸗ 
wiſſen höheren Wert an als Vergehen erklären 
und ausſchließlich oder doch wahlweiſe mit Ge⸗ 
faͤngnis bedrohen ſollte. 

Der heutigen Anſchauung entſpricht das für 
die Forſtfrevel von den beiden Forſtgeſetzen nahezu 
ausſchließlich angenommene Syſtem der abſoluten 
Strafen nicht mehr. Das freie richterliche Er: 
meſſen iſt dadurch beſeitigt und kommt auch bei 
Berückſichtigung eines etwaigen Strafſchärfungs⸗ 
grundes (Art. 59 J G., 10 FStG.) nur mangel⸗ 
haft zur Geltung: die häufig viel wichtigeren 
perſönlichen Verhältniſſe des Täters können dabei 
überhaupt nicht in Betracht gezogen werden, da 
die FForſtgeſetze die Geldſtrafe regelmäßig bloß 
nach dem angerichteten Schaden oder nach dem 
Werte des Entwendeten bemeſſen. 

Daß der Verurteilte die Koſten des Straf⸗ 
verfahrens nicht tragen ſoll, wenn er zahlungs⸗ 
fähig iſt (Art. 68 FJG.), bedeutet eine ungerecht⸗ 
fertigte Ausnahme von den allgemeinen Ver⸗ 
fahrensgrundſätzen. 

Daß der Forſtdiebſtahl gegen Angehörige 
immer verfolgt werden muß, kann mit dem Hin⸗ 
weis auf die allgemein⸗wirtſchaftliche Bedeutung 
der Wälder nicht ausreichend begründet werden. 
Es gibt hier derart leichte Fälle, daß die Auf⸗ 
nahme einer dem § 247 StGB. entſprechenden 
Beſtimmung wünſchenswert wäre. Es berührt 
auch eigentümlich, daß derjenige, der einem An⸗ 
gehörigen verkaufsbereites Holz ſtiehlt (Art. 81 
FG., 242 StGB.) mangels Strafantrags ſtraf⸗ 
frei ausgeht, während er, wenn das Holz noch 
nicht verkauſsfertig iſt, wegen Forſtfrevels beſtraft 
werden muß. 


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Ä 


Ein neues Forſtgeſetz würde wohl auch die 


Forſtfrevel ſyſtematiſch richtiger als bisher ein⸗ 
teilen in: Forſtdiebſtahl, Forſtbeſchädigung und 
Weidefrevel, und würde die jetzt ſog. „Forſtfrevel 


durch Uebertretun polizeilicher Beſti | 
HVV gelten laſſen ſoll, wie anderſeits durch die wiederholte 


und andere Gefährden“ in das Gebiet der Forſt— 
polizeiübertretungen verweilen; denn ob letztere 
im eigenen oder im fremden Walde begangen 
werden, begründet für das heutige Rechtsempfinden 
wohl keinen Unterſchied. 


Ob bei der Neuregelung das Forſtſtrafrecht 


von dem Forſtwirtſchafts-Recht abgetrennt werden 
ſoll und wenn ja, ob das materielle Yorititraf: 


beſonderes Geſetz zu ordnen find, ſind Fragen, 
die ſich nur nach den Erwägungen legislativer 
Politik entſcheiden laſſen. Uebrigens wird die 
Neuregelung des Forſtrügerechts im Anſchluß an 
die bald zu erwartende neue Strafprozeßordnung 
früher als die Neukodifikation des materiellen 
Forſtſtraſrechts eintreten. 


Nitteilnugen ans der Praxis. 


Iſt § 55 der baheriſchen Berordunng vom 4. Juli 


1899 / 22. Oktsber 1910 über die Vorbedingungen für 


den Juſtiz: und Berwaltungsdienſt rechtewirkſam ? 
Es iſt jüngſt die Anſicht vertreten worden (Augsburger 
Abd.⸗Ztg. 1911 Nr. 54, 23. Februar 1911 S. 9), daß 


dem von 8 55 der bayeriſchen Verordnung vom 4. Juli 


1899 / 22. Oktober 1910 über die Vorbedingungen für 
den Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt verlangten Ver⸗ 
zicht auf das frühere Prüfungsergebnis bei Wieder⸗ 
holung der Prüfung grundſätzlich die Rechtswirkſam⸗ 
keit zu verſagen ſei. Es ſchaffe hier das bayerische 
Landesrecht einen dem Reichsrecht unbekannten En⸗ 
digungsgrund der Richterfähigkeit. 

Dieſe Anſicht iſt unrichtig. Daß 8 2 des GVG. 
die Fähigkeit zum Richteramt an die erfolg reiche Ab⸗ 
legung zweier Prüfungen knüpft, iſt ſelbſtverſtändlich. 
Außer Zweifel iſt auch, daß die Regelung des Prüfungs⸗ 
weſens Sache der Landesgeſetzgebung iſt. Es können 
daher im Wege der Verordnung oder der Entſchließung 
Grundſätze darüber aufgeſtellt werden, welche Vor be⸗ 
dingungen der Prüfling zu erfüllen hat, wobei nur 
die Schranken des 8 2 Abſ. II und III des GVG. 
beſtehen. Ebenſo iſt es Sache der landesrechtlichen 
Verordnungen zu beſtimmen, unter welchen Bedingungen 
die Prüfung mit Erfolg abgelegt iſt. 

Es konnte daher 8 55 der Verordnung Grundſätze 
darüber aufſtellen, unter welchen Bedingungen ein Prüf⸗ 
ling, der die Staatsprüfung bereits mit Erfolg abgelegt 
hat, die Staatsprüfung wiederholen kann, um allen⸗ 
falls ſeine Note zu verbeſſern. Wenn ſie hierbei einen 
Verzicht auf das frühere Prüfungsergebnis verlangt, 
der erſt mit dem Beginn der wiederholten Prüfung 
wirkſam wird, ſo geht ſie von der richtigen Erwägung 
aus, daß wie bei jeder Konkurrenz auch bei der Staats⸗ 
prüfung nur eine Leiſtung als Maßſtab für die Fähig⸗ 
keiten und die Brauchbarkeit des Prüflings in Betracht 
kommen kann und daß es ein unhaltbarer Zuſtand 
wäre, wenn man dem die Prüfung wiederholenden 
Prüfling die Wahl laſſen würde, für welches Ergebnis 
er ſich entſchließen will. Das, was die Verordnung 
in 8 55 vorſchreibt, iſt alſo ſachlich das ausdrückliche 
Verlangen, daß der Prüfling die abgelegte Prüfung nicht 


Ablegung der Prüfung deutlich zum Ausdruck bringt, daß 
es ſo angeſehen werden ſoll, als wenn er die Prüfung 
nicht abgelegt habe. Anders kann wohl das Verhalten 
des Prüflings nicht gedeutet werden. Es ſoll daher 
etwas Geſchehenes als nicht geſchehen erachtet werden. 

In dem Augenblick, in dem der Verzicht erklärt wird 
und die zweite Prüfung beginnt, iſt mit Zuſtimmung 
des Prüflings im Sinne der Prüfungsvor⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


ſchriften anzunehmen, daß er die Prüfung bisher 
noch nicht mit Erfolg abgelegt hat und nur das Er⸗ 
gebnis des neuen Wettbewerbs für die Einſchätzung 
ſeiner Fähigkeiten und Leiſtungen in Frage kommen 
ſoll. Weil er alſo in dieſem Falle die Staatsprüfung 
noch nicht mit Erfolg abgelegt hat, kann er ſich auch 
nicht mehr auf das frühere Prüfungsergebnis berufen. 
Es liegt hier nicht eine Aberkennung der Fähigkeiten 
zum Richteramt und des Rechts auf Zulaſſung zur 
Anwaltſchaft vor, ſondern eine mit Zuſtimmung des 
Prüflings erfolgte Nichtberückſichtigung des Ergebniſſes 
der 1. Prüfung, die man richtig als Verzicht auf das 
frühere Prüfungsergebnis bezeichnet hat. Daß dadurch 
die Fähigkeit zum Richteramt ꝛc. ꝛc. erliſcht, iſt nur 
eine Folge des Verhaltens des Prüflings. Der Fall 
ift alſo ähnlich gelagert, wie die Fälle, in denen aus 
anderen Gründen die Fähigkeit zum Richteramt ver⸗ 
loren geht. 

Die bekämpfte Anſicht, welche Gewicht darauf legt, 
daß das erfolgreiche Beſtehen der Prüfung und die 
dadurch erlangte Fäbigkeit zum Richteramt nicht Rechte 
ſind und daher auch nicht im Wege des Verzichts auf⸗ 
gegeben werden können, überſieht meines Erachtens den 
Geſichtspunkt, daß die aufgeworfene Frage einzig und 
allein auf Grund der landes rechtlichen Prüfungs⸗ 
vorſchriften beantwortet und mit Reichsrecht nicht 
durcheinandergebracht werden darf. 

8 55 der Verordnung überſchreitet daher nicht die 
der Landesgeſetzgebung verliehenen Befugniſſe zur 
Regelung des Prüfungsweſens. Man wird ihm auch 
trotz der für den Prüfling beſtehenden Gefahr aus den 
oben angeführten Gründen grundſätzlich zuſtimmen 
müſſen. 

Wäre die entgegengeſetzte Anſicht richtig, ſo wäre 
die Staatsregierung wegen der eigentümlichen Folgen, 
die ſich ergeben würden, wohl genötigt keinen Be⸗ 
werber mehr zu einer zweiten Prüfung zuzulaſſen, der 
den Staatskonkurs einmal beſtanden hat. Das läge 
wohl kaum im Intereſſe der Bewerber. 


Landgerichtsrat Dr. Schultz in München. 


Die Vorſchuhpflicht des Antragſtellers im Berſahren 
der Zwangs verſteigerung und der Zwangsverwaltung. 
Nach dem Vorgange des Gerichtskoſtengeſetzes 
(VI. Abſchn.) ſieht auch das bayeriſche Gebührengeſetz 
(II. Abt. I. Abſchn.) für das Verfahren der Zwangs⸗ 
verſteigerung und Zwangsverwaltung eine doppelte 
Vorſchußpflicht des Antragſtellers vor. Hier wie dort 
wird der Antragſteller zur Zahlung eines Gebühren⸗ 
und eines Auslagenvorſchuſſes verpflichtet. Beide 
Vorſchüſſe werden im Art. 16 GebG. erwähnt, zu 
Unrecht wird aber vielfach angenommen, daß die 
Verpflichtung des Antragſtellers zur Leiſtung eines 
Gebührenvorſchuſſes ſich auf Art. 16 GebG. gründe. 
Dieſer Artikel handelt in ſeinen beiden Abſätzen nur 
vom Auslagenvorſchuſſe. Der Gebührenvorſchuß wird 
nur nebenher erwähnt („außer dem Gebührenvor⸗ 
ſchuß“ l). Läßt ſchon die Faſſung des Abſ. 1 erkennen, 
daß nur die Auslagenvorſchußpflicht des Antrag⸗ 
ſtellers im Art. 16 Geb. geregelt werden ſollte, fo 
ergibt ſich das unzweifelhaft aus dem Abſ. 2, der 
von der Berichtigung „dieſes Vorſchuſſes“ (Singular!) 
ſpricht und damit nur den Auslagenvorſchuß meinen 
kann. Die Gebührenvorſchußpflicht des Antragſtellers 
im Zwangsverſteigerungs⸗ und Zwangsverwaltungs- 


—— ————ß—ß—— nn nn nn, 


nn nm m 


159 


verfahren hat das Gebührengeſetz genau nach der des 
Antragſtellers in den übrigen bürgerlichen Rechts⸗ 
ſtreitigkeiten geregelt; es bedurfte daher keiner be⸗ 
ſonderen Vorſchrift hierüber im bayer. Gebühren⸗ 
geſetze, denn die Anwendung der Vorſchriften des 
Gerichtskoſtengeſetzes wurde ſchon durch den Art. 7 
GebG. vermittelt. Die Verpflichtung des Antrag⸗ 
ſtellers zur Leiſtung eines Gebührenvorſchuſſes wird 
alſo durch den Art. 7 GebG. in Verbindung mit 8 81 
GKG., die zur Leiſtung eines Auslagenvorſchuſſes 
aber durch den Art. 16 GebG. geregelt. Dieſe Feſt⸗ 
ſtellungen ſind von weſentlicher Bedeutung, wie die 
folgenden Ausführungen erſehen laſſen. 


l. Der Gebührenvorſchuß. 


Die Verpflichtung zur Leiſtung eines Gebühren⸗ 
vorſchuſſes entſteht mit der Stellung des Antrags, 
nicht erſt mit der Erlaſſung des Einleitungsbeſchluſſes, 
wie Wochinger (Bayerns Gebührengeſetze Anm. 3 zu 
Art. 16) zu Unrecht annimmt. Gleichwie die Ver⸗ 
pflichtung zur Zahlung eines Gebührenvorſchuſſes im 
Zivilprozeſſe ſchon mit der Einreichung der Klage⸗ 
ſchrift entſteht, ohne Rückſicht darauf, ob ſie ſpäter 
zugeſtellt wird und damit die Wirkung der Rechts⸗ 
hängigkeit eintritt oder nicht, ſo iſt ſie im Zwangs⸗ 
verſteigerungs⸗ und Zwangsverwaltungs verfahren 
ſchon mit der Einreichung des Antrags auf Anord⸗ 
mung begründet, wenn auch die Beſchlagnahme des 
Grundſtückes ſelbſt erſt ſpäter wirkſam wird (8 22 
Zw G.). 

Der von dem Antragſteller zu entrichtende Ge⸗ 
bührenvorſchuß beträgt ſo viel, wie die höchſte Ge⸗ 
bühr, die für einen Akt der Inſtanz angeſetzt werden 
kann (8 81 GK GG.). Eine beſtimmte Aktgebühr bat 
das Geſetz dabei nicht im Auge, auch haftet der An⸗ 
tragſteller nur bis zur Höhe einer Gebühr ohne Rück⸗ 
ſicht darauf, ob in dem Verfahren mehrere Gebühren 
anfallen können oder nicht. 

Im Zwangsverſteigerungsverfahren beträgt die 
höchſte Gebühr, die angeſetzt werden kann, /%10 der 
Sätze des 8 8 GKG. (Art. 9 GebG.). Zum Zwangs⸗ 
verſteigerungsverfahren iſt auch das Verteilungs⸗ 
verfahren und das Verfahren nach 88 143, 144 ZwVG. 
zu rechnen. Für dieſe Verfahren gibt es daher keine 
beſondere Vorſchußbpflicht des betreibenden Gläubigers. 
Uebrigens wird das Verteilungsverfahren ebenſo wie 
das Verfahren, das ſich an die Erbringung der Nach⸗ 
weiſe nach 88 143, 144 Zw. anſchließt, von der 
Offizialmaxime beherrſcht; es fehlt deshalb an einem 
„Antragſteller“, weshalb auch ſchon von dieſem Ge⸗ 
ſichtspunkte aus ſich eine Vorſchußpflicht nicht be⸗ 
gründen läßt. 

Im Zwangsverſteigerungsverfahren beträgt die 
höchſte Gebühr, die angeſetzt werden kann, 0 der 
Sätze des 8 8 GKG. (Art. 11 GebG.). 

Einige Kommentatoren des Gebührengeſetzes be⸗ 
haupten zu Unrecht, daß als Antragſteller auftretende 
Ausländer im Hinblicke auf 8 85 GKG. einen drei⸗ 
fachen Gebührenvorſchuß leiſten müßten. Einen drei⸗ 
fachen Gebührenvorſchuß hat nur der Ausländer zu 
entrichten, der als Kläger auftritt. Ein Auftreten 
als Kläger kann aber nur im eigentlichen Zivilprozeß⸗ 
verfahren vorkommen, im Zwangsvollſtreckungs⸗ 
verfahren ſpricht das Geſetz nur von Gläubigern und 
Schuldnern (vgl. die Ausführungen zu 8 85 in den 
Kommentaren zum GKG. von Rittmann und Pfaffe⸗ 
roth). Ausländern gegenüber, die in Bayern nicht 


160 


Dr 


ihren Ständigen Wohnſitz haben, kann die Staatskaſſe 
dadurch genügend geſichert werden, daß von der im 
Art. 287 Geb. eingeräumten Befugnis Gebrauch ge⸗ 
macht und die Einleitung des Verfahrens von der 
Erlegung eines zur Deckung der Gebühren und Aus⸗ 
lagen hinreichenden Vorſchuſſes abhängig gemacht wird. 

Nicht unerhebliche Schwierigkeiten bietet im 
Zwangsverſteigerungsverfahren die Beſtimmung des 
Gegenſtandswertes, aus dem der Gebührenvorſchuß 
zu erheben iſt. Der Berechnung der /io⸗Gebühr und 
damit auch des Gebührenvorſchuſſes iſt das Meiſt⸗ 
gebot zugrunde zu legen, wenn aber die daraus zu 
befriedigenden Forderungen geringer ſind, der Be⸗ 
trag der Forderungen (Art. 9 Abſ. 2 u. 4 GebG.). 
Die Vorſchußpflicht des Antragſtellers ſoll die Staats⸗ 
tafle ſichern und muß, ſoll fie ihren Zweck erfüllen, 
ſchon zu Beginn des Verfahrens in Anſpruch ge⸗ 
nommen werden. In dieſem Zeitpunkte iſt aber eine 
genaue Beſtimmung des Gegenſtandswertes unmög⸗ 
lich, denn das Meiſtgebot ergibt ſich erſt im Laufe 
des ſpäteren Verfahrens und feine Höhe läßt ſich zur 
Zeit der Antragſtellung zumeiſt auch nicht annähernd 
angeben. Deshalb muß das Vollſtreckungsgericht den 
Gegenſtandswert ſchätzungsweiſe feſtſtellen. Es wird 
ſich dabei von dem Gedanken leiten laſſen müſſen, 
daß es wohl dem Willen des Geſetzgebers am nächſten 
kommt, wenn bei Unbeſtimmtheit des Gegenſtands⸗ 
wertes der höchſte mögliche Betrag angenommen 
wird, weil für den Satz, nach dem der Gebühren⸗ 
vorſchuß zu berechnen iſt, die höchſte mögliche Ge⸗ 
bühr maßgebend ſein ſoll. Die Höchſtgrenze für den 
Gegenſtandswert beſtimmt die Summe der aus dem 
Meiſtgebote zu befriedigenden Forderungen. Darüber 
hinaus kann der Streitgegenſtand niemals gehen; 
denn ſelbſt wenn ſich nach Deckung aller aus dem 
Meiſtgebote zu befriedigenden Forderungen noch ein 
Ueberſchuß für den Schuldner ergeben ſollte, wäre 
dieſer doch nach Art. 9 Abſ. 4 Geb. bei der Werts⸗ 
berechnung nicht zu berückſichtigen. Legt man der Be⸗ 
rechnung alle die Forderungen zugrunde, die bei aus⸗ 
reichender Höhe des Meiſtgebotes befriedigt werden 
können, ſo erreicht man ungefähr den Höchſtbetrag 
des Gegenſtandswertes. Schätzungsweiſe läßt ſich die 
Höhe der zu befriedigenden Forderungen aus den 
Vollſtreckungsakten im Zuſammenhalte mit dem 
Grundbuche beſtimmen. Den aus letzterem erficht: 
lichen Belaſtungen find noch die Koſten des Ver⸗ 
fahrens in dem in 8 109 ZwVG. angegebenen Um: 
fange beizuzählen und weiter die nicht aus dem Grund⸗ 
buche erſichtlichen im 8 10 Zw VG. bezeichneten Uns 
ſprüche, ſoweit ſie bekannt ſind. Es iſt nicht zu 
verkennen, daß ein ſo gefundener Gegenſtandswert 
nicht ganz zuverläſſig ſein kann, doch handelt es ſich 
hier auch nur um ein kurzfriſtiges Proviſorium. Nach 


der Erteilung des Zuſchlags ſteht der Gegenſtands- 


wert genau feſt und es iſt dann auch der Gebühren: 
vorſchuß zu berichtigen, nämlich entweder zu erhöhen 
oder zu mindern. 

Weſentlich einfacher iſt die Beſtimmung des 
Gegenſtandswertes im Zwangsverwaltungsverfahren. 
Der Berechnung der Gebühr iſt hier der Betrag der 
Forderung zugrunde zu legen, für welche die Beſchlag— 
nahme erwirkt worden iſt. Sie iſt ſtets aus dem 
Inhalte des Antrags zu erſehen, wobei zu beachten 
iſt, daß die einzuziehenden Zinſen mitzuberechnen ſind, 
da es ſich um ein Zwangsvollſtreckungsverfahren 
handelt (Art. 7 GebG. mit S 13 Abſ. 2 GG.). Sit 


Sachlage geſchaffen. 


die Beſchlagnahme zum Zwecke der Zwangsverwaltung 
wegen mehrerer Forderungen erwirkt worden, ſo ſind 
fie zuſammenzurechnen (Art. 7 GebG. mit 8 9 GKG. 
und 8 5 ZPO.). Das gilt auch, wenn ein Gläubiger 
dem Verfahren beitritt. Darin liegt eine Erweiterung 
der Anträge im Sinne des 8 81 Abſ. 3 GKG., die 
den Vorſchuß nach Maßgabe der Erweiterung erhöht. 
Auf die Gebühr des Art. 9 Geb®. iſt die für den 
Anordnungsbeſchluß nach Art. 8 Geb. geſchuldete 
/o Gebühr anzurechnen. Und zwar kann man fie 
unbedenklich auf den Gebührenvorſchuß anrechnen, 
fo daß zumeift nur mehr der Differenzbetrag einzu⸗ 
heben iſt. 

Mehrere Antragſteller haften für den Gebühren⸗ 
vorſchuß nach Kopfteilen. Daß die vielfach vertretene 
und auf Art. 16 Abi. 2 Geb. gegründete Anſicht 
irrig iſt, daß mehrere Antragſteller für den Gebühren⸗ 
vorſchuß ſamtverbindlich haften, ergibt ſich aus den 
Ausführungen zu Eingang dieſer Abhandlung. Dort 
wurde feſtgeſtellt, daß Art. 16 GebG. ſich nur auf 
den Auslagenvorſchuß bezieht und daß der Gebühren⸗ 
vorſchuß den allgemeinen Beſtimmungen des GKG. 
folgt. Nach 8 91 GKG. haften aber mehrere einer 
Partei angehörende Perſonen nach Kopfteilen, denn 
die bislang viel umſtrittene Frage, ob ſich 8 91 GKG. 
neben den wirklich entſtandenen Gebühren und Aus⸗ 
lagen auch auf die darauf zu leiſtenden Vorſchüſſe 
bezieht oder nicht, iſt zu bejahen (vgl. insbeſ. Ritt⸗ 
mann, GKG. zu 8 91). 

Wenn ein Gläubiger einem Zwangsverſteige⸗ 
rungsverfahren beitritt, ſo ſind nunmehr mehrere 
Antragſteller vorhanden. Auch hier findet an ſich der 
8 91 GKG. Anwendung. Der Beitritt eines weiteren 
Gläubigers wirkt aber nicht in dem Sinne zurück, 
daß der urſprünglich für den ganzen Vorſchuß in 
Anſpruch genommene erſte Antragſteller nunmehr den 
ſeinen Kopfteil überſteigenden Betrag des Gebühren⸗ 
vorſchuſſes zurückfordern könnte. Die Vorſchußpflicht 
des Antragſtellers ſoll die Staatskaſſe von vorneherein 
für einen Teil der Gebühren decken. Die Vorſchuß⸗ 
pflicht iſt deshalb eine für ſich beſtehende Pflicht zur 
unbedingten endgültigen Vorauszahlung eines be⸗ 
ſtimmten Gebührenteils (Pfafferoth, GRG. Vorbe⸗ 
merkungen zum VI. Abſchn.), der nur dann und nur 
inſoweit zurückzuerſtatten iſt, als die wirklich er⸗ 
wachſenen Gebühren ſeine Höhe nicht erreichen. Hier⸗ 
aus ergibt ſich für das Zwangsverſteigerungsverfahren, 
daß der erſte Antragſteller auch im Falle eines ſpä⸗ 
teren Beitritts der Staatskaſſe für den vollen Betrag 
des Gebührenvorſchuſſes weiterhaftet, daß aber der 
beitretende Gläubiger neben dem erſten Antragſteller 


bis zur Höhe ſeines Kopfteiles Mitſchuldner iſt. Ein 


ſpäter beitretender dritter Gläubiger haftet dann 
neben feinen beiden Vormännern für / des Gebühren- 
vorſchuſſes uſw. Da zur Zeit des Beitritts der Vor: 
ſchuß in der Regel von dem erſten Antragſteller be— 
reits eingefordert iſt, haben die nachträglich beitreten⸗ 
den Gläubiger keinen Vorſchuß mehr zu leiſten. Ihre 
Mithaftung iſt nur von Bedeutung, wenn der Vor— 
ſchuß von dem erſten Antragſteller nicht beigetrieben 
werden kann. 

Im Zwangsverwaltungsverfahren wird durch 
den Beitritt eines Gläubigers eine weſentlich andere 
Jeder Beitritt bringt hier eine 
Erweiterung des Verfahrens mit ſich, die nach 8 81 
Abſ. 3 G&G. den Gebührenvorſchuß erhöht. Es ent— 
ſpricht nicht dem Begriffe der Erhöhung, wenn aus 


dem Gegenſtandswerte des Beitrittsbeſchluſſes ein 
geſonderter Gebührenvorſchuß angeſetzt wird, die Er⸗ 
höhung beſteht vielmehr in einer Ergänzung des ur⸗ 
ſprünglich angeſetzten Gebührenvorſchuſſes auf den 
Betrag eines Vorſchuſſes nach dem nun erhöhten 
Gegenſtandswerte. Es iſt alſo nur mehr der Diffe⸗ 
renzbetrag einzuheben, der ſich berechnet zwiſchen dem 
Betrage des kontierten Vorſchuſſes und dem eines 
Vorſchuſſes nach dem erweiterten Gegenſtandswerte. 
Für den Betrag, der zur Ergänzung einzuheben iſt, 
haftet der beitretende Gläubiger nicht ohne weiteres. 
Es haftet vielmehr für den nach dem erweiterten 
Gegenſtandswerte berechneten Geſamtvorſchuß jeder 
der beiden Antragſteller zur Hälfte (8 91 GRG.). 
Aus den oben angeführten, aus der Natur des Vor⸗ 
ſchuſſes als eines endgültigen Gefälles entnommenen 
Gründen kann aber der erſte Antragſteller, der einen 
Vorſchuß nach dem urſprünglichen Gegenſtandswerte 
bezahlt hat, nicht die Rückzahlung des Betrages ver⸗ 
langen, der den Hälftebetrag des nach dem erhöhten 
Streitgegenſtande berechneten Gebührenvorſchuſſes 
überſteigt. Er haftet vielmehr nach wie vor mindeſtens 
bis zur Höhe des urſprünglichen Vorſchuſſes und 
zwar ſelbſt dann, wenn er ihn zur Zeit des Beitritts 
des zweiten Gläubigers noch nicht entrichtet haben 
ſollte (s 90 GK G.). Der Beitritt eines Gläubigers 
kann aber auch für den erſten Antragſteller eine Nach⸗ 
zahlungspflicht begründen, nämlich dann, wenn der 
Hälftebetrag des nach dem erweiterten Gegenſtands⸗ 
werte berechneten Gebührenvorſchuſſes den Betrag 
des von dem Antragſteller vor dem Beitritte ge⸗ 
ſchuldeten Vorſchuſſes überſteigt. Ein Beiſpiel ver⸗ 
anſchaulicht das wohl am beſten: A erwirkt für eine 
Forderung von 1000 M Beſchlagnahme zum Zwecke 
der Zwangsverwaltung. Er zahlt einen Gebühren⸗ 
vorſchuß von 32 M. B tritt für ſeine Forderung von 
3400 M dem Verfahren bei. Der Gebührenvorſchuß 
nach dem erweiterten Gegenſtandswerte (1000 + 3400 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


wie — — u !! — 4 ͤ ꝗ——— — 


= 4400 M) beträgt 68 M. Davon hat jeder der 


beiden Gläubiger die Hälfte mit 34 M zu entrichten. 
A hat 32 M bezahlt, er hat alſo noch 2 M nachzu⸗ 
zahlen. Die Vorſchuß⸗ und Nachzahlungspflicht des 
Antragſtellers bleibt ſelbſt bei der Zurücknahme des 
Antrages beſtehen. Eine ſolche Zurücknahme beendigt 
nicht das Verfahren (5 93 GKG.), denn dieſes wird 
für den oder für die beitretenden Gläubiger fort⸗ 
geſetzt. Sie gibt deshalb auch dem ſeinen Antrag 
zurücknehmenden Gläubiger nicht das Recht, die 
Deckung der auf ſeinen Antrag erwachſenen Koſten 
aus ſeinem Vorſchuſſe zu fordern und dann die Rück⸗ 
zahlung des die Koſten überſteigenden Betrages ſeines 
Vorſchuſſes zu beantragen. 


I. Der Auslagen vorſchuß. 


Neben dem Gebührenvorſchuſſe hat nach Art. 16 
GebG. der Gläubiger, auf deſſen Antrag das Zwangs⸗ 
verſteigerungs⸗ und Zwangsverwaltungsverfahren 
angeordnet wird, für die mit dem Verfahren bis zur 
Einleitung der Verteilung verbundenen Auslagen auf 
Erfordern einen zur Deckung hinreichenden Auslagen⸗ 
vorſchuß zu leiſten. Ein genauer Maßſtab für die 
Beſtimmung der Höhe dieſes Vorſchuſſes läßt ſich 
nicht geben, doch ergibt eine ſchätzungsweiſe Zuſammen⸗ 
ſtellung der im Verfahren vermutlich entſtehenden 
Auslagen immerhin einige Anhaltspunkte. Der Aus⸗ 
lagenvorſchuß iſt in erſter Linie beſtimmt zur Deckung 
der nach 8 80 b GKG. im Zuſammenhalte mit Art. 7 


ö 


161 


Geb. geſchuldeten Pauſchſätze und weiter der dem 
Notar aus der Staatskaſſe zu erſetzenden Gebühren 
und Auslagen (vgl. 8 7 Abſ. 4 der Bek. des StM. d. 
Fin. vom 25. Dezember 1899, IM Bl. 1900, 343). Zu 
Unrecht zählt Wochinger (Bayerns Gebühren⸗Geſetze 
Art. 16 Anm. 4) auch die durch die Anordnung von 
Sicherheitsmaßregeln im Sinne der 88 25 und 170 
ZwVG. erwachſenden Auslagen hierher. Der Be: 
griff des Auslagenvorſchuſſes im Art. 16 GebG. ent⸗ 
ſpricht dem des 8 84 GKG. Es ſteht aber außer 
allem Zweifel, daß der 8 84 GKG. nur eine Vor⸗ 
ſchußpflicht des Antragſtellers auf die in 8 79 GKG. 
erſchöpfend aufgezählten Auslagen vorſieht. Eine er⸗ 
weiterte Vorſchußpflicht will aber auch der Art. 16 
GebG. nicht Schaffen. Seine Anwendung auf die 
durch die Anordnung von Sicherheitsmaßregeln er⸗ 
wachſenden Auslagen iſt übrigens auch um deswillen 
überflüſſig, weil die 88 25 und 170 ZwVG. ſelbſt 
dem Vollſtreckungsgerichte die Befugnis einräumen, 
die Anordnung und die Fortſetzung der zur Abwen⸗ 
dung der Gefährdung nötigen Maßregeln von der 
Leiſtung eines entſprechenden Vorſchuſſes abhängig 
zu machen. Auslagen dieſer Art ſind deshalb bei 
Feſtſetzung des Auslagenvorſchuſſes nach Art. 16 
Geb. nicht zu beachten. 

Die Verpflichtung zur Leiſtung eines Auslagen⸗ 
vorſchuſſes entſteht mit der Stellung des Antrags; 
der Gerichtsſchreiber fordert ihn aber erſt auf An⸗ 
ordnung des Gerichts ein (Fin MBek. vom 25. Des 
zember 1899, 8 28, IM Bl. 1900, 343). 

Für den Auslagenvorſchuß haften mehrere An⸗ 
tragſteller ſamtverbindlich (Art. 16 Abſ. 2 Geb.). 
wobei es keinen Unterſchied begründet, ob die Partei, 
auf deren Antrag das Verfahren angeordnet wurde, 
aus mehreren Perſonen beſteht, oder ob eine Mehr⸗ 
heit in der Perſon der Antragſteller ſich erſt durch 
den Beitritt eines Gläubigers ergibt. Daß auch für 
den beitretenden Gläubiger eine Auslagenvorſchuß⸗ 
pflicht beſteht, läßt zwar die Faſſung des Art. 16 
GebG. nicht mit der wünſchenswerten Klarheit er: 
ſehen, doch ſpricht daſür der Umſtand, daß auch be⸗ 
züglich der Gebührenpflicht das Geſetz den beitreten⸗ 
den Gläubiger dem gleichſtellt, auf deſſen Antrag das 
Verfahren angeordnet wurde (vgl. inbeſ. Art. 8 Geb.). 


III, Gemeinſames. 


Die Gebühren: und Auslagenvorſchüſſe ſichern 
die Staatskaſſe für die im Verfahren erwachſenden 
Koſten. Da dieſe Koſten nach 8 109 ZwVG. aus 
dem Verſteigerungserlöſe vorweg zu entnehmen ſind, 
ſo kann auch, wer die Koſten durch Vorſchüſſe gedeckt 
hat, an Stelle der Staatskaſſe den zu der Deckung 
aufgewendeten Betrag fordern. Es handelt ſich hier 
nicht um ein Recht, das einen Anſpruch auf Befrie⸗ 
digung aus dem Grundſtücke gewährt (8 10 ZwVG.), 
ſondern um die Erſtattung eines Teils der aus dem 
Erlöſe vorweg zu entnehmenden Koſten des Ver⸗ 
fahrens, wobei nur die Perſon des Empfangsberech⸗ 
tigten gewechſelt hat. Hieraus folgt auch, daß der 
Gläubiger den Erſatzanſpruch nicht anzumelden braucht. 

Vielfach wird die Anſicht vertreten, daß die Tätig⸗ 
keit des Gerichts oder des Notars von der Erlegung 
des Gebühren- und Auslagenvorſchuſſes abhängig ge: 
macht und daß das Gericht Anordnungen aufheben 
oder das eingeleitete Verfahren einſtellen könne, wenn 
der Vorſchuß nicht gezahlt wird. Dieſe Anſchauung 
iſt irrig. Art. 7 GebG. vermittelt auch die Anwen— 


162 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


ꝗ— — —e— ö ——— — —— 
— — — . — — 


dung des 8 3 GKG. Dieſer beſtimmt aber ausdrück⸗ der Geſchäftsbehandlung bedeutete, zugleich eine größere 


lich, daß die Tätigkeit des Gerichts von der Sicherung 
oder Zahlung der Gebühren und Auslagen nicht in 
einem weiteren Umfange abhängig gemacht werden 
darf, als die Prozeßordnungen oder das GKG. ſelbſt 
es zulaſſen. Weder im ZwVG. noch im GKG. findet 
ſich nun aber eine Beſtimmung, die die oben er: 
wähnte Auffaſſung rechtfertigen kann. Daß die 83 25 
und 170 ZwVG. eine von der Vorſchußpflicht des 
Gebührengeſetzes unabhängige Vorſchußpflicht des An⸗ 
tragſtellers aufſtellen, wurde unter II ausgeführt. 
Das gleiche gilt aber auch für den Fall des 8 161 
ZwVG. Denn daß ein an den Verwalter ſozuſagen 


Gewähr für die Richtigkeit der Koſtenberechnungen zu 


bieten ſchien und die vermöge der Erhebung der Aus⸗ 


als Betriebskapital zu zahlender Vorſchuß kein Aus⸗ 


lagenvorſchuß im Sinne der Koſtengeſetze iſt, dürfte 
ohne weiteres klar ſein. Eine einzige Ausnahme er⸗ 
gibt ſich, wenn der Antragſteller ein Ausländer iſt, 
der in Bayern keinen Wohnſitz hat. Für ſolche Fälle 
beſtimmt Art. 287 GebG., daß bei Anträgen auf Ein⸗ 
leitung des Verfahrens oder Vornahme einzelner 
Amtshandlungen, dringende Fälle ausgenommen, jede 
amtliche Tätigkeit in der Sache ſelbſt von der Zahlung 
eines zur Deckung der Gebühren und Auslagen hin⸗ 
reichenden Vorſchuſſes abhängig gemacht werden kann. 

Amtsgerichtsſekretär Heſſelbarth in Forchheim. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I 


Die durch das Geſetz vom 1. Juni 1909 eingeführten 
„ ($ 80b Gg.) haben nicht die recht⸗ 
liche Natur von Gebühren ſondern die von Auslagen. 
Aus den Gründen: Die durch § 98 Abſ. 1 GKG. 
den Bundesſtaaten in dem Verfahren vor dem Reichs⸗ 
gerichte gewährte Befreiung von Zahlung der Ges 
bühren erſtreckt ſich nur auf die Gerichtsgebühren, ein⸗ 
ſchließlich der Gebührenvorſchüſſe, nicht aber auf die 
Auslagen (GKG. 88 79 ff.). Das ergibt ſich ſchon aus 
dem Wortlaute des Geſetzes, das überall grundſätzlich 
zwiſchen Gebühren und Auslagen unterſcheidet, und 
iſt auch in vielfachen Entſcheidungen des Reichsgerichts 
ſchon ausgeſprochen worden. Es könnte ſich nur fragen, 
ob die zufolge des Geſetzes vom 1. Juni 1909 jetzt ge⸗ 
mäß 8 80 b GKG. zu erhebenden Auslagen pauſch— 
ſätze als Gebühren anzuſehen und daher dem 8 98 
GKG. zu unterſtellen ſeien. Das iſt jedoch zu ver— 
neinen. Die Pauſchalſätze werden „zur Deckung der 
von den Parteien nicht zu erſetzenden“ (d. h. der nicht 
nach SS 79, S0 a GG. im Einzelanſatze zu erſetzenden) 
baren Auslagen erhoben. Dadurch, daß die Pauſch— 
ſätze nach einem beſtimmten Prozentſatze der Gerichts— 
gebühr zu berechnen ſind, haben die Auslagen — 
Schreib-, Poſt⸗, Zuſtellungsgebühren — nicht ihre Eigen— 
ſchaft als bare Auslagen verloren und die Auslagen— 
pauſchſätze nicht den Charakter von Gebühren ange— 
nommen. Daß letzteres nicht der Sinn des Geſetzes 
iſt, bekundet ſchon die Stellung dieſer neuen Vor— 
ſchriften in dem V. Abſchnitte des Geſetzes: „Aus— 
lagen.“ 

Weiterhin ſpricht gegen jene Annahme auch der 
geſetzgeberiſche Zweck der Pauſchalierung. Es war 
damit nur beabſichtigt eine veränderte Art der Aus— 
lagenberechnung zu ſchaffen, die gegenüber den bis— 


lagen nach einem Prozentſatze der Gebühren die ge⸗ 
ringeren Streitwerte auf Koſten der höheren entlaſtet. 
(Vgl. Begr. zum Entwurf des Geſetzes vom 1. Juni, 
betr. Aenderung des GBG. uſw. zu 8 79 GKG. S. 55, 
zu § 80 b S. 57 ff., Kommiſſionsbericht, zu $ 80 b S. 75). 
Man wollte darnach nicht eine neue Gerichtsgebühr 
einführen. Wenn einmal in der Begründung (S. 57) 
davon die Rede iſt, es ſolle zu jeder einzelnen Gebühr 
ein „Zuſchlag“ erhoben werden, ſo iſt damit nach dem 
ee diefer Bemerkung nur eben jene Be: 
rechnungsart, die Form der Erhebung, gemeint; denn 
ſie wird damit begründet, daß im allgemeinen der 
Maße f des Schreibwerkes im Verhältniſſe zu dem 
Maße ſtehe, in welchem die geſamte gerichtliche Tätig⸗ 
keit in Anſpruch genommen wird, und daß dieſem 
Maße die Zahl der anzuſetzenden Gebühren entſpreche. 
— Hätte der Geſetzgeber den Auslagenpauſchſätzen die 
Bedeutung von Gebühren verleihen wollen, ſo würde 
er es auch wohl nicht für erforderlich erachtet haben, 
die Anwendung des § 7 Abſ. 2 GKG., wie in 8 80 b 


Abſ. 1 Satz 3 geſchehen iſt, ausdrücklich teftaufeben, 


ſetzen wäre. 


während von einer „Uebertragung“ des in 87 Abf 

vorgeſchriebenen Mindeſtſatzes abgeſehen wurde (Begr. 
S. 58). — Daraus, daß die Auslagenpauſchſätze un⸗ 
abhängig von der tatſächlichen Entſtehung von 
Auslagen erhoben werden, läßt ſich deren Gebühren⸗ 
ee nicht herleiten; dieſe Unabhängigkeit liegt 
im Weſen der Pauſchalierung. Die Annahme endlich, 
daß der Auslagenpauſchſatz von den nach 5 98 GKG. 
von der Zahlung der Gebühren befreiten Perſonen 
nicht geſchuldet werde, kann auch nicht auf die Worte 
im 5 80b „zehn vom Hundert der zum Anſatze gel an⸗ 
genden Gebühr“ geſtützt werden; denn hier iſt eben 
diejenige den Maßſtab für die Berechnung des Pauſch⸗ 
ſatzes abgebende Gebühr gemeint, die nach den Ge⸗ 
bührenvorſchriften an ſich anzuſetzen iſt oder anzu⸗ 
(Vgl. hierzu Rittmann, Das Deutſche 


Gerichtskoſtengeſetz 4 Aufl zu 8 80 b S. 458 f., Abſ. 2 


— 


befinden, alla nicht ohne weiteres deswe 


herigen konkreten Einzelanſätzen eine Vereinfachung 


S. 460, zu 8 98 Abſ. 1 S. 599, und Zeitſchrift 

Deutſche Juſtizſekretäre 1911 S. 8 ff. z. II S. 11 f. 
z. III). (Beſchl. des VI. 35. vom 23. Februar 1911, 
VI 292/10). 


2183 


— — — . 


II. 


Der Gläubiger, der auf Grund der Vermutung im 

5 1362 BGB. bewegliche Sachen pfänden läßt, die ſich 
im Beſitze eines der Chegatten oder beider nn 
en an 

Schadenserſatz, weil die Vermutung des 3 1362 B68. 
widerlegt iſt. Es muß der Nachweis bazu kommen, daß 
der Gläubiger das Eigentum des anderen Teiles gekannt 
hat. Anhaltspunkte für die Kenntnis des Gläubigers. 
Die Klägerin fordert vom Beklagten Schadenserſatz, 
weil er auf Grund eines vollſtreckbaren Schuldtitels 
gegen ihren Mann am 16. Auguſt 1904 in ihrem 
Bäckereigeſchäft verſchiedene Gegenſtände hat pfänden 
laſſen, ſie auch nicht freigegeben hat, nachdem ſie ihm 
eine eidesſtattliche Verſicherung ihres Mannes vorgelegt 
hatte, daß die Sachen ihr Eigentum ſeien. Die Vor— 
inſtanzen haben angenommen, daß die Klägerin Eigen⸗ 
tümerin der gepfändeten Sachen war, daß daher die 
zugunſten des Beklagten als Gläubigers des Mannes 
nach 8 1362 BGB. ſtreitende Vermutung für widerlegt 
zu gelten hat. Während aber das LG. angenommen 
hat, daß der Beklagte mindeſtens dann fahrläſſig ge— 
handelt habe, als er auf Verlangen der Klägerin in 
die Aufhebung der Pfändung nicht gewilligt habe, und 
daher — unter Berückſichtigung eines mitwirkenden 
Verſchuldens der Klägerin — den Klaganſpruch zu 
/ dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat, hat 
das OLG. auf die Berufung des Beklagten die Ent— 


— _— — — — — 


ſcheidung wegen dieſes Teils des Klaganſpruchs dem 
Irunde nach von der Leiſtung oder Verweigerung des 
dem Beklagten zugeſchobenen und von ihm angenom⸗ 
menen Eides dahin abhängig gemacht, daß er bei der 
Pfändung nicht gewußt habe, daß die gepfändeten 
Sachen der Klägerin gehörten. Es nimmt zunächſt 
an, daß die bisherige Beweisaufnahme für eine ſolche 
Kenntnis des Beklagten nichts ergeben habe, und ver⸗ 
neint dann, daß er bei Anwendung der im Verkehr 
erforderlichen Sorgfalt ſich hätte ſagen müſſen, daß 
die Klägerin rechtlich Geſchäftsinhaberin und die Ver⸗ 
mutung des 8 1362 BGB. durch die Sachlage im ge» 
gebenen Falle widerlegt ſei. Die hiergegen erhobenen 
Angriffe ſind nicht begründet. Es iſt nicht richtig, 
daß, nachdem das OLG. jene Vermutung für wider⸗ 
legt erachtet hatte, der 8 1362 in keiner Weiſe mehr 
in Betracht zu kommen gehabt hätte, und daß das 
Os. beim Beklagten Rechtskenntniſſe unterſtellt habe, 
deren Beſitz von ihm nicht habe erwartet werden können. 
Durch jene Feſtſtellung war nur dargetan, daß die in 
der Pfändung liegende Eigentums verletzung wider⸗ 
rechtlich war; die Verpflichtung zum Schadenserſatz 
ſetzt aber auch ein Verſchulden voraus und ein ſolches 
würde nur vorliegen, wenn der Beklagte das Eigen⸗ 
tum der Klägerin gekannt haben ſollte oder es doch 
bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorg⸗ 
falt hätte erkennen müſſen. In der einen wie in der 
anderen Beziehung ſind von Wichtigkeit die Umſtände, 
die zu der Annahme geführt haben, daß die Vermutung 
des § 1362 für widerlegt zu erachten ſei, in dem Sinne, 
ob aus ihnen, ſoweit ſie dem Beklagten bekannt waren, 
ſeine Kenntnis vom Eigentum der Klägerin oder doch 


= Beitfhrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


ſoviel zu entnehmen [el daß er ſich bei Anwendung 


der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dieſe Kenntnis 
würde verſchafft haben. Das hat aber das OLG. mit 
eingehender Würdigung des Ergebniſſes der mündlichen 
Verhandlung und der Beweisaufnahme ohne Rechts⸗ 
irrtum verneint, indem es die für und wider den Be⸗ 
klagten ſprechenden Umſtände gegeneinander abgewogen 
und ausſchlaggebendes Gewicht darauf gelegt hat, daß 
der Beklagte, um Sicherheit darüber zu erlangen, ob 
die Klägerin oder ihr Mann . ſei, 
Auskunft bei einer Auskunftei und bei der zuſtändigen 
Gewerbepolizeibehörde eingezogen hat und daß beide 
Auskünfte ihn zu dem Schluſſe berechtigten, daß der 
Mann der Inhaber des Geſchäfts ſei, und daß infolge⸗ 
deſſen ein dem entgegenſtehendes Auftreten der Klägerin 
rechtliche Wirkſamkeit nicht habe. Zutreffend hat es 
auch dargelegt, daß dem Beklagten ebenſowenig zum 
Verſchulden gerechnet werden kann, daß er die Pfänder 
nicht freigegeben hat, nachdem ihm die eidesſtattliche 
Verſicherung des Mannes vorgelegt worden war. Dabei 
iſt es unerheblich, ob der Beklagte mit der Möglichkeit 
gerechnet hat oder doch rechnen mußte, daß die Klägerin 
das von ihr in Anſpruch genommene Recht im Rechts⸗ 
wege dartun werde; darin, daß der Gläubiger ſich 
dieſer Möglichkeit bewußt iſt, liegt noch kein Verſchul den 
und die Pfändung geht ſolchenfalls mangels eines 
ſonſtigen Verſchuldens nur inſofern „auf Gefahr“ des 
Gläubigers, als er als unterliegender Teil in dem 
Interventionsſtreit die Prozeßkoſten tragen muß. (Urt. 
des VI. 35. vom 9. Februar 1911, VI 699/09). 

2187 


— — en. 


III. 


Ueber eine Scheidungsklage zwiſchen ungariſchen 
Ehegatten haben die deutſchen Gerichte nicht zu be: 
finden. Feſtſtellung der ungariſchen Staatsangehörigkeit. 
Aus den Gründen: Nach 8 606 Abſ. 4 ZPO. 
kann eine Scheidungsklage ausländiſcher Ehegatten im 


— A mn — — ——0•——ẽ nn 


ausländiſchen Ehegatten angehören, nicht anerkannt 
werden. Es ſoll hier durch die Erlaſſung eines deutſchen 
Scheidungsurteils vermieden werden, das in dem 
Heimatſtaate der Ehegatten keine Anerkennung finden 
würde. Für Ungarn iſt nun aber durch das Ehegeſetz 
5 XXXI vom Jahre 1894 8 114 beſtimmt, 
daß in dem Eheprozeſſe eines ungariſchen Staats⸗ 
bürgers nur das Urteil des ungariſchen Gerichtes wirk⸗ 
ſam tft (vgl. das ungariſche Ehegeſetz, bearbeitet von 
Dr. Back S. 80, bearbeitet von Dr. Kovacs S. 52, 
Leske⸗Loewenfeld, die Rechtsverfolgung im inter⸗ 
nationalen Verkehr Bd. 4 S. 108, Gaupp⸗Stein ZPO. 
Anm. 11 zu 8 606). Die deutſchen Gerichte ſind hier⸗ 
nach, wenn der Beklagte ein ungariſcher Staats⸗ 
angehöriger iſt, welche Staatsangehörigkeit nach 8 5 
des Geſetzes über den Erwerb und Verluſt der un⸗ 
gariſchen Staatsbürgerſchaft Geſetz⸗Artikel vom Jahre 
1879 (abgedruckt bei Dr. Cahn, Staatsangehörigkeit 
S. 546) durch Verhelratung auch auf die Klägerin 
übergegangen iſt, die durch dieſe Verheiratung zugleich 
die deutſche Staatsangehörigkeit verlor (8 13 Nr. 5 
des Geſetzes vom 1. Juni 1870), nicht zuſtändig, in 
der vorliegenden Eheſcheidungsſache zu entſcheiden. 
Die beſonderen Beſtimmungen des Haager Abkommens 
über das Eheſcheidungsrecht vom 12. Juni 1902 kommen 
hier nicht zur Anwendung, da Oeſterreich⸗Ungarn 
dieſes Abkommen bisher nicht ratifiziert hat (vgl. die 
Bekanntmachungen des Reichskanzlers vom 24. Juni 1904 
RG Bl. S. 249, vom 9. Auguſt 1905 RGBl. S. 716 und 
21. März 1907 RGBl. S. 84). Zur Entſcheidung darüber, 
ob der Beklagte die Eigenſchaft eines ungariſchen 
Staatsbürgers hat, war daher die Sache an das Be⸗ 
rufungsgericht zurückzuverweiſen, das, ſofern die Frage 
nicht anderweit geklärt wird, zu prüfen hat, ob das 
Zeugnis vom 7. Mai 1909 echt iſt, ob es von der zu⸗ 
ſtändigen Behörde ausgeſtellt 5 — in welcher Be⸗ 
ziehung etwaige Bedenken durch eine nach dem Ver⸗ 
trage zwiſchen dem Deutſchen Reich und der Oeſter⸗ 
reichiſch⸗zungariſchen Monarchie vom 25. Februar 1880 
(RG Bl. 1881 S. 4) und der Bekanntmachung des 
Reichskanzlers vom 2. Februar 1881 (RGBl. S. 8) 
für Gemeindezeugniſſe nicht ausgeſchloſſene Legaliſation 
gehoben ſein würden — und ob durch den Nachweis 
der Gemeindezuſtändigkeit der Nachweis der ungariſchen 
Staatsangehörigkeit erſetzt wird (vgl. das Staats⸗ und 
Berwaltungsrecht des Königreichs Ungarn von Pro⸗ 
feſſor Dr. Gejza von Ferdinandy, überſetzt von Dr. 
Schiller, 16. Band der Bibliothek des öffentlichen 
Rechts von Scholz und Storck S. 219 und 220, S. 169 


und 170). (Urt. des IV. 3 S. vom 20. Oktober 1910, 
IV 601/09). — — n. 
2190 


IV. 
Anfechtung einer Hypsthelbeſtellung zugunſten der 
Eheſran nach der Abtretung der Hypethekſerderung an 
einen Dritten. Beweislaſt? Anwendbarkeit des 6 892 
BEB.T Aus den Gründen: Das OLG. geht bei 
ſeinen ſich auf die 88 3, 11 RG. vom 21. Juli 1879 
und 17. Mai 1898 ſtützenden Ausführungen davon 
aus, daß die beiden der Beklagten abgetretenen Hypo⸗ 
theken Nr. 8 und 9 vom Schuldner D. ſeiner Frau im 
letzten Jahre vor der Erhebung der Anfechtungsklage 
beſtellt worden ſind. Es hat hiernach mit Recht an⸗ 
genommen, daß die Anfechtbarkeit der Hypothek⸗ 
beſtellungen der Ehefrau D. gegenüber für den Fall, daß 
es ſich dabei um unentgeltliche Verfügungen handelt, 
nach den Ziffern 3 und 4 des 8 3 ohne weiteres ge⸗ 
geben ſein würde. Es hat aber weiter angenommen, 


daß die Anfechtbarkeit der Hypothekbeſtellungen auch 


Inlande nur erhoben werden, wenn das inländiſche 


Gericht auch nach den Geſetzen des Staates zuſtändig 
iſt, dem der Ehemann angehört. Dieſe Beſtimmung 
iſt mit Rückſicht darauf gegeben, daß Scheidungsurteile 
inländiſcher Gerichte häufig in dem Staate, dem die 


auf Grund der Ziffer 2 des 8 3, alſo für den Fall, 
daß es ſich dabei um entgeltliche Verträge handelt, 
und nach der Ziffer 1 des § 11 der Beklagten gegen- 
über begründet ſei und hiergegen allein richten ſich 
die Angriffe der Reviſion. Sie ſind hinfällig. Zuzu⸗ 
geben iſt, daß zur Begründung der Anfechtung nach 


der eben angeführten Beſtimmung nicht die Feſtſtellung 
genügte, daß der Beklagten beim Erwerb der Hypo⸗ 
theken die pekuniären Schwierigkeiten bekannt geweſen 
ſind, mit denen der Schuldner zu kämpfen hatte, ſon⸗ 
dern daß es dazu der Feſtſtellung bedurfte, daß der 
Beklagten bei jenem Erwerb die Umſtände bekannt 
geweſen ſind, die die Anfechtbarkeit des Erwerbes der 
Frau D. begründen, und daß zu dieſen Umſtänden — 
bei Zugrundelegung der Ziffer 2 des 8 3 — die Tat⸗ 
. gehört, daß durch die beiden Hypothekbeſtellungen 
ie Gläubiger des Schuldners D. benachteiligt worden 
find. Dies hat aber auch das OL. nicht verkannt. 
Es hat vielmehr die Benachteiligung der Gläubiger 
des D. durch die Hypothekbeſtellungen, wenngleich 
ohne weitere Begründung, ausdrücklich feſtgeſtellt und 
damit, daß es dies als „auf der Hand liegend“ be⸗ 
zeichnet und weiterhin feſtſtellt, daß die Beklagte ſchon 
nach dem Zirkular vom 30. April 1907 um die ſchlechte 
Vermögenslage des D. gewußt hat, deutlich genug 
ausgedrückt, daß der Beklagten bei ihrem Erwerbe 
jene Benachteiligung der Gläubiger auch zum Bewußt⸗ 
ſein gekommen ſei. In der Tat iſt die Belaſtung des 
Grundſtücks eines ſolchen Schuldners mit Hypotheken, 
wenn das Grundſtück nicht ſchon überlaſtet oder ſein Wert 
nicht ſchon durch die bereits beſtehenden Belaſtungen 
erſchöͤpft iſt, ohne weiteres eine Benachteiligung feiner 
Gläubiger; denn ſie liegt in jeder Veränderung, ins⸗ 
beſondere Verſchlechterung der Vermögenslage des 
Schuldners, durch die der Befriedigungsanſpruch der 
Gläubiger beeinträchtigt, deren Befriedigung aus dem 
Vermögen des Schuldners vereitelt oder erſchwert wird. 
Sie wird hier auch nicht dadurch ausgeſchloſſen, daß 
der Schuldner D. bei Beſtellung der Hypotheken etwa 
ſchon die Abſicht gehabt hat, ſeine Frau zur Ver⸗ 
pfändung oder Abtretung der Hypotheken an die Be⸗ 
klagte oder einen anderen Kapitaliſten zu veranlaſſen, 
um ſich dadurch Baukapital zu verſchaffen. Dies konnte 
nur Bedeutung haben für die Frage nach einer mit 
der Hypothekenbeſtellung verbundenen Abſicht der 
Gläubigerbenachteiligung und hätte . wie das 
OLG. ohne Rechtsirrtum angenommen hat, von der 
Beklagten behauptet und bewieſen werden müſſen. 
Zu den Umſtänden, die die Anfechtbarkeit des Erwerbes 
des Rechtsvorgängers begründen, im Sinne der Ziffer 1 
des § 11 gehört, inſoweit die Ziffer 2 en 3 in 
Betracht kommt, einmal: daß der entgeltliche Vertrag 
vom Schuldner mit ſeinem Ehegatten, oder einem Ver⸗ 
wandten oder Verſchwägerten der dort bezeichneten 
Art im letzten Jahre vor der Anfechtung abgeſchloſſen 
iſt, und ſodann, wie ſchon bemerkt: daß dadurch die 
Gläubiger des Schuldners benachteiligt worden ſind. 
Dagegen gehört nicht dazu die Kenntnis des Ehe⸗ 
gatten (Verwandten oder Verſchwägerten) des Schuld⸗ 
ners von einer Abſicht des letzteren die Gläubiger zu 
benachteiligen. Vielmehr war es Sache der Beklagten 
den in dieſer Beziehung in der Ziffer 2 des 8 3 zu⸗ 
gelaſſenen Gegenbeweis zu führen (vgl. Jur W. 1910 
S. 762 unter Nr. 33). Die Reviſion bemerkt endlich: 
es ſei ausgeſchloſſen, daß die Beklagte nach Einleitung 
der Zwangsverſteigerung wiſſentlich anfechtbare Hypo— 
theken erworben haben ſollte; dabei verkennt ſie, daß 
die Anfechtbarkeit nach Ziffer 1 des 8 11 vollends 
nicht davon abhängt, daß der Anfechtungsgegner ſich 
bei ſeinem Erwerbe der Anfechtbarkeit des Erwerbes 
ſeines Rechtsvorgängers bewußt geweſen iſt, daß er 
alſo aus den dieſe Anfechtbarkeit begründenden, ihm 
bekannt gewordenen Umſtänden auch den richtigen 
Schluß gezogen hat. Der von der Reviſion als ver— 
letzt bezeichnete 8 892 BGB. beſchränkt die Anfechtbars 
keit der im Grundbuch eingetragenen Rechte und der 
dieſen Eintragungen zugrunde liegenden Rechtsgeſchäfte 
auf Grund des bezeichneten Reichsgeſetzes nicht. Die 
Richtigkeit des Inhalts des Grundbuchs wird durch 
dieſe Anfechtbarkeit nicht berührt. (Urt. des V. 35. 


vom 12. Dezember 1910, V 163/10). 
218 


— — 2 n. 


SZ3ebitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1011. Nr. 7. 


— — 
— — — 


V. | 

Nichtbeachtung der Unfallverhätungsvorſchriften 
einer Berufsgensſſenſchaft. Gibt es Ausnahmen von 
dem Satze, daß fahrläſſig handelt, wer die Unfallver⸗ 
r ften nicht einhält, wer insbeſoendere ver⸗ 
stswidrig ingemdliche Arbeiter zu n Ver⸗ 
richtungen verwendet? Aus den Gründen: Das 
OLG. gibt der Klage zu, daß dem Betriebsunter⸗ 
nehmer, der den in den Unfallverhütungsvorſchriften 
angeordneten Vorſichtsmaßregeln dende regel⸗ 
mäßig der Vorwurf fahrläſſigen Verhaltens nicht zu 
erſparen ſein werde. Allein es gebe hiervon Aus⸗ 
nahmen, ſofern nach den beſonderen Verhältniſſen des 
Falles eine Abweichung von den ae 08: 
vorſchriften nicht als eine Verletzung der dem Betriebs» 
unternehmer kraft ſeines Berufes oder Gewerbes ob⸗ 
liegenden Sorgfalt angeſehen werden könne. Ein 
ſolcher Ausnahmefall liege hier vor: Der Berufungs⸗ 
richter hat auf Grund der Ausſage des ſachverſtändigen 
del fein und nach dem Eindrucke, den der junge G. 
ei ſeinem perſönlichen Erſcheinen vor Gericht gemacht 
hat, die Ueberzeugung gewonnen, daß der letztere ſchon 
zur Zeit des Unfalles ein über ſein Alter hinaus in 
geiſtiger und körperlicher Hinſicht entwickelter junger 
Menſch geweſen und deshalb ſchon damals wohl im⸗ 
ſtande geweſen ſei, eine Kreisſäge zu bedienen. Der 
Beklagte habe ſeinem Sohne, der zur fraglichen Zeit 
ſchon die körperliche Entwickelung eines Achtzehn⸗ 
jährigen gehabt habe, die Kraft und Fähigkeit zutrauen 
dürfen die an ſich gefährliche Arbeit an der Kreisſäge 
zu bewältigen. Der aus der Be aft erf eines jugend⸗ 
lichen Arbeiters herzuleitende Vorwurf werde hinfällig, 
weil der Beklagte einen zwar nur 14 — 15 Jahre alten, 
in ſeiner Kraft und Entwickelung aber einem Achtzehn⸗ 
jährigen gleichſtehenden Arbeiter an der Kreisſäge habe 
arbeiten laſſen. Der Unfall ſei ſomit ein unglücklicher 
auch bei Anwendung aller Sorgfalt nicht zu ver⸗ 
meidender Zufall. Auch ſonſtige geſetzliche Beſtimmun⸗ 
gen, aus denen ein Verſchulden des FAT herzu⸗ 
leiten wäre, insbeſondere 8 120 a, 8 120% Gew., 
618 BGB. ftänden der Klägerin nicht zur Seite. Es 
ei nach alledem widerlegt, daß die Verletzung des 
jungen G. mit einem Verſchulden des Beklagten in 

urſächlichem Zuſammenhange ſtehe. 
Die Entſcheidung des Vorderrichters iſt unhaltbar. 
Die Erſatzpflicht des Beklagten gemäß 8 136 GUV. 
hängt duvon ab, ob ihm eine, für den Unfall urſäch⸗ 
liche, fahrläſſige Körperverletzung zur Laſt fällt, — 
eine „qualifizierte“ Fahrläſſigkeit, nämlich eine ſolche 
mit Außerachtlaſſung derjenigen Aufmerkſamkeit, zu 
der der Betriebsunternehmer vermöge ſeines Gewerbes 
beſonders verpflichtet iſt. Dieſe Frage war nach ſtraf⸗ 
rechtlichen Grundſätzen zu beurteilen (RG. ZS. Bd. 66 
Nr. 57 S. 248, Bd. 69 Nr. 78 S. 344 ff., Bd. 62 Nr. 82 
S. 343, JW. 1906 S. 4037, 1907 S. 115 Nr. 18). Maß⸗ 
gebend iſt alfo hier 8 230 Abſ. 2 StGB. Der Berufungs⸗ 
richter hat dies anſcheinend nicht beachtet, doch wäre 
die Klägerin hierdurch an ſich nicht beſchwert, nament- 
lich wegen des für die ſtrafrechtliche Fahrläſſigkeit 
erforderlichen Momentes der Vorherſehbarkeit des Er⸗ 
folges. Aber es kommt hiernach nicht darauf an, ob 
die Unfallverhütungsvorſchriften als Schutzgeſetz im 
Sinne von § 823 Abſ. 2 BGB. anzuſehen find. Nicht 
zu billigen iſt jedoch die Beurteilung, die der Berufungs— 
richter im übrigen der Zuwiderhandlung gegen die 
Vorſchrift zugunſten des Beklagten angedeihen läßt. 
Die von einer Berufsgenoſſenſchaft in legaler Weiſe 
erlaſſenen Unfallverhütungsvorſchriften (GU VG. 8 112) 
haben nicht bloß die Bedeutung von Anleitungen oder 
Ratſchlägen über die von den Betriebsunternehmern 
zu treffenden Vorſichtsmaßregeln; es handelt ſich dabei 
vielmehr um Vorſchriften, die durch einen öffentlich— 
rechtlichen Akt der Berufsgenoſſenſchaft in deren Inter— 
eſſe aber zugleich im öffentlichen Intereſſe zur Ver— 


hütung von Betriebsunfällen erlaſſen für die Mitglieder 


bindend find, — und zwar derart verbindlich, daß die 
Mitglieder zur Befolgung der Anordnungen durch 
Zwangsmaßregeln angehalten und wegen deren Ueber⸗ 
tretung von den Genoſſenſchaften mit Strafe belegt 
werden können (vgl. RGS. 3 S. Bd. 72 Nr. 23 S. 114 f.). 
Wenn insbeſondere hinſichtlich der Beſchäftigung 
jugendlicher Arbeiter ein beſtimmtes Verbot aus⸗ 
des ift, fo gibt die Vorſchrift nicht nur eine 

ichtſchnur für die von den Genoſſenſchaftsmitgliedern 
zu treffenden Einrichtungen und Vorſichtsmaßregeln, 
ſondern es iſt eine ſolche kategoriſche Borſchrift von 
den Mitgliedern eben ben und unbedingt zu 
befolgen. Wird durch die Nichtbefolgung der Vorſchriſt 
ein Betriebsunfall herbeigeführt, ſo trifft in aller Regel 
den Unternehmer oder Leiter des Betriebes der Vor⸗ 
wurf der Fahrläſſigkeit und darnach auch die Verant⸗ 
wortlichkeit gemäß 8 230 Abſ. 2 oder 8 222 Abſ. 2 
StGB. Wenn der erkennende Senat ſchon ausgeſprochen 
hat, es könnten in einem einzelnen Falle die Umſtände 
ſo liegen, daß die Abweichung von einer Unfallver⸗ 
hütungsvorſchrift ſich rechtfertigen läßt und dem 
Zuwiderhandelnden nicht zum Verſchulden gereicht, ſo 
iſt dabei nicht an Fälle von der Art des gegenwärtigen 
zu denken, wo dauernd die verbotswidrige Beſchäftigung 
des Arbeiters ſtattgefunden hat. 

Eine Unfallverhütungsvorſchrift nun, welche die 
Beſchäftigung jugendlicher Perſonen unter einer genau 
beſtimmten Altersgrenze in dem Betriebe oder an ge⸗ 
wiſſen Maſchinen verbietet, beruht auf allgemeinen, im 
gewerblichen Leben und in den fraglichen Betrieben 
gewonnenen Erfahrungen. Sie iſt einem Durchſchnitts⸗ 
maßſtabe entnommen, der, als Niederſchlag ſolcher Er⸗ 
fahrungen über die fortſchreitende körperliche und 
geiſtige Entwickelung junger Arbeiter im Verhältnis 
zu der betreffenden Aa i die Grenzlinie ent⸗ 
ſprechend beſtimmen läßt, inſoweit als es zur Unfall⸗ 
verhütung geboten iſt. Durch die ſo feſtgeſetzte Alters⸗ 
grenze iſt die Beſchäftigung jüngerer Perſonen bei den 
Arbeiten ein⸗ für allemal ausgeſchloſſen. Nicht aber 
ſoll dem einzelnen Unternehmer gleichwohl geſtattet 
ſein, ein eigenes Ermeſſen walten zu laſſen und dar⸗ 
nach zu befinden, ob nach den Umſtänden, namentlich 
nach der Individualität des Arbeiters von der Unfall⸗ 
verhütungsvorſchriſt abgewichen werden dürfe. Andern⸗ 
falls wäre eine geringe Gewähr dafür gegeben, daß 
der Zweck der Vorſchrif erfüllt wird. (Urt. des IV. ZS. 
vom 26. Januar 1911, IV 25/10). 

2186 


— — n. 


VI. 


Eine Eidesverweigerung kaun nicht anf Grund des 
4119 568. angefochten werden. Aus den Gründen: 
Die Reviſion rügt die Verletzung des § 119 888., 
weil der Beklagte durch die in zweiter Inſtanz ab⸗ 
gegebene Erklärung: „Er habe den Eid nicht geleiſtet, 
weil er nicht gewußt habe und auch nicht habe feſt⸗ 
ſtellen können, ob der von W. akzeptierte Wechſel das 
Giro des Klägers getragen habe; er ſei jedoch jetzt 
bereit, den Eid zu leiſten“, ſeine Eidesverweigerung 
15 habe. Allein die Eidesverweigerung iſt, wie 
überhaupt prozeſſuale Erklärungen, nicht nach Maßgabe 
des 8 119 BGB. anfechtbar. An dieſem von dem er⸗ 
kennenden Senat in ſeinem Urteile vom 10. Oktober 1908 
(RG. 69, 261) ausgeſprochenen Rechtsgrundſatze wird 
feſtgehalten. un liegt zwar, wie in dieſem Urteile 
ebenfalls anerkannt iſt, eine Eidesverweigerung im 
Sinne der ZPO. nicht vor, wenn der Eidespflichtige 
nachweislich über den Inhalt der erklärten Weigerung 
im Irrtum war oder ſie in Wirklichkeit nicht erklären 
wollte. Aus jener in der Berufungsinſtanz abge⸗ 
falt Erklärung des Beklagten geht aber in keiner 

iſe hervor, daß eine dieſer Vorausſetzungen hier 
3 a az des I. 38S. vom 16. Januar 1911, 


— — en. 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. in Bayern. 1911. Nr. 7. 165 


B. rn: 


Anz id — als uulanterer 
PRO Aus om den: Die Voraus⸗ 
ſetzungen des 8 4 unls80. vom 7. Juni 1909 find im 
angefochtenen Urteil ohne Rechtsirrtum nachgewieſen. 
Die Strafkammer ſtellt ausdrücklich feſt, daß das hier 
in Betracht kommende Schild des Angeklagten auf das 
Publikum den Eindruck machen mußte, als ob der 
Angeklagte im Gegenſatze zu anderen Zahnärzten und 
Zahntechnikern etwas beſonderes leiſte, und daß das 
— dem Inhalte des Schildes entnommene — unbe⸗ 
dingte Verſprechen, ſchmerzlos zu ziehen, geeignet war, 
bei der im Publikum allgemein verbreiteten großen 
Furcht vor den Schmerzen beim Zahnziehen dem An⸗ 
geklagten manche Kunden zuzuführen, die bei Kenntnis 
der wahren Sachlage nicht gekommen wären. Auf 
ie tatſächlichen Grundlage ift nicht nur die Ans» 
nahme rechtlich un daß das Schild eine zur 
Irreführung geeignete Angabe enthielt, Des auch 
die Feſtſtellung, daß die Angabe unwahr iſt. Die 
Strafkammer war hierbei in tatſächlichen Erwägungen 
zu der Auffaſſung gelangt, daß die vom Angeklagten 
gewählten Worte „ſchmerzloſes Zahnziehen“ keines⸗ 
wegs nur ein Reklameausdruck ſeien, der vom Publikum 
nicht wörtlich verſtanden werde. Soweit der Bes 
ſchwerdeführer in feiner Reviſionsſchrift das Gegenteil 
behauptet, kann daher ſein Vorbringen nicht beachtet 
werden. (Urt. des V. StS. vom 10. Februar 1911, 
VD. 1032/10). 
2192 


— - —ı. 


II. 


Berichtigungs verfahren beim S gern 
der Niederſchrift des berichtigten Spruches. Aus den 
Gründen: Der Obmann, der den urſprünglichen 
Spruch im erſten Berichtigungsverfahren mit einen 
Namen unter Beifügung ſeiner Eigenſchaft als Ob⸗ 
mann unterſchrieben hatte, hat die im zweiten Be⸗ 
richtigungsverfahren gemachten Berichtigungen über 
dieſe erſtmalige Unterſchrift geſetzt. Der Spruch würde 
hiernach, ſelbſt wenn er vom Obmann nicht noch ein⸗ 
mal unterſchrieben worden wäre, auch in ſeiner ſchließ⸗ 
lichen Form durch die urſprüngliche Unterſchrift des 
Obmanns im Zuſammenhalt mit der Beurkundung 
über die Verkündung des Spruchs im Sitzungsprotokoll 
gedeckt ſein. Hier hat aber der Obmann den berich⸗ 
tigten Spruch in ſeiner endgültigen Faſſung nochmals 
unterſchrieben. Daß er dieſer Unterſchrift nicht noch⸗ 
mals ſeine Eigenſchaft als Obmann beigefügt hat, 
bildet keinen Mangel des Spruchs. Denn die Bei⸗ 
[nous dieſer Eigenſchaft zur Unterſchrift des Obmanns 
ſt nicht unentbehrlich. Hier war ſie um ſo entbehr⸗ 
licher, als nicht nur die erforderliche Feſtſtellung, daß 
Gr. Obmann war, ſich im Sitzungsprotokolle indet, 
ſondern auch im Spruche ſelbſt aus dem Zuſatze zur 
erſtmaligen Unterſchrift zum Ausdruck gebracht iſt, 
daß Gr. Obmann war und als ſolcher unterſchrieben 
hat. Unſchädlich iſt auch, daß außer dem Obmann 
auch noch die übrigen Geſchworenen den berichtigten 
Spruch unterſchrieben haben, und daß die Unterſchrift 
des Vorſitzenden und des Gerichtsſchreibers unter dem 
berichtigten Spruche ſich nicht unmittelbar an die 
auen des Obmanns anſchließt, ſondern ſich 
unterhalb der Namen aller Geſchworenen befindet. 
Denn auch ſo befindet ſie ſich unterhalb des Spruchs 
und unterhalb der Unterſchrift des Obmanns. 
Allerdings iſt nach § 312 StPO. der berichtigte 
Spruch in der Weiſe niederzuſchreiben, daß der frühere 
erkennbar bleibt. Der Sinn dieſer Vorſchrift iſt jedoch 
nur der, daß dem Reviſionsgerichte die Möglichkeit 
gegeben werden muß zu prüfen, ob der urſprüngliche 
Spruch an einem Mangel gelitten hat, der die Be⸗ 
richtigung erforderlich machte. Es kann deshalb ge— 
nügen, wenn der Inhalt des früheren Spruchs und 


166 


— un 


die Art der Berichtigung mit Zuhilfenahme des 
Sitzungsprotokolls erkannt werden kann. Das iſt ins⸗ 
beſondere dann der Fall, wenn es ſich, wie hier, um 
die Beifügung der verſehentlich weggelaſſenen Unter⸗ 
ſchrift des Obmanns und um die Veifügung der be⸗ 
ſchloſſenen aber verſehentlich nicht niedergeſchriebenen 
Antwort auf eine Hauptfrage handelt. Aber auch die 
Berichtigung der Antwort zu Frage 8 dadurch, daß 
die der Antwort verſehentlich beigefügten Klammern 
weggeſtrichen ſind, genügt den zu ſtellenden Anforde⸗ 


rungen, denn aus dem Sitzungsprotokoll ergibt ſich 


deutlich, daß dieſe Klammern vorher nicht weggeſtrichen 
waren. Der frühere Spruch iſt alſo überall erkennbar. 
(Urt. des V. StS. vom 14. Februar 1911, V D. 1195/10). 

2191 


N. 


Oberſtes Landesgericht. 
Zivilſachen. 
I 


Das Recht einer Gemeinde aus einer Waldung vor 
Anderen gegen die Bezahlung der forſtamtlich jeſtge⸗ 
nellten Preiſe die Eichelernte zu beziehen, kaun ein die 
Waldung belaſtendes, dingliches und eintragungsfähiges 
Recht ſein. Nach dem Grundſteuerkataſter beſitzt die 
Gemeinde L. das „Vorrecht zum Eichelleſen in der 
Waldung N. gegen Zahlung der forſtamtlich beſtimmten 
Kaufpreiſe.“ Mitte April 1909 meldete die Gemeinde 
dieſes Recht bei dem Amtsgerichte N. zur Eintragung 
in das Hypothekenbuch an. Da das Forſtärar die Zus 
ſtimmung verweigerte, wurde das Recht von dem 
Hypothekenamt am 16. April 1909 in der 2. Abteilung 
in folgender Faſſung vorgemerkt: „Vorrecht der Ge⸗ 
meinde L. zum Eichelleſen in der Waldung N. PlNr. 
1803 ff. der Steuergemeinde W.“ Nach dem erfolg⸗ 
loſen Verſuch einer gütlichen Ausgleichung wurden die 
Parteien auf den Rechtsweg verwieſen. Am 29. April 
1910 ſtellte das Forſtamt N. namens des Forſtärars 
an das Grundbuchamt, für deſſen Bezirk ſeit dem 1. Mai 
1909 das Grundbuch als angelegt anzuſehen iſt, den 
Antrag, die Vormerkung nach 3 54 Abſ. 1 Satz 2 G80. 
und 8 74 DAG BAe. als unzuläſſig zu löſchen, weil 
das von der Gemeinde beanſpruchte Vorrecht, die Eichel⸗ 
maſt zu kaufen oder zu pachten, den Staat nicht in 
der Verfügung über die Waldungen, ſondern nur in 
der Verfügung über die Früchte beſchränke, ſohin weder 
eine Dienſtbarkeit noch ein anderes dingliches, ein⸗ 
tragungsfähiges Recht bilde. Das GBA. hat den An⸗ 
trag abgewieſen, weil die Vormerkung ihrem Inhalte 
nach ein dingliches Recht zum Gegenſtande habe. Die 
Beſchwerde des Regierungsfiskalats wurde zurückge— 
wieſen. Die weitere Beſchwerde hatte keinen Erfolg. 

Gründe: Mit Recht haben die Vorinſtanzen ans 
genommen, daß die Vormerkung ihrem Inhalte nach ein 
eintragungsfähiges dingliches Recht zum Gegenſtande 
hat. Die Beſchwerdeausführungen ſind beeinflußt durch 
die Vorſchriften, die das römiſche Recht über die Be— 
rechtigungen an fremden Sachen aufitellt. Dieſe Vor— 
ſchriften haben aber im deutſchen Rechte weſentliche 
Aenderungen erfahren. Das bayeriſche Landrecht, das 
hier maßgebend iſt, hat mehrere Grundſätze, die das 
römiſche Servitutenrecht beherrſchen, als „Subtilitäten“ 
aufgegeben, den Inhalt der Dienſtbarkeit auf Leiſtungen 
ausgedehnt (T. II K. 7 8 2 Nr. 1), die Reallaſt mit 
der Dienſtbarkeit vereinigt (8 2 Nr. 6 u nebſt Anm. 3 
zu 82) und die Verknüpfung der Berechtigung mit Gegen— 
leiſtungen zugelaſſen (Anm. z. L. R. II K. 8 8 15 Nr. 1e 
2f, 10e d. 15). Bei dieſer geſetzlichen Regelung 
des Begriffes der Dienſtbarkeiten beſtehen keine Be— 
denken, den Inhalt der Vormerkung dahin zu ver— 
ſtehen, daß die Gemeinde an den Waldungen das ding— 
liche Rechthat, vor anderen gegen Zahlung der forſtamt— 
lich feſtgeſtellten Preiſe die alljährlich anfallende Eichel— 


ernte zu beziehen. Durch die Gegenleiſtung wird das 
Rechtsverhältnis nicht zu einem Kauf oder Vorkauf ge: 
ſtaltet. Der Bezug der einzelnen Ernte und die Bewirkung 
der einzelnen Gegenleiſtung ſind nur die regelmäßig 
wiederkehrenden Ausflüſſe des dauernden Grundverhält⸗ 
niſſes, das an den Waldungen ſelbſt haftend als ein die 
Grundſtücke belaſtendes, dingliches, eintragungsfähiges 
Nutzungsrecht angeſehen werden kann (Erkenntniſſe des 
Bayeriſchen Oberappellationsgerichts vom 13. Juni 
1846 und 13. März 1866 in den BlfR A. Bd. 13 S. 286, 
Vd. 31 S. 269). Demnach kann die Zuläffigfeit der 
Vormerkung, die jetzt, wo das Grundbuch als ange⸗ 
legt anzuſehen iſt, die Bedeutung eines Widerſpruchs 
im Sinne des 8 899 BGB. hat, nicht beanſtandet werden 
(Henle⸗Schmitt, Grundbuchweſen, Bem. 1 am Schluſſe 
zu Art. 22 AG. zur EBD. Henle⸗Schneider, A., Vor⸗ 
bem. 1 Abſ. 2 zu Art. 44, 45, UeG.). (Beſchl. des 
I. ZS. vom 10. Februar 1911, Reg. III. e 
2181 i 


II. 


Wenn Grundftäde nach dem Ableben des einen 
Elternteils den Kindern zum Miteigentum zugeſallen 
find, aber nach dem Mainzer Landrechte dem überlebenden 
Elternteile der Beiſitz zuſteht, fo kaun wicht ohne deſſen Zu⸗ 
ſtimmung auf dem Anteil eines Miterben eine Sicherungs⸗ 
hypsthek eingetragen werden. Zu dem Nachlaſſe des 
Zimmermanns Valentin L. gehörten dreizehn Grund⸗ 
ſtücke, die er in die Ehe eingebracht hatte. Bei der An⸗ 
legung des Grundbuchs wurde in das Hypothekenbuch ein⸗ 
getragen, daß als die geſetzlichen Erben des Valentin L. 
ſeine ſieben Kinder, darunter die mit dem Kupferſchmied 
Auguſt S. in A. verheiratete Maria L. und der Schneider 
Konrad L. in G., Miteigentümer der Grundſtücke zu 
gleichen Anteilen ſind und daß der Zimmermanns⸗ 
witwe Margarete L. in G., der Mutter der Miteigen⸗ 
tümer, die mit ihrem Manne im Güterſtande des Mainzer 
Landrechts lebte, der Beiſitz an den Grundſtücken zuſteht. 
Auguſt W. hat am 24. März 1909 gegen die Kupfer⸗ 
ſchmiedseheleute Auguſt und Maria S. einen Boll- 
ſtreckungsbefehl für 3925 M erwirkt; in dem Boll: 
ſtreckungsbefehl iſt Auguſt S. angewieſen, die Zwangs⸗ 
vollſtreckung in das eingebrachte Gut ſeiner Ehefrau 
zu dulden. Auf Grund dieſes vollſtreckbaren Titels 
beantragte Auguſt W. bei dem Grundbuchamt für 
einen Teil ſeiner Forderung an dem Anteile der 
Maria S. an den ihr und ihren Geſchwiſtern gehörenden 
dreizehn Grundſtücken Sicherungshypothek einzutragen; 
er gab an, wie die 510 M auf die Grundſtücke zu ver⸗ 
teilen ſeien. Das GBA. lehnte den Antrag ab, weil 
von der Eintragung der Vollſtreckungshypothek das 
Beiſitzrecht der Witwe L. betroffen werde. Auf die 
Beſchwerde des W. hat das Landgericht die Verfügung 
aufgehoben. Das Landgericht hielt nach dem Mainzer 
Landrechte die Einwilligung der Witwe Margarete 
L. oder eines Dritten zu der von Auguſt W. bean— 
tragten Eintragung der Sicherungshypothek nicht für 
notwendig. Auf Grund dieſer Entſcheidung hat das 
GBA. die Sicherungshypothek für Auguſt W. antrags⸗ 
gemäß eingetragen. Auf die weitere Beſchwerde der 
Witwe Margarete L. hat das Oberſte Landesgericht 
das GBA. angewieſen auf dem Blatte für die Nachlaß— 
grundſtücke einen Widerſpruch gegen die Richtigkeit der 
Eintragung der Sicherungshypothek des Auguſt W. 
einzutragen. 

Gründe: Wie der Senat ſchon in dem Beſchluſſe 
vom 9. Dezember 1910!) ausgeführt hat, erſchöpft ſich 
nach dem Mainzer Landrechte das Beiſitzrecht des über— 
lebenden Ehegatten an dem eingebrachten Gute des 
zuerſt verftorbenen, deſſen geſetzliche Erben die gemein— 
ſchaftlichen Kinder find, nicht in dem „usus fructus 
oder Nießbrauch“, dem Beiſitzberechtigten gebührt auch 
die Verwaltung des eingebrachten Gutes. Kraft des 


1) Abgedruckt in Nr. 8 dieſes Jahrgangs S. 70, 71. 


Verwaltungsrechtes kann er über den Stamm dieſes 
Vermögens, ſoweit nicht verzehrbare Sachen in Betracht 
kommen, die dem Nießbrauch unterworfen find, nicht 
unbeſchränkt verfügen, er bedarf der Zuſtimmung der 
Kinder, denen das Eigentum zuſteht. Andererſeits ſind 
aber auch die Kinder bei Verfügungen über das zu dem 
eingebrachten Gute gehörende Vermögen an die Zu⸗ 
ſtimmung des Beiſitzberechtigten gebunden. Das gilt, 
wenn Grundſtücke in Frage kommen, nicht nur von 
der Veräußerung ſondern auch von der Verpfändung, 
mag die Hypothek an dem ganzen Grundſtück oder an 
dem ideellen Anteil eines der Kinder an dem Grund⸗ 
ſtücke beſtellt werden. Die Beſtellung einer Hypothek 


greift in die Verwaltung eines Grundſtücks ein, ſie 


macht eine Veräußerung, die ſich als notwendig oder 
nützlich erweiſt und von den Eigentümern unter 
Zuſtimmung des Beiſitzberechtigten beſchloſſen wird, 
unter Umſtänden unmöglich. Das trifft auch auf die 
Sicherungshypothek zu, die nachträglich in eine ge⸗ 
wöhnliche Hypothek umgewandelt werden kann. Eine 
Hypothek, bei der der Gläubiger für gewiſſe Zeit, hier 
für die Dauer des Beiſitzes, in der Geltendmachung 
ſeiner Rechte gehemmt iſt, eine bedingte Hypothek, wie 
das Beſchwerdegericht annimmt, iſt dem BGB. unbe⸗ 
kannt. Sind hiernach nach dem Mainzer Landrechte 
die Kinder durch das Beiſitzrecht des überlebenden 
Elternteils in der Veräußerung und Belaſtung des Ver⸗ 
mögens beſchränkt, das zum eingebrachten Gute des 
verſtorbenen Eheteils gehört, ſo darf auch ein Gläubiger, 
der an dieſem Vermögen im Wege der Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung Befriedigung oder Sicherung ſuchen will, nicht 
vollſtrecken, wenn er nicht bei dem Vorhandenſein einer 
materiellrechtlichen Duldungspflicht auch in der Richtung 
gegen den Beiſitzberechtigten einen vollſtreckbaren Titel 
erlangt hat. Dieſer kann, ſoweit es ſich um die Ein⸗ 
tragung einer Sicherungshypothek handelt, nach der 
allgemeinen Vorſchrift des 8 19 GBO. durch die in 
der Form des 8 29 erklärte Einwilligung des Beiſitz⸗ 
berechtigten erſetzt werden. Dieſe Vorausſetzung iſt 
hier nicht erfüllt. Das Grundbuch iſt deshalb durch 
die unter Verletzung geſetzlicher Vorſchriften von dem 
Landgericht angeordnete Eintragung einer Sicherungs⸗ 
hypothek unrichtig geworden; es war ſohin die Ein⸗ 
tragung eines Widerſpruchs nach § 54 Abſ. 1 Satz 1 
GBO. zu veranlaſſen, ohne daß es der Aufhebung der 
vollzogenen und im Koſtenpunkte die Margarete L. 
nicht beſchwerenden Anordnung des Beſchwerdegerichts 
bedurfte. (Beſchl. des I. ZS. vom 3. Februar 1911, 
Reg, III 6/1911). W. 

188. 


Literatur. 


Jaeger, Dr. Eruſt, Profeſſor der Rechte zu Leipzig, 
Kommentar zur Konkursordnung und den 
Einführungsgeſetzen mit einem Anhang, enthaltend 
das Anfechtungsgeſetz, Auszüge aus den Koſten— 
geleben, Ausführungsgeſetze und Geſchäftsordnungen. 

. und 4. neubearbeitete Auflage. 3. Lieferung. 
es J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, 
m. b. H. 


Nach mehrjähriger Pauſe iſt ſoeben erſt die dritte 
1 un Wider Erwarten bringt fie nicht 
den Schluß des Werkes, ſondern nur den Schluß des 
erſten Bandes, nämlich die 88 42 — 70. Lieferung 1 
iſt bekanntlich bereits 1907, Lieferung 2 1908 erſchienen. 
Wenn die neue Auflage in dem gleichen langſamen 
Tempo weitergeführt wird, dann können wir für etwa 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


— —— —œ—ĩ— . —2:.·Aiůe —̃ —¼öæ — v—y — — — nn 
— ——— ͤ ꝓù . — 4 ·˙*ͤi!’n— —-— ——— ͤ w—4—ęVę— 2 ůů—jLðv—t— —̃ͤꝛ ·˙*ꝛ⸗..ů—ů ů—ů—ů—— — — — 


1915 die Vollendung der neuen Auflage erwarten. In 


der Zwiſchenzeit ſind dann aber die früheren Lieferungen 
veraltet, und ſo iſt aufs dringendſte ſchon jetzt zu 


wünſchen, daß die Schlußlieferung zugleich einen Nach- 


trag mit herausbringen möchte, der das ganze Werk 


167 


allenthalben auf die Höhe hinaufführt, die Geſetzgebung, 
Wiſſenſchaft und Rechtſprechung bei Vollendung der 
Neubearbeitung haben werden. Iſt es ſchon bei einem 


Werk wie Staudingers BGB. 5. /6. Aufl. trotz der nicht 


genug zu rühmenden Schnelligkeit der Aufeinanderfolge 
der Lieferungen ftörend, daß die letzten Lieferungen 
einen fortgeſchritteneren Standpunkt einnehmen als die 
erſten, ſo wächſt ſich ein ſolcher Nachteil bei einem ſo 
langſamen Erſcheinen wie bei Jaegers KO. zu einem 
Uebelſtand aus, der ohne die von mir angeregte Ab⸗ 
hülfe den Wert des Werkes ganz erheblich beein⸗ 
trächtigt. Das wäre aber ganz beſonders zu beklagen 
gerade bei Jaegers Werk, das an Umfang und Be⸗ 
arbeitung, an Stofffülle und Materialbeherrſchung unter 
den Kommentaren zur KO. an Beachtung und Einfluß 
einzig daſteht. Rechtsanwalt Dr. Böckel, Jena. 


Oetker, Dr. Friedr., Profeſſor, Wirkſamkeit der 
Entſcheidungen, Präkluſion von Beſchwer⸗ 
den, Einſtellungsbeſchluß und Rechts⸗ 
hängigkeit. Bemerkungen zur Entſcheidung des 
Reichsgerichts Strafſachen Bd. 41 S. 277 ff. Leipzig 
(C. L. Hirſchfeld) 1910. 52 S. 1.20 M. (Würzburger 
Abhandlungen zum deutſchen und ausländiſchen 
Prozeßrecht, herausgegeben von Mendelsſohn Bar⸗ 
tholdy und Oetker. Heft 2.) 


Verfaſſer unterzieht in dem vorliegenden 2. Heft 
der ſchon im Jahrg. 1910 S. 264 dieſer Zeitſchrift an⸗ 
gezeigten „Würzburger Abhandlungen“ die prozeſſualen 
Entſcheidungen in der aus mancherlei Gründen berühmt 
gewordenen Beleidigungsſache Moltke / Harden einer 
kritiſchen Prüfung hinſichtlich der durch den Titel der 
Schrift bezeichneten Punkte und liefert damit einen 
wertvollen Beitrag zur Löſung überaus beſtrittener 
und noch wenig geklärter prozeſſualer, Probleme. Dr. 


Laforet, Dr. W., K. Bezirksamtsaſſeſſor im Bayer. Staats⸗ 
miniſterium des Innern, Das Zwangs ab⸗ 
tretungsgeſetz vom 17. November 1837 in der 
Faſſung der Novelle vom 13. Auguſt 1910 und der 
Abſchnitt Zwangsenteignung des Ausführungsgeſetzes 
zur Reichszivilprozeßordnung in der Faſſung der 
Bekanntmachung vom 26. Juni 1899. XII, 293 S. 
München und Berlin 1910, (Schweitzers [blaue] 
Textausgaben) J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 
Geb. Mk. 3.20. 


Eine ſehr gründliche und ſelbſtändige Bearbeitung, 
die zwar äußerlich in den Formen einer erläuterten 
Textausgabe gehalten iſt, nach der ſachlichen Behand⸗ 
lung des Stoffes aber Anſpruch auf die Bezeichnung 
als Kommentar erheben darf. Der zivilrechtliche Teil 
des Geſetzes iſt nicht zu kurz gekommen. Die Anlage 
iſt überſichtlich; die Literatur iſt ſorgfältig berückſichtigt 
und überprüft. — — f — — 
Meisner, Chriſtian, Rechtsanwalt in Würzburg. Das 

in Bayern geltende Nachbarrecht mit Be⸗ 
rückſichtigung des Berg⸗ und Waſſerrechts. 2. voll» 
ſtändig umgearbeitete und vermehrte Auflage. XVI, 
493 S. München und Berlin 1910, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 11.50. 


Der Verfaſſer hat den in zahlreichen Reichs- und 
Landesgeſetzen verſtreuten Rechtsſtoff mit Sorgfalt aus 
ſammengetragen und mit voller wiſſenſchaftlicher Selb» 
ſtändigkeit verarbeitet. Eine unendliche Menge kleiner 
und großer Streitfragen iſt behandelt, was um ſo 
dankenswerter iſt, als auf dem Gebiete des Nachbar— 
rechts oberſtrichterliche Entſcheidungen weit ſeltener 
ergehen als auf anderen; infolge der Novelle zur ZPO. 
von 1909 werden auch die oberlandesgerichtlichen Urteile 
noch ſpärlicher werden als bisher. Das Buch iſt ins— 
beſondere für den Amtsrichter und für die Rechts— 
anwälte an den kleineren Amts- und Landgerichtsſitzen 
unentbehrlich, aber auch den höheren Gerichten und 


168 


dem ſtädtiſchen Anwalt wird es — befonders in 
Rechtsſtreitigkeiten nach 88 904 ff. BB. und in den 
oft recht mißlichen Kommunmauer⸗Prozeſſen u. dgl. — 
gute Dienſte tun. — f — — 


Weber, Bayeriſche Cemeindeordnung, 9. Auflage. 
Herausgegeben von Carl Anguſt ven Sutuner, K. Re⸗ 
ce München 1911, C. H. Beckſche Verlags⸗ 

uchhandlung Oskar Beck. 367 S. Geb. Mk. 3.—. 


Weber⸗Sutners überaus praktiſche Handausgabe 
der Gemeindeordnung erfreut ſich allenthalben der 
größten Beliebtheit und hat eine Anpreiſung füglich 
nicht mehr nötig. Die nunmehr vorliegende 9. Auf⸗ 
lage hat die infolge der raſch ſchreitenden Geſetzgebung 
(Gemeindewahlrecht, Gemeindeſteuern) erforderlichen 
Ergänzungen und Berichtigungen erhalten, und auch 
die Rechtſprechung des Verwaltungsgerichtshofes iſt 
aufs ſorgfältigſte nachgetragen. F. 


Jaſtrow, Hermann, Amtsgerichtsrat in Berlin, Jor⸗ 
mularbuch und Notariatsrecht. Im An⸗ 
ſchluß an das C. F. Koch'ſche Formularbuch. Fünf⸗ 
zehnte (nach dem BGB. fünfte) Auflage. I. und 
II. Teil. XXIV, 546 S., XX, 648 S. Berlin 1910, 
J. Buttentag, Verlagsbuchhandlung. 


Die hohe Auflagenzahl zeigt zur Genüge die 
Beliebtheit dieſes Buches. Auch in Bayern hat es 
vielfach Eingang gefunden, obwohl es im weſentlichen 
auf preußiſche Verhältniſſe zugeſchnitten iſt. Wenn es 
erlaubt iſt, bei der Beſprechung eines ſo bedeutſamen 
Buches einen Wunſch zu äußern, ſo möchte ich die 
Aufmerkſamkeit des Verfaſſers darauf lenken, daß die 
im Formularbuch abgedruckten Muſter nicht ganz frei 
vom „Amtsdeutſch“ find. Ein Werk, das fo ſehr ver⸗ 
breitet iſt, würde ſich ein Verdienſt erwerben, wenn 
es ſeine Leſer auch zu ſauberer und von Sprachfehlern 
freier Faſſung der Urkunden anleiten würde. Die 
Beiſpiele leiden häufig an der ſog. „Hauptwort⸗ 
krankheit“. „Die Erreichung des Zwecks ſoll erfolgen“, 
ſtatt „Der Zweck ſoll erreicht werden“; „Eine Ab⸗ 
änderung der Satzungen kann nur durch einen Mehr⸗ 
heitsbeſchluß von zwei Dritteln .... erfolgen“, ftatt 
„Die Satzungen kann nur ein Mehrheitsbeſchluß von 
zwei Dritteln .... ändern“ uſw. Wir finden auch 
zuweilen das von Wuſtmann mit Recht verpönte 
„voll“ ſtatt „ganz“. Gefährlich ſcheint uns auch der 
Ausdruck „die jetzt bereiteſte () Stelle“ zu fein (S. 73). 
Es wird nicht ſchwer fallen, einen Sprachkenner zu 
finden, der einmal alle Muſter prüft und umgeſtaltet. 
von der Pfordten. 


Steinbach, Dr. F., K. Bezirksamtsaſſeſſor in Roſenheim. 
Gewerbeordnung für das Deutſche Reich 
mit den Nebengeſetzen und den Ausführungsbe⸗ 
ſtimmungen für das Reich, für Preußen und Bayern. 
Mit Erläuterungen und ausführlichem Sachregiſter. 
XVIII, 1032 Seiten. München und Berlin 1910, 
(Schweitzers [blaue] Textausgaben) J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Gebunden Mk. 4.50. 

An Ausgaben der Gewerbeordnung iſt gerade 
kein Mangel, dennoch wird ſich die neue Bearbeitung 
von Steinbach neben den älteren Werken durchſetzen 
können. 
bieten aber das für den täglichen Gebrauch Notwendige. 
Da die Nebengeſetze mitabgedruckt und die Vollzugs— 
vorſchriften mit aller wünſchenswerten Vollſtändigkeit 
berückſichtigt ſind, auch der Preis trotz des ziemlich 
großen Umfangs des Buches mäßig iſt, eignet ſich das 
auch vorzüglich für die Praxis. 


— — — — 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 


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Die Erläuterungen ſind kurz und gedrängt, 


Könige, 8. Reichsgerichtsrat. Geſetz, über die 
privaten Verſicherungsunternehmungen. 
Vom 12. Mai 1901. Textausgabe mit Anmerkungen 
und Sachregiſter. 2. Aufl., 592 S. Berlin 1910 
J. Guttentag. ö 


Daß dieſe Ausgabe die 2. Auflage erlebt hat, 
obwohl das Privatverſicherungsgeſetz in zahlreichen 
kleineren und größeren Ausgaben kommentiert worden 
115 bürgt allein ſchon für ihre Gediegenheit und prak⸗ 
tiſche Brauchbarkeit. 


Dr. Lothar v. Seuffert, o. ö. Profeſſor der Rechte in 
München, K. Geheimem Rat, Kommentar zur 
eee in der Faſſung der Be⸗ 
antmachung vom 20. Mai 1898 mit den Aende⸗ 
rungen der Novellen vom 5. Juni 1905, 1. Juni 
1909 und 22. Mai 1910 nebſt den Einführungs⸗ 
geſetzen. Elfte, neubearbeitete Auflage. 10. (Schluß⸗) 
Lieferung. München 1911. C. H. Beck'ſche Ver⸗ 
lagsbuchhandlung Oskar Beck. 

it der 10. Lieferung vollendet, liegt der Kom⸗ 
mentar nun in zwei ſtattlichen Bänden von 753 und 

899 Seiten vor uns, der erſte große Kommentar, der 

den Rechtszuſtand auf Grund des Geſetzes vom 22. Mai 

1910 allenthalben darſtellt. Beſonders ſorgfältig ſind 

die Rechtsänderungen des Geſetzes vom 1. Juni 1909 

allenthalben berückſichtigt und in ihrer praktiſchen 

Ausgeſtaltung erörtert. Ich kann nur wiederholen, 

daß ich den Seuffert um der beſſeren Ueberſichtlichkeit 

willen für den täglichen Gebrauch dem Gaupp⸗Stein 
vorziehe. Das Lob des Kommentars erſtreckt ſich auch 

auf das Wort⸗ und Sachregiſter (S. 845—899). 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Notizen. 


Die Einhebegebühren des gerichtlichen Diener: und 
Botenperſenals. Nach der Vorſchrift im 8 97a Abſ. 2 
Satz 1 des GKG. (Novelle vom 1. Juni 1909) können 
Koſtenbeträge bis zu 20 M durch Poſtnachnahme ein⸗ 
gezogen werden. Nach Art. 39 des Geb. in der 
Faſſung vom 13. Juli 1910 gilt dieſe Vorſchrift auch 
für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
(vgl. den Abſchnitt III der Bek. vom 12. Auguſt 1910, 
den Vollzug des GKG. und des Geb. betr., JIM Bl. 
1910 S. 719/20). Die Nebeneinnahmen, die bisher 
den Gerichtsboten und Gerichtsdienern durch die Er⸗ 
hebung von Gebühren bei der Einziehung von Ge⸗ 
richtskoſten zufloſſen (Ziffer 2 der Bek. vom 1. Juli 
1884, die Mitwirkung der Gerichtsboten und Amts⸗ 
gerichtsdiener bei der Erhebung von Gerichtskoſten 
betr., JM Bl. 1884 S. 122), find infolge dieſes neuen 
Verfahrens bedeutend zurückgegangen. Dieſer Rüd- 
gang hat Anlaß zu der Anordnung gegeben, daß die 
ſog. Einhebegebühren vom 1. April 1911 an für die 
Staatskaſſe eingezogen werden ſollen, wogegen die mit 
der Koſtenerhebung befaßten Boten und Diener durch 
eine neue Regelung ihrer Gehaltsbezüge entſchädigt 
werden (Bek. vom 8. Februar 1911, IM Bl. 1911 S. 67, 
68). Geändert werden infolgedeſſen auch die Formulare 
zu dem allgemeinen Gebührenregiſter der Gerichts- 
ſchreibereien, zum Gebührenregiſter bezüglich des 
Grundbuchweſens und zum Einzugsregiſter für die 
Geldſtrafen und Koſten in Strafſachen (ſ. JM Bl. 1910 
S. 643 ff.). 


2195 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 8. 


München, den 15. April 1911. 


7. Jahrg. 


— — — — 
— (no 


Zeitfhrift für Rehlspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. Sandgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats /. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N. 
Poſtanſtalt. 8 


Nachdruck verboten. 


in Bayern 


Zum Begriffe des „öffentlichen Elektrizitäts- 


werks“ im Sinne der Novelle zum Zwangs⸗ 
abtretungsgeſetze vom 13. Auguſt 1910. 


Von Juſtizrat Dr. Moritz Obermeyer, Rechtsanwalt 
in München. 


Die Novelle vom 13. Auguſt 1910 zum Zwangs⸗ 
abtretungsgeſetz vom 17. November 1837 hat, 
abgeſehen von den Erweiterungen in den neuen 
Ziffern 10 und 15 des Art. I des Geſetzes vom 
17. November 1837, eine äußerſt bedeutungsvolle 
Ausdehnung des Enteignungsrechts in der nun⸗ 
mehrigen Ziffer 16 des Geſetzes vom 17. Novem⸗ 
ber 1837 gebracht. Danach kann, wenn die 
übrigen Vorausſetzungen des Art. I des Geſetzes 
vom 17. November 1837 vorliegen, die Zwangs⸗ 
abtretung auch verlangt werden zur Errichtung 
und Aenderung öffentlicher Elektrizitäts⸗ 
werke und ſonſtiger Anlagen zur Erzeugung 
von Licht, Kraft oder Wärme mit Einſchluß der 
dazu gehörigen Nebenanlagen, Reſerveanlagen und 
Leitungen, dann zur Fortleitung der gewonnenen 
Kraft aus den unter Art. 153 des Waſſergeſetzes 
fallenden Anlagen. 

Wie bekannt hatte das Waſſergeſetz vom 
23. März 1907 in Art. 153 Ziff. 3 und 4 die 
Zwangsenteignung nur für zuläſſig erklärt für 
Unternehmungen des Staates und für 
genoſſenſchaftliche Unternehmungen, zur 
Benützung von Gewäſſern, insbeſondere zur Her: 
ſtellung und zur Unterhaltung von Bewäſſerungs⸗ 
und Entwäſſerungsanlagen, Stau- und Trieb⸗ 
werksanlagen und Sammelbecken. Der urſprüngliche 
Regierungsentwurf zum Waſſergeſetz hatte die 
Zwangsenteignung nur für genoſſenſchaftliche Unter⸗ 
nehmungen dieſer Art vorgeſehen. Die Abgeord: 
netenkammer hatte auch für ſtaatliche Unter⸗ 


Verlag von 


2. Schweitzer Verlag 


(Arthur Zellier) 
München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 

„/ Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die Haldgefpaltene Petltzelle 
% oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 

20 Pfo. Beilagen nach Uebereinkunft. a 


169 


eignungsrechtes auch für derartige Unternehmungen 
von Gemeinden und Ortſchaften verlangt, in der 
zweiten Leſung dieſen Zuſatz aber wieder geſtrichen. 

Bei der Beratung des Geſetzes in der Kammer 


der Reichsräte beantragte der Referent die Aus: 


| 


dehnung auf Gemeinden und Ortſchaften wieder 
einzufügen; der Storreferent beantragte das Zwangs⸗ 
enteignungsrecht auch allen Privatunternehmungen 
gemeinnütziger Natur zu verleihen, er bezog ſich 
unter anderem auf einen Artikel „Waſſerrecht und 
Zwangsenteignung“ in der Nummer der Allgemeinen 
Zeitung vom 20. Februar 1907, dem ich nicht 
ferne ſtehe; dieſer regte an die Ziffern 3 und 4 
des Art. 153 des Waſſergeſetzes durch eine Be⸗ 
ſtimmung des Inhalts zu erſetzen, daß Zwangs⸗ 
enteignung gefordert werden könne „für Unter⸗ 
nehmungen zur Benützung von Gewäſſern, ins⸗ 
beſondere zur Herſtellung und Unterhaltung von 
Bewäſſerungs⸗ und Entwäſſerungsanlagen, Stau: 
und Triebwerksanlagen, Sammelbecken, wenn das 
Unternehmen einem öffentlichen Bedürfnis entſpricht, 
ferner wenn es einen erheblichen Nutzen für die 
Landeskultur einſchließlich der Teichwirtſchaft oder 
für die Induſtrie mit hoher Wahrſcheinlichkeit 
erwarten läßt“. a 

Für dieſe Ausdehnung des Enteignungsrechtes 
wurde vornehmlich geltend gemacht, daß der Kreis 
der Unternehmungen von Genoſſenſchaften der in 
Rede ſtehenden Art vorausſichtlich ſehr beſchränkt 
ſein werde, ſchon wegen des dinglichen Charakters 
diefer Genoſſenſchaften; daß faft alle modernen 
Geſetze die in Rede ſtehende Ausdehnung des 
Enteignungsrechts kennen, beiſpielsweiſe das Züricher 
Geſetz betreffend Korrektion, Unterhaltung und 
Benützung von Gewäſſern vom 15. Dezember 1901 
8 30; daß nur durch ſolche Ausdehnung des Ent: 
eignungsrechts die Durchführbarkeit großer wirt⸗ 
ſchaftlicher Unternehmungen gewährleiſtet werde, 


nehmungen dieſer Art das Recht eingeführt in der die im Intereſſe des Landes gelegen ſei. Durch die 


Erwägung, daß der Staat dadurch die Macht⸗ 
befugnis gewinnen ſolle, auch über Privatflüſſe 
verfügen zu können. In der erſten Leſung hatte 
die Abgeordnetenkammer die Ausdehnung des Ent: 


geſetzlichen Vorſchriften, wonach das Unternehmen 
vom gemeinen Nutzen gefordert werden müſſe, 
ferner eine Vorprüfung durch das Staatsminiſterium 
des Innern und ſodann die endgültige Entſcheidung 


über die Vorausſetzungen des Enteignungsrechts 
durch die Kreisregierung und den Verwaltungs⸗ 
gerichtshof zu erfolgen habe, ſei genügender Schutz 
gegen Mißbrauch geſchaffen. Referent und Kor⸗ 
referent der Reichsratskammer zogen ihren Antrag 
jedoch zurück mit Hinblick darauf, daß die k. Staats⸗ 
regierung erklärte, es werde bald eine Novelle 
zum Zwangsabtretungsgeſetz vorgelegt werden. 


Dieſe Novelle iſt die vom 13. Auguſt 1910. 


Sie iſt wiederum nur ein Vorläufer des kommen⸗ 
den neuen Enteignungsgeſetzes, der zunächſt den 
dringendſten Bedürfniſſen abhelfen ſoll, insbe⸗ 
ſondere mit Hinblick auf die zahlreichen im Laufe 
befindlichen Projekte der Errichtung von Ueber⸗ 
landzentralen. 

Für das kommende neue Enteignungsgeſetz 
kann nur mit aller Entſchiedenheit der Wunſch 
wiederholt werden, daß das Enteignungsrecht aus⸗ 
gedehnt werde auf alle auch von Geſellſchaften und 
Privaten beabſichtigten Unternehmungen zur Be⸗ 
nützung von Gewäſſern, insbeſondere zur Herſtellung 
und Unterhaltung von Stau: und Triebwerks⸗ 
anlagen, Sammelbecken u. dgl.; ferner für alle 
auch von Geſellſchaften und Privaten beabſichtigten 
Unternehmungen auf Errichtung und Aenderung 
von Elektrizitäͤtswerken und ſonſtigen Anlagen der 
in Art. 16 des nunmehr geltenden Zwangs⸗ 
abtretungsgeſetzes bezeichneten Art, wenn ſie einem 
gemeinnützigen Bedürfnis entſprechen. 

Außer den volkswirtſchaftlichen und waſſer⸗ 
wirtſchaftlichen Erwägungen, die dafür geltend zu 
machen ſind, dürfte dafür auch der Umſtand 
ſprechen, daß der durch die Novelle vom 13. Auguſt 


1 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


— — 


— — — — — — —ä— — — 


ſamtorganismus des öffentlichen Ber- 
bandes eingegliedert wird und die wirk⸗ 
liche Erreichung des angeſtrebten öffent⸗ 
lichen Zweckes ſichergeſtellt tif. Dieſe 
organiſche Sicherung der Beſtimmung eines 
Werkes für öffentliche Zwecke kann zunächſt dadurch 
erfolgen, daß ein öffentlicher Verband das Werk ſelbſt 
ausführt oder als Mitunternehmer ſich an der Errich⸗ 
tung des Werkes beteiligt. Sie kann aber auch ſchon 
dadurch geſchehen, daß ein öffentlicher 


Verband durch einen förmlichen Vertrag 


das Werk für einen öffentlichen Zweck 
beſtimmt. Die letztere Möglichkeit mußte deshalb 
offen gelaſſen werden, weil zahlreiche Gemeinden das 
Riſiko der finanziellen Beteiligung an einem Werke 
nicht übernehmen können, aber doch die Vorteile eines 
ſolchen Werkes, insbeſondere von Ueberlandzentralen 
ſich nutzbar machen wollen. ö 


Für den Begriff des öffentlichen Elektrizitäts⸗ 
werkes iſt es demnach gleichgültig, ob das Werk von 
einem öffentlichen Verband oder unter Beteiligung eines 
öffentlichen Verbandes errichtet wurde, oder ob es von 
einem privaten Unternehmer zunächſt für private Zwecke 
errichtet wurde. Entſcheidend ſowohl für die Zuläſſig⸗ 
keit der Enteignung, wie auch für deren Umfang iſt 
ſtets die öffentliche Zweckbeſtimmung und deren Siche⸗ 
rung durch einen öffentlichen Verband. Das Erfordernis, 
daß das Werk zu einem öffentlichen Zweck beſtimmt ſein 
muß, ſchließt es aus, daß eine Gemeinde veranlaßt wird, 
nur des Scheines halber — das könnte ja auch vor⸗ 
kommen — ſich mit einem geringen Betrage an einem 
Elektrizitätswerk zu beteiligen, um dem Werke die Ent⸗ 


eignungsbefugnis zu ſichern; denn auch in ſolchen 


Fällen, in denen ein öffentlicher Verband ſich an der 
Errichtung eines ſolchen Werkes beteiligt oder das Werk 
ſelbſt errichtet, iſt, wie geſagt, die Enteignung davon 
abhängig, daß das Werk zu einem öffentlichen Zweck 
beſtimmt iſt. 

Ob ein öffentlicher Zweck vorliegt und das Werk 


Vu einem ſolchen beſtimmt iſt, läßt ſich natürlich bei der 


1910 und durch Ziff. 16 des Zwangsabtretungs⸗ 


geſetzes geſchaffene Begriff der öffentlichen Elek⸗ 
trizitätswerke für die Rechtsanwendung nach meiner 
Meinung zu erheblichen Schwierigkeiten zu führen 
geeignet iſt. 

Die Motive zum Entwurf der Novelle vom 
13. Auguſt 1910 bezeichnen als „öffentliche Elek⸗ 
trizitätswerke“ ſolche Werke, „die von einem öffent⸗ 
lichen Verband oder unter Beteiligung eines 
ſolchen errichtet werden oder von einem ſolchen in 
einem erheblichen Umfange für öffentliche Zwecke 
beſtimmt ſind.“ Der Staatsminiſter des Innern 
hat in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten 
vom 30. Juni 1910 dieſen Satz näher wie folgt 
erläutert: 

„Ein öffentliches Werk im Sinne des Geſetzes 
liegt dann vor, wenn das Werk dazu beſtimmt iſt 
öffentlichen Zwecken zu dienen, und dieſe Zweckbeſtim— 
mung organiſch geſichert iſt. Das Werk muß alſo er: 
ſtens dazu beſtimmt ſein die Oeffentlichkeit, zum Bei— 
ſpiel öffentliche Straßen, öffentliche Gebäude, öffentliche 
Unternehmungen oder die Bewohner einer Ortſchaft, 
mit Licht, Kraft oder Wärme zu verſorgen. Zweitens 


Zweck nicht etwa nur die 


muß die Zweckbeſtimmung durch die zuſtändigen Or- | 
die Enteignung ausgeſchloſſen, da dies mit Art. 1 des 


gane eines öffentlichen Verbandes, alſo des Staates, 


einer Gemeinde, eines Diſtrikts oder Kreiſes, gewähr- 


leiſtet ſein, jo daß das Werk gewiſſermaßen 
als eine der Erfüllung öffentlicher Auf⸗ 
gaben dienende Einrichtung dem Ge— 


Verſchiedenartigkeit der Verhältniſſe nicht allgemein, 
ſondern nur von Fall zu Fall beſtimmen. 


Ich möchte nur hervorheben, daß als öffentlicher 
Beleuchtung öffentlicher 
Straßen und Gebäude in Betracht kommt; als öffent⸗ 
licher Zweck kommt vielmehr jede Form der Ausnützung 
der Elektrizität als Licht⸗, Kraft⸗ oder Wärmequelle in 
Betracht. Unter den Begriff eines öffentlichen Zwecks 
wird zum Beiſpiel auch fallen, wenn eine Gemeinde die 
Verſorgung des Kleingewerbes oder der Landwirtſchaft 
oder der Einwohner überhaupt mit elektriſcher Kraft ſich 
zur Aufgabe ſetzt. 

Dient ein Werk nach feiner Beſtimmung öffent: 
lichen Zwecken, ſo bleibt es ein öffentliches Werk, auch 
wenn es nebenbei für private Zwecke Elektrizität ab: 
gibt. Umgekehrt wird ein für private Erwerbszwecke 
errichtetes Werk nicht ohne weiteres deshalb ein öffent⸗ 
liches, weil es auch öffentliche Straßen und öffentliche 
Gebäude mit Licht verſieht. Selbſt wenn ein privaten 
Erwerbszwecken dienendes Werk durch einen förmlichen 
Vertrag ſeitens eines öffentlichen Verbandes zur Liefe⸗ 
rung von Licht, Kraft oder Wärme für öffentliche Zwecke 
des Verbandes ausdrücklich beſtimmt wird, erhält das 
Werk doch nur inſoweit die Eigenſchaft eines öffent⸗ 
lichen Werkes im Sinne des Entwurfes, als es eben 
dieſen öffentlichen Zwecken dient. Demnach kann auch 
die Enteignung nur inſoweit in Anſpruch genommen 
werden, als ſie notwendig iſt, um dieſe öffentlichen 
Zwecke zu erfüllen. Für andere, private Zwecke bleibt 


Zwangsabtretungsgeſetzes in Widerſpruch ſtehen würde.“ 


Geht man von dieſen Erläuterungen aus, ſo 
iſt zunächſt folgendes klar: 


171 


— —— nn — — 


a) Der Begriff des öffentlichen Elek⸗ 
trizitätswerkes iſt zweifellos dann gegeben, 
wenn ein öffentlicher Verband (Kreis, Diſtrikt, 
Gemeinde) das Werk ſelbſt aufführt oder als 
Mitunternehmer, ſei es nun durch Beteiligung 
bei einer Aktiengeſellſchaft oder einer Geſellſchaft 
mit beſchränkter Haftung oder durch Konſortial⸗ 


beteiligung bei einer offenen Handelsgeſellſchaft, 


einer Kommanditgeſellſchaft oder einer Geſellſchaft 
des bürgerlichen Rechts ſich an der Errichtung 
des Werks beteiligt. Der Beteiligung an der Er⸗ 
richtung dieſes Werks dürfte gleich ſtehen der Fall, 
daß urſprünglich das Unternehmen nur von einem 
Privaten oder einer privaten Erwerbsgeſellſchaft 
errichtet wurde und nachträglich ein öffentlicher 
Verband ſich beteiligt. 

Die Beteiligung allein wird aber nicht ge⸗ 
nügen, um ſo weniger als beiſpielsweiſe, wenn die 
Beteiligung an einer Aktiengeſellſchaft durch Zeich⸗ 
nung von Inhaberaktien erfolgt, ſolche bekanntlich 
leicht übertragbar ſind, es wird die Vorausſetzung 
hinzukommen müſſen, daß das Werk entweder aus⸗ 
ſchließlich oder doch in erheblichem Umfang dazu 
beſtimmt iſt für öffentliche Zwecke zu dienen. 

b) Anderſeits genügt nicht, wenn der öffent⸗ 


liche Verband fi) an dem von einer Privatgeſell⸗ 


ſchaft oder einem Privaten errichteten Elektrizitäts⸗ 
werk nur durch ein zu einer beſtimmten Zeit rück⸗ 
zahlbares oder kündbares Darlehen (etwa an aus⸗ 
gegebenen Schuldverſchreibungen) beteiligt, wenn 
nicht daneben die unter d zu erörternden anderen 
Vorausſetzungen des Begriffs der öffentlichen 
Elektrizitätswerke gegeben find. 

c) Ebenſo iſt zweifellos, daß ein reines Privat⸗ 
unternehmen, das gegründet iſt um den Unter⸗ 
nehmern Gewinn zu bringen, nicht durch die Tat⸗ 
ſache allein zum öfenttichen Elektrizitätswerke wird, 
daß es wie an Private, jo vertragsmaͤßig auch 
an Gemeinden zur Straßenbeleuchtung Elektrizität 
abgibt und dadurch den Gemeinden die Anlage 
eigener Werke erſpart (vgl. Kommentar von Henle 
zum Zwangsabtretungsgeſetz 2. Aufl. S. 83). 

d) Nach den Aeußerungen des Herrn Staats⸗ 
miniſters des Innern ſoll ein öffentliches 
Elektrizitätswerk im Sinne des Gefetzes 
aber auch dann vorliegen, wenn der öffentliche 
Verband das Werk nicht ſelbſt ausführt und ſich 


| 
ö 
| 
| 


„ 


| 


auch nicht als Mitunternehmer an dem Werk be: 


teiligt, wenn nur ein öffentlicher Verband 


durch einen förmlichen Vertrag das 
Werk für feine öffentlichen Zwecke be— 
ſtimmt hat und dadurch das Werk als eine der 
Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienende Einrich— 
tung dem Geſamtorganismus des öffentlichen Ver: 
bandes eingegliedert wird und die wirkliche Er: 
reichung des angeſtrebten öffentlichen Zweckes ge: 
ſichert iſt. 

Dieſe Ausdehnung des Begriffs des öffent— 
lichen Elektrizitätswerkes auf die Fälle, in denen 
Private die alleinigen Unternehmer ſind, dieſe 


— — 


Unternehmer aber mit öffentlichen Verbänden Ver⸗ 
träge abgeſchloſſen haben und durch dieſe Verträge 
die erwähnten Kriterien gewährleiſtet find, wird in 
der Rechtsanwendung m. E. zu den größten 
Schwierigkeiten führen. Und dieſe Schwierigkeiten 
werden es mit ſich bringen, daß dieſe Ausdehnung 
praktiſch keine größere Bedeutung gewinnt. 

Hierbei iſt noch in Betracht zu ziehen, daß 
nach der gleichen Aeußerung des Herrn Staats⸗ 
miniſters des Innern, dann, wenn ein privaten 
Erwerbszwecken dienendes Werk durch einen förm⸗ 
lichen Vertrag von einem öffentlichen Verbande 
zur Lieferung von Elektrizität für öffentliche Zwecke 
des Verbandes ausdrücklich beſtimmt wird, das 
Werk doch nur inſoweit die Eigenſchaft eines 
öffentlichen Werkes erhält, als es eben dieſen 
öffentlichen Zwecken dient. 

Die vom Herrn Staatsminiſter des Innern 
verlangten Merkmale ſind, wie auch der Kom⸗ 
mentar von Henle anzunehmen ſcheint, zweifellos 
dann noch nicht gegeben, wenn das private Elek⸗ 
trizitätswerk mit einem öffentlichen Verband einen 
Vertrag abſchließt, durch welchen es ſich ver⸗ 
pflichtet dieſem öffentlichen Verband für öffentliche 
Zwecke Elektrizität zu liefern. Dann iſt noch nicht 
die von der Staatsregierung verlangte Eingliede⸗ 
rung in den Geſamtorganismus des öffentlichen 
Verbandes gegeben. Sie iſt alſo insbeſondere 
nicht gegeben und das Enteignungsrecht ſteht da⸗ 
her m. E. nicht zu, wenn das private Elektri⸗ 
zitätswerk mit einem öffentlichen Verband, einer 
Gemeinde u. dgl. einen Vertrag geſchloſſen hat, 
wie ſolche die Regel bilden, wonach auf eine ge⸗ 
wiſſe Zeitdauer von Jahren die Lieferung und der 
Bezug elektriſchen Stromes für öffentliche Zwecke 
vereinbart wird. 

Hierbei kann es keinen Unterſchied machen, ob 
der Zeitraum ein kürzerer, etwa 10 Jahre, oder 
ein längerer, beiſpielsweiſe 40 oder 50 Jahre, iſt. 
Der Ausdehnung des Enteignungsrechts auf ſolche 
Fälle ſteht insbeſondere die Erwägung entgegen, 
daß mit Ablauf der vereinbarten Vertragszeit das 
Unternehmen den öffentlichen Zwecken gar nicht 
mehr dienen würde und ſomit, wenn man ihm 
gleichwohl das Enteignungsrecht einräumen würde, 
tatſächlich die Enteignung für eine bloß vorüber⸗ 
gehende Erfüllung öffentlicher Zwecke, im übrigen 
aber, alſo auf die Dauer, weſentlich für private 
Zwecke zuſtehen würde. Fragt man nun, in wel⸗ 
chen Fällen durch einen förmlichen Vertrag ein 
von Privaten errichtetes Elektrizitaͤtswerk in der 
Weiſe für einen öffentlichen Zweck beſtimmt ſei, 
daß es als eine der Erfüllung öffentlicher Auf— 
gaben dienende Einrichtung dem Geſamtorga— 
nismus des öffentlichen Verbandes eingegliedert 
ſei, ſo ſind das m. E. folgende Fälle: 

1. Erſtens der Fall, daß durch förmlichen 
Vertrag für ewige Zeiten die Lieferung elektriſchen 
Stromes an einen öffentlichen Verband für öffent— 
liche Zwecke von einem privaten Werk übernommen 


172 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


—— un — = =. — 


wurde. Dieſer Fall wird praktiſch nicht leicht 
vorkommen, um ſo weniger als in einer ſolchen für 


zentrale, die es mit mehreren öffentlichen Verbänden 
zu tun hat, denen ſie Strom liefert, die hier 


immer von einem privaten Unternehmer über⸗ 
nommenen Verpflichtung der öffentliche Verband 
keine genügende Sicherung deshalb erblicken kann, 
weil die Verpflichtung zur Lieferung elektriſchen 


I 
3 


angeführten Vorausſetzungen nicht leicht gegeben 
ſein werden (abgeſehen von dem bei Konzeſſionierung 


der Wafferbenägung zum Zwecke des Elektrizitäts⸗ 


Stromes aus einem Elektrizitätswerk nicht als 


dingliches Recht, ſei es als Reallaſt, fei es als 
Dienſtbarkeit, konſtituiert werden kann, da die 
geſetzlichen Begriffsmerkmale beider Rechtsinſtitute 
dafür nicht vorliegen. 

2. Dann der Fall, der meines Erachtens der 
einzige in der Praxis häufiger vorkommende An⸗ 
wendungsfall ſein wird, daß das private Werk 
und der öffentliche Verband durch förmlichen Ver⸗ 
trag die Verpflichtung zur Lieferung und zum 
Bezug elektriſchen Stromes nur für beſtimmte 
Zeit übernehmen, gleichzeitig aber für die Zeit 
der Beendigung des Vertragsverhältniſſes der 
Uebergang des Elektrizitätswerkes auf den öffent⸗ 
lichen Verband durch ſchon von vorneherein ge: 


. . ——ͤ—ñ 5 


werkes nur bei öffentlichen Flüſſen und Staats⸗ 
privatflüſſen bedingbaren Heimfall des Unter⸗ 
nehmens an den Staat nach Ablauf der Konzeſſions⸗ 
dauer), es müßte denn der eine oder andere der 
mehreren öffentlichen Verbände in ſeiner wirtſchaft⸗ 
lichen Kraft und ſeinem wirtſchaftlichen Bedürfnis 
ſo überwiegend ſein, daß er ſich das Recht ein⸗ 
räumen läßt und die Pflicht übernimmt, nach 
Ablauf der zunaͤchſt normierten Vertragszeit das 
Elektrizitätswerk zu übernehmen. 

Ich bin daher der Anſicht, daß die Anwendung 
der neuen Beſtimmung der Ziff. 16 des Art. 1 
des Zwangsabtretungsgeſetzes auf von Privaten 
oder Privatgeſellſchaften errichtete Ueberland⸗ 
zentralen, bei welchen ſich nicht von vorneherein 
öffentliche Verbände beteiligen, nur in ſehr be⸗ 


troffene Abmachungen bedungen wird. Es wird ſchränktem Maße zuläͤſſig ſein wird. 
nicht genügen, daß nur das Recht des öffentlichen 
Verbandes auf Uebernahme des privaten Elektrizi: rung der Einrichtung in den Geſamtorganismus 


tätswerkes nach Ablauf der Vertragszeit bedungen 
wird; denn, wenn dann in ſolchem Falle die Ge⸗ 
meinde das Recht auf Uebernahme nicht ausübt 
und etwa an Stelle der Ausübung dieſes Rechts 


1 


ſelbſt ein neues Elektrizitätswerk erbaut, hätte das 


private Werk die Enteignung ausgeübt für einen 
Zweck, der nur eine gewiſſe kürzere oder längere 
Zeit öffentlichen Bedürfniſſen dient, nach Ablauf 
dieſer Zeit aber ausſchließlich privaten Zwecken 
dienen würde und nach Ablauf dieſer Zeit gerade 
infolge der Ausübung von Enteignungsrechten die 
beabſichtigte Errichtung eines ausſchließlich öffent: 
lichen Werkes durch einen öffentlichen Verband 
behindern würde. Es iſt ſohin notwendig, daß 
nicht bloß Recht ſondern auch Pflicht des öffent⸗ 
lichen Verbandes zur Uebernahme des Elektrizitäts- 
werkes nach Ablauf der Vertragszeit bedungen 
werden und dieſe Möglichkeit wird dann nicht 
gegeben fein, wenn die Lieferung des elektriſchen 
Stromes für öffentliche Zwecke eines öffentlichen 
Verbandes nicht der überwiegend vorwiegende 
Hauptbeſtandteil des privaten Unternehmens iſt. 
Der von vorneherein bedungenen Berechtigung 
und Verpflichtung des öffentlichen Verbandes zur 
Uebernahme des privaten Elektrizitätswerkes würde 
der in den Konzeſſionsbedingungen bedungene 
Heimfall des Elektrizitätswerkes an den Staat 
nach Ablauf einer gewiſſen Zeit gleichſtehen. 
Wenn man nun dieſes Ergebnis anwendet 
auf den Fall der Schaffung von Ueberland— 
zentralen, die von Privaten errichtet werden 
und außer privaten Erwerbszwecken auch öffent— 
lichen Zwecken dadurch dienen, daß ſie öffentlichen 
Verbänden für öffentliche Zwecke elektriſche Kraft 
liefern, ſo ergibt ſich, daß bei einer von einer 
privaten Unternehmung errichteten Ueberland— 


Man könnte daran denken, daß die Eingliede⸗ 


des öffentlichen Verbands durch förmlichen Vertrag 
ſchon dann gegeben wäre, wenn die Verpflichtung 
zur Lieferung und zum Bezug elektriſchen Stromes 
durch den Privaten an den öffentlichen Verband 
auf eine außerordentlich lange Zeit, ſagen wir 
100 Jahre, übernommen wird. 

Abgeſehen davon, daß dann, wenn man grund⸗ 
ſätzlich eine ſolche Eingliederung in der Tatſache 
des Abſchluſſes eines Vertrags auf eine beſtimmte 
Zeit nicht findet, es willkürlich iſt, eine gewiſſe 
größere Reihe von Jahren der ſtändigen Widmung 
gleichzuſetzen, kommt in Betracht, daß es vom 
Standpunkte eines öffentlichen Verbandes aus nicht 
zweckmäßig iſt, auf ſolche außerordentlich lange 
Zeit Verträge mit Privatunternehmungen zu 
ſchließen. Auch der von vorneherein erfolgenden 


Feſtſetzung von Recht und Pflicht zur Uebernahme 


des Elektrizitätswerks, die ohnehin nur dann gang⸗ 
bar iſt, wenn das Privatwerk ausſchließlich oder 
doch vorwiegend nur mit einem öffentlichen 


Verband Verträge abſchließt, ſteht noch die Er⸗ 
wägung entgegen, daß nicht abzuſehen iſt, welche 


derzeit gar nicht vorherſehbare Aenderungen in 
der Technik in ferner Zeit eintreten werden. 

Bei den von Privaten errichteten Ueberland— 
zentralen, die mehreren öffentlichen Verbänden 
neben der Erfüllung privater Zwecke elektriſchen 
Strom liefern, könnte man daran denken, Recht 
und Pflicht zur Uebernahme nach Ablauf der Ver— 
tragszeit dem jeweils größeren Verband einzu— 
räumen und zu überbürden, dem die vertrags— 
ſchließenden Verbände untergeordnet ſind, ſo dem 
Kreis oder dem Staat. Das dürfte aber deshalb 
nicht angängig ſein, weil es bedenklich iſt den 
Kreiſen oder dem Staat für eine ferne Zukunft 
ſolche Verpflichtungen zu überbürden. 


— —— —ö—ñAUww ͤ ¶Nͤ nn 


Eine weitere Schwierigkeit für die Rechtsan⸗ 
wendung bietet der Fall, daß ein privaten Er⸗ 
werbszwecken dienendes Werk zwar durch einen 
förmlichen Vertrag im Sinne der vorſtehenden 
Ausführungen von einem öffentlichen Verbande 
zur Lieferung von elektriſchem Strom beſtimmt 
wird, die Lieferung elektriſchen Stromes an den 
öffentlichen Verband aber nur einen Teil des 
Unternehmens darſtellt. | 

Der Herr Staatsminiſter des Innern hat ſich 
für dieſen Fall dahin geäußert, daß das Werk 
dann nur inſoweit die Eigenſchaft eines öffentlichen 
Werks im Sinne des Geſetzes habe, als es eben 
dieſem öffentlichen Zweck diene, und daß die Ent⸗ 
eignung auch nur inſoweit in Anſpruch genommen 
werden könne, als ſie notwendig iſt, um dieſen 
öffentlichen Zweck zu erfüllen, während für die 
anderen privaten Zwecke die Enteignung ausge⸗ 
ſchloſſen ſein ſolle. 
ſprünglich nur für private Zwecke errichtet wurde, 
nachträglich aber auch die Lieferung elektriſchen 
Stromes für öffentliche Zwecke an einen öffent⸗ 
lichen Verband in einer ſonſt den Vorſchriften 
des Geſetzes Genüge tuenden Weiſe übernimmt, 


nur erfüllen könnte, wenn es das Enteignungsrecht 
erwirbt, beiſpielsweiſe das Werk ſich nur dadurch 
das erforderliche Mehrwaſſerquantum oder Mehr⸗ 
gefälle behufs Erweiterung ſeines Waſſerwerkes 
verſchaffen könnte, ſoll dann das Enteignungs⸗ 
recht gegeben ſein? 

Würde das Werk von Anfang an außer ſeinen 
Privatzwecken die öffentlichen Zwecke übernommen 
haben, fo hätte es zweifellos das Enteignungs— 
recht nur für diejenige zuerſt zu berechnende 
Waſſerkraft gehabt, welche zur Erfüllung der 


öffentlichen Zwecke ausreicht und nicht für das 


Plus, welches für die Privatzwecke erforderlich 


war. Soll ſich die Sache dadurch umkehren, daß 


die öffentlichen Zwecke erſt nachträglich hinzutreten, 
ſo daß zur Bemeſſung des für öffentliche Zwecke 
vorhandenen Bedürfniſſes praktiſch nicht von der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


Wenn ein ſolches Werk ur⸗ 


zuerſt und vorweg erfolgenden Erfüllung der 


öffentlichen Zwecke ausgegangen würde, vielmehr 


die Enteignung gewährt würde für das Plus 


an Bedarf, welches durch die nachträglich Hinzu: 
tretende Widmung eines Teils des Unternehmens 


für öffentliche Zwecke ſich ergibt? Ich glaube, daß 


die Frage zu verneinen iſt. | 

Ihre Bejahung würde dazu führen, daß auf 
einem Umweg praktiſch dem privaten Werk das 
Enteignungsrecht für ſeinen geſamten Bedarf für 
private und öffentliche Zwecke zuſammengenommen 
zuſtehen würde, und das verſtößt gegen die Natur 
der Sache und die ausdrückliche Erklärung des 
Staatsminiſters des Innern. 


dieſe nachträglich übernommene Verpflichtung aber anſchauungen verſchieden betätigen müſſen. 


3 an 
Die Rehtsmoral. 
Von Profeſſor Dr. Hand Albrecht Fiſcher in Gießen. 
(Schluß). 


2. Außer daß die „guten Sitten“ nur leicht 
zu erfüllende moraliſche Mindeſtforderungen auf⸗ 
ſtellen, haben ſie noch ein äußerliches und 
generaliſierendes Element von Recht. Nicht 
die Einzelmoral, zu welcher ſich das Individuum im 
praktiſchen Lebenskampfe durchgerungen hat, nicht 
die laxere oder verfeinerte Moral eines Standes, 
ſondern die Volksmoral iſt es, was wir in 
den „guten Sitten“ finden. Alſo, wie noch ein⸗ 
mal betont werden ſoll: keine Klaſſen⸗ und 
Standesmoral! Welche großen Geſahren 
unſerer ganzen Staatsordnung drohen, wenn die 
98 138, 826 BGB. ſozialpolitiſch im Klaſſen⸗ 
kampf mißbraucht werden, hat erſt kürzlich Oert⸗ 
mann?) in verdienſtvoller Weile hervorgehoben. 
Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß ſich bei dem großen 
Reichtum an ſozialen Klaſſen und verſchiedenen 
Berufsſtänden, welche unſere moderne Geſellſchafts⸗ 
ordnung beſitzt, dieſelben moraliſchen . 

ie 
unſer Privatrecht, gerade weil es generaliſierend 
von einer im Verkehr erforderlichen Sorgfalt 
ſpricht, die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes, 
Frachtführers, Rheders, Schiffers, Verfrachters 
kennt (HGB. 88 437, 429, 497, 511, 606, 653 
Abſ. 2), jo wird ſich auch die Rechtsmoral im 
kaufmänniſchen Verkehr und im ärztlichen Berufe 
generell verſchieden äußern. Das iſt nicht ge⸗ 
meint, wenn wir hier gegen Standesmoral Stel⸗ 
lung nehmen. Ein Verbrechen im Amte (StrGB. 
989 331 ff.) kann eben nur ein Beamter begehen 
und doch verletzt die Tat die Allgemeinheit und 
wird als Delikt nicht nur von der betreffenden 
Beamtenkategorie oder in dem iſolierten Verhält⸗ 
nis zwiſchen Beamten und der anſtellenden öffent: 
lichen Körperſchaft, ſondern von allen Rechts⸗ 
genoſſen empfunden. Anders ſteht es mit den 
Verfehlungen, welche nur das Disziplinarverfahren 
gegen den Beamten hervorrufen oder die Aerzte⸗ 
und Anwaltskammer und die Ehrengerichtshöfe 
dieſer beiden Stände beſchäftigen, weil gegen die 
Standesehre verſtoßen wurde. Aber dann iſt es 
auch verfehlt, wenn es in den vielberufenen Ent⸗ 
ſcheidungen des Reichsgerichts über die Nich⸗ 
tigkeit der Konkurrenzklauſeln unter (Zahn-) Aerzten 


und über die Nichtigkeit des Verkaufs einer (zahn:) 


ärztlichen Praxis (RG. Bd. 66 S. 139 ff. und 
143 ff.) heißt, ſolche Abmachungen verſtießen gegen 


das Anſtandsgefühl aller billig und gerecht Den⸗ 


kenden, weil die beiden Ehrengerichtshöfe der 
Anwälte und Aerzte in konſtanter Praxis ſolche 
Abmachungen verdammt hätten. Ich habe die 


1) Oertmann, „Gute Sitten und Sozialpolitik“ 
in der deutſchen Juriſtenzeitung vom 15. März 1911 
Sp. 435 ff. 


beiden Entſcheidungen eingehend in meiner Rechts⸗ 
widrigkeit S. 82— 87 beſprochen und dem dort 
Bemerkten nichts hinzuzufügen. Es ſcheint aber, 
als wenn in neueſter Zeit das Reichsgericht 
zwar nicht prinzipiell aber doch in Einzelfällen 
von dem im 66. Bande eingenommenen Stand⸗ 
punkt zurückkommt. Hier ſoll der eine prinzipielle 
Gedanke noch etwas weiter geſponnen werden: 


Die Rechtsmoral oder die guten Sitten ſind Be⸗ 


ſtandteil der allgemeinen Rechtsordnung. Dis⸗ 
ziplinarvorſchriften als Standesrecht find not⸗ 
wendig, weil ſie von der allgemeinen Rechtsord⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


\ 


U 


22. MKK. ̃ ̃ — — — a Se 


liches Verhalten des einen Ehegatten feſtgeſtellt 
werden, es muß dann geprüft werden, ob nach 
ſeiner Individualität, dem anderen, dem 
klagenden Ehegatten die Fortſetzung der Ehe eine 
unerträgliche Laſt ſein würde (RG. in JurW. 
1905 S. 393 ff., 469, 693 ff., Gruch. Beitr. 
Bd. 50 S. 681 ff.). Es muß nun verlangt 
werden, daß das objektive Moment für alle 
Stände nach gleichem Maße gemeſſen wird. 
Nach einer Entſcheidung des Reichsgerichts 
vom 30. April 1908 (Warneyer Ergänzungs⸗ 


band 1908 S. 421) war die Verurteilung eines 


nung niemals getroffen werden können. Disziplinar⸗ 
ſtahls für genügend erklärt zur Anwendung des 


vorſchriften gelten nicht nur für öffentliche Beamte, 
ſondern find begrifflich auch für gewerbetreibende 
Stände möglich. Laband ſpricht in feinem 
Staatsrecht des Deutſchen Reichs (4. Aufl. 1901) 
Bd. III S. 435 davon, daß die innerhalb eines 
Oberlandesgerichtsbezirkes oder beim Reichsgericht 
zugelaſſenen Anwälte zu „gewerblichen Innungen“ 
vereinigt ſeien. „Die Handhabung der Disziplinar⸗ 
gewalt iſt den Vorſtänden der Anwaltskammern 
übertragen, wie ja auch bei anderen Gewerbe⸗ 
treibenden die Innungsvorſtände eine bisweilen 
weitreichende Disziplinargewalt haben“ ..... 
(S. 436). Solche „Innungs“ verbände (wenn 
man das Wort brauchen will) würden auch die 
Aerztekammern bilden. Es muß nun der berech⸗ 
tigte Ehrgeiz der leitenden Kreiſe jedes Standes 
ſein, dieſen Stand und ſeine Standesmoral mög: 
lichſt zu heben: ſo werden alſo Aerzte- und An⸗ 
waltskammern gerade daran arbeiten ihren Be⸗ 
rufen den Charakter des „Gewerbes“ im gewöhn⸗ 
lichen Sinne möglichſt zu nehmen. Aber die 
Hilfe der allgemeinen Rechtsordnung dürfen 
ſie für dieſe reinen Standesbeſtrebungen nicht in 
Anſpruch nehmen. Derſelbe Gedanke nach Berüd: 


Ehegatten zu einer Woche Gefängnis wegen Dieb⸗ 


98 1568; ſubjektiv mag das im Entſcheidungsfalle 
ſicherlich ſo geweſen ſein, aber auch objektiv? Will 


—— l. — —— — — 


ſichtigung von Standesauffaſſung, Standesehre 


und Standesmoral meldet ſich auch im Familien— 
recht ($ 1568), er muß auch hier zurückgewieſen 
werden. Vor der Mißdeutung, daß ich die Men⸗ 
ſchen in höheren Ständen für beſſer hielte als 
in den unteren, bin ich wohl ſicher. Aber es iſt 
nun einmal ſo: daß die Stände, welchen der 


man dies objektive Moment für alle Arbeiter⸗ 
ehen gelten laſſen? — Die höheren Stände müſſen 
hier ein Opfer bringen: ein Volk, ein Recht, 
eine Rechtsmoral. Wenn jeder Stand nach eigener 
Standesehre und nach eigenem Gutenſittenbegriff 
vom Richter behandelt werden will, dann hält die 
Volksgemeinſchaft nicht, dann wird das viel miß⸗ 
brauchte Wort von der „Klaſſenjuſtiz“ wahr. 
Glaubt ein Stand höhere geſellſchaftliche Moral, 
als in der Mehrheit des Volkes lebt, praktiſch 
pflegen zu können, um ſo beſſer. Dann ſoll dieſer 
Stand aber Selbſthilfe und Selbſtzucht üben; es 
iſt ſchon kein gutes Zeichen, wenn er die all⸗ 
gemeine Rechtspflege zu Hilfe rufen will und, 
wie gezeigt, ein gefährliches Mittel. 


Die Grundlehren der reinen Moral und Ethik 
erheiſchen nach unſerer Anſchauung Allgemein⸗ 
gültigkeit, ſie ſind von Zeit und Ort unabhängig. 
Die guten Sitten als Volksmoral tragen beide 
Schranken in ſich. Sie find einmal ftreng na⸗ 
tional: Art. 30 EGzBGB. faßt daher die Mög: 
lichkeit ins Auge, daß die Anwendung eines aus⸗ 
ländiſchen Geſetzes wider die guten Sitten des 
Deutſchen Reichs verſtößt. Der umgekehrte Fall 
iſt natürlich ebenſo gut möglich. Die guten Sitten 


ſind zum andern auch der Zeitſchranke unter⸗ 


brutale Kampf um die einfachſten Exiſtenzmittel 


erſpart bleibt, welche in höherer Bildung und 
ökonomiſch geſicherter Poſition dahinleben, infolge 
einer Verfeinerung der Sitte und Sittlichkeit auch 
im Eheleben gewiſſe Verſtöße ſchwerer empfinden 
werden. Das Reichsgericht hat einmal die 
goldenen Worte geſprochen: „Das innere 
Weſen der Ehe iſt von dem Stande und 
der Lebensſtellung der Parteien unab: 


hängig“ (RG. Bd. 34 S. 236). Nach der heu⸗ 


tigen Rechtſprechung des Reichsgerichts zu 
$ 1568 iſt zwiſchen einem objektiven und einem 
ſubjektiven Moment, welche kumulativ für die Ehe— 
ſcheidung gegeben ſein müſſen, zu unterſcheiden: 
es muß einmal eine objektiv ſchwere Verletzung 
der ehelichen Pflichten oder ehrloſes oder unſitt— 


worfen. Wie das Recht nur in der Uebung 
ſeine Kraft zeigt und, wenn es außer Uebung 
tritt, zu exiſtieren aufhört, ſo ſteht es auch mit 
der Rechtsmoral. Es kann auch niemand wider 
die guten Sitten verſtoßen, deren Einführung zwar 
dringend zu wünſchen wäre, die nun einmal aber 
noch nicht angewendet werden. Das letztere iſt 
lebhaft beſtritten worden, weil Recht und Richter 
erzieheriſch auf das Volk wirken und das Volk 
auf eine höhere ſittliche Stufe heben ſollten. Wer 
jo ſpricht, vindiziert dem Recht zu viel und ver: 
kennt die Teilung der Aufgaben. Das Recht iſt 
nicht die einzige geiſtige Macht, welche den Wien: 
ſchen auf eine höhere Daſeinsſtufe heben ſoll. 
Wenn wir die unter 1 und 2 erörterten 


charakteriſtiſchen Eigenſchaften der Rechtsmoral 
überblicken, jo leuchtet es ohne weiteres ein, wie 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 


es möglich war, die „guten Sitten“ im BGB. mit 
Sitte und Anſtand zuſammenzuſtellen. Alle jene 
Züge der Rechtsmoral haben natürlich mit der 
verinnerlichten reinen Moral und reinen Ethik 
nichts gemein. Aus dem gleichen Grunde ergibt 
ſich auch, weshalb die Verfaſſer des BGB. an⸗ 
ſtanden, das ‚contra bonos mores‘ des römiſchen 


Rechts mit Verſtoß wider die Sittlichkeit 


wiederzugeben; der Verdacht, daß es ſich dabei 
um eine ſinnloſe Ueberſetzung des römiſchen Aus⸗ 
drucks gehandelt hat, wird durch die Vorarbeiten 
zum BGB. widerlegt. Es folgt ferner, wie ſchon 
einleitend erwähnt, daß die hieſige und 
Reichsgerichts-Auffaſſung über den Guten⸗ 
ſittenbegriff wenig trennt. Ganz ſcheint die hie 
vertretene Anſicht mit dem Standpunkt Herzogs 
übereinzuſtimmen, wenn dieſer Schriftſteller zum 
Beweiſe dafür, daß die ‚guten Sitten‘ des BGB. 
eben Sitten ſeien, ausführt: Sitte iſt angewandte 
Moral, ein Teil der objektiven Moral, in welcher 
ſich die Anſchauungen der Geſamtheit ſpiegeln 
(S. 106). Dieſe faktiſche Uebereinſtimmung über 
den Gutenfittenbegriff taugt nichts, da die Ueber⸗ 
einſtimmung über die Grundbegriffe von Sitte 
und Sittlichkeit zwiſchen uns fehlt. 


Dafür, daß die guten Sitten aber keine äußern 


Sitten verkörpern, iſt und bleibt m. E. beweis⸗ 
kräftig, was am Anfange dieſer Abhandlung über 
das ſchwere Vorwurfselement geſagt 
welchem die Verſtöße wider die guten Sitten be⸗ 
haftet find. Es folgt aber auch noch aus dem 
dritten Merkmal der Rechtsmoral, welches jetzt 
noch kurz erörtert werden ſoll. 


3. „Ob eine Regel der Sitte befolgt iſt, hängt 
nicht vom Motive des Handelnden ab“, bemerkt 
Herzog S. 130 gelegentlich. Die Bemerkung 
iſt richtig. Aber bei den Verſtößen wider die 
guten Sitten ſind gerade Geſinnung, Mo⸗ 
tive und Zweck des Handelnden weſentlich. 
Es fragt ſich nur, inwieweit die moraliſche Ver⸗ 
werflichkeit des Handelnden in ſeinem äußeren 
Tun hervortreten muß, und ob an ſich indifferente 
Handlungen von der ſie hervorrufenden ſchlechten 
Geſinnung affiziert werden. Hierin liegt für die 
Praxis die größte Schwierigkeit, und wenn man 
auch die letztere Frage meiſt verneinen muß, ſo 
wird ſich eine allgemeine theoretiſche Formel doch 
ſchwerlich finden laſſen. Aber wo das äußere 
Reſultat mißbilligenswert, insbeſondere andere 
ſchädigend iſt, iſt jene Nachprüfung der morali— 
ſchen Seite des Handelnden unumgänglich. Es iſt 


überflüſſig auf die zahlreichen Entſcheidungen ein: | 


zugehen, welche ſich mit dieſer Prüfung beſchäf— 
tigen; es ſei nur auf die Entſcheidung im letzten 
bisher erſchienenen (74.) Band der Reichsge— 
richts-E. S. 227 ff. verwieſen. Durch die Nach— 
prüfung der Geſinnung des Täters bekommen ſo 
viele Entſcheidungen über die guten Sitten etwas 
Individuelles und unſere angeſehenen Kommen: 


die 


iſt, mit 


in Bayern. 1911. Nr. 8. 


tare warnen daher gerade hier von unvorſichtigem 
Präjudizienfultus. Durch die Betonung der Ver⸗ 
werflichkeit von Geſinnung, Zweck und Motiv bei 
Verſtößen wider die Rechtsmoral kann es, wie 
das Geſetz (8 817) ſelbſt hervorhebt, bei einer 

Vermögensverſchiebung vorkommen, daß nur der 
| Empfänger oder nur der Leiſtende gegen die guten 


Sitten verſtößt. 
Mit dem Ausſpruche: es liegt ein Verſtoß 
| wider die guten Sitten im Rechtsſinne vor, iſt 
natürlich über die einzelnen Geſetzesbeſtimmungen, 
welche ſich mit den guten Sitten beſchäftigen, 
noch nichts Erſchöpfendes geſagt. Insbeſondere 
iſt es nicht der Zweck dieſer Zeilen das Verhält⸗ 
nis der §8 138 und 817 zueinander näher zu 
erörtern. Ueber den 8 138 BGB. ſei hier zum 
Schluß noch Folgendes angefügt. Der § 138 
enthält eine größere Verobjektivierung der Moral⸗ 
widrigkeit, wie wir ſie ſonſt finden. Der Satz: 
„Nichtigkeitsgrund iſt Moralwidrigkeit des Ge⸗ 
| ſchäfts, nicht der Geſchäftsgenoſſen“ (Hölder, 
Dertmann) iſt cum grano salis richtig. Er 
führt weiter als die Formulierung im Kommentar 
der Reichsgerichtsräte, wo der ſubjektive 
Verſtoß aller Geſchäftsſchließenden betont wird: 
„Bei Verträgen iſt Nichtigkeit des ganzen Ge⸗ 
ſchäfts in der Regel nicht anzunehmen, wenn nur 
der eine Teil unſittliche Zwecke verfolgt, der an⸗ 
dere dagegen den unſittlichen Charakter des Ge⸗ 


ſchäfts nicht kennt, hierüber ſogar gefliſſentlich in 
Unkenntnis gehalten wird“ (Erl. 1 zu 8 138). 
Darauf kommt es nicht an. Es ergeben ſich auch 
Schwierigkeiten bei Behandlung des Wuchergeſchäfts, 
da man nach überwiegender Anſicht nicht annimmt, 
| daß der Bewucherte durch den Geſchäftsabſchluß 
| und durch die Annahme der Leiſtung wider die 
guten Sitten verſtößt. Andrerſeits gehen Hölder 
| und Oertmann zu weit, wenn fie meinen, daß 
ein Geſchäft unter § 138 fallen könne, „obwohl 
die Beteiligten keinerlei ſubjektiver 
Vorwurf trifft“. Es iſt ja richtig, daß ge⸗ 
wiſſe Geſchaftstypen ohne Rückſicht auf den Einzel⸗ 
fall generell unter den §8 138 fallen können. Aber 
wenigſtens eine der Parteien muß jedenfalls auch 
ſubjektiv wider die guten Sitten verſtoßen und 
ſchuldhaft ſein. Den Bewucherten, wie geſagt, 
beurteilt die herrſchende Lehre milde, hat er aus 
| Unerfahrenheit oder Leichtſinn gehandelt, fo trifft 
ihn vielleicht „eigenes Verſchulden“, aber es fällt 
ihm kein Verſtoß wider die guten Sitten zur Laſt, 
hat er aus Not den Weg zum Wucherer gefunden, 
ſo iſt er vielleicht aus Notſtandsgeſichtspunkten 
gänzlich vorwurfsfrei. Aber um ſo größer iſt die 
Schuld des Wucherers, mag er ſein Vorgehen auch 
für erlaubt halten. Ueberhaupt iſt die Ausrede, 
man habe einen Verſtoß wider die guten Sitten, 
den man begangen, als ſolchen rechtlich nicht er— 
kennen können, niemals, auch beim Ausländer nicht, 
zuzulaſſen. „Wer bei uns leben will, ſoll wiſſen, 
was bei uns die guten Sitten verlangen. Es 


darf alſo jedenfalls kein ſubjektiver Maßſtab an⸗ 
gelegt werden. Sobald man von einem objektiven 
ausgeht, iſt das Kennenmüſſen immer vorhanden“ 


(M. Rümelin, Das Verſchulden im Straf⸗ und 


Zivilrecht S. 40). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


— — — - —— 


werten bei $ 700 (vertretbare Sachen als Gegen: 
ſtand des unregelmäßigen Verwahrungs⸗ 
vertrages). Auch hier müſſen alſo Stückſachen 
ausgeſchieden bleiben, und es können daher nur 
diejenigen Gattungsſachen (vertretbare Sachen im 
Sinne des $ 91) gemeint fein, die Menge: 


ſachen ſind. 


Vertretbare und Gattungsſachen. — Menge: | 


ſachen und Etückſachen. 


Von Profeſſor Dr. Langheineken in Halle. 
(Schluß.) 
VI. 


Das BGB. enthält, wie bereits im Eingang 
erwähnt, für die vertretbaren Sachen, deren Be⸗ 


Desgleichen wird in § 783 wegen der inneren 
Verwandtſchaft der Anweiſung mit dem Dar⸗ 
lehn unter „vertretbaren Sachen“ dasſelbe zu ver⸗ 
ſtehen ſein wie in 8 607, alſo ebenfalls nur 
Mengeſachen, nicht aber auch Stückſachen.““) 

2. Während hiernach der Ausdruck „vertret⸗ 
bare Sachen“ bei den erörterten vier Anwendungen 
in einem engeren Sinne gemeint ſein muß, als 
§ 91, wörtlich genommen, an die Hand gibt, 
dürfte, wie nunmehr gezeigt werden ſoll, eine ſolche 


einengende Auslegung nicht gerechtfertigt ſein in 


griff im 8 91 eingeführt iſt, an ſechs Stellen 


Vorſchriften. Wir wollen nun jede einzelne Stelle 
daraufhin prüfen, ob ſich ein Geſichtspunkt auf⸗ 
finden läßt, der entweder zeigt, daß der Ausdruck 
„vertretbare Sachen“ in der weiteren Be⸗ 
deutung von „Gattungsſachen“, oder zeigt, 
daß er in der engeren Bedeutung von „Menge: 
ſachen“ gemeint ſein wird. 

1. Ganz leicht und einfach entſcheidet ſich die 
Frage gleich an der erſten Stelle. Nach 8 473 
ſoll bei Mangelhaftigkeit der Kauffache die Min⸗ 
derung des Kaufpreiſes, wenn er nur in ver⸗ 
tretbaren Sachen (gleichviel ob Geld) beſteht, durch 
verhältnismäßige Herabſetzung an den 
vertretbaren Sachen erfolgen. Eine verhältnis: 
mäßige Herabſetzung iſt aber, wie bereits oben 
bei Anm. 13 feſtgeſtellt, nur bei benannten 
Größen allgemein ausführbar. Folglich kann ſich 
dieſe Vorſchrift nicht auf Stückſachen, ſondern nur 
auf Mengeſachen beziehen. 

Zum gleichen Ergebnis führt die Betrachtung 


8 651 Abſ. 1 und in $ 706 Abſ. 2, jo daß alſo 


hier unter „vertretbaren Sachen“ zu verſtehen ſind 


alle Gattungsſachen,“) alſo mit Einſchluß 
der Stückſachen. 

Bei 8 651 Abſ. 1 bietet für dieſe Theſe einen 
geeigneten Anhalt ſeine Entſtehungsgeſchichte. Im 
Entwurf I 8 568 Abſ. 1 war, ohne daß auf den 
Unterſchied zwiſchen vertretbaren und nicht vertret⸗ 
baren Sachen abgeſtellt wurde, beſtimmt: 

„Hat der Uebernehmer ſich verpflichtet, aus 
einem von ihm ſelbſt zu beſchaffenden Stoffe das 
Werk herzuſtellen und dem Beſteller zu liefern, 


ſo finden auf den Vertrag, ſofern nicht ein an⸗ 


deres vereinbart iſt, die für den Kaufvertrag 
geltenden Vorſchriften Anwendung.“ — 

In der Kommiſſion 11 wurden hierzu zwei 
Anträge geftellt, der eine auf erſatzloſe Streichung 


des 8 568, (wonach alſo gerade umgekehrt die für 


den Werkvertrag geltenden Vorſchriften ſchlecht⸗ 
hin Anwendung zu finden hätten), der andere auf 


Einführung der Unterſcheidung, die ſchließlich 


des § 607 (vertretbare Sachen als Gegenſtand 


eines Darlehns). 
Eigenſchaften der vertretbaren Sachen aufgeführt 
„Art, Güte und Menge“, im deutlichen Gegen— 
ſatz zu § 243 Abſ. 1, der die Gattungsſache in 
der Einzahl anführt und ſie nur nach „Art 
und Güte“ beſtimmt fein läßt.“) Darlehns— 
fähig ſind daher nur Mengeſachen, nicht auch 
Stückſachen. — Folglich iſt der Vertrag, bei dem 
jemand zehn Araberhengſte empfängt gegen die 
Verpflichtung, nach einem Jahre zehn gleich gute 
zurückzugeben, kein Darlehnsvertrag.”') 

Derſelbe Geſichtspunkt (Verba: „Sachen von 
gleicher Art, Güte und Menge“) iſt zu ver: 


25) Val. oben Anm. 17. 

240) Uebereinſtimmend Gold ſchmidt ana. O. S. 541 
Anm. 31, der dieſes Beiſpiel bildet und bemerkt, daß 
hier vorliege „ein Innominatkontrakt do ut reddas, auf 
welchen die vom Darlehn im techniſchen Sinn geltenden 
Grundſätze keine Anwendung finden“. 


Hier werden als weſentliche 


zum Geſetz erhoben worden iſt. 

Zur 1 des letzteren Antrags wurde 
angeführt:“) „Es trete bei vertretbaren Sachen, 
die viele 2 bne h mer haben und deswegen leicht 
auf Vorrat angefertigt werden können, der 


Geſichtspunkt des Arbeitsverhältniſſes zurück. Denn 


im Leben werde ein Unterſchied zwiſchen dem Falle, 
in welchem eine bereits vorhandene, und dem 
Falle, in dem eine erſt herzuſtellende vertret— 
bare Sache zu liefern ſei, nicht gemacht; jeden⸗ 


=) Vgl. indeſſen noch die Bemerkung unten Anm. 42. 

26) Eine ſolche Deutung iſt von vornherein aus— 
geſchloſſen für einen Standpunkt, wie ihn Planck, 
Kommentar Bd. 1891 Note S 162 (3. Aufl) einnimmt 
mit den Worten: „Sachen, die dieſe Eigenſchaft (als 
vertretbare Sachen im Sinne des 8 91) nicht haben, 
werden nicht dadurch vertretbar, daß ſie in einem 
einzelnen Falle nach Zahl, Maß oder Gewicht beſtimmt 
werden, ſo z. B. wenn ein Rechtsgeſchäft über eine Sache 
vorgenommen wird, die nur der Gattung nach be— 
ſtimmt wird (ſ. z. B. SS 243, 279). 

) Vgl. Protokolle Bd. II S. 339. 


falls komme ber Unterſchied, ſoweit er als vor: 
handen anzuerkennen ſei, den Vertragſchließenden 
in der Regel nicht zum Bewußtſein“. — Zugunſten 
des erſteren Antrags war geltend gemacht worden:“) 
„Für die Art der Herſtellung einer nicht vertret⸗ 
baren Sache ſeien häufig die individuellen Wünſche 
und Bedürfniſſe des Beſtellers ausſchlaggebend; 
nehme der Beſteller die Sache wegen eines mög⸗ 
licherweiſe zu beſeitigenden Fehlers nicht an, ſo 
ſei es für den Uebernehmer ſchwer, die Sache 
weiterzuverkaufen. Das Gleiche gelte, wenn auch 
in geringerem Maße, für die Herſtellung vertret⸗ 
barer Sachen; auch vertretbare Sachen ſeien bis⸗ 
weilen nach einem beſtimmten Muſter für einen 
beſtimmten Zweck herzuſtellen?“) und deswegen 
als weſentlich auf die Perſon des Beſtellers be⸗ 
rechnet anzuſehen.“ — Dieſen Bedenken wurde 
von der Mehrheit mit dem Hinweis darauf be⸗ 
gegnet,”°) „die Rechtſprechung werde nicht verkennen, 
daß es den Parteien unbenommen ſei, eine Sache, 
die nach $ 779 (= 8 91 BGB.) im gewöhnlichen 
Verkehr als eine vertretbare zu gelten habe, 
in ihrem Vertragsverhältnis als eine nicht 
vertretbare zu behandeln und dadurch ihren 
Vertrag unter die Vorſchriften des Werkvertrags 
zu ſtellen“. 


Offenbar hatte man bei der Erwägung, daß 
vertretbare ao. auf Vorrat angefertigt, daß 
ſie nach einem beſtimmten Muſter hergeſtellt und 
daß ſie nach dem Parteiwillen als nicht vertret⸗ 
bare behandelt werden können, nicht etwa aus⸗ 
ſchließlich „Mengeſachen“, ſondern überwiegend 
„Stückſachen“ im Auge. Auch die wiederholte 
Verwendung der Singularform „eine vertretbare 
Sache“ weiſt gerade auf „Stückſachen“ hin.“) 
Daraus folgt, daß hier an den weiteren Begriff, 
der die Stückſachen mitumfaßt,??) alſo an Gat⸗ 
tungsſachen gedacht worden iſt. Folglich ſind 
nicht nur in dem Falle, daß Mengeſachen (z. B. 
10 kg Farbe oder 100 m Seidenſtoff von be⸗ 
ſtimmten Eigenſchaften) oder eine größere Anzahl 
Stückſachen (3. B. 1000 Maͤntel), ſondern auch 
in dem Falle, daß nur ein gattungsmäßig be: 
ſtimmtes Stück (z. B. ein einzelnes Möbelſtück 


28) Vgl. ebenda S. 338. 

) Auch von der Meorheit wurde angenommen, 
daß „fabrikmäßig hergeſtellte Sachen, die nach einem 
beſtimmten Muſter und zu einem beſtimmten Zwecke 


ZBeitſchrift für Rechtspflege i in Bayern. 11. Nr. 8. 


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—— — — ——gũ HR— 


Art. 96 des Preuß. Entwurfs zurückgeht. 


nach beſtimmtem Modell) hergeſtellt werden ſoll, 
die Vorſchriften über den Kauf anzuwenden.“) 


Uebrigens enthält § 651 dispoſitives Recht, 
die Parteien haben es alſo in der Hand, im Ein⸗ 
zelfall eine abweichende Behandlung zu vereinbaren. 
Dies dürfte unſtrittig ſein, wenngleich das e 
den ausdrücklichen Vorbehalt des Entwurfes 
(„Sofern nicht ein anderes vereinbart iſt“) nicht 
mehr enthält.“) Immerhin trägt die Partei die 
Beweislaſt, die ſich auf eine ſolche Vereinbarung 
beruft. — 

Aehnlich läßt ſich das gleiche Ergebnis für 
§ 706 Abſ. 2 ableiten. Dieſe Vorſchrift iſt dem 
Art. 91 AGB. nachgebildet, der wieder auf 
Dort 
war beſtimmt: 

„Wenn Geld oder andere verbrauchbare oder 
vertretbare Sachen ... in die Geſellſchaft einge⸗ 
bracht werden, ſo werden dieſe Gegenſtände Eigen⸗ 
tum der Geſellſchaft.“ 


Die Begründung dafür lautete:“) „Bei ein⸗ 
gebrachten vertretbaren oder verbrauchbaren 
Sachen iſt ihrer Natur nach eine bloße Ge⸗ 
brauchsüberlaſſung nicht denkbar; ſie 
gehen durch das Einbringen in das Eigentum 
der Geſellſchaft über.“ — Sie zeigt, daß bei 
obiger Formulierung die Gleichſtellung der ver⸗ 
tretbaren Sachen mit den verbrauchbaren Sachen 
im allgemeinen Landrecht“) nachgewirkt hat, und 
fie laßt die Folgerung zu, daß unter vertretbaren 
Sacken zu verſtehen find namentlich auch Waren,“) 
wie Früchte, Eier, Geflügel, ferner Maſchinen ?“ 
und Geſchäftsmobiliar, demnach auch Stück⸗ 
ſachen. 

Daraus folgt, daß auch in 8 706 Abſ. 2 der 
Ausdruck „vertretbare Sachen“ zu verſtehen iſt in 
dem weiteren Sinn von „Gattungsſachen“. 
Immerhin bleibt es auch hier den Parteien unbe⸗ 
nommen, ein anderes zu vereinbaren, da die Be⸗ 
ſtimmung des § 706 Abſ. 2 nur im Zweifel 
gelten ſoll, eine Einſchränkung, die übrigens in 
Art. 91 noch fehlte. 


) Folglich hat hier der Beſteller bei mangelhafter 


Lieferung keinen Anſpruch auf Beſeitigung der Mängel 


geliefert werden, ſich rechtlich als vertretbare Sachen 


charakteriſieren“ (vgl. ebenda S. 340) 
70) a. a. O. S. 339f. 
21) Vgl. oben Anm. 17. 


2) So anſcheinend auch Oert mann, Kom— 
mentar Bd. II 8 651 Note 2b S 756 a. A., wenn er 
als Beiſpiel für nicht vertreibare Sachen im Sinne des 
8 651 anführt „ein beſon ders kunſtvolles und 
koſtbares Möbel“. Ebenſo Schollmeyer, 
der einzelnen Schuldverhältniſſe (2. Aufl) S. 109, der 
ar Beiſpiel die Lieferung von 10000 Militärpaletots 

ildet. 


Recht 


| 


(vgl. 8 633 Abſ. 2), dafür aber einen Wandelungs- und 
einen Minderungsanſpruch ohne vorgängige Friſt— 
ſetzung (ogl. 8 634 Abſ 1), ferner einen Schadenserſatz⸗ 
anſpruch unter den Vorausſetzungen des 8 463 (anders 
als in 8 635). 

24) Vgl. Oertmann a. a. O. Note 4 S. 757. 

26) Vgl. Entwurf eines Handelsgeſetzbuchs für die 


| Preufiſchen Staaten nebſt Motiven (Berlin 1857) S. 53. 


6) Vgl. oben Anm. 7 
9 Aehnlich Laſtig in Endemanns Handbuch 
des Handelsrechts Bd. I S. 352 a. E., der als Beiſpiel 
Kolonialwaren anführt. 
28) Vgl. Reichsgericht in E 45 S. 63 f. (VII. 
12. 12 99): „Maſchinen bekannter, gewöhnlicher Art 
und üblicher Beſchaffenheit, bei denen es auf eine bes 
ſtimmte Leiſtungsſähigkeit nicht ankommt, find ver- 
tretbare Sachen.“ 


178 


VII. 

Im HGB. begegnen uns „vertretbare Sachen“ 
namentlich an zwei Stellen: $ 363 und $ 419 
Abſ. 1, außerdem (mit der Negation verbunden) 
in 8 381 und $ 406 Abi. 2. 

1. Der § 363 handelt von der kaufmaͤnniſchen 
Anweiſung über die Leiſtung von Geld, Wert: 
papieren oder anderen vertretbaren Sachen. 
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß darunter 
dasſelbe wie in 8 783 BGB., alſo ausſchließlich 
Mengeſachen zu verſtehen find. 


2 


Ebenſo verhält es ſich bei $ 419 Abi. 1 HGB. 


Von vornherein könnte man freilich zu der an⸗ 
deren Auffaffung neigen im Hinblick auf die 
Wortgruppe „von gleicher Art und Güte“ 
(nicht: „Art, Güte und Menge“); denn ſie 
iſt gerade mit der im BGB. § 243 Abſ. 1 auf: 
tretenden identiſch, die ſich unzweifelhaft allgemein 
auf Gattungsſachen bezieht. Aber in Abſ. 3 findet 
ſich die Formel „Sachen von gleicher Art, Güte 
und Menge“, und ſchon dieſer Umſtand weiſt 
darauf hin, daß hier nur an Mengeſachen 
gedacht ſein kann.) Entſcheidend aber iſt der 
Inhalt des Abſ. 2, welcher beſtimmt: 

„Der Lagerhalter erwirbt auch in dieſem Falle 
[nämlich im Falle der rechtmäßigen Vermiſchung 
von eingelagerten vertretbaren Sachen mit anderen 


Eigentum des Gutes; aus dem durch die Ver⸗ 
les entftandenen Geſamtvorrate kann er 
jedem Einlagerer den ihm gebührenden Anteil 
ausliefern, ohne daß er hierzu der Genehmigung 
der übrigen Beteiligten bedarf.“ 

Wenn hier ſchlechtweg von „Anteil“ geſprochen 
wird, ſo wird damit offenbar Bezug genommen 
auf Mengen, die beliebig teilbar ſind; ſonſt hätte 


1 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


ſeits in 8 592, andererſeits in 8 884 zu unter⸗ 
ſuchen. 
1. Nach 8 592 iſt zum Urkundenprozeß geeignet 
eine Verurteilungsklage, die geltend macht einen 
Anſpruch auf „Zahlung einer beſtimmten Geld⸗ 
ſumme oder Leiſtung einer beſtimmten Quan: 
tität anderer vertretbarer Sachen oder 
Wertpapiere“. Bei der Entſcheidung der Frage, 
ob unter vertretbaren Sachen zu verſtehen find 
Gattungsſachen oder nur Mengeſachen, darf wohl 
als ſicher angenommen werden, daß es ſprach⸗ 
widrig wäre, eine ſolche „Quantität“ in einer 
einzelnen Sache zu finden, gleichviel ob die Sache 
individuell oder gattungsmäßig beſtimmt iſt.““) 
Darnach kann ein Anſpruch auf Lieferung einer 
einzelnen gattungsmäßig beſtimmten Sache, 
wie etwa eines einzelnen, nach einem beſtimmten 
Muſter bezeichneten Möbelſtückes, nicht im Ur⸗ 
kundenprozeß geltend gemacht werden. Bringt 
man nun den vorangeſtellten Geſichtspunkt zur 
Geltung, wonach die „vertretbaren Sachen“, d. h. 
die „Gattungsſachen“ in „Mengeſachen“ und 
„Stückſachen“ zerfallen, ſo kann ſich in 8 592 
jener Ausdruck nicht erſtrecken auf Stückſachen, 
ſondern nur auf Mengeſachen. In der Tat 
erſcheint die Einführung des bezeichneten allge⸗ 
meinen Geſichtspunktes gerechtfertigt, wenn man 


erwägt, daß einem Anſpruche auf mehrere, etwa 
Sachen von gleicher Art und Güte] nicht das 5 B De 


zwei gattungsmäßig beſtimmte Sachen keine 


andere prozeſſuale Behandlung wird zuteil werden 


ja auch über die Art dieſer Teilung nahere Be⸗ 


ſtimmung getroffen werden müſſen. Ganz ähnlich 


| 
| 


wie bei 8473 BGB. muß man daher annehmen, 


daß in $ 419 Abſ. 1 HGB. als vertretbare 
Sachen nur Mengeſachen in Betracht kommen 
können. 

2. Dagegen iſt in $ 381 ſowohl als auch in 
8 406 Abſ. 2, welche beide auf 8 651 BGB. 
Bezug nehmen und die dort für vertretbare Sachen 
getroffenen Vorſchriften ausdehnen auf nicht vertret⸗ 


bare Sachen, dieſer Ausdruck ſelbſtverſtaͤndlich in 
gleichem Sinne gemeint wie in $ 651 BGB., alſo 


im Sinne von Gattungsſachen. Allerdings 
hat dies Ergebnis hier nur formelle Bedeutung. 


VIII. 


Die ZBO. handelt von vertretbaren Sachen 
an vier Stellen: in den SS 592, 688, 794 Ziff. 5 
und in § 881. 


ſollen als dem Anſpruch auf eine einzige, aber 
ebenfalls gattungsmäßig beſtimmte Sache. Sicher: 
lich iſt unannehmbar die Meinung, daß etwa auf 
Lieferung eines Stuhles von beſtimmtem Muſter 
nur im ordentlichen Verfahren, dagegen auf 
Lieferung von zwei Stühlen gleichen Muſters 
auch im Urkunden-Prozeß geklagt werden 
könnte. 

Damit find wir zu dem Ergebnis gelangt, 
daß in 8 592 und ebenſo in 88 688 und 794 
Ziff. 5 ZPO. unter „vertretbaren Sachen“ ledig⸗ 
lich Mengeſachen zu verſtehen ſind. 

Freilich dürfte noch eine gewiſſe Erweiterung 
dieſes Ergebniſſes vorzunehmen ſein, die aber 
keineswegs einen Widerſpruch zu unſerer Grundauf— 
faſſung enthält, ſondern eher zu deren Erhärtung 
beizutragen geeignet iſt, und zwar eine Erweite⸗ 
rung mit Rückſicht auf den Zuſatz in $ 592 „oder 
Wertpapiere“. Es können nämlich die Wertpapiere 
allerdings Mengeſachen ſein, und dann findet $ 592 


ganz zweifellos auf ſie Anwendung; dies iſt der 


Sicherlich bedeutet der Ausdruck 


in §§ 688 und 794 Ziff. 5 das nämliche wie in 


8 592; es wird daher genügen, den Begriff einer: 


2) Vgl. oben Anm., 17. 


Fall, wenn es nicht gerade auf die Anzahl, 
Stückzahl, ſondern vielmehr auf den Betrag 
ankommt. Aber Wertpapiere können auch als 
Stückſachen figurieren und doch Gegenſtand 
eines im Urkundenprozeß geltend zu machenden 


%) Für Mengeſachen gilt dies nicht; denn bei 


ihnen repräſentiert die Einheit (3 B. 1 kg) ſtets zu⸗ 
gleich eine Mehrheit 6. B. 2 Pfund oder 1000 g). 


oder eines Wertpapieres, 


Anſpruches ſein; dann nämlich, wenn es ſich 
handelt nicht nur um einen beſtimmten Geſamt⸗ 
betrag der Papiere, ſondern auch um einen 
beſtimmten, einheitlichen Nennwert und folglich 
zugleich um eine beſtimmte Anzahl dieſer 
Papiere. So bei einer Klage etwa auf Leiſtung 
von zehn Stück des vierprozentigen Anlehens 
der Stadt Nürnberg von 1909, unkündbar bis 
1. April 1919, zu 1000 M Nennwert, in dem 
Sinne alſo, daß mit dieſer Klage nicht ſchlechthin 
10 000 M (nominal) dieſer e gefordert 
werden, ſondern gerade zehn Stück folder 
Schuldverſchreibungen in Höhe von je 1000 M 
nominal. 

Daraus erkennen wir zugleich, daß in 3 592 
und ebenſo in 8 688 und $ 794 Ziff. 5 der 
Zuſatz „oder Wertpapiere“ keineswegs, wie all: 
gemein gelehrt wird,“) etwas Ueberflüſſiges ent⸗ 
hält, ſondern notwendig war, um die Anwend⸗ 
barkeit dieſer Vorſchriften auf Wertpapiere auch 
für den Fall auszuſprechen, daß dieſe als Stück⸗ 
ſachen beanſprucht werden.““ 

Zum Schluß noch eine einfache Folgerung aus 
dem Geſagten: Soweit Wertpapiere als Stüd- 
ſachen auftreten, ſich alſo auch nach der Stückzahl, 
Anzahl beſtimmen, können ſie auch in der Ein⸗ 
zahl in Betracht kommen. Daher kann im Ur⸗ 
kundenprozeß auch auf Leiſtung eines Wertpapieres 
von beſtimmter Sorte und beſtimmtem Betrage 
geklagt werden,“) ſofern nicht etwa ein genau in: 
dividualiſiertes, d. h. nach Serie, Buchſtabe und 
Nummer bezeichnetes Papier gemeint iſt. 

2. Etwas ſchwieriger geſtaltet ſich die Unter⸗ 
ſuchung und auch etwas anders das Ergebnis bei 
§ 884 ZPO. Zum Verſtändnis dieſer Vorſchrift 
iſt auf ſeine HN zurückzugreifen 
und zuvor noch ein Blick auf 8 883 zu werfen. 

Nach § 883 ZPO. beſteht die Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung zur Erwirkung der Herausgabe loder 
Leiſtung) von beweglichen Sachen, wenn eine in⸗ 
dividuell⸗beſtimmte Sache oder von beftimmten 
Sachen eine Quantität herauszugeben iſt, darin, 
daß der Gerichtsvollzieher die Sachen dem Schuldner 
wegnimmt und dem Gläubiger übergibt (Abſatz 1), 
und a bei Nichtauffindung der Sachen der 


— —— —ů ä — 


40 gl z. B. L. Seuffert, Kommentar Bd. II 
8 592 Note 2b3 S. 157 (11. Aufl.); Stein, Kommentar 
Bd. II 8 592 Note III 2 S. 179, und Urkunden⸗ und 
Wechſelprozeß S. 73. 

2) Vielleicht hat das Gleiche auch für §S 783 BGB. 
und 8 363 HGB. zu gelten; allerdings iſt hier die 
Faſſung gewählt: „Geld, Wertpapiere oder andere ver— 
tretbare Sachen“. 

“) Inſoweit trifft die Bemerkung bei X. Seuffert 
a. a. O. Note 2b S. 154 der 10. Aufl., die aber S. 157 
der 11. Aufl. ausgefallen iſt, das Richtige: „Eine be— 
ſtimmte Quantität iſt auch die Einheit einer Sache 
wenn IX 
vorliegt“. Dagegen dürfte der Urkundenprozeß nich 
zuläſſig ſein für eine Klage auf Lieferung einer 19195 
ſtigen einzelnen Stückſache, wenngleich dieſe 
nut gattungsmäßig beſtimmt ift. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. in Bayern. 1911. Nr. 8. 


i 


| 


179 


Schuldner zu einem Offenbarungseid genötigt 
werden kann (Abſatz 2). Hierauf hatten ſich die 
Entwürfe beſchränkt, auch noch der Entwurf III 
(vom Jahre 1874) im 5 716, deſſen (hier allein 
intereſſierender) Abſatz 1 lautete: 

„Hat der Schuldner eine bewegliche Sache oder 
eine Quantität beſtimmter beweglicher Sachen 
herauszugeben, ſo ſind dieſelben von dem Gerichts⸗ 
vollzieher ihm wegzunehmen und dem Gläubiger 
zu übergeben.“ 

Er entſpricht wörtlich dem 8 703 Abſ. 1 des 
Entwurfes II (vom Jahre 1872) und faſt wört⸗ 
lich dem 8 691 Abſ. 1 des Entwurfes I (vom 
Jahre 1871), nur daß hier ſtand: „oder eine 
beſtimmte Quantität beweglicher Sachen“. 

Zur Erläuterung dieſer Vorſchrift war aus⸗ 
geführt worden:) „Rückſichtlich einer Quantität 
ſind die hier gegebenen Vorſchriften nur inſoweit 
anwendbar, als dieſelbe bereits vollſtändig oder 
wenigſtens als Teil einer individuellen Menge 
individualiſiert iſt .... Die Zwangsvollſtreckung 
auf Gewährung einer in der angegebenen Weiſe 
nicht individualiſierten Menge in gleicher Weiſe 
durch Wegnahme von Sachen der beſtimmten Art 
auszuführen, iſt nicht zugelaſſen, weil dabei immer 
noch die Verpflichtung des Schuldners und des 
Gläubigers, Sachen der vorgefundenen Güte zu 
geben und anzunehmen, in Frage bleibt und bei 
entſtehendem Streite im Vollſtreckungsverfahren 
zweckmäßig nicht feſtgeſtellt werden kann.“ — 

Hierzu ſei in Anknüpfung an früher Geſagtes 
(oben Va. E.) beiläufig bemerkt, daß eine „voll⸗ 
ſtändig individualiſierte Quantität“ nichts an⸗ 
deres als eine individuell⸗beſtimmte Sache oder 
eine Mehrheit davon iſt, dagegen eine nur „als 
Teil einer individuellen Menge individualiſierte 
Quantität“ meiſt Gattungsſachen darſtellen wird. 

Bedeutſamer iſt folgendes: Mit 5 Wort⸗ 
gruppe „Quantität beſtimmter a 
Sachen“ könnte wiederum allenfalls eine Mehr⸗ 
heit von Stückſachen bezeichnet ſein, nicht aber 
eine einzelne Stückſache, und ſo könnte man 
ſich auch hier veranlaßt ſehen, durch Einführung 
des einheitlichen Begriffes „Stückſache“ wiederum 
das einheitliche Ergebnis herzuitellen, daß unter 
jene Formel Stückſachen überhaupt nicht fallen, 
ſondern nur Mengeſachen, genau wie in $ 592. 
Indeſſen tritt hier ein Umſtand hinzu, der in 
8 592 fehlt: Die Vorſchrift in 8 691 des Ent- 
wurfes I wie in 8 716 des Entwurfes III gilt 
nämlich auch in dem Falle, daß eine einzelne, 
individuell: beſtimmte Sache herauszugeben iſt. 
Wenn nun eine Vorſchrift ihrem Wortlaut nach ſo⸗ 
wohl auf die Herausgabe einereinzelnen, indivi⸗ 
duell-beſtimmten Sache, als auch auf die 
Herausgabe mehrerer Stückſachen paßt, ſo 
| tft die Annahme nahegelegt, daß fie ſich auch auf 


% Entwurf [I] einer Deutſchen ee 
nebſt Begründung (Berlin 1871) S. 477 


180 


___Beitfeheift für Wechtöpflege 


die Herausgabe einer einzelnen Stückſache er: 
ſtrecken laſſe, daß alſo die Einheitlichkeit des Er⸗ 
gebniſſes für Stückſachen in dem Sinne hergeſtellt 
werden müſſe, daß die Vorſchrift für alle Stück⸗ 
ſachen Geltung haben ſoll. Immerhin bleibt 
die Frage noch unentſchieden. 

Die Reichsjuſtizkommiſſion hat dem 8 716 
Abſ. 1 eine ſchärfere Faſſung gegeben, indem ſie 
den Paſſus „eine Quantität beſtimmter beweg⸗ 
licher Sachen“ umformte in „von beſtimmten be⸗ 
weglichen Sachen eine Quantität“, und ſie hat 


namentlich einen 8 716 a eingefügt, der mit dem 


jetzigen 8 884 ZPO. übereinſtimmt und lautet: 
„Hat der Schuldner eine beſtimmte Quan⸗ 
tität vertretbarer Sachen oder Wertpapiere 

zu leiſten, jo findet die Vorſchrift des § 716 

Abſ. 1 hetzt $ 883 Abſ. 1) entſprechende An: 

wendung.“ 

Damit wird die zwangsweiſe Verwirklichung 
eines Anſpruches auf Leiſtung einer Quantität 
vertretbarer Sachen auch in dem Falle ermöglicht, 
daß nicht der Kreis der Sachen, aus dem ge⸗ 
leiſtet werden ſoll, enger beſchrieben iſt; nur darf 


gefordert werden. 
der Ausdruck „vertretbare Sachen“ in 8 884 genau 
dieſelbe Bedeutung wie in $ 883 ZPO. und in 
$ 716 des Entwurfes III. Auf dieſen § 716, 
alſo auf die Bedeutung, die bei Einfügung des 
$ 716 nachweislich mit jenem Ausdruck ver: 
bunden worden iſt, hat ſich nun die weitere Unter⸗ 
ſuchung zu richten. 

Von den Gegnern dieſer Erweiterung der 
Naturalexekution war bezeichnender Weiſe wieder: 
holt darauf hingewieſen worden, daß „die Be: 


tungsſachen oder etwa nur Mengeſachen zu ver⸗ 
ſtehen find, das bleibt nun noch zu entſcheiden. 
Bei der Beratung wurde wiederholt von 
Seiten der Mehrheit, ohne daß ein Widerſpruch 
erſolgte, geltend gemacht, „es gebe nur einen 
1 entweder individuell beſtimmte oder 
generiſch beſtimmte, d. i. vertretbare Sachen; 
darauf, ob das Genus der vertretbaren Sachen 
enger oder weiter begrenzt ſei, komme nichts an“.“ 
Hieraus könnte man ſchon auf die umſaſſen dere 
Bedeutung der „vertretbaren Sachen“ ſchließen. 
Aber mehrfach findet ſich auch die Meinung aus⸗ 
geſprochen, daß unter „Quantität vertretbarer 
Sachen“ hier dasſelbe wie in $ 581 des Entwurfs 
(= 8 688 ZPO.) verſtanden werden folle,'?) alſo 
nur Mengeſachen. Freilich hat das nicht viel 
zu beſagen; denn gerade von derſelben Seite war 
auf die anerkannte Unſicherheit in der Abgrenzung 
der fraglichen Begriffe hingewieſen worden. 
Ausſchlaggebend dafür, daß wir es hier mit 
dem weiteren Begriff, alſo mit Gattungs⸗ 
ſachen überhaupt, zu tun haben, dürſten folgende 


f b Erwägungen ſein: 
dann dem Schuldner kein Offenbarungseid ab⸗ 


Abgeſehen hiervon hat aber 


griffe Genus, Spezies, vertretbare oder unvertret⸗ 


bare Sachen in der Wiſſenſchaft noch nicht un⸗ 
beſtritten ſeien“,“) und daß bei Anſprüchen auf 
Leiſtung einer Quantität vertretbarer Sachen aus 
praktiſchen Gründen die Naturalexekution beſſer 
beſchränkt bleibe auf die Fälle des §S 716. Als 
derartige Fälle wurden, übrigens auch von den 
Anhängern des Antrags, ſolche genannt, wo die 
vertretbaren Sachen „durch einen beſtimmten 
äußeren Umſtand nach der Vereinbarung der 
Parteien individualiſiert worden ſeien; z. B. zehn 
Sack Kaffee von einer im Magazin des Schuld: 
ners gelagerten Schiffsladung zu hundert Sack“, 
überhaupt Fälle, „wo eine Quantität aus einem 
größeren individuell beſtimmten Sachenkomplex 
herauszugeben ſei“.“) Daß es ſich in der Tat 
hier trotz der relativen Einſchränkung nicht um 
individuell-beſtimmte Sachen handelt. hatten wir 
bereits früher (oben V a. E.) konſtatiert; ob aber 
unter ſolchen „vertretbaren Sachen“ alle Gat— 


0 Vgl. Hahn, Die geſamten Materialien zur 
ZPO., 2. Abt. (Berlin 1880) S. 1027 S. 572 der ofſi⸗ 
ziellen Ausgabe]. S. 1033 S. 579. 

) Ebenda S. 1055 S. 605], desgl. S. 
S. 572], S. 1029 ([S. 574, 575). 


1028 


Die Vorſchrift des § 716 will den Gläubiger 
in den Stand ſetzen, dem Schuldner, der Sachen 
von derſelben Art und Güte in Beſitz hat wie 
die von ihm zu leiſtenden, dieſe Sachen, obgleich 
ſie individuell nicht geſchuldet ſind, durch den Ge⸗ 


richtsvollzieher geradeſo wegnehmen zu laſſen, wie 


eine individuell geſchuldete Sache; dies, damit der 
Gläubiger ſich nicht erſt den Leiſtungsgegenſtand 
von anderer Seite zu verſchaffen und den Schuldner 
auf Schadenserſatz nochmals zu verklagen braucht.“ 
Dieſer praktiſche Geſichtspunkt trifft aber gleich⸗ 
mäßig für alle nicht individuell⸗beſtimmten 
Sachen als Leiſtungsgegenſtand zu, d. h. für 


alle Gattungsſachen. 


Weniger beweiskräſtig, aber immerhin unter: 
ſtützend für die vorgetragene Meinung ſind die 
bei der Begründung des Antrages auf Einfügung 
des § 716 gebrauchten Wendungen wie „Gegen: 
ſtände des betreffenden Genus“ oder „Sachen 
des Genus“, Wendungen, die auf den Begriff 
„Gattungsſachen“ hinzuweiſen ſcheinen. Daß in 
der Tat bei jener Erweiterung der Naturalexe— 
kution auch an Anſprüche auf Leiſtung von 
Stückſachen, nicht nur von Mengeſachen ge— 
dacht worden iſt, wird aber am deutlichſten er— 
kennbar durch ein zur Erläuterung des beantragten 


— 


) Ebenda S. 1031 S. desgl. S. 10:8 
573, S. 1055 [S. 605). 

1, Ebenda S. 1032 S. 5775, 
S. 580. 

) Vgl. die Aeußerung a. a O. S. 1033 (S. 579]: 
„Es ſeien zahlreiche Fälle denkbar, in denen es die 
offenbarſte Ungerechtigteit gegen den Gläubiger wäre, 
wenn man ihm nicht geſtatten würde, die im Beſitze 
des Schuldners befindlichen, der Bezeichnung im Ur— 
teilstenor überall entſprechenden Sachen im Wege der 
Ezekution mit Beſchlag zu belegen.“ 

600 So a. a. O. S. 1027 [S. 572], S. 1031 [S. 576). 


576 
SD. 
desgl. S. 1034 


Zeitſchrift f für ür Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 181 


— ——— . —ö—ñ—tä — — — —— ——— 
— — — — —-—— r... — ... .. . jĩ 6. — SEES OS EP BES ̃ . ̃ — — . — — — 


8 716 a angeführtes, in der Praxis häufiges Bei⸗ 3. Der Ausdruck „vertretbare Sachen“ wird 
ſpiel: nämlich die zwangsweiſe Beitreibung von ſowohl im BGB. als auch im HGB. und in der 
Naturalabgaben, insbefondere zugunſten katholiſcher ZPO. bald im Sinne von „Mengeſachen“ 
Pfarreien, die einfach dadurch bewirkt werde, daß lalſo entgegen dem Wortlaut des 3 91 BGB. mit 
von den in entſprechenden Qualitäten vorhandenen | Ausſchluß der Stückſachen), bald im Sinne von 
oder aus dem Grundſtück gewonnenen Naturalien „Gattungsſachen“ (alſo mit Einſchluß der 
die geſchuldete Quantität weggenommen werde.“) Stückſachen) verwendet. Die engere Bedeutung 
Es liegt auf der Hand, daß ſich unter derartigen dürfte jenem Ausdruck beizulegen ſein in BGB. 
Naturalien vielfach auch Stückſachen (wie Eier, 88 473, 607, 700, 783, in HGB. 88 363, 419 
Geflügel, Krautköpfe uſw.) befinden werden. und in 380. §§ 592, 688, 794. Die weitere 

So hat ſich die Annahme als gerechtfertigt Bedeutung ſcheint er anzunehmen in BGB. §8 651, 
erwieſen, daß in 8 884 ZPO., abweichend von 706, in HGB. 88 381, 406 und in ZPO. 5 884. 
83 592, 688, 794 Ziff. 5, unter „vertretbaren 
Sachen zu verſtehen ſind alle Gattungs⸗ 
ſachen.“ 

Daraus ergibt ſich, daß z. B. ein Anſpruch 
auf (einmalige oder mag wiederkehrende) 


Leiſtung von einer Mandel Eier im Wege der 
Der ſtrafrechtliche Schutz gegen Entziehung un⸗ 
Naturalexekution verwirklicht werden . bewehlicher Sachen. Die Unzulänglichkeit des ſtrafrecht⸗ 
IX. lichen Schutzes gegen Eingriffe in das Grundeigentum 
| wurde in einem vor kurzem erledigten Zivilprozeß in 
draſtiſcher Weiſe vor Augen geführt: 

A hat eine Reihe zuſammenhängender Grund⸗ 
ſtücke zum Zwecke der Veranſtaltung größerer Vor⸗ 
führungen erworben. Das Geſamtareal wird durch⸗ 
ſchnitten von einem Bach, welcher nebſt den beiden⸗ 
ſeitigen Uferſtreifen in einer Geſamtbreite von 4 m 
dem B zu Eigentum gehört. Zum Zwecke der ein⸗ 
heitlichen Benützung des Areals begann A dieſes mit 
einer Eiſenbetonmauer und einem innerhalb dieſer 
parallel mit ihr laufenden Holzzaun zu umgeben, 
führte den Zaun über den Bach und errichtete, um 
auch für die Mauer über den Bach einen den Zutritt 
hindernden Abſchluß zu ſchaffen, Mauerpfoſten auf 
dem Ufergrundſtück. Der Einſpruch des ſo von 
ſeinem Bach (Forellenwaſſer) und Bachgrundſtück 
völlig abgeſchnittenen 8 wurde, wiewohl er ſein 
Eigentum durch Erwerbsurkunde und Grundbuch⸗ 
eintrag einwandfrei nachwies, nicht nur unberück⸗ 
ſichtigt gelaſſen und die Umzäunung fortgeſetzt, ſondern 
es wurde der Bach ſogar innerhalb der Umzäunung 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Zum Schluß mögen die gewonnenen Ergeb⸗ 
niſſe in Kürze zuſammengeſtellt werden: | 
1. Die Definition des Begriffes „vertretbare 
Sachen“ in 8 91 BGB. iſt ungenau und doppel⸗ | 
deutig; auch läßt fie das begriffliche Verhältnis | 
dieſer „vertretbaren Sachen“ zu den „nur der Gat⸗ 
tung nach beſtimmten Sachen“ nicht klar hervor⸗ | 
treten. So kommt es, daß der Ausdruck „ver: | 
tretbare Sachen“ vom Geſetz nicht überall in gleicher 
Bedeutung gebraucht wird. | 
2. Die Handhabe für eine exakte Begriffs⸗ | 
entwicklung bietet der in der Mathematik und 
Phyſik gebräuchliche Gegenſatz von benannten und 
unbenannten Zahlen. Es gibt einerfeits Sachen 
von beſtimmter, einheitlicher Art und Güte, die 
nur nach Zahl (unbenannte Zahl) beſtimmt 
werden: „Stückſachen“ oder „zählbare Sachen.“ 
Es gibt andererſeits Sachen von beſtimmter, ein⸗ 
heitlicher Art und Güte, die nach Zahl und Maß mehrfach überbrückt. 
oder Gewicht oder Münzfuß (benannte Zahl) Die zuſtändige Polizeibehörde, an welche ſich B 
beſtimmt werden: ⸗Mengeſachen! oder „me: wendete, weil er in der Zulaſſung des Publikums zu 
bare Sachen“. Die Begriffe „Stückſachen“ und den Vorführungen eine Gefährdung ſeines Eigentums 
‚Mengeiaden” dee. dagen Den, Zegrifi a Bund Bela der ae an a 
1 9 Ay eo weilige Verfügung wurde vom Prozeßgerichte ab⸗ 
entweder (nur) nach Zahl oder nach (Zahl und) ee 
| Erſt das auf Klage ergangene Urteil gab dem 
Maß oder Gewicht (oder Münzfuß) beſtimmt Betlagten A die Beſeitigung der Anlagen auf dem 
werden. — Im Einzelfall können Sachen, die fremden Grundſtück auf. Inzwiſchen waren fünf 
ſonſt als Mengeſachen beſtimmt werden, als Stück- Monate verfloſſen, in welchen A den rechtswidrigen 
ſachen oder ſogar als individuell beſtimmte Sachen Zuſtand aufrecht erhalten konnte. 
auftreten, und ebenſo Sachen, die ſonſt als Stück— 
| 
| 


Hierzu iſt folgendes zu bemerken: Das geltende 
ſachen beſtimmt werden, als individuell beſtimmte Strafrecht kennt keinen Schutz gegen Entziehung un: 
Sachen auftreten. 


beweglicher Sachen. Der geſchädigte Grundeigen⸗ 
„„ tümer iſt ausſchließlich auf den Zivilrechtsweg an— 
gewieſen, der nach Umſtänden recht langwierig werden 
kann. Die Selbſthilfe des bürgerlichen Rechtes ver— 
ſagt bei dem Fehlen behördlichen Beiſtandes wohl in 
den meiſten Fällen; daß auch die einſtweiligen Ver: 
fügungen nicht immer zum Ziele führen, beweiſt der 
berichtete Fall. 


5) So a. a. O. S. 1028 [S. 573]. 

2) Anders wohl Stein, Kommentar Bd. II 8 592 
Note S. 728 a. A.: „Dagegen gilt 8 884 nicht, wenn 
es ſich um die Leiſtung von ſolchen Gattungsſachen 
er welche nicht die Natur von vertretbaren Sachen 

aben 


182 


za a am 


Der Strafrichter, der bei der rechtswidrigen 
Wegnahme beweglicher Sachen ſofort tätig wird, der 
z. B. die arme frierende Frau wegen der Wegnahme 
weniger Koblenſtücke auf Anzeige zur Rechenſchaft 
ziehen muß, ſteht abſeits, wenn wertvolle unbewegliche 
Sachen dem Inhaber entzogen werden. 

Der derzeitige ſtrafrechtliche Schutz unbeweglicher 
Sachen beſchränkt ſich auf die Beſtimmungen in 8 274 
Nr. 2 (Grenzverrückung), $ 303 (Sachbeſchädigung), 
8370 Nr. 1 und 2 StGB. (Abgraben). 8 274 ſtellt 
das Beſeitigen und Verſetzen der Grenzzeichen, alſo 
die Urkundenfälſchung, in den Vordergrund, trifft ſo⸗ 
nach insbeſondere nicht den durchaus nicht ſeltenen Fall, 
daß jemand, ohne daß die Verletzung von Grenz⸗ 
zeichen in Frage kommt, weil ſolche nicht vorhanden 


ſind, eigenmächtig, z. B. in Ausnützung des entfernten 


Wohnſitzes oder der Gleichgültigkeit ſeines Grund⸗ 
nachbarn, oder bei Anlaß der Vererbung eines Grund⸗ 
ſtückes an auswärts wohnende Erben, einen beträcht⸗ 
lichen Teil der Nachbargrundſtücke mitbepflügt und 
ſo ſich aneignet oder doloſer Weiſe überbaut. 8 303, 
die Sachbeſchädigung, trifft in allen Fällen nicht zu, 
in denen der Wille des Täters auf Aneignung ge⸗ 
richtet iſt. 8 370 behandelt nur kleinere widerrechtliche 
Handlungen an Grundſtücken (Abpflügen von Straßen 
und Rainen, auch der eigenen). 

Die Entziehung des Eigentums, welcher bei 
beweglichen Sachen ein eigener Abſchnitt im 
Strafgeſetzbuch gewidmet iſt, findet ſonach gegenüber 
unbeweglichen Sachen keine grundſätzliche Be⸗ 
handlung im Strafgeſetz. 

Aber auch der Entwurf des neuen Strafgeſetz⸗ 
buches läßt dieſen Schutz gegen Entziehung unbeweg⸗ 
licher Sachen vermiſſen, hält vielmehr bei den Eigen⸗ 
tumsdelikten des Diebſtahls und Raubes an dem Tat⸗ 
beſtandsmerkmal der Beweglichkeit der Sache feſt. 

Freilich können unbewegliche Sachen nicht weg⸗ 
getragen werden; inſoferne mag praktiſch bezüglich 
der Möglichkeit der Wiederbeſchaffung der Herrſchaft 
über die entzogene Sache ein Unterſchied zwiſchen be⸗ 
weglichen und unbeweglichen Sachen zugegeben 
werden. Allein begrifflich gehört die Unmög⸗ 
lichkeit oder Schwierigkeit, die weggenommene Sache 
wieder zu erhalten, nicht zum Tatbeſtand des 
Eigentumsdeliktes und überdies ſind dem beſtohlenen 
Eigentümer einer beweglichen Sache zivilrechtlich 
mindeſtens die gleichen Behelfe zur Wiedererlangung 
der Sache an die Hand gegeben (vgl. 8 935 BGB.) 
als dem Grundſtückseigentümer. Die einſeitige Ver— 
ſtärkung dieſer Mittel durch ſtrafrechtlichen Schutz iſt 
alſo auch hierdurch nicht zu erklären. 

Sobald die Wegnahme begrifflich nicht als 
Fortbewegung betrachtet, ſondern darin erblickt wird, 
daß „die Sache dem Gewahrſam des bisherigen In— 
habers ohne deſſen Zuſtimmung entzogen und in die 
Verfügungsgewalt des Täters übergegangen iſt“, und 
zum Begriff der Zueign ung erforderlich iſt, „daß 
der Täter den Gewahrſam der fremden Sache er— 
greift, um dieſe zunächſt für ſich zu erwerben und 
über ſie für ſich zu verfügen“, iſt, um auf den am 
Anfang erwähnten Fall zurückzukommen, in der Er: 
richtung der Mauer und des Zaunes, durch welche 
A das Grundſtuck des B unter Ausſchluß des letzteren 
in Beſitz nimmt, um damit gleich einem Eigentümer 
zu ſchalten und zu walten, der Tatbeſtand der Weg— 
nahme in Zueignungsabſicht erfüllt. Es iſt nicht 
einzuſehen, warum die Wegnahme einer fremden un— 


Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


— — x fñ — = . FR 


beweglichen Sache in der Abſicht fie ſich rechts⸗ 
widrig zuzueignen, eine weniger ſtrafwürdige Hand⸗ 
lung ſein ſoll, als die Wegnahme einer beweglichen 
Sache unter gleichen Vorausſetzungen. Im Falle 
bewußter widerrechtlicher Ueberbauung eines Nachbai⸗ 
grundſtücks oder des bewußt widerrechtlichen Pflügens 
eines ſolchen dürfte der Tatbeſtand des vollendeten 
Delikts der widerrechtlichen Aneignung noch leichter 
zu finden ſein. 

Es iſt daher ſicherlich ſehr wünſchenswert, daß 
der Geſetzgeber bei Schaffung des neuen Strafgeſetz⸗ 
buches den Schutz unbeweglichen Eigentums gegen 
widerrechtliche Entziehung berückſichtigt. 
Rechtsanwalt Juſtizrat Dr. Ciſen berger in München. 


Etwas über die Kriminalpolizei. Gerechtigkeit 
und Rechtsſicherheit fordern, daß nicht nur der Un⸗ 
ſchuldige vor ungerechtfertigter Strafverfolgung be: 
wahrt bleibt, ſondern auch nach Möglichkeit kein 
Schuldiger der verdienten Strafe entgeht. Es wird 
als ungerecht empfunden, wenn von mehreren Schul⸗ 
digen der Schlauere und Unwahrhaftigere ſtraffrei 
ausgeht, während der weniger vom „Glück“ Begün⸗ 
ſtigte, Ehrlichere und Ungewandtere beſtraft wird. 
Es erſchüttert auch die Rechtsſicherheit, wenn der 
Schuldige mit einiger Wahrſcheinlichkeit darauf rech⸗ 
nen kann, ſich der Strafe zu entziehen. Dieſe Wahr: 
ſcheinlichkeit iſt um fo größer, je vollkommener die 
Leiſtungen der Verbrecher und je unvollkommener die 


Leiſtungen der Kriminalpolizei ſind. Sie iſt um ſo 


geringer, je vollendeter die Polizei und die Staats⸗ 
anwaltſchaft zu arbeiten vermögen. Auf den guten 
Willen und die natürlichen Fähigkeiten kommt es 
dabei nicht ausſchließlich an. Von hervorragender 
Bedeutung ſind vielmehr auch die den Behörden zu 
Gebote ſtehenden Hilfsmittel und ihre fachmänniſche 
Ausbildung. Bei der heute ſo vorgeſchrittenen tech 
niſchen Ausbildung der Verbrecher iſt es daher eine 
unabweisbare Notwendigkeit den Strafverfolgungs⸗ 
behörden, ſoweit es die vorhandenen Geldmittel ge⸗ 
ſtatten, möglichſt vollkommene Hilfsmittel gegenüber 
dem Verbrechertum an die Hand zu geben. . 
Ich möchte mir im folgenden geſtatten, einige 
Anregungen zu geben, die mir geeignet ſcheinen, den 
genannten Behörden die Arbeit zu erleichtern. Zum 
Teil handelt es ſich allerdings nicht um neue Vor⸗ 
ſchläge; es ſoll aber zur Erwägung gebracht werden. 
ob ſich nicht die allgemeine Einführung empfiehlt. 
Beſſer als jede Schilderung und genauer und 
zuverläſſiger als jeder Zeuge gibt, wie bekannt, die 
Photographie die Vorgänge wieder. Es iſt nicht 
nötig auf den Wert dieſes Beweismittels nochmals 
hinzuweiſen. Nun zeigt die Erfahrung, daß die 
Gendarmen und Schutzleute meiſt die erſten Amts⸗ 
perſonen find, die an den Tatort kommen; daß fie 
auch auf ihren Dienſtgängen vielfach Gelegenheit 
haben, Verbrecher bei der Tat zu beobachten. Es iſt 
auch bekannt, daß es mit Rückſicht auf den Verkehr 
oder den Geſchäftsbetrieb (3. B. in Fabriken, Stein⸗ 
brüchen ꝛc.) oder mit Rückſicht auf Rettungsarbeiten 
(3. B. bei Eiſenbahnunglücken uſw.) meiſt nicht möglich 
iſt bis zum Eintreffen des Richters abſichtliche oder 
zufällige Veränderungen des Tatortes oder der Sach— 
lage hintanzuhalten. Und gerade in ſolchen Fällen 
wäre es oft ſehr wichtig Grundlagen für eine zu— 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


verläſſige Feſtſtellung des urſprünglichen Zuſtandes 
zu haben, da erfahrungsgemäß in dieſer Beziehung 
die meiſten Zeugen verſagen. Es wäre daher ſehr 
zu begrüßen, wenn in ſolchen Fällen der Polizei⸗ 
beamte ſtets mit einem guten photographiſchen 
Apparat ausgerüſtet und mit feiner Handhabung 
ausreichend vertraut wäre. Wie oft wäre auch die 
Feſiſtellung eines anfänglich unwichtig ſcheinenden 
Umſtandes notwendig; es kann aber kein Zeuge 
richtige Auskunft geben. Eine rechtzeitig aufge⸗ 
nommene Photographie würde ohne weiteres die 
wahre Sachlage erſehen laſſen. Auch bei Aufläufen 
u. dgl. könnte eine Anzahl guter Bilder oft wichtige 
Aufſchlüſſe über den wahren Sachverhalt geben und 
die Entſcheidung über die Glaubwürdigkeit der ein⸗ 
zelnen Zeugenausſagen ſehr vereinfachen. In man⸗ 
chen Fällen könnte auch der meiſt koſtſpieligere 
richterliche Augenſchein unterbleiben. Mit Rückſicht 
auf eine möglichſt weitgehende Verwendbarkeit wäre 
es wohl zweckmäßig einen guten, aber kleinen und 
unauffällig handzuhabenden Apparat zu benützen. 
Ich denke dabei z. B. an Apparate, die womöglich 
unter der Uniform!) getragen werden können und 
deren Objektiv durch ein Knopfloch der Uniform die 
Aufnahme macht; natürlich müßte ein folder Apparat 
techniſch ſo vollkommen ſein, daß genügend ſcharfe 
Aufnahmen auch bei weniger guter Beleuchtung er⸗ 
zielt werden können. Die Größe der Aufnahmen 
wäre von untergeordneter Bedeutung, da gute Auf⸗ 
nahmen leicht vergrößert werden könnten. 

Ueber den Nutzen der Polizeihunde ſind die 
Meinungen zwar geteilt. Wenn ſie aber auch nicht 
ausſchlaggebenden Beweis liefern können, ſo wäre 
doch ihre Unterſtützung für den Polizeibeamten viel⸗ 
fach wertvoll. Es wäre daher wohl zu empfehlen, 
wenn jede Gendarmerie ihren Polizeihund hätte. 
Das ließe ſich vielleicht ohne allzugroße Koſten er⸗ 
reichen, wenn die Polizeibeamten, die perſönlich ſolche 
Hunde halten, von der Gebühr für das Halten be⸗ 
freit wären und einen kleinen Zuſchuß zu den Futter⸗ 
koſten bekämen, und wenn ferner für beſondere 
Leiſtungen der Hunde kleine Belohnungen gezahlt 
würden. 

Es wurde auch als Mißſtand empfunden, daß, 
(wenigſtens bis vor kurzem), manche Gendarmerie⸗ 
ftationen noch keinen Fernſprecher hatten. Die 
Erfahrung hat gezeigt, daß man nicht ſtets darauf 
rechnen kann, daß die an dem betreffenden Ort einen 
Fernſprecher beſitzenden Behörden oder Privatperſonen 
die Gendarmerie an ihren Fernſprecher rufen; es 
wird hin und wieder die Erledigung wichtiger Auf⸗ 
träge verzögert oder gar unmöglich gemacht. — Er⸗ 


wünſcht wäre auch, wenn den Polizeibeamten ein 


Kraftfahrzeug zur Verfügung ſtände. Es könnten 
dadurch nicht nur die Verbrecher ſchneller verfolgt 
und der Tatort eher erreicht werden, ſondern es 
würde angeſichts der Möglichkeit, daß unvermutet 
und raſch ein Gendarm erſcheint, auch die Sicherheit 
auf den Landſtraßen noch erheblich vermehrt werden. 

Hin und wieder machen auch die Finanzbehörden 
kleinliche Schwierigkeiten, wenn es ſich um Er ſatz 
ungewöhnlicher Auslagen handelt, z. B. Erſatz 


) Die Uniform dürfte auch einfacher und unauf- 
fälliger werden. Das Auftauchen eines Gendarmen 
kann der Verbrecher derzeit ſchon auf weite Ent— 
fernungen bemerken und ſich in Sicherheit bringen. 


in Bayern. 1911. Nr. 8. 183 


für Chemikalien, Erfag für die Beſchädigung einer 
Hoſe eines Polizeibeamten bei einer wichtigen Durch⸗ 
ſuchung u. dgl. Wenn in ſolchen Fällen der Beamte 
befürchten muß, Erſatz nicht oder nur unter Schwierig⸗ 
keiten zu erlangen, ſo wird das ſeine Freudigkeit 
dämpfen auch einmal etwas außerordentlich es, von der 
Regel (Schablone) abweichendes in einer wichtigen Unter: 
ſuchung zu tun, denn meiſt können die Polizeibeamten 
ſolche Auslagen nicht aus eigener Taſche beſtreiten. 
Gerade die Möglichkeit, auch einmal von der Regel 
abweichende, im einzelnen Fall oft ſehr nützliche 
Unter ſuchungshandlungen vorzunehmen, fürdert oft 
wichtige Ergebniſſe da zu Tage, wo ein Arbeiten nach 
der herkömmlichen Form keinen Erfolg haben könnte. 
Es wäre daher eine möglichſt weitherzige Behandlung 
bei dem Erſatz ſolcher Auslagen zu wünſchen. Die 
Mehrausgaben würden meiſt durch Erſparnis an 
Zeugengebühren wieder reichlich aufgewogen. 

Die Verwertung von Fußſpuren und Finger⸗ 
abdrücken hält ſich im allgemeinen noch in recht 
beſcheidenen Grenzen. Wo eine Sicherung der Spuren 
bis zum Eintreffen eines Sachverſtändigen nicht an⸗ 
gängig iſt, müßten eben die Polizeibeamten dieſe 
Spuren abbilden oder abnehmen. Es wäre daher zu 
wünſchen, daß die Polizeibeamten mit der Behand⸗ 
lung und Verwertung ſolcher Spuren ausreichend ver⸗ 
traut und mit den erforderlichen Hilfsmitteln — auch 
zum Sichtbarmachen unſichtbarer oder ſchlecht ſichtbarer 
Fingerabdrücke — ausgerüſtet wären. Es wäre auch 
zu begrüßen, wenn ſie damit vertraut wären, wie 
ſolche Spuren zu photographieren ſind. Es würde 
ſich wohl empfehlen, wenn ſie die nötigen Hilfsmittel, 
ähnlich, wie es Groß den Unterſuchungsrichtern em⸗ 
pfiehlt, in handlicher Verpackung bei ſich führen würden. 

In gar manchen Strafverfahren, die derzeit noch 
mit Einſtellung wegen Nichtermittelung des Täters 
enden, würde die Polizei mit den genannten Hilfs⸗ 
mitteln den Täter feſtſtellen, wohl auch die Unſchuld 
eines zu Unrecht Angeſchuldigten leichter erweiſen können. 
Die Koſten der Anſchaffung und Handhabung würden, 
wie ſchon bemerkt, zum Teil dadurch eingebracht werden 
können, daß der doch recht teure Zeugenbeweis viel⸗ 
fach ganz erheblich eingeſchränkt werden könnte. Ab⸗ 
geſehen davon würde die Möglichkeit leichter die Wahr⸗ 
heit zu ermitteln und Irrtümer auszuſchalten, auch 
den Aufwand einiger Koſten zur Genüge rechtfertigen. 

Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Sicherung eines vorbehaltenen Nangs durch eine 
Vormerkung nach 3 18 68D. Rechtliche Natur einer 
ſolchen Vormerkung. Beſeitigung durch eine ſpätere Ein⸗ 
tragung, die einen Nangvorbehalt nicht enthält. Er⸗ 
werb in gutem Glauben (5 892 BGB.) anf Grund 
einer ſolchen Vormerkung. Auf dem Grundſtück eines 
Putzermeiſters Friedrich R. ſtand ſeit dem 25. Mai 
1906 in Abt. II Nr. 10 für die Beklagte eine 
Sicherungshypothek von 50000 M mit dem Be⸗ 
merken eingetragen, daß der Eigentümer ſich vorbe— 


184 


halten habe, eine Hypothek von 50000 M mit dem 
Range vor dieſer Sicherungshypothek eintragen zu 
laſſen. In einer notariell beglaubigten Urkunde vom 
24. Juli 1907 bewilligte R. dem Glaſermeiſter B. die 
Eintragung einer Darlehnshypothek von 50 000 M mit 
4½ % Zinſen und „legte dieſer Hypothek in Ausübung 
der vorbehaltenen Befugnis den Rang vor den in Abt. III 
Nr. 10 eingetragenen 50000 M bei“. Der Grundbuch⸗ 
richter machte jedoch die Eintragung von der Bei— 
bringung der Hypothekenbriefe von Abt. III Nr. 10 


abhängig und trug, als die Gläubiger die Heraus⸗ 


gabe verweigerten, in Abt. III Nr. 19 nur eine Vor⸗ 
merkung zur Sicherung des Anſpruchs auf Eintragung 
der Hypothek „mit dem Range vor der Poſt Abt. III 
Nr. 10° am 31. Juli 1907 von Amts wegen ein. Er 
trat, nachdem inzwiſchen, am 17. Auguſt 1907, die Be⸗ 
klagte auf Grund einer einſtweiligen Verfügung eine 
Vormerkung zur Sicherung des Anſpruchs auf Löſchung 
des Rangvorbehalts bei Abt. III Nr. 10 hatte eintragen 


gieitſchrift für Rechtspflege in 


laſſen, am 7. September 1907 feine Rechte aus der 


Eintragungsbewilligung und der Vormerkung der 
Klägerin ab. 


R. bewilligte die Eintragung für die 


Klägerin. Seit dem 19. Juli 1907 ſchwebte die Zwangs⸗ 
verwaltung und Zwangsverſteigerung des Grundſtücks. 
50 000 M*) beſtehen und iſt in der gegenteiligen Ein= 


Am 5. November 1907 ſtand Bietungstermin an. Am 
12. Oktober 1907 ſtellte die Klägerin, nachdem auch ſie 
die Hypothekenbriefe von Abt. III Nr. 10 nicht hatte 
erlangen können, beim Grundbuchamt den Antrag, die 
Hypothek von 50000 M „ohne Vorrang vor der Poſt 
Abt. III Nr. 10“ einzutragen, und bemerkte dabei: 


Nr. 8. 


Bayern. 1911. 


werden. Es handelte ſich um eine Vormerkung, die 
der Grundbuchrichter von Amts wegen auf Grund 
des 8 18 Abſ. 2 EBD. eingetragen hatte, weil, wie 
er annahm, der endgültigen Eintragung des Vorrangs 
vor den Poſten in Abt. III Nr. 10 der Mangel der 
Hypothekenbriefe entgegenſtand. Die Vormerkung 
hatte den doppelten Zweck, der Hypothek, deren Ein: 
tragung zugunſten der B. beantragt war, einmal gegen 
weitere nachträglich beantragte Hypothekeneintragungen 
und ſodann gegen etwaige Verfügungen über den 
Rangvorbehalt bei Abt. III Nr. 10 den Rang zu 
ſichern. Der Rang gegenüber den nacheingetragenen 
Hypotheken mußte der Hypothek gewahrt bleiben, als 
die Klägerin am 12. Oktober 1907 die endgültige Ein⸗ 
tragung „ohne Vorrang vor der Poſt Abt. III Nr. 10“ 
beantragte. Die Vormerkung konnte deshalb nicht 
gelöſcht, ſondern mußte umgeſchrieben werden. So⸗ 
weit ſie gleichzeitig die Sicherung des Vorrangs 
gegenüber Abt. III Nr. 10 bezweckte, wäre ſie aller⸗ 
dings, nachdem es der Klägerin nicht gelungen war, 
das Hindernis zu befeitigen, nach 8 18 GBO. zu 
löſchen geweſen. Die Löſchung konnte aber nur in 
der Berichtigung eines Satzteils (Wegfall der Worte: 
„mit dem Range vor der Hypothek Nr. 10 von 


tragung des Ranges hinter der Poſt Abt. III Nr. 10 


unbedenklich zu finden, wenngleich die vorgeſchriebenen 


„Auf unſeren perſönlichen Anſpruch wird nicht ver⸗ 


zichtet.“ Der Grundbuchrichter ſchrieb darauf am 
18. Oktober 1907 die Vormerkung in Abt. III Nr. 19 
in eine Darlehnshypothek von 50000 M unter Bezug⸗ 
nahme auf die Urkunden vom 7. und 9. September 
1907 mit der Maßgabe ein, daß die Poſt der in 
Abt. III Nr. 10 im Range nachſtehe. Im Verteilungs⸗ 
termin iſt die Klägerin mit ihrer Hypothek ausgefallen, 
dagegen iſt die Beklagte mit 14 933.23 M bei Abt. III 
Nr. 10 zur Hebung gekommen. Infolge Widerſpruchs 
der Klägerin iſt der Betrag als Streitmaſſe hinterlegt 
und ſodann die Eintragung im Grundbuch gelöſcht 
worden. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auf 
Auszahlung der Streitſumme und der Hinterlegungs— 
zinſen geklagt, das LG. hat nach den Anträgen der 
Klägerin erkannt, das OLG. aber hat unter Abweiſung 
der Klage die Auszahlung der ſtreitigen Beträge und 
der Hinterlegungszinſen an die Beklagte angeordnet. 
Die Reviſion blieb ohne Erfolg. 

Aus den Gründen: Der in Abt. III Nr. 10 
eingetragene Rangvorbehalt war allerdings dinglicher 
Natur, die vorbehaltene Befugnis war aber derart 
mit dem Eigentum am Grundſtück verknüpft, daß fie 
von dieſem nicht getrennt und auf andere Perſonen 
nicht übertragen werden konnte (vgl. Planck Anm. 3, 
Turnau-Förſter Anm. II 3 zu 8 881 BGB.). Der 
Eigentümer konnte ſich, wenn er von dem Rangvor— 
behalt Gebrauch machen wollte, perſönlich zur Einräu— 


mung einer bevorrechtigten Hypothek verpflichten, ein 


dingliches Recht erwuchs aber dem Gläubiger, dem 
der Vorrang beigelegt werden ſollte, erſt mit der Ein— 
tragung der Hypothek und des Vorrangs (BGB. 
ss 879 Abſ. 3, 880 Abſ. 2; Planck Anm. 4a und Be; 
Turnau-Förſter Anm. II 7, III 3 bzw. II 5) Zu 
einer ſolchen Eintragung des Vorrangs in Abt. III 
Nr. 19 aber iſt es nicht gekommen. Die dort am 
31. Juli 1907 von Amts wegen eingetragene Vor— 
merkung des Vorrangs hat der Berufungsrichter mit 
Recht durch die ſpätere auf Antrag der Klägerin be— 
wirkte gegenteilige Rangeintragung für erledigt er— 
achtet. Von einer falichen Eintragung konnte keine 
Rede ſein, da ſie auf den eigenen Antrag der Klägerin 
vorgenommen war. Ebenſowenig aber kann aus dem 
Umſtand, daß die Vormerkung nicht gelöſcht worden 
iſt, das Fortbeſtehen der Rangvormerkung gefolgert 


Formen der Löſchung vielleicht nicht in jeder Bezie⸗ 
hung innegehalten ſein mögen. Uebrigens würde, 
auch wenn man der Reviſion darin folgen wollte, 
daß der Anſpruch auf den Rang vor der Poſt 
Abt. III Nr. 10 auch nach der Umſchreibung der 
Vormerkung immer noch vorgemerkt geblieben ſei, 
damit nichts für die Klägerin gewonnen ſein. Denn 
es iſt an ſich ſchon zweifelhaft und für die Vormer⸗ 
kungen der 83 883 ff. BGB. von der herrſchenden 
Meinung verneint, daß die Vormerkung die Bedeu⸗ 
tung auch nur eines bedingten dinglichen Rechts 
habe (vgl. Jäckel Anm. 2 zu § 48 3VG. Anm. 1 zu 
8 120 daſ.; Planck zu 8 883 BGB.; Turnau-Förſter 
daſ. Anm. II 4, Oberneck, Reichsgrundbuchrecht 4. Aufl. 
Bd. I S. 443 ff., 448 ff.). Sie iſt, bei dieſer Art von 
Vormerkungen wenigſtens, nur als dingliches Siche⸗ 
rungsmittel für perſönliche Anſprüche anerkannt, das 
insbeſondere einen Anſpruch auf Berückſichtigung des 


guten Glaubens (8 892 BGB.) nicht gewährt (vgl. 
Planck Anm. 1a, 3i zu 8 883; Turnau-⸗Förſter daſ. 


Anm. II 4d; Oberneck Bd. I S. 446). Die Vormer⸗ 
kung des 8 18 G80. iſt allerdings nicht zur Siche⸗ 
rung eines perſönlichen Anſpruchs auf Eintragung, 
ſondern zur Sicherung des aus dem dinglichen Ber- 
trage ſich ergebenden Eintragungsrechts beſtimmt (vgl. 
RG 3. 55, 342, 62, 377; Turnau-Förſter Bd. II Anm. III 
6, 7 zu 8 18; Oberneck Bd. I S. 268), immerhin iſt 
auch ſie nur ein Sicherungsmittel, kein dingliches Recht 
und kann zu einem ſolchen nur durch endgültige Ein— 
tragung in der Reihe der dinglichen Rechte werden. 
Von einem gutgläubigen Erwerb auf Grund einer 
ſolchen Vormerkung kann deshalb, aber auch aus dem 
Grunde keine Rede ſein, weil die Vormerkung ſelbſt 
ergibt, daß der Eintragung Hinderniſſe entgegenſtehen. 
In der Zwangsverſteigerung wird die Vormerkung 
zwar nach $ 48 3G. einem bedingten Rechte gleich 
behandelt, es geſchieht dies aber nur unter der Vor— 
ausſetzung, daß das Recht nachträglich feſtgeſtellt wird. 
die Bedingung, wenn man von einer ſolchen reden 
darf, eintritt. Davon war im vorliegenden Fall keine 
Rede. Das Hindernis, das der Eintragung entgegen— 
ſtand, iſt auch nach der Umſchreibung der Vormerkung 
nicht behoben worden, es konnte auch nicht behoben 
werden, weil der Grundeigentümer nicht in der Lage 
war der Klägerin die Hypothekenbrieſe zu beſchaffen. 
(Urt. des V. 35. vom 6. Februar 1911, V 267.10). 


220 


— — n. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 8. 


— ——⏑—ᷣ ͤ ð8Gü— nn 
— — — — — 


II. 


1. Widerruf der Kündigung einer Hypothek. 2. Zu: 
täffigfeit der Zwangsvollſtreckung in den Bruchteil eines 
Grnndſtücks. In der Zwangsverſteigerung eines Grund⸗ 
ſtücks iſt der Beklagte zuſammen mit dem Malermeiſter 
L. und dem Lehrer H., denen der Erſteher ſeine 5 
aus dem Meiſtgebote zu gleichem Rechte und Anteilen 
abgetreten hatte, durch Zuſchlag Eigentümer geworden. 
Von dem Abtretungsgegenwert wurden 24 000 M als 
Darlehn auf dem Grundſtücke für den Erſteher N. als 
Hypothek eingetragen. Die Forderung ſollte nach drei⸗ 
monatiger Kündigung rückzahlbar ſein. Weil die 
Zinſen nicht pünktlich gezahlt wurden, kündigte N. 
jedem der drei Miteigentümer die Hypothek mit drei⸗ 
monatiger Friſt. Die Anteile des L. und des H. an 
dem Grundſtück erwarb die Klägerin durch Auflaſſun 
und Eintragung im Auguſt 1908; ſie übernahm 99 
die Hypothekenſchuldanteile von je 8000 M, und am 
1. Oktober 1908 bezahlte fie die ganzen 24000 M 
nebſt Zinſen an N. Der Beklagte will die auf ihn 
entfallenden 8000 M und Zinſen der Klägerin nicht 
erſtatten. Die Klägerin hat beantragt den Beklagten 
zur Zahlung von 8000 M und Zinſen und zur Duldung 
ihrer Befriedigung aus ſeinem Miteigentumsanteil an 
dem Grundſtück zu verurteilen. Der Beklagte hat die 
Abweiſung der Klage beantragt, da N. die Kündigung 
zurückgenommen habe, auch bei künftiger pünktlicher 
Zinszahlung die Forderung nicht eingeklagt haben 
würde. Das OLG. hat nach dem Klageantrage er⸗ 
kannt. Die Reviſion blieb erfolglos. 

Aus den Gründen: 1. Gebilligt wird die 
Auffaſſung des Berufungsgerichts, daß der Gläubiger 
einſeitig das einmal eingetretene Ablöſungsrecht der 
Klägerin nicht beſeitigen konnte, nachdem die Klägerin 
nach dem eigenen Vortrage des Beklagten auf Aus⸗ 
zahlung beſtanden hatte. Die Kündigung iſt zwar eine 


einſeitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Nom: 


mentar von Reichsgerichtsräten § 609 Nr. 2), aber fie 
iſt trotzdem nicht widerruflich (ſ. Thiele im Arch ZivPrax. 
Bd. 89 S. 163), denn ſie iſt für beide Teile von 
rechtlicher Wirkſamkeit, und dieſe Wirkungen, einmal 
eingetreten, dauern für die Geſtaltung des Rechtsver⸗ 


hältniſſes bis zur Aufhebung mit beiderſeitigem Willen 


fort. Die Kündigung wirkt daher nicht nur gegen den 


Gekündigten ſondern auch gegen den Kündigenden ſelbſt 


(ſ. Gruchots Beitr. Bd. 26 S 694). Kann ſich aber der Ge⸗ 

kündigte auf die durch die Kündigung hervorgerufene 
älligkeit berufen, ſo braucht er ſich eine einſeitige 
urücknahme nicht gefallen zu laſſen. 

2. Fehl geht auch die Rüge, die die dingliche Ber- 
urteilung für unſtatthaft erklärt, da die Hypothek nicht 
auf dem Bruchteil des Beklagten, ſondern auf dem 
ganzen Grundſtück eingetragen war. 
iſt gemäß § 1153 BGB. auf die Klägerin übergegangen, 
und zwar nicht etwa zu den ihren zwei Dritteln An- 
teil an dem Grundſtück entſprechenden Teilen gemäß 
8 1177 BGB. als Grundſchuld, ſondern ihrem ganzen 
Umfange nach als Hypothek (8 1009 Abſ. 1 BGB.), 
ruhend auf dem ganzen Grundſtück (ſ. Staudinger 


klärt, wenn der Bruchteil in dem Anteil eines Mit⸗ 


8 


eigentümers beſteht. Dieſer Fall liegt vor. Wie die 

Begründung zur Novelle der ZPO. vom 17. Mai 1898 
(S. 182) ergibt, hat man den Abſatz 2 zu 8 864 (früher 
§ 757) eingefügt, weil die Zweckmäßigkeitsgründe, auf 
denen die Vorſchriften der 88 1106, 1114, 1192, 1199 
| 888. beruhen, es rechtfertigen, wenn auch die Zu⸗ 
läſſigkeit der Zwangsvollſtreckung in den Bruchteil 
eines Grundſtücks oder einer Berechtigung davon ab- 
hängig gemacht werde, daß entweder der Bruchteil in 
dem Anteil eines Miteigentümers beſteht, oder der 
Anſpruch des Gläubigers ſich auf ein Recht gründet, 
mit dem der Bruchteil als ſolcher belaſtet iſt. Für 
preußiſches Recht hat der erkennende Senat durch ein 
Urteil vom 28. Januar 1888 (RGZ. 20, 270) in dieſem 
Sinne erkannt, und die Motive zu 8 4 des 1. Entwurfs 
zum 3G. (ſ. auch Jaeckel 1901 S. 6) bejahen die 


Frage unter Bezugnahme auf dieſe Entſcheidung mit 


dem Bemerken, daß in den beiden Fällen die Zwangs⸗ 
vollſtreckung in den Anteil ſelbſt dann berechtigt ſei, 


wenn der Gläubiger in der Lage ſei, auch aus den 


Die Hypothek 


1009 1. a, Kommentar von Reichsgerichtsräten 8 1009 


Nr. 1). Somit iſt auch der Bruchteil des Beklagten 
mit ihr belaſtet, und die Klägerin iſt alſo ſoweit auch 
dinglich ihm gegenüber berechtigt: deshalb muß ihr 
auch die Möglichkeit dinglicher Befriedigung zuſtehen. 
Hiernach ſpricht die Natur der Sache für die Zuläſſig⸗ 
keit der Zwangsvollſtreckung in den Bruchteil des 
Beklagten. Sie findet aber auch, wie das Berufungs— 
1 N ausführt, ihre geſetzliche Grundlage 

864 Abſ. 2 ZPO. Die Reviſion will die Zwangs- 
= ſtreckung nur für den Fall zulaſſen, daß die Hypo= 
thek nur auf dem Bruchteil des Beklagten ruhte. Daß 
dieſe Anſicht unzutreffend iſt, ergibt ſich ſchon daraus, 
daß der 8 864 Abſ. 2 ZPO. die Zwangsvollſtreckung 
in den Bruchteil eines Grundſtücks nicht nur für dieſen 
Fall, ſondern auch für den weiteren für zuläſſig er⸗ 


| 
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Betrage von 


übrigen Anteilen oder aus dem ganzen Grundſtück 
Befriedigung zu verlangen. (Urt. des V. 35. vom 
29. Oktober 1910, V 627/09). 


2114 


— — — n 


Fakſimilierte Unter griſten find unzuläſſig bei 
Unterſchriften 8 Teil ſchuldverſchreibungen, die unter 
den 5 780 BGB. fallen. Rechtliche Natur der ſolchen 
Teilſchuldverſchreibungen beigegebenen fat und Er⸗ 
nenerungsſcheine. Notwendigkeit der ſtaatlichen Ge⸗ 
388 zur Ausgabe ſolcher Zinsſcheine (8 795 

GB.). Die Beklagte hat Teilſchuldverſchreibungen 


| 15 eine Anleihe von 200 000 M, eingeteilt in 100 Stück 


zu 1000 und 200 Stück zu 500 M, nebſt Zins⸗ und 
GB eheuerungäfegeinen ‚ausgeftellt und in den Verkehr 
gebracht. Sie ſind in der für börſenmäßige Wert⸗ 
papiere üblichen Art des Druckes hergeſtellt. Im Text 
heißt es: „An derjenigen Anleihe von 200 000 M, 
welche wir durch Vermittlung der Effektenbank G.m. b. H. 
aufgenommen haben, iſt die Effektenbank mit einem 
beteiligt, über deren Empfang hier⸗ 
durch quittiert wird. Die Verzinſung und Rückzahlun 
erfolgt an die Effektenbank oder deren Order na 
Maßgabe der umſtehend abgedruckten Anleihebe⸗ 
dingungen.“ In der Allonge tragen die im Beſitz des 
Klägers befindlichen Stücke das Blankogiro der ge- 
nannten Bank. Die gedruckten Zinsſcheine zeigen die 
übliche Form. Der Text wird eingeleitet mit: „Inhaber 
dieſes Zinsſcheins empfängt am ... die halbjährlichen 
Zinſen ... mit . ... Da die Beklagte die Gültigkeit 
der Papiere beftreitet, haben die Kläger Feſtſtellungs⸗ 
klage mit dem Antrag erhoben: feſtzuſtellen, daß die 
Beklagte ihnen aus den Schuldverſchreibungen nebſt 
Zinsſcheinen hafte. Die Beklagte wendet unter anderem 
ein, daß die Unterſchriften auf den Urkunden nicht 
handſchriftlich vollzogen, ſondern fakſimiliert ſeien; 
daß ſie nicht Kaufmann und daher nicht in der Lage 
ſei, Verpflichtungsſcheine an Order auszuſtellen, 
daß die Zinsſcheine als Inhaberſchuldverſchreibungen 
nicht ohne ſtaatliche Genehmigung hätten ausgeſtellt 
werden dürfen. Beide Inſtanzen haben die Klage 
abgewieſen. Die Reviſion hatte keinen Erfolg. 
Gründe: Mit Recht wendet der Vorderrichter 
den 8 780 BGB. und die 88 126, 125 BGB. an. Wenn 
auch im Text der Urkunde der Schuldgrund angegeben 
wird, ſo kann doch kein Zweifel daran beſtehen, daß 
die Abſicht auf Begründung einer ſelbſtändigen Ver— 
pflichtung gerichtet geweſen iſt. Das ergibt ſchon die 
Maſſenausgabe übereinſtimmender Papiere in Form 
eines negotiablen Wertpapiers. Es erhellt auch aus 
der Orderklauſel, weil die volle rechtliche Wirkſamkeit 
des Indoſſaments nur bei einer abſtrakten Schuldver— 
pflichtung erzielt werden kann. Da für die Beklagte, 
welche nicht Kaufmann iſt, der 8 350 HGB. nicht in 


186 


Frage kommt, findet § 126 BGB. unmittelbar und 
zwingend Anwendung. In dem Urteil, auf welches 
die Kläger ſich berufen, hat freilich das Reichsgericht 
im Jahre 1884 ſich dahin ausgeſprochen, daß bei 
gleichlautenden Urkunden, welche als zum Umlauf 
beſtimmte Wertpapiere in großer Anzahl ausgegeben 
werden, die Herſtellung der Unterſchrift des Ausſtellers 
durch Fakſimile⸗Druck ganz üblich ſei, und daß aus 
dieſer Art der Unterzeichnung kein Einwand gegen 
Gültigkeit der Urkunde hergeleitet werden könne, weil 
die Rechtsſitte darüber entſcheide, in welcher Form die 
Unterſchrift von Urkunden herzuſtellen iſt. Das trifft 
aber nicht mehr zu, denn jetzt entſcheidet darüber nicht 
mehr die Rechtsſitte, ſondern die Vorſchrift des Ge⸗ 
ſetzes, eben der $ 126 BB. Das Reichsgericht hat 
in jener Entſcheidung keineswegs ein Gewohnheitsrecht 
unterſtellt, vielmehr wird feſtgeſtellt, daß nach dem 
damals gültigen Begriff der Schriſtlichkeit die eigen⸗ 
händige Unterſchrift da fehlen kann, wo die Herſtellung 
im Wege mechaniſcher Vervielfältigung allgemein üblich 
iſt. Dieſem Rechtszuſtand hat nun aber der 8 126 
ein Ende bereitet, und ſoweit nicht Ausnahmen zuge⸗ 
laſſen ſind, muß es bei der ſtrengen Regel ſein Be⸗ 
wenden behalten. 

Auch wegen der Zinsſcheine kann die Entſcheidung 
nicht anders ausfallen. Die rechtliche Natur ſolcher 
Zinsſcheine wird oft nicht leicht zu beſtimmen ſein 
und es iſt namentlich auch die Frage lebhaft erörtert 
worden, ob die Ausgabe ſolcher Zinsſcheine der ſtaat⸗ 
lichen Genehmigung bedürſe, wenn fie erfolgt in Be- 
ziehung auf Titel, die an Order ausgeſtellt und die 
unter Blanko⸗Indoſſament wie Inhaberpapiere zirku⸗ 
lieren können. Ein Streit darüber iſt indeſſen nur 
inſoweit möglich, als Zweifel beſtehen können, ob der 
einzelne Zinsſchein als eigentliches Inhaberpapier an⸗ 
zuſehen iſt. Hier iſt nun aber der Schein ausdrücklich 
auf den Inhaber geſtellt und damit jeder Zweifel 
beſeitigt. Er iſt kein Legitimationspapier nach § 808 
BGB. und kann auch, da er alle Erforderniſſe einer 
auf eine beſtimmte Geldſumme lautenden Ver— 
pflichtungsurkunde aufweiſt, nicht als eine „Karte, 
Marke oder ähnliche Urkunde“ nach $ 807 BGB. an⸗ 
geſehen werden. Auf ihn findet deshalb der 8 795 
BGB. Anwendung. (Vgl. Ritter, Die allgemeinen 
Lehren des Handelsrechts S. 184 und dazu Düringer 
in Badiſche Praxis 1900 S. 352). Der Erneuerungs⸗ 


vitutenſtreit mit einem Dritten verwickelte Beklagte 
haite am 25. September 1895 an den Kläger einen 


Brief geſandt, worin es heißt: „Da Sie die fraglichen 


! 
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| 


ſchein, der ebenfalls auf den Inhaber geſtellt ift, ver- | 
Spricht freilich nicht Zahlung einer beſtimmten Geld⸗ 


ſumme und fiele daher nicht unter den 8 795 BGB. 
Aber Erneuerungsſcheine ſind ihrem Weſen nach nicht 
Urkunden über eine ſelbſtändige Verpflichtung. Sie 
ſind nur Legitimationspapiere, auch wenn ſie auf den 
Inhaber lauten. (Vgl. BGB. § 805, RG 38S. Bd. 3 
S. 154, Bd. 31 S. 147). Uebrigens aber iſt unter 
den hier vorliegenden Umſtänden der Anſpruch der 
Kläger aus den Zinsbögen und Talons auch aus 
einem anderen Grunde hinfällig. Denn hier wird nicht 
der Anſpruch aus dem einzelnen begebenen Papier 
geltend gemacht. Es wird vielmehr unter Vorlegung 
der Zinsbögen mitſamt der Titel die Hauptforderung 
in erſter Linie geltend gemacht, die Zinsforderung 
dagegen nur in ihrer Zugehörigkeit zur Hauptforderung. 
Iſt den Klägern gegenüber die Hauptforderung hin— 
fällig, fo kann ihnen auch keine Zinsforderung aus 
der hinfälligen Hauptforderung daraus erwachſen, daß 
fie wie den Titel ſelbſt, ſo auch die Zinsbögen in 
Händen haben. (Urt. des JI. 35. vom 9. November 
1910, I 15110). — — —n 
2201 
IV. 

Unter welchen Vorausſehungen kann angenommen 
werden, daß eine Partei „ohne ihr Verſchulden“ außer 
ſtande war, den Neſtitutionsarund in dem früheren 
Verfahren geltend zu machen? (Verſpätetes Wieder: 
finden eines Brieſez). Gründe: Die in einen Ser⸗ 


Grundſtücke übernommen haben, ſo muß ich Ihnen, 
wie hiermit geſchieht, die Weiterſührung des Prozeſſes 
und alles weitere, was Sie zur Wahrung Ihres 
Intereſſes für nötig halten, überlaſſen“. Das OLG. 
ſtellt feſt, daß dieſer Brief erſt am 7. Jebruar 1908, 
nach Verkündung des Berufungsurteils, wiedergefunden 
wurde. Zugleich erachtet es ihn im Sinne der ZPO. 
8 580 Nr. 7b für erheblich. Ob dieſer Anſicht bei⸗ 
gepflichtet werden darf, kann dahingeſtellt bleiben, da 
das Urteil jedenfalls den 8 582 ZPO. verletzt. Die 
Reſtitutionsklage iſt nach dieſer Vorſchrift nur zuläſſig, 
wenn die Partei ohne ihr Verſchulden außer⸗ 
ſtande war den Reſtitutionsgrund in dem früheren 
Verfahren geltend zu machen. Gewiß darf keine Fahr⸗ 
läſſigkeit darin erblickt werden, daß der Kläger den 
12 Jahre zurückliegenden Brief aus dem Gedächtnis 
verloren hat. Aber was das OLG. bemerkt, von einem 
Verſchulden könne höchſtens dann die Rede ſein, wenn 
er ſich des Briefes noch erinnert hätte, trifft nicht zu. 
Vielmehr war unbedingt Veranlaſſung für den Kläger 
gegeben, ſeine auf die Grundſtücksangelegenheit be⸗ 
züglichen Schriftſtücke durchzuſehen. Daß er das Vor⸗ 
handenſein ſolcher Schriftſtücke im allgemeinen kannte, 
hat er nicht beſtritten. Es war das auch ſelbſtver⸗ 
ſtändlich, da, wie er wußte, die Auseinanderſetzung 
wegen des Handelsgeſchäfts und wegen der Grund⸗ 
ſtücke noch ausſtand. Seit Ende 1904 war die An- 
gelegenheit im Fluß, der Kläger hatte vollauf Zeit 
die Korreſpondenz zu ſichten. Statt deſſen hat er nach 
der Verkündung des Urteils der 2. Inſtanz dem Zeugen 
H. einen „Haufen ungeordneter Papiere“ übergeben, 
um daraus Material für einen neuen, auf Abrechnung 
gerichteten Prozeß zuſammenzuſtellen; H. hat noch an 
demſelben Tage den Brief gefunden. Ein ſolches Ver⸗ 
fahren kann umſoweniger entſchuldigt werden, als der 
Kläger in ſeiner Eigenſchaft als Kaufmann durch das 
Geſetz auf eine ordnungsmäßige Aufbewahrung ſeiner 
Korreſpondenz hingewieſen iſt (§ GB. 88 38, 44). Der 
erkennende Senat hat ſchon in der Entſcheidung I. 
208/98 vom 21. September 1898 (JW. S. 608) aus⸗ 
geſprochen, die Rechtsſicherheit geſtatte nicht rechts⸗ 
kräftige Urteile nur auf Grund des Umſtandes in 
Frage zu ſtellen, daß eine während des Rechtsſtreits 
im Gewahrſam der Partei befindliche, aber infolge 
unzureichender Ordnung im Geſchäftsbetrieb unbemerkt 
gebliebene Urkunde nachträglich vorgelegt wird. Hieran 
muß feſtgehalten werden. Da den Kläger der Vorwurf 
trifft die Urkunde aus Fahrläſſigkeit zu ſpät geſucht 
zu haben, iſt ſeine Reſtitutionsklage abzuweiſen. (Urt. 
des I. ZS. vom 21. Dezember 1910, I 519/09). 


— — en. 


B. Strafſachen. 
I 


. Welche Gruudſtücksnmzännung berechtigt zur Aus⸗ 
übung der Eigenjagd in der Rheinpfalz?!) Die Ange⸗ 
klagte haben längere Zeit hindurch die Faſanenjagd 
auf einzelnen ihnen gehörigen Grundſtücken in den 
pfälziſchen Gemarkungen R. und N. ausgeübt, obwohl 


die Feldjagden dieſer Gemeinden an andere Perſonen 


verpachtet ſind. Ihre Grundſtücke hatten ſie durch 


einen Drahtzaun aus parallel geſpannten Drähten 


— — —— 


umfriedigt, in welchem eine verſchließbare und ver— 
ſchloſſen gehaltene Türe angebracht war. Sie wurden 


_ 5 Val. bierzu dieſe Zeitſchrift Jabrg. 1907 S. 25, Jahrg. 1910 
S. 259. A 


— — — — 


kommiſſion vom 21. September 1815 dem Grundbeſitzer 
die Ausübung der Jagd auf ſeinem Grundſtück nur 
zuſtehe, wenn dieſes von dem Bezirk der Gemeinde⸗ 
feldjagd durch eine mit verſchließbarer Türe verſehene 
Umwehrung, und zwar eine Mauer, einen Zaun oder 
eine Hecke abgetrennt ſei Eine ſolche Umſchließung 
entſpreche aber nur dann den geſetzlichen Anforderungen, 
wenn ſie für den Zutritt von Menſchen ein Hindernis 
bilde, das nur durch Gewalt beſeitigt oder durch 
Kraftanſtrengung überwunden werden könne. Die 
Reviſion fucht darzutun, daß es genügen müſſe, wenn 
der Grundſtücksbeſitzer ſein Grundſtück nach außen für 
jedermann abſchließt und das Betreten des Grundſtücks 
uberhaupt nur erſchwert. Die Reviſion wurde verworfen. 


Aus den Gründen: Nach franzöſiſchem Recht 
iſt das Jagdrecht Ausfluß des Grundeigentums (droit 
inhérent à la propriété) Dieſer Grundſatz iſt nament⸗ 
lich in den Geſeten vom 4. Auguſt 1789 über das 
Lehnweſen und vom 30. April 1790 über die Jagd 
ausgedrückt. Beide Geſetze find durch die BO. vom 
6. Germinal VI in den vier linksrheiniſchen Departe⸗ 
ments eingeführt worden und gemäß Art 715 Code 
civil auch nach dem Inkrafttreten diefes Geſetzbuches 
in Geltung geblieben. Im Departement Donnersberg 
ſind die Anordnungen dieſer Geſetze allerdings nicht 
immer ohne Einſchränkungen durchgeführt worden. 
Nachweisbar ſind dort die Feldjagden auf Anordnung 
des Präfekten zum Vorteil der Gemeindekaſſen verpachtet, 
die Eigenjagd von einzelnen Grundbeſitzern dagegen 
nur inſoweit zugelaſſen worden, als die Grundſtücke 
durch Mauern oder lebende Hecken (Art. 13 des Geſ. 
von 1790) umſchloſſen waren (Verh. der heſſiſchen 
2. Kammer der Landſtände zum Geſetz vom 26. Juli 
1848). Für die vorgefundene Uebung hat dann nach 
Beſeitigung der Fremdherrſchaft die Adminiſtrations⸗ 
kommiſſion durch ihre BO. die geſetzliche Grundlage 
geſchaffen — zweifellos um den Verfall der Jagden 
vorzubeugen und um die Erhaltung eines den allge⸗ 
meinen Intereſſen, ſowohl der Landwirtſchaft wie der 
Jagd, angemeſſenen Wildſtands und zu dieſem Zweck 
die waidgerechte Ausübung der Jagd zu ſichern. Wenn 
die BO. auch den Grundſatz, daß das Jagdrecht Aus⸗ 
fluß des Grundeigentums ſei, dadurch nicht aufgegeben 
hat, daß die Verpachtung der Feldjagden den Gemeinden 
ſiberlaſſen und aufgegeben wird, fo iſt doch damit die 
Ausübung der Jagdrechte aller Grundeigentümer dieſen 
entzogen und auf die Gemeinde übertragen worden, 
die durch Verpachtung davon Gebrauch zu machen hat. 
Die ſelbſtſtändige Ausübung der Jagd durch einzelne 
Grundbeſitzer iſt nur ſoweit zugelaſſen worden, als 
es ohne Beeinträchtigung der vorſtehend angeführten 
Zwecke geſchehen konnte. So erklärt es ſich, daß nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


| 


| 


ftüc vermittelt. Daraus iſt deutlich zu erkennen, daß 
die Beſtimmung auf dem Gedanken beruht, es ſolle 
der Grundbeſitzer befugt ſein, das ihm auf ſeinem 
Grundſtück zuſtehende Jagdrecht auch der Ausübung 
nach für ſich dadurch zu erhalten, daß er ſeinen 
Willen, es von der Verpachtung der Geſamtheit der 
Jagdgrundſtücke auszuſchließen, nicht nur erkennbar 
macht, ſondern ihn auch gleichzeitig wirkſam in der 
Weiſe betätigt, daß der Zutritt zu ſeinem Grundſtück 
allgemein, alſo auch namentlich bei Ausübung der 
Jagd in der ſonſtigen Feldgemarkung, nicht anders 
möglich iſt, als durch die Türe, deren Verſchließ⸗ 
barkeit dem Beſitzer die Möglichkeit gibt, den Ein⸗ 
tritt zu geſtatten oder zu verfagen. Iſt das der 
Sinn des Geſetzes, fo muß die neben der verſchloſſenen 
Türe notwendige Umſchließung ſo geſtaltet ſein, daß 
ſie den, der den Eintritt in das Grundſtück ſucht, auch 
zum Aufſuchen der Tür nötigt; ſie muß alſo rings⸗ 
um ein wirkliches Hindernis für den Eintritt bieten. 
Das iſt dann nicht der Fall, wenn ſie ohne Anſtrengung 
überſtiegen oder ſonſt ohne Gewalt überwunden werden 
kann oder gar einfaches Durchſchreiten oder Durchſchlüpfen 
ermöglicht. Der gleichen Auffaſſung von der Bedeutung 
der Vorſchrift haben ſowohl in der bayer. K. d. Abg. 
bei Beratung des inzwiſchen aufgehobenen Geſetzes 
vom 4. Juni 1848, wie namentlich in der heſſiſchen 
2. Kammer der Landſtände bei Beratung des Geſetzes 
vom 26. Juli 1848, deſſen Zweck die Ausdehnung der 
VO. auf die rechtsrheiniſchen Landesteile bildete, die 
Regierungsvertreter wiederholt und ohne Widerſpruch 
Ausdruck gegeben. In dieſen Verhandlungen wurde 
mehrfach erfolglos angeregt, als weiteres Erforder⸗ 
nis die Wilddichtigkeit der Umzäumung aufzuſtellen, 
alſo die Ausübung des Jagdrechts auf dem umzäunten 
Grundſtück davon abhängig zu machen, daß Wild dort 
nicht einſpringen oder einſchlüpfen und nicht aus⸗ 
wechſeln kann. Darauf kommt es aber bei der Aus⸗ 
legung der BO. nicht an, denn es handelt fich dabei 
erkennbar nicht um Anträge auf Uebernahme einer 
in der VO. vorhandenen Beſtimmung, ſondern um 
eine neu zu ſchaffende. Deshalb hat die Frage der 
Notwendigkeit wilddichter Einzäunungen, die üb⸗ 
rigens gegenüber Flugwild überhaupt nicht in Be⸗ 
tracht kommen, auszuſcheiden. Dies um ſo mehr, als es 
den Angeklagten, deren Drahtzäune nach der gegebenen 
Beſchreibung ſelbſt gegen Haarwild undicht waren, nicht 
zum Vorteil gereichen könnte, wenn angenommen würde, 
die Verordnung von 1815 erfordere Wilddichtigkeit. 


Uebrigens hat die Rechtſprechung der bayeriſchen Ge⸗ 


nur den Beſitzern zuſammenhängender Flächen nur 


für ihre Perſon die Befugnis zur Jagdausübung ein⸗ 
geräumt wurde, ſondern daß auch für die Beſitzer von 
einzelnen Grundſtücken die Ausübung des ihnen ver- 


bleibenden Jagdrechts nur ſoweit erhalten wurde, als 


ſie erkennbar und wirkſam ihre Grundſtücke aus dem 
geſamten der Gemeinde zugewieſenen Jagdgebiet da- 
durch ausſchieden, daß dieſe Grundſtücke mit einer 
Mauer, einem „Zaun“ oder einer Hecke umgeben und ver⸗ 
mittels Tür und Schloß verſchloſſen gehalten wurden. 
(Vgl. die für Rheinheſſen ergangene Entſcheidung des 
2. 35. des RG. vom 28. April 1898, abgedr. in JW. 
1898 S. 381). 


Vom Standpunkt der VO. handelt es ſich des⸗ 
halb im Falle des § 5 Abf. 5 um eine eng gefaßte und 
eng auszulegende Ausnahmebeſtimmung. Die Ab- 
weichung in der Faſſung gegenüber Art. 13 des Geſetzes 
von 1790 beſteht darin, daß neben der Hecke (haie vive) 


auch der Zaun (haie, toter Zaun im Sinne der fran- V 


zöfiſchen Rechtsſprache) als Umſchließung zugelaſſen, 
andererſeits aber das Erfordernis aufgeſtellt wird, 
daß eine verſchließbare Türe den Zugang zum Grund⸗ 


richte (Os G. München Bd. 1 S. 20, VGH. Bd. 28 S. 131 
u. a.) ſelbſt für Art. 2 Nr. 2 des Geſetzes vom 20. März 
1850, obwohl dort „dichte“ Einzäunungen verlangt 
werden, angenommen, daß die Umzäunung nur einen 
gegen den Zutritt von Menſchen wirkſamen Abſchluß 
gewähren müſſe. Ein „Paralleldrahtzaun“ iſt nach 
der Entſcheidung des VGH. auch dazu nicht geeignet. 
Wenn nun auch zur Begründung dieſer Entſcheidung 
beſonderes Gewicht darauf gelegt iſt, daß die Einzäu⸗ 
nung „dicht“ ſein müſſe, und dieſes Erfordernis in 
der VO. von 1815 fehlt, ſo muß doch auch für dieſe aus 


den vorſtehend angeführten Gründen nach ihrem Wort⸗ 


laut und Zweck verlangt werden, daß der „Zaun“, 
ſei er aus Holzpfählen, Latten, Brettern oder ſonſt⸗ 


wie hergeſtellt, gleichwie eine dichte, lebende Hecke 


(Art. 13 des Geſetzes von 1790) das Grundſtück für 
Menſchen unzugänglich macht, derart, daß der Eintritt 
nur unter Ueberwindung größerer Schwierigkeiten er⸗ 
zwungen werden kann. Ein Zaun, der ein Durch— 
ſchreiten oder einfaches Durchſchlüpfen ermöglicht, kann 
als ein ſolcher im Sinne der geſetzlichen Beſtimmung 
nicht angeſehen werden. Die ſortdauernde Geltung der 
O. vom 21. September 1815 folgt aus Art. 69 EG. 
BGB. und Art. 143, 144 AG. BGB. (Urt. des I StS. 
vom 20. Februar 1911, VIII 586). M. 
2212 


188 


II. 


Abweſenheit des einem jugendlichen Angeklagten 
beſtellten Verteidigers zu Beginn der Hauptverhandlung. 
Aus den Gründen: Die der Angeklagten L. zur 
Laſt gelegte Tat — Abtreibung der Leibesfrucht i. S. 
des § 218 StG. — iſt an ſich nach 8 1 StGB. ein 
Verbrechen, da mit Zuchthaus bedroht iſt. Die 
Abtreibung bleibt Verbrechen, auch wenn ſie wegen 
jugendlichen Alters der Täterin nach § 57 Abſ. 1 Nr. 3 
StGB. nur mit Gefängnis beſtraft werden kann. Ge⸗ 
mäß 8 140 Abſ. 2 Ziff. 2 StPO. mußte darum der 
Angeklagten L. ein Verteidiger beſtellt werden, wenn 
ſie rechtzeitig die Beſtellung beantragte. Sie hat die 
Friſt zwar verſäumt, aber nachträglich um Beſtellung 
eines Verteidigers gebeten und daraufhin hat ihr am 
12. November 1910 der Vorſitzende des Gerichts den 
Rechtsanwalt Dr. B. als Verteidiger zugeordnet. Dieſe 
Verteidigungsbeſtellung iſt gemäß $ 141 StPO. als ge⸗ 
ſchehen zu erachten. Gemäß § 145 StPO. mußte darum, 
wenn der beſtellte Verteidiger in der Hauptverhandlung 
ausblieb, der Angeklagten ſogleich ein anderer Ber: 
teidiger beſtellt werden, das iſt nicht geſchehen, als zu 


eule für Rechtäpfiege 


| 
! 
! 
} 


Beginn der Hauptverhandlung der Rechtsanwalt Dr. B. 


nicht erſchienen war, ſondern es iſt in die Verhandlung 
eingetreten, der Eröffnungsbeſchluß verleſen, über den 
Ausſchluß der Oeffentlichkeit verhandelt und beſchloſſen 
und die Angeklagte L. zur Sache vernommen worden. 


Erſt während der Vernehmung der Angeklagten iſt 


ihr Verteidiger erſchienen. Der ſonach vorliegende 
Verſtoß gegen § 145 StPO. hätte noch dadurch geheilt 
werden können, daß der bis dahin vorgenommene 
Teil der Hauptverhandlung wiederholt worden wäre. 
Allein auch dies iſt nicht geſchehen. Der hiernach 
vorliegende, nicht geheilte Verſtoß gehört nach 8 377 
Nr. 5 StPO. zu denjenigen, bei denen ohne weiteres 
von Rechts wegen anzunehmen iſt, daß das Urteil auf 
ihnen beruht. (Urt. des V. StS. vom 7. März 1911, 
X D. 91/1911). — — en. 


2210 
III. 


Bei Freiſprechung des Angeklagten iſt der Aus⸗ 
ſpruch, daß dem Nebenkläger „die Koſten der Reben- 
klage“ überbürdet werden, zu nuterlaflen. 
Gründen: Der Ausſpruch, daß der Nebenkläger die 
Koſten der Nebenklage zu tragen hat, war zu beſeitigen. 
In einem von Amts wegen betriebenen Verfahren, 
dem ſich der Nebenkläger nur unterſtützend angeſchloſſen 


Aus den 


in Bayern. 1911. Nr. 8. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


. Abgeſehen von dem Falle des 5 301 ZPO. kaun 
eine Sicherunadhypothel auf Grund mehrerer vollſtreck⸗ 
barer Schuldtitel, die zuſammen 300 M über ſteigen, von 
denen aber keiner auf mehr als 300 M lautet, im Grund: 
buch auch dann nicht eingetragen werden, wenn die voll: 
ſtreckbaren Schuldtitel dadurch entſtanden find, daß der 
Gläubiger eine Forderung in Teilbeträgen ven 300 M 
und weniger n de (ZBO. 8 866 Abf. 3). Adam S. 
in K. hat unter dem Vorbringen, daß er von Wil⸗ 
helmine B. in K. für gelieferte Waren 1731,36 M zu 
beanſpruchen habe, bei dem Amtsgerichte ſechs Klagen 
erhoben. Er beantragte in jeder die Beklagte zur 
Zahlung eines „Teilbetrags ihrer Schuld“ zu verur⸗ 
teilen, der in einer Klageſchrift auf 231,36 M, in den 
übrigen auf je 300 M feſtgeſetzt iſt. Das AG. hat den 
Klaganträgen in ſechs Verſäumnisurteilen ſtattgegeben. 
S. legte ſodann dem GBA. vollſtreckbare Ausferti⸗ 
gungen der Verſäumnisurteile mit den Zuſtellungs⸗ 
nachweiſen vor und beantragte für die vollſtreckungs⸗ 
reife Geſamtforderung, die unter Berückſichtigung einer 
Teilzahlung noch 1631,36 M betrage, eine Sicherungs⸗ 
hypothek einzutragen. Das GBA. lehnte die Eintra⸗ 
gung ab, weil keine der in den Schuldtiteln bezeich⸗ 
neten Forderungen den Betrag von 300 M überſteige 
und die Zuſammenrechnung nicht zuläſſig ſei. Die 
Beſchwerde des S. hat das LG. K. zurückgewieſen. 
Auch die weitere Beſchwerde blieb erfolglos. 


Gründe: Das Reichsgericht hat in dem Be⸗ 
ſchluſſe vom 17. Juni 1900 (RG. 48, 242 ff.) die Ein: 
tragung einer Sicherungshypothek auf Grund mehrerer 
Schuldtitel desſelben Gläubigers gegen denſelben 
Schuldner, von denen keiner den Betrag von 300 M 
überſteigt, für unzuläſſig erklärt, auch wenn die Ge⸗ 
ſamtſumme aller Forderungen mehr als 300 M be⸗ 
trägt. Der erkennende Senat hatte ſchon in der Ent— 
ſcheidung vom 11. Mai 1900 (Samml. Bd. 2 S. 266 ff.), 
den gleichen Standpunkt vertreten. Dieſer iſt auch 
ſeitdem in der Rechtſprechung nicht mehr verlaſſen 
worden, ſoweit es ſich um den Fall handelt, daß die 
durch mehrere Schuldtitel ausgewieſenen Hauptforde— 
rungen desſelben Gläubigers auf verſchiedenen Grün— 


den beruhen und die Schuldtitel unter ſich in keinem 


hat, können ſelbſtverſtändlich die Koſten des Ver⸗ 


fahrens nicht dem Nebenkläger überbürdet werden, 
ſondern ſie fallen wie in jedem amtlichen Verfahren 
der Staatskaſſe zur Laſt. Bare Auslagen von Prozeß— 
beteiligten ſind unter den in Falle der Freiſprechung 
eines Angeklagten der Staatskaſſe zu überweiſenden 
Koſten überhaupt nicht inbegriffen, da unter den der 
Staatskaſſa aufzuerlegenden Koſten nur die Gerichts— 
koſten zu verſtehen ſind. Eine Verpflichtung der Staats— 
kaſſe, dem Nebenkläger ſeine baren Auslagen zu er— 
ſetzen, um die es ſich nach dem Geſagten allein noch 
handeln kann, beſteht ebenfalls nicht, vielmehr hat 
dieſe der Nebenkläger von Rechts wegen und ohne 


beſonderen Ausſpruch zu tragen. Eines ſolchen bedarf 


es beim Nebenkläger ſo wenig, wie beim freigeſprochenen 
Angeklagten, dem ſeine Auslagen von ſelbſt überlaſſen 
bleiben, wenn ſie nicht aus beſonderen Gründen ge— 
mäß 8 499 Abf. 2 StPO. der Staatskaſſe auferlegt 
werden (Urt. des V. StS. vom 3. Maͤrz 1911, V D. 
1058/10). 
2211 


— — en. 


prozeſſualen Zuſammenhange ſtehen. Dagegen ſind 
die Meinungen darüber noch geteilt, ob die Zuſam— 
men rechnung auch dann unzuläſſig iſt, wenn die ein— 
zelnen vollſtreckungsreifen Forderungen auf demſelben 
Grunde beruhen, alſo Teile einer einheitlichen Forde— 
rung ſind, oder wenn mehrere vollſtreckbare Titel nach 
8301 ZBO. in demſelben Rechtsſtreite in der Weiſe 
erwirkt wurden, daß zunächſt ein Teilurteil und dann 
ein Endurteil erging, oder wenn beide Voraus— 
ſetzungen erfüllt find, weil Teil- und Endurteil den» 
ſelben Anſpruch betreffen. Die Zuſammenrechnung 
der durch mehrere vollſtreckbare Titel ausgewieſenen 
Teile einer einheitlichen Forderung hält die überwie— 
gende Anſicht für unſtatthaft (vgl. Peterſen-Anger, 
ZPO. 3. Aufl. Anm. 4b zu § 866; Turnau-JFörſter, 
Das Liegenſchaftsrecht, 3. Aufl. Bd. IS. 1033; Güthe, 
BBD., Bd. 1 S. 400 u. a.). Zur gegenteiligen An— 
ſchauung ſcheint ſich u. A. Seuffert zu bekennen (ZPO. 
10. Aufl. Note Za zu 8 866). Die Zuſammenrechnung 
der Beträge mehrerer vollſtreckbarer Schuldtitel, die 
in demſelben Rechtsſtreit ihren Urſprung haben, wollen 
Güthe a. a. O. und andere zulaſſen; Turnau-Förſter 
a. a. O. bezeichnet die Frage als zweifelhaft; Peterſen— 
Anger a. a. O. und Meyer (BlIfRA. 66, 337) geſtatten 
auch keine Ausnahme für den Fall, daß der Gläubiger 
ein Teil⸗ und ein Endurteil vorlegt, die zuſammen 
einen vollſtreckbaren Hauptſachebetrag von mehr als 
300 M ausweiſen. Ihnen ſcheint ſich zufolge einer 
Mitteilung im 3158. 266 Jahrg. 11 auch das OLG. 


— — — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


Dresden in einer Entſcheidung vom 14. Januar 1910 
angeſchloſſen zu haben. 

Der Fall des 8 301 ZPO. ift nicht gegeben. Da⸗ 
gegen gehen die Vorinſtanzen offenbar davon aus, 
daß es ſich bei dem Geſamtbetrage von 1731,36 M, 


vorbringen ſchuldet, um eine einheitliche Forderung 
handelt. Ob dieſe Annahme zutreffend iſt oder ob 
nicht die Möglichkeit beſteht, daß ſich der Schuldbetrag 
aus mehreren auf verſchiedenen Kaufverträgen beru⸗ 
henden Einzelforderungen zuſammenſetzt, kann dahin 
geſtellt bleiben. Auch braucht nicht erörtert zu werden, 
ob die Verſäumnisurteile auch dem Grund buchrichter 
gegenüber den Nachweis der Zugehörigkeit der ein⸗ 
zelnen Klaganſprüche zu einer und derſelben Forde⸗ 
rung deshalb erbringen können, weil das Klagevor⸗ 
bringen wegen der Verſäumnis der Beklagten als zu⸗ 
geſtanden gilt. Denn auch wenn die in den ſechs 


189 


ke feine Forderung mehrere vollſtreckbare Titel ers 
wirkt, z. B. um raſcher zu einem vollſtreckbaren Titel 
zu gelangen, eine den Betrag von 300 M weit über⸗ 
ſteigende Forderung bei dem AG. in Teilbeträgen ein⸗ 


klagt, durch die Zuſammenrechnung der Beträge und 
den Wilhelmine B. dem Adam S. nach al Klage: 


Schuldtiteln feſtgeſtellten Beträge Teile einer und 


derſelben Forderung ſind, erachtet der Senat den 
Standpunkt der Vorinſtanzen für richtig und glaubt 
die in den Gründen früherer Entſcheidungen von * 
vertretene Rechtsauffaſſung (vgl. Samml. Bd. 
538, Bd. 6 S. 497, 500, 501) inſoweit nicht 
aufrechterhalten zu ſollen. 
Das Reichsgericht hat in dem Beſchluſſe vom 
17. Juni 1900 (RG. 48, 242 ff.) darauf hingewieſen, 
daß die Eintragung einer Sicherungshypothek als 
Maßregel der Zwangsvollſtreckung bei der Beratung 
der Novelle vom Jahre 1898 auf Widerſpruch ſtieß 
und daß ihre Gegner beſtrebt waren die Anwendung 
der Zwangseintragung nach Möglichkeit einzuſchränken. 
Es hat daraus gefolgert, daß die im 8 866 Abſ. 3 
ZPO. zugelaſſene entſprechende Anwendung des $ 5 
3PO. einſchränkend auszulegen iſt, daß daher darch 
die Verweiſung auf den § 5 nur die Zuſammenrech⸗ 
nung mehrerer in demſelben Schuldtitel vereinigter 
Forderungen, nicht aber die Zuſammenrechnung 
mehrerer durch verſchiedene Schuldtitel vollſtreckbar 
gewordener, in einem Eintragungsantrag verbundener 
Forderungen zugelaſſen iſt. Iſt dies der Wille des 
Geſetzes und hiernach die Zuſammenrechnung der durch 
verſchiedene Schuldtitel ausgewieſenen Beträge nicht 
ſchlechthin geſtattet, ſo kann auch keine Ausnahme 
eintreten, wenn die verſchiedenen Schuldtitel, die pro⸗ 
zeſſual unabhängig find, Teile einer und derfelben 
Forderung betreffen. Dies ſchon um des willen, weil 
dem Gerichte, das die Vollſtreckungshandlungen vor⸗ 
zunehmen hat, d. h. dem GB A., nicht zugemutet wer⸗ 
den kann, die Zuſammengehörigkeit der einzelnen 
Forderungsteile zu prüfen, ganz abgeſehen davon, 
daß dies überhaupt nur ſelten möglich ſein wird. In 
der Vollſtreckungsinſtanz iſt der Rechtsſchutzanſpruch 
des Gläubigers auf Befriedigung oder Sicherung von 
ſeiner materiell⸗rechtlichen Grundlage losgelöſt. Die 
Prüfung, ob zwei vollſtreckbare Forderungen dem 
Grunde nach zuſammen gehören, würde daher ein 
Zurückgehen auf die Tatſachen erfordern, die die 
Forderung entſtehen ließen. Daraus, daß es das 
Reichsgericht in dem Beſchluſſe vom 1. November 1905 
(RG3Z. 61, 423 ff.) für zuläſſig erklärt hat, für eine 
den Betrag von 300 M überjteigende Hauptforderung 
und eine dieſe Höhe nicht erreichende Nebenforderung 
auf Grund zweier gleichzeitig vorgelegter Schuldtitel 
eine Sicherungshypothek einzutragen, läßt ſich für 
die Beantwortung der hier zu entſcheidenden Frage 
nichts ableiten. 


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— — — — — nn — 


Denn in den in jenem Beſchluſſe 


vorausgeſetzten Fällen iſt die Eintragungsfähigkeit der 


Hauptforderung ohne Weiteres gegeben und die Neben— 
forderung um deswillen eintragungsfähig, weil der 
für ſie erwirkte vollſtreckbare Titel nur eine ziffer— 
mäßige Erweiterung des vollſtreckbaren Titels über 
die Hauptforderung bildet. Es liegt auch kein wirt— 
ſchaftliches Bedürfnis vor einem Gläubiger, der will— 
kürlich an Stelle eines einheitlichen Vollſtreckungstitels 


die Wiederherſtellung des Zuſammenhangs der von 
ihm ſelbſt geſchaffenen Teilforderungen die Vorteile 
wieder zuzuwenden, die in der Vollſtreckungsinſtan 
eine größere Forderung gewährt. Schließlich mag auch 
noch darauf hingewieſen werden, daß bei der Beratung 
der Novelle vom 1. Juni 1909, in der dem Antrage 
des Abgeordneten Sch. entſprechend der im Entwurfe 
des Geſetzes geſtrichene Abſ. 3 des 8 866 ZPO. mit 
Ausnahme des Satzes 1 wieder in das Geſetz eingeſtellt 
wurde, von keiner Seite die Zuſammenrechnung der 
durch mehrere Schuldtitel ausgewieſenen Teile einer 
einheitlichen Forderung angeregt oder vorbehalten 
wurde, obwohl ſchon damals die herrſchende Meinung, 
von dem Falle des 8 301 ZPO. abgeſehen, die Zuſam⸗ 
menrechnung mehrerer Schuldtitel auch dann als un⸗ 
zuläſſig erachtete, wenn es ſich dabei um Teile einer 
und derſelben Forderung er Ra des 
I. ZS. vom 3. März 1911, III 15/1911). 
2203 


B. Straffaden. 


Rechtliche Wirkſamkeit des in einem privaten Ber: 
gleich erklärten Verzichts auf die Erhebung der Privat: 
klage. Vor der Einreichung der Privatklage wegen 
Beleidigung hatten Vergleichsunterhandlungen zwiſchen 
den Parteien ftattgefunden. Das Berufungsgericht 
verurteilte die Angeklagte wegen eines Vergehens der 
Beleidigung. a die Reviſion des Angeklagten wurde 
das Urteil aufgehoben. 

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht 
hat mit Unrecht die rechtliche Möglichkeit des Erlöſchens 
des Strafantrags und des Rechtes auf Erhebung der 
Privatklage auf Grund eines im Wege des privaten 
Vergleichs erklärten Verzichtes verneint. Die allgemeine, 
in der Rechtslehre und Rechtſprechung faſt durchgängig 
verneinte Frage, ob das Recht auf Stellung des Straf⸗ 
antrags durch einen Verzicht des Antragsberechtigten 
in wirkſamer Weiſe beſeitigt werden kann, mag dahin 
geſtellt bleiben. Es ſcheidet auch die Frage aus, ob 
im Falle eines nach der Stellung des Strafantrags 
und nach der Erhebung der Privatklage abgeſchloſſenen 
Vergleichs bas Strafverfahren noch auf andere Weiſe 
als durch Zurücknahme des Strafantrags beendet 
werden kann. Zur Entſcheidung ſteht nur die Frage, 
welche rechtliche Wirkung in dem Verfahren auf Brivats 
klage einem vor der Erhebung der Privatklage erklärten 
Verzicht auf Strafantrag zukommt. In der Natur 
der Sache liegt es, daß dieſer Verzicht auch jenen auf 
Erhebung der Privatklage mitumfaßt, denn ohne die 
Befugnis zur Stellung des Strafantrags iſt eine gil— 
tige Erhebung der Privatklage nicht denkbar. Eine 
geſetzliche Norm über die Wirkſamkeit eines Verzichts 
auf die Stellung des Strafantrags und die Erhebung 
der Privatklage iſt in der StPO. abgeſehen von der 
Vorſchrift im 8 420 nicht enthalten. Hieraus kann 
man aber nicht den Schluß ziehen, daß deshalb ein 
ſolcher Verzicht Anerkennung nicht beanſpruchen könne. 
Auch die Beſtimmung des 8 420 StPO. ſpricht ſich 
über die rechtliche Wirkſamkeit einer Sühne vor der 
Vergleichsbehörde nicht aus; ſie ordnet nur an, daß 
bei Parteien desſelben Gemeindebezirks der Belei— 
digungsklage ein Sühneverſuch vorangehen müſſe, und 
daß die Erhebung der Klage davon abhänge, daß die 
Sühne erfolglos blieb. Nur durch einen mit Not— 
wendigkeit ſich ergebenden Schluß kommt man dazu, 
daß alfo ein im Sühnetermin abgefchloffener Vergleich 
die Möglichkeit eines ſtrafrechtlichen Vorgehens des 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


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Verletzten beſeitigen müſſe, wobei aber beſtritten iſt, 
ob ein ſolcher Vergleich nur das Privatklagerecht oder 
auch das Recht auf Strafantrag aufhebt. Mangels 
einer geſetzlichen Beſtimmung gibt für die Beantwor⸗ 
tung der Frage das Weſen der Beleidigung und des 
Privatklageverfahrens nach dem Geiſte des Geſetzes 
den Ausſchlag. 


Die Motive zum Entwurfe der StPO. ſprechen 
in dem Abſchnitt über das Privatklageverfahren aus, 
daß die Beſtrafung von Beleidigungen und leichten 
Körperverletzungen in der Regel nicht durch das In⸗ 
tereſſe der öffentlichen Ordnung geboten iſt. Dieſe 
Anſchauung hat durch die Anordnung eines dem Ver⸗ 
ahren in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten nachgebil⸗ 
eten Strafverfahrens und darin ihren Ausdruck ge⸗ 
funden, daß die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens 
unter Umſtänden von einem Sühneverſuch abhängig 
gemacht wird. Dadurch hat der Geſetzgeber ſtill⸗ 
ſchweigend anerkannt, daß die Beſeitigung des Klage⸗ 
rechts durch Vergleich dem Intereſſe des Staates 
ebenſo entſpricht als die Durchführung eines Straf⸗ 
verfahrens und die Verhängung einer Strafe. Das 
Erfordernis des Sühneverſuchs iſt zwar nicht allgemein, 
ſondern nur unter Beſchränkung auf Angehörige der⸗ 
ſelben Gemeinde aufgeſtellt worden; aber dieſe „Aus⸗ 
nahme“ wurde nur gemacht, weil das Klagerecht über⸗ 
mäßig erſchwert würde, wenn das Geſetz zu Reiſen 
zu einem Sühneverſuche nötigen würde (vgl. Goltd. 
Arch. Bd. 51 S. 229 ff., wo zutreffend bemerkt iſt, daß 
dem Vergleich zuliebe die Privatklage geſchaffen worden 
iſt und daß beim Mangel von Vorſchriften über den 
Vergleich, deſſen grundſätzliche Zuläſſigkeit in 8 420 
StPO. ausgefprochen fei, die fehlenden geſetzlichen 
Normen durch Auslegung und analoge Anwendung 
der vorhandenen Vorſchriften gewonnen werden müſſen). 
Deshalb iſt die Anſchauung nicht gerechtfertigt, die 
einem Vergleich nur dann Wirkſamkeit zuerkennen 
will, wenn er vor der im § 420 StPO. beſtimmten 
Vergleichsbehörde abgeſchloſſen wurde. Ein zwingender 
Grund für dieſe Beſchränkung liegt nicht vor. Aus 
der im 8 420 StPO. ausgedrückten vorbeugenden 
Abſicht, die den Verletzten zwingt bei dem Vermitt⸗ 
lungsamte fein Geſuch um Vornahme eines Sühne— 
verſuchs anzubringen und ſelbſt bei dem Sühnetermine 
zu erſcheinen, auch wenn er zu einer Sühne gar nicht 
geneigt iſt, muß die Auffaſſung als zu eng und dem 
Willen des Geſetzgebers nicht entſprechend erachtet 


werden, die wegen des Fehlens einer ausdrücklichen 


geſetzlichen Beſtimmung einem privaten Vergleiche die 
Anerkennung verſagt. Eine ſolche an dem Buchſtaben 
des Geſetzes haftende Auslegung verſagt allen Parteien 
die von dem Geſetzgeber gewollte Begünſtigung einer 
ſtrafrechtlich wirkſamen gütlichen Beilegung, die nicht 
in demſelben Gemeindebezirke wohnen oder die ſich 
vor der Vergleichsbehörde noch nicht hatten einigen 
können, nachträglich aber doch noch vor der Stellung 
des Strafantrages verſöhnt haben. Wohl wird ein 
Sühneverſuch größere Ausſicht auf Erfolg haben, wenn 
er unter der Autorität und Mitwirkung einer ſtaatlich 
beſtellten Vergleichsbehörde erſtrebt wird, aber für 
das Weſen der Sühne begründet es keinen Unterſchied, 
ob der Vergleich vor dem Vermittlungsamt oder vor 
einem Notare oder nur zwiſchen den Parteien ge— 
ſchloſſen wird, ſoferne nur der Vergleich ſeinem In— 
halte nach geſetzlich zuläſſig iſt. Iſt im 8 420 StPO. 
für das Privatklageverfahren grundſätzlich die Zuläſſig— 
keit der Beſeitigung des Strafrechts des Staates durch 
Uebereinkommen der Parteien erklärt, ſo kann gegen 
die Anerkennung eines außeramtlichen Vergleichs in 
ſtrafrechtlicher Beziehung auch nicht geltend gemacht 
werden, daß es ſich um öffentliches Recht handle, denn 
auch in dieſer Richtung beſteht zwiſchen den beiden 
Arten der Sühne kein in ihrem Weſen begründeter 
Unterſchied. Das Geſetz räumt dem Beleidigten in 


der Miterben. 


weiteſtem Maße das Recht zur Zurücknahme des Straf- 


antrags ein, auch wenn er die ſtrafrichterliche Tätig⸗ 
keit ſchon in Anſpruch genommen hat, ja ſogar noch 
in der Berufungsinſtanz, obwohl ſchon eine Inſtanz 
durch Urteil entſchieden hat ($ 431 StPO.) Darin 
liegt eine viel größere Ausnahme von dem Grundſatze, 
daß öffentliches Recht privater Willkür nicht unter⸗ 
worfen iſt, und die vom Geſetze gewollte Begünſtigung 
der Vergleiche in Beleidigungsfachen iſt in das hellſte 
Licht geſtellt. Es iſt deshalb auch wenig einleuchtend, 
daß ein privater Vergleich ſo lange in einem Schwebe⸗ 
zuſtande bleiben ſoll, bis die Antragsfriſt verſtrichen 
iſt; auch iſt das Aushilfsmittel wenig befriedigend, 
daß zur Abkürzung des Schwebezuſtandes der Belei⸗ 
digte, der ſich mit ſeinem Gegner bereits ausgeſöhnt 
hat, noch Strafantrag ſtellt, um dann durch die Zurück⸗ 
nahme des Antrags dem Vergleiche rechtliche Wirk⸗ 
ſamkeit zu verſchaffen. Kann der Wille des Verletzten 
die Strafverfolgung hervorrufen und wieder rückgängig 
machen, ſo muß ihm auch die Kraft zugeſchrieben 
werden, auf die Verfolgung in Form eines nach dem 
bürgerlichen Rechte giltigen Vergleichs zu verzichten. 
In zivilrechtlicher Beziehung kann es aber wohl keinem 
Bedenken unterliegen, daß einem ſolchen Verzichte 
Rechtswirkſamkeit zukommt. Es widerſpräche aber der 
Einheit der Rechtsordnung und dem allgemeinen 
Rechtsempfinden, wenn der Staat auf Antrag einer 
Partei, die in zivilrechtlich giltiger Weiſe verzichtet 
hatte, ein Verfahren vor dem Strafgerichte durchführen 
ließe, für deſſen Koſten und Schäden der Antragſteller 
in einem gegen ihn angeſtrengten Zivilprozeſſe haftbar 
erklärt werden müßte, da er zu ſolcher Antragſtellung 
nach dem bürgerlichen Rechte nicht befugt war. Var, 
(Geſetz und Schuld im Strafrecht, Bd. III 8 146) hebt 
mit Recht hervor, daß der Mangel einer ausdrücklichen 
geſetzlichen Beſtimmung da nicht hinderlich im Wege 
ſtehen kann, wo es ſich nicht um Vermeidung der 
Beſtrafungen, ſondern darum handelt, etwas anzuer⸗ 
kennen, was der Natur der Sache und der guten Sitte 
entſpricht. Hiergegen verſtößt es aber, wenn jemandem, 
der ſich ausdrücklich verpflichtet hat, die Stellung eines 
Strafantrags zu unterlaſſen, deſſen ungeachtet das 
Recht zuerkannt wird, unter Verletzung ſeines Wortes 
Strafantrag zu ſtellen. Nur von untergeordneter Be⸗ 
deutung iſt es, daß die Erhebung von Beweiſen über 
die Frage erforderlich werden kann, ob ein Verzicht 
auf Strafverfolgung vorliegt. Dies kann auch bei 
der Frage nach der Rechtsgiltigkeit des Strafantrags 
der Fall ſein. Auch hier muß der Strafrichter bei der 
Frage, ob die Antragsfriſt gewahrt iſt, auf Umſtände 
zurückgreifen, die lange vor dem Strafantrage liegen, 
und darüber Beweis erheben. (Urt. vom 24. Dezember 
1910, RevReg. 473/10). Ed. 


2175 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Pflicht des Miterben zur Anstunftserteilung und 
Leiſtung des Offenbarungseides nach 836 2027, 2028, 
2038 und 260 363. Der Beklagte Johann S. und 
ſeine Brüder Jakob und Peter S. ſind durch das 
Teſtament ihrer verſtorbenen Schweſter Barbara H. 
zu gleichen Teilen als Erben eingeſetzt und haben die 
Erbſchaft angenommen. Die Erblaſſerin hatte in den 
letzten Jahren vor ihrem Tode bei dem Beklagten 
Wohnung und Verpflegung. Zu ihrem Nachlaß ge— 
hörte u. a. auch ein Sparkaſſekapital von 1800 M. 


Der Beklagte, der das Sparbuch aufbewahrte, erhob 


einige Tage nach dem Tode der Erblaſſerin 200 M 
zur Beſtreitung der Beerdigungskoſten ohne Wiſſen 
Bei der Auseinanderſetzung vor dem 
Nachlaßgericht verſchwieg er das und brachte vor, daß 
er die Beerdigungskoſten aus eigenen Mitteln vorge— 
ſchoſſen habe. Als Jakob und Peter S. ſpäter er— 
fuhren, daß der Nachlaß weit mehr betragen habe, 
als Johann ©. bei der Nachlaßverhandlung ange— 


geben hatte, verlangten fie von ihm gemäß 88 2027, 
2028, 260 BGB. die Vorlegung eines Verzeichniſſes 
über den Beſtand der Erbſchaft, ferner Auskunftser⸗ 
teilung und Rechnungsſtellung ſowie die Leiſtung des 
Offenbarungseides. Das Lc. wies die hierauf ges 
richtete Klage ab. Auf die Berufung der Kläger hob 
das OLG. das Urteil auf und verurteilte den Beklagten, 
den Klägern Auskunft über den Beſtand der i 
und über den Verbleib der Erbſchaftsgegenſtände zu 
erteilen und ein Verzeichnis des Beſtands vorzulegen, 
ferner anzugeben, welche erbſchaftlichen Geſchäfte er 
geführt habe. Die Klage auf Leiſtung des Offen⸗ 
barungseides wurde abgewieſen. 
Aus den Gründen: Die Vorausſetzungen des 
8 2027 Abſ. 1 BGB. find hier nicht gegeben. Es iſt 
zwar denkbar, daß ein Miterbe, der ein über ſein 
wirkliches Erbrecht hinausgehendes Erbrecht beanſpru⸗ 
chend ſich Nachlaßbeſtandteile angeeignet hat, Erbſchafts⸗ 
beſitzer im Sinne der §§ 2018 und 2027 Abſ. I BGB. 
iſt. Allein der Beklagte maßt ſich nicht ein über ſein 
wirkliches Erbrecht hinausgehendes Erbrecht an, 
ſondern er hat nach dem Eintritte des Erbfalls Nach⸗ 
laßbeſtandteile in Beſitz genommen .... Damit iſt der 
Fall des 8 2027 Abſ. II gegeben. Für die Anwen⸗ 
dung dieſer Beſtimmung ſpielt der gute oder böſe 
Glaube desjenigen, der eine Nachlaßſache in Beſitz 
nimmt, keine Rolle. Sie gilt für den Beklagten auch, 
wenn er die 200 M nur erhoben hat um die Beerdi⸗ 
gungskoſten zu beſtreiten. Der Beklagte muß deshalb 
den Klägern als Miterben über den Beſtand der Erb⸗ 
ſchaft und über den Verbleib der Erbſchaftsgegenſtände 
Auskunft erteilen. Aus 8 260 Abſ. I BGB. ergibt 
ſich für ihn die weitere Verpflichtung, den Klägern 
ein Verzeichnis des Beſtandes dieſer Erbſchaft vorzu⸗ 
legen. 
Auch die Vorausſetzungen des 8 2028 BGB. ſind 
gegeben. Die Erblaſſerin hat unbeſtritten die letzten 
ahre bis zu ihrem Tode in der Familie des Be⸗ 
lagten Wohnung und Verpflegung genoſſen, hat ſich 
alſo mit ihm in häuslicher Gemeinſchaft befunden. 
Der Beklagte muß deshalb den Klägern als Miterben 
auf Berlangen Auskunft darüber erteilen, welche erb⸗ 
ſchaftlichen Geſchäfte er geführt hat. Die weitere Ver⸗ 
pflichtung auch anzugeben, was ihm über den Ver⸗ 
bleib der Erbſchaftsgegenſtände bekannt iſt, beſteht 
ſchon auf Grund des § 2027. Der im Kommentar 
von Reichsgerichtsräten Anm. 1 zu § 2028 BGB. ver⸗ 
tretenen Anſchauung, daß den Miterben gegenüber dieſe 


Verpflichtung aus § 2028 nicht beſtehe, kann ſich der 


erkennende Senat nicht anſchließen, er tritt vielmehr 
der im Urteil des RG. vom 28. April 1904 (RG. 38. 
58 S. 89) niedergelegten gegenteiligen Auffaſſung bei. 
Es iſt nicht einzuſehen, warum gerade in den Fällen 
den Miterben dieſes Recht nicht zuſtehen ſoll, in 
RE Gefahr der Nachlaßverſchleppung beſonders 
groß iſt 


Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung ergibt 


ſich auch aus 8 2038 Abſ. I BGB. In dieſer Bezie⸗ 
hung ſchließt ſich der Senat den im Kommentar von 
Reichsgerichtsräten Note 7 zu § 2038 enthaltenen Aus⸗ 
führungen an, wonach der Miterbe im Intereſſe einer 
ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlaſſes ver⸗ 
pflichtet ſein ſoll den Miterben Auskunft über alle 
ihm bekannten Nachlaßgegenſtände zu erteilen und 
erforderlichenfalls den Offenbarungseid zu leiſten. 
Dieſe Verpflichtung entſpricht einem dringenden Bes 
dürfniſſe. Es beſteht allerdings Meinungsverſchieden⸗ 


heit darüber, ob der Miterbe Forderungen des Erb: 


laſſers gegen ihn ſelbſt angeben muß. Das Reichs⸗ 
gericht hat in ſeinem Urteile vom 4. Januar 1904 — 
BURN. 70, 16 ff. — ſich dahin ausgeſprochen, daß er 
dazu dann nicht verpflichtet ſei, wenn er ſie beſtreite 
und wenn ſie nicht durch Richterſpruch feſtgeſtellt ſeien. 
Die Frage braucht indeſſen hier nicht unterſucht zu 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


werden. Jedenfalls geht das Recht des Erben nicht 


191 


— — — — — — — — — — —— —I—50 —— 


ſoweit, daß er der Frage nach ſolchen Forderungen 
einfach durch eine unrichtige Darſtellung des Sachver⸗ 
halts aus dem Wege gehen darf; er mag ſeinem 
Rechtsſtandpunkt dadurch Rechnung tragen, daß er 
die Poſt ſofort beſtreitet. 

Das Verlangen der Kläger den Beklagten jetzt 
ſchon auch zur Leiſtung des Offenbarungseids zu ver⸗ 
urteilen, ift unbegründet. Wie § 260 Abſ. I und 2028 
Abſ. II BGB. erſehen laſſen, kann die Frage, ob der 
Verpflichtete auch den Offenbarungseid zu leiſten habe, 
erſt ſpäter auftauchen. Der Anſpruch darauf hängt 
davon ab, ob Grund zu der Annahme beſteht, daß 
das Verzeichnis über den Beſtand der Erbſchaft mit 
der erforderlichen Sorgfalt aufgeſtellt oder daß die 


Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt 


worden ſei. as kann eine ſolche Verpflichtung des 
Beklagten noch nicht durch Urteil ausgeſprochen wer⸗ 
den (vgl. Buſchs Z. 37, 56). (Urt. des I. 38. vom 
17. Dezember 1910, Ber. Reg. 118/10). | 

2129 


— — gn. 


Aus der Praxis 
des Gerichtshofs für Kompetenzkouflikte. 


Selene, wenn eine Gemeinde die Koſten 
der Verpflegung in einem Krankenhauſe vorgeſcheſſen 
hat und von den Erben Erſatz verlangt. 8 239 380. 
iſt im Verfahren vor dem Gerichtshefe nicht anwendbar. 
Das Vorbringen des Beklagten iſt bei der Eutſcheidung 
über die Zuſtändigkeit in der Negel nicht zu beröck⸗ 
ſichtigen. Am 5. Auguſt 1896 ſtarb in B. der Schreiner 
Lorenz P. Er wurde von ſeiner Mutter und ſeinen 
Geſchwiſtern beerbt. P. war vor ſeinem Tode im 
Diſtriktskrankenhauſe Br. untergebracht. Die Koſten 
wurden von der Gemeinde B. gefordert; ſie zahlte 
und verlangte Erſatz von den Erben. Da dieſe ſich 
weigerten, ſtellte die Gemeinde Klage mit folgender 
Begründung: Lorenz P. ſei von ſeinem Bruder 
Joſeph B. als bei ihm beſchäftigter landwirtſchaftlicher 
Arbeiter zur Gemeindekrankenverſicherung B. ange⸗ 
meldet worden und bis zum 1. April 1896 deren 
Mitglied geweſen. Dann ſei er abgemeldet worden. 
Sonach habe für die Gemeinde keine Verpflichtung 
beſtanden die Krankenhauskoſten zu zahlen; ſie habe 
nur, um der Krankenhausverwaltung den Abſchluß 
der Bücher zu ermöglichen, unter Vorbehalt aller 
Rechte gegen den Verpflichteten gezahlt. Das AG. 
wies die Klage ab, weil der Rechtsweg unzuläſſig ſei. 
Die Gemeinde ſtellte das Urteil vorerſt nicht zu, 
ſondern verſuchte ihren Anſpruch auf dem Ver⸗ 
waltungswege geltend zu machen. Auf ihren Antrag 
erklärte das Bezirksamt die Erben des Lorenz P. für 
verpflichtet der Gemeinde B. die Krankenhauskoſten 
zu erſetzen. Die Regierung dagegen wies auf Be⸗ 
ſchwerde den Anſpruch der Gemeinde B. gegen die 
Erben zurück, weil die Gerichte und nicht die Ver⸗ 
waltungsbehörden zuſtändig ſeien. Die Entſcheidung 
der Regierung wurde nicht angefochten. Inzwiſchen 
waren mehrere Erben des Lorenz P. geſtorben. Der 
Vertreter der Gemeinde lud ihre Rechtsnachfolger vor 
das AG. zur Aufnahme des gerichtlichen Verfahrens. 
Das AG. erließ ein Zuſatzurteil, wodurch es das 
frühere Urteil auch als für die Rechtsnachfolger wirk⸗ 
ſam erklärte. Die beiden Urteile wurden zugeſtellt 
und ſind rechtskräftig geworden. Die Gemeinde erhob 
den Kompetenzkonflikt. Einer der Erben des Lorenz 
P. ließ erklären, der Antrag ſei unzuläſſig, weil 
durch den Tod einzelner Erben das Verfahren auch 
ihm gegenüber unterbrochen ſei (8 239 ZPO.): denn 
die Forderung könne gegen die in Erbengemeinſchaft 
lebenden Erben nur einheitlich feſtgeſtellt werden. 
Der Gerichtshof erklärte die Gerichte für zuſtändig. 

Aus den Gründen: Aus dem 8 239 ZBO. 
kann ein Einwand gegen die Zuläſſigkeit des Antrags 


192 


— — 
— — —— 


no abgeleitet werden. Nach 8 3 EE53BO. findet 

die ZPO. auf alle bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten 
Anwendung, die vor die ordentlichen Gerichte ge⸗ 
hören. Das Verfahren vor den nach § 17 Abſ. 2 
GBG. beſtellten beſonderen Behörden — auch vor 
dem Gerichtshof für Kompetenzkonflikte — iſt nach 
Nr. 3 a. a. O. geſonderter geſetzlicher Regelung vor⸗ 
behalten. § 239 ZPO. iſt in dieſem Verfahren nicht 
anwendbar, vielmehr kann die Tatſache, daß ſeit der 
Erlaſſung des erſten amtsgerichtlichen Urteils mehrere 
Beklagte geſtorben ſind, ſoweit ſie nicht ſchon in dem 
Zuſatzurteile berückſichtigt iſt, erſt dann ihre Wirkung 
äußern, wenn das gerichtliche Verfahren weitergehen 
ſoll. Hiernach iſt der Fall eines verneinenden Kompe⸗ 
tenzkonflikts nach Art. 22 KKG. gegeben. 

Die Gemeinde B. hat in der Klage behauptet, ſie 
habe die Verpflegungskoſten ohne Rechtspflicht auf 
die Aufforderung der Krankenhausverwaltung unter 
Vorbehalt aller Rechte gegen den Verpflichteten be⸗ 
zahlt, nur um den Abſchluß der Bücher zu er⸗ 
möglichen; die Beklagten ſeien als Erben haftbar 
und um den gezahlten Betrag zum Nachteile der 
Gemeinde ohne rechtlichen Grund bereichert. Der 
Umſtand, daß der Rechtstitel der ungerechtfertigten 
Bereicherung angeführt wird, iſt zwar inſoferne nicht 
ausſchlaggebend, als ein ſolcher Titel auch in einem 
öffentlich⸗ rechtlichen Verhältniſſe begründet fein kann. 
Nach dem Klagevorbringen wird aber der Anſpruch 
nicht auf ein öffentlich⸗rechtliches Verhältnis geſtützt. 
Die Gemeinde fordert nicht den Erſatz für eine 
Leiſtung, die ſie in der irrtümlichen Annahme einer 
aus dem Geſichtspunkte der Krankenverſicherung oder 
der Armenunterſtützung hergeleiteten und ſomit 
oͤffentlich⸗rechtlichen Verpflichtung gemacht hat, ſondern 
die Erſtattung des Betrags, den fie nur aus Ent⸗ 
gegenkommen gegen die Krankenhausverwaltung an 
Stelle des zunächſt Verpflichteten gezahlt hat. Der 
Rechtsgrund des Anſpruchs gehört hiernach zweifellos 
dem bürgerlichen Rechte an. Die Beklagten haben 
behauptet, die Gemeinde habe mit der Zahlung nur 
eine eigene Verbindlichkeit getilgt, weil Lorenz P. 
berechtigt geweſen ſei von ihr Krankenunterſtützung 
zu beanſpruchen. Damit iſt allerdings ein dem 
öffentlichen Recht angehörendes Rechtsverhältnis be— 
hauptet, das von der Verwaltungsbehörde feſtzu— 
ſtellen iſt; dieſer Umſtand iſt aber für die rechtliche 
Natur des Streitgegenſtandes nicht von Belang. 
Denn die Grundlage für die Entſcheidung der Zu— 
ſtändigkeitsfrage bildet das Vorbringen des Klägers, 
nicht was der Beklagte dagegen geltend macht. Die 
Verteidigung hat, wenn nicht beſondere Umſtände das 
Gegenteil rechtfertigen, außer Betracht zu bleiben 
(Gaupp⸗Stein, ZPO., 10. Aufl. S. 6, 8). Hängt die 
Eniſcheidung von der Feſtſtellung eines öffentlich— 
rechtlichen Verhältniſſes ab, ſo kann das Gericht den 
Rechtsſtreit bis zur Entſcheidung der Verwaltungs— 
behörde ausſetzen (8 148 ZPO.) es kann aber auch 
ſelbſt in den Gründen die dem öffentlichen Rechte 
0 Frage beantworten (Urt. vom 15. März 
1911 


— —— n. 


20 


Notizen. 


Die rechtliche Stellung der öſterreichiſchnnaariſchen 
Konſularbeamten i im gerichtlichen Verfahren. Nach 8 21 
GVG. ſind die im Deutſchen Reiche angeſtellten Kon— 
ſuln der inländiſchen Gerichtsbarkeit unterworfen, ſo— 
fern nicht in Verträgen des Deutſchen Reichs mit an— 
deren Staaten Vereinbarungen über die Befreiung der 
Konſuln von der inländiſchen Gerichtsbarkeit getroffen 
find. Die rechtliche Stellung eines fremden Konſuls 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 


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im gerichtlichen Verfahren beſtimmt ſich hiernach in 
erſter Linie nach dem 5 i 
trag, Handelsvertrag u. a.), den das Reich mit d 
in Betracht kommenden Staate geſchloſſen hat. Die 
Auslegung ſolcher Verträge begegnet aber in dieſer 
Hinſicht mitunter erheblichen Schwierigkeiten. Denn 
die Verträge enthalten neben mehr oder minder un⸗ 
klaren Einzelvorſchriften oder auch ohne ſolche in der 
Regel die ſog. Meiſtbegünſtigungsklauſel, welche den 
Konſuln des Vertragsſtaates die Vorrechte einräumt, 
die den Konſuln eines dritten Staates zuſtehen oder 
auf Grund ſpäterer Vereinbarungen zuſtehen werden. 
Zur Ermittelung des Maßes von Vorrechten, die die 
Meiſtbegünſtigung gewährt, iſt demnach die vergleichende 
Prüfung der übrigen Staatsverträge erforderlich. Noch 
ſchwieriger wird die Entſcheidung dann, wenn die 
I an die Vorausſetzung geknüpft iſt, 
daß fog. materielle Gegenſeitigkeit beſteht, 
wenn demnach die den Konſuln des einen Teiles in 
dem Gebiete des anderen einzuräumenden Vorrechte 
auch auf Grund der Meiſtbegünſtigung nur in dem 
Maße zugeſtanden werden, als ſie den konſulariſchen 
Vertretern des letzteren Teils in dem Gebiete des 
erſteren Staates gewährt werden. Dann müſſen zum 
Vergleich auch die Verträge herangezogen werden, die 
der Vertragsſtaat mit dritten Staaten geſchloſſen hat 
— eine Aufgabe, der ſich die Gerichte an der Hand 
der ihnen gewöhnlich zur Verfügung ſtehenden Behelfe 
mit Erfolg kaum unterziehen können. Es iſt deshalb 
zu begrüßen, daß wenigſtens die rechtliche Stellung 
der öſterreichiſch⸗ungariſchen Konſuln in ihrer Eigen⸗ 
ſchaft als Zeugen durch eine Vereinbarung der Re⸗ 
gierungen im weſentlichen geklärt wurde (f. die Bek. 
vom 30. März 1911. IM Bl. S. 89). Das Ergebnis 
der Vereinbarungen iſt kurz zuſammengefaßt folgendes: 

1. Die öſterreichiſch-ungariſchen Konſularbeamten, 
die nicht der öſterreichiſch⸗-ungariſchen Monarchie an⸗ 
gehören, alſo Deutſche oder Angehörige eines dritten 
Staates ſind, genießen als Zeugen keine Vorrechte. 
Sie werden geladen wie andere Zeugen; gegen ihren 
Ungehorſam hat das Gericht die gewöhnlichen Zwangs⸗ 
mittel. 

2. Die öſterreichiſch-ungariſchen Konſularbeamten, 
die der öſterreichiſch⸗ungariſchen Monarchie angehören, 
genießen zunächſt die Bevorzugung, daß fie zum Er⸗ 
ſcheinen vor Gericht eingeladen werden. Das ſonſt 
übliche Zeugenladungsformular darf nicht verwendet 
werden. Erklärt fi) der Konſul für „behindert“, fo 
kann das Gericht ſein Erſcheinen nicht erzwingen. Der 
Konſularbeamte iſt dann, wenn ſeine ſchriftliche Er» 
klärung nicht genügt, von einem beauftragten oder 
erſuchten Richter in ſeiner Wohnung zu vernehmen. 
Die Erklärung des Konſuls, daß er nicht erſcheinen 
könne, iſt ein „nicht zu befeitigendes Hindernis“ im 
Sinne des 8 2 22 StPO. Ob der Konſul Wahlkonſul 
iſt oder Berufskonſul, iſt nicht erheblich; nur auf ſeine 
Staatsangehörigkeit kommt es an. Glaubt das Ge— 
richt, daß der Konſul für feine Weigerung zu erſcheinen 
keinen Grund habe, ſo ſteht ihm nur der Weg der 
Berichterſtattung an das StM. der Juſtiz offen, das 
dann diplomatiſche Verhandlungen veranlaſſen kann. 

Das Vorrecht des Konſuls erſtreckt ſich nicht auf 
ſeine Familienglieder und ſeine perſönlichen Bedien⸗ 
ſteten, ebenſowenig auf das Perſonal in dem Geſchäfte 
oder Gewerbe, das der Konſul etwa betreibt. Die mit 
Konſulargeſchäften betrauten Hilfsbeamten genießen 
die bevorrechtigte Stellung des Amtsvorſtands (Kon— 
ſuls), wenn ſie nicht lediglich mechaniſche Dienſte, 
Schreibarbeit uſw., leiſten. 

2213 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


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Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ar. 9. 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 
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193 


Zum Veſchwerdeverfahren bei Einleitung gehoben wird. Von einer Seite wird behauptet, 


einer vorläufigen Vormundſchaft. 
Von Joſeph Wagner, Rat am Oberſten Landesgerichte. 


Ueber das Beſchwerdeverfahren bei der Einlei⸗ 
tung einer vorläufigen Vormundſchaft (SS 1906 bis 
1908 BGB.) beſtehen nicht bloß über die im 
Zentralblatte für die freiwillige Gerichtsbarkeit, 
Jahrg. V S. 618, 737 mit Jahrg. VI ©. 481 
erörterten Fragen, ſondern auch über die Aus⸗ 


| 


daß in dieſem Falle die Verfügung des Vormund⸗ 
ſchäftsgerichts, wodurch die vorläufige Vormund⸗ 
ſchaft angeordnet und ein vorläufiger Vormund 
beſtellt wurde, wieder auflebt, während die andere 
Meinung dahin geht, daß durch den Beſchluß des 
Beſchwerdegerichts die vorläufige Vormundſchaft 
endgültig beſeitigt iſt und wieder neu angeordnet 
werden muß, wenn ſich nachträglich ein Bedürfnis 
für die Einleitung einer ſolchen ergibt. 

Für die erſte Meinung wird geltend gemacht, 


legung des § 52 366. verſchiedene Meinungen. es ſei ſelbſtverſtändlich, daß durch die Beſeitigung 
Zu ihrer Klärung in letzterer Hinſicht ſoll hiermit | der Urſache, die die Aufhebung der Verfügung 


ein Beitrag geliefert werden. 


Ueber den Beginn der vorläufigen Vormund⸗ 
ſchaft ſcheint § 52 bisher zu entgegengeſetzten An: 
ſchauungen keinen Anlaß gegeben zu haben, da⸗ 
gegen beſtehen Zweifel darüber, wie die Vorſchrift 


„eine Verfügung, durch die eine vorläufige 
„Vormundſchaft aufgehoben wird, tritt mit 
„der Bekanntmachung an den Mündel in 
„Wirkſamkeit“ 
aufzufaſſen iſt. 
Daß dieſe Vorſchrift von $ 16 Abi. 1 8G. 


inſofern eine Ausnahme bildet, als nach ihr die 


Wirkſamkeit der Aufhebung der vorläufigen Vor⸗ 
mundſchaft mit der Bekanntmachung an den 
Mündel auch für den Vormund eintritt, dem die 
Aufhebung noch nicht bekannt gemacht iſt, ſoll 
nur nebenbei erwähnt werden. 

Zweifel über die Auslegung der Vorſchrift 
werden erhoben, wenn die vom Vormundſchafts⸗ 
1 eingeleitete vorläufige Vormundſchaft auf 
ofortige Beſchwerde des Mündels (8 60 Abſ. 1 
Ziff. 5 FGG.) aufgehoben, der aufhebende Be: 
ſchluß des Beſchwerdegerichts aber auf die ſofortige 
weitere Beſchwerde desjenigen, der den Antrag auf 


Entmündigung zu ſtellen berechtigt iſt (§S 57 Abſ. | 


Ziff. 2 mit $ 29 Abſ. 2 GG.), ) ebenfalls auf: 


) Dafür, daß nicht die weitere Beſchwerde ſchlecht⸗ 
hin, ſondern nur die 


des Vormundſchaftsgerichts bewirkt hat, dieſe Ver⸗ 
fügung ſelbſt wieder hergeſtellt wird. Dieſer 
Grund kann jedoch nicht für richtig gehalten 
werden. Auch ein Geſetz tritt nicht von ſelbſt 
wieder in Kraft, wenn das Geſetz, durch das es 
aufgehoben wurde, ſeinerſeits ſelbſt aufgehoben 
wird, das Wiederaufleben des erſten Geſetzes könnte 
nur durch eine beſondere Vorſchrift bewirkt werden. 
Für die gegenwartige Frage fehlt eine ſolche Vor⸗ 
ſchrift. 

Die Worte des 8 52 „tritt in Wirkſamkeit“ 
ſind offenbar gleichbedeutend mit den Worten 
„werden wirkſam“ in 8 16 Abſ. 1, aber auch mit 
den gleichen oder ähnlichen Worten in § 26 Satz 1, 
8 53 Abi. 1, 8 56 Abſ. 2, 8 70, (8 82 Abſ. 2), 
8 97 Abſ. 1, (8 98) FGG. Die Wirkſamkeit 
der von dieſen Paragraphen (mit Ausnahme des 


8 16 Abſ. 1) betroffenen Verfügungen tritt erft 


| 


pin, ſofortige weitere Beſchwerde 
in einem ſolchen Falle in Frage kommt, wird gegenüber 


mit der Rechtskraft ein, iſt alſo zweifellos end⸗ 
gültig. Daraus wird die Folgerung abgeleitet 
werden dürfen, daß auch die Wirkſamkeit der 
Verfügungen nach § 16 Abſ. 1 und 8 52 end⸗ 
gültig iſt. 

Nach § 1908 Abſ. 3 BGB. hat das Vor⸗ 
mundſchaftsgericht die vorläufige Vormundſchaft 


Rechtſpr. d. OLG. Bd 7 S. 207 auf die zutreffenden 
Ausführungen im 3BlfF G. Jahrg. 6 S. 841 und auf 
Keidel, Komment., 2. Aufl. Bem. 7 zu 829 FJGG., Be: 
zug genommen. 


194 


aufzuheben, wenn der Mündel des vorläufigen 
vormundſchaftlichen Schutzes nicht mehr bedarf, 
z. B. wenn ſich herausſtellt, daß der Entmün⸗ 
digungsantrag keine Ausſicht auf Erfolg hat. 
Daß eine ſolche Verfügung des Vormundſchafts⸗ 
gerichts endgültig iſt und daß, wenn ſich nach⸗ 
träglich das Bedürfnis der vorläufigen Vor⸗ 
mundſchaft wieder ergeben ſollte, die Anordnung 
der vorläufigen Vormundſchaft nur durch eine 
neue, das Vorhandenſein der von $ 1906 BGB. 
erforderten Vorausſetzungen feſtſtellende Verfügung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


— — 
— 


richts iſt Zweifeln in dieſer Richtung durch feine 
Entſcheidung vorzubeugen. Mit einer einſtweiligen 
Anordnung nach § 24 Abſ. 3 und § 29 Abſ. 3 
FGG. kann, abgeſehen von der Frage der Zu⸗ 
läſſigkeit, ſchon deshalb nicht geholfen werden, 
weil die einſtweilige Anordnung mit der end⸗ 
gültigen Entſcheidung ihre Wirkung verliert. Eine 
Verfügung dahin, daß die vorläufige Vormund⸗ 
ſchaft fortzubeſtehen hat oder neu einzuleiten iſt, 


könnte das über die weitere Beſchwerde erkennende 


erfolgen könnte, bedarf keiner näheren Ausführung. 


Warum der die vorläufige Vormundſchaft auf: 
hebende Beſchluß des Beſchwerdegerichts nicht die 
gleiche Wirkung haben ſollte, iſt nicht einzuſehen. 
(Vgl. Keidel, Komment. z. JGG., 2. Aufl., Bem. 2 
Abſ. 2 zu § 52 und Bem. 2 zu $ 16, Birkenbihl, 


Komment. z. FGG., Bem. 3 zu $ 52; Stau⸗ 
dinger, Komment. z. BGB., 5. 6. Aufl., Bd. 4, 


Bem. Ib 3 Abſ. 2 zu § 1908). 

Daß der bisherige Mündel mit der Bekannt⸗ 
machung des die vorläufige Vormundſchaſt auf: 
hebenden Beſchluſſes des Beſchwerdegerichts an ihn 
aufhört Mündel zu ſein, und ſeine volle Ge— 
ſchäftsfähigkeit wieder erlangt, und daß mit dem 
gleichen Zeitpunkte auch der bisherige vorläufige 
Vormund aufhört Vormund zu ſein, darüber 
kann nach 8 52 JGG. kein Zweifel beſtehen. 
Nach der erſten hier bekämpften Anſicht würde 
eine Aenderung dieſer Verhältniſſe eintreten, wenn 
der Beſchluß des Beſchwerdegerichts durch das 
über die ſofortige weitere Beſchwerde erkennende 
Gericht aufgehoben wird. Darüber, wann und 
mit welcher Tatſache dieſe Aenderung eintritt, der 
frühere Mündel alſo ſeine volle Geſchäftsfähigkeit 
wieder verliert und das Amt des früheren vor: 
läufigen Vormundes wieder beginnt, fehlt jede 
Vorſchrift. Da der Geſetzgeber es aus guten 


| 
| 


| 


En a En rl a 1 BT Bm — — nr 


Gründen für notwendig gehalten hot in 8 52 


den Zeitpunkt des Beginnes und der Beendigung 
der vorläufigen Vormundſchaft genau zu beſtimmen, 
iſt es für den Fall, daß die erſte Anſicht richtig 


ſein ſollte, ſchwer zu erklären, warum der Geſetz⸗ 
geber nicht auch für den Fall des Wiederbeginns 
der (aufgehobenen) vorläufigen Vormundſchaft eine 


ähnliche Vorſchrift erlaſſen hat, obwohl es ſich 
durchaus nicht von ſelbſt verſteht, in welchem Zeit⸗ 
punkt und mit welcher Tatſache die vorläufige Vor⸗ 
mundſchaft wieder aufleben fol. Aus der Unter: 
laſſung einer ſolchen Vorſchrift darf wohl mit 
Recht der Schluß gezogen werden, daß es dem 
Willen des Geſetzgebers nicht entſpricht, aus dem 


Grunde, weil der die vorläufige Vormundſchaft 


aufhebende Beſchluß des Beſchwerdegerichts auf 
ſofortige weitere Beſchwerde aufgehoben wird, das 
Wiederaufleben der die vorläufige Vormundſchaft 
anordnenden Verfügung des Vormundſchaftsgerichts 
eintreten zu laſſen. 

Es könnte eingeworfen werden, daß es Sache 


| 


des über die weitere Beſchwerde erkennenden Ge: | 


Gericht nur in dem wohl kaum vorkommenden 
Falle treffen, wenn der angefochtene auf Auf⸗ 
hebung der vorläufigen Vormundſchaft lautende 
Beſchluß des Beſchwerdegerichts aus dem Grunde 
aufzuheben iſt, weil in dieſem Beſchluſſe zwar das 
Vorhandenſein der tatſächlichen Vorausſetzungen 
der vorläufigen Vormundſchaft feſtgeſtellt, aber 
irriger Weiſe von der Annahme ausgegangen wäre, 
daß die vorläufige Vormundſchaft noch von irgend 
einer von $ 1906 BGB. erforderten Tatſache, 
z. B. der ausgeſprochenen Entmündigung, ab⸗ 
hängig iſt. Wenn das Beſchwerdegericht nicht 
von einem ſolchen Irrtum ausgeht, wird ſein die 
vorläufige Vormundſchaft aufhebender Beſchluß 
nur mit dem Nichtvorhandenſein der in 8 1906 
BGB. erforderten Vorausſetzungen begründet ſein 
und auf die ſofortige weitere Beſchwerde nur dann 
aufgehoben werden können, wenn bei den tatſäch⸗ 
lichen Feſtſtellungen formelle Verſtöße, z. B. Ver⸗ 
fehlungen gegen § 12 oder $ 25 JGG., unter: 
laufen ſind. In dieſen wohl ausſchließlich vor⸗ 
kommenden Fällen hindert die Vorſchrift des 8 27 
JGG. das über die weitere Beſchwerde erkennende 
Gericht eine Entſcheidung über den Fortbeſtand 
oder die Wiedereinleitung der vorläufigen Vor⸗ 
mundſchaft zu treffen, weil es darüber nicht ent⸗ 
ſcheiden kann, ob die von § 1906 erforderten 
tatſächlichen Vorausſetzungen vorhanden find. 

Von der hier vertretenen zweiten Anſicht iſt 
offenbar auch das Kammergericht in ſeiner Ent⸗ 
ſcheidung vom 10. November 1902 (RIA. Bd. 3 
S. 172) ausgegangen. 

Aus dieſen Darlegungen ergibt ſich auch, wie 
dann, wenn der auf Aufhebung der vorläufigen 
Vormundſchaft lautende Beſchluß des Beſchwerde⸗ 
gerichts auf die ſofortige weitere Beſchwerde auf⸗ 
gehoben und die Sache an das Beſchwerdegericht 
zurückverwieſen wird, die vom Beſchwerdegerichte 
zu erlaſſende neue Entſcheidung, abgeſehen von 
jener im Koſtenpunkte, zu lauten hat. Gelangt 
das Beſchwerdegericht nun zur Ueberzeugung, daß 
die Vorausſetzungen des § 1906 BGB. vorliegen, 
ſo wird es die ſofortige Beſchwerde des früheren 
Mündels zurückzuweiſen und das Vormundſchafts— 
gericht anzuweiſen haben die vorläufige Vormund— 
ſchaft wieder einzuleiten. Gelangt es zur gegen— 
teiligen Ueberzeugung, ſo wird es nicht die ſchon 
aufgehobene vorläufige Vormundſchaft nochmals 
aufzuheben ſondern zu verfügen haben, daß es 
bei der (im früheren Beſchluß angeordneten) Auf— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 195 


— —ͤ̃ — -- — — — — —— — 


hebung der vorläufigen Vormundſchaſt ſein Be⸗ einem Eigentumswechſel übertragen werden 
wenden hat. — Eine Zuſtellung des neuen Be⸗ (S 470); | 
ſchluſſes des Beſchwerdegerichts und des Beſchluſſes b) in Blätter, die nicht im Zuſammenhang 
des über die ſofortige weitere Beſchwerde erkennen⸗ mit einem Eigentumswechſel übertragen 
den Gerichts an den früheren vorläufigen Vor⸗ werden ($ 471). 
mund hat nicht zu erfolgen, da er ja an der Gruppe 2 zerfällt: 


Sache nicht mehr beteiligt iſt und da auch dann, a f . i 
wenn vom Beſchwerdegericht im neuen Beſchluſſe a) in Blätter, bei denen die ältefte Laſt nicht 


die Wiedereinleitung der vorläufigen Vormund⸗ älter iſt als der derzeitige Eigentümer 
ſchaft angeordnet wird, vom Vormundſchaftsgericht ($ 472, I. I; 

eine andere Perſon als die frühere zum vorläufigen b) in Blätter, bei denen die älteſte Laſt älter 
Vormunde beſtellt werden kann. iſt als der derzeitige Eigentümer (8 472, J, 2). 


Nach 8 472, I, 2 gelten für die Gruppe 2, a 
die gleichen Vorſchriften wie für die Gruppe 1, b. 


I. 


N Es ſollen vorerſt nur die Fälle 2a und 2 b 
lebertragung von Grundbuchblättern. 5 Wenden ein Unterſchied, ob gleichzeitig 


Von Dr. Wilhelm Kriener, Amtsrichter in Landshut. mit der Uebertragung ein Eigentumswechſel auf 
. en dem neuen Blatte eingeſchrieben wird oder nicht, 
Das Grundbuch wird, wie früher das Hypotheken⸗ iſt, wie ſchon erwähnt, hier nicht gemacht. 
buch, in der Weile geführt, daß die Eintragungen Die Vorſchriften für dieſe Uebertragungen 
in fortlaufender Reihenfolge, mit dem Datum ver⸗ beruhen auf dem Gedanken, daß das neue Grund 
1 cri SR ln 155 1 buchblatt die ganze Entwickelung eines Rechtes 
eingeſchrieben werden. Wird durch die fortgesetzten (- Laſt, in erſter Linie alſo Hypothel), und ins: 
Eintragungen der für das Blatt urſprünglich be. beſondere erkennen laſſen fol, wann und von 
155 Raum aufgebraucht, oder das Blatt une welchem Eigentümer das Recht begründet worden ifl 
erſichtlich, ſo muß zur Uebertragung geſchritten . „ . 
werden. | Demgemäß beſtimmt die Dienſtanweiſung: 
Bei der Uebertragung iſt auf zwei Geſichts⸗ A. Für Uebertragung in Abteilung 1. 
punkte Rückſicht zu nehmen; einerſeits muß der 1. Der Eigentümer, der die ältefte Hypothek 
beſtehende Rechtszuſtand vom alten Blatt auf das beſtellt hat, iſt auf dem neuen Blatte als 
neue Blatt genau übernommen werden, anderſeits erſter Eigentümer zu übertragen, und zwar 
ſind im Intereſſe der Ueberſichtlichkeit des neuen mit dem urſprünglichen Datum (8 472, 1, 
Blattes rechtlich gegenſtandsloſe Einträge wegzu⸗ 2, Satz 1 und § 471, Satz 1). 
laſſen und getrennte Einträge des alten Blattes, 2 Alle dieſer Eintragung zeitlich nach⸗ 
wenn tunlich, auf dem neuen Blatte zuſammen⸗ folgenden Eintragungen ſind auf das neue 
zufaſſen. Blatt zu übernehmen ($ 472, I 2, Satz 2 
ii 9 190 . 1 58 = Ab- und § 471, Satz 2). 
eilung III. in der Regel auch die Laſten der 3. Alle früheren Eintragungen ſind auf dem 
Abteilung II des alten Blattes mit ihrem ur⸗ 1 8 1 5 3 
ſprünglichen Datum, und getrennt, zu übertragen 15110 1. f 
ſind, bedarf keiner weiteren Ausführung. Hier N 
ſoll unterſucht werden, wie die Uebertragungen in B. Für Uebertragung im Titel. 
Abteilung J und im Titel des neuen Blattes zu 1. Der Titel hat mit dem nämlichen Datum 
zu beginnen wie Abteilung I ($ 472, I. 2, 


geſtalten ſind. 
Die DAfdGBAe. unterſcheidet zwei Gruppen Satz 4 und 8 471, Satz 4). 
2. Die dieſem Datum auf dem alten Blatt 


alter Blätter: 
; ; TE zeitlich nachfolgenden Eintragungen find 
1. ſolche⸗ bei denen Laſten ug) mitzuüber⸗ womöglich wortgetreu auf das neue Blatt 
tragen ſind (S 470, 471); 
; 8 zu übertragen ($ 472, I, 2, Satz 5). 
2. ſolche, bei denen Laſten mitzuübertragen i er 
find (8 472) 3. Die zeitlich vorangehenden Eintragungen 
Si 1 des alten Blattes können auf dem neuen 
Jede der beiden Gruppen wird wieder, und Blatte in eine Eintragung zuſammengefaßt 
zwar nach verſchiedenen Geſichtspunkten, in zwei werden (58 wie vor, Sätze 3). 
Unterarten geſchieden. Ein Beiſpiel ſoll dieſe Sätze veranſchaulichen. 
Gruppe 1 zerfällt: Angenommen, das alte Blatt lautet im Titel 
a) in Blätter, die im Zuſammenhang mit und in Abteilung I wie folgt: 


1. Am 1. A 1870. | 
Pl.⸗Nr. 78, Wohnhaus Hs.⸗Nr. 17 in 


beemelg, mit Hofraum 0,080 ha 
Pl.⸗Nr. 79, Grasgarten, ſennen 1.6 

Garten .. 0,220 ha 
Pl.⸗Nr. 105, Angibubader, | 

Acker. 0,163 ha Vermeſſung ſ. 3 
Pl.⸗Nr. 130, Rotwieſe, Wieſe 0,679 ha Abſchreibg. ſ. 4 
Pl.⸗Nr. 168, Pointl, Acker . 0,348 ha Mermeifung ſ. 5 
Pl.⸗Nr. 1030, . 

Waldung . 1,348 ha Vermeſſung ſ. 7 


2. Am 1. Januar 1883. 
Pl.⸗Nr. 95, Langewieſe, Wieſe 0,685 ha 
Uebertragen von I, 547. 


3. Am 1. Januar 1885. 

Der Pl.⸗Nr. 105 iſt eine von Pl-Nr. 
126 abgetrennte Teilſläche zu 0,017 ha 
zugemeſſen und hat Pl.⸗Nr. 105 folgende 
Beſchreibung 

Pl.⸗Nr. 105, 

Acker. 
laut Operat 96/84. 


4. Am 1. Januar 1886. 

Pl.⸗Nr. 130 wird nach Pfandfreigabe 
wegen Uebertragung nach VI, 365 abge— 
ſchrieben. 


5. Am 1. Januar 1887. 
Von Pl.⸗Nr. 163 wird eine zu Pl-Nr. 
376 zugemeſſene Teilfläche von 0,048 ha 
nach Pfandfreigabe abgeſchrieben; Pl.-Nr. 3 
163 hat folgende Beſchreibung 
Nr. 163, Pointl, Acker 
laut Operat 48/86. 


6. Am 1 Januar 1888. 
Pl.⸗Nr. 78 und 79 haben durch Ber: 
meſſung unter ſich folgende Beſchreibung 
5 Nr. 78, Wohnhaus Hs. 


Zu 1. 


use 9 89 
ja 


— 
— 
— 


. 0,300 ha 


Nr. 10 in Gramelkam, mit Zu 1 
1 und Scheune . . 0,0% ha 
Pl.⸗Nr. 79, eee 
Garten. ... 0,210 ha 
laut Operat 68, 87. 
7. Am 1. Januar 1889. 
Pl.⸗Nr. 1030 hat durch Vermeſſung 
auf Grund faktiſchen Beſitzſtandes folgende | 
Fläche und Beſchreibung Zu ! 


Pl.⸗Nr. 1030, e 
Waldung 


6 1,369 ha 
laut Neumeſſungsoperat 79/88. 


Abteilung J. 


1/J. Am 1. Januar 1870. 
A, erworben laut . 


2/II. Am 1. Januar 1880. 
B, erworben laut . 


3. Am 1. Januar 1883. 
Pl.⸗Nr. 95 wurde erworben laut . 


4. Am 1. Januar 1885. 
Die Teilfläche von 0,017 ha 
Pl.⸗Nr. 105 wurde erworben laut. 


5, III. Am 1. Januar 1890. 
U, erworben laut!) 


zur 


. 1) Die Grundſätze gelten ohne Unterſchied, ob die 
übertragungsbedürftigen Blätter unter altem oder neuem 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


der aͤlteſten zu übertragenden Laſt. 


neuen Blatte weg. 


Ra 


Zu A. Wer auf das neue Blatt als erſter 
Eigentümer zu übernehmen iſt, beſtimmt ſich nach 
Iſt alſo die 
älteſte Hypothek unter A errichtet worden, etwa 
im Jahre 1877, jo beginnt Abteilung I des neuen 
Blattes mit: 1/J. Am 1. Januar 1870 A, er: 
worben laut . . .; alle nachfolgenden Eintragungen 
ſind, gleichfalls mit ihren urſprünglichen Daten, 
auf das neue Blatt zu übertragen; das neue Blatt 
hat alſo geradeſo zu lauten wie das alte. Iſt 
die älteſte Hypothek unter B beſtellt worden, viel⸗ 
leicht 1886, jo beginnt Abteilung 1 des neuen 
Blattes mit: 11. Am 1. Januar 1880, B er: 
worben laut ...; der Rechtsnachfolger C iſt mit 
ſeinem urſprünglichen Datum des weiteren mitzu: 
übertragen, der Rechtsvorgänger A bleibt auf dem 
Hier iſt noch zu bemerken: 
die Eintragungen Nr. 2 II, 3 und 4 des alten 
Blattes können auch hier auf dem neuen Blatte 
nicht in eine Eintragung zuſammengefaßt werden, 


da ja alle Eintragungen mit ihrem urſprünglichen 


Datum zu übertragen ſind. 


Iſt die älteſte Laſt unter C errichtet worden, 
z. B. 1895, ſo beginnt das neue Blatt mit: 1/J. 
Am 1. Januar 1890. C, erworben laut ...; 
die Rechtsvorgänger A und B bleiben auf dem 
neuen Blatte weg. 

Zu B. Für den Titel ergibt ſich folgendes: 

Je nachdem Abteilung 1 des neuen Blattes 
mit dem 1. Januar 1870, 1880 oder 1890 zu 
beginnen hat, hat auch die erſte Eintragung im 
Titel mit dieſen Daten zu beginnen. Beginnt 
nun der Titel des neuen Blattes mit dem 1. Januar 
1870, ſo folgen die Eintragungen von 1883, 
1885 .. . dieſem Datum zeitlich nach; fie ſind f 
daher wortgetreu auf das neue Blatt zu über: 
tragen. Hat der Titel des neuen Blattes mit 
dem 1. Januar 1880 zu beginnen, ſo iſt das 
gleiche der Fall. Beginnt der Titel des neuen 
Blattes dagegen mit dem 1. Januar 1890, ſo 
gehen die Eintragungen von 1883 bis 1889 dieſem 
Datum zeitlich voran; in dieſem Falle alſo können 
dieſe Eintragungen auf dem neuen Blatte zuſammen— 
gefaßt werden, und zwar in folgender Weiſe: 


1. Am 1. Januar 1890. 


Mr. 78, Wohnhaus Hs.-Nr. 17 in Gramel- 
kam mit Hofraum und Scheune . . 0,090 ha 


Pl.⸗Nr. 79, Grasgarten, Garten. . 0,210 ha 
Pl.⸗Nr. 95, Langewieſe, Wieſe . 0,685 ha 
Pl.⸗Nr. 105, Anglhubacker, Acker. . 0,180 ha 
Pl.⸗Nr. 163, Pointl, Acker .. . 0,300 ha 
Pl.⸗Nr. 1030, Bergwald, Waldun . 1,369 ha 


Wir ſehen alſo: Je älter die erſte Hypothek 
iſt, die vom alten Blatt übertragen werden muß, 
deſto mehr Eintragungen in Abteilung I und im 
Titel folgen ihr zeitlich nach und deſto weniger 


Recht entſtanden ſind; als Daten hätten daher in dem 
obigen Beiſpiel auch 1910, 1920, 1930 gewählt werden 
können. 


Eintragungen gehen ihr zeitlich vor; je jünger 


dieſe Hypothek iſt, deſto weniger Eintragungen 


folgen ihr zeitlich nach, deſto mehr dagegen gehen 
ihr zeitlich vor. Da nun nach den erwähnten 
Vorſchriften jene Eintragungen in Abteilung I 
und im Titel des alten Blattes, die der maß: 
gebenden Hypothek zeitlich nachfolgen, auf das 
neue Blatt mitübertragen werden müſſen, jene 
aber, die der Hypothek zeitlich vorangehen, in Ab⸗ 
teilung I des neuen Blattes weggelaſſen werden 
und im Titel daſelbſt zuſammengefaßt werden 
können, ſo geſtaltet ſich das neue Blatt um ſo 
einfacher und überſichtlicher, je jünger die erſte 
Hypothek iſt. 

Iſt fie ſo jung, daß ihr Eintragungen in Ab: 
teilung I und im Titel überhaupt nicht nachfolgen, 
ſo erſcheint in Abteilung I des neuen Blattes nur 
der gegenwärtige Eigentümer, alle Eintraͤge im 
Titel können nach dem neueſten Kataſterſtand in 
einen einzigen Eintrag zuſammengefaßt werden. 

Je älter dagegen die Hypothek, deſto mehr 
Einträge ſind vom alten Blatt auf das neue zu 
übernehmen; iſt die erſte Hypothek endlich jo alt 
wie das alte Blatt ſelbſt, ſo müſſen ſo ziemlich 
alle Einträge auf das neue Blatt mitübernommen 
werden. Nun ſind aber dieſe alten Einträge oft 
in hohem Grade unüberſichilich; beſonders ſtörend 
ſind die Vermeſſungen von Grundſtücken im Titel; 
während im Beiſpiel abſichtlich ein möglichſt ein⸗ 
facher Tatbeſtand gewählt wurde, finden ſich im 
alten Blatt nicht ſelten ſchon bei einer Plan⸗ 
nummer allein, beſonders bei Gebäuden, 6—10 
Vermeſſungen. 

Sollten dieſe Einträge alle mitübertragen 
werden, ſo würde das neue Blatt wohl ebenſoviel 
geſonderte Eintragungen aufweiſen wie das alte 
Blatt und ihm an Unüberſichtlichkeit meiſtens 
nicht nachſtehen. 

Im folgenden ſoll unterſucht werden, ob nicht 
doch auch Einträge des alten Blattes, die der 
Hypothek zeitlich nachfolgen, auf dem neuen Blatt 
vereinfacht werden können. (Schluß folgt.) 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Körperliche Mißzhandlung durch Auſteckung mit 
einer Geſchlechtskrankheit? Das geltende deutſche 
Strafgeſetzbuch enthält, wie bekannt, keine Sonder⸗ 
beſtimmung über Beſtrafung der Körperverletzung 
durch Anſteckung mit einer Geſchlechtskrankheit. Auch 
der Vorentwurf eines neuen StGB. für das Deutſche 
Reich (1909) enthält eine ſolche beſondere Straf: 
vorſchrift nicht. Zwar könnte die neue Faſſung des 
ſeitherigen 8 223 a (künftig $ 228), der von der ſog. 
gefährlichen Körperverletzung handelt, geeignet er— 
ſcheinen, eine Beſtrafung der durch geſchlechtliche 
Anſteckung bewirkten Geſundheitsbeſchädigung zu er— 
möglichen Der 8 228 des Entwurfs lautet nämlich: 
„Hat der Täter die Körperverletzung mittelſt gefähr— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


lichen Gebrauchs einer Waffe oder eines Meſſers oder 

fonſt in einer Weiſe begangen, daß dadurch 

| das Leben des Verletzten oder in erheblichem 
Maß ſeine Geſundheit gefährdet werden 

konnte), ſo iſt die Strafe Gefängnis nicht unter 

zwei Monaten, bei mildernden Umſtänden Gefängnis 

bis zu drei Jahren oder Haft oder Geldſtrafe bis zu 
fünftauſend Mark.“ Denn daß die Geſundheit eines 
Menſchen in erheblichem Maß durch geſchlechtliche 
Anſteckung gefährdet werden kann, iſt wohl zweifellos. 

Es könnte dann auch die Strafverfolgung von amts⸗ 

| wegen eintreten, weil ja in den Fällen der gefähr⸗ 

| 

| 

| 

| 


lichen Körperverletzung ein Antrag des Verletzten 

nicht erforderlich iſt ($ 232, Entw. 8 233). 

Wenn unter der Herrſchaft des geltenden StGB. 
eine Strafverfolgung wegen Körperverletzung durch 
geſchlechtliche Anſteckung nur äußerſt ſelten eintrat, 
ſo findet dies in dem Umſtand ſeine Erklärung, daß 
einerſeits der Wortlaut des 8 223 a eine ſolche Ver⸗ 

| folgung nicht geſtattete, andrerſeits von dem Antrags 
recht zur Verfolgung auf Grund des 8 223 ſo gut 
wie gar nicht Gebrauch gemacht wurde. Sehr begreif⸗ 
| licher Weiſe; ein natürliches Schamgefühl hält gerade 
die ſittlich noch nicht verkommenen Perſonen davon 
ab Anzeige zu erſtatten und Zeugnis abzulegen. 
| Andere Geſetzgebungen oder Geſetzentwürfe da⸗ 
| gegen haben dieſen Fall der Körperverletzung (Ge⸗ 
ſundheitsbeſchädigung) durch beſondere Strafbeſtim⸗ 
mung getroffen. Bedenkt man, daß der 8 228 unſeres 
Entwurfs zur Anwendung auf dieſe Art der Körper⸗ 
verletzung doch immerhin noch einer gewiſſen Aus⸗ 
legung bedarf, daß er in dieſer Anwendung eigentlich 
nur eine ſog. lex implicita, nicht, wie das Strafgeſetz 
ſein ſoll, eine lex expressa iſt, jedenfalls wegen des 
Erforderniſſes der Vorſätzlichkeit (8 223 und 8 227 
Entw.) nur dann Anwendung finden könnte, wenn der 
Täter von feinem Krankheitszuſtande beſtimmte Kennt⸗ 
nis hat, ſo verdienen allerdings die Geſetze den Vor⸗ 
zug, die dieſe Straftat beſonders behandeln. So 
lautet z. B. der 8 79 des Vorentwurfs zu einem 
Schweizeriſchen StGB. (1909): „Wer die Geſund⸗ 
heit eines Menſchen wiſſentlich und gewiſſenlos in 
ſchwere unmittelbare Gefahr bringt, — eine geſchlechts⸗ 
kranke Perſon, die jemanden wiſſentlich, namentlich 
durch geſchlechtlichen Verkehr in unmittelbare Gefahr 
bringt, wird mit Gefängnis beſtraft. Die Gefährdung 
des Ehegatten durch geſchlechtlichen Verkehr wird nur 
auf Antrag beſtraft.“ 

Noch wirkſamer aber will der Vorentwurf zu 
einem öſterreichiſchen StGB. (1909) vor einer Ge⸗ 
ſundheitsbeſchädigung durch geſchlechtliche Anſteckung 
ſchützen. Sein 8 304 beſtimmt: 

1. „Der Geſchlechtskranke, der einen mit der Gefahr 
der Anſteckung verbundenen Geſchlechtsverkehr 
ausübt, 

2. wer zu einem mit der Gefahr der Anſteckung ver⸗ 

bundenen Geſchlechtsverkehre mit einem Ge⸗ 

ſchlechtskranken Vorſchub leiſtet, 

die geſchlechtskranke Amme, die ihren Dienſt an- 
tritt und wer zu einem geſchlechtskranken Kinde 
eine Amme nimmt, 

wird mit Gefängnis von vier Wochen bis zu 

drei Jahren beſtraft. — Wer ſeinen Ehegatten 

gefährdet, wird nur auf Privatanklage des Ver— 
letzten verfolgt.“ 


— 


1) Die Sperrung ſtammt vom Einſender. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


Die Materie iſt, wie erſichtlich, im öſterreichiſchen 
Entwurf am vollſtändigſten geregelt: ſeine Be⸗ 
ſtimmungen dürften der Nachahmung wert ſein, jeden⸗ 
falls werden ſie Gegenſtand der Würdigung bei der 
Beratung unſeres Entwurfs ſein müſſen. Dies umſo⸗ 
mehr, als die Verfaſſer des Deutſchen Vorentwurfs 
bei Aufſtellung des 8 228 an dieſen beſonderen Fall 
der Körperverletzung kaum werden gedacht haben; 
außerdem würde ihnen das Erfordernis der Antrag⸗ 
ſtellung im Falle der Gefährdung des Ehegatten wohl 
nicht entgangen ſein. Sollte aber die durch geſchlecht⸗ 
liche Anſteckung bewirkte Körperverletzung nur, wie 
bisher, auch als unter 8 223 (E. 8 227) und 8 230 


(E. 8 232 Abſ. 1) fallend gedacht fein, fo wäre dies 


als ein Mangel anzuſehen, der im Hinblick auf die 
ſozial⸗ethiſche Bedeutung der Straftat und auf ihre 
ſchwerwiegenden Folgen für die Volksgeſundheit ent⸗ 
ſchieden zu beklagen fein würde.“) 


Senatspräſident Oberſtlandesgerichtsrat a. D. 
Kunkel in München. 


Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungsver⸗ 
fahrens? Die Abhandlungen in den Nr. 3 und 4 dieſer 
Zeitſchrift haben hauptſächlich die Art und Weiſe der 
Offenbarungspflicht des Schuldners zum Gegenſtande. 
Ein weiterer Mangel des gegenwärtigen Verfahrens 
dürfte in folgendem liegen. 

Die Vorſchriften der ZPO. über den Offenbarungs⸗ 
eid enthalten keine Beſtimmung, die jedem, der nicht 
am Verfahren beteiligt iſt, aber ein berechtigtes In⸗ 
tereſſe glaubhaft macht, die Einſicht der Akten eines 
Offenbarungseidsverfahrens geſtattet und die Er⸗ 
teilung einfacher oder beglaubigter Abſchriften vor⸗ 
ſchreibt. (Vgl. dagegen 88 34, 78 GG.). Gleichwohl 
ließ man früher faſt allgemein jeden Gläubiger das 
Vermögensverzeichnis einſehen, das der Schuldner in 
dem von einem anderen Gläubiger durchgeführten 
Offenbarungseidsverfahren beſchworen hatte, ebenſo 
wie die Ergänzungen, die er zu Protokoll angegeben, 
wenn nur der Gläubiger etwa durch einen gegen den 
Schuldner erwirkten Vollſtreckungstitel ein berechtigtes 
Intereſſe glaubhaft machen konnte. Ja viele Ge— 
richtsſchreibereien erteilten in dieſem Fall auch an⸗ 
ſtandslos Abſchriften des Offenbarungseidsprotokolls 
und des Vermögensverzeichniſſes. 

Es geſchah das wohl — und an manchen Orten 
kommt man auch jetzt noch den Gläubigern eines 
Maniſeſtanten in dieſer Weiſe entgegen — in der 
Annahme, die Parteien des durchgeführten Offen⸗ 
barungseidsverfahrens, der es beantragende Gläubiger 
und der Schuldner, ſeien ſtillſchweigend damit ein— 
verſtanden, daß auch anderen Einſicht der Akten jenes 
Verfahrens geſtattet werde, die ein berechtigtes In— 
tereſſe daran haben, insbeſondere anderen Gläubigern. 
Allein einen Anſpruch auf Akteneinſicht haben die 
Gläubiger nach geltendem Rechte leider nicht. 

Denn $ 299 Abſ. 2 ZPO. verweiſt einen Dritten, 
der Gerichtsakten einſehen will, darauf, die Erlaubnis 
des Gerichtsvorſtandes einzuholen, der ſie erteilen 


1) Die vorstehende Skizze war nahezu vollendet, 
als ein das gleiche Thema behandelnder Vortrag in 
der Juriſtiſchen Geſellſchaft angekündigt wurde. Ob 
und inwieweit mit den Ausführungen des Vortragenden 
die obigen ſich decken, iſt dem Einſender unbekannt. 


kann, wenn die Parteien eingewilligt haben oder 
wenn ein rechtliches Intereſſe glaubhaft gemacht wird. 
Dieſe Vorſchrift iſt zwar nicht unter den allgemeinen 
(erite8 Buch) der ZPO. enthalten, wird aber wohl 
bei dem Mangel einer beſonderen Vorſchrift für die 
Zwangsvollſtreckung und deren vierten Abſchnitt (Offen⸗ 
barungseid und Haft) für dieſen analog gelten (die 
88 760 und 875 gewähren auch nur den Beteiligten 
Rechte). 

Es bleibt ſohin, wenn genau nach dem Geſetze 
verfahren wird, dem Gläubiger nichts anderes übrig, 
als den Gerichtsvorſtand um Bewilligung der Akten⸗ 
einſicht zu erſuchen, wobei dann für deſſen Entſcheidung 
eine Mindeſtgebühr von 2 M erwächſt, da fie ein 
gebührenpflichtiger Akt der Juſtizverwaltung iſt 
(Art. 201 ff. GebG.) ). Muß der Gläubiger aber erſt 
einen beſonderen Antrag ſtellen, der erſt verbeſchieden 
werden muß, ſo wird oft koſtbare Zeit verloren und 
dem Schuldner Gelegenheit gegeben noch Gegenſtände 
zu veräußern, die er bei der Eidesleiſtung angegeben 
hat und die bei raſchem Zugriffe noch mit Beſchlag 
belegt werden konnten. 

Anderſeits aber wird der Gläubiger oft die Koſten 
für den Antrag auf Geſtattung der Akteneinſicht und 
deren Zulaſſung umſonſt aufwenden müſſen, da der 
Schuldner nichts Pfändbares angegeben hat: er hat 


dann außer den übrigen Koſten der Rechtsverfolgung 


und Vollſtreckung auch noch dieſe Koſten zu tragen. 
Das iſt beſonders dann für ihn ärgerlich, wenn 
zwiſchen feinem Antrag auf Abnahme des Offen⸗ 


barungseides und dem hierzu beſtimmten Termine der 


Schuldner auf den Antrag eines anderen Gläubigers 
den Eid leiſtet: er iſt dann mit den Koſten des Ver: 
fahrens belaſtet, das nicht mehr durchgeführt werden 
kann, kann aber ohne weitere Koſten ſich nicht ein⸗ 
mal über das Ergebnis des von ſeinem glücklichen 
Konkurrenten durchgeführten Verfahrens unterrichten. 

Zudem iſt der Gerichtsvorſtand nicht verpflichtet 
(„kann“), die Einſicht zu geſtatten, wenn in der Regel 
wohl auch kein Grund vorliegen wird, ſie zu ver⸗ 
weigern, und vor allem kann auch der Amtsvorſtand 
keine Erlaubnis zur Erteilung von Abſchriften geben, 
da dies in $ 299 Abſ. 2 ZPO. wie es ſcheint mit 
Abſicht, überhaupt nicht vorgeſehen iſt. 

Es dürfte ſich deshalb empfehlen, eine etwa dem 
§ 34 Gy. nachgebildete Sonderbeſtimmung für das 
Offenbarungseidsverfahren, vielleicht als 8 915 a, ein⸗ 
zufügen, um es jedem Gläubiger zu ermöglichen, die 
Oſfenbarungsakten einzuſehen und ſich Abſchriften des 
u. und Vermögensverzeichniſſes erteilen zu 
laſſen. 

Dieſe Erweiterung des in 8 299 Abi. 2 3PO. 
nur beſchränkt vorgeſehenen Rechtes der Akteneinſicht 
rechtfertigt ſich eben dadurch, daß die Offenbarungs⸗ 
eidsakten nicht, wie ſonſtige Prozeß- und Vollſtreckungs⸗ 
akten, im allgemeinen nur Angelegenheiten zum Gegen— 
ſtand haben, die Dritte nur unter beſonderen Um: 
ſtänden etwas angehen, ſondern für jeden Gläubiger 
von erheblichem Intereſſe ſind — er iſt eben dabei 
„beteiligt“ im weiteren Sinne. Sie iſt aber auch 
deshalb geboten, weil ein anderer Gläubiger doch nicht 
mehr berechtigt iſt, mangels beſonderer Vorausſetzung 
(8 914 3] O.) vor Ablauf langer 5 Jahre vom 
Schuldner eine neue Eidesleiſtung zu verlangen. 


) Vgl. Pfaff-Reiſenegger-Schmidt a. a. O. Anm. 7 
zu Art. 201. 


Bis eine Novelle kommt, könnte aber vielleicht 
dadurch Abhilfe geſchaffen werden, daß die Amtsgerichts⸗ 
vorſtände unter Hintanſetzung fiskaliſcher Rückſichten 
ermächtigt werden eine allgemeine Entſcheidung dahin 
zu treffen, daß in allen Fällen, in welchen der Ge⸗ 
richtsſchreiberei ein rechtliches Intereſſe glaubhaft 
gemacht wird, die Einſicht der Offenbarungseidsakten 
zu geſtatten ſei, und die Gerichtsſchreibereien auf 
Antrag auswärtiger Gläubiger dann die Akten an 
deren Wohnſitzgericht (Gerichtsſchreiberei) zur Ein⸗ 
ſichtnahme überſenden dürfen. Die Entſcheidung auch 
der Frage dem Gerichtsvorſtande vorzubehalten, ob 
im einzelnen Fall hinreichende Glaubhaftmachung 
erfolgt iſt, dürfte nicht veranlaßt ſein, da 8 299 
Abſ. 2 doch nur analog anzuwenden iſt. 

Rechtsanwalt Dr. Neubürger in Fürth. 


Zur Anwendung des 8 610 BEB. anf Abreden über 
die Prolongatien eines Darlehens. Unter dieſer Ueber⸗ 
ſchrift ſtellt Landgerichtsrat Dr. Marcus in Berlin 
in der DIZ. (1910 S. 820 /1) die Behauptung auf, 
daß 8 610 BGB. auch auf Abreden über die Prolon⸗ 
gation von Darlehen Anwendung finde. Dieſem Er⸗ 
gebnis iſt beizuſtimmen. Die Begründung jedoch dürfte 
nicht ganz einwandfrei ſein. 

Marcus kommt zu ſeiner Anſicht auf dem Wege 
einer — wenn auch nicht als ſolcher bezeichneten — 
analogen Anwendung des 8 610, ohne daß er jedoch 
die Anſicht der herrſchenden Meinung zu verlaſſen 
wagt, daß 8 610 BGB. eine Sondervorſchrift ſei. 
Wenn er verſucht, dieſer Sondervorſchrift mit Hilfe 
des 8 157 BGB. den Charakter eines allgemeinen 
Grundſatzes zu geben, ſo iſt dem entgegen zu halten, 
daß es auf dieſe Weiſe möglich wäre, jeder Sonder⸗ 
vorſchrift, die auf dem Grundſatz von Treu und Glauben 
beruht — und das werden wohl ſehr viele ſein — 
mit Hilfe des 8 157 die Eigenſchaft eines allgemeinen 
Satzes beizulegen nnd ſie fo der analogen Anwendung 
zugänglich zu machen: ein Ergebnis, das mit dem ſeit 
alters aufgeſtellten Satz, Sonderrecht eigne ſich nicht 
zur Verwertung mittels Analogie (Dernburg Bd. 1 
S 19 III), in Widerſpruch ſtünde. Wenn man den 
§ 610 analog anwenden will, ohne ſich den Vorwurf 
der Inkonſequenz zuzuziehen, wird man annehmen 
müſſen, daß die clausula rebus sic stantibus als all- 
gemeiner Grundſatz im BGB., wenn auch nicht aus⸗ 
drücklich ausgeſprochen, ſo doch tatſächlich anerkannt 
worden tft (vgl. Staudinger 5./6. Aufl. Bd. 2 S. 205, 
242 und meine dort zitierte Schrift). 

Einfacher und m. E. auch richtiger iſt folgende 
Löſung, die eine Stellungnahme zu der eben beſprochenen 
Theorie überflüſſig macht: Wer verſpricht, daß er am 
1. Januar 1911 ein Darlehen von M 1000.—, rückzahl⸗ 
bar am 31. Mai 1911, gewähren wolle, und ſpäter ver⸗ 
ſpricht, daß er von dieſem Tage an das Darlehen 
bis zum 31. Oktober 1911 prolongieren wolle, der 
verſpricht, daß er 1. vom 1. Januar 1911 bis 31. Mai 
1911 ein Darlehen von M 1000.— und 2. vom 1. Juni 
1911 bis 31. Oktober 1911 gleichfalls ein Darlehen 
und zwar dasſelbe Darlehen geben wolle. In beiden 
Fällen verſpricht er alſo die Hingabe eines Darlehens. 
Daß die Hingabe i. S. des 8 810 BGB. eine körper⸗ 
liche in Geſtalt einer Uebergabe ſein müſſe, wird wohl 
nicht verlangt werden dürfen. obwohl dieſem Erforder- 
nis auch durch eine brevi manu traditio Genüge ges 


we Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 1 


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leiſtet wäre (vgl. 8 607 Abſ. 2 BGB.). Hingabe be⸗ 
deutet vielmehr nur die Ueberlaſſung des Dar⸗ 
lehens. Der Umſtand aber, daß in dem einen Fall 
das Darlehen zum erſten Male, in dem anderen Fall 
das gleiche Darlehen zum zweiten Male zu über⸗ 
laſſen, alſo hinzugeben verſprochen wird, kann keines⸗ 
falls eine unterſchiedliche Behandlung der beiden Dar⸗ 
lehensverſprechen rechtfertigen. 

Man wird alſo auch in der Abrede über die ſog. 
Prolongation eines Darlehens nichts anderes, als ein 
zweites Darlehensverſprechen zu ſehen haben, auf das 
$ 610 unmittelbar Anwendung findet. 


Gepr. Rechtspraktikant Dr. Stahl in Neuſtadt a. / A. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
J. 


Wenn bei einem Grundſtückskaufe der Makler ohne 
Wiſſen des Berkänfers dem Käufer aus feiner „Cour⸗ 
tage“ eine Vergütung zahlt um ihn zum Kaufe zu 
bewegen, jo kaun nicht deswegen angenommen werden, 
der Kanſpreis ſei in Wahrheit um den Betrag dieſer 
Vergütung geringer, als er im Vertrage Iefige etzt iſt. 
Weder für den Berlänfer noch für den Makler befteht 
eine Verpflichtung einem Vorkaufsberechtigten von dem 
Vorgange Kenntnis zu geben. Im Juni 1906 wurde 
das Haus N. 82 in H. von den Eigentümern M. und 
S. an R. und W. verkauft. Der Kaufpreis wurde im 
notariell beurkundeten Vertrag auf 600 000 M ange: 
geben. Im Anweſen hatte die Klägerin verſchiedene 
Räume gemietet, und, da ſie Eigentümerin des be— 
nachbarten Grundſtücks war, hatte ſie ſich ein Vor⸗ 
kaufsrecht bezüglich des Grundſtücks N. 82 einräumen 
laſſen. Auf Mitteilung des Verkaufs erklärte die 
Klägerin vom Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen, und 
iſt Eigentümerin des Grundſtücks geworden. Den 
Kaufvertrag mit R. und W. hatte der Beklagte ver⸗ 
mittelt und dafür von den Verkäufern eine Courtage 
in der ungewöhnlichen Höhe von 13000 M zugeſagt 
erhalten. Um das Geſchäft zuſtande zu bringen be— 
willigte er aus eigenen Mitteln R. und W. eine Ver⸗ 
gütung von 7000 M, ohne von dieſem Sonderab— 
kommen der Klägerin oder den Verkäufern Mitteilung 
zu machen. Als die Klägerin davon erfuhr, klagte 
fie gegen den Beklagten auf Zahlung von 7000 M: 
er habe durch ſein Eingreifen eine Lage geſchaffen, 
wonach die Klägerin habe annehmen müſſen, der von. 
R. und W. bewilligte Kaufpreis betrage 600 000 M, 
während er in Wahrheit nur 593 000 M betragen 
habe. Das Verhalten des Beklagten verſtoße ebenſo— 
wohl gegen ſein Vertragsverhältnis zur Klägerin — 
auch als deren Makler ſei er bei dem Geſchäfte tätig 
geweſen — wie gegen die guten Sitten (8 826 BGB.). 
Der Schaden der Klägerin beſtehe in den 7000 M, um 
die der ihr feſtgeſetzte Kaufpreis den von R. und W. 
bewilligten Kaufpreis überſteige. Das RG. führte zu 
der Frage, ob der Beklagte gegen die guten Sitten 
verſtoßen habe, folgendes aus: 

„Die Annahme der Vorinſtanzen, der Beklagte habe 
durch ſein Verhalten gegen die guten Sitten verſtoßen, iſt 
nicht begründet. Die Verkäufer hatten gemäß 8 510 BGB. 
der Klägerin als dem Vorkaufsberechtigten den Inhalt 
des mit R. und WM. geſchloſſenen Kaufs unverzüglich mit— 
zuteilen. Keiner Ausführung bedarf, daß dieſe Mitteilung 


200 


— — —ꝑ——ũä — er —ͤ ͤ— —— — —— —— — 


wahr ſein mußte; würden Verkäufer und Käufer nur zum 
Schein einen Vertrag ſchließen oder einen fingiert hohen 
Kauſpreis angeben, um den Vorkaufsberechtigten zu 
deſſen Bewilligung zu beſtimmen, fo läge ein unzweiſel— 
haft rechts⸗ und ſittenwidriges, unter Umſtänden ſtraf⸗ 
bares Verhalten vor auf Seiten jedes, auch des Maklers, 
der ſich an einer ſolchen auf Täuſchung gerichteten 
Machenſchaft beteiligte. Da indeſſen die Vorinſtanzen 
feſtgeſtellt haben, daß die Verkäufer von der R. und 
W. gewährten Vergütung (7000 /) nichts gewußt 
haben, kommt ein Verſtoß der Verkäufer gegen ihre 
Offenbarungspflicht aus 8 510 BGB. nicht in Frage. 
Nur aus der Perſon des Beklagten iſt zu beurteilen, 
ob ihm ein Verſtoß gegen die guten Sitten zur Laſt fällt. 

Die Vorinſtanzen haben feſtgeſtellt, daß R. und 
W. die Vergütung von 7000 M nicht nur für den 
5 der Ausübung des Vorkaufsrechts, ſondern ſchlecht— 

in auch für den Fall zugeſagt erhalten haben, daß 

ſie Käufer bleiben. Die Vorinſtanzen folgern hieraus, 
daß „der wahre Kaufpreis“ nicht 600 000 M, ſondern 
nur 593000 M ſei. Der Verſtoß gegen die guten 
Sitten wird — dies zutreffend — nicht in der Zuſage 
oder Gewährung der 7000 , ſondern im Ver⸗ 
ſchweigen dieſer Tatſachen gefunden, weil infolgedeſſen 
der Vorkaufsberechtigte nicht erfahren habe, daß der 
Kaufpreis, zu dem er das Haus zu erwerben berechtigt 
geweſen wäre, um 7000 M niederer ſei, als der ihm 
mitgeteilte notarielle Kaufvertrag angebe. 

Daß der Beklagte von ſeinem Abkommen mit R. 
und W. dem Borfaujsberedtigten unmittelbar hätte 
Mitteilung machen ſollen, nehmen auch die Vorinſtanzen 
nicht an. Das ergibt ſich als zutreffend ſchon daraus, 
daß der Beklagte, wie ohne Rechtsirrtum angenommen 
wird, nicht als Makler der Klägerin, ſondern nur als 
ſolcher der Verkäufer und der Käufer R. und W. tätig 
geweſen iſt, mithin jener als einem Dritten gegenüber 
zu Mitteilungen über Einzelheiten der erzielten Ber: 
tragseinigung, wenn überhaupt berechtigt, ſo doch 
jedenfalls weder rechtlich noch ſittlich verpflichtet war. 


Dagegen hat ſchon das Landgericht unter ſtillſchwei⸗ 


gender Billigung des Berufungsgerichts die Auffaſſung 
ausgeſprochen, der Beklagte hätte auf Grund ſeines 
Vertrags- und Vertrauensverhältniſſes zu den Ver— 
käufern als ſeinen Auftraggebern dieſen von ſeinem 
Sonderabkommen mit R. und W. Mitteilung machen 
ſollen, damit die Verkäufer ihrerſeits der ihnen ob— 
liegenden Verpflichtung hätten nachkommen können 
den Vorkaufsberechtigten „den wahren Kaufpreis“ zu 
offenbaren. Eine ſolche Verpflichtung der Verkäufer 
beſtand indeſſen nicht. Der gegenteiligen Annahme 
der Vorinſtanzen liegt eine Vorausſetzung zugrunde, 
die das Berufungsgericht dahin ausdrückt: 

Der Beklagte habe durch ſein Verfahren ein Kauf— 
gefhäft mit einem wahren Kaufpreis von nur 
593 000 zur Entſtehung gebracht. Denn wenn 
auch „nach außen“ — und wie die Verkäufer be⸗ 
ſchworen haben, ohne deren Wiſſen — der Preis im 
Vertrag auf 600 000 & feſtgeſetzt geweſen ſei, fo ſei 
doch „mittelbar aus dem Vermögen der Ver⸗ 
käufer eine geheime Rückvergütung gewährt und 
ſo den Erſtkäufern ermöglicht worden für das Grund— 
ſtück höchſtens 593000 M auſwenden zu müſſen.“ 
Der Vorkaufsberechtigte aber habe Anſpruch darauf, 
daß nur die wahren durch den erſten Vertrag ge— 
ſchaffenen Rechtsbeziehungen die Grundlage ſeines Ein— 
tritts bildeten. Habe der Beklagte bewirkt, daß die 
Klägerin zu einem höheren Preis einſpringen mußte, 
als der von den Erſtkäufern gegebenen Falles zu 
zahlende geweſen wäre, ſo habe er das Vorkaufsrecht 
der Klägerin verletzt und ihr „möglicherweiſe“ Schaden 
verurſacht. Dieſe Ausführungen ſind rechtsirrig. 

Wären den Erſtkäufern R. und WR. etwa von einem 
Dritten geſchenkte Gelder zugefloſſen, womit fie den An— 
kauf bewirkten, fo hätten die Vorkaufsberechtigten daraus 
zweifellos für ſich nichts herleiten können. Ebenſowenig 


dann, wenn der Makler die 7000 M ſchlechthin aus 
ſeinem Vermögen, etwa überhaupt ohne Courtage zu 
beziehen, aufgewandt hätte. Das Weſentliche iſt nach 
der Betrachtungsweiſe der Vorinſtanzen darin gelegen, 
daß die 7000 1 Vergütung „ihrer weiteren Pro— 
venienz nach“ aus den Mitteln des Verkäufers 
ſtammten. Für dieſe aber waren die vollen 13 000 M 
nur Courtage, die ſie dem Makler zahlen mußten; daß 
ihre Höhe beſonders vereinbart ſei, hob 8 10 des 
Vertrags durch die Worte „laut Abrede“ hervor. In 
welcher Weiſe der Makler den erhaltenen Betrag ver: 
wendete, konnte den Verkäufern an ſich gleichgültig 
fein; insbeſondere ergab ſich daraus für ſie keines- 
wegs die Auffaſſung, daß „der wahre Kaufpreis“ mit 
Rückſicht auf die vom Makler den Erſtkäufern ge— 
ſpendeten 7000 M nicht mehr 600 000 M, ſondern 
nur noch 593000 M betrage. Die Annahme des Be- 
rufungsgerichts, nur „nach außen“ ſei der Kaufpreis 
auf 600000 M feftgefeßt worden, entbehrt einer zu⸗ 
reichenden Unterlage und die Betrachtungsweiſe, die 
Vergütung von 7000 M hätten R. und W. „mittel: 
bar“ aus dem Vermögen der Verkäufer erhalten, 
verwechſelt den wirtſchaſtlichen Zuſammenhang der 
Dinge ohne Grund mit dem rechtlichen. Nach dem 
Willen der Vertragſchließenden war und blieb der 
Kaufpreis in dem auch nach der Annahme der Vor⸗ 
inſtanzen ernſtlich gemeinten Erſtkaufvertrag 600 000 M, 
und unrichtig iſt die Vorausſetzung der Vorinſtanzen, 
daß, wenn die Verkäufer um die Zuſage oder Ge⸗ 
währung der Vergütung von 7000 M durch den Be⸗ 
klagten an R. und W. gewußt hätten, die Vorkaufs⸗ 
berechtigten hätten verlangen können zu 593000 M 
zu erwerben. Sie träfe nur dann zu, wenn feſtgeſtellt 
wäre, die Courtage ſei (13 000 M) in der Tat von den 
Verkäufern dem Makler nur mit dem Willen gegeben 
worden, daß davon 7000 M den Erfifäufern zufließen, 
— wenn der Makler alſo inſoweit von den Verkäufern 
nur vorgeſchoben wäre. Dies aber wäre bloß aus 
einer Kenntnis der Verkäufer vom Vorhaben des 
Maklers, den Erſtkäufern die Vergütung zu gewähren, 
nicht zu ſolgern geweſen.“ (Urt. des VI. ZS. vom 
12. Januar 1911, VI 599/09). 


2216 


S 


II. 


