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4 —
Jeilſchriſt für Behlspflege
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7. Jahrgang
1911
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530
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IJieilſchrift für Rechtspflege
—— in Bayern ——
— TINTE
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Kgl. Landgerichtsrat, verw. im Kgl. Bayer. Staatsminiſterium der Juſtiz.
VII. Jahr gang 1911.
München 1911.
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
to
Franz Paul Datterer & Cie., München und Freiſing.
d D f Gzyen
Inhalts verzeichnis zum Regiſter.
I. Syſtematiſches Verzeichnis.
A. Abhandlungen.
Bürgerliches Recht
Unlauterer Wettbewerb 3
. Gerichtsverfaſſung. Zivilprozess
Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Strafrecht. Strafprozeß
Gewerberecht
Verwaltung
Juſtizverwaltung .
Finanzweſen
Rechtsſtudium. Prüfungsmejen .
Ausländiſches Recht.
Allgemeines
B. Mitteilungen aus der Praxis.
Bürgerliches Recht.
Zivilprozeß S u a N
Konkursverfahren. Zwangsverſteigerung
Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Verſicherungsrecht.
Strafrecht. Strafprozeß .
. Gerichtskoſten.
Verwaltung. Juſtizverwaltung
Unlauterer Wettbewerb
Gebühren
C. Praxis der Gerichte.
Bürgerliches Recht.
A. Reichsrecht
a) Allgemeiner Teil .
b) Recht der Schuldverhältniſſe
1. Allgemeiner Teil . . . .
2. Einzelne Schuldverhältniſſe .
e) Sachenrecht 8
d) Familienrecht
e) Erbrecht
k) Uebergangsrecht
B. Landesrecht
Handelsrecht.
Urheberrecht
Grundbuchweſen
Grundbuchweſeng.
| Seite
4. Genoſſenſchaftsrechhttetet XI
Ste 5. Haftpflichtrecht. Verſicherungsrecht. XI
6. Zivilprozeß . e XI
IV 7. Zwangsverſteigerung XII
IV 8. Konkursverfahren. e
IV 9. Freiwillige Gerichtsbarkeit Zwangserziehung XIII
IV 10 Grundbuchweſen u en er AN
IV II. Gerichtskoſten. Gebühren XIII
IV 22. Strafrecht XIII
V A. Reichsrecht XIII
v. a) Strafgeſetzbuch XIII
v 1 Allgemeiner Teil XIII
2. Beſonderer Teil XIII
v b) Nebengeſetze XIv
Sv Hl. Landesrecht. Xv
13. Gerichtsverfaſſung. Strafprozeß . XV
14. Staatsrecht. Verwaltung. XVI
v
VS D. Notizen.
V I. Zivilprozeß. Grundbuchweſen . XVI
V 2. Patentrecht . 8 XVI
V 3. Strafrecht. Strafprozeß. XVI
VI 4. Internationales Recht XVI
VI 5. Juſtizverwaltung . XVII
VI 6. Verwaltung XVII
7. Allgemeines . XVII
VI E. Sprachecke. XVII
V
vi II. Alphabetiſches Verzeichnis. Nun!
VII
VII III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen.
VII A. Reichsgeſetze XXX
5 | B. Landesgeſetze XXXIV
9
IX C. Anhang XXXV
IX
. XXXVI
140148
|
X | IV. Verzeichnis der Mitarbeiter
|
|
V. Beſprochene Bücher und Zeitſchriften XXXVII
I. Syftematiſches Verzeichnis.
(Die Zahlen bedeuten die Seiten.)
A. Abhandlungen.
1. Bürgerliches Recht.
Vertretbare und Gattungsſachen. — Mengeſa chen
und Stückſachen. Profeſſor Dr. Langheineken
in Halle 149, 176
Die Rechtsmoral. Profeſſor Dr. Hans Albrecht
Fiſcher in Gießen 145, 173
Die Münchener Mietverträge. Landgerichtsrat
Straub in München
Die Bedeutung der Meſſungsanerkennung. Rechts⸗
anwalt Joſeph Feßler in Regensburg 235
Die Feſtſtellung des Eigentums an Wegen. Oberit-
landesgerichtsrat Hermann Schmitt im Staats-
miniſterium der Juſtiz in München 53, 76,
Unrichtiged Bekenntnis erhaltener Hypotheken⸗
darlehns⸗Valuta und Erwerb der faligen Hyvo⸗
thek durch einen neuen Geldgeber. Rechts⸗
anwalt r. Eugen Joſef in Freiburg i. Br.
Die Uebernahme von Amortiſationshypotbeken
einer Hypothekenbank in Anrechnung auf den
Kaufpreis. Juſtizrat Dr Oberneck, Rechtsan⸗
walt und Notar in Berlin 9
Die Einreichung des Vermögensverzeichniſſes bei
fortgeſetzter Gütergemeinſchaft. Amtsgerichtsrat
Sommer in Cöln
Die Berufsvormundſchaft in München. Amts⸗
richter Matthias Mayr in München 353,
Auslegung des $ 1935 BGB. mittels mathe⸗
matiſcher Methoden. Profeſſor Dr. Lang⸗
heineken in Halle
109
329
2. Unlauterer Wettbewerb.
Die Anordnungen der höheren Verwaltungsbe—
hörde über die An eigepflicht bei Ausverkäufen.
Rechtsanwalt Dr. Klein berger in München 256
3. Gerichts verfaſſung. Zivilprozeß.
Wiedergabe von Rechtsausführungen der Parteien
im Tatbeſtande. Theodor von der Pfordten
Die Reviſionszuſtändigkeit des Oberſten Landes⸗
reits im Zivilprozeſſe. Geheimer Hofrat Pro—
feſſor Ur. Ernſt Jaeger in Leipzig
Die Behandlung der Mahnſachen und der Ferien⸗
ſachen nach der Novelle zur ZPO. vom 1. Juni
1909. Amtsrichter Theodor Gros in München
355, 379, 395
Die Vollſtreckbarkeit deutſcher Vollſtreckungstitel
in Oeſterreich. Rechtsanwalt Dr. Arthur Lebrecht
in Nürnberg
Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungsver—
fahrens. Rechtsanwalt Ur Hugo Kahn in
Nürnberg 59,
473
73
360
81
377
4. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Grund buchweſen.
Zum i bei Einleitung einer
vorläufigen Vormundſchaft. Joſeph Wagner,
Rat am Oberſten Landesgerichte 193
Form der Beſchwerdezurücknahme in Grundbuch⸗
ſachen. Landgerichtsrat du Chesne in Leipzig 300
Uebertragung von Grundbuchblättern. Dr. Wil⸗
helm Kriener, Amtsrichter in Landshut 195, 217
5. Strafrecht. Strafprozeß.
Wechſelnde Meinungen über Tateinheit und Taten⸗
mehrheit in den verſchiedenen Abſchnitten des
Strafprozeſſes. Dr Fr. Doerr, II. Staats⸗
anwalt in Nürnberg 393
Die ſtrafbare Verletzung der eee ee
Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg
Zur Anwendung des Art. 16 des Geſetzes 11
10. März 1879
20. Dezember 1807. betr. die Beſteuerung des Ge⸗
werbebetriebs im Umherziehen. Iſt bezüglich
der Feſtſetzung der Jahresſteuer das Gericht an
die Entſcheidung der Verwaltungsbehörde ge⸗
bunden? Senatspräſident v. Payr in München 101
Die Strafvorſchriften der Reichsverſicherungsord⸗
nung. Amtsrichter Dr. Dürr in München
Strafrechtliche Fragen auf dem VII. Internatio⸗
nalen Kongreß für Kriminalanthropologie. Land-
gerichtsrat Dr. Kühle wein in München 436, 459
Der 8 380 und der 8 372 der StPO. Heinrich
Gerland, Univerſitätsprofeſſor und Oberlandes⸗
gerichtsrat in Jena
Ne bis in idem! Ein Rechtsgutachten. Profeſſor
Dr. Oetker in Würzburg 1
Studien aus dem bayerischen Forſtſtrafrecht.
Landgerichtsrat Hümmer in München 128,
Alkohol und Verbrechen in Bayern. Dr. v.
Valta, wiſſenſchaftlicher Hilfsarbeiter des K. B.
Statiſtiſchen Landesamts.
125
475
6. Gewerberecht.
Das Stellenvermittlergeſetz. Legationsrat Dr. Georg
Schmidt im Staatsminiſterium des K. Hauſes
und des Aeußern.
Der Ausſchank ſelbſterzeugter Getränke in der
Rheinpfalz. Landgerichtsrat Otto Zoeller in
München (früher in Landau, Pfalz)
Der Straußwirtſchaftsbetrieb in der Rheinpfalz.
Landgerichtsrat 3. Miche! in Frankenthal
12
14
106
I. Syſtematiſches Verzeichnis. V
7. Verwaltung. 9. Finanzweſen.
Eine Frage aus dem bayeriſchen Fiſchereirecht. 1 Abzugsrecht der Gewerbetreibenden nach
vom 14. Auguſt 1910. Rechtsanwalt Dr. Weil
Zum Begriffe des „öffentlichen Elektrizitätswerks“ in Ludwigshafen a. Rh. 0 42, 62
m Sinne der Novelle zum Zwangsabtretungs⸗
aejebe vom 13. Auguſt 1910. Juſtizrat Dr. Moritz
bermeyer, Rechtsanwalt in München 169
Proviſoriſche e ene der SR sr
hörden in Wegſtreitigkeiten. Bezirksamtsaſſeſſor
155 Sein bah in Rof ſenheim 327
Landeskriminalpolizei. Dr. Theodor Harſter,
Bezirksamtsaſſeſſor bei der Kgl. Boliyeibiretion .
München
Das Reichdzumacheſteuergeſez, Profeſſor Dr. H.
Köppe in Marburg a ahn 233,
10. Nechtsſtudinm. Prüfungsweſen.
Die Reform des Rechtsſtudiums. Univerſitäts⸗
profeſſor und Oberlandesgerichtsrat Dr. Heinrich
B. Gerland in Jena 213
. für e und Rechtsanwendung.
. Dr. Heinrich Schultz, Staatsanwalt am Ober⸗
landesgerichte München 433
8. Juſtizverwaltung. Die Notwendigkeit einer allgemeinen Rechtslehre.
dur Umgeſtaltung des Rechtsſtudiums auf den
Die neuen bayeriſchen Vorſchriften über das niverſitäten. Amtsrichter K. Baer in Nürnberg 39
Verfahren der Juſtizbehörden in Begnadigungs⸗
Rechtsanwalt Richard Berolzheimer in München 413 | Art. 11 und 12 des Einkommenſteuergeſetzes
|
|
|
e J. Bleyer, II. Staats⸗ 11. Ansländiſches Recht.
eee eee 275, 293 Die Jahrhundertfeier des öſterreichiſchen Allge⸗
Gefangene der bayeriſchen e ee als meinen Bürgerlichen Geſetzbuchs. Univ.⸗Profeſſor
land⸗ und forſtwirtſchaftliche Arbeiter. Amts⸗ Dr. Leopold Wenger in München 273
richter Dr. Klimmer in München 439 Die engliſche Gerichtsverfaſſung. Oberlandes⸗
ar ſtaatliche Obſorge für entlaſſene Gefangene gerichtsrat Frhr. v. Richthofen in Jena 295, 325
n Bayern. Landgerichtsrat Richard Degen in |
München 415 | 12. Allgemeines.
Der XX. deutſche Anwaltstag in Würzburg. Das Weſen des „Modernismus“. Oberlandes⸗
Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Roſenthal in München 373 gqgerichtsrat Dr. J. Gmelin in Stuttgart 453
B. Mitteilungen aus der Praxis.
1. Bürgerliches Recht. Zuſtändigkeit für die Bewilligung der 8.1
| Zuſtellung notarieller Urkunden (ZBO. 88
Zur Anwendung des 8610 BGB. auf Abreden
über die Prolongation eines Darlehens. Gepr. V Winden Ar
Rechtsprattifant Dr. Stahl in Neuftadt at. 199 Wim erteilt Die aan a
Sicherung der Bauhandwerkerforderungen. Amts⸗ | Unterhaltgübereintommeng, wenn die Vormund⸗
richter Ehrenberger in Nürnberg 17 ſchaft im Ausl ande geführt wird? Amtsrichter
Die amtliche Ermittlung des Wertes von Grund⸗ Matthias Mayr in München 44
ſtücken. Bankdirektor Bonſchab in München 133 Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungsver⸗
Eine Lücke im Güterzertrümmerungsgeſetze? fahrens? Rechtsanwalt Dr. Neubürger in
Amtsrichter Pösl in Mainburg 303 Fürth 198
Iſt in den auf die Anzeige des Familienhauptes
EHE he) aa der Schar un zur | 3. Konkursverfahren. Zwangs verſteigerung.
ichnung de rtes der Geburt und des ö Notariats⸗
,
i
Rechtsanwalt
genauere Bezeichnung der Oertlichkeit Wohnun Aus der Praxis des Konkursrechts.
uſw.) 5 DER Amtsgerichtspdireftor Tiſ Landau in Nürnberg
in Neuſtadt a. d. H 228
4. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Grund buchweſen.
; Zur Auslegung des 8 46 Abſ. 2 GG. Rechts⸗
2. Zivilprezeß. praktikant Fran in Hersbruck 222
Zur Auslegung des 8 36 Nr. 3 ZPO. Referendar Unwirkſame und nachträgliche Auseinander-
Dr. Eger in Berlin 298 ſetzungen. Rechtsanwalt Dr. Joſef in Frei⸗
Kann ein Rechtsanwalt nach 8 116 ZPO. einer burg i. Br. 241
armen Partei beigeordnet werden? Rechts⸗ Die Anlegung eines Grundbuchblattes für ein
anwalt Dr. Stenger in München 304 Erbbaurecht. Amtsrichter Ferling in Bamberg 132
Zum Vollzug des $ 116 der 3PO. Amtsgerichts
rat Leiendecker in München 305 5. Verſicherungsrecht. Unlauterer Wettbewerb.
Koſtenurteil bei Zurücknahme der Klage. Gerichts Bürgerlich⸗rechtliche Schadenserſatzanſprüche der
aſſeſſor Dr. Pfeiffer in Breslau 2 em Gewerbeunfallverſicherungsgeſetze unter⸗
Vorläufige Vollſtreckbarkeit von Verſäumnis⸗ liegenden Perſonen während der erſten 13 Wochen
urteilen nach vorausgegangenem Mahnver⸗ nach dem Unfall. (8 135 GuV G.). Dr. Geigel
fahren. Amtsrichter Gros in München 259 in Aſchaffenburg. 83
vi
gegen den ums
Eine bedenkliche Lücke am NS on
d r u ndikn
lauteren Wettbewerb?
der Handelskammer Regensburg
6. Strafrecht. Straſprozeß.
Körperliche Mißhandlung durch Anſteckung mit
einer Geſchlechtskrankheit? Senatspräſident
Oberſtlandesgerichtsrat a. D. Kunkel in München
Der W 7 gegen Entziehung un⸗
beweglicher Sachen. echtsanwalt Juſtizrat
Dr. Eiſenberger in München.
a e Bultänbigfeitöfrage. Amtsrichter Dr. Bretz⸗
in Nürnberg
A Sühnetermin im Privatklagever⸗
fahren. Amtsrichter Doſenheimer in Ludwigs⸗
hafen a. Rh.
Gerichtlicher Sühnetermin im Privatklagever⸗
fahren. II. Staatsanwalt Dr. Doerr.
Beitreibung von Koſten und Auslagen im Privat⸗
klagever ahren. Rechtsanwalt Dr. Blüthe in
Schweinfurt
Zur Frage der Doppelbeſtrafungen (ne bis in
idem). II. Staatsanwalt Gick in München
Die Ermittelung e
anwalt Sotier in München
Etwas über die Kriminalpolizei.
Bretzfeld in Nürnberg
mer Briefſchreiber. II. Staats⸗
134
Inhaltsverzeichnis de der r Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. N
|
181
19
397
421
Amtsrichter Dr.
1
Die Bezeichnun
7. Gerichtsksſten. Gebühren.
Darf neben dem Gebührenvorſchuſſe (8 81 GKG.)
vor⸗
ußweiſe erhoben werden? Oberſekretär
f cpu der Pauſchſatz des 8 80b GKG.
Reger in Nürnberg
Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge⸗
bühren von Grundbucheintragungen. Miniſterial⸗
rat Dr. Unzner in München
Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge⸗
bühren von Grundbucheintragungen. Finanz⸗
rechnungskommiſſär Weisbrod in München
Zeugengebihren der Feſtbeſoldeten. Landgerichts⸗
rat Michel in Frankenthal
2 been de f des Antragſtellers im Ver⸗
fahren der Zwangsverſteigerung und der
wan e Amtsgerichtsſekretär Heſſel⸗
eh in Forchheim
8. Verwaltung. Juſtizverwaltung.
ng der Geſetze und Verordnungen.
Zollinſpektor Wenig in München
Iſt 8 55 der bayeriſchen Verordnung vom 4. Juli
1899/22. Oktober 1910 über die Vorbedingungen
für den Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt rechts⸗
wirkſam? Landgerichtsrat Dr. Schultz in
München
Zum Aufſichtsrechte des Vorſtandes der Anwalts⸗
kammer. Landgerichtsrat Pr. A. Friedländer
in Limburg a. L.
C. Praxis der Gerichte.
RG. bedeutet Reichsgericht, Obe.
VGH. - Verwaltungsgerichtshof, KK GH. — Gerichtshof für Kompetenzkonflikte.
1. Bürgerliches Recht.
A. Neichsrecht.
a) Allgemeiner Teil.
Zu 8 31 BGB. Der Verein haftet für die zum
Schadenserſatze verpflichtende Handlung nicht
allein; der Vorſtand haftet neben ihm.
Darſ der Arzt an einem Minderjährigen ohne die
Einwilligung des geleblichen Vertreters eine
Operation vornehmen? RG.
Kauf i. S. des Art. 1 GüterzertrG. (Verdeckung
durch einen e ee Beginn der Friſt
zur Ausübung des Vorkaufsrechts bei nach⸗
träglicher Aenderung des Vertrages.
Kann in dem Vertrag über Erteilung einer Voll:
macht zur Zertrümmerung eines Anweſens und
Zahlung einer Proviſion ein Kaufvertrag über
das Anweſen gefunden werden? üſſen die
Beſchwerdeführer in Gebührenſachen über eine
A der Regierungsfinanzkammer
gehört werden? Aus welchen Gründen darf
das u in ſolchen Sachen die
RG. 463
424
ObL G. 369
Erheb en) von angebotenen neuen Beweiſen
ablehnen a 88 117, 133, 242, 433; Geb.
Art. 48, 4 Ob LG. 315
Bedeutung 3 Vereinbarung, daß eine Abrede
über einen Pachtvertrag nicht in die notarielle
Urkunde über einen damit zuſammenhängenden
Tauſchvertrag „hineinkommen“ ſolle.
Eine Eidesverweigerung kann nicht auf Grund
des 8 119 BGB. angefochten werden.
Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeſchäfts wegen
Drohung ſetzt eine widerrechtliche Abſicht des
Drohenden nicht voraus. RG.
RG. 242
RG. 165
e Anhaltspunkte für die
nnahme, daß eine ſolche Uebereignung ernſt⸗
lich gemeint iſt. Vereinbarung eines Rechts⸗
verhältniſſes, durch das der Erwerber den
mittelbaren Beſitz erlangt. RG.
Iſt die Auslegungsregel des 8 133 BGB. an⸗
wendbar, wenn Zweifel darüber beſtehen, ob
eine Klage gegen eine Ortsgemeinde erhoben
worden iſt oder gegen die politiſche Gemeinde,
zu der die Ortsgemeinde gehört? Ob
Zuläſſigkeit des geſchäftlichen Wettbewerbverbotes.
itwirkung eines Dritten an der Verletzung
dieſes Verbotes (88 138, 826 BGB.).
OLG. Nürnberg
Verſtoß gegen die guten Sitten bei einer Ring⸗
bildung. Eingehen der Verpflichtung unter
gewiſſen Umſtänden ut zu werden.
G. Zweibrücken.
Verſtoß gegen die guten Sitten dh Annahme
des Verſprechens einer übermäßig großen
Mitgift. R
Iſt eine letztwillige Verfügung zugunſten einer
Konkubine unter allen Umſtänden wegen Ver—
ſtoßes gegen die guten Sitten ungültig? RG.
Zu 8 138 BGB.: Geheime Abmachungen von
Unternehmern über die Höhe ihrer Gebote bei
dem Wettbewerb um öffentlich ausgeſchriebene
Arbeiten. RG.
Ungültigkeit eines Vertrags, durch den ein
Schuldner ſeinem Gläubiger alle gegenwärtigen
und künftigen Geſchäftsaußenſtände abtritt und
zugleich ſeine Fabrikeinrichtung, ſeine Rohſtoffe
und Waren ihm übereignet, ſowie ſeine künftig
zu erwerbenden Rohſtoffe und Waren ihm zu
übereignen ſich verpflichtet. R
279
18
65
332
158
441
— Oberſtes Landesgericht, OLS. — Oberlandesgericht, LG. S Landgericht,
66
LG. 139
123
—
21
G. 263
21
399
G. 400
Nichtigkeit eines Teiles eines Rechtsgeſchäfts.
Kein e Ermäßigungsrecht hierbei (8 139
BGB.). RG. 242
„Höhere Gewalt“ i. S. des 8 203 Abſ. 2 8
b) Recht der Schuld verhältniſſe.
„1. Allgemeiner Teil.
Inhalt des Schuldverhältniſſes. Nicht ernſtlich
50 Willenserklärung (88 241, 305, 118
B.) OLG. Nürnberg 248
Erfüllungsort für eee G
ünchen
Entſprechende Anwendung des S 254 BGB. auf die
Ausgleichung Ei wiſchen mehreren Geſamtſchuld⸗
nern, insbeſondere auf den 150 ſatzanſpruch des
auf Grund des Haftpfl®. nſpruch ges
nommenen Eisenbaßnunſerneh niet gegen den,
Ber durch Fahrläſſigkeit den Unfall e 885
Dem Hypothekgläubiger, der nn wegen
nicht rechtzeitiger Zahlung verlangt, kann es
als Mitverſchulden angerechnet werden, daß er
den Schuldner nicht auf die d eines un⸗
Bohn hohen Schadens aufmerkſam gemacht
hat. Doch gilt das nicht, wenn der Schuldner
trotz einer ſolchen Mitteilung nicht rechtzeitig
hätte zahlen können. RG.
Wird die Annahme eines Mitverſchuldens des
Verletzten durch die Feſtſtellung einer „löblichen
Abſicht“ oder durch ſeine Abſtumpfung gegen
die Betriebs an ar eſchloſſen? Mittelbarer
urſächlicher Zuſammenhang zwiſchen dem b
daten Verhalten des Verletzten und dem ſchädi⸗
genden Erfolg. G. 401
i Verſchulden bei Schadenserſatzan⸗
595 en aus dem Eigentum. Gerichtliche
un (88 254, 989 BGB.; 8 100
67
3 ammenhang bei Ausfall einer Hypothek
na eilung einer unrichtigen Auskunft.
Zuſammenhang im „natürlichen Sinne“ und
im „Rechtsſinne“. RG.
Zu $ 313 BGB.: Formbedürftigkeit einer nach⸗
träglich in einem Werkvertrage getroffenen
Vereinbarung über die Verrechnung des Kauf⸗
preiſes. RG
Unterliegt die Vollmacht zum Orunbftücgvertauf
der Formvorſchrift des 8 313 BGB.?
hältnis des 8 313 zu 8 167 Abſ. 2 BGB. RG. 306
Inwieweit unterliegen Vergleiche der Formvor⸗
ſchrift des 8 313 BGB. RG. 307
Muß die Formvorſchrift des 8313 BGB. beobachtet
werden, vn no un verpflichtet, für einen
anderen Grundſtücke nach außen hin im eigenen
Namen zu kaufen? Anſpruch auf Erſatz von
Verwendungen und Zurückbehaltungsrecht gegen⸗
er dem Anſpruch auf Berichtigung des un
483
i einer wirkſamen e
nach 8 326 BGB. Folgen des fruchtloſen Ver⸗
ſtreichens a on. Beweislaſt. RG.
ee des Gläubigers zur Erteilung einer
u. Kann er nach der Zablung die Er⸗
2 eshalb verweigern, weil er noch andere
Forderungen hat, die auf dem nämlichen recht-
lichen Verhältniſſe beruhen? RG. 444
Wenn ein in Zahlun ueber frei geratener
Schuldner ſeinen Gläubigern freiwillig ſein
Vermögen zur Verwertung mit der Verein—
340
45
J. Syſtematiſches Verzeichnis.
46
VII
barung überläßt, daß ſie ſich daraus befriedigen
und einen etwaigen Ueberſchuß herausgeben
ſollen, ſo verzichten damit die Gläubiger nicht
ohne weiteres auf den 3 ihrer Forderungen,
der bei Verwertung des Vermögens u ge⸗
eckt wird. RG. 135
Vorausſetzung für 88 n der Hinter⸗
legung (8 372 B Ks Begriffe der Aus⸗
lobung (8 657 B RG.
Se des $ 888 zur Hinterlegung nach
8 372 B., wenn die geſchuldete Forde⸗
run ar Grund eines Arre tbeſchluſſes zu⸗
gun ten eines Dritten gepfändet worden iſt.
9845 r Pfändun elle i nach
in dieſem Falle OLG. Bamberg
= Bankguthaben kann durch formlose e
der Forderung unter Lebenden wie auf d
Todesfall verſchenkt werden, ohne daß gleich
das Bankkontobuch übergeben werden muB.
30
G. 307
Wirkung des Vergleichs mit einem Wee
für die übrigen Schuldner. ( (88 422 —
2. Einzelne Schuld verhältniſſe.
Umfang des e bei e Täu⸗
ſchung über den Umſatz eines gekauften ea
hofs. Verjährung des Anſpruchs. G. 308
Welche Nutzungen hat ſich der Käufer eines Pe
ſtücks abziehen zu laſſen, der das Grundſtück
zurückgibt und ſeine Anzahlung zurückfordert,
weil der Kauf die geſetzlich notwendige Ge⸗
nehmigung eines Dritten nicht erhalten hat?
Wie bereit ih der dem Käufer zurückzuer⸗
ſtattend etrag unter Berückſichtigun der
Zinſen der Anzahlung einerſeits und der 11185
gen anderſeits
Der nachträgliche Wegfall des zur Zeit des
Gefahrübergangs vorhandenen Mangels bewirkt
nicht den Verluſt des Wandelungsrechtes. 2. Mit
der a des Tieres nach der
Erhebung der gal wen ei erliſcht der
424
—
Wandelungsanſpruch, wenn ſeine Geltend⸗
machung gegen Treu und Glauben im Verkehr
verſtoßen würde. LG. Kempten 470
Wann Beat! Hr ſechswöchige Verjährungsfriſt
der 88 492, 490 BGB., wenn beim Verkauf
einer Kuh Teächtigkeit von einem beſtimmten
Zeitpunkte an gewährleiſtet ve
G. Schweinfurt 471
In einem Bichgemährfihnftäprogefe find in der
Regel die Koſten eines Vorprozeſſes 11 0 erſtatten.
Kempten 471
Rechtliche Bedeutung der Einbringung eines Auto⸗
0
mobils in eine Garage, die ſich nicht in einem
Hotel befindet. LG. Schweinfurt 347
Beendigung der Verpflichtung der ee
zur Verwahrung des Zollgutes. RG. 384
Pflicht des Vermieters, mit Rückſicht auf den
Geſchäftsbetrieb des Mieters in den Miet⸗—
räumen den Hauseingang zu ändern,
G. München!
8539 a ſchließt Deliktsanſprüche nicht e
hin aus
Wichtiger Gru für die ſofortige Löſung br
Dienſtvertrags: die Aufgabe der Zweignieder—
laſſung, für die der Angeſtellte aufgeſtellt war
Die widerrechtliche Entnahme von Geld aus
der Geſchäftskaſſe? — Beweislaſt. — Nach—
prüfungsrecht des Reviſionsgerichts. RG.
31
283
28
VIII
Haftung des Rechtsanwalts, wenn er es ver⸗
ſäumt, in einem Rechtsſtreite rechtzeitig einen
Einwand zu erheben u. darf er fi
auf die von feinem Perſonal aufgenommene
„Information“ verlaſſen, inwieweit iſt er ver⸗
pflichtet den Sachverhalt ſelbſt genauer zu er⸗
forſchen? Mitverſchulden der Partei, die den
Rechtsanwalt ungenügend unterrichtet hat. RG.
Rechtsverhältniſſe eines ſog. ene,
Rechtsverhältnis zwiſchen dem Bürgen und dem
Gläubiger, wenn die i
unter der Vorausſetzung abgegeben wurde, da
r Gläubiger dem Hauptſchuldner weiteren
Kredit gewähren werde, das aber nicht geſchehen
6 „ee des 8 812 Abſ. 1 a
Wenn bei einem Grundſtückskaufe der Makler
ohne 1 des Verkäufers dem Käufer aus
ſeiner „Courtage“ eine Vergütung zahlt um
5 zum Kaufe zu bewegen, ſo kann nicht des⸗
egen angenommen werden, der Kaufpreis ſei
hrheit um den Betrag dieſer Vergütung
gr inger, als er im Vertrage feſtgeſe ent iſt.
eder für den Verkäufer noch für den Makler
beſteht eine Verpflichtung einem Vorkaufs⸗
N von dem Vorgange Kenntnis ni
geben
See Unterſchri kai find unzuläſſig bei
Unterschriften 1185 eil n en
die unter den 87 fallen. Rechtli
Natur der ſolchen Weilſchuldorrſchrelb ungern
beigegebenen Zins⸗ und e eee
Notwendigkeit der ſtaatlichen 705 5009 9900
Ausgabe ſolcher Zinsſcheine (8 795 G.
RG.
Zu 88 812, 818 BGB.
Bereicherungsklage des Erwerbers einer A
rung gegen den Pfandgläubiger, dem die Forde-
rung nach der Abtretung un gerichtlichen
Beſchluß überwieſen wurde und der ſie darauf:
in vom Schuldner beigetrieben hat. Kenntnis
des Schuldners von der Abtretung. RG.
Kla age auf Unterlaſſung einer üblen Nachrede.
Vorausſetzungen für die Feſtſtellung, daß die
Gefahr einer Wiederholung vorliegt.
Ausſchließung der Schadenserſatzanſprüche wegen
fremden Verſchuldens durch e
e rechtfertigt der Umſtand, daß der
Teilnehmer an einer Kraftwagenfahrt Kenntnis
von der Unzuverläſſigkeit des a. führers
bat, die Annahme eines ſolchen Vertrags?
Mitwirkendes Verſchulden des e
l
Verletzung eines Wirtshausgaſtes infolge eines
ſchaſt: Hofung des Zuſtandes in der Wirt⸗
chaft: Haftung des Wirtes trotz Anbringung
einer warnenden Aufſchrift: Teilung des Schadens
wegen Mitverſchuldens des Verletzten; Rechts-
grund der Haftung; Anſpruch auf Schmerzens⸗
geld. R
Unfall beim Rodelſport. Zuläſſige Fahr all
digkeit des Rodlers. „Lenker“ und „Bremſer
Kann die Stadtgemeinde haftbar gemacht werden,
weil ſie das Rodeln in einer belebten Straße
nicht verboten hat? Kann ſich die Haftung
aus der Pflicht zur Unterhaltung der Straße
oder aus unzulänglicher Handhabung der Polizei—
gewalt ergeben? R
Nichtbeachtung der Unfallverhütungsvorſchriften
einer Berufsgenoſſenſchaft. Gibt es Ausnahmen
von dem Satze, daß fahrläſſig handelt, wer die
Unfallverhütungsvorſchriften nicht einhält, wer
281
G. 401
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
|
|
19
185
136
47
RG. 261
67
G. 425
G. 445
2
nos verbotswidrig jugendliche Arbeiter
zu gefährlichen Verrichtungen verwendet? RG. 1
Zu 88 823, 831 BGB. Unterſchied zwiſchen Lei⸗
tung und Aufſicht beim Forſtwirtſchaftsbetrieb.
Oberaufſicht über die Forſtbeamten. RG. 201
Anwendung der 88 823 oder 826 BGB. zugunſten
der Gläubiger, die durch eine von ihrem
Schuldner mit einem anderen Gläubiger ins⸗
geheim. abgeſchloſſene Sicherungsübereignun 11 5 0
geſchädigt worden ſind.
a des Gläubigers einer Bau⸗
80 der 8 bei unrichtiger Angabe ihrer
übe (§S 826 BGB.). OLG. Nürnberg 470
Der Verzicht des Schuldners auf den 8
Lohnteil kann anfechtbar und 97 § 826 BGB.
nichtig ſein. Frankenthal
Wer erfährt, daß ſich auf 5 Bed el feine
gelätichte Unterſchrift befindet, i 5 t unter
en Umſtänden verpflichtet, den Wechſelgläubi⸗
ger auf die der Erg aufmerkſam u machen,
der ihn von 5 Erwerbung des Wechſels be⸗
nachrichtigt hat. RG.
Unterlaſſungs⸗ und Schadenserſatzklage eines
1 enter gegen eine Stadtgemeinde
wegen Schädigung ſeines Gewerbebetriebs durch
die Art und Weiſe der Feſtſetzung der Ver⸗
gütung für die Benützung Aus en Ge⸗
werbebetriebs. G. Zweibrücken
Gehört die Erteilung von a über die
Kreditwürdigkeit eines Kunden zu den gewerb⸗
lichen Pflichten eines Bankhauſes? Haftet das
Bankhaus hiernach gemäß 8 831 oder $ 30
BGB. für den Schaden, den einer der Ange⸗
ſtellten bei der lg einer ſolchen Auskunft
anrichtet? Bedeutung des Umſtandes, daß der
Angeſtellte nur Geſamtprokura hatte. Haftet
der Angeſtellte ſelbſt nur dann nach § 826
„ wenn er die Auskunft wider beſſeres
Wiſſen erteilt hat? Beweis ſeines guten
Glaubens. RG. 283
al, der Saftung des Tierhalters gegenüber
dem Hufſchmied RG. 223
Zu $ 833 BGB.: une durch eine will⸗
kürliche Handlung des Tieres; Haftung nach
8 833 Satz 2 trotz Beſtellung eines tauglichen
Tierhüters. RG.
Unter welchen Vorausſetzungen kann angenommen
werden, daß ein Haustier der Erwerbstätigkeit
des Tierhalters zu dienen beſtimmt ſei? RG. 224
Haftung des Tierhalters aus 8833 BGB. ä. F.
bei n eines Gefälligkeitsdienſtes durch
Nachbar. Prüfung des Mitverſchuldens
143
445
290
einen
des Verletzten von Amts wegen. Anwendung
der 88 146 Abi. 1 und 151 Lwulverſ G. Bes
weislaſt des Beklagten. RG. 137
We es Tierhalters nach 8 833 Satz 2 BGB.
trotz Beſtellung eines tauglichen Tierhüters. RG. 386
Umfang der Haftung des Staats für das Ver:
chulden des Grundbuchbeamten (8 12 GBO.,
8839 BGB.). Dit unter allen Umſtänden ein
Mitverſchulden des Verletzten (8 839 Abf. 3
BGB.) darin zu finden, daß er nicht die Be—
ſchwerde gegen die Ablehnung einer Wale
ergreift? RG. 117
Umfang des 15 a Schadens
nach 5 847 B OLꝶ G. Nürnberg
In welchem 8 hat Schadenserſaß zu leiſten,
wer einen anderen dadurch zum Eintritt in
eine Genoſſenſchaft beſtimmt hat, daß er ihn
über die Höhe des Geſchäftsanteils u 7 Eu
230
c) Sachenrecht.
In welcher Form werden die Rechte aus einer
Vormerkung übertra gen, die den Anſpruch auf
Auflaſſung ſichern ſoll ? Sit eine Vereinbarung
ungültig, wenn beide Teile in dem Irrtume
befangen find, fie ſei in die Vertragsurkunde
aufgenommen ? RG.
Anfechtung einer Hypothekbeſtellun 270 00 der
Ehefrau nach der Abtretung der Nr
joe Denn | an einen 92 80 n m
wendbarkeit des 8 892 B
Wenn eine Auflaſſung Ti wurde, ae.
keine Einigung über die Eigentumsübertragun
vorlag, ſo bedarf es zur Beſeitigung des Fe .
nicht einer Rückauflaſſung, ſondern nur
Berichtigung des Grundbuchs. e
3 unterliegen nicht der N
des 8 31 Eine e ellung zur Auf⸗
laſſung 5 eine andere Perſon als den Eigen⸗
tümer — etwa an den Zeſſionar des un
tümers — iſt unzuläſſig.
Inwieweit ſetzen Schadenserſatzanſprüche nach
88 907, 909 BGB. ein Verſchulden 9
een von Sachen, die we
Schuldner erſt nach der Vereinbarung 1
Verhandeln des Schuldners mit ſich ſelbſt als
Vertreter des Gläubigers (88 930, 868, 181
BGB.). OL
G. Nürnberg
Rechte des Onnotbe Dub Den bei Entfernung
von Beſtandteilen Grundſtücks, beſonders
wenn er ſelbſt nachträglich das Grundſtück er⸗
fteigert hat. — Wirkſamkeit eines Eigentums⸗
vorbehalts an den in einen Neubau eingehän 10
Fenſtern.
1. Widerruf der Kündigung einer Hypothek. 2. Zu⸗
läſſigkeit der Zwangsvollſtreckung in den Bruch⸗
teil eines Grundſtücks. RG
Kann der Hypothekſchuldner mit Wirkung für den
Gläubiger mit einem Dritten vereinbaren, aug
eine auf die Hypothek fol? Hewitt Zahlun
nicht geſchehen gelten ſo ewirkt eine ſolche
Vereinbarung das Wiederaufleben der Hypothek
und ſteht ſie der auf die Zahlung Heſtüß 5
Klage auf Hypotheklöſchung entgegen
Die Beſtellung einer fen eee ige ee
fremde Schuld enthält nicht notwendi
gemein die Uebernahme einer enn ft durch
den Eigentümer. Es ſteht ihm deshalb die
Einrede der Vorausklage nach 8 771 BGB.
nicht haf weiteres zu. Nebenabreden bei der
Bürgſchaftserklärung.
Beſtellung einer ee durch den
915 Vertreter auf ſeinem eigenen Grund⸗
für ein von dem Minderjährigen aufzu⸗
ne Darlehen: 1. Unter welchen Vor⸗
ausſetzungen kann der Darlehensgeber, wenn
. vormundſchaftsgerichtlicher Genehmi⸗
mg un Darlehensforderung entſtanden ift,
5 . ungsklage des geſetzlichen
Vertreters mit dem Einwande begegnen, daß
die Hypothek für ſeine Bereicherungsforderung
Kor den Darlehensempfänger oder für feine
nſprüche gegen den geſetzlichen Vertreter aus
dem von dieſem erteilten Kreditauftrage be—
ſtehe? 2. Kann er beanſpruchen zur Einwilli—
gung in die Umſchreibung der Hypothek auf
den geſetzlichen Vertreter nur Gu um Zug
mit der Begleichung ſeiner Bereicherungs⸗
forderung verurteilt zu werden? 3. Hat er
einen Schadenserſatzanſpruch gegen den geſetz⸗
lichen Vertreter, der ihn nicht auf die Minder⸗
all⸗
463
118
208
23
18⁵
G. 402
RG. 310
I. Syſtematiſches Verzeichnis.
|
.
|
jährigkeit des Darlehensempfängers aufmerkſam
RG. 362
gemacht hat
Grundſchuldbeſtellung für Forderungen aus Dif⸗
ferenzgeſchäften. RG. 4
Verpfändung einer Grundſchuld für künftige
derungen. Erfordernis der „Beſtimm
der Forderungen.
d) Familienrecht.
. zuge der auf Grund der Vermutung
2 BOB. bewegliche Sachen pfänden
laßt 55 ſich im Beſitze eines der Ehegatten
oder beider Ehegatten befinden, haftet nicht
ohne weiteres deswegen auf Schadenserſatz,
weil die Vermutung des 8 1362 BGB. wider⸗
legt iſt. Es muß der Nachweis dazu kommen,
daß der Gläubiger das Eigentum des anderen
Teiles gekannt hat. Anhaltspunkte Me die
Kenntnis des Gläubigers. RG.
Ausgleichung arvichen dem 18 an und dem
at 8115 Gute De rungen! e
ſchaft (88 1529, 1539 BGB.). Bedeutung der
tenen eines ae zu Ausbeſſermngen.
mbau⸗ und Neubauarbeiten auf einem Grund⸗
ſtücke, das zum eingebrachten Gute gehört. RG.
403
reite
RG. 200
162
263
n als Grund für die Anfechtung einer
RG. 364
|
Vertiefung und Befeſtigung einer ſchon vorhan⸗
denen vom Kläger verſchuldeten Ehezerrüttung
durch den beklagten Ehegatten (8 1568 BGB.).
„Beſondere Gründe“ zu einer von der Regel des
§ 1635 B
GB. abweichenden e ir
Vormundſchaftsgerichts.
Gehört der einem unehelichen Kinde vom a
u gewährende Unterhalt zu den „künftigen
echten“ einer Leibesfrucht nach $ 1912 BGB.
Iſt der Vater, deſſen Antrag auf Beſtellung
eines Pflegers für die Leibesfrucht ſeiner Tochter
abgewieſen wurde, eee (FGG.
§ 57 Abſ. 1 Nr.
e) Erbrecht.
Wa ung einer Sorberum nach 8 1994
Ubi. 2 808 Gründe der Fest tel ung, 605
eine Erbschaft im Sinne des 8
a9. 1. 805 im 8 nn Feldt Art 131
AG. z. BGB. Falle der Beſtimmung einer
Inventarfriſt für den Erben auf e eines
Nachlaßgläubigers.
Iſt die Klage des Vermächtnisnehmers auf Auf⸗
laſſung eines Grundſtückes, das eine in Fahrnis⸗
Leere chaft lebende Frau als Miterbin in
b G. 427
G. 318
Erbengemeinſchaft 5 hat, auch ge I ä
den Ehemann zu richten ?
Pflicht des Miterben zur Auskunftserteilung und
Leiſtung des e nach 88 2027,
2028, 2038 und 260 BG OLG. Bamberg
Tragweite der 88 2064, 2156 BBG. RG.
ang oder Verkauf zu en Preis? —
Schenkun no Au 1800 ee 3 ittlichen Pflicht
(8 2330 Kann die Klage aus 8 2329
80 8 auf bi der Zwangsvollſtreckung
wegen des an dem Pflichtteil fehlenden ng
gerichtet werden ? Re
f) Uebergangsrecht.
Begriff und rechtliche Behandlung des Zubehörs
in der Zeit zwiſchen dem Inkrafttreten des
BGB. und der Einführung des Grundbuch—
190
68
Y. 383
rechts. Begriff des „für einen gewerblichen
Betrieb dauernd eingerichteten Gebäudes“ und
der „zum Betriebe beſtimmten .
Erlöſchen der Zubeböreigenſchaft Due R Ver⸗
äußerung“ nach dem bayer. HypG. GB.
ss 97, 98, EG. BGB. Art. 181, 189, Sc „
SS 33, 35— 88, 78).
Kann e Stockwerkseigentum nach dem
Inkrafttreten des BGB. in mehrere Stockwerks⸗
rechte geteilt werden? dt ein einheitliches
Stockwerkseigentum bloß dadurch, daß mehrere
X Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
1911.
gefallen ſind, aber nach dem Mainzer Land⸗
rechte dem überlebenden Elternteile der Beiſitz
zuſteht, ſo kann nicht ohne deſſen e
auf dem Anteil eines Miterben eine a en
hypothek eingetragen werden. ObL G. 166
wangsmaßregeln zum Vollzuge des 8 1636 des
8 BOB. (Art. 130 AGz BGB.). Ob G. 119
2. Handelsrecht.
Stockwerksrecht d lb eine
Had e een Sn 10690 91 been Beipunf Art bee 85 tſtellung; an
1 eitpunkt für d eurteilung;
| anſtand ung der Be ichn eines Geſchäf tes
B. Landesrecht. als 7 Dans (HGB. 8 18; FGG. $ 12 mit
Geſetzliche e einer wagte mi Land⸗ | 88 1 Obs C. 410
emeinde beim Vertragsabſch 59 mit einem | Fee Einwilli 91 5089 die Fortführun 105
ritten und bei Zuſtellung einer Klage. 3 einer Firma (8 22 Ab 263
amberg 231 Fortführung eines unter ee erworbenen
"ee beginnt die ee In den l Handelsgeſchäfts unter der bisherigen Firma.
erſatzanſpruch gegen den Staat wegen der 5 Erforderniſſe einer Bekanntmachung, die gegen
letzung der Amtspflicht durch einen en den Eintritt der in 8 25 Abſ. 1 HGB. beftimmten
2 12 8575 55 Gz BGB. Art 9 120 Folgen der Fortführung Schutz gewähren 90 19
Eine Auflaſſung, die mit dem Vertrag über Ver⸗ Gegen das Wettbewerbsverbot des 8 60 HGB.
äußerung von Grundſtücken an einen Güter⸗ verſtößt nicht eine Tätigkeit, mit der der Hand⸗
händler N iſt, wird nicht dadurch wir⸗ lungsgehilfe für ſpätere Zeit einen ſelbſtändi⸗
kungslos, * er Veräußerer von dem Ver⸗ gen Gewerbebetrieb vorbereitet. RG. 485
rich Kr rt. 5 des bayer. e a: Beonifionsanfprui, e „Qesirtsogenten h 100
= ). ine ahme von der Rege
Wie je Teil Dart das e ee iur C den are $ 89, wenn der Geſchäftsherr die ſchon bei der
ee e een
äußerte Beſtandteile des Fideikommißgutes be⸗ ſetzt. e > 1187 312
beſchränken? (VII. Verf.⸗Beil. 88 44, 70, 71. 72.)
ObLG. 448
Ueber die Befugnis des Fideikommißſtifters Ju
Widerruf oder zur Abänderung des a om⸗
miſſes (8 94 der VII. Beil. z. Berfli.
OLG. Nürnberg 431
Können e Kinder die Wiederauf⸗
nahme der über den Nachlaß ihres Vaters ge⸗
pflogenen Verhandlungen unter der Behauptung
verlangen, daß nach Oberpfälziſchem Rechte
der Stiefmutter der in Anſpruch genommene
7 am Nachlaſſe nur hinſichtlich ihrer leib⸗
lichen Kinder zufteht? 72 0 . III, 15:
UeG. Art. 84; Bayer. NachlG 3, 4 mit
Nachl O. 88 104, 126). I 317
Unterhaltsanſprüche auf Grund eines unter der
Herrſchaft der Fränkiſchen Landgerichtsordnung
abgeſchloſſenen Einkindſchaftsvertrags. Können
nach dem 1. Januar 1900 geborene Kinder ſolche
Anſprüche gegen die Stiefmutter ihres einge—
kindſchafteten Vaters erheben? (BGB. 88 1601 ff.,
EG. BGB. Art. 203 und 209, UeG. Art. 72
a 2, Fränk. L608 Tit. 118 8 1 und Tit. 118
51 Obe. 428
Der es Ehemann, dem nach Mainzer
LR. Tit. VII und UeG. Art. 88 der Beiſitz an
dem auf ſeine Kinder übergegangenen Nachlaſſe
ſeiner Frau zuſteht, kann gegen die Eintragung
der Pfändung des Erbanteils ſeiner Kinder
an den Nachlaßgrundſtücken Beſchwerde erheben.
Ob durch die Pfändung des Anteils des Kindes
in das Beſitzrecht des Witwers in unzuläſſiger
Weiſe eingegriffen wurde, iſt nicht vom Grund—
buchamt ſondern vom Vollſtreckungsgerichte zu
entſcheiden. (GBO. 88 54, 71; BGB. 8 2033;
ZPO. 8859). Obe.
Wenn Grundſtücke nach dem Ableben des einen
Elternteils den Kindern zum Miteigentum zu—
70
Kann auf Grund eines 15 Ae 2 0008 on
kurrenzverbotes trotz 8 75 A
trotz der Vereinbarung einer ne die
Unterlaſſun I in einem ed e
ausgeübten Tätigkeit als Gewerbegehil
des 8 1331 Gew beanſprucht werden? RG. 311
Gebrauch eines fremden Namens als Firmen⸗
beſtandteil. Angabe „hiſtoriſcher Tatſachen“ in
der Firma. RG. 262
Gegen den ſtillen F beſteht kein Kon⸗
kurrenzverbot (8 112 HGB.). RG. 264
Unter welchen Vorausſetzungen können der Vor⸗
ſtand und der Vorſitzende des Aufſichtsrates
einer Aktiengeſellſchaft für den Schaden ver⸗
antwortlich gemacht werden, der daraus ent⸗
ſteht, daß eine irrtümlich an dieſe ſtatt an einen
Dritten geleiſtete Sablung zum Vorteile der
Geſellſchaft verwendet wird? Wer iſt der Ge⸗
ſchadigte? RG. 335
Hingabe eines Wechſels regelmäßig Zahlungs-
halber“. Liegt in der Prolongation eines
Wechſels eine Novation? OLG. Nürnberg 94
1 85 keine „höhere Gewalt“ i. S. des
RG. 244
3. urheberrecht.
Zu 8 13, 38, 41 des Literaturſchutzgeſetzes vom
19. Juni 1901. Gegenſtand des Urheberrechts.
Begriff der „freien Benützung“ eines fremden
Werkes und der „eigentümlichen Schöpfung“.
RG. 69
Urheberrecht an Grabdenkmälern: keine Geſetzes—
rückwirkung.
OLG. München 411
L Syſtematiſches Verzeichnis.
4. Genoſſenſchaftsrecht.
Kann die Ehefrau offer die Zuſtimmung des
Mannes einer Genoſſenſchaft beitreten? Wie
5 Ent das Regiſtergericht die Vorausſetzunge
ieee in BD Hesel ere
5 bien ann die Entſcheidung über die
1 gegen eine Verfügung des Regiſter⸗
Bi verlangt werden, wenn ihr das Regiſter⸗
t auf ee la
abgeholfen hat? (Gen 15, 161 und 8 29
Abſ. 3, 4 der Vollzunsvorſchriſten des Bundes⸗
rats vom 1. Juli 1899; FGG. 8 19).
Können ſtatutenwidrige Beſchlüſſe der General⸗
verſammlung einer Genoſſenſchaft dadurch rechts⸗
wirkſam werden, daß die Anfechtung e
(Gen G. 88 16, 51). Obe G
5. Haftpflichtrecht. Verſicherungsrecht.
Betriebsunfall i. S. des 8 1 Ha F wenn
eine Kraftdroſchke mit einem ſtille ſtehenden
Zuge der Straßenbahn zuſammenſtößt. Höhere
Gewalt. Mitverſchulden des Verletzten, wenn
er die Kraftdroſchke gemietet hatte.
Ein Sturz auf dem Bahnſteig infolge von Glatt⸗
eis iſt in der Regel kein Betriebsunfall, da⸗
genen haftet der Unternehmer auf Gruß, des
eförderungsvertrags. RG.
Der in § 3a
fen Anſpruch auf
Erſatz der t
ilungskoſten wird durch einen
Fa
e
Unterhaltsanſpruch des Verletzten nicht an
Iſt die auf Grund der eee eee
ergangene nt cheidung, daß ein Betriebsunfall
8 de und Entſchädigung zu leiſten ſei, für
die Gerichte bindend, wenn die Berufsgenoſſen⸗
ſchaft den kraft Geſetzes auf ſie übergegangenen
Schadenserſatzanſpruch des Verletzten gegen den
Urheber des Unfalls geltend macht? — Zum
Begriffe Betriebsunfall (Unfall auf dem Rück⸗
wege von der Arbeit). — Begrenzung des Er⸗
ſatzanſpruchs der e durch die
Höhe des dem Verletzten gegen den Urheber
des Unfalls erwachſenen chadenserſatzan⸗
80. — Bemeſſung der Rente des 8 843
Kann eine offene 9 A Uu 975 einer
dab ile Gewllnf von
Beruisgeroſfenß 10 für die 10
ihrer Vertreter in Anſpruch genommen werden?
G. 338
Beſteht ein Auftragsverhältnis zwiſchen dem
Ob G. 226
86
Agenten der Verſicherungsgeſellſchaft und dem
RG. 310
Verſicherungsnehmer
Nichtigkeit eines Vertra
ſchriften des 8 108 des
Verſicherungsunternehmungen verſtößt.
6. Zivilprozeß.
Streitwert einer Einwilligungsklage gegen Mit⸗
erben. OLG. München
Vernehmung eines Streitgenoſſen als Zeugen.
Begriff des „Ausſcheidens“ eines Str an
aus dem Rechtsſtreite. RG.
Kann im Falle der Streitgenoſſenſchaft das Ur⸗
teil gegen einen Teil der Beklagten von der
Leiſtung eines Eides abhängig gemacht werden,
der von einem anderen Streitgenoſſen geleiſtet
werden ſoll, für die Entſcheidung jenen dieſen
a: aber ohne Bedeutung iſt? — Anwendung
es 8 826 BGB. auf die Schädigung durch Er⸗
8, der gegen die Vor⸗
eſetzes über die privaten
RG.
464
489
69
!
.
|
|
4
|
7 Ä
|
|
0
|
teilung einer unrichtigen Auskunft; Erfordernis
des Bewußtſeins von ihrer Unrichti eit. —
Mitwirkendes Verſchulden des um die 1
Nachſuchenden
e zur 990 30 0 im e
pro e nach wenn die beſſeren
te des en 9 5 nur dem Ge⸗
richte gegenüber zum Zwecke der Einſtellung
der Zwangsvollſtreckung glaubhaft gemacht
werden. ürnberg
Form des Armutszeugniſſes. 819 München
Die e en die eine negative Feſtſtellungs⸗
klage aus ſachlichen Gründen abweiſt, enthält
zugleich die Feſtſtellung, daß das Rechtsverhält⸗
nis beſteht. — Ein uß der Kündigung und
Rückzahlung eines Darlehens auf die Ber:
pflichtung des Schuldners zu zu r Gewährung der
von ihm übernommenen Nebenleiſtungen; wann
ſind ſolche Nebenleiſtungen als Zins re 7
Wird gegenüber dem eingeklagten Teil einer For⸗
derung BUBEN Ne ‚ jo kann die Gegenforderung
nicht auf Teil der Forderung verwieſen
werden, der nicht eingeklagt iſt. RG.
5 der Abtretung einer Grundſchuld während
echtsſtreits auf das Klagerecht des ur⸗
Ipelinglihen Grundſchuldaläubigers (88 265,
325 ZPO.). Wie iſt im Koſtenpunkte zu ent⸗
ſcheiden, wenn die Grundſchuld gr abgetreten
wird, während der Rechtsſtreit ſchon in der
Berufungsinſtanz anhängig ift? R
Zahlung einer Geldrente als Entſchädigung für
den durch einen Unfall verlorenen Verdienſt:
kann der dazu Verurteilte nach $ 323 ZPO.
auf Abänderung des Urteils klagen, 1 55 5
Verunglückte anderweitigen . erlangt
oder einen neuen ſeine
trächtigenden Unfall erlitten hat?
Zu 88 325, 567, 727 ZPO. OLG. München
1. Rechtskraft des Urteils: Kann das Gericht
gegenüber einer auf aralifige Täuſchung ge
ſtützten Klage auf Er es negativen Ver⸗
tragsintereſſes die agli Täuſchung ver⸗
neinen, wenn der Kläger in einem Vorprozeß
aus dem gleichen Grund auf Anerkennung der
Nichtigkeit des Vertrags, ſowie auf Erſtattung
des auf Grund des Vertrages Geleiſteten ge⸗
klagt und das Gericht in einem a. den
Vertrag für nichtig erklärt hat? 2. Anſpruch
auf Erſtattung der Koſten einer ungerecht⸗
fertigten einſtweiligen Verfügung (ZPO. 8 150
Zum d riffe 35 e i. S. des 8 385
Kein Wegfall des Zeugnis⸗
5 wenn die Ehefrau als
Zeuge dafür benannt iſt, daß ſie We
Handlungen nicht als Vertreterin des Mannes
vorgenommen hat. RG.
Tatſachen, mit denen in erſter Inſtanz die an⸗
gebliche Unſittlichkeit eines Rechtsge chäfts be⸗
ründet werden ſollte, dürfen in zweiter In⸗
ian nicht berückſichtigt werden, wenn ſie von
den Parteien nicht mehr vorgetragen an
Sit der Rechtsſtreit in der Rechtsmittelinſtanz
anhängig, ſo kann nur der für dieſe Inſtanz
beſtellte Prozeßbevollmächtigte die Klage zurück⸗—
nehmen. RG.
Erforderniſſe für die Angabe der Reviſionsgründe
nach 8 554 Abſ. 3 Nr. 2 3PO. Verpflichtung
zur Angabe von Aktenſtellen.
XI
RG. 337
248
51
481
G. 201
rbeitsfähigkeit beein⸗
RG. 426
142
243
223
RG. 265
XII
Gefgeberwifte der Reviſionsbegründung 6971 554
RG. 2
Wann endigt die in 8 8 EG. ZPO. zugelaſſene
fd ſich in der 5 ionsinſtanz durch
Den bei einem LG. oder OLG. zugelaſſenen
echtsanwalt vertreten N u laſſen? Unfallfür⸗
ſorge des Staates für Poſtbeamte: Erſatzan⸗
ſpruch 5 e für Ar Auf fmenbungen
gegen den Urheber des Unfalls; kann das
eichsgericht, wenn der ba eriſche Staat auf
Sefeitel 900 dieſes Exſatzanſpruchs klagt, die
vom O verneinte Frage nachprüfen, ob ein
Veiricbsanfal i. des bayer. BG. vor⸗
liegt? Keine Zurückverweiſung vom RG. an das
Oberſte LG. R
e einer Reviſion, bei deren Einlegung
ufhebung des Konkurſes der ordnun 5
Nang beſtellte Prozeßbevollmächtigte den
viſionskläger irrig als vertreten durch Den
Konkursverwalter bezeichnet hat. Gründe
für die Ablehnung eines Beweisantrages; kann
die Reviſion trotz Aufhebung des Konkurſes
darauf geſtützt werden, daß das Gericht die
Vernehmung des früheren Gemeinſchuldners
als Zeugen zu Unrecht abgelehnt habe?
Sind bei heller Beleuchtung der ſicherheits⸗
e Stelle eines Weges noch weitere
Sicherheitsmaßregeln geboten! RG.
Zu 8 600 ZPO. Entſcheidung über die oe
rufung im Wechſelprozeſſe nach rechtskräfti
Erledigung des Nachverfahrens. OLG. Mün a
Formelle Behandlung der Beſchwerden gegen Be⸗
ſchlüſſe der OLG. OLG. München
Unter welchen Vorausſetzungen kann angenommen
werden, daß eine Partei „ohne ihr Verſchulden“
außerſtande war, den Reſtitutionsgrund, in dem
früheren Verfabren geltend zu machen? (Ver⸗
ſpätetes Wiederfinden eines Briefes). RG.
Ueber eine e e dor den ungariſchen
Ehegatten haben die deutſchen Gerichte nicht
zu befinden. eſtſtellung der ungariſchen
Staatsangehörigkeit. RG.
Gilt in ee e eine Ausnahme von
dem Grundſatze, daß gegen eine Entſcheidung
nur die Partei ein Rechtsmittel einlegen kann
die durch ſie irgendwie formell beſchwert ist?
e vom Scheidungsantrag zum Antrag
auf Aufhebung der ehelichen e, in
der Reviſionsinſtanz.
In Eheſachen darf der Kläger die Reviſion ein⸗
legen, auch wenn es nur geſchieht, damit er
die Kla 105 zurücknehmen oder auf den Klage⸗
anſpruch verzichten kann. RG.
Feſtſtellung der Perſon, mit der der Beklagte die
Ehe gebrochen hat, im Scheidungsurteil (8 624
3PO .); kann ein Ehegatte um dieſe; El
gu erzielen das Scheidungsurteil anfechten, d
en in ſeiner Klage behaupteten Ehebruch 8
nicht erwieſen bezeichnet, die Scheidung aber
aus einem anderen in der Klage geltend—
gemachten Grund ausſpricht? RG. 4
Kann ein Rechtsanwalt im ME OR kenn
ſahren als Vertreter des zu Entmündigenden
auftreten, der nach 8 1906 BGB. unter vor-
läufige Vormundſchaft De u
. Schweinfurt
Muß der EN Entmündigende im Verfahren auf
die Anfechtungsklage ſtets auch in der Berufungs-
inſtanz perſönlich vernommen werden? Rö.
Zu S8 707, 719 3PO. OLG. München
Für den Antrag auf Anordnung der Rückgabe
einer Sicherheit nach 8 715 3PO. ſteht dem
265
G. 333
8⁵
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bar in Bayern. 1 1911.
— — — — — — — 3
Rechtsanwalt eine beſondere en neben der
Prozeßgebühr nicht zu (8 24 RA GELO.).
OLG. Nürnberg
Zu 83 727, 730 ZPO. OLG. München
i gen egen die F
115 22 8 we eräußerungsverbots. (88 10
5 des Art. 2 AG. z. ZPO. auf Feſt⸗
431
280
RG. 403
137
137
489
ſtellungsklagen. Befriedigung des Klaganſpruchs
durch den Fiskus iſt nicht gleichbedeutend mit
der Einlaſſung auf die Klage. OLG. München
Zu 88 771 ZPO., 816 BGB. 115 Anſpruch auf
e einer Forderung w com ae
1 ereicherung (8 816 B ıbt kein
echt zur Widerſpruchsklage gegen! 5 d Mida
der Forderung. G. München
Erlangt der Gläubiger durch die a des
Gehalts eines Beamten ein Recht, das von der
Dienſtenthebung und Dienſtentlaſſung des Be⸗
amten nicht betroffen wird? Ob s G
Die S des 8 852 ZPO. iſt 95 auf
Schadenser Ban Dee nach 8 945 ZBO. an⸗
zuwenden. eginn der Verjährung hängt
nicht davon ab, daß das Urteil im
ergangen iſt.
Abgeſehen von dem Falle des 8 301 ZPO. kann
eine Sicherungshypothek auf Grund mehrerer
469
71
. 487
auptprozeß
RG. 118
vollſtreckbarer Schuldtitel, die zuſammen 300 1
1 von denen aber 15 auf mehr
300 M l lautet, im Grundbuch auch dann
119 eingetragen werden, wenn die vollſtreck⸗
baren Schuldtitel dadurch entſtanden ſind, daß
der Gläubiger eine Forderung in Teilbeträgen
von 300 M und weniger einklagte. 8 8 866
Abſ. 3). Ob“ G.
Erzwingung Bun tändiger Auskunftserteilung als
einer vom en des Schuldners 5
abhängigen Handlung gemäß Ser ZPO.
OLG. Barderg
Welchen Einfluß hat es auf den Schadenserſatz⸗
anſpruch nach 8 945 ZPO., wenn der Schuldner
zur Abwendung des Arreſtvollzugs entgegen
der Vorſchrift des 8 923 8 5. nicht Geld,
ſondern Wertpapiere hinterlegt? RG.
7. Zwangsverſteigerung.
on a gebührt als Werterſatz i. S. des
8 92 1880 dem Dritten, deſſen Eigen⸗
188
347
tum 1 "Bubebörhiden durch den Zuſchlag er:
RG. 334
loſchen iſt?
Der zur Verkündung der Entſcheidung über den
uſchlag anberaumte beſondere Termin (8 87
WG.) darf nur aus wichtigen Gründen ver:
tagt werden. 8 darf dabei keine Rückſicht
auf das Intereſſe des Schuldners oder unbe⸗
teiligter deren genommen werden. Jedoch
handelt der Beamte, der ohne genügenden
Grund vertagt, nicht unter allen Umſtänden
fahrlaſſig. R
8. Konkursverfahren.
Das Vorrecht des 8 61 Nr. 5 der KO erſtreckt
ſich auf die ganze Forderung des Kindes, auch
wenn ſie wegen einer Ueberſchuldung des väter—
lichen Vermögens nicht ganz einbringlich iſt.
2. Anfechtung eines Vertrags, durch den der
in Konkurs geratene Erbe eine gegen ihn ſelbſt
gerichtete Nachlaßforderung an Vermächtnis:
nehmer abgetreten hat (8 31 K O.). RG.
N
G 280
87
Ueber das Vorrecht für die Forderungen der
kinder des ee. wegen 19 5 geſetz⸗
lich ſeiner Verwal 11 5 unterworfenen Ver-
mögens (861 Nr. 5 KO.). Verwaltung eines
vom Gewalthaber ſelbſt geſchuldeten Kapitals.
I. L. Syſtematiſches Verzeichnis.
2
OLG. Nurnberg 208
9. Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Zwangserziehung.
„Wichtige Gründe“ für die Uebernahme einer
Zwangserziehungsſache durch ein anderes Vor⸗
mundſchaſtsgericht. Ob
Hat das Vormundſchaftsgericht bei der Ermitte⸗
lung des Erzeugers eines unehelichen Kindes
mitzuwirken? RG.
Wann wird die Vereinbarung über die Aus⸗
einanderſetzung einer fortgeſetzten Gütergemein⸗
ſchaft (Erbengemeinſchaft) wirkſam, wenn im
Auseinanderſetzungstermine nicht alle richtig
geladenen Beteiligten erſchienen find? Obe G.
10. Grundbuchweſen.
Iſt der Antrag auf Zuſchreibung eines Grund⸗
ſtücks „bei“ einem anderen Grundſtücke gleich—
bedeutend mit dem Antrag auf Zuſchreibung
des Grundſtücks „zu“ einem anderen Grund-
ſtücke? Kann ein Grundſtück mehreren andern
als Beſtandteil zugeſchrieben werden? Liegt
in dem Antrag ein Grundſtück mehreren an⸗
deren auf einem gemeinſchaftlichen Blatte ein—
N Grundſtücken zuzuſchreiben zugleich
er Antrag auf Veremigung dieſer ee
n Gemeinderechte öffentlichrechtlicher Natur
as rundbu eingetragen werden:
(Did H Bae. 8 123 Nr. 6). Obe G.
Das Recht einer Gemeinde aus einer Waldung
vor Anderen gegen die Bezahlung der forſt—
amtlich feſtgeſtellten Preiſe die Eichelernte zu
beziehen, kann ein die Waldung belaſtendes,
dingliches und eintragungsfähiges an „fein
Iſt die nach 8 332 StPO. angeordnete Vermögens⸗
eſchlagnahme ein son utes VBeräußerungds
verbot nach 8 134 BGB., deſſen Eintragung
in das Grundbuch nicht zuläſſig iſt, oder ein
nn Veräußerungsverbot im Sinne des
8 136 BGB. und deshalb eintragungs All
Abs
LG. 467
446
91
467
245
166
LG. 138
Darf das Grundbuchamt a e einer
Hypothek ablebnen, weil in der Beſtellungs⸗
urkunde die Hypothek, die ihr im Range vor⸗
gehen ſoll, mit einem höheren als dem einge—
tragenen Betrag angegeben iſt? (GBO. SS 16,
18, 19). Obe
Sicherung eines vorbehaltenen Rangs durch eine
Vormerkung nach § 18 GBO. Rechtliche Natur
einer ſolchen Vormerkung. Beſeitigung durch
eine ſpätere Eintragung, die einen Rangvor⸗
behalt nicht enthält. Erwerb in gutem Glauben
(S 892 BGB.) auf Grund einer ſolchen Vor—
merkung. RG
e des Grundbuchamts im Falle des
9 GBO. Welche Behörde iſt zuſtändig die
für eine Gebührenforderung der bayeriſchen
Staatskaſſe eingetragene Sicherungshypothek auf
einen anderen zu übertragen! Ob eG
Kann der Notar die weitere Beſchwerde ee
wenn er die von ihm aufgenommene Urkunde
bL G. 316
486
dem Grundbuchamt unter Anſchluß an die An⸗
träge der Beteiligten zum Vollzuge vorgelegt
hat? (GBO. Ss 80, 15, 13). Ob G. 287
11. Gerichtskoſten. Gebühren.
Zu 89a GKG. OLG. München 208
Als Zurücknahme des Rechtsmittels i. S. des 8 46
GKG. kann auch eine Erklärung der Partei
gelten, die nicht den Vorſchriften der 8950.
entſpricht. 447
Die durch das Geſetz vom 1. Juni 1909 einge⸗
führten Auslagenpauſchſätze ($ 80 b GKG.)
haben nicht die rechtliche Natur von N.
fondern die von Auslagen. 162
Rechtliche Bedeutung des in. es Es
der Anrechnung. G. München 229
Gebührenfreiheit der „
im Ordnungsſtrafverfahren. OLG. Bamberg
Der Rechtsanwalt erhält die Beweisgebühr auch
dann, wenn er ſich bei der Beweiserhebung
durch einen Rechtskundigen vertreten läßt,
welcher, ohne als allgemeiner Stellvertreter
aufgestellt zu fein, über 2 Jahre im Vorbe⸗—
reitungsdienſt beſchäftigt iſt. OLG. Augsburg 123
Erſtattung ausländiſcher Anwaltßgebühren.
LG. München 289
OLG. München 207
51
Geometergebühren.
Zeugengebühren eines Volksſchullehrers. Obs G. 468
G. 183
Zeugengebühren bei Unterbrechung einer Geſchäfts⸗
reiſe. OLG. München 320
Gebühren im Falle der un, der Rechte
aus dem Meiſtgebot (nach dem Geb. m 5
Faſſung vom 28. April 1907). G. 344
Einheitlicher Vertrag oder Verbindung 1
Rechtsgeſchäfte (Art. 186 Geb.). Ob LG. 287
Gehören die Invalidenverſicherungsanſtalten in
Bayern zu den ſtaatlichen Anſtalten NN
des Art. 194 Ziff. 2 GebG.? 48
12. Strafrecht.
A. Reichsrecht.
a) Strafgeſetzbuch.
1. Allgemeiner Teil.
Zum Begriffe des fortgeſetzten Verbrechens. RG.
Befugnis der Polizeibeamten zum Waffen Due
und zum 0 Angriff auf eine Menſchen⸗
menge. Drohung als Verteidigungsmittel.
Verdrängen des Schutzmanns vom Poſten.
Eingriff in die amtliche Tätigkeit durch die
Aufforderung den Säbel einzuſtecken. Höhniſche
Aeußerungen aus der Menge. Bereithalten
der Waffe. RG 225
Notwendiger Inhalt des Strafantrags. RG. 367
Wie hat das Gericht bei der Bemeſſung der
Geſamtſtrafe zu verfahren? RG.
Muß das Gericht, das den mehreren ſachlich zu—
ſammentreffender Vergehen beſchuldigten Ange:
klagten bezüglich eines Teiles für nicht über—
führt erachtet, ihn inſoweit freiſprechen, wenn
es im übrigen ihn wegen eines fortgeſetzten
Vergehens verurteilt? RG. 368
70
367
2. Beſonderer Teil.
Wann liegt rechtmäßige Amtsausübung im Sinne
des 8 113 StGB. vor? RG. 314
3
XIV
Rechtmäßigkeit der Amtsausübung des Noll
ſtreckungsbeamten beſonders bei der Entſchei⸗
dung, gegen wen und in welche Vermögens⸗
ftü e zu vollſtrecken iſt. RG. 118
„Ueberlaſſen“ unzüchtiger Poſtkarten im Sinne
der 8$ 184 Nr. 2, 184 StGB. RG. 265
Verhältnis der 88 185, 186, 73 des StGB. zus
einander. Ob“ G. 140
In der Aeußerung, daß jemand hexen könne,
kann eine üble Nachrede gefunden werden.
Obe G. 269
Der de Vorwurf, daß man bei einer Be⸗
hörde durch „Schmieren“ etwas erreichen könne,
iſt nach $ 185 StGB., nicht nach 8 186 StGB.
ſtrafbar. RG.
Beleidigungsabſicht im Falle des 8 193 StGB.
RG. 266
Schutz des 8 193 StGB. bei Veröffentlichung von
Gerichtsverhandlungen in der Preſſe. R
N Begriffe des Gewahrſams und eee
204
ams 90
Entnahme von Gas nach Umſtellung der Gas⸗
uhr: Diebſtahl oder Betrug? RG. 47
Wie iſt die Entwendung eines eingefangenen, aber
herrenlos gebliebenen „jagdbaren Tieres ſtraf⸗
rechtlich zu beurteilen? RG. 426
Vermögensſchädigung bei betrügeriſcher Gewin⸗
nung von Zeitungs⸗Abonnenten durch einen
Reiſenden des Verlegers. RG.
Vermögensbeſchädigung durch Erſchleichung eines
Blankoakts bei einem Wechſel. eee
Blankogiro).
Kann Untreue begangen werden 1) dadurch, daß
der Bevollmächtigte für den Vollmachtgeber
einen Wechſel ausſtellt? 2) dadurch, daß er
einen ſolchen zum Nachteil des Voll machtgebers
ausgeſtellten Wechſel mit Mitteln des Voll-
machtgebers einlöſt? RG. 341
Untreue des Agenten, der nach außen hin im
eigenen Namen handelt. RG. 4
1. Urkundenfälſchung: ſteht der Annahme der
rechtswidrigen Abſicht der Umſtand entgegen,
daß die Abſicht des Täters auf einen materiell
nicht rechtswidrigen Erfolg gerichtet war?
2. Betrug: liegt eine ee e
i. S. des § 263 StGB. vor, wenn ein Geld:
geber für ſein Darlehen die Sicherheit nicht
erhält, die er durch die Verpfändung eines
Sparkaſſenbuchs erhalten ſollte? RG. 343
Unbefugte Jagdausübung eines eee
von ſeinem Jagdgebiete aus.
Zuläſſigkeit der Veranſtaltung einer Lotterie der
Rabattſparvereine unter ihren Mitgliedern
($ 286 Abſ. 1 StGB.). Ob“L G. 469
Gewerbsmäßiges Glücksſpiel: Kann das Vergehen
des 8 284 StGB. im Inlande durch einen aus—
ländiſchen Buchmacher begangen werden, der
im Inlande weder den Sitz ſeines Gewerbes
hat noch perſönlich tätig wird? Iſt es von
Belang, ob das gewerbsmäßige Gluͤcksſpiel im
Lande der gewerblichen Niederlaſſung ſtrafbar
iſt, ſowie vb die Wettverträge im Inlande
zuſtande kommen? RG. 90
Zum Begriffe des Wuchers. RG. 118
Vorſatz im Falle des 8 318 StGB. — Verleitung
eines Untergebenen zu einer Falſchbeurkundung.
RG. 341
Gewerbsunzucht: Weſen der Gewerbsmäßigkeit:
G 265
Inhaltsverzeichnis Der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
|
Verwertung von ſtrafloſen Einzelfällen. Obs G. 449
1911.
b) Nebengeſetze.
1. Wer iſt i. S. des 8 6 PreßG. als Drucker
einer nicht in einer Druckerei, ſondern von dem
Verbreiter ſelbſt mit einer fremden Handpreſſe
hergeſtellten Drudichrift anzuſehen? — 2, Liegt
in chen dem durch die Verbreitung einer Druck⸗
chrift verübten Vergehen und einer bezüglich
derſelben Druckſchrift begangenen Verfehlung
nach 88 6, 18 oder 19 PreßG. Ideal⸗ oder
Realkonkurrenz vor? RG.
Verkehr mit Kraftfahrzeugen; das Befahren einer
verbotenen Straße kann unter Umſtänden ſtraf⸗
los ſein. ObLG. 320
Zu 8 19 Abſ. 3 der Oberpolizeilichen Vorſchriften
vom 17. September 1906 (GVBl. S. 729);
Vorbeifahren an eingeholten Fuhrwerken un
388
70
Vergehen gegen den Poſtzwang: Vorſätzlichkeit
als Vorausſetzung eines fortgeſetzten Vergehens
— zum Begriffe Beförderung —; iſt außer dem
Befördernden auch ſtrafbar, wer irgendwie ver⸗
ſchuldet, daß ein anderer dem Poſtzwang unter⸗
liegende Gegenſtände geſetzwidrig befördert?
Beförderung durch „expreſſe Boten“. Feſt⸗
ſtellung des hinterzogenen, nicht genau zu er⸗
mittelnden Portobetrages. RG. 405
Die Verpflichtung zur 1 10 nach 8 5 des
Reblaus G. vom 6. Juli 190 RG.
„Verkauf“ und „Verſchweigen“ 8 des §S 10 NMG.
RG. 427
Zu Ss 3 und 12 WeinG.: was verſteht man unter
Moſt? Bedeutung der Entziehung der Gär—
fähigkeit. RG.
Vermiſchung von Traubenmoiten untereinander
oder mit Wein. Verneinung der Fahrläſſigkeit,
wenn eine Zuckerung dadurch erfolgt fein ſoll,
daß ausländischer Wein mit gezuckertem in-
ländiſchem Weine nach Beendigung der 1155
miſchen Gärung verſchnitten wurde. G.
Begriff des Haustrunks. Herſtellung unter Ver⸗
wendung ausländiſcher Weine. R
Vorſchriften über den Haustrunk. Ein aus Ro⸗
ſinen bereitetes Getränke iſt kein .
i. S. des $ 10 des WG. RG. 285
Gegenüber den Straußwirten in der Rheinpfalz
beſteht kein grundſätzliches Zuckerungsverbot.
Ob LG. 287
Betrieb der Straußwirtſchaften in der Pfalz;
geſchichtliche Entwickelung; Umfang der Befug⸗
niſſe des Straußwirts. Ob“ G. 227
Anwendung des 853 Gew. „Streikparagraph)
bei Ausſperrungen und ſein Verhältnis zu dem
eine härtere Strafe androhenden allgemeinen
Strafgeſetze. Ob G. 249
Mimoſatropfen. Unter welchen Vorausſetzungen
unterliegen die reinen Deſtillate dem Apotheken—
zwang? Der Satz von der Unentſchuldbarkeit
des Strafrechtsirrtums gilt nicht ausnahmslos.
b G. 120
Naturheilkundiger; unbefugte Führung eines arzt⸗
ähnlichen Titels. Ob“ G. 270
Begriff einer Schankwirtſchaft, eines Kleinhandels
mit Bier und eines Auskochgeſchäftes. Ob“ G. 449
Verkauf von Anſichtspoſtkarten an Sonn- und
Feſttagen in den Schank- und Gaſtwirtſchaften.
Obs G. 246
Der Verkauf von Zigarren und Zigaretten in
Gaſthäuſern an Sonn- und Feſttagen. Ob“ G. 410
389
I. Syſtematiſches Verzeichnis
Macht ſich ein Bader durch die Abgabe und An⸗
wendung von Heftpflaſter oder anderer dem
Handel freigegebener Heilmittel ſtrafbar Re ne
Zuſammentreffen des 8 328 StGB. mit den Vor⸗
ſchriften des Ver 3G. RG. 285
88 135, 136 des Vereinszollgeſetzes. Pferdezoll:
Konfiskation, Wertserſatz; Zeit der ung |
des Anſpruchs auf Wertserſatz. Obs G. 27
e nach $$ 134, 146 V3G., sr = as Ä
oe i. S. des $53 RStempG. 25 203
Ein ed wird nicht dadurch zu einem
„der Beförderung von Perſonen dienenden
Kraftfahrzeuge“, daß gelegentlich Perſonen mit⸗
fahren dürfen. RG 485 |
Erforderniſſe einer Bilanz. RG. = |
|
1. Strafbarkeit der Vorſtandsmitglieder einer ein⸗
5 e Genoſſenſchaft wegen e Hung |
es Antrags auf Konkurseröffnung. —
kundenfälſchung; zum Begriffe des Gebrauch
machens zum Zweck einer Täuschung (Ver: |
öffentlichung der mit einer gefälſchten Unter⸗
ſchrift verſehenen gan )! die Bilanz als be⸗
weiserhebliche Urkunde. RG. 342
Einſtweilige Verfügung nach 88 3 und 25 UWG.
wegen irreführenden Gebrauchs einer Firma.
1 der tatſächlichen Vorausſetzungen |
während de3 BEDEIEL HONMOSDEr DENE |
LG. Bamberg 142
Anzeige „Schmerzloſes Zahnziehen“ als unlauterer |
ettbewerb. RG. 165
Anſchein eines beſonders günſtigen Angebots bei |
der Ankündigung: „Eigenefteparatur-Werkitatt“. Br |
Namentliche Aufzählung der anzeigepflichtigen
Arten der Ausverkäufe durch die höheren Ver⸗
waltungsbehörden (UnlWG. 8 7 Abi. 2 vom
7. Juni 1909) ObLG.
Befugniſſe der höheren Verwaltungsbehörde nach
§ 7 Abſ. 2 Unl WG. RG.
Nachſchieben von Waren beim Ausverkauf. RG.
B. Landesrecht.
Geltungsbereich der 55 Son
vom 4. September 1905 zum Schuß der beim
Tiefbau beſchäftigten Perſonen. Ob LG.
Offenes Bau⸗(Pavillon⸗Syſtem. Begriff des
Ueberbauens (Art. 101 P StGB.). Vorausſetzung
der Gültigkeit einer ortspolizeilichen e
—
&
29
29
Bedeutung des gleichzeitigen Verdingens an
non ee (Art. 106 Abſ. 1 ul 2
PStGB LG. 488
Art. 112 ne 2 PStGB.: Sonnenweg,
an einer Grenzeinrichtung.
Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 des PStGB. 55 52
kämpfung des Traubenwicklers (Heu: oder
Sauerwurms). Ob“ G. 468
Wahrſagen gegen Lohn iſt ohne Rückſicht auf die
angewandten Mittel als Gaukelei zu beſtrafen. |
Aſtrologie, Stellung des Horoſkopes. DLYG. 346
Welche Grundſtücksumzäunung berechtigt zur
Ausübung der Eigenjagd in der N
186 |
Begriff der in den 1 aufſichtslos under
ſtreifenden Hun be G. 319
Die Strafandrohungen des Art. 41 Abſ. 3 en
beziehen ſich nur auf die Entziehung oder Ver:
kürzung der e und nicht auf die rechts- |
Art. 55
| eee Zuſtändigkeit für Wrefwerg
8 121 StPO.
widrige Wenn einer Rückvergütung ge⸗
leiſteter Gefälle. Ob LG. 390
Anbeften von 1 Sinn und Tragweite des
Art. 12 AG. StPO. Ob LG.
5 O Haftung des Betriebsleiters
nach 8 151 G Ob G. 94
Zum . Bande ee Meß⸗
und Marktverkehr; Weſen und Tragweite des
ſog. Formaldeliktes. Ob“ G. 205
| Zum bayeriſchen Wandergewerbeſteuergeſetz; Be⸗
riff des Wanderlagers; die Einrichtung einer
abrik hat regelmäßig nicht die Eigen an
eines Wanderlagers. Ob
Gewerbebetrieb im Umherziehen durch dag
vermittler. bLG.
Sind vorübergehend bewilligte n bei
der Berechnung der Einkommenſteuer anzuſetzen?
Müſſen die Arbeitgeber ſolche Vergütungen dem
Rentamte mitteilen ObL G.
Y. 289
51
92
13. Gerichtsverfaſſung. Strafprozeß.
Welches Gericht hat den Streit eines preußiſchen
und eines bayeriſchen Amtsgerichts über die
Verpflichtung zur Uebernahme einer bei dem
preußiſchen e anhängigen Vormund⸗
ſchaft zu enſcheiden? (GF G. 88 199, 46 in der
Faſſung des RG. vom = Mai 1910). ObL G. 410
n Bayern. 344
N Karfreitag ift in Bayern, insbeſondere an
Orten mit konfeſſionell gemiſchter 1
kein allgemeiner Feiertag im Sinne des S 43
Abſ. 2 Obe G. 346
Abweſenheit des einem jugendlichen Angeklagten
beſtellten Verteidigers zu Beginn der Raub
verhandlung. RG. 188
Ausübung prozeſſualer Befugniſſe des Beſchul⸗
digten außerhalb der Hauptverhandlung durch
andere Perſonen als den Verteidiger. Ob“ G.
Iſt das Gericht an die Ausſage einer beeidigten
Zeugin Beben, daß fie die Verlobte des An⸗
geklagten ſei? RG. 447
Erkundigungspflicht des Zeugen. RG. 48
Zuläſſigkeit der Beſchwerde gegen einen von dem
erkennenden Gericht auf Grund des 8 81 8805
erlaſſenen Beſchluß.
Wann beginnt die „Ausführung einer 9 1 1 2
G. 229
Umfang der ene von Briefen 81 der
Poſt nach § 99 StPO. bL G. 318
Wer iſt zum Antrage = a
Scheidung über das „Freiwerden“ der noch nicht
verfallenen Sicherheit berechtigt? Obs G.
Wie muß der Antrag nach $ 170 StPO. unter⸗
ſchrieben ſein? OLG. München
Verleſung von Schriftſtücken durch den Vertei⸗
diger beim Schlußwort. RG.
50
94
286
1. Verleſung von Briefen in der Hauptverhand—
lung: Feſtſtellung des Zwecks der Verleſung
im Protokoll? Begründung einer auf die Un⸗
zuläſſigkeit einer Verleſung ſich ſtützenden Re⸗
viſion. 2. Schwurgerichtliche Frageſtellung:
Bezeichnung des Tatorts. RG. 447
Berichtigungsverfahren beim Schwurgericht. Form
der Niederſchrift des berichtigten Spruches.
RG. 165
Kann prozeßordnungswidriges Verhalten des
Staatsanwalts die Reviſion begründen? Ag 407
1. Bu 1. Bu 85 347 StPO. 2. Während der Vertagung
des Landtags durch die Krone bedarf es zur
Durchführung des Strafverfahrens gegen ein
Landtagsmitglied nicht 8 ao au ei feiner
Kammer. München I
Erforderniſſe 8 1 einer Ntüge
8 Si iff. 8 StPO. — zu 8 384 Abſ. 2 N
Rechtliche Wirkſamkeit des in einem privaten Ver⸗
leich erklärten Verzichts auf die n 8
Privatklage.
Der Vergleich im Privatklageverfahren bildet einen
Vollſtreckungstitel, auf Grund deſſen die Koſten
gerichtlich feſtgeſetzt werden können.
LG. Paſſau
Bei Freiſprechung des Angeklagten iſt der Aus⸗
ſpruch. daß dem Nebenkläger „die Koſten der
Nebenklage“ überbürdet werden, zu .
Vorausſetzung zur Koſtenfeſtſetzung nach 30 496
Abſ. 2 der StPO. LG.
14. Staatsrecht. Verwaltung.
Iſt 55 Rechtsweg zuläſſig, wenn ein zur Ruhe
eſetzter Beamter eine Gehaltsforderung mit
er Begründung geltend A daß die au
ſetzung unrechtmäßig ſei?
Beginn der Klagbarkeit des Anſpruchs der 75
riſchen Beamten auf Gehaltserhöhung (Art. 178
). Berechnung der Dienſtzeit (Art. 28 BG.).
Unanwendbarkeit des $ 66 Ab}. 1 RMilG. auf
Staatsdienſtaſpiranten. ObL G. 2
Unter welchen Vorausſetzungen kann die VO.
vom 13. November 1902, die Unfallfürſorge für
die nichtpragmatiſchen Staatsbeamten und
Staatsbedienſteten betreffend, auf einen früher
eingetretenen Betriebsunfall angewendet werden?
ObL G. 204
Abſ. 2 des $ 1 der Unfallfürſorgeverordnung vom
13. November 1902 iſt auf den mit einem Ruhe⸗
ehalt entlaſſenen Beamten nicht anwendbar.
G. 387
D
t
\ 8 |
uſtändigkeit a) der Verwaltungsbehörden zur Pflicht zur Teilnahme am konfeſſionellen Religions⸗
Eniſcheidung über die dauernde Dienſtunfähig—
keit nach Ab}. 1 a. a. O., b) der Gerichte zur
Entſcheidung darüber, ob ein Ereignis als Be—
triebsunfall zu betrachten und Urſache der Bes
ſchädigung iſt. Klageänderung, wenn der An-
Inhalts verzeichnis der Zeitſchrift m Rechtspflege in n Bayern.
1911.
ſpruch auf die Unfallfürſorge e
einen anderen Unfall geſtützt wird. (ZB
8 268). Keine Erholung eines 1
„Obergutachtens“, wenn das Gericht durch die
vernommenen Sachverſtändigen genügend 115
geklärt iſt (ZPO. 58 286, 412). Obs G
105
Verhältnis der Beſtimmungen des e
vom 31. Mai 1906 zu denen des KriegsinvG.
vom 31. Mai 1901. RG. 405
Einfluß der Anſtellung eines ee Offi⸗
ziers bei der Reichsbank auf ſeinen e
bezug. RG.
Zur Entſcheidung über einen Anſpruch gegen den
bayeriſchen Fiskus auf Rückerſtattung zu Un⸗
recht erhobener Gebühren und von Zinſen
hieraus ſind die bürgerlichen Gerichte nicht zu⸗
9899 ü e r. 80 200 90 9. nach
B. und Art. 60 A BGB. Mit:
un des Geſchädigten ne Unterlaſſung
der Auſſichtsbeſchwerde. G. Bamberg 321
Errichtung von Badeanlagen. Zuſtändigkeitsaus⸗
ſcheidung. VGH.
Das Beſtreuen der Ortsſtraßen. VGH.
Wenn die Eigentümer eines Hauſes gegenüber
einer Gemeinde auf Grund unvordenklicher
Verjährung oder Vertrags das Recht bean=
ſpruchen, über Gemeindegrund Abfallwaſſer aus
einem gemeindlichen Brunnen zu beziehen, ſo
haben die bürgerlichen Gerichte zu u
31
49
Zuſtändigkeit, wenn eine Gemeinde die Koſten der
Verpflegung in einem Krankenhauſe vorge—
1 hat und von den Erben Erſatz verlangt.
O. iſt im Verfahren vor dem Gerichts—
ie nicht anwendbar. Das Vorbringen des
eklagten iſt bei der Entſcheidung über die
Zuſtändigkeit in der Regel nicht zu berück- d.
ſichtigen. KASH. 191
Sind die Gerichte zuſtändig, wenn eine Kirchen⸗
gemeinde eine Feſtſtellung darüber beanſprucht,
daß die Angehörigen einer Filialkirchengemeinde
zu Hand⸗ und Spanndienſten für Kultusbauten
in der Hauptgemeinde verpflichtet find? VGH. 95
unterricht. Religiöſe Kindererziehung bei un—
gemiſchter Ehe. GH. 450
Zum Begriffe des Güterhändlers. (Güterhandel
als Nebengewerbe). GH. 370
Notizen.
1. Zivilprozeß. Grund buchweſen.
Koſtenbehandlung im Falle des 8 505 ZPO.
Die kataſtermäßige Behandlung von Grundſtücken
und Miteigentumsanteilen. 452
Eine bemerkenswerte Bekanntmachung über die
Führung des Grundbuchs.
272
ö
2. Patentrecht.
Das Geſetz betreffend den Patentausführungs⸗
zwang vom 6. Juni 1911 (RG Bl. 243).
3. Strafrecht. Strafprozeß.
Die Bekämpfung der Pornographie.
Der Dienſt der Amtsanwälte.
Das Strafverfahren gegen Jugendliche und deren
bedingte Begnadigung.
Strafverfahren gegen geiſtig Minderwertige.
272
52
100
Die Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910, die
Mitteilungen im Strafverfahren betreffend
(JIM Bl. S. 1000).
Die Feſtnahme flüchtiger Verbrecher auf deutſchen 1
Handelsſchiffen.
Die Verfolgung der Fälſchungen von Nahrungs-
und Genußmitteln. 251
Die allgemeine Einführung des Fingerabdruckver⸗
fahrens im Königreiche Bayern.
1 Die Wirkung des Fingerabdruckverfahrens auf die 85
4
Verbrecherſeele.
4. Internationales Recht.
Internationales Abkommen über das Verbot der
Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen.
Die rechtliche Stellung der öſterreichiſch-ungariſchen
Konſularbeamten im gerichtlichen Verfahren. 192
Neue Staatsverträge mit der Schweiz. 372
72
Rechtshilfeverkehr mit dem Auslande.
Der Geſchäftsverkehr der Juſtizbehörden mit dem
Auslande. 211
Auslieferungverkehr mit dem Auslande.
Auslieferungsvertrag mit Großbritannien.
392
212
5. Inſtizverwaltung.
Die Behandlung der Geſuche um Auffchub der
Strafvollſtreckung. 32
Die e der Begnadigungs⸗ und e
aufſchubsſachen.
Die Vormerkung der Begnadigungen in ben
Strafregiſtern.
Die Mitteilung gerichtlicher Akten an die en
ftände der Anwaltskammern.
Die bayeriſche Juſtizſtatiſtik für 1910.
252
412
Die Einhebegebühren des gerichtlichen Diener⸗ 85
und Botenperſonals.
Die Mitwirkung der Juſtizbehörden beim Vollzuge
des Zuwachsſteuergeſetzes. 351
Die Mitwirkung der Juſtizbehörden beim Vollzuge
des Einkommenſteuergeſetzes. 351
I. Syfiematifche® Verzeichnis.
392
XVII
6. Verwaltung.
N
| Abgekürzte Auszüge aus den Perſonenſtands⸗
| regiſtern. 492
Die Beſeitigung von Tierkadavern und die Rege⸗
lung des Abdeckereiweſens. 324
Der Schutz des zur Anfertigung von Reichsbank⸗
noten verwendeten Papiers gegen unbefugte
| Nachahmung.
Die Vorſchriften über den Gewerbebetrieb der
| Pfandleiher und der Pfandvermittler. 144
212
72
2 Der Verkehr mit Kraftfahrzeugen.
Die Anrechnung der Militärdienſtzeit auf das
„ Beſoldungsdienſtalter.
Die Vorbedingungen für den höheren ſtaatlichen
| Archivdienſt. 432
Die Vertretung des Militärfiskus.
Die ee amtlicher Schreiben an Hand⸗
werker. 472
472
Der Verkauf von Walderzeugniſſen. 491
7. Allgemeines.
Deutſcher Juriſtentag. 352
Juriſtendeutſch. Geſetzesſprache. 100
E. Sprachecke.
Heeresſprache 32
Mahnung für Beamte 124
Euer Hochwohlgeboren und Eurer Hochwohl⸗
geboren 212
Vom Datum 252
Die ſchen Eheleute 252
Die Faſſung der Beſchlüſſe in Vollſtreckungsſachen 272
r Schuldner, Zahlungsunwillig⸗ ee
eit
Vernotwendigt ſich „ſich vernotwendigen“?
352
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
(Die Zahlen bedeuten die Seiten.)
A.
Abbildungen, unzüchtige 265, 272
Abdeckereiweſen 324
Abfallwaſſer, Bezugsrecht 49
Abgaben ſ. Gefälle
ee Urteil 361
b
lehnung von Eintragungen im Grundbuch 300, 316
— der Auflaſſung 117
— von Beweisanträgen 85, 315
Abmarkung, Bedeutung 78
— Anſpruch auf A. 235
Abonnenten, Fang 314
Abſchreibungen vom Grundbuchblatt 217
A bſicht der Beleidigung 266
Abſonderung aus der Konkursmaſſe 462
Abtretung von Forderungen 47, 71, 87, 400, 462, 466
— von Bankguthaben 307
— von Hypotheken 163, 331, 485
— von Grundſchulden 201
— der Rechte aus einer Vormerkung 463
— der Rechte aus dem Meiſtgebot 344, 423
Abzüge bei der Steuer 42 ff., 62 ff.
Agent, Auftragsverhältnis zum Verſicherungsnehmer 310
— Proviſion 312
— Untreue | 465
Alten, Einfiht im Zivilprozeß 198
— Abgabe an die Anwaltskammer 252
— über Begnadigungsſachen 278
Aktenſammlungen 435
Aktiengeſellſchaft 335
Akzept, Erſchleichung 286
Alkoholfreier Wein 365
Alkoholſtatiſtik 412, 475 ff.
Amerika ſ. Vereinigte Staaten
Amortiſationshypothek, Uebernahme 9 ff.
Amtsanwälte, Dienſtvorſchriften 52
Amtsausübung, Rechtmäßigkeit 119, 314
Amtsdeutſch 32. 100
Amtspflicht, Verletzung 117, 120, 321
Aenderung der Fideikommißſtiftung 431
— der Klage 408
Anerkenntnisurteil, abgekürztes 361
Anerkennung des Eigentums 55
— der Meſſung 235
Anfechtung wegen Drohung 21
— wegen Irrtums 165
— wegen Benachteiligung der Gläubiger 87, 143
— der Hypothekdeſtellung 163
— von Generalverſammlungsbeſchlüſſen einer Ge—
noſſenſchaft 389
— der Ehe 364
— prozeſſualer Erklärungen 165
— der Entmündigung 137
Angeklagter, Erforſchung des Geiſteszuſtandes 229
Angeſtellte, Haſtung für 283
— Zeugengebühren 332
— Steuerabzüge 63
— der Reichsbank 387
Angrenzer, Eigentum an Wegflächen
Anlagen, gefährliche
— an der Grenze |
Anmeldung bei nachträglicher Eintragung von
Grundſtücken 110
54, 77, 110
484
488
— z r Verſicherung 457 ff.
— zollpflichtiger Sachen 3, 28
Annahme der Erbſchaft 318
Annuitäten ſ. Amortiſationshypothek
Anonyme Briefe 421
Anpreiſungen, unwahre 165, 313, 410
Anrechnung von Gebühren 229, 382
— einer früheren Strafe 398
Anſichtspoſtkarten ſ. Poſtkarten
Anſpruch, Kennzeichnung 474
Anſtandsgefühl, Verletzung 145 ff., 263
Anſteckung als Körperverletzung 197
Anſtiftung im Forſtſtrafrecht 153.
Antrag auf gerichtliche Entſcheidung 94
— ſ. a. Strafantrag, Eintragung
Antragſteller, Vorſchußpflicht 159
Anwaltskammer, Recht auf Ueberſendung von
Akten 252
— Auſſichtsrecht des Vorſtands 441
An waltstag 373 ff.
Anweiſung 176, 178
Anzeige zum Perſonenſtandsregiſter 220
— von Ausverkäufen 256, 269
Apothekenzwang 120. 429
Arbeiter, gewerbliche, Nachtarbeit 72
— Verſicherung 83
— Zeugengebühren 332
Arbeitgeber, Mitteilungen über Steuerpflicht 92
— Meldepflicht 457
— Verſicherungsbeiträge 480 ff.
Arbeitsbetrieb in den Gerichtsgefängniſſen 439 ff.
12 ff.
Arbeits nachweis ff
Archivdienſt 432
Argliſt beim Kaufvertrag 308, 385
Armenpflege, Ausſtellung von Zeugniſſen 51
— Stellung zum Berufsvormund 377
— Aufforderung zur Unterhaltsleiſtung 419f.
Armenrecht, Beiordnung von Rechtsanwälten 304 ff.
Armutszeugnis. Form 51
Arreſt, Vollſtreckung 360
— in Forderungen 30
— Hinterlegung beim A. 88
Arzt, Verkauf der Praxis 173
— unbefugte Titelführung 270
— Operationsrecht 424
Aſtrologie als Gaukelei 346
Aufhebung der vorläufigen Vormundſchaft 193
— der ehelichen Gemeinſchaft 403
— des Konkursverfahrens 85
— einſtweiliger Verfügungen 114 ff.