Verpfändung einer Grundſchuld für künftige 555 
derungen. Erſordernis der „Beſtimmbarkeit“ der For⸗ 
derung. Aus den Gründen: Die Annahme des 
OLG., daß die Verpfändungserklärung vom 20. Sep> 
tember 1907 nicht ſchon deshalb zur Beſtellung eines 
gültigen Pfandrechts an der Grundſchuld ungeeignet 
war, weil dieſe erſt am 24. September 1907 eingetragen 
worden iſt, wenn auch ſelbſtverſtändlich das Pfand— 
recht nicht vor der Eintragung der Grundſchuld und 
vor der Uebergabe des Grundſchuldbriefes wirkſam 
wurde, iſt von der Reviſion nicht bemängelt worden 
und von Amts wegen nicht zu beanſtanden (vgl. 588 1154. 
1192, 1274, 1279 ff. 1291 BGB.). Die Reviſion ſucht 
unter Berufung auf die Gründe des Urteils erſter 
Inſſanz nur auszuführen, daß die zu ſichernden For— 
derungen in der Verpfändungserklärung nicht mit hin— 
reichender Beſtimmtheit bezeichnet worden ſeien. Dem 
kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Allerdings 
ſetzt das Pfandrecht an einer beweglichen Sache oder 
an einem Recht, insbeſondere an einer Grundſchuld 
(vgl. SS 1204, 1273, 1279, 1291 a. a. O.), begrifflich 
eine Forderung voraus, und wenn dieſe auch eine 
künftige, d. h. eine ſolche ſein kann, deren Entſtehung 
nur für die Zukunft in Ausſicht genommen iſt, ſo liegt 
es doch in der Natur der Sache, daß die zu ſichernde 
Forderung irgendwie beſtimmbar fein muß. In § 1145 
Abſ. 2 des J. Entwurfes, aus dem § 1204 Abſ. 2 BGR. 
hervorgegangen iſt, war neben der bedingten und 
künftigen Forderung auch die unbeſtimmte“ aufgeführt. 
Damit war indes nach den Motiven (Bd. 3 S. 798) 


Zeitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


201 


nur eine ihrem Gegenſtande nach unbeſtimmte For⸗ 
derung gemeint, während es als ſelbſtverſtändlich an⸗ 
geſehen wurde, daß die zu ſichernde Forderung in dem 
dinglichen Vertrage auf eine ſolche Weiſe beſtimmt 
werden müſſe, die ſchließlich auf eine beſtimmte For⸗ 
derung hinleite (vgl. Biermann, zu $ 1204 BGB. 
Anm. 3, 2. Aufl. S. 432; Planck, zu 8 1204 Anm. 2 b a, 
3. Aufl. S. 749; Windſcheid⸗Kipp Bd. 1 8 225 unter 
I. 1, 9. Aufl. S. 1134). Allein dem Erforderniſſe der 
Beſtimmbarkeit iſt, wie das OLG. zutreffend ausführt, 
dadurch Genüge geſchehen, daß die Grundſchuld für 
alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen des 
Beklagten gegen G. verpfändet worden iſt. Damit iſt 
das Pfandrecht für jede einzelne dem Beklagten gegen 
G. zuſtehende oder erwachſende Forderung gültig be— 


ſtellt worden, ſoweit ſie überhaupt Gegenſtand einer 


Pfandſicherung ſein kann. Eine Beſchränkung der 
Pfandſicherung auf eine oder mehrere beſtimmte For— 
derungen haben die Beteiligten nicht gewollt, auch 
wenn ſie davon ausgegangen ſein ſollten, daß es ſich 
vorausſichtlich nur um den Erſatz gewiſſer Koſten und 
Auslagen handeln werde. Die nähere Bezeichnung 
der zu ſichernden Forderungen nach Schuldgrund oder 
Rechtsverhältnis fiel damit von ſelbſt weg, denn eine 
Beſtimmung, wie fie in $ 1115 BGB. für die Hypo⸗ 
thek getroffen worden iſt, beſteht für das Fahrnis⸗ 
pfand nicht, und zu einer un Anwendung 
fehlt jeder Anlaß. (Urt. des V. 35. vom 20. Februar 
1911, V 272/10). — — —ı 


2209 
III. 


Zu 88 823, 831 86. Unterfchied zwiſchen Lei: 
tung und Anfficht beim Forſtwirtſchaſtsbetrieb. Ober: 
aufficht über die Forſtbeamten. Aus den Gründen: 
Rechtsirrig iſt es, wenn das angefochtene Urteil eine 
perſönliche Haftung des Beklagten als des Grundbe— 
ſitzers aus 8 823 BGB. verneint, weil die Haftung 
dafür, daß in den Waldungen über die Holzfällerei 
eine angemeſſene Aufſicht neben und außer der durch 
dem Akkordanten übertragenen ausgeübt werde, nur 
auf 8 831 BGB. geſtützt werden könnte, alſo durch 
den Nachweis beſeitigt würde, daß der Beklagte in 
der Auswahl der zur Aufſicht im Forſtbetrieb beſtellten 
Perſonen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beob— 
achtet habe. Durch die Beſtellung angemeſſen vorge— 
bildeter und einwandsfrei bewährter Beamter hierfür 
kann ſich der Beklagte nicht der zivilrechtlichen Ber: 
antwortung dafür entſchlagen, daß innerhalb ſeines 
forſtwirtſchaftlichen Betriebs insbeſondere beim Fällen 
und Aufbereiten des Holzes mit der Vorſicht verfahren 
werde, die im Intereſſe des benachbarten öffentlichen 
Verkehrs geboten iſt. 
Reichsgerichts ſchon häufig betont iſt, muß derjenige, 
der ſolche Arbeiten ausführen läßt, die den Verkehr 
beeinfluſſen können, Sorge dafür tragen, daß nicht 
daraus für den allgemeinen Verkehr Gefahren er— 
wachſen. Daß der Beklagte nicht im Sinne des § 831 
die Holzfällerei zu leiten hat, 
nommen: von einer ſolchen Leitung iſt aber zu unter— 
ſcheiden die allgemeine Aufſichtspflicht, die 
jedem Geſchäftsherrn über ſeine Angeſtellten und ihre 
Dienſtvorrichtungen obliegt, die außerhalb und neben 
der Leitungspflicht des 8 831 befteht und nicht nach 
dieſer Beſtimmung, ſondern nach 8 823 BGB. zu be— 
urteilen iſt. Deren Maß und Art richtet ſich nach den 
Umſtänden; je nach dieſen begreift ſie auch eine Pflicht 
zur Unterweiſung für die vorzunehmende Tätigkeit und 
eine allgemeine, fortlaufende Ueberwachungstätigkeit. 
Selbſtverſtändlich braucht der Beklagte dieſe allge— 
meine Aufſichtspflicht nicht notwendig und ausſchließ— 
lich in Perſon zu erfüllen. Indeſſen kann von ihm 


Wie in der Rechtſprechung des 


iſt zutreffend ange⸗ 


— -— 


U 


nungen zur Sicherung des Verkehrs vor den bei der 
Holzfällerei entſtehenden Gefahren getroffen werden 
und ihre Verwirklichung angemeſſen gewährleiſtet iſt. 
An Feſtſtellungen in dieſer Hinſicht fehlt es im ange⸗ 
fochtenen Urteil. Daß der Beklagte dieſe hier erörterte 
Aufſichtspflicht verletzt habe, hat an ſich der Beſchä⸗ 
digte zu beweiſen. Nun iſt aber im Urteil feſtgeſtellt, 
daß das vom Berufungsgericht für kauſal erachtete 
ordnungswidrige Kreuz- und Querfällen in den Wal⸗ 
dungen ſtets geduldet, eine dem entgegentretende Wei⸗ 
ſung niemals erteilt worden iſt. Damit iſt ein ord⸗ 
nungswidriger Zuſtand von längerer Dauer dargetan, 
der zunächſt nur in der Verſäumung der allgemeinen 
Aufſicht feine Erklärung findet und bei gehöriger Ueber⸗ 
wachung der Wahrnehmung des Aufſichtspflichtigen 
nicht hätte entgehen können. Darnach wäre es Sache 
des Beklagten darzutun, daß die Verletzung ohne ſein 
Verſchulden erfolgte und er ſeiner Aufſichtspflicht ge⸗ 
nügt habe. Deſſen wurde der Beklagte endlich auch 
nicht etwa dadurch überhoben, daß er die Arbeit des 
Holzfällens einem fachkundigen Unternehmer übertrug. 
Sind wie hier mit den übertragenen Arbeiten befons 
dere Verkehrsgefahren verbunden, ſo erwächſt daraus 
für den Beklagten die Verpflichtung, für die gefahr⸗ 
loſe Durchführung der übertragenen Arbeit Sorge zu 
tragen und dem eine beſondere Aufmerkſamkeit zuzu⸗ 
wenden. (Urt. des VI. 35. vom 4. Februar 1911, 
VI 392/10). — — gn. 
2184 


Wirkung der — einer Grundſchuld während 
des Nechtsſtreits auf das 203 2 des urſprün Hie 18 
Grundſchuldgläubigers (58 265, 325 ZPO.) 
im Koſtenpunkte zu enticheiden, e die Genubfhne 
erſt abgetreten wird, während der Nechtsſtreit ſchon in 
der Bernfungsinftanz anhängig it? Aus den 
Gründen: Irrtümlich iſt die Anſicht des Berufungs⸗ 
richters, daß Abtretung der Grundſchuld an einen 
Dritten während des Laufes des Rechtsſtreits nach 
§ 265 ZPO. auf die Berechtigung des Klägers zur 
Geltendmachung der Grundſchuld keinen Einfluß ge- 
habt habe. Dahingeſtellt kann bleiben, ob die Meinung 
des Berufungsrichters zutreffend iſt, daß es einer 
Aenderung des Antrages nicht bedürfe, weil im Klag— 
antrage nicht ausgedrückt ſei, für wen die Grundſchuld 
eingetragen ſei, ſondern nur Duldung der Zwangs— 
vollſtreckung wegen der „eingetragenen“ Grundſchuld 
ſchlechthin begehrt werde, daß alſo in der Urteilsformel 
nicht an Stelle des Klägers der Zeſfionar als derjenige 
bezeichnet zu werden brauche, an den der Grundſchuld— 
betrag zu zahlen ſei (vgl. RG Z. 56, 308; GruchBeitr. 
Bd. 49 S. 904, 1061; Jur W. 1905 S. 27 Nr. 36, 1906 
S. 810 Nr. 5, 1907 S. 337 Nr. 17, 1908 S. 303 Nr. 11). 
Der Berufungsrichter überſieht aber die Vorſchrift des 
§ 265 Abſ. 3 ZPO., wonach dem Kläger der Einwand 
entgegengeſetzt werden kann, daß er zur Geltendmachung 
des Anſpruchs nicht mehr befugt ſei, wenn er ver: 
äußert oder abgetreten hat und das Urteil nach § 325 
gegen den Rechtsnachfolger nicht wirkſam ſein würde. 
Dieſer Abſ. 3 ſtellt eine Ausnahme von Abſ. 2 Satz 1 
auf, nach dem die Veräußerung oder Abtretung auf 
den Prozeß keinen Einfluß haben ſoll, und zwar dahin, 
daß der Kläger überhaupt den Prozeß nicht weiter 
durchführen kann, ſondern mit ſeiner Klage abgewieſen 
werden muß, wenn ſich der Beklagte auf die Vorſchrift 
beruft (RGZ. 49, 366; 56, 309). Der Grund dafür 


liegt darin, daß der Beklagte nicht genötigt ſein ſoll, 


die Beſtellung eines zur Anweiſung und Ueberwachung 
der Forſtwirtſchaftsbeamten geeigneten Oberbeamien | 


und weiter verlangt werden, daß die nötigen Anord— 


ſich weiter mit einem Kläger einzulaſſen, deſſen Ab— 
weiſung ihn doch gegen eine neue Inanſpruchnahme 
durch den Zeſſionar nicht ſchützen würde (RG. a. a. O.). 
Nach § 325 Abſ. 1, 2 ZPO. wirkt aber das Urteil 
gegenüber demjenigen, der nach dem Eintritte der 
Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger des Klägers ge— 
worden iſt, dann nicht, wenn der Rechtsnachfolger 


202 


für feinen Rechtserwerb die Vorſchriften des bürger⸗ 
lichen Rechts zugunſten derjenigen zur Seite ſtehen, 
welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten. 
Zu dieſen Vorſchriſten gehört die des 8 892 BGB., 
wonach zugunſten des gutgläubigen rechtsgeſchaftlichen 
Erwerbers eines Rechtes an einem Grundſtück oder 
eines Rechtes an einem ſolchen Rechte der Inhalt des 
Grundbuchs als richtig gilt, alfo ein ſolcher Erwerber 
gegen einen aus dem Grundbuche nicht erſichtlichen 
Mangel im Rechte feines Rechts vorgängers geſchützt 
wird. Auf dieſe Vorſchrift kann ſich auch der Dritte 
berufen, an den der Kläger unſtreitig die eingeklagte 
Grundſchuld im Laufe des Rechtsſtreits abgetreten 
hat. Daher iſt nach § 265 Abſ. 3 ZPO. der Einwand 
des Beklagten gerechtfertigt, daß der Kläger zur Geltend⸗ 
machung des Anſpruches aus der Grundſchuld nicht 
mehr befugt ſei. Ob der Dritte nach den den tatſäch⸗ 
lichen Verhältniſſen, unter denen die Abtretung der 
Grundſchuld erfolgt iſt, ſich mit Erfolg auf ſeinen 
guten Glauben berufen könnte, darauf kommt es für 
die Anwendung des § 265 Abſ. 3 nicht an. Nach dem 
Sinne dieſer Beſtimmung genügt es zur Begründung 
des Einwandes der nunmehr mangelnden Aftivlegiti- 
mation des Klägers, daß nach der Art der veräußerten 
in Streit befangenen Sache oder des abgetretenen 
Klaganſpruches die Möglichkeit gegeben iſt, daß der 
Erwerber zufolge ſeiner Gutgläubigkeit ſelbſtändige, 
von einem etwaigen Mangel im Rechte des Rechts⸗ 
vorgängers unabhängige Rechte an dem Streitgegen⸗ 
ſtand erlangt hat (vgl. RG. 49, 366). Auf welche 
Weiſe die Grundſchuld an den Dritten abgetreten iſt, 
geht aus dem Tatbeſtande des Berufungsurteils nicht 
hervor. Anſcheinend iſt die Grundſchuld nicht nur 
gemäß SS 1154 Abſ. 1, 1192 BG. durch Erteilung 
der Abtretungserklärung in ſchriftlicher Form und 
Uebergabe des Grundſchuldbriefes an den Dritten 
übertragen worden, ſondern auch für dieſen im Grund— 
buch umgeſchrieben, da der Berufungsrichter anzu— 
nehmen ſcheint, daß der Zeſſionar im Grundbuch als 
Gläubiger eingetragen ſei. Jedoch bedarf es der Nach— 
holung einer Feſtſtellung nach dieſer Richtung nicht, 
da die Parteien darüber einig ſind, daß die Grund— 
ſchuld wirkſam an einen Dritten abgetreten iſt. Dem⸗ 
nach hätte der Berufungsrichter auf den vom Beklagten 
in der Berufungsinſtanz erhobenen Einwand der 
mangelnden Aktivlegitimation des Klägers die Klage 
abweiſen müſſen (RG. 49, 365; 56, 309). 
Gemäß $ 91 3 PO. waren dem Kläger die ge⸗ 
„ Koſten des Rechtsſtreites aufzuerlegen. Aller: 
ings iſt anzunehmen, daß die Abtretung der Grund— 
ſchuld erſt im Laufe der Berufungsinſtanz erfolgt iſt, 
da das Urteil des LG. am 7. Oktober 1909 erlaſſen 
und die Grundſchuld nach den Parteianfuhrungen im 
Februar 1910 abgetreten worden iſt. Trotzdem hat 
der Kläger auch die Koſten der erſten Inſtanz zu tragen, 
wiewohl der erſte Richter den Beklagten nach der 
Sachlage in erſter Inſtanz mit Recht verurteilt hat. 
Denn der Kläger, der durch die Abtretung der Grund— 
ſchuld die Abweiſung ſeiner Klage ſelbſt veranlaßt 
hat, iſt die allein unterliegende Partei und dieſe hat 
nach § 91 ZPO. grundſätzlich die Koſten des Rechts— 
ſtreits ohne Ausnahme zu tragen. Nach den Sonder— 
beſtimmungen der SS 94 bis 96, 97 Abſ. 2, 3 ZPO. 
können zwar bei Vorliegen der dort erforderten Voraus— 
ſetzungen auch der ſiegenden Partei Teile der Koſten 
auferlegt werden. Von dieſen Beſtimmungen trifft 
aber keine zu, insbeſondere auch nicht die des § 96, 
wonach die Koſten eines ohne Erſolg gebliebenen 
Angriffs- oder Verteidigungsmittels der Partei auf— 
erlegt werden können, welche es geltend gemacht hat, 
auch wenn fie in der Hauptſache ſiegt (vgl. RG. 65, 
35; Jur W. 100 S. 714 Nr. 3). (Urt. des V. 35. vom 
23. Januar 1911, V 256. 10). 
2194 


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Zeitſchrift für Rechtapflege in Bayern. 1911. Nr. 9. in Bayern. 1911. Nr. 9. 


Betriebsunfall i. S e. dee 31 HaftpflG., wenn eine 
Kraftdroſchke mit einem ſtille ſtehenden ‚Inge ber Straßen: 
bahn ARME: bt. Höhere Gewalt itverſchulden 
des Verletzten, wenn er die Kraſtdroſchke gemietet hatte. 
Der Kläger fuhr in einer Kraftdroſchke die K.ſtraße in 
B. entlang, und zwar in der Richtung von Weſten 
nach Oſten. Die Straße wird von mehreren Linien 
der von der Beklagten betriebenen elektriſchen Straßen⸗ 
bahn befahren, die zum Teil in die rechtwinkelig in 
die K.ſtraße einmündende A. ſtraße abbiegen. In dem 
Augenblicke, als ein aus zwei Wagen beſtehender 
Straßenbahnzug aus der A.ſtraße in die K.ſtraße in 
weſtlicher Richtung einbog, fuhr die Kraftdroſchke, in 
der der Kläger ſaß, in den erſten der Straßenbahn⸗ 
wagen hinein. Der Kläger erlitt Verletzungen. Er 
nimmt auf Erſatz des Schadens die Beklagte in An⸗ 
ſpruch. Das LG. hat den Klageanſpruch dem, Grunde 
nach für gerechtfertigt erklärt; die Berufung der Bes 
klagten wurde zurückgewieſen. Die Reviſion hatte 
keinen Erfolg. 

Aus den Gründen: Der die Annahme eines 
Betriebsunfalles i. S. des § 1 Haftpfl®. begründende 
äußere Zuſammenhang des Unfalles mit einem be— 
ſtimmten Betriebsvorgange der Eiſenbahn und der 
innere Zuſammenhang mit dem Eiſenbahnbetriebe und 
deſſen Gefahren kann nicht mit Grund beſtritten werden. 
Die Schwere der Straßenbahnwagen und ihr Laufen 
in den ein für allemal feſtgelegten Geleiſen, das ein 
Ausweichen nicht geſtattet, ſind für die Verurſachung 
des Zuſammenſtoßes und ſeiner Kraft und ſomit für 
die Körperverletzung des dadurch aus ſeinem 1 
geſchleuderten Klägers urſächlich geweſen. Mit U 
recht beruft ſich die Reviſionsklägerin darauf, daß 
in einer Entſcheidung des erkennenden Senats (vom 
10. Dezember 1910, VI 64809) die Frage offen 
gelaſſen wurde, ob ein Betriebsunfall auch dann vor 
liegen würde, wenn das Automobil auf einen ſtehen— 
den Straßenbahnwagen aufgefahren wäre, und daß 
im gegebenen Falle der Straßenbahnwagen tatſächlich 
gehalten habe. Jene Frage kann aufgeworfen werden, 
wenn es ſich um einen Stillſtand des Eiſenbahnbe— 
triebes, um ein Anhalten des Straßenbahnwagens auf 
einer Halteſtelle handelt. Hier war der Straßenbahn 
wagen im Fahren, der Wagenführer ſah den heran— 
fahrenden Kraftwagen, fürchtete den Zuſammenſtoß 


mit dem fahrenden Straßenbahnwagen, der ſelbſt nicht 


ausweichen konnte, und brachte dieſen zum Stehen, 
um den Zuſammenſtoß ſchließlich noch zu vermeiden. 
Wenn dieſer nun doch erfolgte, dann liegt der Fall 
genau ſo, als wenn der Kraftwagen in den fahrenden 
Straßenbahnwagen hineingefahren wäre; dieſer befand 
ſich im Betriebe, und die mit ſeinem Betriebe ver— 
bundene Gefahr für den übrigen Straßenverkehr hat 
— neben der Unachtſamkeit des Wagenführers des 
Kraftwagens — den Unfall verurſacht. 

Auf höhere Gewalt kann die Beklagte ſich gleich— 
falls nicht berufen. Ereigniſſe, die der auf den öffent— 
lichen Straßen ſich bewegende Straßenbahnbetrieb mit 
ſich bringt, indem andere Verkehrsmittel mit ihm in 
gefährlichen Konflikt geraten, können nicht als höhere 
Gewalt angeſehen werden. Die Kreuzungen der 
Straßen, in denen der Straßenbahnbetrieb ſich bewegt, 
begünſtigen dieſe Konflikte, mit denen der Unternehmer 
der Straßenbahn rechnen muß. Als höhere Gewalt, 
die die Haftung der Straßenbahn ausſchließt, kann 
nur ein außergewöhnliches, außerhalb des Be— 
triebes wirkendes Ereignis angeſehen werden, das 
nach menſchlicher Erfahrung nicht vorauszuſehen iſt, 
deſſen Eintritt nicht erwartet und auch bei den zweck— 


mäßigſten Einrichtungen durch menſchliche Kraft und 


Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (RG. 54 
S. 404, Bd. 60 S. 304, Bd. 64 S. 404, Warneyer, 
Rechtſprechung 1909 Nr 226 und 279). Ein ſolches 
ungewöhnliches Ereignis kann wohl ein Zuſammenſtoß 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


203 


fein, der durch das Durchgehen der Pferde eines Fuhr⸗ ausſchließlich dadurch beſtimmt wurde, daß er 


werkes verurſacht wird, der 
iſt, weil das Verhalten führerlos ſich ſelbſt überlaſſener 
ſcheugewordener Pferde unberechenbar iſt und jeden 
Verkehr auf der Straße gefährdet (RG. Z. Bd. 64 S. 404), 
nicht aber die Vorgänge des regelmäßigen alltäglichen 
Straßenverkehrs ſelbſt, in den in neuerer Zeit auch 
das Fahren der Kraftwagen hinein gehört, und in dem 
alltäglich auch Unachtſamkeiten und Ordnungswidrig⸗ 
keiten der Fußgänger wie der Wagenlenker mit unter⸗ 
laufen; dieſe begründen dann, wenn ein Unfall erfolgt, 
ein Verſchulden der Wagenlenker, das fie für dieſen 
verantwortlich macht, bei Zuſammenſtößen mit der 
Straßenbahn neben deren Betriebsunternehmer;: aber 
ſie ſtellen keinen Fall höherer Gewalt für den letzteren dar. 

Für das behauptete eigene Verſchulden des verletzten 
Klägers kommt in Betracht, daß der Kläger nicht Eigen⸗ 
tümer der Kraftdroſchke und nicht Dienſtherr des Kraft⸗ 
wagenführers war; er hatte gar keine rechtliche Ge⸗ 
walt über dieſen. Die Fälle, in denen die Recht⸗ 
ſprechung die Inſaſſen der Kraftwagen für die Fahr⸗ 
läſſigkeiten der Wagenlenker im Straßenverkehr neben 
dieſen veranwortlich gemacht hat (Jur. Wſchr. 1905 
S. 287 Nr. 11; 1908 S. 405 Nr. 7; 1910 S. 105 Nr. 3; 
1911 S. 40 Nr. 26 und 27), liegen anders und haben 
überall den Eigentümer des Kraftwagens und den Ge⸗ 
ſchäftsherrn des Wagenführers im Auge, wenn ſie die 
Gefährlichkeit des Handels des letzteren erkannt haben 
und in der Lage waren, die Gefahr abzuwenden. Es 
iſt zuzugeben, daß auch außerhalb dieſer Fälle unter 
beſonderen Umſtänden ein Verſchulden eines Fahr⸗ 
gaſtes in einem fremden Kraftwagen angenommen 
werden kann, wenn er ein rechtswidriges Tun des 
Wagenführers ſelbſt veranlaßt hat. Hier iſt aber ge⸗ 
rade vom Berufungsgericht feſtgeſtellt, daß der Kläger 
den Wagenführer zum vorſichtigen Fahren aufgefordert 
hat, und nicht für erwieſen erachtet worden, daß er 
über haupt ein unzu läſſig ſchnelles Fahren des Wagen» 
führers wahrgenommen hat. Der letztere hätte beim 
Paſſieren der Straßenkreuzung die Fahrgeſchwindigkeit 
erheblich mäßigen und, wenn nötig, einen Augenblick 
anhalten müſſen; in dieſer Beziehung trifft aber den 
Kläger kein Vorwurf. (Urt. des VI. ZS. vom 4. Fe⸗ 
bruar 1911, VI 112/10). 

2217 


—— -n. 


B. Straffaden. 
I 


„Probefahrt“ i. S. des z 53 NStempö. Aus 
den Gründen: Der Angeklagte, der ein Handels— 
geſchäft mit Kraftfahrzeugen betreibt, hat an zwei 
Tagen im Februar 1909 zum Befahren öffentlicher 
Wege einen der Perſonenbeförderung dienenden Kraſt— 
wagen benützt, den er unmittelbar zuvor feſt gekauft 
und in Eigenbeſitz übernommen hatte. Obwohl der 
Wagen von dem Verkäufer und ſeitherigen Beſitzer 
ſeit dem Juni 1908 nicht mehr verſteuert worden 
war, hatte der Angeklagte keine Erlaubniskarte gelöſt. 
Auf der Fahrt, die vom Orte des Ankaufs nach dem 
Orte ſeiner gewerblichen Niederlaſſung geplant war, 
aber kurz vor der Ankunft am Ziele aufgegeben 


werden mußte, wollte der Angeklagte angeblich er= | 


proben, ob das angekaufte, bereits gebrauchte, ſeit 
längerer Zeit aber nicht mehr benutzte Kraftfahrzeug 
noch gebrauchsfähig ſei oder ob es vor der beab— 
ſichtigten und unmittelbar bevörſtehenden käuflichen 
Ueberlaſſung an einen dritten Erwerber erſt noch 
ausgebeſſert werden müſſe. Das Strafkammerurteil 
hat dem Angeklagten, der vor Erwerb des Wagens 
dieſen angeblich nur in kurzer Probefahrt gefahren 
und verſäumt hatte ſich über ſeine Eigenſchaften 
näher zu unterrichten, auch geglaubt, daß er zur 
Ausführung der zweitägigen Fahrt allein 


ſchlechthin unvermeidlich ſich überzeugen wollte, o 


f 


der Wagen in ſeinem der⸗ 
zeitigen Zuſtand noch fahrtüchtig und hiernach ge— 
eignet ſei zur Erfüllung des Kaufvertrages Ber: 
wendung zu finden. Das Urteil läßt es dahingeſtellt, 
ob der Vertrag von dem Angeklagten ſchon rechts⸗ 
verbindlich geſchloſſen oder nur in beſtimmte Ausſicht 
genommen war. Auf Grund dieſer Feſtſtellungen iſt 
der Angeklagte freigeſprochen worden. Weil Prüfung 
und Erprobung des Kraftwagens nach Anſicht des 
Tatrichters der einzige und ausſchließliche Zweck war, 
den der Angeklagte bei Benutzung des Kraftwagens 
zur Fahrt verfolgte, iſt die letztere als eine „Probe⸗ 
fahrt“ angeſehen worden, die nach 8 53 RStemp®. 
bei Ingebrauchnahme — auch fertiger und gebrauchs⸗ 
fähiger — Kraftfahrzeuge nicht gelten ſoll. 

Die Entfcheidung iſt nicht frei von Rechtsirrtum. 
Aus der Beſtimmung in 8 53 RStempG. iſt nicht 
ſicher zu erkennen, was unter der mehrdeutigen Be⸗ 
zeichnung „Probefahrt“ verſtanden werden ſoll. Die 
Rechtſprechung hat ſich aber mit dem Begriff mehr⸗ 
fach befaßt und unter Heranziehung der Entſtehungs⸗ 
geſchichte und der Ausführungsvorſchriften nach⸗ 
gewieſen, daß nur eine ganz beſtimmte Art von 
probeweiſer Benützung fertiger Kraftfahrzeuge ſteuer⸗ 
frei bleiben ſoll. Nur Fabriken und Händler haben 
auf die Steuerfreiheit Anſpruch und nur für die „zum 
Verkauf geſtellten“ Fahrzeuge, aber auch für dieſe nur 
bei ſolchen Fahrten auf öffentlichen Verkehrswegen, 
die ſie ausſchließlich vornehmen um durch die probe⸗ 
weiſe Benutzung der einzelnen im Handel verkäuflichen 
Fahrzeuge Kaufliebhaber über deren Eigenſchaften zu 
unterrichten, in zweiter Linie auch wohl um ſich ſelbſt 
für den bevorſtehenden geſchäftlichen Abſatz des Fahr⸗ 
zeuges von deſſen Zuſtand zu überzeugen. (Entſch. 
des RG. Bd. 40, 256; Bd. 43, 214; Urt. des erkenn. 
Senats 1 D 237/09 vom 1. Mai 1909, Urt. des 4. Senats 
4 D 189/09 vom 18. Mai 1909.) In beiden Fällen 
wird das Fahrzeug nur innerhalb der eigentlichen 
Handelstätigkeit zum Zwecke der Vorbereitung der 
gewerblichen Weiterveräußerung der zum Verkaufe 
geſtellten Ware benutzt; es wird zu einem beſtimmten 
Zwecke probiert, nicht gebraucht. 

Dieſe Vorausſetzungen der Steuerbefreiung treffen 
hier nicht zu. Zwar wird für den von dem Ange⸗ 
klagten verfolgten Zweck von der Steuerbehörde er- 
folglos die Beanſtandung erhoben, daß die Feſtſtellung, 
für den Angeklagten habe die Erprobung des Fahr⸗ 
zeuges den einzigen Beweggrund zu deſſen Benutzung 
abgegeben, unvereinbar ſei mit den Nachweiſen über 
den Verlauf der Fahrt, bei der auch Fahrgäſte unter- 
wegs Aufnahme gefunden und der urſprünglich ein— 
geſchlagene Weg aus geſchäftlichen Intereſſen verlaſſen 
worden ſei. Hat der Angeklagte tatſächlich einzig und 
allein um die Gebrauchsfähigkeit des Wagens zu er— 
proben und feſtzuſtellen die Fahrt unternommen, ſo 
hört dieſer Zweck nicht dadurch auf der einzige und 
ausſchließliche zu ſein, daß der Angeklagte die Gelegen— 
heit dieſer Erprobung benutzt hat andere an der Fahrt 
teilnehmen zu laſſen, oder daß er nebenbei auf der 
Fahrt bei Auswahl des Weges ſich durch geſchäftliche 
Rückſichten leiten ließ, gleichviel ob dadurch die Er— 
probung zweckmäßiger geſtaltet wurde oder nicht. 
(Urteile des 4. Senats 4 5 189/09 vom 18. Mai 1909 
und 4 D 62509 vom 12. Oktober 1909). Deshalb kann 
aus dem angeführten Geſichtspunkt weder ſachlich her⸗ 
geleitet werden, der Begriff der Probefahrt ſei ver— 
kannt, noch iſt prozeſſual der von der Beſchwerde— 
führerin erhobene Vorwurf gerechtſertigt, daß das Ge— 
richt durch Unterlaſſung von Erhebungen und Feſt— 
ſtellungen über den Verlauf der Fahrt und die Aen— 
derung der Fahrtrichtung ſeine Pflicht zur Wahrheits— 
ermittelung verſäumt habe. Dagegen dringt die ſach— 
liche Beſchwerde aus einem anderen Grunde durch. 


und [Nach den vorſtehenden Ausführungen muß daran feſt— 


gehalten werden, daß fteuerfrei nur Fahrten mit 
ſolchen Kraftwagen ausgeführt werden dürſen, die 
„zum Verkauf geſtellt find“, und nur ſolche 
Fahrten, die von Händlern und Fabriken aus Anlaß 
namentlich zur Vorbereitung des Abſatzes des ein— 
zelnen Wagens unternommen werden, insbeſondere 
ſolche, die den Kaufliebhabern die Eigenſchaften des 
Wagens vorführen ſollen. Daß der von dem Ange⸗ 
klagten benutzte Wagen „zum Verkauf geſtellt“ ge⸗ 


weſen fei, hat das angefochtene Urteil nicht nachge⸗ 


wieſen. War der Wagen bereits an einen Dritten 
verkauft — worüber das Urteil eine Entſcheidung zu 
geben ablehnt — ſo war er jedenfalls nicht zum Ver⸗ 
kauf geſtellt, ſeine Erprobung, falls ſie unter Benutzung 
eines öffentlichen Weges ſtattfand, daher nicht ohne 
Erlaubniskarte zuläſſig. auch dann nicht, wenn 
der Angeklagte ſich ſelbſt dadurch unterrichten wollte, 
ob das Fahrzeug die vertragsmäßig von ihm zu ge— 
währleiſtenden Eigenſchaften beſaß und er den Käufer 
zu deſſen Abnahme anhalten konnte. War das Fahr— 
zeug aber nicht verkauft, ſo blieb immer noch zu prüfen, 
ob es von dem Angeklagten im Zeitpunkte der Er— 
probung „zum Verkauf geſtellt“ war und ob die zur 
Erprobung beſtimmte Fahrt dazu diente, den Abſatz 
des Fahrzeuges zu fördern und im Hinblick auf die 
mit dem Kaufsliebhaber ſchwebenden Verhandlungen 
die Eigenſchaften des Fahrzeuges zu ermitteln und 
jenem nachzuweiſen. (Urt. des I. Strafſenats vo 

2. März 1911, 1 D 635/10). II. 


2219 


II. 


Der allgemeine Vorwurf, daß man bei einer Be⸗ 
hörde durch „Schmieren“ etwas erreichen könne, iſt nach 
5 185 StGB., nicht nach 3 186 StGB. ſtraſbar. Aus 
den Gründen: Verfehlt iſt die Annahme des Ge⸗ 
richts, daß eine nach $ 186 StGB. ſtrafbare Beleidigung 
vorliege. Dazu wäre erforderlich, daß eine „Tatſache“ 
behauptet oder verbreitet iſt, und unter Tatſache im 
Sinne des Geſetzes iſt nur eine Begebenheit, ein kon— 
kreter Vorgang zu verſtehen, der in der Vergangenheit 
oder Gegenwart in die Erſcheinung getreten und da— 
durch Gegenſtand der Wahrnehmung geworden iſt. 
Innere Vorgänge, deren Daſein und Art dargetan und 
damit wahrnehmbar gemacht werden kann, ſind aus 
dem Kreiſe der Tatſachen nicht ausgeſchloſſen, wohl 
aber alle Ergebniſſe abſtrakter Schlußfolgerungen. Hier 
hat es ſich nicht um die Behauptung beſtimmter kon— 
kreter Vorgänge, weder äußerer noch innerer, ſondern 
nur um den Vorwurf gehandelt, daß man durch 
„Schmieren“ bei dem Amte oder bei einem Beamten 
des Amts Cl. etwas erreichen könne. In der Aeuße— 
rung konnte mithin nur eine nach § 185 StGB. ſtraf— 
bare abfällige Kritik der Tätigkeit des Amtes, nicht 
aber eine Beleidigung im Sinne des 8 186 StGB. 
gefunden werden. (Urt. des V. StS. vom 31. Januar 
1911, V D. 1034 10). 


2193 


— — en. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Unter welchen Voraus ſetzungen kaun die BO. vom 
13. November 1902, die Unfallfürſorge für die nicht: 
pragmatiſchen Staatsbeamten und Stantobedieniteten be: 
treffend, auf einen früher eingetretenen Betriebsunfall 
angewendet werden? Der Kläger wurde am 15. Mai 
1881 in ſtatusmäßiger Eigenſchaft als Lokomotiv— 
führer angeſtellt, am 1. Juni 1884 zum Lokomotiv— 
führer DI, am 1. Mai 1893 zum Werkführer be— 


fördert und vom 1. März 1906 an durch die Ent⸗ 
ſchließung der Eiſenbahndirektion B. vom 16. Februar 
1906 nach Maßgabe der 88 22 ff. VO. vom 26. Juni 
1894 mit einer jährlichen Penſion von 1482 M in den 
dauernden Ruheſtand verſetzt. Die Penſion wurde 
berechnet aus 76 °/o des Gehalts von 1950 M. Das 
Dienſteinkommen des Klägers betrug zur Zeit der 
Penſionierung 1950 M Gehalt, 540 M Funktions⸗ 
zulage für den Entgang von Fahrt- und Prämien⸗ 
geldern, 210 M Gehaltszulage, ſohin im ganzen 
2700 M. In der 1907 erhobenen Klage machte der 
Kläger geltend, das Leiden, das zu feiner Penſio⸗ 
nierung geführt hat, ſei die Folge zweier Betriebs⸗ 
unfälle, die er am 3. Juli 1886 und am 28. Juni 1902 
erlitten habe, er könne daher nach den §8 44 ff. VO. 
vom 26. Juni 1894 im Zuſammenhalte mit der BO. 
vom 13. November 1902 eine Penſion in der Höhe 
von 66 % feines Geſamtdienſteinkommens von 


2700 M, ſohin von 1800 M, ſtatt der ihm zugebilligten 


nicht 


Normalpenſion von 1482 M beanſpruchen. Dem: 
gemäß wurde der Klagantrag auf die Zahlung des 
Unterſchiedes von 318 M jährlich gerichtet. Der Fis⸗ 
kus wendete u. a. ein, der zweite Unfall habe keine 
bedeutenden Folgen, der erſte aber habe ſich ſchon 
vor dem Inkrafttreten der Unfallfürſorgeverordnungen 
vom 30. November 1886, 19. März 1891, 26. Juni 
1894, 13. November 1902 ereignet; ein Anſpruch aus 
dem Haſtpflichtgeſetze ſei wegen Verjährung ausge⸗— 
ſchloſſen. Das LG. hat nach dem Klagantrag erkannt. 
In den Gründen iſt feſtgeſtellt, daß der Kläger die 
Betriebsunfälle erlitten hat, daß zwar der zweite 
Unfall das Leiden des Klägers nicht beeinflußt hat, 
dieſes aber durch den erſten Unfall verurſacht worden 
iſt. Das LG. nahm ferner an, daß der Anſpruch auf 
Unfallfürſorge die Eigenſchaft der Penſion hat, daß 
alſo die zur Zeit der Penſionierung maßgebenden 
Beſtimmungen anzuwenden ſeien und daß es deshalb 
ohne Bedeutung ſei, daß ſich der Unfall ſchon vor 
dem Inkrafttreten der Unfallfuͤrſorgebeſtimmungen er— 
eignet hat. Die Berufung des Beklagten wurde zu— 
rückgewieſen. Auch die Reviſion blieb ohne Erfolg. 

Gründe: Es kann zugegeben werden, daß der 
Anſpruch auf Unfallfürſorge mit dem Anſpruch auf 
den regelmäßigen Ruhegehalt nicht zuſammenfällt; 
es geht dies ſchon daraus hervor, daß der Unfall— 
fürſorgeanſpruch beſondere Vorausſetzungen hat und 
an eine beſtimmte Anmeldungsfriſt gebunden iſt. 
Dadurch wird aber das Weſen des Fürſorgeanſpruchs 
berührt, das nicht in der Leiſtung eines 
Schadenserſatzes, ſondern in der Gewährung eines 
Ruhegehaltes beſteht. (Gräf, UVerſc g. 4. Aufl. S. 557 
Anm. **). Für die Beurteilung eines Ruhegehalts— 
anſpruchs iſt aber, wie das Reichsgericht in ſtändiger 
Rechtſprechung anerkannt hat, in der Regel das Geſetz 
anzuwenden, das bei der Verſetzung des Beamten in 
den Ruheſtand gilt (RG. 63, 290). Hieraus kann 
gefolgert werden, daß ein Unfallfürſorgegeſetz zur 


Ausgleichung von Unfallfolgen herangezogen werden 


kann, auch wenn ſich der Unfall ſchon vor ſeinem 
Inkrafttreten ereignet hat. Dieſe Folgerung hat auch 
die Billigung des Reichsgerichts gefunden (RG. 60, 
215 und JW. 1904 S. 267). Unzutreffend iſt die 
Anſchauung des Reviſionsklägers, daß es ſich bei 
dieſen Entſcheidungen nur um die Frage gehandelt 
habe, ob der durch ein Fürſorgegeſez — hier das 
preußiſche Fürſorgegeſetz vom 18. Juni 1887 — ge— 
gebene Fürſorgeanſpruch nach den Beſtimmungen 
eines neuen Geſetzes zu erhöhen iſt. Rechneriſch und 
wirtſchaftlich liegt zwar die Auffaſſung nahe, daß der 
durch das Geſetz vom 18. Juni 1887 geſchaffene An— 
ſpruch durch das Fürſorgegeſetz vom 2. Juni 1902 er- 
weitert oder erhöht worden iſt. Rechtlich iſt aber 
davon auszugehen, daß mit dem Inkrafttreten des 
Geſezes vom 2. Juni 1902 das Geſetz vom 18. Juni 
1887 außer Kraft getreten iſt. Von da an konnte 


deshalb ein Anſpruch aus dem letzteren Geſetz nicht 


mehr, auch nicht in einem erweiterten Umfang ent: 
ſtehen, ſondern nur ein Anſpruch auf Grund des 
Geſetzes vom 2. Juni 1902. Auch davon kann nicht 
die Rede ſein, daß in den Fällen, die den Ent⸗ 
ſcheidungen des Reichsgerichts zugrunde lagen, der 
Kläger ſchon vor dem Inkrafttreten des Geſetzes vom 
2. Juni 1902 einen Fürſorgeanſpruch erworben hatte. 
Allerdings war der Unfall, aus dem der Kläger 
ſeinen Anſpruch ableitete, unter der Herrſchaſt des 
Geſetzes vom 18. Juni 1887 eingetreten. Allein die 
Tatſache, daß der Beamte in Ausübung des Dienſtes 
in einem reichsgeſetzlich der Unfallverſicherung unter⸗ 
liegenden Betrieb einen Unfall erlitten hat, bildet 
nur eine der Vorausſetzungen für die Entſtehung des 
Anſpruchs. Dieſe erfordert überdies, daß der Unfall 
„eine den Anſpruch begründende Folge“ gehabt, näm⸗ 
lich die Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder beein— 
trächtigt hat (§ 8 Abi. 2 RG. vom 18. Juni 1901), 
und daß der Beamte aus dem Dienſte ausſcheidet. 
Der Tatbeſtand iſt ſohin nicht weſentlich verſchieden 
von dem des vorliegenden Falles. Anderſeits handelt 
es ſich auch im vorliegenden Falle nicht darum, die 
Unfallfürſorge auf einen ſchon vor ihrer Einführung 
abgeſchloſſenen Tatbeſtand zu erſtrecken. 
Unfallereignis iſt vorausgegangen, die Unfallfolge 
und das Bedürfnis für ſie zu ſorgen, find erſt ſpäter 
eingetreten. In Fällen dieſer Art die durch das RG. 
vom 15. März 1886 geſchaffene Fürſorge zu gewähren, 
entſpricht auch dem Zwecke des Geſetzes, das aus 
Gründen der Billigkeit den Reichs⸗, Staats⸗ und 
Gemeindebeamten „tunlichſt“ und „ſobald als mög: 


lich“ Erſatz dafür gewähren wollte, daß ſie von der 


Unfall verſicherung ausgeſchloſſen waren (Verh. des 
RT. Sten®Ber. 1885/86 Bd. 4 S. 52 Spalte 2, S. 55, 
Bem. zu § 13 des Entwurfs). Es wäre unbillig den 
Beamten, die in einem reichsgeſetzlich der Unfallver⸗ 
ſicherung unterliegenden Betriebe verunglücken, den 
Erſatz und die Fürſorge zu verſagen, weil ſich der 
Unfall ſchon vor dem Inkrafttreten der Fürſorge— 
vorſchriften ereignet hat. Es kann die Möglichkeit 


zugegeben werden, daß in ſolchen Fällen ſchon vor 


dieſem Zeitpunkt ein Anſpruch aus dem bürgerlichen 
Recht, insbeſondere aus dem Haftpflichtgeſetz ent- 
ſtanden iſt. Die wirtſchaſtlichen Folgen des Neben- 
einanderbeſtehens mehrerer Anſprüche ſind aber im 
Verhältniſſe zu den Nachteilen, die die Ausſchließung 
der Beamten von der Unfallverſicherung bewirkt, ſo 
gering, daß ſie unberückſichtigt bleiben können. Dieſer 
Auffaſſung entſpricht auch die Vorſchrift des Art. 101 
BG. vom 16. Auguſt 1908, der den Unfällen, die in 
reichsgeſetzlich der Unfallverſicherung unterliegenden 
Betrieben eintreten, die Unfälle gleichſtellt, die ſich in 
anderen Betrieben ereignen, obwohl in dieſen Fällen 
die Vorſchriften des Haftpflichtgeſetzes aufrecht er- 
halten werden mußten. 
für die Annahme, daß der der VO. vom 13. No⸗ 
vember 1902 als einem Penſionsgeſetze zukommende 
Geltungsbereich auf die Unfälle nach ihrem Inkraft- 
treten beſchränkt werden ſollte. Auch die Begründung 
des Entwurfs eines BG. (Verh. der K. der Abg. 
1907/1908 Beil. Bd. 3 S. 94 Abſ. 4 der Bem. zu 
Art. 89) geht unter Bezugnahme auf die erwähnten 
Entſcheidungen des Reichsgerichts davon aus, daß für 
die Berechnung des als Unfallfürſorge zu gewährenden 
Ruhegehalts nicht der Zeitpunkt des Unfalls, ſondern 
der Zeitpunkt der Verſetzung in den Ruheſtand maß— 
gebend iſt. (Urteil des J. 35. vom 24. Februar 1911, 
Reg. I 265/1910). W. 


22006 


Nur das 


Es fehlt ſohin jeder Anhalt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


erhält, 


B. Strafſachen. 


Zum bayeriſchen Wandergewerbeſteuergeſetz; Meß⸗ 
nnd Marktverkehr; Weſen und Tragweite des ſog. 
Formaldeliktes.)] Der ſtaatlich genehmigte Viehmarkt 
in N. wird an jedem letzten Dienstage des Monats 
auf einem ganz beſtimmten Platz innerhalb der Stadt 
abgehalten. Seit langen Jahren hat ſich an dem dem 
Viehmarkte vorausgehenden Tag ein ſog. Vorviehmarkt 
auf den Viehrampen des Bahnhofs und den um: 
liegenden Plätzen außerhalb der Stadt herausgebildet. 
Es entwickelt ſich dabei unter den Händlern, die ihr 
Handelsvieh mit der Eiſenbahn zum Viehmarkte bei- 
ſchaffen, gleich nach dem Ausladen des Viehes ein 
lebhaftes Kauf⸗ und Tauſchgeſchäft; das Ganze ver⸗ 
läuft wie ein ſtaatlich genehmigter Viehmarkt, obwohl 
dieſer Vorviehmarkt nicht auf einer ſtaatlichen Ge⸗ 
nehmigung beruht. Er findet aber mit Wiſſen und 


unter Auffiht der zuſtändigen Polizeibehörde, des 


Stadtmagiſtrats N. ſtatt; es iſt ein Tierarzt zur 
Stelle, der das Vieh unterſucht und dafür Gebühren 
die der Stadtmagiſtrat einheben läßt. An 
einem ſolchen Vorviehmarkttag hat B. in M., der 
in N. keine gewerbliche Niederlaſſung hat, ohne Be⸗ 


ſtellung nach dem Ausladen auf der Viehrampe am 


Bahnhofe fein Vieh feilgeboten. Das Sch. ſprach 
ihn von der Anklage wegen einer Zuwiderhandlung 
gegen das WGStG. frei. Die Berufung und Reviſion 
wurden verworfen. 


Aus den Gründen des Reviſionsurteils: 


Nach dem Art. 1 Ziff. 1, 2 des WESO. v. ) Tczember 1007 


unterliegt der Steuer vom Gewerbebetrieb im Umher⸗ 
ziehen, wer außerhalb ſeines Wohnorts ohne Be⸗ 
gründung einer gewerblichen Niederlaſſung und ohne 
vorgängige Beſtellung in eigener Perſon Waren irgend 


einer Art außer ſelbſtgewonnenen Erzeugniſſen der 


Land- und Forſtwirtſchaft uſw. ſeilbieten oder Waren 
bei anderen Perſonen als bei Kaufleuten oder an 
anderen Orten als in offenen Verkaufsſtellen zum 
Wiederverkauf ankaufen will. Dieſer Steuer ſind aber 
nach Art. 2 Ziff. 2 nicht unterworfen diejenigen, 
welche ausſchließlich im Meß⸗ und Marktverkehre die 
bezeichneten Arten des Gewerbebetriebs ausüben. Wer 
ohne mit dem Nachweis über die Feſtſetzung der Steuer 
und deren Entrichtung verſehen zu ſein, ein der Steuer 
vom Gewerbebetrieb im Umherziehen unterworfenes 
Gewerbe betreibt, verfällt nach Art. 16 in eine Geld- 
ſtrafe. Ueber die allgemeinen Meſſen, Jahr⸗ und 
Wochenmärkte enthalten die 88 64 bis 69 GewO. eine 
Reihe von Einzelbeſtimmungen; bezüglich der Märkte, 
die für beſtimmte Gattungen von Gegenſtänden ge— 
halten werden, bewendet es nach dem § 70 Gewd. 
bei den beſtehenden Anordnungen. Hiernach bleibt 
auf Grund des Art. 24 des bayer. Geſ. v. 30. Januar 
1868, das Gewerbsweſen betr., die Einführung neuer 
Märkte von der Genehmigung der Regierung abhängig 
und ſteht nach dem § 30 Abſ. 2 der VO. vom 
29. März 1892, den Vollzug der GewO. betr., und 
nach 83 der VO. vom 10. November 1904, betreffend 
die Formation der Staatsminiſterien, die Bewilligung 
zur Errichtung von Viehmärkten — dieſe gehören zu 
den ‚„Spezialmärkten“ im Sinne des § 70 GewO. —, 
die nicht ausſchließlich zur Befriedigung örtlicher Be— 
dürfniſſe dienen ſondern auf einen größeren Verkehr 
berechnet find, den Kreisregierungen zu. B. war hier: 
nach nur dann von der Pflicht zur Entrichtung der 
Wandergewerbeſteuer befreit, wenn der Vorviehmarkt 
als ein Markt i. S. der Beſtimmungen auf dem Ge— 


biete des Gewerbeweſens und des WG StG. zu erachten 


ſondere Beachtung; 


Das Urteil verdient be— 
es zeigt einen bedeutſamen und erfreulichen 
Wechſel der Anſchauungen des Oberſten Landesgerichts. Es konnte 
hler nur ein Auszug aus den Gründen wiedergegeben werden, weil 
der zur Verfügung ſtebende Raum für den unverkürzten Abdruck des 
ſehr umfangreichen Urteils nicht ausreichte. 


1) Anm. des Herausgebers. 


206 


iſt. Dieſe Vorausſetzung iſt aber nicht gegeben Der 
Umſtand allein, daß der Vorviehmarkt mit Wiſſen 
und unter Aufſicht des Stadtmagiſtrats N. ſtattfindet, 
kann dem Vorviehmarkte nicht die Eigenſchaft eines 
Marktes im geſetzlichen Sinne verleihen, da er nie⸗ 
mals von der Regierung genehmigt wurde. 
deshalb objektiv alle Tatbeſtandsmerkmale einer Zu⸗ 
widerhandlung nach Art. 16 gegeben. 

Der Rechtſprechung des Oberſten Landesgerichts 
iſt bis in die neueſte Zeit die Anſchauung zugrunde 
gelegen, daß die Zuwiderhandlung gegen das WG StG. 
ein „Formaldelikt“ fei, das weder Vorſatz noch Fahr: 
läſſigkeit erfordere, vielmehr ſchon gegeben ſei, wenn 
die Tatſache des Betriebs eines dieſer Steuer unter⸗ 
worfenen Gewerbes ohne Erfüllung der gefetzlich be⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


! 


Es find 


ſtimmten 5 nämlich des Beſitzes des Be⸗ 


ſteuerungsnachweiſes, feſtſteht. Darauf, ob den Händ⸗ 
ler irgend ein Verſchulden treffe, komme es gar nicht 
En: und infolgedeſſen fei namentlich auch die Berufung 
au 
mithin die Anwendbarkeit des §8 59 StG. ausge⸗ 
ſchloſſen. Der vorliegenve Fall legt es nahe, die 
Rechtsauffaſſung vom Formaldelikt grundſätzlich nach⸗ 
zuprüfen. B. hat nämlich geltend gemacht, es ſei ihm 
unbekannt geweſen, daß die Vorviehmärkte zu N. nicht ge⸗ 
nehmigte Märkte ſind. Da ſie allgemein als ordnungs⸗ 


den Schuldausſchließungsgrund des Irrtums, 


mäßige Viehmärkte angeſehen würden, ſei ihm ein Zwei⸗ 


fel in dieſer Richtung niemals aufgeſtiegen. Die Be⸗ 
rückſichtigung des dem B. unterlaufenen von den Vor⸗ 
inſtanzen angenommenen tatſächlichen Irrtums über 


die ſtaatliche Genehmigung des Vorviehmarktes und 


ſeine darauf gegründete Freiſprechung kann jedoch nur 
zu Recht beſtehen, wenn die Frage, ob ihm ein Ver⸗ 
ſchulden zur Laſt fällt, erheblich iſt und nicht viel⸗ 
mehr ſchon die bloße Erfüllung des objektiven Tat⸗ 
beſtandes zur Begründung ſeiner ſtrafrechtlichen Ver⸗ 


antwortlichkeit für genügend angeſehen wird, wie das 


ſeither gemeinhin bei Zuwiderhandlungen gegen die 

F über öffentliche Gefälle und Abgaben ge— 
ieht. 

Dieſe Sondernatur der ſteuerrechtlichen Delikte, 

die zur Sicherung der Steuererträgniſſe für unent⸗ 


ßiſchen Rechtſprechung ſchon ſeit geraumer Zeit ange— 
nommen. Die Steuergeſetzgebung des Reichs iſt 
weſentlich auf den gleichen Grundſätzen wie die 
Preußens aufgebaut. Nicht wenige Geſetzesbeſtim⸗ 
mungen lauten ſogar wortwörtlich gleich. So ergab 
es ſich von ſelbſt, daß die Auslegung der Reichsgeſetze 
im gleichen Sinn erfolgte und vielfach ebenfalls da— 
von ausgegangen wurde, daß die bloße Tatſache der 
Nichterfüllung der Abgabenpflicht ohne Rückſicht auf 
das Vorliegen eines Verſchuldens unter Strafe ge— 
ſtellt ſei, ſofern nicht gerade einer der jede ſtrafrecht— 
liche Verantwortlichkeit ausſchließenden allgemeinen 
Gründe der §§ 51 ff. StGB. Platz greift. Teilweiſe 
ging man hierbei ſogar noch weiter als die preußiſche 
Rechtſprechung. Während dieſe nicht ſelten als Bor: 
ausſetzung der Strafbarkeit aufgeſtellt hat, daß der 
Beſchuldigte ſich der den Tatbeſtand der Zuwider— 
handlung bildenden Tatſachen bewußt geweſen ſein 
müſſe, haben einzelne Erkenntniſſe des Reichsgerichts 
(RGSt. Bd. 29 S. 74, Bd. 32 S. 132, abw. jedoch 
Bd. 30 S. 52) den Begriff des Formaldelikts folge— 
richtig durchgeführt und ausgeſprochen, daß auch auf 


Gegenbeweis gegen die geſetzliche 


§ 8, 16, vom 29. Mai 1885 8 23, vom 27. April 1894 
§ 3, 19, 26, vom 14. Juni 1900 85 19, 27, 38, vom 
14. Juli 1909 88 2, 33, 43, 64, 69, 75, 88) iſt aus: 
drücklich ſchon die bloße Nichterfüllung der Verpflichtung 
zur Entrichtung der Abgabe unter Strafe geſtellt. 
Zur Vermeidung von Härten läßt jedoch das Geſetz 
in ſolchen Fällen nicht ſelten dem e den 
ermutung offen 

und verweiſt die Geſetzesübertretung in die Reihe der 
bloßen Ordnungswidrigkeiten, wenn dargetan wird, 
daß der Angeſchuldigte eine Defraudation nicht hat 
verüben können oder eine ſolche nicht beabſichtigt ge⸗ 
weſen iſt, oder wenn nicht feſtgeſtellt wird, daß eine 
Defraudation beabſichtigt geweſen iſt (fo z. B. Ver 3G. 
§ 137 Abſ. 2, § 138; Zucker StG. von 1887 843 u. a.). 

In dieſer Mannigfaltigkeit weiſt auf den allein 
richtigen Weg das reichsgerichtliche Erkenntnis vom 
24. November 1898 (RGSt. Bd. 31 S. 345), wo aus⸗ 
geführt iſt: „Allerdings kommen in den Geſetzen 
Strafbeſtimmungen vor, die von jedem Verſchulden 
bei der Zuwiderhandlung abſehen und ſchlechthin die 
Nichterfüllung der vom Geſetze auferlegten Pflicht mit 
Strafe bedrohen. Aber daraus iſt nicht eine für 
Steuergeſetze allgemein gültige Rechtsregel abzuleiten, 
vielmehr bei dem einzelnen Geſetze zu prüfen, ob ſeine 
Abſicht dahin geht, den das ſonſtige Strafrecht be- 
herrſchenden Satz, daß jede Strafe ein Verſchulden 
des Täters vorausſetze, für einen beſonderen Tatbe⸗ 
ſtand auszuſchließen.“ 

Bis zur Erlaſſung der Entſcheidungen des Reichs⸗ 
gerichts vom 4. Juni und 1. Dezember 1883 (RGSt. 
Bd. 8 S. 414, Bd. 9 S. 255) war noch niemals in 
Bayern oberſtrichterlich ausgeſprochen worden, daß 
die Strafbarkeit der Abgabenhinterziehung weder 
ſtrafbaren Vorſatz noch ſchuldhafte Fahrläſſigkeit er⸗ 
fordere, vielmehr ſchon durch Nichtbeobachtung der 
geſetzlichen Verpflichtung begründet werde. Die vor⸗ 
aufgeführten zwei reichsgerichtlichen Erkenntniſſe und 
die im Anſchluß hieran ergangenen Urteile des Ober⸗ 


landesgerichts München vom 12. Februar, 22. es 


bruar, 7. März 1884 (Slg. Bd 3 S. 25 f.) und vom 


20. April 1893 (Bd. 6 S. 370) können nicht als dem 
behrlich gehalten wird, wird namentlich in der preu⸗ 


die Kenntnis des Täters vom Vorliegen der zum | 


Umſtände nichts 


geſetzlichen Tatbeſtande gehörigen 
Allerdings haben auch einzelne Reichsge— 


ankomme. 


u. a.) unzweideutig ausgeſprochen, daß die 
Defraudation und die Anwendung der Strafe ſchon 
durch die in der geſetzlichen Vorſchrift bezeichneten 
Tatſachen begründet wird. In anderen Geſetzen (jo 
z. B. in den Reichen ‘Stegen vom 1. Juli 1881 


ö 


Willen und dem Geiſte des bayeriſchen Geſetzgebers 
entſprechend anerkannt werden. Durch ſie wurden je⸗ 
doch der Begriff und die allgemeine Lehre vom Formal— 
delikt in die bayeriſche Rechtſprechung eingeführt. Die 
im reichsgerichtlichen Urteile vom 4. Juni 1883 er⸗ 
wähnte „gleichmäßige Rechtſprechung in Bayern“ iſt 
nicht nachweisbar. Im Gegenteile, was an bayeriſchen 
oberſtrichterlichen Erkenntniſſen veröffentlicht worden 
iſt, ging weſentlich nur darauf hinaus, daß mit Rück⸗ 
ſicht auf die hohe Bedeutung der Steuerdelikte für die 
Finanzen des Staates ſchon Fahrläſſigkeit oder irgend 
ein Verſchulden oder Verſehen und die bloße Möglich— 
keit einer Gefährdung der Steuerintereſſen des Staates 
genügen ſoll. Inſoweit, aber nicht bis zur gänzlichen 
Ausſchaltung der Frage nach einem zugrunde liegen— 
den Verſchulden, ſeien die ſog. fiskaliſchen Delikte nicht 
den allgemeinen Beſtimmungen des StGB. ſondern 
beſonderen Grundſätzen unterſtellt (Bl. f. RA. Bd. 16 
S. 215 und 249; Ztſchr. f. Geſetzg. u. Rechtspfl. Bd. 11 
S. 33 uſw.). (Es wird ſodann ausgeführt, daß die 
Geſetzgebung bis zu den Steuergeſetzen des Jahres 
1881 keinen Raum für eine Strafe ohne Schuld ließ.) 

Wie nun die Strafbeſtimmungen in den Art. 16, 
17 Abſ. 1 und 19 des WG StG. aufzufaſſen find, dar» 
über geben die Motive zu den mit den Art. 16 bis 
22 des Geſetzes wenigſtens in ihren hier erheblichen 
Teilen übereinſtimmenden Art. 15 bis 21 des Ent: 
wurfes folgenden Aufſchluß: „Die Strafbeſtimmungen 
des Entwurfs gehen von der Abſicht aus, jede Ver— 
fehlung gegen das Geſetz, ſei ſie auf Hinterziehung 
der Steuer gerichtet oder durch Nichtbeachtung der für 
das Verfahren gegebenen Vorſchriften begründet, mit 
Strafe zu belegen“. „Das Ausmaß der Strafe für 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


Zuwiderhandlungen, welche nicht als Hinterziehung 
zu erachten find, iſt den Strafbeſtimmungen der Ge— 
werbeordnung entſprechend“ (Abſ. 2). (Verh. d. K. d. 
Abg. 1878/79, Beil. Bd. 4 S. 299.) Da die „Hinter⸗ 
siehlng” begriffsmäßig ein vorſätzliches Handeln vor⸗ 
ausſetzt, ſind die Strafbeſtimmungen der Art. 16 und 
17 Abſ. 1 nur bei böſer Abſicht des Pflichtigen an⸗ 
wendbar. Und dafür, daß eine „Nichtbeachtung“ der 
für das Verfahren gegebenen Vorſchriften auch dann 
anzunehmen ſei, wenn der Steuerpflichtige es nicht 
an der Anwendung von ſoviel Achtiſamkeit fehlen ließ, 
als billigerweiſe verlangt werden kann, aber trotzdem 
infolge eines entſchuldbaren Irrtums oder eines Zu⸗ 
falls den objektiven Tatbeſtand einer Zuwiderhandlung 
erfüllt hat, geben weder der Wortlaut des Geſetzes 
noch die Geſetzgebungsverhandlungen auch nur den 
geringſten Anhaltspunkt. Iſt auch das bayerifche 
WStG. unbeſtreitbar ein völlig ſelbſtändiges Geſetz, 
ſo bedürfte es doch ganz beſonderer und unzweideutiger 
Anhaltspunkte, wenn es bei den Vorausſetzungen für 
die Strafbarkeit auf einen von dem der übrigen baye⸗ 
riſchen Geſetzgebung grundſätzlich abweichenden Stand⸗ 
punkt geſtellt werden ſoll, und ſolche liegen nicht vor. 
Obſchon es zur Sicherung der Steuererträgniſſe 
wünſchenswert und erforderlich ſein mag, den Vollzug 
der Steuergeſetze und deſſen Kontrolle möglichſt wenig 
zu erſchweren, kann doch nicht zugegeben werden, daß 
die fiskaliſchen Intereſſen ſoweit rückſichtslos verfolgt 
werden dürfen, daß der Staatsbürger, obwohl er 
redlich beſtrebt geweſen iſt den berechtigten Anfor⸗ 
derungen des Staates und des Staatslebens Genüge 
zu leiſten, ein Strafübel über ſich ergehen laſſen muß. 
Eine ſolche Ueberſpannung der fiskaliſchen Intereſſen 
verträgt ſich nur ſchwer mit der Idee des Rechts⸗ 
ſtaates und der Rechtspflege: ſie enthält ferner zu⸗ 
gleich eine 1 der Autorität der Verwal⸗ 
tungs- und der Finanzbehörden ſelbſt, fie zwingt den 
Untertan, den amtlichen Erklärungen und Aufſchlüſſen 
zu mißtrauen, und gibt ihm überdies nicht einmal 
einen Fingerzeig, wo und wie er ſich eine zuverläſſige, 
ihn vor Schaden bewahrende Aufklärung erholen kann. 
Das Aeußerſte, was zur Sicherung der Steuererträgniſſe 
als angängig bezeichnet werden kann, iſt die Auf- 
ſtellung einer widerlegbaren Rechtsvermutung für die 
Abſichtlichkeit der Verfehlung, der gegenüber die Be⸗ 
weislaſt nicht die Anklage, ſondern den Beſchuldigten 
trifft, wie dies bei der Steuerreform vom 9. Juni 
1899 nach den Motiven namentlich zum EStG. (Verh. 


d. K. d. Abg. 1897/98, Beil. Bd. 14 S. 397, auch 


S. 404, 430) geſchehen iſt, wo übrigens ausdrücklich 
hervorgehoben wurde, daß „ſeither, um die Hinter⸗ 
ziehungsſtrafe zu begründen, das Erfordernis aufge- 
ſtellt war, daß die unrichtigen ꝛc. Angaben wiſſentlich 
gemacht ſein müſſen, die Beweisführung für den Um⸗ 
ſtand der Wiſſentlichkeit oder Abſichtlichkeit demgemäß 
der Anklage oblag.“ Wie ſehr dies der Grundrichtung 
der bayeriſchen Steuergeſetzgebung entſprach, erhellt 
am beſten daraus, daß bei der Steuerreform vom 
14. Auguſt 1910 für die Strafbarkeit wegen Steuer- 
hinterziehung im weſentlichen wieder auf das Erfor— 
dernis der Wiſſentlichkeit oder einer rechtswidrigen 
Gefährdung oder Entziehung oder Verkürzung der 
Abgabe oder wenigſtens des Mangels eines genügenden 
Entſchuldigungsgrundes zurückgegriffen worden iſt 
(vgl. Art. 71 EStG., Art. 28 GewStG., Art. 21 
KapRStG., Art. 13 Hunde Geb., Art. 17 Waren HStG.). 

Nach alldem muß der Begriff des Formaldelikts 
als ein Fremdkörper im Gebäude des bayeriſchen 
Steuerrechts bezeichnet werden; er kann bei der An— 
wendung der bayeriſchen Steuergeſetze nicht in Frage 
kommen, übrigens auch für die Reichsgeſetze nur dann, 
wenn beſondere Anhaltspunkte dafür im Geſetze ge— 
geben ſind; jedoch muß kraft der beſonderen Natur 
der Steuerdelikte mit Ausnahme der Fälle, in denen 
das Geſetz ſelbſt Abſichtlichkeit oder Wiſſentlichkeit des 


Handelns als Vorausſetzung für die Strafbarkeit auf⸗ 
ſtellt, ſchon eine bloße Nachläſſigkeit genügen, die 
neben der Fahrläſſigkeit im Sinne des StGB. auch 
jedes ſonſtige vermeidliche Verſehen umfaßt. Infolge⸗ 
deſſen kann ſich der Senat der bisherigen Auslegung 
des Art. 16 WGStG. nicht anſchließen; er ſtimmt 
vielmehr der Auffaſſung der Inſtanzgerichte bei, daß 
der feſtgeſtellte tatſächliche Irrtum ein Verſchulden 
des Angeklagten B. und damit auch ſeine Strafbar⸗ 
keit ausſchließt. (Urt. vom 17. Januar 1911, RevReg. 
10.) Ed. 
2218 


Oberlandesgericht München. 


I. 

Geometergebühren. Der Kgl. Obergeometer R., 
Vorſtand des Meſſungsamts P., wurde durch Beweis⸗ 
beſchluß des Landgerichts P. zu einem richterlichen 
Augenſchein beigezogen, um feſtzuſtellen, ob eine Mauer 
die Grenze von zwei Nachbargrundſtücken überſchreitet 
und hatte dies techniſch feſtzuſtellen. Er liquidierte 
28,40 M für Anteilnahme am landgerichtlichen In⸗ 
formationsaugenſchein „für das Kgl. Finanzärar“ und 
15 M für Anfertigung eines Gutachtens. Durch Ver⸗ 
fügung des beauftragten Richters wurden ihm außer 
den 15 M für das ſchriftliche Gutachten (§4 3860.) 
nach 88 7, 3, 8 380. weiter zugebilligt: für Reiſe⸗ 
koſten des Obergeometers 2,20 M, des Gehilfen 2,20 M, 
für Aufwand des Beamten 5 &, des Gehilfen 2,50 M, 
für Zeitverſäumnis des Beamten 7 M, — in Summa 
18,90 M — ſtatt der liquidierten 28,40 M. Dagegen 
erhob Obergeometer R. beim Landgericht „Einſpruch“, 
der als Beſchwerde im Sinne des $ 17 Abſ. 3 3860. 
behandelt und für begründet erachtet wurde. 

Aus den Gründen: Obergeometer R. war als 
Sachverſtändiger in einem Rechtsſtreite zur Ent- 
ſcheidung einer techniſchen Pre beigezogen, die er 
auf Grund vorgenommener Meſſung zu prüfen hatte; 
er war demnach nicht Sachverſtändiger aus Veran: 
laſſung feines Amtes und die Anwendung des 8 14 
GeboO. kommt nicht in Frage. Dagegen iſt $ 13 an⸗ 
wendbar und es iſt die Entfchädigung nach den Tax⸗ 


vorſchriften zu bemeſſen, die für den Fall gelten, daß 


er nicht ein Dienſtgeſchäft vornimmt, ſondern auf 
Parteiantrag eine Meſſung vollzieht Demnach iſt 
hier nicht maßgebend die Bek. vom 16. Juni 1909, 
die Entſchädigung für den Dienſtaufwand bei äußeren 
Dienſtgeſchäften der Meſſungsämter betreffend (J MBl. 
1909 S. 480): denn es handelt ſich um kein Dienſt⸗ 


geſchäft im Sinne dieſer Bek. zur VO. vom 15. De⸗ 


zember 1908, den Ummeſſungsdienſt der Finanz⸗ 
verwaltung betreffend (GVBl. 1908 S. 1094). Maß⸗ 
gebend find vielmehr die Meſſungs⸗ und Abmarkungs— 
gebühren, wie ſie in der Bek. vom 18. Februar 1907 
(FMBl. S. 117) feſtgeſetzt und nach § 9 der ange— 
führten VO. von den Parteien zu entrichten ſind. 
Die vom Obergeometer R. urſprünglich liquidierten 
Gebühren entſprechen nun vollſtändig den in der letzt- 
erwähnten Bek. vom 18. Februar 1907 enthaltenen 
Vorſchriften, wonach er für das vorgenommene 
Meſſungsgeſchäft (88 2 und 15 der Bek.) Gebühren 
nach Zeitaufwand und Entfernung für ſich und einen 
Aſſiſtenten berechnen kann (88 7, 8 der Bek.) Die ein⸗ 
zelnen Anſätze nach Zeit und Entfernung ſind nach der 
dienſtlichen Liquidation nicht zu bemängeln, die Ge— 
bühren entſprechen demnach den beſtehenden Tax— 
vorſchriften, weshalb unter Abänderung der Ent— 
ſcheidung die urſprüngliche Liquidation zu genehmigen 
war. In welcher Weiſe Obergeometer R. die 
feſtgeſezten Gebühren mit dem Kgl. Finanzärar 
zu verrechnen hat, kommt nicht in Betracht und iſt 
auf die Feſtſetzung ohne Einfluß. (Beſchl. vom 
17. Februar 1911; Beſchw.⸗Reg. 86/11). 


2180 N. 


208 


II. 


„Formelle Behandlung der Beſchwerden gegen Be⸗ 
ſchlüſſe der OG. Auf eine ſolche beim OLG. eingereichte 
Beſchwerde wurde beſchloſſen, fie habe „unberückſichtigt 
zu bleiben“; dieſer Beſchluß wurde dem Beſchwerde— 
führer zugeſtellt. 

Aus den Gründen: Gegen Beſchlüſſe des 
OLG. findet nach S 567 Abſ. 2 3p O. i. d. F. des 
Geſ. vom 22. Mai 1910 eine Beſchwerde überhaupt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


nicht mehr ſtatt; es beſteht deshalb nach der neuen 


Faſſung der SS 135 GVG. und 7 EG. ZPO. auch 


kein Beſchwerdegericht mehr, dem die Beſchwerde vor⸗ 


gelegt werden könnte. Der Beſchluß vom 10. ds. Mts. 
iſt vielmehr rechtskräftig geworden und es muß des⸗ 
halb die Eingabe des 
bleiben (§§ 577, 322 3 O.). Die Gebührenfreiheit 
folgt aus 8 47 Nr. 1 GKG. (Beſchluß vom 15. März 
1911; Beſchw.⸗Reg. Nr. 152/11). N. 


221 
III. 

Zu 9a GG. Der Hausknecht R. war von 
dem im Gaſthausſtall eingeſtellten Pferde des Kauf⸗ 
manns B. an der Bruſt gebiſſen worden und hatte 
wegen mehrwöchentlicher Dienſtunfähigkeit und heftiger 
Schmerzen auf Zahlung von 500 M Schmerzensgeld, 
109.50 M bisherigen Verdienſtentgang und für die 
Dauer der zur Zeit der Klageerhebung noch beſtehenden 


— — - 


222 


der Vatergutsforderung. Die elterliche Gewalt über 


die drei noch minderjährigen Kläger ſtand ſeit dem 
Tode des Vaters der Mutter, der Gemeinſchuldnerin, 
zu. Kraft der elterlichen Gewalt hatte ſie das Recht 
und die Pflicht für das Vermögen ihrer Kinder zu 
ſorgen. Ihr Recht auf die Vermögens verwaltung war 
durch keine Verfügung beſchränkt, es wurde erft mit 
der Rechtskraft des die Eröffnung des Konkursver— 
fahrens anordnenden Beſchluſſes vom 14. Juni 1909 
beendigt (SS 1686, 1627 ff., 1638 ff., 1667 ff, 1647 
BGB). Zum Vermögen ihrer Kinder gehörte zunächſt 
deren Anteil am Nachlaſſe ihres Vaters oder das, was 
ihnen bei der Nachlaßauseinanderſetzung zur Befriedi⸗ 


gung ihrer Erbanſprüche zugewieſen wurde, nämlich 


chuldners unberückſichtigt 


Erwerbsbeſchränkung auf 5 M wöchentlichen Verdienſt⸗ 


erſatz ſowie die ziffermäßig nicht angegebenen Heilungs⸗ 
koſten geklagt. 
von 650-900 M an; die Beſchwerde des Anwalts 
zwecks Erhöhung auf 2100 M blieb erfolglos. 

Aus den Gründen: Die Beſchwerde des An— 
walts perſönlich iſt zuläſſig, weil ſie auf Erhöhung 
des Streitwerts gerichtet iſt (8 12 RAGebdo.), aber 
ſachlich iſt fie unbegründet. Auch bei 8 9a GKG. iſt 
die geringere Geſamtſumme der Klageforderung maß— 
gebend, falls fie unter dem fünfjährigen Geſamt⸗ 
betrag bleibt (ROL G. Bd. 2 S. 434). Hier kann nun 
nicht angenommen werden, daß die Erwerbseinbuße 
ſolange gedauert hätte, daß fie zum Satze von 5 M 
wöchentlich in Verbindung mit den unbezifferten 
Heilungskoſten die Streitwertsklaſſe 650-900 M 
überſchritten hätte. Denn die bezifferten Klagebeträge 
machen nur 609.50 M aus und ſchon aus der Klage 
erhellt, daß eine Unfallrente nicht bewilligt war, 
denn ſonſt hätte ſie dort abgezogen werden müſſen; 
alſo waren offenbar von vorneherein die Unfallfolgen 
vorausſichtlich in wenigen Monaten behoben. Der 
Beſchwerdewert deckt ſich mit dem Gebührenunter— 
ſchied (58 16 GKG. mit RG. 12, 362; 51, 173). 
(Beſchl. vom 3 Februar 1911; Beſchw.-Reg. Nr. 71/11). 

2175 N. 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


1 


Ueber das Vorrecht für die Forderungen der Kinder 
des Gemeinſchuldners wegen ihres geſetzlich feiner Ber: 
waltung unterworfenen Vermögens (F 61 Nr. 5 KO.). 
Verwaltung eines vom Gewalthaber ſelbſt geſchuldeten sta: 


Das Gericht nahm einen Streitwert 


die Forderung zu je 4000 M, als deren Schuldnerin 
die Witwe Hr. den Klägern gegenüber „aus dem 
Rechtsgrunde des väterlichen Erbteils“ ſich bei der 
Uebernahme des Nachlaſſes bekannt und wofür ſie 
Hypothek auf dem ihr zugefallenen Anweſen beſtellt 
hat. Auch dieſe Forderung der Kinder war der Ber: 
waltung ihrer Mutter unterworfen; gleichgültig iſt, 
daß die Witwe Verwalterin und Schuldnerin in einer 
Perſon war, ferner daß ſie durch Vertrag mit ihren 
Kindern zur Sicherheit für deren Forderung gegen ſie 
eine Hypothek beſtellt hatte und daß ſich die Forde⸗ 
rung nur zum Teilbetrage von je 3000 M auf die 
letztwillige Verfügung des Erblaſſers ſtützt und zum 
Teilbetrage von je 1000 M auf einer Schenkung der 
Witwe Hr. an ihre Kinder, auf einer freiwilligen Er⸗ 
höhung ihres Vaterguts beruht. Die Forderung war, 
ſobald ſie entſtanden war, als Vermögen der Kläger 
kraft Geſetzes Gegenſtand der Verwaltung durch ihre 
Mutter. In der vertragsmäßigen Begründung der 
Forderung allein lag nicht, wie der Konkursverwalter 
vorbringen ließ, eine vertragsmäßige Regelung ihrer 
künftigen Verwaltung, hierfür blieb nur das Geſetz 
maßgebend. Das Vorrecht nach $ 61 Nr. 5 KO. um: 
faßt nicht bloß Anſprüche auf Erſatz für Verluſte aus 
Anlaß der Vermögens verwaltung, ſondern auch die 
Anſprüche auf Leiſtung des Gegenſtands der Verwal— 
tung ſelbſt; gerade die Tatſache, daß Witwe Hr. ſelbſt 
die Schuldnerin der von ihr verwalteten Forderung 
ihrer Kinder war, erhöht die Schutzbedürſtigkeit. Selbſt 
wenn die Witwe ihr Vermögen immer weiter für ſich 
verbraucht oder belaſtet hätte, blieb doch die Vater⸗ 
gutsforderung ihrer Kinder gegen ſie beſtehen und 
ihrer Verwaltung mit der Wirkung des Vorrechts im 
Konkurſe unterworfen, es konnte dadurch weder die 
Forderung untergehen noch die Verwaltung aufhören 
(Seuff A. 44, 477; 50, 382). Das Vorbringen des 
Konkursverwalters, für den Unterhalt und die Erzie⸗ 
hung der Kinder ſeien wenigſtens 3000 M verwendet 


und hierdurch ihr Vermögen vermindert worden, iſt, 


pitals. Aus den Gründen: Im Konkursverfahren über 


das Vermögen der Witwe Hr. wurde auf Grund der 
Anmeldung des Pflegers ihrer drei minderjährigen 
Kinder deren Vatergutsforderung zu je 4000 M im 
allgemeinen Prüfungstermine als gewöhnliche nicht 


bevorrechtigte Konkursforderung anerkannt und feit 


geſtellt. das vom Pfleger beanſpruchte Vorrecht nach 
§ 61 Nr. 5 KO. beſtritt der Konkursverwalter. Dieſes 
Ergebnis wurde in die Konkurstabelle eingetragen. 


abgeſehen von der Feſtſtellung der ganzen Forderung 
zur Konkurstabelle, auch deshalb ohne Bedeutung, weil 
Witwe Hr. dieſe Aufwendungen aus ihrem Vermögen 
nicht einſeitig mit den Anſprüchen ihrer Kinder auf— 
rechnen konnte (85 1630, 1795 BGB.), ferner weil 
ſie für die Koſten des Unterhalts ihrer Kinder, ſoweit 
deren Einkünfte nicht reichten, aus eigenen Mitteln 
aufzukommen hatte, da ihr Unvermögen hierzu nicht 
einmal behauptet und nicht anzunehmen iſt (58 1601, 
1610, 1602 Abſ. I und II, 1603 Abſ. Lund II BGB.), 
und weil ſie auf den Erſatz ihrer Mehrauslagen ge— 
wiß verzichtet, ſeine Geltendmachung nie beabſichtigt 
und geäußert hat. 

Am 6. November 1908 iſt mit Bewilligung des 
früheren Pflegers und mit Genehmigung des Vor— 
mundſchaftsgerichts die zur Sicherung der Vaterguts— 
forderung errichteten Hypothek gelöſcht worden. Da— 


durch iſt jedoch weder die perſönliche Forderung der 


Vorrecht geſchmälert worden. 
Mit Unrecht beſtreitet der Konkursverwalter das auf 


Kinder gegen ihre Mutter untergegangen noch ihr 
Der Umſtand, daß der 
Pfleger ſich zur Loſchungsbewilligung deshalb ent— 


die Klage des Pflegers vom 2. feſtgeſtellte Vorrecht ſchließen zu können glaubte, weil Witwe Hr. „zur 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


1911. Nr. 9. 209 


hypothekariſchen Sicherung des Vaterguts ihrer eigenen 
Kinder geſetzlich nicht verpflichtet geweſen ſei“, daß 
er alſo die auf dem ee ee zwiſchen Mut⸗ 
ter und Kindern beruhende Sicherheitsleiſtung von 
der durch Vertrag zwiſchen Schuldner und Gläubiger 
begründeten Sicherung einer Forderung nicht unter— 
ſchieden hat, iſt nicht zum Nachteil der Kläger zu ver⸗ 
werten. Hierdurch wurde nicht erſt das Vermögen der 
Kläger vertragsmäßig der Verwaltung ihrer Mutter 
unterworfen, ſondern es wurde an ihrer geſetzlichen 
Vermögens verwaltung überhaupt nichts geändert; die 
Batergutsforderung der Kläger war jetzt ohne ding⸗ 
liche Sicherheit, wie früher mit ſolcher, der mütter⸗ 
lichen Verwaltung kraft Geſetzes unterworfen, ſie blieb 
trotz des Verzichts auf die Hypothek mit dem Vor⸗ 
rechte nach 8 61 Nr. 5 KO. ausgeſtattet, wie wenn ſie 
von Anfang an nicht durch eine Hypothek geſichert ges 
weſen wäre. Dadurch, daß die Gemeinſchuldnerin den 
Rang der gelöſchten Hypothek für ihre Zwecke ver- 
wertet und ihr Vermögen auch ſonſt verringert oder 
belaſtet hat, wurde die Forderung der Kläger ſamt 
ihrem Vorrechte nicht berührt; unter allen Umſtänden 
blieb der Anſpruch der Kläger gegen ihre Mutter auf 
Erſatzleiſtung für die Verſchlechterung oder Gefährdung 
ihrer Forderung und das Vorrecht des § 61 Nr. 5 KO. 


auch hierfür beſtehen. (Urt. vom 6. Juni 1910, Ber⸗ 
Nr. 140/10). B r. 
2197 


II. 


Sicherungsübereignung von Sachen, die der Schuld⸗ 
ner erſt nach der Vereinbarung erwirbt; Verhandeln 
des Schuldners mit ſich felbft als Bertreter des Glän⸗ 
bigers (58 930, 868, 181 BGB.) Aus den Gründen: 
Daß der wirtſchaftliche Erfolg der Beſtellung eines 
Pfandrechts auch durch die Uebereignung von Sachen 
zum Zwecke der Sicherung einer Forderung erreicht 
werden kann und darf, unterliegt bei dem Fehlen 
eines geſetzlichen Verbots keinem Zweifel (SS 1204 ff., 
929 ff., 223 JI BGB.). Das zu Sicherungszwecken er— 
worbene Eigentum genießt den gleichen geſetzlichen 
Schutz gegen fremde Eingriffe wie das den gewöhn— 
lichen Gebrauchszwecken dienende Eigentum (RGKomm. 
I S. 892 Anm. 5). Selbſtverſtändliche Vorausſetzung 
iſt, daß ſich der ernſtlich beabſichtigte Eigentums- 
erwerb nach den Vorſchriften des BGB. auch wirklich 
vollzogen hat (Jur W. 1903 Beil. S. 143; RG. 57 
S. 157 ff.; 59 S. 146 ff, 62 S. 126 ff.). 
der Sicherungsübereignung, die ſich als Erſatz für 
die mit Beſitzvorbehalt unmögliche Verpfändung zum 
Schutze der wirtſchaftlich Schwachen ungeachtet der 
ſchweren Gefahren für die Sicherheit des Geſchäfts— 
verkehrs und des Kredits eingebürgert hat, muß auf 
die genaue Befolgung der Geſetze ſtreng geachtet und 
jeder Verſuch einer Einführung milderer Formen ent— 


Gerade bei 


f 


a — 


ſchieden zurückgewieſen werden, damit der Grundſatz 
der Gleichheit des Rechtes erhalten bleibt und die 


Neigung zu Abmachungen, die den Verdacht des 


Scheines gegen ſich haben und für Dritte nicht offen- 


ſichtlich ſind, nicht zum Schaden von Treu und 
Glauben im Verkehr überhand nimmt (Seuff. Arch. 


des Eigentums iſt wirkungslos, wenn der Erwerber 
die Sachen nicht beſitzt, es muß die Uebergabe der 
Sachen in die tatſächliche Gewalt des Erwerbers 
($ 929) oder die Vereinbarung eines den Beſitz des 
Erwerbers vermittelnden Rechtsverhältniſſes (§ 930 
BGB.) hinzukommen. Auf Grund des Beweisergeb— 
niſſes mag davon ausgegangen werden, daß die 
Klägerin R. als Gläubigerin eines Darlehens von 
2000 M und der Schuldner P. ſeit dem Frühjahr 1908 
durüber einig waren, es ſollten nicht bloß die vor— 
handenen, ſondern auch die künftig vom Schuldner P. 
auf ſeinem Anweſen anzuſchaffenden, zu gewinnenden 
und herzuſtellenden Inventarſtücke, Feldfrüchte und 


Ziegelſteine zu Sicherungszwecken in das Eigentum 
der Klägerin R. übergehen und es ſollte der Schuld— 
ner P. ſie nur als „Vertreter“ der Klägerin „inne— 
haben“; es mag auch unterſtellt werden, daß hiermit 
nicht bloß ein — nach § 930 BGB. unzuläſſiger — 
leerer Beſitzvorbehalt, ſondern ein den mittelbaren Be— 
ſitz begründendes Rechtsverhältnis gleichviel welcher 
Art ($ 868) geſchaffen worden ſei. Dieſe Berein- 
barung vom Frühjahr 1908 war für die im Herbſt 
1909 auf Betreiben des Beklagten M. bei dem 
Schuldner P. gepfändeten Sachen nicht ohne weiteres 
wirkſam, da der Schuldner P. dieſe Sachen erſt lange 
nach jener Vereinbarung in Beſitz bekam; dagegen 
konnte die Vereinbarung des Eigentumsübergangs 
auch für die ſpäter vom Schuldner erworbenen Sachen 
nachträglich wirkſam werden, unter der Voraus— 
ſetzung, daß der Schuldner als Erwerber der Ber: 
einbarung gemäß handelte. Aus feiner Ausſage, er 
habe bei den fpäteren Anſchaffungen und Her— 
ſtellungen von Inventarſtücken und Ziegelvorräten 
„jeweils immer die Meinung und das Bewußtſein 
gehabt, daß dieſe Sachen Eigentum der Klägerin fein 
ſollten“, kann man allerdings auf den mit den Ab— 
ſichten der Klägerin ſich deckenden Willen des Schuld⸗ 
ners ſchließen, es ſolle das Eigentum auf ſie über— 
gehen. Damit allein konnte aber dieſe Wirkung noch 
nicht erreicht werden. Denn dieſe inneren Vorgänge 
konnten, gerade bei der Uebereignung auf Grund 
eines den Beſitz nur vermittelnden Rechtsverhältniſſes 
(8 930), eine rechtliche Bedeutung nur erlangen, 
wenn ſie durch äußere Tatſachen in die Erſcheinung 
traten, ſei es daß die Klägerin ſelbſt die frühere Ver- 
einbarung ſpäter mitvollzog, oder daß der Schuldner 
P. dieſen Erfolg durch ein erkennbares Verhandeln 
mit ſich ſelbſt als Vermittler herbeiführte; erſteres 
iſt nicht einmal behauptet und letzteres iſt nicht ge⸗ 
ſchehen. Der Schuldner mußte als Zeuge zugeben, 
daß er mit der Klägerin, feiner Gläubigerin, nie ab- 
gerechnet und daß er ihr nie ein Verzeichnis über das 
Inventar des Anweſens, die Ernte der Oekonomie 
oder die Fabrikate der Ziegelei gefertigt hat; es iſt 
ſerner nicht einmal behauptet, daß der Schuldner der 
Klägerin die Nachſchaffung von Inventar, die Ge— 
winnung von Früchten und die Herſtellung von 
Ziegeln angezeigt und die Ausführung des Ueber— 
einkommens, wonach ſie Eigentümerin und mittelbare 
Beſitzerin werden ſollte, ihr mitgeteilt oder durch be— 
ſondere Buchung und dgl. erkennbar geäußert habe. 
Der äußerlich nicht geoffenbarte Wille des Schuldners, 
die Klägerin zum unmittelbaren Beſitzer der Nach— 


ſchaffungen zu machen, blieb alſo wirkungslos. 
(Urt. vom 5. Dezember 1910, Ber.⸗Nr. L. 306/10). 
2198 Br. 


Landgericht Paſſau. 


Der Vergleich im Privatklageverfahren bildet einen 
Vollſtreckungstitel, anf Grund deſſen die Koſten gericht: 


lich feſtgeſetzt werden können. Aus den Gründen: 
64 S. 277). Die bloße Einigung über den lebergang 


ſchloſſen worden, 


Iſt in einem Privatklageverfahren ein Vergleich ge— 
in dem der Privatbeklagte die 
Koſten des Verfahrens übernommen hat, und weigert 
ſich der Privatbeklagte, die Koſten zu zahlen, ſo 
müßte ein neuer, oft mit vielen Koſten verbundener 


Zivilprozeß angeſtrengt werden, wenn der Vergleich 


nicht als Vollſtreckungstitel gelten würde. Damit 
wäre gerade das Gegenteil von dem erreicht, was 
durch den Vergleich bezweckt werden ſollte. Die 
Koſten würden nicht gemindert ſondern erhöht. Nach 
den Beſtimmungen der StPO. über das Privatklage— 
verfahren iſt die Anwendung von Vorſchriften der 
ZPO. in mancher Hinſicht geboten (vgl. SS 419, 503 
Abſ. V StPO.). Die Anwendung der Vorſchriften der 


210 


3PO. muß auch da ſtatthaft fein, wo das Bedürfnis 

dafür infolge einer Lücke der StPO. zutage tritt und 
es kann der Forderung nach annaloger Anwendung 
von 88 103 Abſ. 1, 794 Nr. 1 ZPO. die Berechtigung 
nicht abgeſprochen werden. Der Abſatz 3 des § 397 
des Entwurfs einer StPO. iſt entſtanden aus dem 
Bedürfniſſe nach Regelung der ſtreitigen Frage. Es 
kann nicht unrichtig ſein, wenn die Praxis bei dem 
jetzt beſtehenden Streite ſich nach derjenigen Seite 
neigt, welche dereinſt die maßgebende geſetzliche 
Geltung erlangen Kar (Beſchl. vom 11. e 
1911, Beſchw.⸗Reg. 4 u. 5/1911). 

2177 


Literatur. 


Gerland Dr. 95 75 o. Profeſſor an der Univerſität 
Jena. Die Reformdes Juriſtiſchen Studiums. 
160 IV. Bonn 1911, A. Marcus und E. Webers 
Verlag. 

Das vielbehandelte, aber immer noch nicht er⸗ 
ſchöpfte Thema der Reform unſeres juriſtiſchen Studiums 
bildet den Gegenſtand dieſes anregend geſchriebenen, 
von modernen Anſchauungen zeugenden Buches, das 
an Entſtehung einer Ergänzung und Erweiterung 
er vom Verſaſſer an der Univerſität Jena gehaltenen 
Antrittsvorleſung verdankt. Die Schrift bringt zunächſt 


(S. 1—17) eine gedrängte, auf die verſchiedene Ent⸗ 


wicklung in den Einzelſtaaten nicht weiter eingehende 
Darſtellung der juriſtiſchen Studienverhältniſſe an den 
deutſchen Hochſchulen im 19. Jahrhundert. Daran 
reiht ſich im zweiten Teile (S. 18—39) eine wertvolle 
kurze Ueberſicht über die wichtigſten Wünſche und 
Anregungen, 
wurden. In dem dritten Teile (S. 40 - 159), dem 
eingehender kritiſcher Stellungnahme ſeinen eigenen 
Standpunkt in der Reformfrage. Verlängerung des 
Univerſitätsſtudiums auf vier Jahre, Verlegung des 
modernen Rechtes an den Anfang der Ausbildung, 
Teilung des Unterrichts in eine Elementar- und eine 


Zeitſchrift für für Rechtspflege i in VBahern. 1911. Nr. 9. 


— — — — &ö— 


ausſpricht, daß damit allein die oft recht unbefriedigende 
Schreibweiſe des Reichsgerichts nicht erklärt wird. Die 
Neigung zu unüberſichtlichem Satzbau und zu geſuchten 
Redewendungen iſt häufig unverkennbar; ſie könnte 
und müßte überwunden werden und wie erfreulich 
wäre es, wenn das Reichsgericht den unteren Inſtanzen 
auch in der Darſtellung vollkommene Muſter bieten 
würde. 

Die Verfaſſer beabſichtigen das Unternehmen fort⸗ 
zuſetzen, wenn es Anklang findet. Es ſcheint mir nicht 
unzweifel haſt zu fein, ob der buchhändleriſche Erfolg 
bei der Ueberſchwemmung des Marktes mit Sammlungen 


von Entſcheidungen die aufgewendete Mühe und Sorg⸗ 


die in der weitgehend berückſichtigten 


Reformliteratur der letzten ſechs Jahrzehnte vorgebracht | und Vorbildung zum Rechtsſtudium, die nicht nur 


Heine im weſentlichen zuſtimmende Beantwortung der 
Hauptteile des Buches, entwickelt der Verfaſſer unter 5 8 


Oberſtufe nach dem Vorgange Zitelmann's jedoch ohne 


deſſen Zwiſchenpraxis, ſind die zwar — wie der Verſaſſer 
ſelbſt ſagt — nicht neuen, aber wohl begründeten For— 
derungen, auf die Gerland in der Hauptſache die Neu— 
ordnung des Univerſitätsſtudiums aufgebaut wiſſen will. 
Die Verbeſſerung des Prüfungsweſens, eine Hauptnot— 
wendigkeit der Reform, erblickt der Verfaſſer in der Ver— 
tiefung des Univerſitätsſchlußexamens ſowie in der, wie 
er ſelbſt nicht verkennt, mit Schwierigkeiten verbundenen 
Einführung einer Zwiſchenprüfung. Dr. H. Schanz. 


Noeſt, Dr. B., Juſtizrat in Solingen, und E. Plum, 
Rechtsanwalt in Cöln, Die Reichs gerichtsent⸗ 
ſcheidungen in Zivilſachen. 72. und 73 Band 
der amtlichen Sammlung. VIII. 168 S. XXVI, 
201 S. Berlin 1910, Karl Heymanns Verlag. Je 
Mk. 2.—, gebd. Mk. 2.50. 


Die Verfaſſer haben den originellen Verſuch ge— 
macht einen Band der amtlichen Sammlung von 
Reichsgerichtsentſcheidungen in eine kürzere, leichter 
lesbare Form zu bringen und durch Fußnoten den 
Zuſammenhang mit der Literatur und der übrigen 
Rechtſprechung herzuſtellen, wobei mitunter auch ein— 
zelne Nebengedanken weiter verfolgt oder die praktiſchen 
Folgen einer Entſcheidung hervorgehoben werden. In 


der Einleitung führen die Verfaſſer die ſchwerfällige 


Sprache der Reichsgerichtsentſcheidungen auf das Be— 
ſtreben zurück, „dem Gedanken eine genaue Begrenzung 
zu geben und ihn vor jedem Mißverſtändnis zu ſichern.“ 

Das iſt fein und höflich ausgedrückt. Im Intereſſe 
der Sache liegt es aber wohl, wenn man unverblümt 


falt lohnen wird. Zu wünſchen iſt es; denn insbe⸗ 
ſondere für den Anfänger iſt ein ſolches Buch von 
Wert, weil es die Hauptgedanken herausſchält und 
durch die e zum eigenen Nachdenken er⸗ 
muntert und anleitet. von der Pfordien. 


Mittermaier, W., Dr. jur., o. ö. Profeſſor des Rechts 
an der Univerſität Gießen. Wie ſtudiert man 
Rechts wiſſenſchaft? Das Studium der Rechts⸗ 
wiſſenſchaft und ſeine zweckmäßige Einrichtung. 
Eine Anleitung für Studierende. IV, 176 S 
Stuttgart 1911, Wilhelm Violet. Mk. 2.50. 


Das leichtfaßlich geſchriebene, populär gehaltene 
Buch des bekannten Gießener Rechtslehrers bietet viel 
mehr, als ſein Titel eigentlich beſagt. Nach einigen 
Bemerkungen über die Schwierigkeiten einer Anleitung 
zum Rechtsſtudium bringt es zunächſt einen kurzen, 
jedoch inhaltreichen Abriß über Begriff und Syſtem 
des Rechtes, dann über Rechtswiſſenſchaft, deren 
Gliederung und Verhältnis zu anderen Wiſſenſchaften. 
Daran reiht der Verfaſſer im dritten Kapitel beſonders 
intereſſante Ausführungen über Aufgabe, Eignung 


Frage des Frauenſtudiums bringen, ſondern auch 
unter Aufzählung aller für den juriſtiſchen Beruf 
wünſchenswerten Eigenſchaften und Fähigkeiten ein 
juriſtiſches Idealbild entrollen, das, ſo berechtigt auch 
jede Forderung im einzelnen erſcheint, in feiner Ge⸗ 
ſamtheit doch wohl ſelten Verwirklichung findet. Im 
vierten Kapitel erfährt ſodann die geſetzliche Regelung 
des Rechtsſtudiums in Deutſchland eine ausführlichere 
Behandlung, wobei auch die geſchichtliche Entwicklung, 
die gerade heutzutage wieder im Vordergrunde ſtehende 
Reformfrage und die Einrichtungen des Auslandes, 
wenn auch nur kurz, geſtreift werden. Das umfaſſende 
fünfte Kapitel, das ſich mit den Einzelheiten des 
Studiums und den Prüfungen beſchäftigt, birgt den 
hauptſächlichſten und wichtigſten Teil des Themas 
in ſich; in feſſelnder Darſtellung wird hier eine in⸗ 
haltreiche von jeglicher Pedanterie freie Anleitung 
zum Rechtsſtudium geboten, die dem jungen Rechts— 
befliſſenen unter Hinweiſung auf alles für ihn 
Wiſſenswerte eine Reihe beachtens werter Vorſchläge 
für die Einrichtung ſeines Studiums und die Vor— 
bereitung auf die Prüfungen an die Hand gibt. 
Alles in allem genommen kann die Schrift, der in 
dankenswerter Weiſe auch ein Sachregiſter beigegeben 
iſt, dem angehenden Juriſten nur warm empfohlen 
werden; er wird in ihr reiche Belehrung und An— 
regung für ſeine ganze Studienzeit finden. 
Dr. 9. Schanz. 


Pfaff, Dr. Hermann von, und Anton von Neiſenegger. 
Das bayeriſche Gebührengeſetz mit Erläu⸗ 
terungen. Siebente Auflage auf Grund der Faſſung 
vom 13. Juli 1910 bearbeitet von Hermann Schmidt, 
Miniſterialrat im K. B. Staatsminiſterium der Fi— 
nanzen. 516 S. München 1911, C. H. Beckſche Ver⸗ 
lagsbuchhandlung (Oskar Beck). Gebd. Mk. 5.0. 


Die neue Auflage, die infolge der Novelle vom 


29. April 1910 notwendig geworden iſt, weiſt einen 
etwas kleineren Umfang auf und iſt deshalb auch 
billiger als ihre Vorgängerin. Es ſind nämlich eine 
Reihe von Vollzugsvorſchriften weggelaſſen, die bis⸗ 
her im Anhang abgedruckt waren; die zur Ergänzung 
nötige ſechſte Auflage gibt der Verlag zum ermäßigten 
Preiſe von Mk. 2.50 für das Stück ab. Es wäre 
freilich wünſchenswert geweſen, wenn man das ge⸗ 
ſamte Material in einem Bande vereinigt zur Ver⸗ 
fügung hätte, zumal da beide Auflagen zuſammen 
doch etwas teuerer zu ſtehen kommen als die ſechſte 
allein. Indeſſen darf man nicht verkennen, daß die 
ſortgeſetzten raſch aufeinanderfolgenden Aenderungen 
des Geſetzes eben zu dem Gebrauche ſolcher Auskunfts- 
mittel zwingen. 

Die Anlage des Buches, das eine erſchöpfende 
Ueberſicht über die Materialien und den Stand der 
Auslegung des Geſetzes in der Praxis gibt, iſt bekannt. 


von der Pfordten. 


And, Dr. jur. C., Privatdozent an der Univerſität 
Tübingen. Verwaltungsrechtliche Geſetze 
Württembergs. Erſter Band, Gemeindeordnung, 
Textausgabe mit Anmerkungen. VIII. 491 S. Tü⸗ 
9 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Gebd. 


Die ſehr überſichtlich geſtaltete Ausgabe bringt 
kurze präziſe Anmerkungen. Zur Erlangung eines Ueber⸗ 
blicks über das in manchen Beziehungen eigenartige 
württembergiſche Gemeinderecht, deſſen Vergleichung 
mit den bayeriſchen Einrichtungen viel Intereſſe bietet, 
iſt das Buch ſehr geeignet. 


Hotz, M., Oberpoſtaſſeſſor im Kgl. bayer. Staatsmini⸗ 
ſterium für Verkehrs angelegenheiten. Das Tele⸗ 
graphenwege⸗Geſetz vom 18. Dezember 1899 
unter beſonderer Berückſichtigung der für das König⸗ 
reich Bayern gültigen verwaltungsrechtlichen Vor⸗ 
ſchriften. 139 Seiten. München und Berlin 1910, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 3.—. 


Der Wert der Ausgabe liegt vor allem darin, 
daß durch Einfügung der zahlreichen landesrechtlichen 
Beſtimmungen (Verordn., Min.⸗Entſchl.) das vor⸗ 
liegende Spezialgebiet für Bayern eine erſchöpfende 
Beſprechung gefunden ve Die techniſchen Erläutes 
rungen werden vor allem dem Juriſten die Hand⸗ 
habung des Geſetzes erleichtern. (i. 


4 


Notizen. 


Das Strafverfahren gegen Ingendliche und deren 
bedingte Begnadigung. Die Bekanntmachung vom 
7. April 1911, das Strafverfahren gegen jugendliche Be⸗ 
ſchuldigte und deren bedingte Begnadigung rail 
(ZMBI. S. 101), baut das jugendgerichtliche Verfahren 
weiter aus. Der erzieheriſche Zweck dieſes Verfahrens 
legt ein reges Zuſammenwirken der Juſtizbehörden 
mit den Schulbehörden und Lehrern nahe. Ein ſolches 
5 nano hat auch bisher ſchon mit gutem 
Erfolge ſtattgefunden. In der Bekanntmachung vom 
7. April 1911 wird es nun zuſammenfaſſend geregelt. 
Die Regelung betrifft 

1. die Mitteilungen an die Schulbehörden 
Lehrer bei Verfehlungen ihrer Schüler, 

2. die Erholung gutachtlicher Aeußerungen der Schuls 
behörden und Lehrer über ihre ſtraffällig ges 
wordenen Schüler, 

3. die Inanſpruchnahme der Unterſtützung der Schul— 
behörden und Lehrer zur Erreichung des Zweckes 
der Bewilligung von Bewährungsfriſten. 

Die älteren Vorſchriften über die Mitteilungen 
an die Schulbehörden waren in verſchiedenen Bekannt- 


und 


211 


machungen zerſtreut. Hierdurch und durch mancherlei 
ſachlich in keiner Weiſe begründete Abweichungen 
ihres Inhalts voneinander war ihr Vollzug erſchwert. 
Die vorgeſchriebenen Mitteilungen waren zum Teil 
überflüffig, auf der anderen Seite aber wieder unzu⸗ 
reichend. Die Bekanntmachung vom 7. April 1911 
regelt das Mitteilungsweſen einheitlich für alle Arten 
von Schulen, vereinfacht es bedeutend und erreicht durch 
Beſchränkung auf das Weſentliche und durch zweck⸗ 
mäßige elaſtiſche Geſtaltung der Vorſchriſten eine er⸗ 
hebliche Minderung des Schreibwerks. Neu iſt die 
Vorſchrift, daß die Schulbehörden von den Mitteilungen 
den Klaßlehrern Kenntnis zu geben haben. 


Gutachtliche Aeußerungen der Schulbehörden 
können für die Beurteilung der ſtrafrechtlichen Ver⸗ 
antwortlichkeit von Schülern und die Strafzumeſſung 
wie auch für die Bewilligung einer Bewährungsfriſt 
und deren Widerruf von großem Werte ſein. Des⸗ 
halb wird der Staatsanwaltſchaft zur Pflicht gemacht, 
zur Klärung aller dieſer Fragen gutachtliche Aeußerungen 
der Schulbehörden einzuholen. Aber auch hier tritt 
das Beſtreben einer Vermeidung unnötigen Schreib⸗ 
werks hervor. Die Einholung gutachtlicher Aeußerungen 
ſoll nur erfolgen, wenn dazu nach Lage des Falles 
ein Anlaß beſteht. Die Schulbehörden haben vor Ab⸗ 
gabe ihrer Aeußerungen den Klaßlehrer des Schülers 
zu hören. Zu ihrer Belehrung gibt die Bekannt⸗ 
machung vom 7. April 1911 eine gedrängte Darlegung 
des Weſens und Zweckes der bedingten Begnadigung 
und der Grundſätze, nach denen die Bewilligung einer 
Bewährungsfriſt und deren Widerruf erfolgt. 


Die Bewilligung einer Bewährungsfriſt wird 
Schülern künftig durch die Schulbehörden unter Zu⸗ 
ziehung des Klaßlehrers, aber in Abweſenheit der 
Mitſchüler eröffnet. Mit der Eröffnung ſoll eine Be⸗ 
lehrung über die Bedeutung der Bewilligung einer 
Bewährungsfriſt und eine angemeſſene Ermahnung 
verbunden, auch ſoll der erzieheriſchen Einwirkung 
auf Schüler während des Laufs einer Bewährungs⸗ 
friſt beſondere Sorge zugewandt werden. Dieſe Vor⸗ 
ſchriften find die wichtigſten der Bekanntmachung. 
Die ſchriftliche Mitteilung der Bewilligung einer Be⸗ 
währungsfriſt an Jugendliche hat ſich als wenig ge⸗ 
eignet erwieſen. Sie iſt fortan bei allen Schülern 


ausgeſchloſſen. 
2225 


Der Geſchäſtsverkehr der Inſtizbehörden mit dem 
Auslande. Die Vorſchriften über den Rechtshilfeverkehr 
mit dem Auslande waren ſeit dem Inkrafttreten des 
neuen Haager Abkommens über den Zivilprozeß und 
der zu ſeiner Ergänzung getroffenen Vereinbarungen 
nicht mehr überſichtlich. Die Bekanntmachung vom 
8. April 1911 (JMBl. S. 113) bringt deshalb eine 
neue Zuſammenſtellung der Vorſchriften und hebt zu⸗ 
gleich 8 Bekanntmachungen auf. Neu iſt, daß den 
Juſtizbehörden der unmittelbare Verkehr mit den Ge⸗ 
richten der deutſchen Schutzgebiete geſtattet iſt. Außer⸗ 
dem iſt jetzt die Prüfung der Erſuchungsſchreiben durch 
den Landgerichtspräſidenten u. a. (8 4 der Bek. vom 
8. Mai 1906) auf den unmittelbaren Verkehr mit den 
deutſchen Konſulaten eingeſchränkt. Die Prüfung iſt 
vor allem weggefallen für die Erſuchungsſchreiben, 
die auch künftig noch dem Juſtizminiſterium vorzulegen 
ſind, und für den unmittelbaren Verkehr mit den fremden 
Landesbehörden, auch für den Verkehr mit den däniſchen, 
franzöſiſchen, luxemburgiſchen und niederländiſchen Be⸗ 
hörden in Zivilſachen. Die Juſtizbehörden haben daher 
allen Anlaß zur Vermeidung von Schwierigkeiten, die 
auf dem diplomatiſchen Wege auszutragen wären, ihre 
unmittelbaren Erſuchen an fremde Behörden mit pein— 
licher Genauigkeit abzufaſſen. 

Zur Regelung des unmittelbaren Verkehrs mit 
der Legationskaſſe des Auswärtigen Amtes in Berlin, 
die die Konſulatskoſten zu behandeln hat, find ein— 


212 


— — 


gehende Vorſchriften in § 19 enthalten. Die autogra⸗ 
phierte Entſchl. vom 13. November 1902 Nr. 40768 
gilt nicht mehr. 

In 8 32 Abſ. II berückſichtigt die EN 
die deutſch⸗franzöſiſche Vereinbarung vom 29. März 191 
(RGBl. S. 161), die den deutſchen und den franzöſiſchen 
Behörden in Zivilſachen den unmittelbaren Rechthilfe⸗ 
verkehr geſtattet und auch inſofern bemerkenswert iſt, 
als fie für die Erſuchungsſchreiben Muſter aufftellt, 
deren genaue Beachtung ſich empfiehlt. Ueberſetzungen 
in die franzöſiſche Sprache können überall ohne be⸗ 


ſondere Schwierigkeiten beſchafft werden. Die Bekannt⸗ 


machung ſtellt es deshalb — entgegen der Regel (8 22 
Abſ. II) — den Behörden frei, die Ueberſetzungen durch 
einen inländiſchen Dolmetſcher anfertigen zu laſſen. 
Die Bekanntmachung iſt beſtrebt den Verkehr mit 
dem Auslande ſo einfach als möglich zu geſtalten und, 
wo es nur immer geht, das Schreibwerk zu vermindern. 
Es iſt zu hoffen, daß dieſes Streben bei den äußeren Be⸗ 
hörden, die jetzt im Auslandsverkehre viel ſelbſtändiger 
geſtellt ſind wie früher, die dringend erforderliche Unter⸗ 
ſtützung ſindet. 
2223 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 


S. 45), es ſei völliger Unſinn, „Eurer Hochwohlgeboren“ 
zu ſchreiben, woraus zu ſchließen iſt, daß er annimmt, 
es müſſe „Euer Hochwohlgeboren“ heißen. Aber ſo⸗ 
wohl „Euer Hochwohlgeboren“ als „Euere Hochwohl⸗ 
geboren“ iſt ein ſo wunderliches Sprachgebilde, daß es 
ſich verlohnt zu ſehen, wie es entſtanden und ob es 
dee iſt. Im ehemaligen Sprachgebrauch galt nur 
der Adelige als „geboren“, nicht der Unadelige, und 
als abſtraktes Subſtantiv hierzu wurde das Wort 
Geborenheit gebraucht. Als gleichbedeutend mit Bes 
borenheit war aber auch das abſtrakte Subſtantiv 
Geborne — alſo nicht die weibliche Form des adjek⸗ 
iviſchen Partizips geboren — im Gebrauch, und fo 
wurde noch im 18. Jahrhundert geſchrieben: „an des 
Herrn von Burgsdorf Hochwohlgeborne“, was alſo 
dasſelbe war wie: „an des Herrn von Burgsdorff 
Hochwohlgeborenheit“. Die weitere Entwicklung ging 
dahin, daß z. B. geſchrieben wurde: „Seiner Hochwohl⸗ 
gebohrnen, dem Herrn uſw.,“ und: „von Euer Wohl⸗ 
edelgebohrnen mit einem Schreiben beehrt zu mer 
den, uſw.“ Im erſten Beiſpiel wurde das Wort „Hoch⸗ 
wohlgebohrnen“ noch rein als Hauptwort gefühlt 


mund die Endung —en war die alte Singularbeuge— 


Auslieferungsvertrag mit Großbritannien. Ein Ver⸗ 


trag des Reichs mit Großbritannien vom 30. Januar 
1911 (RGBl. S. 175) dehnt die Anwendung des Aus⸗ 
lieferungsvertrags vom 5. Mai 1894 über die Aus⸗ 
lieferung zwiſchen den deutſchen Schutzgebieten und den 
britiſchen Gebieten (RGBl. S. 535) auf Auslieferungen 
zwiſchen den erſteren und beſtimmten britiſchen Pros 
tektoraten aus. Für die bayeriſchen Juſtizbehörden 
iſt der Vertrag nicht von unmittelbarer Bedeutung. 
2222 


form, wie ſie noch erſichtlich iſt in dem Ausdruck: 
auf Erden, an die Sonnen. Im zweiten Beiſpiel be⸗ 
weiſt der Gebrauch der Form „Euer“, daß „Wohl⸗ 
edelgebohrnen“ nicht mehr durchaus als Subſtantiv 
gefühlt wurde. Aber die Form auf —en wurde auch 
als Nominativ gebraucht, z. B.: „Euere Hochedelge⸗ 
bohrnen vergeben mir uſw.“ Das unbequeme — nen 
wurde, zunächſt natürlich im Sprechen, dann aber auch 


im Schreiben gekürzt und es hieß: z. B.: „Euer Wohl⸗ 


edelgebohrn dienſtſchuldigſt ergebenſter Diener uſw.“ 


Schließlich wurde „gebohrn“ oder „geborn“ vermeint⸗ 


Der Verkehr mit Kraftfahrzeugen. Dem Inter⸗ 


nationalen Abkommen über den Verkehr mit Kraftfahr⸗ 
zeugen vom 11. Oktober 1909 (RGBl. 1910 S. 603 ff.) 
find mit Wirkung vom 1. Mai 1911 an Luxem burg, 
Schweden und die Schweiz beigetreten, die Schweiz 
jedoch nur unter dem Vorbehalte, daß die Kantone in 
ihrem Gebiete den Verkehr mit Kraftfahrzeugen und 
ähnlichen Verkehrsmitteln ganz oder auf einzelnen 
Straßen verbieten dürfen. Die der Verordnung des 
Bundesrats vom 21. April 1910 (RG Bl. 1910 S. 640) 
beigegebene Anlage A und das Muſter 1 werden er⸗ 
au (Bek. des Reichskanzlers vom 6. April 1911, 
GBl. S. 179). 


2220 


Sprachecke. 


Euer Hochwohlgeboren und Eurer Hochwohlgeboren. 
Daß „Euere Königliche Hoheit“ und „Eurer Königs 
lichen Hoheit“ zu ſchreiben iſt und nicht Euer König⸗ 
liche Hoheit, wie es öfter vorkommt, ergibt ſich aus 
der Sprachlehre und kommt auch zum Ausdruck in 
dem durch die 5 Zivilſtaatsminiſterien am 12. Juli 
1886 gegebenen Formular für Eingaben an die aller— 
höchſte Stelle (JMBl. S. 207). Bedauverlich iſt, daß 
in Schweitzers Terminkalender für bayer. Juriſten 1911 
(S. 82) bei der Wiedergabe des Formulars „Euer 
Königlichen Hoheit“ ſtatt „Eurer Königlichen Hoheit“ 
ſteht, wodurch, wie die Erfahrung zeigt, mancher 
verleitet wird in ſeinen Eingaben denſelben Fehler 
zu machen. Ob nun aber „Euer Hochwohlgeboren“ 
zu fchreiden iſt oder „Euere Hochwohlgeboren“ und 
„Eurer Hochwohlgeboren“, darüber herrſcht vielfach 
Ungewißheit. Nun ſagt Wuſtmann in ſeinem be— 
kannten Buch „Allerhand Sprachdummheiten“ (4. Aufl. 


lich berichtigt zu „geboren“, weil man es nur als 
Partizip zu verſtehen wußte, während „geborn“ dem 
früheren richtigen „Hochwohlgeborne“ noch näher ſtand. 
So iſt man zu dem heutigen „Euer Hochwohlgeboren“, 
„Euere Hochwohlgeboren“ und „Eurer Hochwohlge⸗ 
boren“ gekommen. Man ſchreibt es ſo und nimmt 
es als etwas Gegebenes hin, über deſſen Richtigkeit 
man ſich keine Rechenſchaft gibt. Das Richtige klang 
aber noch lange Zeit an, z. B.: „ich höre, daß des 
Herrn Hofrats Wohlgeboren uſw.“ Aber jetzt iſt für 
das urſprüngliche „Geborne“, „Hochwohlgeborne“ als 
Hauptwort ganz das Gefühl verſchwunden. (Siehe 
Deutſches Wörterbuch von Jakob Grimm und Wilhelm 
Grimm unter den Wörtern Geborenheit und Geborne.) 
Nach dieſen Darlegungen iſt weder „Euer Hochwohl⸗ 
geboren“ richtig noch „Euere Hochwohlgeboren“ und 
„Eurer Hochwohlgeboren“; trotz Wuſtmann eher die 
zweite Form. Richtig wäre es heute zu ſchreiben: 
„an die Hochwohlgeborenheit des Herrn N.“, oder 
was zeitgemäßer und einfacher wäre: an den „Hoch⸗ 
wohlgeborenen Herrn N.“ oder was auch heute ſchon 
üblich iſt: „an den Herrn N. Hochwohlgeboren“, wo 
„Hochwohlgeboren“ aber als adjeetiviſche Appofition 
anzuſehen wäre. Allerdings in der Anrede bliebe 
nichts andres übrig als zu ſchreiben: „Euere Hoch⸗ 
wohlgeborenheit, wie man auch „Euere Majeſtät 
und „Euere Königliche Hoheit“ ſagt, oder da dies zu 


unzeitgemäß und geſpreizt erſcheinen dürfte, dafür 


| 


H 


„Sie“ zu ſagen. Dies wäre ja das Einfachſte und Ver⸗ 
ſtändigſte, wenn ſich auch das „Sie“, die dritte Perſon 
des Plurals, wieder aus dem einfachen, Du“, das der 
Römer und der Grieche beibehalten haben, aus über- 
triebener Höflichkeit in unnatürlicher Weiſe herausent— 
wickelt hat. T. 


en 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 10. 


München, den 15. u 15. Mai 1911. 1. 


15 . Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Baner. 
Staats miniſterlum der Juſtiz. 


Die Zeitſchrift 9 9 am 1. und 15. jeden Monats 
im Umfange von mi 2 Bogen. Preis vierteljährlich 
Mk. 3.—. Beſtellungen ü jede Buchbandlung und 
Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Die Reform des Nechtsſtudiums. 


Von Univerſitätsprofeſſor und Oberlandesgerichts rat 
Dr. Heinrich B. Gerland in Jena. 


Zu den aktuellſten Fragen der unſere Gerichts⸗ 
verhältniſſe betreffenden Reformbewegung gehört 
augenblicklich die Frage der Reform des Rechts⸗ 
unterrichtes, der in ſeiner heutigen Ausgeſtaltung 
von den verſchiedenſten Ausgangspunkten aus mehr 
oder weniger fcharf angegriffen wird. Ich ſelbſt habe 
zu den in Betracht kommenden Problemen neuer⸗ 
dings in eingehender Weiſe Stellung genommen, 
ſo daß ich bezüglich meiner eigenen Auffaſſung 
auf meine damaligen Ausführungen einfach ver⸗ 
weiſen kann.) An dieſer Stelle beabſichtige ich 
nur auf zwei neuerdings veröffentlichte, intereſſante 
Arbeiten hinzuweiſen und die in ihnen aufgeſtellten 
Poſtulate kritiſch zu prüfen, da es mir leider bei 
der Abfaſſung meiner Arbeit ſelbſt nicht mehr 
möglich war. jene Schriften zu benutzen. Es handelt 
ſich aber um die Veröffentlichungen von Grueber und 
Krückmann, ) beides wertvolle Beiträge zu der 
einſchlägigen Literatur, wenn auch der Standpunkt 
in beiden ein durchaus verſchiedener iſt. 

Beginnen wir mit der Grueber'ſchen Arbeit, 
die im weſentlichen eine Erwiderung auf die 
bekannten Zitelmann'ſchen Ausführungen iſt, ſo 
freue ich mich, mit dem Verfaſſer in zwei wichtigen 
und, wie ich glaube, für die ganze Frage grund: 
legenden Punkten übereinzuſtimmen, einmal in ſeiner 
Auffaſſung vom Recht, das nicht als hiſtoriſche 
Wiſſenſchaft, ſondern als die das tatſächliche Leben 
beherrſchende Macht verſtanden werden ſoll, ferner 
darin, daß der Inhalt des Studiums die ſelbſttätige 
Durcharbeitung der Elemente unſeres Rechtes ſein 
ſoll. Und auch darin ſtimme ich mit Grueber 
überein, wenn er den Zitelmann'ſchen Gedanken 


1) Die Reform des juriſtiſchen Studiums, Bonn 1911, 
Marcus und Weber. 

9) Grueber, Die Vorbildung der Juriſten und ihre 
Reform, Nürnberg, Sebald, 1910; Krückmann, Vorpraxis, 
akademiſche Rechtſprechung und anderes. Zur Reform 
des Rechtsſtudiums. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1911. 


in Bayern 


Verlag von 


3. Schweitzer Verlag 


(Arthur Sellier) 
München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplat 1. 
. e ebühr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene el 
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft. 


213 


eine Zwiſchenpraxis ablehnt mit der glücklichen 
Formulierung: „Nicht eine Praxis als Vorbe⸗ 
reitung für die Theorie .... ſondern eine praktiſche 
Theorie: eine Lehre, welche ſich auf die Praxis 
ſtützt und Anleitung zu ſelbſtändiger, praktiſcher 
Arbeit bietet, iſt, was not tut.“ Aber freilich, 
bei dem Ausbau dieſes an ſich ſo zutreffenden 
Gedankens beginnen die Schwierigkeiten, beginnen 
auch die Differenzen zwiſchen dem Verfaſſer und 
mir. Grueber iſt nichts weniger als radikal. Er 
verſucht (und dieſe Methode iſt durchaus zu billigen) 
auf Grundlage der beſtehenden Studienordnung 
den Unterricht zu verbeſſern, zu moderniſieren. 
Und zwar meint er, daß das Studium wie jetzt 
mit der Einführung beginnen müſſe, die einen 
doppelten Inhalt haben müſſe als juriſtiſche 
Enzyklopädie und Methodologie. Dem Einwurf 
Zitelmann's, daß der Gedanke der Einführung 
und ihrer Zwecke dadurch vereitelt werde, daß 
gleichzeitig Sondervorleſungen zu hören feien, ſucht 
er dadurch zu widerlegen, daß er vorſchlägt, die 
Einführung mit dem römiſchen Recht zu verbin⸗ 
den und dieſem als Einleitung vorauszuſchicken. 
Daneben aber müſſe ſofort eine praktiſche Ein⸗ 
leitung in das Rechtsleben gegeben werden, wozu 
ſich am beſten die Uebungen im römiſchen Privat⸗ 
recht eigneten. Bei der Darſtellung des römiſchen 
Privatrechtes ſei das bisherige gemeine Recht mit 
Einſchluß der Aenderungen darzuſtellen, die es im 
BGB. erfahren hat. Im 2. Semeſter ſoll dann 
das deutſche Privatrecht gehört werden, auch wiederum 
mit Uebungen, und zwar ſollen auch hier die In⸗ 
ſtitute mit Einſchluß der Geſtaltung, die ſie im 
modernſten Recht gefunden haben, vorgetragen wer⸗ 
den. Daneben können, meint Grueber, im 1. Se⸗ 
meſter noch Strafrecht, im 2. Strafprozeßrecht ge⸗ 
hört werden. Auf dieſem Unterbau ſoll ſich dann 
das übrige Studium aufbauen. 

Intereſſant iſt in dieſen Ausführungen ein 
Doppeltes: Grueber erkennt, und zwar mit Recht, 
daß der eigentliche Mangel unſeres heutigen Lehr: 
planes im Anfängerunterricht liegt. Er will ferner eine 
engere Verquickung der Vorleſungen und Uebungen. 


214 Zeitſchrift für Rechtspflege 


eine verſchärfte Betonung der letzteren herbeiführen. 
In beidem gebe ich ihm Recht. Aber die Mittel, 
mit denen er die Reform durchführen will, ſcheinen 
mir unzulänglich zu ſein. Nach wie vor ſoll die 
Grundlage des Studiums die hiſtoriſche ſein, und 
es ſcheint mir dieſer Gedanke in einem gewiſſen 
Widerſpruch mit Grueber's eigenſter Auffaſſung des 
Rechtes zu ſtehen. Nach wie vor ſoll ferner vom 
römiſchen Recht ausgegangen werden. Nach wie vor 
ſoll endlich das Privatrecht den Mittelpunkt der Aus⸗ 
bildung bilden. In dieſen drei Punkten ſtehe ich 
auf entgegengeſetztem Standpunkt wie Grueber. 
Gewiß, Rechtsgeſchichte iſt notwendig, aber nicht, 
um das gegenwärtige Recht zu verſtehen, 
ſondern um es werten zu lernen. Dogmatik 
kann nicht aus der Hiſtorie gelernt werden, wohl 
aber lehrt uns jene Kritik in der beſten Weiſe. 
Und wenn auch in der Geſchichte gelegentliche Hin⸗ 
weiſe auf das geltende Recht gegeben werden 
können, jo find das doch nur Ausblicke, die 
nicht zu wirklichen Einblicken führen. Damit 
aber kann der Wirklichkeitshunger des Studenten, 
den Grueber anerkennt, den er richtig und treffend 
charakteriſiert, nicht befriedigt werden. Und was 
für die ſyſtematiſchen Vorleſungen gilt, gilt in 
verſtärktem Maß für die Uebungen. Grueber ſagt: 
„Durch ſolche Vorleſungen, welche gerade darauf 
gerichtet ſind, das römiſche Recht in ſeiner modernen 
Bedeutung, in ſeiner das Leben noch immer be⸗ 
herrſchenden Kraft darzuſtellen, erhält der Hörer 
unmittelbar den Eindruck eines anwendbaren oder 
doch für die Anwendung verwertbaren Rechtes.“ 
Aber wird er das wirklich erhalten? Die Ver⸗ 
wertbarkeit iſt doch in der Tat nur eine indirekte. 
Der Anfänger, der ja weder hiſtoriſch noch kritiſch 


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in Bayern. 1911. Nr. 10. 


des täglichen Lebens wird bei geeigneter Frage⸗ 
ſtellung des Dozenten der Anfänger (ohne alle 
und jede Rechtskenntnis) von ſelbſt dahin geführt, 
die grundlegenden Begriffe des Privatrechtes zu 
entwickeln. So ſührt das Verlangen nach Zigarren 
in einem Laden, als Beiſpiel gedacht, zur Auffindung 
und Feſtſtellung der Begriffe der Aufforderung 
zur Stellung einer Offerte, der Offerte, des Ver⸗ 
trages und damit der juriſtiſchen Tatſache und 
Handlung, des ein⸗ und zweiſeitigen Rechtsgeſchäfts 
— im Gegenſatz zum Delikt —, des dinglichen 
und obligatoriſchen Vertrags und damit zugleich 
zu den beſonderen Wirkungen des Kaufes und der 
Tradition. Das iſt methodologiſch vortrefflich. 
Aber wo ſoll das vor ſich gehen? In den römiſch⸗ 
rechtlichen Anfängerübungen. Alſo die ganzen Be⸗ 
griffe, die ganze Entſcheidung nach römiſchem Recht. 
Es ware doch zweifellos hier das natürlichſte, nach 
BGB. zu entſcheiden. Wozu muß denn die 
Einführung in das BGB. durch das Studium 
des römiſchen Rechtes erfolgen? Ich kann mir 
kaum etwas ſonderbareres vorſtellen, als daß 
wir in das moderne Recht in der baroken Form 
einführen, indem wir ein nicht mehr geltendes 
Recht vortragen. Inſtitutionen des bürgerlichen 
Rechtes, das ſcheint mir notwendig zu fein. Und 
der einzig ſtichhaltige Grund, am roͤmiſchen Recht 
in der gekennzeichneten Art ſeſtzuhalten, ſcheint 
mir doch der zu ſein, daß wir noch keine ſo 
vorzüglichen Inſtitutionen beſitzen, wie zum rö⸗ 
miſchen Recht. So ſchaffe man ſie! Das 
dürfte eine wertvollere Aufgabe ſein, ſelbſt als Pa⸗ 
pyri zu entziffern, und es iſt das eine Aufgabe, die 
doch früher oder ſpäter gelöſt werden muß. Gewiß, 


weil die Studenten die Grundlage, die Inſtitu⸗ 


geſchult iſt, wird in dem römiſchen Recht zumeift | 
nicht das immer noch wirkende Leben entdecken 


können, das es für das moderne Recht haben ſoll. 


Sein Wirklichkeitshunger wird ſicher nicht geſtillt. 
Auch nicht in den Uebungen, in denen ja nicht 
wie im Gericht entſchieden wird, ſondern nach dem 
Recht der Vergangenheit und in fremder Sprache. 


Schon die Tatſache, daß die Quellen lateiniſch 


ſind, die Schwierigkeiten, die ſich für die meiſten 
Studenten daraus ergeben, ſollten nicht unter⸗ 
ſchätzt werden. Man hat auf der Schule genug 
überſetzt, um endlich einmal frei leſen zu wollen. 
Und ich glaube auch nicht, daß der Wirklichkeits— 
hunger geſtillt iſt, wenn der Student zur „lebendigen 
Erfaſſung des Gegenſatzes der beiden Rechtsſyſteme“ 
gelangt. Das erſtrebt er in den meiſten Fällen 
nicht, und es heißt, den Blick vor offenen Tatſachen 


verſchließen, wollte man annehmen, daß die Wehr: | 


zahl der juriſtiſchen Studenten an dieſer rein 
wiſſenſchaftlichen Betrachtungsweiſe Geſchmack fände. 
Leben ja, aber modernes Leben! Geſetze ja, aber keine 
Quellen! Und dann, iſt es didaktiſch denn wirklich 
notwendig mit dem römiſchen Recht zu beginnen? 
Ich finde bei Grueber folgende treffende Sätze: 


| 


im erſten Semeſter mit Erfolg zu leſen. 


tionen vernachläſſigt haben, verſtehen ſie heute das 
bürgerliche Recht nicht. Aber warum haben fie 
die Inſtitutionen vernachläſſigt? Die Antwort 
würde für den Romanismus ſicher nicht erfreulich 
klingen, wenn man die Studenten ſelbſt befragen 
würde. 

So bleibe ich trotz Grueber auf meinem ab⸗ 
weichenden Standpunkt: man beginne mit modernem 
Recht, man laſſe das römiſche Recht zurücktreten. 
Aber man beginne auch gleich mit dem öffentlichen 
Recht und zwar mit Staatsrecht. Daß das 
Strafrecht, wie Grueber meint, die leichteſte der 
Rechtswiſſenſchaften iſt, bezweifele ich ſehr. Ich 
würde es für unmöglich halten, Strafrecht 9 

n 
es iſt andererſeits auch naheliegend bei einer 
Darſtellung des Rechtes des Staates mit dem 
oberſten Rechtsbegriff, mit dem Begriff des Staates 
und ſeiner Lehre zu beginnen. 

Endlich möchte ich noch bemerken, daß Grueber 
den erſten Abſchnitt des Studiums, der im weſent⸗ 


| lichen rechtsgeſchichtlichen Inhalt haben ſoll, nicht mit 


einer Zwiſchenprüfung abſchließen will. Er ſchlägt an 
ihrer Stelle ein ganz eigenartiges Erſatzmittel vor. 


„Durch eine Beſprechung der einfachſten Vorgänge Es ſoll der Dozent am Schluß ſeiner Uebungen 


Beitſchrift für Rechtapflege in für Rechtspflege 


— — — — . .... ——.—..—9Lͤ———.— 


eine ſchriftliche Prüfung veranſtalten. Allerdings 
ſoll ihr Nichtbeſtehen nicht etwa zu einem 
Ausſchluß von dem weiteren Studium führen, 
ſondern nur zu der Ausſicht, ſpäterhin in dem 
betreffenden Fach einer ſtrengen Sonderprüfung 
unterzogen zu werden. Ich kann dieſen Vor⸗ 
ſchlag nicht für ſehr empfehlenswert halten. Ent⸗ 
weder wird er ernſt durchgeführt, dann haben wir 
an Stelle der einen Prüfung die vielen Einzel⸗ 
prüfungen. Oder aber er wird nicht ſtreng durch⸗ 
geführt. Dann verliert die Einrichtung ihre den 
Fleiß regulierende Wirkung. Ferner erhellt nicht, 
wer darüber entſcheidet, ob die Prüfung beſtanden 
iſt, der Dozent oder die Kommiſſion für die erſte 
Prüfung, an die die Akten jener Uebungsprüfung 
einzureichen find. Allerdings mag zugegeben werden, 
daß das Zwiſchenexamen einfacher geſtaltet werden 
kann als die eigentliche Referendarsprüfung, und 
es ließe ſich namentlich die Frage ventilieren, ob 
in der erſten Prüfung bereits Klausuren not⸗ 
wendig, ja ſogar möglich ſind. Allein ſtets 
muß es ſich um ein wirkliches Examen handeln. 
Und Grueber unterſchätzt doch den Optimismus 
des Unfleißigen ſehr, wenn er denkt, daß die 
Ausführung der Vorſchrift durch die Ausſicht 
auf das oben erwähnte Sonderexamen garantiert 
ſein werde. Das was Grueber vorſchlägt, iſt nicht 
Fiſch noch Fleiſch, iſt kein richtiges Examen, und 
ſo fürchte ich, wird auch die von ihm ausgehende 
heilſame Wirkung keine allzugroße ſein. 

Die Schrift von Grueber iſt durchaus konſer⸗ 
vativ, an das Beſtehende anknüpfend. Einen 
ganz anderen Charakter hat die Arbeit Krück⸗ 
manns. Letzterer will radikal mit dem Gewor⸗ 
denen brechen, ſchlägt weitgehendſte Umänderung 
im Studiengang vor. Er will völlige Um⸗ 
wälzung des Beſtehenden, will etwas ganz Neues, 
noch nicht Dageweſenes. Auch Krückmanns Schrift 
enthält eine Fülle von Anregungen, namentlich 
pädagogiſcher Art, die von bleibendem Wert ſind, 
und ſicher wird niemand, der ohne Vorurteil die 
kleine Broſchüre in die Hand nimmt, ſie ohne 
vielfache Anregung, ohne mannigfaltige Belehrung 
leſen. Ich weiſe auf ſeine treffend geſchilderten 
Beobachtungen über die Pſyche des Studenten 
hin, auf ſeine feinſinnigen Ausführungen über 
die induktive und die deduktive Methode und die 
Möglichkeit einer Vereinigung beider, auf manch 
anderes noch. Allein ſo zutreffend das alles 
auch iſt, ſo wertvoll die Erfahrungen ſeiner viel⸗ 
fachen pädagogiſchen Experimente auch genannt 
werden müſſen, mit dem Grundgedanken, den er 
entwickelt, mit den Reformpoſtulaten, die er auf: 
ſtellt, kann ich mich nicht befreunden. Intereſſant 
iſt dabei, 
Mangel ebendort ſieht, wo ihn Grueber gefunden 
hat, ſo daß in dieſer Hinſicht beide Schriften 
denſelben Ausgangspunkt haben. Auch Krückmann 
geht nämlich davon aus, daß die Mangelhaftig⸗ 
keit des Anfängerunterrichtes die Wurzel alles 


daß Krückmann den entſcheidenden 


in Bayern. 1911. Nr. 10. 


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215 


Uebels ſei. Er denkt ſich nun das Studium in 
drei Teile zerlegt: in ein Vorſtudium, das den 
Elementarunterricht umfaßt, in das eigentliche 
Studium als mittlere Stufe, in ein vertieftes 
Nachſtudium als höchſte Stufe. Dabei iſt aber 
das entſcheidende, daß der Elementarunterricht 
den Univerfitäten genommen und teils den 
Schulen teils der Praxis anvertraut werden ſoll. 
Und zwar ſoll in der letzteren ſich Studium und 
Vorpraxis verbinden, ſo daß die nötige theoretiſche 
Einführung durch die Praktiker unter Oberaufſicht 
der Dozenten gegeben werden ſoll. 

Dieſen Vorſchlag halte ich für durchaus un⸗ 
realiſierbar. Gewiß, ein allgemeiner rechtlicher 
Elementarunterricht, eine zuſammenfaſſende Bür⸗ 
gerkunde, gehört auf die Schule, und ich würde 
es auch begrüßen, wenn leichtere juriſtiſche Schrift⸗ 
ſteller auf der Schule geleſen würden.) Denn 
die Rechtsentwicklung iſt nur ein Teil der 
Kulturentwicklung, und die Geſchichte mehr als 
Kulturgeſchichte auf der Schule zur Darſtellung 
zu bringen, weniger aber als Staats- oder gar 
Kriegsgeſchichte, ſollte das Ziel einer ausſchauenden 
Schulpolitik ſein. Auf dieſe Frage ſelbſt hier 
naͤher einzugehen verbietet der Raum, obwohl 
die Krückmannſchen Darlegungen zu dieſem Punkt 
intereſſant, wenn auch meines Erachtens nicht 
einwandfrei find. Allein der Rechtsunterricht, der 
auf der Schule erteilt werden kann, kann und darf 
nur wirklich ganz elementar ein. Wenn Krückmann 
meint, auch die Logik werde durch die Juris⸗ 
prudenz gelehrt, ſo trifft das ja zu, aber doch 
nur bei einer dogmatiſchen Vertiefung des 
Unterrichtes, für die im Schulunterricht keine 
Gelegenheit iſt. Es iſt ausgeſchloſſen, den Ge⸗ 
dankeninhalt einer Stelle wie der 1. 9 Dig. II, 57 
auf der Schule zu entwickeln. Dazu müßten die 
Schüler ſchon alle Juriſten ſein, ganz abgeſehen 
davon, daß die Lehrer dies auch ſein müßten. 
Durch die Bürgerkunde auf den Schulen 
wird der Univerſitätsunterricht niemals 
entlaſtet werden. 

Und auch den Vorſchlag Krückmanns bezüglich 
der Vorpraxis halte ich für unrealiſierbar. Ich gebe 
zu (und inſofern bedeutet die Krückmannſche Arbeit 
einen Fortſchritt gegenüber Zitelmann), daß eine 
Vorpraxis ohne gleichzeitiges Studium unmöglich, 
weil bedeutungslos iſt. Aber ich bezweifle, daß 
der Unterricht von der Praxis gegeben werden 
kann. Zunächſt iſt es ja einfach ausgeſchloſſen 
aus Gründen, die nicht weiter erörtert zu werden 
brauchen, daß ſich die Praktiker eine pädagogiſche 
Oberaufſicht durch die Dozenten gefallen laſſen 
werden. Ferner aber weiche ich von Krückmann 
noch inſofern entſcheidend ab, als ich den 


) Hiſtoriſch intereſſant iſt, daß z. B. in Bern eine 
derartige Bürgerkunde mit praktiſchen Tendenzen in den 
Landesſchulen bereits Ende des 18. Jahrhunderts ge— 
lehrt wurde. Vgl. den Revolutions-Almanach von 
1800 S. 16 f. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


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Anfängerunterricht keineswegs für ſo leicht halte. 
Ich meine vielmehr, er ſei der ſchwerſte Teil des 
Unterrichtes überhaupt. Und daß dem ſo iſt, 
beweiſt doch die Tatſache, daß wir mit dem An⸗ 
fängerunterricht an den Univerfitäten bis jetzt am 
wenigſten Glück gehabt haben. Hier tauchen eben 
Probleme auf, die keineswegs leicht zu löſen ſind. 
So muß ich auch offen geſtehen, es klingt mir 
nicht überzeugend, wenn ſich Krückmann anheiſchig 
macht, in einem Sommerſemeſter ein Dutzend 
Aſſeſſoren, Referendare, Gerichtsſekretäre () der⸗ 
artig didaktiſch zu ſchulen, daß ſie die didaktiſchen 
Anfängeraufgaben ſpielend erledigen können. Ich 
fürchte, der von ſolchen Rechtslehrern erteilte 
Unterricht würde in der Tat mehr ein Spiel 
werden. Denn ein wirklich überlegter, ſyſtematiſch 
angelegter Unterricht kann doch von derart vor⸗ 
gebildeten Dozenten ſicher nicht erteilt werden. 
Aber nirgends iſt die Gefahr endgültiger Verbildung 
größer wie gerade beim erſten Unterricht, der ſo oft, 
ich wiederhole das, was ich an anderer Stelle ein⸗ 
gehender aus zuführen verſucht habe, beſtimmend für 
das ganze weitere juriſtiſche Leben ſein wird, wie ja 
die erſten Eindrücke bekanntlich immer am tiefſten 
haften. Aber ſchließlich die entſcheidende Frage: 
Würde es ſich für die Univerſitäten empfehlen, 
den Elementarunterricht abzugeben? Würde 
dadurch die Tätigkeit des Dozenten gewinnen? 
Die Antwort auf dieſe Frage hat natürlich 
immer eine gewiſſe ſubjektive Färbung. Aber 
dem Satz Krückmanns, der Elementarunterricht 
ſei ſubalterner Natur, muß ich offen widerſprechen. 
Mir iſt er in gewiſſer Hinſicht immer als der 
idealſte Teil unſerer Lehrtätigkeit erſchienen. 
Gerade in ihm können die grundlegenden Prin⸗ 
zipien entwickelt werden. Gerade durch ihn kann 
man beſtimmend wie nirgends ſonſt auf den 
Ideengehalt des Anfängers und damit auf ſeine 
ſpäteren Handlungen einwirken. Und ſchließlich, 
was in letzter Linie iſt das Ziel des Lehrenden? 
Schwierige Probleme mit den Schülern durch⸗ 
arbeiten, an ſich, wie jedes Seminar beweiſt, eine 
reizvolle Tätigkeit? Nein, das letzte bleibt doch 
immer, auf den Menſchen einzuwirken, daß die 
Ideen, die man als groß und wahr erkannt hat, 
demnächſt betätigt werden, ſich fortentwickeln zu 
ſchönerer Blüte, zu reicherer Frucht. Einwirkung 
auf den Menſchen, dadurch auf die Men⸗ 
ſchen, das ſcheint mir das höchſte, und nie 
kann das beſſer geleiſtet werden, als im Elementar— 
unterricht. Den Univerſitäten den letzteren zu 
nehmen, hieße die Quelle ihrer methodologiſchen 
Wirkung verſtopfen, wie ja doch auch der große 
Virtuoſe ſeinen Schülern zunächſt den Elementar— 
unterricht des Inſtrumentes zu geben pflegt. So 
ſcheint mir die Hauptforderung zu ſein, den Ele— 
mentarunterricht zu vertiefen, nicht ihn aber für 
die Univerſitäten zu beſeitigen. Nun iſt richtig: 
Die Vorpraxis würde manches zu leiſten imſtande 
ſein, und ich will nicht leugnen, daß die Stu— 


—— ᷣ — d — . — . ͤ—3Æꝗ—Bu— 2 «˙ö˙ͥ 4.4... X——. ——. ——.j—ß5ß5—ßę⸗ ...... .. —..——...———.————.———.———.—.8——.8ß—..8ߧ+—iö——— 


denten mit einer gewiſſen Vorbildung auf die 
Univerſitäten kämen. Aber dies würde nicht daher 
kommen, weil ihr Wirklichkeitshunger geſtillt wird. 
Denn man täuſche ſich doch ja nicht: Würde 
akademiſche Freiheit für die Vorpraxis gegeben, 
ſo würden die Klagen über den Unfleiß der ju⸗ 
riſtiſchen Studenten ſicher auch für die Zeit der 
Vorpraxis ertönen. Daß bei der Vorpraxis der 
Lernzwang gegeben iſt, das garantiert allerdings 
gewiſſe Erfolge, die aber nicht groß genug ſind, 
um den Nachteilen der Einrichtung auch nur die 
Wagſchale zu halten, um es notwendig zu machen, 
die großen Schwierigkeiten, die ſich der Einführung 
einer ſolchen Einrichtung entgegenſtellen, zu über⸗ 
winden. 

Ich kann auf die vielen Einzelheiten der 
Krückmannſchen Schrift des Raumes halber nicht 
eingehen, wenn ich auch dringend zur Lektüre des 
intereſſanten Werkes rate. Nur einige wenige 
Punkte ſeien noch hervorgehoben. 

Zitelmann hatte eine Zweiteilung des Studi⸗ 
ums vorgeſchlagen, derart, daß der Rechtsſtoff 
einmal propädeutiſch, einmal vertieft vorgetragen 
werden ſollte. Dieſem auch ſonſt ſchon gemachten 
Vorſchlag hatte ich mich angeſchloſſen. Krückmann 
wendet nun dagegen ein, daß Wiederholungen in 
theoretiſchen Vorleſungen unerträglich ſeien. Aber 
er überſieht, daß wenigſtens nach meinen Vor⸗ 
ſchlägen das zweitemal der Rechtsſtoff ganz anders 
vorgetragen werden ſoll. Das erſtemal zuſammen⸗ 
faſſend, knapp, aber erſchöpfend (ob induktiv oder 
deduktiv laſſe ich dahin geſtellt bleiben), das 
zweitemal vertieft, aber nicht, wie dies Grueber 
noch will, erſchöpfend, ſondern nur in ausge⸗ 
wählten Kapiteln dargeſtellt. Es würde mich 
lebhaft intereſſieren, zu erfahren, wie ſich Krück⸗ 
mann zu dieſem Vorſchlag ſtellt. 

Des weiteren: Krückmann verlangt neben 
dem Studium noch eine Nebenpraxis, und zwar 
obligatoriſche Ferienkurſe an den Gerichten. Ich 
habe meine Bedenken gegen dieſen Vorſchlag an 
anderer Stelle eingehend begründet.) Ich be⸗ 
merke, indem ich auf jene verweiſe, hier nur, daß 
mich die Krückmannſchen Ausführungen nicht zu 
einer anderen Anſicht geführt haben. 

Endlich: Krückmann will den Gegenſatz 
zwiſchen Theorie und Praxis dadurch vermindern, 
die Bedeutung der Fakultäten dadurch erhöhen, 
daß er die letzteren wieder an der Rechtspflege be⸗ 
teiligen will. Er ſchlägt vor, ſie zu privilegierten 
Schiedsgerichten zu machen. Nun wäre es ja 
zweifellos ſehr ſchön, wenn ſich dieſer Gedanke 
realiſieren ließe. Aber wie will man das tun? 
Die Parteien werden ſich kaum ſehr gerne und 
häufig an ein nur aus Theoretikern zuſammen— 
geſetztes Schiedsgericht wenden, das zudem auch 
nicht beſonders billig arbeiten würde. Und ſo 
ſchön es wäre, wenn wir wieder Sammlungen 


) Reform des juriſtiſchen Studiums S. 116 f. 


von Fakultätsentſcheidungen bekämen, ich glaube 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


nicht, daß der Tag der erſten Publikation ſehr 


nahe iſt.) Aber der dem Vorſchlag zugrunde 
liegende Gedanke iſt ein geſunder: den Dozenten 
wieder hinein in das praktiſche Leben zu ſtellen. 
Hier meine ich nun iſt der einfachſte Vorſchlag 
doch der, den Dozenten im Nebenamt als Richter 
zu beſchäſtigen. Und daß dieſe Idee ſich ohne 
beſondere Schwierigkeiten verwirklichen läßt, be⸗ 
weiſen die Verhältniſſe in Jena, wo dieſe Ein⸗ 
richtungen beſtehen und ſich, will man Praktikern 
wie Dozenten glauben, trefflich bewährt haben. 


Der Geiſt echter Wiſſenſchaft iſt der kritiſche 
Geiſt. Auf ihm beruht eine jede Entwicklung, er 
aber verbürgt auch den Fortſchritt. Es iſt ein 
erfreuliches Zeichen für das mutige Vorwärts: 
ſtreben unſerer Fakultäten, daß das Problem des 
Rechtsunterrichtes ſo lebhaft von allen Seiten von 
den Dozenten ſelbſt in Angriff genommen wird. 
Und dieſe Tatſache allein ſollte manchen mit Ur⸗ 
teilen über unſere Univerſitätsverhältniſſe vor⸗ 
ſichtiger ſein laſſen, als er es iſt. Mögen in 
dieſen Beſtrebungen auch die einzelnen Anſichten 
weit auseinandergehen, die Ziele des Kampfes ſind 
doch die gleichen, und aus der Fülle der Mei⸗ 
nungen und Vorſchläge werden ſich die hiſtoriſchen 
Reſultate ſeinerzeit ſchon herauskriſtalliſieren. Und 
ſo freue ich mich, wenn ich auch von Grueber und 
Krückmann vielfach abweiche, doch mit ihnen zu⸗ 
ſammenzuſtehen für dieſelbe Sache; und wenn auch 
jeder nach ſeiner Art wirkt, wir wollen alle das⸗ 
ſelbe: den beſten Weg zu finden für die Aus⸗ 
bildung unſeres juriſtiſchen Nachwuchſes, damit 
aber die Zukunft eines gedeihlichen Rechtslebens 
unſeres Volkes mit zu garantieren. 


Uebertragung von Grundbuchblättern. 


Von Dr. Wilhelm Kriener, Amtsrichter in Landshut. 


(Schluß). 
II. 

Zunächſt ſollen nur die Eintragungen im Titel 
geprüft werden. Arten ſolcher Eintragungen ſind, 
was auch aus den einzelnen Nummern des Bei— 
ſpiels zu erſehen iſt, hauptſächlich folgende: 

1. der urſprüngliche Eintrag. 

2. Zuſchreibungen von ganzen Grundſtücken. 

3. Zuſchreibungen von Teilflächen zu ſchon ein⸗ 

getragenen Grundſtücken unter gleichzeitigem 
Vollzug von Operaten. 


) Vgl. auch Straßburger Poſt Nr. 450 vom 
21. April 1911. 


| 


217 


4. Abſchreibungen von Brundftüden. 

5. Abſchreibungen von Teilflächen von ſchon 
eingetragenen Grundſtücken unter Vollzug 
von Operaten. 

6. Vermeſſungen ſchon eingetragener Grund⸗ 

ſtücke unter ſich. 
7. Berichtigungen der Fläche eines ſchon ein⸗ 
getragenen Grundſtücks auf Grund tatſäch⸗ 
lichen Beſitzſtandes, 6. und 7. natürlich 
gleichfalls unter Vollzug von Operaten. 


Bei 4. und 5. handelt es ſich um gegenſtands⸗ 
los gewordene Eintragungen im Sinne des 8 468 
DA.; ſowohl die ganze Pl.⸗Nr. 130 als auch die 
wegveräußerte Teilflaͤche der Pl.⸗Nr. 163 find für 
den gegenwärtigen Rechtszuſtand des Blattes be⸗ 
langlos; Pl.⸗Nr. 130 kann deshalb auf dem neuen 
Blatte wegbleiben und Pl.⸗Nr. 163 gleich mit der 
Reſtfläche von 0,340 übertragen werden. 

Bei 6. und 7. handelt es ſich nicht um recht⸗ 
liche, ſondern nur um tatſächliche Aenderungen; 
die Grundſtücke waren mit den nämlichen Flächen, 
wie ſie durch die Operate Nr. 68/87 und 79/88 
ausgewieſen ſind, ſchon im Jahre 1870 dem auf 
dem Blatt geſchilderten Rechtszuſtand unterworfen; 
es ſteht nur eine Veranderung oder Berichtigung 
der kataſtermäßigen Bezeichnung in Frage. Erſteres 
iſt übrigens in gleicher Weiſe der Fall bei Um⸗ 
numerierung von Plannummern, Umrechnung 
des alten Tagwerkmaßes in das Hektarmaß und 
mangelhafter Beſchreibung der Grundſtücke über⸗ 
haupt (3. B. Bezeichnung des Grundſtücks nur 
mit der Ziffer der Plannummer, irrige Angabe 
des Flächeninhaltes infolge offenſichtlichen Schreib: 
verſehens). Da hiernach Rechtsänderungen nicht 
vorliegen, dürfte es unbedenklich ſein, auf dem 
neuen Blatt gleich die gegenwärtige, richtige Be⸗ 
ſchreibung der Grundſtücke einzutragen. 


Anders dagegen verhält es ſich in den Fällen 2. 
und 3.; hier liegen Rechtsänderungen vor, die 
noch gegenwärtig für das Blatt Geltung haben; 
da nun aber dieſe Aenderungen erſt in den Jahren 
1883 und 1885 eingetreten ſind, der Titel des 
neuen Blattes aber mit dem 1. Januar 1870 
oder 1880 zu beginnen hat, ſo kann hier eine 
Zuſammenfaſſung der Eintraͤge nicht ſtattfinden, 
ſondern es ſind drei geſonderte Einträge erforder⸗ 
forderlich. 

Aus dem Bisherigen ergibt ſich alſo folgendes: 


a) Abſchreibungen konnen auf dem neuen 
Blatte weggelaſſen werden. 

b) Tatſächliche Aenderungen können auf dem 
neuen Blatte ohne Rückſicht auf die frühere Be: 
ſchreibung des Grundſtücks eingetragen werden. 

c) Für jede Zuſchreibung iſt dagegen auf dem 
neuen Blatte ein geſonderter Eintrag erforderlich. 


Der Titel des neuen Blattes würde ſich daher 


ſo darſtellen: 


218 u Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


—— H—̃ ·.¼A—.—D-W —— C⅛uꝗC—ðVrã3 ” ...... ———————————————.—————————————ů—ͤ—5ß̃᷑ß ] —uͥ k ———i2 . AgX——.————————————.kkñññ¼—.——5—: . — 


— ——P nr —— Blatt die erſte Eintragung in Abteilung I und 
im Titel ein früheres Datum zu tragen als die 


1. Am 1. Januar 1870. (Oder: un erſte Eintragung in Abteilung III oder II. Dieſes 
1. Januar 1880.) Abweichen der Daten iſt da ohne Bedeutung, wo 
. an 19 ne dazwiſchen liegenden 0 Zuſchreibungen 
a auf dem Blatt nicht ſtattgefunden haben, aber 
e N nicht da, wo der Eigentümer Grundſtücke oder 
V 0,210 ha Teilflächen ſpäter erworben hat und dieſe dem 


Blatte zugeſchrieben wurden. 

Angenommen, nach dem Beiſpiele wurde die 
ältefte Hypothek unter B. beſtellt. Der Titel des 
neuen Blattes hat dann nach dem unter II Aus⸗ 
geführten mit dem Datum des 1. Januar 1880 
zu beginnen; es folgen dann unter dem 1. Ja⸗ 
nuar 1883 und 1. Januar 1885 die zwei weiteren 
Eintragungen, wie gleichfalls oben unter Il am 
Schluſſe angegeben. 

Abteilung J erhält nach dem unter I Aus⸗ 
geführten folgende Faſſung: 

1/ II. Am 1. Januar 1880. B, erworben laut... 

2. Am 1. Januar 1883. Pl.⸗Nr. 95 wurde 
erworben laut 

3. Am 1. Januar 1885. Die Teilfläche von 
0,017 ha zur Pl.⸗Nr. 105 wurde erworben 
laut. 

4/1. Am 1. Januar 1890. C, erworben laut... 


Würde man nun da, wo zwiſchen Anweſens⸗ 
erwerb und Hypothekbeſtellung auf dem alten Blatt 
Zuſchreibungen erfolgt ſind, Abteilung 1 und 
Titel des neuen Blattes nicht mit dem urſprüng⸗ 
lichen Datum, ſondern mit dem Datum der Hy⸗ 
pothek beginnen laſſen, ſo würde dies der Ver⸗ 
einfachung des neuen Blattes ſehr zu Statten 
kommen; denn dann könnten alle Einträge, die 
auf dem alten Blatte vor dieſem Datum liegen, 
auf dem neuen Blatte in eine einzige Eintragung 
zuſammengezogen werden. 

Iſt z. B. die maßgebende Hypothek vom 1. Ja⸗ 
nuar 1884, ſo könnten im Titel des neuen Blattes 
die eben erwähnten Einträge 1 und 2 unter dem 
1. Januar 1884 in einen Eintrag zuſammenge⸗ 
zogen werden, und Abteilung I des neuen Blattes 
könnte dann lauten: 


1/I. Am 1. Januar 1885. B, erworben Pl.⸗ 
Nr. 95 laut ..., die übrigen Grundftüde 


„ 0,163 ha Vermeſſung ſ. 3 
Pl.⸗Nr. 163, Pointl, Acker . 0,300 ha 
Pl.⸗Nr. 1030, Bergwald, 
Waldunng 1.369 ha 

2. Am 1. Januar 1883. 
Pl.⸗Nr. 95, Langewieſe, Wieſe 0,685 ha 
Uebertragen von J, 547. 


3. Am 1. Januar 1885. 
Der Pl.⸗Nr. 105 iſt eine von Pl.⸗Nr. 
126 abgetrennte Teilfläche zu 0,017 ha 
zugemeſſen und hat Pl.⸗Nr. 105 folgende Zu 1 
Beſchreibung 
Pl.⸗Nr. 105, Anglhubacker, 
„ 0, 180 ha 


Bei 5., 6. und 7. liegt allerdings der Uebel⸗ 
ſtand vor, daß dann auf dem neuen Blatt unter 
einem Datum Beſchreibungen von Grundſtücken 
eingetragen find, wie fie zu jener Zeit kataſter⸗ 
mäßig noch nicht beſtanden: es liegt in dieſer 
Richtung ein Anachronismus vor. Anderſeits 
würde ſich aber bei Mitübertragung der oft ſehr 
zahlreichen Vermeſſungen das neue Blatt ebenſo 
unüberſichtlich geſtalten, wie das alte Blatt war; 
dieſem größeren Uebel iſt das kleinere des Ana⸗ 
chronismus wohl vorzuziehen, der ſich ja nur auf 
tatſächliche, nicht auf rechtliche Dinge bezieht; 
zudem kann durch Beiſchreibung der Operats⸗ 
ziffern in die Anmerkungen auf ſoche tatſächliche 
Aenderungen hingewieſen werden. 

Die Vereinfachungen im Titel laſſen ſich mit 
den Vorſchriften der DA. in Einklang bringen. 
Es gibt aber auch Falle, in denen die genaue 
Beachtung der DA. unter Umſtänden zu Unzu⸗ 
träglichkeiten führen kann, und es dürfte ſich 
empfehlen, nach Lage der Sache beſtimmte Aus⸗ 
nahmen von der Regel zuzulaſſen, wenn dieſe 
Unzuträglichkeiten ſich in zu großem Maße geltend 


| 
| | 


machen. laut. 
Dieſe Fälle ſollen unter III und IV erörtert 2. Am 1. Januar 1884. Die Teilfläche von 
werden. | 0,017 ha zur Pl.⸗Nr. 105 erworben laut... 
III. Iſt die maßgebende Hypothek vom 1. Januar 


Nach der DA. ift der Eigentümer, der als 1886, jo könnten im Titel alle drei Einträge unter 
erſter zu übertragen iſt, weil er die älteſte noch dem 1. Januar 1886 in einen einzigen zuſammen⸗ 
beſtehende Laſt beſtellt hat, auf das neue Blatt gezogen werden, wie unter I am Ende dargeſtellt. 
mit feinem urſprünglichen Datum zu über: Abteilung I dagegen erhielte folgende Faſſung: 
tragen; das nämliche Datum erhält der Titel des 1,1. Am 1. Januar 1886. B, erworben Pl. 
neuen Blattes. In allen Fällen, in denen im Nr. 95 laut . .., 0,017 ha zu Pl.⸗Nr. 105 
alten Blatt die Eintragung des Eigentümers früher laut . . ., die Reſtfläche der Pl.⸗Nr. 105 und 
erfolgte, als die Eintragung der Laſt, (weil eben | alle übrigen Grundſtücke erworben laut... 
der Eigentümer die Laſt erſt zu einer ſpäteren Dieſes Verſchieben des Datums beim erſten 
Zeit beſtellt hat), hat daher auch auf dem neuen zu übernehmenden Eigentümer vereinfacht das neue 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


Blatt auch nach anderer Richtung. Angenommen, 
im alten Blatte ſind unter 1890 eingetragen: 
A und B, Verlobte; unter 1891: A und B 55 
nunmehr verheiratet; unter 1892: A und B 

haben allgemeine Gütergemeinſchaft vereinbart; 
unter 1893: A und B wohnen nunmehr in 3 
Müßte mit dem urſprünglichen Datum auf dem 
neuen Blatte begonnen werden, fo wären 4 Ein: 
träge nötig; ſo aber kann, wenn die Hypothek 
aus dem Jahre 1895 ſtammt, unter dieſem 
Datum übertragen werden: A und B, Eheleute 
in Z., in allgemeiner Gütergemeinſchaft. 

Es darf daher wohl geſagt werden: Ffinden 
ſich auf dem alten Blatt zwiſchen dem Datum 
des Eigentumseintrags und des Hypothekeintrags 
eine ungewöhnlich große Menge von Zuſchrei⸗ 
bungen, ſo daß deren geſonderte Uebertragung die 
Ueberſichtlichkeit und Klarheit des neuen Blattes 
von vornherein in Frage ſtellen würde, ſo ſollte 
es ausnahmsweiſe erlaubt ſein, Titel und Ab⸗ 
teilung 1 nicht mit dem urſprünglichen Datum, 
ſondern mit dem Datum der Hypothek beginnen 
zu laſſen, und die zeitlich vorhergehenden Ein⸗ 
1 auf dem neuen Blatte zuſammenzu⸗ 
aſſen. 
Dieſen Vereinfachungen dürften ſachliche oder 
formelle Bedenken nicht entgegenſtehen. 

Dem unter Abſchnitt I am Anfang erwähnten 
Motive der Uebertragungsvorſchriften, wonach das 
neue Blatt die Entwicklung des Rechtes erſehen 
laſſen ſoll, iſt Rechnung getragen; ob den Ein⸗ 
tragungen im Titel und in Abteilung I das Datum 
des 1. Januar 1880 oder jenes des 1. Januars 
1883 oder 1885 vorangeſtellt wird, iſt rechtlich 
völlig belanglos. 

Formelle Bedenken könnten vielleicht entſtehen, 
wenn Einträge vereinigt werden, die auf dem 
alten Blatte nach dem Jahre 1898 eingetragen 
worden wären; von dieſem Jahre an mußten 
alle Einträge mit der Unterſchrift des Richters 
verſehen werden; werden nun mehrere ſolche Ein⸗ 
traͤge des alten Blattes auf dem neuen Blatte 
in einen einzigen vereinigt, ſo iſt die Uebernahme 
der Unterſchriften beſonders dann ausgeſchloſſen, 


wenn dieſe von verſchiedenen Richtern ſtammen; 


von deren Uebernahme kann aber abgeſehen werden, 
da ja der übertragende Richter den Uebertragungs⸗ 
vermerk unterzeichnet und damit die Richtigkeit 
der Uebertragung beſtätigt. Zudem iſt dies, aller: 
dings nur für Uebertragungen im Titel, in 8 475 
DA. ausdrücklich geſtattet. 

Auch folgende Möglichkeit ſoll noch erwähnt 
werden: der zu übernehmende Eigentümer iſt auf 
dem alten Blatte vor 1898, alſo ohne Unterſchrift, 
eingetragen; die älteſte Hypothek iſt nach 1898 
entſtanden, z. B. 1902; erſcheint dann auf dem 
neuen Blatte der Eigentümer in einem ſelbſtän⸗ 
digen Eintrag, und zwar unter dem Jahre 1902, 
ſo liegt eine nicht mit Unterſchrift verſehene Ein— 
tragung aus einem ſpäteren Jahre als 1898 vor; 


219 


das iſt jedoch unbedenklich, da ja aus dem Ueber⸗ 
tragungsvermerk und dem angegebenen Erwerbs⸗ 
titel erſehen werden kann, daß der Eintrag nicht 
aus dem Jahre 1902 ſtammt, ſondern aus einer Zeit, 
da eine Unterſchrift noch nicht vorgeſchrieben war. 

Selbſtverſtaändlich iſt, daß eine ſolche Zuſam⸗ 
menziehung nur beim erſten zu übernehmenden 
Eigentümer ſtattfinden könnte; die Rechtsnach⸗ 
folger ſind mit ihren urſprünglichen Daten zu 
übertragen, und haben bei ihnen Zuſchreibungen 
auf dem alten Blatte ſtattgefunden, ſo ſind auch 
dieſe, ſowohl im Titel als in Abteilung I, einzeln 
mit ihren urſprünglichen Daten zu übertragen. 


IV. 

Endlich ſei noch folgender Fall geprüft: iſt es 
wirklich in allen Fällen erforderlich, daß auf 
dem neuen Blatt die ſämtlichen Eigentümer mit: 
übertragen werden, die im Laufe der Zeit das 
Grundſtück ſeit Beſtehen der älteſten Hypothek 
beſeſſen haben? 

Anlaß zu dieſer Frage gibt folgende nicht 
ſeltene Sachlage. 

Auf einem im übrigen laſtenfreien Anweſen 
find von altersher Kirchen: oder Stiftungsgelder 
zu ganz geringem Betrage, z. B. zu 20 Gulden, 
als Hypotheken eingetragen; der Eigentümer iſt 
zur Löſchung nicht zu bewegen; er will ſein Anweſen 
zu dem nicht drückenden Betrage der frommen 
Stiftung verpfändet wiſſen. 

Iſt dieſe Laſt vom Jahre 1825, und hat in 
der Zwiſchenzeit zehnmal ein Eigentumswechſel 
ſtattgefunden, jo find in Abteilung I des neuen 
Blattes 10 Eigentümer in 10 getrennten Einträgen 
einzutragen; ſind dabei unter der Herrſchaft ein⸗ 
zelner Eigentümer Grundftüde zugeſchrieben worden, 
ſo vergrößert ſich die Zahl der Einträge. 

Angenommen, in 80 Jahren iſt aus irgend⸗ 
einem Grunde eine neue Uebertragung des 
Blattes erforderlich; die Laſt zu 20 Gulden 
aus dem Jahre 1825 ruht aber nach wie vor 
noch auf dem Anweſen; die Zahl der Nachfolger 
im Eigentumsrechte iſt in der Zwiſchenzeit auf 
das doppelte geſtiegen. Die Zahl der dann in 
die Abteilung I des neuen Blattes zu überneh⸗ 
menden Einträge ſteigt ins Ungemeſſene und raubt 
dem neuen Blatt Raum und Uoeberſichtlichkeit. 

Von der Uebernahme der ſämtlichen Rechts⸗ 
vorgänger im Eigentum könnte in ſolchen beſon⸗ 
deren Fällen wohl Umgang genommen werden. 

Das Grundbuch muß erſehen laſſen: 

1. das Rechtsobjekt; 

2. die einzelnen dinglichen oder verdinglichten 

1 keineswegs aber rein perſönliche 
echt 

3. die Inhaber der Rechte. 

Inhaber des Eigentumsrechtes iſt nur der gegen⸗ 
wärtige Eigentümer, nicht auch die früheren. 

Die Einträge, die ſich auf dieſe beziehen, ſind 
ſtreng genommen grundbuchrechtlich gegenſtandslos. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


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Denn mag auch ein früherer Eigentümer einem 
Hypothekengläubiger nach $ 56 bayer. HypG. 
oder nach 8 416 BGB. perſönlich haftbar bleiben, 
ſo iſt das doch nicht ein dingliches, ſondern ein 
rein perſönliches Rechtsverhältnis; zu deren Auf⸗ 
nahme iſt aber das Grundbuch nicht beſtimmt, 
ganz abgeſehen davon, daß aus dem Grundbuch 
nie erſehen werden kann, ob ein ſolches, wenn 
auch nur perſönliches Verhältnis, zur Zeit der 
Uebertragung überhaupt noch beſteht. 

Man könnte deshalb in ſolchen Fällen, ins⸗ 
beſondere dann, wenn außer der einen alten Laſt 
weitere Laſten nicht beſtehen, die Uebertragung 
vielleicht nur des erſten und des gegenwärtigen, 


oder auch nur des gegenwärtigen Eigentümers. 


ausnahmsweiſe genügen laſſen. 


Es geſtattet ja auch 8 358 DAnw., daß Ueber: 
tragungen von Grundſtücken auf ein ſchon be⸗ 
ſtehendes Blatt unter dem Datum der Uebertragung 
ſtattfinden dürfen; nach der allgemeinen Faſſung 
dieſer Vorſchrift iſt dies auch dann ſtatthaft, wenn 
auf dem Grundbeſitz Hypotheken laſten, die ſchon 
unter Rechtsvorgängern begründet worden find, 
ferner auch dann, wenn auf dem Blatt, das über⸗ 
tragen werden ſoll, andere Rechtsvorgänger ein⸗ 
getragen ſind, als auf dem Blatt, dem zugeſchrieben 
wird; die auf dem erſteren Blatt eingetragenen 
Rechtsvorgänger ſind dann auf dem anderen Blatt 
ſelbſtverſtändlich wegzulaſſen. 

Was aber bei Uebertragungen auf ein ſchon 
beſtehendes Blatt ausdrücklich erlaubt iſt, könnte 
auch bei Uebertragungen auf ein neues Blatt in 
den erwähnten Ausnahmsfällen geſtattet werden. 

Allerdings könnte die folgerichtige Durchführung 
dieſes Gedankes zu dem ſehr einfachen Ergebniſſe 
führen, alle Uebertragungen ohne Unterſchied in 
Titel und Abteilung I ſtets mit dem Datum der 
Uebertragung, dem neueſten Kataſterſtand und dem 
gegenwärtigen Eigentümer beginnen zu laſſen; 
ſelbſtverſtändlich kann aber ein ſolches radikales 
Verfahren, da es in dieſer Allgemeinheit den Vor⸗ 
ſchriften der DAnw. geradezu widerſprechen würde, 
nicht gutgeheißen werden. 


12 


Die zu Beginn der Abhandlung erwähnte 
erſte Gruppe von Blättern kann kurz erledigt 
werden. 

Bei Gruppe la iſt dem Titel und der Ab: 
teilung I des neuen Blattes das Datum der 
Uebertragung voranzuſtellen; es iſt nur der neueſte 
Kataſterſtand und der gegenwärtige Eigentümer 
einzutragen. 


Für die Blätter der Gruppe 1b finden die 


in den vorigen Abſchnitten niedergelegten Grund— 
ſätze entſprechende ſinngemäße Anwendung. 


| 


U 


Nitteilungen aus der Praxis. 


Iſt in den auf die Anzeige des Familienhauptes 
errichteten Geburts- und Sterbeurkunden zur Bezeichnung 
des Ortes der Geburt und des Todes im Sinne der 
33 22 und 59 BSG. außer der Angabe des Ortsnamens 
auch die genauere Bezeichnung der Oertlichkeit (Wohnung 
uſw.) beizufügen? Nach den angeführten Geſetzesſtellen 
haben die Geburts⸗ und Sterbeurkunden auch den 
Ort der Geburt und des Todes zu enthalten. Das 
Ob G. hat in einer Beſchwerdeſache durch Beſchluß 
vom 31. Juli 1907 (Samml. von Entſch. des Obs G. 
in Zivilſ. Bd. 8 S. 373) ausgeſprochen, daß in Sterbe⸗ 
urkunden, die auf Anzeige von Familienhäuptern von 
einem Standesamt in einem Ort mit nicht 700 Seelen 
errichtet worden waren, dem Namen des Ortes, wo 
der Tod erfolgt war, die Worte: in der Wohnung 
des Anzeigenden, beizufügen ſeien, und zwar entgegen 
der Anſicht des Amtsgerichtes und des Landgerichtes 
aus folgendem Grunde: es ergebe ſich aus einer Ver⸗ 
gleichung der der Bundesratsverordnung vom 22. Ja⸗ 
nuar 1875 (3 Bl. f. d. Deutſche Reich S. 86) beige⸗ 
fügten Muſter mit jenen, die der nunmehr geltenden 
Bekanntmachung vom 25. Mai 1899 (RGBl. S. 225) 
beigegeben und — wie näher ausgeführt iſt — bin⸗ 
dender Natur ſeien, daß ſeit dem 1. Januar 1900 in 
die Sterbeurkunden außer der Angabe des Namens 
der Stadt uſw. ferner aufgenommen werden müſſe 
die genauere Bezeichnung der Oertlichkeit, wo der 
Tod erfolgt ſei, in den vorliegenden Fällen alſo die 
Angabe, daß der Tod in der Wohnung des Anzeigenden 
eingetreten ſei (vgl. RGBl. 1899 S. 249, 250, 252). 

Da es nicht ausgeſchloſſen iſt, daß auf dieſen 
Beſchluß hin die oberen Aufſichtsbehörden entſprechende 
Weiſungen, und wegen der Gleichheit des Grundes 
auch für die Geburtsurkunden, an die Standesämter 
erlaſſen haben oder noch erlaſſen werden, ſo dürfte 
die Frage am Platz ſein, ob der Beſchluß einer näheren 
Prüfung Stand hält. 

Nun wird die bindende Natur der der Bekannt⸗ 
machung vom 25. Mai 1899 beigegebenen Muſter, die 
vom Amtsgericht und vom Landgericht in Abrede ge⸗ 
ſtellt worden iſt, nicht beſtritten, allein aus den 
Muſtern läßt ſich der Beſchluß nicht begründen, wie 
mit folgendem nachgewieſen werden ſoll: 

Nach 8 57 des Geſetzes iſt zur Anzeige der Sterbe⸗ 
fälle verpflichtet das Familienhaupt, und wenn ein 
ſolches nicht vorhanden oder an der Anzeige behindert 
iſt, derjenige, in deſſen Wohnung oder Behauſung der 
Sterbefall ſich ereignet hat. Wenn nun eine Perſon, 
die nicht Familienhaupt iſt, die Anzeige macht, ſo muß 
ſich aus der Sterbeurkunde ergeben, daß in ihrer 


Wohnung oder Behauſung der Tod erfolgt iſt. Denn 


dadurch iſt ſie zur Anzeige legitimiert. Für dieſen 
Fall dient das Muſter C2, (RGBl. 1899 S. 250) 
eines der Muſter, auf das ſich der Beſchluß ſtützt. 
Hier ſteht der Anzeigende zu dem Verſtorbenen nicht 
im Verhältnis des Familienhauptes, aber in des An- 
zeigenden Wohnung oder Behauſung hat ſich der 
Sterbefall ereignet. Darum iſt auch dem Namen des 
Ortes, wo der Tod erfolgt iſt, beigefügt: in dem Ge⸗ 
ſindehaus des Anzeigenden. Und damit dieſe Bei— 
fügung nicht unrichtig aufgefaßt werde, iſt in einer 
authentiſchen dem Muſter beigedruckten Note mit Bes 
ziehung auf die Beifügung bemerkt: wird die Anzeige 
nicht von dem Familienhaupte, ſondern von demjenigen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 199. N in Bayern. 1911. Nr. 10. 


— 


erſtattet, in deſſen Wohnung oder Behauſung ſich der 
Sterbefall ereignet hat, ſo iſt das in der Eintragung 
erſichtlich zu machen. Daraus ergibt ſich doch zweifel⸗ 
los: die Oertlichkeit, wo der Tod erfolgt iſt, iſt nur 
zu dem Zweck im Muſter C2 genauer bezeichnet, um 
die Legitimation des Anzeigenden nach 8 57 des Ge⸗ 
ſetzes darzutun. Wenn in dem Falle des Muſters C2 
der Anzeigende aus eigener Wiſſenſchaft von dem 
Todesfall unterrichtet geweſen wäre (88 58, 19 des 
Geſetzes), ſo hätte die Beifügung: in dem Geſinde⸗ 
haus des Anzeigenden, auch wegbleiben können; es 
hätte aber dann zur Legitimation des Anzeigenden 
am Schluß der Sterbeurkunde bemerkt werden müſſen: 
Der Anzeigende erklärte, daß er aus eigener Wiſſen⸗ 
ſchaft von dem Sterbefall unterrichtet ſei. Aus dem 
8 57 des Geſetzes in Verbindung mit dem Muſter C2 
und der angeführten Note folgt zugleich auch, daß, 
wenn das Familienbaupt die Anzeige macht, es nicht 
notwendig iſt, die Wohnung oder die Behauſung an⸗ 
zugeben, wo ſich der Sterbefall ereignet hat, daß alſo 
hier die bloße Angabe des Namens des Orts genügt, 
wo der Tod erfolgt iſt. Der Beſchluß kann ſich daher 
nicht auf Muſter C2 ſtützen. 

Zur Begründung der gegenteiligen Anſicht bezieht 
ſich der Beſchluß auch auf das Muſter C1 (RGBl. 
1899 S. 249). Hier zeigt das Familienhaupt den Tod 
an, und doch iſt dem Namen des Orts, wo der Tod 
erfolgt iſt, beigefügt: in der Wohnung des Anzeigenden. 
Da zur Legitimation des Anzeigenden die Beifügung 
nicht nötig iſt, weil ja die Legitimation durch die 
Familienhauptseigenſchaft gegeben iſt, ſo ſcheint es, 
als ob die Beifügung gemacht ſei zur genaueren Be⸗ 
zeichnung der Oertlichkeit. Allein in dem Muſter C1 
iſt dem Wohnort des Anzeigenden nicht Straße und 
Hausnummer beigefügt. Die Beifügung: in der Woh⸗ 
nung des Anzeigenden, hat daher keine Unterlage, ſie 
läßt nicht die nähere Certlichkeit erkennen, wo der 
Tod erfolgt iſt, weil die Wohnung des Anzeigenden, 
der Oertlichkeit nach, ſelbſt nicht genauer bezeichnet 
iſt. Die Beifügung iſt bedeutungs⸗ und wertlos, 
trotz ihr gibt das Muſter nur kund, daß der Tod in 
dem Wohnort des Anzeigenden erfolgt iſt, gerade ſo, 
wie wenn ſie nicht erfolgt wäre. Das Muſter C1 
läßt ſich daher für den Beſchluß auch nicht verwerten. 
Man vergleiche in dieſem Punkte auch das Muſter C3 
und die Muſter für Geburtsurkunden Al, A2, A3 
(RGBl. 1899 S. 251, 235, 236, 237), wo immer der 
Angabe: in ſeiner Wohnung uſw. beim Geburts⸗ und 
Sterbeort die Angabe der Wohnung nach Straße und 
Hausnummer beim Wohnort entſpricht. 

Der Beſchluß zieht zu ſeiner Unterſtützung auch 
noch das Muſter C4 (RGBl. 1899 S. 252) heran, 
wo dem Sterbeort Berlin beigefügt iſt: im Tiergarten. 
Zunächſt ſei dazu bemerkt: wenn größere Orte in 
mehrere Standes amtsbezirke eingeteilt find, jo ergibt 
ſich die Einteilung in natürlicher Weiſe nach den Straßen 
und Hausnummern, den freien Plätzen, Anlagen uſw. 
Da die Zuſtändigkeit der Standesbeamten ausſchließ⸗ 
lich iſt, ſo iſt notwendig, daß jeder auch vom Familien⸗ 
haupte gemachten Anzeige die Straße mit Haus⸗ 
nummer uſw. zu entnehmen iſt, wo ſich der Sterbe⸗ 
fall ereignet hat. Sonach ſind im Muſter C4 die 
Worte: im Tiergarten, nur beigefügt, damit dadurch 
die Zuſtändigkeit eines beſtimmten Berliner Standes⸗ 
amts feſtgeſtellt wird. Den von dem Beſchluß vor⸗ 
ausgeſetzten Sinn könnte die Beifügung bei der be— 
kannten Größe des Berliner Tiergartens auch nicht 


221 


gut haben. Alſo auch das Muſter C4 läßt ſich für 
den Beſchluß nicht verwerten. 

Der Beſchluß führt auch noch die Vergleichung 
der älteren Muſter mit den jetzt geltenden ins Feld. 
Und in der Tat, die alten Muſter C1 und C2 geben 
auf Anzeige des Familienhauptes, deſſen Wohnung 
nach Straße und Hausnummer angegeben iſt, den 
Sterbeort nur mit Berlin an, ohne beizufügen: in 
der Wohnung des Anzeigenden. Nun iſt ja anzu⸗ 
nehmen, daß der Verſtorbene in der Wohnung des 
anzeigenden Familienhauptes verſtorben iſt, allein 
immerhin iſt die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß 
er in einem anderen Standesamtsbezirk, als in dem, 
zu dem die Wohnung des Anzeigenden gehört, ver⸗ 
ſtorben iſt. Der Annahme dieſer Möglichkeit war 
durch die Faſſung der alten Muſter C1 und C2 nicht 
vorgebeugt, und die Zuſtändigkeit des Standesamts 
ergab ſich nicht mit unbedingter Sicherheit. Deshalb 
ſind ſolche Muſter unter die neuen Muſter nicht auf⸗ 
genommen. Aber für die Auffaſſung des Beſchluſſes 
ſpricht dies keineswegs, und ſonſtige zur Sache ein⸗ 
ſchlägige Unterſchiede zwiſchen den alten und neuen 
Muſtern ſind nicht vorhanden. 

Der Kommentar von Sartorius äußert ſich zu 
der Frage, was unter Ort der Geburt und des er⸗ 
folgten Todes zu verſtehen ſei, dahin, daß als Ort 
ſtets die Ortſchaſt, in der die Geburt oder der Tod 
ſtattgefunden, anzugeben ſei, in größeren Ortſchaften 
auch die Wohnung nach Straße und Hausnummer. 
Sartorius teilt alfo nicht die Anſicht des ObL G., daß 
immer, alſo auch auf die Anzeige des Familienhauptes, 


dem Ort, mag er klein oder groß fein, 100 Einwohner 


oder 100 000 zählen, Straße und Hausnummer bei⸗ 
zufügen ſei. Es kann allerdings auch der Meinung 
von Sartorius nicht beigepflichtet werden, daß über⸗ 
haupt in größeren Ortſchaften die Wohnung nach 
Straße und Hausnummer zu bezeichnen ſei. Denn 
wo in den Muſtern Straße und Hausnummer an⸗ 
gegeben iſt, iſt Berlin, Breslau oder Leipzig der Ort 
der Geburt oder des Sterbefalls, alſo Städte, die in 
mehrere Standesamtsbezirke eingeteilt ſind; wo es 
nicht der Fall iſt, handelt es ſich um Obernik und 
Koſtenblut, Orte, die je nur ein Standesamt haben. 
Etwa aber wegen der Identität der Geborenen oder 
Verſtorbenen Straße und Hausnummer beizufügen, 
iſt nicht nötig, da die Identität durchweg durch die 
Angabe von Vater und Mutter und gegebenenfalls 
durch die des Ehegatten, ſowie durch ſonſtige in die 
Urkunde aufzunehmenden Angaben feſtgeſtellt wird, 
und wenn Vater und Mutter oder Ehegatte nicht 
bekannt find, fo treffen 88 24. 58 Abſ. 2 des Geſetzes 
genügende Vorſorge, um die Identität feſtzuſtellen. 

Die Anſicht, die hier näher begründet iſt, iſt 
auch ſchon von dem 1876 erſchienenen Kommentar von 
. vertreten worden, auf den verwieſen werden 
ann. 

Ein Punkt ſoll noch erörtert werden: Beſteht 
wegen der bindenden Natur der Muſter ein Zwang, 
die Sterbeurkunden, die auf die Anzeige des Familien⸗ 
hauptes in einem Ort mit nur einem Standesamt 
errichtet werden, nach dem Muſter C 1 zu errichten? 
Zur Beantwortung der Frage iſt auf das Muſter C 4, 
und auf das Muſter A 2 zurückzugreifen. Im Muſter 
C4 iſt dem Wohnort des Verſtorbenen, Berlin, mit 
Recht Straße und Hausnummer nicht beigefügt, weil 
es überflüſſig iſt, da der Tod zu Berlin im Tier: 
garten erfolgt iſt. Im Muſter A 2 iſt dem Wohnort 


222 


der Kindsmutter, Berlin, aber Straße und Haus⸗ 
nummer beigefügt, trotzdem dies gerade ſo überflüſſig 
iſt, weil die Geburt in der Wohnung der anzeigenden 
Hebamme in einer anderen Straße erfolgt iſt. Die 
Muſter C4 und A2 können nicht beide als Muſter 
hinſichtlich der Frage dienen, ob dem Ort der Geburt 
oder des erfolgten Todes eine Beifügung zu machen 
ſei, denn ſie widerſprechen ſich, es bleibt alſo nichts 
anderes übrig, als von dem nicht einwandfreien Muſter 
A2 abzuſehen. Es wird dann aber auch erlaubt ſein, 
die für das ebenfalls nicht einwandfreie Muſter C 1 
geſtellte Frage zu verneinen. 

Um zum Schluß kurz zu wiederholen: Das Ob“ G. 
iſt der Anſicht, daß in allen Fällen, auch wenn das 
Familienhaupt in einem Ort mit nur einem Standes⸗ 
amt anzeigt, dem Ort des erfolgten Todes die genauere 
Bezeichnung der Oertlichkeit beizufügen ſei. In dem 
Muſter C 1 zeigt zwar das Familienhaupt in einem 
Ort mit nur einem Standesamt an, allein die Bei⸗ 
fügung enthält nur zum Schein eine genauere Be⸗ 
zeichnung der Oertlichkeit. Im Muſter C2 erfolgt 
die Anzeige nicht durch das Familienhaupt, und die 
genauere Bezeichnung der Oertlichkeit iſt nur deswegen 
beigefügt, um die Legitimation des Anzeigenden dar⸗ 
zutun. Im Muſter C 3 erfolgt die Anzeige auch nicht 
durch das Familienhaupt und die genauere Bezeich⸗ 
nung der Oertlichkeit iſt nur deswegen beigefügt, um 
die Zuſtändigkeit des Standesamts darzutun. Endlich 
die Vergleichung der alten Muſter mit den neuen 
ergibt nur, daß ein Teil der erſten dem Zweck, die 
Zuſtändigkeit des Standesamts feſtzuſtellen, nicht mit 
genügender Sicherheit entſprach und darum nicht zu 
den neuen Muſtern aufgenommen wurde. Der Bes 
ſchluß kann alſo durch die Muſter nicht begründet 
werden, und ſo iſt die am Eingang geſtellte Frage dahin 
zu beantworten: in den auf Anzeige des Familien⸗ 
hauptes in einem Ort mit nur einem Standesamt 
errichteten Sterbeurkunden iſt dem Namen des Ortes, 
wo der Tod erfolgt iſt, eine genauere Bezeichnung 
der Oertlichkeit nicht beizufügen und das Gleiche gilt 
auch für die Geburtsurkunden. 

Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuſtadt a. d. H. 


Zur Auslegung des $ 46 Abſ. 2 GF. Nach 8 46 
Abſ. 1 GF G. kann das Vormundſchaftsgericht die Vor: 
mundſchaft aus wichtigen Gründen an ein anderes 
Vormundſchaftsgericht abgeben, wenn ſich dieſes zur 
Uebernahme bereit erklärt und auch der Vormund, 


falls ein ſolcher ſchon beſtellt iſt, ſeine Zuſtimmung 


erteilt. Abſ. 2 des 8 46 beſtimmt: „Einigen ſich die 
Gerichte nicht oder verweigert der Vormund ſeine Zu⸗ 
ſtimmung, fo entſcheidet das gemeinſchaſtliche obere 
Gericht“. Nach der ſtändigen Rechtſprechung des 


bayer. Oberſten LG. kann eine Entſcheidung des 


oberen Gerichts nach 8 46 Abſ. 2 nur ergehen, wenn 
entweder ſich die Gerichte über die Uebernahme nicht 
einigen und der Vormund der Uebernahme zuſtimmt, 
oder zwar die Gerichte über die Abgabe einig ſind, 
aber der Vormund ſeine Zuſtimmung zur Abgabe 
verweigert. Ausgeſchloſſen iſt dagegen nach der An— 
ſicht des Oberſten LG. die Entſcheidung des oberen 
Gerichts, wenn es ſowohl an der Einigung der Ge— 
richte als auch an der Zuſtimmung des Vormunds fehlt 
(Bayᷣbèe GZ. Bd. 2 S. 223, 245, 314, 728, Bd. 3 
S. 13, 699). Es fragt ſich, ob dieſe Auslegung richtig 


| 
Ä 
| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


iſt. Daß ſie den Bedürfniſſen der Praxis nicht voll⸗ 
auf entſpricht, gibt das Oberſte LG. ſelbſt zu. In 
der Entſcheidung Bd. 2 S. 728 führt es aus: „Es 
mag dahingeſtellt bleiben, ob bei dieſem Rechtszuſtand 
der Zweck der geſetzlichen Beſtimmung völlig erreicht 
werden kann“. Gleichwohl hält es an ſeiner An⸗ 
ſchauung feſt, die es folgendermaßen begründet: „Der 
Geſetzgeber geht jedenfalls von der Vorausſetzung 
aus, daß das um die Uebernahme erſuchte Gericht 
die für die Abgabe ſprechenden ‚wichtigen Gründe 
auch dann anerkennen werde, wenn etwa der Vormund 
ohne Grund oder aus nicht zutreffenden Gründen ſeine 
Zuſtimmung zur Abgabe verweigern wollte“. „Einigen 
ſich die Gerichte, ſo liegt die Annahme nahe, daß der 
Widerſpruch des Vormunds völlig ungerechtfertigt iſt, 
und hier gewährt das Geſetz die Möglichkeit der Ab⸗ 
hilfe, indem es die Angehung des gemeinſchaftlichen 
oberen Gerichts zuläßt. Wenn aber die Gerichte ſich 
nicht einigen und demnach ein Gericht der Meinung 
des Vormunds beitritt, wird kein dringendes Be⸗ 
dürfnis für die Abgabe der Vormundſchaft anzuerkennen 
ſein, da vorausgeſetzt werden muß, daß das Gericht, 
welches das Vorhandenſein wichtiger Gründe verneint, 
alle Umſtände gewiſſenhaft erwogen hat“ (Bd. 2 
S. 728, Bd. 3 S. 699). Dieſe Begründung klingt 
gewunden und iſt auch nicht ſtichhaltig. Es iſt nicht 
einzuſehen, warum gerade bei Weigerung des Vor⸗ 
munds das der Abgabe der Vormundſchaft wider⸗ 
ſprechende Gericht im Rechte ſein ſoll, und warum 
gerade bei Weigerung des Vormunds anzunehmen iſt, 
das das Vorhandenſein wichtiger Gründe verneinende 
Gericht habe alle Umſtände gewiſſenhaft erwogen. 
Man muß doch vielmehr davon ausgehen, daß jedes 
Gericht ſeine Schuldigkeit tut, daß alſo bei Weigerung 
des Vormunds auch das der Abgabe zuſtimmende 
Gericht alle für und gegen die Abgabe ſprechenden 
Geſichtspunkte gewiſſenhaft geprüft hat. Eben des⸗ 
halb, weil dies der Fall iſt und daher nicht feſtſteht, 
für welches Gericht die beſſeren Gründe ſprechen, 
hat das obere Gericht zu entſcheiden. 8 46 Abſ. 2 
beſagt ſomit: Nur bei Einigung der Gerichte und 
bei Zuſtimmung des Vormunds kann eine Vormund⸗ 
ſchaft ohne weiteres an ein anderes Gericht abgegeben 


werden. Fehlt es an einer dieſer Vorausſetzungen, 


ſo kommt die Entſcheidung dem oberen Gerichte zu, 
fehlt es an beiden, ſo muß um ſo mehr das obere Ge⸗ 
richt angerufen werden. Der Wortlaut des 8 46 
Abſ. 2 ſteht dieſer Auslegung keineswegs entgegen. 
Es liegt durchaus kein Anhaltspunkt dafür vor, daß 
das Wort „oder“ im Sinne des lateiniſchen aut, aut 
(entweder oder, ein drittes gibt es nicht) gebraucht ſei 
und nicht vielmehr im Sinne von vel, vel. Letzteres 
iſt doch die Regel, falls kein begrifflicher Gegenſatz 
vorhanden iſt. Wenn wir in $ 2005 BGB. leſen: 


„Führt der Erbe abſichtlich eine erhebliche Un= 
vollſtändigkeit der im Inventar enthaltenen An⸗ 
gabe der Nachlußgegenſtände herbei oder bewirkt 
er in der Abſicht, die Nachlaßgläubiger zu be⸗ 
nachteiligen, die Aufnahme einer nicht beſtehenden 
Nachlaßverbindlichkeit, jo haftet er für die Nach— 
laßverbindlichkeiten unbeſchränkt“ 


wird wohl niemand behaupten, der Erbe hafte nur 
dann unbeſchränkt, wenn er entweder ein unvoll⸗ 
ſtändiges Inventar errichte oder in Benachteiligungs— 


abſicht eine fingierte Verbindlichkeit in das Inventar 


aufnehme, dagegen hafte er nicht unbeſchränkt, wenn er 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16. 222 in Bayern. 1911. Nr. 10. 223 


— ä— — ͤ —ãàa—äH—— ͤ — 5 2 —lnᷣ——— [— 6ẽ——— 
— ͤ— —L—ü—U—ꝗ .... rn —... ñ — ——ññꝛñ—ñññññ . . — — — 


ein unvollſtändiges Inventar errichte und eine nicht 
beſtehende Nachlaßverbindlichkeit aufnehme. Warum 
ſoll es in 8 46 Abſ. 2 GF G. anders fein? Zur Her⸗ 
beiführung der Entſcheidung des oberen Gerichts ge⸗ 
nügt einer der angeführten Tatbeſtände, ſind ſie beide 
vorhanden, muß das obere Gericht um ſo mehr tätig 
werden. Es wäre zu begrüßen, wenn das Oberſte LG. 
ſeine Auffaſſung aufgeben und den 8 46 Abſ. 2 ſinn⸗ 
gemäß auslegen würde. Zurzeit iſt die Praxis ge⸗ 
zwungen, ſich auf Umwegen zu helfen. So iſt dem 
Verfaſſer folgender Fall bekannt: Ein Vormund⸗ 
ſchaftsgericht erſuchte ein anderes um Uebernahme 
der Vormundſchaft. Dieſes lehnte ab. Auch der Vor⸗ 
mund verweigerte ohne vernünftigen Grund ſeine Zu⸗ 
ſtimmung, obwohl er am Sitze des erſuchten Gerichts 
wohnte und die Abgabe im Intereſſe des Mündels 
und des Vormunds lag. Im Hinblick auf die Recht⸗ 
ſprechung des Ober ſten LG. hätte die Anrufung des 
höheren Gerichts zu keinem Erfolge geführt. Das 85 
ſuchende Gericht half ſich daher auf andere Weiſe. 
erblickte in der Weigerung des Vormunds ein das 117 
des Mündels gefährdendes Verhalten und entließ den 
Vormund gemäß 8 1886 BGB. Es wurde ein neuer 
Vormund ernannt, der der Abgabe zuſtimmte. Jetzt 
hätte eine Entſcheidung des oberen Gerichts herbei⸗ 
geführt werden können, die indes überflüſſig wurde, 
weil inzwiſchen das erſuchte Gericht ſich zur Ueber⸗ 
nahme der Vormundſchaft bereit erklärte. 
Rechtspraktikant Frank in Hersbruck. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
J. 


ft der Rechtsſtreit in der Rechtsmittelinſtanz an: 

een ‚ o kann uur der für dieſe Inſtanz beſtellte 
roze bevollmächtigte die Klage zurücknehmen. Aus 
den Gründen: Der Annahme des Reviſionsklägers, 
daß die Klage wirkſam zurückgenommen worden ſei, 
konnte nicht beigetreten werden. Allerdings kann die 
klagende Partei auch noch in der Rechtsmittelinſtanz 
mit Einwilligung des Gegners die Klage zurüd: 
nehmen und dies hat zur Folge, daß alsdann der 
Rechtsſtreit als nicht anhängig geworden anzuſehen 
iſt (8 271 Abſ. 3 ZPO.). Im Anwaltsprozeſſe unter- 
liegt jedoch die Zurücknahme dem Anwaltszwange. 
Wird ſie nicht in der mündlichen Verhandlung erklärt, 
ſo erfolgt ſie nach 8 271 Abſ. 2 durch Zuſtellung eines 
Schriftſatzes. Man könnte geneigt ſein anzunehmen, 
daß, weil die Erhebung der Klage ($ 253 Abſ. 1) eine 
der erſten Inſtanz angehörige Prozeßhandlung iſt, der 
Prozeßbevollmächtigte dieſer Inſtanz auch nach deren 
Beendigung zur Zurücknahme der Klage ermächtigt 
ſei (8 81 ZPO.) Allein das Erfordernis = anwalt⸗ 
lichen Vertretung beſteht nach 8 78 Abſ. 1 ZPO. ge⸗ 
rade darin, daß der zu beſtellende Vertreter als Rechts— 
anwalt bei dem Prozeßgerichte zugelaſſen iſt. 
Prozeßgericht iſt, ſolange der Rechtsſtreit in der Rechts⸗ 
mittelinſtanz anhängig iſt, das Rechtsmittelgericht. 
Der Anforderung des Geſetzes wird daher nicht genügt, 
wenn über den Kopf des für dieſe Inſtanz beſtellten 
Prozeßbevollmächtigten hinweg der Prozeßbevoll— 


mächtigte erſter Inſtanz die Klage zurücknimmt und 


damit eine Prozeßhandlung vollführt, deren Wirkſam⸗ 
keit ſich über alle Inſtanzen erſtreckt. Die Voraus⸗ 
ſetzungen, unter denen dies nach §§ 78 Abſ. 2, 79 zus 
läſſig ſein würde, liegen nicht vor. Im gegebenen 
Falle war, als die Zurücknahme der Klage erklärt 
wurde, der Rechtsſtreit in der erſten Inſtanz nicht 
mehr anhängig. Die Erklärung entbehrte daher der 
geſetzlich vorgeſchriebenen Form. Da die Klägerin 
dieſen Mangel in der mündlichen Verhandlung geltend 
gemacht hat, ſo bedurfte es keiner Erörterung, ob 
etwa beim Ausbleiben dieſer Rüge die Zurücknahme 
der Klage nach § 295 Abſ. 1 ZPO. wirkſam geworden 
und die auf Eheſcheidung lautenden Urteile der Vor⸗ 
inſtanzen kraft Geſetzes hinfällig geworden wären 
(8 278 Abſ. 3). (Urt. des IV. 35. vom 5. November 
1910, IV 598/09). — —- —ı. 
2233 


II. 


Aus ſchluß der Haftung der Tierhalters gegenüber 
dem Hufſchmied? Der Kläger hatte ſich ſchriftlich ver⸗ 
pflichtet die auf dem Pachtgute des Beklagten erfor⸗ 
derlichen Schmiedearbeiten auszuführen. Er hatte ins⸗ 
beſondere gegen eine jährliche Vergütung von 240 M 
das Beſchlagen und Schärfen ſämtlicher Gutspferde 
und das Auswirken der Hufe aller Füllen übernommen. 
Am 14. April 1906 war der Kläger zum Auswirken 
auf dem Gutshofe des Beklagten erſchienen. Vier 
Füllen befanden ſich in einer Bucht des Pferdeſtalls. 
Wie in en Fällen wurden dem Kläger drei 
Arbeiter des Beklagten zur Verfügung geſtellt. Dieſe 
hatten nacheinander ein Füllen zu ergreifen und dem 
Kläger zuzuführen. Als das letzte der zuſammen⸗ 
getriebenen Füllen von den Arbeitern ergriffen werden 
ſollte, wurde der in einer Ecke der Bucht mit ſeinem 
Handwerkszeug ſtehende Kläger durch einen Hufſchlag 
eines zu einer plötzlichen jähen Bewegung übergehenden 
Füllens im Geſicht verletzt. Wegen der Folgen des 
Unfalls nahm der Kläger den Beklagten als Tier⸗ 
halter in Anſpruch. Das Oberlandesgericht wies die 
Klage ab. Die Reviſion hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: Das OLG. hat ausgeführt: 
Es handle ſich um einen nach 8 833 BGB. fallenden 
Tierſchaden, bei deſſen Entſtehung ein Verſchulden des 
beſchädigten Klägers nicht mitgewirkt habe. Dem 
Klaganſpruche ſei aber der Erfolg zu verſagen, weil 
der Kläger durch das Vertragsverhältnis gegenüber 
dem Tierhalter die mit ſeiner Tätigkeit verbundene 
Gefahr übernommen habe. Eine ausdrückliche Be— 
ſtimmung ſei allerdings in dem ſchriftlichen Vertrage 
nicht enthalten. Auch könne eine in der Gegend 
herrſchende, auf die Gefahrübernahme bei ſolchen Ver⸗ 
trägen hinweiſende Verkehrsſitte nicht angenommen 
werden. Bei Prüfung des Vertrages ſei zunächſt die 
Stellung des Hufſchmieds zu unterſuchen. Bei den 
Perſonen, die eine beſtimmte Hantierung mit einem 
Tiere übernähmen, ſei ein Unterſchied zu machen 
zwiſchen dem Trainer und Stallmeiſter, die, wie vom 
Reichsgericht anerkannt ſei (RG. ZS. Bd. 58 S. 410, 
Jur W. 1905 S. 143), regelmäßig die Gefahr auf 
ſich nähmen und den dem Tierhalter gegenüber durch— 
aus unſelbſtändigen Perſonen (Knecht, Kutſcher, Vieh- 
treiber). Zwiſchen beiden Klaſſen ſtehe der Hufſchmied 
und zwar ſo, daß ſeine Stellung ſich der Rechtslage 
der erſten Klaſſe ungemein nähere. Von Bedeutung 
ſei ferner, daß es ſich hier nicht um die Ausführung 
einer einzelnen Arbeit gehandelt, daß vielmehr der 
Kläger regelmäßig wiederkehrende Hufſchmiedearbeiten 
an einer größeren Anzahl von Pferden gegen eine 
feſte jährliche Vergütung übernommen habe. Dem 
Kläger ſeien zwar ſtets mehrere Arbeiter des Beklagten 
zur Hilfeleiſtung zur Verfügung geſtellt worden; der 
Beklagte ſei in früheren Fällen vorübergehend bei der 
Arbeit zugegen geweſen und habe einzelne Anordnungen 
gegeben. Das ändere aber nichts daran, daß im übrigen 


224 


der Kläger als Hufſchmied die Hufſchmiedearbeiten ſelb⸗ 
ſtändig zu beſorgen gehabt habe. Daraus ſei zu 
folgern, daß der Kläger ſich verpflichtet habe, die 
Gefahren mit zu übernehmen und daß die Vergütung 
die Gegenleiſtung für die Arbeit und die übernommene 
Gefahr geweſen ſei. 

Dieſen Ausführungen gegenüber rügt die Reviſion 
mit Recht Verletzung des 8 157 BGB. Soweit das 
ORG. angenommen hat, daß die Stellung des Klägers 
ſich der in den angeführten Urteilen des Reichsgerichts 
erörterten Stellung des Trainers und Stallmeiſters 
ungemein nähere, wird die Bedeutung der Erwägungen 
verkannt, die in beiden Fällen zur Annahme des Aus⸗ 
ſchluſſes der Tierhalterhaftung geführt haben. Es 
handelte ſich dort um einen durch wiederholtes Ein⸗ 
fahren und Zureiten zu erreichenden Abrichtungszweck. 
Es iſt insbeſondere darauf hingewieſen worden, daß 
der Trainer dem abzurichtenden Pferde gegenüber eine 
durchaus ſelbſtändige Stellung erlangt habe, denn er 
habe das in Wartung und Pflege übernommene, dem 
Einfluß des Tierhalters entzogene Pferd in ſeine un⸗ 
bedingte und ausſchließliche Gewalt und Herrſchaft 
bekommen. Von einem ähnlichen tatſächlichen oder 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


rechtlichen Verhältniſſe des Hufſchmieds zu dem ſchä⸗ 
hat der Beklagte trotz gerichtlichen Befragens nicht 


digenden Tiere konnte hier keine Rede ſein. Die 
Füllen befanden ſich bei dem Unfall in dem Stalle 
und Machtbereiche des Beklagten, der tatſächlich in 
früheren Fällen des Auswirkens einzelne Anordnungen 
gegeben hat. Dazu kommt, daß der Beklagte drei 
— Arbeiter mit der Aufgabe betraut hatte, die in 
er Bucht des Stalles befindlichen Füllen zu ergreifen 
und dem Kläger zum Zwecke des Auswirkens der 
Hufe zuzuführen. Gerade bei einem Verſuche der Ar⸗ 
beiter des Beklagten ein Füllen zu ergreifen, hat ſich 
der Unfall zugetragen. (Urt. des IV. 3S. vom 
17. November 1910, IV 197/10). — — —ın. 
2169 


III. 


Unter welchen Boransfegungen kann angenommen 
werden, daß ein Haustier der Erwerstätigkeit des Tier⸗ 
alters zu dienen beſtimmt fei? Aus den Gründen: 
s kann nicht anerkannt werden, daß der Berufungs- 
richter von unrichtigen Rechtsanſchauungen ausgegangen 
ſei. Unbeſtritten iſt, daß der Unfall auf einer von 
dem Beklagten mit ſeiner Frau, ſeiner Nichte und der 
Klägerin unternommenen Spazierfahrt vorgekommen 
iſt. Dafür, daß die bei dieſer Ausfahrt benutzten 
Pferde ſeiner Erwerbstätigkeit zu dienen beſtimmt 
ſeien, hat der Beklagte nur folgendes angeführt. Seit 
1902 habe er wegen der Kränklichkeit ſeiner Frau die 
Verwaltung ſeiner Gaſtwirtſchaft einem Büffetkellner 
übertragen, der von den verkauften Speiſen und Ges 
tränken beſtimmte Prozente erhalte. Er ſelbſt beſchäf— 
tige ſich ſeitdem mit der Vermittelung des Ankaufs 
und Verkaufs von Immobilien. Zu dieſer Erwerbs— 


tätigkeit habe er fein Geſpann angeſchafft und beſtimmt, 


er benutze es für alle Reiſen in der Umgegend, die er 
zum Zweck der Beſichtigung von Grundſtücken und der 
Vermittelung ihres Umſatzes machen müſſe. Auf Be— 
fragen, ob er über die von ihm behauptete Beſtimmung 
der Pferde für das Immo biliengeſchäft, insbeſondere 
über den Umfang dieſes Geſchäfts und die Zahl der 
Geſchäftsfuhren nähere Angaben machen könne, hat er 
nur noch erklärt, daß er die Pferde jährlich 20 bis 
30 mal für ſein Immobiliengeſchäft verwendet habe. 
Wenn bei dieſer Sachlage der Berufungsrichter die 
Vorausſetzungen des § 833 Satz 2 BGB. nicht für 
nachgewieſen erachtet, ſo kann ihm der Vorwurf des 
Rechtsirrtums nicht gemacht werden. Damit ein Haus— 
tier für die Erwerbstätigkeit des Tierhalters beſtimmt 
ſei, iſt es zwar, wie in der Begründung zu dem Ent— 
wurfe des Geſetzes vom 30. Mai 1908 (Druckſachen des 
Reichstags 11. Legislatur-Periode II. Seſſion 1905,06 


== —— Do ee ——— — 
— 


Nr. 255 S. 5) beſonders hervorgehoben iſt, nicht er— 


— — — m — = — ——— m — — 


forderlich, daß das Tier ausſchließlich dieſem Zwecke 
dient. Anderſeits genügt es nicht, wenn das Tier 
nur ganz nebenbei in dem Erwerbsgeſchäfte Verwen⸗ 
dung findet. Die Beſtimmung in $ 833 Satz 2 will 
damit, daß ſie die Haustiere, die dem Berufe der 
Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters 
zu dienen beſtimmt ſind, zu einer beſonderen Kategorie 
zuſammenfaßt, den Gegenſatz zu den Luxustieren be⸗ 
zeichnen, wie dies bei den Beratungen des Reichstags 
vielfach zutage getreten iſt (vgl. Reichstagsſitzung vom 
14. Januar 1905 S. 3778, Reichstagsſitzung vom 
11. Januar 1908 S. 2354, Kommiſſionsbericht vom 
21. März 1905 S. 8, vgl. auch Joſef in Gruchots Beitr. 
Bd. 53 S. 29, Roſcher, Haftung für Tierſchäden S. 35). 
Die Milderung der Haftung ſoll den Beſitzern zugute 
kommen, die in ihrer Wirtſchaft oder ihrem Berufe 
darauf angewieſen ſind, Haustiere zu halten, während 
auf Luxustiere ſich dieſe Vergünſtigung keinesfalls 
erſtrecken ſoll. Beklagter behauptet nun, daß er die 
Pferde für ſein Immobiliengeſchäft halte, das in der 
Vermittelung des Umſatzes von Grundſtücken beſtehe. 
Wie es ſich mit dieſem Geſchäfte näher verhält, welchen 
Umfang das Geſchäft hat, ob und wieviel Vermittlungs⸗ 
aufträge ihm zugehen, wieviel er hieraus verdient, 


aufgeklärt. Die geringe Zahl der Fälle, in denen 
der Beklagte nach ſeiner Angabe die Pferde für ſein 
Immobiliengeſchäft, zur e von Grund⸗ 
ſtücken uſw. verwendet — auf den Monat kommen 
nur etwa zwei Fälle — ſpricht nicht für die Behaup⸗ 
tung des Beklagten, ſondern rechtfertigt eher die An⸗ 
nahme, daß der Beklagte nur gelegentlich, mit oder 
ohne Auftrag, mit der Vermittelung des Verkaufes 
von Grundſtücken zu tun hat und daß er ebenſo die 
Pferde nur gelegentlich zu Grundſtücksbeſichtigungen 
und dergleichen benutzt. Dieſe Benutzung würde hinter 
der Verwendung der Pferde für Vergnügungszwecke 
derart zurücktreten, daß der 8 833 Satz 2 keine An⸗ 
wendung finden kann. Jedenfalls iſt das Gegenteil 
von dem beweispflichtigen Beklagten nicht dargelegt. 
Tatſachen dafür, daß das Immobiliengeſchäft und die 
Verwendung der Pferde für dieſes Geſchäft von irgend 
erheblicher Bedeutung war, ſind von dem Beklagten 
nicht unter Beweis geſtellt. (Urt. des IV. ZS. vom 
27. Oktober 1910, IV 607/07). — - n. 


IV 


Ein Sturz auf dem Bahnſteig infolge von Blatt: 
eis iſt in der Regel kein Betriebsunfall, dagegen haftet 
der Unternehmer auf Grund des Befördernungsvertrags. 
Aus den Gründen: Nicht beizutreten war dem OLG. 
in der Annahme, daß $ 1 des Haftpil®. Anwendung 
finde. Unfälle auf dem Bahnſteige vor dem Einſteigen 
in den Eiſenbahnhnzug oder nach dem Ausſteigen aus 
dem Wagen ſind an ſich nicht Betriebsunfälle der 
Eiſenbahn; erſt mit dem Einſteigen in den Wagen 
beginnt und mit dem Verlaſſen des Wagens endigt 
für den Reiſenden die Verbindung mit dem Eiſenbahn— 
betriebe. Nur die Eile oder das Gedränge, die aber 
vorwiegend nur bei einem notwendigen Umſteigen aus 
einem Zug in den andern oder bei ſehr kurzem Auf— 
enthalt eines Zuges auf einer Zwiſchenſtation in Bes 
tracht kommen und die im Einzelfalle der beſonderen 
Feſtſtellung bedürfen, ſtellen den ſonſt fehlenden ur— 
ſächlichen Zuſammenhang mit dem Eiſenbahnbetriebe 
und ſeinen Gefahren für Unfälle her, die ſich auf den 
Bahnſteigen ereignen. Der Satz des Berufungsurteils, 
daß der gefahrvolle Zugang zu den Eiſenbahnwagen 
zu den Gefahren des Eiſenbahnbetriebes gehört und 
die Anwendung des 8 1 des HaſtpflG. begründe, iſt 
in dieſer Allgemeinheit unrichtig. Wenn jemand bei 
Winterglätte auf dem Bahnſteige fällt, fo iſt das kein 
anderer Vorgang, als wenn er infolge von Glätte auf 
der Straße ſtürzt; es handelt ſich um eine allgemeine, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


durch die Wetterverhältniffe des Winters bedingte Ver⸗ 
kehrsgefahr, nicht um eine vom Eiſenbahnbetriebe her⸗ 
kommende Gefahr. Der Fall unterſcheidet ſich für die 
Anwendung des 81 des Haftpfl®. nicht von demjenigen 
der Entſcheidung des Reichsgerichts Bd. 53 S. 276 der 
Sammlung, wo der Verletzte 15 dem Vorplatze des 
Bahnhofes infolge von Glätte gefallen war; beſondere 
Umſtände, die eine urſächliche Beziehung zu dem Eiſen⸗ 
bahnbetriebe herſtellen könnten — nach dem Ausgeführten 
Eile oder Gedränge —, ſind nicht feſtgeſtellt, auch gar 
nicht behauptet. Zwar iſt im Tatbeſtand des Berufungs⸗ 
urteils von dem lebhaften Verkehr des zweiten Weih⸗ 
nachtsfeiertages auf dem Bahnhofe die Rede, auf den 
der Kläger hingewieſen hat, um die Notwendigkeit 
eines öfteren Beſtreuens des Bahnſteiges darzutun; es 
iſt aber für den Weg des Klägers zum Zuge ſchon in 
erſter Inſtanz als Ergebnis der Beweisaufnahme feſt⸗ 
geſtellt worden, daß der Kläger in aller Ruhe und 
nicht ſchnell gegangen iſt, ſich auch nicht in einem Ge⸗ 
dränge befunden hat oder von anderen Bahnſteig⸗ 
paſſanten geſtoßen worden iſt, und ebenſo iſt am Schluſſe 
des Berufungsurteils feſtgeſtellt, daß der Kläger ruhig 
nach dem Zuge hin ſich bewegt hat. Unter dieſen 
Umſtänden kann von einem Betriebsunfall im Sinne 
des 8 1 des Haftpfl®. nicht gefprochen werden. 

Der Vertragsgeſichtspunkt iſt dagegen vom Be- 
rufungsgericht zutreffend zur Grundlage der Entſcheidung 
gemacht worden. Der Kläger hatte mit dem Beklagten 
durch al der Fahrkarte einen Beförderungsvertrag 
geſchloſſen, der den Beklagten auch zur Gewährung 
eines verkehrsſicheren Zuganges zu dem Eiſenbahnzug 
verpflichtete. Der Vertrag hat weiter die rechtliche 
Folge, daß der Beklagte für ſeine Angeſtellten, deren 
er ſich als ſeiner Hilfsperſonen bei der Erfüllung des 
Vertrages bediente, nach 8 278 BGB. einzuſtehen hat, 
und daß ihn die Beweislaſt trifft, daß er der durch 
den Vertrag übernommenen Sorgfaltspflicht genügt 
habe (vgl. . 1905 S. 185 Nr. 36). (Urt. des VI. 
3S. vom 30. Januar 1910, VI 456/10). 

2185 


— — . 


B. Strafſachen. 


Befugnis der Polizeibeamten zum Waffengebrauche 
und zum Notwehr⸗Augriff auf eine Menſchenmenge. 
Drohung als Verteidigungsmittel. Verdrängen des 
Schutzmauns vom Poſten. Eingriff in die amtliche 
Tätigkeit durch die Aufforderung den Säbel einzuſtecken. 
Höhniſche Aenzerungen aus der Menge. Bereithalten 
der Waffe.) Aus den Gründen: Das LG. ſtellt 
feſt, es habe ſich eine ſich immer mehr vergrößernde 
allmählich auf etwa 200 bis 300 Perſonen anwachſende 
Menſchenmenge gebildet, die offenbar Partei für den 
Mitangeklagten Sch. ergriff und gegen die Polizei⸗ 
beamten, insbeſondere gegen den Angeklagten N., eine 
drohende Haltung einnahm. Als die ſich ſammelnden 
Menſchen immer näher auf den Angeklagten einrückten 
und ihn ſchließlich rückwärts gegen das Gitter eines 
Vorgartens drängten, habe ſich der Angeklagte N. 
veranlaßt geſehen, den Säbel zu ziehen und nun ſeiner⸗ 
ſeits gegen die Zunächſtſtehenden angriffsweiſe vor⸗ 
zugehen. Dieſe Zunächſtſtehenden waren nach der 
weiteren Sachdarſtellung offenſichtlich K. St. und R., 
gegen den er zuletzt tätlich vorging und mit dem er 
dann auch handgemein wurde. Die Strafkammer 
rechnet ferner mit der Möglichkeit, daß dem Angeklagten 
ſchon vor dem Ringen mit R. die Achſelklappen her⸗ 


untergeriſſen und der Helm vom Kopfe geſchlagen 


worden war. Dieſe Feſtſtellungen ließen ohne Rück⸗— 
ſicht auf die Amtseigenſchaft des Angeklagten eine 


1) Anm. des Herausgebers. Das Urteil wird beſonders im 


Hinblick auf gewiſſe Vorkommniſſe in München aus der jüngſten 
| 


Zeit Intereſſe beanspruchen können. 


225 


Prüfung und Erörterung der Notwehrfrage unbedingt 
geboten erſcheinen. Denn nach der tatſächlichen An⸗ 
nahme der Strafkammer muß das feindliche Vorgehen 
der angeſammelten Menge gegen den ihr allein gegen⸗ 
überſtehenden Angeklagten als ein Angriff, und zwar 
als ein rechtswidriger Angriff, angeſehen werden. 
Dieſer könnte nach der Sachlage ſelbſt dann ſchon 
vorliegen, wenn es noch zu keinen Tätlichkeiten gegen 
den Angeklagten gekommen wäre. Angreifer würden 
alle diejenigen ſein, die ſich der Lage des Angeklagten 
bewußt waren und in dieſem Bewußtſein, wenn auch 
zunächſt ohne eigene Tätlichkeiten, in der gekenn⸗ 
zeichneten feindlichen Weiſe gegen den Angeklagten 
vorgingen, ihn bedrängten und ihn ſo aller Bewegungs⸗ 
freiheit beraubten. Darüber hinaus unterſtellt die 
Strafkammer aber weiter als möglich, daß er aus 
der Menge heraus ſogar ſchon tätlich angegriffen 
worden war, ehe er gegen R. vorging. Dieſem An⸗ 
griffe gegenüber war der Angeklagte nach § 53 StGB. 
zur Verteidigung befugt. Die Verteidigung kann auch 
die Form eines Gegenangriffs haben. Unter Um⸗ 
ſtänden wird dies ſogar die einzig mögliche Form 
wirkſamer Abwehr ſein, zumal wenn ſich der An⸗ 
gegriffene einem an Zahl oder ſonſt überlegenen An⸗ 
greifer gegenüber befindet. Ob ſolche Umſtände ge⸗ 
geben waren, unterlag zunächſt dem tatſächlichen Er⸗ 
meſſen. Wenn daher, wie die Strafkammer feſtſtellt, 
der Angeklagte in ſeiner Bedrängnis angriffsweiſe 
gegen die ihm Zunächſtſtehenden vorging, ſo machte 
das die Prüfung und Erörterung nicht entbehrlich, 
ob er ſich in den Grenzen berechtigter Verteidigung 
gehalten hat. Nach dem Zuſammenhange der weiteren 
Darſtellung des Erſtrichters muß aber angenommen 
werden, daß es eben dieſer Angriff war, der ſich ge⸗ 
gen die a genannten drei Perſonen, insbeſondere 
alſo auch gegen R. richtete. Dann würden die Tät⸗ 
lichkeiten des Angeklagten gegen R. objektiv im Be⸗ 
reiche eines Gegenangriffs liegen, deſſen Rechtswidrig⸗ 
keit im Urteile nicht nachgewieſen iſt. Namentlich 
können auch die Drohungen, deren 15 der Angeklagte 
gegenüber K. und St. bediente, ſehr wohl eine be⸗ 
rechtigte Verteidigung darſtellen. Die Tatſache, daß 
die angedrohte Handlung, wenn ausgeführt, rechts⸗ 
widrig oder ſtrafbar ſein würde, nimmt ihrer bloßen 
Androhung noch nicht die Eigenſchaft eines zuläſſigen 
Abwehrmittels. Wenn 55 die Strafkammer an⸗ 
nahm, es habe von Notwehr keine Rede ſein können, 
weil er von R. irgend einen Angriff nicht zu befürchten 
brauchte, ſo iſt dies gegenüber den vorerörterten 
Urteilsfeſtſtellungen erſichtlich darauf zurückzuführen, 
daß ſie das Weſen des Angriffs und der danach ſtatt⸗ 
haften Verteidigung im Sinne von $ 53 StGB. vers 
kannt hat. 

Vor allem waren aber auch die Befugniſſe, die 
dem Angeklagten als Polizeibeamten aus der Sach— 
lage erwuchſen, zu prüfen und zu erörtern. Nach der 
im Eingange des Urteils getroffenen Feſtſtellung hatte 
der Angeklagte „auf der Clemens⸗Auguſtſtraße“ Dienſt. 
Die Strafkammer mußte ſich deshalb darüber klar 
werden, welche Rechte und Pflichten hiermit für den 
Angeklagten verbunden waren, ob es insbeſondere 
nicht zu ſeinen umtlichen Aufgaben gehörte, auf der 
Straße einen beſtimmten Standort einzunehmen, ges 
gebenenfalls denjenigen Platz, von dem aus er ſeinen 
Dienſtobliegenheiten am geeignetſten nachkommen 
konnte, nach dem durch die Umſtände gebotenen 
und inſofern pflichtmäßigen Ermeſſen zu wählen. 
Sie hatte deshalb zu prüfen, ob die angeſammelte 
Menſchenmenge nicht durch ihr Vorgehen gegen ihn 
rechtswidrig in ſeine dienſtlichen Rechte und Pflichten 
eingriff und ihn an der Ausübung ſeines Dienſtes 
gewaltſam hinderte, damit alſo die pflichtmäßige Be— 
tätigung der in ihm verkörperten Staatsgewalt übers 
haupt unbefugterweiſe gänzlich lahm legte. Träfe 
dies zu, ſo würde der Angeklagte amtlich ebenſo be— 


226 


rechtigt als verpflichtet geweſen fein, erforderlichen⸗ 
falls unter Anwendung von Gewalt, das Anſehen 
der Staatsgewalt wieder herzuſtellen und ſich die 
Möglichkeit wieder zu ſchaffen, ſeinen Dienſt zu ver⸗ 
ſehen. Er wäre insbeſondere zum Waffengebrauche be⸗ 
fugt geweſen, wenn, während er ſich im Dienſte befand, 
Gewalt oder Tätlichkeit gegen ihn ausgeübt wurde 
oder wenn er auf andere Art den ihm angewieſenen 
Poſten nicht behaupten konnte. (Wird aus den Dienſt⸗ 
vorſchriften näher begründet). Ob dieſe tatſächlichen 
Vorausſetzungen vorlagen, würde er ſelbſt, nicht irgend 
ein Dritter, pflichtmäßig zu ermeſſen gehabt haben. 
Es hätte aber außerdem in den Grenzen ſeiner Amts⸗ 
befugniſſe gelegen, ſeine Waffe gebrauchsbereit zu 
machen, d. h. ſeinen Säbel zu ziehen, auch wenn die 
Vorausſetzungen noch nicht eingetreten waren, wenn 
ihr Eintritt aber nach ſeinem pflichtmäßigen Urteile 
drohte und bevorſtand. Denn es iſt Pflicht des 
Polizeibeamten, wenn er ſich im Dienſte 
befindet, das Anſehen der in ihm verkörperten 
Staatsgewalt unbedingt zu wahren und 
ſich die Möglichkeit der Ausübung ſeines 
Dienſtes zu erhalten. Er muß deshalb ge⸗ 
gebenenfalls dafür ſorgen, daß er genügend 
gerüſtet und vorbereitet iſt, um drohen den 
Gefahren ſolcher Art ſchnell und wirkſam 
zu begegnen. 
nicht erkennbar vorausgeſetzten Rechtsgrundlage konnten 


ſich die Aufforderungen an den Angeklagten, den 
Säbel einzuſtecken, als unbefugte und nach der Sach⸗ 


lage unangebrachte Einmiſchungen und als ſtörende Ein⸗ 
griffe in die amtliche Tätigkeit des Angeklagten dar⸗ 
ſtellen. Vollends die Aeußerung des R.: „es tue ihm, 
dem Angeklagten, ja niemand etwas“, konnte gegen⸗ 
über der Lage, in die der Angeklagte gebracht war, 
Verhöhnung ſein oder doch in dieſem Sinne vom An⸗ 
geklagten empfunden werden. Das alles konnte den 
Angeklagten von ſeinem berechtigten Standpunkt aus 
zu der Auffaſſung führen, daß es der feindlich an⸗ 
drängenden Menge obendrein darauf ankomme, ihn 
in verteidigungsunfähigem Zuſtande ſich gegenüber 
zu haben und zu behalten. Denn wäre es den dieſen 
Willen kundtuenden dem Angeklagten zunächſtſtehenden 
drei Perſonen wirklich darum zu tun geweſen, daß 
ſich zum Waffengebrauch kein amtlicher Anlaß fand, 
ſo hätte die Erwägung nahe gelegen, ob ſie ſich dann 
nicht auf die Seite des Angeklagten geſtellt und ihrer— 
ſeits mitgeholfen haben würden, die Menge von ihm 
abzudrängen. Davon iſt im Urteil mit keinem Worte 
die Rede. (Urt. des V. StS. vom 24. März 1911, 


v D 1202/18). 
2231 


5 \ © 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Kann die Ehefrau ohne die Zuſtimmung des Mannes 
einer Genoſſenſchaſt beitreten? Wie weit hat das 
Negiſtergericht die Vorausſetzungen der Eintragung in 
das Genoſſenſchaftsregiſter zu prüfen? Kann die Ent⸗ 
ſcheidung über die Beſchwerde gegen eine Verfügung 
des Regiſtergerichts verlangt werden, wenn ihr das 


Auf dieſer von der Strafkammer 


Negiſtergericht auf Veraulaſſung des Beſchwerdegerichts 


abgeholfen hat? (Gen. 83 15, 161 und 8 29 Abſ. 3, 4 
der Vollzugsvorſchriften des Bundesrats vom 1. Juli 
1899; FGG. § 19.) In das Genoſſenſchaftsregiſter 
des Amtsgerichts B. iſt der Konſumverein B. als 
Genoſſenſchaft m. b. H. eingetragen. Am 15. Novem— 
ber 1910 ſiellte Katharina N. in B. eine von ihr 
unterzeichnete Beitrittserklärung aus, um die Mitglied— 
ſchaft zu erwerben. Der Vorſtand ließ den Beitritt 
zu und reichte die Erklärung dem Regiſtergericht ein. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


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Dieſes lehnte die Eintragung ab und gab die Beitritts⸗ 
erklärung dem Vorſtande zur Erholung der Geneh⸗ 
migungserklärung des Ehemannes zurück. Der Vorſtand 
legte Beſchwerde ein, weil die Ehefrauen nach den 
Vorſchriften des BGB. verpflichtungsfähig ſeien, des⸗ 
halb ohne Genehmigung des Ehemannes der Genoſſen⸗ 
ſchaft beitreten könnten. Das LG. ließ den Ehemann 
vernehmen, der erklärte, er lebe mit ſeiner Ehefrau 
in dem geſetzlichen Güterſtande und ſei mit der Beitritts⸗ 
erklärung ſtets einverſtanden geweſen. Es gab ſodann 
die Akten dem AG. zurück zur Erwägung, ob es feine 
Verfügung nicht ändern wolle. Das AG. verfügte 
dann die Eintragung der Katharina N. in die Liſte 
der Genoſſen, berichtete dies dem LG. und teilte es 
dem Vorſtande mit. Der Vorſtand ſtellte gleichwohl 
an das LG. den Antrag, über ſeine Beſchwerde zu 
entſcheiden. Dieſes beſchloß, bei der erfolgten Ein⸗ 
tragung der Katharina N. in die Liſte der Genoſſen 
habe es ſein Bewenden, eine Entſcheidung auf die 
neue Beſchwerdeſchrift werde als überflüſſig abgelehnt. 
Das Ob“G. hat auch die weitere Beſchwerde des 
Vorſtands zurückgewieſen. 

Gründe: Der Beſchwerde iſt darin beizutreten, 
daß die Beitrittserklärung der Katharina N. genügte, 
um den Antrag auf Eintragung in die Liſte der Ge⸗ 
noſſen zu rechtfertigen (8 15 GenG. vom 1. Mai 1889, 
in der Faſſung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898). 
Eine Ehefrau iſt nach den Beſtimmungen des BGB. 
weder durch die Ehe als ſolche noch durch das in der 
Ehe geltende Güterrecht in der Geſchäftsfähigkeit be⸗ 
ſchränkt; nur ihre Verfügung über eingebrachtes Gut 
oder Geſamtgut unterliegt den geſetzlichen Beſchrän⸗ 
kungen. Nach § 29 Abſ. 3, 4 der auf Grund des § 161 
Gen®. von dem Bundesrat erlaſſenen und am 1. Juli 
1899 durch den Reichskanzler bekannt gemachten 
(RGBl. 1899 S. 347 ff.), als Rechtsnorm geltenden Be⸗ 
ſtimmungen (Obs G. Bd. 11 S. 283) hat das Regiſter⸗ 
gericht — abgeſehen von den Fällen der SS 120, 127 
— nur zu prüfen, ob die Beitrittserklärung die Unter- 
ſchrift des Genoſſen trägt und unbedingt iſt, ſowie ob 
die Einreichung ordnungsmäßig durch den Vorſtand 
erfolgt iſt. Auf die Echtheit der Unterſchrift und die 
Wirkſamkeit der Beitrittserklärung erſtreckt ſich die 
Prüfung des Gerichts nicht. Eine Ablehnung der 
Eintragung aus dieſen Gründen iſt jedoch nicht aus⸗ 
geſchloſſen, falls ſich die Unwirkſamkeit der Beitritts⸗ 
erklärung ohne weitere Ermittelungen aus den dem 
Gerichte bekannten Tatſachen als zweifellos ergibt. 
Daraus, daß die Beitretende eine Ehefrau iſt, ergab 
ſich die Unwirkſamkeit nicht zweifellos. Das Regiſter⸗ 
gericht durfte alſo die Eintragung nicht ablehnen. 
Das Regiſtergericht hat aber in zuläſſiger Weiſe der 
Beſchwerde abgeholfen, indem es die Katharina N. 
nachträglich eintrug. Die Beitrittserklärung enthielt 
zwar nicht den Geburtsnamen der Beitretenden; das 
Regiſtergericht hat aber auf dieſen Mangel kein Gewicht 
gelegt. Dadurch, daß der Beſchwerde abgeholfen wurde, 
iſt die Angelegenheit erledigt. Die Sache liegt jetzt 
ebenſo, wie wenn das Regiſtergericht die in der zweiten 
Verfügung enthaltene Anordnung ſchon mit der erſten 
Verfügung erlaſſen hätte. Eine Beſchwerde darüber, 
daß das Gericht Nachweiſe gefordert hat, deren es 
nicht bedurfte, iſt ebenſowenig gegeben, wie eine Be— 
ſchwerde gegen die Gründe der dem Beſchwerdeführer 
günſtigen Verfügung. Nach § 19 FGG. findet das 
Rechtsmittel der Beſchwerde ſtatt gegen die Verfügun— 
gen des Gerichts erſter Inſtanz. Das Beſchwerde— 
gericht hat zu entſcheiden nach Maßgabe des Sach— 
verhalts, wie er ſich zur Zeit ſeiner Entſcheidung dar— 
ſtellt. Das LG. hat deshalb mit Recht angenommen, 
daß die Angelegenheit durch die zweite Verfügung des 
Regiſtergerichts erledigt iſt, daß eine beſchwerende 
Verfügung nicht mehr beſteht und daß die Beſchwerde 
aus dieſem Grunde unzuläſſig iſt. Zur Entſcheidung 
von nur theoretiſchen Fragen iſt der Beſchwerderichter 


nicht berufen, auch wenn der Beſchwerdeführer mit 
Rückſicht auf die Möglichkeit zukünftiger gleichartiger 
Fälle ein Intereſſe an der Entſcheidung hat; die Ent⸗ 
ſcheidungen des Beſchwerdegerichts haben nur zu er⸗ 
gehen, wenn ſie für die Angelegenheit einen Erfolg 
haben. (Beſchluß des I. 35. vom 17. März 7 
Reg. III 17/11). 
2221 


B. Strafſachen. 
I. 


san ung zur Koſtenfeſtſetzung nach 8 496 
Abſ. 2 tpo. Der Nebenkläger hat die re 
teilten Sagen zur Zahlung der von ihm berech⸗ 
neten Auslagen aufgefordert. Der eine der Ange⸗ 
klagten hat nicht 5 der andere zwar die 
Höhe der Koſten brieflich anerkannt, aber um Ver⸗ 
teilung der Koſten gebeten und bemerkt, daß nach einem 
Vergleich erſt Zahlung zu leiſten ſei, wenn die Ange⸗ 
klagten in den Beſitz von Mitteln gelangt ſeien. Die 
Strafkammer lehnte den Antrag auf Feſtſetzung der 
Koſten unter Bezugnahme auf die im Bd. 3 S. 38 
und die im Bd. 8 S. 136 der Sammlung abgedruckten 
Beſchlüſſe des Oberſten Landesgerichts ab, da weder 
über die Höhe, noch über die Notwendigkeit der Koſten 
Streit beſtehe (8 496 Abſ. 2 StPO.). Der Beſchluß 
wurde aufgehoben. 

Gründe: Der Senat kann die frühere Anſicht, 
daß die Koſtenfeſtſetzung nur erfolgen dürfe, wenn über 
die Höhe der Koſten und Auslagen Streit im engſten 
Sinne des Wortes entſtehe, nicht mehr aufrecht er⸗ 
halten. Die Anſicht führt zu keinem befriedigenden 
Ergebniſſe. Der ſiegende Nebenkläger hat nicht nur 
ein Intereſſe daran, daß die Höhe der ihm zu er⸗ 
ſtattenden Koſten fetießt, fondern und zwar im erhöhten 
Maße daran, daß er wirklich Erſatz erlangt. Iſt der 
Schuldner nicht zahlungswillig, ſo muß er zur zwangs⸗ 
weiſen Zahlung angehalten werden können. Dies iſt 
nur möglich auf Grund einer vollſtreckbaren Urkunde; 
dieſe kann der Nebenkläger nur erlangen, wenn von 
dem Gerichte der Betrag der Koſten feſtgeſetzt und dieſe 
Entſcheidung mit der Vollſtreckungsklaufel verſehen 


wird. Die weitere Auslegung des 8 496 Abſ. 2 StPO. 


geftattet im Falle der Zahlungsweigerung die Er⸗ 
laſſung einer Entſcheidung im Sinne des 8 496 Abſ. 2. 
Wenn der Unterlegene überhaupt nichts oder wenig⸗ 
ſtens zur Zeit nichts zahlen will, ſo beſtreitet er damit 
die Forderung in ihrem ganzen Umfange; in dieſem 
Beſtreiten iſt aber tatſächlich auch ein Beſtreiten der 
Forderung ihrer Höhe nach zu erblicken; die briefliche 
Anerkennung der Höhe der Koſten iſt wertlos, das 
tatſächliche Verhalten des zur Zahlung aufgeforderten 
aber nicht zahlenden Schuldners rechtfertigt den Schluß, 
daß er auch die Höhe der Koſten beſtreiten will. Dieſe 
weitere Auslegung der Beſtimmung des 8 496 Abſ. 2, 
der keine Beſtimmung der StPO. entgegenſteht, ins⸗ 
befondere auch nicht die Beſtimmung des 8 495, führt 
allein zu dem von dem Geſetz gewollten vernünftigen 
Ergebniſſe. Dieſer Anſicht hat ſich auch die Recht⸗ 
ſprechung und Literatur in der neueſten Zeit in über⸗ 
wiegender Mehrzahl angeſchloſſen. (Beſchl. vom 4. 11 
In BeſchwReg. 122/11). 


II. 


Betrieb der Straußwirtſchaften in der Pfalz; ge: 
ſchichtliche Entwickelung; Umfang der Befugniſſe des 
Straußwirts. Der in L. (Pfalz) wohnende Weinguts— 
beſitzer M. ift Eigentümer von 12 Morgen Weinbergen, 
die in den Gemeinden A., L., F. und B. — in der Vorder⸗ 
pfalz — liegen; er erzeugt aus den Erträgniſſen der 
Weinberge Wein in eigener Kelterei. M. mietete im 
Juni 1910 im Hauſe der Witwe B. in Th. ein Lokal 


Zeitſchrift für Rechtspflege in ! Bayern. 1911. Nr. 10. 22 


und einen Keller, um den ſelbſterzeugten Wein im 
Lokal auszuſchenken und den Weinvorrat im Keller 
zu lagern. Er ſtattete das Lokal aus und beſchaffte 
die Gläſer. Als „Schenker“ beſtellte er den B. Dieſer 
hatte den Wein im Namen des M. auszuſchenken, den 
Weinkeller zu überwachen, den Weiſungen des M. zu 
folgen. Der Wein blieb im Keller Eigentum des M. 
M. beſtimmte den Ausſchankpreis. Die Abrechnung 
zwiſchen N. und M. ſollte bei den Beſuchen des M. 
erfolgen. M. und N. wurden von dem Sh®. wegen 
je eines un nach 88 33, 147 Ziff. 1 GewO. 
verurteilt, von der Strafkammer aber freigeſprochen. 
Das Urteil des LG. wurde aufgehoben. 


Aus den Gründen: Th. liegt im ſog. Weſtrich 
der Pfalz. Wein wird dort nicht gebaut. Durch den 
Frieden von Luneville (1801) wurde das ganze linke 
Rheinufer rechtlich ein Beſtandteil der franzöſiſchen 
Republik. Dadurch gelangten die franzöſiſchen Geſetze 
in den am linken i gelegenen Gebieten des 
römiſch⸗deutſchen Reichs in Geltung, die unter die 
franzöſiſche Herrſchaft gerieten. Die Geſetze brachten 
insbeſondere für die jetzt zum Regierungskreiſe der 
Pfalz gehörenden, ſeinerzeit franzöſiſch geweſenen 


8 Landteile die ſogenannte Handels» und ge 


heit, deren Grundgedanke war: „Jedermann fo 
freiſtehen, jedes beliebige Gewerbe zu treiben, nur 
muß er ſich vorher mit einem Patente verſehen, die 
Gebühr nach dem beſtimmten Tarif entrichten und ſich 
den beſtehenden oder zu erlaſſenden Polizeiverord⸗ 
nungen unterwerfen“. Dieſe Geſetze blieben in Kraft, 
als aus Teilen der franzöſiſchen Departements der 
Saar, des Donnersbergs und des Niederrheins die 
jetzige Pfalz als „Rheinkreis“ mit der Krone Bayern 
vereinigt wurde. Am 26. Februar 1818 erging die 
im Amtsblatte des Rheinkreiſes vom 6. April 1818 
veröffentlichte BO., betr. die neue Gewerbſteuer im 
Rheinkreiſe. Nach den §§ 1, 2 der BO. und der 
VollzJ. vom 13. Mai 1820 iſt der Gewerbſteuer nicht 
unterworfen der Ackerbauer, auch wenn er die Pro⸗ 
dukte ſeiner eigenen Ernte ſelbſt fabriziert und par⸗ 
tienweis abſetzt, aber er iſt zur Steuer heranzuziehen, 
ſobald er mit den Fabrikaten ſeiner Erzeugniſſe als 
.. Wein .. . zugleich das Gewerbe eines Detail⸗ 
händlers, gleichviel ob mit oder ohne Aushängeſchild, 
in ſeinem Hauſe verbindet. Auf dem nämlichen Stand⸗ 
punkte ſteht die Bek. der Regierung des Rheinkreiſes 
vom 6. Januar 1830 (IntelligBl. S. 63), wonach 
jeder Weinproduzent, der feine „ſelbſterzogenen Weine“ 
in ſeiner Wohnung gleich einem Wirte verzapft — es 
ſei mit oder ohne Aushängeſchild — der h 
gleich einem Wirt unterliegt. Nach der Nr. 547 b 
des Tarifs zum GewStG. vom 1. Juli 1856 find 
gewerbeſteuerpflichtig „Weinwirtſchaften ohne Abgabe 
von warmen Speiſen“, darunter nach dem Satze der 
Kl. IV , Weinſchenken“, nach dem geringeren Satze der 
Kl. II „bloße fog. Heckenwirtſchaften u. dgl.“. Nach 
der Nr. 81 u. 80 (Sp. Bemerkungen) des Tarifs zu 


f „Mal 1881 
den Geſetzen über die Gewerbeſteuer vom 1 


9. Juni 1899 
wird dagegen ſteuerfrei belaſſen: „Der in Weingegenden 
übliche Ausſchank des eigenen Erzeugniſſes, ſofern er 
nur einen Teil des Jahres hindurch dauert und nicht 
die Abgabe von warmen Speiſen damit verbunden 
wird“. Nach Art. 1 Abſ. II GewStG. vom 14. Auguſt 
1910 fällt unter das Geſetz nicht. der Weinbau, 
ſoweit ſich dieſer Erwerbszweig auf die Gewinnung 
des Erzeugniſſes und deſſen Verwertung nach einer 
Bearbeitung beſchränkt, die im Bereich eines ſolchen 
Wirtſchaftsbetriebs liegen. Die GewStG. vom 1. Juli 
1856, 19. Mai 1881, 9. Juni 1899 und 14. Auguſt 1910 
gehen von dem Rechtsbeſtande der Einrichtung der 
ſog. Straußwirtſchaften aus. Sie beziehen ſich, was 
wohl nicht bezweifelt werden kann, nur auf den Aus— 
ſchank des in Bayern erzeugten Weins; fie unter: 
ſcheiden vom Standpunkte der Beſteuerung aus zwiſchen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


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dem Betriebe einer mit allen Gewerbsbefugniſſen aus⸗ 
geſtatteten Weinwirtſchaft und einem „nur einen Teil 
des Jahres hindurch dauernden Schankbetriebe“ und 
bieten wertvolle ** zur Feſtſtellung des 
Begriffs einer Straußwirtſchaft. Der Strafſenat des 
Oberſten Landesgerichts hat in dem Urteile vom 10. 
April 1909) ausgeſprochen, daß die Weinbauer in 
der Pfalz das Recht zum Ausſchanke des eigenen Er⸗ 
zeugniſſes auf Grund des Rechtszuſtandes haben, der 
ſich in der Pfalz ſchon vor dem 30. Januar 1868 ge⸗ 
bildet hatte, und daß ſie zu dem Ausſchank keiner 
gewerbepolizeilichen Genehmigung bedürfen. Der 
Senat hält an dieſer Anſchauung feſt (ſ. a. Bay fR. 
7. Jahrg. 1911 S. 14, S. 106; BlfRA. Bd. 76 (1911) 
S. 192, S. 196 Nr. II). In den Gründen des Urteils 
vom 10. April 1909 wurde unerörtert gelaſſen, ob die 
da und dort beſtehenden Beſchränkungen des Betriebs 
einer ſog. Straußwirtſchaft neben der franzöſiſchen 
Geſetzgebung in der Pfalz fortdauernd gelten. Dieſer 
Frage iſt nun näher zu treten. (Es folgt eine ge 
ſchichtliche Ausführung über die Straußwirtſchaften, die 
wegen Mangels an Raum hier nicht wiedergegeben 
werden kann). 

In der am 31. Dezember 1775 vom Biſchof von 
Speyer erlaſſenen, Ohmgeldsordnung“ (Geſ Slg. Bd. IV 
S. 224) heißt es: „Nr. 20. Straußwirte müſſen auch 
Ohmgeld zahlen. Es iſt unſern bürgerlichen Unter⸗ 
tanen von Altersher gegönnt geweſen, in gewiſſer 
Maaß und Ordnung ihr neues eigen Gewächs gegen 
Reichung des herkömmlichen Ohmgelds auszuzapfen 
und des Ends Sträuß oder Kränz an ihren Häuſern 
anzuſtecken, wenn vorhero bei unſern Amtleuten wie 
auch denen Ohmgeldern (d. i. den Ohmgeld⸗Ein⸗ 
nehmern) davon die geziemende Anzeige geſchehen, bei 


zur Zeit gnädigſt belaſſen. Die Straußwirte müſſen 
ihre Abſicht, zu verzapfen, anzeigen und ihren Wein⸗ 
vorrat verſiegeln laſſen; zu eichen brauchen ſie wegen 
der Kürze des Betriebs nicht, müſſen aber den Faß⸗ 
inhalt genaueſt erkundigen. Nr. 21. 
ſchaften keinen andern Betrieb haben, als von neuem 
Wein, ſoll als Abrechnung für die Hefe ein Viertel 
für die Ohm geſtattet werden“. Durch die Verord⸗ 
nungen vom 6. Juli 1737 und 3. Mai 1738 (GeſSlg. 
Bd. II S. 172, 178) ſprach der Biſchof von Speyer 
aus, daß ein herrſchaftlicher Zöller (d. i. Steuerbeamter) 
nicht nur kein Schildwirt fein dürfe, „ſondern ihm 
nur der Strauß erlaubet ſeye, wenn die Reihe an ihn 
kommt und anderſter nicht“. 

Man kann aus den erwähnten biſchöflichen Ver⸗ 
ordnungen ein ziemlich klares Bild von Maß und 
Ordnung der Straußwirtſchaften im Gebiete des 
Biſchofs gewinnen. Augenſcheinlich beziehen ſich die 
Verordnungen nur auf Wein, der in dieſem Gebiet 
erzeugt iſt und auf das Verzapfen durch die „Unter- 
tanen“ des Biſchofs in ſeinem Lande. Aus der Ohm— 
geldsordnung iſt insbeſondere der wirtſchaftliche und 
rechtliche Unterſchied zwiſchen den Schildwirten, d. i. 
den Inhabern der Schildgerechtigkeiten und den Strauß— 
wirten bezüglich des Umfanges der Befugnis zum 
Weinausſchanke zu entnehmen. Anderſeits aber ſtellt 
der Biſchof die Straußwirte für die Zeit des Betriebs 
der Straußwirtſchaft unter die polizeilichen Be— 
ſchränkungen, die im Intereſſe der guten Ordnung 
des Gemeinweſens allen Schankwirten auferlegt werden 


und Weinbaubetriebs⸗Verhältniſſen, die in dem ganzen 
Gebiete ähnlich waren. Die Natur der Sache zeichnete 
die Grundlinien vor, die ſich für die Einrichtung 
empfahlen. Daher dürfte die Annahme nicht unbe⸗ 
. ſein, daß auch in L. und den drei Gemeinden 

„ F. und B. vermöge einer gewohnheitsrechtlichen 
Uebung „Maß und Ordnung“ in annähernd derſel ben 
Weiſe herrſchte, wie im Gebiete des Biſchofs von 
Speyer. 

Seit der Geltung der franzöſiſchen Geſetze war 
in der Pfalz jedermann berechtigt, einen Weinaus⸗ 
ſchank als Gewerbe zu betreiben und hierbei den von 
ihm erzeugten und den hinzugekauften Wein auszu⸗ 
ſchenken; er ſtand als Wirt unter allen Polizeiver⸗ 
ordnungen, die die Ausübung des Betriebs einer 
Schankwirtſchaft — einer Schildgerechtigkeit im Sinne 
des früheren Rechtszuſtandes — regelten. Für den 
auf das eigene Erzeugnis beſchränkten Ausſchank des 
Eigenbaues durch den Weinbauer waren durch das 
neue Recht die Schranken gefallen, die bisher den 
Ausſchank des Grundherrn vor dem des Grundholden 
begünſtigt oder die Zahl der ausſchankbefugten Wein⸗ 
bauer begrenzt hatten, aber daraus folgt nicht, daß 
durch die neue Geſetzgebung der Unterſchied verwiſcht 
wurde, der zwiſchen einer als Gewerbe betriebenen 
Schankwirtſchaft und dem auf das eigene Erzeugnis 
beſchränkten Weinausſchank beſteht. Dieſer Unterſchied 
wurzelt in dem Weſen und Zweck einer Straußwirt⸗ 
ſchaft. Dieſes Weſen und der Zweck führen zu einer 
Ordnung der Dinge, die verſchieden iſt von der Ord⸗ 
nung der als Gewerbe betriebenen Schankwirtſchaft. 
Und gleichwie die franzöſiſche Geſetzgebung den freien 
Gewerbebetrieb nach der Regelung durch die beſtehen⸗ 


den und zu erlaſſenden Polizeiverordnungen geſtattete, 
welcher hergebrachter Maß und Ordnung Wir es noch 


Da derlei Wirt⸗ 


müſſen. Dem Senate liegen feine Belege dafür vor, daß 


und wie in den Orten L., A., F. und B. die Einrichtung 
des Straußwirtſchaftsweſens durch Anordnungen der 
Obrigkeiten geregelt war, aber man wird mit Grund 
annehmen können, daß eine Regelung ſtattgefundeun 
hat. Die Einrichtung ſtammte aus einer uralten Zeit, 
da das ganze Weinbaugebiet am Rhein politiſch noch 
nicht zerſtückelt war. 


1) S. diefe Zeltſcht. Jabrg. 1909 S. 419. 


Sie ruhte auf wirtſchaftlichen 


wird man annehmen müſſen, daß ſie den Ausſchank 
der Weinbauer, der nur in einem gewiſſen Sinn ein 
„Gewerbebetrieb“ iſt, nach den Normen behandelt und 
fortdauernd zulaſſen wollte, die ſich nach der Natur 
der Sache aus ſeiner eigentümlichen Natur ergeben. 
Dieſer Ausſchank beruht auf der Anerkennung des 
Bedürfniſſes der Weinbauer zu einer Gelegenheit für 
den Abſatz der von ihnen erzeugten Weine, wenn deren 
Verkauf nach der Marktlage des Großhandels ſtockt. 
Daher haben die Weinbauer das größte Intereſſe da⸗ 
ran, daß ihnen bei dem notgedrungenen Abſatz im 
Schankwege abgeſehen vom Wettbewerbe der „Schild⸗ 
wirte“ kein weiterer Wettbewerb entſteht, als der, den 
ſie bei der ohnehin ſchon großen Zahl ihrer Betriebe 
ſich ſelbſt bereiten. Jeder Weinbauer iſt vermöge 
feines Weinbaubetriebs in der Regel darauf ange⸗ 
wieſen, daß er in der nächſten Nähe ſeiner Rebgrund⸗ 
ſtücke wohnt. Er wird — in der Regel — an ſeinem 
Wohnorte die Trauben keltern, auch wenn er ſie von 
Weinbergen gewonnen hat, die in verſchiedenen Ge⸗ 
meinde⸗ und Weinmarkungen liegen. Daher liegt es 
für ihn am nächſten, daß er an ſeinem Wohnorte, 
dem Mittelpunkte ſeiner wirtſchaftlichen Tätigkeit, den 
aus mehreren Weinmarkungen gewonnenen Wein in 
einer Straußwirtſchaft verzapft. Glaubt er an einem 
andern Ort als an ſeinem Wohnorte den aus einer 
Gemarkung gewonnenen Wein ausſchenken zu ſollen, 
ſo wird ihm dies unter Beſchränkung auf den in dieſer 
Markung gewonnenen Wein an einem Orte dieſer 
Markung nicht verwehrt werden können. Bei einer 
ſolchen Ordnung der Dinge können ſich die übrigen 
Weinbauer am Wohnorte des Straußwirts oder in 
der einſchlägigen Gemarkung über die Eröffnung einer 
Ausſchankſtelle mit Grund nicht beſchweren, weil ihnen, 
je nach ihren Weinbaubetriebs-Verhältniſſen, die 
gleichen Befugniſſe zuſtehen. 

Als die bayeriſche Staatsregierung Ende der 60 er 
Jahre des vorigen Jahrhunderts das Gewerbsweſen 
in Bayern neu und einheitlich regeln wollte, ſchlug 
ſie die Beſtimmung vor, daß ſich die Ausübung des 
Rechtes der Weinbauer in der Pfalz nach den ober— 


_Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


229 


polizeilichen Schenkordnungen zu richten habe und daß bliebe, die für ihn nach den vorſtehenden Ausfüh⸗ 


der Ausſchank des eigenen Erzeugniſſes den Wein⸗ 
bauern geſtattet bleiben ſolle, deren Perſönlichkeit und 
Verhalten genügende Bürgſchaften eines ordnungs- 
mäßigen Gewerbebetriebs gewährt. Der Vorſchlag 
fand die Zuſtimmung der Abgeordnetenkammer nicht. 
So unterblieb damals eine Klarſtellung der Rechts⸗ 
lage der Weinbauer der Pfalz. Da man nun aber 
an dem dort beſtehenden Rechtszuſtande nichts ändern 
wollte, ſo konnte in der Pfalz jeder Weinbauer nach 
wie vor ohne Rückſicht auf ſeine Perſönlichkeit und 
ſein Verhalten das eigene Erzeugnis ausſchenken, aber 
für die Art der Ausübung blieben auch die Normen 
in Kraft, die ſei es als Geſetz, ſei es als Gewohn⸗ 
heitsrecht hierfür beſtanden haben. Den oben be⸗ 
zeichneten Unterſchied hat die bayeriſche Steuergeſetz⸗ 
gebung feſtgehalten. Sie läßt ſeit dem Geſetze vom 
19. Mai 1881 den Ausſchank des Eigengewächſes 
ſteuerfrei, weil und inſoweit der Weinbauer dadurch 
die Erzeugniſſe ſeines Weinbaus verwertet. Daraus 
nun aber, daß die Steuerfreiheit nur gewährt wird 
bei einem auf einen Teil des Jahres beſchränkten 
Ausſchank und aus der Erwägung, daß der Wein⸗ 
bauer für eine kurze Betriebszeit wohl nicht ſeinen 
Wohnort zu wechſeln pflegt, wird angenommen werden 
dürfen, daß der Steuergeſetzgeber als Regelfall nur 
an einen am Erzeugungsorte veranſtalteten Weinaus⸗ 
ſchank gedacht hat. Und gleichwie dieſer ſteuerpflichtig 
wird, wenn aus den Umſtänden zu entnehmen iſt, 
daß mit ihm der Betrieb einer förmlichen Wirtſchaft 
verbunden wird, ſo hat auch das Staatsminiſterium 
des K. Hauſes und des Aeußern durch die am 30. 
Dezember 1909 erlaſſene Bek., Wirtſchaftsgewerbe betr., 
(Amtsblatt 1910 S. 1) angeordnet, daß der Umwand⸗ 
lung von Ausſchankſtellen der Weinbauer in Bier-, 
Wein⸗, Gaſtwirtſchaften mit Nachdruck zu begegnen 
ſei ($ 4 f. a. 8 14 der Bek.). 

Faßt man die ſämtlichen dargelegten Erwägungen 
zuſammen, ſo wird man an der Hand der Geſetze und 
nach den Folgerungen, die ſich aus der Natur der 
Sache aufdrängen, zu den nachſtehenden Schlüſſen 
gelangen können: A) Der Weinbauer der Pfalz bedarf 
keiner gewerbepolizeilichen Genehmigung, wenn er den 
in der Pfalz von ihm erzeugten Wein in der Form einer 
ſog. Straußwirtſchaft ausſchenken will. B) Der Wein⸗ 
bauer darf den Wein als Straußwirt in der Gemeinde 
der Pfalz ausſchenken, in der er ihn gewonnen hat; der 
Ausſchank hat ſich auf die in der Gemeinde erzeugte 
Menge zu beſchränken. C) Der Weinbauer darf auch 
als Straußwirt an ſeinem Wohnort in der Pfalz den 
aus ſeinen Weinbergen in der Pfalz von ihm ge— 
wonnenen Wein ausſchenken, den er nicht in der Ge⸗ 
meinde des Gewinnungsortes ausgeſchenkt hat. Hält 
man feſt an dieſen Grundſätzen — Ausnahmen wären 
mit Zuſtimmung der zuſtändigen Behörden bei be— 
ſonderen Anläſſen, Jahrmärkten, Volksfeſten u. dgl. 
denkbar — fo wird durch fie den Intereſſen der fteuers 
pflichtigen Wirtſchaftsbetriebe und auch den berech— 
tigten Intereſſen der Weinbauer genügend Rechnung 
getragen. Jedenfalls ergäben ſich unerträgliche Zu: 
ftände, wenn der großen Zahl der pfälziſchen Wein— 
bauer der ganze Regierungskreis der Pfalz als Frei— 
zügigkeitsgebiet eröffnet und wenn geſtattet wäre, daß 
jeder Weinbauer der Pfalz an jedem Orte der Pfalz 
ohne Genehmigung der Behörde den ſteuerfreien Aus— 
ſchank des eigenen Erzeugniſſes als Straußwirt unter— 
nimmt. In der Pfalz hatte im Laufe der Zeit die 
Tatſache, daß der Betrieb der Gaſt- und Schanfwirte 
ſchaft ohne polizeiliche Erlaubnis ſtatthaft war, Miß— 
ſtände herbeigeführt. Um dieſe Mißſtände zu beſeitigen, 
iſt das Geſetz vom 23. Juli 1879 erlaſſen worden. 
Die Mißſtände würden zu einem großen Teile wieder— 
kehren, wenn im Widerſpruche mit dem Reichsgeſetze 


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rungen von jeher gegolten haben und die für ihn 
nach der Natur der Sache gelten müſſen. (Urt. vom 
18. März 1911, Rev.⸗Reg. 22/11). Ed. 
2224 
III. 


Zuläſſigkeit der Beſchwerde gegen einen von dem 
erkennenden Gericht auf Grund des 5 81 StPO. er⸗ 
laſſenen Beſchluß. Aus den Gründen: Die Frage, 
ob auf den Beſchluß aus 8 81 StPO. der 8 347 An⸗ 
wendung findet, iſt beſtritten und auch in der Recht⸗ 
ſprechung verſchieden entſchieden. Das Reichsgericht hat 
in dem Urteile vom 1. Mai 1890 (RG St. Bd. 20 S. 378), 
allerdings nur nebenbei und ohne alle nähere Be⸗ 
gründung, ausgeſprochen, es müſſe angenommen werden, 
daß die Beſtimmung, nach welcher im 8 81 die fofortige 
Beſchwerde zugelaſſen werde, durch den 8 347 modi⸗ 
fiziert ſei, ſo daß der Beſchluß, wenn er vom er⸗ 
kennenden Gericht erlaſſen, nicht mit Beſchwerde, 
ſondern nur mit den gegen das Endurteil zuläſſigen 
Rechtsmitteln angefochten werden könne. Dieſer Auf⸗ 
faſſung haben ſich mehrere Oberlandesgerichte ange⸗ 
ſchloſſen. Den gegenteiligen Standpunkt dagegen ver. 
treten mit guten Gründen insbeſondere das OLG. 
München in dem Beſchluſſe vom 28. Juli 1892 (Samml. 
Bd. 7 S. 311 und Goltd Arch. Bd. 41 S. 156), ferner 
Dalke in Goltd Arch. Bd. 40 S. 412 und in ſeinem 
„Strafrecht und Strafprozeß“ (12. Aufl. 1910) Note 100 
zu Abſ. 3 des 8 81 StPO. und insbeſondere Köhler 
in ſeiner Abhandlung im Gerichtsſaal Bd. 53 S. 192. 
Dieſe Gründe beſtimmen auch den Senat zu der An⸗ 
nahme, daß ein auf Grund des 8 81 StPO. in der 
Hauptverhandlung erlaſſener Beſchluß mit der ſo⸗ 
fortigen Beſchwerde angefochten werden kann, ſohin 
auf ihn 8 347 keine Anwendung findet. Bemerkt mag 
noch fein, daß der Entwurf einer neuen StBO. im 
§ 309, der hier vertretenen Anſicht folgend, den im 
bisherigen 8 347 Satz 2 aufgeführten Ausnahmen als 
weitere die Unterbringung des Angeklagten in eine 
öffentliche Irrenanſtalt ausdrücklich hinzugefügt und 
daß hierzu in der Begründung ausgeführt wird, es 
ſei beſtritten, ob die Anwendung dieſer Maßregel ſchon 
nach geltendem Rechte ſelbſtändig angefochten werden 
kann. Zwar ſei nicht zu verkennen, daß dem er⸗ 
kennenden Gericht eine ihm für die Urteilsfällung not⸗ 
wendig ſcheinende Feſtſtellung unmöglich gemacht wird, 
wenn das im Beſchwerdeweg angerufene Gericht die 
Maßregel nicht für angemeſſen erachtet. Dieſe Rück- 
ſicht müſſe jedoch zurücktreten, da es ſich hier um eine 
ſo ſchwere in die perſönlichen Rechte eingreifende 
Maßregel handelt, daß eine Kontrolle durch ein höheres 
Gericht nicht entbehrt werden kann. (Beſchl. vom 
11. Februar 1911, Beſchw.⸗Reg. 95/11). Ed. 


226 


Oberlandesgericht München. 


Rechtliche Bedeutung des Gebührenanſatzes und der 
Aurechnung. Nachdem die auf Widerſpruch gegen einen 
Zahlungsbefehl erhobene Klage zurückgenommen war, 
hat der Sekretär des Landgerichts M. eine Gebühr 
nach § 46 GKG. mit 5 M 60 Pf. und zugleich 60 Pf. 
„Pauſchgebühr“ angeſetzt, nur die erſtere aber als durch 
die bei dem Amtsgerichte erhobene Gebühr aufgezehrt 
bezeichnet. Gegen den auf die MBek. vom 12. Auguſt 
1910, den Vollzug des GKG. und des Geb. betr. 
(JMBl. S. 709 ff.), geſtützten Anſatz von 60 Pf. hat 
die Klägerin Erinnerungen erhoben, weil die Vorſchrift 
der MBek. über den Ausſchluß einer Anrechnung des 
angeſetzten Auslagenpauſchſatzes mit 8 80 b Abſ. 2 GKG. 
in Widerſpruch ſtehe. Die Beſchwerde gegen den zurück— 


vom 23. Juli 1879 der Betrieb einer Straußwirtſchaft [weiſenden Beſchluß des Landgerichts machte geltend, 


in der Pfalz nicht den Beſchränkungen unterworfen 


# 


daß die Unhaltbarkeit der bekämpften Vorſchrift und 


230 


_ Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


damit des beanſtandeten Pauſchſatzes zwar nicht aus Feſtſtellung der Anrechnungswirkungen nicht ſelbſt 
dem 2. Abſatz des 8 80 b GKG. abzuleiten ſei, deſſen wiederum wenigſtens im gewiſſen Sinne, fo im Sinne 


Anführung in den Erinnerungen nur den Zweck ver⸗ 
folgt habe, die Zahlung eines den Mindeſtbetrag für die 
Inſtanz überſteigenden Betrags darzutun, daß ſich 
dagegen ihre Unwirkſamkeit aus Abſ. 1 Satz 2 des 
8 80 b GKG. ergebe, weil wegen der Aufzehrung der 
ee durch die nach 8 37 GKG. anzu⸗ 
rechnende Gebühr eine „zum Anſatz gelangende Ge⸗ 
bühr“, aus der ein Pauſchſatz berechnet werden könnte, 
N nicht vorliege. Die Beſchwerde blieb er⸗ 
olglos. | 

Aus den Gründen: Darüber, daß in den 
Erinnerungen die Beanſtandung gerade wegen einer 
aus dem 2. Abſatz des 8 80 b GKG. abzuleitenden Un⸗ 
haltbarkeit der angewendeten Vorſchrift erhoben war, 
kann nach dem klaren Wortlaut der Erinnerungen kein 
Zweifel beſtehen. 1 Angriff iſt nicht aufrecht er⸗ 
halten, er war auch nicht berechtigt; denn wie in dem 
angefochtenen Beſchluſſe ausgeführt wird (vgl. Ritt⸗ 
mann GKG. § 80 b Anm. 7), tft die in Abſ. 2 a. E. 
getroffene Beſtimmung, daß das Mahnverfahren und 
der entſtehende Rechtsſtreit als eine Inſtanz gelten, 
nur für die unmittelbar vorher in demſelben Abſatz 
geregelte Höhe der Pauſchſätze einer Inſtanz von Be⸗ 
deutung, ſie enthält aber in keiner Weiſe eine An⸗ 
rechnungsvorſchrift. Ob die Anführung des 2. Ab⸗ 
ſatzes in den Erinnerungen etwa noch einem anderen 
Zwecke diente und inſoweit berechtigt war, bedarf hier 
keiner näheren Unterſuchung, da auch der in der Be- 
ſchwerde ſelbſt enthaltene Angriff fehlgeht. Die Schluß⸗ 
folgerung, daß es, weil eine Gebühr nicht mehr zu 
zahlen ſei, an einer „zum Anſatz gelangenden Gebühr 
überhaupt fehle“, beruht auf einer Vermengung zweier 
Begriffe, die völlig voneinander verſchieden ſind. 

Der Gebührenanſatz ſelbſt beſteht ſeinem Weſen 
nach in einer zu dem Zwecke der künftigen Befriedigung 
der Staatskaſſe vorzunehmenden Unterſtellung gegebener 
Tatbeſtände unter die Vorſchriften des GKG., er iſt 
m. a. W. die der künftigen Befriedigung der Staats⸗ 
kaſſe dienende Rechnungsaufſtellung und bildet darum 
auch die Grundlage der Einziehung (Pfafferoth, Ge⸗ 
richtskoſtenweſen, Anm. 2 zu 8 4 GKG.). Grundſätzlich 
hat der Anſatz überall zu erfolgen, wo nicht kraft ge— 
ſetzlicher Beſtimmung (vgl. z. B. 8 47 Abſ. 1 GKG.) 
oder kraft eines auf geſetzlicher Ermächtigung erfolgenden 
gerichtlichen Ausſpruches (8 6 GKG.) von vorneherein 
feſtſteht, daß eine Gebührenerhebung überhaupt nicht 
in Frage kommt. In Fällen dieſer Art bedarf es 
natürlich keiner Rechnungsaufſtellung, ſo daß der An— 
ſatz als ſolcher zu unterbleiben hat. Handelt es ſich 
aber, wie hier, nur um die Frage, welcher Einfluß 
dem Vorhandenſein einer nach geſetzlicher Vorſchrift 
anzurechnenden Gebühr zukommt, fo iſt die Rechnungs- 
aufſtellung als ſolche nicht entbehrlich. Denn erſt durch 
eine hieran anknüpfende Rechnungsoperation ergibt 
ſich bei Vergleichung der beiden Gebühren, ob der 
Betrag der neuen Gebühr gemindert oder aufgezehrt 
wird. Der hiernach unerläßlichen Rechnungsauf— 
ſtellung fehlt aber auch nicht etwa der Zweck die künftige 
Befriedigung der Staatskaſſe vorzubereiten. Denn es 
kann keinen Unterſchied begründen, ob die Erledigung 
eines ſtaatlichen Gebührenanſpruchs durch Zahlung 
oder durch Anrechnung einer früher angeſetzten Gebühr 
herbeigeführt werden ſoll. Die der Anrechnung not— 
wendigerweiſe vorangehende Rechnungsaufſtellung hin— 
ſichtlich der neuanfallenden Gebühr vereinigt hiernach 
alle Vorausſetzungen für den Begriff des Gebühren— 
anſatzes in ſich. Die Anrechnung ihrerſeits liegt nicht 
mehr auf dem Gebiete des Anſatzes der neuen Gebühr. 
Ihre Bedeutung fällt in das Gebiet des Erlöſchens des 
Gebührenanſpruchs; denn durch die Anrechnung wird 
der dem neuen Anſatz entſprechende Anſpruch teilweiſe 
oder ganz rechneriſch getilgt (Itſchr. f. das Deutſche 
Gerichtsſekretariat 1900 S. 241). Ob die rechneriſche 


— ' v c — äö ü — —ſi—xkkꝛ.x.x.xx.x.x.xkkůxx.xxxkͤ ÜA“2 ʒç . ĩ7Ü ͥ⁰vv ð»—kß— —xꝛů—ůͤꝛ˖ͤ˖⁊˙cF çQ4uxk··ꝛx⸗utF m an mn nn ne —2—3ů3——Ä———3— 


| 


des 8 4 GKG., Anſatz iſt, bedarf hier keiner näheren 
Prüfung. Gleichfalls eine nur in das Gebiet der Til⸗ 
gung fallende Frage iſt es, ob die anzurechnende 
höhere Gebühr vollſtändig bezahlt iſt, ſo daß eine 
weitere Gebührenzahlung nicht ſtattzufinden hat. Des⸗ 
halb, weil auf eine Gebühr nichts mehr zu zahlen iſt, 
kann alſo das Vorhandenſein eines die Berechnung 
des Pauſchſatzes ermöglichenden Gebührenanſatzes nicht 
in Frage geſtellt werden. Unter dieſen Umſtänden wäre 
die Möglichkeit einer Abſetzung des beanſtandeten 
Pauſchſatzes nur dann gegeben, wenn die Pauſchſätze 
ihrer rechtlichen Natur nach Gebühren, nicht Auslagen⸗ 
vergütung wären, ſo daß die Anrechnung unmittelbar 
aus 837 GKG. gefolgert werden müßte, was übrigens 
die Beſchwerde gar nicht geltend macht. Daß den 
Pauſchſätzen nicht die Natur von Gebühren zukommt, 
daß ſie vielmehr trotz der Form ihrer Erhebung Aus⸗ 
lagen vergütung bleiben, hat der Erſtrichter zutreffend 
ausgeführt.!) Es genügt in dieſer Richtung auf Ritt- 
mann a. a. O. 8 80 b, Anm. 2, 8 37 Anm. 5 a. E., 
Neumiller, Die Zivilprozeßnovelle vom 1. Juni 1909 
(S. 14, Fußnote 68 a) zu verweiſen. (Beſchluß vom 
24. Februar 1911, Beſchw.⸗Reg. Nr. 716/10 N 
2214 a 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Umfang des nicht vermögensrechtlichen Schadens 
nach 3 847 B88. Aus den Gründen: Die Mit⸗ 
klägerin, eine achtjährige Bauerstochter, hat ſowohl 
bei dem Unfalle ſelbſt, bei dem ihr der Zeige⸗ und 
der Mittelfinger der rechten Hand im Grundgliede 
ſchräg und ſcharf abgeſchnitten und der Ringfinger 
bis auf den Knochen des Grundgliedes glatt durch⸗ 
ſchnitten wurde, als auch aus Anlaß der operativen 
nung der Knochenſtümpfe und der Anlegung 
von Wundnähten, ſowie während des vierwöchigen 
mit wiederholten Gängen zu dem auswärts wohnenden 
Arzt verbundenen Heilungsvorgangs ſehr heſtige, durch 
Nervenaufregung und Schlafloſigkeit geſteigerte 
Schmerzen erleiden müſſen, die durch die Jugend und 
den Schrecken der Verletzten nicht, wie die Beklagten 
einwenden, gemindert werden konnten. Zu dieſen 
körperlichen Schmerzen traten bei und nach dem 
Unfalle noch erhebliche ſeeliſche Schmerzzuſtände, 
hervorgerufen durch den furchtbaren Schrecken und 
durch den Anblick der verſtümmelten Hand. Dieſe 
pſychiſchen Schmerzen werden ſich während der Lebens⸗ 
dauer der Verletzten beim Anblicke ihrer verkrüppelten 
Hand und bei der Erinnerung an den Unfall er- 
fahrungsgemäß immer wieder, wenn auch ſpäter viel: 
leicht in geringerer Stärke erneuern. Auch dieſe 
ſeeliſchen Schmerzen gehören zu den nach 8 847 BGB. 
zu entſchädigenden Benachteiligungen der Verletzten 
(RGRKomm. 1 S. 710 Anm. 4; Staudinger BGB. 
3./4.] II. 2 S. 1542 Anm. 2, Oertmann, Schuldverh., 
Anm. zu $ 847; Rechtſpr. OLG. 20 S. 268; Recht 12 
Nr. 2822 u. a. — gegen Rechtſpr. OLG. 18 S. 104). 
Außerdem iſt noch die Tatſache der körperlichen Ver— 
unſtaltung der Verletzten als ſolche nach 8 847 zu 
berückſichtigen neben ihrer Bedeutung für den ma— 
teriellen Schaden nach 8 842. Angeſichts aller dieſer 
Umſtände können ſich die Berufungsführer, gleichviel 
ob ihr Verſchulden gering war oder nicht und gleich— 
viel wie ihre und der Kläger Vermögensverhältniſſe 
gelagert ſind, keineswegs darüber beklagen, daß das 
Landgericht der Verletzten 600 M hals rechte und billige 
Entſchädigung nach 8 847 BGB. zuerkannt hat. 
(Urteil vom 8. Febr. 1911, Ber.-Nr. L. 395/10). Br. 

2199 

2) Den gleichen Grundſatz bat nunmehr auch das Reichsgericht 
zu § 98 Grc. ausgeſprochen (ſ. dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1911 Nr. 7 
S. 162). Der Einſ. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Geſetzliche Bertretung einer bayerischen Landge⸗ 
meinde beim Vertragsabſchluß mit einem Dritten und 
bei Zuſtellung einer Klage. Die Baufirma N. hat 
gegen die Landgemeinde M. Klage 8 Zahlung von 
3000 M mit folgender Begründung erhoben: Am 22. 
Januar 1908 ſei zwiſchen der Klägerin und der Be⸗ 
klagten ein Werkoertrag geſchloſſen worden, durch 
den die Gemeinde M. der Klägerin die zur Herſtellung 
einer Waſſerleitung in M. erforderlichen Arbeiten und 
Lieferungen um 30 000 M übertragen habe. Die Ver⸗ 
tragsurkunde hätten der Bürgermeiſter und zwei 
Gemeindeausſchußmitglieder namens der Beklagten 
unterzeichnet. Sie hätten dabei auf Grund eines Be⸗ 
ſchluſſes des Gemeindeausſchuſſes gehandelt und ſeien 
demnach zum Abſchluſſe des Vertrags befugt geweſen. 
Allein 14 Tage vor Beginn der Arbeiten habe die 
Beklagte den Vertrag ohne Grund gekündigt. Sie 

abe der Klägerin den mutmaßlichen Reingewinn von 
000 M nach 8 649 BGB. zu erſetzen. Die Beklagte 
wendete ein, die Klage ſei nicht vorſchriftsmäßig er⸗ 
hoben, weil ſie dem Bürgermeiſter zugeſtellt, geſetz⸗ 
licher Vertreter aber der Gemeindeausſchuß ſei; ferner 
ſei der Vertrag unwirkſam, da ein ordnungsmäßiger 
Mehrheitsbeſchluß des Gemeindeausſchuſſes über die 
Bergebung der Waſſerleitungsarbeiten nicht zuſtande 
gekommen ſei und weder der Bürgermeiſter noch die 
zwei Gemeindeausſchußmitglieder eine beſondere Voll⸗ 
macht zur Vertretung der Gemeinde gehabt hätten. 
Das LG. wies die Klage ab, weil der Bürgermeiſter 
und die Gemeindeausſchußmitglieder nicht im Vollzuge 
eines rechtsgültigen Beſchluſſes des Gemeindeausſchuſſes 
und nicht im Rahmen ihrer geſetzlichen Vertretungs⸗ 
macht gehandelt hätten. Auf Berufung der Klägerin 
hat das OLG. den Klageanſpruch dem Grunde nach 
für berechtigt erklärt und die Sache zurückverwieſen. 

Aus den Gründen: Die Klage wurde dem 
Bürgermeiſter zugeſtellt. Damit iſt dem Erfordernis 
des S 171 Abſ. 2 ZPO. genügt und die Klage vor⸗ 
ſchriftsmäßig erhoben. Die in 8 171 ZPO. bezeich⸗ 
neten Perſonen ſind unabhängig von ihrem Willen 
geſetzliche Vertreter der Partei für die Entgegennahme 
der Zuſtellung. Ob ſie zugleich namens der Partei 
den Prozeß führen können und ſelbſt geſetzliche Ver⸗ 
treter der Partei ſind, darauf kommt es nicht an 
(Gaupp⸗Stein ZPO. 8 171 I Abſ. 2 und Kahr GemO. 
Bd. I S. 770 Note dc zu Art. 84). Die Angabe des 
geſetzlichen Vertreters der Partei in der Klageſchrift 
iſt kein abſolutes geſetzliches Erfordernis, da die Vor⸗ 
ſchrift in $ 130 Ziff. 1 ZPO. nur inſtruktioneller Natur 
iſt und ein Mangel nachträglich berichtigt werden 
kann. Es ſchließt ſogar die fehlerhafte Bezeichnung 
der Partei in der Klageſchrift nicht ohne weiteres 
die Gültigkeit der Klageerhebung aus und es iſt ſelbſt 
in einem ſolchen Falle die Berichtigung der Klage 
zuläſſig. 

Unbegründet iſt aber auch der Einwand der Rechts⸗ 
unwirkſamkeit des Vertrags vom 22. Januar 1908. 
Dieſer Vertrag iſt nach dem Klagevorbringen ein 
Werkvertrag i. S. des 8 631 BGB. und als folder an 
keine beſtimmte Form gebunden. In Gemeinden mit 
Landgemeindeverfaſſung entſcheidet allerdings nur der 
Gemeindeausſchuß als Kollegium mit Mehrheit darüber, 
ob ein Vertrag namens der Gemeinde mit einem 
Dritten geſchloſſen werden ſoll oder nicht (Art. 130 
Gem.). Es ift demnach zunächſt zu prüfen, ob der 
Gemein deausſchuß am 25. November 1907 über die 
Uebertragung der Arbeiten und Lieferungen an die 
Klägerin ordnungsmäßig Beſchluß gefaßt hat. Nach 
dem Verlauf der Gemeindeausſchußſitzung ſteht zwar 
nicht ganz einwandfrei feſt, ob die wirkliche Mehrzahl 
aller anweſenden Ausſchußmitglieder dem Antrage des 
Bürgermeiſters zugeſtimmt hat der Klägerin den Zu— 
ſchlag zu erteilen. Dieſe Frage kann unentſchieden 


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231 


— 


in Bayern. 1911. Nr. 10. 


bleiben, weil der Klageanſpruch aus einem anderen 
Grunde berechtigt iſt. Wie nicht beſtritten iſt, hat der 
Bürgermeiſter nach der Gemeindeausſchußſitzung vom 
25. November 1907 noch am gleichen Tage mit Tele⸗ 
gramm und beſonderem Schreiben namens der Ge⸗ 
meindeverwaltung der Klägerin mitgeteilt, daß ihr 
der Zuſchlag auf ihr Angebot erteilt wurde. Das 
gleiche berichtete er am 10. Dezember 1907 an das 
Waſſerverſorgungsbureau zugleich mit der Anfrage, 
ob mit der Klägerin noch weitere Vereinbarungen 
zu treffen ſeien. Das Waſſerverſorgungsbureau er⸗ 
öffnete der Gemeindeverwaltung, daß eine Abſchrift 
des Gemeindeausſchußbeſchluſſes über die Zuſchlags⸗ 
erteilung ſowie die Erklärung der Klägerin über deren 
Bereitwilligkeit, den Bau am 1. März 1908 zu bes 
ginnen, noch einzuſenden ſeien und daß ſodann die 
Verträge vom Bureau entworfen und der Gemeinde 
zugeleitet werden. Dieſer Aufforderung entſprach die 
Gemeindeverwaltung mit Schreiben vom 22. Dezember 
1907. Die beigelegte vom Bürgermeiſter und zwei 
Gemeindeausſchußmitgliedern unterzeichnete und vom 
Bürgermeiſter beglaubigte Abſchrift des Beſchluſſes 
des Gemeindeausſchuſſes aus dem Sitzungsprotokoll 
lautete im weſentlichen: 
M., den 25. November 1907. 

„In heutiger Sitzung, zu welcher die Mitglieder 
der Gemeindeverwaltung vorſchriftsmäßig geladen und 
auch erſchienen waren, kam zur Beſchlußfaſſung: Die 
Ausführung der Waſſerverſorgungsanlage der Ge⸗ 
meinde wird dem Bauunternehmer N. (d. i. der 
Klägerin) unter den vom K. Waſſerverſorgungsbureau 
aufgeſtellten allgemeinen und beſonderen Bedingungen 
übertragen“. 

Am 7. Januar 1908 hat das K. Waſſerverſorgungs⸗ 
bureau zwei Vertragsentwürfe an die Gemeindever⸗ 
waltung mit dem Auftrage geſchickt, den Namen des 
ernannten Baukaſſiers einzuſetzen und die rechtsver⸗ 
bindliche Fertigung zu vollziehen, ſodann die Verträge 
wieder einzuſenden. Dieſem Auftrage hat die Ge⸗ 
meindeverwaltung in der Weiſe entſprochen, daß von 
dem Bürgermeiſter und zwei Ausſchußmitgliedern am 
22. Januar 1908 die zwei Vertragsentwürfe unter⸗ 
ſchrieben und darauf der Klägerin überſendet wurden. 
Letztere hat die Entwürfe ſodann unterzeichnet und 
dem Waſſerverſorgungsbureau vorgelegt. Damit war 
der Werkvertrag zwiſchen der Klägerin und der Ge⸗ 
meinde M. geſchloſſen. Die Ausfertigung des dem 
Waſſerverſorgungsbureau vorgelegten Gemeindeaus⸗ 
ſchußbeſchluſſes vom 25. November 1907 entſpricht der 
Vorſchrift des Art. 145 Abſ. 7 GemO. Sie wurde 
vom Bürgermeiſter in dem durch das Waſſerver⸗ 
ſorgungsbureau vermittelten Rechtsverkehr mit dem⸗ 
jenigen Unternehmer erteilt, deſſen Angebot nach dem 
Inhalt des Beſchluſſes den Zuſchlag erhalten hatte, 
und zwar als eine amtliche öffentliche Beurkundun 
und zum Nachweiſe dafür, daß der Klägerin dur 
e der Gemeindevertretung der Zuſchlag erteilt 
wurde. 

Die Gemeinde kann ſich der Haftung aus dem 
Vertrage, der auf Grund der in zuſtändiger Weiſe und 
rechtsförmig erteilten Ausfertigung unterzeichnet wurde, 
nicht entſchlagen. Sie muß vielmehr den Vertrag als 
bindend gegen ſich gelten laſſen, ſelbſt wenn die in 
der Beſchlußausfertigung über das Vorliegen eines 
ordnungsmäßigen Gemeindeausſchußbeſchluſſes ent⸗ 
haltene Beſtätigung der Wirklichkeit nicht entſpricht 
und dieſer Beſchluß gar nicht zuſtande gekommen iſt, 
weil der Gemeindevorſtand das Vorhandenſein eines 
vom zuſtändigen gemeindlichen Organe gefaßten Be— 
ſchluſſes im Rechtsverkehr mit Dritten amtlich be— 
ſtätigt und bei Erteilung der Ausfertigung innerhalb 
ſeiner geſetzlichen Zuſtändigkeit gehandelt hat. (Vgl. 
Kahr, GemO. Bd. 1 S. 769 Abſ. 2 und S. 480 A. 8a 
Abſ. 8, VerwGH. Bd. 7 S. 295, Bd. 10 S. 212 und 
Bd. 11 S. 124, BlAdm pr. Bd. 22 S. 248 und Bd. 23 


S. 17). Es würde der Billigkeit widerſtreiten, wenn 
man verlangen wollte, daß die Klägerin vor Unter⸗ 
zeichnung der Vertragsurkunde erſt noch hätte unter⸗ 
ge ſollen, ob nicht etwa bei der Beſchlußfaſſung 
es Gemeindeausſchuſſes die für den Bereich der Ver⸗ 
waltung der Gemeindeangelegenheiten beſtehenden 
arch Vorſchriften verletzt worden ſind und ob 
nicht allenfalls aus einer Nichtbeachtung dieſer Vor⸗ 
ſchaftlic für ſie als den mit der Gemeinde in rechtsge⸗ 
ſchäftlichen Verkehr tretenden Dritten Rechtsnachteile 
Rain könnten. (Urt. des I. 38S. vom 4. März 1911, 
09). G — -en. 


L. 334 
2230 


Literatur. 


Heinitz, Dr. E., Juſtizrat. Das Reichsgeſetz über das 
Verlagsrecht. Textausgabe mit Einleitung, An⸗ 
merkungen und Sachregiſter. Zweite Auflage be⸗ 
arbeitet von Dr. B. Marwitz, Rechtsanwalt in 
Berlin. 147 S. Berlin 1911. J. Guttentag, Ver⸗ 
lagsbuchhandlung. Gebd. Mk. 1.80. 

Auf eine recht geſchickt zuſammengeſtellte Einleitung 
läßt der Verfaſſer eingehende Erläuterungen der ein⸗ 


zelnen Paragraphen folgen; ſie ſtellen mit beſonderer 


Sorgfalt die Beziehungen zum allgemeinen bürgerlichen 
Rechte her und ſind in allen Fragen der täglichen 
Praxis ein verläſſiger Führer. In Ausſtattung und 
Druckanordnung teilt die Ausgabe die bekannten Vor⸗ 
züge der Guttentag'ſchen Sammlung. 


Notizen. 


Die allgemeine Einführung des Fingerabdruckver⸗ 
fahrens im Königreiche Bayern. Dem Beiſpiele Sachſens, 
das ſchon im Jahre 1904 bei den Polizeibehörden der 
größeren Städte und den Gerichtsgefängniſſen das Finger— 
abdruckverfahren eingeführt hat, iſt nun erfreulicher- 
weiſe auch Bayern gefolgt. Bisher war das Finger⸗ 
abdruckverfahren eingeführt ſeit 1. Juli 1909 bei der 
Kgl. Polizeidirektion München, die am 1. Mai 1911 
bereits über 16 127 Fingerabdruckblätter verfügte, ferner 
feit einem Jahre bei den Arbeitshäufern St. Georgen⸗ 
Bayreuth und Rebdorf und außerdem bei einer ge— 
ringen Anzahl größerer Gemeinden, die aber meiſt 
nur ſchwere Verbrecher dieſem Verfahren unterwarfen. 
Eine Entſchließung des Kgl. Staatsmini⸗ 
ſteriums des Innern vom 14. April 1911 
(M ABl. S. 245) hat nunmehr die Ausbreitung eines 
Netzes von Aufnahmeſtellen über das ganze Königreich 
und die Errichtung einer Sammelſtelle angeordnet, 
die zugleich Auskunftſtelle für die übrigen Behörden 
fein fol. Als Sammel- und Auskunftsſtelle 
wurde die Kgl. Polizeidirektion München be⸗ 
ſtimmt. Aufnahmeſtellen ſind einzurichten in den 
kreis unmittelbaren Städten und den übrigen 
Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern. 
Das Abnehmen von Fingerabdrücken iſt auf beſtimmte 
Kreiſe von Polizeigefangenen zu beſchränken. Als 
ſolche Perſonen kommen in Betracht: 

1. alle Zigeuner ohne Rückſicht auf Strafmündigkeit, 

2. alle Feſtgenommenen, an deren Identität Zweifel 
beſtehen, 

3. alle Frauensperſonen, die unter ſittenpolizeilicher 
Kontrolle geſtellt ſind, 

4. alle diejenigen, die wegen der Art der Verbrechen 
und Vergehen (Taſchen- und Ladendiebe, Hoch— 
e 
Päderaſten, Kuppler, Zuhälter, Schmuggler u. dgl.) 
oder wegen des Verdachts der Rückfälligkeit als 
gewohnheitsmäßige Verbrecher zu erachten ſind, 


— — lm 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10. 


5. die wegen Uebertretung der 88 361 Nr. 3, 4, 6 
oder 363 St. Feſtgenommenen. Die Abnahme 
von Fingerabdrücken von einheimiſchen bekannten 
Bettlern wird in der Regel unterlaſſen werden 
können. ö 
Die in den Fällen 1 und 2 aufgenommenen Finger⸗ 

abdrücke ſind jeweils ſofort, die übrigen wochenweiſe 
amt den ausgefüllten Perſonalkarten an die Kgl. Po⸗ 
lizeidirektion zu ſenden. 

Erſuchen um Auskunftserteilung find unmittelbar 
an die Kgl. Polizeidirektion zu richten. Falls gewünſcht 
wird, daß dieſe die Feſtſtellung des Feſtgenommenen durch 
Ermittlungen bei außerbayeriſchen Behörden des In⸗ 
und Auslands übernimmt, hat die erſuchende Behörde 
20 Stück der Fingerabdrücke (Originale oder photo⸗ 
graphiſche Vervielfältigungen) einzuſenden. 

Zur Vervollſtändigung des Netzes der Aufnahme⸗ 
ſtellen iſt die Einführung des Fingerabdruckverfahrens 
auch bei den Gendarmeriehauptſtationen und 
bei den Gendarmerieſtationen am Sitze eines 
Amtsgerichts angeordnet worden. 

Die allgemeine Einführung des Fingerabdruck⸗ 
verfahrens bedeutet einen gewaltigen Fortſchritt auf 
kriminaliſtiſchem Gebiete, der vor allem auch den Juſtiz⸗ 
behörden zugute kommen wird. Es ſteht ſelbſtver⸗ 
ſtändlich den Staatsanwälten und Strafrichtern frei 
von jedem Unterſuchungs⸗ und Strafgefangenen, bei 
dem ſie dies für notwendig oder zweckmäßig erachten, 
Fingerabdrücke nehmen zu laſſen, und es iſt nur zu 
erwünſchen, daß ſie von dieſer Gelegenheit den weiteſt⸗ 
gehenden Gebrauch machen. Wie nötig dies iſt, zeigt 
ein Fall, der ſich vor einigen Wochen ereignet hat. 
Ein zu lebenslänglichem Zuchtshaus verurteilter Raub⸗ 
mörder war aus einem heſſiſchen Zuchthaus entſprungen 
und durch das nördliche Bayern nach Böhmen ge⸗ 
wandert. Eine böhmiſche Polizeibehörde nahm ihn 
in Haft und ſandte ſeine Fingerabdrücke nach München, 
ließ ihn aber wieder frei, da er dort nicht identifiziert 
werden konnte. Später ſtellte ſich heraus, daß der 
Mann von zwei oberfränkiſchen Amtsgerichten unter 
gen Namen abgeurteilt worden war. Wären fchon 
m Zuchthaus oder in einem der beiden Amtsgerichts⸗ 
gefängniſſe ſeine Fingerabdrücke genommen worden, 
ſo hätte er ohne Mühe identifiziert werden können, 
ſo aber erfreut er ſich jetzt noch der goldenen Freiheit. 

Die Errichtung von Aufnahmeſtellen an allen 
Amtsgerichtsſitzen erleichtert nun auch auf dem Lande 
die Ermittlung unbekannter Leichen durch 
Fingerabdrücke, die kürzlich bei der Ermordung der 
Proſtituierten Monika Huber in München ſo raſch und 
ſicher gelang. Das Abnehmen von Fingerabdrücken 
ſollte bei unbekannten Leichen nie verfäumt werden. 
Es führt meiſt ſicherer zum Ziel als das Photo» 
graphieren und das Ausſchreiben in den Fahndungs— 
blättern. Auch bei Waſſerleichen kann man, wenn die 
Haut nicht bereits völlig zerſtört iſt, oft noch brauch— 
bare Fingerabdrücke gewinnen. Die Aufnahmeſtellen 
erhalten von der Polizeidirektion eine ausführliche 
Anweiſung zum Abnehmen der Fingerabbrücke, die 
auch das Daktyloſkopieren von Leichen behandelt. In 
allen Fällen, in denen man ſchlechte Abdrücke erhält, 
empfiehlt es ſich, die Aufnahme zu wiederholen und 
der an die Landeszentrale in München gerichteten 
Anfrage gleich mehrere Fingerabdruckblätter beizu— 
legen. Dies gilt vor allem auch dann, wenn Finger— 
abdrücke, die am Tatort auf Glas, Papier u. dgl. 
zurückgeblieben ſind, mit dem Fingerabdruckblatt eines 
der Tat Verdächtigen verglichen werden ſollen. 

Dr. Tb. Harſter. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Druck von Dr. Fran; Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ar. 11. 


München, den 1. Juni 1911. 


1. Jahrg. 


Zeitschrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 

im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 

„3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und NJ. 
Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Jas Keichszuwachsſteuergeſetz. 
Von Profeſſor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn. 


Dem am 1. April 1911 mit Rückwirkung 
bis zum 1. Januar 1911 in Kraft getretenen 
Reichszuwachsſteuergeſetze vom 14. Februar 
19119) liegt der Gedanke zugrunde, daß der: 
jenige, der ohne eigenes Zutun, insbeſondere nicht 
durch Aufwendung eigener oder von ihm ent⸗ 
lohnter Arbeit noch durch eigene geldwerte Sach⸗ 
aufwendungen (Kapital), ſondern infolge von 
Maßnahmen der organiſierten Gemeinſchaft (Reich, 
Staat, Kreis, Gemeinde uſw.) oder lediglich als 
Niederſchlag der geſamten geſellſchaftlichen Kultur⸗ 
arbeit an ſeinem Grundbeſitz eine Werterhöhung 
erfahren hat, von dieſer einen progreſſiv mit 
ihr wachſenden Teil als Steuer an die Gemein⸗ 
ſchaft in dem Augenblicke abführen ſoll, wo er 
pielen „unverdienten Wertzuwachs“ durch Kauf, 

auſch oder ſonſtwie in Geld oder Geldeswert 
realiſiert. Die Zuwachsſteuer enthält alſo eine 
Beſteuerung von verwirklichten Konjunktur⸗ oder 
Spekulationsgewinnen an den im Reiche liegenden 
Grundſtücken. Den Grundſtücken völlig gleich 
werden in dieſer Hinſicht die vom Reichs⸗ oder 
Landesrecht den Srundftüden gleichgeſtellten „Be: 


rechtigungen“, wie Bergwerkseigentum, Erbbau⸗ 


recht, Apothekengerechtigkeit uſw., behandelt. Die 
Steuerpflicht iſt an die Übertragung des Eigen⸗ 
tums geknüpft und wird durch die Eintragung 
der Rechtsänderung in das Grundbuch, wo ſolches 
fehlt, durch die Umſchreibung in den öffentlichen 
Büchern begründet. Erfolgt dieſe nicht binnen 
Jahresfriſt ſeit dem Abſchluſſe des Veräußerungs⸗ 


in Bayern 


| 


Berlag von | 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Seller) 
München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzelle 
oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 


A 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


233 


ſind, das letzte die Steuerpflicht. Für die Veran⸗ 
lagung iſt dann der Zeitpunkt maßgebend, wo 
das Rechtsgeſchäft oder das letzte Rechtsgeſchäft 
abgeſchloſſen wurde. 

Da die Umgehung der bisher beſtehenden 
landesgeſetzlichen und kommunalen Zuwachsſteuern 
ſehr in Schwung war und die ſyſtematiſche An⸗ 
leitung dazuzſogar einen einträglichen neuen Beruf 
bildete, ſo iſt das Zuwachsſteuergeſetz mit einer 
ganzen Reihe von Vorſchriften durchſetzt, welche 
die neue Reichsſteuer vor der gleichen Gefahr be⸗ 
hüten ſollen. Dazu gehört namentlich, daß als 
Rechtsgeſchäfte im obigen Sinne auch gewiſſe Rechts⸗ 
handlungen gelten, die in den Dienſt der Um⸗ 
gehungsabſicht geſtellt zu werden pflegen, nämlich: 
Weiterübertragung der Rechte des Grundſtücks⸗ 
erwerbers oder der Rechte aus bindenden Ver⸗ 
äußerungsanträgen oder aus Verträgen, die zu 
Veräußerungen verpflichten, Abtretung der Rechte 
aus dem Meiſtgebot, Erklärung des Meiſtbietenden, 
ſür einen anderen geboten zu haben, und Ver⸗ 
äußerungsermächtigungen. Auch wird die Be⸗ 
ſteuerung nicht ausgeſchloſſen durch die Verdeckung 
des beabſichtigten ſteuerpflichtigen mittels eines 
nichtbeabſichtigten, an ſich ſteuerfreien Rechtsge⸗ 
ſchäfts. Da die Bildung einer Geſellſchaft zwiſchen 
Veräußerer und Erwerber und Uebertragung der 
Geſellſchaftsanteile des erſteren auf den letzteren 
eine beſonders beliebte Steuerumgehungsform iſt, 
ſo iſt dem Uebergange von Grundſtückseigentum 
hinſichtlich der Steuerpflicht gleichgeſtellt der Ueber⸗ 
gang von Rechten am Vermögen einer Geſell⸗ 
ſchaft, ſoweit dieſes aus Grundſtücken beſteht, wenn 
zum Gegenſtande der Unternehmung die Ver⸗ 


geſchaftes, jo begründet mit Ablauf der Friſt wertung von Grundſtücken gehört oder die Geſell⸗ 


dieſes ſelbſt und, wenn innerhalb dieſer Friſt 
mehrere ſolche Rechtsgeſchäfte abgeſchloſſen worden 


) Mit Einleitung, Erläuterungen, den Ausführungs— 
beſtimmungen des Bundesrats, Preußens, Bayerns und 
Sachſens und ausführlichem Sachregiſter für den Hand— 
gebrauch erſcheint alsbald nach Veröffentlichung der Voll— 
zugsvorſchriften vom Verfaſſer dieſes Artikels eine Aus⸗ 


| 


ſchaft zwecks Erſparung der Zumadhiteuer gebildet 
iſt. Ausgenommen ſind jedoch Aktiengeſellſchaften, 


und zwar notgedrungen, weil der Uebergang von 


| 


| 


Inhaberaktien ſich jeder Kontrolle entzieht. Die 
„Verwertung“ umfaßt nicht bloß Veräußerungen, 
ſondern auch alle Vorgänge, die dieſer mirtichaft: 


gabe bei J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) in Mün⸗ lich gleichkommen, anderſeits aber nur ſolche Ver⸗ 
chen (Schweitzers blaue Textausgaben mit Anmerkungen). äußerungen, die auf Nutzbarmachung des Mehr— 


234 


werts hinzielen. Kuxe, bewegliche wie unbeweg⸗ 
liche, ſind nur ſoweit ſteuerpflichtig, als die ſoeben 
genannten Vorausſetzungen zutreffen. 
Steuerfrei ſind: 1. Zur Schonung der 
minderbemittelten Klaſſen Veräußerer, die nebſt 
ihrem Ehegatten im letzten Jahre nicht über 
2000 M, Einkommen (ohne Berückſichtigung von Ab⸗ 
zugsberechtigungen wie Kinderprivileg u. a.) be⸗ 
zogen und keinen gewerbsmäßigen Grundſtücks⸗ 
handel treiben, wenn der Veräußerungspreis (bei 
Teilveräußerungen der des Geſamtgrundſtücks) bei 
unbebauten Grundſtücken 5000 V, bei bebauten 
20 000 M nicht überſteigt. 2. Landesfürſt und 
⸗Fürſtin, ſofern nicht die Landesgeſetze, wie in 
Lippe, Ausnahmen zugunſten der Gemeinden 
machen, bezüglich der in ihrem Lande, — Reich, 
Staat und Gemeinden bezüglich der in ihrem 
Bereiche belegenen Grundſtücke, und gemeinnützige 
Siedlungsgeſellſchaften. 3. Aller Erwerb von 


Todes wegen, durch Schenkung, durch eheliche Güter: | 


gemeinſchaft oder deren Aufhebung, durch Teilungs⸗ 


Obſtbäume und Weinſtöcke nebſt den haͤngenden 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


— — — —  nn 


ganze aufſtehende Ernte, der ganze Holzbeſtand 
der Forſten, auch der noch nicht ſchlagreife, die 


Früchten, nicht aber die Bergwerksprodukte. Der 
Preis beſtimmt ſich nach dem Geſamtbetrage 
der Gegenleiſtung einſchließlich der vom Erwerber 
übernommenen oder ihm infolge der Veräußerung 
obliegenden Leiſtungen und der vorbehaltenen oder 
auf dem Grundſtücke laſtenden Nutzungen, bei 
Zwangsverſteigerungen nach dem Betrage des 
Meiſtgebots, zu dem der Zuſchlag erteilt wird, 
einſchließlich der vom Erſteher übernommenen 
Laſten. An die Stelle eines nicht vereinbarten 
oder nicht zu ermittelnden Preiſes tritt der ge⸗ 
meine Wert des Grundſtücks. Der Wert wieder⸗ 
kehrender Leiſtungen oder Nutzungen wird nach 


den Vorſchriften des Erbſchaftsſteuergeſetzes be: 


| 


verträge zwiſchen Erben oder Teilnehmern an 


einer Gütergemeinſchaft oder durch Zuſchlagser⸗ 
teilung an eine ſolche Perſon bei Teilung im 
Verſteigerungswege, ferner Erwerb der Abkömm⸗ 
linge von den Verwandten aufſteigender Linie, 
Einbringen in eine aus dem Veräußerer und 
ſeinen Abkömmlingen oder nur aus letzteren be⸗ 
ſtehende Geſellſchaſt, ſolange nicht ein fremder Geſell⸗ 
ſchafter hinzutritt, Einbringen von Nachlaßgegen⸗ 
ſtänden in eine Vereinigung von Miterben, Grund— 
ſtücksaustauſch bei Zuſammenlegungen (Flurbe⸗ 
reinigungen), Grenzregelungen oder Umlegungen 
und Ablöſungen von Rechten an Forſten, ſoweit 
eine Behörde ſolche Maßnahmen anordnet oder 
als zweckdienlich anerkennt, endlich der Austauſch 
von Feldesteilen zwiſchen angrenzenden Bergwerken 
oder ſolchen, die behufs beſſerer techniſcher Aus— 
nutzung vereinigt werden. In allen dieſen Fällen 
(zu 3) iſt aber die Steuerpflicht nicht auſgehoben, 
ſondern nur aufgeſchoben, nämlich bis zum nächſten 
ſteuerpflichtigen Eigentumsübergang, bei dem dann 


rechnet. Sind ſteuerpflichtige und freie Gegen⸗ 
ſtände zuſammen veräußert, ſo muß der Steuer⸗ 
pflichtige der Steuerbehörde die Einzelpreiſe oder 
⸗Werte angeben, andernfalls beſtimmt dieſe den 
Anteil der erſteren an der Geſamtſumme. Geht 
das Eigentum nur eines Grundſtücks teil es über, 


ſo wird deſſen Erwerbspreis nach Verhältnis ſeines 


— . —.—— . 7⏑§ßꝗmn g ., 


} 
0 


preiſes angeſetzt werden, 


der ganze, während der Beſitzzeit ſowohl des 


Veräußerers als ſeines Rechtsvorgängers ent: 
ſtandene Wertzuwachs der Steuerberechnung zu— 
grunde gelegt wird. Es wird dann alſo auf 
den Erwerbspreis beim letzten, im Sinne des 
Geſetzes ſteuerpflichtigen Rechtsvorgang zurück— 
gegangen. 

Als ſteuerpflichtiger Wertzuwachs gilt 
der Unterſchied zwiſchen dem Erwerbs- und Ver— 
äußerungspreiſe mit den gleich zu erwähnenden 
Zu: und Abrechnungen. Zum Grundſtücke ge: 
hören begrifflich die Erdoberfläche und die mit 
ihr als weſentliche Beſtandteile verbundenen 
Gegenſtände. Doch kommen vom Preiſe in 
Abzug der Wert der vom Veräußerer über— 
nommenen Laſten, der Maſchinen und der noch 
mit dem Boden zuſammenhängenden Erzeugniſſe 
des Grundſtücks. Zu letzteren gehören u. a. die 


+ 


Wertes zu dem des Geſamtgrundſtücks berechnet. 

Der jo ermittelte Unterſchied zwiſchen Erwerbs: 
und Veräußerungspreis enthalt aber ſowohl den in 
obigem Sinne verdienten wie den nach Abſicht des 
Geſetzes allein ſteuerpflichtigen unverdienten Wertzu⸗ 
wachs. Der erſtere muß alſo noch ausgeſchieden 
werden. Das geſchieht dadurch, daß dem Erwerbs: 
preiſe hinzugerechnet wird der Wert der Aufwen⸗ 
dungen, die innerhalb des der Steuerberechnung 
zugrunde zu legenden Zeitraums in das Grund— 
ſtück gemacht worden ſind, ſo wie ſie das Geſetz 
ſpezialiſiert. Dadurch vermindert ſich der Unter⸗ 
ſchied zwiſchen den beiden Preiſen um dieſen ver⸗ 
dienten Wertzuwachs, jo daß nur der unverdiente. 
das reine Steuerobjekt, zurückbleibt. Außer den 
Erwerbskoſten, die vorbehaltlich der Nachweiſung 
eines höheren Betrages mit 4% ↄ des Erwerbs— 
gehören hierher zwei 
Gruppen von Aufwendungen: 

1. Solche für noch vorhandene Bauten, Um: 
bauten und ſonſtige dauernde beſondere Ber: 
beſſerungen, auch land- und forſtwirtſchaftlicher 
Art, und für bergmänniſche Verſuchs- und Aus— 
richtungsarbeiten, ſoweit ſie nicht der laufenden 
Unterhaltung von Baulichkeiten oder Bewirt⸗ 
ſchaftung von Grundſtücken dienen. Als Ent— 
ſchädigung für die mit der Aufwendung ver— 
bundene Arbeit dürfen außerdem 5 %ũ und wenn 
der fie ausführende Veräußerer Baugewerb— 
treibender oder -Handwerker iſt, 1576 Ä des an: 
rechnungsfähigen Wertes hinzugerechnet werden. 
Iſt aber der Unternehmer eine Geſellſchaft oder 
Genoſſenſchaft, jo muß Ne aus Baugewerbetrei— 
benden oder - Handwerkern beſtehen, um dieſen 
Vorzug zu genießen. Nicht anrechnungsfähig ſind 
durch ausgezahlte Verſicherungsſummen gedeckte 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Aufwendungen, wenn fie zur Wiederherſtellung 
von Baulichkeiten gemacht wurden, die vor dem 
gedachten Zeitraum errichtet waren. Im Intereſſe 
der Landeskultur darf bei Meliorierung von Moor-, 
Sumpf-, Oed⸗ oder Haideland die Erhöhung des 
Ertragswertes ſtatt des Wertes der Aufwendungen 
hinzugerechnet werden. Hatte der jetzige Ver⸗ 
aͤußerer das Grundſtück in einer Zwangsver⸗ 
ſteigerung erworben, in der er als Hypotheken⸗ 
oder Grundſchuldgläubiger mit feiner Forderung 
ausgefallen war, ſo iſt der ausgefallene Betrag 
dem Erwerböpreile bis zur Höhe des damaligen 
Grundſtückswertes oder, wenn der Wert zur Zeit 
der Eintragung der Forderung höher war, zu 
dieſem Werte hinzuzurechnen. Denn einen Ge⸗ 
winn erzielt der Veräußerer am Grundſtück erſt 
nach Einholung jenes Verluſtes durch die Wert⸗ 
ſteigerung. Hatte er die Forderung gegen Ent⸗ 
gelt erworben, ſo beſchränkt ſich die Anrechnung 
auf deſſen Höhe. 

2. Die Aufwendungen, Leiſtungen und Bei⸗ 
traͤge für Straßenbauten u. a. Verkehrs⸗ ein⸗ 
ſchließlich Kanaliſierungs-Anlagen, ferner unver⸗ 
goltene Beiträge ſür ſonſtige öffentliche Einrich⸗ 
tungen. Ihnen ſind für jedes volle Jahr des 
gedachten Zeitraums, längſtens jedoch für 15 Jahre, 
4% ihres Betrages hinzuzurechnen. 

Die völlige Ausſcheidung des unverdienten 
Wertzuwachſes leidet jedoch unter dem doppelten 
Mangel der fortſchreitenden Geldentwertung und 
der großen natürlichen Schwierigkeiten, die vielfach, 
namentlich bei landwirtſchaftlichem Befitz, entſtehen, 
ſoweit der höhere Verkaufswert auf beſonders 
ſorgfältige Bodenpflege durch den Veräußerer 
und ſeine Familie zurückzuführen iſt, alſo auf 
Leiſtungen, die ihrer Natur nach nicht unter jene 
anrechnungsfähigen Sachaufwendungen fallen. 
Hier nimmt das Geſetz eine Art von ſummariſchem 
Ausgleich für die ſonſt eintretende Schädigung des 
Veräußerers dergeſtalt vor, daß dem Erwerbs⸗ 
preiſe für denſelben Zeitraum ferner hinzugerechnet 
werden: vom Betrage des Erwerbspreiſes und 
der obigen Anrechnungen, ſoweit er 100 , 
bei Weinbergen 300 M, pro Ar nicht überſteigt, 
2½ ; vom Mehrbetrage bei unbebauten Grund⸗ 
ſtücken 2, bei bebauten 1 /. Dieſe Sätze er⸗ 
mäßigen ſich bei den unbebauten auf die Hälfte, 
wenn der Zeitraum nicht mehr als 5 Jahre be⸗ 
trägt. Anderſeits find vom Veräußerungspreiſe 
abzuziehen die Veräußerungskoſten und auf An⸗ 
trag des Veraͤußerers als billige Entſchädigung 
für den Fall, daß das Grundſtück ihm während 
ſeiner Beſitzzeit keinen oder einen unternormalen 
Jahresertrag brachte — ſo daß alſo der wirkliche 
Gewinn ſich um ebenſoviel geringer ſtellt, ja viel: 
leicht auf Null herabſinkt oder gar in Verluſt 
wandelt — der Betrag, um den dieſer Ertrag im 
ſelben Zeitraum, doch nicht länger als für 15 
zuſammenhängende Jahre, hinter 3% des um 
die obigen Anrechnungen erhöhten Erwerbspreiſes 


in Bayern. 1911. Nr. 11. 


235 


zurückbleibt. Zuſammenhängend müſſen die 15 
Jahre ſein, damit nicht der Pflichtige ſich, wenn 
der Zeitraum größer iſt, die für ihn vorteil: 
hafteſten, alſo ertragſchwächſten Jahre herausſucht. 
Im übrigen werden Verluſte bei Grundſtücksver⸗ 
äußerungen nur dann berückſichtigt, wenn Teile 
eines örtlich und wirtſchaftlich zuſammenhängenden 
Beſitzes innerhalb 3 Jahren vom Veräußerer oder 
ſeinen Erben durch verſchiedene Rechtsakte teils 
mit Gewinn teils mit Verluſt veräußert werden. 
Der Verluſt darf dann vom Gewinn abgezogen 
werden. (Schluß folgt.) 


Die Bedeutung der Neſſungsanerkeunung. 
Von Rechtsanwalt Joſeph Fehler in Regensburg. 


I. 1. Die Klägerin iſt Eigentümerin des Grund⸗ 
ſtückes Pl.⸗Nr. 45 b zu 0,062 ha und als ſolche 
im Grundbuch eingetragen. Die Beklagten find 
Beſitzer und Eigentümer des unmittelbar angren⸗ 
zenden Grundſtückes Pl.⸗Nr. 470 zu 0,034 ha 
und als ſolche gleichfalls im Grundbuch eingetragen. 
Im Frühjahr 1910 ließen die Beklagten ihre 
Wieſe Pl.⸗Nr. 470 neu vermeſſen. Die Vermeſſung 
ergab, daß die Kataſterplangrenze nördlich der 
tatſächlich eingehaltenen Grenze verlief. Den Be⸗ 
klagten fiel durch die neue Vermeſſung ein Grenz⸗ 
ſtreifen von etwa 33 m Länge und einer zwiſchen 
0,50 bis 3 m ſchwankenden Breite zu, d. h. ihr 
Grundſtück Pl.⸗Nr. 47a wurde um dieſe Fläche 
größer, das der Klägerin Pl.⸗Nr. 45 b um eben⸗ 
ſoviel kleiner. 

Beide Parteien haben die Meſſung anerkannt, 
das geometriſche Meſſungsprotokoll unterzeichnet 
und in die Setzung von Grenzſteinen durch den 
Geometer eingewilligt. 

2. Später erhob die Klägerin Klage zum 
Amtsgerichte und beantragte Verurteilung der Be: 
klagten dazu, daß fie ihr Eigentum an dem meg: 
gemeſſenen Grenzſtreifen anerkennen. Sie beſtritt 
die Rechtsgültigkeit der Abmarkung und behauptete, 
das Eigentum an dem weggemeſſenen Grenzſtreifen 
durch Verjährung erworben zu haben. 

3. Fälle dieſer Art ſind häufig von den Ge⸗ 
richten zu entſcheiden und es rechtfertigt ſich eine 
Unterſuchung über die rechtliche Bedeutung der 
Meſſungsanerkennung, die zu folgendem Ergebniſſe 
führen wird. 

II. a) Die Grenze zwiſchen den Grundſtücken 
Pl.⸗Nr. 45 b und 47a war vor der amtlichen 
Vermeſſung am 29. April 1910 nicht durch amt: 
lich geſetzte Grenzſteine vermarkt. Die Streitsteile 
(die Eigentümer) hatten folglich gegenſeitig einen 
Abmarkungsanſpruch im Sinne des § 919 BGB. 
(j. Meisner, Nachbarrecht, 2. Aufl. S. 20; Stau: 
dinger, Sachenrecht, 3. Aufl. Aum. 3 zu § 919). 

Jeder Abmarkung hat eine Feſtſtellung der 
Grundſtückgrenzen vorauszugehen (AbmGeſ. Art. 1 


236 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


Abſ. 1; ſ. Staudinger, Sachenrecht, a. a. O., Ob.⸗ Grenzfeſtſtellungsvertrag wird in Fällen von der 
LG., Strafſ. Bd. 5 S. 164; VerwGHH. Bd. 23, Art des vorliegenden auch deswegen verlangt, weil 
232 ff.; Warneyers Jahrbuch 1908 zu 88 919, 920 ſich das Eigentum an jenem Grundſtücksteile ändere, 
BGB.; Komm. d. Reichsgerichtsräte Erl. zu 919). der durch die vollendete Erfitzung getroffen wird; 
Die Grundſtückgrenze kann in einem richter⸗ da eine Aenderung des Grundbuchs notwendig fei, 
lichen Urteile beſtimmt werden. Dieſe Grenzfeſt⸗ könne der Vertrag nur in den Formen der 88 19 ff. 
ſtellung können aber auch die Parteien ſelbſt in GBO. und der 88 873, 925 BGB. erfolgen. 
einem formloſen Vertrag vornehmen, wenn keine Dieſer Satz geht jedenfalls zu weit. Es wird 
der anderen einen Grundſtücksteil zu übereignen ein Unterſchied zu machen ſein zwiſchen Angaben 
verſpricht (. Staudinger, Sachenrecht a. a. O.; über die tatſächlichen Verhältniſſe des Grundſtücks 
Komm. d. Reichsgerichtsräte S. 258; Gruchots und ſolchen Angaben, die eine rechtliche Beziehung 
Beiträge Bd. 50 Beilagenheft S. 939; Allgem. des Grundſtückseigentümers zum Grundſtücke nach⸗ 
Vermeſſungsnachrichten 18. Jahrg. 1906 S. 374). weiſen (vgl. RG3. Bd. 73 S. 125 ff. und Ober⸗ 
Die wechſelſeitige Grenzvermarkung durch die neck, Reichsgrundbuchrecht, 9. Aufl. S. 390). Denn 
Grundſtücksnachbarn bei Gelegenheit der Grenz: wenn die katſächlichen Angaben z. B. über die 
vermeflung durch einen Geometer iſt ein ſolcher Größe des Grundftüdes — Pl.⸗Nr. 47 a zu 0,034 ha 
Grenzfeſtſtellungsvertrag. — nicht unter dem Schutze des öffentlichen Glau⸗ 
b) Hier könnte man einwenden, der Vertrag bens ſtehen, dann haben die Realberechtigten feinen 
unterliege der Vorſchrift des 5 313 BGB. des: Anſpruch auf unverſehrte Erhaltung dieſer aus 
halb, weil man die gewonnene Grenze erſt dadurch dem Kataſter herübergenommenen Angaben. Wenn 
erhalte, daß der eine Nachbar — die Klägerin — kein ſolcher Anſpruch beſteht, dann können dieſe 
jenen Teil ihres Grundſtückes abtrete, den fie in⸗ tatſächlichen Angaben jedenfalls ohne Zuſtimmung 
folge einer vor dem Inkrafttreten des Reichsgrund⸗ der Realberechtigten geändert werden, und zwar 
buchsrechts vollendeten Erſitzung erworben habe ohne Beobachtung von Formen, ſoweit die 88.19 ff. 
(1. Meisner, Nachbarrecht, 2. Aufl. S. 21 Anm. 4; | GBO. eine ſolche nicht ausdrücklich vorſchreiben. 


Brettreich⸗Scheurl, AbmarkG. S. 26). ! 2 a 
Dagegen ift folgendes zu erwidern: Es wird „on win mad n. gem das Aa 
bei der Grenzfeſtſtellung über das Grundeigentum | don eumeſſungen ohne Zuſtimmung der Real: 
mitentſchieden. Aber das iſt nicht der Zweck der berechtigten in das Grundbuch einzutragen und 
Feſtſtellung; ſondern es ſoll die Unſicherheit der ſo a des Dun zu 8 Wollte 
Grenze beſeitigt werden (ſ. Dernburg, Sachenrecht nan Die Frage nach der zuläſſigen Form von 
S. 264; Gruchots Beitr. Bd. 34 S. 134; JW. Grundbuchberichtigungen allgemein beantworten, 
1881 S. 174). j ſo wäre die Entſcheidung vielleicht darauf abzu⸗ 
Der Vertrag ſoll keinen Anſpruch auf Ueber⸗ ſtellen, ob durch die Aenderung des Grundbuch- 
tragung einer beſtimmten Grundſtücksfläche ſchaffen; 8 1 5 Sinne 5 8 705 
ſondern er ſetzt die Grenzen jo feſt, daß das Eigen: a 10 rn le er nicht. ie ann aber 
tum an dem diesſeits oder jenſeits der Grenze unentſchieden bleiben. Den jedenfalls iſt ſoviel 
liegenden Stücke der ſtreitigen Fläche dem Nachbar ſicher, 8 die Beobachtung der mehrfach bezeich⸗ 
zum Eigentum zugeteilt wird (vgl. OL GRſpr. neten Vorſchriften in jenen Fällen nicht verlangt 
Bd. 20 S. 205). nn 1 1 ee nos 
if it vertrag gerade jenes Grundſtück gewonnen wird, 
%%% das durch Kataſter und Flurpläne und den Ein⸗ 


nur dann ein, wenn ſich eine Partei der andern a j 
oder beide Parteien gegenſeitig verpflichten, Grund: 9 925 uns als Plannummer 47a aus⸗ 


ſtücksteile abzutreten. Nur der obligatoriſche Ver⸗ . 
Das ergibt ſich aus folgendem: 


trag, der die Verpflichtung zu einer dinglichen 

Rechtsänderung enthält, unterliegt dieſer Beſtim— d) Solange die Erſitzung keinen grundbuch⸗ 

mung. Der Grenzfeſtſtellungsvertrag verpflichtet mäßigen Ausdruck gefunden hat, beſteht allenfalls 
für beide Grundſtücksnachbarn ein Anſpruch auf 


aber nicht zur Uebertragung von Grundeigentum. 
Die Parteien wollen gar nichts von ihrem Eigen- Berichtigung des Grundbuchs, wenn dieſes infolge 


tum veräußern, ſondern ſie haben nur den Willen | der Erſitzung unrichtig wurde. Wenn aber eine 
jene Linie feſtzuſetzen, an der das Eigentum des Partei auf den Anſpruch aus der Erſitzung ver⸗ 
einen Teils aufhört und das des andern beginnt. zichtet, dann fällt ohne weiteres der Berichtigungs⸗ 
Durch den Vertrag wird feſtgeſetzt, was nach ihrer anſpruch weg. Der Verzicht auf den Berichtigungs— 
übereinſtimmenden Anſchauung einem jeden bereits | anſpruch und auf die Erſitzung kann jedenfalls 
gebührt (ſ. RG. in Gruchots Beitr. Bd. 50, Bei- mit perſönlicher Wirkung unter den Beteiligten 
lagenheft S. 937; Deruburg, Sachenrecht S. 264). ) | formlos erklärt werden, ausdrücklich und auch ſtill⸗ 
N Die Beobachtung der notariellen Form beim ſchweigend. Der Verzicht auf die Verjährung be— 
durfte vor dem BGB. keiner Form (ſ. Savigny. 
) Vgl. auch die Entſcheidung des Reichsgerichts im Syſtem des röm. Rechts, Bd. 5 S. 412; Unter⸗ 
Jahrgang 1906 dieſer Zeitſchriſt S. 227. holzner, Verjährungslehre S. 93f.). 


Auch das bürgerliche Recht enthält keine ſolche 
Formvorſchrift. Es iſt auch ſonſt kein Rechts⸗ 
grund erſichtlich, warum ein ſolcher Verzicht heute 
der Form bedürfte, ſolange wenigſtens das Er⸗ 
gebnis der Erſitzung nicht im Grundbuch ſteht. 
Wer dieſe Annahme nicht billigt, muß notwendig 
annehmen, daß in Fällen, wie dem vorliegenden, 
das Grundbuch zuerſt dadurch zu berichtigen iſt, 
daß das Eigentum an dem durch die Erſitzung 
betroffenen Grundſtücksteil umgeſchrieben wird, 
und daß dieſer Eintrag alsdann durch eine neue 
Berichtigung gemäß $ 873 BGB., 88 19 ff. GBO. 
im Sinne des Verzichtes auf das ſo erworbene 
Eigentum wieder beſeitigt wird. 


Eine ſolche Annahme kann nicht befriedigen. 
Nur der formloſe Verzicht auf den Berichtigungs⸗ 
anſpruch des $ 894 BGB. und das Recht aus 
der Erfitzung entſpricht dem Verkehrsbedürfnis. 
Wenn der Verzicht auf die Erſitzung formlos er⸗ 
klärt werden kann — ausdrücklich oder ſtill⸗ 


dieſem Grunde auch nicht für ungültig erklärt 
werden. 

Daß die bei Gelegenheit einer geometriſchen 
Vermeſſung vorgenommene Grenzanerkennung ein 
Vertrag über die Feſtſtellung der Grenze iſt, dürfte 
kaum beſtritten werden können. 


Landeskriminalpolizei. 


Von Dr. Theodor Harſter, Bezirksamtsaſſeſſor bei der 
Kgl. Polizeidirektion München. 


Die Vervollkommnung der Organiſation und 
der Hilfsmittel der Kriminalpolizei iſt in der 
letzten Zeit in einer Anzahl deutſcher Bundes⸗ 
ſtaaten erfreulicherweiſe erheblich gefördert 
worden. Neben dem ernſten Beſtreben im eigenen 
Lande die Kriminalpolizei zu wirkſamem Kampfe 
gegen das Verbrechertum mit den erprobteſten 
Waffen auszurüſten, macht ſich da und dort be— 
reits der dringende Wunſch fühlbar, daß die ge— 
ſamte Kulturwelt ſich zur einheitlichen Führung 
dieſes Kampfes zuſammenſchließen möge. Leider 
liegt dieſes Ziel, trotzdem ihm die Entwicklung 
jetzt entſchloſſener und raſcher zuſtrebt als bis⸗ 
her, noch in ſehr weiter Ferne. Nur wenige 
Staaten beſitzen jetzt ſchon eine Kriminalpolizei, 
die in Bezug auf Organiſation, Leitung, Be— 
fähigung der Beamten, Ausrüſtung und Schlag⸗ 
fertigkeit durchweg — und zwar überall, nicht nur 
in einigen Großſtädten — allen Anforderungen 
entſpricht, die vernünftigerweiſe geſtellt werden 
können. Ueber die beſten Einrichtungen verfügt 
wohl Frankreich, das ja überhaupt auf krimi— 
naltechniſchem Gebiete immer noch alle anderen 
Kulturſtaaten hinter ſich läßt. Durch ein Geſetz 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. N 


237 


vom 28. Dezember 1907 hat Frankreich ſein 
geſamtes Staatsgebiet in 12 Kriminalpolizeibezirke 
geteilt.) Die aus 4 Kriminalkommiſſaren und 
10 Kriminalſchutzmännern beſtehenden „Brig ad es 
regionales de police mobile“ unterſtehen 
unmittelbar der Generaldirektion in Paris. Sie 
haben ſich nur mit der Behandlung von Ver⸗ 
brechen, beſonders von Kapitalverbrechen zu be⸗ 
ſchäftigen, ſind mit allen Errungenſchaften der 
Kriminaltechnik ausgeſtattet und — was beſonders 
wichtig iſt — in ihrer Arbeit nicht durch Zu⸗ 
ſtändigkeitsgrenzen eingeengt. Die Tätigkeit der 
Ortspolizeibehörden ſoll dadurch nicht ausgeſchaltet, 
ſondern im Gegenteil gefördert und in einheitliche 
Bahnen geleitet werden. Die Generalpolizeidirektion 
in Paris unterrichtet von allen Kapitalverbrechen 
die ſämtlichen Brigaden auf dem kürzeſten Wege, 
teilt ihnen alle bereits ermittelten Anhaltspunkte, 
das Signalement des flüchtigen Täters uſw. mit 
und ermöglicht dadurch ein augenblicklich beginnen⸗ 
des und ein durchaus gleichmäßiges — bei der 


Beachtung gefunden. 
der Tagespreſſe erſchienen Artikel, die eine Nach⸗ 
ahmung des franzöſiſchen Vorbildes befürworteten 
oder andere Vorſchläge zur einheitlichen Geſtaltung 
unſerer kriminalpolizeilichen Einrichtungen machten. 
Dabei tauchte auch der Vorſchlag auf, man ſolle 
alle Fahndungseinrichtungen in Reichszen⸗ 
tralen zuſammenfaſſen und eine Reichskrimi— 
nalpolizei mit mobilen Polizeibrigaden ſchaffen. 
Ich kann mich auf die Gefahr hin, ein kurzſich⸗ 
tiger Partikulariſt geſcholten zu werden, nicht für 
dieſen Gedanken begeiſtern. Die Polizei iſt nicht 
Sache der Reichs-, ſondern der Landesgeſetzgebung. 
Dem ließe ſich ja freilich durch eine Aenderung 
des Art. 4 der Reichsverfaſſung abhelfen, aber 
wer glaubt im Ernſte, daß eine Verwirklichung 
dieſes Planes in abſehbarer Zeit zu erreichen ſein 
wird? Die Ausgeſtaltung der Kriminalpolizei in 
Deutſchland iſt aber eine Frage von ſolcher Wich— 
tigkeit, daß ſie ſofort entſchloſſen angepackt werden 
muß, wenn nicht Deutſchland in der Bekämpfung 
des Verbrechertums auch von Nationen ins Hinter— 
treffen geſchoben werden ſoll, die auf dieſem Ge— 
biete bisher nicht gerade Hervorragendes geleiſtet 
haben. Auch der Bau einer Reichskriminalpolizei 
könnte nicht vom Dachſtuhl, ſondern müßte von 
den Fundamenten aus begonnen werden und in 
der Tat iſt ja eine Anzahl von Bundesſtaaten 
ſchon daran gegangen dieſe zu legen, einige haben 
an ihrem Teile ſchon weit in die Höhe gebaut 


) Vgl. zum Folgenden Kurt Weiß in der Zeit— 
ſchrift für die geſamte Strafrechtswiſſenſchaft, Bd. 29 
S. 525 ff. und in den Mitteilungen der Internationalen 
Kriminaliſtiſchen Vereinigung Bd. 17 S. 373 ff. 


238 


und im Königreiche Sachſen grüßt uns bereits 
der vollendete Bau einer Landeskriminal⸗ 
polizei, an der ſich alle anderen Bundesſtaaten 
möglichſt bald ein Muſter nehmen ſollten. Dieſe 
Arbeiten dürfen, auch wenn man die Regelung 
von Reichs wegen ins Auge faßt, nicht umſonſt 
geleiſtet ſein. Zuerſt müſſen daher die 
Einzelſtaaten ihre Kriminalpolizei und 
ihre Fahndungseinrichtungen auf die 
unbedingt erforderliche Höhe bringen, 
dann erſt kann man daran denken, ſie zu zen⸗ 
traliſieren und, wenn dies dann noch nötig ſein 
ſollte, eine Reichskriminalpolizei zu ſchaffen. Zur 
Zeit herrſcht auf dem Gebiete der Kriminalpolizei, 
der Fahndungs⸗ und Erkennungsmittel in den 
einzelnen deutſchen Staaten noch eine ſolche Un⸗ 
gleichmäßigkeit, daß ein ſofortiges Eingreifen 
dringend not tut. 

Betrachten wir nur die Pflege, die dem wich⸗ 
tigſten modernen Erkennungsmittel, dem Finger⸗ 
abdruckverfahren, in Deutſchland zuteil wird. 
Der Hauptvorteil dieſes Verfahrens beruht, abge⸗ 
ſehen von der vollkommenen Sicherheit der Beweis⸗ 
führung, in der Raſchheit und Einfachheit der 
Aufnahme, die es im Gegenſatze z. B. zur Körper⸗ 
meſſung und zur Photographie ermöglicht es in 
weiteſtem Umſang anzuwenden, jeden Bettler und 
Landſtreicher dem Verfahren zu unterwerfen und 
dadurch in kurzer Zeit ein gewaltiges Erkennungs⸗ 
material anzuſammeln. Hat doch die K. Polizei⸗ 
direktion München in weniger als zwei Jahren 
von mehr als 15000 ihr in München vorge: 
führten Perſonen Fingerabdrücke genommen, 
während der im ganzen Deutſchen Reich in mehr 
als 13 Jahren zuſammengebrachte Vorrat an 
Meßkarten nach Bertillons Syſtem einſchließlich 
der von den Zentralen des Auslands eingegangenen 
ſich zu Beginn dieſes Jahres nur auf 102 000 
Karten belief! 

Sachſen hat die Vorteile dieſes Verfahrens 


zuerſt dadurch ausgenützt, daß es im Jahre 1904 


bei den ſtädtiſchen Sicherheitspolizeibehörden, bei 
den Gefangenenanſtalten und den Gerichtsgefäng— 
niſſen das Fingerabdruckverfahren einjührte und 
die Sammlung und Regiſtrierung der Fingerab— 
druckblätter bei der K. Polizeidirektion Dresden 
als Landeszentralſtelle anordnete. Sieben Jahre 
ſpäter folgte Bayern und ſpannte ein Netz von 
320 Aufnahmeſtellen für Fingerabdrücke über das 
geſamte Staatsgebiet aus; als Landes-Sammel— 
und Auskunftſtelle wurde durch eine Entſchließung 
des K. Staatsminiſteriums des Innern vom 
14. April 1911 die K. Polizeidirektion München 
beſtimmt. Hamburg beſitzt eine reichhaltige 
Regiſtratur für Fingerabdruckblätter, desgleichen das 
Stadtpolizeiamt Stuttgart, das die allgemeine 
Einführung des Fingerabdruckverfahrens in ganz 
Württemberg bisher vergeblich angeſtrebt hat. 
Ueberall ſonſt im Deutſchen Reiche mit Ausnahme 
von Berlin iſt das Fingerabdruckverfahren nichts 


ZSeieitſchrift für Rechtspflege 


Bayern. 1911. Nr. 11. 


in 
weiter als ein Anhängſel der Bertillonage; Preußen, 
Baden, Heſſen, die Reichslande und die kleineren 
Bundesſtaaten haben ſich noch nicht zur allgemeinen 
nun des Fingerabdruckverfahrens entſchließen 
önnen. 

Nur wenige deutſche Polizeibehörden, Staats⸗ 
anwälte und Richter ſuchen die Perſonalien von 
Verhafteten, deren Identität zweifel⸗ 
haft iſt, durch Verſendung von Fingerabdruck⸗ 
blättern an die daktyloſkopiſchen Regiſtraturen des 
In⸗ und Auslands feſtzuſtellen. Man begnügt 
ſich mit der viel weniger zuverläſſigen Verſendung 
von Photographien, der Ausſchreibung in den 
Zentralpolizei⸗- und Fahndungsblättern und, wenn 
es hoch kommt, der Verſendung einiger weniger 
Meßkarten durch den Berliner Erkennungsdienſt, 
der ſie ins Ausland ſchickt, während die deutſchen 
Fingerabdruckregiſtraturen nichts erhalten. Daß 
unbekannte Leichen in vielen Fällen durch 
ihre Fingerabdrücke identifiziert werden können — 
man erinnere ſich z. B. an den Fall des Fried⸗ 
berger Bankräubers Wingeß oder der kürzlich in 
München ermordeten Monika Huber — iſt be⸗ 
ſchämend vielen Polizeibehörden und Staatsanwalt⸗ 
ſchaften noch gänzlich unbekannt. 

Und wie mit dem Fingerabdruckverfahren, ſo 
ſteht es auch auf anderen Gebieten der 
Kriminaltechnik. Da und dort ein offener 
Blick, ein raſches, herzhaftes Anpacken, ſonſt aber 
überall ein zähes Kleben am Alten, eine Abneigung 
gegen alle neuen Einrichtungen, beſonders wenn 
ſie Geld koſten oder ein mühevolles Studium er⸗ 
fordern, und als Geſamtergebnis die größte Un⸗ 
gleichmäßigkeit in der Beſchaffenheit der kriminal⸗ 
polizeilichen Einrichtungen und die größte Unſicher⸗ 
heit in ihrer Verwendung. Darum tut dringend 
not ein deutſcher Polizeikongereß, bei dem 
ſchonungslos alle Mängel des bisherigen Syſtems 
aufgedeckt werden müßten, bei dem aber auch bei 
einigem gutem Willen leicht Mittel und Wege 
gefunden werden könnten, die Kriminalpolizei im 
geſamten Deutſchen Reich auf die gleiche hohe 
Stufe zu heben. 

Dieſe Ausführungen waren notwendig, um 
den Haupteinwand, der gegen die Einrichtung 
eines Reichs- oder Landeskriminalpolizeidienſtes 
nach franzöſiſchem Muſter geltend gemacht wird. 
zu widerlegen, den Einwand, daß die deutſche 


Kriminalpolizei bereits ſo gut organiſiert ſei, daß 
nach einer ſolchen Neuerung kein Bedürfnis 
beſtehe.“) 


Die Gründe, die wie wohl überall im Deutſchen 
Reiche, ſo auch in Bayern die Einrichtung 
mobiler Kriminalbrigaden als unbedingt notwendig 
erſcheinen laſſen, ſind in Kürze folgende: 

Die bayeriſche Kriminalpolizei müßte, wenn 
ſie allen Anforderungen genügen will, ſo organi— 


2) Vgl. z. B. Nr. 339 des Berliner Lokalanzeigers 
vom 2. Juni 1909 und Nr 126 der Norddeutſchen All: 
gemeinen Zeitung vom gleichen Tage. 


EEE Zeitſchrift für Rechtspflege 
ſiert ſein, daß ſie an jedem Orte des Staatsgebiets 
raſch eingreifen und die nach der Sachlage geeig⸗ 


netſten Maßnahmen treffen kann. Es müßte alſo 
die Möglichkeit beſtehen, auch an den entlegenſten 


Orten des Königreichs ſofort nach dem Bekannt⸗ 
werden eines Verbrechens beſonders befähigten 
Polizeibeamten den erſten Angriff zu überlaſſen, 
Beamten, die aus den Tüchtigſten auszuwählen, 


in allen Zweigen der Kriminaltechnik auszubilden 


und mit entſprechender Ausrüſtung (Gerätetaſche, 
Photographenapparat, Vorrichtung zum Abnehmen 
der Fingerabdrücke uſw.) zu verſehen waͤren. Von 
dieſem Ziele ſind wir aber noch ſehr weit entfernt. 
An der kriminaltechniſchen Ausbildung 
und Ausrüſtung fehlt es faſt durchweg und 
die beſtehenden Zuſtändigkeits grenzen ge⸗ 


ſtatten nicht die Beamten zu verwenden, deren 
Gewandtheit und kriminaliſtiſche Erfahrung erprobt 


iſt, ſondern ſie weiſen die Behandlung auch der 
ſchwierigſten Kriminalfälle den Beamten zu, in 
deren Bezirke der Tatort gelegen iſt. Das ſind 
natürlich nicht immer gerade die gewandteſten, 


tüchtigſten, erfahrenſten Kriminaliſten, und ſelbſt 


wenn ſie es wären, würden die Erfahrungen, die 
ſie in dieſem ſchwierigen Kriminalfalle geſammelt 
haben, künftig brach liegen, bis ſich zufällig 
im gleichen Ortspolizei- oder Gendarmerieſtations⸗ 
bezirk ein ähnliches ſchweres Verbrechen ereignet. 
Die wichtigſte kriminaliſtiſche Arbeit liegt im 
erſten Angriff am Tatort ſelbſt und hier 
werden oft die folgenſchwerſten Fehler gemacht, 
weil eben ſehr oft nicht genügend ausgebildete und 
ausgerüſtete Polizeibeamte zur Stelle ſind. Die 
notwendigen photographiſchen Aufnahmen macht 
nicht ein Kriminalbeamter, ſondern in der Regel 
der nächſte erreichbare Berufs- oder Amateur: 
photograph; das Abformen von Fußſpuren, Fahrrad: 
ſpuren u. dgl. in Erde, Staub, Schnee wird ſelten 
ſachgemäß durchgeführt, Fingerabdrücke werden 
am Tatort nicht geſucht oder nicht gefunden, 
weil es eben an der nötigen Ausbildung fehlt. 
Sind aber wirklich augenfällige Fingerſpuren vor⸗ 
handen, die vom Münchener Erkennungsdienſt 
unterſucht und verglichen werden könnten, ſo 
mangelt wieder die Erfahrung in der Verpackung 
und im Transport der Glasſcheiben, Flaſchen und 
ſonſtigen Gegenſtände, auf denen ſich die Abdrücke 
befinden, und die Folge iſt, daß die Abdrücke oft 
verwiſcht oder ganz unbrauchbar ankommen. 
Auch die weiteren Nachforſchungen 
muß der Staatsanwalt und der Unterſuchungs— 
richter immer wieder in die Hände der örtlich 
zuſtändigen Beamten legen, auch wenn er lieber 
andere damit betrauen würde. Und wenn dann die 
Spuren in einen anderen Bezirk weiſen, iſt es 
wiederum in der Regel nicht angängig den Be⸗ 
amten, der die Sache von Anfang an behandelt 
hat und ſie daher am beſten kennt, dorthin zu 
ſchicken und ihn dort die erforderlichen Unter— 
ſuchungshandlungen vornehmen zu laſſen, ſondern 


239 


m — — — II I IT 


in Bayern. 1911. Nr. 11. 


man iſt auf ein Erſuchen an die zuſtändige Orts⸗ 
polizeibehörde oder Gendarmerieſtation angewieſen, 
das natürlich auch wieder nicht immer gerade in 
die Hände des erfahrenſten und tüchtigſten Be⸗ 
amten gerät. Außerdem kann, wie der Dresdener 
Polizeipräſident von Koettig in einer Abhand⸗ 
lung in H. Groß' Archiv Bd. 40 S. 180 ſehr 
richtig ſagt, das ſchriftliche Erſuchen, das an eine 
andere Behörde gerichtet wird, niemals die eigene 
Arbeit der von Anfang an mit der Sache be⸗ 
faßten Beamten erſetzen. „Denn abgeſehen davon, 
daß die Kenntnis des Falles aus eigener An⸗ 
ſchauung und die perſönliche Vertrautheit mit 
allen, auch ſcheinbar nebenſächlichen Einzelheiten, 
die im ſchriftlichen Erſuchen naturgemäß nicht 
mitgeteilt zu werden pflegen, den Erfolg der Er⸗ 
örterungen günſtig beeinflußt, wird ſich der erſuchte 
Beamte ſelten der auswärtigen Sache mit ſolchem 
Eifer annehmen, wie es der mit dem Falle von 
Anfang an befaßte und für den Erfolg mit ſeiner 
Dienſtehre haftende Beamte zu tun pflegt. Es iſt 
dies zwar nicht zu billigen, aber menſchlich erklär⸗ 
lich und in der Erfahrung begründet.“ 
| Dieſe Mängel dürften die Notwendigkeit 
einer Aus- und Neugeſtaltung unſerer 
| Kriminalpolizei überzeugend dartun. Man 
wende nicht ein, der Prozentſatz der unentdeckten 
Verbrechen oder Vergehen ſei in Bayern nicht hoch. 
Es kommt nicht darauf an, ob ein Verbrechen 
| ſchließlich aufgeklärt und ob der Täter beſtraft 
worden iſt; denn auch in Fällen, in denen dieſes 
Ziel ſchließlich erreicht wurde, kann die Kriminal⸗ 
polizei verhängnisvolle Irrwege gegangen ſein, 
kann ſie manchen Fehler gemacht haben, der bei 
beſſerer Organiſation hätte vermieden werden 
können. Eine Statiſtik der unaufgeklärten 
Verbrechen beweiſt alſo nichts, eine Statiſtik 


— 


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der vermeidbar geweſenen Fehler aber 
würde ſicher das oben gewonnene Ergebnis ſtützen. 
Und dieſe Statiſtik müßte gerade die aufge⸗ 
klärten Verbrechen zum Gegenſtande haben; 
denn nur hier kann man ſich ein zutreffendes 
Urteil darüber bilden, ob die Kriminalpolizei be⸗ 
friedigend gearbeitet oder ob ſie verſagt hat. Ja 
ſogar in manchen Fällen, in denen ſcheinbar alles 
vorzüglich geklappt hat, iſt, wie der nachſtehende 
| Fall dartun dürfte, die Frage berechtigt, ob bei An: 
wendung aller Hilfsmittel der modernen Kriminal⸗ 
technik nicht noch Beſſeres hätte geleiſtet werden 
können. 

Am 8. Juli 1910 wurde in München ein 
Einbruchdiebſtahl verübt, bei dem viele Schmud: 
ſachen und andere Wertgegenſtände abhanden 
kamen. Der Erkennungsdienſt fand nach Ein: 
ſtaubung mit Lykopodium auf einer Kommode den 
ſehr deutlichen Abdruck des Zeige-, Mittel-, Ring⸗ 
und kleinen Fingers einer rechten Hand. Die 
Nachſchau in der Regiſtratur für Fingerabdruck— 
blätter ergab, daß die Perſon, von der jener Ab— 
druck herrührte, noch nicht in München daktylo— 


240 Zeitſchrift für Rechtspflege 


ſkopiert war, weshalb der Erkennungsdienſt um 
Vorſtellung aller irgendwie verdächtigen Perſonen 
erſuchte. Am 14. Juli wurde in Berchtesgaden 
ein gewiſſer A. K. feſtgenommen, als er in Wirt⸗ 
ſchaften Schmuckſachen verhauſierte, die von dem 
Einbruch herrührten. Die Vergleichung der Ab⸗ 
drücke ergab, daß der Abdruck auf der Kommode 
nicht von A. K. herrührte, es mußte alſo noch 
ein Genoſſe mitgearbeitet haben. Der Verdacht 
fiel auf einen gewiſſen L. S. und einen Soldaten 
E. K., die mit A. K. lebhaften Verkehr unter⸗ 
halten hatten. Am 16. Juli 1910 wurde der 
Soldat in München verhaftet, als er eine Uhr 
verkaufen wollte, die von dem Diebſtahl herrührte. 
Auch ſeine Fingerabdrücke ſtimmten mit denen auf 
der Kommode nicht überein. Nun gewann die 
Annahme, daß auch L. S. bei dem Einbruch mit⸗ 
gewirkt habe, immer mehr an Wahrſcheinlichkeit. 
Es wurde Haftbefehl gegen ihn erlaſſen, aber erſt 
nach faſt 10 Monaten gelang es ſeiner habhaft 
zu werden. Der Erkennungsdienſt verglich ſeine 
Fingerabdrücke mit den am Tatort zurückgebliebenen 
und konnte nunmehr mit abſoluter Sicherheit feſt⸗ 


ſtellen, daß L. S. der Urheber des Handabdrucks 


auf der Kommode ſei. 
dies eröffnet wurde, die Beteiligung an dem Dieb- 
ſtahl zu. 

Solche Fälle zeigen wohl beſſer als alle 


L. S. geſtand, als ihm 


anderen Beweismittel, wie notwendig es iſt, eine 


einheitlich ausgebildete, gleichmäßig arbeitende 
Kriminalpolizei im geſamten Königreich, im ent⸗ 
legenſten Landbezirke wie in der Hauptſtadt, zur 
Verfügung zu haben. 

Dem Königreich Sachſen, das dem Finger⸗ 
abdrudverfahren den Eingang in Deutſchland 
verſchafft hat, gebührt der Ruhm, auch in der 
Einrichtung eines fliegenden Landes— 
kriminalpolizeidienſtes den übrigen deut⸗ 


in Bayern. 1911. Nr. 11. 


Schwierigkeiten verbunden iſt. Außerdem ſollen 
ſie das jetzt fehlende Bindeglied zwiſchen den ein⸗ 
zelnen lokalen Polizeibehörden bilden.“ °) 

Die Zentralleitung hat die Pflicht, die Bri⸗ 
gaden in Erörterungen, die ſich über das ganze 
Land erſtrecken, mit Anweiſungen, Unterlagen und 
Hilfsmitteln für ihre Tätigkeit zu verſehen, ſowie 
die Verbindung der Zentralleitung mit den ein⸗ 
zelnen Kriminalbrigaden und dieſer untereinander 
aufrecht zu erhalten und für die Ausbildung und 
Fortbildung der Mannſchaften und die Ausrüſtung 
der Brigaden mit allen modernen Hilfsmitteln 
der Kriminalpolizei zu ſorgen. 

„Die Kriminalbrigaden haben abgeſehen von 
den Weiſungen der Zentralleitung lediglich die 
Aufträge der Staatsanwaltſchaften und Unter⸗ 
ſuchungsrichter auszuführen.“ Sie erhalten dieſe 
Aufträge unmittelbar und erſtatten auch ihre 
Berichte unmittelbar. 

Jede Brigade beſitzt eine Bertilloniſche Univerſal⸗ 
Reiſekamera für Perſonen⸗, Tatbeſtands⸗, Tat: 
ſpuren⸗ und metriſche Aufnahmen und eine Geräte: 
taſche mit allem Rüſtzeug zur Auffindung und 
Sicherung von Verbrechensſpuren. Alle Beamten 
haben einen ſechswöchigen Ausbidungskurs bei der 
K. Polizeidirektion Dresden durchgemacht. Die 
Brigaden ſind an das Reichstelephon angeſchloſſen. 
Sie genießen in Sachſen freie Fahrt auf den 
Eiſenbahnen und ſind auch ſonſt in dringenden 
Fällen zur Benützung der ſchnellſten Verkehrsmittel 
ermächtigt. 

Wie wir ſehen, haben ſich die franzöſiſchen 
Brigades mobiles ohne beſondere Schwierigkeit 
nach Sachſen verpflanzen laſſen; ſollte es nicht 
möglich ſein, nach dieſem Vorbild auch in 
Bayern einen Landeskriminalpolizei⸗ 


dienſt zu ſchaffen? Wenn auch die ſäͤchſiſche 


ſchen Staaten ein Beiſpiel gegeben zu haben. 


Seit 1. Januar 1911 beſteht in Sachſen ein 
Landeskriminalpolizeidienſt unter dem Namen 
„Königlich Sächſiſche Landeskriminal— 
polizei“. Die ſieben fliegenden Brigaden, die 
mit Gendarmen, ſtädtiſchen Beamten und Beamten 
der K. Polizeidirektion Dresden beſetzt und 2—4 
Mann ſtark ſind, haben ihren Sitz in Dresden, 
Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Bautzen, Plauen und 
Freiberg. Die Zentralleitung ſteht der 
K. Polizeidirektion Dresden zu. Zweck 
und Hauptaufgabe der Brigaden, die an keine 
örtlichen Zuſtändigkeitsgrenzen gebunden ſind und 
mit allen Polizeibehörden und Polizeiorganen 
unmittelbar verkehren, iſt „die wirkſame Unter— 
ſtützung der Staatsanwaltſchaften und Unter— 
ſuchungsrichter bei der Unterdrückung, Aufdeckung 
und Ausforſchung ſolcher ſchwererer Verbrechen 
und Vergehen, welche die öffentliche Sicherheit in 
beſonders hohem Maße beeinträchtigen, weil ſie 
ſich entweder über weitere Gebiete verbreiten oder 
die Ermittlung der Schuldigen mit beſonderen 


Einrichtung nicht ohne weiteres auf Bayern über⸗ 
tragen werden kann, ſo ſind doch die notwendigen 
Aenderungen nicht von grundlegender Bedeutung. 

Die Brigadebezirke müßten wohl viel größer 
werden als die ſächſiſchen. Es wäre völlig aus⸗ 
reichend, wenn man in jeden Regierungsbezirk (8) 
oder vielleicht ſchon, wenn man in jeden Ober: 
landesgerichtsbezirk (5) eine Brigade legen würde. 


Die Auswahl der Beamten der Brigaden aus 


den Gendarmen, ſtädtiſchen Polizeibeamten und 
den Beamten der K. Polizeidirektion München 
müßte mit beſonderer Sorgfalt erfolgen; nur aus⸗ 
gezeichnet qualifizierte, gewandte und tüchtige Leute 
dürften genommen werden. Auf gute Umgangs— 
formen und perſönlichen Takt wäre gleichfalls zu 
ſehen, damit die für den Anfang zu erwartenden 
kleinen Eiferſüchteleien und ſonſtigen Reibungen 
mit den Organen der Ortspolizei möͤglichſt ver: 
mieden werden und das Ziel eines förderlichen 
Zuſammenarbeitens mit den Ortspolizeibehörden 
in der Bekämpfung und Verfolgung des Verbrechens 


2) v. Koettig a. a. O. S. 182. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


um ſo raſcher erreicht werden kann. Die Zu⸗ 
ſtändigkeit, Ausbildung und Ausrüſtung der 
Brigaden und die Aufgaben der Zentralleitung 
könnten ähnlich wie in Sachſen geregelt werden. 
Die Entſendung der Kriminalbeamten nach aus⸗ 
wärts dürfte nur erfolgen durch die Zentralleitung 
oder auf Weiſung des Staatsanwaltes oder Unter⸗ 
ſuchungsrichters. In Fällen von beſonderer Be⸗ 
deutung und Dringlichkeit müßte allerdings auch 
das Anſuchen einer unzuſtändigen Behörde, z. B. 
einer Gendarmerieſtation, genügen, um die Brigade 
in Bewegung zu ſetzen. Der Zentralleitung wäre 
vorzubehalten, die Mannſchaft der Brigaden, wenn 
nötig, auch bei beſonderen Anläſſen, Feſten u. dgl., 
bei denen große Menſchenanſammlungen zu er⸗ 
warten find, zur Unterſtützung der Ortspolizei⸗ 
behörden zu entſenden und ihnen dabei beſondere 
Aufträge, wie z. B. die Fahndung nach Taſchen⸗ 
dieben u. dgl. zu erteilen. 

Alles in Allem: Der Weg, den Sachſen ein⸗ 
geſchlagen hat, iſt auch für Bayern gangbar. Er 
würde uns am raſcheſten und beſten zu dem oben 
geſchilderten Ziele führen, zu einer im ganzen 
Staatsgebiete gleichmäßig raſch verfügbaren und 
gleichmäßig gut arbeitenden Kriminalpolizei. 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Unwirkſame und nachträgliche Anseinanderſetzungen. 
Dem Beſchluß des BayObLG. vom 9. Dezember 1910 
(BaygfR. 11, 91, Bay Not. 11, 32, Recht 11 Nr. 608) 
liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach dem Tode 
der Frau hatte der Mann die Gütergemeinſchaft mit 
den fünf Abkömmlingen fortgeſetzt und teſtamentariſch 
als Erben zwei Söhne berufen ſowie einer Tochter 
eine Abfindung ausgeſetzt. Bei der Auseinanderſetzung 
nach des Mannes Tode erſchienen im Verhandlungs⸗ 
termin am 13. März 1909 nur die genannte Tochter 
und einer der berufenen Söhne und einigten ſich dahin, 
daß das Eigentum am Geſamtgut und dem Nachlaß, 
insbeſondere die Grundſtücke, die damals unter Zwangs⸗ 
verſteigerung ſtanden, auf die beiden berufenen Söhne 
übergehen, die der Tochter die Abfindungsſumme 
hypothekariſch ſicher ſtellen ſollten; die Beſeitigung 
der Zwangsverſteigung ſollte Sache der Söhne (Ueber⸗ 
nehmer) ſein. Von den drei Kindern, die im Termin 
ausgeblieben waren, ließen zwei die ihnen gemäß 8 93 
Abſ. 2 FGG. geſtellte Friſt verſtreichen, während das 
Dritte am 8. Mai gerichtlich erklärte, daß ihm An⸗ 
ſprüche nicht zuſtehen. Darauf beſtätigte das Nach⸗ 
laßgericht die Auseinanderſetzung und dieſer Beſchluß 
wurde rechtskräftig. Inzwiſchen waren aber die Grund⸗ 
ſtücke am 30. April verſteigert; ein im Verteilungs- 
verfahren für das Geſamtgut und den Nachlaß ſich 
ergebender Ueberſchuß von rund 2000 M wurde 
hinterlegt und von Gläubigern gepfändet, die nun: 
mehr eine neue Auseinanderſetzung beantragten. 
Dieſer Antrag wurde zurückgewieſen, vom Ob G. 
mit folgender Begründung: Die Auseinanderſetzung 
ſei rechtskräftig beſtätigt, hiermit das Verfahren be⸗ 
endigt; ſei ſie unwirkſam, ſo könne ihre Anfechtung 


in Bayern. 1911. Nr. 11. 241 


— — — — — — — — — —— — . ¶ — — 
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—— — de — — — 4 — 


nur im Prozeßwege erfolgen. Aber die Auseinander⸗ 
ſetzung ſei auch wirkſam erfolgt; die Zuſtimmung der 
im Termin ausgebliebenen Erben wirke auf den Zeit⸗ 
punkt der Vornahme der Auseinanderſetzung zurück 
und dieſe ſei ſo zu behandeln, als wenn ſie ſchon im 
Termin am 13. März wirkſam erfolgt wäre. Da 
damals die Grundſtücke noch nicht verſteigert waren, 
ſei die Auseinanderſetzung der damaligen Sachlage 
entſprechend und ſonach rechtswirkſam erfolgt. 
Dieſer Entſcheidung iſt nicht beizuſtimmen. Die 
hinterlegten 2000 M waren Geſamthandseigentum der 
Abkömmlinge, alſo „Nachlaß“ und „Geſamtgut“ i. S. 
der 88 86, 99 FGG.; folglich war auf Antrag jedes 
Beteiligten, insbeſondere auch der Pfändungsgläubiger 
(8 86 Abſ. 2), das Nachlaßgericht verpflichtet in An⸗ 
ſehung jenes Geldes die Auseinanderſetzung zu ver⸗ 
mitteln. Eine Vorſchrift, wonach, wenn die Ausein⸗ 
anderſetzung einmal ſtattgefunden hat und durch rechts⸗ 
kräftigen Beſtätigungsbeſchluß beendigt iſt, ein weiteres 
Auseinanderſetzungsverfahren unzuläſſig wäre, gibt 
es nicht; vielmehr iſt. wenn neue Nachlaßbeſtandteile 
in Frage kommen, das früher formell endgültig erledigte 
(in Wahrheit materiell aber noch nicht beendigte) Ver⸗ 
fahren wieder aufzunehmen und die neue Auseinander⸗ 
ſetzung ebenſo vom Nachlaßgericht gemäß 88 91, 93 
zu beſtätigen, wie die früher unvollſtändig erfolgte. 
Was aus irgend einem Grunde (ſei es verſehentlich 
oder nach dem Willen der Erben oder weil es erſt 
ſpäter Nachlaßgegenſtand wurde) bei der Auseinander⸗ 
ſetzung unverteilt geblieben iſt, das iſt Geſamtgut ge⸗ 
blieben und unterliegt folglich dem Verfahren der 88 86 
bis 99). Das hat auch das BayObLG. im Beſchluß 
vom 14. Januar 1908 (3 Bl G. 8, 616, Recht 1908 
Nr. 840) anerkannt: hier hatte an der Auseinander⸗ 
ſetzung teilgenommen der Pfleger eines Verſchollenen; 
ſpäter ſtellte ſich heraus, daß der Verſchollene ſchon 
vor dem Erblaſſer geſtorben, alſo zu Unrecht zum 
Verfahren zugezogen war. Daher führte der Pfleger 


den auf den Verſchollenen gefallenen Erbteil an das 


— — — — ——— Em ä nn Lu — 


0 


Nachlaßgericht ab und das ObL G. wies das Nachlaß⸗ 
gericht an, das rechtskräftig beſtätigte Verfabren wieder 
aufzunehmen und jenen Erbteil des Verſchollenen, der 
in Wahrheit noch unverteilter Nachlaß ſei, unter die 
wahren Erben zu verteilen. 

Danach mußte auch im eingangs entſchiedenen 
Fall das Nachlaßgericht das Verfahren zwecks Ver⸗ 
teilung des hinterlegten Geldes wieder aufnehmen. 
Hätten freilich ſchon in dieſem Zeitpunkt die Erben 
dem Antrag der Pfändungsgläubiger unter Berufung 
auf die frühere Auseinanderſetzung widerſprochen, ſo 
hätte dies allenfalls dem Nachlaßgericht Anlaß geben 
können, von den Pfändungsgläubigern die Beibringung 
eines den Widerſpruch verwerfenden Urteils als eine 
„Unterlage“ im Sinne des 8 87 Abſ. 2 zu verlangen.“ 
Aber ein ſolcher Widerſpruch lag nicht vor; daher 


1) Die entgegengeſetzte Anſicht in RG. 21, 252 und 
von Joſef in DNotV. 4, 127 beruht auf Erwägungen, 
die für das frühere Preuß. Recht maßgebend waren, 
daß nämlich, wenn einmal der Nachlaß geteilt iſt, ein 
„Nachlaß“ nicht mehr vorliege, folglich nicht mehr ein 
neues Auseinanderſetzungsverfahren, fondern nur die 
Teilung der unverteilt gebliebenen Nachlaßſtücke als 
einzelner (88 752 ff.) zuläſſig jet. Dieſe Anſicht iſt 
mit der ſpäteren Rechtſprechung des RG. nicht zu ver- 
einigen und daher nicht aufrechtzuhalten. 

2) Vgl. Joſef in KGBl. 08, 4. 

> 


durfte die neue Auseinanderſetzung nicht als ungeſetz⸗ 
lich abgelehnt werden und wäre vielmehr, wenn im 
Verfahren über die Wirkſamkeit der früheren Abs 
machungen Streit entſtand, jenes gemäß 8 95 aus⸗ 
zuſetzen geweſen. Jene frübere Auseinanderſetzung 
war übrigens, wie gegen das ObLG. anzunehmen, 
unwirkſam. Der Auseinanderſetzungsvertrag iſt ein 
auf Veräußerung gegen Entgelt gerichteter Vertrag; 
jeder Erbe veräußert ſein Geſamthandseigentum an 
die Miterben und erhält dafür entweder Bruchteils⸗ 
eigentum am Nachlaß (RG. 57, 435) oder Einzelſtücke 
zu Alleineigentum oder eine bare Vergütung: das 
bringt das Geſetz zum Ausdruck durch den in 8 2042 
Abſ. 2 angezogenen 8 757, wonach jeder Teilhaber 
wie ein Verkäufer Gewähr zu leiſten hat.) Im 
eingangs entſchiedenen Fall aber erzeugte die frühere 
Auseinanderſetzung weder Rechte noch Pflichten: den 
beiden Uebernehmern waren die Grundſtücke durch 
die Zwangsverſteigerung entzogen; allein dafür waren 
die Miterben nicht haftbar, weil nach dem Vertrage 
die Uebernehmer ſelbſt die ſchwebende Zwangsver⸗ 
ſteigerung zu beſeitigen hatten; und da die Ueber⸗ 
nehmer die Grundſtücke nicht erhielten, fo brauchten 
ſie auch an die Miterbin nicht die Abfindung zu zahlen. 
Die Auseinanderſetzung war danach geſchloſſen unter 
der Bedingung, daß die Uebernehmer die Zwangs⸗ 
verſteigerung der Grundſtücke noch beſeitigen würden 
oder beſeitigen könnten; dieſe Bedingung war aber 
nicht eingetreten. 
Rechtsanwalt Dr. Joſef in Freiburg i. Br. 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


L 


Nichtigkeit eines Teiles eines Nechtsnefchäfts. Kein 
richterliches Ermäßigungsrecht hierbei (8 139 BGB.). 
Aus den Gründen: Der Berufungsrichter lehnt 
eine Prüfung des Einwandes, ob die Bindung des 
Beklagten (eines Wirtes) aus dem Bierlieferungsver— 
trage auf 15 Jahre für die Zeit vom 1. Oktober 1906 
an nach den perſönlichen und ſachlichen Umſtänden 
eine unzuläſſige Beſchränkung der wirtſchaftlichen Be— 
wegungsfreiheit des Beklagten bedeute und daher den 
Vertrag nach § 138 Abſ. 1 BGB. nichtig mache, mit 
einer nicht zutreffenden Begründung ab. Der Berufungs— 
richter verurteilte den Beklagten zur Erſtattung des 
Gewinnes, der der Klägerin (einer Bierbrauereiaktien— 
geſellſchaft) von der Einſtellung des Bierbezugs d. i. 
vom 1. Oktober 1907, bis zur Verkündung des Urteils 


) Vgl. Marcus in 3BlFG. 9, 123. Nach 8 111 


117 Preuß. ALR. fanden auf eine Teilung (Aus— 


Zeitſchrift für Rachtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


erſter ge d. i. der 8. November 1909, entgangen 
fei, in Höhe von 632 M 06 Pfg.; denn wenn die Bindung 
auf 15 Jahre auch eine zu lange ſein möchte, ſo liege 
in der Einigung auf zu lange Zeit auch die Einigung 
auf angemeſſene Zeit, die Zeit vom 1. Oktober 1907 
bis 8. November 1909, die in zweiter Inſtanz allein 
noch im Streite lag, ſei aber angemeſſen. Es iſt 
richtig, daß nur der Anſpruch auf Dr Gewinn 
für die Zeit vom 1. Oktober 1907 bis 8. November 1909 
in die zweite Inſtanz gelangt iſt; denn die Klägerin 
hat ſich dabei beruhigt, daß der erſte Richter den über 
den 8. November 1909 hinaus ſich erſtreckenden Anſpruch 
als noch nicht fällig abgewieſen hat. Allein der Be⸗ 
rufungsrichter verletzt den 8 139 BGB. Dieſer läßt, 
wenn ein Teil eines Rechtsgeſchäfts wegen Verſtoßes 
gegen die guten Sitten nichtig iſt (8 138 Abſ. 1 BGB.), 
e nicht den ganzen Vertrag nichtig werden, 
wenn der übrige Teil des Vertrages ohne den nichtigen 
Teil ebenſo geſchloſſen worden wäre, wie er in der 
Tat geſchloſſen worden iſt. Soll dieſe Ausnahmevor⸗ 
ſchrift auf den hier ſtreitigen Vertrag angewendet 
werden, — und der Berufungsrichter bezieht ſich für 
feine Anſicht auf 8 139 BGB. —, fo würde der Bier: 
abnahmevertrag ohne den nichtigen Teil, alfo ohne 
die Zeitbeſtimmung, abgeſchloſſen worden ſein. Man 
kann aber nicht mit dem Berufungsrichter ſagen, die 
Parteien, die die Möglichkeit der Nichtigkeit gar nicht 
ins Auge gefaßt und für dieſen Fall keinerlei Abkommen 
getroffen haben, hätten deshalb, weil eine Bindung 
von 15 Jahren gegen die guten Sitten verſtoße, jeden⸗ 
falls auf eine geringere Zeit und zwar auf angemeſſene 
Zeit abgeſchloſſen. Denn ſo haben die Parteien eben 
nicht abgeſchloſſen, das vermeintlich Geringere iſt vom 
Standpunkte der Parteien aus, der allein entſcheidet, 
nicht etwas Geringeres, ſondern etwas Anderes. Der 
Berufungsrichter will an Stelle des vereinbarten 
nichtigen Teiles des Vertrags etwas ſetzen, was die 
Parteien nicht vereinbart haben. Eine ſolche Befugnis, 
welche im Falle der Nichtigkeit eines Teiles eines 


Vertrages zu einem richterlichen Ermäßigungsrecht 


führt, kennt der 8 139 BGB. nicht. Hieraus folgt die 
Aufhebung dieſes Teiles des Urteils und die Zurüd- 


verweiſung, damit der Einwand des Verſtoßes gegen 


einanderſetzung) die Vorſchriſten über Vergleiche An- 


wendung. Das heutige Recht hat eine ſolche Vor— 
ſchrift nicht; allerdings können die Vorausſetzungen 


des 8 779 BGB. bei einer Auseinanderſetzung zu- 


treffen, vgl. z. B. RG. JW. 05, 721 N. 12 (Recht 06 
S. 51 N. 34): hier hatten die mit der Erblaſſerin im 
fünften Grad verwandten Kläger mit der Beklagten, 


die mit der Erblaſſerin im vierten Grad verwandt 


war, einen wahren Vergleich über das Erbrecht ab— 
geſchloſſen. 


die guten Sitten geprüft werde, nachdem die erforderlichen 
Tatſachen feſtgeſtellt fein werden. (Urt. des II. 38S. 
vom 28. März 1911, II 627/10). B—r. 
2235 
II. 


Bedeutung der Vereinbarung, daß eine Abrede über 
einen Pachtvertrag nicht in die notarielle Urkunde über 
einen damit zuſammenhängenden Tauſchvertrag „hinein: 
kommen“ ſolle. Aus den Gründen: Es kommt 
weſentlich auf die Frage an, ob neben dem notariellen 
Vertrage die Vereinbarung einer dreijährigen Pacht 
beſtand, wobei es gleichgültig iſt, ob man in dieſer 
Vereinbarung eine Bedingung oder einen Teil der 
Vertragsleiſtungen des Beklagten ſieht. In beiden 
Fällen wäre die Abrede weſentlich und ihre Nicht: 
beurkundung hätte die Nichtigkeit des ganzen Vertrages 
zur Folge gehabt, gleichviel ob dem Beklagten Argliſt 
zur Laſt fiel oder nicht. Der Berufungsrichter hat 
über die Frage Beweis erhoben, den Beweis aber 
nicht erſchöpft. Er zieht aus dem von den beiden 
Zeugen bekundeten Umſtande, daß der Kläger damit 
einverſtanden geweſen ſei, der Pachtvertrag ſolle nicht 
in den Tauſchvertrag „hineinkommen“ und es ſolle 
darüber im Vertrage „nichts vermerkt werden“, den 
Schluß, daß eine etwaige Vereinbarung über die Ver— 
pachtung durch die ſpätere maßgebende Einigung vor 
dem Notar „aufgehoben“ worden ſei. Dieſer Schluß 
iſt offenſichtlich verfehlt. Die Einigung eine Pacht— 
vereinbarung in den Tauſchvertrag nicht aufzunehmen, 
bedeutet keineswegs die Aufhebung, ſondern ſpricht 
vielmehr für das Fortbeſtehen der Vereinbarung. 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


Denn durch das Einverſtändnis, daß etwas in den 
Vertrag nicht hineinkommen, darin nicht vermerkt 
werden ſolle, wird nur die Beurkundung, nicht die 
Geltung ausgeſchloſſen. Die Nichtbeurkundung hat 
dann, wenn es ſich 


ganzen Vertrages zur Folge, mochten die Parteien 
dies wollen und ſich darüber klar geworden, oder 
mochte dies nicht der Fall ſein. Der Berufungsrichter 
hatte daher alle Veranlaſſung der fraglichen Abrede 
auf den Grund zu gehen und die Bedeutung der Ver⸗ 
einbarungen durch den angebotenen Beweis aufzuklären. 
(Urt. des V. 35. vom 5. April 1911, V 689/09). 
2239 


— — —ı. 


III. 


Zum Begriffe des „Vertreters“ i. S. des 5 385 
Nr. 4 der 35 O. Kein Wegfall des Sengnißperweigerungs- 
rechts, wenn die Ehefran als Zeuge dafür benannt iſt, 
daß ſie beſtimmte Dandlungen nicht als Vertreterin des 
Mannes vorgenommen hat. Aus den Gründen: 
Das Berufungsgericht nimmt als erwieſen an, daß 
die Ehefrau des Beklagten in deſſen Gegenwart und 
ſo, daß dieſer es auch gehört hat, dem Kläger vor 
dem Abſchluſſe des Vertrags wiederholt zugeſichert 
hat, der Gaſthof bringe täglich 100 M, daß dieſe vom 
Beklagten gebilligte Erklärung keine unverbindliche 
Anpreiſung, ſondern eine vertragsmäßige Zuſicherung 
ſei. Die Reviſion beſchwert ſich dagegen, daß trotz 
des Antrags des Beklagten die Beeidigung der Ehe⸗ 
frau unterblieben ſei. Der Reviſion kann nicht zugegeben 
werden, daß das Berufungsgericht für erwieſen er» 
achtet, die Ehefrau des Beklagten habe als feine Be- 
vollmächtigte oder als Geſchäftsführerin für ihn unter 
ſeiner ſofortigen Genehmigung jene Zuſage abgegeben. 
Denn obwohl das Berufungsgericht bei der Erörterung 
der Wirkſamkeit der Erklärungen dieſer Zeugin gegen 
ihren beklagten Ehemann die §8 164, 177 BGB. ans 
zieht, worauf die Reviſion hinweiſt, ſo geht doch aus 
der Erörterung ſelbſt hervor, daß das Berufungs- 
gericht die Zeugin bei der Abgabe dieſer Erklärung 
nicht als Vertreterin ihres Ehemannes i. S. des 8 385 
Nr. 4 ZPO. angeſehen hat. Wenn es fie als feine 
„Unterſtützungsperſon“ bezeichnet, deren Zuſicherungen 
er als von ihm ſelbſt abgegeben gelten laſſen müſſe, 
ſo geht daraus hervor, daß es in ihr nicht eine Ver⸗ 
treterin im Rechtsſinne (ſ. Gruchot Bd. 48 S. 1104), 
ſondern nur ein Werkzeug des Beklagten, eine ſtatt 
ſeiner in ſeiner Gegenwart ſprechende Perſon geſehen 
hat, auf die es 88 385 Nr. 4 3PO., 383 Nr. 3, 393 
Nr. 3 ZPO. mit Recht nicht angewendet hat. Aber 
auch im anderen Falle würde eine Verpflichtung zu 
ihrer Beeidigung aus §8 385 Nr. 4 ZPO. nicht aner⸗ 
kannt werden können. Denn, wie ſich aus der Wahl 
des Wortes „ſollen“ an jener Stelle ergibt, fällt das 
Zeugnisverweigerungsrecht des Ehegatten nur fort, 
wenn der Beweisführer Handlungen des Zeugen als 
Vertreters einer Partei behauptet (Gaupp-Stein § 385 I 
Nr. 4 Abſ. 2). Hier iſt aber die Zeugin von dem 
Beklagten benannt worden, der gerade beſtritten hatte, 
daß ſeine Ehefrau von ihm zu derartigen Erklärungen 
beauftragt worden ſei oder Vertretungsvollmacht für 
ihn gehabt habe. (Urt. des V. 35. vom 25. März 
1911, V 326/10). — — en. 


2238 


IV. 


Tatſachen, mit denen in erſter Inſtanz die angebliche 
Unſittlichkeit eines Rechtsgeſchäfts begründet werden 
ſollte, dürfen in zweiter Inſtanz nicht berückſichtigt 
werden, wenn ſie von den Parteien nicht mehr vorgetragen 
werden. Der Kläger, der Rechtsanwalt in J. war, 
trat mit dem Beklagten in Verhandlungen, die dazu 
führten, daß der Beklagte ſich zum Kaufe der Haus— 


um einen weſentlichen Vertrags⸗ 
beſtandteil handelt, kraft Geſetzes die Nichtigkeit des 


— — — — 


beſitzung des Klägers in J. verpflichtete, in der der 
Kläger feine Wohn⸗ und Geſchäftsräume hatte. Nach⸗ 
dem zwiſchen ihnen Meinungsverſchiedenheiten ent⸗ 
ſtanden waren, ſchloſſen ſie am 9. März 1907 einen 
notariellen Vertrag, nach dem der Kläger dem Be⸗ 
klagten feine Hausbeſitzung für 53 300 verkaufte. 
Der Beklagte hat in erſter Inſtanz u. a. die Nichtigkeit 
der Verträge geltend gemacht, da der Hauptzweck der 
Verkauf der Praxis des Klägers und das Wettbewerb— 
verbot für dieſen geweſen ſeien, was einen Verſtoß gegen 
die guten Sitten enthalte. Das LG. wies die Klage 
ab, die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Berufungs: 
urteil wurde aufgehoben. 

Aus den Gründen: Mit Recht macht die Re⸗ 
viſion dem Berufungsgerichte zum Vorwurfe, daß es 


die Nichtigkeit des Kaufvertrags vom 9. März 1907 


aus einem Tatbeſtandsſtoff entnommen hat, der ihm 
von keiner der Parteien vorgetragen worden iſt. Mag 
die Entſcheidung des LG. auf Grund des Vortrags 
der Parteien gerechtfertigt ſein, ſo änderte ſich doch 
zufolge des den deutſchen Zivilprozeß beherrſchenden 
Grundſatzes der Verhandlungsmaxime die Sachlage, 
ſobald der Beklagte mit Beginn des zweiten Rechts⸗ 
zugs ſeine Erklärungen änderte. Denn es iſt Sache 
der Parteien in der Verhandlung vor Gericht den 
nach ihrem freien Ermeſſen ausgewählten Stoff vor⸗ 
zulegen, die Parteien verhandeln unter der Ueber⸗ 
wachung des Gerichts, das nur im Wege der Prozeß⸗ 
leitung und nur dann eingreift, wenn es erforderlich 
iſt zwecks ordnungsmäßiger Betätigung der Parteien. 
Was dieſe nicht vorbringen wollen, kann daher nicht 
die Grundlage der Entſcheidung bilden (ſ. Planck, Lehr⸗ 
buch des Deutſchen Zivilprozeßrechts Bd. J S. 194, 434; 
Gaupp⸗Stein, ZPO. 10. Aufl. Vorbem. vor § 128 II 2). 
Während der Beklagte vor dem Landgerichte den Ver⸗ 
ſtoß gegen die guten Sitten darin gefunden hatte, daß 
beide Parteien ſtets darüber einig geweſen ſeien, daß 
den Kernpunkt und Hauptzweck der Verträge der Ver⸗ 
kauf der Praxis des Klägers gebildet habe in Ver⸗ 
bindung mit einem Verbote für dieſen mit dem Be— 
klagten in Zukunft im Bezirke des Landgerichts von 
J. irgendwie in Wettbewerb zu treten, hat er vor 
dem Berufungsgerichte von vornherein erklärt, daß 
er niemals die Abſicht oder auch nur das Bewußtſein 
gehabt habe dem Kläger für deſſen Praxis etwas zu 
zahlen. Sei vor dem Landgericht eine ſolche Bes 
hauptung aufgeſtellt worden, ſo ſei dies ohne ſein 
Zutun durch ſeinen Prozeßbevollmächtigten geſchehen; 
er habe ein Entgelt nur für das Haus mit Oefen und 
Bureaueinrichtung ſowie für die ihm übertragenen 
Ausſtände zahlen wollen, während der Kläger aller— 
dings, und zwar ohne daß es dem Beklagten erkenn— 
bar geworden ſei, in den Kaufpreis den Wert der 
Praxis mit einbezogen gehabt habe. Der Kläger hat 
die Richtigkeit dieſer Erklärung, ſoweit ſie die angeb— 
liche Abſicht oder das angebliche Bewußtſein des Be— 
klagten betrifft, nicht beſtritten, ſondern nur den ihn 
betreffenden Teil dieſer Erklärung mit der Behauptung 
angegriffen, daß auch er nicht die Abſicht gehabt habe, 
ſich für die Ueberlaſſung der Praxis und den Verzicht 
auf den Wettbewerb ein Entgelt auszubedingen. Nach 
der Verhandlungsmaxime konnte es nicht darauf an— 
kommen, ob dieſem nunmehrigen Vorbringen der Par— 
teien Glauben zu ſchenken ſei; es hatte das Berufungs- 
gericht vielmehr unbekümmert hierum aus diefem Vor— 
bringen ſeine Entſcheidung zu gewinnen. Hiernach 
hätte es zur Feſtſtellung der Nichtigkeit der Verträge 
nur gelangen können, wenn es die anſcheinend vom 
Beklagten gehegte Auffaſſung gebilligt hätte, daß die 
Unſittlichkeit des Geſchäfts aus einem nur dem Kläger 
zur Laſt fallenden Verſtoße gegen die guten Sitten 
hergeleitet werden könne. Das Berufungsurteil hat 
aber das Gegenteil ausgeführt. (Urt. des V. ZS. vom 
4. März 1911, V 207/10). 


2887 


. 


244 


V 


Funkenflug iſt keine „höhere Gewalt“ i. S. des 
3 456 989. Aus den Gründen: Die Reviſion 
rügt, daß das OLG. den Begriff der höheren Gewalt 
verkannt habe, wenn es annehme, daß darunter Fun⸗ 
kenflug aus der Maſchine nicht falle. Für die Anwen⸗ 
dung des Reichshaftpflichtgeſetzes möchten in dieſer 
Hinſicht vielleicht andere Grundſätze gelten. Jeden⸗ 
Kon habe für die Beurteilung feiner Pflichten aus 
em Frachtvertrag der Beklagte alles zu ſeiner Exkul⸗ 
pation Erforderliche getan, wenn er unter Beweis 
ſtelle, daß die Funkenfänger des Zuges in Ordnung 
waren, daß kein ſchlechtes Kohlenmaterial verwendet 
war, daß überhaupt alle denkbaren Vorſichtsmaßregeln 
getroffen waren. Genügte dies dem OLG. noch nicht, 
um anzunehmen, daß der Beklagte die äußerſte Vor⸗ 
ſicht angewendet habe, ſo hätte es den Sachverhalt 
durch Frageſtellung noch weiter aufklären müſſen. 

Nach 8 456 HGB. haftet die Eiſenbahn für den wäh⸗ 
rend des Transports entſtandenen Schaden, ſofern ſie 
nicht das Vorliegen einer der vorgeſehenen Befreiungs⸗ 
urſachen nachweiſt. Sie glaubt das Vorliegen höherer 
Gewalt dadurch nachweiſen zu können, daß ſie Funken⸗ 
flug als die Urſache des Brandes angibt und dartut, 
daß ſie alle Sorgfalt angewendet habe, der Gefahr 
des Funkenfluges vorzubeugen. Aber damit kann 
der Nachweis, daß der Schaden durch höhere Gewalt 
verurſacht ſei, nicht erbracht werden. Der Begriff der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


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höheren Gewalt iſt kein ſpezifiſch frachtrechtlicher. In 


der Literatur herrſcht Streit über ihn. Es ſtehen ſich 
eine ſubjektive und eine objektive Theorie gegenüber. 
Der erſteren genügt es, daß das ſchadenbringende Er⸗ 
eignis auch bei Anwendung äußerſter Sorgfalt nicht 
abgewendet werden konnte. Die letztere legt entſchei⸗ 
dendes Gewicht darauf, ob das unabwendbare Er⸗ 
eignis außerhalb des dem Betrieb eigentümlichen Ge— 
fahrenkreiſes gelegen iſt. Das Reichsgericht hat in 
feſtſtehender Rechtſprechung nur ſolche (relativ) unab⸗ 
wendbaren Ereigniſſe als höhere Gewalt beurteilt, 
welche von außen kommen, d. (h. nicht mit dem Be⸗ 
trieb der Eiſenbahn in natürlichem Zuſammenhang 
ſtehen. Der Funkenflug kann hierher nicht gerechnet 
werden. Er iſt recht eigentlich eine ſpezifiſche Be⸗ 
triebsgefahr des Eiſenbahnbetriebes. Wenn das OLG. 
im weiteren Verlauf ausführt, der Beklagte habe auch 
keineswegs dargetan, daß er alles getan habe, um 
das Eindringen von Funken in das Innere des Vieh— 
wagens zu vermeiden, ſo mag dieſe Erwägung aller⸗ 
dings mit dem zutreffenden grundſätzlichen Stand— 
punkte des OLG. nicht ganz übereinſtimmen oder 
mindeſtens überflüſſig ſein. Auf dieſer Erwägung be— 
ruht aber die Entſcheidung nicht. Denn das OLG. 
hat den Funkenflug als Urſache des Brandes nicht 
einmal feſtgeſtellt und brauchte es auch nicht zu tun, 
da die Eiſenbahn in allen Fällen haftet, in denen ihr 
der ihr obliegende Entlaſtungsbeweis nicht gelingt. 
Und dies hat das OLG. mit zutreffenden Gründen 
verneint. Daß die Eiſenbahn für den durch die ſpe⸗ 
zifiſchen Gefahren ihres Betriebes verurſachten Schaden 
auch dann haftet, wenn ſie alle Vorſicht angewendet 
hat, um ihnen vorzubeugen oder zu begegnen, ent— 
ſpricht der Billigkeit. Denn in Fällen ſolcher Art 
trifft weder den Abſender noch die Eiſenbahn ein 
Verſchulden. Aber die Eiſenbahn ſteht der Schadens⸗ 
urſache näher. Sie iſt i.,rem Betrieb eigentümlich. 


BE a ͤ— — ¶pů ů —Mᷣ— .—V — 


— — — 


Wie fie die Vorteile ihres Betriebs genießt, jo hat ſie 


auch die mit ihm untrennbar verknüpften Gefahren 
zu tragen. Nach dem Ausgeführten hatte das Ox. 
keine Veranlaſſung zur Ausübung des Fragerechts in 
der Richtung, ob der Beklagte alles zur Vorbeugung 
des Funkenfluges Erforderliche getan habe. (Urt. 
des I. 35. vom 21. November 1910, I 527/09). 


Bon 


— -- == n. 


1911. Nr. 11. 


VI. 

In welchem Umfange hat Schadensersatz zu leiſten, 
wer einen anderen dadurch zum Eintritt in eine Ge: 
noſſenſchaft beſtimmt hat, daß er ihn über die Höhe des 
Geſchäftsanteils tänſchte? Der Kläger wurde Mitglied 
einer Brennereigenoſſenſchaft. Die Beklagten gehören 
zum Vorſtande. Durch Beſchluß der Generalverſamm⸗ 
lung war der Geſchäftsanteil von 1000 M auf 5000 M 
erhöht und der Genoſſenſchaft die Befugnis beigelegt 
worden dieſe 5000 auf einmal einzuziehen. Der 
Kläger wurde auf die Klage der Genoſſenſchaft zur 
Zahlung des rückſtändigen Geſchäftsanteils von 4350 M 
verurteilt. Er behaupket: Erſt durch dieſe Klage habe 
er Kenntnis davon erhalten, daß die Beklagten ihn 
vor ſeinem Beitritt zur Genoſſenſchaft 99 65 falſche 
Angaben über die Höhe des Geſchäftsanteils der Ge⸗ 
noſſen getäuſcht und zum Beitritt beſtimmt hatten. 
Sie hätten auf ſeine Frage nach der Höhe des Anteils 
erklärt, er betrage 1000 M. die in Monatsraten von 
5 M zu entrichten ſeien. Zur Bekräftigung hätten fie 
ihm den $ 37 des alten Statuts vorgeleſen. Der 
Kläger fordert die Feſtſtellung ihrer Erſatzpflicht, ſowie 
Zahlung von 4000 M, als des Unterſchiedes zwiſchen 
dem vorgeſpiegelten und dem wirklichen Geſchäfts⸗ 
anteile. Seine Klage wurde abgewieſen. Das Os. 
legte dem Kläger den richterlichen Eid darüber auf, 
daß ihm vor ſeiner Beitrittserklärung der Beſchluß 
der Generalverſammlung vom 16. Oktober 1903 nicht 
vorgeleſen worden ſei. Im Falle der Leiſtung des 
Eides wurde feſtgeſtellt, daß die Beklagten als Geſamt⸗ 
ſchuldner verpflichtet wären den dem Kläger durch 
ſeinen Eintritt in die Brennereigenoſſenſchaft ent⸗ 
ſtehenden Schaden zu erſetzen, und der bezifferte 
Schadensanſpruch des Klägers dem Grunde nach für 
gerechtfertigt erklärt. Die Reviſion hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: Es wird die Verletzung 
des 8 249 BGB. gerügt, weil das Os G., wie feine 
Beurteilung des Anſpruches auf Zahlung von 4000 M 
ergebe, Erſatz des poſitiven Schadens zuerkennen wolle, 
während dieſer wohl von dem Vertragsgegner inner- 
halb eines beſtehenden Vertragsverhältniſſes, aber 
nicht von den Beklagten, die dem Kläger als Dritte 
gegenüberſtänden, gefordert werden könne In dieſer 
Hinſicht hat das OLG. ausgeführt: Was die geforderten 
4000 M anlange, fo könne der Kläger nach 8 249 BGB. 
verlangen von den Beklagten ſo geſtellt zu werden, 
wie er ſtände, wenn die vorgetäuſchte Tatſache (Höhe 
des Geſchäftsanteils zu 1000 M mit 5 M Abzahlungs⸗ 
raten) richtig wäre, d. h. er könne das Mehr des wirk⸗ 
lichen Geſchaftsanteils erſetzt verlangen, da der Be⸗ 
trag von 5000 M ſtatutenmäßig ſofort einzuzahlen ſei. 
Dieſer Begründung kann nicht beigetreten werden. 
Rur bei wiſſentlich falſchen Verſicherungen des Ver⸗ 
käufers über Eigenſchaften der Kaufſache hat das 
Reichsgericht unter ſinngemäßer Anwendung des 8 463 
BGB. wegen Gleichheit des Rechtsgrundes ausge⸗ 
ſprochen, daß der betrogene Käufer berechtigt ſei den 
die Eigenſchaften vorſpiegelnden Verkäufer auf Scha⸗ 
denserſatz ſo in Anſpruch zu nehmen, wie wenn dieſer 
ihm die Eigenſchaften vertragsmäßig zugeſichert, ſie 
aber dann nicht gewährt hätte. Dagegen handelt es 
ſich hier um einen außerhalb eines Vertrages geltend 
gemachten Schadenserſatzanſpruch wegen argliſtiger 
Taͤuſchung. Danach haben die Beklagten, im Falle 
ſie den Kläger argliſtig getäuſcht und dadurch zum 
Beitritt zur Brennereigenoſſenſchaft bewogen haben, 
den ihm zugefügten Schaden zu erſetzen und gemäß 
§ 249 8G. Erſatz durch Herſtellung desjenigen Zu— 
ſtandes zu leiſten, der beſtehen würde, wenn der zum 
Erſatz verpflichtende Umſtand chier die Täuſchung) 
nicht eingetreten wäre. Unter dieſer Vorausſetzung 
würde der Kläger, der der Genoſſenſchaft nur bei 
einem Geſchäftsanteil von 1000 M beitreten wollte, 
überhaupt nicht beigetreten ſein. Da die Herſtellung 
eines dem entſprechenden Zuſtandes den Beklagten 


| geitſchrift für Rechtspflege 


— —— — ü — — — — — — 


nicht möglich iſt, ſo haben ſie den Kläger nach 8 251 
Abſ. 1 BGB. in Geld zu entſchädigen. Um ihn aber 
wirtſchaftlich ſo zu ſtellen, wie er geſtanden hätte, 
wenn er der Genoſſenſchaft nicht beigetreten wäre, ſind 
die Nachteile und Vorteile, die er durch den Beitritt 
gehabt hat, gegeneinander auszugleichen. Erſt dann 
läßt ſich beurteilen, ob dem Kläger ein Schaden ent⸗ 
ſtanden iſt. Dieſe Ausgleichung iſt bisher nicht erfolgt. 
(Urt. des I. ZS. vom 27. Februar 1911, I 181/10). 
2241 — — en. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Können Gemeinderechte öffentlichrechtlicher Natur 


in das Grundbuch eingetragen werden? (DAfdG B Ae. 
§ 123 Nr. 6). Am 12. Oktober 1910 hat der Vorſtand 
des Pfarramts P. auf Grund von Ur 

der Behauptung, der Inhaber der Pfarrei P. empfange 
alljährlich außer dem faſſionsmäßigen Rechtholzbezuge 
noch einen beſtimmten Anteil an den Ueberſchüſſen 
der Gemeindewaldkaſſe, an das Grundbuchamt den 
Antrag geſtellt das zum Pfarranweſen Hs.⸗Nr. 9 ge⸗ 
hörende ganze Gemeinderecht im Grund buch einzutragen. 
Das Grundbuchamt wies den Antrag zurück. Die Be⸗ 


unden und unter 


ſchwerde des Pfarramts P. wurde vom Landgericht 
mit der Begründung zurückgewieſen, die vorgelegten 


Urkunden ſprächen mehr dafür, daß das Gemeinderecht 


der Pfarrpfründeſtiftung P. nicht privatrechtlicher 


ſondern öffentlichrechtlicher Natur ſei, das Gemeinde⸗ 
recht dürfe deshalb im Grundbuch auch dann nicht 
eingetragen werden, wenn Zweifel an der privatrecht⸗ 
lichen Natur des Rechtes beſtünden. 
Landesgericht hat die weitere Beſchwerde zurückgewieſen. 


Das Oberſte 


Gründe: Ein Nutzungsrecht an Gemeindegründen 


(Gemeinderecht) kann privatrechtlich oder öffentlich⸗ 
rechtlich ſein. Es iſt privatrechtlich, wenn es mit einem 
beſtimmten Anweſen ſo verbunden iſt, daß es dem 
Eigentümer des Anweſens die Nutzungsberechtigung 
unabhängig von dem Verhältniſſe gewährt, in dem er zur 
Gemeinde ſteht (vgl. BlfR A. Bd. 35, S. 375 ff., 379, Bd. 40, 
S. 299). Oeffentlichrechtlich iſt es namentlich dann, wenn 
ſich das Recht der Teilnahme an den Gemeindenutzungen 
auf den Gemeindeverband gründet. Auch dann wird 
das Rechtsverhältnis in der Regel öffentlichrechtlich 
ſein, wenn einem Pfarrer oder einem Lehrer als Teil 
ſeines Dienſteinkommens eine beſtimmte Teilnahme an 
den Nutzungen des Gemeindevermögens eingeräumt iſt. 
Wie die auf einem privatrechtlichen Titel beruhenden 
Gemeinderechte, ſo können auch die auf den Gemeinde— 
verband ſich gründenden Gemeindenutzungsrechte mit 
einem Anweſen verbunden fein (Art. 33 Gem O.). Das 
gleiche kann auch bei ſolchen Gemeindenutzungsrechten 
der Fall ſein, die einen Teil des Dienſteinkommens 
eines Pfarrers oder Lehrers zu bilden haben, nament⸗ 
lich wenn das Anweſen die Beſtimmung hat, dem 
Pfarrer oder Lehrer als Wohnung zu dienen. Unter 
der Herrſchaft des früheren Rechtes mögen mitunter 
auch Gemeinderechte öffentlichrechtlicher Natur, die 
mit einem Anweſen verbunden ſind, in das Hypotheken- 
buch eingetragen worden ſein (Henle-Schmitt, Das 
Grundbuchweſen in Bayern S. 237 Bem. 2 a). In 
das Grundbuch können aber ſolche Rechte nicht ein- 
getragen werden. Das Grundbuch iſt nur für die 
Eintragung privatrechtlicher Verhältniſſe beſtimmt; 
alle auf Grundſtücken haftenden Rechte und Laſten, 
die auf einem öffentlichrechtlichen Verhältniſſe beruhen, 
find nicht eintragungsfähig (8 123 Nr. 6 DAfdGBAe., 
Henle⸗Schmitt a. a. O. § 13 Bem. 4 S. 31, § 18 
Bem. 211 Abſ. 3 1 S. 55). Mit Unrecht beruft ſich 
die weitere Beſchwerde auf das Urteil des Oberſten 
Landesgerichts vom 10. Januar 1906 (Samml. 


— . ͤ K—ꝗ—— ——— — — — — — — uv 


in Bayern. 1911. Nr. 11. 245 


Bd. 7 S. 3 ff.). Denn dieſes ſpricht nirgends aus, daß 
Rechte auf Gemeindenutzungen öffentlichrechtlicher 
Natur eintragungsfähig ſind, die auf einem Anweſen 
ruhen, ſondern = nur darauf hin, daß ein auf 
einem Anweſen ruhendes Gemeinderecht unter der 
Herrſchaft des früheren Rechtes „Zubehör“ des An⸗ 
weſens war und das rechtliche Schickſal der Hauptſache 
teilte, daß daher nach 8 33 Hyp®. die Verpfändung 
des Anweſens auch das dazu gehörende Gemeinderecht 
ergriff, gleichviel welche rechtliche Natur es hatte. 
Das gleiche gilt übrigens nach den 88 96, 1120 BGB. 
auch für das Grundbuchrecht. Auch auf die Bem. 1 f 
Abf. 2 zu 8 68 IM Bek. vom 1. Oktober 1898 bei 
Henle⸗Dandl, Grundbuchanlegung, 2. Aufl. S. 287, 
kann die weitere Beſchwerde nicht geſtützt werden. Ab⸗ 
geſehen davon, daß es ſich hier nicht um ein Recht 
handelt, das im Grundſteuerkataſter bei dem Anweſen 
eingetragen iſt, hat dieſe Bemerkung offenbar nur Ge⸗ 
meinderechte im Auge, von denen es nicht zweifelhaft 
iſt, daß fie eintragungsfähig find. Der weiteren Bes 
ſchwerde mag zugegeben werden, daß die Ausführungen 
in dem Beſchluſſe des Senats vom 1. Juli 1910 
(Samml. Bd. 11 S. 498, vgl. auch Bd. 8 S. 87) 
über die Nichteintragbarkeit öffentlichrechtlicher Laſten 
nicht unmittelbar auf Gemeindenutzungsrechte öffentlich⸗ 
rechtlicher Natur anwendbar find. Allein ſachlich be⸗ 
ſteht in Anſehung der Eintragungsfähigkeit zwiſchen 
Rechten und Laſten kein Unterſchied. Wie in das 
Grundbuch nur Laſten eingetragen werden können, 
die auf einer privatrechtlichen Grundlage beruhen, 
ebenſo können auch nur Rechte eingetragen werden, 
von denen es außer Zweifel ſteht, daß fie dem Privat- 
recht angehören (vgl. DAfdGBAe. $ 123 Nr. 6). (Be⸗ 
ſchluß des I. ZS. vom 3. März 1911, Reg. III . 1). 
2236 


Nachſchrift des Herausgebers. Die Recht⸗ 
ſprechung hat bisher nur angenommen, daß in das 
Grundbuch öffentlichrechtliche Laſten nicht eingetragen 
werden können (ſ. dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1910 S. 243, 
453). Auch die Stellen aus „Henle⸗Schmitt, Grundbuch⸗ 
weſen“, die der Beſchluß anführt, handeln nur von 
der Eintragung öffentlichrechtlicher Belaſtungen. 
Um daraus, daß ſolche Laſten nicht eintragungsfähig 
ſind, ſchließen zu können, daß auch Rechte öffentlich⸗ 
rechtlicher Art nicht in das Grundbuch eingetragen 
werden dürfen, wird man auf die Vorſchrift im 8 8 
GBO. zurückgehen müſſen. Dort iſt in Abſ. 1 Satz 1 
beſtimmt, daß Rechte, die dem jeweiligen Eigentümer 
des Grundſtücks zuſtehen, auf Antrag auch auf dem 
Blatte dieſes Grundſtücks zu vermerken find. Voraus⸗ 
geſetzt iſt alſo, wie der Gebrauch des Wortes auch 
jeigt, daß die Rechte als Belaſtungen auf einem anderen 
Grundſtücke eingetragen ſind. Aus dieſem Wortlaute 


des Geſetzes dürfte folgen, daß Rechte, die im Ge⸗ 


meindeverbande wurzeln, auf dem Blatte des fog. herr⸗ 
ſchenden Grundſtücks nicht eingetragen werden dürfen, 
weil fie eben auch als Laſten nicht eingetragen werden 
dürfen. Man wird auch der Anſicht von Achilles⸗ 
Strecker (G., Teil 1 S. 165 Aum. 2 zu $8 G0.) 
nicht beitreten können, daß der $ 8 Abſ. 1 Satz 1 GBO. 
im Wege der ausdehnenden Auslegung auf Rechte 
öffentlichrechtlicher Natur erſtreckt werden könne, deren 
Vormerkung auf dem Blatte des herrſchenden Grund— 
ſtücks wegen ihrer wirtſchaftlichen Bedeutung im Inter- 
eſſe des Rechtsverkehrs liegt. Denn das Grundbuch 
iſt eben nur dazu beſtimmt über die privatrechtlichen 
Verhältniſſe des Grundſtücks Aufſchluß zu geben. Mit 
der „ausdehnenden Auslegung“ könnte man auch 
wieder zu der Eintragung öffentlicher Laſten kommen, 
die mitunter auch „im Intereſſe des Rechtsverkehrs“ 
liegen könnte. 


B. Straffaden. 
I 


Verkauf von Anſichtspoſtkarten an Sonn: und Feſt⸗ 
tagen in den Schank⸗ und Gaſtwirtſchaften. H. ließ in 
der zu ſeinem Gaſthof in St. gehörigen Gartenwirt⸗ 
ſchaft im Sommer 1910 an Sonn» und Feſttagen in 
einem nur von dem Wirtſchaftsgarten aus zugänglichen 
Pavillon Zigarren, Zigaretten und Anſichtspoſtkarten 
verkaufen. Vom Schöffengericht wegen eines Ber: 
gehens nach 8 105 b Abſ. 2, 8 146 GewO. verurteilt, 
wurde er vom Berufungsgericht freigeſprochen. Die 
Reviſion des Staatsanwalts wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Der Senat hat in dem 
Urteile vom 23. Dezember 1902 (Slg. Bd. 3 S. 152) 
in einem ähnlich gelagerten Falle die Anſchauung ver: 
treten, daß der Gaſt- oder Schankwirt zwar kraft feiner 
Gewerbebefugnis Genußmittel, die nicht zu den Speiſen 
und Getränken gehören, trotz der Sonntagsruhe ab— 
geben darf, daß es ihm aber nicht geſtattet iſt in der 
geſchloſſenen Zeit Gebrauchsgegenſtände abzugeben, bei 
denen es ſich nicht um einen mit dem Genuſſe der 
Speiſen und Getränke verbundenen Genuß auf der 
Stelle handelt. Dieſe einſchränkende Auslegung 
kann mit Rückſicht auf die im Publikum herrſchenden 
Gewohnheiten und die Anſchauungen des Verkehrs 
(Reger Bd. 23 S. 354, Bd. 29 S. 362) nicht aufrecht 
erhalten werden. Die wiederholte Prüfung der Rechts— 
lage ergibt folgendes: 

Indem der Geſetzgeber im 8 105i Abſ. 1 GewO. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


die Anwendung der SS 105 a Abſ. 1, 105 b bis 105g 


auf das Gaſt⸗- und Schankwirtſchaftsgewerbe ausſchloß, 
hat er den Betrieb der Gaſt- und Schankwirtſchaft nicht 
nur inſoweit von der Sonntagsruhe ausgenommen, 
als die notwendigen Erſcheinungsformen dieſes Ge— 
werbes, die Verabfolgung von Speiſen und Getränken 
mit oder ohne Beherbergung der Gäſte in Betracht 
kommen, er hat nicht gemeint, daß die Gajt- und 
Schankwirtſchaft während der Ruhezeit nur in dieſem 
beſchränkten Umfange fortgeführt wird, ſondern er 
wollte den Betrieb beider Gewerbe mit Rückſicht dar- 
auf, daß Fremde auch an Sonntagen in Gaſthäuſern 
unterkommen müſſen, und daß die ortsanweſende Be— 
völkerung in den Schankwirtſchaften gerade an arbeits— 
freien Tagen mit Vorliebe verkehrt, an den Sonn— 
und Feſttagen ohne Einſchränkung fortdauern laſſen. 
Der Betrieb des Wirtsgewerbes erſchöpft ſich nun ſchon 
ſeit langem nicht mehr darin, daß der Gaſtwirt Unter— 
kunft und Verpflegung, der Schankwirt Getränke dar— 
bietet; das Publikum fordert Bedienung aller Art, 
Leſeſtoff, Unterhaltungsſpiele u. dgl.; es erwartet in 
den Schankwirtſchaften Verköſtigung, es will den Genuß 
des Rauchens nicht entbehren. Dieſen Anforderungen 
kann ſich der Wirt nicht verſchließen, wenn er nicht im 
Wettbewerbe mit anderen Unternehmern zurückbleiben 
will. Mit dieſen Verhältniſſen mußte gerechnet werden, 
als der 8 105i der GewO. Geſetz wurde. Der Geſetz— 
geber hat auch nicht das, was der Wirt als ſolcher 
den Gäſten bieten muß und darf, mit den Grenzen 
umſchreiben wollen, die allenfalls bei der Erlaſſung 
der Novelle vom 1. Juni 1891 im Hinblick auf die 
damaligen Anſprüche des Publikums beſtanden. (Verh. 
des Reichstags 1890/91, Sten B. Bd. 3 S. 1608 u. 
1611). Das Berufungsgericht hat einwandfrei feſt— 
geſtellt, daß ebenſo wie der Verſchleiß von Zigarren 
oder Zigaretten auch der Verkauf von Anſichtspoſt— 
karten in Gaſt- und Schankwirtſchaften heutzutage der 
allgemeinen Verkehrsauffaſſung entſpricht, daß alſo 
das Publikum vom Wirte die Darbietung einer Kaufs— 
gelegenheit nach dieſer Richtung ausnahmslos ver— 
langt. Hieraus iſt zutreffend zu folgern, daß der Ver— 
kauf ſolcher Karten z. 3. zum Betriebe der Gaſt- und 
Schankwirtſchaft gehört und deshalb mit dieſem die 
Vergünſtigung des F 105i GewO. genießt, alſo uud) 
wahrend der Sonntagsruhe ſtattfinden darf, wofur 


auch Landmann (5. Aufl. S. 100 unter lit. a) eintritt. 
Belanglos iſt, daß Anſichtskarten nicht zu den Genuß⸗ 
mitteln gehören. Sie werden wie dieſe auf der Stelle 
verbraucht. Da es ſich bei der Abgabe von Anſichts⸗ 
karten, nicht wie bei dem Ausſchanke von Bier, Wein ꝛc. 
um eines der begrifflich notwendigen oder Grundge⸗ 
ſchäfte des Wirtes handelt, für die beſondere Uebungen 
beſtehen können, ſondern um ein Nebengeſchäft, das 
nur im Rahmen des Wirtsgewerbes begünſtigt iſt, fo 
iſt auch ſtrenge daran feſtzuhalten, daß die Abgabe 
von Anſichtspoſtkarten nur an Gäſte der Wirtſchaft und 
daß ſie nicht in Mengen erfolgt, die einen Ankauf auf 
Vorrat vermuten laſſen. Wird 2 beſtanden, daß 
die Nebengeſchäfte des Wirtes, der Tabak⸗ und Karten⸗ 
verkauf, örtlich und quantitativ den Rahmen des Wirts⸗ 
gewerbes nicht überſchreiten dürfen — was auch für 
den Geſchäftsbetrieb nach dem werktäglichen Laden⸗ 
ſchluß gilt — ſo können Umgehungen des Geſetzes nicht 
öfter vorkommen, als ſie jetzt ſchon für den Bezug von 
Brot, Wurſt u. dgl. möglich ſind, und insbeſondere 
kann der Wirt nicht darauf verfallen, für Gegenſtände, 
die nicht innerhalb der Wirtſchaftslokalitäten von den 
Gäſten alsbald verbraucht werden, alſo z. B. für Reiſe⸗ 
andenken, Photographien u. dgl. während der geſchloſ— 
ſenen Zeit Kaufsgelegenheit zu bieten. 

Nach 8 105i Abſ. 2 GewO., der eine Ausnahme 
von der Regel des 8 105 a Abſ. 1 bedeutet, können die 
Arbeiter auch in Gaſt- und Schankwirtſchaftsgewerben 
nur zu ſolchen Arbeiten an Sonn- und Feſttagen ver⸗ 
pflichtet werden, die nach der Natur des Gewerbe— 
betriebs einen Auſſchub oder eine Unterbrechung nicht 
geſtatten. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob der Ver⸗ 
kauf von Zigarren und Anſichtskarten in einem Wirts⸗ 
garten zu dieſen unaufſchieblichen Arbeiten zählt. Iſt 
dies nicht der Fall, ſo darf daraus nicht gefolgert 
werden, daß der Verkauf dieſer Gegenſtände in Wirt⸗ 
ſchaften während der Sonntagsruhe überhaupt nicht 
geſtattet wäre. Denn wenn der Wirt auch zu gewiſſen 
Geſchäften, weil ſie aufſchieblich ſind, ſeine Arbeiter 
nach § 105i Abſ. 2 zivilrechtlich nicht verpflichten kann, 
ſo kann er die Geſchäfte doch, wenn ſie überhaupt zum 
Betriebe der Gaſt- und Schankwirtſchaft gehören, durch 
arbeitswillige Bedienſtete verrichten laſſen oder ſelbſt 
vornehmen. Angeſichts der Vorſchrift des 8 105 i Abſ. 2 
Gew. iſt eine Verkürzung der Sonntagsruhe der Be— 
dienſteten dadurch, daß ſie Anſichtskarten in der ge— 
ſchloſſenen Zeit an ihre Gäſte abgeben, nicht zu be— 
fürchten. Was die Schädigung der Handelsgewerbe⸗ 
treibenden durch die Abgabe von Zigarren und Anfichts: - 
karten in Wirtſchaften anlangt, ſo iſt zu betonen, daß 
die Beſtimmungen der SS 105b bis 105g mit 41a 
GewO. nur im Intereſſe der gewerblichen Arbeiter 
erlaſſen worden find, daß eine Ausdehnung der Bor: 
ſchriften auf das Gaſt- und Schankwirtſchaftsgewerbe aus 
praktiſchen Gründen undurchführbar war und daß es 
eine notwendige Folge dieſer Verhältniſſe iſt, wenn 
das Wirtsgewerbe in bezug auf Sonntagsarbeit eine 
bevorzugte Stellung genießt. Ganz abgeſehen davon 
handelt es ſich bei dem Ankaufe dieſer Genußmittel 
und Gebrauchsgegenſtände, wie geſagt, um die Be— 
friedigung eines augenblicklichen Bedürfniſſes, das nicht 
vorhergeſehen und nicht verſchoben zu werden pflegt. 
ſo daß, wenn dem Gaſte die Abgabe einer Zigarre, 
einer Anſichtskarte am Sonntag verweigert wird, die 
Handelsgewerbetreibenden davon keinen Nutzen haben, 
weil der Bedarf weder vorher noch nachher bei ihnen 
gedeckt wird. (Urt. vom 21. März R 

d. 


1493.07 


II. 


Anwendung des § 53 Gewd. (Streikparagraph) bei 
Ausſperrungen und ſein Verhältnis zu dem eine härtere 
Strafe androhenden allgemeinen Strafgeſege. Aus den 
Gründen: I. Organiſierte Arbeiter find Berufsge— 
noſſen, die ſich zu einer Vereinigung mit der Verab— 


redung zuſammengeſchloſſen haben, ihre wirtſchaftliche 
Lage möglichſt günſtig zu geſtalten und zu dieſem 
Zweck auf gemeinſchaftliche geſamtverbindliche Weiſe 
günſtige Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen zu erlangen 
(RGSt. 35, 205; JW. 39 S. 679 Nr. 24). Dieſe Ver⸗ 
abredungen treten in die Erſcheinung, wenn die Ar⸗ 
beiter von den Arbeitgebern höhere Löhne und beſſere 
Arbeitsbedingungen verlangen oder der beabſichtigten 
Herabſetzung der Löhne oder der Verſchlechterung der 
Arbeitsbedingungen entgegentreten. Die Arbeiter 
dürfen ſich nach dem 8 152 GewO. zur Durchſetzung 
ihrer Beſtrebungen aller erlaubten Mittel, insbeſondere 
der Einſtellung der Arbeit (Streik) bedienen und An⸗ 
hänger werben. Die gleichen Rechte ſind den Arbeit⸗ 
gebern zur Erreichung von günſtigen Lohn⸗ und Ar⸗ 
beitsbedingungen eingeräumt; ſie können insbeſondere 
durch Entlaſſung der Arbeiter (Ausſperrung) ihr Ziel 
zu erreichen ſuchen. Die Ausſperrung iſt nur der 
Gegendruck gegen die Weigerung der Arbeiter unter 
den neuen von den Arbeitgebern geſtellten ihnen nicht 
günſtigen Bedingungen arbeiten zu wollen. In dieſer 
Weigerung tritt die Verabredung zutage, ſich jeweils 
des Mittels zu bedienen, das geeignet iſt günſtige 
Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen zu erlangen. Die Folge 
der Weigerung wäre auf Seite der Arbeiter die Ar⸗ 
beitseinſtellung geweſen; dieſer ſind die Arbeitgeber 
durch die Ausſperrung zuvorgekommen. Nach dem 
Erörterten iſt es für die Anwendbarkeit der 58 152, 
153 GewO. gleichgültig, ob es ſich um Streik oder 
Ausſperrung und dabei um Beſtrebungen handelt, die 
eine Verbeſſerung oder die Verhinderung der Ver⸗ 
ſchlechterung der beſtehenden Lohn⸗ und Arbeitsbe⸗ 
dingungen bezwecken. Davon machen die aus Anlaß 
der Verhandlungen über den Abſchluß von Arbeits- 
verträgen — Tarifen — ausbrechenden Streiks und 
Ausſperrungen keine Ausnahme, ſie ſind vielmehr die 
häufigſten Erſcheinungen auf dem Gebiete der 88 152, 

153 GewO. Anzuwenden iſt $ 153 GewO., wenn die 
1 Arbeiter ſich der durch ihn verbotenen 
Mittel bedienen um die Berufsgenoſſen zum Anſchluſſe 
zu bewegen; es ſoll niemanden das Recht Erwerb und 
Arbeit zu ſuchen und zu erhalten, wo und wie er es 
nach eigener Entſchließung will, durch Zwang oder 
Einſchüchterung verkümmert werden. 

2. Der Beſchwerdeführer vermißt Ausführungen 
darüber, daß die Beſtrafung nicht aus SS 185, 240 
StGB. erfolgte und nicht erwogen wurde, ob nicht eine 
mildere Strafe hätte eintreten können. 

a) Mit Bezug auf den Schlußſatz des $ 153 Gemd. 
„foferne nach dem allgemeinen Strafgeſetze nicht eine 
härtere Strafe eintritt“ haben das Reichsgericht und 
das Oberſte Landesgericht angenommen, daß der $ 153 
mit dem anzuwendenden eine härtere Strafe ans 
drohenden allgemeinen Strafgeſetz in rechtlichem Zu— 
ſammenhange nach 8 73 StGB. ſteht, und daß des⸗ 
halb für die Strafbemeſſung die Beſtimmungen des 
s 73 maßgebend find (RGSt. 30, 359; 37, 307; 24, 
58; Obs G. Bd. 7 S. 54/55). Dieſe Auffaſſung führt 
zu dem Ergebniſſe, daß auf Grund des allgemeinen 
in thesi eine ſchwerere Strafe androhenden Straf— 
geſetzes eine mildere Strafe ausgeſprochen werden 
kann, als dies bei der Strafbemeſſung nach dem 
milderen Geſetze des § 153 der Fall wäre; es kann 
3 B. bei dem rechtlichen Zuſammenhange zwiſchen den 
§ 153 GewO. und SS 185 oder 240 StGB. auf Geld⸗ 
ſtrafe erkannt werden, während bei ausſchließlicher 
Anwendung des § 153 — des milderen Geſetzes — 
das Urteil nur auf Gefängnisſtrafe lauten könnte. 
Dieſes Ergebnis iſt unbefriedigend und gibt zu Be— 
denken Anlaß. 

b) Das Oberſte Landesgericht hat dieſen Bedenken 
im Urteile vom 13. April 1907 (Bd. 7 S. 294) im An⸗ 
ſchluß an eine in der Rechtslehre verbreitete An— 
ſchauung Rechnung getragen und angenommen, daß, 
wie nach dem deutſchen Strafrecht überhaupt Straf— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


247 


geſetze zueinander in dem Verhältniſſe der Subſidiarität 
ſtehen können d. h. das eine von ihnen nur in Er⸗ 
mangelung der Anwendbarkeit des anderen anzuwenden 
iſt, dieſes Verhältnis auch zwiſchen dem § 153 GewO. 
und dem nach dem Schlußſatze anzuwendenden allge⸗ 
meinen Strafgeſetze 9 ſo insbeſondere zwiſchen 
8 153 GewO. und 8 240 StGB.; was von dem Ver⸗ 
hältniſſe des 8 240 Stchs. zu § 153 Gew. gilt, hat 
auch für das Verhältnis des 8 153 zu § 185 StGB. 
zu gelten, wenn Strafantrag geſtellt und öffentliche 
Klage erhoben iſt. Der erkennende Senat ſchließt ſich 
dieſer Anſchauung an, und zwar um ſo mehr, als nun 
auch das Reichsgericht in den Urteilen vom 14. April 
1910 und 6. Juni 1910 (JW. 39 S. 379; Warneyers 
yabıb. der Entſch. für Strafrecht und Strafprozeß 

5 S. 145 Nr. 4a) ausdrücklich ausgeſprochen hat, 
daß für eine gleichzeitige Anwendung des 8 153 Gew. 
neben dem eine härtere Strafe androhenden allge⸗ 
meinen Geſetze kein Raum iſt, daß vielmehr in dieſem 
Falle der 8 153 Gew. den Charakter einer ſubſidiären 
5 hat (ſ. a. Schenkel, Deutſche GewO. 8 153 
Note 2). 

e) Das andere Geſetz, nach dem eine härtere Strafe 
eintritt, iſt das primäre Geſetz. Für die Härte der 
Strafe iſt zunächſt die Strafart, innerhalb gleicher 
Strafarten die Strafhöhe, und bei ungleichen Straf⸗ 
arten die ſchwerſte Strafart maßgebend. Von allen 
Strafarten iſt die Geldſtrafe die mildeſte Strafart. 
Primäres Geſetz könnte deshalb niemals ein Geſetz 
ſein, das nur Geldſtrafe androht. In Befolgung 
dieſes Grundſatzes darf auch dann, wenn das primäre 
Geſetz neben Gefängnisſtrafe wahlweiſe Geldſtrafe an⸗ 
droht, nur auf Gefängnis- nicht auf Geldſtrafe er⸗ 
kannt werden. 

d) Zu dem gleichen Ergebniſſe führen folgende 
Erwägungen: Bei der Bemeſſung der Strafe aus dem 
primären Geſetze darf die Wechſelbeziehung zu dem 
§ 153 GewO. und der geſeage b rich Wille nicht außer 
acht gelaſſen werden. Der § 153 GewO. für das 
Deutſche Reich iſt der GewO. des Norddeutſchen Bundes 
vom 21. Juni 1869 (§ 170) entnommen; beide gleich⸗ 
lautende Geſetzesbeſtimmungen ſind die wörtliche 
Wiedergabe des § 3 des allerdings nicht zum Geſetze 
gewordenen preuß. Geſetzentwurfs vom 20. Februar 
1866. Nach dieſem Entwurfe ſollten alle der Koalitions⸗ 
freiheit entgegenſtehenden Verbote aufgehoben, gleich— 
zeitig aber Maßnahmen zum Schutze gegen Mißbrauch 
dieſer Freiheit getroffen werden. Die Motive führen 
u. a. aus: „Die Staatsregierung kann auch ihrerſeits 
nicht umhin als Bedürfnis anzuerkennen, daß ſie von 
der Verabredung ſich ausſchließenden Arbeiter von 
dem etwaigen Terrorismus ihrer Arbeitsgenoſſen ge— 
wahrt werden. Sie hatte ſich aber zunächſt die Frage 
vorzulegen, ob dieſem Bedürfnis durch die Vorſchriften 
des Strafgeſetzbuchs nicht bereits ausreichend vorge— 
ſehen ſei. Unzulänglich erſcheinen ſie inſoferne, als 
fie gerade das Mittel nicht treffen, welches als Zwangs- 
mittel die größte Wirkſamkeit hat, die Verrufs— 
erklärungen und als ſie die Verfolgung von Ehrver— 
letzungen der öffentlichen Anklage in der Regel ent— 
ziehen.“ Der Entwurf wollte demnach dem Mißbrauche 
der Koalitionsfreiheit mit ſcharfen Mitteln entgegen— 
treten und wählte zu dieſem Zwecke eine härtere 
Strafart, die Gefängnisſtrafe. An dieſem Grundſatze 
wurde in den ſpäteren Verhandlungen des Reichstags 
des Norddeutſchen Bundes und des Deutſchen Reichs— 
tags nicht gerüttelt, niemals kam eine Geldſtrafe in 
Frage. Mit der Begründung, daß ſich der 8 153 Gewd. 
in ſeiner bisherigen Faſſung inſoferne als ungenügend 
gezeigt habe, als die angedrohte Strafe zu gering iſt“, 
wurde im Jahre 1891 dem Reichstag eine Novelle 
vorgelegt, die Gefängnisſtrafen von 1 Monat bis 
5 Jahren vorgeſehen hatte. Die Novelle wurde ab— 
gelehnt, aber aus der Begründung und den Verhand— 
lungen geht hervor, daß an eine Milderung des Ge— 


248 


ſetzes, an eine Geldſtrafe, gar nicht gedacht wurde. 
Will der Geſetzgeber ſchon nach dem ſubſidiären mil⸗ 
deren Geſetze des 5 153 GewO. auf Gefängnisſtrafe 
erkannt wiſſen, ſo kann es nicht in ſeiner Abſicht ge⸗ 
legen haben, bei Anwendung des härteren (primären) 
Geſetzes eine der Strafart nach mildere (Geld)ſtrafe 
als die des 8 153 Gew. zuzulaſſen, und fo auf der 
einen Seite zu geſtatten, was auf der anderen Seite 
verboten iſt. Die Begründung des Entwurfs, daß der 
8 153 GewO. neben anderem zu dem Zwecke geſchaffen 
wurde, um das Zwangsmittel der Beleidigung treffen 
zu können, das bei mangelndem Strafantrag ſtraflos 
hätte angewendet werden können, ſchließt jeden 8 
darüber aus, daß bei Anwendung des § 185 StGB. 
— die öffentliche Klage vorausgeſetzt — auf Be 
ſtrafe nicht erkannt werden darf. Die gegenteilige 
Anſchauung würde zu dem vom Geſetzgeber nicht ge- 
wollten Ergebniſſe führen, daß bei dem gleichen Tat⸗ 
beſtand im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage 
eine Geldſtrafe ausgeſprochen werden könnte, während 
bei Nichterhebung der öffentlichen Klage (z. B. wegen 
mangelnden Strafantrags) wegen Beleidigung auf 
Grund des milderen Geſetzes ($ 153 GewO.) nur eine 
Verurteilung zur Gefängnisſtrafe eintreten könnte. 
Was von 8 185 StGB. gilt von anderen primären 
Geſetzen z. B. $ 240 StGB. Auch aus dieſen Gründen 
darf im Verhältnis zu dem $ 153 GewO. bei An⸗ 
wendung des primären Geſetzes, wenn es neben Ge⸗ 
fängnis⸗ oder Zuchthausſtrafen wahlweiſe Geldſtrafe 
androhen ſollte, auf letztere Strafe nie erkannt werden. 
(Vgl. Finger, Lehrbuch des Deutſchen Strafrechts Bd. J 
8 116 Note 698 S. 540; Meyer, Lehrbuch des Deutſchen 
Strafrechts, 5. Auflage S. 441 und RGsSt. 3, 390). 
Das Reichsgericht hat allerdings ſeinen Standpunkt 
wieder verlaſſen (ſ. NGSt. 24, 58); immerhin hat es 
in dem letzteren Urteile die durch dieſe Auffaſſung 
zutage tretenden unbefriedigenden Ergebniſſe nicht ver⸗ 
kannt und durch praktiſche Winke mit dem Rechts⸗ 
empfinden auszugleichen verſucht. 

e) Nach alledem haben ſich die Tatrichter bei jeder 
im Hinblick auf die 88 152, 153 GewO. erhobenen 
Anklage die Frage vorzulegen, ob der Sachverhalt 
unter ein Strafgeſetz fällt, nach dem eine härtere Be⸗ 
ſtrafung eintritt. Wird ſie bejaht, ſo iſt dieſes Straf— 
geſetz ausſchließlich anzuwenden und nach ihm iſt die 
Strafe zu bemeſſen; ſie darf nur nicht auf Geldſtrafe 
lauten. (Urt. vom 21. Januar 1911, Rev.⸗Reg. 632/10). 

2196 Ed. 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Juhalt des Schuldverhältnifſes. Nicht ernſtlich 
gemeinte Willenserklärung (88 241, 305, 118 BGB.). 
Der Kläger, ein Wirt, und der Beklagte, ein Flaſchen⸗ 
bierhändler, lebten ſeit Jahren in Feindſchaft; nach 
der Erledigung einer Beleidigungsſache vor Gericht 
kamen ſie mit anderen Gemeindeangehörigen in einer 
Wirtſchaft zuſammen; der Bürgermeiſter ſuchte ſie zu 
verſöhnen und den Beklagten zur Aufgabe des 
Flaſchenbierhandels, der Urſache des Unfriedens war, 
zu bewegen. Der Beklagte ſicherte dies für die Zeit 
von Neujahr 1909 ab zu und fügte auf die Bedenken 
des Klägers, er werde, wie ſchon öfter, ſein Ver— 
ſprechen und ſein Ehrenwort doch wieder nicht halten, 
die Aeußerung bei: „Wenn es nicht wahr iſt, zahle 
ich Dir 1000 1“. Da der Beklagte den Flaſchenbier— 
handel fortbetrieb, belangte ihn der Kläger auf 
Zahlung von 1000 M. Das Landgericht verurteilte 
ihn zur Zahlung der Vertraasſtrafe in dem herab— 
geſetzten Betrage von 100 M. Die Berufung des 
Klägers wurde zurückgewieſen und auf die Berufung 
des Beklagten hin das Urteil aufgehoben und die 
Klage abgewieſen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


Aus den Gründen: Nach dem Beweisergebniſſe 
handelte es fi bei dem Wirtshausgeſpräche der 
Parteien offenbar nicht darum, Streitpunkte bürgerlich⸗ 
rechtlicher Art auszugleichen und beſtimmte Anſprüche 
der einen Partei gegen die andere zu ne oder 
feſtzulegen, ſondern darum, eine nachhaltige Aus- 
ſöhnung der Streitsteile zu bewirken und den gefähr⸗ 
deten Frieden in der Gemeinde zu ſichern. Es mag 
gewiß fein, daß es allen Ernſt mit der Ausföhnung 
war und daß der Beklagte auch die Einſtellung ſeines 
Flaſchenbierhandels in Ausſicht ſtellte. Allein weder 
die Parteien noch die ſonſtigen Anweſenden dachten 
daran, daß zwiſchen erſteren ein ſörmliches Schuld⸗ 
verhältnis mit gegenſeitigen Rechten und Pflichten 
geſchaffen werden ſolle und der Beklagte vom Kläger 
zur Einſtellung ſeines Flaſchenbiergeſchäftes ange⸗ 
halten werden könne. Dem Kläger ſtand weder ein 
geſetzlicher noch ein vertragsmäßiger Anſpruch auf 
Einſchränkung der freien Gewerbeausübung des Be- 
klagten zu, letzterer wollte ſich nur des Friedens 
halber zur Unterlaſſung ſeines Flaſchenbierhandels 
freiwillig und einſeitig herbeilaſſen. Der Kläger ſelbſt 
dachte nicht an die Möglichkeit der Erzwingung 
dieſer Unterlaſſung und ſtrebte ſie auch gar nicht an: 
dies beweiſt ſein Zweifel an dem Verſprechen und 
dem Ehrenwort des Beklagten. In der Aeußerung 
des letzteren, „wenn es nicht wahr ſei, zahle er 
1000 M“, liegt nur eine in ſolchen Kreiſen übliche 
derbe Bekräftigung ſeines Verſprechens über ſein 


künftiges Verhalten im Intereſſe des Friedens, nicht 


aber die bindende Vereinbarung einer Bertragsitrafe 
oder einer ſelbſtändigen Strafabrede; dies war aus 
den Umſtänden, beſonders aus den Vermögens 
verhältniſſen des Beklagten erkennbar. Die Parteien 
wollten nicht ein Schuldverhältnis mit Rechten und 
Pflichten begründen, ſie wollten nicht einen Vertrag 
miteinander ſchließen. Die Willenserklärungen des 
Beklagten waren nicht ernſtlich im Sinne einer recht⸗ 
lichen vertragsmäßigen Bindung gemeint, ſie waren 
auch in der für jedermann erkennbaren Erwartung 
abgegeben, der Mangel der Ernſtlichkeit in dieſem 
Sinne werde nicht verkannt werden, ſie waren daher 
nichtig und konnten Rechtsanſprüche 25 an 
(SS 241, 305, 145 ff., 339 ff., 343 Abſ. 2 en 

BGB.). (urteil vom 10. Ottober 1910, a 9 5 410 

2144 r. 


Landgericht Nürnberg. 


Verpflichtung zur et ng im Widerſpruchs⸗ 
prozeſſe nach 5 93 ZPO., wenn die beſſeren Rechte des 
Widerſpruchsklägers nur dem Gerichte gegenüber zum 
Zwecke der Einſtellung der Zwangs vollſtreckung glanb- 

aft gemacht werden. Das Amtsgericht hatte der 

iderſpruchsbeklagten, die nach der Zuſtellung der 
Klage die gepfändeten Gegenſtände freigegeben hatte, 
die Koſten des Rechtsſtreites überbürdet, weil die Bes 
klagte aus dem vor der Erhebung der Widerſpruchs⸗ 
klage ihr zugeſtellten Einſtellungsbeſchluß des Voll— 


ſtreckungsgerichts habe entnehmen müſſen, daß die 
Klägerin ihr Eigentumsrecht durch eine Rechnung des 


Möbelhändlers glaubhaft gemacht habe; wenn trotz— 
dem die Beklagte es auf die Klage habe ankommen 
laſſen, ohne ſich weiter über die Sachlage zu unter— 
richten, ſo habe ſie die Klage veranlaßt und ſei koſten⸗ 


pflichtig. Dieſe Entſcheidung wurde vom LG. auf— 
gehoben. 
Gründe: Die erkennende Kammer hat wieder⸗ 


holt entſchieden, 
der herrſchenden Anſicht 


daß der Intervenient der ihm nach 
obliegenden Pflicht der 


Glaubhaftmachung regelmäßig nur genügt, wenn er 
die zur Beſcheinigung ſeiner beſſeren Rechte dienenden 


Urkunden dem Pfändungsgläubiger unmittelbar vor— 


legt, und daß ſich der Gläubiger mit der Verweiſung 


Beitfeprift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11, 


auf den gerichtlichen Einſtellungsbeſchluß umſoweniger 
zu begnügen braucht, als ſolche einſtweilige An⸗ 
ordnungen häufig auf eine geringere Glaubhaftmachung 
hin ergehen, als ſie der Gläubiger verlangen kann, 
der ſein Pfändungspfandrecht endgültig aufgeben ſoll. 
Dieſe Grundſätze ſind auch hier anzuwenden. Die 
Beweiserhebung hat ergeben, daß die Klägerin dem 
Vertreter der Beklagten die Urkunde vom 4. Oktober 
1905 nicht vorgezeigt hat. Der unbeeidigt vernommene 
Ehemann der Klägerin hat zwar angegeben, daß er 
die Urkunde den Angeſtellten des Rechtsanwalts N. 
vorgelegt habe. Die unſicheren Angaben dieſes Zeugen 
werden widerlegt durch die der Zeugen, die bekundet 
haben, daß der Ehemann ihnen keine Rechnung vor⸗ 
gezeigt, ſondern erklärt hat, dieſe liege beim Amts⸗ 
gericht. Bei dieſer Sachlage kann die Beklagte der 
Vorwurf nicht treffen, daß ſie durch ihr Verhalten 
die Erhebung der Widerſpruchsklage veranlaßt habe. 
(Beſchluß vom 5. Mai 1911). T. 
2243 


Landgericht Schweinfurt. 


Kann ein Rechtsanwalt im e 
fahren als Vertreter des zu Entmündigenden auftreten, 
der nach z 1906 BGB. unter vorläufige Vormundſchaft 
geſtellt wurde? Der Privatier T., gegen den das Ent⸗ 
mündigungsverfahren wegen Geiſteskrankheit ein⸗ 
geleitet war und für den das Vormundſchaftsgericht 
gemäß $ 1906 einen Vormund beſtellt hatte, hat einem 
Rechtsanwalt ſchriftliche Prozeßvollmacht erteilt. Auf 
Grund dieſer Vollmacht hat dieſer beantragt ihn im 
Entmündigungsverfahren als Vertreter des T. zuzu- 
laſſen und ihm die Akteneinſicht zu gewähren. Das 
AG. hat den Antrag zurückgewieſen. Auf Beſchwerde 
hat das LG. den Beſchluß aufgehoben und das AG. 
angewieſen anderweit über den Antrag zu befinden. 

Gründe. Das AG. geht davon aus, daß T. 
durch die Einleitung der vorläufigen Vormundſchaft 
mit dem Zeitpunkt der Beſtellung des Vormunds be- 
ſchränkt geſchäftsfähig geworden ſei und deshalb 
ohne Einwilligung des Vormundes wirkſam keine 
Vollmacht mehr habe ausſtellen können. Dem Erſt⸗ 
richter iſt darin beizupflichten, daß T. ein zivilrechtlich 
wirlſames Vollmachtsverhältnis ohne Mitwirkung 
ſeines Vormundes nicht mehr begründen konnte. Mit 
der Stellung unter vorläufige Vormundſchaft wurde 
T. nach SS 114, 107, 108 BGB. in der Geſchäfts⸗ 
fähigkeit beſchränkt. Die Beſchränkung trat mit der 
Beſtellung des Vormundes ein. § 52 GF. Er konnte 
alſo ohne Einwilligung ſeines geſetzlichen Vertreters 
auch keinen Prozeß bevollmächtigten mehr ernennen, 
er wurde ſelbſt prozeßunfähig. ($ 52 ZPO.). Für 
das Entmündigungsverfahren iſt eine Ausnahme von 
dieſen allgemeinen Beſtimmungen nicht getroffen. Allein 
das ſchließt nicht aus, daß T. tatſächlich einen anderen 
dafür gewann, ihm in dem Entmündigungsverfahren 
als Beiſtand ſeine Dienſte zu widmen. Der andere 
leiſtet eben dieſe Dienſte auf die Gefahr hin, daß er 
wegen des Mangels rechtlicher Geltung des zugrunde— 
liegenden Vertrags für ſeine Bemühungen kein Ent— 


gelt verlangen kann. Wie es dem zu Entmündigenden 


gestattet fein muß, ſich ſelbſt gegen den in dem Ent— 
mündigungsantrag enthaltenen Angriff auf ſeine recht⸗ 
liche Selbſtändigkeit zu verteidigen, ſo muß er das 
auch durch Perſonen ſeines Vertrauens tun können. 
Und in dieſer Hinſicht hat die Vollmacht Bedeutung. 
Sie drückt das tatſächliche Verhältnis aus, daß 
T. für das Entmündigungs verfahren dem Anwalt die 
Wahrung ſeiner Rechte anvertraut hat. Damit iſt der 
Rechtsanwalt für die Zwecke des Entmündigungsver— 
fahrens genügend legitimiert und zu dem Verfahren 
beizuziehen, ſoweit es geſetzlich zuläſſig iſt. 


— 


— —— ᷓ fuä— — — . — — — — 
— ô—— 


249 


Die Meinungen darüber, inwieweit einem ſolchen 
Beiſtand des zu . das Recht auf Akten⸗ 
einſicht und Anweſenheit bei deu Beweisterminen zu 
geſtatten iſt, gehen auseinander. Gaupp⸗Stein (ZPO. 
Abſ. II zu 8 653) und Neukamp (ZPO. Abſ. 2 d) geben 
Be auf die Auffaſſung der geſetzgebenden Faktoren 

ei der Beratung der Zivilprozeßnovelle von 1898 
(KommBer. S. 164) dem zu Entmündigenden, feinem 
Bevollmächtigten oder Beiſtand ein Recht hierauf. 
Andere vertreten den Standpunkt, daß für ein ſolches 
Recht die genügenden Unterlagen im Geſetz mangeln 
(vgl. Seuffert, ZPO. 8 653 Abſ. 3; Peterſen, ZBO. 
8 653). Allein auch fie geben der Anſicht Ausdruck, 
daß das Gericht jedenfalls die Akteneinſicht und die 
Teilnahme an den Beweisterminen geſtatten kann, 
und bezeichnen insbeſondere die Beiziehung des be⸗ 
vollmächtigten Anwalts gewiſſermaßen als die Regel, 
von der nur aus beſonderen Gründen abzugehen ſein 
wird (vgl. insbeſ. Seuffert a. a. O.). Das Beſchwerde⸗ 
gericht hat ſich der letzteren Meinung angeſchloſſen. 
Das LG. kann z. Z. nicht beurteilen, ob Gründe vor⸗ 
liegen, welche gegen die Beiziehung des Beiſtandes 
ſprechen. Hiernach war das Amtsgericht anzuweiſen, 
anderweit über den Antrag zu befinden. (Beſchluß 
vom 9. Juli 1910, BeſchwReg. ID 392/10). Bl. 

1 


Literatur. 


Dr. Glaudins Freiherr von Schwerin, Schuld und 
Haftung im geltenden Recht. 43 S. München 
un 150 1911, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 


Die Schuld iſt das Bekommenſollen des Gläubi⸗ 
gers, dem regelmäßig, aber nicht notwendig, ein 
Leiſtenſollen des Schuldners gegenüberſteht. Die 
Haftung iſt das Einſtehenmüſſen, ſie hat den Zweck, 
dem Gläubiger Genugtuung wegen Nichterfüllung der 
Schuld zu verſchaffen, indem ſie ihm eine Zugriffs⸗ 
macht gegen Sachen (Sachhaftung) oder gegen die 
Perſon (Perſonenhaftung, in abgeſchwächter Form 
Vermögenshaftung) gewährt. Dieſer Zugriffsmacht 
entſpricht ſchon vor dem Zugriff eine Gebundenheit 
des Haftungsobjekts. Die Haftung ſetzt alſo zwar 
immer eine Schuld voraus, die auch eine künftige 
Schuld ſein kann; dagegen ſetzt nicht auch umgekehrt 
die Schuld eine Haftung voraus; es gibt Schulden 
ohne Haftung. 

Dieſe Scheidung von Schuld und Haftung iſt, ſeit 
v. Amira fie für das nordgermaniſche Obligationen- 
recht erwieſen und durchgeführt hat, auch für andere 
Rechtsgebiete unterſucht und weiter in den Einzelheiten 
verfolgt worden. Den Hauptanteil an dieſer Arbeit 
haben Germaniſten gehabt (Puntſchart, v. Schwind, 
Egger, Gierke, neueſtens auch Herbert Meyer), und 
daher kommt wohl das heute noch anzutreffende Miß— 
verſtändnis, als ob die ganze auf der Unterſcheidung 
aufgebaute Theorie eine ſpezifiſch germaniſtiſche ſei. 
Freilich hätte ſchon die Beachtung des von Brinz vor 
Jahrzehnten unternommenen eigenartigen Verſuchs 
einer Scheidung von Schuld und Haftung für das 
römiſche Recht von dieſer Meinung abhalten können, 
die neuerdings durch die Unterſuchungen von Partſch 
über das griechiſche Bürgſchaftsrecht vollends als irrig 
ſich erwieſen hat. Das Problem beanſprucht aber 
noch weiter nicht nur für die Vergangenheit Beach— 
tung, ſondern hat ſeine volle Bedeutung auch für das 
Recht der Gegenwart, inſonderheit auch für das Recht 
des BGB., fu wenig auch feine Verfaſſer ſich deſſen 
deutlich bewußt waren. Auch dies iſt in den letzten 
Jahren ſchon in verſchiedenen Arbeiten teils ange— 
deutet, teils weiter ausgeführt worden, erfreut ſich 
aber immer noch keiner allgemeinen Anerkennung. 


Jetzt faßt v. Schwerin in feiner aus einem Vor⸗ 
trag entſtandenen, klaren und leicht lesbaren Schrift 
die Ergebniſſe dieſer Unterſuchungen für das geltende 
Recht zuſammen, indem er gleichſam ein kleines Syſtem 
gibt, das auf den Grundbegriffen der Schuld und der 
Haftung aufgebaut iſt. Seine Grundauffaſſung iſt im 
weſentlichen die v. Amiras. Zu den einzelnen zweifel⸗ 
haften Fragen nimmt er regelmäßig beſtimmt Stellung, 
ohne natürlich in dieſem engen Rahmen eine ſehr 
eingehende Begründung geben und mit jeder ab⸗ 
weichenden Anſicht fi. auseinanderſetzen zu können. 
Von beſonderem Intereſſe iſt die Auffaſſung der 
Grundſchuld: ſie iſt eine Schuld, nämlich ein Be⸗ 
kommenſollen des Gläubigers (ſog. Gläubigerſchuld), 
mit reiner Sachhaftung. Ebenſo ſind die Rentenſchuld 
und die Reallaſt bloße Gläubigerſchulden, hinter denen 
eine Sachhaftung ſteht. v. Schwerins Schrift iſt 
namentlich denen, die von der ganzen Unterſcheidung 
von Schuld und Haftung noch nichts wiſſen oder ſie für 
elne Spezialangelegenheit der Rechtshiſtoriker oder 
für eine wertloſe theoretiſche Spielerei halten, ange⸗ 
legentlich zu empfehlen. E. R. 


Simcon, Dr. P., Kammergerichtsrat. Die löſchungs⸗ 
pflichtige Cigentümergrundſchuld. Ein 
Beitrag zur Auslegung des 8 1179 BGB. 64 S. 
. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. 

1.25. 

Die Schrift gibt den Inhalteines in der Juriſt. Gefell- 
ſchaft zu Berlin gehaltenen Vortrags wieder. Sie be— 
handelt zunächſt an der Hand praktiſcher Beiſpiele in 
feſſelnder Weiſe das Eigentümergrundpfandrecht, legt 
dar, welche Schwierigkeiten rechtlicher und tatſächlicher 
Art die vom BGB. in übertriebener Weiſe ausgebildete 
Rechtsform bietet und wie weit 8 1179 BGB. dem 
dinglich Berechtigten die Möglichkeit gewährt, ſich gegen 
die ihm nachteilige Eigentümergrundſchuld zu ſchützen. 
Zutreffend bekämpft der Verfaſſer die Anſicht, daß 
§ 1179 ein Mittel biete, um die Entſtehung der Eigen 
tümergrundſchuld mit dinglicher Kraft auszuſchließen, in⸗ 
dem er ſich in überzeugender Weiſe auf die Entſtehungs- 
geſchichte dieſer Geſetzesſtelle beruft. Hiernach entbehrt 
alſo auch die hin und wieder in der Praxis auftretende 
Meinung, daß eine Hypothek, die löſchen zu laſſen 
ſich der Eigentümer des Grundſtücks nach Maßgabe 
des § 1179 verpflichtet hat, ohne Zuſtimmung oder 
Antrag des Eigentümers gelöſcht werden könne, der 
rechtlichen Unterlage. Der Verfaſſer hebt hervor, daß 
nicht einmal für altrechtliche Hypotheken durch Landes— 
recht beſtimmt werden kann, daß die Eigentümergrund— 
ſchuld ausgeſchloſſen bleibe, und daß nur auf Grund des 
Art. 167 EG. z. BGB. (nicht Art. 107, Druckfehler) 
eine Ausnahme für die Satzungen der landſchaftlichen 
oder ritterſchaftlichen Kreditanſtalten anzuerkennen 
iſt. Im Anſchluſſe hieran äußert ſich der Verfaſſer 
über den Begriff der in $ 1179 vorgeſehenen Vor— 
merkung, der er eine Wirkung nur dann zuſpricht, wenn 
eine 
gefunden hat und dadurch zur Durchführung des vor— 
gemerkten Anſpruchs die Mitwirkung einer dritten 
Perſon notwendig geworden iſt; eingehend erörtert 
er für den nicht zutreffenden Fall das zwiſchen den 
urſprünglich Beteiligten beſtehende, ausſchließlich nach 
Schuldrecht zu beurteilende Rechtsverhältnis. 

Von beſonderem Intereſſe ſind die Ausführungen 
über die Rechtslage bei einem Wechſel in der Perſon 
des Hypothekars, des Vormerkungsgläubigers und des 
Grundſtückseigentümers; mit beachtenswerten, wenn 
auch nicht durchſchlagenden Gründen tritt der Ver— 


ZBleetſchrift für Rechtspflege in Bahern. 1911. Nr. 11. 


. ̃ ͤ— —T—xñ—— T— —— a 


Verfügung des Anſpruchsverpflichteten ſtatt⸗ 


faſſer dabei der herrſchenden Meinung entgegen, daß; 


der Rechtsnachfolger des Eigentümers auf Grund der 
Vormerkung verpflichtet ſei, die Zuſtimmung zur 
Löſchung der Hypothek zu geben; er will dies nur 
dann gelten laſſen, wenn der frühere Eigentümer mit 


dem Grundſtück zugleich auf die von ihm erworbene, 


Eigentümergrundſchuld auf den neuen Eigentümer 


übertragen hat. In den letzten Abſchnitten erörtert 
der Verfaſſer die Wirkung der Löſchungsvormerkung 
im Zwangsverſteigerungs verfahren, im Konkurſe und 
gegenüber der Gläubigeranfechtung. So bedeutet die 
anregend geſchriebene, den Stoff vollſtändig beherr⸗ 
chende Abhandlung eine weſentliche Bereicherung 
er an ſich noch ſpärlichen Literatur über die rechtliche 
Bedeutung des § 1179, die in zahlreichen Fällen ſchon 


Gegenſtand der oberftrihterlichen Rechtſprechung war. 
München. Schmitt, Oberſtlandesgerichtsrat. 


n Sigmund, Rechtsanwalt und Juftigrat in 
Nürnberg. Zuwachs ſteuergeſetz ae 14. es 
bruar 1911. 282 S. München 1911, C. H. Beck ſche 
Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck. Geb. Mk. 3.50. 

In Merzbacher tritt ein vorzüglicher Führer durch 
die beſonderen Schwierigkeiten des Zuwachsſteuer⸗ 
geſetzes auf den Plan. Er gibt in der Einleitung einen 
geſchichtlichen Rückblick und einen Ueberblick über das 

Geſetz (S. VIII X). Dann kommentiert er das Ge⸗ 

ſetz auf S. 1—174. Die Ausgabe iſt für die Praxis 

des täglichen Lebens berechnet. Sie iſt juriſtiſch zu⸗ 
verläſſig und dabei gemeinverſtändlich gehalten. 

Merzbacher verwertet auch hier die auf verwandten 

Gebieten bisher gewonnenen Ergebniſſe der Rechtslehre 

und Rechtſprechung, insbeſondere die Praxis des 

preußiſchen Stempelſteuer⸗ und Kommunalabgaben⸗ 
geſetzes, der preußiſchen und der bayeriſchen Geſetze 
über die direkten Steuern. In den Anmerkungen zu 
den einzelnen Geſetzesbeſtimmungen finden ſich fort⸗ 
geſetzt und in reichem Maße praktiſche, rechneriſche 

Beiſpiele, größere daneben noch im Anhang. Dieſer 

bietet außerdem Tabellen zur Umrechnung der alten 

Flächenmaße, ferner zu den Steuerſätzen des § 28, 

weiter aus dem Reichsſtempelgeſetz vom 15. Juli 1909 

den Abſchnitt IX (88 78--90) nebſt Tarif Nr. 11. 

Von beſonderem Werte iſt der Abdruck der Aus⸗ 

führungsbeſtimmungen des Bundesrats vom 27. März 

1911 (S. 187 —260). Ein alphabetiſches Sachregiſter 

erleichtert die Benutzung des Bandes. 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel 


Schmitt, Wilhelm, Aſſiſtent am Kgl. Amtsgerichte 
Schweinfurt. Juſtizdienſtliches Handlexikon 
für das Königreich Bayern. 100 S. Schweinfurt 
1911, Selbſtverlag. Mk. 2.40, geb. Mk. 3.30. 

Der Verfaſſer glaubt mit der Herausgabe dieſes 
Handlexikons „einen oft gefühlten Mangel“ zu beheben, 
wir können aber dieſen Glauben leider nicht teilen, 
ſind vielmehr der Meinung, es wäre dem Verfaſſer 
beſſer geweſen, er hätte fein „urſprünglich zum perſön⸗ 
lichen Gebrauch“ beſtimmtes Werk auch ſerner für ſich 
behalten. Von Glock-Schiedermair ſcheint der Ver⸗ 
faſſer noch nichts gehört zu haben, ſo hat er denn 
ein Nachſchlageregiſter zuſammengeſtellt, in dem er 
— die alphabetiſche Reihenfolge muß den Mangel 
jeglicher Vollſtäͤndigkeit und jeglichen Syſtems ver: 
decken — ohne Wahl Juſtizdienſtliches und Nichtjuſtiz⸗ 
dienſtliches fröhlich durcheinander mengt. Der a 
ſtabe S beginnt z. B. folgendermaßen: f. — ſiehe. 

— Seite: Silber; Süd. 8. = Süden. Sa Summa alf 

Natürlich mangelt es auch nicht an Schnitzern aller 

Art: a. t. lat. a tempore, im Tempo; oder D. N. G. M. 

— Deutſcher Reichsgeſetz⸗Muſterſchutz uff. F. 


Yblagger, Ludwig, Kgl. Rentamtmann in Eichſtätt. 
Geſetz, die Fortſetzung der Grundentlaſtung 
betreffend, vom 2. Februar 1898 mit den No— 
vellen, den wichtigſten Miniſterialbekanntmachungen 
und Entſchließungen und oberrichterlichen Entſchei— 
dungen. 2. verbeſſerte und ergänzte Auflage. XL 
131 S. München und Berlin 1911, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 2.50. 

Das Grundentlaſtungsgeſetz, einer der wichtigſten 

Beſtandteile der bayeriſchen Agrargeſetzgebung, erſcheint 


in Schweitzers blauen Textausgaben nunmehr in 
2. Auflage. Die Anmerkungen ſind kurz und knapp, 
aber vollſtändig ausreichend, die Rechtſprechung iſt 
eingehend berückſichtigt. Wünſchenswert wäre bei einem 
Geſetz mit ſo langer und intereſſanter Geſchichte eine 
ausführlichere hiſtoriſche Einleitung — vielleicht kann 
dieſem Bedürfnis bei Gelegenheit einer weiteren Auf⸗ 
lage Rechnung getragen werden. F. 


Kaufmann, E., Juſtizrat, Rechtsanwalt in Magdeburg. 
Handelsrechtliche Rechtſprechung. Unter 
Mitwirkung des Landrichters Dr. Löwenthal zu 
Magdeburg. Elftes Bändchen (Rechtſprechung und 
Literatur des Jahres 1910). VIII, 675 S. Hannover 
ns Helwingſche Verlagsbuchhandlung. Gebd. 


Der 11. Band von Kaufmanns bewährter handels⸗ | 


rechtlicher Rechtſprechung, der die Judikatur des Jahres 


1910 umfaßt, reiht ſich ſeinen Vorgängern würdig an. 


Es iſt erſtaunlich, mit welcher Genauigkeit und Zu⸗ 
verläſſigkeit hier alles zuſammengetragen iſt, was aus 
der Rechtſprechung des vergangenen Jahres die Be— 
achtung weiterer Kreiſe verdient. Neu hinzugekommen 
ſind die Entſcheidungen zum Kunſtſchutz⸗w und lite⸗ 
rariſchen Urhebergeſetz, ſodaß jetzt eine beinahe lücken⸗ 
loſe Ueberſicht über das große Gebiet des Urheber⸗ 


und Erfinderrechts geboten wird. Das Geſchick der 


Herausgeber Typiſches herauszuheben und mit kurzen 
Worten die leitenden Gedanken der Begründung einer 
Entſcheidung wiederzugeben, ſichert dem Werk auch die 
Beachtung derer, die die weitverbreitete Wertſchätzung 
ſolcher Sammlungen nicht teilen. 
iſt beſſer, das Format größer und die Druckanordnung 
uͤberſichtlicher geworden. Zeige 


Stengleins Kommentar zu den ſtrafrechtlichen Neben⸗ 
geſetzen des Deutſchen Reichs. Vierte Auflage, völlig 


neu bearbeitet von Ludwig Ebermayer, Reichsgerichts⸗ 


rat, Franz Galli, Reichsgerichtsrat a. D., Georg 
Lindenberg, Geh. Oberjuſtizrat, Senatspräſident beim 
Kammergericht. Berlin, Otto Liebmann. 


Mit der ſechſten Lieferung (Preis 3.50 Mk.) iſt 
nunmehr der 1. Band dieſer ſchätzens werten Samm⸗ 
lung abgeſchloſſen, über deren Forſchreiten wir in 
Jahrg. 1910 S. 413 berichtet haben. Der Geſamtpreis 
des 1. Bandes beträgt broſchiert Mk. 29.00, gebunden 
Mk. 31.75. 

Die letzte Lieferung enthält an neueren Geſetzen 
insbeſondere das Geſetz gegen den unlauteren Wett— 
bewerb vom 7. Juni 1909 (erläutert von Reichsgerichts 
rat Ebermayr) und das Stellenvermittlergeſetz vom 
2. Juni 1910 (erläutert von Senatspräſident Linden⸗ 
berg). Durch weiſe Beſchränkung der Erläuterungen 
haben es die Herausgeber erreicht, daß die Sammlung 
ſich immer noch in einem angemeſſenen Umfang hält 
— bei der regen Arbeit der Geſetzgebungsmaſchine ein 
wahres Kunſtſtück, das um ſo ſchwerer zu vollbringen 
war, als bei manchen Geſetzen über den Rahmen des 
Strafrechtlichen hinausgegangen werden und Ausflüge 
in das zivilrechtliche Gebiet gemacht werden mußten 
(ſo z. B. beim Geſetz über die Sicherung der Bau— 
forderungen, beim Unl WG. uſw.). 


— — —ı. 
Moſel, Heinrich v. d., Rechtsanwalt in Kötzſchenbroda, 
Examensfälle mit Löſungen für Studierende 
und Referendare. Nebſt einem Anhang von 


Anträgen, Beſchlüſſen uſw. aus der Praxis. 1. Heft. 
un oenbendg 1910, Selbſtverlag des Verfaſſers. 


Der durch ſeine Löſungen zu Dr. Schücks Zivil— 
rechtspraktikum bekannt gewordene Verfaſſer bringt 


Die Ausſtattung 


beigegeben iſt. Im Anſchluß an die Aufgaben wurden 
im Anhang als Muſterbeiſpiele einige häufiger vor⸗ 
kommende Anträge und Beſchlüſſe zuſammengeſtellt, 
die ausſchließlich das Gebiet der Zwangsvollſtreckung 
betreffen. Daß bei der Literatur vielfach nicht die 
neueſte Auflage berückſichtigt wurde, betrachte ich als 
einen Mangel; im übrigen aber glaube ich, daß das 
Büchlein manchem jungen Juriſten bei der Vorbereitung 
auf die Prüfungen ein willkommenes Hilfsmittel ſein 
wird. Dr. H. Schanz. 


Hoepfel, Fr., ſt. Landgerichtsdirektor. Das Reichs⸗ 
geſetz über den Verkehr mit Kraftfahr⸗ 
zeugen vom 3. Mai 1909. 616 S. Nürnberg und 
Leipzig 1911, U. E. Sebald. Preis geb. Mk. 5.80. 

Hoepfels Kommentar zum Kraftfahrzeuggeſetz iſt 
eine ganz vorzügliche Leiſtung. Die Erläuterungen 
find ebenſo gründlich wie fcharffinnig, man wird nicht 
leicht für eine Frage vergeblich Aufſchluß ſuchen. Be⸗ 
ſonders möchte ich die ausführliche, die geſamte Lite⸗ 
ratur und Rechtſprechung verarbeitende Darſtellung 
des ſehr dornigen Haftpflicht- und Entſchädigungs⸗ 
rechtes hervorheben. Die Vollzugsvorſchriften ſind 

vollſtändig beigegeben. F. 


Notizen. 


Die Behandlung der Begnadigungs⸗ und Strafauf⸗ 
ſchubsſachen wird neu und zuſammenfaſſend geregelt 
durch die Bek. vom 6 Mai 1911 (JM Bl. S. 155 ff.). 
22 ältere Bekanntmachungen und Entſchließungen, 
von denen ein Teil gar nicht in den amtlichen Blättern 
veröffentlicht iſt und die bis in das Jahr 1846 zurück⸗ 
reichen, werden aufgehoben. Der unüberſichtliche Zu- 
ſtand, der von den äußeren Behörden oft ſehr unan» 
genehm empfunden wurde, iſt damit beſeitigt. Die 
Bekanntmachung vereinfacht ferner den Geſchäftsgang, 
vermindert das Schreibwerk und beugt der Ber: 
ſchleppung des Strafvollzugs vor. Bei der Wichtig— 
keit des Gegenſtandes für die Gerichte und die Staats- 
anwaltſchaften werden, wir vorausſichtlich in der 
nächſten Zeit noch eine ausführlichere Darſtellung des 
Verfahrens in Begnadigungs- und Strafaufſchubs— 
ſachen nach den neuen Vorſchriften bringen. 

2245 

Die Verſolgung der Fälſchungen von Nahrungs⸗ 
und Genußmitteln. Eine Bekanntmachung der Mini⸗ 
ſterien der Juſtiz und des Innern vom 15. April 1911 
(JMBl. S. 181) weiſt unter Bezugnahme auf die Er⸗ 
gebniſſe der Kriminalſtatiſtik die Polizeibehörden und 
die Staatsanwaltſchaften auf die Notwendigkeit ener- 
giſchen Vorgehens gegen Fälſchungen hin. Die Ver⸗ 
bredien und Vergehen gegen das Nahr MittelG. und 
die verwandten Geſetze ſind in Bayern ſeit einem 
Jahrzehnt raſch geitiegen; vom Jahre 1898 bis zum 
Jahre 1908 ſind die rechtskräftigen Verurteilungen 
wegen ſolcher ſtrafbarer Handlungen von 326 bis auf 
976 angewachſen. Auch die Zahl der Perſonen, die 
auf Grund der Vorſchriften des Nahr Mittel G. wegen 
Uebertretungen verurteilt werden, iſt im Steigen be— 
griffen: 1898 betrug fie noch 249, 1905 ſchon 624. 
Seitdem iſt allerdings bis 1908 ein Rückgang einge— 
treten, aber im Jahre 1909 wurde wieder die Zahl 
622 erreicht. Seit 1909 werden in der bayeriſchen 
Juſtizſtatiſtik auch die Uebertretungen des Margarine— 
geſetzes, des Weingeſetzes uſw geſondert nachgewieſen. 
Es wurden im Jahre 1909 167 Perſonen wegen ſolcher 
Uebertretungen verurteilt. 

Die Bekanntmachung gibt auch Anleitungen zu 
der Auswahl der Sachverſtändigen — außer den Amts— 


hier vier lehrreiche Rechtsfälle aus dem Zivil- und ärzten und den Beamten der öffentlichen Unterſuchungs— 
Strafrechte, denen jeweils eine ausführliche Löfung, anſtalten ſollen auch Herſteller und Handeltreibende 
bei den erſten drei Aufgaben auch ein Urteilsentwurf gehört werden, wenn es die Sachlage fordert; die 


252 


Handelskammern, die Handwerkskammern und bie 
Vereinigungen für Weinbau und Weinhandel ſollen 
die geeigneten Perſonen vorſchlagen — ſie empfiehlt 
auch raſche Durchführung der Strafverfahren und 
ſorgfältige Behandlung beſchlagnahmter Nahrungs⸗ 
und Genußmittel. 

2246 


Die Mitteilung gerichtlicher Akten an die Bor⸗ 
ſtände der Auwaltskammern. Eine Bek. vom 8. Mai 
1911 (JMBl. S. 193) verweiſt in Abf. 1 darauf, daß 
im ehrengerichtlichen Verfahren nach §8 62 ff. RAO. 
für die Ueberſendung gerichtlicher Akten an den Vor⸗ 
ſtand der Anwaltskammer die Vorſchriften der StPO. 
maßgebend find (vgl. 8 66 RA., wonach auf das 
ehrengerichtliche Verfahren im allgemeinen die Bor: 
ſchriften der StPO. über das Verfahren in den zur 
Zuſtändigkeit der Landgerichte gehörenden Strafſachen 
entſprechende Anwendung finden). Nach 8 96 der 
StPO. darf die Vorlegung oder Auslieferung von 
Akten durch Behörden dann nicht gefordert werden, 
wenn die oberſte Dienſtbehörde erklärt, daß das Be⸗ 
kanntwerden ihres Inhalts dem Wohle des Reichs 
oder eines Bundesſtaates Nachteil bereiten würde. 
Sollte alſo der Inhalt geforderter Akten Anlaß zu 
Bedenken gegen die Abgabe bieten, ſo werden die 
Gerichte zunächſt der vorgeſetzten Stelle zu berichten 
haben. Das wird wohl nur in ſeltenen Ausnahme⸗ 
fällen nötig ſein. 

Der Abſ. 2 der Bel. vom 8. Mai 1911 regelt 
den Fall, daß der Vorſtand der Anwaltskammer um 
die Ueberſendung gerichtlicher Akten erſucht, deren er 
zur Ausübung der Aufſicht oder bei ſeiner ver⸗ 
mittelnden Tätigkeit oder zu der Abgabe eines Gut⸗ 
achtens bedarf (8 49 der RAD) Solchen Erſuchen 
ſollen die Juſtizbehörden ſtattgeben. 

24 


Sprachecke 
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins. 


Vom Datum. Seit Wuſtmann es als ein Zeichen 
der immer mehr zunehmenden Verrohung des Sprach— 
gefühls und als einen abſcheulichen Fehler gebrand— 
markt hat, daß man immer „am Donnerstag, den 
13. Auguſt“ ſchreibe, ſeitdem meinen viele Deutſche 
wirklich, nicht mehr ſo ſchreiben zu dürfen, und immer 
mehr andere bitten den „Sprachverein“ um ein Gut— 
achten. Nun, wie an vielen anderen Stellen hat auch 
hier Wuſtmann über die Schnur gehauen. Und ſelt— 
ſam: eigentlich gibt er in dem, wovon er ausgeht, 
den Grund an, weshalb der „Fehler“ eigentlich gar 
kein Fehler iſt. Er ſagt nämlich, jede von beiden 
Fügungen für ſich allein ſei richtig; nur beide zuſammen— 
zukoppeln, ſei greulich. Dieſe ſeine Folgerung aber 
iſt falſch; denn es iſt weder greulich noch abſcheulich, 
ſo zu ſchreiben. Zwar wenn man keinen Beiſtrich, kein 
Komma zwiſchen die beiden Zeitangaben ſetzt, wenn 
man alſo ſchreibt „am Donnerstag den 13. Auguſt', 
dann macht man einen böſen Verſtoß gegen das Sprach— 


gefühl; denn das Komma iſt hier vor „den“ unbedingt 


nötig, weil eben zwei Fügungen gleicher Bedeutung, 
aber ganz verſchiedener Art nebeneinander ſtehen. 
Steht aber der Beiſtrich, dann iſt alles richtig: nicht 
das Wort „Donnerstag“ allein, das im Wemfall ſteht, 
wird durch den Beiſatz erklärt und ergänzt, ſondern 
die ganze Fügung „am Donnerstag“ erhält einen Bei— 
ſatz, und der kann ſeine feſte Form ruhig behalten. 
Es ſtehen hier eben zwei feſte Formeln nebeneinander, 
getrennt durch eine deutlich hörbare Pauſe, die einem 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. 


„nämlich“ entſpricht, das man in Gedanken beifügt; 
eine Pauſe, die alſo in Schrift und Druck durch das 
Komma angedeutet werden muß. Iſt es doch auch 
umgekehrt ſo, denn wer würde Anſtoß nehmen an dem 
Satze „Den 15. Juli, am Sonntag, wird das Feſt fein“ 
oder „Den 2. Auguſt, an einem Freitag, iſt er geftorben”? 
Man ſtellt ja auch andere Fügungen der Zel neben: 
einander und ſagt etwa: „Eines ſchönen Tages, den 
18. April, kam er plötzlich aus Amerika zurück“ oder: 
„Eines ſchönen Tages, am 20. Dezember, war unſer 
Haus ganz eingeſchneit“. Alſo man braucht keinen 
Anſtoß zu nehmen an der loſen Nebeneinanderſtellung 
verſchiedener, aber gleichwertiger Zeitbeſtimmungen. 
Wer es aber doch tut, nun der ſetze auch den Tag in 
den Wenfall und ſage und ſchreibe — wie das auch 
Wuſtmann anrät — „Dienstag, den 4. März“, wenn 
er nicht das von anderen daneben empſohlene, aber 
von Wuſtmann ſpäter als unbeabſichtigte Folgerung 
aus feiner Mahnung abgelehnte „am Dienstag, 
dem 4. März“ anwenden will, das aber hier wieder⸗ 
um manchem gar zu peinlich erſcheint. — Anders 
liegt die Sache bei einigen anderen Verhältniswörtern, 
die wirklich auf die zweite Hälfte dieſer Fügungen 
mit einwirken, in der alſo nicht die einfache Ukkuſativ⸗ 
ügung unverändert bleiben darf. Es muß daher 
heißen: Vom (oder von) Montag, dem 9. d. M., an; 
er wurde zum Dienstag, dem 8. Juni, eingeladen; das 
Feſt dauerte vom Samstag, dem 9., bis zum Dienstag, 
dem 12. März (oder vom Samstag, dem 9., bis Diens⸗ 
tag, den 12. März, da „bis“ allein mit dem Wenfall 
N wird: bis nächſten Monat, bis dieſen Tag 
uſw.). 


Die ... .. ſchen Chelente. In mancher deutſchen 
Gegend, namentlich im Oſten unſeres deutſchen Vater⸗ 
landes, wuchert ein ſchreckliches Unkraut in der Sprache, 
beſonders in der Zeitungs⸗ und in der Amtsſprache. 
Das iſt die falſche Ausdrucksweiſe, durch die man 
Eheleute als Geſamtheit oder Einheit bezeichnen will. 
Da reißt man den Vor- und den Familiennamen des 
Mannes auseinander und ſchiebt den Vor⸗ und den 
Vatersnamen der Frau dazwiſchen, ſchreibt alſo z. B.: 
„die Schneider Auguſt und Anna geb. Schmidt⸗Müller⸗ 
ſchen Eheleute“ und glaubt nun, das ſei deutſch. Oder 
man ſchreibt z. B.: „Die Damenſchneider Reinhold 
Faßbinderſchen Eheleute“ (oder gar falſch mit dem 
Auslaſſungshäkchen „Faßbinder'ſchen“, „Müller'ſchen“ 
uſw., obgleich hier gar nichts ausgelaſſen iſt!). So 
ſpricht aber doch kein Menſch! Folgt man dem allein 
richtigen Grundſatze: Schreibe natürlich, einfach und 
klar, ſo darf ein ſolches Wortungetüm nicht geſchrieben 
werden. Leidet die Deutlichkeit, wenn man ſchreibt, 
wie man ſpricht: der Schneider Auguſt Müller und 
ſeine Frau Anna, geborene Schmidt? Oder wenn man 
auf das Wort Eheleute nicht verzichten will und des: 
halb ſchreibt: die Eheleute Schneider Auguſt Müller 
und Anna, geb. Schmidt? — Geradezu fürchterlich wird 
das Ungeheuer aber, wenn zu dem Vatersnamen des 
Mannes noch ein Zuſatz tritt, wie z. B. junior; dann 
ſchreibt man wahrhaftig: „die Schneider Auguſt und 
Anna geb. Schmidt-Müller juniorſchen Eheleute“, und 
wer das vorlieſt, der muß nach dem Leſen ſeinem 
Schöpfer danken, daß die Zunge nicht zerbrochen iſt. — 
Die Kanzleiſprache iſt ein fruchtbarer Nährboden für 
dieſes Unkraut Laſſen wir es dort verdorren, oder 
beſſer: reißen wir es auch dort mit Stumpf und Stiel 
aus und verwehren ihm vor allen Dingen den Zu— 
gang zu dem ſchönen Garten der reinen deutſchen 
Sprache! 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ir. 12. 


Herausgegeben von 
Th. von der Pfordten 


. Sandgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſtertum der Juſtiz. 


Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 
„ von mindeftens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
5 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und NJ 
Voſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


die Rünchener Mietverträge. 
Von Landgerichtsrat Straub in München. 


Bei dem großen Intereſſe, welches die Frage 
der Rechtsgiltigkeit der nach dem Formulare des 
Münchener Grund: und Hausbeſitzervereins ab⸗ 
geſchloſſenen Mietverträge in weiten Kreiſen der 
Beteiligten erregt hat, dürfen die Ausführungen 
des Herrn OLGR. Mittelſtein in Hamburg in 
den BafRA. Nr. 8/11 nicht unwiderſprochen 
bleiben, da ſonſt die hohe richterliche Stellung 
und die anerkannte wiſſenſchaftliche Bedeutung des 
Verfaſſers zu der Meinung verführen könnten, in 
der Sache ſei nun das letzte Wort geſagt. 

Mittelſtein erblickt mit Recht den Kernpunkt 
der von ihm angegriffenen beiden Münchener 
Urteile darin, daß dieſe es als gegen die guten 
Sitten verſtoßend erachten, 

„wenn ein beſtimmter Intereſſentenkreis, wie 
die Vermieter, ihr regelmäßig vorhandenes wirt⸗ 
ſchaftliches Uebergewicht und den in München 
tatſächlich vorhandenen Wohnungsmangel dazu 
benützen, durch Verwendung eines gleichheitlichen 
Mietvertragsformulars die ſämtlichen in das 
Geſetz zum Schutze der Mieter aufgenommenen 
ſozialpolitiſchen Beſtimmungen durch abweichende 
Vertragsbeſtimmungen wieder aufzuheben.“ 

Nicht gegen einzelne dieſer Formularbeſtim⸗ 
mungen richten ſich alſo die Urteile, ſondern gegen 
deren Geſamtheit, ſoweit dadurch alle zum Schutze 
der Mieter getroffenen geſetzlichen Beſtimmungen 
ſchlechthin und für alle Fälle ausgeſchaltet werden. 

Daß bei dem dispoſitiven Charakter der Be⸗ 
ſtimmungen des BGB. über die Miete und der 
durch dieſes Geſetz grundſätzlich gewährleiſteten 
Vertragsfreiheit eine Rechtsanſchauung, wie ſie 
in den Urteilen vertreten iſt, von Vielen nicht ge⸗ 
teilt wird, iſt ſelbſtverſtändlich, macht aber nicht 
deren ſachliche Widerlegung unnötig. Der einzige 
allgemeine Einwand Mittelſteins, daß die Rechts⸗ 
ane un der Münchener Gerichte folgerecht auch 
auf die zahlloſen anderen Formulare beſtimmter 


München, den 15. Juni 1911. 


7. Jahrg. 


Zeilſchrift für Rechtspflege 


in Super 


erlag von 


2. Shweiker Verlag 


(Arthur Zelier) 
München und Perlin. 


. und Krpeditlon 
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263 


Intereſſentenkreiſe angewendet werden müßte, kann 
als eine ſolche Widerlegung nicht erachtet werden. 
Wenn vielmehr auf dieſe Formulare die gleichen tat⸗ 
ſächlichen Vorausetzungen zutreffen, iſt nicht einzu: 
ſehen, warum nicht die gleichen rechtlichen Folge⸗ 
rungen daraus gezogen werden könnten. Tatſächlich 
iſt dies auch in der Rechtſprechung des Reichsgerichts, 
wie das landgerichtliche Urteil hervorhebt, ſchon 
mehrfach geſchehen, die gegenteilige Annahme 
Mittelſteins iſt ſonach unrichtig. 

Allenfallſige weittragende wirtſchaftliche oder 
ſonſtige Folgen einer derartigen Rechtſprechung 
können und dürfen dieſe nicht verhindern, wenn 
ſie richtig iſt, ſind zudem von den Beteiligten 
durch eine einſeitige Betonung ihrer Intereſſen 
ſelbſt verſchuldet. 

Unrecht wird nicht dadurch Recht, daß es lange 
gedauert hat, und daß ſeine Beſeitigung denen, 


die lange Zeit Vorteile daraus gezogen haben, 


allenfalls ſchweren Schaden zufügen kann. 

Mittelſtein warnt hier vor jeder Ver⸗ 
allgemeinerung. Gerade eine ſolche wollen ja 
die Münchener Urteile verhindern. Wer lange 
als Streitrichter in einer Großſtadt mit Miet⸗ 
ſachen beſchäftigt war, iſt ebenſoweit davon ent⸗ 
fernt in allen Vermietern nur Reiche oder gar 
fog. Wohnungswucherer zu ſehen, als davon, in den 
Mietern immer nur die wirtſchaſtlich Schwächeren 
und Unterdrückten zu erblicken. Mit Recht hat 
ein von Mittelſtein zitiertes anderes Urteil des 
Landgerichtes entſchieden, daß die Vereinbarung 
einer ſog. Wohnungsentſchaädigung allein nicht 
ſchlechthin umſittlich iſt, wenn ſie auch den eigent⸗ 
lichen Streitpunkt bildet, und wenn auch ihre Er⸗ 
findung der Tropfen war, welcher das Gefäß der 
Geduld der Münchener Mieter und vielleicht auch 
der Gerichte zum Ueberlaufen brachte. 

Nicht nur die Beſtimmung über die Miet⸗ 
entſchädigung, ſondern auch manche andere, ja die 
Geſamtheit der hier erörterten Formularbeſtim⸗ 
mungen kann in einzelnen Fällen nicht nur am 
Platze, ſondern unbedingt nötig, ja vielleicht nicht 
einmal genügend ſein, um die Vermieter beſtimmten 


254 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


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Mietern gegenüber vor ſchweren wirtſchaftlichen legung einzelner Formularbeſtimmungen iſt dem 
Schädigungen zu ſchützen. Verfaſſer ein Mißgeſchick widerfahren. Seinen 
Die angegriffenen Urteile verkennen dies auch Ausführungen hat er nämlich offenfichtlich ein 
durchaus nicht, ſondern wenden fi nur dagegen, ganz anderes Mietvertragsformular zugrunde ge: 
daß wahllos und für alle Fälle ſämtlichen, auch legt als die beiden Urteile, die er kritiſiert. Zwar 
den anſtändigen Mietern die Vertragsfreiheit ge: handelt es ſich natürlich nicht um zwei ihrem 
raubt werden ſoll und ſie den Vermietern gegen⸗ weſentlichen Inhalte nach verſchiedene Formulare, 
über ſaſt vollſtändig rechtlos gemacht werden ſondern nur um zwei verſchiedene Ausgaben des 
ſollen, mithin an die Stelle der geſetzlichen Ord- gleichen Formulars mit undeſentlichen redaktio⸗ 
nung, die für normale Fälle in den Beſtim⸗ nellen Aenderungen, die aber eine Verſchiebung 
mungen des BGB. zum Ausdruck gebracht werden der Paragraphennumerierung zur Folge hatten. 
ſollte, die von den Vermietern einſeitig beliebte Wenn deshalb Mittelſtein beanſtandet, daß die 
Betonung ihrer eigenen Intereſſen mit einer Art Anſchauung des Landgerichtes völlig unbegründet 
lokaler Geſetzeswirkung geſetzt werden ſoll. ſei, $ 16 öffne der Chikane durch Hausbeſitzer und 
Die Hauptangriffe Mittelſteins richten ſich Hausmeiſter gegenüber dem Mieter Tür und Tor, 
aber gegen die Auslegung der einzelnen Formular | jo kann ihm darin beigepflichtet werden. Aber 
beſtimmungen und die daraus gezogenen Schluß- nur bezüglich des von ihm wörtlich angeführten 
folgerungen, wobei ſeiner Kritik eine gewiſſe, dei Paragraphen, der in ſeinem Formulare die 
wiſſenſchaftlichen Beſprechungen rechtskräftiger Ur⸗ Ziffer 16 führt. Der § 16 des in den Münchener 
teile ſonſt nicht übliche Schärfe anhaftet. Akten befindlichen Formulars lautet dagegen: 

Er bemängelt zunächſt an dem landgericht⸗ „Die nachſtehende Hausordnung (mit 15 
lichen Urteile das Fehlen eines tieferen Eingehen weiteren Paragraphen) gilt als Beſtandteil des 
auf die tatſächlichen Umſtände des Falls und auf Vertrages und berechtigt die Nichtbeachtung 
die Geſtaltung der Münchener Mietverhältniſſe derſelben nach zweimaliger Mahnung den Ver⸗ 
überhaupt. Dieſe nach ſeiner Anſchauung lücken⸗ mieter zur Kündigung des Vertrages mit 
haften tatſächlichen Feſtſtellungen ſind aber gar dreitägiger Kündigungsfriſt.“ 
nicht im landgerichtlichen, ſondern im amtsgericht⸗ Ob dieſe Beſtimmung wirklich nicht zu Chikanen 
lichen Urteile getroffen und in Erſteres nur über⸗ die Handhabe bieten kann, muß bezweifelt werden, 
nommen. Im Rahmen eines amtsgerichtlichen namentlich da zwiſchen ſchweren und geringfügigen 
Urteils iſt aber doch wohl kein Raum für eine Uebertretungen kein Unterſchied gemacht iſt. Jeden⸗ 
eingehende ſtatiſtiſche Darſtellung der zurzeit oder ſalls müßte dieſer Unterſchied gegenüber dem 
ſeit Jahren in München beſtehenden Wohnungs: Wortlaute erſt von den Gerichten in jedem ein- 
bewegung. Die Feſtſtellung, daß in München zelnen Falle durch einſchränkende Auslegung ge⸗ 
tatſächlich ein Wohnungsmangel vorhanden iſt, macht werden. Wenn ſie ſich aber der weiterhin 
muß vielmehr für jeden Kenner der örtlichen von Mittelſtein vertretenen ſtrengen Auslegung 
Verhältniſſe genügen, iſt auch bisher noch von des $ 416 ZPO. anſchließen, daß jeder das gegen 
keinem ernſtlich beſtritten worden. Ihre Richtig⸗ ſich gelten laſſen muß, was er unterſchreibt, auch 
keit geht ſchon daraus hervor, daß ſonſt nach dem wenn er es nicht geleſen oder nicht verſtanden 
einfachen volkswirtſchaftlichen Satze der Regelung hat, bleibt den Mietern in dieſer Beziehung wenig 
des Preiſes durch das Verhältnis zwiſchen Ange- Hoffnung. 
bot und Nachfrage die Mietpreiſe in München Daß ein von Anfang an nichtiger Vertrag durch 
nicht ſchon ſeit Jahren ſich in ſtetig aufwärts Unterſchrift der Vertragsſchließenden nicht recht⸗ 
ſteigender Bewegung befinden könnten, nicht zum liche Wirkſamkeit erlangt, weil eben Nichtiges gar 
mindeſten aber auch daraus, daß fonſt ſolche Miet- nicht gewollt werden kann, bedarf wohl keiner 
vertragsformulare überhaupt nicht möglich wären. 

Die von Mittelſtein hier und auch ſonſt ver: 
werteten Angaben des Grund- und Hausbeſitzer⸗ 
vereins find rechtlich unerheblich, zudem Be— 
hauptungen am Progzeſſe ſelbſt nicht Beteiligter 
und bedürfen in einem Urteile eines Münchener 
Gerichtes keiner Widerlegung, da die tägliche 


weiteren Ausführung. 

Die von Mittelſtein vorgeſchlagene Auslegung 
des $ 2 Abſ. 3, der in beiden Formularen der 
| gleiche iſt und von der ſog. ſchon beſprochenen 
Wohnungsentſchädigung handelt, ſteht im Gegen: 
ſatze zu der bisher in der Praxis zu Tage ge— 
tretenen Anſchauung vieler Hausbeſitzer. Es ließen 
Praxis lehrt, daß die einzelnen Mitglieder des | ſich zahlreiche Fälle feſtſtellen, in welchen dieſe 
Vereins ganz andere Anſchauungen über die ihnen Entſchädigung verlangt wird, obwohl weder vor 
nach dem Formulare zuſtehenden Rechte vertreten. dem Einzuge noch nach dem Auszuge des Mieters 
Zu Belehrungszwecken für auswärtige Intereſſenten [der Vermieter auch nur die geringſte Aufwendung 
iſt es aber nicht beſtimmt. Hier ſei nur die ein- für die Wohnung gemacht hatte. 
fache Tatſache erwähnt, daß in vielen Papier: Von der jetzt — nach dem Bekanntwerden der 
geſchäften andere Mietvertragsformulare als das beiden Urteile — veröffentlichten. beruhigenden 
hier ſtreitige gar nicht mehr geführt werden. Auslegung des Vereins als ſolchen gilt das be— 

Bei ſeinen weiteren Beanſtandungen der Aus- reits bemerkte; vor Tiſche las man übrigens 


auch dort anders. Was die Hausbeſitzervereine 
anderer Städte vereinbaren oder vereinbart haben 
wollen, iſt für die Beurteilung des Münchener 
Formulars gleichgültig. 

Die in dieſem als Spezialität enthaltene „Woh⸗ 
nungsentſchädigung“ verfolgt, wie Mittelſtein er⸗ 
kennt, allerdings den gleichen Zweck mit, der in 
anderen Städten durch langfriſtige Mietverträge 
erreicht werden ſoll. Sie iſt aber deshalb gewählt, 

weil in der Rechtſprechung die Meinung über: 
wiegt, daß der Abſchluß eines Mietvertrages auf 
beſtimmte Zeit während dieſer dem Vermieter die 
Möglichkeit nimmt, den Mietpreis zu ſteigern. 
Ob dagegen eine durch eine Steigerung veran⸗ 
laßte Kündigung des Mieters dieſen von der Zah⸗ 
lung der Entſchädigung befreit, wird wohl kaum 
von allen Gerichten zu ſeinen Gunſten entſchieden 
werden. 

Dies alles ſind jedoch nach Mittelſtein nur 
Nebenpunkte. Nach ſeiner Anſchauung fällt die 
Entſcheidung des Landgerichtes, wenn deſſen An⸗ 
nahme unrichtig iſt, daß dem Vermieter die Woh⸗ 
nungsentſchädigung, welche er mit dem § 2 Abſ. 3 
verfolgt, ſchon durch die Beſtimmungen der 88 4, 
9, 10 und 15 des Formulars gewährt werde. 
Er ſtellt nun feſt, daß alle dieſe Paragraphen in 
keiner Weiſe zutreffen, daher auch nicht geeignet 
find, den Beweis zu erbringen, daß die Wohnungs⸗ 
entſchädigung nicht den Zweck verfolge, den Mittel⸗ 
ſtein annimmt, nämlich die Schadlosſtellung des 
Hauseigentümers wegen der Abnützung der Woh⸗ 
nung. Dieſe Feſtſtellung iſt im allgemeinen richtig, 
leider aber gegenſtandslos, weil eben die Para⸗ 
graphen ſeines Formulars andere Nummern tragen 
als die des Formulars, auf welches die Urteile 
Bezug nahmen. 

In dieſem lautet z. B. § 4: 

„Mieter erkennt die volle Gebrauchsfähigkeit 
der Mieträume an, ſofern er nicht innerhalb 

8 Tagen nach Einzug über etwa vorhandene 

Mängel jchriftliche Anzeige erſtattet hat. 

Der Mieter verpflichtet ſich, während der 
Mietsdauer die Mietsräume in gebrauchsfähigem 
Zuftande zu erhalten und bei Beendigung der 
Miete dieſelben im gleichen Zuſtande zu über⸗ 
> wie er fie bei ſeinem Einzuge erhalten 

at.“ 

Es iſt dies der Mittelſteinſche 8 5, während 
die SS 9, 10 und 15 bei Mittelftein den Num⸗ 
mern 10, 11 und 16 entſprechen. 

Auf dieſe Paragraphen iſt in $ 2 Abſ. 3 aus⸗ 
drücklich inſoferne hingewieſeu, als es heißt, daß 
„die darin enthaltenen Verpflichtungen des Mieters 
durch die Wohnungsentſchädigung nicht berührt 
oder ausgeſchaltet werden ſollten.“ 

Mittelſtein hat auch ſie „der Vollſtändigkeit 
halber“ beſprochen, offenbar weil er ſelbſt fühlte, 
daß ſie als weſentlich vom Landgerichte hätten 
erwähnt werden ſollen, wie es ja in Wirklichkeit 
auch tatſächlich geſchehen iſt. 


Beitſchrift für Rechtspflege in Bapern. 191 l. Nr in Bayern. 1911. Nr. 12. 


255 


Es iſt ihm zuzugeben, daß 88 9, 10 und 15 
(bei Mittelſtein 88 10, 11 und 16) nicht in erſter 
Linie in Betracht kommen, ſondern nur der Voll⸗ 
ſtändigkeit halber erwähnt ſind, da auch ſie ſich 
auf Inſtandhaltung und Wiederherſtellung der 
Mieträume beziehen. Maßgebend iſt vielmehr zu⸗ 
nächſt 84 Abſ. 2 (bei Mittelſtein $ 5 Abſ. 2). 

Auch Mittelſtein erkennt an, daß der Ver⸗ 
mieter auf Grund dieſer Beſtimmung dann ſchon 
alles erhalten könnte, was er nach Mittelſteins 
Auslegung erſt mit Hilfe des § 2 Abſ. 3 er⸗ 
reichen will, wenn hier beſtimmt wäre, daß der 
Mieter die Wohnung, falls er fie neu dekoriert 
erhalten hat, neu dekoriert zurückgeben muß. Nach 
ſeiner Anſchauung dürfte der Vermieter nicht 
Wiederherſtellung der Wohnung und Wohnungs⸗ 
entſchädigung nebeneinander verlangen. Tatſächlich 
geſchieht dies aber häufig und zwar auf Grund 
des Wortlautes des 8 2 Abſ. 3, der den ausdrück⸗ 
lichen Hinweis auf $ 4 Abſ. 2 enthält, mit einem 
gewiſſen Schein von Recht, wenn man die Rechts⸗ 
gültigkeit des ganzen Vertrages unterſtellt. 

Mittelſtein erklärt jedoch, daß er dieſe weit⸗ 
gehende Auslegung zugunſten des Vermieters nicht 
billigen würde, weil $ 4 nur von gebrauchsfähigem 
Zuſtande ſpricht, der auch nach vertragsmäßiger 
Abnützung noch vorhanden ſein kann. Es geht 
aber denn doch etwas weit, wenn man, um eine 
ſonſt, auch nach Mittelſtein, unhaltbare Beſtim⸗ 
mung ($ 2 Abſ. 3) zu halten, dem klaren Wort: 
laute des 3 4 Abſ. 2, welcher auch der in der Praxis 
zu Tage getretenen Vertragsabficht der Vermieter 
entſpricht, Gewalt antun ſoll. Nach 8 4 muß der 
Mieter beſtätigen, daß er die Wohnung in voller 
Gebrauchsfaͤhigkeit übergeben erhalten hat und ſich 
verpflichten, ſie während der Mietsdauer in ge⸗ 
brauchsfaͤhigem Zuſtande zu erhalten, außerdem 
aber auch noch dazu, ſie bei Beendigung der Miete 
in dem gleichen Zuſtande zurückzugeben, wie 
er hie bei ſeinem Einzuge erhalten hat, aljo nicht 
blos in gebrauchsfähigem Zuſtande. Gerade dieſes 
Verlangen neben der Wohnungsentſchädigung hat 
ja die allgemeine Erbitterung der Mieter hervor⸗ 
gerufen. 

Zum Schluſſe beanſtandet Mittelſtein noch, 
daß der angebotene Beweis über die angebliche 
vertragswidrige Abnützung der Wohnung nicht er⸗ 
hoben worden iſt. Nach dem Tatbeſtande iſt der 
Klaganſpruch jedoch nur auf § 2 Abſ. 3 geſtützt 
unter Verzicht auf außerordentliche Abnützung. 
Da aber nicht die Beſtimmung über die Wohnungs⸗ 
entſchädigung allein, ſondern der Vertrag in allen 
ſeinen Nebenbeſtimmungen ſchlechthin als nichtig 
erklärt wurde, war es rechtlich unerheblich, ob der 
Klaganſpruch aus anderen Gründen berechtigt 
ſein könnte, auf die er nicht geſtützt war. Dies 
iſt in beiden Urteilen ausdrücklich ausgeführt. 

Ueber die weitere Frage, ob bei ganz ſtrenger 
Konfequenz nicht $ 139 BGB., ſondern § 138 
BGB. auf den ganzen Vertrag hätte Anwendung 


256 


finden müſſen, läßt fich ſicherlich ſtreiten. Dafür 
können Zweckmäßigkeitsgründe maßgebend geweſen 
ſein, namentlich weil der Vertrag ſonſt von beiden 
Parteien erfüllt und damit die Frage ohnehin 
gegenſtandslos geworden war, ſo daß es keinen 
Zweck hatte, ſie noch aufzurollen. 

Wenn ſchließlich nach der Anſicht Mittelſteins 
die erörterten Urteile nicht geeignet ſeien ſollen, 
umwaͤlzend auf die Praxis zu wirken, ſo haben 
ſie doch das erfreuliche Ergebnis gezeitigt, daß in 
München z. Z. auch wieder die Formulare mit 
milderer Faſſung, insbeſondere ohne Wohnungs⸗ 
entſchädigung in Gebrauch genommen werden, 
wenn auch vorerſt nur vereinzelt. 


die Anordnungen der höheren Verwal⸗ 
tungsbehörde über die Anzeigepflicht bei 
Ansverläufen. 


Von Rechtsanwalt Dr. Kleinberger in München. 


Das UWG. beſtimmt in 87, daß Ausverkäufe 
nur unter Angabe des Grundes des Ausverkauſs 
angekündigt werden dürfen. Weiterhin räumt die 
genannte Geſetzesſtelle der höheren Verwaltungs⸗ 
behörde das Recht ein für die Ankündigung be⸗ 
ſtimmter Arten von Ausverkäufen anzuordnen, 
daß zuvor bei der Behörde Anzeige über den 
Grund des Ausverkaufs und den Zeitpunkt des 
Beginns zu erſtatten, ſowie ein Verzeichnis der 
auszuverkaufenden Waren einzureichen ſei. Ueber 
die Ausführung dieſes Anordnungsrechtes der 
Verwaltungsbehörde iſt lebhafter Streit entſtanden. 
Im allgemeinen bewegen ſich die Anordnungen, 
welche die Provinzialbehörden auf Grund des 5 7 
UWG. getroffen haben, nach drei Richtungen: 


1. Eine Anzahl Verordnungen zählt die Aus— 
verkaufsarten, welche den erwähnten Beſchrän⸗ 
kungen unterworfen werden, kaſuiſtiſch auf. 

2. Andere Regierungen haben ſchlechthin alle 
Ausverkaufsarten oder Ausverkäufe mit Aus— 
nahme der durch das Reichsgeſetz ſelbſt in 
99 Abſ. 2 ausgenommenen Inventur- und 
Saiſon-Ausverkäufe den Beſchränkungen 
unterworfen. 

. Endlich haben einige Regierungen angeordnet, 
daß alle Arten von Ausverkäufen mit Aus— 
nahme einzelner beſtimmt aufgeführter den 
polizeilichen Beſchränkungen unterworfen ſind. 


In der Praxis iſt nun die Gültigkeit der 
beiden letzterwähnten Kategorien von Verord— 
nungen lebhaft angeſtritten worden. Das bayeriſche 
Oberſte Landesgericht hat in einer kürzlich erlaffenen 
Entſcheidung in Uebereinſtimmung mit den Vor— 
inſtanzen beide Kategorien für unzuläſſig und die 
betreffenden Regierungsbekanntmachungen für un— 


O 


| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


gültig erklärt. Die Urteilsgründe) gehen in zu⸗ 
treffender Weiſe davon aus, daß ſchon der Wortlaut 
des 8 7 Abſ. 2, welcher für „beſtimmte Arten“ 
von Ausverkäufen Anordnungen zuläßt, im Gegen: 
laß zu der Ausdrucksweiſe in § 7 Abſ. 1. welcher 
für „alle Ausverkäufe“ die Angabe des Grundes 
des Ausverkaufs verlangt, nach dem allgemeinen 
Sprachgebrauch eine namentliche Aufzählung der 
anzeigepflichtigen Arten, eine kaſuiſtiſche Aufzäh⸗ 
lung erheiſcht. Auch die in der Begründung zum 
Entwurf des Geſetzes betonten wirtſchaftlichen Er: 
wägungen, daß die Bedürfniſſe in den verſchiedenen 
Gegenden des Reiches und in bezug auf die ein⸗ 
zelnen Arten der Ausverkäufe verſchieden ſeien 
und daß deshalb die Erlaſſung der Anordnungen 
den Provinzialbehörden überlaſſen werde, zwingen 
nach den Ausführungen des Oberſten Landes⸗ 
gerichts zu dem gleichen Schluſſe. Dieſem Urteil 
kann nur beigepflichtet werden. 

Ueber die Ungültigkeit der generellen Beſchrän⸗ 
kung aller Ausverkäufe ohne beſtimmte Ausnahmen 
ſind die Meinungen nach dem jetzigen Stand der 
Literatur und Rechtſprechung ungeteilt. Es ge⸗ 
nügt in dieſer Hinſicht der Hinweis auf die er⸗ 
ſchöpfenden Gründe des angeführten oberſtrichter⸗ 
lichen Urteils. Dagegen erachtet Jacubowsky — 
Markenſchutz und Wettbewerb, 10. Jahrg., S. 91 
und 147 — die Beſtimmung der zu beſchrän⸗ 
kenden Ausverkaufsarten auch in der Weiſe als 
zuläſſig, daß neben den geſetzlich privilegierten 
Saiſon- und Inventur-Ausverkäufen einige weitere 
Ausnahmen ſtatuiert, „alle übrigen“ Ausverkäufe 
aber den Beſchränkungen unterworfen werden. 

Er begründet ſeinen Standpunkt damit, daß 
der Begriff „beſtimmte Arten“ nur im Gegenſatz 
zu „ſämtlichen Arten“ ſtehe. Da bei kaſuiſtiſcher 
Aufführung der Ausverkäufe die Gefahr der Um⸗ 
gehung beſtehe, ſei es zweckmäßig nur die Aus⸗ 
nahmen aufzuführen und alle übrigen Ausverkäufe 
den Beſchränkungen zu unterwerfen. Er empfiehlt 
einen von ihm in dieſer Weiſe verfaßten Normal⸗ 
entwurf. 

Die Anſicht Jacubowskys wird dem Wortlaut 
und Sinn des Geſetzes nicht gerecht. 

1. Der Wortlaut des Geſetzes geſtattet die 
von Jacubowsky befürwortete Faſſung nicht. Straf: 
geſetze ſind eng auszulegen, ihre Anwendung iſt 
in erſter Linie durch den Wortlaut begrenzt. Iſt 
dieſer klar und deutlich, ſo iſt kein Raum für 
eine weitergehende Auslegung. „Beſtimmte Arten“ 
bedeutet beſtimmt zu bezeichnende, von anderen 
abzuhebende Arten, d. h. die Arten müſſen kaſu— 
iſtiſch nach ihren Unterſcheidungsmerkmalen an: 
gegeben werden. Die Ausdrucksweiſe, daß alle 
Ausverkäufe mit Ausnahme von drei oder vier 
beſtimmten Arten beſchränkt werden, bezeichnet nur 
die erlaubten Ausverkäufe im einzelnen, während 


) Die Urteilsgründe find in dieſer Nummer S. 269 
abgedruckt. 


Jeitſchrift für Rechtspflege ir Rechtspflege in in Bayern. 


die den Beſchränkungen unterworfenen Ausverkaäufe 
nur allgemein angegeben find. Der Wortlaut 
des Geſetzes verlangt aber gerade die genaue Be⸗ 
zeichnung der letzteren. 

2. Auch der Sinn und Zweck des Geſetzes 
ſowie die Entſtehungsgeſchichte ſprechen gegen die 
Anfiht Jacubowskys. 

Der Geſetzgeber hat mit voller Abſicht die 
einſchränkenden Anordnungen nur für „beſtimmte 
Arten von Ausverkäufen“ zugelaſſen. Er geht 
davon aus, daß es verſchiedene Arten von Aus⸗ 
verkäufen gibt, daß aber das Bedürfnis einer 
polizeilichen Aufficht nicht nur in verſchiedenen 
Gegenden des Reichs, ſondern auch für die 
verſchiedenen Arten der Ausverkaäufe ver: 
ſchieden ſei. Deshalb ſollen die Regierungen 
prüfen, welche Arten von Ausverkäufen zu be⸗ 
ſchränken ſind. 

Die Anordnung iſt nicht ſo zu treffen, daß 
die Regierung die nach ihrer Anſicht unſchädlichen 
Ausverkaufsarten ausnimmt und alle übrigen all⸗ 
gemein den Beſchränkungen unterwirft. Das wäre 
keine Anordnung für „beſtimmte“ Arten, ſon⸗ 
dern eine ſolche für „alle Arten“ mit Ausnahme 
beſtimmter. 

Hätte der Geſetzgeber eine allgemeine Anord⸗ 
nung in der Weile zulaſſen wollen, daß nur be: 
ſtimmte Arten auszunehmen ſeien, dann würde er 
ſich anders ausgedrückt haben, er würde geſagt 
haben, daß die Regierungen ſchlechthin für Aus⸗ 
verfäufe mit Ausnahme ſolcher, für welche kein 
Bedürſnis zu polizeilicher Aufſicht beſtehe, die 
Einſchränkungen zu treffen haben. 

Die Abſicht des Geſetzgebers geht dahin, daß 
die Regierung bei jeder zu beſchränkenden Aus⸗ 
verkaufsart das Bedürfnis nach Erlaſſung be: 
ſchränkender Anordnungen zu prüfen habe, bevor 
fie eine tief in wirtſchaftliche Verhältniffe einſchnei⸗ 
dende Maßregel trifft. Das kann ſie nicht, wenn ſie 
ſchlechthin alle Ausverkäufe beſchränkt und nur ein⸗ 
zelne Arten ausnimmt. Dem in der Begründung 
zum Entwurf zum Ausdruck gebrachten Willen des 
Geſetzgebers wird die Behörde nicht gerecht, wenn 
ſie ganz allgemein von vorneherein noch gar nicht 
vorkommende Arten des Ausverkaufs ſowie folche 
Arten, die ſie gar nicht in Erwägung gezogen 
hat, den Beſchränkungen unterwirft. Die Prü⸗ 
fung der Zweckmäßigkeit der Regierungsanordnung 
ſoll nicht rein negativ ſein und nur dahin gehen, 
welche Ausverkäufſe nicht zu beſchränken find. Viel⸗ 
mehr ſoll der Anordnung eine poſitive Prü— 
fung vorausgehen, ob die Beſchränkung für die 
und jene beſtimmte Ausverkaufsart geboten iſt. 
Dieſe Prüfung iſt nur möglich, wenn die Be— 
ſchränkungen für einzelne, genau bezeichnete Aus: 
verkaufsarten normiert werden. 

Ich gelange ſohin mit dem Oberſten Landes: 
gericht zu folgendem Ergebnis: Die Anordnungen 
der höheren Verwaltungsbehörde nach § 7 Abſ. II 
UWG. müſſen für einzelne, kaſuiſtiſch zu be: 


Js. 


Nr. 12. 


ſtimmende Ausverkaufsarten getroffen werden. 
Anordnungen, welche ſich auf alle Ausverkaufs⸗ 
arten, wenn auch mit beſtimmt bezeichneten 
Ausnahmen, beziehen, ſind unzuläſſig und un⸗ 
gültig. 

Selbſtverſtändlich dürfen bei der Beſtimmung 
der zu beſchränkenden Ausverkaͤufe nur wirkliche 
Ausverkäufe einbezogen werden, nicht auch andere 
forcierte Verkaufsmethoden, welche den Ausver⸗ 
käufen naheſtehen. Einzelne Regierungsbekannt⸗ 
machungen unterwerfen die Ankündigung von 
Reſtertagen, weißen Wochen, Spezialtagen uſw. 
den Beſchraͤnkungen der Ausverkäufe. Dies iſt 
zweifelsohne unzuläſſig, weil derartige Verkaufs⸗ 
methoden keine Ausverkaͤufe find. Es würde im 
Rahmen dieſer Abhandlung zu weit führen, auf 
den Begriff des „Ausverkaufs“ einzugehen, ſoviel 
ſei aber bemerkt, daß die geſetzgebenden Faktoren 
wiederholt betont haben, daß die Veranſtaltung 
von Reſtertagen, Spezialtagen, weißen Wochen u. 
dergl. nicht als Ausverkäufe zu erachten ſeien und 
ohne jede Beſchränkung zuläffig find. 


Das Neichszuwachsſteuergeſetz. 
Von Profeſſor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn. 


(Schluß.) 
Bei der Feſtſtellung des Erwerbspreiſes zieht 
das Geſetz, weil deſſen Ermittelung in der Regel, 
je weiter der Erwerbsvorgang zurückliegt, um ſo 
ſchwieriger wird, gewiſſe zeitliche Grenzen. Es 
handelt ſich hier alſo um einen zeitlichen Rück⸗ 
griff, nicht etwa um die „rückwirkende Kraft“ 
des Geſetzes. Liegt nämlich der Erwerb des Grund⸗ 
ſtücks vor dem 1. Januar 1885, ſo tritt an die 
Stelle des Erwerbspreiſes der Wert, den es an 
dieſem Tage hatte. Vom 1. Januar 1925 ab 
wird aber, wenn der Erwerb mehr als 40 Jahre 
vor dem Eintritt der Steuerpflicht zurückliegt, der 
Wert zugrunde gelegt, den es 40 Jahre vor 
dieſem Eintritt hatte. In beiden Fällen wird 
jedoch, wenn der Pflichtige nachweiſt, daß er oder 
ſein Rechtsvorgänger vor jener Zeit einen höheren 
Preis gezahlt hat, dieſer zu Grunde gelegt. Um 
zu verhindern, daß die Steuer herabgemindert 
wird im Wege einer Abrede, wonach der Erwerber 
ſie übernimmt und der Veräußerungspreis dafür 
entſprechend niedriger bemeſſen wird, iſt im Falle 
vertragsmäßiger Uebernahme der Steuer durch 
den Erwerber bei der Feſtſetzung dem Ver— 
äußerungspreiſe ein nach den geſetzlichen Vor— 
ſchriften berechneter Steuerbetrag hinzuzurechnen. 
Beim Tauſch von Grundſtücken wird die Steuer 
für jedes der beiden Tauſchobjekte geſondert be: 
rechnet und erhoben. 
Der Steuerſatz ſtuft ſich ab nach dem 
prozentualen Verhältnis der Wertſteigerung zum 


258 


Erwerbspreiſe und feinen Zurechnungen ſowie nach 
der Beſitzdauer des Veräußerers, die im allge: 
meinen, je kürzer ſie iſt, um ſo ſtärker einen ſpeku⸗ 
lativen Charakter der Veräußerung vermuten läßt, 
in manchen Fällen jedoch entgegengeſetzte Be⸗ 
deutung haben kann. Er beginnt mit 10 %r des 
Wertzuwachſes bei einer Wertſteigerung bis zu 
10% und ſteigt um je 1°/o in Stufen, die bis 
zu 190% je 10%, weiterhin bis zu 290% je 
20% betragen. Darüber hinaus beträgt er 30 „. 
Sie ermäßigt ſich aber für jedes volle Jahr des 
für die Steuerberechnung maßgebenden Zeitraums 
um 1% 66 und, wenn das Grundſtück vor dem 
1. Januar 1900 erworben war, für die Zeit bis zum 
1. Januar 1911 um 1 ½½ %. Steuerbeträge 
unter 20 M werden nicht erhoben. Steuer⸗ 
pflichtig iſt der Veräußerer. Daneben haftet, 
ſofern dieſer die Steuer nicht ſicherſtellt, der Er⸗ 
werber bis zur Höhe von 2% des Veräußerungs⸗ 
preiſes. Erſtattung der Steuer kann vom Bundes⸗ 
rat aus Billigkeitsrückſichten, ſonſt in beſonderen 
Fällen (beſonders bei Nichtigkeit oder Rückgängig⸗ 
machung des Geſchäfts, Rückübertragung des Eigen: 
tums und Preisminderung) erfolgen. Die Ver⸗ 
waltung und Erhebung der Steuer iſt Sache 
der Bundesſtaaten. Sie geſchieht durch die einen 
Steuerbeſcheid erlaſſenden Zuwachsſteuerämter, in 
deren Bezirk das veräußerte Grundſtück liegt, und 
Oberbehörden nach landesgeſetzlichen näheren Vor⸗ 
ſchriften unter Reichskontrolle. Es beſteht An⸗ 
melde⸗, Auskunſts- und Deklarationspflicht beider 
Vertragsparteien und Mitteilungspflicht der mit 
dem Eigentumswechſel beſaßten Behörden und 
Amtsperſonen. Das Zuwachsſteueramt hat das 
Recht der Beanſtandung der Zuwachsſteuererklaͤrung, 
mit Setzung einer Friſt zur Gegenerflärung. und 
der ſelbſtändigen endgültigen Feſtſetzung der Steuer. 
Alle Behörden, Beamten und Notare ſind ihm 
gegenüber zur Hilfeleiſtung bei Ermittlung der 
Steuer, insbeſondere zur Geltattung der Einſicht 
in die Verhandlungen über die dafür maßgebenden 
Vorgänge verpflichtet. Die Regelung des Rechts- 
mittelverfahrens iſt im weſentlichen der 
Landesgeſetzgebung überlaſſen.“) Zuläſſig find: die 
Beſchwerde, falls fie nicht landesrechtlich ausge: 
ſchloſſen wird, und das Verwaltungsſtreitverfahren 
oder ein anderweites verwaltungsgerichtliches Ver— 
ſahren, bei deſſen Ermanglung oder landesrecht— 
lichem Ausſchluß der Rechtsweg. Stundung der 
Steuer, gegebenenfalls gegen Sicherheit, und Raten— 
zahlung kann nach näherer Beſtimmung des Bundes— 
rats in Fällen geſtattet werden, wo die ſofortige 
Einziehung eine Haͤrte ſein würde. Als Straf— 
mittel einſchließlich Ordnungsſtraſen find ledig: 
lich Geldſtrafen vorgeſehen. Der Steueranſpruch 
verjährt in 10 Jahren. 

Schon vor der Veräußerung kann der Eigen— 
tümer, um den Steuerbetrag errechnen zu können, 


2) S. unten Anm. 3. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


ſich einen die Steuerberechnungsunterlagen feſtſtellen⸗ 
den amtlichen Beſcheid gegen eine Gebühr erteilen 
laſſen. Vom Ertrage der Steuer erhalten: 
das Reich 50 %% , die Gemeinden oder, nach näherer 
Beſtimmung der Landesgeſetzgebung, die Gemeinde⸗ 
verbände (Kreiſe) 40 /,, die Bundesſtaaten 10%. 
Den Gemeinden (G.⸗Verbänden), die vor dem 
1. April 1909 die Steuer ſchon beſchloſſen und 
vor dem 1. Januar 1911 in Kraft hatten, iſt 
der bisherige Durchſchnittsertrag bis zum 1. April 
1915 garantiert. Statt deſſen kann ihnen auch 
ihre alte Steuerſatzung auf gleiche Zeit und bis 
zur gleichen Ertragshöhe belaſſen werden. Alle 
Gemeinden dürfen mit Genehmigung der Landes⸗ 
regierung prozentuale Zuſchläge zur Steuer erheben, 
doch dürfen dieſe und die Reichsſteuer zuſammen 
30 %ů der Wertſteigerung nicht überſchreiten. Zur 
Verhütung aller Steuerumgehungen, denen 
das Geſetz nicht vorzubeugen vermag, darf der 


Bundesrat, vorbehaltlich nachträglicher Genehmi⸗ 


gung des Reichstags, auch ſolche Rechtsvorgänge 
für ſteuerpflichtig erklären, die nicht unter das 
Geſetz fallen, aber einem anderen es ermöglichen, 
wie ein Eigentümer über das Grundſtück zu ver⸗ 
fügen, und für ſolche Fälle auch abweichende Be⸗ 
rechnungsbeſtimmungen erlaſſen. 

Was endlich die Uebergangszeit anlangt, 
ſo ſind die vor dem 1. Januar 1911 eingetretenen 
Steuerfälle noch nach den alten landesgeſetzlichen 
oder kommunalen Zuwachsſteuerordnungen zu er⸗ 
ledigen, die im übrigen am 1. April mit Wirkung 
vom 1. Januar 1911 außer Kraft getreten ſind. 
In den Fällen, in welchen die Auflaſſung und 
Eintragung in das Grundbuch erſt nach dem 
1. Januar 1911 erfolgte, die zugrunde liegenden 
Verträge aber ſchon vorher rechtsgültig abgeſchloſſen 
waren, tritt die rückwirkende Kraft des Geſetzes 
billigerweiſe nicht ein. Dieſe Rückſichtnahme könnte 
jedoch zu betrügeriſchen Vordatierungen privat⸗ 
ſchriftlicher Vertraͤge führen. Sie iſt daher davon 
abhängig gemacht, daß die Urkunde über das 
Veraäußerungsgeſchäft vor dem 1. Januar 1911 
entweder in öffentlich beglaubigter Form errichtet 
oder bei irgend einer Behörde eingereicht war. 
Hat eine Auseinanderſetzung zwiſchen Erben oder 
Teilnehmern an einer Gütergemeinſchaft vor dem 
1. Januar 1911 ſtattgefunden, jo bleibt die 
Steuerpflicht für die Zeit vor ihr auf den Anteil 
des Erwerbers beſchränkt. Hat einer von mehreren 
Abkömmlingen vor dem 1. Januar 1911 ein 
Grundſtück von Verwandten auſſteigender Linie 
entgeltlich erworben, ſo bleibt für die Zeit vor 
dem Erwerb die Steuerpflicht beſchraͤnkt auf den 
Anteil, der ihm als geſetzliches Erbteil angefallen 
ſein würde. Beides deshalb, weil bei der Aus: 
einanderſetzung oder bei dem Erwerbe den Inter— 
eſſenten die Art der zuwachgsſteuergeſetzlichen 


Regelung dieſer beiden Fälle noch nicht bekannt 


war und daher von ihnen für Zurückhaltung des 
auf den bis dahin entſtandenen Wertzuwachs ent 


Zeitſchrift für t Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 112. 259 in Bayern. 1911. Nr. 12. 


en Steuerbetrages nicht vorgeſorgt werden 
unte 

Zum Zuwachasſteuergeſetze find ergangen die 
Ausführungsbeſtimmungen des Bundesrats vom 
27. März 1911, während die Vollzugsvorſchriften 
der Bundesstaaten, von denen die preußiſchen die 
Form eines Ausführungsgeſetzes tragen, erſt von 
einem Teile dieſer Staaten erlaſſen worden ſind.“) 
Beachtenswert find auch die in Nr. 2, Jahrgang 1, 
der im Reichsſchatzamt herausgegebenen „Amt: 
lichen Mitteilungen über die Zuwachsſteuer“, vom 
15. April 1911, erſchienenen „Erläuterungen zum 
Zuwachsſteuergeſetz“. 


Nitteilungen aus der Praxis. 


Vorläufige Bollſtreckbarkeit von Berſäumnisurteilen 
nach vorausgegangenem Mahnverfahren. Hierüber 
findet ſich in Nr. 8 der BlfRA. auf S. 274 ff. eine 
Abhandlung, zu der mir folgende Ausführungen ge⸗ 
ſtattet ſeien: 

An der zitierten Stelle iſt die Auffaſſung ver⸗ 
treten, daß der Gläubiger, wenn der Schuldner gegen 
den Zahlungsbefehl Widerſpruch einlegte und in dem 
ſodann anberaumten Termin zur mündlichen Ver⸗ 
handlung nicht erſcheint, wohl die Erlaſſung eines 
Verſäumnisurteils, nicht aber die vorläufige Voll⸗ 
ſtreckbarkeit dieſes Urteils beantragen könne, weil 
der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung 
des zu erlaſſenden Urteils dem Schuldner nicht vorher 
mitgeteilt, alſo der Vorſchrift des 8 335 Abſ. I Ziff. 3 
u nicht genügt fei. 

Der Verfaſſer der Abhandlung erkennt an, daß 
dieſe Geſetzesauslegung dem Zwecke, den der Geſetz⸗ 
geber mit dem Mahnverfahren verfolgt, direkt ins 
Geſicht ſchlägt, hält die Auslegung aber für logiſch 
unanfechtbar und macht dem Geſetzgeber weiter den 
Vorwurf, daß er bei Abfaſſung der Novelle vom 
Jahre 1909 es überſehen habe, die nach Erhebung des 
Widerſpruchs ergehenden Verſäumnisurteile in die 
Kategorie der nach 8 708 ZPO. ohne Antrag für vor⸗ 
läufig vollſtreckbar zu erklärenden Urteile aufzunehmen; 
während nämlich vor der Novelle der Gläubiger nach 
Einlegung des Widerſpruchs den Schuldner laden 
mußte und hierbei Gelegenheit hatte, den Antrag auf 
vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung des Urteils zu⸗ 
zuſtellen, entfalle nunmehr dieſe Möglichkeit, da jetzt 
die Ladung durch die Parteien beſeitigt ſei; bei An⸗ 
bringung des Geſuchs um Erlaſſung des Zablungs⸗ 
befehls beantrage der Gläubiger höchſtens im Falle 
des Widerſpruchs Termin anzuberaumen, er komme 
aber nicht auf den Gedanken ſchon jetzt die Vollſtreck⸗ 
barkeits⸗Erklärung eines etwa ſpäter ergehenden Ver⸗ 
ſäumnisurteils zu beantragen, ſodaß bei richtiger 
Geſetzesauslegung die bedauerliche Tatſache beſtehe, 
daß die vorläufige Vollſtreckbarkeit des Urteils nicht 
erwirkt werden könne. 


) Für Bayern ſ. d. VO. vom 1. April 1911, GVBl. 

S. 185 /6; wichtig iſt insbeſondere der § 2, der die 
Rechtsmittel gegen die Steuerbeſcheide regelt. Der 
Rechtsweg iſt in Bayern nicht zuläſſig. 


259 


Der Verfaſſer hält die Ausführungen bei Gaupp⸗ 
Stein, Komm. zur Novelle Anm. III zu 5 696 nicht 
für richtig, wonach es eines Antrags auf vorläufige 
Vollſtreckbarkeit des Urteils nach 8 709 Nr. 4 ZPO. 
nicht bedarf, da dieſer Antrag ſchon in dem die Grund⸗ 
lage der Verhandlung bildenden Zahlungsbefehl, 
nämlich in den Worten „bei Vermeidung ſofortiger 
Zwangsvollſtreckung“, und in dem vorangegangenen 
Geſuch enthalten iſt. Er behauptet, der Antrag das 
Urteil für vorläufig vollſtreckbar zu erklären, ſei weder 
in dem Zahlungsbefehl, noch in dem ihm zugrunde 
liegenden Geſuch enthalten, die fraglichen Worte in 
dem Zahlungsbefehl ſeien kein Antrag auf Vollſtreck⸗ 
barkeitserklärung, ſondern eine Mitteilung des Gerichts 
an den Schuldner über die etwaigen Folgen ſeiner 
Nichtleiſtung. Daß dies der Sinn des Geſetzes ſei, 
ſchließt der Verfaſſer aus den Vorſchriften über den 
Vollſtreckungsbefehl, der nach 8 700 ZPO. einem für 
vorläufig vollſtreckbar erklärten Verſäumnisurteile 
gleich ſtehe, ſowie daraus, daß nach Ablauf der Wider⸗ 
ſpruchsfriſt der Vollſtreckungsbefehl nicht ohne weiteres 
auf den Zahlungsbefehl geſetzt werde, was der Fall 
ſein müßte, wenn man die erwähnten Worte des 
Zahlungsbefehles als Antrag auf Vollſtreckbarkeits⸗ 
erklärung anſehen wollte, ſondern daß es vielmehr 
nach 8 699 ZPO. eines beſonderen Antrages des 
Gläubigers bedürfe, um den Vollſtreckungsbefehl zu 
erwirken. 

Gegenüber dieſen Ausführ ungen dürfte Folgendes 
hervorzuheben ſein: 

Eine Geſetzes Auslegung, die dem vom Geſetzgeber 
verfolgten Zwecke direkt zuwiderläuft, iſt ohne weiteres 
höchſt bedenklich und könnte nur dann als richtig an⸗ 
erkannt » werden, wenn die Möglichkeit einer an⸗ 
deren, zu einem befriedigenden Ergebniſſe führenden 
Auslegung mit Sicherheit ausgeſchloſſen wäre. Das 
iſt aber bei der gegenwärtigen Frage keineswegs der 
Fall, im Gegenteil erſcheint mir die Auslegung des 
Verfaſſers als unzutreffend. 

Das Mahnverfahren will dem Gläubiger binnen 
möglichſt kurzer Friſt einen Vollſtreckungstitel und 
eine urteilsmäßige Feſtſtellung feines Anſpruchs ver⸗ 
ſchaffen. Hierüber wird der Schuldner auch nicht im 
Zweifel gelaſſen und deshalb ergeht auf das Mahn⸗ 
geſuch hin der ausdrückliche Befehl an ihn bei Ver⸗ 
meidung ſofortiger Zwangsvollſtreckung den Gläubiger 
wegen ſeines Anſpruches ꝛc. zu befriedigen (8 692 ZPO. 
In dieſen Worten des Zahlungsbefehls iſt nicht eine 
einfache Mitteilung des Gerichts an den Schuldner 
über die Folgen ſeiner Nichtleiſtung zu erblicken, 
ſondern eine direkte vom Geſetzgeber ſelbſt vorgeſehene 
Androhung der Zwangsvollſtreckung, was ſich ſchon 
aus der natürlichen Wortbedeutung ergibt. 

Daß der Geſetzgeber eine wirkliche Androhung 
der ſofortigen Zwangsvollſtreckung beabſichtigte, geht 
auch deutlich aus den Motiven zur ZPO. hervor, 
worin es auf S. 382 heißt: 

„Die direkte Androhung der Zwangsvollſtreckung 
mahnt den Schuldner am eindringlichſten und ſo 
verſtändlich, daß er nicht erſt Rechtsbelehrung zu 
ſuchen braucht, an die Folgen des Friſtablaufs 
und ſteht nicht im Widerſpruche mit dem Umſtande, 
daß, bevor die Zwangsvollſtreckung beginnen kann, 
noch das Urteil in Geſtalt des Vollſtreckungsbe⸗ 
fehles dazwiſchentreten muß. Denn da Letzterer 
ohne ſachliche Prüfung auf die bloße Tatſache des 
Friſtablaufs hin zu ergehen hat, ſo läßt ſich bereits 


260 Bu Zeitſchrift für Rechts pfleg 


bei Erlaß des Zahlungsbeſehles die gewiſſe Folge 


der Zwangsvollſtreckung vorausſehen undandrohen.“ 

Wenn alſo vom Geſetzgeber ſelbſt dieſe Androhung 
der Zwangsvollſtreckung in den Zahlungsbefehl auf⸗ 
genommen iſt, ſo rechtfertigt ſich der Schluß, daß 
derjenige, der ſich des Mahnverfahrens bedient, eben 
damit dem Schuldner die ſofortige Zwangsvollſtreckung 
androht, ohne daß es in dem Mahngeſuch eines be⸗ 
ſonderen hierauf gerichteten Antrages bedarf. Die In⸗ 
anſpruchnahme des Mahnverfahrens iſt daher an ſich 
gleichbedeutend mit dem Antrag auf Verurteilung 
an auf vorläufige Vollſtreckbarkeits⸗Erklärung des 

rteils. 

Dieſer Auffaſſung ſteht auch der Umſtand nicht 
entgegen, daß es noch eines beſonderen Antrags des 
Gläubigers bedarf. um den Vollſtreckungsbefehl zu 
erwirken. Dieſer Antrag bedeutet nicht etwa eine 
Ergänzung des Mahngeſuches dahin, daß nunmehr 
auch die Vollſtreckbarkeitserklärung beantragt wird, 
(welch letzterer Antrag nach der Auffaſſung des Unter⸗ 
zeichneten bereits im Zahlungsbefehl enthalten iſt), 
ſondern mit dieſem Antrag verlangt der Gläubiger 
nur die Vornahme des weiteren — früher richterlichen, 
ſeit der Novelle vom Gerichtsſchreiber zu vollziehen⸗ 
den — Aktes, durch welchen die in dem Zahlungsbefehl 
enthaltene bedingte Verurteilung zu einer vorbehalts⸗ 
loſen, einem vorläufig vollſtreckbaren Verſäumnis⸗ 
Urteile gleichgeſtellten Verurteilung wird. Die Gegen⸗ 
überſtellung des ordentlichen Verfahrens mit dem 
Mahnverfahren ergibt hier folgendes: Geradeſo wie 
im ordentlichen Verfahren, (wenn auch in der Klage 
bereits der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeits⸗ 
erklärung enthalten iſt), die Erlaſſung des Verſäumnis⸗ 
urteils noch eines in der Verhandlung zu ſtellenden 
Antrages des Klägers bedarf und die Verurteilung 
ohne dieſen Antrag nicht ausgeſprochen wird, iſt im 
Mahnverfahren zur Erlaſſung des Vollſtreckungsbe⸗ 
ſehles noch ein beſonderer Antrag des Gläubigers 
erforderlich (vgl. Motive S. 376). Es iſt daher nicht 
richtig, wenn es in der erwähnten Abhandlung heißt, 
der Voll ſtreckungsbefehl müßte ohne weiteres auf den 
Zahlungsbefehl geſetzt werden, wenn man die frag⸗ 
lichen Worte des Zahlungsbefehles als Antrag des 
Gläubigers auf Vollſtreckbarkeitserklärung anſehen 
wollte und es kann die Vorſchrift des 8 699 ZPO. 
nicht als Argument für die Behauptung benützt werden, 
daß der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeit nicht 
im Zahlungsbeſehl enthalten ſei. 

Der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeit iſt 
alſo mit dem Zahlungsbefehl dem Schuldner zugeſtellt 
und es kann daber die vorläufige Vollſtreckbarkeit des 
Verſäumnisurteils erwirkt werden 

Dieſe den Anforderungen der Praris entſprechende 
Auslegung iſt übrigens nicht bloß in dem Kommentar 
von Gaupp⸗Stein zur Novelle, ſondern auch in den 
früheren Auflagen von Gaupp⸗-Stein vertreten, ſie iſt 
ferner von Struckmann-Koch und Wilmowski-Levy 
ausdrücklich gebilligt und von den anderen Kommen— 
tatoren nicht beſtritten. 

Für die Praris beſteht kein Bedürfnis von dieſer 
den Intereſſen des Gläubigers und dem Zweck des 
Mahnverfahrens entſprechenden Auffaſſung abzugehen, 
und es geht nicht an den Geſetzgeber für unannehm— 
bare Ergebniſſe verantwortlich zu machen, die auf 
einer gerade zu vermeidenden Buchſtabenauslegung 
beruhen. Amtsrichter Gros in München. 


e in Bayern. 1911. Nr. 12. 


J 


Gerichtlicher Sühnetermin im Privatklageverfahren. 
Nach 8 420 StPO. muß im Privalllageverfahren 
wegen einer Beleidigung, wenn die Parteien im gleichen 
Gemeindebezirke wohnen, vor der Erhebung der Klage 
vor einer nichtgerichtlichen Behörde ein Sühnetermin 
ſtattfinden. Die gleiche Beſtimmung enthält 8 383 
des Entwurfs einer neuen StPO. Der Grund der 
Beſtimmung iſt, daß im Sühnetermin die Beleidigung, 
wenn möglich, durch Vergleich erledigt werden ſoll. 


Durch Vergleich werden zum Teil auch die Privat⸗ 


klagen erledigt, die an das Amtsgericht gelangen, weil 
der Sühneverſuch vor der Vergleichsbehörde keinen 
Erfolg hatte, und zwar entweder vor der Beweisauf⸗ 
nahme oder, was die Regel bildet, nach der Beweis⸗ 
aufnahme. In den weitaus meiſten Privatklagefällen 
wäre eine öffentliche gerichtliche Verhandlung mit 
formeller Beweisaufnahme nicht notwendig, wenn in 
den Entwurf der StPO. eine Beſtimmung aufgenommen 
würde, wonach es in das Ermeſſen des Amtsrichters 
geſtellt wird, ſofort nach der Einreichung der Privat⸗ 
klage die Parteien zu einem nichtöffentlichen Sühne⸗ 
termine zu laden unter Androhung von Rechtsnachteilen 
für den Fall des Nichterſcheinens. Den Parteien 
könnte es freiſtehen zu dieſem Termin Zeugen oder 
ſonſtige Beweismittel mitzubringen oder die Ladung 
von Zeugen wäre von Amts wegen anzuordnen, wenn 
es notwendig iſt. Meines Erachtens würde es dem 
Amtsrichter ſehr oft gelingen die Parteien ohne 
weiteres zu vergleichen, ſicherlich öfter als der nicht⸗ 
gerichtlichen Vergleichsbehörde wohl ſchon deshalb, 
weil er in der Regel ein höheres Anſehen als dieſe 
genießt. In dem Termin könnte der Richter den 
Parteien eindringlich vorſtellen, wie unnütz es ſei 
einen koſtſpieligen, zeitraubenden Prozeß mit zweiſel⸗ 
haftem Ausgang zu beginnen. Der Vorteil eines 
nichtöſſentlichen Sühnetermins liegt auf der Hand. 
Es würde dadurch die Eröffnung des Hauptverfahrens 
und der mündlichen Verhandlung mit dem umſtänd⸗ 
lichen Apparat der Zeugenvernehmung und Proto⸗ 
kollierung, mit den oft recht entbehrlichen Ausführungen 
der Parteien und ihrer Rechtsbeiſtände u. ſ. f. weg⸗ 
fallen. Die Parteien würden keineswegs in ihrem 
Recht benachteiligt werden. Bei den Privatklagen 
handelt es ſich überhaupt oft weniger um das Recht 
als um das Austragen gehäſſiger Streitigkeiten, um 
das Aufwühlen von Schmutz der ſchlimmſten Art. 
Man ſucht ſich gegenſeitig bloß zu ſtellen und perſönliche 
Verhältniſſe ans Licht zu zerren. Wie manchen fein 
empfindenden Richter ſtößt es geradezu ab beobachten 
zu müſſen, wie vor der breiteſten Oeffentlichkeit 
ſchmutzige Dinge erörtert werden. Die öffentliche 
Verhandlung verſchärft häufig noch die Feindſchaft 
zwiſchen den Parteien. Mit dem Urteil des Schöffen⸗ 
gerichts gibt man ſich nicht zufrieden. Die eine oder 
beide Parteien legen Berufung ein. Die ohnehin 
nicht niedern Koſten der Privatklage ſchwellen rieſig 
an. Es wäre alſo nur von Vorteil für die Parteien, 
wenn beim nichtöffentlichen gerichtlichen Sühneverſuch 
von vornherein der Prozeßſucht und Rechthaberei 
entgegengetreten würde. 


Amtsrichter Doſenheimer in Ludwigshafen a. Rh. 


‘ 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. n 


lage auf uuterlaſſs einer üblen Nachrede. 
Boransſetzungen für die Fe an daß die Gefahr 
einer Wiederholung vorliegt. Aus den Gründen: 
Zwiſchen dem Beklagten und dem Vater der Kläger 
waren im Jahre 1908 Streitigkeiten über die Grenze 
der Grundſtücke, wegen der Befugnis des Sch. über 
den Grundbeſitz des Beklagten zu gehen, ſowie darüber 
entſtanden, ob letzteres vom Sch. ſchen Grundſtücke aus 
durch eine im Gartenzaune angebrachte Tür geſchehen 
dürfe. Auch ſchwebte zu Ende 1908 ein Strafverfahren, 
das auf Anzeige des Beklagten gegen Sch. eingeleitet 
worden war, weil er zwei dem Beklagten gehörige 
Apfelbäume hatte ausgraben und in ſeinen eigenen 
Garten verpflanzen laſſen. In dem Schreiben vom 
27. Dezember 1908 nun verbot der Beklagte dem 
Sch. und ſeinen Angehörigen das Betreten ſeines 
Grundſtückes, unterſagte ihm nach dem Grundſtücke 
des Beklagten zu eine Gartentür zu haben und forderte 
deren Beſeitigung; ſchließlich ſchreibt er: „Sollten Sie 
meinem Verbote betr. Beſeitigung der Gartentür bis 
7. Januar 1909 nicht nachgekommen ſein, ſo werde 
ich gegen Sie Klage erheben und gleichzeitig zur ge⸗ 
richtlichen Ahndung bringen laſſen, daß — nach mir 
gemachten Anzeigen — Ihre Kinder wiederholt bei 
Obſtdiebſtählen betroffen worden ſind uſw. Meine 
Gewährsmänner find bereit, ihre Ausſagen zu beeiden.“ 

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß — 
ohne Beſchränkung auf das vermögensrechtliche Gebiet 
und auf Beſeitigung eines vom Beklagten geſchaffenen, 
dauernden bedrohlichen Zuſtandes — die Klage auf 
Unterlaſſung jedes widerrechtlichen Eingriffes in ein 
vom Geſetze geſchütztes Recht in rechtsähnlicher An⸗ 
wendung der 88 12, 862, 1004 BGB. dann zu ge⸗ 
währen ſei, wenn dieſer Eingriff, ſei es auch nur in 
der Vergangenheit und ſei es auch nur objektiv be⸗ 
reits verwirklicht worden iſt und in der Zukunft 
weitere Eingriffe zu beſorgen ſind. Der Brief vom 
27. Dezember 1908 enthalte die Behauptung einer 
Tatſache, welche die Kläger verächtlich zu machen ge— 
eignet ſei, alſo den Tatbeſtand der üblen Nachrede 
und damit eine Verletzung ihres Rechtes auf Ehre. 
Der objektiv vorliegende Eingriff in ein geſetzlich ge— 
ſchütztes Recht begründe deshalb den Unterlaſſungs⸗ 
anſpruch und zwar gleichviel, ob die briefliche Be— 
ſchuldigung der Kläger vom Beklagten zur Wahr— 
nehmung berechtigter Intereſſen erfolgt ſei, ſoferne 
nur die Wiederholung zu beſorgen ſei. Daß das 
letztere Erfordernis zutreffe, wird näher ausgeführt. 
Der Beklagte könnte der Verurteilung auf die Klage 
nur entgehen, wenn er den ihm obliegenden Beweis 
der Wahrheit ſeiner Beſchuldigung erbracht hätte. 
Das ſei jedoch keineswegs der Fall. 

Die Reviſion wendet zunächſt ein: Der Beklagte 
habe in ſeinem Briefe nur die Behauptung aufgeſtellt, 
daß „nach einer ihm erſtatteten Anzeige“ 
die Kläger wiederholt bei Obſtdiebſtählen in ſeinem 
Obſtgarten betroffen worden ſeien. Dieſe Behauptung 
decke ſich nicht mit der vom Berufungsgerichte ange— 
nommenen Behauptung, deren Wiederholung dem 
Beklagten verboten ſei. Der Beklagte habe nicht die 
Wahrheit der Beſchuldigung behauptet, ſondern nur 
eben, daß ihm eine Anzeige gemacht ſei. Dieſe Be— 
hauptung aber ſei nach der Feſtſtellung des Berufungs— 
gerichts wahr, jedenfalls nicht widerlegt. Mit dieſem 
Angriffe würde die Reviſion, wenn es auf den Tatbeſtand 
des § 186 StGB. (oder auch des 8 824 BGB.) an⸗ 
käme, nicht durchdringen können, denn für das „Be— 
haupten“ einer ehrenrührigen Tatſache iſt nicht er⸗ 
forderlich, daß der Vorwurf unmittelbar ausgeſprochen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


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261 


wird; die Behauptung der Tatſache kann auch ſchon 
in der Aeußerung eines Verdachtes liegen oder in der 
Mitteilung der Angaben eines anderen, wenn man 
dieſe dadurch zu ſeinen eigenen machen will. 


Die Klage — rügt die Reviſion weiter — ſei aber 
ſchon an ſich rechtlich unhaltbar. Eine Unterlaſſungs⸗ 
klage ſei nur gegeben wegen eines Eingriffes in ſolche 
Rechte und Rechtsgüter, die durch das bürgerliche 
Recht geſchützt ſind. Dahin gehörten zwar nach 8 824 
BGB. Kredit, Erwerb und Fortkommen, nicht aber 
die perſönliche Ehre. Dieſe ſei durch das Strafrecht 
hinreichend geſchützt, und es könne dem angeblich Be⸗ 
leidigten nicht geſtattet ſein, ſtatt der Verfolgung im 
Strafverfahren und ohne Rückſicht auf die hier feſt⸗ 
geſetzte Antragsfriſt den Weg der Zivilklage zu be⸗ 
treten — mit dem Erfolge, daß auch die Vorſchrift 
des 8 193 StGB. außer Anwendung bliebe. Die 
Möglichkeit einer wiederholten Aufſtellung der nicht 
erweislich wahren Tatſache laſſe ſich, wenn der auf 
Unterlaſſung Beklagte nicht zugibt etwas Unwahres 
behauptet zu haben, leicht begründen. Es ſei aber 
ein Rechtsgrund ebenſo wie ein Bedürfnis für die 
Gewährung einer Unterlaſſungsklage in ſolchen Fällen 
nicht anzuerkennen. Es wäre in der Tat ſehr frag: 
lich, ob in einem Falle der vorliegenden Art eine 
Unterlaſſungsklage überhaupt zu geſtatten ſei, ob 
namentlich aus den vom Berufungsgerichte anges 
führten Urteilen des erkennenden Senats (RG3. 
Bd. 60 S. 6 ff., Bd. 61 S. 366 ff.), die ſich auf Fälle 
der Beeinträchtigung von Kredit, Erwerb und Fort⸗ 
kommen beziehen, die Konſequenz der Zulaſſung 
jener Klage auch für den Fall einer nur ehrenkränken⸗ 
den üblen Nachrede, den hier vom Berufungsgericht 
allein feſtgeſtellten Tatbeſtand des 8 186 StGB., ge⸗ 
zogen werden darf. Und es würde fich weiter fragen, 
ob die Klage hier zuläſſig ſei, trotzdem die Beſchul⸗ 
digung zur Wahrnehmung berechtigter Intereſſen er⸗ 
folgt war, und ob dem Beklagten die Beweislaſt für die 
Wahrheit der Beſchuldigung aufgebürdet werden kann. 
Allein es bedarf keines Eingehens auf alle dieſe 
Rechtsfragen, da die angefochtene Entſcheidung ſchon 
aus einem anderen Grunde unhaltbar iſt. 

Unter allen Umſtänden nämlich hat die Klage 
auf Unterlaſſung (mag ſie auf ein Abwehrrecht gegen⸗ 
über einer unerlaubten Handlung geſtützt oder als 
ſog. quaſinegatoriſche Klage erhoben ſein) — und hat 
jedenfalls die Verurteilung auf dieſe Klage zur Vor⸗ 
ausſetzung, daß die Fortſetzung oder Wiederholung 
von Handlungen, Eingriffen derſelben Art ernſtlich 
zu befürchten ſteht. Die Ausführungen des Berufungs- 
urteils nun, mit denen die Annahme einer beſtehen⸗ 
den Wiederholungsgefahr begründet wird, ſind in 
mehrfacher Richtung bedenklich. Der Berufungsrichter 
zieht aus einer Reihe von Umſtänden den Schluß, es 
biete der bei Erhebung der gegenwärtigen Klage vor— 
liegende Sachſtand keine Grundlage für die Annahme 
des Landgerichts, daß eine Wiederholung des rechts— 
widrigen Eingriffes nicht zu beſorgen fei; es ſeien 
auch ſeitdem nicht Umſtände hervorgetreten, die geeignet 
erſchienen die Beſorgnis weiterer Eingriffe in die Ehre 
der Kläger zu beſeitigen, für das Gegenteil ſei viel» 
mehr die Aufrechterhaltung der nur auf ſchwachen 
Füßen ſtehenden Beſchuldigung „anzuziehen“. Die 
erſteren nur negativen Erwägungen würden für ſich 
keinesfalls ausreichen; es wird damit höchſtens die 
Möglichkeit einer Wiederholung feſtgeſtellt; erforder— 
lich wäre eine auf Tatſachen ſich gründende Wahr— 
ſcheinlichkeit der Wiederholung. Aber eine ſolche, 
genügend beſtimmte, pofitive Feſtſtellung iſt auch in 
dem letztangeführten Satze der Urteilsgründe nicht zu 
erblicken. Aus dem Umſtande, daß der Beklagte im 
gegenwärtigen Rechtsſtreite es unternommen hat, den 
Wahrheitsbeweis für die fragliche Beſchuldigung 
zu führen, (durch den er ja nach Anſicht des Vorder— 
richters allein der Verurteilung entgehen konnte), folgt 


262 


noch nicht, daß zu befürchten ſei, er werde außerhalb 
des Prozeſſes jene Beſchuldigung wiederholen. In erſter 
Inſtanz hatte der Beklagte nach dem landgerichtlichen 
Tatbeſtande vorgebracht, er habe ſich nie dahin ge⸗ 
äußert, daß die Kläger Obſt entwendet hätten, er habe 
ee keine Veranlaſſung hierzu, und die Annahme, daß 
er jene Aeußerung wiederholen werde, entbehre jeder 
Begründung. Wenn dann in der Berufungsinftang 
der Beklagte doch die Behauptung, daß die Obſtent⸗ 
wendungen von den Klägern tatſächlich begangen 
ſeien, aufgeſtellt und dafür den Pächter M. als Zeugen 
benannt hat, fo durfte dieſes fein prozeſſuales Ver⸗ 
2. nicht ſchlechthin gegen den Beklagten für die 

nnahme der e verwertet werden. 
Es iſt aus dem Berufungsurteile nicht erſichtlich, daß 
der Beklagte nach dem Ergebniſſe der Beweisaufnahme 
habe erkennen müſſen, jene Beſchuldigung ſtehe nur 
‚auf ſchwachen Füßen“, andererſeits auch nicht, daß 
in der Schlußverhandlung der Beklagte die Bezich⸗ 
tigung trotzdem ausdrücklich aufrecht erhalten hätte. 
Die Sache liegt ſchon inſofern hier anders, als in dem 
Falle des Urteils RG. Z. Bd. 60 S. 6 ff., wo der Beklagte 
im Prozeßverfahren mit äußerſter Zähigkeit und Be⸗ 
harrlichkeit ſeinen Standpunkt und die Richtigkeit 
ſeiner Angaben zu vertreten geſucht hat. Uebrigens er⸗ 
mangeln auch die Folgerungen, die das Berufungs⸗ 
gericht aus dem Vorgehen des Beklagten bei Auf⸗ 


ſtellung der Beſchuldigung in dem Briefe vom 27. 


Dezember 1908, aus der Drohung mit Strafanzeige 
und aus der Veranlaſſung zu dieſem Vorgehen zieht, 
größtenteils der Schlüſſigkeit. (Wird weiter ausge⸗ 
führt). (Urt. des VI. 35. vom 1. Mai 1911, VI 
180 / 10). — — —ı. 
2266 
II. 

Gebrauch eines fremden Namens als Firmenbeſtand⸗ 
teil. Angabe „bifterifcher Tatſachen“ in der Firma. 
An der Außenſeite des offenen Geſchäftsladens der 
Beklagten iſt folgende Aufſchriſt: „R.'s Drogenhaus 
K. u. D. Gegründet 1807. Von 1831 bis 1890 im 
Beſitze von H. F. Riv.“ Den gleichen Vermerk tragen 
die Geſchäftsbücher und Briefumſchläge der Beklagten, 
auch befindet er ſich auf ihren Preisliſten ſowie in 
ihren ſonſtigen Bekanntmachungen. Bei Uebernahme 
des Geſchäfts hatten die Beklagten K. u. D. in einem 
Rundſchreiben und in Zeitungsankündigungen zur 
öffentlichen Kenntnis gebracht, daß ſie die unter der 
Firma R.l's Drogenhaus und Sanitätsbaſar beſtehende 
Drogerie, gegründet 1807, von 1831 bis 1890 im 
Beſitze von H. F. Riv., gekauft hätten. Die Klägerin 
verlangt Unterlaſſung des Gebrauchs des Namens Riv. 
Das LG. wies die Klage ab. Auf Berufung der 
Klägerin verurteilte das Oberlandesgericht die Be— 
klagten beim Betrieb ihres Geſchäfts jeden Gebrauch 
des Namens Riv. zu unterlaſſen, insbefondere die 
Aufſchrift an ihrem Geſchäft „von 1830 bis 1890 im 
Beſitz von H. F. Riv.“ zu beſeitigen. Die Reviſion 
blieb erfolglos. 

Aus den Gründen: Das LG. hatte die Klage 
abgewieſen, weil die Beklagten den Namen Riv. nicht 
als einen ihnen jetzt zukommenden gebrauchten, fon= 
dern mit ihm nur auf eine hiſtoriſche Tatſache hin— 
weiſen wollten. Das Berufungsgericht dagegen führte 
aus: Der Zuſatz deute an, daß ein Nachfolgeverhältnis 
der Firma der Beklagten zu der Firma H. F. Riv. 
dergeſtalt beſtehe, daß die Beklagten die alte Firma 
fortführten. Die Beklagten ſeien aber nicht berechtigt 
den Zuſatz ihrer Firma hinzuzufügen (8 22 Abſ. 1 
HGB.). Der Zuſatz ſei namentlich deshalb geeignet 
in dem kaufenden Publikum den Irrtum zu erregen, 
zwiſchen der erloſchenen Firma H. F. Riv. und der 
Firma der Beklagten beſtehe ein Nachfolgeverhältnis, 
weil der Name H. F. Riv. auf dem Firmenſchild der 
Beklagten durch die Größe der Schrift und die ganze 
Aufmachung auffällig hervorgehoben ſei und dadurch 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


dem Publikum als ſehr weſentlicher Teil der Bezeich⸗ 
nung des Geſchäfts vor die Augen geführt werde. 
Durch den unberechtigten Zuſatz zu der Firma und 
durch die beſondere Hervorhebung des Namens Riv. 
auf dem Firmenſchild und auf den für die Oeffent⸗ 
lichkeit beſtimmten Schriftſtücken der Beklagten werde 
die Klägerin als Trägerin des Namens Riv. in ihrem 
auf $ 12 BGB. ſich ſtützenden Namenrechte verletzt. 
Sie habe ein berechtigtes Intereſſe den Beklagten 
den Gebrauch des Namens Riv. zu unterſagen. Der 
unbefugte Gebrauch des Namens Riv. bringe bei dem 
e Unternehmen der Beklagten die Ge⸗ 
jebr für die Klägerin und ihre Familie, daß ihnen 

orgänge in dem Geſchäfte der Beklagten zur Laſt 
gelegt würden. 

Die Ausführungen des Oberlandesgerichts laſſen 
erſehen, daß der Berufungsrichter angenommen hat, 
die Beklagten gebrauchten den Namen Riv. als Firmen⸗ 
beſtandteil. Rechtliche Bedenken beſtehen gegen die 
Annahme nicht. Daß als Firma nur die Worte R.'s 
Drogenhaus K. u. D. eingetragen ſind, ſtand der An⸗ 
nahme, die Beklagten gebrauchten die Firma mit dem 
jtreiligen Zuſatze, nicht entgegen (vgl. RG. ZS. Bd. 5 
S. 111, Bd. 36 S. 14, Bd. 55 S. 123) Es ließ ſich 
auch der Vermerk „gegründet 1807“ als zur Firma 
gehörig anſehen (vgl. REZS. Bd. 44 S. 17). Ferner 
konnte angenommen werden, daß der Vermerk „von 
1831 bis 1890 im Beſitz von H. F. Riv.“ in gleicher 
Weiſe wie ein Zuſatz „vormals Betrieb von a 
ein Nachfolgeverhältnis anzeige. Die Frage, ob der 
Zuſatz zu der Firma gehöre, einen Beſtandteil der 
Firma bilde, liegt weſentlich auf tatſächlichem Gebiet: 
die Größe der Schrift, die ganze Aufmachung, der 
Umſtand, daß der Zuſatz überall ſich findet, wo die 
eingetragene Firma angegeben iſt, ſchließlich die Un⸗ 
richtigkeit der angeblichen hiſtoriſchen Tatſache, all 
das konnte dem Berufungsgerichte die Ueberzeugung 
verſchaffen, daß die Beklagten unter dem aus der ein⸗ 
getragenen Firma und dem Zuſatz beſtehenden Namen 
ihre Geſchäfte betreiben. Ohne Grund rügt die Revi⸗ 
ſion, der Berufungsrichter habe den Unterſchied zwiſchen 
Firmenzuſätzen und bloßen „Notifikatorien“ verkannt 
(vgl. RG. 3S. Bd. 5 S. 112, Bd. 19 S. 24). Der Be⸗ 
rufungsrichter hat die Frage geprüft, iſt aber aus 
rechtlich bedenkenfreien Gründen zu der Annahme 
gelangt, daß der Zuſatz Beſtandteil der Firma ſei. 
Uebrigens beruht die Entſcheidung des Berufungs⸗ 
gerichts nicht auf der Anwendung des 8 37 Abſ. 2 
HGB., ſondern auf der Anwendung des von dem 
Berufungsrichter angeführten 8 12 BGB. Die Ent- 
ſcheidung des Berufungsgerichts geht nicht dahin, daß 
die Beklagten den Gebrauch der Firma, ſoweit ſie den 
ſtreitigen Zuſatz enthalte, zu unterlaſſen hätten, ſon⸗ 
dern dahin, daß ſie bei ihrem Geſchäftsbetrieb jeden 
Gebrauch des Namens Riv. zu unterlaſſen haben. Die 
Entſcheidung hängt nicht von der Feſtſtellung ab, daß 
der den Namen Riv. enthaltende Zuſatz einen Be- 
ſtandteil der Firma der Beklagten bilde. Sie iſt nach 
§ 12 BGB. gerechtfertigt und geht nicht, wie die Revi⸗ 
ſion geltend macht, in ihrer Faſſung zu weit. Die 
Beklagten ſind nicht befugt bei ihrem Geſchäftsbetriebe 
den Namen Riv. zu gebrauchen. Unter die Beſtim⸗ 
mung des 8 12 fallen auch die Fälle, in denen jemand 
einen fremden Namen zu Reklamezwecken, auf Schil⸗ 
dern uſw. gebraucht (JW. 1911 S. 26 Nr. 2, Kom⸗ 
miſſions-Protokolle 6 S. 113). Daß das Intereſſe der 
Klägerin verletzt wird, wenn die Beklagten den Namen 
Riv. bei dem Betrieb ihres Geſchäftes gebrauchen, 
hat das Berufungsgericht feſtgeſtellt. Ob und inwie— 
weit in der Geſchichte des Geſchäfts der Beklagten der 
Name Riv. zu erwähnen iſt, kann dahingeſtellt bleiben; 
die Verurteilung der Beklagten bezieht ſich nur auf 
die Art und Weiſe des Geſchäftsbetriebes. (Urt. des 
IV. 35. vom 16. Februar 1911, IV 176/10). 

2249 


— — — l. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


III. 


Berſtoß gegen die guten Sitten durch Annahme 
des Berſprechens einer übermäßig großen Mitgift. 
Aus den Gründen: In zweiter Linie führt die 
Reviſion aus, es ſtreite wider die guten Sitten, wenn 
der Kläger als Schwiegerſohn den Beklagten zwingen 
wolle, ſein Verſprechen zu erfüllen, obgleich die Ver⸗ 
mögensverhältniſſe des Beklagten ſo ſeien, daß er ſich 
damit ſelbſt entblöße und für ſeine übrigen Kinder 
ſo gut wie nichts mehr übrig bleibe. Sie meint, der 
Kläger, dem die beſcheidene Vermögenslage des Bes 
klagten ſchon beim Vertragsabſchluſſe bekannt geweſen 
ſei, habe ſich die un verhältnismäßig hohe Summe 
überhaupt nicht verſprechen laſſen dürfen. Die Revi⸗ 
ſion iſt der Anſicht, daß beides gegen die 88 138 und 
826 BGB. verſtoße. Dem kann nicht beigetreten 
werden. Lagen oder liegen die Vermögensverhält⸗ 
niſſe des Beklagten ſo, wie ſie von der Reviſion ge⸗ 
ſchildert werden, ſo würde zwar vielleicht ein auf der 
Höhe ſittlicher Bildung ſtehender Mann von beſonders 
vornehmer Denkart und verfeinertem Anſtandsgefühle 
bei Kenntnis der Sachlage Anſtand genommen haben, 
ſich das Mitgiftverſprechen geben zu laſſen und ebenſo 
jetzt Anſtand nehmen, es klagend geltend zu machen. 
Aber daß der Kläger, worauf es für die Anwendung 
der 88 138 und 826 BGB. allein ankommen kann, 
gegen die Ehrbarkeit und Gewiſſenhaftigkeit des an⸗ 
ſtändigen Durchſchnittsmenſchen oder gar gegen das 
Anſtandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden 
verſtoßen hätte und verſtieße, läßt ſich ſelbſt bei Unter⸗ 
ſtellung der Angaben des Beklagten nicht ſagen. Mit⸗ 
hin kann auch aus dem jetzt von der Reviſion hervor⸗ 
gehobenen Geſichtspunkte weder von einer Nichtigkeit 
des Geſchäfts wegen Verſtoßes gegen die guten Sitten 
noch davon die Rede ſein, daß dem Beklagten die Ein⸗ 
rede der Argliſt aus 8 826 BGB. zuſtände. (Urt. des 
IV. 35. vom 11. Februar 1911, IV 426/10). — — gn. 

2248 


IV. 


Ausgleichung zwiſchen dem Geſamtgut und dem 
eingebrachten Gute bei Errungenſchaftsgemeinſchaſt 
(88 1529, 1539 BCB.). Bedeutung der Zuſtimmung 
eines Ehegatten zu Ausbeſſerungen, Umbau und Ren: 
bauarbeiten auf einem Grundſtücke, das zum einge: 
gebrachten Gute gehört. Die Beklagte iſt Eigentümerin 
eines Grundſtücks in C. Während des Beſtehens der 
Errungenſchaftsgemeinſchaft hat der Kläger für Aus⸗ 
beſſerungen und zur Errichtung eines Neubaus auf 
dieſem Grundſtücke 10 929 M 21 Pf. aufgewendet. Die 
Beklagte iſt in erſter Inſtanz verurteilt worden dieſe 
10 929 M 21 Pf. bei der Auseinanderſetzung als ihr zur 
Laſt fallend zu verrechnen. Ihre Berufung hatte keinen 
Erfolg. Das RG hob auf. 

Aus den Gründen: Der Kläger will nicht nur 
auf dem Grundſtücke der Beklagten ein neues Wohn⸗ 
haus Nr. 12 a errichtet, ſondern auch das vorhandene 
Wohnhaus Nr. 12 ausgebeſſert haben. Nach § 1529 
Abſ. 2 BGB. ſind jedoch die Laſten des eingebrachten 
Gutes in dem durch 85 1384 bis 1387 beſtimmten 
Umfange vom Geſamtgute zu tragen. Erbe Vorſchrift 
erſtreckt ſich auch auf die Koſten der Erhaltung der 
zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenſtände. Sie 
fallen gemäß 8 1384 nach den für den Nießbrauch 
geltenden Vorſchriften dem Geſamtgute zur Laſt. Die 
Beklagte hat deshalb für ſolche Aufwendungen Erſatz 
zum Geſamtgute inſoweit jedenfalls nicht zu leiſten, 
als die Ausbeſſerungen oder Erneuerungen zu der 
gewöhnlichen Unterhaltung des Wohnhauſes gehörten 
(8 1041). Nur wenn ſie darüber hinausgingen und 
wenn es ſich etwa um Ausbeſſerungen nach Art eines 
Umbaus gehandelt hat, gilt von ihnen das gleiche, 
wie von dem Neubau Der Verufungsrichter weiſt 


263 


führung der Bauarbeiten zugeſtimmt hat. Soweit 
dieſe 5 ſich zugleich auf die gewöhnlichen 


»Unterhaltungskoſten bezogen hat, begründet ſie keine 


Entlaſtung des Geſamtgutes und führt deshalb auch 
nicht zu einer Erſtattungspflicht der Beklagten. In 
dieſer Beziehung iſt daher auch der in den Gründen 
des Berufungsurteils enthaltene Hinweis auf 8 1539 
Satz 2 verfehlt. 

Soweit es ſich dagegen um die Koſten des Neu⸗ 
baus oder um ſolche Unterhaltungskoſten handelt, die 
über das im 8 1041 Satz 2 vorgeſchriebene Maß 
hinausgingen, kann ſich allerdings aus der Zuftimmung 
der Beklagten eine Anwendung des 8 1539 Satz 
ergeben. Daß zur Zeit der Beendigung der Errungen⸗ 
e e das eingebrachte Gut der Beklagten 

urch dieſe Aufwendungen bereichert war, hat die Be⸗ 
Hagte beſtritten und der Berufungsrichter hat nicht 
feſtgeſtellt, daß die damals vorhandene Bereicherung 
dem Betrage der Aufwendungen gleichkam. Die Vor⸗ 
ausſetzungen für eine Anwendung des 8 1539 Satz 1 
liegen daher noch im Ungewiſſen. Gleichwohl beſteht 
ein beſonderer Grund, weshalb von der beklagten 
Ehefrau die Erſtattung des wirklichen Aufwandes 
zum Geſamtgute verlangt werden kann, im Sinne des 
8 1539 Satz 2 dann, wenn die zum Zwecke der Ver⸗ 
waltung des eingebrachten Frauengutes 5 
Aufwendungen den Umſtänden nach vom Manne für 
erforderlich gehalten werden durften. Dies ergibt ſich 
aus 8 1525 Abſ. 2 in Verbindung mit 8 1374 und 
mit 8 1390 BGB. Die nach 8 1390 beſtehende Aus⸗ 
nahme, daß die Aufwendungen dem Geſamtgute zur 
Laſt fallen, findet nach dem Vorangeführten auf die 
ungewöhnlichen Ausbeſſerungskoſten und die Koſten 
eines Neubaus jedenfalls keine Anwendung. Die Vor⸗ 
ausſetzung der Regelvorſchrift des 8 1390 aber, daß 
der Mann den Umſtänden nach die Aufwendung für 
erforderlich halten durfte, kann als erfüllt gelten, wenn 
beide Eheleute darüber einig waren, daß der Bau 
ausgeführt werden ſollte, ſofern nicht beſondere Gründe 
dagegen ſprechen. Trifft dies zu, fo wird die Ber⸗ 
pflichtung der Frau zum Geſamtgut Erſatz zu leiſten 
durch den Bedarf begrenzt, den eine ordnungmäßige 
Ausführung eines ſolchen Umbaus oder Neubaus 
erforderte. Bauarbeiten, die außerdem vorgenommen 
ſind, unterliegen, wenn ſie nicht etwa noch die be⸗ 
ſondere Zuſtimmung der Frau gefunden haben, nur der 
Vorſchrift des 8 1539 Satz 1. (Urt. des IV. 3S. vom 
20. Februar 1911, IV 245/10). — - en. 

2250 


V. 


„Aunsdräckliche“ Einwilligung in die Fortführung 
einer Firma (§ 22 Abſ. 1 HGB.). Aus den Grün⸗ 
den: Das Recht des Erwerbers eines Handelsgeſchäfts 
die bisherige Firma fortzuführen, wird durch 8 22 
HGB. an das Erfordernis einer „ausdrücklichen“ Ein⸗ 
willigung des bisherigen Inhabers oder ſeiner Erben 
geknüpft. In welchem Sinne das Wort „ausdrücklich“ 
da verſtanden werden muß, wo es im HGB. oder im 
BGB. gebraucht wird, hängt nicht von der Stellung 
ab, die man in der allgemeinen Theorie des Rechts⸗ 
geſchäfts zu der Unterſcheidung der ausdrücklichen und 
der ſtillſchweigenden Willenserklärungen einnimmt. 
Die Bedeutung muß in jedem einzelnen Fall ermittelt 
werden. Im Falle des 8 22 ging die Abſicht des 
Geſetzgebers nur dahin die Zweifel und Unſicherheiten 
auszuſchließen, die unvermeidlich find, wenn man fon= 
kludente Umſtände als Träger der Einwilligungser— 
klärung anerkennt. Vor allem ſollte verhindert werden, 
daß in einem bloßen paſſiven Dulden der Fortführung 
der Firma eine Einwilligung erblickt würde. Daher 
wurde eine beſtimmte unmittelbare Aeußerung des 
Zuſtimmungswillens verlangt. Jede Form aber, in 
welcher eine Aeußerung unmittelbar erfolgen kann, 


darauf hin, daß die Beklagte unbeſtritten der Aus- | follte genügen (vgl. ROH. Entſch. Bd. 10 S. 291. 


264 


RG. in JW. 1888 S. 220 Nr. 7). Das OL. ift nun 
nicht etwa der Meinung, daß die oben hervorgehobenen 
Umſtände — das Verlangen des hohen Kaufpreiſes, 
die Antwort auf die Frage des Notars, die wider⸗ 
ſpruchsloſe Duldung der Kläger, der Briefwechſel vom 
16. und 17. Auguſt 1906 — einzeln oder zuſammen⸗ 
gefaßt eine ausdrückliche Einwilligung enthielten. Viel⸗ 
mehr hat es ſie nur als Beweisgründe dafür benützt, 
daß die Kläger bei Abſchluß des Kaufvertrags oder im 
ee Dune damit eine beſondere Aeußerung des 
Inhalts abgegeben haben, daß die Fortführung ge— 
ſtattet werde. Einer ſolchen Verwertung der Umſtände 
tritt der 8 22 nicht entgegen. Dieſe Vorſchrift iſt 
keine den Indizienbeweis verbietende Prozeßvorſchrift. 
Sie gehört dem materiellen Rechte an und beſtimmt 
durch Ablehnung des ſchlüſſigen Verhaltens, daß an 
den Erklärungstatbeſtand höhere Anforderungen ge= 
ſtellt werden ſollen, als es für gewöhnlich der Fall 
iſt. (Urt. des I. 85. vom 22. April 1911, I 127/10). 

2251 


— - u. 


VI 


Gegen den ſtillen Geſellſchafter beſteht kein Kon⸗ 
kurrenzverbot (8 112 HGB.). Der Ehemann der Klä⸗ 
gerin betrieb in Fr. ein Stroh- und Filzhutgeſchäft, 
das infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens 
geſchloſſen wurde. Um es mit fremdem Gelde weiter 
zu führen, trat er mit dem Beklagten in Verbindung. 
Es kam ein Vertrag zuſtande, wonach ſich die Klägerin 
vom 1. Januar 1905 an bei dem von dem Beklagten 
zu betreibenden Fabrikationsgeſchäft als ſtille Geſell⸗ 
ſchafterin mit 4000 M beteiligte, während ihr Ehe: 
mann als Prokuriſt mit einem ihr ausſchließlich zur 
Laſt fallenden Jahresgehalt von 1500 M eintrat und, 
wenn das Konkursverfahren durch Zwangsvergleich 
beendigt wurde, berechtigt war die Stelle feiner Ehe- 
frau in der Weiſe einzunehmen, daß er zuſammen 
mit dem Beklagten eine offene Handelsgeſellſchaft 
bildete. Er hatte ebenſo, wie der Beklagte, ſeine ge— 
ſamte geſchäftliche Tätigkeit den Zwecken der Geſell— 
ſchaft unter Ausſchluß jeder Tätigkeit in demſelben 
oder einem anderen Handelszweige zu widmen. Der 
Vertrag ſollte bis zum 31. Dezember 1914 dauern. 
Im Januar 1909 kündigte der Beklagte das Geſell— 
fchaftsverhältnis zum 31. Dezember 1909. Die Klägerin 
beantragte darauf die Nichtberechtigung des Beklagten 
zu dieſer Kündigung feſtzuſtellen. Dieſer machte zur 
Begründung ſeines Antrages auf Abweiſung der Klage 
geltend: Er habe wegen der nachläſſigen Geſchäfts— 
tätigkeit des Ehemannes der Klägerin ihm ſeine Stel— 
lung gekündigt. Für den Abſchluß des Geſellſchafts— 
vertrages ſei in erſter Linie nicht die Beteiligung der 
Klägerin, ſondern die Tätigkeit ihres Ehemannes be— 
ſtimmend geweſen. Außerdem habe dieſer am 1. Ja- 
nuar 1909 in Fr. ein Konkurrenzgeſchäft eröffnet. Die 
Klage wurde in den Vorinſtanzen abgewieſen. Die 
Reviſion hatte Erfolg. 

Gründe: Nach Anſicht des OLG. iſt die vor⸗ 
zeitige Aufkündigung der zwiſchen den Parteien ge— 
. ſtillen Geſellſchaft gemäß $ 339 HGB. und 
8 723 BGB. gerechtfertigt. Der wichtige Grund zur 
einſeitigen Auflöſung des Vertrages liege für den 
Beklagten darin, daß der Ehemann der Klägerin in 
Fr. in demſelben Geſchäftszweige, worauf ſich der 
Betrieb der ſtillen Geſellſchaft erſtrecke, ausſchließlich 
tätig ſei. Zwar beſtehe gegen den ſtillen Geſellſchafter 
als ſolchen kein Konkurrenzverbot, wie es im 8 112 
HGB. dem offenen Handelsgeſellſchafter auferlegt ſei. 
Das Geſellſchafts verhältnis der Parteien habe aber 
nur die Form einer ſtillen Geſellſchaft nach außen hin, 
in Wahrheit liefen die Beziehungen zwiſchen der Klä— 
gerin und ihrem Ehemanne auf der einen und dem 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


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Beklagten auf der anderen Seite auf eine der offenen | 


Handelsgeſellſchaft fait gleiche Vertragslage hinaus. 
Die Klägerin und deren Chemann jtänden gewiſſer— 


maßen dem Beklagten als eine Perſon gegenüber. Die 
Klägerin, die durch die Perſon ihres Mannes hindurch 
als wirkliche Geſellſchafterin anzuſehen ſei, hätte durch 
ihn hindurch die Pflicht zum Betriebe des Handels⸗ 
gewerbes. Deshalb beſtände auch gegen ſie ſtillſchwei⸗ 
gend ein vertragliches Konkurrenzverbot. Sie müſſe 
die Konkurrenz, die ihr Ehemann dem Beklagten mache, 
gegen ſich gelten laſſen, weil ſie nur den Namen her⸗ 
gegeben habe, während ihr Ehemann die für den Be⸗ 
klagten bei Eingehung des Vertragsverhältniſſes maß⸗ 
gebend geweſenen fachmänniſchen und kauſmänniſchen 
Kenntniſſe allein beſeſſen habe und beſitze. Es ſei er⸗ 
wieſen, daß er dem Konkurrenzverbot zuwidergehan⸗ 
delt habe, da er nach Behauptung der Klägerin ſeine 
geſchäftlichen Kenntniſſe und Erfahrungen als tech⸗ 
niſcher Leiter in der Filz⸗ und Strohhutabteilung der 
Firma Gebr. R. in Fr. verwerte. Die Klägerin könne 
ſich nicht darauf berufen, daß er ohne Grund von 
dem Beklagten entlaſſen ſei. Auch die unberechtigte 
Entlaſſung beſeitige nicht das Konkurrenzverbot. 
Dieſe Begründung iſt nicht in dem Sinne zu ver⸗ 
ſtehen, daß das Vertragsverhältnis der Parteien nach 
außen als ſtille Geſellſchaft, nach innen ſchlechthin als 
offene Handelsgeſellſchaft ſich darſtelle. Die Abſtellung 
der Entſcheidung auf den § 339 HGB. weiſt darauf 
hin, daß auch das OLG. die Rechtsverhältniſſe der 
Parteien in ihrer Geſamtheit als ſtille Geſellſchaft be⸗ 
handelt. Dieſe können auch nur nach dem ſchriftlichen 
Vertrage als ſtille Geſellſchaft gekennzeichnet werden. 
Die Klägerin beteiligt ſich danach an dem Geſchäfte 
des Beklagten als ſtille Geſellſchafterin mit einer Ein⸗ 
lage von 4000 M und nimmt, obwohl Gewinn und 
Verluſt unter die Geſellſchafter nach . verteilt 
werden follen, doch nur (wie der 8 337 Abſ. 2 HGB. 
es vorſchreibt) bis zum Betrage ihrer Einlage an dem 
Verluſte teil. Am Schluſſe des Vertrages iſt zur Er⸗ 
gänzung ausdrücklich auf die geſetzlichen Beſtimmungen 
über die ſtille Geſellſchaft verwieſen. Der klare In⸗ 
halt des Vertrages ſchließt aber die Annahme des 
OLG. aus, daß gegen die Klägerin ſtillſchweigend ein 
Konkurrenzverbot beſtehe. Nach den geſetzlichen Vor⸗ 
ſchriften beſteht kein ſolches Verbot gegen den ſtillen 
Geſellſchafter. Auch der Vertrag hat nichts Abwei⸗ 
chendes für die Dauer der ſtillen Geſellſchaft feſtgeſetzt. 
Dagegen enthält er im 8 9 ein Konkurrenzverbot gegen 
die Klägerin und deren Ehemann für den Fall, daß 
ſie nach dem Tode des Beklagten deſſen Geſchäft nicht 
für eigene Rechnung unter der bisherigen Firma über⸗ 
nehmen werde. Andererſeits zeigen die dem Ehemanne 
der Klägerin auferlegte Verpflichtung ſeine geſamte 
geſchäftliche Tätigkeit den Zwecken der Geſellſchaft zu 
widmen und das ihm für den Fall des Zwangsver⸗— 
gleiches im Konkursverfahren über ſein Vermögen ein⸗ 
geräumte Recht in das Geſchäft des Beklagten als 
offener Handelsgeſellſchafter einzutreten deutlich, wie 
großen Wert die Parteien auf ſeine Tätigkeit in dieſem 
Geſchäfte legten. Dies zwingt, den Vertrag dahin aus— 
zulegen, daß das Verbleiben des Ehemannes der Klä— 
gerin im Geſchäfte des Beklagten Bedingung für den 
Fortbeſtand der ſtillen Geſellſchaft zwiſchen ihm und 
der Klägerin ſein ſollte. Die Feſtſtellung der Urſache 
der Entlaſſung des erſteren aus ſeiner bisherigen Stel— 
lung iſt daher von entſcheidender Bedeutung für die 
Beantwortung der Frage, ob ſeine Entlaſſung in Ver— 
bindung mit dem Eintritte in ein fremdes Geſchäft dem 
Beklagten einen wichtigen Grund zur Kündigung des 
Geſellſchaftsvertrages gibt. Dies hat das OLG. vers 
kannt. Mit Recht macht die Reviſion geltend, daß ſich 
der Beklagte auf die Konkurrenztätigkeit des Ehe— 
mannes der Klägerin nicht berufen könne, wenn er 
ihn zu Unrecht entlaſſen und damit ſelbſt die Notlage 
geſchaffen habe, aus der dieſer ſich durch Annahme 
ſeiner neuen Stellung habe befreien müſſen. Denn wenn 
auch der Vertragswille der Parteien dahin ging, daß 
das Verbleiben des Ehemannes der Klägerin im Ge— 


ichäfte des Beklagten Bedingung für den Fortbeſtand 
der ſtillen Geſellſchaft ſein ſolle, ſo kann doch die Ent⸗ 
laſſung nicht als Eintritt der Bedingung zugunſten 
des Beklagten gelten, wenn dieſer die Entlaſſung wider 
Treu und Glauben herbeigeführt hat (vgl. $ 162 Abſ. 2 
BGB.). Das OLG. hätte daher die hierher gehörigen 
Parteibehauptungen und die Ergebniſſe der Beweis: 
aufnahme in erſter Inſtanz prüfen müſſen. (Urt. des 
1. 35. vom 21. März 1911, I 54/80). 
2242 


— — —ı. 


VII. 


Erſorderniſſe der Neviſionsbegründung (5 554 3PO.). 
Aus den Gründen: Die ſchriftliche Reviſionsbe⸗ 
gründung genügt in ihrem N mit der Wen⸗ 
dung: „Das Urteil I. Inſtanz dient als Reviſions⸗ 
begründung“ und mit der Einſchaltung einer Stelle aus 
dieſem Urteile nicht der zwingenden Vorſchrift des 
§ 554 ZPO. Dasſelbe gilt von dem hinzugefügten 
Satze: „Vor allen Dingen hat das Oberlandesgericht 
den klaren Ausſagen der Zeugen, insbeſondere H., 
N., N. und K. keine genügende Rechnung getragen“. 
Da hiermit eine Verletzung des Geſetzes in bezug auf 
das Verfahren gerügt wird, ſo hätten die Tatſachen, 
die den Mangel ergeben ſollen, klar und beſtimmt 
bezeichnet werden müſſen. Dies iſt nicht geſchehen. 
(Urt. des I. ZS. vom 26. April 1911, I 559/09). 

2252 


— — — n 


VIII. 


Erferderniſſe für die Angabe der Reviſionsgründe 
nach 5 554 Abs. 3 Nr. 2 380. Verpflichtung zur An⸗ 
gabe von Aktenſtellen. Aus den Gründen: Gegen⸗ 
über der zwingenden Vorſchrift des 8 554 ZPO. ge⸗ 
nügt es nicht die Reviſion — wie es in der ſchrift⸗ 
lichen Reviſionsbegründung geſchehen iſt — mit der 
Bemerkung zu rechtfertigen: „Das Berufungsgericht 
habe die in erſter Inſtanz vernommenen Zeugen nicht 
gewürdigt“ und „die zu dieſem Punkte angebotenen 
klägeriſchen Beweiſe abgelehnt“. Aufgabe der Reviſion 
iſt es vielmehr die Tatſachen, die den Mangel ergeben 
ſollen, unter Angabe der Aktenſtellen, wo ſie 
zu finden ſind, klar und beſtimmt zu bezeichnen. Darum 
kann auch der zur Ergänzung der Reviſionsbegründung 
eingereichte Schriftfatz die Reviſion nicht ſtützen. Er 
bezeichnet weder die Tatſachen, die nicht berückſichtigt 
fein ſollen, noch läßt er erkennen, ob die Beweisan⸗ 
gebote, deren Nichterhebung gerügt wird, für alle in 
der Reviſionsbegründung unter Nr. 4, 5, 6 enthaltenen 
Angriffe oder teils für den einen, teils für den an⸗ 
deren Angriff in Betracht kommen. Außerdem fehlen 
Angaben darüber, wo die aus den Schriftſätzen vom 
12. und 26. März 1909 wiederholten und die neu 
hinzugefügten Beweisangebote in dem 26 Seiten um— 
faſſenden Schriftſatze vom 21. September 1909 ange⸗ 
führt find. (Urt. des J. ZS. vom 13. März 1911, I 
369/10). — —— n 

2240 


B. Strafſachen. 
I. 


„Ueberlaſſen“ ange Poſtkarten im Sinne der 
184 Nr. 2, 184 a St dB. Aus den Gründen: 

ie Annahme der Strafkammer, daß der Angeklagte 
die Karten einer Perſon unter 16 Jahren gegen Ent— 
gelt überlaſſen habe, muß beanſtandet werden. Es iſt zwar 
feſtgeſtellt, daß der Schutzmann O. den 14 jährigen G. 
veranlaßt hat ſich dieſe Karten im Laden des An— 
geklagten zu kaufen, weiter aber auch, daß der 
Angeklagte den G., als dieſer die Karten verlangte, 
zunächſt gefragt hat, wie alt er ſei, und als G. ſein 
Alter angegeben hatte, ihm die Karten erſt gegeben 
hat, auf die Erklärung des G., daß ihn ein an der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


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265 


Ecke ſtehender Mann „zum Kaufe beauftragt“ habe, 
und nachdem er ſich von ſeiner Ladentür aus nach 
dieſem Manne umgeſehen hatte, nämlich dem Schutz⸗ 
mann O., der G. veranlaßt hatte, die Karten zu kaufen. 
Demnach bleibt aber mindeſtens die Möglichkeit offen, 
daß der Angeklagte der Meinung geweſen iſt, G. komme 
im Auftrage dieſes Mannes und der Mann a der 
Käufer der Karten. Wäre diefe Annahme auch irrig 
geweſen und hätte G. die Karten tatſächlich für ſich ge⸗ 
kauft, ſo hätte doch infolge dieſes Irrtums der An⸗ 
geklagte nicht gewußt, daß er einer Perſon unter 16 
Jahren verkaufe, ſondern den jugendlichen G. für den 
Boten eines erwachſenen Käufers gehalten. Dann 
könnte ihm aber nach 8 59 StGB. der Umſtand, daß 
eine Perſon unter 16 Jahren die Karten kaufte, nicht 
zugerechnet und er aus 88 184 Nr. 2, 184 a StGB. 
nicht beſtraft werden. Denn darin, daß er die Karten 
dem G. nur zur Ueberbringung an einen erwachſenen 
Käufer aushändigte, kann ein „Ueberlaſſen“ der Karten 
an G. i. S. der SS 184 Nr. 2. 184 a nicht gefunden 
werden, da dazu ſchon nach dem Wortſinne erforder 
lich iſt, daß der Beſitz zu eigener Verfügung oder 
eigenem Gebrauch desjenigen übertragen wird, dem 
überlaſſen wird. Nach den bisherigen Feſtſtellungen 
iſt deshalb die Verurteilung des Angeklagten wegen 
eines Vergehens aus 88 184 Nr. 2, 184 a unhaltbar. 
(Urt. des I. Strafſen. vom 24. April 1911, 1 D 222/11). 

2262 


— —— n 


II. 


Schutz des $ 193 StGB. bei Veröffentlichung von 
Gerichtsverhandlungen in der Preſſe. Aus den 
Gründen: Der Beſchwerdeführer beruft ſich darauf, 
daß er als Redakteur ſelbſt davon betroffen werde, 
wenn durch die Weglaſſung der Berichte über Gerichts⸗ 
verhandlungen der Abonnentenkreis der Zeitung ver» 
ringert werde, und daß er außerdem damals von 
demſelben Rechtsanwalt in einem Prozeß verteidigt 
worden ſei, deſſen Beweisanträge in der Sache gegen 
G. er wiedergegeben habe um die Sorgfalt dieſer Ber: 
teidigung darzutun. Dabei verkennt er aber, daß das 
berechtigte Intereſſe, das der 5 193 StG. ſchützen 
will, ſich auf die beleidigende Aeußerung ſelbſt be⸗ 
ziehen muß, hier alſo auf die angebliche Tatſache, 
daß K. die wiedergegebenen Verfehlungen begangen 
habe. An einem Zuſammenhange der vom Beſchwerde⸗ 
führer geltend gemachten Intereſſen mit der Ehrver⸗ 
letzung des K. fehlt es aber hier durchaus. Ein In⸗ 
tereſſe daran, die ehrverletzenden Behauptungen über 
K. zu verbreiten, iſt vom Angeklagten nicht geltend 
gemacht worden und auch nicht erſichtlich. Das In: 
tereſſe aber Berichte über Gerichtsverhandlungen zu 
veröffentlichen und dadurch die Zeitung zu heben, 
oder das die Tüchtigkeit des eigenen Verteidigers 
hervorzuheben macht den Gegenſtand der Gerichts- 
verhandlung nicht zu einer Angelegenheit, an der der 
Redakteur ſelbſt perſönlich beteiligt wäre. Auch die 
Behauptung des Angeklagten, die Sachlage bilde jeden— 
falls einen der im $ 193 angeführten „ähnlichen Fälle“, 
geht fehl. Es gibt kein unbedingtes Recht öffentliche 
Gerichtsverhandlungen in der Preſſe zu veröffentlichen 
ohne ſich ſtrafbar zu machen, wie dies bei wahrheits— 
getreuer Berichterſtattung über Reichstags: oder Land— 
tagsverhandlungen der Fall iſt. Gerade aus den über 
dieſe letzteren erlaſſenen Vorſchriften erhellt, daß der 
Veröffentlicher von Gerichtsverhandlungen den allge— 
meinen Strafgeſetzen unterworfen iſt und keine Sonder— 
rechte für ſich beanſpruchen darf. Iſt die Verbreitung 
des Inhalts einer Gerichtsverhandlung im einzelnen 
Falle an ſich eine ſtrafbare Handlung, ſo iſt ſie nicht 
anders zu beurteilen, als wenn die verbreitete Tat— 
ſache außerhalb einer Gerichtsverhandlung behauptet 
worden wäre. Wenn alſo in der Gerichtsverhandlung 
ehrenkränkende Behauptungen im Sinne des 8 186 
StGB. aufgeſtellt worden find, fo darf ein anderer 


266 
fie nur dann ungeſtraft verbreiten, wenn fie entweder 
erweislich wahr find, oder wenn er gerade an der 
Verbreitung dieſer Tatſachen ein berechtigtes Antereffe | 
hat oder zu haben glaubt und weder aus der Form 
noch aus den Umſtänden auf die Abſicht der Be⸗ 
leidigung zu ſchließen iſt. (Urt. des I. Straffen. vom 
3. April 1911, I D 100/11). — — 2 n. 
2263 


III. 


e e e im Falle des 3 193 Sts. 
Aus den Gründen: Die Strafkammer räumt dem 
Angeklagten ein, daß er zur Wahrnehmung berechtigter 
5 5 gehandelt habe, verſagt ihm aber den Schutz 

38 193, weil er „nicht nur dieſen Zweck verfolgt, 
1 dabei auch die Abſicht gehabt habe, den Ge⸗ 


neral zu beleidigen“; dazu wird dann geſagt: „liege 
aber die Abſicht der Beleidigung vor, ſo ſei für die 
Anwendung des 8 193 kein Raum mehr“. Das iſt 


rechtsirrig. Der $ 193 beſtimmt, daß Fälle der dort 
bezeichneten Art nur inſofern ſtrafbar ſind, als das 
Vorhandenſein einer Beleidigung aus der Form 
der Aeußerung oder aus den Umſtänden hervorgeht, 
unter welchen ſie geſchah. Danach kann keine Rede 
davon ſein, daß eine ehrenkränkende Aeußerung, die 
zur Wahrnehmung berechtigter Intereſſen gemacht iſt, 
ohne weiteres den Schutz des § 193 deshalb nicht ge⸗ 
nießen kann, weil „auch“ die Abſicht zu beleidigen vor⸗ 
gelegen hat. Das Fehlen der Abſicht zu beleidigen 
iſt keine Vorausſetzung der Anwendung des 8 193, 
vielmehr kann mit dem Zwecke der Wahrnehmung be⸗ 
rechtigter Intereſſen die Abſicht zu beleidigen aus den 
verſchiedenſten Gründen verbunden ſein, ohne daß die 
Aeußerung den Schutz des § 193 verliert. Die Straf: 
barkeit kann in ſolchem Falle nur dann eintreten, wenn 
die Abſicht zu beleidigen aus der Form der Aeußerung 
oder aus den Umſtänden, unter denen ſie geſchah, 
äußerlich erkennbar geworden iſt, und auch da nur 
unter der Vorausſetzung, daß der Täter ſich bewußt 
geweſen iſt nach Form und Umſtänden über das zur 
Wahrnehmung ſeiner berechtigten Intereſſen Erforder⸗ 
liche hinauszugehen. Eine Prüfung in dieſer Richtung 
hat die Strafkammer nicht vorgenommen; der von ihr 
angeführte Grund iſt nicht geeignet die Strafloſigkeit 
einer zur Wahrnehmung berechtigter Intereſſen ge— 
tanen Aeußerung auszuſchließen. (Urt. des I. Straf⸗ 


fenats vom 4. Mai 1911, I D 207/11). 
2265 


— —-—ı 


IV. 


Begriff des Handtrunts. Herſtellung unter Ber: 
wendung ausländiſcher Weine. Aus den Gründen: 
Nach 8 3 WG. iſt die Zuckerung auständiichen Weines 
verboten, auch wenn die Herſtellung des Weines nicht 
gewerbsmäßig erfolgt. Das ſchließt nach § 11 nicht 
aus, daß ausländiſcher Wein zur Bereitung von Haus— 
trunk in der Weiſe verwendet wird, daß ihm Zucker 
oder Zuckerwaſſer beigemengt wird. Zwar ſieht das 
Geſetz nur vor, daß Haustrunk aus Traubenmaiſche, 
Traubenmoſt, Nückſtänden der Weinbereitung oder 
getrockneten Weinbeeren hergeſtellt wird, aber es iſt 
ſelbſtverſtändlich in erhöhtem Maße zuläſſig, auch 
fertigen Wein zur Bereitung von Haustrunk zu ver— 
wenden und unbehindert durch die Vorſchriften des 83 
zu bereiten. 

Es wird aber ſtets, ſobald es ſich um die An— 
wendung der Ausnahmebeſtimmungen für den Haus— 
trunk handelt, vorausgeſetzt, daß das Getränke aus— 
ſchließlich für den Bedarf des eigenen Haushaltes des 
Herſtellers hergeſtellt wird. Das ergibt ſich klar aus 
der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes und kommt auch 
in der Beſtimmung des 8 
Ausdruck. An dieſer Woran gebricht es aber 
nach den Urteilsfeſiſtellungen bei dem von dem An— 
gellagten unter Verletzung der Beſtimmungen des 83 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


hergeſtellten Getränke. 


Eheleuten S. 
11 Abi. 4 WG. deutlich zum 


Nr. 12. 


Wenn der Angeklagte auch 
nicht deſſen gewerbsmäßige Weiterveräußerung in der 
Wirtſchaft beabſichtigte, ſo ſollte es doch dritten Per⸗ 
ſonen — und zwar nicht etwa Hausgenoſſen, Be 
dienſteten oder Gäſten innerhalb des eigenen Haus⸗ 
halts des Angeklagten — ſondern außerhalb — zur 
freien Verfügung übergeben werden, da die Ueber⸗ 
ſendung des Getränkes an die Tochter des Angeklagten 
vorgeſehen war, die einen eigenen Haushalt führte. 
(Urt. des I. Straffen. vom 10. April 1911, 1 D 248/11). 
2264 ey 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


riff und rechtliche Behandlung des Zubehörs 
in der 1 J zwiſchen dem Inkrafttreten des B88. und 
der Einführung des Grundbuchrechts. Begriff des „für 
einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Ge⸗ 
bändes und der „zum Betriebe beſtimmten Gerät⸗ 
ſchaften“. Erlöſchen der Znbehöreigenſchaft durch „Ber: 
anßzerung“ nach dem bayer. HypG. (BGB. 8538 97, 98, 
EG. BGB. Art. 181, 189, HypG. §§ 33, 35 — 38, 78). 
Hermann und Roſa W. in A. haben durch notariellen 
Vertrag vom 17. März und 26. Mai 1908 von Thereſe 
B., nun verehelichte S. in A., das Anweſen Lit. F 
Nr. 54 und 55 erworben. Darin wurde früher eine 
Brauerei betrieben. Es beſteht aus mehreren Einzel⸗ 
gebäuden. Die Käufer haben das an die G. Straße 
angrenzende Gebäude, den einſtigen Lagerbierkeller, 
zu einem Wohnhauſe mit Laden umgebaut. Das 
Brauhaus wurde von W. den Zwecken ſeines Ge⸗ 
ſchäftsbetriebs (Limonadefabrikation und Vierabfüll⸗ 
geſchäft mit Flaſchenbierhandel) angepaßt; beim Um⸗ 
bau entfernte er die Brauereimaſchinen und brachte 
dafür die erforderlichen Maſchinen ein. Von der 
Straße aus führt eine Toreinfahrt in den Hof, in 
dem ſich das die Geſchäftsräumlichkeiten des W. 
enthaltende Gebäude befindet; an dieſes Gebäude 
ſchließen ſich die Stallgebäude, das Magazin und 
das Remiſengebäude an; ſie bilden die Süd⸗ und 
Weſtgrenze des Grundſtücks und ſtoßen an die Süd⸗ 
weſtecke des Vordergebäudes. Das obere Stockwerk 
des ehemaligen Brauhauſes wurde als Wohnung her⸗ 
gerichtet und benützt. Die Räume zu ebener Erde 
dienten dem Geſchäftsbetriebe. Vom Hofe aus betritt 
man zunächſt das Bureau, an das ſich ein Laboras 
torium anſchließt. Vom Bureau aus gelangt man in 
den eigentlichen Geſchäftsraum, in dem die Limonade 
hergeſtellt und das Bier in Flaſchen gefüllt wird. 
Dieſer Raum war ſeinerzeit das Sudhaus der Brauerei, 
iſt ſehr hoch, gewölbt und hat noch denſelben Beton: 
boden wie früher. Die Maſchinen find zum Teil auf 
Betonſockeln aufgeſchraubt, die auf dem Betonboden 
des Raumes ruhen oder auf einer kleinen Erhöhung 
des alten Betonbodens angebracht ſind oder ſtehen; 
ein Teil der Maſchinen ſteht ohne Befeſtigung auf 
dem Boden oder auf Betonſockeln. Vom Fabrikations- 
raum führt ein mechaniſch betriebener Aufzug in den 
Keller. Der Stall iſt für drei Pferde eingerichtet. 
Am 4. und 18. März 1908 hat Hermann W. mit 
Thereſe B. einen Vertrag geſchloſſen, wonach er ſich 
und ſeine Beſitznachfolger verpflichtete, auf die Dauer 
von 10 Jahren das Bier für den Flaſchenbierhandel 
ausſchließlich aus der von Thereſe B., jetzt von ihrem 
Ehemanne S. betriebenen Brauerei in A. zu beziehen. 
Einige Zeit danach haben die Eheleute W. von den 
ein Darlehen von 15000 M erhalten, 
zu deſſen Gunſten ſie mit notarieller Urkunde vom 
12. Auguſt 1908 auf ihrem Anweſen „Samt allen mit— 
haftenden Werten? Hypothek beſtellten. In der 
Hypothekenurkunde wurde das Anweſen nach dem 


geltſchrift für 


— m — — 


früheren Kataſtervortrage beſchrieben als: „Keller⸗ 
gebäude mit Mälzerei, Schupfe, Stallgebäude, Brau⸗ 
haus und Hofraum“. Das Hypothekenamt bemerkte 
in der Vollzugsbeſtätigung, daß das Anweſen nun⸗ 
mehr kataſtriert iſt als: Wohnhaus, Seitengebäude 
mit Stallung, Automobilremiſe, Magazin, Waſchküche, 
bewohnbares Rückgebäude mit Gefchäftsräumen. 

In einem privatſchriftlichen Vertrage vom 15. 
April 1909 erkannte Hermann W. an, von dem Ge⸗ 
treidehändler R. in A. ein Darlehen von 7500 M er» 
halten zu haben, zu deſſen Sicherheit er die im Ver⸗ 
trage näher bezeichnete Wohnungs⸗ und Geſchäfts⸗ 
einrichtung dem R. zu Eigentum übertrug; W. wurde 
zufolge „Leihvertrags“ für zwei Jahre gegen Ent⸗ 
richtung einer jährlichen Leihgebühr von 5% aus 
dem Darlehensbetrag im Beſitze der Gegenſtände be⸗ 
laſſen; er erklärte, daß er dieſe Gegenſtände von nun 
ab nur namens des R. und für dieſen beſitze. Auf 
Grund der vollſtreckbaren Ausfertigung der Hypo⸗ 
1 vom 12. Auguſt 1908 hat der Hypo⸗ 
thekengläubiger S. die Beſchlagnahme des verpfän⸗ 
deten Anweſens zum Zwecke der Zwangsverſteigerung 
erwirkt. Der Beſchlagnahmebeſchluß wurde am 3 
November 1909 erlaſſen und am 11. November den 
Ehegatten W. zugeſtellt. S. hat beanſprucht, daß die 
geſamte Geſchäftseinrichtung als Zubehör des beſchlag⸗ 
nahmten Anweſens der Zwangsvollſtreckung unterſtellt 
werde. Der Beamte hat ſie auch als beſchlagnahmt 
erachtet, jedoch von der Verſteigerung zunächſt aus⸗ 
genommen, da das LG. A. die weitere Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung in dieſe Gegenſtände einſtellte. Durch die 
Klage ließ R. beantragen, daß die Zwangsvollſtreckung 
in die im Anweſen F. 54, 55 in A. befindlichen, zum 
Bierabfüllgeſchäft und zur Limonadenherſtellung be⸗ 
ſtimmten Einrichtungsgegenſtände für unzuläſſig er⸗ 
klärt werde. Die Einrichtungsgegenſtände ſeien durch 
den Vertrag vom 15. April 1909 ihm übereignet 
worden, ſie ſeien weder Zubehör noch Beſtandteile 
des Anweſens und nur zu vorübergehendem Zwecke 
in das Anweſen verbracht worden. Der Beklagte 
macht geltend, die Gegenſtände ſeien Zubehör. Das 
LG. gab der Klage ſtatt. Das Berufungsgericht hat 
die Klage abgewieſen. Die Reviſion blieb erſolglos. 

Gründe: Die Vorinſtanzen haben die Zubehör⸗ 
eigenſchaft nach dem BGB. und die Pfand haftung nach 
dem bayeriſchen Hyp®. beurteilt. Das Reviſionsgericht 
ſtimmt dem zu. Der 8 33 Hypo. beſtimmt, daß die 
Hypothek auf die „Zugehörungen“ der Sache ſich er⸗ 
ſtreckt, gibt jedoch nicht an, was er unter Zugehörungen 
verſteht, ſo daß hierfür das geltende bürgerliche Recht 
maßgebend iſt, alſo hier das BGB., unter deſſen 
Herrſchaft W. das Anweſen erworben und für 
ſeinen Gewerbebetrieb eingerichtet, die Gegenſtände in 
das Anweſen verbracht und die Hypothek des Bes 
klagten beſtellt hat. Der Austritt von Zubehörſtücken 
aus der Pfandhaftung iſt eine Aenderung des Inhalts 
der Hypothek und iſt ſohin nach Art. 189 Abſ. 1 Satz 2 
EG. BGB. nach dem früheren Rechte zu beurteilen, bis 
das Grundbuch als angelegt anzuſehen iſt; für die 
Rechtswirkung des Verkaufs vom 15. April 1909 
kommt es ſohin auf das alte Recht an, da das Grund— 
buchrecht in A. erſt am 1. Mai 1909 eingeführt wurde. 

a) Der Reviſionskläger hebt mit Recht hervor, 
daß es nicht darauf ankomme, ob die Sachen Zubehör 
des Geſchäfts des W., ſondern nur ob ſie Zubehör 
des Grundſtücks ſind oder waren. Allein auch das 
OLG. hat die Frage dahin geſtellt, ob die Sachen Zus 
behör des verpfändeten Anweſens geworden ſind und 
hat dieſe Frage bejaht, ohne daß ein Rechtsirrtum 
erſichtlich iſt. Bei einem für einen gewerblichen Be— 
trieb dauernd eingerichteten Gebäude ſpricht nach dem 
§ 98 Nr. 1 BGB. die Vermutung dafür, daß die zu 
dem Gewerbebetriebe beſtimmten Maſchinen und 
ſonſtigen Gerätſchaften dem wirtſchaftlichen Zwecke des 
Gebäudes zu dienen beſtimmt ſind, ſo daß ſie bei 


Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


267 


einem dieſer Beſtimmung entſprechenden räumlichen 
Verhältniſſe, ſoferne die Verkehrsauffaſſung nicht im 
Wege ſteht, Zubehör des Gebäudes ſind. Das Be⸗ 
rufungsgericht ſtützt ſich in ſeinen Erwägungen haupt⸗ 
ſächlich auf die Vorſchrift im 8 98 des BGB.; daß es 
die Rechtsbegriffe irrig auslegt, geht aus ſeinen Aus⸗ 
führungen nicht hervor. f 

b) Ob der Betrieb des W. ein Fabrikbetrieb war, 
iſt gleichgültig, da die Anführung der Mühle, der 
Schmiede, des Brauhauſes, der Fabrik, wie aus dem 
die Aufzählung einleitenden Worte „insbeſondere“ 
hervorgeht, nur als ein Beiſpiel gedacht iſt. Das OLG. 
erachtet es auch ohne Rechtsirrtum für gleichgültig, 
daß nur ein Teil des Geſamtanweſens für den Ge⸗ 
werbebetrieb eingerichtet iſt, um ſo mehr als der für 
den Gewerbebetrieb eingerichtete Teil ein nicht unbe⸗ 
deutender Teil des Geſamtanweſens iſt. Der Reviſions⸗ 
kläger führt aus, daß das Gebäude nicht für einen 
beſtimmten gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet 
war, indem mit der Beſeitigung der Brauerei, für die 
das Gebäude hergeſtellt und eingerichtet war, die Räume 
für zahlreiche andere Betriebe verwendet werden konnten 
und die Verwendung für einen ſolchen Betrieb noch 
nicht bewirkte, daß das Gebäude dadurch für den 
neuen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet wurde. 
Allein eine ausſchließliche Verwendbarkeit des Ge⸗ 
bäudes oder Gebäudeteils zu einem beſtimmten Ge: 
werbebetrieb wird im 8 98 Nr. 1 BGB. nicht ge⸗ 
fordert. Verlangt wird nur, daß es für den gewerb⸗ 
lichen Betrieb dauernd eingerichtet iſt. Das OLG. 
hat das mit Recht bejaht. Nach der Darlegung des 
Os. hat W. das Anweſen erworben, weil er es für 
beſonders geeignet zur Errichtung ſeines Gewerbe⸗ 
betriebs hielt und hat einen nicht unbedeutenden Teil 
für ſeinen Gewerbebetrieb eingerichtet, wobei er von 
der Abſicht geleitet war, daß dieſer Gewerbebetrieb 
auf unabfehbare Zeit mit dem Anweſen verknüpft ſein 
und bei der Veräußerung auf den Erwerber übergehen 
ſolle. Keineswegs geht aus dem Urteile hervor, daß 
es in der Erhöhung des früheren Betonbodens und 
in der Anbringung von Betonſockeln die einzigen 
baulichen Veränderungen in den für den Gewerbe⸗ 
betrieb des W. beſtimmten Räumen erblickte. Wenn 
ein zufolge ſeiner baulichen Beſchaffenheit, der Größe, 
Zahl und Einteilung der einzelnen Räume zu einem 
beſtimmten Gewerbebetriebe beſonders geeignetes Ge⸗ 
bäude mit den für dieſen Gewerbebetrieb nötigen 
Maſchinen und Gerätſchaften verſehen wird, iſt es für 
den gewerblichen Betrieb eingerichtet. Daß die Zweck⸗ 
beſtimmung des Gebäudeteils als dauernd gedacht 
war, hat das OLG. daraus geſchloſſen, daß W. mit 
S. einen auch ſeine Beſitznachfolger bindenden Bier⸗ 
bezugsvertrag geſchloſſen hat. Dieſe Schlußfolgerung 
bewegt ſich auf tatſächlichem Gebiet. g 

c) Daß die ſämtlichen Gegenſtände zur Zeit des 
Verkaufs an den Kläger und zur Zeit der Beſchlag— 
nahme des Anweſens in einem der Zweckbeſtimmung 
nach dem 8 97 Abſ. 1 und $ 98 Nr. 1 BGB. ent⸗ 
ſprechenden räumlichen Verhältniſſe zum Anweſen 
ſtanden, hat der Reviſionskläger nicht beſtritten. Da⸗ 
gegen behauptet er, daß einzelne dieſer Gegenftände 
nicht zu den Maſchinen und 1 im Sinne 
des 8 98 Nr. 1 BGB. zählen, noch auch ſonſt dem 
wirtſchaftlichen Zwecke des Anweſens zu dienen be— 
ſtimmt ſind und zudem im Verkehr nicht als Zubehör 
angeſehen werden. Hier kann es ſich nur um die 
Bureaueinrichtung, die Flaſchen, die Verſandkiſten, 
die Eſſenzen, die Pferde, Wagen und den Vorrat an 
Heu, Stroh, Hafer und Heizmaterial handeln; doch 
geht auch in dieſer Beziehung der Reviſionsangriff 
fehl. Nach der übereinſtimmenden Rechtſprechung des 
Reichsgerichts und des Oberſten Landesgericht (RGZ. 
Bd. 47 S. 262 und ObLèG3S. Bd. 5 S. 85) find Zu— 
behör nicht nur die Gerätſchaften, die zum Gewerbe— 
betrieb im engeren Sinne, nämlich zur Herſtellung 


268 


der Waren beſtimmt find, ſondern auch die Geräts 
ſchaften, die dem Gewerbebetrieb im weiteren Sinne 
dienen, wozu insbeſondere auch der Vertrieb der her⸗ 
geſtellten Waren gehört. Hierher iſt der Fuhrpark 
(Pferde und Wagen, erſtere nach 8 97 Abſ. 1) zu 
rechnen (RG Z. 47 S. 262 und Jur W. 1907 S. 703 
Ziff. 3 Nr. 2); ebenſo auch die zur Verpackung der Ware 
beſtimmten Gerätſchaften, wie Flaſchen und Verſand⸗ 
kiſten (Bay ZR. Bd 5 S. 254). Dem Gewerbebetrieb 
im weiteren Sinne dient auch die Bureaueinrichtung. 
Da auch ſolche Gegenſtände, die nur zur einmaligen 
Benutzung im Gewerbebetrieb beſtimmt ſind, Zubehör 
fein können (Bay R. Bd. 5 S. 254), find auch ver» 
brauchbare Gegenſtände nicht ausgenommen und zwar 
um fo weniger, als das BGB. weder im 8 97 noch im 
§ 98 die im 8 92 erwähnten Sachen allgemein aus⸗ 
ſchließt und hier die im Verbrauche beſtehende ein⸗ 
malige Benützung noch weniger eine vorübergehende 
Benützung im Sinne des 8 97 Abſ. 2 BGB. iſt wie in 
dem vom Reichsgericht im vorerwähnten Urteil ent⸗ 
ſchiedenen Falle. Das OLG. konnte alſo auch die 
Vorräte von Heu, Stroh, Hafer und Heizmaterial als 
Zubehör des Anweſens im Sinne des 8 97 Abſ. 1 
behandeln. Das Urteil des Oberſten Landesgerichts 
vom 20. Februar 1904 (Obèe 83S. Bd. 5 S. 90) ſteht 
nicht entgegen, da damals nur die Frage der Zube— 
höreigenſchaft der Biervorräte zur Entſcheidung ſtand 
und von den Malz⸗ und Hopfenvorräten, ſowie von 
den Hilfsſtoffen an Feuerungsmaterial und Eis nur 
nebenbei geſprochen, übrigens auch die Frage nach 
dem bayeriſchen HypG. erörtert wurde. Auch die 
Eſſenzen konnten als Zubehör erklärt werden; denn 
wenn auch daran feſt zu halten iſt, daß die im ge⸗ 
werblichen Betriebe hergeſtellte Ware nie Zubehör des 
Anweſens iſt, ſo gilt dies doch nicht von den zur Ver⸗ 
arbeitung beſtimmten Stoffen, ſolange mit der Ver⸗ 
arbeitung noch nicht begonnen iſt; auf fie kann 8 97 
Abſ. 1 Satz 1 BGB. zutreffen, ohne daß zugleich der 
Satz 2 dieſer Vorſchrift Platz greift. Die Entſcheidung 
des Oberſten Landesgerichts vom 21. Oktober 1889 
(ältere Sammlung Bd. 12 S. 419) iſt auf Grund des 
bayerifden HypG. ergangen. 

Auch die Reviſionsrüge, daß das Berufungsgericht 
den 8 35 HypG. durch unrichtige Auslegung verletzt 
habe, geht fehl. Dieſe Vorſchriſt beſtimmt: „Sind 
bewegliche Zugehörungen veräußert worden, ſo hat 
der Hypothekgläubiger gegen den dritten Beſitzer der— 
ſelben keinen Anſpruch'. Das Berufungsgericht legte 
das dahin aus, daß der Begriff „Veräußerung“ hier 
neben der Eigentumsübertragung auch noch die tat— 
ſächliche Trennung des Zubehörſtücks von der vers 
pfändeten Hauptſache mitumfaßt. Der Reviſionskläger 
iſt der Anſicht, daß jede Eigentumsübertragung genuͤgt 
und daß es eines Wechſels der Innehabung, einer 
Entfernung der veräußerten Zugehörungen aus dem 
verpfändeten Grundſtücke nicht bedarf. „Veräußerung“ 
iſt ein ſehr vieldeutiges Wort (ſ. Windſcheid-Kipp, 
Lehrbuch des Pandektenrechts Bd. IS 69 zu Anm. 8— 12 
Bayer. LR. Teil I Kap. 6 S 26 Ziff. 7, Kap. 7 8 13 
Ziff. 7). Es muß alſo in jedem einzelnen Falle feſtgeſtellt 
werden, welchen Sinn der Geſetzgeber damit verknüpfte. 
Von dem Erlöſchen der Hypothek ſprechen nun auch 
die 88 71 ff. Hyp®., von denen § 78 für die Frage, 
ob und wieſerne durch die Trennung eines Pertinenz— 
ſtücks vom Hauptgute die Hypotheken erlöſchen, auf 
die SS 35— 38 verweiſt. Es iſt nicht anzunehmen, 
daß hier nur ein Anwendungsfall des § 35 heraus— 
gegriffen werden ſollte; vielmehr iſt es wahrſchein— 
licher, daß hier wegen der Syſtematik des Geſetzes die 
Gründe des Erlöſchens ganz wiedergegeben wurden. 
Danach iſt im $ 35 nur eine mit einer Trennung des 
Zubehörſtücks vom Hauptgute verbundene Veräußerung 
gemeint. Dazu führt auch der Zuſammenhang mit 
den 88 36 - 40, in denen es ſich um taiſächliche Ver: 


einigung, tatſächlichen Austauſch, tatſächliche Ablöſung | 


Nr. 12. 


mit tatſächlichem Erſatz, tatſächliche Trennung handelt. 
Es liegt daher nahe, unter der Veräußerung im 8 35 
eine tatſächliche Entäußerung mit der Folge der 
Trennung vom Hauptgute zu verſtehen. Unter dieſen 
Umſtänden iſt beſonderes Gewicht darauf zu legen, 
daß der Anſpruch „gegen den dritten Beſitzer“ verſagt 
wird. Allerdings iſt die Ausdrucksweiſe im Hyp®. 
nicht ſtreng und es werden insbeſondere die Ausdrücke 
„Beſitzer“ und „Beſitztitel“ oft für Eigentümer und 
Eigentumstitel gebraucht. Allein hier handelt es ſich 
um den Ausdruck „dritter Beſitzer“. Von dem Ans 
ſpruche gegen den dritten Beſitzer ſpricht das Geſetz 
in den 88 42 und 43 und 54-58; im 8 54, der die 
Hauptbeſtimmung iſt, wird der „dritte Beſitzer“ als 
ein anderer bezeichnet, in deſſen Händen das Gut ſich 
befindet. Nach dieſer Auffaſſung ſetzt auch der § 35 
einen Wechſel in der Innehabung voraus, ſohin eine 
Trennung des Zubehörſtücks vom Hauptgute. Auch 
die Gründe, welche den Geſetzgeber zu dieſer Be: 
ſtimmung veranlaßten, laſſen erſehen, daß ſie eine 
tatſächliche Trennung vorausſetzt. Der Anſpruch gegen 
den dritten Beſitzer wurde dem Hppothekgläubiger ver⸗ 
ſagt, weil die Erſatzſtücke an die Stelle der früheren 
Stücke treten und weil eine Fortdauer der Haftung 
mit dem täglichen Verkehr und dem Betrieb aller 
Erwerbsarten unvereinbar wäre (Gönner, Kommentar 
zum Hyp®. 88 34 36 Erl. II 6). Der 8 35 will eben 
nur einheitlich ausſprechen, daß die Pfandhaftung er⸗ 
liſcht, wenn ein Umſtand eintritt, durch den das Zu- 
behör nach dem Privatrechte der größeren Rechts⸗ 
gebiete ihre Eigenſchaft verliert; hierzu verlangt das 
gemeine Recht die Wiederaufhebung der Verbindung. 
welche die Zubehöreigenſchaft begründete. (Seuffert, 
Praktiſches Pandektenrecht Bd. I 8 64 bei Note 4) und 
das gleiche gilt für das Bayer. LR. (Kreittmayr's 
Anmerkungen T. II Kap. 2 814 Nr. 9). 

Die Rechtslehre faßt den 8 35 dahin auf, daß 
durch die Veräußerung ohne Trennung das Zubehör: 
ſtück nicht pfandfrei wird. Aber auch die Rechtſprechung 
ſtützt die gegenteilige Anſicht nicht. Auf das Urteil 
des Oberſten Landesgerichts vom 29. November 1880 
(ältere Sammlung Bd. 8 S. 632) ſei hier weniger 
Gewicht gelegt, weil in dem damaligen Falle die 
Trennung vollzogen war. Aber das Urteil des l. 38. 
vom 27. Dezember 1883 (a. a. O. Bd. 10 S. 266) 
ſpricht ausdrücklich aus, daß die Hypothek das Zu⸗ 
behörſtück umfaßt, ſolange die Trennung, die hier 
als Vollendung des Veräußerungsaktes bezeichnet wird, 
noch nicht eingetreten iſt. Nun wird allerdings das 
Urteil des I. 35. vom 29. April (a. a. O. Bd. 9 S. 129) 
für die gegenteilige Anſicht verwertet und deshalb 
von Regelsberger-Henle (Das bayeriſche Hypotheken— 
recht 3. Aufl. 8 47 Anm. 10) bekämpft; dieſer Bes 
kämpfung ſchließt ſich Bonſchab an (BlfRA. Bd. 66 
S. 191). Dieſes Urteil ſpricht mehrmals von einer 
Ueberweiſung der Sachen an die Käuferin, führt aus, 
daß ſie zufolge der Veräußerung nicht mitverſteigert 
und deshalb vom Anſteigerer nicht erworben wurden, 
und behandelt die Belaſſung der veräußerten Sachen 
in verpfändeten Anweſen nur von dem Geſichtspunkt 
aus, daß der Ort, wo der Käufer die gekauften und 
überwieſenen Sachen liegen hat, für das Rechtsver— 
hältnis gleichgültig iſt. Darnach iſt es überhaupt 
fraglich, ob dieſes Urteil der vom erkennenden Senate 
gebilligten Anſicht des Berufungsgerichts überhaupt 
entgegenſteht. Vor allem aber hat der erkennende 
Senat deshalb keinen Anlaß, eine Entſcheidung der 
vereinigten Zivilſenate über die Rechtsfrage einzuholen, 
weil der erſte 35. die abweichende Auslegung des 
§ 35 in dem ſpäteren Urteile vom 27. Dezember 1883 
(a. a. O. Bd. 10 S. 267) ſelbſt berichtigt hat (Urt. 
des II. ZS. vom 24. April 1911, Reg. 1 36,1911). 

2204 W. 


B. Strafſachen. 
I. 


Namentliche Aufzählung der anzeinepflichtigen Arten 
der Ausverkäufe durch die höheren Verwaltungsbehörden 
(Unl WG. 87 Abſ. 2 vom 7. Juni 1909).!) Aus den 
Gründen: Die Regierung von Sch. hat auf Grund des 
§ 7 Abſ. 2 UnlWG. vom 7. Juni 1909 folgendes ange⸗ 
ordnet: „Ehe ein Ausverkauf irgendeiner Art aus⸗ 
genommen lediglich die Saiſon⸗ und Inventur⸗Ausver⸗ 
käufe, die in der Ankündigung als ſolche bezeichnet 
werden und im ordentlichen Geſchaͤftsverkehr üblich 
ſind, erſtmals angekündigt wird, iſt bei der Ortspolizei⸗ 
behörde Anzeige über den Grund des Ausverkaufs 
und den Zeitpunkt ſeines Beginnes zu erſtatten, ſo⸗ 
wie ein genaues Verzeichnis der auszuverkaufenden 
Gegenſtände einzureichen uſw.“ Die Anordnung der 
Regierung trifft alle Arten von Ausverkäufen mit 
Ausnahme der Saiſon⸗ und Inventur-Ausverkäufe, 
auf die die Vorſchriften der 88 7 und 8 des Geſetzes 
nach 8 9 Abſ. 2 ohnedies keine Anwendung finden. 
Zur Erlaſſung ſolcher allgemeiner Anordnungen 
ſind die höheren Verwaltungsbehörden auf Grund 
des 87 Abſ. 2 nicht befugt. Die Vorſchrift des 87 
Abſ. 2: „Durch die höhere Verwaltungsbehörde kann... 
für die Ankündigung beſtimmter Arten von Aus⸗ 
verkäufen angeordnet werden, daß ...“ ſteht zunächſt 
ſchon in einem gewiſſen Gegenſatze zu 87 Abſ. 1, der 
für alle Ausverkäufe die Angabe des Grundes des 
Ausverkaufs in der Ankündigung verlangt. Aber 


auch an ſich betrachtet, ſpricht der Wortlaut des Abſ. 2 


dagegen, daß hier an eine generelle Anordnung 
gedacht iſt. Wäre dies der Fall, ſo hätte der Geſetzes⸗ 
text einfach lauten können: „Durch die höhere Ver⸗ 
waltungsbehörde kann für die Ankündigung von Aus⸗ 
verkäufen angeordnet werden, daß uſw.“ Es iſt not⸗ 
wendig, daß die Anordnung nach 5 7 Abſ. 2 die Arten 
von Ausverkäufen, wegen deren Anzeige erſtattet 
werden ſoll, „beſtimmt“, und zwar durch namentliche 
Aufzählung der anzeigepflichtigen Arten, nicht nur 
durch Hinweis auf die Arten von Ausverkäufen, die 
außer den in 8 9 Abſ. 2 des Geſetzes benannten beiden 
Arten von der Anzeigepflicht befreit ſein ſollen. Dieſe 
Auffaſſung ſteht außer mit dem Sprachgebrauch auch 
mit der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes in vollem 
Einklange. In der Begr. zum Entw. des Gef. vom 
7. Juni 1909, der in 8 6 Abſ. 2 eine dem 8 7 Abſ. 2 
des Geſetzes in den hier weſentlichen Punkten gleich» 
lautende Vorſchrift enthielt, wird der Vorſchlag, dem 
Ausverkäufer die Verpflichtung zur Anmeldung des 
Ausverkaufs und zur Vorlegung eines Inventars auf— 
zuerlegen, als im allgemeinen zur Bekämpfung von 
Auswüchſen des Ausverkaufsweſens geeignet bezeichnet 
und dabei ſolgendes bemerkt: „Es liegt jedoch in der 
Natur der einſchlägigen wirtſchaftlichen Verhältniſſe 
begründet, daß die Verpflichtung zur Anzeige des 
Ausverkaufs nicht ſchlechthin und in allen Fällen Platz 
greifen kann. Das Bedürfnis wird nicht nur in den 
verſchiedenen Teilen des Reiches in Stadt und Land, 
ſondern auch in bezug auf die einzelnen Arten 
der Aus verkäufe durchaus verſchieden fein. Der Ent» 
wurf hat deshalb die Befugnis zum Erlaſſe der in 
Frage ſtehenden Anordnungen der höheren Verwal— 
tungsbehörde übertragen, die in der Lage ſein wird, 
nach Maßgabe der örtlichen und ſachlichen Verhält— 
niſſe zu prüfen, ob eine ſolche Anordnung angezeigt 
iſt, Erfolg verſpricht und mit den allgemeinen Ver— 
hältniſſen des Bezirks vereinbar iſt . . . . Gegen dieſe 
Regelung find ullerdings von einem Teil der gewerb— 
lichen Kreiſe Bedenken geltend gemacht worden. Ins— 
beſondere iſt eingewendet, daß die Anfertigung des 
Verzeichniſſes ... auf Schwierigkeiten ſtoßen werde. .. 
Außerdem wird beſorgt, daß die Vorſchriſt zu einer 


1) S. die Abhandlung S. 256 dieſer Nummer. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


269 


— re- ——ᷣ3 nn 
— —— —— 


unerwünſchten Beläftigung auch des redlichen Aus⸗ 
verkaufes führen... werde. Dieſe Bedenken würden 
beachtenswert fein, wenn die Anzeige ... allgemein 
und für alle Arten des Ausverkaufs vorgeſchrieben 
wäre. Das iſt nicht der Fall. Die Saiſon⸗ und In⸗ 
ventur⸗Ausverkäufe, in Anſehung derer die Rätlichkeit 
der Vorſchrift ganz beſonders angefochten iſt, ſind, 
um dem Bedenken zu begegnen . .. ausdrücklich aus⸗ 
genommen worden.“ 

Aus dieſen Ausführungen darf geſchloſſen werden, 
daß das Geſetz nicht nur ſelbſt eine allgemeine An⸗ 
ordnung bezüglich der Anzeigeerſtattung von Aus⸗ 
verkäufen nicht erlaſſen, ſondern auch die von der 
höheren Verwaltungsbehörde zu treffende Anordnung 
als eine Ausnahmevorſchrift betrachtet wiſſen wollte, 
die die beſonders verfänglichen Arten von Ausver⸗ 
käufen einzeln aufführen ſoll und auf Saiſon⸗ und 
Inventur⸗Ausverkäufe im Sinne des 89 Abſ. 2 unter 
keinen Umſtänden erſtreckt werden darf. Dirfe Auf⸗ 
faſſung findet ſich auch in den Kommentaren von 
Finger, 3. Aufl., Anm. 13; Cahn⸗Weiß, Anm. Vzu 87 
des Geſetzes vom 7. Juni 1909; gegen die Zuläſſig⸗ 
keit genereller Anordnungen der höheren Verwaltungs⸗ 
behörde haben ſich ferner Fuld, Anm. V zu 87, dann 
in der Monatſchrift „Markenſchutz und Wettbewerb“, 
Jahrg. 10, Siegel (S. 44) und Jacubowsky (S. 90 ff. 
und S. 147) erklärt, wobei jedoch Jacubowsky eine 
Beſtimmung der Arten von Ausverkäufen auch in der 
Weiſe für zuläſſig erachtet, daß in der Anordnung 
nur die nicht anzeigepflichtigen Arten von Ausver⸗ 
käufen einzeln bezeichnet werden. Die Anordnung 
der Regierung entbehrt hiernach, weil zu allgemein 
gehalten, der rechtlichen Wirkſamkeit. (Urteil vom 
4. März 1911, Rev.⸗Reg. 38/11). Ed. 

2228 
II. 


In der Aenßerung, daß jemand hexen köune, kaun eine 
üble Nachrede gefunden werden. Aus den Gründen: 
Bei der Verſchiedenartigkeit der in den einzelnen 
Volksſchichten insbeſondere auf religiöſem Gebiete 
herrſchenden Anſchauungen ging die Strafkammer von 
der richtigen Annahme aus, daß bei der Erforſchung 
des Sinnes und der Bedeutung einer Aeußerung die 
Anſchauungen der Kreiſe zugrunde zu legen ſind, denen 
die äußernde und die von der Aeußerung betroffenen 
Perſonen angehören. Da bekanntermaßen der im 
Mittelalter allgemein verbreitete Hexenglaube auch 
jetzt noch in einzelnen Gegenden lebendig iſt, muß 
lid das Reviſionsgericht nach 8 376 StPO. mit der 
Feſtſtellung der Strafkammer abfinden, daß dieſer 
Glaube auch in dem Bezirke des Amtsgerichts D. 
herrſcht und von der Angeklagten und den fie um- 
gebenden Perſonen geteilt wird. Wird in einem ſol⸗ 
chen von dem Hexenglauben beherrſchten Berjonen= 
kreis eine Frauensperſon als Hexe bezeichnet oder 
angeſehen, ſo gilt ſie als eine Perſon, die ſich von 
Gott losgeſagt und mit dem Teufel oder anderen 
böſen Geiſtern verbunden hat, um mit deren Hilfe 
oder Unterſtützung übernatürliche Handlungen vorzu— 
nehmen zu eigenem Nutzen oder zum Schaden anderer. 
Dieſe „teufliſche Verbindung“ ſetzt eine ſolche Frauens- 
perſon der Verachtung und Geringſchätzung der hexen— 
gläubigen Umgebung aus und die Behauptung einer 
mit der teufliſchen Verbindung im Zuſammenhange 
ſtehenden Tatſache iſt geeignet, die Perſon verächtlich 
zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzu— 
würdigen. Unter der öffentlichen Meinung iſt hier 
die Meinung jener unbeſtimmten Mehrheit von Pers 
ſonen zu verſtehen, die an das Vorhandenſein von 
Heren glauben; im übrigen liegt die Entſcheidung 
darüber, ob eine Tatſache geeignet iſt jemand ver— 
ächtlich zu machen, auf dem Gebiete der tatſäch— 
lichen Beweiswürdigung; es genügt in dieſer Rich— 
tung ein beſtimmter Perſonenkreis und deſſen An— 


270 


ſchauung; nicht das Geſetz entſcheidet darüber, was 
bei anderen den Eindruck hervorrufen kann, die be⸗ 
treffende Perſon ſei verächtlich. 

Als im Kreiſe mehrerer Frauensperſonen die Tochter 
der Angeklagten erzählte, daß die Privatklägerin ihre 
Gänſe durch eine Seuche verloren habe, und darauf die 
Wirtin R.bemerkte, daß die Privatklägerin um ſo mehr 
Butter habe und, wie dieſe ihr ſelbſt erzählt habe, 
alleweil Butter mit 6 bis 8 Pfund ausbuttere, äußerte 
die Angeklagte ungefähr alſo: „Vergönnt ſich denn die 
gar nichts oder kann ſie hexen? Das alte Häusl⸗ 
weib — die Schwiegermutter der Privatklägerin — 
iſt a Hex' geweſen und hat a Hexenbüchl gehabt und 
das hat die H. geerbt.“ Durch dieſe Aeußerung hat 
die Angeklagte nach der Anſchauung des Berufungs⸗ 
gerichts ihrer Anſicht über die große Butterproduktion 
dahin Ausdruck verliehen, daß die Privatklägerin 
möglicherweiſe ebenſo wie ihre Schwiegermutter Beten 
könne, alſo eine Hexe ſei. Dieſe Auslegung entſpricht 
einer richtigen Gedankenfolge. Darnach hat die An⸗ 
geklagte ſich nicht etwa in abſtrakten Betrachtungen 
und Schlußfolgerungen ergangen, ſondern ſie hat die der 
Wahrnehmung und Beweiserhebung zugängliche Tat⸗ 
ſache behauptet, daß die reichliche Buttererzeugung 
möglicherweiſe auf eine Verbindung der Privatklägerin 
mit dem Teufel zurückzuführen ſei. Der Begriff der 
„Tatſache“ iſt dadurch gewahrt. (Urt. vom 29. April 


1911, Rev R. 175 / 11). Ed 
2257 
III. 
Naturheilkundiger; unbefugte Ahnung eines arzt⸗ 
ähnlichen Titels. Die Kaufleute A. u. R., die keine 


ärztliche Prüfung abgelegt haben, eröffneten in M. 
eine Anſtalt für naturgemäße Behandlung von Krank⸗ 
heiten, insbeſondere von Geſchlechtskrankheiten. Die 
Behandlung geſchah nicht nach den Grundſätzen der 
mediziniſchen Fachwiſſenſchaft, ſondern nach dem ſog. 
Naturheilverfahren durch Elektriſieren uſw. Die Anſtalt 
wurde einige Zeit von dem Heilkundigen H. geleitet, der 
den Titel „Direktor“ führte. Ein ſtaatlich geprüfter Arzt 
war während dieſer Zeit in der Anſtalt nicht beſchäf⸗ 
tigt, die Kranken wurden von H. behandelt. Dieſer 
iſt gleich ſeinen Prinzipalen keine ſtaatlich geprüfte 
Medizinalperſon. Von Haus aus Techniker war er 
ſpäter Kaufmann, beſuchte dann eine „Fachſchule für 
Naturheilkunde“ und beſchäftigte ſich in den letzten 
zehn Jahren mit dieſer Heilkunde. Der Beginn des 
Anſtaltsbetriebs wurde ordnungsgemäß dem Amts⸗ 
arzt angezeigt. Im April, Mai und Juni 1910 er⸗ 
ſchienen in mehreren Zeitungen Ankündigungen fol⸗ 
genden Inhalts: „N.ſtraße 50, Biol. med. Ambulato⸗ 
rium, Harn⸗ und Geſchlechtsleiden, auch alte Ausflüſſe, 
ſex. Schwäche ꝛc. Diskrete, med. komb. Behandlung. 
Giftfrei und ohne Berufsſtörung. Syphilis ohne 
Queckſilber. Separatzimmer für Damen; Sprechzeit 
von 10—1 Uhr, 3 bis 7 Uhr, Sonntags von 10 bis 
1 Uhr. Mikroſkop. und chem. Unterſuchungen. Dir. H.“ 
Zwiſchen den Worten Biol.-med. und Ambulatorium 
war ein Anker abgebildet, um deſſen Schaft ſich eine 
Schlange windet. Ferner war an dem Haus ein 
Schild mit folgender Auſſchrift angebracht: „Biol. 
med. Ambulatorium. Harn- und Geſchlechtsleiden. 
Sprechzeit 10—1 Uhr und 3—7 Uhr. Sonntag nur 
vormittags. Moderne kombinierte Methode.“ Die 
Polizeibehörde beanſtandete die Bezeichnung der An— 
ſtalt, da ſie den Glauben erwecken könne, daß ſie von 
einem ſtaatlich geprüften Arzte geleitet werde; H. hielt 
dieſe Anſchauung aber für unrichtig, behielt den Schild 
bei und ſetzte die Inſerierung in den Zeitungen fort. 
Der Angellagte wurde von den Vorinſtanzen wegen 
eines Vergehens wider § 147 bj. 1 Ziff. 3 Gewd. 
verurteilt. Die Reviſion wurde verworfen. 


Aus den Gründen: Nach 8 147 Abſ. 1 Ziff. | 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


„Inſerate, berückſichtigen. 


Rechtsirrtum nicht beeinflußt. 


fein, ſich als Arzt (Wundarzt bezeichnet oder 
ſich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube 
erweckt wird, der Inhaber ſei eine geprüfte Medizinal⸗ 
perſon. Hier handelt es ſich nur um die zweite Alter⸗ 
native dieſer Vorſchrift. Titel i. S. der GewO. iſt 
die Benennung, die jemand ſich beilegt oder die ihm 
beigelegt wird, um eine von ihm ausgeübte wiſſen⸗ 
ſchaftliche oder gewerbliche Tätigkeit zu bezeichnen. 
Beſtritten tft, ob eine nach § 147 Abſ. 3 GewO. ſtraf⸗ 
bare Titelführung auch vorliegt, wenn dem Gewerbe⸗ 
betrieb eine unperſönliche Bezeichnung gegeben wird, 
die zu dem Glauben verleitet, der Inhaber ſei eine 
eprüfte Medizinalperſon. Das Oberſte Landesgericht 
hat ſchon in dem Urteile vom 30. April 1910 (Bd. 10 
S. 109) ausgeſprochen, daß für die Anwendung der 
zweiten Alternative des 8 147 Abſ. 1 Ziff. 3 GewO. 
nicht notwendig die Beilegung eines perſönlichen 
Prädikats erforderlich ſei, daß vielmehr auch eine die 
Tätigkeit einer Perſon kennzeichnende Bezeichnung zur 
Annahme der Beilegung eines arztähnlichen Titels 
genügen könne. Es beſteht kein Anlaß von dieſer 
Auffaſſung abzugehen. Die Strafkammer konnte dem⸗ 
nach bei der Würdigung der Frage, ob ſich der An⸗ 
geklagte einen arztähnlichen Titel beigelegt hat, die 
begleitenden Umſtände, insbeſondere den Inhalt der 
Ihre Annahme, daß der 
Angeklagte mit der zur Verwechslung geeigneten Ab⸗ 
kürzung „Dir.“ in Verbindung mit dem Wortlaute 
der Inſerate und dem Inhalte des Firmenſchildes ſich 
einen arztähnlichen Titel beigelegt hat, u) von einem 
Schon in der ohne 
Abkürzung gebrauchten Bezeichnung „Direktor“ könnte 
unbedenklich die Beilegung eines arztähnlichen Titels 
gefunden werden. Die Strafkammer hat weiter feſt⸗ 
geſtellt, daß der von dem Angeklagten gebrauchte 
Titel geeignet war den Glauben zu erwecken, der 
Inhaber ſei eine geprüfte Medizinalperſon, und daß 
der Angeklagte der Möglichkeit der Täuſchung des 
Publikums ſich bewußt war, eine ſolche Täuſchung 
geradezu beabſichtigte. Auch dieſe im weſentlichen 
dem tatſächlichen Gebiet angehörenden Feſtſtellungen 
laſſen keinen Rechtsirrtum erſehen. Die Tatbeſtands⸗ 
merkmale einer Zuwiderhandlung gegen die Vorſchrift 
des § 147 Abſ. 1 Ziff. 3 GewO. find ſomit einwand⸗ 
frei feſtgeſtellt. (Urt. vom 4. April 1911, Rev. 
127/11). Ed. 


2258 


Literatur. 


Th. von der Pfordten, Landgerichtsrat in München, 
Der dienſtliche Verkehr und die Amts: 
ſprache. Dritte verbeſſerte und ergänzte Auflage. 
159 S. München 1911, J. Schweitzer Verlag (Arthur 
Sellier) Gebd. Mk. 2.70. 


Die ſeit mehreren Jahren einſetzenden Bemühungen, 
das zum Geſpötte gewordene, ſogenannte „Juriſten⸗ 
deutſch“ aus der Welt zu ſchaffen und es durch eine 
einfache, klare, für den Juriſten wie für den Laien 
leicht verſtändliche Sprache zu erſetzen, ſind nicht frucht⸗ 
los geblieben. Einen hervorragenden Anteil an den 
bisherigen Erfolgen darf das im Jahre 1907 erſchienene 
Büchlein in Anſpruch nehmen. Nun iſt es nach kurzer 
Zeit in der dritten verbeſſerten, durch die Beſtimmungen 
über den dienſtlichen Verkehr mit dem Ausland er 
gänzten Auflage erſchienen, ein erfreulicher Beweis 
ſeiner Lebensfähigkeit und Verwendbarkeit. Mit be- 
grüßenswerter, rückhaltsloſer Offenheit geißelt der 
gewandte und geiſtreiche Verfaſſer die immer noch dem 
amtlichen Stile anhaftenden Gebrechen; er beweiſt dies 
an Beiſpielen; er läßt Sätze und Abſchnitte aus 
Urteilen, Entſcheidungen und Beſchlüſſen durch ihre 


GewO. wird beſtraft, wer ohne hiezu approbiert zu wörtliche Wiedergabe von ſelbſt wirken; er tadelt 


aber nicht bloß, er lehrt in überzeugender Weiſe, wie 
man die Gedanken ſtatt in ſchwerfälligen, hartver⸗ 
ſtändlichen, ſchwulſtigen und ermüdenden Sätzen durch 
eine kurze, leichtfaßliche, von Phraſen freie Ausdrucks⸗ 
weiſe zu Papier bringen kann. Die Sprache des 
Büchleins ſelbſt zeigt in herzerfriſchender Weiſe den 
Weg, der zum richtigen Ziele führt. Das Werkchen 
kann den im Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſte ſtehenden 
Beamten nicht genug empfohlen werden; es ſollte auf 
keinem Arbeitstiſche fehlen. Jeder, der es einmal 
geleſen hat und in den veralteten Formen nicht erſtarrt 
iſt, wird es immer wieder zur Hand nehmen, daraus 
lernen und ſich daran erfreuen. So möge denn das 
mit ebenſoviel Fleiß als Sachkenntnis geſchriebene, 
mit friſchem, geſundem Humor gewürzte Werkchen in 
allen beteiligten Kreiſen Eingang finden, aber auch 
Beachtung: zur Hebung des Anſehens der Juriſten⸗ 
welt, nicht zuletzt auch zur Freude des verdienten 
Berfaſſers und ſeines rührigen Verlegers. 
Oberſtlandesgerichtsrat Ederer. 


Croner, n Rechtsanwalt. Reform der 
deutſchen Rechtsanwaltſchaft. 25 S. 
Leipzig 1911. Verlag von Eduard Demme. Mk. 0,50. 


Die kleine Schrift verfolgt offenbar den Zweck 
weitere Kreiſe über die dem Juriſten bekannten Ver⸗ 
hältniſſe der deutſchen Rechtsanwaltſchaft und die 
Vorſchläge zu ihrer Reform aufzuklären. Sie befaßt 
ſich zunächſt mit der Ueberfüllungsfrage und tritt für 
Einführung des numerus clausus ein. Leider werden 
hierbei die zahlreichen Bedenken, welche gegen dieſes 
Syſtem beſtehen und oft geltend gemacht worden ſind, 
nur zum kleineren Teile angeführt und erörtert, eine 
Unvollſtändigkeii, die gerade bei einer populären Dar: 
ſtellung rechtspolitiſcher Fragen beſonders bedenklich 
iſt. Der Verfaſſer befürwortet denn auch die Trennung 
des Notariats von der Anwaliſchaft. Durchaus ſym⸗ 
pathiſch berühren die nun folgenden Ausführungen 
über das Verhältnis zwiſchen Richtern und Rechts⸗ 
anwälten ſowie über die Stellung des Verteidigers 
im gegenwärtigen und zukünftigen Strafprozeß. Zum 
Schluß tritt der Verfaſſer für eine Reform des Armen⸗ 
rechts, nämlich für die Honorierung der Armenanwälte 
aus der Staatskaſſe und die Mitwirkung der Anwalt- 
ſchaft bei Bewilligung des Armenrechis ein. 


33 


Stein, F. Dr., Profeſſor in Leipzig und Dr. N. 
Schmidt, Profeſſor in Freiburg. Aktenſtücke zur 
Einführung in das Prozeßrecht. Zivil⸗ 
prozeß. Bearbeitet von Friedrich Stein. 
Siebente Auflage. VIII. 196 S. Tübingen 1910. 
Se 5 505 Mohr (Paul Siebeck). In Lwd. gebd. 


SZiitſchrift für Rechtspflege in Ba in Bayern. 1911 


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Die Aktenſtücke von Stein haben ſich als vor⸗ 


treffliches Anſchauungsmittel für den zivilprozeſſualen 
Unterricht längſt einen bedeutenden Namen gemacht. 
Die Vorzüge der bisherigen Auflagen finden ſich in 


gleicher Weiſe auch bei der nunmehr vorliegenden 


ſiebenten Auflage, die um einige neue Fälle bereichert, 
namentlich den durch die Novelle vom 1. Juni 1909 
hervorgerufenen Neuerungen Rechnung trägt. 

Dr. H. Schanz. 


Jaeger Dr. Gruft, Profeſſor in Leipzig, Reichs zivil⸗ 
geſetze. Eine Sammlung der wichtigſten Reichs— 
gefege über bürgerliches Recht und Rechtspflege. 
Für den Gebrauch auf der Hochſchule und in der 
Praxis. Mit ſyſtematiſchem, alphabetiſchem und 
chronologiſchem Geſamtregiſter. 3. Auflage von 
Jaeger, BGB. Mit einem Anhang enthaltend: 
Landesg eſetze für das Königreich Bayern, 
herausgegeben von J. Schiedermair, K. Landgerichts» 


Nr. 12. 271 


rat in München. Stand der Geſetzgebung am 
1. März 1911. gr. 8. XVI, 1708 S. München 1911, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 11.— 


Die Freunde dieſer in akademiſchen Kreiſen 15 
bei Praktikern gleichmäßig beliebten Sammlung werden 
es freudig begrüßen, daß die neue Ausgabe trotz des 
Anwachſens des Stoffes — neu aufgenommen ſind 
insbeſondere das Gerichtskoſtengeſetz und die Gebühren⸗ 
ordnungen des Reichs — zu einem nicht unweſentlich 
billigeren Preiſe abgegeben wird. Die Verbilligung 
iſt durch eine Aenderung der äußern Ausſtattung er⸗ 
reicht worden, ohne daß die Haltbarkeit und die Ge⸗ 
brauchsfähigkeit des Buches darunter gelitten hätten. 
Die Ueberſichtlichkeit iſt durch Beigabe farbiger Ein— 
ſchlagblätter vor den Hauptabſchnitten noch erhöht. 
Zweckmäßig iſt auch die neue Syſtematik. Bürgerliches 
Recht, Handelsrecht uſw. ſind jetzt zu einem a. 
Teil des Reichsrechts „Reichsprivatrecht“ vereinigt; 

2. Teile des Reichsrechts ſind die Geſetze über Gerichts⸗ 
verfaſſung, Prozeß, freiwillige Gerichts barkeit, Gerichts⸗ 
koſten und Gebührenweſen uſw. zuſammengefaßt. Ein 
glücklicher Gedanke war auch die Beigabe amtlicher 
Muster aus dem Grundbuch- und Nachlaßweſen, die dem 
Studierenden lebendige Anſchauung geben ſollen. 

von der Pfordten. 


Eger, Dr. jur. G., Geh. Regierungsrat. Das Reichs- 
geſetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen. 
Vom 3. Mai 1909. Textausgabe mit Anmerkungen. 
VIII, 301 S. Stuttgart und Leipzig 1911, Deutſche 
Verlagsanſtalt. Gebd. Mk. 6.— 

Dem „Kommentar“ zum Automobilgeſetz hat 1355 

nunmehr eine Textausgabe mit Anmerkungen folgen 
laſſen, die nach Anlage und Inhalt eher die Bezeichnung 
„Handausgabe“ verdient. Sie enthält, teilweiſe in 
wörtlicher Wiedergabe, einen Auszug aus den im 
„Kommentar“ gebotenen Erläuterungen, der aber 
immer noch ſo reichhaltig iſt und ſoviele Einzelheiten 
berückſichtigt, daß das Werk auch bei ſchwierigeren 
Fragen nicht im Stiche läßt. Eine Muſterleiſtung iſt 
vor allem die Auslegung des S 7 des Geſetzes Für 
bayeriſche Verhältniſſe iſt einige Vorſicht bei Benutzung 
der Ausführungen über „öffentliche Wege oder Plätze“ 
(8 1) geboten. Eine Anregung: für die Mehrzahl der 
Intereſſenten iſt die bei Zitaten oberſtrichterlicher Ent⸗ 
ſcheidungen häufig genannte Sammlung von „Eiſen— 
bahnrechtlichen Entſcheidungen und Abhandlungen“ 
nur ſehr ſchwer zugänglich; es dürfte ſich deshalb 
empfehlen, wo dies möglich, auch die gangbaren 
juriſtiſchen Zeitſchriften als Fundort anzugeben. 

Rand, A. von, Miniſterialdirektor im Kgl. Staats⸗ 
miniſterium des Kgl. Hauſes und des Aeußern. 
Das Baye riſche Berggeſetz vom 13. Auguſt 
1910, nebſt einem die Ausführungsbeſtimmungen 
und die oberbergpolizeilichen Vorſchriften enthalten» 
den Anhang. Handausgabe mit Erläuterungen, 
ſyſtematiſchem Inhaltsverzeichnis und ausführlichem 
Sachregiſter. 2. verbefjerte Auflage. XII, 325 Seiten. 
Münden und Berlin 1911, J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Sellier). Geb. Mk. 7.—. 

Der für alle gewerblichen Betriebe weiter aus: 
gebaute Arbeiterſchutz hat auch eine wiederholte Er— 
gänzung des bayer. Berggeſetzes notwendig gemacht, 
die nun mit der Erlaſſung des neuen Berggeſetzes ihren 
Abſchluß gefunden hat. Die vorliegende Bearbeitung 
durch den Miniſterialreferenten hatte ſchon in erſter 
Auflage — erſchienen 1900 — dankbare Annahme in 
der Praxis gefunden. Die vorliegende Neuausgabe 
hat nicht nur die Geſetzesänderungen berückſichtigt, 
ſondern den geſamten Rechtsſtoff einer Umarbeitung 


: unterzogen und dabei eine erhebliche Erweiterung er— 


fahren. Auch durch die Aufnahme aller bergpolizei— 
lichen Beſtimmungen hat die Ausgabe an allgemeiner 
Verwertbarkeit gewonnen. G. 


272 Zeitſchrift für Rechtspflege 


Doerr, Dr. Friedrich, K. Amtsrichter, Privatdozent an 
der Univerſität München. Kolonial beamten⸗ 
geſetz vom 8. Juni 1910 auf Grund der Geſetzes⸗ 
materialien erläutert und mit den ergänzenden 
Geſetzen, insbeſondere dem Reichsbeamtengeſetz und 
dem Beamtenhinterbliebenengeſetz herausgegeben. IV, 
131 S. München und Berlin 1910. J. Schwei ber 
Verlag (Arthur Sellier). Gebd. Mk. 2.60. 

Die kurzen er n neben einen Ueberblick 
über den Zuſammenhang der Vorſchriften mit denen 
anderer Reichsgeſetze. 

von der Pfordten. 


Lambertz, Sans, Der Richter. Erzählungen aus Alt⸗ 
Japan. 12°. 103 S. München 1911, C. H. Beck'ſche 
Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck. Geb. Mk. 2.80. 

Anſpruchsloſe, hübſch erzählte Anekdoten, die zu⸗ 
weilen an Märchen aus „Tauſend und eine Nacht“ 
erinnern, aber moderner gefärbt ſind. 


— -en. 


Lotzl, Dr. dvar, Die Volksſchulpflicht nach 
eutſchem Volksſchulrecht. 83 Seiten. Berlin und 
München 1911, R. Oldenbourg. Mk. 1.50 


Eine mehr hiſtoriſche als dogmatiſche Erfaſſung 
des Stoffs, welche aber auf Vollſtändigkeit Anſpruch 
machen kann und darum zur Orientierung ſehr wohl 
geeignet iſt. G. 


Notizen. 


Die Bekämpfung der Pornographie. Das Reichs⸗ 
geſetzblatt 1911 S. 209 veröffentlicht das Abkommen 
vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung der Verbreitung 
unzüchtiger Veröffentlichungen. Als vorläufige Frucht 
des internationalen Kongreſſes gegen die Pornographie 
(Paris, 21. u. 22. Mai 1908) und der Konferenz der 
Bevollmächtigten der Regierungen (Paris, 18. April 
bis 4. Mai 1910) iſt von Deutſchland, Oeſterreich, 
Ungarn, Senn Brafilien, Dänemark, Spanien, den 
Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Groß⸗ 
britannien, Italien, den Niederlanden, Portugal, Ruß— 
land und der Schweiz in Anlehnung an das inter⸗ 
nationale Abkommen über Verwaltungsmaßregeln zur 
Gewährung wirkſamen Schutzes gegen den Mädchen⸗ 
handel vom 18. Mai 1904 (RGBl. S. 695) am 4. Mai 
1910 ein Verwaltungsabkommen (arrangement) ge⸗ 
troffen worden, das die gegenſeitige Mitteilung von 
Nachrichten zur Ermittelung und Bekämpfung von 
Vergehen in Beziehung auf unzüchtige Veröffent- 
lichungen erleichtern ſoll. 

In Frage kommen nach Art. 1 Nr. 1 Handlungen, 
die ſich als Zuwiderhandlungen gegen die Landes— 
geſetzgebung hinſichtlich unzüchtiger Schriften, Zeich⸗ 
nungen, Bilder oder Gegenſtände darſtellen und „deren 
Tatbeſtandsmerkmale einen internationalen Charakter 
haben (dont les éléments constitutifs ont un caractere 
international)“. Letztere Vorausſetzung wird nicht im 
juriſtiſch⸗techniſchen Sinne der Tatbeſtandsmerkmale 
zu begrenzen ſein, vielmehr wird maßgebend ſein, ob 
die Tat aus irgend welchen Gründen, z. B. im Hin⸗ 
blick auf die Perſon des Täters oder auf die Art und 


den Umfang ihrer Ausführung, eine Bedeutung hat. 


die auch für die anderen Vertragsſtaaten von Intereſſe 
iſt. Jeder Vertragsſtaat ſoll eine Behörde einrichten 
oder bezeichnen, die Nachrichten zur Ermittelung und 
Bekämpfung ſolcher Handlungen ſammelt und zur 


—— — — ¹—— ———— ¶ mᷓʃ• 4 m ——— 


Verhinderung der Einfuhr ſowie zur Sicherung oder 


Beſchleunigung der Beſchlagnahme den gleichartigen 
Behörden der anderen Vertragsſtaaten liefert, ihnen 


in Bayern. 1911. Nr. 12. 


auch Strafnachrichten über die Verurteilungen wegen 
ſolcher Handlungen und die Landesgeſetze auf dieſem 
Gebiete mitteilt. Vorausgeſetzt iſt überall, daß die 
Landesgeſetzgebung dieſen Nachrichten nicht entgegen⸗ 
ſteht. Zwiſchen den Nachrichtenbehörden iſt der un⸗ 
mittelbare Verkehr geſtattet. (Vgl. für das Abkommen 
zur Bekämpfung des Mädchenhandels die Reichs⸗ 
kanzler⸗Bek. vom 15. Juli 1905 — Zentralbl. f. d. 
Deutſche Reich S. 185 —, wonach der Polizeipräſident 
in Berlin als Zentralſtelle für Deutſchland be⸗ 
zeichnet iſt). 

Das Abkommen tritt ſechs Monate nach der Hinter⸗ 
legung der Ratiſikationsurkunden in Kraft. Es ent⸗ 
hält noch Beſtimmungen über die Kündigung, über 
den Beitritt anderer Staaten und über die Aus⸗ 
dehnung auf Kolonien, Beſitzungen oder Konſular⸗ 
gerichtsbezirke der Vertragsſtaaten. Die Ratifikations⸗ 
urkunden ſind von Dänemark am 8. April 1911, von 
den anderen Staaten am 15. März 1911 in Paris 
hinterlegt worden. (Bek. vom 5. Mai 1911, RG Bl. 
S. 215). Zur Ausführung des Abkommens werden 
nach der Einrichtung der Zentralbehörde Vorſchriften 
der Bundesregierungen notwendig ſein. 

2258 


e im Falle des 3 505 ZPO. Nach 
8 505 Abf BO. in der Faſſung der Novelle vom 
1 Juni 1509 at ein örtlich oder ſachlich unzuſtän⸗ 
diges Amtsgericht auf Antrag des Klägers durch Be⸗ 
ſchluß den Rechtsſtreit an das zuſtändige Gericht zu 
verweiſen, wenn dieſes ermittelt werden kann. Auf 
Grund einer Vereinbarung der Bundesregierungen be⸗ 
ſtimmt eine Bekanntmachung vom 12. Mai 1911 (JM Bl. 
S. 214/5), in welcher Weiſe die Koſten anzuſetzen, ein⸗ 
zuziehen und zwiſchen den Gerichtskaſſen zu verrechnen 
ſind, wenn der Rechtsſtreit an das Gericht eines an⸗ 
deren Bundesſtaates verwieſen wird. Unberührt bleiben 
natürlich die Vorſchriften im 8 505 Abſ. 3 ZPO., in 
denen die Behandlung der Koſten im Berhältniffe 
zwiſchen den Parteien geregelt iſt (vgl. auch 8 30 
KG., 8 26 RAGGebO.). 


Sprachecke. 


Die Faſſung der Beſchlüſſe in Bollſtreckungs ſachen 
zeitigt oft recht eigentümliche Blüten der Amtsſprache. 
Das iſt um fo bedauerlicher, als ſolche Beſchlüſſe häufig 
rechtsunkundigen Perſonen zugeſtellt werden, die mit 
den rätſelhaften Sätzen nichts anzufangen wiſſen. 
Ein Muſterbeiſpiel bietet die folgende Bfändungs⸗ 
benachrichtigung, die uns ein Freund unſeres 
Blattes hat zukommen laſſen: es 1 (!) der 
Firma X. in M., vertr. d. RA. 

wird 

1. dem Br. . .. 2. der N. Bank ... erklärt: Auf 
Grund vollſtreckbaren Urteils des Landgerichts M.... 
fordert die Requirentin () an () den Requiſiten sub 1 
den Betrag von M 2000 und für feſtgeſetzte Koſten 
M 200. Wegen letzteren Anſpruchs beabſichtigt die 
Requirentin () den Anſpruch des Requiſiten sub 1 an 
die Requiſitin sub 2 auf... zu pfänden. Indem 
hievon den Requiſiten (!) Kenntnis gegeben wird, wird 
denſelben verboten und zwar dem Requiſiten (0 sub I 
über die Forderung zu verfügen ꝛc. und der Requi⸗ 
ſitin sub 2 eine Zahlung an den Requiſiten sub 1 
zu leiſten.“ 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. w. im Staatsminiſteriumd. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweiger Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ar. 13. München, d den 1. en J. Juli 111. 1911. Ä T . Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Th. von der Pfordten in Bayern 2. ä ze. 


K. Landgerichtsrat, verw. Im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. München und Berlin, 


u Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
: e 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzelle 
oder deren Raum. Bei . Rabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Die Sen erſcheint, am 1. und 15. jeden Monat 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertelfäbrlich 
5 1 fell Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
oſtan 


Nachdruck verboten. N 273 


Die Zahrhundertfeier des öſterreichiſchen verſtummen. Und die öſterreichiſche Feier zeitigt 


Algemeinen Bürgerlichen Geſetzuchs. Gere dend laden n een Berta, daß 


Von Univ.⸗Profeſſor Dr. Leopold Wenger in München. die notwendigen Teilreformen gelingen werden, 


' ie 5 er 0.0 daß der Grundbau noch feſthalten wird im zweiten 
5 en 4 rg ne Jahrhundert des Beſtands. Oeſterreich, das Land 


der Zweifler und Kritiker an allem, was die 
ihres hundertjährigen Bürgerlichen Geſetzbuchs. f . 
Wenn die Redaktion dieſer in erſter Linie der Oeimat geſchaffen hat und ſchafft, das Land oft 


blinder Auslandsbewunderung und ſteter Selbſt⸗ 
deutſchen und baveriſchen Rechtspflege gewidmeten verkleinerung, es feierte mit Enthuſiasmus dieſes 


Zeitſchrift einem Gedenkwort an die ſeltene Feier ö 
o echt öſterreichiſche Geſetz: es feierte ſein ABGB. 
freundlich Raum gibt, jo mag gzunächſt daran mit Feſten und Jubelſchriften“), an denen Ange: 


erinnert ſein, daß vor 1900 auch auf kleinen 
Teilen bayerischer Erde!) nach dem jubilierenden börige aller Nationen und aller juriſtiſchen Be⸗ 


Geſetzbuch Recht geſprochen wurde. So hat Bayerns rufe ſich beteiligten. nr 
Rechtsgeſchichte am Feſte formell Anteil. Indes . an u es, dr N 
bedarf es wohl keiner beſonderen Begründung, wenn wußte 1 7 es AB ee vornehmlich beſtimmten: 
es gilt, ein Feſt des eng verbündeten Nachbarreichs ein politiſche s und ein juriſtiſches. Beide 
zu feiern, ein Feſt, in dem ſich die alte Kraft | aber lehrt uns die Geſchichte richtig bewerten. 
des ſtammverwandten Oeſterreich in jugendlicher Erſt das politiſche Moment. Das Geſetz 
Friſche wieder gezeigt hat. weiſt ſeiner Entſtehung nach zurück in die unver⸗ 
Denn das war das ſchöne Leitmotiv des ganzen geſſene Glanzzeit der großen Kaiſerin Maria 
Feſtes, ein Motiv, das über die Juriſtenkreiſe Thereſia. Sie hat 1758 ſchon den Plan aus⸗ 


Oeſterreichs hinaus empfunden wird, und das auch geſprochen, „allen ihren Erbländern ein ſicheres, 
die Zeilen durchziehen ſoll, die der Verfaſſer in gleiches 155 zu geben. Sie, Joſeph II. und 
dankbarer Erinnerung an die Lern: und Lehrjahre Leopold II. haben das Werk vorbereitet, das der letzte 
in Oeſterreich dem Feſtgedenken widmet. deutſche und erſte öſterreichiſche Kaiſer Franz mit 

Als Deutſchland vor anderthalb Jahren auf Patent vom 1. Juni 181 U in den damals ſogenannten 
das erſte Dezennium feines ſchwer erkämpften ein⸗ deutſchen Erbländern publiziert hat.“) Von dem 


heitlichen Bürgerlichen Geſetzbuches zurückblickte, Glanze jener Zeit, in dem das alte Habsburger⸗ 


da war das Urteil weiter Kreiſe hart. Nicht bloß reich die feſten Grundlagen zu einem einzigartigen 
der Nichtjuriſt, der ja mit klarem, von Sach- neuen Staatsweſen teils umgelegt, teils ganz neu 


| 
kenntnis ungetrübtem Blick bewehrt, am lauteſten on 

| 

| 

| 

| 

Ä 


) Nur wenige Stimmen miſchen ſich nicht in den 
Jubel, ſo Benedikt, Oeſterr. Rundſchau vom 1. Juni 
1911, Bd. XXVII, S. 347 

5 In juriſtiſchen Blättern und in der Tagespreſſe. 
Beſondere Hervorhebung verdient die zweibändige ſtatt— 
liche Feſtſchrift zur Jahrhundertfeier des ABGB. Wien, 
Manz 1911 (im folgenden als Feſtſchrift I, II zitiert). 
Teil I, X und 762 S. Teil II, IV und 1011 S. 

4) Ein Fakſimile der Allerh. Reſolution des Kaiſers 
an Bayern unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung des Franz vom 18. Auguſt 1810, mit welcher endgültig der 
ABGB. abgetreten, und der ſog. Fraiſchbezirk in der Titel des Geſetzbuches feſtgelegt wurde: „Allgemeines 
Oberpfalz. Genaue Daten nach Mitteilung des Kgl. Bürgerliches Geſeßbuch für die geſamten deutſchen Erb— 
bayer. Juſt Min. bei v. Mayr, Se chrift aur alle länder der öſterreichiſchen Monarchie“ ſchmückt den I. Teil 
hundertfeier des öſterr. ABGB. Bd. 1, 383 f. 2 der Feſtſchrift. 


und ſicherſten ſein Urteil zu fällen pflegt, auch 
manch ruhig denkender Fachmann fand an dem 
Werk und des Geſetzes Wirken mehr auszuſetzen 
als zu loben. Das ſtarke, vielgeſcholtene deutſche 
Selbſtbewußtſein ſcheint dem BGB. gegenüber zu 


) Markt⸗Redwitz in Oberfranken, 1816 von Oeſterreich 


274 


geſchaffen hat, einer Zeit, die jedem Oeſterreicher 
aus der erſten Schulzeit her lieb geworden und 
geblieben iſt, aber auch von den Zeiten der Kriege 
mit dem korſiſchen Eroberer, in denen Oeſterreichs 
Heere zuerſt die Sage von der Unüberwindlichkeit 
des Kaiſers Napoleon durch die Tat bei Aſpern 
widerlegt, von all dem alten ruhmvollen Oeſterreich, 
liegt ein Abglanz auf dem Geſetze. Sein wechſeln⸗ 
des Geltungsgebiet hängt mit Oeſterreich-Ungarns 
innerer Geſchichte innigſt zuſammen. Erſt für die 
deutſchen Erbländer beſtimmt und für das enge 
Oeſterreich von 1811 publiziert, wird es allmählich 
Geſetz in den Teilen des Reichs, die nach Napoleons 
Sturz wieder und neu hinzukommen. Franz 
Joſephs Thronbeſteigungsmanifeſt verkündet den 
Gedanken, „alle Lande und Stämme der Monarchie 
zu einem großen Staatskörper zu vereinigen“. 
Ein Reich, ein Recht! Ungarn, Kroatien, Sla⸗ 
vonien, Siebenbürgen erhalten 1852 und 1853 
das ABGB. Und merkwürdig: während Ungarn 
durch die Ereigniſſe von 1860/61 ſich emanzipiert 
und auch die Privatrechtseinheit mit Oeſterreich 
bricht, bleibt das Geſetz in Kroatien und Slavonien’) 
und in Siebenbürgen in Geltung! In den Orient 
weiſt ſeine Geltung für die öſterreichiſchen Staats⸗ 
bürger und Schutzgenoſſen in der Türkei ), ſeine 
teilweiſe und ſubſidiäre Geltung in Bosnien und 
in der Herzegowina.) Und wenn kürzlich der 
Präfident der Advokatenkammer von Sarajevo im 
bosniſchen Landtage den Antrag ſtellte, das ABGB. 
auch formell als Geſetz einzuführen), jo iſt das 
zugleich ein bedeutſames Moment neueſter poli⸗ 
tiſcher Geſchichte: Oeſterreich der Kulturbringer 
auf dem Balkan. 

Wo das Geſetz gilt, fühlt man ſich auf alt⸗ 
öſterreichiſcher Erde. Jede Schmälerung ſeines 
territorialen Machtbereichs bedeutet Abbröckelung 
der politiſchen Macht der nur in der Einigkeit 
ſtarken Monarchie. Das Geſetz bedeutet mehr und 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


anderes als uns das BGB. Wir können das 


bürgerliche Recht ändern, neu machen: es wird 


ein einheitliches Recht fürs Reich bleiben, denn 
die Einheit iſt geſetzlich feſtgelegt und ſteht als 


Selbſtverſtändlichkeit im politiſchen Programm der 
Parteien. Anders in Oeſterreich. Eine Reviſion, 
viel mehr noch eine Neuſchaffung des bürgerlichen 
Rechts könnte nationale und föderaliſtiſche Aſpi— 
rationen auslöſen, die der Rechtseinheit gefährlich 
würden. Es iſt größte Vorſicht beim Umbau und 
Ausbau, bei der Erſetzung unbrauchbar gewordener 


) Darüber ein intereſſanter Aufſaßz von Mauro: 
vic. Feſtſchrift I, 6895 ff. In Kroatien hat ſich das 
öſterreichiſche Privatrecht durch ſeinen inneren Wert 
immer mehr Anhänger erworben. 

e) Detaillierte Daten gibt v. Mayr, Feſtſchr. I, 3835. 

7) Darüber intereſſante Ausführungen von Pilar 
und Zobkow in der Feſtſchr. I. 701 ff., 727 ff. 

e) Vgl. Schauer, DIZ. 1911, 730%, und über 
die Beſtrebungen der bosniſch-herzegowiniſchen Advo— 
katenkammer Pilar, a. a. O. 723 ff. — allerdings ohne 
großen Optimismus bezüglich des Erfolgs. 


Teile des Geſetzes nötig, ſoll nicht die Einheit des 
öſterreichiſchen Privatrechts gefährdet werden). Von 
dieſem Geſichtspunkt aus wird vielleicht mancher 
lieber der in Angriff genommenen Reform durch 
Novellengeſetzgebung zuſtimmen, wie ſie der Alt⸗ 
meiſter der öſterreichiſchen Jurisprudenz Joſef 
Unger angeregt hat, und wie ſie gegenwärtig 
im Herrenhauſe vorbereitet wird. 

Veranlaſſen fo politiſche Gründe zum mög: 
lichſten Konſervatismus bei der notwendigen 
Reform, die man begreifen und in weitem Um⸗ 
fange auch billigen kann, jo iſt das juriftifche 
Moment, das bei der Feier mehr denn einmal 
in den Vordergrund trat, und gerade die Modern⸗ 
ſten für das alte Recht zu gewinnen geeignet war, 
ein ganz eigenartiges. 

Wieder gibt uns die Geſchichte des Geſetzes den 
Fingerzeig. Der Codex Therefianus von 1767, 
der erſte Entwurf zum Sa. war ein achtbän⸗ 
diges Werk geworden. Die Kaiſerin hat auf des 
Fürſten Kaunitz Rat eine Reviſionsreſolution!“) 
erlaſſen: 

12 Solle das Geſäz⸗ und Lehr⸗Buch nicht mit 
einander vermenget, mithin alles jenes, was nicht 
in den Mund des Geſäzgebers, ſondern ad Cathe- 
dram gehöret, als Definitionen, Divisionen, und 
dergleichen aus dem Codice ausgelaſſen werden. 

22 Solle alles in möglichſter Kürze, jo viel 
es ohne undeutlich zu werden, geſchehen kann, ge⸗ 
faſſet, anbey ſich in kein allzu genaues detail, be⸗ 
ſonders, wo dieſes dem Geſäzgeber gleichgültig ſeyn 
kann, eingelaßen, und die Casus rariores ent⸗ 
weder übergangen, oder unter allgemeinen Säzen 
begrifen werden. 

32 Alle Zweydeutigkeit und Undeutlichkeit ſolle 
ſorgfältig vermieden werden. Doch iſt in betref 
der Deutlichkeit die behörige Maaß zu halten, und 
ſich unter dieſem Vorwande weder in unnüze Wieder⸗ 
holungen, noch auch alda in Erläuterungen einzu⸗ 
laßen, wo ohnehin bey einem vernünftigen Menſchen 
kein Zweifel vorwalten kann. 

4 In den Geſäzen ſelbſt ſolle ſich nicht an 
die Römiſchen Rechte gebunden, ſondern überall die 
natürliche Billigkeit zum Grunde geleget werden. 

52 Die Geſäze ſollen, jo viel möglich simpli- 
fizieret, daher ohne Noth nicht vermehret, noch 
auch bei ſolchen Fällen, jo weſentlich einerley find, 
wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität ver⸗ 
vielfältigt werden. 

Dieſe Gedanken ſind leitend für das end— 
liche Geſetz geblieben: „gute Lücken“ !), Ber: 
meidung der Kaſuiſtik, Emanzipation von 


9) Aehnliche Gedanken äußert Schauer, DIZ. 1911, 
734 


©. 

10) Das Fakſimile diejer Reſolution vom 4. Auguſt 
1772, dem der folgende Text nachgedruckt iſt, iſt eben⸗ 
falls dem 1. Teil der Feſtſchr. beigeſchloſſen. 

11) Den ſchon vielfach nachgeſprochenen Terminus 
prägt v. Schey, Ueber den redlichen und unredlichen Be⸗ 
jiper S. 9. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


ſklaviſchem Romanismus, Befolgung der Grund⸗ 
ſätze der natürlichen Billigkeit. Wie dieſe Leit⸗ 
ſätze im Geſetz ſelbſt verwertet worden, zeigen ein⸗ 
gehende und wertvolle Aufſätze des erſten Bandes 
der Feſtſchrift: Wellſpacher!) hat den Ein: 
fluß des Naturrechis aufs Geſetz, v. Koſchem⸗ 
bahr⸗Lyskowski!) das Verhältnis des Geſetz⸗ 
buchs zum römiſchen Recht, v. Schey das Pro⸗ 
blem Geſetzbuch und Richter behandelt). Liegt 


nicht der Anlaß zur Feſtfreude vieler in dem, was 


das Geſetz nicht ſagt? In ſeinen guten Lücken, 
in den elaſtiſchen Normen, die dem freien Ermeſſen 
des Richters ſoviel Spielraum bei Beurteilung des 
einzelnen Falles laſſen, in der Möglichkeit nach 
Prinzipien zu handeln, die man ehedem unter dem 
Namen Naturrecht ſubſumierte, die man heute als 
natürliche Billigkeit, geſundes Rechtsempfinden, 
Rechtsgefühl des einfachen Mannes, oder wohl 
auch — gelegentlich mit böſem Seitenblick auf 
den Juriſten — als Selbſtverſtändlichkeiten des 
geſunden Menſchenverſtandes uſw. uſw. anſieht? 

Gewiß iſt das Geſetz, wie Klein in dem Ein⸗ 
leitungsartikel!“) zur Feſtſchrift beobachtet, ſeiner 
Zeit mit ihren gebundenen wirtſchaftlichen Be⸗ 
ziehungen vorangeeilt, indem es das Zivilrecht 
einer erſt im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts 
gewordenen Geſellſchaft der freien Verkehrswirt⸗ 
ſchaft ſchuf, aber die Kunſt dieſer Schöpfung war 
bedingt durch die Fernhaltung der Kaſuiſtik, durch 
die oft geübte ars tacendi et ignorandi! Das 
ABGB. iſt wahrhaftig kein Geſetz, das den Richter 
beengte oder gar knebelte. Aber ſind die Vorteile, 
die damit für den ſonſt wohl unerträglichen Zu⸗ 
ſtand der Herrſchaft eines Geſetzes von 1811 über 
das Verkehrsleben von 1911 gegeben ſind, ſo 
groß, um den Wunſch zu rechtfertigen, auf die 
Dauer es bei dieſem Syſtem zu belaſſen? Sollen 
auch die Reformen ſo ſein, daß ſie wieder ein 
Jahrhundert währen können? Soll der neue 
Einbau wiſſenſchaftliches oder volkstümliches Recht 
bringen? Soll das Neue dem deutſchen BGB. 
ſich auch in der Form nähern, oder ſoll man 
möglichſt es vermeiden, die neuen Steine ſehen 
zu laſſen, die anſtatt alter, die brüchig geworden, 
in den Bau eingefügt werden? 

Vieles wird noch Theorie und Praxis aus dem 
Geſetze herausleſen lernen, was bisher verſchloſſen 
war; der zweite Band der Feſtſchrift iſt dafür 
lebendiger Beweis. Anderes aber kann nur der 
Geſetzgeber wandeln. Es iſt in dieſer allgemeinen 
Betrachtung nicht der Ort, auf Einzelnes einzu: 
gehen!“): Die Reformvorſchläge find von berufenen 
Lehrern und Praktikern des öſterreichiſchen Rechts 

1) S. 173 ff. 

19 S. 209 ff. 

14) S. 499 ff. 

15) Lebenskraft des bürgerlichen Geſeßbuches Bd. J 


. 1 
16) Vgl. dazu etwa die Zuſammenſtellung bei v. 
Mayr, Oeſterr. Gerig. 1906, Nr. 17 — 20. 


in Bayern. 1911. Nr. 13. 


275 


mit mitarbeitendem Intereſſe aufgenommen worden 
und haben auch bei uns lebhaftes Intereſſe erweckt. 
Das wenige aber, was hier geſagt wurde, mag 
zeigen, wie ſchwer die Probleme ſind, die gerade 
die öſterreichiſche Zivilrechtsreform zu bewältigen 
hat: zu den allgemein⸗juriſtiſchen kommen hier die 
beſonderen politiſchen Schwierigkeiten. 

Der Wunſch und die Zuverſicht der deutſchen 
Jurisprudenz aber, die in ſo reger Wechſelbeziehung 
mit der öſterreichiſchen ſteht — ich darf nur an 
das Strafrecht und die Prozeſſe erinnern, — iſt 
es, daß auch hier das Werk ſo geſchaffen werde, 
daß die Kraft des alten Habsburgerreichs erſtarke! 

Als Auſtria vor zwei Jahren zum Schutze 
ihres öffentlichen Rechts in der bosniſchen Kriſe 
das Schwert aus der Scheide zog und in der 
blinkenden Sonne prüfte, da war kein Roſtfleck 
und keine Scharte am Schwert. Germania aber 
ſtand mit blanker Wehr an der Seite der Schweſter 
und die Feinde zogen grollend ab. Ihr wohl⸗ 
gefälliger Traum war dahin, daß Oeſterreich morſch 
ſei und dem Zerfalle nahe. 

Am 1. Juni 1911 wurde ein Feſt des privaten 
Rechts gefeiert. In dem ſo oft ſturmdurchtobten 
Abgeordnetenhauſe in Wien, in dem die Leiden⸗ 
ſchaften der Nationen ſo oft auf einanderprallten, 
daß Altöſterreich in allen Fugen zu krachen be⸗ 
gann, in demſelben Saale ſaßen am Jahrhunderts⸗ 
tage eines echt öſterreichiſchen Werkes die Vertreter 
aller Nationen und Parteien friedlich beiſammen, 
um ein öſterreichiſches Feſt zu feiern. Dort, wo 
ſo bittere Klagen über Gewalt laut geworden, 
huldigten alle dem Recht und der Gerechtigkeit, 
die nach der Griechen ſchönem Worte die „Gleich⸗ 
heit“ aller iſt. 

Das Viribus unitis des greiſen Kaiſers hat 
in dem Feſtakte einen ſinnfälligen Ausdruck er⸗ 
halten. Dem alten Geſetze ſelbſt aber kann kein 
beſſerer Glückwunſch ins zweite Säkulum mitgegeben 
werden, als daß es, die Fehler abſtoßend, die ihm 
anhaften, in ſeiner verjüngten Geſtalt ein Hort 
der Gerechtigkeit ſei, ius suum cuique tribuens! 


Ri neuen bayeriſchen Vorſchriften über dns 
Verfahren der zuſtizbehörden in Vegnadi⸗ 
gungs⸗ und Strafaufſchubsſachen. 
Von J. Bleyer, II. Staatsanwalt in München. 


Die Vorſchriften über das Verfahren der 
Juſtizbehörden in Begnadigungs- und Strafauf— 
ſchubsſachen waren bisher in einer großen Zahl 
von Bekanntmachungen und Entſchließungen zer— 
ſtreut. Ein Teil von ihnen war amtlich nicht 
veröffentlicht oder ſchwer zugänglich. Den älteren 
Entſchließungen lag das frühere bayeriſche Straf— 
recht von 1813 oder 1861 zugrunde. Für die 


276 


Pfalz fehlte es häufig überhaupt an Anordnungen. 
Die dort unter der Herrſchaft des franzöſiſchen 
Strafrechts erlaſſenen Vorſchriften waren in Ver⸗ 
geſſenheit geraten; man half ſich meiſtens mit der 
entſprechenden Anwendung der Vorſchriften für das 
rechtsrheiniſche Bayern. Ein Hauptvorzug der 
neuen Bekanntmachung vom 6. Mai 1911 (JM Bl. 
S. 155) liegt deshalb im $ 33, der 22 Ent: 
ſchließungen und Bekanntmachungen aus den 
Jahren 1846 bis 1900 ausdrücklich aufhebt und 
weiter beſtimmt, daß alle ſonſtigen Vorſchriften 
über das Verfahren in Begnadigungs⸗ und Straf: 
aufſchubsſachen, alſo beſonders die in generaliſierten 
Entſchließungen enthaltenen, aufgehoben ſind, ſo⸗ 
weit nicht der 8 35 ſie aufrechterhält. 


1 


Materielles Begnadigungsrecht enthält die Be⸗ 
kanntmachung nicht. Sie regelt das Verfahren 
in Begnadigungs- und Strafaufſchubsſachen, deren 
Behandlung in den Geſchäftsbereich der Juſtiz⸗ 
behörden gehört (8 30). Das tft zunächſt der Fall 
bei den von den ordentlichen Gerichten ausge⸗ 
ſprochenen Kriminalſtrafen. Die Vorſchriften 
der Bekanntmachung finden aber auch entſpre⸗ 
chende Anwendung auf Begnadigungs- und Straf⸗ 
aufſchubsgeſuche „für Ordnungsſtrafen und andere 
Strafen, die nicht Kriminalſtrafen find” (§ 30). 
Vorausſetzung iſt, daß das Gericht, das die Strafe 
ausſprach, unter der Dienſtaufſicht des Juſtiz— 
miniſteriums ſteht und daß die Strafvollſtreckung 
zur Geſchäftsaufgabe der Juſtizbehörden gehört. 
Die Geſuche, für deren Behandlung die Juſtiz⸗ 
verwaltung nicht zuſtändig iſt, laſſen ſich nicht 
aufzählen. Es gehören dazu Geſuche wegen Geld— 
ſtrafen, die durch Strafbeſcheide der Verwaltungs— 
behörden feſtgeſetzt ſind (§S 31), Geſuche wegen 
Strafen, die ein Verwaltungsgericht oder ein Ge— 
werbe⸗ oder ein Kaufmannsgericht feſtgeſetzt hat 
(3. B. eine Strafe wegen Zeugenungehorſams), 
Geſuche in Militärſtrafſachen (ſ. 8 10). Geſuche 
wegen Ordnungsſtrafen des Verſicherungsrechts.“) 

Zur Abgrenzung der Zuſtändigkeit der Juſtiz— 
verwaltung und der Finanzverwaltung enthält 
der § 32 einige grundſätzliche Anordnungen. Zu 
den Geſuchen, die nicht die Juſtizbehörden, ſondern 
die Finanzbehörden zu würdigen und zu behandeln 
haben, gehören vor allem Geſuche um Zurück— 
zahlung einer Geldſtrafe oder um Freigabe eines 
eingezogenen Gegenſtandes oder um Erlaß, Min— 
derung, Stundung der Gerichtskoſten. Wird 
ein ſolches Geſuch bei einer Juſtizbehörde ein— 
gereicht, ſo iſt es ohne vorbereitende Behandlung 
an die Finanzbehörde, in der Regel an das Kent: 
amt abzugeben. Iſt es mit einem Geſuche ver— 


1) Selbſiverſtändlich beziehen ſich die Vorſchriften 
nicht auf die Behandlung von Sachen, in denen das 
Begnadigungsrecht überhaupt nicht der Krone Bayern 
zuſteht. Das iſt insbeſondere wichtig bei der Anwendung 
der Vorſchriſten des $ 12 der Bekanntmachung. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


bunden, über das die Juſtizbehörden entſcheiden, 
ſo ſind die Akten nach der Erledigung des letzteren 
Geſuchs der Finanzbehörde zu ſenden. Das gilt 
auch dann, wenn eine Entſchließung des Juſtiz⸗ 
miniſteriums ergeht. Iſt z. B. in einer ſchöffen⸗ 
gerichtlichen Sache um Erlaß der Strafe und der 
Koſten gebeten und wird das erſtere Geſuch durch 
Entſchließung des Juſtizminiſteriums erledigt, ſo 
hat der Amtsanwalt auch ohne beſonderen Auf: 
trag dafür zu ſorgen, daß die Akten nach der 
Eröffnung der Entſchließung dem Rentamte zur 
Behandlung des Geſuchs um Koſtenerlaß zugehen. 
Es empfiehlt ſich deshalb durch eine Vormerkung 
in den Akten zu verhindern, daß die Verſendung 
überjehen wird. 

Nach der Bekanntmachung ſind alle Geſuche 
um Freigabe eines eingezogenen Gegenſtandes an 
die Finanzbehörden abzugeben. Es kommt nicht 
darauf an, ob der Gegenſtand in der Verwahrung 
des Gerichts oder des Rentamts iſt und ob er 
überhaupt ſchon in ſtaatlicher Verwahrung (ſei 
es durch vorausgehende Beſchlagnahme oder durch 
nachfolgende Vollſtreckungshandlung) oder ob er 
noch im Gewahrſam des Verurteilten oder eines 
Dritten iſt. 

Nach den Grundſätzen des § 32 iſt auch in 
anderen dort nicht genannten Fällen zu prüfen, 
welche Verwaltung für die Behandlung und Würdi⸗ 
gung eines Geſuchs zuſtändig iſt. 

Bei Ordnungsſtrafen und anderen Strafen, 
die nicht Kriminalſtrafen find, finden die Vor: 
ſchriften der Bekanntmachung nur entſprechende 
Anwendung (8 30). Es kommt dabei auf die 
Umſtände des einzelnen Falles an, ob eine von 
den allgemeinen Vorſchriften abweichende Behand: 
lung geboten iſt. Iſt z. B. um Erlaß oder 
Minderung einer Geldſtrafe gebeten. die ein 
Richterdisziplinargericht ausgeſprochen hat, ſo liegt 
die vorbereitende Behandlung dem Oberſtaats— 
anwalte bei dem Oberlandesgericht ob, nicht zu: 
nächſt dem landgerichtlichen Staatsanwalte. Denn 
dieſer hat zwar für die Vollſtreckung der Geld: 
ſtrafe zu ſorgen (Art. 64 Abſ. 2 RDG.), iſt aber 
an dem disziplinargerichtlichen Verfahren ſonſt 
nicht beteiligt. 


II. 


Die Aufnahme mündlicher Begnadigungsge— 
ſuche iſt zunächſt Aufgabe des Gerichtsſchreibers 
bei dem mit der Sache in erſter Inſtanz befaßten 
Gerichte (§S 1). Es iſt dabei außer Zweifel ge— 
tellt, daß in landgerichtlichen Sachen zunächſt die 
landgerichtlichen Gerichtsſchreiber zuſtaͤndig find. 
Wendet ſich der Bittſteller an den Amtsanwalt 
oder Staatsanwalt, ſo darf ihn dieſer an die 
Gerichtsſchreiberei verweiſen. Nur in dringenden 
Fällen muß er, ſeine ſonſtige Zuſtaͤndigkeit in 
der Sache vorausgeſetzt, das Geſuch aufnehmen. 
In dritter Linie kann ſich der Geſuchſteller an 
jede amtsgerichtliche Gerichtsſchreiberei wenden. 


Die Vorſchrift, daß ſchriftliche Begnadigungs⸗ 
geſuche von einem Rechtsanwalt oder dem Ver⸗ 
teidiger zu verfaſſen find, iſt längſt ſtillſchweigend 
außer Kraft getreten und nicht wiederholt. Eben⸗ 
ſowenig beſteht eine bindende Vorſchrift darüber, 
wo ein ſchriſtliches Begnadigungsgeſuch einzureichen 
iſt. In der Regel empfiehlt ſich die Einreichung 
bei der für die vorbereitende Behandlung zuftän: 
digen Behörde (S 3 Abſ. II) oder, wenn der 
Geſuchſteller möglichſt ſchnell die Einſtellung der 
Straſvollſtreckung herbeiführen möchte, bei der 
Strafvollſtreckungsbehörde. Die unmittelbare Ein⸗ 
ſendung des Geſuchs an das Juſtizminiſterium iſt 
zwecklos, weil das Geſuch zur Behandlung hinaus⸗ 
gegeben wird, wenn es nicht ſofort abgewieſen 
wird. | 

Auch darüber find Vorſchriften nicht erlaſſen, 
wer zur Einreichung eines Begnadigungsgeſuches 
legitimiert iſt. Grundſätzlich kann jedermann die 
allerhöchſte Gnade anrufen, und es iſt ſtaatls⸗ 
rechtlich nicht ausgeſchloſſen, daß jemand gegen 
ſeinen Willen begnadigt wird. Die Behörden 
dürfen deshalb die Aufnahme und die Behandlung 
von Begnadigungsgeſuchen nicht deshalb ablehnen, 
weil nach ihrer Anſicht der Geſuchſteller kein be⸗ 
gründetes Intereſſe an der Begnadigung hat oder 
weil der Verurteilte ſich dem Geſuche nicht an⸗ 
ſchließt. Ob der Geſuchſteller dann einen Beſcheid 
bekommt, iſt eine Frage für ſich. 


III. 


Begnadigungsgeſuche haben wie bisher in der 
Regel aufſchiebende Wirkung (3 2 Abſ. I). Wird 
die Vollſtreckung einer Geldſtrafe eingeſtellt, ſo 
erhält davon das Rentamt (oder der für die 
Beitreibung der Strafe zuſtändige Gerichtsſchreiber) 
Kenntnis. Der Mitteilung an das Rentamt be 
darf es nicht, wenn die Einſtellung der Voll: 
ſtreckung noch erfolgt, bevor das Rentamt erſucht 
iſt die Geldſtrafe beizutreiben. 
dafür zu ſorgen, daß die Strafe in das Einzugs— 
regiſter vorläufig nicht aufgenommen wird. 

Durch die Vorſchriften in 8 2 Abſ. II, III 
ſind den Behörden die Mittel gegeben, mit denen 


Es iſt dann aber 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


— 


| 


fie dem Mißbrauche des Begnadigungsgeſuchs 
zur Verzögerung der Strafvollſtreckung wirkſamer 


und entſchiedener als bisher entgegentreten können. 
Dem Begnadigungsgeſuche iſt die aufſchiebende 
Wirkung zu verſagen 


1. wenn die ſofortige Vollſtreckung das Be: 
gnadigungsrecht der Krone offenbar nicht 
beeinträchtigt, 

2. wenn das Geſuch offenbar ausſichtslos iſt 
und nur die Vollſtreckung verſchleppen ſoll. 


Ob die Vorausſetzungen für die ſofortige Ein— 
leitung der Strafvollſtreckung vorliegen, entſcheidet 
die Strafvollſtreckungsbehörde nach pflichtmäßigem 
Ermeſſen. Sie kann zunächſt das Ergebnis der 
Ermittlungen abwarten. 


| 


die vorbereitende Behandlung zuftändig find, 
werden gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben, 
daß die Vollſtreckung unverzüglich eingeleitet wird. 

Dem Begnadigungsgeſuche ſoll ferner die auf⸗ 
ſchiebende Wirkung in der Regel verſagt werden, 
wenn ſchon ein Begnadigungsgeſuch abgewieſen iſt. 
Das gilt nicht nur für neue Geſuche gleichen In⸗ 
halts, ſondern auch für Geſuche anderen Inhalts. 
Auch auf die Identität des Geſuchſtellers kommt 
es nicht an. Hat z. B. der Verurteilte erfolglos 
um Straferlaß gebeten, ſo kann er oder ein An⸗ 
gehöriger oder der Arbeitgeber die Vollſtreckung 
durch ein Geſuch um Strafmilderung oder um Straf: 
minderung in der Regel nicht weiter aufhalten. 
Ob Anlaß beſteht, die Straſvollſtreckung ferner 
einzuſtellen oder nicht, entſcheidet hier nicht die 
Strafvollſtreckungsbehörde, ſondern in amtsgericht⸗ 
lichen und ſchöffengerichtlichen Sachen der Staats⸗ 
anwalt, ſonſt der Oberſtaatsanwalt. Die Straf⸗ 
vollſtreckungsbehörde wird deshalb, wenn nicht 
ſchon unverzügliche Vollſtreckung angeordnet iſt, 
auf ein neues Geſuch die Entſcheidung der zu⸗ 
ſtändigen Behörde abwarten und anfragen, wie 
ſie ſich verhalten ſoll, wenn ſie keine Mitteilung 
bekommt. 

Die Abweiſung eines Begnadigungsgeſuchs 
nimmt auch dem ſpäteren Geſuch um Bewilligung 
einer Bewährungsfriſt die aufſchiebende Wirkung 
(§ 9 Abſ. 3 der Bekanntmachung vom 14. Dezem⸗ 
ber 1903, JMBl. S. 285). 


Es bedarf keiner beſonderen Erläuterung, daß 
Begnadigungsgeſuche dem Juſtizminiſterium auch 
vorzulegen ſind, wenn ihnen die aufſchiebende 
Wirkung verſagt wurde. 


Die Anordnungen der Bekanntmachung über 
die Einſtellung der Strafvollſtreckung enthalten 
Weiſungen des inneren Dienſtes über den Straf: 
vollzug. Sie geben wie ſonſtige Verwaltungs⸗ 
vorſchriften ähnlichen Inhalts dem Verurteilten 
ſelbſtverſtändlich kein Recht auf Verſchonung mit 
der Strafvollſtreckung, das den ſtaatlichen Straf: 
vollſtreckungsanſpruch zurzeit ausſchlöſſe. Der Ver⸗ 
urteilte kann deshalb aus der angeblichen Ver— 
letzung der dienſtlichen Vorſchriften nicht „Einwen⸗ 
dungen gegen die Zuläſſigkeit der Strafvollſtreckung“ 
($ 490 StqpO.) ableiten. Das Gericht müßte 
den Antrag als unzuläſſig zurückweiſen. Allenfalls 
kann die Dienſtaufſicht angerufen werden (Art. 69 f. 
AG. z. GWG.). Aus dem gleichen Grunde würde 
auch, abgeſehen von anderen Erwägungen, die 
fahrläſſige Nichtbeachtung der Vorſchriften durch 
die beteiligten Beamten nicht den Tatbeſtand des 
§ 345 Abſ. 2 StGB. erfüllen; ſie könnte aber 
Anlaß zu dienſtaufſichtlichem oder dienſtſtrafrecht— 
lichem Einſchreiten geben. 


IV. 


Begnadigungsgeſuche müſſen ſchleunig und 


Die Behörden, die für | gründlich behandelt werden. Welche Ermittlungen 


278 
anzustellen find, beſtimmt ſich nach den Umſtänden 
des Falles (S 4). Dieſer Vorſchriſt entſpricht es 
nicht, wenn die Behörde ihre „Gründlichkeit“ da⸗ 
durch zu beweiſen ſucht, daß ſie über alle mög⸗ 
lichen nebenſächlichen Behauptungen des Geſuchs 
eingehende Erhebungen veranlaßt. Feſtgeſtellt 
werden ſoll, was nach der Art der ſtrafbaren 
Handlung und dem Stande der Strafpollitredung 
für die Entſchließung der Stelle, die über das 
Geſuch entſcheidet, vorausſichtlich von Bedeutung 
iſt. Beſonderes Gewicht iſt auch darauf zu legen, 
daß mehrere Ermittlungen gleichzeitig, nicht nach⸗ 
einander verfügt werden. Freilich muß ſich dann 
die Behörde von vornherein darüber klar werden, 
was ſie ermitteln will. Es iſt ferner immer der 
kürzeſte Weg zu wählen. Durchaus überflüſſig 
iſt es, das Geſuch vor der Hinausgabe in der 
Kanzlei abſchreiben zu laſſen und die Urſchrift 
zurückzubehalten. Es genügt in dieſer Hinſicht, 
daß für die Befolgung des § 4 Abſ. VI der 
Bekanntmachung geſorgt wird. 


Entſtehen durch die Behandlung des Geſuchs 
Koſten, z. B. Koſten für ärztliche Unterſuchung, 
jo trägt fie die Staatskaſſe ($ 4 Abſ. V). Daß 
das Verfahren von Staatsgebühren frei tft, geht 
aus Art. 234 Ziff. 12 GebG. in der Faſſung vom 
13. Juli 1910 hervor. 


Nicht ſelten ſagt der Geſuchſteller nicht mit 
der erforderlichen Deutlichkeit, ob er ein Rechts⸗ 
mittel einlegen oder um Begnadigung bitten will. 
Er muß dann gefragt werden, wie das Geſuch 
aufgefaßt werden ſoll. Die Behörde wird ſich 
aber davor hüten müſſen, dem Antragſteller (etwa 
durch die Form der Frageſtellung) nahezulegen, 
daß er ſein Geſuch als Begnadigungsbitte aus— 
legt. Beſondere Vorſicht iſt dann geboten, wenn 
die Rechtsmittelfriſt nicht abgelauſen iſt und der 
Antragſteller noch dazu gegenüber dem gerichtlichen 
Erkenntniſſe mit neuen Behauptungen hervortritt, 
die die Sache in einem anderen Lichte zeigen 
ſollen. Das iſt ſehr häufig im Strafbefehlsver— 
fahren, wo oft nur eine knappe Strafanzeige vor: 
liegt. Da die Begnadigung nur ausnahmsweiſe 
eintreten kann und das Begnadigungsverfahren 
nicht dazu beſtimmt iſt ein weiteres gerichtliches 
Verfahren zu erſetzen, kann es kommen, daß die 
Begnadigung abgelehnt werden muß, obwohl das 
Rechtsmittel vielleicht Erfolg gehabt hätte. Die 
Beteiligten glauben freilich mitunter, ihre Lage 
beſſer zu geſtalten, wenn ſie um Gnade bitten, 
als wenn ſie von ihren prozeſſualen Rechten 
Gebrauch machen. Die Behörden ſollten dieſem 
Irrtum entgegentreten, wo ſie ihm begegnen. 


Ueber die Mitwirkung der Finanz 
behörden im vorbereitenden Verfahren 
enthält die Bekanntmachung Vorſchriften in den 
SS 4 (Abſ. II, III) und 21 (Abſ. V, VI). Ob⸗ 
wohl bisher die Anhörung der Finanzbehörden 
nur für die Behandlung von Stundungsgeſuchen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


und auch hier nur mit Einſchränkungen vorge⸗ 
ſchrieben war (JMBl. 1900 S. 299 unter J), 
hatte ſich vielſach der Brauch gebildet, in allen 
Fällen, in denen ſich das Geſuch auf eine Geld⸗ 
ſtrafe bezog, mochte ſie noch ſo klein ſein, ein 
„Gutachten“ des Rentamts einzuholen. Das 
Gutachten beſtand häufig darin, daß das Rentamt 
die Akten „ohne Erinnerung“ zurückgab. Andere 
Rentämter ſahen, oft von den Juſtizbehörden 
dazu veranlaßt, ihre Aufgabe darin, ſich in kürzeren 
oder längeren Ausführungen über die ſtraſbare 
Handlung, die Angemeſſenheit der Strafe und die 
Würdigkeit des Geſuchſtellers auszuſprechen. Die 
Bekanntmachung ſchränkt die Mitwirkung der 
Finanzbehörden auf das richtige Maß ein. Sie 
find nach 8 4 Abſ. II in Begnadigungsſachen 
nur ausnahmsweiſe zu hören und nur über 
die Erwerbs⸗ und Vermögensverhältniſſe des 
Verurteilten, wenn es nach dem Inhalte des 
Geſuchs darauf ankommt und die ſonſtigen Er⸗ 
mittlungen (Vermögenszeugnis in den Akten, 
Erhebungen der Vollzugsorgane u. a.) darüber 
keinen genügenden Auſſchluß geben. Iſt um 
Stundung (mit der Entrichtung von Teilzahlungen 
oder ohne ſolche) gebeten, ſo wird das Rentamt 
um Aeußerung nur erſucht, wenn es ſich um eine 
„größere“ Geldſtrafe handelt ($ 21 Abſ. V). Die 
Finanzbehörde ſoll hier Auskunft über die 
Zahlungswilligkeit des Schuldners erteilen, 
die ſich in der Regel daraus ergeben wird, wie 
er ſeinen ſonſtigen Zahlungsverpflichtungen gegen⸗ 
über dem Staate nachkommt. 


In Forſtſtrafſachen wird das Forſtamt immer, 
das Rentamt nur unter den oben angegebenen 
Vorausſetzungen gehört (ſ. $ 4 Abſ. III, 8 21 
Abſ. VI). In Zoll- oder Steuerſachen iſt die 
Zoll- oder Steuerbehörde ſtets zu hören (a. a. O.); 
es wird die Behörde um Aeußerung zu erſuchen 
ſein, die die fiskaliſchen Intereſſen im gericht— 


V. 


Bei der Berichterſtattung an das Staatsmini⸗ 
ſterium der Juſtiz (§ 5) iſt auf möglichſte Min⸗ 
derung des Schreibwerks zu ſehen. Die Form 
der Berichterſtattung iſt verſchieden geblieben, je 
nachdem es ſich um eine landgerichtliche (ſchwur— 
gerichtliche) oder eine ſonſtige Begnadigungsſache 
handelt. Die Gutachten der Amtsanwälte wurden 
bisher teils in der Form von Randberichten er— 
ſtattet, teils in der Form geſonderter Berichte. 
Nach § 5 Abſ. II genügt in der Regel die Form 
des Randberichts. Für landgerichtliche Sachen iſt 
das Formblatt unverändert beibehalten, das ſeit 
dem Jahre 1904 in Gebrauch iſt. Es iſt aber 
ausdrücklich vorgeſchrieben, daß die Einträge in 
bündiger Kürze zu halten ſind. Beſonders 
die Spalte 4 (Inhalt und Begründung der Be— 


gnadigungsbitte) kann oft mit einigen Schlagworten | Mitteilungen aus der Praxis. 


kurz aber treffend ausgefüllt werden. 
Znſtändigkeit für die Bewilligung der öffentlichen 
VI. Zuſtellung notarieller Urkunden (ZPO. 88 794, 797, 


N 204). Das Kammergericht hat durch Beſchluß vom 
Die Eröffnung der Entſchließung (§ 6, ſ. auch 10. Januar 1908 ausgeſprochen, daß hierfür nicht das 
8 25 Abſ. J) beſorgte in amts⸗ und ſchöffenge⸗ Vollſtreckungs⸗, ſondern das Prozeßgericht zuſtändig 
richtlichen Sachen bisher häufig der Amtsanwalt, iſt KGGBl. 19 S. 29). Es fragt ſich nun, welches Ge⸗ 
obwohl eine ältere Entſchließung ſie dem Gericht richt hier das Prozeßgericht iſt. Bei Notariatsurkunden 
aufgetragen hatte. Da ſie mit dem Betriebe der iſt ein Prozeßgericht nicht vorhanden: nn Stelle 
Strafvollſtreckung enge zuſammenhängt, iſt ſie jetzt ** = Ne ae 
der Strafvollſtreckungsbehörde übertragen. In Forſt⸗ | zeichnete Gericht. Wurde die Vollſtreckungsklauſel auf 
ſtrafſachen iſt für Freiheitsſtrafen das Amtsgericht, Anordnung durch Urteil gemäß 8 797 Abſ. 5 oder 
für Geldſtrafen das Rentamt Vollſtreckungsbehörde 8800 Abſ. 3 ZPO. erteilt, fo iſt das Gericht, das das 
(Art. 179 Forft®.; Art. 86, 87 Pfalz. Forſt⸗ Urteil erlaſſen hat, als Prozeßgericht nach 8 204 auch 
ſtraf G.), die Eröffnung ſoll aber immer durch das zuſtändig für die Bewilligung der öffentlichen Zuſtel⸗ 
Amtsgericht erfolgen. Die Art der Eröffnung iſt lung der Vollſtreckungsklauſel; dieſes Gericht muß 
wie bisher dem Ermeſſen der eröffnenden Behörde auch als zuſtändig erachtet werden für die Bewilligung 
überlaffen; fie kann die Entſchließung dem Be- der Öffentlichen Juſtellung des Schuldtitel jelbit, da 
teiligten ſoweit fie für ihn beſtimmt ift, gegen dieſer mit der Vollſtreckungsklauſel für die Zwangs⸗ 
U 10 > ündli ( d t, geg vollſtreckung ein untrennbares Ganzes bildet (88 795, 
nterſchrift mündlich eröffnen laſſen oder ihm eine 724 30.) 
Abſchrift der Entſchließung zuſtellen, ſoweit ſie Soll nun aber ein notarielles Schuldbekenntnis 
eröffnet wird, oder ihm in der Vorladung zum mit feiner — ohne Klageerhebung und urteilsmäßige 
Strafantritt mitteilen, daß das Geſuch abgewieſen | Anordnung erteilten — Vollſtreckungsklauſel, oder eine 
wurde. dieſer beiden Urkunden öffentlich zugeſtellt werden, ſo 
iſt auch in dieſen Fällen für die Bewilligung der Zu⸗ 
ſtellung in entſprechender Anwendung der Vorſchriften 
der 88 797 Abſ. 5 und 800 Abſ. 3 ZPO. das darin 
beſtimmte Gericht zuſtändig (vgl. Gaupp⸗Stein ZPO. 
8. und 9. Aufl. 8 797 Anm. V). Für die Zuſtändigkeit 
dieſes Gerichtes haben ſich nunmehr — (wegen der 
früheren Rechtsanſicht vgl. BayziR. 1907 S. 439) — 
auch das Amtsgericht München und das Landgericht 
München I ausgeſprochen (Beſchw.⸗Reg. Nr. 109/11). 
Für die ſachliche Zuſtändigkeit iſt der Wert des An⸗ 
ſpruchs maßgebend, wegen deſſen ſeinerzeit die Zwangs⸗ 
voll ſtreckung erfolgen fol (GVG. 88 23, 70, Gaupp⸗ 
Stein a. a. O.). Es empfiehlt ſich im Geſuch um Be⸗ 
willigung der öffentlichen Zuſtellung einer Notariats⸗ 
urkunde die Höhe dieſes Wertes anzugeben. Das Ge— 
ſuch ſelbſt iſt, wie ſich aus dem Vorſtehenden ergibt, 
beim Vorhandenſein der Vorausſetzungen des 8 800 
ZPO. beim Amts⸗ oder Landgerichte des belegenen 
Grundſtücks zu ſtellen, im übrigen bei dem Amts⸗ 
oder Landgerichte, in deſſen Bezirk der letzte bekannte 
Wohnſitz des Antraggegners ſich befand ($ 16 ZPO.), 
oder in Ermangelung eines ſolchen Wohnſitzes bei 
dem Amts⸗ oder Landgerichte, in deſſen Bezirk ſich 
Vermögen des Antraggegners befindet (S8 797 Abſ. 5, 
23 ZPO.) 


VII. 


Ueber die Aktenführung enthält der § 7 Bor: 
ſchriften, die für Strafauſſchubsſachen durch § 25 
Abſ. I ergänzt werden. Das Verfahren in Be⸗ 
gnadigungs- und Strafaufſchubsſachen iſt eine An⸗ 
gelegenheit der Juſtizverwaltung. Die Geſuche und 
die Schriftſtücke, die ſich auf ſie beziehen, ſind des⸗ 
halb Akten der Juſtizverwaltung und als ſolche ge⸗ 
trennt von den gerichtlichen Akten über das Straf⸗ 
verfahren zu führen und aufzubewahren. Nur die 
Schriftſtücke, die einen Strafaufſchub nach $ 487 
StPO. betreffen, werden in die Gerichtsakten ein: 
gelegt, denn in dieſer Hinſicht ſteht die Tätig⸗ 
keit der Strafvollſtreckungsbehörde unter der Prü⸗ 
fung der Gerichte (55 490, 494 StPO.). 


VIII. 


Geſuche um Aenderung des Strafortes ſind 
je nach ihrem Inhalte Begnadigungsgeſuche oder 
Vorſtellungen an die Juſtizverwaltung (ſ. § 9). 
In der Hausordnung für die Gerichtsgefängniſſe 
vom 3. Januar 1910 fehlt eine ausdrückliche An⸗ 
ordnung darüber, welche Behörde für den ein— 


zelnen Fall eine Ausnahme von den Vor: 8 N z 
ſchriften über die Einlieferungsbezirke der Gerichts: | gl 5 VV»i—́xß; 0 a 
2 2 Or. 8 
gefängniſſe zulaſſen kann. Für den Oberlandes⸗ weiſe erhoben werden? Die Bekanntmachung vom 
gerichtsbezirk wird der Oberſtaatsanwalt und in 12. Auguſt 1910, den Vollzug des GKG. uſw. betr. 
anderen Fällen das Juſtizminiſterium zuſtändig (JM Bl. 1910 S. 709, Fin Min Bl. 1910 S. 183), ord⸗ 
ſein (ſo auch Degen-Klimmer, Strafvoll- net in Ziff. I, 3 an, daß neben dem im Einzelfalle 
ſtreckung S. 9). (Schluß folgt.) zu erhebenden Gebührenvorſchuſſe zugleich zehn vom 
| : Hundert als Pauſchſatz für die von den Parteien nicht 
zu erſetzenden baren Auslagen nach Maßgabe des 8 80 b 
GKG. vorſchußweiſe zu erheben find. Dagegen wird 
nun vielfach (ſ. auch Rittmann, GRG. 4. Aufl. Anm. 


Amtsrichter Diemayr in München. 


280 


— — — — 


11 und 12 zu 8 80 b) geltend gemacht, daß dem Ge⸗ 
richtskoſtengeſetze „Gebühr“ und „Gebührenvorſchuß“ 
verſchiedene, in geſonderten Abſchnitten behandelte Be⸗ 
griffe ſeien, der Pauſchſatz ſohin neben dem Gebühren⸗ 
vorſchuſſe vorſchußweiſe nicht erhoben werden könne, 
daß vielmehr die Fälligkeit des Pauſchſatzes, der ſeinen 
Charakter als Auslage beibehalte, gemäß 88 93 ff. 
GKG. eintrete uſw. Dieſe auf den erſten Blick be⸗ 
ſtechenden Gründe dürften aber doch den Kern der 
Sache nicht treffen. Der Pauſchſatz, ein Anhängſel 
der Gebühr, entſteht erſt mit der Anſetzung der Ge⸗ 
bühr: an dieſe Gebühr iſt er der Höhe und Fälligkeit 
nach gebunden. Gemäß 8 81 GKG. beträgt der Ge⸗ 
bührenvorſchuß ſoviel wie die böchſte Gebühr, welche 
für einen Akt der Inſtanz angeſetzt werden kann. Es 
darf alſo mit anderen Worten die jeweils zuläſſig 
höchſte Gebühr der Inſtanz ſchon vor ihrer gemäß 
58 93 ff. eintretenden Fälligkeit als Gebührenvorſchuß 
angeſetzt werden. Wenn aber dieſe Gebühr angeſetzt 
wird, fo hängt ſich ihr gemäß 8 80 b der Pauſchſatz 
an, der „zehn vom Hundert der zum Anſatze gelan⸗ 
genden Gebühr“ beträgt. Aus welchem Grunde dieſe 
Gebübr angeſetzt wird, ob in der Eigenſchaft als Vor⸗ 
ſchuß, Verhandlungs-, Beweis⸗ oder Entſcheidungs⸗ 
gebühr uſw., iſt für die Anwendung des 8 80d ohne 
Belang. Es kann alſo auch ohne ausdrückliche, geſetz⸗ 
liche Anordnung neben dem Gebührenvorſchuſſe zu⸗ 
gleich der Pauſchſatz vorſchußweiſe erhoben werden. 
Oberſekretär Reger in Nürnberg. 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Der zur Verkündung der Entſcheidung über den 
Zuſchlag anberaumte beſondere Termin ($ 87 Zw.) 
darf uur aus wichtigen Gründen vertagt werden. Cs 
darf dabei keine Nückſicht auf das Intereſſe des Schuldners 
oder unbeteiligter Perſonen genommen werden. Jedoch 
handelt der Beamte, der ohne genügenden Grund ver⸗ 
tagt, nicht unter allen Umſtänden fahr läſſig. Der Kläger 
hatte am 20. Auguſt 1908 in dem Termin zur Zwangs— 
verſteigerung des den H.jchen Minderjährigen gehörigen 
Grundſtücks zu M. das Meiſtgebot mit 17700 M ab» 
gegeben. Der Termin zur Verkündung der Entſcheidung 
über den Zuſchlag war auf den 27. Auguſt anberaumt 
worden. Der Beklagte verkündete jedoch in dieſem 
Termin den Zuſchlag nicht, ſondern ſetzte einen neuen 
Verkündungstermin auf den 3. September 1908 an. 
In dieſem neuen Termine verſagte der Beklagte den 
Zuſchlag, weil inzwiſchen der eine der beiden betreiben— 
den Gläubiger den Verſteigerungsantrag zurückgenom— 
men, der andere die einſtweilige Einſtellung des Ver— 
fahrens beantragt hatte. Die Beſchwerde des Klägers 
hatte keinen Erfolg. Der Kläger behauptet, daß das 
Grundſtück einen Wert von mindeſtens 25 000 M Habe, 
und beanſprucht die Erſtattung des ihm durch die 
Verſagung des Zuſchlages entgangenen Gewinns in 
Höhe von 7000 M. Das LG. hat den Klageantrag 
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das OLG. 
die Klage abgewieſen. Das OLG. nimmt an, daß der 
Amtsrichter aus zweifachem Grunde zur Vertagung 
des Verkündungstermines befugt geweſen ſei, erſtens 
um zu prüfen, ob der Vormund der H.ſchen Minder— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


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— — . ö — 4 2 Eb ä——äk᷑᷑᷑ —ͤ— . 3·ꝛ˙ꝛ˙.—ů ——Ü— 
— Yy+UiJ»n⁰ U. 9—Q09333G9969—Q2vNLfQ3— 


jährigen — O. — in der Tat, wie er im Termin vom 
27. Auguſt behauptete, zum Verſteigerungstermin nicht 
ordnungsmäßig geladen ſei, ſodann um dem O., der 
erklärte, daß er ſich bemühen wolle, vom Kläger die 
Abtretung des Rechtes aus dem Meiſtgebot zu erlangen. 
die Möglichkeit hierzu zu verſchaffen. Die Reviſion 
hatte keinen Erfolg. 

Aus den Gründen: Nach 8 87 Zw BG. iſt der 
Beſchluß, durch welchen der Zuſchlag erteilt oder ver⸗ 
ſagt wird, in dem Verſteigerungstermin oder in einem 
fofort zu beſtimmenden Termine zu verkünden. Das 
Geſetz erwähnt die Möglichkeit einer Vertagung dieſes 
letzteren Termins nicht. Dieſe Möglichkeit iſt gleich⸗ 
wohl nicht zu bezweifeln. Aber dieſe Vertagung darf 
nur aus zwingenden Gründen, im weſentlichen nur 
dann erfolgen, wenn die nachträgliche Vorbringung 
neuer Tatſachen die Erhebung weiterer Beweiſe nötig 
macht, deren ſofortige Erhebung nicht angeht, ſowie 
dann, wenn die Beurteilung der neu vorgebrachten 
Tatſachen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Denn 
jede Vertagung gefährdet das Recht des Meiſtbietenden. 
Im Gegenſatz zu $ 107 des Entwurfs I des Geſetzes, 
welcher die Rücknahme des Verſteigerungsantrages 
und die Bewilligung der einſtweiligen Einſtellung des 
Verfahrens nur bis zum Schluſſe der im Verſteigerungs⸗ 
termine ſtattfindenden Verhandlung zuließ, läßt das 
Geſetz — ſ. $ 33 — aus billiger Rückſichtnahme gegen 
den Schuldner dieſe Maßregeln ſolange zu, als ſie 
noch möglich find, d. h. bis zur Verkündung des Zus 
ſchlages. Durch jede Hinausſchiebung des Verkündungs⸗ 
termines wird daher dem Schuldner eine neue Friſt 
gegeben, um den Zuſchlag durch Befriedigung oder 
ſonſtige Einwirkung auf die Gläubiger zu verhindern 
und damit das Recht des Meiſtbietenden zu vereiteln. 
Der Meiſtbietende aber hat nach $ 81 ein Recht auf 
die Erteilung des Zuſchlages unter den geſetzlichen 
Vorausſetzungen. Auf das Beſtehen dieſes Rechtes 
muß der Verſteigerungsrichter Rückſicht nehmen; er 
muß bei einer Vertagung ſich gegenwärtig halten, 
daß ſie das Recht des Meiſtbietenden gefährden kann. 
Dies erfordert nicht nur die Rückſichtnahme auf den 
Meiſtbietenden ſelbſt, ſondern auch die auf die Gläu⸗ 
biger und Schuldner im allgemeinen. Denn die Hint⸗ 
anſetzung der Rechte des Meiſtbietenden muß die 
Neigung zum Mitbieten vermindern und ſo das Er— 
gebnis der Verſteigerungen ungünſtig beeinflußen. 

Darnach iſt es unzuläſſig, den Verkündungstermin 
zu vertagen, um die Ordnungsmäßigkeit der Ladung 
eines Beteiligten aus den Akten feſtzuſtellen. Ob die 
Ladungen und Zuſtellungen, welche dem Verſteigerungs— 
termin vorausgehen müſſen, ordnungsmäßig erfolgt 
ſind, hat der Richter ſelbſtverſtändlich rechtzeitig vor 
dieſem Termin zu prüfen (ſ. § 43). Werden gleichwohl 
nachträglich Bedenken erhoben, fo iſt der Richter ver: 
pflichtet die erforderliche Feſtſtellung ſofort vorzu— 
nehmen. Ebenſowenig aber iſt der Verſteigerungs— 
richter berechtigt den Verkündungstermin im Intereſſe 
des Schuldners oder dritter Perſonen zu vertagen. 
Das erſtere würde auf die Bewilligung einer Zahlungs- 
friſt für den Schuldner hinauslaufen, das letztere 
würde nicht minder jeder Berechtigung ermangeln. 
Das Berufungsgericht ſucht ſeine Annahme, daß der 
Beklagte die Verkündung habe ausſetzen dürfen um 
dem Vormund den Erwerb der Rechte aus dem Meiſt— 
gebot zu ermöglichen, damit zu begründen, daß der 
Zeuge B., „der zwar kein Bevollmächtigter des Klägers 
war“, aber doch „mit der Angelegenheit zu tun hatte 
und die Abſichten des Klägers kannte“, im Einver— 
ſtändnis des Klägers die Abtretung „als möglich“ 
bezeichnete, daß der Richter auch um ſo eher annehmen 
konnte, daß es dem Vormund gelingen werde mit 
dem Kläger über die Abtretung der Rechte einig zu 
werden, als ſich der Vormund zu einem erheblichen 
Geldopfer bereit erklärt hatte um die Erteilung des 
Zuſchlags zu verhindern. Das Berufungsgericht führt 


— — —— — 


ferner aus, es ſei nicht dargetan, daß der Amtsrichter 
mit der Möglichkeit eines das Meiſtgebot weſentlich 
überſteigenden Wertes des Hauſes hätte rechnen müſſen. 
Er beſtreite, daß das Haus einen höheren Wert gehabt 
habe, und die Behauptung des Vormundes ſei gewiß 
kaum geeignet geweſen ſeine Meinung zu erſchüttern. 


Beide Erwägungen des Berufungsgerichts gehen 
fehl. Der Amtsrichter hat zwar im Prozeß beſtritten, 
daß der Wert des Grundſtücks den Betrag des Meiſt⸗ 
gebots überſteige, keineswegs aber behauptet, daß er 
in dem Termine vom 27. Auguſt 1908 irgend welche 
eigene Kenntnis über den Wert des Grundſtücks gehabt 
habe. Mangels ſolcher eigenen zuverläſſigen Kenntnis 
aber mußte der Amtsrichter von vornherein mit der 
Möglichkeit rechnen, daß das Meiſtgebot den Wert des 
Grundſtücks nicht decke. Völlig unbegreiflich und un⸗ 
verantwortlich aber wäre es geweſen, wenn der Amts⸗ 
richter trotz der poſitiven Mitteilung des geſetzlichen 
Vertreters des Schuldners, daß der Grundſtückswert 
ein weſentlich höherer ſei, und trotz der Bereitwillig⸗ 
keit dieſes geſetzlichen Vertreters zur Abwendung des 
Zuſchlags erhebliche Geldopfer zu bringen, mit dieſer 
Möglichkeit nicht gerechnet hätte. Mit dem Einver⸗ 
ſtändnis des Klägers aber durfte der Beamte nur 
rechnen, wenn es der Kläger ſelbſt oder ſein mit Voll⸗ 
macht verſehener Vertreter erklärt hätte. Auf bloße 
Möglichkeiten darf der Verſteigerungsrichter keine 
Rückſicht nehmen. Er muß, wie die Motive zu 8 113 
Entwurfs I (entſprechend dem 8 81) Seite 226/227 
ſagen, auf das Meiſtgebot den Zuſchlag erteilen, wenn 
kein geſetzlicher Grund zur Ablehnung vorhanden iſt. 
Er darf daher die Erteilung des Zuſchlages auch nicht 
hinausſchieben und damit gefährden, weil ſich mög⸗ 
licherweiſe in den Vorausſetzungen für die Erteilung 
des Zuſchlages etwas ändern könnte. Eine ſtrenge 
Handhabung der Vorſchriften ift für den Verſteigerungs⸗ 
richter unbedingt geboten, auch um nur den Schein 
der Willkür oder der Begünſtigung des einen oder 
anderen Beteiligten zu vermeiden. 


Darnach war die Vertagung der Verkündung, 
welche der Richter in dem Termin vom 27. Auguſt 
1908 anordnete, objektiv ungerechtfertigt. Gleichwohl 
iſt der Reviſion der Erfolg zu verſagen. Während 
die Kommentare zu dem Zw. darin übereinſtimmen, 
daß eine weitere Vertagung des beſonderen in 8 87 
vorgeſehenen Verkündungstermines zuläſſig iſt, ſprechen 
ſie pl darüber nicht in beſtimmter Weiſe aus, unter 
welchen Vorausſetzungen eine ſolche Vertagung ſtatt⸗ 
haft iſt. Ebenſowenig lag bisher eine Entſcheidung 
höherer Gerichtshöfe vor, welche ſich hierüber aus— 
ſpräche und welche insbeſondere mit Entſchiedenheit 
die Notwendigkeit hervorhöbe, bei der Entſcheidung 
über die Vertagung auf die Möglichkeit einer Gefähr— 
dung des Rechtes des Meiſtbietenden Rückſicht zu 
nehmen. Das Geſetz ſelbſt enthält keinen klaren und 
unzweifelhaften Ausſpruch. Die Vertagung des in 
§ 310 ZPO. vorgeſehenen beſonderen Termins zur 
Urteilsverkündung erfolgt nicht ſelten aus bloßen 
Zweckmäßigkeitsgründen; aus dieſem Paragraphen iſt 
die einwöchige Friſt des 8 87 Abſ. 2 S. 1 ZwVG. 
entnommen Iſt es bei der Verſchiedenheit der beiden, 
in § 310 3PO. und 8 87 Zw G. geregelten Fälle 
auch nicht gerechtfertigt, die Befugnis zur Vertagung 
in gleicher Weiſe zu handhaben, ſo wird doch das 
Verfahren des Amtsrichters auch hierdurch entſchuldigt. 
Erwägt man ferner, daß das Berufungsgericht in 
vorbereiteter und überlegter Entſcheidung die vor— 
liegenden Umſtände für ausreichend erachtet hat die 
Vertagung des Verkündungstermins objektiv zu recht— 
fertigen, ſo wird gegen den Amtsrichter, der einen 
ſchnellen Entſchluß faſſen mußte, und der befürchten 
mußte, daß durch die ſofortige Verkündung des Zu— 
ſchlages den minderjährigen Schuldnern, über die er 
eine gewiſſe Obhut auszuüben hatte, da er gleichzeitig 


Zeitſchrift für Re Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 13. 


Vormundſchaftsrichter war, ein unwiederbringlicher 
Berluft erwüchſe, der Vorwurf eines Verſchuldens, 
insbeſondere der Fahrläſſigkeit, nicht mit Grund er⸗ 
hoben werden können. (Urt. des III. ZS. vom 
25. April 1911, III 330/10). — — n. 
2284 


II. 


Haftung des Nechtsanwalts, wenn er es verſäumt 
in einem Fre töftreite rechtzeitig einen 1 zu er⸗ 
heben. wieweit darf er ſich auf die von ſeinem 
Perſonal 5 Jae verlaſſen, in⸗ 
wieweit iſt er verpflichtet den Sachverhalt ſelbſt genauer 
. erforſchen? Mitverſchulden der Partei, die den 

echtsauwalt ungenügend unterrichtet hat. Der Kläger 
iſt in einem von dem Landwirt G. gegen ihn geführten 
Vorprozeſſe auf Leiſtung von Schadenserſatz wegen 
fahrläſſiger Körperverletzung innerhalb eines landwirt⸗ 
ſchaftlichen Betriebes unterlegen. Da er ſelbſt der 
Unternehmer dieſes Unfallsbetriebes war, ſo wäre er 
gemäß 8 146 Abf. 1 LF Verſc. (Faſſung vom 5. Juli 
1900 RGBl. S. 573) nicht unterlegen, wenn dieſe 
Tatſache rechtzeitig geltend gemacht worden wäre. 
Mit der Klage nimmt er jetzt den Beklagten als ſeinen 
Rechtsbeiſtand 1. Inſtanz auf Erſatz des durch den 
Prozeßverluſt entſtandenen Schadens in Anſpruch, weil 
dieſer ſchuldhaft verſäumt habe den erwähnten Ein⸗ 
wand zu erheben. Das LG. hat den Anſpruch feinem 
Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; das Berufungs⸗ 
gericht hat den Anſpruch zur Hälfte unbedingt abge— 
wieſen, weil inſoweit eigenes Verſchulden des Klägers 
vorliege, und die Zuerkennung der anderen Hälfte 
von dem eidlichen Nachweis der Tatſache abhängig 
gemacht, daß der Kläger dem Beklagten von ſeiner 
Eigenſchaft als Betriebsunternehmer Mitteilung ges 
macht habe. Die Reviſion des Klägers hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: Ein ſchuldhaftes Verhalten 
des Beklagten iſt auch gegeben, wenn der Kläger weder 
dem Beklagten noch deſſen Bureauvorſtand eine aus— 
drückliche Mitteilung darüber gemacht hat, daß er der 
Unternehmer des Unfallbetriebes geweſen ſei. Die 
Klageſchrift des Vorprozeſſes gab dem Beklagten Kunde 
davon, daß G. wegen des Unfalls von der Berufs⸗ 
genoſſenſchaft W. eine Rente erhalte, daß ſich alſo der 
Unfall in einem den Unfallverſicherungsgeſetzen unter— 
liegenden Betriebe zugetragen habe. Schon deshalb 
hätte der Beklagte ſich mit den Wirkungen des er— 
wähnten Geſetzes auf die Entſchädigungspflicht des 
Klägers befaſſen ſollen. Denn wenn letzterer auch nur 
Dritter im Sinne des $ 151 a. a. O. geweſen wäre, 
ſo wären doch gemäß dieſer Bestimmung die Anſprüche 
des G. gegen den jetzigen Kläger auf die Berufsge— 
noſſenſchaft im Umfang ihrer durch das UBeri®. be— 
gründeten Entſchädigungspflicht übergegangen; inſo— 
weit hätte alſo dem G. die Aktivlegitimation zur Klage 
gefehlt. Weiterhin war der Klagſchrift des Vorprozeſſes 
in Verbindung mit dem Brief des Rechtsanwalts S. 
zwar die — objektiv unrichtige — Behauptung zu 
entnehmen, daß nicht der jetzige Kläger Unternehmer 
des Unfallbetriebs geweſen ſei, ſondern deſſen Vater, 
andererſeits aber auch die Tatſache, daß der jetzige 
Kläger, nicht aber auch deſſen Vater, bei der Holzab— 
fuhr, bei der der Unfall ſich ereignete, neben anderen 
Arbeitern beteiligt war. Hiernach war die Möglich— 
keit, ja die Wahrſcheinlichkeit gegeben, daß der jetzige 
Kläger, auch wenn er nicht ſelbſt Betriebsunternehmer 
war, in Abweſenheit ſeines Vaters namentlich auch 
bei ſeinem Beruf als Forſtauſſeher der Betriebs- oder 
Arbeiteraufſeher des Unfallbetriebes geweſen ſei; in 
dieſem Falle wäre aber nach § 146 Abſ. I gleichfalls 
ſeine Haftung für den Unfall ausgeſchloſſen geweſen. 
Wenn alſo der Beklagte als gewiſſenhafter Anwalt 
handeln wollte, mußte er behufs wirkſamer Durch— 
führung der Vertretung des Klägers die Möglichkeit 


— — DL ml ü⁴ri ̃— — 


des Einwands aus dem UBerfG. ins Auge faſſen 
und die Stellung des Klägers in dem Unfallbetriebe 
näher erforſchen. Daß der Beklagte dieſe Beſtimmungen 
gekannt habe, hat er zugeſtanden; ihre Unkenntnis 
würde ihn auch bei ihrer Wichtigkeit nicht von dem 
Vorwurf des Verſchuldens befreien können. Trotz 
dieſer Sachlage hat aber der Beklagte den Einwand 
nicht vorgebracht und keine Schritte zur näheren Auf- 
klärung der in der Klagſchrift des Vorprozeſſes recht 
undeutlich gelaſſenen Stellung getan, die der jetzige 
Kläger in dem Unfallsbetriebe einnahm. Er hat ſich 
mit der Information begnügt, die ſein Bureauvorſtand 
bei dem erſten Erſcheinen des Beklagten des Vor⸗ 
prozeſſes von dieſem entgegengenommen hatte und die 
darin beſtand, daß dieſer neben den betreffenden Satz 
der Klagſchrift ein: „Ja“ ſetzte. Mit dieſem Verhalten 
hat der Beklagte feine Anwaltspflichten fahrläſſig ver⸗ 
letzt. Zu dieſen Pflichten gehört es die Partei auf 
Grund der eigenen Rechtskenntniſſe auf das Beſte zu 
beraten und die für eine wirkſame Vertretung geeig⸗ 
neten Schritte zu tun. Vornehmlich hierin liegt die 
Aufgabe des beratenden Rechtsbeiſtands und zu dieſem 
Zwecke wird ſeine Hilfe von der rechtskundigen Partei 
in Anſpruch genommen. In Haftpflichtſachen, bei 
denen die Reichsunfallverſicherungsgeſetze eingreifen, 
iſt der fragliche Einwand eine beſonders ſichere und 
wirkſame Verteidigung. Angeſichts der ihm gegebenen 
Fingerzeige mußte der Beklagte erforſchen, ob ſich 
nicht eine tatſächliche Unterlage für den Einwand er⸗ 
gebe. Er durfte nicht ohne weiteres die Richtigkeit 
der Klagtatſachen unterſtellen, auch nicht die Initiative 
der Partei abwarten und ſich auf die Genauigkeit der 
äußerlich knappen Information des Bureauvorſtands 
verlaſſen; denn bei beiden konnte er nicht die Kenntnis 
des rechtlichen Einwands und den Blick für die zur 
Begründung erheblichen Tatſachen vorausſetzen. Für 
ein Verſehen ſeines Bureauvorſtands trifft ihn die 
Verantwortlichkeit. Der Beklagte war zu eigener 
ſelbſtändiger ſachverſtändiger Prüfung der Rechtslage 
verpflichtet. Hätte er dieſe ſo angeſtellt, wie ſie von 
einem gewiſſenhaften Anwalt zu erwarten iſt, ſo wäre 
ihm der Einwand bei der Sachlage nicht entgangen 
und er hätte dann den Kläger ſelbſt darüber gehört, 
in welchem Verhältnis er zu dem Unfallsbetrieb ge— 
ſtanden habe. Kein Zweifel beſteht aber darüber, daß 
der Kläger, der ja ſelbſt als Betriebsunternehmer die 
Unfallsanzeige ſchon 3 Tage nach dem Unfall an die 
Berufsgenoſſenſchaft erſtattet hat, ihm eine vollitändig 
klare Auskunſt erteilt hätte. 


Ein eigenes Verſchulden des Klägers iſt zu ver— 
neinen. Freilich hat auch die Partei die Pflicht den 
Anwalt möglichſt gut zu inſtruieren und ihm alle er— 
heblichen Tatſachen mitzuteilen, aber innerhalb der 
Schranken der eigenen Denkweiſe, Fähigkeiten und 
Rechiskenntniſſe. Vom Kläger war aber die Kenntnis 
der ihm günſtigen Geſetzesbeſtimmung auch nicht nach 
ihrem Grundinhalte zu erwarten; es kann ihn deshalb 
nicht der Vorwurf treffen, daß er die für den Einwand 
erheblichen Tatſachen nicht von ſelbſt dem Beklagten 
mitgeteilt habe. Auch gereicht es ihm nicht zum Ver— 
ſchulden, daß er die falſche Darſtellung des Urteils 
über die Unternehmereigenſchaft ſeines Vaters dem 
Beklagten gegenüber nicht berichtigt hat, da ihm eben 
die Erheblichkeit dieſes Umſtandes nicht bekannt war. 
Daraus, daß der Kläger im nunmehrigen Prozeſſe be— 
hauptet hat, daß er dem Beklagten Aufſchluß über die 
eigene Unternehmereigenſchaft gegeben habe, läßt ſich 
ein gegenteiliger Schluß nicht ableiten. Endlich ge— 
ſtattet auch die bloße-Tatſache der Anweſenheit des 
Klägers in den Verhandlungen des Vorprozeſſes nicht 
die Folgerung, daß er die Erheblichkeit der Tatum— 
ſtände erkannt und ſie ſchuldhaft nicht aufgeklärt habe. 
(Urt. des III. ZS. vom 4. April 1911, III 100 10). 


2270 . 


dern für Rehtapfege In Waperm. t Nr 1. 


| 


III. 


Wirkung des Vergleichs mit einem Geſamtſchuldner 
für die übrigen Schuldner. (66 422—125 BGB.). 
Am 10. Juni 1905 haben ſich die Parteien nach wechſel⸗ 
ſeitigen Beleidigungen mit Peitſchen geſchlagen; im 
Anſchluß hieran hat der Agent Fr. mit der Krücke ſeines 
Spazierſtocks mehrere Male auf den Kläger einge: 
ſchlagen, ſo daß dieſer blutende Kopfwunden erlitt. 
Wegen der Folgen der Verletzungen hat der Kläger 
gemäß 88 823, 830, 842, 843 BGB. im gegenwärtigen 
Rechtsſtreite vom Beklagten und von F. Schadenserſatz 

efordert. Während der Rechtsſtreit in der erſten 
Inſtanz ſchwebte, hat der Kläger die Klage gegen F. 
infolge eines mit F. geſchloſſenen außergerichtlichen 
Vergleichs zurückgenommen, in dem ſich zur 
Zahlung von 10500 M an den Kläger verpflichtete und 
dieſer anerkannte weitere Anſprüche nicht zu haben. 
Das Berufungsgericht hat den Klageanſpruch in Höhe 
von 60 v. H. dem Grunde nach für gerechtfertigt er⸗ 
klärt. Es läßt dahingeſtellt, ob der dem Kläger zu— 
gefügte Schaden nur auf die von F. verübte Mißhand— 
lung oder auch auf die Peitſchenhiebe des Beklagten 
zurückzuführen iſt, da der Beklagte auch für jene als 
Gehilſe des Fr. nach BGB. 8 830 Abſ. 2 hafte. Auf 
den zwiſchen dem Kläger und Fr. A en Vergleich 
könne ſich der Beklagte nach BGB. § 123 nur berufen, 
wenn jene das ganze Schuldverhältnis hätten aufheben 
wollen; für das Vorhandenſein eines ſolchen Willens 
habe aber die Beweisaufnahme ebenſowenig etwas 
ergeben, wie dafür, daß der Kläger befriedigt worden 
ſei. Die Reviſion blieb erfolglos. 


Aus den Gründen: Die Reviſion führt aus, § 423 
ſei hier überhaupt nicht anwendbar, da ein, Erlaß“ nicht 
vorliege, vielmehr ſei die auch der Höhe nach beſtrittene 
Klageforderung im Vergleichswege auf 10 500 M feſt⸗ 

eſetzt worden. Da der Kläger jetzt jedenfalls dem 
8. gegenüber ſeinen Anſpruch nicht mehr aus der un— 
erlaubten Handlung, ſondern nur aus dem Vergleiche 
herleiten könne, habe er von F. an Erfüllungsſtatt 
das Verſprechen ſtatt der Zahlung von 10 500 M ans 
genommen; die Leiſtung an Erfüllungsſtatt wirke aber 
objektiv für alle Schuldner. Außerdem hätte unter— 
ſucht werden müſſen, ob nicht ſchon aus konkludenten 
Handlungen ſich die Abſicht der Aufhebung des Schuld— 
verhältniſſes ergebe. Dafür käme in Betracht, daß 
der Kläger den F. nicht befreien könne, ohne auch den 
als Mittäter in Anſpruch genommenen Beklagten zu 
entlaſſen; denn ſonſt hätte F. nach SS 426, 840 BGB. 
dem Beklagten doch die Hälfte des ganzen Schadens 
zu erſetzen, käme alſo nicht billiger fort, als ohne den 
Vergleich. 

Von dieſen Ausführungen iſt ſoviel richtig, 
daß nicht eigentlich ein Erlaß vorliegt, ſondern ein 
Vergleich; damit ergibt ſich einerſeits die Nichtanwend— 
barkeit des 8 423; andererſeits die Anwendbarkeit des 
8 425 BGB., wonach andere als die in 88 422 — 424 
bezeichneten Tatſachen nur für und gegen den Geſamt— 
ſchuldner wirken, in deſſen Perſon ſie eintreten. Im 
übrigen gehen jene Ausführungen durchaus fehl. Von 
einer Leiſtung an Erfüllungs Statt kann keine Rede ſein; 
ebenſowenig hat nach den Feſtſtellungen des Berufungs— 
gerichts Fr. auch nur teilweiſe erfüllt. Konkludente 
Handlungen, aus denen ſich der übereinſtimmende 
Wille des Klägers und des F. ergäbe das ganze 
Schuldverhältnis aufzuheben, hat der Beklagte nicht 
behauptet. Eine ſolche Willensrichtung muß aber — 
auch im Falle des § 423 — nachweiſen, wer die 
Wirkung des Rechtsgeſchäfts über die Perſonen der 
Kontrahenten hinaus für feine Perſon in Anſpruch 
nimmt. Iſt eine ſolche Willensrichtung nicht vor— 
handen und liegt auch keine der in SS 422-424 be: 
zeichneten Tatſachen vor, ſo bleibt das Rechtsverhältnis 
zwiſchen dem Gläubiger und den übrigen Geſamt— 
ſchuldnern nach 3 425 völlig unberührt, und wenn 


daraus weiter ſich ergibt, daß auch an dem zum Re⸗ 
greß berechtigenden Verhältnis der Geſamtſchuldner 
untereinander nichts geändert wird, ſo läßt ſich doch 
dieſer Umſtand nicht für die Annahme jener Willens— 
richtung verwerten, da hierdurch ſonſt einer Tatſache, 
der das Geſetz eine das ganze Schuldverhältnis auf⸗ 
hebende Wirkung verſagt, eine ſolche Wirkung in allen 
Fällen eingeräumt werden würde. (Urt. des VI. 38. 
vom 1. April 1911, VI 256/10). — — · n. 
2286 


IV. 


5 539 BB. ſchließt Deliktsanſprüche nicht ſchlecht⸗ 
hin aus. Aus den Gründen: Das Verufungs⸗ 
gericht nimmt an, daß die vertragliche Haftung des Be⸗ 
klagten nach 8 539 BGB. ausgeſchloſſen ſei. Die Reviſion 
ſtimmt dem ausdrücklich zu, glaubt aber hieraus auch 
den Ausſchluß jedes Deliktsanſpruchs ohne weiteres fol⸗ 
gern zu können. Dem konnte nicht beigetreten werden. 
Richtig iſt, daß der aus dem Mietvertrag nach 8 538 
erwachſene, im vorliegenden Fall vom Kläger zufolge 
des 8 539 verwirkte Schadenserſatzanſpruch — wegen 
Nichterfüllung — auf nichts anderes gerichtet iſt, als 
der deliktiſche Schadenserſatzanſpruch: auf Erſatz des 
durch die Mangelhaftigkeit der Sache erlittenen 
Schadens. Deſſen ungeachtet kann nicht daraus, daß 
für das Mietverhältnis § 539 eingreift, geſchloſſen 
werden, auch der deliktiſche Schadenserſatzanſpruch 
könne zufolge des dort geſetzlich unterſtellten Verzichts 
nicht mehr geltend gemacht werden. Die deliktiſche 
Haftung des Beklagten, wie fie von der Klage bean- 
ſprucht, vom angefochtenen Urteil angenommen iſt, 
beruht auf dem vom Reichsgericht vielfach ausge— 
ſprochenen Rechtsſatz, daß, wer einen Verkehr au 
ſeinem Grundſtück eröffnet, auch für Gefahrloſigkeit 
des Verkehrs zu ſorgen hat und daß mangelhafte Er⸗ 
füllung dieſer Pflicht Schadenserſatzpflicht gemäß 8 823 
BGB. nach ſich zieht. Dieſe Verletzung einer Verkehrs- 
pflicht, die jedem gegenüber beſteht, iſt und bleibt 
widerrechtlich auch dann, wenn, was dahingeſtellt 
bleiben kann (Staudinger, BGB. 8 539 Bem. II), die 
Verletzung des zwiſchen den Parteien beſtehenden 
Mietverhältniſſes, — das aus dem Mangel der Miet⸗ 
ſache entſtehende Mißverhältnis der beiderſeitigen 
Vertragsleiſtungen — es nicht mehr wäre. Der An— 
ſpruch auf Verkehrsſicherheit ſteht unter anderen Vor— 
ausſetzungen als die Mieteranſprüche und hat andere 
rechtliche Grundlagen. Soweit dem Beklagten die 
Verletzung von Verkehrspflichten zur Laſt gelegt wird, 
kommt der Kläger nicht als Mieter, ſondern ſchlechthin 
als Angehöriger des Publikums in Betracht, für deſſen 
1 1 15 die Treppe beſtimmt iſt; gerade er als Haus: 
bewohner iſt zu dieſem Verkehr in beſonders großem 
Umfang genötigt. Seine aus dem allgemeinen An— 
ſpruch auf Verkehrsſicherheit entfließende Rechtsſtellung 
iſt geſchieden von der als Mieter: er kann aus jener 
darnach noch Anſprüche beſitzen, die er nach Maßgabe 
des Mietverhältniſſes verloren hat. So begründet 
das ſchuldhaft verkehrswidrige Verhalten des Be— 
klagten auf der Grundlage allgemeiner Rechtswidrig— 
keit einen Anſpruch auf Schadenserſatz, zu dem der 
Beklagte lediglich als Vermieter aus dem Mietvertrag 
nicht verpflichtet wäre. (Urt. des VI. 35. vom 
21. April 1911, VI 143/10). — — n. 

2285 

V. 