Auflaſſung, Sicherung durch Vormerkung 463
— Beurkundung 58
— ungerechtfertigte Ablehnung 117
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Auflaſſung, ohne Einigung
— bei der Güterzertrümmerung
Außrechnung im Rechtsſtreit 443, 484
Aufſchlag, Entziehung
Aufſchub, Behandlung der Geſuche 32, 275 ff., 293 ff.
A ufſicht des Vorſtands der Anwaltskammer 341
Aufſichtsbeſchwerde 421
A ufſichtsrat der Aktiengeſellſchaft 335
Auftrag, Vorausſetzungen 310
Ausbuchung von Grundſtücken 111
Auseinanderſetzung einer Gemeinſchaft 91, 241, 423
Ausfertigung, vollſtreckbare von Unterhaltsver⸗
trägen 44
— wegen der Koſten 142
Ausführungsvorſchriften, Bezeichnung 460
Ausgleichung bei Geſamtſchuld 336
— bei Errungenſchaftsgemeinſchaft 263
— unter Erben 33 ff.
Auskochgeſchäft, Begriff 449
Auskunft, unrichtige, Schadenserſatz 283, 337, 340
— Erzwingung 347
Auskunftspflicht des Miterben 191
Auslagen im Ermittlungsverfahren 183
— im Privatklageverfahren 19 f.
— des Nebenklägers 227
— für Schreibwerk 396 f.
— Pauſchſätze 162, 229, 279
— Vorſchuß 159 ff.
Ausland, Abſchluß von Wettverträgen 90
— Weine 266
— Vollſtreckung 360 ff.
— Geſchäfts verkehr 211, 392
— Gebühren der Anwälte 290
Ausländer, Vormundſchaft 44
— Vorſchußpflicht 159
Auslegung der Klageſchriſt 139
Auslieferung, Verfahren 452
— aus der Schweiz 372
— aus Großbritannien 212
— aus den Vereinigten Staaten 392
Auslobung, Begriff 444
Ausmärkiſche Waldungen 112
Ausſchank ſelbſterzeugter Getränke 14 ff., 106 ff.,
227, 287
Ausſchreibung von Arbeiten 399
Ausſonderung aus der Konkursmaſſe 462
Ausſperrung 246
Ausverkauf, Ankündigung 134 f.
— Nachſchieben 465
Gen ae A ꝑ— :! 2 ü— ͤ— 2—L—ęFñ:.!— ——— —— ͤ — —-t .. T—¼ 7˙‚r'———̃——
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— Anordnungen der Verwaltungsbehörde 256, 269, 407
Auswärtiges Amt, Legationslkaſſe 211
Ausweiſung aus der Schweiz 372
Auszug aus dem Standesregiſter 492
Automobile ſ. Kraftfahrzeuge.
B.
Badeanlagen, Errichtung 450
Bader, Abgabe von Heilmitteln 429
Bahnſteig, Unfall 224
Bankguthaben, Abtretung 307
Bankier, Kreditauskunft 283
Baugeldhypothek., unrichtige Angaben 470
Bauhandwerker, Forderungen 17 ff., 114
Baupflicht, kirchliche 97
Bauſyſtem, offenes 29
Bauunternehmer, Verſicherungsbeiträge 480 f.
Bauwerk, Begriff 29
Beamte, Gehalts nſpruch 26, 204, 387, 408, 487
— Unfallfürſorge 204, 333
— Haftung für Amtspflichtverletzung 117, 120, 321
— Strafverfahren 32
Beerenweine
Beförderung, unbefugte von Poſtſachen
— mit Kraftfahrzeugen
15
405
485
Beförderungsvertrag mit der Eiſenbahn 224, 244
Begnadigung, bedingte 214
— neue Vorſchriften 275 ff., 293 ff.
— Vermerk im Strafregiſter 490
Begünſtigung, ſtrafbare 154
Beihilfe im Forſtſtrafrecht 153 f.
Beiordnung von Rechtsanwälten 304 ff.
B eiſchlaf, außerehelicher 395
Beiſitz am Nachlaß 70, 166, 317
Beiſtand im Entmündigungsverfahren 249
Beiträge zur Verſicherung 480 ff.
Beitritt zu einer Genoſſenſchaft 226
— im Zwangsverſteigerungsverfahren 160f.
Beleidigung, Tatbeſtand 140, 204, 265, 266
Beleuchtung von Wegen 85
Benachrichtigung von der Pfändung 30
Benützung, freie, eines Werkes 69
Bereicherung, ungerechtfertigte 47, 71, 136, 147 f.,
308, 362
Berichtigung des Grundbuchs 111, 114 ff. „ 118,
236, 362, 483
— des Geſchworenenſpruchs 165
Berufsgenoſſenſchaft, Anſprüche N
unfällen „ 86f.
— Unfallverhütungsvorſchriften 167 482
— Selbſtverwaltung 482
Berufsvormundſchaft 353 ff., 377 ff.
Berufung im Wechſelprozeß 431
Beſchlagnahme in der Zwangsverſteigerung 160
— von Briefen 318
— des Vermögens 138
Beſchwerde im Zivilprozeß 30, 208
— im Strafprozeß 229
— in Vormundſchaftsſachen 193 ff., 427
— in Regiſterſachen 226
— in Grundbuchſachen 117, 287, 300 ff.
— in Gebührenſachen 315
— gegen Ordnungsſtrafen 51
— bei Verſagung von Strafaufihub 32, 295
— wegen Geſchäftsverzögerung 321
Beſitz, mittelbarer 66, 209, 467
— am Wild 426
Beſitzveränderungsgebühren 18, 65
Beſoldungsdienſtalter, Berechnung 51
Beſtallung des Berufsvormunds 378
Beſtandteile, Grundſtück als B. 467
— Weg als B. 54
— Entfernung vom Grundſtück 23
— eines Fideikommiſſes, Veräußerung 448
Beſtätigung der Auseinanderſe ung 91, 241
Betriebsausgaben, Begriff 42 ff.
Betriebsbeamte, Verſicherung 84
Betriebsgeheim!nis, Verrat 457
Betriebsleiter, ſtraſrechtliche Haftung 94
Betriebsunfall, Begriff 86, 202, 224
— von Beamten 204, 408
— Verſicherung 83
Betriebs unternehmer, Begriff 138
— Haftung für Unfälle 83 ff.
Betriebs verluſt, Steuerabzug 63
Betrug, Tatbeſtand 47, 314, 343
Beurkundung, falſche 341
Bevollmächtigter, Untreue 341, 465
Beweisantrag, Ablehnung 85, 315
Beweisgebühr des Rechtsanwalts 123
Beweis laſt bei Verzug des Schuldners 46
— bei Auszahlung des Darlehens 330
— bei Aufhebung eines Dienſtvertrags 22
Beweisſicherung 397
Bezeichnung des Weins 16, 106, 287
— der Geſetze uſw. 460
Bezirksagent ſ. Agent.
Bezirksamt ſ. Verwaltungsbehörde.
Bezugsrechte, Eintragung im Grundbuch 166
Bier, Ausſchank 14
Inhalts verzeichnis der Zei tſchrift für Rechtspflege! in Bayern. 1911.
Ehefrau, Zeugnisverweigerung 243
Ehemann, Unterhaltspflicht 418
— Rechte bei Fahrnisgemeinſchaft 365
— Beiſitz am Nachlaß 70
Eheſachen, Zuſtändigkeit 163
— Reviſion 137, 493
Ehezerrüttung 285
Ehrenamt, Pflicht zur Annahme nach der RVO. 456
Ehrengerichtliches Verfahren gegen Rechts⸗
anwälte 252, 441
Eichelernte, Recht auf Bezug 166
Eichpfahl 94
Eid des Streitgenoſſen 337
— Verweigerung 165
— ſ. a. Offenbarungseid
Eigentum, Uebergang bei Zahlung an den Bevoll—
mächtigten 466
— an Wegen 53 ff., 76 ff., 109 ff.
— an Grenzeinrichtungen 488
Eigentümer, Vorausſetzung der Eintragung im
XX
Bier, Kleinhandel 449
— Verbrauchsſtatiſtik 476
Bierlieferungs vertrag 242
Bilanz, Erforderniſſe 138
— gefälſchte 342
Blankoakzept, Erſchleichung 286
Bosnien, Vollſtreckung 361
Bote, expreſſer 405
Botenperſonal, Gebühren 168
Branntwein, Statiſtik 476
Braſilien, Gerichts verfahren 392
Brauer, Ausſchank eigener Erzeugniſſe 14
Briefe, Verleſung 447
— Beſchlagnahme 318
Bruchteil eines Grundſtücks 185
Brunnen, Recht auf Benützung 49
Buchführung der Rebenhändler 89
Buchmacher 90
Buchungsfreie Grundſtücke 54, 110 ff.
Bühnenangehörige, Stellenvermittlung 12 ff.
Bukowina, Vollſtreckung 360
Bundesratsverordnungen, i
Bürgermeiſter, Sorge für die Straßen
Bürgſchaft, Einreden des Bürgen 308, 910
— Nebenabreden 310
C.
Central Criminal Court 299
Chriſtbaum, Verkauf 491
Coroner 297
Connty Courts 297
Court of Appeal 299
Courts of Assice 298
D.
Daktyloſkopie 183, 232, 238, 421, 492
Dalmatien, Vollſtreckung 360
Dänemark, Geſchäſtsverkehr 211
Darlehen, Begriff 176
— Bekenntnis des Empfangs 329 ff.
— an Minderjährige 362
— Erſchleichung 343
— Kündigung 24
— Stundung 199
Darlehbensvermittler, Gewerbebetrieb 51
Defraudation ſ. Hinterziehung
Deklaration ſ. Anmeldung
Denkmal ſ. Grabdenkmal
Deſtillate 120
Diebſtahl, Tatbeſtand 47, 426
Dienſtbarkèit ſ. Grunddienſtbarkeit
Dienſtboten, mehrfaches Verdingen 488
Dienſtentlaſſung 487
Dienſtunfähigkeit, Feſtſtellung 408
Di nitvertrag, Kündigung 22
Dienſtzeit, Berechnung 26, 51f.
Differenzgeſchäft 403
Diplomatiſcher Verkehr 211
Diſſimulation ſ. Scheinverträge
Diſtriktsſtraßen, Eigentumsverhältniſſe 57
Disziplinarſtrafen, Begnadigung 276
dolus eventualis 131
Doppelbeſtrafung 5, 397
Drohung als Anfehtungsgrund 21
Drucker, Begriff 388
D uldun'g 95 Vollſtreckung 83
Durchſuchung Werdächtiger 310
E.
Ehe, Anfechtung 364
Ehebruch, Feſtſtellung im Scheidungsurteil 404
Ehefrau, Beitritt zu einer Genoſſenſchaft 226
— Unterhaltspflicht 419
— Pfändung 162
Grundbuch 109
— Schadenserſatzanſprüche 46
— Jagdrecht 186
Eigentümergrundſchuld bei Amortiſations⸗
hypotheken 9
Eigentums vorbehalt an Fenſtern 23
Eingebrachtes Gut bei Errungenſchaftsgemein⸗
ſchaft 263
— bei Fahrnisgemeinſchaft 365
Einheit der Handlung 141, 393 ff.
— eines Rechtsgeſchäfts 287
Einigung bei llebertragung von Grundeigentum 58,118
— über Beſtellung des Erbbaurechts 133
Einkindſchaftung 317, 428
Einkommenſtener der Gewerbetreibenden 42ff., 62 5
— aus Vergütungen
— Mitwirkung der Juſtizbehörden 361
Einlaſſung auf die Klage, Begriff 469
Einrede, Kennzeichnung 474
Einſtweilige Anordnungen des Beſchwerde⸗
gerichts
Einſtweilige Verfügung als Grundlage einer
194
Vormerkung 17 ff.
— Vollſtreckung 361
— Aufhebung 114 ff.
— Koſten 385
— bei unlauterem Wettbewerb 142
Eintragung, Antrag 300 ff., 316, 486
— von Gemeinderechten 245
— der Pfändung eines Erbteils 70
— ins Genoſſenſchaftsregiſter 226
— Gebühren 17 ff., 65 f.
— ſ. a. Grundbuch
Einziehung zollpflichtiger Sachen 27.
— Geſuche um Freigabe 276
Einzugsregiſter 19
Eiſenbahn, Unfall 224, 336, 401
— Haftung bei Transporten 244
Elektrizitätswerk, öffentliches 169
Einhebegebühren 168
England ſ. Großbritannien
Entfernung von Beſtandteilen 23
Entmündigung, Verfahren 137, 249, 397
— bei geminderter Zurechnungsfähigkeit 459
Entwertung von Verſicherungsmarken 482
Erbbaurecht, Behandlung im Grundbuch 132 f.
Erbe, Ausgleichungspflicht 33 ff.
— Abtretung von Nachlaßforderungen 87
— Erteilung des Zuſchlags 422
Erbengemeinſchaft, Verfügungsrecht 365
— Auseinanderſetzung 91
Erbſchaft, Annahme 318
Erbſchaftsbeſitzer, Begriff 191
Erbteil, Pfändung 70
Erfüllungsort für Gehaltsanſprüche 346
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Erfüllungsort, Gerichtsſtand des E. 355, 361
Erlaß vertrag 135, 282
Ermäßigungsrecht, richterliches 242
Ermittelung des Grundſtückswertes 133
Ernährungspflicht, Begriff 417
Erneuerungsſchein bei Teilſchuldverſchreibungen 185
Ernſtlichket der Rechtsgeſchäfte 66, 248, 303 f., 306, 315
Errungenſchaftsgemeinſchaft 263
Erſitzung, Vorausſetzungen 57, 81
— Anerkennung 236
Erſuchungsſchreiben an ausländiſche Behörden 211
Erziehungsanſtalt, Vorſtand als Vormund 353
Erzwingung von Handlungen 347
F.
Fabrik, Einrichtung 289
Fahrgaſt, Unfall 67
Fahrläſſigkeit, Begriff im Forſtſtrafrecht 131
Fahrnisgemeinſchaft 365
Fahrzeuge, Ueberholen 70
Fakſimile bei Unterſchrift 185
Fälligkeit von Erſatzanſprüchen 484
Falſcheid, fahrläſſiger 48
Fälſchung von Urkunden 341, 342, 343, 445
— von Quittungskarten 481
— von Verſicherungsmarken 482
— von Nahrungsmitteln 251
Feiertage, allgemeine 346
Feldwege \. Wege
Fenſter, Eigen tümsvorbeholt 23
Ferienſachen 395 ff.
Fernſprecher 183
Feſtnahme, Beginn 426
— auf Handelsſchiffen 451
Feſtſtellungsklage, negative 24
— gegen den Konkursverwalter 464
— gegen den Fiskus 469
Fideikommiß, Zugehörigkeit von Wegflächen 58, 113
— Veräußerung von Beſtandteilen 448
— Widerruf
Fiduziariſche Geſchäfte ſ. Sicherungsübereig—
nung
Filialkirchen gemeinde, Verpflichtung zu Hand⸗
dienſten 95
Finanzbehörden, Zuſtändigkeit in Begnadi⸗
gungsſachen 276, 278
Fingerabdruckverfahren 183, 232, 238, 421.492
431
— ——ͤ—ͤ——z ;
Freirechtslehre 39, 453
Friedensrichter in England 296
Friſt für die Reviſionsbegründung 75 f.
— Vorſetzung durch das Grundbuchamt 17
— f. a. Nachfriſt
Fruchtſaft, Begriff 285
Funkenflug beim Eiſenbahnbetrieb 244
Funkentelegraphie 451
Fußſpuren, Erforſchung 183
G.
Galizien, Vollſtreckung 360
Garage 347
Gärung des Moſtes 365, 389
Gas, Entnahme 47
Gaſthof, Verkauf 308
Gaſtwirtſchaft, Sonntagsruhe 246, 410
— Unſall 425
Gattungsſachen, Begriff 149 fl., 176 ff.
Gaukelei, Tatbeſtand 346
Gebäude, Zubehör 266
Gebote bei Vergebung von Arbeiten 399
Gebühren, Begriff 162
Firma, Fortführung 263, 311
— unzuläſſige Zuſätze 262
— irreführender Gebrauch 142, 410
Fiſchwaſſer, Abdämmen 413 ff.
Fiskus ſ. Staat
Flächenausſcheidung, Bedeutung 56
Flugblatt, Verbreitung 388
Flurbereinigung 452
Forderung, Abe
— Anſpruch auf Abtretung 71
— unbefugte Einziehung 465
— Wirkung der Pfändung 30, 47
47, 71, 87, 400, 462, 466
Form des Grundſtücksverkaufs 118, 236, 306, 307, 483
58
51
— der Schenkung 307
— der Eigentumsübertragung
— des Armutszeugniſſes
— des Eintragungsantrags 306, 307
Formaldelikt 206
Formulare im We 60 f.
Forſtſtrafrecht 128 ff., 153 ff., 278, 491
Forſtwirtſchaft, Auſſicht über den Betrieb 201
Fortgeſetztes Verbrechen 4, 6, 70, 141, 154,
308, 393 ff.
Fränkiſche Landgerichtsordnung 428
Frankreich, Geſchäftsverkehr 211
— Kriminalpolizei 237
Fremdwörter 32
123, 143, 289, 382
320, 332, 468
der Rechtsanwälte
der Zeugen
— der Geometer 207
— des Dienerperſonals 168
— der Stellenvermittler 13
— bei Vormerkung einer Hypothek 17 ff., 65
— im Zwangsverſteigerungsverfahren 159 ff., 344
— für Notariatsurkunden 48, 65
— bei Verbindung von Rechtsgeſchäften 287
— bei Ordnungsſtrafen 51
— Anrechnung 229
— Sicherungshypothek für G. 486
— Beſchwerdeverfahren 315
— Rückforderung 321
— ſ. auch Beſitzveränderungsgebühr, Vorſchußpflicht
Geburtsanzeige an das Vormundſchaftsgericht 378
Geburtsurkunde 220
Gefälle, Rückvergütung 390
Gefangene, entlaſſene, Obſorge 415 ff.
— als landwirtſchaftliche Arbeiter 439 ff.
Gefängnisvorſtand, Befugniſſe 293
Gegenſeitigkeit bei Vollſtreckung von Zivilur—
teilen 361
Gegenſtand, Begriff 483
Gehalt, Erfüllungsort 346
— Klagbarkeit 26, 387
— Abzug bei der Steuer 62
— Pfändung 487
Geiſtliche, Strafverfahren 32
Geld, Hinterlegung 88
Geldrente ſ. Rente
Geldſtrafe im Forſtſtrafrecht 155
— nach der RVO. 456
— Vollſtreckung 277
Gemeinde, Vertretung 140, 231
— Auslagen für Krankenpflege 191
— Streupflicht 31
— Haftung für Unfälle 445
— Schädigung privater Gewerbe 290
— als Beklagte 139
— Zuſtändigkeit bei Anſprüchen gegen eine G 49
nemeindebeamter als Vormund 353 ff., 377 ff.
Gemeinderechte, Eintragung 245
Gemein dewaiſenrat | 378
Gemeindewege 54 ff., 77
Gemeingebrauch, Schutz 327
Gemeinſchaft, Auseinanderſetzung 91, 423
E eheliche, Aufhebung 403
Gemeinſchuldner, Vernehmung als Zeuge 85
— Befugnis zur Prozeßführung 461 ff., 464
XXII
Genehmigung
papieren
— f. a. Konzeſſionspflicht
zur Ausgabe von Inhaber⸗
| 185
Generalverſammlung einer Genoſſenſchaft 389
Genoſſenſchaften, Beitritt 226, 244
— Pflichten des Vorſtands 342
— Anfechtung von Beſchlüſſen 389
— Enteignungsrecht 169
Genußmittel. Fälſchung 251
Geometer, Gebühren 207
Geräte als Zubehör 266
Gerichtsdiener, Gebühren 168
Gerichtsgefängniſſe, Arbeitsbetrieb 439 ff.
Gerichtsſchreiber, Erteilung vollſtreckbarer
Ausfertigungen
— Aufnahme von Geſuchen 276
Gerichtsſtand ſ. Zuſtändigkeit
Gerichts verfaſſung. engliſche 295 ff., 325 ff.
Gerichtsverhandlungen, Veröffentlichung 265
Gerichtsvollzieher, Widerſtand bei Vollſtrek⸗
kung
Geſamtgut ſ. Gütergemeinſchaft, Errungenſchafts⸗
gemeinſchaft, Fahrnisgemeinſchaft
119
Geſamtſchuld, Wirkung des Vergleichs 282
— Ausgleichung 336
Geſamtſtrafe 125, 157, 367
Geſchäſtsbeſorgung, Auftrag 483
Geſchäftsfähigkeit, Verluſt 194
Geſchäfts geheimnis, Verrat 457
Geſchäftsreiſe des Zeugen 321
Geſchlechtskrankheit, Anſteckung 197
Geſchworene ſ. Schwurgerichtliches Verfahren
Geſellſchaft, Rechtsverhältniſſe
— Einſteigern von Grundſtücken 422 f.
— ſtille 264
Geſetze, Bezeichnung 460
Geſetzeskonkurrenz 154
Geſetzesſprache 100
Gewährleiſtung beim Viehkauf 471
Gewahrſam, Begriff 48, 90
— am Wild 426
Gewerbebetrieb im Umherziehen 51, 101, 205, 289
— an Sonntagen 247, 410
— Schädigung durch eine Gemeinde 290
Gewerbegehilfe, Konkurrenzverbot 311
Gewerbegericht, Ordnungsſtrafen 276
Gewerbetreibende, Beſteuerung 42 ff., 62 N 101
— Verſicherungsbeiträge 480
Gewerbsmäßigkeit, Begriff 90, 370, 449
Gewerbsun zucht, Begriff 449
Gewohnheitsfrevel 131, 154
Glatteis, Streupflicht 31
— Unfall 224
Glaubenswahl 450
Glaubhaftmachung von Nachlaßforderungen 318
Gläubiger, Benachteiligung ſ. Anfechtung
Glücksſpiel, verbotenes 90
411
297
421
57, 77
235
488
212
295 fl., 325 ff.
183, 202, 236
118, 236, 362, 483
Grabdenkmal, Urheberrecht
Grafſchaftsgerichte in England
Graphologie
Gras an Straßen gräben
Grenze, Ermittelung
Grenzeinrichtungen
Großbritannien, Auslieſerung
— Gerichtsverfaſſung
Grundbuch, öffentlicher Glaube
— Berichtigung 111, 114 ff.,
— Eintragung von Bezugsrechten 166
— von Gemeinderechten 245
Grundbuchanlegung 53, 111
Grundbuchbeamter, Anzeigen an das Rentamt 351
—
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
. — — — — — ̃ —— —
|
|
1911.
| Srundbudbtatt, Umlegung 452
— für ein Erbbaurecht 132.
Grunddienftbarleit, kataſtermäßige Behandlung 452
— an Wegflächen 54 ff., 81, 114
— an Wäldern 166
Grundſchuld, Abtretung 201
— Verpfändung 200
— bei Annuitätenzahlung 9
— für eine unklagbare Forderung 403
Grundſteuerkataſter, Angaben über Wege 53
— über Miteigentum 452
Grundſtück, Begriff 54
— Zuſchreibung 467
— „ im Kataſter 452
— Form der Veräußerung 118, 236, 306, 307, 483
— Vollſtreckung in Bruchteile 185
— widerrechtliche Entziehung 181
— Wertermittelung 133.
Grund⸗ und Hausbeſitzerverein, Miet⸗
verträge 253 ff.
Gütergemeinſchaft, fortgeſetzte, Auseinander⸗
ſetzung 91, 241
— Vermögensverzeichnis 127
— Unterhaltungs forderungen 418
— Meiſtgebot bei G. 423
Guter Glaube, Beweis 283
Güterhändler, Begriff 370
Güterzertrümmerung 303 f., 306, 315, 344, 369
Gute Sitten. Verſtoß 21, 121, 143, 145 ff, 173 fl.,
242, 243, 263, 283, 290, 337, 339, 362, 445
H.
Haager Abkommen über den Zivilprozeß 360, 372
Haftſtrafe im Forſtſtraſrecht 155
Haftung des Grundbuchbeamten 17 ff., 65 f., 117
des Verſteigerungsbeamten 280
— des Rechtsanwalts 281
— der Schätzleute 133.
— des Tierhalters 137, 223, 224
— mehrerer Antragſteller für Gebühren 160
— für Angeſtellte 283
— für Vertreter 338
Handdienſte zu Kultusbauten 95
5 89
andelsagent ſ. Agent
Handelsgeſchäft, Fortführung 311
Handelsgeſellſchaft, offene, Haftung für Ver⸗
treter 338
Handelsregiſter ſ. Firma
Handelsſchiffe, Feſtnahme von Verbrechern 451
Handlungen, Erzwingung durch Vollſtreckung 347
Handlungsgehilfe, Konkurrenzverbot 485
Handpreſſe, Herſtellung von Druckſchriften 388
Handwerker, ſchriftlicher Verkehr mit den Behörden 472
— f. a. Bauhandwerker
Hauptverhandlung, Verleſung von Schrift-
ſtücken 286, 447
— gegen Jugendliche 188
Hauseingang, Aenderung durch den Vermieter 31
Hausgewerbetreibende, eee
Hauſierſteuer, Feſtſetzung 101
Haus ſchwam m 385
Haustier, Verwendung im Erwerbsgeſchäft 224
Haustrunk, Begriff 266
— Verwendung von Roſinen 285
Heftpflaſter, Verkauf 429
Heil mittel, Verkauf 429
Heilung, Koſten 387
Heimatſchein 372
Hecke an der Grenze 488
Herrenloſe Tiere, Aneignung 426
Herzegowina, Vollſtreckung 361
Heuwurm 468
High Court 298
— Prüfung der Zuſtändigkeit bei Erſuchen 486
— Haftung bei Verſchulden 117
— Haftung für Gebühren 17 ff., 65f.
Grundbuchblatt, Uebertragung 195 ff., 217 ff
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Hinterlegung, Vorausſetzungen
— im Arreſtverfahren
— im Strafprozeß 50
Hinterziehung von Zoll 3 ff., 27f.
— von Aufſchlägen 390
— des Poſtportos 405
Höhere Gewalt, Begriff 22, 202, 244
Horoſkop 346
House of Lords 299
Hufſchmied, Unfall 223
Hunde, Abſchuß 319
Hypothek, Vormerkung 17 ff., 65 f.
— Anfechtung der Beſtellung 163
— Rangverhältnis 316
— Uebernahme 9 ff.
— Uebertragung 195 ff., 217 fl., 331
— Kündigung 9, 185
— Zahlung 402
— für eine Darlehens forderung 329 ff.
— Haftung der Beſtandteile 23
— Haftung des Zubehörs 266
Hypolhekenbanken 9 ff.
Hypothekſchuldner, Verzug 67
J. (i.)
Idealkonkurrenz 141, 154, 246, 285, 389, 394
Indoſſament bei Schuldverſchreibungen 185
Information, mangelhafte des Rechtsanwalts 281
In haberpapier, Begriff 186
Intereſſe, berechtigtes 265
Invalide, Penſion 405
Invalidenverſiche rung, Anſtalten 48
— nach der RVO. 458, 481 ff.
Inventarfriſt 318
Irrenanſtalt, Einſchaffung des Angeklagten 229
Irrtum als Anfechtungsgrund 165
— über den Inhalt einer Urkunde 463
— im Strafrecht 120
JSraeliten, religiöſe Kindererziehung 450
J. (i.)
Jagdausübung, unbefugte 370
Jagdbare Tiere, Aneignung 426
Jagdrecht in der Rheinpfalz 187
Jagdrevier, Umherſtreifen von Hunden 319
J a 5 resſteuer ſ. Hauſierſteuer
Japan, Konſularvertrag 372
$ugendgeridte 439
J uge ndliche, Verwendung zu gefährlichen Ar-
eiten 164
— im Strafverfahren 211. 438
— Verteidigung 188
— im Forſtſtrafverfahren 156
Juriſtendeutſch 32, 100
Juriſtentag 352
Juſtizbeamter als Vertreter der Armenpartei 304 ff.
Juſtizminiſterium, Tätigkeit in Begnadigungs—
ſachen 277 ff., 293 ff.
Juſtizſtatiſtik, bayeriſche 412, 475 ff
K.
Kadaver, Beſeitigung 324
Kaffee, Nachzoll 1
Kapitän, polizeiliche Befugniſſe 451
Karfreitag als Feiertag 346
Kaſſe, Gewahrſam 90
Kataſter ſ. Grundſteuerkataſter
Kaufmannsgericht, Ordnungsſtrafen 276
Kaufpreis. Anrechnung einer Hypothek 9 ff.
Kaufvertrag, Begriff 427
— verdeckter 303 f., 306, 315, 369
— — —
30, 444 Kaufvertrag, Abrechnung bei Auflöſung 424
88 — Schadenserſatz wegen Täuſchung 308
Kauſalzuſammenhang, Begriff 341, 401
Kindes vermögen, Begriff 127
— Verwaltung 208
Kirchengemeinde, Anſpruch auf Handdienſte 95
Klage, Aenderung 408
— Zurücknahme 223, 442
Klageſchrift, Auslegung 139
Kleinhandel mit Bier 449
Kompetenzkonflikt ſ. Zuſtändigkeitsſtreit
Konfiskation ſ. Einziehung
Konkubine, letztwillige Zuwendung 21
Konkurrenzverbot 123, 173, 264, 311, 485
Konkursverfahren, Pflicht zum Antrag auf
Eröffnung 342
— Vorrecht 87
— Aufhebung 85
Konkursverwalter, Befugnis zur Prozeß⸗
führun 461 ff., 464
Geſellſchaft a
An .
Konſul, Rechtsſtellung 192, 372
— Rechtshilfe 211
Konſulargerichte, Vollſtreckung der Urteile 360
Konterbande i
Konzertagenturen
Konzeſſionspflicht von Gewerben
— des Ausſchanks eigener Erzeugniſſe 14ff., 106 ff.,
27, 287
Körperverletzung, Tatbeſtand 197
Korreſpondenzanwalt 290
Koſten bei Zurücknahme der Klage 442
— bei Verweiſung des Rechtsſtreits 272
— bei Widerſpruchsklage 248
— einſtweiliger Verfügungen 385
— Umfang der Erjappflidt 289, 306
— Verteilung 202
— vollſtreckbare Ausfertigung 142
— des Vorprozeſſes bei Wandelung 471
— im Privatklageverfahren 19
— bei Nebenklage 188, 227
— in Begnadigungsſachen 278
— Erlaß 276
Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß, Vollſtreckung im
Ausland 360
Koſtkinder 378
Koupon ſ. Zinsſchein
Kraftfahrzeuge, Verkehrsévorſchriften 212
— Straßenverbot 320
— Ueberholen 70
— Haftung 67, 202
— Beſteuerung 203, 485
— Vertrag über Verwahrung 347
— Verwendung durch die Polizei 183
Krankenhaus, Koſten der Verpflegung 191
Krankenkaſſen nach der RVO. 457
Kranken verſicherung, Eintreten bei Unfällen 83
— nach der RVO. 480
Kreditauftrag 362
Kreditauskunft 283
Kreisfiſchereiordnungen 413 ff.
Kriegs miniſterium, Organiſation 472
Kriegszulage 405
Kriminalanthropologie
Kriminaliſtik, Studium
Kriminalpolizei, Verbeſſerung
Kriminalſtatiſtik
Kultusbauſachen, Rechtsweg
436 ff., 459 f.
433 f.
182, 237 ff.
251, 412, 475 ff.
95
Kündigung des Darlehens 24
— des Geſellſchaftsvertrags 423
— von Hypotheken 9, 185
— der ſtillen Geſellſchaft 264
Kunſtwein 285
Kurſe im Vorbereitungsdienſt 4.5
XXIV
L.
Lagerhalter 178
Lagerkeller 14
Landesfiſchereiordnung 413 ff.
Landesgeſetze, Reviſionsfähigkeit 7. ff.
Landeskriminalpolizei 273 ff.
Landgerichtspräſident, Prüfung von Er—
ſuchungsſchreiben 211
Landtagsmitglied, Strafverfahren 322
Laſten, öffentliche, Eintragung 245
Laſtkraftfahrzeug, Begriff 485
Lehrer, Mitwirkung im Strafverfahren 211
— Zeugengebühren 468
— Strafverfahren gegen L. 32
Leibesfrucht, Pflegſchaft 427
Leiſtung, bei Geſamtſchuld 282
— Rückforderung 147.
Letztwillige Verfügung, Nichtigkeit wegen
Unſittlichkeit 21
Liquidations verfahren bei der Grundſteuer—
veranlagung 53, 56 f., 110
Liquidations verträge 135
Literatur, Schutz 69
Lizenz beim Patent 291
Lohn, Abzug bei der Steuer 62
Lohnforderung, Verzicht 143
Lohnkampf 246
Lokalgerichte, engliſche 325
Löſchung von Vormerkungen 114 ff.
— gezahlter Hypotheken 402
— Antrag auf L. 301
Lotterie, unbefugte Veranſtaltung 469
Luxemburg, Geſchäftsverkehr 211
Luxustier, Begriff 224
M.
Mahnung des Schuldners 45
ane eee neue Vorſchriften 355 ff., 379 ff., 395 ff.
Verſäumnisurteil 259
—
“
122 ⁵˙ nr en af en PEN a a FE Te ——0
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
1911.
Moder nismus f. Freirechtslehre
Monat, Berechnung 156
Moral ſ. gute Sitten
Moſt, Begriff 365
— Vermiſchung 389
München, Mietverträge 253 ff.
— Berufsvormundſchaft 353 ff., 377 ff.
— Kriminalität 479
N.
Nachahmung des Papiers der Reichsbanknoten 72
— Gebühren 230
Mainzer Landrecht 70, 166
Makler 199
Malzaufſchlag 390
Marktverkehr, Begriff 205
Maſſeſchulden, Begriff 464
Mathematik im Recht 33 ff.
Meiſtgebot in der Zwangsverſteigerung 160, 345, 421
Mengeſachen, Begriff 149 ff., 176 ff.
Meſſungs verzeichnis f. Vermeſſung
Meß verkehr, Begriff 205
Mietvertrag, Pflichten des Vermieters 31
— Unſittlichkeit 253 ff.
— Mängel der Mietſache 283
Militäranwärter, Anſtellung 52
Militärfiskus, Vertretung 472
Militärdienſtzeit, Anrechnung 51
Militärpenſion 405
Militärperſonen, Strafverfahren 32, 130
Mimoſatropfen 120
Minderjährige, Aufnahme von Darlehen 362
— Operation 424
— f. a. Vormundſchaft
Minderwertige, Strafverfahren 100, 439, 459
Miteigentum an Nachlaßgrundſtücken 166
— an Wegflächen 54, 79, 110, 113
— Angabe im Kataſter 452
Miterbe, Anteil an Nachlaßgrundſtücken 166, 365
— Auskunftapflicht 190
Mitgewahrſam, Begriff 90
Mitgift, Verſprechen 263
Mitteilungen im Strafverfahren 32
Mitverſchulden des Verletzten 46, 67, 86, 117, 137,
202, 281, 321, 337, 401, 425
— —— —Uä᷑ pe
Nachfriſt zur Vornahme der Auflaſſung 45
Nachlaß, Beiſitz 70, 166, 317
Nachlaß behandlung, Wiederaufnahme 317
Nachlaß forderung, Abtretung 87
Nachlaßgläubiger, Antrag auf Inventarfriſt 318
Nachlaßpflegſchaft beim Tode des Meiſt⸗
bietenden 422
Nachmachung von Wein 285
Nach ſchieben beim Ausverkauf 465
Nachtarbeit, Verbot 72
Nach verfahren im Wechſelprozeß 431
Nachzoll auf Kaffee 1
Nahrungsmittel, Fälſchung 251
— verdorbene, Verkauf 427
Name, unzuläſſiger Gebrauch 262
Naturheilkundiger, unbefugte Bezeichnung als
Arzt 2
Naturwein ſ. Zuckerung
Nebenabreden bei der Bürgſchaft 310
Nebenkläger, Koſtentragung 188
— Auslagen 227
Neben leiſtungen beim Darlehen 24
Nichtigkeit eines Rechtsgeſchäfts 242, 253 ff.
Niederlande, Geſchäftsverkehr 211
Niederlaſſungsvertrag mit der Schweiz 372
Notare, Zuſtellung von Urkunden 279
— Anzeigen an das Rentamt 351
— Beſchwerderecht 287
— Perſonal 32
— Verletzung der Amtspflicht 120
— Strafverfahren 32
Notwehr, Vorausſetzungen 225
Novation 94
numerus clausus 373 ff.
Nutzungen, Verrechnung 424
Nutzungsrechte, Eintragung 245
O.
Oberlandesgericht, Beſchwerde gegen Be—
ſchlüſſe 208
Oberpfälziſches Recht 317
Oberpolizeiliche Vorſchriften, Gültigkeit 29
O berſtaats anwalt,
aufſchubsgeſuchen
Behandlung von Straf—
32, 294f.
Oberſtes Landesgericht, Zuſtändigkeit 73 ff., 410
O bſtbäume an Straßen
57
Offenbarungseid, Verbeſſerung des Verfahrens
des Miterben
59 ff., 81 ff., 198
191
Oeffentlicher Glaube des Grundbuchs 184, 202, 236
Oeffentliche Wege, Begriff 80f.
Oeffentliches Werk, Begriff 169 ff.
Offizier, Penſion 387
Operation an Minderjährigen 424
Orderklauſel bei Schuldverſchreibungen 185
Ordnungsſtrafe bei der Zwangsvollſtreckung 347
— gegen Rechtsanwälte 441
— Gebühren bei Beſchwerde 51
ö Begnadigung 276
Srisgemeinde, Eigentum an Wegen 55
— als Beklagte 139
Orts polizeiliche Vorſchriften, Gültigkeit 29
Ortsſtraßen, Eigentumsverhältniſſe 57
ſ. a. Straßen
D eſterreich, Bürgerliches Recht 273
— Vollſtreckung 360 ff.
— Konſul 192
P.
Pachtvertrag, Beurkundung 242
Patent, Ausführungszwang 291
Pauſchſätze für Auslagen 162, 229, 279, 382
Pavillon ſyſtem 29
Pecheln, unbefugtes 131
Penſion der Offiziere 387
— der Kriegsinvaliden 405
V Anzeigen 220
Aus 492
p fal z ö Rheinpfalz
Pfandleiher, Gewerbebetrieb 144
Pfandrecht an Grundſchulden 200
Pfändung von Forderungen 30, 47, 71
— des Rechts aus dem Meiſtgebot 23
— von Erbteilen 70
— von Sachen der Ehefrau 162
— von Gehaltsforderungen 487
Pfand vermittler, Gewerbebetrieb 144
Pfarrverband, Anſprüche 97
Pferde, Zoll 27
Pflegſchaft, Führung durch den Berufsvormund 377
— für eine Leibesfrucht 427
Pflichtteil 383
Pfründeſtiftung, Nutzungsrechte 245
Photographie im Strafverfahren 182, 239
Plakate, Anheftung 449
Plannummer, Bedeutung 56, 80
Polizei ſ. Kriminalpolizei. Ortspolizeiliche, Ober⸗
polizeiliche Vorſchriften
Polizeigefangene 232
Polizeihund 183
Pornographie, internationale Bekämpfung 272
Poſtbeamte, Unfallfürſorge 333
Po ſtkarten, Verkauf in Wirtſchaften 246
— unzüchtige 265
Poſtporto bei amtlichen Schreiben 472
— Hinterziehung 405
Poſtſachen, Beſchlagnahme 318
Prämien ſ. Verſicherungsprämien
Preſſe, Veröffentlichung von Gerichtsverhandlun—
gen 265
— |. a. Drucker
Preß vergehen, Zuſtändigkeit 344
Priatklage verfahren, Koſten 19 f.
— Sühnetermin 260, 333
— Vergleich 189, 209
Seed Begriff 203
Prolongation des Wechſels 94
— des Darlehens 199
Pro teſt, Koſten 95
Proviſion des Agenten 312
— des Bevollmächtigten 315
Proviſoriſche Verfügungen in Wegeſachen 327ff.
Prozeßgebühr des Rechtsanwalts 143, 304 ff., 382
Prozeßkoſten ſ. Koſten
Prozeßvollmacht, Umfang 223
— im Mahnverfahren 380
— im Entmündigungsverfahren
— des Armenanwalts 305 f
— Erteilung durch den Konkursverwalter 85
Prüfung ſ. Staatsprüfung
Pſychopathen, ſtrafrechtliche Behandlung 439
Q.
Quittung über Darlehensempfang 329 ff.
— Verweigerung der Erteilung 444
Quittungskarten nach der RVO. 481
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
t
1
I
7
. —. m Fr ESG — EL ln — — — — —
XXV
R.
Rabattſparvereine 469
Rabbiner, Befugniſſe 450
Rang ver bältni 8, Angabe in der Eintragungs⸗
bewilligung 316
Rang vorbehalt, Sicherung 183
Realkonkurrenz 157, 368, 393 ff.
Reallaſt, Begriff 166
Reblaus, Bekämpfung i 89
Rechtsanwalt, Zulaſſung 373
— Beiordnung 304 ff.
— als Vertreter des Entmündigten 249
— Unterzeichnung von Anträgen 94
— Tätigkeit in der Reviſionsinſtanz 333
— Gebühren 123, 143, 289, 382
— Haftung 281
— ehrengerichtliches Berfahren 252, 441
— Strafverfahren 32
— in England 327
Rechtsau 8führungen, Wiedergabe im Tatbe⸗
ſtande 473 ff.
Rechtsauskunftſtellen 435
Rechtsgeſchäfte, Verbindung 287
— Unſittlichkeit 21, 242, 243, 253 ff.
— Anfechtung 21
— ſ. a. Ernſtlichkeit, Scheinverträge
Rechtsgeſchichte, Studium 41, 213
Rechtshilfe im Verkehr bei der Zuſtellung 361, 392
— mit dem Auslande 211, 392
Rechtsirrtum, Entſchuldbarkeit 120
Rechtskraft im Zivilprozeß, Umfang 201, 5 474
— bei Strafbefehlen 397f.
— bei Strafbeſcheiden 1 ff.
Rechtskundiger als Vertreter des Rechtsanwalts 123
— Beiordnung 304 ff.
Rechtslehre, allgemeine 39
Rechtsmittel, Zurücknahme 447
— in Eheſachen 403, 404
Rechtsnachfolge im Prozeſſe 201
Rechtsſtudium ſ. Univerſitätsunterricht
Rechtsverhältnis, Feſiſtellung
24
Rechtsweg bei Gehaltsanſprüchen 26, 387, 408
— bei Auslagen für Krankenpflege 191
— bei Waſſerbezugsrechten 49
— bei Rückforderung von Gebühren 321
— in Kultusbauſachen 95
reformatio in peius 125 ff.
Regierungsfinanzkammer, Aeußerung
Gebührenſachen 315
— Vertretung des Staats 486
Regiſtergericht, Prüfungsrecht 226
Reichsbank, Angeſtellte 387
Reichsbanknoten, Nachahmung 72
Reichsgericht, Zuſtändigkeit 73 ff.
Reichsgeſetzblatt 2
Reichs verſicherungsordnung 455 ff., 480 ff.
9
Reineinkommen, Begriff 42
Reklamation gegen Steuerfeſtſetzung 102 ff.
Reklame, Steuerabzug 63
— unlautere 165
Religiöſe Kindererziehung 450
Rentamt, Steuerfeſtſetzung 103
— Zuſtändigkeit in Begnadigungsſachen 276, 278
— Abtretung von Staatsforderungen 486
Rente bei Unfall 86, 426
Reſtitutionsgrund, verſpätetes Geltendmachen 186
Reviſion im Zivilprozeß, Zuſtändigkeit 73 ff.
— Zuläſſigkeit 85
in Eheſachen 137
zuläſſige Vertretung 333
in Strafſachen, Zuläſſigkeit 125 ff., 447
Begründung
— 75 f., 265, 368, 407
Reziprozität f. Gegenſeitigkeit
XXVI
Rheinpfalz, Ausſchank eigener Erzeugniſſe 14 ff.,
106 ff., 227, 287
— Forſtſtrafſachen 130, 154 ff.
— Jagdrecht 186
Ringbildungen 121
Rodelſport, Unfall 445
Römiſches Recht, Studium 213
Roſinen, Verwendung zum Haustrunk 285
Ruhegehalt, Berechnung 204
Rückfall im Forſtſtrafrecht 154
Rücktritt vom Kaufvertrag 344
Rückvergütung von Gefällen 390
Ruhegehalt 408
Ruheſtand, unrechtmäßige Verſetzung in den R. 387
S.
Sachregiſter, Eintragungen bei Wegen 113
— Neuherſtellung 452
Sachſen, Kriminalpolizei 238
Sachverſtändige, Auswahl 251
— Pflicht zur Vernehmung 408
— Schätzung von Grundſtücken 133 f.
— Gebühren 207
Sauerwurm 468
Säuglinge, Ueberwachung der Pflege 378
Schaden serſatz wegen Verzugs 67
— beim Kaufvertrag 308
— bei Mängeln der Mietſache 282
— wegen Schädigung eines Geſchäfts 290
— wegen Unfalls 83 ff., 86, 164
— bei Eigentumsverletzung 46
— wegen gefährlicher Anlagen 484
— wegen ungerechtfertigter Pfändung 162
— wegen ungerechtfertigten Arreſts 89
— bei einſtweiliger Verfügung 385
— Berechnung 230, 244
— Ausſchluß des Anſpruchs durch Vertrag 67
— Verjährung des Anſpruchs 118, 120, 308
— im Forſtſtrafverfahren 130
Schankwirtſchaft, Begriff 449
— Sonntagsruhe 246
— f. a. Straußwirt
Schätzung, amtliche 133
Schein verträge bei Güterzertrümmerung 303 f.,
306, 315, 369
Schenkung, Begriff 383
— Form 307
— Abzug bei der Steuer 63
Schiedsgerichte, Vollſtreckung der Urteile 360
— in England 325
Schmerzensgeld bei Unfällen 85, 230, 425
Schreibgebühren ſ. Pauſchſätze
Schriftenvergleichung 421
Schriftſtücke, Verleſung in der Hauptverhand—
lung 286, 447
Schulbehörden, Mitwirkung im Strafverfahren
100, 211
Schuldverſchreibungen, Unterzeichnung 185
Schußgebietsgerichte, Vollſtreckung der Urteile 360
Schutzmann, ſ. Polizei
Inhalts verzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in n Bayern. 1911.
2 — I A ——
E
60, 66, 209, 339
Sicherungsübereignung
400, 462
Simulation f. Scheinverträge
Sonntagsruhe im Wirtſchaftsgewerbe 246, 410
Soziologie ſ. Freirechtslehre
Spanien, Zuſtellungen 392
Spanndienſte zu Kultusbauten 95
Sparkaſſenbuch, Verpfändung 343
Staat, Haftung für Beamte 120, 321
— Zuläſſigkeit des Rechtswegs 469
— Veriretung im Rechtsſtreit 472
— Vertretung in Grund buchſachen 486
Staatliche Anſtalt, Begriff 48
Staatsanwalt, Prozeßverſtoß 407
Staatsdienſtaſpiranten 26
Staatsprüfung, Verzicht auf das Ergebnis 158f.
— Reform 375
Statiſtik, ſ. Kriminalſtatiſtik, Alkoholſtatiſtik, Juſtiz⸗
ſtatiſtik
Stauanlagen 94
Stellenvermittler 12 ff.
Stellvertretung, ſtille 465
Stempelabgabe bei Grundſtücksübertragungen 2
Sterbeurfunde
Steuer für Kraftfahrzeuge 203
Steuerausſchuß, Strafbeſchlüſſe 104 ff.
Steuerſtrafſachen 101 ff., 205, 278
Stiefmutter, Beiſiß am Nachlaß 317
— Unterhaltspflicht 428
Stodwerfseigentum 91
Strafanſtalt, Beſugniſſe der Vorſtände 293
S trafantrag, notwendiger Inhalt 367
— Verzicht 189
Strafaufſchub 275 ff., 293 ff.
Strafbefehl, Rechtskraft 6 ff., 397 f.
Strafbeſcheid, Rechtskraft 1 ff.
— Antrag auf gerichtliche Entſcheidung 101
— Begnadigung 276
Strafenhäufung 286
Strafhaft, Beginn 293
Strafklage, Verbrauch 5 ff., 397 ff.
Strafort, Aenderung 279
Strafrechtsreform 436 ff.
Strafregiſter 492
Strafverfahren, Mitteilungen 32
— gegen Jugendliche 211
— gegen Minderwertige 100
— gegen Landtagsmitglieder 322
Strafvollſtreckung, Aufſchub 32, 293
— Unterbrechung 293
Straßen. Streuen bei Glatteis 31
Straßenbahn, Betriebsunfall 202
Straßen polizei 445
Schwangere, Unterhalt 427
— Straſvollſtreckung 294
Schweiz, Staatsverträge 372
Schwurgericht, Verfahren 165, 447
— Zuſtändigkeit 344
Sicherheit als Vorausſetzung vorläufiger Voll—
ſtreckbarkeit 381, 489
— im Straſprozeß 50
— Rückgabe 143
Sicherungshypothek der Bauhandwerker 17 ff.
— für fremde Schuld 310, 362
— für Staatsſorderungen 486
— f. a. Vollſtreckungshypothek
Sicherungsmaßregeln im Strafrecht 437
Straußwirte in der Rheinpſalz 14ff., 106 ff., 227, 287
Streik 246
Streitgenoſſen, Ausſcheiden aus dem Rechts—
ſtreit 69
— Eidesleiſtung 337
— Gerichtsſtand 398
Streitſtoff, Begrenzung 474
Streitwert, Berechnung 488
Stückſachen, Begriff 149 ff., 176 ff.
Stundung des Darlehens 199
— Zurücknahme 462
Sudmiſſion ſ. Ausſchreibung
Sühnetermin in Privatklageſachen 260, 333
T.
Tagung des Landtags, Begriff 322
Talon ſ. Erneuerungsſchein
Tatbeſtand der Zivilurteile 473 ff
Täuſchung ſ. Argliſt
Tauſchvertrag, Beurkundung 242
— bei Güterzertrümmerung
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Teilnahme im Forſtſtrafrecht 153 f.
Teilſchuldverſchreibungen, Unterzeichnung 185
Teilurteil 385
Telephon
Theateragenten
Tiefbau, Schutzvorſchriften
Tierhalter, Haftung
183
13
29
137, 223, 224, 386
Tierkadaver, Beſeitigung 324
Titel, arztähnlicher 270
Tokayer 365
Trächtigkeit, Zuſage 471
n ſ. Beförderungsvertrag
Trauben moſt ſ. Moft
Traubenwickler f 468
Trunkenheit ſ. Alkoholſtatiſtik
u.
Ueberbauung, Begriff 29
Ueberlandzentralen 172
Uebernahme von Hypotheken 9 ff.
— der Vormundſchaft 3
— der Zwangs erziehung 467
Uebertragung von Grundbuchblättern 195 ff., 217ff.
Uebertretungen ſ. Forſtſtrafrecht
Ueberſetzungen im Auslandsverkehr
Ueberweiſung gepfändeter Forderungen
Ueble Nachrede, Tatbeſtand
— Klage auf Unterlaſſung
Umzäunung, Begriff
Umwandlung 15 Geldſtrafen 155
Unbeſtimmte Verurteilung 437f.
Uneheliche Kinder, Ermittlung des Erzeugers 446
212
47
261
187
— Unterhaltsanſpruch 18, 427
— Vormundſchaft 354, 378
Unfall, Umfang des Schadenserſatzes 83, 86, 426
— Ausſchluß der Haftung 67, 223
— bei mangelhafter Beleuchtung 86.
— im Wirtshaus 425
— beim Rodeln 445
— |. a. Betriebsunfall, Mitverſchulden
Unfallfürſorge für Beamte 204, = 408
— für Gefangene 440 f.
Unfallverhütungsvorſchriften 164, 482
Unfallverſicherung nach der RVO. 458, 480 f.
Ungarn, Eheſcheidung 163
— Konſul 192
Univerſitäts unterricht, Reform 39, 213, 375,
433 ff.
Unterbrechung des Zwangsverſteigerungsver⸗
fahrens 422
— des Verfahrens bei Zuſtändigkeitsſtreit 191
— der Strafvollftredung 293
— der Geſchäftsreiſe 320
Untergebene, Verleitung zur Falſchbeurkundung 391
Unterhalt, Sichernng des Anſpruchs 427
— Beitreibung 377
— ſtrafbare Nichtgewährung 417 ff
— bei Einkindſchaftung 428
— Abzug bei Steuer 63
Unterhalts verträge, Vollſtreckbarkeit 44
Unterhaltung der Wege 5, 57 f., 77
Unterkonſortiumſ. Geſellſchaft
Unterlaſſungsklage, Vorausſetzungen 261, 290
Unternehmer, Abmachungen über Gebote 399
— Verſicherungsbeiträge 480 f.
Unterzeichnung von Teilſchuldverſchreibungen 185
— des Antrags auf gerichtliche Entſcheidung 94
— des Geſchworenenſpruchs 165
Untreue, Tatbeſtand 341
— des Agenten 465
— nach der RVO. 456
Unvordentlihe Verjährung 49
Urheberrecht, Gegenſtand 69
— an Grabdenkmälern 411
140, 204, 269 |
XxVIl
Urkunden, Unvollſtändigkeit 463
— notarielle, Zuſtellung 279
— Verleſung 286, 447
— Fälſchung 341, 342, 343, 481 f.
Urkundenprozeß. Vorausſetzungen 178
— Nachverfahren 431
Urkundenſammlungen 435
Urteil, Vollſtreckung im Ausland 360 ff.
V.
Vaginismus 364
Valuta ſ. Darlehen
Veräußerung von Zubehör 268
— des Streitgegenſtandes 201
Veräußerung sverbot als Grundlage der Wi⸗
derſpruchsklage 26
— Eintragung ins Grundbuch 138
Verbindung von Rechtsgeſchäften 287
Verbreitung von Druckſchriften 388
Verein, Haftung für den Vorſtand 463
Vereinbarun g des Gerichtsſtands 355, 361
Verdienſtentgang bei Unfall 426
Vereinigte Staaten, Patentrecht 291
— Ein wanderungsgeſetz 452
— Auslieferung 392
Vergleich mit einem Geſamtſchuldner 282
— bei Privatklage 189, 209, 260, 333
— Vollſtreckung im Ausland 360
Vergütungen. Steuerpflicht 92
Verhandlungsmaxime 243
Verjährung des Wandelungsanſpruchs 471
— von Schadenderſatzanſprüchen 118, 120, 308
— unvordenkliche 49
— bei Verletzung der Unterhaltspflicht 420
Verkauf ſ. Kaufvertrag
Verleſung von Schriftſtücken in der Haupt⸗
verhandlung 286, 447
Verlobte. Zeugnisverweigerung 447
Vermächtnis, Beſtimmung der Perſon des Ber:
mächtnisnehmers
— Klage auf Erfüllung 365
— anſechtbare Erfüllung 88
Vermeſſung 53, 56, 235 ff., 452
Vermieter ö Mietvertrag
Vermiſchung von Moſten 389
Vermögen, Begriff der Beſchädigung 286, 314, 343
— Beſchlagnahme 138
— Gerichtsſtand des V.
Vermögens verzeichnis bei fortgeſetzter Güter⸗
gemeinſchaft 127 f.
— beim Offenbarungseid 61, 198
Vernehmung im Entmündigungsverfahren 137
Veröffentlichung von Verordnungen 2f.
361
Verordnungen, Bezeichnung 460
— f. a. Bundesratsverordnungen
Verpfändung des Sparkaſſenbuchs 343
— der Grundſchuld 200
Verſäumnisurteil,
abgekürztes
— im Mahnverfahren
361
359, 381 ff.
— Vollſtreckbarkeit 259
Verſchulden im Steuerſtrafrecht 205
Verſchweigen, Begriff 427
Verſicherungsbeiträge nach der RVO. 480ff.
Verſicherungsgeſellſchaft, Zulaſſung in
Oeſterreich 362
— ausländiſche 464
Verſicherungsmarken nach der RVO. 481 ff.
Verſicherungsprämien,
ſteuerung 43
Verſicherungsträger nach der RVO. 456
Verſicherungs vertrag, Stellung des Agenten 310
Verſteigerungsbeamter, Haftung 280
— Ermittelung der Erben 422
Verſuch im Forſtſtrafrecht 154
Abzug bei der Be—
131,
XXVII In haltsverzeichnis der Zeitſchrift
Vertagung des Zuſchlagsbeſchluſſes 280
— des Landtags 322
Verteidiger, Befugniſſe 141
— Abweſenheit in der Hauptverhandlung 138
— Schlußwort 286
Verteilung verfahren, Gebühren 159
Vertragsbruch, Verpflichtung zum 121
Vertragsintereſſe, negatives 385
Vertragsſtrafe beim Konfurrenzverbot 311
Vertretbare Sachen, Begriff 149 ff., 176 ff.
Vertreter, Begriff 243
— Beſtellung einer Sicherungshypothek 30
— Zuſtellung 362
— der offenen Handelsgeſellſchaft 339
— geſetzlicher der Gemeinde 140, 231
Verunſtaltung, Schadenserſatz 230
Verwahrungs vertrag 176. 347, 384
Verwaltungsbehörde, Verfügungen in Weg—
ſtreitigkeiten 327
— Anordnungen über Ausverkäufe 256, 269, 407
— Feſtſtellung der Dienſtunfähigkeit 408
— Feſtſetzung der Hauſierſteuer 101
Verwaltungsrecht des überlebenden Ehegatten
70, 166
Verwaltungsſtrafverfahren Iff.
Verwandte, Unterhaltspflicht 418
Verweiſung an das höhere Gericht 45, 359, 380
— Koſten bei V. 272
Verwendungen, Erſatz 483
Verzicht auf Forderungen 135, 143
— auf Berichtigung des Grundbuchs 237
— auf den Klaganſpruch 137
— auf Privatklage 189
— auf das Prüfungsergebnis 158 f.
Verzug des Schuldners 45, 67
Viehgewährſchaft 470, 471
Viehmarkt 205
Volksſchullehrer ſ. Lehrer
Vollmacht zum Grundſtückskauf 306
— zur Güterzertrümmerung 303 f.
— im Strafverfahren 141
— f. a. Prozeßvollmacht
Vollſtreckung aus Verſäumnisurteilen 259
— zur Erwirkung der Herausgabe 179
— in Oeſterreich 360 ff.
— in Grundſtücksteile 185
— Duldung 383
— aus Unterhaltsverträgen 44
— im Privatklageverfahren 19, 209
ſ. a. Strafvollſtreckung
Vollſtreckungsbeamter, rechtmäßige Amts-
ausübung 118
Vollſtreckungsbefehl 379 ff.
Vollſtreckungshypothek, Vorausſetzungen der
Eintragung 188
Vollſtreckungsklauſel, Erteilung 279
— Verſagung 30
Vorausklage, Einrede der 310
Vorbereitungsdienſt, Reform 436
— ſ. a. Rechtskundiger
Vorkaufsrecht, Benachrichtigung des Berech—
tigten 199
Vormerkung von Hppotheken 17 fl.
— zur Sicherung eines Rangvorbehalts 18.3
— Abtretung der Rechte 463
— Löſchung 114
Vormundſchaft, vorläufige 193 fl., 249
— Abgabe 222, 410
— im Ausland 44
ſ. a. Berufsvormundſchaft
Vormundſchaftsgericht, Umfang der Tätigkeit 446
echtspflege in Bayern. 1911.
Vormundſchaftsgericht, Stellung zum Berufs⸗
vormund 378f.
— Abgabe der Zwangserziehung 467
Vorrecht im Konkursverfahren 87, 208
Vorſatz,. Begriff im Forſtſtrafrecht 131
— bei Falſchbeurkundung 341
Vorſchußpflicht bei Gebühren 15, 159 ff., 279
Vorſtand des Vereins 463
— der Aktiengeſellſchaft 335, 463
— der Genoſſenſchaft 342
W.
Waffengebrauch der Polizei 225
Wahrſagen 346
Wald, Bezugsrechte 166
— Verkauf der Erzeugniſſe 491
Waldwege 79, 112
Wandelung beim Viebhkauf 470
Wandergewerbe ſ. Hauſierſteuer
Wanderlager 101, 289
Warenlager, Veräußerung 66
Waſſerbezugsrecht, Zuläſſigkeit des Rechtswegs 49
Wechſel, Begebung 94
— unbefugte Ausſtellung 341
— Stundung 94
— Fälſchung 445
— ſ. a. Akzept
Wechſelſachen als Ferienſachen 395
— Nachverfahren 431
Wege, Eigentumsverhältniſſe 53 ff., 76 ff., 109 ff.
— Beleuchtung 85
Wegnahme unbeweglicher Sachen 181
— durch den Gerichtsvollzieher 182
Wegſtreitigkeiten 327ff.
Wein, konzeſſionsfreier Ausſchank 14f., 106 ff., 227
— Zuckerung 15 fl, 106 ff., 287, 389
— Vermiſchung mit Moſt 389
— ausländiſcher 266
— alkoholfreier 365
— ſ. a. Haustrunk
Wein bauer f. Straußwirtſchaft
Werkmeiſter ſ. Betriebsbeamte
Werkvertrag, Vermittelung 12
— Form 307
Wert von Grundſtücken, Ermittelung 133f.
— des Streitgegenſtands 160, 208
Wertpapiere als Mengeſachen 178
— Hinterlegung 88
Werterſaßz in der Zwangsverſteigerung 333
— im Forſtſtrafverfahren 130
— bei Zollvergehen 27.
Wertzuwachs ſ. Zuwachsſteuer
Wettbewerb, unlauterer 134 f., 142, 165, 256. 269,
290, 313, 407, 465
— öffentlicher um Arbeiten 399
— ſ. a. Konkurrenzverbot
Wettverträge 90
Widerrechtlichkeit einer Drohung 21
Widerruf der Kündigung einer Hypothek 185
— der Fideikommißſtiftung 431
Widerſpruch, Antrag auf Eintragung 301
— im Mahnverfahren 356, 359, 382
— bei einſtweiliger Verfügung 114ff.
Widerſpruchsklage bei Veräußerungsverbot 26
— bei Pfändung einer Forderung 71
— Koſten 248
Widerſtand, Tatbeſtand 314
Wiederaufnahme im Zivilprozeß 186
— der Nachlaßbehandlung 317
— des Anlegungsverfahrens 111
Wild, Anlocken 370
— Aneignung 426
Willenserklärung, Ernſtlichkeit 248
— im Rechtsſtreite 474
263
1
— Genehmigung der Darlehensaujnahme 362
— Regelung der Sorge für die Perſon 368
— Zwangsmaßregeln 119
— Anzeigen an das Rentamt 351
— ſtillſchweigende
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Winzer ſ. Straußwirtſchaft
Wirtſchaftsbetrieb, Konzeſſionspflicht 14 ff., le
2
VV 253 ff.
Wucher, Begriff 118
“
Zählkarten ſ. Alkoholſtatiſtik N
Zahlung durch Wechſelhingabe 94
— der Hypothek 402
Zahlungsbefehl ſ. Mahnverfahren
Zaun ſ. Umzäunung
30 itungen, Stellenvermittlung 12
entralblatt für das Deutſche Reich 2
Zeuge, Ablehnung der Vernehmung 85
— Vernehmung in Vormundſchaftsſachen 446
— Verweigerung der Ausſage 3, 447
— Erkundigungspflicht 4
— Gebühren 320, 332, 468
— Streitgenoſſe als 3. 69
— Konſul als Z. 192
Zigarren, Verkauf in Wirtſchaften 410
Zigeuner 232
915 8Sſchein bei Teilſchuldverſchreibungen 185
inszuſchläge ſ. Amortiſationshypothek
Zinſen beim Darlehen 24
— bei Eigentümergrundſchuld 9
— bei Rückforderung von Gebühren 321
Zivilanſtellungsſchein 52
Zivilverantwortlichkeit in Forſtſtrafſachen 130
nn Verwahrung des Bae 384
ollſtraf verfahren 1 ff., 27 ff., 278
Zubehör, Begriff 266
— Wirkung des Zuſchlags 334
Zuckerung des Weins
Zulaſſung der Rechtsanwälte
Zurechnungsfähigkeit, geminderte 100, 439, 459
Zurückbehaltungsrecht an der Quittung 445
— gegenüber dem Berichtigungsanſpruch 483
XXIX
Zurücknahme der Klage
— der Reviſion
— der Beſchwerde 300 ff.
Zurückverweiſung durch das Reviſionsgericht 333
223, 443
447
8 uſage beim Viehkauf 471
uſchlag, Wirkung auf Zubehör 334
— beim Tode des Meiſtbietenden 421 ff.
— Vertagung 280
— Gebühren 65 f.
Zuſchreibungen zum Grundbuchblatt 217, 467
Zuſtändigkeit im Mahnverfahren 355
— in Eheſachen 163
— bei Streeitgenoſſenſchaft 398 f.
— des Reviſionsgerichts 73 ff.
— des Schwurgerichts 344
— in Forſtſtrafſachen 129 ff.
— Prüfung bei Vollſtreckung im Ausland 361
— in Wegſtreitigkeiten 327 ff.
— in Waſſerſachen 450
— bei der Unfallfürſorge für Beamte 408
— ſ. a. Rechtsweg
Zuſtändigkeitsſtreit, Verfahren 191
Zuſtellung der Klage 361
— öffentliche 279
— im Auslande 392
Zuwachsſteuer 233 ff., 257 ff., 351
Zuwendungen, ausgleichungs pflichtige 33 ff.
— letztwillige 68
Zwangsenteignung 169
Zwangserziehung 439, 467
Zwangslizenz 291
Zwangs verſteigerung, Zuſchlag 280
— Widerſpruchsklage 26
— Gebühren 65 f, 159 ff.
Zwangs vollſtreckung ſ. Vollſtreckung f
Zweigniederlaſſung, Auflöſung 22
* 213
wiſchenprüfung 214 f., 375
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen.
(Die fetten Zahlen bedeuten die Paragraphen oder Artikel, die kleinen die Seiten).
1. Bürgerliches Geſetzbuch.
261, 262
424
18
136, 139, 315,
384
138, 146, 464
138
138
21, 118, 122,
123, 145, 173,
242, 255, 263,
399
242, 255, 400
2
402
136, 199, 224
46, 67, 68, 137,
3:36, 401, 425
190
484
346
331
363, 445, 483
134, 338, 347
225
298
332
A. Neichsgeſetze.
85, 117, 118,
236, 306, 307,
483
282
282, 336
315, 331
308
149
13, 115
149, 176
12
147
444
402, 483
484
483
402, 471
402
481
347, 385
5
149, 176, 179
185
186
186
136, 308, 403
1
33⁵
85, 201, 283
137, 223, 386
117, 120, 321,
446
282, 336
230
86, 387
85, 230
120, 308
384
384
261
66, 200
85, 123, 236,
317
467
330
138, 163, 183
114, 118, 363
484
58, 132, 236
66
66, 209, 466
18²
80, 110
91, 110, 185
5
185
202, 331, 402
11, 402
10, 11
119, 162
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. XXXI
1822 363 N 5. Genoſſenſchaftsgeſetz.
1829 363 15 226 51 389
1851 354, 378 16 389 140 342
1852 353 17 343 161 226
1897 377
906 194, 249 ö 5
3 193 6. Geſetz betr. die Geſellſchaften m. b. H.
1909 377 42 138 83 138
1910 377 64 342
1912 427
1915 377
1916 377 | 7. Hypothekenbankengeſetz.
174, 285 1924 427 18 9 | 219
1985 33 19 9
1943 318
1949 318 8. Geſetz betr. die privaten Verſicherungsunternehmungen.
1953 125 108 464
1960 4
1975 = 9. Geſetz über den Verſicherungsvertrag.
1979 5 86 43 88 43
1991
1994 318
2027 190
2028 190 oo. 10. Patentgeſetz.
63, 384 2033 70, 365 11 291 30 292
36 2038 190
2040 88, 91, 365 11. Geſetz betr. das Urheberrecht an Werken der
a 7 Literatur und Tonkunſt.
2056 34 13 69 41 69
2064 68 38 69
2092 38
2141 427 N 12. Geſetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
2156 68 1 2
2801 308 1 15 9 197 56, 269,
353, 355 2306 34, 38 7 134, 256, 269, 10 407
2329 383 ' s 255
407 25 142
an 5 8 407, 465
13. Gewerbeordnung.
. Einfü sgeſetz zum Bürgerli Geſetzbuch. 6 429 1051 246, 411
sees . 26 484 1204 29, 165
170 74 33 16, 108, 227, 1200 165
181 266 287, 449 120e 29
182 91 34 12 1831 311
189 266 35 449 146b 411
199 417 38 12 147 16, 29, 108, 227,
203 428 4in 411 70, 287
209 428 56a 57 148 51
377 64 205 151 94
70 205 152 246
105b 411 153 246
3. Handelsgeſetzbuch. 105e 411
87 465 | . B
263 89 312 14. Geſetz betr. die Einführung der Gewerbeordnung
; 112 264 | in Bayern.
240 343 1 15
312 342 |
337 264 2 0
a 339 264 15. Stellenvermittlergeſetz.
315, 465 363 178 1 12 9 13
485 381 178 2 12 10 13
392 71 3 13, 14 12 13
406 178 4 1 14 12
419 178 5 13 15 13
456 244 6 13 16 13
7 13 17 13
8 13 18 13
4. Wechſelordunng.
41 95 16. Haftpflichtgeſetz.
43 95 1 202, 224 7 387
44 95 3a 387
23. Einführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetze.
17. Gewerbeunfallverſicherungsgeſetz.
6
8
84 112 165
84 135 83
83 136 328
84 140 86
. Unfallverſicherungsgeſetz für die Land⸗ und
Forſtwirtſchaft.
83 151 86, 137
83, 137
fe 19. Invalidenverſicherungsgeſetz.
20. Reichsverſicherungsordnung.
456 767 481
456 771 480
456 851 482
456 887 482
456 891 482
456 89 483
456 911 480
456 912 482
456, 482 913 482
457 973 482
457 1030 482
457 1031 456
457 1033 483
456 1045 480, 482
456 1144 482
456 1201 482
457 1202 482
457 1205 456
456 1221 480
457 1225 456, 482
457 1416 481
457 1447 458
482 1487 458
480 148 481
480 1489 459
458 1490 481
458 1491 480
458 1492 481
458 1495 481
457, 482 1496 481
458 1497 481
480 1498 482
480, 481 1499 482
483 1512 458
456 1577 482
482 1767 482
480, 481
21. Perſonenſtandsgeſetz.
220 58 221
221 59 220
220
22. Gerichtsverfaſſungsgeſetz.
158 159 447
50 160 446
192 180 51
279 183 51
279 202 395
73
24. Zivilprozeßorduung.
21
23
346
361
—
380
202, 431, 470
248, 470
202
422
73, 223, 474
201
470
382
243
945
1042
385
19, 44, 179,
210, 279, 360
27
114
88, 118, 385
360
25. Einführungsgeſetz zur Zivilprozeßordnung.
3 192 7 75, 208
6 73 8 333
26. Zwangsverſteigerungsgeſetz.
1 447 81 345, 421
3 162 87 280, 345
10 160 90 345
20 345 92 334
21 345 107 345
22 159 109 160
25 161 143 159
43 280 144 159
48 184 170 161
56 345
27. Konkursordnung.
1 461 46 74
4 74 59 464
6 85, 139, 462 61 87, 208
31 88 64 462
43 74 146 461
4 74 1% 85
192 85
28. Aufechtungsgeſetz.
3 143, 163 11 163
29. Gerichtskoſtengeſetz.
1 447 68 51
4 230 79 162, 397
6 230 81 159
7 162 S0b 161, 229, 279
8 159 382
9 160 81 279
9a 208 85 159
13 160 90 161
30 272 91 160
37 230 97 397
46 229, 447 98 162
47 51, 76, 230
30. Gebührenordnung für Zeugen und Sachver⸗
ſtändige.
3 207 8 207, 469
7 207 14 207, 468
31. Rechtsanwaltsordnung.
25 124 49 252, 441
34 304 58 441
40 123 66 252
32. Gebührenordnung für Rechtsanwälte.
12 208 35 143
24 143 44 290
29 143 45 123
33. Geſetz über die Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit.
2 446 57 193, 427
12 194, 410, 447 60 193
15 447 86 241
16 193 87 241
19 226 91 91, 241
24 194 93 91, 241
25 194 95 242
29 194 99 241
34 198 194 446
46 222, 410, 467 199 140
52 194, 249
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen.
10
er 1
34.
132, 467
17, 183, 316
111, 118, 167,
237, 316, 486
133
111, 114, 118
Grundbuchordnung.
25 114
29 118, 167, 300,
486
30
32 300
36
39
48
54
71 70, 117, 300
80 287
90 81, 111
91 111
35. Strafgeſetzbuch.
128 184a 265
130 185 140, 204, 247
129 186 140, 204, 261
156 193 265, 266
156 223 197
155 223 197
131 240 247
132 242 132, 158, 426
153, 426 213 426
153 217 158
153 257 154
154 263 343
479 266 342
295 271 341
449 274 131, 182
156 281 90
131, 265, 420 286 469
140, 154, 247, 292 426
285, 389 303 182
6, 125, 156, 328 285
367, 395 345 277
157 318 341
155 361 128, 154, 417
157 449 |
314 366 327
427 368 327
389 370 182
265
36. Einführungsgeſetz zum Strafgeſetzbuch.
130, 154
391
344
388
5 391
7 406
37. Preßgeſetz.
19 388
28 388
38. Nahrungsmittelgeſetz.
427
288, 389
266, 287, 365
285
16, 109, 287
365
39. Weingeſetz.
9 285
10 285
11 266, 285
12 365, 389
40. Reblausgeſetz.
89
1. Ausführungögejeg zum Bürgerlichen Geſetzbuch.
22
60
8
87
3
12
43
72
2
“
488 88 134
120, 321 123 486
58 125 322
133 130 119
131 318
2. Geſetz betr. die Berufsvormundſchaft.
353, 377 5 354 ö
354 6 354
353 7 379
3. Nachlaßgeſetz.
317 4 317
4. Geſetz, Uebergangsvorſchriften betreffend.
91 s4 317
110, 114 88 70
428
5. Ansführungsgeſetz zur Zivilprozeßordnung und
Koufursorduung.
469 4 20
6. Ausführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz.
15
35
7. Ansführungsgeſetz zur Grundbuchordnung und zum
41. Vereinszollgeſetz.
28 141 285
28 146 286
28 154 28
285, 286 155 29
1, 3, 8, 27 158 285
1, 3, 27 164 4, 8
285
42. Strafprozeßordnung.
131 256 408
131 259 45
346 260 286
447 2068 5, 7, 398
447 266
447 270 45
229 284 286
252 293 448
318 312 165
50 332 138
452 334 139
188 338 141
188 339 141
188 347 229, 322
6 372 125
94 376 90
7 377 368
7 380 125
192 384 368, 448
286, 408 385 94
394 395
447 399 397
286, 447 420 189, 260
408 431 1
BE Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
— — nt
6, 398 492 157
7 494 157, 279
8 495 227
279, 294 496 19, 227
5
277, 279, 398
43. Einführungsgeſetz zur Strafprozeßordnung.
6
6, 323
44. Militärſtrafgerichtsordnung.
. 131 397 126
131
45. Poſtgeſetz.
406 27 406
406
46. Stempelgeſetz.
203, 485 85 65
47. Reichs militärgeſetz.
26
48. Kriegsinvalidengeſetz.
405 20 405
49. Mannſchaftsverſorgungsgeſetz.
405 47 405
405
50. Offizierspenſionsgeſetz.
387 41 387
B. Landesgeſetze.
44 69 277
344
Zwangsverſteigerungsgeſetze.
58 25 345
!
10
8. Geſetz betr. die Grundbuchanlegung.
er
9. Hypothekengeſetz.
17 35 266
17 78 266
245, 266
10. Notariatsgeſetz von 1861.
57 Ä
11. Notariatsgeſetz von 1899.
303 i 126 120
303
12. Waſſergeſetz.
51 55 94
450 76 450
450 153 169, 177, 450
450
18. Fiſchereigeſetz.
413
14. Forſtgeſetz.
129 83 132
156 85 131
155 87 131
155 1 132
154 91 130
154 92 132
154 94 132, 154
157 95 131
157 96 131
158 104 131
130, 157 105 129, 157
132, 154 106 157, 491
129 188 157
155
2
SS SAG Nie
2 —
ex.
15. Forſtſtrafgeſetz für die Pfalz. 39 168 158 65
; 4 322 186 287
180 8 151 488 315 194 48
155 35 132 5 49 315 234 278
156 36 131 116 18, 65 252 18
154 40 131, 157 1 78 is
155 3 119 17, 18, 65 291 19
157 42 157 145 345 292 65
I 157 17 2 17, 18, 65
157 38 130
132 91 157
25. Polizeiſtrafgeſetzbuch.
16. Güterzertrümmerungsgeſetz. 0 en nn 190
370 5 344 39 154 101 29
304 3534 346 106 488
70 324 112 488
17. Grundentlaſtungsgeſetz. 10.02
370 | 26. Ausführungsgeſetz zur Strafprozeßordnung.
4 128, 131, 154, 12 449
18. Jagdgeſetz. 157, 391 98 104
370 5 131, 391 100 104
102 329
i 19. Zwangserziehungsgeſetz. a
467 27. Beamtengeſetz.
20. Flurbereinigungsgeſetz. 25 52 101 205
76 28 26, 51 174 487
31 487 175 487
21. Gewerbegeſetz von 1868. 89 334 178 20
1 183 27
14 24 205 |
14, 106 8 5 | 28. Richterdisziplinargeſetz.
„Einkommenſteuergeſetz. 64 276
42, 64 12 42, 62
42, 62 29. Gemeindeordnung.
4 54 41 390
23. Hauſierſteuergeſetz. 3 55 55 55. 77
205 15 289 33 245 138 31
fit 19 an 36 50 145 231
10 7 38 57, 77 159 112
103 19 206 zu f
103 24 103 30. Zwangsenteignungsgeſetz.
1 169
24. Gebührengeſetz. | :
159 1 2 31. Verwaltungsgerichtsgeſetz.
160 14 345 7 31 10 97
159 16 159 8 49, 81, 450 13 50
C. Anhang.
Dienſtanweiſung für die Grundbuchämter.
60 113 353 132
122 139 354 132
123 245 356 132
130 491 358 133
139 139 397 92
170 54 468 217
186 113 470 195
189 79, 113 471 195
213 132 472 195
219 132, 467 475 219
229 112 510 109
300 79, 110 514 111
343 132 578 112
346 113
IV. verzeichnis der Mitarbeiter.
(Hier ſind nur die Mitarbeiter berückſichtigt, die Abhandlungen und Mitteilungen
| aus der Praxis eingeſendet haben).
Seite
Baer, Amtsrichter, Nürnberg
Berolzheimer, Rechtsanwalt, München
Bleyer, II. Staatsanwalt im Staatsmini⸗
ſterium der Juſtiz, München 270, 293
Blüthe, Dr., Rechtsanwalt, Schweinfurt 19
Bonſchab, Bankdirektor, München 133
Bretzfeld, Dr., Amtsrichter, Nürnberg 45, 182, 417
415
Cahn, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg 59, 81
Clarus, Syndikus der Handelskammer,
Regensburg
Degen, Landgerichtsrat im Statsminiſterium
der Juſtiz, München
Diemayr, Amtsrichter, München
Doerr, Dr., II. Staatsanwalt, Nürnberg lietzt
München) 333
Do! 10 0 heimer, Amtsrichter, Ludwigshafen
a. Rh.
279
'
Du Chesne, Landgerichtsrat, Leipzig
Dürr, Dr, Amtsrichter, München
Eger, Dr., Referendar, Berlin
Ehrenberger, Amtsrichter, Nürnberg
Eiſenberger, Dr., Juſtizrat, W
München
Ferling, Amtsrichter, Namberg 132
Feßler, Rechtsanwalt, Regensburg 235
Fiſcher, Dr., Univerſitätsprofeſſor, Gießen 145, 173
Frank, Rechtspraktikant, Hersbruck 222
Friedländer, Dr., Landgerichtsrat, Limburg
a. Lahn
Gabel, Notariatspraktikant, München
Geigel, Dr., Aſchaffenburg
Gerland, Dr., Univerſitätsprofeſſor und
Oberlandesgerichtsrat, Jena 125, 2
Gick, Il. Staatsanwalt, München 397
Gmelin, Dr., Oberlandesgerichtsrat, Stuttgart 483
Gros, Amtsrichter, München 259, 355, 379, 395
Harſter, Dr., Regierungsaſſeſſor bei der Poli—
300
455, 480
398
17
zeidirektion, München 237
Heſſelbarth, Amtsgerichtsſekretär, Forchheim 159
Hümmer, Landgerichtsrat, München 128, 153
Jaeger, Dr., Geh. Hofrat, Profeſſor, Leipzig 73
Joſef, r., Rechtsanwalt, Freiburg i. B. 241, 329
Kleinberger, Dr., Rechtsanwalt, München 256
Klimmer, Dr., Amtsrichter im Staatsmini—
ſterium der Juſtiz, München 4.39
Köppe, Dr., Profeſſor, Marburg a. Lahn 233, 257
Kriener, Dr, Amtsrichter, Landshut 195. 217
Kühlewein, Dr., Landgerichtsrat, München 346, 459
S S Se 8
— S 8 8
Selte
39 | Kunkel, Senatspräſident, Oberſtlandesge⸗
richtsrat a. D., München
Landau, Rechtsanwalt, Nürnberg 114, 461
Langheineken, Dr., Profeſſor, Halle 33, 149, 176
Lebrecht, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg 360
Leiendecker, Amtsgerichtsrat, München 305
Mayr, Amtsrichter, München 44, 353, 377
Michel, Landgerichtsrat, Frankenthal 106, 332
Neubürger, Dr., Rechtsanwalt, Fürth 198
Obermeyer, Dr., Juſtizrat, Rechtsanwalt,
München 169
Oberneck, Dr., Juſtizrat, Rechtsanwalt und
Notar, Berli in 9
Oetler, Dr., Profeſſor, Würzburg 1
Payr, von, Senatspräſident am Oberſten
Landesgerichte, München 101
Pfeiffer, Dr., Gerichtsaſſeſſor, Breslau 444
Pfor dten von der, Landgerichtsrat, München 473
Pösl, Amtsrichter, Mainburg 303
Reger, Oberſekretär, Nürnberg 279
Richthofen, Frhr. v., Oberlandesgerichtsrat,
ena 295, 325
Roſenthal, Dr., Rechtsanwalt, München 373
Schmidt, Dr., Legationsrat im Miniſterium
des K. Hauſes und des Aeußern, München 12
Schmitt, Oberſtlandesgerichtsrat im Staats⸗
miniſterium der Juſtiz, München 53, 76, 109
Schultz, DDr., Staatsanwalt am Oberlandesge—
richte, München 158, 433
Sommer, Amtsgerichtsrat, Cöln 127
Sotier, ll. Staatsanwalt, München 421
Stahl, Dr., gepr. Rechtspraktikant, Neuftadt -
a. A. 199
Stenger, Dr., Rechtsanwalt, München 304
Steinbach, Dr., Bezirksamtsaſſeſſor, Roſen—
heim 327
Straub, Landgerichtsrat, München 253
Tiſch, Amtsgerichtsdirektor, Neuſtadt a. d. H. 220
Unzner, Dr., Miniſterialrat, München 18
Valta, Dr. v., wiſſenſchaftlicher Hilfsarbeiter
des K. B. Statiſtiſchen & Landesamts, München 475
Wagner, Rat am Oberſten Landesgerichte,
München
Weil, Dr., Rechtsanwalt, Ludwigshafen a. Rh. 42, 62
Weisbrod, Finanzrechnungskommiſſär, München 65
Wenger, Univerſitätsprofeſſor, München 273
Wenig, Zollinſpektor, München 460
Zöller, Landgerichtsrat, München 14
V. Beſprochene Bücher und Seitſchriften.
Affolter, Dr. Friedrich, Das Fruchtrecht 31
Ausbildung und Fortbildung der Richter.
Bericht über die Verhandlungen 155 2. Preußi⸗
ſchen Richtertages vom 17. Mai 1910 371
Bauer, Dr. jur. Otto, Das Pollard⸗Syſtem und
ſeine Einführung in Deutſchland 412
Bleeck, Siegfried, Die Majeſtätsbeleidigung im
geltenden deutſchen Strafgeſetz (Strafgeſetz⸗
buch vom 26. Februar 1876 — Geſetz vom
17. Februar 1908) 124
Bonſchab, F., Reichsgeſetz, betr. die Erwerbs⸗
und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. 2., neube⸗
arbeitete Auflage
Brand, Dr. Arthur, Das Handelsgeſetzbuch mit
Ausſchluß des Seerechts 392
Braun, Friedrich Edler von, Das Bayeriſche Ge⸗
ſetz über die Güterzertrümmerung vom 13. Auguſt
1910 mit Erläuterungen, Vollzugsvorſchriften
und den ſonſtigen einſchlägigen Vorſchriften
Braun, Friedrich Edler von, Das Bayeriſche Geſetz
über die Güterzertrümmerung vom 13. Auguſt
1910 mit Erläuterungen. 2. Auflage
Buchert, Karl, Sammlung in der Praxis oft an⸗
gewandter Verwaltungsgeſetze nebſt einer An⸗
zahl derartiger Verordnungen ꝛc. für das König⸗
reich Bayern. 3., vermehrte und verbeſſerte
Auflage 3
Das deutſche Juriſtenbrevier. Herausge⸗
geben von Dr. A. Budeley 31
Croner, Siegfried, Reform der deutſchen Rechts⸗
anwaltſchaft 271
Cuno, Zuwachsſteuergeſetz vom 14. Februar 1911
nebſt den Ausführungsbeſtimmungen des Reichs
und der größeren Bundesſtaaten 491
Cuno, Zuwachsſteuergeſetz vom 14. Februar 1911 350
Damme, Dr. jur. F., Der Schutz techniſcher Er»
findungen als Erſcheinungsform moderner Volks—
wirtſchaft 323
Degen, R., und Dr. O. Klimmer, Die Straf⸗
vollſtreckung in den bayeriſchen Gerichtsgefäng⸗
niſſen und Strafanſtalten 347
Dietz, H., Die Beſchwerdeordnungen für das Heer
(einschließlich Bayern und Schutztruppen) und
für die Kaiſerliche Marine 324
Doerr, Dr. F., Gerichtsverfaſſungsgeſetz nebſt
Einführungsgeſetz und Anhang, die geſetzliche
Regelung der deutſchen Konſular- und Schutz
gebietsgerichtsverfaſſung enthaltend 98
Doerr, Dr. Friedrich, Kolonialbeamtengeſetz vom
8. Juni 1910 272
Eckert, E., Die Vorbedingungen für den höheren
Juſtiz⸗, Verwaltungs⸗ und Finanzdienſt in
Bayern. Vierte umgearbeitete und erweiterte
Auflage der von J. Schiedermair herausgegebe—
nen Prüfungsvorſchriften
Eger, Dr. Georg, Die Eiſenbahn-Verkehrsordnung
vom 23. Dezember 1908 nebſt den Allgemeinen
Ausführungsbeſtimmungen und Abfertigungs—
vorſchriften auf der Grundlage des Deutſchen
Handelsgeſetzbuchs vom 10. Man 1897. 3
124
432
490
— — . — ag — — — — —— —— — . ͤ P ä
Hoepfel, Fr.,
„Aufl. 144
Fiſcher,
Fiſcher,
Eger, Dr. jur. G., Das Reichsgeſetz über den Ver⸗
kehr mit Death un Vom 3. Mai 1909 271
Dr. A. H., Die Rechtswidrigkeit mit be⸗
ſonderer Berückſichtigung des Privatrechts 72
Dr. Karl H., Lexikon des in Bayern
geltenden Verwaltungs-, Staats-, Polizei⸗ und
Polizeiſtrafrechts nach den Entſcheidungen der
bayeriſchen oberen Verwaltungs-, Straf⸗ und
Zivilgerichte und nach den zum bayeriſchen Recht
ergangenen Entſcheidungen der außerbayeriſchen
Gerichte 51
Foerſter, F. W., an und Sühne 490
Friedländer, Dr. A. und Dr. M., Nachtrag zum
Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung 100
Fuld, Dr. Heinr., Die Eigentümerhypothek im
Konkurs (Würzburger Abhandlungen zum deut-
ſchen und ausländ. Prozeßrecht, Heft 4)
Gaß, W., Tabellen zur Umrechnung der Steuer⸗
anſätze zur Umlagenverteilung 451
Gerland, Dr. Heinrich, Die Reform des ait
ſchen Studiums 210
Gimmerthal, Max, Der deutſche Waiſenrat 350
Das im Königreiche Bayern geltende
Reichs⸗ und Landesrecht ſamt den Voll⸗
zugsbeſtimmungen in überſichtlicher Zuſammen—
ſtellung. Ein Handbuch für den Gebrauch der
amtlichen Geſetz- und Verordnungsblätter und
der Amtsblätter der Miniſterien, bearbeitet von
Landgerichtsrat Dr. Glock und Landgerichtsrat
Schiedermair. — Nachtrag (bis zum
Geſetzesſtand vom 1. September 1910)
Grauer, Dr. jur. et phil. Anton, Das katholiſche
Ordensweſen nach bayeriſchem Staatskirchenrecht 431
Gudden, Dr. Hans, Die Behandlung der jugend—
lichen Verbrecher in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika
Güthe, Gg., Die Grundbuchordnung für das
Deutſche Reich und die preußiſchen Ausführungs—
beſtimmungen. 2. umgearbeitete Auflage
Hein, Dr., Handbuch der Zwangsvollſtreckung.
Unter Mitwirkung von Keup und Dr. Krahn 490
451
99
100
348
Heinitz, Dr. E., Das Reichsgeſetz über das Ver⸗
B.
lagsrecht.
232
Marwitz
Heinsheimer, Dr. Karl, Typiſche Prozeſſe. Ein
Zivilprozeßpraktikum zum Gebrauch bei akade—
miſchen Uebungen und zum Selbſtſtudium. Dritte,
veränderte und durch einen zweiten Teil er—
weiterte Auflage 489
Hellwig, Dr. Albert, Feuerbeſtattung und Rechts—
pflege 472
von Henle, Dr. W., Die Zwangsenteignung von
Grundeigentum in Bayern, unter Berückſichti—
gung der Novelle vom 13. Auguſt 1910. 2. neu⸗
2. Auflage bearbeitet von Dr.
bearbeitete Auflage 99
Heusler, Dr. phil. Andreas, Das Strafrecht der
Isländerſagas 189
Das Reichsgeſetz über den Verkehr
mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 251
XXXVIII
Hotz, M., Das Telegraphenwege⸗Geſetz vom 18. De⸗
zember 1899
Jaeger, Dr. Ernſt, Kommentar zur Konkursord⸗
nung und den Einführungsgeſetzen mit einem
Anhang, enthaltend das Anfechtungsgeſetz, Aus⸗
züge aus den Koſtengeſetzen, Ausführungsgeſetze
und Geſchäftsordnungen. 3. und 4. neube⸗
arbeitete Auflage. 3. Lig. 167
Jaeger, Dr. Ernſt, Reichszivilgeſetze. 3. Auflage
von Jaeger, BGB. Mit einem Anhang enthal⸗
tend: Landesgeſetze für das Königreich Bayern,
herausgegeben von J. Schiedermair
Jaſtrow, Hermann, Formularbuch und Notariats⸗
recht. Fünfzehnte (nach dem BGB. fünfte)
Auflage
Kaufmann, E., Handelsrechtliche Rechtſprechung.
Unter Mitwirkung des Landrichters Dr. Lö wen⸗
thal. Elftes Bändchen
Keyſſner, Dr. Hugo und Dr. H. Veit Simeon,
Aktiengeſellſchaft und Kommanditgeſellſchaft auf
Aktien (Handelsgeſetzbuch II. Buch, Abſchnitt 3
und 4). 6. Auflage bearbeitet von J. Keyſſner 324
Kleinfeller, Dr. Georg, Lehrbuch des Deutſchen
Zivilprozeßrechts. Für das akademiſche Studium.
2., völlig umgearbeitete Auflage 99
Könige, H., Geſetz über die privaten Verſiche—
rungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 2. Aufl. 168
Kräußlich, Dr., Gerichtsverfaſſungs- und Straf—
271
251
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern.
211 |
168
prozeß⸗Novelle oder umfaſſende Juſtizreform? 411
Krech, Dr. J. und Dr. O. Fiſcher, Die Geſetz—
gebung betreffend die Zwangsvollſtreckung in
das unbewegliche Vermögen im Reiche und in
Preußen. 6., vermehrte und verbeſſerte Auflage 98
Kretzſchmar, Dr. F., Das Erbrecht des Deutſchen
Bürgerlichen Geſetzbuchs
Kretzſchmar, Dr. F., Die Zwangsverſteigerung
und die Zwangsverwaltung 451
Laforet, Dr. W., Das Zwangsabtretungsgeſetz
vom 17. November 1837 in der Faſſung der
Novelle vom 13. Auguſt 1910 und der Abſchnitt
Zwangsenteignung des Ausführungsgeſetzes zur
Reichszivilprozeßordnung in der Faſſung der
Bekanntmachung vom 26. Juni 1899
Lambertz, Hans, Der Richter
Landsberg, E., Geſchichte der deutſchen Rechts—
wiſſenſchaft, I. u. II. Abteilung von R. Stintzing.
III. Abt. 2. Halbbd.
Lehmann, Dr. jur. Heinrich, Der Prozeßvergleich 291
Lindemann, Otto, Geſetz, betreffend das Ur—
heberrecht an Werken der Literatur und der
Tonkunſt vom 19. Juni 1901. 3. Auflage 144
Ben B. Lindſey, Die Aufgabe des Jugend—
gerichts 124
Lößl, Dr. Franz, Die Volksſchulpflicht nach deut:
ſchem Volksſchulrecht 272
Das bayeriſche Malzaufſchlaggeſetz vom
18. März 1910 (Schweitzers Textausg.) 350
Maier, Dr. jur. Rudolf. Das Verſicherungsver—
tragsrecht 47
Meisner, Chriſtian, Das in Bayern geltende
Nachbarrecht mit Berückſichtigung des Berg- und
Waſſerrechts. 2. vollſtändig umgearbeitete und
vermehrte Auflage
Meiſter, Dr. Eckard, Die Veräußerung in Streit
befangener Sachen und Abtretung rechtshängi—
ger Anſprüche nach $ 265 ZPO. (Würzburger
Abhandlungen zum deutſchen und ausländ.
Prozeßrecht)
Merzbacher, Sigmund, Reichsgeſetz, betreffend
die Geſellſchaften mit beſchränkter Haftung in der
Faſſung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898,
erläutert und mit Entwurfen von Geſellſchafts—
verträgen. 4., neubearbeitete Auflage 72
Merzbacher, Sigmund, Zuwachsſteuergeſetz vom
14. Februar 1911 2
167
272
144
1911.
Meyer, Georg, Das Recht der Beſchlagnahme
von Lohn⸗ und Gehaltsforderungen 4. Aufl. 144
Meyer, Hans, Das bayeriſche Gebührengeſetz mit
einem Anhang, enthaltend die mit dem Geb.
zuſammenhängenden Geſetze, Verordnungen und
Bekanntmachungen. Auf Grund der Faſſung
des Geſetzes vom 13. Juli 1910 erläutert in Ver⸗
bindung mit Friedrich Degel 97
Meyer, Hans, Nachtrag zur Zivilprozeßordnung 32
Meyers Großes Kon verſations-Lexikon.
Ein Nachſchlagewerk des allgemeinen Wiſſens.
6., gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auf⸗
lage
Mittermaier, Dr. jur., W., Wie ſtudiert man
Rechtswiſſenſchaft? 210
Moſel, Heinrich v. d., Examensfälle mit Löſun⸗
gen für Studierende und Referendare 1. Heft 251
Neukamp, Dr. Ernſt, Die Gewerbeordnung für
das Deutſche Reich in ihrer neueſten Geſtalt nebſt
Ausführungsvorſchriften. 9., veränderte und
durchgearbeitete Auflage 51
Neukamp, Dr. Ernſt, Handkommentar zur Zivil:
prozeßordnung nebſt dem Einführungsgeſetze.
Unter Mitwirkung von Dr. Karl Becker, Walter
Kuhbier, Dr. Paul Strauß. Zweite um⸗
gearbeitete Auflage
Noeſt, Dr. B. und E. Plum, Die Reichsgerichts⸗
entſcheidungen in Zivilſachen. 72. und 73. Band
der amtlichen Sammlung 210
Oetker, Dr. Friedr., Wirkſamkeit der Entſcheidun—
gen, Präkluſion von Beſchwerden, Einſtellungs-
beſchluß und Rechtshängigkeit
Pariſius, Ludolf, und Dr. Hans Crüger, Das
Reichsgeſetz, betreffend die Geſellſchaften mit
beſchrankter Haftung. 5. umgearbeitete Aufl. 349
Pfaff, Dr. Hermann von, und Anton von
Reiſenegger, Das e Gebühren⸗
geſetz mit Erläuterungen. 7. Auflage auf Grund
der Faſſung vom 13. Juli 1910 bearbeitet von
Hermann Schmidt 210
Pfordten, Th. von der, Der dienſtliche Verkehr
und die Amtsſprache. 3., verbeſſerte und er⸗
gänzte Auflage 270
490
167
Rauck, A. von, Das Bayeriſche Berggeſetz vom
13. Auguſt 1910. 2. verbeſſerte Auflage 271
72 | Regers Handausgabe der Gewerbeordnung für
das Deutſche Reich. In 3. und 4. Aufl. neu
bearbeitet und nunmehr in 5. Aufl. herausge—
geben von Th. Stöhſel 349
Reger, A., Handausgabe des Bayer. Geſetzes über
Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom
16. April 1868 in der Faſſung der Bekannt-
machung vom 20. Juli 1899 8. Aufl. 324
Romberg, Dr. Kurt, Kolonialbeamtengeſetz vom
8. Juni 1910 8
Roſenthal, Dr. Alfred, und E. Wehner, Reichs⸗
geſetz gegen den unlauteren Weitbewerb vom
7. Juni 1909. 3., ſtark vermehrte, umgearbeitete
und ergänzte Auflage 351
Ruck, Dr. jur. E., Verwaltungsrechtliche 1
Württembergs. Erſter Band
Sammlung von Geſetzen, WU;
gen und Miniſterialerlaſſen ſtraf⸗
rechtlichen Inhalts für bayeriſche
Polizeiorgane 51
Sammlung von Steuergeſetzen für
Bayern mit den Vollzugsvorſchriften
(Schweitzers Textausg.) 432
Sauter, Dr. jur. Fritz. Das Berufsgeheimnis und
ſein ſtrafrechtlicher Schutz 349
Schmidt, Chriſt., Anwaltsgebührentabelle gemäß
der bayeriſchen Landesgebuhrenordnung in den
Angelegenheiten der Rechtspflege mit Pauſch—
ſätzen 35
Schmitt, Wilhelm, Juſtizdienſtliches Handlexikon
für das Königreich Bayern 250
Schneider, H., Das Geſetz über die Sicherung
der Bauforderungen vom 1. Juni 1909 350
Schramm, Dr. Erich, Vor der Entſcheidung 432
Schwerin, Dr. Claudius Freiherr von, Schuld
und Haftung im geltenden Recht 249
Sebalds Bayeriſcher Juriſtenkalender
für das Jahr 1911 350
Seuffert, Dr. Lothar von, Kommentar zur Zivil⸗
prozeßordnung in der Faſſung der Bekannt⸗
machung vom 20. Mai 1898 mit den Aende⸗
rungen der Novellen vom 5. Juni 1905, 1. Juni
1909 und 22. Mai 1910 nebſt den Einführungs⸗
geſetzen. 11. neubearbeitete Auflage 168
Siméon, Dr. P., Die löſchungspflichtige Eigen⸗
tümergrundſchuld 250
Hans,
14. Februar 1911 ;
Sohm, Rudolph, Die Fränkiſche Reichs⸗ und Ge⸗
richtsverfaſſung 491
Staatskonkurs⸗Aufgaben für den höheren
Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt im? Königreich
Die Aufgaben im Jahre 1910
J. von Staudingers Kommentar zum
Bürgerlichen Geſetzbuch und dem Ein⸗
führungsgeſetze herausgegeben von Dr.