„Gehört die Erteilung von Auskunft über die Kredit: 
würdigleit eines Kunden ju den gewerblichen Pflichten 
eines Bankhauſes? Haftet das Bankhaus hiernach 
gemäß 8 831 oder § 30 BGB. für den Schaden, den 
einer der Angeſtellten bei der Erteilung einer ſolchen 


Auskunft anrichtet? Bedeutung des Umſtandes, daß 
der Augeſtellte nur Geſamtprokura hatte. Haftet der 


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= Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


283 


Angeſtellte ſelbſt nur dann nach 5 826 BEB., wenn er 
die Auskunft wider beſſeres Wiſſen erteilt hat? Beweis 
ſeines guten Glaudens. Die Klägerin hat der Firma 
M. in H. am 2. Mai 1907 durch Vermittelung ihres 
Agenten W. Weizen geliefert. Wegen Eingehung weiterer 
Geſchäfte erkundigte ſich W. auf Veranlaſſung der 
Klägerin am 13. Mai 1909 bei der Zweigniederlaſſung 
der beklagten Bank zu H., dem Bankhaus der Firma 
M., nach ihrer Kreditwürdigkeit. W. erklärte dem 
Beklagten H, der mit dem Kaufmann Kn. Vorſteher 
der Zweigniederlaſſung war und mit ihm Geſamt⸗ 
prokura hatte: er komme im Auftrag feiner Firma; 
es handle ſich um einen Kredit bis zu 30 000 M, in 
letzter Zeit liefen in H. ungünſtige Gerüchte über die 
Firma um. Der Beklagte H. erwiderte: „In H. werde 
viel geſprochen; die Firma habe nach ihrer letzten 
Bilanz noch ein Vermögen von 400 000 M, die Grund⸗ 
ſtücke ſeien mäßig belaſtet; das Geſchäft ſei gut und 
flott, W. kenne es ja auch; er wüßte nicht, aus welchen 
Gründen man das Geſchäft nicht machen ſollte.“ 
Hierauf verkaufte W. für die Klägerin der Firma M. 
Donauroggen für 14850 M gegen Zweimonatsakzept. 
Am 23. Juli 1907 wurde über das Vermögen der 
Firma M. das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin 
hat mit der Behauptung, die Auskunft des H. ſei 
wiſſentlich falſch geweſen, dieſen und die Bank auf 
Schadenserſatz verklagt. In den Borinftanzen wurde 
die Klage gegen die Bank abgewieſen. Die Entſcheidung 
in der Richtung gegen H. wurde von einem Eide des 
H. abhängig gemacht. Das RG. hob auf. 

Aus den Gründen: Das OL. hat die Haf⸗ 
tung der Bank für den Schaden aus der Auskunft des 
H. verneint, weil es nicht zu den gewerblichen Pflichten 
eines Bankhauſes gehöre, Auskünfte über die Kredit⸗ 
fähigkeit eines Kunden zu erteilen, H. deshalb auch 
nicht von der Beklagten zu der Verrichtung einer 
ſolchen Auskunftserteilung beſtellt geweſen, 8 831 BGB. 
mithin nicht anwendbar ſei. Dieſe Anſchauung iſt 
irrig. Das Berufungsgericht hat das Urteil des 
Senats vom 7. Juli 1910, Rep. 546/09, auf das es ſich 
beruft, mißverſtanden. Dort iſt ausgeführt, daß, weil 
die Auskunftserteilung nicht zu den gewerblichen 
Pflichten eines Bankhauſes gehöre, auch nicht ohne 
weiteres ein Vertrags verhältnis zwiſchen dem 
Auskunftbegehrenden und dem Bankhaus entſtehe. 
Daraus, daß es keine gewerbliche Pflicht eines Bank⸗ 
hauſes iſt, Auskunft zu erteilen, folgt jedoch nicht, 
daß die Auskunfterteilung auch nicht zu den geſchäft⸗ 
lichen Gewohnheiten einer Bank, alſo zu den handels⸗ 
gebräuchlichen Verrichtungen des Bankiers zählt. Mit 
Recht ſagt die Reviſion, daß die tägliche Erfahrung 
das Gegenteil lehre, und das LG. hat aus eigener 
Kenntnis feſtgeſtellt, daß üblicherweiſe Erkundigungen 
über Kaufleute bei der Bank eingezogen und von ihr 
im Intereſſe ihrer Kunden gegeben werden. Die Bank 
hat dies auch gar nicht geleugnet, ſondern ſich auf 
den Standpunkt geſtellt, den ſich das Berufungsgericht 
zu eigen gemacht hat, daß ſie kein Auskunftsbureau 
ſei und deshalb 8 831 nicht Platz greife. Hiernach 
muß bis zu anderer Feſtſtellung davon ausgegangen 
werden — und auch die ſtreitige Auskunft iſt ein 
Beleg dafür — daß im Geſchäftsbetrieb der Beklagten 
ebenſo wie bei andern Bankhäuſern in geeigneten 
Fällen Auskünfte über die Kreditwürdigkeit von Kunden 
gegeben zu werden pflegen. Zur Erteilung ſolcher 
Auskünfte ſind im allgemeinen diejenigen Perſonen 
berufen, die vermöge ihrer leitenden Stellung einen 
Einblick in die geſchäftlichen Beziehungen zwiſchen 
der Bank und demjenigen, über den die Auskunft 
erholt wird, und damit auch über deſſen die Kredit— 
würdigkeit bedingenden Verhältniſſe beſitzen, alſo in 
erſter Reihe die Bankvorſtände (Bankherren) und die 
Prokuriſten. H. war mit einem gewiſſen Kn. Vorſteher 
der Zweigniederlaſſung der Beklagten zu H. und hatte 
mit ihm Geſamtprokura. In den Kreis der Verrich— 


284 


tungen, zu denen er beſtellt war, gehörte ſohin an 
ſich die Erteilung der Auskunft un W. 


Der Einwurf der Reviſionsbeklagten, daß H. nur 
Geſamtprokura mit Kn. hatte, iſt nicht zu beachten. 
Es handelt ſich hier um keine der Geſamtvertretung 
bedürftige rechtsgeſchäftliche Willenserklärung, ſondern 
um eine unerlaubte Handlung, um ein ſchädliches, 
rein tatſächliches Verhalten des H. durch falſche Mit⸗ 
teilungen. Die Beklagte hat auch keinen Brauch be— 
hauptet, und ein ſolcher iſt nach der Natur des Vor— 
gangs wohl ausgeſchloſſen, daß im Falle der Geſamt— 
vertretung mündliche Auskünfte der fraglichen Art 
nur von den Geſamtvertretern gemeinſchaftlich erteilt 
werden. Mit dem Hinweis auf die Geſamtprokura 
des H. kann ſich die Beklagte daher ihrer Verantwort⸗ 
lichkeit aus $ 831 nicht entſchlagen. 


Zweifelhaft kann jedoch ſein, ob die vorſätzliche 
ſittenwidrige Beſchädigung fremden Vermögens durch 
den Angeſtellten unter § 831 fällt. In dem Urteil 
vom 7. Juni 1909, Rep. VI 344/08 (Warneyer 1909 
Nr. 484) hat der Senat die Anwendbarkeit des 8 831 
für ausgeſchloſſen erklärt, wenn das Handeln des 
Angeſtellten erſt durch die ſubjektive Willensrichtung 
überhaupt rechtswidrig wird, wie bei § 826 und 8 823 
Abſ. II BGB. in Verbindung mit § 263 StGB. Nach 
erneuter Prüfung hat der Senat dieſe Anſicht auf— 
gegeben. Durch § 831 wird der Geſchäftsherr zum 
Erſatz des Schadens verpflichtet, den der Beſtellte in 
Ausführung der ihm übertragenen Verrichtung einem 
dritten widerrechtlich zufügt. Dieſe Erſatzpflicht findet 
zwar darin ihre Grenze, daß der Geſchäftsherr nicht 
für ſchuldhafte Vermögensbeſchädigungen durch ſeinen 
Angeſtellten haftet, für die er, wenn er ſie ſelbſt be— 
gangen hätte, nicht haften würde, weil eben das BGB. 
keine allgemeine Haſtung für ſchuldhafte Vermögens— 
beſchädigung kennt. Im übrigen tritt, da das Geſetz 
nicht unterſcheidet, die Erſatzpflicht des Geſchäftsherrn 
für feinen Angeſtellten nach $ 831 unbeſchränkt ein. 
Eine andere Frage iſt, ob eine vorſätzliche oder arg— 
liſtige Handlung des Angeſtellten, ſofern nicht gerade 
der Geſchäftsherr den Auftrag dazu gegeben hat, oder 
die Handlung in ſeiner Willensrichtung liegt, noch 
als von dem Rahmen der dem Beſtellten übertragenen 
Verrichtungen umſpannt angeſehen werden kann. 
Begrifflich iſt dies nicht ausgeſchloſſen, weil es nach 
S 831 nur darauf ankommt, ob der Beſtellte den 
Schaden (objektiv) in Ausführung der Verrichtung 
zugefügt und nicht, in welcher Abſicht er die Verrich— 
tung ausgefuhrt hat. Es wird deshalb im einzelnen 
Fall zu unterſuchen ſein, ob die vorſätzliche Handlung 
noch in den Kreis der Maßnahmen fällt, die die Ver— 
richtung darſtellen, ob ſie innerlich mit ihr zu— 
ſammenhängt und nicht etwa nur bei Gelegenheit der 
Ausführung der Verrichtung vorgenommen wurde. 
Hier war die Auskunftserteilung an W. gerade eine 
Verrichtung, zu der H. beſtellt war. Daran könnte 
der Umſtand nichts ändern, daß H. im Innern über— 
zeugt war, daß der Inhalt der Auskunft ganz oder 
teilweiſe der Wahrheit nicht entſpreche. Gleichgültig 
würde es auch ſein, wenn etwa nach der Regelung 
des inneren Geſchäftsbetriebs Kn. und nicht H. zur 
Erteilung von Auskünften beſtimmt geweſen ſein ſollte. 
Gehörte dieſe Tätigkeit zu der Aufgabe eines Bank— 
voͤrſtehers der Beklagten, ſo wäre es unerheblich, wenn 
H. im Verhältnis zu ſeiner vorgeſetzten Stelle auf— 
tragswidrig in den ſeinem Amtsgenoſſen zugewieſenen 
Dienſtbereich eingegriffen hätte. 

Die Haftung der Beklagten für den von H. an— 
gerichteten Schaden koͤnnte ſich ferner aus $ 30 BGB. 
ergeben. H. würde als beſonderer Vertreter im Sinne 
dieſer Vorſchrift zu erachten ſein, wenn in den Satzungen 
der Beklagten die Errichtung von Zweigniederlaſſungen 
und die Beſtellung von Vorſtehern hierfür vorgeſehen 
fein ſollte (vgl. RG. 3. 74 S. 21, 250). An der Ber: 


Zeitſchrift j für ö Rechtspflege in Bayern. 1911. 


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Nr. 13. 


tretungsmacht, auf die in dem letzteren Urteil Gewicht 
gelegt iſt, würde es dem H. als Prokuriſten nicht fehlen. 

Das OLG. verkennt aber auch den Begriff des 
Verſtoßes wider die guten Sitten, wenn es die Ent⸗ 
ſcheidung gegen H. darauf abſtellt, daß H. die Auskunft 
wider beſſeres Wiſſen erteilt haben müſſe. Der 
Bankier iſt derjenige, der vielfach um Auskunft über 
die Kreditwürdigkeit von Perſonen angegangen wird, 
mit denen er in Geſchäfts verbindung ſteht, und er 
pflegt ſolche Auskünfte zu erteilen, um dieſen Perſonen 
die Vorteile des neuen Kredits zuzuwenden und mittel⸗ 
bar den eigenen Umſatz mit ihnen zu fördern. Der 
Bankier braucht keine Auskunft zu geben. Tut er es 
dennoch, ſo darf von ihm erwartet werden, daß er 
dabei gewiſſenhaft und ſorgſam verfährt. Denn gerade 
er als der berufene Kreditgeber kennt den Kredit als 
eine der wichtigſten und empfindlichſten Grundlagen 
unſeres jetzigen Wirtſchaftslebens; er weiß, daß Handel 
und Wandel, namentlich der kaufmänniſche Waren— 
austauſch auf dem Vertrauen beruhen, daß der Kredit- 
nehmer ſeinen Zahlungsverbindlichkeiten nachkomme, 
und welche Gefahren die Täuſchung in dieſem Ber: 
trauen für den Getäuſchten, aber auch für das Geſchäfts— 
leben überhaupt erzeugen kann. Hier hat H., der 
gewußt hat, daß von ſeiner Auskunft ein Kredit bis 
zu 30000 M abhängig gemacht werde, und daß der 
Anfragende auf ſeine Zuverläſſigkeit baue, ohne jede 
Einſchränkung und Erläuterung, ohne Nachſchau in 
den Büchern um ſeinem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen, 
angegeben, die Firma M. beſitze nach der letzten Bilanz 
ein Vermögen von 400000 M und ihre Grundſtücke 
ſeien mäßig belaſtet, obwohl die Firma ſeit drei oder 
vier Jahren der Bank trotz deren Drängens keine 
Bilanz mehr vorgelegt hatte, laut der Ausſage des 
M. in Wahrheit nach der letzten Bilanz kein eigent- 
liches Vermögen mehr beſeſſen hat, und ihre Grund— 
ſtücke auch nach der mutmaßlich gefärbten Schätzung, 
die fie ſelbſt der Bank eingereicht hatte, zu / belehnt 
waren. Eine ſolche ins Blaue hinein erteilte irre— 
führende Auskunft eines Bankvorſtehers, zumal des 
Oberbeamten einer Bank, die wegen ihres Anſehens 
beſondere Achtbarkeit für ſich in Anſpruch nimmt, geht, 
wenn ſie auch nicht bewußt falſch war, ſelbſt über 
die Grenzen der Leichtfertigkeit hinaus. In Anſehung 
der möglichen unheilvollen Folgen für den Auskunft— 
begehrenden enthält ſie einen derartigen Mangel an 
Gewiſſenhaftigkeit, daß ſie das Anſtandsgefühl eines 
jeden rechtlich und billig denkenden Menſchen, nament— 
lich eines auf die Verläßlichkeit feines Standes halten: 
den Kaufmanns verletzen muß und deshalb den guten 
Sitten widerſtreitet. Spricht die ganze Sachgeſtaltung 
zunächſt für eine Zuwiderhandlung des H. gegen § 826, 
ſo wird dieſer Annahme nicht durch eine irgendwie 
denkbare Entſchuldigung wie eine mögliche Gedächtnis: 
ſchwäche des H. der Boden entzogen. Es iſt vielmehr 
ſeine Sache, die Zweifel zu zerſtreuen, die gegen ſeinen 
guten Glauben beſtehen und darzulegen, daß und aus 
welchen Gründen er der feſten Ueberzeugung ſein 
durfte, daß die Firma M. gut ſtehe, und kein Verluſt 
bei ihr zu erwarten ſei, daß er alſo, wenn auch die 
Angaben über das Vermögen der Firma und die Be— 
laſtung ihres Grundbeſitzes mißverſtändlich oder un— 
richtig und unüberlegt waren, dem W. mit gutem 
Gewiſſen die Krediteinräumung empfehlen konnte. Da 
die Firma M. kaum zwei Monate nach der Auskunft 
in Konkurs geraten iſt, und von den Beklagten nicht 
behauptet wird, daß un vorhergeſehene in der Zwiſchen— 
zeit eingetretene Ereigniſſe den Zuſammenbruch ver— 
ſchuldet haben, ſo wird H. darzutun haben, daß vor 
der Auskunft keine Anzeichen hervorgetreten waren, 
die einen Schatten auf ihre unveränderte Kredit— 
würdigkeit werſen konnten; daß ſie ihre Verpflichtungen 
pünktlich erfüllt, ihre Wechſel prompt und regelmäßig 
eingelöſt hat, und daß ihre Abtragungen und An— 
ſchaffungen einen normalen Stand eingehalten haben. 


on Beitſchrift für Rechtspflege 


Von Bedeutung wird möglicherweiſe ſein, was die 
Urſache des Konkurſes war, wie ſich die Verhältniſſe 
der Firma im Konkurs herausgeſtellt haben, welche 
Dividende auf die Gläubiger entfällt, und ob beträcht⸗ 
liche Minderungen im Wert der Aktiven durch den 
Konkurs herbeigeführt worden find. (Urt. des VI. 38. 
vom 12. April 1911, VI 576/10). 


2276 


— — n. 


VI. 


Vertiefung und Befeſtigung einer ſchon vorhandenen 
vom Kläger verſchuldeten Ehezerrüttung durch den be: 
klagten Ehegatten (8 1568 BGB.). Aus den Gründen: 
Das Berufungsgericht hat angenommen, die durch das 
Verſchulden des Klägers hervorgerufene Zerrüttung 
des ehelichen Verhältniſſes ſei ſo tief und unheilbar, 
daß eine Steigerung durch die von der Beklagten in 
der Erbitterung ausgeſtoßenen Beſchimpfungen nicht 
mehr möglich geweſen ſei und daß deshalb ein ur⸗ 
ſächlicher Zuſammenhang zwiſchen der beſtehenden 
Zerrüttung und den Eheverfehlungen der Beklagten 
entfalle. Dieſe Ausführungen ſind rechtlich zu bean⸗ 
ſtanden. Der Tatbeſtand des 8 1568 BGB. kann im 


Falle einer durch das Verhalten des einen Ehegatten 


ſchon eingetretenen Zerrüttung auch dadurch erfüllt 
werden, daß der andere Ehegatte durch ihm zur Laſt 
fallende ſchwere Eheverfehlungen eine Vertiefung und 
Befeſtigung der vorhandenen Zerrüttung ſchuldvoll 
herbeiführt. (Urt. des IV 3S. vom 27. April 1911, 


IV 375/10). „ 
2274 1 


B. Strafſachen. 
1 


Vorſchriften über den Haustrunk. Ein aus Rofinen 
bereitetes Geträuke iſt kein eg i. S. des 5 10 
des WG.!) Der Angeklagte hat eine Zuſammenſtellung 
von Stoffen, die nach Anweiſung des Angeklagten be— 
handelt, ein alkoholhaltiges nach Ausſehen, insbe— 
ſondere Farbe und Geſchmack weinähnliches Getränk 
ergibt, das im Verkehr mit Wein verwechſelt werden 
kann, zum Zwecke der Herſtellung dieſes Getränkes in 
Kenntnis ſeiner Eigenſchaft als einer Nachmachung 
von Wein angekündigt iſt, feilgehalten und verkauft, 
obwohl ein Teil dieſer Stoffe, nämlich Tamarinden— 
mus, kohlenſaures Natron, Weinſtein, Farbſtoff, Zucker⸗ 
kouleur und Apfeläther bei der Herſtellung von Wein, 
weinhaltigen und weinähnlichen Getränken nicht ver— 
wendet werden darf. Damit iſt der Tatbeſtand des 
8 26 Nr. 3 WG. vom 7. April 1909 einwandfrei nad)» 
gewieſen. Insbeſondere iſt nach den feſtgeſtellten 
Eigenſchaften des Getränkes nicht zu beanſtanden, daß 
es die Strafkammer als Nachmachung von Wein an— 
geſehen hat. Denn Nachmachung von Wein iſt die 
vorſätzliche Herſtellung eines die Eigenſchaften des 
Weines vortäuſchenden Getränks aus anderen Stoffen. 
(Erl. zum Entwurf des WG. S. 25 zu 8 7). Das 
trifft aber auf die Herſtellung des Z’jhen Haustrunks 
zu, wenn dieſer, wie feſtgeſtellt, dem Wein nach Aus— 
ſehen und Geſchmack in dem Maße ähnlich iſt, daß er 
mit Wein verwechſelt werden kann. Nachmachung von 
Wein iſt nach 5 9 WG. verboten, doch fällt unter 
dies Verbot nach § 10 nicht die Herſtellung von dem 
Wein ähnlichen Getränken aus Fruchtſäften, Pflanzen— 
ſäften oder Malzauszügen, alſo von Obſtweinen, 
Beerenweinen und Malzweinen, und nach § 11 nicht 
die Herſtellung des Haustrunks, des zum Verbrauch 
im Haushalt des Herſtellers beſtimmten Getränkes 
aus Traubenmaiſche, Traubenmoſt, Rückſtänden der 
Weinbereitung oder aus getrockneten Weinbeeren. 


in Bayern. 1911. Nr. 13. 


285 


Doch finden nach 8 11 Abſ. 2 auf die Herſtellung des 
Haustrunks die Vorſchriften des 8 4 entſprechende An⸗ 
wendung. Die Strafkammer hat geprüft, ob die Her⸗ 
ſtellung des „Z.'ſchen Haustrunks“ unter eine dieſer 
Ausnahmen von dem Verbot des 89 fällt, und zu⸗ 
nächſt verneint, daß die Ausnahme des § 10 Platz 
greife, weil der Grundſtoff des Getränkes Roſinen 
ſeien. Das iſt nicht zu beanſtanden. Nur die aus 
Fruchtſäften, Pflanzenſäften oder Malzauszügen her⸗ 
geſtellten dem Weine ähnlichen Getränke ſind von dem 
Verbot des 8 9 ausgenommen. Fruchtſaft im Sinne 
des § 10 iſt aber der Saft der Roſine, wenn von 
einem ſolchen überhaupt zu reden ift, ganz gewiß nicht, 
da das Geſetz die Herſtellung von Wein aus Roſinen 
gerade verhüten will. (Vgl. 81 WG.). Daß die Ver⸗ 
wendung von Tamarindenmus und Apfeläther nicht, 
wie die Reviſion will, den Z.'ſchen Haustrunk zu 
einem Getränk aus Fruchtſäften oder Pflanzenſäften 
machen kann, bedarf keiner Ausführung. Ob er wegen 
dieſer Beſtandteile oder wegen ſeiner Zuſammenſetzung 
überhaupt den Charakter eines Getränks aus Frucht- 
ſaft hat und deshalb als Erſatz für Obſt⸗ und Beeren⸗ 
wein zu dienen beſtimmt und geeignet iſt, iſt deshalb un⸗ 
erheblich, weil er eine Nachmachung von Wein iſt, und, 
wenn es auch erlaubt iſt, Getränke herzuſtellen, welche 
einen Erſatz für Wein und für Obſt⸗ und Beerenwein 
bieten können und ſollen, jedenfalls zu dem Zweck nicht 
Getränke hergeſtellt werden dürfen, welche, wie das in 
Rede ſtehende, als Nachahmung von Wein, als Kunſt⸗ 
wein anzuſehen find. (Erl. zum Entwurf des WG. 

. zu 8 77 und Kommiſſionsbericht S. 39 zu 
§ 8). Auf 8 10 WG. kann ſich danach der Ange⸗ 
klagte nicht mit Erfolg berufen. Ebenſowenig auf § 11, 
da die Verwendung der von ihm angekündigten, feil⸗ 
gehaltenen und verkauften Stoffe nach 8 4 und der 
dazu erlaſſenen Aus führungsbeſtimmung mit Aus⸗ 
nahme der Roſinen auch bei der Herſtellung des Haus⸗ 
trunkes unzuläſſig iſt. Das Getränk, zu deſſen Her⸗ 
ſtellung der Angeklagte die Stoffe verkauft hat, iſt 
als Kunſtwein kein Wein i. S. des WG., auch kein 
weinhaltiges Getränk wohl aber ein weinähnliches 
Getränk i. S. des 8 26 Nr. 3 WG. (RGSt. 37 S. 422). 
(Urt. des I. Straffenats vom 8. April 1911, ID 
203,11). 

2280 


II. 

Zuſammentreſfen des z 328 StGB. mit den Bot: 
ſchriſten des Ver z. Die Strafkammer hat inſofern 
rechtlich geirrt, als ſie gegenüber dem einheitlichen 
Zuſammentreffen von Konterbande mit dem Vergehen 
gegen 8 328 StB. den Grundſatz des $ 73 StGB. 
auf die Straffeſtſetzung anwandte und unter dieſem 
rechtlichen Geſichtspunkte die Strafe nur aus 8 328 
beſtimmte, während in den Fällen des Zuſammen— 
treffens von Konterbande (oder Defraudation) mit 
anderen ſtrafbaren Handlungen nach der Sondervor— 
ſchrift von 8 158 Ver 3G. die Strafe für die Konter— 
bande (oder Defraudation) zugleich mit der Strafe 
für die zuſammentreffende Handlung anzuwenden iſt, 
der Grundſatz des 8 73 StGB. alſo keine Geltung 
gewinnt. Zwar würde auch in einem Falle des Zu— 
ſammentreffens von 8 134 Ver 3G. mit 8 328 StGB. 
die Strafe, wie es dem Ergebniſſe nach im angefochtenen 
Urteile geſchehen iſt, nur aus § 328 zu beſtimmen 
ſein. Das würde dann aber ſeine rechtliche Begründung 
nicht in der Anwendung des Grundſatzes von 8 73 StGB. 
finden, ſondern darin, daß § 134 Ver 3G. die in ihm 
beſtimmte Strafe ſelbſt nur für den Fall androht, 
daß in beſonderen Geſetzen, zu denen hier auch 8 328 
StGB. zu rechnen wäre, nicht eine höhere Strafe feſt— 
geſetzt iſt. Ob das Gleiche auch gegenüber § 140 Ver 3G. 
(einfacher Rückfall) zu gelten hätte, oder ob auch ſchon 
ihm gegenüber, wie in den Fällen des § 141 (fernerer 
Rückfall), auf die Strafe des Vereinszollgeſetzes neben 
der des Strafgeſetzbuchs zu erkennen wäre, kann auf 


— — n. 


286 Zeitſchrift für Rechtspflege 


— 


ſich beruhen bleiben. Denn der Angeklagte wird durch 
die Art, wie der Erſtrichter die Strafe feſtgeſetzt hat, 
keinesfalls beſchwert, weder dadurch, daß im Urteile 
die Beſchränkung der Straffeſtſetzung auf eine Strafe 
aus 8 328 StGB. rechtlich unzutreffend begründet 
worden iſt, noch durch den Umſtand, daß nicht neben 
dieſer Strafe auch eine Strafe aus 8 140 Ver 3G. feſt⸗ 
geſetzt wurde. Ebenſowenig werden die Angeklagten 
dadurch beſchwert, daß gegen ſie ſtatt auf Konfiskation 
nur auf Beſchlagnahme der zum Gegenſtande der 


— 4 ͤ ꝓ äö— D— 


Konterbande gemachten Tiere erkannt worden iſt. (Urt. 


des V. StS. vom 9. Mai 1911, V D 176/11). 


2283 


— — n. 


III. 


Strafenhänfung nach 88 134, 146 336., 5 328 
StGB. Das Urteil läßt einen Rechtsirrtum in keiner 
Richtung erkennen, insbeſondere iſt der Strafausſpruch 
rechtlich nicht zu beanſtanden und anzuerkennen, daß 
im Falle des Zuſammentreffens bandenmäßiger Konter⸗ 
bande mit dem Tatbeſtande des 8 328 StGB. gemäß 
$ 134 V3. auf Konfiskation (oder Geldleiſtung nach 
§ 155 VG.) und an Stelle der in $ 134 angedrohten 
Geldſtrafe auf Gefängnisſtrafe aus 8 328 StGB. zu 
erkennen iſt, ſowie daß neben dieſe Hauptſtrafen ge- 
mäß 8 146 B3®. eine hieraus zu ſchöpfende weitere 
Gefängnisſtrafe als beſondere Schärfungsſtrafe zu 
treten hat. (Entſch. Bd. 16 S. 58; Bd. 18 S. 174; 
Bd. 38 S. 394, 401, 402).!) (Urt. des I. StS. vom 


9. März 1911, 1 D 1098/10). 
2278 


— — - n 


IV. 


Bermögensbeſchädigung durch Erſchleichung eines 
Blankoakts bei einem Wechſel. (Blaukoakzept oder 
Blaukogiro). Die Rüge der Reviſion, daß das Urteil 
den wechſelrechtlichen Akt, deſſen Vornahme durch E. 
der Angeklagte betrügeriſch erſchlichen hat, an eins 
zelnen Stellen als Blankogiro, ſonſt aber als Blanfo- 
ak zept bezeichne, alſo unklar laſſe, welche rechtliche 
Natur er gehabt habe, iſt an ſich begründet. Irrig 
iſt aber die daraus gezogene Folgerung, es fehle an 
der Prüfung, ob die im Urteil feſtgeſtellte ſtrafbare 
Handlung auch vorliege, wenn E. ein Blankogiro ge— 
geben habe, da dies und das Blankoakzept zwei ver— 
ſchiedene Dinge ſeien. Letzteres trifft zwar zu. Der 
Unterſchied iſt indeſſen für die allein in Betracht kom- 
mende Frage, ob durch Erſchleichung eines Wechſelaktes 
die zum Tatbeſtande des Betruges erforderliche Ver— 
mögensbeſchädigung des Betrogenen herbeigeführt 
werden kann, ohne ausſchlaggebende Bedeutung. Nach 
Art. 14 WO. haftet der Girant (Indoſſant) jedem 
ſpäteren Inhaber des Wechſels für deſſen Annahme 
und Zahlung wechſelmäßig. Händigte alſo E. die mit 
ſeinem Blankogiro verſehene, wenngleich wegen Fehlens 
der übrigen Formalitäten noch keinen gültigen Wechſel 
darſtellende Urkunde dem Angeklagten ein oder ließ 
er eine ſolche zum Zweck der Niederſchrift des Blanko— 
giros ihm von dem Angeklagten vorgelegte unvoll— 
ſtändige Wechſelurkunde nach Vollziehung des Giro— 
vermerks in den Händen des Angeklagten, ſo ſchaffte 
er dadurch die Möglichkeit, daß letzterer nach Aus— 
füllung der Urkunde in den noch zu ergänzenden Punkten 
den dadurch formgerecht gewordenen Wechſel in Um— 
lauf ſetzte und damit die wechſelmäßige Haftung des E. 
aus deſſen Unterſchrift herbeifuhrte. Ob tatſächlich 
eine ſolche ſpätere Ausfüllung und Begebung der Urs 
kunde ſtattgefunden hat, iſt dabei gleichgültig. Denn 
ſchon * bloße Möglichkeit, daß es geſchah, gefährdete 


1) Die ae des III. StS. in E. 3S, 26, 80, es mußten in 
ſolchem Falle Koönfiskation, weldſtrafe und die beiden Freibeits— 
traten gebäuft werden, beruht auf einet mißzverſtandlichen Auffafſung 
der angeführten Entſch. Ad. 16, 58; 18, 174. Dieſe Entſch. ſteben 
deutlich auf dem i daß in Fällen der vorliegenden Art 
die Geldſtrafe durch die Strafe des beſonderen Geſetzes erſetzw werden 
ſoll. 


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in Bayern. 1911. Nr. 13. 


— —— — —Eö . — —— 
— — — 


das Vermögen des E. und dieſe Gefährdung ſteht bei 
der Anwendung des § 263 StGB. einer wirklichen 
Vermögensbeſchädigung gleich, wie dies der Senat für 
den analogen Fall der Erſchleichung einer Wechſel⸗ 
ausſteller-⸗Unterſchrift ſchon ausgeſprochen hat. Dafür, 
daß die Strafkammer, je nachdem der Betrug des An⸗ 
geklagten ein Blankogiro oder ein Blankoakzept betraf, 
etwa die Höhe der Strafe verſchieden bemeſſen haben 
würde, gewährt das Urteil keinen Anhalt. Hiernach 
iſt der Angeklagte durch die oben erwähnte Unklarheit 
nicht benachteiligt. Auch daß das Urteil an zwei Stellen 
im Widerſpruch mit ſeinen übrigen Feſtſtellungen von 
der dem Eröffnungsbeſchluß zugrunde liegenden An: 
nahme ausgeht, der Wechſel ſei von dem Angeklagten 
dem E. (nicht umgekehrt) gegeben, hat erſichtlich 
auf das, was die Strafkammer hat feſtſtellen wollen, 
und auf die Höhe des Strafmaßes keinen Einfluß ge— 
übt. (Urt. des J. Strafſenats vom 27. April 1911, 
I D 221/11). — —— n 
281 
V. 

Verleſung von Schriftſtücken durch den Verteidiger 
beim Schlußwort. In der Hauptverhandlung kam der 
Verteidiger in ſeinen Ausführungen auch auf ein durch 
Einſtellung beendigtes Vorverfahren gegen G. wegen 
Verbrechens nach § 176 StGB. zu ſprechen. Auf Ein⸗ 
wand des Staatsanwalts gegen die Hereinziehung 
dieſer Strafſache wurde ein Gerichtsbeſchluß dahin 
verkündet, es werde dem Verteidiger geſtattet, auf den 
Fall G. einzugehen, ſoweit es für die Rechtsfrage er: 
forderlich ſei. Nunmehr fuhr der Verteidiger in ſeinem 
Vortrag fort, wobei er, wie das Protokoll ſagt, „einige 
Zeugenausſagen aus dem Fall G.“ (vermutlich aus Ab— 
ſchriften) wörtlich vorlas. Die Reviſion meint, dies 
ſei unzuläſſig geweſen und es ſei nicht von der Hand 
zu weiſen, daß die ſo gewonnene Kenntnis von dem 
Akteninhalt der Sache G. auf die Entſcheidung im 
Fall St. von Einfluß geweſen ſei. Dieſer Auffaſſung 
kann nicht beigetreten werden. Allerdings muß die 
Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung durch den 
Vorſitzenden erfolgen (8 237 StPO.). Die Erhebung 
eines Urkundenbeweiſes in der Weiſe, daß der Ver— 
teidiger die Urkunde erſt in ſeinen Schlußausführungen 
bekannt gibt, iſt unzuläſſig (8 284 StPO.), ebenſo 
darf nicht durch Verleſung einer Zeugenausſage der 
Nachweis irgendeiner für den Schuldbeweis erheb— 
lichen Tatſache verſucht werden (8 249 StPO.). Hätte 
dies der Verteidiger getan, ſo wäre es Aufgabe des 
Vorſitzenden geweſen, hiergegen einzuſchreiten (§ 237 
StPO.). Allein darum handelt es ſich hier nicht. 
Offenſichtlich wollte der Verteldiger dem Gericht keine 
Beweisaufnahme vorführen, ſondern nur in rechtlicher 
Beziehung darlegen, daß in einem ähnlich liegenden 
Fall eine Verfehlung nach & 176 Nr. 3 StGB. nicht 
angenommen worden ſei. Zu dieſem Zwecke mußte 
er auf den Inhalt dieſes Verfahrens eingehen. Was 
er in dieſer Beziehung vorbrachte, konnte für das Ge— 
richt nur die Bedeutung einſeitiger Behauptungen einer 
Prozeßpartei haben, welche nicht Teil der Beweis auf— 
nahme im Sinne des 8 260 waren. Wäre hierüber 
irgendein Zweifel möglich, ſo würde er durch den zu— 
treffenden Rechtsſtandpunkt ausgeſchloſſen, den das 
Gericht in dem verkündeten Gerichtsbeſchluß einge— 
nommen hat. Indem es hier ausſprach, daß es ein 
Eingehen auf den Fall G. nur für die Rechtsfrage 
zulaſſe, gab es unzweideutig zu erkennen, daß es Aus— 
führungen des Verteidigers nur als Darlegungen zur 
Rechtsfrage auffaſſe. Ueber dieſe entſcheidet aber das 
Gericht nach eigener Sachkenntnis und es fehlt auch 
nach dem Inhalt der Gründe an allen Anhaltspunkten, 
daß es hierbei, wie die Reviſion meint, irgendwie in 
unzuläſſiger Weiſe beeinflußt wurde. (Urt. des J. StS. 
vom 30. März 1911, I D 178,11). — —— n 


2277 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


| Kann der Notar die weitere Beſchwerde einlegen, 
wenn er die von ihm aufgenommene Urkunde dem Grund» 
buchamt nuter Anſchluß an die Anträge der Beteiligten 
um Bollzuge vorgelegt hat? (GD. 88 80, 15, 13). 

us den Gründen: Nach 8 80 GBO. muß die 
weitere Beſchwerde von einem Rechtsanwalt unter⸗ 
zeichnet ſein, wenn ſie durch Einreichung einer Be— 
ſchwerdefriſt eingelegt wird; die Unterzeichnung durch 
den Notar genügt nur, wenn dieſer nach 8 15 GBO. 
den Eintragungsantrag geſtellt hat. Das iſt hier nicht 
der Fall. Den nach $ 13 EBD. erforderlichen Eins 
tragungsantrag hat nicht der Notar, ſondern haben 
die Beteiligten ſelbſt geſtellt. Der Fall des $ 15 tft 
daher nicht gegeben. Daran wird dadurch nichts ge— 
ändert, daß der Notar die Urkunde mit einem hekto⸗ 
graphierten Formular „unter Anſchluß an die von 
den Beteiligten geſtellten Anträge zum Vollzuge“ vor⸗ 
gelegt hat. Denn in dieſer Erklärung kann ein ſelb⸗ 
ſtändiger Antrag des Notars nicht erblickt werden. 
Es braucht daher nicht auf die Frage eingegangen zu 
werden, ob einem Antrag des Notars überhaupt eine 
rechtliche Bedeutung zukommt, wenn die Beteiligten 
den Eintragsantrag in der von dem Notar errichteten 
Urkunde erklärt haben (Beſchlüſſe des Kammergerichts 
vom 6. Juni 1904, Os GRſpr. Bd. 10 S. 92, und vom 
1. März 1906, RJ A. Bd. 7 S. 136, Obs ZS. Bd. 5 
S. 136, Bd. 7 S. 185, Bd. 9 S. 209, Bd. 11 S. 335 
und 626). (Beſchluß des I. ZS. vom 12. Mai 1911, 
Reg. III 35/1911). W. 

2290 

II. 
ae Pe oder Verbindung mehrerer 
Nechtsgeſchäfte (Art. 186 Geb.). Laut einer Notariats⸗ 
urkunde vom 8. Mai 1908 haben die Bauerseheleute 
F., H. und G. in F. und die Gemeinde F. auf die 
Dauer von fünf Jahren ſich verbindlich gemacht, „auf 
Verlangen des S. oder ſeiner Erben oder eines von dieſer 
Seite zu benennenden Dritten ſofort an dieſe die in 
der Urkunde aufgeführten Grundſtücke zu beſtimmten 
Preiſen zu verkaufen und das Eigentum hieran rechts— 
förmlich zu übertragen“. Das Notariat ſetzte für die 
Vorverträge nach Art. 145 Webb. eine Gebühr von 
424 M 50 Pf. an. Die Kammer der Finanzen be— 
richtigte dieſen Anſatz auf 736 M 50 Pf. und hielt 
eine weitere Gebühr von 736 M 50 Pf. für geredt- 
fertigt, weil die von den Grundbeſitzern eingegangenen 
Verpflichtungen zur Schließung von Kaufverträgen 
hinſichtlich der Perſon der Berechtigten je zwei von⸗ 
einander unabhängige ſelbſtändige Vorverträge bilden. 
Deshalb wurde die Nachholung von 1048 M 50 Pf. 
angeordnet. Durch den Beſchluß des Landgerichts 
wurde die von S. gegen die Nachholung eingelegte 
Beſchwerde zurückgewieſen. Das Oberſte Landesgericht 
hob auf die weitere Beſchwerde des S. den Beſchluß 
des Landgerichts auf und erklärte die Nachforderung 
von 736 M 50 Pf. für unberechtigt. 
Gründe: Das Landgericht hat den Inhalt der 

Urkunde offenſichtlich unrichtig aufgefaßt, wie ſich dar— 
aus ergibt, daß es den vorliegenden Fall für gleich— 


gelagert erachtet mit den Fällen, die den von ihm an⸗ 


geführten Entſcheidungen vom 11. November 1902, 
6. Dezember 1905 und 27. November 1907 zugrunde 
liegen. Dies iſt jedoch nicht zutreffend. Alle dieſe 
früheren Fälle hatten das Gemeinſame, daß jemand 
zunächſt für einen anderen und im Falle, daß dieſer 
nicht erwerben ſollte, für ſich ſelbſt kaufte. In dieſen 
Fällen wurde angenommen, daß zwei Kaufverträge 
vorliegen. Die Verkäufer hatten zunächſt an den Ver— 
tretenen, außerdem aber vorſorglich an den Vertreter 
verkauft und ebenſo hatten die Käufer eine Doppel- 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12. 


— — ͤ ü̈65.̃ — — ͤ q —y—ͤ— nn 


anderen und vorſorglich für ſich ſelbſt kauften. Ein 
ſolcher Fall iſt hier nicht gegeben. Die Grundbeſitzer 
und S. haben einen auf Schließung eines Kaufver⸗ 
trags abzielenden Vorvertrag geſchloſſen und einen 
Beſtandteil bildete die Beſtimmung, wonach die Grund⸗ 
beſitzer ſich verpflichteten, auf Verlangen des S. oder 
jene Erben oder eines von dieſer Seite zu benennen⸗ 
en Dritten an dieſe die Grundſtücke zu verkaufen. 
S. hat hierbei nur in eigenem Namen gehandelt und 
aus dem Wortlaut des Vertrags ergibt ſich klar, daß 
er als Vertreter (Bevollmächtigter, Geſchäftsführer 
ohne Auftrag) eines Dritten in keiner Weiſe auftrat. 
Die Grundbeſitzer haben nur dem S. gegenüber eine 
Verpflichtung eingegangen und wenn ſie ſeinerzeit an 
einen von S. benannten Dritten verkaufen ſollten, 
erfüllen ſie damit eben dieſe Verpflichtung. Somit 
liegt ein einheitliches Rechtsgeſchäft vor und iſt für 
die Anwendung des Art. 186 Abſ. 1 Geb. kein Raum. 
Ob die Parteien beabſichtigten aus dem von ihnen 
geſchloſſenen Vertrage einem Dritten ein unmittelbares 
Recht zu geben, iſt belanglos. Sollte dies der Fall 
ſein, ſo könnte dadurch die Einheitlichkeit des Vertrags 
nicht in Frage geſtellt werden. Die Verpflichtung der 
Grundbeſitzer gegenüber S. gegebenen Falles auf Ver⸗ 
langen eines Dritten mit dieſem einen Kaufvertrag zu 
ſchließen, wodurch ſie ihre Verpflichtung gegen S. er⸗ 
füllen würden, wäre in dieſem Falle eine beſondere 
Geſtaltung der gegen dieſen eingegangenen Verpflich⸗ 
tung und eine Bedingung des Hauptvertrags i. S. 
des Art. 186 Abſ. 2. (Beſchluß des II. 3S. vom 
29. Mai 1911, Reg. V Nr. 13/1911). W. 
2291 


B. Strafſachen. 
1 


Gegenüber den Straußwirten in der Rheinpfalz 
beſteht kein grundſätzliches Zuckerungsverbot. Aus 
den Gründen: Nach 8 3 WG. vom 7. April 
1909 darf dem aus inländiſchen Trauben gewonnenen 
Traubenmoſt oder Wein (bei Herſtellung von Rotwein 
auch der vollen Traubenmaiſche) Zucker, auch in reinem 
Waſſer gelöſt, zugeſetzt werden, um einem natürlichen 
Mangel an Zucker oder Alkohol oder einem Uebermaß 
an Säure inſoweit abzuhelfen, als es der Beſchaffen⸗ 
heit des aus Trauben gleicher Art und Herkunft in 
guten Jahrgängen gewonnenen Erzeugniſſes entſpricht. 
Der Zuſatz an Zuckerwaſſer darf jedoch in keinem Falle 
mehr als ½ der geſamten Flüſſigkeit betragen. 
Die Zuſetzung von Zucker darf nur zu beſtimmten 
Zeiten und innerhalb der am Weinbau beteiligten 
Gebiete des Deutſchen Reichs und auch hier nur nach 
Anzeige bei der zuſtändigen Behörde vorgenommen 
werden. Der 8 5 Abſ. 1 verbietet ſodann zwar nicht, 
gezuckerten Wein als Wein zu bezeichnen, wohl aber, 
ihn unter einer Bezeichnung feilzuhalten oder zu ver— 
kaufen, die auf Naturreinheit des Weines oder auf 
beſondere Sorgfalt bei der Gewinnung der Trauben 
deutet; auch iſt es verboten, in der Benennung anzu— 
geben oder anzudeuten, daß der Wein Wachstum eines 
beſtimmten Weinbergbeſitzers ſei. Wer Wein gewerbs— 
mäßig in Verkehr bringt, muß nach Abſ. 2 des 8 5 
dem Abnehmer auf Verlangen vor der Uebergabe mit— 
teilen, ob der Wein gezuckert iſt. Nach dem gegen— 
wärtigen Rechtszuſtand iſt demzufolge die Zuckerung 
des Weines nur zuläſſig, ſoweit ſie zu ſeiner Ver— 
beſſerung nötig iſt und es der Beſchaffenheit des in 
guten Jahrgängen aus demſelben Gewächſe gewonnenen 
Erzeugniſſes entſpricht. Unter dieſer Bedingung darf 
aber auch der gezuckerte Wein noch fernerhin als 
„Wein“ bezeichnet und muß nur auf ausdrückliches 
Verlangen des Abnehmers Auskunft über die Zuckerung 
erteilt werden. 

In den Urteilen des erkennenden Senats vom 


ſtellung eingenommen, indem fie zunächſt für einen 10. April 1909 (Bay gf. Bd. 5 S. 419) und vom 


288 


18. März 1911 (ebenda Bd. 7 S. 227) iſt ausführlich 
dargelegt, daß und aus welchen Gründen ſowie in 
welcher Ausdehnung den Weinbauern in der Pfalz der 
Ausſchank der aus eigenen Weinbergen dort gewonnenen 
Weine ohne beſondere polizeiliche Erlaubnis geſtattet 
iſt und daß die Zulaſſung ſolcher „Straußwirtſchaften“ 
auf der Anerkennung des Bedürfniſſes der Weinbauer 
zu einer Gelegenheit für den Abſatz der von ihnen 
erzeugten Weine, wenn deren Verkauf nach der Markt- 
lage des Großhandels ſtockt, beruht. „Die uralte Ein⸗ 
richtung der Straußwirtſchaften“ iſt nach Baſſermann⸗ 
Jordan, Geſchichte des Weinbaues, 2. Bd. S. 394 „die 
ultima ratio des Winzers, der ſein Produkt nicht ver⸗ 
kaufen kann.“ Dies muß im Auge behalten werden, 
wenn die Frage zu beantworten iſt, ob der Straußwirt 
gezuckerten Wein ausſchänken darf. 

Es kann der Reviſionsbegründung nicht zugeſtimmt 
werden, wenn ſie behauptet, es ſei die Frage, was 
unter eigenem Erzeugnis zu verſtehen ſei, nach dem 
Sprachgebrauch und der Verkehrsanſchauung zur Zeit 
der Einführung der GewO. durch das RG. vom 
12. Juni 1872 zu beantworten, bei der für die Pfalz 
die Befugnis zum Ausſchank der ſelbſterzeugten Ge⸗ 
tränke ohne polizeiliche Erlaubnis aufrecht erhalten 
wurde. Ganz abgeſehen davon, daß nicht erſt in dem 
RG. vom 12. Juni 1872 der Ausſchank der eigenen 
Erzeugniſſe vom Konzeſſionszwang freigelaſſen wurde, 
ſondern ſchon das bayer. Geſ. vom 30. Januar 1868, 
das Gewerbsweſen betr., ebenfalls davon Umgang ge⸗ 
nommen hatte für die Pfalz Beſtimmungen über den 
Ausfchank geiſtiger Getränke aufzuſtellen, fo wäre 
logiſcherweiſe im Sinne der Reviſion auf die Zeit 
zurückzugreifen, zu der die Einrichtung der Strauß⸗ 
wirtſchaften überhaupt entſtanden iſt. Das würde 
ſchon deshalb unmöglich fein, weil die Einrichtung 
der Straußwirtſchaften uralt und die Zeit ihrer Ent⸗ 
ſtehung überhaupt nicht genau feſtzuſtellen iſt. Anderer⸗ 
ſeits iſt es richtig, daß das Zuckern der Weine erſt 
zu Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts 
in Deutſchland in Uebung gekommen iſt, nachdem die 
verſchiedenen von Chaptal, Gall und Petiot erfundenen 
Weinverbeſſerungsmethoden allmählich bekannt ge— 
worden waren. Steht man hiernach einem verhältnis⸗ 
mäßig jungen Verfahren gegenüber, ſo muß über ſeine 
Zuläſſigkeit für die in Straußwirtſchaften verzapften 
Weine ebenſo nach allgemeinen Erwägungen entſchieden 
werden, wie das die Geſetzgebung für ſeine Zuläſſig— 
keit im allgemeinen getan hat. In der Literatur 
find die Meinungen geteilt. In der Bay ZfR. 7. Jahr- 
gung (1911) haben ſich zwei pfälziſche Juriſten, der 
eine (Zoeller) S. 14 ff. für die Zuläſſigkeit des Aus— 
ſchankes gezuckerten Weines durch die Straußwirte, 
der andere (Michel) S. 106 ff dagegen ausgeſprochen, 
in Nr. 13 des Jahrganges 1911 der in Neuſtadt a. H. 
erſcheinenden Weinfachzeitung „Das Weinblatt' hat ſich 
eine Stimme gegen die Zulaſſung von gezuckertem 
Wein in Straußwirtſchaften, in Nr. 14 eine ſolche 
dafür geäußert; in dem letzteren Sinne hat auch ein 
Artikel der Nr. 21 vom 16. März 1911 der in Mainz 
erſcheinenden „Deutſchen Weinzeitung“ Stellung ge— 
nommen. 

Das angefochtene Urteil enthält die unzweideutige 
Feſtſtellung, daß in den Weinlagen der Oberhaardt 
die Zuckerung der Weine allgemein üblich und ſogar 
notwendig iſt und daß in den geringeren Lagen der 
Oberhaardt das Publikum nicht erwartet oder verlangt, 
daß der Straußwirt nur naturreinen Wein ausſchänke. 
Dieſe Feſtſtellung iſt für das Reviſionsgericht bindend; 
ihre Beſtreitung in der Reviſionsrechtfertigung iſt mit 


geulget für megtepſtege in Bayern. 1011. br. 18 


EEE 


Michel a. a. O. S 


dem 8 376 StPO. nicht vereinbar und, ſoweit ihre 


Begründung beanſtandet wird, als nur auf 8 266 
StPO. ſtützbar, nach 8 380 StPO. ſogar ausgeſchloſſen. 
Uebrigens beſtehen auch keine ſachlichen Bedenken da— 
gegen. Im Gegenteil iſt: wie Baſſermann-Jordan 
a. a. 


O. Bd. 2 S. 480 ſagt, „keineswegs zu verkennen, 


daß bei dem derzeitig vielfach vorherrſchenden Geſchmack 
die geringeren Lagen mancher Weinbaugebiete, zumal 
in ſchlechten Jahrgängen, eine Verzuckerung und Ent⸗ 
ſäuerung ihrer Produkte nicht entbehren können“, ſo 
würde durch ein Verbot die Einrichtung der Strauß⸗ 
wirtſchaft geradezu in ihrem Lebensnerv getroffen 
werden. Den Schwierigkeiten der Winzer in geringeren 
Lagen, ihren Wein in ſchlechten Jahrgängen verkaufs⸗ 
weiſe im Ganzen an den Mann zu bringen, würde 
dann auch auf dem Wege der „ultima ratio“ nicht mehr 
abgeholfen werden können. Trotzdem wäre aber dem 
Publikum keine Gewähr dafür geboten, daß der Wein 
ungezuckert bliebe. Es müßten dann nur die Winzer 
ihre Erzeugniſſe zu einem ſehr billigen Preis an die 
Händler und die konzeſſionierten Wirte ablaſſen, dieſe 
aber könnten innerhalb des Rahmens des Geſetzes 
ungehindert zuckern und auf dieſe Weiſe den Gewinn 
einheimſen, denn die Winzer ſelbſt nicht beziehen 
dürften. Hätte aber gar ein Weinbauer in der Hoff: 
nung, ſeine Ernte im Großen verkaufen zu können, 
ſeinen zu ſaueren Wein gezuckert und ſchließlich doch 
keinen Abnehmer gefunden, ſo wäre er in die denkbar 
unangenehmſte Lage verſetzt. Man wird ohne Bedenken 
auf die Straußwirtſchaften im beſonderen anwenden 
dürfen, was die amtliche Denkſchrift zu dem Entwurf 
des WG. von der Zuckerung im allgemeinen ſagt: 
„Wenn nicht geſtattet würde, in Fällen, wo die Traube 
nicht die genügende Reife erreicht, durch einen mäßigen 
Zuckerzuſatz einigermaßen zu erſetzen, was die Natur 
verſagt hat, ſo würde, wie ſich der Geſchmack des 
weintrinkenden Publikums entwickelt hat, alljährlich 
ein großer Teil der Weinerte unverwertbar bleiben 
und in der Folge der Weinbau auch aus Lagen und 
Landſtrichen verſchwinden müſſen, deren Erzeugniſſe 
in Jahren der Reife ſie als für den Weinbau voll⸗ 
kommen geeignet erweiſen. In dem angedeuteten Um⸗ 
fange wird das Zuckern von Wein daher als eine 
nützliche Maßregel anerkannt und zugelaſſen werden 
müſſen“. Auch die Erwägung ſteht nicht im Wege. 
daß ein Straußwirt, der um die Säure zu mindern, 
einen Naturwein mit hoher Süße gekauft und ihn dem 
Säuerling beigemiſcht hat, den ſo gewonnenen Wein 
nicht als Straußwirt verſchenken dürfte, weil er nicht 
mehr aus ſeinen eigenen Erzeugniſſen zuſammengeſetzt 
wäre. Denn auf der anderen Seite iſt dafür nach 
§ 2 WG. die Verſchnitterlaubnis nicht durch eine be: 
ſtimmte Verhältnisgrenze eingeengt, wie der 83 WG. 
eine ſolche für die Zuckerung aufſtellt, und ferner weiß. 
wer die Verbeſſerung ſeines Weines durch Verſchnitt 
unter Verwendung fremder Erzeugniſſe der durch 
Zuckerung vorzieht, von vorneherein, daß er dadurch 
ſeinem Weine die Eigenſchaft des eigenen Erzeugniſſes 
entzieht. Andererſeits können diejenigen, welche unter 
allen Umſtänden einen Naturwein zu trinken wünſchen, 
vermöge des ihnen durch den 8 5 Abſ. 2 WG. eröff⸗ 
neten und durch die Strafdrohung verſtärkten Frage— 
rechts jede wünſchenswerte Gewähr finden. Ueberdies 
bleibt es jedem Winzer unbenommen, in feiner Strauß: 
wirtſchaft nur naturreine Weine zu verſchänken und 
das ausdrücklich zu jedermanns Kenntnis zu bringen. 
Dadurch könnte, ſelbſt, wenn es richtig ſein ſollte, 
daß „der mit Behagen und Verſtändnis ſchlürfende 
Verehrer eines guten Naturtropfens“ wegbleibt (vgl. 
108), wenn man ihm gezuckerten 
Wein vorſetzt, jedenfalls vermieden werden, daß man 
ſagen könnte: „Der Straußwirtſchaft fehlt der Gaſt“ 

Hiernach liegen gegenüber den Straußwirten nicht 
mehr ſtichhaltige Gründe für ein grundfägliches 
Zuckerungsverbot vor als in Beziehung auf den Wein— 
bau überhaupt. Iſt deshalb der aus ſelbſtgebauten 


und gekelterten Trauben vom Winzer gewonnene Wein 


auch dann noch deſſen „eigenes Erzeugnis“, wenn er 


unter Beobachtung der geſetzlichen Beſtimmungen ge— 


zuckert worden iſt, fo hält ſich der Straußwirt bei 
deſſen Verzapfung noch innerhalb des Rahmens der 


altherkömmlichen Bergünftigung und bedarf dazu keiner 
beſonderen polizeilichen Genehmigung nach 8 33 Gewd. 
Die Strafkammer hat darum durch ihre Entſcheidung 
nicht gegen die 88 33 und 147 Abſ. 1 Ziff. 1 GewO. 
verſtoßen. Aber auch eine Verletzung der §8 5 und 28 
Nr. 1 WG. ſteht nicht in Frage. Es iſt nicht dargetan, 
daß der Angeklagte ſeinen gezuckerten Wein unter 
irgendeiner Bezeichnung feilgehalten hat, die auf Rein- 
heit des Weines hingedeutet hätte, oder daß er in 
deſſen Benennung irgendwie angegeben oder angedeutet 
hat, daß er Wachstum eines beſtimmten Weinberg⸗ 
beſitzers ſei, da bis jetzt im ganzen Verfahren von 
einer ſolchen Bezeichnung oder Benennung ſeines 
Weines noch nie die Rede war. Die Bezeichnung ſeiner 
Wirtſchaft als Straußwirtſchaft iſt keine Bezeichnung 
oder Benennung des darin verſchänkten Weines und 
nur eine ſolche iſt für den Fall der Zuckerung im 8 5 
WG. verboten. Mit der Bezeichnung ſeiner Wirtſchaft 
als Straußwirtſchaft ſagt der Winzer in der Tat nicht 
mehr als, daß er Wein aus eigenen Weingärten aus⸗ 
ſchänke, er gibt aber damit ſeinem Wein keine Bezeich⸗ 
nung und keine Benennung und ſagt damit insbeſondere 
nicht, daß ſein Wein noch naturrein und ihm nament⸗ 
lich kein Zucker zugeſetzt ſei. Dies trifft beſonders 
dann zu, wenn allgemein bekannt iſt, daß der Strauß⸗ 
wirt gezuckerten Wein verzapfen dürfe. (Urt. vom 
20. Mai 1911, RevReg. 116/11). Ed. 
2293 


II. 


um bayeriſchen Wandergewerbeſtenergeſetz: Begriff 
des Wanderlagers; die Einrichtung einer Fabrik hat 
regelmäßig nicht die Eigenſchaft eines Wanderlagers. 
Gründe: Der Kaufmann St. betreibt von ſeiner 
Niederlaſſung in K. in Baden einen Handel mit Ma⸗ 
ſchinen, Feld-, Forſt⸗ und Induſtriebahnen; er hat in 
K. ein Lager, Werkſtätten und die ſonſtigen notwen⸗ 
digen Geſchäftsräume und verſteuert daſelbſt auch ſeinen 
Gewerbebetrieb. Im Jahre 1909 geriet die „Maſchinen⸗ 
baugeſellſchaft Z. in der Pfalz AG.“ in Konkurs. Der 
Konkursverwalter verkaufte die geſamte maſchinelle 
Einrichtung der Maſchinenfabrik und Gießerei, ferner 
die geſamte Einrichtung des kaufmänniſchen Bureaus 
an St. mit der Auflage, daß dieſer die gekauften 
Sachen ſpäteſtens am 1. Juli zu entfernen habe. Der 
größte Teil der Einrichtung war feſt mit dem Boden 
verbunden, die Fundamentſchrauben waren in den 
Boden einbetoniert, bei einigen Maſchinen war ſogar 
der geſamte Fundamentrahmen mit Beton übergoſſen. 
St. kaufte die Einrichtung zum Wiederverkauf im ein⸗ 
zelnen und ſuchte Käufer in ganz Deutſchland und im 
Auslande durch Bekanntmachung der Kaufsgelegenheit 
in inländiſchen und ausländiſchen Zeitungen und Fach— 
zeitſchriften und Verſchickung von Verzeichniſſen an 
Intereſſenten zu gewinnen. Die Einrichtung blieb in 
der Fabrik ſtehen und konnte dort angeſehen werden. 
Ein Handlungsgehilfe war ſtändig im Lager in Z.; 
er hatte die Einrichtung zu überwachen, die Arbeiter 
zu beaufſichtigen und bei dem Verkaufe mitzuwirken. 
Die Kaufverträge wurden größtenteils durch St. ſelbſt 
entweder in K. oder Z., in geringem Umfange von 
B. abgeſchloſſen. Der überwiegende Teil der Gegen— 
ftände wurde von Käufern außerhalb Z. erworben 
und ging in alle Gegenden Deutſchlands, außerdem 
nach Holland und nach Rumänien. Ein geringer Teil 
wurde von Leuten erworben, die in 3. und Umgebung 
wohnen. Das Rentamt 3. erblickte in dem Unter— 
nehmen des St. die Veranſtaltung eines Wanderlagers 
und leitete gegen St. ein Verfahren wegen Nichtanmel— 
dung dieſes „Gewerbebetriebs im Umherziehen“ ein. Die 
Strafkammer ſprach den Angeklagten frei; die Reviſion 
wurde verworfen. 
Aus den Gründen: Die Annahme der Straf— 
kammer, daß das WGStG. und insbeſondere feine 


Beſtimmungen über die Wanderlager hauptſächlich dem | worden ſeien. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


— — K —üpä—̃ — — ——ẽ——— — — 


289 


Zwecke dienen ſollen die den ſeßhaften Handels⸗ und 
Gewerbetreibenden durch den Gewerbebetrieb im Um— 
herziehen erwachſene fühlbare Konkurrenz einzuſchränken, 
iſt nicht nur in dem Erkenntniſſe des Reichsgerichts 
vom 28. Juni 1886 (Bd. 14 S. 247 (249) anerkannt, 
ſondern auch in der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes 
begründet. Die Ausführung der Strafkammer, daß 
es an den tatſächlichen Vorausſetzungen für die An- 
wendung des WGStG. gefehlt habe, weil die Tätig⸗ 
keit des Angeklagten St. nicht geeignet geweſen ſei, 
das örtliche Verkaufsgewerbe in Z. zu ſchädigen oder 
auch nur zu gefährden, iſt deshalb zutreffend. In 
noch höherem Grade aber ſteht der Anwendbarkeit des 
WEISE. entgegen, daß ein Wanderlager im Sinne 
des Geſetzes überhaupt nicht in Frage iſt. Nach Art. 15 
Ziff. 2 iſt ein Wanderlager „ein feilgebotenes Waren⸗ 
lager“. Ebenſo beſteht nach Ziff. 1 der Anweiſung 
vom 4. März 1880 zur Ausführung des preuß. Ge⸗ 
jenen vom 27. Februar 1880, betr. die Beſteuerung 
es Wanderlagerbetriebs — abgedr. bei Falkmann 
u. Strutz, Die preußiſche Gewerbeſteuergeſetzgebung, 
3. Aufl. S. 440 — „der Wanderlagerbetrieb in der 
Regel darin, daß der Inhaber eines Warenlagers die 
Waren an einem oder mehreren Orten, woſelbſt er 
weder wohnt, noch eine gewerbliche Niederlaſſung 
begründet hat, dem Publikum zu freihändigen Käufen 
von einer feſten Verkaufsſtätte ... aus vorübergehend 
feilbietet“. In dem gleichen Sinne haben ſich auch 
die Erkenntniſſe des Reichsgerichts (Bd 29 S. I) und 
des Oberſten Landesgerichts (Bd. 1 S. 331, Bd. 5 
S. 326) ausgeſprochen. Hiernach iſt ein Wanderlager 
ein für Verkaufszwecke den vermutlichen Bedürfniſſen 
des jeweils in Frage kommenden Käufer-Publikums 
angepaßtes, beſonders „aſſortiertes“ Warenlager. Eine 
nach den beſonderen Lebensbedürfniſſen einer Perſon 
oder einer Unternehmung aus den verſchiedenſten 
Gegenſtänden zuſammengeſetzte und von dieſer bisher 
benützte wirtſchaftliche Einheit, wie die in einem Nach— 
laß enthaltene fahrende Habe oder die Einrichtung 
einer Fabrik u. dgl., beſitzt deshalb nicht die Eigen— 
ſchaft eines Wanderlagers. Erſt durch die Vereinigung 
von zwei oder mehreren ſolchen Einrichtungen zum 
Zwecke des Verkaufs könnte ein Warenlager und in— 
folgedeſſen ein Wanderlager zuſtande kommen. Auch 
dann, wenn der ganze Beſtand an Fabrikaten mit der 
ſonſtigen Einrichtung angekauft würde, könnte u. U., 
ſoweit es ſich um die Fabrikate handelt, ein Wander— 
lager in Frage kommen. Alle dieſe Vorausſetzungen 
liegen hier nicht vor und es iſt insbeſondere auch 
nicht feſtgeſtellt, daß der Angeklagte St. etwa zur 
vollen Befriedigung der Bedürfniſſe ſeiner Käufer irgend— 
welche Gegenſtände aus früher erworbenen Fabrik— 
einrichtungen oder aus ſeinem Lager in K. herange— 
zogen hätte. Die Fabrikeinrichtung der „Maſchinen— 
baugeſellſchaft Z. AG.“ war vor dem Ausbruche des 
Konkursverfahrens kein Warenlager, ſondern nur eine 
wirtſchaftliche Einheit und konnte dadurch, daß ſie als 
ein Ganzes von St. dem Konkursverwalter abgekauft 
wurde, nicht ein Warenlager werden. (Urt. vom 24. 


März 1911, Rev.⸗R. 72/11). Ed. 
2300 
Oberlandesgericht München. 
Erſtattung ausländiſcher Anwaltsgebühren. Der 


Kläger war vom Beklagten beauftragt für deſſen 
Rechnung bei einer Verſteigerung in Amſterdam ſechs 
ſilberne Leuchter aus der Zeit Ludwig XV. einzuſteigern 
und führte den Auftrag aus. Der Beklagte weigerte 
die Zahlung, weil die Leuchter ſich als unecht erwieſen 
und das Geſchäft nicht mit der Sorgfalt eines ordent— 
lichen Kaufmannes ausgeführt, insbeſondere die Wei— 
ſungen des Beklagten als Kommitienten nicht befolat 
Er wurde jedoch vom Landgericht M. 


290 


(Bayern) zur Zahlung von 997 M 05 Pf. (Preis der 
Leuchter nebſt Auktionsgebühr und Proviſion) rechts⸗ 
fräftig verurteilt. Der Anwalt des Klägers beantragte 
die Koſten auf 923 M 83 ur feftaufegen, darunter 
346 Gulden 13 Cts. -= 588 0 Pf. Koſten des 
holländiſchen Advokaten Van = B. den der Kläger 
als Korreſpondenzanwalt zugezogen hatte. Dieſe 
Koſten wurden (mit geringen Abſtrichen) zugebilligt; 
die Beſchwerde blieb erfolglos. 


Aus den Gründen: Die Erſtattung der Ge⸗ 
bühren eines ausländiſchen Anwalts hängt duvon ab, 
ob deſſen Zuziehung zur Vermittelung des Verkehrs 
mit dem inländiſchen Anwalt notwendig war (Walter⸗ 
Joachim, RAO. 5. Aufl. S. 340; Quednau, RAG. 
S. 345, Willenbücher, Koſtenfeſtſ. 7. Aufl. S. 43). Hier 
läßt ſich nun mit Grund nicht beſtreiten, daß der 
Kläger zur zweckentſprechenden Rechtsverfolgung einen 
heimiſchen Anwalt zuziehen durfte, um durch deſſen 
Vermittelung die Korreſpondenz mit dem beim Prozeß⸗ 
gericht zugelaſſenen Anwalt zu führen. Wenn auch 
der Kläger, wie ſein Brief an den Beklagten vom 
8. März 1905 ergibt, der deutſchen Sprache leidlich 
mächtig fein mag, fo beſtand doch für ihn alle Ver— 
anlaſſung ſich an einen Anwalt am Orte ſeines 
Wohnſitzes zu wenden, um durch ihn dem Prozeßbe⸗ 
vollmächtigten die zur Anfertigung von Schriftſätzen 
und für die mündliche Verhandlung erforderliche In⸗ 
formation erteilen zu können. Denn der Beklagte 
ließ die Klage aus tatſächlichen und rechtlichen Er— 
wägungen bekämpfen und im beſonderen geltend 
machen, der Kläger habe bei nur einigermaßen forg- 
fältiger Prüfung erkennen müſſen, daß die Leuchter, 
die auch auf der Auktion allſeitig als neu bezeichnet 
wurden, imitiert ſeien. Davon, daß die unterlegene 
Partei die Gebühren eines ausländiſchen Korreſpondenz— 
anwalts nur in Höhe des 8 44 der deutſchen RAG. 
erſtatten müßte, kann keine Rede ſein. Es iſt auch in 
dem Beſchl. des KG. vom 23. Oktober 1901 (KG Bl. 1902 
S. 8), auf den ſich die Beſchwerde beruft, nur geſagt, 
daß, wenn der öſterr. Anwalt bloß eine Gebühr fordert, 
wie ſie im gleichen Falle einem deutſchen Rechtsanwalt 
zuſtehen würde, nichts im Wege ſteht den von der 
deutſchen RAG. vorgeſchriebenen Anſatz als einen 
angemeſſenen zu bewilligen ([. Quednau, RAG. 
S. 345). Die Gebühren der Anwälte in den Nieder— 
landen ſind nun allerdings weſentlich höher als in 
Deutſchland, weil es dort Pauſchgebühren nicht gibt 
und der Anwalt für jede Tätigkeit geſondert entlohnt 
wird; vgl. Art. 29 niederl. Gebo. von 1843, wonach 
der Anwalt für jede Beratung mit dem Klienten I fl 
80 Cts., für jedes Erſcheinen vor Gericht 3 fl 60 Cts. 
und für die Ausfertigung eines Briefes und das Leſen 
eines erhaltenen Briefes je 90 Cts. verlangen darf. 


Dieſe Gebühren, die der Kläger ſeinem Amjterdamer | 


Anwalt bezahlen muß, kann er jedoch, wie oben dar— 
gelegt, von ſeinem unterlegenen Gegner erſtattet ver— 


langen, inſoweit die Tätigkeit, für die eine Gebühr 


gefordert wird, im einzelnen zur zweckentſprechenden 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


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Rechtsverfolgung entfaltet r. Dies iſt bei d 
. e 5 x a unlauterer Wettbewerb, um ſich eine Monopolftellung 


ſtreitigen Gebühren durchweg der Fall. (Beſchl. vom 
15. Mai 1911; Beſchw.-Reg. Nr. 268/11 J). 


2209 


Oberlandesgericht Zweibrücken. 


Unterlaſſungs⸗ und Schadenserſatzklage 
Gewerbetreibenden gegen eine Stadtgemeinde wegen 
Schädigung feines Gewerbebetriebe durch die Art und 
Weiſe der Feſtſetzung der Vergütung für die Benützung 
eines ſlädtiſchen Gewerbebetriebs. Die pfälziſche Stadt 
L. hielt ſeit Jahren in einem ſtädtiſchen, Sargmagazin“ 


eines 


für die Einwohnerſchaft der Stadt Särge und ſonſtige 
für das Begräbnis nötige Gegenſtände zum Kaufe 
bereit. Im Herbſt 1908 beſchloß der Gemeinderat, 
eine „Leichen-, Begräbnis- und Friedhofordnung“ und 
als Anhang dazu eine „Begräbnistarordnung” zu 
erlaſſen. Danach beſorgt die Stadt gegen Entrichtung 
der in drei Klaſſen abgeſtuften Taxen von 90, 60 und 
40 M das Begräbnis und liefert einen, klaſſenmäßigen“, 
mehr oder weniger verzierten Sarg. Für den Sarg 
werden je nach der Klaſſe 65, 45 und 30 M berechnet. 
Nach § 44 dürfen zu den Begräbniſſen auf den ſtädti⸗ 
ſchen Friedhöfen andere als die von der Gemeinde 
getroffenen Begräbniseinrichtungen nicht benützt 
werden. Die Kreisregierung erklärte die Leichenord⸗ 
nung für vollziehbar, nachdem das Bürgermeiſteramt 
den S 44 dahin erläutert hatte, daß er ſich nur auf 
die Vorkehrungen der Gemeinde wie Leichenwagen, 
Leichenhalle uſw., nicht aber auf Begräbnisgegenſtände 
wie Särge, Leichenkleider uſw. beziehe; auch die 
Begräbnistaxordnung wurde vom Bezirksamte geneh— 
migt. Das Bürgermeiſteramt gab die neuen Vorſchriften 
öffentlich mit dem Zuſatze bekannt: „Die Einwohner: 
ſchaft wird noch beſonders darauf aufmerkſam gemacht, 
daß für die Begräbnispauſchaltaxe ſeitens der Stadt 
auch der Sarg aus dem ſtädtiſchen Sargmagazin be— 
zogen wird. Ein Nachlaß dieſer allgemeinen Begräbnis⸗ 
taxe tritt nicht ein, wenn der Sarg von anderer Seite 
als dem ſtädtiſchen Sargmagazin bezogen wird.“ Der 
jetzige Kläger E. iſt der Inhaber des einzigen privaten 
Sargmagazins in L. Infolge einer Beſchwerde, die 
er an die Regierung richtete, beſchloß der Gemeinde— 
rat, in die Begräbnistaxordnung folgende Beſtimmung 
aufzunehmen: „Die allgemeine Begräbnistaxe mindert 
ſich um 25%, wenn der Sarg nicht aus dem ſtädtiſchen 
Sargmagazin bezogen worden iſt“. Die Abzüge in 
dieſem Falle betragen je nach der Klaſſe 22.50, 15.— 
und 10.— M. 

In der Klage gegen die Stadtgemeinde beantragte 
E. die Beklagte zu verurteilen, 1. die Angabe zu 
unterlajlen, daß für die Begräbnispauſchaltaxe die 
Stadt auch den Sarg aus dem ſtädtiſchen Sargmagazin 
liefere und daß die allgemeine Begräbnistaxe ſich um 
25% mindere, wenn der Sarg nicht aus dem Sarg— 
magazin bezogen wird, und 2. dem Kläger Schadens⸗ 
erſatz in Geld zu leiſten. Die Klage wurde damit 
begründet, daß das Vorgehen der Stadt den ungeſetz— 
lichen Verſuch enthalte die Benützung des ſtädtiſchen 
Sargmagazins zur Zwangspflicht zu machen. Durch 
die den neuen Vorſchriften angefügten Beiſätze ſei das 
Publikum in den irrigen Glauben verſetzt worden, 
es ſei verpflichtet die Särge aus dem ſtädtiſchen 
Magazin zu beziehen. Auch die, welche die Wahrheit 
kennen, könnten ſich der ungeſetzlichen Verpflichtung 
nicht entziehen, weil ſie zuerſt die ganze Taxe und 
jetzt einen außergewöhnlich großen Teil hätten zahlen 
müſſen. Durch dieſen Zwang ſei das Geſchäft des 
Klägers vernichtet worden. Die Beklagte müſſe für 
den Sarg einen Abzug machen, der ſeinem Verkaufs— 
preiſe gleichkomme. Das Vorgehen der Stadt ſei ein 


für eine rein privatwirtſchaftliche Tätigkeit zu ver— 
ſchaffen. Die Beklagte verletze die Gewerbefreiheit als 
Schutzgeſetz im Sinne des $ 823 BGB., indem ſie 
die Begräbnistaxe mit der Begräbnisordnung ver: 
quicke. Sie verſtoße aber auch gegen $ 826, weil 


ſie bewußt den Klager ſchädige und nur den Zweck 


verfolge ſeine Konkurrenz auszuſchalten. Die Klage 


wurde in beiden Inſtanzen abgewieſen. 


Aus den Gründen: 1. Der Rechtsweg iſt auch 
inſoweit zuläſſig, als die Klage auf Unterlaſſung 
gerichtet iſt. Denn ſie iſt nach ihrer allein maßgebenden 
Begrundung die privatrechtliche Unterlaſſungsklage, 


mit der aus der Tatſache der Schädigung von Privat— 


‚ Interejjen 


vorbeugender Rechtsſchutz gegen künftige 
weitere ſolche Schädigungen verlangt wird; fie iſt auf 


bie 88 823 und 826 BGB. und auf die Behauptung 
unlauteren Wettbewerbs durch falſche Angaben geſtützt, 
worauf ohne Zweifel an ſich ein privatrechtlicher 
Unterlaſſungsanſpruch gegründet werden kann. Auſ⸗ 
hebung eines Gemeinderatsbeſchluſſes iſt nicht begehrt. 

2. Die Klage iſt aber unbegründet. Zunächſt kann 
keine Rede davon ſein, daß das den Kläger ſchädigende 
Vorgehen des Gemeinderates dem Konkurrenzneide 
entſpringe und nur bezwecke, einen Mitbewerber aus 
dem Felde zu ſchlagen. Es entſpringt vielmehr dem 
Beſtreben die Mißſtände zu bekämpfen, die ſich faſt 
überall, wo die Leichenbeſtattung als Gewerbe betrieben 
wird, dadurch ergeben haben, daß der Gemütszuſtand 
der Hinterbliebenen und ihre Pietät gegen den Toten 
die Ausbeutung ihrer Lage durch Verkäufer, Vermittler 
und Zwiſchenperſonen begünſtigen. Der Schutz dieſer 
Perſonen gegen ſolche Gefahren bildet eine Aufgabe, 
wenn nicht der ſtaatlichen, ſo doch der gemeindlichen 
Tätigkeit, weshalb die Förderung unentgeltlicher Be⸗ 
erdigung durch die Gemeinde nicht nur in der Literatur 
erhoben, ſondern vielfach, insbeſondere in der Schweiz, 
auch durchgeführt worden iſt. Auch andere Städte — 
ſo Mannheim und Frankfurt a. M. — haben die Sache 
in ganz ähnlicher Weiſe wie L. geregelt. Hiernach ſteht 
die Regelung durch den Gemeinderat in L. völlig im 
Einklang mit den Anforderungen an eine große Stadt. 

Ein ungeſetzlicher, widerrechtlicher Zwang zur 
Benützung des ſtädtiſchen Sargmagazins liegt bei der 
zuletzt beſchloſſenen Art der Bemeſſung des Nachlaſſes 
im Falle der Nichtlieferung des Sarges durch das 
ſtädtiſche Sargmagazin nicht vor. Denn die Stadt iſt 
befugt, die Gegenleiſtung für die von ihr verkauften 
Gegenſtände nach eigenem Gutdünken feſtzuſetzen. Das 
gleiche muß aber auch für die urſprüngliche Regelung 
gelten, nach der die Stadt von der Taxe nichts nach⸗ 
ließ, falls der Sarg anderswoher bezogen wurde. 
Auch hier lag kein Zwang zur Benützung gemeindlicher 
Särge vor, vielmehr ſtand es jedem frei, den Sarg 
anderswoher zu nehmen. Zur Feſtſtellung einer 
Zwangspflicht hätte es allerdings einer beſonderen 
Rechtsnorm als geſetzlichen Grundlage bedurft. Aber 
eine Zwangspflicht beſtand ſo wenig, wie demjenigen, 
der die Kurtaxe bezahlt, die Zwangspflicht auferlegt 
iſt die täglichen Konzerte zu beſuchen, weil ſonſt die 
Leiſtungen der Kurverwaltung zu teuer wären. Die 
Beklagte verlangte eine Pauſchgebühr und überließ 
es den Leuten, ob ſie die ſämtlichen durch die Gebühr 
gedeckten Leiſtungen beanſpruchen wollen oder nicht. 
Die Beteiligten werden, auch wenn ihnen nur die 
Wahl gelaſſen wird, von der Stadt zu beziehen, die 
Särge von dort nehmen, weil ſie wiſſen, daß die Stadt 
beſſer und billiger liefern kann als der Privatmann. 
Daraus ergibt ſich, wie wenig es eines Zwangs in 
dieſer Richtung bedarf. Durch die Möglichkeit von 
der Stadt zu beziehen, nicht durch einen Zwang iſt 
das Geſchäft des Klägers geſchädigt. Das Verlangen 
aber, die Stadt ſolle teuerer verkaufen, iſt durch nichts 
gerechtfertigt. Die Stadt hat weder eine ausſchließliche 
Gewerbeberechtigung noch ein Zwangs- oder Bann⸗ 
recht erworben, folglich auch den 8 10 Gew. nicht 
übertreten. Hiernach liegt keine zur Schadenserſatz— 
oder Unterlaſſungsklage berechtigende Handlung der 
Beklagten vor, weil ſie weder den eingerichteten 
Gewerbebetrieb des Klägers vorſätzlich oder fahrläſſig 
widerrechtlich verletzt (§ 8231), noch ſchuldhaft gegen 
ein Schutzgeſetz verſtoßen (8 8231), noch vorſätzlich in 
einer gegen die guten Sitten verſtoßenden Weiſe dem 
Kläger Schaden zugefügt hat (8 826). (Urt. vom 
29. März 1911, L. 180/10). V. 

2273 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


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291 


Literatur. 


Lehmann, Dr. jur. Heinrich, Gerichtsaſſeſſor und Privat⸗ 
dozent an der Univerſität Bonn. Der Pro zeß⸗ 
vergleich. X, 258 S. München 1911. C. H. 
Beckſche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck. Mk. 10.—. 

Die zivil⸗ und prozeßrechtlichen Wirkungen des 

Prozeßvergleichs ſind in den letzten Jahren wieder 
Gegenſtand lebhafter Erörterungen geweſen, auch unſere 
Zeitſchrift hat mehrere Abhandlungen über das Thema 
gebracht. Die vielfachen Streitfragen ſind noch keines⸗ 
wegs geklärt. Lehmann liefert zu ihrer Löſung einen 
wertvollen hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Beitrag, der von 
gründlichem Durcharbeiten des Stoffes und von ſelb⸗ 
ſtändigem Urteil zeugt. Bei der Darlegung der Ziele 
und Wege der Unterſuchung kommt der Verfaſſer auch 
auf die ſog. Freirechtslehre zu ſprechen. Seinen ver⸗ 
mittelnden, beſonnenen Ausführungen kann man nur 
beiſtimmen. von der Pfordten. 


Zuwachs ſteuergeſetz, Textausgabe mit alphabetiſchem 
Sachregiſter. 40 S. München 1911, C. H. Beckſche 
Verlagsbuchhandlung Oskar Beck. geb. Mk. —.80. 


Willenbücher, Das Koſtenfeſtſetzungs verfahren 
und die Gebührenordnung für Rechtsan⸗ 
wälte. Siebente, neu bearbeitete Auflage von 
Kammergerichtsrat Dr. P. Simeon und Landrichter 
W. Fiſcher. Berlin 1910, H. W. Müller. 349 S. 

geb. 7 Mk. 
Willenbüchers altberühmtes, dem Richter wie dem 

Anwalt gleichermaßen unentbehrliches Werk iſt nun⸗ 

mehr von berufener Hand wieder auf den Stand der 

gegenwärtigen Geſetzgebung gebracht worden; es galt, 
die Aenderungen zu verarbeiten, die das materielle und 
das formelle Koſtenfeſtſetzungsrecht durch die Geſetze 


vom 1. Juni 1909 und vom 22. Mai 1910 erfuhr, 
Möge der bisherige Erfolg dem Buch auch in Zukunft 
treu bleiben. F. 


Notizen. 


Das Geſetz betreffend den Patentausführungszwang 
vom 6. Juni 1911 (KS Bl. 243). Die Reichsregierung 
iſt ſchon ſeit längerer Zeit mit den Vorarbeiten zu 
einer Umgeſtaltung des geltenden Patentrechts be⸗ 
ſchäftigt. Die Entwickelung des internationalen Rechts 
und wiederholt in der Oeffentlichkeit geäußerte Wünſche 
ließen es jedoch angezeigt erſcheinen mit der Abän⸗ 
derung des 8 11 PatG. unabhängig von dieſer großen 
und ſchwierigen Aufgabe des Reichsgeſetzgebung als⸗ 
bald vorzugehen. 

8 11 PatG. beſtimmte bisher: 

„Das Patent kann nach Ablauf von drei Jahren, 
von dem Tage der über die Erteilung des Patents 
erfolgten Bekanntmachung (8 27 Abſ. 1) gerechnet, 
zurückgenommen werden: 

1. wenn der Patentinhaber es unterläßt, im In⸗ 
lande die Erfindung in angemeſſenem Umfange zur 
Ausführung zu bringen, oder doch alles zu tun, was 
erforderlich iſt, um dieſe Ausführung zu ſichern; 

2. wenn im öffentlichen Intereſſe die Erteilung 
der Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung an andere 
geboten erſcheint, der Patentinhaber aber gleichwohl 
ſich weigert, dieſe Erlaubnis gegen angemeſſene Ver- 
gütung und genügende Sicherſtellung zu erteilen.“ Die 
Patenterteilung gewährt alſo nicht bloß Rechte, ſondern 
legt dem Inhaber des Patents im Intereſſe der All⸗ 
gemeinheit auch Pflichten auf, die Ausführungs- und 
die Lizenzerteilungspflicht, und die Erfüllung dieſer 
Pflichten ſuchte das Geſetz bisher dadurch zu ſichern, 
daß es unter den in 8 11 angegebenen Vorausſetzungen 
eine Zurücknahme des Patentes zuließ. 


292 


Bei der Verpflichtung zur Lizenzerteilung hat es 
auch das Geſetz vom 6. Juni d. Js. belaſſen. Aber im 
Falle der Lizenzverweigerung kann nicht mehr wie 
bisher unter den in 8 11 Ziff. 2 beſtimmten Voraus- 
ſetzungen die Zurücknahme des Patents ausgeſprochen 
werden; man hat gegen dieſe geltend gemacht, daß 
ſie über das Ziel hinausſchieße und berückſichtigungs⸗ 
werte Intereſſen des Patentinhabers ſchädige, insbe⸗ 
ſondere einer erſprießlichen Ausführung und Ent: 
wickelung der Erfindung in der Hand des Patentin⸗ 
1 85 ſelbſt Schwierigkeiten bereite und der ſchikanöſen 

echtsverteidigung im Patentverletzungsprozeß Vor⸗ 
ſchub leiſte. Aus dieſen Gründen hat man an die 
Stelle der Zurücknahme des Patents die Erteilung 
einer Zwangslizenz geſetzt. 8 11 Abſ. 1 lautet in⸗ 
fol gedeſſen jetzt: „Verweigert der Patentinhaber einem 
anderen die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung 
auch bei Angebot einer angemeſſenen Vergütung und 
Sicherheitsleiſtung, ſo kann, wenn die Erteilung der 
Erlaubnis im öffentlichen Intereſſe geboten iſt, dem 
andern die Berechtigung zur Benutzung der Erfindung 
zugeſprochen werden (Zwangslizenz). Die Berechtigung 
kann eingeſchränkt erteilt und von Bedingungen ab⸗ 
hängig gemacht werden.“ Die Motive heben aus⸗ 
drücklich hervor, daß in Uebereinſtimmung mit dem 
bisherigen Recht eine Entſcheidung gegen den Patent: 
inhaber nur zuläſſig ſein ſolle, wenn ein öffentliches 
Intereſſe beſtehe. „Ein ſolches Intereſſe wird dann 
anzuerkennen ſein, wenn die Vorteile einer Erfindung, 
die dem gewerblichen Leben wertvolle Dienſte leiſten 
kann, dieſem gefliſſentlich vorenthalten werden, oder 
wenn die Benützung einer für das Gewerbe nützlichen 
Erfindung an unverhältnismäßig läſtige Bedingungen 
1 wird. Hierzu treten die Fälle, daß durch die 

us führung der Erfindung in der Hand eines einzelnen 
der Beſtand ganzer Induſtriezweige bedroht wird oder 
der Lizenzbedürftige ſich gehindert ſieht, eine ihm ſelbſt 
patentierte, von dem Patente des andern abhängige, 
für die Allgemeinheit nützliche Erfindung zu verwerten.“ 
Nach dem Schlußſatze des Abſ. 1 kann die Lizenz das 
ganze Patent oder nur einen Teil umfaſſen, ſie kann 
örtlich und zeitlich begrenzt ſein, die Verwertung der 
Erfindung dem Lizenznehmer nur für den eigenen 
Betrieb freigeben oder auch in fremden Werkſtätten 
geſtatten uſw. 

Von größerer Bedeutung als die Aenderung des 
geltenden Rechtes hinſichtlich der Verpflichtung zur 
Lizenzerteilung iſt die Aenderung hinſichtlich der Aus 
führungspflicht (Ziff. 1 in der bisherigen Faſſung des 
8 11). Der Ausführungszwang des bisherigen Rechts 
iſt aus verſchiedenen Gründen lebhaft angefochten 
worden. Er hatte ſchließlich infolge des mit den Ver⸗ 
einigten Staaten von Amerika geſchloſſenen Abkommens 
vom 23. Februar 1909 dahin geführt, daß unſere 
deutſche Induſtrie bei uns rechtlich ſchlechter geſtellt 
war als die amerikaniſche. Nach dieſem Abkommen 
finden die in den Geſetzen des einen vertragſchließenden 
Teiles enthaltenen Vorſchriften, wonach bei Nichtaus⸗ 
führung eines Patents die Zurücknahme oder eine 
ſonſtige Beſchränkung des Rechtes vorgeſchrieben iſt, 
auf die den Angehörigen des anderen Teils gewährten 
Patente nur in dem Umfange der von dieſem Teile 
ſeinen eigenen Angehörigen auferlegten Beſchränkungen 
Anwendung. Amerika legt aber ſeinen Angehörigen 
keinen Ausführungszwang auf; die Erwartung, die 
man auf deutſcher Seite bei Abſchluß des Ueberein— 
kommens von 1909 hegte, daß es das tun werde, hat 
ſich nicht erfüllt. Infolgedeſſen war in Deutſchland 
der Deutſche dem Ausführungszwang unterworfen, der 
Amerikaner aber davon befreit. Dieſer Mißſtand 
führte zwar nicht zu einer Beſeitigung des Ausführungs— 
zwangs, wohl aber zu einer ſehr weſentlichen Ein— 


— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


ſchränkung; Abſ. 2 des 8 11 beſtimmt jetzt: „Das 
Patent kann, ſoweit nicht Staatsverträge entgegen⸗ 
ſtehen, zurückgenommen werden, wenn die Erfindung 
ausſchließlich oder hauptſächlich außerhalb des Deutſchen 
Reichs oder der Schutzgebiete ausgeführt wird.“ Die 
Unterlaſſung der Ausführung eines Patentes im In⸗ 
lande wird ſomit in Zukunft für ſich allein keinen 
Anſpruch auf Zurücknahme des Patentes begründen, 
ſondern nur dann, wenn die Erfindung ausſchließlich 
oder hauptſächlich außerhalb des Deutſchen Reiches 
oder der Schutzgebiete ausgeführt wird, und auch dann 
nur, wenn nicht Staatsverträge entgegenſtehen. Die 
Vorſchrift kommt alſo nicht zur Anwendung, wenn 
die Erfindung in einem Staat ausgeführt wird, der 
mit dem Reiche vereinbart hat, daß die Ausführung 
in dem Gebiete des einen vertragſchließenden Teiles 
der Ausführung in dem Gebiete des anderen gleich⸗ 
ſtehen ſoll (Italien, Schweiz, die Vereinigten Staaten 
von Amerika). Dagegen iſt die Vorſchrift von Be⸗ 
deutung als Retorſionsmaßregel gegenüber Staaten, 
in denen unſere eu dem Ausführungszwang 
unterliegt. Es ſoll verhindert werden, daß z. B. ein 
Engländer durch die Erwirkung eines deutſchen Patents 
die Ausnützung ſeiner Erfindung in Deutſchland verbieten 
kann, ſelbſt aber die Ausführung nur im Ausland vor- 
nimmt und von dort aus den deutſchen Markt verſorgt, 
während unſere Induſtrie in England Jabriken gründen 
muß, um des dort erwirkten Patentſchutzes nicht ver⸗ 
luſtig zu gehen. In der Reichstagskommiſſion hat 
man gefürchtet, es könne der Verſuch gemacht werden, 
den Ausführungszwang zu umgehen, indem z. B. der 
engliſche Inhaber eines deutſchen Patents es zu dieſem 
Zweck auf einen dem Ausführungszwange nicht unter⸗ 
liegenden amerikaniſchen Fabrikanten übertrage. Man 
hat deshalb in den Abſ. 2 des neuen $ 11 als zweiten 
Satz die Beſtimmung aufgenommen: „Die Uebertragung 
des Patents auf einen anderen iſt inſofern wirkungs⸗ 
los, als ſie nur den Zweck hat, der Zurücknahme zu 
entgehen.“ 

Die Unterlaſſung der 1 eines Patents 
im Inlande bietet, wie ſchon hervorgehoben, an ſich 
keinen Grund mehr zur Zurücknahme des Patents. 
Ergeben ſich aus der Unterlaſſung der Ausführung 
Nachteile für die Allgemeinheit, ſo kann nach Abſ. 1 
nötigenfalls durch die Erteilung einer Zwangslizenz 
geholfen werden. Aber dies iſt nicht der einzige Zweck 
des Lizenzzwanges. Er kann Platz greifen, auch wenn 
der Patentinhaber ſein Patent im Inland ausführt, 
und er gilt dem vom Ausführungszwange befreiten 
inländiſchen oder ausländiſchen Patentinhaber gegen⸗ 
über ſo gut wie gegenüber dem anderen, der ihm noch 
unterliegt. 

Die Erteilung einer Zwangslizenz ſowohl wie 
die Zurücknahme eines Patentes können nicht vor 
Ablauf von drei Jahren ſeit der Bekanntmachung der 
Erteilung des Patentes erfolgen (Abſ. 3 des neuen 
8 11); außerdem ſoll gegen Angehörige der Pariſer 
Union nach Ziff. 3b des Brüſſeler Schlußprotokolls 
die Zurücknahme nur dann ausgeſprochen werden 
können, wenn der Patentinhaber Gründe für ſeine 
Untätigkeit nicht dartut. Auf das Verfahren und die 
Entſcheidung über die Erteilung der Zwangslizenz 
finden nach Art. II des Geſetzes vom 6. Juni d. Js. 
die Vorſchriften des Patentgeſetzes über die Zurück— 
nahme des Patents (8325 ff.) Anwendung. Art. III 
beſeitigt die Vorſchrift in §8 30 Abſ. 3 Pat., die 
nicht mehr praktiſch werden wird. Nach Art. IV tritt 
das Geſetz am 1. Juli d. Js. in Kraft. 2292 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 14 u. 15. 14 u. 15. 


München, de den 1. Auguſt 1911. 


7. Jahrg. 


Zeitſchrift für Nechtapflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 

im N von mindeſtenz 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
1 falt Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und J. 
oſtan 8 


in Bayern 


Berlag von 
2. Schweitzer Verlag 
(Arthur Seller) 
München und Berlin. 


nd Expedition lat 1. 
en 130 Big. für die elbe 7 8 „delt lle 
oder 0. 8 aum. Bel reed Ka Et ellenanzelgen 
Beilagen nach Uebereinku 


Nachdruck verboten. 293 


Die neuen baheriſchen Vorſchriften über das 
Verfahren der zuſtizbehörden in Vegnadi⸗ 
gungs- und Strafaufſchubsſachen. 
Von J. Bleyer, II. Staatsanwalt in München. 


(Schluß.) 
IX. 


Die Streitfrage, wann die Strafhaft beginnt, 
beantwortet die Bekanntmachung für den Bereich 
ihrer Vorſchriften wie die bisherige Praxis (. 
dagegen Kreß, Ueber die Grenzen von Unter⸗ 
ſuchungshaft und Strafhaft, BayrziR. 1906 
S. 409 f.). Strafhaft iſt nach $ 11 Abſ. III die 
Haft des Verurteilten ſeit der Aufnahme in die 
Strafanſtalt oder in das Gefängnis, wo er die 
Strafe zu verbüßen hat. War er in dem Ge— 
fängnis, in dem die Strafe zu vollſtrecken iſt, 
bisher in Unterſuchungshaft, ſo gilt als Strafhaft 
die Haft ſeit der Vollziehung des Strafvoll: 
ſtreckungsbefehls. Die genaue Begriffsfeſtſtellung 


Geſuch nach dem Sinne und Zwecke des 8 11 
Abſ. III als Bitte um Strafunterbrechung zu be⸗ 
handeln ſein. Der bekannte Streit über die Be⸗ 
rechnung der Strafzeit ſpielt hier keine Rolle. 


X. 


Die Vorſchriften über die vorläufige Unter⸗ 
brechung der Strafhaft in dringenden Fällen 
haben eine durchgreifende Aenderung erfahren 
(8 12). Die bisherigen veralteten Vorſchriften 
waren ſchon bei der Abgrenzung der Zuſtändig⸗ 
keit unklar und trugen den Bedürfniſſen der 
Praxis nicht genügend Rechnung. Der $ 12 ſtellt 
zunächſt die Gefängnisinſpektoren bei der Bewilli⸗ 
gung der vorläufigen Unterbrechung den übrigen 
Gefängnisvorſtänden gleich. Außer den Gefäng⸗ 
nisvorſtänden dürfen jetzt auch die Vorſtände der 
Strafanſtalten unterbrechen. Die Unterbrechung 
iſt zulaͤſſig „in beſonders dringenden Fällen“; 
daß ein wirtſchaftlicher Notſtand vorliegt, iſt 
nicht mehr Vorausſetzung. Das Ermeſſen der 
Behörde hat hier einen ziemlich weiten Spielraum. 


iſt beſonders für die Fälle bedeutſam, in denen Beſondere Vorſicht wird geboten ſein, wenn der 
gezweifelt werden könnte, ob der Verurteilte um | Reit der Strafe noch groß oder der Gefangene 
Strafaufſchub oder um Strafunterbrechung bittet. | der Flucht verdächtig it. Die „nachträgliche Ge⸗ 
auſſc 155 in 15 1 0 1 | an 18 A 1 nicht 
aufihub noch mögli r Perſonen, die na mehr eingeholt. n ihre Stelle iſt kurze un⸗ 
81 Abſ. 4 der Hausordnung für die bayeriſchen mittelbare Berichterſtattung des Gefängnisvor— 


Strafanſtalten in der Strafanſtalt vorläufig ver⸗ 
wahrt werden, weil gegen ihre Aufnahme Bedenken 
beſtehen, oder für Perſonen, die zwar ſchon in dem 
Gerichtsgefängniſſe verwahrt werden, in dem die 
Strafe zu vollſtrecken ift, aber dort als Strafgefangene 
noch nicht aufgenommen ſind. Wird ein Straf— 
gefangener unter Einrechnung der Strafe, die er 
verbüßt, nachträglich zu einer Geſamtſtrafe ver: 
urteilt und bittet er, die Vollſtreckung der Geſamt⸗ 
ſtrafe (d. h. ihres Reſtes) auszuſetzen, ſo wird ſein 
Geſuch nur dann als Strafaufſchubsgeſuch zu 
gelten haben, wenn er zur Verbüßung des Straf— 
reſtes an einen anderen Strafort gebracht 
werden muß und dorthin noch nicht abgeliefert 


iſt. Bleibt er am gleichen Strafort, jo wird das fangene, 


ſtandes oder des Vorſtandes der Strafanſtalt ohne 
Vorlegung der Akten getreten. Iſt die Ent⸗ 
ſcheidung nicht beſonders dringend, ſo wird vor der 
Unterbrechung an das Juſtizminiſterium berichtet, 
nötigenfalls unmittelbar. Das gleiche gilt, wenn 
der Gefängnisvorſtand oder der Vorſtand der 
Strafanſtalt keinen Anlaß findet, die erbetene 
Unterbrechung zu bewilligen. Er darf demnach 
zwar die Unterbrechung in den dafür vorge— 
ſehenen Fällen ſelbſtändig bewilligen, aber er 
kann das Geſuch um Unterbrechung nicht durch 
Abweiſung erledigen. In der Regel darf auf 
Grund des § 12 Abſ. J nur auf beſtimmte kurze 
Zeit unterbrochen werden. Beantragt der Ge— 
ihn wegen eines Todesfalles in der 


294 


Familie u. dgl. für längere Zeit, z. B. für die 
Erntezeit, zu entlaſſen, ſo hat der Gefängnisvor⸗ 
ſtand oder der Vorſtand der Strafanſtalt, wenn 
er die Vorausſetzungen der vorläufigen Unter⸗ 
brechung für gegeben hält, vorübergehende Unter⸗ 
brechung zur Teilnahme an der Beerdigung und 
zur Beſorgung der dringendſten Geſchäfte zu be⸗ 
willigen und dafür zu ſorgen, daß der Antrag 
auf weitere Unterbrechung von der zuſtändigen 
Behörde (8 3 Abſ. II) möglichſt ſchleunig behan⸗ 
delt und dem Juſtizminiſterium vorgelegt wird. 
Das gleiche iſt zur Beſeitigung von Zweifeln im 
8 13 ausdrücklich für den Fall vorgeſchrieben, 
daß nach der vorläufigen Unterbrechung gebeten 
wird, die Zeit der Beurlaubung zu verlängern. 

Das Vorrecht des Oberſtaatsanwalts in Zwei⸗ 
brücken, Strafunterbrechung zu bewilligen, iſt in 
der Bekanntmachung nicht aufrechterhalten, alſo 
beſeitigt (ſ. $ 33). 

Die Vorſchriften über die Unterbringung kranker 
Gefangener in Heilanſtalten wurden durch $ 12 
nicht berührt. 

Die Unterbrechung der Strafvollſtreckung gegen 
ſchwangere Perſonen vollzieht ſich im all⸗ 
gemeinen nach dem bisherigen Verfahren (§ 14). 
Es iſt aber ausdrücklich geſagt, daß nur dann 
unterbrochen werden ſoll, wenn die Entbindung 
nicht am Strafort erfolgen kann. Soll die Ge⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


fangene in eine vom Straforte getrennte Ent: 


bindungsanſtalt ohne Strafunterbrechung verbracht 
werden, ſo kann dies der Vorſtand des Gerichts— 
gefängniſſes (. 888 V HO. für die GG.) und, 
wenn die Strafe in einer Strafanſtalt verbüßt 
wird, das Miniſterium als Aufſichtsbehörde (ſ. 
§ 44 1 HO. für die Strafanſtalten) anordnen. 
Die Bekanntmachung vom 25. März 1871 (JM Bl. 
S. 67), die den Oberſtaatsanwalt für zuſtändig 
erklärte, gilt in dieſer Hinſicht nicht mehr. 


XI. 


Ueber die Anwendung des § 487 StPO. gibt 
die Bekanntmachung zunächſt Vorſchriften, die 
hauptſächlich das Verfahren betreffen (§S 15), dann 
beſondere Vorſchriften über die Vollſtreckung gegen 
ſchwangere Perſonen und gegen ſtillende Mütter 
(SS 16, 17). In dieſen Fällen müſſen die Inter— 
eſſen der Strafrechtspflege mit dem Intereſſe an 
der Aufrechterhaltung der Ordnung in den Straf— 
anſtalten und Geſängniſſen in Einklang gebracht 
werden. Können ſich die Vollſtreckungsbehörde 
und der Vorſtand des Gerichtsgefängniſſes oder 
der Strafanſtalt wegen der Aufnahme einer 
Schwangeren nicht einigen, ſo ruft die erſtere die 
Entſcheidung der Aufſichtsbehörde (für ein Gerichts— 
gefängnis des zuftändigen Oberſtaatsanwalts, § 24 
HO. f. d. GG., für eine Strafanſtalt des Mini— 


— — ͤ . — — K- — ä— 


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ſteriums) an. Stillende Mütter können mit ihren 
Säuglingen ausnahmsweiſe in ein Gerichtsge- 


fängnis aufgenommen werden. Das Miniſterium 
kann unter Umſtänden geſtatten, daß die Strafe, 


die eine ſtillende Mutter in der Strafanſtalt zu 
verbüßen hätte, bis zur Entwöhnung des Kindes 
in einem geeigneten Gerichtsgefängniſſe vollſtreckt 
wird ([. C VII der Bekanntmachung vom 
28. Januar 1903, JIM Bl. S. 42). 


XII. 


In der Zuſtändigkeit zur Entſcheidung über 
Strafaufſchub in anderen Fällen als nach $ 487 
StPO. und zur Stundung der Zahlung von 
Geldſtrafen hat ſich nichts geändert. Die Befugnis 
der Oberſtaatsanwälte, über die Geſuche und die 
Beſchwerden zu entſcheiden, deren Erledigung früher 
dem Juſtizminiſterium vorbehalten war, gründet 
ſich auf die allerhöchſte Entſchließung vom 11. De⸗ 
zember 1910 und die Bekanntmachung vom 17. De⸗ 
zember 1910 (JMBl. S. 1031), deren Vorſchriften 
in die neue Bekanntmachung eingearbeitet ſind. 
Um Aufſchub „auf unbeſtimmte Zeit“ (§ 18 Abſ. III) 
wird auch dann gebeten, wenn der Verurteilte im 
Anſchluß an die Anzeige gegen einen Zeugen 
wegen Verletzung der Eidespflicht ſpäter ein Wieder: 
aufnahmeverfahren betreiben will und bis dahin 
mit der Strafvollitredung verſchont ſein möchte. 
Das gilt auch dann, wenn er in der Annahme, 
das Verfahren wegen der oe werde 
bis dahin erledigt ſein, vorläufig Aufſchub bis zu 
einem benannten Zeitpunkt erbittet. Denn es läßt 
ſich nie vorausſehen, wie lange das Verfahren 
dauern wird. 


Nach $ 20 ſoll das während der Vollſtreckung 
einer Strafe geſtellte Geſuch um Ausſetzung der 
Vollſtreckung einer Anſchlußſtrafe nicht als Geſuch 
um Strafunterbrechung, ſondern als Geſuch um 
Strafaufſchub behandelt werden. Wenn aber ſchon 
angeordnet wurde, daß die Anſchlußſtrafe ohne 
Rückſicht auf Geſuche um Aufſchub vollſtreckt werde, 
und deshalb die Vollſtreckung trotz des Geſuchs 
eingeleitet wurde, ſtellt ſich die Bitte ſelbſtverſtänd⸗ 
lich als Geſuch um Strafunterbrehung und damit 
als Begnadigungsgeſuch dar (ſ. $ 11 Abſ. J). 

Beſonderen Wert legt die Bekanntmachung wie 
§ 78 der Dienſtvorſchriften für die Staatsanwalt: 
ſchaften darauf, daß die Straſvollſtreckung nicht 
grundlos verzögert wird. Den häufigen Verſuchen, 
die Vollſtreckung durch Aufſchubsgeſuche ungebühr— 
lich zu verſchleppen, iſt deshalb entſchieden entgegen⸗ 
zutreten durch die raſche Behandlung der Geſuche 
um Aufſchub, durch das Unterlaſſen unnötiger Er— 
hebungen und durch die Prüfung, ob ſich der Ver— 
urteilte nicht ſchon bisher durch die Stellung 
anderer Anträge Auſſchub mehr als genügend ver: 
ſchafft hat. Beſonders wenn es ſich um kurze 
Freiheitsſtrafen oder geringe Geldſtrafen handelt, 
die der Verurteilte bei gutem Willen ſchon hätte 
verbüßen oder zahlen können, wird ſich oft die 
ſofortige Abweiſung des Geſuchs empfehlen (ſ. $ 23 
Abſ. J). Die Strafe ſoll ein Uebel fein und von 
dem Verurteilten empfunden werden. Es iſt ver— 


Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 295 


ſich ihm möglichſt wenig fühlbar zu machen. zuſtändig iſt. Die Vorſchriften der 88 23, 26, 27 
Die Entſcheidung über das Geſuch wird in machen dieſem Treiben ein Ende. Der Ober⸗ 
Urſchrift zu den in § 25 Abſ. II bezeichneten ſtaatsanwalt kann bei Geſuchen um Aufſchub oder 
Akten genommen ($ 24 Abſ. I). Die Oberſtaats⸗ Stundung die ſofortige Vollſtreckung anordnen 
anwälte ſühren alſo keine eigenen Akten über die ohne Unterſchied, ob er für die Entſcheidung über 
Strafaufſchubsſachen, in denen ſie entſcheiden. Die das Geſuch zuſtändig iſt oder ob eine Beſchwerde 
Verwendung von Formblättern iſt ſelbſtverſtändlich vorliegt. In dem obigen Falle hat jetzt der 
nicht ausgeſchloſſen, ſondern empfehlenswert. Wird Staatsanwalt an den Oberſtaatsanwalt zu be⸗ 
dem Geſuch entſprochen, ſo erhält die Entſcheidung richten und ſich die Ermächtigung zur ſofortigen 
keine Begründung. Wird dem Geſuche nicht oder Straſfvollſtreckung zu verſchaffen. 
nur teilweiſe entſprochen, ſo ſind die Gründe da⸗ 
für in der Form einer kurzen Aktennotiz anzugeben. 
Das au 1 nn einigen 1105 8 1 
Die Begründung ſoll den vorgeſetzten Behörden, n i g 
ae 1 u. . 9 05 die engliſche Ger ichtsverfaſſung. 
ienſtaufſichtlich prüfen, klar machen, warum das j f 
Geſuch abgewieſen wurde. Den Beteiligten wird Von Oberlandesgerichtsrat Frhr. v. Richthofen in Jena. 
nur die Entſcheidung, nicht auch die Begründung Der Oberbürgermeiſter von Frankfurt a. M. 
eröffnet (ſ. $ 25 Abſ. I). Im übrigen iſt von | Dr. Adickes war im Jahre 1906 in einer Rede 
der Eröffnung der Eniſcheidung unter VI die Rede im preußiſchen Herrenhauſe und einer Schrift: 
geweſen. „Grundlinien durchgreifender Juſtizreform“ mit 
Auch in den neuen Vorſchriften über das der Forderung hervorgetreten, eine Reform der 
Beſchwerdeverfahren und die Anordnung der jo: deutſchen Rechtspflege unter Verwertung engliſch⸗ 
fortigen Strafvollſtreckung durch den Oberftaats: ſchottiſcher Rechtsgedanken anzubahnen. Er ſelbſt 
anwalt ($S 26, 27) kommt der Gedanke zum bezeichnete als eine Hauptaufgabe, zu der er im 
Ausdrucke, daß die Strafvollitrefung bei aller Intereſſe der Erreichung ſeines Zieles anregen 
Wahrung berechtigter Intereſſen raſch und nad: ! wollte, ein ſorgfältiges Studium der Verfaſſung 
drücklich durchgeführt werden ſoll. der engliſch⸗ſchottiſchen Gerichte und ihres Ver⸗ 
Beſchwerdeinſtanz iſt der Oberſtaatsanwalt. fahrens in Zivil- und Strafſachen, damit man 
Er entſcheidet über die Beſchwerden gegen die daraus Ergebniſſe für die Löſung der großen 
Entſcheidungen des Staatsanwalts ohne Rückſicht Reformfragen in unſerer Rechtspflege gewinnen 
darauf, ob es ſich um eine amtsgerichtliche oder möge (Grundlinien S. 148). Der rege Meinungs: 
eine landgerichtliche Sache handelt. Eine fürm: austauſch, der ſich an die Adickesſchen Vorſchläge 
liche Beſchwerde gegen die Entſcheidungen, die der anſchloß, hat dem ordentlichen Profefſor der Rechte 
Oberſtaatsanwalt auf Grund der allerhöchſten | an der Univerfität Jena und akademiſchen Rat 
Ermächtigung (8 18 Abſ. III) oder im Beſchwerde⸗ am dortigen Oberlandesgericht Dr. Heinrich B. 


kehrt, wenn die Straſvollſtreckung darauf ausgeht erſchöpft waren, innerhalb deren der Staatsanwalt 
| 
| 


verfahren trifft, iſt nicht vorgeſehen. Das Yuftiz: Gerland den äußeren Anlaß geboten, das ein: 
miniſterium kann aber jederzeit die Akten prüfen ſchlägige Tatſachenmaterial zuſammenzutragen, ohne 
und dienſtaufſichtliche Weiſungen geben. Dem das ja die Prüfung der Frage, ob eine Anlehnung 
Mißbrauche des Beſchwerdeverfahrens zur Der: der deutſchen Gerichtsorganiſation an die engliſchen 
ſchleppung der Vollſtreckung iſt durch die Ein⸗ Einrichtungen ausführbar und empfehlenswert ſein 
ſchränkung der aufſchiebenden Wirkung von Be: würde, unmöglich iſt. Nachdem er wiederholt 
ſchwerden vorgebeugt. längere Zeit in England zugebracht und mit nam— 
Die Vorſchriften über die Anordnung der haften Kennern des engliſchen Rechtslebens Fühlung 
ſofortigen Straſvollſtreckung und die Verſagung geſucht und gefunden, auch ſchon mehrfach in Vor: 
der aufſchiebenden Wirkung von Geſuchen waren trägen und kleineren Veröffentlichungen (nament— 
bisher lückenhaft. Wer mit den Lücken vertraut lich: „Die engliſche Gerichtsverfaſſung in ihrer 
war, konnte die Strafvollſtreckung leicht verzögern. gegenwärtigen Entwicklung und die deutſche Ge— 
Ein beliebtes Mittel war es, nach der Abweiſung richtsreform“, 1908) ſich über die Rechtseinrich⸗ 
eines Geſuchs nach $ 488 StpoO. ſofort ein tungen jenſeits des Kanals ausgeſprochen hatte, 
neues mit anderer Begründung vorzulegen. Da hat er ein umfangreiches Werk!) erſcheinen laſſen, 
darin in der Regel eine Beſchwerde gegen die von dem man wohl ſagen darf, daß es die gründ— 
ablehnende Entſcheidung nicht gefunden werden lichſte Bearbeitung der engliſchen Gerichtsverfaſſung 
konnte, hatte der Staatsanwalt auch über das darſtellt, die bisher aus der Feder eines deutſchen 
zweite Geſuch zu entſcheiden. Sofortige Voll: en 
ſtreckung konnte er nicht anordnen; er mußte jogar BFFFFJVUV»¶ͤ m ee 
damit rechnen, daß noch vor der Einleitung des (ietzt Abe che Profeſſor an der Univerſität Jena. 
Vollzugs das dritte Geſuch uſw. eintreffe. So gel Halbbände. 1020 Seiten mit Sachregiſter. Leipzig, 
ging es nicht ſelten fort, bis die vier Monate [G. J. Göſchenſche Verlagshandlung 1910. 


1) Die engliſche Gerichtsverfaſſung. Eine ſyſtema— 


Gelehrten gefloſſen iſt. In der Tat wird jeder, 
der ſich in das Studium des verwickelten und für 
uns zunächſt völlig undurchſichtigen Rechtsgebiets, 
das Gerland zu ſchildern unternommen hat, ver⸗ 
tieft, feſtſtellen müſſen, daß ein bedeutender Fleiß 
dazu gehört hat, die grundlegenden Kenntniſſe zu 
ſammeln und zu verarbeiten. Die Arbeit dürfte 
deshalb beſonders ſchwierig geweſen ſein, weil es 
ſich um die Erforſchung der Einrichtungen eines 
fremden Landes handelt, und weil man bei dem 
Fehlen jeder Kodifikation darauf angewieſen iſt, 
aus vielen Geſetzen von alter und neuer Zeit und 
nicht zuletzt aus den Gerichtsgebräuchen das gel⸗ 
tende Recht zu ermitteln. Anerkennung verdient 
gewiß das von Gerland in ſeinem Vorwort be⸗ 
zeugte Entgegenkommen der engliſchen Behörden, 
insbeſondere des Lord Chief Justice, und her⸗ 
vorragender Vertreter der Anwaltſchaſt; ohne dieſes 
wären die Schwierigkeiten wohl kaum zu über⸗ 
winden geweſen. Wollte ein Ausländer unſere 
Gerichtsverfaſſung darſtellen, jo würde er an der 
Hand des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes und ſeiner 
Nebengeſetze ſicherlich eine ſehr viel leichtere Auf⸗ 
gabe haben. 

Der Zweck dieſer Abhandlung iſt, den Leſerkreis der 
Zeitſchrift mit dem Buche bekannt zu machen und 
ihn zugleich über die Grundzüge der engliſchen 
Gerichtsverfaſſung genauer zu unterrichten. Es 
verlohnt ſich dies ſicherlich, denn das in dem Ger— 
landſchen Werke niedergelegte Studienergebnis 
entſpricht durchaus der aufgewendeten Mühe. Ein 
Gang durch das von ihm bearbeitete Rechtsgebiet 
an der Hand ſeiner Einteilung wird dies beſtätigen. 

Im I. Halbbande werden die ordentlichen 
Gerichte behandelt, zunächſt die niederen (SS 1— 10, 
S. 1— 281), dann die höheren (SS 11 — 25, 
S. 282 612). Zuvörderſt nimmt die Dar: 
ſtellung der Friedens gerichte einen breiten 
Raum ein (S. 3— 165). Das Amt des Friedens— 
richters (Justice of the Peace) iſt ein Ehren: 
amt und erfordert keine juriſtiſche Vorbildung, 
doch ſteht jedem Friedensrichter ein rechtsgelehrter 
Bürobeamter (Clerk) zur Seite. Sehr intereſſant 
iſt die geſchichtliche Entwicklung (S. 3 ff.) des 
unter Eduard III. (1327-1377) begründeten 
Amtes: ſein urſprünglich ariſtokratiſcher Charakter 
wurde ſeit der Mitte des 19. Jahrhunderts all— 
mählich demokratiſiert, namentlich durch die Justice 
of the Peace Act von 1906, die das frühere 
Erfordernis eines Mindeſteinkommens für die Er— 
neunung zum Friedensrichter beſeitigte und dadurch 
den Zugang zu dieſem Amte auch den unbe— 
mittelten Schichten der Bevölkerung öffnete. Die 


PERL. ; er gr f 7Std 
Zuſtändigkeiten des Friedensrichters ſind dagegen schließlich in der weitgehenden Beſchäftigung des 


im Laufe der Zeit mehr und mehr eingeſchränkt 
worden. 
leichteſten Deliktsfällen (S. 46 f.), als Mitglied 
der aus mindeſtens zwei Friedensrichtern beſtehen— 
den Petty Sessions, die die große Maſſe der 
kleineren Straftaten des täglichen Lebens abzu— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. | 


I 
} 


| 


Er wird tätig: als Einzelrichter bei den, 


urteilen haben und daneben noch eine beſchränkte 
adminiſtrative und zivilrechtliche Zuſtändigkeit be⸗ 
ſitzen (vergl. S. 20 ff.), endlich als Mitglied der 
Richterbank bei den periodiſch (meiſt vierteljährlich) 
abgehaltenen Quarter Sessions, die teils mit teils 
ohne die Jury der Geſchworenen über die Delikte 
von mittlerer Schwere verhandeln (S. 47 ff.). 
Auf S. 70 ff. bringt Gerland intereſſante Mit⸗ 
teilungen über die Zuſammenſetzung der Jury, 
namentlich über die Beteiligung der verſchiedenen 
Bevölkerungsſchichten am Geſchworenenamte, und 
unterzieht die gegenwärtigen Zuſtände einer ein⸗ 
gehenden Kritik. 

In den Städten hat die Verfaſſung der 
Friedensgerichte weſentliche Modifikationen er⸗ 
fahren, die ſich hauptſächlich in der Richtung be⸗ 
wegen, daß man an Stelle des Laienrichters den 
gelehrten, an Stelle des ehrenamtlichen den be⸗ 
amteten Richter geſetzt hat. Wir finden hier den 
Polizeirichter (Stipendiary Magistrate), der vor 
ſeiner Ernennung durch die Krone mindeſtens 
ſieben Jahre Barriſter geweſen ſein muß; er wird 
vielfach unter Zuziehung von ehrenamtlichen 
Friedensrichtern als primus inter pares tätig, 
ſo daß ein unſeren Schöffengerichten ähnliches Ge⸗ 
bilde entſteht (S. 112). Das Nähere iſt im 8 6 
(S. 104 ff.) dargeſtellt. 


Im folgenden Paragraphen behandelt Gerland 
die gegenwärtige Entwickelung der Friedensgerichte 
und gibt Ausblicke in die Zukunft. Er legt dar, 
daß man bei der bunten Fülle von Einzelerſchei⸗ 
nungen, die der gegenwärtige Rechtszuſtand auf: 
weiſt, nicht davon ſprechen kann, daß eine durd): 
greifende Reform des alten Inſtituts bereits durch⸗ 
geführt ſei, und daß daher die jetzt in England 
beſtehende Reſormbewegung gegen die Friedensge— 
richte ihren guten Grund hat. Dieſe richtet ſich 
in erſter Linie gegen die Rechtſprechung der Friedens⸗ 
richter und wird publiziſtiſch beſonders von dem 
Abgeordneten Labouchère in ſeiner Wochenſchrift 
„Truth“ vertreten (S. 145 Anm. 4). In der 
Hauptſache fordert man Aufhebung der Differenzie⸗ 
rung zwiſchen Stadt und Land und einheitliche 
Gerichtsorganiſation für beide unter Zurückdrängung 
des Laienrichtertums, ſowie Beſeitigung der ver— 
waltungsrechtlichen Funktionen der Friedensrichter. 
Trotz der Reformbedürftigkeit der Verhältniſſe 
wird ein Eingreifen der Geſetzgebung vorausſicht— 
lich noch lange auf ſich warten laſſen. Der Ver⸗ 
faſſer ſieht die Gründe hierfür „einmal in einer 
gewiſſen Indolenz der öffentlichen Meinung gegen: 
über beſtehenden Mißſtänden, ferner in der kon— 
ſervativen Freude der Engländer am Hergebrachten, 


Parlamentes mit der äußeren und inneren Staats— 
verwaltung“ (S. 162). 

Liegt das Schwergewicht der friedensrichterlichen 
Tätigkeit auf dem Gebiete des Strafrechts, Jo haben 
die Grafſchaftsgerichte (County Courts) 


ihre Bedeutung in der Zivilgerichtsbarkeit erſter 
Inſtanz. Auch dieſe Gerichte reichen mit ihren 
Wurzeln in alte Zeiten zurück. Die Lokalgerichte 
der Sheriffs der vornormanniſchen Zeit wurden in 
der normanniſchen Periode im Sinne einer Zen⸗ 
traliſierung umgeſtaltet; ſchon im 14. Jahrhundert 
iſt dieſe Entwickelung ſoweit gediehen, daß alle er⸗ 
heblicheren Zivilklagen bei den Londoner Gerichten 
angebracht werden müſſen, während den Gerichten 
der Sheriffs nur noch die Zuſtändigkeit für Sachen 
im Streitwerte bis zu 40 shillings verbleibt. Die 
Folge war die Entſtehung zahlreicher lokaler Son⸗ 
dergerichte, die in einem ſehr verſchiedenartigen Ver⸗ 
hältniſſe zu den Gerichten der Hauptſtadt ſtanden. 
Nachdem ſich die Unhaltbarkeit dieſer Zuſtände 
immer mehr offenbart, und eine lebhafte Reform⸗ 
bewegung eingeſetzt hatte, entſchloß ſich endlich im 
Jahre 1846 die Geſetzgebung zum Eingreifen. Das 
Ergebnis war die Schaffung neuer Gerichtshöfe 
mit Bezirken, die ganz England umfaßten, und 
mit einheitlicher Regelung des Verfahrens und der 
Anſtellungsverhältniſſe. Man legte ihnen die alte 
Bezeichnung der County Courts bei und unter⸗ 
ſcheidet nun in der engliſchen Literatur den mo⸗ 
dernen Statutory County Court von dem alt⸗ 
hiſtoriſchen Common Law County Court. Seit 
1846 hat die Zuſtändigkeit der neuen Gerichte 
durch eine Reihe von Geſetzen eine bedeutende Er⸗ 
weiterung erfahren, wodurch die Lokaliſierung der 
Rechtspflege ſtarke Fortſchritte gemacht hat. 
Gerland beſpricht im § 8 (S. 165 ff.) die Ent⸗ 
ſtehung und Bedeutung der Grafſchaftsgerichte und 
das Problem ihrer Weiterentwickelung, das in der 
vollſtändigen Lokaliſierung der erſtinſtanzlichen Zivil⸗ 
rechtspflege einerſeits und in der Abtrennung der 
Bagatellſachen andererſeits gipfelt. Das Haupt⸗ 
hindernis dieſer Fortentwickelung iſt das „heute 
längſt innerlich überlebte” Circuitſyſtem (S. 183), 
nach dem die höheren Richter ihren Amtsſitz nur 
in London und an einigen anderen Zentralplätzen 
haben und von dort aus behufs Erledigung der 
anhängig gewordenen Sachen ihrer Zuſtändigkeit 
periodiſch das Land bereiſen. Die Beſeitigung 
dieſes Syſtems durch Lokaliſierung der Rechtspflege 
nach feſtländiſchem Muſter iſt bisher deshalb auf 
unüberwindliche Schwierigkeiten geſtoßen, weil die 
höheren Rechtsanwälte, die Barristers, faſt durch— 
weg in London und einigen anderen Großſtädten 
wohnen und ſämtlich in den vier Londoner Inns 
of Court ſtraff organiſiert ſind, und weil hierauf 
ihre hohe ſoziale Stellung zurückzuführen iſt, die 
es wieder rechtfertigt, die höheren Richter nur 
aus ihrem Kreiſe zu ernennen. Es wäre eine 
bedeutende Vermehrung der Richterſtellen, eine 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 297 


deutlich die Hemmniſſe, die ſich einer Reform der 
alten Einrichtungen Englands entgegenſtellen. 

Weiter wird im $ 9 (S. 195 ff.) die Organi⸗ 
ſation der County Courts — zur Zeit beſtehen 
deren in England 552 — ſehr ausführlich erörtert. 
Dieſe ſind jetzt mit nur 58 Richtern beſetzt, die 
in 54 Circuitdiſtrikten ihre Amtsgeſchäfte zu er⸗ 
ledigen haben. Wir ſehen alſo das Amt des Graf⸗ 
ſchaftsrichters durchweg für mehrere Courts in 
Perſonalunion vereinigt, der Amtsbezirk des Rich⸗ 
ters iſt ſomit weit ausgedehnter als der Gerichts⸗ 
bezirk, letzterer wird vom Richter, der von Ort 
zu Ort reiſt, aber nicht im Circuitdiſtrikt zu 
wohnen braucht, regelmäßig zur Abhaltung der 
Sitzungen beſucht — Verhältniſſe, die uns fremd⸗ 
artig anmuten. Für den Richter wird juriſtiſche 
Vorbildung und mindeſtens ſiebenjährige Praxis 
als Barriſter erfordert, die Beſoldung beträgt 
1500 & (= 30.000 M). Seine Hilfsperſon iſt 
der Registrar; zu dieſem Amte kann ein und die⸗ 
ſelbe Perſon nur an einem County Court er⸗ 
nannt werden (S. 245). Die vorbereitende Tätig⸗ 
keit und die Mitarbeit des Registrar und weiterer 
Clerks, die oft noch beſtellt ſind, machen es ver⸗ 
ſtändlich, daß eine nach unſeren Begriffen ſo ge⸗ 
ringe Zahl von Richtern die Geſchäfte im ganzen 
Gebiet des Königreichs zu erledigen vermag (ogl. 
S. 253 ff.). Ein Eingehen auf die weiteren Aus⸗ 
führungen über die Zuſtändigkeit und das Ver⸗ 
fahren der County Courts, die teilweiſe auch unter 
Zuziehung einer Jury entſcheiden, verbietet ſich 
hier. Nur ſei noch auf die intereſſante Erörterung 
über die Beteiligung eines aus fünf Grafſchaſts⸗ 
richtern gebildeten Komitees an der Fortentwicke⸗ 
lung des Prozeßrechtes hingewieſen (S. 232 ff.). 

Auf Schritt und Tritt begegnen uns im eng⸗ 
liſchen Gerichtsweſen Erſcheinungen, die ſich aus 
früher Zeit herübergerettet haben und für die 
Bedürfniſſe der Gegenwart nicht mehr paſſen 
wollen. Als weiteres Beiſpiel hierfür ſei das 
Gericht des Coroner ($ 10, S. 270 ff.) 
angeführt, eine uralte Inſtitution, deren erſte Er⸗ 
wähnung in das 10. Jahrhundert verlegt wird. 
Es iſt ein Unterſuchungsgericht für Kapitalver⸗ 
brechen, beſteht aus dem Coroner (Coronator), 
der für einen beſtimmten Bezirk ernannt wird 
und juriſtiſcher Vorbildung nicht bedarf — meiſt 
werden Aerzte oder Solicitors dazu berufen — 
und einer Jury, von 12 bis 23 Geſchworenen 
und mutet in ſeinem Verfahren aͤußerſt alter⸗ 
tümlich an. 

Die höheren Gerichte, zu deren Darſtellung 
in den $$ 11 bis 25 (S. 282 bis 612) der Ver⸗ 
faſſer nunmehr übergeht, find der High Court 


Herabſetzung ihrer jetzt für unſere Begriffe ge- | of Justice, der Court of Appeal (beide offiziell 
waltigen Gehälter erforderlich, und dann wäre | zuſammengefaßt unter der Geſamtbezeichnung 
es ſehr in Frage geſtellt, ob man noch aus dem Supreme Court of Judicature of England), 
Anwaltſtande einen wirklich geeigneten Richterſtand ſowie das Oberhaus des Parlaments, ſämtlich 


gewinnen könnte (vgl. hierüber S. 187 ff. und mit dem Sitze in London. 


In ihnen haben wir 


597 ff.). Dieſes herausgegriffene Beiſpiel zeigt trotz aller Fortſchritte der Lokaliſierung der Rechts— 


298 


pflege noch immer den eigentlichen Kern des eng: 
liſchen Gerichtsweſens zu ſehen. Der High 
Court in ſeiner jetzigen Geſtalt beruht auf der 
Judicature Act von 1873, die als das wichtigſte 
Reformgeſetz der engliſchen Gerichtsverfaſſung zu 
gelten hat. In erſter Linie handelte es ſich da⸗ 
bei allerdings um eine Reform des materiellen 
Rechts, deren Bedeutung in der Ueberwindung 
des althergebrachten Gegenſatzes zwiſchen Law und 
Equity liegt (S. 301 f.). Auch für die gleich⸗ 
zeitig vorgenommene Reform der Gerichtsorgani-⸗ 
ſation ſieht Gerland den leitenden Gedanken in 
der Ueberwindung dieſes Dualismus, die endlich 


Zeitſchrift für Rechtspflege in n Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


auch zu einer Vereinheitlichung des Prozeßrechts 


führte (S. 303). So entſtand aus der größeren 
Zahl von einzelnen hohen Gerichten, die bis dahin 
nebeneinander beſtanden hatten, der große Be: 
ſamtgerichtshof des High Court. 
die für die Rechtſprechung maßgebenden Richter, 
die zwar an Zahl gering, an Würde, Rang und 
äußerem Anſehen aber ſo gehoben erſcheinen, daß 
eine gleich hochſtehende Klaſſe von Richtern in 
keinem anderen Staate zu finden ſein dürfte. 
Eigenartig und eindrucksvoll iſt die Feierlichkeit, 
mit der im Oktober nach dem Schluß der großen 
Ferien das neue Geſchäftsjahr des höchſten Gerichts⸗ 
hofs begonnen wird. Auf S. 293 ff., Anm. 2, 
finden wir darüber einen Bericht. Daß dieſes 
beſondere Anſehen der engliſchen hohen Richter für 
unſere Augen viel Beſtechendes hat, iſt unzweifel⸗ 
haft; dennoch wird man ſich gegenüber Vorſchlägen, 
die eine Uebertragung dieſer Einrichtungen auf 
Deutſchland befürworten, äußerſt vorſichtig ver— 
halten müſſen, wie es auch Gerland tut. 

Die Zuſammenſetzung des High Court iſt 
trotz der Reform noch ſehr verwickelt, und das 
gleiche iſt von ſeinen Zuſtändigkeiten zu ſagen. 
Er iſt teils Zentralinſtanz für ganz England, teils 
— z. B. für Konkursſachen — nur Lokalinſtanz 
für die Grafſchaſt Middlesex, in der London liegt; 
teils wird er im erſten, teils im zweiten Rechts— 
gange, teils mit, teils ohne Geſchworenen Jury 
tätig. Wir lernen die einzelnen Abteilungen 
kennen: die Chancery Division, die hauptſächlich 
mit den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts— 
barkeit beſaßt iſt, die Probate Divorce and Ad- 


In ihm wirken 


von Adickes der Fall ſein mußte. 


miralty Division, deren Geſchäftskreis die Nach- 
laßſachen, die Eheſachen und die ſeerechtlichen An- 


gelegenheiten umfaßt — dieſe ſeltſame Zuſammen— 
ſtellung erklärt ſich geſchichtlich — endlich die be— 
ſonders wichtige Kings Bench Division, der alle 
ſonſtigen Zivilſachen und daneben Straſſachen und 
verwaltungsgerichtliche Angelegenheiten unterſtehen. 
Gerland gibt zunächſt (S. 305 ff., 312 ff.) einen 
guten Ueberblick über die Organiſation und die 
Kompetenzverteilung im Hirh Court und be: 
handelt dann in den S 11 bis 16 und 19 
(S. 336 ff., 467 ff.) die einzelnen Abteilungen 
mit aller Ausführlichkeit. Auf die Einzelheiten 
kann hier leider nicht eingegangen werden, 


ſo 


1911. Nr. 14 u. 15. 


lohnend es auch iſt, dem Verfaſſer auf ſeinem 
Wege durch dieſen Gerichtshof zu folgen, der ſicher⸗ 
lich zu den bedeutſamſten der Kulturwelt gehört. 


Die gemeinſchaftliche Gerichtsſchreiberei aller 
Abteilungen, das Central Office ($ 17, S. 429 ff.), 
deren Einrichtung auf einem Geſetze von 1879 
beruht, bietet bemerkenswerte Eigentümlichkeiten. 
Wir werden hier mit dem Amte des Master be⸗ 
kannt, der eine Art Richter zweiter Klaſſe mit 
juriſtiſcher Vorbildung und weitgehender Zuſtändig⸗ 
keit darſtellt. Die auf die 9 Abteilungen des 
Central Office verteilten 18 Masters bilden ein 
gemeinſames Kollegium mit dem Senior Master 
an der Spitze und nehmen den Richtern einen ſehr 
weſentlichen Teil der Arbeit ab. Ihnen ſind zur 
Hilfeleiſtung noch zahlreiche Clerks von verſchie⸗ 
denen Rangklaſſen beigegeben. 


Daß auch im übrigen die Richter des High 
Court durch Beamte ſtark entlaſtet werden, die mit 
beſonderen Verrichtungen beauftragt ſind, erfahren 
wir aus $ 18 (S. 452 ff.). Nach Kenntnisnahme 
aller dieſer Einrichtungen nimmt es uns nicht 
mehr derart wunder, daß der Gerichtshof mit 
einer ſo geringen Anzahl von Richtern (zurzeit 
26) auskommt, wie es nach der Lektüre der Schrift 
Es leuchtet 
ein, daß bei einer ſo verſchiedenen Geſtaltung der 
Geſchäfte eine einfache Vergleichung der Anzahl 
der Richter in England und Deutſchland nicht an⸗ 
gängig iſt. 

Im 8 20 (S. 494 ff.) begegnen wir dann einer 
hochintereſſanten Darſtellung der in graue Vorzeit 
zurückreichenden — die erſten Anſätze zu dieſer 
Einrichtung finden ſich ſchon unter König Hein: 
rich I. (1100-1135) — Courts of Assize. 
Es find dies periodiſch zuſammentretende, vorzugs— 
weiſe zur Erledigung von Strafſachen, aber auch 
von Zivilſachen beſtimmte Gerichte, die von um— 
herreiſenden Richtern des High Court (oder in 
deren Vertretung von aͤlteren Barriſters) in den 
wichtigſten Orten der einzelnen Graſſchaften ab— 
gehalten werden und in der Beſetzung mit einem 
Richter und zwölf Geſchworenen entſcheiden. Auf 
die hohe Bedeutung dieſes Circuitſyſtems für die 
ganze engliſche Gerichtsverfaſſung haben wir ſchon 
hingewieſen, als wir ihm an einer anderen Stelle 
begegneten. Troͤffend bemerkt Gerland in feiner 
hiſtoriſchen Einleitung (S. 496): „Die Entſtehung 
der Aſſiſengerichte iſt eine Begleiterſcheinung der 
Durchführung der Zentraliſation“. Das Bild, 
das der gegenwärtige Zuſtand der Aſſiſengerichte 
bietet, iſt „ſeiner Vergangenheit entſprechend bunt 
und unſyſtematiſch“ (S. 504). In der weiteren 
Darſtellung erkennen wir auch hier die beiden 
Strömungen, die für die jetzige Lage der eng— 
liſchen Gerichtsverfaſſung bezeichnend ſind: die 
eine drängt auf Reformen unter Anlehnung an die 
kontinentalen Einrichtungen, die andere, tief im 
engliſchen Nationalcharakter wurzelnd, ſucht das 


von altersher Ueberkommene pietätvoll zu erhalten. 
Tatſächlich hat die Reform von 1873 gerade an 
den Verhältniſſen der Courts of Assize wenig 
geändert. Wie zäh ſich hier Althergebrachtes er⸗ 
halten hat, zeigt z. B. die noch jetzt zu Recht be⸗ 
ſtehende Einrichtung der Jury of Matrons, aus 
zwölf Frauen zuſammengeſetzt, die einzuberufen 
iſt, wenn eine zum Tode verurteilte Frau geltend 
macht, ſie ſei ſchwanger; ſie hat über dieſe Frage ein 
Verdikt zu fällen und bindet durch dieſes den 
Richter in bezug auf die Vollſtreckung des Urteils. 
(Näheres über dieſe merkwürdige Einrichtung 
S. 527 f.). 

Für London und ſeine nähere Umgebung werden 
die ſtrafrechtlichen Zuſtändigkeiten der Aſſiſengerichte 
durch den Central Criminal Court ausge⸗ 
übt, der im Jahre 1834 geſchaffen wurde. Auch 
dieſes Gericht tritt nur periodenweiſe, aber min⸗ 
deſtens zwölfmal im Jahre zuſammen (S. 539). 
Als Vorſitzender gilt pro forma der Lord Mayor, 
da der Central Criminal Court immer noch in 
erſter Linie als ein Gericht der City of London 
betrachtet wird (S. 542). Er beteiligt ſich aber 
nur an der Eröffnung der Sitzungen, die mit 
mittelalterlichem Pompe vor ſich geht. Neben ihm 
figurieren auch die Aldermen of the City als 
„Ehrenrichter“; die eigentlichen richterlichen Ge⸗ 
ſchäfte werden aber von Mitgliedern des Supreme 
Court und der Londoner City-Gerichte beſorgt, 
die durch eine General Commission des Königs 
beauftragt werden. 

Im 8 21 finden wir eine Schilderung der 
lokalen Gerichtsbureaus des Supreme Court, die 
in der Hauptſache auf der Judicature Act von 
1873 beruhen (S. 547 ff.). Dieſe ſogenannten 
District Registries haben ſich allmählich zu wirk⸗ 
lichen Gerichten mit beſchränkter Zuſtändigkeit ent⸗ 
wickelt. Es iſt intereſſant zu ſehen, wie auch auf 
dieſem Wege die Ueberwindung der den wirtſchaftlichen 
Verhältniſſen der Neuzeit unerträglichen Zentrali⸗ 
ſation nach und nach Fortſchritte macht. Urſprüng⸗ 
lich wohl nur als örtliche Gerichtsſchreibereien des 
Supreme Court gedacht, haben die District Re- 
gistries und die der Nachlaßgerichtsbarkeit dienen: 
den Probate District Registries (S. 557 ff.) 
bereits einen beträchtlichen Teil wenigſtens der 
Zivilgerichtsbarkeit an ſich gezogen; ihre Zuſtändig⸗ 
keit konkurriert mit der des High Court. 

Nach einem kurzen Abſchnitt über die Voll⸗ 
ſtreckungsbeamten des High Court (8 22, S. 561 ff.), 
dem wir entnehmen, daß die Zwangsvollſtreckung 
als ſolche im Gegenſatze zu der eigentlichen Recht⸗ 
ſprechung durchaus lokaliſiert iſt und im weſent⸗ 
lichen in den Händen der Sheriffs der Grafſchaften 
und ihrer Unterbeamten ruht, kommt Gerland 
im § 23 (S. 564ff.) zur Darſtellung des Court 
of Appeal. Dieſes einheitliche Rechtsmittel— 
gericht für Zivilſachen wurde durch die Juſtiz— 
reform von 1873 geſchaffen zum Erſatz einer Reihe 
von zweitinſtanzlichen Gerichtshöfen, die bis dahin 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


— ———————————————— ⁊ ä — — —Ü— — — ——ẽ.—.g' ' — ——— — — m 


des Court of Appeal. 


299 


unabhängig nebeneinander beſtanden hatten. Die 
Vorſchriften über ſeine Zuſtändigkeit ſind äußerſt 
verwickelt. Es läßt ſich zwar der allgemeine Satz 
aufſtellen: Eine jede Entſcheidung richterlicher 
Natur iſt anfechtbar, ſofern nicht ein anderes 
ausdrücklich beſtimmt iſt, (S. 566), aber derartige 
Sonderbeſtimmungen ſind eben ſo zahlreich, daß 
ſelbſt Gerland ſich ein näheres Eingehen darauf 
verſagen muß. Der Court of Appeal entſcheidet, 
ſoweit es ſich um Rechtsmittel gegen Endent⸗ 
ſcheidungen handelt, in der Beſetzung von drei 
Richtern, während die Rechtsmittel gegen Zwiſchen⸗ 
entſcheidungen an ein Zweimännerkollegium gehen. 
Daneben beſteht die eigentümliche Vorſchrift, daß 
das Letztere, der ſog. Divisional Court, auch dann 
zur Entſcheidung berufen iſt, wenn ſich die Prozeß⸗ 
parteien ſchriftlich darauf einigen, vor dem Divi- 
sional Court Recht zu nehmen. Dieſe im Sn: 
tereſſe einer Entlaſtung des Court of Appeal er⸗ 
laſſene Beſtimmung hat ſich indeſſen nicht bewährt 
(vgl. S. 570 f.). Die Zahl der Richter am Court 
of Appeal beträgt nur fünf, ſie müſſen mindeſtens 
15 Jahre Barriſter oder mindeſtens ein Jahr 
Richter am High Court geweſen fein, haben den 
Vorrang vor den Richtern des High Court, 
empfangen den gleichen Jahresgehalt wie dieſe, 
nämlich 5000 .£ (= 100 000 ) und führen den 
Titel Lord Justice of Appeal (S. 574). 

Nachgetragen jet hier, daß als Rechtsmittel 
gericht für Strafſachen der Court of Criminal 
Appeal zu gelten hat. Er iſt auf Grund der 
Criminal Appeal Act von 1907 gebildet worden, 
hat aber keine eigenen Richter, vielmehr werden 
ſeine Mitglieder nur aus der Kings Bench Divi- 
sion des High Court genommen, jo daß der Court 
of Criminal Appeal als ein Senat der Letzteren 
erſcheint. Er eutſcheidet in einer Beſetzung von 
mindeſtens drei Richtern ohne Mitwirkung einer 
Jury (vgl. S. 307 ff., 346 f.). 

Die höchſte Spitze der engliſchen Gerichtsver⸗ 
faſſung haben wir in dem House of Lords 
zu ſehen. Das Oberhaus iſt hauptſächlich in 
Zivilſachen, jedoch auch in beſtimmten Kriminal- 
fällen zur Rechtſprechung berufen. Natürlich kann 
bei einem Parlament, deſſen Mitgliederbeſtand ſich 
zwiſchen 550 und 600 bewegt, von einer eigent: 
lichen Tatigkeit als Gerichtshof nicht die Rede 
ſein. Allerdings beſtehen noch jetzt althiſtoriſche 
Normen, nach denen das Oberhaus in voller Be— 
ſetzung als Kriminalgericht erſter Inſtanz (dann 
auch „High Court of the King in Parliament‘ 
genannt) für Anklagen von ſeiten des Unter— 
hauſes wegen Hochverrats (Impeachment), ſowie 
für Anklagen gegen weltliche Peers oder deren 
Gemahlinnen wegen Kapitalverbrechen (Trial by 
Peers) zuſtändig iſt, doch find ſolche Fälle natur: 
gemäß äußerſt ſelten (vgl. S. 589 f.). Regel— 
mäßig aber tritt das House of Lords in Tätig— 
keit als Reviſionsgericht für die Entſcheidungen 
Deren Anfechtung iſt 


300 


zwar faſt durchweg zuläſſig, aber durch die außer: 
ordentlich hohen Koſten — deren Durchſchnitt im 
Jahre 1907 für jede Sache etwa 9000 M be: 
trug — ſehr eingeſchränkt. Die Erledigung der 
Reviſionen erfolgt aber in einer Weiſe, daß Ger⸗ 
lands Ausſpruch: „Es iſt weiter nichts wie eine 
Rechtsfiktion, wenn heute noch behauptet wird, 
das House of Lords als ſolches habe gerichtliche 
Funktionen auszuüben, ſei das oberſte Gericht 
Englands“ (S. 581), vollauf gerechtfertigt ift. Den 
eigentlichen Gerichtshof bilden nur der Lord 
Chancellor von Großbritannien, die ad hoc er⸗ 
nannten Lords of Appeal in Ordinary und 
ferner alle die Peers, die hohe Richter von Groß⸗ 
britannien und Irland waren oder noch ſind. 
Es ſtellt alſo eine kleine Zahl von „Law Peers“, 
die in einer Beſetzung von mindeſtens drei, ge⸗ 
wöhnlich fünf Richtern entſcheiden, das House of 
Lords als „Reichsgericht“ vor, während die große 
Maſſe der übrigen Oberhausmitglieder (die „Lay 
Peers“) von jeder Teilnahme an der regelmäßigen 
Rechtſprechung ausgeſchloſſen iſt. Man kann ſagen, 
daß ſich aus dem Schoße des Parlaments ein 
ſelbſtändiger Gerichtshof der Richterlords losgelöſt 
hat. Beſonders charakteriſtiſch tft, daß dieſer auch 
während einer Vertagung, ja ſogar nach einer 
Parlamentsauflöſung judizieren kann. Die Prozeß⸗ 
ordnung erläßt das Oberhaus durch die ſog. 
Standing Orders, die Geſetzeskraft haben (S. 585). 
Ueber das Verfahren, das ſeltſamer Weiſe einen 
Anwaltszwang nicht kennt, teilt Gerland im An⸗ 
ſchluſſe an das Werk von Denison und Scott, 
Practice and Procedure of the House of Lords 
noch manche intereſſante Einzelheiten mit (S. 585 ff.). 
Die Berufung des Parlaments zur Tano an 
der Rechtſprechung, die natürlich in alte Zeiten 
zurückreicht, darf als eine der eigentümlichſten 
Erſcheinungen der engliſchen Gerichtsverfaſſung 
gelten. 

Im Schlußparagraphen des I. Bandes (S. 59 1ff.) 
würdigt der Verfaſſer die gegenwärtige Entwide: 
lung der ordentlichen Gerichte Englands und richtet 
einen Ausblick in die Zukunft. Er führt aus, 
daß ſich die geringe Zahl der höheren Richter 
nicht bewährt habe, legt an der Hand zahlreicher 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


| 


—— nn nn 


fortſchreitenden Dezentraliſation ſowohl der Gerichte 
wie der Anwaltſchaft und in der Abſchaffung der 
Circuiteinrichtung, die jetzt noch als „kardinaler 
Angelpunkt des ganzen Gerichtsſyſtems“ (S. 609) 
zu bezeichnen iſt, alſo in einer Reform der Ge⸗ 
ſamtverfaſſung. (Schluß folgt). 


Form der Veſchwerdezurücknahme in Grund⸗ 
buchſachen. 


Von Landgerichtsrat du Chesue in Leipzig. 


In ihrem Grundbuchrecht II 669 führen Fuchs⸗ 
Arnheim aus: „Richtet ſich die Beſchwerde gegen 
die Ablehnung eines Eintragungsantrags ... fo 
enthält die Zurücknahme der Beſchwerde, da letztere 
den abgelehnten Antrag wiederholt, mittelbar auch 
die Zurücknahme des erſten Antrags. Es recht; 
fertigt ſich deshalb im Intereſſe der Rechtsſicher⸗ 
heit die analoge Anwendung der für die Rück⸗ 
nahme des Antrags durch 88 32, 291 GBO. vor: 
geſchriebenen Form aus dem gleichen Grunde . 
Richtet ſich die Beſchwerde gegen einen Eintrag 
gemäß § 71? Satz 2, fo hat dieſelbe die Be⸗ 
deutung eines ſelbſtändigen Antragsrechts dem 
Beſchwerdegericht gegenüber (GBO. 8 71 Nr. 19). 
Der Antrag geht dahin, daß das Grundbuchamt 
zur Eintragung eines Widerſpruchs oder einer 
Löſchung veranlaßt wird. In dieſem Falle ent⸗ 
hält die Zurücknahme der Beſchwerde unmittelbar 
die Rücknahme eines geſtellten Eintragungsantrags; 
es iſt daher auch hier die Anwendung der Form 
des $ 29 Satz 1 (§ 32 GBO.) geboten. Eine 
verſchiedene Behandlung der noch für die Be⸗ 
ſchwerde, ſoweit es fih um Ablehnung oder 
Vornahme von Eintragungen handelt, 
verbleibenden Fälle, nämlich derjenigen, in denen 
die Löſchung oder Aenderung eines Eintrags ver⸗ 


langt werden kann ($ 71 Nr. 18 GB.), dürfte 


Preßſtimmen dar, daß man allgemein eine ſtarke 


Vermehrung der Richter behufs Beſchleunigung 
des Verfahrens wünſche, weiſt auf die ſtatiſtiſch 
nachweisbare Ueberlaſtung des High Court und 


ſeits die Schwierigkeiten, die ſich einer Richter⸗ 
vermehrung entgegenſtellen. Die Regierung ſcheut 
eine ſolche, weil ſie eine Herabminderung des 
großen Anſehens dieſer Richter, das hauptſächlich 


nicht angängig ſein, da es ſich auch hier wenigſtens 
mittelbar um Rücknahme geſtellter Eintragungs⸗ 
begehren, z. B. des Begehrens um Löſchung einer 
Vormerkung handelt. Der Grund, daß die Rechts⸗ 
ſicherheit zwar keine Form für die Stellung eines 


Eintragsungsantrags erfordert, weil niemand durch 
denſelben benachteiligt wird ($ 30 Nr. 2 GB0O.), 
des Court of Appeal hin und erörtert anderer⸗ 


mit auf ihrer geringen Anzahl beruht, ſowie die 


mit Rückſicht auf die Rieſengehälter bedeutende 
finanzielle Belaſtung fürchtet. Jedenfalls werden 
die Reformbeſtrebungen bald in der Oeffentlichkeit 
noch mehr von ſich reden machen, als es jetzt ſchon 
der Fall iſt. Gerland ſieht das Ziel in einer 


entnehmen (a. 


wohl aber für die Zurückziehung eines Eintragungs- 
antrags .. ., trifft auch für die Zurücknahme der 
Beſchwerde zu, wenn ſie unmittelbar oder mittel— 
bar die Rücknahme eines geſtellten Eintragungs— 
antrags enthält. Aus der Formfreiheit der Ein: 
legung der Beſchwerde iſt demnach kein Grund 
für die Formloſigkeit der Rücknahmeerklarung zu 
A. Predari 705, Güthe S 73 
N. 9 . . .)“. Im erſtgenannten Kommentare habe 
ich unter 5 ausgeführt: „Die Zurücknahme der 
Beſchwerde .. . unterliegt ebenſowenig wie ihre 


Einlegung, beſonderen Formvorſchriften ... die 
Zurücknahme der gegen Ablehnung eines Ein: 
tragungsantrags gerichteten Beſchwerde ent⸗ 
hält... die Rücknahme auch des Eintragungs— 
antrags. Nun find nach $ 32 GBO. Erklärungen, 
durch die ein Eintragungsantrag zurückgenommen 
wird, in der Form des $ 29 Satz 1 GBO. abzugeben. 
Dieſe Vorſchrift iſt mit Rückſicht auf das Intereſſe 
der Rechtsſicherheit gegeben. Man wird ſie daher 
auch auf die Zurücknahme von Beſchwerden der 
bezeichneten Art anzuwenden haben“. In gleicher 
Weiſe habe ich mich in meinem „Prozeßgange des 
formalen Grundbuchrechts“ S. 30 Anm. geäußert, 
auch bei Behandlung der Beſchwerde gegen Beein⸗ 
trächtigungen durch Eintragung S. 47 ausgeführt, 
„auch iſt die Rücknahme der Beſchwerde, anders als 
im Eintragungsprozeſſe, formlos (§ 32 GBO.) “. 
Endlich habe ich in Rhein AV. 27 S. 288 dar: 
gelegt, daß die Rücknahme der Beſchwerde gegen 
eine Zwiſchenverfügung formlos ſei. Die Auf— 
faſſung von Fuchs-Arnheim geht demnach über 
die von mir vertretene inſofern hinaus, als 
Fuchs⸗Arnheim auch für die Rücknahme einer zu— 
läſſigerweiſe gegen eine Eintragung gerichteten 
Beſchwerde die Form des 8 29 GBO. fordert, gehe 
dieſe nur auf Eintragung eines Widerſpruchs 
oder ſogleich auf Löſchung oder Aenderung einer 
Eintragung. Dieſer Gegenſatz gibt zu erneuter 
Prüfung der Frage Anlaß. 

Die Beſtimmung des $ 32 („Erklärungen, 
durch die ein Eintragungsantrag zurückgenommen 
wird, bedürfen der im $ 29 Satz! vorgeſchriebenen 
Form“) ſteht in dem „Eintragungen in das Grund— 
buch“ überſchriebenen zweiten Abſchnitte der GBO. 
Dieſer Abſchnitt beginnt mit $ 13 (Eine Eintragung 
ſoll nur auf Antrag erfolgen) und endigt mit $ 55 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


| 


lichen, 


ö 
| 


(Bekanntmachung der geſchehenen Eintragung). Auf | 


ihn folgt der von den Hypotheken-, Grundſchuld— 
und Rentenſchuldbriefen handelnde dritte Abſchnitt. 
Der zweite Abſchnitt handelt, wie eine Ueber⸗ 
prüfung ſeiner Beſtimmungen ergibt, vom Ein— 
tragungsverfahren; unter dem Eintragungsantrag 
iſt in ihm verſtanden das zur Beurkundung einer 
beſtimmten Rechtslage im Grundbuch erforderliche 
und auf ſie gerichtete Verlangen des Intereſſenten. 
8 32 insbeſondere ſteht in unmittelbarem Zu— 
ſammenhange mit §§ 29, 30 GBO. Nachdem 
§ 29 vorgeſchrieben hat, eine Eintragung ſolle nur 
erfolgen, wenn die Eintragungsbewilli— 
gung oder die ſonſtigen zu der Ein— 
tragung erforderlichen Erklärungen in 
beſtimmter Form nachgewieſen ſeien, nachdem 3 30 
erläutert hat, daß dies für den Eintragungsantrag 
nur gelte, wenn durch ihn zugleich eine zu 
der Eintragung erforderliche Er: 
klärung erſetzt werden ſoll, beſtimmt, 
nachdem eine der Reichstagskommiſſion entſtam— 
mende Stempelvorſchrift (8 31) über die Einigungs— 
vollmacht gefolgt iſt, $ 32 die Form der Cr: 
klärung, durch die ein Eintragungsantrag zurück— 


| 


301 


genommen wird, worauf das Geſetz von § 33 ab 
zur Regelung der ſonſtigen Eintragungsgrundlagen 
übergeht. Dieſer Zuſammenhang weiſt zwingend 
darauf hin, daß es ſich hier um den auf eine Ein: 
tragungsbewilligung oder eine ſonſtige 
zur Eintragung erforderliche Erklärung 
geſtützten, an das Grundbuchamt gerichteten Ein: 
tragungsantrag handelt; nur wenn man 8 32 
aus dem Zuſammenhange reißt, kann man unter 
Eintragungsantrag einen auf Beſeitigung einer 
durch den Buchinhalt hervorgerufenen Beeinträch—⸗ 
tigung gerichteten Antrag verſtehen, der deshalb 
unmittelbar an das Beſchwerdegericht gerichtet 
wird, weil die gerügte Beeinträchtigung durch das 
beendete Eintragungsverfahren des Grundbuchamts 
hervorgerufen worden iſt. Iſt dem aber ſo, ſo 
kann ein Eintragungsantrag an das Beſchwerde⸗ 
gericht, wenn auf ihn § 32 anwendbar ſein ſoll, 
nur ein ſolcher ſein, der den erſtinſtanziellen, auf 
die oben bezeichneten Eintragungsgrundlagen ge: 
ſtützten Eintragungsantrag wiederholt; es kann 
alſo 8 32 nur für die Rücknahme der Beſchwerde 
gegen Abweiſung eines ſolchen Eintragungsantrags 
gelten. Damit fällt die Beſchwerde des 8 71 
Abi. 2, Soweit fie auf Eintragung eines Wider: 
ſpruchs oder Löſchung einer ihrem Inhalte nach un: 
zuläſſigen Eintragung geht, außerhalb des Rahmens 
des 8 32, und dasſelbe gilt für die Beſchwerde gegen 
eine Vormerkung, einen Widerſpruch, eine unge— 
naue Faſſung, eine falſche Schreibweiſe des Namens 
uſw., da auch bei ihnen der Beſchwerdeantrag nicht 
auf einer Eintragungsbewilligung oder ſonſtigen 
Erklärung — unter dieſen ſind die rechtsgeſchäft⸗ 
wie Vollmachten, Zuſtimmungen, Ab— 
tretungen, im Gegenſatze zu den in 88 33 ff. GBO. 
behandelten zu verſtehen (Predari 468) — ruht; 


hätte ja doch in dieſem Falle der Antrag zunächſt 
| an 


das Grundbuchamt gerichtet werden müſſen. 
Noch ein weiterer Grund ſpricht aber gegen 
die Anwendung des $ 32 auf die Beſchwerde im 
Sinne des § 71 Abſ. 2 Satz 2, ſoweit ſie alſo 
auf Eintragung eines Widerſpruchs oder Löſchung 
einer ihrem Inhalte nach unzuläſſigen Eintragung ge— 
richtet iſt. Der Eintragungsantrag iſt, wie wir oben 
ſahen, auch abgeſehen von ſeiner Grundlage (Ein— 
tragungsbewilligung, ſonſtige rechtsgeſchäftliche Er— 
klärung), das zur Beurkundung einer beſtimmten 
Rechtslage im Grundbuch erforderliche und auf 
fie gerichtete Verlangen des Intereſſenten; ihm 
entſpricht eine durch ihn ausgelöſte prozeſſuale Ver— 
pflichtung des Grundbuchamts die beantragte Ein— 
tragung vorzunehmen, und in zweiter Inſtanz 
eine gleiche Verpflichtung des Beſchwerdegerichts 
das Grundbuchamt zur Eintragung anzuweiſen. 
Nun wäre es ja an ſich denkbar, wenn auch im 
Hinblicke darauf, daß das Grundbuchamt und 
nicht das Beſchwerdegericht das Grundbuch führt, 
rechtstechniſch nicht wohl verſtändlich, daß ein 
ſolches Eintragungsverlaugen ſogleich an das Bes 
ſchwerdegericht zu richten wäre. Dann aber bliebe 


302 


noch immer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen ihm 
und dem Antrag auf Löſchung einer ihrem Inhalte 
nach unzuläſſigen Eintragung oder auf Eintragung 
eines Widerſpruchs im Sinne von $ 71 Abſ. 2 
Satz 2. Während nämlich der Eintragungsantrag 
in dem angegebenen Sinne eine frühere Eintragung 
nicht notwendig vorausſetzt und die Beurkundung 
von herbeizuſührenden oder außerhalb des Grund⸗ 
buchs bereits eingetretenen Aenderungen der Rechts⸗ 
lage bezweckt, ſetzt der Antrag des $ 71 Satz 2 
notwendig eine frühere Eintragung voraus, auf 
die ſich der Widerſpruch oder die Löſchung beziehen 
ſoll, und bezweckt die Vermeidung von Nachteilen, 
die ſich aus der früheren Eintragung für den 
Antragſteller ergeben können. Sit der Eintragungs⸗ 
antrag der Herbeiführung einer Beurkundung der 
Rechtsänderung gewidmet, ſo iſt der Antrag aus 
8 712 Satz 2 der Abwehr von Nachteilen zu 
dienen beſtimmt, die aus einer ſolchen Beurkundung 
entſtehen können.“) Der letztgenannte Antrag ſetzt 
alſo ein vollendetes Eintragungsverfahren voraus 
und iſt eben deshalb bei der höheren Inſtanz an— 
zubringen. Gewiß kann, wenn das Eintragungs— 
verfahren erſt unter Erſchöpfung der Inſtanzen 
zur Eintragung geführt hat, der dadurch Benach— 
teiligte dieſe auch mittels eines an das Grund— 
buchamt gerichteten Antrags auf Löſchung oder 
Eintragung eines Widerſpruchs angreifen. Allein 
er muß ſich alsdann auf eine Rechtsänderung be⸗ 
rufen und dieſe nachweiſen können — wirklicher 
Eintragungsantrag — oder er muß ſich auf die 
Vorausſetzungen des $ 54 GBO. ſtützen, in welchem 
Falle dann überhaupt kein Antrag, ſondern nur 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


tung gegenüber dem Antragſteller zu erfüllen, d. i. 
die Eintragung vorzunehmen, ſo geht die des 
9 71? Satz 2 nur dahin, daß das Beſchwerde⸗ 
gericht, gleichfalls in Erfüllung ſeiner prozeſſualen 
Verpflichtung, das Grundbuchamt anweiſen ſoll ſeine 
Offizialpflicht zum angriffsweiſen Vorgehen gegen 
die Eintragung zu erfüllen, weil damit zwar nicht 
ein — nicht beſtehender — Anſpruch des Intereſſenten 
an das Grundbuchamt erfüllt, wohl aber ſein mit 
dem Offizialintereſſe des § 54 parallel gehendes 
Intereſſe befriedigt wird. Wir ſehen alſo, daß 
ſich der Antrag des § 71? Satz 2 in weſentlichen 
Punkten von einem Antrag auf Eintragung einer 
Löſchung oder eines Widerſpruchs im Umfange 
des § 54 an das Grundbuchamt, geſchweige denn 
von einem wirklichen Eintragungsantrage in unſerem 
Sinne unterſcheidet; nicht die Beurkundung der 
Rechtslage iſt ſein Zweck, ſondern die Abwendung 
einer bereits vorliegenden durch die Beurkundung 
geſchaffenen Beeinträchtigung, ihm entſpricht auch 
nicht unmittelbar eine prozeſſuale Verpflichtung 
des die beantragte Eintragung vornehmenden 
Grundbuchamts, vielmehr nur eine ſolche des 
Beſchwerdegerichts zur Anweiſung, während dem 
Grundbuchamte dem Antragſteller gegenüber gar 
keine Verpflichtung obliegt. Ein ſolcher Rechts 
behelf kann überhaupt kaum noch als Antrag auf 
Eintragung eines Widerſpruchs oder einer Loͤſchung 
bezeichnet werden, ſelbſt da nicht, wo, wie bei der 
Löſchung, das Ziel eines wirklichen Eintragungs— 
antrags und desjenigen aus $ 71? Satz 2 iden: 


tiſch ſein können, da die Vorausſetzungen und 


eine Anregung der Offizialtätigkeit des Grund- 


buchamts vorliegt. 
prozeſſuale Verpflichtung entſpricht, wird ein Ber: 
langen gemäß $ 54 nur, wenn es zur Abwehr 
der Nachteile aus einer Eintragung bei der Be— 
ſchwerdeinſtanz geſtellt wird. Der die Beſchwerde 


Wirklicher Antrag, dem eine 


auslöſende Tatbeſtand iſt alsdann die durch die 


Eintragung hervorgerufene Beeinträchtigung des 
Dritten und die weitere Beeinträchtigung, die darin 
liegt, daß das Grundbuchamt es unterläßt im 
Offizialverfahren angriffsweiſe gegen die Ein— 
tragung vorzugehen. Weil gerade dieſe letzter— 
wähnte Beeinträchtigung durch Nichthandeln allein 
die Durchbrechung des Ausſchluſſes der Beſchwerde 
gegen eine Eintragung rechtfertigt, deshalb iſt die 
Beſchwerde gegen eine Eintragung auf die Fälle des 
§ 51 beſchränkt. Geht die Beſchwerde gegen Zurück— 
weiſung eines Eintragungsantrags dahin, daß das 
Beſchwerdegericht in Erfüllung ſeiner prozeſſualen 
Verpflichtung das Grundbuchamt anweiſen ſoll 
ſeine, des Grundbuchsamts, prozeſſuale Verpflich— 


1) Man könnte dies wohl auch dahin ausdrücken: 
Beim Eintragungsantrag iſt die Eintragung der End— 
zweck des Verfahrens; bei dem (Beſchwerde-Antrage des 
8 712 iſt die Beſeitigung einer in der angegriffenen 
Eintragung liegenden Beeinträchtigung der Endzweck, 
die Eintragung Widerſpruch, Löſchung) nur das Mittel. 


Erſorderniſſe beider ganz andere ſind. 

Der hier entwickelten Auffaſſung entſpricht 
auch der Wortlaut des 8 712. „Die Beſchwerde 
gegen eine Eintragung iſt unzulaͤſſig“; darin liegt, 
daß niemand, der ſich durch eine Eintragung be— 
ſchwert fühlt, einen Anſpruch auf ihre Beſeitigung 
an das Beſchwerdegericht hat. „Im Wege der 
Beſchwerde kann jedoch verlangt werden, daß das 
Grundbuchamt angewieſen wird“ .. .. d. h. es 
beſteht ein Anſpruch gegen das Beſchwerdegericht, 
daß dieſes das Grundbuchamt anweiſe „nach § 54 
einen Widerſpruch einzutragen oder eine Löſchung 
vorzunehmen“, nämlich unter den Vorausſetzungen 
des 8 54 von Amts wegen vorzugehen, alſo 
nicht einen von ihm, dem Grundbuchamte, beein: 
trächtigten Anſpruch des Beſchwerdeführers zu 
erfüllen, weil ein ſolcher Anſpruch nicht beſteht. 
Wollte das Geſetz die hier bekämpfte Meinung 
zum Ausdrucke bringen, ſo hatte es etwa ſagen 
müſſen: Im Wege der Beſchwerde kann jedoch 
verlangt werden, daß das Beſchwerdegericht in den 
Fällen des $ 54! die Eintragung eines Wider: 


ſpruchs oder eine Löſchung anordne; zugleich hätte 


es aber ein Antragsrecht anſtatt der Offizialpflicht 
des § 54 aufſtellen müſſen. Alsdann wäre die 
Beſchwerde wegen Zurückweiſung eines Antrags 
auf Yöldyung oder Eintragung eines Widerſpruchs 


gleicher Natur wie die Beſchwerde wegen Zurück— 


— ne 


weiſung eines Eintragungsantrags, und das Be: 
ſchwerdegericht könnte in beiden Fällen das Grund⸗ 
buchamt anweiſen, dem prozeſſualen Anſpruche, den 
es zurückgewieſen hatte, nunmehr zu entſprechen. 
Dann erſt würde eine gleiche Behandlung beider 
Beſchwerden auch in Hinſicht auf ihre Rücknahme 
geboten ſein. 

Es fragt ſich endlich, ob der von den Ma⸗ 
terialien für die Vorſchrift des 8 32 GBO. an: 
gegebene Grund, Förderung der „Rechtsſicherheit“, 
die von Fuchs⸗Arnheim gelehrte Gleichſtellung der 
verſchiedenen Beſchwerdearten rechtfertigt. Die 
Begründung der Vorſchrift mit dem Intereſſe der 
Rechtsſicherheit ſagt recht wenig. Am nächſten 
liegt wohl die Deutung: der Antrag hat gewiſſe 


mittelbare Folgen für den Rang der Rechte (817 


GB0O.), ſeine Zurücknahme gleichfalls. Mit der 
Zurücknahme des Eintragungsantrags (S 32) fällt 
eine bereits begründete Rechtslage wieder weg, ſie 
ſei, welcher Art ſie wolle. Um eine Unſicherheit 
in dieſem Punkte zu vermeiden, ſoll die Rück⸗ 
nahme des Antrags der Form des § 29 genügen. 
Gegen eine ſolche Begründung mag ſich mancher⸗ 
lei einwenden laſſen, immerhin ſcheint ſie mir 
noch am nächſten zu liegen. Jedenfalls würde 
auch ſie nur den Eintragsantrag in unſerem 
Sinne und im Sinne der SS 13 ff. GBO., zu 
denen $ 17 gehört, treffen. Doch iſt die Aus⸗ 
drucksweiſe der Materialien viel zu allgemein, um 
aus ihr etwas Beſtimmtes für oder wider folgern 
zu können. Auch wenn, wie es nach der Ent⸗ 
ſtehungsgeſchichte des Geſetzes den Anſchein hat, 
die Meinung die geweſen iſt, daß diejenigen Gründe, 
die zur Formfreiheit des Eintragungsantrags ge— 
führt haben, nicht für die Rücknahme des Antrags 
ſprechen, ſo läßt ſich doch aus der lex lata 
nicht der Grundſatz folgern, daß alle grundbücher⸗ 
lichen Erklärungen im Zweifel der Form bedürfen. 
Im Gegenteil, die Meinung des Geſetzes iſt die, 
daß das ganze Gebiet des Antrags einſchließlich 
des wirklichen Eintragungsantrags in unſerem 
Sinne formfrei iſt. Die Formfreiheit des $ 32 
ſtellt ſich alſo de lege lata als Ausnahmevor⸗ 
ſchrift gegenüber dem Grundſatze der Formfreiheit 
des Antrags dar und iſt daher eng auszulegen. 
Dies führt gleichfalls zu dem oben wiedergegebenen 
Satze, daß die Rücknahme des Antrags und der 
Beſchwerde formfrei iſt, ſoweit nicht — für den 
Eintragungsantrag im engeren Sinne — etwas 
Gegenteiliges vom Geſetze beſtimmt iſt. Es kann 
ſchon aus praktiſchen Gründen kaum der Wille 
des Geſetzes ſein, daß die Einlegung von Be— 


Z3eitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


ſchwerden möglichſt erleichtert, ihre Rücknahme aber 


durch Aufſtellung eines weitgreifenden Formen— 
zwangs möglichſt erſchwert werden ſoll. Eine 
ſolche Auffaſſung würde mit dem Antragsprinzip 
der Grundbuchordnung nicht in Einklang zu 
bringen ſein. 


303 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Eine Lücke im Güterzertrüämmerungsgeſetze? In 
Güterhändlerkreiſen müht man ſich ſeit dem Inkraft⸗ 
treten des Bayeriſchen Güterzertrümmerungsgeſetzes 
vom 13. Auguſt 1910, in deſſen Wehren Breſchen zu 
legen, und es hat den Anſchein, daß an einem hervor⸗ 
ragenden Punkte der Anſturm bereits gelungen iſt. 
Zwar wird noch einiger Widerſtand geleiſtet, allein 
das Rüſtzeug der Verteidiger dürfte dem Angriffe nicht 
gewachſen ſein. 

Um nämlich die läſtigen Vorkaufsrechte des Art. 1 
auszuſchalten, ſind einige Güterhändler auf den Aus⸗ 
weg gekommen, dem verkaufsluſtigen Anweſensbeſitzer 
nicht mehr ſeinen Grundbeſitz abzukaufen, ſondern ſich 
von ihm notarielle Vollmacht zur Zertrümmerung 
ſeines Anweſens erteilen zu laſſen, ſo daß der bis⸗ 
herige Grundeigentümer als der Zertrümmerer, der 
Güterhändler nur als Ausführungsorgan figuriert. 
Ueber die Zuläſſigkeit dieſer Geſetzesumgehung ſind 
die Notariate und Gerichte verſchiedener Anſchauung. 

So verlangte z. B. ein gewerbsmäßiger Güter⸗ 
händler von einem Notariate des Landgerichtsbezirks 
Landshut die Errichtung einer ſolchen Vollmachts⸗ 
urkunde. Der Notar verweigerte ſeine Tätigkeit mit 
dem Hinweis auf die Beſtimmungen des Güterzer⸗ 
trümmerungsgeſetzes. Der Güterhändler beantragte 
Entſcheidung nach Art. 17 Not GQ. Das Landgericht 
Landshut erklärte dieſe Verweigerung durch Beſchluß 
vom 5. Mai 1911 für berechtigt mit folgender Be⸗ 
gründung: „Aus dem Vorbringen des Antragſtellers 
ergibt ſich, daß das Anweſen durch den Güterhändler 
zertrümmert werden ſoll; dieſer ſoll dafür eine Pro⸗ 
viſion erhalten, welche dem ſonſtigen ungefähren Ge⸗ 
winn aus einer Zertrümmerung entſprechen mag. 
Dem Güterhändler ſoll die vollſtändige, freihändige, 
ökonomiſche Verwertung des Anweſens überlaſſen 
werden gleichwie einem Eigentümer; die Rechtsſtellung 
des letzteren könnte aber nur herbeigeführt werden 
durch einen Kaufvertrag; dieſer ſoll im gegebenen Fall 
umgangen werden, um die beſchränkenden Vorſchriften 
des Güterzertrümmerungsgeſetzes außer Wirkſamkeit 
zu ſetzen; deshalb ſoll die äußere Form der Vollmachts⸗ 
erteilung gewählt werden, um die Zertrümmerung 
durchführen zu können. Es handelt ſich hier aber 
nicht um eine wirkliche, dem Parteiwillen entſprechende 
Vollmachtserteilung, zufolge welcher der Güterhändler 
namens und im Auftrage der Vollmachtgeber in deren 
Intereſſe und nach deren Anweiſungen handeln ſollte, 
ſondern die volle, freie, un verantwortliche Dispoſition 
fol vollſtändig in die Hände des Güterhändlers ge- 
legt werden. Eine ernſtlich gewollte Vollmacht mit 
den geſetzlichen Folgen kommt nicht in Frage; es hans 
delt ſich nur um ein Scheingeſchäft, welches nach 8 117 
BGB. nichtig iſt. Zur Errichtung eines ſolchen Ge— 
ſchäftes darf der Notar nach Art. 16 Not. nicht mit⸗ 
wirken.“ 

Das Landgericht Eichſtätt hat in einem gleich— 
artigen Falle durch Beſchluß vom 22. April 1911 das 


Gegenteil ausgeſprochen und dazu ausgeführt, daß 
Art. 16 Not. hier nicht einſchlage, weil das zu be— 


urkundende Geſchäft weder gegen ein Strafgeſetz ver— 
ſtoße, noch offenbar nichtig ſei, noch nur zum Schein 
oder Scherz vorgenommen werden wolle; es handle 
ſich nur um die Ausnützung einer Lücke des Geſetzes 
zur Erlangung wirtſchaftlicher Vorteile; der Wille 


304 


der Parteien ſei auf das, was beurkundet werden ſolle, 
gerichtet, indem ſie wirklich und ernſtlich und mit Rechts⸗ 
wirkſamkeit eine Vollmachtserteilung erklären wollten. 

So bedauerlich es für die Zwecke des Geſetzgebers 
ſein mag, vom Rechtsſtandpunkte aus dürfte die An⸗ 
ſchauung des Landgerichts Eichſtätt den Vorzug ver⸗ 
dienen. Solange ein Geſetz die Möglichkeit ſeiner 
Umgehung gibt, darf es umgangen werden, ſoferne 
nur das Mittel dazu und der Endzweck erlaubt iſt. 
Nichts aber hindert einen Eigentümer ſein Eigentum 
zu veräußern und ſich dabei eines Bevollmächtigten 
zu bedienen. Wenn dabei die Vollmacht ohne jede 
Beſchränkung erteilt wird, ſo widerſpricht das eben⸗ 
ſowenig dem Begriff und Weſen des Vertretungsver⸗ 
hältniſſes wie der Umſtand, daß der Bevollmächtigte 
ein eigenes Intereſſe an der Geſchäftsführung durch 
Proviſionsgewinn hat. Beides iſt im Geſchäftsverkehr 
ſo alltäglich, daß es verwunderlich wäre, wenn es beim 
Grundſtücksverkehr nicht vorkäme. Daß der Bevoll⸗ 
mächtigte nicht im Intereſſe des Vollmachtgebers 
tätig werde, wird im Ernſte niemand behaupten wollen; 
ſein Intereſſe liegt eben in der vom Güterhändler zu 
betätigenden Veräußerung. Der Ernſt der Vollmachts— 
erteilung ergibt ſich aus ihrem Zwecke ſelbſt: man will 
ſie, weil ſie den Vorteil der Ausſchaltung von Vorkaufs⸗ 
rechten und damit auch die Vermeidung einer Geſchäfts⸗ 
verzögerung aus Art. 3 GZertr G. bringt, und weil durch 
dieſen Ausweg der Güterhändler ſich den Gewinn 
für feine Tatigkeit ſichern kann. Daß dieſe Vollmachts⸗ 
erteilung zum Zwecke der Geſetzesumgehung gewollt 
iſt, berechtigt noch nicht zu behaupten, ſie ſei über⸗ 
haupt nicht gewollt. 

Nicht mit Unrecht führt der Beſchluß des Land⸗ 
gerichts Eichſtätt aus, daß der Geſetzgeber in ſeinem 
Geſetze die verſchiedenen Umgehungsmöglichkeiten ein⸗ 
gehend gewürdigt hat, und daß gerade deshalb das 
Schweigen des Geſetzes über dieſe eine Umgehungs— 
art zu dem Schluſſe führe, daß ſie von ihm nicht ge⸗ 
troffen werde (Art. 12). 

Es wäre wünſchenswert, daß etwa noch weiter 
zu dieſer Frage vorliegende Entſcheidungen oder 
Aeußerungen bekannt gegeben würden. 


Amtsrichter Pösl in Mainburg. 


Nachſchrift des Herausgebers. Es iſt 
zuzugeben, daß ein Vertrag über die Erteilung einer 
Vollmacht zu einem Kaufvertrage nicht allein des: 
halb ein nichtiger Scheinvertrag iſt, weil er auch im 
Intereſſe des Bevollmächtigten geſchloſſen wird oder 
weil der Bevollmächtigte und der Auftraggeber im 
inneren Verhaltniſſe Vereinbarungen getroffen haben, 
die nach ihrer Wirkung auf einen Kaufvertrag zwiſchen 
ihnen hinauslaufen können. Die Gültigkeit der Voll— 
machts⸗Erteilung als eines fog. abſtrakten Rechts— 
geſchäfts wird durch ſolche obligatoriſche Verein— 
barungen an ſich nicht berührt (vgl. Planck Bem. 1 
zu 8 167 BGB.). Anders liegt die Sache, wenn der 
Inhalt des Vollmachtsvertrags ſelbſt jo geſtaltet iſt, 
daß jeder Einfluß des Auftraggebers auf die weitere 
Geſtaltung der Rechtsverhaältniſſe ausgeſchaltet und 
ſo der Bevollmächtigte ſofort tatſachlich in die Rechts- 
ſtellung eines Käufers verſetzt wird. Das wird zum 
Beiſpiel der Fall fein, wenn die Widerruflichkeit der 
Vollmacht ausgeſchloſſen wird ($ 168 Satz 2 BGB.) 
oder der Rücktritt des Auftraggebers von dem Voll- 
machts-Vertrage mit Vertragsſtrafe bedroht wird, 
insbeſondere aber dann, wenn der Bevollmächtigte 


Zeitſchrift far Rechtäpflege in Bayern. 1911. Nr. 1. u. 5. für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


von dem Verbote des 8 181 BGB. befreit wird. Dann 
liegt eben in der fo ausgedehnten Vollmachts⸗Extei⸗ 
lung ſelbſt in Wahrheit ſchon der Kaufvertrag und 
daran kann durch die Bezeichnung des Vertrags nichts 
geändert werden, man hat es mit einem jog. ver⸗ 
deckten Rechtsgeſchäfte zu tun (8 117 Abſ. 2 BGB.). 
Mit Recht hat das Oberſte Landesgericht in einem 
ſo gelagerten Falle den angeblichen Vollmachtsvertrag 
als Kaufvertrag behandelt (vgl. die Entſcheidung auf 
S. 315 dieſer Nummer) und damit den Weg gezeigt, 
auf dem den Verſuchen einer Umgehung des Güterzer⸗ 
trümmerungsgeſetzes wirkſam entgegengetreten werden 
kann. Eine wertvolle Unterſtützung erhält der Be⸗ 
ſchluß des Oberſten Landesgerichts durch das Urteil 
des Reichsgerichts vom 28. April 1911, das gleichfalls 
in dieſer Nummer auf S. 306 f. abgedruckt iſt. Der 
„Tatbeſtand, über den das Landgericht Eichſtätt ent⸗ 
ſchieden hat,“) war, ſoweit es ſich erkennen läßt, 
anders gelagert, insbeſondere ſcheinen die dem Be⸗ 
vollmächtigten zugedachten Befugniſſe nicht ſo unge⸗ 
wöhnlich ausgedehnt geweſen zu ſein, wie in den 
vom Oberſten Landesgericht und vom Reichsgericht 
entſchiedenen Fällen. Deshalb wäre es aber auch 
verfehlt aus ihm zu ſchließen, daß die Umgehung 
des Güterzertrümmerungsgeſetzes durch Vollmachts⸗ 
verträge ſchlankweg unter allen Umſtänden geduldet 
werden müſſe. 


Kann ein Rechtsanwalt nach $ 116 300. einer 
armen Partei beigeordnet werden? Eine bedenkliche 
Praxis hat ſich ſeit ungefähr einem halben Jabr am 
Amtsgericht München und am Landgericht München | 
eingebürgert. Wenn ein Rechtsanwalt, der einer 
armen Partei vom Amtsgericht beigeordnet wurde 

— in der Regel geſchieht das bei Streitigkeiten über 
Unterhaltsforderungen —, nach Beendigung des Rechts⸗ 
ſtreits ſeine Koſten feſtſetzen läßt, wird beinahe regel⸗ 
mäßig nur mehr die Prozeßgebühr mit dem Pauſch⸗ 
ſatz zugebilligt, die übrigen Gebühren (Verhandlungs-, 
Beweis- und Schlußverhandlungsgebühr) werden 
geſtrichen mit der Begründung, der Anwalt ſei ge: 
mäß 8 116 ZPO. der armen Partei zur unentgelt⸗ 
lichen Wahrnehmung ihrer Rechte in der mündlichen 
Verhandlung beigeordnet worden, könne alſo für dieſe 
Tätigkeit keine Vergütung beanſpruchen. Da dies an⸗ 
ſcheinend feſtſtehende Praxis werden ſoll, iſt es an- 
gezeigt, die Frage in der Fachpreſſe zu ventilieren. 

Ein Anwalt kann nach $ 116 ZPO. m. E. einer 
armen Partei überhaupt nicht beigeordnet werden.“ 
Das ergibt ſich ganz klar aus dem Wortlaut dieſer 
Vorſchrift: „Inſoweit nicht eine Vertretung durch 
Anwälte geboten oder ein Anwalt gemäß 8 31 RAO. 
beigeordnet iſt, kann einer armen Partei ... ein 
Juſtizbeamter oder ein Rechtskundiger, der die vor⸗ 
geſchriebene erſte Prufung für den Juſtizdienſt bes 
ſtanden hat, auf Antrag beigeordnet werden.“ 8 116 
ſieht alſo die Beiordnung eines Rechtsanwalts über— 
haupt nicht vor, ſondern geſtattet nur die Beiordnung 
eines Juſtizbeamten oder eines Rechtspraktikanten. 
Der Rechtsanwalt iſt zwar auch „ein Rechtskundiger, 

1) Der Beſchluß iſt in Nr. 6 der Bay Notz. 1911 
S. 275 ff. veröffentlicht. 


) Zu demſelben Reſultat gelangt Vogt in BIIRM. 
Bd. 74 S. 730. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


der die vorgeſchriebene erſte Prüfung für den Juſtiz⸗ 
dienſt beſtanden hat“, aber es war ſicherlich nicht die 
Abſicht des Geſetzgebers, mit dieſem Wortlaut Rechts⸗ 
anwälte zu treffen. Selbſtverſtändlich wird die Bei⸗ 
ordnung dadurch, daß es in dem amtsgerichtlichen 
Beſchluß heißt: „Rechtsanwalt X. wird gemäß 8 116 
ZPO. beigeordnet“, nicht rechtsgültig. 

Die Beiordnung von Rechtsanwälten iſt nach den 
Eingangsworten des 8 116 nur auf andere Weiſe 
möglich. Entweder im Anwaltsprozeß gemäß 8 115 
Nr. 3 ZPO. oder im Parteiprozeß gemäß $ 34 RAO. 
Würden die Rechtsanwälte unter die im 8 116 be⸗ 
zeichneten Perſonenkategorien fallen, dann wäre die 
Beſtimmung in 8 34 RAD. überhaupt überflüſſig. 

Daß ein Anwalt nach $ 116 nicht beigeordnet 
werden kann, beſtätigt z. B. auch Gaupp⸗Stein Anm. I 
zu 8 116: „Ein Recht auf die Beiordnung eines An⸗ 
walts hat die arme Partei nur im Anwaltsprozeß. 
Im Parteiprozeſſe kann ihr nach 8 34 RAD. auf 
Antrag ein bei dem Amtsgericht zugelaſſener Rechts⸗ 
anwalt beigeordnet werden, deſſen Stellung dann ge⸗ 
nau der des Armenanwalts im Anwaltsprozeſſe gleicht. 
Dieſe Vorſchrift genügt dem Bedürfniſſe nicht, wenn 
bei dem Amtsgerichte kein oder nur ein Anwalt zu— 
gelaſſen iſt, ganz abgeſehen von der begreiflichen 
Scheu der Amtsrichter vor allzu ſtarker Belaſtung 
der Anwälte. Deshalb geſtattet 8 116 der Partei 
anſtatt eines Anwaltes einen Juſtizbeamten, 
der nicht als Richter angeſtellt iſt, alſo namentlich 
einen Gerichtsſchreiber uſw. oder einen Rechtskundigen, 
der die erſte Prüfung beſtanden hat, auch wenn er 
nicht mehr im Vorbereitungsdienſt ſteht, beizuordnen“. 

Auch aus einem anderen Grund iſt die Praxis 
des Amtsgerichts München, Rechtsanwälte nach 8 116 
beizuordnen, verfehlt. Ein Anwalt kann von einem 
Gericht natürlich nur beigeordnet werden, wenn er 
an dieſem Gericht zugelaſſen iſt (Friedländer, RAO. 
Anm. 7 zu 8 34). Nun iſt aber die weitaus über⸗ 
wiegende Mehrzahl der Münchener Rechtsanwälte am 
Amtsgericht München überhaupt nicht zugelaſſen (zur⸗ 
zeit nur zwei), ſondern nur an den Landgerichten 
und am Oberlandesgericht. Infolgedeſſen könnte das 
Amtsgericht München richtigerweiſe überhaupt nur 
dieſe beiden Anwälte beiordnen, aber auch nicht nach 
8 116 ZPO., wie es formularmäßig bis jetzt immer 
geſchieht, ſondern nur gemäß 8 34 RAD. 

Von dieſen „nach $ 116 ZPO.“ vom Amtsgericht 
beigeordneten Armenanwälten wird — was wiederum 
unrichtig iſt — ſtets verlangt, daß ſie eine Prozeß⸗ 
vollmacht vorlegen. Erfolgte die Beiordnung nach 
§ 116, fo geſchah fie bloß zur Wahrnehmung der 
Rechte in der mündlichen Verhandlung: mit 
Zuſtellungen, ſowie überhaupt dem ganzen anderen 
Prozeßbetrieb hat ſich der nach $ 116 Beigeordnete 
überhaupt nicht zu befaſſen; hiermit wird aber das 
Verlangen der Prozeßvollmacht begründet. Zum 
Auftreten in der mündlichen Verhandlung iſt der 
Armenvertreter nach 8 116 jedoch ſchon durch den 
Gerichtsbeſchluß allein ermächtigt. Gleichwohl heißt 
es aber ſo und ſo oft in den Sitzungsprotokollen: 
„Erſcheint für Kläger Rechtsanwalt X, einſtweilen 
ohne Prozeßvollmacht zugelaſſen.“ 

Der praktiſche Unterſchied — und damit komme 
ich auf den Ausgangspunkt meiner Ausführungen 
zurück — iſt folgender: Nach $ 34 RAO. und 8 115 
Nr. 3 ZPO. wird ein Anwalt nur zur vor läufig 
unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte der armen 


305 


Partei beigeordnet, nach 8 116 ZPO. hat dieſe Wahr: 
nehmung endgültig unentgeltlich zu geſchehen. Nach 
jenen Beſtimmungen ſind daher der armen Partei 
die Prozeßkoſten nur geſtundet, nach 8 116 erlaſſen. 

Siegt alſo die arme Partei, ſo kann der ihr bei⸗ 
geordnete Anwalt gemäß $ 124 ZPO. fofort feine 
Gebühren feſtſetzen laſſen und vom Gegner beitreiben. 
Unterliegt die arme Partei, ſo ſetzt die Beitreibung 
der Gebühren von ihr gemäß 8 125 ZPO. einen 
eigenen Gerichtsbeſchluß voraus. Auf jeden Fall 
aber hat der Anwalt Anſpruch auf alle ſeine Ge⸗ 
bühren, nicht nur auf die Prozeßgebühr. 

Die erwähnte Praxis iſt daher aus mehreren 
Gründen unrichtig und wird auch, ſoviel bekannt, 
von keinem anderen Gerichte geübt. 


Rechtsanwalt Dr. Stenger in München. 


Zum Vollzug des 5 116 der 350. (Erwiderung 
auf die vorſtehende Mitteilung). Die durch 
das Reichsgeſetz vom 17. Mai 1898 (RGBl. S. 256 ff.) 
zunächſt als 8 107 a eingefügte Beſtimmung des 8 116 
ZPO. hat den in der Begründung zur Novelle aus⸗ 
drücklich ausgeſprochenen Zweck, eine Lücke für den 
Fall auszufüllen, daß der armen Partei nach den 88 34 
und 36 RAD. im amtsgerichtlichen Prozeß ein Anwalt 
nicht beigeordnet werden kann, weil ein beim Amts⸗ 
gerichte zugelaſſener Anwalt nicht vorhanden oder 
der zugelaſſene Anwalt an der Uebernahme der Ver⸗ 
tretung gehindert iſt.“ 

Nach 8 116 ZPO. können einer armen Partei 
unter den feſtgeſtellten Vorausſetzungen beigeordnet 
werden: N 

1. Juſtizbeamte, die nicht als Richter angeſtellt 


ſind; 

2. Rechtskundige, die die vorgeſchriebene 1. Prü⸗ 
fung für den höheren Juſtiz⸗ und Verwaltungs⸗ 
dienſt beſtanden haben. 

Der Wortlaut und der Zweck des 8 116 ZPO. laſſen 
alſo die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu. Es iſt 
auch nirgend erſichtlich, daß die Beiordnung von Rechts⸗ 
anwälten nach 8 116 3PO. ausgeſchloſſen werden 
ſollte. Im Gegenteil ſtützt die Begründung dieſes 
8 107 a der Novelle die hier vertretene Annahme. 
Denn es heißt hier: Den Juſtizbeamten ſtellt der 
Entwurf entſprechend den Vorſchriften des 8 144 
Abſ. 2 StPO. die Rechtskundigen, welche die vor⸗ 
geſchriebene 1. Prüfung für den höheren Juſtizdienſt 
beſtanden haben, ausdrücklich gleich. Die Feſt⸗ 
ſtellung der Grundſätze, nach denen bei 
der Auswahl der beizuordnenden Ber: 
ſonen zu verfahren tft, kann den Dienſtes⸗ 
vorſchriften überlaſſen werden. Siehe die 
Materialien zur ZPO. (Berlin 1898, Heymanns Ber: 
lag, S. 129). 

Auch der Kommentar von Gaupp-Stein zur ZPO. 
ſcheint in ſeiner neueſten Auflage die Möglichkeit der 
Beiordnung von Rechtsanwälten anzuerkennen. Die 
von Dr. Stenger hervorgehobenen Bemerkungen ſind 
geändert; insbeſondere fehlen die Worte: anſtatt 
eines Anwaltes. 


1) Daß nach § 34 NAD. in amtsgerichtlichen 
Prozeſſen nur ein beim Amtsgerichte zugelaſſener 
Anwalt beigeordnet werden kann, iſt die allgemeine 
Meinung (ſiehe JW. 1890 S. 77 und Dr. Fried: 
länder, Kom. zur RAO. Bem. 3 zu 8 34). 


2 


Der Kommentar von Peterſen⸗Remelé⸗Anger 
(5. Auflage) bemerkt in Note 3 zu 8 116 ausdrücklich, 
daß auch Rechtsanwälte, die bei dem Prozeßgerichte 
nicht zugelaſſen ſind, der armen Partei beigeordnet 
werden können. 

Es iſt deshalb die bei dem Amtsgerichte Mün⸗ 
chen ſeit langer Zeit beſtehende Uebung, auch Rechts⸗ 
anwälte, die nicht zugelaſſen find, nach 8 116 ZPO. 
beizuordnen, nicht „bedenklich“, — um jo weniger, 
als ein Zwang zur Annahme der Vertretung nicht 
geübt werden kann und nicht geübt wird. 

Iſt ein Rechtsanwalt der armen Partei nach 8 116 
ZPO. beigeordnet und ſiegt die arme Partei im 
Rechtsſtreit, ſo kann die unterliegende Partei zur 
Erſtattung der Verhandlungs- und Beweisgebühr 
des Anwaltes der Gegenpartei nicht herangezogen 
werden. Dagegen billigt die Praxis des Amtsgerichts 
München dem Rechtsanwalte die Prozeßgebühr dann 
zu, wenn er von der armen Partei Prozeßvollmacht 
erhalten hat. 

Darüber, ob die arme Partei auf ihre durch 
5 116 ZPO. erworbenen Rechte verzichten und fo im 
Falle des Obſiegens die Erſtattung der ſämtlichen 
Koſten des ihr beigeordneten Anwalts durch die 
Gegenpartei herbeiführen kann, ſpricht ſich der Be⸗ 
ſchluß des Landgerichts München I vom 5. November 
1910, Beſchwerde⸗Regiſter V Nr. 541/10, dahin aus, daß 
ein ſolcher Verzicht wohl möglich, aber nicht zu ver⸗ 
11 iſt und deshalb unzweideutig erklärt werden 
muß. 

Iſt der Rechtsſtreit durchgeführt, ſo kann ein 
ſolcher Verzicht nur zu dem Zwecke, dem beigeordneten 
Anwalte zur Erſtattung ſeiner Koſten zu verhelfen, 
wohl nicht mehr erklärt werden. 

Daß der nach 8 116 ZPO. beigeordnete Rechts⸗ 
anwalt eine Prozeßvollmacht ſeiner Partei nicht vor— 
legen muß, iſt außer Zweifel. Eine andere Frage iſt, 
ob er eine Terminsvollmacht vorzulegen hat. Wenn 
gleichwohl auf die Vorlegung einer Prozeß voll— 
macht in einzelnen Fällen hingewirkt wird, fo ſteht 
dies im Einklang mit dem Kommentar von Gaupp— 
Stein, der in der Bemerkung 3 zu $ 116 empfiehlt, 
daß der Anwalt von der Partei (ſtatt der Ter— 
mins-Vollmacht, die nach Gaupp⸗Stein beizubringen 
iſt) eine Prozeßvollmacht ſich ausſtellen läßt, damit 
er auch die Zuſtellungen für die arme Partei be— 
treiben kann und Zuſtellungen an ihn erfolgen können. 

Amtsgerichtsrat Leien decker in München. 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
ö 


Unterliegt die ie zum Grunditüfsderfanf 
der Formvorſchrift des § 313 BGB.? Verhältnis des 
F 313 zu § 167 Abſ. 2 BB. In einer privatſchrift— 
lichen Urkunde vom 20. April 1909 erklärte der Bes 
klagte, daß er ſeinen Grundbeſitz um 84000 M der 
Klägerin zum Kauf anbiete, daß er ſich bis zu Ende 
Dezember 1909 an den Antrag binde und daß er den 
Kaufleuten Kurt T., Bernhard B. und Henry R. 
(Angeſtellten der Klägerin), jedem für ſich allein, 
Vollmacht erteile den Antrag zu notariellem Protokolle 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


— — — — — — — — ... —— —Üt;H— 4 ͤ —Üu—— 


— 


zu erklären. Der Antrag wurde am 21. April 1909 
notariell beurkundet; als Bevollmächtigter des Be⸗ 
klagten trat dabei Henry R. auf. Durch notarielle 
Erklärungen vom 2. und 3. Juli 1909 ermäßigte R. 
unter Vorlegung privatſchriftlicher Vollmachten namens 
des Beklagten den geforderten Kaufpreis auf 75 000 M 
und 72 000 M. Am 9. Juli gab Kurt T. als Bevoll⸗ 
mächtigter der Klägerin die notariell beurkundete Er⸗ 
klärung ab, daß die Klägerin die Anträge des Be⸗ 
klagten vom 21. April und vom 2. und 3. Juli an⸗ 
nehme. Auf Grund dieſer Vorgänge verlangte die 
Klägerin die Auflaſſung und Uebergabe der Grund⸗ 
ſtücke des Beklagten gegen Zahlung von 72 000 M. 
LG. und OLG. wieſen ab. Das R. hob auf. 

Gründe: Das OLG. hält den Kaufvertrag für 
nichtig, weil der Beklagte dem Henry R., der ihn bei 
der notariellen Beurkundung des Vertragsantrags 
vertreten hat, nicht in der Form des § 313 BGB., 
ſondern nur privatſchriftlich Vollmacht erteilt hat. 
Dazu iſt ausgeführt: Durch ihr Verfahren habe die 
Klägerin, bevor es noch zu einer Beurkundung ge⸗ 
kommen ſei, die Herrſchaft ſowohl über den Antrag 
wie über die Annahme in die Hand bekommen, ſie 
habe einen ihrer drei Angeſtellten, die von dem Be⸗ 
klagten bevollmächtigt geweſen ſeien, an einem be- 
liebigen Tage zum Notar beordern können, um dort 
den Antrag beurkunden zu laſſen; ein ſolches Ver⸗ 
fahren widerſpreche dem Grundgedanken des 8 313 
BGB. und ſei auch durch die Vorſchrift des 8 167 
Abſ. 2 nicht gerechtfertigt, da dieſe nur eine allgemeine 
Beſtimmung enthalte, die zurücktreten müſſe, ſobald 
ihre Anwendung mit dem Grundgedanken eines Spezial- 
geſetzes, hier des §8 313, unvereinbar ſei. Das OL. 
nimmt ferner an, daß en 100 eine Stütze 
finde in dem urteile RG. Bd. 50 S. 163 und daß 
das Urteil RG.Z. Bd. 62 S. 335 nicht entgegenſtehe. 

Dieſen Ausführungen kann inſoweit nicht beigetreten 
werden, als fie fi auf das Verhältnis der §§ 313 
und 167 Abſ. 2 BGB. beziehen. Die beiden Vor⸗ 
ſchriften ſtehen ſich nicht als allgemeine Regel und 
Sonderbeſtimmung gegenüber. Die des § 167 Abſ. 2 
hat vielmehr die Bedeutung, daß fie, wie allgemein 
für die formbedürftigen Rechtsgeſchäfte, ſo auch für 
das Gebiet des 8 313 den Umfang des Jormzwangs 
näher beſtimmt, indem ſie das Hilfsgeſchäft der Voll⸗ 
macht ausdrücklich als nicht darunter fallend bezeichnet. 
Im übrigen beruht die angefochtene Entſcheidung auf 
Erwägungen, die ſich nicht ſchlechthin durch den Hin⸗ 
10 auf die Formfreiheit der Vollmacht beſeitigen 
aſſen. 

Allerdings lag nach den Feſtſtellungen des OLG. 
der den Angeſtellten der Klägerin erteilten Vollmacht 
— anders als in dem RG3Z. Bd. 50 S. 163 behandelten 
Falle — nicht ein ſonſtiges Rechtsverhältnis zugrunde, 
vielmehr war die Vollmacht abſtrakt und darum auch 
kraft Geſetzes widerruflich erteilt. Daß eine Vollmacht 
dieſer Art keiner Form bedarf, auch wenn ſie auf den 
Erwerb oder die Veräußerung von Grundeigentum 
gerichtet iſt, HIN RZ. Bd. 62 S. 335 dargelegt, und 
daran iſt grundſätzlich auch hier feſtzuhalten. Das ſchließt 
aber nicht aus, daß im Einzelfalle nur der äußeren 
Form nach eine abitrafte Vollmacht vorliegt, während 
in Wirklichkeit ſchon die Bevollmächtigung demſelben 
Zwecke dienen ſoll und tatſächlich auch dient wie das 


Hauwptgeſchäft. Würde etwa, — was nach 8 181 BGB., 


gelleidete Verkaufserklärung enthält, 


ſoweit die Vertretungsmacht in Betracht kommt, zu— 
läſſig wäre, — der Verkauf eines Grundſtücks in der 
Weiſe vor ſich gehen, daß der Eigentümer den Er— 
werber ermächtigt, als Vertreter des Verkäufers ſich 
ſelbſt den Vertragsantrag zu ſtellen, ſo würde regel— 
mäßig anzunehmen ſein, daß die dem Käufer erteilte 
Ermächtigung nach dem gewollten und tatſächlich er⸗ 
reichten Erfolge nur die in eine andere rechtliche Form 
wenn ſie auch 
nach außen in der Geſtalt einer abſtrakten oder wider— 


ruflichen Vollmacht auftritt. Denn der Verkäufer 
hätte alles getan, was von ſeiner Seite zum Abſchluſſe 
des Vertrags erforderlich iſt, und das Geſchäft käme 
ohne weitere Mitwirkung des Verkäufers oder eines 
zur Wahrung ſeiner Intereſſen berufenen Dritten zum 
Abſchluſſe.!) In einem ſolchen Falle könnte die an 
ſich beſtehende Formfreiheit der Vollmacht nicht dazu 
führen, daß der Kaufvertrag auf Grund der formlos 
erteilten Vollmacht wirkſam zuſtande kommt. Dieſes 
Ergebnis wäre mit dem Sinn und Zwecke des 8 313 
nicht vereinbar. Dasſelbe kann aber auch zutreffen, 
wenn wie hier, die Vollmacht nicht dem Käufer ſelbſt, 
ſondern einer dritten Perſon erteilt iſt. Es beſteht 
die Möglichkeit, daß nach der Abſicht der Beteiligten 
der bevollmächtigte Dritte, wenn er auch nach außen 
aus eigener Entſchließung als Vertreter im Willen 
für den Verkäufer zu handeln hat, doch nur nach den 
Weiſungen des Käufers und als deſſen willenloſes 
Werkzeug tätig werden ſoll. Dieſe Art der Bevoll- 
mächtigung eines Dritten würde ſachlich der dem 
Vertragsgegner ſelbſt erteilten Vollmacht gleichſtehen 
und wäre darum, was die Anwendbarkeit der Form— 
vorſchrift des § 313 betrifft, auch gleich zu beurteilen. 
Das Berufungsgericht iſt deshalb von einem an ſich 
richtigen Geſichtspunkt ausgegangen, indem es Gewicht 
darauf gelegt hat, daß die von dem Beklagten bevoll- 
mächtigten Perſonen Angeſtellte der Klägerin und in 
ihren Angelegenheiten von ihren Anordnungen ab— 
hängig ſind. Dies reicht aber allein noch nicht aus 
um für das vorliegende Verhältnis die Annahme zu 
rechtfertigen, daß ſie nur als willenloſe Werkzeuge 
der Klägerin handeln ſollten, vielmehr muß noch feſt⸗ 
geſtellt werden, ob der beiderſeitige Parteiwillen da- 
hin gerichtet war, daß ſie nur in ſolcher Weiſe tätig 
zu ſein hätten. (Urt. des II. ZS. vom 28. April 1911, 
II 466 / 10). 
2304 Mltgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Böckel in Jena. 


II. 


Inwieweit unterliegen Vergleiche der Formvorſchrift 
des 5 313 BGB.? Aus den Gründen: Dahin⸗ 
geſtellt konnte bleiben, ob es ſich bei dem Vertrage 
vom 4. Dezember 1908 um einen Vergleich handelt; 
denn die in der Rechtſprechung insbeſondere auch des 
erkennenden Senats vertretene Rechtsanſicht, daß Ver⸗ 
gleiche in bezug auf die durch einen Grundſtücks— 
veräußerungs vertrag begründeten Rechtsverhältniſſe 
der im 8 313 vorgeſchriebenen Form nicht bedürften 
(vgl. IW. 1902 Beil. S. 233 unter 105; Bay ZfR. 1909 
S. 208 /9), bedeutet nur eine Einſchränkung der im 
Beſchluſſe des Senats vom 12. April 1902 (RG3Z. 
51. 43) ausgeſprochenen Satzes, daß auch Verträge, 
durch die die auf das Veräußerungsgeſchäft bezüg— 
lichen Beſtimmungen eines noch nicht durch Auflaſſung 
erfüllten Grundſtücksveräußerungs vertrages abgeändert 
werden ſollen, dem Formzwange des 8 313 unter⸗ 
lägen, und bezieht ſich nicht auf Vergleiche, durch die 
eine Verpflichtung zur Uebertragung des Eigentums 
an einem Grundſtücke neu begründet werden ſoll. 
(Urt. des V. ZS. vom 29. Mai 1911, V 540/10). 
2312 — — n. 


III. 


Zu 8 313 B6B.: Formbedürftigkeit einer nach⸗ 
träglich in einem Werkvertrage getroffenen Vereinbarung 
über die Verrechnung des Kaufpreiſes. Aus den 
Gründen: Als Zeſſionarin des Bauunternehmers 
B. beanſprucht die Klägerin einen Werklohnbetrag für 
verſchiedene Bauten. Die Beklagte verweigert die Zah— 
lung, weil zwiſchen B. und ihr im Frühjahr 1906 bei Ab- 


luß eines Werkvertrags mündlich vereinbart worden | 
ſch 5 N ch a Herauszahlung eines angeblich zum Nachlaſſe des N. 


1) Vgl. zu dieſen bedeutſamen Ausführungen die Mitteilung 
auf S. 03 dieſer Nummer und die Nachſchrift dazu, ſowle dle Ent: 
ſcheidung des Oberſten Landesgerichts auf S. 315 dieſer Nummer. 


| 


I 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 307 


ſei, B. müſſe ſich auf ſeine Forderung für die ihm da— 
mals übertragenen Bauten den Kaufpreis anrechnen 
laſſen, den er an die Beklagte auf Grund eines nota— 
riellen Vertrags vom 11. September 1905 für ein 
innerhalb 5 Jahren anzukaufendes — bisher noch nicht 
aufgelaſſenes — Grundſtück zu zahlen habe. Das OLG. 
führt zutreffend aus, daß durch dieſe Vereinbarung die 
Zahlungsbedingungen des notariellen Vertrags ſowohl 
hinſichtlich der Zeit als auch der Art der Tilgung des 
vereinbarten Kaufpreiſes geändert ſeien; während der 
Käufer nach dieſem Vertrage binnen 5 Jahren von 
dem Vertragsſchluß ab den Zeitpunkt, an dem er das 
Grundſtück erwerben wollte, wählen und damit die 
Zahlung des Preiſes, die „bei Tätigung des Kaufver⸗ 
trags“ erfolgen ſollte, bis zum September 1910 hinaus- 
ſchieben konnte, mußte er nach der behaupteten Ver⸗ 
einbarung vom Frühjahr 1906 den Kaufpreis bereits 
1906 und nicht durch Barzahlung, ſondern durch Her: 
ſtellung der übernommenen Bauten tilgen. Bei dieſer 
Sachlage hat das OLG. mit Recht die angebliche münd⸗ 
liche Vereinbarung auf Grund des $ 313 BGB. für 
nichtig erklärt. Der JFormzwang dieſer Vorſchrift be- 
ſchränkt ſich nach feſtſtehender Rechtſprechung des RG. 
(vgl. Entſch. 51, 180; 52, 4; 64, 40; 65, 392; 72, 2) 
nicht auf das Verſprechen das Eigentum an einem 
Grundſtücke zu übertragen, ſondern erſtreckt ſich auf 
den ganzen Grundſtücksveräußerungsvertrag, nament⸗ 
lich auch auf die Abreden über die Gegenleiſtungen 
des Erwerbers; ſo iſt insbeſondere die Abrede der 
Tilgung des Kaufpreiſes durch Hingabe von Wert⸗ 
papieren (Urt. vom 22. Nov. 1907 und vom 23. Okt. 
1908, II 224/07 und II 330/08), durch Abtretung einer 
Hypothekenforderung (JW. 1907 S. 508), durch Verrech⸗ 
nung mit Werklohnforderungen (Urt. vom 14. Juni 
1910, VII 460/09, und vom 18. Febr. 1911, V 109/10) 
für formbedürftig erklärt worden. Dieſe Abreden unter⸗ 
liegen ferner nicht nur dann dem Formzwange, wenn 
ſie bei Abſchluß des Grundſtücksveräußerungsvertrags, 
ſondern auch wenn ſie nachträglich in Abänderung des 
formgerechten — noch nicht erfüllten — Veräußerungs- 
vertrags getroffen werden; denn Aenderungen, die 
an Stelle der urſprünglichen Vereinbarungen treten, 
können hinſichtlich der Form nicht anders beurteil, wer— 
den, als wenn ſie ſofort zu Beſtandteilen des Vertrags 
gemacht worden wären (Entſch. 51, 180; 65, 392; Urt. 
vom 13. Okt. 1908, II 130/08). Folglich iſt die obige, die 
urſprünglichen Zahlungsbedingungen abändernde Ver— 
einbarung mit Recht für nichtig erklärt worden. Daß, wie 
die Reviſion hervorhebt, die Aenderung der Zahlungs— 
bedingungen „im Zuſammenhange mit dem Bauvertrag 
und als Vergütung für dieſen“ vereinbart iſt, ſteht der 
Anwendung des 8 313 nicht entgegen; feiner Vorſchrift 
unterliegen die Grundſtücksveräußerungsverträge und 
daher auch deren Abänderungen auch dann, wenn ſie 
einen Teil eines anderen Vertrags bilden (Entſch. 57, 
432; 68, 262). Schließlich ſpricht auch die Entſcheidung 
des V. ZS. vom 2. April 1910 (V 263/09; JW. 1910 
S. 575, Warneyer III Nr. 200), auf die ſich die Re— 
viſion beruft, nicht zu deren Gunſten, denn dieſe er— 
klärt nur einen Vergleich über die Rechte und Pflich⸗ 
ten aus einem Grundſtücksveräußerungsvertrage für 
nicht formbedürftig;!) um einen ſolchen handelt es ſich 
aber hier nicht. (Urt. des III. ZS. vom 10. Mai 1911, 
III 382/10). E. 
2306 
IV. 


Ein Bankguthaben kann durch formloſe Abtretung 
der Forderung unter Lebenden wie auf den Todesfall 
verſchenkt werden, ohne daß zugleich das Bankkontobuch 
übergeben werden muß. Die Erben des verwitweten 
Privatmannes N. verlangen von der Beklagten die 


1) Vgl. dazu die Entſcheidung des V. 35. vom 29. Mai 1911, 
abgedruckt in dieſer Nummer S. 307 unter II. 


308 


gehörenden Bankguthabens von 6000 M, das die Bes 
klagte nach dem Tode des N. auf Grund des in ihrem 
Beſitze befindlichen Bankkontobuches erhoben hatte. 
Die Beklagte hat eingewendet, daß ihr das Guthaben 
ſchon bei Lebzeiten der Frau des N. von dieſer mit 
Zuſtimmung des Erblaſſers durch unentgeltliche Ab— 
tretung geſchenkt worden ſei. Das LG. erkannte für 
die Beklagte auf mehrere Eeide. Das OLG. verur⸗ 
teilte die Beklagte unbedingt nach dem Klagantrage. 
Die Reviſion der Beklagten wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht hat 
das Beweisergebnis gewürdigt und iſt dabei zu der 
Ueberzeugung gelangt, daß weder eine Schenkung unter 
Lebenden noch eine Schenkung auf den Todesfall vor— 
liege. Bei dieſer Beweiswürdigung iſt das Berufungs— 
gericht von zutreffenden rechtlichen Geſichtspunkten 
ausgegangen. Im Berufungsurteil heißt es: „Zur 
Gültigkeit der behaupteten Schenkung würde die form— 
loſe Einigung der Beteiligten, nämlich der Niſchen 
Eheleute und der Beklagten genügt haben. Sie hätte 
den ſofortigen Uebergang der abgetretenen Forderung 
auf die Beklagte bewirkt und es wäre der Eintritt 
der Wirkung nicht von der Begebung des Bankkonto— 
buchs an die Beklagte abhängig geweſen. Letztere 
würde mit dem Abſchluſſe des Schenkungsvertrags 
ſofort auch Eigentum an dem Bankkontobuche kraft 
Geſetzes und demzufolge das Recht auf Ablieferung 
des Buches gegen die W.fchen Eheleute erworben haben.“ 
Dieſe rechtlichen Ausführungen entſprechen dem vom 
erkennenden Senate in mehrfachen Entſcheidungen ein— 
genommenen Rechtsſtandpunkte. (Vgl. insbeſondere 
JW. 1907 S. 73 Nr. 3). Wenn alſo die Ni.ſchen Ehe— 
leute die ihnen an das Bankgeſchäft zuſtehende For— 
derung an die Beklagte abtraten, und darüber einig 
waren, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolge (S 516 
Abſ. I BGB.), fo vollzogen fie damit eine Schenkung. 
Die Abtretung bedarf grundſätzlich keiner Form, kann 
vielmehr auch durch ſchlüſſige Handlungen geſchehen. 
Sie bedarf zu ihrer Wirkſamkeit ferner nicht der Ueber— 
gabe des über das abgetretene Bankguthaben lautenden 
Bankkontobuchs. Die Abtretung begründet vielmehr 
das Recht des neuen Gläubigers, vom alten Gläubiger 
die Herausgabe der über die Forderung lautenden Ur— 
kunden zu verlangen. Wird eine Schenkung in dieſer 
Weiſe durch Abtretung einer Forderung vollzogen, ſo 
wird dadurch der Mangel der Form geheilt. Dieſe 
heilende Wirkung kommt der Schenkung unter Lebenden 
und der Schenkung auf den Todesfall (8 2301 BGB.) 
gleichmäßig zuſtatten. Dabei iſt es gleichgültig, ob 
ein Schenkungsverſprechen vorangegangen iſt oder nicht. 
Hier hat aber das Berufungsgericht auf Grund ein— 
gehender Prüfung der Sachlage ohne Irrtum ſeine 
Ueberzeugung dahin ausgeſprochen und begründet, daß 
von einem Vollzuge der Schenkung durch die Niſchen 
Eheleute keine Rede fein könne. (Urt. des IV. 35. vom 
18. Mai 1911, IV 476/10). G—-—— n. 

2295 


V. 


Umfang des Schadenderſates bei argliſtiger Tan: 
ſchung über den Umſatz eines gekauften Gaſthofs. Ver: 
jährung des Anſpruchs. Aus den Gründen: Das 
Berufungsgericht ſtellt feſt, daß der Beklagte den Kläger 
argliſtig getäuſcht hat durch die bewußt unwahre Zu— 
ſicherung eines Umſatzes von 250 hl Lagerbier im 
Jahre 1904 und eines annähernd gleichen Umſatzes 
in den Vorjahren. Es handelt ſich ſomit um eine 
wiſſentlich falſche Verſicherung über eine Eigenſchaft 
der Kaufſache. Für ſolche Fälle hat das Reichsgericht 
wiederholt ausgeſprochen, unter ſinngemäßer Anwen— 
dung des 8 463 BB. wegen Gleichheit des Rechts— 
grundes, daß der betrogene Käufer berechtigt iſt den 
die Eigenſchaft vorſpiegelnden Verkäufer auf Schadens— 
erſatz ſo in Anſpruch zu nehmen, wie wenn dieſer ihm 
die Eigenſchaft vertragsmäßig zugeſichert, dann aber 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


1911. Nr. 14 u. 15. 


nicht gewährt hätte (RG. 63, 112; 66, 338; JW. 
1910 S. 934). Hieraus ergibt ſich, daß der Kläger als 
Schadenserſatz den Geldbetrag fordern kann, der ers 
forderlich iſt ihn wirtſchaftlich in die Lage zu bringen, 
in der er ſich befinden würde, wenn der Gaſthof einen 
Jahresumſatz von 250 hl jährlich bei dem Verkaufe 
gehabt hätte. Da der Gaſthof dann einen Wert von 
63 000 M haben würde, während er tatſächlich infolge 
des geringeren Bierumſatzes nur einen ſolchen von 
52 000 M hat, fo iſt ein Schadenserſatz von 9000 M 
nach Abzug der im vorausgegangenen Rechtsſtreit zu— 
geſprochenen 2000 M mit Recht zugebilligt. Es iſt 
aber auch das Verlangen der Reviſion ungerechtfer— 
tigt, daß der Schaden nur inſoweit in bar erſetzt werde, 
als ſich aus dem Verhältnis zwiſchen Barzahlung und 
Stundung des Kaufpreiſes ergebe. Die Reviſion ver— 
kennt nicht, daß das Reichsgericht in der Entſcheidung 
vom 2. Oktober 1907 (RG=Z. 66, 339) den entgegen- 
ſtehenden Standpunkt vertreten hat, ſie hat aber um 
Nachprüfung gebeten, weil ihrer Meinung nach dieſes 
Urteil im Widerſpruch ſtehe mit dem vom 28. März 
1906 (RG. 63, 112). Dieſe Anſicht iſt jedoch irrig; 
denn, abgeſehen davon, daß die dort gebrauchten Worte 
„Ermäßigung oder Erſatz“ nicht mit Sicherheit für die 
Auffaſſung des Beklagten ſprechen würden, überſieht 
die Reviſion, daß dort geklagt worden war auf Zah— 
lung oder auf Löſchung eines gleich hohen Betrages 
von dem eingetragenen Kaufgelderreſte. Mag ein ſolches 
Verlangen unter Umſtänden bei Geltendmachung eines 
Anſpruchs auf Preisminderung berechtigt ſein können, 
ſo gilt dies doch nicht bei der Forderung des Schadens- 
erſatzes wegen Nichterfüllung. Es lag daher kein Grund 
vor von der erwähnten Entſcheidung vom 2. Oktober 
1907 und deren Begründung abzugehen. 

Endlich ergibt ſich aber auch aus der Zugrunde— 
legung des 8 463 BGB., daß die aus der Zurückwei— 
ſung der Verjährungseinrede erhobene Rüge der Revi— 
ſion unbegründet iſt. Es bedarf keines Eingehens auf 
die von der Reviſion angeregte Frage, wann der Lauf 
der dreijährigen Verjährung des 8 852 BGB. begon- 
nen hat, weil dieſe Beſtimmung hier überhaupt keine 
Anwendung findet. Ein auf 8 463 BGB. beruhender 
Anſpruch iſt kein ſolcher aus einer unerlaubten Hand— 
lung, und ſelbſt wenn ein ſolcher Anſpruch gleichzeitig 
anzunehmen wäre, ſo würde dies doch nicht die Folge 
haben, daß auch der vertragliche oder einem vertrag— 
lichen gleich zu behandelnde Schadenserſatzanſpruch der 
kürzen Verjährung des 8 852 BGB. unterliegen würde 
(RG. 66, 88). Es kann hier vielmehr nur die dreißig— 
jährige Verjährung des 8 195 BGB. in Frage kom⸗ 
men (Urt. des V. 35. vom 3. Mai 1911, V 420/10). 

2311 — —- n. 
VI. 

Rechtsverhältnis zwiſchen dem Bürgen und dem 
Gläubiger, wenn die Bürgſchaftserklärung unter der 
Vorausſetzung abgegeben wurde, daß der Gläubiger 
dem Hauptſchuldner weiteren Kredit gewähren werde, 
das aber nicht geſchehen iſt. Anwendbarkeit des 8 812 
Abſ. 1 Satz 2 BB. Der Kläger übernahm durch 
ſchriftliche Erklärung vom 10. Juni 1906 dem Be— 
klagten gegenüber die ſelbſtſchuldneriſche Bürgſchaft 
für eine Schuld ſeines Sohnes an den Beklagten. 
Unter der Behauptung, daß der Beklagte dem Haupt— 
ſchuldner als Gegenleiſtung für die Verſchaffung der 
Rürgichaft des Klägers zu weiteren Darlehen in Höhe 
von 1000-1500 M ſowie zur Löſchung einer Sicher— 
heitshypothek ſich verpflichtet, dieſe Verpflichtungen 
aber nicht erfüllt habe, hat der Kläger gegen den 
Beklagten auf Feſtſtellung geklagt, daß dieſem aus 
der Bürgſchaftserklärung Rechte gegen den Kläger 
nicht zuſtehen, hilfsweiſe auf Befreiung von der 
Bürgſchaft. Das Landgericht hat dem Hilfsantrage 
ſtattgegeben, das OLG. die Klage abgewieſen. Die 
Reviſion hatte Erfolg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


Aus den Gründen. Das Berufungsgericht 
gelangt zu folgendem Ergebniſſe. Auch wenn man 
das behauptete Verſprechen weiterer Kreditierung für 
bewieſen erachte, ſeien die Klageanträge nicht begrün⸗ 
det. Ein gegenſeitiger Vertrag zwiſchen den Parteien 
liege nicht vor; dem Kläger ſolle auch nach den Be⸗ 
hauptungen des Klägers dieſes Verſprechen als Gegen- 
verpflichtung zur Bürgſchafts verpflichtung nicht ab⸗ 
gegeben worden ſein. Es komme alſo noch in Frage, 
ob die Bürgſchaftserklaärung des Klägers unter der 
ſei es aufſchiebenden, ſei es auflöſenden Bedingung 

der weiteren Kreditierung an den Hauptſchuldner ab⸗ 
gegeben worden ſei. Nun ſei zwar anzuerkennen, 
daß die Bürgſchafts verpflichtung einſchränkende Neben⸗ 
abreden auch ohne Einhaltung der Form des 8 766 
BGB. Gültigkeit haben könnten. Immerhin ſetze dies 
voraus, daß die Vertragsparteien darüber einig ge— 
weſen ſeien, die Nebenabrede ſolle neben der fchrift- 
lichen Erklärung gelten. Dafür fehle aber jede 
Unterlage, zumal da ſich die Bürgſchaft nur auf die 
beſtehende alte Schuld bezogen habe. Weiter könne wohl 
an eine Anfechtung der Bürgſchaftserklärung wegen 
Irrtums gedacht werden. Allein wenn der Kläger 
zur Eingehung der Bürgſchafts verpflichtung durch die 
Mitteilung ſeines Sohnes, er werde dann weitere 
Darlehen erhalten, auch allein beſtimmt worden ſei, 
fo komme doch nur ein unerheblicher Irrtum im Bes 
weggrunde in Frage. Eine argliſtige Täuſchung 
durch den Beklagten könne vorliegen, wenn der Be— 
klagte von vornherein nicht die Abſicht gehabt habe, 
dem Sohne des Klägers weitere Geldmittel zu be— 
ſchaffen, und wenn er das Verſprechen abgegeben 
hätte, um die Bürgſchaft des Klägers zu erſchleichen. 
Eine ſolche betrügeriſche Abſicht des Beklagten laſſe 
ſich aber nicht feſtſtellen. Eine Rückforderung der mit 
der Bürgſchaftserklärung vom Kläger gemachten 
Leiſtung nach 8 812 BGB., weil die bezweckte Gegen— 
leiſtung des Beklagten ausgeblieben ſei, ſetze voraus, 
daß die Zweckbeſtimmung vereinbarungsgemäß zum 
Inhalte des Rechtsgeſchäfts gemacht worden ſei, nicht 
ein bloßes Motiv bedeute. Das würde vorliegen, 
wenn das Darlehen, zu deſſen Sicherung die Bürg— 
ſchaft dienen ſollte, nicht gegeben werde, oder wenn 
durch die Bürgſchaft für ein beſtehendes Darlehen 
mittels Verpfändung der Bürgſchaftsurkunde ein 
weiterer Kredit erlangt werden ſollte und dieſer Zweck 
nicht erreicht wurde. So liege aber der Fall nicht. 

Dem Berufungsgerichte kann darin nicht bei— 
getreten werden, daß, auch wenn der von dem Kläger 
behauptete Sachverhalt erwieſen würde, ſeine Ver— 
pflichtung aus dem Bürgſchaftsvertrage unter allen 
Umſtänden beſtehen bleibe. Die ſchriftliche Bürgſchafts— 
erklärung enthält von der Gegenverpflichtung des 
Gläubigers oder von der Bedingung oder von dem mit 
dem Bürgſchafts vertrage bezweckten Erfolge allerdings 
nichts. Allein das ſteht weder der Annahme entgegen, 
daß zwiſchen den Parteien ein gegenſeitiger Vertrag 
zuſtande gekommen ſei des Inhalts, daß der Kläger 
ſich verpflichtete, für die bereits beſtehende Schuld des 
Hauptſchuldners, ſeines Sohnes, die Bürgſchaft ein— 
zugehen, während der Beklagte dem Kläger gegenüber 
die Verpflichtung übernahm dem Hauptſchuldner 
einen weiteren Kredit zu gewähren, noch der An— 
nahme einer bedingten Bürgſchaftsverpflichtung, noch 
endlich der Annahme, daß die Bürgſchaft zu dem 
Zwecke jener weiteren Kreditgewährung erteilt worden 
und dieſer Zweck auch Beſtandteil und Inhalt des 
einſeitig verpflichtenden Bürgſchaftsvertrages geworden 
wäre. Denn, wie der erkennende Senat mehrfach 
ausgeſprochen hat, enthält die dem 8 766 BGB. ent: 
ſprechende Bürgſchaftsurkunde ihrer Natur und ihrem 
Zwecke nach nur die Bürgſchaftsverpflichtung des 
Bürgen, nicht die Verpflichtungen des Gläubigers, 
auch nicht ſonſtige, ſei es noch fo weſentliche Beſtand— 
teile des Bürgſchaftsvertrages. Auch die Bürgſchaft 


309 


beſchränkende Bedingungen braucht ſie nicht zu ent⸗ 
halten, wenngleich für dieſe eine gewiſſe tatſächliche 
Vermutung anzuerkennen ſein mag, daß die Bedingung, 
wenn getroffen, auch in die ſchriftliche Erklärung auf— 
genommen worden ſein würde. In keinem der Fälle 
kann aber aus dem Fehlen der Gegenverpflichtung 
des Gläubigers oder der Bedingung oder des zum 
Vertragsinhalte gemachten vorausgeſetzten Erfolges 
in der Urkunde darauf geſchloſſen werden, daß die 
Parteien, auch wenn die vorherige mündliche Be⸗ 
redung dieſer Vertragsbeſtandteile erwieſen iſt, ſchließ⸗ 
lich davon abgeſtanden und dahin einig geworden 
ſeien, daß nur die ſchriftliche Erklärung gelten ſolle. 
Die Bürgſchaftserklärung der Urkunde hat die Ver— 
mutung der Vollſtändigkeit nur für die Verpflichtungen 
ih Bürgen für ſich, nicht für den übrigen Vertrags- 
inhalt. 

Sämtliche drei genannten Fälle ſind nach dem 
allgemeinen Sachſtande rechtlich möglich. Der Feſt⸗ 
ſtellung eines gegenſeitig verpflichtenden Vertrages 
ſteht nur die tatſächliche Schwierigkeit im Wege, daß 
die Parteien überhaupt niemals unmittelbar mit: 
einander in Verkehr getreten ſind, um Vereinbarungen 
über die gegenſeitigen Verpflichtungen zu treffen. 
Aehnlicher Schwierigkeit begegnet tatſächlich die An- 
nahme einer bedingten Bürgſchafts verpflichtung des 
Klägers, da der bezweckte Erfolg, auch wenn er Ver— 
tragsinhalt wurde, nicht notwendig als Bedingung 
den Vertragsparteien zum Bewußtſein gekommen und 
von ihnen gewollt fein muß. Dagegen muß die An- 
nahme eines zum Vertragsinhalte gemachten Erfolges 
des Bürgſchaftsvertrages im Sinne von $ 812 Abſ. 1 
Satz 2 BGB. ebenſo rechtlich als tatſächlich für un- 
bedenklich erachtet werden. Wenn der Hauptſchuldner 
mit dem Gläubiger die Abmachung trifft: gegen deſſen 
Verpflichtung zu weiterer Kreditgewährung werde er 
ihm für die beſtehende Schuld durch Bürgſchaft ſeines 
Vaters Sicherheit verſchaffen, dann iſt es faſt ſelbſt— 
verſtändlich, daß auch die Bürgſchaft nur in dieſem 
Sinne erklärt wird. Der Gläubiger muß der Auf— 
faſſung ſein, daß der Schuldner ſeinem Vater als dem 
in Ausſicht genommenen Bürgen den Sachverhalt, 
die Gegenverpflichtung des Gläubigers ihm, dem 
Schuldner gegenüber, mitteilt, und daß der Vater 
die Bürgſchaftsverpflichtung eingeht, um ſeinem Sohne 
den weiteren Kredit zu verſchaffen. In dieſem Bewußt— 
ſein gibt der Bürge die Bürgſchaftserklärung ab, 
und in dieſem Bewußtſein nimmt der Gläubiger, wie 
dies im gegebenen Falle dem behaupteten Sachverhalt 
entſpricht, ſie aus der Hand des Schuldners entgegen, 
mit dem er die Abmachung getroffen hat. Daß hier 
die weitere Verpflichtung des Gläubigers dem Haupt- 
ſchuldner gegenüber für die Bürgſchafts verpflichtung 
nur Beweggrund, nicht als gewollter und voraus— 
geſetzter Erfolg Geſchäftsbeſtandteil ſei, muß geleugnet 
werden; fie iſt nur nicht Beſtandteil der Bürgſchafts— 
erklärung und braucht dies auch nicht zu ſein. Wenn 
demgemäß der Bürgſchaftsvertrag in dem bei beiden 
Vertragsparteien vorhandenen Bewußtſein geſchloſſen 
wurde, daß infolge der Bürgſchafts verpflichtung dem 
Schuldner weitere Leiſtungen zufließen ſollten, und 
daß die Bürgſchaft allein zum Zwecke der Herbei— 
führung dieſes Erfolges eingegangen wurde, dann 
liegt ein einſeitig verpflichtender, aber mit dem beiden 
Vertragsteilen bewußten Zwecke eines beſtimmten 
außerhalb der Vertragsleiſtung liegenden Erfolges 
untrennbar verbundener Vertrag vor, und der Be— 
klagte iſt beim Ausbleiben dieſes von ſeiner Hand— 
lung abhängigen Erfolges durch die Bürgſchafts— 
leiſtung des Klägers ohne rechtlichen Grund auf 
Koſten des Klägers bereichert und deshalb verpflichtet, 
der in dem Bürgſchaftsvertrage erworbenen Vorteile 
auf Verlangen des Klägers ſich wieder zu begeben; 
er darf aus der Bürgſchaft keinen Vorteil ziehen, da 
dieſe von dem Bürgen nur zu dem alleinigen und, 


’ 


wenngleich nur ſtillſchweigend, aber doch dem Gläu⸗ 
biger erkennbar erklärten Zwecke eingegangen war, 
eine Ausdehnung des Kredits des Hauptſchuldners 


herbeizuführen, zu der ſich der Gläubiger dieſem 
gegenüber bereits verpflichtet hatte. (Urt. des 
VI. 3S. vom 10. April 1911, VI 321/10). 

2288 — — n. 


VII. 


Die Beſtellung einer Sicherungshypothek für eine 
fremde Schuld enthält nicht notwendig und allgemein 
die Uebernahme einer Bürgſchaft durch den Eigentümer. 
Es ſteht ihm deshalb die Einrede der Vorausklage nach 
3771 BGB. nicht ohne weiteres zu. Nebenabreden bei 
der Bürgſchaftserklärung. Die Beklagte hat in einem 
prozeßgerichtlichen Vergleich dem Kläger zur Sicherung 
aller ſeiner jetzigen und künftigen Anſprüche an ihren 
Sohn auf ihrem Anweſen eine Sicherungshypothek 
von 8000 M beſtellt. Der Kläger beantragt ſie für 
ſchuldig zu erkennen, auf Grund der eingetragenen 
Sicherungshypothek die Zwangsvollſtreckung in ihr 
Anweſen durch Verſteigerung zu geſtatten. Die Be— 
klagte wurde nach dem Klageantrag verurteilt, ihre 
Berufung wurde zurückgewieſen. Die Reviſion blieb 
erfolglos. 

Aus den Gründen: Bei der Beurteilung des 
Vergleichs geht das Berufungsgericht davon aus, daß 
der Eigentümer eines Grundſtücks, der dem Gläubiger 
für den einem Dritten gewährten Kredit eine Sicherungs— 
hypothek beſtellt, Bürge werde und zugleich dem 
Gläubiger für ſeine Forderungen aus der Bürgſchaft 
eine hypothekariſche Sicherheit gewähre. Allein die 
Uebernahme einer Bürgſchaft und die Beſtellung einer 
Hypothek für eine fremde Schuld find zwei ganz ver— 
ſchiedenartige Rechtsgeſchäfte, das eine ſetzt nicht das 
andere voraus. Insbeſondere erfordert zwar die Be— 
ſtellung einer Hypothek das Beſtehen einer Schuld, 
allein dieſe Schuld kann ebenſowohl eine fremde, als 
eine eigene Schuld des Eigentümers fein. Auch ent⸗ 
hält die Beſtellung einer Hypothek für eine fremde 
Schuld keineswegs notwendig und allgemein zugleich 
die Uebernahme der Bürgſchaft, ſondern ſie unterwirft 
nur das Grundſtück der dinglichen Herrſchaft des 
Gläubigers. Ein perſönlicher Anſpruch, wie ihn die 
Bürgſchaft erzeugt, wird nicht begründet. Hier hat 
die Beklagte in dem Vergleich nur dem Kläger eine 
Sicherungshypothek beſtellt und dieſe Hypothek iſt im 
Grundbuch eingetragen worden als Kreditkaution zu— 
gunſten des Klägers zur Sicherung aller Anſprüche, 
welche für ihn aus dem Geſchäftsverkehr mit dem 
Sohne der Beklagten beſtehen und noch entſtehen. 
Keineswegs iſt alſo die Hypothek für eine Bürgſchafts— 
ſchuld, alſo für eine eigene Schuld der Beklagten ein— 
getragen worden. 

Zu dieſer Erörterung bot nur die Frage Anlaß, 
ob der Beklagten die nach § 771 BGB. dem Bürgen 
zuſtehende Einrede der Vorausklage zukomme. Dieſe 
Frage iſt zu verneinen, wenn man davon ausgeht. 
daß die von der Beklagten dem Kläger beſtellte 
Sicherungshypothek nicht eine Bürgſchaftshypothek, 
ſondern eine Hypothek für eine fremde Schuld ſei. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


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zunächſt gegen den Sohn der Beklagten geltend zu 
machen, ſondern daß er ſich ſofort an die Hypothek 
habe halten können. Dieſe im Wege der Auslegung 
gefundene, tatſächliche Feſtſtellung iſt bedenkenfrei. Die 
Beklagte hat gegen ſie den Einwand erhoben, es ſei 
neben der Vergleichsurkunde vor und bei der Beur: 
kundung des Vergleichs mündlich vereinbart worden, 
daß ſich der Kläger zunächſt an ihren Sohn halten 
müſſe. Die Zuläſſigkeit einer ſolchen mündlichen Neben- 
abrede erkennt das OLG. an, das Erfordernis der 
Schriftform für die Bürgſchaft ſelbſt würde die Gültig⸗ 
keit einer ſolchen Nebenabrede nicht beeinträchtigen, 
wie das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die 
in den Entſcheidungen B. 65 S. 46 und in der JW. 
1908 S. 304 abgedruckten Urteile aufführt, da die 
Nebenabrede nur eine Einſchränkung, nicht eine Er⸗ 
weiterung der in der Urkunde beurkundeten Bürgſchaft 
ſein würde. Allein die Einrede wird vom Berufungs⸗ 
gericht zurückgewieſen, weil die Nebenabrede nur dann 
hätte in Betracht kommen können, wenn zugleich ver⸗ 
einbart worden wäre, daß ſie neben dem ſchriftlich 
Beurkundeten Geltung haben ſolle, eine ſolche Verein⸗ 
barung aber nicht behauptet worden ſei. 

Die Reviſionsklägerin hat unter Hinweis auf die 
in der JW. 1908 S. 108 abgedruckte Entſcheidung 
ausgeführt, das Berufungsgericht habe ſich über die 
Formbedürftigkeit der Nebenabrede geirrt; nur eine 
die Bürgſchaft erweiternde, nicht eine ſie einſchränkende 
Nebenabrede bedürfe der Schriftform. Dieſe Aus⸗ 
führungen beruhen auf einer unzutreffenden Beurteilung 
der Auffaſſung des Berufungsgerichts. Dieſes hat 
aus dem Inhalte der Vergleichsurkunde ſelbſt her— 
geleitet, daß die Beklagte auf die Einrede der Vor— 
ausklage verzichtet habe. Dieſer Verzicht enthält eine 
Erweiterung der nach dem Geſeßz dem Bürgen ob: 
liegenden Haftung und bedarf mithin der Schriftform. 
Dieſe aber war gegeben, inſofern eben aus dem Inhalt 
der Urkunde ſelbſt jener Verzicht hergeleitet worden 
iſt, mithin auch in der Urkunde ſelbſt ſeinen erkenn⸗ 
baren Ausdruck gefunden hat Dem gegenüber würde 
eine Nebenabrede, die dahin ging, daß der Kläger ſich 
zunächſt an den Sohn der Beklagten halten müſſe, 
durch die mithin jener Verzicht auf die Einrede der 
Vorausklage beſeitigt würde, eine Einſchränkung der 
Bürgſchaftshaftung der Beklagten enthalten haben 
und deshalb nach den angeführten Entſcheidungen 
auch ohne Schriftform gültig geweſen ſein. Von 
dieſem der Beklagten nur zugunſten gereichenden 
Geſichtspunkt aus hat aber auch das Berufungsgericht 
die Sache beurteilt. Seine Ausführungen laſſen keinen 
Rechtsverſtoß erkennen. Im Ergebniſſe iſt ſonach dem 
Berufungsgericht darin zuzuſtimmen, daß der Geltend— 
machung der Hypothek die Einrede der Vorausklage 
nicht entgegenſteht. (Urt. des VII. 35. vom 24. l 


1911, vil 305/10). d. 
2275 


VIII. 
Beſteht ein Auftragsverhältnis zwiſchen den Agenten 


der Verſicherungsgeſellſchaft und dem Berſicherungs. 


nehmer? 


Denn nach § 1137 BGB. kann der Eigentümer gegen 


die Hypothek die dem perſönlichen Schuldner gegen 
die Forderung, ſowie die nach 8 770 BGB. einem 
Bürgen zuſtehenden Einreden geltend machen: zu den 
dem Bürgen nach 8 770 BGB. zuſtehenden Einreden 
gehört nicht die Einrede der Vorausklage. Zu dem 
Ergebnis, daß der Beklagten die Einrede der Voraus— 


klage nicht zuſtehe, iſt auch das Berufungsgericht auf 


anderem Wege gelangt. Es nimmt nämlich an, daß 
die Beklagte auf das ihr an ſich zuſtehende Recht der 
Vorausklage in dem Vergleich verzichtet habe. Sei 
dieſer Verzicht auch nicht ausdrücklich ausgeſprochen, 
ſo ergebe er ſich doch daraus, daß dem Kläger nicht 
die Verpflichtung auferlegt worden ſei ſeine Forderung 


Aus den Gründen: Das Berufungs— 
gericht hat verneint, daß ein Auftrags verhältnis vor: 
liege. Grundſätzlich werde der Agent (hier der Be: 
klagte L.) und ebenſo der Vertreter des Agenten (hier 
der Beklagte Kr.), wenn er die Verſicherungsnehmer 
zur Aufnahme von Verſicherungsanträgen aufſuche, 
nur als Vertreter ſeiner Verſicherungsgeſellſchaft tätig. 
Im Einzelfall ſei allerdings ein Auftragsverhältnis 
zwiſchen dem Agenten und dem Antragſteller möglich: 
um es annehmen zu können, müßten aber beſondere 
Umſtände dargetan werden. Solche Umſtände ſeien 
aber vom Kläger nicht geltend gemacht, deſſen Vor— 
bringen nur dahin gehe, er habe den Beklagten Kr. 
gebeten, für die Erledigung des Verſicherungsantrages 
Sorge zu tragen, auch die Sache zu beſchleunigen, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


worauf Kr. ihm verſprochen habe, ſich über den noch 
nicht feſtgeſtellten Wert der zu verſichernden Gebäude 
bei dem Mauermeiſter T. zu erkundigen und „alles 
prompt zu erledigen“. Dieſe Aeußerungen bewegten ſich 
innerhalb der Grenzen der Erklärungen und Zuſiche⸗ 
rungen, wie ſie in der Regel zwiſchen dem einen 
vertragſchließenden Teil und dem Vertreter des anderen 
gewechſelt werden, ohne daß daran gedacht werde, 
eine perſönliche Verpflichtung des Vertreters dem 
Gegner gegenüber zu übernehmen. Dieſe Ausführungen 
werden von der Reviſion ohne Grund beanſtandet. 
Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß im Einzel⸗ 
falle der Agent zum Verſicherungsnehmer in ein Ver⸗ 
tragsverhältnis treten, ſein Beauftragter werden kann, 
und wenn auch ein ſolches Auftragsverhältnis keine 
anderen Vorausſetzungen erfordert, als im allgemeinen 
die Begründung eines Auftragsverhältniſſes, ſo muß 
doch in jedem Falle der Wille, für den anderen ein 
Geſchäft unentgeltlich zu führen, ſich ihm dazu zu ver⸗ 
pflichten, ſeſtgeſtellt werden, und es liegt in der Natur 
der Sache begründet, daß dieſer Wille regelmäßig fehlt, 
wenn es ſich um Geſchäfte handelt, die von dem 
Agenten einer Verſicherungsgeſellſchaft — oder deſſen 
Vertreter — als deren Angeſtelltem mit Rückſicht auf 
das zwiſchen dem Verſicherungsnehmer und der Ver⸗ 
ſicherungsgeſellſchaft zu begründende Vertragsverhält— 
nis vorzunehmen ſind, nicht alſo der Sorge des 
Verſicherungsnehmers obliegen. Soll bei derartigen 
Geſchäften gleichwohl ein Auftrags verhältnis zwiſchen 
dem Agenten und dem Verſicherungsnehmer angenom⸗ 
men werden, ſo bedarf es eben der Anführung von 
Tatſachen, die einen Willen jenes Inhalts rechtfertigen. 
Das Berufungsgericht hat aber ohne Rechtsirrtum 
dargelegt, daß das Vorbringen des Klägers ſolche 
Tatſachen nicht enthält. Dies gilt nicht nur von dem 


Beklagten L., dem Agenten der Verſicherungsgeſellſchaft, 


ſondern auch von dem Beklagten Kr., den der Kläger 
nur, weil er ihn für den Agenten hielt, zur Aufnahme 
des Verſicherungsantrags zu ſich beſtellt hatte, und 
den er, als er ſeinen Irrtum erkannte, nur als den 
Angeſtellten des Beklagten L. anſehen konnte und 
angeſehen hat, wie denn Kr. ſelbſt auch nur in dieſer 
Eigenſchaft angeſehen ſein wollte. Aus der von der 
Reviſion hervorgehobenen Behauptung der Beklagten, 
daß der Kläger mit dem Beklagten Kr. — richtiger 
mit dem Beklagten L. — an Stelle des örtlich an ſich 
zuſtändigen Agenten W. die Verſicherung habe erledigen 
wollen, läßt ſich zugunſten des Klägers nichts herleiten. 

Die Reviſion glaubt, für die von ihr vertretene 
Auffaſſung ſich auf das in RGZ. Bd. 25 S. 233 
abgedruckte Urteil beziehen zu können, in dem es für 
rechtlich zuläſſig angeſehen wird, daß der Agent als 
Beauftragter des Verſicherten für dieſen die Prämien 
zahle. Indeſſen liegt dieſer Fall deswegen anders, 
als der hier zur Entſcheidung ſtehende, weil die Zahlung 
von Prämien für den Verſicherten nicht zu den dem 
Agenten von der Verſicherungsgeſellſchaft zugewieſenen 
Geſchäften gehört. Auch die ſelbſtändige und ohne 
jede Mitwirkung des Verſicherungsnehmers erfolgende 
Ausfüllung des Verſicherungsantrags und Beantwor— 
tung der Fragen gehört nicht zu dieſen Geſchäften 
und deswegen wird, wenn der Agent in dieſer Weiſe 
auf Verlangen des Verſicherungsnehmers tätig wird, 
ohne weiteres ein Auftrags verhältnis zwiſchen beiden 
angenommen werden können. (Urt. des VI. ZS. vom 
24. April 1911, VI 124/10). — — n. 

2287 


IX. 


Fortführung eines unter Lebenden erworbenen 
Handelsgeſchäfts unter der bisherigen Firma. Erforder⸗ 
niſſe einer Bekanntmachung, die gegen den Eintritt der 
in 3 25 Abſ. 1 HB. beſtimmten Folgen der Fort⸗ 
führung Schutz gewähren ſoll. Aus den Gründen: 
Gegenüber einer ſtrengeren Meinung (Cohn in Gru— 


311 


chots Beitr. 42, 52/53), welche der gerichtlichen Be⸗ 
kanntmachung und der unmittelbaren Benachrichtigung 
des Gläubigers von dem Ausſchluß der Uebernahme 
von Verbindlichkeiten des früheren Geſchäftsinhabers 
nur dann eine Wirkſamkeit Dritten gegenüber beimißt, 
wenn ſie der Fortführung des Geſchäftes vorausgeht, 
räumt die Rechtſprechung des RG. in Uebereinſtimmung 
mit der in der Rechtslehre überwiegenden Auffaſſung 
auch einer nachfolgenden Bekanntmachung dieſe Wirkung 
dann ein, wenn ſie ſich unmittelbar der Fortführung 
des Geſchäftes anſchließt (Urt. vom 7. Nov. 1903, 
I 292/03 in Gruchots Beitr. 48, 1002 und JW. 1904 
S. 8 Nr. 9). Dem Uebernehmer iſt zwar eine an⸗ 
gemeſſene Friſt zur Herbeiführung der Eintragung 
und Bekanntmachung zuzugeſtehen. Aber „eine ehe 
Wochen nach der Geſchäftsübernahme ohne erſichtlichen 
Zuſammenhang mit dieſer erfolgende Mitteilung“ 
erfüllt, wie das Urt. des RG. vom 27. Juni 1903, 
I 257/03, in Holdheims MSchr. 1903, 245 ausführt, 
die Vorausſetzungen des 8 25 Abſ. 2 HGB. nicht. 
Das OLG. hat die Frage, ob die Eintragung und 
Bekanntmachung der die Schuldübernahme ausſchließen⸗ 
den Vereinbarung rechtzeitig erfolgt ſind, nicht er⸗ 
örtert. Dieſer Prüfung aber bedarf es. Denn die 
Friſt von mehr als einem Monat, die hier ſchon 
zwiſchen dem Beginn der Fortführung des Geſchäftes 
und der Eintragung im Handelsregiſter liegt, iſt ſo 
erheblich, daß die Rechtzeitigkeit der noch ſpäter er⸗ 
folgten Bekanntmachung keineswegs ſelbſtverſtändlich 
iſt. Sache der Beklagten wird es ſein, die Umſtände 
darzulegen, aus denen ſie gleichwohl die Wirkſamkeit 
der verſpäteten Eintragung und Bekanntmachung her⸗ 
leiten will. Bei dieſer Prüfung wird auch zu beachten 
ſein, daß, wie in dem Urt. des RG. vom 4. Jan. 1911, 
I 461/09 ausgeführt iſt (beſtimmt zum Abdruck in der 
Samml. der Entſch., auszugsweiſe in JW 1911 S. 287 
veröffentlicht), die Wirkſamkeit der Bekanntmachung 
von objektiven Vorausſetzungen abhängt, und eine 
verfpätete Bekanntmachung nicht dadurch Wirkſamkeit 
erlangen kann, daß die Verſpätung von dem Ueber⸗ 
nehmer nicht verſchuldet iſt. Dabei wird allerdings 
die Berückſichtigung der beſonderen Umſtände des Falles 
nicht ausgeſchloſſen. Zu beachten iſt weiter, daß dem 
Uebernehmer des Geſchäftes ein doppelter Weg gegeben 
ift, der Ausſchließung des Ueberganges der Verbind— 
lichkeiten Dritten, alſo den Gläubigern, gegenüber 
Wirkung zu verſchaffen, nämlich neben der Eintragung 
in das Handelsregiſter und deren Bekanntmachung die 
unmittelbare Benachrichtigung des Gläubigers. Die 
Rückſichtnahme auf die Intereſſen der Gläubiger kann 
es geboten erſcheinen laſſen, daß der Uebernehmer 
dieſe ſofort und unmittelbar benachrichtigt, wenn eine 
unverzügliche Eintragung der Geſchäftsübernahme in 
das Handelsregiſter Schwierigkeiten bereitet. Die 
weitere Prüfung wird ſich aber nicht nur auf die 
Rechtzeitigkeit der Bekanntmachung, ſondern auch auf 
deren Inhalt zu erſtrecken haben. Eine Bekannt⸗ 
machung, die gegen den Eintritt der in $ 25 Abſ. I 
HGB. beſtimmten Folgen der Fortführung des Ge— 
ſchäftes Schutz gewähren ſoll, muß ſo deutlich ſein, daß 
der Dritte erkennen kann, daß ſeine Forderung von 
dem Erwerber nicht übernommen iſt (RG. vom 16. Okt. 
1901, 1 219/09, JW. 1901 S. 802 Nr. 11). Eine Ver⸗ 
weiſung auf Verträge, die einer verſchiedenen Aus— 
legung zugänglich ſind, kann alſo nicht genügen. (Urt. 
des III. 35. vom 12. Mai 1911, III 5561909). E. 
2308 
X. 

Kann auf Grund eines vertragsmäßigen Konkurrenz: 
verbotes trotz § 75 Abſ. 2 HB. und trotz der Verein: 
barung einer Vertragsſtrafe die Unterlaſſung der in einem 
Konkurrenzgeſchäſt ausgeübten Tätigkeit als Gewerbe: 
gehilfe i. S. des § 133 f Gew. beanſprucht werden? 
Aus den Gründen: 1. Daß aus einem vertrags— 


312 


mäßigen Konkurrenzverbot auf Unterlaſſung der Tätig⸗ 
keit in einem Konkurrenzgeſchäfte geklagt werden kann, 
iſt allgemein anerkannt (Staudinger, BB. Bem. VIIIa 
zu 8 611, Eltzbacher, Unterlaſſungsklage S. 145, Leh⸗ 
mann, Unterlaſſungsklage S. 139, Oertmann, Komm. 
Bem. 3 e zu 8 241, Wendt, ArchZivPrax. 92, 77, 
Schicker, GewO. [4.] Anm. 4 zu 8 133 f). Dem ſteht 
die Entſch. des RG. 72, 393 nicht entgegen. Sie be⸗ 
trifft nicht den Fall eines vertragsmäßigen Konkurrenz⸗ 
verbotes und ſagt nur, daß dem Prinzipale gegen den 
Handlungsgehilfen, der den übernommenen Dienſt nicht 
antritt oder vor Ablauf der Dienſtzeit verläßt, nicht 
kraft Geſetzes ein klagbarer Anſpruch darauf zuſteht, 
daß er in der Zeit, während deren er ſich von dem 
Dienſte fernhält, nicht einem anderen Prinzipale Dienſte 
leiſte. Durch ſie wird, wie die Begründung hervor— 
hebt, nicht der Entſcheidung tatſächlich anders ge- 
lagerter Fälle vorgegriffen, in denen auf Grund aus— 
drücklicher oder aus den Umſtänden zu entnehmender 
ſtillſchweigender Vereinbarung ein Anſpruch des Prinzi⸗ 
pals hergeleitet wird, dem Handlungsgehilfen die Dienſt— 
leiſtung bei einem beſtimmten anderen Prinzipal oder 
in einer beſtimmten Art von Geſchäften zu verbieten. 
Die gegenteilige Annahme führt auch nicht zu dem 
Ergebniſſe, daß das Fortkommen des Angeſtellten durch 
die vollſtändige Lahmlegung ſeiner gewerblichen Tätig— 
keit verhindert oder unbillig erſchwert würde. Denn 
eine derartige Vereinbarung iſt, ſoweit ſie eine un— 
billige Erſchwerung des Fortkommens des Angeſtellten 
enthält, unwirkſam, und wegen ihrer Unwirkſamkeit 
in dieſem Umfange kann auch durch ſie das Fortkommen 
des Beklagten nicht unbillig erſchwert ſein. 2. Das 
OLG. hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß der 
§ 75 Abſ. 2 HGB. auf die im 8 133 f Gew. bes 
zeichneten Angeſtellten keine entſprechende Anwendung 
findet. Denn die Vorſchrift des §8 133 f GewO. iſt 
durch das EG. HGB. vom 10. Mai 1897 getroffen, 
alſo gleichzeitig mit der Vorſchriſt des 8 75 HGB. in 
Kraft getreten, und der Inhalt des 8 75 HGB. iſt, 
wie der erkennende Senat bereits in dem Urt. vom 
7. Juni 1904 (III 107/04) ausgeſprochen hat, in den 
8 133 f GewO. mit voller Abſicht nicht aufgenommen 
worden (Hahn-Mugdan, Mat. zum HGB. S. 647 64). 
Das OLG. hat weiter ausgeführt, für die Annahme, 
daß eine entſprechende Anwendung des 8 75 Abſ. 2 
HGB. auf das Rechtsverhältnis der Parteien als ver— 
einbart zu gelten habe, fehle es an jedem Anhalte. 
Dies iſt damit begründet, die bloße Tatſache, daß die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


Parteien die dem Beklagten auferlegten Beſchränkungen | 


für die Zeitdauer vereinbart haben, welche das HGB. 
im 8 74 Abſ. 2 als höchſte Dauer zulaſſe, rechtſertige 
nicht den Schluß, daß ſie die Anwendung irgendwelcher 
Beſtimmungen des HGB., insbeſondere des 8 75 Abſ. 2 
gewollt hätten; eine weitere tatſächliche Begründung 
für eine ſolche Annahme habe der Beklagte nicht ge— 


geben. Das OLG. hat dabei allerdings die Nr. 6 des 
Geſchäftsherr die ſchon bei der Eingehung des Agentur⸗ 


Vertrags, nach welcher es dem Beklagten verboten 
iſt auch als Agent, Handlungsgehilfe oder Handlungs— 
bevollmächtigter bei einem Konkurrenzgeſchäfte Stellung 
zu nehmen, nicht beſonders erwähnt. Daraus ergibt 


ſich aber nicht, daß es die Vertragsbeſtimmung über- 


ſehen hat. Einer beſonderen Erwähnung hätte es 
nur bedurft, wenn der Beklagte ſich auf dieſe Be— 
ſtimmung beſonders berufen hätte. Uebrigens folgt 
aus der vom Beklagten übernommenen Verpflichtung, 
weder eine Stellung als Handlungsgehilfe, noch eine 
Stellung als Gewerbegehilfe bei einem Konkurrenz— 
geſchäft anzunehmen, noch keineswegs, daß es im 
Willen der Parteien gelegen habe, die Vorſchrift des 
8 75 Abſ. 2 HGB. ſolle auch im Falle der Annahme 
als Gewerbegehilfe Platz greifen. 3. Auch die Vor— 
ſchriften des BGB. über die Vertragsſtrafe, insbes 
ſondere der 8 340, find nicht verletzt. Nach § 340 
kann der Gläubiger im Falle der Verwirkung der 


nebeneinander verlangen. Klägerin fordert hier auch 
nicht beides nebeneinander, ſondern nur die Unter- 
laſſung. Daß aber etwa der Parteiwille darauf ge⸗ 
richtet geweſen ſei, die Klägerin ſolle im Falle der 
n nur den Anſpruch auf Unterlaſſung 
aben, ſieht das OLG. nicht als erwieſen an. Es 
nimmt vielmehr an, daß die Parteien bei ihrer Ver⸗ 
einbarung auch andere aus Zuwiderhandlungen ents 
ſpringende Anſprüche als die Anſprüche auf Vertrags⸗ 
ſtrafe im Auge gehabt haben. Dieſe Feſtſtellungen 
ſind ausreichend, da nach 8 340 beim Fehlen ander⸗ 
weiter Vereinbarungen die Regel Platz greift, daß der 
Gläubiger die Unterlaffung der Zuwiderhandlung oder 
die Strafe fordern kann. Von einer Verkennung der 
Beweislaſt kann hiernach keine Rede ſein. Die Reviſion 
beruft ſich auch mit Unrecht darauf, daß keine Er⸗ 
örterungen darüber ſtattgefunden haben, ob das volle 
Intereſſe der Klägerin an der Unterlaſſung durch die 
Strafe genügend geſichert iſt. Allerdings hat das RG. 
für die Auslegung der unter Vertragsſtrafe geſtellten 
gewerblichen Konkurrenzverbote — ſei es zwiſchen 
ſelbſtändigen Gewerbetreibenden, ſei es zwiſchen Brinzis 
palen und Handlungs- oder Gewerbegehilfen — in ſtän⸗ 
diger Rechtſprechung (RG. 33 Nr. 30; 40 Nr. 28; Bol ze 
16 Nr. 385; 19 Nr. 494; JW. 1894, 434“; 1902 Beil. 
S. 250 Nr. 156) angenommen, daß der Verpflichtete ſich 
von der ihm auferlegten Beſchränkung durch die feſtge— 
ſetzte Strafleiſtung dann frei machen kann, wenn die 
Strafe ihrer Höhe nach dazu beſtimmt erfcheint, dem Be- 
rechtigten das volle Intereſſe an der Vertragserfüllung 
zu erſetzen. Dieſe Auffaſſung, die auch in der Literatur 
vertreten wird (Staub-Könige, HGB. Anm. 16 zu 
$ 348, Düringer-Hachenburg, HGB. Anm. 8 zu 8 75), 
iſt auf das Weſen der die Erwerbsfreiheit einſchränken— 
den Strafſtipulation gegründet und daher bezüglich 
der Gewerbegehilfen, bezüglich deren eine geſetzliche 
Aenderung ſeit 1900 nicht getroffen worden iſt, weiter 
zu beachten (vgl. RG. 59 Nr. 23). Aber in eine Er⸗ 
örterung nach dieſer Richtung brauchte das OLG. nur 
einzutreten, wenn der Beklagte eine dahingehende Be— 
hauptung in den Vorinſtanzen aufgeſtellt hätte. Das 
hat er nicht getan, vielmehr nur den Standpunkt ver⸗ 
treten, die Klägerin könne die Unterlaſſung fernerer 
Tätigkeit deshalb nicht verlangen, weil 8 75 Abſ. 2 
Satz 1 HGB. Platz greife. Abgeſehen davon hat der 
Beklagte der Klägerin aber auch niemals die Ver— 
tragsſtrafe angeboten oder ſeine Verpflichtung, ſie zu 
zahlen anerkannt, vielmehr auch die Abweiſung des 
in erſter Inſtanz auf die Zahlung der Vertragsſtrafe 
gerichteten eventuellen Klageantrags beantragt. (Urt. 
des III. ZS. vom 26. April 1911, III 366 1910). E. 

2307 


XI. 


Proviſionsanſpruch des Bezirksagenten (4 89 588). 
Keine Ausnahme von der Regel des & 89, wenn der 


vertrags beſtehenden unmittelbaren Beziehungen zu Ab⸗ 
nehmern fortſezt. Aus den Gründen: Der Kläger 
hat die Generalvertretung ſeiner Molkereien für D. 
nebſt Umgegend dem Beklagten übertragen und ihm 
eine beſtimmte Proviſion für alle unmittelbaren und 
mittelbaren Ordres aus dieſem Bezirke zugeſichert. 
Während der Geltung des Vertrages lieferte der Kläger 
Kaͤſe an den Molkereibeſitzer V. ohne Proviſion an den 
Beklagten zu zahlen. Das Berufungsgericht hat die 
Widerklage des Beklagten auf Vorlegung eines Buchaus— 
zuges über die Lieferungen an B.und Zahlung von 50004 
nebſt Zinſen abgewieſen. Nach § 89 HGB. gebührt 
dem für einen beſtimmten Bezirk beſtellten Handlungs— 
agenten die Proviſion im Zweifel auch für ſolche Ge— 
ſchäfte, welche in dem Bezirk ohne feine Mitwirkung 
durch den Geſchäftsherrn oder für dieſen geſchloſſen 
ſind. Die hier aufgeſtellte Auslegungsregel kann 


Strafe nur die Erfüllung oder die Strafe, nicht beides | widerlegt werden nicht nur durch den Beweis einer 


Zeetſchrift für Rechtspflege in Bayern. I 1911. Nr. 14 u. 15. 


313 


entgegenſtehenden ausdrücklichen Vereinbarung, ſondern 
auch durch Darlegung von Umſtänden, aus denen ſich 
ein anderer Wille der Vertragſchließenden ergibt. Die 
Reviſion beanſtandet mit Recht, daß das Berufungs⸗ 
gericht aus dem Zweck des Agenturvertrages und aus 
dem Zweck des § 89 HGB. die allgemeine Folgerung 
zieht, daß die Fortſetzung der bereits bei Abſchluß des 
Vertrages beſtehenden unmittelbaren Beziehungen zu 
Abnehmern, insbeſondere zu alten Engros-Abnehmern, 
von der Auslegungsregel des $ 89 nicht getroffen 
werde, weil dieſe Auffaſſung ohne weiteres dem Bes 
griffe des Bezirksagenten entſpreche und deshalb auch 
ohne beſondere Abmachung von den Vertragsparteien 
als gewollt gelten müſſe, demnach ein Zweifelsfall im 
Sinne des $ 89 gar nicht vorliege. Das Berufungs- 
gericht hat eine Verkehrsſitte dieſes Inhalts nicht feſt⸗ 
geſtellt, und es bedurfte daher zur Ausſchließung der 
Auslegungsregel des 3 89 der Feſtſtellung einer ent⸗ 
gegenſtehenden ausdrücklichen oder aus den tatſäch⸗ 
lichen Umſtänden zu entnehmenden Willenseinigung 
der Parteien. Es iſt deshalb auch die Schlußfolgerung 
nicht zutreffend, daß dem Beklagten der Beweis ob— 
liege, er habe mit dem Kläger allgemein oder gerade 
bezüglich des Abnehmers V. eine beſondere, von jener 
üblichen Auffaſſung abweichende Vereinbarung getroffen. 
(Urt. des III. 35. vom 11. April 1911, III, 304/10). 

2272 — —— n 


B. ö 


Anſchein eines er gün rigen Angebots bei der 
Ankündigung: „Eigene Neparatur⸗Werkſtatt“. Die Revi⸗ 
ſion der Nebenklägerin iſt unter anderen als von der 
Beſchwerdeführerin ſelbſt geltendgemachten, weſentlich 
dem tatſächlichen Gebiet angehörigen Geſichtspunkten 
begründet. Die Strafkammer ſieht als erwieſen an, 
daß der Angeklagte in der Ankündigung feines Aus— 
verkaufs die wiſſentlich unwahre Angabe gemacht habe 
„Eigene Reparaturen-Werkſtatt“, ſpricht ihn aber frei, 
weil er damit nicht die Abſicht verfolgt haben könne, 
unter Irreführung des Publikums den Anſchein eines 
beſonders günſtigen Angebots hervorzurufen. Sie be— 
gründet dieſe Annahme in folgender Weiſe: Der An⸗ 
geklagte habe zugegeben, daß er eine eigene Reparatur 
werkſtatt nicht beſitze, daß er aber die Ausbeſſerungen 
durch feine Handwerker ſowohl in H. wie in C. aus: 
führen laſſe, ſo daß alſo der Käufer von Schuhwaren 
damit rechnen könne, die in dem Geſchäfte gekauften 
Waren auch dort wieder zur Ausbeſſerung abgeben zu 
können. Das Intereſſe des Käufers werde aber da— 
durch gewahrt, daß er Sicherheit habe, die in einem 
Geſchäfte gekauften Schuhwaren auch wieder durch Ver- 
mittelung dieſes Geſchäfts ausbeſſern zu laſſen, und es 
könne ihm gleichgültig ſein, ob der Verkäufer dieſe 
Ausbeſſerungen durch feſtangeſtellte Arbeiter oder durch 
freie Handwerker ausführen laſſe. Dieſe Ausführung 
iſt von Rechtsirrtum beeinflußt. 

Bei dem in Rede ſtehenden Tatbeſtandsmerkmale 
kommt es nicht ſowohl auf die wirkliche Gunſt des 
Angebots an, als vielmehr darauf, ob der Anſchein 
eines ſolchen erweckt werden ſoll. Hierüber entſcheiden 
in erſter Linie nicht die tatſächlich beſtehenden Geſchäfts— 
verhältniſſe des Ankündigenden und der — objektive — 
Inhalt der Angebote, ſondern die Vorſtellungen und 
Anſchauungen des Publikums, an das ſich die Ankün— 
digung richtet. Entſcheidend iſt m. a. W., welche Vor— 
ſtellungen über Art und Inhalt und zwar über die 
Gunſt des Angebots die Ankündigung in dieſem Kreiſe 
des Publikums anzuregen und zu erwecken geeignet 
iſt, ſowie ob der Ankündigende es darauf abgeſehen 
hat, ſolche Vorſtellungen hervorzurufen, die ſeine An— 
gebote in den Augen des Publikums als beſonders 
günſtig erſcheinen laſſen. Es iſt mithin nicht aus— 


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ſchlaggebend, ob nach der Auffaſſung der Strafkammer 
bei objektiver Würdigung des Sachverhalts das In- 
tereſſe des Käufers in der von ihr angegebenen Weiſe 
gewahrt war und ob es ihm gleichgültig ſein könne, 
wie der Verkäufer die Ausbeſſerungen ausführen laſſe. 
Vielmehr kommt es darauf an, welches Intereſſe nach 
den im Publikum herrſchenden Vorſtellungen der Durch— 
ſchnittstäufer an dem Beſtehen einer „eigenen Repa— 
raturwerkſtatt“ ſeines Verkäufers zu haben meint. Es 
wäre m. a. W. zu prüfen und feſtzuſtellen geweſen, ob 
nach dieſen Vorſtellungen das Publikum annimmt, daß 
es die gewünſchten Ausbeſſerungen in einer eigenen 
Reparaturenwerkſtatt des Verkäufers billiger erhält, 
als wenn der Verkäufer die Ausbeſſerungen nur ver: 
mittelt oder als wenn es genötigt wäre ſelbſt einen 
Handwerker unmittelbar zu beauftragen. Eine ſolche 
Annahme des Publikums könnte zwar dann für aus— 
geſchloſſen erachtet werden, wenn ein Händler, wie 
der Angeklagte, den von ihm mit der Ausbeſſerung 
beauftragten ſelbſtändigen Handwerker nur fog. Händ⸗ 
lerpreiſe zahlt und ſeinem Käufer und Auftraggeber 
keine höheren Preiſe zu berechnen braucht und berech⸗ 
net, als ein Handwerker ſeinem Privatkunden, und 
wenn dieſe Verhältniſſe in den Kreiſen des Publikums 
allgemein bekannt ſind. Allein irgendeine ſolche Feſt— 
ſtellung iſt im Urteile nicht getroffen. In dem gleichen 
Sinne hätte es ſich fragen können, ob das Publikum 
etwa glaubt, in einer eigenen Reparaturenwerkſtatt 
auch beſſer bedient zu werden als von Handwerkern, 
die außerhalb des Geſchäftsbetriebs ſtehen, etwa in 
der Erwägung, daß der Verkäufer von Fabrikware, der 
eine ſolche Werkſtatt unterhalte, nicht nur das größere 
Intereſſe an ſachgemäßer Ausbeſſerung, ſondern nach 
den Erfahrungen mit ſeiner Ware auch das größere 


Verſtändnis dafür haben werde, wie die von ihm ge— 


lieferte Fabrikware bei der Ausbeſſerung und für deren 
Zweck am geeignetſten zu behandeln ſei. Erſt auf 
Grund von Erwägungen ſolcher oder ähnlicher Art 
konnte die Frage gepruft werden, ob der Angeklagte 
bezweckte derartige Vorſtellungen im Publikum ſich zu⸗ 
nutze zu machen und hervorzurufen. 

Das angefochtene Urteil bietet um ſo weniger Ge— 
währ dafür, daß die Strafkammer den Sachverhalt 
unter dieſen rechtlichen Geſichtspunkten geprüft hat, 
als es keinerlei Aufſchluß darüber gibt, welches denn 
nun nach der Auffaſſung des Erſtrichters der Zweck 
war, den der Angeklagte mit feiner wiſſentlich un- 
wahren Angabe verfolgt hat. Denn da aus dem Ur— 
teile nicht das Gegenteil zu entnehmen iſt, muß mit 
der Möglichkeit gerechnet werden, daß es auch in der 
Auffaſſung der Strafkammer praktiſche Geſchäftszwecke 
waren, die der Angeklagte damit fördern wollte. Da— 
nach hätte einerſeits die Tatſache der unwahren An— 
gabe im Zuſammenhange mit dem Geſamtinhalte der 
Ankündigung betrachtet werden müſſen und es wäre 
dabei zu erwägen geweſen, ob die Angabe nicht dazu 
dienen konnte und nach der Abſicht des Angeklagten 
dazu dienen ſollte gerade für den angekündigten Aus— 
verkauf Kunden anzulocken, dieſen nämlich als beſon— 
ders vorteilhaft erſcheinen zu laſſen, vorteilhaft etwa 
um deswillen, weil hiernach auch die im Ausverkauf 
erworbenen Waren noch nach deſſen Beendigung wie 
eine jede andere im gewöhnlichen Geſchaftsgange ge— 
kaufte Ware zur Reparatur in die eigene Reparaturen— 
werkſtatt des Verkäufers ſollte gegeben werden dürfen. 
Andererſeits hätte die Verfolgung von Wettbewerbs— 
zwecken auch unter dem Geſichtspunkt in Frage kommen 
können, ob der Angeklagte neben dem Vorteil, ſein 
Ausverkaufsangebot überhaupt verlockend zu machen, 
den bei den Ausbeſſerungen zu erzielenden Verdienſt 
auf Koſten der Handwerker zu C. an ſich ziehen wollte, 
indem er ihnen Reparaturen überhaupt nicht über⸗ 
trug, dieſe vielmehr durch Handwerker in H. aus— 
führen ließ, oder wenn er ſie mit der Ausführung 
betraute, ihnen doch nur Händlerbezahlung gewährte, 


- 


während fie anderenfalls mit Privatauftrag bedacht 
worden wären und alſo den Privatkundenpreis gezahlt 
erhalten hätten. 

Die Ausführung der Strafkammer gibt auch in» 
ſofern zu Bedenken Anlaß, als darin nur die Abſicht 
den Anſchein eines beſonders günſtigen Angebots hers 
vorzurufen verneint wird und die Strafkammer da= 
mit zu erkennen gibt, daß der Angeklagte die Abſicht 
den Anſchein eines immerhin günſtigen Angebots zu 
erwecken gehabt haben mag. Alsdann würden die 
vorausgehenden begründenden Ausführungen zuviel 
beweiſen. Dann könnte es dem Käufer bei Zugrunde— 
legung der vorſtehend entwickelten richtigen Geſichts⸗ 
punkte in der Tat ganz gleichgültig ſein, ob der Verkäu⸗ 
fer eine eigene Reparaturenwerkſtatt habe oder nicht, ſo 
wäre nach dem Urteilsinhalte nicht einzuſehen, wie in 
der Auffaſſung der Strafkammer noch Raum für eine 
Abſicht des Angeklagten bleiben könnte den Anſchein 
eines günſtigen Angebots hervorzurufen. (Urt. des 
V. StS. vom 21. April 1911, VD 169/11). — — n. 

2289 


II. 


Wann liegt rechtmäßige Amtsausübung im Sinne 
des z 113 StG. vor? Die Verurteilung des Ange⸗ 
klagten R. wegen Widerſtands iſt nicht aufrecht zu 
erhalten. Da nach den Urteilsfeſtſtellungen der Ange— 
klagte der Durchſuchung keine Hinderniſſe bereitet hat, 
der Widerſtand vielmehr erſt „nach der Beendigung 
der Durchſuchung? ſtattfand und ſich gegen die Voll— 
ſtreckung der angekündigten Feſtnahme richtete, ſo 
kommt es darauf nicht an, ob die Durchſuchung recht— 
mäßig angeordnet und durchgeführt wurde. Darüber, 
ob auch die Feſtnahme des Angeklagten an und für 
ſich nach den Beſtimmungen der $S 112, 127 Abſ. 2 
StPO. zuläſſig und gerechtfertigt war, ſpricht ſich das 
Urteil überhaupt nicht aus, vielmehr beſchränkt es ſich 
darauf, anzuführen, der Gendarmeriewachtmeiſter ſei 
nach pflichtmäßiger Prüfung zu der Ueberzeugung 
gelangt, daß der Angeklagte das Jagdvergehen verübt 
habe und Verdacht beſtehe, er werde ſich der Ver- 
folgung durch die Flucht entziehen. Dadurch wird die 
Annahme der Rechtmäßigkeit der in der Verhängung 
und dem alsbaldigen Vollzug der Feſtnahme beſiehen— 
den Amtsausübung im allgemeinen gerechtfertigt; 
denn die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Amts— 
ausübung bemißt ſich dann, wenn einem Beamten die 
Prüfung obliegt, ob die geſetzlich fejtgelegten Voraus— 
ſetzungen für eine beſtimmte ihm übertragene Voll— 
ſtreckungsmaßregel vorliegen, nicht fo ſehr danach, ob 
dieſe Vorausſetzungen tatſächlich gegeben find, als 
vielmehr danach, ob der Beamte zufolge ſeines pflicht— 
mäßigen Ermeſſens ſie für gegeben erachtet. Ob der 
Beamte aber ſeine Entſchließungen nach pflichtmäßigem 
Ermeſſen getroffen hat, iſt nach den Umſtänden des 
Einzelfalles zu unterſuchen. In Fällen namentlich, in 
denen das Gericht die geſetzliche Zuläſſigkeit der Maß: 
nahmen verneint oder wie hier offen läßt, alſo nicht 
ausſchließt, daß der Beamte zu Unrecht die geſetzlichen 
Vorausſetzungen ſeiner Maßnahmen für gegeben er— 
achtet, ſich alſo geirrt hat, muß gejordert werden, daß 
ein der rechtlichen Nachprüfung zugänglicher Nachweis 
dafür geführt wird, daß der Beamte auf Grund be— 
ſtimmter Tatſachen, nach den Begleitumſtänden des 
Einzelfalls ohne Verſchulden trotz Anwendung der ihm 
pflichtgemäß obliegenden Sorgfalt ſich über das Vor— 
handenſein der geſetzlichen Vorausſetzungen irren konnte. 
Denn wenn der Vollſtreckungsbeamte nur infolge 
ſchuldhafter Verſäumniſſe, durch Unterlaſſung von Er— 
mittelungen oder durch fahrläſſige Nichtbeachtung von 
ſolchen Umſtänden, die geſetzlich ſeiner Anordnung 
entgegenſtehen, Vollſtreckungshandlungen anordnet und 
vornimmt, ſo fehlt es an einer pflichigemäß erlangten 
Ueberzeugung des Beamten von der Berechtigung 
ſeines Vorgehens; ſein auch mit der Pflichtwidrigkeit 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


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vereinbarer guter Glaube an die Berechtigung ſeiner 
Maßnahmen iſt nicht genügend, um ſeine Amtshand⸗ 
lung als rechtmäßige im Sinne des 8 113 anſehen 


zu laſſen. (Urt. des I. Strafſenats vom 29. April 
1911, 1 D 245/11). — - u. 
2279 


III. 


Bermögensſchädigung bei beträgeriſcher Gewinnung 
von Zeitungs Abonnenten durch einen Neiſenden des 
Verlegers. G. follte gegen Proviſion für den Ver⸗ 
lagsbuchhändler M. Beſtellungen auf ein Familien⸗ 
blatt zum Preiſe von 3,60 M für den in 18 Lieferungen 
erſcheinenden Jahrgang aufſuchen. Er erhielt von 
M. je 140 Stück der Nr. 1 u. 2 des Blattes, die er 
an die neugewonnenen Abonnenten gegen Bezahlung 
von 40 Pf. abgeben ſollte. Dieſe durfte er in An: 
rechnung auf die Proviſion für ſich behalten; deren 
Reſt ſollte er bei Ablieferung der Beſtellzettel be⸗ 
kommen. Durch die unwahre Angabe, das Blatt koſte 
im ganzen Jahre nur 40 Pf. und andere falſche Vor⸗ 
fpiegelungen, beſtimmte er eine Menge Leute zur Be⸗ 
ſtellung. Das LG. verurteilte ihn wegen Betrugs 
zum Schaden der Beſteller und außerdem noch wegen 
Urkundenfälſchung und Betrugs zum Schaden des M.; 
dieſem hatte er die teils von den Beſtellern, teils 
eigenmächtig von ihm ſelbſt unterſchriebenen Beſtell— 
zettel unter Verſchweigung des wahren Sachverhalts 
eingeſandt und ihn dadurch beſtimmt, ihm nicht nur 
das für die Hefte eingenommene Geld zu laſſen, ſon— 
dern noch einen weiteren Betrag als Proviſion zu 
zahlen. Das RG. hob das Urteil aus folgenden 
Gründen auf: 

Das LG. hat das zum Tatbeſtande des Betrugs 
gehörige Merkmal der Vermögensbeſchädigung des— 
halb für gegeben erachtet, weil die Beſteller durch 
Abſchluß des Vertrages und Zahlung der 40 Pf. 
Anſpruch auf den ganzen Jahrgang hätten erwerben 
wollen, während ſie tatſächlich nur die beiden erſten 
Hefte des Jahrgangs (nämlich für die 40 Pf.) erhalten 
hätten, da M. ſich mit Recht geweigert habe die auf 
betrügeriſche Weiſe zuſtande gekommenen Verträge zu 
erfüllen, dadurch alſo eine den einzelnen Abonnenten 
zum mindeſten nach deren ſubjektiver Wertſchätzung 
nachteilige Differenz zwiſchen dem von ihnen hinge— 
gebenen Geldwert und dem Geldwerte des dadurch 
erlangten Leiſtungsanſpruchs eingetreten ſei. Das iſt 
rechtsirrig. Für die Frage, ob eine Vermögensbe— 
ſchädigung vorliegt, kann niemals das ſubjektive Er— 
meſſen des Getäuſchten allein entſcheidend ſein, und 
es genügt auch nicht, daß der Getäuſchte weniger er: 
hält, als ihm verſprochen war, vielmehr muß das 
Vermögen objektiv gemindert ſein, wenn auch bei 
der Beantwortung der Frage, ob eine Wertverminde— 
rung des Vermögens eingetreten iſt, auf die beſonderen 
Verhältniſſe und Bedürfniſſe des Getäuſchten Rückſicht 
zu nehmen iſt. RG St. 16, 1 (4, 7); 42, 58 (61). Die 
Strafkammer hätte deshalb zur Beantwortung der 
Frage, ob das Vermögen derjenigen beſchädigt iſt, die 
für 40 Pf. einen ganzen Jahrgang des Deutſchen 
Familienblattes beſtellt und den Preis bezahlt, aber 
nur 2 Hefte erhalten haben, unterſuchen müſſen, ob 
ein dieſen Perſonen nachteiliger Unterſchied einge— 
treten iſt zwiſchen dem Geldwerte, den ihr Vermoͤgen 
infolge des Vertragſchluſſes tatſächlich hatte, und dem» 
jenigen Geldwerte, den es gehabt hätte, wenn ſie den 
Abonnementsvertrag nicht geſchloſſen hätten. Dabei 
durfte die Tatſache, daß ſie auf Grund des Vertrages 
tatſächlich 2 Hefte der Zeitſchrift erhalten haben, 
deren Wert der Angeklagte auf 40 Pf. angegeben hat, 
nicht, wie das LG. ohne Angabe von Gründen meint, 
außer Betracht gelaſſen werden und mußte notwendig 
unterſucht werden, ob und welche Wirkungen der vom 
Angeklagten namens des M. geſchloſſene Vertrag 
gegen dieſen hat, welche Rechte die ſog. Abonnenten 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 


durch Abſchluß des Vertrages gegen M. erworben 
haben, mit Rückſicht darauf, daß der Angeklagte nach 
den Feſtſtellungen des Urteils Reiſender des M. 
war, deſſen Vollmacht den durch 8 55 HGB. be⸗ 
ſtimmten geſetzlichen Umfang hat, alſo nicht 
ſchlechthin von dem ihm erteilten Auftrag abhängig 


des Vertragsſchluſſes konnte entſchieden werden, ob 
die Abonnenten an ihrem Vermögen geſchädigt ſind. 
Nach den bisherigen Feſtſtellungen iſt das nicht nach⸗ 
gewieſen und unterliegt deshalb ſoweit das Urteil 
der Aufhebung. Sollte bei der erneuten Verhandlung 
nach den vorſtehenden Geſichtspunkten die Vermögens⸗ 
beſchädigung der Abonnenten nicht feſtgeſtellt werden, 
ſo wird weiter zu prüfen ſein, ob etwa durch die 
Handlungen des Angeklagten das Eigentum des M. 
(an den den Abonnenten übergebenen Heften der Zeit⸗ 
ſchrift) verletzt oder deſſen Vermögen beſchädigt iſt 
und ob aus dieſem Grunde die Handlungen des An⸗ 
geklagten ſtrafbar find. Dabei wird zu unterſuchen 
ſein, wie weit eine etwa feſtgeſtellte Verletzung des 
Eigentums oder des Vermögens des M. zuſammen⸗ 
fällt mit derjenigen Vermögensbeſchädigung des M., 
welche das LG. zur Verurteilung des Angeklagten 
wegen einer weiteren ſelbſtändigen Handlung, die als 
Urkundenfälſchung in Tateinheit mit Betrug beurteilt 
iſt, herangezogen hat. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, 
daß ſich dann ein anderer rechtlicher oder tatſächlicher 
Zuſammenhang zwiſchen den verſchiedenen Hand— 
lungen des Angeklagten ergibt, als das LG. bisher 
angenommen hat, oder ein Zuſammenhang beſteht, 
wo er bisher nicht angenommen iſt, daß alſo durch 
das Urteil auch die §8 73 oder 74 StGB. verletzt find. 
Deshalb muß das Urteil in ſeinem ganzen Umfang 
aufgehoben werden. (Urt. des I. StS. vom 13. Fe⸗ 
bruar 1911, 1 1112/1910). E. 
2261 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


L 

Kaun in dem Vertrag über Erteilung einer Boll: 
macht zur Zertrümmerung eines Anweſens und Zahlung 
einer Proviſion ein Kaufvertrag über das Anweſen ge: 
funden werden? Müſſen die Beſchwerdeführer in Ge: 
bührenſachen über eine Gegenäußerung der Negierungs⸗ 
finanztammer gehört werden? Aus welchen Grün den 
darf das Beſchwerdegericht in ſolchen Sachen die Er⸗ 
hebung von angebotenen neuen Beweiſen ablehnen? 
(BGB. 88 117, 133, 242, 433; Geb. Art. 48, 49). 
Laut einer Notariatsurkunde, überſchrieben: „Vertrag 


über die Zertrümmerung eines Anweſens“, haben die 


Gaſtwirtsgatten B. und die Kaufleute G. und E. folgen- 
den Vertrag geſchloſſen: 

1. „Die Ehegatten B. beauftragen und ermächtigen 
G. und E. ihren Grundbeſitz im ganzen oder parzellen- 
weiſe zu verkaufen, zu vertauſchen, die eingetauſchten 
Objekte wieder weiter zu veräußern. Zu dieſem Zweck 
erteilen die Ehegatten B. dem G. und E. die Rechte 
eines General bevollmächtigten. Sie ſollen insbeſondere 
ermächtigt ſein die Vertragsbeſtimmungen feſtzuſetzen, 
die Auflaſſung entgegenzunehmen und zu beantragen, 
über Kauf⸗ und Tauſchſchillinge zu quittieren, ſie ab— 
zutreten, ſowie ganz oder teilweiſe zur Löſchung zu 
bewilligen und zu beantragen. Alle Einzelnheiten der 
Kauf⸗ oder Tauſchverträge bleiben ihrem freien Er— 
meſſen vorbehalten. 

2. Der Auftrag und die Vollmacht ſind von den 
Ehegatten B. in unwiderruflicher Weiſe erteilt. 

3. G. und E. nehmen die Vollmacht und den Auf— 


1) S. dazu die Mittellung auf S. 303 dieſer Nummer und die 
Nachſchrift dazu, ferner die Entſcheidung des Reichsgerichts auf 
S. 306 f. dieſer Nummer. 


Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15 


315 


trag an und verpflichten ſich, mit tunlichſtem Fleiße 
die Veräußerung des vorhandenen oder des dafür ein⸗ 
getauſchten Beſitztums zu betätigen. 

4. Alle Bodenzinsablöſungen erfolgen auf Koſten 
der Ehegatten B., welche auch etwaige hierauf ruhende 


Naturalanſprüche wegzufertigen haben. 
iſt. Nur unter Berückſichtigung der Geſamtwirkungen 5 


6. Für die Durchführung der Zertrümmerung, 


uebernahme der anfallenden Kauf⸗ und Tauſchſchillinge, 


für Zeitverſäumnis, für Auslagen an Speſen, für 


Mühewaltung uſw. vergüten die Ehegatten B. dem 


G. und E. eine Proviſion von 12% aus dem ganzen 
Mobiliar⸗ und Immobiliarerlöſe. 

8. Als Zeitpunkt der Abrechnung zwiſchen den 
Ehegatten B. und G. und E. gilt der beendete Ver⸗ 
kauf der Mobilien und Immobilien, ſowie der etwa 
eingetauſchten Immobilien. 

9. Von dem Erlöſe werden abgezogen: a) Die Pro⸗ 
viſion, b) die etwa an und für die Ehegatten B. ge⸗ 
machten Vorſchüſſe und Zahlungen ſamt 5% vom 
Tage der Leiſtung an, c) die weggefertigten Hypotheken- 
anſprüche. Der Reſtbetrag iſt bar an die Ehegatten 
B. zu bezahlen. 

10. Die Kauf- und Tauſchſchillinge haben die Ehe⸗ 
gatten B. an G. und E. abzutreten. Um dieſe For⸗ 
derungsabtretungen vornehmen zu können, ſollen die 
beiden von der Beſchränkung des 8 181 BGB. be⸗ 
freit ſein. 

12. G. und E. haben an die Ehegatten B. binnen 
vier Tagen einen Vorſchuß von 80 000 M bar zu leiſten. 

13. Sollten entgegen der Beſtimmung des Abſ. 2 
die Ehegatten B. anſtreben den Vertrag aufzuheben, 
ſo haben ſie an G. und E. für Zeitverſäumnis uſw. 
eine Entſchädigungsſumme von 3000 M auf Verlangen 


e %% „„ „„ „% „% rer „„ „ % „% „% „„ „% „ „% „ „„ %„% „ „ 


14. Die Koſten zahlen G. und E. Sollten jedoch 
die Ehegatten B. von dieſem Vertrage zurücktreten, 
ſo müſſen ſie alle Beurkundungskoſten außer der Ent⸗ 
ſchädigungsſumme von 3000 M zahlen.“ 

Der Notar hatte die Urkunde mit der Staats- 
gebühr von 600 M bewertet, die K. der Fin. hat jedoch 
aus dem Grunde, weil die Urkunde einen Kaufvertrag 
uber das Anweſen enthalte, die Nachholung einer 
Staatsgebühr von 4090 M abzüglich der gezahlten 
600 M angeordnet. Gegen die Nachforderung haben 
G. und E. die Beſchwerde eingelegt. Das LG. hat 
nach Anhörung der Regierungsfinanzkammer die Be⸗ 
ſchwerde zurückgewieſen. Für die rechtliche Natur des 
Vertrags ſei nach dem 8 133 BGB. der wirkliche Wille 
der Vertragsſchließenden, nicht ſein buchſtäblicher Sinn 
entſcheidend. Aus dem Inhalte der Notariatsurkunde 
gehe aber hervor, daß die Ehegatten B. verkaufen, 
die Beſchwerdeführer erwerben wollten. Dieſem Zweck 
entſpreche der Vertragsinhalt in ſeinen wirtſchaftlichen 
und rechtlichen Wirkungen. 1. Die Ehegatten B. ſollten 
Geld und nur Geld erhalten, nämlich die Anzahlung 
und ſpäter den Reſt auf Grund einer Abrechnung, die 
nur den Zweck habe die Höhe des Kaufpreiſes ziffer— 
mäßig feſtzuſtellen. Letzterer ſei im Vertrage durch 
ein beſtimmtes prozentuales Verhältnis zum Erlös 
aus dem Weiterverkaufe genau feſtgeſetzt. Die angeb— 
liche Proviſion ſei nichts als die Bezeichnung dieſes 
Verhältniſſes. Den Kaufpreis ſollten die Verkäufer 
von den Käufern als Schuldnern erhalten; denn letztere 
erwürben die Kaufſchillinge aus dem Weiterverkaufe 
durch Abtretung an ſich ſelbſt zu eigenem Rechte. Die 
Beſtimmung über die Verzinſung der Anzahlung diene 
nur zur Verſchleierung, ſei mithin für die wirtſchaft— 
liche und rechtliche Wirkung des Vertrags belanglos. 
2. Für den Kaufpreis ſollten die Käufer das Anweſen 
zum Weiterverkauf und zu dieſem Ende die unum— 
ſchränkte Befugnis erhalten, ganz nach freiem Ermeſſen 
über das Beſitztum zu verfügen; die Verkäufer ver— 


316 


lören damit das Recht der Verfügung über ihr An- 
weſen, da jede Verfügung das Recht der Güterhändler 
beeinträchtigen würde, alſo dem Vertrage zuwider 
wäre. Tatſächtlich hätten ſich die Ehegatten B. ihrer 
Rechte als Eigentümer zugunſten der Güterhändler 
vollſtändig begeben, hätten dieſe in die Rechtſtellung 
des Eigentümers verſetzt, ihnen das Anweſen zum 
Eigentum übertragen. Daß die Käufer nur zum Zwecke 
der Weikerveräußerung über das Anweſen verfügen 
können, bedeute für ſie in Wirklichkeit keine Einſchrän⸗ 
kung, denn dieſer Zweck ſei ja gerade von ihnen ſelbſt 
gewollt. Auch widerſpreche die Bedingung, daß der 
Käufer mit dem Kaufgegenſtand in beſtimmter Weiſe 
zu verfahren habe, nicht dem Weſen des Kaufes. Der 
Erlös aus dem Weiterverkaufe fließe ausſchließlich 
und unmittelbar in die Taſche der Güterhändler; ſie 
trügen die Gefahr der Einbringlichkeit und hätten 
auch den Nutzen der Zinſen. Der Weiterverkauf, deſſen 
ſämtliche Koſten ſie aus ihrem eigenen Vermögen ohne 
irgendwelche Gegenleiſtung beſtritten, erfolge alſo aus— 
ſchließlich auf ihre Rechnung. Ein Kauf, bei dem ſich 
der Käufer verpflichtet, als Kaufpreis einen beſtimmten 
Prozentſatz des Erlöſes aus dem Weiterverkaufe zu 
zahlen, ändere dadurch nicht ſeine rechtliche Natur. 
Dieſe Eigentümlichkeit erkläre ſich zur Genüge aus 
dem wirtſchaftlichen Zuſammenhange zwiſchen Kauf 
und Weiterveräußerung, der bei jedem Kaufe zur Zer— 
trümmerung vorliege; denn hier biete in der Regel 
der Erlös aus der Weiterveräußerung dem Käufer die 
Mittel zur Bezahlung des Kaufpreiſes. 3. Das Weſen 
des Dienſtvertrags beſtehe darin, daß der Verpflichtete 
dem Berechtigten für deſſen Zwecke ſeine Arbeitskraft 
zur Verfügung ſtellt. Das ſei hier nicht der Fall. Die 
Güterhändler hätten bei dem Weiterverkauf ihr eigenes 
Geſchäft in ihrem eigenen Intereſſe beſorgt, das dahin 
ging einen möglichſt hohen Preis beim Weiterverkaufe 
zu erzielen; daß die Ehegatten B. irgendwie über die 
Dienſte der Güterhändler für ſich verfügen könnten, 
ſchließe der Vertrag ausdrücklich aus. Das gleiche 
gelte für den Werkvertrag und die Geſchäftsbeſorgung. 
Auch die Zahlung des anſehnlichen Vorſchuſſes von 
80 000 M entſpreche weder der Natur des Dienſt- noch 
des Werkvertrags. Denn ‚Vorſchuß“ ſolle vernünftiger— 
weiſe nur der erhalten, der aus dem Vertrag infolge 
der Dienſtleiſtung oder Werkherſtellung eine Vergütung 
zu beanſpruchen habe. Nach allem liege in Wirklich— 
keit ein durch ſimulierte andere Geſchäfte nur ſehr 
ſchlecht diſſimulierter, klar genug erkennbarer Kauf— 
vertrag vor. Das Oberſte Landesgericht hat die weitere 
Beſchwerde der Güterhändler G. und E. zurückgewieſen. 

Gründe: 1. Mit Unrecht erblicken die Beſchwerde— 
führer eine Verletzung des Geſetzes darin, daß das 
LG. die Aeußerung der Regierungsfinanzkammer ihnen 
nicht mitgeteilt hat. Das Geb. enthält im Art. 48 
keine Vorſchrift, die dem Beſchwerdegericht ein ſolches 
Verfahren zur Pflicht macht; ebenſowenig fordert der 
Grundſatz von der Notwendigkeit des rechtlichen Ge— 
hörs, der ja auch für das Geb. gilt (Ob GZ. 2, 879), 
ein für allemal eine ſolche Maßnahme. Handelt es 
ſich danach von vorneherein nur um eine Frage des 
richterlichen Ermeſſens, ſo iſt auch nicht einzuſehen, 
wie die Entſcheidung des LG. auf der Unterlaſſung 
beruhen ſollte. 

2. Unbegründet iſt auch die Rüge einer Verletzung 
der 8S 133, 242 BGB. Wohl wäre es bedenklich, in 
den Worten des Vertrags, für ſich allein betrachtet, 
die nach außen berechnete Kundgabe des auf Kauf und 
Verkauf gerichteten Willens erblicken zu wollen: denn 
das hieße den Vertragswillen aus einem Wortlaut 
ableiten, der ſchon der Natur der Sache nach nimmer— 
mehr als die Erklärung dieſes Willens angeſchen 
werden könnte. Eine ſolche Verkennung lag aber dem 
LG. fern. Es deutet auf „Simulation“ und „‚Diſſimu— 
lation“. Danach haben alſo die Vertragsteile mit den 
Worten des Vertrags ihren wirklichen Willen nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


geoffenbart, ſondern im Gegenteil ihn verſchleiert, 
m. a. W., ſie haben im beiderſeitigen Einverſtändniſſe 
die auf Begründung eines Auftrags- und Vollmachts⸗ 
verhältniſſes lautende Willenserklärung nur zum Schein 
abgegeben und durch das Scheingeſchäft ein anderes, 
wirklich gewolltes Rechtsgeſchäft, den Kauf, verdeckt 
(8 117 BGB.). Nun iſt, damit nach dem Abſ. 2 des 
8 117 die für das verdeckte Rechtsgeſchäft geltenden 
Vorſchriften Anwendung finden können, erforderlich, 
daß der darauf gerichtete Wille der Vertragsteile 
immerhin genügenden Ausdruck gefunden hat; der 
nicht oder nicht ausreichend erklärte Wille hat kein 
rechtliches Daſein. Allein das LG. hat, indem es die 
einzelnen Beſtimmungen der Urkunde in ihrem inneren 
Zuſammenhange beleuchtete, durch Auslegung (8 133) 
in rechtlich nicht zu beanſtandender Weiſe tatſächlich 
feſtgeſtellt, daß die Erklärungen der Parteien in der 
Urkunde trotz der Wortfaſſung keinen anderen Willen 
und nur den Willen ausgedrückt haben, wie er von 
beiden Vertragsteilen erklärt werden mußte, um die 
rechtlichen Erforderniſſe des Kaufes ($ 433) als ge⸗ 
geben annehmen zu laſſen (Vereinbarung der Zahlung 
eines Kaufpreiſes; Verpflichtung dem Käufer die Sache 
zu übergeben und daran Eigentum zu verſchaffen). 
Dieſe tatſächliche Feſtſtellung iſt für das Oberſte Landes- 
gericht bindend und eine Nachprüfung nur nach der 
Richtung zuläſſig, ob ihre rechtlichen Grundlagen den 
Rechtsnormen entſprechen. Letzteres iſt der Fall. Die 
Auslegung verſtößt nicht gegen die geſetzlichen Aus— 
legungsregeln und vor allem nicht gegen die Denk— 
geſetze. Was die Parteien gewollt und erklärt haben, 
bemißt ſich von Fall zu Fall, und es iſt deshalb be- 
langlos, daß das Reichsgericht (RGS ZS. 50, 163) einen 
Vertrag ähnlichen Inhalts auf Grund der damaligen 
Sachlage nicht als einen Kaufvertrag angeſehen hat; 
auch iſt in den Ausführungen des LG. nirgends eine 
Verkennung der Rechtsbegriffe des Kaufes und der 
Gewährleiſtung, des Dienſt- oder Werkvertrags, der 
Geſchäftsbeſorgung oder der Geſellſchaft zu finden. Die 
Auslegung hat ſich auf den perſönlichen Vertrag, auf 
das Kauſalgeſchäft beſchränkt; die Erforderniſſe für 
Eigentumsubertragung (3 873 BGB.) aus dem Ber: 
trage herausleſen zu wollen, iſt dem LG. nicht in den 
Sinn gekommen. Wenn im übrigen nach dem Art. 48 
Abſ. 2 GebG. die Beſchwerde auf neue Beweiſe ge— 
ſtützt werden kann und die unberechtigte Ablehnung 
der vom Beſchwerdefuhrer neu vorgebrachten Beweiſe 
eine Verletzung des Anſpruchs auf rechtliches Gehör 
und damit der Vorſchriften über das Verfahren be— 
deutet (Gaupp-Stein, ZPO. Anm. III, 2 Abſ. 2 zum 
§ 568), fo iſt doch die Nichtberückſichtigung ſolcher 
neuen Beweiſe dann nicht unberechtigt, wenn das 
Gericht in freier Würdigung aller Umſtände (S 286 
ZPO.) bereits die volle Ueberzeugung von der Wahr: 
heit oder Unwahrheit der erheblichen Tatſachen er— 
langt hat. Daß Letzteres zutrifft, hat das LG. ein— 
gehend dargelegt; ſeine Entſcheidung entbehrt danach 
auch nicht der Begründung und es entfällt damit die 
dem 5 551 Nr. 7 ZPO. i. V. mit Art. 49 Abſ. 1 Satz 2 
GebG. entnommene Rüge. (Beſchl. des II. ZS. vom 
8. Mai 1911, Reg. V 12/1911). W. 


2309 


II. 


Darf das Grundbuchamt die Eintragung einer Hypo⸗ 
thek ablehnen, weil in der Beſtellungsurkunde die Hypo⸗ 
thek, die ihr im Nange vorgehen joll, mit einem höheren 
als dem eingetragenen Betrag angegeben iſt? (GBO. 
Ss 16, 18, 19). Laut notarieller Urkunde bewilligte und 
beantragte die Kaufmannsfrau Ida G. in F., die mit 
ihrem Mann in Gütertrennung lebt, für ein Darlehen 
des Inſtallateurs H. von 10000 M die Eintragung 
einer Hypothek hinter einer Belaſtung von 180000 M. 
H. legte die Urkunde dem Grundbuchamte mit dem 
Antrage vor die Hypothek an der angegebenen Stelle 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


einzutragen. Das GBA. hat den Eintragungsantrag 
abgewieſen, weil die Eintragungsbewilligung nur laute 
auf Eintragung einer Hypothek von 10000 M nach 
Vorgang von 180 000 M, während 172000 M vor⸗ 
gingen. Die Hypothek ſei nicht beſtellt an nächſtoffener 
Rangſtelle; an der in der Urkunde bezeichneten Stelle 
könne aber die Hypothek nicht eingetragen werden. In 
der Beſchwerde des H. wird geltend gemacht: Durch 
die Bemerkung, daß die Hypothek hinter einer Be⸗ 
laſtung von 180000 M eingetragen werden folle, habe 
ausgedrückt werden follen, daß die Hypothek nicht hinter 
einer Belaſtung von mehr als 180 000 M eingetragen 
werden dürfe, eine beſſere Stellung der Hypothek habe 
aber damit nicht ausgeſchloſſen werden ſollen; äußerſten 
Falls könnte die Eigentümerin von dem Antragſteller 
die Einräumung des Vorrangs für eine Hypothek von 
8000 M verlangen. Das Landgericht hat die Be» 
ſchwerde zurückgewieſen. Auch die weitere Beſchwerde 
blieb erfolglos. 

Gründe: Nach 8 16 Abſ. 1 GBO. ſoll einem 
Eintragungsantrage nicht ſtattgegeben werden, deſſen 
Erledigung an einen Vorbehalt geknüpft wird. Durch 
dieſe Vorſchrift ſoll dem GBA. die Prüfung der Frage 
erſpart werden, ob nach der Sachlage die Eintragung 
wirklich begehrt iſt. Ein ſolcher Vorbehalt liegt in 
dem Antrage, daß die Eintragung einer Hypothek an 
einer beſtimmten Stelle oder hinter einem beſtimmten 
Betrag erfolgen ſoll (Fuchs⸗Arnheim, Das Grundbuch⸗ 
recht Bd. II 8 16 Anm. 5; Meikel, GBO. § 16 Bem. 2). 
Kann das GBA. die Sachlage ſofort klären, ergibt 
ſich alſo die Erledigung des Vorbehalts ohne weitere 
Prüfung, ſo beſteht kein Anlaß den Antrag abzulehnen. 
(Meikel a. a. O. Bem. 3a). Stellt aber das GBA. feſt, 
daß nicht hinter dem beſtimmten Betrag eingetragen 
werden kann, dann iſt es vor die Frage geſtellt, ob 
bei dieſer Sachlage die Eintragung wirklich begehrt 
wird. Da ihm die Prüfung dieſer Frage erſpart werden 
ſoll, kann es nach $ 16 GO. den Eintragungsantrag 
ablehnen. Der Gläubiger H. hat bei dem GBA. die 
Eintragung der Hypothek „an der in der Urkunde ans 
gegebenen Stelle“ beantragt, die Erledigung des Ans 
trags iſt daher an einen Vorbehalt i. S. des 8 16 
GBO. geknüpft. Auch wenn der Antrag dahin zu 
verſtehen wäre, daß die Hypothek an nächſtoffener 
Stelle eingetragen werden ſolle, würde ihm nicht ſtatt⸗ 
gegeben werden können. Zwar könnte in dieſem Falle 
von einem dem Antrage beigefügten und der Sach— 
lage widerſprechenden Vorbehalte nicht geſprochen 
werden. Es würde aber an der dieſem Antrag ent— 
ſprechenden Eintragungsbewilligung fehlen. Das Be— 
ſchwerdegericht hat die Eintragsbewilligung dahin aus— 
gelegt, daß die Eigentümerin G. die Eintragung der 
Hypothek nur nach 180 000 M, nicht nach 172000 M 
oder an nächſtoffener Stelle bewilligt hat. Dieſe Aus: 
legung läßt keinen Rechtsirrtum erkennen. Die Be— 
hauptung der weiteren Beſchwerde, der Wille der Be- 
teiligten ſei ein anderer geweſen, kann dem klaren 
und beſtimmten Wortlaute der Urkunde gegenüber 
keine Berückſichtigung finden. Der Antrag die Hypo» 
thek an nächſtoffener Stelle einzutragen ſtünde daher 
mit der Eintragungsbewilligung nicht im Einklang; 
er müßte deshalb nach 8 19 GBO. zurückgewieſen 
werden (Güthe, GBO. 2. Aufl. Bd. 1 8 19 Bem. 66 
S. 397). Die Eigentümerin hat ſich bei der Beſtellung 
der Hypothek für das Darlehen des H. nicht die Be— 
fugnis vorbehalten eine andere Hypothek, deren Höhe 
genau hätte beſtimmt werden müſſen, mit dem Range 
vor der Hypothek des H. eintragen zu laſſen. Das 


GBA. konnte daher auch nicht dem Antrage des Be 


ſchwerdeführers in der Weiſe ſtattgeben, daß es einen 
Rangvorbehalt zugunſten einer Hypothek für den 
dem Unterſchiede zwiſchen 172 000 M und 180000 M 
entſprechenden Betrag von 8000 M eintrug. (Beſchluß 


des I. 35. vom 19. Mai 1911, Reg. III 36/1911). 
2298 W. 


317 


III. 


Können eingekindſchaftete Kinder die Wiederauf⸗ 
nahme der über den 9 ihres Vaters gepflogenen 
Verhandlungen unter der Behauptung verlangen, daß 
nach Oberpfälziſchem Rechte der Stiefmutter der in 
Auſpruch genommene Beiſitz am Nachlaſſe unr hinſichtlich 
ihrer leiblichen Kinder zuſteht? (Oberpf. LR. III, 
15; Ue®. Art. 84; Bayer. Nachl G. Art. 3, 4 mit 
NachlO. SS 104, 126). Der am 14. Juni 1909 zu E. 
(Oberpfalz) geſtorbene Austrägler Lorenz L. iſt zwei⸗ 
mal verheiratet geweſen. Bei ſeinem Tode waren 
aus jeder Ehe drei Kinder und en zweite Frau 
Barbara am Leben. Bei der von dem Nachlaßgericht 
am 24. Juli 1909 gepflogenen Verhandlung, zu der 
die Witwe und mehrere Kinder erſchienen waren, er⸗ 
klärte die Witwe, daß die ſechs Kinder die geſetzlichen 
Erben ſeien, daß ihr aber nach den Beſtimmungen 
des Oberpf. LR. der Beiſitz an dem Nachlaſſe zuſtehe. 
Die anweſenden Kinder nahmen die Erbſchaft an und 
erklärten, daß ſie einen Erbſchein nicht nötig hätten. 
Das von der Witwe in Anſpruch genommene Beiſitz⸗ 
recht wurde nicht beſtritten. Die Witwe verweigerte 
die Leiſtung des von zwei Kindern über die Ver⸗ 
mögensverhältniſſe verlangten Offenbarungseides. 
Das Nachlaßgericht verwies die Kinder wegen des 
Offenbarungseides auf den Rechtsweg und legte die 
Akten weg. Am 21. Dezember 1909 ſtellte die Mit⸗ 
erbin R. an das Nachlaßgericht den Antrag, die Nach⸗ 
laßverhandlungen wieder zu eröffnen und das Bei⸗ 
ſitzrecht der überlebenden Witwe auf die Erbteile ihrer 
leiblichen Kinder einzuſchränken, da es der Witwe nur 
an den Erbteilen dieſer Kinder nach dem Oberpf. LR. 
3. Teil 15. Titel pag. 317—319 zuſtehe. Das Nachlaß⸗ 
gericht wies den Antrag unter der Annahme zurück, 
daß der Witwe der Beiſitz am ganzen Nachlaſſe zuſtehe. 
Gegen dieſe Verfügung legte die R. Beſchwerde ein 
und ſuchte gleichzeitig um die Bewilligung des Armen⸗ 
rechtes nach. Das LG. wies die Beſchwerde zurück, 
legte der Beſchwerdeführerin die Koſten auf und ver⸗ 
weigerte ihr das Armenrecht, weil über den Umfang 
des der Witwe zuſtehenden Beiſitzrechts nur das Pro: 
zeßgericht entſcheiden könne. Auch die weitere Be⸗ 
ſchwerde der R. wurde zurückgewieſen. 

Gründe: Auf die Güterrechtsverhältniſſe des 
Erblaſſers und der Witwe L. finden die Beſtimmungen 
des Oberpf. LR. von 1657 Anwendung, ſoweit ſie im 
Bayer. LR. als ſortbeſtehend anerkannt find. Nach 
Art. 84 Abſ. 2 UeG. bleibt es in dieſem Falle, wenn 
bei dem Tode des einen Ehegatten gemeinſchaftliche 
Abkömmlinge vorhanden ſind, in Anſehung der Rechte 
des überlebenden Ehegatten bei den Vorſchriften des 
Oberpf. Rechtes, außer wenn der überlebende Ehegatte 
auf den Beiſitz verzichtet. Nach Art. 3 NachlG. hatte das 
Nachlaßgericht nach dem Tode des L. deſſen Erben zu 
ermitteln um feſtzuſtellen, wer zur Erbſchaft berufen 
und Erbe geworden iſt. Das Nachlaßgericht hat dem— 
gemäß die Beteiligten vernommen oder vernehmen 
laſſen. Da die Witwe auf den Beiſitz nicht verzichtete, 
waren geſetzliche Erben nur die Kinder des Ver— 
ſtorbenen. Damit hat das Nachlaßgericht der ihm 
durch den Art. 3 NachlG. auſerlegten Verpflichtung 
Genüge getan. Zwar ſchreibt der Art. 4 vor, daß 
das Nachlaßgericht, wenn mehrere Erben vorhanden 
ſind, unter beſtimmten Vorausſetzungen die Aus— 
einanderſetzung von Amts wegen zu vermitteln hat. 
Die Auseinanderſetzung iſt aber nicht möglich, ſolange 
das Beiſitzrecht beſteht (8 104 NachlO. vom 20. März 
1903). Die Vermittelung der Auseinanderſetzung 
hätte daher auch nicht nach § 126 Abſ. 1 NachlO. auf 
Antrag eines Beteiligten erfolgen können. Das Bei— 
ſitzrecht iſt bei den Nachlaßverhandlungen von den 
Kindern aus der erſten Ehe nicht beſtritten worden. 


Das Nachlaßgericht hätte auch einen Streit nicht ent— 


ſcheiden können, ſondern hätte die Beteiligten auf den 


Rechtsweg verweilen müſſen (§ 46 Abi. 2 Nachl O.). 
Ebenſowenig kann das Nachlaßgericht nachträglich 
eine ſolche Entſcheidung treffen. Der Antrag zu 
dieſem Zwecke die Nachlaßverhandlungen wieder zu 
eröffnen iſt daher nicht begründet. (Beſchluß des 
I. 35. vom 12. Mai 1911, Reg. III 39/1911). W. 
2216 


IV. 


Glaubhaftmachung einer Forderung nach 8 1994 
Abſ. 2 BGB. Gründe der Feſtſtellung, daß eine Erb⸗ 
ſchaft im Sinne des § 1943 BGB. angenommen wurde 
Koſtentragung nach Art. 131 AG. 3. BGB. im Falle der 
Beſtimmung einer Inventarfriſt für den Erben auf 
Antrag eines Nachlaßgläubigers. Am 7. Mai 1910 
ſtarb zu H. der ledige Apotheker Karl B. Seine Mutter 
Martha B. und ſeine Schweſter erklärten als geſetz— 
liche Erben am 10. Juni 1910 zum Protokolle des 
Nachlaßgerichts, daß ſie die Erbſchaft ausſchlagen. Frau 
Z in St. erhob mit der Behauptung, daß ſie dem Ver— 
ſtorbenen laut eines Schuldſcheins ein Darlehen von 
3420 M gegeben habe, Anſprüche gegen den Nachlaß 
und erwirkte die Anordnung einer Nachlaßpflegſchaft. 
Dem Pfleger gab die Witwe B. als Nachlaß ihres 
Sohnes zunächſt außer 20 M Bargeld Kleider und 
Wäſche und einige Gegenſtände darunter eine ſilberne 
Taſchenuhr im Geſamtwerte von 61,80 Man. Das 
auf Grund dieſer Angaben von dem Pfleger gefertigte 
und bei Gericht eingereichte Inventar bezeichnete die 
Nachlaßgläubigerin Z. als unrichtig: in dem Verzeich— 
niſſe fehlten viele wertvolle Geſchenke, die ſie ſelbſt 
dem Erblaſſer gemacht habe. Martha B. ſchrieb dem 
Nachlaßpfleger hierauf, es hätten ſich noch einige zum 
Nachlaſſe gehörende Gegenſtände, u.a. ein Ring und 
eine Uhr mit Stahldeckel und Kette vorgefunden; einen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


Kettenring und einen Stock habe ſie gleich nach dem 


Tode ihres Sohnes ſeiner Braut und deren Bruder 
als Andenken gegeben, weil ihr Sohn bei den Eltern 
ſeiner Braut während ſeiner Krankheit unentgeltlich 
verpflegt worden war. Sie ſei bereit den Wert zu 
erſetzen. Schon früher hatte Martha B. die von ihr 
beſtrittenen Krankheits- und Leichenkoſten zu 349,55 41 
mit dem Anſpruch auf bevorrechtigte Befriedigung 
dem Nachlaßpfleger bekanntgegeben und hierauf die 
20 M Barrücklaß verrechnet. Einen Antrag der Z., 
der Witwe B. eine Inventarfriſt zu ſetzen, wies das Nach— 
laßgericht ab. Auf Beſchwerde der Z. hob das Land— 
gericht N. die Entſcheidung auf, wies das Amtsgericht 
an, der Witwe B. eine Inventarfriſt zu beſtimmen 
und legte die Koſten der Martha B. auf. Die weitere 
Beſchwerde der B. hatte den Erfolg, daß die Ent— 
ſcheibung des LG. im Koſtenpunkte aufgehoben wurde, 
im übrigen wurde das Rechtsmittel zurückgewieſen. 


Aus den Gründen: Das Beſchwerdegericht 


hat die nach 8 1914 Abſ. 2 BGB. erforderliche Glaub— 
haftmachung der Forderung der 3. in der Bezugnahme 
auf den Schuldſchein, deſſen Höhe und Ausſtellungs— 
zeit angegeben ſind, ſowie darin erblickt, daß die Witwe 
B. die Berechtigung der Frau Z. zur Antragſtellung 
im Sinne des § 1994 Abſ. 1 BGB. nicht beſtritten 
hatte. Ob eine Tatſache glaubhaft gemacht ſei, iſt 
eine Frage des richterlichen Ermeſſens (Seuffert, 3PO. 
Ss 294 Anm. 1 b). Es iſt daher nicht erfindlich, inwie— 
jerne durch die Entſcheidung der Rechtsbegriff der 
Glaubhaftmachung verkannt ſein ſoll. Daß die Be— 
ſchwerdeführerin die Erbſchaft vor der Ausſchlagungs— 
erklaͤrung angenommen hat, hat das Beſchwerdegericht 
aus dem Verhalten der Witwe B. in Anſehung der 
ihr überſandten Nachlaßgegenſtände ihres Sohnes ge— 
folgert. Dabei iſt es von dem anerkannten Rechtsſatze 
ausgegangen, daß es nach den Umſtänden zu beurteilen 
iſt, ob eine Handlung des als Erbe Berufenen deſſen 
Willen bekundet, die Erbſchaft als eigenes Vermögen 
zu behandeln. Die Erwägungen, auf Grund deren das 


Beſchwerdegericht zu dem Ergebniſſe gelangt iſt, daß, 


1911. Nr. 14 u. 15. 


die Witwe B. die von ihr anfänglich verſchwiegenen 
Gegenſtände nicht, wie ſie behauptet, infolge ihrer Auf⸗ 
bewahrung in einem beſonderen Schränkchen vergeſſen 
hat, ſondern zufolge eines ſchon vor dem 10. Juni 
1910 gefaßten Entſchluſſes für ſich behalten wollte 
und deshalb auf die Seite gebracht 95 ſind tatſäch⸗ 
licher Natur und lb feinen Verſtoß gegen erbrecht⸗ 
liche Grundſätze erſehen, insbeſondere keinen gegen den 
8 1943 des BGB. (8 1994 trifft hier überhaupt nicht 
zu). Es beſteht auch kein rechtliches Bedenken gegen 
die Annahme, daß ſich die Beſchwerdeführerin die Nach⸗ 
laßſachen ihres Sohnes auf Grund ihres geſetzlichen Erb⸗ 
rechts, alſo nicht im Irrtum über den Berufungsgrund 
(8 1949 BGB.) angeeignet hat. Da hiernach das Be⸗ 
ſchwerdegericht in rechtlich einwandfreier Weiſe aus 
den Tatſachen gefolgert hat, daß die Beſchwerdeführerin 
ſchon vor dem 10. Juni 1910 die Erbſchaft angenom- 
men hat, kann deren ſpäterer Ausſchlagung keine Wirfs 
ſamkeit mehr zukommen und der 8 1953 BGB. nicht 
Platz greifen. Die weitere Beſchwerde iſt deshalb nicht 
begründet, ſoweit ſie ſich gegen die Aufhebung der 
Verfügung des Amtsgerichts und gegen die Anweiſung 
richtet der Witwe eine Inventarfriſt zu beſtimmen. 
Mit Unrecht hat aber das Beſchwerdegericht die Koſten 
der Witwe B. auferlegt. Das durch den Antrag der 
Z. auf Beſtimmung einer Inventarfriſt veranlaßte Ver— 
fahren betrifft eine eigene Angelegenheit der Antrag— 
ſtellerin, ſie hat daher nach Art. 131 AG. z. BGB. die 
Koſten dieſes Verfahrens zu tragen. (Beſchluß des 
I. ZS. vom 26. Mai 1911, Reg. III 40/1911). W. 


2297 


B. Strafſachen. 
I. 


Umfang der Beſchlagnahme von Briefen auf der 
Poſt nach 8 99 StPO. Die Strafkammer beſchloß: 
„Es wird gemäß 8 99 StPO. die Beſchlagnahme der 
bei dem Poſtamt in W. an die Taglöhnersfrau Julie 
W. oder an Frau Antonie G. eingehenden Brieſe, 
Sendungen und Telegramme angeordnet, welche ver— 
muten laſſen, daß ſie von dem Angeklagten Johann 
W. herrühren, welche Vermutung bei Briefen und 
anderen Poſtſendungen aus einer Vergleichung der 
Schriftzüge der Adreſſen mit denen des Briefes des 
Angeklagten vom 16. März 1911, hinſichtlich der Tele⸗ 
gramme aus deren Inhalt geſchöpft werden kann.“ 
Auf die Beſchwerde des Staatsanwalts erließ das 
Oberſte Landesgericht folgenden Beſchluß: Es wird 
die Beſchlagnahme der an die Taglöhnersfrau Julie 
W. oder an Frau Antonie G. gerichteten Briefe, 
Sendungen und Telegramme auf der Poſt in W. an— 
geordnet mit Ausnahme der verſchloſſenen Briefe und 
Sendungen, die offenſichtlich einen amtlichen Charakter 
tragen, und der Telegramme, unverſchloſſenen Briefe 
und Sendungen, deren Inhalt unzweifelhaft Anhalts— 
punkte über den Aufenthalt des Taglöhners Johann 
W. von P. nicht enthält. 

Aus den Gründen: Nach dem erſten Satzteile 
des 8 99 StPO. iſt die Beſchlagnahme der an den 
Beſchuldigten gerichteten Sendungen ſchlechthin und 
unbedingt zuläſſig; dieſer Fall liegt hier nicht vor. 
Dagegen unterliegt die Beſchlagnahme der im zweiten 
Satzteile bezeichneten Briefe uſw. gewiſſen Voraus— 
jegungen. Der Entwurf der Sı BO. enthielt als 8 90 
die Beſtimmung, die lautete: . . . . „oder wenn anzu: 
nehmen iſt, daß ſie von ihm herrühren oder für ihn 
beſtimmt ſind und daß ihr Inhalt für die Unterſuchung 
eine Bedeutung habe.“ Die Faſſung des Entwurfs 
gab in der Reichstagskommiſſion und im Reichstage 
zu dem Bedenken Anlaß, daß ſie zu allgemein, zu 
dehnbar und zu unbeſtimmt ſei, deshalb gegen miß— 
bräuchliche Anwendung nicht genügend ſchütze und dem 


eitſchrift für Rechtspflege in 


Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


Grundſatze der in § 5 des Poſtgeſetzes vom 18. Oktober 
1871 gewährleiſteten Unverletzlichkeit des Briefge— 
heimniſſes zu wenig Rechnung trage. Auf dem Wege 
des Kompromiſſes kam die jetzige Faſſung zuſtande. 
Durch ſie ſollte ein doppelter Zweck erreicht werden. 
Zunächſt ſollte nach der negativen Seite verhindert 
werden, daß auf bloße Vermutungen hin die Beſchlag— 
nahme erfolge; insbeſondere ſollte die Beſchlagnahme 
der ganzen Korreſpondenz grundſätzlich ausgeſchloſſen 
ſein, inſoweit in jedem Falle wahl» und unterſchieds⸗ 
los die ſämtlichen Briefſchaften uſw. in Pauſch und 
Bogen von der Poſt an den erſuchenden Staatsanwalt 
oder Richter geſendet, von dieſen geſichtet und die 
verdächtigen beſchlagnahmt werden ſollen. Nach der 
poſitiven Seite ſollte der Staatsanwalt oder Richter 
nur unter den Vorausſetzungen des zweiten Satzteiles 
des — nunmehrigen — 8 99 die Beſchlagnahme an⸗ 
ordnen dürfen. Abänderungsanträge, welche die Be⸗ 
fugnis zur Beſchlagnahme aufs äußerſte beſchränkt 
und das richterliche Ermeſſen ſo gut wie ausgeſchaltet 
hätten, wurden abgelehnt, weil bei der Mannigfaltig— 
keit und Verſchiedenartigkeit der Straffälle durch zu 
weitgehende Beſchränkungen der Unterſuchungszweck 
vereitelt würde. Durch die zum Geſetze gewordene 
Beſtimmung ſollte zwar dem Staatsanwalt und dem 
Richter ein gewiſſer Spielraum gelaſſen, der Staatsan⸗ 
walt und der Richter ſollten jedoch gezwungen werden 
jeden einzelnen Fall gewiſſenhaft zu prüfen und die 
Annahme, daß der Brief uſw. von dem Beſchuldigten 
herrühre und für die Unterſuchung Bedeutung habe, 
nicht auf willkürliche Vermutungen zu ſtützen, ſondern 
mit Tatſachen zu begründen; als ſelbſtverſtändlich 
wurde es erachtet, daß es ſich dabei nicht um un- 
trügliche Gewißheit handeln könne. 

Darnach haben der Staatsanwalt oder der Richter 
nach pflichtgemäßem und vernünftigem Ermeſſen die 
Beſchlagnahmemaßregeln anzuordnen und der Poſt die 
Briefſchaften zu bezeichnen, die von ihr zurückbehalten 
und an die erſuchende Behörde geſchickt werden ſollen. 
Es darf nicht der Poſt überlaſſen werden, zu prüfen, 
ob und gegebenen Falles, welche Briefe uſw. von 
dem Beſchuldigten herrühren; ein ſolches Verfahren 
wäre geſetzwidrig, übrigens in vielen Fällen praktiſch 
nicht durchführbar; ein viel beſchäftigtes Poſtamt hätte 
nicht die Zeit; manche Poſtanſtalt an einem weltab— 
gelegenen Orte verfügt bei der Schwierigkeit, die die 
Schriftenvergleichung bietet, wohl kaum über das Ver— 
ſtändnis oder die Erfahrung, aus der Handſchrift des 
Beſchuldigten zu beurteilen, ob die Adreſſe von ihm 
herrührt. Welche Merkmale oder Kennzeichen der 
Staatsanwalt oder Richter der Poſt mitzuteilen hat, 
durch die die Auswahl der beſchlagnahmefähigen 
Briefe ermöglicht wird, hängt von den Umſtänden 
des Falles ab. In dieſem Sinne iſt die ſogenannte 
Individualiſierung zu verſtehen; eine zu enge Aus— 
legung dieſes Begriffs, wie es die Strafkammer getan 
hat, ſteht mit dem Geiſte des Geſetzes und ſeinem 
Zwecke in Widerſpruch. Das Richtige trifft wohl 
Keller, der (Kommentar zur StPO. §§ 99) äußert: 
„Der Grundſatz der Individualiſierung darf nicht auf 
die Spitze getrieben werden. Die Beſchlagnahme kann 
eine ganze Kategorie von Briefen umfaſſen, z. B. wenn 
es ſich um die Briefe aus einem Gebiete des In- und 
Auslandes (etwa aus Amerika) an einen Verwandten 
oder die Ehefrau des flüchtigen Beſchuldigten handelt 
und bezüglich des Letzteren Anhaltspunkte dafür vor— 
liegen, daß er ſich dorthin geflüchtet hat.“ Die Eigen— 
tümlichkeiten des Einzelfalles beſtimmen auch den Um— 
fang der Beſchlagnahme; dieſe kann ſich auf einen 
einzelnen Brief, auf eine Mehrheit von Briefen, auf 
ſämtliche Briefe beziehen; allgemeine Normen aufzu— 
ſtellen iſt bei der Vielgeſtaltigkeit der Straffälle un— 
möglich. Es iſt etwas anderes, wenn z. B. der In— 
haber eines großen Geſchafts geflohen iſt oder ein 
Taglöhner. In jenem Falle wird es ſich um eine 


—— . —— ö ́—— — —— — — — — — — —ä— ——— —— ———— ũ-M— — — 0— — —iää——ẽ ———ẽä — — 


tägliche, umfangreiche Korreſpondenz handeln; es 
wird beſonderer Vorſicht und Umſicht des Staatsan- 
walts und des Richters bedürfen, um die richtige 
Auswahl zu treffen. Bei einem Taglöhner — dieſer 
Fall liegt hier vor — wird eine geſchäftliche Korre— 
ſpondenz ſo gut wie ausgeſchloſſen ſein: die wenigen 
ein⸗ und ausgehenden Briefe werden regelmäßig 
Familienangelegenheiten betreffen; nur ab und zu 
wird der Poſtbote Offerten, Reklameſchriften oder 
Schreiben von Behörden in eine Familie bringen, 
die der Bevölkerungsſchichte der Taglohnarbeiter an— 
gehört. Dieſe Tatſachen ſind offenkundig; ſie beruhen 
auf den Erfahrungen des täglichen Lebens. 

Nach den Ermittelungen iſt der Angeklagte 
nicht ohne Wiſſen und Willen ſeiner Angehörigen 
geflohen; es iſt deshalb die Annahme begründet, daß 
er bei ſeinen innigen Beziehungen zu ihnen ſie über 
ſeinen Aufenthalt nicht in Unkenntnis läßt, ſchriftlich 
Familienangelegenheiten beſpricht uſw. Es iſt be— 
kannt, daß der Flüchtige, um ſich vor Entdeckung zu 
ſchützen, mindeſtens ſeine Handſchrift auf dem Brief— 
umſchlage verſtellt, oder durch Dritte Briefe oder doch 
die Adreſſe ſchreiben läßt. Dazu kommt jetzt noch die 
Maſchinenſchrift, die zur Zeit der Erlaſſung des Ge— 
ſetzes noch nicht im Brauche war wie heutzutage und 
bei deren Anwendung es überhaupt keine in dem 
Aeußern des Briefes ſelbſt liegenden Merkmale gibt, 
die auf den Angeklagten als Schreiber hinweiſen. 
Daraus aber, wie die Strafkammer getan hat, zu 
ſchließen, daß dann die Beſtimmung des § 99 StPO. 
überhaupt nicht anwendbar ſei, hieße nichts anderes, 
als die Anwendung des § 99 StPO. in der Haupt: 
ſache ausſchließen und dem Verhalten eines findigen 
und raffinierten Verbrechers Vorſchub leiſten. Liegen 
die Verhältniſſe ſo wie in dem vorwürfigen Falle, 
daß nämlich die Korreſpondenz unbedeutend iſt, ſich 
regelmäßig auf die Familienverhältniſſe und die 
Familienangehörigen beſchränkt, daß dieſe von dem 
Flüchtigen über ſeinen Aufenthalt durch ſchriftliche 
Mitteilungen, die äußerlich als von ihm herrührend 
nicht erkennbar ſind, in Kenntnis erhalten werden, 
fo kann der Unterſuchungszweck, — die Ermittelung 
des Aufenthalts des Flüchtigen, — nur erreicht werden, 
wenn die Beſchlagnahme fo wie geſchehen angeordnet 
wird. (Beſchl. vom 30. Mai 1911, Beſchw.⸗Reg. 371/11). 

2301 Ed. 


II. 


Begriff der in den Jagdrevieren aufſichtslos umher⸗ 
ſtreifenden Hunde. Der Jagdberechtigte H. erſchoß am 
25. Oktober 1910 in ſeinem Gemeindejagdbezerke J. 
den Hund des Z., einen vier bis fünf Monate alten 
Schnauzer, der ſich auf der von J. nach dem nahen Orte 
M. führenden Straße ungefähr 100 Schritte von dem 
letzten Hauſe von J. entfernt befand und von ſeinem 
früheren Herrn in J., dem er zugelaufen war, zurück— 
getrieben worden war. H. wurde wegen Sachbe— 
ſchädigung verurteilt, die Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Nach dem § 16 der VO. 
vom 6. Juni 1909, deſſen Wortlaut, was die Zuläſ— 
ſigkeit des Tötens von Hunden betrifft, mit der früheren 
BD. vom 5. Oktober 1863, pol. Vorſchriften über Aus: 
übung und Behandlung von Jagden betr., wörtlich 
übereinſtimmt, dürfen in den Jagdrevieren aufſichts— 
los umherſtreifende Hunde von dem Jagdausübungs— 
berechtigten oder dem von ihm aufgeſtellten Jagdauf— 
ſeher getötet werden. Dieſe Beſtimmung bezweckt den 
Schutz der Jagd gegen Beunruhigung durch aufſichts— 
los umherſtreifende Hunde, ſie ſetzt voraus, daß ein 
Hund ein Verhalten zeigt, das geeignet iſt, die Hege 
und Pflege der Jagd zu ſtören und das Wild zu ge— 
fährden. Die dem Jagdausübungsberechtigten erteilte 
Ermächtigung findet ihre notwendige Beſchränkung 
und Begrenzung in dem Schutzbedürfniſſe der Jagd 
ſowie in dem Anſpruche des Beſitzers eines Hundes 


auf Unterlaſſung jeder unnötigen Tötung feines Tieres. 
Es genügt nach dem Sinne des Wortes „umherſtreifen“ 
zur Anwendung des 8 16 der VO. vom 9. Juni 1909 
nicht, daß ſich ein Hund überhaupt innerhalb des Jagd— 
reviers ohne Aufſicht befindet oder dort umherläuft, 
z. B. um ſeinen Herrn, den er verloren hat, zu ſuchen, 
der S 16 verlangt vielmehr, daß der Hund umher— 
ſtreife und dadurch der Jagd gefährlich werde. Umher⸗ 
ſtreifen bedeutet „in dem Jagdgebiete da und dort ſich 
umhertreiben“, wie es Hunde zu tun pflegen, die dem 
Wilde nachſpüren. Nur ein ſolches Verhalten eines 
Hundes iſt der Jagd gefährlich und ermächtigt nach 
dem 8 16 den Jagdausübungsberechtigten zum Töten 
des Hundes auf der Stelle. Der von dem Angeklagten 
getötete Hund iſt aber nicht umhergeſtreift. Er lief 
auf der Straße von J. nach M. Daß er ſich abſeits 
vom Wege im Jagdgebiete herumgetrieben habe, hat 
das Berufungsgericht nicht feſtgeſtellt. Solange der Hund 
auf dem Wege verblieb, auf dem ſchon wegen des 
herrſchenden Verkehrs das Wild ſich nicht aufzuhalten 
pflegt, war die Jagd nicht gefährdet und erforderten 
die Intereſſen der Jagd nicht die Tötung. Auch war 
die Tat des Angeklagten ſelbſt dann, wenn er damals 
den Hund des Z. für einen andern Hund gehalten 
hatte, der die Jagd ſchon früher beunruhigt hatte, 
doch rechtswidrig, da ein derartiges Verhalten eines 
Hundes zu einer früheren Zeit dem Jagdberechtigten 
nicht die Befugnis gibt einen ſolchen Hund zu einer 
anderen Zeit zu töten, in der er nicht umherſtreift. 
(Urt. vom 6. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 197/11). Ed. 


2302 
III. 


Verkehr mit Kraftſahrzengen; das Befahren einer 
verbotenen Straße kaun unter Umſtänden ſtraflos fein. 
Die Angeklagten B. und K. wurden von den Vor— 
inſtanzen verurteilt, weil jeder von ihnen am 15. Juni 
1910 vormittags mit einem Automobil die nach den 
diſtriktspolizeilichen Vorſchriften für Kraftfahrzeuge 
verbotene fog. Seeſtraße gefahren iſt. Vom Reviſions— 
gericht wurden ſie freigeſprochen. 

Aus den Gründen: Der Angeklagte B. 
beabſichtigte von ſeinem Wohnorte aus ein Automobil 
nach M. zu ſahren; zu ſeiner Unterſtützung fuhr auf 
einem zweiten Automobile mit ihm auf dem gleichen 
Wege ſein Chauffeur K. Infolge eines anhaltenden 
gewitterartigen Regens waren andere Straßen un— 
fahrbar; ſie wollten daher die für Automobile frei— 
gelaſſene Diſtriktsſtraße St. H.-B. befahren. Als fie 
an die Stelle kamen, an der die Seeſtraße von der 
Diſtriktsſtraße abzweigt, meinten ſie ſich in einem Not— 
ſtande zu befinden, indem ſie ſich vorſtellten, ſie 
könnten die Straße gegen H. wegen der auf dieſer 


Zeitſchrift für Rechtspflege d in Bayern. all 


| 


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Strecke befindlichen tief gelegenen und vom Hochweſſer 


gefährdeten Brücke wohl nicht ohne Lebensgefahr 
paſſieren und möglicherweiſe, falls fie bis zur Brücke 
an dieſer Straße vorzufahren verſuchten, nicht mehr 
zurückgelangen, und indem ſie weiter glaubten, den 
Rückweg nach St. H. und S., der inzwiſchen durch 
hereinſchlagende Seewellen überſchwemmt und viel- 
leicht unterſpült ſein konnte, nicht mehr ohne Gefahr 
zurücklegen zu können, ſo daß ihnen nach ihrer Vor— 
ſtellung nichts anderes übrig blieb als die verbotene 
Seeſtraße weiterzufahren. 

Das Gericht hat nach Art. 15 PStGB. nur die 
geſetzliche Gültigkeit, nicht aber die Notwendigkeit oder 
Zweckmäßigkeit der Vorſchrift zu prüfen. Die Aus— 
legung der Vorſchrift unterliegt der Prüfung des Ge— 
richts. Bei ihr iſt wie bei der Auslegung der Geſetze 
der wirkliche Wille zu erſorſchen und nicht an dem 
buchſtäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Die 
Vorſchriften find fo auszulegen, daß ſie eine vernünftige 
Anwendung zulaſſen. 8 1 der Vorſchriften verbietet 
ohne Ausnahme den Verkehr auf der Seeſtraße. Bei 
dieſem Verbot iſt davon auszugehen, daß die Diſtrikts— 


Nr. 14 u. 15. 


polizeibehörde nur den Verkehr des täglichen Lebens 
im Auge hatte und nur dieſen treffen wollte, nicht 
aber außerordentliche Fälle berückſichtigt hat und be⸗ 
rückſichtigen wollte, in denen durch Zufall oder höhere 
Gewalt, insbeſondere durch Naturereigniſſe das Be⸗ 
fahren der Straße geboten ſein konnte. Solche Aus⸗ 
nahmefälle lagen außerhalb des Bereiches der Er⸗ 
wägungen. Wenn z. B. ein Zugpferd bei dem 
Vorüberfahren an einer Straße, für die Fahrverbot 
beſteht, ſcheut und den Wagen die verbotene Straße 
entlang bewegt, wird das Verbot des Fahrens auf 
dieſer Straße auf den Fuhrmann, der den Wagen auf 
dieſer Straße zurückbringt, ſicher nicht ausgedehnt 
werden können. Solche außerordentliche Fälle hatte 
das Verbot nicht im Auge. Das Amt hat den „Ver⸗ 
kehr“ unterſagt; von „Verkehr“ kann in ſolchem Not⸗ 
falle nicht geſprochen werden. Eine Auslegung der 
diſtriktspolizeilichen Vorſchrift in dem Sinne, daß auch 
für ſolche Fälle die Benützung der Straße verboten 
werden ſollte, würde einer vernünftigen Anwendung 
im Wege ſtehen. 

Es iſt zu prüfen, ob die Lage der Angeklagten 
fo war, daß ihr Handeln, weil es unter die Aus⸗ 
nahme fällt, durch die diſtriktspolizeilichen Vorſchriften 
nicht betroffen werden ſollte. Der Ausweg von U. 
nach O. oder H. war verboten, das Verbleiben in U. 
oder auf der offenen Straße war nach den örtlichen 
Verhältniſſen unmöglich, das telephoniſche Anrufen 
des Bezirksamts verſprach keinen ſicheren Erfolg. Die 
Angeklagten haben daher mit Recht von den ihnen 
in den Urteilsgründen angegebenen Mitteln, durch die 
ſie ſich aus der Zwangslage durch ein ſtrafloſes Tun 
hätten befreien können, keinen Gebrauch gemacht. Ein 
vernünftiger Ausweg aus der Zwangslage, in die ſie 
ohne ihr Verſchulden hineingekommen find, mußte ge: 
funden werden; ſie mußten um ſich und ihr Eigentum 
hinauszubringen die Seeſtraße befahren. Lag aber 
eine Situation vor, die überhaupt oder wenigſtens 
nach der Anſicht der Angeklagten nur auf dem von 
ihnen eingeſchlagenen Wege beſeitigt werden konnte, 
ſo wird angenommen werden müſſen, daß das 
diſtriktspolizeiliche Verbot ſich auf dieſen Ausnahmes 
fall überhaupt nicht bezog und daß ſich die Angeklagten 
aus dieſem Grunde keiner Zuwiderhandlung gegen die 
diſtriktspolizeilichen Vorſchriften ſchuldig gemacht haben. 

Die Angeklagten müßten aber ſelbſt dann ſtraf— 
los ſein, wenn die Auslegung der diſtriktspolizeilichen 
Vorſchriften in dem angegebenen Sinne nicht zuläſſig 
wäre. Die Verurteilung der Angeklagten könnte nur 
erfolgen, wenn in ihrem Tun ein ſtrafbares Ver— 
ſchulden — Vorſatz oder Fahrläſſigkeit — zu erblicken 
wäre. Den Angeklagten konnte nicht zugemutet werden 
ihr wertvolles Eigentum in U. im Stiche zu laſſen; 
ihr Eigentum an den Automobilen war in erheblichem 
Grade gefährdet und ſie glaubten behufs Abwendung 
der Gefährdung ſo handeln zu müſſen, wie ſie ge— 
handelt haben; wenn ſie ſich hierbei vielleicht auch in 
einem tatſächlichen Irrtum befanden und objektiv 
rechtswidrig gehandelt haben, jo war doch ihre Hand— 
lung nach ihrem entſchuldbaren, ſubjektiven Ermeſſen 
nicht ſtrafbar, da ihr das Erfordernis des Bewußt— 
ſeins der Rechtswidrigkeit fehlte. Die Angeklagten 
haben ſich nicht mutwillig der Gefahr ausgeſetzt ſtraf— 
bar zu werden. (Urt. vom 1. April 1911, RevR. 124/11). 

2250 El. 


Oberlandesgericht München. 


Zengengebühren bei Unterbrechung einer Geſchäfts⸗ 
reiſe. Der Mechaniker E. war vor das Landgericht 
auf Vorm. 9½ Uhr als Zeuge geladen und wurde 
um 10 Uhr entlaſſen; er erhielt 5 M angewieſen. 
Hiergegen legte er Beſchwerde ein mit dem Antrag. 
ihm 12 M zuzubilligen, weil er wegen des Termins 


eine Geſchäftsreiſe habe unterbrechen müſſen, hiernach 
2 M vergeblich für Fahrtkoſten ausgelegt und an zwei 
halben Tagen je 5 M Verdienſtentgang gehabt habe. 
Die Beſchwerde blieb erfolglos. 


Aus den Gründen: Der Beſchwerdeführer hat 
ohnehin den geſetzlichen Höchſtbetrag von 1 M unter 
Zugrundelegung einer Zeitverſäumnis von 5 Stunden 
zugebilligt erhalten; damit iſt er für die durch die 
Ladung erforderlich gewordene 5 aus⸗ 
reichend entſchädigt. Wenn der Zeuge am Tage vor 
dem Termin eine Geſchäftsreiſe antrat, ſo hat er dies 
auf die Gefahr hin getan ſeine Reiſe unterbrechen zu 
müſſen; die (nach ſeiner Behauptung eingetretene) 
Möglichkeit, daß er die von ihm zu beſuchende Perſon 
nicht antreffen und das Geſchäft daher nicht am gleichen 
Tage erledigen könne, lag ſo nahe, daß auch der Zeuge 
damit rechnen mußte; zudem hätte er ja vor ſeiner 
Abreiſe um Verlegung des Termins nachſuchen können. 
(Beſchl. v. 5. Mai 1911, Beſchw.⸗Reg. Nr. 265/11 J). 

2247 N. 


Oberlandesge richt Bamberg. 


Zur Entſcheidung über einen Auſpruch gegen den 
bayeriichen Fiskus auf Nückerſtattung zu Unrecht er: 
hobener Gebühren und von Zinſen hieraus find die 
bürgerlichen Gerichte nicht zuſtändig. gabrläffine 
Amtspflichtverletzung nach $ 839 B68. und Art. 60 
AG. z. BGB. Mitverſchulden des Geſchädigten durch 
Unterlaſſung der Aufſichtsbeſchwerde. Die Klägerin hat 
am 26. November 1902 bei dem Amtsgerichte A. zum 
Handelsregiſter die Errichtung ihrer Zweigniederlaſſung 
angemeldet. Für die Eintragung ſetzte der Gerichts⸗ 
ſchreiber nach Art. 60 Abf. 2 Geb. i. d. F. von 1899 eine 
Gebühr von 15 000 M an, weil er annahm, daß der 
Hauptgeſchäftsbetrieb bei der Zweigniederlaſſung ſtatt⸗ 
finde. Hiergegen erhob die Klägerin Erinnerungen. 
Das Rentamt A. hob am 1. Mai 1904 die Gebühr 
ein. Am 20. Oktober 1904 meldete die Klägerin die 
Aufhebung ihrer Zweigniederlaſſung an. Das AG. 
trug die Aufhebung am 21. Oktober in das Handels— 
regiſter ein. Mit Beſchluß vom 7. Februar 1907 wies 
das AG. die Erinnerungen der Klägerin zurück, nach— 
dem der Umfang des Geſchäftsbetriebs der Zweig— 
niederlaſſung eingehend ermittelt worden war. Die 
Beſchwerde wurde zurückgewieſen. Dagegen erklärte 
das Obèe G. am 17. Juni 1907 den Anſatz der Gebühr 
von 15000 M für nicht gerechtfertigt. Am 8. Auguſt 
1907 wurden die 15 000 M vom Rentamt zurückbezahlt. 
Dieſe ſtellte hierauf bei dem Rentamte den Antrag 
auf Zahlung von 4% Zinſen aus 15000 M für die 
Zeit vom 1. Mai 1904 bis zum 8. Auguſt 1907. 
Dieſer Antrag wurde vom Rentamt und auf Beſchwerde 
von der Regierung abgelehnt. Dem Geſuche der 
Klägerin um Abhilfe nach Art. 2 AG. z. ZPO. gab 
das Finanzminiſterium keine Folge. 


Die Klägerin hat gegen den Fiskus Klage auf 
Zahlung des Zinſenbetrages erhoben, weil der Beklagte 
mit der Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Gebühr 
von der Erhebung an im Verzug geweſen ſei, da nach 
der Entſcheidung des Obs. der Anſatz der Gebühr 
von Anfang an nicht gerechtfertigt geweſen ſei. Er 
habe ferner die 15000 M über 3 Jahre ohne recht⸗ 
fertigenden Grund im Beſitz und Genuß gehabt und 
ſei dadurch ungerechtfertigt bereichert; auch ſei nur 
durch die fahrläſſige Amtspflichtverletzung des Amts— 
richters die Entſcheidung über die Erinnerungen der 
Klägerin gegen den Anſatz der Gebühr verzögert und 
dadurch die Klägerin geſchädigt worden. Das LG. wies 
die Klage ab. Die Berufung wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Die Einrede aus § 274 


Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


| 


Abſ. 1 Nr. 2 ZPO. hat das LG. mit Recht für be- 
gründet erachtet. Der Rechtsweg iſt unzuläſſig, wenn 
die Anrufung der bürgerlichen Gerichte wegen des 
Anſpruchs überhaupt oder zurzeit um deswillen nicht 
ſtatthaft iſt, weil der Rechtsſtreit nicht in das Gebiet 
der ſtreitigen Gerichtsbarkeit fällt. In § 13 GG. 
iſt beſtimmt, daß vor die ordentlichen Gerichte alle 
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten gehören, für welche 
nicht entweder die Zuſtändigkeit von Verwaltungs 
behörden oder Verwaltungsgerichten begründet iſt oder 
reichsgeſetzlich beſondere Gerichte beſtellt oder zugelaſſen 
ſind. Der Begriff der bürgerlichen Rechtsſtreitigkeit 
iſt weder in 8 13 noch in ſonſtigen reichsrechtlichen 
Vorſchriften näher erläutert. Maßgebend für die Ent⸗ 
ſcheidung iſt die rechtliche Natur des Streitgegenſtands 
und dieſen beſtimmt zunächſt der Inhalt der Klage. 
Es kommt insbeſondere darauf an, ob der Kläger einen 
privatrechtlichen Anſpruch geltend macht und ob nach 
den von ihm vorgebrachten Tatſachen die Möglichkeit 
eines privatrechtlichen Anſpruchs gegeben iſt. Dabei 
iſt es ohne Belang, ob der Kläger ſein tatſächliches 
Vorbringen auch unter die richtigen rechtlichen Geſichts⸗ 
punkte gebracht hat, wie auch nicht entſcheidend ſein 
kann, daß die Partei ihrem Anſpruche einen dem 
bürgerlichen Recht entlehnten Titel beilegt. Inſoweit 
nun, als die Klägerin ihren Anſpruch auf Verzug und 
ungerechtfertigte Bereicherung ſtützt, ergibt ihr tat⸗ 
ſächliches Vorbringen nicht, daß fie ein Privatrechts⸗ 
verhältnis geltend macht. Der Zinſenauſpruch iſt nur 
eine von dem Hauptanſpruch auf Rückerſtattung der 
15 000 M abhängige Nebenforderung, die die rechtliche 
Natur des Hauptanſpruchs teilt, auch wenn ſie ſelbſt⸗ 
ſtändig eingeklagt und ſo zur „Hauptſache“ im prozeſſu⸗ 
alen Sinne geworden iſt. Die Entſcheidung hängt 
daher vor allem davon ab, ob der Hauptanſpruch 
privatrechtlich oder öffentlichrechtlich war. 
Es handelte ſich urſprünglich darum, ob die 
Klägerin zur Zahlung der in Art. 60 Abſ. 2 Geb. 
ä. F. normierten Gebühr verpflichtet ſei. Die in dieſem 
Geſetze beſtimmten Gebühren ſind aber nach der in 
ſeinem Art. 1 enthaltenen ausdrücklichen Vorſchrift 
öffentliche Abgaben und fließen, ſoweit nicht etwas 
anderes beſtimmt iſt, in die Staatskaſſe. Sie ſind 
ſteuerartige Abgaben und decken wie die Steuern Be⸗ 
dürfniſſe des Staats. Die Verbindlichkeit zur Entrich⸗ 
tung ſolcher Gebühren liegt aber ebenſo wie die 
Verpflichtung zur Zahlung von Steuern außer dem 
Bereiche eines Privatrechtsverhältniſſes, ſie entſtammt 
ausſchließlich dem öffentlichen Rechte. Daraus folgt, 
daß auch die Berechtigung des Pflichtigen zu verlangen, 
daß die geſetzlichen Beſtimmungen über Veranlagung, 
Einhebung und Rückvergütung beachtet werden, im 
öffentlichen Rechte begründet iſt. In Bayern iſt zudem 
nach 8 88 der FormVoO. vom 9. Dezember 1825 der 
Finanzverwaltung unter Leitung des Staatsminiſteri— 
ums der Finanzen die Erhebung aller Staatsauflagen 
für Staatszwecke zugewieſen und nach 8 1 VO. vom 
23. Dezember 1899 betr. die Ausführung des GKG. 
und des Geb. liegt die Aufſicht über die rechneriſche 
Behandlung des Gebührenweſens den Finanzbehörden 
unter der Oberleitung des Staatsminiſteriums der 
Finanzen ob. Mit der Erhebung der öffentlichen 
Abgaben iſt aber die Nachholung und Rückerſtattung 
notwendig verbunden und es fällt daher auch dieſe 
in den Bereich der Finanzverwaltung. Der Anſpruch 
al Rückerſtattung von Gebühren iſt deshalb bei den 
Finanzbehörden geltend zu machen und die Einmiſchung 
der Gerichte in den Wirkungskreis dieſer Behörde 
auch hierin nicht zuläſſig. Hieran ändert auch der 
Umſtand nichts, daß ein Klagegrund vorgeführt wird, 
der auch einen zivilrechtlich verfolgbaren Anſpruch 
begründen kann, da für die Zuſtändigkeit nur das der 
Leiſtung oder der beſtrittenen Verpflichtung zugrunde 
liegende Rechtsverhältnis maßgebend iſt, dieſes aber 
nicht dadurch geändert wird, daß der Anſpruch auf 


7 


322 


Rückerſtattung der Gebühr auf ſchuldhaften Verzug 
oder auf ungerechtfertigte Bereicherung geſtützt wird; 
denn ſolche Anſprüche können ſowohl dem bürgerlichen 
als auch dem öffentlichen Rechte angehören. Steht 
hiernach außer Zweifel, daß der Hauptanſpruch der 
Klägerin ſeinem inneren Weſen und ſeiner Natur nach 
dem öffentlichen Rechte angehört, dann iſt für ihn 
auch der Rechtsweg ausgeſchloſſen. Das Gleiche hat 
aber auch für den aus dem Hauptanſpruch abgeleiteten 
Anſpruch auf Zahlung von Zinſen zu gelten. Den 
Anſpruch auf Zinszahlung hat die Klägerin gerade 
auf die Verneinung des Beſtandes der öffentlich-recht⸗ 
lichen Verbindlichkeit zur Entrichtung der Gebühr von 
15 000 M, ſowie auf die durch die Erhebung bewirkte 
rechtswidrige Minderung ihres Vermögens geftüßt. 
Damit iſt dem Zinsanſpruche der Klägerin deutlich 
der Stempel ſeiner öffentlich-rechtlichen Natur aufge: 
drückt und es haben daher über dieſen Anſpruch nicht 
die Gerichte, ſondern die Finanzbehörden zu entſcheiden. 

Die Zuſtändigkeit der Gerichte iſt aber auch nicht 
durch eine beſondere geſetzliche Vorſchrift angeordnet 
und kann namentlich nicht aus den Beſtimmungen des 
Geb. abgeleitet werden. In dem Verfahren nach 
Art. 44 ff. Geb. ift das Erinnerungs- und Beſchwerde— 
recht gegen die Gebührenanſätze in den Angelegenheiten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt: in dieſem 
Verfahren iſt aber nur darüber zu entſcheiden, ob der 
Anſatz gerechtfertigt iſt. Die Verurteilung zu einer 
Leiſtung, die Rückerſtattung des zuviel oder zu Unrecht 
erhobenen Betrags kann in dieſem Verfahren nicht 
ausgeſprochen werden. Da das Geſetz ſelbſt keine Be— 
ſtimmung über die Zuſtändigkeit der Gerichte zur Er— 
laſſung ſolcher Entſcheidungen enthält, geht es nicht 
an, die nach Art. 44 ff. auf das Erinnerungs- und 
Beſchwerdeverfahren gegen den Anſatz einer Gebühr 
beſchränkte Zuſtändigkeit der Gerichte auf andere 
Fragen zu erſtrecken. Nur in dieſem Sinne hat ſich 
das ObL®. in dem Beſchluſſe vom 17. Juni 1907 aus- 
geſprochen. Dieſer Beſchluß enthält keine Entſcheidung 
darüber, daß die Gerichte zur Entſcheidung über den 
Anſpruch auf Rückerſtattung einer zu Unrecht erhobenen 
Gebühr zuſtändig ſind. Der Beſchluß führt aus, in 
dem durch Art. 44 ff. Geb. geregelten Verfahren könne 
dem Antrage auf Verurteilung der Staatskaſſe zur 
Zurückzahlung der 15000 M ſamt Zinſen nicht ent— 
ſprochen werden, da in dieſem Verfahren das Gericht 
nur darüber zu entſcheiden habe, ob der Anſatz der 
Gebühr gerechtfertigt ſei oder nicht. Daraus kann nicht 
geſchloſſen werden, daß eine ſolche Verurteilung im 
ordentlichen Klageverfahren erfolgen könne. Das iſt 
nicht ausgeſprochen und ſollte auch nicht ausgeſprochen 
werden. Ebenſowenig kann aus der Vorſchrift in 
Art. 125 AG z. BGB. geſchloſſen werden, daß die 
Gerichte für den Anſpruch auf Rückerſtattung zu Un— 
recht erhobener Gebühren zuſtändig ſeien, da in dieſer 
Geſetzesvorſchrift die Frage nur für das Gebiet der 
Verjährung entſchieden iſt. Das LG. hat daher zu— 
treffend entſchieden, daß der Klage, inſoweit ſie ſich 
auf den Verzug und die ungerechtfertigte Bereicherung 
des Fiskus ſtützt, die Einrede der Unzuläſſigkeit des 
Rechtswegs entgegenſteht. 

Der Klageanſpruch iſt auch auf $ 839 Abſ. 1 BGB. 
und Art. 60 AG. z. BGB. gegründet, weil der Amts- 
richter die Entſcheidung über die von der Klägerin 
am 9. Januar 1903 erhobenen Erinnerungen fahrläſſig 
verzögert und erſt am 7. Februar 1907 Beſchluß gefaßt, 
dadurch aber die Klägerin geſchädigt habe. Die Erſatz— 
pflicht des Beklagten würde auch ausgeſchloſſen ſein, 
wenn eine ſolche Amtspflichtverletzung des Amtsrichters 
vorliegen würde, weil die Klägerin es fahrläſſig unter: 
laſſen hat, den Schaden durch Gebrauch des zuläaäſſigen 
Rechtsmittels der Aufſichtsbeſchwerde abzuwenden 
(3 839 Abſ. 3 BGB.). Die Klaͤgerin, welche durch 
Rechtsanwälte verbeiſtandet wurde, hätte ſehr wohl 
durch dieſes Rechtsmittel eine Verzögerung der Beſchluß— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 


Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


faſſung verhindern können, wenn ihre Erſuchen um 

Beſchleunigung erfolglos blieben. Da ſie es unterließ, 

von dieſem Rechtsmittel Gebrauch zu machen, hat ſie 

ſelbſt ſchuldhaft gehandelt, und dadurch wird die 

Schadenserſatzpflicht des Beklagten beſeitigt. (Urt. des 

I. ZS. vom 24. März 1911, L 269/09). G — — gn. 
2282 


Landgericht München II. 


1. Zu § 347 Sto. 2. Während der Vertagung 
des Landtags durch die Krone bedarf es zur Durd: 
führung des Strafverfahrens gegen ein e 
nicht der Einwilligung ſeiner Kammer.) Aus den 
Gründen: 1. Das Schöffengericht hat beſchloſſen, 
die Hauptverhandlung auszuſetzen, weil der Angeklagte 
Landtagsabgeordneter iſt und die Einwilligung der 
K. d. Abg. zur Strafverfolgung fehlte. Der Privat- 
kläger hat Beſchwerde eingelegt. Die Beſchwerde iſt 
zuläſſig. § 347 StPO. entzieht den in der ſchöffen— 
gerichtlichen Hauptverhandlung ergangenen Beſchluß 
der ſelbſtändigen Anfechtbarkeit nicht; er iſt nur auf 
Entſcheidungen der erkennenden Gerichte anwendbar, 
welche in innerem Zuſammenhang mit der Urteils⸗ 
fällung ſtehen, nicht auf ſolche, die einer Durchführung 
des Verfahrens bis zum Urteil entgegentreten. (Vgl. 
. 1 und 4 zu 8 317 StPO., RGSt. Bd. 43 
S. 179). 

2. Die mangelnde Einwilligung der K. d. Abg. 
ſteht dem Strafverfahren nicht deshalb allein entgegen, 
weil der Angeklagte Abgeordneter iſt. Nach Tit. VII 
8 26 BU. i. d. F. des Gef. vom 6. Juli 1908 bedarf 
es vielmehr zur Durchführung einer Strafverfolgung 
gegen Landtagsmitglieder der Einwilligung der Kam— 
mer nur „während der Verſammlung des Landtags 
in ordentlicher oder außerordentlicher Tagung“. Auch 
für die Anhänger der in der BayziR. 1909 S. 295 
vertretenen Anſchauung über die Tragweite dieſer 
Vorſchrift kann es nicht zweifelhaft ſein, daß die Straf— 
verfolgung eines Landtagsabgeordneten von der Ein— 
willigung der Kammer unabhängig wäre, während 
der Landtag „geſchloſſen“ iſt. Nun iſt allerdings z. Z. 
der Landtag nicht geſchloſſen, ſondern durch Ah. Bot- 
ſchaft vom 8. Auguſt 1910 ſeit 10. Auguſt nur „ver: 
tagt“. Dieſe Form, in den Beratungen des Landtags 
die notwendige, ſich häufig und auch gegenwärtig 
ſicher auf über ein Jahr erſtreckende Unterbrechung 
eintreten zu laſſen, hat die Staatsleitung ſeit län— 
gerem einem „Schluſſe“ des Landtags vorgezogen, weil 
ſie nur „ein vorübergehendes Ruhen, nicht einen Ab— 
bruch der Geſchäfte“ (Seydel) bewirkt. Dabei handelt 
es ſich alſo um die verfaſſungsmäßige Vertagung des 
Landtags durch die Krone im Sinne von Tit. VII 
§ 23 Vu. Verſchieden davon ſind die Unterbrechungen, 
welche durch das Recht jeder Kammer, ihre Sitzungen 
ſelbſt zu beſtimmen, in den Beratungen eintreten können. 
Bei der verfaſſungsmäßigen Vertagung liegt ein tat— 
ſächlicher Stillſtand in der Betätigung des Parlaments 
vor. Es kann im natürlichen Wortverſtand keine Rede 
davon fein, daß dann noch eine „Berfammlung” des 
Landtags in (ordentlicher oder außerordentlicher) 
„Tagung“ beſtünde. Ein Parlament, deſſen Tätigkeit 
eingeſtellt iſt und deſſen Mitglieder nach ihren Wohn— 
ſitzen im Lande heimgekehrt find, iſt nicht „verfammelt“ 
und der Begriff der „Vertagung“ ſchließt den der 
„Tagung“ aus. Dieſelben Kritereien treffen nur äußer— 
lich zu bei den Unterbrechungen in den Plenarbera— 
tun jen einer Kammer aus deren eigener Machtvoll— 
kommenheit, welche unei zentlich auch wohl „Ver: 


1) lleberelnſtimmend die Abbandlung Jahrgang 1910 S. 386 
dieſer Zeitſchrifſt im Gegenſatze zu der Mitteilung im Jahrgang 190% 


S. 29/5. 


tagungen“ genannt werden. Hier iſt die nächſte Sitzung 
und zwar von der Kammer ſelbſt oder ihren geſchäfts⸗ 
ordnungsmäßigen Organen ſchon beſtimmt, und die 
„Tagung“ im Rechtsſinn dauert allerdings fort. Wäh⸗ 
rend des Zeitraums der verfaſſungsmäßigen Vertagung 
aber iſt die Sachlage ganz anders. 

Die grammatikaliſch-ſtiliſtiſche Auslegung des Ge⸗ 
ſetzes läßt alſo die Auffaſſung nicht zu, daß während 
einer verfaſſungsmäßigen Vertagung des Landtags die 
Einleitung oder Fortſetzung der Strafverfolgung eines 
Mitglieds ohne Einwilligung ſeiner Kammer verboten 
ſei. Dieſe Auslegung, welche durch den Vergleich mit 
der älteren Faſſung („Kein Mitglied der Stände— 
verſammlung kann während der Dauer der 
Sitzungen ohne Einwilligung der betreffenden Kam⸗ 
mer zu Verhaft gemacht werden“) beſtätigt wird, deckt 
ſich auch vollſtändig mit dem vernünftigen Zweck des 
Geſetzes. Hiefür braucht nur an die Begründung er⸗ 
innert zu werden, welche in der K. d. Abg. ſelbſt dem 
Antrag an die Staatsregierung auf Vorlegung eines 
Geſetzentwurfs über Abänderung des 8 26 Tit. VII 
d. BU. in der Sitzung vom 26. Februar 1908 gegeben 


worden iſt. „Es handelt ſich nicht darum, daß einem 


Abgeordneten als Privatperſon ein gewiſſes Privi⸗ 
legium eingeräumt werden ſoll, ſondern . ... daß die 
möglichſt vollſtändige Präſenz der Mitglieder des Land⸗ 
tags und die geordnete Abwicklung der Geſchäfte .... 
ſtattfindet. Nicht um der Strafrechtspflege Schwierig⸗ 
keiten zu bereiten, nicht um einen Abgeordneten . ... 
der ſtrafrechtlichen Unterſuchung zu entziehen, ſind 
dieſe Beſtimmungen getroffen worden, ſondern ledig— 
lich zu dem Zweck, um die Ausübung des übertrage— 
nen Mandats und die geordnete, unbeeinflußte Ab— 
wicklung der Parlamentsgeſchäfte zu ermöglichen“ 
(Verh. d. K. d. Abg. 1907/08, Sten Ber. Bd. 3 S. 559). 
Die Ausdehnung des Privilegs auf die Dauer der 
verfaſſungsmäßigen Vertagungen des Landtags, wie 
ſie in Bayern gehandhabt werden, würde es aber 
wirklich zu einem ganz perſönlichen der Parlaments- 
mitglieder machen, hätte mit dem einleuchtend dar⸗ 
gelegten Zweck des Geſetzes überhaupt nichts mehr zu 
ſchaffen, und würde ohne jeden Zuſammenhang mit 
dem das Geſetz begründenden beſonderen Staatsintereſſe 
der Strafrechtspflege nur zugunſten einzelner Peſonen 
Schwierigkeiten machen. Auch aus der Entſtehungs— 
geſchichte des Geſetzes vom 6. Juli 1908 kann die vom 
Angeklagten gewünſchte Auslegung nicht abgeleitet 
werden. Es iſt zwar richtig, daß die Rechtſprechung 
zu Art. 31 Reichsverfaſſung das entſprechende Privileg 
des Reichstags auch auf die Dauer ſeiner Ver— 
tagungen erſtreckt und daß der Antrag des bayeriſchen 
Landtags, durch welchen die Aenderung von Titel VII 
8 26 BU. herbeigeführt wurde, eine Angleichung an 
den Rechtszuſtand im Reiche im Rahmen von 8 6 
Abſ. 2 Ziff. 1 EG. z. StPO. erſtrebt hat. Dies war 
aber doch nur inſofern der Fall, als die bayerijche 
Verfaſſungsurkunde allein die Verhaftung der Land- 
tagsmitglieder ohne Einwilligung der Kammer ver— 
boten hatte, und das Verbot nun im Einklang mit 
der Reichsverfaſſung auf den Betrieb eines Strafver— 
fahrens überhaupt „während der Dauer der Land— 
tagsverſammlung“ ausgedehnt werden follte (vgl. den 
Antrag vom 12. Februar 1908, Verh. d. K. d. Abg. a. 
a. O. Beil Bd. 2 S. 609). Die aus dem Antrag an— 
geführte Zeitbeſtimmung iſt neutral: daß ſie bezüglich 
der Vertagungen im Sinne der Judikatur zu Art. 31 
RV., woſelbſt der weitergehende Ausdruck „Sitzungs— 
periode“ gebraucht iſt, verſtanden werden müſſe, iſt 
in der K. d. Abg. weder bei der Beratung des An— 
trags noch des folgenden Geſetzentwurfs laut geworden 
(vgl. Verh. d. K. d. Abg. a. a. O. Bd. 3 S. 558 ff. und 
Bd. 5 S. 81ff.). Aus der Begründung zu dem Ent— 
wurf (ebenda Beil Bd. 3 S. 279) war weder im einen 
noch anderen Sinne eine zwingende Folgerung zu ent— 
nehmen. In der Kammer der Reichsräte wurde bei 


„ nr lentennede In. 