Theodor Loewenfeld, Philipp Mayring 5,
Dr. Karl Kober, Dr. Felix Herzfelder,
Dr. Erwin Riezler, Dr. Ludwig Kuhlen⸗
beck, Dr. Theodor Engelmann, Joſeph
Simon, Dr. Zuwachsſteuergeſetz vn
124
V. Beſprochene Bücher und Zeitſchriften.
|
Wagner. 5./6. neubearb. Aufl. Lig. 18 144
Lfg. 21 350
Lig. 22 451
Staudinger, Dr. Julius von, Strafgeſetzbuch
für das Deutſche Reich. 10. Aufl. bearbeitet
von Hermann Schmitt 432
Stein, Dr. F. und Dr. R. Schmidt, Aktenſtücke
zur Einführung in das Prozeßrecht. Zivilprozeß.
Bearbeitet von Friedrich Stein. 7. Auflage 271
Steinbach, Dr. F., Gewerbeordnung für das
Deutſche Reich mit den Nebengeſetzen und den
Ausführungsbeſtimmungen für das Reich, für
Preußen und Bayern 168
Stengleins Kommentar zu den ſtraf⸗
rechtlichen Nebengeſetzen des Deutſchen
Reichs. 4. Auflage, völlig neu bearbeitet
von Ludwig Ebermayer, Franz Galli,
Georg Lindenberg. 6. Lig. 25
XXXIX
Stier⸗Somlo, Dr., Jahrbuch des Verwaltungs⸗
rechts. 6. Jah 5
ahrgang
1./2. Hälfte.
Stier⸗Somlo. Dr. F., Zuwachsſteuergeſetz vom
14. Februar 1911 324
Sydow, Dr. R., Konkursordnung und Anfech⸗
tungsgeſetz. 11. Auflage. Fortgeführt von
L. Buſch 349
Warneyers Jahrbuch der Entſcheidun⸗
gen. Zivilrecht. 9. Jahrg. 1910. — Strafrecht
5. Jahrg. 1910 124
Waſſermann, Dr. Martin, Der unlautere Wett⸗
bewerb nach deutſchem Recht. 2. Auflage 349
Weber, Bayeriſche Gemeindeordnung, 9. Auflage.
Herausgegeben von Carl Auguſt von Sutner 168
Weißer, Wilhelm, Die Einfuhr ausländiſcher
Weine und deren Kontrolle in Deutſchland
Willenbücher, Das Koſtenfeſtſetzungsverfahren
und die Gebührenordnung für Rechtsanwälte.
7., neu bearbeitete Auflage von Dr. P. Simson
und W. Fiſcher 291
Winter, Dr. jur. Paul, Konkursordnung und An⸗
fechtungsgeſetz in der Faſſung der Bekantmachung
des Reichskanzlers vom 20. Mai 1898
Wolf, Dr. B., Die Geſetzgebung über das Polizei⸗
verordnungsrecht in Preußen unter Berückſichti⸗
gung der Rechtſprechung und Literatur
Woerner, Dr. Otto, Sammlung der für die
Rechtskandidaten, Rechtspraktikanten und ge—
prüften Rechtspraktikanten in Bayern geltenden
Vorſchriften mit Anmerkungen und Sachregiſter 350
Yblagger, Ludwig, Geſetz, die Fortſetzung der
Grundentlaſtung betreffend, vom 2. Februar 1898
mit den Novellen, den wichtigſten Miniſterial⸗
bekanntmachungen und Entſchließungen und ober-
richterlichen Entſcheidungen. 2., verbeſſerte und
ergänzte Auflage 250
Yblagger, L., Wechſelſtempelgeſetz vom 15. Juli
1909 350
472
412
5
Zacharias, Dr. A. N., Gedanken eines Praktikers
zur Frage des juriſtiſchen Modernismus
Zacharias, Dr. A. N., Ueber Perſönlichkeit, Auf—
gaben und Ausbildung des Richters 371
Zeiler, A., Ein Gerichtshof für bindende Geſetzes⸗
auslegung 371
Zorn, Dr. Ph., Die Konſulargeſetzgebung des
Deutſchen Reichs. 3., vollſt. neu bearb. Auflage
von Dr. K. Zorn 350
Zuwachsſteuergeſetz. (Textausg. Beck) 291
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’
'
Verlag von
J. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
München und Berlin.
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
8. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſterlum der Juſtiz.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
„ Inſertionsgebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile
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20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
2 „ —
Nachdruck verboten. 1
Nachdem ſich nachträglich herausgeſtellt hatte,
daß die Zollbehörde in dieſem Strafverfahren nicht
die geſamte Menge des nichtangemeldelen Kaffees
ermittelt hatte, erging wider X unterm 7. Mai
1910 ein zweiter Strafbeſcheid der gleichen Ober⸗
zolldirektion, in Anwendung der nämlichen Be⸗
ſtimmungen, wieder auf Geldſtrafe und Einziehung,
weil die Anmeldung vom 5. Auguſt nachzollpflich⸗
tige Kaffeevorräte nicht enthalten habe, die am
4. und 5. Auguſt in den Beſitz des X gelangt
ſeien, während dieſer bereits am frühen Vormittage
des 4. und 5. Auguſt vor Abgabe der Deklaration
von ihrem Eintreffen durch die Eiſenbahn⸗Güter⸗
abfertigungsſtelle benachrichtigt worden und zur
alsbaldigen Mitanmeldung — noch am 5. Auguſt
— in der Lage geweſen ſei.
Gegen den zweiten Strafbeſcheid hat der An⸗
geſchuldigte auf Grund des § 38 des preußiſchen
er un a 915 bund ei nn
Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die
kehr befindlichen Kaffee im Befitz oder Gewahrſam f =»
hat, muß die Waren ſpäteſtens am 5. Auguſt 1909 nn Beſchwerde an den Finanzminiſter
bei der Zollſtelle ſeines Bezirks anmelden; j Gutachten
2. Kaffee, der ſich am 1. Auguſt 1909 unter⸗ . . .
wegs befindet, iſt vom Empfänger anzumelden, . Die rechtliche Würdigung der Beſchwerde er:
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
Im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich :
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
Poſtanſtalt.
Ne bis in idem!
Ein Rechtsgutachten.
Von Profeſſor Dr. Oetker in Würzburg.
Tatbeſtand.
Durch Art. II 8 3 des RGeſ. vom 15. Juli
1909 betr. Aenderungen im Finanzweſen iſt ein
Nachzoll gelegt worden auf Kaffee, der ſich am
1. Auguſt 1909 im freien Verkehr des Zollgebietes
befand.
In Ausführung dieſer Beſtimmung hat der
Bundesrat die Nachverzollungsordnung vom
24. Juli 1909 im Zentralblatt für das Deutſche
Reich 1909 S. 351 veröffentlicht.
Im 8 3 Abſ. 1 der Bundesratsverordnung
find aus der reichsgeſetzlichen Nachverzollungspflicht,
zwei Unterpflichten abgeleitet:
1. Wer am 1. Auguſt 1909 im freien Ver⸗
a Dr ̃ :.:. ˙ Q ß p NE PRESS ERE ERS SEE SIR SEIEN RSREEREE GPEREEERSER,
— m nn
ſobald er in deſſen Beſitz gelangt ift. fordert die Prüfung dreier Fragen, einer ſtaats⸗
9 9 der Verordnung fügt die Strafvorſchrift rechtlichen, einer materiell⸗ſtrafrechtlichen und einer
hinzu: „Hinterziehungen des Nachzolls und ſonſtige ſtrafprozeſſualen:
Verletzungen der wegen ſeiner Erhebung gegebenen I. Iſt die in dem Strafbeſcheid zugrunde
Vorſchriften werden nach den 88 135 ff. des gelegte Strafvorſchrift eine rechtsverbind⸗
Vereinszollgeſetzes geahndet.“ | liche Norm?
In Anwendung der SS 3, 9 der Nachver⸗ II. Iſt die in dem Strafbeſcheid mit Strafe
zollungsordnung mit § 136 des Vereinszollgeſetzes belegte Tat gegenüber dem Tatbeſtande,
iſt der Kaufmann X zu Y durch Strafbeſcheid der Gegenſtand des vorangegangenen Straf—
der Königlich Preußiſchen Oberzolldirektion zu Z beſcheids der nämlichen Königl. Preußiſchen
vom 15. November 1909 zu einer Geldſtrafe ver⸗ Oberzolldirektion vom 15. November 1909
urteilt worden, weil die von ihm am 5. Auguſt war, als ein ſelbſtſtändiges Delikt zu
1909 der Zollbehörde erſtattete Deklaration be⸗ erachten oder in dieſem Tatbeſtande recht⸗
ſtimmte nachzollpflichtige Kaffeevorräte nicht um⸗ lich mitenthalten?
faßt habe, die am 1. Auguſt 1909 bereits in III. Für den Fall der letzteren Annahme: Iſt
ſeinem Befitze geweſen ſeien; auch find die Vor: durch den angefochtenen Strafbeſcheid der
räte eingezogen worden. Dieſer Strafbeſcheid iſt Rechtsgrundſatz ne bis in idem verletzt
rechtskraͤftig geworden. | worden?
Zu J.
Der Strafbeſcheid vom 7. Mai 1910 bringt
(ebenſo wie der vorangegangene Strafbeſcheid vom
15. November 1909) eine nicht gehörig publizierte
und daher rechtsunwirkſame Straſporſchrift, den
89 in Verbindung mit § 3 Abſ. 1 der Bundes⸗
ratsverordnung vom 24. Juli 1909, in Anwendung
und iſt daher als rechtsungültig zu erachten.
Art. II § 3 mit Art. VI Abſ. 1 des Reichs⸗
geſetzes vom 15. Juli 1909 betr. Aenderungen im
Finanzweſen hat die Pflicht der Nachverzollung von
Kaffee ꝛc., der ſich am 1. Auguſt 1909 im freien
Verkehr des Zollgebiets befand, „nach näherer
Beſtimmung des Bundesrats“ ausgeſprochen. Auf
Grund dieſer Delegation iſt die erwähnte Bundes—
rats⸗Verordnung, „Kaffee- u. Tee⸗Nachverzollungs⸗
Ordnung“, ergangen. Publikation iſt nur im
Zentralblatt für das Deutſche Reich 1909 S. 351,
nicht im Reichsgeſetzblatt erfolgt.
Die Bundesratsverordnung enthält zweifellos
beſonders in den hier maßgebenden SS 3 und 9
Rechtsvorſchriften. Das Reichsgeſetz vom 15. Juli
1909 hat die Nachverzollungspflicht nur grundſätzlich
ausgeſprochen, nicht in einer ihre tatſächliche Durch⸗
führung ermöglichenden Weiſe auch normiert.
Dieſe rechtliche Regelung iſt vielmehr dem Bundes:
rat überlaſſen worden. Insbeſondere war es deſſen
Sache, die nötigen Strafbeſtimmungen hinzuzu—
fügen, wie ſie für die Wirkſamkeit eines Abgaben—
geſetzes unerläßlich ſind. Dementſprechend leitet
§ 3 Abſ. 1 der Verordnung aus der Nachver—
zollungspflicht ſpezielle Deklarationspflichten ab,
während § 9 Hinterziehungen des jo zu leiſtenden
Nachzolls den Strafvorſchriften der SS 135 ff.
des Vereinszollgeſetzes vom 1. Juli 1869 unterwirſt.
Hiernach erſcheint in Anwendung der von
Laband, Staatsrecht des Deutſchen Reiches (4. Aufl.)
Bd. 2 S. 78 f., 185 gemachten Unterſcheidung
die Bundesratsverordnung in ihrem hier maß—
gebenden Inhalt als ausführende Rechtsverordnung,
nicht als bloße Verwaltungsverordnung, denn
ihre Normen wirken nicht lediglich innerhalb
des Verwaltungsapparats zur bloßen Regulierung
der Behördentätigkeit, verpflichten vielmehr un—
mittelbar die Untertanen und bedrohen die Ueber—
tretung dieſer Pflichten mit Strafe. Es iſt über—
flüſſig, die weitergehende Anſicht von Zorn, Deutſches
Staatsrecht Bd. 1 S. 484, der bereits in bloßen
Verwaltungsvorſchriften Rechtsſätze erblickt, heran—
zuziehen. Zum Exlaſſe von Verwaltungsvorſchriften
im Sinne Laband's hätte es auch einer beſonderen
reichsgeſetzlichen Ermächtigung des Bundesrats
gar nicht bedurſt, da bereits Art. 7 Ziff. 2 der
Reichsverfaſſung dazu die Grundlage bot.
Als Normen des Reichsrechts haben die Be:
ſtimmungen der Bundesratsverordnung die gleiche
Verbindungskraft, wie ſie den eigentlichen Reichs—
geſetzen zukommt. Insbeſondere gehen ſie, wie die
letzteren, den Landesgeſetzen vor. „Reichsgeſetze“
2 Zeitſchrift für Rechtspflege
in Bayern. 1911. Nr. 1.
im Sinne des Art. 2 Satz 1 der Reichsverfaſſung
mit Vorzug vor den Landesgeſetzen ſind zweifellos
auch die in Reichsverordnungen enthaltenen Rechts⸗
ſätze. „Reichsgeſetz“ hat hier in Zugrundelegung
der üblich gewordenen Terminologie (Laband a. a. O.
S. 57f.) zugleich die Bedeutung des „Geſetzes im
materiellen Sinne“.
Ein Bedeutungswechſel des Wortes, Beſchrän⸗
kung auf ſog. formelle Reichsgeſetze, in dem un:
mittelbar folgenden Satz 2 Art. 2: „Die Reichs⸗
geſetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre
Verkündigung von Reichs wegen, welche vermittelſt
eines Reichsgeſetzblattes geſchieht“, iſt von vorn⸗
herein unwahrſcheinlich. Und es ſprechen für die
Erſtreckung der ſo beſtimmten Publikationspflicht
auf Rechtsverordnungen des Reiches, ſog. mate:
rielle Reichsgeſetze, auch entſcheidende innere Gründe.
Zweck der Publikation iſt, den Untertanen und
den rechtsapwendenden Behörden die zuverlaͤſſige
Kenntnis der Rechtsſatzungen zu verſchaffen. Die
einen wie die anderen müſſen ſich auf den Inhalt
der publizierenden Druckſchrift durchaus verlaſſen
können. Die Herausgabe einer offiziellen Geſetz⸗
ſammlung iſt daher Bedürfnis. Es bedarf eines
Organs, dem für den Inhalt der Sammlung die
ſtaatsrechtliche Verantwortlichkeit obliegt, auf deſſen
Weiſung hin der Abdruck erfolgt, das für die
Aufnahme und die getreue Wiedergabe aller Rechts-
erlaſſe zu ſorgen hat.
Das „Zentralblatt für das Deutſche Reich“
hat dieſen Charakter nicht. Die Reichsverfaſſung
kennt es nicht und eine reichsſtaatsrechtliche Ver⸗
antwortlichkeit für ſeinen Inhalt beſteht nicht.
Amtsblatt für die Rechtserlaſſe des Reichs iſt
vielmehr lediglich das unter der Verantwortlichkeit
des Reichskanzlers erſcheinende Reichsgeſetzblatt.
Vgl. Laband a. a. O. S. 49, 50, 100 f.; Bin:
ding, Handbuch des Strafrechts Bd. 1 S. 207;
Meyer⸗Anſchütz, Lehrbuch des deutſchen Staats—
rechts 6. Aufl. S. 607; Haenel, Deutſches Staats-
recht Bd. 1 S. 296 (292) und die bei Laband
S. 101 weiter zitierten.
Die Kenntnisnahme von den reichsrechtlichen
Satzungen iſt zugleich Pflicht der rechtsanwenden⸗
den Behörden und auch der Untertanen, ſoweit
dieſe jene Normen zur Richtſchnur ihres Verhaltens
zu nehmen haben. Dieſer Pflicht ſchafft Art. 2
der RV. im Reichegeſetzblatt die maßgebende
Beziehung und die Möglichkeit der ſicheren
Erfüllung. Für bloße Verwaltungsvorſchriften
mag Bekanntgabe in anderer Form genügen.
Dagegen kann im Hinblick auf Rechtserlaſſe des
Reichs die verfaſſungsmäßig begrenzte Pflicht der
Erkundung und Kenntnisnahme nicht durch ander—
weite Veröffentlichung erweitert werden. Es hat
nicht das Reichsgeſetzblatt neben ſich ein offizielles
Konkurrenzorgan. Tatſächlich befinden ſich denn
auch die Gerichtsbehörden vielfach gar nicht im
Beſitze des Zentralblattes für das Deutſche Reich,
während ſich die Beſchaffung des Reichsgeſetzblattes
für fie alle von ſelbſt verſteht.
Ein abnormer
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 3
werden, würde aber für die Zukunft als wert:
Zuſtand wäre es, wenn ein Gericht die Kenntnis volles Präjudiz wirken, das geeignet wäre, einem
von ihm anzuwendender reichsrechtlicher Strafvor⸗ oft beklagten Mißſtande, der „Publikations⸗Unord⸗
ſchriften ſich erſt im Einzelfalle mittels Anleihe | nung“ (Laband a. a. O. S. 101) im Hinblick
bei der Bibliothek einer anderen Behörde zu ver⸗
ſchaffen hätte.
Erſt mit der gehörigen Publikation kommt
der geſetzgeberiſche Akt zum Abſchluß. Denn das
Geſetz iſt nicht bloße Willensentſchließung, ſondern
Willenserklärung des Staates, Reiches, die geſetz⸗
entſprechende Verkündung alſo Perfektionserfor⸗
dernis. Die verbindliche Kraft der Reichs⸗
geſetze einſchließlich der Rechtsverordnungen des
Reichs wird durch die Verkündung im Reichs—
geſetzblatte begründet, Art. 2 der RV. Dem⸗
gemäß iſt eine nur im Zentralblatt f. d. deutſche
Reich veröffentlichte Rechtsverordnung des Reiches
unverbindlich und es ſind insbeſondere ihre Straf⸗
beſtimmungen unanwendbar. Sonach durfte der
Angeſchuldigte nicht wegen Verletzung der Nach⸗
verzollungsordnung vom 1. Auguſt 1909 in Strafe
genommen werden und es iſt der Strafbeſcheid
vom 7. Mai 1910 als ungültig zu erachten.
Dieſe Konſequenz muß in gleicher Weiſe
gezogen werden, mag nun ein Gericht — bei
Antrag auf gerichtliche Entſcheidung — oder wie
bier nach erhobener Beſchwerde die vorgeſetzte
Verwaltungsinſtanz mit der Nachprüfung des
Strafbeſcheides befaßt ſein. Denn Rechtsanwendung
durch Behörden, mögen ſie dem Juſtiz⸗ oder Ver⸗
waltungsorganismus angehören, kann ſich immer
nur auf wirkliche Rechtsſätze, auf verbindlich
gewordene und daher anwendbare Normen beziehen.
Ein „unanwendbarer Rechtsſatz“ iſt ein innerer
Widerſpruch und die Anwendung einer unverbind⸗
lichen Norm eben nicht Rechtsanwendung.
Mit dem vielumſtrittenen Problem des
Prüfungsrechts im Hinblick auf die Rechtsgültigkeit
von Geſetzen und Verordnungen hat die hier allein
praktiſche Frage der Prüfung gehörig erfolgter
Publikation nichts zu tun. Welchen Standpunkt
man immer in jener Kontroverſe einnehmen mag
— auch Laband a. a. O. S. 98, ſonſt Gegner
des behördlichen Prüfungsrechts, bejaht dieſes für
die rechtliche Zuläſſigkeit einer Verordnung —,
der ganze Streit bezieht ſich nur auf gehörig
publizierte Geſetze und Verordnungen (vgl. insbe:
ſondere Art. 106 der preuß. Verfaſſung). Daß
dieſe letztere Prüfung den „Gerichten“ oder wie
vielmehr in unentbehrlicher und durchgängig an—
genommener Verallgemeinerung geſagt werden muß,
den rechtsanwendenden, in Rechtsſachen entſcheiden⸗
den Behörden, möchte auch ihre Hauptaufgabe auf
dem Gebiete der Verwaltung liegen, zuſteht und
zugleich ihre Pflicht iſt, da nur gehörig publizierte
Erlaſſe gelten, iſt allgemein anerkannt.
Ein Ausſpruch der Miniſterial-Inſtanz in
dieſem Sinne mag. indem er einer Bundesrats—
Verordnung die Rechtswirkſamkeit aberkennt, der
gegebenen Situation gegenüber mißlich empfunden
ö
— — — — ge — — — — m — — —
)
auf Rechts⸗Verordnungen des Reiches wirkſam zu
ſteuern.
Zu II.
Gemäß Art. II § 3 mit Art. VI Abſ. 1 des
RG. vom 15. Juli 1909 beſteht ſür Kaffee, der
ſich am 1. Auguſt 1909 im freien Verkehr des
Zollgebiets befand, die Pflicht der Nachverzollung.
Zur Durchführung dieſer einheitlich gedachten und
formulierten Verpflichtung ſind in der Nachver⸗
zollungs⸗Ordnung vom 24. Juli 1909 zwei Unter⸗
pflichten geſetzt:
a) die Pflicht deſſen, der am 1. Auguſt 1909
im freien Verkehr befindlichen Kaffee in Be⸗
ſitz oder Gewahrſam hat, zur Anmeldung der
Waren — in näher bezeichneter Weiſe —
ſpäteſtens am 5. Auguſt 1909 bei der Zoll⸗
ſtelle ſeines Bezirks;
b) die Pflicht des Empfängers von Kaffee, der
ſich am 1. Auguſt 1909 unterwegs befand,
zur Anmeldung alsbald nach erlangtem Beſitz.
Die Beziehung dieſer beiden Verpflichtungen
auf die eine im Reichsgeſetz beſtimmte Nachver⸗
zollungspflicht lehrt ohne weiteres, daß ihnen nicht
untereinander die Bedeutung ſelbſtändiger Rechts⸗
pflichten zukommt. Sie dienen lediglich der Reali⸗
ſierung der einen reichsgeſetzlichen Pflicht.
Nach $ 9 der Nachverzollungsordnung werden
Hinterziehungen des Nachzolls nach den $3 135 ff.
des Vereins zollgeſetzes geahndet. Dieſes Geſetz
fügt zu dem allgemeinen Begriff der Defraudation
eine Reihe beſonderer Formen dieſes Delikts hinzu
83 135, 136. Daß in den letzteren Fällen nicht
unter dem Geſichtspunkte eines eigenartigen Delikts,
ſondern eben wegen Defraudation geſtraft wird,
geht aus dem inneren Zuſammenhang des Geſetzes
und aus dem Wortlaute des S 136 („Die Defrau—
dation wird insbeſondere dann als vollbracht an⸗
genommen, wenn“ uſw.) klar hervor. Dement⸗
ſprechend hat das Reichsgericht II. StS. Entſch.
Bd. 35 S. 242 den in $ 136 bezeichneten Hand:
lungen den Charakter ſelbſtändiger Vergehenstat⸗
beſtände gegenüber dem Begriff der Defraude ab—
geſprochen und es iſt ausgeſchloſſen eine reale
Konkurrenz der verſchiedenen Nummern des § 136
untereinander. In gleichem Sinne Oetker, Gerichts—
ſaal Bd. 64 S. 83; Hwenſtein, Zollgeſetzgebung
des Reichs 2. Aufl. S. 140.
Von den Tatbeſtänden des $ 136 iſt im Hin⸗
blick auf die Nachverzollungspflicht ausſchlaggebend
Nr. le: „wenn in Fällen der ſpeziellen Deklaration
zollpflichtige Gegenſtände — gar nicht oder in zu
geringer Menge — deklariert werden“. Die ganze
oder teilweiſe Nichterfüllung der beiden in der
Nachverzollungs-Ordnung ausgeſprochenen Unter:
4 3 = Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
pflichten ordnet ſich dieſem Tatbeſtande unter und
iſt weder in der einen noch in der anderen Form
als ſelbſtändiges Delikt, vielmehr immer als De:
fraudation zu ftrajen (es müßte denn dem An:
geſchuldigten der Entlaſtungsgrund des 8 137
Abſ. 2 — Nachweis, daß er eine Defraudation
nicht habe verüben können, oder eine ſolche nicht
beabſichtigt geweſen ſei — zur Seite ſtehen).
Das Verſchulden des Kaufmanns X. beſteht
nach den tatſächlichen Annahmen der beiden
Strafbeſcheide vom 15. November 1909 und vom
7. Mai 1910 darin, daß die von ihm am
5. Auguſt 1909 der Zollbehörde erſtattete Dekla⸗
ration beſtimmte nachzollpflichtige Kaffeevorräte
nicht umfaßt habe. Der erſte Strafbeſcheid bezieht
ſich auf Kaffeequanten, die X. am 1. Auguſt 1909
bereits in ſeinem Beſitz gehabt habe. Der zweite
Beſcheid nimmt ferner an, daß X. Kaffeevorräte,
die am 4. und 5. Auguſt in ſeinen Beſitz gelangt
ſeien, nicht angemeldet habe, während er bereits
am frühen Vormittage des 4. und 5. Auguſt vor
Abgabe der Deklaration von ihrem Eintreffen
durch die Eiſenbahngüterabfertigungsſtelle benach⸗
richtigt worden und zur alsbaldigen Mitanmeldung
— noch am 5. Auguſt — in der Lage geweſen
ſei. Hiernach liegt beiden Strafbeſcheiden das
gleiche einheitliche Faktum, Erſtattung einer un—
richtigen, d. h. unvollſtändigen Deklaration, zu—
grunde. Es wird nur die Unvollſtändigkeit in
dem einen, dem andern Strafbeſcheide nach ver:
ſchiedener Richtung hin ſubſtantiiert. Ob die Nicht:
aufnahme der betreffenden Quanta in die Defla:
ration ein Begehungsdelikt (durch falſche Deklaration)
oder ein reines Unterlaſſungsdelikt oder ein Kommiſſiv—
delikt durch Unterlaſſung (Verkürzung der fiskaliſchen
Anſprüche durch Verſchweigung) ergab (vgl. hierzu
Binding, Lehrbuch des Strafrechts, Beſond. Teil
Bd. 1 S. 341, 342), kann, weil ohne praktiſche
Erheblichkeit für den gegebenen Fall, unerwogen
bleiben. Sicher iſt, daß jede Nichtanmeldung als
Defraude, keine von ihnen, weder die Verletzung
der einen, noch der anderen Unterpflicht der Nach:
verzollungsordnung, als ein beſonderes, der Defraude
gegenüber ſelbſtändiges Delikt in Betracht kam.
Und vom Standpunkte der Strafbeſcheide aus iſt
dieſe Defraude betreffs aller nichtangemeldeten
Vorräte einheitlich durch die eine unvollſtändige
Deklaration begangen.
Somit ergibt ſich — gemäß den Strafbejcheiden
—- Deliktseinheit im eigentlichen Sinne, Einheit des
objektiven und des ſubjektiven Tatbeſtandes: Er:
ſtattung einer Falſchdeklaration mit dem Bewußt—
ſein ihrer Unrichtigkeit.
5
kurrenz, denn nur ein Faktum, die falſche Dekla⸗
ration vom 5. Auguſt, iſt gegeben.
Betreffs aller defraudierten Vorräte iſt das
Delikt zur gleichen Zeit, am gleichen Orte — am
5. Auguſt 1909 zu V. — begangen und für dieſes
in jeder Richtung einheitliche Delikt begann, ohne
daß die Beziehung der Defraude auf die eine oder
andere unſelbſtändige Unterpflicht der Nachver⸗
zollungsordnung einen Unterſchied zu begründen
vermochte, die Verjährung einheitlich mit dem
6. Auguſt 1909 zu laufen ($ 164 Ver3G., dazu
Binding, Handbuch des Strafrechts Bd. 1 S. 835).
Einheit des Delikts würde auch dann beſtehen
bleiben, wenn man in freierer Auslegung des $ 3
Abſ. 1 S. 2 der Nachverzollungsordnung annähme,
daß die Deklaration der nach dem 1. Auguſt in
den Beſitz des Angeſchuldigten gelangten Vorräte
noch am 6., 7. Auguſt rechtzeitig (alsbald nach
erlangtem Beſitz) hätte erfolgen können. Die Nicht⸗
anmeldung am 6., 7. Auguſt wäre dann nur
Fortſetzung der Defraude geweſen, die mit der
falſchen Deklaration vom 5. Auguſt begonnen hatte.
In ſubjektiver Hinſicht ergäbe ſich das gleiche Bild:
einheitlicher Vorſatz von vornherein, gerichtet auf
die Verſchweigung aller Vorräte, die in der Tat
nicht deklariert wurden. Doch würde auch die
höchſt unwahrſcheinliche Annahme, daß der An—
geſchuldigte erſt durch die Anzeige von dem Ein⸗
treffen der weiteren Vorräte (in der Frühe des
4., 5. Auguſt) auf dieſe aufmerkſam geworden
wäre und nun erſt den Vorſatz gefaßt hätte, auch
ſie zu verſchweigen, die rechtliche Beurteilung nur
unweſentlich modifizieren. Es hätte ſich dann der
Vorſatz der Defraude im Stadium der Ausführung
auf die ſpäter eingetroffenen Vorräte erweitert:
eine mit Annahme fortgeſetzten Delikts durchaus
verträgliche, ja häufig bei ſolchen vorkommende
Schuldgeſtaltung. Vgl. Binding, Handbuch des
Strafrechts Bd. 1 S. 546. Daß auch fortgeſetztes
Delikt Deliktseinheit begründet, iſt in Theorie und
Praxis allgemein anerkannt Vgl. insbeſondere
für die Defraude Weber, im Gerichtsſaal Bd. 58
S. 48; Löbe, Deutſches Zollſtrafrecht 3. Aufl.
S. 89. Die geänderte Datierung des Delikts bei
dieſer Auffaſſung — auf den 6., 7. Auguſt als
den für den letzten Tatakt entſcheidenden Tag,
wobei der nächſtfolgende Tag den Anfangstag der
Verjährung ergeben würde — wäre für die zur
Entſcheidung ſtehenden Rechtsfragen ohne Belang.
Zur Annahme einer realen Konkurrenz von
Defrauden, d. h. zweier je mit ſelbſtändigem Bor:
Nicht ideale Konkurrenz, ſatz und durch ſelbſtändiges Tun begangener Delikte,
denn dieſe würde erfordern eine Mehrheit ſchuld- liefert der gegebene in den Strafbeſcheiden feſt—
hafter Entſchließungen bei Einheit des äußern Tuns:
es lag aber allen Verſchweigungen der eine Dolus
der Defraude zugrunde, der ſich auf eine Mehrheit
!
geitellte Tatbeſtand nicht den mindeſten Anhalt.
Es iſt daher überflüſſig, noch aus dem Rechts—
grundſatze in dubio minus, demzufolge im Zweifel
nachzollpflichtiger Vorräte bezog, dadurch aber nicht nicht reale Konkurrenz, ſondern Deliktseinheit oder
ſeine Einheitlichkeit verlieren konnte. Nicht fort—
geſetztes Delikt und noch viel weniger reale Kon⸗
fortgeſetztes Delikt anzunehmen wäre, zu argu—
mentieren.
3u III
Mit der Rechtskraft eines Strafurteils iſt die
ſtaatliche Strafklage aus dem Delikt konſumiert,
ſo daß der nämliche Tatbeſtand nicht abermals
abgeurteilt werden kann. Ein unter Verletzung
dieſes Prinzips ergangenes zweites Strafurteil
wäre abſolut ungültig, nicht nur heilbar nichtig,
ſo daß es durch Verſäumung oder erfolgloſen
Gebrauch der Rechtsmittel Rechtsbeſtand gewinnen
könnte. Denn alle Rechtſprechung führt auf Voll⸗
macht des Souveräns zurück und dieſe iſt den
Strafgerichten für den nämlichen Tatbeſtand nur
einmal gegeben. Das Strafurteil ſoll dem Ge:
meinweſen den urſachlichen Zuſammenhang von
Schuld und Strafe und eventuell die Nichtſchuld
des Verdächtigen verbürgen.
muß es die Eigenſchaft der Exkluſivität haben.
Nachdem die Vollmacht durch den Erlaß des erſten
Urteils verbraucht iſt, kann nur dieſem Rechts⸗
beſtand zukommen, nicht auch einem zweiten ohne
Vollmacht, alſo völlig nichtig erlaſſenen Urteil.
Vgl. Oetker, Konkursrechtliche Grundbegriffe Bd. 1
S. 63; v. Baligand, Gerichtsſaal Bd. 72 S. 243.
Dieſe Rechtslage iſt beſonders klar bei direktem
Widerſpruch der beiden Urteile, indem betreffs
ganz der gleichen Tatſachen das eine verurteilt,
das andere freiſpricht oder beide verurteilen ac. ꝛc.
Die Urteile können ja hier nicht nebeneinander
beſtehen und ſo verſteht ſich von ſelbſt die alleinige
Wirkſamkeit des erſten, vollmachtgemäß ergangenen
Urteils.
Ganz ebenſo aber kommt auch bei Bezug der
Urteile auf verſchiedene Teile eines materiell ein⸗
heitlichen, prozeſſual unzerreißbaren Tatbeſtandes
dem erſterlaſſenen die ausſchließliche Geltung zu.
Gegenſtand der Urteilsfindung iſt nach § 263
StPO. die in der Anklage bezeichnete Tat, wie
fie ſich nach dem Ergebniſſe der Verhandlung
darſtellt. „Die in der Anklage bezeichnete Tat“
bedeutet nicht lediglich die Tatumſtände, die in
der Klage angeführt ſind, wie nach der geſetzlichen
Bezugnahme auf das Verhandlungsergebnis ohne
weiteres klar iſt. Vielmehr iſt „Tat“ der geſchicht⸗
liche Vorgang, auf Grund deſſen die Klage er⸗
hoben wurde, einerlei, ob er in der Klage voll⸗
ſtaͤndig und getreu oder mehr oder minder
unvollkommen, von dem wirklichen Sachverhalte
abweichend, tatſächlich ſubſtantiiert iſt. Vgl. Löwe⸗
Hellweg, Kommentar zu § 263 StPO. Bem. 2;
Berner, Der Grundſatz des ne bis in idem im
Strafprozeß S. 51; Lang, Rechtshängigkeit im
Strafverfahren (1910) S. 42. Da ſehr häufig
erſt im weiteren Verlauf des Prozeſſes, insbeſondere
in der Hauptverhandlung, das wahre Tatbild zu:
tage tritt, ſo wäre ja auch der Kläger vielfach
gar nicht imſtande, ſchon in der Klage die wirt:
liche Tatgeſtaltung in allen Punkten getreu wieder:
zugeben. Die Identität der Tat in dieſem Sinne,
d. h. die Einheit des individuellen geſchichtlichen
Faktums, iſt für Rechtshängigkeits- und Rechts⸗
Zu dieſem Zwecke
\
5
kraftswirkung entſcheidend. Vgl. Ullmann, Lehr:
buch des Strafprozeſſes S. 492, 629; v. Kries,
Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 568, 599; Bennecke⸗
Beling, Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 412 f.;
Lang, Rechtshängigkeit S. 64. Es dürfen nicht
mehrere Prozeſſe über dieſe eine Tat nebeneinander
herlaufen. Es kann nicht über dieſelbe mehrfach
rechtskräftig entſchieden werden. Die Strafklage
aus dieſer Tat iſt unteilbar. Das Inſtitut des
Teilurteils iſt dem Strafprozeß völlig fremd.
Das Strafurteil erkennt immer über dieſe in
der Klage bezeichnete Tat im Ganzen, nicht nur
über beſtimmte Tatbeſtandteile, nicht nur über
beſtimmte in der Tat etwa enthaltene Verbrechens⸗
formen. Die Entſcheidung ergreift die Tat unter
den Geſichtspunkten des Vorſatzes, der Fahrläſſig⸗
keit, der Vollendung, des Verſuchs, der Täterſchaft,
Anſtiftung, Beihilfe, der Idealkonkurrenz, der
Deliktsfortſetzung uſw. Erneuerung der Klage iſt
in keiner dieſer Richtungen möglich. Ging die
Klage auf vollendetes Delikt und der Angeklagte
wurde freigeſprochen, ſo kann nicht wegen Verſuchs
neu geklagt werden uſw. Vielmehr hätte bei An⸗
nahme des Verſuchs aus dieſem Grunde verurteilt
werden müſſen. Hat das Urteil Deliktseinheit
angenommen, ſo iſt nicht Neuklage zuläſſig, um
ſtatt jener Idealkonkurrenz zur Feſtſtellung zu
bringen; Bennede-Beling S. 413.
Demgemäß bedeutet die Freiſprechung, daß
aus dem Klagfundament, dem in der Klage be⸗
zeichneten geſchichtlichen Vorgang, ein irgendwelcher
Strafanſpruch nicht erwachſen ſei, die Verurteilung,
daß nur der feſtgeſtellte Strafanſpruch beſtehe.
Für dieſe Wirkung des rechtskräftigen Urteils
begründet es keinen Unterſchied, ob der Richter
alle einzelnen Momente der Tat und unter allen
in Betracht kommenden rechtlichen Geſichtspunkten
wirklich gewürdigt hat oder nicht, ob er nach dem
Verhandlungsergebnis zu dieſer erſchöpfenden Be⸗
urteilung überhaupt in der Lage war oder be⸗
ſtimmte rechtserhebliche Seiten der Klagtat nicht
zu ſeiner Kognition gekommen ſind. Vgl. RG.
3. StrSEntſch. Bd. 9 S. 347: „Die rechtskräftige
Verurteilung umfaßt die Tat in ihrer Geſamtheit,
in allen ihren rechtlichen und tatſächlichen Er—
ſcheinungsformen, gleichviel ob ſie im Urteile
berückſichtigt ſind oder nicht, und welches der
Grund iſt, aus welchem letzteren Falles ihre Be—
rückſichtigung unterblieben iſt.“ Es kann insbeſondere
nicht eine Nachklage erhoben werden, um beſtimmte
in der Verhandlung nicht zum Vorſchein gekommene,
im Urteil nicht gewürdigte Tatumſtände, die ge:
eignet wären, einen Strafanſpruch zu ſtützen, zur
nachträglichen Aburteilung zu bringen. Bennecke—
Beling S. 413. Erſtreckte ſich ein Delikt, z. B.
ein Diebſtahl, in Wahrheit auf weitere Gegen—
ſtände, als nach der Verhandlung anzunehmen
war, ſo bewendet es doch bei der einmal rechts—
kräftig gewordenen Verurteilung. Freiſprechung,
ohne daß für ein ergänzendes, berichtigendes Nach—
Zeitſchrift ine Rechtspflege in Bayern. l Ir 1.
tragsurteil Raum wäre. Demgemäß ſchließt insbeſondere mit Verurteilung wegen fortgeſetzter
Verurteilung wegen Defraudation aus, den Täter Defraude alle vor dem Urteil liegenden, in der
noch zuſätzlich im Hinblick auf weitere, in der nämlichen Handlungsreihe mitbefaßten Defrau—
einen einheitlichen Tat mitbegriffene Defraudations- dationsakte erledigt, auch wenn fie in der Ber:
akte zu verurteilen. Zu demſelben 1 führt handlung nicht zum Vorſchein gekommen waren.
auch die materiellrechtliche Erwägung, daß für ein Können ſomit wegen einer einheitlichen Straf⸗
ſolches Zuſatzurteil geſetzentſprechende Strafbeſtim⸗ tat — mit ne e u ER
mung unmöglich wäre, indem das StGB. in den zwei Strafurteile neben einander beſtehen, fo ergibt
88 74 f. Mehrheit der Strafen und Nachtrags⸗ ſich ſchon wegen der Anfechtbarkeit durch Antrag
urteile nur bei realer Konkurrenz, nie bei Delikts: auf gerichtliche Entſcheidung ohne weiteres auch die
einheit anerkennt. gleiche Konkurrenz zweier Strafbeſcheide als unzu⸗
Mag unvollſtändige Aburteilung eines delik- läſſig. Jeder Strafbeſcheid gibt Urteilsanwart⸗
tiſchen Vorgangs auch im Einzelfalle bedauerlich ſchaft und iſt durch Urteil erſetzbar. Wie ſollte
ſein, ſo läge doch in der Verletzung des ne bis das Geſetz den Verwaltungsbehörden die Befugnis
in idem das weit größere Uebel. Vgl. RG. zu mehrfachen, konkurrierenden Entſcheidungen
3. Str SEntſch. Bd. 9 S. 348: „Daß dabei tat: betreffs desſelben Tatbeſtandes gegeben haben,
ſaͤchlich Einzelakte ſtraflos bleiben können, welche, während fie den Gerichten, deren Urteile doch auf
waren ſie bei Erteilung des Strafurteils bekannt Verlangen den Beſcheiden ſubſtituierbar ſind, fehlte?
geweſen, bei der Strafabmeſſung zu Ungunſten Das völlig Widerſprechende ſolcher Annahme liegt
des Angeklagten Einfluß geäußert haben würden, auf der Hand. Es gibt wie nicht Teil-Straf⸗
iſt nicht zu bezweifeln, kann aber gegenüber dem urteile, jo nicht Teil⸗Strafbeſcheide.
Grundſatz, daß wegen einer bereits rechtskräftig Die Strafbeſcheide (und Strafverfügungen) find
abgeurteilten Tat eine nochmalige Strafverurteilung wie die FR au en
ſchlechterdings unterbleiben ſoll, nicht in Betracht auf Grund einer mehr oder minder ſummariſchen,
gelangen.“ Höhere rechtspolitiſche Rückſichten, jedenfalls dem ordentlichen Verfahrensgange gegen:
die Erlangung definitiver Rechtsgewißheit durch über vereinfachten Vorprüfung. Daher der zunächſt
Abſchneidung weiterer Prozeſſe über denſelben proviſoriſche Charakter der Entſcheidung, die erſt
Gegenſtand, die Erhaltung der Einheit und des durch Nichtgebrauch der geſetzlichen Anfehtungs:
Anſehens der Strafjuſtiz, ſtehen dem Verſuche mittel definitive Bedeutung erlangt. Das Straf—
5 Korrektur rechtskräftig gewordenen Urteils beſcheids⸗ (und Strafverfügungs⸗) Verfahren hat
m Wege. wegen des Fortbeſtehens landesgeſetzlicher Zuftändig:
Es iſt die Pflicht der Strafbehörden, die in: keit ($ 6 Abi. 2 Ziff. 3 EG. zu SIPO.) in der
kriminierte Tat nach beſten Kräften allſeitig zu St. nicht die gleiche abſchließende Regelung
erforſchen. Die Unterſuchung und Entſcheidung | erfahren wie das Strafbefehlsverfahren. Bei der
erſtreckt ſich nur auf die in der Klage bezeichnete gleichwertigen Bedeutung beider Entſcheidungs⸗
Tat, $ 153 StPO., auf dieſe aber auch ganz | arten aber kann die Analogie des Strafbefehls
und ungeteilt. Sit aber die Kognition — ver: zur Ergänzung von Lücken in der Normierung
meidlicher oder unvermeidlicher Weiſe — unvoll: des Strafbeſcheidsverfahrens dienen. So iſt ins—
ſtändig geblieben, ſo liegt doch in dem rechtskräftig | beſondere der wichtige Grundſatz des $ 450 StPO.:
gewordenen Urteil das definitive Prozeßergebnis. „Ein Strafbefehl, gegen welchen nicht rechtzeitig
an dem nicht mehr zu rütteln iſt. | Einſpruch erhoben worden iſt, 1 Wirkung
m Falle des fortgeſetzten Delikts ergreift die eines rechtskräftigen Urteils auf Strafbeſcheide
. des Urteil on dem Urteil N (und Strafverfügungen) zu übertragen, ſoweit nicht
Einzelakte, auch wenn ſie in der Verhandlung etwa landesgeſetzliche Beſtimmung entgegenſteht.
n 9 iat; : Uebereinſtimmend Löwe-Hellweg zu Buch II Ab:
nicht berührt wurden. Vgl. Lang, Rechtshängigkeit it 1 S 8 29 5 gr
im Strafverfahren S. 60; Bennecke-Beling S. 413, ſchnit 1 . gl. auch v. Kries,
414. Dem Rechtskraftsprinzip entipricht es, dies Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 597.
gleichmäßig für Verurteilung und Freiſprechung Die Theorie nimmt ganz überwiegend an, daß
gelten zu laſſen. In der erſteren Hinſicht iſt auch durch den Erlaß eines — mit Einſpruch
dieſe Wirkung von der konſtanten Rechtſprechung nicht angefochtenen — Strafbefehls die Straf—
des Reichsgerichts auch anerkannt, während für klage konſumiert werde und daher wegen der:
den Fall der Freiſprechung das Reichsgericht in- ſelben Tat weder ein weiterer Strafbefehl, noch
ſofern diſſentiert, als Neuklage zugelaſſen wird ein Urteil mehr ergehen könne. Vgl. beſonders
im Hinblick auf Fälle, die von der Verhandlung v. Kries Lehrbuch des Strafprozeſſes S. 596 f.;
nicht umfaßt waren lentſprechend 2. StrSEntſch. Berner, Grundſatz des ne bis in idem S. 46f.;
Bd. 24 S. 419 f.). Das Urteil ſelbſt ergibt Friedländer in der Zeitſchrift f. d. geſamte Straf—
eine juriſtiſche Zaͤſur, jo daß nachher noch hinzu- rechtswiſſenſchaft Bd. 18 S. 690 f. Auch iſt nicht
tretende Tatakte unter dem Geſichtspunkte neuen zu leugnen, daß dieſe Urteilswirkung des Straf—
Delikts eine neue Klage begründen. Hiernach ſind befehles in dem allgemeinen Wortlaute des § 450
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. 7
mit enthalten iſt, während es für eine einſchrän⸗ betr. das Verwaltungsſtrafverfahren bei Zuwider⸗
kende Auslegung am geſetzlichen Anhalte fehlt und handlungen gegen die Zollgeſetze ausdrücklich und
innere Gründe ihr nicht zur Seite, ſondern ent⸗ unzweideutig die volle Rechtskraſtswirkung aner⸗
gegen ſtehen. Ueberall ſonſt verbindet ſich in der kannt: „Ein vollſtreckbarer Strafbeſcheid oder
StPO. mit der Vollſtreckbarkeit gerichtlichen Ent: Beſchwerdebeſcheid hat die Wirkung eines rechts⸗
ſcheids der Schutz des Betroffenen gegen aber⸗ kräftigen Urteils, insbeſondere findet wegen der⸗
malige Verfolgung wegen derſelben Tat. Es kann ſelben Tat eine fernere Anſchuldigung nicht ſtatt,
beim Strafbefehl nicht anders ſein. Allerdings wenn nicht die Tat eine ſtrafbare Handlung dar—
hat das Reichsgericht den Verbrauch der Straf: ſtellt, zu deren Beſtrafung die Verwaltungsbehörden
klage inſofern verneint, als eine neue Verfolgung nicht zuſtändig find“. Alſo nicht einmal die Ein:
durch öffentliche Klage unter einem im Straf: ſchränkung iſt akzepiert, die das Reichsgericht der
befehl noch nicht gewürdigten, eine erhöhte Straf- Rechtskraftwirkung des Strafbefehls gegeben hat!
barkeit begründenden Geſichtspunkte zugelaſſen Auch unter dem Geſichtspunkte erhöhter Straf:
werden müſſe; 4. StrSEntſch. Bd. 14 S. 358, barkeit wird — und mit vollem Rechte — neue
1. StrSEntſch. Bd. 28 S. 83. Doch iſt der Verfolgung an ſich ausgeſchloſſen, es müßte denn
maßgebende Grund, daß der den Strafbefehl er⸗ das adminiſtrative Strafverfahren unzuläſſig
laſſende Richter nicht in der Lage ſei, die Tat, geweſen ſein. Die hinzugefügte Ausnahme iſt im
wie es nach $ 263 in der Hauptverhandlung zu Grunde ſelbſtverſtändlich. Denn mit der ſachlichen
geſchehen habe, nach allen Richtungen hin zu Zuſtändigkeit fehlt den Verwaltungsbehörden die
prüfen, ſchon deshalb nicht beweiskräftig, da die Vollmacht zum Erlaſſe von Strafbeſcheiden. Ein
StPO. ſelbſt in den $8 172, 210 erkennen läßt, ohne Vollmacht ergangener Strafbeſcheid aber kann
daß die Rechtskraſtswirkung eines Entſcheids mit der geſetzmäßigen Strafverfolgung gegen den Täter
dem nn vorgängiger Bee nicht im Wege ftehen.
nicht notwendig zuſammenhängt (vgl. auch 5 452 Es hat denn auch unter ganz analogen recht:
StPO., wo die Verhandlung nur in der Ein lichen Vorausſetzungen — im Hinblick auf Straf:
ſpruchsverwerfung beſteht und das verwerfende beſtimmungen des Schaumweinſteuergeſetzes vom
Urteil doch zweifellos die volle Rechtskraftswirkung 9. Mai 1902 — das Reichsgericht 4. StS. Entſch.
erlangt). Die Einſchränkung bringt eine Wert: Bd. 37 S. 427 ausgeſprochen, daß der im geord—
minderung des Strafbefehlsverfahrens mit ſich, neten Verwaltungsverfahren ergangene rechtskräftige
das nun feine Junktion, unter Vermeidung des Strajbeſcheid des Hauptzollamts in feiner prozeſ⸗
lungſamen Prozeßwegs die Strafſache zu baldigem ſualen den Strafanſpruch des Staates tilgenden
A u au oe ne Wirkung einem gerichtlichen Strafurteil gleichſtehe.
ELLE One neo, DIEBE SO IN ra Daß ein bei der höchſten Verwaltungsſpitze
beftimmte Strafe dem Zäter auf die neu erkannte mit Beſchwerde angefochtener, von jener beſtätigter
Strafe angerechnet werden, eine Operation. die f
im einzelnen mangels aller geſetzlichen Beſtim⸗ = 1 0 1 ſch 1
mungen zu nicht überwindlichen Schwierigkeiten ſcheinlich. Die Ni ter Abu Der dende ber
führte. Doch iſt weitere Kritik überflüſſig, i 9 ’
denn auch das Reichsgericht hat einen zweiten Verzicht auf Nachprüfung kann aber im Hinblick
Strafbefehl wegen derſelben Tat niemals für zu: auf die Konſumtion der Strafklage nicht anders
läſſig erklärt und einem berichtigenden Urteil eden wirken als die erfolgte Nachprüfung.
nur Raum gegeben, um höhere als die im Straf— Dieſe Erwägungen auf den vorliegenden Tat—
befehl angenommene Strafbarkeit der Tat zur beſtand angewandt, ergeben, daß der zweite Straf—
Geltung zu bringen. Daß nicht ein neuer Strafbefehl beſcheid vom 7. Mai 1910 rechtlich unzuläſſig
oder ein Urteil den Strafbefehl durch Feſtſtellung war, wie auch ein Urteil in gleichem Sinne nicht
weiterer, erhöhte geſetzliche Strafbarkeit nicht er⸗ hätte ergehen können. Denn dieſer Beſcheid bezieht
gebender Objekte oder Akte der einen einheitlichen ſich auf Tatakte einer in vollſter Bedeutung oder
Tat ergänzen kann, darüber herrſcht in Theorie doch im Sinne fortgeſetzten Delikts einheitlichen De—
und Praxis volle Uebereinſtimmung. Dieſe Un: fraudation, die dem Erlaſſe des erſten Strafbeſcheids
zuläſſigkeit gilt in gleichen Maße auch dann, vorangegangen waren. Die Pflicht des Angeſchul—
wenn die weiter anzunehmenden, dem Strafbefehl digten ging einheitlich dahin, alle nachzollpflichtigen
vorangegangenen Tatakte ſich mit den in ihm Kaffeevorräte, mochten ſie am 1. Auguſt 1909
feſtgeſtellten zu fortgeſetztem Delikt — zu dieſer bereits in ſeinem Beſitze geweſen ſein oder nicht,
beſondern Form der Deliktseinheit — verbinden zur Nachverzollung zu bringen in Wahrung der
würden. in der Nachverzollungsordnung enthaltenen Friſt—
Ganz die gleiche Konſumtionskraft eignet dem beſtimmungen. Die Verletzung dieſer Pflicht lag
Strafbeſcheid, es müßte denn etwa das Landes- nach den tatſächlichen Annahmen der Strafbeſcheide
recht abweichend beſtimmt haben. Das iſt in in der unvollſtändigen Deklaration vom 5. Auguſt
Preußen nicht nur nicht geſchehen, vielmehr iſt | und in der Unterlaſſung ihrer alsbaldigen
im $ 53 des preuß. Geſ. vom 26. Juli 1897 Ergänzung im Hinblick auf die erſt nach dem
—— — —
8 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
dem — — — —
1. Auguſt in den Beſitz des Angeſchuldigten
gelangten Vorräte. Die dem Strafbeſcheide vom
15. November 1909 vorhergehende Unterſuchung
bezog ſich auf alle etwaigen Lücken der Deklaration
und damit auf die etwa verübte Defraudation in
ihrem vollen Umfange, nicht konnte ſie die beſchränkte
Aufgabe haben, lediglich beſtimmte einzelne Seiten
des Tatbeſtandes zu erforſchen. Die ganze Struktur
des Verfahrens im preuß. Geſetze vom 26. Juli
1897 läßt nicht den geringſten Zweifel darüber,
daß die Unterſuchung den Tatbeſtand im ganzen,
den geſamten erheblichen Sachverhalt (vgl. 8 24
Abſ. 2 und 3 des Geſetzes) feſtzuſtellen beſtimmt
iſt und daß der Unterſchied von einer Unterſuchung
durch die Staatsanwaltſchaft oder das Gericht
nicht in Beſchränkungen des Feſtſtellungsgegen⸗
ſtandes, ſondern lediglich in der abgekürzten, mehr
ſummariſchen Art der Prüfung liegt. Die gleiche
Tragweite, wie der Unterſuchung, kommt dem
Strafbeſcheide ſelbſt zu, er war beſtimmt und konnte
nur beſtimmt ſein, das Defraudationsdelikt im
ganzen, nicht nur betreffs einzelner Defraudations⸗
objekte oder Defraudationsakte, zu treffen. Vgl.
dazu auch die zit. Entſch. des RG. Bd. 37 S. 428.
Ließ die Unterſuchung Lücken und blieb demgemäß
der Strafbeſcheid materiell unvollſtändig, ſo muß
dieſer Mangel in Anerkennung und Wahrung
des Rechtskraftsprinzips eben hingenommen werden,
genau ſo wie es im eigentlichen Strafverfahren
der Fall wäre, und kann zu einem ergänzenden
Strafbeſcheid jo wenig Anlaß geben, als ein ent:
ſprechendes Urteil noch erwirkt werden könnte.
Selbſtverſtändlich behält der Fiskus bis zum Ab⸗
laufe der bezüglichen Verjährungsfriſt (8 164 Abſ. 2
Ver3G.) den Anſpruch auf den weiter zu ent⸗
richtenden Nachzoll; Geldſtrafe aber und Einziehung
wegen ferner anzunehmender Defraudationsakte
fallen weg. Mag auch vom fiskaliſchen Stand⸗
punkte aus dieſes Ergebnis bedauert werden, ſo
bleibt doch zu bedenken, daß dem Rechtskraftsprinzip
unter Umſtänden noch weit wichtigere Intereſſen
zum Opfer fallen, daß aus dieſem Grunde vielleicht
ſchwere Delikte gegen die Perſon, gegen den Staat
ꝛc. x. keine oder nur ungenügende Sühnung
erfahren. Die Aufſtellung des Prinzips iſt eben
das Ergebnis einer Intereſſen⸗Abwägung. Der
Geſetzgeber hat zur Erhaltung der Rechtsſicherheit
und des Anſehens der Strafentſcheidungen die
mögliche Verletzung anderer an ſich voll bedeut⸗
ſamer Intereſſen bewußt in Kauf genommen.
Der Umſtand, daß die Strafhöhe von der
Quantität des Objekts, in bezug auf welche die
Hinterziehung begangen iſt, abhängt — 8 135
Ver 3G. —, iſt außerſtande, eine Abweichung
von dem Grundſatze ne bis in idem inſoweit zu
begründen, als es ſich um eine noch nicht zum
Gegenſtand der Aburteilung gemachte Quantität
handelt. „Iſt eine Tat rechtskräftig abgeurteilt,
ſo kann die Tatſache, daß ſich danach herausſtellt,
ſie habe ein größeres Objekt gehabt, als bei der
Aburteilung angenommen wurde, und daß bei
Kenntnis des Richters hiervon eine höhere Strafe
zu verhängen geweſen wäre, keinen Grund bilden,
eine abermalige Aburteilung derſelben zu ermög⸗
lichen“; ſo RG. a. a. O. Bd. 37 S. 429.
Hätte der Angeſchuldigte den zweiten Straf⸗
beſcheid mit Antrag auf gerichtliche Entſcheidung
angefochten, ſo wäre damit ein Anſpruch nicht
auf Aufhebung des Strafbeſcheids, vielmehr auf
Verhandlung und Entſcheidung betreffs der in
ihm bezeichneten Tat geltend gemacht worden. Nur
in dem Falle des 8 458 StBO. ſteht dem Richter
die Aufhebung einer Strafverfügung zu, während
von Aufhebung eines Strafbeſcheides im Geſetze
überhaupt nicht die Rede iſt. Vgl. Oetker, Straf⸗
prozeßbegründung und Strafklagerhebung (1900)
S. 54, 55. Aber nachdem die Verhandlung die
Verletzung des ne bis in idem durch den Erlaß
des zweiten Strafbeſcheides ergeben hätte, wäre
unter Deklarierung der Ungültigkeit dieſes Beſcheids
das Einſtellungsurteil wegen Unzuläſſigkeit eines
weiteren Strafverfahrens zu erlaſſen geweſen.
Das im Geſetze zur Wahl geſtellte anderweite
Anfechtungsmittel, die vom Angeſchuldigten er⸗
griffene Beſchwerde, äußert inſofern ganz gleiche
Wirkung, als ſie die höhere Inſtanz zur Prüfung
der Rechtsgültigkeit des zweiten Strafbeſcheidsver⸗
fahrens, wie ein Gericht, legitimiert und verpflichtet.
Es hat nur dieſe Inſtanz in ihrem Rechte, die
verwirkte Strafe aus Billigkeitsrückſichten zu er⸗
mäßigen oder nachzulaſſen (Preußiſcher Allerhöchſter
Erlaß vom 26. September 1897) — eine Be⸗
fugnis, zu deren Gebrauch auch erhebliche, wenn
auch nicht für ausſchlaggebend erachtete Zweifel
an der rechtlichen Zulaͤſſigkeit der Beſtrafung
legitimieren würden —, eine viel weitergehende
Vollmacht als der Richter, aber ſie übt als rechts⸗
anwendende Behörde auch deſſen Vollmacht aus
mit allen daraus ſich ergebenden Rechten und
Pflichten. Selbſt an die Rechtsnormen des Ver⸗
fahrens gebunden, hat ſie auch zu prüfen, ob dieſe
im Verfahren der unteren Inſtanz beobachtet
worden ſind, ob nicht insbeſondere der angefochtene
Strafbeſcheid auf einer Verletzung des § 53 des
preuß. Geſetzes vom 26. Juli 1897 beruht. Poten⸗
ziert iſt ihre Stellung dem Richter gegenüber
wieder inſofern, als ſie vorgeſetzte Behörde iſt
gegenüber dem Urheber des Strafbeſcheids und
daher wie zur Beitätigung und Berichtigung, ſo
auch zur Aufhebung des letzteren in der Lage iſt.
Die Verletzung des ne bis in idem durch den
Erlaß des zweiten auf ſchon rechtskräftig. — in
gleicher Form — erledigte Tat bezüglichen Straf:
beſcheids begründet daher deſſen Aufhebung.
gie bean von Amortiſationshypo⸗
theken einer Nun rt in Anrerhuung
auf den Kaufpreis.
Von Juſtizrat Dr. Oberned,
Rechtsanwalt und Notar in Berlin.
Dem Praktiker begegnen ſehr häufig Grund⸗
ſtückskaufverträge, in denen der Käufer in An:
rechnung auf den Kaufpreis auf dem Grundſtücke
Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. Dil, Nr. 1. 9
der Eigentümer nicht gewechſelt hat, jo iſt in
Höhe dieſer Summe die Hypothek als Eigentümer⸗
grundſchuld auf den Eigentümer übergegangen.
Dieſe hat jedoch die Rangſtellung hinter der Reſt⸗
hypothek der Hypothekenbank ($ 1176 BGB).
Hierbei iſt aber wohl zu beachten, daß der $ 1177
Abſ. 1 Satz 2 BGB., wonach in Anſehung der
ruhende Hypotheken einer Hypothekenbank als
Selbſtſchuldner übernimmt. Meiſt ſind dieſe
Hypotheken Amortiſationshypotheken, d. h. ſolche,
bei denen die planmäßige Tilgung durch Tilgungs⸗
beiträge in Form von Zuſchüſſen zu den Zinſen
entrichtet werden und zwar ſind dieſe ohne Rück⸗
ſicht auf die allmähliche Amortiſation unverkürzt
von der urſprünglichen Kapitalſumme bis zu ihrer
vollſtändigen Tilgung zu entrichten. Wenn bei⸗
ſpielsweiſe ein Tilgungsdarlehen von 90 000 M
gegeben und ee wird, daß für die erſten
2 Jahre 4% z. B. vom 1. Juli 1911 bis
1 e 1912 und für die Zeit vom 1. Ja⸗
Verzinslichkeit, des Zinsſatzes, der Zahlungszeit,
der Kündigung und des Zahlungsortes die für
die Forderung getroffenen Beſtimmungen maß⸗
gebend find, nicht ohne weiteres anwendbar iſt.
Was die Verzinslichkeit betrifft, ſo ſind die Zinſen
bei derartigen Amortiſationshypotheken, wie bereits
oben dargelegt iſt, bis zur Beendigung der Til⸗
gungsperiode ohne Rückſicht auf die ſtattfindende
Amortiſation von dem urſprünglichen Nominal⸗
kapital in voller Höhe zu zahlen, ſo daß dieſe
Jahreszahlungen ſich bis zur vollſtändigen Kapitals⸗
tilgung immer gleich bleiben und an die Hypo⸗
nuar 1912 4½¼ %, letztere in der Weile au zahlen
find, daß von dieſer Jahreszahlung // des
Kapitals als Amortiſationsquote und 3% % als
Kapitalszinſen zu entrichten find, Jo würden dieſe
Jahreszahlungen in der Weiſe verrechnet werden,
daß das Kapital durch die Amortiſationsquote von
„% zunuglic der erſparten Zinſen in 58/
Jahren vom 1. Januar 1912 ab gerechnet amor⸗
tiſiert würde, wobei auf das letzte halbe Jahr
nicht mehr die volle Geſamtrate entfällt. Der
Stand des Amortiſationskontos läßt ſich in fol⸗
gender Weiſe berechnen:
Darlehenskapital M 90 000. —
Zinſen 3¾% . 1 3375.—
Amortiſation % 1 450.—
a M 3825.—
a a; 3 4 | a
am | Amortis | Erfparte || Summe Amortiſiert
31. De⸗J ſatlon | Zinſen [von 2 u. 3 ne ſind
1 rar e
1912 | 450 - — — 450 —89 550 — 450 —
1913 | 450 — 16 90 u u aße 083 u 916 90
1921 450 | — 176 | ee 7034 6595 5340 50
Eine 88 1 die Gläubigerin iſt
bei einer ſolchen Tilgungshypothek in der Regel
ausgeſchloſſen (vgl. $ 19 des Hyp BG. vom 13. Juli
1899).
Geſetzes eine Eigentümergrundſchuld zugunſten
des zahlenden Eigentümers (vgl. darüber Oberneck,
Grundbuchrecht, 4. Auflage II 244). Nach dem
obigen Beiſpiele würde vom 1. Januar 1912 bis
31. Dezember 1921 der Betrag von 5340 M 50 Pf.
amortiſiert ſein, und wenn innerhalb dieſer Zeit
Durch die Zahlung der Amortiſations-
beiträge entſteht in Höhe des getilgten Teiles kraft,
i
Ä
thekenbank als urſprüngliche Gläubigerin zu zahlen
ſind. Daraus folgt, daß die aus den Tilgungs⸗
beiträgen entſtandene Eigentümergrundſchuld un⸗
verzinslich iſt. Hinſichtlich der Kündigungs⸗
bedingungen und der Zahlungszeit können die
für die Forderungen getroffenen Beſtimmungen
ebenfalls nicht entſcheiden, da bei den Amorti⸗
ſationshypotheken zugunſten der Hypothekenbank
ein Kündigungsrecht in der Regel nicht bedungen
5 darf ($ 19 HypBG.). Die Amortiſations⸗
| Enbotbet iſt alſo für die Bank unkündbar,
während dem Schuldner gemäß 88 18, 21
Hyp BG. ein Kündigungsrecht zuſteht, das jedoch
bis zu einem Zeitraum von 10 Jahren, beginnend
mit der Auszahlung des Darlehns und im Falle
der Auszahlung in Teilen mit der letzten Zahlung
ausgeſchloſſen werden kann; auch darf die Kündi⸗
gungsfriſt 9 Monate nicht überſchreiten. Ferner
kann das Recht des Schuldners nach § 21 a. a. O.
zur teilweiſen Rückzahlung der Hypothek bei Amorti⸗
ſatkionshypotheken in der Weiſe beſchränkt werden,
daß eine Zahlung — abgeſehen von der Aus⸗
nahme in Satz 2 des § 21 a. a. O. — von der
Bank nur angenommen zu werden braucht, wenn
die Zahlung dazu beſtimmt und geeignet iſt, die
Tilgungszeit unter Beibehaltung der bisherigen
Höhe der Jahresleiſtungen um ein Jahr oder nm
mehrere Jahre abzukürzen. Alle dieſe Beſtim⸗
mungen über die Kündigung paſſen daher nicht
für die aus den Tilgungsbeiträgen entſtandenen
Eigentümergrundſchulden, weil ſie in unmittel⸗
barem Zuſammenhange mit dem bei der Begrün⸗
dung der Amortiſationshypothek aufgeſtellten Til⸗
gungsplan ſtehen und durch dieſen bedingt find.
Aus dieſem Grunde kann auch nicht davon die
Rede ſein. daß die Eigentümergrundſchuld etwa
erſt mit Ablauf der Tilgungsperiode, alſo in dem
obigen Beiſpiel erſt 1970 getilgt zu werden
braucht. Dieſe Art der allmaͤhlichen Tilgung bei
Amortiſationskapitalien paßt auf das zur Eigen—
tümergrundſchuld gewordene Teilkapital ſchon des:
10
halb nicht, weil dieſes bereits amortifiert iſt und
für die Tilgung dieſer Eigentümergrundſchuld
Tilgungsbeiträge nicht vorhanden find, da dieſe
zur Tilgung der noch übrigen Amortiſations⸗
hypothek dienen. Auch die Vereinbarung über
den Zahlungsort der zu amortiſierenden Dar⸗
lehnsforderung paßt nicht für die daraus ent⸗
ſtandene Eigentümergrundſchuld, weil die auf die
Amortiſationshypothek zu leiſtenden Zahlungen in
der Regel an der Kaſſe der Hypothekenbank oder
an der von dieſer bekannt zu machenden Stelle er⸗
folgen. Es iſt natürlich ausgeſchloſſen, daß
die Kaſſe für den Eigentümer, der einen Teil
der Hypothek als Eigentümergrundſchuld erworben
hat, und durch Verkauf ſeines Grundſtücks nun:
mehr Grundſchuldglaͤubiger geworden iſt, Zahlungen
auf dieſe Grundſchuld für ihn in Empfang
nimmt.
Aus dieſer Darlegung ergibt ſich, daß die aus
dem amortiſierten Kapital entſtandene Eigentümer⸗
grundſchuld im Augenblick ihrer Verwandlung in
belaſteten Grundſtücks nur den Vorſchriften der
83 1191 ff. BGB. unterliegt.
dem Kaufvertrage über die Verzinſung der Eigen:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
|
|
|
.
|
Nr. 1.
unter den im nachfolgenden § näher bezeich⸗
neten Bedingungen Hypothek beſtellt.
Es findet ſich dann noch vielfach eine Vertrags⸗
beſtimmung, wonach die Beteiligten darüber einig
ſind, daß, ſoweit die übernommene Hypothek
amortiſiert iſt, der bei der Gläubigerin angeſammelte
Amortiſationsfond dem Verkäufer verbleibt und
gebührt. Eine ſolche Vereinbarung iſt jedoch zur
Klarſtellung und Regelung der Rechtsverhältniſſe
zwiſchen Verkäuſer und Käufer in keiner Weiſe
ausreichend. Die Beſtimmung, daß der bei der
Gläubigerin angeſammelte Amortiſationsſond dem
Verkäufer verbleibt, trifft nicht den Kern der
Sache, weil ein ſolcher Amortiſationsfond bei
Privathypothekenbanken rechtlich gar nicht beſteht,
vielmehr, ſoweit die Hypothek amortiſiert iſt, in
Höhe der zur Tilgung verwendeten Beiträge un⸗
mittelbar mit dieſer Verwendung kraft Geſetzes
eine Eigentümergrundſchuld entſtanden iſt. Die
getroffene Beſtimmung über den angeblich ange⸗
. ſammelten Amortiſationsfond würde zunächſt nur
eine Glaubigergrundſchuld durch Verkauf des die Auffaſſung zulaſſen, daß in Höhe dieſes Bes
trages eine Grundſchuld für den Eigentümer ent⸗
Iſt daher in ſtanden iſt, es ſei denn, daß aus beſonderen
Tatſachen nachweisbar eine andere Auslegung
tümergrundſchuld, über deren Kündigung und Platz greifen könnte (ſiehe darüber unten S. 11).
Verfallzeit nichts vorgeſehen, jo treten die geſetz: Die weitere Beſtimmung, daß die für die Hypo⸗
lichen Beſtimmungen ein. Mangels einer bejon: thekenbank eingetragene Hypothek in voller Höhe
deren Vereinbarung iſt die Grundſchuld zinslos
und das Kapital wird erſt nach vorhergehender
Kündigung fällig, die ſowohl dem Eigentümer
als dem Glaͤubiger zuſteht unter Innehaltung
einer Kündigungsfriſt von 6 Monaten (88 1192,
1193 BGB.); Zahlungsort iſt der Sitz des
Grundbuchamts ($ 1194 BGB.; vgl. hierüber
auch die Entſcheidung des KG. vom 2. Oktober 1908
in den Blättern ſür Rechtspflege im Bezirk des
Kammergerichts 1909 S. 26, 27; die in dieſem
Urteil herangezogene Entſch. RG. 64, 215 paßt
allerdings für den dortigen Tatbeſtand nicht).
Vergegenwärtigt man ſich dieſen Charakter
des vom Eigentümer amortiſierten Teiles der
Tilgungshypothek als Grundſchuld, ſo ſind bei
Abfaſſung des Kaufvertrages über das mit einer
ſolchen Amortiſationshypothek belaſtete Grundſtück
Beſtimmungen zu treffen, die nach meiner Er:
fahrung häufig nicht beobachtet werden, was dann
zu verwickelten Prozeſſen führt.
In derartigen Kaufverträgen fand ich z. B. fol:
gende Form über die Berichtigung des Kaufpreiſes:
|
|
in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen
werden ſoll, iſt ebenfalls irreführend, weil eine
ſolche Hypothek in Höhe der urſprünglich einge⸗
tragenen Schuldſumme für die Hypothekenbank
gar nicht mehr beſteht, die Belaſtung vielmehr geteilt
iſt in eine Hypothek zugunſten der Bank in Höhe eines
Betrages, der ſich unter Abzug des bereits amorti⸗
ſierten Teiles von dem Nominalbetrag ergibt,
und in eine Eigentümergrundſchuld in Höhe des
getilgten Teiles. Nach dem obigen Beiſpiel würde
die Amortiſationshypothek nur noch im Betrage
von 84 650.50 M beſtehen, dagegen der Reſt
mit 5340.50 M eine Eigentümergrundſchuld ge:
worden ſein und zwar eine unverzinsliche, die den
allgemeinen Regeln der $$ 1192 ff. BGB. unter:
worfen iſt, während für die 84 650.50 M Amor:
tiſationshypothek die urſprünglichen Zins- und
Zahlungsbedingungen aufrecht erhalten werden.
Die Uebernahme der Amortiſationshypothek in
voller Höhe in Anrechnung auf den Kaufpreis iſt
b) Verkäufer erhält bei Auflaſſung Zug um
Zug bar
c) Käufer übernimmt in Anrechnung auf den
Kaufpreis die zugunſten der Hypothekenbank
auf dem Grundſtück haftende Hypothek von ...
d) Das Reſtkaufgeld von wird geſtundet
und für dieſes mit dem erkauften Grundſtück
282 2 9906 e „
ſchulden, weil dieſe
inſoweit ungültig, als darin auch die Uebernahme
der Eigentümergrundſchuld enthalten iſt, denn der
$ 416 BGB. findet nur Anwendung auf die Ueber—
nahme einer Schuld, für die eine wirkliche Hypothek
beſtellt iſt, dagegen nicht auf Grund- und Renten:
als abſtrakte Grundſtücks—
belaſtungen von einer perſönlichen Schuld unab—
hängig find (vgl. Oberneck a. a. O. II 295). Die
Uebernahme einer ſolchen Grundſchuld konnte nur
in der Weiſe erfolgen, daß der Verkäufer mit
dem Käufer vereinbarte, daß dieſe Grundſchuld
in eine Hypothek für den vom Käufer zu zahlen:
den und zu ſtundenden entiprechenden Teil des
Kaufpreiſes umgewandelt wurde. Es könnte auch
der Weg eingeſchlagen werden, daß der Käufer
den bereits amortiſierten Teil der Hypothek an
den Verkäufer zu zahlen hat, dieſer Teil des
Kaufpreiſes wie das Reſtkaufgeld aber geſtundet
wird und für dieſen geſamten Betrag mit dem
erworbenen Grundſtück Hypothek beſtellt wird,
während gleichzeitig (z. B. $ 16° GBO.) der
Eigentümer zur Löſchung der Eigentümergrund:
ſchuld verpflichtet wird, dieſe bewilligt und Ver⸗
käufer wie Käufer dieſe Löſchung beantragen.
Geſchieht die Regelung nicht in der gedachten
Weiſe, ſo kann der Käufer erheblich benachteiligt
werden. Durch die Uebernahme der Amortiſations⸗
hypothek in Anrechnung auf den Kaufpreis wiegt
er ſich in dem Glauben mit Rückſicht auf die
Unkündbarkeit auch von der Rückzahlung des
amortiſierten Teiles bis zur gänzlichen Tilgung
der Amortiſationshypothek befreit zu ſein. In
dieſem Glauben wird er noch dadurch beſtärkt,
daß nach $ 1176 BGB. der getilgte Teilbetrag
nicht zum Nachteil der bisherigen Gläubigerin
geltend gemacht werden darf und ſomit der Ver⸗
käufer mit dem von ihm getilgten Teile der Poſt
hinter den der Hypothekenbank verbleibenden zurück⸗
treten muß. Der Käufer nimmt gerade auf
Grund des § 1176 BGB. an, daß der Verkäufer
erſt nach Befriedigung der Forderung der Hypo⸗
thekenbank Zahlung des von dem Verkäufer als
Eigentümer des Grundſtücks getilgten Betrages
verlangen kann und zwar dann auch nur durch
allmählige Tilgung in Form von Zinszuſchlägen.
Dieſe Auffaſſung geht fehl, weil, wie oben hervor⸗
gehoben iſt, der $ 416 BGB. auf die Eigen:
tümergrundſchuld und auf die Grundſchuld überhaupt
nicht anwendbar iſt und die Uebernahme einer ſolchen
in Anrechnung auf den Kaufpreis nichtig iſt. Es
geht auch nicht an, in einer ſolchen Vertrags⸗
beſtimmung ohne weitere tatſächliche Unterlage
eine Abrede dahin zu finden, daß die Eigentümer:
grundſchuld in eine Hypothek umgewandelt worden
iſt. Dieſe Auslegung ſcheitert ſchon daran, daß
eine ſolche Umwandlung abgeſehen von der ding:
lichen Einigung auch der Eintragung in das
Grundbuch bedarf (83 1186, 1198, 1203 BGB.;
Oberneck a. a. O. II S. 70); die Eintragung
würde auch die vorhergehende oder gleichzeitige
Umſchreibung der Grundſchuld auf den Eigentümer
vorausſetzen (vgl. RG. 72, 274 Nr. 67). Die
Folge dieſes Rechtsſtandpunktes iſt, daß der
Verkäufer als ſpäterer Grundſchuld—
gläubiger das getilgte Kapital nach
vorhergehender ſechsmonatiger Kün⸗
digung gemäß $ 1193 BGB. im Wege
der dinglichen Klage zurückfordern darf
und der Käufer damit eine unliebſame Ueber—
raſchung erfährt. Nur wenn der Erwerber den
Nachweis erbringen kann, daß es für den Ab—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
ſchluß des Kaufvertrags weſentlich war, daß
das Kaufgeld in Höhe des getilgten
Teiles der Amortiſationshypothek nicht
bar gezahlt werden, ſondern entſprechend
dem Reſtkaufgelde geſtundet werden
ſollte, würde der Verkäufer mit ſeiner
dinglichen Klage auf Befriedigung der
Grundſchuldſumme mit dem Einwande
zurückgeſchlagen werden können, daß
ihm nur das Recht zuſtände, durch Um—
wandlung der beſtehenden Grundſchuld
eine Hypothek in Höhe des von ihm ge⸗
tilgten Teiles der Amortiſationshypo⸗
thek zu den Bedingungen der Reſtkauf⸗
geldhypothek zu erhalten (ogl. RG. in
Gruchot 31, 936; Oberneck a. a. O. II 313).
Aber auch für den Verkäufer können
Nachteile entſtehen. In der Annahme, daß der
9 416 BGB. Anwendung findet, glaubt er ein
perſönliches Forderungsrecht zu haben und ſtellt
gegen den Käufer als ſpäteren Eigentümer nicht
nur die dingliche, ſondern auch die perſönliche
Klage an. Mit der perſönlichen Klage aber iſt
er abzuweiſen, weil die Grundſchuld nicht in An⸗
rechnung auf den Kaufpreis übernommen werden
Rund der Grundſchuldgläubiger nur Befriedigung
aus dem Grundſtücke erlangen kann.
Dringt der Gläubiger mit ſeiner dinglichen
Klage durch, ſo geht die von dem Eigentümer
gezahlte Grundſchuld gemäß $3 1163“, 1192
BGB. auf den zahlenden Eigentümer über und
er kann von dem Verkäufer und Grundſchuld—
gläubiger Grundbuchberichtigung verlangen.
Die Formulierung der Berichtigung des Kauf:
preiſes könnte in dem hier beſprochenen Falle
folgendermaßen gefaßt werden:
a) Käufer zahlt bei Abſchluß des Vertrages
bar
b) Zug um Zug gegen die Auflaſſung bar...
c) Käufer übernimmt die für die Hypotheken⸗
bank eingetragene Amortiſationshypothek nur
in dem Betrage von als Selbſt⸗
ſchuldner in Anrechnung auf den Kaufpreis,
der bereits amortiſierte Teil dieſer Hypothek
von „der Eigentümergrundſchuld ges
| worden ift und deren Löſchung der Käufer
! hiermit bewilligt und Käufer wie Verkäufer
beantragen, hat Käufer an Verkäufer zu
!
|
„
i
— — — — — — 6 — zu
d
—
zahlen. Dieſer Betrag ſowie das Reitfauf:
geld von werden geſtundet und für
dieſen geſamten Betrag von mit
dem erkauften Grundſtück Hypothek unter
den im folgenden Paragraphen vereinbarten
Bedingungen beſtellt.
12 Zeitſchrift für Rechtspflege in
Das Stellenvermittlergeſetz.
Von Legationsrat Dr. Georg Schmidt im Staatsmini⸗
ſterium des K. Hauſes und des Aeußern.
Bis vor kurzem galt in Bayern für die Ge⸗
ſinde⸗ und Stellenvermittler nur die Bekannt⸗
machung des Miniſteriums des Innern vom 29.
Mai 1901 (GVBl. S. 435), die auf den durch die
Novelle vom 30. Juni 1900 (RGBl. S. 321) ge⸗
änderten 88 34 und 38 GewO. beruhte. Nun:
mehr ſind die Beſtimmungen für Stellenvermittler
in ſechs Vorſchriften enthalten, nämlich im Stellen⸗
vermittlergeſetz vom 2. Juni 1910 (RGBl. S. 860),
in der Kgl. Verordnung vom 5. Oktober 1910
(GVBl. S. 923) und in vier Bekanntmachungen
des Staatsminiſteriums des Kgl. Hauſes und
des Aeußern vom 6. Oktober 1910 (GVBl.
S. 924 — 944) betr. Stellenvermittler, Stellen⸗
vermittler für Bühnenangehörige, Gebührentarif
der Stellenvermittler für Bühnenangehörige, Stellen⸗
und Arbeitsnachweiſe.
Die frühere Regelung reichte für unſere Zeit,
in der die rechtlichen und wirtſchaftlichen Verhält⸗
niſſe immer verwickelter geworden ſind, nicht mehr
im Stellenvermittlergewerbe gezeigt haben. Der
Geſetzgeber ſah ſich durch die allenthalben geführten
Klagen veranlaßt, ſchärfere und mehr ins einzelne
gehende Vorſchriften zu erlaſſen. Die Beſtim⸗
mungen der 88 34 und 38 GewO., die bisher die
Grundlagen zu den einzelſtaatlichen Erlaſſen ge:
bildet hatten, wurden zu einem beſonderen am
1. Oktober 1910 in Kraft getretenen Geſetz
— das in dem nunmehr aufgehobenen Geſetz über
die Stellenvermittlung für Schiffsleute vom 2. Juni
1902 (RGBl. S. 215) einen Vorgänger hatte —
erweitert; im übrigen finden jedoch die Vorſchriften
der GewO. auch auf die Stellenvermittler An:
wendung ($ 14 St G.).
Die Unzulänglichkeit der ſeitherigen Beſtim⸗
mungen hatte ſich hauptſächlich nach drei Rich⸗
tungen hin gezeigt. Einmal war zur Umgehung
dieſer Beſtimmungen vielfach die Herausgabe von
Stellenliſten gebraucht worden, die teilweiſe nur
unter Benützung von Zeitungsinſeraten zu—
ſammengeſtellt wurden und ſich als wertlos er—
wieſen; die Herausgeber ließen ſich nicht ſelten
ungebührlich hohe Bezugspreiſe von den Stellen:
ſuchenden — die das Opfer einer Täuſchung
waren — bezahlen. Weiterhin hatte ſich die Zahl
der gewerbsmäßigen Stellenvermittler in einer
über das Bedürfnis hinausgehenden Weiſe ver:
mehrt; war doch dieſes Geſchäft mit der Zeit
dadurch ein recht einträgliches geworden, daß die
Stellenvermittler von Arbeitgebern. hauptſächlich
aber von Arbeitſuchenden übermäßige Gebühren
erhoben, die ſie noch durch beſondere Neben—
zahlungen (Einſchreibgebühren, Extravergütungen)
in die Höhe zu treiben verſtanden. Den Behörden
war auf die Bemeſſung der Gebühren kein Ein—
|
|
Bayern. 1911. Nr. 1.
fluß eingeräumt, denn nach $ 75a GewO. brauchten
die Taxen, die jederzeit geändert werden konnten,
nur angezeigt werden. Auch dieſem dritten Mangel
mußte alſo abgeholfen werden.
Die hauptſächlichſten Aenderungen gegenüber
dem bisherigen Zuſtand find enthalten in den
88 1, 2 und 5 des StVG.
Nach I 1 iſt Stellenvermittler im Sinne dieſes
Geſetzes, wer gewerbsmäßig 1. die Vermittlung
eines Vertrags über eine Stelle betreibt, 2. Ge⸗
legenheit zur Erlangung einer Stelle nachweiſt
und ſich zu dieſem Zwecke mit Arbeitgebern oder
Arbeitnehmern in beſondere Beziehungen ſetzt.
Durch letztere Definition iſt der Begriff des
Stellenvermittlers gegenüber der Entſcheidung des
Reichsgerichts vom 2. März 1903 (St. XXXVI
224) erweitert und zum Ausdruck gebracht, daß
auch die Herausgeber von Stellen- und Vakanz⸗
liſten als Stellenvermittler anzuſehen ſind; die
Faſſung lehnt ſich an 8 652 BGB. (Mäkler⸗
vertrag) an. Herausgeber von Zeitungen, die
hierin Stellenanzeigen gegen Druckgebühren ver⸗
öffentlichen, aber behuſs Nachweis oder Vermitt⸗
lung von Stellen zu Arbeitgebern oder Arbeit⸗
aus, um die Mißſtände zu bekämpfen, die ſich
nehmern in keine beſonderen Beziehungen treten,
fallen nicht unter das Stellenvermittlergeſetz. (Vgl.
Begründung zum Geſetzentwurf, Reichstags-Druck⸗
ſache Nr. 231/1910 S. 6 f.).
Die Frage, ob auch ein Werkvertrag im Sinne
des § 631 Abſ. 2 BGB. dieſem Geſetz unter:
liegt („Gegenſtand des Werkvertrages kann.
ein durch Arbeit oder Dienſtleiſtung herbeizu⸗
Austrag gebracht werden.
führender Erfolg ſein“) iſt bereits ſtrittig ger
worden und wird wohl demnächſt inſtanziell zum
Verwaltungsbehörden
bejahen die Frage, wie denn auch in dem von
Preußen, Bayern u. a. Bundesſtaaten einheitlich
angenommenen Gebührentarif der Stellenvermittler
für Bühnenangehörige (vgl. GVBl. 1910 Nr. 62
S. 940 f.) beſtimmt iſt, daß bei Stellenvermitt⸗
lung für Muſikkapellen nicht mehr als 5% der
monatlichen Vergütung für „Verträge zwiſchen
Unternehmern und ganzen Kapellen“ als Gebühr
erhoben werden dürfen. Die Entſcheidung in dieſer
Frage iſt alſo von beſonderer Bedeutung für die
ſogenannten Konzertagenturen.
§ 2 StVG. beſtimmt, daß, wer das Gewerbe
eines Stellenvermittlers betreiben will, der Er—
laubnis der von der Landeszentralbehörde (in
Bayern das Staatsminiſterium des Kgl. Hauſes
und des Aeußern) bezeichneten (Diſtriktspolizei-) Be⸗
hörde (Bezirksamt oder unmittelbarer Stadtmagi—
ſtrat) bedarf. Dieſe Vorſchriſt iſt dem $ 34 GewO.
entnommen, jedoch mit einer weſentlichen Er—
weiterung: Die Erlaubnis iſt nicht nur bei Un:
zuverläſſigkeit des Nachſuchenden zu verſagen, ſondern
auch wenn ein Bedürfnis nach Stellenvermittlern
— insbeſondere wegen Beſtehens eines ausreichenden
öffentlichen, gemeinnützigen Arbeitsnachweiſes —
nicht vorliegt. Die Folge dieſer Beſtimmung wird
fein, daß die gewerbsmäßigen Stellenvermittler
an Zahl und Bedeutung zurückgehen werden; wo
ein ſolcher Arbeitsnachweis beſteht, wird keine Er⸗
laubnis mehr erteilt oder erneuert und die Tätigkeit
der vorhandenen Stellenvermittler immer mehr
eingeengt werden. Die Tendenz des Geſetzes geht
denn auch auf eine allmähliche Beſeitigung dieſes
Gewerbes, das zu den ſog. „haſſenswerten Ge⸗
werben“ zählt.
Nach 8 5 StVG. endlich werden die den
Stellenvermittlern zukommenden Gebühren behörd⸗
lich feſtgeſetzt und zwar in Bayern von den Di⸗
ſtriktspolizeibehörden, für Theateragenten u. dgl.
vom Miniſterium des Aeußern.
Von den polizeilichen Beſtimmungen des
. ſeien beſonders erwähnt:
3, der dem Stellenvermittler den Betrieb
gewiſſer Gewerbe, Geſchafte, Geſchäftsverbindungen
u. dgl. verbietet;
8 7, der zur Bekämpfung des internationalen
Mädchenhandels dient;
8 9, 10, die Beſtimmungen enthalten über
die Verſagung oder Zurücknahme der Erlaubnis
und die Unterſagung des Gewerbebetriebs, dann
über das — in Bayern durch Geſetz vom 13. Juni
1910 (GVBl. S. 287) eingeführte und hier durch
die oben bezeichnete Kgl. Vdg. für anwendbar er:
klärte — Verwaltungsſtreitverfahren.
Zivilrechtlich bemerkenswert ſind folgende
Vorſchriften:
84: Verträge, durch die ſich ein Arbeitnehmer |
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
|
oder Arbeitgeber verpflichtet oder verpflichtet hat,
ſich auch in ſpäteren Fällen der Mitwirkung eines
beſtimmten gewerbsmäßigen Stellenvermittlers zu
bedienen, ſind nichtig.
8 5 Abi. 2: Eine Gebühr darf nur erhoben
werden, wenn der Vertrag infolge der Tätigkeit des
Vermittlers zuſtande kommt. Haben beide Teile dieſe
Tatigkeit in Anſpruch genommen, ſo iſt die Ge:
bühr von dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer je
zur Hälfte zu zahlen; eine entgegenſtehende Verein⸗
barung zu Ungunſten des Arbeitnehmers iſt nichtig.
8 6: Die Stellenvermittler dürfen Dienſtbücher
u. dgl., die aus Anlaß der Stellenvermittlung in
ihren Beſitz gelangt find, gegen den Willen des
Eigentümers nicht zurückbehalten, insbeſondere an
ſolchen Gegenſtänden ein Zurückbehaltungs⸗ oder
Pfandrecht nicht ausüben.
In ſtrafrechtlicher Hinſicht gilt: Nach
§ 12 wird mit Geldſtrafe bis zu 600 M (im
Wiederholungsfalle von 100 — 600 ) oder mit
Haft geahndet, wer das Stellenvermittlergeſchäft
ohne Erlaubnis ausübt, ein nach § 3 Abſ. 1 ver⸗
botenes Gewerbe betreibt, die amtlich feſtgeſetzte
Taxe überſchreitet oder ſich Nebenvergütungen ge⸗
währen läßt, einen Arbeitnehmer zum Bruche
eines eingegangenen Arbeitsvertrags zu verleiten
unternimmt u. dgl. mehr. Geldſtrafe bis zu 150 1
oder Haft trifft nach $ 13 den Stellenvermittler,
der u. a. den 88 6 und 7 oder den auf Grund
13
des $ 8 ergangenen weiteren Beſtimmungen zu⸗
widerhandelt.
Letztere Beſtimmungen können von der Landes⸗
zentralbehörde „über den Umfang der Befugniſſe
und Verpflichtungen ſowie über den Geſchäfts⸗
betrieb der Stellenvermittler“ erlaſſen werden und
ſind für Bayern in den obenbezeichneten Bekannt⸗
machungen des Miniſteriums des Aeußern enthalten.
Ihr Inhalt mag hier durch die Aufführung der
einzelnen Abſchnitte angedeutet ſein, die Vor⸗
ſchriften enthalten Beſtimmungen über: Buchführung,
Geſchaftsraume, Firma, Vermittlungstätigkeit, Ge:
bühren (Erlöſchen des Anſpruchs hierauf), Pflichten
gegen die Polizeibehörde, Tätigkeitsberichte, Aushang
der Vorſchriften; in beſonderen Paragraphen ſind
die dem Stellenvermittler auferlegten Verbote auf⸗
gezählt. Die Bekanntmachung über „Stellenver⸗
mittler“ enthält weiterhin eine Beſtimmung
für Herausgeber von Stellen⸗ und Valanzenliſten.
Die Bekanntmachung über „Stellenvermittler für
Bühnenangehörige“ ſetzt in $ 1 feſt, wer als
ſolcher zu gelten hat („Den Vorſchriften unter⸗
liegen Stellenvermittler, die im Sinne des 8 1
des StVG. für Unternehmungen tätig find, durch
welche theatraliſche Vorſtellungen, Singſpiele, In⸗
ſtrumentalkonzerte, Geſangs⸗ und deklamatoriſche
Vorträge, ſowie Schauſtellungen von Perſonen oder
Tieren dargeboten werden, gleichviel ob dabei ein
höheres Intereſſe der Kunſt oder Wiſſenſchaft ob⸗
waltet oder nicht“). —
Das StVG. bezieht ſich aber nicht nur auf
gewerbsmäßige Stellenvermittler; es enthält in den
88 14—18 auch Grundbeſtimmungen für „nicht
gewerbsmäßig betriebene Stellen⸗ oder Arbeits⸗
nachweiſe
|
Nach § 15 kann die Landeszentralbehörde be-
ſtimmen, inwieweit die Vorſchriften der 88 3, 5
auf ſolche Nachweiſe anzuwenden ſind, und weitere
Beſtimmungen über den Umfang der Befugniſſe
und Verpflichtungen ſowie über den Betrieb dieſer
Nachweiſe erlaſſen. Zuwiderhandlungen von Leitern
oder Angeſtellten der Nachweiſe gegen die landes⸗
rechtlichen Beſtimmungen werden mit Geldſtrafe
bis zu 150 M oder mit Haft beſtraft ($ 16);
nach wiederholter rechtskräftiger Verurteilung der
Leiter oder Angeſtellten innerhalb 2 Jahren kann
die Landeszentralbehörde oder die von ihr bezeichnete
Behörde (in Bayern die Diſtriktspolizeibehörde)
den Betrieb unterſagen ($ 17); wer den Betrieb
hiernach fortſetzt oder ohne Erlaubnis wieder auf⸗
nimmt, wird mit Geldſtrafe bis zu 600 M oder
mit Haft beſtraft ($ 18). N
Die Bekanntmachung, die das Miniſterium
des Aeußern zu 8 15 erlaſſen hat, findet auf alle
nicht gewerbsmäßig betriebenen Stellen⸗ und Ar⸗
beitsnachweiſe, alſo namentlich ſolche von Verbänden
der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, von Vereinen,
Schulen u. a. Anwendung, nicht dagegen auf ge:
meindliche „Arbeitsämter“. (Die Terminologie der
Miniſterialbekanntmachungen unterſcheidet alſo mit
14 Zeitſchrift Die: Rechtspflege in in Bayern. alt Nr. 15
— — —— — - —— x —-T—d —
kurz gewählten Ausdrücken zwiſchen — gewerbs⸗ | 20 Mill. Mark belaufen würden. Dagegen zielt
mäßigen — „Stellenvermittlern“, — nicht ge⸗ unſer Geſetz, wie bemerkt, auf eine allmähliche Be:
werbsmäßigen — „Stellen: und Arbeitsnachweiſen“ ſeitigung der gewerbsmäßigen Stellenvermittler
und — öffentlichen, in Bayern nur gemeindlichen hin. An ihre Statt ſollen — neben paritätiſchen
— „Arbeitsämtern“ .) E die gemeinnützigen öffentlichen Arbeitsnachweiſe
Die Vorſchriften über Stellen⸗ und Arbeits: treten, die ſich in den letzten Jahren immer mehr
nachweiſe ſind im weſentlichen formaler Natur. | ausgeſtaltet haben, in Bayern namentlich die ge-
Sie ordnen die Anzeige der Errichtung eines meindlichen Arbeitsämter. Daneben werden auch
Stellen⸗ und Arbeitsnachweiſes an, die Vorlegung Facharbeitsnachweiſe von Arbeitgebern und Arbeit⸗
der Satzungen u. dgl., die Bezeichnung; Leiter nehmern, nichtgewerbsmäßige Stellennachweiſe von
und Angeſtellte müſſen nach ihnen die erforder⸗ Vereinen, Schulen u. a. tätig ſein, wenngleich deren
a” Zuverläſſigkeit beſitzen und unterliegen dem Ausdehnung angeſichts der Mißſtände, die ſich bei
§ 3 StWG.; die Betriebsräume müſſen gewiſſen | ſolchen ergeben haben, nicht wünſchenswert iſt.
Anſorderungen entſprechen; die Vermittlungs⸗ So zeigt ſich auch bei der Arbeitsvermittlung,
tätigkeit und die Gebühren müſſen ſich, teilweiſe was ſonſt in unſerem wirtſchaftlichen Leben zu
ähnlich wie bei den Stellenvermittlern, in geord⸗ beobachten iſt: an Stelle der Einzelperſon, die ſich
neten Grenzen bewegen. Auch die Stellen- und als nicht mehr leiſtungsfähig genug erweiſt, über:
Arbeitsnachweiſe haben wie die Stellenvermittler nimmt deren Aufgaben die Geſellſchaft in ihren
einen monatlichen Tätigkeitsbericht zu erftatten, verſchiedenen Gruppierungen und Formen als:
der es der Landeszentralbehörde wie den Diltrikts: Berufsvereinen, Genoſſenſchaften, Syndikaten, ge:
polizeibehörden ermöglicht, einen beſſeren Einblick meindlichen und ſtaatlichen Einrichtungen. Das
in den Geſchäftsbetrieb beider zu erhalten, den Um⸗ iſt die ſoziale Bedeutung des Stellenvermittler⸗
fang ſowie die Art ihrer Tätigkeit und damit die geſetzes, bei deſſen Vollzug auch der Richter mit⸗
Einhaltung der geſetzlichen Vorſchriften zu über⸗ | zuwirken berufen iſt.
wachen; auch die Arbeitsmarkt⸗Statiſtik, die vom
Statiſtiſchen Landesamt regelmäßig veröffentlicht
wird, erfährt durch dieſe Tätigkeitsberichte eine ſach⸗
dienliche Ausgeſtaltung. Ein weiteres Eingreifen in
den Betrieb der nichtgewerbsmäßigen Stellen⸗
und Arbeitsnachweiſe, die zu mancherlei Klagen
bereits Anlaß gegeben haben, wurde unterlaſſen,
da genügende Erfahrungen, die Grundlage jedes
geſetzgeberiſchen Vorgehens, noch nicht vorliegen.