. — ͤ—ͤ—o— —éx—ũ—e e —— — — — — Bi 


Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 323 


Beratung des Beſchluſſes der Abgeordnetenkammer 
über den Antrag Dr. Süßheim und Gen. der Wunſch 
ausgeſprochen, es möge der Geſetzentwurf alle mög— 
lichen Streitfragen, ſo ob das Privilegium während 
der Vertagung fortdauere außer Zweifel ſtellen (Verh. 
d. K. d. Reichsr., Seſſion 1907/08, Sten B. Bd. 1 S. 216). 
Bei der Beratung des Entwurfes im Ausſchuß wurde 
deſſen Auslegung in dieſer Richtung vom Referenten 
zur Sprache gebracht, und vom Staatsminiſter des 
Innern erwidert, daß während der Vertagung des 
Landtags durch die Krone ſeinen Mitgliedern das 
Privileg nicht eingeräumt fein ſolle (ebenda Beil Bd. 2 
S. 421). Der Referent brachte dieſe Erklärung der 
Staatsregierung bei der Plenarberatung zum Vor⸗— 
trag, ohne daran ein Bedenken zu knüpfen. Sie blieb 
ohne Widerſpruch (Verh. a. a. O. Bd. 1 S. 464). Die 
hiermit erſchöpfte Betrachtung der Geſetzesverhand— 
lungen kann nur zu dem Ergebnis führen, daß die 
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes mindeſtens nichts 


enthält, was eine Auslegung, die zur Verwerfung der 


Beſchwerde führen müßte, aufzunötigen oder die For⸗ 
ſchung nach dem ‚eigenen Willen‘ des Geſetzes ein⸗ 
zuſchränken geeignet wäre, auch wenn man die Stelle 
der Motive, daß „dem Wunſche des Landtags in ſo 
weitgehendem Maße entſprochen werden ſolle, als es 
im Rahmen des S6 EGG. z. StPO. irgend möglich er⸗ 
ſcheine“, und die weitere Tatſache, daß nach dem 
ſtenographiſchen Protokoll über die Ausſchußberatung 
im Reichsrat der Berichterſtatter urſprünglich der Mei⸗ 
nung geweſen fein ſoll,!) das Privileg hätte dem Ent⸗ 
wurf zufolge während einer Vertagung des Landtags 
fortzudauern, nicht unberückſichtigt läßt. Als Geſetzes⸗ 
willen läßt aber nicht nur die ſprachliche und logiſche Aus⸗ 
legung erkennen, daß während der verfaſſungsmäßigen 
Vertagungen des Landtags Strafverfolgungen eines 
ſeiner Mitglieder von dieſer Eigenſchaft des Beſchul⸗ 
digten unbeeinflußt bleiben, ſondern das Geſetz legt 
ſich ſogar authentiſch in dieſem Sinne aus. In Abſ. 2 
find feine Vorſchriften nämlich entſprechend ausge- 
dehnt auf die Mitglieder eines bei nichtverſammeltem 
Landtag einberufenen beſonderen Ausſchuſſes für die 
Dauer ſeiner Tagung.“ Damit ſind nicht nur die Be⸗ 
griffe ‚Verſammlung des Landtags“ und „Tagung“ 
in dem hier vertretenen ſprachgetreuen Sinne erklärt, 
ſondern es iſt auch klar unterſtellt, daß die Ausſchuß⸗ 
mitglieder ohne eine eigene dahingehende Anordnung 
auf Grund ihrer Abgeordneteneigenſchaft allein während 
einer Vertagung das Privileg nicht genießen würden; 
denn daran, daß bei „geſchloſſenem“ Landtag ein Aus⸗ 
ſchuß tagte, iſt nicht zu denken. Die gleiche Bedeutung 
beſitzt es, wenn man in Art. 5 des Geſetzes vom 
9. Auguſt 1908, betr. die Behandlung der Geſetzent⸗ 
würfe über die direkten Steuern ausdrücklich beſtim— 
men zu müſſen geglaubt hat, es ſollten die Vorſchriften 
des Tit. VII §S 26 VU. während der Tagung der Aus- 
ſchüſſe zur Beratung dieſer Entwürfe auch auf die 
Präſidenten und die übrigen Direktorialmitglieder 
beider Kammern Anwendung finden. (Beſchl. vom 
30. Mai 1911, Beſchw.⸗Reg. 83 I 11). Ul. 


2300 


Literatur. 


Damme, Dr. jur. F., Geheimer Regierungsrat, Direktor 
im Kaiſerlichen Patentamt, Der Schutz techni— 
ſcher Erfindungen als Erſcheinungsform mo— 
derner Volkswirtſchaft. X, 184 Seiten. Berlin 1910. 
Otto Liebmann. Mk. 3.40. Gebd. Mk. 4.—. 

Die neue Gedanken und Horizonte bietende Schrift 
des im Bereiche des Patentweſens hervorragend be— 
kannten Verfaſſers will dazu beitragen dem Erfin— 


1) Privatem Aufſchluß zufolge It das Protokoll an dieſer Stelle 
nicht vollſtaͤndig und durch einen Zufall unberichtigt geblieben. 


324 


dungsſchutz den volkswirtſchaftlichen Boden zurückzu⸗ 
gewinnen, dem er entſproſſen, aber im Laufe der Jahr⸗ 
zehnte zum Schaden ſeines tieferen Verſtändniſſes mehr 
und mehr entfremdet iſt. Die letzten Ziele des ſtaat⸗ 
lichen Erfindungsſchutzes erſchöpfen ſich keineswegs in 
der Verleihung eines Monopolrechts an den einzelnen 
Erfinder, ſondern ſind überall und ſtets in der För⸗ 
derung der nationalen Gewerbepolitik zu ſuchen. So: 
wohl der Kampf der Freihändler bis in die ſiebziger 
Jahre gegen alles Patentweſen, wie die Auswüchſe 
des heutigen Patentweſens finden durch die Hervor— 
kehrung der nationalen Bedeutung des Erfindungs⸗ 
ſchutzes erſt ihre richtige Beleuchtung. Jede zukünftige 
Patentgeſetzgebung wird daher dem volkswirtſchaft⸗ 
lichen Moment mehr Einfluß als bisher erkennbar 
war einräumen müſſen. Verfaſſer führt dies im ein⸗ 
zelnen näher aus und berückſichtigt hierbei insbeſon⸗ 
dere die geſchichtliche Entwicklung in England. D. 


Dietz, H., Kriegsgerichtsrat in Raſtatt, Die Be⸗ 
ſchwerdeordnungen für das Heer (einſchließ⸗ 
lich Bayern und Schutztruppen) und für die 
Kaiſerliche Marine. 8. 200 Seiten. 1. und 
2. Tauſend. Raſtatt 1911. H. Greiſer. Gebd. Mk. 2.80. 


Seinen mit allgemeinem Beifall aufgenommenen 
erläuterten Ausgaben der Disziplinarſtrafordnung für 
das Heer (1909) und der Ehrengerichtsverordnungen 
(1910) hat Verfaſſer in kurzer Zeit einen gleichwertigen 
und nach denſelben Grundſätzen bearbeiteten Kommentar 
zu den Beſchwerdeordnungen folgen laſſen und damit 
einem oft empfundenen praktiſchen Bedürfnis ent⸗ 
ſprochen, da Heer und Marine bisher bei Handhabung 
des Beſchwerderechts fo ziemlich auf die nackten Beſtim— 
mungen der Beſchwerdeordnungen angewieſen waren, 
insbeſondere eine auf die praktiſchen Bedürfniſſe zu— 
geſchnittene gründliche Erläuterung entbehrt haben. 
Das Buch wird daher in den beteiligten Kreiſen ſehr 
willkommen ſein. Dr. 


Neger, A., Rat d. K. b. Verwaltungsgerichtshofes, 
Handausgabe des Bayer. Geſetzes über Heimat, 
Verehelichung und Aufenthalt vom 
16. April 1868 in der Faſſung der Bekanntmachung 
vom 20. Juli 1899. Mit Erläuterungen und Beidruck 
älterer heimatrechtlicher Beſtimmungen ſowie mit 
Vollzugsvorſchriften. 8. durchgeſehene und ergänzte 
Auflage. 8°. VIII, 253 S. Ansbach 1911, C. Brügel 
& Sohn. Geb. Mk. 4.—. 

Regers Heimatgeſetz, ſchon längſt der unentbehrliche 
treue Berater des bayeriſchen Juriſten in allen heimat— 
rechtlichen Fragen, iſt in 8. Auflage erſchienen. Einer 
beſonderen Anpreiſung bedarf das treffliche Buch nicht 
mehr, ſtatt ihrer genüge dieſer kurze Hinweis. F. 


Stier⸗Somlo, Dr. F., Profeſſor in Bonn. Zuwachs— 
ſteuergeſetz vom 14. Februar 1911. VIII. 190 S. 
Nürnberg und Leipzig. 1911. U. E. Sebald. 


Unter den großen Staaten hat zuerſt Deutſchland 
eine Beſteuerung des ohne Zutun des Eigentümers 
entſtandenen, fog. unverdienten Wertzuwachſes von 
Grundſtücken für das ganze Reichsgebiet eingeführt. 
Dieſer Verſuch der Reichsgeſetzgebung, ebenſo mutig 
wie bedeutungsvoll und zukunftsreich, bedeutet die Be— 
ſchreitung eines Weges, an deſſen als Ziel vorſchwe— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 


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a he — — — i. —[ʃ‣ —ð᷑ ...r . —ů 


bendem Ende die Herſtellung des größtmöglichſten ge- 


rechten Ausgleiches der wirtſchaftlichen Ungleichheiten 
winkt. Mag man dieſes Urteil und dieſe Hoffnung 
mit dem Verfaſſer teilen oder nicht, ſo gilt es heute 
angeſichts des Geſetzgebungswerkes nicht in grund— 
ſätzlicher Verneinung und dem auf wirtſchaftlichen In— 
tereſſen beruhenden Widerſtande zu beharren, ſondern 


mitzuhelfen an der Ausführung der gegebenen Rechts⸗ 
ſätze und an der Verwirklichung der finanz⸗ und ſozial⸗ 
politiſchen Ziele des Geſetzes. Dieſer Aufgabe hat ſich 
auch der vorliegende Kommentar gewidmet. Er ent⸗ 
hält wertvolle Erläuterungen zu den einzelnen 88 unter 
eingehender Berückſichtigung der Entſtehungsgeſchichte 
des Geſetzes und ſeiner einzelnen Beſtimmungen. Das 
Geſetz gilt zwar nicht in den deutſchen Schutzgebieten; 
dieſe ſind nicht Inland i. S. des 8 1 Abſ. 1. Aber 
immerhin iſt die Feſtſtellung von Intereſſe, daß die 
Wertzuwachsſteuer dem deutſchen Kolonialrechte längſt 
nicht mehr fremd iſt, ſogar von allen deutſchen Landen 
erſtmals im Schutzgebiete von Kiautſchou zur Ein⸗ 
führung kam, bevor dies in reichsdeutſchen Kommunen 
geſchah; der Kolonie gebührt alſo das Verdienſt der 
erſten praktiſchen und glücklichen Erprobung dieſer 
Steuer. Doerr. 


Keyſſner, Dr. Hugo und Dr. H. Beit Simeon, Aktien⸗ 
geſellſchaft und Kommanditgeſellſchaft auf 
Aktien (Handelsgeſetzbuch II. Buch, Abſchnitt 3 
und 4). 6. Auflage bearbeitet von J. Keyſſner, Amts⸗ 
richter. 376 S. Berlin 1911, J. Guttentag (Nr. 24 
der Guttentagſchen Sammlung deutſcher Reichsgeſetze). 
Geb. Mk. 3.—. 

Dieſer kleine Teilkommentar zum Handelsgeſetzbuch 

— es find die 88 178-334 erläutert — hat ſich mit 

Recht viele Freunde erworben, er iſt ein vortreffliches 

kleines Handbuch des geſamten Aktienrechtes. Die 

Erläuterungen berückſichtigen außer der Rechtſprechung 

auch die preußiſchen Ausführungsbeſtimmungen. 

F 


Notizen. 


Die Beſeitiaung von Tierkadavern und die Regelung 
des Abdeckereiweſens. Neue geſetzliche Vorſchriften hier⸗ 
über enthält das Reichsgeſetz vom 17. Juni 1911 
(RG Bl. S. 248); es wird zugleich mit dem Vieh— 
ſeuchengeſetze vom 26. Juni 1909 durch Kaiſ BO. in Kraft 
geſetzt werden (8 7 des Geſ., 8 82 Vieh SG.). Das 
Geſetz ordnet in 8 1 Abſ. 1 an, daß die Kadaver oder 
Kadaverteile beſtimmter Tierarten unſchädlich zu be⸗ 
ſeitigen ſind, ſoweit nicht durch Beſtimmung des Bun: 
desrats ihre Verwertung zugelaſſen ift (Abſ. 2). Unter 
Kadavern ſind die Leichen gefallener oder nicht zu 
Schlachtzwecken getöteter Tiere zu verſtehen, auch auf 
totgeborene Tiere kann das Geſetz durch landesrecht⸗ 
liche Ausführungsvorſchriften erſtreckt werden (8 4 
Satz 2). Die Kadaver ſind durch Vergraben, durch 
thermiſche Vernichtung oder auf chemiſchem Wege zu be⸗ 
ſeitigen (S 2). Die Landesgeſetze können dieſe Bor; 
ſchriften verſchärſen ‘S 3), fie können auch das Ab» 
deckereiweſen und den Betrieb von Vernichtungsan— 
ſtalten abweichend von den Vorſchriften der Gewo. 
regeln, die ſchon jetzt die Abdeckereien zu den „geneh- 
migungspflichtigen Anlagen“ zählt (8 16 Gemd.; für 
Bayern gelten daneben zur Zeit die Vorſchriften in 
den Art. 70, 71 PStGB.). Unberührt läßt das Geſetz 
(S 6) die weitergehenden Vorſchriften in den älteren 
Reichsgeſetzen und den Ausführungsbeſtimmungen dazu 
(vgl. insbeſondere § 20 Abſ. 1, SS 26, 34, 41, 45 des 
Vieh SG. vom 26. Juni 1909, 8 2 Nr. 5 Rinder pPG., 
§ 9 Abſ. 5, 8 10 Abſ. 2, 8 16 des Gef. betr. die Schlacht 
vieh- und Fleiſchbeſchau). Die Zuwiderhandlungen 
gegen das Gejeg vom 17. Juni 1911 find Hebertre- 
tungen ($ 5). 

2310 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von Ss Sch weißer Verlag (Arthur Sellier) München und Ber lin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 16 u. 17. München, den 1. September 1911. 7. Jahrg. 


Zeit hrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Th. von der Pfordten in Sagen 2. n 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſterlum der Juſtlz. München und Ferlin. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats 
im Umfange von mindeftens 2 Bogen. Preis vierteljährlich 
— t Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 


Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
Inſertionsgebübt 30 Pfg. für dle halbgeſpaltene Betitzeile 
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. 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 325 


˖ 5 | chen Materials, das das deutſche Ge⸗ 
die eufliſhe Gerictsverfaſſunn. erte elar in bunden dun Berti een 


Von Oberlandesgerichtsrat Frhr. v. Richthoſen in Jena. hat, nach, daß im engliſchen Handelsverkehre von 
(Schluß.) der Schiedsgerichtsklauſel der weiteſtgehende Ge⸗ 

Auch der zweile Halbband bringt viel des brauch gemacht wird. „Der engliſche Handel 
Intereſſanten. Zunächſt werden die Gerichte meidet im weiteſten Umfang die ordentlichen Ge⸗ 
und Behörden der freiwilligen Gerichts- richte. Die Handelsſtreitigkeiten werden in der 
barkeit und die Sondergerichte behandelt. Regel nicht von dieſen entſchieden. (S. 742). 
Wir lernen die eigenartige Railway and Canal Dies wird für die City von London, für Liverpool, 
Commission kennen (S. 634 ff.), deren Zuſtändig⸗ Mancheſter, Hull und mehrere andere Handels⸗ 
keit ſich anfangs nur auf die Klagen wegen Ver: zentren noch im einzelnen dargetan. Die Geſetz⸗ 
letzung der Verpflichtungen erſtreckte, die den Eiſen⸗ gebung iſt dem Beſtreben der kaufmänniſchen 
bahngeſellſchaften und den Kanalgeſellſchaften in Kreiſe, ihre Streitigkeiten vor ſachkundigen Ver⸗ 
bezug auf ihren Geſchäftsbetrieb obliegen, ſpäter trauensmännern auszutragen, ſogar ſelbſt entgegen: 
aber beträchtlich erweitert wurde. Ferner finden gekommen, indem ſie durch die Arbitration Act 
wir eine eingehende Erörterung über die Militär: von 1889 die Verweiſung von Prozeljen durch 
und Marinegerichte (S. 646 ff.). Seltſam berührt den ordentlichen Richter an ein Schiedsgericht zu⸗ 
uns hier die Mitteilung, daß eine Exemtion der ließ. Mit Zuſtimmung der Parteien kann dies 
Militärperſonen von der gewöhnlichen Zivilgerichts⸗ in allen Fällen geſchehen, ſonſt nur in ſolchen 
barkeit nicht ſtattfindet, dieſe vielmehr mit der Sachen, die ausgedehnte Unterſuchungen von Do- 
Militärgerichtsbarkeit dergeſtalt konkurriert, daß kumenten oder Unterſuchungen wiſſenſchaftlicher 
die Aburteilung einer Sache durch ein Militär- Art erfordern, und in Rechnungsſachen (Näheres 
gericht deren nochmalige Verhandlung vor dem S. 731 ff.). Ja der großen Ausdehnung des 
Zivilgericht nicht hindert, und daß bei einer aber⸗ ſchiedsrichterlichen Verfahrens dürfte der Schlüſſel 
maligen Verurteilung lediglich die vom erſteren für die Tatſache zu ſuchen ſein, daß nach ſtatiſtiſchen 
Gericht bereits vollſtreckte Strafe anzurechnen iſt. Nachweiſen die Zahl der von den höheren Gerichts⸗ 
Aus § 30 (S. 674 ff.) erfahren wir, daß die höfen gefällten Zivilurteile in England jo ſehr 
geiſtliche Gerichtsbarkeit der Staatskirche in Eng: viel niedriger iſt als bei uns. Gerland gelangt 
land noch nicht zu den hiſtoriſchen Erinnerungen nach der Erörterung des ganzen Schiedsgerichts⸗ 
gehört, wenn auch ihre Zuſtändigkeit keine be- weſens zu dem Schluſſe: „Die Gerichtsflucht des 
deutende mehr iſt. Handels iſt die Bankrotterklaͤrung der engliſchen 
Die folgenden Abſchnitte (S. 681 ff.) behandeln Gerichtsperfaſſung in Hinblick auf die Zivilrechts⸗ 
die Lokalgerichte, die in zahlreichen engliſchen pflege“ (S. 749), ein Satz, der wohl die Ver: 
Städten, auch in London, noch beſtehen und mit neinung der von Adickes aufgeworfenen Frage, ob 
ihren Wurzeln meiſt in alte Zeiten zurückreichen. unſere Gerichtsorganiſation nach dem Muſter der 
Zu ihnen zählen auch die Univerſitätsgerichte zu engliſchen zu reformieren ſei, in ſich ſchließt. 


Oxford und Cambridge, deren Bedeutung indes Im dritten Kapitel des erſten Abſchnitts finden 
im weſentlichen nur noch eine geſchichtliche iſt wir eine Erörterung der prozeſſualen, der admini— 
(S. 706 ff.). | ſtrativen und der legislativen Beziehungen der ver— 

Im 8 35 (S. 725 ff.) findet fi eine intereſ: [ſchiedenen Gerichte zueinander (S. 750 ff.). 
ſante Ausführung über die Schiedsgerichte, Auf S. 755,757 wird uns eine Tabelle des Inſtan— 
die im engliſchen Rechtsleben eine große Rolle zenzuges dargeboten, welche die Buntſcheckigkeit der 
ſpielen. Gerland weiſt an der Hand eines um- engliſchen Gerichtsverfaſſung aufs deutlichſte ber: 


826 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


vortreten läßt. Wir lernen dann die dem eng: | begegnet uns wieder der Coroner) und Offizial⸗ 
la 5 e BEL Er 11 0 Mm u a 18 i 
ennen (Writs of Habeas Corpus, Mandamus, efugniſſe de orney-General und des Solicitor- 
un erg 5 1 5 ene ae 1 5 
gemäße Erlaſſe des ourt an die ihm egierung, deren Tätigkeit ſich nicht nur auf die 
untergebenen Gerichte oder auch an andere Behör⸗ Strafverfolgung, ſondern auch auf die Juſtizver⸗ 
den oder Privatperſonen, in der Regel mit der waltung erſtreckt (S. 863 ff., 972). Endlich werden 
Wirkung, daß die betreffende Angelegenheit zur wir mit dem erſt ſeit 1879 beſtehenden Amte des 
eg 8 1 8 ger | eo 857 fl, ber nebst den 1 5 sea 
zogen wir ei der Prüfung der er ne en ihm beigegebenen 
legislativen Beziehungen der Gerichte wird auf Assistant Directors eine Behörde darſtellt, die 
die Geſetzeskraft der Präzedentien eingegangen, die | unſerer Staatsanwaltſchaft ähnlich ſieht. Ihre 
1 1 = en a | 1 0 no I Er 175 
echts im weſentlichen erſetzen (S. ). Die ränkt ſich aber in der Praxis auf die Verfol⸗ 
daraus entſtehende Starrheit der Rechtsentwicklung | gung ſchwererer Straftaten. Jedenfalls iſt von 
Er in a 5 1 Be den an er ren ni au Ingen, 

roffen, daß ſich da em der Praäͤzedentien ni wie von den Gerichten: ſie enthalten alte u 
bewahrt hat (S. 771 ff.). moderne Beſtandteile, deren Ineinandergreiſen uns, 
Der zweite Abſchnitt des erſten Teiles des die wir an eine einheitliche Behördenorganiſation 

1 5 5 118 on 8 1 1 N . 1 1 . 
richte und ſeiner Stellung. Zunächſt wird au er 2. ni g ) bringt eine ein⸗ 
S. 774 bis 849 die Rechtsſtellung der Richter gehende Darſtellung der Verhältniſſe der eng⸗ 
ausführlich erörtert (Perſonenkreis, Arten, Anſtel⸗ lichen Rechtsanwaltſch aft. Deren Zwei⸗ 
118 ben nel =. 5 a 5 nn ao 57 0 
eit. Schutz der richterlichen Stellung, äußeres An- werden doch allgemein ſowohl bezüglich ihrer Tätig: 
ſehen), dann kurz diejenige des ſonſtigen Gerichts⸗ keit als ihrer ſozialen Stellung die Solicitors als 


perſonals (S. 849 f.). Daß es eine eigene Richter: die niederen, die Barristers als die höheren An⸗ 
laufbahn in England nicht gibt, die Richter — ſo- wälte angeſehen. Gerland gibt zunächſt einen 
weit von ihnen überhaupt juriſtiſche Vorbildung hiſtoriſchen Ueberblick über die Entwicklung und 
verlangt wird — vielmehr faſt durchweg aus dem begründet ſeine Anſicht, daß die Verhältniſſe auf 
Anwaltſtande genommen und außerordentlich gut eine Beſeitigung der Zweiteilung in Verbindung 
beſoldet werden, iſt bekannt. In der eingehenden mit der Lokaliſierung der Gerichte hindrängen — 
Darſtellung der Anſtellungs- und Beförderungs- eine Reform, der freilich von dem Barriſterſtande 
verhältniſſe (S. 781 ff.) tritt der große Unterſchied vorläufig heftiger Widerſtand entgegenſetzt wird. 
zwiſchen den Zuſtänden diesſeits und jenſeits des Da dieſer einen ſehr großen Einfluß auf die poli⸗— 
Kanals deutlich hervor. Von beſonderem Intereſſe tiſchen Parteien beſitzt, ſo iſt an ein baldiges Er⸗ 
iſt die Strafgewalt des Richters wegen Contempt reichen des Ziels der Vereinheitlichung, das die 
of Court, „die in weitem Umfang über die aus Solicitors erftreben, nicht zu denken. Im 8 47 
der Sitzungspolizeigewalt reſultierende Strafbe- (S. 897ff.) wird dann von den Solicitors ge 
fugnis des Richters hinausgeht“ (S. 829). In handelt, deren Rechtsſtellung ſowohl bezüglich der 
der Tat haben wir hier eine ſcharfe Waffe vor freien Zulaſſung in der Hauptſtadt und der Pro- 
uns, die dem engliſchen Richter zur Wahrung vinz, als auch im Hinblick auf den unmittelbaren 
feines Anſehens nach allen Richtungen hin anver: Verkehr mit den Parteien mit derjenigen unſerer 
traut iſt und wegen der empfindlichen Strafmittel Rechtsanwaͤlte die größere Aehnlichkeit hat. Eine 
(Geldſtrafe bis zu 300 & oder Gefängnisſtrafe, eigentliche Organiſation dieſes Standes exiſtiert 
die ſogar ein Jahr überſteigen kann, vgl. S. 837) nicht, wohl aber eine freie Vereinigung, die ſeit 
auch zur Erreichung ihres Zwecks wohl geeignet 1827 in London beſtehende Incorporated Law 
erſcheint. Gerland gibt auf S. 826 bis 838 unter | Society, der etwa die Hälfte der — übrigens ſehr 
Anführung vieler Beiſpiele eine anſchauliche Schil- zahlreichen — praktizierenden Solicitors angehört, 
derung dieſer Rechtseinrichtung, die für die ge- und der die Berechtigung beigelegt iſt, die Prü— 
ſamte Beurteilung der engliſchen Gerichtsverfaſ- fungsordnungen für die drei Examina zu erlaſſen, 
ſung von großer Wichtigkeit iſt. deren Ablegung von einem Solicitor⸗Kandidaten 

Im zweiten Teile des Geſamtwerks, deſſen gefordert wird. Völlig verſchieden iſt der Stand 
Umfang nur etwa ein Siebentel des erſten aus- der Barristers gegliedert, deſſen Verhältniſſe im 
macht, werden die übrigen Organe der Gerichts- § 48 (S. 924 ff.) eine eingehende Würdigung 
verfaſſung behandelt: Die Klagebehörden, die Rechts- finden. Ihre feſte Organiſation in den althiſto⸗ 
anwaltſchaft und die Juſtizverwaltung. Im 1. Ab- riſchen vier Londoner Inns of Court iſt body: 
ſchnitt lernen wir die verſchiedenen Arten der Ein- intereſſant. „Man wird Mitglied einer Anwalts— 
leitung eines Strafverfahrens kennen: Popular- korporation, um Anwalt zu werden; man wird 
klage (Vereins-, Polizeiklage), Gerichtsklage (hier , aber nicht etwa wie bei uns Mitglied einer be— 


\ 


Zeitſchrift für ir Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 327 


ſtimmten Anwaltsorganiſation, weil man Anwalt dem Daſein lebhafter Reformbeſtrebungen in Eng: 
geworden iſt“ — ſo präziſiert der Verfaſſer den | land zu entnehmen ift, die von tiefgehender Un⸗ 
Unterſchied zwiſchen den engliſchen und den deut⸗ zufriedenheit mit den Zuſtänden des Rechtslebens 
ſchen Einrichtungen (S. 825). Auf Einzelheiten zeugen. Gar manche innerlich überlebte Ein⸗ 
kann hier leider nicht eingegangen werden, es ſei richtung früherer Jahrhunderte iſt auch uns auf 
aber im allgemeinen darauf hingewieſen, daß ge: [dem kurzen Rundgange begegnet. Eine Umfor⸗ 
rade der Abſchnitt über die Barristers und auch mung unſerer Gerichtsverfaſſung nach engliſchem 
derjenige über die Solicitors dazu angetan find, | Mufter kann ernſtlich nicht in Frage kommen, ſo 
ein Bild von der Eigenart der engliſchen Rechts: intereſſant es auch iſt, ſich mit einer Vergleichung 
einrichtungen zu geben. der jo grundverſchiedenen Rechtszuſtände der beiden 

Am Schluſſe des Werkes (S. 969— 974) ſteht Länder zu beſchäftigen. 
eine Erörterung über die Juſtizverwaltung, 
die ſich als zerſplittert und auf verſchiedene Mini⸗ 
ſterien verteilt darſtellt (ein Juſtizminiſterium in 
unſerem Sinne fehlt den Engländern bisher), und 
über den weitreichenden Einfluß des Parlaments 
auf die Juſtizverwaltung. 

Dieſe Inhaltsüberſicht dürfte zeigen, daß Ger⸗ 
land mit großem Fleiße ein ungeheures Material 
zuſammengetragen und wohl verſtanden hat, es 
zu ſichten. Er hat damit der deutſchen Wiſſen⸗ 
ſchaft eine einheitliche, gründliche und vollſtändige 


Proviſoriſche Verfügungen der Verwaltungs⸗ 
behörden in Wegſtreitigkeiten. 


Von Bezirksamtsaſſeſſor Dr. Steinbach in Roſenheim. 


Wie in früheren Zeiten fo iſt es auch heut⸗ 
zutage nichts ſeltenes, daß Private unter Behaup⸗ 
Darſtellung der engliſchen Gerichtsverfaſſung ge⸗ tung eines ihnen zuſtehenden Rechtes ſich in den 
boten, an der es bisher noch fehlte. Die beiden Beſitz öffentlicher Wege zu ſetzen ſuchen. Das 
Londoner Juriſten, denen er fein Werk gewidmet radikalſte Mittel zu dieſem Zwecke iſt die Ab⸗ 
hat: Sir Harry B. Poland und Dr. Ernſt Schufter | ſperrung durch einen Zaun oder eine Schranke; 
haben ihn bei der Sammlung der Bauſteine we- aber auch eine Tafel mit der Aufſchrift „Privat⸗ 
ſentlich unterſtützt (vgl. Vorwort S. XII). Sie weg; Begehung verboten“ bringt hinlänglich 
und andere engliſche Kritiker haben dem vollendeten deutlich zum Ausdruck, daß die Wegfläche dem 
Werke volle Gerechtigkeit widerfahren laſſen und allgemeinen Gebrauche entzogen werden ſoll; wer 
namentlich die ſich überall zeigende deutſche Gründ⸗ ſich um das Verbot nicht kümmert, läuft Gefahr, 
lichkeit hervorgehoben. Ich nenne nur die Wer: nach $ 368 Nr. 9 StGB. beſtraft zu werden. 
tungen in folgenden Zeitungen und Zeitſchriften: Ein anderes Mittel iſt die Umackerung eines 
The Times vom 20. Oktober 1910; Pall Mall | öffentlichen Weges — vgl. VGHE. V S. 170 — 
Gazette vom 16. Juni 1910; Valentine in der | oder feine Einengung durch einen ſeitlich inner⸗ 
Juridical Review July 1910, S. 162 164; halb der Wegflaͤͤche angebrachten Zaun. 
Solicitors Journal vol. IV S. 675; Law Maga- Alle derartigen Manipulationen enthalten 
zine and Review Nov. 1910. Eine ausführliche | einen ſchweren Eingriff in Rechte anderer; es iſt 
Würdigung aus deutfcher Feder hat, ſoweit wir aber charakteriſtiſch für die Rechtsentwicklung 
ſehen, bisher noch gefehlt. Hoffen wir, daß dieſe unſerer Zeit, daß ſie entweder gar nicht mit Strafe 
Zeilen manchem Leſer die Anregung geben, ſich | bedroht oder doch nur als Uebertretungen ſtrafbar 
näher mit dem wichtigen Buche zu beſaſſen. ſind. Im Vergleich zu dem ausgedehnien Schutz 

Kehren wir am Schluſſe der Erörterung zu | des Privateigentums iſt der des Gemeingebrauchs 
der mehrfach geſtreiften Frage zurück, ob man einer ziemlich mangelhaft. Wer z. B. einen öffentlichen 
Reſorm unſerer deutſchen Gerichtsverfaſſung nach Weg durch einen Zaun abſperrt, riskiert in der 
engliſchem Vorbild das Wort reden darf, jo wird Regel nicht das mindeſte; denn $ 366 Nr. I StGB. 
die Antwort verneinend ausfallen müſſen. Gewiß | findet nach der herrſchenden Rechtſprechung nur 
bleibt das große Anſehen der Richter an den Anwendung auf Gegenſtände, die nicht in dauernde 
höheren Gerichtshöfen Englands ein erheblicher [Verbindung mit dem Grund und Boden gebracht 
Vorzug der Einrichtungen jenſeits des Kanals, worden find (Riedel⸗Sutner, P StGB. S. 323 
und niemand wird beſtreiten wollen, daß eine | Anm. 6); das Abpflügen oder Abgraben iſt nur 
höhere Wertung des deutſchen Richterſtandes in eine harmloſe Uebertretung nach 8 370 Nr. 1 
der Allgemeinheit jehr zu wünſchen wäre. Wer | a. a. 
eingehend prüfen will, darf ſich aber durch dieſe Findet nun eine ſolche Beeinträchtigung des 
Erſcheinung nicht beſtechen laſſen. Hinter der beſtehenden Gemeingebrauchs ſtatt, jo wird es 
glänzenden Außenſeite des engliſchen Richtertums | in der Regel nicht lange dauern, bis ein oder der 
verbergen ſich viele und arge Schwächen des ganzen andere Intereſſent beim Bezirksamte erſcheint, um 
Syſtems. Die engliſchen Einrichtungen ſind ſelbſt dort ſchleunigſte Abhilfe zu erbitten. Das letztere 
in hohem Grade reformbedürſtig, wie Gerland in trifft, wenn es die Sachlage ſelbſt kennt, ſofort, 
zahlreichen Fällen nachgewieſen hat, und auch aus | im andern Fall nach ſummariſchen Erhebungen 


328 


Zeitſchrift fü für Zeitſchrift für Rechtspflege in 8 in 


die nötigen Maßnahmen, „um den Weg pro vi⸗ 
ſoriſch für die allgemeine Benützung 

offen zu halten“ (VGHE. V, 175); es wird 
alſo, wenn es zu der Ueberzeugung gekommen iſt, 
daß tatſaͤchlich bisher der Weg der allgemeinen 
Benützung offenſtand und ein entgegenſtehendes 
Privatrecht nicht ſofort erweislich iſt, die Beſeiti⸗ 
gung der angebrachten Abſperrungsvorrichtungen 
oder Warnungstafeln anordnen. 

Die Zulaͤſſigkeit ſolcher „proviſoriſchen 
Verfügungen“ iſt vom K. Staatsminiſterium 
des Innern — vgl. VGHE. I, 413 —, vom 
Verwaltungsgerichtshof — vol. VEHE. I, 413; 
II, 189; IV, 569 uſw. —, dann auch in ber 
Literatur anerkannt — ſiehe insbeſondere Kahr, 
Gemeindeordnung Bd. I S. 392, 393. Freilich 
finden ſich auch manche Zweifler, von denen weiter 
unten die Rede ſein wird. 

Die proviſoriſchen Verfügungen ſind ein ſehr 
altes Rechtsinſtitut. Zur Zeit des Polizeiſtaats 
war ihre Gültigkeit ſelbſtverſtändlich; Kreitmayr 
erwähnt ſie, indem er ausführt, an Stelle der 
römiſchen actio popularis ſei „ein ſummariſches 
Verfahren per mandata“ getreten. Die Privat⸗ 
rechtsſtellung des Einzelnen zur Wahrnehmung 
öffentlicher Intereſſen beſtand zu jenen Zeiten nicht 
mehr; ſie war auch entbehrlich, da ein noch ein⸗ 
facheres Verfahren angewendet werden konnte. 

Solange in Bayern der Satz galt, daß die 
öffentlichen Wege außerhalb des privatrechtlichen 
Verkehrs ſtehen — res extra commercium —, 
daß Eigentum an ihnen nicht möglich ſei und 
daß über die Oeffentlichkeit eines Weges, alſo 
darüber, daß eine beſtimmte Bodenfläche als Weg 
von Rechtswegen dem Gemeingebrauch zu dienen 
habe, die Verwaltungsbehörden zu entſcheiden 
haben, war auch die Zuläſſigkeit einſtweiliger 
Verfügungen durch eben dieſe Behörden ſelbſtver⸗ 
ſtändlich. Man ging von der Anſicht aus, daß 
der Gemeingebrauch das Privatrecht, alſo die 
Herrſchaft eines Einzelnen, ausſchließe; daß die 
Oeffentlichkeit eines Weges nichts anderes bedeute 
als die Negation des Privatrechts, wie umgekehrt 
die Behauptung eines Privatrechts die Negation 
des Gemeingebrauchs. Beſtand hierwegen Streit, 
ſo wäre die Zuſtändigkeit der Gerichte an ſich 
ebenſo zu rechtfertigen geweſen wie jene der Ver— 
waltungsbehörden. Die Praxis entſchied ſich, 
offenbar weil ſie das öffentliche Intereſſe für das 
bedeutungsvollere hielt, für die Zuſtändigkeit der 
Verwaltungsbehörden. Hieraus ergab ſich die 
notwendige Folge, daß dieſe bei Beeinträchtigung 
des Gemeingebrauches auch die zu ſeinem Schutze 
notwendigen Verfügungen erlaſſen konnten. 

Dieſe Praxis hat ſich aber hinſichtlich der 
materiellen Beurteilung des Rechtsverhältniſſes 
und damit auch hinſichtlich der Zuſtändigkeitsfrage 
vollſtändig geändert. Der Umſchwung datiert ſeit 
Luthardts bekannter Abhandlung „Ueber öffent- 
liche Wege“ in den Blättern für admin. Praxis 


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Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


Bd. 21 S. 321 ff. Hier wird ausgeführt, daß 
auch an öffentlichen Wegen Eigentum beſtehe 
und daß daher, wenn dieſes Eigentum ſtreitig fei, 
die Zuſtändigkeit der Gerichte gegeben ſei. Die 
Vorbedingung und Grundlage des Gemein: 
gebrauchs iſt hiernach die privatrechtliche Herrſchaft 
über Grund und Boden. (Vgl. z. B. Seydel, 
Bayer. Staatsrecht, 1. Aufl. Bd. V S. 488; aber 
auch Entſch. des ObL G. in 35. vom 15. Oktober 
1888, Samml. Bd. XII S. 178; BSHE. IV, 603.) 

Man ſollte nun meinen, daß aus der Unzu⸗ 
ſtändigkeit zur Erlafſung einer endgültigen Ent⸗ 
ſcheidung auch jene zur Erlaſſung einſtweiliger 
Verfügungen ohne weiteres zu folgern ſei. 

Allein ſchon Luthardt iſt nicht ſoweit ge: 
gangen: „Illiquiden Privatrechtsanſprüchen gegen⸗ 
über darf die Verwaltungsbehörde .... jede zur 
Abwendung von Unordnungen und Gefahren nötig 
erſcheinende Maßregel ergreifen. und zwar unbe⸗ 
ſchadet aller privatrechtlichen Anſprüche, d. h. vor⸗ 
behaltlich der ſpäteren richterlichen Entſcheidung“ 
(a. a. O. S. 357). Damit iſt die Zuſtändigkeit 
der Verwaltungsbehörden zu proviſoriſchen Ver⸗ 
fügungen aufrechterhalten, ſoweit man dies nur 
irgend wünſchen kann. 

Die Praxis hat ſich, wie bereits erwähnt, 
Luthardt auch in dieſem Punkte angeſchloſſen. 

Allein es find doch auch Zweifel laut ge: 
worden. So führte Seydel — a. a. O. S. 490 — 
aus, daß von demſelben Richter, der über Mein 
und Dein erkenne, auch die Feſtſtellung des Be⸗ 
ſitzſtandes zu erwirken ſei. Dagegen erklärt er 
doch wieder vorläufige Maßnahmen „in dem 
Sinne“ für zuläſſig, daß die Verwaltungsbehörde 
„feſthält, was ſie hat, daß ſie den Beſitzſtand 
wahrt, wenn ein ſolcher gegeben iſt; aber ſie tut 
dies als Partei, fie entſcheidet nicht.“ Eine Ab: 
handlung in den BlAdmPr. Bd. 43 S. 490 ff. 
ſcheint auch dieſe „Wahrung des Beſitzſtandes“ 
für unzuläſſig zu halten. 

Wohl mit Recht! Denn die Verwaltungsbe⸗ 
hörde iſt weder ſelbſt Beſitzerin im Sinne des 
Zivilrechts, noch etwa geſetzliche Vertreterin der 
Gemeinde, die allenfalls als Beſitzerin in Betracht 
kommt. Sie kann dies ſchon deshalb nicht ſein, 
weil ihr die juriſtiſche Perſönlichkeit und daher 
im Falle eines Prozeſſes jede Legitimation mangelt. 
Ihre Maßnahmen ſind nicht rechtsgeſchaͤftlicher 
Natur, ſondern, Regierungsakte. Sie kann nur 
als Behörde in Tätigkeit treten; im Beſitzſtreit 
kann ſie keine Parteirolle ſpielen; eben deshalb 
iſt auch eine Ueberprüfung ihrer Maßnahmen 
durch das Gericht ausgeſchloſſen. 

Die proviſoriſchen Verfügungen können alſo 
nicht auf eine zivilrechtliche Grundlage 
geſtellt werden. 

Sie können aber auch nicht als ein Rechts— 
inſtitut des Polizeirechtes gerechtfertigt werden; 
denn heutzutage gilt der Satz, daß polizeiliche 
Gebote und Verbote inhaltlich ſtets unmittelbar 


oder mittelbar auf eine geſetzliche Beſtimmung 
geſtützt ſein müſſen (Seydel a. a. O. S. 7). Eine 
ſolche Beſtimmung fehlt aber zum mindeſten in 
allen Fällen, in denen ein Strafverfahren 
nicht eingeleitet werden kann. Vgl. Kahr, 
GemO. Bd. S. 392 Anm. 135, 136; Pol StGB. 
Art. 20; AG. zur StPO. Art. 102. 

Mit der theoretiſchen Rechtfertigung ſieht es 
alſo ſchlecht aus. Man hat es mit einem Ueber⸗ 
bleibſel des früheren Wegrechtes zu tun, das bei 
der Vernichtung des letzteren noch Stand gehalten 
hat, das aber in das gegenwärtige Recht nirgends 
mehr gut hineinpaßt. Schließlich muß man ſich 
damit begnügen, daß das Rechtsinſtitut durch ſein 
Beſtehen hinlänglich gerechtfertigt iſt; da es 
wirklich exiſtiert, mag es überflüſſig ſein, einen 
Beweis für ſeine Möglichkeit zu verſuchen. 

Es ſei noch geſtattet, auf das Widerſpruchs⸗ 
volle hinzuweiſen, das in dieſem Rechtsgebilde liegt. 

Die Verwaltungsbehörde kann proviſoriſch einen 
geſperrten Weg öffnen entweder auf Anrufen eines 
Privaten oder einer Gemeinde. Im erſteren Falle 
beſteht die Möglichkeit, daß der von ihren Maß⸗ 
nahmen Betroffene keinen Gegner findet, den er 
mit Zivilklage belangen könnte. Denn es ſteht 
ihm zunaͤchſt nur die Behörde gegenüber; er kann 
ſich über ſie bei der vorgeſetzten Stelle beſchweren. 
aber er kann ſie nicht verklagen. Er kann ſich 
aber auch nicht an die Gemeinde halten, ſolange 
dieſe den Weg nicht für ſich in Anſpruch nimmt; 
und fie wird das letztere häufig ſchon dann ab: 
lehnen, wenn ein Prozeß zu befürchten iſt; ſie 
wird es ferner ablehnen, wenn ihr die Laſt der 
Wegunterhaltung ſchwerwiegender ſcheint als der 
Vorteil der allgemeinen Wegbenützung. Sie kann 
die Oeffentlichkeit des Weges ausdrücklich zugeben, 
aber ſeine Eigenſchaſt als Gemeindeweg beſtreiten. 

Gegen jeden Einzelnen, der den Weg begeht, 
Klage zu ſtellen, iſt unmöglich. So beſteht die 
Gefahr, daß das Proviſorium ſich in ein Defini⸗ 
tivium verwandelt, und daß derjenige, gegen den 
die behördliche Maßnahme ſich richtet, außer 
Stande iſt, ſein wirkliches oder vermeintliches Recht 
im Zivilprozeßwege zu verfolgen. | 

Aber auch, wenn die behördliche Verfügung | 
auf Antrag einer Gemeinde ergangen iſt, die 
den Weg als Gemeindeweg beanſprucht, kann es | 
zu unangenehmen Situationen kommen. Das 
adminiftrative Proviſorium gilt nach der Recht: 
ſprechung — vgl. z. B. VGHE. Bd. I S. 413, 
Bd. V S. 170 — „jo lange, als nicht auf dem 
Zivil⸗ oder Adminiſtrativwege eine definitive Ent⸗ 
ſcheidung erfolgt iſt“. Es iſt nun möglich, daß 
der Zivilprozeß anhängig geworden iſt, und daß 
in ihm eine einſtweilige gerichtliche Verfü— 
gung beantragt und auch erlaſſen wird; daß 
ferner die letztere mit dem adminiſtrativen Provi— 
ſorium im Widerſpruche ſteht. Quaestio quid juris? 

Man ſieht, daß die Verwaltungsbehörde bei 
Erlaſſung ſolcher proviſoriſcher Verfügungen die 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


329 


äußerſte Vorſicht walten laſſen muß, fo ſehr es 
ſich auch hier um raſches Eingreifen handelt, und 
ſo eigenartig es ihr auch erſcheinen mag, die Haͤnde 
in den Schoß zu legen, wenn Angelegenheiten in 
Frage ſtehen, die auf den erſten Blick in ihrem 
eigentlichſten Wirkungskreis zu liegen ſcheinen. 
Mindeſtens ebenſo fremdartig wird es freilich dem 
Richter vorkommen, wenn er um eine einſtweilige 
Verfügung zur Aufrechthaltung des öffentlichen 
Verkehrs angegangen wird. 


Unrichtiges Bekenntnis erhaltener Hypotheken⸗ 
darlehns⸗Valuta und Erwerb der fälligen Hypo⸗ 
thek durch einen neuen Geldgeber. 

Von Rechtsanwalt Dr. Engen Joſef in Freiburg i. Br. 


I. Wer ein Darlehn „auf Hypothek“ nimmt, 
kann die Auszahlung des Darlehns erſt verlangen, 
wenn er ſeinerſeits die vereinbarte Sicherheit be⸗ 
wirkt hat, d. h. erſt wenn die Eintragung in der 
vereinbarten Weiſe erfolgt und der etwa gebildete 
Hypothekenbrief dem Glaͤubiger ausgehändigt iſt. 
Der Eigentümer (Darlehnsnehmer) kann alſo nicht 
verlangen, daß der Darlehnsgeber mit ihm ſich 
auf dem Grundbuchamte einfinde und dort ihm 
das Geld auszahle, ſobald der Eigentümer vor 
dem Grundbuchamt die Eintragungsbewilligung 
zu Protokoll erklärt hat. Denn wenn auch der 
Grundbuchbeamte die Eintragungsbewilligung an⸗ 
ſtandslos entgegennimmt, ſo kann der Darlehns⸗ 
geber doch nicht unbedingt darauf rechnen, daß 
die Vollziehung der Eintragung nicht beanſtandet 
werde (Mot. 3, 704). Die richtige Faſſung der 
Eintragungsbewilligung wäre danach eine Er— 
Härung dahin, daß dem Eigentümer ein Darlehn 
zugeſagt iſt und er für dieſe (künftige, 81113 
Abſ. 2 BGB.) Forderung Hypothek beſtellt.“) 
Die allgemein übliche Faſſung der Eintragungs⸗ 
bewilligung des Eigentümers, wonach er ein Dar⸗ 
lehn erhalten zu haben erklärt und hierfür 
Hypothek beſtellt, bewirkt ſomit eine unrichtige 
Erklärung: der Eigentümer quittiert über die 
Zahlung der ihm vom Darlehnsgeber geſchuldeten 
Valuta, obwohl er dieſe noch garnicht erhalten 
hat. Dem Darlehnsgeber aber droht ans der 
geſchilderten Sach- und Rechtslage eine andere 
Gefahr: denn der Eigentümer kann ſpäter ſtets 
beſtreiten, daß er die Darlehnsvaluta erhalten 
habe. Dann entſteht die Frage, ob der Gläubiger 
ſich auf die vom Eigentümer in der Eintragungs— 
bewilligung erteilte Quittung berufen kann (ob: 
wohl ſie wie erwähnt, unrichtig iſt), oder ob der 
Gläubiger nachweiſen muß, daß er nachträglich die 


1) Eintragungsbewilligungen dieſer Art, ſog. Zu— 
ſageſcheine, kommen häufig in Baden vor, während ſie 
z. B. in Preußen nicht üblich ſind. 


330 


Valuta gezahlt habe. Im früheren Preußiſchen 
Recht wurde dies letztere angenommen, alſo dem 
Hypothekengläubiger ein Nachweis aufgebürdet, der 
ihm (und namentlich ſeinen Erben) oft recht ſchwer 
ſein wird, beſonders wenn inzwiſchen lange Zeit ver⸗ 
floſſen iſt. Für das jetzige Recht hat das RG. 
dieſe Frage im Urt. vom 12. Juni 1901 (RG. 
49 S. 6) entſchieden, dem folgender Sachverhalt zu⸗ 
grunde liegt: Auf dem Grundſtück des Beklagten 
war für den Kläger eine Hypothek eingetragen 
auf Grund der Urkunde vom 17. Mai, in 
der Beklagte bekannt hatte, vom Kläger ein 
Darlehen erhalten zu haben. Der Beklagte be: 
ſtritt aber das Darlehen erhalten zu haben und 
der Kläger gab zu, daß bei der Ausſtellung der 
Urkunde am 17. Mai der Beklagte das Geld 
noch nicht erhalten hatte; der Kläger behauptete 
aber, das Geld ſei dem Beklagten unmittelbar 
darauf in bar und in anderer Weiſe gewährt 
worden. Bei dieſer Sachlage erachtete das Be⸗ 
rufungsgericht den Kläger beweispflichtig dafür, 
daß er dem Beklagten das Darlehen bezahlt habe, 
und- wies die Klage ab, da es dieſen Nachweis 
nicht für erbracht anſah. Das RG. trat dem bei, 
indem es ausführte: Wer eine beſtrittene Forderung 
geltend macht, müſſe dieſe nachweiſen. Wenn aber 
die Forderung im Grundbuch als diejenige ver: 
merkt wird, für die die Hypothek beſtellt iſt, ſo 
trete mit der Eintragung nach 88 1138, 891 die 
Vermutung ein, daß die Forderung dem Gläubiger 
zuſtehe. Dieſe Vermutung falle hier fort, da un⸗ 
ſtreitig der Gläubiger im Zeitpunkt der Ein: 
tragung die Darlehnsvaluta nicht gezahlt hatte, 
folglich liege nunmehr dem Kläger die Beweis— 
pflicht dafür ob, daß die Forderung nachträglich 
durch Valutazahlung begründet ſei. 
geſtändnis des Gläubigers, daß er die Valuta zur 
Zeit der Ausſtellung der Urkunde nicht gezahlt 
habe, mache zwar den Gläubiger nicht unter allen 


der 


— ä— 


Das Zu⸗ | 


Umſtänden beweispflichtig, ſondern die richterliche 


Ueberzeugung habe hierüber zu entſcheiden; hier 
habe aber das Berufungsgericht von dieſer Ueber— 
zeugung einen ſachgemaͤßen Gebrauch gemacht; 
indem es nach der Sachlage den Kläger für be— 
weispflichtig hielt. 


deutung. Oberncck, der ihr beiſtimmt, hält danach 
für geboten, daß der Hypothekengläubiger ſich nach 
der Zahlung der Valuta eine neue Quittung aus- 
ſtellen läßt”); Lütkemann, der die Entſcheidung 
gleichfalls für richtig halt, erachtet für die Spar⸗ 
kaſſen als geboten, daß dieſe eine ganz andere 
Faſſung der Eintragungsbewilligungen verlangen ) 
ein Rat, dem nach Mitteilung von Bollenbed*) 


1 Dot. 2, 307. 

) 3B NG. 8 494. 

) DNotV. 10, 657. 

e) Der Eigentümer iſt inſofern der Gläubiger. weil 
er — obwohl Darlehnsſchuldner — die Valuta vom Dar— 
lehnsgeber zu fordern hat. 


| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


eine Sparkaſſenverwaltung bereits nachgekommen 
iſt. Der Anſicht des RG. iſt ferner beigetreten 
Staudingers Kommentar (Anm. Ile zu $ 1138), 
während ihr Planck (Anm. 3 Abſ. 2 zu $ 1138) 
und ganz beſonders Bollenbeck entgegengetreten 
ſind. Andere Beſprechungen der wichtigen Frage 
find nicht bekannt geworden.““) 

Inſoweit Bollenbeck ſich gegen die Anſicht 
Lütkemanns wendet, auf die des näheren hier 
nicht eingegangen werden kann, iſt ihm durchaus 
beizuſtimmen. Auch den weiteren Ausführungen 
Bollenbecks iſt beizuſtimmen: Die Quittung über 
die Valuta, die vom Eigentümer?) in der Ein: 
tragungsbewilligung im Bewußtſein nicht erfolgter 
Zahlung erklärt wird, behält nach der im Ver⸗ 
kehr herrſchenden Auffaſſung in allen Fällen ihre 
Beweiskraft ſolange, bis der Eigentümer ſie ent: 
kraͤftet durch den Nachweis, daß die Erwartung 
ſich nicht erfüllt habe, in der er die Quittung er⸗ 
klaͤrt hat, die Leiſtung alſo überhaupt nicht be: 
wirkt ſei; der Eigentümer muß demnach in ſolchem 
Fall ſeinerſeits das Noch beſtehen der Schuld, 
alſo beweiſen, daß ihm die Valuta auch nach⸗ 
träglich nicht gezahlt ſei. Denn Sinn und Zweck 
der Vorausquittung liegen nicht darin, daß dem 
Darlehnsgeber der Beweis der Erfüllung am 
Tage der Ausſtellung der Quittung, ſondern 
daß ihm der Beweis der Erfüllung überhaupt 
verſchafft werde. 


Nur kann Bollenbeck nicht zugegeben werden, 
daß das RG. den entgegengeſetzten Grundſatz 
ſchlechthin aufgeſtellt habe. Im Gegenteil ſagt 
das RG. Bd. 49 S. 9 ausdrücklich: Darüber, ob 
das Zugeſtändnis des Hypothekengläubigers, er 
habe die Valuta am Tage der Eintragungs⸗ 
bewilligung noch nicht bezahlt gehabt, zur 
Entkräftung der vom Eigentümer erteilten Quittung 
genügend ſei, könne man „beſtimmte Regeln nicht 
aufſtellen“, und der (oben erwähnte) Grundſatz 
des früheren Preußiſchen Rechts, wonach jenes 
Zugeſtändnis den Hypothekengläubiger unter allen 
Umſtänden beweispflichtig mache, ſei für das jetzige 
Recht — nämlich gegenüber der Vermutung des 
8 1138 BGB. und der freien Beweiswürdigung 


des § 286 ZPO. — nicht zu billigen. 
Dieſe Entſcheidung iſt von einſchneidender Be⸗ 


Bedauerlich iſt es nur, daß das RG. in dieſem 
Urteil nicht rechtsgrundſätzlich die Falle, wo jenes 
Zugeſtändnis den Hypothekengläubiger beweis— 
pflichtig macht, von anderen Fällen abgegrenzt hat. 

Wichtig iſt in dieſer Beziehung ein in den 
bisherigen Erörterungen dieſer Frage noch nicht 
berückſichtigtes Urteil des RG. vom 26. Mai 1909, 
3 BlFG. 10, 296: Hier hatte in der allgemein 
üblichen Weiſe der Eigentümer den Empfang des 
Darlehens in der Eintragungsbewilligung anerkannt; 
der beklagte Hypothekengläubiger hatte indes im 


) Der vorliegende Aufſatz iſt im November 1910 


Habgeſchloſſen, die ſeit dieſem Zeitpunkt erſchienenen Be— 


arbeitungen alſo nicht mehr berückſichtigt. 


Prozeß das Gegenteil zugeſtehen müſſen, nämlich daß 
zur Zeit der Eintragungsbewilligung das Darlehen 
noch nicht völlig gezahlt geweſen ſei; an dieſes 
Zugeſtändnis hatte der Hypothekengläubiger aber 
die Behauptung geknüpft: die Hypothek habe nach 
der Vereinbarung zur Sicherung für die künftig 
erwachſenden Forderungen dienen ſollen, und er 
habe nachträglich die Darlehne gegeben. Das 
RG. führt hierüber aus: „Mit Rückſicht auf 
dieſe hinzugefügte Behauptung wird 
der Eigentümer durch jenes Zugeſtänd⸗ 
nis des beklagten Hypothekengläubigers 
keineswegs von der Beweispflicht für 
das Nichtbeſtehen der durch die Hypothek 
geſicherten Forderung befreit. Denn es 
iſt rechtlich zuläſſig, daß zwiſchen dem Eigentümer 
und dem Hypothekengläubiger vereinbart wird, 
daß künftige Forderungen ... mit dem Augen: 
blick ihrer Entſtehung als durch die im voraus 
eingetragene Hypothek geſichert gelten ſollen. ... 
Daher müßte der Eigentümer, um ſeiner Beweis⸗ 
pflicht zu genügen, dartun, daß eine .. Forderung 
nach der Hypothekeneintragung nicht entſtanden iſt.“) 

Ganz dasſelbe muß auch in unſerem Fall 
gelten: Beim Hypothekendarlehn braucht, wie 
eingangs erwähnt, der Darlehngeber die Valuta 
dem Eigentümer erſt nach der Eintragung zu 
zahlen; folglich kommt die Einigung der Be— 
teiligten über die Beſtellung der Hypothek darauf 
hinaus, daß die Eintragung für eine künftige 
Forderung erfolgen ſoll, die mit dem Augenblick 
ihrer Entſtehung (alſo bei erfolgender Auszahlung 
der Valuta) als durch die zum voraus eingetragene 
Hypothek geſichert gelten ſoll. Folglich ſchließt die 
bloße Tatſache, daß die Valuta zur Zeit der 
Eintragungsbewilligung noch nicht bezahlt 
war, nicht die wirkſame Entſtehung des Gläubiger: 
rechts aus. Diefes wird vielmehr nur ausge— 
ſchloſſen, wenn der Eigentümer nachweiſt, daß 
auch nachträglich die erwartete Forderung dem 
Gläubiger nicht entſtanden ſei, daß dieſer alſo 
15 nachträglich die Darlehnsvaluta nicht gezahlt 

abe. 

So iſt alſo die Aufregung, die das erſterwähnte 
Urteil des RG. hervorgerufen hat, durchaus nicht 
gerechtfertigt; das RG. hat dort durchaus nicht 
rechtsgrundſätzlich die unbedingte Beweispflicht des 
Hypothekengläubigers aufgeſtellt, und der Rechts— 
grundſatz, den das RG. in ſpäteren Urteilen auf— 
geſtellt hat, geſtattet eine Anwendung auf unſern 
Fall, die den Anſprüchen der Verkehrsſicherheit durch— 
aus entſpricht. Das RG. iſt auch in keinem ſeiner 
ſpäteren Urteile, die für unſere Frage mittelbar 
Bedeutung haben könnten, auf die im erſterwähnten 
Urteil ausgeſprochene Rechtsanſicht zurückgekommen. 


II. In dem oben allein beſprochenen Fall, 
wo der Eigentümer eine neue Darlehnshypothek 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


6) Aehnliche Ausführungen finden ſich auch im Urt. 


vom 27. März 1909, Recht 09 Nr. 1684. 


| 


331 


aufnimmt, iſt der Gläubiger nicht verpflichtet, 
die Valuta vor der Eintragung auszuzahlen. 
Wirtſchaftlich durchaus gleich und doch rechtlich 
ganz verſchieden liegt der Fall, wo eine bereits 
vorhandene Hypothek fällig iſt und der Eigen⸗ 
tümer mit einem Dritten dahin einig wird, daß 
dieſer den bisherigen Hypothekengläubiger befrie⸗ 
digen und von ihm hiergegen die Hypothek er⸗ 
werben ſoll.) Sit dieſe eine Buch hypothek, jo 
erwirbt der neue Geldgeber das Gläubigerrecht 
zwar nicht ſchon durch die Abtretung, ſondern erſt 
durch ſeine Eintragung als Gläubiger (8 1154 
Abſ. 3), d. h. erſt mit der Umſchreibung hat 
der bisherige Gläubiger als der Zedent ſeiner 
Verpflichtung zur Verſchaffung des verkauften 
Rechts (8 433 Abſ. 1) genügt. Allein daraus 
kann der neue Geldgeber keine Einwendungen 
gegen ſeine ſofortige Zahlungspflicht herleiten; 
denn nach ſeinem Abkommen mit dem Eigentümer 
iſt er verpflichtet den bisherigen Gläubiger bei 
Fälligkeit der Hypothek zu befriedigen, alſo 
obwohl er mit dieſem Zeitpunkt die Buchhypothek) 
noch nicht erwirbt. Der neue Geldgeber iſt alſo 
der Gefahr ausgeſetzt, daß die Hypothek vielleicht 
im Augenblick der Befriedigung gar nicht mehr 
dem bisherigen Gläubiger zuſteht, ſie z. B. von 
ſeinen Gläubigern gepfändet oder bereits auf einen 
anderen umgeſchrieben iſt. Der neue Geldgeber 
mag, um ſich vor ſolcher Gefahr zu ſchützen, noch 
unmittelbar vor der Zahlung das Grundbuch ein⸗ 
ſehen, auch ſofort die Abtretungsurkunde zur Um⸗ 
ſchreibung einreichen; oder er mag ſich ausbe⸗ 
dingen, daß die Erledigung des ganzen Geſchäfts 
„vor offnem Grundduch“ geſchehe, insbeſondere 
der bisherige Gläubiger die Abtretung zu Pro: 
tokoll des Grundbuchsamts erkläre. 

Vorausſetzung der Zahlungspflicht des neuen 
Geldgebers iſt aber ſtets, daß der bisherige Gläu⸗ 
biger als ſolcher im Grundbuch eingetragen iſt 
oder daß ſeine Legitimation zur Verfügung über 
die für einen Anderen eingetragene Poſt bei ver⸗ 
ſtändiger Würdigung unbedenklich iſt. Z. B.: 
5 5) Der bisherige Gläubiger iſt geſetzlich nicht zur 
Abtretung an einen Dritten (den neuen Geldgeber) ver⸗ 
pflichtet; nach 8 1144 erſtreckt ſich ſeine Verpflichtung 
nur auf Erteilung der zur Umſchreibung auf den 
Eigentümer oder der zur Löſchung erforderlichen 
Urkunden. Auch verändert der Umſtand, daß der bis— 
herige Gläubiger ſich bereit erklärt, die vom Eigentümer 
geſchuldete Zahlung von einem Dritten anzunehmen 
und ihm die Hypothek abzutreten, grundſätzlich nicht die 
Rechtslage des bisherigen Gläubigers, er kann alſo ver— 
langen, daß ihm die Zahlung in ſeiner Wohnung (8 270) 
vom neuen Geldgeber — der nur an Stelle des 
Eigentümers zahlt — geleiſtet werde und daß der neue 
Geldgeber hier die Abtretungserklärung und den et— 
waigen Hypothekenbrief in Empfang nimmt. Der bis— 
herige Gläubiger beweiſt nur ein beſonderes Entgegen— 
kommen, wenn er ſich zu den erwähnten Rechtshand— 
lungen beim Notar oder auf dem Gra einſindet. 

8) Dagegen erwirbt er die Briefhypothek ſchon mit 
der Aushändigung des Hypothekenbrieſs und der Ab— 
tretungsurkunde; 8 1154 Abſ. 1. 


332 


Die Buchhypothek iſt 8. X eingetragen; als ihr 
Gläubiger tritt aber Y auf, weil X fie ihm 
notariell abgetreten hat; hier braucht der neue 
Geldgeber die Zahlung an Y nicht zu leiſten, 
weil X mangels erfolgter Umſchreibung der Hypo: 
thek gar nicht Glaͤubiger geworden iſt (RG. 54, 
362). Das gleiche gilt, wenn die (Buch⸗ oder 
Brief⸗ ‚onpothef für X eingetragen ift und als ihr 
Inhaber Y auftritt, der feine Legitimation durch 
eine Reihe von Urkunden erweiſen will, die eine 
umfangreiche Prüfung erſordern und Zweiſel an 
der Legitimation nicht ausgeſchloſſen erſcheinen 
laſſen, ſo etwa Erbauseinanderſetzungen, Er⸗ 
klärungen geſetzlicher Vertreter, letztwillige Ver⸗ 
fügungen, ausländiſche Urkunden. Mögen dieſe 
Urkunden auch bei richtiger Prüfung, die dem 
Grundbuchamt obliegt, ausreichen, um die Legi⸗ 
timation des Y zu begründen: der Eigentümer 
und der von ihm beſorgte neue Geldgeber ſind 
nicht verpflichtet, ſich auf eine umfangreiche Legi⸗ 
timationsprüfung einzulaſſen; ſie können vielmehr 
verlangen, daß der angebliche Glaͤubiger zweiſel⸗ 
los legitimiert ſei und dieſer hat ſich ſelbſt die 
Folgen zuzuſchreiben, wenn er aus Sparſamkeits— 
rückſichten oder ähnlichen Gründen die Umſchreibung 
auf ſeinen Namen unterließ. In ſolchem Fall 
kann alſo der neue Geldgeber, obwohl er ſich 
dem Eigentümer gegenüber zur Uebernahme 
der Hypothek verpflichtet hat, dieſe ablehnen.“) 
Anders natürlich, wenn dem neuen Geldgeber der 
Sachverhalt ſoweit bekannt war, daß er die der 
Legitimation des angeblichen Glaͤubigers entgegen: 
ſtehenden Bedenken erkennen mußte. Sagte er 


dem Eigentümer dennoch die Uebernahme der 


Hypothek zu, ſo kann er dieſe nicht nachträglich 
ablehnen, weil ihm die Legitimation des angeb— 
lichen Inhabers bedenklich iſt. 

Als ſelbſtverſtäͤndlich iſt noch zu erwähnen, 
daß wenn der Gläubiger zur Abtretung an den 
vom Eigentümer beſorgten neuen Geldgeber bereit 
iſt und dieſer die Zahlung grundlos verweigert, 
der Zahlungsanſpruch des bisherigen Gläubigers 


zwiſchen dem bisherigen Gläubiger und dem neuen 
Geldgeber unmittelbare Verhandlungen ſtattge— 


funden, ſo kann je nach der Sachlage auch der 


Schluß gerechtfertigt ſein, daß zwiſchen ihnen ein 
jelbjtändiger Vertrag zuſtande gekommen iſt, 
wonach letzterer dem erſteren die Hypothek abge— 
kauft hat. Dann hat der Hypothekengläubiger 
gegen den neuen Geldgeber einen direkten Anſpruch 
auf Zahlung des Hppothekenkapitals, d. h. des 


Kauſpreiſes (Abtretungsentgelts); der Hypotheken- 


glaͤubiger kann dann nach ſeiner Wahl gegen den 
NE auf Zahlung der Hypothek oder gegen 


) Da der Gläubiger den Beweis für ſeine Legi— 
timation nicht zweifelsfrei führen kann, iſt er nach 8 208 


im Annahmeverzug a es hörte nach $ 301 die J 


zahlungspflicht des Eigentümers auf. 


Zgeeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


———— 


den neuen Geldgeber auf Zahlung der Zeſſions⸗ 
valuta klagen. 

In jedem Fall iſt nach der Abtretung 
die Rechtslage zwiſchen dem bisherigen Gläubiger 
und dem neuen Geldgeber die gleiche, als wenn 
der Hypothekengläubiger ohne jedes Zutun des 
Eigentümers die Hypothek einem Dritten ent⸗ 
geltlich abgetreten hat;“) der bisherige Gläubiger 
iſt alſo z. B., wenn der Umſchreibung auf den 
neuen Geldgeber Hinderniſſe entgegenſtehen, dieſem 
gegenüber nach $ 440 zu deren Beſeitigung ver⸗ 
pflichtet. 

III. Das Ergebnis dieſer Unterſuchung iſt 
hiernach: 

1. Beim Hypothekendarlehn braucht der Dar⸗ 
lehnsgeber die Valuta dem Eigentümer erſt nach 
der Eintragung zu zahlen; folglich kommt die 
Einigung der Beteiligten über die Beſtellung 
der Hypothek darauf hinaus, daß die Eintragung 
für eine künftige Forderung erfolgen ſolle, die 
(bei Auszahlung der Valuta) als durch die zum 
voraus eingetragene Hypothek geſichert gelten 
ſoll. Folglich ſchließt die bloße Tatſache, daß 
die Valuta bei der Eintragungsbewilligung noch 
nicht gezahlt war, die wirkſame Entſtehung des 
Hypothekenrechts nicht aus; der Eigentümer muß 
vielmehr nachweiſen, daß ihm der Gläubiger auch 
nachträglich die Valuta nicht gezahlt habe. 

2. Der Erwerber einer Buchhypothek erlangt 
das Gläubigerrecht zwar erſt durch die Eintragung; 
hat aber der Erwerber ſich dem Eigentümer gegen: 
über verpflichtet, die fällige Hypothek durch Be⸗ 
friedigung des bisherigen Gläubigers zu über: 
nehmen, fo iſt er zur Zahlung des Hypotheken— 
kapitals verpflichtet gegen bloße Aushändigung 
der Abtretungserklärung des bisherigen Glaͤubigers, 
vorausgeſetzt, daß dem Verſügungsrecht des letzteren 
beachtenswerte Bedenken nicht entgegenſtehen. Nach 
der Abtretung iſt zwiſchen dem bisherigen Glaͤu— 
biger und dem Erwerber die Rechtslage die 


gleiche, wie bei einer Abtretung ohne Zutun des 
Eigentümers. 


gegen den Eigentümer unberührt bleibt. — Haben 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Zeugengebühren der Feſtbeſoldeten. Bei der Feſt⸗ 
ſetzung der Zeugengebühren für Angeſtellte oder Ars 
beiter mit feſtem Gehalt oder Lohn ergeben ſich in 
der Praxis immer noch Schwierigkeiten, deren Aus— 
gangspunkt in der Vorſchrift des 8 616 S. 1 BGB. 
zu ſuchen iſt. Nach ihr verliert der Angeſtellte oder 
Arbeiter ſeinen Anſpruch auf Gehalt oder Lohn gegen⸗ 
über ſeinem Arbeitgeber dann nicht, wenn er durch 
die Beiziehung als Zeuge „für eine verhältnismäßig 
nicht erhebliche Zeit“ an der Arbeitsleiſtung verhindert 
wird. Dieſe Beſtinmung ſahen manche Gerichte als 
eine Vorſchrift zwingenden Rechts an. Demgemäß 


10) Vgl. über dieſen Fall Joſef im Recht 08, 741. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


— 


erachteten ſie den Arbeitgeber zur Zahlung des vollen 
Gehaltes oder Lohnes an ſeine feſtbeſoldeten Ange⸗ 
ſtellten bedingungslos auch dann für verpflichtet, wenn 
dieſe infolge der Erfüllung der Zeugenpflicht während 
einer „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ nicht 
für ihn arbeiten konnten. Die Folge dieſer Auffaſ⸗ 
ſung war, daß in ſolchen Fällen den Angeſtellten oder 
Arbeitern die Gewährung einer Zeugengebühr grund⸗ 
ſätzlich verſagt wurde, weil ſie einen Verdienſtausfall 
nicht erlitten. Die Vorſchrift liegt aber im Gebiete 
des dispoſitiven Rechts. Ihre Anwendung kann von 
den Beteiligten durch ausdrückliche oder ſtillſchweigende 
Vereinbarung ausgeſchloſſen werden. In einer ge⸗ 
meinſamen Bekanntmachung d. K. Staatsmin. d. Juſt. 
und d. Fin. v. 4. März 1904 (JMBl. 1904 S. 50) iſt 
mit Recht hervorgehoben, daß ohne weiteres ange⸗ 
nommen werden kann, daß nuch dem wahren Willen 
der Beteiligten die Anwendung jener Vorſchrift aus⸗ 
geſchloſſen ſein ſoll, weil weder der Arbeitgeber noch 
der Arbeitnehmer ein Intereſſe daran haben kann, daß 
die Leiſtung der Zeugengebühren von dem eigentlichen 
Schuldner auf den Arbeitgeber abgewälzt wird. Es 
wird deshalb in der Bekanntmachung auch als richtig 
bezeichnet, wenn die Gerichte in ſolchen Fällen die 
Zeugengebühr ohne Rückſicht auf die erwähnte Vor⸗ 
ſchrift feſtſetzen. Dieſes Verfahren wird unzweifelhaft 
den praktiſchen Bedürfniſſen gerecht. Es bewahrt 
Arbeitgeber und nehmer vor ungerechtfertigten Schä⸗ 
digungen. Trotzdem ſetzt in der Praxis mitunter die 
Bemängelung ein, obwohl man nach meinem Dafür⸗ 
halten noch einen Schritt weitergehen und den Feſt⸗ 
beſoldeten unter gewiſſen Vorausſetzungen ſogar dann 
eine Zeugengebühr gewähren muß, wenn nach dem 
Willen der Beteiligten die Geltung obiger Vorſchrift 
nicht ausgeſchloſſen ſein ſoll, wenn alſo bei Arbeits⸗ 
verhinderung infolge Zeugſchaftsleiſtung ein Gehalt⸗ 
oder Lohnabzug nicht ſtattfindet. Dies wird dann ges 
ſchehen müſſen, wenn entweder der Angeſtellte oder 
Arbeiter die infolge der Vorladung als Zeuge vers 
ſäumte Arbeit durch eine geſteigerte Tätigkeit in den 
üblichen Geſchäftsſtunden oder durch Fortarbeiten in 
Ueberſtunden nachholen muß, oder wenn der Arbeit⸗ 
geber den vertragsmäßig begründeten Gehalts- oder 
Lohnabzug nur um deswillen nicht vornimmt, weil 
er den Betrag ſeinem Angeſtellten ſchenken will, ohne 
daß er dabei die Abſicht hat, damit den Schuldner 
der Zeugengebühr von ſeiner Verpflichtung zur Zah⸗ 
lung zu befreien. Die gegenteilige Auslegung führt 
zu einer Schädigung des Arbeitnehmers und zur Nicht: 
achtung des Willens des Arbeitgebers. Ob ſich dieſe 
Anſicht durchſetzen wird, ſteht dahin. Anzeichen dafür 
ſind vorhanden, wie folgendes Beiſpiel aus der Praxis 
zeigt. Einem Buchhalter mit feſtem Gehalt wurde 
eine Zeugengebühr bewilligt, weil er in ſeiner Frei— 
zeit, die ihm für feine perſönlichen Intereſſen zur Ver— 
fügung ſtand, die infolge ſeiner Zuziehung als Zeuge 
unerledigt gebliebene Arbeit nachholen mußte und weil 
Anhaltspunkte dafür nicht vorlagen, daß die Anwen— 
dung der mehrfach erwähnten Vorſchrift nicht aus- 
geſchloſſen ſein ſolle. Die Finanzbehörde hat dieſe 
Entſcheidung mit Beſchwerde angegriffen, weil der 
Buchhalter keinen Verdienſtentgang gehabt habe. In 
dem die Beſchwerde abweiſenden Beſchluſſe hat das 
Oberſte Landesgericht ausgeführt, „daß dem Zeugen, 
der durch ſeine Vorladung verhindert worden iſt, die 
ihm obliegenden Arbeiten während der ordnungsmäßi— 
gen Geſchäftszeit zu erledigen, dafür, daß er wäh— 


333 


rend der für die Nacharbeit erforderlichen 
Zeit ſich nicht anderweitig betätigen, zum 
mindeſten aber ſeinen perſönlichen Inter ⸗ 
eſſen verſchiedenſter Art nicht nachgehen 
konnte, im Sinne d. ZSGebO. und d. MBek. vom 
4. März 1904 eine Entſchädigung für Zeitverſäumnis 
zuzubilligen war.“ 
Landgerichtsrat Michel in Frankenthal. 


Gerichtlicher Sühnetermin im Privatklageverfahren. 
Unter dieſer Spitzmarke hat Doſenheimer S. 260 
dieſer Zeitſchrift die Möglichkeit eines nichtöffentlichen 
Sühnetermins vor dem Amtsrichter im Privatklage⸗ 
verfahren wegen Beleidigung (neben dem nach 8 420 
StPO. notwendigen Sühneverſuch) für wünſchenswert 
erklärt, da der Richter eher imſtande ſei einen Ver⸗ 
gleich herbeizuführen. Hierzu ſei bemerkt, daß in den 
deutſchen Schutzgebieten eine ähnliche Einrichtung be⸗ 
ſteht, die ſich bewährt hat. Dort iſt nämlich der 
Richter (Bezirksrichter, in Kiautſchou der Oberrichter) 
für den Vergleichsverſuch nach 8 420 StPO. allgemein 
zuſtändig, wenn auch befugt, mit deſſen Vornahme 
andere Perſonen zu beauftragen.“) Eine ſolche Re⸗ 
gelung entſpräche auch dem Reichsſtrafprozeßrechte. 
Denn in der Wahl der Vergleichsbehörden ſind den 
Landesjuſtizverwaltungen durch 8 420 StPO. keine 
Schranken geſetzt, ſodaß auch die Amtsgerichte als 
Vergleichsbehörden im Sinne dieſer Geſetzesbeſtimmung 
bezeichnet werden können. Geſchähe dies, dann wäre 
der Doſenheimer'ſche Vorſchlag in der Haupt⸗ 
ſache ohne weiteres gegenſtandslos und eine Aenderung 
des 8 420 StPO. in dieſem Punkt — abgeſehen von 
der Einſchränkung des Abſ. 2 — nicht veranlaßt. Nach 
Pfafferoths Jahrbuch der Deutſchen Gerichtsver⸗ 
faſſung (Berlin 1880) S. 357 f. ſind denn auch tat⸗ 
ſächlich in einzelnen deutſchen Bundesſtaaten die Amts⸗ 
richter zu Vergleichsbehörden beſtellt worden, und 
zwar in: 

a) Mecklenburg⸗Schwerin und ⸗Strelitz, wenn die 

Parteien am Sitze des Amtsgerichts wohnen, 

b) Reuß ältere Linie und 
e) größtenteils in Lübeck, Bremen und Hamburg. 
II. Staatsanwalt Dr. Doerr. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


Wann endigt die in § 8 EG. 380. zugelaſſene 
Möglichkeit ſich in der Neviſions inſtanz durch jeden bei 
einem LG. oder OL. zugelaſſenen Rechtsanwalt ver⸗ 
treten zu laſſen? — Unfallfürſorge des Staates für 
Poſtbeamte; Erſatzanſpruch des Staates für feine Auf: 
wendungen gegen den Urheber des Unfalls; kaun das 
Reichsgericht, wenn der bayeriſche Staat auf Feſtſtellung 
dieſes Erſatzanſpruchs klagt, die vom OL. verneinte 
Frage nachprüfen, ob ein Betriebsunfall i. S. des bayer. 
B. vorliegt? — Keine Zurückverweiſung vom NG. 
an das Oberſte LG. — Aus den Gründen: 1. Allerdings 
ist die erſte Reviſionsbegründung, welche die materiellen 


1) Vgl. mein Deutſches Kolonial-Strafprozeßrecht, 
Zeitſchr. f. Kolonialpolitik ꝛc. 1908 S. 668. zu 
Note 76 und 76a. 


334 


Angriffe gegen das Urteil enthält, von dem Prozeß— 
bevollmächtigten des Klägers in der Beruſungsinſtanz, 
dem Juſtizrat P., unterzeichnet. Nach 8 8 EGG ZPO. 
können ſich die Parteien für die bei dem ObèL G. vor⸗ 


zunehmenden Prozeßhandlungen auch durch jeden bei 


einem LG. oder OLG. zugelaſſenen Rechtsanwalt ſo 
lange vertreten laſſen, bis das Obe G. über die 
Zuſtändigkeit für die Verhandlung und Entſcheidung 
der Reviſion Entſcheidung getroffen hat. Für die Ent- 
ſcheidung der vorliegenden Reviſion hat ſich das Obs. 
durch Beſchluß vom 22. April 1910 für unzuſtändig 
erklärt. Die Reviſionsbegründung des Juſtizrats P. 
iſt bei dem ObL G. am 22. April 1910 abends 5 ½ Uhr 
eingegangen. Es beſteht alſo die Möglichkeit, daß 
der Beſchluß bereits gefaßt war, als die Reviſionsbe— 
gründung einging. Gleichwohl iſt die Reviſion für 
ordnungsmäßig begründet zu erachten. Denn der 
Beſchluß vom 22. April iſt dem Juſtizrat P., als 
Vertreter des Reviſionsklägers, erſt am 23. April zu⸗ 
geſtellt worden. Solange aber der Beſchluß dem Res 
viſionskläger noch nicht zugeſtellt war (§ 329 Abſ. 3 
ZPO.), konnte die Reviſionsbegründung noch bei dem 
ObLG. durch den Juſtizrat P. eingereicht werden. 
(Urt. des II. ZS., JW. 1908, 144). 

2. Die im Betriebe der Poſtverwaltungen beſchäftigten 
Betriebsbeamten, deren Gehalt 3000 M nicht überſteigt, 
unterliegen nach 81 Ziff. 3 GewllVerſG. der Unfallver⸗ 
ſicherung. Iſt für Staatsbeamte durch die Landesgeſetz— 
gebung gegen die Folgen eines im Dienſt erlittenen Be— 
triebsunfalls eine Fürſorge getroffen, die der nach 881 
bis 7 UnfFürſG. für Beamte vom 18. Juni 1901 zu ge— 
währenden mindeſtens gleichkommt, ſo finden die 
reichsgeſetzlichen Beſtimmungen über Unfallverſicherung 
nach 8 14 dieſes Geſetzes keine Anwendung. Solchen 
Staatsbeamten ſteht wegen eines im Dienſt erlittenen 
Betriebsunfalls jedoch ein reichsgeſetzlicher Anſpruch 
auf Erſatz des durch den Unfall erlittenen Schadens 
nur nach Maßgabe der 88 10 bis 12 UnſFürſG. zu 
($ 14 a. a. O.). H. iſt bayeriſcher Staatsbeamter. 
Durch das vom OLG. zur Anwendung gebrachte bayer. 
Beamtengeſetz vom 16. Auguſt 1908, deſſen Art. 89 ff. 
ſich mit den einſchlägigen Beſtimmungen der 88 1—7 
des RG. im weſentlichen decken, iſt wie auch das OLG. 
annimmt, den bayeriſchen Staatsbeamten eine Für— 
ſorge gewährleiſtet, die der nach dem Reichsgeſetze zu 
gewährenden gleichkommt. Wieweit ſolchen Staats- 
beamten oder deren Hinterbliebenen dritte — in 8 10 des 
UnfFürſc. nicht erwähnte — Perſonen für den durch 
einen Betriebsunfall erlittenen Schaden haften, beſtimmt 
ſich nach 812 Abſ. 3 Satz la. a. O. nach den ſonſtigen 
geſetzlichen Vorſchriften. Jedoch geht nach 8 12 Abſ. 3 
Satz 2 die Forderung des Entſchädigungsberechtigten 
an den Dritten auf die Betriebsverwaltung ſoweit über, 
als fie zu den ins 12 Abſ. 1 gedachten Zahlungen auf 
Grund dieſes Geſetzes verpflichtet iſt. Der Schadenserſaßz— 
anſpruch des H. gegen den Beklagten aus 8 823 BGN. 
wegen der ihm zugefügten vorſätzlichen oder fahrläſſigen 
Körperverletzung iſt alſo objektiv nach keiner Richtung 
beſchränkt. Lediglich in ſubjektiver Beziehung iſt ihm 
der Anſpruch ſoweit entzogen und auf den Kläger 
übergegangen, als der Klager auf Grund des die 
mindeſtens gleichkommende Unfallſürſorge anordnenden 
Landesgeſetzes zu den in 8 12 Abſ. 1 gedachten 
Zahlungen — Penſionen, Koſten des Heilverfahrens, 
Renten — verpflichtet iſt. Nur unter dem Geſichts— 
punkt der Aktiv-Legitimation des Klägers kommen 
ſonach die 88 10-12 und 14 UnfFürſG. und die Art. 80 ff. 
bayer. BG. hier in Betracht. Das O G. iſt nun bei 
der Prüfung nach dieſer Richtung zu dem Ergebnis 
gelangt, daß der Kläger dem H. auf Grund des bayer. 
BG. überhaupt zukeinen Zahlungen wegen des erlittenen 
Unfalls verpflichtet iſt oder verpflichtet werden kann, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


weil die erlittene Verletzung ſich nicht als einen im Dienst 


erlittenen Betriebsunfall darſtellt. Dieſe Feſtſtellung 
iſt ausſchließlich auf Grund des bayer. BG. getroffen 


und konnte nur aus dieſem hergeleitet werden, weil 
die Frage der Zahlungsverpflichtung des Klägers in 
dieſem Geſetze geregelt iſt. Da die Reviſion, ſoweit 
über fie vom RG. zu entſcheiden iſt, nach $ 549 ZPO. 
in Verbindung mit 88 1 und 6 der Kaiſerl. VO. 
vom 28. Sept. 1879 auf die Verletzung bayeriſchen 
Landesrechts nicht geſtützt werden kann, iſt die gedachte 
Feſtſtellung des OLG. der Nachprüfung durch das RG. 
entzogen. Wenn der Reviſionskläger für den Fall, 
daß das RG. ſich auf dieſen Standpunkt ſtellen ſollte, 
in dem Eventualantrage die Verweiſung der Sache 
vor das ObL G. beantragt hat, fo hat er hierbei über⸗ 
ſehen, daß nach 87 Abſ. 3 EG. ZPO. die Entſcheidung 
des Ob. über die Zuſtändigkeit auch für das RG. 
bindend iſt, daß daher eine ſolche Zurückverweiſung 
der Sache gar nicht in Frage gezogen werden darf. 
Da mit der Ausführung des OL G., daß der Kläger 
dem H. wegen der erlittenen Verletzung auf Grund 
des bayer. BG. keinerlei Zahlungen zu leiſten hat oder 
zu leiſten haben wird, zugleich auch der Uebergang des 
Schadenserſatzanſpruchs des H. gegen den Beklagten 
auf den Kläger verneint iſt, ſo ergab ſich daraus die 
Abweiſung der Klage wegen mangelnder Aktiv-Legiti— 
mation des Klägers als notwendige Folge. (Urt. des 
VI. 35. vom 27. Mai 1911, VI 223/29 10). E. 


2.319 


II. 


Welcher Betrag gebührt als Werterſatz i. S. des 992 
Abi. 13386. dem Dritten, deſſen Eigentum an Znbehör⸗ 
ſtücken durch den Zuſchlag erloſchen iſt? Aus den 
Gründen: Der erkennende Senat hat in einem Urt. 
vom 12. April 1911 zur Sache R. gegen U. IV. 384/1910 
ausgeſprochen, daß als Werterſatz im Sinne des $ 92 
Abſ. 1 3G. dem Dritten, deſſen Eigentum an Zubehör— 
ſtücken erloſchen iſt, derjenige Betrag gebührt, der zu 
dem Geſamterlös in demſelben Verhältniſſe ſteht, wie 
der Verkehrswert der fremden Zubehörſtücke zu dem 
Verkehrswert der Verſteigerungsgegenſtände, und daß 
es auf die Frage nicht ankommt, ob der Erſteher mit 
Rückſicht auf die fremden Zubehörſtücke einen höheren 
Preis geboten habe, als er ohne die Zubehörſtücke 
geboten hätte. Dieſe Auffaſſung, an der feſtgehalten 
wird, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. 
Daß der Rechtsvorgänger der Kläger zur Zeit der 
Verſteigerung Eigentümer der damals noch auf dem 
Gut vorhandenen, zum Wirtſchaftsbetrieb dienenden 
26 Stück Rindvieh war, hat das Berufungsgericht 
feſtgeſtellt. Zutreffend hat es auch angenommen, daß 
das Eigentum an dem Vieh durch den Zuſchlag er— 
loſchen und der Anſpruch auf Erſatz des Wertes aus 
dem Verſteigerungserlöſe an die Stelle getreten iſt. 
Bei den weiteren Ausführungen hat das OLG. nicht 
beachtet, daß für den Anſpruch der Kläger in erſter 
Linie die Vorſchrift des 8 92 Abſ. 1 maßgebend iſt. 
Der Anſpruch des Dritten iſt, wie ſchon in der Ent— 
ſcheidung Bd. 8 S. 205 angeführt iſt, ein Eigentums— 
anſpruch, ſolange der Verſteigerungserlös. nicht verteilt 
iſt; Bereicherungsanſpruch iſt er nur inſoweit, als 
Herausgabe des nach § 92 dem Dritten gebührenden, 
aber an die Gläubiger bereits ausgezahlten Betrages 
gefordert wird. Die Grundſätze über ungerechftfertigte 
Bereicherung kommen alſo inſoweit noch nicht in Be— 
tracht, als es ſich darum handelt zu ermitteln, wie groß 
der Anteil iſt, der dem Dritten an dem Verſteigerungs— 
erlöje gebührt oder gebührte. Gewiß iſt richtig, daß. 
wie das Beruſungsgericht betont, der Dritte einen 
Anſpruch nur inſoweit erheben kann, als in dem Ver— 
ſteigerungserlös der Erlös für feine Sachen ſteckt. 
Aber mit dem Schuldner und ſeinen Gläubigern ver— 
halt es ſich ebenſo; auch die Gläubiger konnen einen 
Anſpruch nur inſoweit erheben, als in dem Ver— 
ſteigerungserlös der Erlös für die Gegenſtände des 
Schuldners ſteckt. Es liegt daher kein Grund vor 
dem Dritten den Nachweis aufzubürden, ob und wie— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


335 


viel der Erſteher gerade mit Rückſicht auf die fremden 
Zubehörſtücke geboten habe. Ob der Erſteher ſich 
darüber Gedanken gemacht hat oder nicht, kann von 
keiner Bedeutung ſein, falls nicht der Wert der fremden 
Zubehörſtücke durch Abgabe und Annahme eines 
beſonderen Gebotes feſtgeſtellt wird. Dem Berufungs— 
gericht kann nicht zugegeben werden, daß es eine 
Unbilligkeit gegen die Gläubiger iſt, wenn von ihnen 
verlangt wird, daß fie den Wert der Sachen heraus⸗ 
geben, die ſie veräußern ließen, ohne daß ihnen ein 
Recht daran zuſtand. Ebenſowenig kann dem Be⸗ 
rufungsrichter beigetreten werden, wenn er noch mit 
der Erwägung, der Verſteigerungserlös habe etwa 
10 000 M mehr betragen, als das Grundſtück ein⸗ 
ſchließlich der fremden Zubehörſtücke wert geweſen fei, 
und der Erſteher fei bereit geweſen weitere 10000 M 
zu bieten, die Abweiſung des Klaganſpruchs begründen 
zu können glaubt. (Urt. des IV. ZS. vom 15. Mai 1911, 
IV 574/1910). E. 
23336 
III. 

Unter welchen Voransſetzungen können der Vorſtand 
und der Borfitzende des Auſſichtsrates einer Aktienge⸗ 
ſellſchaft für den Schaden verantwortlich gemacht werden, 
der daraus entſteht, daß eine irrtümlich an Diele ſtatt 
an einen Dritten geleiſtete Zahlung zum Vorteile der 
Geſellſchaft verwendet wird? Wer iſt der Geſchädigte? 
Der Kaufmann G., der bis Ende Mai 1905 Direktor 
der Aktiengeſellſchaft G. & J. war, hatte im Februar 
1905 dem Kläger drei Aktien der Geſellſchaft für 3000 M 
verkauft und ihn erſucht, den Kaufpreis auf ſein Konto 
bei der MBank in B. einzuzahlen. Der Kläger zahlte 
am 19. Juni 1905, nach ſeiner Angabe verſehentlich, 
die Summe auf das Konto der AG. G. & J. bei der 
genannten Bank ein; die AG. hob den Betrag ab und 
verwendete ihn zur Tilgung von Forderungen, die 
ihr angeblich gegen G. zuſtanden. Sie geriet in Kon⸗ 
kurs. Der Kläger erhielt für ſeine Forderung auf 
Erſtattung der 3000 M aus der Konkursmaſſe 600 M; 
er nimmt auf Erſtattung des Reſtes die beiden Bes 
klagten in Anſpruch, von denen C. Vorſtand, A. 
Vorſitzender des Aufſichtsrates der AG. war. Das LG. 
hat die Klage abgewieſen, das OLG. abändernd den 
Klageanſpruch gegenüber C. unbedingt, gegenüber A. 
bedingt für den Fall dem Grunde nach für gerecht— 
fertigt erklärt, daß er einen ihm auferlegten Eid über 
die Mitteilung des Sachverhalts an ihn durch den Be— 
klagten C. nicht leiſten werde. 

Aus den Gründen: A. Die Reviſion des C. 
macht geltend, daß durch ſein Verhalten nur G. ge— 
ſchädigt ſein könne, nicht aber der Kläger; daß ferner 
zu Unrecht eine vorſätzliche Schädigung des Klägers 
durch C. angenommen worden ſei: ſeine Handlungs— 
weiſe, insbeſondere die Unterlaſſung einer Rückfrage 
beim Kläger über den Zweck der Einzahlung, ſtelle nur 
eine Fahrläſſigkeit dar; der Kläger habe im Konkurſe 
der AG. eine Dividende nur als Zeſſionar des G. ge— 
fordert und erhalten; daraus gehe hervor, daß G. 
die Zahlung des Klägers als für ſeine Rechnung er— 
folgt angeſehen und anerkannt habe. Dieſe Angriffe 
verſagen. Das Berufungsgericht nimmt an, daß C. 
den vom Kläger eingegangenen Betrag der Kaſſe der 
AG. zuführte, obwohl er im Zweifel war, ob und auf 
welchen Rechtsgrund hin ſie das Geld für ſich ver— 
einnahmen dürfe. Die Vermögenslage der AG. fei 
ſchlecht und C. ſich bewußt geweſen, daß die AG. vor— 
ausſichtlich nicht in der Lage ſein würde, das Geld 
zurückzuzahlen, wenn ſeine Zweifel ſich dahin löſen 
würden, daß ſie nicht berechtigte Empfängerin des Geldes 
ſei. Der einzige und naheliegende Weg, die Sache 
klar zu ſtellen, wäre eine Rückfrage bei dem Kläger 
geweſen. In der Unterlaſſung dieſer Anfrage erblickt 
das OLG. ein Beweismoment dafür, daß C. die Wahr: 
heit nicht ermitteln wollte, ſondern darauf ausging, 
unbekümmert um Rechte Dritter den an die AG. ge— 


langten Geldbetrag auf jeden Fall dieſer zu erhalten. 
Das find tatſächliche Feſtſtellungen, die der Reviſion 
nicht zugänglich find, und von denen aus die Rechts- 
auffaſſung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte 
der ſkrupelloſen Ausnutzung des Irrtums eines Dritten 
ſich ſchuldig gemacht habe, die gegen die guten 
Sitten i. S. des §S 826 BGB. verſtoße, nicht zu bes 
anſtanden iſt. Zutreffend hat auch das OLG. ange⸗ 
nommen, daß die durch die argliſtige Handlungsweiſe 
des C. geſchädigte Perſon der Kläger, nicht etwa G. 
ſei. Wenn jemand eine Zahlung anſtatt an ſeinen 
Gläubiger irrtümlich an einen Dritten leiſtet, ſo 
hat er keine Zahlung geleiſtet und wird von ſeiner 
Schuld nicht frei; und daran ändert es auch nichts, 
wenn der Dritte die Zahlung als eine ſolche jenes 
Gläubigers an ihn in Empfang nimmt. Deshalb iſt 
es für die Stellung des Klägers zu der AG. G. & J. 
und zu den Beklagten auch ganz ohne Belang, ob, wie 
die Beklagten behaupten, G. die Handlungsweiſe der 
Beklagten genehmigt habe, indem er die Zahlung als 
für ſeine Rechnung erfolgt anerkannt und für ſeine 
daraus hervorgehenden Anſprüche gegen die AG. an 
den Kläger abgetreten habe. Nur eine Genehmigung 
des Klägers zu der Verfügung, die die Beklagten 
für die AG. über feinen Vermögensgegenſtand ge— 
troffen haben, würde die Rechtslage verändern. Eine 
ſolche liegt aber nicht in der Entgegennahme der Abs 
tretung der etwaigen Forderung des G. gegen die 
AG., die ja unſtreitig geſchehen iſt. Es iſt ſelbſtverſtänd⸗ 
lich, daß der Kläger alle Wege beſchreitet, die ſich ihm 
bieten um zu ſeinem Rechte zu kommen. Der Kläger 
hat ſeinen Standpunkt feſtgehalten, daß er die Rück⸗ 
zahlung des Betrages von der AG. zu fordern be- 
rechtigt ſei; weil dieſe zahlungsunfähig geworden iſt, 
verlangt er Schadenserſatz von den Beklagten als den 
Perſonen, die widerrechtlich feine Gelder dem Ver⸗ 
mögen der AG. zugeführt haben. Wenn er ſich da⸗ 
neben auch die etwaige Forderung, die auf Grund des— 
ſelben Tatbeſtandes vielleicht G. gegen die AG. er⸗ 
heben könnte, hat übertragen laſſen, weil möglicher: 
weiſe der Konkursverwalter und auch die Gerichte 
— wie auch im gegenwärtigen Rechtsſtreite das Ge— 
richt erſter Inſtanz — der Meinung ſein könnten, nicht 
der Kläger, ſondern G. ſei gegenüber der AG. an⸗ 
ſpruchsberechtigt, fo enthält dieſes Verhalten des Klä⸗ 
gers keine rechtliche Anerkennung des Geſchehenen und 
ebenſowenig einen Verzicht auf die Erhebung des 
Schadenserſaßanſpruches gegen die Beklagten. 

B. Soweit die Ansführungen des Berufungsge— 
richts eine Haftung des Beklagten A. für den dem 
Kläger erwachſenen Schaden betreffen, geben ſie zu 
rechtlichen Bedenken Anlaß. Der für die AG. han— 
delnde Vertreter, der durch feine Verfügungen die AG. 
berechtigte und verpflichtete, der auch allein dem Ver⸗ 
mögen der AG. durch feine Handlungen Werte zu— 
führen konnte, war der Beklagte C. A. mochte als 
Vorſitzender des Aufſichtsrats einen vielleicht maß— 
gebenden Einfluß auf die Geſchäfte der AG. ausüben; 
ſelbſt vornehmen konnte er ſie nicht. Seine beein— 
fluſſende Tätigkeit konnte danach für die widerrecht— 
liche Verfügung des C. über den dem Kläger gehöri— 
gen Vermögenswert nur den rechtlichen Charakter der 
Anſtiftung oder der Beihilfe haben (8 830 Abſ. 2 BGB.), 
der bewußten Beteiligung an einer fremden unerlaub— 
ten Handlung. Die Anſtiftung erfordert eine Tätig— 
keit, die den Willensentſchluß des Dritten zur Begehung 
der unerlaubten Handlung ſubjektiv und objektiv ur— 
ſächlich beſtimmt; die Beihilfe ſetzt zwar (vgl. RGRſpr. 
6, 416; 9, 149; RGSt. 21, 93) dieſe urſächliche Be— 
deutung der Handlung des Gehilfen für die Begehung 
der unerlaubten Handlung nicht voraus, verlangt 
aber eine Tätigkeit, die die Ausführung des von dem 
Haupttäter gefaßten Entſchluſſes zur Begehung der 
Tat zu fördern bezweckt. Wenn die Tatſachen feſt⸗ 
geſtellt worden wären, die der Kläger hinſichtlich der 


336 


Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


Mitwirkung des A. nach den Tatbeſtänden des erſten 


wie des zweiten Urteils behauptet hat, daß nämlich 
dieſer durch ſeinen Einfluß einen Beſchluß des Auf⸗ 
ſichtsrats herbeigeführt hätte, das Geld des Klägers 
einzubehalten, ſodaß der C., zwar immerhin ſelbſt für 
ſeine Handlung verantwortlich, doch nur ausgeführt 
hätte, was auf Betreiben des A. der Aufſichtsrat be⸗ 
ſchloſſen hatte, dann wäre der Tatbeſtand der An— 
ſtiftung offenbar gegeben. Dieſe Tatſachen ſind aber 
vom Berufungsgerichte nicht für erwieſen erachtet 
worden. Eine bloße Zuſtimmung des Beklagten A. 
zu der von C. geäußerten Einbehaltungsabſicht, wie 
fie der dem A. auferlegte Eid dartun oder mider- 
legen ſoll, erfüllt dieſen Tatbeſtand, ja ſelbſt auch den 
der Beihilfe, nicht ohne weiteres; fie iſt an ſich recht⸗ 
lich bedeutungslos. Hatte C. ſeinen Entſchluß zur 
Zeit der Zuſtimmungserklärung des A. bereits gefaßt, 
dann kann eine Gehilfenſchaft des letzteren in Frage 
kommen; ſeine Zuſtimmung muß jedoch dann nicht 
als bloße gutachtliche Aeußerung über ein ihm an ſich 
gleichgültiges geſchäftliches Vorhaben des C. erklärt 
worden ſein, ſondern in der Abſicht, die Ausführung 
des Entſchluſſes des C. zu fördern, dieſen bei der Aus: 
führung zu unterſtützen. Hat anderſeits C dem A. 
die Angelegenheit vorgetragen, um zu einem Ent⸗ 
ſchluſſe hinſichtlich der Behandlung des eingegangenen 
Geldbetrages zu gelangen, den er bis dahin noch nicht 
gefaßt hatte, dann kann allerdings die Zuſtimmung 
des A. als Anſtiftung zu der rechtswidrigen Einbe— 
haltung des Geldes durch C. ſich darſtellen, jedoch nur, 
wenn fie den C. zum Entſchluſſe der Tat wicklich be⸗ 
ſtimmt hat und wenn zugleich A. den Vorſatz hatte, 
in C. durch ſeine Meinungsäußerung den Entſchluß 
zu der unerlaubten Handlung hervorzurufen. Alles 
dies bedarf jedoch der Feſtſtellung, die das Berufungs— 
gericht unterlaſſen hat. Es wird ſich darüber eine 
Ueberzeugung bilden müſſen, welchen Tatbeſtand es 
für gegeben erachtet, wenn der Beklagte A. den ihm 
zugeſchobenen Eid leiſtet oder verweigert. (Urt. des 


VI. 35. vom 12. Juni 1911, VI 281/1911). E. 
2329 


IV. 


Entſprechende Anwendung des 5 254 BGB. auf die 
Ausgleichung zwiſchen mehreren Geſamtſchuldnern, ins: 
beſondere auf den Erſatzauſpruch des auf Grund des 
Haftpfl. in Anſpruch genommenen Eiſenbahnnnter. 
nehmers gegen den, der durch Fahrläſſigkeit den Unfall 
verſchuldet hat. Bei einem Zufammenitoße zwiſchen 
einem Motorwagen der von der Klägerin betriebenen 
Straßenbahn und dem ihm entgegenfahrenden, vom 
Beklagten gelenkten Kraftwagen wurden auf dem 
Straßenbahnwagen der Motorſührer H. und der Fahr: 
gaſt P. verletzt. P. hat die Klägerin auf Grund des 
Haftpflichtgeſetzes auf Schadenserſatz in Anſpruch ge— 
nommen. Im gegenwärtigen Progeſſe verlangt fie 
die Feſtſtellung, daß der Beklagte verpflichtet ſei, ihr 
für ihre Schäden aus dem Zuſammenſtoße, insbeſondere 
für Entſchädigungen aufzukommen, die ſie an P. zu 
zahlen hat. Das LG. hat der Klage teilweiſe, das 
OLG. ganz ſtattgegeben, das RG. die Reviſion des 
Beklagten zurückgewieſen. 


Aus den Gründen: Der Beklagte hat den 


auf die Fälle zu beſchränken, 


Zuſammenſtoß des Automobils mit dem Motorwagen 
verſchuldet und zwar dadurch, daß er zu raſch gefahren 
iſt, angeſichts des Straßenbahnwagens der Vorſchrift 


zuwider ſeine Schnelligkeit nicht vermindert und bei 
der Schlüpfrigkeit des Bodens infolge ſeines unvor— 
ſichtigen Fahrens die Gewalt über das Fahrzeug ver— 
loren hat, während andererſeits der Führer des Motor— 
wagens durch rechtzeitiges Bremſen den Wagen zum 
Stehen gebracht hatte. Das Berufungsgericht beurteilt 
das Verſchulden des Beklagten als ein ſchweres, wo: 
gegen die Betriebsgefahr der Bahn nur in verhältnis— 
mäßig geringfügigem Maße neben jenem Verſchulden 


zu dem Unfalle mitgewirkt habe. Mitgewirkt habe 
allerdings die Betriebsgefahr um deswillen, weil das 
Gebundenſein des ſchweren Motorwagens an die Eiſen⸗ 
ſchienen dem Führer ein ſeitliches Ausweichen gegen⸗ 
über dem Automobil unmöglich machte. Der Beklagte 
ſtellt ſeine Schuld an dem Unfalle nicht in Abrede, 
iſt auch wegen Vergehens gegen § 316 Abſ. 1 des 
StGB. rechtskräftig zu einer Geldſtrafe verurteilt 
worden; er beſtreitet ferner nicht, der Klägerin für die 
ihr durch deren Haftpflicht aus dem Unfalle erwach⸗ 
ſenen Schäden haftbar zu ſein und will nur — unter 
Berufung auf § 840 Abſ. 1 und 8 426 BGB. — feine 
Haftung auf die Hälfte beſchränkt wiſſen. — Das 
Berufungsgericht würde nun, wie es ausführt, kein 
Bedenken haben, für den Fall, daß die Parteien allein 
ſich als an ſich erſatzpflichtiger Schuldner und als 
durch den Unfall unmittelbar Beſchädigter gegenüber⸗ 
ſtänden, in Anwendung des 8 254 BGB. das Ver⸗ 
ſchulden des Beklagten für fo ſchwer und feine Be» 
deutung als Urſache des Unfalls für ſo überwiegend 
gegenüber der von der Klägerin zu vertretenden Bes 
triebsgefahr anzuſehen, daß es dem Beklagten einen 
Schadenserſatzanſpruch an die Klägerin ganz verſagen 
und umgekehrt der Klägerin einen Anſpruch auf vollen 
Erſatz ihres Schadens zuſprechen würde. Zum gleichen 
Ergebniſſe ſei aber auch für den Ausgleichungsanſpruch 
der Klägerin zu gelangen. Die Beſtimmung des 8 254 
BGB. gelte auch für die Fälle des 8 840 BGB. und 
demgemäß werde die Regel der Verpflichtung der Ge⸗ 
ſamtſchuldner unter ſich nach gleichen Anteilen dann un⸗ 
anwendbar, wenn nach dem Grundſatze des 8 254 der 
eine im Verhältnis zum andern als der allein Schadens⸗ 
erſatzpflichtige ſich kennzeichne. Es liege dann ein Fall 
des zweiten Halbſatzes des erſten Satzes in Abſ. 1 des 
8 426 vor: „ſoweit nicht ein anderes beſtimmt ift“. 
Die Reviſion beſtreitet, daß die Rechtsauffaſſung des 
Vorderrichters dem Geſetze entſpreche. Der 8 254 BB. 
habe doch nur das Verhältnis zwiſchen dem Beſchädigten 
und dem zum Schadenserſatz Verpflichteten im Auge, 
nicht aber den Fall des Ausgleiches zwiſchen zwei zum 
Schadenserſatze als Geſamtſchuldner Verpflichteten. Hier 
ſeien beide Parteien aus dem gleichen Rechtsgrunde, 
nämlich aus einer unerlaubten Handlung haftbar. Die 
Vorſchrift des 8 840 Abſ. 3 BGB. ſei, wie auch der Be⸗ 
rufungsrichter anerkenne, auf die Haftung aus 8 1 des 
Haftpfl6., die als eine ſolche aus unerlaubter Handlung 
aufgefaßt werden müſſe, nicht anwendbar. Alsdann 
aber wären die Parteien im Verhältniſſe zueinander 
zu gleichen Teilen verpflichtet und es läge hier der 
Fall nicht vor, daß „ein anderes beſtimmt iſt“. — 
Dieſe Bedenken ſind nicht berechtigt. Die Frage, ob 
die Vorſchrift des 8 254 BGB. entſprechende Anwen— 
dung auf die Ausgleichung zwiſchen mehreren Ge— 
ſamtſchuldnern nach 8 426 BGB. zu finden habe, iſt 
vor kurzem vom erkennenden Senate bejahend ent— 
ſchieden worden in dem Urt. vom 22. Dez. 1910 VI 
610.09, RG3. 75, 25 ff. Dieſes Urteil betraf gleich— 
falls einen Ausgleichungsanſpruch nach Maßgabe der 
ss 840, 426 BGB. Allerdings ſtanden dort die beiden 
Geſamtſchuldner als Mieter und Vermieter in einem 
Vertrags verhältniſſe zueinander. Aber die grund— 
ſätzlichen Ausführungen jener Entſcheidung ſind nicht 
wo dem einen Geſamt— 
ſchuldner die Verletzung einer Vertragspflicht gegen 
den anderen zur Laſt fällt. J. S. des 8 426 Abſ. 1 
Satz 1 BGB. kann „ein anderes“ als die Verpflichtung 
zu gleichen Anteilen „beſtimmt“ ſein auch durch das 
Geſetz oder die Natur des beſonderen Rechtsverhält— 
niſſes. Und eine ſolche andere geſetzliche Regelung 
darf namentlich in den Beſtimmungen des 8 254 BGR. 
gefunden werden, deren Anwendung auf das Rück— 
griffs verhältnis zwiſchen den Geſamtſchuldnern durch 
die Gleichheit des Grundes und die Bedeutung des 
Regelſatzes über die gleichmäßige Verteilung des 
Schadens als einer bloßen Hilfs regel, übrigens auch 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


nach dem Geſichtspunkte der Billigkeit gerechtfertigt 
iſt (vgl. Oertmann, Recht der Schuldverh. 8426 Anm. 2f. 
3.14. Aufl. S. 359, 8 840 Anm. 2 S. 1126). Das muß 
auch für den Ausgleichungsanſpruch des aus 8 1 
Haftpfl. ſchadenserſatzpflichtigen Eiſenbahnunterneh⸗ 
mers gelten. Dem ſteht nicht entgegen, daß dieſe 
Haftung als eine ſolche aus unerlaubter Handlung 
im weiteren Sinne zu betrachten, und daß auf ſie das 
in 8 840 Abſ. 3 BGB. zugunſten der nach SS 833 
bis 838 BGB. Haftpflichtigen geſchaffene Ausnahmerecht 
nicht auszudehnen iſt (RG Z. 53, 114; 58, 114; 61, 63). 
Keinesfalls iſt dies von Bedeutung in einem Falle, 
wo wie hier der Eiſenbahnunternehmer neben einem 
nicht wegen bloßer Gefährdungshaftung, ſondern aus 
eigentlichem Delikte Schadenserſatzpflichtigen haftet. 
Im vorliegenden Falle könnte ſogar, wie auch vom 
Reviſionsbeklagten angeregt worden iſt, in Frage 
kommen, ob nicht abgeſehen von 88 426, 254 BGB. 
der Beklagte von der Klägerin aus dem Grunde auf 
Erſatz des vollen durch den Unfall verurſachten Schadens 
in Anſpruch genommen werden kann, weil er durch 
fahrläſſige Gefährdung des Eiſenbahntransportes den 
Haftpflichtfall für die Klägerin herbeigeführt hat, daher 
ſofern 8 316 StGB. als ein Schutzgeſetz auch zugunſten 
des Bahnbetriebsunternehmers anzuſehen iſt, der Kläge⸗ 
rin unmittelbar nach § 823 Abſ. 2 BGB. ſchadens⸗ 
erſatzpflichtig wäre. Indes bedarf es der Heranziehung 
dieſes Geſichtspunktes nicht, da die Beſtimmungen in 
88 426, 254 BGB. ausreichen, um eine gerechte Aus⸗ 
gleichung mit demſelben Ergebniſſe zu ermöglichen. 
Uebrigens mag noch auf die inzwiſchen in $ 17 Kraft⸗ 
fahrzG. vom 3. Mai 1909 — insbeſondere in Abſ. 2 
daſ. — hinſichtlich der Schadensausgleichung zwiſchen 
dem Kraftfahrzeughalter und dritten Erſatzpflichtigen, 
auch dem Eiſenbahnunternehmer, getroffenen Beſtim⸗ 
mungen hingewieſen werden, die zwar an ſich auf den 
gegenwärtigen Fall nicht Anwendung finden, denen 
aber gleichfalls das dem 8 254 BGB. entnommene 
Prinzip zugrunde liegt. Vgl. inſoweit Eger, Komm. 
zu dem erwähnten Geſetze, Anm. 125 S. 414 f. Recht⸗ 
lich durchaus einwandfrei hat aber das Berufungs⸗ 
gericht hier dem gegenüber der Betriebsgefahr der 
Straßenbahn kauſal weit überwiegenden Verſchulden 
des Beklagten die Bedeutung beigemeſſen, daß der 
Beklagte im Verhältniſſe der Parteien den ganzen 
Schaden allein zu tragen und dementſprechend der 
Klägerin zu erſetzen habe. Die Reviſion hat noch ein⸗ 
gewendet, es ſei nicht richtig, daß der Unfall allein 
durch das Verſchulden des Beklagten herbeigeführt 
worden ſei; nach der eigenen Feſtſtellung des Be⸗ 
rufungsurteiles habe ja die von der Klägerin zu ver⸗ 
tretende Betriebsgefahr zu dem Unfalle mitgewirkt. 
Gewiß iſt dieſe Gefahr für den — zweifellos bei dem 
Betriebe der Eiſenbahn (Haftpfl ö. 8 1) eingetretenen 
— Unfall mitverurſachend geweſen; aber ein verur- 
ſachendes Verſchulden liegt lediglich bei dem Be⸗ 
klagten, nicht bei der Klägerin vor. Und der 8 254 
BGB., welcher gerade eine beiderſeitige Beteiligung 
an der Kauſalität vorausſetzt, begründet in ſeiner An⸗ 
wendung auf das Rückgriffsverhältnis der Urheber 
des Schadens je nach den Umſtänden des Falles nicht 
bloß eine Teilung, ſondern den Rückgriff auf den 
vollen Erſatz. (Urt. des VI. 35S. vom 19. Juni 1911, 
VI 383/1910). E. 
3231 


V. 

Kaun im Falle der Streitgenoſſenſchaft das Urteil 
egen einen Teil der Beklagten von der Leiſtung eines 
ides abhängig gemacht werden, der von einem anderen 

Streitgenoſſen geleiſtet werden ſoll, für die Entſcheidung 
gegen dieſen ſelbſt aber ohne Bedeutung iſt? — Un: 
wendung des 5 826 BGB. auf die Schädigung durch 
Erteilung einer unrichtigen Auskunft; Erfordernis des 
Bewußtſeins von ihrer Unrichtigkeit. — Mitwirkendes 
Verſchulden des um die Auskunft Nachſuchenden. Aus 


7 


337 


den Gründen: 1. Für den Fall, daß der Kläger 
den ihm auferlegten richterlichen Eid leiſten werde, 
hat das Berufungsgericht den Beklagten P. dem 
Grunde nach zur Leiſtung der Hälfte des beanſpruchten 
Schadenerſatzes an den Kläger verurteilt; es hat 
jedoch dem ſolchergeſtalt verurteilten P. des weiteren 
einen richterlichen Eid auferlegt, bei deſſen Leiſtung 
auch den anderen Beklagten gegenüber der Klage⸗ 
anſpruch in der gleichen Höhe dem Grunde nach für 
gerechtfertigt erklärt, bei deſſen Verweigerung die Klage 
dieſen Beklagten gegenüber abgewieſen werden ſoll. 
Ueber dieſe Eidesauflage beſchweren ſich ſowohl P., 
der den Eid leiſten ſoll, obwohl er für die Ent⸗ 
ſcheidung des Rechtsſtreits ihm gegenüber ohne jede 
Bedeutung iſt, als auch die anderen Beklagten, deren 
Verurteilung von ſeiner Leiſtung abhängig gemacht 
iſt. Sie erachten ſämtlich dieſe Eidesauflage für 
prozeßrechtlich unzuläſſig. Dieſe Rüge iſt begründet. 
Die deutſche ZPO. kennt keine zeugenſchaftliche Ver 
nehmung der Parteien zur Sache überhaupt; das Be⸗ 
weismittel des Eides, des zugeſchobenen wie des 
richterlichen, iſt ſeinem Weſen nach zwar auch ein 
Zeugnis der Partei, aber lediglich und ausſchließlich 
ein Zeugnis in eigener Sache; die zum Eide zuge⸗ 
laſſene Partei ſoll durch die Leiſtung des Eides 
Zeugnis für, durch deſſen Weigerung Zeugnis gegen 
ſich ablegen; ſie ſoll durch ihre Eidesleiſtung ihre 
eigenen Behauptungen ſtützen oder von denen des 
Gegners ſich befreien. Gewiß kann nach 8 476 ZPO. 
der richterliche Eid bei mehreren Streitgenoſſen allen 
oder einem oder einigen mit Wirkung für alle auf⸗ 
erlegt werden; aber er muß für den Schwurpflichtigen 
ſelbſt etwas zu bedeuten haben; er muß für die Ent⸗ 
ſcheidung ſeines Rechtsſtreits als Beweismittel dienen 
(RG. 60, 259). Indem das Berufungsgericht dem 
Beklagten P. einen Eid auferlegt hat, der nicht zu 
ſeiner eigenen Entlaſtung, ſondern ganz allein zur 
Belaſtung ſeiner Streitgenoſſen dienen ſoll, hat es 
die rechtliche Natur des Beweismittels des Eides nach 
dem Beweisſyſtem der ZPO. verkannt. 

2. . geht das Berufungsgericht davon 
aus, daß im gegebenen Falle eine Haftung der Be- 
klagten für den durch die erteilte Auskunft dem Kläger 
erwachſenen Schaden nur auf der Grundlage des 
8 826 BGB. ausgeſprochen werden kann, wonach zum 
Schadenserſatze verpflichtet iſt, „wer in einer gegen 
die guten Sitten verſtoßenden Weiſe einem anderen 
vorſätzlich Schaden zufügt“. Die Anwendung des 
8 826 auf die Haftung für eine erteilte Auskunft ſetzt 
voraus, daß die in der Auskunft kundgegebenen Tat⸗ 
ſachen objektiv unwahr ſind, daß der die Auskunft 
Erteilende dieſer Unwahrheit ſich bewußt war, daß er 
alſo die Auskunft wider beſſeres Wiſſen in dieſer 
Weiſe erteilte, und daß er ſich ferner bewußt war, 
daß die Auskunft einen ſchädlichen Erfolg für den 
Auskunftsempfänger haben werde oder doch haben 
könne, im letzteren Falle, wenn er dieſen möglichen 
Erfolg in ſeinen Willen aufgenommen und für den 
Fall ſeines Eintrittes gebilligt hat. Endlich muß die 
Handlungsweiſe des Auskunfterteilenden ſittlich ver— 
werflich fein, dem Anſtandsgefühl aller billig und gerecht 
Denkenden“ zuwiderlaufen (vgl. Warneyer, Rechtſpr. 
1908 Nr. 49, 214 und 518; JW. 1905 S. 369 Nr. 8; 
RG. 48, 114; 58, 214, 219; 63, 146 u. a.). Ohne 
das im gegebenen Fall insbeſondere ſtreitige Bewußt— 
ſein des Auskunfterteilenden von der Unwahrheit 
ſeiner Mitteilung iſt von Ausnahmefällen grober Ver— 
letzung einer Berufspflicht abgeſehen, wo auch bei 
bloßer gröbſter Fahrläſſigkeit der Tatbeſtand des 8 826 
BGB. gegeben fein kann (RG. 72, 175), eine vorſätz⸗ 
liche Schädigung des Auskunftsempfängers nicht denk- 
bar. Zwar iſt der Satz nicht an ſich unrichtig, den 
das OLG. unter Berufung auf eine Entſcheidung des 
RG. (Gruchots Beitr. 39, 849 — unter der Herrſchaft des 
alten Rechts ergangen) aufſtellt: „argliſtig handelt 


Zgeitſchrift für Rechtspflege in 


auch, wer Unwahres als wahr und als ſeine Ueber⸗ 
zeugung hinſtellt, ohne von der Wahrheit überzeugt 
zu ſein“. Allein dabei iſt die Grenze zwiſchen einer 
bloßen Fahrläſſigkeit, die vorliegt, wenn der Auskunft⸗ 
erteilende bei gehöriger Sorgfalt zur Erkenntnis der 
Unwahrheit ſeiner Mitteilung hätte gelangen müſſen, 
aber nicht gelangt iſt, und der Vorſätzlichkeit, bei der 
das Erkennenmüſſen auch zu einem wirklichen Erkennen 
geworden iſt, genau im Auge zu behalten. Das gilt 
zumal da, wo es ſich nicht um eine Mitteilung von 
Tatſachen, ſondern um die Aeußerung eines Urteiles 
z. B. über die Kreditwürdigkeit oder die Zuverläſſig⸗ 
keit einer Perſon handelt, das auf Grund von Zats 
ſachen gewonnen werden muß. Würde in allen Fällen, 
in denen jemand bei reiflicher Ueberlegung, bei An⸗ 
wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt 
(8 276 BGB.), zu der Ueberzeugung von der Unrichtig— 
keit der von ihm gegebenen Auskunft hätte gelangen 
müſſen, auch zu folgern ſein, daß die Auskunft auch 
wirklich ſeiner Ueberzeugung nicht entſprochen habe, 
ſo würde eine fahrläſſig falſche Auskunft kaum mehr 
denkbar ſein. In dem vom Berufungsgericht ange— 
führten Urteile des RG. war feſtgeſtellt worden, daß 
der Mitteilende von der Richtigkeit ſeiner Mitteilung 
nach Lage der Umſtände des Falles unmöglich über: 
zeugt ſein konnte. Solche Umſtände, die den Tat⸗ 
beſtand aus dem Gebiete des fahrläſſigen Handelns 
herausheben, müſſen vorliegen und feſtgeſtellt werden. 
Mit Recht wird in einem neueren Urteile des RG. 
(V. 8S., JW. 1911 S. 213 Nr. 7) unter Hinweis auf 
frühere Entſcheidungen desſelben Senats ausgeſprochen, 
daß in der beſtimmten Behauptung beſtimmter, dem 
Behauptenden nicht genau bekannter Tatſachen unter 
Umſtänden Argliſt (dolus eventualis) gefunden werden 
könne, daß es dazu aber, da in ſolchen Fällen der 
Regel nach nur Fahrläſſigkeit vorliegen werde, des 
Nachweiſes beſonderer Umſtände bedürfe, die eine Arg⸗ 
lift erkennen laſſen.) Das gilt noch mehr bei der 
Aeußerung von Urteilen auf Grund nicht migeteilter 
Tatſachen. Zwiſchen einem leichtfertig gewonnenen 
und ausgeſprochenen Urteile und einem mit Bewußt 
ſein ohne Ueberzeugung abgegebenen Urteile iſt wohl 
zu unterſcheiden; nur das letztere ſtellt ſich als arg— 
liſtige Handlung im Sinne des 8 826 dar. Wer über 
eine Perſönlichkeit oder über eine Sache, von denen 
er eigene Kenntnis nicht beſitzt, ein Urteil gewinnen 
will, wird ſich nach der Geſamtheit des ihm vor— 
liegenden Materials richten und richten müſſen unter 
Abwägung des Gewichtes, das den einzelnen Stücken 
dieſes Materials zukommt. Wenn von mehreren über 
eine dritte Perſon befragten Perſonen, die unterrichtet 
ſein konnten, nur eine gerüchtweiſe einer Verfehlung 
oder böſen Eigenſchaft erwähnt, während die übrigen 
ſich lediglich günſtig äußern, ſo wird der Fragende 
unter Umſtänden wohl berechtigt ſein, jenes eine Ge— 
rücht als für die Bildung ſeiner Ueberzeugung un— 
maßgeblich beiſeite zu laſſen; jedenfalls kann, wenn 
er der Meinung iſt, kein Gewicht darauf legen zu 
müſſen, nicht von einer Vorſätzlichkeit unwahrer Aus— 
kunftserteitung, ſondern nur von einer Fahrläſſigkeit 
die Rede ſein. Ja, wenn die befragten Perſonen die 
Geſchäftsinhaber ſelbſt ſind, unter deren Augen die 
zu beurteilende Perſon tätig geweſen iſt, und denen 
die beſte Kenntnis über ſie zuzutrauen iſt, und wenn 
dieſe günſtig ausſagen über ihren früheren Ange— 
ſtellten, ſo wird der Regel nach die Außerachtlaſſung 
der einen unbeſtimmten ungünſtigen Mitteilung nicht 
einmal ein Fahrläſſigkeitsverſchulden darſtellen. 

3. Die Beklagten haben den Einwand des mit— 
wirkenden eigenen Verſchuldens des Klägers erhoben. 
Das Berufungsgericht hat den Einwand als gerecht— 
fertigt anerkannt und deshalb den Kläger mit der 
Hälfte ſeines Anſpruches abgewieſen. Es erblickt das 

1) Vgl. dazu auch die in Nr. 13 dieſes Jabrqanas der Zeit— 


ſchrlit auf S. 28. ff. abgedruckte Eniſcheidung des vl. 32. 


Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


mitwirkende Verſchulden des Klägers darin, daß er 
bei ſeiner Anfrage in keiner Weiſe auf die Höhe der 
von ihm beabſichtigten Beteiligung an dem Geſchäfts⸗ 
unternehmen des H. hingewieſen und dadurch einer 
leichtfertigen Behandlung der Angelegenheit durch die 
Beklagten ſelbſt den Boden geebnet habe. Die Be⸗ 
klagten verlangen, daß das eigene Verſchulden des 
Klägers höher bewertet werde und meinen, daß die 
Annahme eines ſolchen Verſchuldens auch weiter da⸗ 
durch begründet werde, daß der Kläger überhaupt in 
ſeiner Anfrage nicht zum Ausdrucke gebracht habe, 
daß es ſich um eine Auskunft über die Kreditwürdig⸗ 
keit des H. handle, und ferner, daß er, obwohl er 
neben den günſtigen auch ungünſtige und nur be⸗ 
ſchränkt günſtige Auskünfte über H. erhalten habe, 
dennoch mit ſo hohen Summen an deſſen Unternehmen 
ſich beteiligt habe. Indeſſen konnten und mußten die 
Beklagten die Wahrſcheinlichkeit in Betracht ziehen, 
daß eine Kreditgewährung an H. in Frage ſtehe; 
außerdem beſtand nur die Möglichkeit, daß der Kläger 
den H. in ſeinem Geſchäft anſtellen wolle; beide Fälle 
waren ins Auge zu faſſen; die Erſatzpflicht der Be⸗ 
klagten aus § 826 BGB. iſt aber nicht davon abhängig, 
daß ſie die Art des Schadens vorausſahen, den der 
Kläger erleiden konnte. Ein Verſchulden des Klägers 
iſt in dieſer Richtung nicht anzuerkennen. Der zweite 
von den Beklagten geltend gemachte Geſichtspunkt 
kommt nicht in Frage, wenn gerade ihre günſtige 
Auskunft dem Kläger das Vertrauen eingegeben hat, 
dem H. in verhältnismäßig hohem Betrage Kredit zu 
gewähren. Mit Recht geht im übrigen das Berufungs- 
gericht zu dieſem Punkte davon aus, daß das BGB. 
grundſätzlich auch gegenüber vorſätzlichen Schädigungen 
die Beachtung eines mitwirkenden auf Fahrläſſigkeit 
beruhenden Verſchuldens des Beſchädigten nicht aus 
ſchließt, wenngleich in der Regel die Abwägung des 
Fahrläſſigkeitsverſchuldens gegenüber dem auf Borfag 
beruhenden zu dem Ergebniſſe führen wird, daß wegen 
des erſteren eine Minderung der Erſaßpflicht des 
Schädigers nicht auszuſprechen iſt (RG. Z. 69, 277; 
JW. 1908 S. 9 Nr. 10, Warn. Rechtſpr. 1908 Nr. 446 
und namentlich 1911 Nr. 64). Jedenfalls kann es 
daher nicht für rechtsirrtümlich angeſehen werden, 
wenn das Berufungsgericht das Fahrläſſigkeitsver⸗ 
ſchulden des Klägers nicht höher als zur Hälfte des 
Schadens bewertet hat. (Urt. des VI. 35. vom 
27. Mai 1911, VI 371/1910). E. 
2330 


VI. 

Kann eine offene Handelsgeſellſchaft wegen einer 
Fahrläſſigkeit i. S. des § 136 Gewunf BG. von der De: 
rufsgenoſſenſchaft für die Handlungen ihrer Vertreter in 
Anſpruch genommen werden? Aus den Gründen: 
Es iſt richtig, daß eine offene HG., die keine phyſiſche 
Perſon iſt, keine unerlaubte Handlung, wie ſie § 136 
im Auge hat, begehen kann. Damit iſt jedoch für die 
Beklagte nichts gewonnen. Nach 8136 Abſ. 1 S. 1 
und 2 haften Betriebsunternehmer, wenn fie den Uns 
fall durch ſogenannte qualifizierte Fahrläſſigkeit herbei— 
geführt haben, für die Aufwendungen der Berufsge— 
noſſenſchaft auch ohne Feſtſtellung durch ſtrafgericht— 
liches Urteil. In § 136 Abſ. 2 iſt beſtimmt, daß eine 
Handelsgeſellſchaft für die durch einen der Liquida— 
toren herbeigeführten Unfälle haftet. Hieraus iſt nicht 
etwa der Schluß zu ziehen, daß die Handelsgeſellſchaft 
während ihres Beſtehens für die durch einen Ver— 
treter verſchuldeten Unfälle nicht hafte, ſondern im 


Gegenteil, daß der Geſetzgeber dieſe Haftung als ſelbſt— 


verſtändlich vorausgeſetzt hat und nur den vielleicht 


zweifelhaften Fall, wenn die Handelsgeſellſchaft nach 


ihrer Auflöfung ſich in Liquidation befinde, regeln 
wollte, und zwar gleichfalls dahin, daß ſie auch dann 


für die durch ihre geſetzlichen Vertreter d. ſ. die Liqui— 


datoren verurſachten Unfälle aufzukommen habe. Jene 


Vorausſetzung gruͤndet ſich auf die ſtändige Recht— 


 Beitfgeift für ___Beitfärift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17 in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


ſprechung des RG., wonach namentlich die offene Hans 
delsgeſellſchaft für unerlaubte Handlungen, die ein 
vertretungsberechtigter Geſellſchafter in Ausführung 
einer ihm zuſtehenden Verrichtung verübt, verantwort⸗ 
lich iſt (RG. 46 18 und Zit.; für das neue Recht: VI 
16/05, 393/05, 292/06, 62/07 "vgl. § 903 des Entw. zur 
ABO.) Die Unfallverhütungsvorſchriften der Klä⸗ 
gerin befehlen den Betriebs unternehmern, die Kreis⸗ 
ſägen mit Schutzhauben zu verſehen. Betriebsunter⸗ 
nehmer waren die Teilhaber der Beklagten. Dieſe 
haben die Anbringung einer Schutzhaube unterlaſſen 
und damit die beſondere Aufmerkſamkeit, zu der ſie 
vermöge ihres Gewerbes verpflichtet waren, außer 
Augen geſetzt. Daß die Teilhaber vertretungsberech⸗ 
tigte Geſellſchafter waren, iſt von der Beklagten nie 
beſtritten worden. Das OLG. ſtellt weiter feſt, daß 
die Vertreter der Beklagten den Unfall und zwar auch 
die tödliche Verletzung eines Arbeiters als Folge 
ihres Verhaltens vorausſehen konnten. Die Vertreter 
der Beklagten haben ſonach den Unfall durch Fahr⸗ 
läſſigkeit i. S. des 8 136 herbeigeführt. Für dieſe un⸗ 
erlaubte Handlung haftet aber die offene Handels⸗ 
geſellſchaft. (Urt. des VI. 38S. vom 22. Juni 1911, 
VI 331/1910). E. 
2320 


VII. 

Anwendung der 88 823 oder 826 BGB. zugunſten 
der Gläubiger, die durch eine von ihrem Schuldner 
mit einem anderen Gläubiger insgeheim abgeſchloſſene 
Sicherungsübereignung geſchädigt worden find. Der 
Kaufmann V., Inhaber eines Teppich- und Linoleum⸗ 
geſchäftes, bezog ſeinen Bedarf an Linoleum ſeit dem 
Jahre 1904 von der mitverklagten Aktiengeſellſchaft D. 
auf Kredit. Zur Sicherung ihrer Forderungen ſchloß 
dieſe am 1. Januar 1908 mit V. einen Sicherungs— 
vertrag, wodurch V. auf die Geſellſchaft ſein geſamtes 
Teppich⸗ und Läuferſtofflager zu Eigentum übertrug, 
das ihm gleichzeitig von der Geſellſchaft zum kom⸗ 
miſſionsweiſen Verkaufe überlaſſen wurde; V. erkannte 
weiterhin an, daß er alle Teppiche und Läuferſtoffe, die 
er, wenngleich im eigenen Namen, erwerben werde, 
tatſächlich für die Geſellſchaft erwerbe. Im Juni 1909 
iſt über das Vermögen des V. der Konkurs eröffnet 
worden. Die Klägerin hat dem V. im Jahre 1908 
Bankkredit gewährt, woraus ihr ſchließlich ein Gut⸗ 
haben von 30556 M 15 Pf zuſtand. Sie hat im 
gegenwärtigen Rechtsſtreit den V. und die Geſellſchaft 
D. als Geſamtſchuldner auf Bezahlung der genannten 
Summe belangt mit der Behauptung, daß fie gemein⸗ 
N durch jene, vor den anderen Gläubigern des 

V. geheim gehaltenen Abmachungen in betrüglicher 
und gegen die guten Sitten verſtoßender Weiſe die 
Klägerin geſchädigt hätten. Gegen V. erging in erſter 
Inſtanz Verſäumnisurteil. Der Klage gegen die Geſell— 
ſchaft D. gab das LG. ſtatt, das OLG. wies fie ab; 
das RG. hat dieſes Urteil aufgehoben. 

Aus den Gründen: Das tatſächliche Vor— 
bringen der Klägerin iſt in Verbindung mit dem bereits 
feſtgeſtellten Sachverhalt hinreichend ſchlüſſig, um die 
Handlungsweiſe der Beklagten D. wenn nicht als 
Teilnahme an einem Betrug im ſtrafrechtlichen Sinn 
(StB. 8 263, BGB. § 823 Abſ. 2) fo doch als eine 
ſittenwidrige Schädigung (BGB. § 826) zu kennzeichnen. 
Für die Frage aber, ob eine ſolche unerlaubte Hand— 
lung dargetan oder erweislich ſei, hat das OLG. den 
Sachverhalt nicht erſchöpfend und nicht überall rechtlich 
zutreffend gewürdigt. Es hat wohl nicht verkannt, 
daß bei einer frauduloſen, nach den Vorſchriften der 
KO. oder des AnfG. anfechtbaren Benachteiligung der 
Gläubiger unter Umſtänden mit dem ee e 
anſpruche auch ein Schadenserſatzanſpruch nach SS 823 
oder 826 BGB. gegenüber dem dritten Teiluehmer 
an jener Handlung konkurrieren kann, wenn nämlich 
die Rechtshandlung über den bloßen Anfechtungstat— 
beſtand hinausgehend die Merkmale einer unerlaubten 


339 


Handlung nach 88 823 oder 826 erfüllt. Das iſt ins⸗ 
beſondere der Fall, wenn eine betrügliche Täuſchung, 
eine argliſtige Verſchleierung der den Gläubiger 
ſchädigenden Machenſchaften, hinzutritt; doch iſt das 
nicht der einzige für die Anwendung des § 826 BGB. 
in Betracht kommende Fall (RGZ. 74, 225 ff.). Hier 
handelt es ſich bei dem Verhalten der beiden Beklagten 
keineswegs bloß darum, daß der Beklagten D. in 
frauduloſer Weiſe eine Vorzugsſtelle vor den übrigen 
Gläubigern verſchafft worden wäre, ſondern gerade 
auch um Machenſchaften der eben erwähnten Art. — 
Das Berufungsurteil verfährt nun darin nicht richtig, 
daß es ausgehend von den vielleicht über das Ziel 
teilweiſe hinauslaufenden Ausführungen der Klägerin 
über die Wirkung des Vertrags vom 1. Januar 1908 
und die Abſicht der Beteiligten hierbei lediglich unter 
dem Geſichtspunkte eines hiernach aufgeſtellten ab— 
ſtrakten Vorderſatzes den Sachverhalt daraufhin prüft, 
ob hier eine unerlaubte Handlung der Beklagten nach⸗ 
gewieſen ſei. Der Tatbeſtand des $ 826 BGB. konnte 
im konkreten Falle auch durch eine weniger weit— 
reichende Abſicht und Wirkung erfüllt ſein. So kommt 
es namentlich nicht bloß darauf an, daß mit dem 
fraglichen Abkommen ausſchließlich die Befriedigung 
der Beklagten D. bezweckt wurde, nur zu ihren Gunſten 
die Erſchleichung von Deckungsmitteln geplant und 
ausgeführt worden iſt, mit der Folge, daß alle anderen 
Gläubiger ganz oder doch im weſentlichen unbefriedigt 
blieben. Sollte nach der Abſicht der Beteiligten das 
Geſchäft des V. wenigſtens zunächſt noch weitergeführt 
werden, ſo verſtand es ſich von ſelbſt, daß in der 
Zeit nach dem 1. Januar 1908 noch Zahlungen an 
andere Gläubiger wie auch an die Klägerin ſelbſt 
erfolgten. Das ſchloß aber eine betrüglich oder in 
unlauterer Weiſe herbeigeführte Schädigung der 
Klägerin nicht aus. Das weſentlichſte Moment für 
die Beurteilung der Handlungsweiſe der Beklagten 
liegt in der rechtlichen und wirtſchaftlichen Bedeutung 
des Vertrages vom 1. Januar 1908. Die Bedeutung 
dieſes Abkommens war nach dem Inhalte des Ver- 
trages unverkennbar die, daß durch die Uebereignung 
des geſamten Teppich⸗ und Läuferſtofflagers, der vor: 
handenen wie der zugekauften Beſtände an die Be⸗ 
klagte D. in Verbindung mit der ſchon im Jahre 1904 
vereinbarten Abtretung der Ausſtände, ferner durch 
die Beſtimmung, daß das Lager dem V. nur mehr 
zum kommiſſionsweiſen Verkaufe überlaſſen blieb unter 
Einrichtung einer Kontrolle der beklagten Aktiengeſell— 
ſchaft über den Geſchäftsbetrieb, das V.'ſche Geſchäft 
in dieſem ganzen Umfange nach dem aktiven Beſtande 
auf die Beklagte D. übertragen wurde. Wenn außer⸗ 
dem, wofür die Klägerin Beweis angeboten hat, auch 
das Linoleum dem V. von der Beklagten nur mehr 
unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurde, ſo war 
damit tatſächlich mindeſtens auf abſehbare Zeit hinaus 
das Geſchäft vollſtändig in der Hand der beklagten D., 
V. aber wäre faktiſch aus der Stellung des ſelb⸗ 
ſtändigen Geſchäftsinhabers in die eines Kommiſſionärs 
der Geſellſchaft oder wohl eher eines von ihr durch— 
aus abhängigen Geſchäftsführers zurückgetreten. Nach 
außen dagegen behielt, wie nach dem Klagevorbringen 
und den Ausführungen des LG. zu unterſtellen iſt, 
das V.'ſche Geſchäft ganz fein altes Geſicht und handelte 
der Inhaber der Firma nach wie vor als ſcheinbar 
verfügungsberechtigter Geſchäftsherr, der als ſolcher 
weiterhin auch Kreditgeſchäfte mit Dritten einging. Wurde 
durch Verheimlichung des wirklichen Sachverhalts bei 
dritten Kreditgebern ein Irrtum über die Vermögens— 
lage und die Kreditverhältniſſe des V. erregt oder 
unterhalten, dann lag darin eine betrügliche oder 
doch ſittenwidrige Täuſchung. Es liegt auf der Hand, 
daß in den Augen der Geſchäftswelt die Kredit— 
würdigkeit eines Kaufmanns in der erheblichſten Weiſe 
verringert, wo nicht vollſtändig vernichtet wird, wenn 
er ſich auf Sicherungsübereignungen und Transaktionen 


Forderungen oder andere Vermögensſtücke des Auf: 
traggebers abſichtlich zum Nachteile desſelben verfügt 
hat. Durch die Verfügung muß alſo die Vermögens— 
lage des Auftraggebers gegenüber ihrem bisherigen 
Beſtand verſchlechtert worden ſein. Dies trifft regel⸗ 
mäßig dann nicht zu, wenn Schulden, die auf dem Ver⸗ 
mögen laſten, aus den Beſtandteilen des Vermögens ge— 
tilgt werden, da der Veräußerung von Vermögensſtücken 
die Befreiung von einer Verbindlichkeit ausgleichend 
gegenüber tritt. Nach den Feſtſtellungen des ange— 
fochtenen Urteils hat nun der Angeklagte als Geſchäfts— 
führer einer G. m. b. H. vertragswidrig auf „Finanz⸗ 
wechſel“ d. h. Akzepte dritter Perſonen, die ihm von 
den Akzeptanten zur Erhöhung des Betriebskapitals 
ſeines früheren, von der Geſellſchaft m. b. H. über⸗ 
nommenen Geſchäfts überlaſſen worden waren, und 
deren Einlöſung nach dem Geſellſchaftsvertrag Privat— 
ſache des Angeklagten ſein ſollte, aus Mitteln der 
Geſellſchaft die Summe von etwa 7000 M abbezahlt, 
nachdem er vorher widerrechtlich bei notwendig ge— 
wordenen Prolongationen der Wechſel die Geſellſchaft, 
ſei es als Ausſtellerin, ſei es als Akzeptantin der 
neuen Wechſel durch Abgabe der ihm zuſtehenden 
Unterſchrift der Firma verpflichtet hatte. Rechtlich 
zutreffend hat die Strafkammer den Angeklagten für 
die hierdurch bewirkte Belaſtung des Geſellſchaftsver— 
mögens aus § 266 StGB. ſtraftrechtlich nicht verants 
wortlich gemacht. Dieſes Vergehen ſetzt eine Ver— 
fügung über beſtimmte Vermögensſtücke voraus. Eine 
dem 8 312 HGB. entſprechende Strafbeſtimmung aber 
enthält das Geſetz vom 20. Mai 1898 nicht. Haftete 
nun die Geſellſchaft in formell gültiger Weiſe aus den 
Wechſeln infolge des Vertrauensbruchs des Angeklagten 
wechſelmäßig für Zahlung der Wechſelſummen (Art. 8 
und 22 WO.), fo iſt nicht erſichtlich, weshalb der 
Angeklagte dadurch, daß er dieſe Verbindlichkeiten der 
Geſellſchaft als ihr geſetzlicher Vertreter aus ihrem 
Barbeſtand bereinigte, über die dazu verwendeten 
Geldſtücke abſichtlich zum Nachteile der Geſellſchaft 
verfügt haben ſollte. Der Nachteil, den er der Geſell— 
ſchaft durch ſein eigennütziges Vorgehen bei Herſtellung 
der Wechſel durch Leiſtung der Firmenunterſchrift ver— 
urſacht hatte, blieb beſtehen. Ihm gegenüber ſtellte 
die Erfüllung des Wechſelverſprechens keine neue Ver— 
mögensbeſchädigung dar, jedenfalls ſolange nicht, als 
die Zahlung durch eine andere Perſon ſich als nicht 
durchführbar erwies. Nach dem ganzen Zuſammen— 
hang der Urteilsgründe aber muß angenommen werden, 
daß der Angeklagte ſelbſt und wohl auch die Perſonen, 
die neben der Geſellſchaft die Wechſel unterſchrieben 
hatten, damals nicht imſtande waren die Wechſel 
auszulöſen. Daher beſteht zur Zeit wenigſtens kein 
genügender tatſächlicher Anhalt dafür, daß der An— 
geklagte durch abſichtliche Unterlaſſung der ihm ob— 
gelegenen erforderlichen, mindeſtens möglicherweiſe 
von Erfolg begleiteten Schritte Zahlung auf andere 
Weiſe als durch Inanſpruchnahme des Geſellſchafts— 
vermögens beizubringen ein die Geſellſchaft bewußt 
ſchädigendes Verhalten an den Tag gelegt hätte, wie 
auch dafür ſich nichts aus dem Urteil beibringen läßt, 
vaß der Angeklagte ſchon bei Eingehung der Wechſel— 
verbindlichkeiten für die Geſellſchaft es darauf abge— 
ſehen gehabt hätte zu ihrer ſeinerzeitigen Bereinigung 
ausſchließlich das Vermögen der Geſellſchaft heran— 
zuziehen. Anderſeits gibt die Heranziehung des weiteren 
rechtlichen Geſichtspunktes der Unterſchlagung zu dem 
Bedenken Anlaß, daß jeder nähere Nachweis dafür 
fehlt, worin die rechtswidrige 
Geſellſchaft gehörigen Gelder durch den Angeklagten 
erblickt werden konnte, wenn dieſer nur als ihr Ver— 
treter ihre Gelder dazu benutzte, ſie von ihren Wechſel— 
verbindlichkeiten zu befreien. (Urt. des J. StS. vom 
12. Juni 1911, 10 400 1911). E. 


2.42 


K — — — 


Zueignung der der, 


| 


III. 


1. Strafbarkeit der Vorſtandsmitglieder einer ein⸗ 
getragenen Genoſſenſchaft wegen Unterlaſſung des An: 
trags auf Konkurseröffnung. — 2. Urkundenfälſchung: 
zum Begriffe des Gebrauchmachens zum Zweck einer 
Täuſchung (Veröffentlichnng der mit einer gefälſchten 
Unterſchrift verſehenen Bilanz); die Bilanz als beweis⸗ 
erhebliche Urkunde. Aus den Gründen: 1. Zwar 
ſtellt die Strafkammer feſt, daß die Ueberſchuldung 
des Konſumvereins im Jahre 1910 den Betrag der 
Haftſummen aller Genoſſen (Mitglieder) „um mehr als 
die Hälfte überſtieg“, jedenfalls mehr als ein Viertel 
aller Haftſummen betrug. Sie irrt aber rechtlich, wenn 
ſie, wie es im Urteile geſchieht, ſchon hieraus die ge⸗ 
ſetzliche Verpflichtung der Vorſtandsmitglieder herleitet, 
die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen. 
Nach 8 140 Gen. tritt die Verpflichtung hierzu nur 
ein, wen ſich eine ſolche Ueberſchuldung aus der 
Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Jahres auf— 
geſtellten Bilanz ergibt. Darüber, ob dieſe Voraus— 
ſetzung in einem Einzelfalle erfüllt iſt, entſcheiden dann 
dieſelben rechtlichen Geſichtspunkte, die in dem Urteile 
des erkennenden Senats Entſch. 44, 48 (51/52) für die 
entſprechenden Fälle des 8 240 HGB. und 8 64 Abſ. 1 


Gef. betr. die G. m. b. H. vom „ ail e erörtert 


20. Mai 1808 
ſind. Allein das angefochtene Urteil enthält keinerlei 
Feſtſtellung, daß für das Jahr 1910 oder in ihm eine 
Bilanz der bezeichneten Art überhaupt aufgeſtellt 
worden iſt, aus der ſich die Ueberſchuldung i. S. des 
Geſetzes hätte ergeben können. 2. Das Begriffsmerk⸗ 
mal des Gebrauchmachens zum Zwecke einer Täuſchung 
iſt darin verwirklicht gefunden, daß der Angeklagte 
durch die Veröffentlichung der mit der gefälſchten Unter— 
ſchrift des F. verſehenen Bilanz in dem Kreisblatt 
„das Publikum und insbeſondere die Genoſſen in den 
Glauben verſetzt habe, es liege eine mit dem Abdruck 
übereinſtimmende, feine und F.s echte Unterſchriften 
tragende Urſchrift vor“; er habe fie auch in dieſen 
Glauben verſetzen wollen. Das iſt rechtsirrig. Der 
Abdruck kann nur einer Abſchrift gleichgeſtellt werden. 
Nur von dieſer iſt nachgewieſen, daß ſie als ſolche dem 
Publikum und den Genoſſen unmittelbar zugänglich 
gemacht wurde. (Entſch. 23, 249 [251]). Zwar ſetzt 
das Gebrauchmachen nicht unbedingt voraus, daß die 
Urkunde dem zu Täuſchenden unmittelbar vorgelegt 
wird. Andererſeits genügt aber keinesfalls die bloße 
Behauptung, daß eine Urkunde der bezeichneten Art 
vorhanden ſei, auch dann nicht, wenn die Behauptung 
dahin geht, daß der Behauptende ſie im Beſitz habe, 
oder wenn zur Bekräftigung alles deſſen eine Abſchrift 
vorgelegt wird. Erforderlich iſt vielmehr einmal, daß 
die Urkunde ſelbſt zum Gegenſtande des Gebrauchs 
gemacht wird, ſodann daß tatſächlich und nach dem 
Willen desjenigen, auf deſſen Seite das Gebrauch— 
machen in Frage kommt, die Möglichkeit und 
Gelegenheit geboten wird, die Urkunde als ſolche 
einzuſehen, daß ſie m. a. W. dem zu Täuſchenden in 
dieſer Weiſe bereit geſtellt iſt (RGSt. 16, 228; 
27, 184; 41, 144 [146/147])). Nach dieſer Richtung 
ſind aus der wiedergegebenen Begründung irgend— 
welche tatſächliche Feſtſtellungen nicht zu entnehmen. 
Andrerſeits erklärt die Strafkammer zwar, daß der 
Angeklagte nicht „bezweckt“ habe, die Schriftleitung 
des Kreisblattes, alſo diejenigen Perſonen, denen er 
nach dem Urteilsinhalte die Urſchrift vorgelegt hatte, 
„zu täuſchen?. Dieſe — an ſich tatſächliche — An⸗ 
nahme erſcheint aber von Rechtsirrtum beeinflußt. Nach 
dem Zuſammenhange mit der auf die Beweiserheblich— 
keit der Bilanz bezüglichen, unmittelbar vorhergehenden 
Begründung muß die wiedergegebene Stelle offenbar 
dahin verſtanden werden, daß der Angeklagte nicht 


bezweckt habe, die Schriftleitung über die Richtigkeit 
des Bilanzinhalts zu täuſchen. Darauf kommt es aber 


für die Frage, ob er von der Bilanz als Urkunde zum 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


— Ä — 


Zwecke einer Täuſchung Gebrauch gemacht hat, nicht 
an. Entſcheidend war vielmehr in erſter Linie, ob er 
über die Echtheit der Urkunde täuſchen wollte. (Entſch. 
29, 357 [359]; 32, 56). Hierzu kann er durch ans 
dere Erwägungen tatſächlicher Art, als durch die 
Abſicht, über den Inhalt der Urkunde zu täuſchen, be- 
wogen worden ſein. So kann es genügen, daß er ſich 
vorſtellte, die Schriftleitung würde Bedenken tragen, 
die Bilanz abzudrucken und zu veröffentlichen, wenn 
ſie wüßte, daß die eine Unterſchrift gefälſcht ſei (Entſch. 
5, 438 [441 Abſ. 2] in Verbindung mit Entſch. 32, 56). 
Ob die Schriftleitung nachweisbar getäuſcht worden iſt, 
ob ſie ſich insbeſondere über Echtheit oder Unechtheit 
tatſächlich irgendwelche Vorſtellungen gebildet hat, 
darauf würde es hierbei nicht ankommen. Die Straf: 
kammer hat bei ihrer Sachbeurteilung erſichtlich unter 
dem Einfluß einer zu engen Auffaſſung von der Bes 
weiserheblichkeit der Bilanz als Urkunde geſtanden. 
Es braucht hier nicht zu der Frage Stellung genommen 
zu werden, ob, wie im Urteile geſchieht, dieſe Beweis- 
erheblichkeit ſchon damit allein begründet werden kann, 
„daß die Urſchrift der Bilanz als Ausweis über 
das Vermögen der Genoſſenſchaſt diene“. Die 
rechtliche Bedeutung der Bilanz liegt jedenfalls u. a. 
darin, daß fie zumal bei geſetzmäßig erfolgter Unter— 
zeichnung (8 17 Abſ. 2 GenG., 8 41 Abſ. 1 Satz 1 

GB., RGSt. 8, 424 [427]), beweiſen kann und be⸗ 
weiſt, der zu ihrer Aufſtellung Verpflichtete habe der 
ihm unter öffentlich-rechtlichen Geſichtspunkten auf— 
erlegten Pflicht Genüge geleiſtet die Bilanz zu ziehen 
und ſich und gegebenenfalls auch anderen in der ge— 
ſetzlich ſo vorgeſchriebenen Weiſe eine Ueberſicht 
über den in Betracht kommenden Vermögenszuſtand 
zu verſchaffen (vgl. 8 17 Abſ. 2 a. a. O., 8 244 in 
Verb. mit 85 239 —241 KO.). Mindeſtens in dieſem 
Sinne iſt fie zum Beweiſe von Rechten und Rechts- 
verhältniſſen erheblich (RG St. 24, 210 [214]; 32, 56; 
40, 78 [79 Abſ. 1 a. E.]). Die Strafkammer durfte 
ſich daher keinesfalls, wie fie getan, bei der Beur— 
teilung des Sachverhalts auf die Prüfung der Frage 
beſchränken, ob Grund zu der Annahme vorliege, daß 
der Angeklagte die Schriftleitung über die Richtigkeit 
des Bilanzinhalts habe täuſchen wollen. (Urt. 
des V. StS. vom 26. Mai 1911, 5 D 336/1911). E. 

2324 


IV. 


1. Urkundenfälſchung: ſteht der Annahme der rechts⸗ 
widrigen Abſicht der Umſtand entgegen, daß die Abſicht 
des Täters auf einen materiell nicht rechtswidrigen 
Erfolg gerichtet war? 


2. Betrug: liegt eine Vermögensbeſchädigung i. S. 
des § 263 StGB. vor, wenn ein Geldgeber für fein 
Darlehen die Sicherheit nicht erhält, die er durch die 
Verpfändung eines Sparlaſſenbuchs erhalten ſollte? 


Aus den Gründen: 1. Beide Reviſionen ſtützen 
ihre Angriffe in erſter Linie darauf, daß, wie das 
Urteil dahingeſtellt läßt, der Angeklagte W. nach dem 
für feine Ehe geltenden Güterſtande berechtigt geweſen 
ſei, über das Sparkaſſenguthaben feiner Ehefrau zu 
verfügen oder ſich doch dazu für berechtigt gehalten 
habe. Sie glauben daraus folgern zu konnen, daß 
er berechtigt geweſen ſei die von ihm mit dem Namen 
ſeiner Frau unterzeichnete Urkunde auszuſtellen, in— 
haltlich deren Dr. F. und L. ermächtigt wurden, das 
„Sparkaſſenbuch“ der Frau W. zu „beleihen“. Das 
iſt rechtsirrtumlich und beruht auf einer Verkennung 
des Weſens der Urkundenfälſchung. Denn das beſteht 
im Mißbrauch eines falſchen urkundlichen Beweis— 
mittels zur Führung eines urkundlichen Beweiſes im 
Rechtsleben unter Taͤuſchung über Echtheit oder Un— 
verfälſchtheit des Beweismittels, nicht aber in der 
Verletzung fremden materiellen Rechts. Nicht dieſes, 
ſondern die Beweiskraft der Urkunde ſoll durch die 


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— —— nn — 


gegen die Urkundenfälſchung gerichtete Strafdrohung 
geſchütt werden. Deshalb erfordert das zum Tat⸗— 
beſtand der Urkundenfälſchung gehörige Merkmal der 
rechtswidrigen Abſicht nicht den Willen einen materiell 
rechtswidrigen Erfolg herbeizuführen, ſondern den 
und nur den Willen die falſche Urkunde im rechtlichen 
Verkehr als Beweismittel zu benutzen, durch ihre Be⸗ 
weiskraft auf einen anderen einzuwirken. Im übrigen 
kommt es auf den mit der Fälſchung verfolgten Zweck 
nicht an, die Fälſchung bleibt auch dann ſtrafbar, 
wenn der Täter dadurch einen erlaubten Zweck er⸗ 
reichen wollte, weil ein Recht, durch das Mittel der 
Fälſchung dieſen Zweck zu erreichen, nicht beſteht, und 
wenn der Täter ſich darüber im Irrtum befunden hat, 
wenn er geglaubt hat, man dürfe falſche Urkunden 
gebrauchen um ein Recht auszuüben oder einen be⸗ 
rechtigten Zweck zu verfolgen, ſo iſt das ein Irrtum 
auf ſtrafrechtlichem Gebiete, der keine Berückſichtigung 
finden kann — RGStS. 17, 200; 21, 69; 23, 249; 35, 
117 (119); 37, 83 (87). Danach iſt es für die Frage, 
ob die Angeklagten ſich der Urkundenfälſchung ſchuldig 
gemacht haben, völlig gleichgültig, ob W. berechtigt 
geweſen iſt oder ſich für berechtigt gehalten hat das 
Sparkaſſenbuch ſeiner Frau zu verpfänden, da er auch 
dann nicht berechtigt geweſen wäre zum Zwecke der 
Verpfändung die Einwilligung ſeiner Frau zur Ver— 
pfändung falſch anzufertigen, dieſer Urkunde den Schein 
zu verleihen, als wäre ſie von ſeiner Frau ausgeſtellt, 
während ſie tatſächlich von ihm ausgeſtellt iſt. Das 
hat er getan, denn nach der Feſtſtellung der Straf— 
kammer hat er die Urkunde mit dem Namen ſeiner 
Frau unterſchrieben und von ſeiner Frau die Ge— 
nehmigung nicht gehabt für ſie die Urkunde zu unter— 
ſchreiben und hat auch ihr Einverſtändnis dazu nicht 
vorausſetzen können. 

2. Das LG. hält eine Vermögensbeſchädigung für 
gegeben, weil W. . . s das Darlehn nur gegen Sicher: 
heit habe hergeben wollen, in Wahrheit aber dieſe 
Sicherheit nicht erhalten habe, nämlich weil Frau W. 
nicht, wie der Angeklagte dem W. .. 8 vorgeſpiegelt 
hatte, in die Verpfändung ihrer Forderung einge— 
willigt hatte. Das iſt rechtsirrig. Eine Vermögens— 
beſchädigung i. S. des 8 263 StGB. liegt nur dann 
vor, wenn das Vermögen des Getäuſchten objektiv 
gemindert iſt, wenn ein dem Getäuſchten nachteiliger 
Unterſchied eingetreten iſt zwiſchen dem Geldwerte, 
den ſein Vermögen nach und infolge der durch die 
Täuſchung hervorgerufenen Verfügung tatſächlich hatte, 
und demjenigen Geldwerte, den es gehabt hätte, wenn 
die Täuſchungshandlung nicht vorgekommen wäre — 
RG St S. 16, 1 (3). Deshalb genügt es zur Annahme 
einer Vermögensbeſchädigung nicht, daß der Getäuſchte 
weniger erhält, als ihm verſprochen war — RG StS. 42, 
58 (bl). Mit der Feſtſtellung des LG., daß W. . . 8 
die Sicherheit nicht erhalten hat, die er erhalten wollte, 
iſt alſo das Tatbeſtandsmerkmal der Vermögens— 
beſchädigung nicht nachgewieſen, ganz abgeſehen davon, 
daß dieſe Feſtſtellung nicht bedenkenfrei iſt, weil das 
LG. die Frage offen gelaſſen hat, ob W. zur Ver— 
fügung üver die Sparkaſſeneinlage feiner Frau, alſo 
auch über das Sparkaſſenbuch, befugt war. Denn 
wäre dieſe Frage zu bejahen, fo hätte W. . . 8s die 
Sicherheit, die er haben wollte, auch erhalten. Ob 
das wirklich eine Sicherheit geweſen wäre, hat das 
LG. gleichfalls unerörtert gelaſſen. Ware die Ver— 
pfändung des Sparkaſſenbuchs, von dem allein in dem 
Urteil die Rede iſt, ſchlechthin unwirkſam geweſen, 
auch mit Einwilligung der Frau W. (RG. 68, 277 
(282), jo würde auch die Annahme des vom Geſetz 
geforderten urſächlichen Zuſammenhangs zwiſchen der 
Täuſchungshandlung der Angeklagten und der Be— 
ſchädigung des Vermögens des W. . . s Bedenken unter— 
liegen; denn die Vermögensbeſchädigung wäre, wenn 
ſie überhaupt eingetreten iſt, auch eingetreten, wenn 
die Urkunde, über deren Echtheit der Angeklagte den 


344 


W. . . s getäuſcht hat, echt geweſen wäre, der Ange⸗ 
klagte den W. .. 8 alſo nicht getäuſcht Hätte. (Urt. 
des I. StS. vom 8. Mai 1911, J D 271/1911). 
2343 
VI. 

Schwurgerichtl. e e für Preßvergehen in 
Bayern. Aus den Gründen: Nach Art. 35 AG. 
GVG. urteilen in Bayern die Schwurgerichte über die 
mittels eines Preßerzeugniſſes (8 2 Pre$®.) verübten 
Verbrechen und Vergehen. Die dem Angeklagten zur 
Laſt gelegten Vergehen des Betrugs ſind aber durch 
den Abſchluß von Verträgen mit den Geſchädigten 
verübt worden. Daß dabei auch Preßerzeugniſſe, 
nämlich die Anzeigen, welche die zu Schädigenden 
heranlocken und „den Betrug einleiten“ ſollten, mit 
in Betracht kommen, macht die Straftaten des An⸗ 
geklagten nicht zu ſolchen, die mittels eines Preß— 
erzeugniſſes verübt worden ſind. Vgl. die Urt. des 
erk. Senats D 546/08, 189/10, 122/10. Noch weniger 
iſt dies deshalb der Fall, weil die Verträge auf 
mechaniſch vervielfältigten Formularen verlautbart 
fein ſollen. Denn fie find keine „zur Verbreitung be— 
ſtimmten Vervielfältigungen“, alſo keine Preßerzeug— 
niſſe im Sinne des § 2 PreßG. und des Art. 35 AG. 


GVG. (Urt. des I. StS. vom 24. Mai 1911, ID 
439/1911). E. 
2335 


Oberſtes Landesgericht. 


A. Zivilſachen. 
I. 


.. Eine Auflaſſung, die mit dem Vertrag über Ber: 
änßerung von Grundſtücken an einen Güterhändler ver: 
bunden iſt, wird nicht dadurch wirkungslos, daß der 
Veräußerer von dem Vertrage nach Art. 5 des bayer. 
Güterzertr. zurücktritt. Der Kaufmann H. vertauſchte 
am 15. März 1911 in notarieller Urkunde das An— 
weſen Hs.⸗Nr. 50 in L. an die in allgemeiner Güter— 
gemeinſchaft lebenden Bauerseheleute Anton und Anna 
A. gegen deren Anweſen Hs.-Nr. 34 in F. Die Urkunde 
enthält auch die Auflaſſungserklärungen der beiden 
Vertragsteile und deren Eintragungsbewilligungen und 
Eintragungsanträge. Am 18. Marz reichte Anton A. 
bei dem Notariate die ſchriftliche Erklärung ein, daß 


er auf Grund des Art. 5 GüterzertrG. von dem Tauſch- 


vertrage zurücktrete. Am 20. März erſchienen H. und 
die Eheleute A. bei dem Notariate und ließen die „bei 
gleichzeitiger Anweſenheit“ abgegebenen Erklärungen 
beurkunden, daß Anna A. ſich der Rücktrittserklärung 
ihres Mannes nicht angeſchloſſen und Anton A. den 
Rücktritt infolge Beeinfluſſung von dritter Seite er— 
klärt habe; der Rücktritt ſolle als nicht erklärt ange— 
ſehen werden und keine Geltung haben, der Vertrag 
vom 15. März unverändert aufrecht erhalten bleiben. 
Das Grundbuchamt lehnte die Eintragung der Ehe— 
leute A. als Eigentümer des Anweſens Hs.-Nr. 50 in 
L. ab, weil der Tauſchvertrag unvollziehbar ſei. Durch 
die Rücktrittserklärung des Anton A. feier als Grund— 
geſchäſt aufgelöſt worden; damit ſeien die geſetzlichen 
Rückgewährungsanſprüche in Kraft und an die Stelle 
der Anſprüche aus dem Tauſchvertrage getreten, wozu 
insbeſondere der Anſpruch auf die Eintragung der 
Rechtsänderung in das Grundbuch gehöre. Die Er— 
klaͤrung vom 20. März ſei unbehelflich. Durch den 
Rücktritt werde der Vertrag mit rückwirkender Kraft 
aufgehoben. Es ſei daher nicht eine Wiederherſtellung, 
ſondern nur eine Wiederholung des Vertrags möglich. 
Auf die Beſchwerde des H. hob das LG. die Verfügung 
des Grundbuchamts auf und wies es an, die Urkunde 
zu vollziehen, ſoferne nicht ein anderes als das in 
der angeſochtenen Verfugung angeführte Hindernis 
entgegenſtehe. Das Gericht ging von der Auffaſſung 


— Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1 


u. 17. 


aus, daß nach 8 356 BGB., wenn bei einem Vertrag 
auf einer Seite mehrere beteiligt ſeien, das Rücktritts⸗ 
recht nur von allen ausgeübt werden könne und daher 
die von Anton A. einſeitig abgegebene Rücktrittserklä⸗ 
rung wirkungslos ſei, da die Eheleute A. in allge⸗ 
meiner Gütergemeinſchaft lebten. Die weitere Beſchwerde 
der Eheleute A. wies das ObL G. als unbegründet zurück. 

Gründe: Ob der Annahme des LG., daß die 
Rücktrittserklärung des Anton A. nach 8 1445 BGB. 
der Einwilligung der Frau bedurfte, beizuſtimmen 
wäre, kann dahingeſtellt bleiben. Ebenſo braucht nicht 
erörtert zu werden, ob nicht der Grund buchrichter bei 
der Auslegung der Urkunde vom 20. März, die offen⸗ 
ſichtlich nur zu dem Zwecke aufgenommen wurde um 
den Vertrag vom 15. März aufrecht zu erhalten, gegen 
die Vorſchrift des $ 133 a. a. O. verſtoßen hat. Der 
ſchuldrechtliche Vertrag, der der einzutragenden Rechts- 
änderung zugrunde liegt, iſt, von hier nicht gegebenen 
Ausnahmen abgeſehen, der Prüfung des Grundbuch— 
richters entzogen (Ob G. n. S. 9, 524 und die dortigen 
Zitate). Dieſe hat nur den Eintragungsantrag und 
die Eintragungsbewilligung nebſt deren Unterlagen 
und im Falle der Auflaſſung auch dieſe zum Gegen— 
ſtande. Rechtsirrig iſt die Anſicht des Grundbuch— 
richters, daß die in der Urkunde vom 15. März er⸗ 
klärte Auflaſſung durch den Rücktritt in ihrer Wirk— 
ſamkeit mitbetroffen wird und daß zur Wiederher— 
ſtellung des durch den Rücktritt aufgehobenen Rechts- 
zuſtandes eine neue Auflaſſung erforderlich iſt. Der 
Rücktritt beſeitigt nur den ſchuldrechtlichen Vertrag 
und das durch ihn geſchaffene Schuldverhältnis. Die 
auf grund des ſchuldrechtlichen Vertrags erfolgten Lei— 
ſtungen werden durch den Rücktritt nicht mit ding— 
licher Wirkung hinfällig, ſondern können nur nach 
85 346 ff. BGB. rückgängig gemacht werden. Die Auf: 
laſſung bildet nicht ein einen Anſpruch erzeugendes 
Verpflichtungsgeſchäft, ſondern ein eine Leiſtung — 
Erfüllung — darſtellendes, von dem den Anſpruch auf 
Uebertragung des Eigentums begründenden ſchuldrecht— 
lichen Vertrage losgelöſtes Verfügungsgeſchäft (Güthe, 
GBO. [2.] § 19 Anm. 13, Goldmann und Lilienthal, BGB. 
2. 184 ff.). Sie wird daher durch den Rücktritt in ihrer 
Wirkſamkeit nicht unmittelbar betroffen. Durch Ver— 
trag oder durch ein ihn erfekendes rechtskräftiges Ur— 
teil kann ſie rückgängig gemacht werden; ein Fall dieſer 
Art iſt aber hier nicht gegeben. Dagegen könnte die 
Frage aufgeworfen werden, ob nicht durch die Nück— 
trittserklärung, ſei es ausdrücklich oder ſtillſchweigend, 


die von den Eheleuten A. erteilte Eintragungsbewil— 


ligung, ſolange ſie noch nicht dem Grundbuchamte zu— 
gegangen oder dem anderen Teile ausgehändigt und 
damit bindend war (Güthe a. a. O. 8 19 Anm. 79 ff.; 
Goldmann und Lilienthal a. a. O. 2. 135 Abſ. 2), wider: 
rufen und der von den Eheleuten A. geſtellte Ein— 
tragungsantrag zurückgenommen wurde. Auf dieſe 
Frage hat es aber mit Rückſicht auf den Vertragsnach— 
trag vom 20. März nicht mehr anzukommen; denn die 
Eheleute A. haben darin ausdrücklich erklärt, daß ſie 
den Vertrag vom 15. März im vollen Umfang, alſo 
auch in Anſehung der von ihnen ausgeſtellten Ein— 
tragungsbewilligung und des von ihnen geſtellten Ein- 
tragungsantrags aufrecht erhalten wiſſen wollen. Dem— 
nach kann auch in dieſer Richtung von dem Geſichts⸗ 
punkte des Rücktritts aus ein Vollzugshindernis nicht 
gefunden werden. Die Entſcheidung des LG. iſt da— 
her, wenn auch aus anderen Gründen, gerechtfertigt. 
(Beſchl. des J. ZS. vom 9. Juni 1911, Reg. II, an 
2321 . 


II. 


Gebühren im Falle der Abtretung der Rechte ans 
dem Meiſtgedot (nach dem GebG. in der Faſſung dom 
28. April 1907). In dem Zwangsverſteigerungsver— 
fahren E. gegen S. blieb in dem Verſteigerungstermin 
vom 15. April 1909 der Kaufmann K. mit 17000 M 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


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Meiſtbietender. Er beantragte den Zuſchlag auf acht 
Tage zu vertagen. In dem zur Verkündung der 
Entſcheidung über den Zuſchlag beſtimmten Termine 
vom 22. April 1909 trat zunächſt der Anſteigerer das 
Recht aus dem Meiſtgebot an die Firma O. ab, 
deren Vertreter die Abtretung annahm und ſich namens 
ſeiner Vollmachtgeberin verpflichtete, die Verbindlich⸗ 
keiten aus dem Meiſtgebot als Geſamtſchuldner neben 
dem Meiſtbietenden zu erfüllen. Daraufhin erteilte 
der Notar ihr den Zuſchlag. Nach einer weiteren zu 
dieſer Urkunde getroffenen Feſtſtellung hat noch vor 
der Verkündung des Zuſchlagsbeſchluſſes der Meiſt⸗ 
bietende unter Uebergabe einer notariell beglaubigten 
Vollmacht der Firma O. vom 13. April 1909 erklärt, 
daß er ſchon im Verſteigerungstermin — wenngleich in 
eigenem Namen — für ſeine Vollmachtgeberin geboten 
habe, daß ſein Gebot als für dieſe Firma erfolgt gelten 
ſolle und daß er auf Grund dieſer ſeiner Erklärung 
den Zuſchlag für O. verlange. Dem iſt beigefügt, daß 
der Zuschlags beſchluß auch noch auf Grund dieſer Er⸗ 
klärungen des Meiſtbietenden erfolge. Die Urkunde 
vom 15. April iſt als „Zwangsverſteigerung“, die 
Urkunde vom 22. April als „Fortſetzung, Beſchluß“ 
betitelt. Der Notar bewertete die Urkunden nach 
Art. 10 und 146 Geb. in der Faſſung vom 28. April 
1907) mit einer Staatsgebühr von 340 M. Die Re⸗ 
gierung, K. der F., ordnete die Nachholung einer 
Gebühr von 51 M (3% aus 17000 M nach Art. 145) 
für die Abtretung der Rechte aus dem Meiſtgebot an. 
Das LG. wies die Beſchwerde hiergegen als unbe— 
gründet zurück. Auf die weitere Beſchwerde der Firma 
O. hob das Obè G. den Veſchluß des LG. auf und er⸗ 
klärte mit nachſtehender Begründung die Gebühren⸗ 
n für ungerechtfertigt. 

Das LG. hat mit Recht für die Entſcheidung 
den Art 14 Abſ. 2 GebG. in der Faſſung vom 28. April 
1907 für ausſchlaggebend erachtet. Danach find die 
im Verfahren vor dem Verſteigerungsbeamten beur— 
kundeten Vereinbarungen und Erklärungen, ſoweit ihr 
Inhalt über den Gegenſtand und den Zweck des Ver— 
fahrens hinausgeht, nach den Beſtimmungen des Geb. 
über die Gebühren für Urkunden der Notare zu be— 
werten. Daraus folgt, daß ſolche Erklärungen, ſoweit 
ſie inhaltlich über den Gegenſtand oder den Zweck des 
Verfahrens nicht hinausgehen, den für die Zwangs— 
verſteigerung und Zwangsverwaltung geltenden ge— 
bührenrechtlichen Beſtimmungen unterliegen. Weder 
der I. Abſchnitt der II. Abteilung (Gebühren in Zwangs— 
vollſtreckungsſachen), noch der III. Abſchnitt der IV. Abs 
teilung des Geſetzes (Gebühren für die Verhandlungen 
der Notare), enthält eine Sonderbeſtimmung für die 
Bewertung der Abtretung der Rechte aus dem Meiſt— 
gebote. Daraus folgt, daß bei einer Bewertung nach 
den Vorſchriften über die Urkunden der Notare die 
für die Bewertung der Verträge geltende allgemeine 
Beſtimmung des Art. 145 anzuwenden iſt und daß 
andernfalls die Beurkundung gebührenfrei bleibt. 

b) Gleichgültig iſt zunächſt, wie die Urkunde be— 
zeichnet wurde und ob die beurkundete Vereinbarung 
notwendig war oder nicht. Es iſt deshalb belanglos, 
daß die Urkunde vom 22. April 1909 als Fortſetzung 
(des Verſteigerungsprotokolls) und als Beſchluß (über 
die Erteilung des Zuſchlags) bezeichnet wurde; eben— 
ſowenig kommt in Betracht, daß die Urkunde auch 
die Erklärung mit dem hierzu erforderlichen Nachweiſe 
nach § 81 Abſ. 3 3G. enthält, fo daß die Erklärungen 
nach dem $ 81 Abſ. 2 daſelbſt überhaupt nicht not— 
wendig waren. 

c) Das LG. ſtellt zunächſt die Frage richtig 
dahin, ob die Abtretungserklärung über den Gegen— 
ſtand (zu ergänzen; oder über den Zweck) des Ver— 
fahrens hinausgeht, ſucht aber die zutreffende Antwort 
dadurch zu gewinnen, daß es nicht etwa den Gegen— 
ſtand und den Zweck des Verfahrens vor dem 
Verſteigerungsbeamten erörtert, ſondern ſeine 


345 


Würdigung auf den Gegenſtand und den Zweck des 
Termins, in dem die Erklärungen jeweils abge— 
geben werden, beſchränkt. So gelangt es zu der Unter⸗ 
ſcheidung zwiſchen den Erklärungen im Verſteigerungs⸗ 
termine, der nach dem 8 81 Abſ. 2 ZIG. auch für 
die Abgabe ſolcher Erklärungen beſtimmt iſt und 
zwiſchen den Erklärungen in dem geſonderten Ver⸗ 
fündigungstermine, der nach der Anſicht des LG. 
lediglich der Verkündung des Beſchluſſes dient, durch 
den der Zuſchlag erteilt oder verſagt wird. Zu— 
nächſt hat das LG. den Zweck des Verkündigungs⸗ 
termins zu eng aufgeſaßt, wie dies ſchon aus dem 
3. Abſatze des 8 87 hervorgeht; ſodann aber — und 
dies iſt das Weſentliche — durfte das Gericht den 
in einem Satze zweimal enthaltenen Ausdruck „Ver⸗ 
fahren“ nicht verſchieden auslegen; der zweite kürzere 
Ausdruck verweiſt auf die erſtgebrauchte genauere Aus⸗ 
drucksweiſe; maßgebend iſt, wie ſchon aus dem Be⸗ 
griffe „Verfahren“ überhaupt hervorgeht, nicht der 
Gegenſtand und Zweck des einzelnen Termins, des 
einzelnen Verfahrens abſchnitts, ſondern der Gegen: 
ſtand und Zweck des Verfahrens vor dem Ver⸗ 
ſte ige rungsbeamten. 

e) Gegenſtand dieſes Verfahrens iſt in engerem 
Sinne das beſchlagnahmte Anweſen nebſt den weiteren 
Gegenſtänden, welche die Beſchlagnahme nach den 
SS 20 und 21 ZVG. umfaßt; im weiteren Sinne kommen 
auch die am beſchlagnahmten Anweſen beſtehenden 
dinglichen Rechte, die zu übernehmenden und die zum 
Erlöſchen beſtimmten, hinzu. Eine noch weiter gehende 
Auslegung kann auch die Forderung, für welche die 
Beſchlagnahme erwirkt wurde, hierunter begreifen. Es 
iſt nicht nötig, eine Stellung hierzu zu nehmen, da die 
Erklärungen, um die es ſich hier handelt, inhaltlich 
über den Gegenſtand des Verfahrens im engſten Sinne 
2 hinausgehen. 

) Der Zweck des Verfahrens iſt die Sue 
der 1 (Art. 25 Abſ. 1 AG. GBO. u. 3BG.), 
wozu auch die 5 über gr Zuſchlag gehört 
(Art. 25 Abſ. 2 a. a. O.). Aus den 85 56, 90, 107 
Abi. 2 3G. erhellt, daß nach der Anſicht des Geſetz⸗ 
gebers der Zuſchlag dem erteilt werden ſoll, der nach 
dem Ergebniſſe der Verſteigerung in die dinglichen 
Beziehungen zum verſteigerten Grundſtücke treten ſoll 
und aus deſſen Mitteln die zur Verteilung beſtimmte 
Maſſe zu leiſten iſt. Dies iſt in den Fällen, daß eine 
vorgeſchobene Perſon das Meiſtgebot legte oder ein 
ohne Vertretungsmacht Handelnder zur Vermeidung 
der Zurückweiſung ſeines Gebots in eigenem Namen 
bot, derjenige, für den der Meiſtbietende handeln wollte, 
wenn er den Meiſtbietenden dazu ermächtigt hatte 
oder nachträglich ſeine Genehmigung erteilt. Die Er— 
klärungen, welche bewirken ſollen, daß in einem ſolchen 
Falle der Zuſchlag nicht dem ohne Abſicht des Er— 
werbes für ſich handelnden Meiſtbietenden, ſondern 
dem erteilt wird, der das Grundſtück erſtehen will, 
bleiben im Rahmen des Zweckes des Verfahrens. Hierbei 
macht es keinen Unterſchied, welchen der beiden vom 
Geſetze offen gelaſſenen Wege die Beteiligten wählen, 
ob ſie nach dem 8 81 Abſ. 3 ZVG. die Rückwirkung 
herſtellen oder ein neues Rechtsgeſchäft ſchließen, durch 
das die Rechte und Pflichten aus dem Meiſtgebot auf 
den übertragen werden, für den der Meiſtbietende 
handelte (8 81 Abſ. 2 a. a. O.). Daß ein Rechtsgeſchäft 
der letzteren Art auch anderen Zwecken dienen kann, 
insbeſondere bei einer Veräußerung der Rechte aus 
dem vom Meiſtbietenden in eigener Sache für ſich ge— 
legten Meiſtgebote den Rechtsübergang vermittelt, tut 
nichts zur Sache; in einem ſolchen Falle gehen die 
Erklärungen, für deren Inhalt nicht ausſchließlich der 
Wortlaut, ſondern auch der hierin zum Ausdruck ge— 
brachte Wille der Parteien maßgebend iſt, über den 
Zweck des Verfahrens hinaus und ſind geſondert zu 
bewerten. Eine ſolche Auslegung des Art. 14 des Ge— 
ſetzes in ſeiner alten Faſſung trägt den tatſächlichen 


346 


Verhältniſſen und damit auch der Billigkeit Rechnung. 
Im Falle des Vorgehens nach 8 81 Abſ. 2 3G. 
müſſen alſo zur Löſung der Gebührenfrage die zugrunde⸗ 
liegenden Verhältniſſe aufgeklärt werden. Ueber⸗ 
wiegende Gründe ſprechen dafür, den Art 14 im Ver⸗ 
hälnis zu den übrigen Beſtimmungen des J. Abſchnitts 
der II. Abteilung des Geb®. als Ausnahmevorſchrft 
zu erachten und daher der Finanzbehörde die Beweis— 
laſt zu überbürden, um ſo mehr als ſie es iſt, die 
einen Anſpruch erhebt. Allein dies kann hier dahin- 
geſtellt bleiben, da die Beſchwerdeführerin den Nach» 
weis erbracht hat, daß der Meiſtbietende für ſie zufolge 
der ihm erteilten Vollmacht handeln wollte. Die Ab- 
tretung der Rechte aus dem Meiſtgebot iſt alſo in— 
haltlich auch nicht über den Zweck des Verfahrens 
hinausgegangen; ihre geſonderte Gebührenbewertung 
iſt daher untunlich; die dagegen eingelegten Be— 
ſchwerden ſind begründet. Die Gebührengeſetznovelle 
vom Jahre 1910 kann hier nur inſoferne als Aus— 
legungsbehelf herangezogen werden, als aus der den 
neuen Vorſchriften angewieſenen Stelle (Abſ. 3 und 4 
des Art. 14) hervorgeht, daß auch bisher der Art. 14 
anzuwenden war. Im übrigen aber wurden dieſe Er— 
klärungen nunmehr völlig anders gebührenrechtlich ge— 
regelt, die Gebührenfreiheit und die Bewertung nach 
dem Art. 145 GebG. fällt weg und ebenſo die Unter⸗ 
ſcheidung, ob ſie über den Gegenſtand oder Zweck des 
Verfahrens hinausgehen oder nicht; es wird je nach 
dem Zeitpunkte der Abgabe der Erklärungen eine un— 
mwiderlegbare Vermutung nach der einen oder anderen 
Richtung hin aufgeſtellt; außerdem wird eine beſtimmte 
Klaſſe Meiſtbietender begünſtigt, ſo daß alſo nunmehr 
der Zeitpunkt der Erklärungen oder die Perſon des 
Meiſtbietenden den Ausſchlag gibt. (Beſchl. des II. or 
vom 17. Mai 1911, Reg. V 21/19). 


2322 


B. Strafſachen. 
J. 


Wahr ſagen gegen Lohn iſt ohne Rückſicht anf die 
angewandten Mittel als Gaukelei zu beſtraſen. Witre: 
logie, Stellung des Horoſkopes. Die Angeklagte gibt 
ſeit April 1910 Unterricht in der Aſtrologie. Sie hat 
wiederholt verſchiedenen Kursteilnehmern und anderen 
Perſonen das Horoſkop geſtellt. Sie ließ ſich Zeit, 
Stunde und Ort der Geburt angeben, ſtellte alsdann 
an der Hand dieſer Angaben nach mathematiſchen 
Regeln Berechnungen an und weisſagte auf Grund 
der Ergebniſſe ihrer Berechnungen und der auf ſolche 
Ergebniſſe ſich beziehenden Ausſprüche in den ſog. 
Regelbüchern den Leuten die Zukunft. Für ihre Be— 
muhungen verlangte und erhielt die Angeklagte 10 .M 
und mehr je nach der Schwierigkeit des Falles. Vom 
Schöffengerichte freigeſprochen wurde die Angeklagte 
von der Strafkammer wegen Gaukelei nach Art. 54 

StGB. verurteilt. Die Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Nach Art. 54 PStGB. 
wird beſtraft, wer gegen Lohn oder zur Erreichung 
eines ſonſtigen Vorteils ſich mit angeblichen Zaubereien 
oder Geiſterbeſchwörungen, mit Wahrſagen, Karten— 
ſchlagen, Schatzgraben, Zeichen- und Traumdeuten oder 
anderen dergleichen Gaukeleien abgibt Unter Wahr— 
ſagen wird nach dem allgemeinen Sprachgebrauche 
verſtanden, „die Zukunft voraus verkünden“; dieſes 


Wort hat auch in dem Geſetze keine andere Bedeutung. 


Das Geſetz macht keinen Unterſchied, ob zur Ver— 
kündung der Zukunft mathematiſche Berechnungen 


angeſtellt werden, ob die Zukunft und das Schidial | 


der Menſchen aus der Stellung der Sterne vorher— 
geſagt wird, oder ob aus den Linien der Hand — 
auch in ſolchen Fällen berufen ſich die Wahrſager 
darauf, daß nach den Erfahrungen daraus die zu— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


künftigen Schickſale der Menſchen vorhergeſagt werden 
können — oder ſonſtwie prophezeit wird. Das Geſetz 
ſteht mit der heutigen Wiſſenſchaft auf dem Stand- 
punkte, daß es keine Kunſt gibt die Zukunft vorher⸗ 
zuſagen und daß das Vorherſagen, ſei es mit welchen 
Mitteln immer, eine Täuſchung iſt. Das Geſetz be= 
droht den mit Strafe, der ſich gegen Lohn oder zur 
Erreichung eines ſonſtigen Vorteils mit Wahrſagen 
abgibt. Eine bewußte Täuſchung iſt nicht Merkmal 
des Tatbeſtandes des Art. 54 P StGB.; es kommt 
nicht darauf an, ob der Wahrſager ſelbſt glaubt, 
durch ſeine Kunſt die Zukunft vorherſagen zu können 
oder nicht. Dies wurde bei der Beratung des Art. 94 
P StGB. von 1861, des nunmehrigen Art. 54 PStG B. 
von 1871, von dem Referenten ohne Widerſpruch da⸗ 
hin ausgedrückt, daß dieſe Uebertretung auch bei aber— 
gläubiſchen und ſelbſtbetörten Perſonen vorkomme, 
und es wird auch von der Rechtſprechung der Art. 54 
in dieſem Sinne ausgelegt (OLG. München Bd. VII 
S. 298). (Urt. vom 6. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 198/11). 
2299 Ed. 


II. 


Der Karfreitag iſt in Bayern, insbeſendere an 
Orten mit e emiſchter Bevölkerung, kein 
allgemeiner i im inne des 8 43 Abſ. 2 StPO. 
(vgl. ſpeziell für München den Beſchluß des Straf: 
ſenats vom 6. Mai 1905, Beſchw.⸗Reg. Nr. 319/1905, 
für Aſchaffenburg Erk. d. VGH. in deſſen Sammlung 
Bd. 31 S. 147). Für Weiden hat das Reichsgericht 
im Jahre 1900 (RGSt. Bd. 33 S. 438) die Eigen⸗ 
ſchaft als konfeſſionell gemiſchten Ort angenommen, 
und das Hauptmerkmal eines ſolchen, das ſtatiſtiſche, 
trifft auch heute noch zu, wenn auch ein am angeführten 
Ort weiter angegebenes, mehr nebenſächliches Kriterium, 
das Vorhandenſein einer Simultankirche, ſeither weg— 
gefallen iſt. Hiernach kann für Weiden die Friſtver— 
längerung des 8 43 StPO. nicht in Anſpruch ge— 
nommen werden. (Beſchl. vom 3. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 
209/11). Ed. 

2300 


Oberlandesgericht München. 


Erfüllungsort für Gehaltsforderungen. Nach 8 269 
BGB. entſcheidet beim Mangel einer ausdrücklichen 
Abmachung über den Erfüllungsort zunächſt die Natur 
der ſtreitigen Verpflichtung. Bei Dienſt- und Arbeits- 
verhältniſſen aber entſpricht es der Natur der Sache, 
daß der Lohn da gezahlt wird, wo die Arbeit geleiſtet 
wird (OLGR. Bd. 21 S. 66; Staudinger BGB. Bem. 2 
zu § 269). Dies gilt nicht nur bei niederen Dienſt— 
leiſtungen (3. B. Bauhandwerkern), ſondern erſt recht 
bei höher bezahlten leitenden langfriſtigen Stellungen. 
Meiſt wird ja in ſolchen Fällen am Arbeitsorte auch 
eine gewerbliche Niederlaſſung des Prinzipals beſtehen 
(vgl. 88 21, 29 3 O.); notwendig iſt dies aber nicht, 
um den natürlichen Erfüllungsort zu begründen. Hier 
ſpricht die Natur der Sache umſomehr für M. als 
Erfüllungsort, als bei der Anſtellung die Gründung 
einer ſelbſtändigen Vertriebsgeſellſchaft („Kommandit— 
geſellſchaft“ wird fie mehrfach genannt) geplant war 
und die Anſtellung gerade im Hinblick auf dieſe 
Gründung einer zweifellos in M. zu errichtenden 
Geſellſchaft geſchah. Es iſt nicht anzunehmen, daß der 
Kläger, wäre über den Erfüllungsort bei der Anſtellung 
ausdrücklich geſprochen worden, ſich an die weitent— 
legenen Wohnſitze der drei Gegenkontrahenten hätte 
verweilen laſſen, zumal der Hauptbeteiligte an den 
Verhandlungen und Vollmachtträger der ubrigen zur 
Zeit des Vertragsabſchluſſes einen Wohnſitz außerhalb 
N. überhaupt nicht gehabt zu haben ſcheint, anderer— 
ſeits aber damals ſchon als Geſchaͤftsführer einer 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


347 


— — ů .g(9—ñ—— — —— ömʒ—aH—́— — 4 N[——lm.. ———2— — ' ꝛ ̃ ́ ͤ ͤjꝗ ͤ j— — 3333 
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biefigen G. m. b. H., in deren Räumen der Kläger 
arbeitet, tätig war und häufigen längeren Hotelauf⸗ 
enthalt hier nahm, ſo daß der Regiſterauszug ihn ſchlecht⸗ 
hin als „in M.“ bezeichnet. Die Sachlage iſt hier ähnlich, 
wie bei den Verträgen, die vor mehreren Jahren hier 
für eine künftige G. m. b. H. „Kriegsſchauſpiele“ ge⸗ 
ſchloſſen wurden, die niemals rechtlich entſtand; damals 
wurde ebenfalls für die perſönliche Haftungsklage 
gegen die auswärts wohnenden Gründer M. als Er⸗ 
füllungsort angenommen (vgl. auch Seuff. Arch. Bd. 55 
Nr. 104). Daß die Anſtellung nach der Behauptung 
des Klägers nicht bis zur wirklichen Gründung der 
Vertriebsgeſellſchaft aufgeſchoben, ſondern ſofort wirk⸗ 
ſam war, ſpricht nicht gegen M. als Erfüllungsort, 
ſondern dafür. Denn es iſt nicht anzunehmen, daß 
man für die vermeintlich kurze Zeit bis zur wirklichen 
Geſellſchaftsgründung einen anderen Erfüllungsort 
beſtimmen wollte als nachher. Endlich kommt auch 
für M. als Erfüllungsort in Betracht, daß bei 
normalem Geſchäftsbetriebe die Gehälter aus den 
Betriebseinnahmen entnommen zu werden pflegen 
und die Kaſſe begriffsmäßig hier und zwar vom 
Kläger ſelbſt geführt werden ſollte und geführt worden 
iſt; noch ſelbſtverſtändlicher iſt dies bei der Umſatz⸗ 
tantieme. Daß ein Geſchäft mit einem Direktor zu 
5000 M Jahresgehalt an der Spitze nicht einmal 
ſeine eigenen Speſen deckt, kann nicht wohl im 
voraus als Vertragsgrundlage angeſehen werden. 
(Urt. vom 20. Januar 1911, L 910/10.) N. 

2314 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Erzwinaung vollſtändiger Anskunſtserteilung als 
einer vom Willen des Schuldners ane ſchließlich abhängi⸗ 
gen Handlung gemäß § 888 ZPO. Der Kläger behaup⸗ 
tete, daß der zur Auskunftserteilung über die Höhe 
eines Geſellſchaſtsgewinnes und zur Vorlegung der 
Belege verurteilte Beklagte dieſer Verpflichtung nicht 
nachgekommen ſei, weil er die ihm von ſeinem Mit⸗ 
geſellſchafter ausgehändigten Belege nicht vollfiändig 
vorgelegt habe. Er beantragte nach $ 888 ZPO. den 
Beklagten zur Erfüllung der Verpflichtung durch eine 
Geldſtrafe anzuhalten. Das LG. wies den Antrag als 
unbegründet ab. Das OLG. hob auf und verwies die 
Sache zurück. 

Gründe: Das LG. hat den Antrag abgewieſen, 
weil es annahm, daß 8 888 ZPO. hier keine Anwen- 
dung finden könne, weil nicht der Beklagte ſondern 
deſſen Mitgeſellſchafter mit der Führung der Bücher 
betraut geweſen ſei und deshalb nur dieſer im Beſitze 
der urkundlichen Unterlagen für die Gewinnberechnung 
ſei und alſo auch nur allein oder zuſammen mit dem 
Beklagten die Rechnung ſtellen könne; es ſtehe hier⸗ 
nach keine ausſchließlich vom Willen des Schuldners 
abhängige Handlung in Frage. Dieſe Annahme be= 
ruht auf einer Verkennung des Vorbringens des Klä— 
gers, das eben gerade dahin geht, daß der Beklagte, 
wenn er nur ernſtlich wolle, die erforderliche Aus— 
kunft erteilen und ausreichend belegen könne und daß 
er die ihm von ſeinem Mitgeſellſchafter ausgehändigten 
Belege dem Kläger nicht vollſtändig vorgelegt habe, 
alſo eine nur von ſeinem Willen abhängige Handlung 
vorzunehmen ſich weigere, um dadurch die Feſtſtellung 
der wahren Höhe ſeines Gewinnanteils zu verhindern. 
Die Erhebung des hierüber angetretenen Beweiſes iſt 
von Bedeutung für die Frage, ob hier eine Handlung 
i. S. von $ 888 ZPO. in Frage ſteht, und die Beweis— 
erhebung iſt nicht etwa deswegen überflüſſig, weil ſich 
der Mitgeſellſchafter des Beklagten im Beſitze der zu 
einer Rechnungsſtellung erforderlichen Bücher und Be— 
lege befindet Nicht Rechnungsſtellung iſt dem Be— 
klagten zur Pflicht gemacht, ſondern nur Auskunfts- 


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| 


erteilung und Vorlegung der Urkunden und Belege, 
denen ſein Gewinn zuverläſſig zu entnehmen iſt. Die 
Auskunftspflicht des Beklagten bringt es aber von 
ſelbſt mit ſich, daß er auch die zur Leiſtung erforder⸗ 
lichen Mittel (Bücher, Belege) herbeiſchafft, ſoweit dies 
in ſeiner Macht liegt und er nicht durch äußere reale 
Umſtände, z. B. durch die begründete Verweigerung 
oder die Unmöglichkeit der notwendigen Mitwirkung 
Dritter hieran gehindert iſt (vgl. Gruchot, Bd. 27 
S. 1126). Daß ein ſolches Hindernis nicht beſteht, will 
der Kläger durch die von ihm vorgeſchlagenen Zeugen 
beweiſen. Vor der Erhebung dieſes Beweiſes kann 
deshalb auch nicht mit Sicherheit geſagt werden, daß 
eine Handlung in Frage ſtehe, die nicht ausſchließlich 
von dem Willen des Schuldners abhänge. Darüber, 
daß die Auskunfterteilung ſowohl wie die Rechnung⸗ 
ſtellung in der Regel unter die Handlungen fallen, die 
durch einen Dritten nicht vorgenommen werden können, 
beſteht aber nirgends ein Streit (vgl. JW. 1888, S. 136° 
und 1904 S. 416“; Seuffert, ZPO. 11. Aufl. 8 887 
Note 2a und 8888 Note 1, Gaupp⸗Stein, ZPO. 8. /9. Aufl. 
8 887 II, 2 und 3). (Beſchluß des I. ZS. vom 19. Juni 
1911, BeſchwR. 92/11.) G. . . . n. 
2317 


Landgericht Schweinfurt. 


Rechtliche Bedeutung der Einbringung eines Auto⸗ 
mobils in eine Garage, die ſich nicht in einem Hotel 
befindet. Es kommt auf die Umſtände des Einzelfalles 
an, ob bei der Unterbringung eines Automobils in 
einer Garage ein Mietvertrag oder ein Verwahrungs⸗ 
vertrag vorliegt. Hier war es dem Kläger offenſichtlich 
darum zu tun der Beklagten ſein Automobil zur Ver⸗ 
wahrung zu übergeben; es wurde von der Beklagten. 
die durch ihren Garagenwärter K. vertreten war, zur 
Aufbewahrung übernommen. Selbſt wenn der Kläger 
eine beſtimmte Abteilung der Garage (Box) ausge⸗ 
wählt hätte, in der das Automobil untergebracht 
werden ſollte, würde dies an der Natur des Vertrags 
als Verwahrungsvertrag nichts ändern (vgl. Mittel⸗ 
ſtein, Die Miete, 2. Aufl., 8 9 Ziff. 1), ebenſowenig 
der Umſtand, daß allenfalls K. den Kläger fragte, ob 
er nicht den Schlüſſel mitnehmen wolle, und daß die 
Vergütung nicht nach dem Wert des Automobils, 
ſondern ausſchließlich nach der Zeit der Unterbringung 
des Automobils berechnet wurde. Der Verwahrungs— 
vertrag erſtreckt ſich auch auf die bei dem Automobil 
zurückgelaſſenen Sachen, alſo auch auf den Ueberzieher 
des Klägers. Liegt aber ein Verwahrungsvertrag vor 
(BGB. 85 6888 ff.), fo haftet die Beklagte, da die Auf— 
bewahrung gegen Entgelt erfolgte, nach BGB. 8 276 
für Vorſatz und Fahrläſſigkeit und hat dabei ein et⸗ 
waiges Verſchulden ihres Garagenwärters in gleichem 
Umfange zu vertreten wie eigenes Verſchulden (BGB. 
8 278). (Urt. vom 10. März 1911, F 148/10). 


2207 


A 


Literatur. 


Degen, N., Kgl. Landgerichtsrat, und Dr. O. Klimmer, 
Kgl. Amtsrichter, im Bayer. Juſtizminiſterium, Die 
Strafvollſtreckung in den bayeriſchen 
Gerichtsgefängniſſen und Strafanſtalten. 
8°. VIII, 379 S. München 1911, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Gebd. Mk. 8.80. 

Eine reichsgeſetzliche Regelung des Strafvollzuges 
durch ein Strafvollzugsgeſetz, das gleichzeitig mit dem 
neuen Strafgeſetzbuch ins Leben treten ſoll, iſt eine 
von der Wiſſenſchaft und von den Praktikern einmütig 


348 


erhobene Forderung. Ob und wann dieſe Forderung 
erfüllt wird, iſt ungewiß. Der Bundesratsbeſchluß 
vom 28. Oktober 1897 über die Grundſätze, die bei 
dem Vollzug gerichtlich erkannter Freiheitsſtrafen 
bis zu weiterer gemeinſamer Regelung in Anwendung 
zu kommen haben, bildet eine einſtweilige Grundlage, 
ni der die Bundesſtaaten ihr Strafvollzugsrecht aus⸗ 
und fortbilden konnten. Das Bedürfnis nach einer 
Umgeſtaltung war zu dringend, als daß ſie aufs Un⸗ 
gewiſſe hätte verſchoben werden können. 

In Bayern trat mit dem 1. Oktober 1907 die 
neue Hausordnung für die Strafanſtalten in Kraft, 
durch welche die früheren in manchen Teilen veralteten 
Hausordnungen für die Zuchthäuſer, die Gefangen⸗ 
anſtalten und das Zellengefängnis Nürnberg beſeitigt 
wurden. Eine die Hausordnungen für die Straf⸗ 
anſtalten und deren Ausführungsvorſchriften zuſammen⸗ 
faſſende und erläuternde Bearbeitung gab es bisher 
nicht. Für die Gerichtsgefängniſſe war das verdienſt⸗ 
volle Werk von Henle „Das Gerichtsgefängnisweſen 
in Bayern“ (Nördlingen, Beck, 1887) vorhanden. 
Es trat mit dem 1. Februar 1910 in der Haupt⸗ 
ſache außer Gebrauch, da durch die Bekanntmachung 
vom 3. Januar 1910 die neue Hausordnung für die 
Gerichtsgefängniſſe an dieſem Tage in Kraft trat und 
die Dienſt⸗ und Hausordnung für die Gerichtsgefäng— 
niſſe vom 10. April 1883 und die Bekanntmachung 
vom 6. Dezember 1881 die Vollſtreckung der Zwangs- 
und der Sicherheitshaft betr. von dem gleichen Tage 
an aufgehoben wurden. 

Die Anwendung der neuen Hausordnungen für 
die Strafanſtalten und für die Gerichtsgefängniſſe 
erfordert oft ein Eingehen auf die Ausführungsvor⸗ 
ſchriften, auf die einſchlägigen Geſetze, Verordnungen 
und Bekanntmachungen. Das Aufſuchen und Nach⸗ 
ſchlagen dieſer Materien iſt zeitraubend. Nicht ſelten 
beſtehen Zweifel über die Auslegung einzelner Be⸗ 
ſtimmungen der Hausordnungen. Es wird deshalb 
ſicher von jedem Praktiker freudig begrüßt, daß die 
Verfaſſer des vorliegenden Buches ſich die Aufgabe 
geſtellt haben, nicht nur die Hausordnungen mit Er— 
läuterungen und Hinweiſungen zu verſehen, durch 
welche das Verſtändnis erleichtert und das raſche Auf« 
finden der mit verſchiedenen Beſtimmungen der Haus⸗ 
ordnungen zuſammenhängenden Vorſchriften ermöglicht 
wird, ſondern auch die wichtigſten von dieſen Vor⸗ 
ſchriften teils vollſtändig teils im Auszuge aufzunehmen. 

Die Bekanntmachung über die Hausordnung für 
die Gerichtsgefängniſſe (Lit. A) iſt vorangeſtellt. Sie 
nimmt mit den 11 Anlagen, welche die Formblätter 
zu den vorgeſchriebenen Verzeichniſſen und Büchern 
enthalten, 168 Seiten ein. Angeſchloſſen iſt die 
Bekanntmachung vom 11. Januar 1910 über die ſtän⸗ 
digen landgerichtlichen Aushilfsgefängniſſe. 

Der dann unter Lit. B folgenden Hausordnung für 
die bayeriſchen Strafanſtalten (79 Seiten) iſt eine 
Einleitung vorangeſchickt, die eine Aufzählung der 
Strafanſtalten, ſowie das wichtigſte über deren 
Organiſation, über die Verhältniſſe der Strafanſtalts— 
beamten und das Etats- und Rechnungsweſen enthält. 
Daran ſchließt ſich eine gedrängte Darlegung über 
die geſetzliche Grundlage (Art. 27 AG. z. StPO., 8$ 15, 


16, 22, 5711 StGB.) der Hausordnung, ein Hinweis 


auf die eine der Hauptquellen der Hausordnung 
bildenden ‚Grundſätze des Bundesrates“ und auf Ziel 
und Zweck der Hausordnung, die ſich „im übrigen 
auf den bewährten Grundſätzen der früheren Haus— 
ordnungen aufbaut, aber die vielfachen Erfahrungen 
verwertet, die in den letzten Jahrzehnten auf dem 
Gebiete des Strafvollſtreckungsweſens gemacht worden 
ſind'. Mit Recht ſagt Landgerichtsrat Degen, der 
dieſen Teil des Buches bearbeitet hat: „Früher ein 
Stiefkind der Rechtswiſſenſchaft und ſelbſt den meiſten 
Richtern und Staatsanwalten eine terra incognita, hat 
ſich das Sondergebiet der ſog. Gefängniskunde, von 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


— 


den Praktikern im regſten Austauſch der Meinungen 
und Erfahrungen befruchtet und allmählich auch der 
wiſſenſchaftlichen Behandlung erſchloſſen, die Stellung 
errungen, die ihm gebührt”. Die Betonung des 
Beſſerungszweckes der Strafe neben dem Vergeltungs⸗ 
zweck und des Grundſatzes der Individualiſierung 
wird als der wichtigſte Inhalt der Hausordnung 
bezeichnet. 

Unter C kommen zum Abdruck die Vorſchriften 
über die Einweiſung der Verurteilten in die Straf⸗ 
anſtalten in der Faſſung, welche die grundlegende 
Bekanntmachung vom 28. Januar 1903 durch die bis 
zur 1 vom 3. Juli 1909 erfolgten 
Aenderungen erhalten hat. Unter D folgt die Be⸗ 
kanntmachung über die vorläufige Entlaſſung von Straf⸗ 
gefangenen vom 14. September 1908 mit einer Tabelle 
für die Berechnung der /⸗Strafzeit. Der Anhang des 
Buches enthält — teils vollſtändig, teils im Auszug 
— eine Reihe von Geſetzen, Verordnungen und Be⸗ 
kanntmachungen, die für den Strafvollzug und die 
Verhältniſſe der Strafanſtalts und Gefängnisbeamten 
von Bedeutung ſind. 

Dieſe Mitteilungen dürften genügen um darzutun, 
daß das Buch ein wertvolles Hilfsmittel für den 
Strafanſtaltsbeamten und für den mit dem Dienſt 
bei den Gerichtsgefängniſſen befaßten Beamten iſt. 
Wer es in die Hand nimmt, wird den Verfaſſern 
dankbar fein für ihre Arbeit. Die zu den Hausord⸗ 
nungen gegebenen Erläuterungen haben einen beſon⸗ 
deren Wert, denn die Verfaſſer waren an der Aus⸗ 
arbeitung beteiligt, ſie ſaßen ſozuſagen an der Quelle, 
und find darüber, wie eine etwa zu Zweifeln Ver⸗ 
anlaſſung gebende Beſtimmung zu verſtehen iſt, am 


beſten unterrichtet. 
Nürnberg. Oberregierunge rat Michal. 


Güthe, Gg., Kammergerichtsrat. Die Grund buch⸗ 
ordnung für das Deutſche Reich und die 
Preußiſchen Ausführungsbeſtimmungen. 2. umgearb. 
Auflage. Lex. 8. 2 Bände. XLIII. VIII und 
1909 Seiten. Berlin 1911, Franz Vahlen. Broſch. 
Mk. 42.—, gebd. Mk. 48.—. 


Daß ein Geſetz mit nur 102 Paragraphen, das 
ausſchließlich das formelle Verfahren regelt, in zwei 
dicken Bänden mit insgeſamt 1909 Seiten kommentiert 
wird, könnte auf den erſten Blick befremden. Das 
Erſtaunen verſchwindet jedoch, wenn man bedenkt, 
daß gerade auf dem Gebiete des Grundbuchrechts die 
landesrechtlichen Ausführungsvorſchriften einen ſehr 
breiten Raum einnehmen, und wenn man ferner be» 
obachtet, mit welcher Gründlichkeit und peinlichen 
Gewiſſenhaftigkeit der Verfaſſer zu Werke gegangen 
iſt. Dazu kommt, daß die GBO. nur verſtändlich iſt, 
wenn fortgeſetzt auf das materielle Grundſtücksrecht 
des BGB. zurückgegriffen wird, und daß ſie auch mit 
anderen Geſetzen, z. B. der ZPO., dem Zw., dem 
GFG. in innigen Beziehungen ſteht. In vorbildlicher 
Weiſe hat es der Verfaſſer verſtanden dieſen Zus 
ſammenhang überall klarzulegen. Wie ſorgfältig er 
Literatur und Rechtſprechung verfolgt und verwertet 
hat, zeigte ſchon die 1. Auflage und auch die 2. kann 
wohl als lückenlos bezeichnet werden. Beſonders her» 
vorzuheben iſt das im 2. Band enthaltene alphabeti— 
ſche Verzeichnis der ſog. „Legitimationsfragen“ und 
der dinglichen Rechte: eine Art von grundbuchrecht— 
lichem Handbuch in Lexikonform. Alles in allem: ein 
höchſt bedeutſames Werk, auf das die deutſchen Prak— 
tiker ſtolz ſein können. von der Pfordten. 


Buchert, Karl, Rat des Kgl. Bayer. Verwaltungs- 
gerihtshofes. Sammlung in der Praxis 
oft angewandter Verwaltungsgeſetze 
nebſt einer Anzahl derartiger Verordnungen ꝛc. für 
das Königreich Bayern. In einem Bande unter 
Berückſichtigung aller bisherigen Aenderungen nach 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


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dem nunmehr gültigen Texte unter Beifügung eines | einen bedeutend breiteren Raum ein — 591 ©. zu 


Sachregiſters. Dritte vermehrte und verbejjerte 
Auflage. VIII, 1264 S. München 1911, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 12.50. 


Von den drei Geſetzesſammlungen von Jaeger, 
Allfeld und Buchert bedurfte die zuletzt genannte wohl 
am meiſten der Erneuerung, weil die 2. Auflage in⸗ 
folge des Fortſchreitens der Geſetzgebung an zahl⸗ 
reichen Stellen überholt war. Dem Bedürfniſſe iſt 
nun in glücklicher Weiſe entſprochen. Die Anordnung 
der Sammlung — alphabetiſche Reihenfolge — iſt die 
gleiche geblieben. Wie bei der kürzlich in dieſen 
Blättern angezeigten Jaegerſchen Ausgabe iſt durch 
eine Aenderung der äußeren Ausſtattung der Umfang 
des Buches gemindert worden. Das Problem, das 
das ungewiſſe Schickſal der Reichsverſicherungsordnung 
ſtellte, iſt in der Weiſe gelöſt, daß die alten Ver⸗ 
ſicherungsgeſetze weggelaſſen ſind und daß ein Nach⸗ 
tragsband zu der Sammlung koſtenlos abgegeben 
wird. —— fi — 
Pariſius, Ludolf, und Dr. Hand Crüger, Das Reichs» 

Er betreffend die Geſellſchaften mit be⸗ 

ſchränkter Haftung. Syſtematiſche Darſtellung 
und Kommentar nebſt Entwürfen von Geſellſchafts⸗ 
verträgen und praktiſcher Anleitung für die Regiſter⸗ 
führung. 5. umgearb. Aufl. 503 S. Berlin 1911, 
J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Mk. 11.— 


Der vorliegende Kommentar gliedert ſich in vier 
Abſchnitte, eine ſyſtematiſche Darſtellung, die 262 S. um⸗ 
faſſenden Erläuterungen, eine Sammlung von Muſter⸗ 
ſtatuten für G. m. b. H., in der mehrere der in der 
Gegenwart übermächtigen Kartellverträge aufgeführt 
ſind, und eine praktiſche Anleitung zur Regiſterführung, 
ſowohl für den Regiſterrichter wie für die Geſellſchafts⸗ 
vertretungen beſtimmt. Das Buch bietet fomit allen 
Perſonenklaſſen, welche mit dieſem Geſetz zu arbeiten 
haben, Anleitung und Aufſchluß. Bei dieſer Auflage 
galt es nur, die ſchon früher bewährte Anlage und 
wiſſenſchaftliche Behandlung mit den Ergebniſſen der 
jüngſten Rechtſprechung und den Erfahrungen der 
Praxis in Einklang zu bringen. Dazu war der Ver⸗ 
faſſer als Berater einer das ganze Reichsgebiet ums 
ſpannenden handelsrechtlichen Zentrale wie wenige 
berufen. Das Werk iſt wohl der beſte Kommentar 
zu dem handelsrechtlichen Sondergeſeſetz. Zu begrüßen 
wäre, wenn der Verfaſſer künftig nach dem Vorbilde 
von Staubs Wechſelordnung am Eingange den ein= 
fachen Geſetzestext abdrucken ließe. Dr. G. 


Regers Handausgabe der Gewerbeordnung für 
das Deutſche Reich mit dem Kinderſchutzgeſetz, Ausz. 
a. d. bayer. Gewerbegeſetze von 1868, dem Gewerbe⸗ 
gerichtsgeſetze, dem Kaufmannsgerichtsgeſetze, dem 
Stellen vermittlergeſetze, ſowie den Vollzugsvor⸗ 
ſchriften des Reiches und des Königreichs Bayern. 
In 3. und 4. Aufl. neu bearbeitet und nunmehr in 
5. Aufl. herausgegeben von Th. Stöhſel, K. Re⸗ 
gierungsrat. J. Bd. 8°. 686 S. Ansbach 1911, 
C. Brügel & Sohn. Gebd. Mk. 7.50. 

In raſcher Folge kaum binnen Jahresfriſt ſind 
drei Handausgaben der GewO. erſchienen: Neukamp 
in 9. Aufl., Steinbach und das vorliegende Werk: 
anſcheinend in der Erwartung, daß nunmehr eine 
Cäſur im Ausbau unſeres Gewerberechts eingetreten 
ſei. Die Hoffnung iſt infofern nicht unbegründet, als 
die Reichsgeſeßgebung in der Folge einen neuen Weg 
der Weiterbildung des Gewerberechts betreten will, 
indem ſie ſich nicht mehr auf eine Abänderung und 
Erweiterung der GewO. beſchränken, ſondern das 
Recht durch Spezialgeſetze weiterbilden will. 

Das vorliegende Werk hält einem Vergleich mit 
den beiden andern Ausgaben ſehr wohl ſtand. Die 
Erläuterungen zur GewO. ſelbſt nehmen nicht nur 


418 S., 200 S. — und ermöglichen infolgedeſſen ſchon 
eine reichhaltigere, in manchen Fragen erſchöpfende 
Erfaſſung des ol die muftergültige Drudanordnung 
des Brügelſchen Verlags gewährleiſtet trotzdem eine 
leichte und raſche Orientierung. Abgeſehen von dieſen 
allgemeinen Vorzügen liegt der Hauptwert der Reger⸗ 
Stöhſelſchen Ausgabe vor allem darin, daß ſie ſich 
darauf beſchränkt das in Bayern geltende Gewerbe⸗ 
recht darzuſtellen. Da allgemein in der GewO. dem 
Landesrecht ein breiter Spielraum gelaſſen iſt, iſt eine 
derartige Sonderausgabe ein wirkliches Bedürfnis. 
Die Brauchbarkeit des vorliegenden Buches für den 
bayeriſchen Praktiker wird darum von keiner anderen 
Ausgabe erreicht. Der II. Band wird die umfang⸗ 
reichen Vollzugsvorſchriften des Reichs und des König⸗ 
reichs Bayern und verſchiedene Nebengeſetze ne 
1.:G. 


Sydow, Dr. N., Konkursordnung und Anfech⸗ 
tungsgeſetz. Unter beſonderer Berückſichtigung 
der Entſcheidungen des Reichsgerichts. 11. Auflage. 
Fortgeführt von L. Buſch. XXXII, 539 S. Berlin 
1 80 Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Geb. 


Die vorliegende 11. Auflage hat wieder an Um⸗ 
fang gewonnen; die reiche Fülle des Gebotenen — 
die Anm. zu §§ 29—31 umfaſſen nunmehr 36 Seiten 
— erſetzt in vielen konkursrechtlichen Fragen einen 
Kommentar. Die neue Druckanordnung bei Stichworten 
gliedert die Erläuterungen und erleichtert die Benützung 
erheblich. Die in der Praxis längſt richtig gewürdigte 
Ausgabe bedarf keiner Empfehlung. Dr. G. 


Sauter, Dr. jur. Fritz. Das Berufsgeheimnis 
und fein ſtrafrechtlicher Schutz. (8 300 StGB.) 
XVI, 318 S. Breslau 1910, Schletter'ſche Buch⸗ 
handlung. Mk. 7.60. 

Verfaſſer liefert eine ſehr gründliche, die geſamte 
hierher gehörige Literatur eingehend berückſichtigende 
hiſtoriſch⸗dogmatiſche Darſtellung des in 8 300 StGB. 
enthaltenen Tatbeſtands der Verletzung pon Berufs⸗ 
geheimniſſen. Er nimmt zu allen einſchlägigen Streit⸗ 
fragen ſowie zum deutſchen Vorentwurfe von 1909 
Stellung, deſſen Verbeſſerungen er einerſeits aner⸗ 
kennt ohne andrerſeits die Mängel zu verſchweigen. 
Die. Strafrechtsreform wird an dem Buche nicht acht— 
los vorübergehen dürfen, wenn auch nicht alles darin 
Beifall findet. So iſt z. B. nicht einzuſehen, warum 
Winkeladvokaten und Kurpfuſcher auch de lege ferenda 
günſtiger geſtellt ſein ſollten als Rechtsanwälte und 
Aerzte; darauf läuft aber der Vorſchlag des Ver— 
faſſers S. 292 f., die Schweigepflicht nicht auf „dieſe 
Auswüchſe der neuzeitlichen Gewerbefreiheit“ aus— 
zudehnen, ebenſo wie $ 268 Vorentw. in der Tat 
hinaus. Ignorieren iſt nicht immer ein geeignetes 
Bekämpfungsmittel; auch die Kriminalpolitik muß 
Realpolitik ſein, mit den gegebenen Verhältniſſen, 
alſo auch mit jenen als ſolche erkannten „Auswüchſen“ 
rechnen, die man nicht einfach wuchern laſſen und da— 
durch fördern darf. Dr. 


Waſſermann, Dr. Martin, Rechtsanwalt in Hamburg. 
Der unlautere Wettbewerb nach deutſchem 
Recht. 2. Auflage. 2 Bdchn. (Sammlung Göſchen 
Bd. 339 u. 535). 60 u. 151 Seiten. Leipzig 1911, 
G. J. Göſchen'ſche Verlagshandlung. Gebd. je Mk. 0.80. 


Das Werkchen bietet mehr, als man gewöhnlich 
von einer allgemeinverſtändlichen Einführung in ein 
Wiſſensgebiet erwartet. Es enthält einen vollſtändigen, 
Literatur und Rechtſprechung gut verarbeitenden 
Kommentar zum UnlWG. Die Verteilung des ver: 
hältnismäßig kleinen Materials auf zwei getrennte 
Bändchen, von denen das erſte mit dem $ 13 UnlW. 


350 


abſchneidet und das zweite die übrigen Paragraphen 
erläutert und das gemeinſchaftliche Sachregiſter bringt, 
ſtört jedoch den praktiſchen Gebrauch; die Zuſammen⸗ 
faſſung in einem einzigen, wenn auch ſogenannten 
Doppelband wäre weit vorteilhafter geweſen. A 

berr. 


Zorn, Dr. Ph., Geh. Juſtizrat, o. Proſeſſor in Bonn. 
Die Konſulargeſetzgebung des Deutſchen 
Reichs. Text⸗Ausg. m. Anm. u. Sachregiſter. 3. vollſt. 
neu bearb. Auflage von Regierungsaſſeſſor Dr. K. 
Zorn. 12%. 594 S. Berlin 1911, J. Guttentag, 
Verlagsbh. Gebd. Mk. 4.50. 


Die Neuauflage der Zornſchen Sammlung iſt 
gegenüber der vor zehn Jahren erſchienenen 2. Auf⸗ 
lage erheblich erweitert und enthält nunmehr ſämt⸗ 
liche auf das Konſularweſen bezügliche Vorſchriften 
nach dem neueſten Stande der Geſetzgebung. Eine 
ähnliche Neubearbeitung waͤre auch der 1901 im 
gleichen Verlag erſchienenen, heute großenteils ver— 
alteten Zornſchen Ausgabe der Deutſchen Kolonial⸗ 
geſetzgebung zu wünſchen. Dr. 


En Bayeriſcher Juriſtenkalender für das Jahr 1911. 

I. und II. Teil. 4. Jahrgang. XVI. 101 und 181 S. 

Nürnberg und Leipzig, U. E. Sebald. 

Der erſte Teil dieſes techniſchen Hilfsmittels ent— 
hält eine Anzahl von Geſetzen und Dienſtvorſchriften, 
die im Juſtizdienſt häufig angewendet werden müſſen, 
ſowie mehrere Tabellen und Angaben über den Poſt— 
verkehr. Der zweite Teil (Beamtenſchematismus) iſt 
ſehr geſchickt angelegt; zweckmäßig ſind insbeſondere die 
Angaben über die Beſetzung der einzelnen Gerichte. 


von der Pfordten. 


Gimmerihal, Max, Amtsgerichtsrat in Arnſtadt i. Th., 
Der deutſche Waiſenrat. IV. 125 S. Nürn⸗ 
berg und Leipzig 1910, U. E. Sebald. 

Ein gemeinverſtändlicher Führer durch die Geſetze, 
die bei der Ausübung des Waiſenratsamts zu berück— 
ſichtigen ſind. Die Darſtellung iſt ziemlich eee 
und recht überſichtlich 


Schneider, H., Amtsgerichtsrat a. D., Das Geſetz 
über die Sicherung der Bau forderungen 
vom 1. Juni 1909. Nürnberg und Leipzig 1910, 
U. E. Sebald. Preis geb. Mk. 4.80. 


Das vielumſtrittene Vauforderungsgeſetz hat bis— 
her nur zu ſeinem kleinſten Teile praktiſche Bedeutung 
erlangt. Wenn einmal (vorläufig ſcheint in keinem 
Bundesſtaat eine Ausſicht hierfur zu beſtehen) auch 
ſein zweiter Abſchnitt über die „dingliche Sicherung 
der Bauforderungen“ in Kraft geſetzt werden ſollte, 
ſo kann der vorliegende, ſehr gründliche Kommentar 
als brauchbares Hilfsmittel insbeſondere in allen 
Fragen des Liegenſchaftsrechtes empfohlen werden. 

F 


Simon, Dr. Haus, Rechtsanwalt in Berlin. 
wachsſteuergeſetz vom 14. Februar 1911. 
XII, 150 S. Stuttgart 1911, 
Anſtalt. Gebd. Mk. 3.60. 


Der Kommentar beabſichtigt das Geſetz dem 
Juriſten wie dem Laien verſtändlich zu machen. Der 
Zuſammenhang mit dem Grundſtücks- und Hypotheken— 
recht wird nachgewieſen, auch wird an geeigneten 
Stellen auf das Baurecht Bezug genommen. Der 
Verfaſſer hat in demſelben Verlag einen Kommentar 
des Geſetzes zur Sicherung der Bauforderungen heraus— 
gegeben. Dadurch ſind ihm die ſchwierigen Gebiete, 
die hier in Frage kommen, beſonders vertraut geworden, 
und das iſt auch ſeinen Erläuterungen zum Zuwachs— 
ſteuergeſetze zugute gekommen. Ratſam wäre es ge— 
weſen das Erſcheinen der Ausführungsvorſchriften ab— 
zu warten. 


du: 
8. 
Deutſche Verlags⸗ 


Zeitſchrift für Rec Rechtspflege in in Bayern. 1911. . 16 


Nr. 16 u. 17. 


Woerner, Dr. Otte, München. Sammlung der 
für die Rechtskandidaten, Rechtsprakti⸗ 
kanten und geprüften Rechtspraktikanten 
in Bayern geltenden Vorſchriften mit An» 
merkungen und Sachregiſter. VIII, 390 S. Nürn⸗ 
berg, U. E. Sebald. Kart. Mk. 2.—. 

Die Sammlung wird mit ihren ſachkundigen Er⸗ 
läuterungen den jungen Juriſten und den beteiligten 
Behörden gute Dienſte leiſten. Der Zuſammenhang 
mit dem neuen Beamtengeſetz iſt ſorgfältig berückſichtigt, 
wo ſich dazu Anlaß bot. 


München. Staatsanwalt Bleyer. 


Das bayeriſche Malzauſſchlaggeſetz vom 18. März 1910 
mit den Ausführungsbeſtimmungen, Formularen und 
einem alphabetiſchen Sachregiſter. a und 
Berlin 1911. J. Schweitzer Verlag. 237 S. Mk. 2.—. 

Das in der Sammlung „Schweitzers (blaue) Text⸗ 
ausgaben“ erſchienene Büchlein enthält den Text des 

im Titel bezeichneten Geſetzes und Ausführungsbe— 

ſtimmungen hierzu vom 24. März 1910 ſamt den For⸗ 

mularmuſtern und Anlagen. Dr. 


Pblagger L., Kgl. Rentamtmann in Eichſtätt. Wech⸗ 
ſelſtempelgeſetz vom 15. Juli 1909 nebſt Aus- 
führungsbeſtimmungen und Vollzugsvorſchriften. Mit 
Wechſelſtempeltarif, Sachregiſter und 4 Anhängen. 
91 Seiten. Nürnberg und Leipzig. U. E. Sebald. 
Kart. Mk. 1.50. 

Das Büchlein bezweckt ſowohl eine Erleichterung 
für die mit dem Vollzuge des Geſetzes betrauten — 
insbeſondere bayeriſchen — Behörden als auch eine 
raſche Einführung in das Studium des Geſetzes. Dieſem 
Zwecke entſprechen Inhalt und Form, insbeſondere auch 
der Umfang der Berückſichtigung der Judikatur. Leider 
wirkt eine Reihe von Druckfehlern u. dgl. nament. ich 
in den Zitaten oft jtörend; vgl. z. B. S. 9 Note 1 
zu § 1: Schutzgeb S8 90, 93 gibt es nicht. Dr. 


Cuno, Oberbürgermeiſter in Hagen i. W., Zuwachs 
ſteuergeſetz vom 14. Februar 1911. Textausgabe 
m. Einl., Anm. und Sachregiſter nebſt Anhang. 
12°. 122 S. München 1911, Eugen Rentſch Ver⸗ 
lag Gebd. Mk. 1.80. 

Neben den allerdings nicht weitgreifenden An: 
merkungen verleiht der Ausgabe die im Eingang ge— 
gebene ſyſtematiſche Darſtellung des Geſetzes auch für 
den Laien Wert. Der vorliegende Text krankt aber 
ebenſo wie die Handausgabe von Simon daran, daß 
die Verfaſſer das Erſcheinen der Ausführungsbe— 
ſtimmungen nicht abgewartet haben. In der Praxis 
iſt dieſe erſte Auflage daher kaum zu benutzen. G 


J. v. Standingers Kommentar zum Bürgerlichen Geſetz⸗ 
buch und dem Einführungsgeſetze herausgegeben von 
Dr. Theodor Loewenfeld, Philipp Mayıing, Dr. Karl 
Kober, Dr. Felix He 1 Dr. Erwin Riegler, 
Dr. Ludwig Kuhlenbeck. Dr. Theodor Engelmann, 
Joſeph Wagner. 5./6. neubearbeitete Auflage. 21. 
Lieferung. Band V. Lieferung 3 (Schluß). Inhalt: 
Erbrecht (Ss 2218-2235) erläutert von Wr. F. 
Serzielder; alphabetiſches Regiſter zum V. Bande 
bearbeitet von F. Keidel und Inhaltsverzeichnis 
zum V. Bande. München und Berlin 1911, J. 
Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Preis 8.50 Mk. 

Es genügt anzuzeigen, daß mit der vorliegenden 

Lieferung das von Herzfelder allein erläuterte Erb— 

recht nunmehr fertig vorliegt. Damit iſt der Kommen» 


‚ tar zum Bürgerlichen Geſetzbuch mit Ausnahme des 


‚ läuterungen erſt zur rechten Wirkung bringen. 
8 2050 Anm. VI PD, 2 S. 


Einfuͤhrungsgeſetzes vollitändig geworden. Mit Freude 
und Stolz ſehen wir auf die gewaltigen 7 Bände mit 
ihrer unendlichen Fülle beſtgeſichteten Materials. Zu 
Herzfelders Erbrecht wäre noch beſonders hinzuweiſen 
auf die Menge rechneriſcher Beiſpiele, die die Er— 
Zu 
334 darf erwähnt werden, 


daß ſich erſt jüngſt das Oberlandesgericht Jena in 
ſeinem allerdings noch nicht rechtskräftigen Urteile 
vom 13. Juli 1911 in Sachen Endres gegen Janſen 
(2 U 30/11) der Anſicht Herzfelders gegen den Kommen» 
tar der Reichsgerichtsräte dahin angeſchloſſen hat, 
daß für die in Rentenform gewährte Ausſtattung die 
beſondere Beſtimmung des Abſatz 2 des 8 2050, ſoweit 
dieſe anwendbar iſt, gilt und daß inſofern Abſatz 2 
den Abſatz 1 einſchränkt. 


Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Schmidt, Chriſt., Anwaltsgebührentabelle ge⸗ 
mäß der bayeriſchen Landesgebührenordnung in den 
Angelegenheiten der Rechtspflege mit Pauſchſätzen. 
München, Verlag von Joſ. C. Huber, Dieſſen bei 
München. 

Die vorliegende Tabelle iſt überſichtlich und 
brauchbar. Sie wird den Anwälten willkommen ſein. 
Ueber den Wert der aus dem Inhalt der Landes⸗ 
gebührenordnung herausgearbeiteten, kurzen Ueber⸗ 
ſchriften und Bemerkungen kann man verſchiedener 
Meinung ſein. Sie ſind naturgemäß nicht vollſtändig 
und müſſen daher von demjenigen, der das Geſetz 
ſelbſt nicht genau kennt, mit Vorſicht benutzt werden. 


— 1 — 


Noſenthal, Dr. Alfred, und C. Wehner, Reichs⸗ 
geſetz gegen den unlauteren Wettbe⸗ 
werb vom 7. Juni 1909 nebſt den in Betracht 
kommenden Beſtimmungen des BGB. und der Inter⸗ 
nationalen Union zum Schutze des gewerblichen Eigen⸗ 
tums. Dritte, ſtark vermehrte, umgearbeitete und 
ergänzte Auflage. Mannheim und Leipzig 1911, 
J. Bensheimer. 375 S. 

Dieſer Kommentar erfreut ſich mit Recht großer 
Beliebtheit. Das Vorwort zur erſten Auflage datiert 
vom Auguſt 1909, das zur dritten vom März 1911. 
Es find alſo in etwa 1¼ Jahren drei Auflagen nötig 
geworden. Die neueſte Auflage iſt von Roſenthal 
allein umgearbeitet worden. Er hat die einzelnen 
Gebiete vollſtändiger durchgearbeitet und einheitlicher 
dargeſtellt. Die Reichhaltigkeit zeigt ſchon ein Blick 
in das geſchickte Sachregiſter, das auch ein Namens⸗ 
regiſter beſonders charakteriſtiſcher Rechtsfälle in ſich 
ſchließt, ſo daß der Intereſſent, dem einer jener Fälle 
als vorbildlich für den zur Entſcheidung ſtehenden in 
der Erinnerung vorſchwebt, nur im Sachregiſter nach— 
zuſchlagen braucht, um die geſamte Darſtellung der 
Teil materie zu finden. Um zu veranſchaulichen, was 
ich meine, genügt es, hier aus dem Sachregiſter einige 
Namen herauszugreifen: Champagner, Chartreuſe, 
Farina, Gartenlaube, Jäger, Kyriazi, Mumm, Pilſener, 
oder einige Schlagworte: Gella, Füllinſerat, Abon⸗ 
nentenzahl, Auflagenſchwindel. Der Kommentar er- 
örtert in lichtvoller, überſichtlicher Weiſe den ganzen 
Stoff fortlaufend unter Berückſichtigung der bunten 
Mannigfaltigkeit der Fälle des täglichen Lebens und 
der Aeußerungen in Literatur und Rechtſprechung. Zu 
§ 1 erleichtert eine beſondere Inhaltsüberſicht über 
die 150 Anmerkungen den Gebrauch. Der Kommentar 
bietet nun aber auch vor der Erläuterung der einzel— 
nen Paragraphen des Geſetzes eine ſyſtematiſche Ein⸗ 
führung in die Materie (S. 1—72), dabei auch eine 
Gegenüberſtellung des Geſetzes von 1896 und des 
geltenden Geſetzes. Von beſonderem Wert ſind darin 
die Ausführungen über das Verhältnis des Unl WG. zu 
den übrigen gegen unlauteres Geſchäftsgebaren ge⸗ 
richteten Geſetzen, namentlich zu 88 823 und 1004 BGB. 
(S. 30—41), und die Darlegungen über die Anſprüche 
auf Grund des UWG. (der Anſpruch auf Unterlaſſung, 
die Wiederholungsgefahr als Vorausſetzung der Unter— 
laſſungsklage, der Anſpruch auf Beſeitigung, auf 
Schadenserſatz)z. Die Abgrenzung gegen 8 826 BGB. 
erfolgt zu 81 UnlWG. Anm. 7 ff. 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


351 


Notizen. 


Die Mitwirkung der Inſtizbehörden beim Vollzuge 
des Zuwachs ſtenergeſetzes. In der IMB. vom 27. Juni 
1911 (JMBl. S. 263) find unter Nr. I bis VI die 
Vorſchriften zuſammengeſtellt, nach denen die Juſtiz⸗ 
behörden beim Vollzuge des Zuwachsſteuergeſetzes 
mitzuwirken haben. Aufgabe der Juſtizbehörden iſt 
es vor allem, den Zuwachsſteuerämtern (Rentämtern) 
die Rechtsvorgänge mitzuteilen, die nach dem Geſetze 
die Steuerpflicht begründen. 


Der weſentlichſte Teil dieſer Aufgabe fällt den 
Grundbuchämtern und den Notariaten zu 
(Nr. 1 bis III der Bek.). Die in den Ausführungs⸗ 
beſtimmungen des Bundesrats vorgeſehene Erſtattung 
beſonderer Uebereignungs⸗ und Veräußerungsanzeigen 
für jede einzelne Eintragung oder Beurkundung iſt 
den bayeriſchen Grundbuchämtern und Notariaten 
erlaſſen; fie wird dadurch erſetzt, daß die Grundbuch⸗ 
ämter in den Umſchreibverzeichniſſen, die Notariate 
in den Gebührenregiſtern die Steuerfälle durch Vor⸗ 
ſetzung eines 3 (die Notariate außerdem gewiſſe Steuer⸗ 
fälle durch Anführung der Geſetzesſtelle) kenntlich machen. 
Nur ausnahmsweiſe haben auch die bayeriſchen Grund⸗ 
buchämter und Notariate eine beſondere Uebereignungs⸗ 
oder Veräußerungsanzeige zu erſtatten: die Grund- 
buchämter im Falle der Uebereignung eines Berg⸗ 
werks, (weil darüber das Umſchreibverzeichnis keine 
Auskunft gibt), die Notariate dann, wenn das Grund» 
ſtück oder grundſtücksgleiche Recht im Bezirk eines 
auswärtigen Zuwachsſteueramtes liegt, mit dem das 
Notariat nicht wegen der Gebühren abrechnet; im 
letzteren Falle kann aber die Einreichung der Ver⸗ 
aͤußerungsanzeige unterbleiben, wenn die Veräußerungs⸗ 
urkunde binnen zehn Tagen dem Grundbuchamte zum 
Vollzuge vorgelegt und daraufhin der neue Eigen⸗ 
tümer in das Grundbuch eingetragen wird. 


Dieſelbe Mitteilungspflicht wie dem Notariat 
liegt dem Prozeßgericht ob, wenn es in einem 
Prozeßvergleich einen die Steuerpflicht begründenden 
Rechtsvorgang beurkundet (Nr. VI der Bek.). Der 
Gerichtsſchreiber hat hier für jeden einzelnen Fall 
eine beſondere Veräußerungsanzeige zu erſtatten. 

Die Mitwirkung der Regiſtergerichte (Nr. IV, 
der Bek.) dient in der Hauptſache dem Vollzuge 
des 8 3 des Zuwachsſteuergeſetzes. Das Regiſtergericht 
hat die unter 8 3 fallenden Rechtsvorgänge, ſoweit fie 
ihm — insbeſondere aus den nach 8 40 des GmbHs. 
jährlich eingereichten Liſten der Geſellſchafter — bekannt 
werden, dem Zuwachsſteueramte mitzuteilen, im übrigen 
aber nur von Fall zu Fall auf beſonderes Erſuchen 
des Zuwachsſteueramtes Auskunft zu geben. 

Der letzte Abſchnitt der Bek. Nr. VII beſtimmt, 
auf welche Zeit zurück die in Nr. I, II u. VI vorge⸗ 
ſchriebenen Anzeigen nachträglich zu erſtatten ſind. 

2347 


Die Mitwirkung der Inſtizbehörden beim Bollzuge 
des Einkommeuſtenergeſetzes wird geregelt durch eine 
Bekanntmachung vom 14. Juli 1911 (JM Bl. S. 283 ff.). 
Hiernach haben die Vormundſchaftsgerichte dem Rent⸗ 
amte Kenntnis zu geben, wenn über einen Abweſenden 
eine Pflegſchaft mit Kapitalvermögen am 1. Oktober 
1911 beſteht oder ſpäter angeordnet wird oder wenn 
dem Abweſenden ſpäter Kapitalvermögen zufällt (f. 
Art. 35 Abſ. II des EinkStG. vom 14. Auguſt 1910, 
GVBl. S. 512, und § 3 Abſ. IV Satz 2 und 3 der 
Vollzugsvorſchriften vom 28. Mai 1911, GVBl. S. 458). 
Ferner haben die Nachlaßgerichte vom 1. Januar 1912 
an die Nachlaßpfleger, die Nachlaßverwalter und die 
Teſtamentsvollſtrecker auf ihre Verpflichtungen nach 
Art. 73 Abſ. 1 des EinftSt®. hinzuweiſen (vgl. dazu 
8 85 Abſ. II der Vollzugsvorſchriften, GVBl. 1911 


352 


S. 551). Der 3. Abſchnitt der Bek. vom 14. Juli 1911 
regelt die Einſicht der grundbuchamtlichen Tagebücher 
durch die Rentämter (ſ. dazu 8 51 Abſ. II, III der 
Bollzugsvorſchriften, GVBl. 1911 S. 519). 

2348 


Denticher Juriſtentag. Die Ständige Deputation 
des Deutſchen Juriſtentages hat in der unter dem 
Borſitz von Erz. Prof. Dr. Brunner zu Bad Elſter ab⸗ 
gehaltenen Pfingſtkonferenz beſchloſſen, den nächſten 
Deutſchen Juriſtentag im September 1912 in Wien 
ſtattfinden zu laſſen. 

Es ſollen folgende Themata auf die Tagesord⸗ 
nung geſetzt werden: 

1. Sind für die Zwecke der Beleihung von Erb⸗ 
baurechten durch Hypothekenbanken und andere Kredit⸗ 
inſtitute die Beſtimmungen des geltenden Rechts aus⸗ 
reichend, oder erſcheint — und in welchem Sinne — 
eine graänzung dieſer Beſtimmungen geboten? 

2. Empfehlen ſich geſetzliche Maßnahmen in bezug 
auf die Sicherungsübereignung? 

3. Empfiehlt ſich eine Aenderung des im Deutſchen 
Reich und in Oeſterreich geltenden Rechts betreffend 
die aus Anlaß einer Grundſtücksveräußerung ſtatt⸗ 
findende Uebernahme einer durch Hypothek geſicherten 
Forderung durch den Grundſtückserwerber? 

4. Empfehlen ſich geſetzgeberiſche Maßnahmen, durch 
welche die Haftung des perſönlichen Schuldners für 
den Hypothekenausfall beſchränkt wird, wenn der Gläu⸗ 
biger ſeine Hypothek nicht ausgeboten und das Grund⸗ 
ſtück weit unter dem Werte erſtanden hat? 

5. Empfiehlt ſich eine Fortbildung des geltenden 
Schadenserſatzrechts durch beſondere geſetzliche Beſtim⸗ 
mungen über die Haftung für Schäden, die verurſacht 
werden: 

a) durch Errichtung, Beſtand und Betrieb elek⸗ 

triſcher Anlagen und Fernleitungen; 

b) durch die Verwendung von Luftſchiffen und 

Flugmaſchinen? 

6. Welche der für Privatangeſtellte außerhalb des 
HGB. geltenden ſozialen Schutzvorſchriften eignen ſich 
zur Erſtreckung auf alle Privatangeſtellten? 

7. Inwieweit empfiehlt es ſich, die Grundgedanken 
des heutigen deutſchen Aktienrechts in das öſterreichiſche 
Recht aufzunehmen? 

8. Die Freiheitsſtrafe nach dem Vorentwurf zu 
einem deutſchen StGB. 

9. Die Sicherungsmaßregeln nach dem Vorentwurf 
zu einem deutſchen StGB. 

10. Die Todesſtrafe. 

11. Was kann geſchehen, um bei der Ausbildung 
(vor oder nach Abſchluß des Univerſitätsſtudiums) das 
Verſtändnis der Juriſten für pſychologiſche, wirtſchaft— 
liche und ſoziologiſche Fragen in erhöhtem Maße zu 
fördern? 

12. Sind die Grundſätze der Mündlichkeit der Ver— 
handlung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme 
in dem jetzt geltenden deutſchen Zivilprozeß zweck— 
mäßig durchgefuhrt, oder welche Aenderungen empfehlen 
ſich für den Fall einer durchgreifenden Neugeſtaltung 
des bürgerlichen Rechtsſtreits? 

13. Unter welchen Vorausſetzungen kann die recht— 
liche Gleichſtellung der in Oeſterreich oder in dem 
Deutſchen Reich errichteten Notariatsurkunden in beiden 
Reichen erzielt werden? 

Der Beitritt zum Deutſchen Juriſtentag geſchieht 
durch Anmeldung bei dem Schriftführer Juſtizrat 
Dr. Hugo Neumann, Berlin W., Potsdamer Straße 118, 
oder bei der Geſchäftsſtelle J. Guttentag Verlagsbuch⸗ 
handlung G. m. b. H., Berlin W., Lützowſtraße 107/108, 
unter Beifügung des Jahresbeitrages von 6 M. 


| 


' erheiicht und benötigt, 


52 BBeüſckriſt für Rechtspflege in Bapern. 1911. Nr. 18 u. 117. für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 


Sprachecke. 


Zahlungsunwilliger Schuldner, Zahlungsunwillig⸗ 
keit. Dieſe Ausdrücke ſchleichen ſich in neuerer Zeit 
in die Juriſtenſprache ein. So ſprach eine Strafkam⸗ 
mer (ſiehe RG St. Bd. 43 S. 171) von einem zahlungs⸗ 
unwilligen Schuldner und eine andre Strafkammer in 
der allerneueſten Zeit nach einem Zeitungsbericht von 
der Zahlungsunwilligkeit eines Schuldners. Man 
Dan hierbei von der Anſicht auszugehen, daß das 

räfix un immer die Eigenſchaft habe, die Bedeutung 
des Wortes, dem es vorgeſetzt wird, in ihr Gegenteil 
zu verwandeln. Dies iſt auch meiſtens der Fall: aus 
Wahrheit wird Unwahrheit, aus Glück Unglück, aus 
Heil Unheil. Das Präfix kann auch die Bedeutung 
des Wortes ſteigern: aus Zahl entſteht Unzahl, aus 
Summe Unſumme. Es kann weiter auch dem Worte 
eine bloß abweichende Bedeutung in der Richtung des 
Unangenehmen, des Nachteiligen, des Schlimmen geben: 
aus Tier wird Untier, aus Kraut Unkraut, aus Tat 
Untat, aus Wetter Unwetter, aus Name Unname, aus 
Mut Unmut, aus Wille Unwille. Um bei dem letzten 
Ausdruck zu bleiben: Unwille iſt alſo nicht das Gegen⸗ 
teil von Wille, iſt nicht Nichtwille, und einer, der un⸗ 
willig iſt, iſt nicht nichtwillig. Unwillig iſt auch nicht 
dadurch entſtanden, daß dem Worte willig das Prä— 
fix un vorgeſetzt worden wäre, ſondern es iſt unmit⸗ 
telbar aus dem Worte Unmile entſtanden. Ein zah⸗ 
lungsunwilliger Schuldner iſt alſo nicht ein nichtzah⸗ 
lungswilliger Schuldner, er iſt vielleicht ein zahlungs⸗ 
williger Schuldner, der darüber unwillig iſt, daß er 
zahlen muß, und Zahlungsundwilligkeit iſt nicht Nichts 
zahlungswilligkeit. Man wird daher dieſe Ausdrücke 
wohl wieder außer Gebrauch ſetzen müſſen. Und es 
iſt bemerkenswert, daß das Reichsgericht ſelbſt in dem 
oben angeführten Urteil den Ausdruck zahlungsun— 
willig vermeidet, indem es dafür nicht zahlungswillig 
gebraucht, und von mangelndem Zahlungswillen und 
mangelnder Zahlungswilligkeit ſpricht, nicht aber von 
Sahlungsunmilligteit. T: 


Vernotwendigt ſich „ſich vernolwendigen“? Immer 
häufiger begegnet man jetzt dem ſonderbaren Ausdruck 
„ſich vernotwendigen“. Da heißt es in einem gericht» 
lichen Schriftſtück: „Da Beklagter Zahlung verweigert, 
hat ſich Klage vernotwendigt“, und ſchon 1890 ſchrieb 
einmal eine Zeitung: „Für Lübeck, Lauenburg, dem 
() Fürſtentum Lübeck und Oſtholſtein, wird ſich ein 
zweiter großer Extrazug vernotwendigen“. Die „Grenz— 
boten“ hatten alſo unrecht, als ſie erſt 1907 das Wort 
als einen neuen Beweis begrüßten, daß die deutſche 
Sprache „ſich rüſtig weiter verſchwülſtigt“; daß fie es 
aber auch allen Aktenmenſchen „dringend zum täglichen 
Gebrauch empfahlen“, das hat ſich bewährt, denn es 
gibt immer noch zahlreiche unter dieſen, die ſolche 
neue Brocken, die man ihnen hinwirſt, gierig auf⸗ 
fangen. Tatſächlich ſieht man das Wort leider immer 
häufiger; fo laſen wir es kürzlich in einem Verlags- 
vertrage: „. .. für die erſte und alle weiteren event. 
ſich vernotwendigenden Auflagen“. Immer öfter be— 
ſchwert man ſich beim Sprachverein über das Auf— 
tauchen dieſes Wortes, und daher vernotwendigt es 
ſich allerdings, daß einmal die Frage aufgeworfen 
wird: Vernotwendigt es ſich wirklich, dieſes Scheuſal 
ſelbſt in der Aktenſprache ſür vernotwendigt zu halten? 
Ja, ſo zu fragen, das iſt unumgänglich, unabweislich, 
unausbleiblich, unvermeidlich, notwendig und nötig; 
es wird verlangt, erfordert, begehrt, beanſprucht, ja 
ſo zu fragen; und deshalb 


beantworten wir dieſe Frage mit einem glatten Nein. 


| Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 


. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweißer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 18. München, den 15. September 1911. 7. Jahrg. 


Iteilſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


h. von der Pfordten in Bay EIN 3. ace | derlas 


K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. München und Berlin. 


Redaktion und Expedition: München. Lenbachplatz 1. 
„ Inſertionsgebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene l 
% oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
4 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats / 

im Umfange von mindeftens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
pr er Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und I 
oſtanſta h 


— 


Nachdruck verboten. 353 


in Rü 0 Vormunde der in Nr. 1, 2 be⸗ 
de kenn ura n Münden. een Alan eh wee bur 


Von Amtsrichter Matthias Mayr in München. 4. im Falle einer nach den Vorſchriften der 


Nach dem Vormundſchaftsrechte des BGB. Nr. 1 bis 3 ſtattfindenden Bevormundung ein 
wird für jeden Mündel vom Vormundſchafts⸗ Gegenvormund nicht zu beſtellen iſt und dem Vor⸗ 
gerichte nach Anhörung des Gemeindewaiſenrats munde die nach 8 1852 BGB. zuläffigen Be⸗ 
ein einzelner Vormund ausgewählt und beſtellt. freiungen zuſtehen. . 
Hierbei find Verwandte und Verſchwägerte des Auf Grund dieſer Vorbehalte erging das 
Mündels zunächſt zu berückſichtigen (1779 BGB.). bayeriſche Geſetz vom 23. Februar 1908, die 
Gewiſſe Perſonen haben ein Recht als Vormund Berufsvormundſchaft betr. (GVBl. Nr. 12 S. 85). 
beſtellt zu werden (§S 1776 BGB.). Kein Bor: Nach dieſem Geſetze können Beamte einer Ge⸗ 
mund aber erlangt ſein Amt kraft Geſetzes, es meinde vor den berufenen Perſonen zu Vor⸗ 
bedarf vielmehr immer der Beſtellung (81789 BGB.). mündern für die Minderjährigen beſtellt werden, 
Der Vormund führt ſein Amt als Ehrenamt neben die unter der Aufſicht der Beamten in einer von 
ſeinem bürgerlichen Beruf. Die berufsmäßige ihnen ausgewählten Familie oder Anſtalt oder 
Führung vieler Vormundſchaften durch eine | (bei unehelichen Minderjährigen) in der mütter⸗ 
Perſon kennt das BGB. nicht. lichen Familie erzogen oder verpflegt werden 

Nach Art. 136 EG. z. BGB. bleiben die landes⸗ (Art. 1 und 3 B G.). Durch ein von den 
geſetzlichen Vorſchriften unberührt, nach welchen Staatsminiſterien der Juſtiz und des Innern 

1. der Vorſtand einer unter ſtaatlicher Ver⸗ genehmigtes Gemeindeſtatut kann aber auch be: 
waltung oder Aufſicht ſtehenden Erziehungs⸗ oder | ſtimmt werden, daß Gemeindebeamte alle oder 
| 


Verpflegungsanſtalt oder ein Beamter alle oder einzelne Rechte und Pflichten eines Vormunds 
einzelne Rechte und Pflichten eines Vormunds für für ſolche Minderjährige ohne weiteres haben 
diejenigen Minderjährigen hat, welche in der Anz (Art. 2). Der Berufsvormund genießt die nach 
ſtalt oder unter der Aufſicht des Vorſtandes oder § 1852 Abs. 2 BGB. zuläſſigen Befreiungen 
des Beamten in einer von ihm ausgewählten (Art. 6). Soweit er das Amt des Vormunds 
Familie oder Anſtalt erzogen oder verpflegt werden, erhält, endigen die Rechte und Pflichten des bis⸗ 
und der Vorſtand der Anſtalt oder der Beamte herigen Vormunds (Art. 5). 
auch nach der Beendigung der Erziehung oder Zur Ausführung dieſes Geſetzes haben die 
Verpflegung bis zur Volljährigkeit des Mündels Kollegien der Haupt- und Reſidenzſtadt München 
dieſe Rechte und Pflichten behält unbeſchadet der am 29. November und 7. Dezember 1910 das 
Befugnis des Vormundſchaftsgerichts, einen anderen Folgende beſchloſſen: 

Vormund zu beſtellen; § 1. Ein Beamter der Gemeinde kann nach 

2. die Vorſchriften der Nr. 1 bei unehelichen Maßgabe der Dienſtanweiſung als beruflicher Vor— 
Minderjährigen auch dann gelten, wenn dieſe unter | mund über uneheliche Minderjährige beſtellt werden, 
der Aufſicht des Vorſtandes oder des Beamten in die unter ſeiner Aufſicht in einer von ihm aus— 
der mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt gewählten Familie oder Anſtalt oder in der 
werden; | mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt werden 

3. der Vorſtand einer unter ſtaatlicher Ver- (Art. 1, 3 des Geſetzes). 

waltung oder Aufſicht ſtehenden Erziehungs- oder Er kann nach Maßgabe der Dienſtanweiſung 

Verpflegungsanſtalt oder ein von ihm bezeichneter auch Pflegſchaften über eheliche Minderjährige zur 

Angeſtellter der Anſtalt oder ein Beamter vor den | Geltendmachung ihrer Unterhaltsanſprüche über: 

nach § 1776 BGB. als Vormünder berufenen nehmen. 


354 

Er führt den Namen Berufsvormund. 

82. Der Berufsvormund überwacht in Unter: 
ſtützung des Gemeindewaiſenrats die körperliche 
Pflege der in München ſich aufhaltenden unehe⸗ 
lichen Säuglinge, bis dem Gemeindewaiſenrate die 
durch 8 1851 BGB. vorgeſchriebene Mitteilung 
des Vormundſchaftsgerichts zugegangen iſt. 

8 3. Der Berufsvormund vermittelt zur Unter: 
bringung von Koſtkindern geeignete Pflegeſtellen. 

8 4. Der Berufsvormund kann bei der Er: 
füllung feiner Amtspflichten freiwillige oder be⸗ 
ſoldete Pfleger oder Pflegerinnen verwenden. 

8 5. Die Vorſchriften treten mit dem 1. Januar 
1911 in Kraft. 

Die Einführung der Berufsvormundſchaft in 
München gibt zu folgenden rechtlichen Betrach⸗ 
tungen Anlaß: 


1. Allgemeine rechtliche Bedeutung der gemeindlichen 
Beſchlüſſe vom 29. November und 7. Dezember 1910. 


Das Geſetz vom 23. Februar 1908, die Be⸗ 
rufsvormundſchaft betr., umfaßt zwei Arten der 
Berufsvormundſchaft: 

die ſog. geſetzliche Berufsvormundſchaft, bei 
der ein Gemeindebeamter ipso jure Vormund ge: 
wiſſer Mündel iſt (Art. 2) und die ſog. beftellte 
Berufsvormundſchaft, bei der es einer beſonderen 
Beſtellung des Gemeindebeamten als Vormund 
von Fall zu Fall bedarf. 

Die Münchener Einrichtung beſchränkt ſich auf 
die zweite Art der Beruſsvormundſchaft. Die Be⸗ 
ſchlüſſe der ſtädtiſchen Kollegien find kein Gemeinde: 
ſtatut im Sinne des Art. 2, ſondern laſſen nur 
die Beſtellung eines beſtimmten Gemeinde⸗ 
beamten für gewiſſe Arten von Mündeln zu. 

Bei der großen Zahl der einſchlägigen Vor⸗ 
mundſchaften wäre es in München mit großen 
Schwierigkeiten verbunden geweſen, gleich die ge⸗ 
ſetzliche Berufsvormundſchaft einzuführen. Daraus 
erklärt es ſich, daß man ſich zunächſt auf die 
ſchwächere Art beſchränkt hat. Man darf aber 
erwarten, daß auch in München der Uebergang 
zur geſetzlichen Berufsvormundſchaft erfolgen wird, 
wenn ſich die Einrichtung einmal vollkommen ein— 
gebürgert hat. 

Es wirft ſich die Frage auf, ob es überhaupt 
gemeindlicher Beſchlüſſe bedurfte, um die Berufs— 


einzuführen. Denn Gemeindebeamte, unter deren 


Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. für Rechtspflege in in Bayern. 1 1911. Nr. 18. 


Ain in der berufsmäßigen Uebernahme von 
Vormundſchaften beſteht, und geben den (gemeinde⸗) 
dienſtlichen Rahmen für die Aufgaben dieſes Amts. 
Es iſt alſo jetzt im Gegenſatz zum bisherigen Zu: 
ſtand ein Beamter vorhanden, der Vormundſchaften 
im Hauptamte führt. 


2. Der Pflichtenkreis des Münchener Berufsvormunds. 


Dem Münchener Berufsvormund find ver⸗ 
ſchiedene Aufgaben zugewieſen, teils ſolche, die im 
Rahmen des Geſetzes vom 23. Februar 1908 liegen 
(eigentliche Berufsvormundſchaft), teils ſolche, die. 
dieſem Geſetze fremd ſind. 


a) Eigentliche berufsvormundſchaftliche 
Aufgaben. 


Nach den gemeindlichen Beſchlüſſen ſoll der 
Berufsvormund als beruflicher Vormund für ſolche 
uneheliche Minderjährige beſtellt werden können, 
die unter ſeiner Aufſicht in einer von ihm aus⸗ 
gewählten Familie oder Anſtalt oder in der 
mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt werden. 
Hier ſpringt vor allem die Beſchraͤnkung auf 
uneheliche Minderjährige in die Augen. Art. 1 
des Geſetzes enthält dieſe Beſchraͤnkung nicht. 
Ihre Bedeutung erſchöpft ſich in einer Begrenzung 
des Amtskreiſes des Münchener Berufsvormunds. 
Das Vormundſchaftsgericht iſt aber nicht gehindert, 
den Berufsvormund mit Zuſtimmung der Ge 
meinde auch für eheliche Minderjährige zu beſtellen. 
Der Berufsvormund hätte auch in einem ſolchen 
Falle die ihm durch das Geſetz vom 23. Februar 
1908 eingeräumte Rechtsſtellung. 

Soll der Berufsvormund dieſe Rechtsſtellung 
erhalten, ſo muß die Vorausſetzung erfüllt ſein, 
daß das Kind in einer von ihm ausgewählten 
Familie oder Anſtalt unter ſeiner Aufſicht erzogen 
wird. Ob dieſe Vorausſetzung zutrifft, hat das 
Vormundſchaftsgericht nach den Grundläßen der 
freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen feſt⸗ 
zuſtellen. Das macht oft Schwierigkeiten. Bisher 
erfolgte die Beſtellung des Berufsvormunds faſt 
ausſchließlich auf Anregung des Stadtmagiſtrats 
München. Dabei war nicht immer dargetan, 


ob jenes perſönliche Verhältnis des Berufsvor⸗ 
munds zu dem Mündel beſtand. In dieſen Fällen 
vormundſchaft nach Art. 1 des Geſetzes in München 


Vormund verpflichtet. 


Aufſicht und nach deren Auswahl Minderjährige 


erzogen wurden, gab es auch vorher ſchon in 
München. Und mehr verlangt der Art. 1 des 
Geſetzes nicht. Wenn ein ſolcher Gemeindebeamter 
als Vormund beſtellt worden wäre, hätte er auch 
bisher ſchon zweifellos alle Vorrechte des Berufs— 
vormunds genoſſen (Art. 5 und 6). Inſoferne 
wäre alſo die aufgeworfene Frage zu verneinen. 
Gleichwohl find die gemeindlichen Beſchlüſſe durch— 
aus nicht bedeutungslos. 


das erforderliche Gemeindeamt, deſſen Geſchäfts- , 


Denn ſie ſchaffen erſt 


wurde dann der Berufsvormund als gewöhnlicher 
Ich halte dieſes Verfahren 
nicht für richtig. Es kann nicht dahingeſtellt 
bleiben, ob die Vorausſetzungen des Geſetzes ge 
geben ſind. Denn wenn ſie gegeben ſind, genießt 
der Berufsvormund kraft Geſetzes die eingeräumten 
Vorrechte. Die Feſtſtellung iſt namentlich dann 
wichtig, wenn bisher ein anderer Vormund beſtellt 
war. Denn das Amt dieſes Vormunds endet 
kraft Geſetzes nur dann, wenn der gemeindliche 
Vormund wirklicher Berufsvormund wird. Andern— 
falls muß der bisherige Vormund gefragt werden, 
ob er freiwillig ſein Amt niederlegen will. Ganz 


geitfcheift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 18, 355 


— — 


unerläßlich iſt die zweifelsfreie Feſtſtellung dann, 
wenn berufene Perſonen ($ 1776 BGB.) über: 
gangen werden ſollen. Dagegen hat die Frage 
der zuläſſigen Befreiungen nur geringe praktiſche 
Bedeutung; denn es handelt ſich meiſt um ganz 
vermögensloſe Mündel. 

Der Berufsvormund hat die geſetzlichen Vor⸗ 
rechte in allen Fallen, in denen der Mündel nach 
ſeiner Auswahl und unter ſeiner Aufſicht unter⸗ 
gebracht iſt. Er erlangt ſie nicht etwa bloß dann, 
wenn berufene Perſonen übergangen worden ſind. 
Das muß ausdrücklich hervorgehoben werden. Das 
Geſetz vom 23. Februar 1908 ſchließt ſich ängſtlich 
dem Wortlaute des Art. 136 EG. z. BGB. an und 
hat damit die ungenaue, juriſtiſch wenig glückliche 
Faſſung dieſes Artikels übernommen. Dieſe Faſſung 
(Art. 1 des Geſetzes) könnte zu der Anſicht führen, 
daß nur der wirklicher Berufsvormund iſt, der 
berufene Perſonen übergangen hat. Dieſe Aus⸗ 
legung muß abgelehnt werden. Denn ſie waͤre 
logiſch ein Unſinn, weil ſie den Berufsvormund 
einer dem Mündel fremden Perfon e 
ſchlechter ſtellen würde als ſeinen nächſten An⸗ 


5 


Allerdings fordert das Geſetz auch noch, daß das 
Kind unter der Aufſicht des Berufsvormunds 
ſteht. Allein auch das Recht und die Pflicht der 
Aufſicht erlangt jeder Vormund, demnach auch 
der Berufsvormund durch ſeine Beſtellung. Ein 
auf öffentlichrechtlicher gemeindeamtlicher Grund⸗ 
lage ruhendes Aufſichtsrecht für die Berufsvor⸗ 
mundſchaft zu fordern, iſt nach dem Wortlaute 
des Geſetzes nicht angaͤngig. Ich ſtelle demnach 
den Satz auf: Der ſtädtiſche Berufsvormund er⸗ 
hält in allen Fällen, in denen er für einen Minder⸗ 
jährigen beſtellt worden iſt, die im Geſetze vom 
23. Februar 1908 eingeräumten Vorrechte, ſomit 
die Rechtsſtelluug des eigentlichen Berufsvormunds, 
ſoferne er nur die Unterbringung des Kindes 
billigt. Er kann aber unter Uebergehung einer 
berufenen Perſon oder gegen den Willen des bis⸗ 
herigen Vormunds nur dann beſtellt werden, wenn 
er ſchon bisher die Erziehungsſtelle „ausgewählt“ 
und die Erziehung und Verpflegung des Kinds 
„beaufſichtigt“ hat. (Schluß ſolgt). 


Die ungenaue Faſſung des Geſetzes läßt auch 
Zweifel darüber aufkommen, wann eigentlich feſt⸗ 
geſtellt werden kann, daß der Mündel unter Auf⸗ 
ſicht des gemeindlichen Beamten in einer von 
ihm ausgewählten Familie oder Anſtalt er⸗ 
zogen oder verpflegt wird. Eine Auswahl der 
Familie oder Anftalt durch den Berufsvormund 
ſelbſt wird ſelten ſtattfinden. In der Regel wird 
der Mündel in einer von der Mutter oder dem 
bisherigen Vormund beſtimmten Familie oder 
Anſtalt erzogen werden. Häufig wird die Koſt⸗ 
ſtelle auch von der heimatlichen Armenpflege aus⸗ 
gewählt ſein. Bei Zwangszöglingen erfolgt die 
Auswahl durch die Diſtriktsverwaltungs behörde. 
Der Begriff der „Auswahl“ durch den Berufs⸗ 
vormund muß alſo erheblich weiter gefaßt werden, 
wenn anders das Geſetz praktiſche Bedeutung haben 
ſoll. Barthelmeß läßt in ſeinem Kommentar zum 
BVG. das Erfordernis der Auswahl ſchon dann 
gegeben ſein, wenn die Auswahl zwar von dem 
zur tatſächlichen Fürſorge berechtigten Elternteil 
getroffen iſt, die Gemeinde oder der Beamte aber 
der Auswahl ausdrücklich oder ſtillſchweigend zu⸗ 5 8 689 II 3PO. beſtimmt, daß zur Er: 
geſtimmt haben, ferner auch dann, wenn die dem laſſung des Zahlungsbefehles dasjenige Amtsgericht 
Beamten vorgeſetzte Behörde die Auswahl ge: zuſtändig iſt, welches für die im ordentlichen 
troffen hat, weil dann das Einverſtändnis des Verfahren erhobene Klage zuſtändig ſein würde, 
Beamten zu vermuten ſei. Ich verkenne nicht, daß wenn das Amtggericht in erſter Inſtanz ſach⸗ 
dieſe Auslegung ſehr weit geht, muß ihr aber lich unbeſchränkt zuſtändig wäre. Die Haupt: 
gleichwohl beipflichten, weil man ſonſt nicht zu bedeutung dieſer Aenderung iſt die, daß im Gegen⸗ 
praktiſch brauchbaren Ergebniſſen kommt. Das ſatz zu früher nunmehr auch im Gerichtsſtand des 
hat die merkwürdige Folge, daß der gemeindliche Erfüllungsortes und im vereinbarten Gerichtsſtand 
Vormund durch ſeine Beſtellung auch in den Fällen der Zahlungsbefehl beantragt werden kann. Der 

| 


ie Behandlung der Mahnſachen und der 
Ferienſachen nach der Novelle zur 35H. vom 
1. Juni 1909. 


Von Amtsrichter Theodor Gres in München. 


Die Novelle zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz, zur 
Zivilprozeßordnung, zum Gerichtskoſtengeſetz und 
zur Gebührenordnung für Rechtsanwälte hat wäh⸗ 
rend ihrer nunmehr nahezu eineinhalbjährigen 
Wirkſamkeit in der Praxis eine Reihe von Streit⸗ 
fragen gezeitigt. Es ſollen hier einige von ihnen 
beſprochen werden, die ſich auf die Behandlung 
der Mahnſachen und der Ferienſachen beziehen. 

I. Das Mahnverfahren iſt in drei wichtigen 
Punkten gegenüber dem früheren Rechtszuſtand 
geändert worden, nämlich dadurch, daß die ört⸗ 
liche Zuſtändigkeit erweitert, daß der Amtsbetrieb 
für die Zuſtellungen eingeführt und daß die Ueber⸗ 
un in das ordentliche Verfahren erleichtert 


die Vorrechte des eigentlichen Berufsvormunds Gläubiger muß in dieſem Fall die Angaben über 
bekommt, in denen zunächſt jene Vorausſetzung den Erfüllungsort oder die Vereinbarung in das 
nicht gegeben war, ſoferne er nur die bisherige | Mahngeſuch aufnehmen, damit der Richter bei 
Unterbringung des Kindes als Vormund billigt. der Erlaſſung des Zahlungsbefehles ſeine Zuſtän- 


356 


5 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


digkeit feſtſtellen kann. Daraufhin ergeht der 
Zahlungsbefehl und wird zugeſtellt; eine Zu⸗ 
ſtellung des Mahngeſuchs an den Schuldner findet 
nicht ſtatt. 

Es iſt nun die Frage aufgetaucht, wie nach 
der Erhebung des Widerſpruchs in dem ſich an⸗ 
ſchließenden ordentlichen Verfahren beim Ausbleiben 
des Beklagten die Zuſtändigkeit des Gerichts zur 
Erlaſſung des Verſäumnisurteils feſtzuſtellen iſt. 
Amtsgerichtsrat Jaſtrow in Berlin hat in der JW. 
1911 S. 17 ff. hierzu ausgeführt, daß der Klaͤger, 
wenn man nach der Strenge des Geſetzes gehen 
würde, dem Beklagten einen Schriftſatz zuſtellen 
laſſen müßte, in dem die Behauptung des Er: 
füllungsortes oder der Vereinbarung enthalten iſt, 
da nach $ 335 Abſ. I Ziff. 3 ZPO. nur ſolche 
Behauptungen im Verſäumnisverfahren als zu: 
geſtanden gelten, die der Klaͤger dem Beklagten 
durch einen Schriftſatz mitgeteilt hat. Das ent⸗ 
ſpricht keineswegs dem praktiſchen Bedürfnis und 
iſt nicht geeignet, das Mahnverfahren, deſſen 
häufigere Anwendung die Novelle fördern wollte, 
beliebt zu machen. | 

In der Praxis wird nun wohl allgemein jo 
verfahren, daß die Angaben über Erfüllungsort 
oder Zuſtändigkeitsvereinbarung in den Zahlungs⸗ 
befehl aufgenommen werden. Der Schuldner 
erhält auf dieſe Weiſe Kenntnis oon den Be⸗ 
hauptungen des Gläubigers und dieſe Behauptungen 
haben beim Ausbleiben des Schuldners dann als 
zugeſtanden zu gelten. Jaſtrow erkennt an, daß 
das Geſetz im Mahnverſahren augenſcheinlich den 
Inhalt des Zahlungsbefehls dem Vorbringen in 
einem Schriftſatze gleichſtellt, da dem Beklagten 
das Mahngeſuch ja nicht zugeſtellt wird; er be⸗ 
zeichnet dieſe Regelung aber immerhin als ein 
Mittel nicht supplendi, ſondern corrigendi iuris 
civilis gratia, da eine Behauptung, um als zu: 
geſtanden zu gelten, dem Beklagten vom Kläger 
(nicht vom Gericht) mitgeteilt ſein müſſe, und hält 
es für wünſchenswert, daß das Geſetz dieſen 
Punkt ausdrücklich geregelt hätte. 

Ich glaube, daß auch ohne ausdrückliche ge— 
ſetzliche Regelung die geſchilderte Praxis den Prozeß⸗ 
vorſchriften entſpricht. Wenn das Geſetz im § 693 IL 
ZPO. beſtimmt, daß mit der Zuſtellung des 
Zahlungsbefehls die Wirkungen der Rechtshangig— 
keit eintreten (die ſonſt an die Zuſtellung der 
Klageſchrift geknüpft ſind), ſo iſt damit deutlich 
ausgeſprochen, daß der Zahlungsbefehl im Mahn: 
verfahren die Klageſchrift vertritt, wenn er ſeiner 
rechtlichen Natur nach auch ein richterlicher Akt 
und keine Klage iſt. Der Inhalt des Zahlungs— 
befehls gilt alſo dann dem Beklagten ebenſo mit: 
geteilt, wie der Inhalt der Klage, und wenn der 
Erfüllungsort oder die Zuſtändigkeitsvereinbarung 
im Zahlungsbefehl enthalten iſt und der Beklagte 
im Termin nicht erſcheint, gelten auch dieſe Be— 
hauptungen als zugeſtanden. 

Jaſtrow erwähnt noch, es ſei auch möglich, 


die Behauptungen in die Ladung des Beklagten 
zum Termin aufzunehmen. Wenn er dieſe Maß⸗ 
nahme als eine Korrektur des Geſetzes bezeichnet, 
ſo iſt ihm meiner Auffaſſung nach völlig beizu⸗ 
treten. Es dürfte dieſe Regelung auch nicht ge⸗ 
nügen, um ein Verſäumnisurteil gegen den aus⸗ 
gebliebenen Beklagten zu ermöglichen; denn die 
vom Gerichte ausgehende Ladung iſt einem Partei⸗ 
ſchriftſatze nicht gleichzuſtellen und es fehlt im 
Gegenſaz zu dem vorher behandelten Fall der 
Aufnahme in den Zahlungsbefehl an einer ge⸗ 
ſetzlichen Vorſchrift, aus der dieſe Gleichſtellung 
zu folgern wäre. 

2. Zn SS 696, 697 3 PO. Die Frage, ob 
das Amtsgericht nach vorausgegangenem Mahn⸗ 
verfahren bei einem zur Zuſtändigkeit der Land⸗ 
gerichte gehörigen Streitgegenſtande Verſaͤumnis⸗ 
urteil erlaſſen kann, iſt ſehr beſtritten. Die Kom⸗ 
mentare von Gaupp⸗Stein und Seuffert verneinen 
ſie. Auf dem gleichen Standpunkt ſteht Rechts⸗ 
anwalt Dr. Rieß in Berlin (JW. 1910 S. 796), 
Landrichter Schrödter in Glatz (JW. 1910 S. 987 
und 1911 S. 530), Rechtsanwalt Deiler in Augs⸗ 
burg (JW. 1911 S. 527). Bejaht wird die Frage 
in der Ausgabe von Sydow⸗Buſch, ferner von 
Rechtsanwalt Frohmuth in Neiſſe (JW. 1910 
S. 985), von Amtsgerichtsrat Dr. Levin in Berlin 
(JW. 1910 S. 985, Fußnote und 1911 S. 531) 
und von Rechtsanwalt Dr. Leviſon in Düſſeldorf 
(JW. 1910 S. 986). Remelé: „Die durch das 
Geſetz vom 1. Juni 1909 geänderten Beſtim⸗ 
mungen“ S. 48 bejaht die Frage ebenfalls, ab: 
geſehen von den Fällen ausſchließlicher Zuſtändig⸗ 
keit des Landgerichts (§ 70 II, III GVG.) 

Von Entſcheidungen aus der Praxis iſt an⸗ 
zuführen, daß das Landgericht Naumburg in 
einem Urteil vom 28. Februar 1911 (JW. 1911 
S. 416) den verneinenden Standpunkt einnahm, 
das Amtsgericht Leer dagegen ſich (JW. 1911 
S. 125) der gegenteiligen Auffaſſung anſchloß. 

Die hieſige Gerichtspraxis geht, ſoviel dem 
Unterzeichneten bekannt iſt, dahin, daß ein Ver⸗ 
ſäͤumnisurteil in landgerichtlichen Sachen nicht 
erlaſſen wird, und dieſer Standpunkt ſcheint mir 
zutreffend zu ſein. Bei Erörterung der Frage 
iſt zunächſt auf die Entſtehungsgeſchichte der 
SS 696, 697 3P O. einzugehen. 

Nach bisherigem Recht war nach der Ein⸗ 
legung des Widerſpruchs das Verfahren verſchieden, 
je nachdem die wegen des Anſpruchs zu erhebende 
Klage vor die Amtsgerichte oder vor die Land: 
gerichte gehörte. Im erſteren Falle bedurfte es 
keiner beſonderen Klage, die Klage wurde viel⸗ 
mehr als mit der Zuſtellung des Zahlungsbefehles 
erhoben angeſehen. Im letzteren Falle erloſchen 
die Wirkungen der Rechtshängigkeit, wenn nicht 
binnen einer ſechsmonatigen Friſt die Klage zum 
Landgericht erhoben wurde. Dieſe Regelung ent: 
ſprach nicht den praktiſchen Bedürfniſſen, das Er: 
fordernis der Erhebung einer Klage machte das 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


Verfahren ſchwerfallig und unbeliebt und deshalb 
beſtimmte der Entwurf im Abſatz I des 5 696 
ganz allgemein, alſo auch für landgerichtliche Ob⸗ 
jekte, daß im Falle rechtzeitiger Erhebung des 
Widerſpruchs die Klage als mit der Zuſtellung 
des Zahlungsbefehls bei dem Amtsgericht erhoben 
anzuſehen iſt, welches den Befehl erlaſſen hat. 
Nach der Begründung des Entwurfs konnte von 
dem Erfordernis einer Klage zum Landgericht 
unbedenklich abgeſehen werden, wenn die Ver⸗ 
weiſung des Rechtsſtreits vom Amtsgericht an ein 
anderes Gericht in der in den 88 505, 506 des 
Entwurfs vorgeſehenen Weiſe erleichtert wurde 
(Begr. S. 42). 

Der Abſatz II des 8 696 ZPO. intereſſiert 
hier nicht weiter. Der Entwurf hatte ferner als 
Abſ. III des § 696 die Beſtimmung aufgenommen: 
„Eine Prüfung der Zuſtändigkeit von Amts wegen 
findet nicht ſtatt. Im übrigen bleiben die Vor⸗ 
ſchriften des § 505 unberührt.“ Die Begründung 
des Entwurfs führt hierzu auf S. 43 aus, nach 
§ 689 II ZPO. (dieſer ſtimmte im Entwurf 
mit dem früheren Geſetz überein; die Erweiterung 
der Zuſtändigkeit, wie ſie jetzt beſteht, erfolgte erſt 
durch die Beſchlüſſe der Kommiſſion) ſei zur Er⸗ 
laſſung des Zahlungsbefehls das Amtsgericht des 
allgemeinen perſönlichen Gerichtsſtandes, des Auf⸗ 
enthaltsortes oder des dinglichen Gerichtsſtandes 
ausſchließlich zuſtändig. Wenn das Amtsgericht 
bei Erlaſſung des Zahlungsbeſehles ſeine Zu⸗ 
ſtändigkeit irrtümlich angenommen habe, müßte 
alſo entweder die Klage wegen Unzuſtändigkeit 
abgewieſen, oder auf Antrag des Klägers nach 
§ 505 ZPO., ſofern die Vorſchrift für das weitere 
Verfahren nach rechtzeitig erhobenem Widerſpruch 
nicht eingeſchränkt werde, der Rechtsſtreit an das 
zuſtändige Gericht verwieſen werden. Dieſe Re⸗ 
gelung ſei unbefriedigend; da das Amtsgericht 
ſchon vor Erlaſſung des Zahlungsbefehles ſeine 
Zuſtändigkeit von Amts wegen zu prüfen habe, 
würden Irrtümer über die Zuſtändigkeit bei der 
Erlaſſung des Zahlungsbefehles meiſt nur an 
Orten vorkommen, welche, wie Berlin in mehrere 
Gerichtsbezirke geteilt oder welche, wie Hamburg 
und Altona räumlich ineinander gewachſen ſeien. 
In derartigen Fällen ſei das Intereſſe des 
Schuldners daran, daß das zuſtändige Gericht 
entſcheide, nur gering und der Mangel der Zu⸗ 
ſtändigkeit könne unbedenklich unbeachtet bleiben, 
wenn ihn der Schuldner ſelbſt nicht geltend mache. 
Deshalb wurde beſtimmt, daß eine Prüfung der 
Zuſtändigkeit — wobei zweifellos die Begründung 
nur die örtliche Zuſtändigkeit im Auge hatte — 
von Amts wegen nicht ſtattfinde, im übrigen 
aber die Vorſchrift des 8 505 unberührt bleibe, 
wonach der Schuldner, wenn er dies wollte, die 
Verweiſung an das (örtlich) zuſtändige Gericht 
beantragen konnte. Von der ſachlichen Zuſtändig⸗ 
keit handelt die Begründung zu § 696 alſo 
überhaupt nicht. 


357 


Die Begründung des Entwurfs ging ferner 
von der Meinung aus, da infolge der nach $ 693 
ZPO. begründeten, auch durch den Widerſpruch 
nicht beſeitigten ($ 695 II) Rechtshängigkeit das 
weitere Verfahren an den Gerichtsſtand des Mahn⸗ 
verfahrens gebunden ſei, bleibe das Amtsgericht 
auch in einem Falle, in welchem es ſich um ein 
landgerichtliches Objekt handle, für das weitere 
Verfahren zuſtändig (Begr. S. 44), den Parteien 
müſſe jedoch hier die Möglichkeit gewährt werden, 
den Prozeß vor dem Landgericht fortzuſetzen. 
Deshalb habe der Entwurf im $ 697 1 ent⸗ 
ſprechend dem $ 506 beſtimmt, daß das Amts: 
gericht in ſolchem Falle, ſofern eine Partei vor 
der Verhandlung darauf antrage, durch Beſchluß 
ſich für unzuſtändig zu erklären und den Rechts⸗ 
ſtreit an das Landgericht zu verweiſen habe, ſowie 
daß die Vorſchriften des Abſ. II und III Satz 1 
des 8 505 über die Unanfechtbarkeit des Be⸗ 
ſchluſſes und die bisher erwachſenen Koſten An⸗ 
wendung finden ſollen. In der Begründung heißt 
es auf S. 44 weiter, daß der Rechtsſtreit auch 
dann vom Amtsgericht zu entſcheiden ſein würde, 
wenn es ſich um eine zur ausſchließlichen Zu: 
ſtändigkeit des Landgerichts gehörige Sache handele 
und die Ueberweiſung nicht beantragt würde; 
allein der Fall, daß wegen eines der im 8 70 
II und III GVG. bezeichneten Anſprüche ein 
Zahlungsbefehl beantragt werde, ſei ſo ſelten, daß 
er nicht beſonders im Geſetz berückſichtigt zu 
werden brauche, zumal da das Gericht in der 
Lage ſei, in ſolchem Falle auf die Stellung des 
Verweiſungsantrages hinzuwirken. 

Hiernach vertritt die Begründung alſo die An⸗ 
ſicht, daß infolge der Bindung des weiteren Ver⸗ 
fahrens an den Gerichtsſtand des Mahnverfahrens 
die Zuſtändigkeit des Amtsgerichts auch für land⸗ 
gerichtliche Streitwerte begründet ſei. Ob dieſer 
Anſicht beizutreten iſt, iſt ſpäter zu unterſuchen. 
Mit dem Ergebnis, zu dem die Begründung ge⸗ 
langte, war man in der Reichstagskommiſſion 
nicht einverſtanden. Der Kommiſſionsbericht führt 
auf S. 65 aus, es ſei nicht zu billigen, daß 
Prozeſſe über beliebige Werte auf dem Wege des 
Mahnverfahrens an das Amtsgericht geleitet 
würden. Der Schuldner werde oft aus Unkennt⸗ 
nis verſäumen rechtzeitig die Unzuſtändigkeit des 
Amtsgerichts zu rügen, und könne dann ohne, ja 
gegen ſeinen Willen an das Amtsgericht gebunden 
ſein, die Beruſung an das Oberlandesgericht und 
die Reviſion verlieren. Die Bedenken mehrten 
ſich, da der Entwurf und mit ihm die Kommiſſion 
den 8 504 Il geſtrichen habe und im § 696 III 
beſtimme, daß eine Prüfung der Zuſtändigkeit von 
Amts wegen nicht ſtattfinde; erſcheine alſo der Be: 
klagte im Termine vor dem Amtsgericht nicht, For 
ergehe Verſäumnisurteil gegen ihn, gleichgültig 
wie hoch der Anſpruch ſei. 

Der Regierungsvertreter befürwortete die An: 
nahme des Entwurfs. Er erklärte, der 869611 beziehe 


ſich nur auf die örtliche Zuſtändigkeit. Dies könne, 
falls die jetzige Faſſung Zweifel daran zulaſſe, durch 
eine veränderte Faſſung klargeſtellt werden. Wenn 
ein landgerichtlicher Anſpruch erhoben werde und 
das Amtsgericht alſo für das Verfahren nach recht⸗ 
zeitig erhobenem Widerſpruch ſachlich unzuſtändig 
ſei, jo greife $ 697 Platz, wonach das Amtsge⸗ 
richt auf Antrag einer Partei ſich für unzuſtändig 
zu erklaren und den Rechtsſtreit an das Landge⸗ 
richt zu verweiſen habe. Die Streichung des 
§ 504 II habe keine ſachliche Aenderung bezweckt, 
dieſer “u ſei nur geſtrichen worden, weil er 
überflüſſig ſei, da ſich ſchon aus § 502 ergebe, 
daß das Gericht den Beklagten auf die Unzu⸗ 
ſtändigkeit aufmerkſam zu machen habe, falls 
dies nach den Umſtänden angezeigt ſei. Dieſer 
8 502 gelte auch für das Verfahren nach erhobenem 
Widerſpruch. — Gerade das Erfordernis einer be⸗ 
ſondern Klage für den Fall des Widerſpruchs 
mache das Mahnverfahren ſchwerfällig und unbe⸗ 
liebt, die verbündeten Regierungen ſtänden deshalb 
auf dem Standpunkt, daß, wenn man das Mahn⸗ 
verfahren heben wolle, die Regelung, wie ſie der 
Entwurf im $ 697 J vorſchlage, ſich dringend 
empfehle. 

Im Gegenſatz zu der Auffaſſung der Begründung 
ſtand alſo der Regierungsvertreter auf dem Stand: 
punkte, daß das Amtsgericht bei landgerichtlichem 
Streitwert nach Erhebung des Widerſpruchs un— 
zuſtändig ſei und daß der Beklagte vom Richter 
auf dieſe Unzuſtändigkeit hingewieſen werden müſſe. 
Der Regierungsvertreter las aus § 697 J keines⸗ 
wegs heraus, daß hierdurch die Zuſtändigkeit des 
Amtsgerichts für landgerichtliche Objekte begründet 
oder der Grundſatz der Prüfung der Zuſtändigkeit 
von Amts wegen beſeitigt werden ſolle, ſondern 
er empfahl die Annahme des Entwurfs, um die 

beſondere Klage zum Landgericht unnötig zu machen. 
| In der 1. Leſung der Kommiſſion wurde die 
Faſſung des § 696 I u. III und des § 697 ab: 
gelehnt. In der 2. Leſung wurde beantragt, die 
§§ 696 I und 697 in der Faſſung der Regierungs- 
vorlage wiederherzuſtellen, ebenſo $ 504 JI. Zur 
Begründung war ausgeführt, die nach dem bis— 
herigen Geſetz vor dem Landgericht zu erhebende 
Klage führe zu Weiterungen, die der Entwurf be— 
ſeitigen wolle. Den Bedenken gegen deſſen an ſich 
zweckmäßige Vorſchläge könne man dadurch be— 
gegnen, daß man den § 504 II wiedereinſtelle, 
den § 696 III aber beſeitigt laſſe. Dann ſei 
ganz klar ausgeſprochen, daß im Mahnverfahren 
auf Widerſpruch hin der Anſpruch zwar ohne Rück— 
ſicht auf ſeine Höhe beim Amtsgericht verbleibe, 
daß das Amtsgericht aber ſeine Zuſtändigkeit zu 
prüfen und im Falle ſeiner Unzuſtändigkeit den 
Beklagten darauf hinzuweiſen und einen etwaigen 
Antrag auf Erlaß eines Verſäumnisurteils zurück— 
zuweiſen habe (Kommiſſionsbericht S. 66, 67). 
Dieſer neue Antrag wurde angenommen, und hier— 
mit hat ſich die Kommiſſion dieſe letztere Begründung 


Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


| 


zu eigen gemacht. Hiernach hat die Kommiſſion 
nicht den geringſten Zweifel darüber gelaſſen, daß 
nach ihrer Anſicht das Amtsgericht für landge⸗ 
richtliche Objekte unzuſtändig iſt, daß es ſeine Zu⸗ 
ſtändigkeit von Amts wegen zu prüfen hat und 
ein Verſäumnisurteil nicht erlaſſen darf. 

Die Vertreter der gegenteiligen Anſchauung 
ſind nun der Meinung, dieſe Auffaſſung der 
Kommiſſion ſei im Geſetz nicht zum Ausdruck ge⸗ 
kommen. Weil die Kommiſſion die SS 696 J, II 
und 697 in der unveränderten Faſſung des Ent: 
wurfs angenommen habe, könne nun ein anderer 
Sinn, als dieſe Paragraphen nach der Entwurfs⸗ 
Begründung haben ſollten, nicht herausgeleſen 
werden; § 6971 ſei gegenüber den allgemeinen 
Zuſtändigkeitsvorſchriften eine Ausnahmebe⸗ 
ſtimmung. Dieſer Auffaſſung kann nicht beige⸗ 
treten werden. Im Gegenteil iſt die Ausführung 
der Entwurfsbegründung unverſtändlich, „daß das 
Amtsgericht auch für landgerichtliche Objekte zu⸗ 
ſtändig ſei, weil das Verfahren nach Widerſpruchs⸗ 
erhebung an den Gerichtsſtand des Mahnverfahrens 
gebunden ſei“. 

Richtig iſt nur ſoviel, daß infolge der durch 
die Zuſtellung des Zahlungsbefehles begründeten 
Rechtshängigkeit das weitere Verfahren an den 
Gerichtsſtand des Mahnverfahrens gebunden iſt. 
Durch dieſe Bindung wird aber ein nach den all⸗ 
gemeinen Beſtimmungen unzuſtändiges Gericht eben⸗ 
ſowenig zuſtändig, wie die Erhebung einer Klage 
bei einem unzuſtändigen Gericht, durch welche 
allerdings das Verfahren zunächſt (nämlich bis 
zur Klageabweiſung oder zur Verweiſung) an dieſes 
Gericht gebunden wird, das Gericht zu einem zu⸗ 
ſtändigen macht. Weder § 696 noch 8 697 enthält 
eine Zuſtändigkeits⸗Vorſchrift. Beide Paragraphen 
wollen lediglich den als unnötig und unbequem 
empfundenen Umweg der beſonderen Klage beim 
Landgericht beſeitigen. Das Verfahren bleibt beim 
Amtsgericht anhängig, auch wenn ein landgericht⸗ 
liches Objekt in Frage ſteht. Dies bedeutet einen 
erheblichen Fortſchritt gegenüber dem früheren Rechts⸗ 
zuſtand: das Amtsgericht kann infolge von Proro- 
gation zur Entſcheidung zuſtändig werden oder es 
bedarf nur der einfachen Verweiſung an das Land— 
gericht, wenn der Unzuſtändigkeitseinwand ge: 
bracht wird; die neue Klageerhebung iſt über⸗ 
flüſſig, auch erlöſchen nunmehr nicht wie früher 
die Wirkungen der Rechtshängigkeit. 

Aus der Vorſchrift des § 697 J, daß ſich das 
Amtsgericht nach Antragſtellung für unzuftändig 
zu erklären habe, kann nicht geſchloſſen werden, 
daß es ohne Autragſtellung zuſtändig ſein ſolle. 
§ 697 iſt den SS 505 und 506 nachgebildet. Auch 
dort heißt es, daß das Gericht ſich für unzuſtändig 
zu erkären und den Rechtsſtreit an das zuſtändige 
Gericht zu verweiſen habe und es kann natürlich 
nicht behauptet werden, daß ohne dieſen Antrag 
die Zuſtändigkeit des angegangenen Gerichtes ge: 
geben wäre. Auch die ſonſtigen Vorſchriften über 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 9 in Bayern. 1911. 1911. Nr. 1585. 3858 18. 


das Mahnverfahren enthalten keine Beſtimmung, 
aus der die Zuſtändigkeit des Amtsgerichts für 
landgerichtliche Gegenſtände im Nachverfahren zu 
folgern iſt. 

Im Verſäumnisverfahren hat das Gericht, 
wie allgemein anerkannt iſt, von Amts wegen die 
allgemeinen Prozeßvorausſetzungen zu prüfen. wozu 
auch die Zuſtändigkeit gehört. Nun könnte das 
Geſetz allerdings eine Ausnahme von dieſer Prozeß⸗ 
regel zulaſſen. Das iſt aber nicht geſchehen. Wenn 
der Abſatz III des § 696, wie ihn der Entwurf 
vorſchlug, Geſetz geworden wäre, läge allerdings 
eine ſolche Ausnahmebeſtlimmung vor. Bei der 
allgemeinen Faſſung dieſes Abſatzes: „Eine Prüfung 
der Zuſtändigkeit von Amts wegen findet nicht 
ſtatt“ könnte und müßte man wohl die Vorſchriſt 
ſowohl auf die örtliche wie die ſachliche Zuſtändig⸗ 
keit beziehen, wenngleich nach der Begründung 
hiermit nur die örtliche Zuſtändigkeit gemeint ſein 
ſollte; dieſe beſchränkende Abſicht der Regierungs⸗ 
vorlage wäre eben in dem gewahlten Text nicht 
genügend zum Ausdruck gekommen. Die Kommiſſion 
hat das Bedenkliche einer derartigen Vorſchrift er⸗ 
kannt und gerade deshalb ihre Beſeitigung be⸗ 
ſchloſſen. 


Aus dem 8 697 Abſ. I eine Ausnahme von 


der allgemeinen Regel der Prüfung der Zuftändig: 
keit von Amts wegen abzuleiten, geht aber auch 
nicht an. Der Wortlaut dieſes Paragraphen zwingt 
keineswegs zu dieſer Annahme. Mit der Faſſung 
des Abſatzes I des $ 697 ſollte geradeſo wie im 
8 505 der von der Novelle anerkannte Grund⸗ 
ſatz ausgedrückt werden, daß bei Unzuſtändigkeit 
nicht die Klage abzuweiſen, ſondern der Rechts⸗ 
ſtreit an das zuſtändige Gericht zu verweiſen ſei. 


Wenn das Geſetz beim Erſcheinen des Be: 
klagten dem Richter noch ausdrücklich die Ver⸗ 
pflichtung auferlegte, den Beklagten auf die ſach⸗ 
liche Unzuſtändigkeit hinzuweiſen (§ 504 ID, fo 
iſt hiermit mittelbar die allgemeine Regel be⸗ 
ſtätigt, das im Verſäumnis⸗-Verfahren die Zu: 
ſtändigkeit von Amts wegen zu prüfen iſt. $ 6971 
kann alſo nicht als Ausnahmebeſtimmung gegen: 
über dieſer allgemeinen Regel aufgefaßt werden, 
um fo weniger, als die Kommiſſion ausdrücklich da— 
von ausgegangen iſt, daß die Zuſtändigkeit von 
Amts wegen zu prüfen ſei. 


Die Erlaſſung eines Verſäumnisurteils iſt 
alſo bei einem zur Zuſtändigkeit des Landgerichts 
gehörigen Streitwerte unzuläſſig. Unabhängig 
von dieſer Frage iſt die weitere Frage, ob das 
Verſaͤumnisurteil erlaſſen werden kann, wenn 
infolge von Teilzahlung nach Zuſtellung des 
Zahlungsbefehles nurmehr eine den Betrag von 
600 M nicht überſteigende Summe Gegenſtand 
des weiteren Verfahrens iſt. 
die Zuſtändigkeit des Amtsgerichts nunmehr ge— 
geben; das Verſäumnisurteil kann dann alſo er— 
laſſen werden (vgl. Seuffert, Komm. z. ZPO. 


In dieſem Fall iſt 


| 
| 


359 


Anm. 21 zu § 263, Anm. 1 Abſ. II zu 8 697 
. Komm. zur Novelle Anm. 2 II zu 
8 697 


3. Zu 8 697 Abſ. II. Die Frage, ob der 
Rechtsſtreit an das Landgericht auch dann ohne 
mündliche Verhandlung verwieſen werden kann, 
wenn der Verweiſungsantrag nicht im Mahn⸗ 
geſuch geſtellt und auch nicht mit dem Widerſpruch 
verbunden iſt, ſondern von einer der Parteien 
nachträglich geſondert angebracht wurde, wird von 
Gaupp Stein verneint, von Seuffert dagegen be⸗ 
jaht für den Fall, daß noch keine mündliche 
Verhandlung beantragt iſt. Für die Bejahung 
ſpricht ſich auch das Landgericht Cleve im Be⸗ 
ſchluß vom 12. Juli 1910 aus (JW. 1910 S. 923), 
was Dr. Dittenberger für bedenklich hält (vgl. die 
angeführte Stelle der J W.). 


Richtig iſt, daß der Wortlaut des § 697 II 
er die Verneinung der Frage ſpricht. Der Sinn 
des Geſetzes zwingt jedoch meiner Auffaſſung nach 
nicht zu dieſer Auslegung. Nach der Begründung 
wurde kein entſcheidendes Gewicht darauf gelegt, 
daß der Antrag ſchon im Mahngeſuch oder gleich⸗ 
zeitig mit der Widerſpruchserhebung geſtellt wird. 
Es heißt in der Begründung S. 44 einfach: „Da 
Zweifel darüber, ob eine wegen des Anſpruchs 
zu erhebende Klage vor die Amtsgerichte oder die 
Landgerichte gehört, ſelten beſtehen werden, ſo iſt 
es unbedenklich, wenn. wie der Abſ. II zur Ver⸗ 
einfachung des Verfahrens vorſchlägt, dem Gericht 
die Befugnis gewährt wird, die Entſcheidung über 
den Antrag auf Verweiſung. ſoferne dieſer ſchon 
in dem Geſuch um Erlaſſung des Zahlungs- 
befehles geſtellt oder mit dem Widerſpruch ver⸗ 
bunden worden iſt, ohne vorgängige mündliche 
Verhandlung zu treffen.“ 


Die Vorſchrift iſt alſo auf die Einfachheit der 
zu entſcheidenden Frage gegründet und verfolgt 
den Zweck einer Vereinfachung des Verfahrens. 
Der gleiche Grund und der gleiche Zweck laſſen 
es angezeigt erſcheinen, auch einem nicht gerade 
mit dem Mahngeſuche oder dem Widerſpruch ver⸗ 
bundenen Verweiſungsantrag ohne mündliche Ver— 
handlung ſtattzugeben. Dafür ſprechen namentlich 
gewichtige praktiſche Rückſichten: dem Verweiſungs⸗ 
antrag muß unter allen Umſtänben entſprochen 
werden, wenn die landgerichtliche Zuſtändigkeit 
gegeben iſt. Es würde alſo nur eine zweckloſe 
Beläftigung der Parteien und des Gerichts be— 
deuten, wenn ein Termin zur mündlichen Ver— 
handlung über den Verweiſungsantrag anberaumt 
werden müßte, und dieſer Verhandlungstermin 
würde, wenn die Parteien oder die Anwälte nicht 
am Sitz des Prozeßgerichts wohnen, auch noch 
mit unnötigen Koſten verknüpft fein, ganz abge: 
ſehen davon, daß entgegen der Abſicht der Novelle 


dadurch die Erledigung, wenn auch nicht erheblich, 


| 


verzögert würde. Es darf angenommen werden, 
daß der Geſetzgeber mit der Anführung der beiden 


360 


Fälle (der Verbindung mit dem Mahngeſuch oder 
der Widerſpruchserhebung) nur die Normalfälle 
hervorheben, jedoch nicht ausſchließen wollte, daß 
auch einem geſonderten Antrag auf Verweiſung 
ohne mündliche Verhandlung entſprochen werden 
kann. (Fortſ. folgt). 


Die Vollſtreckbarkeit deutſcher Vollſtreckungs⸗ 
titel in Leſterreich. 


Von Dr. Arthur Lebrecht, Rechtsanwalt in Nürnderg. 


J. 

Gemäß den 88 704, 794 ZPO. 8 57 
Gew., \ 16 KfmGG., 88 19, 41, 46 
Koni6G., § 2 Schutz., gibt es in Deutſch⸗ 
land hauptſächlich ſolgende Vollſtreckungstitel: 
Urteile der ordentlichen Gerichte, der Gewerbe⸗ 
und Kaufmanns, Konſulals- und Schutzgebiets⸗ 
gerichte, ſerner gerichtliche Vergleiche, Koſtenfeſt⸗ 
ſetzungsbeſchlüſſe und ſonſtige Beſchlüſſe (3. B. Be⸗ 
ſchlüſſe gemäß § 766 ZPO.), Vollſtreckungsbefehle, 
notarielle und gerichtliche Urkunden gemäß 8 794 
Nr. 5 ZPO. Endlich ſind Vollſtreckungstitel auch 
die Arreſte und einſtweiligen Verfügungen, Konkurs: 
tabellenauszuge und Zwangsvergleiche, Schieds⸗ 
ſprüche, ſowie gewiſſe Entſcheidungen der Ver⸗ 
waltungsbehörden. Von dieſen Vollſtreckungs⸗ 
titeln kommen für eine Vollſtreckung in Oeſterreich 
gemäß der Verordnung des öſterreichiſchen Juſtiz⸗ 
miniſters vom 21. Dezember 1899 folgende in 
Betracht: die Urteile, Beſchlüſſe und Beſcheide der 
Zivilgerichte, wenn ein weiterer Rechtszug dagegen 
ausgeſchloſſen iſt, einſchließlich der ausdrücklich er: 
wähnten Koſtenfeſtſetzungsbeſchlüſſe, Vollſtreckungs— 
befehle des Mahnverfahrens, die Auszüge aus den 
Konkurstabellen und die Schiedsſprüche von 
Schiedsrichtern. Die Urteile der Gewerbe- und 
Kaufmannsgerichte ſind noch ausdrücklich in der 
Verordnung hervorgehoben. Da Bosnien und 
die Herzogewina keine Gewerbe- und Kaufmanns: 
gerichte kennen, iſt dort die notwendige Gegen: 
ſeitigkeit für die letztgenannten Urteile nicht ge⸗ 
geben. (Vgl. Zeitſchrift für internat. Recht, Bd. 15 
Seite 444.) 

Die Urteile der deutſchen ordentlichen Gerichte 
find, ihre Rechtskraft vorausgeſetzt, bei Vorhanden⸗ 
fein der unten näher zu erörternden Vorausſetzungen 
ſtets vollſtreckbar. Da die Urteile der deutſchen 
Konſulats- und Schutzgebietsgerichte den ſonſtigen 
deutſchen Urteilen gleichgeſtellt ſind, ſo unterliegt 
auch deren Vollſtreckbarkeit im Auslande keinerlei 
Bedenken. (Gaupp-Stein ZPO. 10. Aufl. S. 12). 
Vor deutſchen Gerichten geſchloſſene Vergleiche ſind 


) Sie wird in dieſer Abhandlung für die Folge 
nur noch kurz als „Zeitſchrift“ bezeichnet werden. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


als Vollſtreckungstitel nicht anerkannt (vgl. Recht: 
ſprechung der OLG. Bd. 29 S. 148). Es muß 
vielmehr auf Grund des durch den Vergleich 
materiell feſtgeſtellten Rechtsverhältniſſes zunächſt 
ein Vollſtreckungsurteil in Oeſterreich erlaſſen 
werden. Die Verordnung des öſterreichiſchen 
Juſtizminiſters vom 19. Oktober 1904 zur Her⸗ 
ſtellung der Gegenſeitigkeit gegenüber dem deutſchen 
Reich (Zeitſchrift Bd. 15 S. 489) ſpricht zwar 
von Exekutionsanträgen, welche ſich auf die Er⸗ 
kenntniſſe deutſcher Gerichte oder die vor dieſen 
abgeſchloſſenen Vergleiche gründen. Es iſt dies 
jedoch offenbar ein Redaktionsverſehen. In der 
öſterreichiſchen Praxis werden deutſche Vergleiche 
nicht vollſtreckt, wie ſich ja auch aus der erwähnten 
Verordnung vom Jahre 1899 ergibt. Die Koſten⸗ 
feſtſetzungsbeſchlüſſe und ſonſtigen Beſchlüſſe der 
Zivilgerichte ſind in der Verordnung vom Jahre 
1899 beſonders erwähnt. Die Möglichkeit der 
Vollſtreckung aus einem Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß 
iſt übrigens in einer Entſcheidung des oberſten 
Gerichtshofes in Wien vom 18. Oktober 1909 
ausdrücklich anerkannt worden, wobei insbeſondere 
hervorgehoben iſt, daß das von dem Gerichts⸗ 
ſchreiber des deutſchen Gerichts ausgeſtellte Rechts⸗ 
kraftzeugnis für die Vollſtreckung in Oeſterreich 
genügt. (Zeitſchrift Bd. 13 S. 188). 


Soweit es ſich um einen Beſchluß handelt, 
welcher die Koſten des Prozeſſes dem Kläger auf⸗ 
bürdet, iſt auch durch Art. 18 und 19 des Haager 
Abkommens über den Zivilprozeß die Vollſtreck⸗ 
barkeit ohne weiteres gewährleiſtet. Die Voll⸗ 
ſtreckungsbefehle im Mahnverſahren find in Dal: 
matien, Galizien und der Bukowina nicht voll⸗ 
ſtreckbar, da in dieſen Bezirken nach öſterreichiſchem 
Rechte das Mahnverfahren überhaupt unzuläſſig 
iſt (Zeitſchrift Bd. 20 S. 60). 


Nach den bisher geltenden Verordnungen ſind 
deutſche Notariats- und Gerichtsurkunden gemäß 
§ 794 Nr. 5 ZPO. keine geeigneten Exekutions⸗ 
titel in Oeſterreich, jedoch iſt man zurzeit be⸗ 
ſtrebt, dieſem Mangel alsbald abzuhelfen. (Zeit⸗ 
ſchrift Bd. 20 S. 61). 


Die vorläufigen Maßnahmen der Arreſte und 
einſtweiligen Verfügungen find keine Vollſtreckungs⸗ 
titel für das Ausland, dagegen muß aus deutſchen 
Schiedsſprüchen in Oeſterreich die Exekution be⸗ 
willigt werden. ſelbſtverſtändlich iſt dies erſt dann 
möglich, wenn die Vorausſetzungen erfüllt find, 
unter welchen ein Schiedsſpruch in Deutſchland 
ſelbſt zur Zwangsvollſtreckung geeignet iſt. Gemäß 
8 1042 ZPO. iſt dies nur dann der Fall, wenn 
die Zuläſſigkeit durch ein Vollſtreckungsurteil 
ausgeſprochen iſt, ohne dieſes Vollſtreckungsurteil 
iſt ein deutſcher Schiedsſpruch auch nicht im 


) Siehe auch Punkt 13 der Tagesordnung des 
Juriſtentages 1912, mitgeteilt in Nr. 16/17 dieſes Jahr⸗ 
gangs S. 352. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


deutſchen Reich vollſtreckbar umſoweniger im Aus⸗ 
land (Zeitſchrift Bd. 18 S. 107, Bd. 20 S. 443). 


Auf Grund der Entſcheidungen der Verwal⸗ 
tungsbehörden des deutſchen Reiches oder eines 
deutſchen Bundesſtaates iſt eine Exekutionsbe⸗ 
willigung unmöglich, da weder in der mehrfach 
erwähnten Verordnung des Juſtizminiſters, noch 
in einem Staatsvertrage hiervon die Rede iſt. 
(Vgl. Zeitſchrift, Bd. 13 S. 187). 


II. 


In örtlicher Hinſicht iſt zu betonen, daß die 
Vollſtreckbarkeit der genannten Urkunden ſich nur 
auf Oeſterreich ſelbſt bezieht; in Ungarn iſt die 
Gegenſeitigkeit nicht verbürgt. (Neumiller ZPO. 
zu 8 328). Auf die Beſchränkungen in den 
Gebieten von Bosnien, Herzegowina, Dalmatien, 
Galizien und der Bukowina wurde ſchon oben 
hingewieſen. 


III. 


Die Frage, ob die Verordnung für die Gegen⸗ 
ſeitigkeit der Vollſtreckung der Urteile rückwirkende 
Kraft habe, d. h. die Frage, ob die Verbürgung 
der Gegenſeitigkeit zur Zeit der Erlaſſung des 
Vollſtreckungsurteils genüge, oder ob ſie ſowohl in 
dieſem Zeitpunkte als auch zur Zeit der Erlaſſung 
des deutſchen Urteiles vorhanden ſein muß, iſt jetzt 
über 10 Jahre nach dem Inkrafttreten der Ver⸗ 
ordnung praktiſch nicht von erheblicher Bedeutung, 
die Frage iſt in der Rechtſprechung ſehr beſtritten. 
Mit der herrſchenden Lehre dürfte jedoch anzu⸗ 
nehmen ſein, daß die Frage zu bejahen iſt. 
(Zeitſchrift Bd. 19 S. 536). 


IV. 


Die Vorausſetzungen, welche der 8 328 der 
deutſchen ZPO. verlangt, müſſen mit Rückſicht 
auf die ſtreng durchgeführte Gegenſeitigkeit ſämt⸗ 
lich erfüllt ſein. 

a) Zunächſt iſt notwendig, daß das deutſche 
Gericht auch nach den Vorſchriften der öſter⸗ 
reichiſchen Jurisdiktionsnorm zuftändig iſt, doch 
wird für genügend erachtet, wenn Oeſterreich den 
betreffenden Gerichtsſtand erſt zu der Zeit einge⸗ 
führt hat, wo das zu vollſtreckende deutſche Urteil 
erlaſſen wurde, auch wenn bei der Klageerhebung in 
Deutſchland das öſterreichiſche Geſetz den betreffen⸗ 
den Gerichtsſtand noch nicht lannte. (Zeitſchrift 
Bd. 11 S. 470). Die Gerichtsſtaͤnde find im 
deutſchen wie im öſterreichiſchen Rechte vielfach 
gleich gelagert. Namentlich den bei Klagen gegen 
Ausländer beſonders wichtigen Gerichtsſtand des 
Vermögens kennt die öſterreichiſche Jurisdiktions⸗ 
norm gleichfalls. Immerhin ſind einige wejent: 
liche Abweichungen vorhanden. Oeſterreich kennt den 
ſogenannten Fakturengerichtsſtand; er kommt jedoch 
für deutſche Urteile nicht in Betracht, da eine 
gegen einen Oeſterreicher in Deutſchland anhängig 


361 
gemachte Klage, welche ſich nur auf den Fakturen⸗ 
gerichtsſtand ſtützen würde, mangels Zuſtändigkeit 
des angegangenen deutſchen Gerichts abgewieſen 
werden müßte. Andererſeits genügt die Verein⸗ 
barung eines Erfüllungsortes nach öſterreichiſchem 
Rechte nicht, wenn ſie nicht ausdrücklich ſchriftlich 
erfolgt iſt. Wiederholt ſchon haben öſterreichiſche 
Gerichte die Vollſtreckung deutſcher Urteile des⸗ 
wegen ablehnen müſſen, weil eine ſchriftliche Ver: 
einbarung des Erfüllungsortes nicht behauptet 
werden konnte. (Zeitſchrift Bd. 12 S. 499, Bd. 16 
S. 51). Die öſterreichiſche Praxis verſagt den 
Gerichtsſtand des Vermögens ſolchen Ausländern, 
die als Kläger auftreten. So wurde eine Ber⸗ 
liner Firma, welche gegen einen Amerikaner in 
Eger unter Berufung auf $ 99 der Jurisdiktions⸗ 
norm, welcher dem $ 23 ZPO. entſpricht, Klage 
ſtellte, wegen Unzuſtändigkeit abgewieſen, weil nur 
Inländer dieſen Gerichtsſtand anrufen könnten. 
(Zeitſchrift Bd. 20 S. 99). Die deutſche Recht⸗ 
ſprechung vertritt bekanntlich den entgegengeſetzten 
Standpunkt; auf die Staatsangehörigkeit des 
Klägers kommt es nicht an. (Vgl. Gaupp⸗Stein 
ZPO. zu 8 23). 

Bei Geſuchen um Exekutionsbewilligung in 
Oeſterreich muß, wie oben angeführt wurde, die 
Zuſtändigkeit nach öſterreichiſchem Rechte nachge⸗ 
wieſen werden. Um prüfen zu können, ob das 
deutſche Gericht zuſtändig war, muß das aus⸗ 
ländiſche Gericht ein Urteil mit Tatbeſtand und 
Gründen haben; Urteile, die unter Weglaſſung 
des Tatbeſtands und der Gründe ausgefertigt ſind 
(8 496 Abſ. 6 ZPO.), find daher nicht zu ge 
brauchen, wohl aber abgekürzte Verſaͤumnis⸗ und 
Anerkenntnisurteile, bei welchen das Urteil direkt 
auf die Klage ſelbſt geſetzt iſt, ſo daß ſich die kom⸗ 
petenzbegründenden Tatſachen aus der Klage un⸗ 
mittelbar ergeben (8 313 Abſ. 3 ZPO.). 

b) Im allgemeinen genügt jede Art der Zu⸗ 
ſtellung der Klage, wenn ſie ordnungsgemäß er⸗ 
folgt iſt, um die Vollſtreckbarkeit im Auslande 
zu begründen; eine wichtige Einſchränkung erfährt 
jedoch dieſer Grundſatz dann, wenn der unter⸗ 
legene Beklagte ein Oeſterreicher iſt und ſich auf 
den Prozeß nicht eingelaſſen hat; der Hauptfall 
iſt das Verſaͤumnisurteil. Die Anerkennung iſt 
nur dann möglich, wenn die den Prozeß ein⸗ 
leitende Ladung dem Beklagten entweder im 
Staate des Prozeßgerichts in Perſon oder durch 
Gewährung der Rechtshilfe zugeſtellt worden iſt. 
Dieſe äußerſt wichtige Beſtimmung, welche erſt 
eine volle Gegenſeitigkeit zwiſchen Deutſchland und 
Oeſterreich herbeigeführt hat, iſt in einer Verord⸗ 
nung des öſterreichiſchen Juſtizminiſters vom 
19. Oktober 1904 niedergelegt, abgedruckt in der 
Zeitſchrift Bd. 15 S. 489. Wenn dagegen der 
unterlegene Beklagte ein Angehöriger eines anderen 
Staates z. B. ein Ungar iſt, iſt die Zuſtellung 
an den Beklagten in Perſon oder durch Gewährung 
der Rechtshilfe nicht erforderlich; in dieſem Falle 


362 


genügt alſo eine Erſatzzuſtellung oder eine öffent: 
liche Zuſtellung der Klage (vgl. Zeitſchrift Bd. 18 
S. 193; ein deutſches Verſäͤumnisurteil gegen 
eine ungariſche Firma wurde nach vorangegangener 
öffentlicher Zuſtellung in Oeſterreich ſür vollſtreck⸗ 
bar erklärt). Die Zuſtellung an den geſetz⸗ 
lichen Vertreter wird der Zuſtellung an den Be⸗ 
klagten in Perſon gleich geachtet, nicht dagegen 
eine Zuſtellung an den Prozeßbevollmaͤchtigten. 
(Zeitſchriſt Bd. 15 S. 362.) Die Einlaſſung zur 
Hauptſache iſt gewahrt durch einmaliges Auftreten 
im erſten Termin, wenn auch in einem fpäteren 
Termine Verſaͤumnisurteil ergeht, ebenſo wird 
durch die Einlegung eines Rechtsmittels die Ein⸗ 
laſſung zur Hauptſache dargetan. 


c) Der Verſagungsgrund für die Exekutions⸗ 
fähigkeit, daß nämlich die Anerkennung des Urteils 
gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines 
öſterreichiſchen Geſetzes verſtoßen würde, kommt 
praktiſch verhältnismäßig ſelten vor, da derartige 
Urteile in der Regel auch in Deutſchland nicht 
erlaſſen werden können. Die tatſächlichen Voraus⸗ 
ſetzungen, auf welchen die Feſtſtellung bezüglich 
des materiellen Rechtsverhältniſſes beruht, ſind 
der Nachprüfung durch den Exekutionsrichter ent⸗ 
zogen, was insbeſondere bei Verſäumnisurteilen 
von Bedeutung iſt. Der Beklagte kann nicht 
mehr im Vollſtreckungsverfahren mit dem Ein⸗ 
wand gehört werden, daß der Anſpruch auf einem 
unſittlichen Grund beruhe, wenn er den Einwand 
nicht im Prozeß ſelbſt geltend gemacht hat. (Zeit: 
ſchrift Bd. 20 S. 95). 

Beſonders wichtige Entſcheidungen über die 
Frage, wann die Anerkennung gegen den Zweck 
eines öſterreichiſchen Geſetzes verſtoßen würde, 
finden ſich bezüglich gewiſſer Urteile, die deutſche 
Verſicherungsgeſellſchaften in Deutſchland gegen— 
über Oeſterreichern erwirkt haben. (Zeitſchrift Bd. 13 
S. 189 und 463, Bd. 15 S. 386). Der oberſte 
Gerichtshof hat ſtets ſolchen Urteilen die Aner— 
kennung verſagt, wenn die Vollſtreckung gegen den 
Zweck des öſterreichiſchen Geſetzes vom 29. März 
1873, betreffend die Zulaſſung ausländiſcher Ver: 
ſicherungsgeſellſchaften in Oeſterreich, verſtoßen 
hätte. Ausländiſche Verſicherungsgeſellſchaften 
dürfen nur unter genau fixierten Bedingungen 
als rechtlich beſtehend anerkannt und zum Ge— 
ſchäftsbetrieb zugelaſſen werden, insbeſondere iſt 
eine behördliche Zulaſſungserklärung unumgänglich 
notwendig. Es würde daher unter Umſtänden 
gegen den Zweck des genannten Geſetzes verſtoßen, 
wenn in Oeſterreich ein Urteil anerkannt würde, 
das eine deutſche Verſicherungsgeſellſchaft erwirkt 
hat, die in Oeſterreich nicht zugelaſſen iſt. 

d) Bezüglich der Verbürgung der Gegenſeitig— 
keit zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich beſtehen 
keinerlei Bedenken mehr. (Vgl. Urteil des Reichs— 


gerichts vom 25. Juli 1908, Zeitſchrift für Rechts- 


pflege in Bayern 1908 S. 419). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


v 


Die Zwangsvollſtreckung wird auf Antrag des 
deutſchen Prozeßgerichts oder des Gläubigers ſelbſt 
von dem Landesgerichte bewilligt, in deſſen Bezirk 
der Schuldner ſeinen Wohnſitz hat, ohne daß erſt 
— im Gegenſatz zum deutſchen Recht — ein 
Vollſtreckungsurteil erwirkt werden müßte. Die 
Vorausſetzungen für die Vollſtreckbarkeit ſind von 
Amts wegen zu prüfen; gegen die Exekutionsbe⸗ 
willigung ſteht dem Schuldner Rekurs bis zur 
3. Inſtanz zu, ebenſo dem Gläubiger wegen Ver⸗ 
ſagung der Exekutionsbewilligung. 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Beſtellung einer Sicherungs hypothek durch den geſetz⸗ 
lichen Vertreter auf feinem eigenen Grundſtück für ein 
von dem Minderjährigen aufzunehmendes Darlehen: 
1. Unter welchen Vorausſetzungen kaun der Darlehens: 
geber, wenn mangels vormundſchaftsgerichtlicher Ge⸗ 
nehmigung keine Darlehensforderung entſtanden iſt, der 
Grundbuchberichtigungsklage des geſetzlichen Vertreters 
mit dem Einwande begegnen, daß die Hypothek für feine 
Bereicherungs forderung gegen den Darlehensempfänger 
oder für feine Anſprüche gegen den geſetzlichen Vertreter 
aus dem von dieſem erteilten Kreditanſtrage beſtehe? 
2. Raum er beanſpruchen zur Einwilligung in die Um⸗ 
ſchreibung der Hypothet auf den geſetzlichen Vertreter 
nur Zug um Zug mit der Begleichung feiner Bereiche: 
rungs forderung verurteilt zu werden ? 3. Hat er einen 
Schadenserſatzanſpruch gegen den geſetzlichen Vertreter, 
der ihn nicht auf die Minderjährigkeit des Darlehens 
empfängers aufmerkſam gemacht hat? Auf dem Grund⸗ 
ſtücke der Klägerin Marie B. iſt für die Beklagte unter 
Bezugnahme auf die Bewilligung eine Sicherungs— 
hypothek für eine mit 5% jährlich verzinsliche Dar— 
lehnsfordernng von 10000 M eingetragen. Die Be— 
willigungserklärung der Klägerin hat folgenden Wort— 
laut: „Am 13. Auguſt hat mein Sohn unter meiner 
Einwilligung von Fräulein Emma Th. ein Darlehn 
von 10000 M erhalten. Dieſes Darlehn iſt vom 
14. Auguſt 1907 ab in vierteljährlichen voſtnumerando 
fälligen Teilen mit 5% jährlich verzinslich — — —. 
Dies vorausgeſchickt beſtelle ich für die obengenannte 
Forderung der Emma Th. an meinen Sohn Max an 
meinem Grundſtücke in B. K.-ſtraße Nr. 12 Hypothek. 
Zugleich bewillige und beantrage ich die Eintragung 
als Sicherungshypothek im Grundbuch.“ Zur Zeit 
der Ausſtellung dieſer Urkunde hatte der damals noch 
unter der elterlichen Gewalt der Klägerin ſtehende 
Max B. das Darlehn noch nicht erhalten, dagegen 
ſind ihm von der Beklagten noch im Laufe des 
Auguſt 1907 Barbeträge und Inhaberpapiere nebſt 
laufenden Zinsſcheinen übereignet worden. Die Be 
klagte beziffert den hiernach als Darlehn hingegebenen 
Geſamtbetrag auf 1089,41 M, während ihn Max B. 
auf 10 443,70 M berechnet hat. Auch die Klägerin 
will ihn in Höhe von 10000 M als gegeben an— 
erkennen, macht jedoch geltend, daß trotzdem eine 
Darlehnsforderung der Beklagten gegen Max B. nicht 
entſtanden ſei, weil die nach 8 1822 Nr. 8 BGB. er- 
forderliche Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


nicht eingeholt worden ſei und weil Max B. nach er⸗ 


reichter Volljährigkeit durch Erklärung gegenüber der 


Beklagten die Genehmigung des Darlehnsvertrages 
verweigert habe. Die Klägerin nimmt deshalb die 
von ihr beſtellte Hypothek als Eigentümergrundſchuld 
in Anſpruch und hat klagend beantragt, die Beklagte 
zur Einwilligung in die Berichtigung des Grundbuches 
zu verurteilen. Die Beklagte hat die Abweiſung der 
Klage und eventuell verlangt, daß ſie nur Zug um 
Zug gegen Zahlung von 10 809,41 M zur Einwilli⸗ 
gung in die Berichtigung des Grundbuches verur⸗ 
teilt werde. 

Aus den Gründen: 1. Nach der unzweideutigen 
Faſſung ſowohl des Eintragungsvermerks wie der Be⸗ 
willigung iſt die ſtreitige Hypothek eine Sicherungs⸗ 
hypothek i. S. des 8 1184 BGB., beſtellt für eine 
unter Angabe des Gläubigers, des Schuldners, des 
Geldbetrages und des Schuldgrundes beſtimmt be⸗ 
zeichnete Forderung, nämlich für eine der Beklagten 
gegen den Sohn der Klägerin zuſtehende, zu 5% ver⸗ 
zinsliche und bis zum Ende des Jahres 1915 unkünd⸗ 
bare Darlehnsforderung von 10000 M. Dieſe Forde⸗ 
rung iſt, wie das Berufungsgericht ſelbſt anerkennt, 
nicht zur Entſtehung gelangt, weil die nach den 
88 1643, 1822 Nr. 8 BGB. erforderliche Genehmigung 
des Vormundſchaftsgerichts nicht erteilt worden iſt, 
und weil der Sohn der Klägerin nach erreichter Voll⸗ 
jährigkeit der Beklagten gegenüber erklärt hat, daß er 
die Genehmigung verweigere (8 1829 Abſ. 3 BGB.). 
Wenn das Berufungsgericht trotzdem annimmt, daß 
die Hypothek mit einer Forderung bekleidet ſei, und 
zwar mit einer der Beklagten gegen Max B. infolge 
der Hingabe des Darlehnsbetrages zuſtehenden Be⸗ 
reicherungsforderung, ſo überſieht es, daß dieſe Be⸗ 
reicherungsforderung nach ihrer rechtlichen Natur und 
ihrem Inhalt von der Darlehnsforderung weſentlich 
verſchieden iſt, und daß nach dem Geſetz eine gewöhn⸗ 
liche Sicherungshypothek ebenſowenig wie eine Ver⸗ 
kehrshypothek in der Weiſe beſtellt werden kann, daß 
von zwei Forderungen entweder die eine oder die 
andere geſichert ſein ſoll. Wollten die Parteien er⸗ 
reichen, daß entweder die Darlehnsforderung oder der 
Bereicherungsanſpruch der Hypothek untergelegt werde, 
fo hätten ſie die Form der Höchſtbetragshypothek 
wählen müſſen (8 1190 BGB.). Nun wäre es zwar 
denkbar, daß die Klägerin ſich der Beklagten gegen— 
über verpflichtet hätte, für den Fall der Nichtentſtehung 
der Darlehnsforderung die Hypothek mit der Bes 
reicherungsforderung zu bekleiden, oder daß beide 
vereinbart hätten, die als Sicherungshypothek i. ©. 
des 8 1184 BGB. begründete Hypothek ſolle nach 
innen d. h. in ihrem Verhältniſſe zu einander die 
Funktion der Höchſtbetragshypothek verſehen, alſo 
zugleich den etwaigen Bereicherungsanſpruch der Be— 
klagten gegen Max B. ſichern (RGZ. 60, 247); eine 
Abmachung des einen oder des anderen Inhalts 
könnte der erhobenen Berichtigungsklage (8894 BGB.) 
mit Erfolg entgegengeſetzt werden. Eine derartige 
Vereinbarung iſt jedoch nach dem Tatbeſtande des 
Berufungsurteils von der Beklagten nicht behauptet 
worden und, wie die Reviſion zutreffend hervorhebt, 
aus den Umſtänden keineswegs ohne weiteres zu ent⸗ 
nehmen. Vielmehr läßt das Parteivorbringen zu— 
nächſt nur darauf ſchließen, daß die Klägerin die 
Hypothek beſtellt hat, ohne ſich der Beklagten gegen— 
über hierzu verpflichtet gehabt zu haben. Auch fehlt 
bisher jeder Anhalt dafür, daß die Beklagte, die ja 
damals die Minderjährigkeit des Max B. unſtreitig 
nicht kannte, an die Möglichkeit der Entſtehung eines 
Bereicherungsanſpruchs an Stelle der gewollten Dar— 
lehnsforderung auch nur gedacht hätte. Gegenüber 
der Annahme eines auf die Haftung mit dem Grund— 
ſtücke beſchränkten Kreditauftrages weiſt die Reviſion 
gleichfalls mit Recht darauf hin, daß die Beklagte 
gar nicht behauptet hat, ſie ſei von der Klägerin be— 


auftragt worden, deren Sohne im eigenen Namen 
und auf eigene Rechnung Kredit zu gewähren, und 
die Ausführung des Berufungsgerichts, die ganze 
Sachlage dränge zur Annahme eines ſolchen Auf— 
trages, entbehrt ebenſo der tatſächlichen Unterlage, 
wie die aus dem Briefe des Max B. an die Beklagte 
vom 12. Auguſt 1907 gezogene und als zweifellos 
bezeichnete Folgerung, daß die Klägerin am 13. oder 
14. Auguſt als Auftraggeberin wegen Hingabe des 
Darlehns an ihren Sohn mit der Beklagten ver- 
handelt habe. Vor allem entzieht aber das Berufungs⸗ 
gericht der Feſtſtellung eines Kreditauftrages i. S. des 
8 778 BGB. dadurch ſelbſt die rechtliche Grundlage, 
daß es betont, die Klägerin habe dabei wohl nicht die 
Abſicht gehabt, ſich für die aus der Kreditgewährung 
entſtehende Verbindlichkeit perſönlich als Bürge zu 
verpflichten, ſie ſei jedoch damit einverſtanden geweſen, 
daß ihr Grundſtück dafür verhaftet werde. Von einem 
Kreditauftrage könnte nur dann die Rede ſein, wenn 
die Klägerin ihre perſönliche Bürgenhaftung nicht 
ausgeſchloſſen hätte. Sie hätte zwar dieſe ihre per⸗ 
ſönliche Haftung dahin einſchränken können, daß die 
Beklagte bloß befugt ſein ſollte, ſich ausſchließlich aus 
ihrem Grundſtücke zu befriedigen. Durch eine dahin⸗ 
gehende Vereinbarung würde indes die Bekleidung der 
Hypothek mit dem Bereicherungsanſpruche der Be- 
klagten gegen Max B. ebenfalls nicht herbeigeführt 
worden ſein, von der Frage ganz abgeſehen, ob der 
Bereicherungsanſpruch zu den aus der Kreditgewährung 
entſtandenen Verbindlichkeiten i. S. des $ 778 BGB. 
zu rechnen wäre. 

2. Das LG. hat die Beklagte nicht ſchlechthin, 
fondern nur Zug um Zug gegen Zahlung von 10 443,70 N 
— in dieſer Höhe hat es die Leiſtung der Beklagten 
an Max B. und deſſen Bereicherung für dargetan 
erachtet — zur Einwilligung in die Umſchreibung der 
Hypothek auf den Namen der Klägerin verurteilt. Es 
iſt der Anſicht, daß der Beklagten wegen ihres Be— 
reicherungsanſpruches ein Zurückbehaltungsrecht zu— 
ſtehe. Wenn ſie auch das Darlehn nicht der Klägerin, 
ſondern deren Sohne gegeben habe, ſo bilde doch die 
Beſtellung der Hypothek durch die Klägerin die Gegen— 
leiſtung für das dem Sohne gegebene Darlehn und 
umgekehrt. Es handele ſich um einen einheitlichen, 
zwiſchen der Beklagten einerſeits und der Klägerin 
und ihrem Sohne andererſeits geſchloſſenen Vertrag, 
und obſchon die Beklagte einen Bereicherungsanſpruch 
nur gegen den Sohn habe, ſo könne ſie doch die ihr 
von der Klägerin gemachte Leiſtung bis zur Befriedi— 
gung wegen jenes Anſpruchs zurückhalten. Das Be⸗ 
rufungsgericht billigt dieſe Anſicht, indem es ausführt, 
es liege ein einheitliches Rechtsgeſchäft vor, inhaltlich 
deſſen die Klägerin nicht Dritte, ſondern Mitkontrahentin 
geweſen ſei, und das darin beſtanden habe, daß die 
Beklagte mit Einwilligung der Klägerin deren Sohne 
ein Darlehn gewährt, zu deſſen Rückzahlung der Sohn 
ſich verpflichtet und zu deſſen Sicherſtellung, gleichſam 
als Gegenleiſtung für deſſen Gewährung, die Klägerin 
mit ihrem Grundſtücke Sicherheit beſtellt habe. So— 
weit die Reviſion hiergegen geltend macht, daß gegen— 
über der von der Klägerin verlangten Leiſtung das 
Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB. überhaupt 
nicht gegeben ſei, kann ihr allerdings nicht beigepflichtet 
werden, da das Anwendungsgebiet des 8 273 BGB. 
auf Schuldverhältniſſe im engeren Sinne keineswegs 
beſchränkt iſt (RG. 59, 202). Dagegen verneint fie 
mit Recht, daß die Beklagte wegen des ihr lediglich 
gegen den Sohn der Klägerin zuſtehenden Bereiche— 
rungsanſpruchs ein Zurückbehaltungsrecht habe. Das 
Geſetz gibt dem wegen einer geſchuldeten Leiſtung in 
Anſpruch genommenen Verpflichteten ein Zurück— 
behaltungsrecht unzweideutig nur wegen eines ihm 
gegen den Gläubiger ſelbſt zuſtehenden Anſpruchs, 
und die Klägerin iſt weder ſelbſt auf Koſten der Be— 
klagten ungerechtfertigt bereichert noch haftet ſie per— 


364 


ſönlich der Beklagten aus der ungerechtfertigten Be⸗ 
reicherung ihres Sohnes. 

3. Das OLG. ſtellt indes weiter feſt, daß die 
Klägerin ſich der Beklagten in Höhe von 10 433,70 M 
ſchadenserſatzpflichtig gemacht habe, und es ſpricht der 
Beklagten wegen ihres Schadenserſatzanſpruches ein 
Zurückbehaltungsrecht zu. In dieſer Hinſicht führt es 
aus, die Klägerin habe gewußt, daß ihr Sohn noch 
minderjährig ſei, und es erſcheine ohne weiteres ein⸗ 
leuchtend, daß ihr auch die beſchränkte Verpflichtungs⸗ 
fähigkeit ihres Sohnes ſowie die Notwendigkeit der 
Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts neben der 
ihrigen zu gewiſſen Rechtsakten bekannt geweſen ſei. 
Den gegen dieſe Annahme angeführten Tatſachen könne 
irgend ein Einfluß auf die Beurteilung der Sachlage 
nicht beigemeſſen werden. Die Kenntnis der Klägerin 
von der Verpflichtungsunfähigkeit ihres Sohnes ergebe 
am beſten der Umſtand, daß ſie es ausweislich der Ur⸗ 
kunde vom 14. Auguſt 1907 für nötig befunden habe, 
ihre Einwilligung zu der Darlehnsaufnahme zu geben. 
Es wäre aber ihre Pflicht geweſen, die Beklagte, die 
von der Minderjährigkeit des Sohnes keine Kenntnis 
gehabt und deren Entſchließung dadurch zweifellos 
ſtark beeinflußt worden wäre, aufzuklaͤren. Sie hätte 
ſich ſagen müſſen und habe ſich auch geſagt, daß die 
Beklagte einem Verpflichtungsunfähigen eine ſo große 
Summe nicht leihen würde. Dadurch, daß ſie zu tun 
unterlaſſen habe, was nach dem Anſtandsgefühl aller 
gerecht und billig Denkenden unter den gegebenen Um» 
ſtänden geboten geweſen ſei. habe fie der Beklagten 
in einer gegen die guten Sitten verſtoßenden Weiſe 
Schaden zugefügt. Den ſchädigenden Erfolg habe ſie 
ſich auch bei Abgabe ihrer Verpflichtungserklärungen 
vom 14. Auguſt 1907 vorgeſtellt. Sie ſei der Bes 
klagten ſomit ſchadenserſatzpflichtig (SS 826, 249 BGB.), 
und dieſer der Beklagten gegen ſie zuſtehende fällige 
Anſpruch beruhe auf demſelben rechtlichen Verhältnis, 
aus dem heraus die Klägerin ihr Verlangen nach Be— 
richtigung des Grundbuchs ableite. — Dem Berufungs- 
gerichte mag zugegeben werden, daß es bei der Klägerin 
als langjähriger Inhaberin der elterlichen Gewalt die 
Kenntnis von der Notwendigkeit der vormundſchafts⸗ 
gerichtlichen Genehmigung zu gewiſſen Rechtsakten 
im allgemeinen ohne weiteres vorausſetzen durfte. 
Dieſe allgemeine Kenntnis bedingt jedoch keineswegs, 
daß die Klägerin gewußt habe, daß auch zur Auf— 
nahme von Geld auf den Kredit ihres minderjährigen 
Sohnes neben ihrer Einwilligung die Genehmigung 
des Vormundſchaftsgerichts erforderlich ſei. Eine 
dahingehende ausdrückliche Feſtſtellung hat das Be— 
ruſungsgericht jedenfalls nicht getroffen und konnte 
es fünlich auch nicht treffen, ſolange es nicht den von 
der Klägerin für ihre damalige Unkenntnis ſchlüſſig 
angetretenen Beweis erhoben hatte. Mußte es aber 
mit der Möglichkeit rechnen, daß die Klägerin die 
Notwendigkeit der vormundſchaftsgerichtlichen Geneh— 
migung zur Darlehnsaufnahme nicht kannte, ſo konnte 
es auch nicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß die 
Klägerin die Minderjährigkeit ihres Sohnes der Be— 
klagten argliſtig verſchwiegen habe. Denn wenn die 
Klägerin glaubte, daß die Darlehnsaufnahme durch 
ihren Sohn um wirkſam zu ſein nur ihrer Ein— 
willigung bedürfe, und daß infolgedeſſen die von ihr 
beſtellte Hypothek der Beklagten in der Tat die ver— 
langte Sicherheit gewähre, ſo iſt ſchlechterdings nicht 
erſichtlich, welchen Anlaß ſie gehabt haben könnte, 
die Minderjährigkeit ihres Sohnes zu verheimlichen, 
und inwiefern ſie verpflichtet geweſen wäre, die Be— 
klagte noch in anderer Weiſe als durch Erwähnung 
ihrer mütterlichen Einwilligung in der Eintragungs— 
urkunde auf die Minderjährigkeit 
machen. Streng genommen ſtellt das Berufungs— 
gericht nicht einmal beſonders feſt, daß die Klägerin 
damals das Nichtwiſſen der Beklagten um die Minder— 
jährigkeit ihres Sohnes gekannt habe. Die Frage der 


aufmerkſam zu 


—— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


Argliſt bedarf hiernach der erneuten Prüfung auch 

unter Berückſichtigung der in der Berufungsinſtanz 

über das ſonſtige Geſchäftsgebaren der Klägerin und 

ihres Sohnes aufgeſtellten Behauptungen. (Urt. des 

V. 35. vom 20. Mai 1911, V 526/1910). E. 
2351 


II 


Baginismus als Grund für die Anfechtung einer 
Che. Aus den Gründen: Auf Grund des Gutachtens 
des Frauenarztes Dr. P. hat das Berufungsgericht als 
erwieſen angenommen, daß die Beklagte eine blutarme 
und kränkliche Perſon, deren Muskeln ſchlaff und 
ſchwach und deren Brüſte vollſtändig zurückgebildet 
find, an Vaginismus leidet. Dieſes Leiden beſteht bei 
der Beklagten in einer übermäßigen Empfindlichkeit 
des angeborenen engen Scheideneingangs, die dem Ge⸗ 
ſchlechtsverkehr inſofern ein mechaniſches Hindernis 
bereitet, als bei Berührung des Scheideneingangs ein 
krampfartiges Zuſammenziehen der umliegenden Mus⸗ 
kulatur und des Beckenbodens ſtattfindet, wodurch die 
Vollziehung des Beiſchlafs regelmäßig unmöglich 
wird. In dem Berufunasurteil iſt weiter ausgeführt, 
der Umſtand, daß trotzdem eine Schwängerung der 
Beklagten zuſtande gekommen fei, beweiſe, daß der 
Beiſchlaf mit großer Rückſichtsloſigkeit unter Verur⸗ 
ſachung heftiger Schmerzen ausgeführt ſein müſſe. 
Die Angſt vor dieſen Schmerzen habe bei der Be⸗ 
klagten eine anhaltende Aufregung hervorgerufen, die 
bei der Ungewißheit über den Ausgang des Eheftreits 
noch gegenwärtig beſtehe und unter der ſie ſeeliſch wie 
körperlich immer mehr herunterkomme. Das OLE. 
nimmt darnach. indem es auch hier dem Gutachten des 
genannten Sachverſtändigen folat, ein dauerndes Bei⸗ 
wohnungsunvermögen der Beklagten an, das weder 
durch ärztliche Behandlung noch durch die Zeit be⸗ 
hoben werden könne und das auch ſchon bei Eingehung 
der Ehe vorhanden geweſen ſei. Es erachtet deshalb 
die Vorausfetzungen des 8 1333 BGB. für vorliegend. 
da der Kläger, falls er nicht über die perſönliche 
Eigenſchaft der Beiwohnungsfähigkeit ſich geirrt 
hätte, verſtändigerweiſe die Ehe nicht geſchloſſen haben 
würde, und da auch die ſechsmonatige Ausſchlußfriſt 
(8 1339 BGB.) gewahrt ſei. Die gegen dieſe Beur⸗ 
teilung gerichteten Angriffe der Reviſion können 
keinen Erfolg haben. Die Reviſion meint, das Leiden 
des Vaginismus habe die Beiwohnungsunfähigkeit der 
Beklagten nicht zur Folge gehabt, da zwiſchen ihr 
und dem Kläger vor der Geburt des Kindes Geſchlechts⸗ 
verkehr ſtattgefunden habe. Demgegenüber iſt in dem 
Berufungsurteil und dem Gutachten des Dr. P. darauf 
hingewieſen, daß eine Beiwohnung zwar mäglich ſei, 
ſich aber nur erzielen laſſe, wenn mit großer Gewalt⸗ 
tätigkeit ohne Rückſicht auf die der Beklagten zugefügten 
heftigen Schmerzen vorgegangen werde. Daß ein ſolcher 
Zuſtand der Beiwohnunagsunfähigkeit gleichſteht. iſt 
rechtlich nicht zu bezweifeln. Die Reviſion vertritt 
ferner — was hiermit in einem gewiſſen Zuſammen— 
hange ſteht — die Anſicht, das Beiwohnungsunvermögen 
ſei erſt dadurch verurſacht worden, daß die Beklagte 
durch die große Rückſichtsloſigkeit des Klägers und die 
infolgedeſſen erlittenen großen Schmerzen in eine an» 
haltende Furcht und Aufregung verſent worden ſei. 
Damit ſetzt ſich indes die Reviſion in Widerſpruch mit 
der Feſtſtellung des Berufungsgerichts und dem ihr 
zugrunde liegenden Gutachten des Dr. P. In dem Be- 
rufungsurteil wird als Folge der anhaltenden Auf— 
regung und Furcht der Beklagten nur das hingeſtellt. 
daß ſie ſeeliſch wie körperlich immer mehr zurückgekommen 
iſt. Mag dies auch dazu beigetragen haben, das Bei— 
wohnungsunvermögen zu erhöhen, ſo iſt doch die Ur— 
ſache dieſes Unvermögens in dem bereits zur Zeit der 
Eheſchließung ausgebildeten Leiden des Vaginismus 
zu ſehen. Aus dem Gutachten des Dr. V. iſt zu ent⸗ 
nehmen, daß der Beklagten ſchon von der erſten Zeit 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 365 


der Ehe an die Veiwohnung arge Schmerzen bereitet 
hat, was übrigens auch aus dem von Dr. S. in dem 
Vorprozeſſe erſtatteten Gutachten hervorgeht. Unter 
dieſen Umſtänden kann der Reviſion auch darin nicht 
beigepflichtet werden, daß in dem bloßen Vaginismus, 
wie er zur Zeit der Eheſchließung bei der Beklagten 
beſtand, eine zur Anfechtung der Ehe ausreichende 
perſönliche Eigenſchaft nicht zu erblicken ſei (RGZ. 67, 
57). Nach dem Gutachten des Dr. P. handelt es ſich 
um eine mit Organveränderungen nicht verbundene 
Krankheitsform, welche durch ärztliche Behandlung 
nicht zu heben iſt und auch im Laufe der Zeit nicht 
vergeht. Hiermit ſteht es in Übereinſtimmung, daß 
in dem Vorprozeſſe die Verpflichtung der Beklagten 
zur häuslichen Gemeinſchaft mit dem Kläger wegen 
jenes Leidens verneint worden iſt, daß demgemäß die 
Beklagte bereits ſeit dem 1. Mai 1906 ununterbrochen 
getrennt gelebt hat und gleichwohl nach den ärztlichen 
Zeugniſſen des Dr. S. und Dr. B. vom 8. Mai und 
5. Juli 1908 ſowie nach den in dieſer Prozeßſache von 
Dr. P. am 15. Januar und 2. April 1910 abgegebenen 
Gutachten eine Beſſerung des Leidens nicht zu erreichen 
geweſen iſt. Die Vorausſetzungen des 8 1333 BGB. 
ſind ſomit ſämtlich gegeben, da nach der bedenken⸗ 
freien Feſtſtellung des Vorderrichters der Kläger bei 
Kenntnis der Sachlage die Ehe nicht eingegangen ſein 
würde. (Urt. des IV. ZS. vom 11. Mai 1911, IV 
479 / 1910). E. 
2345 
III. 

Iſt die Klage des Bermächtnisnehmers auf Auf: 
laſſung eines Grundſtückes, das eine in Fahrnisgemein⸗ 
ſchaft lebende Fran als Miterbin in Erbengemeinſchaft 
erworben hat, auch gegen den Ehemann zu richten? 
Aus den Gründen: Der Berufungsrichter hält die 
Verurteilung des verklagten Ehemanns zur Auflaſſung 
um deswillen für gerechtfertigt, weil zur Auflaſſung der 
den Klägern vermachten Grundſtücke ſeine Mitwirkung 
erforderlich ſei. Da die beklagten Eheleute in der Fahrnis⸗ 
gemeinſchaft des BGB. lebten, ſtünden ihm an der ſeiner 
Frau zugefallenen Erbſchaft, auch ſoweit ſie ſich als 
deren eingebrachtes Gut darſtelle, Verwaltungs- und 
Nutzungsrechte zu und die Frau bedürfe zur Ver⸗ 
fügung über eingebrachtes Gut der Einwilliaung des 
Mannes (88 1550 Abſ. 2, 1525, 1395 BGB.). Die 
Reviſion meint dagegen, der beklagte Ehemann hätte 
zwar zur Duldung der Zwangsvollſtreckung verurteilt 
werden können, wenn ein dahingehender Antrag 
geſtellt worden wäre, zur Auflaſſung habe er dagegen 
nicht verurteilt werden dürfen. Sie bezeichnet inſo⸗ 
weit die 88 1550 und 1551 BGB. ſowie 8 739 ZRO. 
als verletzt. Dieſer Reviſionsangriff entbehrt nicht 
einer gewiſſen Berechtigung. Bei der Fahrnisgemein- 
ſchaft iſt von dem Geſamtgut das eingebrachte Gut 
eines Ehegatten ausgeſchloſſen ($ 1550 Abſ. 1). Auf 
dieſes finden die bei der Errungenſchaftsgemeinſchaft 
für das eingebrachte Gut geltenden Vorſchriften An⸗ 
wendung (8 1550 Abſ. 2). Eingebrachtes Gut eines 
Ehegatten iſt das unbewegliche Vermögen, das er beim 
Eintritte der Fahrnisgemeinſchaft hat oder während 
der Gemeinſchaft durch Erbfolge oder einzelne andere 
Rechtsakte erwirbt (8 1551 Abſ. 1). Erlangt ein Ehe⸗ 
gatte durch Erbfolge Vermögen, zu dem ſowohl unbe— 
wegliches als bewegliches Vermögen gehört, ſo fällt 
das unbewegliche Vermögen ſeinem Eingebrachten zu, 
während das bewegliche Vermögen Geſamtaut wird. 
Iſt er in einem ſolchen Falle nicht als Alleinerbe, 
ſondern neben anderen zur Erbſchaft berufen, jo gehört 
ſein Anteil am Nachlaſſe, ſoweit er unbewegliches 
Vermögen betrifft, zu ſeinem eingebrachten Gut und 
nur im übrigen zum Geſamtgut. Dieſer auch in der 
Rechtswiſſenſchaft faſt allgemein vertretenen Anſicht 
ſteht nicht entgegen, daß (8 2033 Abſ. 2) ein Miterbe 
über ſeinen Anteil an den einzelnen Nachlaßgegen— 
ſtänden nicht allein verfügen kann, über einen eins 


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zelnen Nachlaßgegenſtand vielmehr (8 2040 Abſ. 1) 
die Erben nur gemeinſchaftlich zu verfügen befugt ſind. 
Denn (vgl. auch RG. 65, 227 f., insbeſ. 231/232 und 
68, 410 f., insbeſ. 412/413) das ändert nichts daran, 
daß, wie das Geſetz in 8 2033 Abſ. 2 gerade anerkennt, 
dem Miterben auch an den einzelnen Nachlaßgegen⸗ 
ftänden ein Anteil immerhin zuſteht, wenn dabei auch 
nicht Miteigentum nach Bruchteilen, ſondern ein 
Geſamthandverhältnis in Frage kommt. Der im 
Erbweg angefallene Anteil der beklagten Ehefrau 
an den Grundſtücken, deren Auflaſſung die Kläger 
verlangen, gehört alſo zum eingebrachten Gut der 
beklagten Ehefrau. Infolgedeſſen liegt den Klägern 
gegenüber auch die durch die letztwilligen Verfügungen 
der Erblaſſer vom 27. Januar 1903 begründete, in⸗ 
folge des Erwerbs der Grundſtücksanteile entſtandene 
Verbindlichkeit die Auflaſſung der Grundſtücke an die 
Kläger herbeizuführen ihr als der Inhaberin ihres 
Eingebrachten, nicht etwa dem beklagten Ehemann 
oder ihr und dem beklagten Ehemann ob. Schon aus 
dieſem Grunde kann daher nur ſie, nicht auch der 
beklagte Ehemann verurteilt werden, die Auflaſſung 
zu bewilligen und zu beantragen. Nun bedarf zwar 
die Frau zur Verfügung über eingebrachtes Gut, alſo 
auch zu der Auflaſſung, der Einwilligung des Mannes 
(88 1550 Abſ. 2, 1525, 1395). Das hat aber lediglich 
zur Folge, daß der Mann verpflichtet iſt ſeine Ein⸗ 
willigung zu der Auflaſſung zu erteilen. Es hätten 
deshalb (vgl. auch 8 739 ZPO.) die beklagte Frau 
zur Herbeiführung der Auflaſſung und der beklagte 
Mann zur Erteilung ſeiner Einwilligung verurteilt 
werden müſſen. Statt deſſen iſt der beklagte Ehemann 
in den Vorinſtanzen neben der Frau und ſogar als 
Geſamtſchuldner mit ihr zur Erteilung der Auflaſſung 
verurteilt worden. Der ſachliche Unterſchied mag 
zwar im gegebenen Falle für den beklagten Ehemann 
nicht erheblich ſein, immerhin aber iſt es ange⸗ 
meſſen die Ungenauigkeit zu beſeitigen und die im 
übrigen gebotene Zurückweiſung der Reviſion bloß mit 
der Maßgabe auszuſprechen, daß der beklagte Ehe⸗ 
mann, ſoweit es ſich um die Sache ſelbſt handelt, nur 
verurteilt wird zu der Auflaſſung ſeine Einwilligung 
zu erteilen. (Urt. d. IV. ZS. vom 23. Mai 1911, IV 
441.1910.) E. 
2332 


B. Strafſachen. 
1 


In 33 3 und 12 Wein.: was verſteht man unter 
Moft? Bedentuna der Entziehung der Gärfähigkeit. 
Der Angeklagte hat unter dem Namen „alkoholfreie 
Weine“ oder „alkoholfreie Nektarweine“ flaſchenweiſe 
Getränke in den Verkehr gebracht, die nach den Feſt⸗ 
ſtellungen im Urteil „ſteriliſierte und geſchönte Trau— 
benmoſte“ waren, alſo geklärter Traubenſaft, dem durch 
Steriliſierung die Gärfähigkeit genommen und dadurch 
Haltbarkeit verliehen war. Angeblich nach der Ver— 
ſchiedenheit der zur Herſtellung der Moſte verwendeten 
Trauben ſind die einzelnen Sorten des „alkoholfreien 
Nektarweines' verſchieden benannt, und zwar nach geo— 
graphiſchen Bezeichnungen (Länder-, Orts- und Lage— 
namen) oder auch nach der Art der verwendeten 
Trauben. Eine Sorte führt auf der Preisliſte und 
den Flaſchenaufſchriften den Namen „‚Tokayer alkohol— 
frei“; ſie iſt aus Trauben gewonnen, die in Rhein— 
heſſen gewachſen ſind und deren Art dort „Tokayer 
Trauben“ genannt wird. Unter Anwendung der SS 6, 
12, 26 Abſ. 1 Nr. 1 Wein. iſt der Angeklagte auf 
Grund dieſer Feſtſtellungen verurteilt worden, weil 
er Moſt, den er gewerbsmäßig in den Verkehr brachte, 
unrichtig mit einer nur zur Kennzeichnung ſeiner Her— 
kunft zuläſſigen geographiſchen Bezeichnung verſehen 


habe. Die Anklage war weiter auf 8 16 Abf. 1 Waren 8G. 
und 8 4 Nr. 1 
dieſer Strafbeſtimmungen iſt aber mit der Begründung 
abgelehnt, daß der Angeklagte an ſeine Abnehmer 
Preiskarten verſandt habe, in denen die Auskunft ent⸗ 
halten ſei, beſtimmte Marken, darunter „Tokayer alko⸗ 
holfrei“ ſeien „aus in Deutſchland wachſenden Reben» 
arten gekeltert“, ſo daß einem Irrtum der Abnehmer 
über den Ort der Gewinnung der Trauben vorgebeugt 
geweſen ſei. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwalt⸗ 
ſchaft die Nichtanwendung der beiden genannten Straf⸗ 
geſetze als rechtsirrig. Denn nach der vorſtehend wieder⸗ 
gegebenen Begründung hat das Urteil in rein tat⸗ 
ſächlicher Entſcheidung verneint, daß der Angeklagte 
die in 8 16 Waren ZG. und 8 4 Unl WG. näher be⸗ 
zeichneten Täuſchungszwecke verfolgt habe: einen Rechts⸗ 
irrtum läßt die Entſcheidung inſoweit nicht erkennen. 
Sowohl von der Staatsanwaltſchaft wie von dem 
Angeklagten wird ſodann Verletzung der 88 6, 12, 
26 Abſ. 1 Nr. 1 Wein. gerügt und von dem Ans 
geklagten zur Begründung dieſer Beſchwerde nament⸗ 
lich hervorgehoben, daß die Feſtſtellungen des Urteils, 
ſoweit ſie ſich auf die Beſchaffenheit der von dem An⸗ 
geklagten in Verkehr gebrachten Getränke beziehen, 
nicht ausreichten um eine Nachprüfung zu ermöglichen, 
ob auf dieſe Getränke das Wein. Anwendung finde 
oder nicht. Gerade dieſer letzteren Beanſtandung kann 
die Berechtigung nicht abgeſprochen werden; ſie muß 
zur Aufhebung des Urteils führen, auch wenn grunds 
ſätzlich die im Urteil vertretene Rechtsanſicht zu bil- 
ligen und anzunehmen wäre, daß 812 Wein®. ſich nicht 
ausſchließlich auf friſch gewonnenen oder auf zur Wein⸗ 
bereitung beſtimmten und dazu verwendbaren Moſt be 
zieht, ſondern auch auf ſolchen Moſt, deſſen Gärung 
vorübergehend oder dauernd unmöglich gemacht iſt. Die 
Anwendung der Strafbeſtimmungen der 88 6, 26 Abſ. 1 
Nr. 1 Wein. auf die von dem Angeklagten hergeſtellten 
und unter der Herkunftsbezeichnung „Tokayer“ (Entſch. 
40, 288) in den Verkehr gebrachten Getränke iſt dann 
gerechtfertigt, wenn dieſe als „Traubenmoſt“ i. S. des 
§ 12 Wein. zu gelten haben. Dafür gewährt aber 
das angefochtene Urteil inſoweit keine ausreichende 
Grundlage, als daraus nicht zu erſehen iſt, welcher 
Behandlung im einzelnen der von dem Angeklagten 
zur Herſtellung der verkaufsfertigen Getränke verwen— 
dete Traubenſaft unterzogen wurde und welche Folgen 
dieſe Behandlung gehabt, wie ſie namentlich die Be— 
ſchaffenheit und Zuſammenſetzung des Rohſtoffs be— 
einflußt hat. Die Bezeichnung des Getränks als „ſte— 
riliſierter und geklärter Traubenmoſt“ erſetzt Nachweiſe 
in dieſer Richtung nicht, auch nicht die Ausführung, 
die Getränke ſeien „nichts weiter als ſteriliſierte Trau— 
benmoſte“ geweſen. Beides um fo weniger, als das Ur: 
teil „gewiſſe chemiſche Veränderungen“ als Folge der 
Behandlung erwähnt. ohne ſie jedoch irgendwie näher 
zu bezeichnen und ihre Bedeutung zu erörtern, und 
als weiter die Angabe des Sachverſtändigen P., wo— 
nach die Getränke infolge des Herſtellungsverfahrens 
aller im Moſte vorhandenen Eiweißkörper verluſtig 
gegangen ſeien und die Eigenſchaften des Moſts völlig 
eingebüßt hätten, mit der Bemerkung abgetan wird, 
daß der Sachverſtändige von einer nach 8 1 Wein. 
nicht zutreffenden Auffaſſung des Begriffs Wein aus— 
gehe und zu Unrecht als Moſt nur den friſchen Kelter— 
ablauf gelten laſſen wolle, während auf die ausſchlag— 
gebende Frage nach der Bedeutung der hervorgehobenen 
Veränderungen in Zuſammenſetzung und Beſchaffenheit, 
die der als Rohſtoff verwendete Moſt erlitten hat, 
überhaupt nicht eingegangen wird. Nicht jedem Er— 
zeugnis, das aus Traubenſaft gewonnen wird, gebührt 
fortdauernd der Name „Moſt“, man verſteht da— 
runter den aus der Traubenmaiſche abfließenden oder 
durch Auspreſſen oder auf andere mechaniſche Weiſe 
daraus oder auch aus nicht zerquetſchten Trauben ge— 
wonnenen Saft und zwar ſolange dieſer ſtofflich uns 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


verändert bleibt, ohne jede andere zeitliche Begrenzung 


Unl WG. geſtützt; die Anwendung als diejenige, die ſich aus dem vollendeten Uebergang 


von Moſt in Wein auf dem Wege der Gärung ergibt. 
Solange dem Moſt ſein Weſen, ſeine Art und Beſchaf⸗ 
fenheit erhalten bleibt, iſt er Moſt. Wird aber zur 
Herſtellung eines anderen Erzeugniſſes Moſt mit an⸗ 
deren Stoffen vermiſcht oder zur Gewinnung anderer 
Erzeugniſſe derart bearbeitet, daß Veränderungen in 
der Beſchaffenheit und der ſtofflichen Zuſammenſetzung 
eintreten, ſo kann möglicherweiſe dadurch das Weſen 
des Rohſtoffs völlig aufgehoben werden: Ausſehen, 
Geruch und Geſchmack können derart beeinflußt ſein, 
daß der Rohſtoff ſich nicht mehr als Moſt erweiſt und 
dieſen Namen verliert. Deshalb hätte, wie der Ver⸗ 
teidiger zutreffend hervorhebt, der Tatrichter zumal 
gegenüber der Verteidigung des Angeklagten und um 
die rechtliche Nachprüfung ſeines Urteils zu ermöglichen 
feſtſtellen müſſen, von welcher Bedeutung die chemi⸗ 


ſchen und ſonſtigen Veränderungen waren, die der von 


dem Angeklagten zur Herſtellung des „Tokayer alko⸗ 
holfrei“ verwendete Moſt erfuhr, welcher Art die Ein⸗ 
wirkungen waren, denen er zur Haltbarmachung und 
Klärung ausgeſetzt wurde, ob er einfach in mäßigen 
Grenzen erhitzt und durch erlaubte Schönungsmittel 
geklärt wurde, oder ob weitere Maßnahmen der Her⸗ 
ſtellung ſtattfanden, über die bis jetzt keinerlei Aus: 
kunft gegeben iſt, die aber zu durchgreifenden Weſens⸗ 
änderungen geführt haben können. Wenn die feſtge⸗ 
ſtellten chemiſchen Veränderungen äußerlich in Geſchmack, 
Geruch und Ausſehen der hergeſtellten Getränke der⸗ 
art hervortreten, daß dieſe im Verkehr mit Moſt übers 
haupt nicht verwechſelt werden können, dann findet 
§6 Wein. auf das unter falſcher Herkunftsbezeichnung 
in den Verkehr gebrachte Getränk keine Anwendung; 
im umgekehrten Fall dagegen, wenn die Steriliſierung 
lediglich die Abtötung der Gärerreger, im übrigen 
aber eine durch die Sinne wahrnehmbare Aenderung 
im Weſen des Moſts nicht bewirkt hat. hänat die 
Anwendung des Weins. allerdings ausſchließlich da⸗ 
von ab, ob die Gärfähiakeit, deren der Moſt verluſtia 
aing, eine i S. des Wein. weſentliche und begriff— 
lich unerläßliche Eigenſchaft des „Moſtes“ bildet. Dieſe 
im angefochtenen Urteil bejahte Frage, ob als „Moſt“ 
i. S. des 8 12 Wein. auch ein ſolcher Traubenſaft 
gelten kann, der die Eigenſchaft eingebüßt hat, mittels 
alkoholiſcher Gärung in der üblichen Kellerbehandlung 
ſich zu Wein zu entwickeln, iſt ſonach erſt dann zu 
entſcheiden, wenn im übrigen feſtſteht, daß zwiſchen 
den von dem Angeklagten hergeſtellten Getränken und 
gewöhnlichem, gärfähigem Traubenſaft keine ſonſtigen 
ſinnfälligen Unterſchiede beſtehen, die eine Weſensver⸗ 
ſchiedenheit begründen. Für die hiernach gebotene 
wiederholte Verhandlung der Sache mag indes zu 
dieſer Frage Folgendes bemerkt werden: Das Wein. 
regelt den Verkehr mit „Wein“. Nach der geſetzlichen 
Beariffsbeſtimmung wird darunter nur das durch alko— 
holiſche Gärung aus dem Saſt der friſchen Weintraube 
hergeſtellte Getränk verſtanden. Wenn einzelne Bes 
ſtimmungen des Geſetzes auch auf Moſt und Trauben 
maiſche ausgedehnt find (8 3), fo iſt das zunächſt nur 
um deswillen geſchehen, weil der Moſt als Grund- 
ſtoff zur Wein bereitung dient, in der Kellerbehand— 
lung zu Wein wird. Weſentlich aus dieſem Geſichts— 
punkt iſt auch die Beſtimmung in § 12 Wein. ge- 
troffen. Das Wein. von 1901 enthielt eine derartige 
Beſtimmung nicht. Je mehr die Rechtſprechung darauf 
beſtand, nur ſolche Erzeugniſſe als Wein, weinhaltig 
oder weinähnlich anzuerkennen, die eine alkoholiſche 
Gärung durchgemacht hatten oder Alkoholgehalt auf— 
wieſen, alſo den Anſchein einer ſolchen Gärung hervor— 
riefen, um ſo mehr machte ſich als Lücke bemerkbar, daß 
Verfälſchungen des Moſts vor Eintritt der Gärung, 
die ſich erſt im fertigen Wein äußern ſollten, nicht ver— 
folgt werden konnten: ſelbſt die Einziehung ſtieß auf 
Schwierigkeiten, ſogar in Fällen, in denen Moſt oder 


an als Mittel zur Weinbereitung mit Zuſätzen in 
den Verkehr gebracht wurde, die bei fertigem Wein ver⸗ 
boten waren (Entſch. 38, 311; 40, 69; 41, 35). Dem 
ſollte und zwar offenbar zu dem Zweck abgeholfen 
werden, daß Moſt, der zur Wein bereitung beſtimmt 
iſt, ſchon als Rohſtoff Schutz gegen Verfälſchung und 
ſonſtige Unlauterteiten erhielt, die bisher nur in dem 
fertigen Weine getroffen werden konnten. Inſoweit 
ſprechen daher erhebliche Gründe dafür, daß der Moſt 
nur im Hinblick auf die Weinbereitung, als Grundſtoff 
des Weins, nach dem Wein. beurteilt werden ſollte, 
und daß ſomit Moſt, dem die Gärfähigkeit genommen 
iſt und der zur Weinbereitung endgültig nicht mehr 
taugt, auch nicht mehr unter das Wein. fällt im 
Gegenſatz zu dem nur vorübergehend ſtillgemachten 
Moſt, worin die Gärung nur auf Zeit unterdrückt iſt 
und demnächſt ohne äußeres Zutun wieder eintritt. 
In der Begründung zu § 10 des Entw. des Wein. 
iſt allerdings nichts davon erwähnt, daß begrifflich 
zum Weſen des Moſtes die Eigenſchaft gehöre, daß er 
ſich durch alkoholiſche Gärung zu Wein entwickeln könne; 
vielmehr wird allgemein Moſt ohne Rückſicht darauf, 
ob er zur Weinbereitung dienen ſoll, namentlich auch 
der zum ſofortigen Genuß beſtimmte Moſt unter das 
Wein. geſtellt in bewußter Stellungnahme gegenüber 
dem in Entſch. 40, 69 für das frühere Wein®. ver: 
tretenen Standpunkt. Daraus folgt aber keineswegs, 
daß es nun für den Begriff des Moſtes nicht mehr 
darauf ankomme, ob ihm die Gärfähigkeit erhalten 
geblieben iſt oder nicht. Denn auch für den zum Ge- 
nuß beftimmteu Moſt iſt die Fähigkeit zu gären von 
größter Bedeutung, da in dem Verlauf der Gärung, 
durch die ſich der friſche Traubenſaft zum Wein ent⸗ 
wickelt, in den erſten Stufen der Enwicklung, während 
deren die Flüſſigkeit ſich überhaupt nur dazu eignet, 
unvergoren genoſſen zu werden, in raſcher Aufeinander⸗ 
folge auch für den Geſchmack bedeutſame und durch be⸗ 
ſondere Benennungen gekennzeichnete Veränderungen 
ſich vollziehen. Trotzdem rechtfertigt es ſich nicht, das 
Vorhandenſein der natürlichen im Moſte ſchlum⸗ 
mernden Gärfähigkeit begrifflich zum Weſen des Moſts 
zu erfordern. Ein der Gärerreger beraubter Moſt, der 
aber künſtlich zur alkoholiſchen Gärung gebracht werden 
kann durch den Zuſatz von Stoffen, wie ſie auch zur 
Umgärung ausgegorener insbeſondere kranker Weine 
benützt werden, ein ſolcher Moſt, aus dem alſo nach 
wie vor Wein gewonnen werden kann, bleibt Moſt; 
denn das Beſtehen dieſer Möglichkeit beweiſt, daß er 
feine Weſensart nicht geändert, daß er ein zur erlaubten 
Weinbereitung tauglicher Grundſtoff geblieben und auch 
geeignet iſt, als Moſt genoſſen zu werden. Deshalb 
iſt anzunehmen, daß $ 12 Wein G. auch auf den Trau⸗ 
benmoſt anwendbar iſt, in dem durch Erhitzen die 
Gärung unterdrückt wurde, vorausgeſetzt, daß der Moſt 
infolge der Art der Bearbeitung nicht die Eigenſchaft 
eingebüßt hat, ſich demnächſt ſei es ſelbſtändig durch 
natürliche Gärung, ſei es durch Einleitung künſtlicher 
Gärung zu Wein zu entwickeln, und daß er auch in 
den anderen oben hervorgehobenen Beziehungen das 
Weſen von Moſt bewahrt hat; die bei der Steriliſierung 
notwendig eintretenden Verſchiebungen in der Zuſam— 
menſetzung alſo, obwohl chemiſch nachweisbar, doch 
nicht derart ſinnfällig bemerkbar ſind, daß es für den 
Verkehr von Bedeutung wäre. Wie ein derartiger — 
durch einfache mäßige Erhitzung ſteriliſierter Moſt — 
regelmäßig dann im Verkehr den Beſchränkungen des 
Wein. unterliegen wird, fo wird er anderſeits auch 
Anſpruch darauf haben, daß er mit Wein oder friſchem 
Moſt, ſelbſt ſolchem eines anderen Jahrgangs ver— 
ſchnitten werden kann und überhaupt in der Keller— 
behandlung anderem Moſt an und für ſich gleichſteht. 
Die in dem angefochtenen Urteil erörterte und unter 
Bezugnahme auf die geſetzgeberiſchen Verhandlungen 
bejahte Frage, ob auch „alkoholfreie Weine“ unter das 
Wein. fallen, ſteht nicht zur Entſcheidung, denn wie 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


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das Urteil ſelbſt zutreffend hervorhebt, handelt es ſich 
hier nicht um ſolche wieder entgeiſtete Weine, ſondern 
um un vergorenen Traubenſaft; die Heranziehung jener 
Weine war nicht erforderlich; die Schlußfolgerung, daß, 
wenn das Wein. auf alkoholfreie Weine anwendbar 
ſei, das Gleiche bezüglich der ſteriliſierten Moſte der 
Fall ſein müſſe, iſt keineswegs zwingend. (Urt. des 
1. StS. vom 18. Mai 1911, 1 D 1190/1910). E. 
2341 


II 


Notwendiger Inhalt des Strafautrags. Aus den 
Gründen: Der Verletzte L. hat zum Protokoll eines 
Schutzmannes am 25. Februar 1911 erklärt: „Ich ſtelle 
gegen den Wirt Louis W. wegen Mißhandlung Straf⸗ 
antrag“ und das Protokoll unterſchrieben. Ohne 
Grund bezweifelt die Reviſion die Wirkſamkeit dieſes 
Strafantrags, weil er keine Angaben darüber ent⸗ 
halte, wann und wo die Mißhandlung erfolgt ſei. 
Zu einem Strafantrag iſt inhaltlich nichts weiter er⸗ 
forderlich, als eine unzweideutige Erklärung des 
Willens des Verletzten, daß eine beſtimmte Tat beſtraft 
werde. Muß danach auch die Handlung, deren Ver⸗ 
folgung begehrt wird, beſtimmt bezeichnet werden, ſo 
iſt dazu doch keineswegs unumgänglich erforderlich, 
daß Ort und Zeit der Handlung angegeben wird. Es 
genügt, daß die Handlung ſo beſtimmt bezeichnet iſt, 
daß kein Zweifel darüber beſteht, welche Handlung 
Gegenſtand des Strafantrags iſt, insbeſondere auch 
nicht darüber, daß dieſe Handlung dieſelbe iſt, wegen 
deren die Verurteilung erfolgt iſt. Dieſen Anforde⸗ 
rungen genügt der Strafantrag vom 25. Februar 1911. 
Schon durch die Angabe der Perſon des Täters und 
durch die Bezeichnung der Tat als Mißhandlung 
wurde unter den obwaltenden Umſtänden außer Zweifel 
geſtellt, daß der Antragſteller die Beſtrafung der am 
12. Januar 1911 ihm in der Wirtſchaft des Angeklagten 
von dieſem zugefügten Mißhandlung wolle, eben der⸗ 
jenigen, wegen deren der Angeklagte verurteilt worden 
iſt. Denn eine andere Handlung des Angeklagten, 
die als Mißhandlung des Antragſtellers hätte bezeichnet 
werden können, als die am 12. Januar 1911 vom 
Angeklagten in ſeiner Wirtſchaft begangene, kam bei 
Stellung des Antrags nicht in Frage. Wegen dieſer 
letzteren Tat hatte L. Strafanzeige erſtattet und in 
dem auf dieſe Anzeige anhängig gewordenen Straf— 
verfahren hat er auf Veranlaſſung der Staatsanwalt⸗— 
ſchaft den Antrag vom 25. Februar 1911 geſtellt. 
Der Antrag kann alſo nur die Tat des Angeklagten 
zum Gegenſtand gehabt haben, die Gegenſtand der 
Unterſuchung war. Wird aber durch den Antrag be— 
wieſen, daß der Antragſteller gewollt hat, daß der 
Angeklagte ſtrafrechtlich verfolgt werde, ſo folgt daraus, 
daß auch ſchon die Strafanzeige vom 12. Januar 1911 
in der Abſicht erſtattet worden iſt, daß die in der An- 
zeige bezeichnete Tat beſtraft werde, und deshalb iſt 
ſchon dieſe Anzeige als Strafantrag anzuſehen (RGRſpr. 
StS. 1, 115). In der Anzeige iſt aber auch Zeit und 
Ort der Tat angegeben, die Tat alſo ſo bezeichnet, 
wie es die Reviſion verlangt. (Urt. des I. StS. vom 
27. Mai 1911, 1 D 429/1911). E. 