Das Stellenvermittlergeſetz, das vielleicht man:
chem unwichtig erſcheint, iſt von weſentlicher Be:
deutung für unſere ſozialen und wirtſchaſtlichen
Verhältniſſe, die es ſcharf beleuchtet. Hat es doch
gewiſſe Seiten des gerade in unſerer Zeit ſo
ſehr wichtigen Arbeitsmarktes zum Gegenitand. |
Es ſucht die Ausbeutung der Arbeitſuchenden und
auch der Arbeitgeber durch gewiſſenloſe Dritte zu
bekämpfen und im Hintergrund ſteht der Sn:
tereſſenkampf zwiſchen Arbeitgebern und Arbeit—
nehmern. Die Stellenvermittler wären mitberufen
geweſen, in dieſem Kampf ausgleichend zu wirken;
allein ſie haben in der Hauptſache verſagt und
ſich als untauglich hierzu erwieſen; ſtatt im Sn:
tereſſe beider Parteien und damit im öffentlichen |
A 3 ſelbſtgebrautem Biere und ſelbſterzeugtem Weine
2 h in Frage kommen. Nun hat das oberſte Landes—
12 8 . en gericht in München mit der bisherigen Uebung
Weise vor: das dortige Geſeg vom 14. März gebrochen und in einem Urteile vom 10. April
N bie ng 0 5 8 SE eg
7 on En nn on 5 Art. 8 Abf. 1 Nr. 4 des bayeriſchen Gewerbsgeſetzes
en end erstarkten Entwicklun der öffentlichen F VVV .
1 Arbeitsna eie Ihen Beawenen diesſeits des Rheines beſchränkt war und Art. 9
nicht ratſam, weil die Entſchädigungsſummen, die 1) u, abgebrudt in dieſer Zeitſchrift Jahrgang
im Reich zu bezahlen wären, ſich vielleicht auf 1909 S.
der Ausſchank ſelbſterzeugter Getränke in
der Rheinpfalz.
Von Landgerichtsrat Otte Zoeller in München
(früher in Landau, Pfalz).
|
|
1. Iſt der konzeſſisnsfreie Ausſchank eigener Erzenguifie
in der Pfalz auf beſtimmte Getränke, etwa auf Bier
und Wein, oder anf Wein und Obſtwein beſchränkt 7
a) Die frühere Uebung der Gerichte hatte
nach mehrfachem Schwanken angenommen, daß
Art. 9 lit. b Nr. 1 des baheriſchen Geſetzes
vom 30. Januar 1868 betr. das Gewerbsweſen
auch in der Pfalz Anwendung zu finden habe und
daß demnach auch in der Pfalz der Ausſchank
des eigenen Erzeugniſſes nur den Bräuern in
einem hierfür bezeichneten Lokale und auf ihren
Lagerkellern, desgleichen nach Maßgabe des ört—
lichen Herkommens und der ortspolizeilichen Vor⸗
ſchriften den Weinbauern geſtattet ſei. Hiernach
konnte ein konzeſſionsfreier Ausſchank nur bei
—— -
— — — — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
15
— —
nur eine Ausnahme von der Regel des Art. 8 2. Was verſteht man unter eigenen Erzengniſſen ?
aufſtellte, die nur dort in Betracht kommen konnte,
wo die Regel ſelbſt in Geltung war. Die Rechts⸗
lage iſt ſonach folgende:
Während im allgemeinen der Schankwirt zur
Ausübung ſeines Gewerbes gemäß 8 33 der
R GewO. der Erlaubnis bedarf, iſt in der Pfalz
der Ausſchank eigener Erzeugniſſe an Getränken
von jeher ohne Konzeſſſon geſtattet geweſen. Art. 9
lit. b Nr. 1 des Geſetzes vom 30. Januar 1868
gilt in der Pfalz nicht.
Das Reichsgeſetz vom 12. Juni 1872 betr.
die Einführung der GewO. in Bayern hat in
§ 1 Abſ. 3 wohl die Einſtellung des Betriebes
aus Gründen, die in der Perſon des Ausſchänkers
oder in der Beſchaffenheit des Ausſchanklokales
liegen, für zuläſſig erklart, im übrigen aber in
981 Abſ. 2 die in der Pfalz beſtehende Befugnis
zum freien Ausſchank eigener Erzeugniſſe aus⸗
drücklich aufrecht erhalten. Das Reichsgeſetz vom
23. Juli 1879 betr. die Abänderung einiger Be:
ſtimmungen der GewO. hat hieran nichts ge
aͤndert. Demnach ſteht in der Pfalz der Aus⸗
ſchank eigener Erzeugniſſe nicht bloß den Bier⸗
brauern und Weinbauern, ſondern jedermann zu.
b) Auf Grund des erwähnten Urteils vom
10. April 1909 iſt nun weiter die Meinung auf⸗
getaucht, die Konzeſſionsfreiheit beſchränke ſich
auf eigene Erzeugniſſe an Getränken, die aus
Obſtanlagen und Weinbergen gewonnen ſeien.
Das Urteil ſtellt namlich am Schluſſe feiner
ausführlichen Darlegungen S. 228 folgenden Satz
auf: „Der jetzt erkennende Senat iſt zu der auch
anderweitig ſchon in der Rechtslehre und Recht⸗
ſprechung vertretenen Anſchauung gelangt, daß in
Bayern links des Rheines jedermann ohne polizei⸗
liche Erlaubnis befugt iſt die eigenen Erzeugniſſe
an Getränken, die er aus ſeinen Obſtanlagen oder
aus ſeinen Weinbergen gewonnen hat, auszu⸗
ſchänken“. Mit dem Zuſatze „die er aus ſeinen
Obſtanlagen oder aus ſeinen Weinbergen ge⸗
wonnen hat“ ſollte aber nicht etwa der Kreis
der konzeſſionsfreien eigenen Erzeugniſſe einge⸗
ſchraͤnkt werden. Eine ſolche aus den vorange⸗
gangenen Ausführungen ſich nicht ergebende Ein⸗
ſchraͤnkung hätte naturgemäß näher begründet
werden müſſen, was nicht geſchehen iſt. Vielmehr
ergibt die ganze Beweisführung, und ein Blick in
die Strafakten und in die Urſchrift des Urteils
beſtätigt es, daß der Zuſatz nur die Anwendung
des zuvor feſtgeſtellten Rechtsſatzes auf das der
Beurteilung zugrunde liegende Sachverhältnis iſt,
bei dem es ſich eben nur um den Ausſchank von
Obſtwein und Traubenwein handelte. Demnach
darf nach der jetzigen oberſtrichterlichen Recht⸗
ſprechung als feſtſtehend erachtet werden, daß in
der Pfalz der Ausſchank der eigenen Erzeugniſſe
85 a. irgend welcher Art konzeſſions⸗
rei iſt.
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Liegt ein eigenes Erzeugnis ſchon dann vor,
wenn der Ausſchänker es ſelbſt hergeſtellt hat?
Dann wäre auch Wein, aus zugekauften Trauben
gekeltert, als eigenes Erzeugnis zu erachten. Oder
wird erfordert, daß der Herſteller die Grundſtoffe,
aus denen er das Getränk herſtellt, auch ſelbſt er⸗
zeugt, d. i. aus eigenen oder gepachteten und ſelbſt⸗
bewirtſchafteten Grundſtücken gewonnen hat? Dann
wäre das Bier wohl nie eigenes Erzeugnis,
außer wenn der Bierbrauer Gerſte und Hopfen
ſelbſt gebaut hätte. Das Richtige wird ſein zu
unterſcheiden zwiſchen lan d wirtſchaftlichen
Erzeugniſſen, wie Traubenwein, Obſtwein, Beeren⸗
wein, Kaffee, Tee u. dergl. und Fabrikations-
erzeugniſſen, wie Bier, Branntwein, Soda⸗
waſſer u. dergl. Bei Fabrikationserzeugniſſen ge⸗
nügt es, wenn der Ausſchänker ſie in ſeinem
Fabrikationsbetriebe ſelbſt hergeſtellt hat,
wobei die Herkunft der Stoffe keine Rolle ſpielt;
bei landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen dagegen iſt
überdies weiter noch zu fordern, daß der Herſteller
die Grundſtoffe aus ſelbſt bewirtſchafteten
Grundſtücken gewonnen hat. Dagegen kann
hier nicht verlangt werden, daß das ganze Getränk
mit allen ſeinen Zutaten ausſchließlich aus eigenen
Erzeugniſſen herrühre. Es genügt vielmehr, daß
die Grundſtoffe eigenes Erzeugnis ſind. Daraus
ergibt ſich folgendes:
Die Beerenweine, wie Johannisbeerwein, Stachel⸗
beerwein u. dergl., deren Moſte ſtets zu viel Säure
und zu wenig Zucker enthalten und daher ohne
Zuckerwaſſerzuſatz überhaupt nicht hergeſtellt werden
können, verlieren durch den bei der Herſtellung
verwendeten nicht ſelbſt erzeugten Zucker nicht ihre
Eigenſchaft als eigenes Erzeugnis, wo anders es
überhaupt keine eigenen Erzeugniſſe an Beeren⸗
weinen gäbe.
Ein aus ſelbſterzeugten Trauben gekelterter und
ſelbſtgebauter Traubenwein iſt eigenes Erzeugnis,
mag ihm auch wegen zu hoher Säure oder zu
geringen Alkoholgehalts Zucker oder Zuckerwaſſer
zugeſetzt worden ſein, und es kann nicht überdies
noch verlangt werden, daß der Herſteller auch den
Zucker ſelbſt erzeugt oder das Waſſer aus eigenem
Brunnen gewonnen habe. Das gleiche gilt für
die durch die Bundesratsbekanntmachung vom
9. Juli 1909 bei der Kellerbehandlung zugelaſſenen
Stoffe. Mögen ſie auch zugekauft ſein, ihr Zuſatz
wird ein „eigenes Erzeugnis“ dieſer Eigenſchaft
nicht berauben.
3. Darf der Stranßwirt gezuckerten Wein ansſchänken?
Unter den Straußwirten der Rheinpfalz herrſcht
gegenwärtig eine große Erregung. Der pfaͤlziſche
Weinkontrolleur ſteht auf dem Standpunkte, der
Ausſchank gezuckerten Weines durch Straußwirte
ſei unzuläſſig. Ein pfälziſches Landgericht hat
bereits in mehreren Entſcheidungen dieſe An:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
ſchauung gebilligt. So beginnt denn jetzt überall
die planmäßige Verfolgung all derjenigen armen
Straußwirte, deren 1909er und 1910 er Ge:
wächs ſo ſauer iſt, daß es in Natur nicht getrunken
wird, denen aber verboten ſein ſoll, ihr Erzeugnis
in gezuckertem Zuſtande zu verſchänken.
gründet ſich nun dieſes Vorgehen? In Betracht
kommen zwei grundverſchiedene geſetzliche Vor⸗
ſchriften. Zunäaͤchſt gewerbepolizeiliche und dann
nahrungsmittelpolizeiliche.
a) Gewerbepolizeilich, ſo wird behauptet, ver⸗
fehle ſich der Straußwirt, der gezuckerten Wein ver:
zapft, gegen 88 33, 147 GewO., da nur der reine,
unveränderte Naturwein eigenes Erzeugnis ſei, der
Ausſchank gezuckerten Weines daher eine unbefugte
konzeſſionsloſe Wirtſchaftsführung darſtelle. Allein
aus den oben unter 1 gemachten Ausführungen
ergibt ſich, daß in der Pfalz jedermann, daher
auch der Straußwirt, berechtigt iſt, ſein eigenes
Erzeugnis ohne Konzeſſion auszuſchänken, und unter
Ziff. 2 oben iſt nachgewieſen, daß der Zuſatz von
Zuckerwaſſer einen ſelbſterzeugten Wein nicht ſeiner
Eigenſchaſt als eigenes Erzeugnis zu entkleiden
vermag. Vom Standpunkte der Gewerbepolizei
iſt ſonach der Ausſchank gezuckerten ſelbſterzeugten
Weines durch Straußwirte nicht zu beanſtanden.
b) Nahrungsmittelpolizeilich kommen in Betracht
die Vorſchriften des Wein G. vom 7. April 1909.
Gemäß 8 5 Abſ. 1 dieſes Geſetzes iſt es verboten,
gezuckerten Wein unter einer Bezeichnung feilzu⸗
halten oder zu verkaufen, die auf Reinheit des
Weines ... deutet; auch iſt es verboten, in der
Benennung anzugeben oder anzudeuten, daß der
Wein Wachstum eines beſtimmten Weinbergbeſitzers
ſei. Man behauptet nun, ein Straußwirt, der ge:
zuckerten Wein ausſchänle, verſtoße in doppelter
Richtung gegen 8 5 des Wein GG.: Durch die Be⸗
zeichnung einer Wirtſchaft als Straußwirtſchaft
werde unter Berückſichtigung einer in der Pfalz
beſtehenden Verkehrsauffaſſung der Ausſchank un⸗
gezuckerten Weines angekündigt und weiter werde
dadurch — nicht weniger als durch die Aufſchrift
„eigenes Gewächs“ außerhalb oder innerhalb der
Straußwirtſchaft — der ausgeſchänkte Wein als
Wachstum eines beſtimmten Weinbergbeſitzers,
nämlich des Straußwirtes ſelbſt, bezeichnet. Wohl
muß zugegeben werden, daß durch die Anbringung
eines Plakats mit der Aufſchrift „Eigenes Ge:
wächs“ am oder im Wirtslokale der in dieſem
Lokale verſchaͤnkte Wein als eigenes Wachstum des
Ausſchänkers bezeichnet wird. Der bei den Kom:
miſſionsberatungen zum Weingeſetze geäußerten
entgegenſtehenden Meinung eines Regierungsver⸗
treters, hierin liege, auch wenn gezuckerter Wein
ausgeſchänkt werde, kein Verſtoß gegen $ 5 des
Wein G., ſondern nur eine Verletzung des Wett:
bewerbsgeſetzes, kann nicht beigetreten werden.
Wer ein Plakat mit der Aufſchrift „Eigenes Ge—
wächs“ aufhängt, nennt eben den Wein, auf den
Rh das Plakat bezieht, ſein eigenes Wachstum.
Worauf
Wer aber feinen Ausſchank eine Straußmwirtichaft
nennt, erklart nur, daß er keine konzeſſionierte
Wirtſchaft, ſondern einen konzeſſionsfreien Aus⸗
ſchank habe und benennt ſeinen Wein überhaupt
nicht. Wer nun aber ſeinen Wein überhaupt nicht
benennt, von dem kann niemals behauptet werden,
daß er in der Benennung etwas angegeben
oder angedeutet habe. Es genügt nicht, wenn
derjenige, der die geſetzlichen Beſtimmungen über
die Führung von Straußbwirtſchaften kennt, aus
dieſer Kenntnis den Schluß ableiten kann, daß
ihm, die Beobachtung dieſer Vorſchriften durch den
Straußwirt vorausgeſetzt, in der Straußwirtſchaft
nur eigenes Wachstum des Straußwirts vorge⸗
ſetzt werden könne.
§ 5 Abſ. 1 Halbſatz 2 Wein. erfordert viel⸗
mehr, daß das Wachstum aus der Benennung
des Weines ohne weiteres oder wenigſtens an⸗
deutungsweiſe erſichtlich iſt, oder, anders ausge⸗
drückt, daß der Name des Erzeugers durch die
Benennung des Weines kenntlich gemacht iſt.
Vorausſetzung dafür iſt immer, daß der Wein
überhaupt benannt wird, wobei die Kreszenzangabe
allein allerdings genügt und weitere Namen neben
der Bezeichnung des Wachstums nicht erforderlich
ſind. Fehlt aber eine Benennung vollſtändig,
dann iſt auch eine Verletzung des Verbots, in der
Benennung das Wachstum anzugeben oder anzu⸗
deuten, naturgemäß ausgeſchloſſen.
Aus der Bezeichnung eines Ausſchanks als
Straußwirtſchaft kann allerdings, obwohl eine
„Benennung“ des darin verzapften Weines nicht
ftattfindet, mittelbar auf den Namen des Wein:
bergbeſitzers geſchloſſen werden. Das genügt aber
nicht, um einen Verſtoß gegen $ 5 zu begründen.
Das genügt nicht einmal dann, wenn eine wirk⸗
liche Benennung des Weines vorliegt. Bei den
Beratungen zum Weingeſetzentwurf iſt dies in
einem beſonderen Falle ausdrücklich anerkannt
worden. Man war nämlich darüber einig, daß
die Angabe einer Lage, die ſich im Alleinbeſitz
befindet, nicht als „Andeutung des Wachstums
eines beſtimmten Weinbergbeſitzers“ im Sinne des
Weingeſetzes angeſehen werden ſolle, obwohl in
ſolchen Fällen aus der Angabe der Lage mittelbar
auch der Name des Beſitzers erſichtlich iſt. So
iſt es beiſpielswriſe in Weinfachkreiſen allgemein
bekannt, daß ein „Schloß Vollradſer“ nur Wachs⸗
tum des Grafen Matuſchka ſein kann. Noch viel
weniger wie hier kann im Falle der Bezeichnung
nicht des Weines, ſondern nur des Weinlokales
durch die Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ eine Ver⸗
letzung des $ 5 Abſ. 1 Halbſatz 2 erblickt werden.
Ebenſowenig liegt eine Verfehlung vor gegen
8 5 Abſ. 1 Halbſatz 1. Wohl iſt verboten ge:
zuckerten Wein unter einer Bezeichnung feil—
zuhalten oder zu verkaufen, die auf Reinheit des
Weines deutet. Eine allgemeine Verkehrsanſchauung
in der Pfalz dahin, daß in Straußwirtſchaften nur
Naturwein zu finden ſei, beſteht nicht. Zumal im
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1. | 17
Tr m — —
Grundbuchamt tätig werden kann, jo hat es doch die
Abſicht, dem Prozeßgericht die Erlaſſung der einſt⸗
1 5 sun 75 1 en
. : 8 8851 Satz 2 B. iſt nicht wie in ſonſtigen Fällen
nn wäre. Lüge aber a der Bezeichnung | erforderlich, daß eine Gefährdung des zu ſichernden
traußwirtſchaft zugleich die Bezeichnung der Rein: Anſpruchs glaubhaft gemacht wird (8 935 3800.
heit des Weines, wie dies z. B. in der Bezeichnung | Eine wesentliche Erſchwerung des Bauhandwerker⸗
|
ſogenannten Oberlande gibt es zahlreiche Strauß:
wirtſchaften, die ſeit jeher gezuckerten Wein ver⸗
zapft haben, ohne daß dies bisher beanſtandet
„Naturweinſtube“ zu finden iſt, dann hätten alle ſchutzes brachte die Novelle vom 29. April 1910 zum baye-
dieſe Straußwirte auch ſchon unter den beiden riſchen Gebübrengeſetz. Art. 119 Abf. II Geb®. i. d. F.
früheren Weingeſetzen verfolgt werden müſſen, was vom 13. Juli 1910 ſtellt die Eintragung einer Vor⸗
aber in den 18 verfloſſenen Jahren keinem Menſchen merkung zur Sicherung des Anſpruchs auf Ein
eingefallen iſt. 18 Jahre lang haben weder Pu⸗ räumung einer Hypothek der Eintragung einer
blikum noch Behörden in der Bezeichnung Strauß: | Hypothek gleich..
wirtſchaft eine Garantie für Naturreinheit des „ 7 ſind nn Ne re der Bau⸗
ausgeſchänkten Weines erblickt; es iſt nicht einzu⸗ F1ͤĩͤ˙7ĩ—
ſehen, warum die allgemeine Anſchauung in dieſem 1 Bi en n
Punkte jetzt plötzlich gewechſelt haben ſollte. Hier: | 2. Die Notariatsgebühr, welche an einen bayeriſchen
nach gilt auch in dieſer Richtung das oben Ge⸗ Notar zu bezahlen wäre, wenn ein ſolcher die
ſagte: Wer ſeinen Ausſchank Straußbirtſchaft Hypothekbeſtellung beurkundet hätte.
nennt, bezeichnet ſeinen Wein überhaupt nicht und Nun läßt allerdings Art. 119 Abſ. III Satz 1
kann daher auch nicht durch die Bezeichnung die a. a. O. eine Ausnahme zu, wenn die Eintragung er⸗
N f folgt, ohne daß es der Bewilligung desjenigen bedarf,
Reinheit des Weines andeuten. a deſſen Recht durch die Eintragung betroſſen wird.
Ich komme ſohin zu dem gleichen Ergebniſſe, Es liegt nahe, diefe Ausnahmevorſchrift auch auf die
wie ich es ſchon in meinen Erläuterungen zum Bauvormerkungen zu beziehen, welche auf Grund einer
Weingeſetze vom 7. April 1909 zu $ 5 Note 4 einſtweiligen Verfügung eingetragen werden ſollen,
am Ende niedergelegt habe: „Ein Straußwirt, da es bier der Bewilligung des Betroffenen zur Ein⸗
der gezuckerten, ſelbſtgebauten Wein verſchänkt, tragung nicht bedarf. Allein Satz 2 des Abſ. III a. a. O.
darf dieſen Wein nicht durch Aufſchrift auf dem beſtimmt ausdrücklich das Gegenteil. Darnach ſoll
Wirtsſchild oder durch Aushang von Plakaten die Aus napmevorſchrift des Satzes 1 nicht gelten,
als „ſelbſtgebaut“ oder als „eigenes Gewächs“ wenn die Eintragung auſ Grund einer ein ſt weiligen
bezeichnen. Dagegen ift er, falls er dieſe Be: | Verfügung erfolgt. Der Bauhandwerker muß alſo,
3 j geg er um die Eintragung einer Vormerkung für feine Baus
zeichnung unterläßt und nur ſeinen Ausſchank als forderung zu erreichen, nicht nur zuvor das Prozeß⸗
Straußwirtſchaft bezeichnet hat, durch keine ge⸗ gericht um Erlaſſung einer einſtweiligen Verfügung
ſetzliche Beſtimmung gehindert, ſelbſt- anrufen, ſondern auch noch die volle Staats- und
gezogenen gezuckerten Wein auszuſchänken.“ Notariatsgebühr für eine Hypothekbeſtellung
bezahlen, ohne daß er zunächſt die Rechte eines Hypo⸗
thekgläubigers erwirbt. Denn die Eintragung der
Vormerkung verſchafft dem Bauhandwerker nur eine
Sicherung des Ranges für den Fall, daß er künſtig
a j durch freiwillige Beſtellung oder auf Grund Urteils
Mitteilungen aus der Praxis. eine Hypothek erwerben ſollte; dann allerdings werden
die bei der Eintragung der Vormerkung entrichteten
Sicherung der Banhandwerkerforderungen. Unter Gebühren angerechnet.
der Herrſchaft des bayeriſchen Hypotbekengeſetzes Die durch Art. 1191 Geb. geſchaffene Er⸗
konnte der Bauhandwerker raſch und ohne Koſten die ſchwerung der Durchführung des Anſpruchs des Bau⸗
Eintragung einer Hypothekvormerkung für feine Bau⸗ handwerkers wirkt um fo empfindlicher, als es nach
forderung erreichen. Er brauchte nur unter Glaub⸗ Art. 293 GebG. dem Grundbuchbeamten bei Meidung
haftmachung ſeiner Forderung einen Antrag an das der perſönlichen Haftung für die Gebühren verboten
Hypothekenamt zu ſtellen; dieſes bewirkte ohne weiteres iſt, eine Eintragung eher vorzunehmen, als der Nach⸗
die Eintragung der Vormerkung (88 12 Ziff. 9,30 HypG.). weis über die Bezahlung oder Hinterlegung der Ge⸗
Umſtändlicher ſchon geſtaltete ſich das Verfahren bühren geliefert wird. Das GBA. kann zwar nach
nach Reichsgrundbuchrecht. 8 18 GBO. eine Friſt zur Bezahlung der Gebühren
Allerdings hat auch 8 648 BGB. den Schutz der ſetzen. Allein häufig kommt damit das GBA. nicht
Bauhandwerker im Auge. Dieſer hat für ſeine Bau⸗ durch, nämlich dann nicht, wenn kurz nacheinander
forderung gegen den Beſteller des Bauwerks einen mehrere das gleiche Grundſtück betreffende Anträge
Anſpruch auf Einräumung einer Sicherungsbypothek. einlaufen, wie z. B. Hypothekbeſtellungen, mehrere
Der Anſpruch kann jedoch, da der Beſteller faſt immer einſtweilige Verfügungen auf Vormerkung von Baus
die freiwillige Einräumung der Sicherungshypothek forderungen, Zwangsverſteigerung und Konkurseröff⸗
verweigert, in der Praxis regelmäßig nur im Wege nung. Dieſe Fälle kommen nicht ſelten vor, da der
der einſtweiligen Verfügung verwirklicht werden, durch Schuldner häufig kapitalſchwach iſt. In ſolchen Fällen
welche die Eintragung einer Vormerkung angeordnet muß das GBA, wenn nicht etwa der Bauhandwerker
wird (88 883, 885 BGB., 936. 941 ZPO.). Wenn telephoniſch zu erreichen iſt, den Antrag auf Eintragung
nun auch das Reichsrecht den Bauhandwerker nötigt, der Bauvormerkung bloß mangels Zahlung der Ge—
ſich zuvor an das Prozeßgericht zu wenden, ehe das bühren zurückweiſen, da eine Vormerkung der Bau—
18 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
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vormerkung nach 8 181 GBO. unzuläſſig iſt (vgl.
Meikel, GBO. 1908 S. 118).
Dieſer Rechtszuſtand kann nicht als befriedigend
bezeichnet werden. Um die Fälle der Zurückweiſung
tunlichſt zu vermindern, iſt es bei dem Amtsgericht
Nürnberg üblich, daß die Bauhandwerker ſchon bei
der Stellung des Antrags auf Erlaſſung einer einſt⸗
weiligen Verfügung durch die Gerichtsſchreiberei zur
Entrichtung der nach Art. 119 Abſ. II Geb. ge⸗
ſchuldeten Gebühren veranlaßt werden.
Amtsrichter Ehrenberger in Nürnberg.
Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge⸗
bühren von Grundbucheintragungen. Die vorſtehende
Abhandlung veranlaßte den Herausgeber dieſer Zeit⸗
ſchrift mich mit Rückſicht auf meine Beteiligung bei
der letzten Novelle zum Gebührengeſetze um eine
Aeußerung zu erſuchen.
Daß die in der Novelle vom 29. April 1910 vor⸗
geſehene Aenderung des Art. 119 Abſ. 2 GebG. eine
gewiſſe Erſchwerung des hypothekenrechtlichen Ver⸗
kehrs bewirken werde, ſtand bei den geſetzgeberiſchen
Verhandlungen, die zu der Novelle führten, von An⸗
fang an feſt. Im Landtage wurde ſogar gerade auf die
dingliche Sicherung der Bauhandwerker hingewieſen.
Man nahm aber eben an, daß die Erſchwerung das
kleinere Uebel gegenüber dem Ausfall an Gebühren
ſei, der bei der bisherigen Faſſung des Art. 119 ſicher
war. Denn dieſe wurde nach den gemachten Wahr⸗
nebmungen dazu benutzt, um die Hypothekengebühr
(Art. 119) durch Eintragung einer Vormerkung zu
ſparen. Auch darf nicht überſehen werden, daß die
bayeriſche Hypothekengebühr nicht nur Gebühr, ſondern
in erſter Linie Stempel (Verkehrsſteuer) iſt, dem
Stempel aber muß ſeiner rechtlichen Natur und ſeinem
Zwecke nach die Vormerkung ebenſo unterliegen wie
die Eintragung.
Die vorſtehende Abhandlung geht davon aus, daß
die Vormerkung einer Hypothek — ſofern nicht die
Bewilligung zu ihr in einer bayeriſchen notariellen
Urkunde enthalten iſt — vorherige Zahlung der Ge⸗
bühr des Art. 119 vorausſetzt. Sie beklagt insbe⸗
ſondere die hieraus ſich ergebende Verzögerung und
Erſchwerung der Rechtsverfolgung.
Der ausgezeichnete Kommentar zum Gebühren⸗
geſetze von Pfaff⸗Schmitt vertritt auch in ſeiner neueſten
7. Auflage (1910) zu Art. 293 Geb. die Anſicht, daß
der Grundbuchrichter ſich perſönlich haftbar macht,
wenn er, ohne daß eine von einem bayeriſchen Notar
aufgenommene Urkunde vorliegt, eine Eintragung vor-
nimmt, ehe die Gebühren der Art. 118, 119 und die
Beſitzveränderungsgebühren (Art. 252, 253) bezahlt
oder hinterlegt ſind. Auch die Praris teilt überwiegend
dieſen Standpunkt. Ich möchte jedoch zur Erwägung
ſtellen, ob er in allen Stücken richtig iſt.
Nach dem Art. 293 GebG. iſt es dem Grundbuch:
amt unterſagt eine Eintragung in das Grundbuch eher
vorzunehmen, als der Nachweis über die Entrichtung
oder Hinterlegung der Gebühren vorgelegt iſt. Daß
der Nachweis der Entrichtung oder Hinterlegung ver—
langt wird, läßt klar erkennen, daß der Art. 293 nur
auf ſolche Gebühren Anwendung findet, die im Zeit—
punkte der Eintragung ſchon fällig ſind. Dies iſt un-
zweifelhaft der Fall bei der Gebühr des Art. 118, der
Auflaſſungsgebühr. Denn dieſe wird nach dem Art. 118
„bei der Entgegennahme der Auflaſſung durch das
. — —— — —
Grundbuchamt ... erhoben“, die Auflaſſung aber liegt
vor der Eintragung. Umgekehrt iſt es unzweifelhaft,
daß die Eintragungsgebühr des Art. 116 nicht unter
den Art. 293 fällt. Ihr „unterliegt die Eintragung
in das Grundbuch“, ſie iſt alſo erſt geſchuldet, nach⸗
dem eine Eintragung erfolgt iſt. Die Gebühr des
Art. 119 — alſo insbeſondere die Hypothekengebühr
— wird „bei der Eintragung von Hypotheken
erhoben“. Man iſt geneigt, aus der Verſchiedenheit
des im Art. 116 und im Art. 119 gebrauchten Aus⸗
druckes die Vorſchrift „bei der Eintragung“ wörtlich
dahin aufzufaſſen, daß die Gebühr gleichzeitig mit der
Eintragung ſällig iſt. Dieſe Auslegung liegt auch der
Anſicht zugrunde, welche den Art. 293 auf die Gebühr
des Art. 119 anwendet. Allein da es ſelbſtverſtändlich
ausgeſchloſſen iſt, daß die Eintragung und die Ent⸗
richtung der Gebühr Zug um Zug erfolgen, ſo führt
die bezeichnete Auslegung dazu, daß die Gebühr des
Art. 119 vorgeſchoſſen werden muß. Eine Vorſchuß⸗
pflicht in bezug auf Gebühren iſt indeſſen dem Ge⸗
bührengeſetze für Inländer (arg. Art. 287) ſo ſern⸗
liegend, daß der Wortlaut „bei der Eintragung“ nicht
ausreichen dürfte, um ſie auf ihn zu ſtützen. Für die
Auflaſſungsgebühr (Art. 118) iſt es m. W. unbeſtritten,
daß ſie erſt nach der Entgegennahme der Auflaſſung
geſchuldet iſt und von ihrer vorherigen Zahlung die
Auflaſſung (anders natürlich die Eintragung) nicht
abhängig gemacht werden darf; auch von ihr gebraucht
aber das Gebührengeſetz den Ausdruck „bei“. Die
Meinung des Gebührengeſetzes dürfte daher ſein, daß
die Gebühr des Art. 119 erſt nach der Eintragung
der Hypothek geſchuldet iſt. Wer dieſer Anſicht bei⸗
tritt, kann den Art. 293 nicht auf die Gebühren des
Art. 119 anwenden. Der Grundbuchbeamte macht ſich
alſo nicht haftbar, wenn er eine Hypothek einträgt
oder vormerkt, ehe die für die Eintragung oder Vor⸗
merkung geſchuldete Gebühr entrichtet iſt. Dieſes
Ergebnis dürfte auch vom Standpunkte der Rechts⸗
pflege allein ſachgemäß ſein. Sonſt iſt der Grund⸗
buchverkehr zu ſehr gebindert. Bei der Uebertragung
des Eigentums muß das Verbot der Eintragung vor
Zahlung der Gebühr — und ein ſolches Verbot liegt,
wenn auch nicht rechtlich, ſo doch tatſächlich in der die
Haftung des Grundbuchbeamten beſtimmenden Vor⸗
ſchrift des Art. 293 — mit Rückſicht auf das große
Intereſſe der Staatskaſſe am Eingange der hohen
Auflaſſungsgebühren hingenommen werden. Hier gilt
es auch in anderen Staaten und für den Reichsſtempel
($ 85 RStemp®.). Für die Hypotheken⸗Gebühren oder
⸗Stempel aber iſt es m. W. nirgends Rechtens. Die
Vormerkung des Anſpruchs auf Eigentumsübertragung
fällt unzweifelhaft nicht unter den Art. 293. Es wäre
doch ein kaum zu rechtfertigender Gegenſatz, wenn
für die Vormerkung der Hypothekengebühr der Art. 293
gelten würde. 5
Ich kann auch nicht der Anſicht beipflichten, daß
die Beſitzveränderungsgebühren (Art. 252, 253) unter
den Art. 293 fallen. Der Art. 293 ſagt nicht,
welche Gebühren als entrichtet oder hinterlegt nach—
gewieſen werden müſſen. Hieraus muß man m. E.
folgern, daß es ſich um eine mit der Eintragung in
das Grundbuch zuſammenhängende Gebühr handeln
muß. Es können nur Gebühren in Betracht kommen,
die für ſolche Rechtsgeſchäfte oder Rechtsvorgänge ge—
ſchuldet werden, die zu ihrer Wirkſamkeit die Ein—
tragung in das Grundbuch erfordern. Bei den Beſitz—
veränderungsgebühren der Art. 252, 253 handelt es
——
ſich nur um einen außerhalb des Grundbuchs ſich
vollziehenden Eigentumserwerb, insbeſondere den Er⸗
werb auf Grund Erbrechts. Auf ſolche Fälle, in denen
die Eintragung ins Grundbuch nur die rechtliche Natur
einer Berichtigung hat, den Art. 293 anzuwenden,
verſtößt gegen die oberſten Intereſſen jeder geordneten
Grundbuchführung. Wenn das Gebührengeſetz das
wirklich beabſichtigt hätte — und m. W. war bei der
Schaffung der jetzigen Faſſung des Art 293 im Jahre
1899 dieſe Abſicht nicht vorhanden —, hätte es ſich
ſchon anders ausdrücken müſſen.
Miniſterialrat Dr. Unzner in München.
Beitreibung von Stoften und Auslagen im Privat-
klageverfahren. In Nr. 22 des Jahrg. 1910 dieſer
Zeitſchrift, S. 412 ff., iſt eine Entſcheidung des Land⸗
gerichts Schweinfurt über Beitreibung von Koſten
und Auslagen im Privatklageverſahren veröffentlicht.
Die darin behandelte Frage wird in Theorie und
Praxis verſchieden beantwortet, ſodaß es geſtattet ſei,
auch die entgegengeſetzte Meinung zu begründen.
J. Eine für die Klägerin günſtige Anſicht behauptet,
unter Koſten und Auslagen i. S. des 8 496 Abſ. II
ſeien die Auslagen, die dem Privatkläger oder Privat⸗
beklagten entſtehen, gar nicht inbegriffen. Von einer
Feſtſetzung dieſer Auslagen könne daher nie die Rede
ſein, die Forderung auf Erſtattung dieſer Koſten ſei
ein privatrechtlicher Anſpruch, der einzig und allein
auf dem Wege des Zivilprozeſſes geltend gemacht
werden könne (vgl. Recht Bd. 11 S. 1307).
II. Hält man die unter I dargelegte Anſicht für
falſch und ſtellt man ſich auf den Standpunkt, daß
8 496 StPO. auch die dem Gegner zu erſtattenden
Auslagen einer Partei im Privatklageverfahren im
Auge hat, ſo drängt ſich ſofort die Frage auf, inwie⸗
weit das nach 8 496 Abſ. ! erlaſſene Urteil und der
nach § 496 Abſ. II erlaſſene Beſchluß für die Koſten
Vollſtreckungstitel iſt, inwieweit insbeſondere für die
Auslagen, die ſich die Parteien im Privatklagever⸗
ſahren gegenſeitig zu erſtatten haben.
1. Das Reich hat die Regelung des Vollſtreckungs⸗
rechts der Verwaltungsbehörden den Landesgeſetzen
überlaſſen (arg. 8 801 ZPO.). Bayern hat im Art. 4
AG. z. ZPO. vom 23. Februar 1879 die beſtehenden
Vorſchriften über das Vollſtreckungsrecht der Verwal⸗
tungsbehörden und über die Organe und die Mittel
der Zwangsvollſtreckung in Kraft gelaſſen. Maß⸗
gebend für die Beitreibung der Gerichtskoſten und
Auslagen iſt jetzt Art. 291 Geb. und die Bek. der
Staatsminiſterien der Juſtiz und der Finanzen vom
24. September 1879, das Koſtenweſen in gerichtlichen
Strafſachen betr. (JM Bl. S. 1425). Danach hat der
Gerichtsſchreiber alle in Strafſachen anfallenden Ges
bühren und Auslagen zu berechnen und zu Soll zu
ſtellen. Zur Einhebung und Zwangsbeitreibung ſind
die Rentämter zuſtändig (88 2, 14, 21 ff. der Bek,
Art. 291 GebG.). Zum Zwecke der Beitreibung der
dem Staate geſchuldeten Strafen, Gebühren und Aus⸗
lagen hat der Gerichtsſchreiber für alle rechtskräftig
gewordenen Urteile Auszüge (Einzugsregiſter) herzu⸗
ſtellen (S 24). Vor der Abgabe an das Rentamt iſt
jedes Einzugsregiſter dem mit der Strafvollſtreckung
betrauten Amtsrichter oder Staatsanwalt vorzulegen
(8 25). Das Rentamt hat ſodann die in das Ein⸗
zugsregiſter eingeſetzten Beträge beizutreiben (8 34).
Ausdrücklich erklärt 834, daß für das Verfahren bei
in Bayern. 1911. Nr. 1.
der Beitreibung die Beſtimmungen der ZPO. mit
Art. 6 u. 7 AG. z. ZPO. und KO. maßgebend find.
Zunächſt wird auf das Einzugsregiſter und die Voll-
ſtreckungsklauſel der Vermerk geſetzt: „Vorſtehende
Urkunde wird hiemit für vorläufig vollſtreckbar erklärt.“
Die Rentamtsdiener nehmen ſodann die Vollſtreckungs⸗
handlungen vor, und es kommt ihnen dabei die Eigen⸗
ſchaft von Gerichtsvollziehern zu (8 14 Abſ. II der
BD. vom 23. XII. 1899, GVBl. S. 1223, IMBL. 1800
S. 335).
In dieſer Weiſe werden die dem Staate geſchul⸗
deten Gebühren und Auslagen im Strafprozeß bei⸗
getrieben. Wenn über die Höhe der gerichtlichen
Koſten oder über die Notwendigkeit der Auslagen
Streit entſteht, ſo ergeht allerdings eine beſondere
Eniſcheidung. Aber dieſer ſog. Koſtenfeſtſetzungs⸗
beſchluß iſt kein Vollſtreckungstitel, ſondern in das
Einzugsregiſter wird eben dann der im Feſtſetzungs⸗
beſchluß feſtgeſtellte Betrag eingeſetzt, und die Voll⸗
ſtreckung geſchieht durch den Rentamtsdiener auf Grund
des vollſtreckbar erklärten Einzugsregiſters.
Man kommt alſo zu dem Schluß: Das Urteil
und der Beſchluß des 8 496 StPO. bilden zwar die
Grundlage einer ſpäteren Koſtenbeitreibung, aber fie
ſtellen die Koſten nur ſeſt wie ein Urteil auf eine
Klage gemäß § 256 ZPO. Der Vollſtreckungstitel
aber iſt nicht das Urteil und auch nicht der Beſchluß,
ſondern das ſür vollſtreckbar erklärte Einzugsregiſter.
Dieſes bekommt der als Gerichtsvollzieher tätige Rent⸗
amtsbote zur Vollſtreckung in die Hand. Das Urteil
geht ihn gar nichts an.
2. Bei der Vollſtreckung der einer Partei zu er⸗
ſtattenden Auslagen im Privatklageverfahren iſt zu
unterſcheiden, ob ein Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nach
§ 496 Abſ. II StPO. erlaſſen wird oder ob dies nicht
der Fall iſt.
a) Das erwähnte Urteil ſteht auf dem Stand⸗
punkt, daß ein Feſtſetzungsbeſchluß gemäß dem Wort⸗
laute des Geſetzes nur zu erlaſſen iſt, wenn über die
Höhe der Koſten oder über die Notwendigkeit der
Auslagen Streit beſteht. Es ſteht ferner auf dem
Standpunkt, daß ein ſolcher, Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß“
ein vollſtreckbarer Titel ſei, den der Gerichtsvollzieher
im Auftrag einer Partei zu vollſtrecken habe. Wie
ich oben unter II 1 ſchon dargelegt habe, bildet im
Offizialverfahren der Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nur
die Grundlage für den Zwangsvollſtreckungstitel.
Kann der Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß trotzdem in den
Händen der Partei im Privatklageverfahren den Voll⸗
ſtreckungstitel bilden? M. E. nicht.
Die Zwangsvollſtreckung iſt eine Maßnahme, die
ſcharf in das Eigentumsrecht des einzelnen eingreift.
Der Staat gewährt ſeinen Einwohnern die Sicherheit
des Privateigentums. Nur in den geſetzlich beſtimmten
Fällen darf das Eigentum verletzt werden. Im Wege
der Zwangsvollſtreckung darf das Eigentum ange—
griffen werden nach den 88 704, 794 und 801 ZPO.
8 794 Ziff. 3 kann hier nicht eingreifen, da mit dieſer
Geſetzesſtelle nur Entſcheidungen in Zivilſachen ge—
meint find. Die ſonſtigen reichsgeſetzlichen Schuld-
titel find bei Gaupp⸗Stein, 8. und 9. Aufl., II. Bd.,
VII zu 8 794 S. 537 aufgeführt. Urteil im Koſten⸗
punkt und Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß der StPO. ſind
nicht darunter aufgeführt, obwohl die Ziff. 6 (Ent:
ſcheidungen der Strafgerichte über Vermögensſtrafen
und Bußen) doch dem Verfaſſer die Anregung dazu
hätte geben können. Die StPO. enthält eben keine
20 Zeitſchrift für Rechtspflege in
Beſtimmung darüber, wie die nach den 88 496 Abſ. II,
503 Abſ. II feſtgeſetzten Auslagen zwangsweiſe bei⸗
getrieben werden ſollen, der Beſchluß nach 8 496
Abſ. II iſt nirgends als Zwangsvollſtreckungstitel be⸗
zeichnet, alſo iſt er nach Reichsrecht kein Zwangs⸗
vollſtreckungstitel.
Nach 8 801 kann die Landesgeſetzgebung auf
Grund anderer Schuldtitel die gerichtliche Zwangs⸗
vollſtreckung zulaſſen und inſoweit auch abweichende
Vorſchriften über die Zwangsvollſtreckung treffen. Für
die Gerichtskoſten hat ſie von dieſer Beſtimmung auch
Gebrauch gemacht, wie ich unter II, 1 dargelegt habe,
ſie hat nämlich das Einzugsregiſter zum Vollſtreckungs⸗
Bayern. 1911. Nr. 1.
titel gemacht. Ueber die der Partei im Privatklage⸗
verfahren zu erſtattenden Koſten hat jedoch die Landes⸗
geſetzgebung keine Beſtimmung getroffen.
Daß aus einem Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß des
8 496 Abſ. II aber im Privaiklageverfahren in der
Weiſe vollſtreckt werden kann, daß dieſer Beſchluß
ebenſo behandelt wird wie ein Koſtenſeſtſetzungsbeſchluß
der ZPO., indem das Gericht ihn für vollſtreckbar
erklärt, und indem dann die Partei ihn einem Gerichts ·
vollzieher zur Vollſtreckung übergibt, halte ich umſo⸗
weniger für richtig, als in der StPO. die Vorſchriften
genau angegeben ſind, in denen die Beſtimmungen
der ZPO. analog angewendet werden ſollen, nämlich
Da bei 8 496 StPO. die Vorſchriften der ZPO. nicht
aufſtellung die Vollſtreckung betreibt. Daß die dem
Staate geſchuldeten Gerichtskoſten auch ohne Feſt⸗
ſetzungsbeſchluß beigetrieben werden können, kann kein
Analogon für die Vollſtreckung durch den Koſten⸗
gläubiger im Privatklageverfahren bilden. Denn die
Beitreibung der dem Staat geſchuldeten Gerichtskoſten
iſt, wie ich unter II 1 ausgeführt habe, durch Geſetze
und Verordnungen geregelt (8 801 ZPO., Art. 291
GebG., Art. 4 AG. z. ZPO., Bek. vom 24. Sept.
1879) und es ſind auch die exforderlichen Vorſichts⸗
maßregeln getroffen. Der Gerichtsſchreiber, der
Amtsrichter oder der Staatsanwalt, der Rentbeamte
prüfen zuerſt die Einzugsregiſter, ehe ſie in die Hände
des vollſtreckenden Rentamtsboten (Gerichtsvoll⸗
ziehers) gelangen. Aber ſelbſt wenn man dieſe
Prüfung nicht hoch anſchlagen will, ſo hat ſich eben
der Staat das Recht gegeben oder genommen, ſeine
Gebühren und Auslagen auf eine einfache Weiſe bei⸗
zutreiben. Vor allem ſieht der Staat das Strafurteil
nicht als Vollſtreckungstitel an, ſondern ſchafft einen
neuen Titel in dem Einzugsregiſter, das etwa dem
zivilprozeſſualen Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß entſpricht.
Aber was ſich der Staat auf Grund ſeiner Geſetze
erlauben kann, kann man nicht analog jeder Partei
ohne geſetzliche Handhabe zugeſtehen. Der Staat gibt
ſeinem Vollſtreckungsorgan das Einzugsregiſter mit
die 88 37, 325, 495, 419 Abſ. III, 503 Abſ. V StPO.
für anwendbar erklärt ſind, können ſie auch nicht an⸗
gewendet werden.
Will alſo der Gläubiger einen zur Zwangsvoll⸗
ſtreckung wegen der Koſten geeigneten Titel haben, ſo
muß er den Weg der Zivilklage betreten, wobei für
ihn der ſtrafprozeſſuale Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß den
Wert eines Beweismittels oder auch eines feſtſtellen⸗
den Urteils hat.
Ich bemerke noch, daß die Geſchäftsanweiſung
für die Gerichtsvollzieher (JMBl. 1900 S. 621 ff.)
die Mitwirkung der Gerichtsvollzieher im Strafver⸗
fahren in den 88 207 ff. regelt, aber nicht davon
ſpricht, daß ſtrafprozeſſuale Koſtenfeſtſetzungsbeſchlüſſe
von den Gerichtsvollziehern zu vollſtrecken ſeien, daß
ferner der 8 44 der Geſch A. erklärt, daß die Gerichts⸗
vollzieher die Zwangsvollſtreckung in bürgerlichen
Rechtsſtreitigkeiten zu bewirken haben, daß ferner im
ſind, aus denen der Gerichtsvollzieher vollſtrecken
darf, daß ſich aber darunter der ſtraſprozeſſuale
Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nicht befindet, daß ſonach
der Gerichtsvollzieher, der den Geſchäftsanweiſungen
ſeiner vorgeſetzten Behörden gehorchen muß, einen
ſolchen Beſchluß gar nicht vollſtrecken darf.
b) Wenn man auf dem Standpunkt ſteht, daß
ein ſtrafprozeſſualer Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß nicht
durch den Gerichtsvollzieher vollſtreckt werden kann,
fo kann man natürlich umſoweniger die Anſicht ver:
treten, daß der Gerichtsvollzieher auf Grund eines
Straſurteils in einer Privatklageſache, das auch die
Verurteilung im Koſtenpunkt ausſpricht, und auf
Grund einer einfachen Koſtenaufſtellung vollſtrecken
dürfe. Aber auch wenn man annimmt, daß der ſtraf—
prozeſſuale Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß gleich dem zivil—
prozeſſualen ein Titel zur Vollſtreckung ſei, wird man
es doch nicht als zuläſſig anfeben können, daß der
Koſtengläubiger nur auf Grund einer vollſtreckbaren
Ausfertigung des Strafurteils in Verbindung mit
einer dem Vollſtreckungsorgan übergebenen Koſten—
Vollſtreckungsklauſel, der Rechtsanwalt oder die Partei
gibt dem Gerichtsvollzieher nur eine Koſtenrechnung
und das Strafurteil, in dem kein beſtimmter Betrag
feſtgeſetzt iſt. Der Gerichtsvollzieher hat auf Grund
ſeiner Geſchäftsanweiſung zu prüfen, ob er vollſtrecken
darf: in keinem Geſetz ſteht etwas von einer ſolchen
Vollſtreckung. In der Geſchäftsanweiſung iſt ihm
ausdrücklich eingeſchärft, nur auf Grund der ihm be⸗
zeichneten Vollſtreckungstitel zu vollſtrecken. Er darf
nicht auf Grund eines Strafurteils und einer Koſten⸗
note vollſtrecken, und der Gerichtsvorſtand, der ihn
dazu anweiſen würde, würde ebenfalls gegen die Ge⸗
ſchäftsanweiſung handeln. Es würde auch leicht zu
falſchen und ungerechtfertigten Vollſtreckungen kommen.
Angenommen, die Parteien wären nicht durch Anwälte
vertreten. Sie können unter Umſtänden gar keine
richtige Koſtenrechnung aufſtellen. Der Gläubiger
verlangt zuviel, der Schuldner weiß auch nicht, ob
der Gläubiger ſeine Auslagen mit Recht verlangt,
§ 52 der Geſch A. die Vollſtreckungstitel aufgeführt
nicht gewollt haben.
erhebt aber keinen Widerſpruch, weil er ſich eben in
der Sache nicht auskennt. Dem Gerichtsvollzieher
kann man ſicherlich nicht das Recht geben, vor der
Vollſtreckung darüber zu urteilen, welche Beträge er
für richtig angeſetzt hält, und nach Belieben dann für
die ihm angemeſſen erſcheinenden Beträge zu pfänden
und für die übrigen nicht. Die Folge wäre zweifellos,
daß der Gerichtsvollzieher einfach wegen der vom
Gläubiger angeſetzten Beträge vollſtrecken müßte und
dies würde ebenſo zweifellos ſehr häufig zu ungerechten
Pfändungen führen. Und das kann der Geſetzgeber
Denn er nimmt es ſonſt ſehr
genau mit Vollſtreckungshandlungen.
Die Klägerin hat daher meines Erachtens mit
Recht den vom Gericht angegebenen Weg zur Be—
friedigung der Koſtenforderung nicht eingeſchlagen.
Da dieſer Weg nicht dem Geſetz entſpricht, kann die
Klägerin nicht anders zu einem Vollſtreckungstitel
kommen, der vom Gerichtsvollzieher mit Recht volls
ſtreckt wird, als dadurch, daß ſie ein Zivilurteil er—
ſtreitet. Das Rechtsſchutzbedürfnis iſt vorhanden.
Rechtsanwalt Dr. Blüthe in Schweinfurt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 15
21
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
I.
Die Anfechtbarkeit eines Nechtsgeſchäſts wegen
Drohung fett eine widerrechtliche Abſicht des Drohenden
nicht voraus.) Aus den Gründen: Obwohl das
Berufungsgericht feſtgeſtellt hat, daß die Drohung an
ſich widerrechtlich war, hat es dennoch die Einrede
aus 8 123 BGB. verworfen, weil dem Drohenden das
Bewußtſein der Widerrechtlichkeit, die zur Anwendung
des § 123 BGB. erforderlich ſei, nicht innegewohnt
habe. Dieſe Auffaſſung von der Bedeutung des 8 123
BGV. kann nicht gebilligt werden. Allerdings hat
der erkennende Senat in ſeinen Urteilen vom 16. De⸗
zember 1905 und 24. November 1906 beide Male unter
Bezugnahme auf ein Urteil des VI. Senats (RG38.
59, 351), ausgeſprochen, daß zur Anfechtbarkeit eines
Geſchäftes nach 8 123 Abſ. 1 BB. wegen Drohung
auch eine widerrechtliche Abſicht des Anfechtungsgegners
erforderlich ſei. Bei näherer Prüfung des Urteils des
VI. Senats ergibt ſich aber, daß dieſes Urteil für die
in den beiden Urteilen des erkennenden Senats ver⸗
tretene Auffaſſung nicht verwertet werden kann. Es
erwähnt das Wort ‚Abſicht“ nur in dem Zuſammen⸗
hange, daß das Os. die Drohung, eine Strafanzeige
gegen den Beklagten zu bewirken, nur dann für wider⸗
rechtlich erklärt habe, wenn ſie zu dem Zwecke erfolgt
wäre, den Beklagten zur Ausſtellung eines Schuld⸗
ſcheins zu bewegen. Da das Berufungsgericht aber
feſtgeſtellt habe, daß der Beweis einer ſolchen Abſicht
des Drohenden nicht erbracht ſei, ſo wendet ſich das
Urteil gegen den Einwand der Reviſion, die es für
ausreichend anſieht, daß der Drohende den durch ſein
Vorgehen hervorgerufenen ſeeliſchen Zuſtand des Be⸗
klagten erkannt habe und ſich
. gefallen laſſen müſſe. Das Urteil
es 5
widerrechtlichen Beſtimmen eines andern durch Drohung
kann man nicht ſprechen, wenn nur etwas an ſich völlig
Erlaubtes ohne den Willen, damit eine gewiſſe Leiſtung
zu erzwingen, angedroht wird“. Damit iſt nur der
allgemein als gültig anerkannte Satz zum Ausdrucke
gebracht, daß um eine Drohung widerrechtlich zu machen,
entweder ihr Zweck oder ihr Mittel gegen das objektive
Recht verſtoßen muß, daß aber auch der Drohende in
der Abſicht oder doch in dem Bewußtſein droht, ſeinen
11 85 durch die Drohung zu erreichen, mag er auch
die weiteren Ergebniſſe
|
den bei. Die Grundlage dafür findet ſich in dem in
en Motiven enthaltenen Satze (Mugdan, Mat. z. BGB.
I. 465 ff.), daß die freie Selbſtbeſtimmung, d. h. die
nicht rechtswidrig beeinflußte Willensentſcheidung vor
widerrechtlicher Beeinträchtigung geſchützt werden ſoll.
Daß dieſer Gedanke der Motive im Geſetze ausgedrückt
worden iſt, ergibt ſich daraus, daß es den Abſatz 2
des § 123 BGB. auf den Drohungsfall nicht erſtreckt,
ſo daß die Drohung, im Gegenſatze zur Täuſchung,
ohne jede Einſchränkung Anfechtbarkeit hervorruft,
gleichgültig ob ſie vom Geſchäftsgegner oder einem
Dritten ausgegangen iſt (ſ. Oertmann § 123 BGB.
B 3 a), was die Motive wieder mit der Freiheit der
Willensentſcheidung als Vorausſetzung der Gültigkeit
der Willenserklärung begründen. Sie bemerken aus⸗
drücklich: „Nicht ohne Grund ſchützen aber faſt alle
Geſetze den Bedrohten ohne Rückſicht darauf, von
welcher Perſon die Drohung angewendet worden iſt
(ALR. 14 8 42; C. c. 1111; Sächſch B. 8 832; ZürchG B.
8 923; SchweizOblR. 26; Bay Entw. I 20; DresdEntw.
59).“ Hiernach genügt es zur Anfechtbarkeit wegen
1 aus 8 123 BGB., daß feſtgeſtellt wird, daß
die Dro
(nicht auch ihre Widerrechtlichkeit) dem Drohenden
bewußt war. (Urt. des V. 35. vom 22. Oktober 1910,
V 196/10).
2102
ui — — n.
II.
Iſt eine letztwillige Verfügung zugunſten einer
Konkubine unter allen Umſtänden wegen Verſtoßes
gegen die guten Sitten ungültig? Aus den Grün⸗
den: Das OLG. nimmt an, der Erblaſſer der Be⸗
klagten habe in den Jahren 1904 bis 1908, alſo
während er mit der Mutter der Beklagten verheiratet
war, mit der Klägerin geſchlechtlich verkehrt und die
von ihr in den Jahren 1905 und 1906 geborenen
Töchter erzeugt. Bei ſeinen Lebzeiten habe er der
Klägerin zum anſtändigen Unterhalt für ſie und ihre
ivilſenats fährt dann fort: „Aber von einem N
Kinder fortlaufend die nötigen Geldſummen zufließen
Mit der Zuwendung des Vermächtniſſes von
laſſen
| 100000 M an die Klägerin habe er dieſe ſowohl für
den geſtatteten Geſchlechtsverkehr entlohnen als auch
an ſich feſſeln und zur fortgeſetzten Geſtattung des
Geſchlechtsverkehrs beſtimmen wollen. In dem Brief⸗
wechſel zwiſchen dem Erblaſſer der Beklagten und
der Klägerin habe erſterer ſogar der Hoffnung Aus⸗
druck gegeben, ſein eheliches Verhältnis aufzulöſen
weck oder Mittel oder beides für erlaubt erachtet
9123 (ſ. Staudinger § 123 III 1 a, b, e; Oertmann
£ 1, a, c g. Kann fomit dieſes Urteil für die
Aufſtellung des Erforderniſſes von dem Bewußtſein
der Widerrechtlichkeit nicht verwertet werden, ſo haben
der IV. Senat in ſeinem Urteile vom 28. Juni 1906
(IV, 159/06) und der I. Senat in dem Urteile vom
27. April 1910 ausdrücklich ausgeſprochen, und zwar
der IV. Senat, daß es nicht darauf ankomme, ob der
Reviſion rügt
und ſich mit der Klägerin zu verbinden. Unter dieſen
Umſtänden verſtoße die Zuwendung des Vermächt⸗
niſſes an die Klägerin gegen die guten Sitten. Die
Verletzung des § 138 BGB. und der
88 286, 551 Nr. 7 ZPO. Die Reviſionsangriffe ſind
zum Teil begründet.
Zwar iſt das Berufungsgericht im weſentlichen
von zutreffenden Rechtsgrundſätzen ausgegangen. Es
hat insbeſondere nicht verkannt, daß es bei Ent⸗
Drohende bewußt rechtswidrig handelte, ſondern nur,
ob der Wille des anderen in unzuläſſiger Weiſe be⸗
einflußt worden iſt, während der I. Senat erklärt hat,
daß zur Widerrechtlichkeit der Willensbeeinflußung
weder die Abſicht eines rechtswidrigen Vermögens⸗
vorteils bei dem Drohenden noch ein Vermögensſchaden
des Bedrohten erforderlich ſei, es vielmehr genüge,
daß der Bedrohte ohne die Drohung die Willenser⸗
klärung nicht abgegeben hätte, und daß der Drohende
kein Recht auf dieſe Willenserklärung hatte. Der er⸗
kennende Senat gibt die in ſeinen beiden früheren Ur⸗
teilen vertretene Auffaſſung auf und tritt dieſer Ans
1) Vgl. dazu auch die Entſcheidungen des Reichsgerichts im
Jahrgang 1906 S. 479 und im Jahrgang 1910 S. 429.
ſcheidung der Frage, ob ein Rechtsgeſchäft gegen die
guten Sitten verſtoße, nicht nur auf die Beweggründe
des Handelnden und den Zweck des Geſchäfts, ſondern
auch auf deſſen Inhalt und die begleitenden Umſtände
ankomme. Allein die der Entſcheidung zugrunde
liegenden tatſächlichen Feſtſtellungen entbehren in
weſentlichen Punkten einer ſchlüſſigen Begründung.
An und für ſich kann darin, daß ein Erblaſſer der
Mutter zweier von ihm — wenn auch im ehe⸗
brecheriſchen Verkehre — erzeugten lebenden Kinder
etwas vermacht, nicht ein Verſtoß gegen die guten
Sitten (die Sittlichkeit iſt etwas anderes) erblickt
werden. Eine ſolche Annahme wäre nur etwa dann
gerechtfertigt, wenn durch das Vermächtnis die Witwe
des Erblaſſers und ſeine ehelichen Kinder in Not ver⸗
ſetzt oder in empörender Weiſe benachteiligt wären.
Daß dies hier der Fall ſei, iſt nicht feſtgeſtellt. Die
Annahme des Berufungsgerichts, das Vermächtnis
ung an ſich widerrechtlich, und die Drohung
22
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. .
habe nur eine Entlohnung der Klägerin für den dem
Erblaſſer geſtatteten Geſchlechtsverkehr und die
Sicherung der Fortſetzung dieſes Verkehrs bezweckt,
wird durch die Feſtſtellungen nicht gerechtfertigt. Im
einzelnen iſt folgendes zu beanſtanden. Das Be:
rufungsgericht lehnt die Annahme, daß der Erblaſſer
möglicherweiſe die Zukunft der Klägerin und der
gemeinſchaftlichen Kinder wirtſchaftlich habe ſichern
wollen, aus den Gründen ab, weil die Kinder nur
Erſatzbedachte ſeien, der Geſchlechtsverkehr des Erb⸗
laſſers mit der Klägerin geheim gehalten und die
letztwillige Verfügung ſchon bei Lebzeiten des Erb⸗
laſſers der Klägerin (verſchloſſen) überreicht worden
ſei. Einer Fürſorge für die Kinder hätte er ver⸗
nünftigerweiſe durch Zuwendungen unter Lebenden
Jam beſten Rechnung getragen. Alle dieſe Erwägungen
ſind nicht ſtichhaltig. Sie ſchließen die Annahme
nicht aus, daß es dem Erblaſſer dennoch auf eine
Sicherung der Zukunft der Bedachten angekommen
ſei. Für die Feſtſtellung des Berufungsgerichts, der
Klägerin ſei der Vorwurf gewiſſenloſer Ausbeutung
der Vermögenslage des Erblaſſers zu machen, reicht
keineswegs der Umſtand aus, daß fie in einem Bor:
prozeſſe mit einer Zuvielforderung gegen ihren da—
maligen Bräutigam wegen Verlöbnisbruchs unter⸗
legen ſei. Ebenſowenig begründet iſt die Annahme,
ihre Liebesbeteuerungen in ihren Brieſen an den
Erblaſſer müßten unwahr ſein, da letzterer bedeutend
älter als die Klägerin geweſen ſei. Gegenüber der
Annahme des Berufungsgerichts, der Erblaſſer habe
die Klägerin durch das Vermächtnis zur Fortſetzung
des Geſchlechtsverkehrs beſtimmen wollen, entſteh:
zunächſt die vom Berufungsgericht gar nicht erörterte
Frage, ob denn die Klägerin nicht ohnedies bereit
geweſen wäre, dem Erblaſſer der Beklagten treu zu
bleiben, fo daß für dieſen gar keine Veranlaſſung
vorlag, die Klägerin, um ſie an ſich zu feſſeln, neben
den ihr unter Lebenden gemachten Zuwendungen noch
beſonders von Todes wegen zu bedenken. Bei dieſem
Punkte fehlt es endlich auch an einer ausreichenden
Feſtſtellung, daß die Klägerin über den Inhalt der
ihr wenige Monate vor dem Tode des Erblaſſers
verſchloſſen übergebenen letztwilligen Verfügung im
Klaren geweſen ſei und nicht etwa erſt bei der Er:
öffnung der Verfügung nach dem Tode des Erblaſſers
Kenntnis von deren Inhalt erhielt. (Urt. d. IV. 38.
vom 29. September 1910, IV 548/09).
2094
— — — .
III.
„Höhere Gewalt“ i. S. des 4 203 Abſ. 2 B68.
Aus den Gründen:
Berufungsgerichts hat die Zuſtellung der am 12. Juni
1908 eingereichten Klage eine Verſpätung erlitten,
weil der Ort, an welchem zugeſtellt werden ſollte,
nicht genügend bezeichnet worden war. Der Prozeß—
bevollmächtigte des Klägers hatte den zur näheren
Bezeichnung des Wohnortes der Beklagten erforder—
enthalten war, aus Verſehen in die Klagſchrift nicht
aufgenommen. Es iſt dieſem Sachverhalte gegenüber
nicht rechtsirrig, daß das OLG. die Vorausſetzungen
der bei Berechnung der einjährigen Anfechtungsfriſt
durch § 1594 Abſ. 3 BGB. für entſprechend anwend—
bar erklärten Vorſchriften des $ 203 BGB. nicht für
gegeben erachtet hat. Von einem Stillſtand der
Rechtspflege, von dem Abſ. 1 handelt, konnte keine
Rede ſein. Es handelte ſich nur darum, ob eine
unter Abſ. 2 fallende Verhinderung des Berechtigten
durch höhere Gewalt in anderer Weiſe anzunehmen
war. In den Motiven zu $ 203 BGB. (Bd. 1 S. 317)
wird auf den Sinn verwieſen, den Wiſſenſchaft und
Praxis mit dem Ausdrucke „höhere Gewalt“ ver:
binden. Hiernach iſt, worauf auch ſchon die Yu:
ſammenſtellung mit dem Stillſtand der Rechtspflege
hinweiſt, zur Anwendung des § 203 Abſ. 2 BGB.
mehr erforderlich, als ein gewöhnlicher Zufall. Es
muß ſich — ähnlich wie in dem Falle des §8233 ZPO. —
um ein von außen her einwirkendes Ereignis handeln,
das unter den gegebenen Umſtänden durch die
äußerſte, dieſen Umſtänden angemeſſene Sorgfalt und
Umſicht nicht verhütet werden konnte. (Urt. d. IV. ZS.
vom 29. September 1910, IV 551/09).
2098
— — en.
IV.
Wichtiger Grund für die fofortige Löſung eines
Dieuſtvertrags: die Aufgabe der Zweigniederlaſſung, für
die der Angeſtellte auſgeſtellt war? Die widerrechtliche
Entnahme von Geld aus der Geſchäftskaſſe? — Beweis:
laſt. — Nachprüfungsrecht des Neviſionsgerichts. Aus
den Gründen: Der Beklagte war, wenn auch ſpe⸗
ziell zum Prokuriſten des Zweiggeſchaftes in G. be⸗
ſtellt, doch nach der Auffaſſung des OLG. als Hand⸗
lungsgehilfe für das Geſamtgeſchäft des Klägers
angenommen worden. In einem ſolchen Falle liegt
für den Prinzipal regelmäßig nicht ſchlechthin die Un⸗
möglichkeit vor, von den Dienſten des auf der einen
Stelle nicht mehr verwendbaren Handlungsgehilfen
fernerhin Gebrauch zu machen. Nicht einmal die
Aufgabe des ganzen Geſchäftes berechtigt unter allen
Umſtänden den Prinzipal zur d Kündigung.
(Staub⸗Könige HGB. zu § 70 Anm. 5, 8. Aufl. S. 318;
IJ W. 1901, S. 209 Nr. 9, 1903 S. 11 Nr. 26.) Es kann
hier auch nicht entſcheidend darauf ankommen, daß die
Auflöſung des Zweiggeſchäſts durch Umſtände veran⸗
laßt worden iſt, die vom Geſchäftsinhaber (ſubjektiv)
nicht zu vertreten waren. Im übrigen aber iſt es im
weſentlichen eine vom Richter unter Würdigung der
Verhältniſſe des Einzelfalles zu entſcheidende Tat⸗
frage, ob ein wichtiger Grund zur ſofortigen Kün—
digung i. S. der SS 70, 72 des HGB. (oder § 626 BGB.,
§ 133b Gewd.) gegeben iſt, und es iſt dieſe Ent⸗
5 für die Regel der Nachprüſung des Nevis
ionsgerichts unzugänglich (JW. 1901 S. 209°, 1907
S. 8135; RG. 111337/06, im Recht“ 1907 S. 635 Nr. 1302;
Staub, HGB. 8 70 A. 6 S. 318.). Die von der Re⸗
viſion gerügten Verſtöße gegen andere, namentlich
prozeſſuale Rechtsnormen oder gegen die Regeln über
Beweislaſt ſind in der Entſcheidung nicht zu finden.
Es war Sache des Klägers, denjenigen Tatbeſtand
darzulegen, der eine vorzeitige Aufhebung des auf
15 Jahre geſchloſſenen Dienſtvertrages rechtfertigte,
alſo auch zu behaupten und nachzuweiſen, daß und
weshalb er außerſtande ſei, den Beklagten weiterhin
als Prokuriſten oder in einer gleichartigen Stellung
Nach der Feſtſtellung des
zu verwenden. — Eine widerrechtliche Geldentnahme
aus der Geſchäftskaſſe, ſagt das OL G., ſei an ſich
zweifellos ein Entlaſſungsgrund nach § 72 Abſ. 1
Ziff. 1 HGB. Hier ſei jedoch die Entnahme der
2594 M 13 3 in einem milderen Lichte zu betrachten
mit Rückſicht darauf, daß der Beklagte an den Sohn
des Klägers, (für den der Beklagte Schulden bezahlt
lichen Zuſatz „Kreis L.“, der im Armenrechtsbeſchluſſe
hatte), eine bedeutende Forderung und einigen Grund
zu der Annahme gehabt habe, der Kläger werde die
eigenmächtige Deckung dieſer Forderung genehmi—
gen, indem er mit dem entnommenen Betrag das
Tantiemenkonto ſeines Sohnes belaſtete oder den Be—
trag dem Beklagten gegen die angebotene Pfandſicher—
heit kreditierte. Unter dieſen Umſtänden ſei die wider—
rechtliche Geldentnahme als Entlaſſungsgrund nicht
anzuſehen. Das OLG. geht hierbei davon aus, daß
die im $ 72 HGB. aufgeführten Beiſpiele nicht zwin—
gend ſeien, und daß der Richter auch beim Vorliegen
eines der hier aufgezählten Tatbeſtände (Untreue ꝛc.“
aus beſonderen Gründen die Berechtigung zur Auf—
hebung des Dienſtvertrages verneinen könne. Mit Un:
recht bezweifelt die Reviſion dieſe Befugnis des Rich—
ters. Zuzugeben iſt ihr, daß bei einem Tatbeſtand,
der an ſich die Merkmale der in 8 72 Abſ. 1 Nr. 1
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
erwähnten Verfehlungen aufweiſt, der Richter nur aus⸗ liche Seite und berührt die Frage nicht, ob der in der
nahmsweiſe und aus beſonderen Gründen, für die der
Handlungsgehilfe beweispflichtig iſt, die Aufhebung des
Verhältniſſes für ungerechtfertigt erklären darf (Staub⸗
Könige zu 8 72 HGB. Anm. 1 S. 329). Aber hier find
eben ganz beſondere Umſtände vom OLG. als erwieſen
angenommen, die ſeiner Anſicht nach eine andere Be⸗
urteilung rechtfertigen. Im übrigen iſt dieſe Beur⸗
teilung — die Entſcheidung der Frage, ob die Hand⸗
lungsweiſe des Beklagten geeignet war, das Vertrauen
des Klägers zu ſeinem Prokuriſten derart zu er⸗
ſchüttern, daß jenem nicht zuzumuten war, den Ver⸗
trag wider ſeinen Willen fortzuſetzen — wiederum eine
ſolche von tatſächlicher Art, alſo hier nicht nachzu⸗
prüfen. (Urt. des VI. 3S. vom 27. Oktober 1910, VI
4412/1909). E.
2085
V.
Nechte des Hypothekglänbigers bei Entfernung von
Beſtand teilen des Grunbſtüd, beſonders wenn er ſelbſt
nachträglich das Grundſtück erſteigert hat. — Wirkſam⸗
keit eines Eigentumsvorbehalts an den in einen Neubau
eingehängten Feuſtern. Aus den Gründen: Das
Os. geht davon aus, daß die von den Beklagten
vom Bau weggeſchafften Fenſterflügel, ſoweit fie ein⸗
gehängt geweſen waren, gemäß 88 93, 94 Abſ. 2 BGB.
mit dem Einhängen weſentliche Beſtandteile des Neu⸗
baues geworden find, und daß, wenn auch dem Eigen⸗
tümer im Intereſſe feiner Wirtſchaftsführung im 8 1121
das Recht verliehen worden ſei, bis zur Beſchlagnahme
des Grundſtücks einzelne Beſtandleile der Haftung für
die Hypotheken zu entziehen, doch eine den Regeln
einer ordnungsmäßigen Wirtſchaft zuwider⸗
laufende Entfernung von Beſtandteilen, wie ſie hier
in Frage ſtehe, eine widerrechtliche Verletzung der Rechte
der Hypothekglaͤubiger enthalte, gleichviel ob die Weg⸗
ſchaffung vom Eigentümer ſelbſt oder mit deſſen Ein⸗
willigung von einem Dritten bewirkt worden ſei. Eben⸗
ſowenig könnten ſich die Beklagten darauf berufen, daß
ihnen in dem Lieferungsvertrage das Eigentum an den
zu liefernden Gegenſtänden bis zur Bezahlung des
Kaufpreiſes 9015 4 worden ſei; der Vorbehalt habe
nur obligatoriſche Wirkung gegenüber dem Eigentümer
gehabt; dieſer habe trotzdem gemäß 8$ 93, 946 BGB.
das Eigentum an den Fenſterflügeln erlangt, ſo daß
die Hypotheken ſich auch auf dieſe Gegenſtände erſtreckt
hätten. Die Beklagten hätten aber auch ſchuldhaft
gehandelt; denn fie hätten gewußt, daß auf dem Grund—
ſtücke Hypotheken eingetragen waren, insbeſondere auch
für die Klägerin, und daß die Fenſterflügel wenigſtens
zum größten Teile eingehängt waren. Endlich könnten
ſie ſich auch nicht auf einen Rechtsirrtum berufen;
denn die Annahme, daß das Einhängen die Flügel
noch nicht zu weſentlichen Beſtandteilen mache und
ihnen ihr Eigentum daran nicht nehme, ſei kein ent⸗
ſchuldbarer Irrtum.
Die Reviſion beſtreitet, daß die Beklagten in die
Hypothekrechte der Klägerin widerrechtlich einge⸗
griffen hätten, der Eigentümer des Grundſtücks ſei nach
§ 1121 BGB. den Hypothekgläubigern gegenüber zur
beliebigen Verfügung über die Beſtandteile berechtigt, ſo⸗
lange eine Beſchlagnahme zu ihren Gunſten noch nicht
erfolgt ſei. Dieſe Auffaſſung iſt jedoch rechtsirrig. Die
angeführte Beſtimmung gewährt dem Eigentümer keines⸗
wegs ein ſolches Recht. Die Hypothek erſtreckt ſich auch auf
die weſentlichen Beſtandteile des Grundſtücks und auch vor
der Beſchlagnahme hat der Hypothekgläubiger, wie die
S9 1134, 1135 ergeben, einen Anſpruch gegen den Eigen—
tümer, wie gegen jeden Dritten auf Unterlaſſung von
Einwirkungen, die eine die Sicherheit der Hypotheken
gefährdende Verſchlechterung des Grundſtücks befürch—
ten laſſen. Der § 1121 beſtimmt nur, daß Beſtand—
teile uſw. von jener Haftung frei werden, wenn fie
vor der Beſchlagnahme veräußert und vom Grund—
ſtück entfernt worden find. Das betrifft nur die dinge
Veräußerung und Entfernung der Beſtandteile liegende
Eingriff, der nach 8 1121 das dingliche Recht des Hypo⸗
thefgläubigers an den Beſtandteilen zum Erlöſchen
bringt, ein widerrechtlicher und ein ſchuldhafter iſt.
Iſt dies zu bejahen, fo iſt 8 823 Abſ. 1 BGB.
anwendbar. Widerrechtlich iſt aber, wie auch 8 1122
ergibt, ein Eingriff jener Art dann, wenn durch
die Entfernung der Beſtandteile der wirtſchaftliche
Beſtand des Grundſtücks ganz oder teilweiſe zerſtört
wird, wenn alſo die Entfernung den Regeln einer
ordnungsmäßigen Wirtſchaftsführung zuwiderläuft;
dabei iſt es völlig unerheblich, daß es ſich — worauf
die Reviſion Gewicht legt — hier um ein noch im Bau
begriffenes und nicht um ein fertiges Haus oder ein
Landgut handelt. Von den vorſtehenden Grundſätzen
iſt auch der 5. ZS. in dem in Bd. 73 S. 333 ff. ab»
gedruckten Urteil ausgegangen. Die ſonſtigen oben
wiedergegebenen Ausführungen des O. enthalten
ebenfalls keinen Rechtsirrtum (vgl. das angeführte
Urteil); ſie werden auch von der Reviſion nicht be⸗
anſtandet. Irrig iſt auch die weitere Ausführung der
Reviſion, die Beklagten hätten keine Verpflichtung ge⸗
habt, durch ihre unbezahlten Lieferungen und Arbeiten
den Hypothekgläubigern Vorteile zuzuwenden, ſondern
das Recht gehabt, auf Abwendung ihres eigenen
Schadens bedacht zu fein, ſoweit es ohne Rechtsver⸗
letzung möglich geweſen ſei. Es liegt eben hier eine
Rechtsverletzung vor, der rechtswidrige Eingriff in
das Hypothekrecht der Klägerin. Dieſes Recht er-
ſtreckte ſich auch auf die von den Beklagten gelieferten
Fenſterflügel, ſobald ſie eingehängt waren; anderer⸗
ſeits erloſchen mit dieſem Augenblicke die Rechte, die
die Beklagten an dieſen Gegenſtänden hatten; die Be⸗
klagten hatten insbeſondere auch kein Recht auf vor⸗
zugsweiſe Befriedigung ihrer Kaufpreisforderung.
Zu der Frage, ob der Klägerin durch die Weg⸗
ſchaffung der Fenſterflügel ein Schaden entſtanden iſt,
führt das OLG. Folgendes aus: die Klägerin habe
zur Begründung ihres Schadenserſatzanſpruchs nur
darzutun, daß der Wert des Pfandgrundſtücks durch
die ſchädigende Handlung gemindert worden und
welcher Betrag zur Herſtellung des früheren Zuſtandes
erforderlich geweſen ſei. Die Minderung des Wertes
des Grundſtücks ſei dann, wie zugunſten der aus⸗
fallenden Hypothekgläubiger zu unterſtellen ſei, kauſal
für den durch den Ausfall entſtandenen Schaden, und
der Schaden erreiche den Betrag, der zur Herſtellung
des früheren Zuſtandes des beſchädigten Grundſtücks
erforderlich wäre. Demgegenüber wäre es Sache der
Beklagten, wenn ſie ſich von ihrer Verbindlichkeit be—
freien wollten, den Beweis zu erbringen, daß trotz der
ſchädigenden Handlung der Klägerin ein Schaden nicht
oder nicht in der von ihr behaupteten Höhe entſtanden
ſei, daß alſo trotz der Verminderung des Werts des
Grundſtücks der Verſteigerungserlös nicht geringer ge»
worden ſei, als er geweſen wäre, wenn das Grund—
ſtück in unbeſchädigtem Zuſtande zur Verſteigerung
geſtellt worden wäre. Zu dieſem Zwecke ſeien die be—
ſonderen Umſtände darzulegen, die etwaige Steige—
rungsluſtige ohne Rückſicht auf ſeinen Wert von weiteren
Geboten abgehalten hätten. Einen ſolchen Beweis
hätten aber die Beklagten nicht angetreten. Demgegen—
über macht die Reviſion geltend, die Frage nach der
Entſtehung eines Schadens habe nur dahin geſtellt
werden können, ob das Grundſtück nach der Entfernung
der Fenſterflügel ſo ſehr im Werte vermindert geweſen
ſei, daß es für die Hypotheken der Klägerin keine
Sicherheit mehr geboten habe; das habe die Klägerin
zur Begründung ihres Schadenserſatzanſpruches zu be—
weiſen. Nach dem Gutachten des Sachverſtändigen
Sch. habe der Wert noch bei weitem die Hypotheken—
grenze der Klägerin überſtiegen. Daß dieſe bei der
Zwangsverſteigerung ihre eigenen Hypotheken nicht
ausgeboten habe, biete keinen Anhalt für die Annahme
24
eines ihr erwachſenen Schadens. Dieſem Angriff kann
der Erfolg nicht verſagt werden. Allerdings war der
Klägerin ein Nachteil ſchon dadurch entſtanden, daß
das Grundſtück durch die Entfernung der Fenſterflügel
überhaupt in ſeinem Werte vermindert worden war;
denn es war ihr mit allen ſeinen Teilen verhaftet, in
Zeitſchrift für Rechtspflege in
ihr dingliches Recht war von den Beklagten ein⸗
gegriffen worden. Hierdurch entſtand ihr der Anſpruch
auf Wiederherbeiſchaffung der Fenſterflügel, oder auf
Erſatz ihres Wertes, um damit den alten Zuſtand
wiederherſtellen laſſen zu können. Der hierauf ge⸗
richtete urſprüngliche Klagantrag war daher durchaus
gerechtfertigt. Jener Anſpruch iſt aber im Laufe des
Prozeſſes dadurch weggefallen, daß die Hypotheken der
Klägerin durch den Zuſchlag erloſchen ſind. Jetzt iſt
die Frage zunächſt darauf zu richten, ob die Klägerin
durch den Ausfall ihrer Hypotheken einen
Schaden erlitten hat. Denn die der Klägerin gegen
den bisherigen Eigentümer zuſtehenden Forderungen
waren aus dem Grundſtück zu zahlen ($ 1113) und es
kann ihr ein Schaden nur dann entſtanden ſein, wenn der
Wert des Grundſtücks zur Zeit der Zwangsverſteigerung
ihre Hypothekenforderungen nicht oder nur zum Teil
deckte, und dies durch die Entfernung der Fenſterflügel
veranlaßt worden war. Die Zwangsverſteigerung war
das Ereignis, das die Hypotheken der Klägerin zum
Erlöſchen brachte und infolge des Ausfalls der Hypo⸗
theken den von der Klägerin behaupteten Schaden ver⸗
urſacht hat. Es iſt daher bei Beantwortung jener
Frage von Bedeutung, daß und um welchen Preis die
Klägerin das Grundſtück erſtanden hat.
dadurch, daß ſie es billig erſtanden hätte, ihren Aus⸗
fall wieder eingebracht haben, ſo würde ihr kein Schaden
durch die Handlungsweiſe der Beklagten entſtanden
ſein und nur darum kann es ſich hier, wo ein Anſpruch
aus unerlaubter Handlung geltend gemacht wird,
handeln (vgl. die Urteile des erkennenden Senats
Rep. VI 197/02 vom 13. Oktober 1902 und Rep. VI
Sollte ſie
591/07 vom 29. Oktober 1908, ſowie das Urteil des
5. 35. vom 22. Februar 1905, Rep. V 385/04 in Seuff A.
60 Nr. 117). Würde ihr Meiſtgebot zuzüglich des da⸗
durch nicht gedeckten Betrags ihrer Hypotheken den
Wert des Grundſtücks zur Zeit der Zwangsverſteigerung
überſtiegen haben, ſo würde wegen des Mehrbetrags
ihr Hypothekenausfall ungedeckt ſein, und wenn die
von den Beklagten weggeſchafften eingehängten Fenſter⸗
flügel zur Zeit der Verſteigerung auf dem Grundſtück
vorhanden geweſen wären, ſo würde der Betrag, um
den der Wert des Grundſtücks ſich durch dieſe Gegen:
ſtände erhöht hätte, den Hypothekenausfall ge—
mindert haben; der Schaden der Klägerin würde alſo
darin beſtehen, daß ſie in Höhe dieſes letzteren Betrags
mit ihrem Hypothekenausfall ungedeckt geblieben wäre.
Ob und wieviel über das Gebot der Klägerin hinaus
geboten worden wäre, wenn die von den Beklagten
widerrechtlich fortgeſchafften Gegenſtände ſich zur Zeit
der Verſteigerung noch auf dem Grundſtück befunden
hätten, worauf das OLG. Wert legt, iſt daher für die
Schadenberechnung nicht maßgebend (RG. 38S. 73, 338 ff.).
Nun hat nicht nur der Sachverſtändige Sch. den Wert
des Grundſtücks nach der Fortſchaffung der Fenſter—
flügel auf 217 200 M angegeben, ſondern die Beklagten
haben unter Beweisantritt ſogar behauptet, der Wert
zur Zeit der Zuſchlagserteilung habe mindeſtens
250 000 M betragen.
Richtung hat das OLG. nicht getroffen. Legt man
dieſen Wert zugrunde — oder auch nur den vom Sach—
verſtändigen angenommenen —, ſo wird der Ausfall
der Klägerin durch den Wert des Grundſtücks vollauf
gedeckt. Dann hat aber die Klägerin durch die Hand—
lungsweiſe der Beklagten überhaupt keinen Schaden
erlitten. Denn der Nachteil, den die Verſteigerung
der Klägerin brachte, beruhte dann nicht auf der un—
genügenden Deckung der Hypotheken, ſondern auf dem
ungenügenden, dem Wert des Grundſtücks nicht ent—
Bayern. 1911. Nr. 1.
ſprechenden Gebot und dem darauf erteilten Zuſchlag
und dieſem Nachteil ſteht der ebenfalls durch die Ver⸗
ſteigerung erlangte Vorteil gegenüber. Allerdings
kann bei dieſer Schadensberechnung der abſolute Wert
des Grundſtücks nicht ſchlechthin eingeſtellt werden;
es iſt immer zu berückſichtigeu, daß der Vorteil, den
die Verſteigerung brachte, nicht in barem Gelde beſteht,
und daß jener Wert des Grundſtücks nicht ſtets dem
Werte gleich iſt, den es für den Erſteher hat. Gleich⸗
wohl läßt ſich, namentlich den von den Beklagten über
den Wert des Grundſtücks aufgeſtellten Behauptungen
gegenüber, nicht jetzt ſchon ſagen, daß der Klägerin
durch die Handlungsweiſe der Beklagten ein Schaden
entſtanden ſei. (Urt. des VI. 35. vom 24. Okt. 1910,
VI 550/1909). E.
2012
VI.
Die Entſcheidung, die eine negative N
klage ans fachlichen Gründen abweiſt, enthält zugleich
die Feſtſtellung, daß das Rechtsverhältnis beſteht. —
Ginfln der Kündigung und Nückzahlung eines Darlehens
anf die Verpflichtung des Schuldners zur Gewährung
der von ihm übernommenen Nebenleiſtungen; wann find
ſolche Nebenleiſtungen als Zins anzuſehen? Aus den
Gründen: Der Beklagte erhielt von dem Kläger ein
Darlehn von 550000 M unter den in dem notariellen
Vertrage Nr. 1432 vom 28. November 1902 niederge⸗
legten Bedingungen und verpfändete dafür dem Kläger
durch einen zweiten notariellen Vertrag vom gleichen
Tage, Nr. 1431, ſeinen Geſchäftsanteil an K.s K.⸗Geſchäft,
G. m. b. H., deſſen Höhe in dem Vertrage auf 800000 M
angegeben iſt. Zum 15. Juni 1906 kündigte er das
Darlehen. Der Kläger war mit der Kündigung eins
verſtanden und machte nur den Vorbehalt, daß er,
feinen Anſpruch auf eine Unterbeteiligung von 50000 M
an K.s K.⸗Geſchäft aufrecht erhalte, die ihm der Beklagte
in dem Vertrage Nr. 1432 abgetreten hatte. Von dem
Darlehen wurden 358000 M am 16. Juni 1906, 88 240 M
am 20. desſelben Monats und 103760 M nach dem
1. Juli 1907 zurückgezahlt, nachdem der Kläger letzteren
Betrag eingeklagt und in zwei Inſtanzen im weſent⸗
lichen geſiegt hatte. Mit der vorliegenden Klage ver⸗
langt der Kläger einmal die auf die erwähnte Unter⸗
beteiligung für das Geſchäftsjahr vom 1. Juli 1906
bis 30. Juni 1907 entfallende Dividende in der ziffer⸗
mäßig unbeſtrittenen Höhe von 22 500 M und einen
Dividendenreſt aus dem vorhergehenden Jahre, ferner
weitere Beträge als „Gewinnbeteiligung“, indem er
ſich darauf beruft, daß ihm in dem Vertrage Nr. 1432
von der Darlehnsſumme 2/% „als Gewinnbeteiligung“
pro Jahr zugeſagt ſind. Der Beklagte und die Neben-
intervenientin behaupteten die Nichtigkeit der Verträge
Eine Feſtſtellung nach dieſer
Nr. 1431 und 1432. Sie ſoll ſich zunächſt daraus er⸗
geben, daß der Verpfändungsvertrag wegen Form—
mangels nichtig ſei, beide Verträge aber derart zu—
ſammen gehörten, daß die Nichtigkeit des einen die
des anderen nach ſich ziehe. Weiter habe er den vers
pfändeten Anteil im Jahre 1902 nicht mehr ganz be=
ſeſſen, da er im Dezember 1899 einen Teilbetrag von
100 000 M an die Geſchwiſter L. abgetreten habe; es
ſei ſomit etwas nicht Vorhandenes verpfändet worden.
Auf den erſten Einwand iſt das OLG. ſachlich nicht
eingegangen, weil hierüber in einem Vorprozeſſe rechts-
kräftig erkannt ſei. Damals hatte der Kläger rück—
ſtändige Zinſen, Gewinnbeteiligung und Dividende auf
die Unterbeteiligung eingeklagt, der Beklagte aber
hatte Widerklage erhoben, mit der er verlangte, die
beiden Verträge, mindeſtens aber die in ihnen ſeiner
Anſicht nach enthaltene Abtretung eines Teils ſeines
Geſchäftsanteils für nichtig zu erklären, und hatte
zur Begründung der Widerklage auch die angeblich
mangelnde Genehmigung derGeſellſchaft geltend gemacht.
Dieſe Widerklage iſt rechtskräftig abgewieſen worden.
Die Reviſion betrachtet die Widerklage mit
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
25
Recht als negative Feſtſtellungsklage, beftreitet aber
unter Berufung auf ältere Reichsgerichtsurteile, daß
mit der Abweiſung zugleich pofitiv die Exiſtenz des
bekämpften 18 misc reftgefteilt ſei. Dieſer
Kine vom I. 35. — Entſch. 6, 386, vgl. auch Urteil
es III. 38S. vom 23. Nov. 1897, III 193/97 — aus⸗
geſprochenen Meinung iſt indeſſen aus den vom IV. 3S.
— Entſch. 29, 345 ff. — entwickelten Gründen nicht
zu folgen, auch iſt fie vom I. 38S. nicht aufrecht er⸗
halten worden. Beizutreten iſt vielmehr der herrſchend
gewordenen Anſicht, daß eine die negative ee
klage aus ſachlichen Gründen abweiſende Entſcheidung
zugleich die Feſtſtellung des Beſtehens des Rechtsver⸗
hältniſſes enthält, vgl. Gaupp⸗Stein, Anm. V zu § 256
ZPO. und die Entſcheidungen in Note 119 daf.; ferner
RG. 8. und 10. Mai 1901, Reg. I 59/01 und III 384/01,
ſowie das Urteil dieſes Senats vom 30. Mai 1910,
Reg. VI 268/09. Daß in dem Vorprozeſſe eine ſach⸗
liche Entſcheidung ergangen iſt, ſtellt die Reviſion nicht
in Abrede, es läßt ſich das auch füglich nicht bezweifeln,
denn das OLG. hat damals, abgeſehen von der bereits
erwähnten Einrede, noch weiter die ſpeziell gegen den
Vertrag Nr. 1432 gerichteten Einwendungen geprüft,
er ſei wucheriſch und die in ihm enthaltene Abtretung
einer Unterbeteiligung verſtoße gegen § 17 Gmbh.
Es iſt zu der Ueberzeugung gelangt, daß beide Verträge
zu Recht beſtehen und hat deswegen die Widerklage
abgewieſen. Hiermit iſt zugleich poſitiv die Gültigkeit
der beiden Verträge feſtgeſtellt und der Beklagte kann
dieſe Gültigkeit, die die Vorausſetzung der jetzt er⸗
hobenen Anſprüche bildet, nicht mehr ſtreitig machen,
Entſch. 50, 418. Ob das OG. bei dieſer Rechtslage
Veranlaſſung hatte, ſachlich auf die Einwendungen
einzugehen, die ſich gegen die Gültigkeit der beiden
Verträge richten, in dem früheren Rechtsſtreite aber
nicht vorgebracht waren — vgl. Entſch. 50, 419 —,
mag auf ſich beruhen; denn ſeine hierher gehörenden
ſachlichen Ausführungen ſind unbedenklich und werden
von der Reviſion nicht in Zweifel gezogen.
Der Beklagte und die Nebenintervenientin rügen
weiter Verletzung des 8 286 ZPO., der Auslegungsvor⸗
ſchriften des BGB. und des § 247 daſ. Es handelt ſich
hiervei um die Auslegung der Beſtimmungen des Ver⸗
trages Nr. 1432, die ſich auf die Unterbeteiligung
beziehen. Der Vorderrichter faßt dieſe Unterbeteiligung
als eine Vergütung für die Gewährung des Darlehns,
eine Art Proviſion, auf und nimmt an, daß ſie mit
der Verzinſung des Darlehns nichts zu tun habe, von
der Kündigung nicht berührt werde und ſo lange be⸗
ſtehe, als K.s K.⸗Geſchäft exiſtieren werde. Die Reviſion
meint, hierbei ſei unberückſichtigt geblieben, daß Be⸗
klagter auf die Unterbeteiligung 155% Dividende
garantiert habe, und zwar finde ſich dieſe Abmachung
an einer Stelle des Vertrags, an der ſie als Ver⸗
gütung für den Darlehnsgenuß, alſo als Zins auf⸗
gefaßt werden müſſe. Wolle man ſie aber nicht direkt
als Zins anſehen, ſo ſei ſie doch eine der verſchiedenen
Gegenleiſtungen des Beklagten für den Genuß des
Kapitals und müſſe daher im Verhältnis der Kapital⸗
rückzahlungen wegfallen. Auch dieſer Angriff geht fehl.
Zuzugeben iſt dem Beklagten, daß es für die Frage,
ob eine Leiſtung als Zins anzuſehen iſt, nicht ent⸗
ſcheidend darauf ankommt, wie ſie von den Beteiligten
genannt wird. Eine Definition des Begriffs gibt das
BGB. nicht, man wird aber unbedenklich annehmen
können, daß die Zinſen eine Vergütung für den Ge⸗
brauch fremden Kapitals darſtellen — vgl. Oertmann,
Anm. 1 zu $ 246 BGB. — nicht für deſſen Ueberlaſſung
als ſolche und daß ſie von dem Beſtehen und der Höhe
der Hauptſchuld abhängig ſein müſſen. Sie ſind inſo⸗
weit eine Nebenverbindlichkeit — RGRKomment.,
Anm. 1 zu § 246 BGB. —, deren Höhe ſich bei gleich⸗
bleibendem Zinsfuß mit der teilweiſen Zurückzahlung
des Kapitals mindert und die mit der völligen
Tilgung erlöſchen — vgl. auch Enneccerus, Lehrb. des
bürgerl. Rechts, II S. 19 (4. und 5. Auflage). Eine
anders geartete Vergütung kann nicht mehr den für
Zinſen geltenden Vorſchriften unterſtellt werden. Von
dieſem Standpunkte aus iſt die Auffaſſung des
OL G., daß die Unterbeteiligung nicht als Zins anzu⸗
ſehen ſei, zutreffend. Es gebt mit Recht davon aus,
daß der Vertrag Nr. 1432 kein reiner Darlehnsvertrag
iſt, ſondern noch andere Abreden enthält, die mit dem
Darlehn im Zuſammenhange ſtehen. Ohne Bedenken
iſt zunächſt die Feſtſtellung, daß die Unterbeteiligung
eine Gegenleiſtung für die Gewährung des Darlehns
ſei; denn das wird zu Eingang des Vertrags deutlich
ausgeſprochen und ebenfalls in dem vom Vorderrichter
herangezogenen Briefe des Beklagten vom 28. November
1902 zum Ausdruck gebracht. In der Unterbeteiligung
erhielt mithin der Kläger für die Hingabe des Dar⸗
lehns eine beſondere Prämie, beſtehend in einem obli⸗
atoriſchen Anſpruche gegen den Beklagten, auf Ueber⸗
aſſung des Gewinnes, der auf eine Beteiligung von
50 000 M an K.s K.⸗Geſchäft entfallen würde, vgl. ferner
Staub, Exkurs zu § 122 HGB., Anm. 31; 8 15 GmbHG.