2333 


III. 


Wie hat das Gericht bei der Bemeſſung der Geſamt⸗ 
ftrafe zu verfahren?! Aus den Gründen: Aus den 
erkannten Einzelſtrafen von drei Wochen und dreimal 
je 2 Wochen hat das LG. die verhängte Geſamtſtrafe 
von 6 Wochen in der Weiſe gebildet, daß ſie die drei 
letzteren je auf 1 Woche ermäßigt und dieſe ermäßigten 
Einzelſtrafen zu der Zwöchigen Strafe hinzugerechnet 
hat. Das entſpricht nicht dem Geſetze. Nach 8 74 StGB. 
iſt auf eine Geſamtſtrafe zu erkennen, welche in einer 
Erhöhung der verwirkten ſchwerſten Strafe beſteht. 
Dieſe Erhöhung iſt dem pflichtgemäßen freien Er— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


„H ñ ñ ñ —. —. Fe — FE —. . . ——. ͤ—— — Te re 


meſſen des Richters anheimgegeben, wobei er, wie in fertigt ift die Entſcheidung inſoweit, als der Erſt⸗ 


den Motiven zu $ 74 StGB. ausdrücklich anerkannt 
iſt, die „Zahl und Schwere der übrigen Vergehen 
berückſichtigen fol”. Für rechneriſche Zwiſchenſtufen, 
welche den Anſchein erwecken, als ſollten die verwirkten 
Einzelſtrafen auch innerhalb der Geſamtſtrafe bis zu 
einem beſtimmten vom Gerichte feſtgeſetzten Maße ein 
ſelbſtändiges Daſein behalten, kann daneben kein Raum 
bleiben. Das von dem LG. eingeſchlagene Verfahren 
zieht dem richterlichen Ermeſſen gewiſſe rechneriſche 
Schranken, es hindert ihn unter Umſtänden zu einem 
dem Geſetz entſprechenden Ergebnis zu kommen und 
birgt die Gefahr in ſich, daß der Sachlage des ein« 
zelnen Falles nicht die gebührende Rückſicht zuteil 
wird, vielmehr in allen Fällen nach einheitlichen 
Grundſätzen die rechneriſche Ermittelung der Geſamt⸗ 
ſtrafe ſtattfindet und namentlich unterſchiedslos die 
Kürzung der Einzelſtrafen nach einem beſtimmten 
üblichen Maßſtab vorgenommenen wird. Dadurch 
kann der Verurteilte empfindlich benachteiligt werden. 
Da dies im vorliegenden Falle nicht ausgeſchloſſen iſt, 
war der die Bildung und Erkennung der Geſamtſtrafe 
betreffende Teil des Urteils aufzuheben und inſoweit 
die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Ent— 
ſcheidung zurückzuverweiſen. Hierbei wird die Geſamt⸗ 
ſtrafe in der Weiſe feſtzuſetzen fein, daß die Einſatz⸗ 
ſtrafe unter Berückſichtigung der Höhe der Einzelſtrafen 
aber ganz nach freiem Ermeſſen des Richters erhöht 
und ſo nicht eine Summe von Strafen und Strafteilen, 
ſondern eine einheitliche Strafe gefunden wird (hier 
ſelbſtverſtändlich unter Beobachtung des 3398 StPO.) — 
RGSt. 44, 302. (Urt. des I. StS. vom 1. Mai 1911, 
1 274/1911). E. 
2334 
IV. 


„ Erforderniſſe der Begründung einer Rüge nach & 377 
Ziff. 8 StPO. — zu 5 384 Abſ. 2 Satz 2 St pd. Die 
Ruge der Verletzung des 8 377 Ziff. 8 StPO. iſt von 
dem Verteidiger nur damit begründet worden, daß 
durch die Ablehnung der Beweisanträge, welche der 
Angeklagte nach dem Sitzungsprotokoll vom 27. April 
1911 in der Hauptverhandlung von dieſem Tage und 
nach dieſem Tage ſchriftlich geſtellt habe, die Ber 
teidigung unzuläſſig beſchrankt worden ſei. Darin 
kann eine genügende Angabe der den Mangel ent— 
haltenden Tatſachen, wie ſie 8 384 Abſ. 2 Satz 2 
StPO. erfordert, nicht gefunden werden. Von dem 
Angeklagten jelvit iſt zur Begründung derſelben Rüge 
zu Protokoll des Gerichtsſchreibers ausgeführt worden, 
eine unzuläſſige Beſchränkung der Verteidigung liege 
darin, daß ſeine Anträge auf nochmalige Vernehmung 
ſeiner Eltern als Zeugen zu Unrecht abgelehnt worden 
ſeien. Von dem Termine zur kommiſſariſchen Ver— 
nehmung feiner Eltern ſei er nicht ordnungsmäßig 
und nicht rechtzeitig benachrichtigt worden; die Ver— 
leſung des Vernehmungsprotokolls ſei deshalb un— 
ſtatthaft und dem Antrag auf Wiederholung der Ver— 
nehmung zu entſprechen geweſen. Auch dieſe Begrün— 
dung genügt den Anforderungen des § 384 Abſ. 2 Satz 2 
StPO. nicht; denn Anträge auf nochmalige Verneh— 
mung der Eltern ſind ſowohl in der Hauptverhandlung 
vom 27. April 1911 als nach dieſem Tage geſtellt und 
aus ganz verſchiedenen Grunden abgelehnt worden; 
es hütte deshalb angegeben werden müſſen, auf welchen 
der in Betracht kommenden Gerichtsbeſchlüſſe ſich die 
Rüge bezieht. (Urt. des V. SiS. vom 20. Juni 1911, 
5 D 580% 1911). E. 

238 

V. 


Muß das Gericht, das den mehreren ſachlich zu⸗ 
ſammentreffender Vergehen deſchuldigten Angeklagten 
bezuglich eines Teiles jur nicht überführt erachtet, ihn 
inſoweit freiſprechen, wenn es im übrigen ihn wegen 


richter es unterlaſſen hat, die Angeklagten in den⸗ 
jenigen Diebſtahlsfällen freizuſprechen, die ihnen im 
Eröffnungsbeſchluſſe als ſelbſtändige Straftaten zur 
Laſt gelegt ſind, wegen deren aber eine Verurteilung 
nicht erfolgen konnte, weil die Angeklagten nicht für 
überführt erachtet worden ſind. Das LG., das ange⸗ 
nommen hat, daß die wiederholten Diebſtähle, die 
jedem Angeklagten nachgewieſen find, bei jedem Ange⸗ 
klagten miteinander im Fortſetzungszuſammenhange 
ſtehen, hat wegen der nicht nachgewieſenen Fälle um 
deswillen von einer Freiſprechung abgeſehen, weil es 
davon ausging, daß auch dieſe Fälle, wenn ſie nach⸗ 
gewieſen wären, unter ſich und mit jenen im Fort⸗ 
ſetzungszuſammenhange ſtehen würden und daß es 
deshalb wegen der Unmöglichkeit, hinſichtlich ein und 
derſelben Handlung teils zu verurteilen teils freizu⸗ 
ſprechen, nicht angehe auf Freiſprechung zu erkennen. 
Dies iſt rechtsirrig. Ein Fortſetzungszuſammenhang 
im Rechtsſinn iſt nur zwiſchen wirklich begangenen 
ſtrafbaren Handlungen möglich. Er konnte alſo der 
Freiſprechung von den nicht für erwieſen erachteten 
Anklagepunkten nicht entgegenſtehen. Die Freiſprechung 
war vielmehr notwendig, da es ſich um — nach dem 
Eröffnungsbeſchluß — ſelbſtändige Anklagepunkte 
handelte und dieſe durch die über die übrigen Anklage⸗ 
punkte getroffene Entſcheidung nicht erledigt wurden. 
Der Irrtum über die rechtlichen Vorausſetzungen des 
Fortſetzungszuſammenhangs hatte aber auch weiterhin 
zur Folge, daß die Angeklagten — und zwar alle 
vier Angklagte, nicht nur die drei Beſchwerdeführer 
— nicht, wie es nach § 498 Abſ. 1 StPO. zu geſchehen 
gehabt hätte, von der Tragung der auf die nicht er⸗ 
wieſenen Straffälle erwachſenen beſonderen Koſten ent⸗ 
bunden, ſondern zu Unrecht mit den ſämtlichen Koſten 
ſämtlicher Diebſtahlsfälle belaſtet worden ſind. (Urt. 
des V. StS. vom 20. Juni 1911, 5 D 422/1911). 
2339 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


„Beſondere Grande“ zu einer von der Regel des 
5 1635 BGB. abweichenden Anordnung des Bormund: 
ſchaftsgerichts. Durch das rechtskräftige Urteil des 
LG. K. vom 6. Mai 1910 iſt die Ehe der Landwirts⸗ 
eheleute Heinrich uud Philippine S. aus BVerſchulden 
der Frau geſchieden worden. Das einzige Kind Robert, 
geboren am 30. November 1906, verblieb zunächſt bei 
ſeiner Mutter, die ihren Familiennamen wieder ans 
genommen hat und bei ihren Eltern wohnt. Als 
Heinrich S. gegen ſeine frühere Frau Klage auf Her— 
ausgabe des Kindes ſtellte, regte deren Vater bei dem 
Vormundſchaftsgericht an, die Sorge für die Perſon 
des Kindes nach S 1635 Abſ. 1 Satz 2 BGB. der 
Mutter zu übertragen. Dieſe ſchloß ſich der Anregung 
an. Das Vormundſchaftsgericht übertrug, nachdem es 
die erforderlichen Erhebungen gepflogen hatte, die Sorge 
für die Perſon des Kindes der Mutter, weil dies für 
das Kind vorteilhafter ſei. Auf die Beſchwerde des 
S. hob das LG. die Entſcheidung des Vormundſchafts⸗ 
gerichts auf; nach den zur Zeit beſtehenden Verhält— 
niſſen möge die Unterbringung im Haufe der mütter- 
lichen Großeltern für das Kind allerdings angenehmer 
und vorteilhafter ſein, aber es liege kein genuͤgender 
Grund vor, eine von der Regel des § 1635 868. 
abweichende Anordnung zu treffen; der Vater befinde 
ſich in geordneten Erwerbs- und Vermögensverhält— 


niſſen und werde in der Pflege und Erziehung von 


ſeinen Angehörigen, beſonders ſeiner Mutter, unters 


eines fortgeſetzten Vergehens verurteilt! Nicht gerecht⸗ ſtutzt, fo daß eine Gefährdung der Intereſſen des 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 


Kindes nicht zu beſorgen ſei. Der weiteren Beſchwerde 
der Mutter des Kindes hat das Obs. den Erfolg 
verſagt. 

Gründe: Das Beſchwerdegericht iſt mit Recht 
davon ausgegangen, daß die Sorge für die Perſon 
des Kindes dem für ſchuldig erklärten Eheteile nicht 
ſchon deshalb zu übertragen iſt, weil die Belaſſung 
bei der Mutter dem Kinde vorteilhafter iſt, ſondern 
daß dafür beſondere Gründe vorliegen müſſen. Der 
Umſtand, daß das Kind durch die Verbringung in 
die Familie des Vaters in neue, ihm ungewohnte Ver⸗ 
hältniſſe verſetzt würde, kann für ſich allein einen 
ſolchen Grund nicht abgeben. Die von der Regel des 
8 1635 BGB. abweichende Anordnung enthält eine 
Beſchränkung des nichtſchuldigen Teiles in der ihm 
zuſtehenden Sorge für die Perſon des Kindes, die 
ſich nur dann rechtfertigt, wenn ohne eine ſolche Maß⸗ 
regel das Intereſſe des Kindes einer ernſtlichen Ge⸗ 
fährdung ausgeſetzt fein würde (Obs G. n. S. 4, 145; 
9, 474; 11, 588; Os G. 10, 287; 21, 260). Das Bes 
ſchwerdegericht hat die bei der Mutter und bei dem 
Vater beſtehenden Verhältniſſe geprüft und iſt dabei 
zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Vater in der 
Lage iſt, das Kind ordentlich zu pflegen und zu er⸗ 
ziehen, und daß keine Umſtände vorliegen, die die 
Annahme einer Gefährdung des geiſtigen und leib⸗ 
lichen Wohles des Kindes rechtfertigen könnten. Dieſe 
Folgerung konnte das Beſchwerdegericht ohne Rechts⸗ 
irrtum aus den von ihm feſtgeſtellten Tatſachen ziehen, 
deren Richtigkeit durch das Rechtsmittel der weiteren 
Beſchwerde nicht angefochten werden kann. (Beſchl. 
des I. 35. vom 2. Juni 1911, Reg. III 41/1911). 

2353 W. 
II. 


Kauf i. S. des Art. 1 GäterzertrG. (Berdeckung 
durch einen Tanſchvertrag); Beginn der Friſt zur Ans 
übung des Vorkaufs rechts bei nachträglicher Aenderung 
des Vertrages. Am 3. April 1911 ließen die Bauers⸗ 
eheleute G. und die Güterhändler W. und B. in S. 
einen „Tauſchvertrag“ beurkunden, wonach die Ehe⸗ 
leute G. ihr Anweſen mit einem Geſamtgrundbeſitze 
von 20.741 Hektar im Wertanſchlage von 40700 M 
an die Güterhändler W. und B. gegen eine Waldung 
mit 1.540 Hektar Fläche im Wertanſchlage von 2700 M 
„vertauſchten“. Die Grundſtücke wurden ſofort gegen⸗ 
ſeitig aufgelaſſen; die Eintragung des Eigentums» 
wechſels wurde beantragt. Da die Güterhändler die 
auf dem Anweſen ruhenden Hypotheken im Betrage 
von 8100 M übernahmen, ergab ſich für die Eheleute 
G. eine Tauſchaufgabe von 29 900 M. Hiervon wurden 
13 000 M durch Verrechnung getilgt. Die weiteren 
16 900 M verpflichteten ſich die Güterhändler am 
3. Juli 1911 zu zahlen. In einer Nachtragsurkunde 
vom 6. April wurde „unter Wahrung des geſetzlichen 
Rücktrittsrechtes für die Ehelente G.“ vereinbart, daß 
der Tauſchwert des Anweſens um 1500, ſohin auf 
42 200 M erhöht werde; die Reſtforderung der Ehe— 
leute G. daher nicht 16 900, ſondern 18 400 M betrage. 
Das Bezirksamt gab am 8. April von dem Inhalte 
des Vertrags vom 3. April und des Nachtrags vom 
6. desſ. Monats der Bayeriſchen Zentral-Darlehens- 
kaſſe Kenntnis. Am 27. April reichte dieſe bei dem 
Grundbuchamte die Erklärung ein, daß ſie von dem 
Vorkaufsrechte Gebrauch mache. Das Vorkaufsrecht 
wurde noch an demjelben Tage auf dem Blatte für 
das Anweſen eingetragen. Gegen die Eintragung 
legten die Güterhändler W. und B. Beſchwerde mit 
dem Antrag ein, das Grundbuchamt anzuweiſen, ent— 
weder einen Widerſpruch gegen die Eintragung des 
Vorkaufsrechts einzutragen oder dieſes zu löſchen. Zur 
Begründung machten ſie geltend, daß bei einem Tauſch— 
vertrag ein Vorkaufsrecht nicht zugelaſſen ſei und daß 
die Zentraldarlehenskaſſe die Friſt zur Ausübung des 
Vorkaufsrechts nicht gewahrt habe. Das LG. wies 


369 


die Beſchwerde zurück. Das Ob. hat auch die wei⸗ 
tere Beſchwerde zurückgewieſen. 

Gründe: Die Rüge einer Verletzung des 8 515 
BGB. iſt nicht gerechtfertigt. Das Beſchwerdegericht 
hat zutreffend das Weſen des Tauſches darin ge⸗ 
funden, daß die unmittelbare Leiſtung eines jeden 
Teiles in der Verſchaffung einer Sache beſteht (Mot. 
z. BGB. 2, 366); es hat aber auf Grund der Wür⸗ 
digung des Vertragsinhaltes feſtgeſtellt, daß das von 
den Güterhändlern abgetretene Grundſtück nicht den 
für die Hingabe des Anweſens der Eheleute maß⸗ 
gebenden Gegenwert bildet, ſondern daß nach der 
Abſicht der Vertragsteile durch die Ueberlaſſung dieſes 
Grundſtücks ein Teil des Kaufpreiſes berichtigt werden 
ſoll. Dieſe Feſtſtellung liegt auf tatſächlichem Gebiet 
und läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Das 
Gericht konnte zu dieſer Feſtſtellung auf Grund des 
auffälligen Mißverhältniſſes gelangen, in dem der 
nur 2700 M betragende Wert des Waldgrundſtücks 
zu dem Werte des auf 42 200 M angeſchlagenen An⸗ 
weſens ſteht. Unzutreffend iſt die Einwendung der 
Beſchwerdeführer, daß nach dem erkennbaren Ders 
tragswillen die gegenſeitige Hingabe der Sachen von- 
einander abhängen und die Hingabe des einen Gegen⸗ 
ſtandes ohne die des anderen nicht beſtehen ſollte. 
Der Inhalt der Urkunde bietet keinen Anhalt dafür, 
daß die Eheleute im Verhältniſſe zu der ſie als Gläu⸗ 
biger treffenden Geldleiſtung an der Erlangung des 
ihnen von den Güterhändlern abgetretenen Grund» 
ſtücks ein überwiegendes oder auch nur ein beſonderes 
Intereſſe hatten (Mot. a. a. O. S. 321 Abſ. 2). Auch die 
weitere Rüge, daß das Beſchwerdegericht zu Unrecht 
die für die Ausübung des Vorkaufsrechts geſetzte Friſt 
für gewahrt erachtet habe, iſt nicht begründet. Dem 
Beſchwerdegericht iſt darin beizutreten, daß die Friſt 
erſt dann beginnt, wenn die Bedingungen vereinbart 
ſind, unter denen der Vorkäufer einzutreten hat. Dies 
ergibt ſich aus dem Zwecke der Friſt. Denn dieſe 
wird dem Vorkaufsberechtigten gewährt, damit er 
überlegen und ſich ſchlüſſig machen kann, ob er in die 
Bedingungen des Vertrags eintreten will oder nicht 
(AbgK Verh. 1909/1910 Beil.⸗Bd. 9 S. 804); fie kann 
daher nicht früher beginnen, als dieſe Bedingungen 
feſtgeſtellt ſind. Damit erweiſt ſich der Einwand als 
unbegründet, daß bei dieſer Auslegung des Geſetzes 
die Friſt gegen den Willen des Geſetzgebers erweitert 
würde. Das Beſchwerdegericht hat ferner nicht, wie 
die Beſchwerde geltend macht, angenommen, der Ber 
trag ſei erſt zur Vollendung gelangt, als alle Be⸗ 
dingungen endgültig feſtgeſetzt waren, in die der Vor⸗ 
käufer einzutreten hatte. Es hat feſtgeſtellt, daß der 
am 3. April geſchloſſene Vertrag durch den Nachtrag, 
vom 6. April in einem weſentlichen Beſtandteile der 
Vereinbarung über den Kaufpreis eine Aenderung ers 
fahren hat und hat aus dieſer Feſtſtellung die Folge- 
rung gezogen, daß der ſo geänderte Vertrag als am 
6. April geſchloſſen zu gelten hat. Dieſe Folgerung 
iſt nicht zu beanſtanden. Ohne Rechtsirrtum kann 
angenommen werden, daß die am 6. April getroffene 
Vereinbarung, weil durch ſie der Vertrag vom 3. April 
in einem weſentlichen Beſtandteile geändert wurde 
und der Vertrag nach dem Willen der Vertrag— 
ſchließenden nur mit dieſer Veränderung gelten ſollte, 
mit den unveränderten Teilen des bisherigen Ver— 
trags einen neuen Vertrag darſtellt (RGZ. 65, 392; 
Goldmann und Lilienthal, BGB. (2) Bd. 1 S. 162 
Anm. 37; für das frühere Recht Oberſter Gerichtshof 7, 
455). Die von den Beſchwerdeführern angefuͤhrte 
Entſcheidung des ObLG. vom 16. November 1909 (n. 
Samml. 10, 524) hat einen anderen Sachverhalt zum 
Gegenſtand und nimmt zu der hier vorliegenden 
Frage nicht Stellung. Verfehlt iſt auch die Aus— 
führung der Beſchwerde, daß durch die am 3. April 
erfolgte Auflaſſung die Verpflichtung zur Eigentums— 
übertragung entſtanden und hierdurch der Vertrag 


370 


zur Vollendung gekommen ſei. Der Anſpruch auf 
Eigentumsübertragung wurde durch den ſchuldrecht⸗ 
lichen Grundvertrag geſchaffen; durch die Auflaſſung 
wird ein Anſpruch überhaupt nicht begründet. (Beſchl. 
des I. ZS. vom 2. Juni 1911, Reg. III 42/1911). - 
2354 W 


B. Strafſachen. 


Unbefugte Jagdausübung eines Jagd berechtigten 
von ſeinem Jagdgebiete aus. In der Ortſchaft S. 
beſitzt N. ein Oekonomieanweſen, zu dem eine etwa 
180 Schritt entfernte Wieſe gehört; auf dieſer ſteht 
eine auf allen Seiten mit dicht aneinander liegenden 
Bretterwänden verſehene, eingedeckte von einem wild⸗ 
reichen Walde etwa 4 Schritte entfernte Hütte. In 
ihrer dem Walde zugekehrten Wand befindet ſich am 
Erdboden eine ins Freie gehende, von dem Ange⸗ 
klagten und ſeinem inzwiſchen verſtorbenen Vater N. 
hergeſtellte Oeffnung von 22 em Höhe, 17 em unterer 
und lö em oberer Breite, die gegen den Erdboden 
durch das Eindringen von Füchſen ꝛc. etwas vertieft 
iſt. Um jagdbare Tiere, insbefondere Füchſe, Dachſe, 
Marder, Iltiſſe einzufangen und ſich anzueignen, hatten 
Vater und Sohn die Oeffnung hergeſtellt, eine zum 
Fangen der genannten Tiere geeignete Falle im Innern 
der Hütte unmittelbar unter der Oeffnung aufgeſtellt 
und nicht bloß in die Falle und um ſie und die Oeff⸗ 
nung herum ſondern auch außerhalb dieſer auf der 
Wieſe Heublumen geſtreut. Das Berufungsgericht 
verurteilte den angeklagten Sohn wegen eines fort- 
geſetzten Vergehens nach 88 292, 293, 47 des StGB. 
Die Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Die Bezugnahme der Re— 
viſion auf das Urteil des RG. vom 13. März 1890 
(RGSt. 20, 341/43) iſt verfehlt. Der Entſcheidung lag 
ein ganz anders gelagerter, nämlich der Fall zugrunde, 
daß der Jagd berechtigte auf feinem Jagdgebiete vers 
ſuchte, das Wild von einem fremden Jagdgebiete her 
in das ſeinige zu locken. Tätigkeiten, die ſich nur auf 
dem eigenen Jagdgebiet abwickeln und das fremde 
unberührt laſſen, ſind keine unbefugte Jagdaus— 
übung; dieſer dem geltenden Recht entſprechende 
Satz iſt in jenem Urteil ausgeſprochen. Greifen da— 
gegen die Handlungen des Jagdberechtigten auf ein 
fremdes Jagdgebiet über zu dem Zwecke, daß das dort 
befindliche jagdbare Wild auf das eigene Jagdgebiet 
übertreten und da nach dem Uebertritte erlegt werden 
ſoll, ſo unterliegen ſie der ſtrafrechtlichen Ahndung. 
(RGSt. 20, 98, 341; Rechtſpr. des RG. 10, 565; 8, 
420, Urt. des ObLG. vom 17. März 1908, Rev.⸗Reg. 
Nr. 105.09 und vom 28. Dezember 1906, Rev.⸗Reg. 
Nr. 546/06 letzteres abgedruckt in Bay. 1907 S. SS). 
Dabei iſt es für die rechtliche Beurteilung gleichgüllig, 
ob der Täter zu dem genannten Zwecke das fremde Jagd— 
gebiet ſelbſt betritt, oder auf dieſem von ſeinem ein— 
gezäunten Grundſtück aus die Handlungen vornimmt. 
Streut z. B. der Jagdberechtigte auf das fremde, nicht 
zu ſeinem Jagdbezirke gehörige Grundſtück Futter als 
Lockmittel für das zu erlegende Wild, und wechſelt 
es infolgedeſſen in das Jagdgebiet des futterſtreuenden 
Jägers und ſind Anſtalten getroffen, daß es ſofort 
nach dem Uebertreten erlegt werden ſoll, dann übt 
er unbefugt die Jagd aus (ſ. das Urteil vom 28. De— 
zember 1906). Als Eigentümer der Hütte war der 
Vater des Angeklagten nach Art. 2 Abſ. 1 Nr. 2 des 
Geſ. vom 30. Mai 1850, die Ausübung der Jagd betr., 
zur Ausübung der Jagd nur im Innern der Hütte 
berechtigt, ebenſo der Sohn, dem er die Jagdausübung 
überlaſſen konnte. Die Jagd wurde mithin wenigſtens 
teilmeife an einem Orte ausgeübt, an dem der An— 
geflagte und fein Vater zu jagen nicht berechtigt 


waren. (Urt. vom 30. Mai 1911, Rev.⸗Reg. Nr. 233 
1911). Ed. 
200 


— ZSůU —ᷣ— 2 — 
— — —ꝗ—————..— —— — än ä — 


| 


I — — — — [5 


Aus der Praxis des bayer. Verwaltungs: 
gerichtshofs. 


Zum Begriffe des Güterhändlers. (Süterhandel als 
Nebengewerbe.) In der Sammlung von e 
des Verwaltungsgerichtshofes Bd. 32 S. 59 ff. u. 63 ff. 
werden zwei ältere Entſcheidungen vom 12. Februar 
1906 und vom 5. Oktober 1908 abgedruckt, die zu 
Art. 19 Abſ. 1 des Geſetzes vom 2. Februar 1898, die 
Fortſetzung der Grundentlaſtung betreffend, ergangen 
ſind. Sie beſchäftigen ſich mit der Feſtſtellung des 
Begriffs des Güterhandels und des Güterhaͤndlers; 
ſie ſind wohl wegen ihrer Bedeutung für die An⸗ 
wendung des G38. vom 13. Auguſt 1910 nachträglich 
veröffentlicht worden. Art. 1 des G36. ſpricht von 
gewerbsmäßigen Händlern mit landwirtſchaftlichen 
Grundſtücken (Güterhändlern); Art. 19 des Grund⸗ 
entlaſtungsgeſetzes (wie auch die Art. 42a — 420 des 
Geſetzes, betr. die Abänderung des Forſtgeſetzes vom 
26. Februar 1908) von gewerbsmäßigen Händlern mit 
ländlichen Grundſtücken. Die beiden Faſſungen ſollen 
den gleichen Begriff verkörpern (Beſ. Begr. zu Art. 1 
u. 2 des Entw. eines Geſetzes über die Güterzertrüm⸗ 
merung, Verh. d. K. d. Abg. 1909/10 Beil. 852 S. 21). 
Es kam vor, daß Perſonen, die wegen Ablöſung der 
Bodenzinſe in Anſpruch genommen wurden, eins 
wendeten, der Güterhandel ſei ihnen nicht Selbſtzweck, 
ſondern ergebe ſich nur nebenher in ihrem Haupt- 
gewerbebetriebe. So beſtritt in dem der erſten Ent⸗ 
ſcheidung zugrunde liegenden Falle der in Anſpruch 
Genommene ſeine Eigenſchaft als gewerbsmäßiger 
Güterhändler: er erwerbe als Sägwerksbeſitzer und 
Holzhändler neben geſchlagenem Holze und ganzen 
Beſtänden zur Deckung ſeines Bedarfs auch ganze 
Waldanweſen durch Kauf; nach der Fällung des 
Holzes müſſe er den Grund und Boden wieder vers 
äußern. Es gelinge ihm ganz ſelten, ſolche Komplexe 
im ganzen loszubringen; er müſſe ſie deshalb in der 
Regel zertrümmern. Sein Gewerbe beſtehe ſonach 
nur im Holz⸗, nicht aber im Güterhandel, weshalb 
er auch nicht gewerbsmäßiger Güterhändler ſei. In 
dem zweiten Falle erklärte der Ablöſungspflichtige, 
er habe das Anweſen und die Waldgrundſtücke nur 
erworben, weil er den Wald für ſeinen Holzhandel 
nötig gehabt habe und das Holz ohne die Grundſtücke 
nicht kaͤuflich geweſen ſei. Der Gerichtshof hat in 
beiden Entſcheidungen ausgeſprochen, daß der als 
Nebengewerbe betriebene Güterhandel auch ein ge— 
werbsmäßiger Güterhandel im Sinne des Geſetzes ſei. 
Das Geſetz mache keinen Unterſchied, ob ein gewerbs— 
mäßiger Güterhandel als ſolcher ſelbſtändig betrieben 
werde oder ob er nur Nebenbetrieb eines anderen 
Gewerbes und durch letzteres veranlaßt ſei. Ein 
Merkmal des gewerbsmäßigen Güterhandels mit länd— 
lichen Grundſtücken ſei, daß ganze Anweſen oder eins 
zelne Grundſtücke nicht zur Bewirtſchaftung, ſondern 
zum handelsmäßigen Umſatz erworben würden. In 
dem Verteidigungsvorbringen liege gerade das Zu— 
geſtändnis, daß der Käufer das Anweſen und die 
Waldgrundſtücke nicht zur Bewirtſchaftung erworben 
habe. Der Umſtand, daß der Erwerb und die Ver— 
äußerung durch das Intereſſe des Holzhandels be— 
ſtimmt war, ändere an der Gewerbsmäßigkeit des 
Umſatzes nichts. Es ſei nicht daran zu zweifeln, daß 
der Gewinn aus der Veräußerung der vom Walde 
entblößten Grundſtücke dem Beſchwerdeführer ebenſo 
willkommen geweſen und von ihm beim Erwerbe der 
Grundſtucke ins Auge gefaßt worden ſei, wie der Ge— 
winn aus der Verwertung des Holzes. Man könne 
vielleicht ſagen, daß der Guterhandel in einem ſolchen 
Falle ein Nebenbetrieb des Holzhandels ſei, nicht 
aber, daß überhaupt kein gewerbsmäßiger Güterhandel 
vorliege. In einem Urteile vom 30. Oktober 1909 
hat das Obs. (Samml. in Strafſ. Bd. 9 S. 378 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


bef. 382 ff., MA Bl. 1909 S. 1099) den entgegengeſetzten 
Standpunkt eingenommen. Es erklärt, im Sinne des 
Geſetzes vom 26. Februar 1908, das als Ausnahme⸗ 
geſetz eine ausdehnende Auslegung nicht zulaſſe, ſei 
gewerbsmäßiger Händler mit ländlichen Grundſtücken 
nicht jeder, der zu wiederholten Malen in der Abſicht 
Gewinn zu erzielen ſolche Grundſtücke an⸗ und ver⸗ 
kaufe, ſondern nur, wer den An- und Verkauf länd- 
licher Grundſtücke als ſelbſtändiges Gewerbe 
allein oder neben einem anderen Berufe betreibe, der 
Güterhändler im landläufigen Sinn des Wortes. Die 
Vorausſetzung des gewerbsmäßigen Güterhandels 
fehle, wenn ländliche Grundſtücke nur im Rahmen 
eines anderen ſelbſtändigen Gewerbebetriebes und 
zwar nur als Mittel zum Zweck gekauft und verkauft 
würden. Das Obs G. nimmt alſo an, daß Neben⸗ 
betriebe, auch wenn die Gewinnabſicht beſteht, keinen 
gewerbsmäßigen Güterhandel verkörpern könnten. 
Das Urteil iſt zur Forſtgeſetznovelle erlaſſen. Seine 
Begründung ſtützt ſich ausſchließlich auf die Ent⸗ 
ſtehungsgeſchichte und die beſonderen Zwecke dieſes 
Geſetzes. Das Urteil will vielleicht eine über das 
Soriigeieh hinausreichende Bedeutung überhaupt nicht 
eanſpruchen. Aber gerade die Frage, die es in einer 
von der Rechtſprechung des Verwaltungsgerichtshofes 
abweichenden Weiſe löſt, muß nach dem Forſtgeſetz, 
dem Grundentlaſtungs- und dem Güterzertrümmerungs⸗ 
geſetz gleichmäßig beantwortet werden. Goldſchmit 
und Garde bezeichnen in ihrer Ausgabe des G3. 
(S. 70) die Entſcheidung des ObL G. als nicht bedenken⸗ 
frei, da ſie eine Unterſcheidung mache, die das Geſetz 
ſelbſt nicht kenne. Eingehender wendet ſich v. Braun 
in feiner Ausgabe des G3G. (S. 13) gegen die Be⸗ 
gründung des Urteils; er billigt den Standpunkt der 
beiden damals noch nicht gedruckten Entſcheidungen 
des Verwaltungsgerichtshofes. Die Auffaſſung des 
Verwaltungsgerichtshofes dürfte den Vorzug ver- 
dienen. Sägwerksbeſitzer, Holzhändler, Zelluloſe⸗ 
fabrikanten, die Inhaber von Holzſchneidewerken und 
Papierfabriken, die im Rahmen ihres Hauptgewerbe⸗ 
betriebs Grundſtücke erwerben und wieder veräußern, 
können begrifflich gewerbsmäßige Güterhändler fein. 
Solche Gewerbetreibende unterliegen deshalb der 
Pflicht zur Ablöſung der Bodenzinſe und allen Be— 
ſchränkungen, die ſich aus dem Forſtgeſetz und dem 
G3. ergeben, wenn die ſämtlichen Vorausſetzungen 
der Geſetzesbeſtimmungen zutreffen. Gewerbsmäßige 
Güterhändler ſind ſie nur, aber auch immer dann, 
wenn eine fortgeſetzte (wenn auch nicht ununterbrochene), 
auf Erzielung von Gewinn gerichtete Tätigkeit vor— 
liegt. Sie tritt, wie der VGH. hervorhebt, beim 
Güterhandel regelmäßig in wiederholten Erwerbs— 
und Veräußerungsgeſchäften in die Erſcheinung. Die 
Gewinnabſicht liegt in der Regel auch beim Güter— 
handel im Nebenbetrieb vor. Nicht notwendig iſt die 
Feſtſtellung eines tatſächlichen Gewinnes (VGH. 32, 
60 u. 64). — In der Entſcheidung vom 12. Februar 
1906 ſpricht der VGH. noch aus, daß es für die An— 
wendung des Art. 19 des Geſetzes vom 2. Februar 1898 
gleichgültig iſt, ob der Güterhändler die bayeriſche 
Staatsangehörigkeit beſitzt oder nicht. Auch das hat 
für das GIG. zu gelten. M. 

2357 


Literatur. 


Zacharias, Dr. A. N., Oberlandesgerichtsrat in Ham- 
burg. Ueber Perſön lichkeit, Aufgaben und 
Ausbildung des Richters. 8“. 161 S. Berlin 
1911. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Mk. 3.50. 

Beachtenswerte Ausführungen zu der viel erör— 
terten Frage der Richtervorbildung bringt die vor— 


1911. Nr. 18. 371 


gerichtsrats Zacharias. Ausgehend von dem Grund⸗ 
ſatze „Erſt das Ziel, dann der Weg zum Ziele“ ent⸗ 
rollt der Verfaſſer zunächſt ſein Idealbild von der 
Perſönlichkeit des Richters und zwar nicht eigentlich 
pofitiv, ſondern mehr negativ, indem er verſchiedene 
nicht ſelten hochgehaltene Typen richterlicher Perſön⸗ 
lichkeit, ſo den Typus des feinſinnigen, gründlichen, 
und ehrwürdigen deutſchen Gelehrten, den Typus des 
ſchneidigen Richters und den Typus des fleißigen, be⸗ 
ſcheidenen und in engbegrenztem Intereſſenkreiſe heran⸗ 
gewachſenen Beamten mit treffenden Gründen ablehnt. 
Daran reihen ſich längere Erörterungen über die Auf⸗ 
gaben des Richters, die, fo beherzigenswert fie find, 
doch eine gewiſſe Einſeitigkeit inſofern aufweiſen, als 
ſie ausſchließlich das Gebiet der ſtreitigen Rechtspflege 
berühren. In dem dritten Abſchnitte, der den Haupt⸗ 
teil des Buches, die Ausbildung des Richters, enthält, 
wird das Schwergewicht auf eine innige Verbindung 
der Rechtspflege mit dem praktiſchen Leben gelegt. 
Der Verfaſſer redet hier namentlich der Aneignung 
einer möglichſt eingehenden Kenntnis des Verkehrs⸗ 
lebens durch Beſchäftigung in Handels⸗ und Gewerbe⸗ 
betrieben und durch Umgang mit Angehörigen anderer 
Berufszweige das Wort. Außerdem fordert er Ver⸗ 
ſtändnis für Art und Lebensintereſſen der arbeitenden 
Klaſſen, Förderung in modern naturwiſſenſchaftlicher 
Bildung und Beherrſchung der wichtigſten lebenden 
Sprachen. Auf die Reform des juriſtiſchen Studiums 
wird nicht näher eingegangen; der Verfaſſer erkennt 
die hohe Bedeutung des römiſchen Rechtes an und 
erhebt nur Bedenken dagegen, daß bei unſeren juriſtiſchen 
Prüfungen dem Einprägen von Einzelbeſtimmungen 
zu viel Wert beigemeſſen wird. Die Abhandlung iſt 
von modernem Geiſte erfüllt, hält ſich jedoch durchweg 
von radikalen Forderungen ferne. Ihre Lektüre bietet 
vielfache Anregung, beſonders auch wegen der zahl⸗ 
reichen Beiſpiele, die der Verfaſſer aus dem reichen 
Schatze ſeiner praktiſchen Erfahrung anführt. 
Dr. H. Schanz. 


Zeiler, A., K. I. Staatsanwalt in Zweibrücken. Ein 
Gerichtshof für bindende Geſetzesaus⸗ 
legung. 8°. 42 Seiten. München 1911. In Komm. 
bei J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Mk. 1.50. 


Der gutgemeinte, aber wegen der Schwierigkeit 
praktiſcher Verwirklichung wohl ausſichtsloſe Vorſchlag 
des Verfaſſers geht dahin, in gewiſſen Fällen den um⸗ 
ſtändlichen Weg der Geſetzgebung durch gerichtliche Ent⸗ 
ſcheidungen zu erſetzen und zu dieſem Behufe noch einen 
oberſten Gerichtshof mehr zu ſchaffen, nur mit dem 
Unterſchiede, daß den von dem Auslegungs-Gerichtshof 
ausgeſprochenen Rechtsſätzen wie Geſetzen alle deutſchen 
Gerichte (mit Einſchluß der Sondergerichte ſowie der 
Schutzgebiets⸗ und der Konſulargerichte) unterworfen 
fein ſollen. Zur Beſſerung unverkennbarer Rechts- 
ſchäden bedarf es nicht noch eines Ober-Reichsgerichts; 
wohl aber iſt auf unbedingte Vermeidung der Ueber⸗ 
haſtung unſerer Geſetzgebung und auf weit ſorg— 
fältigere Durcharbeitung guter Geſetze hinzuwirken, 
die auch bei dem verwickelten Verkehre der Gegenwart 
nicht von heute auf morgen verbraucht und veraltet, 
nicht Eintagsgeſetze ſein ſollten. Hierin iſt leider zum 
Schaden der Rechtsſicherheit viel geſündigt worden. 
Die Wurzel des Uebels liegt alſo nicht auf einem 
Gebiete, das einen völlig neuen ne 


Ausbildung und Fortbildung der Richter. Bericht über 
die Verhandlungen des 2. Preußiſchen Richtertages 
vom 17. Mai 1910. 96 Seiten. Hannover 1910, 
Verlag der Deutſchen Richterzeitung (Helwingſche 
Verlagsbuchhandlung). Mk. 1.50. 


Der am 17. Mai 1910 zu Berlin verſammelte 


liegende Studie des bekannten hanſeatiſchen Oberlandess 2. Preußiſche Richtertag hat zu der Frage der Aus» 


872 


— 


bildung und Fortbildung der Richter Stellung ges 
nommen. Auf Grund eingehender Verhandlungen, 
die in dankenswerter Weiſe nunmehr in Buchform 
veröffentlicht wurden, hat er ſich über die Unzulänglich⸗ 
keit des derzeitigen juriſtiſchen Bildungsganges aus⸗ 
geſprochen und eine Reihe wohl begründeter und be⸗ 
achtenswerter Verbeſſerungsvorſchläge aufgeſtellt. Für 
das Univerſitätsſtudium fordert der Richtertag vor 
allem eine Verlängerung der Studienzeit auf 3 
Jahre, außerdem die Zerlegung des Unterrichts in 
eine grundlegende Unterſtufe und eine durch eine 
Zwiſchenprüfung hiervon getrennte Oberſtufe, die 
ſtärkere Betonung der praktiſchen Zwecke des Rechtes 
bei den Lehrvorträgen und die Heranziehung von 
Richtern zur Abhaltung praktiſcher Ausbildungskurſe 
an den Univerſitäten. Für die Neugeſtaltung des 
Borbereitungsdienftes wird neben einer Abkürzung 
der geſamten Vorbereitungszeit auf 3½ Jahre die 
Einführung einer halbjährigen Praxis bei den Ver⸗ 
waltungsbehörden, die Zugrundelegung des Syſtems 
der Einzelausbildung und die Ergänzung der Praxis 
durch gemeinſchaftliche Uebungen angeſtrebt. Um 
die Fortbildung der Richter genügend zu ſichern, 
ſchlägt der Richtertag die Einrichtung beſonderer Fort⸗ 
bildungslehrgänge durch den Staat vor, die ſich nicht 
nur mit rechtswiſſenſchaftlichen Fragen befaſſen, ſon⸗ 
dern auch auf das wirtſchaftliche und ſoziale Gebiet 
hinübergreifen ſollen. Die von den Berichterſtattern 
noch erörterte Frage der Aſſeſſorenanſtellung fand 
keine Erledigung: die Beratung und Beſchlußfaſſung 
über dieſen wichtigen Punkt wurde dem nächſten 
Nichtertage vorbehalten. Dr. H. Schanz. 


— m 


Notizen. 


Neue Staatsverträge mit der Schweiz. Das RGBl. 
hat jetzt (S. 887 f.) den neuen deutſch⸗-ſchweizeriſchen 
Niederlaſſungsvertrag, der an die Stelle des Nieder⸗ 
laſſungsvertrags vom 31. Mai 1890 tritt, und einen 
weiteren Vertrag über die „Regelung von Rechtsver— 
hältniſſen der beiderſeitigen Staatsangehörigen im 
Gebiete des anderen vertragſchließenden Teiles“ vers 
öffentlicht. Die Niederlaſſung eines Deutſchen in der 
Schweiz war bisher abhängig von der Beibringung 
eines Leumundszeugniſſes. Dieſes bildete die Grund— 
lage für ein ſog. Unbeſcholtenheitszeugnis, das die 
zuſtändige Geſandtſchaft in Bern ausſtellte. Das ge— 
E Zeugnis wurde nicht erteilt, wenn gegen 

en Antragſteller im Reichsgebiet ein Strafverfahren 
anhängig war, deſſen Durchführung durch die Nieder— 
laſſung in der Schweiz vereitelt worden wäre. Aus— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 


— —— . ß—ß—:.—.———— 4 ͤ ͤum— —— . —ñ . DX—•—ä 


nahmen wurden nur gemacht, wenn das Strafverfahren 


ohne beſondere Bedeutung war. Auf dieſe Weiſe konnte 
die Niederlaſſung von Beſchuldigten oder Verurteilten 
verhindert werden, die ſich der Strafverfolgung oder 
Strafvollſtreckung entzogen; und mancher hat ſo wohl 
oder übel den Rückweg nach Deutſchland antreten 
müſſen. 

Immerhin konnte bei der Zunahme des Verkehrs 
an dem Unbeſcholtenheitszeugniſſe nicht feſtgehalten 
werden. Vorausſetzung (des Aufenthalts oder) der 
Niederlaſſung iſt nach dem neuen Vertrage nur mehr 
der Beſitz eines gültigen Heimatſcheines (Art. 1 
Abſ. 2). Dadurch iſt aber die Möglichkeit im Intereſſe 
der Strafrechtspflege die Niederlaſſung verfolgter Per— 
ſonen zu hintertreiben, nicht ausgeſchloſſen. Die Ver⸗ 
waltungsbehörden können die Ausſtellung von Heimat— 


| 
| 
| 


Eigentum von J. Schweißer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


ſcheinen verweigern, wenn ein überwiegendes öffent⸗ 
liches Intereſſe dagegen ſpricht. Es iſt deshalb zu 
empfehlen, daß die Juſtizbehörden in den geeigneten 
Fällen die Verwaltungsbehörde rechtzeitig benachrich⸗ 
tigen und die Verweigerung des Heimatſcheines be⸗ 
antragen. 


An den Vorausſetzungen für eine Auslieferung 
und dem Verfahren dabei hat der neue Niederlaſſungs⸗ 
vertrag nichts geändert, ebenſowenig an dem Verhält⸗ 
niſſe zwiſchen Auslieferung und Ausweiſung. 
Hie und da glaubt eine Behörde den Flüchtling leichter 
dadurch zu bekommen, daß ſie bei der ausländifchen 
Behörde mehr oder minder deutlich auf ſeine Aus⸗ 
weiſung hinwirkt. Das iſt nicht zu billigen. Rechts⸗ 
hilfe für ein inländiſches Strafverfahren haben die 
ſchweizeriſchen Behörden nur auf Grund des Aus⸗ 
lieferungsvertrags zu leiſten. Die „Niederlaffung” des 
Verfolgten in der Schweiz ſteht der Durchführung des 
Auslieferungs verfahrens nicht entgegen. Der Art. 1 
des Niederlaſſungsvertrags ſpricht zwar von einem 
„Rechte“ der Angehörigen des anderen Teiles auf 
Niederlaſſung, ſolange ſie die Geſetze und Polizeiver⸗ 
ordnungen des Aufenthaltsſtaates befolgen. Dieſes 
Recht hat der Fremde aber nur, bis er läſtig fällt. 
Dann entledigt ſich der Aufenthaltsſtaat ſeiner, ſei es 
durch Ausweiſung (Art. 2 a. a. O.), ſei es durch Aus⸗ 
lieferung. Die Ausweiſung ſteht jedoch im Ermeſſen 
des Aufenthaltsſtaates; einen Anſpruch auf Ueber⸗ 
lieferung hat der Heimatſtaat nur, wenn die Voraus⸗ 
ſetzungen des Auslieferungsvertrags vorliegen. Der 
Unterſchied wirkt noch weiter, er beeinflußt auch die 
rechtliche Stellung des Ueberlieferten vor Gericht. Der 
Ausgewieſene iſt von dem Augenblick an, in dem er 
an die Grenze geſtellt wird, der inländiſchen Straf⸗ 
gewalt nach den inländiſchen Geſetzen unterworfen. 
Die Stellung des Ausgelieferten richtet ſich zunächſt 
nach dem Auslieferungsvertrag und den ergänzenden 
Sätzen des Völkerrechts und erſt in zweiter Linie nach 
dem inländiſchen Rechte. 


Der Vertrag über die Regelung von Rechtsver⸗ 
hältniſſen der beiderſeitigen Staatsangehörigen ent⸗ 
hält einige Vorſchriften über den Rechtsſchutz uſw., die 
ſchon in dem alten Niederlaſſungs vertrag enthalten 
waren, aber jetzt aus Zweckmäßigkeitsgründen in einem 
beſonderen Vertrage zuſammengefaßt wurden. Durch 
das Haager Abkommen über den Zivilprozeß, an dem 
die Schweiz beteiligt iſt, haben wichtige Prozeßfragen, 
wie die Sicherheitsleiſtung für die Prozeß- uud Ge: 
richtskoſten und die Bewilligung des Armenrechtes, 
ſelbſtändige Regelung gefunden. Die Zuſicherung des 
gleichen Rechtsſchutzes bezieht ſich nur auf natürliche 
Perſonen, nicht auf juriſtiſche Perſonen. 


2355 


Konſularvertrag mit Japan. Der deutſch⸗japaniſche 
Konſularvertrag vom 4. Juli 1896 iſt am 17. Juli 
ds. Is. außer Kraft getreten. Zur vorläufigen Re— 
gelung des Konſulatweſens hat ein diplomatiſcher 
Notenaustauſch den beiderſeitigen Konſularbeamten 
das Recht der Meiſtbegünſtigung eingeräumt (RGBl. 
S 867 f.). Da der Vertrag von 1896 weitgehende, in 
mancher Hinſicht die weiteſtgehenden Vorſchriften über 
konſulariſche Vorrechte enthielt, hat ſein Wegfall mittel— 
bar auch die rechtliche Stellung der Konſularbeamten 
anderer Staaten beeinflußt. (S. dazu dieſe Zeitſchriſt 
1911 S. 192.) 

2.356 


Verantwortl. Herausgeber: i. V. Eduard Eckert, 
K. II. Staatsanwalt, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 19. 


Berlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Seller) 
München und Berlin. 


Serausgegeben von 


Ch. von der Pfordten 


A. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staats miniſterlum der Juſtiz. 


Redaktion und Expedition: München, denbachplatz 1. 
. F 30 Pfg. für die halbgeſpaltene nen 
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . 

im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich : 

3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N 
Voſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 373 


f ö lcher F ch i „als Mittel di 
der II. dentſche Auwaltstag in Würzburg. wirtschaftlichen Schaden des Standes empfehlen 


Von Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Rofenthal in München. möchte. 
Die Wichtigkeit dieſer Frage, welcher übrigens 


Wohl noch nie, ſeitdem der deutſche Anwalt⸗ Vorbildung der Juriſten“ nur wenig nachgab, 
verein beſteht, hatte ein ordentlicher Anwaltstag hatte wohl auch heuer zum erſtenmal den Vor⸗ 
ein ſolches Intereſſe wachgerufen, wie es dem auf ſtand des deutſchen Anwaltvereins in höchſt dankens⸗ 
12. bis 14. September nach Würzburg einberufenen werter Weiſe veranlaßt, die Beratung durch Gut⸗ 
20. Anwaltstag entgegengebracht wurde. achten vorzubereiten, ſo wie dies bei dem deutſchen 

Die vielfachen Abhandlungen, welche in juris Juriſtentag ja ſeit Jahrzehnten eingeführt iſt. — 
ſtiſchen Fachzeitſchriften wie in der Tagespreſſe Zur Frage des numerus clausus hatten die 
über die Tagesordnung des Anwaltstages, vor Herren Kollegen Dr. Friedländer⸗München 
allem deren wichtigſte Frage: „Empfehlen ſich ge- und Dr. Kaßler⸗Halle eingehend begründete 
ſetzgeberiſche Maßnahmen gegen eine Ueberfüllung Gutachten abgegeben; erſterer hatte ſich hierbei in 
des Anwaltsſtandes?“ veröffentlicht worden waren, außerordentlich gründlichen, von allen Seiten in 
hatten lange, bevor die Tagung in Würzburg zus ihrem Werte anerkannten Ausführungen als ab⸗ 
ſammentrat, den Beweis erbracht, wie richtig der ſoluten Anhänger der freien Advokatur bekannt 
Münchner Anwaltverein gehandelt hatte, als er und jede Einſchränkung, „d. h. jede Maßnahme, 
durch ſeinen Vertreter in der Vertreterverſammlung durch welche in weiterem Umfang als dies nach 
des deutſchen Anwaltvereins im Januar dieſes der Rechtsanwaltsordnung der Fall iſt, die Zu⸗ 
Jahres dieſen Gegenſtand als erſten auf die Tages⸗ laſſung der zur Rechtsanwaltſchaft Befähigten von 
ordnung des Anwaltstages zu ſetzen beantragt hatte. dem freien Ermeſſen einer Behörde oder anderer 

Zwar hatten ſchon der Anwaltstag in Stutt⸗ Stellen abhängig gemacht wird“, unbedingt ver⸗ 
gart (1894) ebenſo wie der in Hannover 1905 und worfen. 
ſpäterhin im Jahre 1909 die vereinigten Vor⸗ | Kollege Kaßler hatte ſeinerſeits, indem zwar 
ſtände der Anwaltskammern ſich in entſchiedenſter auch er unter allen Umſtänden an der Unab- 
| 
| 
| 


I das in zweiter Linie zu behandelnde Thema „Die 


Weiſe gegen den numerus clausus in hängigkeit der Rechtsanwaltſchaft feſtzuhalten er⸗ 
jeder Geſtalt ausgeſprochen; die ſtändig wieder- klärte, empfohlen, daß künftig „die Zulaſſung zur 
kehrenden, in den letzten Jahren immer ernſter Anwaltſchaft nur in einer beſtimmten, in Zeit: 
und verſtärkt auftretenden Klagen über die Not abſchnitten von 3 zu 3 Jahren durch den Vor⸗ 
in der deutſchen Anwaltſchaft in Verbindung mit ſtand der Anwaltskammer nach gutachtlicher 
der Tatſache, daß neuerdings gegen dieſe wirt: Aeußerung der Juſtizverwaltung und eventuell der 
ſchaftlichen Mißſtände gerade die Beſchränkung der örtlichen Anwaltsvereine zu revidierenden Höchſt— 
freien Zulaſſung als Heilmittel mehrfach empfohlen zahl geſchehen könne“, hatte ſich alſo für den 
worden war, mußten es aber dem deutſchen Anwalt⸗ numerus clausus, wenn auch gegen jede ſtaatliche 
verein als dem berufenen Vertretungsorgan der Anſtellungsbefugnis ausgeſprochen. 

deutſchen Rechtsanwaltſchaft zur Pflicht machen, Neben dieſen beiden Gutachten waren in der 
ſeinerſeits durch eine eingehende Behandlung die Fachliteratur, vor allem dem Organ des deutſchen 
Frage zu prüfen und zur Entſcheidung zu bringen, Anwaltvereins, der Juriſtiſchen Wochenſchrift, eine. 
ob in der Tat die Mehrzahl der Anwälte ſelbſt Reihe von Abhandlungen und Vorſchlägen er— 
die Beſchränkung der freien Zulaſſung, d. h. die ſchienen, welche zum Teil, wie die markigen 
Einführung eines numerus clausus, ſei es in Begrüßungsworte, die Juſtizrat Ernſt Heinitz— 


371 


Berlin dem Anmaltstag n der Deutichen Juriſten- 


zeitung gewidmet hatte, ſich rundweg und ohne 
jede Einſchränkung für die Aufrechterhaltung der 
freien Advokatur erklärten, zum Teil aber auch, 
wie Juſtizrat Weißler-Halle für Einführung 
eines numerus clausus votierten, wobei freilich 
Form und Durchführung des numerus clausus 
bei jedem ſeiner Anhänger verſchieden geſtaltet und 
ausgearbeitet war. 

Auch Umfragen bei den deutſchen Anwälten 
waren veranſtaltet worden, um auf ſchriftlichem 
Weg die Anſicht der Rechtsanwälte zu dieſer 
wichtigen Frage feſtzuſtellen; ſo hat die Deutſche 
Rechtsanwaltszeitung (Herausgeber Soldan⸗Mainz) 
bei ſämtlichen deutſchen Rechtsanwälten angefragt, 
hierbei allerdings von nur ungefähr s der deutſchen 
Anwälte eine Antwort erhalten; von dieſen 3630 
Stimmen hatten ſich nun 2118 für den numerus 
clausus, 2022 für Einführung einer Vorbereitungs— 
zeit (und zwar 1263 für numerus clausus und 
Vorbereitungszeit) und nur 845 für Beibehaltung 
des bisherigen Zuſtandes erklärt, während die bei 
einzelnen, bekannteren Anwälten von der Redaktion 
des Berliner Tageblattes veranſtaltete Umfrage 
eine ſtarke Stimmung gegen den numerus clausus 
in jeder Geſtalt erkennen ließ. 

Beide Umfragen aber konnten ein richtiges 
Bild nicht geben; die des Berliner Tageblattes 
deshalb, weil ſie ſich nur an einzelne Anwälte 
gewandt hatte, die der deutſchen Rechtsanwalts— 
zeitung aber deshalb, weil die meiſten deutſchen 
Anwälte, welche gegen den numerus clausus 
ſtimmen wollten, auf die Anfrage aus den ver— 
ſchiedenſten Gründen nicht geantwortet hatten. 

Die Entſcheidung war alſo völlig dem An— 
waltstag anheimgegeben. 


II. 


Welches Intereſſe der Tagung auch die außer— 
halb der Anwaltſchaft ſtehenden Juriſten, vor allem 
die deutſchen Juſtizverwaltungen entgegenbrachten, 
hatte auch in den Vertretern Ausdruck gefunden, 
welche dieſe Juſtizverwaltungen zur Tagung ab— 
geordnet hatten; neben dem bayer. Juſtizminiſter 
Exz. v. Miltner und dem Präſidenten des 
Oberlandesgerichts Bamberg Ritter v. Marth, 
wie Vertretern des Landgerichts Würzburg, waren 
Vertreter des Reichsjuſtizamtes, des preußiſchen, 
ſächſiſchen, heſſiſchen, braunſchweigiſchen Juſtiz— 
miniſteriums und der Vorſitzende der Juſtiz— 
kommiſſion der Stadt Lübeck, ferner Abgeordnete 
der Univerſität Würzburg bei den Verhandlungen 
zugegen. 

Am erſten Tage, an welchem die Frage des 
numerus clausus zur Debatte ſtand, waren wohl 
über 1100 Anwälte aus allen Provinzen Deutſch— 
lands anweſend, welche ſämtlich die Verhandlungen 
mit andauerndem Intereſſe verfolgten. Unter 
lebhafter Zuſtimmung der Verſammlung nahm 
zu Beginn der Verhandlungen Se. Erz. der bayer. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


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Juſtizminiſter das Wort zu einer längeren, die 
Tätigkeit der Anwälte voll anerkennenden und die 
Zuſammengehörigkeit aller Juriſten, gleichviel ob 
Richter,. Verwaltungsbeamter oder Rechtsanwalt, 
entſchieden betonenden Anſprache, welche einen 
ſtarken Widerhall bei ſämtlichen Anweſenden aus: 
löſte. Der Referent Juſtizrat Landsberg-Poſen, 
welcher ſeinen Standpunkt in eingehendſter rhetoriſch 
glänzender Weile begründete, hatte einen „Bes 
ſchlußantrag“ geftellt, wonach er zwar eine wirt⸗ 
ſchaftliche Notlage der Anwaltſchaft als be⸗ 
ſtehend anerkannte, eine Ueberfüllung en 
verneinte und alle auf Einführung des 
numerus clausus oder ſonſtige gegen 
die Freiheit der Anwaltſchaft gerichtete 
Reformvorſchläge ablehnte, dagegen einen 
zeitgemäßen Ausbau des Gebührenweſens, der 
Freizügigkeit, Erweiterung des anwalt⸗ 
ſchaftlichen Arbeitsfeldes und Reform der 
Vorbildung empſahl. 

Im ſtrikten Gegenſatz zu dem Referenten ſtellte 
der Korreferent, Kollega Fuchs-Leipzig, welcher 
ſchon im Jahre 1909 auf der Verſammlung des 
ſächſiſchen Anwaltsvereins der Einführung des 
numerus clausus das Wort geredet hatte, zum 
Schluſſe ſeiner ſehr intereſſanten und fleißigen, 
wohl aber die Schattenſeiten der derzeitigen Lage 
der Anwaͤlte allzuſehr betonenden Ausführungen 
den Antrag, es mögen Vorſchriften angeſtrebt 
werden, zufolge deren „die Anwärter für die Rechts⸗ 
anwaltſchaft ohne Rückſicht auf Lebens- und Dienſt⸗ 
alter, Konfeſſion, politiſche Geſinnung und Exa⸗ 
mensnote in einer für jedes Gericht zu führenden 
Liſte nach ihrer Anmeldung vorgemerkt und nun 
nach der Reihenfolge der Eintragung unter Aus⸗ 
ſchluß jedes behördlichen Ernennungsrechtes in die 
Anwaltsſtellen einrücken, die innerhalb der für 
dieſe Gerichte vom Kammervorſtand periodiſch nach 
Bedarf feſtzuſetzenden Höchſtzahl frei werden.“ 

Im weſentlichen hatte ſich alſo der Referent 
Landsberg dem Gutachten Friedländer, der Kor: 
referent Fuchs dem Gutachten Kaßler angeſchloſſen. 

Die Diskuſſion, welche durchaus auf der Höhe 
der Referate ſtand, brachte noch ſehr wertvolle Aus⸗ 
führungen, von welchen ich hier vor allem die des 
Kollegen Reichstagsabgeordneten Baſſer— 
mann und des Vorſitzenden des deutſchen Anwalt⸗ 
vereins Geheimer Juſtizrat Haber und endlich 
des Juſtizrats Eugen Fuchs-Berlin als beſonders 
temperamentvoller und überzeugender Verteidiger 
einer unabhängigen, freien Rechtsanwaltſchaft hervor: 
heben möchte. — Auch an Abänderungsvorſchlaͤgen 
und Anträgen fehlte es nicht; ſo hatte u. a. auch 
Sand-Augs burg einen ſchon früher in der JW. 
veröffentlichten Antrag der Anwaltskammer des 
Oberlandesgerichtsbezirk Augsburg auf Einführung 
einer 2 jährigen nach der Richteramtsprüfung zu 
abſolvierenden Vorbereitungspraxis aufgenommen; 
dieſer Antrag aber fiel, wie alle übrigen, 
weg, durch Annahme des Antrages Eugen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 375 


—— — — 


Die Dauer des Univerſitätsſtudiums ſolle vier 
Jahre betragen, im 3. Semeſter ſei eine ernſte Zwi⸗ 
ſchenprüfung anzuordnen, welche darüber entſcheiden 
ſolle, ob der Rechtsbefliſſene ſich genügende allge⸗ 
meine Bildung erworben und deshalb befähigt 
lei, mit Erfolg die Rechte zu ftudieren. 

Das Univerſitätsſtudium ſolle mit einer Prü⸗ 
fung über die theoretiſche Vorbildung abgeſchloſſen 
die ſicherſte Gewähr für ihre Tüch⸗ werden und ſodann ſollen die Referendare während 
tigkeit und Unabhängigkeit und hält drei Jahre praktiſche Vorbereitungszeit leiſten. 
alle vorgeſchlagenen Maßregeln, welche einer Von dieſer Zeit ſollen mindeſtens 1 /ù Jahre 

| 


Tuh3:Berlin, weldyer als der weiteſtgehende 
zuerſt zur Abſtimmung und Annahme gelangte. 
Dieſer Beſchluß, welcher in ſpater Nachmittags⸗ 
ſtunde in namentlicher Abſtimmung mit 619 gegen 
244 Stimmen gefaßt, mit ſtürmiſchen Beifall auf: | 
genommen wurde, ging dahin: 
„Der 20. Deutſche Anwaltstag ſieht in 
der Freiheit der Rechtsanwaltſchaft 


etwaigen Ueberfüllung des Anwaltsſtandes bei den Gerichten und der Staatsverwaltung, 
dadurch vorbeugen wollten, daß fie die Zu: : "ie Jahr bei einem Rechtsanwalt und / Jahr 
laſſung zur Rechtsanwaltſchaft in irgendeiner bei einer Verwaltungsbehörde verwendet werden; 
Meile mehr als bisher beſchränken, für un⸗ im übrigen ſollen die Referendare die Wahl haben, 
nötig und im Intereſſe der Rechtspflege und ob ſie während eines weiteren / Jahres bei den 
des Standes für ſchädlich.“ Gerichten oder Staatsanwaltſchaſt oder bei einem 
a Rechtsanwalt oder bei einer Rechtsauskunftsſtelle 
III. und während eines weiteren / Jahres bei der 
Der zweite Verhandlungstag war im Verwaltungsbehörde oder einer Handels-, Ge: 
weſentlichen, inſoweit nicht Gegenſtände formaler | werbe⸗, Landwirtſchaftskammer, Bank oder dal. ar: 
Art wie Satzungsänderungen, Vorſtandswahlen, beiten wollen. 
Entgegennahme des Jahresberichtes u. dgl. zu er⸗ Die Ausbildung ſelbſt ſei durch Uebungskurſe 
ledigen waren, der Frage „Vorbildung der Ju- und nach einjähriger Tätigkeit durch Ueberlaſſung 
riſten“ gewidmet, zu welcher Herr Geheimer Juſtiz- ſelbſtändiger Geſchäfte zu unterſtützen. 
rat Boyens⸗Leipzig ein Gutachten erſtattet und Die Schlußprüfung ſei lediglich als praktiſche 
die Herren Kollegen Magnus-Berlin und anzuordnen und darauf zu richten, ob der Kandidat 
Meisner-Würzburg die Referate übernommen befähigt ſei im praktiſchen Juſtizdienſt 
hatten. | eine ſelbſtändige Stellung mit Erfolg 
Außerdem hatte der Geſchäftsleiter des deut⸗ zu verſehen, wobei ſeine Erfolge während der 
ſchen Anwaltvereins Kollega Dr. Heinrich Ditten— | Vorbereitungspraxis mit in Rückſicht gezogen werden 
berger⸗Leipzig das Ergebnis einer, durch den ſollen.“ 
deutſchen Anwaltverein bei den Vertretungskörpern | Es iſt augenfällig und braucht deshalb nicht 
des Handels, des Handwerks und der Landwirt: beſonders hervorgehoben zu werden, daß der 
ſchaft über die Reform der juriſtiſchen Vorbildung größte Teil dieſer Forderungen in Bayern bereits 
gepflogenen Umfrage, in einer ſehr klar geſchriebenen erfüllt iſt, wie denn die bayeriſchen Einrichtungen 
Abhandlung niedergelegt und Gerichtsaſſeſſor Dr. des Prüfungsweſens und Vorbereitungsdienſtes auch 
Alfred Waller eine Arbeit über Studienreform | von den Referenten Magnus und Meisner wieder⸗ 
und Anwaltstag geliefert, worin er die wichtigſten holt als nachahmenswertes Beiſpiel erwähnt wurden. 
Geſichtspunkte des Themas zuſammengefaßt hatte. Dem mehrfach geſtellten Verlangen nach einer 
Welche Schwierigkeiten der Behandlung dieſes einheitlichen, in ganz Deutſchland geltenden Prü⸗ 
weitausholenden Themas, das ja im Grunde von fungsordnung trug das Gutachten Boyens inſoweit 
der Gymnaſialbildung ausgehend Univerſitäts— | Rechnung, daß es zwar von einer Regelung im 
ſtudium und Vorbereitungspraxis prüfen muß, mit Wege der Reichsgeſetzgebung als derzeit völlig aus⸗ 
ſich bringt, konnte man ebenſo ſehr an dem Gut- ſichtslos abſieht, dagegen verlangt, daß die Zwiſchen⸗ 
achten Boyens wie an den Darlegungen des Refe- prüfung vor jeder deutſchen Univerſität gültig ab: 
renten Magnus erkennen. Denn jo ausgezeichnet | gelegt werden und daß die venia docendi auf 
und wiſſenſchaftlich auch beide in Anlage und deutſchen Univerſitäten nur demjenigen erteilt werden 
Durchführung gehalten waren, mußten fie doch | dürfe, der die juriſtiſche Schlußprüfung beſtanden 
auf einzelnen Gebieten Zurückhaltung üben, um habe, und daß die deutſchen Bundesſtaaten ihre 
ſich nicht allzuſehr in Einzelheiten zu verlieren. ][Vorſchriften über Prüfungsordnung und Bor: 
Das Gutachten Boyens war in eingehenden, bereitungsdienſt möglichſt einheitlich geſtalten ſollten. 


die Geſchichte wie den derzeitigen Stand der Be: Der Referent Magnus⸗Berlin, welcher im weſent⸗ 
wegung umfaſſenden Ausführungen, im weſent- lichen von dem Korreferenten Meisner-Würzburg 
lichen zu der Schlußfolgerung gekommen: unterſtützt wurde, hatte in ſeinem Referate zu den 


„Es ſei eine beſſere Vorbildung der wichtigſten Fragen des Prüfungsweſens, der all: 
jungen Juriſten zu empfehlen und zu dieſem Zwecke | gemeinen Geſtaltung der Schul- und Univerfitäts- 
die Anforderungen an die allgemeine Bildung bildung, Dauer des Studiums und der Vor— 
auf philoſophiſch-hiſtoriſcher Grundlage und an bereitungspraxis, wirtſchaftlichen und allgemeinen 
die wirtſchaftliche Bildung zu erhöhen. Fortbildung der Referendare, Theſen aufgeſtellt, 


0 


376 


über welche jedoch im einzelnen eine Beratung nicht 
gepflogen werden konnte. 

Die Vielſeitigkeit der angeregten Fragen, wie 
die Schwierigkeit des Themas überhaupt, zeitigten 
vielmehr nach einer lebhaften und eingehenden 
Tiskuſſion, an welcher ſich u. a. auch Univerſitäts⸗ 
profeſſor Mayer : Würzburg, Univerſitäts⸗ 
profeſſor Dr. Löͤwenfeld-München und Juſtiz⸗ 
rat Wildhagen-Leipzig beteiligten, den Antrag 
Ernſt Heinitz⸗Berlin, wonach über die Geſamt⸗ 
heit der mit der Vorbildung der Juriſten zuſammen⸗ 
hängenden Fragen in einer Kommiſſion des 
deutſchen Anwaltvereins beraten und ſodann der 
Vertreterverſammlung Bericht erſtattet werden ſolle. 

Dieſer Antrag wurde mit großer Majorität 
zum Beſchluß erhoben; jedoch hatte vorher noch 
die Verſammlung grundſätzlich durch Annahme 
eines entſprechenden Antrages ihre Anſicht dahin 
ausgeſprochen: 

„Die Klagen über mangelnde Ausbildung der 
Juriſten entbehren zwar nicht jeder Begründung, 
ſind aber übertrieben. Inſolge der techniſchen 
Fortſchritte, der Umwälzung der wirtſchaftlichen 
Verhältniſſe, der dadurch herbeigeführten Intereſſen⸗ 
zuſpitzung und hierdurch wiederum bedingten Maſſen— 
geſetzgebung, ſind die Aufgaben der Juriſten un— 
gleich ſchwieriger geworden. 

Immerhin iſt ein Bedürfnis nach einer Ver— 
beſſerung der Ausbildung anzuerkennen, jedoch mit 
der Maßgabe, daß dieſe Verbeſſerung ſich im 
Rahmen der derzeitigen Einrichtungen durchführen 
läßt und daß zu grundlegenden Umwälzungen ein 
Anlaß nicht beſteht.“ 

Der Anwaltstag it damit den Referenten und 
Diskuſſionsrednern gefolgt und hat mit jenen die 
häufig auftretende Klage über Weltfremdheit der 
Richter und Anwälte als in hohem Maße über— 
trieben bezeichnet. 

Andererſeits hat aber der Anmaltstag dem 
Antrage Wildhagens zugeſtimmt, wonach 

„häufiger als bisher Rechtslehrer aus be— 
währten Praktikern entnommen werden und 
häufiger als bisher Rechtslehrer in der Praxis 
tätig ſein ſollen, und hat ferner ebenfalls 
nach dem Antrage Wildhagens ausgeſprochen, 
daß die beſte Vorbildung für den Richter 
eine erfolgreiche Anwaltstätigkeit ſei und des— 
halb angeſtrebt werden muſſe, daß ungleich 
häufiger als bis jetzt bewährte An— 
wälte zu Richtern ernannt werden.“ 

Nach einer ähnlichen Richtung bewegte ſich 
übrigensein Antrag, welcher beſonders von bayeriſchen 
Kollegen unterſtützt worden war und der dahin ging: 

Der Anwaltstag ſolle beſchließen, „es ſei die 
Einführung einer der Richteramtsprüſfung nad): 
folgenden zweijährigen anwaltſchaftlichen praktiſchen 
Vorbereitungszeit als Vorausſetzung für Anſtellung 
als Richter und Verwaltungsbeamter und für Zu— 
laſſung zur Rechtsanwaltſchaft anzuſtreben“. 

Eine Abſtimmung über dieſen Antrag wurde 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


K — — —— ͤ—— TEE HEEES) 


nicht vorgenommen, da die Antragſteller in der 
Annahme, daß es doch gemaͤß dem Antrag Ernſt 
Heinitz zu einer Kommiſſionsberatung kommen 
würde, auf Abſtimmung verzichtet und gebeten 
hatten, auch dieſen Antrag der Kommiſſion als 
Material zu überweiſen. 

Es wird nun Sache des deutſchen Anwalt⸗ 
vereins ſein, durch Auswahl geeigneter Mitglieder 
die Kommiſſion ſo zuſammenzuſetzen, daß ihre 
Beratungen als Grundlage für die weitere Be⸗ 
handlung dieſer für die deutſche Juriſtenwelt und 
das deutſche Volk ſo außerordentlich wichtigen 
Fragen dienen und die Reform des Univerſitäts⸗ 
ſtudiums wie der Vorbereitungspraxis in gute 
Bahnen gelenkt wird; vielleicht gelingt es, wie es 
ja in letzter Zeit ſchon angeregt wurde, daß der 
deutſche Anwaltverein gerade in dieſer Frage mit 
den übrigen großen deutſchen Juriſtenverbänden 
Fühlung nimmt, um ſo eine gemeinſchaftliche 
Aktion auf dieſem Gebiete vorzubereiten, was 
ſicherlich den auf dieſe Weiſe zuſtande kommenden 
Beſchlüfſen eine erhöhte Bedeutung ſichern würde. 


IV. 


Neben dieſen eben behandelten wichtigen Fragen 
des numerus clausus und der Vorbildung der 
Juriſten, welche das Rückgrat der Verhandlungen 
des Anwaltstages bildeten, dürfen aber die Be— 
ratungen nicht völlig überſehen werden, welche in 
den anläßlich des Anwaltstages nach Würzburg 
berufenen Verſammlungen gepflogen wurden. 

Außer den jährlichen Generalverſammlungen 
der Hilfskaſſe für deutſche Rechtsanwälte wie der 
erſt ſeit einigen Jahren beſtehenden Ruhegehalts⸗ 
und Witwen- und Waiſenkaſſe ſowie des Vereins 
der Amtsgerichtsanwälte ſoll hier vor allem die 
Vertreterverſammlung Erwähnung finden; denn 
in ihr, die erſt durch den letzten Anwaltstag ins 
Leben gerufen wurde, wird neben dem Vorſtand 
des Anwaltvereins die Hauptarbeit geleiſtet, indem 
ſie die Anwaltstage vorbereitet, wichtige Fragen 
der Praxis und Wiſſenſchaft wie der Geſetzgebung 
in Ausſchüſſen behandelt und alle geſchäftlichen 
Angelegenheiten zu erledigen hat, ſoweit ſie nicht 
dem Vorſtand allein überlaſſen ſind. 

Es darf hier vielleicht auch erwähnt werden. 
daß die Vertreterverſammlung je einen beſtehenden 
Ausſchuß für bürgerliches Recht (einſchließlich 
Handelsrecht), für Zivilprozeß und Gerichts— 
verfaſſung, für Strafrecht und Strafprozeß und 
einen ſolchen für alle die Rechtsanwaltſchaft als 
ſolche betreffenden Angelegenheiten (Rechtsanwalts— 
ordnung, Gebührenordnung uſw.) eingeſetzt hat; 
von dieſen hat neuerdings der letztgenannte Aus— 


ſchuß einen Entwurf für eine Rechtsanwalts— 


gebührenordnung fertiggeſtellt, welcher eine durch— 


| 


aus objektive und keineswegs einſeitige Grundlage 
für die längſt als nötig empfundene und von der 
Reichsregierung wiederholt zugeſagte Reform des 
Gebührenweſens bieten wird. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


Auch die Anregung, für erkrankte oder be⸗ 
dürftige Kollegen durch den deutſchen Anwalt⸗ 
verein Erholungsheime errichten zu laſſen und 
die Frage, ob behufs Ausdehnung des Arbeits⸗ 
gebietes der deutſchen Rechtsanwaltſchaft die 
Gründung einer Treuhandgeſellſchaft, wie ſolche 
von Kollega Soldan⸗Mainz vorgeſchlagen wurde, 
möglich iſt, wurde in der Vertreterverſammlung 
beſprochen und ſodann zur weiteren Vorbereitung 
an Kommiſſionen verwieſen. 


Dieſe kurzen Bemerkungen über die von den 
großen Thematen der heurigen Tagung etwas 
abliegenden, aber trotzdem nicht unwichtigen Ver⸗ 
handlungsgegenſtände mögen geſtattet ſein, da ja 
auch ſie beweiſen, welch reges Leben in der deutſchen 
Anwaltſchaft wirkt und wie ſehr die Anwaltſchaft 
nicht nur auf Hebung des Wertes und Anſehens 
ihres Standes hinwirkt und hierbei auch wichtige 
ſoziale Pflichten zu erfüllen beſtrebt iſt, ſondern 
auch vor allem — trotz der oft ſchwer empfundenen 
wirtſchaftlichen Schäden und mancher immer wieder⸗ 
kehrender Enttäuſchung — ſtets auch für die 
Beſſerung der Rechtspflege ſich einzuſetzen bemüht; 
hat doch auch die heurige Tagung des nunmehr 
ungefähr 8700 Mitglieder zählenden Anwalt⸗ 
vereins wiederum gezeigt, daß die deutſche Anwalt⸗ 
ſchaft noch immer die ideellen Güter ihres Berufes 
hochzuhalten weiß und höher als wirtſchaftliche 
Vorteile einſchätzt ihres Standes Freiheit und 
Unabhängigkeit als wichtigſte Vorausſetzungen für 
eine fortſchreitende und gedeihliche Entwicklung der 
deutſchen Rechtspflege und Geſetzgebung. 


Die Verufsvormundſchaft in München. 


Von Amtsrichter Matthias Mayr in München. 
(Schluß). 
b) Sonſtige Aufgaben. 


a) Pflegſchaften. Der Münchener Be⸗ 
rufsvormund ſoll auch für eheliche Minderjährige 
als Pfleger zur Geltendmachung von Unterhalts⸗ 
anſprüchen gegen den Vater beſtellt werden können 
Dieſe Pflegſchaften ſind in der Praxis ſehr häufig. 
Es handelt ſich dabei um Fälle des § 1909 
Abſ. 1 Satz 1 BGB. Nach Barthelmeß würden 
dieſe Pflegſchaften unter das Geſetz vom 23. Fe⸗ 
bruar 1908 fallen, ſobald nur der Pfleger die im 
Geſetze geforderte perſönliche Beziehung zu der 
Unterbringung des Kindes hätte. Ich halte dieſe 
Anſicht für irrig. Pflegſchaften können m. E. 
überhaupt nicht unter das Geſetz betr. die Be⸗ 
rufsvormundſchaft fallen. Der Pfleger kann nie 
die Vorrechte dieſes Geſetzes erlangen. Der Art. 136 
des EG. z. BGB. und das Geſetz vom 23. Fe— 
bruar 1908 ſprechen nur von Vormundſchaften. 
Der Art. 136 iſt eine Ausnahmevorſchrift, deren 


ausdehnende Auslegung nach einem allgemeinen 
Rechtsgrundſatz verboten iſt. Es iſt deshalb auch 
eine Bezugnahme auf den $ 1915 BGB. unzu⸗ 
läſſig. Mit dem gleichen Rechte könnten die 
Gegner meiner Anſicht unter Berufung auf 8 1897 
BGB. die Berufsvormundſchaft auch für voll: 
jährige Mündel zulaſſen. Ueberdies glaube ich 
meine Anſchauung noch durch folgende Erwägungen 
ſtützen zu können: Wenn auch die eigentliche Be⸗ 
rufsvormundſchaft nicht notwendig vorausſetzt, daß 
im einzelnen Falle berufene Perſonen übergangen 
werden, ſo iſt dies doch eine ihrer weſentlichen 
Aeußerungen, die deshalb auch an die Spitze des 
Geſetzes geſtellt iſt (Art. 1). Für die Pfleg⸗ 
ſchaften über Minderjährige nach 8 1909 BGB. 
iſt dieſes Vorrecht ohne jede Bedeutung. Denn 
berufene Perſonen gibt es hier nicht (8 1916 BGB.). 
Ferner: Geſetzliche Vorausſetzung der Berufsvor⸗ 
mundſchaft iſt die Erziehung des Kindes unter der 
Aufſicht des Vormunds, alſo ein Moment der 
perſönlichen Fürſorge. Eine Sorge für die Perſon 
iſt nun zwar mit der Vormundſchaft unzertrenn⸗ 
bar verbunden, nicht aber mit der Pflegſchaft. 
Daraus nun, daß dieſe 2 wichtigen Merkmale der 
Berufsvormundſchaft bei der Pflegſchaft keine 
weſentliche Rolle ſpielen, glaube ich gleichfalls 
ſchließen zu können, daß unter das Geſetz vom 
23. Februar 1908 nur Vormundſchaften fallen. 

Die Beſchlüſſe der ſtädtiſchen Kollegien haben 
die Geſchäftsaufgabe des Berufsvormunds auf 
Pflegſchaften zur Geltendmachung von Unterhalts⸗ 
anſprüchen beſchraͤnkt. Denn hier ſtehen am 
meiſten die Intereſſen der Armenpflege am Spiel. 
Gleichwohl kann er natürlich, wenn die Gemeinde 
zuſtimmt, auch Pflegſchaften über Minderjährige 
zu anderen Zwecken, ja auch Pflegſchaften über 
Volljährige gemäß § 1910 BGB. übernehmen. 
In dem letzteren Falle kann natürlich von der 
Anwendung des Geſetzes vom 23. Februar 1908 
ſchon deshalb keine Rede ſein, weil dieſes Minder⸗ 
jährigkeit vorausſetzt. Tatſächlich wird der Be⸗ 
rufsvormund häufig als Pfleger für ſolche Voll⸗ 
jährige vorgeſchlagen, die geiſteskrank und auf 
Koſten der Stadtgemeinde München in einer 
Irrenanſtalt untergebracht find, wenn nämlich 
dieſe Geiſteskranken eine Invalidenrente beziehen 
oder ſonſtige Vermögensrechte beſitzen. Auch hier⸗ 
bei handelt es ſich überwiegend um die Intereſſen 
der Armenpflege und um die Verwirklichung ihrer 
Erſatzanſprüche. Ich räume ein, daß es praktiſch 
und zur Geſchäftsvereinfachung dienlich iſt, wenn 
in dieſen Fällen der Berufsvormund das Amt 
des Pflegers übernimmt. Anderſeits kann ich 
doch ein gewiſſes rechtliches Bedenken gegen die 
Beſtellung des Berufsvormunds in dieſen Fällen 
nicht unterdrücken. Der Pfleger hat ſich nämlich 
in dieſen Fällen ſchlüſſig zu machen, ob er die 
Invalidenrente oder die vorhandenen Vermögens— 
ſtücke des Pfleglings der Armenpflege zum Erſatz 
ihrer Auslagen überweiſen ſoll. Die Armenpflege 


— — — — — — — — 


hat hieran ein begreifliches Intereſſe. Anderſeits 
aber kann auch der Pflegling ein Jutereſſe daran 
haben, daß ihm ſein kleines Vermögen erhalten 
bleibt. Der Münchener Berufsvormund iſt nun 
auch ein Organ der Armenpflege. Das kann zu 
einem Widerſtreit ſeiner Pflichten führen. 

5) Ueberwachung der körperlichen 
Pflege der in München ſich aufhalten⸗ 
den unehelichen Säuglinge. Dies iſt an 
ſich Aufgabe des Gemeindewaiſenrats. Dieſer 
erhält aber von der Anordnung einer Vormund⸗ 
ſchaft und damit von dem Vorhandenſein des 
Kindes erſt durch die Mitteilung des Vormund⸗ 
ſchaftsgerichts auf Grund des $ 1851 BGB. 
Kenntnis. Die Mitteilung kann erſt erfolgen, 
wenn für das Kind ein Vormund beſtellt iſt. 
Die Beſtellung des Vormunds verzögert ſich aber 
oft ſehr lange, wenn die uneheliche Mutter nicht 
ſelbſt einen Vormund vorſchlagen kann, da dann 
der Vorſchlag durch den Gemeindewaiſenrat ab⸗ 
gewartet werden muß. So kommt es nicht ſelten 
vor, daß viele Wochen vergehen, bis die Mit⸗ 
teilung nach §S 1851 BGB. an den Gemeinde⸗ 
waiſenrat erfolgen kann. Um nun die hier be⸗ 
ſtehende Lücke auszufüllen, werden alle Geburts: 
anzeigen unehelicher Kinder vor der Vorlage an 
das Vormundſchaftsgericht durch die Geſchäftsſtelle 
des Berufevormunds geleitet. Der Berufsvor⸗ 
mund kann dann eine feiner Pflegerinnen beauj: 
tragen, die Ueberwachung des Säuglings zu über: 
nehmen und der unehelichen Mutter erforderlichen⸗ 
falls mit Rat und Tat an die Hand zu gehen. 
Inſoweit handelt der Berufsvormund als Organ 
des Gemeindewaiſenrats. 

) Vermittlung von Koſtplätzen. Dieſe 
Aufgabe hat ebenſowenig wie die eben erörterte in 
dem Geſetze vom 23. Februar 1908 einen Boden. 
Sie hängt aber doch inſoferne damit zuſammen, 
als ſie dem Berufsvormund in den Fällen, in 
denen er wirklicher Berufsvormund iſt oder wird, 
die eigene Auswahl der Familie oder Anſtalt er: 
möglicht. Anderſeits ſteht ſie auch zu der ihm 
übertragenen Säuglingsfürſorge in naher Beziehung, 
weil gerade die Auffindung eines geeigneten Koit: 
platzes der Mutter, die bald nach der Entbindung 
wieder dem Verdienſte nachgehen muß, große 
Schwierigkeiten bereitet. Die polizeiliche Ueber: 
wachung des Koſtkinderweſens liegt in München 
den Polizeiämtern ob. Vielleicht gibt ſich im 
Intereſſe der Geſchäftsvereinfachung bald die Mög— 
lichkeit, dieſe Zuſtändigkeit gleichfalls dem Stadt— 
magiſtrat zu übertragen. 


3. Zuſtändigkeitsgrenzen. 
Die bisherigen Betrachtungen haben gezeigt, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


daß der Pflichtenkreis des Münchener Berufs- 


vormunds ſehr vielſeitig iſt. Es läßt ſich die Be— 
fürchtung nicht unterdrücken, daß die Arbeitslaſt 
für eine Schulter bald zu groß werden wird. 


derjenigen Vormundſchaften und Pflegſchaften fein, 
die der Berufsvormund übernimmt. Der Haupt⸗ 
grund, der in Bayern und in München zur Ein⸗ 
führung der Berufsvormundſchaft geführt hat, iſt 
die Höhe der Armenlaſten, die durch Verletzung 
der Unterhaltspflicht verurſacht ſind. Die Armen⸗ 
pflege München hat ungefähr 600 uneheliche Kinder 
in Familien und Anſtalten untergebracht und 
unterſtützt ungefähr 400 Kinder in der mütter⸗ 
lichen Familie. Sie wendet jährlich ungefähr 
120 000 M zu dieſem Zweck auf. Der Berufs: 
vormund wird ſonach bei der Uebernahme von 
Vormundſchaften ſich zunächſt auf die Kinder be⸗ 
ſchränken, die der Armenpflege München zur Laſt 
fallen. Das hat zur Folge, daß ſeine Mündel 
in der Regel hier heimatberechtigt ſein werden. 
Es iſt ihm aber weder durch das Geſetz noch durch 
die Beſchlüſſe der ſtädtiſchen Kollegien verboten, 
auch auswärtige Mündel in ſeinen Taͤtigkeits⸗ 
bereich zu ziehen. 

Die ihm in § 2 der gemeindlichen Beſchlüſſe 
aufgetragene Ueberwachungspflicht erſtreckt ſich da⸗ 
gegen grundſätzlich nicht bloß auf die hier oder in 
Bayern beheimateten, ſondern auf alle ſich in 
München aufhaltenden Säuglinge. 

Der Tätigkeitsbereich des Münchener Berufs⸗ 
vormunds iſt endlich nicht auf den Stadtbezirk 
und auch nicht auf den Bezirk des Amtsgerichts 
München beſchraͤnkt. Auch andere Amtsgerichte 
können in die Lage kommen, den Münchener 
Berufsvormund als Vormund zu beſtellen, wenn 
es ſich z. B. um hier beheimatete Mündel handelt. 
Die Stellung eines Berufsoormundes nach dem 
Geſetze vom 23. Februar 1998 genießt er aber 
nur dann, wenn er von einem bayeriſchen 
Vormundſchaſtsgerichte dazu beſtellt worden iſt. 


4. Aufgaben des Vormundſchaftsgerichts. 


Das Vormundſchaftsgericht wird in der Regel 
nur auf den Vorſchlag des Stadtmagiſtrats Mün⸗ 
chen den Berufsvormund beſtellen. Es kann aber 
natürlich auch ſeinerſeits die Anregung zu einem 
ſolchen Vorſchlage geben. Erfolgt der Vorſchlag, 
ſo muß, wenn berufene Perſonen vorhanden ſind 
oder wenn ein anderer Vormund bereits beſtellt 
iſt, geprüft werden, ob die Vorausſetzungen der 
eigentlichen Berufsvormundſchaſt gegeben find. 
Das wird am zweckmäßigſten durch eine perjön- 
liche Rückſprache mit dem Berufsvormund ſelbſt 
geſchehen. Die Beſtellung des Berufsvormunds 
erfolgt wie die eines anderen Vormunds. Auch 
er erhält eine Beſtallung. In der Beſtallung 
ſind die ihm eingeräumten Befreiungen zu ver— 
merken (8 10 Abſ. I der Vormundſchaſtsordnung). 
Bei der großen Zahl der Vormundſchaften, die 
der Berufsvormund im Laufe der Zeit erhalten 
wird, ſind die üblichen Beſtallungsbücher un— 
praktiſch. Das erſte Blatt des Beſtallungsbuchs 
genügt. Die auf den übrigen Blättern enthaltene 


Um ſo beſchränkter muß natürlich die Auswahl Belehrung iſt für den Berufsvormund überflüſſig. 


— Die dem Berufsvormund zuftehenden Be: 
freiungen ſind in der Spalte 8 des Vormerkungs⸗ 
bogens einzutragen. — Von der Beſtellung des 
Berufsvormunds muß der Gemeindewaiſenrat be⸗ 
nachrichtigt werden. Dagegen kann eine Anfrage an 
den Gemeindewaiſenrat wegen Eignung des Be: 
rufsvormunds vernünftigerweiſe unterbleiben. — 
Wenn der Berufsvormund eine Vormundſchaft 
übernimmt, endigt kraft Geſetzes das Amt des 
bisherigen Vormunds. Dieſer muß davon benach⸗ 
richtigt werden. Auch der Berufsvormund 
hat das Vermögen des Mündels zu verzeichnen 
($ 1802 BGB.). Auch muß er die üblichen Er: 
ziehungsberichte erſtatten. Auch von der Rech⸗ 
nungslegung iſt er nicht befreit. — Auf Ver⸗ 
langen des Stadtmagiſtrats muß er jederzeit vom 
Amt enthoben werden (Art. 7 BWG.). 

Damit ſchließe ich die rechtlichen Betrachtungen, 
zu denen die neue Einrichtung in München an⸗ 
geregt hat. Man kann daraus erſehen, daß es 
ſich um ein ſchwieriges Rechtsgebiet handelt, auf 
dem noch viele zweifelhafte Fragen zu löſen ſind. 
Doch die rechtlichen Schwierigkeiten werden ſicher 
überwunden werden. Sie bedeuten nichts im 
Vergleiche zu dem großen Fortſchritt, den die 
Einführung der Berufsvormundſchaft in München 
bedeutet. Jeder Vormundſchaftsrichter wird ſchon 
über die Unbrauchbarkeit ſo vieler Laienvormünder, 
insbeſondere der vom BGB. bevorzugten Groß: 
väter geklagt haben. Und Kindsmütter, die ſich 
über die Zahlungsſaumſal des Kindsvaters und 
über den untätigen Vormund beſchweren, ſind beim 
Vormundſchaftsgericht tägliche Erſcheinungen. Das 
wird jetzt in vielen Fällen anders werden. Es 
darf erwartet werden, daß der Berufsvormund 
insbeſondere die Unterhaltsanſprüche ſeiner Mündel 
mit allem Nachdruck verfolgt. Damit kann er 
ſowohl im Intereſſe der Armenpflege als auch 
für die ihm anvertrauten Kinder viel Gutes 
wirken. Neben den eigentlichen vormundſchaftlichen 
Geſchäften hat aber der Berufsvormund, wie wir 
geſehen haben, noch eine Reihe anderer Pflichten 
von hoher ſozialer Bedeutung. Möge es ihm 
gelingen ſie ſo zu erfüllen, daß es der All⸗ 
gemeinheit zum Segen gereicht. 


Die Behandlung der Mahnſachen und der 
Ferienſachen nach der Novelle zur 380. vom 
1. zuni 1909. 


Von Amtsrichter Theodor Gros in München. 


(Fortſetzung). 

4. Zu 8 699. Sehr beſtritten iſt die Frage, 
ob es zuläſſig iſt, das Geſuch um Erxlaſſung des 
Vollſtreckungsbefehles gleichzeitig mit dem Mahn— 
geſuch zu ſtellen. Bejaht wird die Frage von 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


| 
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379 


Seuffert Anm.-1,e zu $ 699; Fitting, Die Neu: 
erungen der Novelle zur ZPO. S. 40'; Mothes, 
Die Mängel des Mahnverfahrens; von den Land⸗ 
gerichten Neiſſe, Inſterburg und Dresden (JW. 1910 
S. 636, 773, 922), vom Amtsgericht Neiſſe (JW. 
1910 S. 727) und vom Amtsgericht München⸗ 
Gladbach (DIYZ. 1911 S. 447). Verneint wird 
die Frage von Gaupp⸗Stein Anm. II“ zu § 699; 
Sydow⸗Buſch Anm. 1 zu $ 699; von den Land: 
gerichten Mainz, Wiesbaden, Leipzig, Braunſchweig, 
Aurich, Oldenburg, Dresden, Frankfurt a. M. und 
Hanau (JW. 1910 S. 689, 727, 773; 1911 
S. 125 und 416). ö 

Die eine Meinung, die ſich für Verneinung 
der Frage ausſpricht, Führt aus, daß ein bedingter 
Antrag für eine künftige Prozeßlage grundſätzlich 
nur für den Fall der Abweiſung eines Primär⸗ 
antrages zuläſſig ſei und eine ſo erhebliche Ab⸗ 
weichung von der Regel bilde, daß er nur in den 
vom Geſetz beſonders aufgeführten Fällen (wie 
z. B. im $ 696, 697) zugelaſſen werden könne. 
Auch ſprächen erhebliche praktiſche Bedenken gegen 
die Verbindung, da der Gläubiger, wenn der 
Schuldner nach Zuſtellung des Zahlungsbefehles 
bezahle, es regelmäßig verſäumen werde, den Ge⸗ 
richtsſchreiber hiervon zu benachrichtigen und den 
Antrag auf Erlaſſung des Vollſtreckungsbefehles 
zurückzuziehen. Es entſtünde ſo eine große Zahl 
von ungerechtfertigten Vollſtreckungstiteln, die eine 
erhebliche Gefahr für die Schuldner bedeute. 

Die andere Meinung geht davon aus, daß 
der Wortlaut des § 699 ZPO. nicht entgegen⸗ 
ſtehe, da er keinen Zeitpunkt angebe, in dem das 
Geſuch um Erlaſſung des Vollſtreckungsbefehles 
geſtellt werden müſſe. Es ſei ferner kein ſach⸗ 
licher Grund vorhanden, ein vorzeitig geſtelltes 
Geſuch um Erlaſſung des Vollſtreckungsbefehles 
zurückzuweiſen, das praktiſche Bedürfnis erheiſche 
vielmehr die Zuläſſigkeit der Verbindung dieſes 
Geſuches mit dem Mahngeſuch. Während vor 
der Novelle der Gläubiger die Zuſtellung des 
Zahlungsbefehles beſorgt und daher alsbald Kennt⸗ 
nis von dem Zuſtellungstag erhalten habe, er⸗ 
fahre er hiervon jetzt erſt, wenn die Mitteilung 
des Gerichtsſchreibers über die Zuſtellung an ihn 
gelange. Dies ſei häufig erſt der Fall nach Um⸗ 
fluß der Widerſpruchsfriſt. Der Gläubiger könne 
daher das Vollſtreckungsbefehls-Geſuch nicht recht⸗ 
zeitig abſenden und ſo verzögere ſich entgegen der 
Abſicht der Novelle die Erledigung des Mahn: 
verfahrens. Die Fälle der 85 696 II, 697 II 
ſeien dem Falle des 8 699 nicht ähnlich. Uebrigens 
erklaͤre in 8 697 II das Geſetz die Verbindung 
des Verweiſungsantrages mit dem Mahngeſuch 
oder der Widerſpruchseinlegung nicht erſt für 
zuläſſig, ſondern ſetze im Gegenteil nach der Faſ— 
ſung des Paragraphen die Zuläſſigkeit dieſer Ver— 
bindung als ſelbſtverſtändlich voraus. Auch das 
praktiſche Bedenken, daß der Gläubiger im Falle 
der Zahlung es überſehen werde, das Geſuch zurück— 


380 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19 


zunehmen, ſei kein Grund, um den Antrag auf möglich, das Geſuch um Erlaſſung des Voll: 
Vollſtreckungsbefehl als unzuläſſig zu behandeln, ſtreckungsbefehles ſchon gleichzeitig mit dem Mahn⸗ 
da der Gläubiger, wenn er befriedigt werde, doch geſuch zu ſtellen, ſo wäre wohl der Beginn der 
daran denken müſſe, den Antrag auf Erlaſſung in 8 701 vorgeſehenen ſechsmonatigen Friſt auf 
des Vollſtreckungsbefehls zurückzuziehen. Ein Ana- den Zeitpunkt der Einreichung des Mahngeſuchs 
logon beſtehe in den Fällen der $ 900, 901 ZPO., oder der Zuſtellung des Zahlungsbefehles und 
in denen es allgemein auch ohne ausdrückliche ge: nicht des Ablaufes der Widerſpruchsfriſt feſtgeſetzt 
ſetzliche Beſtimmung als zuläſſig bezeichnet werde, | worden. Schließlich überwiegen doch die oben 
den Antrag auf Inhaftnahme des Schuldners angeführten praktiſchen Bedenken, wenn es richtig 
gleichzeitig mit dem Antrag auf Beſtimmung des iſt, daß nach der Statiſtik z. B. im Jahre 1904 
Termins zur Leiſtung des Offenbarungseides zu von nahezu 1½/ Million Zahlungsbefehlen für 
ſtellen. nur etwa die Hälſte der Vollſtreckungsbefehl be⸗ 
Von den beiden Anſchauungen dürfte wohl antragt wurde. Umgekehrt darf bei den heutigen 
die erſtere den Vorzug verdienen, die ſich für die | Verkehrsverhältniſſen angenommen werden, daß 
Verneinung der Frage ausſpricht. Meines Er⸗ der Gläubiger in den meiſten Fällen noch vor 
achtens zwingt die rechtliche Natur des Vol: Ablauf der Widerſpruchsfriſt in den Beſitz der 
ſtreckungsbefehles zu dieſer Entſcheidung. Der Nachricht von der Zuſtellung des Vollſtreckungs— 
Vollſtreckungsbefehl iſt einem für vorläufig voll⸗ befehls gelangen wird. 
ſtreckbar erklärten Verſäumnisurteil gleichgeſtellt, Die hieſige Praxis, welche die Verbindung 
er iſt alſo eine Entſcheidung, die eine Verurteilung von Mahngeſuch mit dem Geſuch um Exlaſſung 
ausſpricht. Nun kennt aber die Zivilprozeßord⸗ des Vollſtreckungsbefehles für unzuläſſig erklärt, 
nung einen bedingten oder von zukünftigen Er⸗ ſcheint mir daher zutreffend zu ſein. 
eigniſſen abhängigen Antrag auf Verurteilung | 5. Zu 88 697 II, 88 II, 703 380. Die 
überhaupt nicht. Der mit dem Mahngeſuch ver: Frage, ob der Anwalt oder ein ſonſtiger Ber: 
bundene Antrag auf Erlaſſung des Vollſtreckungs⸗ treter, der namens einer Partei Antrag auf Er: 
befehles iſt aber eben gerade für den Fall geſtellt. laſſung eines Zahlungsbefehles und zugleich im 
daß die Widerſpruchsfriſt unbenützt abläuft, ift | Mahngeſuch Antrag auf Verweiſung an das Land⸗ 
alſo ein bedingter Antrag, der nach dem erwähnten gericht ſtellt, ſeine Vollmacht nachzuweiſen hat, 
allgemeinen Grundſatz als unzuläſſig zu bezeichnen wurde vom Amtsgericht Berlin-Mitte mit Be: 
ift, ohne daß es einer Bezugnahme auf die 88 696 JI, ſchluß vom 6. Mai 1910 und vom Landgericht 1 
697 II bedürfte und ohne daß auf die 88 900, | Berlin mit Beſchluß vom 20. Mai 1910 (JW. 
901 als ähnliche Fälle verwieſen werden könnte. 1910 S. 689) bejaht, da $ 703 ZPO. nur für 
Bei dieſer Auffaſſung kann auch dahingeſtellt [den Fall des Mahngeſuchs und der Widerſpruchs⸗ 
bleiben, ob andere (nicht auf Verurteilung ge: erhebung eine Ausnahme von der allgemeinen Vor: 
richtete) bedingte Anträge für eine künftige Prozeß⸗ ſchrift des $ 88 II ZPO. (Prüfung der Vollmacht 
klage zuläſſig ſind oder nicht. von Amts wegen im Parteiprozeß) zulaſſe und als 
Wenn es der Geſetzgeber hätte zulaſſen wollen, | Ausnahmebeſtimmung nicht ausdehnend ausgelegt 
daß gleichzeitig mit dem Mahngeſuch das Geſuch werden dürfe. 
um Vollſtreckungsbefehl geſtellt wird, ſo hätte er In den Kommentaren von Gaupp-Stein und 
überhaupt anordnen können, daß der Zahlungs- von Seuffert wird die Frage dagegen zutreffender— 
befehl nach Umfluß der Widerſpruchsfriſt von | weile verneint. Wenn es zuläſſig iſt den Ber: 
Amts wegen für vorläufig vollſtreckbar zu erklären weiſungsantrag ſchon in dem Geſuch um Erlaſſung 
ſei, falls der Gläubiger keinen gegenteiligen An: des Zahlungsbeſehles zu ſtellen ($ 697 II) und 
trag einbringt. wenn für das Zahlungsbefehlsgeſuch ſelbſt der 
Daß der Geſetzgeber wohl nur die Stellung Nachweis einer Vollmacht nicht vorgeſchrieben iſt, 
des Geſuches um Vollſtreckungsbefehl nach Um- ſo iſt ſchon aus dieſem formellen Grund nicht 
fluß der Widerſpruchsfriſt im Auge hatte, ergibt einzuſehen, warum hier eine verſchiedene Behand: 
ſich auch aus einer Bemerkung der Motive zu lung eintreten ſoll. Auch irgendwelche ſachlicen 
dem jetzigen S 699. Es heißt dort auf S. 385: Gründe für den Verweiſungsantrag einen Voll: 
„Die ſachliche Prüfung, ob der Anſpruch des machtsnachweis zu verlangen beſtehen nicht. Wird 
Klägers in ſich begründet iſt und deshalb in Er: das Verweiſungsgeſuch ſchon in dem Mahngeſuch 
mangelung des Streits judikatsmäßig feſtzuſtellen geſtellt, jo kann es unbedenklich als Beſtandteil 
ſein wird, erfolgt bereits beim Erlaß des Zahlungs- dieſes Geſuchs angeſehen werden und es gilt die 
befehles; ‚ſucht nach abgelaufener Friſt der Ausnahmevorſchrift des §S 703 ZPO. mangels 
Gläubiger die Vollſtreckbarkeits Erklärung nad‘, ausdrücklicher anderer Regelung auch für das 


ſo beſchränkt ſich die Kognition .. .. ſachgemäß Verweiſungsgeſuch. 
auf die Feſtſtellung der formalen Vorausſetzungen 6. Kann nach vorausgegangenem Mahnver— 
für den Erlaß des Urteils.“ fahren bei einem Streitwert von 301 —600 Mk. 


Weiter ſcheint mir 8 701 ZPO. für die hier das Verſäumnisurteil für vorläufig vollſtreckbar 
vertretene Auffaſſung zu ſprechen. Wäre es erklärt werden, wenn ſich der Gläubiger erſt im 


Verhandlungstermin zur Sicherheitsleiſtung er⸗ 
bietet? (88 710, 714 3 O.). 

Nach § 335 Abſ. J Ziff. 3 ZPO. iſt der An⸗ 
trag auf Erlaſſung des Verſäumnis⸗Urteils zurück⸗ 
zuweiſen, wenn der nicht erſchienenen Partei ein tat⸗ 
ſächliches mündliches Vorbringen oder ein Antrag 
nicht rechtzeitig mittels Schriftſatzes mitgeteilt war. 
Der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeits⸗ 
erklärung iſt nun nach der herrſchenden, von allen 
größeren Kommentaren vertretenen Anſchauung 
als ein Sach-Antrag zu erachten, da der Ausſpruch 
über Vollſtreckbarkeit in dem Urteil ſelbſt zu er⸗ 
folgen hat (Gaupp⸗Stein, Komm. z. ZPO. Anm. I 
zu § 714), er bedarf daher der Mitteilung gemäß 
§ 335 38O. 

Dieſem Erfordernis iſt Genüge geleiſtet; der 
dem Schuldner zugeſtellte Zahlungsbefehl enthält 
die Aufforderung an den Schuldner, den Gläubiger 
binnen einer vom Tage der Zuſtellung an laufenden 
Friſt von einer Woche „bei Vermeidung ſofortiger 
Zwangsvollſtreckung“ zu befriedigen ($ 692 ZPO.). 
Wie bereits oben unter 1. ausgeführt, vertritt 
der Zahlungsbefehl die Klage und die eben er⸗ 
wähnte „Zahlungsaufforderung bei Vermeidung 
ſofortiger Zwangsvollſtreckung“ kann und muß da⸗ 
her als Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeitser⸗ 
klärung aufgefaßt werden. Auf dieſem Standpunkt 
ſtehen auch faſt alle Kommentare. Mit der Zu⸗ 
ſtellung des Zahlungsbefehls iſt alſo dem Schuld⸗ 
ner auch der Antrag des Gläubigers auf vorläufige 
Vollſtreckbarkeitserklärung des Urteils mitgeteilt. 

Nun fragt es ſich aber, ob dem Ausſpruch der 
vorläufigen Vollſtreckbarkeit des Verſäumnisurteils 
der Umſtand entgegenſteht, daß dem Schuldner das 
erſt in der Verhandlung erfolgte Erbieten des 
Gläubigers zur Sicherheitsleiſtung nicht mitgeteilt 
wurde. Zu dieſer im ordentlichen Verfahren auf⸗ 
getauchten Frage hat das Landgericht Düſſeldorf 
im Jahre 1902 (JW. 1902 S. 562) in bejahendem 
Sinne Stellung genommen. Eine bei dieſem Land⸗ 
gericht angebrachte Klage enthielt den Antrag das 
Urteil für vorläufig vollſtreckbar zu erklären; von 
dem Erbieten des Klägers zur Sicherheitsleiſtung 
war in der Klageſchriſt keine Rede. In der münd⸗ 
lichen Verhandlung beantragte der Kläger das 
gegen den nicht erſchienenen Beklagten zu er— 
laſſende Urteil für vorläufig vollſtreckbar zu erklären, 
indem er ſich gleichzeitig mündlich zur Sicherheits: 
leiſtung erbot. Das Landgericht lehnte den An— 
trag ab mit der Begründung, der Beklagte habe 
annehmen müſſen, der Antrag werde abgewieſen, 
weil er nach dem Inhalt der Klageſchrift unbe⸗ 
gründet ſei. Der Antrag des Klägers mit dem 
mündlichen Zuſatz, daß der Kläger ſich zur Sicher: 
heitsleiſtung erbiete, ſei gemäß §710 ZPO. ein neuer 
erweiterter Antrag, da bei Angebot der Sicherheits— 
leiſtung eine vorläufige Vollſtreckbarkeit in allen 
Fällen und ohne Vorliegen der ſonſtigen Voraus— 
ſetzungen der SS 708, 709 3] O. zuläſſig jet. 
Dieſer neue Antrag ſei aber dem Beklagten nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


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381 


mitgeteilt, weshalb er nach $ 335 1 Nr. 3 zu: 
rückzuweiſen ſei. 

Rechtsanwalt Dr. Aberer in Cöln hält dieſe 
Entſcheidung für verfehlt (JW. a. a. O.). Er 
führt aus, das Erbieten zur Sicherheitsleiſtung ſei 
kein Antrag und auch kein Teil des Antrags auf 
vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung, es brauche 
daher auch nicht gemäß § 335 mitgeteilt zu 
werden. Wenn der Kläger ſich in der mündlichen 
Verhandlung zur Sicherheitsleiſtung erbiete, ſo 
liege kein erweiterter Antrag vor, ſondern vielmehr 
eine dem Intereſſe des Beklagten dienende Be⸗ 
ſchränkung des urſprünglichen Klageantrages, eine 
beſondere Mitteilung eines ermäßigten Klagebe⸗ 
gehrens ſei in der Prozeßordnung nirgends vorge⸗ 
ſchrieben, da der weitergehende Antrag ſtets den 
eingeſchränkten enthalte. Profeſſor Dr. Kuhlenbeck 
ſtimmt (an der zitierten Stelle) dem Dr. Aberer 
inſoferne zu, als das Erbieten zur Sicherheits⸗ 
leiſtung nach ſeiner Auffaſſung kein Teil des Antrags 
iſt; trotzdem hält er die Entſcheidung des LG. 
Düſſeldorf für richtig weil das Erbieten zur Sicher: 
heitsleiſtung unter den Begriff des tatſächlichen 
mündlichen Vorbringens im Sinne des § 335 
3P O. falle. Letzterer Vorſchrift liege der Gedanke 
zugrunde, daß der Verzicht einer Partei auf ihre 
Verteidigung nur inſoweit angenommen werden 
könne, als ſie ſolche nach Lage der in der Klage⸗ 
ſchrift zugeſtellten Behauptungen für nötig erachten 
müßte; das Erbieten des Klägers zur Sicherheits⸗ 
leiſtung ſei Behauptung einer künftigen Tatſache, 
inſoferne werde alſo das tatſächliche Vorbringen des 
Klägers ergänzt und da dieſes neue Vorbringen 
für die Frage der vorläufigen Vollſtreckbarkeit von 
Bedeutung fei, habe das LG. Düſſeldorf mit Recht 
den Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeitser⸗ 
klärung des Verſäumnisurteils zurückgewieſen. 

Nach Begründung der Zuſtändigkeit der Amts⸗ 
gerichte für Streitigkeiten von 301 —600 M kann 
es auch vor dem Amtsgericht vorkommen, daß die 
Klage bei einem ſolchen Streitwert zwar den An⸗ 
trag auf vorläufige Vollſtreckbarkeit, nicht aber 
das Erbieten zur Sicherheitsleiſtung enthält. Im 
Mahnverfahren wird ſogar regelmäßig ein derar⸗ 
tiges Erbieten zur Sicherheitsleiſtung vor der Ver⸗ 
handlung nicht erfolgt ſein. Trotzdem kann nach 
meiner Auffaſſung, wenn ſich der Kläger im Ver⸗ 
handlungstermin zur Sicherheitsleiſtung erbietet, 
das Verſäumnisurteil für vorläufig vollſtreckbar 
erklärt werden. Die Vorſchrift des $ 335 J Nr. 3 
3PO. bezieht ſich nur auf Anträge oder auf tat⸗ 
ſächliches mündliches Vorbringen. Das Erbieten 
zur Sicherheitsleiſtung iſt nun weder ein Antrag, 
noch ein Teil des Antrags auf vorläufige Voll— 
ſtreckbarkeitserklärung, ſondern nur eine vom Geſetz⸗ 
geber feſtgeſetzte Bedingung der Wirkſamkeit dieſes 
Antrags. Aber auch als tatſächliches mündliches 
Vorbringen im Sinne des § 335 I Nr. 3 kann das 
Erbieten zur Sicherheitsleiſtung nach meiner Auf— 
faſſung nicht erachtet werden. Mit dem tatſächlichen 


382 


mündlichen Vorbringen, welches $ 335 erwähnt, kann 
nichts anderes gemeint ſein, als mit dem gleichen 
Ausdruck im § 331 ZPO. Hierunter fallen aber 
nur ſolche tatſächliche Angaben, die beim Aus⸗ 
bleiben des Beklagten als zugeſtanden zu gelten 
haben und von deren Schlüſſigkeit die Erlaſſung 
des Verſäumnisurteils abhängt. Gerade weil dieſes 
tatſächliche mündliche Vorbringen als zugeſtanden 
gilt, muß es ſeinem vollen Umfange nach dem Be: 
klagten mitgeteilt ſein. Für das Erbieten zur 
Sicherheitsleiſtung kann nun aber von einem fin⸗ 
gierten Zugeſtändnis keine Rede fein; die Schutz⸗ 
vorſchrift des $ 335 J Nr. 3 bezieht ſich daher auch 
nicht auf dieſes Erbieten. $ 710 ZPO. hat die 
Sicherung des Beklagten im Auge, dieſem Zweck 
iſt vollkommen Genüge geleiſtet, wenn ſich der 
Kläger (wenn auch erſt im Verhandlungstermine) 
zur Sicherheitsleiſtung erbietet. 

Der Ausführung des LG. Düſſeldorf, der Be⸗ 
klagte habe annehmen müſſen, der Antrag werde 
abgewieſen, weil er nach dem Inhalt der Klage⸗ 
ſchrift unbegründet ſei, kann nicht beigetreten 
werden. Das Geſuch des Klägers um vorläufige 
Vollſtreckbarkeitserklärung iſt gerechtfertigt, ſo⸗ 
bald der Kläger ſich zur Sicherheitsleiſtung er⸗ 
bietet, und es iſt keine Geſetzesvorſchrift des In⸗ 
halts vorhanden, daß dieſes Erbieten bereits in 
der Klageſchriſt oder in einem geſonderten Schrift: 
ſatz zu erfolgen habe, da nach den obigen Aus: 
führungen 8 335 ZPO. hier nicht zutrifft. 

Der Beklagte, dem der Antrag des Klägers 
auf vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung mitgeteilt 
iſt, wird alſo zwar einerſeits darauf vertrauen 
können, daß das Gericht, wenn der Kläger ſich 
nicht zur Sicherheitsleiſtung erbietet. das Urteil 
nicht für vorläufig vollſtreckbar erklärt, jedoch wird 
er andererſeits damit rechnen müſſen, daß dem 
Wunſche des Klägers entſprochen wird, wenn 
Letzterer in der Verhandlung ſich zur Sicherheits: 
leiſtung bereit erklärt. Glaubt der Beklagte, daß 
die ſofortige Vollſtreckung ihm beſondere Nachteile 
verurſacht, ſo muß er eben im Termin erſcheinen 
und die entſprechenden Anträge ſtellen ($ 712 
3PO.). Dieſes Ergebnis entſpricht dem praktiſchen 
Bedürfnis; auch beſteht kein ſachlicher Grund dem 
Kläger die vorläufige Vollſtreckbarkeit des Urteils 
zu verſagen, wenn der Beklagte keine ſachlichen 
Einwendungen hat, wenn ihm der Antrag auf 
vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung mitgeteilt 
wurde und wenn ihm für die Nachteile aus der 
ſofortigen Vollſtreckung Sicherheit geleiſtet wird. 

Insbeſondere für das Verfahren nach vor: 
ausgegangenem Mahnverfahren iſt dieſe Aus— 
legung geboten. Das Mahnverfahren ſollte durch 
die Novelle gehoben und beliebter gemacht werden. 
Der Gläubiger, der zur Weiterverfolgung ſeines 
Anſpruchs ſchon von vornherein entſchloſſen iſt, 
wird gleich im Mahngeſuch den Antrag auf 
Terminsanberaumung für den Fall der Wider— 
ſpruchseinlegung ſtellen. Er legt ſodann die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


Weiterführung der Sache in die Hände des Ge⸗ 
richts und will natürlich im Termin, wenn der 
Beklagte nicht erſcheint, einen Vollſtreckungstitel 
erhalten. Eines beſonderen Antrages auf vor⸗ 
läufige Vollſtreckbarkeitserklärung bedarf es im 
Mahngeſuch, wie oben ausgeſührt, nicht, da der 
Zahlungsbefehl ſelbſt dem Schuldner die ſofortige 
Vollſtreckung androht. Da es eines ſolchen An⸗ 
trags nicht bedarf, wird der Gläubiger auch regel⸗ 
mäßig nicht daran denken, ſich gleich bei Ein⸗ 
reichung des Mahngeſuchs zur Sicherheitsleiſtung 
zu erbieten. In der Praxis findet ein derartiges 
Erbieten im Mahngeſuch auch wohl niemals ſtatt. 
Wenn nun der Glaͤubiger genötigt waͤre dem 
Schuldner noch einen geſonderten Schriftſatz zu⸗ 
zuſtellen, in dem er ſich zur Sicherheitsleiſtung 
erbietet um die ſofortige Vollſtreckbarkeit des 
Urteils zu erlangen, ſo würde er wohl meiſt nicht 
das Mahnverfahren, ſondern den Weg der ordent⸗ 
lichen Klage wählen um ſein Recht zu verfolgen. 
Die hier vertretene Auffaſſung entſpricht alſo der 
Abſicht der Novelle dem Mahrverfahren eine 
möglichſte Verbreitung und Beliebtheit zu ſichern. 

7. Zu 88 38, 76 II, III GebofRA; 80 b 
GKG. Die Frage, ob dem Rechtsanwalt nach 
Einlegung des Widerſpruchs neben dem Pauſchſatze 
des 8 76 III GebOfR A. noch das nach 8 76 II 
zu berechnende Pauſchale aus der bei Erwir⸗ 
kung des Zahlungsbefehls erwachſenen Gebühr 
zuſteht, wurde in der Praxis verſchieden beant⸗ 
wortet. Bejaht wurde die Frage von dem LG. 
Augsburg (JW. 1911 S. 127); auf dem gleichen 
Standpunkt ſcheinen die Leitſätze der Kommiſſion 
des Münchener Rechtsanwaltsvereins zu ſtehen 
(ſ. dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1910 S. 264). Ver⸗ 
neint wurde die Frage vom LG. Traunſtein 
(JW. 1911 S. 127) und vom LG. München 1 
in einem Beſchluß vom 21. Juni 1910 (JW. 1910 
S. 732), ſowie in einem ſpäteren, nicht veröffent⸗ 
lichten Beſchluß des gleichen Landgerichts. 

Die „Leitſätze“ begründen die Bejahung der 
Frage damit, daß die Gebühr nach 8 38! 
GebOfRA. eine vollſtändig ſelbſtändige Gebühr 
ſei, daß daher dieſe Gebühr und der daraus be— 
rechnete Pauſchſatz beſtehen bleibe, wenn auch im 
nachfolgenden Rechtsſtreit die Gebühren des 8 38 
ganz oder teilweiſe auf die erwachſene Prozeß— 
gebühr anzurechnen ſeien; denn durch dieſe An— 
rechnung ermäßige ſich nicht nachträglich die Ge— 
bühr im Mahnverfahren, ſondern lediglich der 
Anſatz für die Prozeßgebühr, ohne daß dadurch 
der Charakter der Prozeßgebühr als der Gebühr 
nach S 131 GebOfdt A. verändert werde. In⸗ 
folgedeſſen ſeien bei Anfall der ohne Rückſicht 
auf ihre Höhe Prozeßgebühr verbleibenden Gebühr 


des 8 131 GebOfR A. auch die Pauſchminimal— 


Sätze des § 76 11T SEHON. anſetzbar. 
Das LG. Augsburg führt zur Begründung 
aus, die Bejahung der Frage ergebe ſich aus der 


Vergleichung des § 76 Geb Odi A. mit 8 80 b 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


— [7 


GKG. Beide Geſetzesſtellen enthielten Beſtim⸗ 
mungen, welche das Verfahren bei Berechnung 
und Feſtſetzung der Schreibgebühren vereinfachen 
ſollten. In beiden Geſetzesſtellen ſei überein⸗ 
ſtimmend feſtgeſetzt, daß das Einſpruchsverfahren, 
das auf den Urkunden- und Wechſelprozeß folgende 
ordentliche Verfahren, das Beweisſicherungs⸗, 
Koſtenfeſtſetzungs⸗ und Sicherheitsrückgabever⸗ 
fahren, wofür ſonſt beſondere Gebühren erhoben 
würden, bezüglich der Pauſchſätze nicht als ge: 
ſonderte Inſtanz gelten ſollten. Während aber 
in $ 80 b GKG. ausdrücklich feſtgeſetzt ſei, daß 
das Mahnverfahren und der darauf folgende 
Rechtsſtreit für die Berechnung der Pauſchſätze 
als eine Inſtanz zu gelten hätten, fehle dieſe Be⸗ 
ſtimmung in § 76 III GebOfRA. Dieſe Be: 
ſtimmung ſei abſichtlich weggelaſſen worden, weil 
man von der Anſicht ausgegangen ſei, daß der 
Rechtsanwalt für den Antrag auf Erlaſſung des 
Zahlungsbefehles einen geſonderten Pauſchſatz er⸗ 
halten ſolle. 

Das Landgericht München J begründet die 
Verneinung der Frage damit, daß das Mahn⸗ 
verfahren keine neue Inſtanz ſei, weil bei Wider⸗ 
ſpruchseinlegung die Klage als mit Zuſtellung des 
Zahlungsbefehles beim Amtsgericht erhoben anzu: 
ſehen ſei. Es ſtehe daher dem Rechtsanwalt ge⸗ 
mäß § 76 GebOfR A. für das ganze amtsgericht⸗ 
liche Verfahren einſchließlich des Mahnverfahrens 
nur eine Pauſchgebühr im Mindeſtſatz von 4 M 
zu, das Pauſchale für die bei Erwirkung des Zah: 
lungsbefehles erwachſene Gebühr ſei daher auf die 
Mindeſtpauſchgebühr des § 76 III in vollem Um: 
fang anzurechnen. Demgegenüber könne der durch 
die Beſtimmung des $ 80 b GKG. begründete 
Unterſchied zwiſchen dieſem Geſetz und der GebOfRA. 
nicht ins Gewicht fallen. 

Die letztere Auffaſſung verdient den Vorzug. 
Der Abſatz III des § 76 GebOfRA. bildet eine 
Ausnahme von der allgemeinen Regel des Ab: 
ſatzes II dieſes Paragraphen. Hiernach iſt für 
die ſämtlichen in einer Inſtanz anzuſetzenden 
Pauſchſätze eine Mindeſt⸗ und eine Höchſtgrenze 
feſtgelegt. Die Frage, was zu der Inſtanz ges 
hört, iſt im § 76 III nur inſoweit entſchieden, als 
daſelbſt beſtimmt iſt, daß die in den 88 271, 28 
und 30 J Nr. 3 GebOfRA. erwähnte Tätigkeit 
des Rechtsanwaltes hinſichtlich der Pauſchſätze (im 
Gegenſatz zur Berechnung der Gebühren) nicht als 
beſondere Inſtanz zu gelten habe. Daß das 


Mahnverfahren als geſonderte Inſtanz zu gelten 


hätte, iſt nirgends ausgeſprochen. Aus der Vor— 
ſchrift des S 696 ZPO. ergibt ſich vielmehr, daß 
das Mahnverfahren und das Verfahren nach 
Widerſpruchseinlegung nur eine Inſtanz bilden. 
Dies iſt für die Fälle ſelbſtverſtändlich, in denen 
der nachfolgende Rechtsſtreit beim Amtsgericht 
verbleibt. Aus dem § 80 b Abſ. II GK G., worin 
ausdrücklich hervorgehoben iſt, daß das Mahnver— 


—— . —ßkle. u —— —— — ä—ͤ— 


| 


383 


Inſtanz zu gelten haben, kann nichts Gegen: 
teiliges gefolgert werden. Es iſt vielmehr an⸗ 
zunehmen, daß dieſe Beſtimmung nur die Fälle 
im Auge hatte, in welchen nach Widerſpruchs⸗ 
einlegung der Rechtsſtreit an das Landgericht ver: 
wieſen wurde. Die Anſetzung eines beſonderen 
Pauſchſatzes für das Mahnverfahren neben den 
Pauſchſätzen des $ 76 III GebOfRA. iſt daher 
unzuläſſig. Für die Berechnung der dem Anwalt 
im Mahnverfahren und im nachfolgenden Ber: 
fahren gebührenden Pauſchſätze iſt lediglich $ 76 III 
GebOfRA. maßgebend. Erreicht daher die Summe 
der hiernach anzuſetzenden Pauſchſätze den Betrag 
von 4 oder 6 M nicht, fo hat der Anwalt ledig: 
lich 4 oder 6 M hund nicht außerdem noch einen 
nach § 76 I1 zu berechnenden Pauſchſatz für das 
Mahnverfahren zu beanſpruchen. (Schluß folgt.) 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Schenkung oder Verkauf zu billigem Preis? — 
Schenkung zur Erfüllung einer ſittlichen Pflicht (8 2330 
BGB.). — Kann die Klage aus 8 2329 BG. auf 
Duldung der Zwangsvollſtreckung wegen des an dem 
Pflichtteil fehlenden Betrags gerichtet werden? Der 
Bauer K. iſt in geſetzlicher Erbfolge von fünf Kindern 
erſter Ehe, von drei Kindern zweiter Ehe und von 
den ſieben minderjährigen Kindern eines vor ihm ver⸗ 
ſtorbenen Sohnes zweiter Ehe beerbt worden. Sein 
Nachlaß enthielt jedoch nichts. Denn K. hatte den 
ſein ganzes Vermögen darſtellenden Grundbeſitz an 
zwei ſeiner Kinder zweiter Ehe veräußert. 

1. Der Berufungsrichter ſtellt feſt, der an die Be⸗ 
klagten veräußerte Grundbeſitz ſei 37500 M wert 
geweſen, während die von den Erwerbern über— 
nommenen Gegenleiſtungen auf 14752 M 12 Pf 
zu veranſchlagen ſeien. Der Wertunterſchied habe daher 
22 747 M 88 Pf betragen. Es ſei ausgeſchloſſen, 
daß der Erblaſſer oder die Beklagten ſich deſſen nicht 
bewußt geweſen ſeien. Beide Vertragsteile hätten 
vielmehr gewußt, daß die Erwerber inſoweit, als der 
Wert der Grundſtücke den Wert der Gegenleiſtungen 
überſtieg, durch die Zuwendung der Grundſtücke eine 
Bereicherung empfingen, und fie ſeien mit dem Ver— 
äußerer darüber einig geweſen, daß die Zuwendung 
inſoweit unentgeltlich erfolge. Dieſe Feſtſtellungen 
erſchöpfen die Begriffserforderniſſe einer Schenkung 
(8 516 Abſ. 1), die im gegebenen Falle mit einem 
Kaufvertrage in der Art verbunden war, daß fie in den 
Vertragserklärungen der Beteiligten äußerlich nicht 
hervortrat, gleichwohl aber durch dieſe Erklärungen 
umfaßt und durch fie verdeckt wurde (8 117 BGB). 
Die Reviſion zielt mit einem Teil ihrer Ausführungen 
darauf hin, daß es ſich nicht um einen derartigen Fall 
der fog. gemiſchten Schenkung gehandelt habe, viel— 
mehr nur ein Verkauf zu billigem Preiſe abgeſchloſſen 
ſei. Es iſt richtig, daß hierin ein rechtlicher Unter— 
ſchied beſteht, der dem Tatrichter unter Umſtänden be— 
ſondere Schwierigkeiten bereiten mag. Allein unter 


5 5 . g den Umſtänden des gegebenen Falles hätte die An— 
fahren und der entſtehende Rechtsſtreit als eine ; nahme, daß die geringen Gegenleiſtungen der Erwerber 


384 


ernftli im Sinne einer vollen Abgeltung bedungen 
worden wären, der allgemeinen Lebenserfahrung 
ſchlechthin widerſprochen. Es fehlte an jedem erſicht⸗ 
lichen Grunde, der die bloße Unvorteilhaftigkeit des 
Geſchäfts für den Verkäufer als eines Verkaufs zu 
billigem Preiſe rechtfertigen konnte. Um ſo weniger 
läßt es ſich rechtlich beanſtanden, wenn der Berufungs⸗ 
richter bei freier, ihm durch 8 286 ZPO. gewähr⸗ 
leiſteter Sachbeurteilung die Vereinbarungen der Ber- 
tragsparteien darin durchſchaut hat, daß der Veräußerer 
eine ernſtgemeinte Abgeltung für die Grundſtücks⸗ 
übereignungen nur im Verhältnis des Wertes jener 
Leiſtungen empfangen, ſoweit aber dieſe Leiſtungen 
den Grundſtückswert nicht deckten, ohne Entgelt bleiben 
ſollte. Dieſe Feſtſtellung des ſubjektiven Willens der 
Beteiligten findet wie in den meiſten Fällen ihre 
ſicherſte Stütze in dem allgemeinen Rechtsempfinden, 
das ungeachtet der Gleichheit der äußeren Vertrags- 
geſtaltung kaum jemals darüber im Zweifel zu ſein 
pflegt, ob der Verkäufer unter der Ungunſt der Ver⸗ 
hältniſſe oder aus einem anderen beſonderen Grunde 
ein Vermögensſtück zu einem ungewöhnlich billigen 
Preiſe fortgegeben oder ob er unter dem bloßen Vor⸗ 
geben des Verkaufs es zum Teil oder gar der Haupt⸗ 
ſache nach verſchenkt hat. 

2. Die Beklagten behaupten, daß die ihnen ges 
machten Schenkungen einer ſittlichen Pflicht des Erb» 
laffers entſprochen hätten. Der Berufungsrichter hat 
dies abgelehnt. Er erblickt weder in den Dienite 
leiſtungen der Beklagten einen Grund für das Beſtehen 
einer ſolchen Pflicht, noch hält er den Einwand für 
durchgreifend, daß der Erblaſſer verſprochen habe, ſie 
für dieſe Dienſte durch Ueberlaſſung der Grundſtücke 
zu entſchädigen. Die Beklagten ſeien zur Leiſtung der 
Dienſte vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts nach 
88 121. 254 Teil II. Titel 1 des AL R., ſpäterhin aber 
nach 8 1617 BGB. verpflichtet geweſen. Gerade für 
die Beklagten habe neben dieſer Rechtspflicht zugleich 
eine ſittliche Pflicht zur Dienſtleiſtung beſtanden. Der 
Erblaſſer dagegen habe dadurch, daß er ſein ganzes 
Vermögen den Beklagten zuwendete, nicht eine ſittliche 
Pflicht gegen dieſe erfüllt, ſondern eine ſittliche 
Pflicht gegen die dadurch um ihr Erbteil gebrachten 
anderen Kinder verletzt. Die Behauptung des Ver— 
ſprechens einer ſolchen Vergütung ſei weder nach den 
eigenen Auslaſſungen der Beklagten noch auch nach 
dem Ergebnis der Beweisaufnahme richtig. Übrigens 
würde ein derartiges Verſprechen nicht ſo zu verſtehen 
ſein, daß die Beklagten die Grundſtücke ganz oder zum 
größten Teile unentgeltlich erhalten ſollten. Vielmehr 
hätte ſchon eine Ueberlaſſung der Grundſtücke zu einem 
ihrem Werte wenigſtens annähernd entſprechenden 
Preiſe als Erfüllung der etwa gegebenen Zuſicherung 
gelten müſſen. Was die Reviſion gegen dieſe Aus— 
führungen vorbringt, geht ſehl. Die, wie der Be— 
rufungsrichter mit Recht angenommen hat, mit den 
ſittlichen Pflichten des Erblaſſers gegenüber feinen 
anderen Abkömmlingen völlig unvereinbare Grund— 
ſtücksveräußerung kann um dieſer Sittenwidrigkeit 
willen nicht die Beurteilung finden, daß der Erblaſſer 
trotzdem i. S. des $ 2330 den Beklagten gegenüber 
dazu ſittlich verpflichtet geweſen wäre. Es hat aber 
auch an der von den Beklagten behaupteten Voraus— 
ſetzung ſür das Beſtehen der behaupteten ſittlichen Pflicht 
geſehlt. Denn der Erblaſſer hatte nach den Feſt— 
ſtellungen des Berufungsrichters zu einer Erkenntlich— 
keit für die Dienſte der Beklagten keine Veranlaſſung. 
Er hatte unter den obwaltenden Umſtänden die Dienſte 
der Beklagten nach Geſetz und Recht von ihnen zu 
fordern. Die in dieſer Beziehung herangezogenen alt— 
rechtlichen und jetzt geltenden Geſetzesvorſchriften ſind 
nicht verletzt. Das Verſprechen des Erblaſſers, wenn 
für deſſen Unterſtellung nach der Tatſachenwürdigung 
des Berufungsrichters überhaupt noch ein Raum bleibt, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


——ͥ— — — — . —— 2 ⁴ . —— — — — ——ẽ — -b 


Auslegung des Berufungsrichters und der Feſtſtellung, 
daß, ſoweit der Berufungsrichter den Vertrag als 
einen ernſtgemeinten Kaufvertrag gelten läßt, er in 
dieſer Eigenſchaft immer noch einen für die Beklagten 
beſonders vorteilhaften Erwerb darſtellt. 

3. Hat hiernach der Berufungsrichter den 8 2329 
BGB. zutreffend gegen die Beklagten als die Be⸗ 
ſchenkten zur Anwendung gebracht, fo verfagt die Rüge 
der Reviſion, daß die Beklagten nicht zur Duldung der 
Zwangsvollſtreckung ſondern nur zur Herausgabe 
hätten verurteilt werden dürfen. Denn der Inhalt 
ihrer Verpflichtung beſteht nicht in der Herausgabe 
des Geſchenkes ſchlechthin, ſondern in deſſen Heraus⸗ 
gabe zum Zwecke der Befriedigung wegen des den 
Pflichtteilsberechtigten fehlenden Betrages und einer 
ſolchen Verpflichtung würde die Verurteilung zur Dul⸗ 
dung der Zwangsvollſtreckung in den herauszugebenden 
Gegenſtand, damit der feſtgeſtellte Fehlbetrag dadurch 
beigetrieben werde, vollkommen entſprechen. Auch in 
dem Rechte, die Herausgabe durch Zahlung dieſes 
Betrages abzuwenden, würden die Beklagten dadurch 
nicht verkürzt fein. (Urt. des IV. ZS. vom 6. April 1911, 


IV 361/1910). E. 
2368 
II. 


Beendigung der Verpflichtung der Zollbehörde zur 
Berwahrung des Zollgutes. Aus den Gründen: 
Die Klägerin verlangt von dem verklagten Zollfiskus 
den Erſatz des Wertes einer Kiſte, die für ſie aus Paris 
eingetroffen, von der Eiſenbahnverwaltung unter Be: 
nachrichtigung der Klägerin zur Verzollung in dem 
der Zollverwaltung überlaſſenen Zollſchuppen nieder⸗ 
gelegt war, nach der Zollabfertigung aber abhanden 
kam. Das Berufungsgericht nimmt übereinſtimmend 
mit RG. 67, 340 an, daß durch die Ablieferung des 
Gutes an die Zollverwaltung ein Rechtsverhältnis 
begründet wurde, das die Zollbehörde privatrechtlich 
und vertragsähnlich verpflichtete das Gut nach der 
Zollabfertigung unverſehrt an die durch den Fracht- 
brief legitimierte Empfängerin auszuhändigen, und 
lehnt die Haftung des Beklagten deshalb ab, weil 
das Gut der Klägerin ausgehändigt worden ſei. Es 
ſtellt feſt, daß T., der zum Empfang der Kiſte bevoll⸗ 
mächtigte Vertreter der Klägerin, nach der Yollabs 
fertigung dem dienſttuenden Plombeur N. erklärte, er 
nehme die Kiſte gleich mit oder er wolle ſie gleich 
mitnehmen, daß T. dieſe Erklärung ohne jede Ein⸗ 
ſchränkung abgab, ſie insbeſondere nicht davon ab— 
hängig machte, daß ein Fuhrwerk des Spediteurs der 
Klägerin da ſei, und daß N. ſich hiermit ſtillſchweigend 
einverſtanden erklärte. Darin konnte ohne Rechts 
irrtum eine Aushändigung der Kiſte gefunden werden. 
Die Erklärung des T. ließ unzweideutig erkennen, daß 
er die Kiſte in ſeine Obhut nehmen wolle: der Zoll— 
beamte konnte und mußte annehmen, daß T. nun auch 
für das Gut ſorgen werde, und, wenn er hierzu ſeine 
Zuſtimmung gab, ſo war damit der Beſitz der Kiſte 
von der Zollverwaltung auf die durch T. vertretene 
Klägerin übergegangen. § 133 BB. iſt nicht ver⸗ 
letzt. Wenn die Reviſion für den Uebergang des Bes 
ſitzes eine Aenderung der tatſächlichen, insbeſondere 
der räumlichen Verhältniſſe vermißt, ſo überſieht ſie, 
daß die Verhandlung zwiſchen T. und N. im unmittel- 
baren Anſchluß an die zollamtliche Behandlung und 
in nächſter Nähe der Kiſte ſtattfand, ſodaß die tat— 
ſächliche Gewalt i. S. des § 854 Abſ. 1 BGB. auch 
ohne Ortsveränderung übergehen konnte. Auf die 
Vorſchrift des § 854 Abſ. 2 braucht nicht zurückge⸗ 
griffen zu werden. § 856 iſt nicht verletzt, da die Zoll: 
behörde durch den dienſttuenden Plombeur in den 
Uebergang der tatſächlichen Gewalt einwilligte. Daß 
T. die Kiſte nicht allein tragen konnte und wiederholt 
von dem von ihm erwarteten Fuhrwerk ſprach, iſt 
belanglos; denn dabei handelte es ſich nur um das 


bat ſeine Erfüllung gefunden nach der einwandfreien | Wegjchaffen der Kiſte, nicht um ihre Aushändigung, 


die dem Wegſchaffen vorausgehen mußte. Mit der 
Aushändigung hatte die Beklagte ihre Verpflichtung 
erfüllt, das durch die Ablieferung des Gutes an die 
Zollverwaltung begründete Rechtsverhältnis war er⸗ 
loſchen (BGB. § 362 Abſ. 1); die weitere Sorge für 
die Kiſte lag von nun an der Klägerin ob. Der Ein⸗ 
tritt dieſer Rechtswirkung konnte durch die ſpäteren 
Vorgänge nicht rückgängig gemacht werden. Infolge⸗ 
deſſen iſt es gleichgültig, ob T. den Empfang der 
Kiſte beſtätigte, ob auf den Frachtbrief ein Empfangs⸗ 
ſtempel geſetzt wurde, und daß T. ſchließlich die Kiſte 
ſtehen ließ und den Frachtbrief einem der Plombeure 
mit dem Erſuchen übergab, er möge ihn dem Kutſcher 
des Spediteurs aushändigen, damit dieſer eine Legiti⸗ 
mation zum Empfang der Kiſte habe. Die Beweis⸗ 
angebote der Klägerin waren daher unerheblich, ihre 
Nichtbeachtung enthält keine Verletzung des $ 286 ZPO. 
Eine Verpflichtung zur Verwahrung über den Zeit⸗ 
punkt der Aushändigung hinaus, etwa bis zum Weg⸗ 
ſchaffen der Kiſte aus den Räumen der Zollverwaltung, 
läßt ſich weder aus einer entſprechenden Anwendung 
der Vorſchriften über den Verwahrungsvertrag 88 68sff. 
BGB. noch aus § 242 BGB. ableiten. Auch die Pflicht 
des Verwahrers endet mit der Rückgabe der Sache 
und die Rückſicht auf die Verkehrsſitte erfordert eine 
Fortdauer der Verwahrungspflicht jedenfalls dann nicht, 
wenn der Berechtigte die Sache mit Zuſtimmung des 
Berwahrers übernommen hat, fi dann aber anders 
entſchließt und die Sache liegen läßt. Um eine Ver⸗ 
wahrungspflicht über den Zeitpunkt der Aushändi— 
gung hinaus zu begründen, hätte alſo ein neuer Ver⸗ 
wahrungsvertrag geſchloſſen werden müſſen. Dies iſt 
aber nicht geſchehen und namentlich, wie ſchon das 
Berufungsgericht zutreffend darlegt, nicht darin zu 
finden, daß T. die Kiſte nebſt dem Frachtbrief zurück⸗ 
ließ und einen Plombeur darum erſuchte den Fracht— 
brief dem Kutſcher des Spediteurs auszuhändigen. 
(Urt. des III. ZS. vom 26. Mai 1911, III 408/1910). 
2360 E. 


III. 


1. Nechtskraft des Urteils: Kaun das Gericht gegen: 
über einer auf argliſt ige Zäufhung geſtützten Klage auf 
Erſatz des negativen Vertragsintereſſes die argliſtige 
Täuſchung verneinen, wenn der Kläger in einem Bor: 
yrozeh aus dem gleichen Srund auf Anerleunung der 
Nichtigkeit des Vertrags, fowie auf Erſtattung des anf 
Grund des Vertrages Geleiſteten geklagt und das Gericht 
in einem Teilurteil den Vertrag für nichtig erklärt hat? 
2. Anſpruch auf Erſtattung der Koſten einer ungerecht⸗ 
fertigten einſtweiligen Verfügung (ZPO. S 945). Aus 
den Gründen: 1. Der Kläger verlangt, weil er durch 
argliſtige Täuſchung von dem Beklagten zur Ein— 
gehung eines Vertrages über den Kauf eines Hauſes 
beſtimmt worden ſei, Erſatz des hierdurch entſtandenen 
Schadens (des negativen Vertragsintereſſes) und beruft 
ſich zur Begründung ſeines Anſpruchs auf ein in einem 
Vorprozeß ergangenes, in der Reviſionsinſtanz be— 
ſtätigtes Teilurteil, durch welches feſtgeſtellt ſei, daß 
der Beklagte ihm das Vorhandenſein von Schwamm 
in dem Hauſe argliſtig verſchwiegen habe. Für den 
gegenwärtigen Rechtsſtreit hat indes das Berufungs- 
gericht das Sachverhältnis dahin gewürdigt, daß dem 
Beklagten ein argliſtiges Verhalten nicht zur Laſt 
falle, daß er nach der von dem Sachverſtändigen H. 
vorgenommenen gründlichen Ausbeſſerung und nach 
der Erklärung dieſes Sachverſtändigen, daß nunmehr 
der Schwamm endgültig beſeitigt ſei, die Schwamm— 
freiheit des Hauſes ohne Argliſt habe behaupten dürfen. 
Die Reviſion wirft dem Berufungsrichter vor, hierbei 
die Grundſätze über die Rechtskraft des Urteils ver— 
kannt zu haben. Dieſer Vorwurf trifft jedoch nicht 
zu. In dem Vorprozeß hatte der Kläger, der den 
Vertrag wegen Betruges anfocht, nur auf Anerkennung, 
daß der Vertrag rechtsunverbindlich ſei, und auf Er— 


| 


ſtattung der Leiſtungen aus dem Vertrage geklagt. 
Demgemäß war in der Urteilsformel des Teil⸗ 
urteils nur ausgeſprochen, daß der Vertrag nichtig 
ſei. Nur dieſe Entſcheidung iſt rechtskräftig geworden, 
nicht der in den Entſcheidungsgründen angeführte 
Grund, daß der Beklagte ſich der argliſtigen Täuſchung 
ſchuldig gemacht habe, da die Urteilsgründe an der 
Rechtskraft des Urteils nicht teilnehmen. Nur dafür 
bildet die Entſcheidung die Grundlage, daß infolge 
der Nichtigkeit des Vertrages die beiderſeitigen Ber- 
tragsleiſtungen zurückzugewähren ſind. Dagegen 
handelt es ſich bei dem Schadenserſatzanſpruch um 
einen von dem Anſpruch auf Rückgewähr ſowohl dem 
Grunde als dem Gegenſtande nach völlig verſchiedenen 
ſelbſtändigen Anſpruch. Der Berufungsrichter wur 
deshalb nicht gehindert hinſichtlich des Schadenserſatz⸗ 
anſpruchs den Sachverhalt in anderer Weiſe zu be- 
urteilen, als dies im Vorprozeſſe geſchehen war. 

2. Nach 8 945 ZPO. iſt der Antragſteller, wenn die 
von ihm erwirkte einſtweilige Verfügung ſich als von An⸗ 
fang an ungerechtfertigt erweiſt, verpflichtet dem Gegner 
den Schaden zu erſetzen, der ihm aus der Vollziehung 
der angeordneten Maßregel oder aus der Sicherheits⸗ 
leiſtung zum Zweck der Abwendung oder Aufhebung 
der Vollziehung entſtanden iſt. Nach dem Wortlaut 
dieſer Vorſchrift kann es ſcheinen, als ob § 945, da 
er nur von der Vollziehung der durch einſtweilige 
Verfügung angeordneten ſachlichen Maßregel ſpricht, 
auf die Koſten der einſtweiligen Verfügung überhaupt 
keine Anwendung finde. Zur Gewinnung des richtigen 
Verſtändniſſes des 8 945 find jedoch die für das 
Zwangsvollſtreckungsverfahren geltenden Vorſchriften 
der 88 717 Abſ. 2 und 788 Abſ. 2 ZPO. mit heranzu⸗ 
ziehen. Die Vorſchrift des 8 717 Abſ. 2 iſt ſeit dem Ab⸗ 
änderungsgeſetz vom 17. Mai 1898 an Stelle des 8 655 
Abſ. 2 getreten, in welchem beſtimmt war, daß der Kläger. 
ſoweit ein für vorläufig vollſtreckbar erklärtes Urteil 
aufgehoben oder abgeändert wird, auf Antrag des 
Beklagten zur Erſtatkung des von dieſem auf Grund 
des Urteils Gezahlten oder Geleiſteten (ohne Rückſicht 
auf ein Verſchulden des Klägers) zu verurteilen iſt. 
Dieſe Beſtimmung iſt dann durch 8 717 Abſ. 2 neuer 
Faſſung dahin erweitert worden, daß der Kläger zum 
Erſatz des Schadens verpflichtet iſt, der dem Beklagten 
durch die Vollſtreckung des Urteils oder durch eine 
zur Abwendung der Vollſtreckung gemachte Leiſtung 
entſtanden iſt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß zu 
dem nach 8 717 Abſ. 2 zu leiſtenden Schadenserſatz 
auch der Erſatz der in 8 655 Abſ. 2 d. F. gedachten, 
im Zwangsvollſtreckungsverfahren beigetriebenen Koſten 
gehört (RG. 49,414). In demſelben Sinne iſt 8 945. ZPO. 
auszulegen, welcher die Schadenserſatzpflicht des 8 717 
Abſ. 2 auf die einſtweilige Verfügung ausgedehnt hat. 
Abweichend von 8 717 Abſ. 2 wird dagegen in 8 945 
zur Begründung der den Koſtenerſatz einſchließenden 
Schadenserſatzpflicht nur das gefordert, daß die einjt- 
weilige Verfügung von Anfang an für ungerechtfertigt 
erklärt iſt. Der formellen Aufhebung der einſtweiligen 
Verfügung bedarf es nicht (RG. 58, 238). Es iſt auch 
nicht nötig, daß der Schadenserſatzanſpruch oder Koſten— 
erſatzanſpruch, wenn der der einſtweiligen Verfügung 
zugrunde liegende Anſpruch in dem über dieſen 
Anſpruch geführten Hauptprozeß als nicht beſtehend 
und damit die einſtweilige Verfügung als von vorn— 
herein ungerechtfertigt erklärt iſt (RG. 59, 360), ſchon 
in dieſem Hauptprozeſſe geltend gemacht wird. Die 
Berechtigung des Klägers, auf Grund des 8 945 ZPO. 
Erſatz der im Zwangsvollſtreckungsverfahren bei— 
getriebenen often zu fordern, kann hiernach nicht ver— 
neint werden. Außerdem hat der Kläger Anſpruch auf 
Erſatz der Koſten, die durch Eintragung der durch die 
einſtweilige Verfügung angeordneten Vormerkung ent— 
ſtanden ſind. Dieſer Anſpruch würde, wenn er nicht 
ſchon aus § 945 folgen würde, aus § 788 Abſ. 2 in 
Verbindung mit 8 928 ZPO. herzuleiten fein. Nach 


386 


8 788 Abſ. 2 find die Koſten der Zwangsvollſtreckung 
unbedingt dem Schuldner zu erſtatten, wenn das Urteil, 
aus welchem die Zwangsvollſtreckung vorgenommen 
iſt, aufgehoben wird. Die Anwendbarkeit dieſer Vor⸗ 
ſchrift auf die Koſten der Vollziehung einer demnächſt 
für ungerechtfertigt erklärten einſtweiligen Verfügung 
oder eines ſolchen Arreſtes iſt vom RG. 7, 376 und 
22, 169 ſowie neuerdings in dem S. 736 Nr. 5 der JW. 
für 1900 abgedruckten Urteile ausgeſprochen. Jeden⸗ 
falls iſt nicht anzunehmen, daß die Koſtenerſatzpflicht 
eine verſchiedenartige iſt, je nachdem es ſich um die 
Vollſtreckung eines Urteils oder um die Vollziehung 
einer einſtweiligen Verfügung handelt. Dieſe Grund⸗ 
ſätze ſind von dem Berufungsrichter, der den Anſpruch 
auf Erſatz der 415.37 M Koſten in voller Höhe abweiſt, 
verkannt worden. Die Aberkennung der 415,37 M 
kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß nach 8 945 
ZPO. die aus der Anordnung der einſtweiligen Ver⸗ 
fügung erwachſenen Koſten nicht zu erſtatten ſeien. 
(Urt. des IV. 3S. vom 15. Mai 1911, IV 478/1910). 
2369 E. 


IV. 


Ir § 833 B58B.: Verletzung durch eine willkürliche 
Handlung des Tieres; Haftung nach $ 833 Satz 2 trotz 
Beſtellung eines tauglichen Tierhüters. Aus den 
Gründen: Ein Bäckerfuhrwerk der Beklagten ſtand 
mit einem Pferde der Beklagten beſpannt vor einem 
Hauſe in der B.ſtraße in R., während der Kutſcher 
ſich zum Beſuch eines Kunden in das Haus begeben 
hatte. Der Kläger kam mit ſeinem Zweirad in der 
Richtung, in der der Wagen ſtand, vorſchriftsmäßig 
auf der rechten Straßenſeite gefahren und wollte an 
dem Wagen von hinten her vorbeifahren. Als er 
neben dem Wagen war, ſetzte ſich das Pferd in Be⸗ 
wegung und zwar nicht nach vorne, ſondern es begann 
fofort nach links eine Kehrtwendung zu machen. Dabei 
ſtieß es mit der Schnauze den Kläger an, ſodaß er 
mit feinem Rad zu Fall kam. Das Pferd, das regel⸗ 
mäßig dazu verwendet wurde, Backwaren zu den Ab⸗ 
nehmern der Beklagten zu fahren, hatte die Gewohnheit 
ſich ſchon wieder in Bewegung zu ſetzen, wenn der 
Kutſcher nach Erledigung ſeiner Geſchäfte aus dem 
Hauſe und zum Wagen kam. Dies war auch der Fall, 
als der Kläger gerade neben dem Wagen war. Das 
Pferd kannte auch die zu beſuchenden Häuſer und 
wußte, daß das Haus, vor dem der „Wagen damals 
hielt, das letzte der zu beſuchenden in jener Straße 
war! es wendete deshalb aus eigenem Antrieb zur 
Rückfahrt um. Die Reviſion machte in erſter Reihe 
geltend, es liege überhaupt nn von einem Tier ver: 
urſachter Schaden i. S. des 8 833 BGB. vor, weil 
das Pferd nicht aus eigenem unkontrollierbarem An⸗ 
trieb, ſondern in gewohnter Erfüllung einer Weiſung 
des Lenkers gehandelt habe. Aus den Feſtſtellungen 
des Berufungsgerichts ergibt ſich jedoch nicht, daß das 
vorzeitige Anziehen des Pferdes auf eine Weiſung oder 
ſonſtige Einwirkung des Kutſchers zurückzuführen geweſen 
wäre, ſondern nur, daß der Kutſcher für die Regel dem 
eigenmächtigen Verhalten des Tieres nicht entgegen— 
getreten iſt. Jedenfalls aber hat im Augenblick des 
Zuſammenſtoßes das Pferd ſich nicht entſprechend dem 
Willen des Kutſchers verhalten; denn der Kutſcher hat 
bekundet, daß er beim Aufſteigen auf den Wagen den 
Kläger herankommen ſah und ſofort das Pferd zurück— 
hielt, ohne aber den Zuſammenſtoß noch verhindern 
zu können. Weiter meint die Reviſion, 
der Beklagten ſei nach 8 833 Say 2 dadurch aus: 
geſchloſſen, daß ſie bei Beaufſichtigung des Tieres die 
im Verkehr erforderliche Sorgſalt beobachtet habe. 
Es fragt ſich hier zunächſt, ob die Haftung des Tier— 
halters ohne weiteres dadurch ausgeſchloſſen wird, 
daß das Tier zur Zeit der Schadenſtiftung ſich unter 
der Aufſicht einer Hilfsperſon befunden hat, bei deren 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. Rechtspflege in B in Bayern. 


die Haftung, 


des dem Beklagten macht, 


Beſtellung der Tierhalter die im Verkehr erforderliche 


1911. Nr. 19. 


Sorgfalt beobachtet hat. Die Frage iſt zu verneinen. 
Der Begriff der Beaufſichtigung in 8 833 Satz 2 er⸗ 
ſchöpft ſich keineswegs in allen Fällen in der Beſtellung 
eines tauglichen Tierhüters: der Umfang der Aufſichts⸗ 
pflicht des Tierhalters wird vielmehr durch die Eigen⸗ 
ſchaften des einzelnen in Betracht kommenden Tieres 
und durch die Art ſeiner Verwendung beeinflußt. Hat 
das Tier Eigenheiten, die die Gefahr der Schadens⸗ 
ſtiftung bei ſeiner Benutzung erhöhen, oder wird es 
in einer Weiſe verwendet, die eine ſolche erhöhte Ge⸗ 
fahr mit ſich bringt, ſo können unter Umſtänden zur 
Abwehr dieſer Gefahr poſitive Anordnungen notwendig 
werden, die über die Befugniſſe des beſtellten Tier⸗ 
hüters hinausgehen und ein eigenes Eingreifen des 
Tierhalters unumgänglich erſcheinen laſſen. Dabei 
iſt es zur Begründung des Fortbeſtehens der Haftung 
aus 8 833 BGB. nicht etwa erforderlich, daß das 
Unterlaſſen des eigenen Eingreifens des Tierhalters 
zugleich auch gegen 8 823 BGB. verſtößt, wenngleich 
dies häufig der Fall ſein wird. Das Berufungsgericht 
ſtellt nun feſt, daß das Pferd Eigenſchaften hatte, die 
in Verbindung mit der von der Beklagten angeord⸗ 
neten Verwendung auf den Straßen der Großſtadt 
eine geſteigerte Gefahr der Schadenſtiftung mit ſich 
brachten, und daß zum mindeſten die Neigung des 
Pferdes zum Scheuen der Beklagten bekannt war Hier⸗ 
nach war für die Beklagte eine über die Beſtellung 
eines tauglichen Tierhüters hinausgehende Aufſichts⸗ 
pflicht i. S. des vorſtehend Erörterten gegeben. (Urt. 
des IV. 3S. vom 6. April 1911, IV 394 / 1910). E. 
2362 


V. 


Haftung des Tierhalters 2. 4 833 Satz 2 363. 
trotz Beſtellung eines tauglichen Tierhüters. Aus 
den Gründen: Die Reviſion ſcheint auf dem Stand⸗ 
punkte zu ſtehen. daß der Tierhalter im Falle der 
Annahme eines Tierhüters der in 8 833 Satz 2 BGB. 
bezeichneten Sorgfaltspflicht genüge, wenn er bei der 
Auswahl des beſtellten Tierhüters die im Verkehr 
erforderliche Sorgfalt beobachtet. Dieſe Anſicht findet 
ſich hier und da auch in der Rechtslehre vertreten. 
Der Senat hat aber bereits in den Urt. vom 6. und 
27. April 1911 IV 394/10 und IV 437/10 ausge- 
ſprochen, daß ſich die im 8 833 Satz 2 BGB. beſtimmte 
Pflicht zur Beaufſichtigung des Tieres keineswegs in 
der Beſtellung eines tauglichen Tierhüters erſchöpft. 
Im Urteile vom 6. April iſt geſagt, der Umfang der 
Aufſichtspflicht werde vielmehr durch die Eigenſchaft 
des einzelnen in Betracht kommenden Tieres und durch 
die Art ſeiner Verwendung beeinflußt; habe das Tier 
Eigenheiten, die die Gefahr der Schadensſtiftung bei 
ſeiner Benutzung erhöhten, oder werde es in einer 
Weiſe verwendet, die ſolch eine erhöhte Gefahr mit 
ſich bringe, fo könnten unter Umſtänden zur Abwen⸗ 
dung dieſer Gefahr poſitive Anordnungen erforderlich 
werden, die über die Befugniſſe des beſtellten Tier⸗ 
hüters hinausgingen und ein eigenes Eingreifen des 
Tierhalters unumgänglich erſcheinen ließen. Aehnlich 
iſt im Urt. vom 27. April ausgeführt, daß der Tier⸗ 
halter über die Beſtellung eines geeigneten Tierhüters 
hinaus für jede Vernachläſſigung der im Verkehr er— 
forderlichen Sorgſalt bei der Beaufſichtigung des Tieres 
hafte. An dieſen Sätzen iſt feſtzuhalten. Tut man 
das aber und berückſichtigt man dabei, daß kein Grund 
vorliegt den Begriff der Beaufſichtigung des Tieres 
eng zu faſſen, daß er vielmehr unter Umſtänden auch 
die Verwendung des Tieres umfaßt, wie erwähnt und 
in den Reichstagsverhandlungen (Sten Ber. 1907,08 
S. 2673) vom Staatsſekretär des Reichsjuſtizamts 
ausdrücklich hervorgehoben wurde, ſo iſt es nicht rechts— 
irrig, wenn das Berufungsgericht den Vorwurf, den 
als noch in den Rahmen 


der dem Tierhalter nach 8 833 Satz 2 BGB. ob⸗ 


— nn — — 


liegenden Verpflichtung zur Beaufſichtigung des Tieres 
fallend angeſehen und behandelt hat. Zu entſcheiden 
iſt alſo nur noch, ob der Berufungsrichter mit Recht 
in dem von ihm geſchilderten Verhalten des Beklagten 
ein Verſchulden, eine Vernachläſſigung der im Verkehr 
erforderlichen Sorgfalt gefunden hat. Der Kläger 
hatte beim Train gedient und verſtand ſich auch im 
Alter noch auf die Wartung eines Pferdes; auch hatte 
der Zeuge D. ſchon einmal ungefährdet mit dem Pferde 
Klee in einem Karren geholt. Das OLG. iſt deshalb 
vielleicht weit gegangen, wenn es trotzdem angenommen 
hat, der Beklagte habe, als er dem 62 jährigen Kläger 
den Auftrag zum Heuholen gab, als vorſichtiger Mann 
damit rechnen müſſen, daß das Pferd, ein Reitpferd, 
dazu nach mehrtägigem unbeſchäftigtem Stehen im 
Stalle gebraucht werden würde und daß es dann unter 
dem fremden Geſchirr und unter der ihm ungewohnten 
Tätigkeit ſo wild werden könne, daß der Kläger es 
nicht zu bändigen verſtehen werde. Es fragt ſich aber, 
ob das OLG. zu weit gegangen iſt, ob ſeine Anſicht 
eine Ueberſpannung des Begriffs der im Verkehr er⸗ 
forderlichen Sorgfalt enthält, ſodaß ſie rechtlich zu 
beanſtanden wäre, und dieſe Frage muß verneint 


werden. (Urt. des IV. 35. vom 18. Mai 1911, IV 
379/1910). E. 
2368 
VI. 
Der in 


3a HaftpflG. tz ei Anſpruch auf 
Erſatz der Heilungskeſten wird durch einen Unterhalts⸗ 
auſpruch des Verletzten nicht berührt. Aus den 
Gründen: Nach 8 3a Haftpfl. wird durch den 
Betriebsunfall für den Verletzten gegen den Unter⸗ 
nehmer ein Anſpruch auf Erſatz der Koſten der 
Heilung begründet. Allerdings kennzeichnet das Ge⸗ 
ſetz dieſen Anſpruch als einen Schadenserſatzanſpruch; 
es ſetzt alſo eine Vermögens benachteiligung des Er⸗ 
ſatzberechtigten voraus. Das Geſetz geht aber da— 
von aus, daß dem Verletzten durch die Notwendigkeit 
der Aufwendung von Koſten für feine Heilung regel⸗ 
mäßig ein Vermögensnachteil erwächſt (RG. 47, 213). 
Es hat deshalb die Haftpflicht des Betriebsunter⸗ 
nehmers ohne Rückſicht auf die beſtehende Unterhalts- 
pflicht eines Dritten geregelt. Dieſer Grundſatz iſt in 
§ 7 Haftpfl ö., welcher die Schadenserſatzpflicht 
wegen Aufhebung und Minderung der Erwerbsfähig— 
keit und wegen Vermehrung der Bedürfniſſe des Vers 
letzten regelt, noch dadurch beſonders zum Ausdruck 
gebracht, daß die Vorſchrift des 8 843 Abſ. 4 BGB. 
für entſprechend anwendbar erklärt wird. Die Be⸗ 
ſtimmung des 8 843 Abf. 4 BGB., wonach der Schadens⸗ 
erſatzanſpruch des Verletzten dadurch nicht ausge— 
ſchloſſen wird, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt 
zu gewähren hat, bezieht ſich zwar ihrem Wortlaut 
nach zunächſt auch nur auf die Fälle der Aufhebung 
oder Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Ver⸗ 
mehrung der Bedürfniſſe des Verletzten. Nach der 
Entſtehungsgeſchichte dieſer Geſetzesvorſchrift beſteht 
aber kein Zweifel daran, daß damit ein allgemeiner, 
den ganzen Inhalt der Schadenserſatzpflicht wegen 
Verletzung des Körpers oder der Geſundheit um— 
faſſender Grundſatz aufgeſtellt werden ſollte. Auch 
der Anſpruch auf Erſatz der Heilungskoſten wird 
daher durch einen dem Verletzten ſeinen Verwandten 
gegenüber zuſtehenden geſetzlichen Unterhaltsanſpruch 
grundſätzlich nicht berührt (RGZ. 65, 163). Auch für 
das Gebiet des Haftpfl. hat infolge der Bezug— 
nahme auf 8 843 Abſ. 4 BGB. in 8 7 dieſes Geſetzes 
der gleiche Grundſatz Geltung. Die Annahme des 
Berufungsgerichts, daß der Anſpruch auf Erſtattung 
der Heilungskoſten nicht dem ſiebenjährigen Kläger, 
ſondern deſſen Vater zuſtehe, verletzt daher das Geſetz. 
(Urt. des VI. 35. vom 19. Juni 1911, VI 364/1910). 
2328 E. 


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VII. 


Mt der Rechtsweg zuläſſig, wenn ein zur Ruhe ge⸗ 
ſezter Beamter eine Gehaltsferderung mit der Be: 
gründung geltend macht, daß die Zurruheſetzung nurecht⸗ 
mäßig ſei? Aus den Gründen: Der auf den 1. Februar 
1908 in den Ruheſtand verſetzte Kläger fordert Gehalt von 
dieſem Zeitpunkt ab, da die Zurruheſetzung unrechtmäßig 
ſei. Die Entſcheidung über Verſetzung in den Ruheſtand 
ſteht allein den Verwaltungsbehörden zu und iſt für 
die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten 
vermögensrechtlichen Anſprüche maßgebend. Der Kläger 
macht die Gehaltsforderung nur geltend, damit die 
Frage der Zurruheſetzung richterlich anders ent⸗ 
ſchieden werde. Das iſt keine bürgerliche Rechts⸗ 
ſtreitigkeit, wie der jetzt erkennende Senat ſchon früher 
(RG Z. 70, 398) und für einen dem vorliegenden gleichen 
Tatbeſtand i. S. K. wider den Landesfiskus von 
Elſaß⸗Lothringen durch Urt. vom 11. März 1910, 
Rep. III 582/09 entſchieden hat. Die Einkleidung des 
Klagebegehrens in eine Geldforderung vermag deſſen 
eigentlichen und alleinigen Inhalt, nämlich das Ver⸗ 
langen, daß der Richter eine ihm gerade entzogene 
Frage entſcheide, nicht zu ändern. Die aus einem 
öffentlichrechtlichen Grunde — der Zurruheſetzung — 
ſofort und zweifellos folgende Grundloſigkeit des er⸗ 
hobenen Geldanſpruchs zeigt, daß der Richter nicht 
eine Vorfrage, ſondern nichts mehr zu entſcheiden hat. 
Der bei Zulaſſung des Rechtswegs notwendige Spruch 
auf Abweiſung der Klage als einer unbegründeten 
wäre nur eine Deklaration der ſelbſtverſtändlichen 
rechtlichen Bedeutung der Zurruheſetzung. Eine der⸗ 
artige Deklaration, die das Ergebnis eines bürger⸗ 
lichen Rechtsſtreits eben nicht iſt, will der Kläger ſelbſt 
nicht; er will vielmehr und hält rechtsirrig für zu⸗ 
läſſig, daß der Richter die Zurruheſetzung ſelb— 
ſtändig nachprüfe und aufhebe, und nur auf dieſe von 
ihm verlangte Aufhebung ſtützt er feine Geldforderung. 
Die vom LG. zutreffend begründete Verſagung des 
Rechtswegs ſteht mit der vom Berufungsgericht an⸗ 
geführten Rechtſprechung des RG. nicht im Wider⸗ 
ſpruch: Die Entſcheidungen in ZS. 59, 162 und 69, 
183 kommen überhaupt nicht in Betracht; die Ent⸗ 
ſcheidung 57, 78 hatte eine andere Frage (Nachbringung 
der Vorentſcheidung des Kreisausſchuſſes) zum Gegen⸗ 
ſtande, und in Gruchots Beitr. 1902, 1190 iſt eben nicht 
geprüft, ob der Klageantrag einen wirklichen vermögens— 
rechtlichen Anſpruch enthielt. (Urt. des III. ZS. vom 
13. Juni 1911, III 243/1910). E. 

2361 


VIII. 


Ginfluß der Auſtellung eines penſisnierten Offiziers 
bei der Reichsbank auf 7 Benfionsbezun. Aus 
den Gründen: Die Vorinſtanzen haben die Klage 
abgewieſen, weil das Recht auf den Bezug der Militär⸗ 
penſion des Klägers, welcher im Jahr 1897 als 
Leutnant der Reſerve mit einer Jahrespenſion von 
487 M verabſchiedet worden und ſeit 1900 bei der 
Reichsbank mit einem Jahresgehalt von jetzt über 
4000 M angeſtellt iſt, nach Erreichung dieſes Gehalts 
ruhe. Dieſe Entſcheidung iſt zu billigen. Maßgebend 
für die Beurteilung der Frage iſt zunächſt das 
Off Penſ S. vom 31. Mai 1906 (3 41 Abſ. 1 Eingang 
und Ziff. 6 ſowie $ 24). Nach der letzteren Beſtim⸗ 
mung iſt das Ruhen der Penſion durch eine Anſtellung 
im Zivildienſt bedingt, als welche i. S. des Geſetzes 
(Abſ. 2) jede Anſtellung als Beamter oder in der 
Eigenſchaft eines Beamten im Reichs-, Staats- oder 
Kommunaldienſte gilt. Daß die Beamten der Reichs— 
bank unmittelbare Reichsbeamte ſind und als ſolche 
im Dienſte des Reiches ſtehen, iſt nach der im BankG. 
vom 14. März 1875 (88 12—41) der Reichsbank ge— 
gebenen Verfaſſung und Zweckbeſtimmung, ſowie der 


| dort ihren Beamten gegebenen Stellung nicht zu be— 


388 


zweifeln. Dieſe ihre Eigenſchaft wird nicht dadurch 
beeinträchtigt, daß nicht der Reichsfiskus, ſondern die 
Anteilseigner der Bank Eigentümer des Bankver⸗ 
mögens ſind und daß die Beſoldungen dieſer Beamten 
nicht aus der Reichskaſſe, ſondern aus der Kaſſe der 
Reichsbank entrichtet werden. Zutreffend iſt dies ſchon 
in den früheren Entſcheidungen des RG. 36, 141; 
45, 123 dargelegt worden; von ihnen abzugehen liegt 
keinerlei Grund vor. Auf die Beamten der Reichs- 
bank trifft jedenfalls auch die Beſtimmung des 8 24 
Off Penſc. zu, daß fie in der Eigenſchaſt von Reichs⸗ 
beamten im Reichsdienſte angeſtellt ſind. Mit dieſer 
Norm ſollten nach der Begründung des Geſetzes 
(Reichst. 11. Legisl.⸗P. II. Seſſ. 1905 / 1906 Nr. 13 Anl. J) 
gerade die Beamten getroffen werden, welche die 
gleichen Rechte und Pflichten haben wie Reichsbeamte, 
wenn ſchon ſie ihre Bezüge nicht aus Reichsmitteln 
erlangen, wie z. B. die Beamten der Reichsbank, der 
Seehandlung u. a. Daß auch die weiteren, die Höhe 
des Einkommens betreffenden Vorausſetzungen für das 
Ruhen der Penſion i. S. des § 24 Abſ. 1 gegeben find, 
iſt den zutreffenden, von der Reviſion nicht ange⸗ 
griffenen Darlegungen der Vorinſtanzen zu ent⸗ 
nehmen. Ein anderes Ergebnis iſt auch nicht aus 
dem MilPenfG. vom 27. Juni 1871 in der Faſſung 
vom 22. Mai 1893 zu folgern, das für den Fall einer 
dem Penſionär günſtigeren Rechtslage anzuwenden 
wäre (8 43 OffPenſG. von 1906). Nach jenem Ge⸗ 
ſetze ſoll (vgl. 8 33 Ubi. 16 und Abſ. 2) das Recht 
auf den Bezug der Penſion ruhen, wenn und ſolange 
der Penſionär im Reichs- oder Staatsdienſte ein 
Dienſteinkommen bezieht. Der Kläger verneint das 
Vorhandenſein dieſer Vorausſetzung, weil er ſein Ge— 
halt nicht vom Reichsfiskus, ſondern aus der Kaſſe 
der Reichsbank erhalte. Damit würde aber eine Vor— 
ausfetzung in das Geſetz hineingetragen, die ihm un— 
bekannt iſt. Nach dem klaren Wortlaut iſt die Vor— 
ausſetzung des Ruhens der Penſion lediglich die An— 
ſtellung im Reichsdienſt und der damit verbundene 
Bezug eines Dienſteinkommens. Das Geſetz ſpricht 
nicht davon, aus welchen Mitteln das Dienſteinkommen 
zu fließen habe. Es kann auch nicht als eine ſelbſt— 
verſtändliche Vorausſetzung unterſtellt werden, daß 
gerade der Dienſtherr das Dienſteinkommen entrichte. 
Weſentlich iſt nur die Art der Anſtellung im Reichs— 
oder Staatsdienſt — im Gegenſatz zum Kommunal- 
und Privatdienſt — und der aus dieſer Dienſtſtellung 
fließende Bezug des Dienſteinkommens: unerheblich 
dagegen iſt, aus welchen Mitteln der Bezug erfolgt. 
Die Erheblichkeit der Bezugsquelle wäre nur dann 
zu bejahen, wenn dies im Geſetze in irgend einer 
Weiſe zum Ausdruck gekommen wäre. Dies iſt aber 
für die Offiziere in § 53 a. a. O. nicht geſchehen. Zwar 
findet ſich für die Penſionsverhältniſſe der Per— 
ſonen der Unterklaſſen in 8 106 desſelben Geſetzes die 
Beſtimmung, daß unter Zivildienſt jeder Dienſt zu 
verſtehen iſt, für den ein Entgelt aus einer öffent— 
lichen Reichs- oder Staatskaſſe gezahlt wird. Mit 
Rückſicht auf die beſondere Entſtehungsgeſchichte dieſer 
letzteren Beſtimmung iſt denn auch vom RG. in der 
Entſcheidung 36, 141 das Ruhen der Militärpenſion 
eines bei der Reichsbank angeſtellten früheren Ser— 
geanten verneint worden. Die Befreiung der bei der 
Reiche bank angeſtellten Perſonen der Unterklaſſen von 
dem Ruhen der Penſion rechtſertigt aber keineswegs, 
wie der Kläger meint, aus dem Geſichtspunkt der 
Gleichberechtigung die Annahme, daß dasſelbe auch 
für die Offiziere zu gelten habe. Die Penſionsverhält— 
niſſe beider Klaſſen ſind von Anfang an äußerlich ge— 
ſondert unter durchaus verſchiedenen Vorausſetzungen 
und Ausgeſtaltungen geregelt worden, ſo daß ſich 
eine wechſelſeitige Uebertragung der geſetlichen Bes 
ſtimmungen verbietet. Im Gegenteil fuhrt die Tat: 
ſache, daß S 106 die Zahlung aus Mitteln des Reichs 
uſw. hervorhebt, 8 33 dies aber nicht tut, zu dem 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


Schluſſe, daß das Geſetz in letzterem Fall auf die Be⸗ 
zugsquelle keinen Wert gelegt hat. Zu Unrecht be⸗ 
ruft ſich der Kläger für ſeine Auslegung auf den 
Zweck der über das Ruhen der Penſion gegebenen 
Beſtimmungen, der dahin gehe, daß der Penſionär, 
der aus Reichsmitteln ein auskömmliches Einkommen 
habe, nicht auch noch daneben die gleichfalls aus 
Reichsmitteln ſtammende Militärpenſion bekommen 
ſolle; er ſucht hieraus abzuleiten, daß ein Ruhen ſeiner 
Penſion vom Geſetze nicht gewollt ſei, weil fein Ein⸗ 
kommen nicht aus Reichsmitteln bezahlt werde. Allein 
die Annahme, daß das Geſetz nur dann das Ruhen 
der Militärpenſion gewollt habe, wenn letztere und 
das Zivildienſteinkommen aus derſelben Kaſſe 1 
werden, verbietet ſich ſchon nach dem Inhalt des 8 33, 
wonach ja auch die Anſtellung im Staatsdienſt im 
Gegenſatz zum Reichsdienſt das Ruhen rechtfertigt, 
und mehr noch nach der Faſſung von 1871, wo auch 
der Kommunaldienſt gleichgeſtellt iſt. Der geſetz⸗ 
geberiſche Gedanke war vielmehr nur der, daß der 
Penſionär, wenn er eine i. S. des Geſetzes auskömm⸗ 
liche Stellung im öffentlichen Dienſt erlangt habe, 
während der Dauer dieſer Inhaberſchaft keinen An⸗ 
ſpruch auf die Militärpenſion haben ſolle. Endlich 
hat der Kläger noch aus der Neuredaktion des 8 33 
des früheren Geſetzes von 1893 in 8 24 des jetzigen 
Geſetzes von 1906 einen Rückſchluß auf den Inhalt 
des früheren Geſetzes gezogen. Nach feiner Behaup— 
tung ſoll aus der Einſchaltung der Worte in 8 24 
Abſ. 2: „in der Eigenſchaft eines Beamten“ in Ver⸗ 
bindung mit der oben wiedergegebenen Geſetzes⸗ 
begründung hervorgehen, daß unter der Herrſchaft 
des früheren Geſetzes die Reichsbankbeamten von § 33 
nicht betroffen worden ſeien. Dieſer Schluß iſt jedoch 
nicht gerechtfertigt. Die Neuredaktion diente nur zur 
vollſtändigen Klarſtellung, daß dieſe Beamten den 
Beſtimmungen über das Ruhen der Penſion unter⸗ 
liegen, was in der Praxis zweifelhaft geworden war; 
einen Schluß auf einen der Auslegung des Klägers 
entſprechenden Willen des früheren Geſetzgebers läßt 
fie nicht zu. (Urt. des III. ZS. vom 30. Mai 1911, 
IIT 597/1910). E. 


2.359 
B. Strafſachen. 


I. 

1. Wer iſt i. S. des 5 6 PreßG. als Drucker eine 
nicht in einer Druckerei, ſondern von dem Berbreiter 
ſelbſt mit einer fremden Handpreſſe hergeſtellten Druck⸗ 
ſchrift anzuſehen? 

2. Liegt zwiſchen dem durch die Verbreitung einer 
Druckſchrift verübten Vergehen und einer bezüglich der: 
ſelben Druckſchrift begangenen Verfehlung nach 8% 6, 18 
oder 19 Preß G. Ideal⸗ oder Nealkonkurrenz vor? 1. Der 
Angeklagte hat fi auf dem Flugblatte ſelbſt als „für 
den Druck verantwortlich! bezeichnet und dazu be⸗ 
hauptet, daß er die Druckſchrift mittels einer einem 
anderen gehörigen Handpreſſe ſelbſt hergeſtellt 
habe. Das LG. bezeichnet die letztere Behauptung 
nicht als widerlegt, geht vielmehr ſelbſt von dem be— 
haupteten Sachverhalt aus, gelangt aber zur Ver— 
urteilung des Angeklagten aus Sb PreßG. auf Grund 
der Rechtsanſchauung, daß in ſolchem Falle die vor— 
geſchriebene Angabe des Namens und Wohnorts des 
Druckers nur dann vollſtändig und richtig ſei, wenn 
auch Name und Wohnort des Inhabers der Hand— 
preſſe auf der Druckſchrift genannt ſeien. Dieſe Rechts⸗ 
anſchauung kann in ſolcher Allgemeinheit nicht gebilligt 
werden. Zutreffend iſt nur, daß in dem Regelfalle 
der Entſtehung einer Druckſchrift in einer gewerblichen 
Druckerei nicht der zur Ausführung verwendete Ges 
werbegehilſe oder Arbeiter, ſondern der Inhaber des 
Betriebs, alſo zumeiſt der Eigentümer der Druckerei, 


Nr. 19. 


als „Drucker“ i. S. des 86 Prei®. zu erachten iſt. 
Dafür aber, daß in den Fällen, in denen nicht inner⸗ 
halb einer Druckerei, ſondern außerhalb einer ſolchen 
von einem Privaten auf einer Handpreſſe eine Druck⸗ 
ſchrift hergeſtellt iſt, unter allen Umſtänden der Eigen⸗ 
tümer der Preſſe „als Drucker“ zu erachten und des⸗ 
halb auf der Druckſchrift anzugeben wäre, findet ſich 
weder im Wortlaute des Geſetzes ein Anhalt noch in 
ſeinem Sinn und Zweck, noch iſt in dieſer Richtung 
ein Grundſatz durch die Rechtſprechung entwickelt 
worden. Es iſt ſehr wohl möglich, daß im Falle 
eines ſolchen privaten Drucks der Eigentümer der 
Preſſe außer allem Zuſammenhange mit dem Betriebe 
ſteht oder doch nicht in einem Zuſammenhange, der 
es rechtfertigen würde ihn als „Drucker“ zu bezeichnen 
und verantwortlich zu machen. Lag ein ſolcher Fall 
vor, und dies iſt nach den Feſtſtellungen des LG. nicht 
ausgeſchloſſen, ſo war die Nennung des Eigentümers 
auf dem Flugblatte nicht erforderlich und, da die 
Verurteilung des Angeklagten nur wegen dieſer Unter⸗ 
laſſung erfolgt iſt, die Verurteilung nicht gerechtfertigt. 
Anderſeits ſind die Feſtſtellungen des LG. nicht derart, 
daß ſofort die Freiſprechung von der Anſchuldigung 
des Preßvergehens erfolgen könnte. Dies um ſo 
weniger, als der Erſtrichter, weil er das Vorliegen 
eines Vergehens nach 88 6, 18 PreßGG. annahm, nicht 
in der Lage war, zu prüfen, ob durch die Worte 
„Verantwortlich für den Druck Karl B. in D.“ der 
Angeklagte in geſetzmäßiger Weiſe als „Drucker“ des 
Flugblattes angegeben iſt oder ob dieſe Faſſung den 
Drucker nicht mit hinreichender Deutlichkeit erſehen 
läßt und deshalb eine Beſtrafung nach SS 6, 19 
Nr. 1 PreßG. veranlaßt iſt. 

2. Die hiernach unvermeidliche Zurückverweiſung 
der Sache im Punkte des Preßvergehens zieht aber 
auch die Aufhebung der Verurteilung wegen Vergehens 
i. S. des 8 130 StGB. notwendig nach fi. Die Zu: 
widerhandlungen gegen die §8 6, 18, 19 PreßG. voll⸗ 
enden ſich durch das Erſcheinenlaſſen der mit unge⸗ 
nügender oder unrichtiger Bezeichnung des Druckers, 
Verlegers und Redakteurs verſehenen Druckſchrift. 
Das Erſcheinenlaſſen aber trifft für die Regel — und 
daß ein Ausnahmefall vorliege, iſt nicht feſtgeſtellt — 
mit dem Beginne der Verbreitung der Druckſchrift zu- 
ſammen. Durch die Verbreitung der Druckſchrift iſt 
aber nach den Feſtſtellungen des LG. hier zugleich auch 
das Vergehen gegen 8 130 StGB. begangen. Nach 
natürlicher Auffaſſung handelt es ſich in derartigen 
Fällen regelmäßig um Begehung mehrerer Straftaten 
durch ein und dieſelbe Handlung (Idealkonkurrenz 
§ 73 StGB.). Es bedurfte darum beſonderer Be— 
gründung, wenn ausnahmsweiſe eine Mehrheit von 
ſelbſtändigen Handlungen angenommen werden ſollte. 
Da es an einer ſolchen Begründung in dem ange— 
ſochtenen Urteil vollkommen fehlt, ſo iſt nicht ausge⸗ 
ſchloſſen, daß ein Rechtsirrtum vorliegt und daß ohne 
deſſen Vorliegen anders entſchieden worden wäre. 
(Urt. d. V. StS. vom 30. Mai 1911, 5 D 345/1911). 

2326 E. 


II. 


Vermiſchung von Traubenmoſten untereinander oder 
mit Wein. Verneinung der Fahrläſſigkeit, wenn eine 
Zuckerung dadurch erfolgt ſein ſoll, daß ausländiſcher 
Wein mit gezuckertem inländiſchem Weine nach Be: 
endigung der ſtürmiſchen Gärung verſchnitten wurde. 
Die Meinung, daß Traubenmoſte untereinander oder 
Wein mit Traubenmoſt nicht vermiſcht werden dürften, 
findet im Geſetz keine Stütze. §S 2 Wein. geſtattet 
die Herſtellung von Wein aus „Erzeugniſſen“ ver— 
ſchiedener Herkunft, und 8 12 erläutert ausdrücklich, 
daß 8 2 auch auf Traubenmoſt Anwendung finde. 
Auf den Zweck, den der Angeklagte mit dem Ver— 
ſchnitt verfolgte, kommt es nicht an. Die Zufuͤhrung 
von Extraktſtoffen iſt, wenn fie lediglich durch einen 


— mn lm — —— 


vom Geſetz zugelaſſenen Verſchnitt erfolgt, nicht ver⸗ 
boten. Daß der Angeklagte nicht vorſätzlich gehandelt 
hat, iſt rechtlich einwandfrei feſtgeſtellt. Aber auch 
Fahrläſſigkeit konnte nach dem Sachverhalt ohne 
Rechtsirrtum verneint werden und die Verneinung 
iſt auch ausreichend begründet. Das LG. nimmt die 
Möglichkeit an, daß gezuckerter Wein auch nach der 
Beendigung der ſtürmiſchen Gärung noch etwas Zucker 
enthalte, läßt es aber unentſchieden, ob der ſolchem 
Wein zugeſetzte ausländiſche Wein durch den Verſchnitt 
indirekt ſelbſt gezuckert werde. Jedenfalls ſchließt ſie 
eine Fahrläſſigkeit des Angeklagten aus, weil er ein 
einfacher Mann ſei und von ihm die Kenntnis der 
nur bei ſtreng wiſſenſchaftlicher Betrachtung erkenn⸗ 
baren Tatſache, daß auch nach der erſten Gärung eines 
gezuckerten Weines noch ein Zuckergehalt in dem Wein 
zurückbleibt, nicht verlangt werden könne. Der An⸗ 
geklagte habe ſich aus dem Württembergiſchen Wochen⸗ 
blatt für Landwirtſchaft dahin unterrichtet, daß man 
ausländiſchen Wein nicht mit inländiſchem gezuckerten 
Wein verſchneiden dürfe, ehe letzterer vergoren habe, 
und er habe ſich durch Horchen davon überzeugt, daß 
der Wein nicht mehr „‚ſchoſſe“. Damit ift geſagt, daß 
der Angeklagte nach ſeinen Fähigkeiten nicht voraus⸗ 
ſehen konnte, daß in dem inländiſchen Wein noch 
Zucker enthalten ſei, und damit wird die Freiſprechung 
von dem Vergehen des 8 29 Nr. 6 Wein. getragen. 
Es bedarf daher nicht der Erörterung, ob auch die 
in der Literatur vertretene Anſicht richtig iſt, daß, 
wenn der aufgezuckerte inländiſche Wein die ſtürmi⸗ 
ſche Gärung überſtanden hat, er unbeanſtandet mit 
ausländiſchem Moſt oder Wein verſchnitten werden 
könne. (Urt. des I. StS. vom 13. Februar 1911, 
1 D 260/1911). E. 


2367 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Können ſtatutenwidrige Beſchlüſſe der General: 
verſammlung einer Gensſſenſchaft dadurch rechtswirkſam 
werden, daß die Anfechtung unterbleibt? (Gen. 88 16, 
51). Nach 8 39 b des Statuts des Darlehenskaſſen⸗ 
vereins Z., e. G. m. u. H., können 8 31 des Statuts 
ſowie 8 39 b ſelbſt und einige andere Beſtimmungen 
des Statuts nur geändert werden, „wenn alle Mit⸗ 
glieder des Vereins dafür ſtimmen und zwar in vor⸗ 
ſchriftsmäßiger Sitzung“. In der Generalverſamm— 
lung vom 1. Mai 1910 wurde einſtimmig eine neue 
Satzung beſchloſſen, die ſich von der früheren weſent⸗ 
lich unterſcheidet. Während z. B. das frühere Statut 
im 8 31 mit 8 23 c einen jährlich unter die Mit⸗ 
glieder zu verteilenden Gewinn vorſieht, iſt in § 55 
der neuen Satzung über die Verwendung des Gewinns 
eine andere Beſtimmung getroffen; auch über die 
Aenderung der Satzung enthält der 8 65 der neuen 
Satzung zum Teil andere Beſtimmungen als der 8 39 b 
des bisherigen Statuts. In dem Vorlageberichte des 
Darlehenskaſſenvereins vom 1. Mai 1910 iſt bemerkt, 
daß die Zahl der Mitglieder 178 beträgt und daß da— 
von in der Generalverſammlung 98 erſchienen waren. 
Das Regiſtergericht lehnte die Eintragung des neuen 
Statuts wegen Verletzung des § 39b der noch gelten- 
den Satzung ab. Das LG. wies die Beſchwerde, das 
Obe G. auch die weitere Beſchwerde des Darlehens— 
kaſſenvereins zurück. 

Gründe: In Uebereinſtimmung mit dem Be— 
ſchluſſe vom 14. Oktober 1910) iſt auch jetzt daran 
feſtzuhalten, daß das Regiſtergericht den General— 
verſammlungsbeſchluß einer Genoſſenſchaft zu bean— 
ſtanden hat, wenn aus der Anmeldung hervorgeht, 


1) Siehe 6. Jahrgang dieſer Zeitſchrift S. 432. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


daß bei deſſen Faſſung gegen das Geſetz oder gegen 
das Statut verſtoßen worden iſt. Das Beſchwerde⸗ 
gericht hat einwandfrei feſtgeſtellt, daß der General⸗ 
verſammlungsbeſchluß vom 1. Mai 1910 gegen den 
$ 39 b des noch geltenden Statuts ſchon deshalb ver⸗ 
ſtößt, weil nicht alle Mitglieder dafür geſtimmt haben, 
obwohl er eine ron des § 31 über die Feſt⸗ 
ſetzung der Dividende und die Verteilung des Gewinns 
enthält. Die Entſcheidung über die weitere Beſchwerde 
hängt daher von der Beantwortung der Frage ab, 
ob der Mangel der Zuſtimmung aller Genoſſen zur 
Ablehnung der Eintragung des Generalverſammlungs- 
beſchluſſes in das Genoſſenſchaftsregiſter führen muß, 
wie das Kammergericht in den von der Beſchwerde⸗ 
führerin angeführten Beſchlüſſen vom 13. Mai und 
18. Nov. 1900 (landwirtſchaftl. Genoſſenſch.⸗Bl. 1900 
S. 511 und 689) ausgeführt hat, oder ob es ſich bei 
dem Mangel, wie in dem Beſchluſſe des Senats vom 
14. Oktober 1910 in Uebereinſtimmung mit dem Be⸗ 
ſchluſſe des OLG. Colmar vom 6. Juli 1910 ange: 
nommen wurde, um einen Verſtoß gegen eine zum 
Schutze der Genoſſen getroffene ſtatutariſche Vorſchrift 
handelt, auf deren Beobachtung die Genoſſen durch 
die Unterlaſſung der Anfechtung nach § 51 Geng. 
verzichten können. Bei der durch die vorliegende Bes 
ſchwerde veranlaßten wiederholten Prüfung der Frage 
glaubt der Senat in dieſer Beziehung an der früheren 
Anſchauung nicht feſthalten, ſondern ſich der von dem 
KG. in dem Beſchluſſe vom 13. Mai 1910 vertretenen 
und in dem Beſchluſſe vom 18. November 1910 in 
dem entſcheidenden Punkte aufrechterhaltenen Rechts- 
auffaſſung anſchließen zu ſollen. Der 8 51 Gen. 


kann nicht die Bedeutung haben, daß durch die Unter⸗ 


laſſung der hier vorgeſehenen Anfechtungsklage ein 
Generalverſammlungsbeſchluß auch dann rechtswirk— 
ſam wird, wenn bei der Beſchlußfaſſung über eine 
genoſſenſchaftliche Angelegenheit, über die nach der 
Satzung nur in Anweſenheit aller Mitglieder der 
Genoſſenſchaft und mit Zuſtimmung aller Genoſſen 
Beſchluß gefaßt werden kann, nicht die ſämtlichen 
Genoſſen anweſend waren oder zugeſtimmt haben. 
Dadurch, daß die Satzung, wie es der § 16 Abſ. 2 
Satz 2 u. 3 Gen. ermöglicht, für die Beſchlußfaſſung 
über die Aenderung einer genoſſenſchaftlichen An— 
gelegenheit die Anweſenheit und Zuſtimmung aller 
Genoſſen verlangt, verleiht fie jedem einzelnen Ge— 
noſſen ein Recht darauf, daß dieſe Angelegenheit ohne 
ſeine Zuſtimmung nicht geändert werden darf. Dieſes 
Recht würde vereitelt, wenn ein ohne die Zuſtim— 
mung aller Genoſſen gefaßter Generalverſammlungs— 
beſchluß dadurch wirkſam werden könnte, daß er nicht 
binnen einem Monate mit der Klage aus 8 51 Gen. 
angefochten wird. Der zur Generalverſammlung richtig 
geladene, aber nicht erſchienene Genoſſe kann nach 
§ 51 a. a. O. die Anfechtungsklage gar nicht erheben, 
er würde daher, wenn der $ 51 auch auf die nach 
der Satzung mit Stimmeneinheit zu faſſenden Be— 
ſchlüſſe anwendbar wäre, dem Generalverſammlungs— 
beſchluſſe gegenüber ſchutzlos fein, obwohl dieſer viel- 
leicht ein Recht beſeitigt, das ihn beſtimmte, der Ge— 
noſſenſchaft beizutreten und von dem er nach dem 
Statut annehmen durfte, daß es ohne ſeine Zuſtim— 
mung nicht geändert oder beſeitigt werden könne. Die 
Anwendung des 8 51 mag angemeſſen fein bei einer 
Vorſchrift, die nach der Satzung durch einen mit einer 
beſtimmten Mehrheit gefaßten Generalverſammlungs— 
beſchluß geändert werden kann. Denn hier weiß jeder 
Genoſſe, daß die Mehrheit ohne ſeine Mitwirkung 
und ſogar gegen ſeinen Widerſpruch Beſchlüſſe faſſen 
kann; es liegt daher ein Rechtsverhältnis vor, auf 
das ſich die genoſſenſchaftliche Duldungspflicht erſtreckt. 
Davon kann aber dann keine Rede ſein, wenn es ſich 
um eine Angelegenheit handelt, bei der der Wider— 
ſpruch jedes einzelnen Genoſſen genügt, um die Aen— 
derung des Statuts zu verhindern. In dieſem Falle 


in Bayern. 1911. Nr. 19. 


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iſt jeder einzelne Genoſſe durch die Satzung dagegen 
geſichert, daß eine Aenderung ohne ſeine Zuſtimmung 
erfolgt. Das Nichterſcheinen des Genoſſen kann daher 
nicht als Verzicht auf ſein Widerſpruchsrecht auſgefaßt 
werden, ſondern hat im Gegenteile zur Folge, daß 
ein gültiger Beſchluß über die fragliche Angelegenheit 
nicht zuſtande kommt. Das Urteil des RG. vom 3. Mai 
1905 (RZ. 60, 414), das ſich für die Anwendbarkeit 
des 8 51 ausſpricht, und auf das der Senat bei feinem 
Beſchluſſe vom 14. Oktober 1910 Bezug genommen 
benz iſt offenbar nur auf eine Satzungsänderung zu 
eziehen, die mit einer beſtimmten Stimmenmehrheit 
erfolgen kann. Das RG. hat auch in einem Be⸗ 
ſchluſſe vom 22. April 1911 (Reg. I TB 33/1910) 
unter Hinweis auf das vom gleichen Senat erlaſſene 
Urt. vom 18. Februar 1911 (Entſch. 75, 239) anerkannt. 
daß nach 8 16 Gen. — entgegen der Anſicht von 
Birkenbihl im Dr. Mauererſchen Komm. zum Gen. 
S. 203 — ein Genoſſenſchaftsſtatut die Beſchlußfaſſung 
der Generalverſammlung über gewiſſe Statutenände⸗ 
rungen von dem Erforderniſſe des Erſcheinens der 
ſämtlichen Mitglieder in der Generalverſammlung und 
ihrer Zuſtimmung zu der Aenderung abhängig machen 
kann, daß ſich ferner eine Beſtimmung von der im 
8 39 b der Satzung der Beſchwerdeführerin bezeich⸗ 
neten Art als vertragliche Grundlage der genoſſen⸗ 
ſchaftlichen Vereinigung darſtellt, die für alle Genoſſen 
gleich verbindlich iſt und jedem Genoſſen ein unent⸗ 
ziehbares Recht darauf gewährt, daß in Bezug auf 
die verfaſſungsmäßigen Vorſchriften, die von der Feſt⸗ 
ſetzung berührt werden, eine Aenderung ohne die in 
der General verſammlung erklärte Zuſtimmung aller 
Genoſſen nicht getroffen werden kann und daß ein in 
einem ſolchen Falle ohne die Zuſtimmung aller Ge⸗ 
noſſen gefaßter Beſchluß nur der Schein eines General⸗ 
verſammlungsbeſchluſſes und daher nichtig iſt. (Beſchl. 
des I. 38S. vom 26. Mai 1911, Reg. III 4/1911). > 

2352 . 


B. Straffaden. 


Die Strafandrohnngen des Art. 41 Abſ. 3 Gem. 
beziehen ſich nur auf die Entziehung eder Verkürzung 
der Gefälle und nicht auf die rechtswidrige Verſchaffung 
einer Rückvergütung geleifteter Gefälle. Das Obs. 
kommt zu dieſem Ergebnis im Gegenſatze zu einer 
Entſcheidung des OLG. München (Samml. 3, 281) auf 
Grund der Entſtehungsgeſchichte des Art. 41 GemO. 
im Zuſammenhalt mit den Vorſchriften des Malzauf⸗ 
ſchlaggeſetzes vom 16. Mai 1868. In der Begründung 
heißt es u. a.: 

A. 1. Nach Art. 34 Abſ. 1 des Entw. zur GemO. 
— es ſei darauf hingewieſen, daß der ganze Artikel 
ſtrafrechtlichen Inhalts war — ſollten die Gemeinden 
befugt ſein Kontroll- und Sicherungsvorſchriften zu 
erlaſſen und ſollte die Frage der Defraudationsſtrafen 
durch Verordnung geregelt werden. Der Wortlaut: 
„Vorſchriften zur Kontrolle und Sicherung der Ver— 
brauchsabgaben“ läßt kaum die Annahme zu, daß der 
Entwurf auch an Vorſchriften zur Sicherung der Ge» 
meinde gegen Rückvergütungsanſprüche dachte. Sicher 
aber dürfte ſein, daß der Entwurf mit dem Worte 
„Defraudationsſtrafen“ nur an die Hinterziehung oder 
Verkurzung der an die Gemeinde zu entrichtenden 
Gefälle dachte. Der Entwurf nimmt Bezug auf die 
Verordnungen vom 31. Dez. 1808 und 12. Mai 1815; 
der $ 9 jener VO. und der Art. 8 dieſer VO. haben 
Fälle des heimlichen Entziehens des Fleiſch⸗ und 
Getreideaufſchlags im Auge (vgl. VO. vom 28. Juli 
1807, den Malzauſſchlag betr. 8 XIX: die Borent> 
haltung oder Veruntreuung des Malzaufſchlags iſt 8 
ein Eingriff in die öffentlichen Gelder; § XXII: Mit— 
wirkung zur Defraudation des Aufſchlags: vgl. ferner 


geitſchrift für Rechtspflege 


Art. 433 StGB. von 1813: Verkürzung der dem Staat 


ſchuldigen Abgaben, Gefälle, Defraudation der Auf: 
ſchläge; 8 2 mit & 1 Zollitraf®. vom 17. Nov. 1887; 
ſiehe auch Weiske, Rechtslexikon Bd. 3: „Defraudation“ 
die ſchuldvolle Entziehung der dem Staate ſchuldigen 
indirekten Steuer). Man iſt daher wohl zu der Ans 
ſchauung berechtigt, daß der Entwurf mit dem Aus— 
drucke „Defraudationsſtrafen“ die Beſtrafung der Fälle 
der Defraudation in dem hergebrachten Sinne „ſchuld⸗ 
hafter Entziehung und Verkürzung öffentlicher Gefälle“ 
im Auge hatte, aber unter ihr nicht begriff das wider⸗ 
rechtliche Verſchaffen einer Rückvergütung. 

2. Der Berichterſtatter Abgeordneter Dr. Edel hielt 
die Regelung der Frage der Defraudationsſtrafen durch 
Verordnung für bedenklich und die ſofortige geſetzliche 
Regelung der Sache für nicht ſo ſchwierig, wie die 
Staatsregierung meinte; er äußerte: „Dieſe Frage iſt 
nicht ſo außerordentlich ſchwierig, als daß ſie nicht 
bei entſprechender Fixierung des Strafmaximums 
durch ortspolizeiliche Vorſchriften geregelt werden 
könnte, wie es namentlich auch im Königreich Preußen 
der Fall iſt, in welchem man ſich nach der ... Städte⸗ 
ordnung vom 30. Mai 1853 damit begnügt hat, der 
Stadtbehörde die Erlaſſung von Regulativen über die 
Erhebung aller Arten von Kommunalſteuern zu ge— 
ſtatten, in welchen die Kontravenienten mit Ordnungs⸗ 
ſtrafen ... bedroht werden können“ (Verh. 1866/69, 
Verh. des beſonderen Ausſchuſſes J. Abt. S. 119). 
Dr. Edel hatte bei dieſer Aeußerung den 8 53 der 
preuß. Städteordnung im Auge (GeſS. 1853 S. 261). 
Der Paragraph handelt von der Aufbringung der 
Gemeindeſteuern. Dieſe können beſtehen in Zuſchlägen 
zu den Staatsſteuern und in beſonderen direkten 
oder indirekten Gemeindeſteuern, die der Genehmigung 
der Regierung bedürfen, wenn ſie neu eingeführt, 
erhöht oder in ihren Grundſätzen verändert werden 
ſollen. Der letzte Abſatz des 8 53, in dem die 
Frage der „Rückvergütung“ nicht berührt iſt, lautet: 
„In den über die Erhebung von Kommunalſteuern zu 
erlaſſenden, von der Regierung zu genehmigenden 
Regulativen können Ordnungsſtrafen gegen die Kon— 
travenienten bis auf Höhe von zehn Talern angeordnet 
werden.“ Berückſichtigt man dieſes Vorbild des 
Referenten Dr. Edel, ſo liegt die Annahme nahe, daß 
er, ausgehend ebenfalls von dem in der bayer. Geſetz⸗ 
gebung hergebrachten Begriffe der Defraudation, nur 
an die geſetzliche Regelung der Beſtrafung der „Defrau— 
danten“ und, Kontravenienten“ nicht aber daran dachte, 
daß durch feinen Vorſchlag auch die rechtswidrige Vers 
ſchaffung einer Rückvergütung getroffen werden ſolle. 
Für dieſe Annahme ſpricht auch der Wortlaut des 
Vorſchlags des Dr. Edel. Hiernach wird mit Strafe 
bedroht die rechtswidrige Entziehung oder Verkürzung 
der Gefälle und — unter Umſtänden — die Strafe 
bemeſſen im mehrfachen Betrage des entzogenen 
Gefälls. Man darf daran nicht zweifeln, daß dem 
Berichterſtatter Dr. 
zwiſchen einer Defraudation und der rechtswidrigen 
Verſchaffung einer Rückvergütung eines Gefälls klar 
war. Dieſer Unterſchied iſt in den Art. 84, 85 Malz⸗ 


aufſchlG. ſcharf hervorgehoben, aber im Art. 35 Abi. 3 


Art. 41 Abſ. 3 
nicht zum Ausdrucke gekommen. Nur wenn man der 
Meinung ſein konnte, daß Dr. Edel (und nachmals 
der ſeinem Vorſchlage folgende Geſetzgeber) durch die 
Worte: „rechtswidrige Entziehung oder Verkürzung 
der Gefälle“ auch die „rechtswidrige Verſchaffung einer 
Rückvergütung“ treffen und bei der Strafbemeſſung 
ſtatt des Betrags „des entzogenen Gefälls“ den Betrag 
der „rechtswidrig verſchafften Rückvergütung“ zugrunde 
gelegt wiſſen wollte, könnte von der rechtsähnlichen 
Anwendung des Art. 41 Abſ. 3 auf die Fälle der 
rechtswidrigen Verſchaffung der Rückvergütung die 
Rede ſein. Einer ſolchen Anwendung ſtünden freilich 
ſehr erhebliche rechtliche Bedenken entgegen. Dem im 


Edel der rechtliche Unterſchied 


in Bayern. 


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5 


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| 


1911. Nr. 19. 


391 


Geſetze klar bezeichneten äußeren Tatbeſtande würde 
gleichgeſtellt ein tatſächlich und rechtlich erheblich ver» 
ſchiedener äußerer Tatbeſtand; der Strafbemeſſung 
würde zugrunde gelegt ein von dem Geſetzesworte 
nach der tatſächlichen und rechtlichen Seite erheblich 
abweichender Strafſatz. 

3. Aber auch wenn man die eben (Ziff. 2) dar⸗ 
gelegten Bedenken gegen die Zuläſſigkeit der rechts⸗ 
ähnlichen Anwendung des Art. 41 Abſ. 3 GemO. nicht 
teilen ſollte, gibt der vorliegende Fall noch den Anlaß 
zu folgender weiterer Bemerkung: Nach Art. 41 Abſ. 3 
und 4 iſt als Uebertretung ſtrafbar die rechtswidrige 
Entziehung oder Verkürzung der Geſälle, alſo die 
vollendete ſtrafbare Handlung. Der bayerifche Geſetz⸗ 
geber wäre befugt geweſen, trotz des 8 43 StGB. zu 
beſtimmen, daß auch der Verſuch der rechtswidrigen 
Entziehung oder Verkürzung der Gefälle ans fein 
fol (Art. 4, 5 EG. StGB. vom 26. Dez. 1871 — 
Art. 4, 5 A. StPO.). Im Hinblick auf Art. 41 Abſ. 5 
GemO. iſt nach Art. 85 MalzaufſchlagG. nun aller 
dings ſtrafbar, wer ſich widerrechtlich eine Rückver⸗ 
gütung zu verſchaffen ſucht; hiernach iſt eine Handlung, 
die nach der Regel des 8 43 StGB. nur als ne 
anzuſehen wäre, als vollendete Handlung ſtrafbar. 
Allein der Art. 41 Abſ. 3 GemO. enthält keine Bes 
ſtimmung des Inhalts, daß der Verſuch der Ent⸗ 
ziehung oder Verkürzung der Gefälle ſtrafbar ſein ſoll. 
Selbſt wenn man alſo den Art. 41 Abſ. 3 auf die 
rechtswidrige Verſchaffung einer Rückvergütung in 
rechtsähnlicher Weiſe anwenden zu dürfen glaubte, 
könnte man nur die vollendete, nicht die verſuchte 
eee für ſtrafbar halten. 

B. Aus Art. 41 Abſ. 5 GemO. und aus Art. 84, 85 
Malzaufſchlag G. ergibt ſich, daß die nach Art. 86 dieſes 
Geſetzes zuläſſigen ortspolizeilichen Vorſchriften ſich 
auch auf die Kontrolle und Sicherung der „Rückver⸗ 
gütung des Lokalmalzaufſchlags“ beziehen können 
(May, Kommentar zum MalzaufſchlagG. in Doll 
manns Geſetzgebung Teil II Bd. 6 S. 563 Abſ. 3). 
Es fragt ſich noch, ob auch auf Grund des Art. 41 
Abſ. 3 GemO. ortspolizeiliche Vorſchriften erlaſſen 
werden können, die ſich auf die Kontrolle und 
Sicherung der Rückvergütung anderer Gefälle als 
des Lokalmalzaufſchlags beziehen, und ob die Zu⸗ 
widerhandlung gegen dieſe Vorſchriften nach Art. 41 
Abſ. 3 ſtrafbar vi Im $ 4 der auf Grund des Art. 40 
und des Art. 41 erlaſſenen VO. vom 27. Nov. 1875 
betr. den Fleiſch-, Getreide⸗ und Mehlaufſchlag und 
die Rückvergütung der Aufſchläge iſt der Anſpruch auf 
Rückvergütung als bedingt bezeichnet: a) durch den 
Nachweis, daß der Aufſchlag entrichtet wurde, b) durch 
die Beobachtung der zur Kontrolle und Sicherung des 
Gefälls in bezug auf die Rückvergütung von den 
Gemeinden erlaſſenen Vorſchriften, die jedoch den 
Handel und die Produktion nicht unnötig beſchweren 
dürfen. Wenn man nun auch mit der VO. darin 
übereinſtimmt, daß die Gemeinden in der in 8 4 unter d 
bezeichneten Richtung Vorſchriften erlaſſen dürfen, ſo 
folgt aus der Zuſtändigkeit zur Erlaſſung noch nicht, 
daß auch die Zuwiderhandlung gegen dieſe Vorſchriften 
nach Art. 41 Abſ. 3 ſtrafbar iſt. Beziehen ſich die 
Strafdrohungen dieſes Art. 41 Abſ. 3 überhaupt nur 
auf die Entziehung der Gefälle und nicht auf die 
Rückvergütung geleiſteter Gefälle, ſo ſind Vorſchriften 
in letzterer Richtung (zur „Sicherung und Kontrolle 
der Rückvergütung“) auch nicht unter Strafſchutz geſtellt 
und beſteht für den, der die Vorſchriften nicht beobachtet, 
nur der Nachteil des Verluſtes des Anſpruchs auf 
Rückvergütung (A. L. in BlAdmPr. 20, 235). 

C. Mit den vorſtehenden Ausführungen iſt nicht 
geſagt, daß in dem Tun der Angeklagten nicht unter 
Umſtänden die Merkmale einer anderen ſtrafbaren 
Handlung gefunden werden können. Mit Recht ift 
die Strafkammer davon ausgegangen, daß im Falle 
der Anwendbarkeit der ortspolizeilichen Vorſchriften 


über die rechtswidrige Entziehung oder Verkürzung 
der Gefälle nach 8 2 Abi. 2 EG. StGB. die Beſtim⸗ 
mungen des StGB., beſonders des 8 263, nicht zur 
Anwendung gelangen (Oppenhof 8 263 Nr. 66). Fällt 
dagegen die Handlung der Angeklagten nicht unter 
irgendwelche dem Landesrechte vorbehaltenen be⸗ 
ſonderen Strafbeſtimmungen des Landesrechts, dann 
wäre an ſich die Anwendung der allgemeinen ſtraf⸗ 
geſetzlichen Beſtimmungen nicht ausgeſchloſſen, ſelbſtver⸗ 
ſtändlich — nach gegebener Prozeßlage — unter Be⸗ 


rückſichtigung des Verbots der reformatio in pejus, 


das eine Erhöhung der Strafe, nicht aber eine 
ſchwerere Beurteilung der Tat ausſchließt (Löwe, 
StPO. 8 372 Nr. 2). Nimmt der Einführende nur 
eine Scheinausfuhr vor, d. h. trifft er Maßregeln, die 
nach außenhin die Annahme zu begründen ſcheinen, 
daß das angeblich auszuführende Produkt der Ver⸗ 
zehrung im Gemeindebezirk entzogen werden ſoll, 
bleibt aber trotzdem das Produkt zur Verzehrung im 
Gemeindebezirke beſtimmt, ſo ſucht er ſich durch dieſes 
Verhalten im Zuſammenhalte mit der Beobachtung 
der in § 4 bezeichneten Vorſchriften die Rückvergütung 
zu verſchaffen, auf die er kein Recht hat; er ſtrebt 
einen rechtswidrigen Vorteil an. Die Gemeinde wird 
durch die Leiſtung der Rückvergütung am Vermögen 
gelhublat; nach Umſtänden kann die Vermögens⸗ 
eſchädigung ſchon darin liegen, daß ihm die Gemeinde 
den zurückzuvergütenden Betrag gutſchreibt. Es wäre 
ſonach die objektive Vorausſetzung eines Vergehens 
nach 8 263 StB. oder nach 88 263, 43 StGB. ges 
geben; ob auch die ſubjektiven Vorausſetzungen dieſer 
Strafbeſtimmungen in jeder Richtung nachweisbar 
find, hat die Strafkammer nicht geprüft und von 
ihrem Standpunkt aus auch nicht prüfen müſſen. (Urt. 
vom 9. Mai 1911, Rev.⸗Reg. Nr. 148 —151 / 1911). 

2346 Ed. 


Literatur. 


Etier-Somle, Dr., Profeſſor in Bonn. Jahrbuch des 
VBerwaltungsrechts. Unter Einſchluß des Staats⸗ 
verfaſſungs⸗, Staatskirchen⸗ und Völkerrechts. 6. Jahr: 

ang. 1. Hälfte: Literatur des Jahres 1910. Berlin 
911. Verlag von Franz Vahlen. 659 S. 
Stier⸗Somlos Jahrbuch bedarf einer weiteren 

Empfehlung nicht; ich habe es ſchon früher hier an⸗ 

gezeigt. Es genügt, darauf hinzuweiſen, daß der ſtets 

mit Intereſſe erwartete neue Jahrgang nunmehr er: 
ſchienen iſt. Offenbar mit Rückſicht auf dieſes allge⸗ 
meine Intereſſe hat der Verlag zunächſt die erſte 

Hälfte herausgebracht, die über die verwaltungsrecht— 

liche Literatur des Jahres 1910 in drei Abteilungen 

(1. Allgemeiner Teil S. 1— 101, 2. Reichsverwaltungs⸗ 

recht S. 102-457, 3. Einzelſtaatliches Verwaltungs⸗ 

recht S. 458 —627, dazu Sachregiſter S. 628 - 659) 

berichtet. Wie ſorgfältig die Literatur bis zu kleinen 

Zeitſchriftenaufſätzen hin geſammelt wird, mag in Ab» 

teilung 1F („Reform der Verwaltung. Fragen der 

Ausbildung der Verwaltungsbeamten und Juriſten“) 

der Vermerk Nr. 26 zeigen: „Deinhardt Richard, OLG R., 

Jena, berichtet über eine Verfügung des OL GPräſ. 

Dr. Börngen, Jena, über die Ausbildung der Refe— 

rendare, die der „weltabgewandten Begriffsjuris— 

prudenz“ entgegentritt und die Ausbildung der Re— 
ferendare in den Dienſt der Kenntnis des Verkehrs 
und des Lebens ſtellen will. Die Verfügung, die nicht 
veröffentlicht iſt, muß als höchſt bedeutſam bezeichnet 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 


werden, wenngleich manches in ihr auf eine ungeſunde 


Wertſchätzung der Lehre von der freien Rechtsfindung | 


hindeutet. 


Jena. 


— 


DIZ. 15, 689. 
Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


—— 


Brand, Dr. Arthur, Kammergerichtsrat. Das Han⸗ 
delsgeſetzbuch mit Ausſchluß des Seerechts. VII, 
1091 S. Berlin 1911, O. Häring. Mk. 24.—. 


An guten Kommentaren zum Handelsgeſetzbuch 
iſt gerade kein Mangel. Dennoch hoffen wir, daß 
auch dieſe neue Bearbeitung die Stellung erringen 
wird, die ihr als einer gediegenen Leiſtung eines er⸗ 
fahrenen, mit dem Stoffe vollſtändig vertrauten Prak⸗ 
tikers gebührt. Die Erläuterungen ſind gedrängt und 
ſauber disponiert. Ihre Gliederung tritt dadurch ſehr 
deutlich hervor, daß jeder Abſchnitt mit Stichwörtern 
oder kurzen Rechtsſätzen in Fettdruck oder Sperrdruck 
beginnt. Gute Beifpiele für dieſe Art der Anordnung 
bieten z. B. die Anmerkungen zu 88 43, 52, 120 u. a. 
Die Rechtſprechung iſt ſehr ſorgfältig verwertet, man 
findet aber auch da ausführliche Belehrung, wo ſie 
ſpärlich fließt oder noch gar nicht Stellung genommen 
hat, ein Vorzug, dem man nicht jedem großen 
Kommentare nachrühmen kann. Hiernach kann das 
Buch auch für den Gebrauch in der Staatsprüfung 
empfohlen werden, zumal da es wegen des mäßigen 
Umfangs bequem zu handhaben iſt. Zweckmäßig wäre 
es vielleicht geweſen, im Sachregiſter, das ſich im übrigen 
durch ſeine Verläſſigkeit auszeichnet, die Schlagwörter 
fett oder doch geſperrt zu drucken. von der Pfordien. 


Notizen. 


Auslieferungsverkehr mit dem Auslande. Nach einer 
Bek. vom 1. September 1911 (JM Bl. S. 313) ſollen 
die Juſtizbehörden, wenn ſie deutſche Konſuln in den 
Vereinigten Staaten von Amerika um Fahndung er⸗ 
ſuchen, den Konſularbehörden zur Verbreitung im 
Konſulatsbezirke (durch Behörden, Zeitungen, deutſche 
Vereine u. dgl.) womöglich eine größere Zahl von 
Abbildungen und Beſchreibungen der verfolgten Perſon 
überſenden. Dazu eignen ſich in erſter Linie Stücke 
des Polizeiblattes, in dem der Verfolgte abgebildet 
und zur Verhaftung ausgeſchrieben iſt. Es empfiehlt 
ſich in vielen Fällen auch bei der Stellung von Aus⸗ 
lieferungs⸗ und Ablieferungsanträgen ſo zu verfahren, 
wenn der Beſchuldigte oder Verurteilte noch nicht feſt⸗ 
genommen iſt. Die Beigabe einer größeren Zahl von 
Bildern, die dann an die wichtigeren Polizeibehörden 
des fremden Staates verteilt werden können, gibt eine 
viel ſtärkere Gewähr für eifrige Fahndung als die 
Beigabe einer einzigen Photographie, deren Berviels 
fältigung vom guten Willen der fremden Behörden 
abhängig bleibt. 

2370 


Nechtshilfeverkehr mit dem Auslande. Durch die 
Bek. vom 7. September 1911 (JMBl. S. 314) hat der 
8 9 der zuſammenfaſſenden Bek. vom 8. April 1911 
(Organiſation der Gerichtsbehörden in den Schutz⸗ 
gebieten) eine andere Faſſung erhalten. Ferner weiſt 
die neue Bekanntmachung auf Eigenarten des braſi⸗ 
lianiſchen Gerichtsverfahrens hin, die beachtet werden 
ſollen. Schließlich empfiehlt ſie, in Spanien ſtets 
ſofort die Zwangszuſtellung in Zivilſachen zu bean— 
tragen, weil man mit der koſtenloſen Zuſtellung im 
Verwaltungswege dort gewöhnlich nicht zum Ziele 
kommt. 


2371 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ar. 20. 


München, den 15. Oktober 1911. 


7. Jahrg. 


Jeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Ch. von der Pferdten 
. Laudgerichtsrat, verw. im R. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monat : 
im Stange von mi end 2 at Preis teen n . 
Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlu . 


Boßankalt 


Nachdruck verboten. 


Vechſelnde Meinungen über Tateinheit und 
Tateumehrheit in den verſchiedenen 
Abſchnitten des Etrafprozeſſes. 


Von Dr. Fr. Doerr, II. Staatsanwalt in Nürnberg. 


Das Archiv für Militärrecht (II. Bd. 1911 
S. 130) hatte eine Diskuſſion folgender Fragen 
angeregt, die nicht bloß den Millitärſtraſprozeß 
berühren, ſondern mindeſtens in gleichem Maße 
den bürgerlichen, richtiger gemeinen Strafprozeß 
angehen: 

1. Wie hat das Urteil zu lauten, wenn die 
Anklage (und im gemeinen Strafprozeß der dem 
Militärſtrafprozeß fehlende Eröffnungsbeſchluß) 
ſieben ſelbſtändige, realkonkurrierende Straftaten 
des Angeklagten als Prozeß⸗ oder Aburteilungs⸗ 
gegenſtand bezeichnet hat, das erkennende Gericht 
aber eine fortgeſetzte Handlung annimmt, indeſſen 
nur in fünf Fällen die Schuld des Angeklagten 
für erwieſen erachtet? 

2. Wie ſteht das Berufungsgericht der Angelegen⸗ 
heit gegenüber, wenn die erſte Inſtanz lediglich 
unter Verneinung der Schuld in zwei Fallen, 
aber ohne Freiſprechung dieſerhalb, eine Verur⸗ 
teilung unter dem Geſichtspunkt einer ſieben⸗ 
gliedrigen Tateinheit ausgeſprochen und nur der 
Angeklagte gegen das Urteil, und zwar in vollem 
Umfang, zuläſſige Berufung eingelegt hat? 

Darauf bringt die genannte Zeitſchrift die 
weit auseinandergehenden Antworten von fünf 
Schriftſtellern: Riſſom (S. 209 f.), Werber 
(S. 210 ſ.), Genge (S. 211 f., 287 f.), Hecker 
(S. 212 f.) und Beling (S. 337 ff.), von denen 
nur Genge und insbeſondere Beling ihren Stand— 
punkt eingehender begründen. 

Die allgemeine prozeſſuale Bedeutung des 
Problems erfordert eine Stellungnahme auch außer— 
halb einer ſpeziell militärrechtlichen Zeitſchrift; 
dies um ſo mehr, als keine der erwähnten fünf 
Meinungen ihm vollauf gerecht wird. 


in Bayern 


Verlag von 


2. Schweitzer Verlag 


(Arthur Selier) 
München und Berlin. 


ktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1. 
Infertonegetähr 3 80 Pfg. für die daldgeſpaltene Vetitzelle 
um. Bei Wiederholungen Nabatt. Stellenanzeigen 
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


393 
I. 


Was zunächſt die erſte Frage anlangt, jo hat 
das erkennende Gericht, wenn es entgegen der 
Anklage ſtatt Realkonkurrenz jelbitändiger Hands 
lungen eine einheitliche, aus mehreren unſelb⸗ 
ſtändigen Einzelakten ſich zuſammenſetzende Tat 
annehmen will, die Beziehungen dieſer im bis⸗ 
herigen Prozeßverlaufe für ſelbſtändig gehaltenen 
Einzelhandlungen zu einander daraufhin zu 
prüfen, ob ein Einheitsnexus vorhanden ſei. Dieſe 
Prüfung ſetzt aber zunächſt die Feſtſtellung der 
einzelnen Handlungen in Anſehung ihres objektiven 
und ſubjektiven Tatbeſtands voraus; ſie ſetzt alſo 
die Feſtſtellung 


1. der einzelnen objektiven Tatakte, 

2. der Taͤterſchaft des Angeklagten hinſichtlich 
aller dieſer Einzelakte, 

3. der Strafbarkeit aller Einzelhandlungen, 
mithin den Mangel ſowohl an Schuld⸗ wie an 
Strafausſchließungsgründen, voraus. 

Fehlt es bezüglich der einen oder anderen 
bisher als ſelbſtändig erachteten Einzelhandlung 
an einer ſolchen Vorausſetzung, ſo entfällt damit 
logiſcherweiſe die Möglichkeit Beziehungen zu 
anderen Handlungen feſtzuſtellen, die die Annahme 
einer Tateinheit rechtfertigen könnten. Es iſt alſo 
in dem an die Spitze geſtellten Beiſpiel ein Un⸗ 
ding, die fünf erwieſenen Fälle mit anderen nicht 
bewieſenen und ſohin rechtlich nicht vorhandenen zu 
einer ſiebengliedrigen Tateinheit zuſammenzufaſſen. 
Hierin hat Genge a. a. O. S. 211 ganz recht. 
Es bleibt daher nur übrig, wegen der beiden 
Faͤlle, in denen das Gericht die Schuld des An⸗ 
geklagten — einerlei, aus welchem Grund, ob 
aus tatſächlichen oder rechtlichen Erwägungen — 
nicht für erwieſen erachtet, freizuſprechen,“) während 


1) Unrichtig Riſſom, richtig Genge (nur S. 287 un: 
zutreffend: Bei gewiſſen [?] Strafausſchließungsgründen 
dürfe der Richter die Einheitlichkeit der ſtrafloſen Tat 
mit anderen ſtrafbaren Handlungen feſtſtellen und be— 
ſondere Freiſprechung unterlaſſen). Teilweiſe abweichender 
Meinung: Beling a. a. O. S. 343 ff., deſſen Unter- 
ſcheidung nicht zutrifft. Originell, aber verfehlt Hecker 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


— ... b . . . —.—.—)?ʒ.——.— ——.—————.)—. —.—..— i — . 


die noch verbleibenden fünf Fälle unter dem Geſichts⸗ 
punkie fortgeſetzter oder einheitlicher Handlung 
zuſammengefaßt und mit einer der einheitlichen 
Straftat entſprechenden einheitlichen Strafe belegt 
werden können.“) (Vgl. Doerr, Das fſortgeſetzte 
Delikt, Stuttgart 1908, S. 228 und die daſelbſt 
N. 4 zitierte RGE. vom 11. April 1907, Seuff. 
BlfRA. LXXII S. 584 ff.). 

Hat dagegen ſchon die Anklage oder der Er⸗ 
öffnungsbeſchluß auf ein fortgeſetztes Delikt ge⸗ 
lautet und iſt in der Hauptverhandlung nur ein 
Teil der Einzelakte nachgewieſen worden, dann iſt 
im Hinblick auf die einheitliche, auch eine einheit⸗ 
liche Entſcheidung erfordernde Straftat mit der 
Verurteilung nicht — wie Beling a. a. O. S. 343 
meint?) — zugleich eine Freiſprechung wegen des 
unbewieſen gebliebenen Teils zu verbinden — ſo 
wenig, wie bei einer Idealkonkurrenz, ) einem zu: 
ſammengeſetzten Verbrechen oder in dem Jalle, 
daß der in der Anklage angenommene Wert der 
geſtohlenen Sache ſich in der Hauptverhandlung 
als zu hoch gegriffen herausſtellt, entſprechend 
einem zivilprozeſſualen Urteile teils Verurteilung 
und „im übrigen“ Freiſprechung des Angeklagten 


a. a. O.: Sobald das Gericht erſter Inſtanz die ſieben 
Fälle als Tateinheit anſehe, ſtehe es einer fiebenfad 
in idem gerichteten Anklage gegenüber und habe auf 
ſie mit einer Verurteilung und ſechs Einſtellungen zu 
antworten (hiergegen mit Recht Beling a. a. O. S. 339 f.). 

) Der von Genge (S. 211) vorgeſchlagene Urteils⸗ 
tenor: „Der Angeklagte wird wegen Diebſtahls in fünf 
Fällen . . .. verurteilt . ..“ iſt ſchon um deswillen un⸗ 
genau und nicht empfehlenswert, weil man hierbei eher 
an Realkonkurrenz als an fortgeſetzten Diebſtahl denken 
würde. Der Urteilstenor wäre deshalb folgendermaßen 
zu formulieren: I. Der Angeklagte wird von der An— 
klage zweier Vergehen des Diebſtahls .. . . unter Ueber- 
bürdung der hierwegen entſtandenen, ansſchbeidbarenKoſten 
auf die Staatskaſſe freigeſprochen. II. Der Angeklagte 
iſt ſchuldig eines fortgeſetzten Vergehens des Diebſtahls, 
begangen am .. .. in .. . „ und wird hierwegen . 
verurteilt . 

) Ob die Anklage auf Realkonkurrenz oder auf 
delietum continuatum laute, müſſe gleichgültig fein; 
auch wenn die Anklage eine fortgeſetzte Körperverletzung 
durch ſieben Stockhiebe annehme und das Gericht zwei 
der leßteren nicht feſtſtellen könne, ſei die Doppel: 
freiſprechung am Platze; denn auch hier ſei auf die 
Lebensereigniſſe ſelber abzuſtellen und der Vorſchlag, 
ſie ſo oder ſo zu zählen, nicht ausſchlaggebend. 
Richtig iſt nur, daß das Gericht ſtatt fortgeſetzter Körper— 
verletzung eine Mehrheit realkonkurrierender Vergehen 
annehmen kann; billigt es aber an ſich die Annahme 
fortgeſetzter Körperverlezung, ſo iſt neben einer Ver— 
urteilung hierwegen nicht teilweiſe Freiſprechung im 
Urteilstenor, ſondern nur eine entſprechende Feſtſtellung 
in den Urteilsgründen möglich. — Nimmt die Anklage 
ſiebengliedrige OLandlungseinheit, das Gericht zwei Fälle 
für unbewieſen und bezüglich der übrigen fünf Hand— 
lungen Realkonkurrenz an, ſo unterbleibt eine beſondere 
Freiſprechung wegen der unbewieſenen Fälle (io Genge 
a. a. O S. 287 f.) m. E jedoch nur dann, wenn dieſerhalb 
nicht auch Realkonkurrenz entgegen der Anklage an— 
genommen wird. 

) Unzutreffend und abweichend von der gemeinen 
Meinung: Urt. des ObL G. München vom 19. Oktober 
1909. Goltdurch. IL VIII S. 224: hiergegen mit Rechte 
neuerdings Grimm, Seuff lf. 1911 S. 41 ff. 


erfolgen kann (vgl. Doerr a. a. O. S. 228 
N. 3). Geſchah es dennoch, ſo bildet eine der⸗ 
artige unangefochtene Freiſprechung neben der an⸗ 
gefochtenen Verurteilung für die Rechtsmittel⸗ 
inſtanz kein Hindernis, zu dem Standpunkte der 
Anklage zurückzukehren. 


II. 


Unſere zweite Frage geht davon aus, daß die 
I. Inſtanz auf die Realkonkurrenz annehmende 
Anklage (und den übereinſtimmend mit der An⸗ 
klage ergangenen Eröffnungsbeſchluß im gemeinen 
Strafprozeß) wegen eines fortgeſetzten Delikts ver⸗ 
urteilt und ohne ausdrückliche Freiſprechung nur 
in den der Rechtskraft unfähigen Urteilsgründen 
ausgeſprochen hat, daß von den in Rede ſtehenden 
ſieben Fällen zwei unbewieſen ſeien. Die I. In⸗ 
ſtanz hat alſo in fehlerhafter Weiſe zwei von der 
Anklage behauptete ſelbſtändige Straftaten zwar 
nicht feſtſtellen können, aber unter dem Geſichts⸗ 
punkte der Tateinheit formell mit zum Gegen: 
ſtande des einheitlichen Schuldſpruchs gemacht. 
Gegen dieſe Verurteilung hat der Angeklagte all⸗ 
gemein, ohne Beſchränkung auf beſtimmte Be⸗ 
ſchwerdepunkte, Berufung eingelegt. Infolgedeſſen 
gelangt der ganze Inhalt des verurteilenden Er⸗ 
kenntniſſes, alſo das ganze angeblich fortgeſetzte 
Delikt i. S. des angefochtenen Urteils mit allen 
ſieben Fällen zur tatſaͤchlichen und rechtlichen 
Würdigung des Berufungsgerichts, ſo daß dieſes 
insbeſondere auch über die zwei kritiſchen Fälle 
verhandeln und entſcheiden muß und ſie, ſei es 
als unſelbſtändige oder als realkonkurrierende 
ſelbſtändige Handlungen, unter Verurteilung ſtellen 
kann.“) 

Man darf nicht — wie dies Genge (a. a. O. 
S. 212) tut — einerſeits zugeben, die Anfechtung 
umfaſſe an ſich (2) auch die im angefochtenen Ur: 
teil angeblich unbeſchieden gebliebenen, in Wirk⸗ 
lichkeit zur Tateinheit gerechneten beiden Diebſtähle, 
und andrerſeits behaupten, der Angriff richte ſich 


) Ebenſo Riſſom, Werber, Hecker. Abweichend 
Genge, der nur die fünf Fälle als der Nachprüfung 
des Berufungsgerichts unterliegend, die kritiſchen zwei 
Fälle aber als außerhalb deſſen Kognition ſtehend ans 
ſieht; die zweite Inſtanz habe nur, um die Sache formell 
in Ordnung zu bringen, die Freiſprechung nachzuholen 
und ſo den Fehler der Vorinſtanz zu heilen. Wenn 
Riſſom (S. 210) aber meint, es ſei die gleiche Lage, 
als wenn der Vorderrichter entgegen der auf Diebſtahl 
von 20 Sack lautenden Anklage die geſtohlene Menge 
auf 10 Sack feſtgeſtellt habe, dann wäre auf Berufung 
des Angeklagten die obere Inſtanz nicht gehindert die 
Menge auf 20 oder 25 Sack feſtzuſtellen, ſo trifft der 
Vergleich inſoſern nicht ganz zu, als in dieſem Bei— 
ſpiele ſchon die Anklage nur eine ſtrafbare Handlung 
angenommen hat, während im vorwürfigen Falle davon 
ausgegangen worden iſt, daß die Anklage eine Mehr⸗ 
heit ſelbſtändiger Handlungen bezeichnet. Die Lage 
wird nur deshalb die gleiche, weil der Vorderrichter 
trotz mangelnden Schuldbeweiſes hinſichtlich zweier ſelb⸗ 
ſtändiger Fälle die F reiſprechung unterlaſſen, dieſe beiden 
Fälle in den Bereich der Tateinheit gezogen hat. 


EBilBelſchriſt für R für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. . 3 in Dahern. 1911. Nr. 9069. Nr. 20. 395 


nicht gegen die in Rechtskraft übergegangenen tat: Nachprüfung überhaupt nicht befugt. Führt die 
ſächlichen Feſtſtellungen. Vielmehr hat, nachdem Reviſion nicht aus anderen Gründen zur Urteils⸗ 
unbeſchränkte Berufung eingelegt iſt, das Berufungs⸗ aufhebung und Zurückverweiſung, ſo hätte es nach 
gericht die ſeinem Urteile zugrunde zu legenden 8 394 StPO. die in der Vorinſtanz zu Unrecht 
Feſtſtellungen ſelbſtändig und ohne Bindung an unterbliebene Freiſprechung von der Anklage in 
die Urteilsgründe und Feſtſtellungen erſter In⸗ zwei nicht bewieſenen Fällen nachzuholen, wie dies 
ſtanz zu treffen. das Reichsgericht in ſeinem oben erwähnten Ur⸗ 

Man kann auch nicht mit Beling a. a. O. teil vom 11. April 1907 getan hat. Hier wären 
S. 346 f. den nicht freigeſprochenen Angeklagten für die Beurteilung der deshalb, weil die Urteils⸗ 
als mit Bezug auf zwei Akte rechtskräftig frei⸗ | formel der Vorinſtanz den Ausſpruch der Frei⸗ 
geſprochen anſehen. Das Prozeßrecht kennt keine ſprechung in zwei Fällen nicht enthält (vgl. Genge 
der Rechtskraft fähige latente Freiſprechung in den a. a. O. S. 212 oben), eingelegten Reviſion nur 


Urteilsgründen. die tatſächlichen Feſtſtellungen des Vorderrichters, 
Hält auch das Berufungsgericht mit der Vor⸗ nicht eine — wie es in der Berufungsinſtanz 
inſtanz die erwähnten zwei Fälle für unbewieſen, möglich iſt — neue Beweisaufnahme zugrunde 


ſo hat es hierwegen die in erſter Inſtanz zu Unrecht zu legen. ü 
unterlaſſene Freiſprechung nachzuholen, da nach | 
Obigem unbewieſene, für eine Verurteilung aljo 

nicht vorhandene, ſelbſtändige Reate nicht zu un⸗ 


ſelbſtändigen Teilen einheitlicher Handlung werden Die Behandlung der Nahnſachen und der 


können. n 
rache aber die Berufungsinſtanz den Nach- Ferienſachen nach der Novelle zur 38d. vom 
wobei ſie bezüglich deren Selbſtändigkeit oder 


Unſelbſtändigkeit freie Hand hat, ſo kann dies 
wegen des — ſich nur auf die Strafe beziehenden 
— Verbotes der reformatio in peius doch nicht 
zu einer Erhöhung der in erſter Inſtanz ausge⸗ 
ſprochenen Strafe führen. 


Von Amtsrichter Theodor Gros in München. 
Schluß.) 

II. Durch die Novelle zum GVG. wurde der 
Kreis der Ferienſachen erweitert. Unter die eigent⸗ 

Hält das Berufungsgericht die Annahme einer lichen Ferienſachen wurden noch die in 8 5 Nr. 1—4 
fortgeſetzten Handlung bezüglich aller Fälle für des Kaufmannsgerichtsgeſetzes bezeichneten Streitig⸗ 
unzutreffend, ſo hat es eine Geſamtſtrafe i. S. keiten und die Anſprüche aus dem außerehelichen 
§ 74 StGB. auszusprechen, die wegen des eben Beiſchlafe aufgenommen. 
erwähnten Verbots die erſtinſtanziell ausgeſprochene Zu den Wechſelſachen, die ſchon früher zu den 
Einheitsſtrafe nicht überſteigen darf. Ferienſachen gehörten, ſei nur beiläufig erwähnt, 

Anders läge der Fall, wenn die Vorinſtanz, daß das RG. entgegen dem früher von ihm ver⸗ 
anſtatt bloß in den der Rechtskraft nicht fähigen tretenen Standpunkt in einer Entſcheidung des 
Gründen den mangelnden Beweis hinſichtlich zweier III. Senates vom 4. Februar 1910 (JW. 1910 
Fälle feſtzuſtellen, wegen dieſer beiden ſelbſtändigen S. 294 Nr. 35) die Auffaſſung vertrat, daß als 
Reate im Urteilstenor ausdrücklich auf Frei⸗ Wechſelſachen nur die im Wechſelprozeß, nicht die 
ſprechung erkannt hätte und dieſe Freiſprechung im ordentlichen Verfahren verfolgten Anſprüche 
mangels Rechtsmitteleinlegung rechtskräftig ge- aus Wechſeln zu erachten ſind. 
worden wäre. Dann läge hinſichtlich der beiden Die hauptſächlichſte Aenderung der Novelle iſt 
Fälle res iudicata vor mit der Wirkung, daß die, daß im Verfahren vor den Amtsgerichten 
das Berufungsgericht die rechtskräftig erledigten auch ſolche Sachen auf Antrag als Ferienſachen 
Reate nicht nochmals zum ſelbſtändigen Gegen- bezeichnet werden müſſen, die nicht zu den eigent⸗ 
ſtand der Verhandlung und Aburteilung machen lichen Ferienſachen gehören ($ 202 III GV.). 
könnte — unbeſchadet ſeines Rechts, die Unter: Jedoch iſt in ſolchen Fällen der Beſchluß, wo⸗ 
ſuchung auf das ganze fortgeſetzte Delikt mit allen nach die Sache zur Ferienſache erklärt wurde, 
feinen Einzelakten zu erſtrecken (vgl. Doerr aufzuheben, wenn in einem Termin zur münd— 
a. a. O. S. 225 f.).“) lichen Verhandlung widerſprechende Anträge ge: 

Anders ſtünde auch das Reviſionsgericht ſtellt werden, es ſei denn, daß die Sache beſon⸗ 
der Sache gegenüber. Dieſes iſt zur tatſächlichen | derer Beſchleunigung bedarf. 
1. Häufig kommt es vor, daß der Kläger es 
zunächſt unterläßt den Antrag auf Erklärung 
als Ferienſache bei Einreichung der Klageſchrift 
zu ſtellen, ſo daß der Verhandlungstermin auf 
die Zeit nach den Ferien anberaumt wird. Es 
fragt ſich nun, ob das Gericht in ſolchen Fällen 
gemäß § 202 III GVG. verpflichtet iſt auf neuen 


weis auch hinſichtlich jener zwei Fälle für erbracht, IR Zuni 1909. 
| 
| 


1) Teilweiſe anderer Anſicht Beling a. a. O. S. 314 f., 
347. Ich ſtimme ihm aber darin zu. daß bei gleich— 
zeitiger teilweiſer Verurteilung und Freiſprechung wegen 
derſelben einheitlichen Tat in erſter Inſtanz die die Be— 
rufung des Angeklagten hinſichtlich der Verurteilung 
zurückweiſende zweite Inſtanz den Grundſatz Ne bis in 
idem nicht verletzt. 


—U— ——————————— ͤ—ͤ—⁴—6— ů— —3ñF— . — — — 


396 


Antrag unter Aufhebung des Termines nach den 


Ferien und unter Erklärung der Sache zur Ferien⸗ 
ſache ohne weiteres Termin in den Ferien an⸗ 
zuberaumen. 

Das Amtsgericht Magdeburg hat in einem 
Beſchluß vom 16. Juli 1910 (JW. 1910 S. 772) 
dieſe Frage verneint. Es iſt der Meinung, der 
Kläger habe, wenn einmal Termin nach den Ferien 
anberaumt wurde, auf das ihm nach $ 202 GVG. 
zuſtehende Recht dadurch verzichtet, daß er den 
Antrag auf Erklarung zur Ferienſache nicht in 
der Klageſchrift oder doch nicht wenigſtens vor 
Anberaumung des Termines nach den Ferien 
ſtellte und das Gericht konne dann nicht ge: 
zwungen werden die Sache nachträglich zur Ferien⸗ 
ſache zu erklaren; in dieſen Fällen hätten viel⸗ 
mehr die Beſtimmungen über Terminsverlegung 
($ 227 II ZPO.) Anwendung zu finden; jedoch 
macht das AG. Magdeburg das Zugeſtändnis, 
daß dem Geſuch um Terminsverlegung dann 


ſtattzugeben ſei, wenn die Klage ſo zeitig vor den 


Ferien eingereicht worden ſei, daß der Kläger 
noch Anberaumung eines Termines vor den Ferien 


hätte erwarten können und wohl deshalb den An⸗ 


trag nach $ 202 GVG. nicht geſtellt habe. 
Das LG. Gera hat in einem Beſchluß vom 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


0 


12. Auguſt 1910 (JW. 1910 S. 869) den gegen⸗ 


teiligen Standpunkt eingenommen, da beim Fehlen 
einer entgegenſtehenden geſetzlichen Beſtimmung der 
Antrag auf Erklärung zur Ferienſache auch noch 
nach Anberaumung eines Verhandlungstermins 
wirkſam geſtellt werden könne. Dieſer Auffaſſung 
iſt beizutreten. Das Geſetz hat allgemein vor: 
geſchrieben, daß im Verfahren vor den Amts⸗ 
gerichten, ſolange widerſprechende Anträge noch 
nicht geſtellt ſind, der Rechtsſtreit zur Ferienſache 
erklärt werden muß. Dies trifft auch für den 
Fall zu, wenn der Kläger es zunächſt unterließ 
den Antrag auf Erklaͤrung zur Ferienſache zu 
ſtellen, ſei es, weil er noch einen Termin vor 


— — — — . —— 


— — 


— ——— — — 


daraus hervor, daß nach Satz 2 der Beſchluß auf⸗ 
zuheben iſt, wonach die Sache zur Ferienſache er⸗ 
klaͤrt wurde, wenn widerſprechende Anträge geſtellt 
wurden. (Vgl. dazu die Begründung der Novelle 
zu 8 202 GG., wo es heißt: „.... Ferner 
ſoll bei den Amtsgerichten, um die Erlangung 
eines Vollſtreckungsurteils möglichſt zu beſchleunigen, 
auf Antrag jede Sache, „ſolange ſie nicht ſtreitig 
wird“, als Ferienſache behandelt werden.“ 

Die gleiche Auffaſſung vertrat das LG. II 
Berlin im Beſchluß vom 1. Auguſt 1910 (JW. 
1910 S. 869). A. M. iſt das LG. München J, 
welches mit Beſchluß vom 21. Juni 1910 aus⸗ 
ſprach, daß auch ſolche Sachen ohne weiteres auf 
Antrag als Ferienſachen zu erklären ſeien, in denen 
vor den Gerichtsferien ſchon kontradiktoriſch ver⸗ 
handelt wurde, da es ſein koͤnnte, daß in dem 
Ferientermine keine widerſprechenden Anträge mehr 
geſtellt würden. Dieſe Auffaſſung ſtimmt nicht 
mit der aus der Begründung zur Novelle ſich er⸗ 
gebenden Abſicht des Geſetzgebers überein. In 
einem ſolchen Falle iſt vielmehr das Bedürfnis 
beſonderer Beſchleunigung nachzuweiſen. 

Doch wird man ſagen können, daß ein Be⸗ 


dürfnis zur beſonderen Beſchleunigung gegeben iſt, 


wenn der Kläger dartut, daß die Sache nicht mehr 
kontradiktoriſch werden wird, (wenn der Klaͤger z. 
B. nachweiſt, daß der gegneriſche Anwalt nicht 
mehr auftritt, oder daß der Beklagte auch in 
anderen anhängig geweſenen Prozeſſen Verſaͤumnis⸗ 
urteil gegen ſich ergehen ließ). Dieſes Bedürfnis 
hat der Geſetzgeber ſelbſt anerkannt, da er ſolche 
Sachen, in denen die baldige Erlangung eines 
Vollſtreckungstitels zu erwarten iſt, unter die Ferien⸗ 
ſachen aufnahm. 

3. Zu $ 791 GK. Nachträgliche Anträge 


auf Erklaͤrung zur Ferienſache kommen, wie oben 


den Ferien erwartete, ſei es infolge eines Der: | 


ſehens. Ein Verzicht des Klaͤgers auf das ihm 
nach $ 202 GG. zuſtehende Recht kann keines⸗ 
falls angenommen werden; daß Kläger nicht hier: 
auf verzichten wollte, geht ja aus ſeinem neuen 
Antrag hervor. 

2. Anders liegt die Sache, wenn in einem 
Rechtsſtreit ſchon vor den Ferien widerſprechende 
Anträge geſtellt und ein Termin nach den Ferien 
zur Fortſetzung der mündlichen Verhandlung an— 
beraumt wurde oder wenn nach kontradiktoriſcher 
Verhandlung vor den Ferien der Kläger beantragt 
die Sache in den Ferien weiter zu behandeln. 
Hier muß dargetan werden, daß die Sache be— 
ſonderer Beſchleunigung bedarf. Nur ſolange be— 
ſteht eine Verpflichtung des Gerichtes eine Sache 
ohne weiteres zur Ferienſache zu erklären oder als 
ſolche zu behandeln, als die Sache nicht kontradik— 
toriſch wurde. Dies geht, wenn der 1. Satz des 


5 202 III GVG. auch ganz allgemein lautet, | mäßigen Ganges des Verfahrens liege. 


erwähnt, häufig vor. Ihnen muß entſprochen 
werden, ſolange die Sache nicht kontradiktoriſch iſt. 
Nun hatte der Gerichtsſchreiber in einem ſolchen 
Falle für die beiden den Parteien zugeſtellten Aus⸗ 
fertigungen des Beſchluſſes, durch den der urſprüng⸗ 
lich auf die Zeit nach den Ferien anberaumte 
Termin in die Ferienzeit verlegt wurde, der Klägerin 
Schreibgebühren berechnet. Das AG. Freiberg 
billigte dies, das LG. Freiberg erklärte dieſen An⸗ 
ſatz jedoch in einem Beſchluß vom 19. November 
1910 für ungerechtfertigt (JW. 1911 S. 416). 
Das Amtsgericht Freiberg hatte auf den Beſchluß 
des LG. München II vom 30. Juni 1910 (JW. 
1910 S. 774) Bezug genommen. In dieſem Be: 
ſchluß iſt ausgeführt, es handele ſich, wenn ein be— 


reits bekannt gegebener Termin auf Antrag einer 


Partei vertagt werde, bei der Bekanntgabe der 
Terminsverlegung an die Parteien nicht um ein 
kraft Geſetzes herzuſtellendes, ſondern um ein durch 
das nachträgliche Verhalten der Parteien notwendig 
gewordenes, in ihrem einſeitigen Intereſſe vorge— 
nommenes Schreibwerk, das außerhalb des regel— 
Es ſei 


— — 


nicht Zweck eines Pauſchſatzes, Auslagen zu decken, 
die außerhalb des Rahmens eines ordentlichen Ver⸗ 
fahrens durch unvorhergeſehenes Verhalten einer 
Partei verurſacht worden ſeien. 

Das LG. Freiberg begründet die entgegen⸗ 
geſetzte Auffaſſung damit, daß es ſich bei der 
Ausfertigung des Terminsverlegungsbeſchluſſes 
allerdings um Schreibwerk handele, welches durch 
den nachträglichen Antrag der Partei erſorderlich 
geworden und in ihrem einſeitigen Intereſſe vor⸗ 
genommen worden ſei, jedoch würden die Aus: 
lagen nach 8 79 Nr. 1 GKG. nicht ſchon für 
ſolches Schreibwerk erhoben, ſondern es ſei weis 
tere Vorausſetzung für die Entſtehung der durch 
den Pauſchſatz nicht gedeckten Schreibgebühr, daß 
es ſich um Ausfertigungen handele, die ſelbſt nur 
auf Antrag erteilt würden, eine durch einen Partei⸗ 
antrag notwendig gewordene, aber von Amts wegen 
hergeſtellte Ausfertigung ſei noch keine auf An⸗ 
trag erteilte Ausfertigung. Dieſer Auffaſſung iſt 
beizutreten. Der Verlegungsbeſchluß iſt gemäß 
5 329 ZPO. den Parteien von Amts wegen zu: 
zuſtellen. Die Ausfertigungen des Verlegungs⸗ 
beſchluſſes find alſo erforderlich, um dieſer Prozeß: 
vorſchrift Genüge zu leiſten und ſie ſind nicht 
ſolche Ausfertigungen, die nur auf Antrag erteilt 
werden, wenn auch der Verlegungsbeſchluß ſelbſt 
durch die Partei veranlaßt wurde. Selbſtver⸗ 
ſtändlich kann die Herſtellung dieſer Ausſerti⸗ 
gungen auch nicht von vorgängiger Bezahlung 
eines die Gebühr deckenden Betrages abhängig 
gemacht werden, was gemäß § 97 II GKG. ge: 
ſchehen könnte, wenn dieſe Ausfertigungen unter 
die ſchreibgebührenpflichtigen Ausfertigungen des 
§ 791 fallen würden. 

4. Die zur Beweisſicherung erforderlichen 
Prozeßhandlungen ſind nicht unter die eigentlichen 
Ferienſachen aufgenommen. In einem Rechts— 
ſtreit, der zur Ferienſache erklärt iſt, kann natür⸗ 
lich ohne weiteres jederzeit eine Beweisſicherung 
ſtattfinden, da ſich die Eigenſchaft einer Sache als 
Ferienſache auch auf unſelbſtändige Nebenverfahren 
(3. B. Beſtimmung des zuſtändigen Gerichts, 
Richterablehnung, Armenrecht, Beweisſicherung ꝛc.) 
erſtreckt; jedoch wird man auch in einem anderen 
Rechtsſtreit wegen der Dringlichkeit der Sache in 
dem Geſuch um Vornahme der zur Beweisſiche⸗ 
rung erforderlichen Handlung einen ſtillſchweigen— 
den Antrag auf Erklärung der Sache zur Ferien⸗ 
ſache erblicken können. Derartige ſtillſchweigende 
Anträge find auch vom RG. anerkannt (vgl. 
RGE. 55, 327). Das Gericht wird alſo bei 
beſtehender Dringlichkeit, wenn auch ein ausdrück— 
licher Antrag auf Erklärung der Sache zur Ferien— 
ſache nicht geſtellt wurde, ohne weiteres die Sache 
zur Ferienſache erklären können, um Verzöge— 
rungen zu vermeiden. 

5. Die Entmündigung iſt nicht ein Akt 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das Verfahren in 
Entmündigungsſachen iſt vielmehr der ſtreitigen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


397 


Rechtspflege angegliedert. Die Vorſchrift des 
§ 202 1 GV., wonach während der Ferien nur 
in Ferienſachen Termine abgehalten und Ent⸗ 
ſcheidungen erlaſſen werden, findet daher auch 
hierauf Anwendung und es wird deshalb der- 


jenige, der die Entmündigung betreibt, wenn er 


eine Tätigkeit des Gerichts während der Ferien 
veranlaſſen will, auch zugleich das Gefuch um 
Erklärung zur Ferienſache zu ſtellen haben. Iſt 
aber einmal ein Entmündigungsverfahren einge⸗ 
leitet und befindet es ſich bereits im Stadium der 
Beweiserhebung, ſo wird das Gericht auch ohne 
beſonderen Antrag im Falle der Dringlichkeit das 
Verfahren zur Ferienſache erklären können, da der 
Richter gemäß 8 653 ZPO. hier zu einer Tätig⸗ 
keit von Amts wegen verpflichtet iſt. 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Zur Frage der Doppel beſtrafungen (ne bis in idem). 
Das im Jahrgang 1909 dieſer Zeitſchrift S. 187 mit⸗ 
geteilte Erkenntnis eines Landgerichts, das die Ver⸗ 
letzung des Grundſatzes ne bis in idem im Gegen— 
ſatze zu der herrſchenden Meinung als Wiederaufnahme⸗ 
grund im Sinne des 8 399 Nr. 5 StBOD. zuließ und 
hierbei von der richtigen Anſicht ausging, daß Frei⸗ 
ſprechung im Sinne dieſer Geſetzesbeſtimmung gleich⸗ 
bedeutend mit Nichtverurteilung zu Strafe ſei, kommt 
zweifellos einem Bedürfniſſe der Praxis entgegen. 
Denn tatſächlich ſind Doppelverurteilungen wegen der 
gleichen Tat viel weniger ſelten als man glauben 
möchte, wenn es auch nur ganz ausnahmsweiſe vor⸗ 
kommen mag, daß — wie dort — zwei auf Strafe 
lautende Urteile, alſo gerichtliche Entſcheidungen 
auf Grund vorausgegangener Hauptverhandlung, 
wegen einer und derſelben Verfehlung gegen die 
Strafgeſetze ergehen. Iſt es doch kaum denkbar, daß 
ein bereits abgeurteilter Angeklagter ſich wegen der 
gleichen Tat in mündlicher Verhandlung nochmals 
mit Strafe belegen laſſen wird, ohne dem erkennenden 
Richter von der ſchon erfolgten Beſtrafung Mitteilung 
zu machen. Die Gefahr der Doppelverurteilung nach 
vorausgegangener Hauptverhandlung beſteht daher 
faſt nur in dem verhältnismäßig ſeltenen Abweſen⸗ 
heits verfahren. 

Anders liegt dagegen die Sache bei den amts⸗ 
richterlichen Strafbefehlen. Hier liegt die erwähnte 
Gefahr, insbeſondere bei großen Gerichten und Amts⸗ 
anwaltſchaften, durchaus nicht jo ferne und die Er- 
fahrung lehrt, daß es trotz aller Gewiſſenhaftigkeit 
und Sorgfalt der beteiligten Organe immer wieder 
zu derartigen im Intereſſe des Anfehens der Rechts- 
pflege bedauerlichen Doppelbeſtrafungen kommt. 
Mögen ſie auch in vielen Fallen dadurch beſeitigt 
werden, daß der Angeklagte nach rechtzeitiger (in: 
ſpruchseinlegung in der Hauptverhandlung den Nach⸗ 
weis der bereits erfolgten Beſtrafung erbringt, ſo 
kommt es doch auch nicht gar zu ſelten vor, daß die 
Einſpruchseinlegung — ſei es aus Gleichgültigkeit des 
HBeſchuldigten oder aus anderen Gründen — verab— 
ſäumt und der zweite Strafbefehl ebenfalls rechts- 
kräftig wird. 


Was wird nun mit der Vollſtreckung dieſer unter 
Verletzung des Grundſatzes ne bis in idem erkannten 
zweiten Strafe? 

Ich darf wohl ohne weiteres behaupten, daß es 
keine Strafvollſtreckungsbehörde — in Bayern keinen 
Amtsrichter — gibt, die in einem ſolchen Falle bei 
Kenntnis der Sachlage den formell zweifellos zuläſſigen 
Strafvollzug einleiten würde. Und doch verlangt der 
mit der Wirkung eines rechtskräftigen Urteils aus⸗ 
geſtattete Strafbefehl (8 450 StPO.) die Vollſtreckung 
der Strafe. Wie dieſem Zwieſpalt entrinnen, nach⸗ 
dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bei amts⸗ 
richterlichen Strafbefehlen nach dem Wortlaute des 
8 399 StPO. (ſ. auch Motive S. 219) ausgeſchloſſen 
iſt und das Vollſtreckungsverfahren nach der herr⸗ 
ſchenden Meinung auch keine Möglichkeit zur Abhilfe 
bieten fol? 

Der Gnadenweg iſt die letzte Auskunft, auf die 
man denjenigen verweiſt, der doch ein Recht darauf 
hat, nicht zweimal wegen der gleichen Tat beſtraft 
zu werden. Daß der Laie dies nicht verſteht, braucht 
wohl nicht erſt betont zu werden. 


Es ſcheint mir aber auch, als ob ſich bei richtiger 
Würdigung des Weſens eines Straſbefehls und der 
Natur des mebrerwähnten Grundſatzes ne bis in 
idem ein Weg finden ließe, auf dem das offenbare 
Unrecht der Doppelbeftrafung in prozeſſualer Weiſe 
wieder beſeitigt werden könnte. Ich denke hierbei an 
8 490 StPO., der eine Entſcheidung des Gerichtes 
vorſieht, wenn Einwendungen gegen die Zuläſſigkeit 
der Strafvollſtreckung erhoben werden. Welcher Art 
dieſe Einwendungen ſein müſſen, wird in den Motiven 
(S. 231) nicht weiter ausgeführt. Nach der herrſchen⸗ 
den Anſicht können nur ſolche Einwendungen in Frage 
kommen, welche außerhalb des Urteils und des dieſem 
vorausgegangenen Verfahrens liegen und das Urteil 
als ſolches in ſeinem Beſtande und Inhalt nicht be⸗ 
rühren, alſo etwa der Einwand der Verjährung der 
Strafvollſtreckung uſw. 

Dieſe Meinung iſt zweifellos richtig, ſoweit rechts⸗ 
kräftige richterliche Urteile, alſo Eniſcheidungen 
nach vorausgegangener Hauptverhandlung in Frage 
ſtehen, die durch die Mündlichkeit des Verfahrens die 
denkbar größte Gewähr für erſchöpfende Behandlung 
des Prozeßſtoffes einſchließlich der Prozeßvoraus— 
ſetzungen bieten und im Intereſſe des Anſehens der 
Gerichte unabänderlich ſein müſſen. Anders verhält 
es ſich dagegen mit den Strafbefehlen, bei deren Er- 
laſſung jene Gewähr fehlt, und die deshalb trotz der 
ihnen in § 450 beigelegten Wirkung eines rechts⸗ 
kräftigen Urteils einem ſolchen doch nicht gleichgeſtellt 
werden dürfen. 

Das Reichsgericht macht denn auch gerade bei 
der Frage des Verbrauches der Strafklage einen 
Unterſchied zwiſchen einem rechtskräftigen Straf— 
befehle und einem rechtskräftigen Urteile, indem es 
beim Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils die 
Strafklage hinſichtlich der gleichen Tat für unbedingt 
verbraucht erklärt, während es in dem andern Falle 
eine nochmalige Verfolgung derſelben Tat wenigſtens 
unter einem in dem Strafbefehle noch nicht ge— 
würdigten, eine erhöhte Strafbarkeit begründenden 
Geſichtspunkte zuläßt. Zur Begründung beruft es 
ſich auf, 8 263 SPO. und die Unmöglichkeit, in dem 
Straſbefehlsverfahren die Tat nach allen ihren recht— 
lichen Geſichtspunkten zu würdigen. Es erkennt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


| 
| 


a —— — — 


damit die Zuläſſigkeit einer Nachprüfung des rechts⸗ 
kräftigen Strafbefehls auf die materielle Richtigkeit 
ſeiner Entſcheidung, wenn auch nur unter beſtimmten 
Vorausſetzungen, an. Ein Weiterſchreiten auf dieſem 
Wege führt dazu, die Zuläſſigkeit der Nachprüfung 
des Strafbefehls auch bezüglich ſeiner prozeſſualen 
Richtigkeit, insbeſondere des Vorhandenſeins ſeiner 
prozeſſualen Vorausſetzungen zu bejahen, da mangels 
der Mündlichkeit des Verfahrens auch in dieſer Hin⸗ 
ſicht dem Richter bei ſeiner Entſcheidung vielfach die 
nötigen Unterlagen fehlen werden. Zu den prozeſſualen 
Vorausſetzungen eines Strafbefehls gehört aber auch, 
daß nicht ſchon wegen der gleichen Tat unter dem 
nämlichen rechtlichen Geſichtspunkte eine Beſtrafung 
erfolgt iſt. 

Ergibt ſich daher in dem Einwendungsverfahren 
nach 8 490 StPO., daß ein Strafbefehl unter Ver⸗ 
letzung dieſes Geſichtspunktes ergangen iſt, ſo kann 
ihn der Richter zwar nicht wieder aufheben, wohl 
aber hat er die Straſvollſtreckung aus ihm für uns 
zuläſſig zu erklären. Wurde in dem zweiten Straf⸗ 
befehle die Tat unter einem ſchwereren Geſichts punkte 
gewürdigt und hierbei unterlaſſen, die in dem erſten 
Strafbefehle ausgeſprochene Strafe anzurechnen, ſo 
kann aus den nämlichen Erwägungen heraus die ſes 
Verſäumnis nachgeholt werden, indem die Straf: 
voll ſtreckung nur hinſichtlich des überſchießenden Teiles 
der zweiten Strafe für zuläſſig erklärt wird. 

Ich verhehle mir nicht, daß gegen die hier ver⸗ 
tretene Anſchauung verſchiedene Bedenken geltend 
gemacht werden können. Sie trägt jedoch dem 
praktiſchen Bedürfniſſe Rechnung, ohne nach meiner 
Ueberzeugung dem Geſetze zu widerſprechen. Die 
Bedeutung des 8 450 StPO. wird durch ſie freilich 
erheblich eingeſchränkt. Das gleiche iſt aber ſchon 
durch die oben erwähnte Rechtſprechung des Reichs⸗ 
gerichtes zur Frage des Verbrauches der Straſklage 
geſchehen, die trotz ihrer beſtechenden Begründung 
ſchließlich doch nichts anderes iſt als ein Zugeſtändnis 
an die Praxis und ihre Notwendigkeiten. 


II. Staatsanwalt Gick in München. 


Zur Auslegung des § 36 Nr. 3 350. Vor einiger 
Zeit verklagte ein Anwalt zwei aus einem Wechſel 
Verpflichtete, von denen der eine bei dem Amtsgericht 
A, der andere bei dem Amtsgericht B ſeinen allge⸗ 
meinen Gerichtsſtand hatte, als Streitgenoſſen vor 
dem Amtsgericht A. Der gemeinſchaftliche Ausnahme: 
gerichtsſtand des 8 6032 ZPO. griff nicht durch, weil 
eine behauptete Rechtsnachfolge nicht durch Urkunden 
beweisbar war und infolgedeſſen im ordentlichen Ver⸗ 
fahren geklagt werden mußte. Zweifellos war das 
Gericht A für die Klage gegen B nicht zuſtändig, und 
die Klage mußte daher inſoweit abgewieſen werden. 
Der Richter wies aber die Klage ganz ab und zwar 
mit der Begründung: gemäß 8 363 3] O. hätte der 
Kläger, da mehrere Perſonen als Streitgenoſſen im 
allgemeinen Gerichtsſtand verklagt werden ſollten und 
für den Rechtsſtreit ein gemeinſchaftlicher, beſonderer 
Gerichtsſtand nicht begründet geweſen ſei, durch das 
im Inſtanzenzuge höhere Gericht das zuſtändige Gericht 
beſtimmen laſſen müſſen. Dies habe er aber unterlaſſen. 

Wir Scheint dieſe Entſcheidung nicht bedenkenfrei 
zu ſein und zwar aus folgenden Gründen: 


Durch den 8 363 ZPO. wird an den allgemeinen 
Beſtimmungen über den Gerichtsſtand nichts geändert. 
Der Kläger muß nicht die beiden Perſonen als Streit⸗ 
genoſſen verklagen und ein zuſtändiges Gericht be⸗ 
ſtimmen laſſen: (anders die Nummern 1, 2, 4, 5, 6 
des § 36) !) er kann auch den umſtändlicheren Weg 
einſchlagen, A beim Amtsgericht A und B beim Amts⸗ 
gericht B zu verklagen. Das Geſetz gibt ihm nur die 
— ſonſt nach den geltenden Beſtimmungen nicht be⸗ 
ſtehende — Möglichkeit dies durchzuſetzen: vgl. 
den Wortlaut: „wenn .... verklagt werden ſollen“. 
8 363 ZPO. enthält alſo keine Prozeßvorausſetzung. 
die der Richter zu prüfen hätte, ſondern m. E. nur eine 
Rechtswohltat für den Kläger. Die Vorſchrift iſt dem 
Kläger, wenn man der Anſicht des Gerichts folgt, das die 
Entſcheidung getroffen hat, ja zweifellos auch inſoferne 
günſtig, als ſie ihm die Möglichkeit ſchafft. Perſonen 
für die verſchiedene Gerichte örtlich zuſtändig ſind, 
als Streitgenoſſen zu verklagen, ſie iſt ihm aber auch 
inſofern ungünſtig, als ſie in Fällen, in denen ſonſt 
eine Teilabweiſung möalich geweſen wäre, zur gänzlichen 
Abweiſung führt. Dieſen Erfolg kann aber eine 
Rechtswohltat niemals haben. Wäre die Vorſchrift 
nicht vorhanden, ſo hätte der Richter zweifellos den 
Beklagten A verurteilt und nur gegen B die Klage 
abgewieſen, denn es ergehen täglich zahlreiche Ent⸗ 
ſcheidungen, in denen gegen Streitgenoſſen verſchieden 
erkannt wird, und keine Vorſchrift ſpricht dafür, daß 
der Fall der Klage gegen den einen Streitgenoſſen 
auch den der Klage gegen den anderen nach ſich zieht. 
Es iſt demnach m. E. der Standpunkt zu vertreten, 
daß die Mitverklagung des B in Anſehung der Klage 
gegen A nur als bedeutunasloſes superfluum behandelt 
werden dürfte, eine Auffaſſung, für die doch ſicher 
neben den oben ausgeführten juriſtiſchen Erwägungen 
die praktiſche ſpricht, daß der Geſetzgeber, als er die 
Vorſchriſt des 8 363 ſchuf, kaum daran gedacht hat, 
daß ſie dazu dienen könne, einem korrekt verklagten 
Verpflichteten einen ungerechtfertigten Aufſchub zu 
gewähren. Dies tritt beſonders kraß in dem ge⸗ 
ſchilderten Beiſpiel hervor, in dem es ſich um den 
Anſpruch aus einem Wechſel handelt, alſo einen An⸗ 
ſpruch, der ſtets beſonderer Beſchleunigung bedarf, 
die ihm im vorliegenden Falle ſchon deshalb nicht 
in vollem Maße zuteil werden konnte, weil der Wechſel⸗ 
prozeß eines formalen Mangels halber ausgeſchloſſen 
war. Und gerade in Wechſelſachen hat die erörterte 
Frage Bedeutung, weil hier erfahrungsgemäß die 
Streitgenoſſenſchaft faſt ſtets eine Rolle ſpielt. 
Referendar Dr. Eger in Berlin. 


1) In dieſen Fällen beruht aber der gewiſſer⸗ 
maßen prozeßvorausſetzungsartige Charakter der Vor— 
ſchrift des § 36 auf der tatſächlichen Unmöglichkeit, 
ohne Beſtimmung des zuſtändigen Gerichts weiter zu 
kommen, und iſt daher auch hier nur ſcheinbar. Es 
ſpricht daher m. E. im Falle des § 364 nichts dagegen, 
wenn der Kläger ein Recht an einem Grundſtück geltend 
macht, das teilweiſe im Bezirk des Gerichts 4, teilweiſe 
im Bezirk des Gerichts B liegt, und vor dem Gericht 
A klagt, dahin zu entſcheiden, daß der Klage ſtatt— 
gegeben wird, ſoweit das Grundſtück im Bezirke A 
liegt, im übrigen die Klage abgewieſen wird. Selbſt 
eine hierdurch eintretende Schwierigkeit in Anſehung 
der Buchung darf den Prozeßrichter nicht abhalten, 
eine materiell richtige Entſcheidung zu treffen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


399 


Aus der Praxis der Gerichte. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


I. 


Zu 5 138 BGB.: Geheime Abmachungen von Unter⸗ 
nehmern über die Höhe ihrer Gebote bei dem Wettbewerb um 
öffentlich ausgeſchriebene Arbeiten. Aus den Gründen: 
Zur Entſcheidung ſteht nur die Frage, ob die zwiſchen 
den Prozeßparteien und zwei weiteren Bauunternehmern 
H. und P. getroffene Vereinbarung über ihre Beteiligung 
an einem Wettbewerb um Erd⸗ und Brückenbauarbeiten 
gegen die guten Sitten verſtößt und deshalb nach 8 138 
BGB. nichtig iſt. Dieſe Vereinbarung ging dahin, daß 
auf die Brückenbauarbeiten die Klägerin, auf die Erd⸗ 
arbeiten die Beklagten das niedrigſte und die drei 
anderen Vertragsparteien höhere Gebote abgeben und 
die Klägerin dem H. 2000 M, die Beklagten dem P. 
1000 M als Gewinnanteil auszahlen ſollten; ſollten 
aber die Arbeiten einem anderen Vertragsgenoſſen 
übertragen werden, dann ſollte dieſer die genannten 
Beträge auszahlen. Nach der Behauptung der Klägerin 
iſt weiter noch vereinbart worden, daß die Beklagten, 
wenn ihnen die Brückenbau⸗ und die Erdarbeiten zu⸗ 
geſchlagen würden, erſtere der Klägerin als Unter⸗ 
unternehmerin übertragen müßten. Die Vorinſtanzen 
haben die Vereinbarung für nichtig erklärt; die Ver⸗ 
einbarung habe nur bezweckt, durch nicht ernſthaft 
gemeinte höhere Preisforderungen der anderen Ver⸗ 
tragsgenoſſen die ausgeſchriebenen Arbeiten den Prozeß⸗ 
parteien auf ihre im Vergleiche mit jenen Schein⸗ 
angeboten beſonders günſtig erſcheinenden Gebote 
zu verſchaffen, die Abrede habe auf eine Täu⸗ 
ſchung der Bauherrin über den Charakter der An⸗ 
gebote abgezielt; dadurch unterſcheide ſich der vor⸗ 
liegende Fall von dem in dem Urt. des I. 35. vom 
7. März 1908 (I 357/07; JW. 1908 S. 296) abge⸗ 
urteilten, in dem das Moment der Täuſchung durch 
die Abgabe nicht ernſthafter höherer Offerten gefehlt 
habe. Mit Recht rügt die Reviſion, daß die An⸗ 
nahme, die höheren Preisforderungen ſeien nicht ernſt 
gemeint, nur Scheinangebote gemefen. mit dem vor⸗ 
getragenen Sachverhalte nicht im Einklange ſteht. 
Die Klägerin hat allerdings behauptet, bei dem Ber: 
tragsſchluſſe ſei man davon ausgegangen, daß die 
Arbeiten einer der Prozeßparteien übertragen werden 
würden, und habe nicht ernſtlich daran gedacht, daß 
einer der anderen Vertragſchließenden eine der aus» 
geſchriebenen Arbeiten erhalten würde. Anderſeits iſt 
aber in dem ſchriftlichen Vertrage dieſe Möglichkeit 
ausdrücklich vorgeſehen. Danach läßt ſich aus jenem 
Vorbringen der Klägerin unmöglich folgern, die höheren 
Angebote ſeien überhaupt nicht ernſtlich gemeint ge- 
weſen, ſondern nur, daß die Parteien die Erteilung 
des Zuſchlags auf dieſe, eben weil ſie die höheren 
waren, für höchſt unwahrſcheinlich gehalten haben, 
wie dies auch von den Beklagten nach dem Tat⸗ 
beſtande des Berufungsurteils behauptet iſt. Die aus⸗ 
ſchreibende Firma hatte ſich nicht verpflichtet, dem 
Mindeſtfordernden die Arbeiten zu übertragen. Mit 
der Möglichkeit, daß ein anderer ſie bekomme, mußten 
die Vertragſchließenden rechnen und haben ſie nach 
dem Inhalte des ſchriftlichen Vertrags auch gerechnet. 
Daß die höheren Gebote das vereinbarte Mindeſtgebot 
ſo erheblich überſteigen ſollten oder überſtiegen hätten, 
daß ſie deshalb nicht in Betracht kommen konnten, iſt 
nicht behauptet worden; die Tatſache, daß die Brüdene 
bauarbeiten nicht der Klägerin auf ihr Mindeſtgebot, 
ſondern den Beklagten übertragen worden ſind, ſpricht 
dagegen. Demnach waren die höheren Gebote keine 
Scheinangebote. Der Vorderrichter legt nun gerade 
auf den wiederholt betonten Umſtand, dieſe Gebote 
ſeien nicht ernſthaft gemeint, nur Scheinangebote ge- 


400 


weſen, entſcheidendes Gewicht. Mit dieſer Feſtſtellung 
fällt folglich auch ſeine Entſcheidung. Letztere ſtellt 
ſich auch nicht etwa aus einem anderen Grunde als 
richtig dar. Insbeſondere iſt nicht feſtgeſtellt und 
auch von den Beklagten nicht behauptet worden, daß 
die Mindeſtgebote nicht angemeſſen geweſen ſeien; aus 
der Tatſache, daß die Firmen, denen die Arbeiten 
übertragen wurden, 3000 M an die Vertragsgenoſſen 
als Gewinnanteile abgeben mußten, folgt für ſich 
allein noch nicht, daß ihre Gebote um dieſen Betrag 
die Grenzen des Angemeſſenen überſchreiten mußten. 
Daß ſchließlich nicht jede derartige Vereinbarung ohne 
Rückſicht auf die Angemeſſenheit der vereinbarten 
Mindeſtgebote und auf das Vorliegen einer Täuſchungs⸗ 
abſicht gegen die guten Sitten verſtößt, nimmt auch 
der Vorderrichter im Anſchluß an das angeführte Urteil 
des I. 35. an und iſt auch von dem erkennenden 
Senate (III 221/03, Urteil vom 24. Nov. 1903) bereits 
ausgeſprochen worden. (Urt. des III. JS. vom 19. 908 


1911, III 444/1910). 
9875 


II. 


Ungältigkeit eines Bertrags, durch den ein Schuldner 
ſeinem Gläubiger alle gegenwärtigen und künftigen 
Ceſchäſtsaußeuftände abtritt und zugleich feine Fabrik⸗ 
einrichtung, feine Rohftoffe und Waren ihm übereignet, 
ſowie feine künftig zu erwerbenden Rohſtoffe und 
Waren ihm zu übereignen ſich verpflichtet. Aus den 
Gründen: Der Kläger hat mit dem Fabrikanten S., 
dem jetzigen Gemeinſchuldner, einen Vertrag geſchloſſen, 
durch welchen er ſich verpflichtete dem S. einen Kre— 
dit zu beſchaffen, S. dagegen ihm eine Entſchädigung 
von 10% des von ihm erzielten Reingewinns zus 
ſicherte und ihm zur Sicherheit für alle, aus dem 
Vertrags verhältnis erwachſenden Anſprüche das Einen: 
tum an ſeinem ganzen Lager fertiger und halbfertiger 
Waren und den Rohmaterialien, Werkzeugen und 
Geſchäftseinrichtungsgegenſtänden zu übertragen er— 
klärte, ihm alle bereits vorhandenen und zukünftigen 
Geſchäftsausſtände zedierte und ſich verpflichtete, ihm 
auch das Eigentum an den ſpäter zu erwerbenden 
Rohmaterialien und Waren zu übertragen. Das Ver— 
tragsverhältnis war zunächſt auf ein Jahr berechnet, 
ſollte jedoch von Jahr zu Jahr verlängert werden, 
falls es nicht drei Monate vor Ablauf des Jahres 
gekündigt würde. Auf Grund dieſes Vertrages hat 
der Kläger in dem über das Vermögen des S. er— 
öffneten Konkurſe Ausſonderungs- und Maſſeanſprüche 
erhoben. Das Berufungsgericht hat die Klage abge⸗ 
wieſen, weil der Vertrag dadurch, daß er die geſchäft⸗ 
liche Selbſtändigkeit des S. völlig beſeitige, den guten 
Sitten widerſtreite, er auch zwar nicht in unmittel- 
barer aber entſprechender Anwendung des 8 310 BGB. 
für ungültig zu erachten ſei. Die Reviſion, welche im 
weſentlichen die Verletzung der S8 138, 310 BGB. 
rügt und ausführt, daß die Auffaſſung des Berufungs— 
gerichts dem fiduziariſchen Charakter des Vertrages 
vom 22. Juni 1904 nicht gerecht werde, iſt unbegründet. 
Der Vertrag enthält eine nichtige Beſtimmung ſchon 
in der Vereinbarung der Abtretung aller zukünſtig 
entſtehenden Geſchäftsaußenſtände. Die Ungültigfeit 
einer ſolchen Abtretung hat das RG. bereits in dem 
Urteil vom 1. Oktober 1907 (Entſch. 67, 166) ausge— 
ſprochen und zwar in einem Falle, in welchem die 
Abtretung gleichfalls nur zum Zwecke der Sicherung 
des Gläubigers und Zeſſionars erfolgt war. Daß in 
jenem Falle der Abtretende mehrere Gewerbe betrieb, 
kann einen weſentlichen Unterſchied nicht begründen. 
Insbeſondere entbehrt auch hier die Bezeichnung der 
abgetretenen Forderungen der nötigen Beſtimmtheit. 
Jede Erweiterung des Geſchäftsbetriebes, jede Be— 
teiligung des Abtretenden an anderen Unterneh— 
mungen, der Abſchluß von Börſen- und ſonſtigen Ge— 


Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


ſchäften muß zu Zweifeln führen, ob die daraus er⸗ 
wachſenen Forderungen als Geſchäftsausſtände i. S. des 
Vertrages anzuſehen und demnach mitabgetreten find 
oder nicht. Die Vermutung des 8 344 Abſ. 1 HGB. kann 
nicht genügen um dieſe Zweifel zu beſeitigen. Das 
Bedürfnis des Verkehrs, aus welchem die Notwendig: 
keit der Anerkennung der Abtretbarkeit zukünftiger 
Forderungen vornehmlich hergeleitet wird — RG. 55, 
334 — rechtfertigt nicht die Abtretung zukünftiger 


RS in einem derartigen Umfang, wie er 


ier verſucht wird. Die Anerkennung derartiger 
Abtretungen würde vielmehr den redlichen Ber- 
kehr ſchwer gefährden. Insbeſondere muß aber in 
einem Falle, wie dem vorliegenden, in dem mit der 
Abtretung der künftigen Geſchäftsausſtände die Ueber: 
eignung der geſamten Fabrikeinrichtung, der Roh⸗ 
ſtoffe und der Waren verbunden und zugleich die 
Verpflichtung übernommen worden iſt, auch die künftig 
zu erwerbenden Rohſtoffe und Waren dem Kläger zu 
übereignen, der Vereinbarung als gegen die guten 
Sitten verſtoßend die rechtliche Anerkennung verſagt 
werden. Wenn die Vereinbarung nicht einen bloßen 
Scheinvertrag, eine Umgehung der geſetzlichen Be— 
ſtimmungen bezweckt, welche eine Pfandbeſtellung 
durch constitutum possessorium nicht zulaſſen, fo ent: 
zieht ſie dem Schuldner völlig die geſchäftliche Selb— 
ſtändigkeit und gibt dem Gläubiger die Möglichkeit 
jederzeit einzugreifen und die gewerbliche Tätigkeit des 
Schuldners lahmzulegen. Daß die übereigneten Sachen 
dem Schuldner „zum unentgeltlichen Gebrauch über— 
laſſen“ find, und ihm die ‚Ermächtigung' erteilt iſt, 
die Rohſtoffe zur Fertigſtellung von Waren zu vers 
wenden, und die fertigen Waren in ordnungsmäßigem 
Geſchäftsbetriebe zu veräußern, ändert hieran nichts; 
ebenſowenig, daß der Vertrag zunächſt nur auf ein 
Jahr geſchloſſen iſt. Auch der Umſtand kann die 
Rechtswirkſamkeit der Vereinbarung nicht begründen, 
daß ſie getroffen iſt um dem Schuldner neuen Kredit 
zu verſchaffen und ſie ſomit dem augenblicklichen 
Vorteile des Schuldners dienen mag. Denn die 
Rückſicht auf den geſunden Verkehr, auf die Intereſſen 
der ſonſtigen Gläubiger, an denen es bei einem 
Schuldner, der ſich zu derartigen Verträgen beſtimmen 
läßt, niemals fehlen wird, insbeſondere auf die— 
jenigen, von denen der Schuldner die Waren zu 
ſeinem weiteren Geſchäftsbetriebe entnimmt, erfordert, 
daß die rechtliche Anerkennung einer Vereinbarung 
verſagt wird, durch die der Schuldner ſich feines ge⸗ 
ſamten dem Geſchäftsbetriebe dienenden Vermögens, 
auch des zukünftig zu erwerbenden, zugunſten eines 
Gläubigers entäußert und zum bloßen Werkzeuge 
dieſes Gläubigers wird, während er gleichwohl nach 
außen hin den Schein eines ſelbſtändigen Gewerbe— 
betriebes aufrecht erhält. Dem fiduziariſchen Rechts— 
geſchäfte kann kein weiterer Spielraum gegeben werden 
als dem wirtſchaftlich ernſtgemeinten. Demnach iſt 
der Vertrag vom 22. Juni 1904 jedenfalls inſofern 
für ungültig zu erachten, als er die Abtretung aller 
künftigen Außenſtände enthält. Da aber der Vertrag, 
wie das Berufungsgericht bedenkenfrei feſtſtellt, nur 
als ein einheitliches Ganzes gewollt war, ſo ergibt 
ſich hieraus nach 8 139 BGB. die Nichtigkeit des 
Vertrages ſeinem ganzen Inhalt nach. Es bedarf 
daher nicht der Prüfung der Frage, ob nicht auch 
diejenigen Beſtimmungen der Vertrages, welche die 
Uebertragung des Warenlagers zum Gegenſtande 
haben, ebenfalls ſchon an ſich ungültig find; vgl. in 
dieſer Beziehung die Ausführungen von H. Hoeniger 
in der Zeitſchr. des Deutſch. Notarvereins, 11. Jahrg. 
S. 177 ff. (Urt. des III. ZS. vom 5. Mai 1911, III 
204/1910). E. 

2376 


Zeitſchrift für ÜMùuBeilſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 0. M in Bayern. 1911. 


III. 


Nechtsverhältniſſe eines ſog. Unterkonſortinms. 
Aus den Gründen: Der Berufungsrichter legt die 
Schreiben der Parteien dahin aus, daß die Beklagte 
nicht, wie ſie in zweiter Inſtanz geltend gemacht hat, 
beſtimmte 50 Stück Kuxe von der Klägerin gekauft, 
ſondern mit der Klägerin einen Unterkonſortialvertrag 
(Untergeſellſchafts vertrag) geſchloſſen habe; Gegen⸗ 
ſtand dieſes Vertrages ſei die Unterbeteiligung der 
Beklagten an dem Konfortialanteil (Geſellſchaftsanteil) 
geweſen, der für die Klägerin durch den von ihr mit 
drei anderen Perſonen zum An⸗ und Verkauf von 
R.⸗Kuxen durch den e . 
ſchaftsvertrag) begründet worden ſei. Die höchſt⸗ 
[nn Rechtſprechung hat vielfach bei ähnlicher 

Sachlage, namentlich in Fällen der Ueberlaſſung einer 
Beteiligung durch den Teilhaber eines zur Emiſſion 
von Wertpapieren gegründeten Konſortiums, die Ans 
nahme ſolcher Unterkonſortial verträge (Untergeſell⸗ 
ſchaftesverträge) gebilligt 0 ROH. 15, 249; 17, 196, 

22, 1 6, 46, 46, 27; 56, 206; 67, 
394; Gruchot 48, 1042). Die Rechtsverhältniſſe der⸗ 
artiger zwiſchen Kaufleuten begründeter Unterkonſortien 
(Untergeſellſchaften) wurden nach früherem Recht durch 
die Art. 266 ff. des alten HGB. über die handels⸗ 
rechtliche Gelegenheitsgeſellſchaft beſtimmt (RG. bei 
Gruchot 48, 1042); jetzt unterſtehen ſie den Vorſchriften 
der 88 705 ff. BOB. über die Geſellſchaft (RG. 67, 
395). Hiervon geht auch der Berufungsrichter aus. 
Er ſagt über die Rechtsverhältniſſe der Untergeſell⸗ 
ſchaft zu der Hauptgeſellſchaft und der Untergeſell⸗ 
ſchafter zueinander, daß der Unterbeteiligte keine 
Rechte gegen die Hauptgeſellſchaft, insbeſondere keinen 
Einfluß auf die Geſchäftsführung der Hauptgeſell⸗ 
ſchafter habe und alle Verfügungen der Hauptgeſell⸗ 
ſchafter und ihre Geſchäftsführung gegen ſich gelten 
laſſen müſſe, ſoweit fie ordnungsmäßig geſchehen ſeien, 
die Geſchäfte ſich im Rahmen des Hauptgeſellſchafts⸗ 
vertrages hielten und beſonderen Beſtimmungen des 
F nicht entgegenliefen, ſowie 
daß ihm der die Beteiligung überlaſſende Hauptgeſell⸗ 
ſchafter nach 8 708 BGB. bei der Erfüllung der ihm ob» 
liegenden Verpflichtungen nur für diejenige Sorgfalt 
einzuſtehen habe, die er in eigenen Angelegenheiten an⸗ 
wende. Dies iſt nicht zu beanſtanden, entſpricht vielmehr 
der vom ROHG. und vom RG. bei ähnlicher Sach⸗ 
lage den Unterkonſortialen beigelegten Rechtsſtellung 
(ROH. 15, 252; 17, 203, 391; 22, 385; RG. 1, 80; 
67, 395). (Urt. des V. 35. vom 13. Mai 191i v 


586/1910). 
2373 


IV. 


Wird die Annahme eines Mitverſchuldens des Ber: 
letzten durch die Feſtſtellung einer „löblichen Abſicht“ 
oder durch feine Abſtumpſung gegen die Betriebsgefahr 
ausgeſchloſſen? Mittelbarer urſächlicher Zuſammenhang 
1 dem ſchuldhaften Verhalten des erletzten und 
em ſchädigenden Erfolg. Der Arbeiter N. wurde bei 
Bahnbauarbeiten auf einer Staatsbahnlinie beſchäftigt. 
Ein Materialzug ſtieß an einen von ihm zuvor ab⸗ 
gehängten Rollierſteinwagen, auf dem N. ſtand und 
mit Abladen von Steinen beſchäftigt war. N. ſtürzte 
herab und fiel zwiſchen die Schienen; bei dem Ver⸗ 
ſuche zwiſchen den rollenden Rädern herauszukriechen, 
wurde er von dieſen erfaßt und getötet. Die Berufs⸗ 
genoſſenſchaft hat den Fiskus gemäß 8 140 GewllVerſc. 
und auf Grund des 81 HaftpflG. auf Erſatz der von 
ihr an die Witwe und Kinder des Getöteten gezahlten 
Entſchädigungsbeträge und Renten in Anſpruch ge— 
nommen. Das LG. wies die Klage ab. Die Be— 
rufung wurde als unbegründet zurückgewieſen. Die 
Reviſion blieb erfolglos. 


Nr. 20. 401 


Gründe: Das OLG. erblickt in dem Verhalten 
des Getöteten ein für den Unfall urſächliches grobes 
Verſchulden. N., der ſeit 6—7 Jahren beim Bahnbau 
beſchäftigt war, habe die Warnungsſignale und Zu⸗ 
rufe ſo gut wie die anderen Arbeiter gehört und ver⸗ 
ſtanden, ſie aber wiſſentlich nicht beachtet und ſei auf 
dem Wagen ſtehen geblieben, obwohl den Arbeitern 
wiederholt eingeſchärft worden ſei ſich in einem ſolchen 
Falle niederzuſetzen. Hätte er dies getan, ſo wäre 
das Unglück vermieden worden. Ein Verſchulden des 
Fiskus oder ſeiner Betriebsorgane liege nicht vor, auch 
kein die Betriebsgefahr erhöhendes Moment. Es müſſe 
daher — auch im Hinblick auf 8 254 BGB. — ein 
überwiegendes eigenes Verſchulden des Getöteten an⸗ 
genommen werden. 


Die Reviſion rügt Verletzung des 8 1 HaftpflG., 
des 8 254 BG. und der 88 286 und 551 Nr. 7 ZO. 
Im Berufungsurteil iſt geſagt: wenn auch angenommen 
werden müſſe, daß N. ſich bei feinem Verhalten nur 
durch ſeinen Fleiß und durch ſein Beſtreben Lob zu 
ernten und bald fertig zu werden, leiten ließ, ſo 
enthalte doch die Nichtbeachtung der Warnungsſignale 
und die Nichtveränderung ſeiner Stellung auf dem 
Wagen eine grobe Fahrläſſigkeit. Die Reviſion meint, 
wenn der Verunglückte „in der beſten Abſicht“ ge⸗ 
handelt habe, ſo werde dadurch die Entſcheidung der 
Frage des Verſchuldens oder doch des Grades ſeines 
Verſchuldens beeinflußt. Dem kann jedoch hier nicht 
beigepflichtet werden. An der Kauſalität des Ver⸗ 
ſchuldens würde durch einen an ſich löblichen Beweg⸗ 
arund der Handlungsweiſe nichts geändert. In ſub⸗ 
jektiver Hinſicht könnte unter anderen Umſtänden ein 
Uebereifer bei der Arbeit die Achtloſigkeit in milderem 
Lichte erſcheinen laſſen. Allein hier handelte es ſich 
nicht um bloße Unaufmerkſamkeit gegenüber der Ge⸗ 
fahr, und zudem war ein Uebereifer beim Abladen 
wenig am Platze. Nach der Feſtſtellung des Berufungs⸗ 
gerichts hätte an der Stelle, wo N. voreilig abzuladen 
unternahm, nicht abgeladen werden dürfen, weil dort 
ſchon „rolliert“ war, und der Verunglückte hätte dies 
bei einiger Umſicht und Ueberlegung ſelbſt erkennen 
müſſen 


Die Klägerin hatte darauf hingewleſen, daß der 
fändige Umgang mit der Betriebsgefahr gegen dieſe 
Gefahr abſtumpfe. Dem hält das Berufungsgericht 
entgegen, daß die Gleichgültigkeit gegen die Gefahr 
ſtets eine Fahrläſſigkeit des ſie nicht Achtenden ſei und 
daß er allein dieſe Fahrläſſigkeit zu vertreten habe. 
Von der Reviſion wird dieſe Ausführung als irrig 
bekämpft; es müſſe bei der Frage nach dem eigenen 
Verſchulden des Verletzten auch auf die Verhältniſſe 
und Lebensgewohnheiten Rückſicht genommen werden, 
alſo auch auf jene allgemein bekannte Erfahrungs⸗ 
tatſache. Nun mag der Reviſion zugegeben werden, 
daß der vom OLG. aufgeſtellte Satz gegenüber der 
Vorſchrift des 8 254 BGB. zu ſchroff oder zu allgemein 
gefaßt iſt. Es kann nach Umſtänden bei Betriebs— 
unfällen von Bahnbedienſteten oder Bahnarbeitern 
gerechtfertigt fein für die Frage des eigenen Vers 
ſchuldens einen milderen Maßſtab anzulegen, weil 
ihre Tätigkeit ſie fortwährend in Verbindung mit den 
Gefahren des Betriebes bringt und der ſtete Umgang 
mit der Gefahr ſie weniger auf dieſe achten läßt. Indes 
darf doch dieſem Geſichtspunkte da nicht zulaſten des 
Betriebsunternehmers Rechnung getragen werden, wo 
der Verunglückte wie hier, nicht nur einer zum Schutze 
der Arbeiter erlaſſenen Weiſung zuwiderhandelt, ſon— 
dern auch die noch unmittelbar angeſichts der nahenden 
Gefahr abgegebenen Signale und Warnungsrufe ge— 
fliſſentlich unbeachtet läßt. Die Folgen eines ſolchen 
Ungehorſams hat allerdings der Betcoffene allein zu 
vertreten. 


Als irrig bezeichnet die Reviſion weiter die An— 
nahme des OL G., daß das Verſchulden des N. für 


402 


feinen Tod kauſal geweſen ſei. Er ſei erſt, als er 
nach dem Sturze herauszukriechen verſuchte, von den 
Rädern erfaßt und getötet worden. Der Arbeiter R., 
der ebenfalls vom Wagen gefallen ſei, habe keinen 
Schaden genommen. Der Verſuch durch die Räder 
zu kriechen, werde aber dem N. vom OLG. nicht zur 
Schuld angerechnet. Auch dieſer Angriff kann keinen 
Erfolg haben. Wenn der Vorderrichter dem Ver⸗ 
unglückten den Verſuch herauszuklettern, nicht als 
Verſchulden zugerechnet hat, ſo ſtand das der Feſt⸗ 
ſtellung der Urſächlichkeit ſeines vorangegangenen ſchuld— 
haften Verhaltens keineswegs entgegen. 
ſichtige verbotswidrige Stehenbleiben des N. auf dem 
Wagen hat ſeinen Sturz veranlaßt und ihn in die 
gefährliche Sitution auf den Schienen gebracht. 
fo verſchuldete Sturz iſt und bleibt die erſte und 


Das unvor⸗ 


Der 


weſentlichſte Urſache des Unfalles, wenngleich noch 


eine weitere Handlung oder Bewegung des Geſtürzten 


in die Kauſalreihe eingetreten iſt und die tödliche Ver⸗ 
letzung unmittelbar herbeigeführt hat. Daran ändert 


es auch nichts, wenn nach dem Sturze aber als deſſen 
Folge bei dem Verunglückten eine Beeinträchtigung 
feiner Denkfähigkeit oder freien Willensbeſtimmung 
hinzugekommen wäre, die ihn den Verſuch heraus⸗ 
zukriechen unternehmen ließ. Der Arbeiter R., der 
gleichfalls auf dem Wagen ſtehen geblieben und herab⸗ 
geſchleudert worden iſt, hatte das beſondere Glück, 
auf die Puffer des Wagens zu fallen. Es iſt un⸗ 
erfindlich, wie dieſer Hergang gegen die Urſächlichkeit 


des dem N. zur Laſt fallenden Verſchuldens zu ver⸗ 


werten ſein ſollte. 
1911, VI 190/1910). 
2294 


(Urt. des VI. 35. vom 4. Mai 


— — —n 


V. 


Kann der Hypothetſchuldner mit Wirkung für den 
Gläubiger mit einem Dritten vereinbaren, daß eine auf 
die Hypothek geleiſtete Zahlung als nicht geſchehen gelten 
fol? Bewirkt eine ſolche Vereinbarung das Wieder: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


Reviſion iſt zuzugeben, daß es mindeſtens zweifelhaft 
iſt, ob der feſtgeſtellte Sachverhalt die Annahme eines 
Verſtoßes gegen die guten Sitten und aus dieſem 
Grunde die der Nichtigkeit des Zahlungsgeſchäfts vom 
21. Februar 1907 zu rechtſertigen vermag. Einer 
Löſung des Zweifels und überhaupt einer Entſcheidung 
darüber, ob die Zahlung gegenüber dem Beklagten 
wirkſam erfolgt iſt, bedarf es jedoch nicht, da dem 
Kläger auf alle Fälle die von ihm im Auguſt 1907 
mit den Eheleuten St. über die Rüdgängigmadjung 
der Zahlung getroffene Vereinbarung entgegenſteht. 
Allerdings kann ſich der Beklagte dem Kläger gegen⸗ 
über auf dieſe Vereinbarung, bei der die Eheleute St. 
lediglich im eigenen Namen gehandelt haben, nur 
dann berufen, wenn fie ſich als ein zu feinen Qunſten 
geſchloſſener Vertrag i. S. des 8 328 Abſ. 1 BGB. 
darſtellt. Insbeſondere kann er nicht, wie das Be⸗ 
rufungsgericht meint, ein unmittelbares Recht gegen 
den Kläger daraus herleiten, daß die Ehefrau St. 
als ſeine Geſchäftsführerin ohne Auftrag gehandelt 
und daß ſein neuer Vormund die Geſchäftsführung 
genehmigt habe (vgl. SS 677 ff., 681, 667 BGB.). 
Denn ein Handeln der Ehefrau St. in ſeinem Namen, 
als Vertreterin ohne Vertretungsmacht (vgl. § 177 
BGB.), ſteht nicht in Frage, und es kann deshalb 
dahingeſtellt bleiben, ob bei Annahme eines ſolchen 
Handelns dem Berufungsgerichte der Vorwurf der 
Verletzung des 8 178 BGB. zu machen geweſen wäre. 
Allein die Feſtſtellung, daß die Vereinbarung vom 
23. Auguſt 1907 ein Vertrag i. S. des 8 328 Abſ. 1 
BGB. ſei, iſt rechtlich unbedenklich. Namentlich iſt es 


verfehlt, wenn die Reviſion auszuführen ſucht, daß 


aufleben der Hypothek und ſteht fie der auf die 


Zahlung geſtützten Klage auf Hypotheklöſchung ent⸗ 
gegen? Aus den Gründen: Das Berufungsgericht 
hält für erwieſen, daß der Kläger am 21. Februar 1907 
dem Manne der damaligen Vormünderin des Beklagten 
gegen Aushändigung einer von dieſer und dem Gegen— 
vormunde unterzeichneten, den Empfang „für Rech— 
nung“ des Beklagten beſcheinigenden Quittung 6000 M 
als Abzahlung auf deſſen Hypothekenforderung von 
noch 17000 M übergeben habe, obgleich ihm die Ab— 
ſicht der Vormünderin, den gezahlten Betrag nicht 
mündelſicher anzulegen, ſondern ihn ihrem Mann als 
Darleha zu belaſſen, bekannt geweſen ſei. Es erblickt 
hierin, einerlei ob die Vermögens verhältniſſe des Ehe— 
manns St. ſchon damals den Verluſt der 6000 M 
befürchten ließen oder nicht, ein gegen die guten Sitten 
verſtoßendes Rechtsgeſchäft, und es nimmt deshalb in 
erſter Linie an, daß die Zahlung nach § 138 Abſ. 1 
BGB. nichtig und ſomit nicht geeignet geweſen ſei, 
die Tilgung der Hypothekenforderung in Höhe der 
6000 M herbeizuführen. In zweiter Linie iſt es der 
Anſicht, daß die Zahlung, auch wenn ſie dem Be— 
klagten gegenüber wirkſam geweſen ſein ſollte, durch 
die im Auguſt 1907 zwiſchen den Eheleuten St. und 
dem Kläger getroffene Vereinbarung wieder rückgängig 
gemacht worden ſei. Dieſe Vereinbarung, bei der der 
Kläger den Eheleuten St. die Quittung vom 21. Februar 
1907 zurückgegeben und dafür den Darlehnsſchuldſchein 


der Eheleute St. vom 23. Auguſt 1907 erhalten habe, 


ſtelle ſich entweder als Vertrag zugunſten eines Dritten, 
des Beklagten, i. S. des § 328 Abſ. 1 BGB. dar, oder 


der Beklagte durch die Vereinbarung nicht bloß ein 
Recht gegen den Kläger habe erwerben, ſondern auch 
ſeine Anſprüche gegen die Eheleute St. habe verlieren 
ſollen, und zwar gegen die Frau aus der Verletzung 
ihrer Pflichten als Vormünderin, gegen den Mann 
aus dem Empfange der 6000 M. Von dem Aufgeben 
der Anſprüche des Beklagten gegen die Eheleute St. 
brauchte das zwiſchen dieſen und dem Kläger ge— 
troffene Abkommen nicht abhängig gemacht zu werden 
und iſt es nicht abhängig gemacht worden. Das Ab» 
kommen ging ausſchließlich dahin, daß die Eheleute 
St. Darlehnsſchuldner des Klägers nach dem dieſem 


ausgehändigten Schuldſchein vom 23. Auguſt 1907 


als ein Vertrag, der von der Ehefrau St. als auftrags ı 


loſer Geſchäftsführerin des Beklagten (vgl. 8677 BGB.) 
geſchloſſen und von dem jetzigen Vormunde. ſpäteſtens 
im gegenwärtigen Prozeſſe, genehmigt worden ſei. Der 


1 
‘ 


werden follten, und daß dafür im Verhältniſſe zwiſchen 
dem Kläger und dem Beklagten die in der zurück— 
gegebenen Quittung beſcheinigte Zahlung der 6000 M 
als nicht geſchehen gelten ſollte. Nun iſt es zwar 
nicht richtig, daß hierdurch, wie das Berufungsgericht 
ſich ungenau ausdrückt, die Hypothekenforderung 
„wiederhergeſtellt“ wurde. Denn im Falle der Wirk⸗ 
ſamkeit der Zahlung war die Forderung des Beklagten 
gegen den Kläger in Höhe von 6000 / endgültig 
erloſchen (vgl. 8 362 BGB.) und die Hypothek war 
als Eigentümergrundſchuld auf den Kläger über— 
gegangen (SS 1163, 1177 daſ.); zur Herſtellung eines 
dem früheren gleichen Zuſtandes hätte es alſo noch 
anderer Maßnahmen bedurft (vgl. 88 1154, 1198 BGB.). 
Aber die Vereinbarung hatte, auch wenn die Vertrag— 
ſchließenden einen ſo weitgehenden Erfolg beabſichtigt 
haben ſollten, mindeſtens die Wirkung (vgl. § 140 
BGB.), daß der Kläger verpflichtet wurde, ſich von 
dem Beklagten ſo behandeln zu laſſen, wie wenn die 
Zahlung der 6000 M und das dadurch herbeigeführte 
Erlöſchen des Schuldverhältniſſes nicht erfolgt wäre 
(vgl. Oertmann vor § 362 BGB. Anm. 4, 2. Aufl. 
S. 214; Planck zu $ 366 BGB. Anm. 2 Abſ. 2). Iſt 
dies aber nicht zu beanſtanden, ſo iſt die Klage auf 
Einwilligung in die Löſchung der Hypothek in Höhe 
der am 21. Februar 1907 vom Kläger gezahlten 
6000 M auf alle Fälle unbegründet. (Urt. des V. 35. 
vom 17. Mai 1911, v 476/1910). E. 


2.379 


VI. 

Grundſchuldbeſtellnng für Forderungen aus Dif: 
ferenzgeſchäften. Auf dem Grundbeſitz des Klägers 
ſind für den Beklagten, einen Angeſtellten der Firma 
P., drei Grundſchulden zu je 8000 M eingetragen. 
Die Klage verlangt, daß der Beklagte deren Löſchung 
bewillige und die Grundſchuldbriefe herausgebe, weil 
ſie nie ausgefüllt, nur zum Schein für den Beklagten, 
in Wirklichkeit zur Sicherung ſeiner Firma für ihre 
Forderung aus verbotenen Börſenſpielgeſchäften ein⸗ 
getragen worden ſeien und weil der Kläger die 
Vorgänge bei der Grundſchuldbeſtellung überhaupt 
nicht verſtanden habe. Der Beklagte hat Abweiſung 
beantragt. Er behauptet bei der Grundſchuldbeſtel⸗ 
lung mit dem Kläger verabredet zu haben, daß er, 
der Beklagte, dafür 24000 M anſchaffen und auf das 
Konto des Klägers bei der genannten Firma ein⸗ 
zahlen ſolle. Dies ſei dadurch geſchehen, daß die 
Firma P. dem Konto des Beklagten 24000 M ab» 
und dem des Klägers zugeſchrieben habe. Hierdurch 
habe der Kläger den Gegenwert erhalten. Die Klage 
wurde abgewieſen. Das OLG. wies die Berufung 
und das RG. die Reviſion zurück. 

Aus den Gründen: Mit Recht nimmt ſchon 
das LG. an, daß, ſoweit Nichtigkeit der Grundſchuld⸗ 
einträge behauptet wird, der Berichtigungsanſpruch 
nach 8 894 BGB., ſoweit Nichtausfüllung der Grund⸗ 
ſchulden behauptet wird, der Bereicherungsanſpruch 
nach 88 812 ff. in Frage kommt. Betrachtet man zus 
nächſt den erſten, vorgehenden Anſpruch, ſo iſt mit 
RG. 68, 97; 73, 143: RG. V 75/10 vom 25. Januar 
1911, JW. 1911 S. 210/3 die Annahme abzulehnen, 
daß etwa die Nichtigkeit der Grundſchuldeinträge aus 
der Nichtigkeit, weil Unſittlichkeit der Grundgeſchäfte 
gefolgert werden könne. Dagegen wäre ihre Nichtig⸗ 
keit allerdings dann gegeben, wenn die Grundſchuld⸗ 
beſtellung dem 8 873 BGB. zuwider ohne gültige 
Einigung und urkundliche Bewilligung des Klägers 
erfolgt wäre. Dergleichen hat der Kläger allerdings 
behauptet, der Berufungsrichter hat aber dieſe Bes 
hauptungen für widerlegt erklärt. Wenn nun auch 
äußerlich rechtsgültig, könnten doch die drei Grunde 
ſchulden vom Kläger etwa deswegen nach 88 812 ff. 
BGB. zurückgefordert werden, weil ſie auf einem wider 
die guten Sitten verſtoßenden Grundgeſchäft beruhen 
oder weil der mit ihrer Eintragung erſtrebte Erfolg 
nicht eingetreten iſt. Das OLG. verneint dieſe Mög⸗ 
lichkeit im weſentlichen deshalb, weil — ſelbſt an⸗ 
genommen, daß die Grundgeſchäfte verbotene Börſen⸗ 
ſpiele geweſen ſeien — die Firma P. rechtswirkſam 
für ihre Forderung hätte befriedigt werden können 
und weil dies mit Erfolg auch unter Entlaſtung des 
Klägers vom Beklagten bewerkſtelligt worden ſei. 
Hiergegen richtet der Reviſionskläger den Angriff, daß 
ſeine Behauptung, er habe nicht Erfüllung, ſondern 
nur Sicherung zugunſten der genannten Firma be— 
abſichtigt (welch' letztere nach dem Geſetz ungültig 
geweſen wäre), nicht gewürdigt worden ſei. Dieſer 
Angriff iſt hinfällig. Allerdings hatte der Kläger 
mehrfach behauptet, er habe in Wirklichkeit nur Siche— 
rung, nicht Befriedigung der Bank gewollt. Aber 
dem widerſprach feine im Tatbeſtand des Berufungs- 
urteils enthaltene Erklärung. daß das ganze Geſchäft 
lediglich gemacht worden ſei „um ihm der Bank 
gegenüber die Einreden aus Differenzgeſchäften abzu— 
ſchneiden“. Durch bloße Sicherheitsbeſtellung konnten 
ſolche Einreden nicht abgeſchnitten werden, da auch 
ſie nach 8 762 BGB., 8 66 Abſ. 3 Börf®. mit dem 
Hauptgeſchäft nichtig geweſen ſein würde. Auch wäre 
es widerſinnig geweſen, daß die Firma P. am Tage 
der drei Grundſchuldeintragungen ihre alte Siche— 
rungshypothek auf dem Grundbeſitz des Klägers löſchen 
ließ um wieder eine ungültige Sicherung zu erlangen. 
Abgeſchnitten konnte dem Kläger wirkſam der Dif— 
ferenzeinwand nur inſoweit werden, als eine nach 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


403 


Satz 2 des 8 762 BGB. und 8 66 Abf. 4 Börf®. an 
fh nicht rückforderbare Tilgung der angeblichen 
Spielſchuld erfolgte. Wenn ſomit der Kläger die Ab⸗ 
ſicht den Differenzeinwand abzuſchneiden zugibt, ſo 
geſteht er damit zugleich die Abſicht zu, daß 24000 M 
an ſeiner Schuld getilgt, alſo nicht bloß geſichert 
werden ſollten. Das OLG. war daher im Rechte, 
wenn es, ein Scheingeſchäft verneinend, ausdrücklich 
die Abſicht des Klägers, der Bank gegenüber zu er⸗ 
füllen, feſtgeſtellt hat. Auf das Zivilrecht geſtützte 
Angriffe hat die Reviſion überhaupt nicht erhoben, 
aus ihm ſind auch von Amts wegen keine Bedenken 
gegen das Berufungsurteil abzuleiten, mag man, wie 
es an einzelnen Stellen der Vorderrichter zu tun 
ſcheint, unmittelbare Befriedigung der Firma P. durch 
die Grundſchuldbeſtellung, wobei alſo der Beklagte 
nur ihr beauftragter Treuhänder geweſen wäre, oder 
mag man Erfüllungsauftrag des Klägers an den Be⸗ 
klagten, Vollzug dieſes Auftrags durch letzteren und 
Auslagenvergütung an ihn durch die Grundſchuldbeſtel⸗ 
lungen annehmen. In erſterem Falle war die Grund» 
ſchuldbeſtellung zugunſten der Firma als wirkliche 
(Differenz⸗)Schuldtilgung zu erachten, da fie als gleich⸗ 
zeitige Eingehung einer Verbindlichkeit i. S. des 8 762 
Abſ. 2 BGB. ebenſowenig wie i. S. des 8 817 Satz 2 
BGB. angeſehen werden kann (vgl. RG. 73, 144). 
Im zweiten Falle kann, wie ſchon aus obigem hervor⸗ 
geht, von einer Ungültigkeit der Erfüllung, die durch 
Aufrechnung und Umſchreibungen in den Handels⸗ 
büchern der Firma P. zwiſchen dieſer und dem Be⸗ 
klagten erfolgt ſein ſoll, und von der Ungültigkeit des 
Erfüllungsauftrages hierzu ebenſowenig die Rede ſein. 
(Urt. des V. 3S. vom 10. Mai 1911, V u) 

2378 : 


VII. 


Gilt in Eheſcheidungsſachen eine Ausnahme von 
dem Grundſatze, daß gegen eine Entſcheidung uur die 
Partei ein Rechtsmittel einlegen kann. die durch fie 
irgendwie formell beſchwert iſt? Uebergang vom 
Scheidungsautrag zum Antrag anf Aufhebung der ehe: 
lichen Gemeinſchaft in der Neviſionsinſtanz. Aus den 
Gründen: 1. Es fragt ſich zunächſt, ob die Reviſion 
zuläſſig iſt, obwohl das Oberlandesgericht in vollem 
Umfange den Anträgen der Beklagten und Wider⸗ 
klägerin entſprochen hat. Die Frage iſt zu bejahen. 
Zwar gilt im Zivilprozeſſe im allgemeinen der Grund» 
ſatz, daß eine Entſcheidung nur von der Partei durch 
Einlegung eines Rechtsmittels angefochten werden 
kann, die durch die Entſcheidung in irgendeiner Weiſe 
formell beſchwert iſt. Dieſer Grundſatz beſteht an ſich 
auch in Eheſcheidungsſachen, ſodaß z. B. ein Ehegatte, 
deſſen Antrag auf Abweiſung einer vom anderen Ehe⸗ 
gatten erhobenen Scheidungsklage Erfolg gehabt hat, 
ein Rechtsmittel nicht zu dem Zwecke einlegen kann, 
um nachträglich ſeinerſeits Widerklage auf Scheidung 
zu erheben (RG. 45, 321, vgl. auch 55, 244). Der 
Satz kann aber in Eheſcheidungsſachen mit Rückſicht 
auf die beſondere Natur des Scheidungsurteils nicht 
ausnahmslos Anwendung finden. Während nämlich 
in ſonſtigen Rechtsſtreitigkeiten der obſiegende Teil 
jederzeit in der Lage iſt, ſeine aus einer gerichtlichen 
Entſcheidung erlangten Rechte wiederaufzugeben, indem 
er ſie einfach nicht weiter verfolgt, liegt beim 
Scheidungsurteile die Sache anders. Mit der Rechts- 
kraft des Urteils tritt die Auflöſung der Ehe von 
ſelbſt und auch dann ein, wenn ſie in dieſem Zeit— 
punkte nicht mehr dem Wunſche des Ehegatten ent— 
ſprechen ſollte, der ſie erwirkt hat. Dabei tritt die 
Rechtskraft ohne Zutun des Ehegatten ein, da 
Scheidungsurteile gemäß $ 625 ZPO. von Amts wegen 
zugeſtellt werden. Mit Rückſicht hierauf und auf die 
in der ZPO. den Eheſachen zugunſten der Aufrecht— 
erhaltung der Ehe eingeräumte Sonderſtellung hat 
deshalb die Rechtſprechung des RG. (Gruchots Beitr. 41, 


404 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


171. JW. 1911 S. 155 Nr. 16 IV. 301/10 und die Entſch. Scheidungsurteil zuzulaſſen, dazu zwingen, in der Re: 


vom 12. Januar 1911 IV. 21/10) der Partei, die ſich nach⸗ 
träglich zur Fortſetzung der Ehe entſchließt, geſtattet, 
lediglich zum Zwecke der Zurücknahme der Klage oder 
des Verzichts auf den Scheidungsanſpruch Berufung 
oder, wenn im zweiten Rechtszuge erkannt iſt, Reviſion 
einzulegen. Entſprechend hatte das RG. unter der 
Herrſchaft des früheren Rechts die Einlegung eines 
Rechtsmittels wie in Fällen, in denen die Scheidung 
auf Grund gegenſeitiger Einwilligung nach preuß. 
ALR. ausgeſprochen war, zum Zwecke der Zurücknahme 
der früher erklärten Einwilligung (RG3Z. 27, 370 und 
Urt. vom 8. März 1894 IV. 256/93) ſo auch zugelaſſen, 
um dem Kläger oder Widerkläger, nach deſſen Antrag 
erkannt war, Gelegenheit zu geben, von der Scheidungs⸗ 
klage zur Klage auf Trennung von Tiſch und Bett 
überzugehen (RG. 36, 351, Gruchots Beitr. 41, 171). 
Nun weiſt zwar die Aufhebung der ehelichen Gemein⸗ 
ſchaft, wie fie in den 88 1575, 1576, 1586 und 1587 
BGB. geregelt iſt, mag auch ihr Weſen und ihr Ber: 
hältnis einerſeits zur Scheidung und andererſeits zur 
früheren Trennung von Tiſch und Bett zweifelhaft 
ſein, unzweifelhaft wie jener ſo auch dieſer gegenüber 
Verſchiedenheiten auf. Jedenfalls aber hat ſie unter 
allen Umſtänden mit der früheren Trennung von Tiſch 
und Bett das gemeinſam, daß ſie nur eine ſchwächere 
Wirkung als die Scheidung hat (8 1586 BGB.), indem 
fie im Gegenſatze zu dieſer das Band der Ehe minde⸗ 
ſtens nicht völlig löſt. Der Ehegatte, der an Stelle 
der erwirkten Scheidung Aufhebung der ehelichen 
Gemeinſchaft begehrt, will alſo immerhin das ihm 
ſchon zugefprochene Recht teilweiſe wiederaufgeben. 
Aus dieſem Grunde trägt der Senat kein Bedenken, 
anzuerkennen, daß der Kläger oder Widerkläger, auf 
deſſen Antrag die Scheidung ausgeſprochen iſt, gegen 
das Scheidungsurteil Berufung oder Reviſion auch 
lediglich zu dem Zwecke einlegen kann, um nachträglich 
den Scheidungsantrag in den Antrag auf Aufhebung 
der ehelichen Gemeinſchaft umzuwandeln. Anders 
würde, was wenigſtens die Reviſion anlangt, die Frage 
zu beantworten ſein, wenn in der Reviſionsinſtanz 
der Uebergang von der Scheidungsklage zur Klage 
auf Aufhebung der ehelichen Gemeinſchaft aus ſonſtigen 
Gründen überhaupt nicht mehr möglich wäre. Das 
wird von einigen Schriftſtellern allerdings ſowohl 
für dieſen Fall als für den umgekehrten Fall des 
Uebergangs von der Klage auf Aufhebung der ehelichen 
Gemeinſchaft zur Scheidungsklage deshalb ange— 
nommen, weil auch die Umwandlung nur bis zu dem 
Zeitpunkt erfolgen könne, bis zu dem neue materielle 
Anträge prozeßrechtlich überhaupt zuläſſig ſeien, d. h. 
nur bis zum Schluſſe der mündlichen Verhandlung 
in der Berufungsinſtanz. Für den umgekehrten Fall 
hat es auch der Senat durch Urt. vom 25. September 
1905 IV. 151/05 mit der Begründung ausgeſprochen, 
daß für ein derartiges Hinausgehen über die ſachliche 
Entſcheidung des Berufungsrichters die Reviſions— 
inſtanz keinen Raum biete. Die große Mehrheit der 
Schriftſteller läßt dagegen in beiden Fällen die Um— 
wandlung auch noch in der Reviſionsinſtanz zu, meiſt 
aus der Erwägung heraus, daß die Umwandlung 
keine Klageänderung enthalte und die Feſtſtellung 
irgend welcher neuer Tatſachen nicht erforderlich mache. 
Den hier in Rede ſtehenden Uebergang von der 
Scheidungsklage zur Klage auf Aufhebung der ehe— 
lichen Gemeinſchaft hat auch bereits der Senat durch 
Urt. vom 5. Januar 1905 IV. 27404 für noch in der 
Reviſionsinſtanz zuläſſig erklärt. In dem entſchiedenen 
Falle hatte ſich freilich auch der Gegner mit der Um— 
wandlung einverſtanden erklärt, was hier nicht zutrifft. 
Auf das Einverſtändnis des Gegners kann es aber 
bei der Frage nach der Zuläſſiakeit des Uebergangs 
nicht entſcheidend ankommen. Entſcheidend iſt vielmehr, 
daß dieſelben Gründe, die dahin führen, trotz mangeln— 
den Beſchwerdegrundes ein Rechtsmittel gegen das 


— m — — — — — 


viſionsinſtanz auch den Uebergang von der Scheidungs⸗ 
klage zur Klage auf Aufhebung der ehelichen Gemein: 
ſchaft zuzulaſſen. Im Streitfalle iſt nach alledem die 
Reviſion zuläſſig. Die Frage, ob ſie auch im umge⸗ 
kehrten Falle zuzulaſſen wäre, bedarf nicht der Ent⸗ 
ſcheidung. 

2. Trotz Zuläſſigkeit der Reviſion kann mit Kück⸗ 
ſicht auf die Vorſchrift in § 1575 Abſ. 1 Satz 2 BGB. 
ſachlich dem Antrage der Beklagten und Widerklägerin 
ſtatt auf Scheidung auf Aufhebung der ehelichen 
Gemeinſchaft zu erkennen nicht entſprochen werden. 
Der Kläger hat vor dem Reviſionsgerichte ausdrücklich 
erklärt, er wolle es bei der Scheidung belaſſen wiſſen. 
Nun nehmen zwar die Schriftſteller, die ſich gegen die 
Möglichkeit des Ueberganges von der einen zur 
anderen Klage noch in der Reviſionsinſtanz ausſprechen, 
auch an, daß der Antrag aus 8 1575 Abſ. 1 Satz 2 
BGB. in der Reviſionsinſtanz nicht mehr geſtellt 
werden könne, während die Mehrheit der Schriftſteller 
auch hier den entgegengeſetzten Standpunkt vertritt. 
Wie aber dieſe Frage auch zu entſcheiden ſein möchte. 
wenn der Antrag auf Aufhebung der ehelichen Cemein⸗ 
ſchaft ſchon früher geſtellt war, jedenfalls muß, wenn 
dieſer Antrag wie hier erſt in der Reviſionsinſtanz 
neftellt und dort zugelaſſen wird, dann auch dem 
Gegner geſtattet werden, den Antrag aus 8 1575 
Abſ. 1 Satz 2 BGB. noch in der Reviſionsinſtanz zu 
ſtellen. Die an ſich ſtatthafte Reviſion der Beklagten 
iſt deshalb als ſachlich unbegründet zurückzuweiſen. 
(Urt. des IV. ZS. vom 18. Mai 1911, IV 504/1910). 

2337 E. 


VIII. 


Feſtſtellung der Perſon, mit der der Beklagte die 
Ehe gebrochen hat, im Scheidungsurteil (5 624 380.) : 
kaun ein Ehegatte um dieſe Feſtſtellung zu erzielen das 
Scheidungsurteil anfechten, das den in feiner Klage 
behaupteten Ehebruch als nicht erwieſen bezeichnet, die 
Scheidung aber aus einem anderen in der Klage geltend: 
gemachten Grund ausſpricht? Die Ehe der Parteien 
iſt in erſter Inſtanz auf die Klage des Mannes und 
die Widerklage der Frau geſchieden und es find beide 
Teile für ſchuldig an der Scheidung erklärt worden. 
Die Entſcheidung über die Klage beruhte auf der Feſt⸗ 
ſtellung, daß die Beklagte mit Iſidor G. Ehebruch 
getrieben habe, die Entſcheidung über die Widerklage 
auf der Feſtſtellung, daß zwar ein als Scheidunas— 
grund wirkſamer Ehebruch, deſſen ſich nach der Be⸗ 
hauptung der Beklagten der Kläger namentlich auch 
mit ihrer eigenen Schweſter Gertrud Sch. ſchuldig 
gemacht haben ſollte, nicht erwieſen ſei; der Kläger 
habe aber die Beklagte in roher und grober Weiſe 
mißhandelt und dadurch auch von ſeiner Seite eine 
die Scheidung rechtfertigende Zerrüttung der Ehe 
herbeigeführt. 

Aus den Gründen: Die Entſcheidung auf die 
Widerklage der Frau war in erſter Inſtanz auf den 
Eheſcheidungsgrund des & 1568 BGB. geſtützt. Die 
Beklagte verlangte vom Berufungsgericht eine Ab— 
änderung in der Weiſe, daß die Eheſcheidung zugleich 
wegen des behaupteten Ehebruchs mit der Gertrud Sch. 
ausgeſprochen werde. Der Berufungsrichter hat die 
Berufung zurückgewieſen. Da er es jedoch ablehnt 
ſachlich auf das Begehren der Beklagten und Wider— 
klägerin einzugehen und dabei auf das Urt. des R. 
vom 6. Juli 1903 (Entſch. 55, 244 ff.) verweiſt, hat 
ſeine Entſcheidung die Bedeutung einer Verwerfung 
des Rechtsmittels wegen Unzuläſſigkeit. Hiergegen 
kämpft die Reviſion mit der Begründung an, daß der 
Berufungsrichter zu Unrecht durch die auf die Wider— 
klage ergangene Entſcheidung des LG. die Beklagte 
nicht für beſchwert gehalten habe. Die Beklagte ſei 
nach § 624 ZBO. zu dem Verlangen berechtigt geweſen, 
daß der behauptete Ehebruch des Klägers gleichfalls 


feftgeftellt werde. Die Vorſchrift des § 624 ſei nicht, 
wie in dem Urt. vom 6. Juli 1903 bemerkt werde, 
nur reglementärer, ſondern zwingender Natur. Auch 
beſtehe neben dem öffentlichen Intereſſe an der Ver⸗ 
hinderung einer Eheſchließung mit dem, der an dem 
Ehebruche mitſchuldig ſei, das eigene perſönliche 
Intereſſe des durch den Ehebruch verletzten Ehegatten. 
Ihm müſſe die Möglichkeit gegeben ſein, einer ſolchen 
i des ſchuldigen Ehegatten nach 
8 1312 Abſ. 1 BGB. vorzubeugen. Die Reviſion 
konnte keinen Erfolg haben. Allerdings handelt es 
ſich im § 624 ZPO. um eine zwingende Geſetzesvor⸗ 
ſchrift. Sie hat jedoch zur Vorausſetzung, daß die 
Eheſcheidung wegen Ehebruchs ausgeſprochen wird, 
und hat mit der Frage nichts zu tun, wie die Prozeß⸗ 
lage beſchaffen ſein muß, wenn der Scheidungsgrund 
des Ehebruchs zur Geltung kommen ſoll. Reglementär 
iſt ſie nur in dem Sinne, daß die an eine Eheſcheidung 
wegen Ehebruchs gelnüpften Rechtsfolgen (§8 1312 
Abſ. 1, 1328 Abſ. 1 BGB., § 172 StGB.) auch dann 
eintreten, wenn die förmliche Feſtſtellung der Perſon 
des Mitſchuldigen, obwohl ſie ſich aus den Verhand⸗ 
lungen ergab, unterblieben iſt, insbeſondere wenn 
ſie nur in den Gründen des Scheidungsurteils neben⸗ 
her Erwähnung gefunden hat. Ob im übrigen Fälle 
denkbar find, in denen ein Ehegatte durch die auf 
ſeinen Antrag ausgeſprochene Eheſcheidung deshalb 
beſchwert iſt, weil das Urteil zwar auf einen von ihm 
behaupteten Scheidungsgrund geſtützt iſt, gleichwohl 
aber in der Hervorkehrung dieſes Scheidungsgrundes 
ſich mit der Klagebegründung in Widerſpruch ſetzt, 
bedarf für den gegebenen Fall keiner Erörterung. Die 
Beklagte hatte in erſter Inſtanz mit der Widerklage 
die beiden Scheidungsgründe des 8 1565 und des 8 1568 | 
neben und unabhängig voneinander geltend gemacht. In 
dieſem weſentlichen Punkte beſteht zwiſchen dem 91905 
wärtigen und dem Falle des Urt. vom 6. Juli 1903 
(Entſch. 55, 244 ff.) nicht, wie die Reviſion meint, ein 
Unterſchied ſondern volle Uebereinſtimmung. Bei einer 


derartigen Klagebegründung führte ſchon die Spruch⸗ 


reife in bezug auf den einen der geltend gemachten 
mehreren Scheidungsgründe zu einer Entſcheidung, 
die das Klagebegehren erſchöpfte (88 146, 300 ZPO.). 
Das LG. durfte das Verfahren nicht noch bis zur 
Spruchreife bezüglich des zweiten Scheidungsgrundes 
fortſetzen, um alsdann die Entſcheidung auch auf ihn 
ausdehnen zu können. Die Widerklägerin war daher 
durch die zur Widerklage erlaſſene Entſcheidung des 
LG. nicht beſchwert und die von ihr eingelegte Be⸗ 
rufung war deshalb inſoweit unzuläſſig. An dieſer 
nicht nur in dem Urt. vom 6. Juli 1903 ſondern auch 
in ſpäteren Entſcheidungen (Urt. IV. 139/04 vom 16. Juni 
1904, JW. 410 5, IV. 330/04 vom 12. Januar 1905 und 
INV. 38/08 vom 25. Juni 1908) befolgten Rechtſprechung 
iſt für die Fälle der vorliegenden Art jedenfalls feſt⸗ 
zuhalten. (Urt. des IV. 3S. vom 29. Mai 1911, IV 
525/1910). E. 
2344 


IX. 


Verhältnis der Beſtimmungen des MannſchBerſG. 
vom 31. Mai 1906 zu denen des KriegsinvGs. vom 
31. Mai 1901. Aus den Gründen: Der Kläger 
iſt als Kriegsinvalide im Jahre 1890 penſioniert, 
ſpäter im preußiſchen Zivildienſt als Gerichtsvollzieher 
angeſtellt worden und aus dieſer Stellung am 1. Mai 
1907 in den Ruheſtand getreten. Er erhält außer 
einer Kriegszulage eine Zivilpenſion von 2271 M und 
ferner eine Militärpenſion von 504 M, die ihm als 
Zuſchuß nach SS 19, 20 KriegsinvG. vom 31. Mai 1901 
gewährt wird. Der Kläger beanſprucht, daß ihm neben 
der Zivilpenſion, dem Penſionszuſchuß von 504 M und 


Preuꝛiſchent file Regrepſlege im Bahern. 1911. Nr. 20 | 405 


die im 8 45° bes Geſetzes von 1906 bezeichneten In⸗ 
validen das für ſie Vorteilhafte aus dem alten und 
dem neuen Geſetz für ſich in Anſpruch nehmen könnten, 
als unbegründet und dem Sinne des 8 47 nicht ent⸗ 
ſprechend zurückgewieſen. Der 8 45 des Gef. von 1906 
beſtimmt, daß für die vor dem Inkrafttreten dieſes Ge⸗ 
ſetzes aus dem aktiven Militärdienſt entlaſſenen Per⸗ 
ſonen die bisherigen Geſetzesvorſchriften mit Bun 
Ausnahmen in Kraft bleiben. Nach 8 45 Nr. 6 in 
Verbindung mit 8 36 Nr. 4 des Geſ. von 1008 würde 
der Kläger neben feiner Zivilpenſion von 2271 M die 
Rente (88 9 bis 11) nur in Höhe von 300 M be⸗ 
anſpruchen können, weil nach 8 36 Nr. 4 die Zivil⸗ 
penſion und die zuerkannte Rente zuſammen den 
Höchſtpenſionsbetrag der zuletzt bekleideten Stelle, 
welcher unbeſtritten 2571 M beträgt, nicht überſteigen 
dürfen. Neben den 2271 M und 300 M könnte der 

Kläger jene auf Grund des Geſetzes von 1901 ihm 
zuerkannten 504 M nicht beanſpruchen, weil dieſes 
Geſetz durch 8 76 des Geſetzes von 1906 aufgehoben 
iſt und daher neben dem letzteren nicht zur Anwen⸗ 
dung kommen kann. Nach 8 47 Geſ. von 1906 finden 
die Vorſchriften des 8 45 auf die daſelbſt bezeichneten 
Perſonen nur inſoweit Anwendung, als die nach den 
bisherigen Geſetzesvorſchriften zuſtehende Verſorgung 
nicht günſtiger iſt. Im vorliegenden Fall trifft letz⸗ 
teres zu, da der Kläger nach den bisherigen Geſetzes⸗ 
vorſchriften neben der Zivilpenſion von 2271 M noch 
504 M erhält. Hierdurch erledigt ſich der von der 
Reviſion in der mündlichen Verhandlung für ihre 
Anſicht vorgebrachte Grund, daß die 504 M auf die 
Penſion nicht anzurechnen ſeien, weil der Kläger ſie 
ſo bekommen müſſe, wie es früher beſtimmt iſt. 
Die 504 M werden ebenſo wie früher auf die Zivil⸗ 
penſion von 2271 M nicht angerechnet. Der Fehler 
in dieſer Begründung der Reviſion liegt aber darin, 
daß ſie von der Annahme ausgeht, der Kläger 
habe auf den ne rat der Zivilpenſion mit 
2571 M nach 8 45 Nr. 6 und § 36 Nr. 4 des Ge⸗ 
ſetzes von 1906 Anſpruch. Das iſt jedoch nicht der 
Fall, weil die Anwendbarkeit dieſer geſetzlichen Be⸗ 
ſtimmungen nach 8 47 durch die Anwendung der bis⸗ 
herigen Geſetzesvorſchriften ausgeſchloſſen wird. (Urt. 
des III. 35. vom 5. Mai 1911, III 121/1910). 

2377 


B. Strafſachen. 
I. 


Vergehen gegen den Poſtjwang: Vorſätzlichkeit als 
VBorausſetzung eines fortgeſetzten Vergehens — zum Be: 
ariffe Beförderung —; iſt anßzer dem Befördernden auch 
ſtrafbar, wer irgendwie verſchuldet, daß ein anderer 
dem Poſtzwang unterliegende Gegenſtände gesetzwidrig 
befördert? — Beförderung durch expreſſe Boten“ — 
Feſtſtellung des hinterzogenen, nicht genan zu ermitteln- 
den Portobetrages. Aus den Gründen: Der 
Buchhändler T. in W. hat in den Jahren 1904 bis 
1908 als Inhaber einer Zeitungsagentur für den 
D. . . er Generalanzeiger, eine öfter als einmal 
wöchentlich erſcheinende politiſche Zeitung, nach acht 
Orten, die mehr als zwei Meilen von D. entfernt 
liegen und Poſtanſtalt beſitzen, die für die dortigen 
Abonnenten nötigen Zeitungen nicht durch die Poſt 
verſendet, ſondern durch einen eigenen Boten von W. 
aus auf der elektriſchen Straßenbahn befördern laſſen. 
Der Zeitungsbote, der die Beförderung beſorgte, hatte 
für ſeine eigene Fahrt eine Monatskarte; für die 
Pakete, die an einzelnen Tagen zuſammen bis zu 
160 kg wogen, die er daher nicht ſelbſt zu tragen 


der Kriegszulage aus der Invalidenpenſion noch ein vermochte und deshalb bei ſich auf dem Vorderperron 


monatlicher Betrag von 25 M gezahlt werde. Mit 
Recht hat das Berufungsgericht die Auffaſſung, daß 


des Straßenbahnwagens aufſtapelte, löſte er jeweils 
zwei, drei oder vier Fahrkarten zu je 30 Pfennig. Der 


406 


Angeklagte, der feit 1. Dezember 1900 bei der Straßen⸗ 
bahn als Ingenieur und Betriebsdirektor angeſtellt 
iſt, hatte in dieſer Eigenſchaft für den ganzen Betrieb 
zu ſorgen, Fahrplan und Tarif zu entwerfen, auch 
die Aufſicht zu führen. Er befuhr die Straßenbahn 
zu Aufſichtszwecken und ſah den Zeitungsboten mit 
ſeinen Paketen etwa alle zwei Monate einmal auf 
der Bahn. Er hat gegen die Beförderung der mit 
Packpapier umhüllten Zeitungspakete nichts erinnert, 
nach ſeiner Verteidigung, weil er dabei an etwas 
Strafbares nicht gedacht habe. Das LG. hält dafür, 
daß der Angeklagte als Beförderer der Pakete zu 
erachten iſt und daß er ſich als ſolcher fortgeſetzt 
handelnd gegen die §8 1, 2, 27 Ziff. 1 Poft®. verfehlt 
hat, weil die Beförderung gegen Entgelt durch ein 
anderes Verkehrsmittel als die Poſt erfolgte, der 
Verkehr von Zeitungen zwiſchen den in Frage 
ſtehenden Orten aber dem Poſtzwang unterlag. Hierbei 
iſt nicht feſtgeſtellt, daß der Straßenbahndirektor den 
Inhalt der Zeitungspakete gekannt hätte, aber es iſt 
davon ausgegangen, daß er bei Anwendung der er⸗ 
forderlichen Sorgfalt hätte wiſſen können, daß ſich in 
den Paketen poſtzwangspflichtige Zeitungen befanden, 
und daß er wegen der Vernachläſſigung dieſer er⸗ 
forderlichen Sorgfalt und wegen der Vernachläſſigung 
ſeiner Pflicht die Untergebenen über ihre Pflichten 
gegen das PoſtG. zu belehren für den Verſtoß gegen 
den Poſtzwang verantwortlich ſei. Gegen die Ber: 
urteilung und deren Begründung ergeben ſich die nach— 
ſtehenden Bedenken. 

1. Die Urteilsgründe laſſen darüber keinen Zweifel, 
daß der Erſtrichter dem Angeklagten nicht ein vor— 
ſätzliches, ſondern ein fahrläſſiges Vergehen gegen das 
PoſtG. zur Laſt legt. Sie ergeben aber ebenſo deutlich 
die Annahme, daß das Vergehen durch jeden einzelnen 
der täglich erfolgten Beförderungsakte vollendet worden 
iſt, daß aber in ihnen zuſammen eine einheitliche fort— 
geſetzte Straftat begangen iſt. Dies folgt nicht nur 
daraus, daß in der Schlußfeſtſtellung der Urteils— 
gründe geſagt wird, der Angeklagte habe „fortgeſetzt 
handelnd“ die verbotswidrigen Beförderungen aus— 
geführt, ſondern auch daraus, daß in dem angefochtenen 
Urteil die Frage, ob und inwieweit etwa eine Ver— 
jährung der Strafverfolgung vorliegt, überhaupt nicht 
behandelt iſt. Der Erſtrichter iſt alſo von der An— 
nahme eines Fortſetzungszuſammenhangs zwiſchen 
Fahrläſſigkeitsdelikten ausgegangen. Ein ſolcher Zu— 
ſammenhang zwiſchen nicht vorſätzlichen, ſondern nur 
fahrläſſigen Delikten iſt aber, wie das RG. ſchon 
wiederholt ausgeſprochen hat, unmöglich, weil das 
fortgeſetzte Delikt rechtsgrundſätzlich ein vorſäßliches 
Handeln erfordert. Das Urteil beruht alſo in dieſem 
Punkte auf einem Rechtsirrtum. Bei Vermeidung des 
Irrtums und Prüfung der Frage der Verjährung 
unter Zugrundelegung der rechtlichen Selbſtändigkeit 
der einzelnen vom Erſtrichter als geſetzwidrig erachteten 
Beförderungshandlungen hätte möglicherweiſe ein 
Teil dieſer Tathandlungen wegen eingetretener Ver— 
jährung der Strafverfolgung ($ 7 EG. StGB.) nicht 
zur Beſtrafung herangezogen werden können. Die 
Verurteilung iſt daher ſchon aus dieſem Grunde 
nicht haltbar. 

2. Bei der Feſtſtellung, daß der Angeklagte als 
Beförderer der auf die Wagen der Straßenbahn ge— 
ſchafften Zeitungspakete zu gelten habe, finden ſich in 
den Gründen des angefochtenen Urteils neben rechtlich 
einwandfreien Erwägungen auch ſolche, die Bedenken 
erregen. Während es keinem rechtlichen Bedenken be— 
gegnet, daß derjenige i. S. des Poſtch. als „Beför— 
derer“ erachtet wird, dem außer der Feſtſtellung des 
Fahrplans und Tarifs auch die Sorge für den ganzen 
Betrieb und deſſen Ueberwachung obliegt, iſt die Er— 
wägung, daß der Betriebsdirektor ebenſogut wie 
Schaffner und Kontrolleure als Beförderer anzuſehen 
iſt, geeignet Bedenken zu erregen, da nicht erſichtlich 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


gemacht iſt, aus welchen Gründen auch Kontrolleure 
Beförderer ſein ſollen. Die Feſtſtellung, daß die 
Zeitungspakete gegen Bezahlung befördert worden 
ſind, iſt rechtlich einwandfrei mit Rückſicht darauf, 
daß nach der vorher getroffenen Feſtſtellung der 
Zeitungsbote für dieſe Pakete jeweils Fahrkarten 
„gelöft“, alſo bezahlt hat. Nicht einwandfrei aber 
iſt es, daß der Erſtrichter zum Nachweiſe der Ent⸗ 
geltlichkeit der Beförderung darauf Bezug nimmt, 
daß der Angeklagte als Betriebsdirektor Gehalt und 
Tantiemen erhält. Nur auf die Frage, ob die Be⸗ 
förderung gegen Bezahlung erfolgte, kam es an. Ob 
derjenige, der als Beförderer ſtrafrechtlich in Anſpruch 
genommen wird, für ſeine Perſon davon einen Vorteil 
hatte, war dagegen für das hier in Rede ſtehende Tat⸗ 
beſtandsmerkmal belanglos. 

3. Die Feſtſtellung der Fahrläſſigkeit des Ange⸗ 
klagten beruht inſoweit auf unanfechtbarer Grundlage, 
als angenommen iſt, der Angeklagte habe bei pflicht⸗ 
mäßiger Sorgfalt den Inhalt der durch die Straßen» 
bahn beförderten Zeitungspakete erkennen können. 
Soweit aber darüber hinaus dem Angeklagten als 
nach 8 27 PoſtG. zu ahndende Fahrläſſigkeit zur Laſt 
gelegt wird, daß er nicht ſeine Untergebenen über 
ihre Pflichten gegenüber dem Boft®. belehrt hat, be⸗ 
ſtehen rechtliche Bedenken. Denn wenn man mit dem 
Erſtrichter davon ausgeht, daß der Angeklagte nach 
ſeiner beſonderen Stellung als Betriebsdirektor der 
Straßenbahn „Beförderer“ der Zeitungspakete war 
und daß er ſtrafbar war, weil er den Inhalt der 
Pakete perſönlich erkennen konnte, ſo war es für die 
Straftat ohne Belang, ob die Untergebenen des Ange— 
klagten über das Poſt G. unterrichtet waren. Wollte 
aber der Erſtrichter mit ſeiner Erwägung über die 
Pflicht zur Bekanntmachung der Grundſätze des PoſtG. 
an das Straßenbahnperſonal zum Ausdrucke bringen, 
daß der Angeklagte auch ohne Beförderer zu ſein 
doch der Strafe verfallen mußte, weil er durch Unter⸗ 
laſſung der Belehrung verurſacht hätte, daß ſeine 
Untergebenen gegen das Bojt®. verſtießen, fo wäre 
dies rechtsirrig. Denn nur der Beförderer ſelbſt, 
nicht auch jeder, der irgendwie verſchuldet, daß ein 
anderer poſtzwangspflichtige Gegenſtände geſetzwidrig 
befördert, iſt nach dem PoſtG. ſtrafbar. 

4. Angeſichis des Sachverhalts, daß die Zeitungs- 
pakete durch einen eigenen Boten zur Straßenbahn 
gebracht worden ſind, daß dieſer Bote ſelbſt mit der 
Straßenbahn fuhr, die Pakete zu ſich auf den Wagen 
nahm und von dort wieder abſetzte, bedurfte die 
Frage der näheren Würdigung, ob nicht eine „Bes 
förderung durch expreſſe Boten? vorliege, wie fie im 
S 2 PoſtG. zugelaſſen iſt. Das LG. hat zwar dieſe 
Frage geprüft. Allein der darauf bezügliche Teil der 
Urteilsgründe erregt den Verdacht rechtsirrtümlicher 
Auffaſſung. Der Erſtrichter ſagt nach der Schilderung 
des Sachverhalts: „Mindeſtens ſeit 1. September 1904 
wurden ſo erheblich mehr Zeitungen mit der Straßen— 
bahn befördert, als ein expreſſer Bote allein befördern 
kann.“ Er nimmt an, daß die obere Grenze der 
Traglaſt, die ein expreſſer Bote allein befördern 
kann, für jeden Einzelfall 60 kr beträgt, beſtimmt 
ſchätzungsweiſe, wieviel mehr an jedem Tage die mit 
der Straßenbahn beförderten Zeitungen gewogen 
haben und berechnet nach dem Gewichte dieſes Ueber— 
ſchuſſes den Betrag des nach ſeiner Meinung hinter— 
zogenen Paketportos und aus dieſem ſpäterhin durch 
Vervierfachung den Betrag der Strafe. Hiernach iſt 
jeweils ein und dieſelbe Beförderung zum Teil, näm⸗ 
lich bis zum Gewichte von 60 kr als „Beförderung 
durch erprejien Boten“ und ſtraffrei erachtet, zum 
anderen Teil aber, nämlich für das Mehrgewicht für 
poſtgeſetzwidrig und ſtrafbar erklärt. Dieſe Auffaſſung 
findet im Poſtc. ſelbſt keine Stütze. Auch in der 
Rechtſprechung iſt Sie abgelehnt. Das RG. hat die 
Anſicht, daß die Größe und Schwere des beförderten 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


Stückes dafür ausſchlaggebend ſei, ob eine Beförde⸗ 
rung durch einen expreſſen Boten vorliege, ausdrücklich 
mißbilligt (RGSt. 38, 136, 139 unten) und in 
anderen Entſcheidungen Grundſätze aufgeſtellt, nach 


denen zu beurteilen iſt, ob in Fällen wie der hier 


zur Unterſuchung ſtehende eine Beförderung durch 
expreſſe Boten vorliegt oder nicht. Es wäre nach 
dieſen Grundſätzen, von denen abzuweichen kein Anlaß 
beſteht, insbeſondere zu prüfen geweſen, ob der mit 
der Straßenbahn fahrende Bote ſelbſt das Beförde⸗ 
rungsmittel war, oder ob die Straßenbahn das Be⸗ 
förderungsmittel war, der Bote nur ein gleichzeitiger, 
wenn auch mit der Obhut über die Pakete befaßter, 
Fahrgaſt (RGSt. 35, 220, 226; 37, 98, 100, 398; 
38, 136, 138). Es wäre ferner zu prüfen geweſen, 
ob die hier zugrunde liegenden Tatſachen dem Ange⸗ 
klagten bekannt waren und ob es ihm als Fahrläſſig⸗ 
keitsſchuld angerechnet werden konnte, wenn er ſich 
über dieſe Tatſachen im Irrtum befand. Der Erſtrichter 
hätte, wenn er die Rechtsgrundſätze angewendet hätte, 
die in den erwähnten Entſcheidungen aufgeſtellt ſind, 
zu einem anderen Ergebniſſe jedenfalls bei der Bes 
rechnung der Strafe, wenn nicht auch bei der Beant⸗ 
wortung der Schuldfrage gelangen müſſen. 

5. Die Beſchwerden über die Berechnung der 
Strafe entbehren auch abgeſehen von dem ſchon ers 
wähnten Mangel inſofern nicht einer gewiſſen Be⸗ 
rechtigung, als die Grundlagen der Berechnung nur 
in ſehr allgemeinen Wendungen angegeben ſind. Zum 
Verdacht eines Rechtsirrtums iſt indeſſen kein Anlaß 
gegeben. Die Behauptung, daß eine Wahrſcheinlich⸗ 
keitsrechnung ſich für die Berechnung einer Geldſtrafe 
überhaupt nicht eigne, kann in dieſer Allgemeinheit 
nicht als richtig anerkannt werden. Richtig iſt zwar 
ſoviel, daß die Feſtſtellung, es liege eine Hinterziehung 
in beſtimmter Höhe wahrſcheinlich vor, nicht die 
Grundlage einer Verurteilung bilden könnte. Eine 
Feſtſtellung ſolcher Art liegt aber auch dem jetzt an⸗ 
gefochtenen Urteil nicht zugrunde. Dagegen iſt es 
durch keinen Rechtsſatz und keine Verfahrens vorſchrift 
dem Richter verwehrt, wenn er auf Grund einer 
Wahrſcheinlichkeitsberechnung die Ueberzeugung ge— 
winnt, daß eine Hinterziehung zum mindeſten bis zu 
einem beſtimmten Betrage gewiß iſt, dann — wie es 
auch hier das LG. getan hat — dieſe ſeine Ueber⸗ 
zeugung und dieſen danach nicht wahrſcheinlichen, 


ſondern ſicheren Mindeſtbetrag der Verurteilung zu⸗ 
ſchieden ſein und wechſeln. 


grunde zu legen. Aus dem Sinn und Zweck des Geſetzes 
ergibt ſich vielmehr, daß in Fällen der vorliegenden 
Art der Nachweis der Hinterziehung nicht für jeden 
Einzelbetrag bis ins einzelne geführt werden muß. 
Denn ſonſt würde gerade bei Hinterziehungen, die 
ins große gehen und ſich über Jahre erſtrecken, die 
ſtrafrechtliche Ahndung ausgeſchloſſen fein, weil der 
Natur der Sache nach der Beweis bis ins einzelne 
unmöglich iſt. Die von dem Beſchwerdeführer für 
ſeine Meinung angezogene Entſcheidung des RG. bezog 
ſich auf einen anderen Fall, nämlich auf Wahrſchein— 
lichkeits rechnungen unſicherer Art, aus denen eine 


richterliche Ueberzeugung nicht erwachſen konnte. 
(Urt. des V. StS. vom 3. März 1911, 5 D 1155/1910). 
2325 E. 
II. 


Befugniſſe der höheren Berwaltungsbehörde nach 
g 7 Abſ. 2 UnlWG.) Aus den Gründen: Die 
Verordnung des Regierungspräſidenten in D. entbehrt, 
ſoweit fie der Verurteilung aus 8 10 Nr. 2 UnlWG. 
zugrunde liegt, ſachlicher Gültigkeit. Wie in dem 
zum Abdrucke beſtimmten Urteile des Senats vom 
heutigen Tage — 5 D 255,11 — gegenüber dem 


1) S. dazu die Abhandlung von Rechtsanwalt Kleinberger 
und die Entſcheidung des Oberſten Landgerichts vom 4. März 1911, 
Nr. 12 dieſes Jahrg. der Zeitſchrift S. 256 — 269. 


Urteile des Landgerichts B. vom 25. Januar 1911 
eingehend dargelegt iſt, kann die höhere Verwaltungs⸗ 
behörde nach der ihr in 87 Abſ. 2 Unl WG. erteilten 
geſetzlichen Ermächtigung die dort vorgeſehenen An⸗ 
ordnungen immer nur für „beſtimmte Arten von 
Ausverkäufen“ treffen. Aus dem Kreiſe dieſer Arten 
von Ausverkäufen find nach 8 I Abſ. 1 daſelbſt die 
Inventur⸗ und Saiſonverkäufe ſchon kraft Geſetzes 
ausgeſchieden; dieſe kommen alſo als Arten von 
Ausverkäufen, auf die ſich eine Verordnung i. S. von 
8 7 Abſ. 2 beziehen könnte, nicht in Betracht. Eine 
Verordnung, welche die Anordnungen, lediglich unter 
Ausſchließung dieſer ſog. Inventur⸗ und Saiſonaus⸗ 
verkäufe, unterſchiedslos für alle Warenverkäufe trifft, 
die unter der Bezeichnung eines Ausverkaufs oder 
einer nach 8 9 Abſ. 1 des Geſetzes gleichartigen ans 
gekündigt werden, hält ſich daher nicht in den Grenzen 
der 5 Ermächtigung. Nach dieſer wäre es 
vielmehr geboten geweſen, daß die Ausverkäufe, die 
im Sinne von 8 7 Abſ. 2 zum Gegenſtande der Re⸗ 
gelung gemacht werden ſollten, in der Verordnung 
der Art nach bezeichnet, d. h. die einzelnen verſchie⸗ 
denen Arten, für die die Verordnung zu gelten hat, 
in dieſer als ſolche beſtimmt wurden. Es würde mit⸗ 
hin auch nicht genügen, wenn angeordnet würde, daß 
die Ausverkäufe in dem ganzen Verwaltungsbezirke 
oder in einem mehr oder minder ausgedehnten Teile 
des Bezirkes ſchlechthin den Beſchränkungen des 87 
Abſ. 2 des Geſetzes unterworfen und davon — außer 
den ſchon geſetzlich ausgeſchiedenen Inventur und 
Saiſonausverkäufen — nur beſtimmte Arten non Aus⸗ 
verkäufen ausgenommen ſein ſollten. 

Was unter „Arten“ von Ausverkäufen zu ver⸗ 
ſtehen iſt, richtet ſich nach Sprachgebrauch und Ver⸗ 
kehrsanſchauung. Danach umfaßt eine beſtimmte „Art“ 
von Ausverkauf den Kreis ſolcher Ausverkäufe, die 
gewiſſe übereinſtimmende Merkmale aufweiſen, ſich 
durch dieſe von anderen Ausverkäufen unterſcheiden 
und im Verhältniſſe zu ihnen eine mehr oder minder 
große in ſich geſchloſſene Gruppe bilden. Darüber, 
ob dies der Fall iſt, insbeſondere alſo, welche Merk⸗ 
male in dieſem Sinne weſentlich ſind, entſcheidet die 
Verkehrsanſchauung. Irgendeine ein für allemal 
geltende Regel läßt ſich inſoweit nicht aufſtellen. Die 
Einteilung der Ausverkäufe und ihre Zuſammenſtellung 
zu gewiſſen Gruppen wird in der Verkehrsanſchauung 
vielmehr nach Zeit, Art und Bedürfnis durchaus ver- 
Es iſt deshalb insbe⸗ 
ſondere nicht angängig, den Begriff der „Art“ ein⸗ 
ſeitig etwa auf die „Branche“ oder „die Form“ oder 
„den Ort“ des Ausverkaufs abzuſtellen. Als Bei⸗ 
ſpiele für „Arten“ von Ausverkäufen dem Begriffe 
nach können dienen die nur durch die beſondere Be⸗ 
ſtimmung des 8 9 Abf. 1 der Behandlung nach 87 
Abſ. 2 daſelbſt entzogenen Inventur- und Saiſonaus⸗ 
verkäufe, „Konkursmaſſenausverkäufe“ (5 8 des Geſetzes) 
und nach der Begründung zum Geſetzentwurfe (S. 17) 
„trügerifche Konkursverkäufe“ und „Ausverkäufe außer- 
halb der ordentlichen Betriebsräume nach Art eines 
Warenlagers“. (Urt. des V. StS. vom 16. Juni 1911, 
5 D 261/11). 

2386 


— — = gn. 


III. 


Kann prozeßordnuungswidriges Verhalten des Staats⸗ 
anwalts die Reviſion begründen? Wie aus dem Sitzungs⸗ 
protokoll zu entnehmen iſt, hat der Staatsanwalt in 
ſeinen Ausführungen zur Schuldfrage aus einem im 
Vorverfahren aufgenommenen Protokoll die Ausſagen 
des Mitangeklagten B. (im ganzen 18 Zeilen) ver— 
leſen. Als möglich iſt bezeichnet, daß dies auch ge— 
ſchehen ſei mit einem 9 Wörter enthaltenden Satze aus 
den Ausſagen des Angeklagten L. ſowie einem Satze von 
5 Zeilen und einem Satze von 6 Zeilen aus den Aus- 
ſagen des Angeklagten D. Hierin findet die Reviſion 


der Angeklagten eine Verletzung der geſetzlichen Be⸗ 
ſtimmungen über die Beweisaufnahme im Straf⸗ 
prozeß. die zur Aufhebung des Urteils führen müſſe. 
Die Rüge iſt nicht begründet. Wie der Inhalt der 
oben angeführten Stellen zeigt, iſt ihre Bekanntgabe 
durch den Staatsanwalt in der Weiſe erfolgt, daß ſie 
den in der Hauptverhandlung gemachten Erklärungen 
der Angeklagten gegenübergeſtellt wurden, um hier⸗ 
durch darzutun, daß im Vorverfahren Ausſagen ge⸗ 
macht wurden, aus denen Schlüſſe auf die Schuld der 
Angeklagten gezogen werden konnten. Zuzugeben iſt, 
daß zu dieſem Zweck die früheren Einräumungen zum 
Gegenſtand der Beweiserhebung in der Hauptverhand⸗ 
lung und zwar gemäß 8 237 StPO. durch den Bor: 
ſitzenden hätten gemacht werden müſſen, daß, ſoweit 
es ſich um Erklärungen der Angeklagten handelte, 
eine Verleſung nur unter den Vorausſetzungen des 
5 253 StPO. ſtattfinden durfte und daß dem Staats» 
anwalt das Recht zur Vorführung von Beweiſen in 
ſeinem Vortrag zur Schuldfrage nicht zuſtand. Denn 
in dieſem Fall würde dem Angeklagten das ihm nach 
8 256 StPO. zuſtehende Recht, zu jedem einzelnen 
Beweisvorgang durch Abgabe einer Erklärung Stel« 
lung zu nehmen, entzogen. Allein trotzdem kann der 
vorliegende Verſtoß nicht zur Aufhebung des Urteils 
führen. Denn nur mit denjenigen Geſetzes verletzungen 
iſt dieſe Folge verknüpft, auf denen das Urteil beruht. 
Dies trifft aber hier nicht zu. Wie nämlich das Pro⸗ 
tokoll weiter dartut, hat der Vorſitzende den Staats- 
anwalt, nachdem er die oben erwähnten Stellen bes 
kannt gegeben hatte, auf das Unzuläſſige ſeines Ver⸗ 
fahrens hingewieſen. Indem er in dieſer Weiſe ein» 
ſchritt, hat er der ihm nach 8 237 StPO. obliegenden 
Pflicht zur Leitung der Verhandlung Genüge getan. 
Nur dann aber kann einer dem Staatsanwalt zur 
Laſt fallenden Verletzung einer Verfahrensvorſchrift 
ein Reviſionsgrund entnommen werden, wenn aus 
dem Verhalten des Vorſitzenden ſich ergeben würde, 
daß er aus Rechtsirrtum von den ihm als Leiter der 
Verhandlung zuſtehenden Befugniſſen keinen Gebrauch 
macht und dadurch bewirken würde, daß ein an ſich 
gegen die Vorſchriften der Strafprozeßordnung ver— 
ſtoßendes Verhalten des Staatsanwalts als recht— 
mäßig und dem Geſetz entſprechend erſcheinen würde 
(RGRſpr. 3, 96 lam Schluß]). Dadurch aber, daß 
der Vorſitzende dem Staatsanwalt entgegentrat, iſt 
nicht nur jede Verletzung einer Rechtsnorm durch das 
Gericht verhütet worden, ſondern es wurde auch für 
die Geſchworenen in erkennbarer Weiſe zum Ausdruck 
gebracht, daß die vom Staatsanwalt durch die Ver— 
leſung der angeführten Stellen verſuchte Belaſtung 
der Angeklagten dem Geſetz nicht entſprach. Hiermit 
iſt ihnen in genügender Deutlichkeit vor Augen ge— 
führt, daß dieſen Ausführungen des Staatsanwalts 
nicht die Bedeutung einer dem Geſetz entſprechenden 
Beweisführung, die ſie bei Abgabe ihres Wahrſpruchs 
zu berückſichtigen hatten, zukomme. Es iſt damit 
vom Vorſitzenden diejenige Maßregel ergriffen worden, 
die nötig war um die Folgen eines nicht vom Gericht 
ſelbſt ausgehenden, unzuläſſigen Verfahrens zu be— 
ſeitigen und es kann uneröͤrtert bleiben, ob der Bor: 
ſitzende auch den weiter ihm zu Gebot ſtehenden Weg 
in der Rechtsbelehrung das Erforderliche den Ge— 
ſchworenen zu bemerken benutzt hat. (Urt. des I. StS. 
vom 19. Juni 1911, I D 4991911). E. 