Anm. 9. Daß dieſer Gewinnanteil in irgend eine
andere Abhängigkeit von dem Darlehn gebracht wäre,
als daß er für deſſen Hingabe zugeſtanden wurde, iſt
nicht erſichtlich. Es geſchieht das auch nicht dadurch,
daß der Beklagte eine jährliche Dividende von 15 %
garantiert hat, da hiedurch nur den Schwankungen
der Vergütung eine untere Grenze gezogen wird. Aus
der Stelle, die dieſe Klauſel im Vertrage gefunden
hat, iſt nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Mit dem
Zinscharakter der Unterbeteiligung entfallen auch die
Folgerungen, die die Reviſion daraus zieht; es verſteht
ſich keineswegs von ſelbſt, daß ſie von der Kündigung,
die übrigens auch für den Zinſenlauf keine unmittel-
bare Bedeutung hat, oder von der teilweiſen Kapital⸗
rückzahlung beeinflußt werden müßte. Eine Verletzung
des § 247 BGB. liegt mithin nicht vor, wozu noch
bemerkt werden möge, daß dieſe Vorſchrift ſich nur
auf die Zuläſſigkeit der Kündigung bezieht, deren
Wirkſamkeit aber, da ſich der Kläger mit ihr einver⸗
ſtanden erklärt hat, nicht in Frage ſteht. Aus der
Verneinung der Zinsnatur folgt noch nicht, daß über-
haupt keine Abhängigkeit zwiſchen der Nutzung des Dar⸗
lehnskapitals und der Dauer der Unterbeteiligung be=
ſtehen könnte. Eine ausdrückliche Abmachung hierüber
fehlt. Ob nun anzunehmen iſt, daß die Unterbeteiligung
dem Kläger für die ganze Exiſtenz von K.s K.⸗Geſchäft
gebührt, wie die Vorinſtanz annimmt, mag unent⸗
ſchieden bleiben, denn jedenfalls iſt nicht abzuſehen,
weshalb fein Recht vor der völligen Kapitalsrück—
zahlung enden ſollte. Wollte man nämlich die Unter⸗
beteiligung auch als eine nicht Zinscharakter tragende
Vergütung für den Genuß des Darlehns anſehen,
ſo fehlt es doch an allen Anhaltspunkten dafür, daß
die Parteien eine Verminderung bei teilweiſer Ab⸗
tragung des Darlehns gewollt hätten. Das genügt,
um den Anſpruch des Klägers auf die Dividende für
das mit dem 30. Juni 1907 beendete Geſchäftsjahr
ſowie auch den Rückſtand aus früherer Zeit als be⸗
gründet erſcheinen zu laſſen; denn die letzte Kapitals⸗
zahlung erfolgte erſt nach dieſem Zeitpunkte. Hiernach
iſt die von dem Beklagten und der Nebenintervenientin
eingelegte Reviſion unbegründet. Das Gleiche gilt
aber auch von der Reviſion des Klägers, die ſich gegen
die auf die, Gewinnbeteiligung“ bezügliche Entſcheidung
des OLG. wendet. Zutreffend ſagt das Urteil, daß
ſie in dem Vertrage Nr. 1432 und ebenſo in dem Briefe
vom 28. November 1902 als jährliche Vergütung neben
die Zinſen geſtellt werde. In dem erſteren heißt es:
„Außer dieſen Zinſen vergütet Herr K. dem Herrn H.
alljährlich am 1. Oktober, zuerſt am 1. Oktober des
nächſten Jahres, für die Zeit vom 1. Januar bis
1. Juli 1903 von dem Betrage von 550000 32 zwei
und ein halb Prozent als Gewinnbeteiligung pro Jahr.“
Hiermit ſtimmt es völlig überein, wenn in dem Briefe
gefagt wird, daß Beklagter die Unterbeteiligung ab⸗
trete, „wenn Sie mir ein Darlehn ... gegen Ver⸗
gütung von 5% Zinfen und 2½ % Gewinnbeteiligung
pro Jahr gewähren“. Die Gewinnbeteiligung wird
mithin in unmittelbare Abhängigkeit von der Kapital-
höhe gebracht und in Prozenten der Schuldſumme
feſtgeſetzt, ganz ebenſo wie die Zinsvergütung. Als
Gründe, die gegen die Zinsnatur der Gewinnbeteiligung
ſprechen könnten, führt das OLG. an, daß ſie nur zu
zahlen ſei, wenn K.s K.⸗Geſchäft Reingewinn verteile,
ferner, daß vereinbart iſt, die Gewinnbeteiligung ſei
zehn Jahre lang auch dann zu zahlen, wenn Beklagter
von ſeinem Rechte, das Darlehn nach fünf Jahren zu
kündigen, Gebrauch machen ſollte. Ob die Gewinn—
beteiligung nur geſchuldet wird, wenn K.s K.⸗Geſchäft
Reingewinn erzielt, iſt nicht ohne Bedenken. Die
Faſſung des Vertrags, nach der die 2½ % „als
Gewinnbeteiligung“ zu zahlen ſind, läßt die Auffaſſung
des Beklagten, ſie ſeien in jedem Falle zu entrichten,
umſoweniger als unmöglich erſcheinen, als andern—
falls nicht abzuſehen iſt, wieviel Beklagter bei einer
niedrigen Dividende von K. K.-Geſchaft, etwa bei 1%
zahlen ſoll, in dieſem Falle auch die von dem Be—
klagten am Schluſſe des Vertrags übernommene Haftung
für jeden Ausfall in Frage käme. Nimmt man indeſſen
die Vertragsauslegung des Vorderrichters als richtig
an, ſo kommt, wie er mit Recht ausführt, in Be—
tracht, daß die Gewinnbeteiligung trotzdem tatſäch⸗
lich als feſte Vergütung angeſehen werden kann, weil
bei den glänzenden Erträgniſſen von K.s K.⸗Geſchäft
die Möglichkeit einer hinter 2½ % zurückbleibenden
Dividende ſo fern lag, daß die Vertragsparteien ſie
nicht ernſtlich in Betracht gezogen haben. Schwer:
wiegender iſt der zweite Einwurf, weil er auf eine ge—
wiſſe Unabhängigkeit der Gewinnbeteiligung gegenüber
der Hauptſchuld hindeutet. Das OLG. nimmt an,
man könne eine über die Dauer der Hauptforderung
hinausreichende Verzinſung bedingen und ſo mittelbar
den Zinsfuß erhöhen, eine ſolche Abmachung werde
aber durch eine nach $ 247 BGB. erfolgte Kündigung
hinfällig. Dieſe Ausführungen werden von der Reviſion
nicht ohne Grund beanſtandet. Zwar iſt es unbedenklich
zuläſſig, im Zuſammenhang mit einem Darlehn eine
in Prozenten der Hauptſumme ausgedrückte Vergütung
auch für die Zeit nach der Rückzahlung zu vereinbaren,
die zu entſcheidende Frage iſt aber gerade die, ob eine
ſolche Vergütung hier als Zins behandelt werden
darf. Als entſcheidend iſt zu erachten, daß die Ge—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
|
rauten.
winnbeteiligung im übrigen die charakteriſtiſchen Merk-
male echter Zinſen aufweiſt, ſie auch nach der Feſt—
ſtellung des Vorderrichters zuſammen mit den Zinſen
den jährlichen Ertrag des Kapitals bilden ſollte und
die Bezeichnung „Gewinnbeteiligung“ nur gewählt
wurde, um das Kündigungsrecht des Beklagten aus—
zuſchließen. Hiernach konnte der Vorderrichter die
Gewinnbeteiligung ohne Rechtsirrtum als Zins be—
handeln und ſie dem Kläger nur nach Maßgabe der
noch geſchuldeten Kapitalbeträge zuſprechen. (Urt. des
VI. 3S. vom 20. Oktober 1910, VI 456/1909). E.
2107
VII.
Widerſpruchsklage gegen die Zwangs verſteigerung
auf Grund eines Veräußerungsverbots. (66 771, 772
SPD). Aus den Günden: Der Berufungsrichter
führt aus, der Antrag der Klägerin, die Zwangsver—
ſteigerung auf Grund der in Abt. III Nr. 9 einge—
tragenen Grundſchuld für unzuläſſig zu erklären, finde
in 8 772 3PO. keine Stütze, weil die Grundſchuld vor
dem für die Klägerin eingetragenen Veräußerungs—
verbot eingetragen worden ſei, alſo dem Verbot im Range
vorgehe. Das unterliegt keinem rechtlichen Bedenken.
Nach der durch die Novelle vom 17. Mai 1898 einge—
führten Vorſchrift des 8 772 ZPO. kann auf Grund
eines Veräußerungsverbots zum Schutze beſtimmter
Perſonen (58 135, 136 BGB.) gegen die im Wege der
Zwangsvollſtreckung betriebene Veräußerung eines
Gegenſtandes nur dann nach 8 771 ZPO. Widerſpruch
erhoben werden, wenn die Veräußerung wegen eines
perſönlichen Anſpruchs oder auf Grund eines infolge
des Verbots unwirkſamen Rechts erfolgen ſoll. Dieſe
Vorausſetzung für die Widerſpruchsklage iſt nicht ges
geben. Denn der Beklagte betreibt nicht wegen eines
perſönlichen Anſpruchs gegen die Grundſtückseigen⸗
tümer, ſondern auf Grund einer eingetragenen Grund—
ſchuld die Zwangsverſteigerung und dieſe Grundſchuld
iſt nicht infolge des Veräußerungsverbots unwirkſam,
weil fie ſchon eingetragen war, bevor das Veräuße—
rungs verbot zugunſten der Klägerin eingetragen wurde.
Auch auf S 771 ZPO. unmittelbar kann die Klage
nicht geſtützt werden. Denn ein Veräußerungs verbot,
das nur den Schutz beſtimmter Perſonen bezweckt, ent⸗
zieht dem Eigentümer nicht die Befugnis zur Verfügung
über den Gegenſtand und iſt deshalb nicht ein die
Veräußerung hinderndes Recht im Sinne dieſer Vor⸗
ſchrift. Deshalb kann die Klägerin nicht auf Grund
des für ſie eingetragenen Veräußerungsverbots die
Unzuläſſigkeit der vom Beklagten wegen der Grund—
ſchuld betriebenen Zwangsvollſtreckung im Wege der
Widerſpruchsklage deswegen geltend machen, weil der
Beklagte in Wirklichkeit nicht Gläubiger der Grund—
ſchuld ſei. (Urt. des V. ZS. vom 17. Oktober 1910,
V 444/09). — — en.
2103
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Beginn der Klagbarkeit des Anſpruchs der bayerischen
Beamten auf Gehaltserhöhung (Art. 178 B.). Be:
rechnung der Dienſtzeit (Art. 23 BG). Unauwendbar⸗
keit des 8 66 Abſ. 1 R Mil G. auf Staatsdienſtaſpi⸗
Der Poſtſekretär M. hat die Adjunktenprü⸗
fung am 3. Mai 1893 beſtanden. Er war dann Hilfs⸗
arbeiter im bayeriſchen Poſtdienſt (Aſpirant) und
wurde zur Ableiſtung ſeiner Militärdienſtpflicht bom
1. November 1894 ab auf ein Jahr des Dienſtes ent⸗
hoben. Am 1. November 1895 trat er ſeinen Dienſt
als ſtändiger Hilfsarbeiter wieder an. Vom 16. De⸗
zember 1895 an wurde er zum Adjunkten (Kat. B III)
in M. ernannt; feine Nachleute in der Adjunkten—
prüfung waren ſchon am 1. Juli 1894 als Adjunkten
angeſtellt worden. Am 16. Februar 1903 beſtand M.
die Expeditorenprüfung und wurde darauf vom 1. Ok-
tober 1903 an zum Expeditor I. Kl. befördert. Am
11. März 1905 wurde ihm vom Oberpoſtamte eröffnet,
er werde zufolge der Entſchließung des Miniſteriums
für Verkehrsangelegenheiten vom 30. November 1904
und Entſchließung der Generaldirektion der Poſten und
|
Telegraphen mit dem Ergebniſſe feiner Expeditoren—
prüfung in die Erpeditorenprüfung vom 22. April 1901
unter Platz 151 b eingereiht und das für feine Gehalts-
vorrückung und Dienſtaltersfolge maßgebende Datum
werde auf den 1. März 1903 feſtgeſetzt. Bei der Neu—
regelung der Gehaltsverhältniſſe der etatsmäßigen
Staatsbeamten durch das BG. vom 16. Auguſt 1908
wurden die früher getrennten Klaſſen der Adjunkten
und Poſtexpeditoren J. Kl. (Kategorie B III und BI)
in eine Klaſſe (17) vereinigt. Durch die Entſchließung
der Oberpoſtdirektion vom 15. Dezember 1908 wurde
angeordnet, daß M. als Poſtſekretär vom 1. Januar
1909 an den Gehalt der 5. Dienſtaltersſtufe der Klaſſe
17 (13. bis 15. Dienſtjahr) von jährlich 3000 M er:
halte und daß für die Vorrückung in die 6. Dienſt—
altersſtufe der 1. Dezember 1910 in Betracht komme.
Da die Poſtbeamten, welche die Expeditorenprüfung
am 22. April 1901 gemacht hatten, ſchon vom 1. Juli
1909 an in die 6. Dienſtaltersſtufe mit dem Gehalte
Zeitſchrift für Rechtspflege i in Bayern.
von 3300 M eingereiht wurden, richtete M. am 15. Ja⸗
nuar 1909 an die Oberpoſtdirektion eine Eingabe, in
der er geltend machte, nach dem in der Adjunkten⸗ 1903 maßgebend ſei.
prüfung erhaltenen Platze würde auch er wie ſeine
Prüfungsgenoſſen am 1. Juli 1894 zum Adjunkten er⸗
nannt worden ſein, wenn ſich nicht ſeine Anſtellung
durch die Ableiſtung der Militärdienſtpflicht verzögert
hätte. Im Hinblick auf die durch die Entſchließung
|
vom 30. November 19041 angeordnete Vordatierung fei |
deshalb das maßgebende Datum für feine Einreihung
in die neue Gehaltsordnung der 1. Juli 1894; er habe
hiernach nicht erſt am 1. Dezember 1910, ſondern ſchon
am 1. Juli 1909 in den Bezug von 3300 M einzurücken.
Er bitte deshalb den 1. Juli 1894 als das für ſeine
Gehalts vorrückung maßgebende Datum feſtzuſetzen. Die
Oberpoſtdirektion hat ſeinem Geſuche nicht entſprochen
und ein weiteres Geſuch iſt vom Verkehrsminiſterium
am 16. Juli 1909 abgewieſen worden. Die deshalb
von M. gegen den Poſtfiskus erhobene Klage iſt ab—
gewieſen worden. Seine Berufung wurde zurückgewieſen.
Auch ſeiner Reviſion wurde der Erfolg verſagt.
Gründe: Das Staatsdienſtverhältnis iſt vor⸗
wiegend öffentlichrechtlicher Natur, vor den Gerichten
verfolgbare Anſprüche können aus dieſem Verhältniſſe
nur ſoweit geltend gemacht werden, als es durch das
Geſetz zugelaſſen iſt. Der Art. 176 Abſ. 1 BG. vom
16. Auguſt 1908 beſtimmt, daß für die vermögens
rechtlichen Anſprüche der Beamten aus ihrem Dienſt⸗
verhältnis, insbeſondere ihre Anſprüche auf Gehalt,
der Rechtsweg offenſteht. Die Klage gründet ſich auf
die Behauptung, daß der Kläger vom 1. Juli 1909 an
einen höheren Gehalt zu beziehen habe, weil er an
dieſem Tage in die ſechſte Dienſtaltersſtufe feiner Be-
ſoldungsklaſſe hätte eintreten ſollen. Der Kläger ver—
langt, daß ſein Gehalt in anderer Weiſe bemeſſen werde,
als es durch die Entſchließung der Oberpoſtdirektion
München vom 15. Dezember 1908 geſchehen iſt, durch
die angeordnet wurde, daß der Kläger vom 1. Januar
1909 an als Poſtſekretär den Gehalt der fünften Dienft-
altersſtufe der Klaſſe 17 der Gehaltsordnung erhalte
und daß für die Vorrückung in die ſechſte Dienſtalters⸗
ſtufe der 1. Dezember 1910 in Betracht komme. Ein
im Rechtswege verfolgbarer Anſpruch auf Bemeſſung
des Gehalts in einer beſtimmten Höhe oder auf Vor—
rückung im Gehalte ſteht aber den Beamten — abge—
ſehen von der Ausnahme für die richterlichen Beamten
im Art. 183 Abſ. 2 Ziff. 2 BG. — nicht zu. Der Art. 178
ſchreibt ausdrücklich vor, daß für die Beurteilung der
vor dem Gerichte geltend gemachten vermögensrecht—
lichen Anſprüche die Entſcheidungen der Verwaltungs—
behörden über die Zuweiſung des Gehalts bindend
ſind. Daraus ergibt ſich, daß die Tatſache der Zu—
weiſung eines beſtimmten Gehalts mit der Rechtsfolge
unanfechtbar feſtſteht, daß nur darnach der Umfang
dieſer Anſprüche richterlich beſtimmt werden ſoll, daß
aber das Gericht nicht befugt iſt, in den Kreis ſeiner
Erwägungen auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit der
Gehaltszuweiſung zu ziehen und die vermögensrecht—
lichen Anſprüche auf einer anderen Grundlage feſtzu—
ſetzen. Das Berufungsgericht hat auf Grund der Ge—
ſetzesbeſtimmungen und der amtlichen Begründung
dieſer Beſtimmungen ſowie unter Verwertung der in
der Theorie hervorgetretenen Anſchauungen mit Recht
ar Nr. 1. 27
N und verfügt wurde, daß für die Dienftalters-
folge und die Vorrückung im Gehalte der 1. März
Dadurch habe der Kläger einen
Rechtsanſpruch auf Vorrückung im Gehalte vom 1. Juli
1909 an erworben, der ohne Verletzung von Treu
und Glauben bei der Neuregelung der Gehalte durch
das BG. und der hierbei erfolgten Einreihung des
Klägers in die 17. Klaſſe der Gehaltsordnung nicht
habe unberückſichtigt gelaſſen werden dürfen. Allein
auch nach dieſer Richtung kann die Reviſion nicht von
Erfolg ſein. Für die Einreihung des Klägers in die
Klaſſe 17 der Gehaltsordnung und für die Bemeſſung
der Vorrückung in den Gehalt einer höheren Dienjt-
altersſtufe war nach Art. 28 Abſ. 3 BG. und § 4 Abſ. 3
der VO. vom 6. September 1908, die Gehaltsverhält-
niſſe der etatsmäßigen Staatsbeamten betr., nicht der
Zeitpunkt ſeiner wirklichen oder vordatierten Ernennung
zum Expeditor und die von da an ſich berechnende
Dienſtaltersfolge, ſondern die Zeit maßgebend, die der
Kläger feit feiner Ernennung zum Adjunkten in etats⸗
mäßiger Weiſe in den beiden Dienſtesſtellungen als
Adjunkt und Expeditor zugebracht hatte. Als Inhalt
der Entſchließung vom 2. März 1905 hat aber das
Berufungsgericht feſtgeſtellt, daß die Beamten, die in⸗
folge der Ableiſtung ihrer Militärpflicht die Expedi—
torenprüfung erſt ſpäter als ihre Konkursgenoſſen aus
den Adjunktenprüfungen ablegen konnten, in die ent⸗
ſprechenden früheren Expeditorenprüfungen einzureihen
und demgemäß vorzudatieren ſeien, daß hiernach auch
der Kläger in die Expeditorenprüfung vom 22. April
angenommen, daß der Beamte — abgeſehen von den
Richterbeamten — einen Anſpruch auf Gehalt in be—
ſtimmter Höhe, auf Gehaltsvorrückung und auf die
mit der Vorrückung verbundene Gehaltserhöhung erſt
durch die Zuweiſung erhält, daß ihm aber kein vor
Gericht verfolgbarer Anſpruch darauf zuſteht, daß eine
Erhöhung des bisher von ihm bezogenen Gehaltes
verfügt werde.
Die Reviſion ſucht demgegenüber geltend zu
machen, daß dieſe Zuweiſung für den Kläger in
der Entſchließung, vom 2. März 1905 zu erblicken
ſei, durch die er in eine frühere Expeditorenprüfung
1901 eingereiht und das für ſeine Gehaltsvorrückung
und Dienſtaltersfolge als Expeditor maßgebende Datum
auf den 1. März 1903 feſtgeſetzt wurde, daß aber eine
Anordnung des Inhalts, daß M künftig und für alle
Zeit in jeder Hinſicht denjenigen Beamten gleichſtehen
ſolle, die gleichzeitig mit ihm ſeinerzeit die Adjunften-
prüfung beſtanden hatten, in der Entſchließung nicht
enthalten ſei; nur ſein Gehalt als Expeditor ſollte
ſo berechnet werden, als wäre ſeine Ernennung zum
Expeditor I. Kl. am 1. März 1903 erfolgt. Dieſe im
Wege der Auslegung gewonnene Feſtſtellung des Sin—
nes der Entſchließung vom 2. März 1905 iſt eine tat-
ſächliche und wäre mit der Reviſion nur dann angreif-
bar, wenn das Ergebnis der Auslegung unter Ver—
letzung der Rechtsnormen der Auslegung von Willens—
erklärungen oder der Geſetze der Logik gewonnen wäre.
Dies iſt aber nicht der Fall. Verfehlt iſt auch die
Rüge der Reviſion, daß dieſe Auslegung im Wider—
ſpruche mit der Vorſchrift des $ 66 RMilG. vom 2. Mai
1874 ſtehe und daß auch der Art. 28 Abſ. 7 BG. mit
dieſer Vorſchrift nicht im Einklange ſtehe, der es, falls
ſich die Ernennung eines Staatsdienſtaſpiranten zum
etatsmäßigen Beamten durch die aktive Militärpflicht
verzögert hat, in das Ermeſſen der Regierung ſtellt,
die Zeit der Verzögerung bei der ſpäteren Ernennung
zum etatsmäßigen Beamten für die Bemeſſung des
Gehalts anzurechnen. Denn der 8 66 Abſ. 1 ſpricht
nur davon, daß „Beamte“ durch ihre Einberufung
zum Militärdienſt in ihren bürgerlichen Dienſtver—
hältniſſen einen Nachteil nicht erleiden ſollen, berührt
aber überhaupt nicht den Fall, daß ein Staatsdienſt—
aſpirant wie der Kläger vor ſeiner Ernennung zum
Beamten der Militärpflicht genügt. (Urt. des J. ZS.
vom 21. Oktober 1910, Reg. l. 184/1910). W.
2103
B. Strafſachen.
I.
§§ 135, 136 des Bereinszollgeſetzes. Pferdezoll;
Konfiskation, Wertserſatz; Zeit der Entſtehung des An:
ſpruchs auf Wertöerfah. Der Angeklagte führte ein
in Oeſterreich erzeugtes Pferd auf dem Eiſenbahnwege
von Oeſterreich über P. nach Bayern ein und ließ bei
der Verzollung den Wert des Pferdes zu „unter 1000 M,
angeben, wofür ein Zoll von 50 M zu entrichten
geweſen wäre. Durch Schätzung amtlicher Sachver⸗
ſtändiger wurde jedoch ein Wert von über 1200 bis
1500 M und für den Fall, daß auf Erlegung des
Wertes zu erkennen 1 auf 1201 M ermittelt; der
Zoll betrug darnach 75 M und wurde bezahlt. Der
Angeklagte hatte das Pferd um 1240 Kronen = 1054 M
gekauft und alsbald wieder vertauſcht. Der Angeklagte
wurde vom Schöffengericht wegen einer Zuwiderhand⸗
lung gegen die 88 135, 136 Ziff. 1e Ver. ZG. zum Wert⸗
erſatze von 1201 M und in eine Geldſtrafe von 100 M
verurteilt. Die Berufung des Angeklagten wurde ver»
worfen. Das Berufungsgericht hat den Angeklagten
für überführt erachtet, daß er in P. es unternommen
hat, Eingangsabgaben zu hinterziehen, indem er als
Gewerbetreibender einen Gegenſtand, der zu ſeinem
Gewerbe in Beziehung ſtand, im Falle ſpezieller De⸗
klaration in einer Beſchaffenheit deklarierte, welche
eine geringere Abgabe (50 ſtatt 75 M) begründet haben
würde (Uebertretung nach den 8$ 135, 136 Ziff. Le
Ver. ZG.). Es hat den von dem Angeklagten verſuchten
Nachweis, daß eine Defraudation nicht beabſichtigt ge⸗
weſen ſei, nicht als erbracht angeſehen, vielmehr die
Defraudationsabſicht des Angeklagten angenommen.
Aus den Gründen: Die Reviſion blieb ohne
Erfolg. Das Berufungsgericht hat nicht angenommen,
daß der Angeklagte einer Defraudation nach dem $ 135
Ver. 3G. im begrifflichen oder gar ſachlichen Zuſammen⸗
hange mit einer Defraudation nach dem $ 136 Ziff. Le
Ver ZG. ſich ſchuldig gemacht habe. Dies wäre fehler⸗
haft. Vielmehr hat das Berufungsgericht, ohne auf
die 88 73, 74 StGB. Bezug zu nehmen, die im § 136
Ziff. 16 bezeichneten Tatſachen als erwieſen angenommen
und zufolge des Mißlingens des Nachweiſes, daß eine
Defraudation weder habe verübt werden können, noch
beabſichtigt geweſen ſei, die Zolldefraudation nach 8 135
als vollbracht angenommen. Das Berufungsgericht
hat alfo in der im $ 136 Ziff. Le bezeichneten Tat⸗
ſache in Anbetracht des Mißlingens des Entlaſtungs⸗
beweiſes die Verwirklichung des Tatbeſtandes des 8 135
erblickt. Das entſpricht dem Geſetze.
Wer Pferde aus einem Vertragsſtaat einbringt,
darf nach dem auch hier maßgebenden Handelsvertrage
mit Belgien vom =. Juni 1904 (Schlußprotokoll zu
Art. 2 und 3 in neuer Faſſung) nicht einen bis zu
10% geringeren Wert erklären; vielmehr ſoll nur der
äußere Tatbeſtand des 8 136 Ziff. 1e Ver. ZG. erſt dann
vorliegen, wenn der erklärte Wert um mehr als 10%
hinter dem amtlich feſtgeſtellten Werte zurückſteht.
Ausſchließlich eine ſolche Spannung zwiſchen dem er—
klärten und dem amtlich feſtgeſtellten Werte wird nad)»
geſehen; auf den Mangel der Uebereinſtimmung der
Deklaration mit anderen für die Bewertung maß—
gebenden Umſtänden (wie mit dem vom Einbringer
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
|
1911. Nr. 1.
mungen des Ver 3G. führen dazu, den Ausdruck „Be⸗
ſchaffenheit“ in einem weiteren Sinne auszulegen, der
auch den Wert der zollpflichtigen Gegenſtände in ſich
begreift. § 136 Ziff. 16 handelt von einer unrichtigen
Deklaration der Menge oder der Beſchaffenheit; Be⸗
zeichnung „nach Quantität und Qualität“ gilt als die
umfaſſendſte Bezeichnung von Waren, neben der hierzu
nichts mehr notwendig iſt; darnach gehört der höhere
oder geringere Wert zur „Qualität“, zur Beſchaffenheit.
Der § 22 Ver 3G. verlangt bei der ſpeziellen Dekla⸗
ration die Angabe der Menge und Gattung der Ware
nach den Benennungen und Maßſtäben des Tarifs.
Wenn nun anknüpfend hieran der 8 136 Ziff. 16 von
der Deklarierung in einer zu geringen Menge oder in
einer eine geringere Abgabe begründenden Beſchaffen⸗
heit ſpricht, ſo iſt dieſer letztere Ausdruck aus dem
§ 22 dahin zu erklären, daß hierunter die Angabe der
Gattung, die tarifmäßige Benennung und die Angabe
der tarifmäßigen Maßſtäbe zu verſtehen iſt. Für die
Verzollung der Pferde iſt der Wert ein Maßſtab des
Tarifs; insbeſondere iſt er im Tarife genau an der
gleichen Stelle und in der gleichen Weiſe erwähnt,
wie unzweifelhafte Beſchaffenheitsmerkmale z. B. die
Feinheitsnummer von Geſpinſten, die Art der Be⸗
arbeitung oder Aufmachung, der phyſikaliſche Zuſtand.
Nur vom Standpunkte der Anwendbarkeit des 8 136
Ziff. 1e aus war die Vereinbarung zu Art. 2 und 3
des Schlußprotokolls zum Handelsvertrage mit Belgien
|
im Auslande gezahlten Kaufpreiſe) iſt dies nicht aus⸗
zudehnen. Für den Wert, nach dem der Zoll ſich richtet,
ſind dem Werte der Ware am Orte der Erzeugung
oder des Ankaufs die bis zum Orte der Eingangs
abfertigung erforderlichen Beförderungs-, Verſiche—
rungs⸗ und Kommiſſionskoſten hinzuzurechnen.
Der im 8 136 Ziff. le Ver ZG. angeführte äußere
Tatbeſtand iſt gegeben. Das Pferd war ein zollpflich-
tiger Gegenſtand und ſtand in Bezug zu dem Gewerbe
des Angeklagten, der Pferdehändler iſt. Da das Pferd
an der Grenze in den freien Verkehr treten ſollte, war
ein Fall der ſpeziellen Deklaration nach dem 8 39 Ver 3G.
gegeben.
gegeben worden, welche eine geringere Abgabe (50
ſtatt 75 M) begründet haben würde. Allerdings iſt
der Wert einer Sache nicht eine Eigenſchaft im Sinne
der SS 119, 459 BGB. Allein hier kommt es darauf
an, was die Zollgeſetze unter dem Ausdrucke „Be—
ſchaffenheit“ verſtehen. Der übrige Wortlaut des 8 136
Ziff. 1e und der Zuſammenhang mit anderen Beſtim—
Das Pferd iſt in einer Beſchaffenheit an-
veranlaßt; außerdem würde zur Beſtrafung in allen
Fällen der Nachweis erforderlich ſein, daß der Ein⸗
bringer die ungenügende Werterklärung in der Abſicht
der Zollhinterziehung abgegeben hat. Die hier ge⸗
billigte Auslegung des § 136 Ziff. 1 enthält auch
nicht etwa eine Unbilligkeit gegen den Einbringer, von
dem vorausgeſetzt werden darf, daß er als Gewerbe⸗
treibender die zu ſeinem Gewerbe in Bezug ſtehenden
Gegenſtände annähernd richtig zu ſchätzen verſteht.
Die SS 135 und 136 Ziff. 16 Ver ZG. würden keine
Anwendung finden, wenn der auf die Einfuhr von
Pferden geſetzte Zoll als Wertzoll anzuſehen wäre;
dann würde nach dem $ 93 Abſ. 8 Ver 3G. die Strafe
nur in einer Erhöhung des Zolles um die Hälfte ſeines
Betrags beſtehen und die auf die Defraudation ge—
ſetzten Strafbeſtimmungen müßten außer Anwendung
bleiben. Allein der geltende Zoll auf Pferde iſt kein
Wertzoll. Das Geſetz kennt nur die Erhebung des
Zolles nach Gewicht, nach Maß. nach Stückzahl oder
nach dem Werte (8 9 Abſ. 1 Ver Z.); eine Verbindung
der mehreren Erhebungsarten iſt dem Geſetze fremd.
Der Zoll auf Pferde iſt ein nach dem Werte abgeſtufter
Stückzoll, nicht ein Wertzoll. Dies ergibt der Ver⸗
gleich der Tarifnummer 100 (für Pferde) des Zolltarif:
geſetzes vom 25. Dezember 1902 mit der Tarifnummer
156 1 des Zolltarifgeſees vom 24. Mai 1885 für
Eiſenbahnfahrzeuge, die mit 6% bzw. 10% des Wertes
zu verzollen waren und in der betreffenden Spalte
des Zolltarifs ausdrücklich als Wertzölle bezeichnet
find, wie die ſonſtigen Zölle als Gewicht-, Maß- oder
Stückzölle, zu welch letzteren der Zoll auf Pferde ge⸗
hörte (Ziff. 39a 1). Auch im neuen Zolltarife wird
in der letzten Rubrik der Zoll auf Pferde als Stück—
zoll bezeichnet.
Die Geldbuße richtet ſich nach dem Betrage der
vorenthaltenen Abgabe; eine Konfiskation iſt aber als
eine unteilbare Strafe voll erwirkt, auch wenn die
Abgabe nur zum Teile hinterzogen wurde. Der Wert—
erſatz tritt an die Stelle der Konfiskation; es kommt
alſo auch bei einer nur teilweiſen Abgabenhinterziehung
für den Erſatzanſpruch des Staates der volle Wert
des Gegenſtandes in Betracht, der defraudiert wurde.
Die Konfiskation iſt durch die Defraudation verwirkt
(S 135), nicht durch den Ausſpruch im Urteil; der
Verluſt des Gegenſtandes tritt infolge der Defraudation
ein (8 154). Durch die Defraudation erwirbt alſo der
Fiskus das Recht, den Gegenſtand — auch auf dem
Wege der Selbſthilfe — jederzeit ſich anzueignen mit
dem Abmaße, daß das Eigentum wieder zurückfällt,
wenn im geordneten Verfahren Fe wird, daß
der Gegenſtand nicht der Konſiskation unterliegt. Kann
wegen erfolgter Weiterveräußerung die Konſiskation
nicht vollzogen werden, ſo tritt an ihre Stelle von
ſelbſt das Recht auf den Werterſatz (8 155 Ver 3G.).
Auch dieſes Recht wird durch das Urteil nicht ge⸗
ſchaffen, ſondern nur feſtgeſtellt; der einzige Unterſchied
beſteht darin, daß es ohne einen dahin gehenden Aus⸗
ſpruch im Strafverfahren überhaupt nicht ausgeübt
werden kann. Das Recht auf den Wertserſatz entſteht
durch die Veräußerung des Gegenſtandes, bezüglich
deſſen die Konfiskation verwirkt wurde; es iſt deshalb
der Wert zur Zeit der Weiterveräußerung maßgebend.
Dieſen Wert hat das Gericht nach ſeiner freien, aus
dem Inbegriffe der Verhandlung geſchöpften Ueber⸗
zeugung en. (Urt. vom 25. Oktober 1910,
Rev.⸗Reg. 435/10). Ed.
2101
II.
Offenes Bau⸗(Pavillon⸗) Syſtem. Begriff des Weber:
bauens (Art. 101 P StGB.). un der Giltig⸗
keit einer ortspolizeilichen Vorſchriſt. Aus den
Gründen: „Ueberbauung‘* ift angeſichts des Zweckes
der Borſchrift, die Einhaltung des Pavillonſyſtems
zu ſichern, jede bauliche Anlage, die den Zwiſchen⸗
raum N den Vordergebäuden überdeckt und ihn
dadurch feiner Beſtimmung entfremdet, den Bewohnern
der Straße Licht, Luft und freien Ausblick zu ge⸗
währen. Belanglos iſt, ob die bauliche Anlage mehr
oder minder maſſiv tft, und ob fie, wenn Vorſchriften
über das Pavillonſyſtem nicht beſtehen, der bau⸗
polizeilichen Genehmigung bedarf. Die in 8 12
Abſ. 3 über die Freihaltung der Pavillonzwiſchen⸗
räume getroffene Anordnung findet auch dann An⸗
wendung, wenn zwei Nachbaranweſen demſelben
Eigentümer gehören. Es folgt dies aus der Natur
der Sache. Nicht nachbarliche Rückſichten ſondern
geſundheitliche Intereſſen ſind für das Pavillonſyſtem
maßgebend. Wenn alſo der Bauherr, der auf einer
Fläche von vorneherein mehrere Vordergebäude
errichtet, an die Offenhaltung der Zwiſchenräume ve
bunden iſt, fo kann ſich ihr auch derjenige nicht ent⸗
ziehen, welcher mehrere aneinander angrenzende
Vordergebäude erſt nach der Bauvollendung erwirbt
lauft zu ſeinem Anweſen ein Nachbaranweſen hinzu⸗
au
Nach 8 1 der VO. vom 16. Mai 1876, die Auf⸗
führung von Gebäuden im offenen (Bavillon-) Bau⸗
ſyſtem betr., auf die in 8 11 der BauO. vom 17. Fe-
bruar 1901 ausdrücklich Bezug genommen iſt, kann
bei Anlegung von neuen Straßen für die Aufführung
von Gebäuden das offene (Pavillon⸗) Bauſyſtem mit
oder ohne Vorgärten durch ortspolizeiliche Vorſchrift
angeordnet werden, wenn dieſe Bauweiſe zum Zwecke
der Geſundheit von dem zuſtändigen techniſchen Organe
als im 1 der en gelegen befürwortet
wird. Nach 8 1 Abſ. 2 der VO. können in dieſem
155 auch die durch die Anforderungen der Gefund-
eitspflege veranlaßten Anordnungen über die Höhe
und Länge der Gebäude, die Größe der Zwiſchen⸗
räume zwiſchen ihnen und die Ueberbauung der Hof
räume durch ortspolizeiliche Vorſchriften getroffen
werden. Da erſt durch die in Abſ. 2 bezeichneten
Ausführungsbeſtimmungen die in Abſ. 1 vorgeſehene
Einführung des offenen un praktiſch verwert⸗
bar wird, ſo iſt anzunehmen, daß nach der Abſicht
der Verordnung auch die in Abſ. 2 erwähnten An⸗
ordnungen der Befürwortung durch das zuſtändige
techniſche Organ bedürfen. Nach 8 2 iſt dieſes Organ
in München der Geſundheitsrat, in den übrigen
Orten der amtliche Arzt und zwar im Benehmen mit
der Geſundheitskommiſſion, wo eine ſolche beſteht.
Wenn hier ausdrücklich hervorgehoben wird, daß der
amtliche Arzt nur im Benehmen mit der Geſundheits⸗
kommiſſion ſeine gutachtliche Aeußerung abgeben darf,
ſo iſt der Schluß berechtigt, daß eine ohne ſolches
Benehmen abgegebene Aeußerung die Bedingung des
81 der VO. nicht erfüllt. (Urt. vom 29. Oktober 1910,
Rev R. 219/10). Ed.
2088
III.
Geltungsbereich der . Vorſchriſten
vom 4. September 1905 zum Schutz der beim Tiefban
beſchäftigten Perſonen. Aus den Gründen: Nach
dem Art. 101 Abſ. 1 PStGB. werden Bauherrn, Bau⸗
meiſter und Bauhandwerker geſtraft, wenn ſie den bau⸗
er Vorſchriften * Solche Vor⸗
ſchriften können nach Abſ. 2 und 3 des Art. 101 durch
Verordnung, ober⸗ oder ortspolizeiliche Vorſchrift er⸗
laſſen werden, jedoch nur inſoweit ſie eine Baufüh⸗
rung im Sinne der Bauordnungen zum Gegenſtande
haben. Die polizeiliche Regelung der Bauführung iſt
nicht auf Hochbauten beſchränkt, ſondern es unterliegen
ihr auch gewiſſe Tiefbauten wie Brunnenſchachte, Keller
u. dgl. (vgl. Englert, Komm. z. BauO. Einl. S. XI).
Die oberpolizeilichen Vorſchriften zum Schutze der bei
Tiefbauten beſchäftigten Perſonen vom 4. September
1905 haben demnach ihre geſetzliche Grundlage in dem
Art. 101 P StGB. Vorausſetzung für die Strafbarkeit
einer Verfehlung gegen dieſe Vorſchriften nach dem
Art. 101 iſt aber ſtets, daß es ſich um eine Bau⸗
vornahme d. i. die Herſtellung, Reparatur oder den
Abbruch eines Bauwerks handelt. Der Begriff des
„Bauwerks“ deckt ſich mit dem, was nach dem gemeinen
Sprachgebrauche hierunter verſtanden wird. Darnach
iſt ein Bauwerk eine unbewegliche, durch Verwendung
von Arbeit und Material in dauernder Verbindung
mit dem Erdboden hergeſtellte Sache, ein ſelbſtändiges,
in ſich abgeſchloſſenes Ganze. Bei der Zugrundelegung
dieſer Begriffsbeſtimmung kann die von der Straf⸗
kammer feſtgeſtellte Tätigkeit des Angeklagten, die Weg-
nahme von Erdreich an der Bodenoberfläche behufs
Verwendung an einem anderen Orte, nicht als eine
Bauführung im Sinne der Baud. erachtet werden.
Damit entfällt die Anwendbarkeit des Art. 101 PStGB.
Die oberpolizeilichen Vorſchriften vom 4. Septem⸗
Be 1905 beruhen nicht nur auf dem Art. 101 PStGB.,
ſondern auch auf dem 8 120e Abſ. 1 und 2 Gew.,
wonach oberpolizeil iche Vorſchriften zur Durchführung
des im § 120 a Abſ. 1 enthaltenen Grundſatzes er⸗
laſſen werden können, daß die Gewerbeunternehmer
verpflichtet ſind, den Betrieb jo zu regeln, daß die
Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Geſundheit
ſoweit geſchützt ſind, wie es die Natur des Betriebs
geſtattet. Zuwiderhandlungen gegen ſolche Vorſchriften
unterliegen nach dem 8 147 Abſ. 1 Ziff. 4 GewO. der
Beſtrafung. Auch dieſe Beſtimmung findet auf die
Handlungen des Angeklagten keine Anwendung. Der
8 120 e bietet die rechtliche Grundlage für Vorſchriften,
die über den Rahmen der Baupolizei hinaus den ge—
werblichen Betrieb im Intereſſe des Arbeiterſchutzes
regeln. Hiernach können zweifellos Vorſchriften über
den Betrieb von oberirdiſchen Gräbereien und Gruben
erlaſſen werden. Die oberpolizeilichen Vorſchriften vom
4. September 1905 haben aber nach dieſer Richtung
keine Regelung getroffen. Abgeſehen von der in der
Ueberſchrift enthaltenen Bezeichnung ihres Zweckes er—
gibt ſich aus ihrem ganzen Inhalte, daß ſie ausſchließ⸗
lich den Schutz der bei Tiefbauten beſchäftigten
Perſonen zum Gegenſtande haben. Sie können des—
halb nicht auf die Tätigkeit des Angeklagten ange—
wendet werden, die weder unter den Begriff des Tief—
Br noch unter den der Bauvornahme überhaupt fällt.
Eine Ausdehnung der Vorſchriften auf Arbeiten der
Art, wie ſie der Angeklagte vorgenommen hat, iſt nicht
ſtatthaft, ihre Zuläſſigkeit kann auch nicht aus dem
30 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1.
Inhalte der 88 22 Abſ. 2 und 48 Abſ. 2 abgeleitet
werden, da dieſe ebenfalls nur die Herſtellung und
Reparatur von Bauwerken im Auge haben.
Vorſchriften nach dem 5 120e können nur für Ge⸗
werbe und Anlagen erlaſſen werden, die unter die
GewO. fallen. Für oberirdiſche Brüche und Gruben
trifft das zu, wenn ſie in größerem Umfang und ſtän—
dig zu Erwerbszwecken betrieben werden; kleinere oder
nur vorübergehend betriebene Brüche und Gruben
fallen nicht unter die GewO., fie find häufig Neben—
betriebe von landwirtfchaftlichen Betrieben. Da es
ſich bei der Tätigkeit des Angeklagten um verhältnis-
mäßig einfache, nur zeitweiſe zur Verbeſſerung der
Grundſtücke als Nebenbetrieb vorgenommene Gra—
bungen handelte, fallen dieſe überhaupt nicht unter
die GewO. und unterliegen ſomit auch nicht den nach
dem 8 120 e erlaſſenen Vorſchriften.
Grunde ausgeſchloſſen.
RevReg. 403/10).
2089
(Urt. vom 18. Oktober 1910,
Ed.
Oberlandesgericht München.
Zu $$ 727, 730 ZPO. Durch Verſäumnisurteil
waren die Eheleute R. auf Klage eines Nachbars zur
Beſeitigung einer Dachrinne verurteilt; nach Rechts-
kraft wurden auch die Koſten feſtgeſetzt. Als es zur
Realvollſtreckung kommen ſollte, ſtellte ſich heraus,
daß inzwiſchen das Haus im Zwangswege von dem
Gaſtwirt S. eingeſteigert worden war. Die Klage—
partei beantragt nunmehr gegen letzteren vollſtreckbare
Ausfertigung des Verſäumnisurteils und des Kojtenfejt-
ſetzungsbeſchluſſes; erſtere wurde vom Gerichtsſchreiber
erteilt, letztere nach Weiſung des Vorſitzenden abge—
lehnt. Nunmehr wendete ſich die Klagepartei an das
Prozeßgericht, das durch (micht zugeſtellten) Beſchluß
die Akten dem OLG. vorlegte, weil Abhilfe nicht ver—
anlaßt ſei (83 577 Abſ. 4, 576 ZPO.) Das ORG.
beſchloß, die Akten dem Landgerichte behufs ſelb—
ſtändiger Verbeſcheidung des Antrages der Klage—
partei zurückzugeben.
Vollſtreckungsklauſel iſt nach erfolgloſer Anrufung
des Prozeßgerichts die einfache, nicht die ſofortige
Beſchwerde gegeben (RG. 31, 410). Es findet
deshalb das Verfahren nach Abſ. 4 des 8 577 ZPO.
hier nicht ſtatt: vielmehr hat zunächſt das Prozeß—
gericht durch ſelbſtändigen, den Parteien zuzuſtellenden
Beſchluß über die Berechtigung der Klauſelverweige—
rung zu entſcheiden und erſt hiergegen kann die ein—
fache Beſchwerde eingelegt werden. Eine Eventual—
beſchwerde iſt außerhalb des 8 577 Abſ. 4 3PßO. unzu⸗
läſſig. Die Entſcheidung iſt gemäß $ 6 Gͤich ge:
bührenfrei (Beſchl. vom 25. November 1910; Beſchw.
Reg. Nr. 688/10). N.
2009
Oberlandesgericht Bamberg.
Befugnis des Schuldners zur Hinterlegung nach
5 372 S. 2 BGB., wenn die geſchuldete Forderung auf
Grund eines Arreſtbeſchluſſes zugunſten eines Dritten
gepfändet worden iſt. Wirkung der Pfändungsbenach⸗
richtignng nach 8 845 3 PO. in dieſem Falle. Die
Witwe G. zu B. hatte von den Erben ihres verſtorbenen
Mannes rückſtändige Unterhaltsbeiträge zu 1080 47
zu fordern. Sie ſchuldete dem Bauer M. ein Darlehen
von 200 M. Am 2. September 1910 erhob M. beim
Amtsgericht gegen die G. Klage auf Zahlung des
Darlehens. Gleichzeitig ſtellte er den Antrag, einen
Arreſt wegen dieſer Forderung zu erlaſſen, weil die
Die Anwendung
des § 147 Abſ. 1 Ziff. 4 iſt demnach auch aus dieſem
— ——d•—6———— — —
Erben ihre Schuld demnächſt zahlen und vielleicht
gerichtlich hinterlegen würden, die Forderung des M.
aber verloren ſei, wenn nicht ſchon jetzt durch einen
Arreſt die Pfändung der Forderung und des etwaigen
Herausgabeanſpruchs der G. gegen die Hinterlegungs—
ſtelle erreicht werden könne. Das Amtsgericht gab
dem Arreſtantrage am 8. September 1910 ſtatt, wobei
es die Forderung der G. zu 1080 M und den etwaigen
Herausgabeanſpruch gegen die Hinterlegungsſtelle ge-
mäß 8 829 3PO. pfändete. Am 28. September 1910
erließ es ein Anerkenntnisurteil zugunſten der Dar⸗
lehensforderung des M. Am 10. September wurde
der Arreſtbeſchluß den Drittſchuldnern zugeſtellt; ſchon
am 9. September hatte ihnen M. eine Benachrichtigung
von der bevorſtehenden Arreſtpfändung gemäß 8 845
ZPO. zuſtellen laſſen. Die Erben hinterlegten die
1080 M hierauf gleichfalls am 9. September bei dem
Amtsgericht W. und verzichteten auf das Recht der
Rücknahme, „weil ihnen in drei verſchiedenen Prozeß⸗
ſachen gegen die G. Pfändungsbenachrichtigungen zu—
geſtellt worden ſeien und ſomit Ungewißheit über die
Perſon des Gläubigers gemäß 8 372 BGB. beſtehe“.
Gegen die Zuläſſigkeit der Arreſtpfändung zugunſten
des M. erhob die G. Einwendungen, indem ſie die
Pfändbarkeit der Unterhaltsbeiträge und die Befugnis
des Amtsgerichts zur Erlaſſung eines Ausſpruchs nach
$ 829 Abſ. 1 ZPO. ohne einen ausdrücklichen Antrag
des Gläubigers beſtritt. Das Amtsgericht wies die
Einwendungen als unbegründet zurück. Die ſofortige
Beſchwerde, in die als neuer Beſchwerdegrund die Be⸗
hauptung eingeführt war, daß die Hinterlegung und
infolgedeſſen auch die Pfändung des Herausgabean-
ſpruchs unwirkſam ſeien, wurde vom Landgerichte als
unbegründet verworfen. Das Landgericht führte u. a.
aus: Die Drittſchuldner hätten die 1080 M allerdings
zunächſt zu Unrecht hinterlegt. Die Pfändungsbenach—
richtigung habe ihnen ein Recht zur Hinterlegung mit
befreiender Wirkung weder nach $ 853 ZPO. noch
nach 8 372 BGB. gegeben, da die Perſon des Gläu—
bigers nicht zweifelhaft geweſen ſei. Daß ſie auf Rück⸗
nahme verzichteten, ſei ohne Bedeutung. Dadurch aber,
daß am 10. September die Pfändung zugeſtellt worden
ſei — 8 829 Abſ. 3 ZPO. —, ſei die Hinterlegung
Aus den Gründen: Gegen die Verſagung der gerechtfertigt worden und habe die befreiende Wirkung
erlangt. Der Herausgabeanſpruch ſei daher an Stelle
des Unterhaltsanſpruchs getreten und deshalb pfändbar.
Die weitere Beſchwerde wurde teils als unzuläſſig
gemäß $ 568 Abſ. 2 ZPO., teils als unbegründet ab»
gewieſen.
Aus den Gründen: Die Hinterlegung iſt nach
Ss 372 BGB. zuläſſig, wenn der Schuldner aus einem
in der Perſon des Gläubigers liegenden Grunde ſeine
Verbindlichkeit nicht mit Sicherheit erfüllen kann.
Dieſe Vorausſetzung iſt u. a. dann gegeben, wenn die
Forderung mit Arreſt belegt iſt (vgl. Planck A 2 b,
Staudinger I A 2a zu $ 372) und vollends nach
8 853 3PO., wenn die Forderung für mehrere Gläu—
biger gepfändet iſt. Run hat die Pfändungsbenach—
richtigung nach 8 845 Abſ. 2 ZPO. bei rechtzeitig
nachfolgender Pfändung die Wirkung des 8 930 ZPO.,
alſo die Wirkung der Arreſtpfändung, nicht etwa bloß
die eines Arreſtbefehls, und die Arreſtpfaͤndung ſteht
nach 8 930 der Vollſtreckungspfändung gleich. Der
Schuldner kann daher von der Hinterlegungsbefugnis
des 8 853 ſchon dann Gebrauch machen, wenn ihm
mehrere Gläubiger auch nur Pfändungsbenachrich—
tigungen zuſtellen laͤſſen. Selbſtverſtändlich verloren
die Drittſchuldner die Befugnis zur Hinterlegung nicht
etwa dadurch, daß die rechtliche Zuläſſigkeit der Pfän—
dung rückſtändiger Unterhaltsbeiträge beſtritten iſt.
Die Hinterlegung vom 9. September 1910 war daher
gerechtfertigt und wirkſam. Demnach war im Ergebnis
dem landgerichtlichen Beſchluſſe beizutreten. (Beſchl.
des J. 35. vom 1. Dezember 1910, Beſchw.⸗Reg. 214/10).
2105 Oberlandesgerichtsrat Gebrlein.
Landgericht München J.
ö
}
Pflicht des Vermieters, mit Nückſicht auf den Be:
ſchäftsbetrieb des Mieters in den Mieträumen den
Hanseingang zu ändern. Ein Kunſthändler mietete
die Wohnungsräume des Erdgeſchoſſes eines Privat⸗
hauſes in M. zur Benützung
und Geſchäftsraum“ für feinen Kunſthandel. Zur
Zeit der Eingehung des Mietvertrags wurde das Haus
umgebaut, vorher war im Erdgeſchoß ebenfalls eine
Kunſthandlung betrieben worden. Als der Mieter
einzog, fand er, daß die Haustüre ſo, wie es bei
beſſeren Häuſern in M. mehrfach der Fall iſt, nur
mit einem elektriſchen Türſchließer zu öffnen war, der
von den einzelnen Stockwerken auf Anläuten in
Tätigkeit geſetzt wurde. Der Kunſthändler ſah darin
eine Beeinträchtigung ſeines Geſchäftsbetriebes und
klagte auf Unterlaſſung. Die erſte Inſtanz wies ab,
weil „der Hauseigentümer dadurch, daß er den Ver⸗
kauf von Bildern in der Wohnung geſtatte, dem
Mieter zwar ein Benutzungsrecht eingeräumt habe,
das dem Mieter ſonſt nicht zukomme, daß aber dieſe
Erweiterung nicht ohne weiteres auch den Pflichten⸗
kreis des Vermieters ausdehne“, und daß eine Ge⸗
ſchäftsſchaͤdigung nach der Ueberzeugung des Gerichts
ausgeſchloſſen ſei. Das Urteil wurde aufgehoben.
Gründe: lt es der Wille der Beteiligten ge⸗
weſen, daß die Wohnung als „Wohnung und Ge-
ſchäftsraum“ an den Kläger vermietet wurde, fo
braucht nicht geprüft zu werden, ob damit die Eigen⸗
ſchaft der Räume als Wohnung oder als Geſchäfts⸗
raum in den Vordergrund geſtellt werden ſollte. Es
genügt, daß die Wohnung auch als Geſchäfts raum
dienen ſollte. Soviel ſteht jedenfalls feſt, daß ein
Raum, in dem ein Handel mit Bildern betrieben
werden ſoll, nicht mehr bloß die Eigenſchaft einer
Wohnung hat. Die Folge davon iſt, daß der Be⸗
klagte den Mietgegenſtand in einen Zuſtande zu
überlaſſen und zu erhalten hat, der ſeine Benützung
als Geſchäftsraum ermöglicht.
Jeder Geſchäftsmann trachtet danach, ſeine Ver⸗
kaufsräume dem Publikum ſo leicht und bequem als
möglich zugänglich zu machen. Davon machen auch
Kunſthandlungen keine Ausnahme. Denn wenn
auch der Kunſthandel nicht vorwiegend mit ſog.
Laufpublikum zu rechnen hat, ſo wird doch der
Hauptteil der Käufer von Kunſtwerken durch die
wenn man aber ein
„als Wohnung
der Eigenſchaft als Herrſchaftshaus entkleidet.
in — tage —
iſt, die ausſchließlich Wohnungszwecken dienen.
— — 8 . 3
Fremden geſtellt, die ſich vorübergehend in M. auf⸗
halten.
in welchem Geſchäfte ſie etwas ihrem Geſchmacke und
ihrer Liebhaberei Entſprechendes finden, und bei der
Dieſen aber iſt es in der Regel gleichgültig,
großen Zahl von Geſchäften dieſer Art in M. werden
ſie den Beſuch eines Geſchäftes vorziehen, das ihnen
ohne weiteres von der Straße aus zugänglich iſt und
vor dem ſie nicht, vielleicht auch noch bei ſchlechtem
Wetter, auf der Straße warten müſſen, bis ihnen
die Haustüre von innen geöffnet wird. Es mag zu⸗
gegeben werden, daß elektriſche Türſchließer heut⸗
zutage nichts Außergewöhnliches mehr ſind und daß
die Mehrzahl des Publikums mit ihrer Handhabung
vertraut iſt.
vor allem in Privathäuſern, insbeſondere bei ſog.
Herrſchaftshäuſern üblich. Es iſt aber ein Unter⸗
ſchied, ob jemand in einem Herrſchaftshauſe eine
Familie aufſuchen oder ob er in einem Geſchäfte, auf
das er durch Reklametafeln aufmerkſam geworden iſt,
Waren beſichtigen und kaufen will. Hier will er ohne
viele Umſtände in die Verkaufsräume gelangen, und
wenn er den Zugang verſperrt findet, ſo wird er
ſich, wenn er nicht ein beſonderes Intereſſe daran hat,
gerade in dieſes Geſchäft zu gelangen, häufig ſagen:
es gibt ja noch genug andere Geſchäfte dieſer Art, in
denen man von Mißhelligkeiten verſchont iſt. So
wird die Folge ſein, daß ſich eine Anzahl Kaufluſtiger
abſchrecken läßt, die Verkaufsräume aufzuſuchen, und
Allein ſolche Einrichtungen ſind doch
31
1911. Nr. 1.
bei Konkurrenten des Klägers ihren Bedarf deckt.
Der Beklagte bringt vor, daß ſein Haus kein
Geſchäftshaus, ſondern ein Herrſchaftshaus ſei. Selbſt
Haus, in dem eine Penſion be⸗
trieben wird und in dem ein praktiſcher Arzt ſeine
Praxis ausübt, noch als Herrſchaftshaus anſehen
wollte, ſo hat der Beklagte doch dadurch, daß er die
Wohnung im Erdgeſchoß auch zu Geſchäftszwecken
vermietete, zum mindeſten dieſen Teil ſeines Hauſes
Wenn
ferner auch andere Kunſthandlungen unter den gleichen
Verhältniſſen betrieben werden, ſo kann das doch immer
nur die Ausnahme ſein und es iſt Sache der Geſchäfts⸗
inhaber, wenn ſie ſich damit abfinden. Deshalb kann
man nicht dem Kläger, der die Wohnung mietete, als
der Umbau noch im Gange und ein elektriſcher Tür⸗
ſchließer noch nicht angebracht war, zumuten, daß er
ſich bei einer ſolchen Beſchränkung ſeines Geſchäfts⸗
betriebs beruhige. Treu und Glauben mit Rückſicht
auf die Verkehrsſitte erfordern, daß der Vermieter
dafür ſorgt, daß die Betriebsräume des Mieters ſo
leicht und bequem als möglich zu erreichen ſind, zum
mindeſten, daß nicht der Zugang in einer Weiſe ver⸗
ſperrt wird, wie ſie nur bei Häuſern verkehrsüblich
Urt.
vom 22. November 1910). 992
2100
Aus der Praxis des bayer. Verwaltungs⸗
gerichtshofs.
Das Beſtreuen der Ortsſtraßen bei Glatteis. Eine
für Haftungs⸗Prozeſſe wichtige Entſcheidung hat der
VGH. am 28. Oktober 1910 erlaſſen (amtl. Sammlung
Nr. 37 S. 149 ff.). Sie ſpricht aus Anlaß eines An⸗
trags auf Vorentſcheidung nach Art. 7 Abſ. 2 VGH.
aus, daß der Bürgermeiſter nach den Vorſchriften in
Art. 138 Abſ. I, II, IV GemO. verpflichtet iſt, das
Beſtreuen der Ortsſtraßen bei Glatteis herbeizuführen
und daß er eine Amtspflicht gegenüber einem Dritten
verletzt, wenn er das unterläßt. Und zwar ſoll es
nichts ausmachen, ob die Streupflicht der Gemeinde
oder einer anderen Perſon obliegt. Im letzteren Falle
hat der Bürgermeiſter dafür zu ſorgen, daß der Ver⸗
pflichtete ſeiner Verbindlichkeit nachkommt, gegebenen
Falles hat er eine gerichtliche Entſcheidung herbeizu—
zuführen, bis zur Entſcheidung des Streites aber den
Weg einſtweilen für Rechnung der Gemeinde beſtreuen
zu laſſen.
Literatur.
Affolter, Dr. Friedrich, a. o. Profeſſor in Heidelberg.
Das Fruchtrecht. XII, 316 S. München 1911,
er Beckſche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck.
10.—.
Die Monographie begnügt ſich nicht, wie man
vielleicht vermuten könnte, mit einer Zergliederung
und Auslegung der Vorſchriften in den 88 99 — 102
BGB., verfolgt vielmehr den Fruchtbegriff durch das
ganze Rechtsſyſtem. 5
Das deutſche Juriſtenbrevier. Herausgegeben von Dr,
A. Budeley, München. 8°. XII, 1332 S. Atten⸗
koferſche Buchdruckerei, Straubing. Geb. Mk. 18.—
Ein Verſuch, durch Anwendung kleinen Drucks
und ganz dünnen Papiers eine große Menge von Ge—
ſetzen in einem kleinen Bändchen zu vereinigen. Der
Vorzug handlichen Formats wird jedoch dadurch wieder
€
32 Zeitſchrift für Rechtspflege
zunichte gemacht, daß die Ausgabe unverhältnismäßig
teuer iſt. 18 Mk. für bloßen Abdruck von Geſetzes⸗
texten iſt ein wenig viel. Die paar Anmerkungen und
Verweiſungen bedeuten wenig, zumal, da ſie erſt ver⸗
ſtändlich ſind, wenn man ſich durch eine Anleitung
hindurchgeleſen hat, die nichts weniger als klar und
in gutem Deutſch geſchrieben iſt. von der Pfordten.
Als Nachtrag zur Aide in iin yes Hans Meyer,
esta a
Amtsgerichtsfekretär in „ift ein Ab⸗
druck des Geſetzes betreffend die Zuſtändigkeit des
Reichsgerichts vom 22. Mai 1910 erſchienen. (Verlag
der Cl. Attenkoferſchen Buchdruckerei, Straubing.)
Notizen.
Die Behandlung der Geſuche um Aufſchub der Straf:
vollſtreckuug und Stundung der Geldſtrafen iſt durch
eine Allerhöchſte Entſchließung den Oberſtaatsanwälten
übertragen worden, ſoweit nicht die Zuſtändigkeit der
Strafvollſtreckungsbehörde (8 487 StPO.) oder des
Staatsanwalts (8 488 StPO., Bek. vom 21. September
1879 N S. 1170], vom 11. Juli 1896 [JMBl.
S. 226] und vom 8. Januar 1900 [JMBl. S. 299)
oder des zur Entſcheidung über die Wiederaufnahme
des Verfahrens berufenen Gerichts (8 400 Abſ. 2,
8 407 StPO.) gegeben tft (Bek. vom 16. Dezember
1910, JMBl. S. 1013). Zugleich iſt den Oberſtaats⸗
anwälten die Entſcheidung über Beſchwerden gegen die
Verfügungen der Staatsanwälte auf Grund der er:
wähnten Bekanntmachungen zugewieſen worden. Dieſe
Neuerung iſt außerordentlich zu begrüßen. Sie erhöht
die Selbſtändigkeit der Oberſtaatsanwälte und ver⸗
einfacht und beſchleunigt den Geſchäftsgang.
2113
Die Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910, die
Mitteilungen im Strafverfahren betreffend (JMBl.
S. 1000), faßt teils durch Uebernahme, teils durch
Verweiſung die Vorſchrifren über die Mitteilungen
zuſammen, die im Strafverfahren mit Rückſicht auf
die öffentlich⸗rechtliche Stellung der Beſchuldigten zu
machen ſind. Maßgebend ſind fortan für die Erſtattung
der Mitteilungen:
a) im Strafverfahren gegen richterliche Beamte
die 88 5 und 9 der Bekanntmachung vom 29. Dezember
1908, den Vollzug des Disziplinargeſetzes für richter⸗
liche Beamte betr. (JM Bl. S. 381),
b) im Strafverfahren gegen die übrigen Beamten
im Sinne des Beamtengeſetzes und die in Art. 25
dieſes Geſetzes bezeichneten Perſonen die SS 10 und 14
der Bekanntmachung vom 22. Oktober 1909, die Dienſt⸗
aufſicht und das Dienſtſtrafrecht für nichtrichterliche
Beamte betr. (GVBl. S. 737),
e) im Strafverfahren gegen Notare der $ 3 der
Bekanntmachung vom 25. April 1901, den Vollzug
der geſetzlichen Vorſchriften über die Disziplin der
Notare betr. (JM Bl. S. 321),
d) im Strafverfahren gegen ſonſtige Zivilbeamte
und öffentliche Bedienſtete, insbeſondere die Lehrkräfte
der Volksſchulen, die Diſtrikts- und Lokalſchulinſpek—
toren, die Gemeindebeamten und Gemeindebedienſteten
Ziff. ! der neuen Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910,
e) im Strafverfahren gegen Militärperſonen die
Bekanntmachung vom 9. September 1902, die im Straf:
verfahren
Erſatzbehörden und den Militärbehörden zu machenden
Mitteilungen betr. (JM Bl. S. 728),
und im Stratvollitrefungsverfahren den
in Bayern. 1911. Nr. 1.
f) im Strafverfahren gegen Rechtsanwälte die
autographierte Entſchliezung vom 26. Juni 1901
Nr. 27422, die Ausführung der Rechtsanwaltsord⸗
nung betr.,
g) im Strafverfahren gegen Notariatsgehilfen,
Inzipienten und Hilfsperſonen, die im Notariat be⸗
ſchäftigt ſind, 8 38 der Bekanntmachung vom 16. Ok⸗
tober 1909, das Kanzleiperſonal bei den Notariaten
betr. (JM Bl. S. 411),
h) im Strafverfahren gegen Geiſtliche Ziff. II der
neuen Bekanntmachung vom 7. Dezember 1910.
Die Vorſchriften in Ziff. 1 der Bekanntmachung
vom 7. Dezember 1910 entſprechen faſt vollſtändig den
88 5 und 9 der 5 vom 29. Dezember
1908 und den 88 10 und 14 der Bekanntmachung vom
22. Oktober 1909. Für die Beamten und öffentlichen
Bedienſteten iſt ſomit das Mitteilungsweſen jetzt in
der Hauptſache einheitlich geregelt.
Für das ſtrafrechtliche Verfahren gegen Geiſtliche
iſt nur angeordnet, daß der unmittelbar vorgeſetzten
kirchlichen Behörde von der Erhebung der öffentlichen
Klage, von dem rechtskräftigen Strafurteil oder Straf⸗
befehl und von einer anderen Erledigung des Straf⸗
verfahrens Mitteilung zu machen iſt.
Sprachecke
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins.
Heeresſprache. Die Zeitſchrift des Sprachvereins
hat wiederholt die deutſche Heeresverwaltung wegen
ihres Eifers für Sprachreinigung und Sprachver⸗—
beſſerung rühmend erwähnt. Jetzt kann ſie folgendes
berichten: Die jüngſt erſchienene, „Allerhöchſte Ver⸗
ordnung über die Ehrengerichte der Offiziere im
Preußiſchen Heere vom 2. Mai 1874 und Ergaͤnzungs⸗
ordre, Neudruck 1910“ ſpricht geradezu eine muſter⸗
gültige deutſche Sprache: Fremdwörter ſind faſt ganz
aus ihr verſchwunden. So wurden verdeutſcht:
direkt — unmittelbar,
relatives Stimmrecht —
einfaches Stimmrecht,
Präſes des Ehrenrats —
Vorſitzender,
Garniſon — Standort,
Wahlakt — Wahl,
einzeln garniſonierend —
einzeln ſtehend,
Inſtanzenweg —Dienſtweg,
Zwiſcheninſtanz —
Zwiſchenſtelle,
Qualifizierung, — Beurs
teilung,
im Wege der Regquiſition
beſchaffen — anfordern,
direkter Befehlshaber —
unmittelbarer Befehls-
haber,
Suspenſion — Enthebung,
vom Dienſt ſuspendieren —
vom Dienſt entheben,
Rekurs — Einſpruch,
Direktiven — Weiſungen,
Requiſition — Erſuchen,
requierieren — erſuchen,
Protokollariſche Verhand⸗
lung, — ſchriftliche Ver⸗
handlung,
zu Protokoll geben — als
Verhandlung aufneh⸗
men,
Präkluſivfriſt — Friſt,
Protokoll verhandlung
Sitzungsbericht, Spruch⸗
verhandlung,
inaktiver Offizier — ver⸗
abſchiedeter Offizier,
Konzept — Entwurf.
Ferner hat das Wort „beziehungsweiſe“ dem
„oder“ Platz machen müſſen.
uſw. find in „er, fie, es“ umgeändert.
Die Worte „derſelbe“
Der Satzbau
iſt an vielen Stellen einfacher und klarer geworden.
— Es verlohnt ſich der Mühe, dieſe Verordnung ihrer
einfachen, klaren, deutſchen Ausdrucks weiſe wegen mit
Aufmerkſamkeit durchzuleſen.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweißer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Nr. 2. München, den 15. Januar 5. Januar 1911. 7. C. Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
Th. von der Pfordten in Bauern 9. 8 *
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Staats minlſterium der Zuitlz. München und Berlin.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
Inſertionsgebühr 30 Pig. für die balbgeſpaltene .
oder deren Raum. Bel Wiederbolungen Rabatt. Stellenanzeigen
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich :
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N.
Poſtauſtalt. |
Nachdruck verboten.
Auslegung des er 58. mittels ae = N 3 des A alt
alſo uwei ie hierin liegende Bena
mathenati her Methoden. teiligung des N wird nun durch 8 1935 ver⸗
Von Profeſſor Dr. Langheineken in Halle. | mieden, wonach auch bei Fortfall des N! die
h nn ſtatthat.
Die Auslegung des 8 1935 BGB. ift Gegen- | Man kann nun in der Tat darüber im
ſtand von Meinungsverſchieden heiten, die nament⸗ | Zweifel fein, ob 8 1935, wie es der Wortlaut
lich die Bedeutung dieſer Vorſchriſt für die erb⸗ nahelegt, ganz allgemein gilt oder ob er nach der
1 Ausgleichung betreffen. Soweit einen oder anderen Richtung hin aus inneren
ſich F 1945 auf dieſe bezieht, lautet er: Gründen (Zweck des Geſetzes, Billigkeits⸗Rück⸗
„Fällt ein geſetzlicher Erbe vor oder nach dem ſichten) einſchränkend auszulegen ſei.
Erbfalle weg und erhöht ſich infolgedeſſen der Eine ſolche Einſchränkung kann namentlich
Erbteil eines anderen geſetzlichen Erben, ſo gilt nach zwei Richtungen hin behauptet werden.)
der Teil, um welchen ſich der Erbteil erhöht, in Einerſeits ſoll § 1935 für den Fall außer An⸗
Anſehung der Ausgleichungspflicht als beſonderer | wendung zu bleiben haben, daß einer der durch
. ii den Wegfall erhöhten Erbteile infolge der
ieſe Vorſchrift hat eine Sachlage wie fol: Ausgleichungslaſt von vornherein überſchwert iſt.
gende im Auge: Ein Nachlaß von 36 iſt zu ver⸗ (Dafür beruft man ſich auf die Billigkeit, indem
teilen unter zwei geſetzliche Erben, den Sohn F man darauf hinweiſt, daß die Ausdehnung des
und den Enkel N des Erblaſſers. Letzterer 8 1935 auf eine ſolche Sachlage zu einer un⸗
ſowie ein vorverſtorbener Enkel N“ ſtammen von gerechtfertigten Benachteiligung der nicht über⸗
des Erblaſſers Sohn k ab, der auf fein Erbrecht ſchwerten Erbteile führe.) Andererſeits ſoll 1935
für ſich allein verzichtet hat ). N! hatte eine nur unter der Vorausſetzung gelten, daß der
ausgleichungspflichtige Zuwendung nn 28 er⸗ wegfallende Erbteil ſelbſt ausgleihungabelaftet
halten. „Ohne 3 1935 würde. da N zufolge iſt. (Dafür wird auf den Zweck des Geſetzes hin⸗
a Abſ. 1 die Ausgleichungslaſt Ss Ni zu gewieſen.)
übernehmen hat, gemäß § 2055 auf F entfallen Die herrſchende Anſicht geht jedoch dahin,
5 i 1 32. auf N daß das Anwendungsgebiet der Vorſchrift nicht
as iſt unbillig, denn: Wäre N nicht vorher in dieſer Weile eingeſchränkt werden dürfe.“) Das
geſtorben, ſo würde ſein Erbteil überlaſtet jein, Hauptargument, auf dem dieſe Lehre ruht, bildet
N 5 en 1 on. 28) — . alſo weniger der Grundſatz, daß, wenn das Geſetz keinen Vor⸗
4 6 N rüge, und demnach 3 2356 ee ſen behalt enthält, alſo feinem klaren Wortlaut nach
haben, der nach richtiger Auffaſſung?) dem F nicht unterſcheidet, auch die Auslegung nicht be⸗
fugt ſei, Unterſcheidungen einzuführen.“)
K T— . ʃ——•— a a en
1) Für die einzuführenden Beträge wähle ich ein- 1
fache Ziffern ohne Benennung, jo daß man alſo jede Ks
beliebige Einheit (etwa 1000 M) zugrunde legen kann. ) So Strohal a. a. O. 8 15 N. 9 S. 74
2) Der Sohn F! bleibt hier gänzlich außer Betracht, Staudinger Kommentar Bd. V (4. Aufl 1909) Nr. 3
da fi durch ſeinen Fortfall kein Erbteil erhöht, ſondern S. 47; Hellmann in Krit. e Bd. 39
die Erbteile der Enkel erſt entſtehen und der Erbteil ©. 230 f. Küntzel in Gruchot Bd. 41 S. 453 f.
des F unberührt bleibt. ) So von Hankwitz, Einwirkung von Zuwen—
5) So namentlich Strohal, Das deutſche Erb- dungen des Erblaſſers auf die Pflichtteilsanſprüche S. 41f.
recht (3. Aufl.), Bd. 1 8 15 1 S 73, der mit Recht die | Beſonders entſchieden von Beyer, Die geſetzliche
Faſſung des Geſetzes als nicht genügend klar bemängelt. Erbenausgleichung S. 66 ff. (Marburg 1900).
A. M. Zimmer im Sächſ. Archiv Bd. 6 S. 763, der 6) Nicht bezieht ſich aber 8 1935 auf den Fall, daß
an 8 2056 die „wahrhaft muſtergültige Wortfaſſung? der wegfallende Erbe überhaupt nicht, weder aktiv noch
lobt. paſſiv, an der Ausgleichung beteiligt iſt, wie der Ehe—
34 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
Dem gegenüber iſt zunächſt feſtzuſtellen, daß
die Auslegung nach dem Wortlaut“) immer nur
prima facie Beweis führt, alſo nur unter Vor⸗
behalt anzunehmen iſt. Wie wenig jener Geſichts⸗
punkt Anſpruch auf entſcheidendes Gewicht hat,
beweiſt gerade eine erbrechtliche Vorſchrift, nämlich
8 2306 Abi. 1 Satz 1:
„Iſt ein als Erbe berufener Pflichtteilsberech⸗
tigter . . .. beſchränkt oder . . . beſchwert, jo gilt
die Beſchränkung oder die Beſchwerung als nicht
angeordnet, wenn der ihm hinterlaſſene Erbteil
die Hälfte des geſetzlichen Erbteils nicht überſteigt.“
Dieſe Vorſchrift kann, wie allgemein anerkannt, 8)
nur den Fall im Auge haben, daß der als Erbe
berufene Pflichtteilsberechtigte den Erbteil an⸗
nimmt. Sie gilt alſo nicht, wenn der Erbteil
ausgeſchlagen wird.
Ferner iſt nicht zu verkennen, daß die unein⸗
geſchränkte Anwendung des § 1935 gelegentlich
zu Ergebniſſen führt, die auf den erſten Blick
befremden.
Man denke etwa an eine Sachlage, die ſich
von der S. 1 behandelten nur dadurch unter⸗
ſcheiden mag, daß nicht der vorverſtorbene Enkel
NI, ſondern der überlebende Enkel N die Zu:
wendung von 28 erhalten hatte. Ohne $ 1935
würde der Sohn F erhalten? (36 + 28) = 32,
der Enkel N nur 32— 28 = 4. Zufolge 8 1935
ändert ſich aber die Berechnung dahin, daß N
zunächſt als vorhanden anzunehmen iſt, demnach
der Erbteil des X
trägt,
§ 2056 außer Anſatz bleibt.
ſich der (fiktive) Erbteil des N’ auf 3 des Nach⸗
laſſes, alſo auf 12, und dieſe Summe tft nun:
mehr dem N zuzuweiſen, der mithin jetzt das
Dreifache des obigen Betrages erhält. Hier ge—
nur 4- (36 + 28) = 16 be:
lediglich einen Schutz gegen eine Ueberſchwerung
durch den wegfallenden Erbteil (denn dieſe Gefahr
iſt hier ohnedies ausgeſchloſſen), ſondern einen
darüber hinausgehenden poſitiven Vorteil.
von Abkömmlingen. Hatte ſie ein Konferendum
von 55 erhalten, ſo gebührt unzweifelhaft der
älteren Tochter der ganze Nachlaß, alſo 48, gleich⸗
viel ob man § 1935 anwendet oder nicht. Denn
im erſteren Falle beträgt der zufolge $ 2055
Abſ. 1 Satz 2 um die ſämtlichen Zuwendungen
vermehrte Nachlaß 48 + 172 = 220 und ein
Viertel davon 55, im anderen Falle betragt
der um die Auegleichungspoſten der Söhne)
vermehrte Nachlaß 48 + 117 = 165 und ein
Drittel davon ebenfalls 55, ſo daß alſo in
jedem Falle die Anteile der ausgleichungspflichtigen
Kinder voll erſchöpft ſind. — Hatte dagegen die
vorverſtorbene Tochter keine Zuwendung erhalten, ſo
ergibt ſich zwar bei Außerachtlaſſung des 8 1935
offenſichtlich dasſelbe Reſultat. Dagegen führt
die Anwendung des § 1935 hier dahin, daß, weil
abermals die Erbteile der Söhne an ſich über⸗
laſtet ſind, zunächſt die Töchter am Nachlaß zu
gleichen Teilen partizipieren (mit je 24), und
ſich demnach die überlebende Tochter mit nur
24 + 3-24 32 begnügen muß, während die
Söhne je 8 davontragen. Man ſieht ſich darnach
vor das eigentümliche Ergebnis geſtellt, daß,
während im allgemeinen die Verminderung der
Ausgleichungslaſt des einen geſetzlichen Erben ſehr
wohl eine Verminderung des effektiven Erb⸗
teils eines anderen geſetzlichen Erben zur Folge
haben kann, hier gerade umgekehrt die Ver⸗
minderung der Ausgleichungslaſt der jüngeren
Tochter (von 55 auf 0) eine Erhöhung des effek⸗
alſo überlaſtet iſt und ſomit zufolge
Alsdann beziffert
tiven Erbteils der Söhne (von 0 auf je 8) bewirkt.
Indeſſen löſen ſich dieſe ſcheinbaren Unbillig⸗
keiten und Widerſprüche wenigſtens teilweiſe auf,
wenn man zunächſt das Ergebnis von einem
juriſtiſchen Geſichtspunkt aus betrachtet, der bisher
kaum gewürdigt ſein dürfte.
währt alſo $ 1935 dem erhöhten Erbteil nicht
Freilich führt, wie ſich zeigen wird, dieſe rein
juriſtiſche Betrachtungsweiſe noch zu keiner ganz
ſicheren Entſcheidung der Streitfrage. Um dieſe
zu erreichen, iſt es erforderlich, mathematiſche
Methoden zu Hilſe zu nehmen, deren objektive
Noch auffallender iſt das Ergebnis in folgendem Ueberzeugungskraft kaum ernſtlich beſtritten werden
Fall: Von des Erblaſſers 4 Kindern haben die wird. Ihre Einführung ſoll nun in den nach—
beiden Söhne ausgleichungspflichtige Zuwendungen ſtehenden Erörterungen erfolgen, deren Zweck alſo,
von 60 und 57 erhalten. Der Nachlaß (oder neben der Beſtätigung der herrſchenden Anſicht,
Nachlaßteil, der den Kindern als geſetzliches Erbe vornehmlich darauf gerichtet iſt, die Eigenart und
zufällt) beträgt 48. Von den beiden Töchtern iſt | die Verwendungsweiſe mathematiſcher Methoden
die jüngere bereits verſtorben ohne Hinterlaſſung | in der Rechtslehre erneut vor Augen zu Stellen.
gatte. Das ſcheint Coſack, Lehrbuch Bd. II $ 390
S. 800, nicht genügend zu beachten. Umgekehrt iſt
wieder dieſem Schrifiſteller Recht zu geben, wenn er ſich
J.
a. a. O. gegen eine Einſchränkung wendet, die Stros |
hal a a. O.
geben will.
) Darauf ſtützt ſich namentlich Staudinger
a. a. O. mit den Worten: „Dieſe Konſequenz ergibt ſich
allerdings nicht mehr aus dem Zwecke der Vorſchrift,
aber aus ihrer Faſſung.“
e) Bgl. namentlich Strohal a. a. O. 8 49 11 3°
Anm. 18 S. 420; Staudinger a. a. O. 8 2306
Nr. 8 S. 682.
8 15 II a. E. S. 76 f. dem 8 1935
Zunächſt ſoll die herrſchende Lehre verteidigt
werden gegen die Meinung, daß § 1935 für den
Fall außer Anwendung zu bleiben habe, daß
nicht der wegfallende, ſondern ein anderer Erbteil,
alſo einer der infolge des Wegfalls erhöhten
) Zur Vereinfachung der Rechnung kann hier das
Konſerendum der vorverſtorbenen Tochter außer Anſatz
bleiben, weil es die drei Erdteile gleichmäßig belaſtet.
Erbteile, durch die Ausgleichungslaſt von vorn⸗
herein überſchwert iſt. Zu dieſem Zwecke ſollen
nacheinander zwei Beiſpielsfälle betrachtet werden.
1. An einem Nachlaß von 48 ſind des Erb⸗
laſſers überlebende Kinder Fi und Fe beteiligt,
von denen Fs eine Zuwendung von 50 zur Aus:
gleichung zu bringen hat. Ein drittes Kind Ps,
das ein Konferendum von as = 8 erhalten hatte,
iſt bereits geſtorben ohne Hinterlaſſung von Ab⸗
kömmlingen. Wie groß ſind die geſetzlichen Erb⸗
teile von Fi und Fa?
Offenbar iſt der Erbteil des Fer überlaſtet;
ohne die Vorſchriſt des 8 1935 würde alſo Fi
den ganzen Nachlaß erhalten und Fs leer aus:
gehen. Zufolge 8 1935 ſoll jedoch der Erbteil
des Fs beſonders berechnet werden, wie wenn Fs
an der geſetzlichen Erbfolge wirklich beteiligt wäre,
und ſodann dieſer Erbteil auf Fi und Fs zu
gleichen Teilen übertragen werden. Hier iſt von
vornherein der Erbteil des Fs natürlich erſt recht
überlaſtet. Zufolge 8 2056 beziffert ſich nun der
Erbteil des Fi auf 1 (48 + 8) = 28, der (fiktive)
Erbteil des Fs auf 28 — 8 = 20, fo daß alſo Fi
im ganzen 38 erhält, während Fs wenigſtens 10
davonträgt. |
Es erſcheint auf den erſten Blick unbillig, daß
Fs, deſſen Erbteil, wie gezeigt, nicht nur bei
Konkurrenz des Fs, ſondern auch ſelbſt bei deſſen
Wegfall überlaſtet iſt, gleichwohl etwas erhalten ſoll.
Indeſſen erſcheint das Ergebnis ganz erträg⸗
lich, wenn man folgendes erwägt: Würde Fs ſtatt
etwa kurz vor dem Erbfall, erſt kurz nach dem
Erbfall geſtorben ſein, und zwar ohne ein Teſta⸗
ment und ohne ſonſtige nähere Angehörige (ins:
beſondere Ehegatten oder Mutter) zu hinterlaſſen,
ſo wäre ſein Anteil am Nachlaß des Vaters, d. i.
20, nachtraͤglich an Fı und Fs zu gleichen Teilen
gefallen, und ſomit würde Fa zwar unmittelbar
nichts, mittelbar aber doch 10 aus dem väter⸗
lichen Nachlaß erhalten haben. Kein anderes als
dieſes Ergebnis iſt es nun, das 8 1935 herſtellt
auch für den Fall, daß Fs kurz vor dem Erbfall
geſtorben iſt.
2. Noch ſichtbarer tritt die Berechtigung der
Vorſchriſt des 8 1935 in ihrer unbeſchränkten
Anwendung hervor bei folgender Sachlage:
Neben des Erblaſſers Sohn F kommen als
geſetzliche Erben noch zwei Enkel N und N’ von
einem Sohn F! in Betracht, der verſtorben war
oder verzichtet hatte. Der Nachlaß beträgt
k = 28. Vorerſt mag angenommen werden, daß
alle drei wirklich Erben geworden ſind. Die Aus⸗
gleichungspoſten der Erben ſeien ar = 72, a2 = 92,
a3 8, in Summa 4 = 172. Der vermehrte Nach⸗
laßbeſtand beträgt k Ta = 200. Offenbar iſt der
Erbteil des N überlaſtet, nämlich weil as (92)
größer iſt als aan (S 50). Demnach find die
Erbteile des F und des N! wie folgt zu bilden:
Von der Summe k Far Tas (= 108) erhält F
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
35
zwei Drittel, alſo 72, aber abzüglich a = 72, alſo
Null, dagegen N’ ein Drittel, alſo 36, abzüglich
as = 8, alſo 28, d. h. den ganzen Nachlaß.
Würde nun nachträglich, etwa kurz nach dem Erb⸗
fall, der kinderloſe N verſterben auch ohne ſonſtige
nähere Angehörige und ohne Teſtament, ſo würde
faktiſch N den ganzen Nachlaß erhalten, F da⸗
gegen nichts. Wie aber, wenn NI bereits kurz
vor dem Erbfall kinderlos geſtorben war? Ohne
8 1935 würde hier, da die Ausgleichungslaſt des
N, nämlich az T as = 92 + 8 = 100, ſeinen Erbteil,
namlich ra 100, gerade erſchöpft, F den
ganzen Nachlaß erhalten, N dagegen nichts. Dies
Ergebnis iſt dem vorhergehenden, wo der Tod des
Ni kurz nach dem Erbfall angenommen war,
gerade entgegengeſetzt. Daß nun die Verteilung
des Nachlaſſes unter die beiden Abkömmlinge F
und N jo weſentlich abhängig ſein ſollte von dem
Umſtande, ob N! kurz vor oder kurz nach dem
Erbfall verſtirbt, hat der Geſetzgeber durch 8 1935
verhindert. In der Tat erhält, auch im Falle
des Todes des N! kurz vor Erbfall, zufolge
8 1935 N den fiktiven Erbteil des N! und da⸗
mit den ganzen Nachlaß, während F leer aus⸗
geht. Daß dieſes Ergebnis annehmbarer iſt, als das
ohne § 1935 gewonnene, leuchtet darnach ein.
Es mögen noch in Kürze die allgemeinen
Berechnungen dargelegt werden, die anzuſtellen
geweſen ſind, um das zweite Beiſpiel zu kon⸗
ſtruieren, bei dem das Unbefriedigende und Wider⸗
ſpruchsvolle der gegneriſchen Lehre ſich beſonders
grell herausgeſtellt hat. Es handelt ſich alſo um
folgende rechneriſche Aufgabe:
Wie find die Größen Kk, ar, as, as anzuſetzen,
damit im Falle des Todes des N! vor Erbfall
und bei Nichtanwendung des § 1935 das gerade
entgegengeſetzte Ergebnis (nämlich für F ein
Erbteil gi Sk, für N ein Erbteil ge = 0)
heraustritt, wie im Falle des Todes des Ni nach
Erbfall und Beerbung des N! durch N (nämlich
für F ein Erbteil g = 0, für N! ein Erbteil
ga = K)?
Dabei muß von vornherein der Erbteil des
Nals überlaftet, die Erbteile von F und N! als
nicht überlaſtet angenommen werden. Dieſe Er⸗
wägung liefert zunächſt folgendes Formelſyſtem:
8 0
an 8 C0
ee 3
oder einfacher:
Kk Tas Tas O a1
K + ai + as C3 az
(1)
Pe
Um weiter zu kommen, find zunächſt die An⸗
teile der Abkömmlinge F und N zu bilden unter
der Vorausſetzung, daß N! vor Erbfall geſtorben
iſt und unter der (unrichtigen) Annahme, daß
§ 1935 nicht anzuwenden, d. h. der Erbteil des
N! bei Seite zu laſſen ſei. Dann würde zu:
kommen dem F der Erbteil
Kk Tai a2 J a3 k — ai as + a3
a ee ee ee
2 2
dem N der Erbteil
nz ann — (a: s ö
Sodann ſind die Anteile aller drei Abkömm⸗
linge zu bilden unter der Vorausſetzung, daß N!
nach dem Erbfall geſtorben iſt. Da auch hier
nach Vorausſetzung der Erbteil des N überlaſtet
iſt, jo haben zufolge 8 2056 der Erbteil des N
und ſein Konferendum außer Anſatz zu bleiben
und es ſind zuzuweiſen dem F der Betrag
g1 — 36 + a1 + 41 arm,
dem N? der Betrag
k 4. — 245
0 = Ga 0 — 4
Dieſes Ergebnis ſteht dann zu dem obigen im
denkbar ſcharfſten Gegenſatz, wenn gleichzeitig dort
der Erbteil ge des N, hier der Erbteil gi des
F ſich auf 0 reduziert.“)
wenn gleichzeitig angeſetzt wird
OR
Die vier Größen k, ar, ar, as find mithin
derart zu wählen, daß dieſe beiden Relationen er:
füllt werden. Durch beſtimmte Annahme zweier
dieſer Größen ſind dann auch die beiden anderen
eindeutig determiniert. Nimmt man alſo etwa
k und as als gegeben an, fo beſtimmt ſich aı un
mittelbar aus der zweiten, ae aus einer Verbindung
(Addition) beider Relationen folgendermaßen:
10
k +L a1 — a2 — aa 2 0
2k — aı + 2a =0.
a = 2K ++ 23
a2 = 3K + aa.
geitſchrift für Rechtspflege in
1
überlaſtet.
|
|
|
8
di
5
|
|
Es bedarf noch der Feſtſtellung, daß hiermit
auch den Ungleichungen (1) genügt iſt. Das trifft
in der Tat zu, weil alsdann iſt:
10) Nicht etwa umgekehrt, da offenſichtlich die zu
widerlegende Rechnungsart (Nichtanwendung des 8 1935)
dem F günjtig, dem N ungünſtig iſt.
— — — —
Bayern. 1911. Nr. 2.
k - a2 + as = 4k + 23:5 > 2k + 2a:
k + ai as = 3K +E 3a C k + 63
k + ai as = 6k +HE 3a O3as.
Setzt man jetzt ſpeziell den Nachlaß K = 28 und
des N! Konferendum as == 8, fo gelangt man dazu,
für die beiden anderen Konferenda zu wählen die Be:
träge ar = 2k + 2a = 72 und as = 3k + as = 92.
Das ſind auch wirklich die bei obigen Betrach⸗
tungen eingeführten Zahlenwerte.
II.
Nunmehr iſt noch die Behauptung zu prüfen,
8 1935 gelte nur unter der Vorausſetzung, daß
der wegfallende Erbteil an der Ausgleichungs⸗
laſt beteiligt, alſo ſelbſt ausgleichungsbelaſtet iſt.
Hierfür mag zuerſt (unter A) wieder ein
juriſtiſcher, ſodann aber (unter B) ein mathe⸗
matiſcher Geſichtspunkt ganz allgemeiner Natur
eingeführt werden, wobei dieſelben Tatbeſtände
zugrunde gelegt werden ſollen wie unter I, jedoch
mit der Verallgemeinerung, daß der Ausgleichungs⸗
poſten as ſtatt mit 8 mit t angeſetzt wird.
A.
1. Im erſten Beiſpiel iſt gegeben ein Nach⸗
laß von k= 48. Die Ausgleichungspoſten der
drei Kinder Fı, Fe, Fa betragen aı = 0, as = 50,
b 48), zuſammen alſo a = 50 + t.
Berückſichtigt man zunächft auch das Kind Fa,
ſo wird durch die Hinzufügung der drei Aus⸗
1 der Nachlaßbeſtand erhöht auf
Fa = 98 Et, d. i. 146. Das dem Fa
Dies wird erreicht, a. Drittel davon bleibt hinter as = 50
etwas zurück. Folglich iſt der Erbteil des Fe
Gemäß $ 2056 iſt nun die Summe
k a + A = 48 t zu bilden und auf Fı
und Fs in der Weiſe zu 3 daß Fi erhält
24 F- t, Fa nur 24 — 3 t.
Fällt nun Fs vor oder nach dem Erbfall als
geſetzlicher Erbe weg, jo daß Fi und Fe die alleinigen
Erben bleiben, ſo ergibt die Anwendung von
§ 1935 für Fi einen Erbteil von
g = (24 + 1 t) + (24 — t) = 36 }-t,
für Fz einen Erbteil von
g O + 4. (24— 3 t) 12 — 4 t.
Dieſe Werte, die übrigens beide poſitiv ſind,
da nach Vorausſetzung t T 48, alſo ft TJ 12
iſt, ſind unbeſtritten richtig, wenn t D O iſt.
Nach herrſchender Lehre trifft dies auch für t S 0
zu. Nach gegneriſcher Auffaſſung aber gelten ſie
dann nicht mehr; vielmehr ſoll hier F> außer
Betracht bleiben und nur ſein Konferendum den
anderen Kindern mit je d - t zur Laſt fallen
(5 2051), jo daß Fe, weil ſein Erbteil 1 (98 = t)
durch die Ausgleichungslaſt 50 12 t über:
ne —— —
— — —
wogen wird (um 1), leer ausgeht, mithin Fi den
ganzen Nachlaß erhält.
Indeſſen läßt ſich das Ergebnis der herr⸗
ſchenden Lehre für t= 0 zunächſt wiederum
mittels einer juriſtiſchen Betrachtung rechtfertigen
genau wie unter I. Denkt man ſich nämlich den
Wegfall des Fs in der Weiſe erſolgt, daß er
zwar Erbe wurde, aber alsbald ohne Teſtament
und ohne Hinterlaſſung näherer Angehöriger ge⸗
ſtorben iſt, ſo wird das Endergebnis offenbar
genau das gleiche ſein, wie es durch die An⸗
wendung von § 1935 hergeſtellt wird für den
Fall, daß Fs noch vor dem Erbfall geſtorben
und daher nicht wirklicher Erbe geworden iſt.
Und zwar gilt dies auch, wenn t So iſt, d. h.
wenn der wegfallende Erbteil nicht an der Aus⸗
gleichungslaſt beteiligt iſt.
2. Im zweiten Beiſpiel iſt gegeben ein Nach⸗
laß von K = 28. Die Ausgleichungspoſten des
Sohnes F und der Enkel N und N’ betragen
ai Ak + 2t = 56 T 2t, a: 3k Ft = 84 t,
as = t, zuſammen a=5k + 4t = 140 + 4t.
Der Erbteil des N iſt überlaſtet; denn ſein Kon⸗
ferendum as = 84 = t überſteigt feinen Anteil
an den um die Summe aller Ausgleichungs⸗
boften a vermehrten Nachlaßbeſtand k, d. i.
1k + a) = 4 (168 + 4t) = 42 +t Bu:
folge § 2056 iſt daher nunmehr die Summe
k + ai + aa =3k + 3t = 3 (28 + t) ) zu bilden
und hiervon 1 dem F und 3 dem N! zuzu⸗
weiſen, ſo daß ſchließlich dem F die Differenz
2 (28 +E t) — (56 T 2t), alſo nichts zukommt,
dem N! dagegen die Differenz (28 t) — t = 28,
alſo der ganze Nachlaß verbleibt.
Nun haben wir den Fall ins Auge zu ſaſſen,
daß N! vor oder nach dem Erbfall aus der Reihe
der geſetzlichen Erben ausgeſchieden iſt und ſich
dadurch der Erbteil von N erhöht hat. Wird 81935
angewendet, jo iſt der (fiktive) Erbteil des NI,
alſo der geſamte Nachlaß, dem N allein zuzu⸗
ſprechen. Nach herrſchender Anſicht gilt dies,
gleichviel ob t 5 0 oder t = 0 iſt. — Die be:
kämpfte Auffaſſung dagegen will für t = 0 den
8 1935 nicht eingreifen laſſen. Danach ſoll N
lediglich (nach 8 2051) das Konferendum as des
N! übernehmen und von dem um a vermehrten
Nachlaßbeſtand, alſo von k Ta = 6k . 4t =
168 + 4t die Hälfte, alſo 84 + 2t, erhalten;
da aber dieſer Betrag von der Ausgleichungslaſt
a2 + as = 3k + 2t = 84 + 2t gerade erſchöpft
wird, jo muß hiernach N leer ausgehen.
Auch in dieſem Beiſpiel iſt das erſtere Er:
gebnis annehmbarer deshalb, weil hier F und
N „genau ſo viel erhalten, als ſie erhielten, wenn
erſt, nachdem er geſetzlicher Erbe geworden,
3 Teſtament und ohne Hinterlaſſung näherer
Angehöriger ſterben würde.
Indeſſen beſteht, wie in jenen beiden Beiſpielen,
ſo allgemein, die durch die uneingeſchränkte Ans
wendung des § 1935 hergeſtellte Uebereinſtimmung
Zeitſchrift für Rechtspflege in .
9 Nr. 2. 37
eben nur hypothetiſch, d. h. nur bei Annahme
einer Geſtaltung, die zutreffen kann, aber nicht
immer zutreffen an Ferner iſt zu beachten,
daß, wie oben S. 1 Anm. 6 hervorgehoben,
8 1935 nicht er iſt, wenn die Erhöhung
des Erbteils erfolgt durch den Wegfall des Ehe⸗
gatten des Erblaſſers. Hier iſt alſo für die Er⸗
reichung jener Uebereinſtimmung nicht vom Geſetz⸗
geber geſorgt, wie folgendes einfache Beiſpiel
zeigen mag:
Der Erblaſſer hinterläßt nur eine Tochter und
einen Sohn, der eine Zuwendung in gleichem oder
höherem Betrage wie der ſchließlich vorhandene
Nachlaßbeſtand einzuwerfen hat. Hier muß der
Sohn leer ausgehen, weil $ 1935 nicht anwend⸗
bar iſt. Anders wäre das Ergebnis geweſen, wenn
der Ehegatte des Erblaſſers (die Mutter dieſer
Kinder) noch den Erbfall erlebt hätte und erſt
kurz nachher ohne Teſtament geſtorben wäre.
Alsdann hätte ſie ein Viertel des Nachlaſſes geerbt,
und davon würde die Hälfte, alſo ein Achtel, auf
den Sohn übergegangen ſein.
Man erkennt daraus, daß jenes juriſtiſche
Argument doch nicht vollkommen befriedigen kann.
Es iſt daher von Wert, daß die vorliegende Frage
auch noch von einem allgemeinen Geſichtspunkt
aus behandelt werden kann, der ſpezifiſch mathe⸗
matiſcher Natur iſt und abermals zugunſten der
von uns angenommenen Anſicht entſcheidet.
B.
In der Tat läßt ſich ein höherer Standpunkt
gewinnen, wenn man ein allgemeines Prinzip
mathematiſcher Natur zugrunde legt: das Stetig⸗
keitsprinzip.
Dies Prinzip läßt ſich zunächſt folgendermaßen
ausdrücken:
Beſteht der Unterſchied zweier Tatbeſtände
ausſchließlich im Größenunterſchied eines einzelnen
Elements (3. B. eines erbrechtlichen Ausgleichungs—
poſtens) und iſt dieſer Unterſchied nur ganz klein,
ſo muß auch der Unterſchied in der wu
Bewertung der beiden Tatbeſtände (3. B. der
Größenunterſchied in dem reſultierenden Anteil
irgend eines beſtimmten an der Ausgleichung be—
teiligten Miterben) nur ganz klein ſein. Läßt
man alſo jenen Unterſchied in einem einzelnen
Element immer kleiner und kleiner werden, d. h.
die beiden Tatbeſtände mehr und mehr mit
einander zur Uebereinſtimmung gelangen, ſo muß
auch der Unterſchied in der juriſtiſchen Bewertung
immer kleiner und kleiner werden, d. h. die
juriſtiſche Bewertung der beiden Tatbeſtände mehr
und mehr zur Uebereinſtimmung mit einander
gelangen.
Oder auch ſo: Iſt neben einem beſtimmten
Tatbeſtand, welcher quantitative Elemente (3. B.
einen erbrechtlichen Ausgleichungspoſten) enthält,
noch ein zweiter Tatbeſtand gegeben, der mit jenem
38 | Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
— m — — — . — — —
identiſch iſt bis auf ein einzelnes quantitatives Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben iſt, bei
a 2 a = u 1 dem das Stetigfeitöprinzip gewahrt bleibt.
gedacht in der Weiſe, daß es ſich dem entſprechenden ich nun zeigen, daß die Anſicht, 8 1935
Element des erſtgenannten Tatbeſtandes mehr und „ daß 3 weg⸗
mehr annähert, ſo muß die juriſtiſche Bewertung fallende Erbteil ſelbſt ausgleichungsbelaſtet iſt,
des zweiten Tatbeſtandes ſich gleichzeitig mehr und mit dem Stetigfeitsprinzip in Widerspruch gerät,
mehr annähern der juriſtiſchen Bewertung des indem ſie zu einer Unſtetigkeit der juriſtiſchen Be:
erſten Tatbeſtandes, mit der Maßgabe, daß fie wertung des Tatbeſtandes führt. Dies mag
für beide Tatbeſtände dann vollkommen identiſch wenigſtens an dem erſten jener Beiſpiele gezeigt
wird, wenn das veränderliche Element des zweiten werden.
Tatbeſtandes gerade gleich dem entſprechenden Dort waren bei Ausſcheiden des L als geſetz
|
N e n licher Erbe vor oder nach dem Erbfall die Erb⸗
Schärfer formuliert lautet dieſer Grundſatz ſo: teile des Fi und des Fe auf
Läßt man bei einem gegebenen Tatbeſtand an
einem einzelnen Element (der „unabhängigen Ver⸗ 81 = 36 +Aet,
änderlichen“) eine unendlich kleine (virtuelle) Ver⸗ 1 8. 121 t
ſchiebung eintreten, ſo verändert ſich auch die | €
juriſtiſche Bewertung des Tatbeſtandes (die „ab: feſtgeſtellt worden, wobei t ganz beliebig, nur < 48,
haͤngige Veränderliche“) um ein unendlich kleines angenommen war. Nach der herrſchenden und durch
Inkrement. eine juriſtiſche Argumentation bereits beſtätigten
Oder ganz kurz: Lehre gelten dieſe Werte allgemein, insbeſondere auch
„Die juriſtiſche Bewertung eines Tatbeſtandes für t - 0. Für dieſen Fall ergibt ſich alſo nach
iſt eine ſtetige Funktion der (quantitativen) herrſchender Lehre:
Elemente des Tatbeſtandes.“
Dieſes Prinzip iſt natürlich eine Hypotheſe, 2 [&]._-. 8
wie ſolche auf allen Gebieten der angewandten (2°) 2 — 12
Mathematik exiſtieren und zwar in um ſo größerer ee
Zahl, je weiter fih auf dem Gebiete die mathe⸗
matiſche Betrachtungsweiſe entwickelt hat.“) Es Nach der gegneriſchen Auffaſſung gelten
beſitzt auf juriſtiſchem Gebiete Bedeutung ebenſo die Formeln (1) nur, ſolange t 0 iſt, während
für die Auslegung, alſo für Unterſuchungen de für t S 0 folgende Werte einzutreten hätten:
lege lata, wie für Betrachtungen de lege ferenda.
In letzterer Beziehung kann man die eigentüm: 1548
liche Erſcheinung beobachten, daß im römiſchen (2) le | u 0
2 .
t 0
Recht vielfach eine geſetzliche Regelung gewählt iſt,
die ſich offenſichtlich in Widerſpruch ſtellt zum
Stetigkeitsprinzip (wie bei der laesio enormis Denkt man ſich nun unter Feſthaltun
gie 1 5 5 altung des
n m Milan Zaiten ap u ann Bi
Nachlaß erſchopfenden Erbquoten auftreten), daß daß 1 on er ne al
dagegen das Recht des BGB. meiſt das Stetig. kleinere und kleinere Werte annimmt und ſich fo:
keitsprinzip wahrt (wie gerade bei ber Regelung mit allmählich dem Betrag 0 nähert, jo wird
1 n 11085 El . einerſeits der Erbteil gi des Fi fortdauernd kleiner
. . 0 f ähli 36 2
8 2306, einer Vorſchrift, die ſich bei Beachtung des a ae ſich „ 1110 a. il ro
Stetigkeitsprinzipes einfacher und durchſichtiger 1 Ae e OLSLBELLID. DEE SEEDIEL Ba de
geſtaltet hätte. Solche Erwägungen treten aber | . Dan größer 5 0 1
gegenwärtig in ihrer praktiſchen Bedeutung zurück 191 115 a er eu fun in en
hinter die Verwendung des Stetigkeitsprinzipes ſtetig fortgehen, daß für einen Wert von t, der
5 1 * nn 15 19 0 beliebig wenig von 0 verſchieden iſt, die Werte der
fern, als überall 155 wo die A ung ai an: Kara 1 = für t 0 .
5 er Se ä „an Werten verſchieden ſind, die ſie für t 0 annehmen.
deren Hilfsmitteln unſicher bleibt, demjenigen M. a. W. Je kleiner t iſt, d. h. je mehr f
— — ſein Betrag dem Werte 0 annähert, je mehr alſo
En Als am meiſten bekannt iſt hier zu nennen auf dem ſich der Fal t O annähert dem Fall t=0, um
Erhaltung der Kraft (genauer von der Konftang der Jo mehr müffen fih die Ergebulſſe des Na
Energie des Weltalls), ferner in der analytiſchen Dies t 0 annähern den Ergebniſſen des Falles a
chanit das Gauß'ſche Prinzip des kleinſten Zwanges. Formelmäßig ausgedrückt bedeutet das: Es muß ſein
—— — —— — —
lim gı
t=0
= [Ele
(8) lim 55 —— [&®] ar
Offenbar hat nun gemäß den unitrittigen
Formeln (1) die Größe lim gi den Wert 36
und die Größe lim ga den Wert 12. Nach
herrſchender Lehre kommen nun, zufolge Formeln
(2*), die gleichen Werte auch den Größen [gi]! «—.
und [gz] . zu. Hier iſt alſo den Anforderungen
des Stetigkeitsprinzips genügt.
Dagegen kommen nach gegneriſcher Meinung
zufolge Formeln (2) den Größen [gi] .= und
[g]. ganz andere Werte zu, nämlich 48 und 0.
Das ſteht in Widerſpruch mit dem im Stetigfeits-
prinzip enthaltenen Poſtulat.
Man kann dieſen Widerſpruch vielleicht auf
ſolgende Weiſe noch anſchaulicher und ſchärfer ins
Licht treten laſſen: Hatte der wegfallende Ab⸗
kömmling Fs nur eine ganz minimale aus⸗
gleichungspflichtige Zuwendung erhalten, ſo gebührt
dem Fs unbeſtritten ein Anteil von nahezu 12;
hatte dagegen Fs keine Zuwendung erhalten, jo
ſoll nach gegneriſcher Lehre dem Fs nichts ge:
bühren. Das iſt aber eine offenbare Diskordanz.
Die vorſtehenden Darlegungen verfolgten nicht
den Zweck, ein ſachlich neues Auslegungsergebnis
herauszuſtellen. Vielmehr hatten fie ſich das Ziel
geſteckt, gerade bei einer relativ einfachen Streit⸗
frage die Verwendung einer mathematiſchen Aus⸗
legungs methode zu entwickeln, die ihren Aus⸗
gangspunkt in einem wiſſenſchaftlichen Prinzip von
denkbar größter Allgemeinheit nimmt.“)
Die Notwendigkeit einer allgemeinen |
Nechtslehre.
Zur Umgeſtaltung des Rechtsſtudiums
auf den Univerſitäten.“)
Von Amtsrichter K. Baer in Nürnberg.
| I.
Es mag befremdlich erſcheinen, wenn ein in
der Praxis ſtehender Juriſt zu einer Frage das
Wort nimmt, die nichts weniger als praktiſch im
landläufigen Sinne des Wortes genannt werden
kann. Und doch iſt es nicht nur eine in der
Geiſtesverfaſſung des Menſchen begründete Not⸗
wendigkeit, die Forderung einer allgemeinen Rechts⸗
lehre aufzuſtellen, wie die nachſtehenden Aus⸗
führungen zeigen werden, ſondern die Forderung
R 3 Vgl. m. Anſpruch und Einrede S. 39 f., S. 41
nm.
1 8 bemerke, daß ich in Nachfolgendem nur meine
perſönliche Meinung zum Ausdruck bringe, ohne auf
Schriften und Werke eingehen zu können, die ähnliche
Fragen behandeln.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
39
wird auch zur praktiſchen Notwendigkeit, ſoll unſer
Volk die Richter erhalten, die faͤhig ſind, ſeine
Rechtsſachen mit dem nötigen allgemeinen Weit⸗
blick und nicht nur als Handwerker ihres Berufes
zu führen. Es handelt ſich um die praktiſche
Frage der Umgeſtaltung unſeres Rechtsſtudiums,
über die ja in letzter Zeit viel geſtritten wurde.
Umſomehr iſt aber die Forderung einer allge⸗
meinen Rechtslehre begründet, als die Schriften
des Rechtsanwalts Ernſt Fuchs von Karlsruhe
gezeigt haben, daß nicht einmal die Grundlagen
der Rechtswiſſenſchaft auf ſicherem Boden ruhen,
ſondern auch in der Rechtswiſſenſchaft der von der
modernen Philoſophie ausgehende Geiſt der Skep⸗
ſis mächtig zu regen ſich beginnt. Ein Streit
über die Grundlagen der Rechtswiſſenſchaft und
Rechtſprechung hebt an, deſſen Ende noch nicht ab⸗
zuſehen iſt, den durchzukämpfen aber die Pflicht
jedes Juriſten iſt, will er gefeſtigten Grund unter
ſeinen Füßen haben und nicht kritiklos zwiſchen
zwei Polen hin⸗ und herſchwanken. Inmitten dieſes
Kampfes handelt es ſich darum, das Wahre, was
die konſtruktive Methode der Rechtswiſſenſchaft
geſchaffen, als wohlerworbenes Beſitztum zu wahren,
andererſeits aber in Erkenntnis der Grenzen dieſer
Methode den Weg, den die moderniftiihe Schule
zeigt, zu gehen ſich nicht ſcheuen. Wenn auch
einzelne Forderungen über das Ziel hinaus⸗
ſchießen, ſo darf unter Beachtung des geiſtigen
Grundgeſetzes, daß jede neue Geiſtesrichtung auch
Irrtümer in ſich enthält, dies uns nicht abhalten,
das objektiv Wahre der neuen Richtung, losgelöſt
von der ſubjektiven Meinung und dem Tempera⸗
mente ſeines Künders, rückhaltslos anzuerkennen
als für das Gemeinwohl gewinnbringend, dem
Kulturideal ſich nähernd.
In dieſem Zuſammenhange gewinnt aber die
an die Spitze geſtellte Forderung an weiterer Be⸗
deutung. Wie ſchwer es für jeden in der Praxis
ſtehenden Juriſten iſt, Fragen wie die von Fuchs
aufgeworfenen zu löſen, braucht wohl nicht weiter
mit Zeitmangel und anderen Gründen belegt zu
werden. Von entſcheidender Bedeutung wird es
daher hier für die Zukunft unſerer rechtſtudierenden
Jugend ſein, daß ſie an der Hand tüchtiger Lehr⸗
meiſter über die Schwierigkeiten dieſer allgemeinen
Fragen des Rechts, die ſich ſpaͤter dem in der
Praxis ſtehenden Juriſten doch aufdrängen müſſen,
aufgeklärt wird und ohne viel in philoſophiſchen und
pſychologiſchen Irrwegen umherſuchen zu müſſen,
dem erſtrebten Ziele der Erkenntnis zugeführt wird.
Und auch den weiter noch anzuführenden Gewinn
dürfte die Forderung einer allgemeinen Rechtslehre
im Gefolge haben, die Überbrückung des immer
noch zwiſchen Theorie und Praxis klaffenden Gegen—
ſatzes herbeizuführen.
Zwiſchen den lehrenden und den in der Praxis
ſtehenden Juriſten kann ja nicht die größere Summe
an Kenntniſſen des poſitiven Rechts unterſcheiden,
ſondern nur die Behandlungsweiſe des geltenden
40
Rechtes. Während dem letzteren die ſichere An⸗ |
wendung der tauſend Einzelheiten des Rechts zur
Pflicht wird, handelt es ſich für Erſteren nicht
darum, z. B. eine ſchwierige Frage des Hypotheken⸗
rechts zu löſen, ſondern vielmehr die allgemeinen
Grundlagen, auf denen das poſitive Recht ruht,
mit ſicherer Hand zu kennzeichnen, die großen
Geſichtspunkte der Rechtsentwicklung zum Rechts⸗
ideal klar zu legen und ſo der ſtudierenden Jugend
Liebe und Begeiſterung für die Rechtswiſſenſchaften
und den Rechtsberuf zu erwecken. Dafür iſt aber
gerade in einer allgemeinen Rechtslehre Raum
gegeben.
II.
Daß die Forderung nicht theoretiſch, ſondern
herausgewachſen iſt aus den Erfahrungen der
Praxis, mögen nachfolgende kurze Andeutungen,
die leicht vermehrt werden könnten, zeigen.
Schon bei der Schaffung des Bürgerlichen Geſetz⸗
buchs hat der Strafrechtslehrer Fr. v. Liszt in
einer Schrift über das Grenzgebiet zwiſchen
Straf: und Zivilrecht, ſowie in ſeinen Delikts⸗
obligationen im Syſtem des BGB. die Forderung
einer einheitlichen Behandlung dieſer Fragen ge⸗
ſtellt. Liszt hat auch an den Anfang ſeiner Vor⸗ |
leſung über das Strafrecht eine kurze Einführung
in die Behandlungsweiſe der Geiſteswiſſenſchaften
(Induktion und Deduktion) geſtellt. Der Zivil⸗
prozeßlehrer v. Hellwig hat in ſeinem Lehrbuche
des Zivilprozeßrechts den im Strafrecht ausge⸗
prägten Begriff der Geſetzeskonkurrenz für das
Zivilprozeßrecht nutzbar gemacht. In noch weiter⸗
gehendem Maße hat der Verwaltungsgerichtshof
Bayerns allgemeine Normen des Verfahrensrechtes
auf das Spezialverfahren des Verwaltungsſtreit⸗
rechtes anwenden müſſen. (E. B. 18 S. 248).
Überall drängt die Rechtswiſſenſchaft und die
Rechtſprechung über die künſtlichen Grenzen der
einzelnen Rechtszweige (Zivilrecht, Strafrecht, Zivil⸗
prozeßrecht, Staats- und Verwaltungsrecht) hinaus
und verlangt gebieteriſch eine einheitliche Behand⸗
lung der allen Rechtszweigen gemeinſam zugrunde
liegenden Rechtstatſachen und Rechtsbegriffe. Gerade
aber die Grenzgebiete ſind es meiſtens, die von
beiden Seiten gemieden, eine ſtiefmütterliche oder
doch mindeſtens für den Studierenden verwirrende
Behandlung erfahren. Das Leben kümmert ſich
jedoch nicht um dieſe künſtlichen, abſtrakten Grenzen,
ſondern verlangt Einheit. Wie jede Wiſſenſchaſt,
ſo wird auch di ſchaf ˖
das Einheitsbeſtreben des menſchlichen Bewußt—
ſeins, das ſich in der Einordnung der realen |
Einzelheiten in ein begriffsmäßiges Syſtem und
in die zeitliche Verknüpfung der Einzelheiten nach
dem Geſetze der Kauſalität alles Geſchehens
äußert. Wie ſchon angedeutet, ſo trägt aber auch
wie die andern Wiſſenſchaſten die Rechtswiſſen—
ſchaft das Zeichen des Jahrhunderts an der Stirne;
die Zerſplitterung in die einzelnen Fächer iſt auch
hier zu ſehr eingetreten.
allgemeiner,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
Es mag ja zugegeben
werden, daß einzelne hervorragende Juriſten den
harmoniſchen Ausgleich der Gegenſaͤtze in ſich ge⸗
funden haben, nicht jedoch iſt er erfolgt in der
Praxis und in der ihr vorausgehenden Belehrung
der rechtſtudierenden Jugend.
Und doch iſt bei dem heutigen Stande der
Rechtswiſſenſchaft eine allgemeine Rechtslehre und
zwar als belehrende Einführung in das Studium
der Rechtswiſſenſchaft nicht zu entbehren.
Es bedarf wohl keiner beſonderen Begründung,
daß Probleme wie der Handlungsbegriff, Vorſatz,
Irrtum, Zeit und Raum, (zeitliche und örtliche
Geltung der Geſetze und Rechtshandlungen) und
wie die mit der Schaffung des BGB. neu auf⸗
getauchten allgemeinen Rechtsbegriffe heißen mögen,
erſchöpfender und der Forderung, die an die Methode
der Begriffsbildung geſtellt werden muß, entſprechen⸗
der behandelt werden können im Rahmen einer
allgemeinen Rechtslehre, als innerhalb des künſt⸗
lich auf einen Rechtszweig des poſitiven Rechts
zugeſchnittenen Rahmens. Fragen über die Un⸗
gültigkeit unſittlicher Verträge (ſ. die Recht⸗
ſprechung über den Bordellverkauf), über die Ein⸗
rede des Betrugs gegenüber rechtskräftigen Urteilen,
über die Vertragsfreiheit nach modernem Rechte
gewinnen an Bedeutung, wenn fie von allgemeinen
Geſichtspunkten aus behandelt werden.
Daß aber auch der Studierende dieſe allge⸗
meinen Probleme in ihrer philoſopoiſchen, die
einzelnen Rechtszweige umſaſſenden Darſtellung
kennen lernt, iſt unumgänglich notwendig;
denn nur dann kann er die Rechtsidee erfaſſen,
auf deren Verſtändnis auch die Kenntnis des
poſitiven Rechts beruht. Durch die heutige, dem
römiſchen Rechte fremde Pſychologie haben ja auch
andrerſeits fehr viele dieſer Probleme eine ſolche
Vertiefung erfahren, daß es zu offenem Wider⸗
ſpruche führen muß, wenn der Studierende, der
eben noch im Strafrecht über Vorſatz und Irr⸗
tum eine tiefgehende moderne Belehrung erfahren
hat, die dürre Irrtumslehre des römiſchen Rechts
mit ſeiner nichtsſagenden Unterſcheidung von
error in persona und error in re hören muß.
Der im Strafrecht gewonnene Fortſchritt der
pſychologiſchen Vertiefung ſo mancher Begriffe kann
aber auf dem Wege einer allgemeinen Rechtslehre
auch den anderen Gebieten zugute kommen, ſoll
nicht der heute in der Praxis noch vielfach be⸗
dolus ſei etwas weſentlich verſchiedenes von dem
ſtrafrechtlichen.
An die Behandlung dieſer materiellrechtlichen
Begriffe wäre denn anzureihen eine allgemeine
Behandlung des Rechtsverfahrens. Wieviel Fragen
nicht gerade poſitivrechtlicher Natur
hier ſich auftun, hat die neuere Behandlung des
Zivilprozeß- und Strafprozeßrechts gezeigt; eine
gemeinſame Behandlung dieſer Fragen, ausgehend
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
41
von der Rechtsidee, würde das Verſtändnis des ſprechung. Es bedarf nur des Hinweiſes auf die
pofitiven Rechts nur fördern können.
Dieſe beiden Problemgruppen bilden zuſammen
mit dem ſchon zur Selbſtändigkeit gelangten all⸗
gemeinen Staatsrecht, den beſonderen Teil der
allgemeinen Rechtslehre.
Dieſem beſonderen Teile der allgemeinen Rechts⸗
lehre wäre nun aber voranzuſtellen ein allgemeiner
Teil, der die Behandlung der Methoden der
Rechtswiſſenſchaft, der Grundlagen des Rechts zum
Vorwurfe haben müßte. Bisher wurde die Me⸗
thode der Rechtswiſſenſchaft als Einleitung zum
Privatrecht oder als Einführung zum römiſchen
Rechte, meiſtens ſehr kurſoriſch und wenig philo⸗
ſophiſch vertieft, gelehrt. Wie notwendig gerade
hier ein neues Eingreifen iſt, hat die Bewegung
des ſog. juriſtiſchen Modernismus gezeigt. Will
dieſe neue Richtung ja letzten Endes nachweiſen,
daß mißverſtändliche Anwendung der Methoden
der Rechtswiſſenſchaft zu einer mit dem Rechts⸗
ideal nicht übereinſtimmenden Rechtspraxis geführt
hat. Soll dieſer Prinzipienſtreit zu einem be⸗
friedigenden Ende geführt werden, ſo iſt die bis⸗
her als ſelbſtverſtändlich angewandte Methode der
logiſchen Begriffsbildung und die Ableitung des
1 aus den Begriffen in ſeiner Anwen⸗
dung auf den Einzelfall immerwieder im Ergeb⸗
niſſe in Zweifel zu ziehen und zuerſt zu unter⸗
ſuchen, ob die aufgeſtellten Begriffe auch richtig
entſtanden und nicht wertloſe Schablonen ſind.
Das Verfahren dazu muß aber, wie die Logik es
allgemein tut, dem Studierenden, ſpeziell in der
Rechtswiſſenſchaft, klargelegt werden und es genügt
nicht, wenn der Studierende erſt mühſam aus den
Schriften einzelner Gelehrter die Kenntnis über
die Methoden ſeiner Wiſſenſchaft, in der er ſpäter
zu Hauſe ſein muß, ſich zuſammen ſuchen muß.
In der Praxis gar ſind die z. B. von Kipp in
Windſcheids Pandektenrecht zu 3 24 angeführten
Werke in den Gerichtsbibliotheken überhaupt nicht
zu finden.
Die Frage nach der Methode der Rechtswiſſen⸗
ſchaft kann aber nicht beantwortet werden, ohne
daß man ihren Inhalt, den Rechtsſtoff ins Auge
gefaßt hat. Sind Recht und Sitte, Rechtsgefühl
und Rechtsideal, die Rechtsregel des poſitiven
Rechts Tatſachen, wie die Erſcheinungen der Natur⸗
wiſſenſchaften, ſo daß eine naturwiſſenſchaftliche
Behandlung im Sinne der modernen Geſell⸗
ſchaſtslehre angezeigt erſcheint?, wird jetzt gefragt.
Iſt es nicht richtiger, das ſoziologiſche Element
in den Rechtsſätzen aufzuſuchen, als in logiſch⸗
abſtrakten Gedankenſyſtemen ſich zu ergehen?
In welchem Verhältnis ſteht der Richter zu der
Rechtsregel, dem Rechtsideal? Darf er ſeinem
Rechtsgefühl im Einzelfalle Raum geben? Es
leuchtet ein, daß Fragen dieſer allgemeinen
Natur nicht theoretiſch allein ſind, ſondern Aus⸗
gangspunkte werden für die Geſtaltung der Recht⸗
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*
Schrift von Fuchs „Die Gemeinſchädlichkeit der
konſtruktiven Jurisprudenz“, um die ganze Trag⸗
weite der Verſchiedenheit der Auffaſſungen in der
praktiſchen Behandlung der einzelnen Rechtsfragen
zu kennzeichnen. Andrerſeits iſt es nicht zweifelhaft,
daß nur aus der Kenntnis des poſitiven Rechts
eine Stellungnahme zu den aufgeworfenen Fragen
nicht gewonnen werden kann, ſondern nur aus
einer mit den Nebenfächern der Soziologie und
der Nationalökonomie gewonnenen philoſophiſchen,
nicht metaphyſiſchen Bildung. Dieſe zu vermitteln,
iſt aber die Aufgabe einer allgemeinen Rechtslehre,
die bis heute, ſoviel ich ſehe, nicht in das Lehr⸗
ſyſtem der Jurisprudenz aufgenommen iſt.
Auch der Hinweis auf den in Bayern gefor⸗
derten Beſuch der philoſophiſchen Fächer ſchlaͤgt
nicht durch, da der Beſuch in das Belieben des
Einzelnen geſtellt iſt und dieſe Vorleſungen natür⸗
lich zu wenig das Ziel, Juriſten zu belehren, im
Auge behalten.
III.
Dieſe allgemeine Rechtslehre mit den genannten
Nebenfächern müßte nun an den Beginn des
Rechtsſtudiums an Stelle der meiſtens in öͤdes
Auswendiglernen ſich verlierenden Rechtsgeſchichte
geſtellt und ſo aus philoſophiſchem Geiſte heraus
eine Einführung in die Rechtswiſſenſchaft gewonnen
werden. Die Verſchaffung der Kenntnis des
poſitiven Rechts und der notwendigen Kenntniſſe
in ſeiner Anwendung (Kriminalpſychologie und
:piychiatrie, Pſychologie der Ausſagen ꝛc.) füllt den
weiteren Abſchnitt des Rechtsſtudiums aus und
gekrönt wird das Ganze durch eine Einführung
in die Geſchichte des Rechts auf vergleichender
Grundlage, wo auch das römiſche Recht in ſeiner
ihm gebührenden Bedeutung zu würdigen wäre.
Eine ſolche Einteilung des Studiums iſt
nicht nur pädagogiſch richtig, während bei der
jetzigen Einteilung das Pferd am Schweife auf:
gezaͤumt wird, ſondern hat auch die Vorteile, daß
der Examinator von Anfang an die Begabung
des Studierenden erkennen kann, (denn Geiſtes⸗
wiſſenſchaft erfordert vorwiegend abſtrakte Be⸗
gabung), dann, daß der Student als gebildeter
Juriſt in die Praxis tritt, fähig, von einem
höheren Geſichtspunkte aus die Aufgaben ſeines
Berufes zu erfaſſen und im Einzelfalle nicht der
Präjudizienkrücken zu bedürfen. Denn das bleibt
bei aller Achtung vor den Einzelkenntniſſen in
einem Fache doch Wahrheit, daß nur die allge⸗
meine, philoſophiſche Bildung, vereint mit der
richtigen Erkenntnis der Geſchichte den Blick frei
macht, während die Fachbildung allein den weiten
Blick nur hemmt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
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Das Abzugsrecht der Gewerbetreibenden
nach Art. 11 und 12 des Einkommen⸗
ſteuergeſetzes vom 14. Auguſt 1910.
Von Rechtsanwalt Dr. Weil in Ludwigshafen a. Rh.
Zunächſt einige allgemeine Bemerkungen über
die Beſteuerung der Gewerbetreibenden. Sie unter⸗
liegen einer doppelten Steuer, der Einkommen⸗
und Gewerbeſteuer.
Die Einkommenſteuer erfaßt alle Einkünfte
des Steuerpflichtigen, bei einem Gewerbetreibenden
nicht bloß die Einnahmen, die ihm ſein Haus
oder ſein zinstragendes Geld bringt, ſondern
auch die Einkünfte aus ſeinem Geſchäft. Wenn
ein Steuerpflichtiger aus mehreren Quellen Ein⸗
kommen hat, ſo wird zuerſt berechnet, wie hoch
ſein Einkommen iſt, das er aus ſeinem Haus,
feinem Kapital, ſeinem Geſchäſt zieht. Dieſe ein⸗
zelnen Poſten werden dann zuſammengezählt. Man
erhält dann das geſamte Jahreseinkommen und
auf dieſes wendet man den Einkommenſteuertarif
an, um die Einkommenſteuerſchuld zu erfahren.
Eine geſonderte Berechnung der Einkommenſteuer
für Grund und Boden, Hausbeſitz, Gewerbe iſt
unzuläſſig. Im Geſetz iſt das zwar nicht aus⸗
drücklich geſagt, es dürfte aber aus Art. 10 I
und II EStG. hervorgehen. Die Bedeutung der
Berechnungsart ergibt ſich aus folgendem: Be⸗
zieht jemand jährlich aus ſeinem Gewerbe 3750 M,
aus Hausbeſitz und aus Kapitalvermögen je 500 M,
ſo zahlt er, wenn die Steuer aus jeder einzelnen
Einkommensquelle, Grundbeſitz, Kapitalvermögen.
Gewerbe, für ſich berechnet wird, und dann die
einzelnen Steuern addiert werden. jährlich 72 M
Einkommenſteuer. Werden aber nicht die ein:
zelnen Steuerbeträge, ſondern die einzelnen Ein⸗
kommensbeträge addiert, auf dieſe Weiſe das ge:
ſamte Jahreseinkommen feſtgeſtellt und dann erſt
aus dieſem die Steuer berechnet — wie das Ge⸗
ſetz es will — fo zahlt er jährlich 104 M Ein:
kommenſteuer. Das verſchiedene Ergebnis rührt
daher, daß bei der erſten Berechnung für das
Haus und das Kapital überhaupt keine Steuer
angeſetzt wird, weil das Steuerminimum von
600 M nicht erreicht iſt.
Wenn nun im folgenden das ſteuerliche Ab—
zugsrecht des Gewerbetreibenden nach Art. 11 und
12 EStG. geprüft werden ſoll, ſo wird ein
etwaiges Einkommen, das ihm ſein Haus oder ſein
Kapitalvermögen verſchafft, außer acht gelaſſen.
Es ſoll nur unterſucht werden, was vom Gewerbe
beſteuert wird. Es iſt hier zu unterſcheiden zwiſchen
dem Einkommen- und dem Gewerbeſteuergeſetz.
Das Einkommenſteuergeſetz beſteuert das Rein-
einkommen. Das ergibt die Faſſung des Art. 11
EStG. Um das Reineinkommen zu erhalten ſind
zuerſt die Roheinkünfte, d. h. die Einnahmen, zu
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berechnen. Von ihnen dürfen gewiſſe Ausgaben
abgezogen werden, nämlich die Betriebs- und die
Verbrauchsausgaben.
Unter Betriebsausgaben verſteht das Ein⸗
kommenſteuergeſetz, Art. 11, alle zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Roheinkünfte ge⸗
machten Aufwendungen. Nur die tatſaͤchlichen
Aufwendungen werden abgezogen, nicht bloße
Paſſivpoſten. Unter die Betriebsausgaben fällt
der Betrag, den jemand auszugeben hat, um ſich
ein Geſchaͤft zu kaufen. Iſt der Kaufpreis in
Teilbeträgen zu zahlen, ſo dürfen nur die in einer
einzelnen Steuerperiode tatſächlich zu zahlenden
Beträge ſamt Zinſen abgezogen werden. Dieſe
fallen unter die in Art. 12 1 Nr. 3 genannten
Schuldzinſen. Das gleiche gilt bei der für Laden,
Werkſtätte, Büro zu zahlenden Miete. EStG.
Art. 12 I Nr. 1 läßt zwar feinem Wortlaut
nach nur die Miete für Gebäude, nicht aber für
Teile von Gebäuden, abziehen. Aber da auch
letztere unter die Betriebsausgaben fällt und
Art. 12 nur Beiſpiele von abziehbaren Betriebs⸗
ausgaben gibt, darf zweifellos auch die Miete für
Gebäudeteile abgezogen werden. Wer aber ſein
Gewerbe im eigenen Haus betreibt, darf hierfür
keine Miete veranſchlagen: Art. 12 III Nr. 3.
Noch nicht einmal die Hausſteuer darf er ab:
ziehen, wohl aber die Koſten für Unterhaltung
und Verſicherung des Hauſes, des Ladens, der
Werkſtätte, der Maſchinen und des Betriebsinventars.
Art. 12 J Nr. 2 und 5. Wird jedoch ein Betrag
für Abnützung von Gebäuden, Maſchinen und Be:
triebsinventar abgeſchrieben, was dann bei der
Steuer berückſichtigt wird, ſo darf ſelbſtverſtändlich
die Neuanſchaffung von Inventar oder die Repa⸗
ratur eines Hauſes oder Ladens nicht eigens in
Rechnung geſtellt werden. (Art. 12 III Nr. 1.)
Entweder das eine oder das andere iſt zuläſſig.
— Koſten, die zur Geſchäftserweiterung gemacht
wurden, bleiben außer Betracht. (Art. 12 III
Nr. 1.) Wenn jedoch die Geſchäftserweiterung
in der Art vorgenommen wird, daß Gebäude oder
Gebäudeteile gemietet werden, ſo darf hier ein
Abzug nach Art. 12 I Nr. 1 erfolgen. Das
ſteht zwar nicht ausdrücklich im Geſetz, ergibt ſich
aber aus der vorgenannten Beſtimmung. Erfolgt
die Geſchäftserweiterung in der Weile, daß der
Gewerbetreibende das hierfür notwendige Geld
ſich von einem Andern verſchafft, ſo kann er die
ihm hierdurch erwachſenen Schuldzinſen nach
Art. 12 1 Nr. 3 abziehen. Die Begründung
zum Geſetzentwurf führt dies ausdrücklich als
Beiſpiel zu dieſer Beſtimmung an. Der Geſchaͤfts—
mann darf nur die „Schuldzinſen“ abziehen, aber
nicht das Kapital; denn zu den Schuldzinſen ge—
hören nicht die zur Tilgung der Kapttalſchuld
gezahlten Gelder. Das ſind keine Zinſen, ſondern
Amortiſationsquoten. — Erweitert jemand ſein
Geſchäft dadurch, daß er Maſchinen auf Pump
kauft, an denen ſich der Lieferant bis zur Zahlung,
des Kaufpreiſes das Eigentum vorbehält und bei
denen der Kaufpreis in der Art zu tilgen iſt,
daß für die Maſchinen ein beſtimmter Mietzins
zu zahlen und dieſer auf den Kaufpreis zu ver⸗
rechnen iſt, ſo iſt die Frage, ob dieſer „Mietzins“
nicht nach Art. 12 1 Nr. 1 abziehbar iſt. Für
die Bejahung der Frage kann man anführen, daß
es unbillig iſt, jemanden aus einem Vermögens⸗
objekt Steuer zahlen zu laſſen, das nicht einmal
dem Steuerträger gehört. Richtiger Anſicht nach
iſt die Frage aber zu verneinen, d. h. ein Abzug
des Mietzinſes darf nicht erlaubt werden. Das
entſcheidende Gewicht iſt nicht auf die juriſtiſche
Struktur, ſondern auf den wirtſchaftlichen Zweck
zu richten. Die Parteien haben im Endzweck den
Verkauf und den Kauf der Maſchinen gewollt.
Der ſogenannte Mietzins wird ja auch auf den
Kaufpreis verrechnet. Er iſt eine Aufwendung,
die zur Geſchäftserweiterung gemacht wurde.
Allerdings keine einmalige, ſondern eine bis zu
einem zeitlich unbeſtimmten Termin, der voll⸗
ſtändigen Zahlung des Kaufpreiſes, wiederkehrende
Leiſtung. Auch ſolche fallen unter die Aufwen⸗
dungen im Sinn des Art. 12 III Nr. 1. Wollte
man einen Abzug zulaſſen, fo fäme man zu dem
ſonderbaren Ergebnis, daß derjenige, der Maſchinen
zur Geſchäftserweiterung kauft und gleich bezahlt,
hierfür bei der Steuer nichts anrechnen darf, daß
aber der, der ſie nicht gleich bezahlt, ſeine Raten⸗
zahlungen, die ſogenannten Mietzinſen, in Rechnung
ſtellen darf.
Art. 12 I Nr. 4 und 5 gibt zu folgendem
Zweifel Anlaß. Verſichert jemand ſein Gebäude,
ſeine Maſchinen oder ſein Inventar gegen Brand
und Jonftigen Schaden, jo darf er nach Nr. 5
die Prämie abziehen. Er darf aber auch nach
Nr. 4 einen angemeſſenen Betrag für Abnützung
dieſer Gegenſtände in Rechnung ſtellen. Wenn
ihm nun die Verſicherung den vollen Wert dieſer
Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 2
— — —— . &
22 —»—T ͤ a a . —. — . ——
Sachen ohne Rückſicht auf den zwiſchen alt und
neu ſich ergebenden Minderwert auszahlt, ſo hat
der Geſchäftsinhaber die Betriebsausgaben für
denſelben Gegenſtand zweimal abgezogen.
dings wird bei der Feuerverſicherung der zwiſchen
alt und neu ſich
ergebende Minderwert im
Rahmen des $ 86 und des § 88 des Geſetzes über den
Verſicherungsvertrag berückſichtigt. Soweit dies
aber nicht geſchieht, könnte man zu der Anſicht
verleitet werden, daß eine Abſchreibung nach Art. 12
I Nr. 4 und 5 unzuläſſig fein dürfte. Das
Haftpflichtverſicherung abziehen.
wäre jedoch ein Fehlſchluß, da die Verſicherung
nur in gewiſſen Schadensfällen eintritt und für
andere der Geſchäftsinhaber ſich durch Abſchreibung
vorſehen muß. Allerdings iſt er dann bevorzugt,
1 ein von der Verſicherung zu deckender Schaden
eintritt.
Er hat hier bei der Steuerberechnung
ſowohl ſeine Prämie als auch die Abſchreibung
abgezogen, obwohl der durch Abſchreibung vor—
1 Kapitalbetrag von ihm nicht aufzuwenden
iſt.
Da das Geſetz dieſen Fall nicht vorgejehen |
43
hat, braucht er auch bei der Steuer nicht berück⸗
ſichtigt zu werden. Man kann nicht einwenden,
daß die Prämie nach Abſ. III Nr. 1 als Auf⸗
wendung zu einer Erſatzbeſchaffung nicht abgezogen
werden darf. Wohl iſt die Praͤmie eine ſolche
Aufwendung. Aber fie iſt nach Abſ. I Nr. 5
abziehbar. Dieſe Beſtimmung iſt eine Sonder⸗
beſtimmung, die der Beſtimmung des Abſ. III
Nr. 1 vorgeht. — Fraglich iſt auch, ob der Ge⸗
ſchäftsinhaber die Koſten für Transportverſiche—
rung der an ſeine Kunden verkauften Waren ab-
ziehen darf. Denn juriſtiſch iſt der Fall ſehr wohl
denkbar, daß dieſe Sachen bereits Eigentum des
Kunden und deshalb keine Vorräte des Geſchäfts⸗
inhabers im Sinne des Art. 12 I Nr. 5 find,
und daß trotzdem der verkaufende Geſchaͤftsinhaber
die Transportgefahr hat. Es iſt jedoch anzunehmen,
daß auch in dieſem Fall ein Abzug, wenn auch
nicht nach Art. 12 J Nr. 5, fo doch nach Art. 111
erfolgen darf; denn die Transportverſicherung
nimmt hier der Geſchäftsinhaber zur Sicherung
des ihm aus einem beſtimmten Geſchäftsabſchluß
zuſtehenden Einkommens. — In neuerer Zeit ſpielt
auch die Verſicherung gegen Kreditverluſt
eine Rolle. Es darf die hiefür zu zahlende Prämie
nach Art. 12 I Nr. 5 nicht abgezogen werden,
da es ſich hier weder um Vorräte noch um Er—
zeugniſſe oder Betriebsinventar handelt. Jedoch
dürfte ein Abzug auf Grund des Art. 12 I
Nr. 9 zuläſſig ſein, da dieſe Prämien Rücklagen
für wahrſcheinliche Betriebsverluſte ſind. Tritt
dann ein von der Verſicherung gedeckter Betriebs⸗
verluſt ein, ſo darf er nicht veranſchlagt werden.
Denn es liegt wirtſchaftlich gar kein Verluſt vor. —
Hierher gehört auch die Frage, wie es bei der Dis:
kontierung von Buchforderungen zu halten
iſt. Ein Geſchäftsmann überträgt hier ſeine Außen⸗
ſtände an eine Bank, die ihm die Außenſtände
bezahlt abzüglich eines Betrages für Zwiſchenzins
und Vergütung für die Annahme der Außen:
ſtände. Dieſer Betrag iſt der Diskont. Hat der
Kaufmann ſchon nach Art. 12 I Nr. 9 Betriebs:
Aller⸗ verluſte abgeſchrieben, ſo darf er ſich jetzt nicht
auch den Diskont abrechnen. Anders, wenn er
erſteres nicht getan hat; dann darf der Diskont
als Betriebsverluſt nach dieſer Beſtimmung be—
rückſichtigt werden.
Art. 12 1 Nr. 5 läßt auch die Prämien für
Man darf
aber wohl annehmen, daß nicht die Prämien für
jede Art der Haſtpflicht abgezogen werden dürfen,
ſondern nur für eine Verſicherung, die ſolche Schäden
umfaßt, die der Geſchäftsbetrieb mit ſich bringt.
Ein Beiſpiel wird das veranſchaulichen. Ein Ge—
ſchäftsmann, der zugleich Hausbeſitzer iſt, wird
haftbar gemacht, weil er die Treppe ſeines Wohn—
hauſes, das ganz wo anders liegt als ſein Ge—
ſchäftsraum, nicht beleuchtet hat. Das hat mit
ſeinem Geſchäftsbetrieb nichts zu tun. Zweifelhaft
iſt es, ob es anders iſt, wenn gegen einen Wirt
vorgegangen wird, weil er die zu ſeiner Wirtſchaft
führende Treppe nicht beleuchtet hat. Doch können
wir für die ſteuertechniſche Frage eine ſolche rück⸗
ſchauende Betrachtung überhaupt nicht verwerten.
Man muß ſich einfach die Police anſehen und
nach ihr und den tatſächlichen Verhältniſſen be⸗
urteilen, inwieweit eine durch Verſicherung vor⸗
geſehene Haftpflicht mit dem Geſchäͤftsbetrieb zu:
\ammenhängt oder nicht. Es mag zugegeben
werden, daß ſich das meiſtens aus der Police
gar nicht erſehen läßt, weil ſie einen ſolchen
Unterſchied nicht kennt. Es iſt dann Sache der
Steuerbehörde, in Zweifelsfällen dieſe Frage auf
Grund einer Schätzung zu beurteilen. Bei einer
ſolchen Schätzung dürften ſich dann auf Grund
der hier gemachten Unterſcheidung Zweifel mannig⸗
fachſter Art ergeben, z. B. wenn wir den oben⸗
genannten Fall des Wirtes betrachten, der ſich
gegen Haftpflicht verſichert. Man könnte ſagen,
hier hat ſich der Wirt in ſeiner Eigenſchaft als
Hausbeſitzer verſichert und deshalb gibt es keinen
Abzug der Prämie.
treffend fein, einen Abzug zuzulaſſen; denn ge-
rade dieſe Art des Gewerbebetriebs, nicht der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
— — — nn
Handelsmäkler im Sinn des $ 93 HGB. nicht
gabe im Sinn des Art. 11 iſt.
.
lagen, daß er für den Betrieb angenommen iſt.
Aber trotzdem dürfte die Proviſion bei der Steuer
in Rechnung geſtellt werden, da ſie Betriebsaus⸗
(Schluß folgt).
Mitteilungen aus der Praxis.
Wer erteilt die vollſtreckbare Ausfertigung eines
von einem bayeriſchen Amtsgerichte beurkundeten Unter:
haltsübereinkommens, wenn die Vormundſchaft im Ans:
lande geführt wird? Nach Art. 15 des bayeriſchen
AGz GVG. find die Amtsgerichte neben den Notariaten
zuſtändig für die Beurkundung von Vereinbarungen
zwiſchen dem Vater eines unehelichen Kindes und dieſem
über den Unterhalt für die Zukunft ꝛc. Aus dieſen
Vereinbarungen findet gemäß 8 794 Nr. 5 ZPO. die
Es dürfte aber wohl zu⸗
Hausbeſitz an ſich, erhöht die Gefahr haftpflichtig
zu werden. Bei Haftpflichtverſicherung darf der
hier gemachte Unterſchied nicht umgangen werden.
Man darf nicht ſagen, daß ihn Art. 12 I Nr. 5
nicht kennt. An ſich iſt das richtig. Aber mit
Nr. 5 muß Abſ. II Nr. 2 verglichen werden.
Hier erſt dürfen Beiträge, die vom Steuerpflich⸗
tigen „für ſich“, nicht ſür ſeinen Geſchäftsbetrieb,
zu Haftpflichtverſicherungen entrichtet werden, ab⸗
gezogen werden. Eine ähnliche Unterſcheidung
iſt auch bei der Verſicherung gegen Ein⸗
bruch, Diebſtahl und Unterſchlagung
zu machen. Sie bezieht ſich nur auf die in
Abſ. 1 Nr. 5 aufgeführten Gegenſtände. Bei
anderen Sachen kann ſie überhaupt nicht berück⸗
ſichtigt werden, auch nicht unter dem Geſichts⸗
punkt des Art. 11 I. — Art. 12 J Nr. 7 erwähnt
wohl Ausgaben für Heizung und Beleuchtung,
aber nicht für Kraftanlagen. Soweit letztere
der Geſchäftsinhaber nur mietet, darf er nach
Abſ. 1 Nr. 1 einen Abzug machen; kauft er ſie
aber, ſo fallen ſie unter die abzugsfähigen
Betriebsausgaben nach Art. 11. Das gleiche
gilt, wenn er einer Vereinigung angehört, die
ihm gegen Zahlung eines Beitrages Bewegungs—
kräfte zur Verfügung ſtellt. Sofern der Beitrag
auch für Leiſtungen beſtimmt iſt, die mit dem
Geſchäſtsbetrieb nicht zuſammenhängen, z. B. Liefe⸗
rung einer Zeitſchrift, kann er bei der Steuer nicht
berückſichtigt werden. — Nr. 8 erlaubt den Ab—
zug von Gehältern an die für den Betrieb an—
genommenen Perſonen. Hier erhebt ſich ein
Zweifel, ob die vom Geſchäftsinhaber an Handels—
agenten und Handelsmaͤkler zu zahlenden Provi—
ſion veranſchlagt werden darf. Denn eine Pro—
viſion iſt kein Gehalt. Auch kann man von einem
4
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Zwangsvollſtreckung ſtatt, wenn ſich der Vater des
Kindes der ſofortigen Zwangsvollſtreckung unterworfen
hat. Die vollſtreckbare Ausfertigung der Vereinbarung
erteilte bisher der Gerichtsſchreiber des Gerichts,
welches die Vereinbarung oder doch die Verpflichtungs⸗
erklärung des Kindsvaters aufgenommen hatte, gleich⸗
viel bei welchem Gerichte die Vormundſchaft geführt
wurde (8 797 ZPO.). Demnach wurde auch in den
zahlreichen Fällen, in denen die Vormundſchaft im
Auslande line beſondere in Oeſterreich) geführt wird
und die Protokolle des bayeriſchen Amtsgerichts ſich
bei den ausländiſchen Vormundſchaftsakten befinden,
die vollſtreckbare Ausfertigung von dem Gerichts⸗
ſchreiber dieſes bayeriſchen Amtsgerichts anſtandslos
erteilt, wenn das auswärtige Gericht ſeine Vormund⸗
ſchaftsakten überſandte. —
Durch das Reichsgeſetz vom 1. Juni 1909 wurde
nun der 8 797 ZPO. dahin geändert, daß die voll:
ſtreckbare Ausfertigung von dem Gerichtsſchreiber des
Gerichts zu erteilen iſt, welches die Urkunde, alſo das
Protokoll mit der Verpflichtungserklärung des Kinds⸗
vaters verwahrt. Dieſe Aenderung hat zweifellos die
Fälle vereinfacht, in denen die Vormundſchaft bei
einem anderen deut ſchen Gerichte als dem beur⸗
kundenden anhängig iſt. Sie macht dagegen die Voll⸗
ſtreckung unmöglich, wenn die Vormundſchaft im Aus⸗
lande geführt wird. Da nämlich in Bayern die
Uebung beſteht, die Vereinbarungen über den Unter⸗
halt in Urſchrift dem auswärtigen Gerichte zu über⸗
ſenden, fehlt in dieſen Fällen ein Gerichtsſchreiber,
der die vollſtreckbare Ausfertigung erteilen könnte.
Es geht m. E. nicht an, in dieſen Fällen etwa auf den
früheren Rechtszuſtand zurückzugreiſen und den Ge⸗
richtsſchreiber des Gerichts, das die Urkunde aufge⸗
nommen hat, für zuſtändig zu erachten. Es geht auch
nicht an, den vorübergehenden Beſitz der Akten, die
von dem Gerichte des Auslands mit dem Erſuchen
um Erteilung einer vollſtreckbaren Ausfertigung über⸗
ſendet wurden, als eine „Verwahrung“ im Sinne des
8 797 3PO. zu erklären.
Das Ergebnis iſt zweifellos ſehr mißlich. Denn
einerſeits iſt zwar eine Urkunde vorhanden, aus der
nach dem klaren Wortlaute des $ 794 ZPO. die Voll:
ſtreckung „ſtattfindet“, anderſeits findet ſie aber doch
nicht ſtatt, weil niemand die Urkunde vollſtreckbar aus-
fertigen kann. Das auswärtige Mündel iſt genötigt,
die rückſtändigen Unterhaltsbeiträge immer wieder
einzuklagen, obgleich es einen Vollſtreckungstitel beſitzt.
Das iſt umſtändlich, zeitraubend und koſtſpielig. Ab⸗
hilfe tut alſo dringend not. Sie könnte m. E. nur
dadurch geſchaffen werden, daß die bayeriſchen Amts⸗
gerichte angewieſen würden, ähnlich wie in Preußen
die Protokolle über ſolche Unterhaltsvereinbarungen,
die für ein Gericht des Auslands beſtimmt ſind, in
Urſchrift zu ſammeln und aufzubewahren und nur
beglaubigte Abſchriſten zu den ausländiſchen Vor⸗
mundſchaftsakten zu geben.
Amtsrichter Matthias Mayr in München.
Eine Zuſtändigkeitsfrage. Es iſt gegen eine Perſon
das Hauptverfahren wegen eines Vergehens gemäß
88 152, 153 GewO. eröffnet. In der Hauptverhandlung
kommt das Gericht zu der Auffaſſung, daß zwar kein
Vergehen wider die GewO., wohl aber ein Vergehen
der Beleidigung vorliege. Strafantrag iſt nicht geſtellt.
Wie iſt zu verfahren? Freiſprechung kann nicht er⸗
folgen. Denn die Tat iſt nach allen rechtlichen Ge⸗
ſichtspunkten zu würdigen (Vgl. E. III, 384; VII, 232).
Nach der von Stenglein in ſeinem Kommentar zur
StPO. (8 270), vertretenen Anſicht müßte ſich das
Schöffengericht für unzuſtändig erklären und die Sache
an das Landgericht verweiſen. Dieſes müßte dann
— wenn nicht etwa der Strafantrag rechtzeitig nach⸗
gebracht worden iſt — gemäß 8 259 II StPO. das
Verfahren einſtellen. Das Ergebnis befriedigt nicht.
Wozu die Verhandlung vor dem Landgericht, wenn
man, wie meiſt, doch ſchon weiß, daß das Landgericht
nicht verurteilen kann?
Es bleibt ſohin zu erwägen, ob etwa das Schöffen⸗
gericht in eigener Zuſtändigkeit das Verfahren einſtellen
darf. Ich halte es für zuläſſig. Löwe⸗Hellweg be⸗
handelt im Kommentar zur StPO. (Anm. 4 zu 8 279)
den Fall, wenn nach dem Ergebniſſe der Hauptver⸗
handlung zwar feſtſteht, daß die Tat die Zuſtändigkeit
des Schöffengerichts überſteigt, aber das Gericht der
Ueberzeugung iſt, daß die Täterſchaft des Angeklagten
nicht erwieſen iſt, oder daß ein Schuldausſchließungs⸗
grund vorliegt. Er erklärt es hier für angängig,
daß das Schöffengericht in eigener Zuſtändigkeit frei⸗
ſpricht. Das gleiche dürfte für unſeren Fall gelten.
Es kann m. E. nicht eingewendet werden, daß in dem
bei Löwe angeführten Fall die Freiſprechung eben nur
von dem — irrtümlich angenommenen — zur Zu⸗
ſtändigkeit des Schöffengerichts gehörigen Vergehen
erfolgt. Tatſächlich war ja nicht die im Eröffnungs⸗
beſchluſſe bezeichnete Tat zu würdigen, ſondern die
Tat, wie ſie ſich nach dem Ergebniſſe der Hauptver⸗
handlung darſtellt. Darauf, daß rein äußerlich die
Freiſprechung von dem im Eröffnungsbeſchluß ge=
nannten Vergehen erfolgt, kann kein entſcheidendes
Gewicht gelegt werden. Denn Gegenſtand der Urteils⸗
findung iſt dieſes Vergehen nicht. Dagegen ſcheinen
mir die anderen, von Löwe für ſeine Anſicht geltend
gemachten Gründe ausſchlaggebend zu ſein (Vgl. a.
a. O. Anm. 4 zu 8 270 StPO.). Dieſe Gründe haben
aber auch hier in gleichem Umfange Geltung. Ins⸗
beſondere iſt auch hier zu betonen, daß 8 270 StPO.
nur einen Schuldausſpruch wegen eines die Zuſtändig⸗
keit des erkennenden Gerichts überſchreitenden Ver:
gehens verbietet, nicht aber überflüſſige Weitläufig⸗
keiten und Schwerfälligkeiten vorſchreiben will.
Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
L
Boransieungen einer wirkſamen „Friſtſetzung“ nach
drift BGB. Folgen des fruchtloſen Verſtreichens der
riſt. Beweislaſt. Durch notariellen Vertrag vom
12. September 1908 verkaufte der Kläger aus einem
Grundſtücke zwei Parzellen an den Beklagten. Die
Uebergabe und die Auflaſſung ſollten ſpäteſtens am
1. Oktober 1908 erfolgen, bis dahin ſollte auch der Kläger
die Parzellen von den Hypotheken frei machen. Da
die Auflaſſung bis dahin nicht erfolgte, auch ein Brief
des Beklagten vom 4. November 1908 ohne Erfolg
blieb, in dem er ſie bis ſpäteſtens den 10. November
1908 verlangte, ſo ſetzte er dem Kläger durch Schreiben
vom 4. Januar 1909 eine Friſt zur Erteilung der Auf⸗
laſſung bis zum 12. Januar 1909 mit der Androhung,
daß er „ſonſt die Auflaſſung ablehne“. Nachdem der
Beklagte auf die Antwort des Klägers, daß die Auf⸗
laſſung in Kürze erfolgen werde, feine Friſtſetzung mit
Androhung aufrechterhalten hatte, forderte ihn der
Kläger auf, ſich zur Entgegennahme der Auflaſſung
am 12. Januar 1909 bei dem Grundbuchamt einzu⸗
finden. Trotzdem beide Parteien erſchienen, konnte die
Auflaſſung nicht erfolgen, weil es zu der Entpfändung
der Beſtellung eines Pflegers bedurfte, die ebenſo wie
die vormundſchaftsgerichtliche Genehmigung an dieſem
Tage noch nicht ſtattgefunden hatte. Da der Beklagte
zu einem ferneren auf den 25. Januar 1909 vom
Kläger beſtimmten Termine nicht erſchien, hat der
Kläger auf Entgegennahme der Auflaſſung geklagt.
Die Klage wurde in den Vorinſtanzen abgewieſen. Die
Reviſion blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen: 1. Zu Unrecht bemängelt
die Reviſion, daß der Brief vom 4. Januar 1909 weder
eine angemeſſene Friſt ſetze, noch die Beſtimmung des
Zeitpunktes für die Vornahme der Auflaſſung enthalte,
was nach dem Urteile des erkennenden Senats vom
22. November 1902 erforderlich ſei (RZ. 53, 75).
Der Senat iſt von dieſer ſtrengen Auffaſſung, die
übrigens für einen Fall ausgeſprochen wurde, in dem
die zu erfüllende Leiſtung in der Entgegennahme
einer Auflaſſung beſtand, in ſeinen ſpäteren Urteilen
(RG. 66, 430; 69, 103) inſoweit etwas zurückgegangen,
als der Vorſchlag einer erſt noch zu vereinbarenden
Auflaſſungszeit genügen ſoll. Ein ſolcher Vorſchlag
iſt in dem Schreiben vom 4. Januar 1909 nicht aus⸗
drücklich enthalten. Aber es kann doch dahingeſtellt
bleiben, ob mit dem Berufungsgericht in der Auf:
forderung „binnen 8 Tagen die Vornahme der Auf⸗
laſſung zu bewirken“ die Erklärung des Auffordernden
geſehen werden muß, er ſei bereit innerhalb dieſer
Friſt zu jeder dem anderen genehmen und von dieſem
zu beſtimmenden Zeit vor dem Grundbuchamte die
Auflaſſung entgegenzunehmen. Denn mit Recht hat
das Berufungsgericht dem Kläger entgegengehalten,
daß er ſich darauf nicht berufen dürfe, daß etwa die
briefliche Friſtſetzung nach dieſer Richtung mangelhaft
war, da der Mangel dadurch geheilt ſein würde, daß
der Kläger ſelbſt innerhalb der Friſt Tag und Stunde
für die Auflaſſung beſtimmt hat. Ebenſowenig trifft
der andere Vorwurf zu, daß die achttägige Friſt nicht
ausreichend geweſen ſei. Denn es beſteht kein Zweifel
daran, daß die Friſt nur ſo bemeſſen zu ſein braucht,
um den Säumigen in die Lage zu ſetzen, die bereits
begonnene Erfüllung zu vollenden, aber keineswegs ſo
lang ſein muß, daß ſie ausreiche, um die erſt jetzt in
die Wege zu leitende Bewirkung der Leiſtung zu voll—
enden (ſ. Urteil vom 26. November 1907 II. 273/07).
Es kann daher hier den Ausführungen des Berufungs—
urteils nur beigetreten werden.
2. Das Berufungsgericht unterſucht dann weiter,
ob der fruchtloſe Ablauf der Nachfriſt auf einen vom
Kläger zu vertretenden Umſtand zurückzuführen ift
da nach feiner Anſicht gemäß 8 285 BGB. nur in
dieſem Falle die Jerzugs folgen eintreten. Inſofern
hieraus zu entnehmen wäre, daß dem Kläger die
Schuld an dem fruchtloſen Verſtreichen der achfriſt
nachgewieſen werden müſſe, ſo würde hierin ein zwei⸗
facher Rechtsirrtum des Berufungsgerichts liegen.
Denn in der Regel hat der Gläubiger nur die
Fälligkeit ſeines Anſpruchs, und, ſoweit Mahnung er⸗
forderlich iſt, auch dieſe zu beweiſen, um den Verzug
des Schuldners darzutun, während dieſer den Beweis
erbringen muß, daß die Leiſtung infolge eines Um⸗
ſtandes unterblieben iſt, den er nicht zu vertreten hat.
Kann ſomit der Schuldner ſich durch dieſen Nachweis
von den Folgen des Verzugs befreien, ſo gilt dies
doch nicht für die Nachfriſt, na deren fruchtloſem
Ablaufe die in 8 326 BGB. beſtimmten Folgen, abs
geſehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen
(ſ. Planck BGB. Bem. 2c zu 8 326), ohne weiteres
eintreten, ſofern er zur Zeit der Stellung der Nach⸗
friſt im Verzuge war. Sollte aber hier eine unrichtige
Auffaſſung in dem Berufungsurteile nach den beiden
Richtungen vorliegen, ſo würde ſie dem Kläger zugute
kommen, und er würde dadurch nicht beſchwert ſein.
(Urt. des V. ZS. vom 12. Oktober 1910, V 685/09).
2115
-—- —ı
II.
Mitwirkendes Berſchulden bei Schadenserſatzau⸗
ſprüchen aus dem Eigentum. Gerichtliche Schadens:
ſchätzung (SS 254, 989 BGB.; 5§ 287 3POO.). Die
Klägerin K., eine Maſchinenfabrik in N., hatte die
Verurteilung des Konkursverwalters S. in W. zur
Herausgabe mehrerer Maſchinen erwirkt, die ſie dem
Gemeinſchuldner M. in A. vor der Konkurseröffnung
unter Eigentumsvorbehalt bis zur Zahlung des Kauf⸗
preiſes, geliefert und wofür fie noch 7260 M zu fordern
hatte. Während der Anhängigkeit dieſes Rechtsſtreits
im zweiten Rechtszuge wurden die Maſchinen mit dem
Fabrikanweſen des M. auf Antrag eines Hypotheken-
gläubigers zwangsweiſe verſteigert. Nun begehrte die
Klägerin K. mit einer neuen Klage die Verurteilung
des Konkursverwalters S. zur Zahlung von 7260 M
nebſt Zinſen als Maſſeſchuld aus der Konkursmaſſe,
da er die Klägerin von der bevorſtehenden Zwangs⸗
verſteigerung nicht unterrichtet habe und ſie daher
ihre Rechte an den Maſchinen nicht habe geltend machen
können; zur Mitteilung von der anberaumten Ver⸗
ſteigerung ſei der Konkursverwalter verpflichtet ge-
weſen, weil ſich dies ſchon aus der Natur des Kaufs
mit Eigentumsvorbehalt des Verkäufers ergebe und
weil die Klägerin ſich ſchon vorher dem Konkursver⸗
walter gegenüber gegen jeden Verkauf der Maſchinen
verwahrt habe; jedenfalls habe der Konkursverwalter
für die Erhaltung des dem Gemeinſchuldner anver⸗
trauten Eigentums der Klägerin ſorgen und den Ers
werb der Maſchinen durch Dritte verhindern müſſen;
ſeine Leiſtung auf Herausgabe der Maſchinen ſei ihm
infolge eines von der Konkursmaſſe zu vertretenden Um⸗
ſtands unmöglich geworden; die Klägerin könne deshalb
den Wert der Maſchinen als Schadenserſatz verlangen.
Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
Der beklagte Konkursverwalter S. beſtritt, daß er zur
Wahrung der Rechte der Klägerin verpflichtet geweſen
ſei, und daß ihn an der Verſteigerung der Maſchinen
ein Verſchulden treffe, und behauptete, die Klägerin,
die ſich nicht um ihr Eigentum gekümmert habe, treffe
ein viel höheres Verſchulden; der Wert der Maſchinen
ſei übrigens viel geringer geweſen als geltend gemacht
werde. Das Landgericht erließ Urteil nach dem Klag—
antrage, das Oberlandesgericht ſprach nur die Ver—
urteilung des Beklagten zur Zahlung von 2500 M
nebſt Zinſen aus und wies im übrigen die Klage ab,
da der Pflichtwidrigkeit des Konkursverwalters ein
Verſchulden der Klägerin ſelbſt gegenüberſtehe und die
Konkursmaſſe daher nur für die Hälfte des ſich auf
5000 M belaufenden Schadens der Klägerin aufzu⸗
kommen habe. Die Reviſion der Klägerin, die ſich
gegen die Annahme eines mitwirkenden Verſchuldens
und gegen die Veranſchlagung ihres Schadens auf nur
5000 M richtete, wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Die Beſchwerde, daß
8 254 BBB. auf den Eigentumsanſpruch gemäß
58 985, 989 BGB. keine Anwendung finde, iſt unbe⸗
gründet; denn nach feſtſtehender Rechtſprechung des
1850 (vgl. die Urteile vom 25. Oktober 1904,
II. 36/04 und vom 23. Mai 1905, VI. 516/04) iſt 8 254
auf alle durch das BGB. beſtimmten Fälle der Schadens»
erſatzpflicht anwendbar. Es iſt namentlich kein Grund
erfindlich, aus dem dieſe Vorſchrift nicht auch in Fällen
des § 989 BGB. gelten ſollte, da auch hier eine
Schadenserſatzpflicht des Beſitzers dem Eigen⸗
tümer gegenüber beſtimmt iſt. Da aber die Anwendung
des § 989 auf den vorliegenden Fall rechtlich nicht zu
beanſtanden iſt, ſo bedarf es keiner Erörterung der
Frage, ob der Beklagte nicht auch aus einem obli⸗
gatoriſchen Rechtsgrunde zum Schadenserſatze verpflichtet
iſt. Die Annahme eines mitwirkenden Verſchuldens
hat das Berufungsgericht im weſentlichen wie folgt
begründet: Die Klägerin fei mindeſtens ſofort nach
erlangter Kenntnis von der Eröffnung des Konkurs⸗
verfahrens verpflichtet geweſen, ſich über den Verbleib
der ihr noch gehörenden, wertvollen Maſchinen zu er⸗
kundigen, namentlich im Hinblick auf das von ihr im
Konkurs geltend gemachte Ausſonderungsrecht ſich als⸗
bald zu vergewiſſern, wo und in weſſen Händen ſich
ihr Eigentum befinde und in welchem Zuſtande es ſei,
und neben dem Konkursverwalter dafür zu ſorgen,
daß die Maſchinen nicht verloren gingen oder in die
Hände Unberechtigter gelangten. Solche Schritte habe
ſie tun müſſen, nachdem ſie aus dem Vorbringen
des Konkursverwalters im Vorprozeß erſahren habe,
welchen rechtlichen Standpunkt er hinſichtlich der Ma⸗
ſchinen eingenommen habe und hartnäckig vertrete.
Sie habe mit der Möglichkeit rechnen müſſen, daß der
Konkursverwalter, wenn auch pflichtwidrig, zur Siche⸗
rung der ſtreitigen Maſchinen gar nichts tun, und daß
ein Konkursgläubiger abgeſonderte Befriedigung aus
dem Fabrikgrundſtücke ſuche und dann die vom Kon⸗
kursverwalter als Beſtandteile dieſes Grundſtücks er⸗
klärten Maſchinen zwangsweiſe mitverkauft würden.
Ihre Einwendung, ſie habe ſich auf den rechtskundigen
Konkursverwalter verlaſſen dürfen, könne ſie nicht ent⸗
ſchuldigen, da ſie als Inhaberin einer großen Maſchinen⸗
fabrik ſelbſt gewußt habe, welche Schritte ſie zur Ver⸗
wirklichung ihres vom Konkursverwalter beſtrittenen
Ausſonderungsanſpruchs zu tun habe, und da ſie auch
ihren Anwalt damit hätte beauftragen können.
Dieſe in tatſächlicher Hinſicht nicht nachzuprüfenden
Ausführungen laſſen keine Geſetzesverletzung erkennen;
ſie ſtehen namentlich im Einklang mit der Begründung
eines Urteils des Reichsgerichts vom 2. Oktober 1902,
VI. 75/02, wo ausgeführt iſt: Zur Annahme eines
konkurrierenden eigenen Verſchuldens des Beſchädigten
genüge es, wenn er bei ſeiner für den entſtandenen
Schaden mit kauſal gewordenen Handlung oder Unter—
laſſung dasjenige Maß von Aufmerkſamkeit und Sorg—
falt nicht betätigt habe, das nach Lage der Sache zur
Wahrnehmung ſeiner eigenen Intereſſen geboten ge—
weſen ſei. Dies trifft nach den obigen Feſtſtellungen
der Klägerin gegenüber zu. Die Anwendung des $ 254
wird namentlich nicht durch die Pflichtwidrigkeit des
Verhaltens des Konkursverwalters ausgeſchloſſen;
denn die Klägerin mußte unter den gegebenen Um—
ſtänden auch mit der Möglichkeit einer ſolchen Pflicht—
widrigkeit rechnen. Trotz dieſer eigenen Pflichtwidrigkeit
war aber der Konkursverwalter im Hinblick auf den
unbeſchränkten Wortlaut und Zweck des & 254 bes
rechtigt, ſich zur Verminderung ſeiner eigenen Ver—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
—
antwortlichteit auf das Mitverſchulden der Klägerin
zu berufen. Die Klägerin hat endlich die Feſtſetzung
4
des Betrags des Schadens als zu niedrig deshalb
angefochten, weil es ſich hier gar nicht um einen
8
Schadenserſatzanſpruch handle, auf den 8 287 ZPO.
Anwendung finde, und weil das Berufungsgericht ſeine
Schätzung des Schadens nur in abſtrakter Weiſe, ohne
Berückſichtigung der für die Entſtehung eines höheren
Schadens ſprechenden Tatſachen begründet habe. Doch
iſt dieſe Beſchwerde nicht gerechtfertigt; 8 287 ZPO.
iſt zweifellos anwendbar, da es ſich nach der mit Recht
angewendeten Beſtimmung des 8 989 BGB. hier nur
um den Erſatz eines „Schadens“ handelt und
es hierfür unerheblich iſt, daß dieſer Schadenserſatz⸗
anſpruch zunächſt und hauptſächlich aus dem Eigen⸗
tum des Berechtigten hergeleitet wird. Ferner iſt
auch die Begründung der mit Recht nach 8 287 ZPO.
vorgenommenen Schätzung des Schadens ausreichend,
namentlich die zur Rechtfertigung eines Verkaufswerts
der Maſchinen von höchſtens 5000 M angeführte „Er-
fahrungstatſache, daß längere Zeit im Gebrauch be⸗
findliche Sachen jeder Art, insbeſondere Maſchinen
nur weit unter dem wahren Werte, ja unter dem
halben Werte verkäuflich find“. Namentlich bes
durfte es auf Grund dieſer vom Berufungsgerichte für
durchſchlagend erachteten Erwägung keiner weiteren
Erörterung des von einigen Sachverſtändigen bekun⸗
deten Umſtands, daß zur fraglichen Zeit derartige,
auch gebrauchte Maſchinen wegen beſonderer Umſtände
einen höheren Verkaufswert gehabt haben, denn es
ſtand im Ermeſſen des Berufungsgerichts, ob es dieſem
Umſtand Bedeutung für ſeine Schätzung beilegen wollte.
Aus der Nichterörterung des fraglichen Beweisergeb⸗
niſſes iſt aber nicht zu ſchließen, daß es das Berufungs⸗
gericht bei ſeiner Schätzung überhaupt nicht berück⸗
ſichtigt hat. (Urt. des II. 38. vom 7. Oktober 1910,
II. 682/09). B -r.
2083
III.
Bereicherungsklage des Erwerbers einer Forderung
genen den Pfandalänbiger, dem die Forderung nach der
Abtretung durch gerichtlichen Beſchluß überwielen wurde
und der ſie daraufhin vom Schuldner beigetrieben hat.
Kenntnis des Schuldners von der Abtretung. Aus
den Gründen: Nach der Feſtſtellung des OLG. iſt
die Forderung des K. gegen den Spar- und Bauverein,
welche die Beklagte durch den am 6. Februar 1907
dem Verein als Drittſchuldner zugeſtellten Beſchluß
hat pfänden und ſich überweiſen laſſen, ſchon vorher
von K. dem Kläger abgetreten geweſen. Die Beklagte
iſt mithin dadurch, daß ſie den Betrag dieſer Forderung
von dem Verein ſich hat auszahlen laſſen, auf Koſten
des Klägers ungerechtfertigt bereichert. Durch die
Auszahlung iſt an ſie als Nichtberechtigte eine Leiſtung
bewirkt, die gegenüber dem Kläger als dem berech⸗
tigten Gläubiger nach 8 408 in Verbindung mit 8 407
BGB. wirkſam iſt, und die Beklagte iſt deshalb nach
8 816 Abſ. 2 BGB. zur Herausgabe des durch die
Verfügung Erlangten an den Kläger verpflichtet. Nach
der Vorſchrift des 8 407 muß der neue Gläubiger eine
Leiſtung, die der Schuldner nach der Abtretung an
den bisherigen Gläubiger bewirkt, gegen ſich gelten
— . — — — —
vorliege, weil der Kläger dem Spar⸗ und Bauverein
durch Schreiben vom 7. Februar 1907 Anzeige gemacht
hat, daß er, wie es in dieſem Schreiben heißt, die
Forderung nebſt 4% Zinſen ſeit dem 1. Oktober 1906
gekauft habe. Der Verein brauche nicht auch davon
Kenntnis gehabt zu haben, daß die Abtretung der Zu⸗
ſtellung des Ueberweiſungsbeſchluſſes vorausgegangen
ſei. Jedenfalls ſei die Annahme unzulänglich begründet,
der Vorſitzende des Spar⸗ und Bauvereins habe mit
einer am 7. Februar 1907 erfolgten Abtretung rechnen
dürfen und gerechnet. Bei ſeiner Zeugenvernehmung
habe dieſer nicht das Geringſte hiervon geſagt, viel⸗
mehr bekundet, daß er die Beklagte deshalb als die
Berechtigte angeſehen habe, weil der von ihr erwirkte
Pfändungs⸗ und Ueberweiſungsbeſchluß vor der Mit⸗
teilung des Klägers eingetroffen ſei. Dieſer Reviſions⸗
angriff muß ſchon daran ſcheitern, daß die bloße Be⸗
hauptung des Klägers in dem Schreiben vom 7. es
bruar 1907 nicht genügte, dem Spar⸗ und Bauverein
die wirkliche Kenntnis davon zu verſchaffen, daß die
Forderung dem Kläger abgetreten war. Der Verein
brauchte die bloße Anzeige des angeblichen neuen
Gläubigers, der eine von dem urſprünglichen Gläubiger
ausgeſtellte Abtretungsurkunde nicht beigefügt war,
nicht zu beachten, da er von der Abtretung auch auf andere
Weiſe keine ſichere Kenntnis erhalten hatte (8 409).
Es iſt außerdem nicht richtig, wenn die Reviſion meint,
daß es auf die Kenntnis des Schuldners von der Zeit
der Abtretung nicht ankomme. Nach den Beſtimmungen
der 88 407, 408 BGB. wird der Schuldner durch Leiſtung
an den Dritten, dem die Forderung nochmals abge⸗
treten oder durch gerichtlichen Beſchluß überwieſen iſt,
da es ſich hier um den Schutz des wirklichen Gläu⸗
bigers handelt, nur dann nicht befreit, wenn er Kenntnis
hat, daß zu der Zeit der eee Abtretung oder
der Zuſtellung des Ueberweiſungsbeſchluſſes die For⸗
derung von dem urſprünglichen Gläubiger bereits
anderweit abgetreten war. Darüber aber, ob zu der
Zeit, wo die Beklagte den Ueberweiſungsbeſchluß zu⸗
ſtellen ließ, der Kläger die Forderung bereits abge⸗
treten erhalten hatte, iſt aus dem Schreiben des Klägers
vom 7. Februar 1907 nichts zu entnehmen. Die in
dieſem Schreiben gemachte Mitteilung war hiernach
für den Spar⸗ und Bauverein bedeutungslos und zwar
um ſo mehr, als er bereits durch die in die Zuſtellungs⸗
laſſen, es ſei denn, daß der Schuldner die Abtretung
bei der Leiſtung kennt. Die gleiche Regel findet nach
8 408 Anwendung, wenn die bereits abgetretene For⸗
derung von dem bisherigen Gläubiger nochmals an
einen Dritten abgetreten oder durch gerichtlichen Be—
ſchluß einem Dritten überwieſen wird und der Schuldner
an den Dritten leiſtet. Auch in dieſem Falle gilt die
Ausnahme, daß der wirkliche Gläubiger die Leiſtung
nicht gegen ſich gelten zu laſſen braucht, daß alſo der
Schuldner durch die Leiſtung nicht befreit wird, wenn
er bei der Leiſtung die Abtretung an den Gläubiger
kennt, dem die Forderung ſchon früher abgetreten war.
Die Reviſion meint nun, daß dieſe Ausnahme hier
urkunde vom 6. Februar 1907 gemäß 8 840 ZPO.
aufgenommene Erklärung der Beklagten gegenüber die
Zahlung der Schuld nach Fälligkeit verſprochen hatte.
(Urt. des IV. 35. vom 3. Oktober 1910, IV 574/09).
2097
— — en.
B. Strafſachen.
J.
Entnahme von Gas nach Umſtellung der Gasuhr:
Diebſtahl oder Betrug? Aus den Gründen: Nach
den Gründen des angefochtenen Urteils hat der An⸗
geklagte, deſſen Wirtſchaft an die Leitung der ſtädti⸗
ſchen Gasanſtalt angeſchloſſen war, längere Zeit hin—
durch durch Umdrehen der Gasuhr der Anſtalt
„widerrechtlich Gas entzogen“. Er hat die Gasuhr
jeweils einige Zeit nach der Prüfung abgeſchraubt
und verkehrt wieder angeſchraubt, ſo daß von da an
durch den Druck des beim Verbrauch einſtrömenden
Gaſes der Zeiger ſtatt nach vorwärts nach rückwärts
bewegt wurde. Vor der nächſten Prüfung der Gas—
uhr hat er dann die Gasuhr wieder in ihre ordnungs-
mäßige Stellung gebracht. Er hat dadurch erreicht,
daß die Angeſtellten beim Ableſen von der Gasuhr
über die Menge des verbrauchten Gaſes getäuſcht und
ihm von der Anſtalt viel geringere Mengen berechnet
wurden, als er gebraucht hatte. Auf Grund dieſes
Tatbeſtandes iſt der Angeklagte wegen Diebſtahls von
Zeitſchrift für
Gas verurteilt worden. Die Prüfung des Urteils
gibt zu rechtlichen Bedenken Anlaß gegen die Richtig⸗
keit der nicht näher begründeten Schlußfeſtſtellung,
daß der Angeklagte das Gas der Anſtalt „in der
Abſicht rechtswidriger Zueignung weggenommen hat“.
Der Erſtrichter hat ſich nicht näher über die Frage
ausgeſprochen, welche Rechtsverhältniſſe nach dem
Vertrage zwiſchen der Gasanſtalt und dem Angeklagten
entſtanden ſind. Soviel iſt indeſſen aus dem Urteile
zu erkennen, daß nach der Auffaſſung des LG. der
Angeklagte nach dem Vertrage berechtigt war, das
Gas, das auf dem ordnungsmäßigen Wege die richtig
geſtellte Gasuhr durchlaufen hatte, durch Oeffnen des
Hahnes wegzunehmen und zu verbrauchen. Das L868.
ſcheint ferner davon auszugehen, daß der Angeklagte
nach dem Vertrag über den Bezug des Gaſes kein
Recht hatte, durch die umgedrehte, nicht richtig gehende
Gasuhr hindurch Gas ſich anzueignen. Schon von
dieſer Auffaſſung des Erſtrichters aus iſt das Urteil
nicht haltbar. Denn, da aus den Feſtſtellungen ſich
ergibt, daß der Angeklagte nicht unerhebliche Gas⸗
mengen durch die richtig geſtellte Gasuhr ordnungs⸗
mäßig bezogen, den rechtswidrigen Vermögensvorteil
aber erſt dadurch herbeigeführt hat, daß er durch
das nachfolgende Ruͤckwärtsbewegen der Gasuhr die
Anſtalt über die Höhe des Verbrauches täuſchte, ſo
fehlt es inſoweit überhaupt an der Feſtſtellung der
Rechtswidrigkeit der Aneignung. Mangels einer
ſolchen durfte aber die Verurteilung wegen Dieb⸗
ſtahls nicht erfolgen. Es wäre vielmehr nach
der Sachlage zu prüfen geweſen, ob nicht ſämt⸗
liche Tatbeſtandsmerkmale eines Vergehens des Be—
truges vorlagen. Aber auch ſoweit es ſich um Gas
handelt, das der Angeklagte durch die umgeſtellte Gas⸗
uhr hindurch bezogen hat, iſt wegen des Mangels
näherer Feſtſtellungen über den Inhalt des Vertrags
über den Bezug des Gaſes die Möglichkeit eines Rechts⸗
irrtums nicht ausgeſchloſſen. Von Belang iſt, daß
dieſes Gas nicht vor ſeinem Eintreten in die Gasuhr von
dem Angeklagten abgeleitet worden iſt, daß es erſt nach
dem Durchlaufen der — allerdings umgedrehten — Gas⸗
uhr von dem Angeklagten verbraucht wurde, als es ſich
ſchon in feinen, diesſeits der Gasuhr liegenden Röhren
befand. Im erſteren Falle hätte es ohne weiteres der
natürlichen Lage der Dinge entſprochen, anzunehmen,
daß das Gas vor dem Eintreten in die Uhr ſich noch
im Eigentum und im Gewahrſam der Gasanſtalt be:
fand, daß es auch dem Angeklagten weder übergeben
noch zur Aneignung zur Verfügung geſtellt war. Es
hätte alſo, wenn dieſer
Umgehung der Gasuhr vorgelegen hätte, einer be—
ſonderen Ausführung über die Wegnahme in der Ab—
Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
Fall der Gasentnahme mit
ſicht rechtswidriger Zueignung nicht bedurft. Die An⸗
nahme eines Diebſtahls wäre in dieſem Falle unbes
denklich geweſen (vgl. RGSt. 14, 121, 123). Anders
aber in dem hier vorliegenden Falle, daß das Gas
durch die Gasuhr hindurchgegangen und nicht vorher
abgeleitet worden iſt. Für dieſen Fall entſpricht es
der regelmäßigen Sachlage, anzunehmen, daß das Gas
mit dem Austreten aus der Uhr in die Röhrenleitung
des Abnehmers dieſem durch die Gasanſtalt übergeben
oder zur Aneignung zur Verfügung geſtellt iſt.
dieſe Rechtsfolge aber dann ausgeſchloſſen ſein ſoll,
wenn durch äußere Einwirkungen der Gang der Uhr
geſtört iſt, ſo daß ſie den Verbrauch nicht oder nicht
richtig anzeigt, ob ſie insbeſondere ausgeſchloſſen iſt,
Ob
wenn die Einwirkungen von dem Abnehmer felbit
herrühren, kann nicht von vornherein für alle Fälle,
ſondern nur nach Prüfung und Würdigung des be—
ſonderen Vertragsinhalts und der beſonderen Um—
ſtände des Falles entſchieden werden. An einer ſolchen
Prüfung und Würdigung mangelt es aber. Es iſt
nicht ausgeſchloſſen, daß dieſe Prüfung und Würdigung
zu der Annahme geführt hätte, daß der Angeklagte
auch an dem durch die umgedrehte Gasuhr hindurch
nn le ä (G— — — —
bezogenen Gaſe auf Grund des Vertrages das Eigen⸗
tum erlangt und nur ſich der Bezahlung durch die
Täuſchung der Gasanſtalt über die Höhe des Ver⸗
brauchs rechtswidrig entzogen hat. Dann würde aber
auch inſoweit nicht wegen Diebſtahls ſondern wegen
Betrugs zu ſtrafen geweſen ſein. (Urt. des V. StS.
vom 4. November 1910, V D. 634/10).
2125
— — — n.
II
Erlundigunnspfliht des Zeugen. Aus den
Gründen: Allerdings iſt im allgemeinen nicht zu
verlangen, daß ein im Zivilprozeß vorgeſchlagener
Zeuge bei der Gegenpartei oder den Gegenzeugen an⸗
fragt, wie der Sachverhalt in Wirklichkeit geweſen ſei.
Wenn aber ſonſtige äußere Hilfsmittel zu Gebote ſtehen,
die das Gedächtnis auffriſchen und die Erinnerung an
den richtigen Sachverhalt wachrufen können, ſo iſt die
Annahme rechtlich bedenkenfrei, daß der Zeuge zu ihrer
Benutzung auch verpflichtet ſei. Das trifft hier be⸗
ſonders deshalb zu, weil, wie die Angeklagte wußte,
bei dem Vertrage die Zeugen Z. und M. mitgewirkt
hatten, bei denen ſie Erkundigung einziehen konnte
und die über Zweck und Ziel des Vertrages beſſer
unterrichtet waren als W. Daß der Zeuge M., auf
den das Urteil als auf ein geeignetes und zur Ver⸗
fügung ſtehendes Hilfsmittel hingewieſen hat, hierzu
nach Lage der Sache von der Angeklagten nicht in
Anſpruch genommen werden konnte, iſt aus dem Urteil
nicht zu erſehen. Die Auffaſſung des Landgerichts
ſteht zu der Rechtſprechung des Reichsgerichts in keinem
Widerſpruch (vgl. RGSt. 22, 297; 25, 122; 26, 133;
42, 236). Mochte die Angeklagte ſich auch in die ihr
von W. an die Hand gegebenen Ideen „verrannt“ und
an ſie geglaubt haben, ſo konnte nach den Umſtänden
des Falles doch angenommen werden, daß ſie die ihr
obliegende Erkundigungspflicht ſchuldvoll vernachläſſigt
hat, da ſie ſich bei der von W. erteilten Auskunft
nicht beruhigen durfte und ihr die Möglichkeit gegeben
war, bei Benutzung der ihr ſonſt noch zu Gebote
ſtehenden Hilfsmittel die Unrichtigkeit deſſen, was ſie
zu beſchwören im Begriffe ſtand, zu erkennen oder
doch mit der Tatſache der Unrichtigkeit deſſen zu rechnen.
Die letztere Möglichkeit genügte, um die Fahrläſſigkeit
des Falſcheides zu begründen. (Urt. des V. StS. vom
18. November 1910, 5 D 805/10).
2119
— — en.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I
Gehören die Invalidenverſicherungsanſtalten in
Bayern zu den ſtaatlichen Anſtalten im Sinne des
Art. 194 Ziff. 2 GebG.? Laut einer Notariatsurkunde
hat ein Jugendfürſorgeverein zur Sicherung eines von
einer bayeriſchen Invaliden-Verſicherungsanſtalt ihm
gewährten Darlehens von 30000 M an verſchiedenen
Grundſtücken des Vereins Hypothek beſtellt und deren
Eintragung im Grundbuche bewilligt und beantragt,
die auch vollzogen wurde. Der Notar ſetzte für die
Urkunde eine Staatsgebühr von 150 M an. Gegen
dieſen Anſatz erhob der Fürſorgeverein Beſchwerde
zum Landgerichte, indem er auf Grund des Art. 194
Ziff. 2 GebG. Gebührenfreiheit in Anſpruch nahm.
Das Landgericht hat die Erhebung einer Gebühr
nicht als gerechtfertigt erklärt. Auf weitere Bes
ſchwerde der Regierungsfinanzkammer hat das Oberſte
Landesgericht die Entſcheidung des LG. aufgehoben
und die Beſchwerde des Fürſorgevereins zurück—
gewieſen.
Gründe: Aus der Entſtehungsgeſchichte der
nunmehrigen Faſſung des Art. 194 Ziff. 2 Geb. ift
keineswegs zu entnehmen, daß auch die Sicherung
von Forderungen ſolcher Staatseinrichtungen ge⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
bührenfrei ſein ſoll, die das fiskaliſche Intereſſe nur
mittelbar berühren oder auch nur folder Staats-
einrichtungen, deren ökonomiſche Förderung ſich der
Staat zur Aufgabe gemacht hat. Der frühere Ar⸗
tikel 151 Ziff. 2 Geb. i. d. F. vom 6. Juli 1892 ließ
nur Notariatsurkunden über Bürgſchaften, Verpfän⸗
dungen oder hypothekariſche Kautionen gebührenfrei,
die ausſchließlich die Sicherung von Forderungen des
Staates bezweckten. Unter der Herrſchaft dieſer Vor⸗
ſchrift wurde der Begriff „Forderungen des Staates“
eng ausgelegt. Das Oberſte Landesgericht hat in
ſeinem Beſchluſſe vom 7. Dezember 1886 (ältere
Sammlung Bd. 11 S. 529) ausgeſprochen, daß unter
ſolchen Forderungen des Staates nur wirkliche un⸗
mittelbare Forderungen des Staates zu verſtehen
feien, wie z. B. Taxen, Aufſchlag⸗Forſtgefälle uſw.,
nicht aber auch Forderungen der Kgl. Bank.
In dem g
im Jahre 1899 dem Landtage vorgelegten Entwurf
einer Novelle zum GebG. wurde in den Art. XXXVIII
(zum Art. 91 db) und LXX (zum Art. 151 Ziff. 2) vor⸗
geſehen, daß die bisherige Begünſtigung des Art. 151
Ziff. 2 künftig den Sicherungshypotheken des Staates
und der ſtaatlichen Anſtalten zuteil werden ſolle.
Aus der Begründung iſt zu erſehen, daß die Aus⸗
dehnung der Begünſtigung auf Forderungen ſtaat⸗
licher Anſtalten dazu dienen fol, „Anſtände“ fern zu
halten, die ſich bisher in der Praxis bei der An⸗
wendung des Art. 151 Ziff. 2 ergeben haben und daß
zur näheren Erörterung dieſer „Anſtände“ auf den
erwähnten Beſchluß des Oberſten Landesgerichts hin⸗
gewieſen wird, ſowie daß als Beiſpiele von ſolchen
ſtaatlichen Anſtalten, die künftig für Sicherungshypo⸗
theken Gebührenfreiheit genießen ſollen, die Kgl. Bank
und ihre Filialen ſowie „die Verſicherungsanſtalt“
angeführt ſind. Schon die Art dieſer Begründung,
der Hinweis auf die Veranlaſſung der vorgeſchlagenen
Aenderung ſowie die angeführten Beiſpiele (der
Kgl. Bank und der „Verſicherungsanſtalt“, unter
welch' letzterer wohl nur die unter der K. Ver⸗
ſicherungskammer vereinigten Anſtalten zu verſtehen
find), im Zuſammenhalte mit dem Umſtande, daß es
ſich hier um eine Ausnahme beſtimmung handelt,
zwingen zu dem Schluſſe. daß die Vorſchrift des nun⸗
mehrigen Art. 194 Ziff. 2 nicht in weitem Sinne aus⸗
zulegen iſt, ſondern daß unter die „ſtaatlichen An⸗
ſtalten“ jedenfalls nur ſolche zu rechnen ſind, welche
in einem ähnlichen Verhältniſſe zum Staate ſtehen,
wie die Kgl. Bank und die Anſtalten der Verſicherungs⸗
kammer. Die Kgl. Bank iſt in der VO. vom 13. De⸗
zember 1878 ausdrücklich als Staatsanſtalt bezeichnet.
Die unter der Verſicherungskammer ſtehenden An⸗
ſtalten aber ſind nach den Geſetzen vom Staate er⸗
richtete, von ihm mit Betriebskapital ausgeftattete,
durch eine ſtaatliche Behörde von ſtaatlichen Be⸗
amten nach den Vorſchriften des Staates und mit
der Verantwortlichkeit des Staatsbeamten verwaltete
Anſtalten.
In einem ſolchen Verhältniſſe zum bayeriſchen
Staate ſtehen die Verſicherungsanſtalten der Inva⸗
lidenverſicherung nicht. Allerdings werden auch ſie
in der Begr. des Entw. z. Geſ. vom 22. Juni 1889
(Sten Ber. des Reichstags 7. LP. 4. Seſſion 1888/89
Bd. 4 Nr. 10) an einer Stelle (S. 77) „beſondere mit
eigener Verwaltung ausgeſtattete Einrichtungen des
weiteren Kommunalverbandes bzw. des Staates“ ge—
nannt und es wird von einem „Staatlichen Charakter“
der Verſicherungsanſtalten geſprochen. Allein dieſe
Ausführung iſt nicht beſtimmt, die rechtliche Natur
der Verſicherungsanſtalten ſeſtzulegen, ſondern foll
nur dazu dienen, die Haftung des Kommunalverbandes
oder Staates ſür den Fall des Unvermögens der
Verſicherungsanſtalten zu begründen. Die rechtliche
49
Natur der Verſicherungsanſtalten iſt aus dem Inv.
vom 13. Juli 1899 und den dazu erlaſſenen Verord⸗
nungen, insbeſondere vom 14. Dezember 1899 und
21. Dezember 1908, zu entnehmen. Darnach ſind die
Verſicherungsanſtalten der Invalidenverſicherung felb-
ſtändige Körperſchaften mit eigener juriftifher Per⸗
ſönlichkeit, eigenen Organen, eigener, in der Haupt⸗
ſache von einem ihrer Organe ihr gegebenen Ber:
faſſung und eigener Vermögensverwaltung. Sie
werden denn auch in den Entwürfen zu den Geſetzen
vom 22. Juni 1889 und vom 13. Juli 1899 ſowie im
Entwurf einer NBerfd. als Körperſchaften der Selbſt⸗
verwaltung bezeichnet. Auch die Rechtslehre ſpricht
ſich überwiegend dagegen aus, daß die Verſicherungs⸗
anſtalten der Invalidenverſicherung Anſtalten des
Kommunalverbandes oder des Staates ſind. Die
Rechtſprechung ſtimmt mit dieſer Anſicht der Rechts⸗
lehre überein (Os G. Rſpr. Bd. 17 S. 70, RG.
Bd. 69 S. 183, Reger's Entſcheidungen Bd. 13
S. 279).
Die Heranziehung des 0 171 Inv G. durch das
Beſchwerdegericht trifft nicht den Kern der Sache.
Dem Beſchwerdegericht iſt nur zuzugeben, daß die im
Geſetze vorgeſehene Organiſation der Invalidenver⸗
ſicherung von dem Beſtreben getragen iſt, ſie mit
allen Mitteln ſtaatlicher Wohlfahrtspflege auch
finanziell zu ſichern und zu fördern; daraus folgt aber
weder, daß die Verſicherungsanſtalten ſtaatliche An⸗
ſtalten ſind, noch daß ihnen auch ſolche Vergünſti⸗
gungen zuteil werden ſollen, die das Geſetz nicht vor⸗
geſehen hat. Vielmehr konnte das Geſetz ſehr wohl
zur Verwirklichung ſeines Zweckes eine Körperſchaft
der Selbſtverwaltung ſchaffen und dieſer ſodann ſeine
fördernde Fürſorge nach den einzelnen im Geſetze er⸗
wähnten Richtungen hin zuwenden. (Beſchluß des
II. ZS. vom 24. Oktober 1910, Reg. V .
2117
II.
Wenn die Eigentümer eines Hauſes gegenüber
einer Gemeinde auf Grund uuvordenklicher Verjährung
oder Bertrand das Necht beanſpruchen, über Gemeinde:
grund Abfallwaſſer aus einem gemeindlichen Brunnen
u beziehen, fo haben die bürgerlichen Gerichte zu ent ⸗
cheiden. (VGH G. Art. 8 Ziff. 31; GVG. 8 13). Die
Stadt B. beſitzt von alters her eine gemeindliche
Waſſerleitung, von der die öffentlichen Brunnen der
Stadt, die ſog. Röhrkäſten geſpeiſt werden. Ein Teil
des Abfallwaſſers aus dem Röhrkaſten am Markt⸗
platze, dem „mittleren Röhrkaſten“, wurde ſeit Jahr⸗
hunderten dem Hauſe Nr. 92 in B., das jetzt den
Klägern gehört, in der Weiſe zugeführt, daß es aus
der Umwandung des Brunnens durch ein Loch in
einen Kaſten und von da durch eine Röhrenfahrt ab⸗
floß. Der Kaſten und die Röhrenfahrt liegen auf und im
Gemeindegrund. Die Eheleute Th., die Eigentümer
des Hauſes Nr. 92, bezogen früher das Abfallwaſſer
unentgeltlich, ſeit 1886 zahlten ſie an die Gemeinde
einen Zins. Im Sommer 1907 wurde in B. eine
neue Hochdruckwaſſerleitung geſchaffen. Die Gemeinde
ſperrte darauf die alte Waſſerleitung ab. Die Ehe—
leute Th. erhoben deshalb Klage gegen die Stadt—
gemeinde mit dem Antrag, auszuſprechen, daß die
Gemeinde das Recht der Kläger auf Abfallwaſſer aus
dem mittleren Röhrkaſten für das Anweſen Hs.-Nr. 92
anzuerkennen, das Abfallwaſſer ihnen wieder zuzu—
leiten und ſich jeder Störung des Waſſerbezuges zu
enthalten, auch den Schaden aus dem Entzug des
Waſſers zu erſetzen habe. Sie machten geltend, ihr
Waſſerbezugsrecht beſtehe ſeit unvordenklichen Zeiten
und ſei auch ununterbrochen durch Benützung der
Rohrleitung ausgeübt worden. Der Waſſerbezug ſei
daher mit ihrem Anweſen verbunden und als Zu—
behör dinglicher Natur. Uebrigens beruhe das Recht
auch auf einem zwiſchen Franz Joſeph Th. und Paul
50
W. am 24. April 1816 geſchloſſenen Vergleiche, dem
die Beklagte beigetreten ſei. Die Beklagte erhob die
Einrede der Unzuläſſigkeit des Rechtswegs, weil ge⸗
meindliche Waſſerleitungen und Brunnen gleich den
Gemeindewegen im öffentlichen Intereſſe dem Privat⸗
rechtsverkehr entzogen ſeien. Der Anſpruch der Kläger
auf die Benützung einer gemeindlichen Waſſerleitung
ſei deshalb öffentlichrechtlich. Das Landgericht wies
die Klage wegen Unzuläſſigkeit des Rechtswegs ab.
Die Berufung der Kläger wurde verworfen. Das
Oberſte Landesgericht hat die Urteile der Vorinſtanzen
aufgehoben, die Einrede der Unzuläſſigkeit des Rechts⸗
wegs verworfen und die Sache zurückverwieſen.
Aus den Gründen: Nach 813 GVG. gehört
ABeitſchrift für Rechtspflege i in 1 Bayern. all. Nr. 2.
die Streitſache vor die ordentlichen Gerichte, wenn es |
ſich um eine bürgerliche Rechtsſtreitigkeit handelt und
für dieſe nicht ausnahmsweiſe die Zuſtändigkeit einer
Verwaltungsbehörde oder eines Verwaltungsgerichts
begründet iſt. Eine ſolche Ausnahmevorſchrift beſteht
nicht, insbeſondere wurde durch das VGHG. vom
8. Auguſt 1878, wie der Art. 13 ausdrücklich hervor⸗
hebt, die Zuſtändigkeit der Zivilgerichte nicht berührt.
Die Beſtimmung des Art. 8 Ziff. 31, daß zu den Ver⸗
waltungsrechtsſachen die „beſtrittenen Anſprüche und
Verbindlichkeiten in Anſehung der Benützung der
Gemeindeanſtalten“ gehören, gilt nur für Nutzungs⸗
rechte, die ſich auf den Gemeindeverband gründen,
über die daher früher nach Art. 36 der GemO. im
Streitfalle die Verwaltungsbehörden zu entſcheiden
hatten. Für die Beantwortung der Frage, ob für
den Anſpruch der Rechtsweg zuläſſig iſt, kommt es
nur darauf an, ob die zur Begründung behaupteten
Tatſachen an ſich geeignet find, ihn als einen An⸗
ſpruch erſcheinen zu laſſen, deſſen Entſtehung auf
einem dem Gebiete des bürgerlichen Rechts ange—
hörenden Rechtsgrunde beruht. Nicht erforderlich iſt,
daß ſie erwieſen ſind. Die Entſcheidung über ihre
Richtigkeit gehört zum Grunde der Sache und ſetzt
die Zuſtändigkeit der Gerichte voraus. Nach den tat⸗
ſächlichen Behauptungen der Kläger ſind hier öffent⸗
lichrechtliche Anſprüche nicht in Frage. Es ſind nicht
Anſprüche ſtreitig, die ihren Rechtsgrund im Unter:
werfungsverhältniſſe des einzelnen zu einer im öffent⸗
lichen Rechte wurzelnden Gemeinſchaft haben, ſondern
die Behauptungen der Klage gehen dahin, daß den
Eigentümern des Hauſes Nr. 92 in B. das dingliche
Recht zuſteht, mit einer durch ſtädtiſchen Grund ge—
legten Röhrenfahrt Abfallwaſſer aus dem gemeind—
lichen Brunnen am Marktplatze zu beziehen. Eine
Grunddienſtbarkeit dieſes Inhalts iſt an ſich zuläſſig,
insbeſondere kann dienendes Grundſtück nicht nur der
Grund und Boden, auf dem eine Quelle entſpringt,
ſondern auch das Grundſtück ſein, das einen aus der
Quelle geſpeiſten Waſſerbehälter umſchließt. Daß das
dienende Grundſtück im Eigentum der Gemeinde ſteht
und daß der Brunnen, aus dem das Waſſer abfloß,
dem Gemeingebrauche gewidmet war, bildet kein
Hindernis für den Erwerb privater Sonderrechte,
wenn und ſoweit dadurch die gemeindliche Anlage
ihrer Zweckbeſtimmung nicht entfremdet wird. Davon
kann hier nicht die Rede ſein. Die kurfürſtliche VO.
vom 10. Juni 1805, die Wirtſchaften betreffend (Kur-
pfalzbayeriſches Reg Bl. 1805 S. 509 ff.) hat den
Rechtstitel der Verjährung nur für das Gebiet des
— — — — —
— Pe —
des Privatrechts ſondern auch dem des öffentlichen
Rechts an. Allein es beſteht keine Vermutung dafür,
daß die Benützung gemeindlichen Eigentums, ſoweit ſie
nicht Gemeingebrauch iſt, Thon des Eigentumsver⸗
hältniſſes halber im öffentlichen Rechte wurzelt (Kahr,
GemO. Bd. 1 S. 313). Da behauptet wird, das Bes
nützungsrecht ſei mit einem Grundſtücke dinglich ver⸗
bunden, könnte die Annahme, es handle ſich gleich⸗
wohl nicht um ein Privatrecht, nur berechtigt ſein,
wenn das Nutzungsrecht etwa davon abhinge, daß
der Eigentümer des Anweſens, mit dem es verbunden
iſt, fortdauernd in öffentlichrechtlichen Beziehungen
zum Gemeindeverbande ſteht. Es fehlt aber an jedem
Anhaltspunkt dafür.
Der Rechtsweg iſt auch nicht deswegen unzu⸗
läſſig, weil die Kläger in den letzten Jahrzehnten für
den Waſſerbezug eine Abgabe an die Stadtgemeinde
entrichtet haben. Ihre Behauptung, daß ſie dies nur
auf Grund einer Vereinbarung mit dem Bürger:
meiſter und zu dem Zwecke gemacht haben, um im
Intereſſe ihres eigenen Waſſerbezugs eine beſſere In⸗
ſtandhaltung der gemeindlichen Waſſerleitung zu er⸗
möglichen, konnte nur im Wege eines Uebergriffs auf
das zurzeit noch verſchloſſene Gebiet der Beweis⸗
würdigung als unwahrſcheinlich bezeichnet werden.