285 
Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 
Abſ. 2 des § 1 der Unfallijürjorgeverordnung vom 


13. November 1902 iſt auf den mit einem Ruhegehalt ent: 
laſſenen Beamten nicht anwendbar. Zuſtändigkeit a) der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


VBerwaltungsbehör den zur Entſcheidung über die dauernde 
Dienſtunfähigteit nach Abſ. 1 4. 4. O., b) det Gerichte 
zur Eutſcheidung darüber, ob ein Ereignis als Betriebe: 
unfall zu betrachten und Urſache der Beſchädigung iſt. 
Klageänderung, wenn der Anſpruch anf die Unfallfürſorge 
nachträglich auf einen anderen Unfall geſtützt wird. 
(3PO. 8 268). Keine Erholung eines beantragten 
„Odergutachteus“, wenn das Gericht durch die ber: 
nommenen Sachverſtändigen genügend ene iſt 
(ZPO. 88 286,412). Der Kläger W. erlitt als Lokomotiv⸗ 
führer im Betriebe der Bayeriſchen Staatseiſenbahnver⸗ 
waltung zwei Unfälle. Den einen am 18. April 1905, den 
anderen am 13. Februar 1906. Die beiden Unfälle 
hatten nur eine vorübergehende Dienſtunfähigkeit zur 
Folge. Durch die Verfügung der Eiſenbahndirektion 
vom 9. April 1908 wurde der Kläger vom 1. Mai 
1908 ab mit einer jährlichen Penſion von 810 M in 
den Ruheſtand verſetzt. Sein Antrag, ihm die Unfall⸗ 
fürſorgepenſion zu gewähren, wurde durch die Ent⸗ 
ee des StM. für Verkehrsangelegenheiten vom 
Juni 1908 abgewieſen. In der Entſchließung iſt 
ausgeführt, W. ſei bei der augenärztlichen Unter⸗ 
ſuchung vom 12. November 1907 wegen eines nicht 
beſſerungsfähigen Augenleidens als untauglich für 
den Lokomotioführerdienſt befunden worden. Er habe 
infolgedeſſen ſofort ſeines Dienſtes enthoben und, 
da ſich keine Gelegenheit zu einer anderen Ber- 
wendung ergeben habe, dauernd penſioniert werden 
müſſen. Nach den ärztlichen Gutachten könne das 
Augenleiden nicht auf einen der beiden Unfälle 
zurückgeführt werden. Zuzugeben ſei, daß das gegen⸗ 
wärtige Nervenleiden des W. mit dem Unfalle vom 
13. Februar 1906 zuſammenhänge und daß dieſes 
Leiden zurzeit die Tauglichkeit des W. für den 
Lokomotivführerdienſt ungünſtig beeinfluſſen würde, 
falls ſie nicht ſchon durch das Augenleiden aufgehoben 
wäre. W. habe aber ſeinen Dienſt bis zu dem Zeit⸗ 
punkt, an dem er des Dienſtes wegen des Augenleidens 
enthoben wurde, unbeanſtandet verſehen. Die Dienſt⸗ 
unfähigkeit ſei alſo ausſchließlich durch die Augen⸗ 
erkrankung und nicht durch das erſt ſpäter hervor⸗ 
getretene Nervenleiden herbeigeführt worden. Auch 
ſei W. nur wegen feiner durch das Augenleiden herbei⸗ 
geführten Dienſtunfähigkeit penſioniert worden. Dem⸗ 
nach ſei W. nicht infolge eines Betriebsunfalles dauernd 
dienſtunfähig und auch nicht wegen einer durch einen 
Betriebsunfall herbeigeführten Dienſtunfähigkeit pen⸗ 
ſioniert worden. Daher könne ihm eine Unfallfürſorge⸗ 
penſion nach 8 1 Abſ. 1 BO. vom 13. November 1902 
nicht zugebilligt werden. Dagegen werde anerkannt, 
daß die Staatseiſenbahnverwaltung ihm nach 8 1 
Abſ. 6 a. a. O. die Heilungskoſten zu erſetzen hat, die 
ihm aus dem Unfalle vom 13. Februar 1906 nach dem 
Wegfalle ſeines Dienſteinkommens entſtanden ſind und 
noch entſtehen. Der Kläger verlangt, daß ihm der be⸗ 
klagte Eiſenbahnfiskus vom 1. Mai 1908 ab außer der 
angewieſenen Penſion von 810 M noch eine weitere 
in monatlichen Raten vorauszahlbare Jahresrente von 
570 M zahle. Die Penſionierung des Klägers ſei eine 
Folge des Unfalles vom 13. Februar 1906, dem Kläger 
komme daher nach S 1 VO. vom 13. November 1902 
eine Unfallfürſorgepenſion in der Höhe von 66 ½ 
ſeines Geſamtdienſteinkommens von 2070 M, fohin 
von 1380 M u ſtatt der ihm gewährten Normalpenſion 
von 810 M zu. Der Klager habe ſich bei dieſem Unfall 
ein Rückenmarksleiden zugezogen. Daraus habe ſich 
ein ſchweres Nervenleiden entwickelt, das in der Folge 
ein bei dem Kläger ſchon vorhandenes, feine Dienſt— 
fähigkeit aber in keiner Weiſe beeinträchtigendes Augen— 
leiden derart verſchlimmert habe, daß der Kläger in 
den dauernden Ruheſtand habe verſetzt werden müſſen. 
Wäre das Nervenleiden nicht eingetreten, ſo hätte der 
Kläger mindeſtens noch zehn Jahre Dienſt machen 
konnen. Auch wenn angenommen werden könnte, daß 
die Penſionierung nicht durch den Unfall verurſacht 


worden ſei, ſei der Klageanſpruch gleichwohl nach 
81 Abſ. 2 VO. vom 13. November 1902 begründet, 
denn es werde unter Beweis geſtellt, daß das Nerven⸗ 
leiden des Klägers deſſen vollſtändige Erwerbsunfähig⸗ 
keit verurſacht habe und auf den Unfall zurückzuführen 
ſei. Der Beklagte trat dem Klaganſpruch im weſent⸗ 
lichen aus den Gründen der Entſchließung vom 7. Juli 
1908 entgegen. Das LG. wies die Klage ab. Die 
Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Ob. 
wies ſeine Reviſion als unbegründet zurück. 

Aus den Gründen: Ungerechtfertigt iſt die 
Rüge, daß das Berufungsgericht den §1 VO. vom 
13. November 1902 verletzt habe. Da dieſe Vorſchrift 
wie die übrigen Beſtimmungen der VO., um die nach 
dem $ 14 RUnfFürſc3. vom 18. Juni 1901 er⸗ 


forderliche Gleichwertigkeit der landesgeſetzlichen Für⸗ 
ſorge mit der reichsgeſetzlichen zu gewähren, ihrem 
Inhalte nach den Vorſchriften des Reichsgeſetzes nach⸗ 


gebildet iſt, geht das LG. bei deren Auslegung mit 
Recht auf die Entſtehungsgeſchichte des § 1 des dem 
Geſetze von 18. Juni 1901 zugrunde liegenden RG. 
vom 15. März 1886 zurück. Aus dieſer ergibt ſich, 
daß nach der Regierungsvorlage nur für den Fall 
der dauernden Dienſtunfähigkeit die Gewährung einer 
Penſion beabſichtigt war (51 Abf. 1 des Geſ.). Dieſe 
Maßnahme wurde in der Kommiſſion des Reichstags 
von verſchiedenen Geſichtspunkten aus für unzuläng⸗ 
lich erklärt. Insbeſondere wurde als eine Lücke 
empfunden, daß nach der Vorlage nichtpenſions⸗ 
berechtigte Beamte, die durch den Betriebsunfall nicht 
dauernd dienſtunfähig, dagegen in ihrer Erwerbs⸗ 
fähigkeit beſchränkt und früher oder ſpäter nach dem 
Unfall entlaſſen würden, eine Penſion oder eine Rente 
nicht beanſpruchen könnten, während ihnen bei der 
Anwendung des UnfVerſ. ein Anſpruch auf eine 
dem Grade der Erwerbsunfähigkeit entſprechende Rente 
zukäme. Dieſem Bedenken wurde ſchließlich eine aus⸗ 
ſchlaggebende Bedeutung beigemeſſen und zur Aus: 
füllung der Lücke der Abſ. 2 in den $ 1 aufgenommen. 


Dabei war, wie der Kommiſſionsbericht ausdrücklich 


hervorhebt (RTVhdl. II Seſſ. 1885/86 Bd. 4 S. 452), 
die Kommiſſion darin einig, daß, da auch penſions⸗ 
berechtigte Beamte ohne Ruhegehalt entlaſſen werden 
können, lediglich die tatſächliche Frage, ob der von 
einem Betriebsunfalle betroffene, aber nicht in dauernde 
Dienſtunfähigkeit verſetzte Beamte ſpäter ohne Penſion 
entlaſſen werde, darüber entſcheidend ſei, ob, in welcher 
Höhe und für welche Dauer der durch den Unfall in 
ſeiner Erwerbsfähigkeit beſchränkte Beamte eine Penſion 
zu beziehen habe. In dem gleichen Sinne äußerte 
ſich, ohne von irgend einer Seite Widerſpruch zu 
erfahren, der Berichterſtatter der Kommiſſion in der 
Voll verſammlung des Reichstags (a. a. O. Bd. 2 S. 874). 
Demnach und da auch der Wortſinn der Vorſchrift 
damit übereinſtimmt, entſpricht es dem Willen des 
Geſetzes, den Fall des Abſ. 2 nur dann als gegeben 
anzunehmen, wenn der Beamte ohne eine Penſion 
entlaſſen wird. Bei dieſer Auslegung kann — das 
iſt der Reviſion zuzugeben — der Fall eintreten, daß 
ein Beamter, der wegen einer ſtrafbaren Handlung 
entlaſſen wird, günſtiger geſtellt iſt als ein Beamter, 
der in Ehren ſeinen Ruheſtand erhält. Derartige 
Ungleichheiten und Härten find aber bei einem Penſions- 
und Fürſorgegeſetze, bei deſſen Schaffung für die ein: 
zelnen Beſtimmungen von Fall zu Fall einerſeits die 
Bedürfnis⸗ und andererſeits die Koſtenfrage in Be— 
tracht zu ziehen iſt, eine unvermeidbare Begleiter— 
ſcheinung und auch bei der Beratung des Geſetzes 
nicht unbekannt, wenn auch unberückſichtigt geblieben. 
Sie können daher den Richter nicht berechtigen, nach 
einer Ausgleichung zu ſuchen und zu dieſem Zwecke 
die an ſich klare Geſetzesvorſchrift umzudeuten. Mit 
Recht hat es deshalb das Berufungsgericht abgelehnt, 
die Vorſchrift des 81 Abſ. 2 VO. vom 13. Noyember 
1902 zur Anwendung zu bringen; denn unbeſtritten 


t 


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u Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


ſteht feſt, daß der Kläger nicht ohne Ruhegehalt ent- 
laſſen, ſondern mit einem Ruhegehalt in den Ruhe⸗ 
ſtand verſetzt worden iſt. Mit Recht hat das OLG. 
ferner die Vorausſetzungen des Abſ. 1 verneint. Auch 
die Auslegung dieſer Beſtimmung wird durch die 
Entſtehungsgeſchichte des ihm zugrunde liegenden 
Reichsgeſezes geklärt. Aus der Begründung der 
Regierungsvorlage ergibt ſich, daß der Eintritt der 
Dienſtunfähigkeit nur eine Vorausſetzung des in dem 


Abſ. 1 gewährten Fürſorgeanſpruches bildet und daß 
hierüber in dem 


durch die Penſionsgeſetze vorge⸗ 
ſchriebenen Verfahren zu entſcheiden iſt (a. a. O. Bd. 4 
S. 54 Bemerkung zu 81 und S. 55 Bemerkung zu 
86 des Entwurfs). Dieſe von den Bundesregierungen 
als maßgebend erachteten Geſichtspunkte haben durch 
die Aufnahme des Abſ. 2 eine Aenderung nicht erfahren 
(RGZ. 44, 40) und rechtfertigen die Folgerung, daß 
die Frage, ob das körperliche oder geiſtige Gebrechen 
des von dem Unfalle betroffenen Beamten ihn zur 
Erfüllung ſeiner Amtspflicht dauernd unfähig macht, 
der Entſcheidung der Verwaltungsbehörde unterliegt. 
Nur die Frage, ob das Gebrechen auf ein beſtimmtes 
Ereignis zurückzuführen und dieſes als ein Betriebs- 
unfall anzuſehen iſt, iſt der Entſcheidung im ordent⸗ 
lichen Rechtswege durch den Richter vorbehalten (Bolze, 
Pr. 13, S. 338 Nr. 602; RG. 74, 102 ff.; RG. Urt. 
vom 15. Februar 1907, mitgeteilt in Kamptz und Delius, 
Rſpr. des RG. und des KG. auf den Gebieten des 
öffentlichen Rechts 2, 877). Wie die Verweiſungen 
in 810 UnfFürſv O. entnehmen laſſen und auch in 
der Begründung des Entwurfs eines Beamtengeſetzes 
(AbgK hdl. 1907/08 Beil Bd. 3 S. 122 Bemerkung 
zu Art. 176) anerkannt wird, iſt die UnfFürſ BO. von 
dem gleichen Geſichtspunkte ausgegangen. Da uns 
beſtritten feſtſteht, daß der Kläger von der vorgeſetzten 
Behörde nicht wegen des Nervenleidens, ſondern 
wegen des Augenleidens in den Ruheſtand verſetzt 
worden iſt, kann das Nervenleiden zur Begründung 
eines Rechtsanſpruches aus dem Abſ. 1 nicht geltend 
gemacht werden. Die gegenteiligen Ausfuhrungen 
der Reviſion ſind der Entſtehungsgeſchichte gegenüber 
hinfällig. Der Kläger kann den Anſpruch aus Abſ. 1 
nur auf die Behauptung ſtützen, daß ſein Augenleiden 
die Folge eines von ihm im Dienſte erlittenen Be— 
triebsunfalls iſt. Dieſe Behauptung iſt von dem Kläger 
aufgeſtellt, aber nicht dargetan worden. Soweit er 
ſie in der Berufungsinſtanz mit dem Unfalle vom 
18. April 1905 belegen wollte, hat das OL. zutreffend 
ausgeführt, daß hierin eine unzuläſſige Klageänderung 
liegt. Von einer Verletzung des 8 268 ZPO. kann 
nicht die Rede ſein. Denn nach den Beſtimmungen der 
ss 1, 9 UnfFürſ oO. iſt der Betriebsunfall der we⸗ 
ſentliche Beſtandteil des Anſpruchs- und Klage— 
grundes (3 253 Abſ. 2 Nr. 2 ZPO.). Ohne Ber: 
letzung des § 286 a. a. O. hat ferner das OSG. es 
abgelehnt, noch ein Obergutachten über die Frage zu 
erholen, ob das Nervenleiden das Augenleiden ver— 
ſchlimmert habe. Es hat den Anſpruch des Klägers 
nicht zurückgewieſen, weil für den Zuſammenhang 
des Unfalls mit dem Augenleiden nur eine Möglich— 
lichkeit ſpreche und dieſe zu einer Verurteilung nicht 
genüge, ſondern weil es unter einwandfreier Würdi— 
gung des Ergebniſſes des Sachverſtändigenbeweiſes 
die Wahrſcheinlichkeit des Zuſammenhangs verneinte. 
Auch hat es die Erholung eines weiteren Gutachtens 
nur aus dem Grund abgelehnt, weil ſeine auf die 
Gutachten mehrerer Sachverſtändigen geſtützte Ueber— 
zeugung auch dann nicht geändert werden könnte, wenn 
ein weiterer Sachverſtändiger die gegenteilige Auf— 
faſſung vertreten würde. Das Berufungsgericht hat 
ſohin die vorliegenden Gutachten zur Aufklärung der 
Sache für genügend befunden, es hatte daher auch 
keinen Anlaß, nach § 412 ZPO. eine neue Begutachtung 
anzuordnen (JW. 1910 S. 48225). Daß in der Ent⸗ 
ſchließung vom 7. Juni 1908 bei der Zuſicherung des 


9 


410 


Erſatzes der Heilungskoſten auf den $ 1 Abſ.6 UnfyürfBoD. 

Bezug genommen wurde, war nicht folgerichtig, kann 

aber die unmittelbar vorausgegangene ausdrückliche 

Ablehnung des Klageanſpruchs nicht entkräften. (Urt. 

des I. ZS. vom 16. Juni 1911. Reg. I 56/1911). W. 
2481 


II 


Welches Gericht hat den Streit eines preußiſchen 
und eines bayerifchen Amtsgerichts über die Ver: 
pflichtung zur Uebernahme einer bei dem prengzziſchen 
Amtsgericht auhängigen Vormundſchaft zu entſcheiden? 
(GF Ss 199, 46 in der Faſſung des RG. vom 
22. Mai 1910). Aus den Gründen: Das Bayer⸗ 
iſche Oberſte Landesgericht iſt nicht zuſtändig. Nach 
8 46 856. entſcheidet das gemeinſchaftliche obere 
Gericht, wenn ſich die Gerichte nicht einigen. Ge⸗ 
meinſchaftliches oberes Gericht iſt das Oberſte 
Landesgericht nach 8 199 GG. nur für bahyeri⸗ 
ſche Gerichte. 
Bundesſtaaten und nicht im Sprengel desſelben Ober⸗ 
landesgerichts liegen, iſt an ſich das Reichsgericht 
das gemeinſchaftliche obere Gericht. Für dieſen Fall 
hat nach der Faſſung, die der 8 46 durch den Art. VI 
des Geſ. vom 22. Mai 1910, betr. die Zuſtändigkeit 
des Reichsgerichts, erhalten hat, das Oberlandes— 
gericht zu entſcheiden, zu deſſen Bezirke das Gericht 
gehört, an welches die Vormundſchaft abgegeben 
werden ſoll. Dieſe Zuſtändigkeit iſt für Bayern 
nirgends dem Oberſten Landesgericht übertragen. 
(Beſchluß des Fer ZS. vom 7. September 1911, Reg. 
IV, 791911). W. 

2382 
III. 

Firmenwahrheit: Art ihrer Feſtſtellung; maßgeben⸗ 
der Zeitpunkt für die Beurteilung; Beanſtandung der 
Bezeichnung eines Geſchäſtes als Möbelhaus (HGB. 
818; FGG. 812 mit 88 125 - 158). Der Kaufmann 
Martin M. in N. meldete bei dem Regiſtergerichte zur 
Eintragung in das Handelsregiſter an, daß er in N. 
unter der Firma „N. .. heimer Möbelhaus Martin 
M. .. ein Möbelgeſchäft betreibe. Zur Begründung 
der Bezeichnung „N. . . heimer Möbelhaus“ fügte er 
nähere Angaben über die Art und den Umſang ſeines 
Geſchäftsbetriebes bei. Das Regiſtergericht wies nach 
einer Beſichtigung der Geſchäfts- und Lagerräume des 
M. die Anmeldung der Firma zurück und lehnte ihre 
Eintragung in das Handelsregiſter ab, weil nach den 
gegebenen Verhältniſſen die Eintragung des Zuſatzes 
„N. . . heimer Möbelhaus“ eine Täuſchung über den 
Umfang des Geſchäfts herbeizuführen geeignet und das 
her nach 8 18 Abſ. 2 HGB. nicht zuläſſig ſei. Nach 
Anhörung der Handelskammer, die ſich gegen die Zus 
läſſigkeit des Zuſatzes ausſprach, wies das LG. die 
Beſchwerde des M. zurück. Das Oberſte LG. hat auch 
die weitere Beſchwerde des M. aus folgenden Grün— 
den zurückgewieſen. 

Das HGB. verbietet im Abſ. 2 des § 18 der Firma 
einen Zuſatz beizufügen, der geeignet iſt eine Täuſchung 
über die Art oder den Umfang des Geſchäfts oder die 
Verhältniſſe des Geſchäftsinhabers herbeizuführen. In 
der Denkſchrift zu dem Entwurfe des HGB. iſt aus- 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


—— — ——I Zy —— — 


Für die Gerichte, die in verſchiedenen 


— ß —ä—ͤ—ͤ —e ͤ äKg31—4—2—— ä — 


geführt: „Die Klagen, daß die Firmenzuſätze vielfach 
marktſchreieriſche Anpreiſungen und tatſächlich falſche, | 


zur Täuſchung geeignete Angaben enthielten, find all» 
gemein und wenngleich bereits das Geſetz zur Be— 
kämpfung des unlauteren Wettbewerbs dieſem Miß— 


brauch entgegentritt, erſcheint es doch zweckmäßig in 


dem HGB. noch beſonders alle Firmenzuſätze zu ver— 
bieten, die geeignet find eine Tauſchung . . . herbei— 
zuführen? (Hahn, Mat. 6, 217; Lehmann, Lehrb. des 
Handelsrechts S. 155). Die Folge des Verbots iſt, 
daß der Regiſterrichter eine Firma, die einen derartigen 
Zuſatz enthält, nicht in das Handelsregiſter eintragen 
darf und ihre Anmeldung zurückweiſen muß ($ 64 


Abſ. 2, 8 67 IJMBek. vom 24. Dezember 1899, die Füh⸗ 
rung des Handelsregiſters betr., JMBl. 1899, S. 846/847). 
Das Regiſtergericht und das Beſchwerdegericht haben 
feſtgeſtellt, daß das Geſchäft des M. nach der Größe 
und dem Umfange des Lagers und der hiedurch be⸗ 
dingten Möglichkeit einer Auswahl, nach der Anzahl 
des beſchäftigten Perſonals und nach der Größe des 
Umſatzes, wenn auch nicht zu den ganz kleinen Möbel⸗ 
geſchäften, ſo doch nicht zu den bedeutenderen Unter⸗ 
nehmungen dieſer Art gehört. Hiebei haben die Vor⸗ 
inſtanzen mit Recht den gegenwärtigen Zuſtand und 
Umfang des Geſchäfts für maßgebend erachtet; die Be: 
zeichnung muß zur Zeit der Eintragung der Sachlage 
entſprechen (Staub, HG. [8.] 9 8 Note 11; Jahrb. 
des Deutſchen R. 2. Jahrg. Bd. 2 S. 25 zu 8 18 HG. 
Ziffer 8D. Nach 8 12 JGGᷓ., deſſen allgemeine Vor⸗ 
ſchriften auch auf die in den 88 125 - 158 a. a. O. er⸗ 
wähnten Handelsſachen Anwendung finden (Rausnitz, 
FGG. § 125 N. 2; O G. 21, 53), hatte das Gericht zur 
Feſtſtellung der in Betracht kommenden Tatſachen von 
Amts wegen die geeignet erſcheinenden Beweiſe aufzu⸗ 
nehmen. Dabei war es nicht an die Anträge der Be⸗ 
teiligten gebunden und nicht verpflichtet, jedem Beweis⸗ 
antrage ſtattzugeben. Es durfte ſich mit dem Ergeb⸗ 
niſſe der veranſtalteten Ermittelungen begnügen, wenn 
ihm der Sachverhalt ſo vollſtändig aufgeklärt erſchien, 
daß von weiteren Ermittelungen ein die Entſcheidung 
beeinfluſſendes Ergebnis nicht zu erwarten war (Neue 
Samml. v. Entſch. d. OLS. Bd. 8 S. 199, 372, Bd. 10 
S. 278; Rausnitz, FGG. 812 N. 17, 18). Ueber das 
Ergebnis der Ermittelungen hatte es nach freier Ueber⸗ 
zeugung zu entſcheiden; eine Verletzung des § 12 des 
angeführten Geſetzes liegt daher in Anſehung der aus⸗ 
reichend begründeten tatſächlichen Feſtſtellungen über 
den Umfang des Geſchäfts des Beſchwerdeführers nicht 
vor. Das Beſchwerdegericht hat im Anſchluß an das 
Gutachten der Handelskammer die Bezeichnung „N... 
heimer Möbelhaus“ dahin ausgelegt, daß darunter nach 
der Auffaſſung des Durchſchnittspublikums ein Unter— 
nehmen verſtanden werde, das nach der ganzen Aus⸗ 
geſtaltung ſeines Geſchäftsbetriebes einen Umfang er⸗ 
reicht, der den der gewöhnlichen Ladengeſchäfte dieſer 
Brunche übertrifft und zu den großen Möbelgeſchäften 
in N. zu rechnen iſt. Gegen dieſe Auslegung beſteht 
kein Bedenken. Da das Unternehmen des Beſchwerde⸗ 
führers nach ſeinem jetzigen Umfange nicht der Vor⸗ 
ſtellung entſpricht, die ſich das Publikum von einem 
„N. . heimer Möbelhaus? macht, der beabſichtigte Zu— 
ſatz alſo mit den tatſächlichen Verhältniſſen im Wider⸗ 
ſpruche ſteht, iſt auch die Annahme des Beſchwerde— 
gerichts, daß der Zuſatz geeignet iſt eine Täuſchung 
über den Umfang des Geſchäfts herbeizuführen nicht 
zu beanſtanden. Daß eine Täuſchung beabſichtigt wird, 
iſt nicht erforderlich; es genügt, daß der Zuſatz ge- 
eignet iſt fie herbeizuführen (Makower, HGB. [13.] 
S. 104, Kaufmann, Handelsrechtliche Rechtſprechung 
Bd. 8 S. 22). (Beſchl. des I. 35. vom 23. Juni 1911, 
Reg. III 46/1911). f W. 


223 


B. Strafſachen. 


Der Verkauf von Zigarren und Zigaretten in 
Gaſthäuſern an Sonn- und Feſttagen. An einem 
Sonntag kam der Kaufmann X. nachmittags mit Hut 
und Ueverzieher bekleidet in das Hofbräuhaus und 
verlangte an dem dortigen Verkaufsſtande für Zigarren 
und Zigaretten 20 Zigaretten, die er ſofort erhielt. 
ohne daß die mit dem Verkaufe betraute Frau ihn be— 
fragte, ob er in den Wirtſchaftsräumen bleibe. An 
demſelben Nachmittage ging X. in das „Reltaurant 
zum Auguſtiner“, in dem er als Stammgaſt bekannt 
war. Er verlangte am Büffet eine Schachtel mit 
10 Zigaretten und erhielt fie unbeanſtandet, ins- 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


beſondere ohne die Frage, ob er ſich in den Gaſt⸗ 
räumen als Gaſt befinde oder zu bleiben beabſichtige. 
Am gleichen Tage begab ſich X. in das Reſidenz⸗ 
automatenreſtaurant, wo er insbeſondere dem Zigarren⸗ 
verkäufer als ein haufiger Gaſt perſönlich bekannt 
war. Er verlangte und erhielt von dem mit dem 
Zigarrenverkaufe betrauten Angeſtellten 20 Zigaretten. 
In allen drei Fällen hat X. ſich alsbald nach dem 
Kaufe aus der Wirtſchaft entfernt, ohne die Zigaretten 
geraucht zu haben. Gegen die Inhaber der Bafthäufer 
wurde wegen eines Vergehens nach §§ 41 a, 105 b 
Abſ. 2, 105 e Abſ. 1, 146 a GewO. und 8 3 der Bek. 
der Regierung von Oberbayern vom 2. Mai 1910, 
die Regelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe 
zu München nach 8 105 e Abſ. 1 Gew. betr., ein 
Strafverfahren eingeleitet. Das Ber. ſprach fie frei. 
Die Reviſion des Staatsanwalts wurde verworfen. 

Aus den Gründen: 1. Nach 8 105 b Abſ. 2 GewO. 
dürfen im Handelsgewerbe Gehilfen, Lehrlinge und 
Arbeiter an Sonn⸗ und Feſttagen nicht länger als 
fünf Stunden beſchäftigt werden. Nach 8 105 e Abſ. 1 
können für Gewerbe, deren vollſtändige oder teilweiſe 
Ausübung an Sonn» und Feſttagen zur Befriedigung 
täglicher oder an dieſen Tagen beſonders hervor⸗ 
tretender Bedürfniſſe der Bevölkerung erforderlich iſt, 
durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde 
Ausnahmen von den im 8 105 b getroffenen Be⸗ 
ſtimmungen zugelaſſen werden. Beſtraft wird, wer 
den 88 105b bis 105g oder den auf Grund des 
8 105 b Abſ. 2 erlaſſenen ſtatutariſchen Beſtimmungen 
zuwiderhandelt. Nach 8 41 a darf, ſoweit nach den 
Beſtimmungen der 88 105b bis 105h Gehilfen, 
Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe an Sonn⸗ 
und Feſttagen nicht beſchäftigt werden dürfen, in 
offenen Verkaufsſtellen ein Gewerbebetrieb an dieſen 
Tagen nicht ſtattfinden. Die 88 105 b bis 105 finden 
nach 8 105 i auf das Gaſt⸗ und Schankwirtſchaftsgewerbe 
keine Anwendung. Die oben erwähnte Bek. der Re⸗ 
gierung von Oberbayern vom 2. Mai 1910 beſtimmt 
in 83: „Soweit in Gaſt⸗ und Schankwirtſchaften der 
Verkauf begünſtigter Waren (z. B. von Zigarren und 
Charkutierwaren) an Sonn- und Feſttagen außer den 
für den Handel mit dieſen Waren offenen Stunden 
gemäß 8 1051 der Gewerbeordnung als Teil des 
Wirtſchaftsbetriebs zuläſſig iſt, darf der Verkauf (die 
Abgabe) bei Meidung der Straffälligkeit aus 8 146 a 
der Gewerbeordnung. . . nur an die Gäſte der 
Wirtſchaft und zwar nur in ſolchen, bzw. ſo geringen 
Mengen (Herrliches Amtsdeutſch! Die Red.) erfolgen, 
daß Genuß auf der Stelle vermutet werden kann“. 

2. Wie der Senat ſchon in dem Urteile vom 
21. März 1911) dargelegt hat, hat der Geſetzgeber, 
indem er im SS 105i Abſ. 1 GewO. die Anwendung 
der 88 105 b bis 105g auf das Gaſt⸗ und Schank⸗ 
wirtſchaftsgewerbe ausſchloß, den Betrieb der Gaſt⸗ 
und Schankwirtſchaft nicht nur inſoweit von der 
Sonntagsruhe ausgenommen, als die notwendigen 
Erſcheinungsformen dieſes Gewerbes, die Verabfolgung 
von Speiſen und Getränken mit oder ohne Be- 
herbergung der Gäſte in Betracht kommen, ſondern 
er wollte den Betrieb beider Gewerbe an den Sonn— 
und Feſttagen ohne Einſchränkung fortdauern laſſen. 
Der Betrieb des Wirtsgewerbes erſchöpft ſich ſeit 
langem nicht mehr darin, daß der Gaſtwirt Unter— 
kunft und Verpflegung, der Schankwirt Getränke dar: 
bietet; das Publikum fordert die Bereitſtellung von 
Genußmitteln verſchiedener Art, es will namentlich 
den Genuß des Rauchens nicht entbehren. Dieſen 
Anforderungen kann ſich der Wirt nicht verſchließen, 
wenn er nicht im Wettbewerb zurückbleiben will. 
Mit dieſen Verhältniſſen wurde gerechnet, als im 
Jahre 1891 der 8 105i GewO. geſchaffen wurde. 
Demgemäß entſpricht auch heutzutage der Verſchleiß 


1) S. Nr. 11 dieſes Jahrgangs der Zeitſchrift S. 246. 


— —— — — — — 


— ———— T b [⏑w—ͤůͤůͤöX3ßÜQ9⅛iü ] dü¾]JirNNAEff...8(ä(kͤͤ2!!örk . ñ3ñꝗ32.i!,ö!k.. ̃ñ„„r5vul!ññ —— —ꝛ2ꝛ— ——Ü—Ü«kkk'—ũ7 ⁴—xꝛx8—Ä—V2v˖;ß? — — —— — nn 


411 


von Zigarren und Zigaretten in Gaſt⸗ und Schank⸗ 
wirtſchaften der allgemeinen Verkehrsauffaſſung. Hier⸗ 
aus ergibt ſich, daß der Verkauf von Zigarren und 
Zigaretten zurzeit zum Betriebe der Gaſt⸗ und Schank⸗ 
wirtſchaft gehört und deshalb mit dieſem die Ver⸗ 
günſtigung des 8 1051 GewO. genießt, alſo auch 
während der Sonntagsruhe ſtattfinden darf. Da es 
ſich aber bei der Abgabe von Zigarren und Zigaretten 
nicht um eines der begrifflich notwendigen oder Grund⸗ 
geſchäfte des Wirtes handelt, ſondern nur um ein 
Nebengeſchäft, das nur im Rahmen des Wirts⸗ 
gewerbes begünſtigt iſt, ſo iſt ſtrenge darauf zu ſehen, 


daß die Abgabe nur an Gäſte der Wirtſchaft und 


auch an ſie nicht in Mengen erfolgt, die einen An⸗ 
kauf auf Vorrat vermuten laſſen und das zur Be⸗ 
friedigung des augenblicklichen Bedürfniſſes erforder⸗ 
liche Maß überſteigen. 

3. Mit dieſen Sätzen ſtimmen die Erwägungen 
überein, von denen ſich die Strafkammer hat leiten 
laſſen. Nicht irrtümlich ſind auch ihre Ausführungen 
über die Frage, ob die Angeklagten oder ihre Ange⸗ 
ſtellten ſich nicht etwa wegen der Zahl der an K. 
verkauften Zigaretten verfehlt haben. Es muß der 
Strafkammer darin beigepflichtet werden, daß es bei 
großen Betrieben häufig unmöglich iſt in jedem Falle 
genau zu prüfen, ob die von einem Gaſte verlangte 
Zahl von Zigaretten zur Deckung feines Bedarfs er- 
forderlich iſt. (Wird weiter ausgeführt). (Urt. vom 
30. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 206/11). Ed. 

2392 


Oberlandesgericht München. 


Urheberrecht an Grabdenkmälern; keine Geſetzes⸗ 
rückwirkung. (Beſchluß nach 8 170 StPO.). Bei den 
hier ſtreitigen Grabdenkmälern handelt es ſich nach dem 
Gutachten der Sachverſtändigenkammer um reine 
Architekturformen (Portikus), die ohne Zweifel in das 
Gebiet der Baukunſt fallen. Nach dem Urheberrechts⸗ 
geſetz vom 9. Januar 1876 waren ſolche Werke nicht 
geſchützt, dagegen wurde ein folder Schutz eingeführt 
durch das am 1. Juli 1907 in Kraft getretene RG. 
vom 9. Januar 1907 betr. das Urheberrecht an Werken 
der bildenden Künſte und der Photographie. Geht 
man von der anerkannten Regel aus, daß neue Geſetze 
beim Fehlen einer gegenteiligen, ausdrücklichen Be⸗ 
ſtimmung keine rückwirkende Kraft haben, ſo kann es, 
da das neue Geſetz keine ſolche Beſtimmung enthält, 
keinem Zweifel unterliegen, daß das im Jahre 1906 
durch den Antragſteller angefertigte Grabdenkmal den 
Schutz des neuen Geſetzes nicht genießt. Der OStA. 
hat mit Recht hervorgehoben, daß das Kunſtſchußgeſetz 
vom Jahre 1907 auch keine dem $ 62 Satz 1 LitUrh RG. 
vom 19. Juni 1901 entſprechende Beſtimmung enthält. 
Es iſt deshalb der oben angegebenen, auch von Allfeld, 
UrhR. an Werken der bildenden Künſte S. 229, und 
von E. Riezler, Deutſches Urheber- und Erfinderrecht, 
1. Abt. S. 405, vertretenen Anſchauung beizupflichten. 
(Beſchl. vom 19. Mai 1911, Reg.⸗Nr. 30/11.) 

2208 X. 


Literatur. 


Kränßlich, Dr., Landrichter in Düſſeldorf, Gerichts- 
verfaſſungs⸗ und Strafprozeß⸗Novelle 
oder umfaſſende Juſtizreform? 79 S. Hannover 
Helwingſche Verlagsbuchhandlung. Preis Mk. 1.50. 


Der Verfaſſer lehnt die Novelle ab und tritt leb— 
haft für eine umfaſſende Reform ein. Er beſchränkt 
ſich im weſentlichen auf die Neugeſtaltung der Ge— 
richts verfaſſung: zu den bekannten Vorſchlägen nimmt 
er ſelbſtändig Stellung. In erſter Inſtanz will er 
Berufseinzelrichter wirken laſſen und weiſt ihnen an 


412 


„Friedensgerichten“, (die den heutigen Amtsgerichten 
entſprechen), die freiwillige Gerichtsbarkeit, Bagatell⸗ 
ſachen und einige Zivilprozeſſe zu, während ſie an 
„Spruchgerichten“, (deren Zahl gegenüber der der 
heutigen Landgerichte zu vermehren wäre), über die 
übrigen Zivilprozeſſe zu entſcheiden hätten. Spruch⸗ 
richter ſoll nur werden können, wer — regelmäßig — 
6 Jahre Friedensrichter war. Laien ſollen nur in 
der erſten Inſtanz und zwar in kleinen, mittleren und 
großen Schöffengerichten an der Strafrechtspflege mit⸗ 
wirken. Die Mitglieder der über der erſten Inſtanz 
aufgebauten — mit 3 bis 7 Richtern beſetzten — Be⸗ 
rufungsgerichte werden den Spruchrichtern an Rang 
und Gehalt gleichgeſtellt. Weiter werden Vorſchläge 
zur Vermeidung unnötiger Prozeſſe, zur Beſchleuni⸗ 
gung der Rechtſprechung, zur Stärkung der Autorität 
der von nicht richterlicher Arbeit zu entlaſtenden 
Richter und zur Herbeiführung beſſerer Beziehungen 
zwiſchen ihnen, Staats- und Rechtsanwälten gemacht. 
Das Notariat ſoll aufgehoben werden. Die gedanken⸗ 
reiche Abhandlung geht von der richterlichen Praxis 
aus und trägt ihr Teil dazu bei, der großen Reform 
den Charakter der Utopiſchen zu nehmen. 
München. Amtsrichter Sauerländer. 


Bauer, Dr. jur. Otto, Amtsrichter a. D., Das Pol» 
lard⸗Syſtem und feine Einführung in Deutſch— 
land. Eine Studie zur kriminalpolitiſchen Behand» 
lung der Trinker. Vortrag gehalten auf dem 
VII. Deutſchen Abſtinententage in Augsburg am 
30. September 1910. 47. S. Reutligen 1911, Mimir⸗ 
hl, m deutſche Kultur und ſoziale Hygiene. 


Ausgehend von dem Grundſatze, daß das Straf— 
recht nicht ſo ſehr der Vergeltung, als dem Schutze 
der Geſellſchaft zu dienen habe, hat der Polizeirichter 
Pollard in St. Louis (Miſſouri) ein Syſtem der 
Strafausſetzung für den Fall eingeführt, daß der Ber: 
urteilte ſich freiwillig dem Gerichte gegenüber auf be= 
ſtimmte Zeit zur Enthaltung von geiſtigen Getränken 
verpflichtet. Damit hängt die Frage der Einführung 
einer Schutzaufſicht eng zuſammen. Auch in anderen 
Staaten, beſonders in England, haben dieſe Ideen 
Verwirklichung gefunden. Der ſehr leſenswerte, mit 
zahlreichen Quellenangaben verſehene Vortrag ſchil— 
dert dieſe Beſtrebungen in anſchaulicher Weiſe und 
befürwortet mit beachtlichen Gründen ihre Einführung 
in Deutſchland gelegentlich der Reform des Straf— 
rechts. Vgl. auch die Bek. des Heſſiſchen Juſtizmin. 
vom 4. September 1911, betr. die Handhabung des 
bedingten Strafaufſchubs (Heſſ. JIMin Bl. 1911 Nr. 12). 

H. 


Winter, Dr. jur. Paul, Oberlandesgerichtsrat in 
Stettin. Konkursordnung und Anfechtungs— 
geſetz in der Faſſung der Bekanntmachung des 
Reichskanzlers vom 20. Mai 1898. Textausgabe 
mit Erläuterungen, Nebengeſetzen und Sachregiſter. 
X, 348 S. Leipzig 1911, C. L. Hirſchfeld. Gebd. 
Mk. 2.90. 


Die nicht gerade tiefgehenden aber ausreichenden 
Anmerkungen machen die Ausgabe für den Hand— 
gebrauch geeignet. Zweckmäßig iſt es, daß zu den 
einzelnen Vorſchriften die darin angeführten Beſtim— 
mungen anderer Geſetze abgedruckt ſind, was bei einem 
Geſetze von verhältnismäßig kleinem Umfang — wie 
es die KO. iſt — geſchehen konnte, ohne daß die Aus— 
gabe unhandlich wurde. Im Anhang, der Auszüge 
aus Nebengeſetzen bringt, ſind auch einige landes— 
rechtliche Vorſchriſten abgedruckt. 


Eigentum von J. Schwei der Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20. 


Notizen. 


Die bayeriſche Juſtizſtatiſtik far 1910 iſt ſoeben im 
Verlage von Chr. Kaiſer in München erſchienen. Be⸗ 
ſonders bemerkenswert ſind diesmal die Ergebniſſe 
der Zivilprozeßſtatiſtik, weil ſie die Wirkungen der 
Zivilprozeß⸗Novelle von 1909 auf den Geſchäftsanfall 
bei den Amtsgerichten und den Landgerichten erſehen 
laſſen, wobei allerdings zu beachten iſt, daß die Novelle 
nur während eines Zeitraums von neun Monaten (vom 
1. April 1910 an) in Geltung war; erſt auf Grund 
der Ergebniſſe für 1911 werden ſich die Verſchiebungen 
genau nachweiſen laſſen. Immerhin waren ſie ſchon 
im Jahre 1910 nicht unbedeutend. Die Abſicht der 
Novelle das Mahnverfahren wieder beliebter zu machen, 
iſt offenſichtlich erreicht worden. Im Jahre 1910 
wurden um 19979 mehr Zahlungsbefehle erlaſſen 
als 1909 (213076). Die Mahnſachen machten 1910 
49,2% der vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus, 
1909 nur 46,7%. Gewöhnliche Prozeſſe fielen bei 
den Amtsgerichten 182062 an (gegenüber 173976 im 
Vorjahre), Urkunden⸗ und Wechſelprozeſſe 18 527; 
darunter waren 20001 gewöhnliche Prozeſſe und 2655 
Urkunden⸗ und Wechſelprozeſſe mit einem Streitwerte 
von mehr als 300 M. Bei den Landgerichten find 
die gewöhnlichen Prozeſſe um 7086, die Wechſelpro⸗ 
zeſſe um 2276, die anderen Urkundenprozeſſe um 133 
zurückgegangen. Dem ſteht eine Mehrung der Be⸗ 
rufungsſachen gegenüber, die 1910 allerdings noch 
nicht ſehr bedeutend war (789 Berufungen in gewöhn⸗ 
lichen Prozeſſen mehr als im Vorjahre). Bei den 
Oberlandesgerichten hat die Novelle im Jahre 1910 
natürlich noch wenig gewirkt. 


Die für 1909 auf Grund der Reichskriminalſtatiſtik 
hergeſtellte Ueberſicht der Verbrechen und Vergehen 
gegen Reichsgeſetze zeigt ein gar nicht unbedeutendes 
Sinken der Kriminalität (2229 Verurteilte weniger), 
insbeſondere auch der Kriminalität der Jugendlichen 
(1127 Verurteilte weniger). Etwas zugenommen haben 
die Uebertretungen, wogegen ſich bei den Verurtei⸗ 
lungen in Forſtſtrafſachen ein ganz bedeutender Rück⸗ 
gang zeigt (40511 gegen 51004). 

Neu iſt die Alkoholſtatiſtik. 8864 Perſonen ſind 
1910 wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichs⸗ 
geſetze verurteilt worden, die ſtrafbare Handlungen 
im Zuſtande der Trunkenheit oder offenſichtlich infolge 
gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuſſes begangen hatten. 
Die Zahl ihrer ſtrafbaren Handlungen betrug 10 042, 
beinahe die Hälfte davon (5006) waren gefährliche Körpers 
verletzungen. Man muß dabei beachten, daß die Statiſtik 
den mittelbaren Alkoholeinfluß nicht erfaſſen konnte, 
z. B. nicht die Fälle, in denen der übermäßige Alkohol⸗ 
genuß zur Vermögenszerrüttung und damit zu Unters 
ſchlagungen, Betrug uſw führte. Auch konnten natür— 
lich nur die Fälle berückſichtigt werden, in denen das 
Strafverfahren ausreichende Anhaltspunkte für den 
Einfluß des Alkoholgenuſſes auf die Tat geliefert hatte. 
Bei dieſer unvermeidlichen Beſchränkung der Statiſtik 
kann die Zahl 8864, die auf den erſten Blick nicht ſehr 
bedeutend zu ſein ſcheint, als ziemlich hoch bezeichnet 
werden. Häufiger, als zu erwarten war, kamen auch 
Fälle vor, in denen keine Beſtrafung eintreten konnte, 
weil der Täter bei Begehung der Tat ſinnlos be— 
trunken war (150). 

2400 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 21. München, den 1. November 1911. 7. Jahrg. 


Zeitschrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


Eh. vonder Dferbten in Bay EIN ra 10 


Staats miniſtertum der Iuflz- München und Berlin. 


g eee er: See e e ( Lee , , Panel 
mfange von min . e . e ; e 
Ak. 8—. e eſtelungen übernimmt ede Buchhanblang und u * oder deren Bel Wiederholungen Kabalt . 
20 fa. nach Uebereinkunft. 
Nachdruck verboten. 413 


5 f Ko. für Ob [ d R b 
Eine Frage aus dem bayeriſchen Fiſchereirecht. 4 1 8 1 8 


Von Richard Berolzheimer, Rechtsanwalt in München. | Es iſt jüngft bei der Erhebung eine Anklage 
I wegen Uebertretung des 8 6 der KrD. für Ober: 
5 " bayern, nämlich wegen verbotswidrigen Ablaſſens 
Auf der geſetzlichen Grundlage des Art. 72 eines Mühlbachs zum Zweck des Fiſchfangs, die 
des Fiſchereigeſetzes für das Königreich Bayern — gemäß Art. 10, 15 PStGB. von Amts 
vom 15. Auguft 1908 (GVBl. S. 527) wurde, wegen zu prüfende — Frage aufgetaucht, ob ſich 
durch 9 62 Abſ. I der Bek. vom 19. März 1909, der 8 6 der KröO. im Rahmen des 8 10 Abſ. I 
den 1 des . 1 es 9 280. hält. 
reich Bayern vom 15. Auguſt 1908 betr. 5% 850; 
S. 252), angekündigt, die Bek. vom 23. März 1 0 Ablass. von . 
88 6 . betr., erlaſſen ſchränken. In den genannten Kr O. wurde 
e . aber das Ablaſſen nicht beſchränkt, ſondern ver⸗ 
Die LO. gibt es in § 10 Abſ. I den Re- boten. Es bedarf daher der Unterſuchung, ob 
gierungen, Kammern des Innern anheim, „durch unter die zuläſſigen Beſchränkungen auch ein 
oberpolizeiliche Vorſchrift beſchränkende Ber völliges Verbot fällt. 
ſtimmungen in bezug auf das Abdämmen, Ab⸗ | 
ſperren mittels Schleuſen, Abzapfen oder Ablaſſen II. 
nicht geſchloſſener Fiſchgewäſſer zum Zweck des 
Fiſchfangs zu erlaſſen.“ Die Strafſanktion findet 1. Die Entſtehungsgeſchichte der in $ 10 Abſ. I 
ſich in § 101 Ziff. 4 FG. Dieſe Vorſchrift wendet LFO. getroffenen Vorſchrift zeigt, daß fie zurück⸗ 
ſich an den Fiſchereiberechtigten, den es in gewiſſen geht auf $ 14 LFO. vom 4. Oktober 1884, die 
Arten des Fiſchfanges beſchränkt, während Art. 77 lautet: „Den königlichen Kreisregierungen, Kam⸗ 
FG., was in der Praxis manchmal überſehen mern des Innern, bleibt anheim gegeben, durch 
wird, den Schutz des Fiſchereirechts durch Ent⸗ oberpolizeiliche Vorſchriften beſchränkende Be⸗ 
leerung des Fiſchwaſſers zu andern Zwecken als ſtimmungen in bezug auf das Abdämmen, Ab⸗ 
zum Zweck des Fiſchfanges verbietet. zapfen oder Ablaſſen nicht geſchloſſener Fiſchwaſſer 
Von der Ermächtigung des § 10 Abſ. 1 LFO. zum Zweck des Fiſchſangs zu erlaſſen.“ Während 
haben bereits mehrere Kreisregierungen Gebrauch alſo auch dieſe LFO. nur von „Beſchränkung 
gemacht. So heißt es in der Kr O. für Ober: | Ipricht, find ſchon damals in mehreren Kreis⸗ 
bayern vom 15. Dezember 1910 8 6 (Kr Bl. fiſchereiordnungen völlige Verbote ausgeſprochen 
S. 233): „Das Abdämmen, Abſperren mittels worden (vgl. Kr O. für Oberbayern vom 21. Of: 
Schleuſen, Abzapfen oder Ablaſſen nicht ge: tober 1885 Ziff. III, für Niederbayern vom 
ſchloſſener Fiſchwaſſer zum Zweck des Fiſchfanges | 22. Dezember 1885 Ziff. III. für Unterfranken 
iſt verboten.“ Das gleiche Verbot findet ſich vom 4. Februar 1886 Ziff. II). Vorſichtiger 
z. B. in der Kr O. für Oberfranken vom 31. März wurde die Regelung getroffen in der Kr§ O. für 
1910 8 9 (KrABl. S. 61), KrFO. für Mittel⸗ Oberfranken vom 27. Januar 1886 Ziff. V. für 
franken vom 4. Mai 1910 Nr. 2 (Kr Bl. S. 49), Mittelfranken vom 29. Mai 1889 Ziff. IV, für 
ea und Dr Be Mai 1890 
BE TEE Ziff. IV. Die Kreisregierungen der Regierungs⸗ 
nen, — Aae dockaia. bezirke Pfalz (Kr O. vom 31. Januar 1890), fo: 
KryO. Kreisfiſchereiordnung. wie Schwaben und Neuburg (Kr O. vom 14. Of: 


414 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


tober 1885) haben keinerlei Beſchraänkung ein⸗ laſſens zuzulaſſen. Der Wille des Geſetzgebers 
treten laſſen. entſcheidet aber nur über den Geſetzestext, hat er 
Der Kommentator der früheren bayerifchen dieſen einmal rechtsgültig veröffentlicht, jo kann 
Fiſchereiordnungen, Staudinger, ſpricht ſich in er über den Inhalt feiner Erklärung nicht mehr 
ſeiner Landesfiſchereiordnung für das Königreich bindend entſcheiden (Staudinger⸗Loewenfeld, Komm. 
Bayern S. 122 dahin aus: „Damit (seil. durch z. BGB., Einleitung VI, Rechtsanwendung Abſ. J). 
§ 14 Abſ. 1) find Verbote fraglicher Art wenigſtens Uebrigens ergibt der Sprachgebrauch des Ge⸗ 
im allgemeinen durch eine Zuläſſigkeitserklärung ſetzgebers ſelbſt, daß er zwiſchen Verbot und Be⸗ 
derſelben vorgeſehen. Nach ſeiner Anſchauung ſchränkung unterſcheidet. Denn nach $ 11 LO. 
fallen unter den Begriff „Beſchränkungen“ alſo kann durch Anordnung der Regierungen die An⸗ 
auch völlige Verbote. wiendüng von Legangeln „verboten oder beſchränkt 
Die dem Regierungsentwurf zum Fiſcherei⸗ werden“. In $ 11 Abſ. II LFO. ſpricht das 
geſetze beigegebene Begründung ſowie die Kammer: Geſetz von „weiteren Beſchränkungen“ des Ein⸗ 
verhandlungen gelegentlich der Beratung des neuen | laſſens von Enten, in Abſ. I dagegen ift von 
Fiſchereigeſetzes (in den Ausſchüſſen und im Plenum einem Verbote die Rede. Dieſes Verbot iſt 
der beiden Häuſer des Landtags) gewähren keinerlei aber lediglich ein zeitliches, und als weiterer Fall 
Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage. iſt in Abſ. II das räumliche aufgeführt. Derartige 
In den Kommentaren zum Fiſchereigeſetz (Bleyer Teilverbote fallen unzweifelhaft unter den Begriff 
S. 240, von Malſen⸗Hofer S. 591) finden ſich Beſchränkung. 
Erörterungen über die Zuläſſigkeit von Verboten Auch in $ 10 Abſ. I und $ 14 Abſ. II L§ O. 
nicht, wenn auch von Malſen⸗Hofer, 8 10 ad 1, vom 4. Oktober 1884 war zwiſchen Verbot und 
ihre Rechtsgültigkeit ſtillſchweigend vorauszuſetzen Beſchränkung unterſchieden. 
ſcheinen. | Unſere Geſetze ſprechen in den Fällen, wo eine 
2. Bei der Auslegung geſetzlicher Vorſchriften Behörde ſowohl zu einem völligen Verbot als 
müſſen wir vor allem den Wortlaut des Geſetzes- auch zu einer bloßen Beſchränkung ermächtigt 
textes im Auge behalten. Wie ſchon das BER. wird, davon, die Behörde könne Verbote er: 
Tl. 1 cap. 1 8 9 vorſchreibt, ſoll man deutliche laſſen oder Anordnungen treffen. Würde man 
Geſetze und Ordnungen nicht auszulegen ſuchen, unter dem Ausdruck Beſchränkungen auch Verbote 
ſondern die Worte bei ihrer gewöhnlichen und verſtehen wollen, ſo fände man ſchwer ein Wort, 
landläufigen Bedeutung ohne Verdrehung belaſſen, das nur die Beſchränkungen im engeren Sinn 
Die Bedeutung des Wortes „Beſchränkung“ unter Ausſchluß der Verbote in ſich ſchlöſſe. 
in der deutſchen Sprache iſt aber eine andere als | 4. Dan fann bier die Gleihfegung von Be- 
die eines Verbotes. Beſchränkung bildet den | ſchränkung und Verbot auch nicht mit der Be⸗ 
Gegenſatz zu Schrankenloſigkeit. Es weiſt auf Bunt: 
gründung rechtfertigen, jedes Geſetz habe die 
eine Begrenzung, auf eine Einengung hin, nicht Vermutung der Vernünftigkeit und Zweckmäßig⸗ 
| 
| 
| 


aber auf eine gaͤnzliche Beſeitigung. Es wird keit für ſich, eine bloße Beſchränkung d 5 

| ES. g des Ab 
etwas mit Schranken umgeben und dadurch eine laſſens von Fiſchwaſſern genüge nicht, der Geſetz⸗ 
5 . 5 ber könne hier, wenn er ſeinen Zweck erreichen 
„beichräntt wird im verſchiedenſten Sinn gebraucht. wollt, nur die 1 fig Ver 
ſowohl in ſeiner wörtlichen Bedeutung als im botes im Auge gehabt haben. Iſt es ſchon ftets 


. a ; 
übertragenen Sinn. Wir reden von räumlicher bedenklich, bei Auslegung von Geſetzen über den 
| 


ſchrankenloſe Ausdehnung verhindert. Das Wort 


Beſchränkung, nicht um das Vorhandenſein eines Wortlaut hinaus — di 
; . zugehen, — die Gefahr der Ge⸗ 
Ham ch Ten, Jen dm Br Fan d e 
a 8 I ſo gilt dies um jo mehr bei den mi raf⸗ 
ui e ae en Gr ar ere e a c Selm 
fähig ift, ſondern derjenige, deſſen geiſtige Funk: | > 5 ge 1 er 1 " 
tionen herabgeſetzt find. Wer ſich wirſſchaſtlich | Ob 118 15 . en ni fal 
einſchränken muß, darf nur nicht mehr die gleichen | ee nn A un erp 825 
Ausgaben machen als bisher, nicht aber muß er zeigen, ſind auch Beſchränkungen in einzelnen Be⸗ 
ſich jeder Ausgabe enthalten. Und wenn ein ziehungen möglich, z. B. Ablaſſen bis zur Hälfte. 
Geſetz in gewiſſer Beziehung Beſchränkungen der Daneben wären auch namentlich zeitliche Beſchrän⸗ 
Willensbetätigung zuläßt, jo geſtattet es damit kungen denkbar, vielleicht auch Beſchränkungen je 
nicht die Willensbetätigung in dieſer Richtung nach Art der im Gewäſſer vorhandenen Fiſche. 
ganz auszuſchließen, ſondern nur fie mit Schranken III 
Sonach dürften die ſich angeblich auf 8 10 


zu umgeben, ſie einzuengen, ſei es zeitlich, räumlich, 
gegenſtändlich oder in anderer Weiſe. 
3. Es kann fein, daß der Wille des Geſetz- | Abi. I LFO. ſtützende Verbote des Abdaͤmmens, 
Abſperrens mittels Schleufen, Abzapfens oder Ab⸗ 
laſſens nicht geſchloſſener Fiſchwaſſer zum Zweck 


— 


gebers (hier alſo des Miniſteriums) dahin ging, 
durch § 10 Abſ. 1 LIFO. auch Verbote des Ab— 


des Fiſchfangs der ſachlichen Gültigkeit entbehren, 
ähnlich wie die oberpolizeilichen Vorſchrif 
nicht für beſtimmte Arten von Ausverkäufen 8 7 
Abſ. II UnlWGG.) ſondern für Ausverkäufe irgend: 
welcher Art zur Anzeigeerſtattung und Einreichung 
eines Verzeichniſſes der auszuverkaufenden Gegen⸗ 
ſtände verpflichten (ſ. Nr. 20 dieſes Jahrg. der 
Zeitſchrift S. 407). 

Die LO. kann — die Vertreter der Staat 
regierung haben ſich bei den Landtagsverhand⸗ 
lungen übereinſtimmend gegen eine Regelung der 
betreffenden Materien im Geſetze ſelbſt ausge⸗ 
ſprochen — durch Miniſterialbekanntmachung jeder⸗ 
zeit geändert werden. Es iſt wünſchenswert, daß, 
falls im Intereſſe der Fiſchereiwirtſchaft Verbote 
des Abdämmens uſw. notwendig ſein ſollten, die 
erheblichen Zweifel an der Gültigkeit der erlaſſenen 
Kreisfiſchereiordnungen durch eine entſprechende 
Aenderung der LJ O. möglichſt bald beſeitigt werden. 


— 0 — — 


Di ſtaatliche Obſorge für entlaſſene 
Gefangene in Bayern. 
Von Richard Degen, Landgerichtsrat in München. 


Mit Beginn des Jahres 1909 wurde die Haupt⸗ 
ſtelle für Gefangenenobſorge in Nürnberg errichtet. 
Ihr Vorſtand, der Direktor des Zellengefängniſſes 
Oberregierungsrat Michal in Nürnberg, hat ſich 
damals in dieſer Zeitſchrift über den Zweck und 
die Ziele dieſer neuen Einrichtung ausgeſprochen 
und die Grundſätze erörtert, nach denen ſie ihre 
Tätigkeit zu geſtalten hatte (1909 S. 77). Seit⸗ 
dem ſind nahezu drei Jahre verfloſſen, ein Zeit⸗ 
raum groß genug, um an der Hand eines kurzen 
Ueberblicks über das bisherige Wirken der Haupt⸗ 
ſtelle beurteilen zu können, ob ſie die an ihre 
Errichtung geknüpften Erwartungen erfüllt und 
ſich als lebens⸗ und ausbaufähig erwieſen hat. 

Die Tätigkeit der Hauptſtelle war von vorn⸗ 
herein begrenzt durch die Mittel, die ihr zur Ver⸗ 
fügung geſtellt werden konnten. Im Etat des 
Juſtizminiſteriums waren bisher jährlich 25000 Mk. 
für ihre Zwecke eingeſetzt. Davon hatte ſie 5000 Mk. 
an die Zentralſtelle der bayeriſchen Obſorgevereine 
in München abzugeben. Es blieben ihr alſo nur 
20 000 Mk., ein Betrag, mit dem trotz ſtrengſter 
Ausleſe der Hilfeſuchenden nach Dürftigkeit und 
Würdigkeit und trotz Beſchränkung der Beihilfen 
auf das notwendigſte Maß nur die dringendſten 
Bedürfniſſe befriedigt werden konnten. 

Die Art und die Form der Obſorge muß ſich, 
wenn ſie wirkſam ſein ſoll, den jeweiligen Ver⸗ 
hältniſſen des Obſorgebedürftigen anpaſſen; es 
find demnach die mannigfachſten Formen der Ob— 
ſorge denkbar. Doch bewegt ſich die Tätigkeit der 
Hauptſtelle hauptſächlich in zwei Formen: in der 
Zuweiſung von Unterſtützungen und in der Arbeits— 
vermittlung. 


ZBebitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 214 


415 


werden nicht nur den ent⸗ 
Rauch Ya: 
milienangehörige find davon nicht ausgeſchloſſen. 
Gerade ſie leiden oft ſchuldlos unter der Straf⸗ 
vollſtreckung gegen das Familienhaupt am härtejten, 
und dem Entlaſſenen wird die Rückkehr zu einem 
geordneten Leben doppelt ſchwer gemacht, wenn 
er ſeine Angehörigen in Not und Elend antrifft. 
Im Jahre 1910 wurden 89 Familien von Ge⸗ 
fangenen mit ſolchen Unterſtützungen bedacht. 

Unterſtützungen an Bargeld wurden 287 Ge⸗ 
fangenen gewährt. Zuwendungen dieſer Art, die 
der Linderung einer augenblicklichen Notlage dienen 
ſollen, erfolgen in der Regel nur an verheiratete 
Perſonen, die Gewähr dafür bieten, daß ſie das 
Geld auch wirklich ſeinem Zwecke entſprechend ver⸗ 
wenden. In geeigneten Fällen tritt an die Stelle 
ſolcher Unterſtützungen in Bargeld die Unter: 
bringung in Fürſorgeheimen, in Miſſionsheimen 
und ähnlichen Anſtalten, die bei 63 Gefangenen 
zur Anwendung kam. Ferner kann entlaſſenen 
Gefangenen auch dadurch an die Hand gegangen 
werden, daß ihnen die Mittel zur Einlöſung von 
Verbindlichkeiten, z. B. zur Zahlung rückſtaͤndigen 
Mietzinſes, von Lagerſpeſen u. dgl. gewährt oder 
daß verſetzte Gegenjtände, in erſter Linie Hausrat 
und Handwerkszeug, wieder eingelöſt werden. Auf 
dieſe Weiſe hat die Hauptſtelle im Jahre 1910 
in 34 Fällen eingegriffen. 

Mit Kleidern und Schuhen wurden 496 Per⸗ 
ſonen verſehen. Mit Handwerkszeug und Arbeits⸗ 
material konnten 43 Perſonen aus den verſchiedenſten 
Berufskreiſen unterſtützt werden. Dabei wurden 
in einzelnen Fällen nicht unerhebliche Aufwen⸗ 
dungen gemacht. So wurden z. B. Nähmaſchinen, 
Strickmaſchinen, Ladeneinrichtungen, eine Wäſcherei⸗ 
einrichtung, ein Stukkaturrüſtzeug, eine Drehbank 
angeſchafft. Das Eigentum an derartigen wert⸗ 
volleren Gegenſtänden wird in der Regel zunäͤchſt 
einem Obſorgeverein übertragen. 


Auch Reiſeunterſtützungen werden gewährt. Der 
Entlaſſene erhält eine Anweiſung auf eine Fahr⸗ 
karte und das nötige Zehrgeld. 410 Perſonen 
wurden in dieſer Weile unterjtüßt. 

Erhebliche Mittel wurden aufgewendet, um 
Gefangenen die Auswanderung in überſeeiſche 
Länder zu ermöglichen. Die Hauptſtelle hatte 
ſich dabei der talkraͤftigen Unterſtützung der Zentral⸗ 
ſtelle der Obſorgevereine in München, die auf 
dieſem Gebiete bereits hervorragende Erſolge er: 
zielt hat, und des Deutſchen Hilfsvereins in 
Hamburg zu erfreuen. In den Jahren 1909 
und 1910 wurden 35 Gefangenen die Mittel 
zur Auswanderung gewährt; der Koſtenaufwand 
betrug über 8000 . 


Neben dieſer Zuweiſung von Unterſtützungen 


Unterſtützungen 


umfaßt die Tätigkeit der Hauptſtelle ein weiteres 


großes und wichtiges Gebiet, das der Arbeits— 
vermittlung. Die Hauptſtelle hat ſich zu dieſem 


416 


Zwecke mit den weiteſten Streifen der Arbeitgeber 
und mit den in Betracht kommenden kaufmänniſchen 
und landwirtſchaftlichen Verbänden, ferner mit den 
Arbeitsnachweiſen in Verbindung geſetzt und es 
iſt ihr in den meiſten Fällen gelungen, Stellen⸗ 
ſuchende unterzubringen. Daß dabei ſelbſt mit 
ehemaligen Zuchthausgefangenen, die langjährige 
Strafen hinter ſich hatten, gute Erfolge erzielt 
worden find, verdient beſonders hervorgehoben zu 
werden. Auf beſondere Schwierigkeiten ſtößt die 
Arbeitsvermittlung bei Gefangenen, die nicht im⸗ 
ſtande ſind ihr Brot durch körperliche Arbeit 
zu verdienen. Kaufleuten, ehemaligen Beamten, 
Lehrern ꝛc. unmittelbar nach der Entlaſſung aus 
dem Gefängniſſe eine Stelle zu verſchaffen gelingt 
in den ſeltenſten. Fallen. Um auch ſolchen Ber: 
ſonen Gelegenheit zu bieten ſich wieder empor 
zu arbeiten, wurde von der Hauptſtelle mit Ge⸗ 
nehmigung des Staatsminiſteriums der Juſtiz und 
im Zuſammenwirken mit dem Verein für innere 
Miſſion in Nürnberg eine Schreibſtube gegründet, 
in der Schreibarbeiten und kaufmänniſche Arbeiten 
aller Art gefertigt werden. In ihr fanden bis 
Ende 1910 68 entlaſſene Gefangene mit den ent⸗ 
ſprechenden Vorkenntniſſen bei freier Wohnung 
und Verpflegung Aufnahme. Von ihnen konnten 
42 nach durchſchnittlich mehrmonatigem Aufenthalt 
in der Schreibſtube in Stellen untergebracht werden, 
in denen ihr weiteres Fortkommen geſichert iſt. 

Die Hauptſtelle hat ein weſentliches Intereſſe 
daran, beſonders da, wo ſie größere Aufwendungen 
gemacht hat, den Erfolg ihrer Tätigkeit zu be⸗ 
obachten und feſtzuſtellen. Sie kann gerade in 
dieſen Fallen mit Befriedigung auf nur günſtige 
Ergebniſſe zurückblicken. 

Bei der Löſung der ihr geſtellten Aufgabe 
hatte ſich die Hauptſtelle der regen Mitwirkung 
der privaten Obſorgevereine zu erfreuen. Mit 
der Errichtung einer ſtaatlichen Obſorgeſtelle ſollten 
ja dieſe Vereine keineswegs ausgeſchaltet werden, 
ſie ſollten vielmehr einen Mittelpunkt erhalten, 
der ihre Tätigkeit in einheitliche Bahnen leiten 
und anregend und fördernd auf ſie wirken konnte. 
Der privaten Obſorgetätigkeit bleibt deshalb neben 
der ſtaatlichen der weiteſte Spielraum; es iſt 
Grundſatz, daß die ſtaatliche Obſorge nur dann 
eingreift, wenn die private verſagt. Soweit es 
ihre Mittel geſtatten, läßt die Hauptſtelle den 
Obſorgevereinen auch Zuſchüſſe zukommen. Der 
aneifernde Einfluß der Hauptſtelle auf die Tätig— 
keit vieler Obſorgevereine, die bisher nahezu brach 
lag, hat ſchon gute Früchte getragen; es ſteht 
zu erwarten, daß dieſe Vereine, wenn erſt 
die ſehr wünſchenswerte Organiſation des Privat— 
obſorgeweſens nach einheitlichen Grundjägen durch: 
geführt iſt, noch weit Erſprießlicheres wirken werden, 
als ſie ſchon bisher in höchſt dankenswerter Weiſe 
getan haben. 


Die Tatigkeit der Hauptſtelle mag nach dem 


Bilde, das hier nur in ganz groben Zügen von 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


HAB . — —ͤ4 — — . ̃ ͤ——— p p w ——p —ę— — = EEE — 


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ihr gegeben werden kann, auf den erſten Blick 
vielleicht nur beſcheiden erſcheinen. Aber die kleinen 
Ziffern, mit denen ſie ihr Wirken ſtatiſtiſch nach⸗ 
weiſen kann, wiegen ſchwer. Hinter ihnen birgt 
ſich eine Fülle ſegensreicher Tatigkeit im Dienſte 
der Allgemeinheit; ſie bedeuten die erſten Erfolge 
und Fortſchritte auf einem Gebiete, das bisher 
der ſtaatlichen Fürſorge noch nicht erſchloſſen war. 
Wenn es je eines Beweiſes bedurft hätte, daß die 
Errichtung einer ſtaatlichen Obſorgeſtelle ein Bedürf⸗ 
nis war, ſo iſt dieſer Beweis durch die rege und ſich 
ſtetig ſteigernde Inanſpruchnahme der Hauptſtelle er⸗ 
bracht. Und wenn vielleicht Zweifel darüber hätten 
beſtehen können, ob die Obforge für entlaſſene Ge⸗ 
fangene nicht zweckmäßiger dem Wirkungskreiſe 
einer Verwaltungsbehörde zugeteilt worden wäre, 
jo hatte die Hauptſtelle durch ihr bisheriges er⸗ 
folgreiches Wirken dieſe Zweifel zerſtreut. Warum 
ſollte es der Juſtiz verwehrt ſein die Wunden, 
die fie als Hüterin der Majeſtät des Rechts not: 
gedrungen ſchlagen muß, nach Möglichkeit zu lindern 
und zu heilen? Es war auch keine ihr ganz fremde 
Aufgabe, vor die ſich die der Verwaltung des 
Zellengefängnifjes angegliederte Hauptſtelle geſtellt 
lab. Sit doch eigentlich der ganze Strafvollzug, 
ſoweit er vom Beſſerungszweck beherrſcht wird, ſchon 
Obſorgetätigkeit; alle die zahlreichen Vorſchriften 
der Hausordnungen, die darauf hinzielen den Ge⸗ 
fangenen wieder zu einem nützlichen Gliede der 
menſchlichen Geſellſchaft zu machen, dienen dieſem 
Zwecke. So find Straſvollzug und Obſorgetätigkeit 
eng verbunden, und wenn eine amtliche Stelle mit 
der Ausübung der ſtaatlichen Obſorge für ent⸗ 
laſſene Gefangene betraut werden ſollte, ſo konnte 
es nur eine Stelle ſein, die mit dem Weſen und 
den Einrichtungen der Strafvollfirefung genau 
vertraut iſt. 

Die Erfahrung hat gezeigt, daß die der Haupt⸗ 
ſtelle bisher zur Verfügung geſtellten Mittel den 
Anforderungen, die an ſie geſtellt werden, nicht 
mehr genügen. Die Juſtizverwaltung hat deshalb 
das Poſtulat für dieſe Stelle in dem Etat, der 
dem Landtage gegenwärtig vorliegt, auf 35000 M 
erhöht. Jeder Betrag, der aus Staatsmitteln 
für das Obſorgewerk aufgewendet und jeder Pfennig, 
der aus Privatmitteln dazu geſpendet wird, ver⸗ 
ſpricht reichliche Zinſen zu tragen; je mehr es ge: 
lingt das ideale Ziel der Gefangenenobſorge praktiſch 
zu verwirklichen, deſto mehr werden die immer 
höher anſchwellenden Koſten der öffentlichen Armen:, 
Kranken- und Irrenpflege ſich wieder vermindern. 
Daneben aber bleibt für alle, die ſich an dem 
Obſorgewerk beteiligen, der ethiſche Gewinn eines 
uneigennützigen Wirkens im Dienſte der Nächiten: 
liebe, ein Gewinn, der nach dem Worte Herders 
der ſchönſte und der größte iſt: Menſchenſeelen 
gerettet zu haben, die ſchon verloren waren. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


die rafbare Verletzung der Unterhaltspflicht. 


Von Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg. 


Nach 8 361 Nr. 10 StGB. wird mit Haft 
oder mit Geldſtrafe bis zu 150 M beſtraft: 
„Wer, obſchon er in der Lage iſt, diejenigen, 
zu deren Ernährung er verpflichtet iſt, zu unter⸗ 
halten, ſich der Unterhaltspflicht trotz der Auf⸗ 
forderung der zuſtändigen Behörde derart ent⸗ 
zieht, daß durch Vermittelung der Behörde 
105 Hilfe in Anſpruch genommen werden 
muß“. 
Danach iſt zur Erfüllung des Tatbeſtands 
erforderlich: 


I. Das Beſtehen einer Unterhalts⸗(Ernährungs⸗) 
II. 
III. 


Pflicht. 

Leiſtungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. 

Aufforderung der zuftändigen Behörde an den 
Unterhaltspflichtigen ſeiner Pflicht nachzu⸗ 
zukommen. 

IV. Vorſozlich Nichterfüllung der Unterhalts⸗ 
pflicht. 

V. Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und 
Inanſpruchnahme fremder Hilfe durch Ver⸗ 
mittelung der Behörde infolge der Nicht⸗ 
erfüllung der Unterhaltspflicht. 


I. Ob eine Unterhaltspflicht beſteht, iſt 
nach bürgerlichem Recht zu beurteilen. Art. 14 ff. 
EG. BGB. beſtimmen, inwieweit deutſches Recht, 
Art. 199 ff. EG. BGB., inwieweit die Vorſchriften 
des BGB. anzuwenden ſind. 

Das BGB. enthält Vorſchriften über Unter: 
haltspflicht 

A. auf familienrechtlicher Grundlage in 
§§ 1601 ff. (Verwandte); 
SS 1708 ff. (unehelicher Vater); 
SS 1345, 1346, 1351, 1360, 1361, 1578 ff., 

1586 (Ehegatten); 
8 1739 (ehelich erklärte Kinder); 
§ 1703 (Kinder aus nichtigen Ehen); 
§ 1766 (angenommene Kinder); 

B. Sonſtige Beſtimmungen: 
8 528 (Schenker); 
§§ 843, 844 (unerlaubte Handlungen); 
§ 1936 (Mutter des noch nicht geborenen Kindes); 
§ 1969 (Familienangehörige des Erblaſſers); 
§ 2141 (noch nicht geborener Nacherbe). 


Für die Anwendung des $ 361 Nr. 10 StGB. 
kommt nur die Verletzung der auf familienrecht— 
licher Grundlage beruhenden Unterhaltspflicht in 
Frage. Das Geſetz wollte allerdings in erſter 
Linie die Armenpflege vor mißbräuchlicher In— 
anſpruchnahme ſchützen. (Begründung des Ent— 
wurfes). Allein es ſollte keineswegs jede Nicht— 
leiſtung der Unterſtützungspflichtigen getroffen 
werden; ſondern nur die ſchuldhafte Pflichtver— 
nachläſſigung der zufolge des Familienbandes 
Verpflichteten. Der Entwurf führt aus: „Nach 


417 


den Beſtimmungen in den Artikeln 11 bis 14 des 
preuß. Geſetzes .. . . vom 21. Mai 1885 (PrGeſS. 
S. 311) hatte die Verwaltungsbehörde das Recht 
Wohnungsertrotzer und arbeitsſcheue Perſonen, 
ſowie pflichtvergeſſene Familienväter unter gewiſſen 
Vorausſetzungen in ein Arbeitshaus unterzubringen. 
Es erſchien nicht empfehlenswert, der Verwaltungs⸗ 
behörde dieſe Befugnis wiederum beizulegen ohne 
zugleich eine Rechtskontrolle zu ſchaffen. Der Ent⸗ 
wurf hat daher, in Ergänzung des StGB. eine 
Strafbeſtimmung vorgeſehen, welche die Entſcheidung 
über das ſchuldhafte Verhalten der betreffenden 
Perſonen in die Hand des Richters legt“. 
Daraus dürſte die Abſicht des Geſetzgebers erhellen 
die Pflichten gegenüber der Familie zu ſchützen. 
(Gl. Anſ. Binding, Lehrbuch 1, 235; BayObLG. 
7, 82; Fuld in SeuffBl. 71, 146). 

Dem entſpricht auch der Wortlaut der Geſetzes⸗ 
ſtelle. Es wird hier neben die „Unterhaltspflicht“ 
die „Ernährungspflicht“ geſtellt. Ueber die Be⸗ 
deutung der Faſſung herrſcht Streit. M. E. iſt 
es nicht richtig nur einen bedeutungsloſen Wechſel 
im Ausdruck anzunehmen, wie dies Spahn und 
Eckſtein tun. (Vgl. Eckſtein, „Die ſtrafbare Ver⸗ 
letzung der Unterhaltspflicht“; Heft 45 der ſtraf⸗ 
rechtl. Abhandlungen, herausgegeben von Beling, 
1903 Seite 15). Es geht aber auch zu weit, 
anzunehmen, 8 361 Nr. 10 StGB. ſtrafe nur 
die Verletzung der Ernahrungspflicht im engeren 
Sinn. (Vgl. Kammergericht in Goltd Arch. 52, 
96). Mit Recht macht Eckſtein dagegen geltend, 

daß der Nachdruck auf den Worten „ ſich der 


Unterhaltspflicht entzieht" . . . liegt. Der 
Wechſel im Ausdruck läßt vielmehr erſehen, daß 
nur ſolche Unterhaltspflichten getroffen werden 
ſollten, die einer Ernährungspflicht gleichkommen. 
Dabei wird man mit dem BayObLG. davon 
ausgehen müſſen, daß unter Ernaͤhrungspflicht 
zu verſtehen iſt die Verpflichtung zur Gewährung 
der geſamten Lebensbedürfniſſe, zur Gewährung 
desjenigen, was zum Leben erforderlich iſt (Bay.: 
ObLG. 7, 80); d. i. Obdach, Kleidung, Kranken⸗ 
pflege, Erziehung und Vorbildung zum Berufe. 
(Vgl. Eckſtein S. 24).!) Danach ſcheiden die 
nicht auf familienrechtlicher Grundlage beruhenden 
Unterhaltsleiſtungen aus. (Ebenſo BayObLG. 7, 
82; Eckſtein S. 37, vgl. auch Planck, BGB. 
Anm. 3a zu Art. 103 des EG.). Ebenſo ſcheiden 
die nicht auf geſetzlicher, ſondern anderer (z. B. 
nur vertraglicher) Grundlage beruhenden Unter— 
haltspflichten aus den gleichen Gründen aus. (And. 
Anf. Fuld, SeuffBl. 71, 145). 

Insbeſondere dürfte ein Urteil des Zivilrichters 
den Strafrichter nicht binden. Dieſer muß viel— 
mehr ſelbſtändig prüfen, ob tatſächlich eine Unter— 
haltspflicht vorliegt. Man denke an folgenden 
Fall: Ein Minderjähriger wird als unehelicher 


1) Vgl OLG. Jena, ThürBl. 57, 
Koſten der Fürſorgeerziehung). 


157 (Nicht: 


Vater in Anſpruch genommen. Sein Vormund 
führt den Rechtsſtreit und erkennt den eingeklagten 
Anſpruch an. Es ergeht Anerkenntnisurteil. Der 
Verurteilte weigert ſich nach erreichter Volljährig⸗ 
keit den Unterhalt für das Kind zu leiſten, da 
das Anerkenntnis des Vormunds zu Unrecht er⸗ 
folgt ſei. Er wird nun gemäß § 361 Nr. 10 
StGB. angezeigt. In der Hauptverhandlung 
ergibt ſich, daß der Angeklagte tatſächlich nicht 
der Vater des Kindes iſt. Soll nun gleichwohl 
das Urteil des Zivilrichters maßgebend ſein? Doch 
wohl nicht: 

Andererſeits iſt auch nicht notwendig, daß 
der Unterhaltspflichtige ſchon zivilgerichtlich ver⸗ 
urteilt oder ſeine Unterhaltspflicht beim Vormund⸗ 
ſchaftsgerichte anerkannt iſt. (Vgl. OLG. Colmar, 
ElſLoth 3. 33, 268). 


II. Ueber die Unterhaltspflichten, die hiernach in 
5 kommen, beſtimmt das BGB. im weſent⸗ 
ichen: 

1. Die Unterhaltspflicht der Verwandten: 

Die Unterhaltspflicht ſetzt im allgemeinen 
Leiſtungsfähigkeit des Verpflichteten und Bedürftig⸗ 
keit des Berechtigten voraus. (S8 1602, 1603 
BGB.). Als leiſtungsfähig gilt in der Regel 
nur, wer bei Berückſichtigung ſeiner ſonſtigen Ver⸗ 
pflichtungen noch imſtande iſt, ſeinen ſtandes⸗ 
mäßigen Lebensunterhalt zu beſtreiten. Aus⸗ 
nahmen beſtehen zugunſten der unverheirateten, 
minderjährigen Kinder. (SS 1602 Abſ. II, 1603 
Abſ. II BGB.). Unterhaltspflichtig ſind nur die 
Verwandten auf: und abſteigender Linie, nicht 
auch Geſchwiſter. (Vgl. $ 1601 BGB.). 

Bei allgemeiner Gütergemeinſchaft werden die 
Verſchwägerten mittelbar herangezogen, inſoferne 
das Geſamtgut zur Beſtreitung der Unterhalts— 
pflichten beider Ehegatten dient. 83 1604 Ab}. II, 
1459, 1530, 1534 BGB. Die näheren Ber: 
wandten haften vor den entfernteren, die Ab— 
kömmlinge vor den Verwandten aufſteigender Linie, 
der Ehegatte vor den Verwandten, der Vater 
vor der Mutter. Gleich nahe Verwandte auf— 
ſteigender Linie haften zu gleichen Teilen; mehrere 
Abkömmlinge nach der Größe der Erbteile. 
(Ss 1606, 1624 BGB.; OLG. Dresden 1901, 
Sächſ Arch. 11, 248). 
Regel in der Form einer Geldrente zu gewähren. 
(Vgl. aber $ 1612 Ab}. II BGB.). 

Das Maß des zu gewährenden Unterhalts iſt 


für die Strafbeſtimmung ohne Bedeutung, da nur 


die Nichtgewährung des notdürftigen Unterhalts 
ſtrafbar machen kann. 

Der Unterhalt wird nur dem Berechtigten 
ſelbſt, nicht auch ſeiner Familie geſchuldet. 

2. Die Unterhaltspflicht gegenüber dem un— 
ehelichen Kinde. 

Für die Gewährung des regelmäßigen 
Unterhalts, d. i. bis zum vollendeten 16. Lebens— 
jahr ($ 1708 BGB.) iſt die Bedürftigkeit des 


HZeitſchrift fü für Rechtspflege 


Der Unterhalt iſt in der 


ul Nr. 21. 


in Bayern. 


| Kindes oder die Leiſtungsfähigkeit des Vaters 
ohne Bedeutung. Die Gewährung des außer⸗ 
| ordentlichen Unterhalts ($ 1709 "et. II BGB.) 
iſt dagegen von der Bedürftigkeit des Berechtigten 
et der Leiſtungsfähigkeit des Verpflichteten ab: 
aͤngig. 

Der uneheliche Vater haftet vor der Mutter. 
| 
| 


Der Unterhalt ift in der Form einer Geld: 
rente zu gewaͤhren. Daraus kann aber nicht, wie 
es das Kammergericht tut (Goltd Arch. 52, 96), 
geſchloſſen werden, daß ſich die Pflicht des unehe⸗ 
lichen Vaters in der Leiſtung der Geldrente er⸗ 
ſchöpfe, daher keine Unterhalts- oder Ernährungs: 
pflicht beſtehe und ſohin 8 361 Nr. 10 auf den 
unehelichen Vater nicht anwendbar ſei. Ein näheres 
Eingehen auf dieſe viel behandelte Frage iſt nicht 
nötig. Es genügt, hervorzuheben, daß die über⸗ 
wiegende Meinung für die Anwendbarkeit dieſer 
Vorſchrift auf den unehelichen Vater iſt. (Vgl. 
BayObLG. 7, 80, 235, und dort Angef.; OLG. 
Colmar, Elſvoth 3. 33, 268; OLG. Dresden, 
Sächſ Arch. 1907, 504; OCG. Cöln, Rhein Arch. 
26, 146, Fuld in Seuff Bl. 71, 145; Toöpffer 
in DIz3. 11, 1148 u. a.). 


3. Die Unterhaltspflicht der Ehegatten. 


Für die Unterhaltspflicht des Mannes iſt 
ſeine Leiſtungsfähigkeit, nicht aber die Bedürftig⸗ 
keit der Frau maßgebend; der Mann iſt ferner 
nicht, wie im Falle des $ 1603 BGB., berechtigt 
ſeinen ſtandesmäßigen Unterhalt vorwegzunehmen. 
Der Unterhalt iſt in der durch die eheliche Gemein⸗ 
ſchaft gebotenen Weiſe zu gewähren, es ſei denn, 
daß die Vorausſetzungen des $ 1361 BGB. vor: 
liegen. Iſt das nicht der Fall, ſo kann die Frau 
Rentenzahlung nicht verlangen. (Ebenſo Eckſtein 
a. a. O.). Dies gilt aber nicht, wenn die Ehe⸗ 
gatten im gegenſeitigen Einverſtaͤndnis getrennt 
leben oder wenn die Frau wegen Krankheit — 
3. B. ſie iſt von der Behörde in einer Irrenanſtalt 
untergebracht — nicht die Ehegemeinſchaft des 
Mannes teilen kann. (Vgl. Rechtſpr. d. OLG. 2, 
75, 331, 385; JW. 1902 Beil. S. 215). 

Liegen die Vorausſetzungen des $ 1361 BGB. 
vor, ſo iſt der Unterhalt in der Form einer Geld— 
rente zu gewähren. Hierzu iſt zu bemerken: 
§ 1361 BGB. ſetzt voraus, daß die Ehegatten 
getrennt leben, daß der eine der Ehegatten die 
Wiederherſtellung des ehelichen Lebens verweigern 
darf ($ 1353 BGB.), und ſie auch tatſaͤchlich 
verweigert. Ein Ehegatte iſt insbeſondere auch 
dann berechtigt die Wiederherſtellung des ehe⸗ 

lichen Lebens zu verweigern, wenn der andere 
Teil ihm nicht entſprechende Wohnung bieten kann 
(Rechtſpr. d. OLG. 3, 101), und wenn der andere 
Teil ſelbſt nicht den ernſtlichen Willen hat, 
die Gemeinſchaft wiederherzuſtellen, ſondern dies 
nur zur Umgehung der Rentenzahlung anbietet. 
(Vgl. DJI3. 1902 S. 310. 
Der leiſtungsfähige Ehemann haftet vor den 


- —T—-Tt¾ — ee — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


— —— ———— ã u Fä— 2 . RX 


Verwandten (8 1608 BGB.); bei mehreren Unter⸗ 
haltspflichtigen ſteht die Frau den minderjährigen 
unverheirateten Kindern gleich. 

Für die Unterhaltspflicht der Frau iſt die 
Bedürftigkeit und Stellung des Mannes, ſowie 
die Leiſtungsfähigkeit der Frau maßgebend. 

Nach Scheidung der Ehe: und ebenſo in 
den Fallen der 88 1345, 1346, 1351, 1586 
BGB. iſt für die Unterhaltspflicht die Bedürf⸗ 
tigkeit des Berechtigten — und nach Maßgabe 
von 88 1579 ff. BGB. die Leiſtungsfähigkeit — 
des Verpflichteten von Einfluß. 

Zu beachten iſt, daß nach Wegfall des in 
erſter Linie Verpflichteten — z. B. wegen ſeiner 
Leiſtungsunfähigkeit — der in zweiter Linie Unter⸗ 
0 ſelbſtoerſtandlich auch ſtrafrechtlich 
aftet. 


II. Die Leiſtungsfähigkeit des Ber: 
pflichteten. 


Wie die Ausführungen unter I erjehen laſſen, 
iſt die Leiſtungsfähigkeit zum Teil Vorausſetzung 
der Unterhaltspflicht überhaupt. Soferne hier 
nicht eine Leiſtungsfähigkeit und zwar in dem 
nach dem bürgerlichen Rechte zu bemeſſenden 
Umfange — z. B. Ueberſchuß über den ſtandes⸗ 
mäßigen Unterhalt — vorhanden iſt, beſteht über: 
haupt keine Unterhaltspflicht; die Strafbeſtimmung 
kann daher hier ſchon aus dieſem Grunde nicht 
Platz haben. 
die Fälle, in denen eine Unterhaltspflicht dann 
entfällt, wenn der Betreffende nicht leiſtungsfähig 
iſt und ein anderer leiſtungsfähiger Verwandter 
vorhanden iſt; z. B. 88 1603 Abſ. II, 1608 BGB. 


Soweit das bürgerliche Recht für das Be⸗ 
ſtehen der Unterhaltspflicht die Leiſtungsfähigkeit 
des Pflichtigen nicht vorausſetzt, hat ſie der Straf⸗ 
richter im Hinblick auf die Worte: „Wer, obſchon 
er in der Lage iſt . ..“ beſonders zu prüfen. 
Eine nähere Umſchreibung dieſes Begriffes gibt 
das Strafrecht nicht. Es iſt alſo, wie auch Eck⸗ 
ſtein annimmt, die Leiſtungsfähiakeit durch den 
Strafrichter nach billigem Ermeſſen auf Grund 
ſeiner durch das Beweisergebnis zu bildenden 
freien Ueberzeugung feſtzuſtellen. (A. a. O. S. 39ff.). 

In der Regel wird dabei folgendes anzu⸗ 
nehmen ſein: 

1. Es entſcheidet die wirtſchaftliche, nicht 
die augenblickliche, rein tatſächliche Möglichkeit 
den Unterhalt zu leiſten. Es werden daher auch 
die ſonſtigen Verpflichtungen des Pflichtigen zu 
berückſichtigen ſein. Es wird ihm ferner die 
Möglichkeit nicht unterbunden werden dürfen ſeine 
wirtſchaftliche Lage zu feſtigen und zu verbeſſern. 
Es würde in der Regel wohl zu weit gehen zu 
verlangen, daß z. B. der Pflichtige ſeine Lebens- 
verſicherung verfallen läßt, — die möglicherweiſe 
gerade die Zukunft des Unterhaltsberechtigten 
ſichern ſoll, — und die nach Beſtreitung der 


T. ͤ—..! TTT. ] TTT. ... — — — —— . ZU ——ä—— 


Beſonders zu beachten find hier 


419 


notwendigen Lebensbedürfniſſe verbleibenden, 
gerade zur Prämienzahlung ausreichenden Mittel 
zu den Unterhaltsleiſtungen verwendet. 


2. Die Beſtimmungen des bürgerlichen Rechtes 
find bei der Frage nach der Leiſtungsfähigkeit im 
einzelnen Falle entſprechend zu berückſichtigen. 
(Vgl. 8 1603 Abſ. II BGB.). 

3. Leiſtungsfähig iſt nicht nur, wer in der 
Lage iſt, aus dem Stamm oder den Einkünften 
ſeines Vermögens die erforderlichen Mittel auf⸗ 
zubringen, oder wer aus dem Ertrag ſeiner 
Arbeit das Nötige gewinnt, ſondern auch, wer 
nach ſeinen körperlichen oder geiſtigen Fähigkeiten 
in der Lage wäre bei gutem Willen die nötigen 
Mittel ſich zu verſchaffen, dies aber ſchuldhaft 
unterläßt. (Vgl. Bay Obe G. 7, 83 ff., 235 ff.; 
Eckſtein S. 39 ff.; OLG. Celle vom 9 Juli 1898; 
Goltd Arch. 46, 381; Reger 20, 91). 

4. Zur Annahme der Leiſtungsfaͤhigkeit iſt 
nicht erforderlich, daß der Pflichtige bei gutem 
Willen den ganzen Unterhalt beſtreiten könnte; 
es genügt die Möglichkeit einen Teil des Unter⸗ 
halts zu leiſten. (Vgl. BayObLG. 7, 84; Braun⸗ 
ſchweig DIZ. 12, 432). 

5. Leiſtungsunfaͤhigkeit liegt nicht ſchon vor, 
wenn der Pflichtige außerſtande iſt die Mittel 
durch Tätigkeit innerhalb ſeines eigentlichen Be⸗ 
rufs aufzubringen. (Vgl. KG. vom 1. Dezember 
1908, DIZ. 14, 662). 

Die Möglichkeit ſich durch Arbeit außerhalb 
des eigentlichen Berufs die nötigen Mittel zu 
verſchaffen, dürfte indes nur infoweit in Betracht 
zu ziehen ſein, als eine ſolche Arbeit dem Pflich⸗ 
tigen nach billigem Ermeſſen auch zugemutet 
werden kann. Es wäre wohl zu weitgehend, zu 
verlangen, daß z. B. ein beſchäftigungsloſer Arzt 
ſich durch Arbeit als Taglöhner die nötigen Mittel 
verſchafft. 


III. Die Aufforderung der zuſtändigen 


Behörde. 
1. Zuſtändig iſt in Bayern der Armenpfleg⸗ 
ſchaftsrat der Gemeinde, die, — wenn auch nur 


vorübergehend —, unterſtützungspflichtig iſt. (MBek. 
vom 27. März 1894 MABl. S. 156; Reger 
28, 125). 

2. Die Aufforderung an den Pflichtigen muß 
dahin gehen, daß er künftig der Unterhaltspflicht 
genügen ſolle. Ein Hinweis auf die Straf— 
beſtimmung iſt zweckmäßig, aber nicht erforderlich. 
Die Aufforderung für die in der Vergangenheit 
gemachten Aufwendungen Erſatz zu leiſten genügt 
nicht, es ſei denn, daß zugleich der Wille erſicht— 
lich iſt auch zur künftigen Leiſtung aufzufordern. 
(Vgl. BayObLG. 7, 238). 

3. Die Aufforderung braucht nicht von der 
zuſtändigen Armenpflege unmittelbar an den 
Pflichtigen zu ergehen. Es kann auch eine andere 
Behörde um Uebermittelung der Aufforderung 


420 


erſucht werden. (BayObLG. 7, 84). Hingegen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


| 


ift erforderlich, daß die Aufforderung dem Pflich⸗ | 


tigen auch tatſächlich zur Kenntnis kommt. 
Eine Erſatzzuſtellung oder öffentliche Zuſtellung 
im Sinne der Zivilprozeßordnung genügt nicht. 
Iſt z. B. dem Vermieter die Aufforderung zu⸗ 
geſtellt, und dieſer hat ſie nicht an den Pflich⸗ 
tigen weitergegeben, ſo iſt dem geſetzlichen Er⸗ 
fordernis nicht genügt. (Vgl. BayObLG. in 
Seuff Bl. 72, 744; OLG. Frankfurt vom 8. Juni 
1896, Reger 17, 210). 


5 
0 


8 1612 Abſ. II Satz 2 BGB.: Wenn der 
Vater den Unterhalt nicht ſo leiſtet, wie es das 
Vormundſchaftsgericht angeordnet hat, ſo findet 
die Strafbeſtimmung Anwendung; vgl. OLG. 
Dresden vom 16. Februar 1905; SächſArch. 1, 
160). Der Unterhaltspflicht entzieht ſich ferner, 
wer zum Scheine Unterhaltsleiſtung in Natur an⸗ 
bietet, um ſo eine Rentenzahlung zu umgehen. 
(Dal. BayObLG. 7, 236). 

3. Der Unterhaltspflicht entzieht ſich nur, 
wer nach Empfang der Aufforderungen die gegen⸗ 


4. Die Aufforderung muß wiederholt werden, wärtigen und künftigen Unterhaltsleiſtungen ver⸗ 
wenn nach der erſten Aufforderung der. Säumige ' 


verurteilt wurde und er nach der Verurteilung 
wieder zur Verantwortung gezogen werden ſoll. 
(Vgl. Eckſtein S. 44; OLG. Colmar. ElſLothz. 
33, 486). Ebenſo muß ſie wiederholt werden, 
wenn der Pflichtige nach der erſten Aufforderung 
ſeiner Unterhaltspflicht nachgekommen iſt. Das 
iſt nun allerdings noch nicht der Fall, wenn der 


weigert, nicht aber, wer nur für die Vergangen⸗ 
heit keinen Erſatz der Aufwendungen gewährt. 
(Vgl. OLG. Dresden im SaͤchſArch. 1, 160; 
Goltd Arch. 45, 294; BayObL®. 7, 238). 

4. Ein Irrtum über das Beſtehen einer 


Unterhaltspflicht iſt kein Irrtum über das Straf⸗ 


Pflichtige vorübergehend einzelne Zahlungen oder 


Beiträge geleiſtet hat; denn dadurch iſt der vom 
Geſetze mißbilligte Zuſtand nicht gehoben. Da: 
gegen beſeitigt eine länger dauernde, die Wirkung 
des bisherigen Zuſtandes aufhebende Unterhalts⸗ 
erfüllung die Wirkſamkeit der früheren Auf: 
forderung. 
den Säumigen nur über ſeine Pflicht aufklären, 
ſondern auch ihn vor der Strafeinſchreitung verwarnen. 
Es würde dem Sinne des Geſetzes widerſprechen, 
wenn man die einmalige frühere Aufforderung 
zur Verhängung einer Strafe auch dann genügen 
ließe, wenn der Pflichtige nach dieſer Aufforderung 
Jahre hindurch ſeiner Unterhaltspflicht pünktlich 
nachgekommen war. 

Nicht erforderlich iſt, daß die Aufforderung 
innerhalb der letzten drei Monate erfolgt iſt. 
Für die Frage der Verjährung (s. unten!) iſt 
nur die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht, nicht 
aber der Zeitpunkt der Aufforderung maßgebend. 


IV. Die Nichterfüllung der Unterhalts⸗ 
pflicht. 

1. Wie die Faſſung des Geſetzes: „Wer 
ſich .. . der Unterhaltspflicht .. . entzieht . . .“ 
ergibt, kommt nur die wiſſentliche und gewollte, 
ſchuldhafte Nichterfüllung der Unterhaltspflicht in 
Betracht. (Vgl. BayObe G. vom 23. Mai 1907, 
Seuff Bl. 72, 744; Goltd Arch. 48, 372; 51, 
379). Fahrlaͤſſigkeit genügt nicht, wohl aber 
eventueller Vorſatz. (OLG. Frankfurt, Frankf. 
Rundſch. 41, 31). 

2. Der Unterhaltspflicht entzieht ſich auch 
derjenige, der ſeiner Unterhaltspflicht nur zum Teil 
genügt, oder in unzuläſſiger Weiſe den Unterhalt 
nicht in der geſetzlichen Form erfüllt.“) (Vgl. 


2) Die Strafbeſtimmung findet natürlich auch hier 
nur Anwendung, wenn auch der übrige Tatbeſtand 


Denn dieſe Aufforderung ſoll nicht 


geſez. § 59 StGB. findet daher hier An⸗ 
wendung. (Ebenſo Eckſtein a. a. O.). Die Auf⸗ 
forderung der Armenpflege ſchließt einen ſolchen 
Irrtum nicht notwendig aus. 

5. Mit Rückſicht auf die Beſtimmungen über 
Verjährung muß ſich die ſchuldhafte Nicht: 
erfüllung der Unterhaltspflicht bis in die letzten 
drei Monate hinein erſtreckt haben. Die Ber: 
fehlung iſt zwar Dauerdelikt. Zu beachten iſt 
aber, daß der ſtrafbare Zuſtand nicht nur dadurch 
endigen kann, daß der Pflichtige die Unterhalts⸗ 
pflicht erfüllt. Der ſtrafbare Zuſtand kann auch 
dadurch endigen, daß der Pflichtige aufhört 
leiſtungsfähig zu ſein, oder daß die fremde Hilfe 
nicht weiter gewährt wird, oder daß die Unter⸗ 
haltspflicht entfällt. In all dieſen Fällen beginnt 
mit dem Aufhören des ſtrafbaren Zuſtandes die 
Verjährungsfriſt zu laufen. Es kann alſo trotz 
der Fortdauer der Nichtgewährung des Unterhalts 
die Verjährung beginnen und ſich vollenden. 


V. Bedürftigkeit und fremde Hilfe. 


1. Es iſt notwendig, daß der Unterhalts⸗ 
berechtigte tatſächlich fremder Hilfe bedarf.) Die 
Tatſache, daß ſolche gewährt wird, genügt nicht; 
bin. die Unterſtützung kann auch erſchwindelt 
ein. 

2. Fremd iſt jede Hilfe, die nicht vom Unter⸗ 
ſtützungspflichtigen (oder ſeinen Vertretern) gewährt 
wird. Jusbeſondere iſt auch die von der ver: 
mittelnden Behörde ſelbſt geleiſtete Hilfe als fremde 
Hilfe e (Vgl. OLG. Dresden, Sächſ OLG. 
33, 290). 


3. Der Täter muß die Inanſpruchnahme 
fremder Hilfe geſchehen laſſen. (BayObLG. in 
Seuff Bl. 72, 744). 


erfüllt iſt; es muß alſo die teilweiſe Nichtleiſtung oder 
die ungehörige Leiſtung zu der Notwendigkeit geführt 
haben fremde Hilfe in Anſpruch zu nehmen. 

) Die Anſicht des Pflichtigen iſt nicht maßgebend. 
KG. vom 1. Dez. 1908 (Reger 30, 120). 


VI Der Tatort. 


Die Tat iſt da begangen, wo der Unterhalts⸗ 
pflichtige feiner Pflicht hätte genügen müſſen, aljo 
bei der Gewährung von Geldrenten in der Regel 
am Wohnſitz des Unterhaltsberechtigten, bei 
Leiſtung in Natur in der Regel am Wohnort 
des Unterhaltspflichtigen. 


Mitteilungen aus der eure 


Die Ermittelung anonymer Brieſſchreiber. Wie 
die Bekanntmachung des K. Staatsminiſteriums des 
an vom 14. April 1911 (vgl. IMBl. 1911 

S. 226 ff.) ausführt, hat ſich das Fingerabdruckver⸗ 
fahren bei der Ermittelung von Perſonen, denen 
ſtrafbare Handlungen zur Laſt gelegt werden, als 
ſehr zweckmäßig und zuverläſſig erwieſen. Es ſind 
deshalb die bisher nur bei der K. Polizeidirektion 
München und einer geringen Anzahl größerer Ge⸗ 
meinden eingerichteten Aufnahmeſtellen nicht nur auf 
die kreisunmittelbaren Städte und die übrigen Ge⸗ 
meinden von mehr als 10000 Einwohnern ausgedehnt 
worden, ſondern es iſt zur Vervollſtändigung des 
Netzes der Aufnahmeſtellen die Einführung des 
Fingerabdruckverfahrens bei den Gendarmeriehaupt⸗ 
ſtationen und den Gendarmerieſtationen am Sitze der 
Amtsgerichte angeordnet worden. 

Dieſe Ausbreitung der Aufnahmeſtellen dürfte 
Veranlaſſung geben, das Fingerabdruckverfahren auch 
in Straffällen anzuwenden, in denen bisher die Feſt⸗ 
ſtellung der Täter anderen Hilfsmitteln der Straf⸗ 
rechtspflege vorbehalten war, ſei es, daß das Finger⸗ 
abdruckverfahren allein oder in Verbindung mit den 
bisherigen Hilfsmitteln die Ueberführung des Täters 
ermöglicht. 

Es iſt Erfahrungstatſache, daß ſich häufig Spuren 
von Fingerabdrücken finden, von deren Zurücklaſſen 
der Urheber der Abdrücke nicht die geringſte Ahnung 
hat. Dies gilt insbeſondere von Fingerabdrücken auf 
Schriftſtücken. 

Die meiſten Briefſchreiber werden nicht daran 
denken, daß ſie beim Anfaſſen des Briefbogens, ſei 
es z. B. nur um das Blatt umzuwenden, oft den 
ſchönſten Daumenabdruck in der unteren Ecke des 
Bogens zurücklaſſen, und daß während des Abfaſſens 
eines Schriftſtückes die Finger der linken Hand zum 
Feſthalten des Papiers verwendet werden, wobei nicht 
ſelten die Abdrücke mehrerer Finger zurückbleiben. 

Mag nun auch der Schreiber ſeine Schriftzüge 
verſtellen und alle Vorkehrungen getroffen haben um 
die Urheberſchaft beſtreiten zu können, ſo wird ihm 
doch alle Vorſicht nichts nützen, wenn es gelingt, einen 
Fingerabdruck des Verfaſſers auf dem Schriftſtück zu 
entdecken und feſtzuhalten; dies gilt beſonders für 
anonyme Briefſchreiber, Verfertiger von Droh- und 
Brandbriefen und ähnliche. 

Bisher war es meiſt nur möglich dieſen Per— 
ſonen mit Hilfe der Graphologie die Urheberſchaft 
nachzuweiſen; mögen nun auch die Schrifterperten 
ſowohl auf dem Gebiet der handſchriftlichen Expertiſe 
wie dem der Maſchinenſchrift manches gute Ergebnis 
erzielt haben, ſo hat andererſeits die Erfahrung in 
einer Reihe von Prozeſſen gelehrt, daß ein durchaus 
verläſſiges, einwandfreies Ergebnis aus der Grapho— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayer in Bayern. 1911. 


Nr. 21. 421 


logie allein — ohne Unterſtützung durch andere Be⸗ 
weismittel — nicht erzielt werden kann, zumal nicht 
ſelten die Gutachten der Schriftexperten ſelbſt ſehr 
weit auseinandergehen. 

Für dieſe Fälle iſt der Graphologie in dem 
Fingerabdruckverfahren ein guter Gehilfe entſtanden, 
und es handelt ſich nur darum dieſes Hilfsmittel 
entſprechend zu verwerten. 

Hierbei ſind beſonders zwei Punkte im Auge zu 
behalten; einerſeits müſſen die auf den Schriftſtücken 
ſich findenden Fingerabdrücke möglichſt raſch der zu⸗ 
ſtändigen Stelle zur Feſtſtellung und Feſthaltung 
übermittelt, andererſeits muß dafür geſorgt werden, 
daß Fingerabdrücke von Perſonen, die mit dem Schrift⸗ 
ſtück zu tun haben, vermieden werden, damit nicht 
Spuren verwiſcht und unkenntlich gemacht oder gar 
unrichtige Spuren dem Schriftſtück aufgedruckt werden. 
Es empfiehlt ſich deshalb die fraglichen Schrift⸗ 
ſtücke ſofort, nachdem man ſie erhalten hat, und wenn 
möglich unberührt der Erkennungsſtelle zu über⸗ 
mitteln, was um ſo leichter geſchehen kann, wenn 
Schriftſtücke der bezeichneten Art, wie dies bei ano⸗ 
nymen Briefſchreibereien öfter der Fall iſt, ſich wieder⸗ 
holen, ſodaß ſchon aus der äußeren Beſchaffenheit, 
dem Gebrauch beſtimmter Schriftzeichen, wie z. B. 
typographiſcher Buchſtaben, ſich erkennen läßt, daß 
der Täter wieder an der Arbeit war. 

Es dürfte ſich für die bayeriſchen Behörden 
empfehlen als Erkennungsſtelle die K. Polizeidirektion 
München zu wählen, die in der erwähnten Miniſte⸗ 
rialbekanntmachung als Sammel- und Auskunftsſtelle 
beſtimmt iſt. 

Gelingt es der Erkennungsſtelle auf den über⸗ 
mittelten Schriftſtücken Fingerabdrücke feſtzuſtellen, ſo 
können durch das nun beſtehende Netz von Aufnahme⸗ 
ſtellen die zur Vergleichung erforderlichen Finger⸗ 
abdrücke verdächtiger Perſonen leicht beſchafft werden; 
dieſe Vergleichung wird dann die Entſcheidung der 
Frage ermöglichen, ob unter den Verdächtigen der 
„Täter zu ſuchen iſt oder nicht. Selbſt wenn die Ent⸗ 
ſcheidung nach der negativen Seite ausfällt, iſt immer 
ſchon ein Gewinn vorhanden, weil falſche Verdachts⸗ 
ſpuren ausſcheiden und Unbeteiligte von unbegrün⸗ 
detem Verdacht befreit ſind. 

II. Staatsanwalt Sotier in München. 


Ueber das Recht aus dem Meiſtgebot. Das ZwVG. 
erwähnt in $ 81 nur zwei Möglichkeiten eine Aende⸗ 
rung in der Perſon des Meiſtgebotsberechtigten her- 
beizuführen, nämlich die Abtretung der Rechte aus 
dem Meiſtgebot und die Erklärung, daß man für 
einen anderen geboten habe. Nun iſt aber das Recht 
aus dem Meiſtgebot ein Vermögensrecht (Steiner, 
2. Aufl. S. 212, Anm. 2 „ein Recht mit ſelbſtändigem 
Vermögenswert“). Es kann daher ſowohl durch Ge— 
ſamtrechtsnachfolge wie durch Einzelrechtsnachfolge, 
durch Rechtsgeſchäſt und durch Zwangsvollſtreckung 
auf einen anderen übergehen. So kann es kommen, 
daß der Zuſchlag einem anderen erteilt werden muß, 
als dem, der das Meiſtgebot gelegt hat. 

J. Die Kommentare find uneinig bei der Beant— 
wortung der Frage, wie ſich der Verſteigerungsbeamte 
zu verhalten hat, wenn der Meiſtgebotsberechtigte 


422 


nach dem Schluſſe der Verſteigerung aber vor der 
Erteilung des Zuſchlags ſtirbt. 

1. Die aktenmäßige Feſtſtellung der Erben wird 
in der kurzen Friſt, die in der Regel zwiſchen dem 
Verſteigerungstermin und dem Zuſchlagstermin liegt 
(S 87 1 ZwVG.), nicht möglich fein. Von der Pfordten 
(S. 228 Abſ. 3) und Fiſcher⸗Schäfer (2. Aufl. S. 297 
Abſ. 1) nehmen an, daß der Verſteigerungsbeamte 
das Ableben des Berechtigten nicht zu berückſich⸗ 
tigen brauche und dem Toten den Zuſchlag erteilen 
könne. Der Zuſchlag an den Toten iſt jedoch ein ju⸗ 
riſtiſches Unding; der Tote kann nicht im Zuſchlags⸗ 
beſchluß als natürliche Perſon erſcheinen, der Tote 
nicht auf Grund des Zuſchlags Eigentum erwerben 
und im Grundbuch als Eigentümer der Grundſtücks 
eingetragen werden. 

Der Zuſchlag an die unbekannten Erben, den 
Steiner (2. Aufl. S. 213 Abſ. 2) für zuläſſig hält, iſt 
auch nicht zweckmäßig. Die richtige Beantwortung 
der Frage ergibt ſich meines Erachtens aus den Vor⸗ 
fhriften der ZPO.; das ZwWG. iſt ja ein Teil 
der ZPO. ö 

Die Verfahrensvorſchriften der ZPO., im bes 
ſonderen die Vorſchriften über das Verfahren vor 
den Amtsgerichten, ſind auch für das Zwangs⸗ 
verſteigerungsverfahren maßgebend. Allerdings wird 
in vielen Fällen nur ihre entſprechende Anwendung 
möglich ſein, da ſich ja vor dem Verſteigerungs⸗ 
beamten kein Parteiprozeß abwickelt. 

Im amtsgerichtlichen Verfahren finden nun die 
Vorſchriften der ZPO. über die Unterbrechung An⸗ 
wendung (8 239 ff. ZPO.). Das Verfahren wird hier⸗ 
nach durch den Tod einer Partei ſolange unterbrochen, 
bis nach 88 243, 241 ZPO. der nach 8 1960 BGB. 
aufgeſtellte Nachlaßpfleger das Verfahren aufnimmt. 
Die entſprechende Anwendung dieſer Beſtimmungen 
auf unſeren Fall ergibt Folgendes: 

Durch den Tod des Meiſtgebotsberechtigten wird 
auch das Zwangsverſteigerungsverfahren unterbrochen. 
Der Verſteigerungsbeamte hat ſonach einen Beſchluß 
zu erlaſſen, der feſtſtellt, daß das Verfahren wegen 
des Ablebens des Meiſtgebotsberechtigten unterbrochen 
iſt und daß die Erteilung des Zuſchlags vorläufig 
ausgeſetzt bleibt. Gleichzeitig hat er — und das iſt 
ein Ausfluß ſeiner eigenartigen Stellung — das Nach⸗ 
laßgericht um die Aufſtellung eines Pflegers gemäß 
§ 1960 BGB. zu erſuchen. Nach der Mitteilung des 
Nachlaßgerichts von der Aufſtellung des Pflegers ſetzt 
er das Verfahren von Amts wegen fort, indem er 
einen Termin zur Verkündung des Zuſchlags an— 
beraumt. Den Zuſchlag erteilt er den unbekannten 
Erben, vertreten durch den Nachlaßpfleger; der 
Zuſchlagsbeſchluß wird dem Nachlaßvpfleger zuge— 
ſtellt. Dieſe Löſung iſt praktiſcher als der Zuſchlag 
an die unbekannten unvertretenen Erben, weil der 
Pfleger nach $ 1960 BGB. in der Regel bälder auf: 
geſtellt werden wird, wenn der Verſteigerungsbeamte 
die Aufſtellung anregt, als wenn es den Beteiligten 
überlaſſen bleibt fie beim Nachlaßgerichte zu bean— 
tragen. Es wird ſonach auch die Zuſtellung des Zu— 
ſchlagsbeſchluſſes bälder möglich fein und die Rechts- 
kraft wird früher eintreten. Zu einem ähnlichen Er— 
gebniſſe kommt ohne nähere Begründung Reinhard 
S. 413 Ziff. 6: (a. M. Jäckel, 3. Aufl. S. 320, 2 b). 

2. In den vorſtehenden Ausführungen iſt ange— 


nommen, daß dem Verſteigerungsbeamten eine Feſt— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


— 
u nm nn 


ſtellung der Erben durch das Nachlaßgericht noch 


1911. Nr. 21. 


nicht vorliegt. Bei einfacher Sachlage iſt es aber 
denkbar, daß in dem Zeitraum zwiſchen dem Ver⸗ 
ſteigerungs⸗ und dem Zuſchlagstermin die amtliche 
Erbenermittlung nach Art. 3 ff. des Geſetzes, betr. das 
Nachlaßweſen durchgeführt iſt, ohne daß jedoch ein 
Erbſchein erteilt wurde. 

Kann nun den aktenmäßig feſtgeſtellten Erben 
der Zuſchlag erteilt werden? 

Es liegt nahe die Vorſchrift des 8 81 ZwVG. 
über den Nachweis der Einzelrechtsnachfolge durch 
öffentlich beglaubigte Urkunden entſprechend auf die 
Geſamtrechtsnachfolge anzuwenden. In der amtlichen 
Erbenfeſtſtellung in den Nachlaßakten liegt ja ohne 
Zweifel eine öffentliche Urkunde vor. 

Indeſſen beſtehen doch gegen die Erteilung des 
Zuſchlags auf Grund dieſer Erbenfeſtſtellung gewich⸗ 
tige Bedenken, und zwar im Hinblick auf 8 36 GBO. 

Hiernach kann dem Grundbuchamt gegenüber der 
Nachweis der geſetzlichen Beerbung nur durch Erb⸗ 
ſchein geführt werden. Jeder andere Nachweis iſt 
ungenügend. Bei gewillkürter Erbfolge iſt neben dem 
Erbſchein auch der Nachweis durch Vorlegung der 
Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen 
Urkunde enthalten ſein muß, und des Eröffnungs⸗ 
protokolls zugelaſſen. Nur wenn einer dieſer beiden 
Nachweiſe vorliegt, ſieht die GBO. die nötige Gewähr 
für die Richtigkeit der Eintragung als gegeben an. 

Nun iſt aber die Eintragung der Beerbung im 
Grundbuch kein rechtsbegründender Vorgang, ſie bleibt 
daher unmittelbar abhängig vom Schickſal der Ein⸗ 
tragungsunterlagen. Solange nicht der gute Glaube 
des Grundbuchs Heilung geſchaffen hat, kann durch 
die Kraftloserklärung, die Einziehung des Erbſcheins 
oder durch die Anfechtung einer letztwilligen Ver⸗ 
fügung der Eintragung die Grundlage entzogen werden. 

Anders iſt es, wenn die Eintragung auf Grund 
eines Zuſchlagsbeſchluſſes erfolgte. Hier ſchiebt ſich 
zwiſchen die Eintragung im Grundbuch und den Nach⸗ 
weis der Erbfolge der rechtskräftige Zuſchlagsbeſchluß 
ein. Der Zuſchlagsbeſchluß iſt eine rechtsbegründende 
Entſcheidung. Deshalb kann die Unrichtigkeit der 
Grundlagen, auf denen er etwa beruht, nach dem 
Eintritte der Rechtskraft in keiner Weiſe mehr geltend 
gemacht werden. (Siehe die intereſſante Entſcheidung 
des ObL G. vom 2. Oktober 1908, Bay ZfR. 1909 S. 289. 
Der Erſteher bleibt Eigentümer des ihm zugeſchlagenen 
Grundſtücks, auch wenn ſich nachträglich herausſtellen 
ſollte, daß er gar nicht Erbe des Meiſtgebotsberech⸗ 
tigten war. 

Aus dieſer rechtlichen Eigenart des Zuſchlags— 
beſchluſſes ergibt ſich aber, daß die Unterlagen des 
Zuſchlagsbeſchluſſes ganz ſicher ſein müſſen, die Erben⸗ 
feſtſtellung ganz fehlerlos ſein muß. Das iſt nur der 
Fall, wenn ein Erbſchein vorgelegt wird, da das ſeiner 
Erteilung vorausgehende Verfahren einen Irrtum 
nahezu ausſchließt. Es wird alſo der Verſteigerungs— 
beamte vor Erteilung des Zuſchlags die Beteiligten 
veranlaſſen müſſen, daß ſie die Erteilung eines Erb— 
ſcheins beantragen. 

IT. Beſonders intereſſante Möglichkeiten der Eins 
zelrechtsnachfſolge ergeben ſich, wenn mehrere Per— 
fonen, die in einer Gemeinschaft zur geſamten Hand 
ſtehen, die Meiſtgebotsberechtigten geblieben ſind. 

1. Nicht ſelten iſt der Fall, daß eine Geſellſchaft 
des Bürgerlichen Rechts das Meiſtgebot gelegt hat, 
etwa eine Anzahl von leidtragenden Baulieferanten, 
die ihre Forderungen retten wollen. Nun möchte 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


einer dieſer Geſellſchafter aus der Geſellſchaft aus⸗ 
treten, weil die gehoffte Veräußerung des Meiſt⸗ 


gebotsrechts durch die Geſellſchaft auf Schwierigkeiten 
ſtößt oder weil er ſich wenig Gewinn von der ganzen 
Aktion verſpricht. In der Regel wird nun der Ge⸗ 
ſellſchaftsvertrag überhaupt nicht ſchriftlich feſtgelegt 
ſein. Es finden alſo die geſetzlichen Beſtimmungen 
Anwendung (85 705 ff. BGB.). Dann iſt aber die 
Ausſcheidung der Geſellſchafter durch Kündigung 
nicht möglich. Es ergibt ſich nämlich ohne weiteres 
aus dem Zwecke der Gründung, daß die Geſellſchaft 
für beſtimmte Zeit gegründet iſt. Dieſe beſtimmte 
Zeit dauert mindeſtens bis zur Erwerbung des An⸗ 
weſens durch Zuſchlag. Es iſt ſonach nach 8 723 
BGB. die Kündigung des Geſellſchafters in der Zeit 
zwiſchen Verſteigerungstermin und Zuſchlagstermin 
unzuläſſig. Eine Abtretung des Anteils am Geſell⸗ 
ſchaftsvermögen iſt nach 8 719 BGB. rechtlich un⸗ 
möglich. 

Es iſt ſonach in dieſem Falle der Geſellſchafter, 
der ausſcheiden will, auf die Zuſtimmung der übrigen 
Geſellſchafter angewieſen. Wollten nun die übrigen 
Geſellſchafter etwa ohne den ausgeſchiedenen oder 
mit einem neueintretenden Geſellſchafter wieder als Ge⸗ 
ſellſchaft des Bürgerlichen Rechts meiſtgebotsberech⸗ 
tigt bleiben, ſo kann das nur in der folgenden Weiſe 
geſchehen. Die bisherigen Geſellſchafter beſchließen 
die Auflöſung der Gefellſchaft, ſetzen ſich auseinander, 
der ausſcheidende Geſellſchafter tritt dann den auf 
ihn treffenden Bruchteil der Meiſtgebotsberechtigung 
an den Dritten ab oder an die übrigen ehemaligen 
Geſellſchafter zu gleichen Teilen. Dann wird eine 
neue Geſellſchaft gegründet. 

Iſt aber nach dem Geſellſchaftsvertrag die Kündi⸗ 
gung jederzeit möglich und eine Beſtimmung nach 
8 736 BGB. getroffen, fo wächſt das Geſellſchafts⸗ 
vermögen durch die Kündigung des ausgeſchiedenen 
Geſellſchafters den verbleibenden Geſellſchaftern an, 
die Geſellſchaft bleibt beſtehen; ihr iſt der Zuſchlag 
zu erteilen. 

Natürlich müſſen in allen dieſen Fällen dem Ver⸗ 
ſteigerungsbeamten die geſamten Unterlagen, wie die 
Beſtimmung gemäß 8 736 BGB. im Geſellſchafts⸗ 
vertrag, die Kündigung, die Auseinanderſetzung, die 
Gründung der neuen Geſellſchaft, durch öffentlich be⸗ 
glaubigte Urkunden nachgewieſen werden. Außerdem 
wird eine etwa als Geſellſchafter neueintretende Perſon 
ebenfalls zu öffentlich beglaubigter Urkunde die Ver⸗ 
pflichtung aus dem Meiſtgebot übernehmen müſſen 
(S 81 II BIO.) a 

Der ausgeſchiedene Geſellſchafter haftet, da 
er einmal mit Erſteher war, nach 8 81 Iv 396. 
neben den verbleibenden oder neuen Geſellſchaftern 
für die Verpflichtungen aus dem Meiſtgebot als Ge⸗ 
ſamtſchuldner. 

2. Keine beſonderen Schwierigkeiten bieten die 
Fälle, in denen eine Erbengemeinſchaft Meiſtgebots⸗ 
berechtigte iſt oder ein Ehepaar in Gütergemeinſchaft 
meiſtgebotsberechtigt blieb. Die Erben können ſich 
in der Zeit bis zum Zuſchlag auseinanderſetzen, das 
Recht aus dem Meiſtgebot einem oder mehreren Mits 
erben zuweiſen; die Ehegatten können die Güter— 
gemeinſchaft aufheben, ſich auseinanderſetzen, das 
Recht aus dem Meiſtgebot einem der Ehegatten zu— 
teilen. In all dieſen Fällen iſt auf Grund des 
ordnungsmäßigen Nachweiſes dieſer Rechtsvorgänge 
dem hiernach noch Berechtigten der Zuſchlag zu er— 


— ———————————————————— ͤ öÜ[üͤ ——. ((—- — ę—ä— ö. —ä— . ͥ - U P.äſ — —— — 


vorgeht, iſt höchſt ungünſtig. 


423 


teilen unter Mithaftung der ausgeſchiedenen Perſonen. 

3. Die Stellung des Gläubigers, der mit der 
Zwangsvollſtreckung gegen den Meiſtgebotsberechtigten 
Er kann zwar das 
Recht ſeines Schuldners aus dem Meiſtgebot pfänden 
und die Veräußerung des Rechtes vom Vollſtreckungs⸗ 
gericht anordnen laſſen (Steiner Anm. 1 zu 8 81 
Zw.). Der Erwerber des Meiſtgebotsrechts müßte 
übrigens auch alle Verpflichtungen aus dem Meiſt⸗ 
gebot übernehmen. Es ſteht dem Gläubiger aber 
nur die kurze Zeit zwiſchen dem Verſteigerungstermin 
und dem Zuſchlagstermin zur Verfügung. Gelingt 
ihm in dieſer kurzen Friſt die Veräußerung des Meiſt⸗ 
gebots nicht, ſo erliſcht das Pfandrecht am Meiſtgebot. 
Der Verſteigerungsbeamte erteilt dem Berechtigten 
den Zuſchlag ohne Rückſicht auf den Pfandgläubiger. 
Das Recht des Meiſtgebotsberechtigten wird zwar 
durch den Zuſchlag zum Recht an einem Grundſtück, 
zu Eigentum, das Pfandrecht des Pfändungsgläu⸗ 
bigers macht aber keine ähnliche Wandelung durch. 
Denn die Formen der Grundſtücksverpfändung ſind 
im Sachenrecht des BGB. zwingend feſtgelegt. Es 
muß ſonach der Gläubiger mit ſeinem Vollſtreckungs⸗ 
titel gegen den Schuldner von neuem vorgehen, der 
nunmehr Eigentümer des Grundſtücks geworden iſt. 

Ein günſtigeres Bild ergibt ſich für den Gläu⸗ 
biger, wenn er den Anteil gepfändet hat, der ſeinem 
Schuldner als Miterben an einer meiſtgebotsberech⸗ 
tigten Erbengemeinſchaft oder als Geſellſchafter einer 
meiſtgebotsberechtigten Geſellſchaft des Bürgerlichen 
Rechts zuſteht (8 859 J, II ZPO.). 

Zunächſt kann der Gläubiger trotz S 723 BGB. 
nach 8 725 BGB. die Geſellſchaft durch Kündigung 
auflöſen. Jedoch läuft er auch dann wieder Gefahr, die 
Frucht ſeiner Vollſtreckungshandlung einzubüßen, wenn 
der Geſellſchaftsvertrag eine Beſtimmung nach 8 736 
BGB. enthält. Dann wächſt der Anteil, der ges 
pfändet wurde, den übrigen Geſellſchaftern an, der 
Geſellſchafter hat keinen Anteil mehr am Geſellſchafts⸗ 
vermögen, alſo iſt auch für das Pfandrecht am Ge⸗ 
ſellſchaftsvermögen kein Raum mehr. Allerdings wird 
das Pfandrecht an den Anſprüchen des Geſellſchafters 
gegen die Geſellſchaft nach $ 738 BGB. fortbeſtehen, 
wenn nicht, wie es nach Staudinger Komm. 3. BGB. 
5./6. Aufl. S. 1336 III zuläſſig iſt, vertragsmäßig bei der 
Geſellſchaftsgründung ein Anſpruch des ausſcheidenden 
Geſellſchafters gegen die Geſellſchaft ausgeſchloſſen 
wurde. Liegt aber eine Vereinbarung nach 8 736 
BGB. nicht vor, ſo wird durch die Kündigung des 
Pfandgläubigers die Geſellſchaft aufgelöſt; es iſt ſo⸗ 
dann den bisherigen Geſellſchaftern der Zuſchlag wohl 
zu gleichen Bruchteilen zu erteilen, wenn nicht irgend 
eine andere Auseinanderſetzung der Geſellſchafter nach— 
gewieſen wird. 

Der Gläubiger, der den Anteil eines Miterben 
am Nachlaß gepfändet hat, zu dem das Meiſtgebots— 
recht gehört, kann die Auseinanderſetzung betreiben, 
wenn ſein Schuldtitel nicht nur vorläufig vollſtreckbar 
iſt (F GG. 86/ II; 2042 / II; 2044 / J Satz 2; 751/II BGB.). 

In der Regel wird wegen der Kürze der Zeit 
eine weitere Vollſtreckungshandlung als die Pfändung 
ſelbſt nicht vorgenommen fein: der Anteil des Mit- 
erben am Nachlaß, des Geſellſchafters am Geſell— 
ſchaftsvermögen, iſt im Zuſchlagstermin noch mit dem 
Pfandrecht belaſtet. Der Zuſchlag wird auch in dieſen 
Fällen ohne Rückſicht auf den Pfandgläubiger an die 
Geſellſchaft, an die Erbengemeinſchaft erteilt. Aber 


424 


nun ergibt ſich ein intereſſanter Unterſchied zwiſchen 
der Wirkung der Pfändung des Meiſtgebots ſelbſt 
und der Pfändung des Anteils eines ſolchen Geſamt⸗ 
händers am Geſamthandsvermögen. Gepfändet iſt 
ja nicht das Meiſtgebot, ſondern der Anteil des Mit⸗ 
erben am ganzen Nachlaß, der Anteil des Geſell⸗ 
ſchafters am ganzen Geſellſchaftsvermögen. Daß das 
Recht aus dem Meiſtgebot in vielen Fällen das ein⸗ 
zige Vermögensſtück der Geſellſchaft bilden wird, iſt 
ohne Belang. Das Geſellſchaftsvermögen, der Nach⸗ 
laß bleibt gepfändet, auch wenn das Recht aus dem 
Meiſtgebot zum Eigentum am Verſteigerungsobjekt 
wird. 

In dem früher behandelten Fall erloſch das 
Pfandrecht des Gläubigers durch den Zuſchlag, er 
mußte nochmals mit Zwangsvollſtreckung vorgehen. 
Hier hat das Pfandrecht Wirkung über den Zuſchlag 
hinaus. Der Gläubiger kann auf Grund der Pfän⸗ 
dung des Geſellſchaftsanteils, des Anteils des Mit⸗ 
erben am Nachlaß, einer Pfändung, die mittelbar das 
Recht aus dem Meiſtgebot ergriff, nun die Berichti⸗ 
gung des Grundbuchs durch Eintragung einer Ver⸗ 
fügungsbeſchränkung in der II. Abteilung des Grund⸗ 
buchblattes des von der Geſamthand eingeſteigerten 
Anweſens verlangen (Blätter f. RA. 1907 S. 456). 
Dieſe für die Erbengemeinſchaft ergangene Entſchei⸗ 
dung iſt auf die Geſellſchaft des Bürgerlichen Rechts 
ohne weiteres anzuwenden. 

Notariatspraktikant Gabel in München. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Darf der Arzt an einem Minderjährigen ohne die 


Einwilligung des geſetzlichen Vertreters eine Operation 
vornehmen? Aus den Gründen: Der Beklagte 
hat an der Klägerin, die noch nicht 17 Jahre alt war, 
ohne Einwilligung ihres Vaters in der Chloroform» 
narkoſe eine Operation vorgenommen, und zwar hat 
er ihr in die nur kümmerlich entwickelte rechte Brufts 
ſeite Paraffin eingeſpritzt. Der Zweck der Operation 
war in der Hauptſache der, der Bruſt die normale 
Form zu geben, nebenbei vielleicht auch der, hyſteriſche 
Beſchwerden der Klägerin durch die pſychiſche Ein— 
wirkung des Erfolges der Operation zu beſeitigen. 
Der Beklagte hat bei der Operation kein Verſehen be— 
gangen. Gleichwohl haben ſich für die Klägerin nach— 
teilige Folgen herausgeſtellt. Die Klägerin hat wegen 
des Schadens vom Beklagten Erſatz gefordert. Ihre 
Klage hat das LG. abgewieſen, da der Beklagte ohne 
Verſchulden die Zuſtimmung des Vaters der Klägerin 
zur Vornahme der Operation habe als erteilt anſehen 
können. Das Berufungsgericht hat dagegen den Klage— 
anſpruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. 
Es nimmt an, daß der Beklagte durch die ohne Ein— 
willigung des geſetzlichen Vertreters der minderjährigen 
Klägerin vorgenommene Operation objektiv rechts— 
widrig gehandelt habe und daß er auch nicht ohne 
Verſchulden habe annehmen können, daß der Vater 
der Klägerin ſeine Zuſtimmung erteilt habe oder er— 
teilen würde, ja daß der Beklagte ſich um die Ein— 
willigung des Vaters der Klägerin überhaupt nicht 
gekümmert, alſo nicht nur fahrlaäſſig, ſondern mit 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


Vorſatz die widerrechtliche Körperverletzung ausge⸗ 
führt habe. 

Mit Recht hat das Berufungsgericht die Vor⸗ 
nahme der Operation mangels der Zuſtimmung des 
geſetzlichen Vertreters der Klägerin für eine rechts⸗ 
widrige Körperverletzung erachtet. Gegenüber ab⸗ 
weichenden, u. a. auch in dem Kommentar zum BG. 
von Reichsgerichtsräten Anm. 2 zu 8 106 BGB. vers 
tretenen Meinungen Hält der erkennende Senat an der 
bereits in dem Urteil vom 21. Juni 1907 III 465/06 
— JW. 1907 S. 505 Nr. 2 und Gruchots Beitr. Bd. 51 
S. 923 — ausgeſprochenen Auffaſſung feſt, daß die 
Berechtigung eines Arztes zur Vornahme einer Ope⸗ 
ration an einem Minderjährigen grundſätzlich durch 
die Zuſtimmung des geſetzlichen Vertreters des Min⸗ 
derjährigen bedingt iſt. Daß die perſönliche Zuſtim⸗ 
mung des Minderjährigen, auch wenn er eine gewiſſe 
Verſtandesreife erlangt hat, nicht genügt, die Rechts⸗ 
widrigkeit des Eingriffes zu beſeitigen, kann keinem 
Zweifel unterliegen, wenn dieſe Einwilligung als ein 
Rechtsgeſchaft aufzufaſſen, 8 107 BGB. alſo unmittel⸗ 
bar anzuwenden iſt (Mot. zu 8 706 Entw. I Bd. II 
S. 730, Zitelmann, Ausſchluß der Widerrechtlichkeit 
im Arch. f. d. ziv. Pr. Bd. 99 S. 51 ff.; Oertmann, 
Anm. 7d zu 8 823 BGB. u. a.). Aber auch wenn 
man in einer ſolchen Einwilligung nicht eine recht⸗ 
liche Willenserklärung, ſondern nur eine rein tatſäch⸗ 
liche Erklärung erblickt (ſo Keßler, die Einwilligung 
des Verletzten in ihrer ſtrafrechtlichen Bedeutung 
S. 19 ff. und S. 102 ff.; Linckelmann, Schadenserſatz⸗ 
pflicht aus unerlaubten Handlungen S. 80 ff.; vgl. 
auch die Prott. 2. Leſung zu 8 706 Entw. I Gutten⸗ 
tagſche Ausg. Bd. II S. 578), ſo wird man bei der 
ſchwerwiegenden Bedeutung einer ſolchen Einwilligung 
und mit Rückſicht auf das mit der elterlichen Gewalt 
wie mit dem Amte des Vormundes verbundene Recht 
der Sorge für die Perſon des Kindes oder Mündels 
gleichfalls zu dem Ergebnis kommen müſſen, daß die 
Operation ohne Einwilligung des geſetzlichen Vertreters 
der objektiven Rechtmäßigkeit entbehrt, mag auch der 
Minderjährige ſelbſt ihr zugeſtimmt haben. In dem 
Urteil des Reichsgerichts vom 27. Mai 1908 VI 
484/07, (RGZ. Bd. 68 S. 431), auf welches ſich die 
Reviſion bezieht, iſt keineswegs eine gegenteilige 
Meinung ausgeſprochen. Ob bei beſonders gearteter Sad)» 
lage, insbeſondere in Fällen, in denen eine ſchleunige 
Vornahme der Operation zur Vermeidung unwider⸗ 
bringlicher Nachteile für die Geſundheit des Minder⸗ 
jährigen geboten iſt und die Verweigerung der Ein- 
willigung ein Mißbrauch der elterlichen Gewalt oder 
der vormundſchaftlichen Befugniſſe ſein würde, die 
Vornahme der Operation trotz fehlender Einwilligung 
des geſetzlichen Vertreters, ja ſogar gegen deſſen aus- 
drückliches Verbot objektiv gerechtfertigt ſein kann, 
bedarf der Entſcheidung hier nicht. Denn der Be⸗ 
klagte hat die Operation an der Klägerin vorge— 
nommen, ohne daß eine dringliche Veranlaſſung dazu 
vorlag, und obwohl er ſich in kürzeſter Friſt Gewiß⸗ 
heit darüber verſchaffen konnte, ob der Vater damit 
einverſtanden war. (Urt. des III. 35. vom 30. Juni 
1911. III 472/10). 

2104 


— — — u. 


II. 


Welche Nutzungen hat ſich der Känſer eines Grund: 
ſtücks abziehen zu laſſen, der das Grundſtück zurüd: 
gibt und ſeine Anzahlung jurückfordert, weil der Kan 
die geſetzlich notwendige Genehmigung eines Dritten 
nicht erhalten hat? Wie berechnet ſich der dem Käufer 
zuruckzuerſtattende Betrag unter Berückſichtigung der 
Zinſen der Anzahlung einerſeits und der Nutzungen 
anderſeits? Aus den Gründen: Der Berufungss 
richter hat unter Ablehnung aller weitergehenden 
Anſprüche des beklagten Verkäufers dieſem nur den 


Anſpruch auf Erſatz der entzogenen Nutzungen zu— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


gebilligt. Für das erſte Jahr, wo die Verhand⸗ 
lungen wegen Genehmigung des am 5. Juli 1905 ges 
ſchloſſenen Kaufvertrages noch ſchwebten, hat er nur 
die tatſächlich von der Klägerin gezogenen Nutzungen 
gemäß 8 818 BGB., nämlich den von dem Pächter 
gezahlten Pachtzins (5% des Kaufpreiſes) im Betrage 
von 1384,34 M Bu Für die beiden folgen- 
den Jahre (Juli 1906/08), wo die Nichterteilung 
der Genehmigung feſtſtand, hat er gemäß 88 819, 
92, 990 BGB. die Klägerin, und zwar wegen des 
ihr zur Laſt fallenden Rückgabeverzuges ohne Rück⸗ 
ſicht darauf, ob ſie ein Verſchulden traf oder nicht 
(88 990 Abf. 2, 286 ff. a. a. O.), für verpflichtet er» 
klärt, den vollen Ertrag der Nutzungen, auch der⸗ 
jenigen, die ſie hätte ziehen können, aber zu ziehen 
unterlaſſen hat, ſich kürzen zu laſſen (88 990 Abf. 1, 
987 Abſ. 2 BGB.). Den Reinertrag hat er für das 
Wirtſchaftsjahr 1906/07 auf 1833,85 M, für 1907/08 
auf 4023,78 M berechnet. Außerdem hat der Be⸗ 

rufungsrichter aus dem Wirtſchaftsjahr 1908/09 dem 
Beklagten noch 192,50 M als Vergütung für 2¼ Morgen 
Kartoffelacker zugebilligt, den der Pächter der Klägerin 
im Frühjahr 1908 anderweit verpachtet und die Un⸗ 
terpächter im Herbſt 1908 abgeerntet hatten. Anderer⸗ 
ſeits hat er zugunſten der Klägerin für die beiden 
Jahre vom Juli 1906 bis dahin 1908 4% Zinſen 
der um den 4. Juli 1906 geleiſteten Anzahlung von 
25 008,50 M im Betrage von je 1000,34 M angeſetzt 
und iſt ſo zu der von ihm ermittelten Summe von 
19 574,71 M nebſt 4% Zinſen ſeit dem 6. Juli 1908 
gelangt. Die Reviſion hat zunächſt gerügt, daß der 
Berufungsrichter im erſten Jahr als Nutzung nur den 
Pachtzins und nicht den Ertrag angeſetzt habe, den 
die Klägerin hätte ziehen können. Denn die Klägerin 
habe gewußt, daß der Kaufvertrag der ſtaatlichen Ge⸗ 
nehmigung bedürfe und daß fie daher das Grundſtück 
einſtweilen ohne rechtlichen Grund beſitze. Dabei hat 
jedoch die Reviſion überſehen, daß die ſtrengere Haf⸗ 
tung, die 8 820 Abſ. 1 BGB. für folche Fälle vor⸗ 
ſchreibt (vgl. Prot. der 2. Komm. 2, 711, Planck zu 
$ 820 BGB.), nach der Ausnahmevorſchrift des Abſ. 2 
a. a. O. für Nutzungen nicht Platz greift, hier viel⸗ 
mehr die gewöhnliche Haftung des 8 818 BGB. fo 
lange eintritt, als nicht der Empfänger Kenntnis von 
dem endgültigen Wegfall des Grundes erlangt, der 
für den Empfang beſtimmend war und deſſen Ein⸗ 
tritt vorausgeſetzt wurde (8 819 BGB. und Planck 
a. a. O.). Begründet war dagegen die letzte Rüge 
der Reviſion, daß der Berufungsrichter die Zinsberech⸗ 
nung nicht richtig vorgenommen habe. Es ſeien, ſo 
hat die Reviſion geltend gemacht, die zu erſetzenden 
Nutzungen nach 8 389 BGB. in jedem Jahr mit den 
Gegenanſprüchen zu verrechnen und nur der Reſt der 
Anzahlung ſei zu verzinſen geweſen. Zieht man dem⸗ 
gemäß den Pachtzins des Jahres 1905/06 von der 
Anzahlung vom 4. Juli 1906 ab, ſo würden nur 
23 624,16 M bleiben, die zu 4% nur 944,96 M, alſo 
55,38 M weniger als die angeſetzten 1000,34 M er- 
geben. In gleicher Weiſe würden nach Ablauf des 
zweiten Jahres, wenn man den Reinertrag von 
1833,85 M abzieht und die Zinſen von 944,96 M 
hinzurechnet, von der Anzahlung nur 22 735,27 M 
bleiben, die zu 4% nicht 1000,34 M, ſondern nur 
909,41 M, alſo 90,93 M weniger abwerfen. Zugunſten 
des Beklagten würde hiernach ein Unterſchied von 
55,38 + 90,93 — 146,31 M ich ergeben. Bei Bereiche— 
rungsanſprüchen, wie ſie hier nach Wegfall des Ver— 
trages in Frage ſtehen, kommen allerdings Aufrech— 
nungsgrundſätze (SS 387 ff. BGB.) nicht zur Anwen— 
dung. Aber die nach 8819 BGB. vom zweiten Wirt- 
ſchaftsjahre ab anzuwendenden SS 291 f. BGB. führen 
zu demſelben Ergebnis. Die Klägerin hatte vom Be— 
ginn des zweiten Wirtſchaftsjahres ab den Pachtzins 
des erſten Jahres im Betrage von 1384,34 M mit 
4% zu verzinſen, was am Schluſſe des zweiten Wirt— 


1 


\ 


425 


ſchaftsjahres 55,38 M ergab. Vom Beginn des dritten 
Wirtſchaftsjahres hatte fie neben den 1384,34 M noch 
den Ertrag des zweiten Jahres, alfo 1833,85 M + 
55,38 M, zuſammen alſo 3273,57 M zinsbar anzu⸗ 
legen oder zu verzinſen. Die Zinſen davon im Be⸗ 
trage von 130,94 M zuſammen mit jenen 55,38 M 
ergeben 186,32 M, die zugunſten des Beklagten hätten 
angeſetzt werden müſſen. Andererſeits hatte der Be⸗ 
klagte neben den Zinſen der Anzahlung im Betrage 
von je 1000,34 M, die ihm für das zweite und dritte 
Wirtſchaftsjahr zur Laſt geſchrieben worden ſind, im 
dritten Wirtſchaftsjahr auch noch Zinſen der aus dem 
zweiten Wirtſchafts jahr ihm zugefloſſenen Bereicherung 
von 1000,34 M zu vergüten, fo daß zu feinen Laſten 
am Schluſſe des dritten Wirtſchaftsjahres noch 40,01 M 
hinzukommen. Zieht man dieſen Betrag von den 
obigen 186,32 M ab, ſo ergeben ſich 146,31 M. (Urt. 
des V. 35. vom 15. Mai 1911, V 468/1910). E. 
2372 


III. 


Verletzung eines Wirtshausgaſtes infolge eines 
ficherheitsgefährlichen Zuſtandes in der Wirtſchaft: 
Haftung des Wirtes trotz Anbringung einer warnenden 
Aufſchrift; Teilung des Schadens wegen Mitverſchuldens 
des Verletzten; Rechtsgrund der Haftung; Anſpruch anf 
Schmerzensgeld. Aus den Gründen: Der Kläger 
hat auf dem Gang zur Wirtſchaftsſtube, wo er als 
Gaſt einkehren wollte, den Abort aufgeſucht, die im 
Hausflur befindliche Kellertüre geöffnet in der irr⸗ 
tümlichen Annahme, daß ſie zum Abort führe, und 
iſt die unmittelbar hinter der Türe beginnende Keller⸗ 
treppe hinabgeſtürzt. Der Hausflur war durch zwei 
ſchwache, von der Türe ziemlich weit 5 Pe⸗ 
troleumlampen nur mangelhaft beleuchtet, ſo daß die 
auf der Türe mit Kreide geſchriebene Aufſchrift: 
„Keller“ leicht überſehbar war, während andererſeits 
die über dem Eingang zum Abortraum ſtehende 
größere Aufſchrift: „Abort“ vom Lichtſchein gar nicht 
erreicht wurde. Unter ſolchen Umſtänden waren die 
Türen leicht zu verwechſeln, was auch daraus hervor⸗ 
geht, daß ſchon vor dem Unfall des Klägers mehrere 
andere Perſonen aus der gleichen Urſache in den Keller 
gefallen ſind. Weiterhin war die Kellertüre nicht ver⸗ 
ſchloſſen, nur eingeklinkt; ſie war ſehr ſchwer und 
öffnete ſich nach innen, ſo daß ſie den Oeffnenden 
gleichſam mit ſich in den Keller fortriß; unmittelbar 
hinter der Türe begann aber die im Dunkeln befind⸗ 
liche Treppe, deren Stufen ſtark ausgetreten waren 
und die kein Geländer hatte. Es bot ſomit die Ein⸗ 
richtung der Türe in Verbindung mit der geringen 
Beleuchtung für die im Hausflur verkehrenden Per⸗ 
ſonen, insbeſondere die Wirtſchaftsgäſte des Beklagten 
nicht das Maß von Sicherheit, das auch in Anbetracht 
der ländlichen Verhältniſſe erwartet werden durfte. 
In der Belaſſung dieſes Zuſtandes nach Kenntnis des 
vorausgegangenen letzten Unfalls iſt ohne Rechts⸗ 
verſtoß ein Verſchulden des Beklagten erblickt worden. 
Wenn die Reviſion ein ſolches wegen der Erkenn⸗ 
barkeit der Kreideaufſchrift verneinen will, ſo ſtehen 
dem die tatſächlichen Feſtſtellungen entgegen. Ebenſo⸗ 
wenig iſt es rechtsirrtümlich, wenn das Berufungs— 
gericht auch ein Verſchulden des Klägers bejaht hat, 
inſoferne er bei dem Oeffnen der Türe und bei dem 
Ueberſchreiten der Türſchwelle die angeſichts der 


mangelhaften Beleuchtung und ſeiner Ortsunkenntnis 


gebotene Sorgfalt außer acht gelaſſen hat. Durch die 
Verteilung des Schadens nach Hälfteanteilen iſt der 
Beklagte nach Lage der Umſtände nicht beſchwert. Der 
Rechtsgrund der Haftung des Beklagten iſt aus dem 
zwiſchen den Parteien beſtehenden Gaſtwirtſchafts— 
vertrage abzuleiten, da der Kläger nach der Feſt— 
ſtellung als Gaſt im Gebäude war; daß er zuerſt den 
Abort aufſuchte, ſteht der Annahme eines dem Unfall 
vorausgegangenen Vertragsſchluſſes nicht entgegen. 


426 


Neben dieſer vertragsmäßigen Haftung geht aber auch 
eine ſolche aus unerlaubter Handlung einher (8 823 
BGB.). Letzteres wäre nur dann ausgeſchloſſen, wenn 
der Hausflur ausſchließlich für den Gebrauch der 
Wirtſchaftsgäſte oder ſonſtiger Vertragsgegner des 
Beklagten beſtimmt geweſen wäre. Dies war aber 
nicht der Fall. Vielmehr bildete der Hausflur den 
Zugang nicht bloß zu den Wirtſchaftslokalitäten, 
ſondern auch zu einem Magazin und zur Treppe in 
die oberen Räumlichkeiten. Es beſteht hiernach kein 
Zweifel, daß er dem Publikum zugänglich gemacht 
war. Liegt aber unerlaubte Handlung vor, ſo iſt 
auch der Schmerzensgeldanſpruch dem Grunde nach 
gerechtfertigt. (Urt. des III. 35. vom 24. Mai 1911, 
III 412/1910). E. 
2358 


IV. 


Zahlung einer Geldrente als Eutſchädigung für den 
durch einen Unfall verlorenen Verdienſt: kaun der dan 
Verurteilte nach § 323 380. anf Abänderung des Mr: 
teils klagen, wenn der Verunglückte anderweitigen Ber: 
dienſt erlangt oder einen nenen feine Arbeitsfähigkeit 
beeinträchtiaenden Unfall erlitten hat? Aus den Grün⸗ 
den: Das Verlangen des Klägers ſtützt ſich auf einen 
doppelten Grund. Einmal behauptet er, daß der Bes 
klagte aus dem von ihm betriebenen Flaſchenbier⸗ 
handel allmählich ein Einkommen erzielt habe, das 
ſeinem früheren Verdienſt als Bergmann mindeſtens 
nleihgefommen ſei. Dieſer Umſtand würde jedoch die 
Vorausſetzungen des § 323 ZPO. nicht herſtellen. Der 
Beklagte hatte den Unfall, für deſſen Folgen der 
Kläger nach dem Urteile vom 3. März 1908 zur 
Hälfte aufkommen ſollte, als Bergmann erlitten, und 
es war feſtgeſtellt worden, daß die Körper⸗ und Ge⸗ 
ſundheits verletzung, die der Beklagte davon getragen 
hatte, ſeine Brauchbarkeit als Bergmann ausſchließe. 
Deswegen wurde im Vorprozeſſe, und zwar ſchon in 
dem rechtskräftig gewordenen Berufungsurteil über 
den Grund des Anſpruches vom 20. November 1906, 
ſein ganzer bisheriger Jahresverdienſt als Berg⸗ 
mann ermittelt und dieſer als Grundlage für die 
Berechnung ſeines Schadens angeſehen. Darauf, daß 
er von nun an vielleicht ſtatt deſſen ſeine frei werdende 
Zeit zu einem andern Erwerbe werde ausnutzen können, 
wurde damals gar keine Rückſicht genommen. Das 
mag möglicherweiſe unrichtig geweſen ſein; aber in 
den Verhältniſſen, die für die Verurteilung zur Ent- 
richtung der Leiſtungen maßgebend waren, würde da— 
durch keine Anderung eingetreten fein, wenn der Bes 
klagte durch einen andern Gewerbebetrieb den Ausfall 
feines Bergmannsverdienſtes erſetzt haben ſollte; denn 
das Urteil des Vorprozeſſes ging nicht etwa davon 
aus, daß er dazu nicht imſtande ſein würde, ſondern 
zog dieſe Frage überhaupt nicht in Erwägung. Ferner 
hat ſich der Kläger darauf berufen, daß der Beklagte 
am 17. Dezember 1908 einen neuen Unfall erlitten 
habe und zwar durch das Scheuen des vor ſeinen 
Flaſchenbierwagen gefpannten Pferdes auf der Fahr— 
ſtraße vor einem Automobil oder durch ſeine vergeb— 
lichen Bemühungen das Pferd wieder in ſeine Gewalt 
zu bekommen und daß durch die dadurch bewirkte 
Körperverletzung ſeine Arbeitsfähigkeit in demſelben 


Grade vermindert ſein würde, wie durch jenen früheren 


Unfall, wenn dieſer nicht eben ſchon vorhergegangen 
wäre. Es iſt zuzugeben, daß nach der Rechtſprechung 
des RG. durch Solche Vorkommniſſe, wenn fie außer: 
halb jedes urſächlichen Zuſammenhanges mit dem frü— 
heren Unfalle ſtehen, die Vorausſetzungen der Umwand— 


lungsklage des 8 323 3PO. gegeben fein können; in- 


ſofern in dem früheren Urteile, wenn man damals 
ſchon gewußt hätte, daß ſpäter doch jedenfalls eine 
andere Begebenheit denſelben Schaden verurſachen 
würde, die Rente nur bis zu dieſer Begebenheit zuer— 
kannt worden wäre (Entſch. 68. 352 ff.). Auch liegt 


l 


der dort erwähnte Ausnahmefall, daß die Urſache des 
ſpätern Schadensfalles von einem Dritten zu vertreten 
wäre, hier nicht vor. Aber es muß eben, wie das OLE. 
mit vollem Recht angenommen hat, erſt be wieſen 
werden, daß die neue Schadensurſache auch dann ein⸗ 
getreten wäre, wenn der frühere Unfall ſich nicht er⸗ 
eignet hätte, und ein ſolcher Beweis iſt hier nicht 
geführt. Man hat keinen Grund anzunehmen, daß 
der Beklagte, wenn er Bergmann geblieben wäre, in 
dieſer Weiſe mit einem Wagen umherfahrend Flaſchen⸗ 
bierhandel getrieben hätte, und man kann auch nicht 
wiſſen, ob er, wenn er nicht durch den früheren Unfall 
an Körperkraft eingebüßt hätte, nicht imſtande geweſen 
wäre, das ſcheu gewordene Pferd ohne eignen Körper⸗ 
ſchaden zu bewältigen. (Urt. des VI. 3S. vom 18. Mai 
1911, VI 396/1910). E. 
2318 


B. Strafſachen. 
I. 


Wie iſt die Eutwendung eines eingefangenen, aber 
herreulos gebliebenen jagdbaren Tieres ſtrafrechtlich zu 
beurteilen? Die Gründe, welche das LG. zu der Annahme 
geführt haben, daß S. an dem eingefangenen Reh Eigen⸗ 
tum nicht erworben habe, daß das Reh vielmehr herrenlos 
geblieben ſei, ſind frei von Rechtsirrtum. Hiernach kann 
ein vollendeter ſchwerer Diebſtahl — 88 242, 2435, 
47 StB. —, wie ihn der Eröffnungsbeſchluß den 
Angeklagten zur Laſt legt, nicht in Frage kommen. Da⸗ 
gegen gibt die weitere Annahme des LG., die beiden An⸗ 
geklaaten hätten dadurch, daß fie das herrenloſe Reh, 
alſo Wild, dem Gewahrſam des S. entzogen haben, die 
Jagd i. S. des § 292 StGB. ausgeübt, zur rechtlichen Be⸗ 
anſtandung Anlaß. Der Begriff der Jagdausübung 
erfordert nach gleichmäßiger Rechtſprechung des RG. 
objektiv eine auf Erlangung des innerhalb eines 
fremden Jagdgebietes befindlichen Wildes gerichtete 
Handlung und ſubjektiv den bewußten Willen des 
Täters durch eine ſolche Handlung in ein fremdes Jagd⸗ 
recht einzugreifen, vgl. z. B. RG. 5, 277, 281; 6, 
375 ff.; 13, 84. Er wird einerſeits ſchon dadurch 
erfüllt, daß dem Wilde bloß nachgeſtellt wird, kann 
andererſeits aber unter Umſtänden allein durch die 
unmittelbare Beſitznahme des Wildes erfüllt werden, 
vgl. RG. 13, 85. Ob weiter. wie das RG. in dem 
Urt. vom 3. Okt. 1901 (JW. 1902 S. 298 Ziff. 19) 
angenommen hat, erforderlich iſt, daß das Wild, 
welchem zum Zwecke der Beſitzergreifung nachgeſtellt 
wird oder das in Beſitz genommen wird, noch 
unmittelbar in Beſitz genommen werden kann, kann 
im vorliegenden Falle dahingeſtellt bleiben. Denn 
das LG. war nach dem von ihm für erwieſen er⸗ 
achteten Sachverhalt veranlaßt ſich des näheren 
darüber auszulaſſen, ob dem Beſchwerdeführer bei der 
Wegnahme des Rehes aus dem Stalle des S. bewußt war, 
daß fremdes Jagdgebiet in Frage kam, und daß er 
durch ſeine Handlung in fremdes Jagdrecht eingreife. 
Dies tft nicht geſchehen. Das Urteil war ſonach aufzu- 
heben. Bei der neuen Verhandlung wird die Frage zu 
prüfen ſein, ob die Angeklagten glaubten, das Reh 
ſtehe im Eigentume eines anderen. Bejahendenfalls 
würde Diebſtahlsverſuch in Frage kommen, Ra. 
39, 427 ff. (Urt. des V. StS. vom 30. Mai 1911, 
VD. 298/1911). E. 

2374 
II. 


Wann beainnt die „Ausführung einer Feſtnahme“? 
Aus den Gründen: In den Urteilsgründen iſt 
ausdrücklich ausgeſprochen, daß bei beiden Vorfällen 
„mit der Ausführung der Feſtnahme noch nicht be— 
nonnen war“. Allein dieſer Ausſpruch iſt nirgends 
naͤher begründet. Mit Rückſicht auf die feſtgeſtellten 


427 


Umſtände läßt ſich der Gedanke nicht abweiſen, daß 
der Erſtrichter davon ausgegangen iſt, von einem Be⸗ 
ginn der Ausführung der Feſtnahme könne i. S. des 
5 114 St. erſt die Rede fein, wenn an den Feſt⸗ 
zunehmenden Hand angelegt ſei. Dieſe Annahme 
aber iſt irrig. Des Handanlegens bedarf es bei der 
Ausführung der vorläufigen Feſtnahme und zu deren 
Beginn ebenſowenig wie bei der Ausführung der Ver⸗ 
haftung. Die Ausführung kann ſchon darin liegen, 
daß der Beamte zum erkennbaren Zwecke der Feſt⸗ 
nahme ſich in die Nähe des Feſtzunehmenden begibt 
und dadurch die Möglichkeit erhält, ſofort Hand an⸗ 
zulegen oder die Flucht zu verhindern, die Ausführung 
kann insbeſondere auch darin liegen, daß der Beamte 
den Raum betritt, in dem ſich der Feſtzunehmende 
befindet, und ſie kann ſich dadurch kundgeben, daß der 
Beamte den Feſtzunehmenden den Zweck ſeines Er⸗ 
ſcheinens erklart, ihm die Feſtnahme ankündigt. All 
dies hat möchlicherweiſe der Erſtrichter außer acht ge⸗ 
laſſen. (Urt. des V. StS. vom 30. Juni 1911, V D 
451/11). 
2385 


— — — . 


III. 


„Verkauf“ und „Verſchweigen“ i. S. des 3 10 
MS. Aus den Gründen: Der Angeklagte hat 
dem Kaufmann Pl. 23 Kiſten Büchſenfleiſch über⸗ 
laſſen. Das Fleiſch befand ſich in Blechdoſen, von 
denen ein Teil durch Entwickelung von Gaſen ges 
trieben hatte, ein Teil an⸗ oder ſogar durchgeroſtet 
war und eine ſtark übelriechende Flüſſigkeit heraus⸗ 
treten ließ. Es iſt feſtgeſtellt, daß das Fleiſch in den 
Doſen, welche dieſe Erſcheinungen zeigten, verdorben 
war und daß der Angeklagte dies wußte. Nicht ein⸗ 
wandfrei iſt aber die Feſtſtellung der Tatbeſtands⸗ 
merkmale des Verkaufes und des Verſchweigens des 
Verdorbenſeins. Ueber den Inhalt der Vereinba⸗ 
rungen des Angeklagten mit dem Kaufmann Pl. iſt 
mehr nicht mitgeteilt, als daß die Ueberlaſſung des 
Büchſenfleiſches geſchah, damit es bei einer dem Pl. 
unmittelbar drohenden Zwangsvollſtreckung zuſammen 
mit deſſen Warenbeſtand gepfändet und verſteigert 
werden ſollte, und ferner, daß das Büchſenfleiſch vor⸗ 
behaltlich ſpäterer Berechnung als von dem Ange⸗ 
klagten an Pl. verkauft gelten ſollte. Ob das Rechts⸗ 
geſchäft ein Kauf geweſen iſt, iſt hiernach nicht zweifels⸗ 
frei. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob der Begriff 
des Verkaufens in 8 10 Nr. 2 NM. der gewöhnliche 
bürgerlich⸗-rechtliche iſt oder darüber hinausgehend 
jede entgeltliche Ueberlaſſung einer Sache zu Eigen⸗ 
tum begreift. Denn die Urteilsbegründung läßt nicht 
nur einen ſicheren Anhalt dafür vermiſſen, ob ein 


beſtimmter oder beſtimmbarer Preis vereinbart war, 


was zur Annahme eines bürgerlich⸗-rechtlichen Kauf: 
vertrags erforderlich ſein würde, ſondern ſie iſt auch 
geeignet Bedenken in der Richtung zu erwecken, ob 
ernſtlich ein Uebergang des Eigentums an dem 
Büchſenfleiſch auf Pl. gewollt geweſen iſt und nicht 
bloß durch Uebertragung des Beſitzes zum Zwecke des 
Verkaufs an Dritte in dem pfändenden Gerichtsvoll⸗— 
zieher der irrige Glaube hat erweckt werden ſollen, 
daß das Fleiſch dem Pl. gehöre. Sodann geben die 


Urteilsgründe die Taiſachen nicht an, aus denen der. 


Vorderrichter geſchloſſen hat, daß der Angeklagte das 
Verdorbenſein eines Teiles des Büchſenfleiſches dem 
Pl. verſchwiegen habe, und ermöglichen deshalb nicht 
die Nachprüfung, ob hierbei von einer richtigen Auf— 
faſſung des Begriffes des Verſchweigens ausgegangen 
worden iſt. Nach der in den Urteilsgründen gege— 
benen Beſchreibung der Doſen gewinnt es den An— 
ſchein, als ſei ihr Zuſtand ein derartiger geweſen, 
daß das Verdorbenſein des Fleiſches zum mindeſten 
für jeden Sachverſtändigen offenſichtlich war. Als 
Kolonialwarenhändler, der insbeſondere auch Büchſen— 
fleiſch führte, kann Pl. recht wohl die erforderliche 


. Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


— — — — — — —ä(——ᷣ—ũͥ C3 —ñ—un . — 


Sachkunde beſeſſen haben. Rechnete aber der Ange⸗ 
klagte damit, daß Pl. den verdorbenen Zuſtand des 
Fleiſches ſelbſt erkennen werde, fo würde ein Ver⸗ 
ſchweigen nicht ſchon darin gefunden werden können, 
daß er dem Pl. darüber keine Mitteilung machte. 
Denn wenn $ 10 Ziff. 2 NMG. auch nicht erfordert, 
daß das Verkaufen verdorbener Nahrungsmittel wie 
das ihm im übrigen gleichgeſtellte Feilhalten unter 
einer zur Täuſchung geeigneten Bezeichnung erfolgt 
oder daß ſonſtige Veranſtaltungen getroffen werden 
um zu verhüten, daß der Käufer die wahre Be⸗ 
ſchaffenheit der Nahrungsmittel entdeckt, ſo erfordert 
er doch den Vorſatz der Täuſchung des Käufers über 
das Verdorbenſein der Ware. Es genügt aber 
Eventualdolus, der vorhanden iſt, wenn der Ver⸗ 
käufer mit der Möglichkeit rechnet, daß dem Käufer 
das Verdorbenſein entgeht. (Urt. des V. StS. vom 
4. Juli 1911, V D 269/11). — gn. 
2387 


Oberſtes Landesgericht. 


A. Zlvilſachen. 
L 


Gehört der einem unehelichen Kinde vom Vater 
zu gewährende Unterhalt zu den „künftigen Nechten“ 
einer Leibesfrucht nach $ 1912 B68. Iſt der Vater, 
deſſen Antrag auf Beſtellung eines Pflegers für die 
Leibesfrucht einer Tochter abgewieſen wurde, beſchwerde⸗ 
berechtigt? (866. 8 57 Abſ. 1 Nr. 3). Roſine D., 
Tochter des Ackerers Johann D., hat eidesſtattlich ver⸗ 
ſichert, daß der Fabrikarbeiter H. Vater des von ihr 
zu erwartenden Kindes ſei und daß er ihr erklärt 
habe, er werde ſich totſchießen oder nach Amerika 
gehen. Der Vater hat die Beſtellung eines Pflegers 
für das zu erwartende Kind beantragt und vorgebracht, 
wegen der Drohung des H. mit Auswanderung be⸗ 
ſtehe die Gefahr, daß das Kind um ſeinen Unterhalt 
gebracht werde, es ſolle ein Arreſt zugunſten des 
Kindes erwirkt werden (8 1912 BGB.). Das AG. 
hat den Antrag abgelehnt, weil 8 1912 BGB. unter 
„künftigen Rechten“ des Ungeborenen nur die vor 
der Geburt möglichen, durch die Geburt nur betagt 
oder aufſchiebend bedingten Rechte (3. B. jene aus 
8 844 Abſ. 2 oder aus den 88 1924, 2141 BGB.) ver⸗ 
ſtehe. Die Beſchwerde bekämpft dieſe Begründung. 
Das LG. hat ſie zurückgewieſen. Das Oberſte Landes- 
gericht hat auch die weitere Beſchwerde zurückgewieſen. 

Gründe: Die Beſchwerde iſt zuläſſig, da Johann 
D. als Großvater unter Umſtänden unterhaltspflichtig 
und daher an der Erwirkung des Arreſtes vermögens⸗ 
rechtlich ſelbſt intereſſiert, der Fall des 8 57 Nr. 3 
FGG. alſo in feiner Perſon gegeben iſt; die Beſchwerde 
iſt aber ſachlich unbegründet. Die Vorinſtanzen 
nehmen zutreffend an, daß 8 1912 mit den „künftigen 
Rechten des Leibesfrucht“ nur beſtimmte, an anderen 
Stellen des BGB. und ſonſtiger Geſetze ausdrücklich 
anerkannte Rechte im Auge hat und daß hierzu der 
Unterhaltsanſpruch des 5 1708 nicht gehört, weil er 
erſt mit der Geburt entſteht. Dieſe Annahme ſtützt 
ſich auf die einhellige Anſicht der Kommentare 
(Staudinger Anm. 1 zu 8 1912, Anm. 5, a zu 8 1708; 
Planck Anm. 2, b zu 8 1912) und auf den eingehend 
begründeten Kammergerichtsbeſchluß vom 20. Mai 
1901 (RJ A. Bd. 2 S. 116). Keinen Widerſpruch mit 
dieſer Annahme enthält es, daß die Kommentare bei 
$ 1714 BG. die Möglichkeit einer Vereinbarung 
zwiſchen der Schwangern und dem Schwängerer über 
die Unterhaltspflicht und über eine Abfindung zugeben; 
denn in § 1714 handelt es ſich regelmäßig um einen 
Vergleich, alſo um Beſeitigung einer Rechtsungewiß— 
heit (Komm. von Reichsgerichtsräten Bem.3 zu 8 1714). 


428 


Könnte aber aus $ 1714 ſogar mehr als das Recht 
der Schwangern zum Vertrag über den künftigen 
Unterhalt des Kindes gefolgert werden, nämlich ein 
Recht zur ſelbſtändigen Verfolgung der Unterhalts⸗ 
anſprüche im Arreſtwege, ſo wäre damit das Be⸗ 
dürfnis einer Pflegſchaft zu dieſem Zweck eher wider⸗ 
legt als begründet; der Text des 8 1714 ſpricht 
übrigens nicht von einem noch ungebornen Kinde. 
Der Beſchwerdeführer will dem 8 1912 ſolche 
„künftige Rechte“ des Ungeborenen unterſtellen, die 
nur von deſſen Geburt abhängen, alſo bis dahin auf⸗ 
löſend bedingt oder aufſchiebend befriſtet ſind, m. a. 
W. alle denkbaren Rechte; er vermißt einen inneren 
Grund für eine engere Auslegung. Ein ſolcher innerer 
Grund liegt jedoch in der vom bisherigen Rechte ver⸗ 
ſchiedenen Behandlung des nascitarus im B88. Es 
enthält nicht, wie das Römiſche Recht, allgemeine 
Rechtsvorbehalte zugunſten des Ungeborenen. Für 
den Ungeborenen können nur mehr die Vorbehalte in 
Einzelvorſchriften des Geſetzes einen Rechtsſchutz⸗ 
anſpruch ſchon vor der Geburt begründen; das 
künftige — richtiger nur mögliche — Recht auf Unter⸗ 
a gegenüber dem Erzeuger iſt aber für den Unge⸗ 
ornen nur in der durch 8 1716 gegebenen Begrenzung 
anerkannt, und der Wahrnehmung durch die Mutter 
ſelbſt überlaſſen, womit die Notwendigkeit der Für⸗ 
ſorge durch einen Pfleger im Sinne des 8 1912 aus⸗ 
geſchloſſen iſt. Mit dem Kammergerichte iſt aber auch 
zu verneinen, daß die Vergünſtigung des $ 1716 ers 
weiterungsfähig, d. h. auf Sicherung des Unterhalts 
für mehr als drei Monate nach der Geburt erſtreckbar 
wäre. Das folgt ſchon aus dem ſingulären Charakter 
dieſer erſt nachträglich in das BGB. eingefügten Be⸗ 


ſtimmung. (Beſchluß des Fer ZS. vom 10. Auguſt 
1911, R. III 55/1911). W. 
2384 


IL 


Unterhaltsaniprühe auf Grund eines unter der 

errſchaft der Fränkiſchen Landgerichtsordnung abge: 
ſchloſſenen Einkindſchafsvertrags. Können nach dem 1. Ja: 
nuar 1900 geborene Kinder ſolche Anfprüce gegen die 
Stiefmutter ihres eingekindſchafteten Vaters erheben? 
(BGB. SS 1601 ff., EG. BGB. Art. 203 und 209, 
UeG. Art. 72 Abſ. 2, Fränk. LGO. Tit. 118 8 1 und 
Tit. 119 81). Aus den Gründen: Wenn 
auch das Inſtitut der Einkindſchaft dem BOB. fremd 
iſt (Mot. 4, 486 bis 491), eine Einkindſchaftung alſo 
nicht mehr vorgenommen werden kann, ſo ſind doch 
die vor dem Inkrafitreten des BGB. geſchloſſenen 
Einkindſchaftsverträge durch dieſes nicht entkräftet 
worden. Es iſt unbeſtritten, daß die vermögenss 
rechtlichen Wirkungen des Einkindſchaftsvertrags 
beſtehen bleiben; von der durch den Einkindſchafts⸗ 
vertrag begründeten Unterhaltspflicht aber ſagen 
ſchon die Mot. des EG. S. 288, daß „gewichtige 
Gründe für deren fernere Aufrechterhaltung ſprechen“. 
Es geht alſo wohl an, die Unterhaltsberechtigung 
der unter der Herrſchaft des BGB. geborenen Kläger 
mit der ſeinerzeitigen Einkindſchaftung ihres Vaters 
in Zuſammenhang zu bringen. Soweit die Beklagte 
den Art. 72 Abſ. 2 UeG. und den Art. 209 EG. als 
verletzt bezeichnet, beharrt das Obe G. bei der in den 
Entſch. vom 27. Juni 1900 und 31. Oktober 1901, 
(n. S. 1, 340; 2, 674) entwickelten Rechtanſchauung. 
Danach iſt angeſichts der ganz allgemeinen Faſſung 
des Art. 209, der eine Beſchränkung auf beſtimmte 
Arten oder Formen der Annahme an Kindes Statt in 
keiner Weiſe auch nur andeutet, unter dem „an 
Kindes Statt angenommenen? Kinde auch das nach 
der Fränkiſchen Landgerichtsordnung (abgekürzt: F. 
LO.) vereinkindſchaftete Kind zu verſtehen. Die 
F. LGO. gehört zu den Rechten, die die Einkindſchaft 
zugleich unter dem Geſichtspunkte der Annahme an 
Kindes Statt aufgefaßt, ſie als eine beſondere Art der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


— 


— 


Rauch den 8 1 des Titels 118 nicht verletzt: 


Adoption behandelt haben. Zu fordern, daß die An⸗ 
nahme an Kindes Statt i. S. des Art. 209 ſich mit der 
in den 88 1741 ff. BGB. getroffenen Regelung voll⸗ 
ſtändig decke, geht nicht an. Es trifft auch auf das 
„ Kind zu, daß ſich nach den bisherigen 
Geſetzen beſtimmt, wieweit es die rechtliche Stellung 
eines ehelichen hat und wieweit der Vater und die 
Mutter die Pflichten und Rechte ehelicher Eltern 
haben. Daraus zieht Planck BGB. Anm. 2 Abſ. 6 zu 
Art. 209 zutreffend die Folge, daß die bisherigen Geſetze 
auch dafür maßgebend ſind, wieweit die Abkömmlinge 
des angenommenen hier des eingekindſchafteten Kindes 
von deſſen Annahme betroffen werden. Allerdings find 
es hier überall nur die Wirkungen der vor dem In⸗ 
krafttreten des BGB. erfolgten Annahme oder Einkind⸗ 
chaftung, die nach dem bisherigen Rechte zu bemeſſen 
nd; der Inhalt der dem Vater und der Mutter nach 
dem bisherigen Rechte zuſtehenden 1 und Pflichten 
ehelicher Eltern beſtimmt ſich nach Art. 203 &8. vom 
Inkrafttreten des BGB. an nach deſſen Vorſchriften. 
Nach den Vorſchriften des BGB. richtet ſich dann 
auch die rechtliche Stellung des Abkömmlings des 
Angenommenen zu dem Annehmenden und namentlich 
ſeine Unterhaltsberechtigung dieſem gegenüber, ſo⸗ 
ferne der Abkömmling nach dem bisherigen Rechte 
von den Wirkungen der Annahme, wenn auch nur 
mittelbar, betroffen wird (Planck a. a. O. Vorbem. 
Nr. 2 vor 8 1616; Anm. 1 Satz 2 und Anm. 2 zu 
Art. 203, Anm. 2 Abſ. 6 Satz 2 zu Art. 209). Ob 
daneben auch die Verweiſung auf Art. 72 Abſ. 2 Ue®. 
deſſen Beſtimmung ſich freilich nicht auf die perſön⸗ 
liche, ſondern nur auf die vermögensrechtliche Stellung 
der eingekindſchafteten Kinder bezieht (n. S. 1, 340), 
in gewiſſem Sinne ihre Berechtigung hatte, kann 
dahingeſtellt bleiben; denn die — von der Beklagten 
verneinte — Einwirkung des bisherigen Rechtes ergibt 
ih ſchon aus den vorſtehenden Erörterungen. Un⸗ 
begründet iſt die Rüge, das Berufungsgericht habe, 
indem es aus den Beſtimmungen der F. LG O. im 
Tit. 118 8 2 und im Tit. 119 8 1 die Unterhalts- 
berechtigung der Kläger ihrer Stiefgroßmutter gegen⸗ 
über ableitete, das Geſetz verletzt Richtig iſt, daß 
die Frage, auf welche Perſonen ſich die Einkindſchaft 
erſtreckt, zunächſt aus dem Tit. 119 8 1 zu entſcheiden 
iſt. Gegen dieſe Beſtimmung hat aber der Berufungs- 
richter nicht verſtoßen, wenn er den Einkindſchafts⸗ 
vertrag auf den Vater der Kläger bezieht. Er hat 
Die Ein⸗ 
kindſchaft bewirkt, daß die angenommenen Kinder 
gegenuber den eingeſetzten Eltern „in Erbgerechtigkeiten 
und allen anderen Stücken“ dermaßen geachtet und 
gehalten werden, als wenn die Kinder ihre rechten 
natürlichen Kinder und fie der Kinder rechte natür⸗ 
liche Eltern wären. Daraus ſchließt der Berufungss 
richter mit Recht, daß auch die Abkömmlinge des an⸗ 
genommenen Kindes in gewiſſer Hinſicht ſo zu be⸗ 
trachten ſind, wie wenn ſie Abkömmlinge eines 
rechten natürlichen Kindes, mithin rechte natürliche 
Enkel des eingeſetzten Elternteils wären. Zu dieſer 
Folgerung haben ſich für das Gemeine Recht (die 
F. LGO. enthält hierüber im Tit. 77 8 1, Tit. 80 
SS 1—3 ausdrückliche Beſtimmungen) in Anſehung des 
Erbrechts der Abkömmlinge eines vereinkindſchafteten 
Kindes Obere und Oberſte Gerichte Deutſchlands 
wiederholt bekannt, fo das OAppGer. Celle (Seuff A. 10 
Nr. 180), das App. Celle (Seuff A. 33 Nr. 235), der 
Paydb Gerd. in dem Erk. vom 16. Okt. 1876 (Seuff A. 
32 Nr. 250; BlfRA. 42, 14), wo es heißt: „Die 
Hauptwirkung der Einkindſchaft beſteht darin, daß die 
eingefindichafteten Kinder auch gegenüber dem Stief— 
parens bezüglich der Anſprüche an deſſen Nachlaß in 
das Verhaltnis leiblicher Kinder eintreten und ſonach 
bezüglich der Erbfolge in das Vermögen beider Ehe— 
gatten der neuen Ehe den aus dieſer Ehe hervor— 
gehenden oder zu erwartenden Kindern gleichſtehen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21. 


429 


Gleichwie nun die Deſzendenten eines leiblichen, vor 


ſeinem Vater oder ſeiner Mutter verſtorbenen Kindes 
als Erben des Großvaters oder der Großmutter 
geſetzlich berufen werden, ſo muß auch den De⸗ 
ſzendenten des unierten Kindes das Recht zuſtehen im 
Falle des Vorablebens ihres Parens vor deſſen Stief⸗ 
parens als Erben des Stiefparens einzutreten. Das 
Gegenteil würde dem Geiſte des Inſtituts der Ein⸗ 
kindſchaft widerſprechen .... Alſo nicht deshalb, 
weil die Einkindſchaft ohne weiteres auf die Ab⸗ 
kömmlinge des eingekindſchafteten Kindes ſich erſtrecken 
würde, iſt den Abkömmlingen das bezeichnete Erb⸗ 
recht zugeſtanden, ſondern weil die durch die Einkind⸗ 
ſchaftung bezweckte und bewirkte Gleichſtellung des 
eingekindſchafteten Kindes mit den leiblichen Kindern 
der eingeſetzten Eltern es fordert und mit ſich bringt, 
daß auch die Abkömmlinge des angenommenen Kindes 
ſo behandelt werden wie jene der leiblichen Kinder. 
Da nun nach dem Tit. 118 8 1 die Wirkung der 
Einkindſchaft nicht nur „in Erbgerechtigkeiten“, ſondern 
auch „in allen anderen Stücken“ ſich äußert, ſo folgt 
wegen der Gleichheit des Grundes, daß im Streitfalle 
die Frage, wieweit infolge der Einkindſchaftung das 
angenommene Kind die rechtliche Stellung eines ehe⸗ 
lichen Kindes hat und wieweit der Vater und die 
Mutter die Pflichten ehelicher Eltern haben, nach der 
F. LED. dahin zu een iſt, daß nicht minder 
in Anſehung des Unterhalts das angenommene Kind 
dem leiblichen dergeſtalt völlig gleichgeſtellt ſein ſoll, 
daß auch ſeine Abkömmlinge in gleicher Weiſe wie 
die eines rechten natürlichen Kindes unterhaltsberech⸗ 
tigt ſind. Dafür ſpricht noch die Erwägung: Bei der 
nach dem Würzburger LR. beſtehenden Einkindſchaft 
„repräjentieren die Eltern die ganze juriſtiſche Perſön⸗ 
lichkeit der unierten Geſamtfamilie und ſind dieſelben 
die uneingeſchränkten und ausſchließlichen Beſitzer 
alles Vermögens. Beim Ableben eines der Eltern 
treten nicht die vorhandenen Kinder an deſſen Stelle, 
ſondern bleibt der überlebende Ehegatte ungeteilt in 
allen Gütern ſitzen“ (F. LED. Tit. 90 8 1; BlfRA. 
14, 258; 27, 173; 42, 272). Der überlebende Stief- 
elternteil hat mithin unter Umſtänden ein Vermögen 
in Händen, das, wäre er nicht der eingeſetzte Parens, 
beim Ableben ſeines Ehegatten deſſen rechtem Kinde 
angefallen wäre und es möglicherweiſe inſtand geſetzt 
hätte, ſeiner Unterhaltspflicht den eigenen Kindern 
gegenüber nachzukommen. Eine Entſcheidung in obigem 
Sinne entſpricht demnach ebenſo dem Geiſte des Ge⸗ 
ſetzes wie der Billigkeit. Unbegründet iſt die Bean⸗ 
ſtandung, daß das Berufungsgericht die Unterhalts- 
pflicht der Beklagten ſogar in dem Falle für gegeben 
erachtet habe, wo der Vater der Kläger noch am 
Leben fei. Iſt die Unterhaltspflicht und die Unter- 
haltsberechtigung als ſolche auf Grund der Einkind⸗ 
ſchaft und nach Maßgabe der §8 1601 ff. vorhanden, 
dann kommt es abgeſehen von dem aus dem $ 1609 
Ads. 1 ſich ergebenden Abmaße nicht darauf an, daß 
die Unterhaltspflicht auch noch einem näheren Bes 
dürftigen gegenüber begründet iſt und dieſer den An- 
ſpruch auf den ihm gebührenden Unterhalt erheben 
darf (Planck a. a. O. Anm. 1 Abſ. 5 c zu § 1610 a. E.: 
„Den Kindern des Bedürftigen ſteht ein Unterhalts— 
anſpruch kraft eigenen Rechtes gegen die Voreltern 
zu“). (Urteil des II. ZS. vom 26. Juni 1911, Reg. I 
64/1911). W. 
2350 


B. Strafſachen. 


Macht ſich ein Bader durch die Abgabe und An⸗ 
wendung von Heftpflaſter oder anderer dem Handel 
freigegebener Heilmittel ſtrafbar? S., ſeit 1891 appro⸗ 
bierter Bader, war angeklagt, im letzten Vierteljahr 
1909 wiederholt zur Ausübung der Heilkunde Heft— 
pflaſter benützt zu haben, deren Anwendung den 


| 
| 


nn ——— — 03 | m en sn m ame: nr — — — — 8 = 
— —— — — 4 Rn .. 


Badern ohne ärztliche Ordination verboten ſei. Das 
Schöffengericht ſprach ihn von der Anklage wegen 
einer Uebertretung nach 8 367 Nr. 3 StGB. frei. Das 
LG. verurteilte ihn wegen einer Uebertretung nach 
8 367 Nr. 5 StGB. Das Obs G. hob das Urteil auf. 

Aus den Gründen: I Nach Ziff. 10 des Ver: 
zeichniſſes A der Kaiſerl. BO. vom 22. Okt. 1901 ge⸗ 
hört das Heftpflaſter zu den dem Handel freigegebenen 
Apothekerwaren. Es kann alſo jedenfalls nicht nach 
§ 367 Nr. 3 StGB. beſtraft werden, wer ein Heft⸗ 
pflafter außerhalb einer Apotheke gewerbsmäßig zu⸗ 
bereitet, feilhält, verkauft. Nach § 367 Nr. 5 StGB. 
iſt ſtrafbar, wer bei Ausübung der Befugnis zur Zu⸗ 
bereitung oder Feilhaltung der Arzneien die deshalb 
ergangenen Verordnungen nicht befolgt. Man muß 
annehmen, daß 8 367 Nr. 5 Verordnungen im Auge 
hat, die ſich auf die dem Apothekenzwang unter⸗ 
worfenen Arzneien beziehen (KG. Jahrb. 136% 7, 
225, 226). Zwiſchen der Vorfchrift des § 367 Nr. 3 
und der des § 367 Nr. 5 beſteht, wie wohl nicht zu 
verkennen iſt, ein innerer Zuſammenhang. Beide Vor⸗ 
ſchriften beruhen auf Erwägungen der Geſundheits⸗ 
polizei. Durch 8 367 Nr. 3 ſollen insbeſondere gegen 
geſchäftsſtörende Eingriffe Unbefugter diejenigen ge⸗ 
ſchützt werden, welche mit polizeilicher Erlaubnis die 
dem freien Verkehre nicht überlaſſenen Arzneien zu⸗ 
bereiten, feilhalten, verkaufen, und der § 367 Nr. 5 
verfolgt den beſonderen Zweck, daß diejenigen, welche 
mit polizeilicher Erlaubnis die dem freien Verkehre 
nicht überlaſſenen Arzneien zubereiten, feilhalten und 
verkaufen, bei der Ausübung der Befugnis zur Zu— 
bereitung oder Feilhaltung die ihnen durch Verord— 
nungen auferlegten Berufspflichten erfüllen und die 
ihnen zuſtehenden Befugniſſe nicht überſchreiten. Es 
iſt daher die Annahme zurückzuweiſen, daß der 8 367 
Nr. 5 mit den Worten „Ausübung der Befugnis zur 
Zubereitung oder Feilhaltung“ auch die nach 8 1 
Abſ. 1 GewO. jedermann zuſtehende Befugnis zur 
gewerbsmäßigen Zubereitung oder Feilhaltung der 
dem freien Verkehr überlaſſenen Arzneien treffen wollte 
und gemeint hat. 

II. Was nun die Frage betrifft, wer mit polizei⸗ 
licher Erlaubnis Arzneimittel, die dem Apotheken- 
zwang unterworfen find, zubereiten oder feil halten 
dürfe, ſo bemißt ſie ſich in Bayern nach der im Hin⸗ 
blick auf den 8 367 Nr. 3 und 5 StGB. erlaſſenen VO. 
vom 29. Dez. 1900, die Zubereitung und Feilhaltung 
der Arzneien in den Apotheken betr. (GVBl. S. 1225) 
und nach der von dieſer VO. ($ 38) nur zum Teil 
aufgehobenen Apothekenordnung vom 27. Januar 1842 
(Reg Bl. S. 257), vgl. Landmann, GewO. [6] Note 15 
zu § 6. Bei der Regelung dieſer Frage war die 
bayeriſche Landesgeſetzgebung innerhalb des ihr durch 
§ 6 Abſ. 1 GewO. geſteckten Rahmens zur Regelung 
„der Ausübung der Heilkunde“ auch berechtigt zu be⸗ 
ſtimmen, inwieweit das „ärztliche Perſonal“ und das 
„niederärztliche Perſonal“ bei der Ausübung der 
Praxis nach Maßgabe der ihm zuſtehenden Ordinations⸗ 
befugniſſe befugt ſein ſoll, „Arzneimittel abzugeben 
oder anzuwenden“; ſie konnte bei der Regelung der 
Ausübung der Heilkunde nach ihrem Ermeſſen be⸗ 
ſtimmen, welche Befugniſſe zur Ausübung der 
Heilkunde insbeſondere dem fog. „niederärztlichen 
Perſonale“ — den Badern und Hebammen — zuſtehen 
und inwieweit namentlich die Bader bei der ihnen 
zuſtehenden Ausübung der Heilkunde zur 
Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln befugt 
ſein ſollen. Die Landesgeſetzgebung konnte alſo vor— 
ſchreiben, daß die Bader bei der Ausübung 
ihrer Befugniſſe nur gewiſſe, dem freien Ver— 
kehr entzogene oder nur gewiſſe dem freien Verkehr 
überlaſſene Arzneimittel abgeben und anwenden dürfen. 
Dagegen kann keine Landesgeſetzgebung verbieten, daß 
ein Bader neben dem Baderberufe die dem 
freien Verkehr überlaſſenen Arzneimittel in einem 


430 


ſelbſtändigen Betriebe gewerbsmäßig feilhält oder 
verkauft, gleichwie das beiſpielsweiſe Drogiſten, Friſeure 
und ähnliche Gewerbetreibende auf Grund der Gew. 
zu tun berechtigt find und tun (Obs. 7, 150). Für 
das „niederärztliche Perſonal — Bader und Hebammen“ 
— gelten nach 8 35 Abf. 3 der VO. vom 29. Dez. 1900 
„bie dazu erlaſſenen beſonderen Beſtimmungen“. Dieſe 
ſind, was die Bader betrifft, enthalten in der VO. vom 
31. März 1899, die Verhältniſſe der Bader betr. (GBl. 
S. 111) und in der Bek. des StM. des Innern vom 
4. April 1899 (GBl. S. 121). a) Die Befugniſſe der 
Bader zur Ausübung der Heilkunde werden durch die 
§§ 2 bis 5 der BD. feſtgeſtellt; nach $ 4 Ziff. 1 fällt 
in die ſelbſtändige Befugnis der Bader „die Behand⸗ 
lung einfacher Wunden, Abſzeſſe und Geſchwüre“. 
b) Nach 8 7 der VO. wird jeweils durch das StM. 
des Innern beſtimmt, inwieweit die Bader zur „Ab⸗ 
gabe und Anwendung von Arzneimitteln befugt ſind“ 
und „welche Verbände und Verbandſtoffe denſelben 
anzuwenden geſtattet iſt“. Die zum Vollzuge des $ 7 
erlaſſene MBek. vom 4. April 1899 beſtimmt ins⸗ 
befondere: „Ziff. 2. Von Arzneimitteln dürfen die 
approbierten Bader Heftpflaſter ..., Teeaufgüſſe . 
bei Ausübung ihrer Befugniſſe anwenden. Ziff. 3. Andere 
Arzneimittel ohne ärztliche Ordination anzuwenden 
oder abzugeben iſt den Badern verboten. Ziff. 4. Die 
Bader müſſen die Arzneimittel, deren Abgabe oder 
Anwendung ihnen zuſteht, aus einer Apotheke be⸗ 
ziehen.“ c) Die Arzneimittel, deren Abgabe und An⸗ 
wendung den Badern nach der Beſtimmung der MBek. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 


vom 4. April 1899 zuſteht, gehören zum größeren 


Teile zu den dem freien Verkehr überlaſſenen Arznei⸗ 
mitteln; es befinden ſich darunter auch Aufgüſſe, 
Löſungen, die dem freien Verkehr entzogen ſind 
(Handb. der Medizinalgeſetzgebung im Königreich 
Bayern v. Dr. Becker [1900] Heft IV S. 61 Note 43). 

III. Das Berufungsgericht nahm an, daß der An⸗ 
geflagte das Heftpflaſter lediglich bei feinen Patienten 
zum Verkleben der Wunden und Geſchwüre anwendete; 
es erblickte in dieſer Anwendung, zu der der An⸗ 
geklagte befugt geweſen ſei, eine „Feilhaltung“ des 
Heftpflaſters und hielt ihn nach 8 367 Nr. 5 StGB. 
für ſtrafbar, weil er bei der Ausübung der Befugnis 
zur Feil haltung des Heftpflaſters die Vorſchrift nicht 
befolgt habe, daß er die Arzneimittel, zu deren Ab⸗ 
gabe und Anwendung er befugt iſt, aus einer Apotheke 
beziehen müſſe. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob die 
feſtgeſtellte Art der Abgabe und Anwendung des Heft⸗ 
pflaſters durch den Angeklagten das Merkmal der 
„Feil haltung“ an ſich trägt, jedenfalls iſt die An⸗ 
wendung des 8 367 Nr. 5 StGB. aus einem andern 
Grund unſtatthaft. Wendet der Bader bei der Aus» 
übung ſeiner Befugniſſe als Bader ein dem Apotheken⸗ 
zwang unterworfenes Arzneimittel an, deſſen Abgabe 
und Anwendung ihm zuſteht, ſo ſoll er ſich allerdings 
nur eines aus einer Apotheke bezogenen Arzneimittels 
bedienen. Die Frage, ob der Bader, der ein dem 
Apothekenzwang unterworfenes, aber nicht aus einer 
Apotheke bezogenes Arzneimittel anwendet, nach $ 367 
Nr. 5 ſtrafbar iſt, iſt verſchieden zu beantworten, je 
nachdem man unter „Abgabe und Anwendung' eine 
Feilhaltung erblicken zu können glaubt. Die Frage 
kann hier jedoch unerörtert bleiben, da der Angeklagte 
ein dem freien Verkehr über laſſenes 
Arzneimittel angewendet hat und der 8 367 
Nr. 5 StGB. eine Strafe nur für den Fall der Wicht: 
befolgung der Verordnungen androht, die ſich auf die 
Ausübung der Befugnis zur Zubereitung der dem 
Apothekenzwang unterworfenen Arzneimittel beziehen. 

IV. Auch das bayeriſche Landesſtrafrecht enthält 
eine Beſtimmung des Inhalts nicht, daß der Bader 
ſtrafbar iſt, der bei der Ausübung der Heilkunde 
ein nicht aus einer Apotheke bezogenes Heftpflaſter 
abgibt und anwendet. Die Landesgeſetzgebung iſt be— 


rechtigt, den Umfang der Befugnis der approbierten, 


Bayern. 1911. Nr. 21. 


werden. 


Bader zur Ausübung der Heilkunde feſtzuſetzen, ihnen 
Beſchränkungen bezüglich der Befugnis zur Abgabe 
und Anwendung von Arzneimitteln — ohne Rückſicht 
ob dieſe dem freien Verkehre reichsgeſetzlich überlaſſen 
ſind oder nicht — aufzuerlegen und ihnen vorzu⸗ 
ſchreiben, daß ſie die Arzneimittel, deren Abgabe und 
Anwendung ihnen zuſteht, aus einer Apotheke zu be⸗ 
ziehen haben (Landmann a. a. O. Note 14 zu 8 6 
S. 96). Sie iſt darum auch für befugt zu halten 


eine Strafe den Badern für den Fall anzudrohen, 


daß ſie ihre Befugniſſe überſchreiten oder gewiſſen 
ihnen auferlegten Verpflichtungen zuwiderhandeln. 
Der Bader handelt gegen eine ihm nach 87 der BO. 
vom 31. März 1899 und Ziff. 4 der MBek. vom 
4. April 1899 obliegende Verpflichtung, wenn er bei 
der Ausübung der Heilkunde ein ihm geſtattetes 
Arzneimittel anwendet, das er nicht aus einer Apotheke 
bezogen hat; allein das P StGB. enthält keine Be⸗ 
ſtimmung des Inhalts, daß der Bader wegen der 
Verletzung dieſer Berufsverpflichtung ſtrafbar iſt. 
Daher kann auch die Frage auf ſich beruhen, ob das 
Landesrecht überhaupt befugt wäre, dem Bader eine 
Strafe für den Fall anzudrohen, daß er ein reichs⸗ 
geſetzlich dem freien Verkehr überlaſſenes 
Arzneimittel anwendet, das er nicht aus einer Apotheke 
bezogen hatte (KG. Jahrb. Bd. 20 0 Nr. 37 S. 91). 
Der Bader, der bei der Ausübung der Heilkunde ein 
nicht aus einer Apotheke bezogenes Heftpflaſter abgibt 
und anwendet, kann auch nicht in Anwendung des 
Art. 72 a PStGB. (Geſetz vom 22. Juni 1900) beſtraft 
Der Art. 72a iſt zur Ergänzung des 8 367 
Nr. 5 StGB. geſchaffen worden (ſ. die Begründung 
in AbgKVerh. 1899/1900 Beil. Bd. 2 S. 462). Nach 
ihm wird — außer dem Falle des 8 367 Nr. 5 StB. — 
beſtraft, wer den Verordnungen in bezug auf den 
Verkehr mit Arznei» oder Geheimmitteln .... zuwider⸗ 
handelt. Auf Grund des Art. 72 a erging am 15. März 
1901 die VO., betr. den Verkehr mit Arzneimitteln 
außerhalb der Apotheken (GVBl. S. 157); ſie bezieht 
ſich — §1 — auf das gewerbsmäßige Feilhalten oder 
Verkaufen von Arzneimitteln, die dem freien Verkehr 
überlaſſen find. Die Landesgeſetzgebung war nach § 6 
Abſ. 1 GewO. zur Schaffung des Art. 72 a und zur 
Erlaſſung der VO. vom 15. März 1901 berechtigt; 
ſelbſtverſtändlich konnte fie im Hinblick auf $ 1 Abſ. 1 
GewO. nicht beſtimmen, daß diejenigen die Arznei⸗ 
mittel aus einer Apotheke beziehen müſſen, welche 
Arzneimittel, die reichsgeſetzlich dem freien Verkehr 
überlaſſen find, gewerbsmäßig feilhalten oder ver⸗ 
kaufen — z. B. Drogiſten, Bader, die neben der 
Ausübung der Heilkunde ſich mit dem Feilhalten be⸗ 
faſſen. Daß die VO. vom 15. März 1901 nur ge⸗ 
werbsmäßige Betriebe der in ihrem § 1 ausdrücklich 
bezeichneten Art im Auge hat, ergibt ſich aus ihren 
ſämtlichen Beſtimmungen ($$ 2 bis 11 einſchl.); fie 
nimmt nirgends auf die beſondere, den Badern be⸗ 
züglich des Bezugs von Arzneimitteln aus einer 
Apotheke auferlegte Berufspflicht Bezug. Man 
kann daher mit gutem Grund bezweifeln, daß ſich die 
VO. vom 15. März 1901 auf dieſe Berufspflicht be⸗ 
zieht und daß auf Grund ihrer den Verkehr mit Arznei⸗ 
mitteln außerhalb der Apotheken regelnden, das ge⸗ 
werbsmäßige Feilhalten von Arzneimitteln be» 
treffenden Beſtimmungen nach Art. 72a der Bader 
geſtraft werden kann, der unter Nichtbeobachtung 
feiner Berufspflicht bei der Ausübung feiner Heil⸗ 
befugniſſe ein dem freien Verkehr überlaſſenes, nicht 
aus einer Apotheke bezogenes Arzneimittel abgibt 
oder anwendet. (Urt. vom 13. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 
Nr, 129/1911). Ed. 
2349 


Oberlandesgericht München. 


Zu 5 600 350. Entſcheidung über die Berufung 
im Wechſelprozeſſe nach rechtskräftiger Erledigung des 
Nachverfahrens. Durch vorläufig vollſtreckbares Urteil 
im Wechſelprozeß vom 21. September 1910 wurde der 
Beklagte ſchuldig erkannt, an den Kläger 9450 M 
Wechſelſumme nebſt Zinſen und Wechſelunkoſten zu 
bezahlen ſowie die Koſten des Rechtsſtreites zu tragen; 
jedoch wurde ihm die Abwendung der Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung durch Sicherheitsleiſtung geſtattet und die 
Ausführung der Rechte vorbehalten. Hiergegen legte 
der Beklagte am 25. Oktober 1910 Berufung ein. Der 
Verhandlungstermin wurde mehrmals vertagt. In⸗ 
zwiſchen hatte der Beklagte den Kläger auch im 
ordentlichen Verfahren vor das Prozeßgericht erſter 
Inſtanz laden laſſen, wo am 4. Februar 1911 Ver⸗ 
handlung mit dem Ergebnis weiterer Vertagung ſtatt⸗ 
fand. Mit einem Schriftſatz vom 15. März 1911 erw 
klärte dort jedoch der Anwalt des Klägers, daß er 
auf Grund Vergleichs mit der A.⸗G. N.⸗Werke — die 
dem Beklagten in zweiter Inſtanz zur Unterſtützung 
beigetreten war — die Klage zurücknehme. Da der 
Beklagte aber nicht in dieſe Zurücknahme willigte, 
erging im Nachverfahren erſter Inſtanz am 13. Mai 
1911 Verſäumnisurteil dahin, daß das Wechſelurteil 
vom 21. September 1910 aufgehoben und die Klage 
abgewieſen werde, ſowie daß der Kläger alle Koſten 
des Rechtsſtreites zu tragen und zu erſtatten habe. 
Dieſes Verſäumnisurteil wurde rechtskräftig. Mit 
Rückſicht hierauf, und weil für. den Kläger niemand 
im nächſten Termine zur Verhandlung über die 
Wechſelberufung erſchienen war, beantragte der Bes 
klagte (Berufungskläger) durch Verſäumnisurteil aus⸗ 
zuſprechen, daß die Koſten der Berufungsinſtanz dem 
Kläger und Berufungsbeklagten auferlegt werden. 
Dem Antrag wurde ſtattgegeben. 

Aus den Gründen: Die Berufung iſt an ſich 
zuläſſig. Dadurch aber, daß das LG. im Nachver⸗ 
fahren auf Grund der Verſäumnis des Klägers die 
Klage abwies und das die Klage abweiſende Urteil 
rechtskräftig geworden iſt, hat der Rechtsſtreit ſelbſt 
ſein Ende erreicht. Damit iſt aber auch der in der 
Berufungsinſtanz noch anhängige Wechſelprozeß er⸗ 
ledigt, die Rechtsmittelinſtanz in der Hauptſache gegen⸗ 
ſtandslos geworden (Gaupp⸗Stein, ZPO. 8./9. Aufl. 
Bd. II S. 199; Beſchl. des Kammer. vom 18. April 
1903 in OL GR. Bd. 7 S. 299). Dur das landge⸗ 
richtliche Verſäumnisurteil find ſchon gemäß 8 600 
Abſ. 2 und 3 und $ 302 Abſ. 4 Satz 2 im Zuſammen⸗ 
halte mit §§ 330 und 91 ZPO. unter Aufhebung des 
früheren Urteils vom 21. September 1910 die Koſten 


des Rechtsſtreites erſter Inſtanz dem Kläger über⸗ 


bürdet. Für die Berufungsinſtanz war nach Lage 
der Sache die Koſtenentſcheidung gleichfalls zuun⸗ 
gunſten des Klägers zu treffen; denn da rechtskräftig 
u daß fein Anſpruch unbegründet war (88 600 
Abſ. 2, 302 Abſ. 4 ZPO.), können die Koſten des vom 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. in Bayern. 1911. 


| 


Beklagten im Wechſelprozeß eingelegten Rechtsmittels 


nur dem unterlegenen Gegner auferlegt werden (8 91 
ZPO). Dieſe Entſcheidung war, da der Berufungs- 
beklagte nicht erſchienen iſt, gemäß § 542 ZPO. durch 
. zu erlaffen. Im Hinblick auf § 101 
Abſ. 1 ZPO. waren ferner dem Kläger und Bes 
rufungsbeklagten auch die Koſten aufzuerlegen, die 
durch die Nebenintervention verurſacht worden nn 
(Urt. vom 12. Juni 1911, M 1028/10.) N, 
2316 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Ueber die Befugnis des Fideikommißſtifters zum 
Widerruf oder zur Abänderung des Fideikommiſſes 
(8 94 der VII. Beil. z. Verf.). Aus den Gründen: 


Der 8 34 FidE. geſtattet dem Stifter den Widerruf 


Nr. 21. 431 


oder die Abänderung eines Fideikommiſſes auch 8 
der gerichtlichen Beſtätigung, ſolange noch nieman 
durch die Uebergabe oder durch Vertrag ein Recht 
daran erworben hat. Dieſe Beſchränkung will den 
Widerruf oder die Abänderung des Fideikommiſſes 
nicht etwa nur in der meiſt ganz kurzen und nach 
außen gar nicht zutage tretenden Zeitſpanne zwiſchen 
der gerichtlichen Beſtätigung und der Eintragung in 
die Fideikommißmatrikel zulaſſen. Unter Uebergabe 
iſt auch nicht der Uebergang des Fideikommiß vermögens 
aus der allodialen Eigenſchaft in den fideikommiß⸗ 
rechtlichen Verband (8 42 ide.) zu verſtehen, denn 
dieſer Uebergang vollzieht ſich bei einem Fideikommiſſe, 
das, wie hier, durch einen einſeitigen Akt des Stifters 
und erſten Beſitzers unter Lebenden errichtet worden 
iſt, nicht durch eine Uebergabe im bürgerlichrechtlichen 
Sinne, ſondern nach 8 22 FidE. durch die gerichtliche 
Beſtätigung und durch die Eintragung in die Matrikel. 
Der Widerruf oder die Abänderung durch den Sti 55 
ſelbſt, auch im Wege letztwilliger Verfügungen, iſt v 
mehr unbeſchränkt zuläſſig, ſolange weder eine 85 
tragsmäßige Errichtung ſamt Uebergabe an den Dritten 
ſtattgefunden hat noch ein anderer als der widerrufs⸗ 
berechtigte Stifter in den Genuß des Gutes gekommen 
iſt (Stobbe⸗Lehmann, en rue: [3.] II®, 
532; vgl. auch ObL®. ä. S. XIV, 115; n. F. 9, 167). 
Das Miteigentum der N iſt vorerſt nur wider⸗ 
ruflich, ſolange bis a Fideikommißſtiftung unwider⸗ 
ruflich geworden iſt, d. h. der Stifter keine Abände⸗ 
rung verfügt hat (Becher, LZivR. I S. 948 Anm. 4). 
Dieſe Tragweite der Vorſchrift des 8 94 FidE. fene 
aus dem Geſetze ſelbſt: Im 6. Tit. des FideE., 
„von der Auflöſung der Fideikommiſſe und den 5 
lichen Ben derſelben“ handelt, beſtimmt der 8 93 
Nr. 2, „das Fideikommiß im ganzen wird durch den 
Widerruf des Konſtituenten (§ 94) aufgelöſt'. Von 
der Auflöſung eines Fideikommiſſes 125 egrifflich 
nur die Rede ſein, wenn ein rechtswirkſam geſchaffenes, 
alſo ein gerichtlich beſtätigtes und in die Matrikel 
eingetragenes Fideikommiß vorhanden iſt; nach 88 93 
Nr. 2 und 94 FidéE. iſt alfo der Widerruf oder die 


Abänderung eines Fideikommiſſes durch eine unter 


Lebenden oder von Todes wegen erlaſſene Verfügung 
des Stifters auch nach der Eintragung in die Matrikel 
zuläſſig. Diefes Recht hat ſich der Stifter nach 8 XIV 
der Beſtätigungsurkunde auch ausdrücklich vorbehalten. 


(Boſchl. des Fer S. vom 9. September 1911). Br. 


Literatur. 


Grauer, Dr. jur. et phil. Anton, Das katholiſche 
Ordensweſen 1 bayeriſchem Staats⸗ 
kirchenrecht. 8°, 132 S. Kempten 1910, 3. 
9 Buchh. 

Das Recht der religiöſen Orden und Kongregationen, 
das das Reichsrecht faſt vollkommen der Landesgeſetz⸗ 
ebung überläßt, geht in Bayern zum Teil auf die 

Zeit des Uebergangs vom Polizeiſtaat zum Ver⸗ 

faſſungsſtaat zurück und iſt größtenteils ſehr unüber⸗ 

ſichtlich. Es iſt ein Verdienſt des Verf., daß er eine 
gründliche, ſoviel ich ſehen kann, den ganzen Stoff 
verarbeitende Darſtellung gibt, die durchweg auf die 

Quellen zurückgeht. Er behandelt den Gegenſtand 

lediglich vom Geſichtspunkte des ſtaatlichen Rechtes 

aus, und zwar mit der Begrenzung, daß er die 

Bruderſchaften und Tertiarier als nicht zu den „geiſt⸗ 

lichen Geſellſchaften“ des bayeriſchen Staatsrechts ge⸗ 

hörig ausſcheidet. Dementſprechend wird der Begriff 
des „Ordens“ unter Berückſichtigung der hierüber 
beſtehenden Meinungsverſchiedenheiten erörtert; fos 
dann wird das öffentliche und private Recht der 
Ordensniederlaſſungen eingehend unter Anführung 


432 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2ꝶ1. für Rechtspflege 


der Berordnungen und e 
vorgetragen, und in einem dritten Kapitel 
Recht der Ordensmitglieder nach der öffentlich 
rechtlichen und privatrechtlichen Seite entwickelt. Der 
Verf. endet mit dem Wunſche, es möchten die öffent⸗ 
lichrechtlichen Verhältniſſe der Ordensgeſellſchaften 
durch Geſetz geregelt werden, damit dadurch dem 
gegenwärtigen, im weſentlichen auf Verordnungen 
und Verwaltungsvorſchriften beruhenden, vielfach un⸗ 
klaren Zuſtande ein Ende gemacht würde. — Es iſt 
ſelbſtverſtändlich, daß hier und dort Ausſetzungen und 
Wünſche vorgebracht werden könnten, allein im ganzen 
ſcheint mir die Arbeit des Verf. eine Bereicherung 
ſowohl für die Lehre, als vor allem für die Rechts⸗ 
anwendung zu ſein. 
e Profeſſor Rothenbücher. 
Schramm, Dr. Erich, Bor der Entſcheidung. 
Der deutſche Anwalt und die Forderung der Zeit. 
Ein Beitrag zur Frage einer Reform der anwalt⸗ 
ſchaftlichen Standesverfaſſung. 35 S. Hannover 1911. 
Helwingſche Verlagsbuchhandlung. 


Dieſe anregend geſchriebene kleine Arbeit kann 
leider erſt „nach der Entſcheidung“ beſprochen werden, 
die inzwiſchen auf dem Würzburger Anwaltstag gegen 
jede weitere Beſchränkung der Zulaſſung zur Rechts⸗ 
anwaltſchaft mit impoſanter Mehrheit gefallen iſt. 
Die Schrift von Schramm ſchildert die Notlage des 
Anwaltsſtandes und tritt für die Einführung des 
numerus clausus verbunden mit einer zweijährigen 
Nachpraxis ein. Für die Beſetzung der Stellen ſoll, 
wenn die Zahl der Geſuche die feſtgeſetzte Höchſtzahl 
überſteigt, die Prüfungsnote maßgebend ſein. Da⸗ 
durch glaubt der Verfaſſer allen Bedenken, die gegen 
das Syſtem des numerus elausus erhoben wurden, die 
Spitze abzubrechen. Zur Widerlegung dieſes Irrtums 
genügt es auf die Vorarbeiten zum Würzburger An⸗ 
waltstag und auf das Landsbergſche Referat hinzu⸗ 
weiſen, welche ſich auch bereits mit den oben erwähnten, 
ſchon früher von Benario angedeuteten Gedanken ein⸗ 
gehend beſchäftigt haben. — —i— — 
Sammlung von Steuergeſetzen für Bayern mit den Voll⸗ 

zugsvorſchriften. Textausgabe mit alphabetiſchem 
Sachregiſter. XIII, 860 S. München und Berlin 
nr J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Gebd. 


Dieſe ſehr praktiſche Sammlung enthält außer 
den bayeriſcher Geſetzen mit ihren Vollzugs vorſchriften 
u. a. das Reichserbſchaftsſteuergeſez und das Zu— 
wachsſteuergeſetz ſamt den Ausführungsbeſtimmungen 
ſowie Auszüge aus dem BGB., dem EG. und dem AG. 
dazu, der ZPO. und der StPO. uſw., vereinigt alſo 
auf kleinem Raume das geſamte Material. 


von Staudinger, Dr. Julins, K. Geheimer Rat, Se⸗ 
natspräſident a. D. in München, Strafgeſetzbuch 
für das Deuſche 97 10. Aufl. bearbeitet von 
ermaun Schmitt, K. b. Oberſtlandesgerichtsrat im 
taatsminiſterium der Juſtiz. XII. 276 S. München 
1911. C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung, Oskar 
Beck. Gebd. Mk. 1.20. 


Dieſe Ausgabe hat ſich bei der Auswahl der 
Zitate aus der Rechtſprechung im Gegenſatze zu an— 
deren eine weitgehende Beſchränkung auferlegt. Da— 
bei war wohl der Gedanke maßgebend, daß der An⸗ 
fänger — für den das Büchlein in erſter Reihe be⸗ 
ſtimmt iſt — nicht durch ein Uebermaß von Einzel— 
heiten verwirrt werden ſoll. Dagegen iſt — insbe— 
ſondere im allgemeinen Teile — der Verſuch gemacht, 
die Hauptgrundzüge der der ſtrafrechtlichen Dogmatik in 


in Bayern. 1911. Nr. 21. 


| 


gedrängte Anmerkungen zu bringen (man vgl. z. B. 
die Ausführungen über Vorſatz, Abſicht, Fahrläſftgkeit 
zu 8 59). Dieſes nicht ganz einfache Problem jft 
glücklich gelöſt. Die Ausgabe iſt deshalb zum Ge⸗ 
brauch in der Vorleſung und im Praktikum trefflich 
geeignet. Im Anhang ſind die wichtigſten Vor⸗ 
ſchriften der Nebengeſetze abgedruckt. 


5 


Braun, Friedrich Edler von, Oberregierungsrat. Das 
Bayeriſche Geſetz über die Güterzertrüm⸗ 
merung vom 13. Auguſt 1910 mit Erläuterungen. 
=: Be Münden 1911, J. Schweitzer Verlag. 


Wird von A Erläuterung eines kleinen Spezial⸗ 
geſetzes innerhalb eines Zeitraumes von 10 Monaten 
eine 2. Auflage notwendig, ſo bedarf das Werk keiner 
beſonderen Empfehlung mehr. Die neuen Anmerkun⸗ 
gen über die rechtliche Wirkung des Vorkaufsrechts 
und des Rücktrittsrechts und deren Einfluß auf den 
Grundbuchverkehr verdienen nicht nur für die Anwen⸗ 
dung des bayeriſchen Landesgeſetzes, ſondern auch für 
das allgemeine bürgerliche Recht Beachtung. Der An⸗ 
merkung 15 auf Seite 68 über Schmuſerlöhne in der 
jeßigen Faſſung trete ich bei. 

München. Oberamtsrichter Dr. Haberſtumpf. 


Notizen. 


Die Vorbedingungen für den höheren ſtaatlichen 
Archivdienſt ſind neu geregelt worden durch eine 
K. Verordnung vom 3. Okt. d. Is. (GVBl. 1061 ff.). 
Die Fähigkeit zu einem höheren Amte des ſtaatlichen 
Archivdienſtes erlangt, wer die Staatsprüfung für den 
höheren Archivdienſt mit Erfolg abgelegt hat. Die 
Zulaſſung zur Staatsprüfung ſetzt die Ableiſtung 
eines Vorbereitungsdienſtes voraus. Zum Vor⸗ 
bereitungsdienſte werden nach wie vor auch Rechts⸗ 
kandidaten zugelaſſen, die die Univerſitätsſchlußprüfung 
beſtanden haben. Dagegen genügt die Erlangung der 
Würde eines Doktors der Rechte im Gegenſatze zu den 
bisherigen Vorſchriften nicht mehr zur Zulaſſung. 
Die Zulaſſung erfolgt nach Bedarf. Der Vorbereitungs⸗ 
Dienst dauert wie bisher drei Jahre. Nach 8 12 der 
alten Beſtimmungen (VO. vom 3. März 1882, GB Bl. 73) 
konnte die Praxis bei einem Gericht, einer Verwaltungs⸗ 
behörde oder bei einem Rechtsanwalt bis zu einem 
Jahre und, wenn der Rechtspraktikant die Staats⸗ 
prüfung beſtanden hatte, bis zu zwei Jahren auf die 
Archivpraxis angerechnet werden. Die neuen Vor⸗ 
ſchriften enthalten keine derartige Beſtimmung. Die 
Anrechnung könnte höchſtens auf Grund des § 27 
Abſ. 2 der neuen Verordnung erfolgen, der die 
Staatsminiſterien des K. Hauſes und des Aeußern 
ſowie des Innern ermächtigt in einzelnen Fällen aus 
wichtigen Gründen Abweichungen von der VO. zuzu⸗ 
laſſen. — Die Staatsprüfung iſt wie bisher ſchriftlich 
und mündlich. Die geprüften Archivpraktikanten, die 
ſich um Anſtellung im höheren Archivdienſte bewerben, 
haben nach Anordnung der zuſtändigen Staats⸗ 
miniſterien den Dienſt fortzuſetzen. Sie führen die 
Bezeichnung Archivakzeſſiſten, wenn fie die Staats- 


prüfung mit der Note I oder II beſtanden haben. 
2403 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſteriumd. Juſtis. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ar. 22. Münden, den 15. November 1911. 7. Jahrg. 


Jeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von erlag von 


| Bühern . 


Staate miniſterium der Inſtiz München und Berlin. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . . Redaktion und Expedition: München, Jenbachplatz 1. 
im Umfange von min 8 2 Bogen. Preis viertel jährlich : 24 . 80 Big. für die balbgeſpaltene Betitzeile 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und \-! oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellena 
Boftanftalt, 20 bf. Beilagen nach Uebereinkuuft. 


Nachdruck verboten. 433 


— die fi lehrrei alle beziehen. Das 
uſtitnte für Kriminaliſtit und Rechts Arne hut in ftandiger uta, mit den Grein, 


anwendung. . 1 8 Lebens, hauptſächlich an den 
; großen kaufmänniſchen Unternehmungen und mit 
e ne nen men Bankinſtituten zu fliehen, um auf dieſe Weile fort: 


ı gelegt in Geſtalt von Urkunden und Mitteilung 
Bei der Tagung der Geſellſchaft für Hochſchul⸗ von Vorfällen, die Anlaß zu rechtlichen Meinungs: 
pädagogik, die vom 18. bis 20. Oktober 1911 verſchiedenheiten gegeben haben, Stoff für die 
in München ſtattgefunden hat, find eine Reihe praktiſche Rechtsanwendung zu erhalten. 
von Vorſchlägen zur Verbeſſerung des juriſtiſchen Die Gründung eines ſolchen Inſtituts ſoll dem: 
Studiums gemacht worden. Für den, der die | mächft erfolgen, da das ö ſterreichiſche Unterrichtz⸗ 
Literatur über die Reform der juriſtiſchen Aus⸗ miniſterium bereits die Mittel bewilligt hat und 
bildung verfolgt hatte, wurde Neues eigentlich nicht Perſonen des Handels und der Bankunternehmungen 
vorgebracht. Alle Redner waren ſich darüber einig, ihre Unterſtützung in der bereitwilligſten Weiſe zu⸗ 
daß man den Studierenden die Schwierigkeiten geſagt haben. Dagegen iſt die Errichtung eines 
erleichtern muß, die für ſie in dem Vortrag ab⸗ kriminaliſtiſchen Univerſitätsinſtituts erſt geplant. 
ſtrakter Rechtsſätze liegen. Von den Verhandlungen Ich habe mich in den letzten Jahren ſchon 
dürften von allgemeinem Intereſſe die Vorträge ſein, wiederholt über die brennende Frage der Ver⸗ 
CCC 
tätsinſtitute“ und „Univerſitätsinſtitute für Rechts⸗ tiſchen Ausbildung der jungen Juriſten in kleineren 


2 beteiligten Kreiſen ausgeſprochen und hierbei die 
anwendung“ gehalten haben. Nach dieſen Vorträgen ER oc 
ſoll der Gedanke, die juriſtiſche Univerſitätsaus⸗ Notwendigkeit von beſonderen Einrichtungen betont, 


bild fenen Grundl Kup in fol: die den Studenten und den Rechtspraktikanten mit 
der W Seel bes age ene Br m To: dem wirklichen Leben mehr in Fühlung bringen 
e eiſe greifbare Formen erhalten. und ihm eine ſachgemäßere Ausbildung zu teil 
Für die Ausbildung des Juriſten iſt neben werden laſſen. Die erwähnten Vorträge haben mir 
den Vorleſungen aus dem Gebiete des Straf und den Anſtoß gegeben, meine Anſchauungen über die 
Strafprozeßrechtes ein Inſtitut für Kriminaliſtik Errichtung und die Organiſation von juriſtiſchen 
zu ſchaffen. Es hat zu beſtehen aus einer größeren Ausbildungsinſtituten auch weiteren Kreiſen zu: 
Anzahl von Abteilungen, in denen Kriminal änglich zu machen. 

pſychologie, die Gaunerſprache, Daktyloſkopie, Die Gründung eines Univerſitätsiuſtituts für 
Kriminalſtatiſtik u. dgl. geleſen wird. Außerdem Kriminaliſtik halte ich für bedenklich, jedenfalls 
ſind in dem Inſtitut ein Kriminalmuſeum und nicht für geboten. Der Student wird zur Zeit 
eine umfaſſende Kriminalbibliothek zu errichten. des Univerſitätsſtudiums. das ihn in reichſtem 
2 Das Univerſitätsinſtitut für Rechtsanwendung | Maße mit Stoff belaftet, nicht noch mehr mit 
hat ebenfalls aus einer Reihe von Abteilungen | Vorleſungen und Ablenkungen bedacht werden können. 
zu beſtehen. In dieſen Abteilungen ſind enthalten Er wird regelmäßig in ſeinen Studentenjahren auch 
Sammlungen von Urkunden jeglicher Art, Ur- für die Gebiete des kriminaliſtiſchen Inſtituts noch 
kunden des Privatrechtes, insbeſondere ſolche des nicht das erforderliche Verſtändnis und Intereſſe 
Handels-, Immobiliar-, Familien- und Erbrechts. | haben. 
Aufzunehmen ſind Auszüge aus dem Grundbuch Kriminaliſtiſche Studien ſetzen voraus, daß 
und den verſchiedenen Regiſtern. Eine Abteilung | man das Strafrecht und wohl auch den Straf: 
enthält auch eine Sammlung von Prozeßakten, prozeß in ihrer praktiſchen Bedeutung kennen ge: 


— 


434 ABeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


— ———— — — 


lernt hat. Die Gebiete, die in dem Kriminal- rechtspflege liegt. Das bayeriſche Juſtizminiſterium 
inſtitut zu behandeln ſind, werden erſt dann von | hat in früheren Jahren tatſächlich ſchon Vorleſungen 
Bedeutung, wenn der Juriſt mit der Praxis un⸗ über Gefängnisweſen für die Richter und Staats⸗ 
mittelbar Fühlung und damit das Verſtändnis anwälte halten laſſen Leider wurde jpäter davon 
für die Kriminaliſtik erlangt hat. Umgang genommen. Nur nebenbei bemerken möchte 
So überflüſſig nun ein Inſtitut für Krimis ich. daß auch Bedürfnis beſtehen dürfte, das Aus⸗ 
naliſtik an der Univerfität ift, fo notwendig lieferungsverfahren in materieller und formeller 
iſt es geworden als ſelbſtaͤndiges Inſtitut zur | Beziehung näher kennen zu lernen. 
weiteren Aus: und Fortbildung des Praktikers. Es würde über den Zweck dieſer Abhand⸗ 
Der Zug der Zeit drängt immer mehr dazu, lungen hinausgehen, Einzelheiten über die räum⸗ 
daß auch in der Rechtswiſſenſchaft der Praktiker liche Anlage und die Organiſation dieſes Inſtituts 


Spezialiſt wird. Es gilt dies vornehmlich für das vorzutragen. Ich beabfichtige, mich hierüber ein 
Gebiet des Strafrechts. Kenntniſſe aus den er⸗ anderes Mal in eingehender Weiſe zu äußern. 
wähnten Gebieten der Kriminaliſtik find unum⸗ Ich denke mir im allgemeinen die Sache fo, daß 
gänglich notwendig für den Richter, den Staats⸗ zunäaͤchſt ein derartiges Inſtitut geſchaffen wird. 
anwalt und die Sicherheitsorgane. Es wird wohl Als Lehrkräfte kommen vornehmlich nur Praktiker 
nicht mehr länger davon Umgang genommen in Betracht. Selbſtverſtändlich ſolche, welche die 
werden können, daß man mit der Uebung bricht, Gebiete aus jahrelanger Erfahrung kennen und 
die Richter ausnahmslos abwechslungsweiſe in der ſich auch ſonſt als Lehrer eignen. 
Zivil⸗ und der Strafrechtspflege zu beſchäftigen, Der Beſuch iſt teils ein freiwilliger, teils er⸗ 
und die Verleihung von Staatsanwaltsſtellen nur folgt er auf Grund Zuteilung, militäriſch aus⸗ 
als Durchgangspoſten zu höheren Stellen zu be- gedrückt Abkommandierung. Das Inſtitut unter: 
trachten. Es wird auch notwendig ſein, daß man ſteht der Leitung des Juſtizminiſteriums. Der 
in den größeren Städten, insbeſondere in der Beſuch iſt auch den Rechtspraktikanten geſtattet. 
Haupt⸗ und Reſidenzſtadt, Kriminalabteilungen Ich komme nun zu den Univerfitätsinftituten 
ſchafft, die mit Beamten beſetzt ſind, welche eine für Rechtsanwendung. Ich kann zwar grund⸗ 
gediegene theoretiſche und praktiſche Ausbildung ſätzlich die auf der erwähnten Tagung vorgebrachte 
als Kriminaliſt erhalten haben und ſich ſelbſtver⸗ Behauptung, daß es im Gegenſatz zur Mediziniſchen 
ſtändlich auch zu ihrem immer ſchwieriger werdenden Fakultät an Material für die praktiſche Rechts⸗ 
Beruf eignen und dieſe Befähigung regelmäßig auch anwendung mangle, nicht für zutreffend erachten. 
durch längere Tätigkeit als Staatsanwalt und Ich bin vielmehr der Anſicht, daß gerade bei der 
Unterſuchungsrichter bewieſen haben. Daß der Vor⸗ Rechtswiſſenſchaft die Möglichkeit, das wirkliche 
ſtand einer Staatsanwaltſchaft eine derartige Aus⸗ Leben bei dem Unterricht zu berückſichtigen, mehr 
bildung haben ſollte, iſt jo ſelbſtverſtändlich, daß als bei jedem anderen Lehrgebiet beſteht. Man 
es einer weiteren Begründung nicht bedarf. Auch kann ſicher jede Rechtsmaterie durch geſchickt ge⸗ 
für den Richter wird das Bedürfnis nach Kennt: wählte Beiſpiele aus dem täglichen Leben an: 
niſſen aus den erwahnten Gebieten immer vor: ſchaulich machen und dadurch weſentlich zum Ber: 
dringlicher. Die Zahl derer, die als Beteiligte ſtändnis beitragen. Allerdings wird es viel auf die 
in Frage kommen wird vermehrt durch die Vor- Eigenart des Lehrers ankommen, wie ja überhaupt 
ſtände und Verwaltungsbeamten der Gefangenen-⸗ jeder Unterricht von der Perſönlichkeit des Lehrers 
anſtalten, der bei der Militärſtrafrechtspflege be: getragen wird. 
teiligten Perſonen, Gerichtsherren, Gerichtsoffiziere Immerhin haben die während der theoretiſchen 
und Militärrichter und die Rechtspraktikanten, die Vorleſungen gebrachten Beiſpiele nicht den Lehr⸗ 
aus beſonderer Neigung den Beruf des Krimi- erfolg, wie die praktiſchen Uebungen. Weiter iſt 
naliſten anſtreben. es auch eigentlich nicht möglich, das Prozeßrecht 
Ich glaube daher, daß die Schaffung eines durch Beiſpiele in wirkungsvoller Weiſe zu ver⸗ 
Kriminaliſtiſchen Inſtituts notwendig geworden iſt. anſchaulichen. Endlich gibt es eine Reihe von 
In dieſem Inſtitut wäre auch das Gebiet der Materien, von denen der Student erfahrungs— 
Strafvollſtreckung und der Gefängniskunde als gemäß nur wenig Kenntniſſe von der Hochſchule 
Lehrſtoff in den Lehrplan aufzunehmen. Dieſe mit in die Praxis bringt. Ich denke hierbei z. B. 
Gebiete gewinnen immer mehr an praktiſcher Be: an das Gebiet der Mobiliar- und Immobiliar— 
deutung und erfordern für eine ganz erhebliche zwangsvollſtreckung. 
Zahl von Beteiligten Spezialkenntniſſe, die ſie Um all dieſe Lücken auszufüllen, müßten 
ſich immer erſt, wenn Not an Mann iſt, nicht Univerſitätsinſtitute geſchaffen werden. Diele 
zum Beſten des Geſchäſtsgangs verſchaffen müſſen. denke ich mir nun zum Teil anders als Profeſſor 
Für die Richter, die nicht Staatsanwälte waren, Dr. Sperl. Ich will auch in dieſer Richtung 
iſt das Gebiet der Strafvollſtreckung und des Ge- lediglich den Rahmen einer Skizze einhalten, da 
fängnisweſens ohnehin faſt ausnahmslos unbe- ich beabſichtige, demnächſt in der Zeitſchrift für 
ackertes Gebiet, eine Tatſache, die nach meinen Hochſchulpädagogik mich eingehender über dieſe 
Erfahrungen nicht immer im Intereſſe der Straf: Einrichtungen zu äußern. 


1 — — — — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 435 


Inzwiſchen hatte die 1. Gruppe die Klage 
entworfen, über die dann von der 3. Gruppe 
verhandelt wurde. Ich ſelbſt hatte die Ober⸗ 
leitung und ſtellte auch während dieſer Verhand⸗ 
lung der drei Gruppen durch unvorhergeſehene 
Umgeſtaltung des Prozeßſtoffes, insbeſondere durch 
die Bekanntgabe von neuen Tatſachen und des 
Ergebniſſes der Beweiserhebung vor die Not: 
wendigkeit raſcher Entſchlüſſe. Am Schluſſe habe 
ich nach Art einer militäriſchen Kritik bei einem 
Manöver die juriſtiſche Uebung unter Würdigung 
der Fehler eingehend beſprochen. Die jungen 
Kollegen hatten offenſichtlich große Freude an 
dieſem juriſtiſchen Kampfe. 

Ich denke mir alſo, daß die in dem Inſtitut 
vorhandene Aktenſammlung, die durch Abgabe 
geeigneter Prozeßakten von den Amts-, Land- und 
Oberlandesgerichten ftändig auf dem Laufenden 
gehalten werden müßte — durch einen Regiſtratur⸗ 
vermerk könnte ja der Verbleib der Akten feſt⸗ 
geſtellt werden — in dieſer Weiſe benützt werden ſoll. 

Material könnte auch dadurch beſchafft werden. 
daß man in dieſem Inſtitut eine Rechtsauskunfts⸗ 
ſtelle für unbemittelte Perſonen einrichtet. Es 
ſchwebt mir hier als Vorbild die unentgeltliche 
Behandlung unbemittelter Perſonen in den Uni⸗ 
verſitätskliniken vor. Eine Beeinträchtigung des 


An den von Profeſſor Dr. Sperl vorgeſchlagenen 
Urkunden⸗ und Aktenſammlungen kann grund: 
ſätzlich feſtgehalten werden. Allein, wenn in das 
Inſtitut ein friſches Leben hineinkommen, wenn 
es die praktiſche Rechtsanwendung ſördern und 
den Uebergang von der Theorie zur Praxis er⸗ 
leichtern ſoll, ſo müſſen auch noch andere Vor⸗ | 
kehrungen getroffen werden. | 

Jeder Praktiker weiß, wie wenig lebendig der 
Prozeßſtoff iſt, wenn man mit Urkunden arbeiten 
muß. Ich glaube wohl behaupten zu dürfen, 
daß jeder Praktiker an Prozeßſtoff, der ſich im 
weſentlichen aus Urkundenmaterial zuſammenſetzt, 
mit einer gewiſſen Abneigung herantritt. Man 
denke an umfangreichen Schriftwechſel in Handels⸗ 
ſachen, an lange, ſchablonenmäßige Notariats⸗ 
urkunden und unüberſichtliche Grundbuchsauszüge. 
Noch viel weniger Geſchmack wird der junge 
Student den Urkundenſammlungen abgewinnen, 
wenn auch ihre Bedeutung für Lehrzwecke nicht 
verkannt werden ſoll. 

Der junge Juriſt muß anregenderes Material 
haben. Wie in der Univerſitätsklinik und in dem 
anatomiſchen Inſtitut dem Mediziner das wirk⸗ 
liche Leben vorgeführt wird, ſo muß auch in dem | 
Inſtitut für Rechtsanwendung der Student in 
anregender Weiſe mit dem Rechtsleben be⸗ | 
ſchäftigt werden. ohnehin nicht roſig gebetteten Anwaltſtandes wäre 

Die bayeriſche Juſtizverwaltung, die in aner⸗ wohl dadurch nicht gegeben. Es würden höchſt⸗ 
kennenswerter Weiſe ſich fortgeſetzt mit der Frage | wahrſcheinlich nur ſolche Perſonen von dieſer Ein- 
beſchäftigt, wie der Nachwuchs der Juriſten entſpre⸗ richtung Gebrauch machen, die ohnehin im 
chend ausgebildet werden kann, hat in den neuen Bor: Armenrecht ſtreiten oder in der Regel bei Winkel⸗ 
ſchriften für die Ausbildung der Rechtspraktikanten advokaten, Auskunfteien u. dgl. Rat ſuchen und 
einen wertvollen Wegweiſer gegeben. Sie hat an- hier erfahrungsgemäß ſchlecht, häufig falſch be⸗ 
geordnet, daß in den Pflichtkurſen für Rechts⸗ raten und überdies übervorteilt werden. 
praktikanten der Werdegang eines Prozeſſes praf: Die Einrichtung dieſer Auskunftſtellen denke 
tiſch dargeſtellt werden ſoll. Ich habe ſeinerzeit | ich mir im weſentlichen jo, daß der Rechtſuchende 
um dieſer Vorſchrift zu genügen mir ein Kriegs- fein Anliegen dem Leiter der Rechtsauskunfts— 
ſpiel zum Muſter genommen. Die Kursteil: | ftele in Gegenwart der Schüler vorträgt und 
nehmer wurden in 3 Gruppen geteilt. 2 Gruppen hierbei dieſen Gelegenheit geboten wird, die Sach— 
bildeten je eine Anwaltskanzlei. Die 3. Gruppe lage rechtlich zu beurteilen und unter Kontrolle 
hatte die Rolle des Gerichts und der dabei be: des Leiters den gewünſchten Rat zu erteilen. 
teiligten Perſonen zu ſpielen. Die räumliche Endlich müßte in dieſem Inſtitut den Stu: 
Trennung der 3 Gruppen war möglich. Bei der | denten ſchon bald, nachdem die Vorleſungen über 
1. Gruppe habe ich mich als Partei eingefunden | Zivil⸗ und Strafprozeß begonnen haben, was 
und den Sachverhalt eines intereſſanteren und wohl richtigerweiſe erſt dann geſchehen ſoll, 
ſchwierigeren Rechtsſtreits aus meiner Kammer | wenn fie gründliche Vorkenntniſſe im materiellen 
für Handelsſachen unter abſichtlicher Weglaſſung Rechte haben, Gelegenheit geboten werden, durch 
von weſentlichen Punkten und Beifügung von un- fortgeſetzte Teilnahme als Zuhörer an Verhand— 
weſentlichen Dingen vorgetragen, was erfahrungs- lungen auf Grund des unmittelbaren Eindrucks 
gemäß die Parteien unabſichtlich immer tun. der praktiſchen Geſetzesanwendung ihre Kenntniſſe 
Ich habe dann um Rechtsauskunft gebeten und zu befeſtigen und zu vergrößern. Gerade für das 
den Auftrag gegeben, gegebenen Falles Klage zu Gebiet des Prozeßrechtes iſt ja die praktiſche Vor— 
ſtellen. Es kam hierbei zu äußerſt anregenden führung von hervorragender Wichtigkeit. Die 
Auseinanderſetzungen. Projektion genügt hier nicht. Wie die Durch— 

Alsdann habe ich mich in die Rolle der führung dieſes Gedankens in räumlicher Beziehung 
Gegenpartei zu der 2. Gruppe begeben und habe zu geſtalten wäre, iſt verhältnismäßig von unter: 
mein Anliegen, abſichtlich unklar, vorgetragen und geordneter Bedeutung. Es könnte daran gedacht. 
um Rechtsauskunft über das Schickſal der zu | werden, in den Räumen des Univerſitätsinſtituts 
gewärtigenden Klage gebeten. einen Sitzungsſaal des Amtsgerichts und zwei 


436 


— —— — nn no 


des Landgerichts unterzubringen und dem Amts⸗ 
richter und den Kammern Prozeßſachen mit Auswahl 
zuzuweiſen. Das wäre wohl das Ideal, wenn man 
auch noch die entſprechenden 
würde. Es ſchwebt mir hier der Gedanke von 
Muſterſitzungen vor, lehrreich durch die Materie 
und die Prozeßführung. 

Immerhin laͤßt ſich der angeſtrebte Zweck auch 
dadurch erreichen, daß die im Gerichtsgebäude be⸗ 
findlichen Sitzungsſäle benützt werden und die 


Richter zuteilen 


— geitſchrift far Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


— — — — ! ô — 


Fühlung mit den Rechtspraktikanten ſteht, dafür 
aber auch wirklich in ſeinen Berufsgeſchäſten ent: 
laſtet wird, dann werden die Klagen über die 
mangelhafte Ausbildung der Juriſten immer mehr 
verſtummen. 

Es iſt zu wünſchen, daß die bayeriſche Juſtiz⸗ 
verwaltung, die großzügig und dem Geiſte der 
Neuzeit entſprechend arbeitet, auch auf dem Gebiete 
der Schaffung eines kriminaliſtiſchen Inſtituts 
bahnbrechend wirkt und daß ſie die Notwendigkeit 


Möglichkeit beſteht, daß das Inſtitut von beſonders der Schaffung von Univerſitätsinſtituten für Rechts⸗ 


geeigneten Fällen ſtändig Kenntnis erlangen kann. 


Endlich wären in dem Inſtitut auch Vor⸗ 
leſungen und praktiſche Uebungen aus dem Gebiet 
der Mobiliar⸗ und Immobiliarzwangsvollſtreckung, 
dem formellen Grundbuch- und Regiſterrecht, mit 
Einſicht der Regiſter verbunden, und aus dem 
Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu halten. 
All dieſe Gebiete werden erfahrungsgemäß auf der 
Hochſchule nur ſtiefmütterlich behandelt. In der 
Praxis ſoll ſie der Jünger des Rechts lernen. 
Er findet jedoch hierzu nicht immer eine aus⸗ 
reichende Gelegenheit. 

Dem Inſtitut wird die erforderliche Anzahl 
von Lehrern zugeteilt. Sie ſind aus der Praxis 
zu entnehmen und ſollen der Praxis nicht voll⸗ 
ſtändig entzogen werden. An die Spitze müßte 
ebenfalls ein Praktiker treten, der padagogiſches 
Geſchick und ausreichende wiſſenſchaftliche Befähi⸗ 
gung hat. 


— — — —— ͤ ääf 


— ———— — 


Vorausgeſetzt, daß die Lehrer im 


weſentlichen der Praxis angehören und daß ſie als 


Kollegium bei der Leitung des Inſtituts einen 
maßgebenden Einfluß haben, kann die Leitung 
wohl unbedenklich auch einem Theoretiker über: 
tragen werden. 

Dem Leiter wäre Gelegenheit zu geben, in 
Zwiſchenräumen die Lehreinrichtungen anderer 
Staaten des In- und Auslandes auf Grund eigener 
Anſchauung kennen zu lernen, damit das Inſtitut 
großzügig geleitet werden kann und immer auf 
der Höhe der Zeit ſteht. 

Zweifeln kann man darüber, mit welcher Zeit 
der Beſuch des Inſtituts beginnen ſoll. Zu einer 
endgültigen Anſicht bin ich bis jetzt noch nicht ge: 
kommen. Ich glaube, man ſollte mit dem 4. Jahre 
beginnen und noch ein weiteres 5. Jahr für den 
ausſchließlichen Beſuch des Inſtituts hinzugeben, 
dafür aber die Vorbereitungspraxis, die ohnedies 
nicht richtig ausgenützt wird, um ein Jahr kürzen. 

Gibt man dann in der Praxis dem jungen 
Juriſten noch Gelegenheit ſich bei der Staats— 
anwaltſchaft, bei dem Oberlandesgericht und bei 
der Kreisregierung zu beſchäftigen!) und ſchafft 
man bei den Gerichten die Einrichtung des ſog. 
Reſpiziententums ab und legt die Ausbildung der 
Rechtspraktikanten in die Hände eines erfahrenen 
Richters mit pädagogiſchem Geſchick, der in ſtändiger 


anwendung an der maßgebenden Stelle mit Nach⸗ 
druck betont. 


Etrafrechtliche Fragen 
auf dem VII. Internationalen Kongreß 
für Kriminalanthropologie. 
Von Landgerichtsrat Dr. Kühlewein in München. 


Der Internationale Kongreß für Kriminal⸗ 
anthropologie tritt alle 5 Jahre zuſammen. Mit 
ſeiner 7. Tagung, die in der Zeit vom 9. bis 
13. Oktober in Köln a. Rh. ſtattfand, kam er 
zum erſten Mal nach Deutſchland. Die große 
Bedeutung dieſes Kongreſſes kam ſchon äußerlich 
dadurch zum Ausdruck, daß nicht weniger als 
17 Miniſterien und 22 wiſſenſchaftliche Verbände 
offizielle Vertreter entſandt hatten. 

Durch die großen Umwälzungen auf ſtrafrecht⸗ 
lichem Gebiete, die in Deutſchland, Oeſterreich und 


der Schweiz durch die Entwürfe für eine neue 


— — p — 


| 


} 
1 


Strafgeſetzgebung bereits eingeleitet ſind und in 
Schweden und Dänemark vorbereitet werden, 
wurden die Verhandlungen des Kongreſſes natür: 
lich ſtark beeinflußt. 

Bereits in der erſten Sitzung erſtattete Enrico 
Ferri, Profeſſor des Strafrechtes in Rom, einen 
glänzenden Bericht über die Vorentwürfe des 
Strafgeſetzbuches in Deutſchland, Oeſterreich und 
der Schweiz vom kriminalanthropologiſchen und 
kriminalſoziologiſchen Standpunkte aus. Seine 
Ausführungen gipfelten in dem Nachweis, daß 
dieſe Entwürfe ein Uebergangsſtadium von dem 
alten Syſtem des klaſſiſchen Strafrechtes zu dem 
entgegengeſetzten Syſtem der kriminalanthro— 
pologiſchen und kriminalſoziologiſchen Schule dar— 
ſtellen; er rühmte die Entwürfe als bemerkens— 
werte Beiſpiele geſetzgeberiſcher Klugheit und 
Kühnheit. 

Nach lebhafter Diskuſſion nahm auch der 
Kongreß eine Reſolution an, in der anerkannt 


wurde, daß dieſe geſetzgeberiſchen Leiſtungen „be: 


) Ich habe dieſe Forderung ſchon früher aufgejtellt | 


(fe dieſe Zeitſchriſt Jahrgang 1910 S. 1655 ff.). 


0 
I 


merkenswerte Verſuche einer ſyſtematiſchen An— 
wendung von Sätzen darſtellen, welche die Kriminal— 
Anthropologie und Kriminal-Soziologie für die 
ſoziale Abwehr des Verbrechertums aufgeſtellt hat“ 


Zeitſchrift für Rechtspfiege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


437 


—— — — — — —— nn 


Den wichtigſten Teil der Kongreßverhandlungen 
bildeten wohl die mit Spannung erwarteten Ver⸗ 
handlungen über die 


unbeſtimmte Verurteilung, 


für die der Referent, Profeſſor Dr. Graf Gleis⸗ 
pach⸗Prag, mit Begeiſterung eintrat. Graf 
Gleispach verficht dieſe Reformidee ſeit vielen 
Jahren mit großem Nachdruck und wohl auf ſein 
entſchiedenes Eintreten für dieſes Problem iſt es 
zurückzuführen, daß der VIII. internationale Ge⸗ 
ſängniskongreß, der im Jahre 1910 in Waſhing⸗ 
ton ſtattfand und ſich fünf Tage lang mit dieſer 
Frage beſchäftigte, ſich als erſter Kongreß für die 
unbeſtimmte Verurteilung ausſprach.!) Vorher 
hatten ſich die Internationale kriminaliſtiſche Ver⸗ 
einigung und der 28. Deutſche Juriſtentag gegen 
ſie ausgeſprochen. 

Referent gab zunächſt eine Definition des viel⸗ 
fach nicht richtig erkannten Begriffes der unbe⸗ 
ſtimmten Verurteilung: Sie iſt nicht eine Ver⸗ 
urteilung, die in ihrem Beſtande unbeſtimmt iſt, 
ſondern eine Verurteilung zu etwas Unbeſtimmten, 
eine Verurteilung zu einer Freiheitsſtrafe von 
unbeſtimmter Dauer, oder beſſer: eine unbeſtimmte 
Strafe als ein beſonderer Fall aus der großen 
Gruppe der zeitlich unbeſtimmten Freiheitsent⸗ 
ziehungen, die zum Schutze der Geſellſchaft gegen 
gefährliche Menſchen angewendet werden. Solche 
Freiheitsentziehungen unbeſtimmter Dauer, die es 
ſchon in den früheren Geſetzgebungen gab, ſeien 
im geltenden Recht und vor allem in den neueren 
Entwürfen vielfach anzutreffen, jo bei den Jugend: 
lichen, den geiſtig Minderwertigen, den Arbeit3- 
ſcheuen und den Trunkſüchtigen; auch bei den 
Gewohnheitsverbrechern kenne man, beſonders in 
England und Amerika, die Sicherungshaft von 
unbeſtiuumter Dauer zum Schutze der Geſellſchaft. 
Redner wirft nun die Frage auf, wie man ſich 
in dieſer Hinſicht gegen „normale“ Verbrecher 
zu verhalten habe, d. h. gegen Verbrecher, die 
in keine der genannten Gruppen gehören. Unſere 
Geſetzgebungen kennen hier nur die beſtimmte Ver⸗ 
urteilung im Gegenſatz zu Nordamerika, deſſen 
Verſahren Redner ſchildert. Die „unbeſtimmte 
Strafe“, die im Gegenſatz zu Sicherungsmaßregeln 
von unbeſtimmter Dauer bei uns noch um ihre 
Anerkennung zu ringen habe, ſei auch gegen nor— 
male Verbrecher der richtige Weg. Doch müſſe 
man zwiſchen ihr und Sicherungsmitteln unbe— 
ſtimmter Dauer unterſcheiden; die Sicherungs— 
maßregel ſehe weniger auf den Rechtsbruch, durch 
den Schuldſpruch aber werde der Zuſammenhang 
zwiſchen Schuld und Sühne energiſch betont; die 
Strafe ſei eine ſozialethiſche Mißbilligung, die 


) Siehe „Das Problem der unbeſtimmten Verur— 
teilung auf dem VIII. internationalen Gefängniskongreß“ 
von Dr. Graf Gleispach in der Monatsſchrift für 
Kriminalpſychologie und Strafrechtsreform, 8. Jahrgang 
S. 346 ff. 


ö 


namens des Staats gegen den Schuldigen aus⸗ 
geſprochen werde. Die unbeſtimmte Strafe ſei nun 
im Beſſerungsſyſtem der wichtigſte Beſtandteil, nicht 
nur, weil ſie die verderblichen kurzzeitigen Frei⸗ 
heitsſtrafen verdränge, ſondern auch weil ſie eine 
Reihe wirkſamer Beſſerungsfaktoren ſchaffe und 
dem Verbrecher fein weiteres Schickſal gewiſſer⸗ 
maßen in ſeine eigene Hand gebe; die beſtimmte 
Strafe dagegen eigne ſich nicht als Beſſerungs⸗ 
ſtrafe, weil man im Augenblick der Verurteilung 
unmöglich vorausſehen könne, wie lange der Ver⸗ 
urteilte brauche ſich anzupaſſen, und weil man 
durch die abſolute Feſtſetzung der Strafzeit ſich 
des wichtigſten Grundes zur Herbeiführung der 
Anpaſſung begebe. Man wolle heute nicht mehr, 
daß die Strafe der Ausdruck der Vergeltung der 
Schwere der Tat ſei, man wolle, daß die indivi⸗ 
duellen Momente, m. a. W. der Charakter des 
Täters für die Strafe entſcheidend ſein ſolle. Die 
unbeſtimmte Strafe bedeute keine Erſchütterung, 
ſondern eine Verſtärkung der Wirkſamkeit des 
Strafrechts. Die Freiheitsrechte des Verurteilten 
ſeien durch allgemeine Höchſtmaße und durch die 
Organiſation des Strafvollzugs in Verbindung 
mit der Entlaſſungsbehörde zu ſichern. 

Weſentlich gemäßigter trat der Korreferent, 
Dr. Thyrén, Profeſſor des Strafrechts in Lund, 
an die Frage heran. „Ich bin gegen die un⸗ 
beſtimmte Verurteilung bei dem normalen Ver⸗ 
brecher, im übrigen mag ſie gut ſein“ bemerkte 
er am Schluſſe ſeiner Ausführungen, die von 
folgenden Gedanken getragen waren: 

Der Gedanke, daß die Reaktion gegen die 
Sozialgefährlichkeit analog mit der Krankenpflege 
zu löſen ſei und demnach die Individualiſierung 
bei jener ebenſoweit zu treiben ſei, wie ſie bei 
dieſer zu erſtreben ſei, überſieht vor allem die 
ganz eigenartige Bedeutung der Strafe, die jeden 
Vergleich mit einer mediziniſchen Kur ausſchließt. 
Wollte man die Entſcheidung, ob eine Strafe zu 
verhängen iſt, an beſtimmten Verbrechenstat— 
beſtänden gebunden laſſen, und nur die Frage, 
wie zu beſtrafen iſt, einer freien Individuali⸗ 
ſierung unterwerfen, ſo würde die Gefahr ent⸗ 
ſtehen, daß in einigen Fällen die Strafe über⸗ 
mäßig ausgedehnt und dadurch das Gefühl der 
Rechtsſicherheit verletzt würde, während ſie in 
anderen Fällen ungehörig beſchränkt würde, wo— 
durch nicht nur die Individual-, ſondern auch die 
Generalprävention beeinträchtigt würde. Soll ein 
Unſchädlichmachen auf unbeſtimmte Zeit vor— 
kommen, ſo darf dies nur in beſonderen, vom 
Geſetze genau bezeichneten Ausnahmefällen ge— 
ſchehen, in denen ſich die zeitlich beſtimmte Strafe 
wiederholt als wertlos erwieſen hat und man bei 
der Urteilsfällung mit Sicherheit annehmen kann, 
daß man es mit einem kaum mehr zu beſſernden 
Individuum zu tun hat. 

Aus der überaus lebhaften Diskuſſion ſei 


Folgendes hervorgehoben: 


438 


Dr. Friedmann⸗Budapeſt vertrat folgende 
Theſen: 

Das Prinzip der Unbeſtimmtheit der Urteile 
iſt eine Haupteigenſchaft jener Form der ſtaatlichen 
Repreſſion, die auf dem Schutz der Geſamtheits⸗ 
intereſſen aufgebaut iſt und aueſchließlich die Be⸗ 
kämpfung der ſozialen Mängel in der Perſon des 
Täters zur Aufgabe hat. 

Die Form der ſtaatlichen Repreſſion ſteht zu 
jeder Zeit im engſten Zuſammenhang mit der 
Entwicklungsphaſe der ſtaatlichen, geſellſchaftlichen, 
wirtſchaftlichen und rechtlichen Einrichtungen eines 
jeden Landes. 

Der Begriff der Strafe von beſtimmter Dauer 
kann nicht preisgegeben werden, bis die geſamten 
Einrichtungen eines Landes auf individualiſtiſcher 
Baſis beruhen. 

Vom Prinzip der Unbeſtimmtheit der Urteile 
d. h. vom Syſtem der Präventionsmaßregeln kann 
deſto mehr verwirklicht werden, je mehr in das 
geſamte Rechtsſyſtem eines Landes ſoziale Elemente 
aufgenommen werden. 

Als Endziel der Entwicklung iſt die vollſtändige 
Verwirklichung des Prinzips der unbeſtimmten 
Urteile anzuſehen. 

Bis dahin muß an der Regel feſtgehalten 
werden: Beſtimmte Strafe und unbeſtimmte Maß⸗ 
nahmen. 

Profeſſor Ferri⸗Rom trat entſchieden für 
die unbeſtimmte Verurteilung ein; er führte aus, 
daß die Abmeſſung der Strafe ohne genaue Be⸗ 
rückſichligung ihrer Wirkung im einzelnen Fall 
der ſchematiſchen Verabreichung eines einzigen ſtets 
gleichen Heilmittels ohne Rückſicht auf die ein⸗ 
tretende Wirkung gleiche. 

Proſeſſor Dr. Landsberg -⸗Bonn, ein Ber: 
treter der klaſſiſchen Schule, vertrat unter Ab: 
lehnung der unbeſtimmten Verurteilung mit Nach— 
druck den Gedanken der Proportionalität zwiſchen 
Verbrechen und Strafe. Wenn auch die meta— 
phyſiſche Vergeltungstheorie ſich überlebt habe, ſo 
ſei doch die ſog. ſozialethiſche Verurteilung nur 
eine Nuance der Vergeltungsidee. Die unbegrenzte 
Verurteilung ſei eine Verwechslung von Irrenhaus 
und Zuchthaus, von Medizin und Strafmaßregeln. 

Profeſſor Dr. Aſchaſſenburg-Köln hält 
die unbeſtimmte Verurteilung geboten bei Er— 
wachſenen, bei denen die antiſoziale Geſinnung 
ſich mit einem ſtarkem Willen paare und die Ge— 
meingefährlichkeit außer Frage ſtehe; dieſe gehören 
in Sicherungshaft, bis ſie ihre antiſozialen Triebe 
verloren haben, alſo unter Umſtänden zeitlebens. 
Desgleichen vertrat Oberſtaatsanwalt von Heſſert— 
Darmſtadt den Standpunkt, daß die unbeſtimmte 
Verurteilung für gewerbs- und berufsmäßige Ver: 
brecher am Plaͤtze ſei. 


. Zeicchrift für Rechtspflege in Bayern. 191 


E 


heit für ſolange zu entziehen, als ihre Gemein⸗ 
gefährlichkeit dauert. Die Entlaſſung iſt eine 
bedingte. 


2. Bei Verbrechern, deren Verbrechen auf 
Mangel an ſozialer Anpaſſungsfähigkeit beruhen, 
iſt die abſolut beſtimmte Strafe durch eine un⸗ 
beſtimmte zu erſetzen, die nach dem Progreſſiv⸗ 
Syſteme zu vollziehen iſt. 

Zum Schutze der Freiheit des Verbrechers 
dienen: 


1. Höchſtmaße der Strafe, die von der Ge⸗ 
fährlichkeit der Tat nicht unabhängig ſein müſſen. 


2. Die Zuſammenſetzung der Entlaſſungsbe⸗ 
hörde, in der unabhängige Richter die Mehrzahl 
bilden müſſen. 

Die wenigen Gegner der unbeſtimmten Ver⸗ 
urteilung hatten gegenüber der erdrückenden Majori⸗ 
tät der Freunde einen ſchweren Stand. Man 
wird aber zum mindeſten der Warnung des 
Profeſſors van Hamel -Amſterdam, eines An⸗ 
hängers der unbeſtimmten Verurteilung, vor einem 
zu ſchnellen Vorgehen beipflichten müſſen; van 
Hamel hält es vorerſt für erforderlich, die An⸗ 
ſchauungen und Ergebniſſe der wiſſenſchaftlichen 
Forſchung im Volke zu verbreiten und eine Aende⸗ 
rung der allgemeinen Rechtsanſchauungen zu er⸗ 
zielen. Allein dieſe Forſchungen können wir wohl 
kaum ſchon als vollkommen anſehen. In der 
Begründung des Vorentwurfs zu einem deutſchen 
Strafgeſetzbuch (S. 89 ff.) find die gegen die un⸗ 
beſtimmte Verurteilung ſprechenden Gründe in einer 
wiſſenſchaſtlich ſo gründlichen und überzeugenden 
Weiſe dargelegt, daß ihre Wucht durch die Ver⸗ 
handlungen des Kongreſſes nicht als erſchüttert 
angeſehen werden kann. Auch den in Amerika 
gemachten Erfahrungen darf ein berechtigtes Miß⸗ 
trauen entgegengeſetzt werden; in Amerika gibt 
es keine Statiſtik über die Führung der entlaſſenen 
Verbrecher und Landgerichtspräſident Dr. Enge⸗ 
len-Zutphen (Holland) konnte in der Diskuſſion 
auf Grund feiner eingehenden Studien mitteilen, 
daß ſich in Amerika der Erfolg der unbeſtimmten 
Verurteilung vielſach als ſehr ſchlecht erwieſen habe. 


Ein weites Feld hatte der Kongreß ferner dem 
Schutze der jugendlichen Verbrecher 


eingeräumt. Das Referat hatte der Generaldirektor 
im belgiſchen Juſtizminiſterium Dr. J. Maus 
übernommen. Da er verhindert war am Kon- 
greſſe zu erſcheinen, wurde ſein Referat verleſen. 

Dr. Maus beſaßte ſich zunächſt mit der Be— 
trachtung der Straftaten Jugendlicher. Die durch 
Kinder begangenen Geſetzesverletzungen unterſcheiden 


ſich von denjenigen der Erwachſenen: 


Am Schluſſe wurde folgende Reſolution an: 


genommen: 
1. Vielfach rückfaͤlligen und gewerbsmäßigen 
ſchwer gemeingefährlichen Verbrechern iſt die Frei— 


a) durch die materielle und objektive Grund— 
lage des Verbrechens: die Tragweite der Tat iſt 
weniger wichtig als die Gefahr, ein Kind Gewohn— 
heits- oder Berufsverbrecher werden zu ſehen. Die 
begangene Tat iſt in der Hauptſache das Merkmal 


— {nr 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 439 


einer Situation und für das Geſetz die Veran⸗ Die nichtimbezillen Psychopathen find der 
laſſung zum Eingreifen; N Hauptſache nach Degenerierte. Hyſterie iſt auch 
b) durch die moraliſche und ſubjektive Grund: beim weiblichen Geſchlecht ſelten. Organiſche Er: 
lage des Verbrechens: die perſönliche Verantwort⸗ krankungen des Nervenſyſtems (Fälle von Kinder⸗ 
lichkeit des Kindes iſt weit geringer, als die Be⸗ lähmungen) und Geiſteskrankheiten finden ſich 
einfluſſung durch das Milieu. höchſtens in //. 
‚Dr. Maus will die Frage nach dem Unter: Zur Ermittelung der Pſychopathen find er- 
ſcheidungsvermögen ausgeſchieden wiſſen; fie jet eine forderlich: 
philoſophiſche Frage, die die Aufmerkſamkeit von a) genaue neurologiſch⸗pſychiatriſche Unter⸗ 


den Tatumſtänden und den geeigneten, dem Kinde ſuchung bei der Aufnahme, 

angepaßten Maßnahmen abwende. b) ſyſtematiſche weitere Unterſuchungen in be⸗ 
Dr. Maus erklärt die gewöhnliche Gefängnis: ſtimmten Zwiſchenräumen, 

ſtrafe für entwürdigend und bei Kindern für ver⸗ c) pſychiatriſch geleitete Beobachtungsſtationen 

derblich. Wenn es ſich um Kinder handelt, lautet für die bei einfacher Unterſuchung nicht auf⸗ 

ſein Antrag, ſollen die Zwangsmaßregeln die Form zuklärenden Fälle. 


erzieheriſcher Maßnahmen annehmen. Er verlangt Die Behandlung der Pſychopathen iſt ſo zu 
dabei, daß die verbrecheriſchen Kinder, die dem ver⸗ regeln, daß die Leichtimbezillen und Degenerierten 
derblichen Milieu entzogen werden ſollen, zuerſt eine | ohne unangenehme Charaktereigenſchaften in der 
beſtimmte Zeit in einer Beobachtungsanſtalt unter: Fürſorgeerziehung unter Berückſichtigung ihrer 
gebracht werden, bevor ſie, je nach ihrer Eigenart, Eigenart bleiben und vor der Entlaſſung, wenn 
in beſondere Anſtalten kommen; es ſoll jedoch jo: irgend möglich, entmündigt werden. 

weit als möglich der Familienerziehung der Vorzug Die Pſychopathen (Imbezille und Degenerierte) 
vor der Internierung gegeben werden. mit unangenehmen Charaktereigenſchaften müſſen 
Referent entwickelte ſodann die Anforderungen, in beſonderen Heil und Erziehungsanſtalten für 
die er an ein Jugendgericht ſtellt; fie deckten ſich | nicht geiſteskranke, aber pſy bopathiſche Fürſorge⸗ 
mit den Einrichtungen des Jugendgerichts, wie es be: zöglinge untergebracht werden, in denen der Arzt 
reits ſeit Jahren in Bayern beſteht. Von den Be: einen vorherrſchenden Einfluß haben muß. 
ſtimmungen, die in Belgien eben zur Ausführung Die geiſteskranken Fürſorgezöglinge find in 
kommen, iſt bemerkenswert, daß bei Uebertretungen Irrenanſtalten unterzubringen. 

gegen ein Kind weder Gefängnis- noch Gelb: Pſychopathie bei Fürſorgezöglingen ſchließt deren 
ſtrafen ausgeſprochen werden dürfen, und daß bei Millitärdienſtfähigkeit aus. 

Vergehen die Gefängsnisſtrafe durch Unterbringung Frau Dr. Lombroſo⸗Fererro, die Tochter 
in einer Erziehungsanſtalt erſetzt werden kann, Lombroſos, ſprach über das Probationeſyſtem auf 
wenn das Kind in unzurechnungsfähigem Zuſtand Grund ihrer in Amerika gemachten Beobachtungen. 
gehandelt hat, während anderen Falles dieſe Inter⸗ Sie kam zu dem Er gebnis, daß es bei Jugendlichen 
nierung der Gefängnisſtrafe folgt. Die Erziehungs- ſehr gut wirke, daß es aber bei der Ueberwachung 
anſtalten tragen den Namen Wohltätigkeitsſchule. der Erwachſenen zu denſelben Mißſtänden führe, 
In der regen Diskuſſion wurde beſonders wie die Polizeiaufſicht in Deutſchland. 

von den Profeſſoren Ferri und van Hamel, (Schluß folgt.) 

ſowie dem Vater des preußiſchen Fürſorgegeſetzes 

Geheimrat Dr. Krohne die große Aufgabe be: 

ſprochen, das „verbrecheriſche“ Kind und die ver⸗ 

wilderte Jugend, ſoweit nur immer möglich, dem 


Strafgericht und dem Gefängniſſe fernzuhalten. Gefangene der bayeriſchen Gerichtsgefäng⸗ 

Oberlandesgerichtspräſident Holtgreven-Hamm | gi ; ' iche 

beſprach die zahlreichen Urſachen der Zunahme liſſe als land und forſtwirtſchaftliche 

des Verbrechertums in Deutſchland und 5 Arbeiter. 

vor allem eine energiſche Bekämpfung des Ver⸗ A 

brechertums der Jugend; als ſehr geeignet empfahl er PP 

die Einrichtung beſonderer Jugendfürſorgeausſchüſſe. I. Der Staat beſchäftigt die Gefangenen aus 
Hierauf ſprach Geheimer Medizinalrat Profeſſor einem anderen Grund als der private Unter⸗ 

nehmer die freien Arbeiter. Dieſer ſtrebt in der 


Dr. Cramer⸗Göttingen über die Eigenart und 
Behandlung der Fürſorgezöglinge. Bei der Be- Hauptſache nach einem möͤglichſt großen Gewinn, 
denkt alſo zunächſt an ſich. Jener verfolgt mit 


deutung ſeiner Ausführungen für die freiwillige 

Gerichtsbarkeit und das Jugendgerichtsverfahren [der Beſchäftigung hauptſächlich die Zwecke der 

ſei das Ergebnis ſeiner ſyſtematiſchen Unterſuchungen [Erziehung und der Beſſerung der Gefangenen und 
der Fernehaltung der nachteiligen Folgen, die der 


angefügt: 5 
Von den Fürſorgezöglingen ſind weit über Müßiggang auch für Gefangene mit ſich bringt. 
Dieſer Unterſchied iſt ſchuld daran, daß in den 


50 % pſychopathiſch. g 
Der größte Teil dieſer Pſychopathen iſt imbezill. Gefängniſſen kein beſonderer Wert darauf gelegt 


— — 


— — — — —— ⁴ äUä 


440 


wird, daß möglichſt intenſiv und möglichſt wirt: 
ſchaftlich gearbeitet wird. Auf die Einführung 
techniſcher Neuerungen wird oft bewußt verzichtet; 
die Hauptſache iſt ja, daß überhaupt gearbeitet 
wird. Und dem iſt gut ſo! Denn der Staat 
ſchafft dadurch der privaten Arbeit keine größere 
Konkurrenz als er ihr im Intereſſe ſeiner Ge⸗ 
fangenen notgedrungen ſchaffen muß. 

Wenn dieſe Grundſätze bei der Beſchäftigung 
der Gefangenen in den bayeriſchen Gerichtsgefäng⸗ 
niſſen auch ſtets beobachtet wurden, ſo legten doch 
Beſchwerden, die von Handwerkern und Gewerbe⸗ 
treibenden allerdings nur ganz vereinzelt einge⸗ 
reicht wurden, in Verbindung mit den lebhaften 
Klagen über die Leutenot in der Landwirtſchaft 
der Juſtizverwaltung den Gedanken nahe, Ge⸗ 
fangene der Gerichtsgefängniſſe auf privatem Be⸗ 
ſitze!) mit land» und forſtwirtſchaftlichen Arbeiten 
zu beſchäftigen. Allein die Ausfuͤhrung des Ge⸗ 
dankens ſtieß auf große Schwierigkeiten. 

Zunächſt fehlte es bei den meiſten Gefängniſſen 
an einer paſſenden Arbeitsgelegenheit, 
namlich an dem Vorhandenſein eines in der Nähe 
liegenden größeren Gutes, deſſen Beſitzer imſtande 
und geneigt war, Gefangene als Arbeiter aufzu: 
nehmen und ihnen längere Zeit hindurch Arbeit 
zu bieten. Die Gefangenen müſſen nämlich von 
freien Arbeitern getrennt gehalten und bei der 
Arbeit gleichzeitig und ſtändig überwacht werden 
8 91 Abi. I, 8 95 Abſ. IV HO.). Es geht des: 
halb nicht an, ſie an einzelne kleine Landwirte zu 
verteilen; dieſen wäre übrigens auch nichts damit 
gedient, wenn ſie warten müßten, bis ſie nach⸗ 
einander an die Reihe kommen. Das Verhältnis 
zwiſchen Staat und Arbeitgeber muß durch Ver— 
trag nach verſchiedenen Richtungen (Arbeitszeit, 
Lohn, Verpflegung, Unfallfürſorge [Geſetz vom 
30. Juni 1900] uſw.) ſorgfältig geregelt ſein. 
Die Schließung ſolcher Verträge lohnt ſich nicht, 
wenn die Beſchaftigung der Gefangenen bei einem 
kleinen Landwirt nur einen Tag oder einige Tage 
dauert. Die kleinen Landwirte ſind auch gar nicht 
geneigt dazu! 

Zu dem Mangel an Arbeitsgelegenheit kam 
der Mangel an geeignetem Arbeiter material. 
Als man darnach ſuchte, zeigte es ſich erſt, daß 
ſelbſt in größeren Gefängniſſen oft nur eine ganz 
geringe Zahl von Gefangenen vorhanden war, die 
ſich zu land- und forſtwirtſchaftlichen Arbeiten 
eigneten. Die Unterſuchungsgefangenen ſcheiden 
bei dieſen gemeinſchaftlichen Arbeiten von ſelbſt 
aus (5 92 Abſ. III HO.). In der Zeit, in der 
die Gefangenen den Arbeitgebern zur Verfügung 


1) In den Geſängniſſen, in denen der Regiebetrieb 
eingeführt iſt (München⸗Stadelheim, Nürnberg, Regens— 


burg) werden die zur Zubereitung der Gefangenenkoſt 


erforderlichen Gartenfrüchte (Kartoffeln, Kraut, Rüben 
uſw.) in den zu den Gefängniſſen gehörenden Gärten 
in einem Umfang gebaut, daß der Bedarf in der Regel 
in vollem Umfang gedeckt iſt. 


m— — — — ͤ .6 — B — — —-— ł¹ — 4 —b§ñlñh. —— — ——— — 


Zeitſchrift Für Rechtspflege in für Rechtspflege in Bayern.! in Bayern. 1911. Nr. 22. 


N— ¶ ͤrl. . • —8lVuůäk]ʃ—8P..U.ͤͤĩͤ—FN..+.......—ññ —xꝛñꝛßꝛĩ‚—˖ʒ—o— ä ——ů— 
— — .wU2ä— — üwUdQuꝓäü—xñ-.ñ„ñ„ü-nĩññ!é'! 


geſtellt werden ſollen, ſind in der Regel nur 
wenige Gefangene aus der land: und forſtwirt⸗ 
ſchaftlichen Bevölkerung eingezogen, weil in dieſer 
Zeit Geſuchen um Strafaufſchub aus baͤuerlichen 
Kreiſen ſoweit als möglich entſprochen zu werden 
pflegt. Von den Gefangenen, die geeignet wären, 
ſcheidet wieder eine ganze Reihe aus: die einen, 
weil ſie der Flucht oder der Anbahnung eines 
Verkehrs mit Fremden verdächtig find (8 93 
Abſ. III HO.); die anderen, weil ſie ſich mit den 
Genoſſen nicht vertragen; die anderen, weil ſie arbeits⸗ 
ſcheu ſind und ſich zur Teilnahme entweder nicht 
melden ($ 92 HO.; zur Beſchäftigung außerhalb 
des Gefängniſſes iſt bei Gefängnisſträflingen ihre 
Zuſtimmung nötig), oder weil ſie ſich nach einer 
Beteiligung wieder zu befreien wiſſen. Den Guts⸗ 
beſitzern kann deshalb für beſtimmte Tage eine 
beſtimmte Anzahl von Gefangenen nie garantiert 
werden. Sie können dadurch in unangenehme 
Situationen kommen, wenn ſie z. B. wegen der 
Miete einer Dampfdreſchmaſchine an beſtimmten 
Tagen auf eine beſtimmte Zahl von Gefangenen 
angewieſen ſind. Gegenüber den freien Arbeitern, 
die im eigenen Intereſſe arbeiten, ſteht die Arbeits⸗ 
leiſtung von Gefangenen in der Regel an Quanti⸗ 
tät und Qualität zurück; der Arbeitgeber überlegt 
ſich ihr Engagement deshalb auch dann, wenn er 
für ſie einen geringeren Lohn zu zahlen braucht 
als für freie Arbeiter. 

Dazu kommen noch weitere Schwierigkeiten: 
Wird die Beſchäftigung der Gefangenen mit land⸗ 
und forſtwirtſchaftlichen Arbeiten zu weit aus: 
gedehnt, ſo leiden darunter die im Gefängnis ein⸗ 
geführten Arbeiten. Das ſollte aber unter allen 
Umſtänden vermieden werden, weil dieſe Arbeiten 
doch die wichtigeren ſind und weil es ſonſt ein⸗ 
treten kann, daß nach Ablauf der Erntezeit die 
Beſchäftigung der Gefangenen im Gefängnis große 
Schwierigkeiten bietet. 

Die Notwendigkeit der Beaufſichtigung der 
Gefangenen entzieht dem Gefängnisdienſt eine 
Arbeitskraft oder macht gar die Aufſtellung eines 
Hilfsauſſehers nötig, wodurch erhebliche Koſten ent⸗ 
ſtehen, die ſich nicht immer von dem Ertrag der 
Arbeit decken laſſen. 

Werden die Gefangenen im Freien verpflegt, 
ſo erwächſt dadurch eine große Arbeitslaſt. Denn 
die Verpflegung muß, wenn auch wegen der Schwere 
der Arbeit Vergünſtigungen gewährt werden, doch 
den Vorſchriften der Koſtordnung nach Maßgabe 
des §8 80 HO. entſprechen. Es müſſen alſo ent: 
weder die fertigen Speiſen vom Gefängnis an den 
Arbeitsplatz verbracht oder es müſſen die Speiſen 
vom Gefängnis in rohem Zuſtand mitgenommen 
und an Ort und Stelle zubereitet werden. Kehren 
die Gefangenen zur Mahlzeit in das Gefängnis 
zurück, ſo entſteht ein großer Zeitverluſt. 

Viele Gefangene müſſen beſonders gekleidet 
werden, weil ſie die Strafen in Sonntagskleidern 
antreten. 


II. Trotz dieſer Schwierigkeiten iſt es gelungen, 
bei ſechs Gerichtsgefängniſſen dauernd und bei 
zwei Gerichtsgefängniſſen vorübergehend Gefangene 
auf privatem Beſitze mit land- und forſtwirt⸗ 
ſchaftlichen Arbeiten zu beſchäftigen. Der Anfang 
wurde im Jahre 1907 auf Anregung des StM. 
der Juſtiz bei dem Gerichtsgefängnis in Eichſtätt 
gemacht. Es folgten die Gefängniſſe in Neu⸗ 
burg a. D. (1908), Ansbach (1909), Weiden 
(1909), Regensburg (1909), Landshut (1909), 
Paſſau (1910) und Traunſtein (1910). Bei den 
Gefängniſſen in Neuburg a. D. und Landshut 
mußten die Arbeiten vom Jahre 1910 an wieder 
eingeſtellt werden, weil ſich keine Arbeitsgelegenheit 
mehr bot. Bei den anderen Gefängniſſen werden 
die Arbeiten mit gutem Erfolge fortgeführt. Bei 
dieſen Gefängniſſen waren im Jahre 1911 an 
etwa 600 Tagen etwa 3200) Gefangene beſchäftiat. 
Der Arbeitsertrag beläuft ſich auf etwa 3000 N. 
Für jeden Gefangenen werden von dem Arbeit⸗ 
geber durchſchnittlich 90 J bis 1 . pro Tag ge⸗ 
zahlt; davon erhalt der Gefangene etwa 20 bis 
25 J, der Reſt fließt in die Arbeitsverdienſtkaſſe. 
Unzuträglichkeiten haben ſich nicht ergeben; auch 
wurden keine Klagen von ſolchen Landwirten laut, 
die auf ihrem Beſitze Gefangene nicht beſchäftigten. 
Unfall hat ſich einer ereignet, für den der Arbeit⸗ 
geber der Staatskaſſe jene Auslagen erſetzen muß, 
die ihr auf Grund des Geſetzes betr. die Unſall⸗ 
fürſorge für Gefangene erwachſen (weil die Ge⸗ 
fangenen keine freien Arbeiter ſind, fallen ſie nicht 
unter das Geſetz betr. die land- und forſtwirt⸗ 
ſchaftliche Unfallverſicherung). Der Arbeitgeber 
iſt ſelbſt durch Privatverſicherung gedeckt. 

Soweit die Einführung der Arbeiten dank dem 
Pflichteifer der Gefängnisvorſtände und des Ge— 
fängnisperſonals geglückt iſt, wird die Fortführung 
der Arbeiten von den Gefängnisvorſtaͤnden und 


den Oberſtaatsanwälten befürwortet, weil die Ar: - 


beiten für die Gefangenen von dem größten Nutzen 
ſind und der Geſichtspunkt der Konkurrenz der 
Gefängnisarbeit mit der freien Arbeit mehr als 
bei allen anderen Arbeiten ausſcheidet. Dieſer 
Standpunkt iſt nur zu billigen. Nach § 91 HO. 
können die Oberſtaatsanwälte die Verwendung von 
Gefangenen zu land- und forſtwirtſchaſtlichen Ar⸗ 
beiten geſtatten. Es wäre ſehr zu begrüßen, wenn 
ſie trotz der geſchilderten Schwierigkeiten in die 
Lage kämen, dieſe Erlaubnis bei den oben ge— 
nannten Gefängniſſen noch in recht vielen Jahren 
und außerdem bei vielen neuen Gefängniſſen zu 
erteilen. 


i) Bei dieſer Zahl iſt jeder Gefangene jo oft mit⸗ 
gezählt, als er an verſchiedenen Tagen zur Arbeit an— 
getreten iſt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


| 


441 


Mitteilungen aus der Praxis. 


Zum Auffſichtsrechte des Vorſtandes der Anwalts: 
kammer. Nach 8 49 Ziff. 1 RAO. hat der Vorſtand 
der Anwaltskammer „die Aufſicht über die Erfüllung 
der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten 
zu üben und die ehrengerichtliche Strafgewalt zu hand⸗ 
haben“. Die letztere Tätigkeit regelt ausführlich der 
4. Abſchnitt des Geſetzes, der erſteren gedenkt das 
Geſetz nur noch im 8 58 und in dem zugebörigen 8 97 
Abſ. 1. Der erwähnte 8 58 gibt dem AKV. gewiſſe 
Handhaben, um die nötigen Unterlagen für die Aus⸗ 
übung des Auſſichtsrechts zu gewinnen, dagegen ſchweigt 
das Geſetz völlig über die Art und Weiſe der materiellen 
Betätigung des Aufſichtsrechts. Daß ſie in der Rüge 
oder Mißbilligung mangelnder Pflichterfüllung be⸗ 
ſtehen kann, iſt zwar immer noch nicht ganz unbe⸗ 
ſtritten,) aber doch faſt allgemein anerkannt.“ Weiter⸗ 
gehende Maßnahmen ſtehen dem AKV. dagegen nach 
geltendem Rechte kraft des Aufſichtsrechtes nicht zu, 
wenn auch die Mißachtung ergangener Rügen zum 
ehrengerichtlichen Einſchreiten führen kann. 

Dieſe Rechtslage wird in der Praxis mit Grund 
als abänderungsbedürftig empfunden. Es iſt nicht zu 
verkennen, daß der Ausſpruch von Rügen oder Miß⸗ 
billigungen nur ſelten geeignet iſt, auf das Pflicht⸗ 
bewußtſein der Kammermitglieder in genügend nach⸗ 
drücklicher Weiſe zu wirken. Von einem ehrengericht⸗ 
lichen Verfahren läßt ſich ferner ein Erfolg meiſt nur 
dann verſprechen, wenn mehrfach die im Aufſichtswege 
erlaſſenen Beſchlüſſe nicht beachtet wurden. 

Auch vom Standpunkte der Mitglieder aus iſt 
die Ausgeſtaltung des Aufſichtsrechts des AKV. nicht 
bedenkenfrei. Die RAO. gewährleiſtet den Mitgliedern 
kein Recht auf Gehör und verſagt ihnen“) jede materielle 
Anſechtung des Mißbilligungsbeſchluſſes. Das iſt in 
der Praxis ſchon oft ſchwer empfunden worden und 
bedeutet eine Härte, die um ſo ungerechter iſt, als es 
ſich doch hier gerade um die leichteſten Verfehlungen 
handelt. 

Erwägt man, welche neuen Machtmittel dem AKV. 
zur Verfügung zu ſtellen ſind, ſo dürfte neben der 
geſetzlich zu ſanktionierenden Mißbilligung die Geld⸗ 
ſtrafe am beſten zur Verwendung geeignet ſein. Sie 
hat ſchon jetzt in der RAO. neben der Funktion als 
ehrengerichtliche Strafe diejenige eines Zwangsmittels 
(8 58) und zwar auch bei Ausübung des Aufſichtsrechts. 
Wird der AKV. ermächtigt, kraft des Auſſichtsrechts, 
auch abgeſehen von den Fällen des 8 58, eine Geld⸗ 
ſtrafe feſtzuſetzen, ſo iſt das nur eine ſachgemäße Aus⸗ 
geſtaltung ſeiner Befugniſſe. Die Geldſtrafe mag zum 
Unterſchiede von den ehrengerichtlichen Strafen als 
Ordnungsſtrafe bezeichnet werden. Ihr Höchſtmaß 
könnte man im Einklang mit § 58 Abſ. 2 RAD. auf 
300 M bemeſſen. 

Zum Schutze der Kammermitglieder empfiehlt ſich 
die Beſtimmung, daß der AKV. vor dem Ausſpruch 
einer Mißbilligung oder der Verhängung einer Ord- 
nungsſtrafe dem Mitgliede Gelegenheit zur Aeußerung 
zu geben hat. Für die Anfechtung der Aufſichtsmaß— 
regeln kommt entweder eine Beſchwerde oder das Recht 

1) Vgl. AKJahr B. 11, 7 (Beſchluß des OLG. Ham⸗ 
burg aus dem Jahre 1909). 

2) Friedländer, RAO. Anm. 11 zu § 49. 

) Vgl. Friedländer, RAO. Anm. 12 zu 8 49. 


442 


auf Einleitung des ehrengerichtlichen Verfahrens in 
Frage. 

Das letztgedachte Recht den Mitgliedern zu geben 
halte ich nicht für empfehlenswert. Sollte das ehren⸗ 
gerichtliche Verfahren nur dazu beſtimmt ſein nach⸗ 
zuprüfen, ob eine Aufſichtsmaßregel angezeigt iſt, ſo 


träte zu den beiden Formen des ehrengerichtlichen Ver⸗ 


fahrens, welche die RAO. bereits kennt, nämlich zu 
dem ehrengerichtlichen Strafverfahren und dem ehren⸗ 
gerichtlichen Zulaſſungsverfahren, eine dritte Form, 
das ehrengerichtliche Aufſichtsverfahren. Das wäre 
an ſich nicht wünſchenswert, und jedenfalls wäre für 
den erſtrebten Zweck der Apparat zu umſtändlich. Be⸗ 
ſchränkte man das ehrengerichtliche Verfahren nicht 
in der gedachten Weiſe, ſo müßte dem Ehrengerichte 
ſowohl das Recht zuſtehen, eine Aufſichtsmaßregel als 
genügend anzuſehen, als auch die Macht gegeben ſein, 
den Vorfall für ehrengerichtlich ſtrafbar zu erachten 
und demgemäß eine ehrengerichtliche Strafe zu ver⸗ 
hängen. Damit hätten wir entgegen den Grundſätzen 
des geltenden Rechts ein ehrengerichtliches Straf⸗ 
verfahren ohne Klage der Staatsanwaltſchaft. Es 
würde ſich weiter dann wohl nicht vermeiden laſſen, 
dem Beſchluſſe des AK., der eine Aufſichtsmaßregel 
verhängt, konſumierende Wirkung hinſichtlich des von 
ihm betroffenen Vorfalls auch inſoweit einzuräumen, 
als dieſer eine ehrengerichtliche Ahndung ermöglicht. 
Hierbei einen Unterſchied zu machen, ob der AKV. 
auf Ordnungsſtrafe oder auf Mißbilligung erkannt 
hat. wäre ſchwerlich gerechtfertigt. Jene konſumierende 
Wirkung den Auſſichtsmaßregeln einzuräumen, er⸗ 
ſcheint aber doch höchſt bedenklich, vielmehr verdient 
die Verneinung ſolcher Wirkung im geltenden Rechte 
und die in ihm durchgeführte reinliche Scheidung von 
Aufſichts⸗ und ehrengerichtlicher Tätigkeit“) unbedingt 
aufrechterhalten zu werden. Befürworten läßt ſich 
lediglich die Beſtimmung, daß. wenn der Vorfall, 
wegen deſſen eine Aufſichtsmaßregel ergangen iſt, 
ſpäter Gegenſtand eines ehrengerichtlichen Strafver— 
fahrens wird, in dieſem auf die erlaſſene Auſſichts⸗ 
maßregel bei Bemeſſung der Strafe Rückſicht zu 
nehmen iſt. 


; | 
Wohl geeignet als Mittel zur Anfechtung der richtskoſten gezahlt hat; denn auch wenn dies nicht 


Aufſichtsmaßregeln iſt dagegen eine Beſchwerde. Schon 
der 10. deutſche Anwaltstag hatte die Gewährung 
einer ſolchen befürwortet und als Beſchwerdeinſtanz 
den EGH. in Vorſchlag gebracht.“) Dem iſt durchaus 
beizutreten. Dieſe Beſchwerde an eine Friſt, etwa an 
eine ſolche von zwei Wochen ſeit der Bekanntmachung 
des Beſchluſſes, zu binden, entſpricht wohl dem Intereſſe 
an wirkſamer Handhabung des Auſſichtsrechts. Nach 
den Beſchlüſſen des 10. deutſchen Anwaltstages ſollte 
der EGH. ſtets auf Grund mündlicher Verhandlung 
entſcheiden.) Es dürfte indeſſen genügen, dem Be: 
ſchwerdeführer das Recht auf Gehör zu geben und 
nur für den Fall, daß der EGH. davon abſieht das 
Mitglied ſich mündlich äußern zu laſſen, dafür zu 
ſorgen, daß dieſes vor ſeiner Anbörung über den ge— 
ſamten Akteninhalt unterrichtet iſt. 

Es würde ſich nach dem Geſagten die Einſügung 
etwa folgender Beſtimmungen empfehlen: 


—— 


in Bayern. 


— — e—— — — 
— — . [—:—ͤ— ———ů—ů—ß̃·ĩ ͥͤa—.——ß—ß5r¼XQꝗ; ]ſ!ç]ᷣꝑᷓ—ü2—ͤ—ͤñß3ßö5ð—8— — . iͤÄFALññꝛ———' 


1911. Nr. 22. 


8 49a. Auf Grund des Aufſichtsrechts (8 49 
Abſ. 1 Ziff. 1) kann der Vorſtand den Kammer⸗ 
mitgliedern ſeine Mißbilligung ausſprechen, auch 
gegen ſie Ordnungsſtrafen von einer bis zu drei⸗ 
hundert Mark feſtſetzen. Dem Mitgliede iſt vor⸗ 
her Gelegenheit zur Aeußerung zu geben. 

Gegen den Ausſpruch der Mißbilligung oder 
die Verhängung der Ordnungsſtrafe ſteht dem Mit⸗ 
aliede binnen zwei Wochen von der Mitteilung des 
Beſchluſſes die Beſchwerde zu. 

Ueber die Beſchwerde entſcheidet der Ehren⸗ 
gerichtshof nach Anhörung des Beſchwerdeführers. 
Wird dieſem nicht Gelegenheit zur mündlichen Aeuß⸗⸗ 
rung gegeben, ſo ſind ihm vor ſeiner Anhörung die 
Akten des Vorſtandes der Anwaltskammer zur Ein- 
ſicht offen zu legen. Das gleiche gilt von den durch 
die Ermittelungen des Ehrengerichtshofs entitan- 
denen Schriftſtücken. 

Bildet ein Vorfall, wegen deſſen rechtskräftig 
auf eine Mißbilligung oder auf eine Ordnungs⸗ 
ſtrafe erkannt iſt, den Gegenſtand eines ehrengericht⸗ 
lichen Verfahrens, ſo iſt bei Bemeſſung der Straſe 
auf die Aufſichtsmaßregel Rückſicht zu nehmen. 

Im 8 97 Abſ. 1 wäre hinter 63 zu ſetzen: ‚49a. 


Landgerichtsrat Dr. Friedländer in Limburg a. L. 


ſtoſtenurteil bei Zurücknahme der Klage. Ein eigen: 
artiges Problem, das bis jetzt weder in der Theorie 
noch in der Praxis erörtert wurde, das aber von 
weittragender Bedeutung it, birgt der 8 271 Ill 
ZPO. Nach dieſer Beſtimmung iſt der die Klage 
zurücknehmende Kläger auf Antrag des Beklagten in 
die Koſten des Verfahrens zu verurteilen. Sind jedoch 
bereits die Koſten bezahlt, ſo ſteht dem Beklagten 
dieſes Recht nicht zu. Denn die Verpflichtung des 
Klägers iſt gemäß $ 362 BGB. erloſchen, und ein 
ſolches Koſtenurteil würde bewußt etwas Falſches aus⸗ 
ſprechen: Der Kläger iſt nicht, ſondern er war ver: 


pflichtet, die Koſten des Rechtsſtreits zu tragen. — 


Unerheblich iſt hierbei, ob der Kläger bereits die Ge— 


der Fall iſt, ſo hat der Beklagte doch keinerlei In⸗ 


tereſſe daran, daß dieſe Verpflichtung des Klägers 
durch Urteil ausgeſprochen wird, zumal da der Ge: 


richtsſchreiber auch ohne Urteil auf Grund der bloßen 
Zurücknahme der Klage die Koſten beizutreiben befugt 
iſt. Die Beſtimmung, daß der Beklagte berechtigt iſt, 
die Verpflichtung des Klägers urteilsmäßig ausſprechen 
zu laſſen, iſt lediglich im Intereſſe des Beklagten ge— 
geben, um ihm einen vollſtreckbaren Titel zu verſchaffen, 


dieſes Intereſſe fallt aber weg, wenn die Koſten ge⸗ 


zahlt ſind. ! 
Auf dieſem Standpunkt ſteht jetzt faſt einhellig die 


Praxis (vgl. RG. in Gruchots Beitr. 44, 1189: Rſpr. 17, 


) Friedländer. RAO. Anm. 9 zu § 49 und neuer 


dings EH. 13, 90 (16. 11. 07). 
1) Friedländer, RAO. Anm. 7 zu $ 63. 
) JW. 87, 307. 
Ja. a. O. 


149; 13, 113; 19, 97, 98: 20, 316: Collard in Bay 3fR. 
J, 290). Wenn demgegenüber Gaupp-Stein (Bem. zu 
8 271: vgl. auch Oegg in Bay ZR. J, 280) unter Be: 
rufung auf die Reichsgerichtsentſcheidung in JW. 


1) Anders in der Berufungs- und Reviſionsinſtanz, 
da hier der Beklagte den Gegner durch Urteil des 
Rechtsmittels für verluſtig erklären laſſen kann; hier 
muß demnach eine Koſtenentſcheidung getroffen werden. 


(SS 515 III, 566 3 O.) 


— —— m nn k— 
— — . ———— ——— 


1893, 19 aus Rſpr. 17, 148 der Meinung iſt daß der 
Beklagte in jedem Falle das Roitenurteil verlangen 
könne, ſo überſieht er, daß dadurch der Kläger in eine 
ſehr ſchwierige Lage gebracht wird. Denn der Be⸗ 
klagte könnte dann auf Grund des Urteils die Feſt⸗ 
ſetzung der Koſten betreiben, ohne daß im Koſten⸗ 
feſtſetzungsverfahren der Einwand der Zahlung zu⸗ 
läſſig wäre (Gaupp⸗Stein Bem. III, 7 zu 8 105) und 
auf Grund des Feſiſetzungsbeſchluſſes die Zwangs⸗ 
vollſtreckung betreiben. Auf 8 767 ZPO. könnte der 
Kläger eine Einwandsklage nicht ſtützen, da die Tat⸗ 
ſache der Zahlung vor dem Schluß der mündlichen 
Verhandlung liegt, und es käme höchſtens eine analoge 
Anwendung der Beſtimmung inſofern in Frage, als 
der Einwand an ſich zwar vor dem maßgebenden 
Zeitpunkt entſtanden war, aber (aus formell prozeſſu⸗ 
alen Gründen) nicht geltend gemacht werden konnte. 
Aber auch dann wäre der Kläger in auffälliger Weiſe 
benachteiligt, da er auf dieſe Weiſe mit ſeiner Forde⸗ 
rung in das Nachverfahren verwieſen wird, was dem 
Grundſatz des 8 278 I 3 8. widerſpräche. Die 
Koſtenpflicht iſt nicht in dem Sinne abſtrakt, daß ſie 
ohne Rückſicht auf die Tilgung der Koſtenforderung 
in jedem Falle auf Antrag des Beklagten durch Urteil 
u werden müßte. 

Der ſo gewonnene Grundſatz muß in gleicher 
Weiſe Anwendung finden, wenn die Koſtenforderung 
nicht bar ſondern durch Aufrechnung getilgt wird; 
denn Aufrechnung wirkt unterſchiedslos wie Zahlung 
(S 389 BGB.). Die materiellen Vorausſetzungen müſſen 
freilich gegeben ſein, werden jedoch auch in der Regel 
vorliegen. So muß insbeſondere die Koſtenforderung 
enſtanden, und — wenn auch nicht fällig — ſo doch 
tilgbar ſein (S 387). Die durch Erlaß des Koſten⸗ 
urteils ſelbſt entſtehende Forderung des Prozeßbevoll⸗ 
mächtigten des Beklagten an dieſen und ſomit des Be⸗ 
klagten an den Kläger kann natürlich nicht in Frage 
kommen, da die Notwendigkeit dieſes Urteils wegfällt, 
wenn die vor der mündlichen Verhandlung entſtan— 
‚denen Koſten getilgt find. Verlangt dann der Be⸗ 
klagte trotzdem das Koſtenurteil, fo müßte dieſer An⸗ 
trag zurückgewieſen werden und der Beklagte zur 
Tragung der durch dieſe Entſcheidung entſtandenen 
Koſten verurteilt werden, eben weil ſein Begehren 
ungerechtfertigt war. Man wende dagegen nicht ein, 
daß ja auch in einem Verfahren, das einem in der 
Hauptſache entſcheidenden Urteil vorausgeht, der Kläger 
oder der Beklagte erklären könnte, daß er den Gegner 
hinſichtlich ſeines etwaigen Koſtenanſpruchs befriedigt 
habe. Denn hier entſteht der Koſtenanſpruch erſt mit 
Erlaſſung des Urteils und kann alſo auch nicht vorher 
getilgt werden, und weiter iſt nach $ 308 II über den 
Koſtenpunkt von Amts wegen zu erkennen. 

Wie iſt nun aber zu verfahren, wenn der Beklagte 
die Tilgung — ſei es Zahlung, ſei es Aufrechnung — 
der Koſtenſchuld beſtreitet? Dieſe Frage iſt in der 
Rechtſprechung bisher noch nicht erörtert worden, viel— 
mehr betreffen die hierüber ergangenen Entſcheidungen 
(ſ. o.) nur den Fall, daß die Höhe der Koſten beſtritten 
war, während es ſich hier um die Koſtenpflicht ſelbſt, 
alſo gewiſſermaßen den Grund des Anſpruchs, handelt. 
Muß in einem ſolchen Falle das Gericht im 9 
verfahren die Berechtigung der von dem Vella 
gegen die Tilgung vorgebrachten Einwendungen nach— 
prüfen? Gegen die Annahme einer ſolchen Prüfungs— 


Zeitſchrift für me won in Bayern. 1911. ma 73 44 1911. Nr. 22. 


443 


der Prozeß auf die Koſtenfrage beſchränken und das 
Gericht nicht genötigt ſein ſoll, in langwierige Be⸗ 
weisaufnahmen einzutreten; dies um jo mehr, als das 
ganze „Nachverfahren“ von dem Willen des Beklagten 
getragen wird, auf deſſen Antrag erſt die Verhand⸗ 
lung ſtattfindet. Dieſer Gedanke hat aber nirgends 
geſetzliche Sanktion gefunden; auch würde eine ſolche 
Abſchneidung der Einwendungen des Klägers mit dem 
Grundſatz des 8 278 I 3PO. in auffälliger Weiſe in 
Widerſpruch ſtehen, und der Richter würde bewußt 
ein möglicherweiſe falſches Urteil ausſprechen, obwohl 
er die Klärung des Sachverhaltes in der Hand hätte. 
Es kommt noch hinzu, daß der Beklagte trotz tatſäch⸗ 
licher Tilgung durch ein kategoriſches: „ich beſtreite“ 
in frivoler Weiſe ein Koſtenurteil erzielen könnte! 

Nimmt man aber demnach an, daß die Frage der 
Koſtentilgung vom Gericht entſchieden werden muß, ſo 
iſt es andererſeits ein Gebot der Konſequenz, dem 
Kläger auch zu geſtatten, ſich auf die Aufrechnung der 
Koſtenforderung mit der Klageforderung ſelbſt zu be⸗ 
rufen. Denn da die Wirkung der Rechtshängigkeit durch 
die Zurücknahme der Klage mit Wirkung ex tune er- 
loſchen iſt, ſo muß ſie für das noch ſchwebende Pro⸗ 
zeßverfahren für ebenſo fremd angeſehen werden wie 
jede andere beliebige Forderung, mit der — wie wir 
ſahen — dem Kläger aufzurechnen geſtattet iſt. Daß 
die Forderung vielleicht anderweit anhängig gemacht 
worden iſt, hindert nicht die Zuläſſigkeit der Aufrech⸗ 
nung, da die Einrede der Rechtshängigkeit keine Ein⸗ 
rede im Sinne des 8 390 BGB. iſt. 

Da nun der Beklagte regelmäßig das Beſtehen 
der zur Aufrechnung geſtellten Forderung beſtreiten 
wird, ſo iſt der Richter genötigt, ihr Beſtehen zu 
prüfen; es wird alſo der ganze Prozeß aufgerollt, 
deſſen Verhandlung durch die Zurücknahme der Klage 
vermieden werden ſollte. Dieſes Ergebnis erſcheint 
auf den erſten Augenblick befremdlich. Jedoch iſt zu 
beachten, daß ja die Verhandlung des Rechtsſtreits 
unter einem ganz anderen Geſichtspunkt ſtattfindet 
und daß in dem ähnlich liegenden Fall der „Erledi⸗ 
gung des Rechtsſtreits in der Hauptſache“ ebenfalls 
der erledigte Streit der Parteien des Koſtenpunktes 
wegen entſchieden werden muß. 

Wenn nun — und dadurch wird die Frage weiter 
verwickelt — der Kläger, der beiſpielsweiſe bei dem 
unzuſtändigen Gericht geklagt hat, bei dem zu⸗ 
ſtändigen Gericht den Anſpruch klageweiſe geltend 
macht, ſo beſteht allerdings die Möglichkeit, daß über 
den Anſpruch zweimal entſchieden wird. Hier aber 
wird man dem Gericht, bei dem die Forderung auf— 
rechnungsweiſe geltend gemacht wird, die Befugnis zu— 
ſprechen müſſen, das Verfahren bis zur Erledigung 
des anderen Prozeſſes gemäß 8 148 ZPO. auszu⸗ 
ſetzen. Zwar hat das Reichsgericht mehrfach (JW. 
1896, 355; Seuff Arch. 49 Nr. 203; IW. 1894, 
61) ausgeſprochen, daß die zur Anwendbarkeit des 
8148 ZPO erforderliche „Präjudizialität“ nicht gegeben 
ſei, wenn eine aufgerechnete Forderung anderweit an— 
hängig gemacht werde. Mit Recht weiſen jedoch dem- 
gegenüber Gaupp⸗Stein und Seuffert darauf hin, daß 
in einem ſolchen Falle Identität der Anſprüche vor— 
liegt und daß dann erſt recht die Ausſetzungsbefugnis 
gegeben fein muß (vgl. auch OLG. Hamburg in 
Seuff Arch. 50, 220; Dresden in Sächs OLG. 
23, 545). Denn Zweck der Beſtimmung des 8 148 


pflicht ſpricht allerdings die prozeßökonomiſche Er— | ift es, widerſprechende Entſcheidungen nach Möglich— 


wägung, daß ſich nach der Zurücknahme der Klage | keit zu vermeiden. 


Auf dieſe Weiſe wird auch das 


444 


—— 


unbillig erſcheinende Ergebnis vermieden, daß über 
denſelben Gegenſtand zweimal ver handelt wird, und 
es iſt nicht nötig, näher darauf einzugehen, inwieweit 
vom Standpunkt der gegenteiligen Auffaſſung aus die 
eine Entſcheidung auf die andere die Wirkungen der 
materiellen Rechtskraft ausübt. 


Gerichtsaſſeſſor Dr. Pfeiffer in Breslau. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I 


Voransſetzungen für die Rehtmähigteit der Hinter: 
leaung (8 372 BGB.). Zum Begriffe der Auslobung (8 657 
BGB.). Aus den Gründen: Die Beklagte gab in 
vierteljährlichen Abſchnitten Verzeichniſſe ihrer verkaufs⸗ 
fertigen Grundſtücke heraus, auf denen bemerkt war, daß 
ſie Agenten, durch deren Vermittlung Kaufverträge über 
ſolche Grundſtücke zuſtandekämen, unter gewiſſen Be— 
dingungen nach Auflaſſung der Grundſtücke eine Pro— 
viſion von 1% des Kaufpreiſes gewähre. Eines dieſer 
Grundſtücke wurde am 25. Juni 1909 um 2500 000 M 
verkauft und am 26. Juni 1909 aufgelaſſen. Als Ver: 
mittler hatten ſich um den Verkauf anfangs der Kauf— 
mann M., ſpäter der Kaufmann F. bemüht. Der letztere 
hatte ſeinen Proviſionsanſpruch ſchon am 23. April 
1909 an die Klägerin abgetreten. Da ſowohl M. als 
die Klägerin 1% Proviſion verlangten, hinterlegte 
die Beklagte 25000 M (d. h. 1% des Kaufpreiſes) unter 
Verzicht auf das Recht zur Rücknahme und mit der 
Begründung, daß ſie ſich gegen eine Doppelzahlung 
ſchützen wolle. Die Klägerin beſtreitet die Rechtmäßig— 
keit der Hinterlegung und verlangt Zahlung. Das 
OLG. verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 25 000 M 
nebſt 5% Zinfen vom 8. Juli 1909 gegen Einwilligung 
der Klägerin in die Herausgabe der hinterlegten Summe. 
Das Berufungsgericht führt aus, die Beklagte wäre 
zur Hinterlegung nur dann berechtigt geweſen, wenn 
ſie die Proviſion von 1% nur einmal zu bezahlen 
gehabt hätte, und verneint die Rechtmäßigkeit der 
Hinterlegung, weil M. und F. ſelbſtändige Aufträge 
zur Vermittlung erhalten, ihre Tätigkeit auch unab— 
hängig voneinander ausgeübt hätten und infolge— 
deſſen auch in ihren Proviſionsanſprüchen voneinander 
unabhängig ſeien. Ein Rechtsirrtum iſt darin nicht 
zu finden. Soll der Schuldner durch die Hinterlegung 
von ſeiner Verbindlichkeit nach 8 378 BGB. befreit 
werden, ſo muß die Hinterlegung berechtigt geweſen 
fein. Nach § 372 Satz 2 BGB. kann der Schuldner 
u. a. hinterlegen, wenn er infolge einer nicht auf 
Fahrläſſigkeit beruhenden Ungewißheit über die Perſon 
des Gläubigers ſeine Verbindlichkeit nicht oder nicht 
mit Sicherheit erfüllen kann. Vorausgeſetzt iſt alſo, 
daß es ſich um eine und dieſelbe Forderung handelt 
und nur über die Perſon des Gläubigers Ungewißheit 
beſteht. Dies iſt aber hier nicht der Fall. Um eine 
Auslobung nach 8 657 BGB. handelt es ſich nicht. 
Sie würde eine öffentliche Bekanntmachung und den 
Willen vorausſetzen, ſich ſchon durch die Bekannt— 
machung jedem zu verpflichten, der die Bedingungen 
erfüllt. Daß eine öffentliche Bekanntmachung erfolgt 
ſei, war weder behauptet noch auch nur angedeutet 
worden. Ferner iſt auch nicht anzunehmen, daß die 
Beklagte Schon mit der Bekanntgabe ihrer Bedingungen 
ſich binden wollte. Die Bedingungen konnten daher 
nur als Grundlage für den Abſchluß von Mäkler— 
verträgen nach 8 652 ff. BGB. dienen, und ein ſolcher 
iſt zwiſchen der Beklagten und F., wenn nicht ſchon 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


durch die Ueberreichung des Grundſtücksverzeichniſſes, 
ſo doch mindeſtens dadurch geſchloſſen worden, daß 
F. auf Grund der ihm bekanntgegebenen Bedingungen 
als Vermittler tätig wurde und die Beklagte dieſe 
Vermittlertätigkeit entgegennahm. Dem OL. iſt aber 
auch darin beizuſtimmen, daß die Proviſionsanſprüche 
des M. und des F. voneinander unabhängig ſind. Ein 
Abhängigkeitsverhältnis könnte nur beſtehen, wenn 
die beiden einen Vermittlungsauftrag gemeinſchaftlich 
übernommen oder gemeinſchaftlich ausgeführt hätten. 
Das OLG. ſtellt aber feſt, daß M. und F. Ver mitt⸗ 
lungsaufträge ſelbſtändig entgegengenommen und felb- 
ſtändig ausgeführt haben. Da die vermittelnde Tätig⸗ 
keit des F. zum Zuſtandekommen des Kaufvertrags 
mitgewirkt hat, ſo hatte F. die Proviſion von 1% 
für ſich ohne Rückſicht darauf zu beanſpruchen, ob 
etwa daneben auch M. einen Proviſionsanſpruch hatte. 


Handelt es ſich aber um zwei ſelbſtändige Forderungen. 


— —— — — —— — — — 


— K . —— — 


nicht um eine und dieſelbe Forderung, ſo war der 
Beklagte zur Hinterlegung nach 8 372 BGB. auch 
dann nicht berechtigt, wenn er irrtümlich und ohne 
Fahrläſſigkeit der Meinung war, er brauche nur ein» 
mal die Proviſion zu bezahlen. (Urt. des III. 33. 


vom 8. Juli 1911, III 462/10). — — —ı. 
2417 


II. 

Verpflichtung des Gläubigers zur Erteilung einer 
Dnittung. Kaum er nach der Zahlung die Erteilung 
deshalb verweigern, weil er noch andere Fates de. 
hat, die auf dem nämlichen rechtlichen Berhältniſſe be: 
ruhen? Aus den Gründen: Der Kläger hat von 
der Beklagten ein Gaſtwirtſchaftsgrundſtück gekauft 
und ſich verpflichtet, ſeinen Bierbedarf von der Be— 
klagten zu übernehmen. Im Dezember 1906 kündigte 
die Beklagte dem Kläger eine Hypothekenſorderung 
von 13000 M, die dieſer bei dem Kaufe des Grund— 
ſtücks übernommen hatte; ſie klagte die Forderung 
ein und erlangte die Verurteilung des Klägers zur 
Zahlung von 13000 M. Der Kläger bot der Be: 
klagten die Zahlung der Urteilsſumme an, die Be 
klagte weigerte ſich aber, die vom Kläger geforderte 
Bewilligung zur Löſchung der Hypothek zu erteilen, 
wenn der Kläger ihr nicht zugleich den Schaden er— 
ſetze, der ihr infolge des Verzuges des Klägers mit 
der Rückzahlung des Hyvpothekenkapitals durch die 
Notwendigkeit entſtanden ſei, dieſe Summe anderweit 
gegen höhere Zinſen zu entleihen, und er ferner die 
von ihr erhobenen Anſprüche wegen Zuwiderhandelns 
gegen die Bierbezugspflicht und eine weitere aus dem 
Vertragsverhältnis ihr angeblich erwachſene N 
befriedige. Da der Kläger ſich weigerte, führte die 
Beklagte die Einleitung des Zwangsverſteigerungs— 
verfahrens herbei. Der Kläger hinterlegte nun die 
13000 M nebſt Zinſen und einem Koſtenbetrage, und 
erhob Klage mit dem Antrage, die Zwangsvollſtreckung 
für unzuläſſig zu erklären und die Beklagte zu ver— 
urteilen, daß ſie die Löſchung der Hypothek bewillige 
und ihm den Schaden erſetze, der ihm durch die Ver— 
weigerung der Annahme der 13000 M und durch die 
Beſchlagnahme ſeines Grundſtücks entſtanden iſt. Das 
LG. hat die Beklagte verurteilt, das OLG. die Be— 
rufung zurückgewieſen. Das OLG. nimmt an, daß der 
Kläger berechtigt geweſen ſei, gegen Zahlung der Hy— 
pothefenihuld eine Quittung darüber zu fordern, 
und zwar gemäß § 368 Satz 2 BGB. in einer Form, 
welche die Löſchung der Hyvothek ermöglichte, und 
daß die Beklagte die Erteilung einer ſolchen Quittung 
auch nicht wegen des etwaigen Beſtehens ihrer anderen 
Forderungen habe verweigern dürfen. Insbeſondere 
ſtehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht wegen dieſer 
Forderungen an der vom Kläger verlangten Löſchungs— 
bewilligung nicht zu. Die Verpflichtung der Beklagten 
zur Erteilung dieſer Löſchungsbewilligung entſpringe 
aus der durch die Tilgung der Pfandſchuld ver— 
urſachten Unrichtigkeit des Grundbuchs und der damit 


verbundenen Beeinträchtigung des Eigentums am 
Pfandgrundſtück, während die angeblichen Anſprüche 
auf Schadenserſatz wegen verzögerter Erfüllung des 
Darlehens vertrages und auf Vertragsſtrafe wegen Zus 
widerhandlung gegen den Bierbezugvertrag aus dem 
Vertrage vom 14. Dezember 1906 hergeleitet würden. 
Hiernach ſei die vom 8 273 BGB. geforderte Einheit⸗ 
lichkeit des Verhältniſſes zwiſchen der Verpflichtung 
der Beklagten zur Erteilung der Löſchungsbewilligung 
und ihren ſonſtigen Forderungen nicht gegeben. Der 
Kläger handele auch nicht wider Treu und Glauben, 
wenn er ohne Rückſicht auf ſeine Verpflichtungen 
gegenüber der Beklagten aus dem Darlehens⸗ und 
Bierbezugsvertrage von dieſer die Einwilligung in 
die Löſchung der Hypothek verlange. Die Beklagte 
ſei daher durch die Weigerung der Quittungsleiſtung 
gegenüber der angebotenen Zahlung in Verzug ge⸗ 
raten. Die Reviſion wendet ſich gegen dieſe Aus- 
führungen. Sie rügt die Verletzung der 88 273 und 368 
BGB. Wenn auch der Anſpruch auf Quittungserteilung 
erſt mit der Zahlung entſtehe, habe er doch ſeine 
Grundlage in dem urſprünglichen Schuldverhältniſſe, 
hier alſo in den Verträgen, auf denen auch die Gegen: 
anſprüche auf Schadenserſatz und Vertragsſtrafe be⸗ 
ruhen, die Vorausſetzungen des 8 273 BGB. ſeien 
alſo gegeben. 

Dieſe Rüge iſt nicht begründet. Die Verpflichtung 
des Gläubigers, Quittung über die empfangene Zah— 
lung zu leiſten, entſteht erſt mit der Zahlung. Die 
Zahlung, nicht ſchon der Vertrag, auf dem die ge— 
zahlte Forderung beruht, begründet das Schuldver⸗ 
hältnis, durch das der Gläubiger zur Quittungs— 
leiſtung verpflichtet wird. Aus dieſem Schuldverhältnis 
aber ergibt ſich, daß dem Gläubiger ein Recht die 
Quittungsleiſtung um anderer Forderungen willen 
zurückzuhalten auch dann nicht gegeben iſt, wenn dieſe 
andern Forderungen mit der gezahlten „aus dem— 
ſelben rechtlichen Verhältnis“ entſprungen find. Das 
Geſetz gibt dem Schuldner das Recht die Leiſtung 
zurückzuhalten, wenn der Gläubiger die Quittung ver— 
weigert, weil dieſe Berweigerung gegen Treu und 
Glauben verſtößt. Dieſes Zurückbehaltungsrecht des 
Schuldners kann der Gläubiger nicht durch die Geltend— 
machung anderer Forderungen vereiteln. Der Schuldner 
iſt zwar nicht berechtigt, eine einheitliche Schuld in 
Teilen zu tilgen; wohl aber, die verſchiedenen Forde— 
rungen des Gläubigers, auch wenn ſie aus demſelben 
rechtlichen Verhältnis ſtammen, geſondert zu befrie— 
digen; er hat die Befugnis, die Schuld zu beſtimmen, 
welche er tilgen will, und die Zahlung jeder einzelnen 
Schuld gibt ihm das Recht auf die Quittung hierüber 
(vgl. 8 366 BGB.). Dieſes Verlangen der Quittungs— 
leiſtung verſtößt auch nicht gegen Treu und Glauben, 
vielmehr umgekehrt die Weigerung des Gläubigers 
dieſe Quittung zu erteilen. 

Hieran ändert auch der Umſtand nichts, daß der 
Schuldner nach 8 368 Satz 2 BGB. die Quittungs- 
leiſtung in einer Form fordern kann, daß ſie ihm 
ermöglicht die für die getilgte Forderung beſtellte Hy— 
pothek zu löſchen, ſo daß alſo die Quittungsleiſtung 
zugleich die Aufgabe des Hypothekenrechtes in ſich 
ſchließt. Die Beſtimmung des 368 Satz 2 BBB. 
iſt auch in dieſer Beziehung hier maßgebend, weil es 
ſich nicht um die dingliche Wirkung der Hppothek, 
ſondern um die obligatoriſchen Beziehungen zwiſchen 
Hypothekgläubiger und Schuldner handelt. Es ſtehen 
dieſer Auffaſſung aber auch die dinglichen Beſtimmungen 
des Hypothekenrechts nicht entgegen. Die Anerken- 
nung des von der Beklagten in Anſpruch genommenen 
Zurückbehaltungrechtes an der Löſchungsbewilligung 
für die Hypothek würde vielmehr eine unzuläſſige 
Einſchränkung des dem Hyvpothekenrechte zu Grunde 
liegenden Satzes der Spezialiät der Hypothek bedeuten. 
Urt. des III. 35. vom 7. Juli 1911, III 267/10). 


2.118 II. 


— — <. .n 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Wapern. 1911. Mr. 22. 


III. 


Wer erfährt, daß ſich auf einem Wechſel feine 
gefälſchte Unterſchrift befindet, iſt nicht unter allen 
Umſtänden verpflichtet, den Wechſelgläubiger auf die 
Fälſchung aufmerkſam zu machen, der ihn von der Er: 
werbung des Wechſels benachrichtigt hat. Die Klägerin 
hat von dem Bauunternehmer BB. zwei von ihm ausgeſtellte, 
mit dem Akzept des Beklagten verſehene Wechſel ge— 
kauft und hiervon den Beklagten ſofort brieflich benachrich— 
tigt. Die Annahmeerklärungen auf den Wechſeln waren 
von B. gefälſcht. Der Beklagte und B. haben Schweſtern 
zu Frauen. Der Beklagte hat die Mitteilung von dem 
Ankauf des erſten Wechſels über 2500 M erhalten, 
beſtreitet aber, die zweite Mitteilung erhalten zu haben. 
Geantwortet hat er der Klägerin nicht. Die Wechſel 
wurden nicht eingelöſt, die Wechſelklagen der Klägerin 
gegen den Beklagten abgewieſen. B. iſt in Konkurs 
geraten und wegen Wechſelfälſchnng beſtraft worden. 
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus 8 826 BGB. 
auf Erſatz der Wechſelſummen, der Wechſel⸗- und der 
Wechſelprozeßkoſten in Anſpruch, iſt aber von beiden 
Vorinſtanzen abgewieſen worden. Zu der Frage, ob 
der Beklagte durch ſein Schweigen auf die Mitteilung 
gegen die guten Sitten verſtoßen habe, führt das RG. 
aus: „Es gibt Handlungen und Unterlaſſungen, die 
ohne weiteres den guten Sitten widerſtreiten. Dazu 
gehört jedoch nicht das Schweigen auf eine Mitteilung, 
wie ſie dem Beklagten zugegangen iſt. Niemandem 
kann es verübelt werden, geſchweige zum ſittlichen 
Tadel gereichen, wenn er einen andern wegen des 
Mißbrauchs ſeiner Unterſchrift nicht dem Strafrichter 
ausliefern und dadurch ſich ſelbſt Verdrießlichkeiten, 
mindeſtens Unbequemlichkeiten zuziehen will. Er kann 
auch, wenn es ſich um eine Wechſelfälſchung handelt, 
ſehr wohl des Glaubens ſein, daß der Fälſcher den 
Wechſel einlöſen könne und werde, oder daß nichts 
von ihm zu holen ſei, dem Wechſel inhaber alſo auch 
eine Benachrichtigung von der Fälſchung nichts helfe. 
Von einer Sittenwidrigkeit durch das Unterlaſſen 
ſolcher Benachrichtigung wird daher — unter geeigne— 
ten Umſtänden — nur dann die Rede ſein können, 
wenn ſich damit der Vorſatz der Schädigung im Sinne 
des 8 826, mindeſtens alſo das Bewußtſein des ſchäd⸗ 
lichen Erfolgs verbindet. Dies hat das Berufungs- 
gericht verkannt; denn es verneint, wie erwähnt, daß 
die Schädigung durch den zweiten Wechſel von dem 
Beklagten vorſätzlich begangen worden ſei, und läßt 
auch hinſichtlich der Schädigung durch den erſten 
Wechſel dahingeſtellt, ob der Beklagte das Bewußtſein 
gehabt habe, daß ſein Schweigen es der Klägerin 
unmöglich machen werde, noch ſchnell und erfolgreich 
gegen B. vorzugehen. (Urt. des VI. ZS. vom 6. Juli 
1911, VI 430/10). 

2414 


———ı 


IV. 


Unfall beim Nodelſport. Zuläſſige Fahrgeſchwindig⸗ 
keit des Nodlerd. „Leuker“ und „Bremſer“. Kann die 
Stadtgemeinde haftbar gemacht werden, weil ſie das 
Rodeln in einer belebten Straße nicht verboten hat? 
Kann ſich die Haftung aus der Pflicht zur Unterhaltung 
der Straße oder aus unzulänglicher Handhabung der 
Polizeigewalt ergeben? Aus den Gründen: 1. Be⸗ 
züglich der Fahrgeſchwindigkeit hat die Reviſion darauf 
hingewieſen, daß der Zweck von Schlittenfahrten eben 
in der Erreichung der größtmöglichen Geſchwindigkeit 
beſtehe und daß, wenn an der Unfallſtelle überhaupt 
der Rodelſport ausgeübt werden durfte, auch ſo ſchnell 
als möglich gefahren werden durfte. Dieſe Einwen— 
dung wird dem Sinn und Zuſammenhang der Ur— 
teilsbegründung nicht völlig gerecht. Das OLG. ſagt 
nicht, der Sportfahrer dürfe nicht und niemals ſo 
raſch fahren, daß er nicht jederzeit den Schlitten 
anhalten und beiſeite führen könne. Vielmehr geht 
das OLG. davon aus, daß der Beklagte ſich einer 


446 


größeren Zuſchauermenge gegenüberſah, die die Fahr⸗ 
bahn ſäumte und, wie er ſelbſt ſah, ſich ungeſchickt 
und unachtſam benahm, und daß er nach den im ein⸗ 
zelnen angeführten Umſtänden (Unebenheiten, Gefahr 
des „Schlenferns ꝛc.“) habe fürchten müſſen, auch bei 
geringer Abweichung von der Bahn Perſonen anzu— 
jahren. Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


hierauf ſeine Annahme eines Verſchuldens des Be⸗ 


klagten H. gegründet. 
weiteres aber auch aus der Feſtſtellung der über⸗ 
mäßigen Fahrgeſchwindigkeit in Verbindung mit der 


Ein ſolches ergibt ſich ohne 


Tatſache, daß die Fahrt ſich bis in den bewohnten 


Ortsteil hinein erſtreckt hat. Darnach iſt der Beklagte 
einer Uebertretung, und zwar einer mindeſtens fahr— 
läſſigen Uebertretung des 8 366 Nr. 2 StGB. ſchuldig 
und haftet für den dadurch verurſachten Schaden auf 
Grund des 8 823 Abſ. 2 BGB. Ohne Rechtsirrtum 
hat auch das Berufungsgericht angenommen, daß der 
Beklagte H. als Lenker des Schlittens für die ganze 
Fahrt verantwortlich ſei. Für unzulängliches Bremſen 
kann auch der Bremſer (ein Mitfahrer) verantwortlich 
ſein, aber nach der feſtgeſtellten Sachlage nur neben 
dem Beklagten, der ſeine Verantwortlichkeit nicht auf 
jenen abwälzen kann. Daß etwa eine vom Beklagten 
erteilte Weiſung zum Bremſen nicht befolgt worden 
wäre oder dgl., iſt nicht behauptet worden. Auf 
den Beweis dafür, daß den Bremſer H. die Schuld am 
Unfall treffe, konnte es daher nicht ankommen, weil 
nicht mehr behauptet und unter Beweis geſtellt iſt, als 
daß, was unſtreitig geblieben iſt, H. nicht gebremſt 
hat: dieſer Umſtand allein kann den Lenker der Fahrt 
nicht entlaſten. 

2. Die Reviſion der beklagten Stadtgemeinde iſt 
begründet. Deren verantwortliche Organe hätten nach 
Anſicht des Berufungsgerichts, weil die Stadtgemeinde 
für die Verkehrsſicherheit ihrer Straßen zu ſorgen 


Verkehrenden erſtreckt werden, ſoweit damit eine Ge⸗ 
fährdung des übrigen Verkehrs verbunden iſt. Ein 
Einſchreiten gegen derartige Verkehrsgefährdungen kann 
nicht mehr aus der Verpflichtung zur Unterhaltung 
des Weges oder der Straße gefolgert werden. bei der 
doch im weſentlichen an die Erhaltung des Straßen⸗ 
körpers in verkehrsſicherem Zuſtand gedacht iſt. Gegen 
das verkehrsgefährliche Verhalten einzelner Perſonen 
auf öffentlicher Straße einzuſchreiten, iſt vielmehr 
Sache der Polizei, die inſoweit mit den Mitteln obrig: 
keitlicher Zwangsgewalt die öffentliche Ordnung auf: 
rechtzuerhalten berufen iſt. Nach Lage der Sache kann 
es nun zweifelhaft fein, ob nicht mit dem Klagvor⸗ 
bringen richtig verſtanden der Stadtgemeinde, der die 


Verwaltung der Ortspolizei übertragen ift, eine un: 


habe, nicht dulden dürfen, daß die Schlittenfahrten ſich, 


wie geſchehen, in einen mindeſtens teilweiſe bebauten 
und dem Verkehr freigegebenen Teil der Stadt er— 
ſtreckten: man habe damit rechnen müſſen, daß ſich 
mindeſtens an Sonntagnachmittagen bei derartigen 
Gelegenheiten in der Unfallgegend ein ſolcher Verkehr 
und eine ſolche Menſchenanſammlung entwickeln werde, 
daß leicht Unfälle vorkommen könnten, und die ge— 
botene Sorgfalt hätte erfordert, daß die zur Verhütung 
derartiger Unfälle geeigneten Maßnahmen getroffen 
worden wären, wie ſie in der Folge in der Tat ge— 
troffen worden ſeien. Die Reviſion beſtreitet, daß die 
angenommene Haftung der Stadtgemeinde auf dieſe 
Erwägungen gegründet werden könne: nicht ein ver— 
kehrswidriger Zuſtand der Straße habe den Unfall 
verſchuldet, ſondern das Treiben der Schlittenfahrenden 
auf der Straße. Nur in jener, nicht auch in dieſer 
Richtung könne der Stadtgemeinde als der zur Unter— 
haltung der Straßen Verpflichteten eine Verletzung ihr 
obliegender Rechtspflichten zur Laſt gelegt werden, die 
zudem nur gegenüber verkehrenden Perſonen, nicht 
gegenüber den Zuſchauern einer Sportübung beitanden 
hätten. Soweit die Ausführungen des OLG. erkennen 
lajien, will es die Haftung der Stadigemeinde auf den 
in der Rechtſprechung des Reichsgerichts vielfach an— 
erkannten Satz ſtützen, daß, wer auf einem Grundſtück 
einen Verkehr für Menſchen in mehr oder weniger 
allgemeiner Art eröffnet, auch für die Verkehrsſicher— 
heit zu ſorgen hat, ſo die Gemeinde für die Verkehrs— 
ſicherheit der Ortsſtraßen Dieſe Verkehrsſicherungs— 
pflicht umfaßt nach der Rechtſprechung im einzelnen 
die Inſtandhaltung des Pflaſters oder ſonſtigen Be— 
lags, die Anbringung von Geländern oder ſonſtigen 
Verwahrungen an Brücken und Abhängen, Beleuchtung 
bei Dunkelheit, Beſtreuung bei Glätte, auch die An— 
ordnung von Sicherungsmaßregeln bei 
öffentlicher Arbeiten auf den Straßen. Dagegen kann 
dieſe Verkehrspflicht der Gemeinde nicht ohne weiteres 
auch auf das Tun und Treiben der auf der Straße 


zulängliche Handhabung der Polizeigewalt insbeſondere 
um deswillen zum Vorwurf gemacht wird, weil ſie es 
unterlaſſen habe, die in der Folge ergangenen Polizei⸗ 
vorſchriften gegen das Rodeln früher zu erlaſſen. Auch 
unter dieſem Geſichtspunkte würde ſich eine Schadens⸗ 
haftung der Stadtgemeinde ergeben können, weil für 
Schädigung Dritter durch Ausübung oder Nichtaus⸗ 
übung öffentlicher Gewalt durch die damit betrauten 
Beamten die im BGB. beſtimmte Verantwortung an 
Stelle des Beamten die Gemeinde trifft. In den hier⸗ 
nach ſich ergebenden Richtungen hat das Berufungs⸗ 
gericht keine Erwägungen angeſtellt, weder über die 
landesgeſetzlichen Vorausſetzungen dieſer Haftung noch 
auch über die des 8 839 BGB., insbeſondere die darnach 
zu beachtende Subſidiarität dieſer Haftung. Es war 
daher geboten, die Sache zur erneuten Prüfung unter 
dieſem anderen rechtlichen Geſichtspunkt an das Be: 
rufungsgericht zurückzuverweiſen. (Urt. des VI. 38. 
vom 6. Juli 1911, VI 326/10). — — — n. 
2413 
V 


Hat das Vormundſchaftsgericht bei der Ermittelung 
des Erjeugers eines unehelichen Kindes mitzuwirken! 
Das Dienſtmädchen St. hat am 22. April 1910 außer 
der Ehe Zwillinge geboren. Als den Erzeuger be- 
zeichnet ſie einen Mann, den ſie in Geſellſchaft eines 
ſeiner Freunde an ihrem damaligen Wohnorte in D. 
kennen gelernt haben will und der ſich ihr gegenüber 


für einen „Kommis O. B.“ ausgegeben haben ſoll. 
Die Ermittelungen haben ergeben, daß es einen Mann 


Vornahme 


dieſes Namens nicht gibt. Als der Freund, der von 
dem fortgeſetzten Verkehr der Mündelmutter mit dem 
Erzeuger Kenntnis haben ſoll, wurde jedoch der Poſt— 
aſſiſtent E. B. in D. ſeſtgeſtellt. Alle weiteren Nach⸗ 
forſchungen, insbeſondere auch die Bemühungen eines 
damit beauftragten Deteftivs ſchlugen fehl. Auf An» 
trag des Vormundes hat hierauf die Vormundſchafts— 
behörde in H. an das Amtsgericht in D. das Erſuchen 
gerichtet, den B. als Zeugen darüber zu vernehmen, 
wer Erzeuger der Kinder St ſei. Das Amtsgericht 
in D. ließ B. auf das Gericht beſtellen. Er wurde 
von einem Gerichtsſchreiber vernommen, erklärte jedoch. 
daß er nicht imſtande fei, den Vater der Kinder zu 
nennen. Auf weiteren Antrag des Vormundes wieder⸗ 
holte die Vormundſchaftsbehörde das Erſuchen um 
Zeugenvernehmung und verlangte zugleich die Bes 
eidigung des B. Das Amtsgericht hat dieſes Erſuchen 
abgelehnt. Die Vormundſchaftsbehörde trug auf Ent— 
ſcheidung des OLG. an. Dieſes hat die Ablehnung 
für begründet erklärt. Hiergegen hat die Vormund— 
ſchaftsbehörde Beſchwerde an das Reichsgericht erhoben. 
Die Beſchwerde wurde nach SS 2, 194 Abſ. 1850. 
i. V. mit 8 160 GWG. für zuläſſig erklärt, aber ver— 
worfen. 

Gründe: Allerdings hat das Vormundſchaſts— 
gericht den Vormund nicht nur zu beaufſichtigen, 
ſondern ihn auch auf fein Anſuchen in feiner Täligkeit 
zu unterſtutzen. Die Machtmittel des Staates ſtehen 
ihm jedoch nur inſoweit zur Verfügung, als es ſich um 


eine unmittelbar zu feinem eigenen Geſchäftskreiſe ge⸗ 
hörende Angelegenheit handelt. Die Ermittelung des 
Erzeugers bevormundeter unehelicher Kinder iſt nicht 
Sache des Gerichts, ſondern eine dem Vormunde zu⸗ 
fallende Aufgabe. Kommt der Vormundſchaftsrichter 
auf Bitten des Vormundes dieſem zu Hilfe, ſo iſt dies 
zwar an ſich zuläſſig, und wenn die Selbſtändigkeit des 
Vormundes gewahrt bleibt, unterliegt es auch nur 
dem eigenen pflichtmäßigen Ermeſſen des Richters, 
wie weit er im Geſchäftsbereiche des Vormundes mit 
ſeiner Unterſtützung zu gehen hat. Die Unterſtützung 
darf jedoch in ihrer Art nicht darauf hinauskommen, 
daß mittelbar die ſtaatshoheitliche Gewalt dem Vor⸗ 
munde zur Handhabe für eine bürgerliche Geſchäfts⸗ 
tätigkeit dient. Damit verbietet ſich die Anwendung 
des Zeugniszwanges bei bloßen Vorermittelungen, die 
dazu beſtimmt ſind einen außerehelichen Geſchlechts⸗ 
verkehr zwiſchen der Mündelmutter und einem einſt⸗ 
weilen unbekannten Manne feſtzuſtellen und einen 
Anhalt zur Erhebung von Anſprüchen der Kinder 
gegen ihn darzubieten. Zu derartigen Maßregeln iſt 
das Vormundſchaftsgericht gemäß 83 12, 15 GG. nur 
aus Anlaß ſolcher Feſtſtellungen und Entſcheidungen 
befugt, die dem gerichtlichen Zuſtändigkeitsbereich aus⸗ 
ſchließlich angehören. Das Amtsgericht in D. hat 
hiernach mit Recht dem Erſuchen der Vormundſchafts- 
behörde in H. nur inſoweit entſprochen, als es den 
Poſtaſſiſtenten B. über ſeine Wiſſenſchaft befragen 
ließ. Eine eigentliche Zeugenvernehmung und die Be— 
eidigung des B. war dagegen im Hinblick auf den Zweck 
der Ermittelung ſowohl der Vormundſchaftsbehörde 
ſelbſt als auch dem erſuchten Gerichte verboten. Die 
Ablehnung des darauf gerichteten Erſuchens entſprach 
dem 5 159 Abſ. 2 GVG. (Beil. des IV. 3S. vom 
29. Juni 1911, IV B 3/11). 
2421 


-—— n. 


VI. 

Als Zurücknahme des Rechtsmittels i. S. des 5 46 
SRG. kann auch eine Erklärung der Partei gelten, die 
nicht den Vorſchriften der 3D. entſpricht. Aus den 
Gründen: In dem Verhandlungstermin am 4. Mai 
1910 find die Parteien nicht erſchienen. Der Prozeß⸗ 
bevollmächtigte der Klägerin hat in der Eingabe vom 
18. Februar 1910 erklärt, daß er in dem Termin nicht 
auftrete. Nach Mitteilung der Gerichtskaſſe zu A. 
hat die Reviſionsklägerin der Gerichtskaſſe gegenüber 
erklärt, daß ſie ihren Anwalt beauftragt habe die Re⸗ 
viſion zurückzunehmen. Ferner hat die Gerichtskaſſe ein 
an ſie gerichtetes Schreiben des Prozeßbevollmächtigten 
der Reviſionsklägerin 1. Inſtanz überſendet, worin 
angezeigt wird, daß Rechtsanwalt Sch. feinen Ver- 
treter vor dem Reichsgericht angewieſen habe, die Re⸗ 
viſion zurückzunehmen. Darnach hat die Reviſions⸗ 
klägerin nicht nur ſeit längerer Zeit den Willen gehabt 
die Nevifivn zurückzunehmen, ſondern dieſen Willen 
auch dem Reichsgerichte gegenüber jetzt genügend aus⸗ 
gedrückt. 
3 PO. die Reviſion bei der mündlichen Verhandlung 
oder durch Zuſtellung eines Schriftſatzes zurückge— 
nommen. Jedoch regeln dieſe Vorſchriften nur das 
Rechtsverhälinis der Parteien untereinander. Nach 
81 G. ſollen die Gebühren und Auslagen der Ge— 
richte „nach Maßgabe dieſes Geſetzes“ erhoven werden, 
und im 8 46 Abſ. 1 GKG. iſt nicht beſtimmt, daß 
dieſe Gebührenvorſchrift bei der Zurücknahme eines 
Rechtsmittels nur dann anzuwenden ſei, wenn die 
nach der ZPO. erforderlichen formellen Voraus— 
ſetzungen für die Zurücknahme erfüllt ſeien. Daher 


ZBeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


1 


Allerdings wird nach 88 515 Apſ. 2, 566 


genügt zur Anwendung des 8 46 Abſ. 1 GKG. für | 


das Verhältnis des Rechtsmittelklägers zur Staats— 
kaſſe eine jede dem Rechtsmittelgerichte gegenüber ab— 


447 


B. Strafſachen. 
I. 


Iſt das Gericht an die Ausſage einer beeidigten 
Zeugin gebunden, daß fie die Verlobte des Angeklagten 
ſei? Wie das Protokoll über die Hauptverhandlung 
dartut, hat die Zeugin Z. bei Beginn ihrer Vernehmung 
erklärt, daß fie zu dem Angeklagten in keinerlei Be⸗ 
ziehungen ſtehe. Als ſie ſodann beeidigt war, gab ſie bei 
der Ermittelung ihrer perſönlichen Verhältniſſe an, ſie 
betrachte ſich als die Verlobte des Angeklagten, laſſe 
ſich aber vernehmen. Das Gericht iſt auf Grund der 
über dieſe Behauptung beſonders angeordneten Bes 
weisaufnahme zu der Annahme gelangt, daß nur ein 
Liebesverhältnis beſtehe. Daraufhin iſt ihre eidliche 
Vernehmung erfolgt, wobei fie gemäß 8 54 StPO. 
belehrt wurde, letzteres, wie zu unterſtellen iſt, aus 
dem Grund, weil die von ihr zu erwartenden Ausſagen 
ihre ſtrafgerichtliche Verfolgung wegen Uebertretung 
des & 361 Ziff. 6 StGB. nach ſich ziehen konnten. 
Dieſes Verfahren iſt rechtlich nicht zu beanſtanden. 
Insbeſondere ſind die Bemängelungen des Verteidigers 
unzutreffend, das Gericht ſei, was den Beſtand des 
Verlöbniſſes betreffe, im Hinblick auf 8 55 StPO. an 
die eidliche Ausſage der Z. gebunden geweſen. Denn 
eine beſondere eidliche Verſicherung i. S. dieſes Para⸗ 
graphen, die zu dem ausſchließlichen Zweck abgenommen 
wurde, um das Zeugnisverweigerungsrecht glaubhaft 
zu machen, wurde von der Z. nicht verlangt. Sie hat 
den allgemeinen Zeugeneid geleiſtet und das Gericht 
war deshalb nicht gehindert, auf Grund des Ergeb— 
niſſes der Beweiserhebung darüber zu entſcheiden, ob 
ein Verlöbnis vorlag. In ſeinen Erwägungen, die 
zur Verneinung dieſer Frage führten, tritt ein Rechts⸗ 
irrtum nicht zutage. Lag aber ein Verlöbnis nicht 
vor, ſo entfiel die Befugnis der Zeugin die Auskunft 
auf Fragen zu verweigern, deren Beantwortung dem 
Angeklagten als ihrem angeblichen Verlobten die 
Gefahr ſtrafgerichtlicher Verfolgung hätte zuziehen 
können. Außerdem iſt die Behauptung der Verteidigung 
unzutreffend, daß auch über das im 8 54 StPO. ge⸗ 
währte Recht ſich der Zeugnispflicht in beſtimmten 
Punkten zu entziehen eine Belehrung hätte ſtattfinden 
müſſen. Eine ſolche iſt nur für die Fälle des 8 51 
StPO. vorgeſchrieben. (Urt. des I. StS. vom 12. Juni 
1911, 1D 502/1911). E. 


2364 


II. 


1. Berleſung von Briefen in der Hauptverhand⸗ 
lung; Feſtſtellung des Zwecks der Verleſung im Pro⸗ 


totoll? Begründung einer auf die Unzuläſſigkeit einer 


Berleſung ſich ſtützenden Reviſion. 2. Schwurgericht⸗ 
liche Frageſtellung: Bezeichnung des Tatorts. 1. Daß 
Briefe als Urkunden nach $ 248 StPO. zum Beweiſe 


der Tatſache ihres Vorhandenſeins und ihres Inhalts 


verleſen werden dürfen, wird von der Reviſion nicht 
beſtritten. Sie behauptet aber, die Verleſung der 
Briefe ſei in der Hauptverhandlung unter Verletzung 
des 3 249 SPD. erfolgt, weil durch fie die Ver⸗ 
nehmung von Perſonen, deren Wahrnehmungen die 
Briefe enthalten hätten, habe erſetzt werden ſollen. 
Näheres wird in dieſer Richtung nicht angegeben; 
die Reviſion meint vielmehr nur, die Richtigkeit ihrer 
Behauptung folge aus der Bezeichnung der Briefe 
als Beweismittel und aus dem Mangel einer Feſt— 
ſtellung im Sitzungsprotokoll, daß die Verleſung nur 
zum Nachweis des Vorhandenſeins der Urkunden er— 
folgt ſei. Die Haltloſigkeit dieſer Schlußfolgerung 
liegt auf der Hand. Da Briefe prozeßrechtlich Be— 


weismittel ſein können, ſo können ſie auch als Be— 


gegebene Erklärung des Rechtsmittelklägers, aus der 


erhellt, daß die Rechtsmittelinſtanz beendet fein ſoll. 
(Beſchl. des V. ZS. vom 12. Juli 1911, V 384.09). 
2420 — — == n. 


weismittel bezeichnet werden, ohne daß daraus ein 
Schluß im Sinne der Reviſion zu ziehen iſt. Den 


Zweck der Verleſung von Briefen im Sitzungsproto— 


kolle feſtzuſtellen, iſt prozeßrechtlich nicht unbedingt 


448 


geboten, wie der II. StS. des RG. in feinem Urteil 
vom 15. Dezember 1905 (Entſch. 38, 254) unter teil⸗ 
weiſem Aufgeben feiner früheren Anſicht (Entſch. 31, 
407) nachgewieſen hat. Mangels einer ſolchen Ver⸗ 
pflichtung muß beim Fehlen gegenteiliger Anhalts— 
punkte davon ausgegangen werden, daß vorſchrifts⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 


| 


t 
l 


mäßig verfahren worden und die Verlefung der Briefe 
nur zu dem prozeßrechtlich zuläſſigen Zwecke erfolgt 


ift. 


einzelnen Beziehungen die Briefe zu dem von ihr be- 
haupteten Zwecke verleſen ſein ſollen. Das iſt unter⸗ 
blieben und inſofern hat die Reviſion auch der Vor⸗ 
ſchrift des § 384 Abſ. 2 Schlußſatz StPO. nicht genügt 
(Entſch. 33, 356). 2. Bei der Frageſtellung nach 8 293 
StPO. liegt es im Ermeſſen des Vorſitzenden und des 
Gerichts, über die Bezeichnung der Umſtände zu be⸗ 
finden, die zur Unterſcheidung der Tat erforderlich 
ſind. Die Nichtbezeichnung des Tatorts könnte nur 
dann mit Grund beanſtandet werden, wenn dadurch 
die ſtrafrechtliche Verfolgbarkeit der Tat in Zweifel 
geſtellt würde. Das iſt aber im vorliegenden Falle 
ausgeſchloſſen, da es nach 8 4 Abſ. 2 Nr. 1 StGB. 
für die ſtrafrechtliche Verfolgbarkeit von Münzver— 
brechen gleichgültig iſt, ob ſie im Inland oder im 
Ausland, von Inländern oder von Ausländern be— 
gangen find. (Urt. des I. StS. vom 18. Mai 1911, 
1 D 432/1911). E. 


2366 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Wie weit darf das Fideikommißgericht den Fidei⸗ 


kommißbeſitzer in der Befugnis zur Empfangnahme und 
Anlegung des Kauſpreiſes für veräußerte Beſtandteile 
des Fideikommißgutes beſchräuken? (VII. Verf.⸗Beil. 
85 44, 70, 71, 72). Graf von IJ. hat als Beſitzer des J'ſchen 
Familienfideikommiſſes laut notarieller Urkunde vom 
8. März 1911 zum Fideikommiſſe gehörende Grundſtücke 
um 6400 M an S. verkauft. Der Kaufpreis wurde 
ſofort gezahlt. Durch die Urkunden vom 11. Mai 1911 
verkaufte der Fideikommißbeſitzer zwei zum Fideikommiſſe 
gehörende Grundſtücke um 4357 M 50 Pf und um 
32000 M an die Stadtgemeinde A. Vereinbarungs— 
gemäß ſollen die Kaufpreiſe gezahlt werden, ſobald 
die Grundſtücke hypotheken- und laſtenfrei im Grund— 
buch umgeſchrieben ſind. Das OLG. ſtellte am 
31. Mai die fideikommißgerichtliche Genehmigung des 
Vertrags vom 8. März in Ausſicht, verlangte jedoch, 
daß vorher „der Nachweis über die Einzahlung des 
Kaufpreiſes zu 6400 M bei der Hauptbank Nürnberg 
erbracht werde“. Durch eine Entſchließung vom 
21. Juni verſagte das Fideikommißgericht dem Ver— 
trage die Genehmigung, weil der Fideikommißbeſitzer 
entgegen der Anordnung vom 31. Mai und unter Ver— 
letzung des § 49 FidE. über den in den Fideikommiß— 
verband getretenen Kaufpreis verfügt habe. Ferner 
wurde ausgeſprochen, daß die Kaufverträge vom 
11. Mai nur dann genehmigt werden, wenn durch 
Nachtragsurkunden vereinbart wird, daß die Zahlung 
an die Hauptbank Nürnberg zu dem Fideikommiß— 
depot erfolgt. Der Fideikommißbeſitzer legte Beſchwerde 
ein und brachte u. a. vor, daß er die 6400 1 bei einer 
Volksbank angelegt und hiervon dem R. gegen die 
zugeſicherte hypothekariſche Sicherung 3000 M geliehen 
habe. Das Oberſte Landesgericht hob die Entſchließung 
vom 21. Juni auf und wies das Ox. an die drei 
Verträge zu genehmigen. 

Gründe: Unrichtig iſt die Auffaſſung, daß der 
Käuſer eines zum Fideikommiſſe gehörenden Grund— 
ſtücks noch vor der fideikommißgerichtlichen Geneh— 


Es wäre Sache der Reviſion geweſen, beſtimmte 
tatſächliche Angaben darüber zu machen, in welchen 


r. 22. 


— — — — — 


—— —— 


migung die Erfüllung des Vertrags im Prozeßwege 
beanſpruchen kann. Ein ſolcher Vertrag iſt ohne die 
Genehmigung des Fideikommißgerichts nichtig und 
unwirkſam. Ferner iſt es nicht zuläſſig, daß der 
Fideikommißbeſitzer bei der Veräußerung eines Fidei⸗ 
kommißgrundſtücks den ihm ausgehändigten Kaufpreis 
als ſein Eigentum betrachtet und behandelt und ihn 
auf ſein eigenes Kontokorrent anlegt. Der Fidei⸗ 
kommißbefitzer empfängt den Kaufpreis nicht für ſich, 
ſondern als Beſitzer des Fideikommiſſes und für dieſes. 
Der Kaufpreis geht in das Vermögen des FJidei⸗ 
kommiſſes über, wie auch nach der Anlegung des 
Geldes die Schuldbriefe gemäß § 43 Nr. 2 Fidc. auf 
den Namen des Fideikommiſſes als Gläubiger geſtellt 
werden. Dafür, daß der dem Fideikommißbeſitzer aus⸗ 
gehändigte Kaufpreis nach 8 68 FidE. zum Beſten des 
Fideikommiſſes verwendet wird, iſt der Fideikommiß⸗ 
beſitzer ſtraf⸗ und zivilrechtlich verantwortlich. Leiht 
der Fideikommißbeſitzer einen eingezogenen Kaufpreis 
auf Hypothek aus, ohne daß das Fideikommißgericht 
dieſe Anlegung genehmigt hat, ſo handelt er auf 
eigene Wag und Gefahr. Findet das Fideikommiß— 
gericht, daß die von dem Fideikommißbeſitzer einſeitig 
vorgenommene Anlegung des Geldes nicht die genügende 
Sicherheit bietet, dann hat es nach §S 70 Zwangs⸗ 
maßnahmen anzuwenden, z. B. die Zinſen aus den 
gerichtlich hinterlegten Wertpapieren einzubehalten. 
Das Fideikommißgericht wird aber, von den Fällen 
abgeſehen, in denen der Käufer und der Fideikommiß⸗ 
beſitzer zum Nachteile des Fideikommiſſes zuſammen⸗ 
wirken, in der Regel keine Veranlaſſung haben, dem 
Kaufvertrage nur deshalb die Genehmigung zu ver: 
ſagen, weil der Fideikommißbefitzer den ihm gut⸗ 
gläubig ausgehändigten Kaufpreis nicht angemeſſen 
verwendet. Die Verweigerung der Genehmigung des 
Vertrags vom 8. März iſt daher um ſo weniger 
gerechtfertigt, als die von dem Fideikommißgerichte 
gerügte Verfügung über den Kaufpreis ſchon vor der 
fideikommißgerichtlichen Anordnung vom 31. Mai 
erfolgt iſt und das Fideikommißgericht dieſes Ver⸗ 
fahren während eines längeren Zeitraums nicht be— 
anſtandet hatte. Ebenſowenig kann gebilligt werden, 
daß das Fideikommißgericht die Erteilung der Ge— 
nehmigung zu den Kaufverträgen vom 11. Mai davon 
abhängig macht, daß in einer Nachtragsurkunde eine 
Beſtimmung vereinbart wird, wonach die Zahlung 
des Kaufpreiſes an die Hauptbank Nürnberg zu er— 
folgen hat. Dem Fideikommißbeſitzer gebührt nach 
8 44 des FidéE. die Verwaltung und damit auch die 
Vertretung des Fideikommiſſes. Es ſteht ihm daher 
die Befugnis zu für das Fideikommiß einen Kauf— 
preis in Empfang zu nehmen. Nur wenn dem Fidei— 
kommißbeſitzer eine dem Fideikommiſſe verderbliche 
Wirtſchaft nachzuweiſen iſt oder wenn er feinen Ber: 
pflichtungen nicht mehr nachkommt, kann ihm nach 
85 71, 72 des Fidck. und $ 15 Nr. 5 der VO. vom 
3. März 1857, die Inſtr. über die Behandlung der 
Fideikommiſſe betr., die Verwaltung entzogen und 
eine Adminiſtration eingeleitet werden. Dieſe Maß— 
nahme hat aber das Fideikommißgericht ſelbſt noch 
nicht für notwendig erachtet. Auch haben ſich die 
Anwärter, die doch nach 88 43, 71 des Edikts in erſter 
Linie berufen ſind, dem Fideikommißbeſitzer gegenüber 


die Intereſſen des Fideikommiſſes wahrzunehmen, bisher 


noch nicht veranlaßt geſehen, gegen die Wirtſchafts— 
führung des Fideikommißbeſitzers Einſpruch zu tun, 
ſondern ſich für die Genehmigung der Verträge aus— 
geſprochen. Demnach beſteht kein Grund, den auch 
von dem Fideikommmißgericht als für das Fidei— 
kommiß vorteilhaft erachteten Verträgen die Geneh— 
migung zu verſagen. Das Ov. wird aber erwägen, 
ob es nicht den Fideikommißbeſitzer zu veranlaſſen 
hat, daß er ſowohl den von dem Käufer empfangenen 
Kaufpreis, ſoweit er nicht ſchon an R. hinausgegeben 
iſt, als auch die noch einzuziehenden Kaufpreiſe auf 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 


den Namen des Fideikommiſſes wenn auch nicht gerade d. h. am Orte der Vergebung. Eine Schankwirtſchaft 


bei der Hauptbank in Nürnberg, ſo doch in einer volle 
Sicherheit bietenden Art vorläufig anlegt, den Nach⸗ 
weis hierüber vorlegt und für die endgültige Ver⸗ 
wendung der Kaufpreiſe die fideikommißgerichtliche 
Genehmigung erwirkt. (Beſchluß des Fer ZS. vo 
20. Juli 1911, Reg. III 48 1911). W. 


2383 


B. Strafſachen. 
1 


Gewerbsunzucht: Weſen der Gewerbsmäßigkeit; Ver: 
wertung von ſtrafloſen len. Ausden Gründen: 
Der 8 361 Nr. 6 StGB. bedroht in feiner 2. Alter⸗ 
native mit Strafe eine Weibsperſon, die ohne einer poli⸗ 
zeilichen Aufſicht unterſtellt zu ſein, gewerbsmäßig Un⸗ 
zucht treibt. Das Weſen der Gewerbsmäßigkeit beſteht 
darin, daß nicht jede einzelne Handlung, ſondern eine 
Reihe verbotener Handlungen, die Ausfluß der gleichen 
Lebensrichtung ſind, zu einer Einheit verbunden werden 
und als geſetzliche Einheit zuſammen nur eine ſtraf⸗ 
bare Zuwiderhandlung bilden. Dieſe Einheit bringt 
es mit ſich, daß das Gericht nicht auf die einer recht- 
lichen Selbſtändigkeit entbehrenden einzelnen Sand» 
lungen beſchränkt iſt, die in einem Strafbefehl oder 
Eröffnungsbeſchluß aufgeführt ſind, ſondern berechtigt 
und verpflichtet iſt auch ſolche ebendort nicht ent⸗ 
haltene, aber im Zuſammenhange mit ihnen ſtehende 
Handlungen zum einheitlichen Gegenſtande der Vers 
handlung und Aburteilung zu machen, in denen die 
gewerbsmäßige Tätigkeit des Beſchuldigten gefunden 
werden kann. Zur Feſtſtellung der gewerbsmäßigen 
Verübung einer Tat dürfen aber um die aus der 
Mehrheit der Begehungsfälle ſich ergebende Charakter- 
beſchaffenheit des Täters feſtzuſtellen Einzelhandlungen 
berückſichtigt werden, die an ſich ſtraflos wären, weil 
ſie z. B. im Auslande verübt und dort nicht ſtrafbar 
ſind, oder weil ſie verjährt ſind. Gleiches gilt auch 
für Einzel handlungen eines gewerbsmäßigen Tuns, 
die ein Beſchuldigter vor Erreichung der vollen Straf— 
mündigkeit ohne die nach dem $ 56 StGB. erforderliche 
Einſicht vollbracht hat. Wenn daher der am 1. No— 
vember 1891 gebornen Angeklagten auch bei den vor 
dem 1. November 1909 liegenden Einzelfällen die 
Einſicht gefehlt hätte, die zur Erkenntnis der Straf— 
barkeit erforderlich iſt, ſo ſteht doch nichts im Wege 
zur Beurteilung des von der Angeklagten nach voll— 
endetem achtzehnten Lebensjahre fortgeſetzten unzüch— 
tigen Treibens auch die früher liegenden aus der— 
ſelben Lebensrichtung hervorgegangenen Einzelfälle 
mitzuverwerten. Muß das zur Annahme der Ge— 
werbsmäßigkeit führen, ſo iſt deren Verurteilung 
wegen einer Uebertretung nach dem 8 361 Nr. 6 StGB. 
nicht um deswillen unſtatthaft, weil etwa die in die 
Zeit der Strafmündigkeit fallenden Einzelhandlungen 
der Unzucht für ſich allein den Begriff der Gewerbs— 
mäßigkeit nicht erfüllen. Verfehlt iſt daher das Ver— 
langen der Reviſion ſtreng zu ſcheiden zwiſchen der 
Zeit vor dem 1. November 1909, die wegen der man— 
gelnden Einſicht der Angeklagten ganz außer Betracht 
zu bleiben habe, und der Zeit danach, für die ſich 
nach dem Verhalten der Angeklagten die Gewerbs— 
mäßigkeit nicht feſtſtellen laſſe. (Urt. vom 27. Juni 
1911, RevReg. 296/11). Ed. 

2389 
II. 


Begriff einer Schankwirtſchaft, eines Kleinhandels 
mit Bier und eines Anskochgeſchäftes. Aus den 
Gründen: Wer eine Schankwirtſchaft betreiben will, 
bedarf nach 8 33 GewO. der polizeilichen Erlaubnis. 
Unter Schankwirtiſchaft verſteht man den gewerbsmäßi— 
gen Ausſchank von Getränken zum Genuß auf der Stelle, 


EEE — T..... ̃ —%—ꝙ., ... el ̃7ĩ7 ˙œm— rn ler — — —— (— 


iſt nicht denkbar ohne Schankſtätte; zudem muß irgend⸗ 
eine Oertlichkeit, an der die abgegebenen Getränke ge⸗ 
noſſen werden, zur Ausübung des Wirtſchaftsgewerbes 
beſtimmt und dem Perſonenkreiſe zugänglich ſein, deſſen 
Bedürfniſſen es dienen ſoll, ſei dieſer nun unbeſchränkt 
oder beſchränkt. Die Stätte, wo die Gäſte des Wirtes 
ſich aufhalten und die Getränke verzehren können, muß 
in einem räumlichen Zuſammenhange mit der Aus: 
ſchankſtelle ſtehen und kann von ihr nicht weit entlegen 
ſein. Bei einer Entfernung von 180 m liegt ein ſolcher 
räumlicher Zuſammenhang nicht mehr vor. Hier fehlt 
es alſo an einem Wirtſchaftsraum oder einer ſonſtigen 
Oertlichkeit oder Stelle, die mit dem Geſchäftsraume 
zuſammenhinge und zur Befriedigung des Trinkbedürf⸗ 
niſſes aufgeſucht werden könnte. Der Geſchäftsraum 
des Angeklagten dient nur der Vorbereitung des Ge— 
nuſſes der Getränke und Speiſen, nicht aber dem Ge⸗ 
nuſſe ſelbſt. Die einzelnen Arbeiter verzehren viel⸗ 
mehr die ihnen gelieferten Genußmittel da, wo es 
ihnen beliebt. Bei der Abgabe von Getränken er- 
ſchöpft ſich die Tätigkeit des Angeklagten darin, daß 
er das von den Arbeitern im voraus beſtellte Bier 
in Flaſchen oder in Krügen in die Fabrik liefert, wo 
es von ihnen in Empfang genommen wird. Zum 
Genuß iſt ihnen weder von der Fabrikleitung noch 
vom Angeklagten ein geſonderter Raum zur Ver— 
fügung geſtellt. Wenn deshalb die Arbeiter irgendwo 
in einem zur Fabrik gehörigen Gebäude, an ihrer 
Arbeitsſtelle oder in einem Hofe die Getränke genießen, 
ſo läßt ſich nicht eine Oertlichkeit bezeichnen, die zur 
Ausübung eines Wirtſchaftsbetriebs beſtimmt wäre. 
Der Gewerbebetrieb des Angeklagten iſt demzufolge 
nicht der Betrieb einer Schankwirtſchaft, ſondern ein 
Kleinhandel mit Bier i. S. des § 35 Abſ. 4 Gew., 
der ja ſowohl den Vertrieb von Flaſchenbier als auch 
den Verkauf von Bier vom Faß in kleinen Mengen 
umfaßt. Der Angeklagte betreibt auch nicht einmal 
eine Gaſſenſchänke im eigentlichen Sinne des Wortes, 
denn eine ſolche ſetzt ein Geſchäftslokal voraus, in 
dem der Abnehmer den Gewerbetreibenden aufſucht, 
um die Getränke bei ihm zu kaufen und zum Genuß 
nach Hauſe zu bringen. Hier werden dagegen die 
vorher beſtellten Getränke über die Straße an den 
Aufenthaltsort der Abnehmer gebracht, dort übergeben 
und genoſſen. Es liegt darum der Betrieb eines 
Handelsgewerbes, ein kaufmänniſcher Betrieb vor, der 
ſich von dem Schankgewerbe unterſcheidet; ein ſolcher 
Betrieb bedarf keiner polizeilichen Zulaſſung. Der 
Betrieb einer Speiſewirſchaft, d. h. der Verkauf zu— 
bereiteter Speiſen zum Genuß auf der Stelle, und die 
Abgabe von zubereiteten Speiſen aus einer ſolchen 
Speiſewirtſchaft gehören zum Gewerbe der Köche (Aus— 
kochgeſchäft) und bedürfen als ſolche keiner Genehmi— 
gung. Da weder der Kleinhandel mit Bier noch der 
Betrieb eines Auskochgeſchäfts genehmigungspflichtig 
iſt, gilt dasſelbe auch von dem Geſchäfte des Ange— 
klagten, das beide Gewerbe vereinigt. (Urt. vom 1. Juli 
1911, Reeg. 271/11). Ed. 
2408 


II. 


Anheiten von Plakaten: Sinn und Tragweite des 
Art. 12 AS. StPO. X. hatte an einem 2 m von der 
Straße entfernten frei zugänglichen Hauſe ein Reklame— 
plakat geſchäftlichen Inhalts ohne polizeiliche Er— 
laubnis angeheftet. X. wurde von den Vorinſtanzen 
wegen einer Uebertretung nach Art. 12 AG. StPO. 
verurteilt. Die Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Nach Art. 12 AG. StPO. 
vom 18. Auguſt 1879 iſt ſtrafbar, wer ohne polizeiliche 
Erlaubnis auf Straßen oder öffentlichen Plätzen Be— 
kanntmachungen, Plakate oder Aufrufe anſchlägt, an— 
heftet, ausſtellt oder öffentlich unentgeltlich verteilt, 
desgleichen, wer ohne ſolche Erlaubnis eine der ans 


450 


geführten Handlungen vornehmen läßt. Aus der 
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes ergibt ſich, daß der 
Art. 12 nicht ſtraßen⸗ oder verkehrs polizeilichen Zwecken 
dient. Das Verbot des Art. 12 hat nicht ſeinen Grund 
darin, daß eine Störung des Verkehrs verhindert 
werden ſoll, die dadurch entſtehen kann, daß die Leute 
vor einem Plakat auf der Straße ſtehen bleiben oder 
ſich dort anſammeln und ſo den Straßenverkehr 
hemmen. Die Vorſchrift des Art. 12 iſt vielmehr 
preßpolizeilicher Natur, hat die Wirkung des öffent- 
lichen Anſchlagens von Plakaten auf das Publikum im 
Auge. Das Verbot will Schädigungen des Gemein— 
wohls vorbeugen, die durch das Leſen von Plakaten 
gewiſſer Art hervorgerufen werden können. Von 
dieſem Geſichtspunkt aus iſt zu beurteilen, in welchem 
Sinne der Begriff des Anſchlagens und Anheftens 
von Plakaten auf Straßen und öffentlichen Plätzen zu 
verſtehen iſt. Lieſer Begriff des öffentlichen An⸗ 
ſchlagens iſt nicht gleichbedeutend mit Anſchlagen von 
Plakaten an öffentlichen Orten, zu denen auch Gaſt⸗ 
häuſer, Theater, Bahnhöfe und andere dem Publikum 
zugängliche Räume zu zählen ſind. Das Verbot des 
Art. 12 iſt daher auf Straßen und öffentliche Plätze 
in und außerhalb von Ortſchaften zu beſchränken. 
Auch ein von der Straße oder einem öffentlichen 
Platze auch ſichtbarer Anſchlag, der ſich innerhalb 
eines Gebäudes befindet, z. B. das Anheften eines 
Plakats im Innern eines Ladens an dem Schauſenſter, 
fällt nicht unter das Verbot des Art. 12, da das Geſetz 
nur ein Anſchlagen von Plakaten auf Straßen und 
Plätzen unter freiem Himmel betreffen will. Der 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


— — — — ———— ͥꝓ y 


Art. 12 will das Anſchlagen von Plakaten nur da 


durch das Erfordernis polizeilicher Erlaubnis be— 
ſchränken, wo die Oeffentlichkeit in weiteſtem Umfange 
gegeben iſt. Daß im einzelnen Falle das Plakat nur 
an einer Stelle an der Straße angeſchlagen wird, 
ſchließt jedoch die Anwendbarkeit des Art. 12 nicht 
aus. Da das Geſetz verhindern will, daß mittels 
Plakaten, die polizeilicher Kontrolle nicht unterſtellt 
wurden, auf das Straßenpublikum eingewirkt werde, 
begründet es keinen Unterſchied, ob die Plakate auf 


der Straße ſelbſt, z. B. an einer Anſchlagſäule, oder 


an der Außenſeite eines unmittelbar und hart an der 
Straße ſiehenden Gebäudes oder einige Schritte von 
dieſer entfernt, aber immer noch in ſolcher Nähe an— 
geſchlagen werden, daß das Plakat von der Straße 
aus auffällt und entweder ſchon von dieſer aus geleſen 
werden kann oder doch von dort aus allgemein zu— 
gänglich iſt. Die Anwendung des Art. 12 hängt auch 
duvon nicht ab, daß die Straßen oder Plätze öffent— 
lich im privat- oder verwaltungsrechtlichen Sinne 
ſind. Es iſt auch ohne Belang, ob der Raum unter 
freiem Himmel, wo ſich das Plakat befindet, im 
Privateigentum ſteht und an ſich der Eigentümer die 
Straße oder den Platz für den Verkehr durch das 
Publitum abſperren konnte. Solange tatſächlich der 
Verkehr freigegeben iſt. dem Publikum die Stellen, 
an denen ſich die Plakate befinden, frei zugänglich 
ſind, tritt auch das Verbot des Art. 12 in Kraft. 


(Urt. vom 17. Juni 1911, Revb.-Reg. 251,11). El. 
2383 


Aus der Praxis des bayer. Verwaltungs: 


gerichtshofs. 
1 


Errichtung von Badeanlagen. Zuſtändigkeiisaus⸗ 
ſcheidung. Eine Stadtgemeinde nahm für fi das 
Recht in Anſpruch, bei einer Badeanlage einen Fuß— 
boden in einen der Stadtgemeinde gehörigen Privat— 
fluß einzuhängen. Triebwerksbeſitzer traten dieſem 
Anſpruch mit der Behauptung entgegen, daß durch den 
Fußboden eine ſchadliche Stauung verurſacht werde. 


— —— [—ää—ã — . —— ͤ -jä6äͤ — 


in Bayern. 1911. Nr. 22. 


— EEE ERREGER EEE — — —— - — 


Hiernach beſtand Streit über eine „beſondere Nutzung“ 
an einem „im Eigentum dritter Perſonen“ ſtehenden 
Privatfluſſe, ſo daß der VGH. zur Entſcheidung im 
letzten Rechtszuge zuſtändig war (Art. 47 mit Art. 177 b 
WG.). Die bei Errichtung von Budeunlagen nach 
Art. 47 und 45 WG. in Frage kommenden Verhält⸗ 
niſſe find ver waltungsrechtlicher Natur. Nach 
Art. 76 WG. kann zu prüfen ſein, ob eine Bade⸗ 
anlage in ihrer Geſamtheit deshalb genehmigungs⸗ 
pflichtig iſt, weil fie innerhalb der feſigeſetzten Grenzen 
des Ueberſchwemmungsgebietes errichtet werden ſoll. 
Hier handelt es ſich um eine waſſerpolizeiliche 
Würdigung, der VG. hat keine Zuſtändigkeit, weil 
der Art. 76 im Art. 177 WG. nicht genannt iſt. Der 
Gebrauch des Waſſers zum Baden gehört nach Art. 26 
WG. zu dem für jeden freien „Gemeingebrauche“; auch 
die hierbei in Betracht kommenden Verhältniſſe (Art. 26 
bis 28 WG.) find nicht verwaltungsrechtlicher Natur, 
ſondern Gegenſtand der Waſſerpolizei. Auch in 
baupolizeilicher Hinſicht hat der 86. keine Zu⸗ 
ſtändigkeit. Die Bezugnahme der Gegner der Stadt: 
gemeinde auf Art. 44 WG. war verfehlt, weil die Fluß⸗ 
ſtrecke nicht im „Eigentum der Ufereigentümer“, ſondern 
im „Eigentum Dritter“, nämlich der Stadtgemeinde 
N. ſteht. Der VGH. unterläßt es aber nicht, auch noch 
darauf hinzuweiſen, daß es ſich bei den in Art. 41 
bezeichneten „Rechten der übrigen Ufereigentümer und 
der ſonſtigen Waſſerberechtigten“ um bürgerlich⸗ 
rechtliche Angelegenheiten handelt, die gemäß Art. 13 
VG. ausſcheiden. Die vom öffentlichen Intereſſe 
gebotenen Beſchränkungen der Waſſernutzung bei den 
im Eigentum der „Ufereigentümer“ und „dritter“ Per: 
ſonen ſtehenden Privatflüſſen ſind dagegen in Art. 45 
und 47 WG. behandelt, verwaltungsrechtlicher Natur 
und unterſtehen der endgültigen Entſcheidung des Ver⸗ 
waltungsgerichtshofs gemäß Art. 177 b WG. (Entſch. 
des II. Sen. vom 17. Mai 1911, Sammlung Bd. 32 
S. 123 ff.). M. 