Wenn die Kläger für den urſprünglich unentgeltlichen
Waſſerbezug ſchließlich einen durch Gemeindebeſchluß
ihnen auferlegten Waſſerzins als öffentliche Abgabe
entrichtet hätten, könnte dieſer Umſtand im weiteren
Verlaufe des Rechtsſtreites vielleicht zu der Annahme
führen, daß die beanſpruchte Grunddienſtbarkeit durch
ein factum contrarium des Verpflichteten und deſſen
Hinnahme durch den Berechtigten erloſchen iſt; es
kann aber daraus nicht gefolgert werden, daß der
Anſpruch öffentlichrechtlicher Natur iſt. (Urteil des
I. 35. vom 28. Oktober 1910, Reg. I 159/1910). 5
2116
B. Strafſachen.
I.
5 121 Stcd. Wer iſt zum Antrage auf Entſcheidung
über das „Freiwerden“ der noch nicht verfallenen Sicher:
heit berechtigt? A. hatte die für den ſpäter verurteilten
Angeklagten B. zur Abwendung der Unterſuchungs—
haft von ihr hinterlegte Sicherheit an die Beſchwerde⸗
führerin C. abgetreten; dieſe beantragte Auszahlung
der Sicherheit an ſie, weil die Aufrechterhaltung des
Haftbefehls gegen B. nicht mehr begründet ſei; die
Strafkammer wies den Antrag als unzuläſſig zurück;
die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach 8 121 StPO. hat
der Strafrichter nur über „das Freiwerden“ der Sicher—
heit zu entſcheiden, nicht darüber, an wen die Sicher⸗
heit hinauszugeben iſt (Goltd Arch. Bd. 37 S. 224).
Nun können allerdings diejenigen, welche für den Ans
geſchuldigten Sicherheit geleiſtet haben, — die Hinter—
Polizeirechts, insbeſondere in Anſehung des Gewerbe— |
weſens, aufgehoben. Daß aber an Sachen einer
Gemeinde dingliche Rechte durch unvordenkliche Ver⸗
jährung erworben werden können, iſt in der Recht—
ſprechung anerkannt. Uebrigens haben die Kläger
ihre Anſprüche auch auf einen Vergleich geſtützt und
das OLG. durfte dieſem Vorbringen in dem Ders
maligen Abſchnitte des Verfahrens nicht entgegen—
halten, daß ein Beweis dafür fehle. Allerdings ge—
hört der Rechtstitel der unvordenklichen Verjährung
wie der des Vertrags nicht ausſchließlich dem Gebiete
leger — nicht bloß in den beſonderen Fällen des
8 121 Abſ. 2 StPO., ſondern auch nach 8 121 Abſ. 1
StPO. aus anderen die Aufrechterhaltung der Sicher—
heit nicht mehr rechtfertigenden Gründen ihre Be—
freiung herbeiführen; allein dieſe im Strafprozeßrechte
wurzelnden und nach den unzweideutigen Beſtimmungen
der genannten Geſetzesſtelle ausſchließlich den Hinter—
legern eingeräumten Befugniſſe können nicht auf die—
jenigen übergehen oder übertragen werden, welche aus
einem Rechtsgeſchäfte mit den Hinterlegern zivil—
rechtliche Anſprüche auf die frei werdende Sicherheit
ableiten, wie hier die Beſchwerdeführerin. (Beſchluß
vom 26. November 1910, Beſchw.-Reg. 945/10).
2121 Ed.
II.
Gewerbebetrieb im i durch e
vermittler. Aus den Gründen: Nach §56a Gew.
iſt vom Gewerbebetriebe im Umherziehen das Auf⸗
ſuchen oder die Vermittelung von i
ausgeſchloſſen und der Zuwiderhandelnde nach § 148
Abſ. 1 Ziff. 7a ſtrafbar. Unter Darlehensvermittelung
iſt jede auf Verſchaffung eines Darlehens abzielende
Tätigkeit zu verſtehen. Hierbei iſt es gleichgültig, ob
die Tätigkeit des Vermittelnden zu einem Erfolge
führt und ob der Vermittelnde das Darlehen ſelbſt
gewähren will oder ein anderer, in deſſen Auftra
und Intereſſe er tätig wird. Der Umſtand, daß 190
die Tätigkeit einer anderen Perſon von vorneherein
in Ausſicht genommen iſt oder nach den Umſtänden
hinzutreten muß, kann der Tätigkeit des Angeklagten,
die für ſich die Merkmale der Darlehensvermittelung
vollſtändig enthält, dieſe Eigenſchaft nicht wieder
nehmen. (Urt. vom 15. Oktober 1910, Rev. N
2087
Oberlandesgericht München.
Form des Armutszengniſſes. Es genügt die äußere
Form des Armutszeugniſſes, weil Siegel und Unter⸗
ſchrift des Armenpflegſchaftsvorſtandes (Pfarrers) vor⸗
handen und mehr in § 3 der VO. vom 5. Juli 1879
(GBl. S. 693) nicht gefordert iſt. Daß der Bürger⸗
meiſter „Siegel und Unterſchrift“ verweigerte, kann
auch nicht zu der Annahme führen, es ſei ein geſetz⸗
mäßiger Beſchluß des Armenpflegſchaftsrates über⸗
10105 nicht gefaßt worden. (Beſchl. vom 21. November
1910; Beſchw.⸗Reg. Nr. 677/10). N.
2˙086
— — un
Oberlandesgericht Bamberg.
Gebührenfreiheit der Beſchwerdeentſcheidungen im
Ordnungsſtraſverfahren. Ein Rechtsanwalt wurde bei
einem Beweiserhebungstermin in einer Zivilprozeß—
ſache vom Amtsrichter wegen Ungebühr nach 88 180
und 182 GVG. zu einer Geldſtrafe verurteilt. Die
Beſchwerde wurde vom Oberlandesgerichte gebühren—
frei zurückgewieſen. Zur Begründung der Gebühren—
freiheit führt der Beſchluß im Gegenſatz zu der von
Rittmann (Deutſches Gerichtskoſtengeſetz, 4. Aufl., § 68
Anm. 2 mit 8 59 Anm. 1) vertretenen Anſicht aus:
Eine Gebühr wird wegen des Mangels einer ge—
ſetzlichen Vorſchrift nicht erhoben. Der § 183 GVG.
enthält eine ſelbſtändige Regelung, für die das GKG.
gegenüber der allgemeinen Beſchränkung ſeiner Vor—
ſchriften auf die der ZPO., der StPO. und der KO.
unterliegenden Rechtsſachen in 8 1 keine Sonderbe—
ſtimmung getroffen hat. Ordnungsſtrafen ſind nicht
Strafſachen im Sinne des GKG. und die Anwendung
des 8 68 auf eine im Zivilprozeßverfahren verhängte
Ordnungsſtrafe und auf die Beſchwerde iſt ausge—
ſchloſſen. Wenn eine Gebührenpflicht für die Be⸗
ſchwerdeentſcheidung im Ordnungsſtrafverfahren ge—
wollt geweſen wäre, hätte eine Beſtimmung getroffen
werden müſſen, die den Vorſchriften im 8 47 GK.
über Zwangsmaßregeln und Strafverhängung gegen
Zeugen und Sachverſtändige entſprochen hätte (vgl.
auch Pfafferoth, GG., 9. Aufl., 8 68 Anm. 2 und
Struckmann⸗Koch, 9. Aufl., Anm. 3 Abſ. 2 zu 8 183
GG.). Demgemäß fallen dem Beſchwerdeführer nur
1 75 Auslagen zur Laſt. (Beſchl. des I. 35. vom
Oktober 1910, Beſchw.⸗Reg. 181/10).
2104 Oberlandesgerichtsrat Gehrlein.
2. — v 22 =
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
9
Nr. 2. 61
Literatur.
Fig Dr. Karl H., Rechtsrat in Nürnberg, Lexikon
des in Bayern geltenden Verwaltungs⸗,
Staats-, Polizei⸗ und Polizeiſtrafrechts
nach den Entſcheidungen der bayeriſchen oberen
Verwaltungs-, Straf⸗ und Zivilgerichte und nach
den zum bayeriſchen Recht ergangenen Entſcheidungen
der außerbayeriſchen Gerichte. Band I. Das ge⸗
ſamte Rechtsgebiet außer dem Forſt⸗, Weide⸗ und
Wegerecht, dem Arbeiterverſicherungs⸗, Kirchen⸗ und
1 en 1909, Verlag von Dr. Wachter.
I. Ban
Dieſes mit ſtaunenswertem Fleiße bearbeitete
Sammelwerk bildet für das darin behandelte Gebiet
eine wertvolle, ja unentbehrliche Ergänzung des Hand⸗
buchs von Glock⸗Schiedermair. Wie die Verfaſſer
dieſer unübertrefflichen Sammlung hatte Dr. Fiſcher
ein ungeheueres Material aus nahezu einem Jahr⸗
hundert zu ſichten und ſeine fortdauernde Brauch⸗
barkeit zu prüfen. Daß das bei der beklagenswerten
Berzektelung des bayeriſchen Verwaltungs⸗ und Pos
lizeirechts keine einfache Sache war, bedarf wohl keiner
weiteren Ausführung. Man kann nur die unermüd⸗
liche Ausdauer des Verfaſſers bewundern. Selbſt⸗
verſtändlich iſt das Werk nicht nur für den Verwaltungs⸗
beamten, ſondern auch für den Richter — insbeſondere
den Strafrichter — und den Staatsanwalt von größtem
Werte. von der Pfordten.
Nenkamp, Dr. Eruſt, Reichsgerichtsrat. Die Gewerbes
ordnung für das Deutſche Reich in ihrer
neueſten Geſtalt nebſt Ausführungsvorſchriften.
Neunte, veränderte und durchgearbeitete Auflage.
XX, 810 S., Tübingen 1910, Verlag von J. C. B.
Mohr (Paul Siebeck). Geb. in Lwd. Mk. 7.—.
Die handliche in der Praxis viel verwendete
Ausgabe iſt allgemein bekannt und bedarf keiner
weiteren Empfehlung. Der Verfaſſer hat ſich ent⸗
ſchloſſen, die Nebengeſetze zur GewO. (Kinderſchutz⸗
geſetz, Stellen vermittlergeſetz uſw.) in einem eigenen
Bande herauszugeben. Das iſt zweckmäßig, da durch
dieſe Trennung der erſte Teil trotz des Abdrucks der
zahlreichen Vollzugs⸗ und Uebergangsvorſchriften
(28 Anlagen) einen mäßigen Umfang behalten hat.
Dem Wunſche des Verfaſſers im Vorworte zur 9. Auf⸗
lage, der Geſetzgeber möge nunmehr eine Zeitlang
ſeine ſozialpolitiſchen Verſuche einſtellen und die
Juriſten wie die Gewerbetreibenden zum Aufſchnaufen
kommen laſſen, können wir uns nur anſchließen.
Sammlung von Geſetzen, Bererdnungen und Miniſterial⸗
erlaſſen ſtrafrechtlichen Inhalts für bayeriſche Poli:
zeiorgane. Mit ſyſtematiſcher Inhalts⸗Ueberſicht
und ausführlichem alphabetiſchem Regiſter. 2. neu⸗
bearbeitete Auflage. München u. Berlin, 51 . i
Berlag (Arthur Sellier) 1910. Geb. Mk.
Eine auch im gerichtlichen und e
ſchaftlichen Dienſte wohl verwertbare Sammlung.
Notizen.
Die Anrechnung der Militärdienitzeit auf das Be:
ſoldungsdienſtalter. Die Vorſchriften hierüber, nämlich
die Kgl. VO. vom 28. Dezember 1910 und die MinBek.
vom 28. Dezember 1910 (GVBl. S. 1199 ff.) bilden
eine Ergänzung zum Beamtengeſetz (Art. 28 Abſ. 5)
und ſchließen ſich im weſentlichen den hierüber im
Reich und in Preußen erlaffenen Beſtimmungen an.
Ihr hauptſächlicher Inhalt iſt folgender:
Anſpruch auf Anrechnung haben nur Militär⸗
anwärter, d. h. Inhaber des „Zivilverſorgungs⸗
ſcheins“ (nicht dagegen Inhaber des „Anſtellungs⸗
ſcheins“), ferner ehemalige Angehörige der Gendarmerie
mit „Zivilanſtellungsſchein“. Die Anrechnung erfolgt
bei der erſten etatsmäßigen Anſtellung.
Jedoch kann bei der Ueberführung eines etatsmäßig
angeſtellten Militäranwärters in eine Dienſtesſtelle,
die von Militäranwärtern nach dem Stellenverzeichnis
auch unmittelbar als erſte Anſtellung erreicht werden
kann (zB. Gefängniswärter, Gerichtsvollzieher, Gerichts⸗
vollzieher in Strafſachen), die Anrechnung, wenn dies
günſtiger iſt, auch in der neuen Stelle erfolgen.
Eine Anrechnung erfolgt überhaupt erſt bei einer
Militär⸗ (oder Marine⸗) Dienſtzeit von mehr als acht
Jahren. Bei einer ſolchen Dienſtzeit zwiſchen 8 und
9 Jahren wird die 8 Jahre überſteigende Dienſtzeit,
z. B. 1 Monat bei einer Militärdienſtzeit von 8 Jahren
und 1 Monat, angerechnet. Mit der Vollendung des
9. Militärdienſtjahres iſt der Anſpruch auf Anrechnung
eines Jahres erworben. Eine Steigerung tritt erſt
wieder ein, wenn die Militärdienſtzeit oder eine aus
mindeſtens 9 jähriger Militärdienſtzeit und nachfolgender
Zivildienſtzeit zuſammengeſetzte Dienſtzeit mehr als
13 Jahre beträgt. Hierbei erhöht ſich die anzurechnende
Zeit um die das 13. Dienſtjahr überſteigende Dienſt⸗
zeit, beträgt alſo z. B. bei einer Dienſtzeit von 13 /
Jahren 1 Jahre, bei 14 Dienſtjahren 2 Jahre, bei
14½: Dienftiahren 2½ Jahre und bei 15 Dienſtjahren
3 Jahre. Mehr als 3 Jahre können nicht angerechnet
werden. Mit 15 Militärdienſtjahren oder einer ſich
aus mindeſtens 9 Militärdienſtjahren und aus Zivil⸗
dienſtjahren zuſammenſetzenden Geſamtdienſtzeit von
15 Jahren iſt alſo die höchſtzuläſſige Anrechnung erreicht.
| Als Zivildienſtzeit, die neben der Militärdienſt⸗
zeit für die Berechnung heranzuziehen iſt, kommt die
nach dem Ausſcheiden aus dem Heere abgeleiſtete
informatoriſche Beſchäftigung, eine in der Eigenſchaft
als nicht etatsmäßiger Beamter zurückgelegte Dienſtzeit
(3. B. bei einem Gerichtsſchreibergehilfen) oder eine
unter Art. 25 Beamt®. fallende Dienſtzeit in Betracht.
Weitergehende Anrechnung, namentlich auch in Fällen,
in denen dieſe Dienſtzeit nicht in der Eigenſchaft als
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2.
K — — T——L——— —r T᷑——F—. ———ᷓ— an ai
funden hat.
Militäranwärter oder in denen fie in einem anderen
Verwaltungszweige abgeleiſtet wurde, kann durch die
Miniſterien genehmigt werden.
Als Zivildienſtzeit wird endlich in den Fällen,
in denen die Anrechnung ausnahmsweiſe nicht in der
erſten etatsmäßigen Stelle erfolgt (z. B. bei einem
Gerichtsvollzieher, der vorher Amtsgerichtsdiener war),
auch die in den früheren Stellen zurückgelegte etats=
mäßige Dienſtzeit (3. B. als Amtsgerichtsdiener) an-
gerechnet.
Die Vorſchriften finden rückwirkende An⸗
wendung auf die etatsmäßigen Beamten, die am
1. Januar 1910 noch im Dienste ſtanden oder ſeit—
dem ernannt oder wieder angeſtellt wurden. Ihre
Gehaltsbezüge find, ſoweit veranlaßt, neu überzuleiten,
wobei die Anrechnung der Militärdienſtzeit nur für
die Bemeſſung des Gehaltes nach der neuen Gehalts—
ordnung in Frage kommt. Befindet ſich ein Militär—
anwärter ſchon in einer Beförderungs- oder Auf:
rückaͤngsſtelle, fo kommt ihm die Rückwirkung dann
zugute, wenn die Anrechnung der Militärdienſtzeit in
ſtufe befindet, iſt die Anrechnung mit Rückſicht auf die
Vorſchrift des SA Abſ. III Ziff. 5 der BO. vom
6. September 1908 überhaupt ausgeſchloſſen. Dagegen
kann bei Militäranwärtern, deren Ueberführung in
eine neue Dienſtesſtelle der erſten etatsmäßigen An⸗
ſtellung gleichgeachtet werden kann (z. B. bei Gerichts⸗
vollziehern, die vorher Amtsgerichtsdiener waren), die
Anrechnung in der neuen Stelle mit rückwirkender
Kraft erfolgen.
Infolge der Rückwirkung werden die ſich für die
Zeit ſeit dem 1. Januar 1910 berechnenden Mehrbe⸗
träge nachbezahlt. Bei etatsmäßigen Beamten, die
am 1. Januar 1910 noch im Dienſte ſtanden und ſeit⸗
dem in den Ruheſtand verſetzt worden oder, ſei es in
Dienſtesaktivität, ſei es im Ruheſtand, geſtorben find,
findet eine Neuberechnung des Gehalts und gegebenen-
falls Nachzahlung des Mehrbetrags ſtatt. Soweit
veranlaßt, hat auch eine Neuregelung der Ruhegehälter
und der Witwen⸗ und Waiſengelder zu erfolgen. Die
Nachzahlung des für einen verſtorbenen Beamten ſich
ergebenden Mehrbetrags beſchränkt ſich auf die Witwe
und die Kinder des Verſtorbenen, fo daß andere Hinter-
bliebene oder Erben ausgeſchloſſen ſind.
Der Dienſt der Amtsauwälte. Die auf S. 437 f.
des 6. Jahrgangs dieſer Zeitſchrift beſprochenen Dienſt⸗
vorſchriften für die Staatsanwaltſchaft vom 29. Ok⸗
tober 1910 haben nur den Dienſt der Staatsanwälte
an den Landgerichten und den höheren Gerichten zum
Gegenſtand. Für die Amtsanwälte iſt die Schöffen⸗
gerichtsinſtruktion vom 20. Auguſt 1879 (Beil. z. JM Bl.
1879) verbindlich geblieben. Sie iſt im Gegenſatze zu
den alten Dienſtesvorſchriften für die Staatsanwälte
vom 20. Juni 1862 auf Grund der Strafprozeßordnung
erlaſſen und bildet noch eine brauchbare Grundlage
für den Dienſt der Amtsanwälte. Allein fie iſt gegen-
über den neuzeitlichen Anforderungen an die ſtaats—
anwaltſchaftliche Tätigkeit etwas dürftig. Sehr zu
begrüßen iſt daher, daß ſie durch die Bekanntmachung
vom 22. Dezember 1910, den Dienſt der Amtsanwälte
betr. (JM Bl. S. 1039), eine wertvolle Ergänzung ge⸗
Hiernach ſind die Dienſtvorſchriften für
die Staatsanwaltſchaft vom 29. Oktober 1910 im
ſtaatsanwaltſchaftlichen Dienſt bei den Amtsgerichten
und den Schöffengerichten entſprechend anzuwenden.
Die Bekanntmachung führt die Stellen der Dienſt—
vorſchriften, die ſich zur Anwendung durch die Amts-
anwälte eignen, unter kurzer Hervorhebung ihres
weſentlichen Inhalts auf. So wird fortan der ſtaats⸗
anwaltſchaftliche Dienſt bei allen bayeriſchen Gerichten
nach einheitlichen Geſichtspunkten geführt werden.
Nur ein wichtiger Unterſchied bleibt zwiſchen der Be—
handlung der Strafſachen durch die Amtsanwälte und
die landgerichtlichen Staatsanwälte beſtehen, der ſich aus
der verſchiedenen Bedeutung der zu ihrer Zuſtändigkeit
gehörenden Strafſachen erklärt. Den Staatsanwälten
iſt zur Pflicht gemacht, den Sachverhalt ſchon im Vor—
verfahren tunlichſt vollſtändig aufzuklären und die
Anklageſchrift nur einzureichen, wenn die Verurteilung
des Beſchuldigten zu erwarten iſt. Dagegen beſchränkt
ſich nach den ausdrücklich aufrecht erhaltenen 88 9 bis
11 der Schöffengerichtsinſtruktion die Aufgabe der
Amtsanwälte im vorbereitenden Verfahren in der
Hauptſache auf die Erforſchung und Herbeiſchaffung
der Beweismittel; fie dürfen die öffentliche Klage ers
der erſten etatsmäßigen Stelle bei Anwendung der
Grundſatze der neuen Gehaltsordnung zur Berechnung
eines höheren Gehaltes für die Beförderungsſtelle führt.
Eine unmittelbare Anrechnung auf den Gehalt der
Beförderungsſtelle findet alſo nicht ſtatt. Bei einem
Beamten, der ſich ſchon in der zweiten Beförderungs—
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Seller) München und Berlin.
heben, wenn eine Verurteilung des Beſchuldigten mit
Wahrſcheinlichkeit zu erwarten iſt.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ir. 3. München, den 1. Februar 1911. 7. Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
Th. von der pfordten in Bauern 3. ä
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer. =
Staatsminifterium der Juftiz. München und Berlin.
Redaktion und Ervedition: München, Lenbachplatz 1.
Inſertionsgebübr 30 Pig. für die dalbgeſpaltene Beritzelle
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchbandlung und
Poſtanſtalt.
— — — — — ———— EEE
Nachdruck verboten. 53
Die Feſtſtellung des Eigentums an Wegen. nur auf die fteuerbaren, ſondern ohne Rückſicht
auf den Eigentümer auch auf alle unſteuerbaren
Von Oberſtlandesgerichtsrat Hermann Schmitt Grundbeſitzungen zu erſtrecken habe. weil das
im Staats miniſterum der Juſtiz in München. Grundſteuerkakaſter zugleich als allgemeines Grund-,
Unter der Herrſchaft des Hypothekenrechtes war [Saal- und Lagerbuch gelten ſollte und man dafür
für den Richter nur ſelten Gelegenheit gegeben, auch bezüglich der unſteuerbaren Grundſtücke eine
ſich mit der Prüfung der Eigentumsverhältniſſe zuverläſſige Unterlage ſchaffen wollte; allein die
an den Wegen zu befaſſen. Geometer, Rentamt Verhältniſſe erwieſen ſich meiſt ſtärker als das
und Notar hatten bei der Sachbehandlung im geſchriebene Wort; weitaus in der Mehrzahl der
einzelnen Falle im weſentlichen freie Hand, zumal | Steuergemeinden hat man entgegen der beſtehenden
auch die Beteiligten der Regelung ſolcher Ange- Vorſchrift bei den unſteuerbaren Flächen (Wegen,
legenheiten in rechtlicher Hinſicht kein beſonderes Gewäſſern, Gräben) die Beſitzverhältniſſe nicht feſt⸗
Intereſſe entgegenbrachten. War ein Weg Gegen: geſtellt;) man hat dieſe Gru dſtücke im Liqui⸗
ſtand notarieller Beurkundung, ſo konnte ſich der dationsprotokolle vielmehr unter einer allgemeinen
Hypothekenbeamte in den meiſten Fällen darauf Ueberſchrift wie „Beſitz Nr. / und ohne weiteres
beſchränken, von der Urkunde Kenntnis zu nehmen; und ohne Vorwiſſen und Genehmigung der Be:
die Eintragung des Weges wurde nicht beantragt, teiligten unter dem Beſitztitel der Gemeinde oder
da er als geeigneter Pfandgegenſtand nicht in Be: Ortsgemeinde, zum Teil ſogar der Steuergemeinde
tracht kommen konnte. zuſammengefaßt.“ |
Es blieb aljo der Grundbuchanlegung vorbe: So hatte der Anlegungsbeamte für ſeine Feſt⸗
halten, die Eigentumsverhältniſſe zu ermitteln und ſtellungen als Unterlage in der Regel nur ein
jeftzuftellen, ob und wie weit die Wege in das unbeſchriebenes Blatt. Es mag deshalb nach dem
Hypothekenbuch einzutragen ſeien, eine Aufgabe, Abſchluſſe des Anlegungsverfahrens von allgemeinem
die viele Schwierigkeiten bot. Während bei allen
anderen Grundſtücken das Grundſteuerkataſter für
die Löſung der Eigentumsfrage wenigſtens den
Weg zeigte, weil es den derzeitigen Beſitzer oder
doch einen Vorbeſitzer nannte, hat das Kataſter
— — —
N in ihrer geſchichtlichen Entwicklung,
S. 1% 8
) Amann a. a. O. (S. 200) führt die Nichtbe⸗
achtung der Vorſchrift auf eine unrichtige Auslegung
des Erlaſſes vom 8. Nov. 1839 zurück, der verfügt hatte,
5 10 f og: daß alle gemeindlichen Wege und Gewäſſer in
bezüglich der Wege, wie überhaupt bezüglich der einer Verhandlung für die ganze Steuergemeinde zu—
unſteuerbaren Flächen nahezu vollſtändig verſagt. ſammen unter Beſitz Nr. ½ vorgetragen werden müßten;
Zwar hatte $ 7 der „Inſtruktion für die Liqui- dieſe Vorſchrift habe man dahin ausgelegt, daß alle
dierung, Kataſtrierung und Umſchreibung der ſteuerfreien Wege und Gewäſſer eines Gemeinde-
definitiven Grundſteuer“ vom 19. Januar 1830 ') bezirks ohne Rückſicht auf den Eigentümer in der
5 f „ a Regel am Schluſſe der Liquidationsprotokolle unter der
3
vorgeſchrieben, daß ſich die Liquidierung!) nicht Beſitz Nr. ½ zu protokollieren ſeien. Bei einem Teil
der Liquidationskommiſſäre mag dieſe Auslegung maß—
gebend geweſen ſein; ſicher ijt aber, daß auch ſchon vor
dem bezeichneten Erlaſſe vom 8. Nov. 1839 eine den
beſtehenden Vorſchriften entſprechende Liquidierung der
ſteuerfreien Grundſtücke unterlaſſen wurde, weil die
—— —x=—.————— —
1) Reg Bl. 1830 S. 301; Weber, Geſ.- u. VOSamml.
Bd. II S. 503.
2) Nach 8 61 des Grundſteuergeſetzes vom 15. Aug.
1828 (Geſ.⸗ u. VOBl. 1910 S. 1029) ſollte ſich die
Anlegung des Grundſteuerkataſters auf eine allgemeine [Löſung dieſer Aufgabe zu ſchwierig war.
Liquidation gründen, bei welcher jeder einzelne Grund— ) Das Staatsminiſterium der Juſtiz hat wiederholt
beiiger in Anſehung der auf ihn zu kataſtrierenden darauf hingewieſen: ſ. Bek. v. 30. Dez. 1910 (JM Bl.
Grundſtücke die Richtigkeit der Vermeſſung und des | 1911 S. 40); vgl. auch Samml. 8 S. 606, dann Brenner,
Flurplans in einer förmlichen Verhandlung anzuerkennen WG. S. 92 Anm. 1, II zu Art. 23 und die dort an—
hatte. Das Nähere ſiehe bei Amann, Die bayer. | geführte Fin ME. vom 22. November 1906 Nr. 27903.
——— a — —
54
Intereſſe ſein, zu erfahren, von welchen Grund:
ſätzen man bei der Feſtſtellung des Eigentums
ausgegangen iſt und welches Verfahren man ein—
geſchlagen hat. Es iſt überdies nicht ausgeſchloſſen,
daß man ſich aus beſonderem Anlaſſe nochmals
mit der Sache zu befaſſen hat, ſei es, daß be-
züglich der in das Verzeichnis?) der nicht gebuchten
buchungsfreien Grundſtücke aufgenommenen Wege:
plannummern nachträglich Eigentumsanſprüche gel⸗
tend gemacht und Buchungsantrag geſtellt wird,
ſei es, daß infolge von Streitigkeiten unter den
Beteiligten oder von Amts wegen die Wiederauf—
nahme des Verfahrens geboten iſt, z. B. bei der
Veräußerung von Wegteilflächen,“) dann im Falle
einer Gemeindegrenzänderung mit Rückſicht auf
Art. 4 der rechtsrhein. GO., der die Feſtſtellung
des Kreiſes der Beteiligten verlangt. Auch für
dieſe Fälle mögen die nachfolgenden Ausführungen
von Intereſſe ſein. f
I. Das Berfahren zur Feſtſtellung des Eigentums.
Schon aus $ 170 Abſ. 2 der Dienſtanweiſung
für die Grundbuchämter r. d. Rh. iſt zu ent:
nehmen, daß man unterſcheidet
Wege, die eigne Grundſtücke ſind und entweder
im Eigentum einer beſtimmten Perſon oder
im Miteigentum mehrerer Perſonen ſtehen,
Wege, die nicht eigne Grundſtücke find, ſondern
die Beſtandteile der Grundſtücke bilden, über
die der Weg führt, bei denen alſo die als
Weg benützten Teile nur mit einer Grund—
dienſtbarkeit belaſtet ſind (ſog. Angrenzerwege
auch Adjazentenwege).
Bei dieſen Angrenzerwegen handelt es ſich nicht
um ein Miteigentumsverhältnis; jeder Angrenzer
iſt vielmehr Alleineigentümer der von ſeinem
Grundſtück zum Wege gezogenen Teilfläche,“) mag
der Weg ſein Grundſtück durchſchneiden oder an
oder auf der Grenze laufen. Die Frage, ob ein
ſolcher Weg, wenn er die Grundſtücke nicht durch—
ſchneidet, ſondern zunächſt der Grenze läuft, auf
) Vgl. hierzu Henle-Dandl, die Anl. des Grund—
buchs, 2. Aufl. S. 291 Note 1 Abſ. 2, und IME. v.
21. März 1903 Nr. 10 398.
6) Auch auf Antrag des Meſſungsamtes.
7) Bezüglich dieſer Wege iſt in der Dienſtanweiſung
für Grundbuchämter keine Vorſchrift über die Frage
enthalten, wie ſolche Teilflächen zu ermitteln ſind, wenn
ein Weg auf der Grenze zweier Grunddſtücke läuft und
die Grenze beider Grundſtücke zu beſtimmen und ab—
zumarken iſt oder wenn die Teilfläche als Einlage im
Flurbereinigungs verfahren zu berechnen iſt.
genaueren Feſtſtellung dieſer Teilflächen durch den Richter
beſtand und beſteht kein Anlaß. In den ſeltenen Fällen,
in denen die Frage in der Praxis zu enticheiden iſt,
wird im Zweifel anzunehmen ſein, daß die beiderſeitigen
Nachbarn gleich breite Flächen als Wegflächen liegen ge—
laſſen haben, daß die Grenze der Grundſtücke ſich alſo
mit der Mittellinie des Weges deckt; es wird kaum
vorkommen, daß ein Angrenzer ſich mit dieſer Löſung
nicht abfinden ſollte, er müßte denn für ſeine abweichende
Meinung Beweiſe in Händen haben.
Zu einer
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
oder an der Grenze führt, ob er ſich alſo aus
Teilflächen der beiderſeitigen Grundſtücke oder nur
aus Teilflaͤchen der auf der einen Seite liegenden
Grundſtücke zuſammenſetzt, iſt rein tatſächlicher
Natur; eine Rechtsvermutung, wie ſie Art. 21
WG. aufſtellt, gibt es für die Wege nicht.?) Aus:
ſchlaggebend wird in der Regel ſein, ob die beider⸗
ſeitigen Angrenzer oder nur die Angrenzer auf
der einen Seite den Weg benützen; im letzteren
Falle wird anzunehmen ſein, daß auch nur dieſe
Angrenzer Teilflächen dem Wege gewidmet haben.
Dieſe Unterſcheidung in eigene und nicht eigene
Grundſtücke beruht nicht auf einer willkürlichen
Annahme, ſie iſt vielmehr das Ergebnis des An—
legungsverfahrens, in welchem Rechtsverhältniſſe
dieſer Art feſtgeſtellt wurden. Damit ſoll freilich
nicht geſagt ſein, daß ſich ſolche Verhältniſſe in
allen Steuergemeinden gleichmäßig finden. Die
Flurverhältniſſe ſind in den einzelnen Steuerge⸗
meinden außerordentlich verſchieden;“) ſelbſt in
benachbarten Steuergemeinden weichen fie oft er:
heblich von einander ab. Es bleibt nur übrig,
die Verhältniſſe in jeder Steuergemeinde genau
zu unterſuchen.
A. Selbſtändige und unſelbſtändige Wege
(Gemeinde- und Angrenzerwege).
Die Hauptſchwierigkeit wird immer darin be⸗
ſtehen, die Wege, die nicht eigene Grundſtlücke find,
von den ſelbſtändigen Weggrundſtücken zu ſcheiden.
Die Löſung dieſer Aufgabe iſt um ſo wichtiger,
weil damit die Entſcheidung der Eigentumsfrage
im engſten Zuſammenhange ſteht. Solange der
Weg Beſtandteil der Grundſtücke iſt, über die er
hinwegführt, iſt der Eigentümer des Grundſtücks
auch Eigentümer der Wegteilflaͤche; der als Weg
benutzte Teil iſt nur mit einer Grunddienſt—
barkeit (Fahrtrecht) zugunſten der anderen vom
Wege berührten Grundſtücke belaſtet, im übrigen
iſt der einzelne Eigentümer als Alleineigentümer
in der Benützung der zu ſeinem Grundſtücke ge—
hörenden Teilfläche nicht beſchränkt, er kann dieſe
überackern und bebauen, ſofern hierdurch die Aus—
8) Man behauptet, in der Praxis wende man, wenn
eine Teilfläche ſeſtzuſtellen fei, Art. 21 des Waſſergeſetzes
entſprechend an. Dies gilt wohl nur, ſoweit die Ver⸗
mutung Platz greift, daß die Eigentumsgrenze in An—
ſehung der gegenüberliegenden Grundſtücke durch eine
durch die Mitte des Fluſſes zu ziehende Linie gebildet
werde; dagegen iſt für die weitere in Art. 21 aufgeſtellte
Vermutung, daß in Anſehung der anliegenden Ufer—
grundſtücke durch eine von dem Endpunkt der Land—
grenze rechtwinklig zu der Mittellinie des Waſſerlauſs
zu ziehende Linie gebildet werde, bei den Wegen kein
Raum; hier wird als Regel anzuſehen ſein, daß ſich die
Abteilungslinie nicht ſenktecht zur Mittellinie des Weges,
ſondern in der Richtung der Grundſtücksgrenze bis zur
Mittellinie fortſetzt.
) So können in einer Steuergemeinde nur wenige,
in einer anderen Steuergemeinde wieder ſehr viele Ans
grenzerwege feſtgeſtellt werden, während ſich in anderen
gar keine, finden.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
— — — ——ẽʒ
übung der Grunddienſtbarkeit nicht beeinträchtigt
wird. Wird der Weg als ein jelbitändiges Grund:
ſtück betrachtet, ſo kann als Eigentümer jede natür⸗
liche und jede juriſtiſche Perſon in Frage kommen;
weitaus die Mehrzahl dieſer Wege wird jedoch
nach Lage der Verhältniſſe Eigentum der politiſchen
Gemeinde, vielleicht auch einer Ortsgemeinde ) ſein.
Das Schwergewicht der Entſcheidung muß in
der äußeren Beſchaffenheit ſowie in der Zweck⸗
beſtimmung und in der Verkehrsbedeutung der
Wege geſucht werden. Bei Wegen, an denen die
Allgemeinheit kein Intereſſe hat, die ausſchließlich
zur Bewirtſchaftung der Grundſtücke eines be⸗
grenzten Gutsbeſitzerkreiſes dienen und ſich in der
Natur nicht als ſelbſtändige Grundſtücke, als aus⸗
gebaute Wege darſtellen, ſpricht die Vermutung
dafür, daß ſie Beſtandteile, der Grundſtücke find,
über die fie hinwegführen.“) Dagegen darf bei
allen übrigen angenommen werden, daß ſie eigene
Grundſtücke ſind und, wenn nicht beſondere Ver⸗
hältniſſe eine andere Annahme rechtfertigen, im
Eigentum der Gemeinde ſtehen. Dies gilt auch
bei nicht ausgebauten Feldwegen, die urſprüng⸗
lich vielleicht ausſchließlich einzelnen Grund⸗
ſtückseigentümern gedient, im Laufe der Zeit je⸗
doch größere Verkehrsbedeutung erlangt haben,
von den Grundſtückseigentümern preisgegeben und
von der Gemeinde in Beſitz genommen wurden,
die dann auch für die Unterhaltung der Wege
Sorge getragen hat; in ſolchen Fällen wird die
Gemeinde unbedenklich Eigentumserwerb durch
Erſitzung behaupten können.
Wenn nun auch bei der Mehrzahl der im
Grundſteuerkataſter verzeichneten Wege die Ent⸗
ſcheidung über die Eigentumsfrage nach dieſen
allgemeinen Geſichtspunkten erfolgen kann, ſo iſt
doch bei vielen eine Prüfung der Verhältniſſe im
einzelnen nicht zu umgehen. Dabei kommt fol⸗
gendes in Betracht.
1. Die bloße Anerkennung der An:
grenzer. Keinesfalls iſt es angängig, das
Eigentum an einem Wege in der Weiſe feſtzu⸗
ſtellen, daß man die Eigentümer der von den Wegen
berührten Grundſtücke ohne jede Unterlage erklären
läßt, daß die Gemeinde Eigentümerin aller Wege
ſei. Eine ſolche Sachbehandlung iſt rechtlich nicht
bedenkenfrei; iſt die Gemeinde in Wirklickkeit
nicht Eigentümerin, ſo wird durch die einſeitige
Anerkennungserklärung eine Eigentumsübertragung
nicht bewirkt, auch wenn die Gemeinde als Eigen—
tümerin in das Grundbuch eingetragen wird; erſt
10) Vgl. Art. 5 der rechtsrheiniſchen und der pfäl⸗
ziſchen Gemeindeordnung.
1) Dieſe Auffaſſung wird im weſentlichen auch vom
Oberſten Landesgericht gebilligt (Samml. 8 S. 604);
die von ihm vertretene Meinung, daß als das unter—
ſcheidende Merkmal nicht die Größe, ſondern die Zweck—
beſtimmung anzuſehen ſei, iſt gewiß richtig, wenn man
unter der Größe des Weges die Länge verſteht; bei
breiten Wegen wird wohl die ee des Weges
anzunehmen ſein.
55
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wenn die Eintragung ohne Widerfpruch dreißig
Jahre beſtanden und die Gemeinde während dieſer
Zeit das Grundſtück im Eigenbeſitze gehabt hat,
würde das Eigentum der Gemeinde unanfechtbar
ſein (BGB. $ 900).
Im übrigen bietet das Anlegungsverfahren
zu einer willkürlichen Verſchiebung der Eigentums⸗
verhältniſſe keinen Anlaß; ſie liegt auch gar nicht
im Intereſſe der Beteiligten, die ſich in der Regel
weder über die Rechtslage noch über die Sachlage klar
find und mit Vorwürfen gegen die Sachbehandlung
nicht zurückhalten, wenn ſie bei ruhiger Ueberlegung
der Verhältniſſe zu der Meinung kommen, durch
ihre Erklärung, wenn auch nur formell, ein Recht
aufgegeben zu haben. Häufig wird zwar die
Meinung vertreten, daß die Grundbeſitzer gar
kein Intereſſe daran haben, als Eigentümer einer
Teilflaͤche eines ihren Grundbeſitz berührenden
Weges anerkannt zu werden, daß ihre Intereſſen
ſogar beſſer gewahrt ſeien, wenn die Gemeinde
als Eigentümerin des Weges gelte und als ſolche
auch zur Unterhaltung des Weges verpflichtet ſei.
Dieſe Meinung mag für gewiſſe (Fälle richtig ſein,
trifft aber gewiß nicht für alle Feldwege zu und
namentlich nicht für ſolche Wege, die ausſchließlich
für die Angrenzer von Bedeutung ſind, einer
Unterhaltung in der Regel überhaupt nicht be⸗
dürfen und tatſächlich auch nicht unterhalten
werden.“) Es iſt nicht zu überſehen, zu welchen
Weiterungen und Schwierigkeiten eine unrichtige
Feſtſtellung des Eigentums an ſolchen Wegen
Anlaß gibt. Ein Grundbeſitzer kauft zu Arron⸗
dierungszwecken in einer Feldlage mehrere von
Wegen durchzogene Grundſtücke zuſammen; will
er die Wege, die nur für ihn Bedeutung haben,
zum Teil verlegen, zum Teil überhaupt eingehen
laſſen, ſo muß er, wenn die Gemeinde als Eigen—
tümerin dieſer Wegflächen eingetragen worden iſt,
mit der Gemeinde eine Vereinbarung treffen,
2) Unbegründet iſt die Befürchtung, daß es mit
der Unterhaltung der Wege in Zukunft nicht mehr
ſo gut beſtellt ſei, die als Eigentum der Angrenzer
feſtgeſtellt werden. Die Vorſchrift des Art 55 Abſ. 2
GemO. gibt der Gemeinde die Befugnis, jederzeit nach
dem Rechten zu ſehen und die Gemeinde iſt auf Antrag
eines Beteiligten ſogar verpflichtet, Anordnungen be—
züglich der Unterhaltung der Wege zu treffen; der In⸗
halt dieſer Vorſchrift wird durch die Eigentumsfeſtſtellung
in keiner Weiſe berührt, auch wenn man ihre Anwen—
dung nur auf öffentliche Wege beſchränkt wiſſen will,
denn auch die einmal begründete öffentliche Eigenſchaft
eines Weges wird durch die Eigentumsfeſtſtellung nicht
beeinträchtigt. Ebenſowenig kann man gegen die Feſt—
ſtellung von Privatwegen eine Benachteiligung der wirt—
ſchaftlichen Verhältniſſe ins Feld führen; gegenüber der An—
nahme, daß kleine Leute ſich bisher einen kleinen Streifen
Weg pachten und hier das Futter für das Kleinvieh be—
kommen konnten, iſt hervorzuheben, daß, wenn die Gras—
nutzung an einem beſtimmten Wege bisher von der Gemeinde
wirklich verpachtet worden iſt, dies in der Regel für das
Eigentum der Gemeinde ſpricht; vgl. hierzu unten Nr. 3b.
Im übrigen muß ſich die Gemeinde eben auf ihr Eigen—
tum beſchränken; fie darf ebenſowenig wie eine Privat-
perſon über fremdes Gut verfügen.
66 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
während er, wenn fie Beſtandteile der erworbenen
Grundſtücke find, nach 8 1023 BGB. ver:
fahren kann. Ein weiteres Beiſpiel: In einem
Flurbereinigungsverfahren wird feſtgeſtellt, daß
Feldwege, die bei der Grundbuchanlegung ohne
weiteres als Eigentum der Gemeinde betrachtet
wurden, in der Natur als Wege überhaupt nicht
mehr beſtehen, vielmehr zu den von ihnen be⸗
rührten Grundſtücken gezogen und mit dieſen be⸗
baut und bewirtſchaftet werden; ſollen die Weg⸗
flächen in ſolchem Falle ohne weiteres als Ein⸗
lage der Gemeinde gelten? Dieſe Beiſpiele, deren
Zahl aus den Erfahrungen des Alltaglebens be⸗
liebig vermehrt werden könnten, dürften zur Ge⸗
nüge beweiſen, daß es keineswegs gleichgültig iſt,
ob man Eigentum der Gemeinde oder der An⸗
grenzer angenommen hat.““)
2. Die kataſtermäßige Bezeichnung.
Die Beſchreibung der Wege kann für die Eigen⸗
tumsfeſtſtellung in der Regel nicht verwertet
werden. Man hat ſeinerzeit aus ſteuertechniſchen
Gründen grundſätzlich alle Wege ohne Rüdficht
auf die Eigentumsverhältniſſe mit beſonderen Plan⸗
nummern verſehen, auch dann, wenn ſie nur
Beſtandteil anderer Grundſtücke waren. Daran
hat man bis in die neueſte Zeit feſtgehalten.“)
Die Bezeichnung eines Weges mit einer Plan⸗
nummer ſpricht alſo keineswegs dafür, daß der
Weg als eigenes Grundſtück gelten ſoll. Aller⸗
dings finden ſich auch Wege, die eine Plannummer⸗
bezeichnung nicht haben, und ſchon aus dieſem
Grunde als Beſtandteile der von ihnen berührten
Grundſtücke gelten müſſen; allein auch dieſer Um⸗
ſtand berechtigt nicht ohne weiteres zu der An⸗
nahme, daß alle anderen, mit Plannummern be:
zeichneten Wege eigene Grundſtücke ſind; denn
wie heute!“) wurden auch früher ſchmale Wege, deren
Flächen ſich in Kataſterplänen nicht darſtellen
laſſen, nicht mit Plannummern bezeichnet, ſondern
als unausgeſchiedene Beſtandteile der Grundſtücke
behandelt. Abgeſehen hiervon iſt auch die Mög⸗
lichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß die Wege ohne
Plannummerbezeichnung erſt nach der Landes—
vermeſſung entſtanden ſind und die Ausſcheidung
) Ein treffendes Beiſpiel führte auch der Abg.
Kanzler in der öffentlichen Sitzung der Kammer der Ab—
geordneten vom 27 November 1909 (Verh d. K. d.
Abg. 1909 / 10, Sten. Ber. VIII S. 157 ff.) an; er ſagt:
Es komme häufig vor, daß zu der Plannummer, die
die Orteſtraße bezeichnet, noch Zu'ahrten oder Teile von
Hoſräumen gehören, die von dem Ortsweg in das An—
weſen hineinführen, die aber doch ganz beſtimmt Be—
ſtandteile der Anweſen ſeien Wenn ſich nun bei
Bauaufführungen herausſtelle, daß der Anweſensbeſitzer
dieſe Zufab 1, die kataſtermäßig zur Ortsuraße gehöre,
überbaut „abe, müſſe er dann von der zu Unrecht ein—
getragenen Gemeinde ſein Eigentum käullich erwerben.
1 Vgl Fin Min Bek. vom 15. Okt. 1910 Nr. 2 Abi. 1
(JM Bl. S. 984).
18) Vgl. Fin Min Bek. v. 15. Okt. 1910 Nr. 2 Abſ. 5
(JM Bl. S. 985).
und nähere Bezeichnung ihrer Flächen nur mit
Rückſicht auf die Koſten unterblieben iſt.
Aehnlich verhält es ſich mit der Flächenaus⸗
ſcheidung. Urſprünglich hat man den Flächen⸗
inhalt der Jämtlihen Wege in einer Steuergemeinde
zu einer Geſamtwegflaͤche vereinigt; erſt in den
Jahren 1829, 1830, 1834 und in den folgenden
Jahren wurden Anordnungen getroffen, um durch
Ausſcheidung und Numerierung der einzelnen Wege
für die Liquidation wie bei dem ſteuerbaren Grund⸗
beſitz beſtimmte und auf dem Kataſterplane nachweis⸗
bare Objekte zu ſchaffen.“) Dieſe kataſtertechniſche
Sachbe handlung hat alſo auf die Beurteilung der
Frage keinen Einfluß, ob es ſich um ſelbſtändige
Weggrundſtücke oder nur um ſervitutariſche
Rechtsverhältniſſe an Beſtandteilen der Haupt⸗
grundſtücke handelt. Nur in den ſeltenen
Fällen, in denen die Wegflächen trotz der Be⸗
zeichnung mit eigenen Plannummern den von den
Wegen berührten Grundſtücken zugerechnet find,
iſt man zu dem Schluſſe berechtigt, daß die Wege
wenigſtens zur Zeit der Kataſtrierung nicht als
eigene Grundſtücke betrachtet wurden.
3. Die Liquidationsprotokolle. Die
zuverläſſigſte Unterlage iſt immer das Liquidations⸗
protokoll, vorausgeſetzt, daß ſeinerzeit auch bezüg⸗
lich der unſteuerbaren Grundſtücke eine Ermitte⸗
lung der Beſitzverhältniſſe ſtattgefunden hat; das
Liquidationsprotokoll ſelbſt muß alſo bei den
Wegen zwiſchen dem Eigentum der Gemeinde und
dem Eigentum der Angrenzer überhaupt unter⸗
ſcheiden, indem es bei einem Teil der Wege die
Eigentümer der angrenzenden Grundſtücke als
Eigentümer bezeichnet oder ſich wenigſtens dahin
ausſpricht, daß dieſe Wege von den Eigentümern
der Grundſtücke, über welche die Wege führen,
geduldet werden müſſen, während andere Weg:
flächen als Eigentum der Gemeinden anerkannt
werden. Man wird alſo in jedem Falle zunächſt
die Liquidationsprotokolle für die betreffende
Steuergemeinde erholen müſſen. ““
Die weitere Geſtaltung des Verfahrens hängt
im weſentlichen alſo davon ab, ob und wie weit
16) Vgl. hierzu Amann, a. a. O. S. 200
11) Bis zum Jahre 1837 wurde über die Liqui—
dierung ein förmliches Protokoll aufgenommen, wie dies
§ 13 der Inſtruktion für Liquidierung ꝛc. v. 19. Januar
1830 (ſ. o. Anm 1) vorgeſchrieben hatte. Um die Ar—
beiten raſcher zu fördern, verſuchte man dann, die Liqui—
dierung in tabellariſcher Form fortzuführen; vom Jahre
1840 an wurde dann die Liquidierung in Kataſter-Form
zur Regel, während die Protokoll-Form nur ausnahms—
weiſe zur Anwendung kam, wenn bei der Liquidierung
beſondere Schwierigkeiten entſtanden, deren Beſeitigung
eingehendere Nerhandlungen erforderlich machten. Die
eigentlichen Liquidationsprotokolle wurden bei den Re—
gierungsſinanzkammern hinterlegt, die in Kataſter Form
aufgenommenen Liquidationsprotokolle wurden als Ur:
kataſter den Rentämtern überwieſen. Siehe Näheres
bei Amann a. a. O. S. 192 ff., wo auch angegeben
iſt, welche Form in den einzelnen Bezirken verwendet
wurde.
— ——— — ——
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 5 für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
die Eintragungen in den Steuerliquidations⸗
protokollen als zuverläſſig anzuſehen ſind.
a) Zuverläſſige Liquidationdproto—
kolle. Wird in den Steuerliquidationsproto⸗
kollen bezüglich der Wege zwiſchen Gemeinde⸗
eigentum und Angrenzereigentum unterſchieden,
ſo kann man ſich auf die Prüfung der Frage be⸗
ihränfen, ob ſich ſeit der Kataſtrierung die Ver⸗
hältniſſe bezüglich der als Angrenzereigentum be⸗
zeichneten Wege weſentlich geändert haben; es iſt
möglich, daß Wege, die zur Zeit der Herſtellung
des Urkataſters als Beſtandteile der von ihnen
berührten Grundſtücke gegolten haben, in der
Zwiſchenzeit an Verkehrsbedeutung gewonnen
haben, von der Gemeinde in Beſitz genommen,
ausgebaut und unterhalten wurden und nun⸗—
mehr von ihr auch als Eigentum beanſprucht
werden; das Vorbringen der Gemeinde wird,
wenn durch Tatſachen zuverläſſig belegt und
glaubhaft gemacht, auch ſchon dann zu berück⸗
ſichtigen ſein, wenn die Eigenſchaft des Weges
als eines Gemeindeweges im Sinne des Art. 38
GemO. durch die Verwaltungsbehörde noch nicht
ausdrücklich anerkannt worden iſt.
b) Unzuverläſſige Liquidationsproto-
kolle. Wenn in den Protokollen alle Wege, ins⸗
beſondere alle Feldwege ausnahmslos als Beſitz der
Gemeinde, Ortsgemeinde oder der Steuergemeinde be⸗
zeichnet ſind, ſind dieſe Angaben und die auf ihnen be⸗
ruhenden Kataſtervorträge vollſtändig bedeutungs⸗
los; man muß unabhängig von der Kataſtrierung
die Eigentumsfrage prüfen. Immerhin kann die
Darſtellung im Kataſter als Wegweiſer dienen.
Man hatte nämlich ſeinerzeit, um die Eigentums⸗
ermittelung zu erleichtern, vorgeſchrieben, die Wege
nach ihrer Zweckbeſtimmung in Ortswege, Diſtrikts⸗
ſtraßen, Gemeindewege, Feld⸗ und Holzwege ein⸗
zuteilen und dieſe Einteilung hat auch in dem
Kataſter Aufnahme gefunden.) Es empfiehlt
ſich auch jetzt noch, nach dieſer Einteilung in die
Prüfung der Eigentumsverhältniſſe einzutreten.
Im einzelnen iſt folgendes hervorzuheben:
a) Ortsſtraßen: Bei den Ortsſtraßen
ſpricht wohl die Vermutung dafür, daß ſie im
Eigentum der Gemeinde ſtehen; doch iſt die
Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß einzelne
Wegflächen Privateigentum find.') In der
Regel weiſt darauf die Beſchreibung des Weges
hin; ſo erinnere ich mich einer Ortsgaſſe, die im
Kataſter als „Sackgaſſe zum Wirtskeller“, und
einer anderen, die als „N. N.⸗Gäßchen' beſchrieben
war; beide wurden ohne Widerſpruch der Gemeinde
von Privatperſonen beanſprucht. In jedem Falle
empfiehlt es ſich nach dem Flurplane, wenn möglich
im Benehmen mit dem Meſſungsamte, feſtzuſtellen,
welche Wege nach ihrer Lage für die Allgemein:
heit kein Intereſſe haben, alſo e
10) Vgl. Amann a. a. O. S. 200.
10) Vgl. oben Anm. 13.
57
ſein können, und durch Vernehmung derjenigen
Perſonen, die als Eigentümer in Betracht kommen
können, ſowie durch Vernehmung ortskundiger
Perſonen die Rechtsverhältniſſe zu ermitteln. Die
Einſichtnahme des Flurplanes iſt namentlich dann
geboten, wenn die ſämtlichen Ortswege im
Kataſter unter einer Plannummer zuſammen⸗
gefaßt und nur als „ſämtliche Ortsſtraßen und
Ortswege“ beſchrieben ſind, ſo daß aus der Be—
ſchreibung ſelbſt über die Zweckbeſtimmung im
einzelnen nichts entnommen werden kann.
p) Diſtriktsſtraßen: Die im Kataſter als
Diſtriktsſtraßen bezeichneten Wege können Eigen⸗
tum der Diſtriktsgemeinde oder der politiſchen
Gemeinde ſein; häufig hat nämlich die politiſche
Gemeinde das Eigentum an den in ihrem Bezirke
liegenden Straßenteilen an die Diſtriktsgemeinde
nicht abgetreten, ſie hat ihr nur das Recht ein⸗
geräumt die Diſtriktsſtraße als ſolche zu benützen,
wogegen ſich die Diſtriktsgemeinde zur Unterhaltung
dieſer Straße verpflichtet hat. Die Feſtſtellung
iſt nicht ohne Bedeutung, weil die politiſche Ge⸗
meinde oft Wert darauf legt, als Eigentümer der
Straße zu gelten, um ihre Nutzungsrechte an den
an der Straße ſtehenden Obſtbaͤumen oder an
dem an den Straßengräben wachſenden Gras
ſicher zu ſtellen. Wenn die Gemeinde das Eigen:
tumsrecht an der Diſtriktsſtraße nicht geltend
macht, darf man, auch wenn eine förmliche Ab—
tretung nicht nachzuweiſen iſt, wohl annehmen,
daß fie ſchon lange das Eigentum preisgegeben
hat und daß die Diſtriktsgemeinde durch Beſitz⸗
ergreifung im Wege der Erſitzung Eigentümerin
geworden iſt. Nun iſt allerdings die Diſtrikts⸗
gemeinde erſt durch das Diſtriktsratsgeſetz vom
28. Mai 1852 als juriſtiſche Perſon begründet
worden; man möchte daraus vielleicht ſchließen,
daß eine Erſitzung der Diſtriktsgemeinde erſt von
dieſem Zeitpunkte an möglich geweſen wäre; es
iſt jedoch zu beachten, daß häufig bereits beſtehende
Wege, die beiſpielsweiſe im Eigentum der Gemeinde
ſtanden, durch einen Akt der Staatsgewalt zu
Diſtriktsſtraßen erklärt und von einem ſog. Kon⸗
kurrenzverbande (einer Vereinigung mehrerer poli⸗
tiſcher Gemeinden) unterhalten wurden.“) In
zivilrechtlicher Hinſicht muß hier unter Umſtänden
auf die früheren Rechtsverhältniſſe zurückgegriffen
werden; die alten Diſtriktsſtraßen gingen, wenn
auch nur auf Grund eines rechtsförmlichen Be:
ſchluſſes des Diſtriktsrats, auf den neuen Diſtrikt
im Sinne des Diſtriktsratsgeſetzes über; die neue
Diſtriktsgemeinde darf ſich die Erſitzungszeit ihrer
Vorgänger, d. i. der im Konkurrenzverbande
vereinigten politiſchen Gemeinden anrechnen. Frei—
lich kann eine Erſitzung mit Rückſicht auf Art. 14
des Not G. v. 10. November 1861 nur dann in
Frage kommen, wenn die Uebernahme der Straße
20) Vgl. v. Seydel, Bayer. „ Bd. III
S. 302; Entſch. d. Berw®H. Bd. XII S. 225.
58
durch den Diſtrikt ſchon vor dem 1. Juli 1862
erfolgt iſt.“)
Erachtet der Richter das Eigentum der Di⸗
ſtriktsgemeinde nicht als glaubhaft gemacht, hält
dieſe aber ihre Eigentumsanſprüche aufrecht, ſo
kann eine befriedigende Löſung der Streitfrage
nur dadurch gefunden werden, daß die Diſtrikts⸗
gemeinde nach 88 873, 925 BGB. und Art. 83
AGzBGB. das Eigentum erwirbt. Solange die
Straßeugrundſtücke in das Grundbuch noch nicht
eingetragen find, genügt hiernach die beſchluß⸗
mäßige Einigung der Gemeinde und der Diſtrikts⸗
gemeinde über den Eigentumsübergang (dinglicher
Vertrag); einer Beurkundung der Einigung durch
den Notar oder durch das Grundbuchamt bedarf
es nicht;?) das Formerfordernis, das für den
obligatoriſchen Vertrag beſteht, durch die ſich der
Eigentümer (die politiſche Gemeinde) zur Ueber⸗
tragung des Eigentums (BGB. § 313) verpflichtet,
wird durch die Vorſchrift des Art. 83 AGzBGB.
nicht berührt; auf Grund der Einigungserklärung
kann die Eintragung der Diſtriktsgemeinde in das
Grundbuch aber ohne weiteres erfolgen, wenn die
neue Eigentümerin Buchungsantrag ſtellt; der
Vorlegung des obligatoriſchen Vertrags bedarf es
nicht; denn die Vorſchrift des Art. 12 AGzGBO.
trifft in dieſem Falle nicht zu.
Handelt es ſich nach der Meinung der Be⸗
teiligten nur um ein ſervitutariſches Rechtsver⸗
hältnis und ſoll es hierbei nach ihrem Willen
auch verbleiben,“) ſo iſt zu beachten, daß dieſes
auch zur Erſitzung einer anderen rechtlichen Be—
urteilung als die Eigentumsfrage unterliegt.
Häufig iſt es vorgekommen, daß eine Diſtrikts⸗
gemeinde zur Vorbereitung einer Straße von den
benachbarten Grundſtückseigentümern der Nachbar⸗
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grundſtücke Grundſtücksteile gekauſt hat. daß aber
die notarielle Verlautbarung unterblieben iſt, die
nach Art. 14 des Not®. vom 10. Nov. 1861 vor:
geſchrieben war. Wenn die Diſtriktsgemeinde das
Eigentum an dieſen Teilflächen nicht auf Grund
außerordentlicher Erſitzung beanſpruchen kann, ſo
kann ſie es nur im Wege der Auflaſſung und
Eintragung in das Grundbuch erwerben; zur Be—
urkundung der Auflaſſung iſt zwar das Grund—
buchamt zuſtändig, allein mit Rückſicht auf Art. 12
AGzGBBO., der auch für das Bereinigungsver—
fahren gilt, iſt in dieſem Falle die notarielle Be:
urkundung des der Auflaſſung zugrunde liegenden
obligatoriſchen Vertrags nicht zu umgehen. Die
Beurkundungsbefugnis, die nach Art. 10 des Anleg.
) Vgl. Henle-Dandl, Die Anl. d. Gb. 2. Aufl.,
252 Anm. 12.
21) Vgl. Henle -Schneider,
Anm. 3b, dann Vorbemerkung vor Art. 83.
. Nicht ſelten kommt es auch jetzt noch vor, daß
Diſtriktsgemeinden bei Anlegung. Erweiterung oder
Verlegung von Diſtriktsſtraßen die Grundfläche nicht
zu Eigentum, ſondern im Wege der Dienſibarkeit das
Recht zur Straßenführung erwerben.
S.
vom 1. Juni 1898 dem Hypothekenbeamten ein⸗
geräumt war, ſteht dem Grundbuchbeamten in
dieſem Umfange nicht mehr zu.
Im übrigen werden ſich die Verhandlungen
durch Vermittlung des Bezirksamts in der Regel
ſehr einfach geſtalten.
7) Gemeindewege: Die wenigſten Schwie⸗
rigkeiten bietet die Feſiſtellung des Eigentums an
den Gemeindewegen, d. i. ſolchen Wegen, die eine
Gemeinde mit den umliegenden Gemeinden oder
Ortſchaften verbinden?) und die wohl aus dieſem
Grunde im Grundſteuerkataſter auch Gemeinde⸗
verbindungswege genannt werden. Dieſe Wege
müſſen ſchon mit Rückſicht auf ihre Zweckbeſtim⸗
mung unterhalten werden, ſie werden auch von
der Gemeinde in der Regel ohne Zutun eines
Dritten unterhalten,“) ſo daß der Richter ſich
ohne weiteres für Gemeindeeigentum ſchlüſſig
machen kann; es hat keinen Zweck über die Ver⸗
hältniſſe dieſer Wege Auskunftsperſonen zu ver⸗
nehmen, die dem Richter doch nicht mehr ſagen
können, als er ſchon weiß oder aus dem Flurplane
entnehmen kann.
Nur in einem Falle ſind beſondere Erhebungen
veranlaßt. Wenn im Bezirk der Gemeinde der
Staat, eine Stiftung, eine Standesherrſchaft, ein
Fideikommißbeſitzer oder ein ſonſtiger Großgrund⸗
beſitzer anſäſſig iſt, kann es vorkommen, daß dieſe
von den Gemeindewegen diejenigen als ihr Eigen:
tum beanſpruchen, die durch ihren (meiſt geſchloſſenen)
Grundbeſitz hindurchführen; dieſe Wege werden in
der Regel auch von dem Großgrundbeſitzer unter—
halten; mit Rückſicht auf dieſe Unterhaltungspflicht
beſtreiten die Gemeinden auch das Eigentum der
Großgrundbeſitzer nicht; ſie haben hierzu um ſo
weniger Veranlaſſung, als die Oeffentlichkeit der
Wege angeſichts ihrer Verkehrsbedeutung meiſt
außer Zweifel ſteht. In ſolchen Fällen wird man,
um völlige Klarheit über die Rechtsverhältniſſe zu
gewinnen, es nicht unterlaſſen dürfen, ſich durch
Befragen bei dem Großgrundbeſitzer und bei der
Gemeinde zu unterrichten. Bezüglich der Wege,
die dem Beſitzer eines Fideikommiſſes im Sinne
der VII. Verfaſſungsbeilage zugeſprochen werden,
iſt dem Fideikommißgericht Kenntnis zu geben,
damit dieſes die Berichtigung der Fideikommiß—
matrikel veranlaſſen kann; dieſe Wege können bei
der Errichtung des Fideikommiſſes überſehen worden
fein, wenn ſie im Kataſter der Gemeinde ver:
zeichnet waren.
Was von den Gemeindewegen gilt, trifft im
weſentlichen auch auf die Wege zu, die im Grund—
ſteuerkataſter als Ortsgemeindewege bezeichnet ſind.
Az 8B. Art. 83
20) Vgl. v. Seydel a. a O. S. 302; Kahr, Gemeinde—
ordnung 1 S 365 ff.
25) Nach Art. 33 der GemO iſt es zwar grundſätzlich
Sache der Gemeinde, die Gemeindewege zu unterhalten;
doch werden durch dieſe Vorſchrift die Verpflichtungen
Dritter zur Unterhaltung und Beſtreitung des erfſorder—
lichen Koſtenaufwandes nicht berührt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
Dieſe Bezeichnung findet ſich häufig dann, wenn
eine Gemeinde aus mehreren Ortſchaften mit ſelb⸗
ſtändigen Fluren beſteht; hier muß ſelbſtverſtändlich
eine Auseinanderſetzung zwiſchen der politiſchen
Gemeinde und ihren als ſelbſtändige Ortsgemeinden
auftretenden Gliedern erfolgen; dabei iſt vor allem
feſtzuſtellen, ob die Ortsgemeinde überhaupt ein
vom Vermögen der politiſchen Gemeinde abge⸗
ſondertes Vermögen beſitzt.“) Nur in dieſem
Falle und inſoweit kommt ihr Rechtsfähigkeit zu.
Im übrigen hängt die Beantwortung der Frage,
wer als Eigentümer der Ortsgemeindewege anzu⸗
ſehen iſt, meiſt von der Beantwortung der Vor⸗
frage ab, wer die Wege unterhält, die politiſche
Gemeinde oder die Ortsgemeinde. Vom recht⸗
lichen Standpunkt aus iſt die Unterhaltungspflicht
für die Entſcheidung der Eigentumsfrage natürlich
nicht beſtimmend, allein tatſächlich wird ihr von
den Beteiligten eine ausſchlaggebende Bedeutung
beigemeſſen. Liegen andere für die Löſung der
Eigentumsfrage geeignete Umſtände nicht vor, ſo
wird nichts anderes übrig bleiben als die auf die
Unterhaltungspflicht gegründete Vereinbarung der
Beteiligten der Entſcheidung zugrunde zu legen.
(Jortſetzung folgt).
Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungs⸗
verfahrens.
Von Rechtsanwalt Dr. Hugs Cahn in Nürnberg.
Durch die Preſſe geht ſoeben die Mitteilung,
daß in Handels- und Gewerbekreiſen lebhaſte Klagen
darüber beſtünden, daß die Ableiſtung des Offen⸗
barungseides häufig kein verläſſiges Bild der Ver⸗
mögenslage des Schuldners liefere. Es ſei erfor⸗
derlich, den Inhalt des Offenbarungseides nach
Maßgabe der beſonderen Verhältniſſe des Einzel⸗
falles feſtzuſetzen. Auch Vermögensgeſchäfte, welche
einige Zeit vor der drohenden Eidesleiſtung voll⸗
zogen würden, könnten dann klar geſtellt werden.
Die Normen der Zivilprozeßordnung ſeien jeden⸗
falls zum Schutz des Gläubigers nicht ausreichend.
Die Frage hat bereits verſchiedene Handelsver⸗
tretungen beſchäftigt (den Handelsvorſtand Nürn⸗
berg am 4. Januar und die Handelskammer
München am 13. Januar). Sie ſoll Veranlaſſung
zu Anträgen an die geſetzgebenden Körperſchaften
geben.
|
|
hier
59
ſoll.) Die Gefahr der falſchen Eidesleiſtung iſt
beſonders groß.“)
Um ſich die letzten Stücke von Hab und Gut
zu erhalten, zieht man Hinz und Kunz zu Rate.
Zweifelhafte Berater, zufällige und erſt recht ge⸗
werbsmäßige, empfehlen Scheinmanipulationen.
Das iſt ja gerade das Feld der liebwerten Links⸗
anwälte. Der Bruder und der Vater, der Freund
und der Dienſtherr müſſen als Kontrahenten
herhalten. Den Kindern in der Wiege werden
Dinge verſchrieben, die ſie normaler Weiſe erſt
ein Vierteljahrhundert ſpäter benützen können.
So entſtehen Mobiliarüberlaſſungs⸗, Sicherungs-,
Pfand⸗ und Schwindelverträge. Jeder Zivilrichter
und Anwalt weiß ein Lied davon zu fingen. „Die
War wird verſchrieben“, wie man ſich in Nürn⸗
berg ſo ſchön ausdrückt.
Sorgſam war die Klage des Bevollmächtigten
des Gläubigers entworfen, mühevoll iſt der Streit
durch Rechts⸗ und Beweisklippen hindurchgeführt
worden. Fein ſäuberlich mit der Maſchine mundiert,
wandert das nun rechtskräftige Urteil von der
Anwaltskanzlei zur Gerichtsvollzieherei. Doch mit
des Geſchickes Mächten und dem Widerſpruchs⸗
kläger iſt kein Bund zu flechten. Wohl aber ein
Bund zwiſchen letzterem und dem fkrupelloſen
Schuldner.
Raſch iſt auf unſern Vollſtreckungstitel hin
gepfändet. Der Beamte der Gerichtsvollzieherei
hat allemal weniger Muße, wie der Privatgerichts⸗
vollzieher der guten, alten Zeit (der ſich eifrigſt
feinen ſtändigen Auftraggebern widmete) ). Noch
raſcher ſauſt der ominöſe Vertrag, deſſen friſch ge⸗
ſchriebenes Datum anſcheinend auf Monate oder
Jahre zurückweiſt, in das Bureau des Vertreters
des Gläubigers. „Gib frei oder ich klage“. Kaum
läßt man uns Zeit zur Beſinnung. Der aus⸗
wärtige Auftraggeber kann höchſtens dann noch
benachrichtigt werden, wenn wir dem liebenswür⸗
digen Schuldner ſofort eine Verlängerung des
Verſteigerungstermines gewähren. Meiſtens emp⸗
fehlen wir kein langes Federleſen an. Der Gläu⸗
biger richtet ja doch im größten Prozentſatz der
Fälle nichts aus. Die reichsgerichtlichen Ent⸗
ſcheidungen der letzten Jahre ſind ihm hinſichtlich
der fiduziariſchen Verträge nicht günſtig. Ich er—
innere bloß an die Ausführungen der Entſcheidungen
) Ueber „das Schmerzenskind Offenbarungseid“
Neumann⸗Breslau. Das Recht 1910, S. 412; Gold»
mann⸗Leipzig, ebenda, 1910, S. 559.
2) Charakteriſtiſch ift, wie häufig ſich der Straf»
, e 5 e richter gerade mit dieſem Eid zu beſchäftigen hat. Der
heikelſte Eid derjenige iſt, der ein Schlußglied in | V. Strafſenat des RS. z. B. hat am 15. März 1910
der Kette der Vollſtreckungsmaßnahmen bilden (V D 1260/09, Bayg3fR. 197), am 19. April 1910 (V D
3 5 6 | 57/10, Bay ZfR. 286) und am 13. Mai 1910 (VD 278/10,
Bay 3fR. 367) die Fahrläſſigkeit bei Verletzung des Offen
260) Art. 5 der Gem O., Henle⸗Dandl (ſ. Anm. 6) barungseides in Behandlung gehabt.
Jeder Praktiker weiß, daß ſo ziemlich der
S. 83 u. f., v. Seydel, Bayer. Staatsrecht Bd II S. 37
(Seydel verſteht unter Ortsgemeinden die politiſchen Ge—
meinden; die Ortsgemeinden bezeichnet er als Ortſchaften
auch dann, wenn ſie Vermögen beſitzen!.
3) Vgl. Freihandels-Korreſpondenz Nr. 4 vom
24. Oktober 1910 „Die Unzulänglichkeit des Offen-
barungseides“. Auch hier wird über die Mißerfolge
des modernen Gerichtsvollzieherdienſies geklagt.
60
vom 11. März 1904 (35., Bd. 57, S. 175 ff.),
vom 5. Dezember 1905 (3 S. Bd. 62, S. 126 ff.)
und vor allem an die den Verträgen mit der
Ehefrau über die Abtretung der Lohnforderungen
über die Wertgrenze des S 850 ZPO. günſtigen
reichsgerichtlichen Grundſätze.
Der gegenwärtige gewerblichen Kreiſen recht
befremdlich erſcheinende Rechtszuſtand gab und gibt,
wie ſchon erwähnt, Anlaß zu Beratungen der
maßgebenden Körperſchaſten. Vor einigen Tagen
iſt bekannt geworden, daß unter anderem die Ab:
ſicht beſtehe, die Verpflichtung zur gerichtlichen
Regiſtrierung der ſogenannten Sicherungsverträge
vorzuſchlagen.) In Handel uud Wandel iſt die
Empfindung rege, daß der Gläubiger durch ſolche
Rechtsgeſchäfte über's Ohr gehauen wird, ſelbſt
wenn man es dem Schuldner meiſt nicht nad:
weiſen kann.
Die Perſönlichkeiten, die als Parteien und
Zeugen im Widerſpruchsprozeſſe auftreten, haben
erfahrungsgemäß oft ein leichtes Gewiſſen. Dem
Schwager oder Sohn, dem Vereinsgenoſſen oder
Angeſtellten erweiſt man in manchen Kreiſen jeden
Gefallen, um ihm Schränke und Gerätſchaften zu
erhalten. Dazu kommt die moderne Rückſicht und
Nachſicht gegenüber dem wirtſchaftlich Schwachen
im Kampf mit dem Kapital. So zieht der Waren⸗
kläger und Darlehensgeber meiſt den Kürzeren.
Führt er den Streit mit dem Hintermann des
Schuldners, jo iſt Schein und Gläubigerbenach—
teiligung, wie geſagt, ſchwer nachzuweiſen. Alſo
kommt meiſt ein zweiter Verluſt zum erſten. Der
Kaufmann bekommt ſein Geld nicht und hat außer:
dem die Koſten des verlorenen Widerſpruchspro⸗
zeſſes zu tragen. Das kann er nicht begreiſen. Ver⸗
ärgerte Briefe gehen an den Rechtsanwalt, der
gegen die Zeugenſchwüre nichts ausrichten und
den Eid des Schuldners nicht verhindern konnte.
Das ultimum remedium: dem Anwalt Grob—
heiten machen, läßt der Klient ſelten unverſucht.
Iſt's doch ein Ventil, ein Luftmachen für den
Aerger über den Mißerfolg.
So mag es kommen, daß gerade wir Anwälte
beſonders oft und tief über die Vollſtreckungen
und ihre Schickſale nachdenken. Sind wir meiſt
die Sündenböcke, wenn die Vollſtreckung mißlingt,
ſo liegt es nahe, daß wir mit der guten lex lata,
wie oft in anderen prozeſſualen Dingen, nicht recht
zufrieden ſind. Wir machen es eben ſchließlich,
wie die Parteien: unſer Sündenbock iſt die Prozeß—
ordnung, dieſelbe Prozeßordnung, welche dem
Schuldner als Notbedarf der heutigen SS 811
und 812 beinahe mehr beläßt, wie dem Gläubiger,
dieſelbe Prozeßordnung, welche die alte Offen—
) Der Gläubigerſchutzverband wandte ſich an die
Handelskammern und ſchlug Beſtimmungen vor, die
ſpeziell den Minderkaufmann treffen ſollen, weil die
Mißſtände vorzugsweiſe in dieſen Kreiſen vorkommen
ſollen. Der Referent der Münchener Handelskammer
hält es wenigſtens für notwendig, die Minderkaufleute
zur Führung von Geſchäftsbüchern zu verpflichten.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 11. Nr. 3.
barungseidsformel nicht ſchaͤrfte, Sondern milderte,
indem ſie dem lieben Schuldner die prächtige Not⸗
brücke ſchuf mit den Worten: „ſo vollſtändig an⸗
gegeben, als ich dazu imſtande bin.“
Wozu iſt ein manifeſtierender Schuldner „im⸗
ftande"? Ich möchte einen Engquetebogen der
amtierenden Richter und Anwälte ausgefüllt ſehen,
am Kopfe dieſe Frage! Er iſt zu nichts, er
iſt zu allem imſtande. Das wäre vielleicht
eine kurze, aber nicht unrichtige Beantwortung.
Welche Rolle ſpielen die güterrechtlichen Fragen!
Wie verwickelt kann die Sach- und Rechtslage des
nach geſetzlichem Güͤterſtande lebenden Manifeſtie⸗
renden ſein! Wie verwickelt iſt die Auskunfts⸗
pflicht der kleinen Leute, die mit Angehörigen die
Wohnungen teilen! Welchen Wirrwarr bringen
die Abzahlungs-, Eigentumsvorbehalts- und Möbel:
leihverhältniſſe, zumal wenn mehrere Verträge
desſelben Schuldners mit Abzahlungsgeſchäften
vorliegen!
An der Gerichtstafel prangen 60 oder 70 Fälle.
Sie alle eingehend behandeln, hieße Tag und Nacht
auf das ſchöne, ohnedies meiſt gräßlich langweilige
Thema verwenden. Dazu gibt ſich der wackerſte
Richter nicht her. D'rum hoch die Hand! „Ich
ſchwöre, daß ich nach beſtem Wiſſen mein Ver—
mögen ſo vollſtändig angegeben habe, als ich dazu
imſtande bin.“
Und die Kautelen? Die Beſſerungsvorſchläge?
Die Handelskammern gehn damit um — ſo heißt
es — den Inhalt des Offenbarungseids nach Maß—
gabe der beſonderen Verhältniſſe des Einzelfalls
feſtzuſetzen.) Haben die gewerblichen Kreiſe hier
eine reichlichere Frageſtellung für verdächtige Fälle
oder für verwickeltere Tatumſtände im Auge, ſo
kann z. B. in der Weiſe geholfen werden, daß
der betreibende Anwalt oder Gläubiger ſelbſt ein
Formular anwendet, das etwas kaſuiſtiſcher iſt, als
das übliche. In meinem Formular heißt es ſchon
ſeit Jahren: „Ich fordere den Schuldner auf, in
dieſem Termin ein vollſtändiges Verzeichnis ſeines
Vermögensſtandes beizubringen und im Betreffe
der hiezu gehörigen ausſtändigen Forderungen die
Zeit der Entſtehung, den Grund und die Beweis—
mittel, auch die genaue Bezeichnung des Aufent—
haltes und der Wohnung ſeiner Schuldner beizu—
fügen. Schuldner hat anzugeben, ob er Anſprüche
gegen Dritte (3. B. Verſicherungsgeſellſchaften)
aus irgend welchem Rechtsgrun de geltend zu machen
hat, ob er Eigentümer oder Hypothekengläubiger
eines Anweſens iſt, ob er nicht etwa Ber:
8) Die Aelteſten der Kaufmannſchaft von Berlin
richteten bereits an das Reichsjuſtizamt den Antrag, das
Offenbarungseidesverfahren in verſchiedenen Punkten zu
ändern. Der Koſtenvorſchuß des Gläubigers ſoll auf
eine Woche herabgeſetzt werden. Der Schuldner darf ſich
nicht jederzeit vorführen laſſen, er ſoll nur nahen Termin
beantragen dürfen, jo daß der Gläubiger on jein,
Fragen und Vorhalte ſich erlauben kann. Zum Offen—
barungstermin darf ein Vollſtreckungsbeamter zugezogen
werden, um, wenn möglich, unverzüglich pfänden zu können.
*
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
mögensſtücke verheimlicht, bei Seite ge:
ſchafft, Forderungen oder andere Ber:
mögensſtücke zum Scheine übertragen,
oder in der Abſicht, Gläubiger zu be—
nachteiligen, Vermögensgegenſtände
irgend welcher Art veräußert oder ob
er in Wahrheit nicht exiſtierende An⸗
ſprüche Dritter vorgeſchützt hat.“
Ein ſolches Formular erinnerte den Schuldner
vor dem 1. April 1910 an ſeine einzelnen Pflichten
im Offenbarungseidestermin und bei der Her⸗
ſtellung des ihn vorbereitenden Vermögensverzeich⸗
niſſes. Jetzt freilich werden die anwaltſchaftlichen
Formulare dem Schuldner nicht mehr zugeſtellt.
Er wird kurz und bündig geladen. Das Anwalts⸗
formular könnte daher höchſtens dem Richter die
Fragearbeit erleichtern. Der Schuldner erhält
dagegen beim hieſigen Amtsgerichte im Termine
das Formular eines Vermögensverzeichniſſes mit
aͤhnlichen Fragen und Rubriken. Letztere lauten:
A. Vorbemerkungen: I. Verpflichtung zur Ab⸗
leiſtung des Offenbarungseides (Belehrung über
die Normen des ZPO.). II. Strafbeſtimmungen.
— B. Herſtellung des Vermögensverzeichniſſes:
I. Das unbewegliche Vermögen. II. Mobilien.
III. Bargelder und Wertpapiere. IV. Ausſtehende
Forderungen. V. Sonſtige bisher nicht genannte
Vermögensſtücke und Anſprüche.
Unter II heißt es u. a.:: „Anzuführen find
auch Gegenſtände, die als unentbehrlich zu er⸗
achten, die gepfändet, aber noch nicht verſteigert
ſind, die verſetzt oder ſonſt in fremdem Gewahr⸗
ſame ſind, endlich die auf Abzahlung erworben
find. Bei Gegenſtänden, die nicht mehr in der
Wohnung des Schuldners ſind, iſt anzugeben, wo
ſie ſich befinden, bei verſetzten Sachen, wo die
Pfandzettel find, bei Sachen auf Abzahlung,
wie viel noch Rückſtand beſteht.“
Unter III heißt es: (Obligationen, Aktien,
Loſe und dgl.) Anzugeben ſind auch ſolche, die
deponiert oder verſetzt ſind oder als Kaution dienen.“
Die ausſtehenden Forderungen (IV) ſind, wie
folgt erläutert: „(auch die vorausſichtlich unein⸗
bringlichen, die unpfändbaren, die gepfändeten oder
die verpfändeten), insbeſondere Darlehen, Wechſel⸗
forderungen, Geſchäftsaußenſtände, Renten: und
Nutzungsrechte, Penſionen, Gehaltsbezüge und
Löhne, Anſprüche aus Lebensverſicherungs⸗ und
anderen Verſicherungsverträgen, Anſprüche aus
Erbfällen, Vermächtniſſen und Auflagen, ausge⸗
machtes Vermögen, Mietzins und Pachtzins, (auch
für Schlafſtellen, möblierte Zimmer uſw.). In
allen Fällen ſind Name, Stand, Wohnort und
Wohnung des Schuldners, der Grund der Forderung,
ſowie die Beweismittel für die Forderung, (Schuld⸗
ſchein uſw.) anzugeben.“
Unter V heißt es: („z. B. Urheberrechte,
Patente, Verlagsrechte, Anteile an Handels⸗ und
ſonſtigen Geſellſchaften, an Vereinsvermögen uſw.).“
Damit iſt immerhin etwas gedient. Der
61
leichtſinnige, zerfahrene Schuldner wenigſtens hat
Gelegenheit zum Nachdenken. Die große Bedeutung
des Offenbarungseides wird ihm richtig und recht⸗
zeitig klar gemacht. Er weiß nun berlälfiger,
was man juriſtiſch unter Vermögen verſteht und
daß auch die in den Fragen gekennzeichneten Werte
zu dieſem zaͤhlen.
Der gewiſſenloſe Schuldner oder gar der bös⸗
willige und argliſtige ſchreckt freilich auch vor un⸗
genauer und ſogar poſitiv unrichtiger Beantwortung
eindringlicher Fragen nicht zurück. Was hilft
gegen ſein Gebaren, was gegen dieſes Handel
und Wandel gefährliche Syſtem des hartnäckigen
und zum Falſcheid neigenden Manifeſtanten? Es
ließe ſich ein Beweisverfahren einführen, das vor
dem Offenbarungseid des Manifeſtierenden einzu⸗
ſchalten wäre, ein Offenbarungsverfahren mit
Zeugen, Sachverſtändigen, Urkunden, Augenſchein,
kurz allen den primären Beweismitteln, m. a. W.
ein Verfahren, das nicht auf dem Eid des Schuldners
allein aufgebaut wäre.
Ein ſolches Verfahren vor oder anſtatt dem
Eide des Schuldners anzuordnen, müßte zwar
zunächſt dem Ermeſſen des Gerichts anheim ge⸗
ſtellt werden, gegen die Verſagung aber müßte
das Rechtsmittel der Beſchwerde zuläſſig ſein und
die zugrunde liegende Entſcheidung müßte unter
gewiſſen Umſtänden mit Gründen verſehen ſein.
Wie ganz anders ſähe es dann mit den Ausſichten
des Gläubigers, wie ganz anders mit den einen
Falſcheid weit leichter hintanhaltenden Pflichten
des Schuldners aus! Die ſummariſche und ſomit
oft wertloſe Prüfung güter⸗, erb-, vereind-, grund⸗
buch⸗ rechtlicher Fragen“) fiele weg. Der Schuldner
und ſein Anhang würden weit mehr vor einem
geordneten Offenbarungsrechtsweg wie vor einem
in Minuten ſich abſpielenden Eidesmoment zurück⸗
ſchrecken.
Ferner müßte es dem Gerichte möglich ſein,
einen Schuldner nicht zum Eide zuzulaſſen, wenn
der Verdacht von Schiebungen, betrügeriſchen
Handlungen, von Konſpirationen mit Dritten und
der Verheimlichung von Vermögenswerten vorliegt.
Auch in dieſem Falle müßte das Rechtsmittel der
Beſchwerde zuläſſig und die zugrunde liegende
Entſcheidung unter gewiſſen Umſtänden mit Gründen
verſehen ſein.
Würde dieſe Schutzmaßregel angewendet, ſo
müßte auch dem in der Vollſtreckung gehemmten
Gläubiger durch das Vollſtreckungsgericht eine
Fortſetzung des Verfahrens ermöglicht werden.
Hier iſt die Frage zu erörtern, wie es zur Zeit
und wie es künftig — bei Ummodelung des Eides —
mit der Pflicht des Schuldners ſteht, im Rahmen
e) Vgl. z. B. die bei Mugdan⸗Falkmann Bd 10,
378, Bd. 11, 190; JW. 1909, 321“; Warneyer, RGRſpr.
1909, 433; RG3. Bd. 24, 74; RG. IV. 35. vom
7. April 1909, IV. 390/08, Bay ZR. 1909, S. 355,
Nr. 18; Warneyer, ZPO. Not. 12, 13, 17— 22 er⸗
wähnten Fälle.
62 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
des Verfahrens des § 807 Rechenſchaft über die
bekannten zweifelhaften Verträge zu geben. Gaupp
führte zu 8 807 früher aus: „Die Verneinung
fraudulöſer Veräußerung iſt nicht aufgenommen,
damit der Schuldner nicht durch letztere gezwungen
wird, eine ſtrafbare Handlung zu bekennen (StGB.
8 288).“ Heute ſchreibt Gaupp Stein: „Eine
Angabe über veräußerte Gegenſtände, die der
Gläubiger durch Anfechtung erlangen möchte, wird
nicht verlangt.“
Ich kann mich weder de lege lata, noch de lege
ferenda, mit dieſer Ausführung befreunden. Denn
einerſeits iſt es offenſichtlich ſchon jetzt ratio legis,
daß in poſitiver und negativer Hinſicht der
Schuldner dem Gläubiger reinen Wein einſchenken
ſoll. Die Verheimlichung eines Schwindelvertrags
würde daher ſchon jetzt eine Eidesverletzung be—
deuten. Anderſeits beſteht unter allen Umſtänden
ein dringendes, praktiſches Bedürfnis, durch das
Verfahren vollſte Aufklärung über die heimlichen
Verſchleppungen und Schiebungen zu erhalten, ſo
daß mindeſtens bei Neugeſtaltung des Stoffes die
Pflicht der Enthüllung der Vermögensverheim—
lichung zweiſelsfrei zu regeln“) ſein wird. Die
Verweigerung des Eides bei Selbſtbeſchuldigung
iſt um ſo leichter zu regeln, wenn der künftige
Offenbarungseid nicht mehr allgemein geformt iſt.
Es müßte nämlich — und das iſt meine
3. Theſe — Eid oder Eidesfrage oder Eidesformel
elaſtiſcher ſein. Zur Verhütung der unzähligen
— ſagen wir wohlwollend — Ungenauigkeiten
des Offenbarungseides müßte das konkrete Rechts⸗
geſchäft in die Formel aufgenommen werden können.
Die Eidesauflage des 8 481 n. F., über welche
neuerlich Len = Königsberg in der DIZ. vom
1. Auguſt 1910. S. 880 ſich ausgelaſſen hat, müßte
die Geſchmeidigkeit der Offenbarungseidesnorm in
spe ermöglichen. Etwa derart: Der Richter: Sie
ſchwören, daß der Vertrag zwiſchen Eduard Müller
und Ihnen vom 7. Oktober 1910 ernſt gemeint war?
Der Schuldner: Ich ſchwöre es, ſowahr mir Gott helfe!
Ganz gewiß aber müßte die die ſchlimmſten
Unregelmäßigkeiten ermöglichende neue Faſſung des
§ 807 3 PO. (und analog wohl ebenfalls des
$ 260 BGB.“): „als er dazu imſtande ſei“ be
ſeitigt werden. (Schluß folgt).
) Die Aelteſten der Kaufmannſchaft von Berlin
verlangen in ihrer Eingabe an das Reichsjuſtizamt,
daß die Pflicht des Schuldners, ein Verzeichnis ſeines
Vermögens vorzulegen und zu beſchwören, darauf erſtreckt
werde, daß er auch Angaben über ſolche Gegenſtände zu
machen habe, deren Veräußerung der Gläubiger nach dem
Anfechiungsgeſetze anzufechten in der Lage ſein würde.
Vgl. Bericht der Sitzung des Handelsvorſtands Nürn—
berg vom 4. Januar 1911.
Artikel der Freihandelskorreſpondenz Nr. 4 vom 24. Okto⸗
ber 1910 hinaus.
) Welchen ich bei dieſer Betrachtung abſichtlich nicht
näher behandeln will, weil zunächſt nur das zivil⸗
a Offenbarungsverfahren beleuchtet werden
DU.
(Der Kommentar beruft ſich auf
L. G. Mainz, Heſſͤſpr. 2, 25 [Recht 5, 412.)
Auf das nämliche will der
das Abzugsrecht der Gewerbetreibenden
nach Art. 11 und 12 des Einkommen⸗
ſteuergeſetzes vom 14. Augnſt 1910.
Von Rechtsanwalt Dr. Weil in Ludwigshafen a. Rh.
(Schluß).
Die Abzugsfähigkeit der an Familienan⸗
gehörigen gezahlten Löhne und Gehälter
regelt Art. 12 III Nr. 4. Soweit Gehalt und Lohn
nicht ausbezahlt, ſondern nur in Rechnung ge⸗
ſtellt werden, iſt fraglich, ob ein Abzug berechtigt
iſt. Zu Eingang dieſer Abhandlung wurde ge⸗
ſagt, daß Paſſivpoſten keine Aufwendungen im
Sinn des Art. 11 I find. Von einer Aufwen⸗
dung kann man nur ſprechen, wenn das Ver⸗
mögen tatſächlich verringert wird. Das geſchieht
aber im allgemeinen nicht durch eine bloße Buchung.
Nun iſt in unſerm Fall das entſcheidende, ob es
eine wiederkehrende Leiſtung iſt, wenn der Geſchäfts⸗
inhaber ſeinem wirtſchaftlich ſelbſtändigen Sohn
einen Gehalt bloß gutſchreibt. Das iſt zu verneinen.
Die Gutſchrift begründet nur eine Forderung. Erſt
die Erfüllung dieſer Forderung durch den Geſchaͤfts⸗
inhaber iſt eine Leiſtung. Wie ſteht es mit der
Abzugsfähigkeit, wenn dem Sohn ſein Guthaben
ſpäter ausbezahlt, der betreffende Paſſivpoſten alſo
wirklich berichtigt wird? Dann iſt dieſer Vorgang
auf Grund des Art. 12 III Nr. 4 jedenfalls nicht
abziehbar, da es ſich hier um keine wiederkehrende,
ſondern um eine einmalige Leiſtung handelt. Wohl
aber beſteht ein Abzugsrecht nach Abſ. I Nr. 8,
da es fi hier um die auf einmal erfolgte Aus⸗
zahlung eines Gehalts handelt. Jedoch entſteht
folgender Zweifel. Gilt hier, wo es ſich um keine
wiederkehrende Leiſtung handelt, auch die Ein:
ſchränkung des Abſ. III Nr. 4, daß der an Familien⸗
mitglieder bezahlte Gehalt nur abziehbar iſt, wenn
er auf beſonderem Verpflichtungsgrund beruht und
der Empfänger wirtſchaftlich jelbitändig iſt? Der
Wortlaut des Geſetzes ſteht der Bejahung entgegen.
Trotzdem dürfte es zutreffend ſein, die Frage zu
bejahen. Der Wortlaut des Geſetzes darf nicht
verführen; denn es wird unſern Fall wohl kaum
im Auge gehabt haben. Die einmalige Zahlung
ſtellt die kapitaliſierten wiederkehrenden Leiſtungen
dar. Es iſt auch kein wirtſchaftlicher Grund ein—
zuſehen, hier eine Verſchiedenheit zu machen.
Allerdings kommt es bei der Kapitalzahlung nicht
darauf an, ob im Zeitpunkt der Kapitalzahlung
der Empfänger wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt, ſondern
maßgebend iſt, ob während des Zeitpunkts, für
welchen dem Empfänger ſein Gehalt in Form
eines Kapitals jetzt ausbezahlt wird, der Familien—
angehörige wirtſchaftlich ſelbſtändig war. Wann
jemand wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt, läßt ſich am
beſten an der Hand des einzelnen Falls entſcheiden.
Die Tochter, die tagsüber in auskömmlicher Stellung
ihren Beruf als Lehrerin verſieht, und abends ihren
Zeitſchrift für Rechtspflege
Eltern die Bücher führt, iſt wirtſchaftlich ſelbſtändig,
auch wenn ſie ſozial als Angeſtellte unſelbſtändig
iſt. Die Begründung zum Entwurf ſagt auf
S. 80/81: „Eine wirtſchaftliche Selbſtändigkeit
wird in der Regel erſt dann anzunehmen ſein,
wenn nach Alter, Lebensſtellung und nach den
Einkünften eines Familienangehörigen eine gewiſſe
Abhängigkeit für ihn begründet iſt. Art. 12 III
Nr. 4 ſetzt dazu noch voraus, daß die Tätigkeit
auf einem beſonderen Verpflichtungsgrund, einer
vertraglichen Abmachung beruht. Ein Kind darf
nicht deshalb tätig ſein, weil es nach 81617 BGB.
ſeine Kindespflicht iſt. Wenn es aber mit ſeinem
Vater eigens eine Vergütung ausgemacht hat,
ſo iſt dieſe als eine Schenkung zu betrachten.
(Staudinger, Kommentar zum BGB., 5. und
6. Aufl., zu 8 1617, Anm. 6). Dieſes Schenkungs⸗
verſprechen iſt dann ein beſonderer Verpflichtungs⸗
grund im Sinn des Art. 12 III Nr. 4. Er iſt
aber erſt dann anzuerkennen, wenn das Kind
tatſächlich ſeinen Gehalt vom Vater erhalten hat.
Denn das Schenkungsverſprechen muß nach $ 518
BGB. richterlich oder notariell beurkundet werden.
Der Mangel dieſer Form gilt erſt dann als ge⸗
heilt, wenn die Schenkung vollzogen, die Leiſtung
bewirkt iſt. Es iſt aber vorauszuſetzen, daß der
Empfänger wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt. Im Ver⸗
hältnis von Mann und Frau gilt dasſelbe.
beachten iſt hier 8. 1356 II BGB., wonach die
Frau zu Arbeiten im Hausweſen und im Geſchäft
des Mannes verpflichtet iſt, ſoweit eine 1
Tätigkeit nach den Verhältniſſen, in denen die
Ehegatten leben, üblich iſt. Inſoweit kann alſo
von einem beſonderen Verpflichtungsgrund im
Sinn des Art. 12 III Nr. 4 nicht geſprochen
werden. Wenn aber trotzdem der Mann ſeiner
Frau eine Vergütung zuſagt und ſie ihr gibt,
darf er ſie nach dem vorhin Ausgeführten ab⸗
ziehen, falls nach den tatſächlichen Verhältniſſen
die Frau wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt. Iſt aber
die Vergütung nur zugeſagt, aber noch nicht be⸗
zahlt, ſo darf ſie nicht veranſchlagt werden. Denn
der Mann iſt, weil ein Schenkungsverſprechen vor⸗
liegt. zur Leiſtung, wie ſchon dargelegt, erſt ver:
pflichtet, wenn das Verſprechen notariell beurkundet
it. Ob eine Frau wirtſchaftlich ſelbſtändig iſt,
iſt wie beim Kind nach Lage des einzelnen Falles
zu entſcheiden. Es kommt nicht darauf an, ob
die Frau tatſächlich eine vom Mann getrennte
Wirtſchaft führt. Das iſt ein Ausnahmefall.
Maßgebend iſt vielmehr, ob die Frau von ihrem
eigenen Geld, ihren eigenen Einnahmen lebt oder
auf ihren Mann angewieſen iſt. Eine Frau, die
ihrem Mann ſoviel Geld in die Ehe eingebracht
hat, daß ſie allein von den Zinſen leben könnte,
iſt nicht ſelbſtändig, da dem Mann der Zinsgenuß
gehört, falls durch Ehevertrag nichts anderes be—
ſtimmt iſt. Darf aber die Frau vollſtändig frei
über ihr Geld verfügen — was bei der Güter—
trennung der Fall iſt — und lebt ſie auch tat—
in Bayern. 1911. Nr. 3. 63
ſächlich von ihrem Geld, ſo iſt ſie wirtſchaftlich
ſelbſtändig. Gegen dieſe Anſicht kann Art. 9
nicht verwertet werden. Denn er will die Frage,
wann eine Selbſtändigkeit vorliegt, nicht entſcheiden.
Er bezieht ſich nur auf die Veranlagung.
Art. 12 J Nr. 8 geſtattet auch den Abzug von
Unterhaltsbeiträgen für Angeſtellte. Fallen
hierunter auch die vom Betriebsunternehmer, auf
grund des Haftpflichtgeſetzes oder der bürgerlich⸗
rechtlichen Haftpflicht zu zahlenden Unterhalts⸗
beiträge? Soweit ſie der Unternehmer ohne Rück⸗
ſicht darauf leiſten muß, ob er ſie verſchuldet hat,
wäre es unbillig, ihm einen Abzug verwehren zu
wollen. Man denke nur an die ſtrenge Haft⸗
pflicht im Haftpflichtgeſetz, die in der Regel ohne
Verſchulden des Unternehmers eintritt. Auch wenn
die Haftpflicht infolge eines Verſchuldens des Unter⸗
nehmers eingriff, wird er die Unterhaltsbeiträge
bei der Steuer abziehen dürfen. Es gilt wohl
ein allgemeiner Grundſatz des bürgerlichen Rechts,
daß ſich niemand auf ſeine unerlaubte Handlung
berufen darf. Auf das Steuerrecht dürfte er aber
nicht unbedingt anzuwenden ſein. Denn das Steuer⸗
recht geht auf ſolche Einzelheiten nicht ein. Das
wäre praktiſch auch ſehr ſchwer durchzuführen. Für
die Richtigkeit der hier vorgetragenen Anſicht
ſpricht auch, daß Abſ. III Nr. 1 freiwillige
Zu Leiſtungen, die nicht als Betriebsausgaben anzu⸗
ſehen ſind, für nicht abziehbar erklärt. Man kann
dann aus dem Gegenteil folgern, daß Leiſtungen,
zu denen der Unternehmer geſetzlich oder vertraglich
gehalten iſt, Betriebsausgaben ſind. |
Zu Art. 12 I Nr. 9 wäre das zu bemerken:
Viele Firmen geben alljährlich tauſende von Mark
für Geſchenke an Kunden aus. Das find ſtreng
genommen keine Betriebsverluſte nach Nr. 9. Vom
kaufmänniſchen Standpunkte aus werden ſie aber
als ſolche angeſehen. Das iſt für die Steuer
das entſcheidende. Es iſt genau dasfelbe Ver⸗
hältnis wie bei der Geſchäfts reklame, die ſelbſt⸗
verſtändlich auch zu den Betriebsausgaben zu
rechnen iſt. — Das Geſetz berückſichtigt die Be⸗
triebsverluſte derart, daß entweder der Zeitpunkt
des Betriebsverluſtes abzuwarten und dann der
ganze Verluſt in Rechnung geſtellt werden darf
oder ſchon vorher angemeſſene Rükklagen für wahr:
ſcheinliche Betriebsverluſte abgerechnet werden dürfen.