II. 


Pflicht zur Teilnahme am konfeſſionellen Religions: 
unterricht. Neligiöſe Kindererziehung bei ungemiſchter 
Che. Grete A., Tochter der iſraelitiſchen Eheleute 
Max und Eliſe A. in M., beſucht die Volksſchule, wird 
jedoch ſeit Beginn des Schul beſuchs nicht in den 
iſraelitiſchen Religionsunterricht, ſondern in den Moral— 
unterricht geſchickt, den die freireligiöſe Gemeinde in 
M. für die ſchulpflichtigen Kinder freireligiöſer Eltern 
abhalten läßt. Zunächſt führt der VGH. aus, daß 
Streitfragen bei der religiöſen Erziehung nicht nur 
in den Fällen von Abſchnitt 1 Kap. III der 11. Verf Beil., 
ſondern auch dann unter die Ziff. 4 des Art. 8 VGG. 
fallen, wenn die Kinder aus ungemiſchter Ehe ſtammen. 
Auch in ſolchen Streitfragen ſind die geiſtlichen Oberen 
antrags- und beſchwerdeberechtigt, insbeſondere kann 
der örtlich zuſtändige Rabbiner angeſichts der nach 
SS 24, 30 des Judenedikts und nach Ziff. 4, 5 der 
Normativentſchließung vom 25. Juni 1863 (Kult Min Bl. 
1865 S. 218) innerhalb der iſraelitiſchen Religions- 
geſellſchaft ihm zukommenden Stellung zur Wahrung 
der rechtlichen Intereſſen ſeiner Religionsgeſellſchaft 
Anträge ſtellen und Beſchwerde führen. Die religtöſe 
Erziehung von Kindern aus ungemiſchter Ehe beſtimmt 
ſich nach dem bürgerlichen Recht. Die in ungemiſchter 


Ehe lebenden Eltern haben hinſichtlich ihres Kindes 
das freie religiöſe Beſtimmungsrecht. Von dem freien 


— 


Religionsbeſtimmungsrechte haben die Eltern der Grete 
A. jedoch bisher keinen Gebrauch gemacht. Sie haben 
vielmehr ausdrücklich zugegeben, daß ihre Tochter der 
iſraelitiſchen Glaubensgenoſſenſchaft angehöre und daß 
ſie ihr Kind aus dieſer gar nicht austreten laſſen 
wollen. Dieſe Willensbekundung der Eltern iſt ge— 
nügend um das Kind, das der Rabbiner unter Bezug 
auf das innerkirchliche Recht ſchon infolge der Geburt 
aus einer jüdiſchen Mutter als Jüdin in Anſpruch 


nimmt, auch ſtaatsrechtlich als Angehörige der ifraeli- 
tiſchen Glaubensgenoſſenſchaft zu betrachten. Im Wider⸗ 
ſpruche mit der von ihnen ſelbſt zugegebenen und ge⸗ 
wollten Zugehörigkeit ihrer Tochter zur iſraelitiſchen 
Religlonsgenoſſenſchaft wollen die Eltern, daß das 
Kind nicht in den Lehren ſeiner Religionsgenoſſen⸗ 
ſchaft, ſondern nach den Grundfäßen der 5 
Gemeinde erzogen werden fol. Unter Berufung auf 
ſeine ſtändige Rechtſprechung führt der VGH. aus, daß 
die religiöfe Erziehung ein Beſtandteil der Erziehung 
überhaupt iſt und daß die Erziehung im Sinne des 
8 1631 BGB. die Sorge für die geiſtige, körperliche 
und insbeſondere auch ſittliche Ausbildung des Kindes, 
ſomit auch die religiöſe Erziehung umfaßt. Dieſe Er⸗ 
ziehung iſt der Ausfluß der dem Vater als Träger 
der elterlichen Gewalt und neben ihm der Mutter ob⸗ 
liegenden Sorge für die Perſon des Kindes und nicht 
nur ein Recht Per auch eine Pflicht der Genannten 
(88 1627, 1631, 1634 BGB.). Die Richtung aber, in 
der ſich die dem Erziehungsberechtigten obliegende, 
nach der Rechtſprechung des VGH. auch die Anteils 
nahme am Religionsunterricht umfaſſende religiöſe 
Erziehung ihres Kindes jedenfalls bis zur Beendigung 
der Schulpflicht zu bewegen hat, ergibt ſich aus der 
Konfeſſion, der das Kind angehört. Dazu kommt, 
daß der Staat den Unterricht in der Glaubens- und 
Sittenlehre unter die Gegenſtände des Volksſchul⸗ 
unterrichts aufgenommen und den Unterrichtszwang 
hierauf ausgedehnt hat und daß dies auch für den 
iſraelitiſchen Religionsunterricht gilt. Vom ſtaats⸗ 
rechtlichen Standpunkt aus hat deshalb Grete A. den 
iſraelitiſchen Unterricht zu beſuchen. (Entſcheidung des 
II. Sen. vom 10. Mai 1911, Samml. Bd. 32 S. 1 
2411 


Literatur. 


Kretzſchmar, Dr. F., OL GRat in Dresden, Die 
Zwangsverſteigerung und die Zwangs⸗ 
verwaltung. 12° (Sammlung Göſchen Bd. 523.) 
110 Seiten. Leipzig 1911, G. J. Göſchenſche Ver⸗ 
lagsbuchhandlung. Geb. Mk. 80.—. 

Das Büchlein, ein gemeinverſtändliches, ſich im 
Rahmen der Göſchenſchen Sammlung haltendes Ex⸗ 
zerpt aus des Verfaſſers größerer ſyſtematiſchen Dar⸗ 
ſtellung des Reichsgeſetzes über die Zwangsverſteigerung 
und die Zwangsverwaltung, iſt zur Einführung in 
den ſchwierigen Rechtsſtoff durchaus geeignet D. 


J. v. Standingers Kommentar zum Bürgerlichen Ge: 
ſetzbuch und dem Einführungsgeſetze herausgegeben 
von Dr. Theodor Loewenfeld, Philipp Mayring, Dr. 
Karl Kober, Dr. Felix Herzfelder, br. Erwin Niezler, 
Dr. Ludwig Fuhlenbed, Dr. 9 Engelmann 
und Joſeph Wagner. 5./6. neubearbeite Auflage. 
22. Lieferung. München und Berlin 1911. J. 
Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 

Die Schlußlieferung bringt die Erläuterungen der 
Art. 125 — 218 des EG. BGB. durch Kuhlenbeck und 
das alphabetiſche Sachregiſter zu Bd. 6, bearbeitet von 
Keidel, ſowie als Bd. 7 ein alphabetiſches Geſamt— 
regiſter zu Bd. 1—6, bearbeitet von Keidel. Die 
Kommentierung des EG. BGB. iſt ſchwieriger und un— 
dankbarer als die des BGB. Auch 


451 


—— — — — ———— ſðK—¾—ãc u—2— 


Sache der einzelnen Bundesſtaaten, ſelbſt eine er⸗ 


| 
| 
| 
| 


Staudingers | 


EG. BGB. bietet in 5./6. Auflage noch nicht das, was 


wir brauchen. Wir müſſen endlich einmal einen Kom— 
mentar zum EG. BGB. bekommen, der erſchöpfend je— 
weils bei den einzelnen Artikeln die ſämtlichen landes— 
rechtlichen Normen aufführt, die noch in Geltung ſind. 
Eine ſolche Aufgabe kann einer allein freilich nicht 
leiſten. Er wird dazu aus jedem Bundesſtaat einen 
Mitarbeiter nehmen müſſen. Eigentlich wäre es aber 


man die deutſche Hafenbehörde abgeben. 


ſchöpfende Aufzählung aller durch EG. BGB. aufrecht 
erhaltenen landesrechtlichen Normen zu beſchaffen. 
Was bisher alle großen Kommentare an Verweiſungen 
auf das Landesrecht bieten, iſt unzulänglich. Meiſt 
wird nur auf das AG. BGB. verwieſen, alſo auf Be⸗ 
ſtimmungen, die ſich jeder ſelbſt bequem zuſammen⸗ 
ſuchen kann. 


Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Gaß, W., ſtädtiſcher Oberſekretär in Kaiſerslautern, 
Tabellen zur Umrechnung der Steuer⸗ 
anſätze zur Umlagen verteilung (Art. 25 
Abſ. IV des Bayer. Umlagengeſetzes vom 14. Aug. 
1910). 8°. 23 Seiten. München 1910, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Mk. 1.50. 


Ein brauchbares Hilfsmittel für die mit der Um⸗ 
lagenberechnung befaßten Behörden, Gemeindever⸗ 
waltungen, Rentämter ꝛc. D. 


Sulb, Dr. Heinr., Die igentümerhypothek im 
Konkurs (Würzburger Abhandlungen zum deut⸗ 
2 75 und ausländ. Prozeßrecht, Heft 4). 8°. VIII, 
83 S. Leipzig 1911, C. L. Hirſchfeld. Mk. 2.—. 


Die ſich an das Thema knüpfenden Fragen werden 
eingehend erörtert und zum Teil abweichend von der 
herrſchenden Meinung beantwortet. D. 


Notizen. 


Die Feſtnahme flüchtiger Verbrecher auf dentſchen 
Handelsſchiffen. Auf eine wichtige Neuerung macht 
die Bekanntmachung vom 13. Oktober 1911 (JM Bl. 
S. 330) aufmerkſam: Befindet ſich ein flüchtiger Ver⸗ 
brecher an Bord eines deutſchen Handelsſchiffes, das 
mit einer Funkentelegraphenſtation ausgerüſtet iſt, ſo 
kann der Kapitän des Schiffes durch Funkſpruch erſucht 
werden, ihn auf Grund eines Haftbefehls feſtzunehmen 
und bis zum Eintreffen des Schiffes in dem deutſchen 
Beſtimmungshafen in ſicherem Gewahrſam zu halten. 

Zum Verſtändniſſe der Rechtslage ſind folgende 
Fingerzeige nötig: Auf hoher See befindliche 
Handelsſchiffe gelten allgemein als ein Teil ihres 
Heimatſtaates; ſie ſind nur der heimatlichen Staats⸗ 
gewalt unterworfen und von jeder fremden Gerichts⸗ 
barkeit und Polizeigewalt befreit (ſ. König, Handbuch 
des deutſchen Konſularweſens, 6. Ausgabe, S. 331; 
Liszt, Völkerrecht, 3. Aufl., S. 86). N 

Wer hat aber dann auf ſolchen Schiffen die heimiſche 
Staatsgewalt auszuüben? Die Reichsgeſetzgebung (I. 
die Seemannsordnung vom 2. Juni 1902) gibt darauf 
keine erſchöpfende Antwort. Soweit die Schiffsreiſen⸗ 
den in Betracht kommen, muß man auf die gewohn— 
heitsrechtliche Uebung, den Seegebrauch zurückgreifen. 
Auf hoher See iſt darnach der Kapitän Vertreter 
der deutſchen Staatsgewalt über das deutſche 
Schiff (f. Zorn, Staatsrecht des deutſchen Reiches 
2. Bd., 2. Aufl., S. 856 f.). Nur dadurch kann, wie 
Zorn im Vorworte S. IX a. a. O. mit Recht hervor⸗ 
hebt, die herkömmliche, anerkannte Ausübung von 
Staatshoheitsrechten durch den Schiffsführer auf hoher 
See eine genügende rechtliche Erklärung finden. Es 
iſt z. B., ſoviel bekannt, niemals als unzuläſſig an⸗ 
gefochten worden, daß die Kapitäne deutſcher Handels— 
ſchiffe Verbrecher, die an Deutſchland ausgeliefert 
werden, in dem Hafen des ausliefernden oder durch— 
liefernden ausländiſchen Staates in Empfang nehmen, 
auf dem Schiffe als Gefangene verwahren und dann 
Hierzu ſind 


ſie aber nur berechtigt, wenn man ihnen polizeiliche 
Befugniſſe über die an Bord befindlichen Perſonen 


zuſpricht und wenn fie den gefangen gehaltenen Per- 


Zeitſchrift für Rechtspflege 
ſonen als Vertreter der Staatsgewalt (Beamte im 
weiteren Sinne) gegenüberſtehen. 

Auf der gleichen rechtlichen Grundlage vollzieht 
ſich die Feſtnahme eines flüchtigen Verbrechers an 
Bord des Schiffes. Bei der Feſtnahme handelt der 
Kapitän nicht als Privatperſon, ſondern als Beamter. 
Als Privatperſon könnte er nur Verbrecher feſtnehmen, 
die auf friſcher Tat betroffen oder verfolgt werden 
(ſ. $ 127 Abſ. 1 StPO.). Als Vertreter der Staats⸗ 
gewalt hat er weitergehende Befugniſſe. Er darf 
vorläufig feſtnehmen, wenn die Vorausſetzungen eines 
Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug iſt (I. 
§ 127 Abſ. 2 StPO.) Er iſt ferner berechtigt, auf 
das Erſuchen der Strafverfolgungs- oder Strafvoll⸗ 


in Bayern. 1911. Nr. 22. 


ſtreckungsbehörde einen Haftbefehl zu vollziehen. Eine 


öffentlichrechtliche Verpflichtung dazu hat er aller⸗ 
dings nicht. Die inländiſche Behörde kann den Kapitän 
um ſeine Mitwirkung erſuchen, aber es ſteht in ſeinem 
Ermeſſen, ob er die erbetene Hilfe leiſtet. Das 
iſt auch nicht anders möglich, denn die inländiſche 
Behörde kann nicht entſcheiden, ob der Kapitän nach 
den Verhältniſſen an Bord des Schiffes überhaupt in 
der Lage iſt, dem Erſuchen zu entſprechen, ob er z. B. 
ein zur Verwahrung des Gefangenen geeignetes Lokal 
hat, ob er ihn bewachen laſſen kann u. dgl. Die in⸗ 
ländiſche Behörde wird ferner in vielen Fällen nicht 
wiſſen, ob die telegraphiſche Nachricht das Schiff noch 
auf hoher See oder erſt in einem ausländiſchen Küſten⸗ 
gewäſſer erreicht. Wenn die Bekanntmachung vom 
13. Oktober 1911 zwiſchen dieſen letzteren Fällen nicht 
unterſcheidet, ſo will ſie damit nicht zum Ausdrucke 
bringen, daß es gleichgültig iſt, wo ſich das Handels⸗ 
fchiff befindet; fie vermeidet es mit Recht, zu der völker⸗ 
rechtlichen Streitfrage Stellung zu nehmen, wieweit 
das Handelsſchiff im fremden Küſtengewäſſer 
der Staatsgewalt des fremden Staates unterworfen 
iſt (ſ. dazu König a. a. O. S. 331 f., Liszt a. a. O. 
S. 80 f., Harburger, Gerichtsſaal Bd. 76 S. 127f.). 

Auf die Streitfrage ſoll hier nicht eingegangen 
werden. Jedenfalls dürfte es völkerrechtlich unbedenk⸗ 
lich ſein, daß Perſonen, die auf hoher See feſtgenommen 
wurden, auf dem Schiffe auch feſtgehalten werden, 
ſolange es in fremdem Küſtengewäſſer iſt — unter der 
Vorausſetzung, daß die fremde Landesbehörde den 
Gefangenen nicht für ſich beanſprucht. Dagegen wird 
wohl die Feſtnahme des Verfolgten während des 
Aufenthalts des Schiffes im fremden Küſtengewäſſer 
zur Vermeidung von Streitigkeiten mit dem ausländi— 
ſchen Staate in der Regel unterbleiben, auch wenn 
man ſie für völkerrechtlich zuläſſig hält. Daraus er— 
gibt ſich für die verfolgende Behörde unter Umſtänden 
die Notwendigkeit, dafür zu ſorgen, daß der Flüchtling, 
wenn er in dem fremden Hafen das Schiff frei ver— 
laſſen ſollte, ſofort von der Landesbehörde feſtge— 
nommen und in Auslieferungshaft genommen wird. 

Zur Erläuterung ein Beiſpiel aus der neueſten Zeit: 

Der wegen Untreue flüchtig gegangene Kaufmann 
N. war nach längerem Aufenthalt in den Vereinigten 
Staaten von Amerika von der Einwanderungsbehörde 
auf Grund des amerikaniſchen Einwanderungsgeſetzes 
von 1907 aus dem Gebiete der Vereinigten Staaten 
nachtraͤglich zurückgewieſen worden und mußte infolge— 
deſſen die Rückreiſe nach Europa (auf einem deutſchen 
Schiff mit deutſchem Beſtimmungsort) antreten. Die 
deutſche Konſularbehörde erhielt davon Kenntnis und 
ließ die Staatsanwaltſchaft telegraphiſch benach— 
richtigen Als die Nachricht dort ankam, ſchwamm 
das Schiff noch auf hoher See, es ſollte aber am 
nächſten Tage einen engliſchen und einen franzöſiſchen 
Hafen anlaufen. War N. bis zur Landung nicht feſt— 
genommen, ſo verließ er vermutlich in England oder 
in Frankreich das Schiff, um der Feſtnahme im deutſchen 


Beſtimmungsorte zu entgehen. Der Staatsanwalt 
erſuchte deshalb durch Funkſpruch den Kapitän des 
Schiffes um Feſtnahme des N. auf hoher See, zugleich 
beantragte er aber bei den in Betracht kommenden 
deutſchen Konſularbehörden die Erwirkung der vor⸗ 
läufigen Feſtnahme des N. in dem engliſchen (fran⸗ 
zöſiſchen) Hafen zum Zwecke der Auslieferung. Auf 
dieſe Weiſe war für alle Fälle vorgeſorgt. Da der 
Funkſpruch das Schiff noch auf hoher See erreichte 
und der Kapitän dem Erſuchen ſofort nachkam, war 
ein Auslieferungsantrag überflüſſig. N. wurde, ſobald 
W Boden erreicht war, der Polizeibehörde über⸗ 
geben. 


Die kataſtermäßige Behandlung von Grundſtücken 
und Miteigentumsanteilen. Das Staatsminiſterium 
der Finanzen hat am 2. Juli 1911 eine Bekannt⸗ 
machung, die kataſtermäßige Beſchreibung von Grund⸗ 
ſtücken und Miteigentumsverhältniſſen betr. (J Ml. 
S. 490), erlaſſen, welche die früher üblichen, auf das 
Beſtehen von Grunddienſtbarkeiten oder Benützungs⸗ 
rechten hinweiſenden Zuſatze aus der fataftermäßigen 
Beſchreibung der Grundſtücke und Miteigentums ver⸗ 
hältniſſe entfernt. Nur der Inhalt von Vereinbarungen 
im Sinne des $ 1010 BGB. wird auch jetzt noch in den 
Meſſungsverzeichniſſen erſichtlich gemacht, aber nur in 
Form einer dem Abſchluſſe des bisherigen und des 
nunmehrigen Beſitzſtandes folgenden Anmerkung. Dieſe 
Vorſchrift findet entſprechende Anwendung, wenn ein 
unter der Herrſchaft des früheren Rechtes begründetes 
Stockwerkseigentum in einem Meſſungsverzeichniſſe 
vorzutragen iſt. Die Bekanntmachung des Staats⸗ 
miniſteriums der Finanzen wird durch eine Bekannt- 
machung des Staatsminiſteriums der Juſtiz vom 
16. Oktober 1911, die Führung des Grundbuchs, hier 
die kataſtermäßige Beſchreibung von Grundſtücken und 
Miteigentumsanteilen betr. (JMBl. S. 345) den Juſtiz⸗ 
behörden zur Kenntnis gebracht. Hierzu wird bemerkt: 
1. Bei der Umlegung von Grundbuchblättern und bei 
der Neuherſtellung von Sachregiſtern ſind aus der 
kataſtermäßigen Beſchreibung der Grundſtücke die auf 
das Beſtehen von Grunddienſtbarkeiten hinweiſenden 
Zuſätze wegzulaſſen; dem Rentamt iſt die Weglaſſung 
mitzuteilen. Dagegen ſind die in der Beſchreibung der 
belaſteten Grundjtude vorgetragenen Grunddienſtbar— 
keiten, ſoferne ſie noch zu Recht beſtehen, bei der Um⸗ 
legung des Grundbuchblatts der belaſteten Grundſtücke 
in die zweite Abteilung einzutragen und, wenn ſie 
überdies in der kataſtermäßigen Beſchreibung der be⸗ 
rechtigten Grundſtücke erwähnt ſind, auch im Titel der 
Blätter der berechtigten Grundſtücke zu vermerken. 
Die im Flurbereinigungsverfahren beſtellten Grund— 
dienſtbarkeiten werden im Flurbereinigungsoperate 
kunftig in der für Bemerkungen beſtimmten Spalte ſowie 
im Laſtenverzeichnis auf der rechten Seite am Schluſſe 
der Beſitzvorträge dargeſtellt. Sie ſind, ohne daß es 
eines beſonderen Antrags oder einer Eintragungs— 
bewilligung bedarf, beim Vollzuge des Operats in die 
zweite Abteilung der Blätter der belafteten Grund— 
ſtücke einzutragen und im Titel der Blätter der be— 
rechtigten Grundſtücke zu vermerken. 2. Vereinbarungen 
gemäß 8 1010 BGB. find auf Antrag der Beteiligten, 
allenfalls unter Bezugnahme auf die Eintragungs— 
bewilligung, in die zweite Abteilung der für das Grund— 
ſtück als Ganzes und der für die Miteigentumsanteile 
beſtehenden Blätter einzutragen. Die Notare haben 
die Beteiligten darüber zu belehren, daß die Verein: 
barung dritten Perſonen gegenüber nur dann wirkt, 
wenn ſie in das Grundbuch eingetragen wird. 

2410 
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


Ur. 23. München, den 1. Dezember 1911. 7. Jahrg. 


eitfhrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von es Berlag von 
Re ill Büttner 
Staate miniterium der Jul München und Perlin. 
Nachdruck verboten. 453 
Das Weſen des „Nodernismus“.“) Als ich dieſe Stelle aus dem achten Brief 


Friedrich Schillers über die äfthetiihe Er⸗ 

Von Oberlandesgerichtsrat Dr. J. Gmelin in Stuttgart. ziehung des Menſchen dieſer Tage las, war es 

| mir klar, daß dieſer Satz wohl geeignet ift, an der 

„Nicht genug, daß alle Aufklärung des Ver: Spitze dieſer Ausführungen zu ſtehen, welche den 

ſtandes nur inſoferne Achtung verdient, als ſie auf Zweck haben, die neuere Bewegung in der Rechts⸗ 

den Charakter zurückfließt, ſie geht auch gewiſſer⸗ wiſſenſchaft, wie ſie vorzüglich der Begründung 

maßen von dem Charakter aus, weil der Weg zu | des Vereins „Recht und Wirtſchaft“ als 
dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden. Baſis dient, kurz zu ſchildern. 

Ausbildung des Empfindungsvermögens iſt alſo In der Tat kann die Gegenſätzlichkeit gegen 


das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß den heute bei uns vorherrſchenden formaliſtiſchen 


weil ſie ein Mittel wird, die verbeſſerte Einſicht Geiſt der Rechtſprechung im letzten Grunde als 
für das Leben wirkſam zu machen, ſondern ſelbſt 8 1 werden. Wir 


Pu, weil fie zu Verbeſſerung der Einfiht | empfinden, daß nicht das abſtrakte Wiſſen, nicht 
erweckt die gelehrte Formel die Hauptſache iſt, ſondern das 


9 An 115 d es Herausgebers. Die Beſtrebungen Rechtsgefühl Mund der durch mitſchwingende 


zur Förderung zeitgemäßer Rechtspflege haben bisher Gefühlstöne beitimmte Charakter. Der „Mo: 
bei den bayeriſchen Praktikern nur wenig Anklang ges | dernismus“ bezweijelt daher die Richtigkeit der 
1 19 7 ift Ge = ee eine Anſicht und bekämpft die Anſicht, daß die Recht: 
zelner Heißſporne hatten manchen ſtutzig gemacht; man f 5 f 
fürchtete, es ſei auf einen Umſturz alles Beſtehenden e e 7 0 u ich ber 1 
abgeſehen und es werde eine ſchrankenloſe Freiheit des egriff ubung er chöpfe. an verſucht viel⸗ 
Richters gegenüber dem Geſetze gepredigt. Durch die mehr die richterliche Aufgabe ſich vorzuſtellen 
. des Vereins re und 1 iſt 5 als eine ordnende Tätigkeit, welche zwar 
ie Bewegung in neue Bahnen gelenkt worden. An ; 17 f 
die Stelle des Läſterns auf „Pandektologie“ und „Kon⸗ m. 1 ar nen 177 125 115 
ſtruktionsjurisprudenz“ fol ernſte ſachliche Unterſuchung findet, iſinerha ; ieſer Schranke aber möglich] 
frei ſich bewegt,) beherrſcht weniger von dem 


treten. Kein Praktiker wird es unterlaſſen dürfen, die d. 8 
Entwicklung zu verfolgen und ſich über ihre Ziele zu Gedanken, die Ereigniſſe des menſchlichen Rechts⸗ 


unterrichten. Gegenüber großen Zeitfragen iſt nichts ; N 
weniger angebracht als vorſchnell abſprechendes Urteil lebens unter die Geſetzeswerte und Geſetzesbegriffe 


oder mißtrauiſches Abſeitsſtehen. Der Aufklärung ſoll Zu preſſen, als von dem Bedürfnis, in erſter Linie 
auch die hier veröffentlichte Abhandlung dienen. | durch praktiſche und verſtändliche Entwirrung der 
1 110 18 Se 10 die u 5 19 8 durcheinander geratenen Fäden gegenſätzlicher 
irtſcha ingewieſen, die ſeit dem Oktober unter : 
der Leitung von Proſeſſor Dr. Hans Reichel in Zürich. Strebungen zum Ende zu ent und 90 der 
Oberamtsrichter Franz Riß in München und Landrichter Aburteilung der einzelnen treitſache nicht eine 
Dr. Max Rumpf in Oldenburg im Verlage von Carl Verſtandesleiſtung, nach Art eines juriſtiſchen 
en in a (Preis für Nichtmitglieder = 
10 jährlich). Es fehlt uns hier an Raum, um auf f b . 
den vielgeſtaltigen Inhalt der beiden erſten Hefte näher e) Vgl. Schneider, „Die urſprünglichſte 
einzugehen. Als deſonders beachtenswert heben wir Grundlage des richterlichen Urteils, das 
hervor die Abhandlungen von Profeſſor Dr. Reichel Rechts gefühl“ in Z. f. ZP. Bd. 41 S. 297. 
(Der deutſche Richterbund), von Profeſſor Dr. Hein s— 2) Dieſer Satz iſt von mir (Quousque?, Hannover, 
heimer (Rechtsſtudium und Lebenskunde), von Pro- Hellwig 1910 S. 67—09) als poſitives Ergebnis der 
feſſor Dr. Hellwig (Gläubigernot', von Oberlandes- Ernſt Fuchsſchen Schriften (namentlich: Die Gemein⸗ 
gerichtsrat Dr. Gmelin (Ueber ſtaatsbürgerliche Er⸗ gefährlichkeit der konſtruktiven Jurisprudenz, Karlsruhe, 
ziehung), von Reichsgerichtsrat Dr. Düringer (Zum Braun 1909) herausgehoben und von Hedemann im 
Methodenſtreit). Jur. Literaturblatt Bd. 22 S. 81 gebilligt worden. 


a — — — — 
N 


454 


Praktikums, als Aufgabe zu betrachten, ſondern 
Geſetzes oder auf den eigentlichen Willen der 


vielmehr das Erfaſſen und Behandeln des Rechts⸗ 
falls als eines lebensvollen Ereigniſſes 
des Geſellſchaftslebens.“) 

Das bisherige Auge des Juriſten und Richters 
war im Grunde weſentlich darauf eingeſtellt, in den 
rechtlichen Geſchehniſſen die Verwirklichung geſetz⸗ 
licher Tatbeſtände zu finden. Man ſuchte daher mit 
aller Anſtrengung die geſetzlichen Beſtimmungen auf⸗ 
zufinden, welche, wie man glaubte, in dem jeweils 


— —r—1—4 


vorliegenden Tatſachenſtoff lebendig geworden waren, 
und man war gewiſſermaßen unglücklich, wenn 


t 


die tatſächlichen Ereigniſſe einer Anpaſſung an 


die vorhandenen Geſetzesbeſtimmungen Trotz zu 
auch von manchen, die — wie im Namens- oder 


bieten ſchienen. 
Der jetzt verlangte neue Weg führt in um: 
gekehrter Richtung. In den Vordergrund geſtellt 


wird das tatſächliche Ereignis, welches das richter⸗ 


liche Eingreifen erforderlich macht. In jedem 
Prozeß muß vor allem anderen der Tat: 
ſachenſtoff in feiner wirtſchaftlichen Be: 
deutung erforſcht werden. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


Geht man aber auf den tieferen Sinn des 


Parteien bei ihren Willenserklärungen ein, ſo 
muß man überall auf Beweggründe ſtoßen. Dieſe 
ſind zu unterſuchen, zu ſichten, zu wägen. So 
tritt die richterliche Tätigkeit in das Gebiet der 
Pſychologie ein.“) Die Abſichten der Parteien, 
die inneren „Motive“ des Geſetzes bilden den 
Schlüſſel für den wahren Sinn der Parteiwillens⸗ 
erklärung wie der Rechtsnorm. Die Beweggründe 
aber erſcheinen im menſchlichen Leben überall als 
bedingt durch reale Zwecke, Zwecke der Er⸗ 
reichung oder des Schutzes von Lebensgütern, 
hauptſächlich von ſolchen materieller Natur, aber 


Familienrecht — von ideellem Charakter find. 
Die Pſpychologie iſt es alſo, welche zur Inter⸗ 
eſſenjurisprudenz hinüberführt. Indem näm⸗ 
lich als letzte Triebfeder des Handelns das Inter⸗ 
eſſe aufgefunden iſt, zeigt ſich für den Richter 


die Notwendigkeit, von dem vorliegenden Faktum 


Die Unterſuchung einer Reihe rechtlicher Tat⸗ 
beſtände führt ſodann zu der Erkenntnis, wie was hat den Handelnden zu ihr geführt, und 


es ſich im letzten Grunde ſtets wieder darum 
handelt, daß gewiſſe Lebensintereſſen und volks⸗ 
wirtſchaftliche Güter zum Gegenſtand des Streites 
unter mehreren Beteiligten werden. Die unüber⸗ 
ſehbare Mannigfaltigkeit der hieraus entſtehenden 
Verflechtungen bringt es mit ſich, daß ſich alsbald 
zeigt, wie die typiſche Regelung der Rechtsver⸗ 
hältniſſe durch das Geſetz immer nur den kleinſten 
Teil des überhaupt Möglichen umfaſſen kann. 
Es entſtehen eigenartige Durchkreuzungen ver— 
ſchiedener Rechtsſätze, die eine beſondere, durch das 
Geſetz nicht vorgeſehene Regelung im einzelnen 
Fall notwendig machen. Oder es treten durch 
die Kraft des Verkehrslebens neue Verkehrsmittel 
oder Verkehrsgeſtaltungen in die Erſcheinung, welche 
den Richter zur Bildung von Entſcheidungen führen, 
die durch poſitive Geſetzesbeſtimmungen nicht un— 
mittelbar begründet werden können. Wenn es 
ſich um die Auslegung des Geſetzes handelt, zeigt 
ſich oft, daß der eigentliche geſetzgeberiſche Gedanke 
in den Geſetzesworten den adäquaten Ausdruck 
nicht gefunden hat. Denn auch das ſcheinbar 
klare Wort iſt oft trügeriſch; es mag ſich hinter 
ihm eine Bedeutung, eine Tragweite verbergen, 
die erſt durch Eingehen auf die inneren Zu— 
ſammenhänge erſchloſſen werden muß. Die Aus— 
legung des Geſetzes ſteht dabei in gleicher Weiſe 
unter dem Erfordernis des guten Glaubens, wie 
die Auslegung der Rechtsgeſchäfte: nur was ver— 
nünftig und gerecht iſt, hat der Geſetzgeber gewollt; 
er hat das Vertrauen zu dem Richter, daß dieſer 
das Geſetz nicht zum Schaden der Rechtsſuchenden 
ausſchlagen laſſe. 


) Weshalb der Ausdruck: „ſoziologiſche We 
thode“ nicht verworfen werden ſollte. 


| 


aus rückwaͤrts den Weg zu machen zu dieſem 
Intereſſe. Wenn er die Tat ſieht, wird er fragen: 


weiter: welche Zwecke, welche Intereſſen ſtanden 


dabei im Hintergrund? Zeigt ſich ſchließlich, wie 


im Einzelfall gegenſätzliche Intereſſen aufeinander⸗ 
ſtoßen, dann trifft der Richter, indem er dem 
einen Teil recht gibt, den Beſcheid, daß das eine 
Intereſſe das beſſere, das andere dasjenige iſt, 
welches dieſem beſſeren Intereſſe weichen muß — 
weichen muß, wenn nicht das ſtrikte Geſetz ein 
anderes befiehlt und dem Richter verbietet, die 
nach ſeinem Sinn gerechte Entſcheidung zu 
fällen. — Erwägt man aber, daß das Geſetz eben⸗ 
falls nichts anderes iſt als Intereſſenregelung, ſo 
muß auch bei der Geſetzesauslegung von den 
Intereſſen ausgegangen werden und das Geſetz von 
dem Standpunkt aus erklärt werden, daß es die 
Intereſſen vernünſtig und ſachgemäß ausgleichen 
wollte. Und verſagt das Geſetz, ſo trifft der 
Richter die Entſcheidung nach der Regel, die er 
als Geſetzgeber aufſtellen wurde ), wobei wiederum 
nichts anderes als gerechter Intereſſenausgleich 
maßgebend ſein kann. 

Wer aber über Intereſſen urteilen 
will, der muß nicht nur das Geſetz, 
der muß die Intereſſen ſelbſt kennen. 
Daher die Forderung, daß der Richter ſich mit 
den ökonomiſchen Lebensverhältniſſen, die ihn 
umgeben, befaſſe, ſie verſtehen lerne und in ſie 
eindringe. Es iſt ja ſo leicht, dieſe Forderung 
lächerlich zu machen. Der mit gelehrtem Rechts— 


) An die Wichtigkeit der Ausſagenpſychologie 
(darüber neueſtens: Stöhr in der Sammlung „Das 
Recht“, Berlin, Putikammer & Mühlbrecht Bd. IX. X, 
1911) mag hier erinnert werden. 

) Wie dies in dem berühmten Abſ. 2 des Art. 1 
des Schweizer. Zivilgeſetzbuchs als ewig unbeſtreitbare 
Norm ausdrücklich beſtimmt iſt. 


ſtoff überladene Jünger wird jagen, man könne 
ihn doch nicht zum Schuſter, zum Schneider, ins 
Bauhandwerk, in die Bank, in die Fabrik und 
in alle ſonſtigen Berufe ſchicken, um in ihnen 
ſachverſtandig zu ſein! 

Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß im Königs⸗ 
hauſe der Hohenzollern jeder Prinz ein Handwerk 
erlernen muß. Die Beſchaͤftigung mit einem Hand: 
werk erſchließt viele Eigenheiten, die allen Handwerken 
gemeinſam find. Und ſo iſt es auch ſonſt: wer 
das Bankweſen kennt, weiß ein Stück vom Handel 
überhaupt, wer in einer Fabrik zu Hauſe iſt, 
verſteht das Weſen der Fabrikation oder hat doch 
einen Begriff davon. 

Es iſt ein großes Beſtreben, das durch die 
heutige Bewegung geht: die Liebe zu der ſie 
umgebenden Tatſachenwelt ſoll in den 
Juriſten geweckt werden. Denn die Tat⸗ 
ſachen, die realen Werte, die Intereſſen 
ſind das Leben, nicht die Rechts ſätze. 
Dieſe find nur adminikulierend, find nur das 
Inſtrument, das dazu dient, daß das Rechtsleben 
richtig und gleichmaͤßig geordnet wird. Deshalb 
hinaus in das Leben! Man lerne verſtehen, um 
was das Leben ſich dreht, man ſammle Er⸗ 
fahrung, gewinne Ueberſicht und große Geſichts⸗ 
punkte. Nur wer verſteht, kann ordnen und 
heilen. Und dann noch eines: wer richtig im 
Leben und in ſeinen Kämpfen ſteht, wird erzogen. 
Solche Erziehung bewirkt Charakterbildung. 
Charakter heißt Sicherheit des Handelns, Herrſchaft 
über das eigene Fühlen, Unbeeinflußbarkeit durch 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


— . 


ſubjektive Regungen. Charakter, nicht totes 
Wiſſen, iſt die erſte Eigenſchaft, die 


vom Richter zu verlangen iſt. 
halb wollen wir, daß der Richter ſich nicht ver⸗ 
ſchließe gegen das Leben, daß er hinausgehe zu 
anderen und mitarbeite mit anderen an den ſozialen 
und politiſchen Aufgaben ſeiner Zeit, daß er in 
aktiver Mitarbeit ſich hingebe der ihn umgebenden 
Welt mit ihrem Schaffen und Ringen, daß warmes 
Intereſſe in ihm lebe für die Fortſchritte feiner 
Zeit auf allen Gebieten wie für die geiſtigen 
Strömungen, die ſich in Kunſt und Literatur 
wiederſpiegeln. Und darum muß ſchon von der 
Jugenderziehung verlangt werden, daß ſie 
den Knaben mit dem, was um ihn webt und lebt, 
den Jüngling mit den Inſtitutionen ſeiner Zeit 
bekannt mache und ſo die Liebe für die Mitwelt 
und für die reale Umgebung in ihm wecke und 
großziehe und zugleich ihn erfülle mit dem Ge: 
danken der ſozialen Zuſammengehörigkeit und mit 
ſtaatsbürgerlichem Sinn.“) 

Iſt dann zugleich mit der durch die aktive 
Mitarbeit gewonnenen inneren Sicherheit (die in 
dem mit Rechtsdingen Beſchäftigten zum intuitiven 
Rechtsgefühl ſich ausbilden wird) die Einſicht 


e) S. Gmelin, über ſtaatsbürgerl. Erziehung, in 
„Recht und Wirtſchaft“ Jahrgang 1 Heſt 1 und 2. 


Des⸗ 


| 


455 


— —.. 


in das Leben und die Lebensverhältniſſe gewonnen, 
dann wird der Richter auch in ganz anderer Weiſe 
an ſeine Aufgabe herantreten. Nicht Geſetzes⸗ 
paragraphen, nicht wiſſenſchaſtliche Konſtruktionen 
werden für ihn im Vordergrund ſtehen. Er wird 
vielmehr mit ſicherem Auge das „id quod agitur“ 
erkennen, mit ſcharfem Griff dasjenige faſſen, was 
den realen Kern des ihm vorgelegten Tatbeſtandes 
bildet. Geleitet durch ſein Rechtsgefühl findet er 
das Geſetz, das ihm geſtattet, vernünftig zu 
entſcheiden. 

Als Strafrichter aber blickt er mit⸗ 
fühlend in das menſchliche Herz. Er kennt das 
menſchliche Elend, die menſchliche Unvollkommen⸗ 
heit. Er unterſcheidet die Bosheit von der Schwach⸗ 
heit, erkennt in der Unbegreiflichkeit die Krankheit, 
ſieht in dem Verbeſſerungsbedürftigen den Beſſe⸗ 
rungsfähigen, ſtraft, um zu beſſern, zertrümmert 
nicht, wo er wiederaufrichten kann. 

Will man dies alles „Modernismus“ 
nennen, wohlan, ſo gebe man zu, daß ſeine 
Ziele — und ſie ſind im weſentlichen diejenigen 
von „Recht und Wirtſchaft“ — keine tadelns⸗ 
werten find. 


Di Etrafvorfchriften der Neichsverſicherungs⸗ 
ordnung. 


Von Amtsrichter Dr. Dürr in München. 


Die RVO. baut einerſeits die Arbeiterver⸗ 
ſicherung aus. Sie erweitert den Kreis der Ver⸗ 
ſicherungspflichtigen und Verſicherungsberechtigten 
und fügt der Kranken-, Unfall: und Invaliden⸗ 
verſicherung die Hinterbliebenenverſicherung hinzu. 
Auf der anderen Seite ſchafft ſie in den Verſiche⸗ 
rungsämtern, den Oberverſicherungsaͤmtern und 
dem Reichsverſicherungsamt, an deſſen Stelle in 
gewiſſem Umfange Landesverſicherungsämter treten 
können, gemeinſame Verſicherungsbehörden für alle 
Verſicherungszweige. Im übrigen beſchränkt ſie 
ſich auf die Beſeitigung einzelner Lücken und 
Mängel. Dagegen läßt fie die Grundlagen der 
drei Verſicherungszweige unberührt. In enger 
Anlehnung an die geltenden Verſicherungsgeſetze 
werden die Krankenverſicherung (Buch 2), die Un⸗ 
fallverſicherung (Buch 3) und zwar die Gewerbe⸗ 
unfallverſicherung (Teil 1), die landwirtſchaftliche 
Unfallverſicherung (Teil 2), die Seeunfallverſiche⸗ 
rung (Teil 3) ſowie unter Verſchmelzung mit der 
Hinterbliebenenverſicherung die Invalidenverſiche⸗ 
rung (Buch 4) geregelt. Soweit als möglich ſind 
die Vorſchriften der geltenden Geſetze, ja ſogar 
deren Anordnung des Stoffes übernommen. Nur 
wenige Fragen ſind in den Büchern 1 und 6 für 
alle oder doch für mehrere Verſicherungszweige 


456 


gemeinſam behandelt. Wiederholungen werden 
vielfach durch Verweiſungen vermieden. 

Dieſe Behandlung des Stoffes erleichtert das 
Einleben in das umfangreiche Geſetzgebungswerk, 
hat aber natürlich zur Folge, daß verwandte Vor⸗ 
ſchriften auseinander geriſſen werden. Vor allem 
gilt dies für die Straſvorſchriften. Sie finden 
ſich teils unter den gemeinſamen Vorſchriften teils 
unter den Vorſchriften für die einzelnen Verſiche⸗ 
rungszweige und hier wieder wie in den geltenden 
Verſicherungsgeſetzen teilweiſe in beſonderen Ab⸗ 
ſchnitten, im übrigen aber bei den Vorſchriften, 
zu deren Schutze ſie beſtimmt ſind. Ein Ueber⸗ 
blick über den ſtrafrechtlichen Inhalt der RVO. 
iſt ohne deren eingehenderes Studium nicht zu ge⸗ 
winnen. Deshalb wird eine Zuſammenſtellung 
der Strafvorſchriften nicht unerwünſcht fein. Ihr 
Vergleich mit den Vorſchriften der geltenden Ver⸗ 
ſicherungsgeſetze wird zeigen, daß die RVO. auf 
dieſem Gebiete keine großen Aenderungen bringt. 

Für die Zuwiderhandlungen gegen die Straf⸗ 
vorſchriften ſind entſprechend dem derzeitigen Rechts⸗ 
zuſtande nur teilweiſe die Gerichte zuſtändig.“) 
Soweit es der Fall iſt, finden die allgemeinen 
Vorſchriften des Strafgeſetzbuchs und die Vor⸗ 
ſchriſten der Strafprozeßordnung Anwendung. Im 
übrigen werden die Strafen von den Organen 
der Verſicherungsträger und den Verſicherungs— 
behörden feſtgeſetzt. Es handelt fi) dabei aus: 
ſchließlich um Geldſtrafen. Sie fließen grundſätzlich 
in die Kaſſe des beteiligten Verſicherungstragers 
(S 146 Abſ. 1; Ausnahmen 88 59 Abſ. 3, 80 
Abſ. 4, 104 Abi. 2, 108 Abſ. 2, 914, 1045, 
1224), werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben 
(8 146 Abſ. 2 mit $ 28) und können nicht in 
Freiheitsſtrafen umgewandelt werden; Anſprüche 
auf Leiſtungen der Verſicherungsträger dürfen nach 
Maßgabe der $3 223 Abſ. 2 und 3, 499 Abſ. 1 
622, 955, 1117, 1324 und 1372 gegen ſie auf— 
gerechnet werden. Die Verjährung der Zuwider— 
handlungen, für welche die Gerichte nicht zuſtändig 
ſind, und der ihretwegen verhängten Geldſtrafen 
iſt in den SS 147 und 148 geregelt. Bisher 
mußten darauf die Vorſchriſten des StGB. analog 
angewendet werden. 

Die Strafvorſchriften der RVO. zerfallen in 
folgende Gruppen: 

J. Strafvorſchriften, welche ſich auf die Tätig— 
keit der Organe der Verſicherungsträger und der 
Verſicherungsbehörden beziehen. 

1. Die RO. ſtellt Verletzungen der Pflicht 
wie des Rechtes zur Annahme und Führung von 
Ehrenämtern unter Strafe. 

a) Das geltende Recht ſieht in § 43 Abſ. 
GewllVerſG., 8 14 Baull VerſG., § 45 Abſ. 3 
LwllVerſG., 8 43 Abſ. 3 Seell VerſG. und 8 90 
Ab}. 2 Inv Verſch die Moͤglichkeit der Beſtrafung vor, 


1) Dieſe Zuwiderhandlungen ſind im folgenden durch 
fetten Druck der Paragraphenziifer hervorgehoben. 


ZBeitſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


wenn zu Ehrenämtern gewählte Perſonen die Wahl 
ohne zuläſſigen Grund ablehnen oder der Aus⸗ 
übung ihres Amtes ohne hinreichende Entſchuldigung 
ſich entziehen. Nach der RVO. können beſtraft werden: 
a) Arbeitgeber, welche die Wahl zum Mit⸗ 
glied eines Organs eines Verſicherungsträgers 
(S 18) oder Krankenkaſſenverbands (8 408) oder 
die nach § 1031 erfolgte Berufung zur Beratung 
und Beſchlußfaſſung über Unfallverhütungsvor⸗ 
ſchriften, 
) alle, welche die Wahl oder Berufung zum 
Verſicherungsvertreter bei einem Verſicherungs⸗ 
amt ($ 51), zum Beiſitzer eines Oberverſicherungs ⸗ 
amts (§ 76) oder zum nichtſtändigen Mitgliede 
des Reichsverſicherungsamts ($ 95) oder eines 
Landesverſicherungsamts (8 107) ohne zuläffigen 
Grund ablehnen. 
Wenn ſie ſich der Erfüllung ihrer Pflichten 
entziehen, machen ſich ſtrafbar 
nach § 19 Mitglieder des Vorſtandes eines Ver⸗ 
ſicherungsträgers, 

nach $ 408 Mitglieder des Vorſtandes eines 
Krankenkaſſenverbandes, 

nach § 53 Abſ. 2 Verſicherungsvertreter bei einem 
Verſicherungsamt, 

nach 3 76 Beiſitzer eines Oberverſicherungsamts, 

nach §§ 95 und 107 nichtſtändige Mitglieder des 
Reichoverſicherungsamts oder eines Landes: 
verſicherungsamts, 

nach $ 1031 Vertreter der Arbeitgeber, die nach 
dieſer Vorſchrift zur Beratung und Beſchluß⸗ 
faſſung über Unfallverhütungsvorſchriften zu⸗ 
gezogen ſind, 

nach $ 1205 Abſ. 2 Vertreter der Verſicherten, 
die vom Vorſtand der Seeberufsgenoſſen⸗ 
ſchaft zur Beratung und Beſchlußfaſſung über 
Unfallverhütungsvorſchriften berufen ſind. 

b) Die beſtehenden Vorſchriften, welche den 
Arbeitgebern, Mitreedern, Schiffsführern und ihren 


Angeſtellten bei Strafe verbieten, die Verſicherten 


in der Uebernahme oder Ausübung eines Ehren— 
amts zu beſchränken (GewluVerſ. 8 141, 
Baull VerſG. §45, LwlluVerſG. § 152, SeellVerſG. 
8139, InvVerſG. § 180), find in 8 140 mit 
Sd 139 und 1225 auf die Krankenverſicherung 
ausgedehnt und dahin erweitert, daß jene ‘Per: 
ſonen auch beſtraft werden, wenn fie die Ver— 
ſicherten wegen der Uebernahme oder der Art der 
Ausübung eines Ehrenamts benachteiligen. 

2. Der Beſtrafung wegen Untreue (KrankVerſc. 
§ 12 Abi. 3, GewllVerſG. $ 45, BaullVerſG. 
§ 14, KwlBeriß. § 47. SellBeri®. § 45, 
InvVerſG. § 93 mit $ 266 StGB.) unterliegen 
fortan die Mitglieder der Organe der Verſiche— 
rungsträger (8 23 Ubi. 2) und der Kranken⸗ 
kaſſeuverbände (8 408 Abſ. 2) ſowie die geſchäfts⸗ 
leitenden Beamten und Angeſtellten der Kranken— 
kaſſen und Krankenkaſſenverbände und bei den 


— — 


Betriebskrankenkaſſen die Arbeitgeber nebſt den 
von ihnen Ei Geſchäftsführung beftellten Per⸗ 
ſonen ($ 535). 

3. Eine erhebliche Erweiterung erfährt der 
ſtrafrechtliche Schutz gegen Verletzung von Ge⸗ 
heimniſſen. 

a) Die geltenden Verſicherungsgeſetze und zwar 
das GewUBerj®. (88 150, 151), das Baull VerſG. 
(S 45), das LmUBeri®. (83 160, 161) und das 
InvVerſG. (88 185, 186) enthalten nur Stra]: 
vorſchriften gegen den Verrat und die Nach⸗ 
ahmung von Betriebsgeheimniſſen. Die RVO. 
übernimmt dieſe Vorſchriften, dehnt ſie aber auf 
die geſamte Reichsverſicherung aus. Fortan werden 
beſtraft Mitglieder eines Organs und Angeſtellte 
eines Verſicherungsträgers, Mitglieder und Ange⸗ 
ſtellte einer Verſicherungsbehörde, Verſicherungs⸗ 
vertreter und Beiſitzer bei einer Verſicherungs⸗ 
behörde, die beſonderen Sachverſtändigen, denen 
auf Verlangen eines Unternehmers an Stelle der 
Genoſſenſchaftsbeamten die Beſichtigung ſeines 
Betriebs übertragen wird, und die Mitglieder 
der Ausſchüſſe der landwirtſchaftlichen Berufs⸗ 
genoſſenſchaften, 

a) wenn ſie unbefugt Geſchäfts⸗ oder Betriebs⸗ 
geheimniſſe offenbaren, die ihnen in amtlicher 
Eigenſchaft bekannt geworden find ($ 142), 

5) wenn fie Geſchäfts⸗ oder Betriebsgeheimniſſe 
unbefugt verwerten, um den Unternehmer zu 
ſchädigen oder ſich oder anderen einen Vermögens⸗ 
vorteil zu verſchaffen ($ 143). 

Für Beamte, welche der Dienſtgewalt einer 
ſtaatlichen oder gemeindlichen Behörde unterſtehen, 
bewendet es aber an Stelle der 88 142 und 143 
bei den für fie geltenden Vorſchriften ($ 145). 


Der Tatbeſtand des Verrats von Betriebs⸗ 
geheimniſſen hat keine weſentlichen Aenderungen 
erfahren. Dagegen iſt der Tatbeſtand der Nach⸗ 
ahmung von Betriebsgeheimniſſen nach drei Rich⸗ 
tungen hin erweitert: Der Begriff der Nach⸗ 
ahmung iſt durch den der unbefugten Verwertung 
erſetzt. Der Abſicht, den Unternehmer zu ſchädigen, 
iſt die Abſicht gleichgeſtellt, ſich oder anderen einen 
Vermögensvorteil zu verſchaffen, welche nach gelten: 
dem Rechte nur einen Straferhöhungsgrund bildet. 
Endlich iſt im Gegenſatz zum geltenden Rechte 
und zum Tatbeſtande des Verrats von Betriebs— 
geheimniſſen nach $ 142 RWO. nicht Voraus: 
ſetzung der Beſtrafung aus $ 143, daß die un— 
befugt verwerteten Geſchäfts⸗ oder Betriebsgeheim— 
niſſe dem Täter in amtlicher Eigenſchaft bekannt 
geworden ſind. Aus der Begründung der Re— 
gierungsvorlage (S. 72f.) ergibt ſich zwar nicht, 
daß dieſe Aenderung beabſichtigt wurde. Die 
Verſchiedenheit der Faſſung des 8 143 RVO. 
gegenüber dem $ 142 RVO. einerſeits und gegen: 
über $ 151 GewuVerſG., 8 161 LwllVerſG., 
$ 186 Inv VerſG. andererſeits läßt aber darüber 
kaum einen Zweiſel. 


| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 457 


b) Eine wiederholt unangenehm zutage ge⸗ 
tretene Lücke füllt $ 141 aus. Danach wird 
beſtraft, wer unbefugt offenbart, was ihm in amt⸗ 
licher Eigenſchaft als Mitglied eines Organs oder 
Angeſtelltem eines Verſicherungsträgers, Mitglied 
oder Angeſtelltem einer Verſicherungsbehörde, Ver⸗ 
ſicherungsvertreter oder Beiſitzer bei einer Ver⸗ 
ſicherungsbehörde über Krankheiten und andere 
Gebrechen Verſicherter oder anderer Perſonen, für 
welche die RVO. eine Leiſtung eines Verſicherungs⸗ 
träger3 vorſieht, oder über die Urſachen der Krank⸗ 
heiten und Gebrechen bekannt geworden iſt. Auch 
8 141 findet nach $ 145 auf Beamte, die der 
Dienſtgewalt einer ſtaatlichen oder gemeindlichen 
Behörde unterſtehen, keine Anwendung. 

4. Für die Angeſtellten der Krankenkaſſen und 
Berufsgenoſſenſchaften, die nicht ſtaatliche oder 
gemeindliche Beamte ſind oder wenigſtens deren 
Rechte und Pflichten haben ($ 359 Ab. 4), können 
in den Dienſtordnungen Strafen vorgeſehen werden 
(88 351, 352, 354 Abſ. 5, 690, 699, 978, 1147). 

II. Straſvorſchriften, die Verletzungen der 
Pflicht zu Meldungen, Erklärungen, Mitteilungen 
und Nachweiſen zum Gegenſtand haben. 

1. Vorſchriften für die Krankenverſicherung. 

a) Nach $ 190 kann die Satzung einer Kranken⸗ 
kaſſe die Mitglieder für den Fall, daß fie Kranken⸗ 
geld oder die Erſatzleiſtungen dafür beanſpruchen, 
verpflichten, dem Vorſtande die Höhe der Bezüge 
mitzuteilen, die ſie gleichzeitig aus einer anderen 
Krankenverfſicherung erhalten. Die Unterlaſſung 
dieſer Mitteilung und der Meldungen, die Kranken 
nach den künftig für jede Krankenkaſſe zu er⸗ 
laſſenden Krankenordnungen ($ 347) obliegt, kann 
nach § 529 beſtraft werden. Eine ähnliche Vor⸗ 
ſchrift enthält 8 26a Abſ. 2 Ziff. 2a KrankVerſc. 

b) Die Arbeitgeber haben nach 88 317—319 
jeden von ihnen Beſchäftigten, der zur Mitglied⸗ 
ſchaft bei einer Orts⸗, Land⸗ oder Innungskranken⸗ 
kaſſe verpflichtet iſt, binnen 3 Tagen nach Beginn 
und Ende der Beſchäftigung zu melden und in 
der Anmeldung auch die in der Satzung zur Be⸗ 
rechnung der Beiträge vorgeſchriebenen Angaben 
zu machen; Aenderungen des Beſchäftigungsver⸗ 
haͤltniſſes, welche die Verſicherungspflicht, und Aen⸗ 
derungen, welche die zur Berechnung der Beiträge 
gemachten Angaben berühren, haben ſie ebenfalls 
binnen drei Tagen zu melden. In gleicher Weiſe 
haben nach $ 468 Ab}. 2 Hausgewerbtreibende, 
welche abgeſehen von den zur Familie gehörenden 
Hausgenoſſen regelmäßig wenigſtens 2 hausgewerb⸗ 
liche Verſicherungspflichtige beſchaftigen, ſich und 
alle Beſchäftigten an- und abzumelden. Die Auf⸗ 
traggeber von Hausgewerbtreibenden haben nach 
§ 473 in der erſten Woche jedes Monats eine 
Liſte der im abgelaufenen Monate beſchäftigten 
Hausgewerbtreibenden mit dem in § 474 bezeich⸗ 
neten Inhalte einzureichen. 

Wer dieſen Vorſchriften zuwider Verſicherungs⸗ 
pflichtige nicht anmeldet oder die Liſten über be⸗ 


458 
ſchäftigte Hausgewerbtreibende nicht einreicht, kann, 
je nachdem er vorſatzlich oder fahrläſſig handelt, 
nach den verſchiedenen Strafrahmen des 8 530 
Abſ. 1 beſtraft werden. Sonſtige Verletzungen 
der Vorſchriften unterliegen der Beſtrafung aus 
8 530 Abſ. 2. Die Strafen verhängt das Ver⸗ 
ſicherungsamt. 

Dieſe Regelung weicht von §881 Krank VerſG. ab. 
Danach iſt ſtrafbar, wer der ihm obliegenden Ver⸗ 
pflichtung zur An⸗ oder Abmeldung nicht nach⸗ 
kommt. Der Strafrahmen iſt nicht abgeſtuft. 
Zuſtändig find die Gerichte. 

c) Für Verſicherungspflichtige, die Mitglieder 
eines nach 88 503 ff. als Erſatzkaſſe zugelaſſenen 
Verſicherungsvereins auf Gegenſeitigkeit find, ruhen 
auf ihren Antrag die eigenen Rechte und Pflichten 
als Mitglieder der Krankenkaſſe, in die fie gehören 
($ 517 Abſ. 1). Der Bundesrat kann einer 
Erſatzkaſſe die Stellung dieſes Antrags für ihre 
Mitglieder übertragen (5 519 Abſ. 2). Die Erſatz⸗ 
kaſſen haben ferner nach 8 521 den Austritt und 
Ausſchluß eines verſicherungspflichtigen Mitglieds, 
das vom Rechte des $ 517 Abſ. 1 Gebrauch ge: 
macht hat, ſowie den Uebertritt eines ſolchen Mit⸗ 
glieds zu einer anderen Mitgliederkaſſe, die das 
Erlöſchen jenes Rechtes zur Folge hat, der Kranken⸗ 
kaſſe des Mitglieds anzuzeigen. Werden die An⸗ 
träge oder Anzeigen von den nach der Satzung 
dazu verpflichteten Organen oder Angeſtellten einer 
Erſatzkaſſe verſäumt, jo kann nach 8 530 Abſ. 3 
Beſtrafung erfolgen. 

Die Vorſchrift entſpricht teilweiſe dem § 81 
mit 8 49a KrankVer GG., wonach die Verletzung 
der Anzeigepflicht, die 8 49 a KrankVerſG. ähnlich 
wie $ 521 RVO. den Hilfskaſſen auferlegt, Be 
ſtrafung nach ſich zieht. 

2. Vorſchriften für die Unfallverſicherung: 

a) Nach 83 908, 1043, 1220, 1581, 1679 
Abſ. 2, 1701, 1736 Abſ. 3, 1740 Abſ. 3, 1771 
und 1789 können Unternehmer, Mitreeder, Reede⸗ 
reileiter, Bevollmächtigte und Schiffsführer beſtraſt 
werden, wenn Nachweiſe, Erklärungen oder Aus: 
künfte, die ſie für die Berechnung der Beiträge 
oder Prämien, die Veranlagung zu den Gefahr— 
klaſſen oder die Feſtſetzung der Unfallentſchädi⸗ 
gung geben müſſen, ferner die vorgeſchriebenen 
Anzeigen über die Eröffnung eines Betriebs, den 
Beginn ſeiner Verſicherungspflicht, einen Wechſel 
des Unternehmers, Aenderungen oder die Ein— 
ſtellung des Betriebs tatſächliche Angaben ent— 
halten, deren Unrichtigkeit die Unternehmer kannten 
oder den Umſtänden nach kennen mußten. Ihr Vor— 
bild haben dieſe Vorſchriften in $ 146 Gewll Vers., 
845 Abſ. 2 Baull VerſG., § 156 Lwl Ber. und 
§ 143 Seell VerſG. Allein nach den Unfallverſiche⸗ 
rungsgeſetzen iſt der Unternehmer ſtrafbar, wenn 


N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


| 


— En 


Ä 


ihm die Unrichtigkeit der Angaben bekannt war 


oder bei Anwendung angemeſſener Sorgfalt nicht 
entgehen konnte, d. h. wenn er vorſätzlich oder 


| 


— —— oo. 


geſetze, 3. Aufl. S. 1082 Anm. zu 8 146 
GewllVerſG.). Dagegen macht die RVO. die 
Strafbarkeit des Unternehmers davon abhängig, 
daß er die Unrichtigkeit kannte oder den Umſtänden 
nach kennen mußte. Die zweite Alternative ent⸗ 
ſpricht der zweiten Alternative des 8 259 StGB. 
(Hehlerei) und des 8 175 InvVerſG. und iſt dann 
gegeben, wenn der Unternehmer Umſtände kannte, 
welche ihm die Annahme der Unrichtigkeit auf⸗ 
nötigten, woraus dann zu ſchließen iſt, daß ihm 
die Unrichtigkeit nicht unbekannt blieb (Stenglein 
a. a. O. S. 1069 Anm. 3 zu $ 175 InvVerſG.; 
RGSt. Bd. 39 S. 6). 

b) Strafbar ſind auch Unternehmer, Mitreeder, 
Reedereileiter, Bevollmächtigte und Schiffsführer, 
wenn ſie ihren Pflichten zur Anmeldung der Be⸗ 
triebe, Betriebsänderungen, Betriebseinſtellungen 
ſowie eines Wechſels des Unternehmers, zur An⸗ 
zeige eines Unfalls, zur Einreichung von Gehalts⸗ 
und Lohnnachweiſen, anderen Nachweiſen, Er⸗ 
klärungen und Auskünften, im Bereiche der See⸗ 
unfallverſicherung außerdem, wenn ſie ihren 
Pflichten zur Mitteilung der Namen und des 
Wechſels von Bevollmächtigten nicht rechtzeitig 
nachkommen ($3 909, 1007, 1044, 1221, 1556, 
1581, 1679 Abſ. 2, 1701, 1736 Abſ. 3, 1740 
Abſ. 3, 1771, 1789). Aehnliche Vorſchriften finden 
ſich in 8147 Gew Beri®., 845 Abſ. 2 Baull VerſG., 
§ 157 LwllVerſG. und § 144 SeelBeri®. 

c) Die Krankenkaſſen haben jede Krankheit, 
die ein entſchaͤdigungspflichtiger Unfall herbeige⸗ 
führt hat, ſobald genügender Anhalt dafür vor⸗ 
liegt, daß die Erwerbsfähigkeit infolge des Unfalls 
über die dreizehnte Woche hinaus beſchränkt ſein 
wird, auf alle Fälle aber, wenn der Erkrankte 
drei Wochen nach dem Unfall noch nicht wieder⸗ 
hergeſtellt iſt, dem Träger der Unfallverſicherung 
anzuzeigen. Unterbleibt die Anzeige, ſo können 
die dafür verantwortlichen Perſonen beſtraft werden 
(3 1512). Die Vorſchrift entſpricht dem 8 76 b 
KrankVerſG.; doch iſt die Anzeigepflicht anders 
geregelt. 

3. Vorſchriften für die Invalidenverſicherung. 

a) Wie nach 8175 Inv VerſG. können nach $ 1487 
RVO. Arbeitgeber beſtraft werden, wenn fie in 
die Nachweiſe oder Anzeigen, die ſie nach den Vor⸗ 
ſchriften des Geſetzes oder den Beſtimmungen der 
Verſicherungsanſtalt aufzuſtellen haben, Eintra⸗ 
gungen aufnehmen, deren Unrichtigkeit ſie kannten 
oder den Umſtänden nach kennen mußten. 8 1487 
RVO. geht aber über $ 175 Inv VerſG. hinaus; er 
droht auch für den Fall Strafe an, daß Arbeit: 
geber die vorgeſchriebenen Eintragungen ganz oder 
teilweiſe unterlaſſen. 

b) § 1447 ſieht wie $ 148 Inv VerſG. die Mög: 
lichkeit vor, daß Krankenkaſſen, Knappſchaftsvereine 
oder Knappſchaftskaſſen, andere Stellen oder ört— 
liche Hebeſtellen der Verſicherungsanſtalten für 
deren Rechnung die Beiträge der Verſicherungs— 


fahrläſſig handelte (Stenglein, ſtrafrechtliche Neben- pflichtigen einziehen, und daß für dieſen Fall die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


Pflicht zur Meldung der Verſicherten geregelt wird. 
Zuwiderhandlungen gegen dieſe Pflicht ſind in 
81489 RVO. wie in 8 179 Inv VerſG. unter Strafe 
geſtellt. 8 1489 RVO. überweiſt aber im Gegen: 
lag zu $ 179 InvVerſG., der die Zuſtändigkeit der 
Gerichte vorſieht, die Strafbefugnis dem Verſiche⸗ 
rungsamt und unterſcheidet zwiſchen vorſaͤtzlichem 
und fahrläſſigem Handeln, während 179 InvVerſG. 
nur einen Strafrahmen hat.“ (Schluß folgt). 


Strafrechtliche Fragen 
auf dem MI. Internationalen Kongreß 
für Kriminalauthropologie. 
Von Landgerichtsrat Dr. Kühlewein in München. 
(Schluß.) 
Mit großer Gründlichkeit wurde ferner von 


glänzenden und hochbedeutenden Rednern das 
Problem der 


Behandlung der ſog. vermindert Zu: 
rechnungsfähigen 

erörtert. 

Der erſte Referent, Landgerichtspräſident Dr. D. 
O. Engelen⸗Zutphen (Holland) umgrenzte zu: 
nächſt den Begriff der verminderten Zurechnungs⸗ 
fähigkeit in der Weile, daß er neben die durch 
angeborene oder erworbene Mängel minderwertig 
gewordenen Menſchen noch eine weitere Klaſſe der 
Menſchen ſtellte, die durch Einflüſſe aus ihrer 
Umgebung amoraliſch geworden find; dieſe Menſchen 
leiden nicht an moral insanity, ſondern an morali⸗ 
ſcher Anäſtheſie. Dr. Engelen hält zwar die 
Pflicht des Staates für gegeben, ſich mit den 
vermindert Zurechnungsfaͤhigen als ſolchen zu 
befaſſen, hält es jedoch nicht für richtig in das 
Strafgeſetz eine Begriffsbeſtimmung der verminder⸗ 
ten Zurechnungsfähigkeit auſzunehmen; es ſolle 
vielmehr der Richter nach ſeinem freien Ermeſſen, 
je nachdem es der Geiſteszuſtand des Beſchuldigten 
erfordere, entweder auf Strafe, oder auf ſichernde 
Maßnahmen, oder auf beides erkennen können. 
Durch das Geſetz ſeien die ſichernden Maßnahmen 
näher zu beſtimmen, auch ſolle in den Fallen, in 
denen nach der Verurteilung ſich Anhaltspunkte 
dafür ergeben, daß die Tat auf verminderter Zu: 
rechnungsfähigkeit beruht habe, mit Rückſicht auf 
die ſichernden Maßnahmen eine Wiederaufnahme 
des Verfahrens erfolgen. 

Der zweite Referent, Geheimrat Profeſſor 
D. Dr. jur. et med. Kahl: Berlin, Mitglied 
der Strafrechtskommiſſion, brachte folgende Aus: 
führungen: 

1. Der Gang der Strafrechtsentwicklung in 
den europäiſchen Staaten bringt den Beweis, daß 
die geſetzliche Anerkennung der verminderten Zu— 


rechnungsfähigkeit eine durch Gerechtigkeit und 


459 


Zweckmäßigkeit begründete Notwendigkeit iſt. Auch 
wo ſie, wie z. B. in Frankreich, noch nicht geſetzliche 
Einrichtung iſt. hat das Problem doch das höchſte 
Intereſſe der mediziniſchen und juriſtiſchen Wiſſen⸗ 
ſchaft auf ſich gelenkt. Sie iſt bereits Beſtand⸗ 
teil des geltenden Rechts in den meiſten Kantonen 
der Schweiz, in Italien, Griechenland, Rußland, 
Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark. Sie 
iſt aufgenommen in die neueren Strafgeſetzentwürfe 
der Schweiz, Oeſterreichs und des Deutſchen Reichs. 
Hier hat ſie ſchon eine in das 16. Jahrhundert 
zurückreichende Geſchichte und im Partikularſtraf⸗ 
recht des 19. Jahrhunderts legislativ und wiſſen⸗ 
ſchaftlich eine ungemein reiche Ausbildung erfahren. 
Es ſteht jetzt ſchon feſt, daß ſie dem künftigen 
Deutſchen Strafgeſetzbuch nicht fehlen wird. 

2. Soll die Aufnahme der verminderten Zu⸗ 
rechnungsfähigkeit in das Strafrecht praktiſch ver⸗ 
wendbar und auch für den Laienrichter verſtändlich 
ſein, ſo bedarf es der Aufſtellung eines genauen 
geſetzlichen Begriffes. Es empfiehlt ſich, dieſen 
nicht nach der rein biologiſchen, ſondern nach der 
ſogenannten gemiſchten, biologiſch⸗pſychologiſchen 
Methode zu bilden. Als juriſtiſch⸗pſychologiſches 
Merkmal iſt nicht die verminderte Freiheit der 
Willensbeſtimmung, ſondern der Mangel des 
Intellekts für die ſozialrechtliche Ordnung und der 
Widerſtandskraft gegen verbrecheriſche Triebe an⸗ 
zunehmen. 

3. Vermindert zurechnungsfähige Verbrecher 
ſind zu beſtrafen, da ſie vor dem Geſetze ſchuldig 
ſind und die Strafe auch an ihnen ihre normale 
Funktion erfüllen kann. Ob ſie milder zu beſtrafen 
ſeien, iſt am beſten nicht durch ein geſetzliches 
Prinzip generell feſtzulegen, ſondern nach einem 
im Strafgeſetzbuch beſtimmten Rahmen im Einzel⸗ 
fall der Freiheit des richterlichen Ermeſſens zu 
überlaſſen. Außer Todes⸗ und lebenslänglicher 
Freiheitsſtrafe ſind alle anderen Strafmittel auch 
für vermindert Zurechnungsfähige geeignet. Ihre 
Beſtrafung iſt aber überhaupt nicht die Hauptſache 
in der Löſung des Problems, ſondern vielmehr 
ein zweckentſprechender Strafvollzug und wirkſame 
Maßregeln der Sicherung. 

In der Diskuſſion wurde allgemein die Exiſtenz 
einer verminderten Zurechnungsfähigkeit anerkannt; 
die Mehrzahl der Redner befürwortete auch die 
Annahme eines Strafmilderungsgrundes der ver⸗ 
minderten Zurechnungsfähigkeit und trat dem 
Kahlſchen Standpunkt bei, daß es möglich und 
notwendig ſei, einen ſcharf beſtimmten geſetzlichen 
Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit 
aufzuſtellen. 

Zum Schluſſe ſei noch eines ſehr beachtens— 
werten Vortrages des Pſychiaters, Profeſſor Dr. 
Dannemann⸗Gießen gedacht, der 


die Entmündigung echroniſch Krimineller 
als Mittel ſozialer Hygiene 


empfahl. Dr. Dannemann ſieht zwar in dem 


460 


Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23 


8 65 des Entwurfes für ein Deutſches Reichsſtraf⸗ 


geſetzbuch eine wertvolle Handhabe zur Eindämmung 
der Kriminalität pſychopathiſch oder neurotiſch ver⸗ 
anlagter oder an der Grenze der Imbezillität 
ſtehender Minderwertiger, hält jedoch, da un⸗ 
möglich alle pſychiſch Defekten nach Konflikten mit 
dem Strafgeſetz in Anſtalten verwahrt werden 
können, noch weitere Vorbeugemaßregeln für er⸗ 
forderlich. Für alle dieſe Perſonen, die infolge 
ihrer halb krankhaften Veranlagung zu chroniſcher 
Kriminalität neigen, oder infolge ihres auf allge⸗ 
meiner Urteilsſchwäche baſierenden Mangels an 
ſozialem Pflichtgefühl oder wegen ihrer Unfähigkeit 
aus erlittenen Strafen die Nutzanwendung zu 
ziehen, beſtändig der Rechtspflege Schwierigkeiten 
bereiten, empfiehlt er auf dem Wege der Vor⸗ 
mundſchaft eine ſoziale Stütze zu ſchaffen. In 
dem Verhalten dieſer Perſonen komme ein Grad 
von geiſtiger Schwäche zum Ausdruck, der bei 


— 722070 


normen, werden einmal als „Geſetz“, ein anderes Mal als 
„Ordnung“ bezeichnet; bei, Ausführungsgeſetzen“, „Aus⸗ 
führungsbeſtimmungen“, „Vollzugsvorſchriften“ uſw. iſt 
es oft erſt nach Kenntnis des Inhalts möglich zu beurteilen, 
ob es ſich um Normen des Reichs oder der einzelnen 
Bundesſtaaten handelt. Während z. B. das bayeriſche 
Geſetz über das Gewerbeweſen vom Jahre 1868 den 


Titel „Gewerbegeſetz“ führte, erhielt das an ſeine 
Stelle getretene Reichsgeſetz vom Jahre 1869 die 


Bezeichnung „Gewerbeordnung“; die zur Stunde noch 
geltenden Sozialgeſetze beißen ganz richtig „Kranken-, 
Unfalls und Invaliden⸗Verſicherungsgeſetz“, während 
das im Jahre 1912 an ihre Stelle tretende Geſetz ohne 


erſichtlichen Grund „Reichsverſicherungs ordnung“ 


einer etwas weitherzigeren Auslegung des Ent⸗ 


mündigungsparagraphen wohl berechtige, ihre Ent: 
mündigung zu betreiben, obwohl kein Grund vor⸗ 
liege, ihre ſtrafrechtliche Verantwortlichkeit zu ver⸗ 
neinen. Wenn ſich durch dieſes Verfahren der 
Rückfall auch nicht in allen Fällen verhüten laſſe, 
ſo würde es doch gewiß die ſoziale Hygiene weſent⸗ 
lich fördern und zum mindeſten Garantien für die 
Beaufſichtigung chroniſch Krimineller nach ihrer 
Rückkehr in die Oeffentlichkeit geben. 

Der Kongreß bot weiter eine große Fülle 
auch für den praktiſchen Juriſten hochintereſſanten 
Materials. Erwähnt ſeien hier nur noch die 
Referate und Vorträge über den Stand und die 
Aufgaben der Kriminalpſychologie, über geiſtes⸗ 
kranke Verbrecher und verbrecheriſche Geiſteskranke, 
über die Behandlung geiſteskranker Verbrecher, 
über den Zuſammenhang zwiſchen Raſſe und Ver⸗ 
brechen, über Perſönlichkeit und Sekundärcharakter 
in foro, über Impotenz und ſexuelle Neuraſthenie 
in ihren Beziehungen zum Verbrechen und über 
die Erfahrungen bei Steriliſation Krimineller 
als Mittel der ſozialen Hygiene. Eine Behand— 
lung auch dieſer Themata würde jedoch über den 
Rahmen dieſer Zeitſchrift hinausgehen. 


Mitteilnngen aus der Praxis. 


Die Bejeichnung der Geiche und Verordnungen. 


benannt wurde. Es war auch nicht richtig, die Reichs⸗ 
geſetze über Straf⸗ und Zivilprozeß „Ordnungen“ zu 
nennen, wenn es ſich hierbei auch um formelles. nicht 
materielles Recht handelte. Der Laie legt dieſem 
Ausdruck unwillkürlich die Bedeutung einer „Ver⸗ 
ordnung“ unter, d. h. einer von dem Landesherrn 
ohne Mitwirkung der Volksvertretung zuſtande ge⸗ 
kommenen Rechtsnorm. Oft kann man die Frage 
hören, ob denn dieſe „Ordnungen“ wirkliche Geſetze 


Rund nicht bloß Verordnungen ſeien. Dem Juriſten, 


— — — — — 
— — — nn 


Die notwendige Fülle der Geſetzgebung ſeit dem Be= 


ſtehen des Deutſchen Reiches hat es mit ſich gebracht, 
daß nicht nur für den einfachen Bürger, ſondern auch 
für die mit den Geſetzen vertrauteren Kreiſe der Be— 
völkerung der Ueberblick über ihren Stand große 
Schwierigkeiten bereitet. Zu dieſen Schwierigkeiten 
trägt die jetzige Syſtemloſigkeit in der äußeren Be— 
nennung der einzelnen Geſetze, Verordnungen, Aus— 
führungsanweiſungen uſw. nicht wenig bei. Geſetze, d. h. 
unter Mitwirkung der Volksvertretung erlaſſene Rechts— 


ſtrenge durchzuführen. 


Beamten, gewandten Kaufmann uſw. mag dieſe Frage 
naiv erſcheinen: ſie iſt es aber keineswegs, ſondern 
entſpricht einem recht geſunden Volksempfinden. 


Um derartige Zweifel auszuſchließen, würde es 
ſich in Zukunft ſowohl bei neuen Geſetzen als bei 
Aenderung älterer empfehlen, folgende Unterſcheidung 
Die unter Mitwirkung der 
Volsvertretung zuſtande kommenden Rechtsnormen 
führen die Bezeichnung „Reichsgeſetz“ oder („Baye⸗ 
riſches“ uſw.) „Landesgeſetz“; die vom Kaiſer und 
den einzelnen Bundesfürſten aufgeſtellten Vorſchriften 
heißen: „Kaiſerliche, königliche, herzogliche uſw. Ver⸗ 
ordnung“; die vom Bundesrat zur Ausführung eines 
Geſetzes allgemein gegebenen Normen „Ausführungs⸗ 
beſtimmungen“ und die hierzu erlaſſenen, weiteren 
Vorſchriften der einzelnen Bundesſtaaten ‚Vollzugs— 
vorſchriften“; endlich wären die nur zu einzelnen 
Geſetzesſtoffen erlaſſenen Beſtimmungen als „Ord— 
nungen“ zu betiteln. So wäre ſchon aus der Be— 
zeichnung zu erſehen, aus welcher Cuelle die Rechts— 
norm ſtammt. 


Teilweiſe iſt dieſe Scheidung ſchon in der Zoll— 
und Steuergeſetzgebung durchgeführt; dem „Vereins- 
zollgeſetz“, „Branntweinſteuergeſetz“ uſw. ſtehen die 
„Ausführungsbeſtimmungen“ des Reiches und die 
„Vollzugsvorſchriften“ Bayerns, ſowie die „Poſtzoll⸗ 
ordnung“, „Niederlageordnung“, „Brennereiordnung“, 
„Befreiungsordnung“ uſw. gegenüber. So würde man 
auch in Zukunft von einem (Reichs-) Gewerbegeſetz, 
Verſicherungsgeſetz, Konkurs-, Wechſel-Geſetz, von Ge⸗ 
bührengeſetzen für Rechtsanwälte, Gerichtsvollzieher. 
Zeugen, von einem Zivil- und einem Strafprozeß— 
geſetze ſprechen, wobei wir noch hoffen, daß uns 
„Verdeutſchungen“ wie „Rechtsſtreitsverfahrensgeſetz“ 
und ähnliche erſpart bleiben möchten. Hingegen wäre 


von einer „Vereins- und Güterrechtsregiſterordnung“, 
einer „Gebührenfreiheitsordnung“, einer „Sonntags— 


ruheordnung“ uſw. die Rede. Selbſtverſtändlich wäre 
in jenen Fallen, in welchen auch zu Ausführungs— 
und Vollzugsanweiſungen die Mitwirkung der Volks- 
vertretung notwendig tt, die Bezeichnung „Aus— 
führungs“- oder „Vollzugsgeſetz“ zu wäblen. 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 461 


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Schließlich wäre noch zu wünſchen, daß beim 
Titel eines jeden Geſetzes deſſen amtliche Abkürzung 
(z. B. Reichsverſicherungsgeſetz RVG.) vermerkt 
würde, um Unterſchiede zu vermeiden, die leicht zu 
Mißverſtändniſſen führen. 

Zollinſpektor Wenig in München. 


Aus der Praxis des Nonkursrechts. I. Der Klägerin 
ſtand gegen N., über deſſen Vermögen am 14. Juni 1910 
Konkurs eröffnet worden iſt, auf Grund eines am 
gleichen Tag wenige Stunden vorher ergangenen Ver⸗ 
ſäumnisurteils eine Forderung von 2000 M Wechſel⸗ 
ſumme und 39,35 M Unkoſten zu; ſie rührte aus zwei 
Wechſeln her, die zur Deckung des Kaufpreiſes für 
geliefertes Holz angenommen und am 19. und 20. März 
1910 fällig geworden waren. Die Forderung wurde 
zum Konkursverfahren angemeldet und feſtgeſtellt, je⸗ 
doch ohne das beanſpruchte „Abſonderungsrecht“. Der 
Gemeinſchuldner hatte nämlich als Unterakkordant 
von B. & G. Parkettbodenarbeiten für die Stadt⸗ 
gemeinde N. ausgeführt, und an der ihm an ſich zu⸗ 
kommenden Akkordſumme war zur Deckung für et⸗ 
waige Nacharbeiten ein Betrag von 1700 M zurück⸗ 
behalten worden. Die Forderung auf Auszahlung 
dieſes Betrages oder des nach Vornahme etwaiger 
Nacharbeiten ihm noch zukommenden Reſtbetrages 
hatte N. zur teilweiſen Tilgung der Wechſelforderung 
am 22. März 1910 der Klägerin abgetreten. Das 
von ihr an der abgetretenen Forderung beanſpruchte 
Vorrecht beſtritten ſowohl der Gemeinſchuldner ſelbſt 
als ſein Konkursverwalter. Beide wurden verklagt 
mit dem Antrag: Sie ſeien beide ſchuldig anzuer⸗ 
kennen, daß der Klägerin für ihre Konkursforderung 
das Recht auf abgeſonderte Befriedigung an dem von 
B. & G. dem Gemeinſchuldner geſchuldeten Betrag 
von 1700 M zuſtehe. Verleſen wurde dagegen nur 
der Antrag zu erkennen, daß der Gemeinſchuldner 
und der Konkursverwalter ſchuldig ſeien einzuwilligen, 
daß B. & G. der Klägerin die dem Gemeinſchuldner 
geſchuldete und von ihm zur Sicherung der Klägerin 
übertragene Forderung von 1700 M auszahlen, ſoweit 
fie noch zu Recht beſtehe. Der Antrag erhielt fchließ- 
lich in der Schlußverhandlung folgende Faſſung: Der 
Gemeinſchuldner und der Konkursverwalter ſeien 
ſchuldig einzuwilligen, daß von der Sicherheit zu 
1700 M, die B. & G. gegenüber dem Gemeinſchuldner 
zurückbehalten hätten und die dieſer an die Klägerin 
abgetreten habe, der Betrag von 938,30 M an die 
Klägerin ausbezahlt werde. Die Beklagten beantragten 
Abweiſung der Klage; der Konkursverwalter erhob 
außerdem Widerklage dahin, daß die Klägerin das 
Eigentum des Gemeinſchuldners an der von B. & G. 
zurückbehaltenen Sicherheit von 1700 M anzuerkennen 
habe. 

II. Das LG. gab dem in der Schlußverhandlung 
geſtellten ermäßigten Klagantrag ſtatt und wies die 
Widerklage ab mit folgender Begründung: „Von dem 
Betrag von 1700 M, welcher aus der dem Gemein— 
ſchuldner zukommenden Werklohnforderung als Sicher— 
heit für etwaige Nacharbeiten zurückbehalten wurde 
und den der Stadtmagiſtrat N. nachträglich ganz an 
B. & G. ausgezahlt hat, iſt der Betrag von 938,30 M, 
auf den jetzt die Klage ermäßigt iſt, nur noch zwiſchen 
den Streitsteilen ſtreitig; dieſen Betrag würden B. 


— . — —— — — . . — — 


& G. an die Klägerin auszahlen, wenn nicht der 
Widerſpruch der Beklagten vorläge. Durch den Ab⸗ 
tretungsvertrag vom 22. März 1910 ſchied die Forde⸗ 
rung auf 1700 M aus dem Vermögen des Gemein⸗ 
ſchuldners aus; an ſeine Stelle trat als neue Gläu⸗ 
bigerin die Klägerin. Es beſtand demnach zur Zeit 
der Konkurseröffnung — 14. Juni 1910 — keine 
Forderung des Gemeinſchuldners mehr; fie konnte 
alſo auch nicht mehr Beſtandteil der Konkursmaſſe 
werden ($ 398 BGB., 1 KO.). Damit rechtfertigt es 
ſich, daß die Klage auch gegen den Gemeinſchuldner 
erhoben wurde: die Klage gegen den Konkursverwalter 
war notwendig bei dem rechtlichen Standpunkt, den 
dieſer ſchon vor der Erhebung der Widerklage ein⸗ 
genommen hatte. Der Klägerin iſt es auch nicht ver⸗ 
wehrt die ihr übertragene Forderung nur zu einem 
Teilbetrage geltend zu machen. Beſteht der Vertrag 
vom 22. März 1910 zu Recht, ſo iſt für den von An⸗ 
ſprüchen aus Nacharbeiten unſtreitig freien Betrag 
von 938,30 M die Klägerin Gläubigerin, fie hat in⸗ 
ſoweit kein bloßes Abſonderungsrecht ſondern ein 
Ausſonderungsrecht. Es kann dahin geſtellt bleiben, 
ob die Klage, die jedenfalls keine Klage aus $ 146 KO. 
iſt, eine Feſtſtellungsklage nach 8 256 ZPO. oder 
eine Leiſtungsklage iſt: zweifellos iſt das Feſtſtellungs⸗ 
intereſſe des $ 256 ZPO. gegeben und das genügt. 

Der Wirkſamkeit der Abtretung ſtand nicht der 
Umſtand entgegen, daß die ſog. Kaution am 22. März 
1910 noch nicht ausgezahlt war. Denn N. hatte gegen 
die Stadtgemeinde N. überhaupt keinen Anſpruch auf 
Rückzahlung der von ihr einbehaltenen 1700 M, 
er hat einen ſolchen Anſpruch auch nicht abgetreten. 
Vielmehr ſtand nur B. & G. die Forderung gegen 
die Stadtgemeinde N. zu und es beſtand zwiſchen 
ihr und N. keine Vertragsbeziehung; N. hatte nur 
gegen B. & G. eine Forderung auf die Summe, die 
von dem durch den Stadtmagiſtrat zurückbehaltenen 
Betrag von 1700 M nach der Vollendung der Nach⸗ 
arbeiten noch übrig blieb; er konnte vernünftiger 
Weiſe nur dieſe Forderung gegen B. & G.abtreten wollen. 
Dieſe Forderung ging mit allen ihr anhaftenden Ein⸗ 
wendungen ſo über, wie ſie dem bisherigen Gläubiger 
zuſtand. Die Klägerin war zur Zeit der Eingehung 
des fiduziariſchen Vertrags am 22. März 1910 be⸗ 
rechtigt die am 19. und 20. März 1910 fällig ge⸗ 
wordenen Wechſelbeträge mit je 1000 M zu fordern, 
ſie hat gegen die Forderungsabtretung Stundung be⸗ 
willigt, aber, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, 
angenommen, daß die abgetretene Forderung bald ein⸗ 
gehen werde. Weil das nicht der Fall war, hat die 
Klägerin um einen Vollſtreckungstitel zu bekommen 
die Wechſel eingeklagt ohne damit die Sicherheit auf: 
geben zu wollen, welche die Forderungsübertragung bot“. 

III. Das OLG. verwarf die Berufung aus fol- 
genden Gründen: „Der Vertrag vom 22. März 1910 
hatte den Inhalt, daß N. feine Forderung zu 1700 M 
gegen B. X G. an die Klägerin abtrat und zwar 
zahlungshalber; der Betrag, den die Firma B. & G. 
an die Klägerin bezahlen würde, ſollte an der Wechſel— 
forderung zu 2000 M abgehen. Dagegen ſtundete die Klä— 
gerin ihre Wechſelforderung zu 2000 47. Dabei ging man 
von der Anſicht aus, daß die 1700 M kurz nach Oſtern 
bezahlt würden. Durch dieſen Vertrag iſt die Forde— 
rung zu 1700 M aus dem Vermögen des Geſamt— 
ſchuldners in das Vermögen der Klägerin überge— 
gangen. Als der Konkurs über das Vermögen des 
N. eröffnet wurde, war die Forderung nicht mehr 


462 


— —— —ꝑ—.— 


Beſtandteil ſeines Vermögens und wurde von dem 
Konkursverfahren nicht ergriffen (8 1 KO.). Die Bes 
klagten meinen, der Vertrag vom 22. März 1910 ſei 
durch ein ſtillſchweigendes Uebereinkommen der Klä⸗ 
gerin und des N. wieder aufgelöſt worden. Allein 
ein ſolches Uebereinkommen liegt nicht vor. Wenn 
die Klägerin ſtundete, ſo ſtundete ſie nicht auf unbe⸗ 
ſtimmte Zeit, ſondern unter der von beiden Teilen 
gehegten Annahme, daß bald nach Oſtern 1700 M 
gezahlt würden. Traf dieſe Annahme nicht zu, ſo 
war damit die Sicherheit, die die Klägerin durch den 
Vertrag vom 22. März 1910 erhalten hatte, nicht 
hinfällig, die Klägerin war nur nicht mehr an die 
Zuſage der Stundung gebunden. Ein Gläubiger, der 
ſtundet und dafür Sicherheit erhält, will nicht die 
Sicherheit aufgeben, wenn die Stundungsfriſt abge⸗ 
laufen iſt, und dem Schuldner fällt es nicht ein dem 
Gläubiger ſolches zuzumuten. Wäre die Anſicht der 
Beklagten richtig, ſo hätte der Gläubiger, weil er 
wartete und ſtundete, nach dem Ablaufe der Friſt 
keinen Vorteil in Händen, ſondern müßte den für die 
Stundung gewährten Vorteil wieder aufgeben. Die 
von den Beklagten angeführte Entſcheidung Seuff Arch. 
64 Nr. 107 ſagt nur, daß der Gläubiger bei Ver⸗ 
ſchlechterung der Verhältniſſe des Schuldners nicht 
mehr an die Stundung gebunden iſt, aber nicht, daß 
8 5 keinen Anſpruch mehr auf die gewährte Sicher⸗ 
eit hat. 

Die Klage iſt keine Feſtſtellungs⸗ ſondern eine 
Leiſtungsklage auf Abgabe einer Willenserklärung. 
Die Klägerin hätte auch gegen B. & G. klagen können, 
das ſchließt aber nicht aus, daß ſie gegen die Be⸗ 
klagten auf Zuſtimmung zur Auszahlung klagte und 
dieſer Weg war geboten, da B. & G. der Klägerin 
erklärten, ſie machten die Auszahlung von der Zu⸗ 
ſtimmung der Beklagten abhängig. 

Da die Forderung von dem Konkursverfahren 
nicht ergriffen wurde, der Gemeinſchuldner aber der 
Auszahlung an die Klägerin widerſprach, iſt die 
Klage mit Recht gegen ihn gerichtet worden; ander⸗ 
ſeits nimmt der Konkursverwalter die Forderung für 
die Maſſe in Anſpruch und darum war auch gegen 
ihn Klage zu erheben.“ 

IV. Wer dieſen Rechtsfall und ſeine Löſung prüft, 
dem werden die darin aufgeſtellten Rechtſätze wohl 
der Betrachtung nicht unwert erſcheinen. 

1. Klagen gegen einen Konkursverwalter find all⸗ 
tägliche Vorkommniſſe, nicht dagegen ſolche gegen ihn 
und den Gemeinſchuldner ſelbſt; noch weniger häufig 
iſt es, daß beiden die Paſſivlegitimation in Abſonde⸗ 
rungs- und Ausſonderungsſtreitigkeiten zuerkannt 
wird. Die Berufungsführer verwieſen hierwegen 
auf die Entſcheidung des Oberſten Landesgerichts in 
Seuff Arch. Bd. 55 Nr. 139 und auf Jaeger (KO. 8 43 
Anm. 56, 8 47 Anm. 9); dort wird angenommen, 
daß der Gemeinſchuldner erſt nach der Freigabe aus 
der Konkursmaſſe zu einem Rechtsſtreit ermächtigt 
ſei. Dieſer Umſtand ſoll nach der Meinung des 
OLG. unweſentlich ſein, wenn der Gegenſtand über— 
haupt nicht Beſtandteil der Konkursmaſſe geworden 
iſt. Allein wenn er dieſe Eigenſchaft hätte würde 
nach 8 6 KO. der Gemeinſchuldner bis zur Frei— 
gabe aus dem Konkursverband das Verwaltungs— 
und Verfügungsrecht verlieren! Folgt nicht aus dem 
S 6 KO., daß nur zwiſchen der Konkursverwaltung 
und dem die Abſonderung Beanſpruchenden darüber 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


— — 


teil der Maſſe iſt, nicht aber zwiſchen dem Abſonde⸗ 
rungsberechtigten und dem Gemeinſchuldner ſelbſt, ſo⸗ 
lange der Konkursverwalter nicht freigegeben hat? 

2. Auch die rechtliche Natur des Anſpruchs gibt 
Anlaß zu einer genaueren Betrachtung. Im Ver⸗ 
laufe des Rechtsſtreits wurden die verſchiedenſten 
Möglichkeiten erwogen, bis endlich entſchieden wurde: 
Die Klägerin beanſprucht die Abgabe einer Willens⸗ 
erklärung von den Beklagten, alſo auch vom Gemein⸗ 
ſchuldner ſelbſt. Allein dieſer hat, wie ſchon dar⸗ 
gelegt wurde, nach 8 6 KO. für die Dauer des Kon⸗ 
kursverfahrens rechtlich gar keinen Willen. Welche 
geſetzliche Vorſchrift legt ihm die Verpflichtung zu der 
Leiſtung auf, die in der Abgabe dieſer Willens 
erklärung liegt? Es wird in den Urteilsgründen zu⸗ 
gegeben, daß ohnehin B. & G. unmittelbar hätten 
verklagt werden können; damit ſei jedoch nicht der 
klagbare Anſpruch gegen den Gemeinſchuldner auf 
Abgabe einer Willenserklärung ausgeſchloſſen. Dieſe 
Willenserklärung braucht aber nach der Annahme des 
Gerichts nicht den ganzen Betrag von 1700 M zu um⸗ 
ſaſſen, ſondern kann von der Klägerin beliebig be⸗ 
grenzt werden. Die Beklagten können danach nicht 
erſehen, wer nun das Recht auf den Betrag über 
dieſe Grenze hinaus hat; wenn die Beklagte, kann ſie 
dann etwa die Klägerin auf den von B. & G. nach 
ſeiner Meinung zu Unrecht beſtrittenen Teil ver⸗ 
weiſen und für ſich den unbeſtrittenen Teil bean⸗ 
ſpruchen? Mit welchem Betrag ſoll ferner die Klä⸗ 
gerin an der Schlußverteilung im Konkursverfahren 
beteiligt ſein? Angenommen weiter den Fall, daß 
die Klägerin ſofort gegen B. & G. Klage erhoben 
und geſiegt hätte, inzwiſchen aber deren Verhältniſſe 
ſich ungünſtiger geſtaltet hätten, welchen Einfluß hat 
dann ein Ausfall der Klägerin für die Berechnung 
des Betrages, für den ſie eine Konkursdividende be⸗ 
anſpruchen kann? Um alle dieſe Schwierigkeiten zu 
beſeitigen hatten die Berufungsführer behauptet, in 
der Ermäßigung liege ein nach 8 64 KO. unzuläſſiger 
teilweiſer Verzicht auf ein Abſonderungsrecht, es 
könne nur ganz oder gar nicht verzichtet werden. 
Dieſe Behauptung bezeichnen die Urteilsgründe ohne 
weiteres als „unerfindlich“. 

3. Endlich möge noch das Augenmerk auf die 
weitgehende Anerkennung der fiduziariſchen Forde⸗ 
rungsübertragung gelenkt werden. 

Am 13. Mai 1910 hatte die Klägerin an den 
Gemeinſchuldner geſchrieben: „Mache Sie hiermit 
darauf aufmerkſam, daß ich jetzt auf Regelung der 
beiden Akzepte vom 19. und 20. März l. J. mit je 
1000 M beſtehe. Sie haben mir zwar die Sicherbeit 
von 1700 M gegeben, doch find nach Ausſage des G. 
von dieſem Betrage noch 500 M ſtrittig und die 
reſtigen 1200 M müſſen bis Oktober ſtehen bleiben. 
Ich kann ſelbſtredend ſo lange nicht warten und 
wollen Sie mir Nachricht geben, wie Sie die Sache 
regeln wollen. Sollten Sie die Angelegenheit binnen 
8 Tagen nicht geregelt haben, dann müßte ich die 
beiden Akzepte einklagen.“ Dazu bemerkt das OL G.: 
„Es bedarf nach den Erfahrungen des täglichen 
Lebens keiner weiteren Erörterung, daß die Sicher— 
heit, wenn ſie auch ſpäter als Oſtern fällig wurde, 
nicht hinfällig wurde, ſondern nur die Stundungs— 
zuſage des Klageteils“. 

Soll nun wirklich der Wille zur Sicherungsüber— 
eignung bei dem Schuldner noch vorhanden ſein, ſo— 


entſchieden werden kann, ob der Gegenſtand Beſtand- bald der Gegenwert weggefallen iſt, den der andere 


Vertragsteil gewährt, nämlich die Vereinbarung über 
die Stundung? Der einheitliche Vertrag, in dem 
der Gläubiger gegen Gewährung einer Sicherheit 
durch Abtretung einer Forderung Stundung gewährte, 
konnte doch nur durch übereinſtimmende Willens⸗ 
erklärungen beider Teile aufgehoben werden. Es 
würde gegen Treu und Glauben im Verkehr ver⸗ 
ſtoßen, wenn der Gläubiger die Stundungszuſage 
zurückziehen, die Gegenleiſtung aber behalten wollte. 
Rechtsanwalt Landau in Nürnberg. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


Zu § 31 868. Der Verein haftet für die zum 
Schadenseriake verpflichtende Handlung nicht allein; der 


Vorſtand haftet neben ihm. Aus den Gründen: 


Die Reviſion rügt die Verletzung des 8 31 BGB. Sie 
beſtreitet, daß der Beklagte N. aus dem gegen 8 826 
BGB. verſtoßenden Verhalten auch perſönlich in An⸗ 
ſpruch genommen werden könne. N. habe ausſchließ⸗ 
lich als Vorſtand, als geſetzlicher Vertreter der Be⸗ 
klagten B. gehandelt und es könne deshalb höchſtens 
eine Haftung der Beklagten B. nach S 31, nicht aber 
zugleich auch eine ſolche des Beklagten N. in Frage 
kommen. Dieſer Einwand iſt unbegründet. Allerdings 
iſt nach § 31 ein Verein für den Schaden verantwort⸗ 
lich, den ſein Vorſtand durch eine in Ausführung der 
ihm zuſtehenden Verrichtungen begangene, zum Schadens⸗ 
erſatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt, 
und dieſe Vorſchrift gilt auch für die auf Grund be⸗ 
ſonderer Reichsgeſetze geſchaffenen juriſtiſchen Perſonen, 
insbeſondere auch für Aktiengeſellſchaften. Der 8 31 
hat aber nicht etwa die Bedeutung, daß bei einer 
Tätigkeit der Vereinsorgane für den Verein als Täter 
nur der Verein zu gelten habe; Täter iſt die phyſiſche 
Perſon des Vorſtands, die durch die unerlaubte Hand⸗ 
lung Schaden geſtiftet hat, ſie haftet daher aus ihrer 
eigenen unerlaubten Handlung und nur neben ihr 
haftet auch noch der Verein. Selbſt wenn hiernach 
die Beklagte B. aus dem Verſtoße des Beklagten N. 
gegen den 8 826 haftbar war, fo wurde hierdurch 
doch die perſönliche Haftung des Beklagten N. nicht 
ausgeſchloſſen. (Urt. des V. ZS. vom 20. September 
1911, V, 613 / 10). 
2430 


— — —ı. 


II. 


1. * welcher Form werden die Rechte aus einer 
Vormerkung übertragen, die den Auſpruch auf Auf⸗ 
laſſung ſichern foll 7 ü 

2. Iſt eine Vereinbarung ungültig, wenn beide 
Teile in dem Irrtume befangen find, ſie fei in die Ver⸗ 
tragsurkunde aufgenommen? 

In einer notariellen Urkunde vom 1. Juni 1906 
hatte der Zimmermeiſter H. gegenüber der offenen 
Handelsgeſellſchaft R., die dabei durch den Geſell— 
ſchafter Hermann Bl. vertreten wurde, die Verpflich— 
tung übernommen, ihr oder einem von ihr zu be— 
zeichnenden Dritten ſeine Grundſtücke unter beſtimmten 
Bedingungen zu verkaufen. Zur Sicherung des An— 
ſpruchs auf Auflaſſung hatte er die Eintragung einer 
Vormerkung für die Handelsgeſellſchaft bewilligt, die 
am 21. Juni 1906 eingetragen wurde. Am 6. Juni 
1907 ließ H. zugunſten feiner Frau eine Darlehns— 
forderung von 21300 M eintragen. Dieſe Hypothek 
erwarb ſpäter der Beklagte. Am 17. März 1909 hatte 
die Firma R. auf Grund einer von H. ihr erteilten 


Vollmacht die für die Hypothek verhafteten Grund⸗ 
ſtücke der Klägerin verkauft und aufgelaſſen. Der 


Beklagte ging nun im Juli 1909 gegen die der 
Klägerin übereigneten Grundſtücke mit Zwangsver⸗ 
waltung vor. Die Klägerin hat, geſtützt auf die Auf⸗ 
laſſungsvormerkung gegen den Beklagten Klage er⸗ 
hoben mit dem Antrag, ihn zur Löſchung der Hypo⸗ 
thek von 21300 M zu verurteilen und die Zwangs⸗ 
verwaltung für unzuläſſig zu erklären. Das LG. hat 
die Klage abgewieſen, weil die Auflaſſungsvormerkung 
nur zugunſten der Firma R., nicht aber zugunſten der 
Klägerin eingetragen ſei. In der Berufungsinſtanz 
hat darauf die Klägerin geltend gemacht, der Ueber⸗ 
gang der Rechte aus der Vormerkung ſei auch bei 
Abſchluß des Kaufvertrages vom 17. März 1909 aus⸗ 
drücklich mündlich vereinbart und deshalb nicht beur⸗ 
kundet worden, weil er für ſelbſtverſtändlich gehalten 
worden ſei. Das OLG. hat nach den Anträgen der 
Klägerin erkannt. Die Reviſion hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: 1. Die nachträgliche Ein⸗ 
tragung der Hypothek der Frau H. beeinträchtigte das 
durch die Auflaſſungsvormerkung geſicherte Recht der 
Firma R. (8 883 Abſ. 2 BGB.), die Zuläſſigkeit der 
auf 8 888 BGB., 88 767, 795 ZPO. gegründeten 
Klage konnte daher keinem Bedenken unterliegen, ſo⸗ 
fern ſich die Uebertragung der der Firma zuſtehenden 
Rechte auf die Klägerin rechtsverbindlich vollzogen 
hatte. Gegen die Annahme einer ſolchen Ueber⸗ 
tragung hat die Reviſion zunächſt geltend gemacht, 
daß die von dem Berufungsrichter für erwieſen er⸗ 
achtete mündliche Abtretung nicht ausreiche, daß es 
vielmehr nach 8 873 Abſ. 1 und 8 883 Abſ. 1 BGB. 
der Eintragung im Grundbuch bedurft hätte. Dabei 
hat jedoch die Reviſion überſehen, daß die Vormerkung 
nach der herrſchenden Anſicht kein dingliches Recht 
begründet, ſondern daß ſie nur eine dingliche Siche⸗ 
rung eines obligatoriſchen Rechts iſt und zugleich mit 
dieſem übertragen wird (Protokolle Bd. 3 S. 751). 
Die Formvorſchriften des 8 873 BGB. finden daher 
keine Anwendung, vielmehr genügt die für die Ueber⸗ 
tragung des perſönlichen Rechts ausreichende münd⸗ 
liche Form (vgl. Planck, Anm. 4 zu 8 883 BGB.). 

2. Sodann hat die Reviſion die Nichtbeachtung 
einer von dem Beklagten in der Berufungsinſtanz 
aufgeſtellten Behauptung gerügt. Danach ſoll in Be⸗ 
ziehung auf die notarielle Urkunde vom 1. Juni 1906 
zwiſchen H. und der Firma R. vereinbart worden 
ſein, daß die Firma ihre Rechte aus dem Akte, ins⸗ 
beſondere aus der Vormerkung, niemandem abtreten 
dürfe, daß dieſe Rechte vielmehr rein perſönlicher 
Natur ſein ſollten und daß auch die Grundſtücke weder 
einzeln noch insgeſamt einem Dritten veräußert 
werden dürften, bevor H. ſeine Genehmigung erteilt 
habe. Auch ſollen der Notar und die Gegenpartei H. 
damals erklärt haben, daß in dieſem Sinne der Ver⸗ 
trag auch abgefaßt ſei. Aus dem letzten Teil dieſer 
Behauptung hat der Berufungsrichter den Schluß ge— 
zogen, es handle ſich nicht um eine Vereinbarung, die 
neben dem Inhalt der Urkunde habe gelten ſollen, 
ſondern um einen Irrtum des H. über den Inhalt 
des Beurkundeten und dieſer Irrtum ſei mangels 
rechtzeitiger Anfechtung nicht zu beachten. Der Reviſion 
war jedoch zuzugeben, daß dieſe Begründung nicht 
haltbar iſt, denn die Geltung einer Vereinbarung 
wird nicht dadurch ausgeſchloſſen, daß die Vertrag— 
ſchließenden irrtümlich von der Anſicht ausgehen, die 
Vereinbarung ſei in die Urkunde aufgenommen. Aus 
dem Umſtande, daß die Urkunde von einer ſolchen 
Vereinbarung nichts, ſondern eher das Gegenteil ent— 
hält, hätte vielleicht ein Beweisgrund gegen die Richtig— 
keit des ganzen Vorbringens entnommen werden 
können. Da dies aber nicht geſchehen iſt, ſo muß von 
der Richtigkeit der Vereinbarung ausgegangen werden. 
(Urt. des V. 35. vom 14. Juni 1911, V 542/10). 


2429 an 


—̃ — 


464 


III. 

a Feſtſtellungsklage gegen den Soufuräper: 
walter, der Schadenserſatzanſprüche für die Maſſe geltend 
gemacht hat. Kaun die Klage gegen den Konkursver⸗ 
walter noch verfolgt werden, wenn dieſer den Auſpruch 
freigegeben hat ? Eintritt des Gemeinſchuldners in den 
Nechtsſtreit. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe 
in ſeiner Eigenſchaft als Verwalter im Konkurſe über 
das Vermögen des B. eine Forderung auf Schadens⸗ 
erſatz in Höhe von mindeſtens 5000 M gegen den 
Kläger für ſich in Anſpruch genommen, die dem Ge⸗ 
meinſchuldner nach 8 826 BGB. daraus erwachſen 
wäre, daß der Kläger durch unlautere Machenſchaften 
die Konkurseröffnung gegen B. zu Unrecht herbeige⸗ 
führt habe. Er hat auf Feſtſtellung des Nichtbeſtehens 
eines ſolchen Anſpruches geklagt mit dem Antrage: 
feſtzuſtellen, daß dem Beklagten gegen ihn kein An⸗ 
ſpruch aus unerlaubter Handlung zuſtehe. Das LG. 
hat die Klage abgewieſen und zugleich die Erklärung 


t 


| 


— — . Een 


des Gemeinſchuldners, daß er den Rechtsſtreit aufs | 


nehme, für unbeachtlich erklärt. Das OLG. hat die 
Berufung des Klägers zurückgewieſen. Die Reviſion 
blieb erfolglos. 

Aus den Gründen: Im Verfahren erſter Inſtanz 


hat der Konkursverwalter und damalige Beklagte er». 


klärt, daß er die etwa gegen den Kläger beſtehenden 
Schadenserſatzanſprüche aus der Konkursmaſſe freigebe, 
fo daß dem Gemeinſchuldner nunmehr das freie Vers 
fügungsrecht zuſtehe. Er hat mit Rückſicht hierauf 
gebeten, ihn aus dem Rechtsſtreite zu entlaſſen und 
erklärt, daß er in der Sache ſelbſt keinen Antrag 
ſtelle, aber bereit ſei, die bis dahin dem Kläger er- 
wachſenen Koſten zu erſtatten. Darauf hat der damals 
für den Gemeinſchuldner erſchienene Rechtsanwalt er: 
klärt, daß der Gemeinſchuldner „den Rechtsſtreit auf— 
nehme“, und den Antrag geſtellt die Klage abzuweiſen. 
Der Kläger hinwieder erklärte, daß er mit dieſem Ein⸗ 
tritte des Gemeinſchuldners nicht einverſtanden ſei, 
und beantragte Verſäumnisurteil gegen den Beklagten 
zu erlaſſen. Das LG. hat die Klage abgewieſen, 
weil zufolge der Freigabeerklärung des Konkursver— 
walters dieſer die Prozeßfähigkeit hinſichtlich des 
Schadenanſpruches verloren habe und weil bei dieſer 
Rechtslage dem Klagantrage, den der Kläger trotzdem 
gegen den Konkursverwalter aufrecht halte, nicht ent= 
ſprochen werden könne, andererſeits der Kläger zur 
Stellung eines Antrages gegen den Gemeinſchuldner, 
mit dem er den Prozeß nicht führen wolle, auch nicht 
genötigt werden könne. In der Berufungsinſtanz hat 
der Kläger den Standpunkt vertreten, es handle ſich 
garnicht um die angebliche Schadenforderung, über— 
haupt nicht um eine Forderung des Verwalters, 
ſondern um eine Verbindlichkeit und zwar des Kon— 
kursverwalters ſelbſt, die dadurch entſtanden ſei, daß 
er ſelbſt ſich zu Unrecht einer Forderung gegen den 
Kläger berühmt habe. Der Anſpruch des Klägers auf 
Feſiſtellung, daß dem beklagten Verwalter die von 
ihm behauptete Forderung nicht zuſtehe, ergebe ſich 
aus jener Handlung des Konkursverwalters, ſei daher 
eine Maſſeſchuld gemäß 8 59 Abſ. 1 KO., und 
dieſe Schuld könne der Verwalter nicht auf den Ge— 
meinſchuldner abwälzen. Das Berufungsgericht ver— 
wirft dieſe Auffaſſung als unzutreffend. 

Das Berufungsgericht hat zunächſt darin Recht, 
daß bei der hier erhobenen negativen Feſtſtellungs— 
klage nicht eine Maſſeſchuld im Sinne von 8 59 
Nr. 1 KO. in Frage ſtand, ſondern eine angebliche 
Aktivforderung der Konkursmaſſe, die der Kläger ver— 
neint wiſſen wollte. Dieſe Forderung hat für den 
Fall, daß ſie zu Recht beſtände, der Konkursverwalter 
durch Erklärung gegenüber dem Gemeinſchuldner aus 
der Maſſe rechtsförmlich freigegeben, wozu er auch 
beſu t war (val. Jaeger, Komm. z. KO. 86 Anm. 43, 44 
3. Aufl. S. 98). Durch die Freigabeerklärung, die 


zweifellos einen dauernden, unwiderruflichen Verzicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


auf die Maſſezugehörigkeit bedeutet, hat die Forderung, 
wenn ſie beſteht, rechtlich aufgehört Beſtandteil der 
Maſſe zu ſein. Es iſt damit der Gemeinſchuldner, 
der an ſich Rechtsſubjekt der Forderung war und 
blieb, nun auch allein verfügungsberechtigter Inhaber 
der Forderung geworden. Die Feſtſtellungsklage iſt, 
ſoweit ſie gegen den Konkursverwalter gerichtet war 
und den Ausſpruch begehrte, daß dieſem eine ſolche 
Forderung als Maſſeforderung nicht zuſtehe, durch 
die Freigabe gegenſtandslos geworden. Mochte darin 
ein Anerkenntnis des Feſtſtellungsanſpruches, eine Be⸗ 
friedigung nicht zu finden ſein, ſo ſtand doch feſt, daß 
die behauptete Forderung für die Maſſe nicht mehr 
beanſprucht werden konnte. Andererſeits war der be⸗ 
klagte Konkursverwalter hinſichtlich des konkursfreien 
Vermögensobjektes nicht mehr legitimiert den Rechts⸗ 
ſtreit (zur Hauptſache) fortzuführen. Er hatte ſelbſt⸗ 
verſtändlich nicht für ſeine Perſon „ſich des Anſpruches 
berühmt“. Dieſe Rechtsfolgen der veränderten Sach⸗ 
lage mußte ſich der Kläger gefallen laſſen; er konnte 
nicht trotzdem den Konkursverwalter als Prozeßgegner 
feſthalten. Seinem Antrage dieſem gegenüber die be⸗ 
gehrte Feſtſtellung zu treffen, konnte das Gericht 
keinesfalls ſtattgeben. Hierzu hätte auch eine Analogie 
der Maſſeſchuld nicht führen können, an die man etwa 
denken möchte. Es iſt insbeſondere richtig, daß ein 
rechtliches Intereſſe des Klägers an der beantragten 
Feſtſtellung gegenüber dem Konkursverwalter nun⸗ 
mehr entfallen war. Nun wäre allerdings der Kläger 
wohl in der Lage geweſen die Klage gegenüber dem 
Gemeinſchuldner perſönlich zu verfolgen. Aber er 
hat dies nicht gewollt und nicht getan, ſeinem Ein⸗ 
treten ausdrücklich widerſprochen. Uebrigens hat er 
auch nicht geltend gemacht, daß der Gemeinſchuldner 
ſelbſt ſich des fraglichen Schadenserſatzanſpruches be⸗ 
rühmt habe, was daraus noch nicht ohne weiteres 
hervorgegangen wäre, daß dieſer den Prozeß aufzu⸗ 
nehmen erklärte und Klagabweiſung beantragte. (Urt. 
des VI. 35. vom 24. Juni 1911, VI 394,10). 

2415 


— — — . 


IV. 


Nichtigkeit eines Vertrags, der gegen die Borfchriften 
des § 108 des Geſetzes über die privaten Berſicherungs⸗ 
unternehmungen verftöht. Aus den Gründen: Der 
Kläger beanſprucht die Proviſion für die Vermittelung 
eines Vertrags, durch den ſich der beklagte Verein 
fünf engliſchen, zum Geſchäftsbetrieb in Deutſchland 
nicht zugelaſſenen Feuerverſicherungsgeſellſchaften gegen- 
über gegen Proviſion verpflichtet hat, den Abſchluß 
von Verſicherungsverträgen zwiſchen feinen Mitgliedern 
und dieſen Geſellſchaften zu vermitteln. Der Border: 
richter hat die Klage abgewieſen, weil der vermittelte 
Vertrag auf ſeiten beider Vertragsparteien gegen die 
Strafbeſtimmungen des § 108 des RG. über die privaten 
Verſicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 vers 
ſtoße und daher nach 8 134 BGB. nichtig ſei. Die 
Reviſion iſt unbegründet. Der Kläger fordert nicht 
eine Vergütung für eine durch den Beklagten als 
Hauptvermittler und den Kläger als Untervermittler 
erfolgte Vermittelung eines Vertrags zwiſchen dritten 
Vertragsparteien, ſondern er beanſprucht den Mäkler— 
lohn für die Vermittelung eines von dem Beklagten 
ſelbſt abgeſchloſſenen Vertrags. Mit Recht bezeichnet 
daher der Vorderrichter die Gültigkeit dieſes Vertrags 
als Vorausſetzung des Klageanſpruchs (BGB. 8 652). 
Ihm iſt ferner auch darin beizuſtimmen, daß der Ver— 
trag wegen Verſtoßes gegen die Strafvorſchriften des 
§ 108 a. a. O. nichtig iſt. Dabei kann es dahingeſtellt 
bleiben, ob ſonſtige Zuwiderhandlungen gegen die 
Vorſchriften dieſes Geſetzes die Rechtsungültigkeit der 
dagegen verſtoßenden Rechtsgeſchäfte zur Folge haben, 
ob namentlich ein Verſicherungsvertrag nichtig iſt, den 
eine nicht zum Geſchäftsbetriebe zugelaſſene auslän— 
diſche Verſicherungsgeſellſchaft im Inlande durch Vers 


treter oder Vermittler ſchließt; auch wenn man dies 
mit Könige (Privatverſicherungsgeſetz 2. Aufl. 8 5 
Anm. 6, 8 67 Anm. 4, 8 85 Anm. 4) gegen Manes⸗ 
Hagen (Kommentar zu dieſem Geſetze 2. Aufl. S. 58f. 
Anm. 9 zu 8 4) verneint, iſt dem Vertrage die Gültig⸗ 
keit abzuſprechen und der Proviſionsanſpruch des Klägers 
abzuweiſen. Der Vorderrichter ſtellt feſt, daß beide 
Vertragsparteien, nicht nur die engliſchen Verſicherungs⸗ 
geſellſchaften, ſondern auch die Vertreter des verklagten 
Vereins, gegen den § 108 verſtoßen haben, daß die 
letzteren wußten, die engliſchen Geſellſchaften ſeien zum 
Geſchäftsbetrieb in Deutſchland nicht zugelaſſen und 
der Betrieb des Verſicherungsgeſchäfts im Inlande ſei 
ohne ſolche Zulaſſung bei Strafe verboten, und trotz⸗ 
dem es in dem von dem Kläger vermittelten Vertrag 
übernahmen, dauernd und gegen Entgelt Verſicherungs⸗ 
verträge der Vereinsmitglieder mit jenen Geſellſchaften 
zu vermikteln. Dieſe Feſtſtellung rechtfertigt die Ent⸗ 
ſcheidung, daß der Vertrag auf Grund der 88 134, 
138 BGB. nichtig iſt. Durch die Ausführung dieſes 
Vertrags würde der Zweck des Geſetzes vom 12. Mai 
1901, die zum Schutze der Verſicherungsnehmer für 
erforderlich erachtete ſtaatliche Aufſicht über die in 
Deutſchland ihre Geſchäfte betreibenden Verſicherungs⸗ 
unternehmungen, vereitelt und deſſen waren ſich beide 
Teile bei dem Vertragsſchluſſe bewußt. Der verklagte 
Verein ließ ſich durch den Vertrag eine Vergütung für 
eine, wie er wußte, im öffentlichen Intereſſe verbotene, 
durch den 8 108 Abſ. 2 mit Strafe bedrohte Tätigkeit 
verſprechen und verſtieß damit nicht minder als die 
engliſchen Geſellſchaften gegen ein Verbotsgeſetz und 
zugleich gegen die guten Sitten. Aus dem gleichen 
Grunde iſt auch der Vertrag zwiſchen den Prozeß⸗ 
parteien, auf den der Kläger feinen Anſpruch ſtützt, 
nichtig, denn auch der Kläger hat durch die Vermitte⸗ 
lung jenes Vertrags Beihilfe zu einer verbotenen, 
ſtrafbaren Handlung geleiſtet und ſich für dieſe Tätig⸗ 
keit die eingeklagte Vergütung verſprechen laſſen. Bei 
dieſem Sachverhalt iſt es für die Entſcheidung ohne 
Bedeutung, ob den Vertretern des Beklagten bei der 
Abgabe des Proviſionsverſprechens die Nichtigkeit des 
von dem Kläger vermittelten Abkommens bekannt war 


oder nicht. (Urt. des III. 35. vom 20. Juni 1911, 
III 230/10). 5 
2419 


B. Straffaden. 
I 


Nachſchieben von Waren beim Ausverkauf. Aus 
den Gründen: Es iſt richtig, daß unter der Herr⸗ 
ſchaft des Geſetzes vom 27. Mai 1896 nach der reichs⸗ 
gerichtlichen Rechtſprechung bei Ausverkäufen ein Nach⸗ 
ſchieben von Waren in gewiſſen engen Grenzen für 
zuläſſig erachtet wurde, dann nämlich, wenn das Nach⸗ 
ſchieben nur dazu beſtimmt war, die Zwecke des Aus⸗ 
verkaufs inſofern zu fördern, als einzelne Warenbe— 
ſtände, die infolge Fehlens einzelner Warenſtücke nicht 
oder nur ſchwer verkäuflich waren, durch ſolche Er— 
gänzung verkäuflich gemacht werden ſollten. Hierbei 
war die Erwägung maßgebend, daß ein ſolches Nach— 
ſchieben mit dem Weſen eines Ausverkaufs nicht in 
Widerſpruch ſtehe und daher mangels einer Vorſchrift 
geſetzlich nicht verboten ſei. Das Geſetz vom 7. Juni 
1909 hat aber gerade in dieſem Punkte den bisherigen 
Rechtszuſtand geändert. Die Rechtsauffaſſung des 
Reichsgerichts war bei Gerichten und den beteiligten 
Geſchäftskreiſen vielfach mißverſtanden worden. Das 
hatte die Folge gehabt, daß das Nachſchieben von 
Waren bei Ausverkäufen wieder zunahm. Die ſeit— 
herigen Beſtimmungen erſchienen daher dem Geſetgeber 
unzulänglich. Deshalb wurde in dem 8 8 des Gef. 
das Vor- und Nachſchieben von Waren unbedingt und 
ſchlechthin verboten ohne Rückſicht darauf, ob es im 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


465 


Einzelfalle mit dem Weſen des Ausverkaufs noch ver⸗ 
einbar iſt und den Ausverkauf ſchneller beendet. Der 
Beranftalter eines Ausverkaufs kann danach nicht mit 
der Behauptung gehört werden, er habe ſeine ge⸗ 
ſchäftlichen Maßnahmen ſo getroffen, daß trotz des 
Vor⸗ oder Nachſchiebens die Ausverkaufsmaſſe nicht 
vermehrt oder vergrößert, ſondern im ſchließlichen Er⸗ 
gebniſſe verringert und der Ausverkauf ſeinem Ende 
näher geführt wurde: das Vor⸗ und Nachſchieben, ſo⸗ 
fern es den in 8 8 hervorgehobenen Merkmalen ent- 
ſprach, war und blieb verboten, auch wenn im Zu⸗ 
ſammenhange damit die ſonſtigen Maßnahmen des 
Veranſtalters dieſen Erfolg erzielen ſollten und er⸗ 
zielten. Der Sinn des Geſetzes geht dahin, daß einem 
Ausverkaufe, möge er das ganze Geſchäft oder einen 
Teil betreffen, in keinem Falle eine höhere Leiſtungsfäh⸗ 
igkeit verliehen werden ſolle, als ihm nach dem Maße 
der zum Ausverkauf Anlaß gebenden Warenvorräte 
zukommt, weil eine durch Herbeiſchaffung anderer 
Warenvorräte künſtlich geſteigerte Leiſtungsfähigkeit 
ſtärker auf die Konkurrenz nachteilig einwirken könnte, 
als die natürliche Leiſtungsfähigkeit. 

Hiernach begründet es vom Standpunkte des 88 
aus keinen Unterſchied, ob die getroffenen geſchäftlichen 
Maßnahmen des Angeklagten in einem Tauſchgeſchäft 
oder in einem Kreditkauf mit Inzahlungsgabe von 
Waren beſtanden, ob alſo B. dem Angeklagten auf 
Verlangen die Waren aus ſeinem Geſchäfte lieferte, 
die ſich unter den Ausverkaufsvorräten nicht befanden, 
von dem den Ausverkauf beſuchenden Publikum aber 
begehrt wurden, während ihm der Angeklagte aus 
ſeinem Ausverkaufsvorrat Waren zu demſelben Werte 
tauſchweiſe übereignete, oder ob der Angeklagte ſolche 
vom Publikum begehrte Waren bei B. auf Kredit 
kaufte gegen die Verpflichtung des B., für den ab⸗ 
gemachten Preis von dem Angeklagten Ausverfaufs- 
waren in Zahlung zu nehmen. In jedem der beiden 
Fälle hätte der Angeklagte die von B. gelieferten Waren 
nur für die Zwecke ſeines Ausverkaufs herbeigeſchafft. 
Die Herbeiſchaffung wäre mithin unter allen Umſtän⸗ 
den eine verbotswidrige Nachſchiebung i. S. von 88. 
(Urt. des V. StS. vom 23. September 1911, V D 
543/11). 

2440 


„ 


II. 


Untreue des Agenten, der nach außen hin im eigenen 
Namen handelt. Aus den Gründen: Allerdings 
war der Angeklagte nach den Feſtſtellungen der Straf⸗ 
kammer auf Grund der Verträge bei Veräußerung 
ſeines Geſchäfts mit der Firma an den Kaufmann L. 
deſſen Handelsagent geworden und hatte nach 88 87, 
55 HGB. und nach Vereinbarung Vertretungsvoll— 
macht zur Einziehung der Kaufpreiſe aus den von 
ihm geſchloſſenen Verkäufen. Wie aber weiter feſt⸗ 
geſtellt wird, war es dem Angeklagten auf ſeine Bitten 
geſtattet worden, nach außen hin unter ſeiner alten 
Firma zu reiſen und aufzutreten und, entgegen der 
urſprünglichen Abſicht, auch die eingehenden Beträge 
ſowie den Kaufpreis aus den von ihm vermittelten 
Geſchäften „einzukaſſieren“. Die Strafkammer rechnet 
auch mit der Möglichkeit, daß der Angeklagte von 
dieſer Erlaubnis Gebrauch gemacht hat, iſt aber der 
Auffaſſung, daß dies für die rechtliche Beurteilung 
des Tatbeſtandes der Untreue keinen Unterſchied be— 
gründe. Hierin liegt ein Rechtsirrtum. Wenn der 
Angeklagte bei den Geſchäftsabſchlüſſen im eigenen 
Namen gehandelt, ſich insbeſondere ſelbſt als den Ge— 
ſchäftsinhaber ausgegeben und verhalten hat, auch 
von den Geſchäftskunden und Vertragsſchließenden 
dafür gehalten wurde, ſo begründete er, ſoweit ſeine 
Vertragsſeite in Betracht kommt, an und für ſich Rechte 
und Pflichten ausſchließlich in ſeiner Perſon. Denn 
aldann kam ein Vertretungsverhältnis bei dem Aus— 
tauſche der Willenserklärungen überhaupt nicht zur 
Erſcheinung: weder erfolgten die Erklärungen des 


466 


. —. — —n. .. ñ̃ñ̃ SramER EEE Tegernsee 


Angeklagten ausdrücklich im Namen eines Vertretenen, 
noch ergaben die Umſtände, daß ſte im Namen eines 
ſolchen erfolgen ſollten. Solche Umſtände würden ſich 
aus der Tatſache nicht entnehmen laſſen, daß die 
„Firma“, deren ſich der Angeklagte bei den Abſchlüſſen 
bedient haben mag, in Wahrheit nicht mehr ihm, 
ſondern dem Kaufmann L. zuſtand. Denn die Firma 
iſt als ſolche nicht ſelbſtändig Träger von Rechten 
und Pflichten, vielmehr nur der Name, unter dem 
der Kaufmann, als rechtliche Perſönlichkeit, ſeine Ge⸗ 
ſchäfte treibt. Dieſen kaufmänniſchen Namen hatte ſich 
der Angeklagte ſelbſt beigelegt a nur u Perſon 
damit bezeichnet. Die in § 164 Abſ. 1 BGB. be⸗ 
ſtimmten Rechtswirkungen konnten daher in der Perſon 
des Kaufmanns L. als angeblich Vertretenen nicht 
eintreten. Andererſeits war der etwaige innere Wille 
des Angeklagten, für L. zu handeln, für die rechtlichen 
8 8 10455 des Dritten zu L. nach den Grundſätzen 
der 88 164 Abſ. 2, 116 BGB. ohne Bedeutung. Waren 
hiernach die Forderungen des Angeklagten eigene, ſo 
erwarb er auch die zu deren Tilgung gezahlten Geld⸗ 
beträge ohne weiteres für ſich zu eigen. Es würde 
1 an einem geeigneten Beocnfanbe der Untreue 
ehlen 

Eine andere Beurteilung hätte nur einzutreten, 
wenn nachzuweiſen wäre, daß die in der Perſon des 
Angeklagten begründeten Forderungen durch Ab⸗ 
tretung auf L. übergegangen waren. Hierzu be⸗ 
dürfte es nicht notwendig des Nachweiſes einer Ab⸗ 
tretungserklärung mit Bezug auf jede einzelne Forde⸗ 
rung. Wie das Reichsgericht wiederholt ausgeſprochen 
hat, können vielmehr auch noch nicht entſtandene 
Forderungen durch vorausgehende, ſie zuſammenfaſſend 
bezeichnende Erklärung abgetreten werden. Die Ab⸗ 
tretung vollzieht ſich alsdann mit der Begründung der 
Forderungen. Es kommt nur darauf an, daß die 
5 nach Art und Gegenſtand im Voraus 
inreichend klar beſtimmt worden find, eine Voraus⸗ 
ſetzung, die hier gegeben ſein würde. Die Möglichkeit 
eines ſolchen Nachweiſes iſt gegenüber dem Urteils⸗ 
inhalte nicht ausgeſchloſſen. Erbracht iſt der Nach⸗ 
weis noch nicht. Allerdings heißt es im Urteile, das 
Rechtsverhältnis zwiſchen dem Angeklagten und ſeinem 
Geſchäftsherrn ſei klar und feſt dahin geregelt, daß 
die Forderung aus den von ihm vermittelten Verkäufen 
allein dem Geſchäftsherrn zuſtand, daß der Angeklagte 
alſo nicht Kommiſſionär, ſondern, wie der Vertrag 
ausdrücklich hervorhebt, Handelsagent war. Hieraus 
iſt aber nicht eine tatſächliche Feſtſtellung dahin zu 
entnehmen, daß nach dem Zuſammenhange der zwiſchen 
beiden Vertragsſchließenden getroffenen Abmachungen 
die durch den Angeklagten im eigenen Namen für ſich 
zu begründenden Forderungen ſofort an den Geſchäfs— 
herrn abgetreten ſein ſollten, daß m. a. W. der beider⸗ 
ſeitige Geſchäftswille auf eine Uebertragung im Wege 
der Abtretung gerichtet war. Vielmehr tritt darin 
nur ein Verkennen der Rechtsgrundſätze über die offene 
und die ſtille Stellvertretung hervor. 

Läßt ſich der Uebergang der Forderungen an L. 
feſtſtellen, dann hat ſich der Angeklagte von dem grund— 
ſätzlich zutreffenden Rechtsſtandpunkte der Strafkammer 
aus der Untreue an den Forderungen ſchuldig gemacht, 
ſoweit er die Schuldbeträge mit der Abſicht einzog 
oder entgegennahm, ſie für ſich zu verwenden. Hierbei 
würde es keinen Unterſchied begründen, ob er die 
Geldbeträge bei den Kunden perſönlich erhob, oder 
ob er fie von dieſen durch Poſtſendung übermittelt 
erhielt. Hatte er dieſe Abſicht bei der Einziehung 
oder Entgegennahme noch nicht, ging damals ſein 
Wille vielmehr dahin, die Geldbeträge an feinen Ge— 
ſchäftsherrn pflichtmäßig abzuführen, ſo würde eine 
Untreue an der Forderung nicht in Frage kommen 
können. Anderſeits wäre danach aber auch Untreue 
an den Geldbeträgen noch nicht nachgewieſen, ſelbſt 
wenn er ſie auf Grund eines ſpäteren Entſchluſſes 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


| 


nicht abgeführt, ſondern für ſich verbraucht hätte. 
Denn aus den im Eingange dargelegten Rechtsgründen 
wäre anzunehmen, daß er Eigentümer der Geldbeträge ge⸗ 
worden war: mangels Hervortretens jedes Vertretungs⸗ 
verhältniſſes, ſei es beim Vertragsſchluſſe, ſei es bei 
der Geldzahlung und ⸗erhebung, bliebe auf ſeiten des 
Zahlenden kein Raum für einen anderen Willen, als 
den, dem Angeklagten als dem allein früher in Frage 
kommenden Gläubiger, Zahlung zu leiſten, ihm alſo 
das Eigentum an den gezahlten Geldern zu übertragen. 
Selbſt wenn es ſtatthaft wäre, mit der Strafkammer 
das ausſchlaggebende Gewicht darauf zu legen, daß 
die Zahlenden nur den Zweck der Schuldentilgung im 
Auge hätten, würde hieraus nicht mit rechtlicher Not⸗ 
wendigkeit geſchloſſen werden können, daß ſie gegebenen⸗ 
falls an den wirklichen Firmeninhaber, als wahren 
Gläubiger, haben zahlen wollen. Denn da fie, wie 
unterſtellt iſt, jedenfalls von dem abtretungsweiſen 
Uebergange der Forderung des Angeklagten auf einen 
neuen Gläubiger nichts wußten, zahlten ſie mit voller 
Rechtswirkung, d. h. mit dem Erfolge der Schulden⸗ 
tilgung, auch an den Angeklagten (8 407 BGB.), fo 
daß die Erwägung der Strafkammer die Annahme 
eines anders gerichteten Zahlungswillens rechtlich in 
keiner Weiſe nahe legen könnte. 

Gleichwohl wäre nach Lage der Verhältniſſe die 
Möglichkeit auch einer ſpäteren Untreue an den ein⸗ 
genommenen Geldern nicht ausgeſchloſſen. Der Eigen⸗ 
tumsübergang hinſichtlich der Gelder von dem An⸗ 
geklagten auf L. als Geſchäftsherrn könnte ſich durch 
Willenserklärung ohne körperliche Uebergabe vollzogen 
haben (8 930 BGB.). Wie das Reichsgericht ſchon für 
das frühere gemeine Recht anerkannt hat, iſt es rechtlich 
möglich, daß vermöge im voraus gewechſelter Er⸗ 
klärungen der Beteiligten Sachen, die der künftige 

„Konſtituent“ erwirbt, mit der Erwerbshandlung ohne 
weiteres in das Eigentum des von ihm Vertretenen 
fallen. Es kommt dann darauf an, daß der ſtille 
Stellvertreter als Erwerber bei der Uebergabe der 
Sachen erweislich mit dem Willen handelt, Beſitz und 
Eigentum durch den zunächſt für ihn ſelbſt ſich voll⸗ 
ziehenden Erwerb ſogleich für den Geſchäftsherrn zu 
erwerben. Dieſe rechtlichen Geſichtspunkte gelten auch 
für das Recht des BOB. Es würde alſo des Nach⸗ 
weiſes bedürfen, daß nach den Vereinbarungen zwiſchen 
dem Angeklagten und ſeinem Geſchäftsherrn ein Rechts⸗ 
verhältnis beſtehen ſollte, vermöge deſſen der Angeklagte 
den mittelbaren Beſitz an den von ihm für den Ge 
fhäftsheren zu erwerbenden Sachen erlangte. Als 
ſolches würde das Verhältnis vom Geſchäftsherrn 
zum Handelsagenten, auch im Gegenſatze zu dem eines 
Kommiſſionärs, an ſich in Betracht kommen können. 
Außerdem wäre der Nachweis erforderlich, daß nach 
ausdrücklicher oder den Umſtänden zu entnehmender, 
alſo ſtillſchweigender Vereinbarung der Wille der Be⸗ 
teiligten ſchon damals darauf gerichtet war, daß der 
Angeklagte auch die eingehenden Gelder mit dem Zeit⸗ 
punkte des Eingangs, alſo ſeines Beſitzerwerbes, 
vermöge des zwiſchen ihm und ſeinen Geſchäftsherrn 
begründeten Rechtsverhältniſſes für dieſen beſitzen ſolle. 
Die vorauszuſetzende Willensrichtung des Angeklagten 
beim Erwerbe der Geldbeträge durch Zahlung an ihn, 
nämlich ſein Wille mit der Erhebung und mit dem 
Empfange die vorbezeichnete, die Beſitzübertragung 
betreffende Vereinbarung zu erfüllen, könnte alsdann 
daraus gefolgert werden, daß er, ohne über die 
Forderung ſelbſt rechtswidrig verfügen zu wollen, die 
Gelder in der Abſicht erhoben oder empfangen habe, 
ſie pflichtgemäß zu verwalten und als ſolche an ſeinen 
Geſchäftsherrn abzuführen. (Urteil des V. StS. vom 


19. September 1911, V D 247/11). 
2441 


— — n. 


— —— — — 


Oberſtes Landesgericht. 


A. Zivilſachen. 
1 


‚Sit der Antrag auf Zuſchreibung eines Grundſtücks 
„bei“ einem anderen Grundſtücke gi bedeutend mit dem 
Antrag anf Zuſchreibung des Grundftäds „zu“ einem 
anderen Erundſtücke? Kann ein Grundſtück mehreren 
andern als Beſtandteil dad derte werden 7 Liegt in 
dem Antrag ein Brunditüd mehreren anderen auf einem 
gemeinſchaftlichen Blatte eingetragenen Grundſtücken zu: 
zuſchreiben zugleich der Antrag anf Bereinigung dieſer 
Grundſtücke? (B68. 8 890; GO. 8 4). Laut nos 
tarieller Urkunde vertauſchten die Eheleute O. ihr An⸗ 
weſen Hs.⸗Nr. 46 in H. (Pl.⸗Nr. 59 und Pl.⸗Nr. 121) 
an die Eheleute S. gegen deren Anweſen Hs.⸗Nr. 27 
in H. (Pl.⸗Nr. 109, Pl.⸗Nr. 110* und Pl.⸗Nr. 113). Die 
Anweſen ſollen hypothekenfrei auf die Erwerber über⸗ 
gehen. Die Nr. Il des Vertrages enthält die Beſtim⸗ 
mung: „Die Eheleute O. bewilligen und beantragen 
die Zuſchreibung der oben erworbenen Pl.⸗Nr. 109, 
110% 113 im Grundbuche für H. bei den Grundſtücken 
Pl.⸗Nr. 859, 4175, 4176, 1876“. Da die Grundſtücke 
Pl.⸗Nr. 109, 110% 113 hypothekenfrei, die anderen 
Grundſtücke aber mit einer Hypothek belaſtet find, ver⸗ 
langte das GBA. im Hinblick auf 5219 Abſ. 2 DAG BAe., 
daß die Eheleute O. auch die zuzuſchreibenden Hypo» 
„ Grundſtücke unter den Pfand verband ſtellen. 
Das Notariat erachtete das für überflüſſig, weil eine 
Zuſchreibung i. S. des 8 890 Abſ. 2 BGB. beantragt 
ſei und fi) die Hypothek nach $ 1131 ohne weiteres 
auf die zugeſchriebenen Grundſtücke erſtrecke. Das GBA. 
lehnte den Vollzug des Zuſchreibungsantrags ab. Auf 
die Beſchwerde der Eheleute O. hat das LG. die Ver⸗ 
fügung des GBA. aufgehoben und dieſes angewieſen, 
anders zu entſcheiden. Es führt aus, der Antrag auf 
Zuſchreivbung könne ſich auf § 890 Abſ. 2 BGB. ſtützen. 
Da aber die zuzuſchreibenden Grundſtücke nur Beſtand⸗ 
teile eines Hauptgrundſtücks werden könnten, ſetze ihre 
Zuſchreibung voraus, daß die Pl.⸗Nr. 859, 4175, 4176, 
1876 ein einheitliches Grundſtück bilden. Das GBA. 
habe noch auf Grund der Einträge im Grundbuch im 
Zuſammenhalte mit der Hypothekenbeſtellungsurkunde 
und dem Eintragungsantrage zu prüfen, ob die vier 
Grundſtücke nach dem Willen der Eigentümer ein ein- 
heitliches Grundſtück bilden ſollten. Auf Grund der 
landgerichtlichen Entſcheidung hat das GBA. den An⸗ 
trag der Eheleute O. nochmals zurückgewieſen. Es 
ſtellte feſt, daß trotz der Zuſammenſchreibung jedes 
der vier Grundſtucke ſeine Selbſtändigkeit bewahrt hat, 
daß daher eine Zuſchreibung i. S. des § 890 Abſ. 2 
BGB. ausgeſchloſſen ſei. Die Eheleute O. legten wei⸗ 
tere Beſchwerde gegen die Entſcheidung des LG. ein, 
durch die das GBA. angewieſen worden war, anders 
zu entſcheiden; ſie beantragten dem Zuſchreibungs⸗ 
antrage ſtattzugeben. Die weitere Beſchwerde wurde 
zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Auf Grund der angefoch— 
tenen Entſcheidung iſt eine neue Verfügung des GBA. 
ergangen, die den Zuſchreibungsantrag zurückgewieſen 
hat. Da aber die Verfügung auf der Entſcheidung 
des LG. beruhte, iſt dieſe allein maßgebend und an— 
fehtvar (Güthe, GBO. 2. Aufl. § 78 Anm. 6 Abſ. 1, 
5 71 Anm. 16 Abſ. 2). Sachlich iſt die Beſchwerde uns 
begründet. Das LG. hat mit Recht gerügt, daß der 
Zuſchreibungsantrag in der Vertragsurkunde undeut— 
lich iſt. Seiner Anſchauung, der Inhalt der Urkunde 
biete genügende Anhaltspunkte dafür, daß durch den 
Antrag eine Zuſchreibung i. S. des 8 890 Abſ. 2 BGB. 
erſtrebt werde, kann nicht beigetreten werden. Der 
Umſtand, daß der Antrag in der Nr. II der Urkunde 
im Anſchluß an die Beſtimmungen über die Regelung 
der Hypothekenverhältniſſe des Anweſens Hs.-Nr. 46 
geſtellt iſt und nicht in der Nr. VI neben der Auf— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


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467 


laſſung, der Eintragungsbewilligung und dem Ein⸗ 
tragungsantrage, bietet dafür keinen Anhalt. Selbſt 
wenn dadurch die Vermutung nahegelegt wird, daß 
der Zuſchreibungsantrag mit der Regelung der Hypo⸗ 
thekenverhältniſſe zuſammenhängt, ſo wird dadurch 
noch nicht die Annahme begründet, daß dieſe Rege⸗ 
lung eine Zuſchreibung nach $ 890 Abſ. 2 erforderlich 
machte. Der Inhalt der Urkunde weiſt im Gegenteile 
darauf hin, daß das von dem Beſchwerdeführer ein⸗ 
getauſchte, auf Pl.⸗Nr. 109 ſtehende Wohngebäude 
Hs.⸗Nr. 27 in H. den Mittelpunkt des landwirtſchaft⸗ 
lichen Betriebes der Beſchwerdeführer bildet und mit 
den Pl.⸗Nrn. 110“, 113 und den Pl.⸗Nrn. 859, 4175, 
4176, 1876 ein einheitliches wirtſchaftliches Ganze bil⸗ 
den ſoll. Dieſer Sachlage wird die Verbindung der 
Grundſtücke nach 84 EBD. oder 5 890 Abſ. 1 BGB. 
mehr entſprechen als die Zuſchreibung des Wohnhauſes 
zu Wieſen⸗ oder Ackerland. Dem Gebrauche des Aus⸗ 
drucks „Zuſchreibung“ kann keine entſcheidende Bedeu⸗ 
tung zukommen. Mit Recht macht das GBA. geltend, 
daß der Ausdruck „Zuſchreibung bei einem Grundſtück“ 
und „ein Grundſtück einem anderen zuſchreiben“ nicht 
gleichbedeutend find. Im Falle des § 890 Abſ. 2 
handelt es ſich nicht um die „Zuſchreibung eines Grund⸗ 
ſtücks bei einem anderen Grundſtücke“, ſondern um die 
„Zuſchreibung eines Grundſtücks zu einem anderen 
Grundſtück“ (vgl. Art. 119 Nr. 3 EG. BGB.). Daß ein 
Antrag in dieſer Richtung nicht geſtellt werden ſollte, 
geht auch daraus hervor, daß die Grundſtücke Pl.⸗ 
Nr. 109, 1105, 113 nicht, wie es die Vorſchrift des 
8 890 Abſ. 2 fordern würde, einem Grundſtücke, ſon⸗ 
dern einer Mehrzahl von Grundſtücken zugeſchrieben 
werden ſollen. Wie ſich nämlich aus der Faſſung: 
„Zuſchreibung der Pl.⸗Nr. 109, 110“ und 113 im Grund» 
buche für H. bei den Grundſtücken Pl.⸗Nr. 859, 4175, 
4176, 1876“ offenſichtlich ergibt, ging man davon aus, 
daß die Pl.⸗Nrn. 859, 4175, 4176, 1876 nicht ein ein⸗ 
heitliches Grundſtück, ſondern mehrere Grundſtücke bil⸗ 
den, und daß die Grundſtücke Pl.⸗Nr. 109, 110, 113 
bei dieſen mehreren Grundſtücken zugeſchrieben werden 
ſollten. Es kann daher auch nicht der Zuſchreibungs⸗ 
antrag dahin ausgelegt werden, daß die vier Grund⸗ 
ſtücke vereinigt und als ein Grundſtück behandelt 
werden ſollten (vgl. Obs G. Bd. 8 S. 528). Demnach 
hat das GBA. mit Recht die Zuſchreibung zurückge⸗ 
wieſen; auch das LG. hätte die Beſchwerde ohne wei⸗ 
teres zurückweiſen ſollen. Da aber das LG. zugunſten 
der Beſchwerdeführer einen Antrag i. S. des 8 890 
Abf. 2 für gegeben erachtete, hat es mit Recht die Er⸗ 
gänzung der Feſtſtellungen und der Nachprüfung an⸗ 
geordnet. Die Anſicht der Beſchwerdeführer, daß die 
auf einem Blatte des Hypothekenbuches eingetragenen 
Grundſtücke ohne weiteres eine Grundſtückseinheit i. S. 
des Grundbuchrechts ſeien, iſt unhaltbar (vgl. Henle⸗ 
Schmitt, Grundbuchweſen S. 155 Anm. 2). Die Zurück⸗ 
verweiſung an das GBA. beſchwerte ſonach die Ehe⸗ 
leute O. nicht. (Beſchl. des Fer ZS. vom 7. September 
1911, Reg. III 61/1911). fi 
2406 


II. 


„Wichtige Gründe“ für die Uebernahme einer Zwangs⸗ 
erziehungsſache durch ein anderes Bormundſchaftsgericht. 
(8 46 GG.; $ 12 ZwéG.). Johann W. wurde am 
24. Juni 1894 in S. als unehelicher Sohn der Fabrit— 
arbeiterin Eva W. geboren. Eva W. verheiratete ſich 
1898 mit dem in W. bedienſteten Hilfsheizer Johann H. 
Der Knabe wurde durch den notariellen Vertrag nach 
den Beſtimmungen des Fränkiſchen LR. eingekind— 
ſchaftet. Durch die Beſchlüſſe vom 26. August 1905 und 
23. Februar 1906 ordnete das Amtsgericht N. die vor⸗ 
läufige und ſodann die endgültige Unterbringung des 
W. zum Zwecke der Zwangserziehung an, worauf das 
Bezirksamt am 4. Oktober 1905 die Unterbringung 
und am 1. April 1906 die Belaſſung des W. im 


468 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


— — - 


Rettungshauſe verfügte; am 28. September 1908 ließ es 
den W. in die Erziehungsanſtalt R. überführen. Am 
1. Oktober 1905 hatte ſich Johann H. wieder nach W. 
verſetzen laſſen und dort ſeinen . . 
Auf die Mitteilung des Bezirksamt N., daß H. 
W. auch die Heimat erworben habe, erſuchte das 8 
gericht N. am 16. September 1911 das Amtsgericht 
W. die Sache zu übernehmen. Das Amtsgericht W. 
lehnte ab. Das Oberſte Landesgericht ordnete an, 
daß das Amtsgericht W. die Sache zu übernehmen habe. 
Gründe: Nach Art. 12 Abi. 1 Zwé. find für 
die Zuſtändigkeit und das Verfahren in Angelegenheiten 
der Zwangserziehung die allgemeinen geſetzlichen Vor⸗ 
ſchriften maßgebend, insbeſondere die Vorſchriften für 
die Zuſtändigkeit und das Verfahren der Gerichte in 
Vormundſchaſtsſachen. Deshalb find auch die Be⸗ 
ſtimmungen des 8 46 GGG. über die Abgabe der 
Vormundſchaft im Zwangserziehungs verfahren ent⸗ 
ſprechend anzuwenden. „Wichtige Gründe“ für die 
Abgabe ſind anzunehmen, wenn durch die Abgabe ein 
Zuſtand geſchaffen wird, der eine zweckmäßigere und 
leichtere Führung der Vormundſchaft ermöglicht. Sie 
werden regelmäßig dann gegeben ſein, wenn die be⸗ 
teiligten Perſonen im Bezirke des Gerichts wohnen, 
an das die Vormundſchaft abgegeben werden ſoll. 
Letzteres trifft hier zu. Sowohl die natürliche Mutter 
des Zwangszöglings als auch der Stiefvater, dem 
auf Grund der Einkindſchaftung auch jetzt noch die 
elterliche Gewalt zuſteht, haben am Sitze des Amts» 
gerichts W. ihren Wohnſitz, und das gibt den Aus: 
ſchlag. Der perſönliche Verkehr der Eltern mit dieſem 
Gerichte iſt einfacher und zweckmäßiger als die ſchrifliche 
Verſtändigung mit dem auswärtigen Gerichte. Daß 
die Tätigkeit des Vormundſchaftsgerichts ſich voraus: 
ſichtlich auf Ermittelungen beſchränken wird, die auch 
das Amtsgericht N. vornehmen könnte, ſchließt die Ab⸗ 
gabe nicht aus. (Beſchluß des II. ZS. vom 3. l 


1911, Reg. IV 82/1911). 
2442 


B. Straffaden. 
I, 


Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 des PEIGB. Die Be: 
kämpfung des Traubenwicklers (Heu- oder Sauerwurms). 
Der Gutsbeſitzer T. zu N. in der Pfalz iſt der Auf— 
forderung nicht nachgekommen, bis zum 1. April 1911 
ſeine in der Gemarkung M. und in der Schutzzone 
der Gemarkung S. liegenden Weinberge abzureiben. 
Das Sch. verurteilte den X. wegen einer Ueber— 
tretung der nach dem Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 PStGB. 
erlaſſenen oberpolizeilichen Vorſchriften und ſprach in 
Anwendung des Art. 20 Abſ. 4 PStGB. aus, daß &. 
die durch den Zwangsvollzug entſtandenen Koſten zu 
erſtatten habe. Die Berufung wurde verworfen. Die 
Reviſion erblickt eine Verletzung des Art. 20 Abſ. 4 
und des Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 PStGB. darin, daß 
vor der Erlaſſung der oberpolizeilichen Vorſchriften 
entgegen der Vorſchrift im Art. 120 Abſ. 2 PStGB. 
der bayeriſche Landwirtſchaftsrat und der landwirt— 
ſchaftliche Kreisausſchuß nicht gehört worden ſeien, 


und daß nach der für die zwangsweiſe Durchführung, 


der Abreibung allein maßgebenden Beſtimmung im 
S 4 oberpol. Vorſchr. vom 1. Februar 1909 nicht ge- 
prüft wurde, 
und ob insbeſondere eine mündliche Aufforderung 
eines Gendarmen genüge. 
keinen Erfolg. 

Aus den Gründen: Die Kreisregierung hat 
auf Grund der Art. 7, 20 Abſ. +, 120 Abſ. 1 Nr. 2 
P StGB. oberpolizeiliche Vorſchriften erlaſſen und 
nach Art. 11 durch das Kreisamtsblatt der Pfalz 
verkündet, und zwar nach Vernehmung des land— 


ob eine fruchtloſe Mahnung erfolgt jei 


Die Reviſion des X. hatte 


wirtſchaftlichen Kreisausſchuſſes und von Sachverſtan⸗ 


digen. Der Vorſchrift in Art. 120 Abſ. 2 PStGB., 
daß vor Erlaſſung der in Nr. 2 Abſ. 1 des Art. 120 
bezeichneten oberpolizeilichen Vorſchriften die zur Ver⸗ 
tretung der landwirtſchaftlichen Intereſſen berufenen 
Organe oder Sachverſtändige zu vernehmen find, iſt 
demnach genügt; die oberpolizeilichen Vorſchriften ſind 
rechtsgültig. Die oberpolizeilichen Vorſchriften lauten 
jetzt: „§ 3 Nr. 2. Alljährlich nach der Leſe muß in 
allen Rebenpflanzungen das alte Rebholz ſorgfältig 
abgerieben oder abgebürſtet werden, wenn und ſoweit 
es nicht durch angehäufelte Erde vollſtändig bedeckt 
iſt. Das Anhäufeln muß bis 1. Januar, das Ab⸗ 
reiben oder Abbürſten vor dem erſten Graben der 
Weinberge längftens aber bis 1. April beendet fein. 
Die angehäufelte Erde darf vor dem 1. März nicht 
beſeitigt werden. Mit dem Abreiben oder Abbürſten 
der Reben iſt ſo rechtzeitig zu beginnen, daß dieſe 
Arbeiten bis zum 1. April beendet fein können. 8 4. 
Wird den in 8 3 aufgeführten Verpflichtungen nicht 


oder nicht in genügendem Maße oder nicht zur rechten 


Zeit Folge geleiſtet, fo iſt das Bürgermeiſteramt be- 
fugt und auf bezirksamtliche Aufforderung verpflichtet, 
die erforderlichen Arbeiten auf Koſten der Säumigen 
nach fruchtloſer Mahnung ausführen zu laſſen.“ Nach 
dem klaren Wortlaute dieſer Beſtimmungen, von denen 
die unter 8 4 Abſ. 2 nur die Strafbeſtimmung des 
Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 PSIGB. wiedergiebt, iſt die 
Strafe verwirkt mit dem fruchtloſen Ablaufe der Friſt 
(alſo am 1. April), ohne daß es einer Mahnung be⸗ 
darf; dagegen muß der zwangsweiſen Durchführung 
des Abreibens oder Abbürſtens eine „fruchtloſe 
Mahnung“ vorausgehen, auch dann, wenn eine Friſt 
ſchon in der oberpolizeilichen Vorſchrift geſetzt iſt. 
Eine beſondere Form für die Mahnung iſt nicht vor⸗ 
geſchrieben; ſie konnte mündlich erfolgen entweder 
durch die Polizeibehörde ſelbſt oder durch eines ihrer 
Organe d. i. den Gendarmen. Daß fruchtlos gemahnt 
wurde, haben die Vorinſtanzen genügend durch die 
von ihnen gewählte Ausdrucksweiſe feſtgeſtellt, daß 
der Angeklagte trotz Aufforderung ſich geweigert habe, 
die Reben abzureiben. (Urt. vom 23. September 1911, 


RevReg. 388/11). Ed. 
24.38 
II. 


Zeugengebühren eines Volksſchullehrers. Aus 
den Gründen: Hauptlehrer X. wurde in einer 
Strafſache als Zeuge vernommen. Er beanſpruchte 
u. a. eine Entſchädigung von 9 M für 1½½ Tage Zeit⸗ 
verſäumnis, weil er nach einem Beſchluſſe der Gemeinde⸗ 
verwaltung V. vom 6. Juli 1901 berechtigt ſei, bei 
einem auswärtigen Dienſtgeſchäft ein Tagegeld von 
6 Mü zu berechnen, und weil er auch in dienſtlicher 
Eigenſchaft vernommen worden ſei. Der Beſchluß der 
Gemeindeverwaltung vom 6. Juli 1901 mag für die 
rechtlichen Beziehungen zwiſchen der Gemeinde und 
dem Beſchwerdeſuhrer maßgebend fein, aber es kann 
ihm nicht die Tragweite beigemeſſen werden, daß die 
Staatskaſſe verpflichtet fein fol, dem Beſchwerde— 
führer ein Tagegeld überhaupt oder in der von der 
Gemeinde feſtgeſezten Höhe zu zahlen. Nach 8 70 
StPO. hat der Zeuge an die Staatskaſſe einen An 
ſpruch auf Entſchädigung nach der Gebührenordnung. 
Nach 8 14 3 SGeb DO. erhalten öffentliche Beamte Tage: 
gelder und Erſtattung von Reiſekoſten nach den Vor— 
ſchriften für Dienſtreiſen. Darüber, welche öffentlichen 
Beamten in Bayern gegen die Staatskaſſe Anſpruch 
auf Gewährung von Tagegeldern haben, enthält die 
VO. vom 11. Februar 1875 die näheren Beſtimmungen. 
Die VO. bezieht ſich auf „auswärtige Dienſtgeſchäfte“ 
von Volksſchullehrern überhaupt nicht; fie kann nicht 
durch den Beſchluß einer Gemeindeverwaltung mit 
der Wirkung ergänzt werden, daß er Norm gäbe für 
den Anſpruch eines Volksſchullehrers gegenüber der 
Staatskaſſe. Aus dem Geſagten ergibt ſich, das der 
Beſchwerdeführer auf Grund des Beſchluſſes vom 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


in Bayern. 1911. Nr. 23. 


469 


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6. Juli 1901 von der Staatskaſſe eine Entſchädigung 
für Zeitverſäumnis überhaupt nicht zu beanſpruchen 
hat. Da der Beſchwerdeführer „nach den Vorſchriften 
des 8 14 3SGebO.“ Tagegelder und Reiſekoſten nicht 
gewährt erhält (S 14 Abſ. 2), fo bemißt ſich fein An⸗ 
ſpruch auf Entſchaͤdigung nach den 88 5, 6, 7, 8, Y ff. 
3SGebO. Hiernach kann der Beſchwerdeführer keine 
Entſchädigung für Zeitverſäumnis beanſpruchen, da 
er keinen Erwerb verſäumt hat, er hat dagegen 
nach 8 8 Anſpruch auf Entſchädigung für den Auf⸗ 
wand außerhalb des Aufenthaltsorts und für die durch 
das Uebernachten entſtandene oh (Beſchl. vom 
29. September 1911, Beſchw.⸗Reg. 689/11). Ed. 

2437 


III. 


Zuläſſigkeit der Beranſtaltung einer Lotterie der 
Nabattſparvereine unter ihren Mitgliedern (8 286 Abſ. 1 
StGB.). Die Mitglieder des „eingetragenen Rabatt⸗ 
ſparvereins E. und Umgebung“ — die ſelbſtändigen 
Ladeninhaber und Gewerbetreibenden — find vers 
pflichtet an jeden Käufer ihrer Waren der Höhe des 
Kaufpreiſes entſprechende Rabattmarken — das Stück 
im Nennwert von 20 Pfg. — abzugeben und je 1000 
in das ſogenannte Sparbuch eingeklebte Marken gegen 
Zahlung von 10 M einzulöſen. Zur Ausführung eines 
von dem Verein gefaßten Beſchluſſes, wonach ein Teil 
der Zinſenüberſchüſſe „den markenſammelnden Kon⸗ 
ſumenten“ in Form einer Verloſung zugute kommen 
ſollte, erließen im Auftrage des Vereins die Vorſtands⸗ 
mitglieder O. und B. in einer Tageszeitung fol⸗ 
gende Bekanntmachung: „Die Gewinne, die zur Ver⸗ 
loſung kommen, haben für dieſes Jahr eine Geſamt⸗ 
höhe von 1500 M. Um an dieſer Verloſung teil» 
nehmen zu können, iſt es erforderlich, daß die Samm⸗ 
ler nach Einlöſung eines mit unſeren Marken ord⸗ 
nungsgemäß vollgeklebten Sparbuches von 10 M außer: 
ordentliche Mitglieder unſeres Vereins werden. Die 
Anmeldung hat nach Einlöſung eines Buches bei 
unſeren Vorſtandsmitgliedern zu erfolgen. Außer einer 
Schreibgebühr von 25 Pfg. als Jahresbeitrag ent⸗ 
ſtehen den außerordentlichen Mitgliedern keine weiteren 
Koſten oder ſonſtige Verbindlichkeiten gegen unſeren 
Verein. Die Nummer der Mitgliederkarte gilt zu⸗ 
gleich als Losnummer; für jedes weitere in dieſem 
Jahre eingelöſte Sparbuch erfolgt die Abgabe einer 
Losnummer gratis.“ In den Jahren 1908, 1909 und 
1910 fand eine Verloſung um die Zeit von Weih⸗ 
nachten ſtatt; ausgeloſt wurden jedesmal 1500 M; 
der Höchſtgewinn betrug 50 M; mit der Verloſung 
hörte die außerordentliche Mitgliedſchaft auf, konnte 
aber für jedes Jahr nach Erfüllung der oben bezeich— 
neten Bedingungen erneuert werden. Das Sch. ver- 
urteilte O. und B. wegen eines Vergehens nach $ 286 
StGB.; ihre Berufungen wurden verworſen. Die Straf: 
kammer ging u. a. von folgenden Erwägungen aus: 
Die Lotterie war öffentlich. Die Spieler waren aller- 
dings ſog. außerordentliche Mitglieder; die Mitglieds 
ſchaft aber wurde nur erworben und gewährt zur 
Teilnahme an der Lotterie und erloſch von ſelbſt all— 
jährlich mit der Ausloſung der Gewinne. Nach der 
an die breiteſte Oeffentlichkeit gerichteten Aufforderung 
zur Anteilnahme an der Verloſung konnte jedermann 
die außerordentliche Mitgliedſchaft erwerben. Die Be— 
teiligung an der Lotterie war ſonach nicht auf einen 
individuell beſtimmten Perſonenkreis beſchränkt, ſon— 
dern ſtand einer Mehrzahl unbeſtimmter Perſonen 
offen. Die Angeklagten wurden von dem Reviſions— 
gerichte freigeſprochen. 

Gründe: Eine Lotterie iſt öffentlich, ſobald nach 
der Abſicht des Veranſtalters die Loſe nicht bloß 
einem durch beſondere individuelle Beziehungen zu 
ihm begrenzten geſchloſſenen Perſonenkreiſe, ſondern 
einer Mehrzahl beliebiger, unbeſtimmter Perſonen zu— 
gänglich gemacht und auf dieſe die Beteiligung von 


— 4 l.ů— — 


| 


dem Unternehmer erftredt werden ſoll. Die beſonderen 
Beziehungen, die zwiſchen dem Veranſtalter und den 
Spielern beſtehen müfjen, können verſchiedene Grund⸗ 
lagen haben, fie können beſonders freundfchaftlicher, 
verwandtſchaftlicher, geſellſchaftlicher, auch gefchäftlicher 
Natur ſein. Ein Geſchäftsmann wird durch den 8 286 
StGB. nicht gehindert werden können, feinen Kunden 
gewiſſe Vorteile durch Veranſtaltung einer Lotterie 
zuzuwenden, wenn nur der Kundenkreis äußerlich er⸗ 
kennbar beſtimmt und abgegrenzt iſt und ſich nicht in 
die Allgemeinheit verliert. Dieſe Vorausſetzungen 
treffen hier zu. Der Rabattſparverein E. und Um⸗ 
gebung hat ſich nicht mit einer Ginladung zur Teil⸗ 
nahme an die Lotterie „an die breiteſte Oeffentlichkeit“ 
gewendet, ſondern „an die markenſammelnden Kon⸗ 
ſumenten“. Iſt ſchon hierdurch der Kreis der Perſonen 
von der Allgemeinheit ausgeſchieden und engbegrenzt 
worden, ſo wurde er noch weiter dadurch einge⸗ 
ſchränkt, daß er auf die Geſchäftskunden eingeengt wurde, 
welche ſich durch ein mit 1000 Marken vollgeklebtes Spar⸗ 
buch und Bezahlung von 25 Pfg. ſog. Einſchreibgebühr 
ausgewieſen haben. Der Verein trat ſonach ausſchließlich 
mit vor ausbeſtimmten, erkennbaren Geſchäftskunden 
in Verbindung und ermöglichte nur dieſem individuell 
begrenzten Kundenkreiſe die Teilnahme an der Lotterie. 
Ob unter ſolchen Verhältniſſen der Verein jedem In⸗ 
haber eines mit 1000 Marken beklebten Sparbuchs den 
ihn treffenden Bruchteil der Verteilungsſumme zahlte 
oder es dem Zufall überließ, ob der eine mehr oder 
weniger oder nichts erhielt, d. i. eine Lotterie ver⸗ 
anſtaltete, iſt gleichgültig; er konnte erſteres ebenſo 
ſtraflos unternehmen als letzteres. Die Verleihung 
der außerordentlichen Mitgliedſchaft war allerdings 
eine bedeutungsloſe Form, aber in dem Sinne, daß 
es dieſer Form gar nicht bedurft hätte, um den 
Charakter des individuell beſtimmten Kundenkreiſes 
zu wahren. (Urt. vom 10. Juni 1911, Nevfeg. 
250/11). | Ed. 
2303 


Oberlandesgericht München. 


Anwendbarkeit des Art. 2 AG. z. 3p O. anf s Feſt⸗ 
ſtellungeklagen. Befriedigung des Klaganſpruchs durch 
den Fiskus iſt nicht gleichbedentend mit der Einlaffung 
auf die Klage. Im Jahr 1903 trat der Güterhändler 
W. an den Fabrikanten G. eine Forderung von 1000 M 
gegen den Ingenieur K. ab. Dieſer leiſtete zunächſt 
an den gemeinſamen Anwalt des W. und G. Teil⸗ 
zahlungen; als dieſe ausblieben, erwirkte G. am 
27. März 1909 auf den Reſt von 700 M Urteil, ent⸗ 
ſprechend dem Einwand des Beklagten jedoch nur 
„gegen Aushändigung der Abtretungsurkunde“. Da 
G. eine ſolche Urkunde nicht vorfand und der Zedent 
W. bereits im Jahre 1907 verſtorben war, wandte ſich 
G. an den Bayeriſchen Fiskus als deſſen Alleinerben 
um nachträgliche Anerkennung der Abtretung und 
verklagte, als die Urkunde nur mit allerlei Vorbehalten 
ausgeſtellt wurde, den Fiskus auf Feſtſtellung ſeiner 
Nichtberechtigung an der ſtreitigen Forderung. Der 
Fiskus ließ zunächſt ſchriftlich Klagabweiſung be— 
antragen, ſtellte jedoch vor dem erſten Verhandlungs- 
termin die verlangte ſchriftliche Erklärung vorbehalts— 
los aus. Im Termine bezeichneten die beiderſeitigen 
Vertreter den Rechtsſtreit als in der Hauptſache er- 
ledigt, beantragten aber Koſtenüberbürdung auf die 
Gegenpartei. Der Beklagte begründete dies damit, 
daß der Kläger der Vorſchrift des Art. 2 AG. z. ZPO. 
bisher nicht genügt habe, der Rechtsweg ſohin unzu— 
läſſig geweſen ſei. Der Kläger machte geltend, auf 
negative Feſtſtellungsklagen ſei Art. 2 überhaupt nicht 
anwendbar und jedenfalls liege ein Verzicht der Re— 
gierungsfinanzkammer auf deſſen Vorſchriften in der 
Befriedigung des Klaganſpruchs; Art. 2 mache übri⸗ 


470 


gens den Rechtsweg nicht unzuläſſig. Der Fiskus 
habe durch ſein Zögern auch die Klage im Sinne 
des 8 93 3 5O. veranlaßt. 


erfolglos. 

Aus den Gründen: Art. 2 AG. z. ZPO. hat 
nach dem ausgeſprochenen Willen des Geſetzgebers den 
Zweck, die Staatskaſſe vor unnützen Prozeßkoſten durch 
ungeeignetes Verhalten der Unterbehörden zu be⸗ 
wahren und verſchließt deshalb bis zur erfolgloſen 
Angehung der Oberbehörde, hier des Finanzminiſte⸗ 
riums, vorläufig den Rechtsweg (n. S. Bd. 10 S. 472). 
Daraus ergibt ſich zwingend die Anwendbarkeit auf 
Feſtſtellungsklagen aller Art, ſowie die weitere Folge, 
daß auch eine Befriedigung des Klaganſpruchs vor 
Erledigung der Vorbeſchwerde den Fiskus nicht koſten⸗ 
pflichtig machen kann. Denn beim Mangel dieſer Er⸗ 
ledigung wäre die Klage ohne Rückſicht auf ihre ſach⸗ 
liche Berechtigung von Amts wegen abzuweiſen ge⸗ 
weſen (8 274 Z356O.), die Klägerin ſohin im Sinne 
des 8 91 3POO. unterlegen. Befriedigung des Klag⸗ 
anſpruchs ſteht der prozeſſualen Einlaſſung nicht gleich 
und ein Verzicht auf die Vorſchrift des Art. 2 AG. 
könnte nur von der Behörde ausgehen, deren Rechte 
durch die Vorbeſchwerde gewahrt werden ſollen, hier 
alſo von dem Staatsminiſterium der Finanzen. Hiernach 
bedarf es keiner Erörterung, ob auch 8 93 ZBO. zus 
trifft. (Beſchl. vom 20. September 1911; Beſchw.⸗Reg. 
Nr. 404/11). N. 

2109 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Schadenserſatzpflicht des Glänbigerd einer Ban: 
gelderhypsthek bei unrichtiger Angabe ihrer Höhe (8 826 
BGB.). Aus den Gründen: Der Beklagte bes 
willigte dem Eigentümer und Bauherrn ein Baudars 
lehen von 46000 ; in dieſes waren rund 19000 M 
andere Forderungen des Beklagten gegen den Bau— 
herrn eingerechnet, obwohl ſie mit dem Baue nichts 
zu tun hatten. Gleichwohl ließ man es bei der Be⸗ 
zeichnung „Baudarlehen“, um den Anſchein zu ers 
wecken, als ob dem Bauherrn die Summe von 46000 M 
zum Bau zur Verfügung ſtände. Tatſächlich hat auch 
der Bauherr den Bauhandwerkern gegenüber erklärt, 
er habe 46000 M Baukredit erhalten. Der in Bau⸗ 
krediiſachen ſehr erfahrene Beklagte wußte, daß die 
Bauhandwerker bei Uebernahme von Lieferungen die 
Höhe des Baukredits erfragen und bei dem Avoſchluß 
von Werkverträgen die Höhe dieſes Kredits berück- 
ſichtigen, ſo daß ſie nur dann Verträge ſchließen, wenn 
ihnen der Baukredit zu genügen ſcheint. Durch die 
vertragsmäßige Einrechnung anderer Forderungen des 
Beklagten gegen den Bauherrn unter das Baudarlehen 
wurde ſeine Höhe verſchleiert. Das muß geſchehen 
ſein, um die Bauhandwerker über die Höhe zu täuſchen 
und zu Verträgen zu beſtimmen und um in der Folge 
den Wert des Hauſes durch den allmählichen Ausbau 
zu erhöhen. Der Beklagte hat auch keine Erklärung 
dafür gegeben, warum das Baudarlehen auf 46000 M 
angegeben und nicht in ein Baudarlehen von 27000 M 
und eine weitere Forderung von 19000 M geſchieden 
wurde. Der Beklagte erreichte auch wirklich, daß der 
Wert des Grundſtucks um den Wert der Arbeiten der 
Bauhandwerker erhöht wurde. Dieſes Verhalten ver— 
ſtößt wider die guten Sitten; denn es bezweckte und 
erreichte die Erhöhung der Sicherheit des Pfandes auf 
Koſten der zum Bau liefernden Handwerker, deren un— 
gedeckte Forderungen bei der unzureichenden Sicher— 
heit des Grundſtucks und bei dem Mangel eines weis 
teren Vermögens des Bauherrn verloren gehen muß— 
ten. Der Kläger, ein Malermeiſter, iſt bei der Zwangs— 
verſteigerung mit ſeiner Forderung durchgefallen und 
bisher nicht befriedigt worden. Für ihn waren er— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 


wieſenermaßen die Angaben über die Höhe des Bau⸗ 
kredits beſtimmend. 
. Das Erſtgericht über⸗ 
bürdete die Koſten dem Kläger; die Beſchwerde blieb 


Der Beklagte 5 ſohin dem 

Kläger gegen die guten Sitten verſtoßend vorfäßli 

Schaden zugefügt und iſt ihm zum Erſatz nach 8 826 

BGB. verbunden. (Urt. des I. 38S. vom 28. Oktober 

1910, B. 98/1910). Br. 
2481 


Landgericht Kempten. 


Aus der Praxis des Biehgewährſchaftsrechts. 
1 


. 1. Der nachträgliche Wegfall des zur Zeit des Geſahr⸗ 
übergangs vorhandenen Mangels bewirkt nicht den Ber: 
luſt des Wandelungs rechtes. 


2. Mit der e des Tieres nach der 
Erhebung der Wandelungsklage erliſcht der Wandelungs⸗ 
auſpruch, wenn feine Geltendmachung gegen Treu und 
Glauben im Verkehr verſtoßen würde. 


Aus den Bründen: 1. Hat das Tier, wie das 
Gericht annimmt, ſchon zur Zeit der Uebergabe den 
dem Käufer allerdings damals nicht bekannten Fehler 
des Huſtens gehabt, ſo war es entgegen der vertrags⸗ 
mäßigen Zuſicherung damals eben nicht „geſund“, 
mag der Fehler auf Tuberkuloſe oder auf eine andere 
Urſache zurückzuführen geweſen ſein; gleichgültig iſt, 
ob es ſpäter den Fehler verloren hat oder nicht; denn 
derjenige, der ſich für völlige Geſundheit Gewähr 
leiſten läßt, braucht nicht die Gefahr zu übernehmen, 
ob ein die Geſundheit ausſchließender Fehler ſpäter ſich 
heben oder verſchlimmern werde. Der Kläger konnte 
alfo Wandelung gemäß 88 492, 487 BGB. verlangen. 

2. Nach 8 492 BGB. in Verbindung mit 8 487 II 
hat der Käufer, wenn er auf Wandelung beſteht, ob⸗ 
wohl er das Tier nicht mehr zurückgeben kann, den 
Wert zu vergüten. Nun hat ſich aber der Geſund⸗ 
heitsfehler des Tieres, der den Käufer zur Wandelung 
berechtigte, nach dem Gutachten des Bezirkstierarztes 
nicht nur gehoben, ſondern es hat ſich der Schumpen 
ſogar auffallend gut entwickelt. Es hat ſich ins⸗ 
bejondere die Gefahr, er möchte tuberkulos fein, nicht 
verwirklicht; der Schumpen hat ſich zufriedenſtellend 
zu einem Rinde entwickelt. Es leuchtet ohne weiteres 
ein, daß dadurch ſein Wert bedeutend geſtiegen iſt und 
daß das auch dem Kläger bei der Bemeſſung des Kauf⸗ 
preiſes für das Anweſen zugute gekommen ſein mußte, 
als deſſen Inventarſtück er nach der Erhebung der 
Wandelungsklage den Schumpen mitverkaufte. Hätte 
der Kläger ihn bei dieſem Verkaufe zurückgehalten, 
ſo würde dieſe Wertſteigerung des Tieres dem Be⸗ 
klagten bei der Zurückgabe an ihn zugefallen ſein. 
Macht der Kaͤufer die Wandelung geltend, und hat 
ſich ausnahmsweiſe der Fall ereignet, das ſich der 
Zuſtand des Tieres nach dieſem Zeitpunkte weſentlich 
verbeſſert hat, ſo kann der Käufer ſich dieſen Umſtand 
nicht dadurch zunutze machen, daß er das Tier zu 
feinem erhöhten Werte veräußert und dem Vertrags- 
gegner nur den zur Zeit des Wandelungsbegehrens 
gegebenen Wert in der Weiſe zukommen laſſen will, 
daß er ſeinerſeits auf Ruckgabe des von ihm hin— 
gegebenen Kaufſchillings verzichtet. Der Unterſchied 
zwiſchen letzterem und der eingetretenen Wertserhöhung 
würde ſonſt als ungerechtfertigte Bereicherung dem 
Käufer zufließen, der u. a. auch die täglichen Futter⸗ 
foiten erſetzt verlangt. In einem ſolchen Berfuche 
ſich auf Koſten des Gegners zu bereichern, könnte nur 
ein Verſtoß gegen Treu und Glauben erblickt werden; 
wollte ſich Kaufer aber nicht ungerechtfertigt bereichern, 
fo konnte dies nur durch Verzicht auf den Wandelungs⸗ 
anſpruch geſchehen. In beiden Fällen iſt das Wande⸗ 
lungsbegehren aber nicht mehr gerechtfertigt. (gl. 
hierzu Stoͤlzle, Viehkauf 4. Aufl. § 487 S. 197 fl. 


Ferner LG. Neuburg vom 30. März 1909, BerfNteg. Nr. 
F 55/08, abgedr. bei: „Stölzle, Gerichtliche Entſchei⸗ 
dungen des erſten Jahrzehnts des BGB. über den 
Viehkauf“, Mainz 1910 S. 96—98). (Urt. vom 
= Juni 1911, BerReg. F 108/10). 

01 


II. 


In einem Biehgewährſchaftsprozeſſe find in der 
Regel die Koſten eines Vorprozeſſes zu erſtatten. Aus 
den Gründen: Für die Koſten des Vorprozeſſes 
haftet der Beklagte nicht aus dem Rechtsgrunde der 
Schadenserſatzpflicht . Verſchuldens. Richtig iſt, 
daß 8 488 BGB. die Koſten des Vorprozeſſes nicht 
unter den dem Käufer zu erſetzenden Koſten aufführt. 
Die Erſtattungspflicht des Beklagten für die Koſten 
des Vorprozeſſes ergibt ſich aber aus dem Weſen der 
Wandelung, wonach die Parteien ſich in den Stand 
zurückverſetzen müſſen, wie wenn der Kaufvertrag nicht 
geſchloſſen wäre. (Planck, Komm. z. BGB. § 467 Anm. b 
und e, Gruchot Bd. 48 S. 503 ff.). Da der Kläger 
gegenüber dem Beklagten durch Mängelanzeige und 
Streitverkündung erklärt hat, daß er den Kaufvertrag 
für gelöſt erachten wolle, der Beklagte aber nicht frei⸗ 
willig in die Auflöſung willigte, hat der Kläger den 
Vorprozeß außerdem für den Beklagten geführt für 
den Fall, daß ſich ſein Wandelungsbegehren als 
berechtigt erweiſt. Die Pflicht zur Erſtattung der 
Koſten des Vorprozeſſes ergibt ſich daher auch aus dem 
Rechtsgrunde der Geſchäftsführung ohne Auftrag nach 
85 677, 583 BGB. Auch kann angenommen werden, 
daß dann, wenn zwiſchen den Vertragsteilen die Ge⸗ 
währleiſtung für zugeſicherte Eigenſchaften vereinbart 
iſt, zwiſchen ihnen auch eine ſtillſchweigende Verein⸗ 
barung darüber zuſtande gekommen iſt, daß der Ver⸗ 
käufer dem Käufer die Koſten eines notwendigen Vor⸗ 
prozeſſes erſetzt. (Urt. vom 9. Juni 1911, F 53/11). 

2402 Mitgeteilt von Rechtanwalt Dr. Stölzle in Kempten. 


Landgericht Schweinfurt. 


Wann beginnt die ſechswöchige Verjährnungsfriſt 
der SS 492, 490 BGB., wenn beim Verkauf einer Kuh 
Trächtigkeit von einem beſtimmten Zeitpunkte an ge⸗ 
ee et wird? Am 21. Oktober 1910 verkaufte der 
Beklagte dem Kläger eine Kuh um 380 M unter der 
Zuſicherung, daß das Tier vom 15. Mai 1910 an trächtig 
ſei; die Kuh wurde am gleichen Tag übergeben. Der Kauf⸗ 
preis wurde zum Teil ſofort, zum Teil etwas ſpäter 
gezahlt. Am 6. März 1911 erhob der Käufer Wandlungs⸗ 
klage, weil die Kuh nicht trächtig war. Der Beklagte 
machte den Einwand der Verjährung geltend. Das 
Amtsgericht wies die Klage ab. Es erachtete den Ein⸗ 
wand für begründet, weil der Beweis für eine Hinaus⸗ 
ſchiebung des Beginnes der Verjährungsfriſt nicht er⸗ 
bracht ſei, dieſe daher mit der Uebergabe begonnen 
habe. Die Berufung hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: In der Literatur ſind die 
Meinungen darüber geteilt, welche Bedeutung der Zu— 
ſicherung der Trächtigkeit für die Frage des Laufes 
der Verjährungsfriſt zukommt. (S. Meisner S. 140 
bis 143 und Stölzle S. 329, 339). Das Berufungs- 
gericht ſtellt ſich in der Hauptſache auf den von Meisner 
vertretenen Standpunkt und zwar aus folgenden 
Gründen. Wenn der Verkäufer einer Kuh zuſichert, 
daß die Kuh von einem beſtimmten Zeitpunkt an 
trächtig iſt, d. h. in dieſem Zeitpunkt konzipiert hat, 
ſo wird damit eine Eigenſchaft der Kuh gewährleiſtet: 
der Käufer ſoll nach Umfluß einer beſtimmten Zeit 
von dem gekauften Tier ein Junges zu erwarten haben. 
Liegen nun der zugeſicherte Beginn der Trächtigkeit 
und der Zeitpunkt der Uebergabe des Tieres zeitlich 
ſo nahe zuſammen, daß das Junge erſt nach Ablauf 
dieſer Verjährungsfriſt zur Welt kommen müßte, alſo 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 


Bayern. 1911. Nr.“ 23. 471 


erſt nach Ablauf der Verjährungsfriſt ſich entſcheidet, 
ob die Kuh die zugeſicherte Eigenſchaft hat, ſo muß 
angenommen werden, daß Verkäufer und Käufer auch 
ohne weitere Abrede davon ausgehen, daß der Käufer 
eine Rechte aus der Zuſicherung ſolle geltend machen 
ürfen, wenn ſich die Frage entſchieden hat. Man 
muß vorausſetzen, daß die Parteien redlich und ver⸗ 
nünftig handeln wollen. Damit wäre unvereinbar, 
wenn dem Käufer eine Eigenſchaft zugeſichert würde, 
die ſich erſt nach Ablauf der geſetzlichen Verjährungszeit 
feſtſtellen läßt, andererſeits aber für den Käufer die 
geſetzliche Verjährungszeit beginnen und er dadurch 
ſeine Rechte verwirken müßte, bevor er ſie geltend 
machen könnte. Der Ausweg, auf den Stölzle den 
Kläger verweiſt — er ſolle vorſorglich innerhalb der 
geſetzlichen Verjährungsfriſt aufs Geratewohl die 
Wandelungsanſprüche erheben — iſt abzulehnen. Es 
kann billigerweiſe keinem Käufer zugemutet werden 
aufs Geratewohl eine in der Regel mit hohen Koſten 
verknüpfte Wandelungsklage anzuſtrengen. Es iſt auch 
ausgeſchloſſen, daß die Parteien bei der Vereinbarung 
der Trächtigkeitszuſage eine ſolche Möglichkeit ins 
Auge faſſen. Vielmehr werden in einem ſolchen Falle 
beide Teile davon ausgehen, daß der Käufer ſolange 
einen Rechtsverluſt durch Verjährung nicht ſolle be⸗ 
fürchten müſſen, als er das Fehlen der zugeſicherten 
Eigenſchaft nicht wiſſen und nicht geltend machen kann, 
m. a. W. daß der Beginn der Verjährung bis zu 
dieſem Zeitpunkt hinausgerückt ſein ſolle. Daß eine 
ſolche Hinausſchiebung durch Parteiabrede zuläſſig iſt, 
ergibt ſich aus 8 477 Abſ. I Schlußſatz mit $ 490 
Abſ. 1 BGB. Wie die Verjährungsfriſt durch Partei⸗ 
abrede geändert werden kann, ſo kann auch der Beginn 
einer Verjährungsfriſt verſchoben werden (vgl. Komm. 
von Reichsgerichtsräten Anm. 3 zu 8 477). Es erhebt 
ſich noch die Frage, wie weit in einem ſolchen Falle 


der Beginn der Verjährungsfriſt als hinausgeſchoben 


zu gelten hat. Meisner meint, daß die höchſtmögliche 
Trächtigkeitszeit zugrunde zu legen iſt. Das Be⸗ 
rufungsgericht hat keine Veranlaſſung zu dieſer Frage 
Stellung zu nehmen, da auch bei Zugrundelegung 
der normalen Trächtigkeitsdauer von 280 Tagen die 
Klage rechtzeitig erhoben iſt. (Urt. vom 17. Oktober 
1911, F 114/11). M. 
2405 


Literatur. 


Maier, Dr. jur. Rudolf, Rechtsanwalt in München, 
Das Verſicherungsvertragsrecht. Berlin 
1911, Verlag von Puttkammer & Mühlbrecht. Gebd. 
Mk. 10.—, geh. Mk. 8.60. 


Der Verfaſſer iſt auf dem weiten Gebiete des Ver⸗ 
ſicherungsrechtes ſeit einer Reihe von Jahren praktiſch 
tätig und hat fi ſchon bei Herausgabe des Laß— 
Maierſchen Haftpflichtrechtes als Mitarbeiter in der 
Literatur einen Namen gemacht. Im vorliegenden 
Werke werden die Grundfragen des Verſicherungs— 
rechtes, die Einteilung aller Verſicherung in Schadens— 
und Perſonenverſicherung erörtert, dann, wer Ber: 
ſicherer, wer Verſicherungsnehmer ſein kann; Beginn, 
Ende, Verjährung der Verſicherung; weiterhin die 
intereſſanten Rechtsverhältniſſe, die mit der Gefahr— 
erhöhung und Anzeigepflicht zuſammenhängen; das 
Prämien-, das Agentenrecht und ſchließlich die ein— 
zelnen Verſicherungszweige, alſo vor allem die Feuer— 
verſicherung, Haftpflichtverſicherung, Lebens- und Un⸗ 
fallverſicherung. Was der Verſicherungsfachmann als 
Laie in Rechtsfragen vom Verſicherungsvertragsgeſetz 
ohne Mühe beherrſchen kann, findet er in einer erſten 
Abteilung erläutert. Die zweite Abteilung dagegen 
bringt die Erörterung der ſchwierigeren Kapitel des 
Geſetzes. 


472 


Das Werk iſt in allen feinen Teilen aufs ſorg⸗ 
fältigſte gearbeitet, der Stoff durch praktiſche Beiſpiele 
erläutert, die Sprache flüſſig und klar. Angeſichts 
der Gründlichkeit der Arbeit und der Zuverläſſigkeit der 
Quellennachweiſe kann das Werk nicht nur den Ver⸗ 
ſicherungsgeſellſchaften und ihren Organen, ſondern 
auch den Gerichten, Verwaltungsbehörden und Rechts⸗ 
anwälten aufs beſte empfohlen werden. 

München. Oberlandesgerichtsrat Hausladen. 


Weißer, Wilhelm, Weinkontrolleur in Kirchheimbolan⸗ 
den. Die Einfuhr ausländiſcher Weine und 
deren Kontrolle in Deutſchland. 32 S. Kirch⸗ 
heimbolanden und Kaiſerslautern 1911, Thiemeſche 
Druckereien G. m. b. H. 

Der pfälziſche Weinkontrolleur hat ſein in Wein⸗ 
fachkreiſen viel beachtetes Referat vom Würzburger 
Weinbaukongreß nunmehr als Broſchüre erſcheinen 
laſſen. Er hat ſehr recht daran getan. Denn es kann 
nicht oft genug darauf hingewieſen werden, welche 
Gefahren dem inländiſchen Weinmarkte durch Ueber⸗ 
ſchwemmung mit ausländiſchen insbeſondere griechiſchen 
Kunſtweinen drohen und wie wenig die Vorſchriften 
der Weinzollordnung geeignet ſind uns dagegen zu 
ſchützen. Geſtützt auf ſeine reiche Erfahrung und an 
der Hand von Beiſpielen weiſt Weißer nach, daß man 
Auslandsweinen gegenüber viel zu nachſichtig iſt und 
daß eine viel ſchärfere Kontrolle bei der Weineinfuhr 
nötig iſt, zumal die Einfuhr von Januar bis Juni 
1911 bereits ſo hoch ſei wie das geſamte Wachstum 
an deutſchen Weinen im Jahre 1910. Er beſpricht 
weiter die Mißſtände, die ſich ergeben, wenn die Zoll— 
behörde einen verdächtigen Wein mangels hinreichen— 
den Beweiſes unbeanitandet einläßt, den dann der 
Weinkontrolleur pflichtgemäß ſpäter beanſtanden muß. 
Er bemängelt endlich den gegenwärtigen Inſtanzenzug 
bei Beſchwerden wegen verweigerter Einfuhr und ver— 
langt als letzte Inſtanz hierfür die Errichtung einer 
auch früher ſchon bei Beratung des neuen Weinge— 
ſetzes von ihm vorgeſchlagenen Weinkontrollzentrale 
am Reichsgeſundheitsamt. Das Schriftchen kann allen, 
denen das Wohl des einheimiſchen Winzerſtandes und 
die Reinhaltung des Weinmarktes am Herzen liegt, 


nur empfohlen werden. 
Munchen. 


Hellwig, Dr. Albert, Gerichtsaſſeſſor, Berlin — Frie⸗ 
denau. Feuerbeſtattung und Rechtspflege. 
Leipzig 1911. Verlag von F. C. W. Vogel. 202 S. 
4 Mk. 

Man mag über die Feuerbeſtattung denken, wie 
man will, man mag ihre hygieniſchen und volkswirt— 
ſchaftlichen Vorzüge vor der Erdbeſtattung noch ſo 
hoch anſchlagen, das eine läßt ſich kaum beſtreiten, 
daß ſie, in größerem Umfange zugelaſſen oder gar 
allgemein eingeführt, für die Straf- und Zivilrechts— 
pflege wegen der raſchen und endgiltigen Vernichtung 
eines oft wichtigen, u. U. des einzigen ſicheren Beweis— 
mittels erhebliche Nachteile im Gefolge hätte, die wohl 
durch eine ſtrengere Leichenſchau und gegebenenfalls 
durch obligatoriſche Leichenöffnung gemildert, aber nie— 
mals ganz beſeitigt werden könnten. Dieſer Erwägung 
verdankt die vorliegende Schrift ihre Entſtehung, die 
einen Sonderabdruck aus Groß, Archiv für Krimi— 
nalanthropologie ꝛc. Bd. 44 S. 1 ff. bildet. Der Ver— 
faſſer, der das gleiche Thema ſchon vorher in mehreren 
Veröffentlichungen behandelt hat, ſucht hier unter Berück— 
ſichtigung der neueſten preußiſchen Geſeßgebung ſeinen 
ganzen Stoff nochmals zuſammenzufaſſen und zu ver— 
arbeiten. Ich ſtimme den Ergebniſſen ſeiner gewiſſen— 
haften Unterſuchung zu und teile insbeſondere ſeine 
kriminaliſtiſchen Bedenken. 

München. Staatsanwalt und Privatdozent Dr. Doerr. 


Landgerichtsrat Zoeller. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 28. 


Notizen. 


Die Bortopfliht amtlicher Schreiben an Han 
werker. Die Portoablöſung iſt nur zur Erleichterun 
des amtlichen Verkehrs beſtimmt. Nach der Bek. vor 
25. Dezember 1907 II J (GVBl. S. 1089) fol 8. 
nicht dazu führen, daß auch Private zu Laſten dr 
Staatskaſſe von Portokoſten befreit werden, die ihn: 
im Falle der Normalfrankierung erwachſen würde: 
In reinen Privatſachen find deshalb die Poſtgebühn: 
den Privaten aufzurechnen. Zur Beſeitigung der Zweit! 
welche bei der Anwendung dieſer Vorſchrift auf am 
liche Schreiben an Handwerker entſtanden ſind, be 
ſtimmt die Bekanntmachung der Zivilſtaatsminiſterie: 
vom 20. Oktober ds. Js. (JMBl. S. 378), daß „rein 
Privatſachen“ nur ſolche Angelegenheiten find, di 
ausſchließlich private Intereſſen betreffen und ftant: 
liche oder andere öffentliche Intereſſen auch nit: 
nebenbei berühren; im Schriftwechſel der Behörde 
mit Handwerkern ſoll dies in der Regel nur zutreffen 
wenn die Behörden Handwerkern in deren ausſchliez 
lichem Intereſſe eine erbetene Auskunft erteilen, z. 8. 
auf ein geſchäftliches Angebot Antwort geben. 

2430 


Die Vertretung des Militärfiskus. Mit Allerh. 
Entſchl. vom 15. Oktober 1911 wurden neue Beſtim—⸗ 
mungen über den Dienſtbereich und die Gliederung 
des Kriegsminiſteriums genehmigt (Verordnungsblan 
des Kriegsminiſteriums Nr. 34 S. 545 ff.). Hervorzu⸗ 
heben iſt hieraus, daß dem Kriegsminiſterium ein 
⸗Militärfiskalat“ angegliedert ift, deſſen Aufgabe wie 
folgt beſtimmt iſt: Prozeſſuale Vertretung des Militär— 
ärars, der Militärfonds und der militäriſchen Sti— 
tungen in allen Rechts angelegenheiten bei den Gerichten 
und den ſonſtigen ſtaatlichen und öffentlichen Behörden; 
Durchführung der Zwangsenteignungen ſowie (ir 
beſonderen Fällen) der Erwerbung und Veräußerung 
von Grundſtücken und Gebäuden. Vorſtand des Mili⸗ 
tärfiskalats iſt der Chef der „Abteilung für Rechts⸗ 
angelegenheiten“ des Kriegsminiſteriums, ſoweit nicht 
Allerhöchſt anders beſtimmt wird. Der Vorſtand führt 
in ‚Diejer Eigenſchaft den Titel: Militärfiskal. 

2428 


Sprachecke 
des Allgemeinen Dentſchen Sprachvereins. 


tätigen. Abſchlüſſe auf Lieferungen werden heute 
oft nicht mehr „gemacht“, ſondern „getätigt“; ver⸗ 
mutlich erſcheint ein „getätigter“ Abſchluß beſſer als 
ein gemachter. Vielleicht hat einmal ein findiger Ge— 
ſchäftsreiſender, dem nur ein mäßiger Abſchluß geglückt 
war, ſeinen Auftraggeber damit beſchwichtigt und ver⸗ 
blüfft, daß er ihm den Abſchluß als „getätigt“ vor— 
ſtellte Unſere Handlungsreiſenden ſollten aber keinem 
veralteten und häßlichen Kanzleideutſch weitere Ver⸗ 
breitung zu verſchaffen ſuchen. Denn nach Aktenſtaub 
und Schreibſtubendunſt riecht dieſes Wort. Ein Be: 
darf dafür liegt nicht vor, da es vollkommen genügt, 
wenn „Abſchlüſſe gemacht“ oder „‚Lieferungsverträge 
abgeſchloͤſſen“ werden, ebenſo wie man eine Wahl 
nicht zu tätigen braucht, weil man ſie vollziehen kann, 
wenn man nicht gar vorziehen wollte, ganz einfach 
zu „wählen“. Auch weshalb ein notarieller Akt ge: 
tätigt werden müßte, iſt nicht einzuſehen; genügte es 
wirklich nicht, ihn zu vollziehen oder auszufertigen? 
Drum meide man das Wort, denn es hat etwas Ge— 


ſuchtes an ſich unter allen Umſtänden. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 


K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Druck von Dr. Fran; Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing. 


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Ur. 4. 24. 


Herausgegeben von 


Ch. von der Pfordten 
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. 
Staataminiſterium der Juſtiz. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats /. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich I: 
0 . Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N- 
oſtan 


Nachdruck verboten. 


Viedergabe von Nechtsausführungen der 
parteien im Tatbeitande, 
Von Theodor von der Pfordten. 


Es iſt bekannt, daß in den Tatbeſtänden der 
Zivilurteile noch häufig die geſamten Rechtsaus⸗ 
führungen der Parteien oder ihrer Prozeßbevoll⸗ 
mächtigten wörtlich oder doch nahezu wörtlich 
wiedergegeben werden, und man braucht wohl 
kaum noch hervorzuheben, daß dieſes Verfahren 
den geſetzlichen Vorſchriften zuwiderläuſt und den 
Umfang der Urteile über Gebühr erweitert. Da⸗ 
gegen iſt es nicht ganz leicht die Frage zu löſen, 
ob es nicht unter Umſtänden notwendig iſt, den 
Rechtsſtandpunkt der Parteien mit wenigen zu⸗ 
ſammenfaſſenden Worten anzudeuten, wenn man 
eine gedrängte aber erſchöpfende Darſtellung des 
Sach⸗ und Streitſtandes liefern will, wie ſie der 
§ 313 Nr. 3 350. fordert. Man könnte ſich 
verſucht fühlen die Frage ſchlechthin zu verneinen, 
indem man ſich auf den Standpunkt ſtellt: die 
Rechtsfindung, die Anwendung der Geſetze auf die 
feſtgeſtellten Tatſachen, iſt ausſchließlich Sache des 
Gerichts, es iſt alſo ganz bedeutungslos, von 
welchen rechtlichen Auffaſſungen die Parteien aus⸗ 


gegangen ſind. So einfach liegt die Sache in⸗ 


deſſen doch nicht. 

Die herrſchende Meinung hält zwar daran 
feſt, daß die Rechtsausführungen der Parteien 
unverbindlich ſind, und nimmt infolgedeſſen an, 
daß ſie in der Regel nicht in den Tatbeſtand 
aufzunehmen ſind, aber ſie läßt Ausnahmen 
zu. Nicht immer tritt jedoch klar hervor, wie 
dieſe Ausnahmen beſchaffen ſein ſollen und wie 
ſie ſich mit dem Grundſatze vereinigen laſſen, 
daß der Richter alle Rechtsfragen von Amts wegen 
zu unterſuchen hat und daß er ſich dabei nicht 
von der Partei auf beſtimmte Wege weiſen laſſen 
ſoll. Es verlohnt ſich deshalb die Anleitungen, 
die wir in der Literatur finden oder aus der 
Rechtſprechung entnehmen können, etwas genauer 


München, den den 15. Dezember 1911. 


7. Jahrg. 


Irilſchrift für Rechtspflege 


in 


| Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Senier) 
München und Berlin. 


ae Veit kel 


ktion und Expedition 
gebübr 190 Pfg. für die 1555 
. Stellenanzelgen 


J oder deren Raum, e 
20 Pfg. Bellagen nach Uebdere 


473 


ſollen die Fälle nicht weiter berückſichtigt werden, 
in denen ſich der Rechtsſtreit ausſchließlich um 
Rechtsfragen dreht. Man denke z. B. an einen 
Prozeß, in dem nur darüber zu entſcheiden iſt, 
ob ein eigenhändiges Teſtament der geſetzlichen 
Form entſpricht, in dem bei der Angabe des 
Ortes der Errichtung ein Vordruck benützt iſt. 
Daß hier es zweckmäßig iſt, den Rechtsſtandpunkt der 
Parteien im Tatbeſtand anzugeben — allerdings 
unter Weglaſſung ihrer ſogenannten „Deduktionen“ 
im einzelnen — ergibt ſich wohl von ſelbſt, man 
würde ſonſt nur ein Gerippe eines Tatbeſtands 
erhalten. Bei Daubenſpeck „Referat, Votum und 
Urteil“ wird ein ähnliches Beiſpiel angeführt, in 
dem der Tatbeſtand unklar würde, wenn er nicht 
den Rechtsſtandpunkt der Parteien „in allgemeinen 
Umriſſen“ bezeichnete (vgl. die 11. Auflage, Ab⸗ 
ſchnitt VII unter 4 S. 309). 

Sehr weitherzig will bei der Zulaſſung von 
Rechtsausführungen Pfizer verfahren (ſ. Buſchs Z. 
85d 16 S. 76). Er meint, in den Entſcheidungs⸗ 
gründen müſſe der Richter doch die Rechtsaus⸗ 
führungen der Parteien berückſichtigen, namentlich 
ſchiefe Auffaſſungen zurückweiſen oder berichtigen. 
„Und je ſchiefer dieſe ſind, um ſo mehr wird 
der Richter das Bedürfnis fühlen, hervorzuheben, 
daß die von ihm bekämpfte Auffaſſung von einer 
Partei vorgetragen worden und daß nicht er auf 
die Möglichkeit einer ſo verkehrten Begründung 
eines Anſpruchs oder einer Einrede verfallen iſt.“ 
Deshalb ſollen die „ſchiefen“ Rechtsanſchauungen 
auch im Tatbeſtand einen Platz finden. Waͤre 
das richtig, ſo wäre es allerdings geraten, die 
Schriftſätze auszuſchreiben und zwar um ſo aus⸗ 
giebiger, je weiter ihre Verfaſſer daneben geſchoſſen 
haben. Es iſt aber nicht die Aufgabe des Urteils 
die Parteien oder ihre Vertreter über ihre Rechts⸗ 
irrtümer zu belehren und jedes haltloſe Gerede 
zu widerlegen. Schiefe Auffaſſungen hat der ju⸗ 
riſtiſche Schriftſteller zu „bekämpfen“, nicht der 
Richter. Das von Pfizer empfohlene Verfahren 
könnte häufig zu einer unangemeſſenen Polemik 


anzuſehen und ihre Bedeutung feſtzuſtellen. Dabei gegen die Rechtsanwälte führen, die vielleicht in 


474 


der Berufungs- oder Reviſionsbegründung ein 
nicht ſehr wohlklingendes Echo hervorrufen würde. 

Sehr vorſichtig drückt ſich — mit Recht — 
die Miniſterialbekanntmachung vom 9. September 
1907, die Abfaſſung der Urteile in bürgerlichen 
Rechtsſtreitigkeiten und in Straſſachen betreffend 
(JM Bl. 1907 S. 242), aus. Sie beſchränkt ſich 
auf folgende Anleitung: „Rechtsausführungen der 
Parteien ſollen nur inſoweit erwähnt werden, als 
es zum Verſtaändniſſe des Standpunkis der Partei 
erforderlich iſt“. Sie deutet damit nur an, daß 
ſich keine allgemeine Regel aufſtellen läßt. 


Einige Schriftſteller wollen etwas weiter gehen. 
Sie verlangen, daß die rechtlichen Gründe der 
Anſprüche und der Einreden wenigſtens angedeutet 
werden. In einer grundlegenden Abhandlung 
von Streich (Gruchot, Beiträge Bd. 25 S. 237) 
wird behauptet, daß der Tatbeſtand eines Zivil⸗ 
urteils den „Rechtsſtandpunkt der Partei und ihrer 
einzelnen Behauptungen kennzeichnen beziehungs⸗ 
weile (112) verſtändlich machen, nicht aber auch 
ſolchen durch Aufnahme von Rechtsausführungen 
des naheren zu motivieren habe“ (a. a. O. 
S. 243) ). Rocholl hat in einer Abhandlung 
im Jahrgang 1883 der JW. S. 168 dieſer Theorie 
folgende Faſſung gegeben: „Der Tatbeſtand darf 
darüber nicht im Unklaren laſſen, wie der Kläger 
ſeinen Anſpruch individualiſiert ()), auf welchen 
Rechtsgrund er die Klagetatſachen bezogen hat (?), 
um ſein Petitum (!) daraus herzuleiten — oder 
welchen Rechtsgrund der Beklagte aus ſeinem 
Gegenvorbringen abſtrahiert () hat, um den An⸗ 
ſpruch des Klägers zu eliminieren (1!)“. 

Man wird nicht behaupten können, daß hier 
die Gedanken einen glücklichen Ausdruck gefunden 
hätten. Man wird auch nicht ſo ganz allgemein 
fordern dürfen, daß jedes Parteivorbringen ſozu⸗ 
ſagen ein rechtliches Kennzeichen, eine juriſtiſche 
Marke erhalten müſſe. In der Regel — nament⸗ 
lich im amtsgerichtlichen Prozeſſe, wenn Rechts⸗ 
anwälte nicht aufgetreten ſind — würde damit 
nicht viel gewonnen ſein; denn es iſt ja unbe⸗ 
ſtritten, daß eine bloße juriftifche „Abſtraktion“ 
aus dem tatſächlichen Parteivorbringen weder die 
Partei beſchränkt, noch den Richter der Pflicht 
enthebt, die Rechtsfrage ſelbſtändig ohne Rückſicht 
auf den Standpunkt der Partei zu prüfen. An⸗ 
deutungen über den rechtlichen Grund der An— 
ſprüche braucht man auch dann nicht allgemein 
zu fordern, wenn man ſich etwa der Anſchauung 
anſchließt, daß unter dem „Klagegrunde“, dem 


„. — — ...... —. —— — — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


nur, daß zu den weſentlichen Erforderniſſen der 
Klageſchrift nicht die Angabe aller rechtsbegrün⸗ 
denden Tatſachen gehört, was insbeſondere bei 
Streitigkeiten über dingliche Rechtsverhältniſſe von 
Bedeutung iſt (vgl. Seuffert, Bem. 4 zu 8 253 
ZPO., S. 373 ff. der 11. Auflage). Ihre An: 
hänger fordern keine beſtimmte „juriſtiſche Kenn⸗ 
zeichnung“ des Anſpruchs“); eine ſolche Forderung 
wäre auch angeſichts der Vorſchrift im $ 268 Nr. 1 
ZPO. nicht haltbar. 


Auf den richtigen Weg wird man kommen, 
wenn man die von Streich und Rocholl auf⸗ 
geſtellte Theorie einſchränkt. Der Rechtsſtandpunkt 
der Parteien wird im Tatbeſtande anzuführen 
ſein, wenn es zum Verſtändniſſe des tatſächlichen 
Vorbringens notwendig iſt (ſ. Skonietzki⸗Gelpcke, 
Bem. 8 zu $ 313 ZPO. S. 852; Dauben⸗ 
ſpeck, Referat, Votum und Urteil, 11. Aufl. 
S. 189). Was auf den erſten Blick wie eine 
rein rechtliche Darlegung ausfieht, kann unter 
Umſtänden den tatſächlichen Streitſtoff erweitern 
oder begrenzen. Beſonders haufig wird das vor⸗ 
kommen, wenn Anſprüche aus Schuldverhältniffen 
den Streitgegenſtand bilden. Denn der „Rechts⸗ 
begriff“ (Kaufvertrag, Darlehen, Schenkung) iſt 
hier häufig zugleich eine zuſammenfaſſende Be⸗ 
zeichnung beſtimmter tatſächlicher Vorgänge und 
Zuſtände. Erklärt z. B. der Kläger, daß er den 
Anſpruch nicht aus einer unerlaubten Handlung 
des Beklagten herleiten will, ſo kann ſich daraus 
ergeben, daß die Tatſachen nicht in den Rechts⸗ 
ſtreit eingeführt werden ſollen, deren der Richter 
bedarf, um den Vorſatz oder die Fahrlaͤſſigkeit 
des Beklagten feſtzuſtellen. Damit entfällt für 


den Richter die Notwendigkeit beſtimmte Rechts⸗ 


vorſchriſten heranzuziehen, ohne daß deswegen der 
Satz „iura novit curia“ aufgegeben würde. 

In einem Urteile vom 16. März 1911 macht 
ferner das Reichsgericht einen Unterſchied zwiſchen 
bloßen Rechtsausführungen und „dispoſitiven 
Willenserklärungen“ der Parteien, durch die ein 
beſtimmtes Rechtsverhältnis „von der richterlichen 
Würdigung und Entſcheidung ausgeſchloſſen wer den 
ſoll“; es hält ſolche Willenserklaͤrungen für zu: 
läſſig und wirkſam. Das Urteil, das trotz des 
einfachen Sachverhalts recht bemerkenswert iſt, iſt 
in der IW. 1911 Nr. 10 S. 457 unter 30 ab: 
gedruckt. Die Klägerin hatte in erſter Inſtanz 
die zur Begründung eines Darlehensanſpruchs er: 
forderlichen Tatſachen vorgebracht und auch „dieſes 
Rechtsverhältnis als exiſtent geworden bezeichnet.“ 


„Grunde des erhobenen Anſpruchs“ (3 253 Abſ. 1 Sie hatte aber auch erklärt, daß fie „den Dar: 


Nr. 2 ZPO.) das „Rechtsverhältnis“ zu verſtehen 
ſei. Aus dieſer Anſchauung ſolgt — von ihrer 


lehensanſpruch nicht mehr geltend machen könne“, 
anſcheinend deshalb, weil ſie glaubte, es ſtehe ihm 


Bedeutung für die Beſtimmung des Umfangs der eine Einrede entgegen. Es ergab ſich die Frage, 


Rechtskraft ſoll hier nicht geſprochen werden — 


190 


) Aehnlich Kunkel in dieſer Zeitſchrift, Jahrgang 
7 S. 54. 


9) Vgl. z. B. Schmidt, Lehrbuch des Zivilprozeſſes, 
2. Aufl. S. 391: „Insbeſondere kommt es auf den ju— 
riſtiſchen Geſichtspunkt, unter dem dieſer (der Rechts- 
erfolg) gefordert wird, nicht an.“ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


ob ſie in der zweiten Inſtanz auf den Darlehens⸗ 


anſpruch unter Berufung auf die in der Klage 
vorgebrachten Tatſachen zurückgreifen durfte. Das 
Reichsgericht hielt an dem Grundſatze feſt, daß 
die rechtliche Würdigung des tatſächlichen Vor⸗ 
bringens an ſich Aufgabe des Richters ſei, meinte 
aber, die Erklärungen der Klägerin in erſter In⸗ 
ſtanz „enthielten etwas mehr als die bloße Kund⸗ 
gebung einer Rechtsauffaſſung.“ Wenn es der 
Wille der Partei geweſen ſei, das Rechtsverhältnis 
des Darlehens überhaupt als Prozeßgegenſtand 


auszuſchließen, ſo ſei in ſeiner ſpaͤteren Geltend⸗ 


machung eine nach 8 529 Abſ. 2 ZPO. unzu⸗ 
läſſige Klagänderung zu erblicken. „Denn aller: 
dings unterliegt es der Parteibeſtimmung, ob ein 
einzelnes, aus den vorgebrachten Tatſachen her⸗ 
zuleitendes Rechtsverhältnis von der richterlichen 
Würdigung und Entſcheidung ausgeſchloſſen ſein 
ſoll. Ein Rechtsſchutz wird der Partei nicht ge⸗ 
währt, den ſie ſelbſt nicht will und nicht begehrt.“ 
Das Reichsgericht kommt dann aber durch Aus⸗ 
legung der Parteierklärungen zu dem Ergebniſſe, 
daß die Klägerin nicht unbedingt auf die Er⸗ 
hebung des Darlehensanſpruchs in dem ſchweben⸗ 
den Rechtsſtreite verzichten wollte. i 

Ganz unbedenklich iſt die Zulaſſung einer 
ſolchen Einſchraͤnkung des Rechtsſchutzbegehrens 
ohne Einſchränkung des tatſächlichen Streitſtoffs 
wohl nicht. Sie durchlöchert den Grundſatz, daß 
die Verfügungsgewalt der Partei ſich nur auf 
Tatſachen bezieht, und würde unter Umſtaͤnden 
dazu führen, daß die Tatſachen, über die in einem 
Rechtsſtreite rechtskräftig entſchieden worden iſt, 
ſpäter in einer neuen Klage in eine andere recht⸗ 
liche Beleuchtung gerückt der richterlichen Ent⸗ 
ſcheidung nochmals unterbreitet werden. Das 
Reichsgericht ſcheint wenigſtens anzunehmen, daß 
der Einwand der Rechtskraft einer ſolchen neuen 
Klage nicht entgegenſtehen würde. Es iſt jedoch 
hier nicht der Ort, die Richtigkeit der vom Reichs⸗ 
gericht vertretenen Auffaſſung genauer zu unter⸗ 
ſuchen. Denn jedenfalls muß man damit rechnen, 
daß die Praxis dem Beiſpiele des Reichsgerichts 
ſolgen und der Parteibeſtimmung auch bei der 
Begrenzung des Streitſtoffs nach der rechtlichen 
Seite weiteren Spielraum laſſen wird. Bei der 
Abfaſſung des Tatbeſtands muß auf dieſe Mög⸗ 
lichkeit Rückſicht genommen werden. 

Das Ergebnis wäre hiernach folgendes: Die 
Rechtsausführungen müſſen im Tatbeſtande be⸗ 
rückſichtigt werden, wenn ſie ein tatſächliches Vor: 
bringen oder eine Einſchränkung früheren tat⸗ 
ſächlichen Vorbringens enthalten oder wenn aus 
ihnen auf eine Willenserklärung der Partei ge— 
ſchloſſen werden kann, durch die ein beſtimmtes 
Rechtsverhältnis aus dem Rechtsſtreit ausgeſchieden 
werden ſoll. 


475 


— — 
— — 


Alkohol und Verbrechen in Bayern. 


Von Dr. N. v. Valta, wiſſenſchaftlichem Hilfsarbeiter 
des K. B. Statiſtiſchen Landesamts. 


Für das Jahr 1910 wurden auf Anordnung 
des Juſtizminiſteriums !) Erhebungen über den 
Einfluß des Alkoholgenuſſes auf die Häufigkeit 
und die Erſcheinungsformen des Verbrechens ge⸗ 
pflogen; damit iſt die bayeriſche Statiſtik als erſte 
in Deutſchland und in vielen anderen Kultur⸗ 
ſtaaten an eine ſyſtematiſche Unterſuchung des 
Zuſammenhangs zwiſchen Alkoholismus und Krimi⸗ 
nalität herangetreten. Die Ergebniſſe ſind ver⸗ 
öffentlicht in der Bayeriſchen Juſtizſtatiſtik für 
1910 (München, Chr. Kaiſer, 1911, S. XXXIII 
des Textes und Tabelle XXI) und im neu⸗ 
erſchienenen Statiſtiſchen Jahrbuch für das König: 
reich Bayern 1911 (S. 390 /1).“) 

Bei der Aufſtellung des Erhebungsplanes galt 
es vor allem, die Statiſtik auf ſolche Fälle zu 
beſchränken, bei denen der Einfluß des Alkohol⸗ 
genuſſes auf die Begehung der ſtrafbaren Hand⸗ 
lung unzweifelhaft zu erkeunen war. Denn nur 
dann kann den Ergebniſſen Beweiskraft zugeſprochen 
werden. Es wurden daher nur Verbrechen und 
Vergehen gegen Reichsgeſetze (mit Ausſchluß der 
Vorſchriften über die Erhebung öffentlicher Ab⸗ 
gaben und Gefälle) berückſichtigt, auf die Erfaſſung 
der infolge Alkoholexzeſſes begangenen Ueber⸗ 
tretungen dagegen ganz verzichtet. Dies war deshalb 
zweckmäßig, weil letztere meiſt durch Strafbefehle 
erledigt werden und man daher auf die Anzeige 
zurückgehen müßte. Dadurch würde man aber 
auf den eigentlichen Beweis der Trunkenheit des 
Täters verzichten und damit die Genauigkeit der 
Erhebung beeinträchtigen. Ferner war darauf 
Bedacht zu nehmen, daß den ohnedies ſtark be⸗ 
laſteten Gerichten und Staatsanwälten nicht all⸗ 
zuviel Schreibarbeit zugemutet werden durfte. In 
die Zählkarte wurden daher nur die wichtigſten 
Fragen aus dem ſeit 1881 für die Reichs⸗Kriminal⸗ 
ſtatiſtik verwendeten Formular übernommen und 
zwei Zuſatzfragen angefügt, von denen die eine 
die Urſache der Tat („im Zuſtande der Trunken⸗ 
heit begangen?“ — „auf gewohnheitsmäßigen Alko⸗ 
holgenuß zurückzuführen?“), die andere die außer⸗ 
bayeriſche Staatsangehörigkeit des Täters betrifft. 
Die Zählkarten wurden an der Hand der 
Urteile und ihrer Begründung ausgefüllt, haben 
alſo den in der Hauptverhandlung erbrachten 
Beweis als Grundlage. Zu zählen waren alle 
Fälle, in denen nach den Feſtſtellungen des Ur⸗ 
teils die ſtrafbare Handlung im Zuſtand der 
Trunkenheit begangen wurde oder offenſichtlich auf 
gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuß des Täters 
zurückzuführen war. In den ſehr ſeltenen Fällen, 


) Vgl. IM Bl. 1909 S. 503 ff. 
F vom K. Stat. Landesamt, Preis 
1.50 M. 


in denen wegen eines Vergehens ein Strafbefehl 
erlaſſen werden kann, durfte der oben erwähnte 
Grundſatz unbedenklich durchbrochen werden, da 
hier auch dann, wenn es nicht zur mündlichen 
Verhandlung kommt, in der Regel genaue Er⸗ 
mittlungen gepflogen werden, die verläſſig genug 
find, um die Antwort auf die ſtatiſtiſchen Fragen 
ſo gut wie ein Urteil zu ermöglichen. 

Nach dem Ausgeführten hat die Erhebung 
von vornherein auf die Beantwortung der Frage 
verzichtet, in welchem Maße der Alkohol mittel⸗ 
bar auf die Verbrechens häufigkeit einwirkt. In 
dieſen Fällen ſpielt meiſt eine Reihe von anderen 
Urſachen herein, die den Verbrechensentſchluß 
mit begünſtigen, jo daß es bedenklich wäre, den 
Alkoholgenuß allein oder in höherem Maße für 
den Erfolg verantwortlich zu machen. Auch hätte 
man umfaſſende Ermittelungen (3. B. über die 
erbliche Belaſtung des Täters infolge übermäßigen 
Alkoholgenuſſes der Eltern) anordnen müſſen, 
deren Ergebnis wohl oft unſicher geblieben wäre. 
Anders liegt dagegen die Sache, wenn zwar nicht 
die Tat im Zuſtand der Trunkenheit begangen, 
wohl aber der Täter ein chroniſcher Alkoholiker 
iſt. Denn wenn dieſer Umſtand im Urteil erwähnt 
iſt, ſtüͤtzt ſich die Feſtſtellung in der Regel auf 
ein zuverläſſiges Sachverſtändigengutachten. 

Bei dieſer engen Begrenzung der für die Er— 
hebung herangezogenen Fälle mußte man natür⸗ 
lich mit in Kauf nehmen, daß viele Verurteilungen 
nicht mitgezählt wurden, bei denen der Alkohol⸗ 
genuß von Bedeutung war, aber entweder in der 
Hauptverhandlung nicht zur Sprache kam oder 
doch nicht genügend feſtgeſtellt werden konnte. 
Dieſe Außerachtlaſſung ſchadet jedoch dem allge: 
meinen Ergebnis keineswegs, da durch die Be— 
rückſichtigung dieſer nicht ganz „glatten“ Fälle 
das Bild nur verſchleiert werden würde. Selbſt— 
verſtändlich konnte auch die große Zahl der ſtraf— 
baren Handlungen nicht mit erfaßt werden, die über— 
haupt nicht angezeigt und daher auch nicht ab— 
geurteilt wurden. 


Welches ſind die Hauptergebniſſe der 
Erhebung? 

Es wurden im Jahre 1910 8864 Perſonen 
rechtskräftig verurteilt, bei denen die begangene 
ſtrafbare Handlung mit Sicherheit auf den Alkohol— 
genuß zurückzuführen war. Und zwar handelten 
8674 bei der Tat im Zuſtand der Trunkenheit, 
die übrigen 190 waren chroniſche Alkoholiker. 

Nach der neueſten Veröffentlichung der Reichs— 
Kriminalſtatiſtik wurden in Bayern im Jahre 1909 
rund 63500 Perſonen wegen Verbrechen und Ber: 
gehen gegen Reichsgeſetze insgeſamt verurteilt. Für 
1910 iſt, da Bayern ſeit vier Jahren ſinkende 
Kriminalitätsziffer auſweiſt, eine etwas niedrigere 
Zahl zu erwarten. Die im Rauſch oder unter dem 
Einfluß des chroniſchen Alkoholismus handelnden 
Perſonen machen alſo zum mindeſten 14% aller 


Zeitſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1911. in Bayern. 1911. Nr. 24 


ö 


Verurteilten aus. Um auf die Bedeutung dieſer 
Ziffer näher einzugehen, wollen wir zunächſt den 
Rang feſtſtellen, den Bayern zurzeit unter den 
größeren deutſchen Bundesſtaaten hinſichtlich der 


Haͤufigkeit des Verbrechens einnimmt: 
Verurteilte 8 1909: 


Auf 100000 der 
Grundzahlen | ortsanweſenden 
Bevölkerung 


Preußens 346 925 863.8 
Bayern 63 537 924,0 
Sachſen 30 763 640,6 
Württemberg 20 029 822,3 
Deutſches Reich. 543 419 837,3 


Bayern übertrifft alſo den Reichsdurchſchnitt 
und die übrigen größeren Bundesſtaaten ganz er⸗ 
heblich an Kriminalität. Sollte daran etwa der 
hohe Anteil der Trinkerdelikte an der Verbrechens⸗ 
ziffer ſchuld ſein? Sollte hierin eine volkswirt⸗ 
ſchaftlich ungünſtige Wirkung unſerer blühenden 
bayeriſchen Bierinduſtrie zu erblicken fein? Die 
Statiſtik kann vorerſt noch auf dieſe Frage keine 
Antwort geben, da, wie erwähnt, Bayern zurzeit 
der einzige Bundesſtaat iſt, der Erhebungen über 
den Einfluß des Alkohols auf die Verbrechens⸗ 
häufigkeit anſtellt. Würden auch für andere 
Staaten ähnliche Unterſuchungen vorliegen, ſo 
könnte man die gewiß intereſſante Berechnung an⸗ 
ſtellen, wie ſich der Rang Bayerns verſchieben 
würde, wenn es keine Trinkerdelikte gäbe. 

Aber auch mittelbar, nämlich durch Heran⸗ 
ziehung der Herſtellungs⸗ und Verbrauchsſtatiſtik, 
iſt die . nicht einwandfrei zu löſen. 


Bieter zeugung) Bier verbrauch!) 


taat ; u B 
in in Lt. für den Kopf der Bevölkerung 1909 


Brauſteuergebiet. 75 79 

11 14 4 268 | 230 
Württemberg... .. 146 146 
Badten 150 146 
Deutſches Zollgebiet. 101 100 


1 Branntweinerzeugung 
in Lt. fur den Kopf der Bes 


Staat 
völkerung 1899/10 
Preußen 7,64 
Baſſe n 2,68 
Sachſennnnn 2220. 2,82 
Württemberrnrg ... 2,16 
Deutſches Reich hg.. 5,62 


Dagegen 1909 verurteilte Zivilperſonen auf 
100 000 der ortsanweſenden Bevölkerung: 


Verbrechen Gefahrl. Leichte Be- 

Staat u. Vergeben Körverver- Körperver- leidi— 
ÜUberbaupt letzung letzung gung 

Preußen.. 86,8 140.9 49,3 88,7 
Bayern. 924,0 243,8 36,7 89,0 
Sachſen . .. 610,6 48,3 9,2 75,1 
Württemberg. 8223 146,3 23,6 103,9 
Deutſches Reich! 837,3 143,5 39,6 91,9 
) B81 Stat. Jahrbuch für Bayern 1911 S. 30.“ 
9 Vgl. Stat. Jahrbuch für Bayern 1911 S. 30.“ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 477 


Wollte man dieſe Zahlen flüchtig beurteilen, ſo Von den ſtrafbaren Handlungen waren: 


könnte man folgenden Schluß ziehen: In Bayern : Te 
wird nahezu das 2 ½ fache des Reichsdurchſchnitts abfo- Lifte über⸗ 
für den Kopf der Bevölkerung an Bier verbraucht. | Verbrechen und Vergehen lut in /h fen solche 
Es wird viel öfter als in andern Bundesſtaaten Ä e 
das beſondere Trinkerdelikt der gefährlichen Körper⸗ 
ans nn a, häufig auch gend: Körperverletzung 9208 29 191 
eichte Körperverletzung und Beleidigung begangen. Beleidigung ‚ X 
Die gefährliche en allein macht 19 0% . an Nötigung u. dgl. 769 7½ 3,3 
a . 1 gung J AT 72 3,0 

aller Delikte aus. Bayern hat deshalb jeine hohe 5. Widerftand gegen die Staats⸗ 
Verbrechensziffer größtenteils dem Biergenuſſe zu gewalt 626 6,2 21 
verdanken. 1 e 72 Br 5 © 

Dem muß ſofort entgegengehalten werden, daß 8. 9 Diebſtahl nn N 194 1,9 12,8 
die Statiſtik der Branntweinerzeugung für den 9. Sittlichkeitsdelitte .| 176) 1.7 2,4 
Vergleich Bayerns mit den andern Ländern das 11 8 un 77 1 85 08 14.5 
umgekehrte Ergebnis liefert wie die Biererzeugung. fahl im Ruda! 71 07 23 
Die Verhältniszahl der Branntweinerzeugung iſt 12. Verbrechen und Vergehen ö ö 
in Bayern am zweitkleinſten unter den Vergleichs- wider die persönliche Freineit| 67 0,6 4,7 


ländern. Nicht viel anders wird es vermutlich 13. Andere ſtrafbare Handlungen 


Ä . | 5 | außer den folgenden 65 0,6 — 
mit dem inländiſchen Verbrauche ſtehen, der ziffer 14. Fabeluige Körperverletzung 42 04 9 
mäßig für die aus Branntwein hergeſtellten Ge⸗ 15. Schwere Körperverletzung. 37 0,4 


weingenuß als ein die Verbrechenshäufigkeit ſtei⸗ 17. Religionsvergehen .. — 


| 
| 
tränke nicht bekannt iſt. Daß aber der Brannt: 16. Unterſchlagung 
gernder Umſtand vielleicht zehnmal ſo ſtark ins 


[10042| 100,0 
Gewicht fällt wie das Bier, zumal das im all⸗ Unter den 10 042 ſtrafbaren Handlungen, die 


gemeinen leichte bayeriſche, dürfte außer Zweifel die 8864 rechtskräftig verurteilten Perſonen unter 
ſtehen. Damit verliert Bayern von feinem Vor: der Einwirkung geiſtiger Getränke begingen, waren 
ſprung, den es im Bierverbrauche hat, gegenüber 5006, alſo faſt genau die Hälfte, gefährliche Körper⸗ 
Preußen, Sachſen und dem Reichsdurchſchnitt ganz verletzungen. Hierin äußert ſich die charakteriſtiſche 
weſentlich. Cette 5 in en 1 
Aber auch in anderer Hinſicht iſt die Gegen⸗ eftigkeit der Leidenſchaſten, Zornmütigkeit, Roheit, 
überſtellung nicht beweiskräftig. Man ſieht ben Mangel an Selbftbeherrihung, Willens ſchwäche, 
Zahlen über inländischen Bierverbrauch nicht an, Gewiſſenloſigkeit und Zynismus.) 
ob eine Perſon zehn Liter Bier auf einmal oder | 1909 waren in Bayern unter den Verbrechen 
innerhalb eines Monats getrunken hat. Gerade und Vergehen, bei denen auf Verurteilung des 


3 (N; Täters erkannt wurde, 14243 (= 19 % gefähr⸗ 
darauf kommt es aber beim Einfluß des Alkohols | -. g g i 
auf die Kriminalität an. Es iſt leicht denkbar, liche Körperverletzungen. Es ift alſo jede Dritte 


daß der größere Verbrauch zum Teil im beſſern 3 auf den Alkoholiemus 
ee ‚er: zurückzuführen. 
Arbeitsverdienſt, in den günſtigeren und billigeren In abſteigender Reihe folgt ſodann als nächſt 


Verkehrsgelegenheiten, im Vordringen des Bier⸗ N er N 
häufigſtes Trinkerdelikt die Beleidigung (1206 mal 
genuſſes in dreitere Schichten ſeinen Grund hat, oder 12,1 0/0). Ihr reihten fich die Bedrohung, die 


ohne daß damit gleichzeitig eine Verſchlechterung 188 f 
der Kriminalitätsziffer notwendig verbunden ſein Sachbeſchädigung ber Widerſtand gegen die Staats⸗ 
müßte. Endlich kann die Statiſtik Biererzeugung gewalt, der Hausfriedensbruch und die einfache Kör⸗ 


und Verbrauch, ebenſo wie Branntweinerzeugung 7 e 
5 5 . erfaſſen, über die wirklich die Prozentzahlen der feen Spalte laſſen er 
er ar 05 25 N n u kennen, mit welcher Häufigkeit die einzelnen Delikte 
a ee 2 if ſomit eine Degünftigung der in Bayern überhaupt vorkommen. Man ſieht 
Verbrechenshäufigkeit durch den höheren Bierver⸗ .. y 5 " 1 8 
brauch in Bayern wohl denkbar, zurzeit aber nicht hieraus, daß durch Einſchränkung der gefährlichen 
ſtatiſtiſch beweisbar Körperverletzung wie überhaupt der Roheitsdelikte 
j die geſamte bayerifche Kriminalitätsziffer ſehr 
Es wurde bereits hervorgehoben, daß die ge: weſenklich verändert werden könnte. 
fährliche Körperverletzung in Bayern beſonders Zur Beleuchtung dieſer Zahlen ſeien hier einige 
häufig vorkommt. Dies führt zur Frage: Wie Daten erwähnt, die ſich aus der niederbayeriſchen 
verteilen ſich die auf den Alkoholgenuß zurück. Schwurgerichtspraxis ergaben.“) 
zuführenden Delikte nach der neuen Erhebung auf | — ——— - 
die einzelnen Verbrechensarten? Welche Delikte 0 Wal ee des K. bayeriſchen Statiſtiſchen 
ſind als beſondere Trinkerdelikte zu Landesamts 1910 S. 630 ff: Rechtsanwalt Hotter, Zehn 
bezeichnen? Jahre niederbayeriſche Schwurgerichtspraxis. 


478 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


Während der Jahre 1900 — 1909 wurden ſchaftlichen Dienſtboten, Bauern, Gütler und 
vor dem Schwurgericht Straubing 207 Fälle von Söldner, jo ergibt ſich, daß nahezu / aller Ber: 
Totſchlag und Körperverletzung mit Todesfolge urteilten der Landwirtſchaft angehörten. Die Fabrik⸗ 
abgeurteilt. Die nähere Unterfuchung ergab, daß arbeiter find verhältnismäßig ſehr ſchwach ver: 
in mehr als / aller Fälle die Opfer von ſolchen treten, zumal da ihr Anteil an der Geſamt⸗ 
Perſonen erſchlagen wurden, die vorher ein Wirts⸗ bevölkerung ziemlich erheblich iſt. Der Grund 
haus beſucht oder ſonſtwie dem Biergenuß ſich hierfür mag hauptſaͤchlich in dem Zuſammen⸗ 
ergeben hatten. Unter Zuſammenfaſſung aller drängen der Induſtrie auf größere Plaͤtze zu er⸗ 
an Sonn: und Feiertagen oder nach Biergenuß blicken fein, wo infolge ſtrengerer polizeilicher Ueber⸗ 
begangenen Taten ſteigert ſich ihr Anteil auf mehr wachung der Schankſtätten die Gelegenheit zum 
als /10 (90,3 % ). Es wurde ferner der Verſuch Verbrechen nicht jo günſtig iſt als auf dem platten 
gemacht, für ein einzelnes Jahr (1901) den Schau: Land. Ferner iſt der Fabrikarbeiter durch ſeinen 
platz der Delikte zu erfaſſen. Von den 31 der das ganze Jahr hindurch gleichmäßigen und ſtreng 
Beobachtung unterzogenen Fällen ſpielten ſich 13 | geregelten Beruf eher der Mäßigkeit und den 
im Wirtshaus ſelbſt, im Hausgang oder in nächſter hierauf gerichteten Beſtrebungen zugänglich als 
Nähe des Gaſthofes, weitere 13 auf dem Heimweg der landwirtſchaftliche Arbeiter. Die Berufe, bei 
vom Wirtshaus ab. Aber auch bei den übrigen denen eine gerichtliche Beſtrafung beſonders ſchwere 
5 Delikten war der Alkohol mit im Spiel. Die Folgen nach ſich zieht, wie Beamte, Studierende 
Zeit der Tat — meiſt eine vorgerückte Stunde — uſw. find natürlich nur ſchwach vertreten. Die 
weiſt ebenfalls darauf hin, daß häufig die Aus: Perſonen, welche berufsmäßig auf das Wirtshaus 
ſchreitung im Biergenuß die unmittelbare Ver⸗ angewieſen find, in erſter Linie alſo Kellner, 
anlaſſung zum Verbrechen war. Schenkkellner, Kellnerinnen, Hausburſchen — ver⸗ 

Welchem Beruf gehören die im Jahr 1910 mutlich ein großer Teil der an erſter Stelle ge: 
gezählten 8864 Perſonen an? Hierüber gibt nach⸗ nannten Gewerbegehilfen —, ferner Haufierer, 
ſtehende Ueberſicht Aufſchluß: Agenten, Unterhändler, Geſchäftsreiſende, Muſiker 


ie 191 f treten im Verhältnis zu ihrem Anteil an der 
—!. Berufsbevölkerung nicht unerheblich hervor. 


nicht fehl gehen, daß der größte Teil in der Land- 1—2 Jahre, 236 auf Ye bis 1 Jahr, bei 328 
wirtſchaft und bei Erdarbeiten beſchaͤftigt war. war die Dauer zwiſchen 3 und 6 Monaten; bei 
Rechnet man zu dieſer Gruppe noch die landwirt— der Mehrzahl der Fälle (2812) wurde auf 1 Woche 


ne ze . | Ueber die übrigen perſönlichen Verhältniffe ſei 
Berufsgruppe int in % = folgendes erwähnt: En das we — Ge⸗ 
Gewerbegebilfn. 42494287 ſchlecht unter den Alkoholikerverbrechern nur 
Taglöbner, e . 4.1350 15 2 äußerſt ſchwach vertreten iſt (im ganzen 28) liegt 
Landwirtſchaftliche Dienſtboten . . 1330 15,0 in der Natur der Sache begründet. Dem Alters⸗ 
Akkordarbeiter, Transportarbeiter, Berg⸗ | aufbau der Verurteilten wurde bei der Material⸗ 
e VV 05 01 verarbeitung nur inſofern Rechnung getragen, als 
Bauern J 558 6,3 die strafrechtlich bedeutſame Grenze von 18 Jahren 
Selbſtändige Gewerbetreibende . . . . 547 6,2 ausgeſchieden wurde. Es wurden 166 Jugend⸗ 
Gütler, Söldner 284 3.2 liche — d. i. 1,9 ¾ aller Verurteilten — gezählt. 
Dienſtboten (ohne landwirtſchaftliche). . | 133 1.5 Was den Familienſtand betrifft ſo waren 
Hauſierer N ee 08 ı 5. en it i 
Angehörige anderer Berufe außer den „ (5915) ledig, ½ (2925) verheiratet oder ver: 
folgenden 61) 0,7 witwet und 24 geſchieden. Der hohe Prozentſatz 
5 . > 95 der Ledigen deutet darauf hin, daß die meiſten 
Artisten, Mufifer u. dgl.. 9 41 05 Trinkerverbrecher noch in jüngeren Jahren ſtehen. 
Staats⸗ und Gemeindebeamte .. . 39 04 Der Staatsangehörigkeit nach waren 
Selbitändige Kaufleute. . . 37 0% 95,9 % Bayern. 
. e 19 0,2 Von beſonderem Intereſſe iſt die Schwere 
ee e eee Ban 3 05. der infolge unmäßigen Alkoholgenuſſes begangenen 
1886 100% Delikte. Einen kurzen Einblick hierin gewährt 
Mehr als “ der Perſonen, die unter dem die Tatſache, daß 871 oder 9,8 %% der Täter vor 
Einfluß des Alkohols ein Delikt begingen, ſind dem Land- oder Schwurgericht, die übrigen 7993 
demnach Gewerbegehilfen. Mit dieſer Bezeichnung oder 90,2% vor dem Schöffengericht oder Amts: 
wird allerdings mehr eine ſoziale Schichte inner- gericht abgeurteilt wurden. Genauere Details 
halb der Berufsabteilung „Gewerbe“ als ein be- hierüber gibt die Ueberſicht der ausgeſprochenen 
ſtimmter Beruf bezeichnet. Doch ließen die Ein- Strafen: Es wurden 17 Verweiſe, 6 Haftſtrafen 
träge auf den Zählkarten eine weitere berufliche | und 3492 Geldſtrafen erteilt. Auf Zuchthaus: 
Unterſcheidung nicht zu. Aehnlich iſt es bei der ſtrafe wurde 31 mal erkannt (München 1 8, Kaiſers⸗ 
zweiten Gruppe: Taglöhner und Gelegenheits- lautern 4, Nürnberg 4). Von den 5315 Ge: 
arbeiter. Hier wird man aber mit der Annahme fängnisſtrafen lauteten 35 auf über 2, 103 auf 
| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


bis 3 Monate erkannt. 1801 mal betrug die Ge⸗ 
fängnisſtrafe bis zu 1 Woche. 

Der § 51 StGB. (ein die freie Willens⸗ 
beſtimmung ausſchließender Zuſtand der Bewußt⸗ 
loſigkeit, alſo finnloje Trunkenheit) wurde in 150 
Fällen angewendet. In der Hälfte dieſer Falle 
wurde von der Anklagebehörde das Verfahren 
eingeſtellt. 

Wie geſtaltet ſich die geographiſche 
Verteilung der Alkoholdelikte und der 
bierwegen beſtraften Perſonen in Bayern? 
Ueber dieſe Frage belehrt die dieſem Heft beige⸗ 
gebene kartographiſche Darſtellung und 
nachſtehende Ueberſicht; erſtere iſt in der Weiſe 
angelegt, daß für jeden Landgerichtsbezirk berechnet 
wurde, wieviel ſtrafmündige Zivilperſonen (nach 
dem Stand vom 1. Dezember 1910) auf einen 
Verurteilten treffen. Sodann wurden die Bezirke 
in Gruppen zuſammengefaßt, die im einzelnen 
aus der der Karte beigedruckten Farbenſkala er⸗ 


ſichtlich ſind. Es iſt alſo ein Bezirk umſo gün⸗ 


ſtiger, je mehr Einwohner auf einen Verurteilten 
entfallen. 


5 


8 2 Von den Ver⸗ 

E 2 se |e ur teilten 

. 23 3 83 S „ wobnten 
22 28 S328 E In Gemeinden 
22 S8 3 88 32. 
Gerichtsbezirk 3 58 8 2 S3 3 8 2885 28 

S 3 G S 88 8 2 
= 8 2 8 2 "= 12 

„ (ES SE 

2 | SE Einwohnern 

= 05 14 0 

38 2 


| 


OLG. München 2697 61 257200 1 | 82,9 
davon 
LG. München I | 516 8 58 458 8 256,2 
LG. MünchenII ] 550 11 19 531 3,4 | 96,6 
LG. Landshut 411 20 460 365 351] 6,3 93,7 
OLG. Zweibrücken 1238 16 12301115 513 32,8 67,2 
davon 
LG. Landau 133 3 10 123 864 9,8 90,2 
OLG. Bamberg 1256 40 1061150 753 26,2 73,8 
davon 
LG. Würzburg] 204 4 2 202 928 34,3 65,7 
LG. Aſchaffenbd. 152 9 12 140 871 21,7 78,3 
OLG. Nürnberg 2079 52 2861793 512 32,0 68,0 
davon 
LG. Nürnberg | 698 22 60 638 499 64,0 36,0 
LG. Fürth 257 9 15 242 592 45,5 | 54,5 
LG., Weiden 341 4 29 312 365 2,1 97,9 
OLG. Augsburg 1594 21 99 1495| 494 16,4 83,6 
davon | 
LG. Augsburg | 439| 2 20 ie 538 40,8 59,2 
LG. Neub a. D.] 405 3 21 384 352 — 100 
Königreich J 8864190 8717998 550 24,0 76,0 


Es fällt zunächſt auf, daß München, das wegen 
ſeiner Bierinduſtrie nicht nur in unſerm engeren 
Vaterland, ſondern weit über deſſen Grenzen 
hinaus einen Ruf hat, ſich unter der zweitbeſten 
Gruppe (900 - 1000 ſtrafmündige Zivilbewohner 
auf 1 Verurteilten) befindet. Dies beſtaͤtigt die 
bereits oben erwähnte Tatſache, daß mit den 
Zahlen der Biererzeugung und des Verbrauchs 
allein und mit der Kopfteilberechnung für die 


479 


Alkoholfrage und ihre Beziehung zur Kriminalität 
nicht viel gewonnen iſt. 

Als Urſache des günſtigen Standes des Bezirks 
München I mag beſonders noch hervorgehoben 
werden, daß der in⸗ und aualändiſche Bierverſand 
hier eine große Rolle ſpielt und daß in der ver⸗ 
ſchiedenen Stärke des Bieres ein für die Krimi⸗ 
nalitätsziffer ſehr wichtiges Unterſcheidungsmerkmal 
zu ſuchen iſt. Auch die teuere Lebenshaltung in 
der Stadt im Vergleich zum Land wirkt auf den 
übermäßigen Bierverbrauch einſchränkend ein. 
Ferner mag hier der Umſtand mit hereinſpielen, 
daß in der Großſtadt mehr wie auf dem flachen 
Land Sport getrieben wird, der bekanntlich ein 
wirkſames Bekämpfungsmittel gegen den Alkohol⸗ 
erzeß geworden iſt. Innerhalb des Bezirkes 
Münden find die in der Stadt begangenen De: 
likte verhältnismäßig weit zahlreicher als in den 
umliegenden kleinen Orten. 

Auch abgeſehen von München iſt ein Paral⸗ 
lelismus zwiſchen Standort der Erzeugung) und 
den vom Alkohol verurſachten Verbrechen mit 
einiger Regelmäßigkeit nicht zu erkennen. Da, 
wo das meiſte Bier erzeugt wird, iſt keineswegs 
immer die Zahl der wegen Trinkerdelikten Ver⸗ 
urteilten am höchſten. Es greift eben hier unſer 
heutiges Güterverkehrsweſen ausgleichend ein. Wie 
die Karte zeigt, wurde im Vergleich zur Bevölke⸗ 
rungsdichte am meiſten in den Landgerichtsbezirken 
Landshut, Regensburg, Paſſau, Deggendorf, dann 
auch in der Gegend von Neuburg a. D. und 
Weiden in der Trunkenheit geſündigt. Die zweit⸗ 
größte Zahl von Verurteilten iſt im jüdlichen und 
ſüdöſtlichen Teil von Oberbayern, dann in den Be⸗ 
zirken Memmingen, Bayreuth und Nürnberg und 
im größten Teil der Pfalz zu ſuchen. Zwiſchen 500 
und 600 Einwohner entfallen auf einen Ver⸗ 
urteilten im Bezirk Augsburg, Eichſtätt und Fürth. 
Sehr günſtig ſind die für das nördlichſte Bayern 
und die Nordweſtecke ſowie für den Bezirk Landau 
(Pfalz) berechneten Verhältniszahlen. Am wenigſten 
Verurteilungen kamen vor im Landgerichtsbezirk 
Ansbach. 

Was die Gliederung der beſtraften Perſonen 
nach Stadt und Land betrifft, ſo läßt ſchon 
die Ausſcheidung nach Gemeinden bis zu 10 000 
und über 10 000 Einwohner erkennen, daß in 
erſteren die Trinkerdelikte ungefähr 3 mal jo häufig 
ſind wie in größeren Städten. Wollte man die 
Scheidung ſchon bei Gemeinden mit 2000 Seelen 
treffen, ſo wäre der 3 wahrſcheinlich noch 
viel augenfälliger. In vorſtehender Ueberſicht ſind 
die Vergleichsziffern nach dem Wohnort des Täters, 
nicht nach dem Tatort aufgeſtellt worden, doch 


1) Die Steuerſtatiſtik (Amtsbl. der Generaldirektion 
der Zölle und indirekten Steuern) läßt nach Hauptzoll⸗ 
amtsbezirken nur die Erzeugung. nicht auch den Ver⸗ 
brauch an Ort und Stelle erkennen. Eine örtliche 
Gliederung des Wein- und Schnapsverbrauchs iſt en 
falls nicht möglich. 


480 


dürften dieſe beiden namentlich bei den hier in 
Betracht kommenden Angaben in den meiſten 
Fällen zufammenfallen. Die oben angeführte 
Tatſache der überwiegenden ländlichen Kriminalität 
verwandelt ſich in das Gegenteil in großen Städten 
wie München und Nürnberg. Aber ſchon bei 
Augsburg, Würzburg, Fürth uſw. ſchlägt die 
Prozentziffer allmählich wieder in das erſtere Ver⸗ 
haͤltnis um. N 

Wie die beſprochenen Ergebniſſe zeigen, iſt der 
erſte Verſuch, den Einfluß des Alkohols auf die 
Verbrechenshäufigkeit ſtatiſtiſch zu erfaſſen, als 
wohl gelungen zu bezeichnen. Wenn auch den 
Kennern der Verhältniffe, den Strafrichtern, die 
Erhebung in manchen Punkten nur beſtätigte, 
was ſie aus der Praxis bereits wußten, ſo waren 
doch die wenigſten von ihnen imſtande, mit einiger 
Sicherheit anzugeben, in welchem Grade, in welchem 
Umfang dieſe oder jene Erſcheinung hervortritt. 
Die Statiſtik hat alſo auch aus dieſem Geſichts⸗ 
punkt ihre Berechtigung. Abgeſehen hiervon haben 
aber die Ermittelungen eine Reihe von über⸗ 
raſchenden Ergebniſſen zutage gefördert, die für 
die kriminal⸗ und moralſtatiſtiſche Forſchung von 
hoher Bedeutung ſind. Wir dürfen daher der 
vom Juſtizminiſterium geplanten Fortſetzung der 
Erhebung für die nächſten Jahre mit Spannung 
entgegenſehen. 


Die Strafvorſchriften der Keichsverſicherungs⸗ 


ordnung. 
Von Amtsrichter Dr. Dürr in München. 


(Schluß.) 

III. Strafvorſchriften, die mit der Regelung 
der Beitragsentrichtung zuſammenhängen. 

1. Vorſchrifſten für die Krankenverſicherung. 

a. Entſprechend dem 882 KrankVerſG. werden 
nach $ 532 RO. Arbeitgeber beſtraft, die vor: 
ſätzlich den Beſchaͤftigten höhere als die geſetzlich 
zuläſſigen Beitragsteile vom Entgelt abziehen oder, 
nachdem ſie ſich im Zwangsbeitreibungsverfahren 
als zahlungsunfähig erwieſen haben, unterlaſſen 
die vorgeſchriebenen Abzüge zu machen und binnen 
drei Tagen an die berechtigte Kaſſe abzuführen. 
Den Arbeitgebern ſind aber in § 532 die Auf: 
traggeber von Hausgewerbtreibenden gleichgeſtellt, 
ſoweit ſie auch die Beiträge der Hausgewerbe— 
treibenden einzahlen (8 486). Ferner enthält 
§ 532 zwei neue ſtrafrechtliche Tatbeſtaͤnde: Wenn 
Arbeitgeber und im Falle des § 486 Auftrag— 
geber mit Abführung der Beiträge rückſtändig ſind 
und ſich in einem Zwangsbeitreibungsverfahren 
als zahlungsunfaͤhig erwieſen haben, ſo kann das 
Verſicherungsamt widerruflich anordnen, daß ſie 
nur ihren Beitragsteil einzahlen ($ 398). Wenn 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


—̃ -— . —ͤ — 


— 2. 


dann doch Arbeitgeber oder Auſtraggeber den 
Beſchaftigten Abzüge machen oder Arbeitgeber 
unterlaſſen, die Anordnung durch dauernden Aus⸗ 
hang in den Arbeitsſtätten den Beſchaͤftigten 
bekanntzumachen und dieſe bei jeder Lohnzahlung 
darauf binzumeifen, daß ſie ihren Beitragsteil 
ſelbſt einzahlen müſſen, ſo erfolgt auch Beſtrafung 
aus $ 532. 

b) Nach S 533 werden Arbeitgeber und Auf: 
traggeber beitraft, wenn fie Beitragsteile, die fie 
den Beſchäftigten einbehalten oder von ihnen er⸗ 
halten haben, der berechtigten Kaſſe vorſätzlich vor⸗ 
enthalten. Drei Erweiterungen weiſt § 533 gegen: 
über ſeinem Vorbilde, dem 8 82 b KrankVerſG., 
auf: Einbezogen ſind auch die Auftraggeber. Ein⸗ 
bezogen iſt der Fall, daß die Arbeitgeber oder 
Auftraggeber der berechtigten Kaffe Beitragsteile 
vorenthalten, die fie von den Beſchäftigten er: 
halten haben. Das vorſätzliche Handeln iſt ſtraf⸗ 
bar, auch wenn es nicht in der Abſicht geſchieht, 
ſich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Ver⸗ 
mögensvorteil zu verſchaffen oder die berechtigte 
Krankenkaſſe zu ſchädigen. 

c) Neu iſt die Vorſchrift des 8 493. Sie 
ermächtigt den Bundesrat, über die Heranziehung 
inländiſcher Auftraggeber ausländiſcher Hausge⸗ 
werbtreibender zu Zahlungen für die hausgewerb— 
liche Krankenverſicherung Beſtimmungen zu treffen 
und Zuwiderhandlungen dagegen mit Strafe zu 
bedrohen. 

2. Vorſchriften für die Unfallverſicherung. 

a) Die Unfallverſicherungsgeſetze drohen Unter⸗ 
nehmern und deren Angeſtellten, das SeellVerſG. 
auch Mitreedern, Schiffsführern und deren Ange⸗ 
ſtellten Straſe an, wenn fie Beiträge zur Unfall: 
verſicherung den Verſicherten auf den Lohn an⸗ 
rechnen oder eine ſolche Anrechnung wiſſentlich 
bewirken. (GewllVerſG. 8 141 Abſ. 3, Baull⸗ 
VerſG. § 45 Abſ. 2, LwluVerſG. § 152 Abi. 3, 
Seell VerſG. § 139 Abſ. 3). Die RO. über: 
nimmt dieſe Vorſchriften in 8 911 mit SS 1045 
und 1224, erſetzt nur das Wort „Lohn“ durch 
den weitergehenden Ausdruck „Entgelt“ (Begriff 
35 160 RVO.) und nennt neben den Beiträgen 
die Prämien, die nach § 731 Abſ. 3 bei den 
Zweiganſtalten für Bauarbeiten und bei den Zweig— 
anſtalten oder Verſicherungsgenoſſenſchaften für 
Halten von Reittieren oder Fahrzeugen ($ 629) 
erhoben werden. 

b) Wenn Unternehmer eines gewerblichen Bau— 
betriebs mit Zahlung der Beiträge rückſtändig ge— 


blieben find und ſich in einem Zwangsbeitreibungs— 


verfahren als zahlungsunfähig erwieſen haben, 
ſo kann das Verſicherungsamt widerruflich an— 
ordnen, daß der Bauherr und der Zwiſchenunter— 
nehmer für die Beiträge während eines Jahres 
nach deren endgültiger Feſtſtellung inſoweit haften, 
als ſie nach Erlaß der Anordnung erwachſen ſind 
(5 765). Von der Anordnung hat der Unter: 
nehmer dem Auftraggeber unverzüglich ſchriftlich 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 481 


Anzeige zu machen. Uebernimmt er einen bau⸗ 
gewerblichen Auftrag, ſo hat er die Anzeige vorher 
zu erſtatten. Zwiſchenunternehmer haben von der 
Anzeige unverzüglich ihrem Auftraggeber ſchriftlich 
Kenntnis zu geben (8 767 Abſ. 1). Vorſätzliche 
und fahrläſſige Zuwiderhandlung gegen dieſe Vor⸗ 
ſchriften wird, wenn ſie zu einer Schädigung des 
Auftraggebers führt, nach $ 767 Abſ. 2 beſtraft. 

Die 88 765 und 767 gelten nach § 771 
entſprechend für gewerbliche Fuhrwerks⸗, Binnen⸗ 
ſchiffahrts⸗ und Binnenfiſchereibetriebe. Dabei tritt 
an die Stelle des Bauherrn und des Auftrag⸗ 
gebers der Eigentümer der Betriebsmittel. 

Aehnliche Vorſchriften enthalten 8 104 
GewlluVerſ. und 8 39 BaullVerG. Doch iſt 
fel nur vorſätzliches Handeln unter Strafe ge⸗ 
tellt. 

3. Vorſchriften für die Invaliden⸗ und Hinter⸗ 
bliebenenverſicherung. 

a) Der 8 1488 ſieht ähnlich wie 8176 Inv Verſch. 
die Möglichkeit der Beſtrafung vor, wenn Arbeit⸗ 
geber es unterlaſſen, 

a) rechtzeitig für ihre verſicherungspflichtig 
Beſchäftigten die richtigen Marken zu verwenden 
oder die Beiträge abzuführen, 

8) bei Beſchaftigung von Ausländern, die 
nach $ 1233 Abſ. 1 verſicherungsfrei find, nach 
Anordnung des Reichsverſicherungsamts ſo viel 
an die Verſicherungsanſtalt zu zahlen, wie ſie 
ſonſt aus eigenen Mitteln zahlen müßten. 

Der Strafausſchließungsgrund des 8 176 
Abſ. 1 Satz 2 InxVerſG. iſt nicht in § 1488 
RVO. übernommen. 

b) Arbeitgeber und Angeſtellte, die vorſätzlich 
den Beſchäftigten höhere als die geſetzlich zuläſſigen 
Beiträge vom Lohne abziehen, unterliegen der 
Beſtrafung aus § 1490 Nr. 1 und 4. Nach 8 1490 
Nr. 2 und 3 werden Arbeitgeber, gegen die das 
Verſicherungsamt eine Anordnung nach 8 398 er: 
laſſen hat (oben Nr. III 1 a), beſtraſt, 

a) bei Entrichtung der Beiträge in Marken, 
wenn ſie für eine Zeit Lohnabzüge machen, für 
die ſie die geſchuldeten Beiträge nicht nachweislich 
ſchon entrichtet haben. 

5) beim Einzugsverfahren, wenn fie Lohn: 
abzüge machen. 

8 1490 Nr. 1—4 gibt in der Hauptſache den 
Inhalt des $ 181 Nr. 1 und 2 Inv VerſG. wieder. 
Eine Aenderung ohne große praktiſche Bedeutung 
beſteht darin, daß die Nr. 1 und 4 des § 1490 
RWO. vorſätzliches Handeln, dagegen die ent⸗ 
ſprechenden Vorſchriften des § 181 InvBerj®. 
3 in rechtswidriger Abſicht unter Strafe 
tellen. 

c) Nach § 1492 werden Arbeitgeber beſtraft, 
wenn ſie vorſätzlich Beitragsteile, die ſie den Be— 
ſchäftigten vom Lohne abgezogen oder von ihnen 
erhalten haben, nicht für die Verſicherung ver: 
wenden. Der § 1492 füllt wie $ 533 (oben 


Nr. III I b) eine Lücke des geltenden Rechtes 


aus, indem er abweichend von $ 182 Abi. 1 
InvVerſG., dem er fonſt entſpricht, auch die Fälle 
berückſichtigt, in denen der Arbeitgeber Beitrags: 
teile von den Beſchaͤftigten erhalten hat. 

d) Verſickerte werden nach $ 1491 beſtraft, 
wenn ſie vorſäaͤtzlich für ſelbſtentrichtete Beitrage 
vom Arbeitgeber mehr als zuläſſig oder von 
mehreren Arbeitgebern den vollen Beitragsteil für 
dieſelbe Woche fordern oder den erhobenen Betrag 
nicht zur Entrichtung der Beiträge verwenden oder 
die Beitragsteile erheben, ohne daß von ihnen 
die vollen Beiträge entrichtet ſind. § 1491 bringt 
keine Aenderung ae dem geltenden Rechte 
(InvVerſG. § 181 Nr. 3). 

e) Die Ouittungslacten find Gegenſtand der 
Strafvorſchriften in 8 1490 Nr. 5 und in $ 1495. 

Nach 81490 Nr. 5 macht ſich wie nach $ 181 
Nr. 4 InvVerſG. ſtrafbar, wer eine Quittungs⸗ 
karte dem Berechtigten widerrechtlich vorenthält. 


Wer. Quittungskarten mit unzuläffigen Ein⸗ 
tragungen oder mit beſonderen Merkmalen ver⸗ 
ſieht, ferner wer in Quittungskarten den Vor⸗ 
druck fälſchlich ausfüllt oder die zur Ausfüllung 
des Vordrucks eingetragenen Worte oder Zahlen 
verfälſcht oder wiſſentlich eine ſolche Karte ge⸗ 
braucht, kann vom Verſicherungsamt beſtraft 
werden ($ 1495 Abſ. 1 und 2). Die Zuſtändig⸗ 
keit der Gerichte tritt aber ein, wenn die Ein⸗ 
tragungen, Merkmale oder Fälſchungen in der 
Abſicht gemacht werden, den Inhaber der Quittungs⸗ 
karte Arbeitgebern gegenüber kenntlich zu machen 
(8 1495 Abſ. 3). Eine Verfolgung wegen Ur: 
kundenfälſchung (StGB. §§ 267, 268) tritt nur 
gegen Perſonen ein, welche die Faͤlſchung in der 
Abſicht begangen haben, ſich oder anderen einen 
Vermögensvorteil zu verſchaffen oder anderen einen 
Schaden zuzufügen (8 1495 Abſ. 4). Dieſe Bor: 
ſchriften ſtimmen ſachlich faſt vollſtändig mit denen 
des 8 184 InvVerſG. überein. Eine Neuerung 
iſt nur inſofern gegeben, als $ 1495 RVO. auch 
das fälſchliche Ausfüllen des Vordrucks von Quit⸗ 
tungskarten unter Strafe ſtellt. Die Faſſung 
des Abſ. 2 des 8 184 InvVerſG.: „Sind die 
Eintragungen . . . . in der Abſicht gemacht worden, 
den Inhaber der Quittungskarte anderen Ar⸗ 
beitgebern gegenüber zu kennzeichnen“, gab zu 
Zweifeln Anlaß, ob die Vorſchriſt ſich nicht nur 
gegen den Arbeitgeber richte, der die Quittungskarte 
in rechtmäßigem Beſitze hat. Die Streichung des 
Wortes „anderen“ beſeitigt dieſe Zweifel. 

Hier iſt noch $ 1416 Abſ. 2 zu erwähnen. 
Er ermächtigt wie $ 132 Abſ. 1 Satz 3 Inv VerſG. 
den Bundesrat, für die Selbſtverſicherung und 
ihre Fortſetzung beſondere Quittungskarten vor— 
zuſchreiben und die unbefugte Verwendung anderer 
mit Strafe zu bedrohen. 


f) Dem Schutze der Verſicherungsmarken dienen 


| die 83 1496 —1449 und § 1431 Satz 3. 


Die 88 1496 und 1497 bedrohen mit Strafe, 


482 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


a) wer Marken fälſchlich anfertigt oder ver⸗ verantwortlich erklärt wurden, für jede Nachläſſig⸗ 
fälſcht, um fie als echte zu verwenden, oder wer keit Strafen androhen. Dies deckt fi im all: 
zu demſelben Zwecke falſche Marken ſich verſchafft, gemeinen mit dem geltenden Rechte (Gewll VerſG. 
verwendet, feilhält oder in Verkehr bringt. 8 112, BaullVerſG. 8 40, LwlVerſG. § 120, 

6) wer wiſſentlich bereits verwendete Marken SeellVerſG. 8 118). Eine Neuerung iſt nur, 
wieder verwendet oder zur Wiederverwendung ſich daß auch im Bereiche der Seeunfallverficherung 


verſchafft, feilhält oder in Verkehr bringt. die Verſicherten unter Strafe geſtellt werden können. 
8 1498 ſchreibt für beide Fälle die Einziehung Doch iſt hier die beſondere Beſtimmung getroffen 
der Marken vor. (S 1201 Satz 2), daß die Verſicherten ſtraſlos 


8 1499 ſtellt Vorbereitungshandlungen zur bleiben, wenn fie den Unfallverhütungsvorſchriften 
Fälſchung von Marken unter Strafe. Der Be: in Ausführung eines Befehls ihres Vorgeſetzten 
ſtrafung daraus unterliegt, wer ohne ſchriftlichen zuwidergehandelt haben. 

Auftrag einer Verſicherungsanſtalt oder einer Be⸗ 4. Erwachſen einer Berufsgenoſſenſchaft durch 
hörde Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere | Pflichtverſäumnis eines Unternehmers bare Aus: 
Formen, die zur Herſtellung von Marken dienen lagen für die Ueberwachung ſeines Betriebs oder 
können, oder Abdrücke ſolcher Formen anfertigt, für die Prüfung ſeiner Bücher und Liſten, ſo kann 
ſich verſchafft oder einem anderen als der Ber: ihn der Vorſtand hierwegen in Strafe nehmen 
ſicherungsanſtalt oder der Behörde überläßt. (SS 887, 891, 1030, 1217). 8 124 Gew VerſG.. 

Von den entſprechenden Vorſchriften des 8 40 BaullVerſG., 8 130 LwllVerſG. und 8 126 
InvVerſG. (SF 187 und 188) unterſcheiden fi) | SeellVerſG. geben den Vorſtänden der Berufs: 
die 88 1496 — 1499 RVO. in der Hauptſache genoſſenſchaften die gleiche Befugnis. 
nur dadurch, daß ſie die Begehungsformen zweck⸗ 5. Den Berufsgenoſſenſchaften wurde ſchon 
mäßiger und erſchöpfender aufzählen. Ferner iſt bisher auf Grund des ihnen als öffentlich- rechtlichen 
Vorausſetzung der Beſtrafung aus 8 1497 RVO., Körperſchaften verliehenen Selbſtverwaltungsrechts 
daß der Täter die ſchon erfolgte Verwendung der das Recht zugeſtanden, durch die Satzung mäßige 
Marken kennt. Darin liegt eine kleine Ein⸗ Geldſtrafen anzudrohen. Die 88 680, 973 und 
ſchränkung des Tatbeſtandes gegenüber 8 187 | 1144 räumen nun den Berufsgenoſſenſchaften aus⸗ 
Abſ. 2 InvVerſ. Denn dieſer ſieht auch die drücklich das Recht ein, in der Satzung den Vor⸗ 
Möglichkeit vor, die Schuld des Täters dahin ſtand zu ermächtigen, daß er gegen Unternehmer, 
feſtzuſtellen, daß er den Umſtänden nach annehmen die ihren ſatzungsmaͤßigen Pflichten zuwiderhandeln, 
mußte, die Marken ſeien ſchon verwendet worden. Geldſtrafen bis zu 25 M verhängt. 

Zuwiderhandlungen gegen die Vorſchriſten über 6. Eine Sondervorſchrift für die Seeunfall⸗ 
die Entwertung der Marken kann der Bundesrat verſicherung enthält in Uebereinſtimmung mit 8 144 
mit Strafe bedrohen (8 1431 Satz 3, welcher Abi. 2 SeellVerſG. der 8 1767 RVO. Danach 
dem § 141 Abſ. 3 und 4 Inv VerſG. entſpricht). kann beſtraft werden, wer die ihm nach 88 1746 

IV. Strafvorſchriften verſchiedenen Inhalts. bis 1766 obliegende Pflicht verletzt, zur Feſt⸗ 

1. Nach § 140 mit 88 139, 479 Abſ. 2 und ſtellung von Unfällen und der Entſchädigungen 
1225 werden Arbeitgeber, Auftraggeber, Mit: | dafür mitzuwirken. 
reeder, Schiffsführer und ihre Angeſtellten be: 7. Die Beſtrafung von Zeugen und Sachver⸗ 
ſtraft, wenn fie durch Uebereinkunft oder Arbeits- ſtändigen, die ſich nicht einfinden oder ihre Aus: 
ordnung die Anwendung der Vorſchriften der ſage oder die Eidesleiſtung ungerechtfertigt ver⸗ 
RVO. ganz oder teilweiſe zum Nachteile der weigern, richtet ſich, wenn um die Vernehmung 
Verſicherten ausſchließen. Die Vorſchriſt iſt aus ein Richter erſucht iſt, nach den Vorſchriften der 
dem geltenden Rechte übernommen (vgl. 88 80, 3 pO., im übrigen nach § 1577 (88 1574, 1617 
82 Krank VerſG., $ 141 GewllVerſG., § 45 Abi. 2 | Abi. 1, 1626 Abſ. 1, 1628 Abſ. 2, 1652 Abſ. 3, 
BaullVerſG.,§S 152 LwüUVerſG.,§ 139 Seell VerſG., | 1679 Abſ. 1, 1698 Abſ. 1, 1701 Abſ. 1, 1736 
$ 180 InvVerſG.), aber auf die Auftraggeber Abſ. 3, 1740 Abſ. 3, 1771, 1789). 
ausgedehnt. | 1 

2. Verſicherte, welche die Krankenordnung oder Allgemein iſt noch zu bemerken: 
die Anordnungen des behandelnden Arztes über— 1. Den gegen Unternehmer, Mitreeder und 
treten, verfallen der Strafe des 8 529. Eine ſonſtige Arbeitgeber gerichteten Strafvorſchriften 
entsprechende Vorſchrift enthält 8 26 a Abſ. 2 der RVO. unterliegen nach 8$ 536, 680, 912, 
Nr. 2a KrankVerſG. 973, 1045, 1144, 1222, 1493 und 1581 Abſ. 4 

3. Die Berufsgenoſſenſchaften dürfen nach in der Hauptſache auch 
53 851, 891, 1030 und 1201 Zuwiderhandlungen a) die Mitglieder des Vorſtandes einer Aktien⸗ 
ihrer Mitglieder und der Verſicherten gegen ihre geſellſchaft, eines Verſicherungsvereins auf Gegen— 
Unfallverhütungsvorſchriſten mit Geldſtrafen be- ſeitigkeit, einer eingetragenen Genoſſenſchaft, einer 
drohen, die Seeberufsgenoſſenſchaft nach $ 1202 Innung oder einer anderen juriſtiſchen Perſon, 
auch den Schiffsführern, wenn dieſe neben den b) die Geſchäftsführer einer Geſellſchaft mit 
Reedern ſür die Befolgung der Vorſchriften beſchränkter Haftung, 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


in Bayern. 1911. Nr. 24. 


— .. bei 
u nn nr gen mn an nm nommen — — 


e) die perſönlich haftenden Geſellſchafter einer 
Handelsgeſellſchaft, ſoweit ſie von der Vertretung 
nicht ausgeſchloſſen ſind, 

d) die geſetzlichen Vertreter geſchäſtsunfähiger 
oder beſchränkt geſchäftsfähiger Arbeitgeber, ſowie 
die Liquidatoren einer Handelsgeſellſchaft, eines 
Verficherungsvereins auf Gegenſeitigkeit, einer ein⸗ 
getragenen Genoſſenſchaft, einer Innung oder einer 
anderen juriſtiſchen Perſon. 

2. Die Unternehmer und ſonſtigen Arbeitgeber 
dürfen die Pflichten, die ihnen auf anderen Gebieten 
als auf dem der Seeunfallverfiherung die RVO. 
und die Satzungen auferlegen, Betriebsleitern und, 
ſoweit es ſich nicht um Einrichtungen auf Grund von 
Unfallverhütungsvorſchriften handelt, auch Aufſichts⸗ 
perſonen oder anderen Angeſtellten ihrer Betriebe 
übertragen. 

Handeln ſolche Stellvertreter den Pflichten zu⸗ 
wider, ſo trifft ſie die Strafe. Neben ihnen ſind 
die Unternehmer oder ſonſtigen Arbeitgeber ſtraf⸗ 
bar, wenn 

a) die Zuwiderhandlung mit ihrem Wiſſen 
geſchehen iſt, | 

b) fie bei der Auswahl oder Beaufſichtigung 
der Stellvertreter nicht die im Verkehr erforderliche 
Sorgfalt beobachtet haben (88 534, 913, 1045, 
7 vgl. auch $ 1556 Abſ. 2 und 8 1581 

bſ. 4 | 


3. Die Straſvorſchriften finden nach 88 894, 
1033 und 1218 großenteils keine Anwendung, 
wenn das Reich, ein Bundesſtaat, ein Gemeinde⸗ 
verband, eine Gemeinde oder eine andere öffent⸗ 
liche Körperſchaft Verſicherungsträger iſt. 


Aus der Praxis der Gerichte. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


Muß die Formvorſchrift des 8 313 BGB. be: 
obachtet werden, wenn ſich jemand verpflichtet, für 
einen anderen Grundſtücke nach außen hin im eigenen 
Namen zu kaufen? Auſpruch auf Erſatz von Ber: 
wendungen und Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem 
Anſpruch auf Berichtigung des Grundbuchs. Die Mutter 
der Kläger erwarb am 3. Auguſt 1900 ein Grundſtück 
in H. und am 15. September 1905 zwei Grundſtücke 
in R. Durch notariellen Vertrag vom 17. Januar 1908 
übertrug ſie dieſen Grundbeſitz ihrem Sohn M. O., dem 
Beklagten, und am 27. März 1908 ließ ſie ihm die Grund⸗ 
ſtücke auf. Sie iſt geſtorben. Ihre anderen Kinder 
klagen mit dem Antrage, den Beklagten zu verurteilen, 
in die Berichtigung des Grundbuchs dahin zu willigen, 
daß als Eigentümer der drei Grundſtücke an ſeiner 
Stelle die Erben eingetragen werden. Der Ueber— 
laſſungsvertrag und die Auflaſſung vom 27. März 1908 
ſeien nichtig, weil die Mutter ſich damals in einem 
die freie Willensbeſtimmung ausſchließenden Zuſtande 
krankhafter Störung der Geiſtestätigkeit befunden habe. 
Der Beklagte wendete ein, er habe die Grundſtücke für 
ſich gekauft und mit ſeinem Gelde bezahlt; er habe 
damals zur See fahren wollen und deshalb mit ſeiner 


Mutter ausgemacht, daß dieſe als Eigentümerin der 
Grundſtücke eingetragen würde, ſie ſeien ſich aber einig 
geweſen, daß er der Eigentümer ſein ſollte. Ferner 
machte der Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht an dem 
Grundſtück in H. wegen Aufwendungen geltend. Die 
Vorinſtanzen gaben der Klage ſtatt. Die Reviſion 
hatte Erfolg. f 

Aus den Gründen: 1. Mit Unrecht verwirft 
der Berufungsrichter den Einwand des Beklagten, 
er habe mit ſeiner Mutter vereinbart, ſie ſolle ſich als 
Eigentümerin der Grundſtücke eintragen laſſen, er aber 
ſolle in Wirklichkeit der Eigentümer ſein, da er das 
Geld zum Ankaufe hergegeben habe. Er hält den 
Einwand für unerheblich, weil die Vereinbarung der 
Form des 8 313 Satz 1 BGB. bedurft hätte. Gegen⸗ 
ſtand der Vereinbarung war aber nicht die Verpflich⸗ 
tung der Mutter zur Uebertragung des Eigentums 
an den Grundſtücken, die ihr noch garnicht gehörten, 
ſondern die Uebernahme einer Geſchäftsbeſorgung; 
die Mutter ſollte die Grundſtücke zwar nach außen in 
eigenem Namen kaufen, aber im Verhältnis zum Be⸗ 
klagten für dieſen. Die Erteilung und die Annahme 
eines Auftrags zur Geſchäftsbeſorgung unterliegt der 
Formvorſchrift des 8 313 Satz 1 BGB. auch dann 
nicht, wenn die Geſchäftsbeſorgung für einen anderen 
auf den Erwerb von Grundeigentum gerichtet iſt und 
der Beauftragte das Grundeigentum zunächſt auf 
ſeinen Namen erwerben und ſodann auf den Auftrag⸗ 
geber übertragen ſoll. Denn mit dieſer Uebertragung 
wird nicht eine Pflicht zur Uebertragung von Eigen⸗ 
tum erfüllt, ſondern die aus der Geſchäftsbeſorgung 
nach SS 667, 675 BGB. ſich ergebende Verpflichtung 
zur Herausgabe des aus der Geſchäftsbeſorgung Er⸗ 
langten; und die Uebernahme einer Geſchaͤftsbeſor⸗ 
gung bedarf zu ihrer Wirkſamkeit keiner Form (RG. 
54, 75, 78; 62, 336; Gruchots Beitr. Bd. 52 S. 660). 
Demnach wäre die Vereinbarung verbindlich. Aller⸗ 
dings nicht deswegen, weil durch die Auflaſſung 
vom 27. März 1908 und die Eintragung des Be⸗ 
klagten als Eigentümer der Formmangel gemäß 
8 313 Satz 2 BGB. geheilt worden wäre; denn, 
da die Auflaſſung nach der Feſtſtellung des Berufungs⸗ 
richters nichtig war, konnte ſie die Vereinbarung 
nicht heilen. Wohl aber wäre die Vereinbarung 
bindend, weil ſie keiner Form bedurft hätte. Aus 
ihr aber würde gemäß $ 667 BGB. folgen, daß 
die Mutter der Parteien, nachdem ſie auf Grund der 
Auflaſſungen der Verkäufer als Eigentümerin einge⸗ 
tragen worden war, die Grundſtücke an den Beklagten 
herauszugeben und ihm das Eigentum daran zu ver— 
ſchaffen gehabt hätte (RG. Z. 54, 78), und daß daher 
die Kläger als Erben dem Beklagten, der bereits 
im Beſitze der Grundſtücke iſt, nun noch rechts⸗ 
gültig Auflaſſung zu erteilen und ſeine Eintragung 
als Eigentümer zu bewilligen hätten. Deshalb ſtünde 
dem Anſpruche der Kläger auf Bewilligung der Ein⸗ 
tragung der Erbengemeinſchaft an Stelle des Beklagten 
der Einwand der Argliſt entgegen, da fie vom Be⸗ 
klagten Verſchaffung des Bucheigentums verlangen, 
während fie der Eintragung des Beklagten als Eigen- 
tümer Wirkſamkeit zu verſchaffen hätten, ſo daß er 
wirklicher Eigentümer würde. N 

Das Recht zur Zurückbehaltung wegen des Erſatz⸗ 
anſpruches ergibt ſich aus S 273 Abſ. 2 BGB. Dieſe 
Vorſchrift fordert zunächſt,daß gegen denjenigen, der ein 
Zurückbehaltungsrecht geltend machen will, ein Anſpruch 
„auf Herausgabe eines Gegenſtandes“ erhoben worden 
iſt. Der Begriff des „Gegenſtandes“ iſt weiter als der 
einer, Sache“. Nach 8 90 BGB. find Sachen nur körper- 


liche“ Gegenſtände. Daraus folgt, daß auch Rechte im 


Sinne des BGB. Gegenſtände, nämlich „ unkörperliche“ 
Gegenſtände, ſind, wenigſtens ſofern ſie Objekt von 
Verfügungen und anderen Rechtsgeſchäften ſein können, 
ſie alſo Vermögensrechte find (vgl. RG. 62, 321). 
Ein ſolches Recht fol aber der Beklagte heraus. 


484 Zeitſchrift für Rechtspflege 
geben. Der Klaganſpruch auf Einwilligung in die 


Grundbuchberichtigung hat nicht, wie der Berufungs- 
richter meint, nur die Vornahme einer Handlung 
zum Gegenſtande. Vielmehr hat dieſes Verlangen 
nach dem damit in Verbindung zu ſetzenden Klage⸗ 
grunde zum Ziele, daß der Beklagte das im Grund⸗ 
buche für ihn gebuchte Eigentumsrecht zugunſten der 
Erbengemeinſchaſt aufgeben, alſo dieſes Buchrecht an 
die Erbengemeinſchaft herausgeben ſoll. Mithin iſt 
ein Anſpruch auf „Herausgabe eines Gegenſtandes“ 
gegen den Beklagten geltend gemacht worden (vgl. 
RG. 72, 66). Ferner iſt auch die Vorausſetzung 
des 8 273 Abſ. 2 gegeben, daß Verwendungen „auf 
den herausverlangten Gegenftand” gemacht worden 
ſind. Das Eigentumsrecht läßt ſich von dem Gegen⸗ 
ſtande, den es ergreift, rechtlich nicht trennen. 
Der Gegenſtand gibt dem Eigentumsrecht erſt ſeinen 
eigentlichen Inhalt. Wird er erweitert, ſo hat auch 
das Eigentumsrecht einen weiteren Umfang erlangt. 
Daher ſind Verwendungen auf den Gegenſtand auch 
Verwendungen zugunſten des Eigentumsrechtes. Ver⸗ 
wendungen auf das Grundſtück, auf deſſen Grundbuch⸗ 
blatt das Eigentum für den Beklagten gebucht iſt, 
find alſo zugleich Verwendungen auf das Eigentums⸗ 
recht, das der Beklagte an die Erbengemeinſchaft 
herausgeben ſoll. 

Ferner iſt der Erſatzanſpruch des Beklagten nach 
der ihm gegebenen Begründung auch fällig. Er findet 
in 8 670 oder in 8 683 BGB. feine Rechtfertigung. 
Die Vorſchrift des 8 1001 BGB., aus der der Bes 
rufungsrichter das Fehlen der Fälligkeit folgert, iſt 
ebenſowenig wie 8 1000 BGB. anwendbar. Vielmehr 
iſt die Vorſchrift des 8 271 Abſ. 1 BGB. maßgebend. 
wonach der Gläubiger die Leiſtung ſofort verlangen 
kann, wenn eine Zeit für die Leiſtung weder beſtimmt 
noch aus den Umſtänden zu entnehmen iſt. Danach 
konnte der Beklagte Vergütung für ſeine Verwendungen 
von der Mutter der Parteien ſofort verlangen, da 
hierfür eine Zeit weder beſtimmt noch aus den Um— 
ſtänden zu entnehmen war. Auch einer Mahnung 
bedurfte es zur Herbeiführung der Fälligkeit i. S. des 
8 273 Abſ. 2 BGB. nicht. Nur, um den Schuldner 
in Verzug zu ſetzen, iſt nach 8284 BGB. eine Mahnung 
erforderlich. Aber auch die Zurückbehaltungseinrede 
wegen der Hyvothekenzinſen iſt gerechtfertigt, und 
zwar nach 8 273 Abſ. 1 BGB. Der Berufungsricdter 
verneint das, weil nicht dargelegt fei, daß der Ans 
ſpruch auf Zinſen der Darlehenshypothek in irgend— 
welchem rechtlichen Zuſammenhange mit dem Klage— 
anſpruche ſtehe. Allein nach der ſtändigen Recht— 
ſprechung des Reichsgerichts, von der abzugehen kein 
Anlaß vorliegt, iſt das Erfordernis des 8273 Abſ. ! 
BGB., daß Anſpruch und Gegenanſpruch auf dem— 
ſelben rechtlichen Verhältnis beruhen, nicht dahin auf— 
zufaſſen, daß die Leiſtung und die Gegenleiſtung in 
einem ſich gegenſeitig bedingenden Verhältniſſe zu— 
einander ſtehen müſſen. Vielmehr kommt es darauf 
an, daß eine natürliche, gewollte oder als gewollt 
vorauszuſetzende Einheitlichkeit des Verhältniſſes und 
ein hierdurch bewirkter natürlicher Zuſammenhang 
der beiderſeitigen Anſprüche vorliegt, der es nicht 
minder wie die rechtliche gegenſeitige Bedingtheit als 
gegen Treu und Glauben verſtoßend erſcheinen läßt, 
wenn der eine Teil von dem anderen die Leiſtung 
verlangt, ſeine Gegenleiſtung aber nicht gewähren 
will (RG. 57, 5; 59, 202; 68, 34; 72, 65; Gruchots- 
Beitr. 51, 169). Ein ſolcher natürlicher Zuſammen— 
hang beſteht zwiſchen dem Klaganſpruch und dem 
Gegenanſoruch wegen der Hypothekenzinſen. Denn 
die Kläger machen geltend, daß die von ihrer Mutter 
dem Beklagten erteilte Auflaſſung des Grundſtücks in 
H. nichtig ſei, und nehmen das für den Beklagten im 
Grundbuch eingetragene Eigentum an dem Grundſtück 
mit dem Verlangen auf Bewilligung der Grundbuch— 
berichtigung zwar nicht für ſich allein, wohl aber als 


in Bayern. 1911. Nr. 24. 


———— 


Miterben der Mutter für die Erbengemeinſchaft in 
Anſpruch. Der Gegenanſpruch des Beklagten gründet 
ſich auf eine dasſelbe Grundſtück belaſtende Hypothek, 
auf Grund deren die Mutter und jetzt Erbengemein⸗ 
ſchaft die rückſtändigen Zinſen an den Beklagten zu 
entrichten haben. Demnach beſteht für den Beklagten 
ein Zurückbehaltungsrecht nach 8 273 Abſ. 1 BGB. 


auch wegen feiner Hypothekenzinsforderung. (Urt. 
des V. 35. vom 12. Juli 1911, V 90/11). 
2436 — — —ı. 


II. 


Wird gegenüber dem eingeklagten Teil einer For⸗ 
derung aufgerechnet, fo kann die Gegenforderung nicht 
auf den Teil der Forderung verwieſen werden, der nicht 
eingeklagt iſt. Aus den Gründen: Die Reviſiion 
bekämpft als irrig, daß der Berufungsrichter die Ver⸗ 
weiſung der Gegenforderung auf den nicht einge⸗ 
klagten Teil der Reſtforderung des Klägers nicht 
zuläßt; das iſt abzulehnen Die Aufrechnung iſt eine 
dem Gläubiger vom Schuldner aufgezwungene Be: 
friedigung; der Schuldner opfert feine Gegenforderung, 
er verwendet ſie zur Befriedigung des Gläubigers und 
befriedigt ſich gleichzeitig ſelbſt (vgl. Windſcheid⸗Kipp II 
S. 433, 434, 435; Mot. z. BGB. II S. 107/108). Dieſer 
Aufopferungs⸗ und Verwendungswille des Aufrech— 
nenden entſcheidet alſo; eine andere Verwendung der 
Gegenforderung, als ſie der Aufrechnende will, ent⸗ 
behrt jedes rechtlichen Grundes. Die Aufrechnung 
gegen die Klageforderung will die Gegenforderung zu 
dem Zwecke und nur zu dem Zwecke aufopfern, um 
das klagweiſe Befriedigungsbegehren des Gläubigers 
zu erfüllen. Die Verweiſung der Aufrechnung auf 
den nicht eingeklagten Teil der Gläubigerforderung 
widerſpricht offenſichtlich dem Willen des Aufrechnenden. 
Eine ſolche Verweiſung iſt gerade ſo unſtatthaft, wie 
eine Verrechnung der auf den Klagebetrag behufs Er— 
füllung des Klagebegehrens geleiſteten Zahlung auf 
den anderen, nicht eingeklagten Teil der Gläubiger: 
forderung unſtatthaft ift (vgl. ROH. 15 S. 106/07). 
Abzulehnen iſt ein Unterſchied zwiſchen Zahlung auf 
die Klage und Aufrechnung gegen die Klage dahin, 
daß beim Vorhandenſein eines nicht eingeklagten 
Forderungsteiles das Klagebegehren zwar durch 
Zahlung erledigt wird, durch Aufrechnung aber nicht: 
ein ſolcher Unterſchied iſt um ſo weniger möglich, als 
ohne Klage der Gläubiger gerade umgekehrt zwar 
Teilzahlungen zurückweiſen darf (BGB. § 226), eine 
Teilaufrechnung aber ſich gefallen laſſen muß (Mot. 
zum BGB. II S. 108). Dieſe Rechtslage iſt nicht ge⸗ 
ändert durch die Widerklage der Beklagten. Die Be— 
klagte will aufrechnen zunächſt gegen das Klage— 
begehren und ſodann erſt will ſie feſtgeſtellt wiſſen, 
daß auch der nicht eingeklagte Teil der Reſtforderung 
durch ihre Gegenforderung erledigt ſei. (Urt. des III ZS. 
vom 26. September 1911, 518/10). 

2405 


— — DL 


III. 


Inwieweit ſetzen Schadenserſatzanſprüche nach 53 907, 
909 BB. ein Verfchulden voraus? Aus den Grün⸗ 
den: Daß zur Begründung des Schadenserſatzanſpruchs 
aus § 907 BGB. regelmäßig die Behauptung eines Vers 
ſchuldens des die Anlage Herſtellenden oder Haltenden 
gehört, iſt nach Rechtſprechung und Wiſſenſchaft nahezu 
außer Streit (vgl. RG. 58, 130). Nur dann, wenn 
dem Grundſtückseigentümer ausnahmsweiſe durch ge— 
ſetzliche Vorſchrift der Anſpruch auf Beſeitigung der 
ſchädlichen Einwirkungen einer Anlage genommen iſt 
(z. B. § 04 BGB., § 26 Gew.), ſteht ihm nach ſtän— 
diger Rechtſprechung des Reichsgerichts der Schadens— 
erſazanſpruch zu, auch ohne daß er ein Verſchulden 
des Nachbars nachweiſt. Allein ſo liegt die Sache 
hier nicht. Es beſteht keine geſetzliche Vorſchrift, durch 
welche die Kläger gehindert geweſen wären durch 


Klage oder Antrag auf einſtweilige Verfügung den 
nachteiligen Einwirkungen des Kanalbaus auf ihr 
Grundſtück ſich zu widerſetzen, z. B. unter Darlegung 
der beſonderen gefahrſteigernden Umſtände zu ver⸗ 
langen, daß die Abſteifungen in der Baugrube von 
vornherein mit der Vorſicht und in dem Umfange 
vorgenommen würden, wie es nach Eintritt der Rohr⸗ 
brüche geſchehen iſt. Daß zur Erkennung der erhöhten 
Gefahr Sachkunde erforderlich iſt, ſtand der Geltend⸗ 
machung des Widerſpruchs nicht entgegen. Die Kläger 
mochten ſich ſachkundigen Beirats bedienen. Daß die 
Erhebung des Widerſpruchs durch den Eintritt des 
Schadens überholt werden kann, iſt ein Uebelſtand, 
der in allen Verhältniſſen möglich iſt. Mochten die 
Kläger aber auch tatſächlich an der Geltendmachung 
des Anſpruchs auf Beſeitigung der Beeinträchtigung 
behindert ſein, rechtlich ſtand er ihnen zu, und damit 
entfällt der beſondere Grund, aus dem ihnen ein nicht 
vom Verſchuldensnachweis abhängiger Schadenserſatz⸗ 
anſpruch zu geben geweſen ſein würde. Es müßte zu 
unerträglichen Folgen führen, wollte man die tatſäch⸗ 
liche Behinderung an der Geltendmachung des Bes 
ſeitigungsanſpruchs, wie die Reviſion will, dem geſetz⸗ 
lichen Ausſchluſſe dieſes Anſpruchs gleichſtellen. Die 
Beklagte würde alſo aus § 907 BGB. auf Schadens: 
erſatz nur dann zu haften haben, wenn ihr ein Ver⸗ 
ſchulden zur Laſt gefallen wäre. Sie hat nach der 
bedenkenfreien Feſtſtellung des Berufungsgerichts zur 
Schadensabwendung alles bei Anwendung der im 
Verkehr erforderlichen Sorgfalt Nötige getan. Daß 
der Schaden trotzdem infolge des nicht vorausſehbaren 
Zuſammentreffens mehrerer gefahrbringender Umſtände 
entſtanden iſt, das iſt ein Zufall, für den ſie nicht 
haftet. Für den Tatbeſtand des 8 909 BGB. kommt 
der Grund, aus dem im Falle des 8 907 unter Um⸗ 
ſtänden ein vom Erfordernis des Verſchuldensnach⸗ 
weiſes freier Schadenserſatzanſpruch gegeben wird, 
nicht in Betracht. Es gibt keine Geſetzesvorſchrift, die 
dem Nachbar geſtattet, ſein Grundſtück in der Weiſe 
zu vertiefen, daß das andere Grundſtück die erforder⸗ 
liche Stütze verliert, und die ihm zugleich die Sorge 
für eine genügende andere Befeſtigung erläßt. Der be⸗ 
drohte Nachbar hat alſo unter allen Umſtänden den An⸗ 
ſpruch auf Beſeitigung der Beeinträchtigung. Schadens⸗ 
erſatz kann er aber immer nur unter der Vorausſetzung 
des Verſchuldensnachweiſes verlangen. (Urt. des V. 38. 


yon 4. Juli 1911, III 233/10). 
416 


— — —ı. 


IV. 


Gegen das Wettbewerbsverbot des 8 60 HB. 
verſtötzt nicht eine Tätigkeit, mit der der Haudlungs⸗ 
gehilfe für ſpätere Zeit einen ſelbſtändigen Gewerbe⸗ 
betrieb vorbereitet. Aus den Gründen: Die Ent⸗ 
ſcheidung über den Anſpruch auf Zahlung des Gehalts 
hängt davon ab, ob die Beklagte den Kläger mit 
Recht entlaſſen hat, weil er dem geſetzlichen Wett⸗ 
bewerbsverbote des 8 60 HGB. zuwidergehandelt hat. 
Dies hat das Berufungsgericht zutreffend verneint. 
Ihm iſt zwar nicht darin beizutreten, daß das Verbot 
des 8 60 nur den Betrieb eines fertig eingerichteten 
Handelsgewerbes treffen will, daß der Betrieb eines 
Handelsgewerbes im Sinne des $ 60 hier erſt be⸗ 
ginnen konnte, nachdem die von dem Kläger geplante 
G. m. b. H. begründet, die Fabrik errichtet und alle an— 
deren Vorbedingungen für die Herſtellung und den 
Verkauf von Waren geſchaffen waren. Aber auf dieſen 
eee beruht die angefochtene Entſcheidung 
nicht. Der Vorderrichter geht vielmehr zutreffend da— 
von aus, daß der 8 60 dem Handlungsgehilfen nicht 
verbietet, während der Dauer ſeines Dienſtverhältniſſes 
einen nach deſſen Beendigung zu beginnenden ſelb— 
ſtändigen Geſchäftsbetrieb vorzubereiten, vorausgeſetzt, 
daß er dadurch ſeine ſonſtigen Vertragspflichten ver⸗ 
letzt. Dem z. B. in den 88 74, 75 HGB. ausgedrückten 


Beitfchrift für ZBeitſchrift für Rechtspflege in Bay in Bayern. 1911. Nr. 24. 485 


Gedanken des Geſetzgebers, eine unbillige Erſchwerung 
des Fortkommens der Handlungsgehilfen nach Ablauf 
ihres Dienſtverhältniſſes zu verhindern, würde es 
nicht entſprechen, wenn man dem Handlungsgehilfen 
unterſagen wollte, daß er vor ſeinem Austritte Vor⸗ 
bereitungen trifft, um ſofort danach das eigene Geſchäft 
beginnen zu können. Die feſtgeſtellten Handlungen 
des Klägers, die Beſchaffung des Kapitals für die ge⸗ 
plante G. m. b. H., eines Grundſtücks für die zu er⸗ 
bauende Fabrik und der für dieſe erforderlichen Ma⸗ 
ſchinen, Abreden über die Einrichtung des neuen Unter⸗ 
nehmens und über die Anſtellung des Klägers als 
Geſchäftsführer ſowie eine auf die Vorbereitung dieſes 
neuen Unternehmens hinweiſende Notiz in einer Fach⸗ 
zeitſchrift, ſind ſämtlich erlaubte Vorbereitungsgeſchäfte. 
Daß der Kläger dieſe Tätigkeit in einem eigenen 
Kontor entfaltet hat, iſt unerheblich, entſcheidend iſt 
die Art ſeiner Tätigkeit. Daß der Kläger ſeine ganze 
Arbeitskraft dem neuen Unternehmen gewidmet hat, 
erklärt ſich, wie das Berufungsgericht mit Recht be⸗ 
merkt, daraus, daß die Beklagte ihn ſeit Anfang Juni 
nicht mehr beſchäftigt, ſondern beurlaubt hat und ent⸗ 
hält deshalb keine Verletzung ſeiner ſonſtigen Dienſt⸗ 
pflichten gegen die Beklagte. (Urt. des III. ZS. vom 
10. Oktober 1911, III 414/10). — — n. 
2456 


B. Strafſachen. 


Ein Laſtkraftſahrzeng wird nicht dadurch zu einem 
„der Beförderung von Perſonen dienenden Kraftfahr⸗ 
zeuge“, daß gelegentlich Perſonen mitfahren dürfen. 
Ein Bierbrauer war angezeigt worden, weil ſein An⸗ 
geſtellter auf das ausſchließlich zur Beförderung von 
Laſten im Brauereibetrieb beſtimmte Kraftfahrzeug 
ohne das Wiſſen des Bierbrauers wiederholt eine 
fußleidende Frau und ihre Tochter aus Gefälligkeit 
hatte aufſitzen laſſen, obwohl ſie mit der Beförderung 
nichts zu tun hatten. Die Strafkammer verneinte 
eine Zuwiderhandlung gegen 8 53 RStemp®. vom 
3. Juni 1906 und ſprach frei. Die Reviſion des 
Staatsanwalts wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Die Beſteuerung von 
Kraftfahrzeugen 8 N den Luxusgebrauch 
treffen. (RTVhdl. 1905/06, Anl. 4 zu Druckſ. 10 
S. 30-32, Druckſ. Nr. 359, S. 47; Sten B. S. 3028 ff.). 
Deshalb unterliegen nach 8 53 des Geſetzes der Steuer⸗ 
pflicht nur „die der Beförderung von Perſonen 
dienenden Kraftfahrzeuge“. Es ſcheiden alſo Kraft⸗ 
fahrzeuge aus, die nur zur Beförderung von Gütern 
dienen. Ob ein Fahrzeug der einen oder der anderen 
Art angehört, wird zunächſt nach äußeren Merkmalen 
zu beurteilen ſein. „Der Beförderung von Perſonen“ 
dient ein Kraftfahrzeug in der Regel dann, wenn es 
ſchon äußerlich nach ſeiner Bauart und ſeinen Ein⸗ 
richtungen zur Perſonenbeförderung beſtimmt iſt. Den 
Gegenſatz bilden die ſchon nach ihrer äußeren Er⸗ 
ſcheinung nur zur Güterbeförderung beſtimmten Kraft⸗ 
fahrzeuge. Wenn in 8 112 Abſ. 1 und 5 VBRBorfchr. 
vom 15. Juli 1906 (ZB... D. R. S. 979 ff., 1007, 
1008) von „Perſonenkraftfahrzeugen“ und Laſttraft⸗ 
fahrzeugen“ und von Umwandlung des einen in das 
andere geſprochen wird, ſo iſt dabei offenbar an die 
äußere Erſcheinung und die daraus erkennbare Be— 
ſtimmung der Fahrzeuge gedacht. Daß das Fahrzeug 
des Angeklagten ſeiner äußeren Erſcheinung nach ein 
e geweſen und geblieben iſt, ſteht 
außer Zweifel. 

Nun wird allerdings noch zu prüfen ſein, ob die 
Eigenſchaft eines Fahrzeuges als eines „Perfonen: 
kraftfahrzeuges“ oder eines „Laſtkraftfahrzeuges“ und 
die Umwandlung in eine andere Art nur nach äußeren 
Merkmalen zu beſtimmen iſt oder ob nicht auch innere 
Gründe maßgebend fein können. Hier kann das un: 


486 


eniſchieden bleiben. Selbſt wenn man die Frage 
bejahen wollte, würden doch die Vorausſetzungen für 
eine Umwandlung fehlen. Zu ihnen würde gehören, 
daß der Eigenbeſitzer oder ſein Stellvertreter das 
Laſtkraftfahrzeug dazu beſtimmt haben, zur Perſonen⸗ 
beförderung zu dienen und daß dieſe Beſtimmung 
auch im Gebrauch Ausdruck gefunden hat. Ein Ge⸗ 
brauch eines Laſtkraftfahrzeuges zur Beförderung von 
Perſonen könnte aber nur angenommen werden, wenn 
eine Fahrt nicht ausſchließlich zur Beförderung von 
Laſten ſondern ganz oder teilweiſe zur Beförderung 
von Perſonen unternommen und durchgeführt wird. 
Es müßten hier die gleichen Vorausſetzungen zutreffen, 
wie bei dem Unternehmen einer Probefahrt mit einem 
Kraftfahrzeug, das nach ſeiner äußeren Erſcheinung 
„der Beförderung von Perſonen“ dient. Die Recht⸗ 
ſprechung des Reichsgerichts hat anerkannt, daß ein 
Fahrzeug nicht i. S. des Geſetzes „in Gebrauch ge⸗ 
nommen wird“, wenn es durch eine Fahrt nur 
„erprobt“ werden fol, auch wenn dabei Perſonen 
mitgenommen werden, die mit der Fahrt andere 
Zwecke verfolgen und deren Mitwirkung bei der 
Probe unnötig iſt. Wie hier der Zweck der Fahrt 
entſcheidet, obſchon das Fahrzeug an ſich der Bes 
förderung von Perſonen dienen ſoll, ſo müßte auch 
nach dem Zwecke der Fahrt entſchieden werden, ob 
ein Laſtkraftfahrzeug zur Beförderung von Perſonen 
dient und hierzu in Gebrauch genommen worden iſt. 
Mit dem Kraftfahrzeug des Angeklagten ſind nur 
Laſtfahrten im Brauereibetrieb unternommen worden. 
Die Beförderung der Frau und ihrer Tochter war 
niemals der Zweck der Fahrt. Mit dem Auſſitzen der 
Beiden trat zwar zu der Güterbeförderung eine Per⸗ 
ſonenbeförderung hinzu, aber der Zweck der Fahrt 
blieb für den Angeklagten und ſeinen Bedienſteten 
der gleiche. Auf das Weſen des Fahrzeuges als eines 
Laſtkraftfahrzeuges und das Weſen der Fahrt als einer 
Laſtenfahrt konnte dieſe gelegentliche Mitbenützung 
keinesfalls Einfluß haben. (Urt. des J. StS. vom 
28. September 1911, D 420/11). 

2443 Mitgeteilt von Rechtsanwalt F. Oderländer in München 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 

Präfungsrecht des Grundbuchamts im Falle des 
39 EBD. Welche Behörde if zuſtändig die für eine 
Gebührenforderung der bayerifchen Staatskaſſe einge⸗ 
tragene Sicherungshyvsthek auf einen anderen zu über: 


tragen ? (Art. 123 AG. z. BGB.: 8 25 der Formations⸗ 
verordnung von 1825). Im Grundbuche des Amts- 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


gerichts N. iſt auf den Grundſtücken Pl.⸗Nr. 45 ff. der 


Eheleute Johann und Katharina J. in N. für eine 
Gebührenforderung des Staatsärars von 236,67 M 
eine Sicherungshypothek eingetragen. Laut einer von 
dem Rentamtsvorſtand unterzeichneten ſchriftlichen Er— 
klärung hat das Staatsärar, vertreten durch das 
Rentamt, am 17. Juli 1911 die Hypothek in der Höhe 
von 


210,67 M wegen Barablöſung an den Bank- 


agenten S. in N. abgetreten und die Eintragung der 


Abtretung bewilligt und beantragt. 
den Eintragungsantrag abgewieſen, weil das Rent— 
amt zur Abtretungserklärung nicht zuſtändig geweſen 
ſei. Die Beſchwerde iſt vom Landgerichte zurück— 
gewieſen worden. 
keinen Erfolg. 
Gründe: Die Akten geben keinen Aufſchluß 
darüber, auf welche Weiſe die Sicherungshypothek 
des Staatsärars entſtanden iſt. 


Das GBA. hat 


Auch die weitere Beſchwerde hatte 
finanzkammer zu. 


Der Beſchwerdeführer 


und die Vorinſtanzen nehmen offenbar übereinſtimmend 


an, daß die Eheleute J. dem Staatsärare für Gerichts: 


gebühren u. dgl. 236,67 M ſchuldig geworden find . 


und daß das Rentamt zum Zwecke der Beitreibung 
dieſer Forderung des Staates nach Art. 123 A. BGB. 
die Eintragung der Sicherungshypothek erwirkt hat. 
Von dieſer Annahme hat auch das für die Entſcheidung 
der weiteren Beſchwerde zuſtändige Gericht auszugehen. 
Nach 8 19 GBO. iſt die Uebertragung der Hypothek 
des Staates auf den Beſchwerdeführer im Crundbuche 
dann einzutragen, wenn derjenige ſie bewilligt, deſſen 
Recht betroffen wird. Das GBA. darf nach 8 29 die 
Eintragung nur bewirken, wenn die Eintragungs⸗ 
bewilligung vor ihm zu Protokoll erklärt oder durch 
öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nach⸗ 
gewieſen wird. Das GBA. hat alſo zu prüfen, ob 
derjenige, der die Eintragungsbewilligung erklärt hat, 
zu der Erklärung befugt war. Nach 8 39 erfolgt in 
den Fällen, in denen nach geſetzlicher Vorſchrift eine 
Behörde befugt iſt, das GBA. um eine Eintragung 
zu erſuchen, die Eintragung auf Grund des Erſuchens 
der Behörde. Dadurch wird aber das GBA. nicht 
ermächtigt, jede von einer Behörde beantragte Ein⸗ 
tragung ohne weiteres zu vollziehen, die Vorſchrift 
macht den Vollzug von der Vorausſetzung abhängig, 
daß die Behörde nach geſetzlicher Vorſchrift zu dem 
Eintragungsantrage befugt iſt, und legt damit dem 
GBA. die Pflicht auf, zu prüfen, ob der Behörde die 
Befugnis zum Eintragungsantrage nach geſetzlicher 
Vorſchrift zukommt. 

Mit Recht ſind die Vorinſtanzen zu der Anſicht 
gelangt, daß das Rentamt zur Abtretung nicht zu⸗ 
ſtändig war. Zwar kann der Anſchauung des LG. 
nicht beigepflichtet werden, daß das Rentamt die Ent⸗ 
ſcheidung der Regierungsfinanzkammer deshalb hätte 
einholen ſollen, weil es ſich um einen ſchwierigen 
und zweifelhaften Fall handle. Allerdings iſt im 
Art. 123 AG. BGB. nur die Staatskaſſe für berechtigt 
erklärt, für ihre Anſprüche wegen fälliger Abgaben 
und Koſten die Eintragung einer Sicherungshypothek 
auf den Grundſtücken des Schuldners zu verlangen, 
und daher mit Grund die Frage aufgeworfen worden, 
ob auch einem Dritten das Recht auf Eintragung der 
Sicherungs hypothek zuſteht, auf den der Anſpruch des 
Staates übergegangen iſt. Allein hier handelt es 
ſich nicht darum, daß dem Beſchwerdeführer erſt eine 
Sicherungshypothek beſtellt werden ſoll, ſondern um 
die Uebertragung der für den Staat eingetragenen 
Hypothek und es kann kein Zweifel darüber beſtehen, 
daß dieſer in der Verfügung über ſeine Sicherungs⸗ 
hypotheken nicht beſchränkt iſt, ſondern darüber ebenſo 
wie jeder andere verfügen kann. Dagegen fehlt jede 
Vorſchrift, aus der abgeleitet werden könnte, daß die 
Rentämter befugt ſind, die Sicherungshypotheken 
des Staats an andere abzutreten. Daraus, daß 
nach Art. 123 Abſ. 2 AG. BGB. die Sicherungs⸗ 
hypothek auf das Erſuchen der Behörde eingetragen 
wird, die für den Staat die geſchuldete Leiſtung bei⸗ 
zutreiben hat, folgt nicht, daß dieſe Behörde auch 
über die eingetragene Sicherungshypothek verfügen 
darf. Dieſes Recht läßt ſich auch nicht aus den Bek. des 
Fin M. vom 25. Dezember 1899, die Inſtr. zum Voll⸗ 
auge des GKG. und des Geb. betr. (FMBl. S. 300), 
und vom 27. Dezember 1899, die Vorſchriften über 
die Beitreibung der Staatsgeſälle betr. (F MBl. S. 355), 
folgern. Dadurch iſt den Rentämtern wie den übrigen 
Finanzämtern nur die Zwangsvollſtreckung in die be— 
weglichen körperlichen Sachen übertragen; wenn es 
ſich um die Zwangsvollſtreckung in andere Vermögens— 
gegenſtände handelt, ſteht nach §8 96 der Bek. vom 
27. Dezember 1899 die Verfügung der Regierungs- 
Man kann der Meinung des Be: 
ſchwerdeführers nicht beitreten, daß das Recht der 
Rentämter zur Vertretung des Staats bei Einwen— 
dungen und Streitigkeiten im Verfahren über die 
Zwangsvollſtreckung in bewegliche körperliche Sachen 
auch die Befugnis umfaßt, eine zur Sicherung des 
Staates für rückſtändige Gefälle eingetragene Hypothek 


einem Dritten abzutreten, der die Rückſtände gezahlt 
hat. Dazu bedürfte es einer ausdrücklichen Vorſchrift. 
Um die Pfändung einer Hypothekenforderung oder um 
die Löſchung eines Pfändungseintrags oder um die 
Eintragung oder Löſchung einer Sicherungshypothek 
handelt es ſich hier nicht. Es kann daher unerörtert 
bleiben, ob die von der Kammer der Finanzen in den 
Entſchließungen vom 6. April 1906 und 7. Auguſt 1911 
ausgeſprochene Anſicht zutrifft, daß dieſe Fälle von 
den Rentämtern ſelbſtändig behandelt werden können. 
Maßgebend iſt allein die AllerhB O. vom 17. Dezember 
1825, die Formation, den Wirkungskreis und den 
Geſchäftsgang der oberſten Verwaltungsſtellen in den 
Kreiſen betr. (RegBl. S. 1049), die die Finanzver⸗ 
waltung in den Streifen (8 87) den Kreisregierungen, 
Kammern der Finanzen, zuweiſt. (Beſchl. des I. 38S. 
vom 22. September 1911, Reg. III 65/6911). W. 
2435 


II 


Erlanugt der Gläubiger durch die Pfändung des Be: 
12 eines Beamten ein Necht, das von der Dienſtent⸗ 
ebung und Dienſteutlaſſung des Beamten nicht getroffen 
wird? (SS 804, 832, 833, 850 ZPO.; Art. 34, 174 BG.) 
Der vormalige Bahnverwalter S. war dem Kläger 
3200 M ſchuldig geworden. Auf den Antrag des 
Klägers wurden die Geldforderungen gepfändet, die 
dem Schuldner gegen den Fiskus auf Zahlung von 
Gehalt und Dienſtbezügen zuſtehen oder künftig zu⸗ 
ſtehen werden, unter Beſchränkung der Pfändung auf 
5 des 1500 M jährlich überſteigenden Dienſtein⸗ 
kommens. Der Beſchluß wurde dem Fiskus am 21. Ok⸗ 
tober 1909 zugeſtellt. Der Gehalt des S. betrug 
3900 M, der Fiskus zahlte als Drittſchuldner dem 
Kläger monatlich en 212 — 66,66 M. Im Feb⸗ 
ruar 1910 wurde S. nach Art. 172 BG. ſeines Dienſtes 
vorläufig enthoben; nach Art. 174 wurde ein ½ feines 
Gehaltes eingezogen. Die Eiſenbahndirektion teilte 
dies dem Kläger mit und fügte bei, daß S. vom 
1. März 1910 ab nur mehr 2600 M Gehalt beziehe 
und daß ſich hieraus für den Pfändungsbeſchluß ein 
Abzug von 33,55 M monatlich berechne. Im Disziplinar⸗ 
ſtrafverfahren wurde S. ſpäter des Dienſtes entlaſſen; 
der einbehaltene Teil ſeines Gehaltes wurde nach 
Art. 175 BG. Wohlfahrtseinrichtungen zugewendet, 
ſoweit er nicht zur Deckung der Koſten erforderlich 
war. Der Kläger behauptete, die Einbehaltung könne 
ſeine Rechte nicht ſchmälern; er klagte auf den Unter⸗ 
ſchied zwiſchen dem bei der Pfändung beſtehenden und 
dem geminderten Monatsbetrage. Die Klage wurde ab— 
gewieſen; die Berufung blieb erfolglos, die Reviſion auch. 

Aus den Gründen: Das OLG. hat mit Recht 
die öffentlichrechtliche Natur des Beamtengehaltes be— 
tont; aus ihr folgt, daß deſſen Begriff und Umfang 
ſich nur aus dem BG. beſtimmen. Allerdings hat der 
Beamte auf Grund des Art. 176 BG. ein klagbares 
Recht auf die pünktliche Auszahlung nach der Gehd.; 
allein gerade in gewiſſen Fällen des Dienſtſtrafrechtes 
werden die Bezüge gemindert und der Anſpruch auf 
pünktliche Zahlung wird verwirkt (Art. 174); dem 
vorläufig vom Dienſt enthobenen Beamten wird 
während des Verfahrens / des Gehaltes einbehalten, 
d. h. die Zahlung wird bis zu einem beſtimmten Zeit— 
punkt und zu beſtimmten Zwecken aufgeſchoben. Dieſe 
Maßregel ſoll die Staatskaſſe für die im Art. 175 
bezeichneten Koſten ſichern, beruht aber auch auf der 
Erwägung, daß der Beamte, der aus eigener Schuld 
dem Staate keine Dienſte leiſten kann, während dieſer 
Zeit auch nicht ſeine ganzen Bezüge erhalten ſoll. Der 
Beamte kann daher während der Enthebung auf das 
einbehaltene Drittel keinen Anſpruch machen. Der 
endgültige Verluſt hängt zwar noch von dem Aus— 
gange des Dienſtſtraſverfahrens ab, tritt aber mit 
rückwirkender Kraft ein, wenn dieſes mit der Ent⸗ 


Zeeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


487 


laſſung aus dem Dienfte endet. Nur wenn das Ber- 
fahren nicht zum Verluſte des Amtes ſührt, iſt der 
nicht zur Deckung der Koſten verbrauchte Teil dem 
Beamten nachzuzahlen. 

Nach §§ 832, 833 ZPO. ergreift die Pfändung 
einer Gehaltsforderung den Gehaltsbezug als Ganzes, 
alſo mit allen Veränderungen, die er erfährt. Von 
ſolchen hebt der § 833 nur die Folgen der Verſetzung 
in ein anderes Amt, der Uebertragung eines neuen 
Amtes oder der Gehaltserhöhung hervor, alſo vor⸗— 
wiegend die Fälle einer Gehaltsmehrung; das gleiche 
gilt aber auch für die Minderungen des Gehaltes in⸗ 
folge von Penſionierung oder vorläufiger Dienſtent⸗ 
hebung. In allen Fällen hat der Pfändungsgläubiger 
nur ſoviel Recht, wie der Gläubiger der gepfändeten 
Forderung. Daraus ergibt ſich, daß der gepfändete 
Gehaltsbetrag nicht der Höhe nach, ſondern nur ver⸗ 
hältnismäßig beſtimmt iſt. Der Hauptangriff der Re⸗ 
viſion ſtützt ſich darauf, daß der durch die Pfändung 
einer Gehaltsforderung erworbene Anſpruch ein wohl: 
erworbenes Recht des Gläubigers ſei, das durch die 
ſpätere Einbehaltung von Gehaltsteilen nicht berührt 
werde. Dieſe Anſicht verkennt den Begriff des Ge⸗ 
haltsanſpruchs. Von der Einbehaltung des Gehalts⸗ 
drittels an beſchränkt ſich der unbedingte Gehalts⸗ 
anſpruch des Beamten auf die übrigen zwei Drittel; der 
Anſpruch auf das einbehaltene Drittel iſt nur mehr be⸗ 
dingt. Hier ſteht überdies feſt, daß infolge der Dienſtes⸗ 
entlaſſung des Schuldners der Nachzahlungsanſpruch 
erloſchen, der Gehaltsbezug alfo endgültig mit rück⸗ 
wirkender Kraft auf ½ gemindert iſt. Von vorn: 
herein aber war das Einbehaltungsrecht des Staates 
auflöſend bedingt, d. h. es beſtand zunächſt unein⸗ 
geſchränkt und es hätte das Einbehalten nur dann 
nachträglich gezahlt werden müſſen, wenn das Dienſt⸗ 
ſtrafverfahren nicht zum Amtsverluſte geführt hätte. 
Da nicht eine Reihe einzelner Gehaltsraten, ſondern 
das Bezugsrecht im ganzen gepfändet wird (Gaupp⸗ 
Stein zu 8 832 ZPO.), die Beſchränkung bei der 
Dienſtesenthebung aber eben dieſes Bezugsrecht betrifft, 
iſt auch der Anſpruch des Pfändungsgläubigers im 
Falle des Art. 174 BG. auf den freien Gehaltsteil 
befhränft. Mit der Möglichkeit dieſer Beſchränkung 
iſt das Pfändungspfandrecht an Gehaltsforderungen 
von ſeiner Entſtehung an behaftet. 

Die weitere Beſchränkung der Pfändung nach 8 850 
Abſ. 2 ZPO. gehört ebenfalls dem öffentlichen Recht an; 
ſie ſoll den für ein ſtandesmäßiges Leben angemeſſenen 
Notbedarferhalten. Daraus iſt zu erkennen, daß der pfän⸗ 
dungsfreie Teil ſich nach dem Stande der wirklichen Be⸗ 
züge richtet, nicht nach dem Betrage, den die Geh Ot ergibt, 
der aber aus irgendeinem Grunde nicht ausgezahlt 
wird. Der Berechnung iſt alſo, ſolange die Dienſt— 
enthebung dauert, nur der wirklich auszahlbare Gehalt 
zugrunde zu legen. Dieſe Beſchränkung iſt in dem 
nach § 850 Abſ. 2 ZPO. ergangenen Pfändungs⸗ 
beſchluſſe ebenſo enthalten, wie die Beſchränkung auf 
den entſprechenden Penſionsteil eines während der 
Schuldtilgungsperiode in den Ruheſtand getretenen 
Beamten. Bei dem vom Dienſte enthobenen Be— 
amten wird das Einkommen nur durch den ihm 
wirklich zufließenden, nicht durch jenen Gehalt gebildet, 
der ihm gebührt, wenn die im Art. 175 BG. vor⸗ 
geſehenen Maßregeln nicht eintreten; es kann deshalb 
auch das abgeleitete Recht des Pfändungsgläubigers 
nur ebenſoweit reichen. Nach Art. 174 BG. trifft die 
Verwaltungsbehörde, wenn ſie die Einbehaltung ver— 
fügt, nicht eine Maßnahme ihres amtlichen Ermeſſens, 
ſondern ſie vollzieht ein geſetzliches Gebot. Eine gegen 
dieſen Vollzug gerichtete Klage braucht daher nicht erſt 
durch eine Einrede des Fiskus bekämpft zu werden; ſie 
iſt ohne weiteres abzuweiſen, da das tatſächliche Vor: 
bringen den Klagantrag nicht rechtfertigt. (Urt. des 
I. ZS. vom 27. Oktober 1911, Reg. I 109/11). W. 

2446 


488 a Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


B. Strafſachen. 
I. 


Bedeutung des gleichzeitigen Verdingens an mehrere 
Herrſchaften (Art. 106 Abſ. 1 Ziff. 2 PSt& B.). Lud⸗ 
wig Z. verdang ſich im Dezember 1910 als landwirt⸗ 
ſchaftlicher Dienſtbote zu dem Bauer Georg L. für 
die Zeit von Lichtmeß 1911 bis Lichtmeß 1912, trat 
aber feinen Dienſt nicht an und verdang ſich am 3. Fe⸗ 
bruar 1911 an den Bauer E., bei dem er ſeitdem als 
Dienſtknecht die landwirtſchaftlichen Arbeiten verrichtet. 
Weil er den Dienſt bei Georg L. ohne genügenden 
Grund nicht angetreten und ſich an mehrere Dienſt⸗ 
herrſchaften zugleich verdungen habe, wurde er nach 
Art. 106 Abſ. 1 Ziff. 3 und 2 PStG. angeklagt. Das 
Sh®. verurteilte ihn aber nur wegen einer Ueber⸗ 
tretung nach Ziff. 3 und ſprach 81 von der Anklage 
wegen einer Uebertretung nach Ziff. 2 des Art. 106 
Abſ. 1 frei. Die Berufung und die Reviſion des 
Staatsanwalts wurden verworfen. 

Aus den Gründen: Nach Art. 22 AG. BGB. 
iſt das Dienſtverhältnis eines land wirtſchaftlichen 
Dienſtboten im Zweifel als für ein Dienſtjahr ein⸗ 
gegangen anzuſehen und beginnt das Dienſtjahr am 
1. Februar. Da es nicht leicht denkbar iſt, daß ein 
Dienſtbote in einem und demſelben Augenblicke ſich 
an mehrere Dienſtherrſchaften verdinge, iſt vor allem 
feſtzuſtellen, was der Geſetzgeber im Auge hatte, als 
er die Dienſtboten mit Strafe bedrohte, die ſich 
an mehrere Dienſtherrſchaften „zugleich“ verdingen. 
Nach Edel (PStGB. von 1861 S. 496) mit dem 
von Riedel⸗ von Sutner (PStGB. von 1871, 7. Aufl. 
S. 391 und Reger-Dames 3. Aufl. S. 286), über⸗ 
einſtimmen, iſt das Wort „zugleich“ nicht von der 
Gleichzeitigkeit der Handlung, ſondern von dem Ver— 
dingen auf eine und dieſelbe Dienſtzeit zu verſtehen. 
Dieſer Auffaſſung iſt beizupflichten, weil nur durch 
ſie dem Geſetze eine brauchbare Deutung gegeben werden 
kann. Es iſt gebräuchlich, daß die Dienſtherrſchaften 
ihre Dienſtboten und die Dienſtboten ihre Dienſtplätze 
ſchon einige Zeit vor dem Beginne des Dienſtes ſuchen. 
Angeſichts dieſer Gewohnheit iſt anzunehmen, daß der 
Geſetzgeber bei dem Verbote der mehrfachen Verdin⸗ 
gung ſich vorgeſtellt hat, daß ſie ſchon vor dem Tage 
erfolge, an dem der Dienſt anzutreten iſt. Nur unter 
dieſer Vorausſetzung iſt eine mehrfache Verdingung 
auf eine und dieſelbe Dienſtzeit denkbar, da ja eine 
Verdingung nach dem Tage, für den zuerſt der Dienſt⸗ 
eintritt vereinbart war, ſich nur auf eine andere, min- 
deſtens eine kürzere Zeit erſtrecken kann. Die Vor⸗ 
inſtanzen ſind deshalb mit Recht von der Auffaſſung 
ausgegangen, daß Z. ſich nicht an mehrere Herrſchaften 
„zugleich“, d. h. für eine und dieſelbe Dienſtzeit, 
verdungen hat. Die ſpäter, nach dem Verſtreichen des 
Tages für den Dienſtantritt bei L., erfolgte Annahme 
des Dienſtes bei E. war nur eine natürliche Folge des 
Nichtantritts der erſten Dienſtſtelle und iſt deshalb 
durch die rechtskräftig hierfür auferlegte Strafe abge— 
golten, zumal da es nicht der Abſicht des Geſetzgebers 
entſprechen dürfte, daß ein Dienſtbote, der aus nicht— 
ſtichhaltigen Gründen ſeinen Dienſt nicht angetreten 
hat, gezwungen ſein ſoll, faſt ein ganzes Jahr zu 
eiern. 

Dagegen kann die Anſicht der Strafkammer nicht 
gebilligt werden, daß mit der Nichteinhaltung des 
Dienſtvertrags am Tage des Beginns der Dienſtzeit 
und der dadurch begründeten ſtrafrechtlichen Verant— 
wortlichkeit die ſtrafrechtliche Wirkung des zuerſt ge: 
ſchloſſenen Dienſtvertrags erledigt ſei. Der Umſtand, 
daß nach dem Abſ. 4 des Art. 106 P StGB. der Polizei⸗ 
behörde die Befugnis zuſteht Dienſtboten, die wider— 
rechtlich den Antritt des Dienſtes verweigern, der 
Dienſtherrſchaft auf deren Antrag zwangsweiſe vor— 
zufuhren, und daß dieſe Vorführung erſt nach dem 
Nichtantritte des Dienſtes in Frage kommen kann, 


—— — •—¾—— — 3 — 


beweiſt dies zur Genüge. Die Aufſtellung der Straf⸗ 
kammer, daß die zwangsweiſe Vorführung nur eine 
zivilrechtliche Folge der Unterlaſſung des Dienſtan⸗ 
tritts ſei, wird A dadurch widerlegt, daß die Vor⸗ 
ſchrift nicht im Art. 17 AG. BGB., ſondern im Art. 106 
PStGG B. enthalten iſt. (Urt. vom 10. Juni 1911, Rev. ⸗ 
Reg, 285/11). Ed. 


II. 


Art. 112 Ziff. 2 P Stg.: Eigentums verhältniſſe an 
einer Grenzeinrichtung. Der Angeklagte hat eine Grenz⸗ 
hecke niedergelegt. Er wurde nach Art. 112 Ziff. 2 
P StGB. verurteilt; feine Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Die Entſtehungsgeſchichte 
und die bisherige Auslegung weiſen allerdings darauf 
hin, daß Art. 112 P StGB. hauptſächlich leichtere Fälle 
von Entwendungen oder Sachbeſchädigungen an land⸗ 
wirtſchaftlichen Bodenerzeugniſſen uſw. treffen ſollte: 
während aber die Ziff. 1 des Art. 112, die nur von 
Entwendung ſpricht, ſtets einen Eingriff in fremdes 
Eigentum vorausſetzt, kann die in der Ziff. 2 beahndete 
Verletzung ſich zunächſt gegen fremdes Eigentum als 
Sachbeſchaͤdigung, aber auch gegen Miteigentum und 
— dem Wortlaute des Geſetzes nach vgl. insbeſ. das 
gemeinſame Merkmal „unbefugterweiſe“ — fogar gegen 
eine bloße dingliche Berechtigung richten; das in den 
Entſcheidungen des OLG. Bd. 4 S. 289 enthaltene 
gegenteilige Erkenntnis betraf einen anders gelagerten 
Fall. Zur Entſcheidung ſteht hier an erſter Stelle 
eine Verletzung fremden Eigentums oder Miteigentums. 

Seit der Einführung des BGB. findet an ſtehenden 
Grenzanlagen i. S. der 88 921 ff. ein Miteigentum nicht 
mehr ſtatt auch da, wo es nach älterem Rechte vorlag 
(RGS. 53 307), und das in F. herrſchende gemeine Recht 
kannte ein ſolches Miteigentum ebenfalls nicht, ließ viel⸗ 
mehr das Eigentum jedes Nachbarn räumlich bis zur 
ideellen Grenzlinie des Beſitztumes als Sondereigentum 
gelten. Hieraus würde ſchon folgen, daß die Beſeitigung 
einer Grenzhecke, durch die ſich jene Grenzlinie in der 
Längsrichtung hinzieht, in das Eigentum (Alleineigen⸗ 
tum) des Nachbars inſoweit übergreift, als die auf 
deſſen Seite gelegene, alſo ihm gehörige Hälfte der 
ganzen Heckenbreite von der Beſeitigung mit betroffen 
wird. Hier iſt es aber möglich und ſogar wahrſcheinlich. 
daß das Abkommen vom 10. Oktober 1854 mit der 
Scheidung des „auf der Grenze ſich hinziehenden 
lebendigen Zaunes“ in eine öſtliche und eine weſtliche 
Hälfte nicht nur die Unterhaltungspflicht regeln, ſondern 
auch die Eigentumsverhältniſſe feſtlegen wollte; ſolchen⸗ 
falls war wiederum jede Rodung oder Beſchädigung, 
die der eine Nachbar an der Zaunhälfte des anderen 
vornahm, ein Eingriff in fremdes Eigentum. 

Neben den allgemeinen Eigentumsſchutz tritt nun 
aber mit der Einführung der §8 921 und 922 BG. 
noch der beſondere Schutz der Grenzeinrichtungen gegen 
einſeitiges Vorgehen eines Beteiligten. Das Beſtehen 
einer zum Vorteile beider Grundſtücke dienenden Ein— 
richtung, die erſtere ſcheidet, begründet vorbehaltlich 
eines hier nicht in Frage kommenden Gegenbeweiſes 
die Vermutung eines gemeinſamen Benutzungsrechtes 
der Grenznachbarn; ſolange einer der Nachbarn am 
Fortbeſtande der Einrichtung ein Intereſſe hat, darf 
ſie nicht ohne ſeine Zuſtimmung beſeitigt oder geändert 
werden. Es iſt auch außer Zweifel, daß ein unbefugter 
Eingriff letzterer Art, wenn er im Bewußtſein deſſen 
erfolgt, daß er ſich gegen das Nachbarrecht richtet, 
auch nach Art. 112 Ziff. 2 PSt h ſtrafbar iſt, wie 
der bewußt unberechtigte Eingriff in fremdes Eigentum 
nach dem Reichsſtrafrecht oder nach Art. 112 Ziff. 2 
PStB. (Urt. vom 14. Juli 1911, Rev.⸗Reg. a) 

2449 . 


Oberlandesgericht München. 
1 


Streitwert einer Einwilligungsklage gegen Miterben. 
Die Bäuerin B. als Vermächtnisnehmerin klagte gegen 


die Sekretärsfrau R. auf Bewilligung der Umſchreibung 


einer ihr aus dem Nachlaß zugewieſenen Hypothek mit 
dem Beifügen, die übrigen Erben hätten freiwillig 
zugeſtimmt. Der Rechtsſtreit wurde ſchließlich durch 
Vergleich erledigt und der Streitwert auf die Hälfte 
der Hypothekenſumme feſtgeſetzt, weil die Beklagte R. 
Miterbin zur Hälfte war. Die Anwaltsbeſchwerde auf 
Erhöhung bis zum ganzen Betrag der Hypothek blieb 
erfolglos. 

Aus den Gründen: Allerdings bezog ſich die 
verlangte Einwilligung auf die ganze Hypothek inſo⸗ 
ferne, als die Klägerin zufolge der Geſamthandnatur 
der Erbengemeinſchaft mit der Zuſtimmung eines Teils 
der Miterben nicht etwa wenigſtens über einen ent⸗ 
ſprechenden Teil der Hypothek verfügen konnte. Richtig 
iſt auch, daß der Streitwert ſich nach dem Intereſſe 
der Klagepartei bemißt, die hier an der Erbengemein⸗ 
ſchaft keinen Anteil hat (vgl. ROL G. Bd. 15 S. 46). 
Gleichwohl hat das Reichsgericht in ſtändiger Recht⸗ 
ſprechung für die ähnlich geſtaltete ungeteilte Erben⸗ 
gemeinſchaft des preußiſchen Rechts die Anteilsquote 
der Beklagten als Streitwert auch in ſolchen Fällen 
angenommen (JW. 1891 S. 551; 1899 S. 334; 1900 
S. 47) und dieſem Ergebniſſe, das der Billigkeit ent⸗ 
ſpricht, iſt um ſo mehr beizutreten, als auch der 
Klägerin die Einwilligung einzelner Streitgenoſſen 
noch nicht die Verfügung über die ganze Hypothek er⸗ 
möglicht, wirtſchaftlich alſo nicht mit deren vollem 
Wert gleichbedeutend fein kann (8 3 ZPO.) (Beſchl. 
vom 3. Februar 1911; Beſchw.⸗Reg. Nr. 80/11). 8 

2178 3 


II 


Zu 48 707, 719 ZPO. Durch kontradiktoriſches 
Urteil der KfHS. in M. wurde die Holzhandlung D. 
zur Zahlung von 1200 M für eine Holzlieferung an 
die Holzhandlung W. verurteilt und das Urteil gegen 
eine Sicherheit von 1300 M vorläufig vollſtreckbar er⸗ 
klärt. Die Sicherheit wurde erlegt und Vollſtreckung 
verſucht, die aber nur zur Pfändung eines Sofas und 
eines Schreibtiſches im Geſamtwert von 70 M führte. Die 
Beklagte legte Berufung ein und beantragte Einſtellung 
der Zwangsvollſtreckung und Aufhebung der Voll⸗ 
ſtreckungsmaßregeln gegen Sicherheit. Der Antrag 
wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Da ein unerſetzlicher Nach⸗ 
teil nicht behauptet iſt, könnte die Einſtellung nur 
gegen Sicherheit des Schuldners erfolgen. Ob das 
vorliegende Sicherheitsangebot den vollen Urteilsbetrag 
oder nur den geringen Schätzungswert der gepfän= 
deten Möbelſtücke meint, iſt unklar; tatſächlich könnte 
nur die erſtere Summe in Betracht kommen, da die 
Vollſtreckung „aus dem Urteil“ eingeſtellt werden ſoll. 
Dazu beſteht aber kein Anlaß, weil mangels der Be— 
rufungsbegründung die Ausſichten des Rechtsmittels 
nicht nachgeprüft werden können, die bloße Tatſache 
der Berufungseinlegung aber um ſo weniger einen 
Grund gibt, den Gläubiger in ſeinen geſetzlichen Rechten 
(S8 710, 713 Abſ. 2 ZPO.) aus einem vorläufig voll- 
ſtreckbaren Urteil zu beeinträchtigen, als der Schuldner 
durch die Sicherheit des Gläubigers gedeckt iſt und 
daraus für eine ihm vorläufig abgenötigte Zahlung 
gemäß 8 717 3O. ſich Erſatz beſchaffen kann.“) 
(Beſchl. vom 20. Januar 1911, L5öI/11 J). N. 


2146 


1) Für den Gläubiger iſt es keineswegs gleichgültig, ob er nach 
Zurückweiſung des Rechtsmittels nur ſeine Sicherbeit nach § 715 
ZO. zuruckzunebmen braucht, oder ob er ſich nach Erſtreitung eines 
rechtskraftigen Urteils noch um Befriedigung aus einer Sicherheit 
des Schuldners bemüben muß, deren Formen recht zweifelbaft ſind 
(vgl. dieſe Zeitſchr. 1905 S. 110, 117 ff). Der Einſ. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


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489 


Literatur. 


Heusler, Dr. phil. Andreas, Das Strafrecht der 
Jsländerſagas. Leipzig, Verlag von Duncker & 
Humblot, 1911. 245 S. 


Das altnordiſche Wort ſaga bedeutet die Geſchichte, 
das Geſchehene“; als literariſcher Ausdruck bezeichnet 
es jede größere, ſtattlichere Proſaerzählung. Die Is⸗ 
lendinga ſögur, d. h. Isländergeſchichten, auch islän⸗ 
diſche Familiengeſchichten oder Bauerngeſchichten ges 
nannt, ſind ein Mittelding zwiſchen Chronik und Roman. 
Sie bilden eine verhältnismäßig abgeſchloſſene Gruppe 
in der reichverzweigten altisländiſchen Sagaliteratur. 
Sie erzählen, wie Heusler in ſcharfer knapper Cha⸗ 
rakteriſierung bemerkt, die Denkwürdigkeiten, nament⸗ 
lich die Privathändel der Großbauern Islands und 
Grönlands, teils in der Anlage eines Lebenslaufes 
oder einer mehrgliedrigen Familienbiographie, teils 
als weiterſpannende Bezirksgeſchichten oder endlich als 
Novellen von ſtofflicher Einheit. Ihre Handlung be— 
ginnt ein paarmal ſchon vor der Beſiedelung Islands 
5 aber der Hauptmaſſe nach fällt ſie in die 

undert Jahre von 930 - 1030; dieſen Zeitraum nennt 
man denn auch kurzweg Sagazeit. Die Aufzeichnung 
der Geſchichten ſtammt aus dem 13. Jahrhundert. Als 
Quellen für das ältere germaniſche Strafrecht behan⸗ 
delt ſie trotz aller Vorarbeiten eingehend wohl als 
erſter Heusler. Für das intereſſante und wertvolle 
Werk gebührt ihm unſer Dank. In der Aufzählung 
der benutzten Ausgaben fehlt begreiflicherweiſe die 
(nebenbei bemerkt, A. Heusler gewidmete) Uebertra⸗ 
gung der Saga von Gisli dem Geäͤchteten, die Fried⸗ 
rich Ranke als Band 13 der „Statuen Deutſcher Kultur“ 
(Preis 1.60 Mk., Verlag C. H. Beck, München) heraus⸗ 
gegeben hat. Dieſes epiſche Meiſterſtück, das aller⸗ 
dings gegen Rechtsdinge geradezu auffällig ſtumpf 
iſt (Heusler), gibt in der erwähnten Ausgabe jedem 
Gelegenheit, ſich mit dem Stoffkreiſe einer derartigen 
Saga bekannt zu machen. 
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 
Dr. Stier⸗Somlo, Profeſſor in Bonn. Jahrbuch 
des Verwaltungsrechts. Unter Einſchluß des 
Staatsverfaffungs:, Staatskirchen⸗ und Völkerrechts. 
6. Jahrgang, 2. Hälfte. Berlin 1911, Verlag von 
Franz Vahlen. 527 S. 

Die ſoeben erſchienene zweite Hälfte des 6. Jahr⸗ 
ganges enthält den Bericht über die Rechtſprechung 
und Geſetzgebung des Jahres 1910. Den breiteſten 
Raum nehmen darin natürlich wieder die Entſcheidun⸗ 
gen des Preußiſchen Oberverwaltungsgerichts (S. 63 
bis 178) und des Kammergerichts (S. 179 —218) ein. 
Die Rechtſprechung und die Geſetzgebung Bayerns 
find von Regierungsrat von Sutner auf S. 219— 224 
und 399 — 422 mitgeteilt. | 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 
Heinsheimer, Dr. Karl, ordentl. Profeſſor an der Uni⸗ 
verſität Heidelberg. Typiſche Prozeſſe. Ein Zivil 
prozeßpraktikum zum Gebrauch bei akade⸗ 
miſchen Uebungen und zum Selbſtſtudium. 
Dritte, veränderte und durch einen zweiten Teil er— 
weiterte Auflage. Berlin 1911. Verlag von Otto 
Liebmann. 145 S. Preis gebunden Mk. 3.— 


Die ſchnelle Aufeinanderfolge der Auflagen von 
1906, 1908 und 1911 beweiſt, daß die Sammlung einem 
Bedürfnis entgegenkommt. Das überraſcht nicht weiter; 
hat Heinsheimer doch lange genug in der Praxis ge— 
tanden. In der neuen Auflage ſind zu den bisherigen 
2 (jetzt 33) Fällen in einem beſonderen zweiten Teil 
noch 37 kürzere Aufgaben hinzugefügt, um ſo weiteren 
Stoff zu mündlicher und ſchriftlicher Bearbeitung zu 


geben. 


Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


18 


Hein, Dr., Amtsgerichtsrat, Hilfsrichter beim Ober⸗ 
landesgericht in Marienwerder, Handbuch der 
Zwangsvollſtreckung. Unter Mitwirkung von 
Rechtsanwalt Keup in Marienwerder und Gerichts⸗ 
aſſeſſor Dr. Krahn in Danzig. 8°. XVI, 605 S. 
Hannover 1911. Hellwingſche Verlagsbuchhandlung. 
Gebd. Mk. 8.— 

Das Handbuch behandelt nur die Mobiliar⸗Zwangs⸗ 
vollſtreckung, das tägliche Brot des Praktikers, nament⸗ 
lich des Rechtsanwalts. Die Immobiliarzwangsvoll⸗ 
ſtreckung wurde mit Rückſicht auf die bereits vorliegen⸗ 
den vorzüglichen Bearbeitungen bei Seite gelaſſen. 
Als ich den ſtattlichen Band empfing, dachte ich: „Wo⸗ 
zu eine ſo umfangreiche ſyſtematiſche Darſtellung? Bei 
jeder ſchwierigen Frage holen wir uns doch bei den 
Kommentaren mit ihrer Fülle von Kaſuiſtik Rat.“ 
Die nähere Prüfung des Werkes hat mich jedoch völlig 
umgeſtimmt. Es iſt ein ganz hervorragendes Hilfs⸗ 
mittel, eine kaum verſagende Quelle der Belehrung 
und Anregung. Der Umfang darf niemand abſchrecken. 
Das Sachregiſter, vor allem aber das Inhaltsver⸗ 
zeichnis und im Text wieder die überſichtliche Anord⸗ 
nung, die Heraushebung der Gliederung durch Fett⸗ 
druck uſw., machen das Zurechtfinden ſehr leicht. Das 
Handbuch verdient als ſtändiger Berater einen Platz 
auf dem Schreibtiſch. 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Nenkamp, Dr. Gruft, Reichsgerichtsrat. Handkom⸗ 
mentar zur Zivilprozeßordnung nebſt dem 
Einführungsgeſetze. Unter Mitwirkung von 
Landrichter Dr. Karl Becker in Düſſeldorf, Amts⸗ 
richter Walter Kuhbier in Karthaus (3. Zt. Hilfs⸗ 
richter beim Oberlandesgericht in Marienwerder) 
und Landrichter Dr. Paul Strauß in Köln (3. Zt. 
Hilfsrichter beim Oberlandesgericht daſelbſt). Zweite 
umgearbeitete Auflage. Leipzig 1910 und 1911. 
Verlag von C. L. Hirſchfeld. 

Neukamp hat zur zweiten Auflage die im Titel 
genannten Herren zur Mitarbeit herangezogen. Er 
ſelbſt hat die Bearbeitung des dritten die Rechtsmittel 
behandelnden Buches (88 511—577) übernommen. 
Der Text des Geſetzes iſt in der durch die Novellen 
vom 5. Juni 1905, 1. Juli 1909 und 22. Mai 1910 
umgeſtalteten Faſſung wiedergegeben, ſo daß der 
Kommentar dem jetzigen Stande der Geſetzgebung 
entſpricht. Als Anhang iſt die Bekanntmachung des 
Reichskanzlers vom 11. März 1910 (betr das Ver⸗ 
zeichnis der Orte, die im Sinne der 88 499, 604 ZPO. 


Zeitſchrift far f Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


—— ——— ͤ ́WMVM— 4 —qbj.id —— — —— — —— — — —— 


als ein Ort anzuſehen ſind) abgedruckt. Das Ziel 


der zweiten Auflage iſt das gleiche geblieben: mög— 
lichſt erſchöpfende und doch knappe Erläuterungen 
nebſt ſyſtematiſch orientierenden Vorbemerkungen und 
Literaturangaben unter weitgehender Berückſichtigung 
der Rechtſprechung, insbeſondere des Reichsgerichts. 
Der Kommentar ſtellt ſich nach dem Umfange wie auch 
im Werte neben Struckmann-Koch. Er kann gleich 


dieſem rückhaltlos empfohlen werden. 
Jena. Rechtsanwalt Dr. Büren. 


Eckert E., II. Staatsanwalt, verwendet im K. b. Staats» 
miniſterium der Juſtig, Die Vorbedingungen 
für den höheren Juſtiz-, Verwaltungs 
und Fin anzdienſt in Bayern. Eine Samm— 
lung der Vorſchriften mit Anmerkungen, alphabeti— 
ſchem Sachregiſter und Anhang. Vierte, umgearbeitete 
und erweiterte Auflage der von J. Schiedermair her— 
ausgegebenen Prüfungsvorſchriften. München 1911, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 3,60. 

Die einſchneidenden Aenderungen, welche die Vor— 
ſchriften über die Vorbildung der Juriſten in Bayern 
namentlich im verfloſſenen Jahre erfuhren, haben eine 
neue Auflage der von J. Schiedermair herausgegebenen 

Prüfungsvorſchriften notwendig gemacht. Die von 

Eckert beſorgte vierte Auflage enthält nicht nur die 


ſämtlichen neuen Beſtimmungen, an ihrer Spitze die 
Verordnung vom 18. Oktober 1910 und die Miniſterial⸗ 
bekanntmachung vom 25. Oktober 1910, ſondern bringt 
auch als Erweiterung des Hauptteils die im Jahre 1910 
erlaſſenen Beſtimmungen über die Dienſtleiſtung der 
Bewerber um Anſtellung im höheren Dienſte der 
inneren Verwaltung ſowie die grundlegenden Vor⸗ 
ſchriften über die Vorbedingungen für den höheren 
Finanz⸗, ſowie Zoll⸗ und Steuerdienſt aus den Jahren 
1903 und 1908. Auch der Anhang iſt durch Aus⸗ 
ſcheidung veralteter und Einfügung neuer für den 
Staatsdienſtaſpiranten bedeutungsvoller Vorſchriften 
weſentlich umgeſtaltet worden. Den einzelnen Beſtim⸗ 
mungen find, ſoweit erforderlich, Anmerkungen bei⸗ 
gegeben. die neben Hinweiſungen auf andere Vor⸗ 
ſchriften nähere Erläuterungen über Zweck und In⸗ 
halt wie auch wertvolle Fingerzeige für die Aus⸗ 
legung und den Vollzug bieten. Dabei hat das neue 
Beamtenrecht mit ſeinen auch für den Juſtizdienſt⸗ 
aſpiranten wichtigen Neuerungen Berückſichtigung ge⸗ 
funden. Das äußerlich gut ausgeſtattete Buch, deſſen 
Benützung ein ausführliches Sachregiſter erleichtert, 
kann allen jungen Juriſten nur auf das Beſte emp» 
fohlen werden. Auch den mit der Ausbildung des juri⸗ 
ſtiſchen Nachwuchſes betrauten Stellen und den Prü⸗ 
fungsbehörden wird es ſchätzenswerte Dienſte leiſten. 
Sch. 


Foerſter, F. W., Schuld und Sühne. Einige 
pſychologiſche und pädagogiſche Grundfragen des 
Verbrecherproblems und der Jugendfürſorge. gr. 8°. 
VIII, 216 S. München 1911, C. H. Beck'ſche Ber: 
lagsbuchhandlung Oskar Beck. Mk. 3.50. 


Verfaſſer will zwiſchen dem Geiſte der Ueber⸗ 
lieferung und den modernen Beſtrebungen vermitteln 
und vom pſychologiſchen Standpunkt aus zeigen, wie⸗ 
viel unentbehrliche Wahrheit hinter ſcheinbar veralteten 
Vorſtellungen verborgen iſt, daß aber auch die Ver⸗ 
treter des Alten in der Gegenwirkung gegen die 
moderne Einſeitigkeit ſelber einer gewiſſen Einſeitigkeit 
nicht entgangen ſind, indem ſie den berechtigten Kern 


in den modernen Beſtrebungen verkannten. Es handelt 


ſich alſo um den Streit der Strafrechtsſchulen d. h. 
um den Gegenſatz zwiſchen den Vertretern des ſtraf— 
rechtlichen Sühneprinzips und den Wortführern der 
modernen Humanität, die an Stelle des Sühneprinzips 
die bloße Erziehung oder Verwahrung des Delinquen⸗ 
ten ſetzen wollen. Die vorliegende Arbeit, die die 
Streitfrage vom Standpunkte der pädagogiſchen Pſycho⸗ 
logie zu beantworten ſucht, will einen Bauſtein zu 
einer künftigen Kriminalpädagogik liefern, iſt aber in 
ihren grundlegenden Ausführungen auch für die Be— 
handlung der normalen, d. h. nicht kriminellen, Jugend 
von Intereſſe. Auf dem Gebiete der Jugendfürſorge 
erleben wir zur Zeit ein Eindringen amerikaniſcher 
Methoden, deren Weſen in der folgerichtigen Anwen— 
dung des Grundſatzes der Individualiſierung beſteht. 
Individualiſierung iſt jedoch nicht der einzige Grund— 
ſatz der Erziehung. Erziehung iſt nicht nur Anpaſſung 
des Erziehers an den Zögling, ſondern mindeſtens 
ebenſoſehr Anpaſſung des Zöglings an den Erzieher. 
Die Einſeitigkeit der europäiſchen Pädagogik hat bisher 
darin beſtanden, daß man ſich zu wenig zum Zögling 
herabgelaſſen hat; die Einſeitigkeit der amerikaniſchen 
Erziehung beſteht darin, daß man dort vor lauter 
Pſychologie nicht ſelten die Pädagogik vergißt, d. h. 
vor lauter Herablaſſung nach unten das Heraufziehen 
nach oben, vor lauter Eingehen auf das Subjektive 
deſſen Korrektur durch das Objektive verſäumt. Ein 
europäiſch-amerikaniſcher Austauſch wird nach Foerſter 
erſt beginnen, wenn uns die großen Ueberlieferungen 
unſerer europäiſchen Rechtskultur in ihrer pädagogi— 
ſchen Bedeutung klar zum Bewußtſein kommen und 
uns dadurch imitund ſetzen die Einſeitigkeiten des 
individualiſierenden Humanitätsprinzips zu verbeſſern. 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


491 


Ein ſolcher Austaufch wäre ein Symbol für den großen, 
allgemeinen Ausgleich zwiſchen der notwendigen Rück⸗ 
ſicht der objektiven Ordnung auf das Individuum und 
deſſen ebenſo notwendiger Einordnung in dieſe. — 
Im einzelnen zerfällt das gedankenreiche Buch außer 
einer Einleitung über die gegenwärtige Lage des 
Kriminalproblems und die Pädagogik in fünf Ab⸗ 
ſchnitte: I. Der pſychologiſche und pädagogiſche Sinn 
der Strafe (Bedeutung feſter objektiver Normen, Un⸗ 
erſetzlichkeit des Sühneprinzips), II. Das Recht des 
Rechtsbrechers und der Streit der Strafrechtsſchulen 
(Beſtrafung der Tat, nicht des Täters, ſichernde 
Maßnahmen), III. Die Idee der Schuld und der 
moderne Determinismus (Naturwiſſenſchaft und 
Willensfreiheit, pädagogiſche Bedeutung des Schuld⸗ 
gefühls, Zurechnungsfähigkeit), IV. Zur Reform der 
Strafe (größere Mannigfaltigkeit der Strafarten, 
Humaniſierung des Strafvollzugs, Ausſcheidung alter 
Strafarten), V. Die wichtigſten Erziehungsaufgaben 
gegenüber jugendlicher Verwahrloſung. Ein Anhang 
enthält einen Bericht über Selbſtregierung und Selbſt⸗ 
verwaltung in Beſſerungsanſtalten, der die pädagogi⸗ 
ſchen Grundſätze veranſchaulicht, die im vorliegenden 
Werke begründet und empfohlen werden. Sich näher 
mit dieſen auseinanderzuſetzen, iſt hier nicht der Platz. 
Das Buch will geleſen und beachtet werden, und das 
verdient es in hohem Maße. D. 


Cuno, Oberbürgermeiſter in Hagen i. W., Zuwachs 
ſteuergeſetz vom 14. Februar 1911 nebſt den 
Ausführungsbeſtimmungen des Reichs und der 
größeren Bundesſtaaten. Textausgabe mit Ein 
leitung, Anmerkungen und Sachregiſter nebſt dan 
Beſtimmungen des Reichsſtempelgeſetzes vom 15. Juli 
1909 über den Grundſtücksumſatzſtempel in der Faſ⸗ 
ſung, die ſie durch das Zuwachsſteuergeſetz erhalten 
an XVI, 322 S. München 1911, E. Rentſch 

erlag. Gebd. Mk. 2.80. 


Von dem im Frühjahr bei Eugen Rentſch Verlag, 
G. m. b. H. in München, erſchienenen kleinen Kommentar 
von Oberbürgermeiſter Cuno iſt nun im leihen Ver: 
lage eine erweiterte Ausgabe erſchienen, die nebſt dem 
Reichsgeſetz und einem Auszug aus dem Reichs⸗ 
ſtempelgeſetz auch die Ausführungsbeſtimmungen des 
Reichs und der größeren Bundes ſtaaten — Preußens, 
Bayerns, Sachſens, Württembergs, Badens, Braun⸗ 
ſchweigs, Heſſens, Oldenburgs — enthält. Den preußiſchen 
Beſtimmungen hat der Verfaſſer einige Erläuterungen 
beigefügt. Dieſe Ausgabe hat durch die Beigabe der 
Ausführungsvorſchriften an Brauchbarkeit um ein Be- 
deutendes gewonnen. In einem Nachtrage (S. XI ff.) 
nimmt der Verfaſſer Stellung gegen die vom Reichs- 
ſchatzamt beabſichtigte, der ganzen Konſtruktion des 
Geſetzes aber nach ſeiner Meinung nicht entſprechende 
Auslegung des 8 14 Ziff. 3 des Geſetzes. Darnach 
wären Aufwendungen für Bauten und Verbeſſerungen 
nur bis zu dem Werte anrechnungsfähig, den ſie 
zur Zeit der Veräußerung noch haben. Die volle An⸗ 
rechnung der Aufwendungen ſetze alſo voraus, daß 
die Gebäude und die Verbeſſerungen bis zur Ver⸗ 
äußerung keine Wertminderung erfahren haben. 


Sohm, Nudolph, Profeſſor in Leipzig. Die Frän⸗ 
kiſche Reichs⸗ und Gerichts verfaſſung. 
Unveränderter Nachdruck. 558 S. Leipzig, Verlag 
von Duncker & Humblot, 1911. 

Seit langem war das Werk vergriffen, das heute 
noch grundlegend iſt. Mit Freude war darum die Ans 
kündigung einer neuen Ausgabe zu begrüßen. Leider 
kennzeichnet ſich dieſe aber ſchon auf dem Titel als 
„unveränderter Neudruck“. Sie ſtimmt Seite für Seite 
mit dem erſten Druck überein; nur drei Schreib- oder 
Druckfehler ſind berichtigt. Sogar die Rechtſchreibung 
iſt beibehalten. Die vorliegende Ausgabe iſt alſo volle 


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— 4 


40 Jahre alt und läßt alles unbeachtet, was in dieſen 
vier Jahrzehnten eifrigen Schaffens auf dem Gebiete 
der deutſchen Rechtsgeſchichte für die fränkiſche Zeit 
zutage gefördert worden iſt. Was das bedeutet, ſagt 
ſchon der Hinweis auf die inzwiſchen erſchienenen 
beiden Bände von Brunners Rechtsgeſchichte. Wie die 
Forſchung fortgeſchritten iſt, ergibt ein Vergleich der 
2. Auflage des 1. Bandes von Brunners Rechtsgeſchichte 
(1906) mit der 1. Auflage (1887). Sohm hätte ſich doch 
wenigſtens mit den abweichenden Anſichten anderer, 
z. B. Brunners, Schröders, Sickels, auseinanderſetzen 
müſſen. Er hat aber nicht einmal da eine Aenderung 
vorgenommen, wo er in der Zwiſchenzeit ſelbſt ſeine 
Anſicht geändert hat, z. B. hinſichtlich der Stellung 
des Gerichtsſchreibers in der fränkiſchen Gerichtsver⸗ 
faſſung (S. 528 ff.). 


Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Meifter, Dr. Edard, Die Veräußerung in Streit 
befangener Sachen und Abtretung rechts⸗ 
Dans 5 Anſprüche nach § 265 ZPO. (Würz⸗ 

urger Abhandlungen zum deutſchen und ausländ. 
Prozeßrecht, Heft 5). 8°. X, 120 S. Leipzig 1911, 
C. L. Hirſchfeld. Mk. 2.40. 

Die Schrift — offenbar eine Doktorarbeit — ent⸗ 

a eine gründliche Unterſuchung des in 8 265 ZBO. 

ehandelten Problems. D. 


Notizen. 


Eine bemerkenswerte Bekanntmachung über die 
Führung des Grundbuchs vom 30. Oktober 1911 enthält 
das JIM Bl. in Nr. XIX S. 365 ff. Sie hebt zunächſt 
hervor, daß trotz aller bei der Grundbuchanlegung 
aufgewendeten Mühe und Sorgfalt die Eintragungen 
im Grundbuche nicht allgemein mit der wirklichen 
Rechtslage übereinſtimmen, und zeigt den Notaren, 
Grundbuchämtern, Vormundſchafts⸗ und Nachlaßrichtern 
die Wege, die ſie einſchlagen ſollen, um bei der Be⸗ 
ſeitigung dieſes Mißſtandes mitzuwirken. Bei jeder 
Gelegenheit ſollen insbeſondere die Beteiligten darüber 
belehrt werden, welchen Nachteilen ſie ſich ausſetzen, 
wenn ſie die notarielle Beurkundung von Verträgen 
über die Veräußerung von Grundſtücken u. dgl. unter⸗ 
laſſen oder verſchieben; die Grundbuchämter ſollen 
durch Vermittelung der Bürgermeiſter oder gemein⸗ 
nütziger Vereine die ländliche Bevölkerung von Zeit 
zu Zeit auf dieſe Nachteile aufmerkſam machen. Die 
Notare ſollen ferner bei den Beurkundungen Vorſorge 
dagegen treffen, daß die Vertragsteile die Plannummern 
von Grundſtücken angeben, die nicht Gegenſtand des 
Vertrags find. Wenn Grundſtücke im Grundbuch uns 
richtig bezeichnet ſind, ſollen Notar und Grundbuch⸗ 
amt für die Berichtigung ſorgen (vgl. § 130 DA.). 
Wir werden bei Gelegenheit auf die wichtige Bekannt⸗ 
machung nochmals zurückkommen. 


Der Verkauf von Walderzengniſſen. Hierüber trifft 
die K. Verordnung vom 25. November 1911 (GVBl. 
S. 1153) auf Grund der Art. 106 bis 108 Forſt G. 
Vorſchriften. Das ſtets wachſende Verlangen des 
täglichen Lebens nach einem Schmucke der Wohnungen 
mit Waldesgrün und beſonders das Chriſtbaumbe⸗ 
dürfnis der Weihnachtszeit hat vielfach, namentlich in 
der Nähe größerer Orte, den Forſtbetrieb gefährdet 
und einen Schutz des Waldes notwendig gemacht. 
Die Verordnung tritt am 1. Dezember 1911 für 8 Jahre 
in Kraft und hebt die bisher für einzelne Bezirke 
geſondert erlaſſenen gleichartigen Verordnungen auf; 
ſie erſtreckt ſich nach ihrer Beilage auf Bezirke in allen 
Kreiſen mit Ausnahme von Niederbayern, Unterfranken 
und der Pfalz und zwar teils auf das ganze Jahr, 


492 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 


— ———— —.——.—.. . —— — —— — ———— — —ää— —— .Tub— — i — Ser — 


teils nur auf die Monate Oktober, November und 
Dezember. Verboten iſt in dieſer örtlichen und zeit⸗ 
lichen Begrenzung der Verkauf und Wiederverkauf von 
Nadelholz⸗Büſchen und ⸗Gipfeln, die aus Waldungen 
ſtammen, ohne ein dem Art. 106 Forjt®. entſprechendes 
Zeugnis über den rechtmäßigen Erwerb. Nicht unter 
das Verbot fällt alſo der Berkauf von Laubholz und 
von Nadelholz⸗Zweigen ſowie von Nadelholz⸗Büſchen 
und ⸗Gipfeln, die nicht aus Waldungen, fondern z. B. 
aus Gärtnereien ſtammen. 


Das verbotswidrige Verkaufen, Wiederverkaufen 
oder Anbieten zum Verkauf unterliegt einer vom 
Amtsgericht auszuſprechenden Strafe von 1 M 80 Pf. 
bis zu 9 M. Vorbehalten iſt die weitere Beſtrafung 
wegen Forſtfrevels, wenn ſich ergibt, daß die Wald⸗ 
erzeugniſſe gefrevelt wurden. Die Verordnung enthält 
auch Vorſchriften über die vorſorgliche Beſchlagnahme 
der verbotswidrig in den Handel gebrachten Wald⸗ 
erzeugniſſe und über die dienſtſtrafrechtliche Verant⸗ 
wortlichkeit der Beamten, die bei der Ausſtellung der 
9 nicht mit der notwendigen Sorgfalt ver⸗ 
fahren. 


Die Vormerkung der Begnadigungen in den Straf⸗ 
regiſtern. Die Strafregiſterbehörden haben die Be⸗ 
gnadigungen vorzumerken, von denen fie durch die 


Amtsanwälte und die Staatsanwälte Kenntnis er⸗ 


halten. Sie haben bei jeder Auskunft aus dem Straf⸗ 
regiſter mit der Verurteilung auch den Inhalt des 
Vermerks über die Begnadigung mitzuteilen (Nr. 4 
der Bek. vom 23. April 1907, IM Bl. S. 114). Durch 
die Bek. vom 15. November 1911 (JMBl. S. 388) 
wurden dieſe Vorſchriften auf die Fälle ausgedehnt, 
in denen bayeriſche Militärbehörden oder außer⸗ 
bayeriſche Behörden den Regiſterbehörden Gnaden⸗ 
erweiſe mitteilen. 
2468 


Abgekürzte Auszüge aus den Perſonenſtandregiſtern. 

Die Bek. des Staatsminiſteriums der Juſtiz vom 
11. November 1911, die abgekürzten Auszüge aus den 
Perſonenſtandsregiſtern betr. (JM Bl. S. 387), be⸗ 
deutet einen weiteren Schritt auf dem Wege, das 
Schreibwerk bei den Standesämtern zu mindern. Durch 
die Bek. vom 18. Mai 1905, 13. Juli 1906 und 25. Mai 
1909 (JMBl. 1905 S. 725, 1906 S. 194 und 1909 
S. 288) wurden in Bayern neben den vollſtändigen 
Auszügen aus den Perſonenſtandsregiſtern abgekürzte, 
die ſog. Geburts-, Toten» und Heiratsſcheine, einge⸗ 
führt. Die Miniſterien haben den ihnen unterſtellten 
Behörden nahegelegt, ſich nach Möglichkeit mit den 
abgekürzten Auszügen zu begnügen. Für die Juſtiz— 
behörden iſt dies durch die Bek. vom 30. Juni 1909 
(JMBl. S. 290) geſchehen. 
. Die Bek. vom 11. November 1911 weiſt nun die 
Staatsanwälte und Amtsanwälte an, im Strafver— 
ſahren zur Feſtſtellung der perſönlichen Verhältniſſe 
oder des Ablebens einer Perſon ſich nur abgekürzte 
Auszüge aus den Perſonenſtandsregiſtern ausſtellen 
zu laſſen, wenn nicht aus beſonderen Gründen voll— 
ſtändige Auszüge nötig ſind. Letzteres kann z. B. der 
Fall ſein, wenn von Bedeutung iſt, ob jemand ehelich 
geboren oder durch nachfolgende Ehe legitimiert wurde, 
oder wenn Zweifel an der Rechtswirkſamkeit einer 
Legitimation beſtehen. 

Formblätter ſieht die Bekanntmachung nicht vor. 
Den Standesbeamten ſtehen die Formblätter für die 
abgekürzten Auszüge zur Verfügung. Viele Staats— 
anwälte und Amtsanwälte verwenden jetzt ſchon 
wenigſtens zur Erholung von Geburtsregiſterauszügen 


Formblätter. Soweit dieſe auch den Vordruck 1 die 
Auszüge enthalten, empfiehlt ſich, ihn den für die ab⸗ 
gekürzten Auszüge vorgeſchriebenen Formblättern an⸗ 
zupaſſen. 

59 


Die Wirkung des Fingerabdruckverfahrens auf die 
Verbrecherſeele. Ueber die Bedeutung des Finger⸗ 
abdruckverfahrens in der kriminaliſtiſchen Wiſſenſchaft 
unſerer Zeit iſt in dieſer Zeitſchrift ſchon wieder⸗ 
holt geſprochen worden. Richter, Staatsanwälte 
und Polizeibeamte haben täglich Gelegenheit, den 
Wert dieſes einſachſten und zuverläſſigſten aller 
Erkennungsmittel zu erproben und auch auf die 
„maßgebenden Kreiſe“, auf die Verbrecher ſelbſt, 
machen die Erfolge der Daktyloſkopie bereits tiefen 
Eindruck. So wurde vor kurzem durch die Landes- 
ſammel⸗ und ⸗Auskunftſtelle für Fingerabdrücke in 
München ein Zigeuner identifiziert, der Grund hatte, 
ſeinen richtigen Namen Joſeph R. zu verheimlichen. 
Er war nämlich im Jahre 1900 wegen Diebſtahls zu 
einer Gefängnisſtrafe von einem Jahre verurteilt 
worden. Da er vom Stehlen nicht laſſen wollte, ließ 
er ſich in Zukunft unter ſeinem richtigen Namen 
nur wegen Uebertretungen abſtrafen, während er ſich 
für Diebſtahl und Betrug den Namen Leopold Ro. 
zulegte. Im Jahre 1910 befand er ſich unter dem 
Namen Albert M. in Karlſtadt in Haft und wurde 
im Bayeriſchen Zentralpolizeiblatt als unbekannter 
Verhafteter ausgeſchrieben. Als auf Erſuchen der 
Polizeidirektion München Fingerabdrücke von ihm vor⸗ 
genommen wurden, gab er an, er heiße Leopold Ro. 
und ſei ungariſcher Staatsangehöriger; er wurde 
unter dieſem Namen verurteilt und nach verbüßter 
Strafe aus dem Königreiche Bayern ausgewieſen. 
Aus Furcht vor Bannbruch- und Rückfallſtrafen wegen 
Diebſtahls, die ihm unter dem Namen Leopold Ro. 
drohten, nahm er nun wieder ſeinen richtigen Namen 
Joſeſ R. an, unter dem er außer der für den Rückfall 
nicht mehr in Betracht kommenden Strafe von 1900 
nur Uebertretungsſtrafen erlitten hatte. Dabei wußte 
er ſich aber durch falſche Angaben über Ort und Zeit 
ſeiner Geburt und die Namen ſeiner Eltern vor der 
Ermittlung ſeiner Vorſtrafen zu ſichern, zumal da er 
von den Staatsanwaltſchaften in Ellwangen und 
Hall wegen Bandendiebſtahls geſucht wurde. Im 
November 1911 wurde er in Schongau feſtgenommen. 
Die Münchener Zigeunerzentrale identifizierte ihn durch 
ihre Akten als den geſuchten Joſeph R. und die Finger⸗ 
abdruckzentrale deckte dann durch die Fingerabdrücke 
ſeine Beziehungen zu Leopold Ro. auf. Nachdem er 
bei zweimaligem Verhör geleugnet hatte, bequemte er 
ſich ſchließlich zu dem Geſtändnis mit dem aus⸗ 
gewieſenen, rückfälligen Diebe Leopold Ro. identiſch 
zu ſein. An die K. Polizeidirektion München aber 
richtete er vor feiner Ablieferung nach Ellwangen 
folgende Poſtkarte: 

„Titl. Polizeitirecktion München. 

Schongau, 17. 11. 11. 

Hochgeatete Herrn! 

Nicht ohne Reſpeckt muß ich Ihnen zugeben, daß 
ich durch Ihre verdamten Fingerabtrüfe entlarft bin. 
Ich habe den Namen Ro. gefürt, bin aus Baiern 
ausgewiſen. Werde in Zukunft beſſer auf der Hut 
ſein und vor der Hand für einige Zeit dem lieben 
Baiern Valet ſagen. 


Hochachtungsvollſt 
Re.“ 


2457 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., Freiſing. 


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Zur Statistik über den Einfluss des Alk 
Verhältnismässige Häufigkeit der Verurteil 


Es traf ein Verurteilter 


E auf 301 bis 400 Einwohner 
„ 401 „ 500 „ 


— 
En „ 501 „ 600 „ 
— 


der straf- 

I 8 le 
„ 701 „ 300 1 Zivilbe- 
völkerung. 


El 
. „ 801 „ 900 „ 
u 


„ 901 „ 1000 3 


1 auf mehr als 1000 Einwohner. 


Alkoholgenusses auf die Kriminalität. 
rieilungen (nach Landgerichtsbezirken). 


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