Das erſtere Verfahren dürfte vorzuziehen ſein.
Denn es hat den Vorzug der Sicherheit. Aber
es hat die Folge: Wird der Betriebsverluſt durch
eine Verſicherung gedeckt, ſo darf er nicht abge—
zogen werden. Denn hier iſt wirtſchaftlich kein
Verluſt entſtanden. Auch wurden ſchon die Ber:
ſicherungsprämien veranſchlagt. — Was unter
Betriebsverluſt zu verſtehen iſt, kann im einzelnen
Falle unſicher ſein. Das Wort Betriebsverluſt
widerſpricht dem Syſtem des Geſetzes. Denn nach
Art. 11 I ſollen doch nur Aufwendungen ab:
ziehbar ſein. Und Art. 12 I ſpricht an ſeinem
Anfang von Betriebsausgaben. Nun bedeutet
64
wohl jede Aufwendung oder jede Ausgabe, wenn
man von einer Gegenleiſtung abſieht, einen
Verluſt. Aber nicht jeder Verluſt iſt eine Aus⸗
gabe. Nr. 9 läßt alſo Poſten abziehen, denen
für die betreffende Steuerperiode keine Ausgabe
entſprechen muß. Bloße Rechnungspoſten, Paſſiv⸗
poſten werden abgezogen, obwohl doch nach Art. 111
eigentlich nur Aufwendungen berückſichtigt werden.
Wenn Betriebsausgaben nach der Beſtimmung
des Art. 11 Aufwendungen find, die zur Erwer⸗
bung, Sicherung und Erhaltung der Roheinkünfte
gemacht werden, ſo ſind Betriebsverluſte Einbußen
an Geld, die bei der Erwerbung, Sicherung und
Erhaltung der Roheinkünſte entſtehen.
dieſem Geſichtspunkt iſt der Verluſt von Inventar
und Waren ein Betriebsverluſt. Das gleiche
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
Unter
trifft zu. wenn ſich beim Verkauf einzelner Waren
deſſen Einkünfte im Sinn des Art. 11 I hat,
zwiſchen Ein- und Verkaufspreis herausſtellt, alſo
zu ungunſten des Geſchäftsinhabers ein Unterſchied
zu teuer eingekauft wurde. Auch uneinbringliche
Forderungen ſtellen einen Betriebsverluſt dar. Denn
die Geſchäftsforderung hat, um mit dem Geſetz
zu reden, die Erwerbung einer Roheinkunft zum
Zweck. Die Erwerbung von Forderungen aus
dem Verkauf von Waren iſt ein Hauptzweck des
Geſchäftsbetriebes. Führt die Erwerbung dadurch
zu Verluſt, daß der Geſchäftsinhaber ſeinerſeits
geleiſtet, der andere Teil aber nicht dagegen leiſtet,
ſo iſt das ein Verluſt, den die Erwerbung einer
Geſchäftsforderung, einer Roheinkunft, zur Folge
hat. Zweifellos iſt dies auch ein Vermögens—
verluſt. Man könnte vielleicht verſucht ſein, hier
die Abziehbarkeit auf Grund des Art. 12 III
Nr. 1 verneinen zu wollen. Das wäre aber un:
richtig. Denn dann kann überhaupt kein Abzug
auf Grund des Abſ. 1 Nr. 9 in Frage kommen.
Denn jeder Betriebsverluſt iſt ein Vermögens—
verluſt. Vermögen iſt der Inbegriff ſämtlicher
geldwerter Güter einer Perſon. Soweit ein Ver—
luſt Betriebsverluſt nach Abſ. 1 Nr. 9 iſt, iſt er
kein Vermögensverluſt nach Abſ. 3 Nr. 1. Denn
erſtere Beſtimmung iſt die Sonderbeſtimmung, die
lex specialis, welche nach einem allgemeinen
Rechtsgrundſatz die lex generalis ausſchließt.
Schadenserſatzforderungen, die gegen einen
Geſchäftsmann aus ſeinem Geſchäftsbetrieb geltend
gemacht werden, ſind nicht unter allen Umſtänden
Betriebsverluſte. Es kommt darauf an, ob das
Handeln des Geſchäftsinhabers, auf welches hin
er mit einer Schadenserſatzforderung belangt wird,
bei Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung von
Einkünften geſchah. Es iſt nicht nötig, daß dieſes
Handeln gerade die Erwerbung uſw. von Roh:
einkünften bezweckte. Es genügt, wenn es damit
in Zuſammenhang ſteht. Ein aus vertrags—
widriger Warenlieferung abgeleiteter Schadenerſatz—
anſpruch, oder die infolgedeſſen zu zahlende Ent:
ſchädigung, iſt zweifellos ein Betriebsverluſt. Das
gleiche gilt, wenn der Grund zu einer Ent—
I
|
1
ſchädigung in einem Verkauf unter Uebertretung
eines einem Andern zuſtehenden Konkurrenzverbotes,
eines Patentes liegt. Wird einem Unternehmer
ein Patent aberkannt oder erliſcht es auf andere
Weiſe, ſo liegt ein Betriebsverluſt, kein Vermögens⸗
verluſt nach Abſ. III Nr. 1 vor. Denn dieſer
Verluſt tritt bei Erhaltung oder Erwerbung der
aus einem Patent zu erzielenden Einkünfte ein.
Das gleiche gilt auch beim Ablauf des einem Ver—
faſſer zuſtehenden Urheberrechtes. Verliert jemand
ſein aus ſeinen Geſchäftseinkünften ſtammendes
angelegtes Geld, ſo iſt auch hier wie in allen
übrigen Fällen im weiteren Sinn ein Vermögens-,
im engeren Sinn ein Betriebsverluſt gegeben.
Denn auch hier tritt der Verluſt bei Erhaltung
oder Sicherung der Einkünfte ein. Das gilt auch
ſoweit das Geld nicht aus einem Geſchäftsbetrieb
ſtammt. Auch wer nur Kapitaliſt iſt und infolge—
hat Betriebsausgaben, wenn er zur Erwerbung,
Sicherung oder Erhaltung dieſer Einkünfte Auf—
wendungen hat. In dieſem Fall werden die Auf—
wendungen nach Art. 11 J eben Betriebsausgaben
genannt, obwohl ein Betrieb nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch, ein Geſchäftsbetrieb, nicht da iſt.
So gut aber dieſe unter der erwähnten Voraus—
ſetzung dem Kapitaliſten erwachſenden Ausgaben
Betriebsausgaben genannt werden und im Sinne,
des Geſetzes auch ſolche ſind, ebenſogut ſind ſeine
Verluſte Betriebsverluſte, auch wenn ſie mit keinem
Geſchäftsbetrieb in Verbindung ſtehen. Soweit
ſeine Verluſte aber bei der von ihm bezweckten
Erhöhung ſeiner bereits beſtehenden Einkünfte
entſtehen, fallen ſie nicht unter Art. 11 J. Wenn
alſo in Art. 12 III Nr. 1 Vermögensverluſte als
nicht abziehbare Ausgaben bezeichnet werden, ſo
gilt das nur mit der Einſchränkung, daß dieſe
Vermögensverluſte weder Betriebsverluſte nach
Art. 11 I Nr. 9, noch überhaupt Betriebsaus—
gaben nach Art. 10 J ſein dürfen. Auf die Frage,
ob der in Art. 11 III Nr. 1 hinter dem Wort
„Leiſtungen“ ſtehende Satz: „Soweit ſie nicht als
Betriebsausgaben anzuſehen ſind“ ſich bloß auf
die dort genannten freiwilligen Leiſtungen oder
auch auf die vorher genannten Vermögensverluſte
bezieht, braucht hier nicht angegangen zu werden,
da dieſe Einſchränkung ſelbſtverſtändlich iſt. —
Ein Betriebsverluſt, wie überhaupt jede vom Geſetz
für abzugsfähig erklärte Ausgabe, darf ſolange
abgezogen werden, bis ſie durch die Aktivppoſten
ausgeglichen iſt. Das entſpricht der richtigen kauf—
männiſchen Buchführung. Nach Ablauf eines Ge—
ſchäftsjahres macht der Kaufmann eine Bilanz.
Wenn er mit Verluſt gearbeitet hat, überträgt er
den Verluſtpoſten auf das nächſte Jahr. Es
wäre Eulenſpiegelei, wenn bei der Beſteuerung
frühere noch nicht gedeckte Verluſte nicht berück—
ſichtigt werden dürſten. Das widerſpricht auch
dem Zweck des Einkommenſteuergeſetzes, das nur
das Reineinkommen beſteuern will. Art. 10 II
erklärt ausdrücklich für maßgebend die Vermögens-,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3. 65
Beſitz⸗ und Einkommenverhältniſſe am 1. Oktober ziehen, auf Grund deren die Eintragung erfolgt und
des dem Steuerjahr vorausgehenden Jahrs. Die | die durch die Eintragung Publizität erlangen. Das
Vermögensverhältniſſe ſind alſo maßgebend. Wenn
nun Paſſippoſten ſich aus abzugsfähigen Betriebs:
ausgaben früherer Jahre zuſammenſetzen, ſo ſind
ſie ſolange und inſoweit in Rechnung zu ſtellen,
als ſie nicht durch Aktivpoſten ausgeglichen find.
Wenn ein Geſchäftsmann in dem einen Jahr
mit 1000 M Verluſt, und im folgenden Jahre
— das Jahr für ſich allein betrachtet — mit
4000 M Gewinn gearbeitet hat, ſo wird er trotzdem
keinen Gewinn von 4000 M, ſondern bloß einen
Gewinn von 3000 M berechnen. Denn die 1000 M
Verluſt aus dem vorhergehenden Jahr wird kein
richtig rechnender Kaufmann vergeſſen. Damit
der Verluſt von 1000 M in feiner ganzen Höhe
berückſichtigt werden darf, wird aber vorausgeſetzt,
daß er ſich aus abzugsfähigen Poſten zuſammenſetzt.
Hiermit ſind die wichtigſten Abzugspoſten bei
der Beſteuerung der Gewerbetreibenden erörtert.
Nach dem Gewerbeſteuergeſetz ſind dann die in
Art. 8 und 9 aufgeführten Poſten zu berück⸗
ſichtigen, die aber weniger die Abzugsfähigkeit als
den Umfang des Betriebskapitals beſtimmen.
Ritteilungen aus der Praxis.
Die Haftung des Grundbuchbeamten für die Ge:
bühren von Grundbucheintragungen. Die Ausführungen
des Herrn Miniſterialrats Dr. Unzner in Nr. 1 dieſes
Jahrgangs ſtimmen mit dem Standpunkte, den ſeither
die Finanzbehörden durchgängig eingenommen haben,
inſofern nicht überein, als die Finanzbehörden davon
ausgegangen ſind, daß nach Art. 293 Geb. die Ein:
tragungen in das Grundbuch von der Entrichtung
ſowohl der Gebühren nach Art. 119 als auch der Be⸗
ſitzveränderungsgebühren abhängig zu machen find.
Bei der Bedeutung der Sache für die Finanzbehörden
möchte mir der Verſuch einer Rechtfertigung ihres
Standpunktes geſtattet ſein.
|
Gundbuchamt als ſtaatliche Behörde fol nicht einen
Akt vollziehen und den Beteiligten die wirtſchaftliche
Ausnützung vermitteln, wenn nicht die für den Akt
an die Staatskaſſe geſchuldeten Gebühren entrichtet
ſind. Die Gebühren des Art. 119 ſind allerdings
„bei der Eintragung“ zu erheben; der Art. 119 be⸗
zieht ſich aber auch auf Akte, die außerhalb Bayerns
errichtet werden und dieſe konnten nicht eher der Ge-
bührenpflicht unterworfen werden, bis ſie von einer
bayer. Behörde benützt werden. Sonſt knüpft das
GebG. die Gebührenpflicht ſchon an die Ver—
pflichtung zur Beſtellung einer Hypothek ꝛc. Für
die Praxis iſt gerade die Sicherung der Gebühren des
Art. 119 am wichtigſten, weil dieſe Geſchäfte am
häufigſten vorkommen. Es wäre unbefriedigend, wenn
Hypothekerrichtungen, -Uebertragungen und Vor⸗
merkungen vor dem Grundbuchamt oder auf Grund
von Urkunden außerbayeriſcher Notare ohne Zahlung
der Gebühren erreicht werden könnten, auf Grund von
Urkunden bayeriſcher Notare dagegen nicht. Es war
doch von Anfang an das Beſtreben der geſetzgebenden
Faktoren, den Rechtsverkehr vor dem Grundbuchamt
und vor dem Notariat namentlich hinſichtlich der Ge—
bührenpflicht gleichzuſtellen. Uebrigens ordnet die ge⸗
meinſchaftliche Bekanntmachung der Staatsminiſterien
der Juſtiz und der Finanzen vom 22. Februar 1905
(JMBl. S. 592) in Ziff. 2 Abſ. 4 ausdrücklich an,
daß die Eintragung ins Grundbuch nur nach Ent⸗
richtung der Gebübren des Art. 119 erfolgen darf.
Die Vormerkung des Anſpruchs auf Eigentumsüber⸗
tragung unterliegt an ſich überhaupt nicht einer ver—
hältnismäßigen Gebühr. Bei der Anſicht, daß die Be⸗
ſitzberänderungsgebühren nicht unter Art. 293 fallen,
wird darauf entſcheidendes Gewicht gelegt, ob die Ein⸗
tragungen zur Wirkſamkeit der Rechtsgeſchäfte er⸗
forderlich find. Dieſe Unterſcheidung macht das Geb.
nach feinem Wortlaut nicht. Das GebG. begreift unter
Eintragungen auch ſolche (Art. 116 ff. GebG.), die nur
der Berichtigung des Grundbuchs dienen. Nach dem
Zweck des Art. 293 wäre die Unterſcheidung nicht
verſtändlich. Zur Uebertragung einer Briefhypothek
iſt z. B. die Eintragung in das Grundbuch nicht er⸗
Der Art. 293 GebG. dient der Sicherung der
Staatsgebühren und hat dieſen Zweck mit Art. 292
gemein. Der Art. 292 verbietet den Notaren die Aus⸗
händigung und Vorlegung von Urſchriften und Aus:
fertigungen ihrer Urkunden bis zur Entrichtung der
Gebühren. Er bezieht ſich nicht etwa nur, wenn er
die Aushändigung von Ausfertigungen unterſagt, auf
die Gebühren für die Ausfertigungen ſondern auch
auf die Gebühren für die beurkundeten Rechtsgeſchäfte.
In der Praxis ſind damit hauptſächlich die Gebühren
für die obligatoriſchen Veräußerungsverträge von
Grundſtücken und die Auflaſſungen, Hypothekbeſtel—
lungen und -Uebertragungen uſw. geſichert. Der
Art. 293 will dieſe Sicherung für die als Ausnahmen
gedachten Fälle geben, in welchen Eintragungen nicht
auf Grund von Urkunden bayer. Notare erfolgen, und
zwar dadurch, daß er Eintragungen ohne Entrichtung
oder Sicherſtellung der Gebübren unterſagt. Nach
ſeinem Zuſammenhang und Zweck können damit nicht
zunächſt die Gebühren für die Eintragungen ſelbſt —
die kleinen Gebühren des Art. 116 GebG. — gemeint
ſein, vielmehr muß ſich der Art. auf die Gebühren
für diejenigen Rechtsakte und Rechtsvorgänge bes
|
|
|
Ä
forderlich. Sollte ſchon deswegen, weil die Eintragung
der Uebertragung der Briefhypothek in das Grundbuch
nur Grund buchberichtigung iſt, die Eintragung nicht
von der Zahlung der Gebühr der Art. 119 und 158 ab⸗
hängig ſein? Ebenſo erfolgt der Eigentumsübergang
im Zwangsverſteigerungsverfahren mit dem Zuſchlag.
Hier nimmt das Oberſte Landesgericht in ſeiner Ent—
ſcheidung vom 2. April 1909 (Bd. X n. F. S. 146) an,
daß die Eintragung des neuen Eigentümers in das
Grundbuch nur nach Entrichtung der Immobiliar—
gebühr erfolgen darf.) Es macht auch das Reichs⸗
ſtempelgeſetz in 8 85 Abſ. 3 die Eintragung des neuen
Eigentümers in das Grundbuch von der Abgabenent—
richtung abhängig. Dieſe dem Art. 293 GebG. ähn⸗
liche Beſtimmung wird in der Praxis dahin ausgelegt,
daß ſie ſich ſowohl auf Eintragungen bezieht, die
Rechtswirkungen erzeugen, wie auf ſolche, durch die nur
das Grundbuch berichtigt wird (vgl. Ricks, Amtsgerichts—
rat und Grundbuchrichter in Berlin in der Zeitſchr.
für deutſche Juſtizſekretäre Jahrgang 1910 S. 114)
und auch die gemeinſchaftliche Bekanntmachung der
) Vgl. auch dieſe Zeitſchrift, Jahrg. 1909 S. 233.
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
— —— ́—um—rũ—— — —————— ——
Staatsminiſterien der Juſtiz und der Finanzen vom
25. Oktober 1909 (JM Bl. S. 459) läßt in ihren Aus:
führungsbeſtimmungen zu 8 85 Abſ. 3 RStG. (vgl.
8 27) erſehen, daß ſie durch dieſe Geſetzesbeſtimmungen
alle Fälle für erfaßt hält, in welchen eine Reichs⸗
ſtempelabgabe zum Anfall kommen kann. In gleich⸗
mäßiger Anwendung wird der Art. 293 Geb. auch auf
die Beſitzberänderungsgebühr bezogen werden müſſen.
Finanzrechnungskommiſſär Weisbrod in München.
Nachſchrift des Herausgebers. Die Be⸗
denken, die Dr. Unzner gegen die herrſchende Meinung
vorgebracht bat, werden durch die vorſtehenden Aus⸗
führungen nicht zerſtreut. Da es ſich um eine ſehr zweifel⸗
hafte Rechtsfrage handelt, kann die Berufung auf die
Bek. vom 22. Februar 1905 für ſich allein nichts nützen,
ebenſowenig der Hinweis auf die angebliche Zweck—
mäßigkeit der von den Finanzbehörden vertretenen An⸗
ſicht. Entſcheidend dürfte die rein juriſtiſche Frage ſein,
wann die Gebühren des Art. 119 fällig werden. Was
Dr. Unzner hierüber vorgebracht hat, iſt nicht widerlegt.
Die Analogie des 885 Abſ.3 des RStemp. verſagt
jedenfalls inſoweit, als die Gebühren des Art. 119 in
Frage ſtehen. Denn abgeſehen davon, daß die in Tarif⸗
nummer 11 bezeichneten Gebühren nicht für eine
Eintragung geſchuldet werden, läßt er eine Befreiung
von der Sicherheitsleiſtung für den Fall zu, daß einem
Beteiligten aus der Ablehnung der Eintragung ein ſchwer
zu erſetzender Nachteil erwächſt. Nach dem RStemp®.
würde alſo ſchwerlich der Fall vorkommen können, daß
ein Beteiligter, der zum Schutze ſeiner Rechte einer
Vormerkung bedarf und deſſen Schutzbedürfnis durch
eine einſtweilige Verfügung anerkannt iſt, eine Ge⸗
bühr entrichten muß, bevor er die erforderliche Siche⸗
rung erlangt. Und gerade dieſer Fall hat ja zu den
Bedenken gegen die jetzige Praxis Anlaß gegeben.
Die Frage, ob auch die Beſitzveränderungsge⸗
bühren unter Art. 293 Geb. fallen, wird durch den
Wortlaut der Vorſchrift nicht entſchieden. Sie trifft
nicht alle Gebühren, die für eine Eintragung in das
Grundbuch geſchuldet werden: das erkennt auch die
herrſchende Meinung an, indem ſie zugibt, daß die
Gebühren des Art. 116 nicht darunter fallen. Nr. 2
der Bek. vom 22. Februar 1905 ſpricht ſich nicht darüber
aus, ob die Beſitzveränderungsgebühren vom Art. 293
umfaßt werden. Das Schweigen deutet darauf hin, daß
die Beſitzveränderungsgebühren ausgenommen fein
ſollen. Will man eine feſte Grenze gewinnen, ſo kann
man ſie eben nur ſo ziehen, wie es Dr. Unzner und
Henle Schmitt (Grundbuchweſen S. 32) tun, nämlich
den Art. 293 auf jene Eintragungen beſchränken, durch
die die gebuhrenpflichtige Rechtsänderung bewirkt
wird. Das Oberſte Landesgericht hat allerdings für
den Fall des Zuſchlags in der Zwangsverſteigerung
eine abweichende Meinung vertreten (Jahrg. 1909
dieſer Zeitſchrift S. 233. Es hat jedoch dabei nur
die Frage geprüft, inwieweit Art. 293 gegenüber dem
Reichsrechte zuläſſig iſt und ſich mit ſeiner Auslegung
im übrigen nicht näher befaßt. Gleichwohl dürfte die
Entſcheidung im Ergebniſſe zutreſſend fein, aber nur
deswegen, weil nach Art. 10 des GebG. das Ver:
ſteigerungsprotokoll im Falle des Zuſchlags „wie ein
Kaufvertrag“ zu bewerten, alſo gebührenrechtlich ſo
Se mu — — — — — . ...... —-—t ——ç —
— . ͤQĩ —a—
zu behandeln iſt, wie wenn die Rechtsänderung erſt
mit der Eintragung ins Grundbuch eintreten würde.
Dieſer beſondere Fall kann nicht zur Auslegung des
Art. 293 verwendet werden.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Sicherungs⸗Uebereignung. Anhaltspunkte für die
Annahme, daß eine ſolche Uebereignnng eruſtlich gemeint
iſt. Vereinbarung eines Nechtsverhältniſſes, durch das
der Erwerber den mittelbaren Beſitz erlangt. Aus
den Gründen: Mit Recht hat der Berufungsrichter
den Vertrag nicht aus dem Grunde für unwirkſam
erklärt, weil es ſich für die Klägerin um die Sicherung
von Forderungen handelte; den SS 1205, 1253 BGB.
iſt nicht die Bedeutung beizumeſſen, daß die Sicherung
einer Forderung durch bewegliche Sachen nur im Wege
der Verpfändung oo dürfte, auch iſt eine Eigen:
tumsübertragung nicht deshalb nichtig, weil der wirt⸗
ſchaftliche Zweck in der Sicherung von Forderungen
beſteht. Wie vielfach in Urteilen des Reichsgerichts
betont iſt, kommt es darauf an, ob der Eigentums⸗
übergang ernſtlich gewollt iſt und ob, wenn die Sachen
nicht übergeben werden, ein Rechtsverhältnis verein-
bart wird, vermöge deſſen der Erwerber den mittel-
baren Beſitz erlangt (58 929, 930, 868 BGB.; vgl.
RG. 49, 173; 54, 398; 57, 177; 61, 432, 433). Mit
dem Vertrage vom 30. März 1909 ſollte jedoch an⸗
geblich ein ganzes Warenlager übereignet werden.
Gegen die Abſicht einer ernſtlichen Eigentumsüber⸗
tragung mußte ſchon die Tatſache ſprechen, daß nicht
einmal Sorge getragen wurde, in der Vertragsurkunde
die einzelnen Sachen zu bezeichnen, die den Gegenſtand
des Rechtsgeſchäftes bilden ſollten. Wenn ſodann in
8 2 beſtimmt wurde, die Klägerin überlaſſe der Firma
P. die Objekte zur weiteren Inhabung, ſo konnte eine
ſolche Vereinbarung ein Rechtsverhältnis im Sinne
des 8 868 nicht begründen. Nach dieſer Abrede follte
die Handelsgeſellſchaft P. die dem Eigentümer zuſtehende
tatſächliche Gewalt über die Sachen ausüben; Ausfluß
eines zwiſchen der Klägerin und P. beſtehenden Rechts⸗
verhältniſſes aber war die tatſächliche Gewalt, die P.
ausüben ſollte, nicht. Auch die übrigen Vertragsbe—
ſtimmungen laſſen erkennen, daß dem angeblichen Ver—
äußerer die Befugniſſe eines Eigentümers weiterhin
zuſtehen ſollten, und daß die Begründung von Eigen»
tumsrechten des angeblichen Erwerbers nicht gewollt
war, wenn auch die Vertragſchließenden das Geſchäft,
mit dem ſie die rechtliche Wirkung einer Sicherung
von Forderungen herbeiführen wollten, Uebereignung
nannten. Die Handelsgeſellſchaft P. durfte über die
Sachen verfügen; die Gefahr der Verſchlechterung und
des Verluſtes traf fie, nicht die Klägerin; deren For⸗
derung blieb unberührt, mochten auch die Waren Zus
grunde gehen; die Verſicherung gegen Feuersgefahr
hatte auf Koſten des angeblichen Veräußerers zu ge—
ſchehen; der Erlös gehörte dem angeblichen Veräußerer,
wenn er auch in erſter Linie zur Tilgung der Anſprüche
des angeblichen Erwerbers verwendet werden ſollte;
kam die Handelsgeſellſchaft P. ihren Verpflichtungen
nicht nach, ſo ſollte der angebliche Eigentümer die Be⸗
rechtigung erlangen, zum Zwecke ſeiner Befriedigung
über die Sachen zu verfügen. Wenn unter dieſen Um-
ſtänden das Berufungsgericht angenommen hat, daß
die bei Eröffnung des Konkurſes vorhandenen Waren
nicht der Klägerin gehörten, ſo iſt dies rechtlich nicht
zu beanftanden.
Die Reviſion meint, der Vertrag weiſe auf ein
Kommiſſions- oder auf ein Auftragsverhältnis hin.
Daß kein Kommiſſionsverhältnis begründet wurde, hat
der Berufungsrichter zutreffend dargelegt. Die Handels-
geſellſchaft P. hatte auch nicht die Stellung eines Be—
auftragten; insbeſondere hatte ſie die Verſicherung auf
eigene Koſten zu nehmen. Keinen Erfolg kann ferner
die Rüge haben, es ſei der Beweisantrag, man habe
ein Kommiſſionsverhältnis begründen wollen, mit Un⸗
recht abgelehnt worden. Wie der Berufungsrichter
ausführt, war nicht etwa behauptet, daß die Vertrags⸗
urkunde die Vereinbarungen unvollſtändig oder un⸗
richtig wiedergebe, vielmehr war geltend gemacht, aus
5 3 des Vertrags ergebe ſich die Verabredung eines
Kommiſſionsverhältniſſes. Bei dieſer Sachlage war
der angebotene Beweis unerheblich. (Urt. des IV. 38.
vom 22. Oktober 1910, IV 188/10).
2093
— — gn.
II.
. Dem Hypothekglänbiger, der Schadenserſatz wegen
nicht rechtzeitiger . verlangt, kaun es als Mit:
verſchulden angerechnet werden, daß er den Schuldner
nicht auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens
aufmerkſam gemacht hat. Doch gilt das nicht, wenn
der Schuldner trotz einer ſolchen Mitteilung nicht recht:
zeitig hätte zahlen können. Aus den Gründen:
Dem Berufungsrichter iſt darin beizuſtimmen, daß ein
Verſchulden der Klägerin in der Unterlaſſung der
Mitteilung zu finden wäre, wenn die Klägerin zeitig
vor dem 1. Oktober ſie hätte machen können. Aller⸗
dings kann einem Hypothekengläubiger, deſſen Hypo⸗
thekenforderung an einem beſtimmten Tage fällig wird,
im allgemeinen nicht zugemutet werden, den Hypo⸗
thekenſchuldner im voraus darauf hinzuweiſen, daß
er bei nicht rechtzeitiger Zahlung Schadenserſatz zu
leiſten haben werde. Vielmehr darf der Gläubiger
bei ſeinen Maßnahmen mit Rückſicht auf die in Aus⸗
ficht ſtehende Bezahlung der Forderung regelmäßig
ſich von der Vorſtellung leiten laſſen, daß der Schuldner
ſeine Verbindlichkeit rechtzeitig erfüllen werde und,
falls dies nicht geſchehen ſollte, ihm nach dem Geſetze
ohne weiteres den entſtehenden Schaden erſetzen müſſe.
Wenn aber ein ungewöhnlich hoher Schaden droht,
den der Schuldner weder kennt noch kennen muß, und
der Gläubiger ſich die Erſetzung eines ſolchen Schadens
ſichern will, ſo erfordert es die im geſchäftlichen Ver⸗
kehr zu beobachtende Sorgfalt, daß der Gläubiger,
auch wenn gegen die Zahlungsfähigkeit und die Be⸗
reitwilligkeit des Schuldners keine Bedenken obwalten,
den Schuldner vor dem Fälligkeitstermin auf die Ge⸗
fahr des Schadens aufmerkſam macht, damit der
Schuldner alle Mittel in Bewegung ſetzt, um ſeine
Verbindlichkeit rechtzeitig zu erfüllen und dadurch den
Schaden zu verhüten. Hier iſt der Schaden, der durch
die verſpätete Zahlung der 40000 M entitanden fein
ſoll, ein ungewöhnlich hoher, den der Beklagte weder
kannte noch kennen mußte. Denn es war ungewöhn⸗
lich, daß der Klägerin die Gelegenheit gegeben war,
den bedeutenden Betrag von 40000 M im Falle recht⸗
zeitiger Zahlung auf ſichere Hypothek zu einem Zins⸗
ſatze von 7% 6 unterzubringen und dazu noch eine
Vergütung von 2000 M zu erlangen, und es war
nicht damit zu rechnen, daß der Klägerin infolge nicht
rechtzeitiger Zahlung eine ſo günſtige Kapitalanlage
entgehen würde. Deshalb mußte die Klägerin den
Beklagten ſchon vor dem 1. Oktober 1907, ſobald fie |
dazu in der Lage war, darauf aufmerkſam machen,
daß das Unterbleiben rechtzeitiger Zahlung den Schaden
für ſie zur Folge haben würde, und ſie ließ die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht, wenn ſie
dem Beklagten davon keine Mitteilung machte. Die
Reviſion meint zwar, die Klägerin ſei nicht verpflichtet
geweſen, den Beklagten über ihre eigenen Geſchäfte zu
unterrichten und ihn vor der Zögerung zu warnen.
Dies wäre aber auch nicht nötig geweſen. Vielmehr
hätte die Aeußerung genügt, daß die Klägerin Gelegen—
heit zu einer außergewöhnlich günſtigen Kapitalanlage
habe, jedoch nur bis zum 4. Oktober 1907 und daß
ſie vorſorglich nicht unterlaſſen wolle, darauf auf—
merkſam zu machen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
Jedoch erhellt aus den Gründen des Berufungs⸗
richters nicht, wann die Klägerin dem Beklagten die
67
Mitteilung machen konnte, und ob der Beklagte dann
die 40 000 M bis zum 4. Oktober 1907 hätte beſchaffen
können. In dem Schreiben an den Beklagten vom
6. Oktober 1907 ſpricht zwar die Klägerin von „lange
vorzeitigen Dispoſitionen“, durch die ihr der Erwerb
der anderen Hypothek gelungen ſei. Der Berufungs-
richter hat aber keine Feſtſtellung über den Zeitpunkt
getroffen, in dem der Klägerin der Erwerb der Hypo⸗
thek zugeſagt war. Hätte die Klägerin erſt kurz vor
dem 1. Oktober die Mitteilung machen können, ſo
würde vielleicht auch die Mitteilung nicht dazu ge⸗
führt haben, daß der Beklagte rechtzeitig zahlte. Aber
auch wenn die Möglichkeit der Mitteilung ſchon längere
Zeit vor dem 1. Oktober gegeben geweſen wäre, käme
in Frage, ob durch die rechtzeitige Mitteilung die
Zahlung bis zum 4. Oktober veranlaßt worden wäre.
Hätte der Beklagte auch bei ſofortiger Mitteilung nicht
rechtzeitig zahlen können, wäre alſo trotz der Mit⸗
teilung der Schaden entſtanden, ſo würde die Unter⸗
laſſung der Mitteilung auf die Entſtehung des Schadens
ohne Einfluß geweſen ſein. Es wäre dann für die
Anwendung des $ 254 Abſ. 2 Halbſatz 1 BGB. kein
Raum. Dieſe Vorſchrift enthält, wie ſich aus den
Einleitungsworten „dies gilt auch dann“ ergibt, nur
einen Anwendungsfall für den in Abſ. 1 ausgeſprochenen
allgemeinen Grundſatz über die Wirkung eigenen Ber:
ſchuldens des Beſchädigten. Deshalb iſt, wie nach
Abſ. 1, ſo auch für die Anwendung des Abſ. 2 Halb⸗
ſatz 1 Vorausſetzung, daß das Verſchulden des Be⸗
ſchädigten, die Unterlaſſung, bei der Entſtehung des
Schadens mitgewirkt hat. Dieſe Vorausſetzung würde
fehlen, wenn der Beklagte trotz der Mitteilung von
der Gefahr des ungewöhnlich hohen Schadens die
40 000 M ſich nicht rechtzeitig hätte beſchaffen können.
(Urt. des V. 35. vom 29. Oktober 1910, V 606/09).
2130 . I
III.
Ausſchließung der Schadenserſatzanſprüche wegen
fremden Verſchuldens durch ſtillſchweigenden Vertrag;
rechtfertigt der Umſtand, daß der Teilnehmer an einer
Kraftwagenfahrt Kenntnis von der Unzuverläſſigkeit des
Wagenführers hat, die Aunahme eines ſolchen Vertrags?
— Mitwirkendes Berfchulden des Teilnehmers. Aus
den Gründen: Das LG. iſt zur Abweiſung der
Klage gekommen, weil es, geſtützt auf RG. 65, 313
einen ſtillſchweigenden Vertrag der Parteien auf Aus⸗
ſchluß der Haftung des den Wagen führenden Be—
klagten annahm, wenigſtens bis zu grobem Verſehen,
das es nicht für gegeben erachtet. Tas OLG. lehnt
dieſe Auffaſſung ab und erklärt den Klageanſpruch dem
Grunde nach zu ¼ für gerechtfertigt. Die Entſcheidung
des RG. habe die Gefährdungshaftung des Tierhalters,
nicht eine Haftung wegen Verſchuldens im Sinne;
auf dieſe ſei die Entſcheidung nicht anzuwenden, wie
auch die Regelung der Haftung durch das Geſetz über
den Verkehr mit Kraftfahrzeugen jetzt ergebe.!“) Eine
Fahrläſſigkeit, und zwar eine grobe, liege aber
bei dem Beklagten vor. Doch treffe auch den Kläger
ſelbſt ein mitwirkendes Verſchulden. Zwar folge aus
der Kenntnis des Klägers von den früheren Automobil
unfällen des Beklagten und von feinen Fahrereigen—
ſchaften überhaupt weder eine Fahrläſſigkeit des Klägers
noch ein Verzicht auf etwaige Schadenerſatzanſprüche.
Ein Verſchulden ſtelle es aber dar, daß der Kläger,
wenigſtens zu Beginn der Fahrt, den Sporteifer des
Beklagten noch angefeuert und zu möglichſt ſchnellem
Fahren aufgefordert habe. Den Anteil des Klägers
ſchätzt das OVG. auf / des Schadens. Rechtsirrtümlich
wäre es, wenn das OXYG. grundſätzlich und
allgemein die Ausſchließung der Haftung aus un—
erlaubter Handlung durch Vertrag oder auch nur durch
1) Nach § 8 Z. 1 dieſes Geſetzes haben die in der obigen Ent—
ſcheidung erörterten Fragen auch für das jetzige Recht noch Bedeutung.
68
ſtillſchweigenden Vertrag auf die Fälle der Gefähr⸗
dungshaftung ohne Verſchulden des Haftpflichtigen
beſchränkt hätte. Dieſen Sinn haben aber die
Ausführungen des Urteils,
nahme eines ſtillſchweigenden Vertrags im gegebenen
Falle abgelehnt wird, offenbar nicht. Der Hinweis
darauf, daß die Entſcheidung in Bd. 65, 313 und die
anderen in demſelben Sinne ergangenen Urteile des
RG. (67, 431; JW. 1908, 108 Nr. 6; Warneyer
1908 Nr. 157, 1909 Nr. 100), die den ſtillſchweigenden
Abſchluß eines die Haftung ausſchließenden Vertrages
zum Gegenſtande haben, durchweg Fälle der Gefähr⸗
dungshaftung betreffen, iſt zutreffend; die Annahme,
daß die Feſtſtellung eines ſolchen ſtillſchweigenden,
alſo nicht ausgeſprochenen Vertragsſchluſſes regelmäßig
nur dann unbedenklich iſt, wenn es rl um den Aus»
ſchluß einer Gefährdungshaftung, um die Uebernahme
einer nicht durch ein Verſchulden des anderen Teiles,
zumal durch ein grobes Verſchulden, ſondern allein
durch die gegebenen Verhältniſſe von ſelbſt begründeten
Gefahr handelt, iſt nicht rechtsirrtümlich. Im letzteren
Sinne iſt aber die Ausführung des OLG. zu verſtehen,
die nur beſagen will: Die Ausſchließung der Haftung
aus unerlaubter Handlung durch einen ſtillſchweigenden
Verzichtsvertrag bedarf einer Feſtſtellung aus den
mit denen die An⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
—
begleitenden Umſtänden des Falles; ſolche Umſtände,
die ohne weiteres die Annahme eines derartigen ſtill⸗
ſchweigenden Vertrages nahe legen, liegen aber der
Regel nach nur vor gegenüber einer Haftung wegen
Gefährdung, wogegen es der Ermittelung beſonderer
die Willenseinigung ausdrückender Aeußerungen bedarf,
wenn eine Haftung für eine ſchuldhafte unerlaubte
Handlung als durch Vertrag ausgeſchloſſen erachtet
werden ſoll. Das iſt eine tatſächliche Erwägung,
die nicht nur mit der Reviſion nicht angreifbar
iſt, ſondern auch den Verhältniſſen des Lebens
durchaus entſpricht. Zu demſelben Ergebniſſe führt
es, wenn der vom erkennenden Senat in der Entſch.
vom 29. März 1909 (Warneyer 1909 Nr. 357) ent⸗
wickelte Gedanke des Handelns auf eigene Gefahr für
die rechtliche Betrachtung des gegenwärtigen Falles
verwertet wird: auch eine ſolche llebernahme der Ge—
fahr ohne ein beſonders feſtzuſtellendes Vertragsüber—
einkommen kann nur da angenommen werden, wo
eine aus der Sachlage von ſelbſt ſich ergebende Gefahr,
die der von ihr Bedrohte erkannt hat, in Frage
kommt, ſo wenn es ſich um die allgemeine Tiergefahr
oder um die Gefahr einer Fahrt mit Kraftwagen über—
haupt, oder etwa um die Gefahr einer Fahrt mit
einem offenbar unzulänglichen Fuhrwerke handelt;
der Geſichtspunkt verſagt, wenn die Gefahr oder deren
Erhöhung erſt durch eine von dem Willen des Be—
drohten unabhängige ſchuldhafte Handlung eines
Dritten verurſacht wird. Ohne Rechtsirrtum hat das
OLG. in Anwendung dieſer Grundſätze ausgeſprochen,
daß die vom Beklagten unter Eidesbeweis geſtellten
Tatſachen, der Kläger habe ihn als einen ſchnellen
und mutigen Fahrer gekannt und von früheren Kraft—
wagenunſällen des Beklagten gewußt, auf einen Ver—
zicht des Klägers auf die Haftung des letzteren nicht
ſchließen laſſen. Das OL G. ſtellt feſt, daß der Beklagte
nicht nur ſchnell und wagemutig, was die Beachtung
der Wegeverhältniſſe nicht ausſchließt, ſondern mit
unſinniger Schnelligkeit und unbekümmert um Kurven
und Abſchüſſigkeiten der Straße gefahren iſt, dergeſtalt,
daß ſein Verſchulden als ein recht grobes erſcheint.
Demgegenüber verneint es mit Recht einen die Haf—
tung ausſchließenden Vertrag oder eine Uebernahme
der Gefahr. Die Feſtſtellung ſelbſt wird nicht durch
die Behauptung des Beklagten, deren Nichtbeachtung
er rügt, erſchüttert, daß der Beklagte vor dem Unfalle
zahlreiche ſcharſe Kurven in derſelben Schnelligkeit ohne,
Schaden durchfahren habe. Daraus ergibt ſich keines
wegs, was der Beklagte daraus ableiten will, daß die
Urſache des Unfalles in einem zufälligen Schaden des
— m — —
Fahrzeuges (Verſagen der Steuerung), nicht aber in
ſeiner Leitung des Wagens, zu ſuchen ſei, und das
OLE. ſtellt ausdrücklich feſt, daß der noch neue Wagen
und beſonders ſeine Steuerungsvorrichtung durchaus
in Ordnung geweſen ſind, ſo daß dadurch der Unfall
nicht verurſacht worden ſein kann. Das Mitver⸗
ſchulden des Klägers mag kein geringes ſein; es iſt
feſtgeſtellt, daß er zu Anfang der Fahrt den Beklagten
zu möglichſt ſchneller Fahrweiſe ermuntert und dadurch
deſſen Leichtſinn beſtärkt hat. Es iſt aber anderſeits
auch feſtgeſtellt, daß alle Mitfahrenden, auch der
Kläger, vor dem Unfalle bei dem Aufenthalt in M. den
Beklagten vergeblich zu größerer Vorſicht in Anbetracht
der Terrainſchwierigkeiten der Gegend ermahnt haben.
Unter dieſen Umſtänden kann auch in der von dem
OLG. gemäß 8 254 BGB. vorgenommenen Verteilung
des Schadens kein Rechtsirrtum erblickt werden; die
ſpätere Ermahnung zur Vorſicht gleicht einigermaßen
das frühere Verſchulden des Klägers, das in dem Ans
feuern des Sporteifers des Beklagten lag, aus und
mindert deſſen Gewicht. (Urt. des VI. 35. vo
13. Okt. 1910, VI 611/1909). E.
2108
IV.
Tragweite der §6z 2064, 2156 BG. Der 1902
verſtorbene R. hatte am 24. Mai 1894 mit ſeiner im
Jahre 1908 verſtorbenen Ehefrau einen Erbvertrag
geſchloſſen und ihr darin u a. ein Vermächtnis von
20000 1 zugewendet. In einem Kodizille vom
25. Mai 1894 hatte R. ſpäter beſtimmt, „daß Fräu⸗
lein Sch. nach unſerm Ableben als Legat ſämtliche
Mobilien des bei uns bewohnten Zimmers überlaſſen
und ein Kapital von 20000 M ſteuerfrei ausgezahlt
werden. Ferner überlaſſe es meiner mich über—
lebenden Ehefrau vorſtehende Summe der Sch. ſchon
nach meinem Ableben auszuzahlen, ebenſo derſelben
eine gleiche Summe nach Gutdünken auch nach ihrem
Ableben durch Kodizill zu vermachen.“ Die vers
witwete R. hat ſchon nach dem Tode ihres Ehe—
mannes die zuerſt erwähnten 20000 M der Sch.
ausgezahlt und durch Teſtament vom Jahre 1903
„auf Grund des Kodizilles“ ihrer Erbin Fräulein Sch.
auch noch die weiteren 20000 M vermacht „welche ich
nach dem Wunſche meines lieben Mannes außer der
ihr von dieſem ſelbſt zugewendeten gleichen Summe
ihr aus dem Nachlaß desſelben zuzuwenden aus—
drücklich ermächtigt bin“. Der verklagte Teſtaments—
vollſtrecker verweigert die Auszahlung dieſer 20000 M
aus dem Nachlaſſe des Ehemannes R. Die Sch. hat
Klage erhoben und vor dem Landgericht geſiegt.
Auf Berufung des Beklagten hat das OLG. die Klage
abgewieſen. Die Reviſion blieb erſolglos.
Gründe: Der Berufungsrichter ſtellt in eins
wandfreier Auslegung der vom R. am 25. Mai 1894
errichteten letztwilligen Verfügung feit, daß darin der
Erblaſſer eine eigene ſelbſtändige Vermächtnisanord—
nung zugunſten der Sch. nicht getroffen hat. Er habe
vielmehr damit nur ſeine Ehefrau ermächtigt, ihrer—
ſeits, jedoch aus ſeinem, des Erblaſſer hinterlaſſenen
Vermögen, der Sch. kodizillariſch ein Vermächtnis von
weiteren 20000 M zuzuwenden. Wenn die über—
lebende Witwe des Erblaſſers ſodann im Jahre 1903
von dieſer Ermächtigung Gebrauch gemacht und der
Sch. teſtamentariſch aus dem Nachlaſſe ihres Mannes
jene 20000 M «ls Vermächtnis ausgeſetzt hat, fo hat
der Berufungsrichter dieſer Anordnung mit Recht die
Wirkſamkeit abgeſprochen. Daß eine derartige Stell—
vertretung des Erblaſſers im Willen und in der
Willenserklärung mit dem Grundſatze des S 2064 BGB.
nicht verträglich iſt, zieht auch die Reviſion nicht in
Zweifel. Es kann ihr aber nicht zugegeben werden,
daß 8 2156 BGB., wie fie behauptet, durch Nicht—
anwendung verletzt ſei. Zwar durchbricht das Geſetz
bei Vermächtniſſen und Auflagen die Regel der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
58 2064, 2065 inſofern, als es zum Zwecke der Be⸗
ſtimmung der Perſon des Bedachten (88 2151, 2152)
oder des Gegenſtandes der Zuwendung (88 2153
bis 2156) die Mitwirkung des Beſchwerten oder eines
Dritten zuläßt. Allein die allgemeine Vorausſetzung
aller dieſer Beſtimmungen und insbeſondere auch des
$ 2156 („bei der Anordnung eines Vermächtniſſes“)
iſt, daß der Erblaſſer überhaupt ein Vermächtnis er⸗
richtet hat, alſo von ſich aus und aus ſeinem Ver⸗
mögen einem andern einen Vermögensvorteil zu⸗
wenden wollte und zugewendet hat, mag auch ſein
Vermächtniswille bezüglich der Perſon des Bedachten
oder des Gegenſtandes der Zuwendung gewiſſe Un⸗
beſtimmtheiten aufweiſen. Gerade an dieſer Voraus⸗
ſetzung fehlt es hier, da der Erblaſſer ſich einer
eigenen Vermächtnisanordnung zugunſten der Sch.
enthalten, vielmehr die Entſchließung darüber, ob es
zur Errichtung des Vermächtniſſes kommen werde
oder nicht, nur ſeiner Ehefrau überlaſſen hat. Damit
war die Anwendung des § 2156 ohne weiteres aus»
geſchloſſen. Es verbleibt mithin bei der Regel des
§ 2064 und daraus folgt die Unwirkſamkeit des von
der überlebenden 1 nachträglich errichteten
Vermächtniſſes. (Urt. des IV. ZS. vom 20. Oktober
1910, IV 596/09). -— — n.
2095
V.
Vernehmung eines Streitgenoſſen als Zeugen.
Begriff des „Ausſcheidens“ eines Streitgenoſſen aus
dem Rechtsſtreite. Aus den Gründen: Als
Zeugen können in einem Zivilprozeſſe grundſätzlich
nur Perſonen vernommen werden, die den Parteien
als Dritte gegenüberſtehen und nicht in die Lage
kommen können, Parteihandlungen vorzunehmen.
Eine Partei kann niemals als Zeuge vernommen
werden. Auch dem Streitgenoſſen fehlt infolgedeſſen
die Zeugnisfähigkeit, und zwar ſelbſt dann, wenn es
ſich nur um die Feſtſtellung einer Tatſache handelt,
die nur das Recht ſeines Genoſſen betrifft. Wohl
kann freilich ein aus dem Progzeſſe ausgeſchiedener
Streitgenoſſe als Zeuge vernommen werden, wobei
maßgebend der Zeitpunkt iſt, in dem die Vernehmung
erfolgen ſoll. Das iſt anerkannten Rechtens. Es
fragt ſich nur, wann ein Streitgenoſſe als aus dem
Rechtsſtreite ausgeſchieden angeſehen werden kann.
Iſt für oder gegen ihn in vollem Umfange endgültig
und rechtskräftig erkannt, ſo ſcheidet er zweifellos
aus dem Rechtsſtreite aus. Anderſeits hat das
Reichsgericht bereits ausgeſprochen (Urteil vom
12. Juni 1906, III 449/05), daß ein Streitgenoſſe
dieſe Eigenſchaft nicht dadurch verliert, daß gegen
ihn ein Zwiſchenurteil über den Grund des Anſpruchs
nach 8 304 ZPO. ergeht. Dort iſt mit Recht darauf
hingewieſen, daß ein ſolcher Streitgenoſſe noch an
dem Verfahren über den Betrag teilzunehmen hat,
und darum angenommen, daß er in der Berufungs—
inſtanz auch dann nicht als Zeuge vernommen werden
könne, wenn er an dem Verfahren über den Grund
in der Berufungsinſtanz gar nicht beteiligt iſt, das
Zwiſchenurteil gegen ihn vielmehr rechtskräftig ge—
worden iſt. So aber liegt die Sache hier. Dem
Beklagten N. gegenüber iſt dem Betrage nach noch
nicht entſchieden, auch war er, worauf mit einem
früheren Urteile des Senats (Urteil vom 11. No= |
vember 1907 IV 134/67) ebenfalls Wert zu legen iſt,
zu der Zeit, zu der ſeine Vernehmung erfolgen ſollte,
noch an der Koſtenentſcheidung beteiligt. Er hätte
alſo als Zeuge nicht vernommen werden dürfen.
(Urt. des IV. 35. vom 17. Oktober 1910. IV 590/10).
2096
_———ı
69
B. Strafſachen.
I.
Zu 8 13, 38, 41 des Literatur ſchutzgeſetzes vom
19. Juni 1901. Gegenſtand des Urheberrechts. Begriff
der „freien Benützung. eines fremden Werkes und der
„eigentümlichen Schöpfung“. Aus den Gründen:
Die Strafkammer ſtellt ausdrücklich feſt, daß der An⸗
geklagte das Buch des Nebenklägers M. bei der Ab⸗
faſſung ſeines Werkes benutzt hat. Sie mußte deshalb
zu der Frage Stellung nehmen, ob das Buch des
Angeklagten als eine Bearbeitung des M. 'ſchen
Buches iſt. Denn wenn dies der Fall iſt, greift ſeine
Abfaſſung nach 8 12 Abſ. 1 des Literaturſchutzgeſetzes
vom 19. Juni 1901 in das Urheberrecht des Neben»
klaͤgers ein, und zwar kann dieſer Eingriff, je nach
der Sachlage, unter die Strafvorſchrift des 8 38 Nr. 1
oder unter die des 8 41 fallen. Der Eingriff würde
nur ausgeſchloſſen ſein, wenn es ſich um eine freie
Benutzung des Werkes gehandelt hätte und dadurch
eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht
wäre ($ 13). Nach der Schlußausführung hat die
Strafkammer dieſen rechtlichen Geſichtspunkt offenbar
auch ins Auge faſſen wollen. Sie iſt hierbei aber
von irrigen Anſchauungen beeinflußt worden.
In der unmittelbar vorhergehenden Darlegung
vertritt fie die Anſicht, daß das M.'ſche Buch kein
„Kunſtwerk“, ſondern nur eine 1 Anleitung
zur Ausführung eines Malereiverfahrens ſei, ſein
geiſtiger Inhalt ſich deshalb nicht in den einzelnen
Worten und deren Gefüge zeige, ſondern in dem Ges
dankengange. Daraus folgert ſie weiter, daß nur
größere Teile, die dieſen Gedankengang erkennen
ließen, das Werk kennzeichnen. Hierin liegt ein
Rechtsirrtum, nämlich eine zu enge Auffaſſung von
dem Gegenſtande des Urheberrechts. Gegenſtand
dieſes Rechts iſt in einem Falle, wie er hier vor—
liegt, nicht nur der Gedankengang des Schriftwerks,
ſondern die ganze Art der Verarbeitung des be—
handelten Stoffes, alſo ebenſowohl die Art der Dar—
ſtellung des Stoffes, deſſen innere und äußere Gliede—
rung. Dieſer Rechtsirrtum beherrſcht erkennbar die
ſich anſchließende Ausführung über die Frage, ob eine
freie Bearbeitung vorliege.
Die Ausführung hierüber erweckt aber auch noch
andere Bedenken. Die Strafkammer verkennt gänzlich
die Rechtsgrundlage, indem fie geſtützt auf § 13 an⸗
nimmt, eine freie Benützung des fremden Werkes ſei
berechtigt, „ſofern dadurch nur etwas eigentümliches“
hervorgebracht werde. Davon iſt im Geſetze nicht
die Rede. Erfordert wird vielmehr eine eigentümliche
Schöpfung, d. h. ein Werk, das auf neuer ſelbſtändig
ſchaffender Geiſtestätigkeit beruht und im Verhältniſſe
zu dem fremden Werke eine neue geiſtige Eigenart er—
kennen läßt. Deshalb ſehlt die Gewähr irrtumsfreier
Beurteilung, wenn die Strafkammer annimmt, der
Angeklagte möge ſich wohl einige Gedanken des M.
zu eigen gemacht haben, er habe ſie aber mit einer
Reihe eigener, bei M. nicht vorkommender Gedanken
zu einem neuen Ganzen verarbeitet. Eine genauere
Erörterung wäre umſomehr geboten geweſen, als die
Strafkammer offenſichtlich davon ausgeht, daß das
Buch des Angeklagten denſelben Zweck verfolgte, wie
das M.'ſche Buch und ihn wie dieſes in der eines
„Leſebuchs“ anſtrebte. Die Strafkammer hat auch
ſonſt das Weſen der freien Bearbeitung verkannt.
Denn das einzige, was ſich hierüber in den Gründen
findet, paßt ebenſogut auf einen bloßen Auszug, den
der Angeklagte aus dem M.ſchen Buche ganz oder
zum Teil gemacht hat. Ein Auszug iſt keine freie
Bearbeitung, liegt aber auch vor, wenn der Ange—
klagte eigene Gedanken hinzugefügt hat, mag deren
Wiedergabe 8 räumlich überwiegen. (Vgl. RG3S.
Bd. 63 S. 158
Auch 5 Schlußausführung kann das Urteil
70
nicht tragen. Soweit fie auf die Gedankengleichheit
beider Schriften abgeſtellt iſt, tritt darin der ſchon
dargelegte Rechtsirrtum hervor. Nicht der Gedanken⸗
inhalt als ſolcher iſt Gegenſtand des Urheberrechts.
ſondern das ihn aufnehmende und verkörpernde
Werk. Es kommt nicht darauf an, ob der Angeklagte
nach ſeinen Kenntniſſen und Erfahrungen vielleicht
auch ohne die M.'ſche Schrift zur Abfaſſung eines
Werkes mit gleichem Gedankeninhalte hätte gelangen
können, ſondern auf die Frage, ob er das M.'ſche Buch
in der ſchutzfähigen Geſtalt als fremdes Geiſtes⸗
erzeugnis bei ſeiner Schrift benutzt hat und ob dieſe
deshalb im Sinne des Geſetzes eine Vervielfältigung
der M.'ſchen Schrift if. (Urt. des V. StS. vom
2. Dezember 1910, V D 708/10).
2134
— — n.
II.
Zu 8 19 Abſ. 3 der Oberpolizeilichen Borſchriſten
vom 17. September 1906 (G8 Bl. S. 729); Borbei⸗
fahren au eingehslten Fuhrwerken nw. Aus den
Gründen: Der Angeklagte hat einen Straßen⸗
bahnwagen, der vor ihm hergefahren war und wie
er wußte, nur für kurze Zeit anhielt um dann ſeine
Fahrt fortzuſetzen, eingeholt und iſt ihm rechts vor⸗
an Mit Recht hat das Gericht gegen ihn die
eſtimmung in § 19 der Oberpolizeilichen Vorſchriften
vom 17. September 1906 angewendet, wonach das
Vorbeifahren an eingeholten Fuhrwerken, Kraftfahr⸗
zeugen uſw. auf der linken Seite zu erfolgen hat.
Der Verteidiger irrt mit ſeiner Anſicht, die Vorſchrift
gelte ſchlechterdings nur für ſolche Fahrzeuge, die
gerade im Fahren begriffen ſeien, während fie eins
geholt werden. (Urt. des I. StS. vom 22. September
1910, 1 D 521/10). E.
2128
III.
Zum Begriffe des fertgeſetzten Verbrechens. Aus
den Gründen: Allerdings können mehrere zeitlich
auseinanderfallende und ſonach in natürlichem Sinne
ſelbſtändige Einzelhandlungen dann, wenn ſie Ausfluß
eines einzigen auf Verletzung desſelben Rechtsgutes
oder gleichartiger Rechtsgüter gerichteten Vorſatzes
find, unter dem Geſichtspunkt der fog. fortgeſetzten
Handlung zu einer rechtlichen Einheit zuſammengefaßt
werden. Die in jedem einzelnen Falle aus den Um—
ſtänden zu beantwortende Frage, ob die Vorausſetzungen
einer ſolchen Zuſammenfaſſung vorliegen, gehört im
weſentlichen dem Gebiete der Tatſachen an, und die
vom erſten Richter gegebene Beantwortung dieſer Frage
iſt daher im allgemeinen der Nachprüfung durch das
Reviſionsgericht entzogen. Nur dann, wenn bei dem
Vorliegen zeitlich getrennter Einzelakte vom Vorder—
richter zugleich alle Momente feſtgeſtellt wären, die
zu einer Zuſammenfaſſung der einzelnen Taten zu
einem einheitlichen Delikt rechtlich nötigen, wenn alſo
davon ausgegangen werden mußte, die Zuſammen—
faſſung ſei nur deshalb unterblieben, weil der Vorder—
richter den Rechtsbegriff der fortgeſetzten Straftat ver—
kannt habe, würde das Reviſionsgericht zu einer Auf—
hebung des Urteils kommen können. Eine ſolche
Geſtaltung der Sache iſt hier nicht gegeben. Denn
das LG. hat in dieſer Richtung weiter nichts feſt—
geſtellt, als daß der Zweck, den der Angeklagte bei
den Fälſchungen verfolgte, nur der geweſen ſein könne,
ſich aus Zahlungsſchwierigkeiten zu befreien, in denen
er ſich befunden habe, ſich alſo einen Vermögensvorteil
zu verſchaffen, und daß dieſe Abſicht den Angeklagten
bei allen vier Wechſelfälſchungen geleitet habe. Dies
genügt aber nicht, um das Vorliegen eines fortgeſetzten
Deliktes zu begründen; denn es fehlt vor allem die
Feſtſtellung, daß der Angeklagte von vornherein
den einheitlichen Vorſatz gehabt habe, alle die
den Gegenſtand der Anklage bildenden Wechſel oder
überhaupt bis zur Erreichung eines gewiſſen Zieles
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
|
|
Nr. 3.
alle ſeine Wechſel mit dem gefälſchten Akzept des
J. zu verſehen und davon in rechtswidriger und
auf die Erlangung eines Vermögensvorteils ge⸗
richteter Weiſe Gebrauch zu machen. Zu Unrecht be⸗
hauptet der Beſchwerdeführer, daß, wenn im übrigen
die tatſächlichen Feſtſtellungen des Gerichts zutreffend
wären, danach die einzelnen Handlungen, zumal die
verletzte Perſon überall dieſelbe ſei, einem einheitlichen
Willen des Angeklagten entſprungen ſeien, nämlich
dem, ſich auf Koſten des Zeugen J. aus ſeiner Not⸗
lage zu befreien. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob
eine Feſtſtellung, wie die vom Beſchwerdeführer be⸗
hauptete, ausreichen würde, um die Annahme eines
fortgeſetzten Deliktes zu einer rechtlichen Notwendigkeit
zu machen. Denn der Inſtanzrichter hat eine Feit-
ſtellung dieſes Inhaltes nicht getroffen, jedenfalls aber
nicht für erwieſen erachtet, daß der Angeklagte bei
ſämtlichen, zu verſchiedenen Zeiten erfolgten Fälſchungen
mit dem im voraus gefaßten Vorſatze gehandelt habe,
ſich bei jeder durch ſeine Geſchäftslage gebotenen Ge⸗
legenheit durch fälſchliche Anfertigung des Itſchen
Akzepts und Diskontierung die erforderlichen Geld⸗
mittel zu verſchaffen. Die Strafkammer verſtieß dem-
nach nicht gegen ein prozeßgeſetzliches Gebot, als ſie
ſich darüber nicht ausdrücklich ausſprach, ob ein fort-
geſetztes Delikt in Frage komme, und ebenſowenig
läßt ſich bei der Art des Falles der Vorwurf recht⸗
fertigen, fie habe ſich von einer rechtsirrigen Auf—
faſſung des Begriffes der fortgeſetzten Handlung leiten
laſſen. (Urt. des V. Strafſenats vom 29. November
1910, 5 D 853/10).
— — —ın.
Oberſtes Landesgericht.
Zivilſachen.
Der überlebende Ehemann, dem nach Mainzer
ER. Tit. VIE und UeG. Art. 8s der Beiſitz au dem
auf feine Kinder übergegangenen Nachlaſſe feiner Fran
zuſteht, kaun gegen die Eintragung der Pfändung des
Erbauteils feiner Kinder an den Nachlaßgrundſtücken
Beſchwerde erheben. Ob durch die Pfändung des Anteils
des Kindes in das Beſitzrecht des Witwers in nuzu⸗
läſſiger Weiſe eingegriffen wurde, iſt nicht vom Grund:
buchamt fondern vom Vollſtreckungsgerichte zu entſcheiden.
(GBO. 83 54, 71; BGB. 8 2033, ZPO. 8 859.) Zu
dem Nachlaſſe der 1909 geſtorbenen Katharina D. ge—
hören die von ihr in die Ehe eingebrachten Grund—
ſtücke Pl.⸗Nr. 17678, 17679. Auf Grund eines Erb»
ſcheins wurde am 7. Januar 1910 in das Hypotheken-
buch eingetragen, daß die Kinder Eigentümer der
Grundſtücke in Erbengemeinſchaft find und daß dem
Witwer nach dem Mainzer LR. der Beiſitz an
den Grundſtücken zuſteht. Durch einen Beſchluß des
Vollſtreckungsgerichts iſt zugunſten einer Forderung
gegen einen Miterben deſſen Anteil an dem Nachlaſſe
gepfaͤndet worden. In dem Beſchluſſe, der den übrigen
Erben zugeſtellt wurde, wird dieſen verboten, „mit
dem Schuldner ohne Zuziehung des Gläubigers die
Auseinanderſetzung vorzunehmen und den gepfändeten
Erbteil an den Schuldner herauszugeben,“ dem Schuld—
ner aber geboten, „ſich jeder Verfügung über den Erb—
teil zu enthalten.“ Auf Grund des Beſchluſſes wurde
am 7. Januar 1910 in die 2. Abteilung des Blattes
für die Grundſtücke Pl.-Nr. 17678, 17679 nach dem
Beiſitzrechte des Witwers in das Hypothekenbuch ein
Widerſpruch des Pfandgläubigers gegen jede Verfügung
des Schuldners eingetragen. Am 1. November 1910)
legte der Witwer gegen die Eintragung des Wider—
ſpruchs Beſchwerde ein mit dem Antrage, ſie löſchen
zu laſſen, weil ſie ihrem Inhalte nach unzuläſſig ſei
(S 51 GBOO.). Das LG. hat die Beſchwerde als uns
zuläſſig verworfen. Die weitere Beſchwerde hat das
Obe G. zurückgewieſen, dabei jedoch ausgeſprochen, daß
1) Inzwiſchen war das Grundbuch als angelegt erklärt worden.
mm m mn
die Beſchwerde gegen die Eintragung nicht unzuläſſig
ſondern unbegründet iſt.
Gründe: Die EBD. enthält keine Vorſchrift
darüber, wer Beſchwerde in Grundbuchſachen einlegen
kann. Es iſt aber anerkannt, daß die Beſchwerde
jedem zuſteht, der durch die Entſcheidung des Grund⸗
buchamts in ſeinem Rechte betroffen wird und an
ihrer Beſeitigung ein rechtliches Intereſſe hat, auch
wenn ſich die Entſcheidung nicht unmittelbar gegen
ihn richtet. Das Recht des Beiſitzes, das dem Be⸗
ſchwerdeführer nach Tit. VII des Mainzer LR. i. V.
mit Art. 88 UeG. zuſteht, ift nicht auf den „usus fructus
oder Nießbrauch“ am eingebrachten Gute der Frau
beſchränkt. Aus der Pflicht des überlebenden Ehe—
gatten, das Vermögen zu erhalten, folgt auch die Be⸗
fugnis zur Vermögens verwaltung. Das Verwaltungs⸗
recht ermächtigt allerdings nicht zu freier Verfügung
über Grundſtücke. Verfügungsberechtigt ſind mit Zu⸗
ſtimmung des Elternteils die Kinder, die Eigentümer
des Vermögens. Erachtet der überlebende Ehegatte
aber eine Verfügung über das Stammvermögen für
erforderlich und hat er die Zuſtimmung der Kinder
erlangt, ſo iſt ſein Verwaltungsrecht beeinträchtigt,
wenn der Verfügung Hinderniſſe bereitet werden. Das
iſt bei dem Beſchwerdeführer der Fall, da die Ein-
tragung des Widerſpruchs die Veräußerung und Bes
laſtung der Grundſtücke erſchwert. Der Witwer hat
auch ein rechtliches Intereſſe an der Beſeitigung des
Hinderniſſes. Er iſt deshalb zur Beſchwerde berechtigt.
Das LG. hat die Beſchwerde auch ſachlich geprüft
und als unbegründet erachtet. Dem iſt beizutreten.
Die Eintragung des Widerſpruchs iſt auf Grund eines
Beſchluſſes des Vollſtreckungsgerichts erfolgt, durch den
der Anteil eines Miterben an dem Nachlaſſe gepfändet
wurde. Nach 83 2033 des BGB. kann jeder Miterbe
über ſeinen Anteil an dem Nachlaſſe verfügen; der
Anteil iſt deshalb auch pfändbar (8 859 ZPO.) Die
Pfändung des Anteils an einem Nachlaſſe beſchränkt
den Miterben in der Verfügung über den Anteil als
Ganzes und in der Befugnis, gemeinſchaftlich mit den
anderen Miterben über einen Nachlaßgegenſtand zu
verfügen. Dieſe Wirkung konnte nach dem bayeriſchen
Hypothekenrechte durch eine Proteſtation im Sinne
der 88 27, 28 HypG. im Hypothekenbuch erſichtlich
gemacht werden; nach dem Rechte der GBO. dient dem
gleichen Zwecke die Eintragung einer Verfügungs—
beſchränkung. In dem Beſchluſſe des ObèG. vom
26. Juli 1909 (n. Sammlg. Bd. 10 S. 341) handelte
es ſich um eine Erbſchaft, die vor dem Jahre 1900
im Gebiete des Mainzer LR. bei dem Tode des Ehe—
manns den Kindern angefallen war; durch den Pfän—
dungsbeſchluß des Vollſtreckungsgerichts war der Anteil
eines der Kinder gepfändet worden. Die Entſcheidung
führt aus, daß das für das Rechtsverhältnis der Erben
maßgebende gemeine Recht keine Verfügung über den
Erbteil als Ganzes mit der Wirkung kennt, daß dadurch
der Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenſtänden un—
mittelbar ergriffen wird: ſie billigt deshalb die Löſchung
der auf Grund des Pfändungsbeſchluſſes eingetragenen
Proteſtation. Nach dem Rechte des BGB. dagegen
kann der Miterbe über ſeinen Anteil am Nachlaſſe mit
dinglicher Wirkung verfügen. Die Pfändung war des—
halb hier dem Schuldner und ſeinen Miterben gegen—
über wirkſam und die Wirkung iſt in der Eintragung
des Widerſpruchs zum Ausdruck gebracht. Ob die
Pfändung das Beiſitzrecht des Witwers verletzt, hatte
das Hypothekenamt angeſichts des Pfändungsbeſchluſſes
nicht zu prüfen; ſie kann deshalb auch in dem Be—
ſchwerdeverfahren nicht erörtert werden. Will der
Witwer geltend machen, daß die Zwangsvollſtreckung
in unzuläſſiger Weiſe in ſeine Rechte eingegriffen habe,
jo muß er auf dem durch die ZPO. vorgeſchriebenen
Wege die Verfügung des Vollſtreckungsgerichts an—
fechten und bei Aufhebung des Pfändungsbeſchluſſes
die Berichtigung des Grundbuchs beantragen. Die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 3.
|
u — ll! El ? x 1... —— —— —— a a en RE ET rn . — — 5,
71
Beſchwerde konnte dagegen keinen Erfolg haben.
(Beſchluß des I, ZS. vom 9. Dezember 1910, Reg. III
90/1910). W.
2132
Oberlandesgericht München.
Zu 88 771 380. 816 B88. Der Anſpruch auf
Uebertragung einer Forderung wegen ungerechtfertigter
Bereicherung (8 816 B.) gibt kein Recht zur Wider⸗
ſpruchsklage gegen die Pfändung der Forderung. Der
Kaufmann M. hat für ſein Guthaben zu 500 M gegen
die Buchdruckersfrau K. an deren Kaufpreisforderung
zu 1500 M gegen den Privatier L. und den Buch⸗
drucker H. durch einen Arreſt⸗ und Pfändungsbeſchluß
des AG. D. vom 25. Auguſt 1909 (zugeſtellt den
Drittſchuldnern am 28. Auguſt 1909, der Schuldnerin
am 3. September 1909) Pfändungspfandrechte er⸗
worben. Der Kläger, Reſtaurateur M., erhob am
29. Oktober 1909 Widerſpruchsklage mit der Be⸗
hauptung, der Gegenſtand des Kaufes, eine Buch—
druckereieinrichtung, ſei ſchon am 25. Auguſt 1908 an
den Privatier St. verkauft geweſen, der ſchon am
7. April 1909 ſeine Rechte an den Kläger übertragen
habe. Die am 22. Auguſt 1909 an L. u. H. verkaufte
Druckerei habe alſo damals nicht mehr der Verkäuferin,
ſondern dem Kläger gehört und wenn auch auf die
Käufer zufolge ihres guten Glaubens das Eigentum
übergegangen ſei, ſo habe doch der Kläger von An⸗
fang an auf die geſchuldeten 1500 M „ex lege“ einen
dinglichen Anſpruch ſomit auch ein beſſeres Recht an
dem Gegenſtande der Pfändung. Der Beklagte be⸗
antragte Abweiſung, weil der Verkauf an St. und
an M. nur zum Scheine geſchehen und deshalb nichtig
ſei. Dem widerſprach der Kläger. Das Land⸗
gericht wies die Klage ohne Beweiserhebung ab,
weil dem Kläger kein dingliches Recht gegenüber dem
Beklagten zuſtehe, ſondern nur das Recht, von den
Schuldnern nach 8 816 BGB. Uebertragung der
Kaufpreisforderung wegen Bereicherung zu fordern.
Dieſes genüge zur Widerſpruchsklage nicht. (RG.
Bd. 64 S. 314; SeuffArch. Bd. 60 Nr. 88). Die Be⸗
rufung wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Mit Recht bezeichnet
das Erſtgericht den Anſpruch des Klägers nur als
einen obligatoriſchen Bereicherungsanſpruch auf Ueber—
tragung der Kaufpreisforderung für die angeblich zu
Unrecht zum zweitenmale verkaufte Druckerei (§ 816
BGB.) und deshalb als zur Erhebung der Wider—
ſpruchsklage ungenügend ($ 771 3PO.). Nur bei
kaufmänniſchen Kommiſſionsgeſchäften wird ausnahms—
weiſe der Auftraggeber gegenüber den Gläubigern
des Beauftragten inſoferne geſchützt, als dieſen gegen—
über die Forderungen aus den kommiſſionsweiſen
Verkäufen als Forderungen des Auftraggebers gelten
(S 392 HGB.); ein ſolches Kommiſſionsverhältnis iſt
hier nicht behauptet und nach dem Tatbeſtande auch
nicht gegeben, da die Eheleute K. den Verkauf durch
ihren Bevollmächtigten in offener Stellvertretung vor—
nahmen. In ſolchen Fällen erwirbt aber der Ver—
käufer die Kaufpreisforderung, mag der Verkaufs—
gegenſtand auch einem Dritten gehört haben. Da der
Kläger ſeinen Anſpruch auf Abtretung dieſer Kauf—
preisforderung bis zur Pfändung nicht gütlich oder
im Zwangswege ($ 894 ZPO.) durchgeſetzt hatte, traf
die Pfändung des Beklagten nicht ein fremdes,
ſondern ein dem Schuldner gehöriges Vermögensſtück
und iſt deshalb ebenſowenig mit der Widerſpruchs—
klage angreifbar, als wenn der Schuldner einen im
Eigentum eines Dritten ſtehenden Gegenſtand ver—
tauſcht hätte und nun das im Tauſchwege erworbene
Erſatzſtück bei ihm gepfändet worden wäre.
6 (Urteil
vom 16. Dezember 1910; BerReg. L 5/10 J). N.
2135
Literatur.
Landsberg, E., Geſchichte der deutſchen Rechts⸗
wiſſenſchaft. Fortſetzung zu der Geſchichte der
Rechtswiſſenſchaft, I. und II. Abteilung von N.
Stintzina. Dritte Abteilung. Zweiter Halbband.
Text. 8°. XVI, 1008 S. München 1910, R. Olden⸗
bourg. Mk. 16.—.
Dazu Noten. VIII, 415 S. Mk. 6.70.
Die dritte Abteilung dieſes monumentalen Werkes
behandelt die Geſchichte der deutſchen Rechtswiſſenſchaft
vom Beginne des 19. Jahrhunderts an bis zur Gründung
des Deutſchen Reichs, nur an einigen Stellen greift
ſie noch über 1870 hinaus; die Neugeſtaltung des
deutſchen bürgerlichen Rechts wird — abgeſehen von
einigen gelegentlichen Ausblicken — nicht mehr be—
handelt. Was aber hier niedergelegt iſt, hat nicht
nur die größte Bedeutung für die Beurteilung des
heutigen Rechtzuſtands ſondern weitet auch den Blick
für die Betrachtung der lebhaften Kämpfe, in denen
um das Recht der Zukunft gerungen wird. Es wird
uns gezeigt, wie die Probleme, die uns heute bewegen,
in etwas anderer Form ſchon vergangene Geſchlechter
beſchäftigt haben; es geht uns das Verſtändnis dafür
auf, wie tief die Auffaſſungen unſerer konſervativen
Juriſten in der Vergangenheit verankert ſind, wie
anderſeits vieles, was uns heute als allerneueſte
Weisheit angeprieſen wird, von weitblickenden Geiſtern
ſchon vorausgefühlt wurde. Die geſchichtliche Betrach—
tung beruhigt erregte Gemüter und zwingt zur Ehr—
furcht vor den Leiſtungen der Vorfahren: und ein
wenig mehr Ruhe und Ehrfurcht täte dem heutigen
Geſchlechte dringend not. Wenn man z. B. lieſt, wie
jetzt verbiſſene Moderniſten auf Ihering herabſehen,
ſo wird man unwillkürlich an das Gleichnis von dem
Zwerge erinnert, der ſich rühmt weiter zu ſehen als
der Rieſe, auf deſſen Schultern er ſteht.
Der Praktiker braucht nicht zu fürchten, daß ihm
hier eine trockene Zuſammenſtellung einzelner Daten
oder eine ſchwer verſtändliche, in die Höhen der Ab—
ſtraktion hinaufgeſchraubte gelehrte Abhandlung ge—
boten werde. Das Werk lieſt ſich leicht und gefällig,
fo daß man kaum fühlt, welche Fülle wiſſenſchaftlicher
Forſchungen hier verwertet iſt. Auch die Verweiſung
der umfangreichen Fußnoten in einen beſonderen Band
erhöht die Lesbarkeit. von der Pfordten.
Fiſcher, Dr. A. H., a. o. Profeſſor der Rechte in Gießen.
Die Rechtswidrigkeit mit beſonderer Be»
rückſichtigung des Privatrechts. XII. 303 S.
München 1911, C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung
Oskar Beck. Mk. 10.—.
Man würde dem Verfaſſer Unrecht tun, wenn man
auf Grund einer nur oberflächlichen Prüfung annehmen
würde, es handle ſich hier um ein im weſentlichen
rechtsphiloſophiſches Werk, das für die Praxis keine
Bedeutung habe. Allerdings greift der Verfaſſer ſehr
tief; er geht z. B. dem heiklen Problem der Abgrenzung
von Recht und Moral mit dem ſchweren Rüſtzeug einer
umfaſſenden hiſtoriſchen und philoſophiſchen Bildung
zu Leibe: auch liegt es in der Natur des Stoffes, daß
man nicht allen Ausführungen mühelos folgen kann.
Aber dennoch wird der Praktiker aus den durchaus
ſelbſtändigen Darlegungen reiche Belehrung ſchöpfen
kunnen. Eine Reihe im juriſtiſchen Alltagsleben häufig
anzuwendender Vorſchriften werden in neuer zum Teil
eigenartiger Weiſe beleuchtet (3. B. alle Teile des BGB.,
in denen der Begrif der guten Sitten eine Rolle ſpielt,
die Lehre vom Notſtand und der Notwehr uſw.). Nicht
jelten tritt dabei der Verfaſſer in Gegenſatz zu der
Rechtſprechung der Obergerichte, ſo werden z. B. gegen
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Zeitſchrift für Rechtspflege
— — 4 —
— — — ln — — mn —9h — — nn
— — j — —ꝓ—ä—6—᷑— 4 ö —— ——— — 3 ——
in Bayern. 1911. Nr. 3.
die Stellungnahme des Reichsgerichts zu den Verträgen
über die Veräußerung der ärztlichen und zahnärztlichen
Praxis Bedenken erhoben, die eine ernſte Prüfung ver—
dienen. Da unſere Rechtſprechung nicht ſelten unter
dem Banne des Präjudizienkultus ſteht, iſt es nur zu
wünſchen, daß der Praktiker zuweilen auch die Ge—
dankengänge eines Zweiflers verfolgt, zumal dann,
wenn die abweichende Meinung mit fo großer Sorgs
falt begründet iſt, wie hier. von der Pfordten.
Merzbacher, Sigmund, Rechtsanwalt und Juſtizrat in
Nürnberg. Reichsgeſetz, betreffend die Geſell—
ſchaften mit beſchränkter Haftung in der
Faſſung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898,
erläutert und mit Entwürfen von Geſellſchaftsver⸗
trägen. 4., neubearbeitete Auflage. IX, 239 S.
München 1910, C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung
(Oskar Beck). Gebd. Mk. 2.80.
Merzbachers Ausgabe des Geſetzes, betr. die Geſell⸗
ſchaften m. b. H erfreut ſich eines zu guten Rufes, als
daß es bei der Beſprechung der Neuauflage beſonderer
Empfehlung bedürfte: ſo mag der Hinweis genügen,
daß die neueſten Ergebniſſe der Literatur wie der
Rechtſprechung gewiſſenhaft berückſichtigt ſind und
bilanz⸗ und ſteuerrechtliche Fragen eine eingehende
Behandlung erfahren. Die überſichtliche Druckanordnung
und die gefällige Ausſtattung wird dem Werke zweifellos
zahlreiche Freunde erwerben. — - 20 — —
Notizen.
Der Schutz des zur Anfertigung von Neichs⸗
bauknoten verwendeten Papiers gegen unbefugte Nach⸗
ahmuna wird geregelt durch das Geſetz vom 2. Januar
1911 (RGBl. Nr. 3 S. 25). Es iſt nahezu wörtlich
dem Geſetz vom 26. Mai 1885 (RGBl. S. 165) nach⸗
gebildet, das ſich auf den Schutz des zur Anfertigung
von Reichskaſſenſcheinen verwendeten Papiers
bezieht. Da bisher für Reichskaſſenſcheine und Reichs—
banknoten das nämliche Papier verwendet wurde, er—
ſtreckte ſich der durch das Geſetz vom 26. Mai 1885
gewährte Schutz mittelbar auch auf die Reichsbank—
noten. Das neue Geſetz wurde notwendig, weit jetzt
Reichsbanknoten ausgegeben werden ſollen, die ein
anderes Waſſerzeichen tragen werden als die Reichs—
kaſſenſcheine.
2133
Internationales Abkommen über das Verbot der
Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen. Die Mehr⸗
zahl der größeren europäiſchen Staaten hat am
26. September 1906 ein Abkommen geſchloſſen, das
den gewerblichen Arbeiterinnen in Betrieben, die mehr
als zehn Arbeitskräfte beſchäftigen, eine Nachtruhe von
mindeſtens elf aufeinanderfolgenden Stunden verbürgt
(RGBl. 1911 S. 5f.). Nach einer ſpäteren Verein—
barung ſoll das Abkommen erſt am 14. Januar 1912
in Kraft treten (a. a. O. S. 16). Die Geſetzgebung
des Reiches iſt mit dem Abkommen ſchon durch die
Novelle zur Gewerbeordnung vom 28. Dezember 1908
(RGBl. S. 667) in Einklang gebracht worden. Zu
beachten iſt aber, daß der in Betracht kommende $ 137
GewO. in der Faſſung dieſer Novelle ſchon am
1. Januar 1910 in Kraft trat (mit Ausnahme des
Abſ. 7, der erſt vom 1. April 1912 an gilt; Art. 5
der Novelle).
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ar. 4.
in Bayern
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich [:
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N“
Poſtanſtalt. U
Ni Kevifionszuftändigfeit des
Oberſten Landesgerichts im Zivilprozeſſe.
Vom Geheimen Hofrat Profeſſor Dr. Eruſt Jaeger in Leipzig.
I. In bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten kann die
Revifion nach 8 549 Abſ. 1 3PO. mit § 12
EGzZ3PO. nur darauf geſtützt werden, daß die
angefochtene Entſcheidung auf der Verletzung eines
reichsrechtlichen oder eines ſolchen landes recht⸗
lichen Rechtsſatzes beruhe, der im Bezirk des
Oberlandesgerichts und über dieſen Be:
zirk hinaus Geltung hat. Auf Grund des
8 6 EGz3PO. iſt die Reviſionsfähigkeit einer
landes rechtlichen Norm durch den 8 1 KaiſvO.
vom 28. September 1879 (RGBl. S. 299) dahin
eingeſchränkt worden, daß die Norm (abgejehen
von Vorſchriften des gemeinen oder franzöſiſchen
Rechts) über den Bezirk des Berufungsgerichts
hinaus für den ganzen Umfang mindeſtens zweier
deutſcher Gliedſtaaten oder zweier Provinzen
Preußens oder einer preußiſchen Provinz und
eines anderen Gliedſtaats Geltung erlangt haben
muß. Nach dieſem Grundſatze würden
bayeriſche Landesgeſetze, auch wenn ſie
für das ganze Königreich, alſo für fünf
Oberlandesgerichtsbezirke, in Geltung
ſtehen, nicht reviſibel ſein. Indeſſen findet
die Beſchraͤnkung des 8 1 VO. nach § 6 VO.
auf die vom bayeriſchen Oberſten Landes-
gerichte zu entſcheidenden Reviſionen keine An⸗
wendung. Inſoweit bleibt es vielmehr (von den
jetzt unerheblichen Beſonderheiten des § 6 Satz 2
BO. abgeſehen) bei der Regel des § 549 Abſ. 1
ZPO. So ergibt ſich ein eigenartiger Zwie⸗
ſpalt: ein und derſelbe Rechtsſatz iſt bald reviſibel,
bald nicht reviſibel, je nachdem über die Reviſion
das Oberſte Landesgericht oder das Reichsgericht
zu entſcheiden hat. Dahin gehören alle bayeriſchen
Landesgeſetze, die im Bezirke des Oberlandesgerichts
und darüber hinaus gelten, namentlich alſo Be⸗
ſtimmungen für das ganze Königreich oder für
das ganze rechtsrheiniſche Bayern. Rechtsſätze,
München, den 15. Februar 1911.
7. Jahrg.
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Sellier)
München und Berlin.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
„/ Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Betitzeile
% doder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. 73
die ausſchließlich für die Pfalz Geltung haben,
find — abgeſehen vom franzöſiſchen Rechte (8 2
BO.) — überhaupt nicht reviſibel und bedürfen
der Reviſionsfähigkeit auch gar nicht, da ihre ein⸗
heitliche Auslegung ſchon durch das Oberlandes⸗
gericht Zweibrücken überwacht werden kann.
Hinſichtlich derjenigen Landesgeſetze dagegen,
die vor dem Oberſten Landesgericht, nicht aber
vor dem Reichsgericht reviſibel ſind, hat bisher
eine ausreichende Gewähr für die Einheit der
Rechtsanwendung gefehlt. Denn die Reviſions⸗
zuſtändigkeit!) iſt zwiſchen Reichsgericht und Oberſtem
Landesgericht nach einem Grundſatze verteilt, der
eine reviſionsgerichtliche Nachprüfung der ober:
landesgerichtlichen Auslegung des für die Ent⸗
ſcheidung maßgebenden Landesgeſetzes in zahlreichen
Fällen vereitelt. Für dieſe Verteilung iſt nämlich
im Unterſchiede vom § 549 Abſ. 1 ZPO. nicht
etwa maßgebend, ob die Reviſion auf Verletzung
eines * oder auf Verletzung eines
Landesgeſetzes geſtützt wird. Vielmehr gehören zur
Reviſionszuſtändigkeit des Reichsgerichts ſchlechthin
Prozeſſe, in denen „durch Klage oder Wider⸗
klage ein Anſpruch“ auf Grund eines nach
5 8 Abſ. 2 EGzGWG. der Reviſionszuſtändigkeit
des Reichsgerichts unterworfenen Reichsgeſetzes ver⸗
folgt wird. So namentlich bürgerliche Rechts⸗
ſtreitigkeiten, in denen „durch Klage oder Wider⸗
klage ein Anſpruch“) auf Grund des Bürgerlichen
Geſetzbuchs geltend gemacht iſt“ (Art. 6 EGzBGB.).)
1) Eine Art der Verrichtungszuſtändigkeit, der ſog.
funktionellen Kompetenz (vgl. Stein, ZPO.“ Vorbem.
VIII vor 8 1).
) Im Sinne des § 253 Abſ. 2 Nr. 2 3PO., nicht nur
in dem engeren Sinne des 8 194 BGB. Gemeint iſt alſo
überhaupt ein materielles Recht mit Einſchluß der Ge⸗
ſtaltungsrechte (auch ſoweit die Geſtaltung durch Richter⸗
ſpruch vollzogen wird) oder Rechtsverhältnis (vgl.
8 256 ZPO.). f
2) Eine genaue Ueberſicht der ſonſtigen die Reviſion
dem Reichsgericht zuweiſenden „beſonderen Reichsgeſetze“
eben L. Seuffert, Seuff Bl. 62 S. 97 ff. u. Stein, ZPO. 10
8 1 unter VI 1. Alle dieſe Geſetze haben den im Texte be⸗
zeichneten Verteilungsmaßſtab. Ueber den 814 Geſetz vom
12. Juni 1869 ſiehe unten in Note 7. Für das OberſteLandes⸗
74
Daß die nachzuprüfende Entſcheidung ausſchließlich
oder im weſentlichen von der Auslegung eines Landes⸗
geſetzes abhängt, bleibt alſo bisher unbeachtet. Iſt
beiſpielsweiſe die Klage auf den $ 1004 BGB. ge:
ſtützt, vom Beklagten aber eingewendet, er ſei kraft
der Vorſchriften des bayeriſchen Nachbarrechts,
Waſſerrechts oder Bergrechts zum Eingriff in den
Herrſchaftsbereich des Eigentümers befugt, ſo fällt
die Entſcheidung über die Reviſion dem Reichs—
gericht zu, auch wenn die Parteien lediglich
über die nach bayeriſchem Landesrecht
zu beurteilende Eingriffsbefugnis
ſtreiten. Auch dann iſt das Reichsgericht zuſtändig,
wenn in der Klage auf Grund des $ 1027 BGB.
(Art. 184 Satz 2 EGz BGB.) die Verurteilung
zur Beſeitigung der eine altrechtliche Grunddienſt⸗
barkeit beeinträchtigenden Anlage begehrt wird,
mag auch der Streit ſich ausſchließlich um die
nach Landesrecht zu beurteilende Frage drehen,
ob die Grunddienſtbarkeit entſtanden iſt oder
nicht (ſo RG. vom 21. Januar 1904, IW.
S. 138 Nr. 1 in Beſtätigung eines Erkenntniſſes
des Oberſten Landesgerichts; vgl. ferner Bürck,
JW. 1900 S. 801 f.). Ja es hat das Reichs—
gericht bisher ſelbſt dann über die Reviſion zu
entſcheiden, wenn durch die Klage ein auf Landes:
recht beruhender Anſpruch (etwa aus einem alt—
rechtlichen Schuldverhältnis. Art. 170 EGz BGB.),
durch Widerklage) aber ein Gegenanſpruch auf
Grund des BGB. erhoben worden iſt, mag auch
der Widerklaganſpruch noch ſo geringfügig oder
im Reviſionsverfahren gar nicht mehr ſtreitig ſein.
Die unerträgliche Folge dieſer Rechtslage iſt
die, daß in derartigen Prozeſſen den Parteien die
dritte Inſtanz verkümmert und dem Oberſten
Landesgericht die Erfüllung der ihm obliegenden
Aufgabe, die Rechtſprechung der bayeriſchen Ober:
landesgerichte zu überwachen und für einheitliche
ee wird.
— . — —ͤ—ũ—
gericht bleibt vom Reichsrecht wenig übrig, beiſpielsweiſe
die Zivilprozeßordnung (wenn etwa eine eigene Erſatzklage
auf Grund der SS 302, 600, 717, 945 3PO. erhoben
wird) oder die Konkursordnung (etwa ein Prozeß zur
Feſtſtellung eines Konkursvorrechts, vgl. Jaeger, KO.“
861 Anm. 20), die letztere freilich nach Art. IX EG. z.
Konkursnovelle vom 17. Mai 1898 nur abgejehen vom
dritten Teil des erſten Buches (Anfechtung)z und — wie
folgerecht hinzuzufügen iſt — vom § 222 (8 236) KO.
Abſonderungs- und Ausſonderungsprozeſſe, in denen
der Kläger ein Recht auf Grund des BGB. verfolgt,
fallen unter Art. 6 EG z BGB (S8 4 II, 43 KO.). Da⸗
gegen bildet z. B. das Verfolgungsrecht des 8 44 KO.
einen zur Reviſionszuſtändigkeit des Oberſten Landes—
gerichts gehörenden reichsrechtlichen Anſpruch. Des—
gleichen der Erſatzausſonderungsanſpruch nach 8 46 KO
) Andrerſeits genügt es zur Begründung der
Reviſionszuſtändigkeit des Reichsgerichts nicht, daß
gegenüber dem vom Kläger kraft Landesrechts er—
hobenen Anſpruch durch Einrede (im Sinne der
ZPO.) etwa aufrechnungsweiſe, ein Gegenanſpruch auf
Grund des BGB. geltend gemacht wird, mag auch der
Streit ſich nur noch um dieſen Gegenanſpruch drehen.
3 EN en — —ů—
Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 4.
Normen, die vor ihm ſelber irreviſibel ſind, an
die Auslegung des Oberlandesgerichts gebunden
und darum in Fällen der erwähnten Art außer⸗
ſtande, ſachlich auf die Reviſion einzugehen (88 549,
562 ZPO.). So entbehrt Bayern der Gewähr
einer Einheitlichkeit der landesrechtlichen Recht:
ſprechung. Die übrigen Gliedſtaaten ſind der
Gefahr widerſprechender Auslegung ihrer Landes⸗
geſetze nicht im gleichen Grade ausgeſetzt. Die
preußiſchen Landesgeſetze ſind nach Maßgabe des
§ 1 30. vor dem Reichsgerichte reviſibel; für die
einheilliche Anwendung ſonſtiger Landesgeſetze aber
ſorgt, da jeder der anderen Gliedſtaaten (3. B.
Sachſen, Württemberg, Baden, Heſſen) nicht mehr
als ein Oberlandesgericht hat, bereits das Be:
rufungsgericht.
Es iſt daher mit Freuden zu begrüßen, daß
der weitblickende und tatkräftige Leiter der bayeriſchen
Juſtizverwaltung einen Antrag Bayerns im Bundes—
rat auf Verbeſſerung der unzulänglichen Reviſions—
vorſchriften erwirkt und perſönlich den Entwurf
im Reichstage mit durchſchlagendem Erfolge ver—
treten hat (Entwurf eines Geſetzes, betreffend
die bei einem oberſten Landesgericht
einzulegenden Reviſionen in bürgerlichen
Rechtsſtreitigkeiten, mit Begründung, Reichs—
tagsdruckſache Nr. 662, 12. Legislatur: Periode,
II. Seſſion 1910,1911). Danach ſoll der für die
Verteilung der Reviſionszuſtändigkeit zwiſchen Reichs—
gericht und Oberſtem Landesgericht maßgebende
Grundſatz nicht umgeſtoßen,“) auch das bahyeriſche
Recht nicht in weiterem Umfang als bisher vor
dem Reichsgerichte reviſibel werden,“) ſondern dem
§ 8 Abſ. 5 EGzGWG. lediglich die Ausnahme
hinzutreten „es ſei denn, daß für die Ent—
ſcheidung im weſentlichen Rechtsnormen
in Betracht kommen, die in Landesgeſetzen
enthalten ſind“ (Art. 1). Der SS EGzGVG.
Auslegung der Landesgeſetze zu ſorgen, unmöglich, wird alſo in neuer Faſſung lauten:
Denn das Reichsgericht iſt bei
„Durch die Geſetzgebung eines Bundesſtaats, in
welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden,
kann die Verhandlung und Entſcheidung der zur
Zuſtändigkeit des Reichsgerichts gebörenden Reviſionen
in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten einem oberſten
Lan desgerichte zugewieſen werden.
Dieſe Vorſchrift ſindet jedoch auf bürgerliche
Rechtsſtreitigkeiten, welche zur Zuſtändigkeit des
Reichs⸗Oberhandelsgerichts gehören oder durch be—
ſondere Reichsgeſetze dem Reichsgerichte zugewieſen
werden, keine Anwendung, es ſei denn, daß für die
Entſcheidung im weſentlichen Rechtsnormen in Be:
tracht kommen, die in Landesgeſetzen enthalten ſind.“
) Unanfechtbar iſt dieſes Prinzip gewiß nicht.
Seine Aufgabe hätte aber die Aenderung zahlreicher
Geſetze nötig gemacht.
e) Abgeſehen davon, daß jede weitere Belaſtung
des Reichsgerichts zu vermeiden iſt und daß es übers
haupt nicht Sache des Reichsgerichts ſein ſollte, die
Auslegung von Landesgeſetzen zu überwachen, hätte
eine ſolche Erweiterung ſich deshalb nicht empfohlen,
weil ſie zwei Obergerichte neben einander zur letzt—
inſtanzlichen Auslegung desſelben Rechtes berufen haben
würde. Vgl. auch Begründung S. 3.
Die Neuerung will der Zuſtändigkeit des Reichs:
gerichts grundſätzlich keinen Abbruch tun, da ſie
ſich ja „im weſentlichen“ auf Normen beſchränkt,
die auch früher nicht zur Reviſionszuſtändigkeit des
Reichsgerichts gehörten. Sie will vielmehr die
ſchon bisher anerkannte Reviſionszuſtändigkeit des
Oberſten Landesgerichts ficherſtellen und verwirk⸗
lichen. Dem Reiche bleibt, was des Reiches iſt.
Bayern aber hat das lebhafteſte Intereſſe an einer
realen Gewähr für die Einheitlichkeit der landes⸗
rechtlichen Rechtſprechung. Ueberzeugend führt die
Begründung S. 3 aus:
„Bisher kam die Irreviſibilität des bayeriſchen
Rechtes hauptſächlich für Rechtsgebiete, die durch
ältere Geſetze geregelt ſind, und für Rechtsverhältniſſe,
die vor dem Inkrafttreten des BGB. entitanden find,
in Betracht. Für das ältere Recht ließ ſich der
Mangel einer Möglichkeit, die Rechtseinheit zu
wahren, ertragen. Auf dem Gebiete des älteren
Rechtes hat ſich im Lauſe ſeiner langen Geltungszeit
eine feſte Uebung gebildet und überdies iſt es zum
größten Teil ohnehin zum Ausſterben beſtimmt. Je
mehr indeſſen erſt nach der Einführung des BGB.
entſtandene Rechts verhältniſſe in Betracht kommen
und je mehr Bayern dazu übergeht, größere der
Landesgeſetzgebung vorbehaltene Gebiete durch neuere
Geſetze zu regeln, um ſo dringender wird das Be⸗
dürfnis, durch eine oberſtrichterliche Rechtſprechung
die Auslegung dieſer Geſetze in feſte Bahnen zu
enken.“
Der Inhalt der neuen Vorſchrift iſt beſtimmt
und klar. Sie lehnt ſich im Wortlaut an den
$ 136 des Entwurfs eines Geſetzes, betr. Aenderungen
des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes an, der für Strafpro⸗
zeſſe beſtimmen ſoll: „Das Reichsgericht kann die Ver⸗
handlung und Entſcheidung über das Rechtsmittel
der Reviſion gegen Urteile der Berufungsſenate, für
die es nach $ 136 Nr. 2 (bisheriger Zählung) zu⸗
ſtändig iſt, dem Oberlandesgericht überweiſen, wenn
für die Entſcheidung im weſentlichen
ſolche Rechtsnormen in Betracht kommen,
die in Landesgeſetzen enthalten find.“ Die Ent:
ſcheidung iſt nach dem Zuſammenhange „die Ent⸗
ſcheidung der Reviſion“. Geben für ſie nach dem
Ermeſſen des ſchon bisher zur bindenden Vor⸗
entſcheidung über die Reviſionsverteilung berufenen
Oberſten Landesgerichts (S 7 II EGzZ3PO.) aus:
ſchließlich oder doch „im weſentlichen“ landes⸗
geſetzliche Rechtsfätze den Ausſchlag, ſo hat das
Oberſte Landesgericht, in allen anderen Fällen
hat das Reichsgericht über die Reviſion zu ent⸗
ſcheiden.) Daß man dem Oberſten Landes⸗
gerichte die pflichtmäßige Abwägung vertrauensvoll
überlaflen darf, dafür bürgt ſeine ganze bisherige
) Bei Klagenverbindung (8 260 ZPO.) genügt es
ſonach zur Begründung der Zuſtändigkeit des Oberſten
Landesgerichts noch nicht, daß der nach Landesrecht zu
beurteilende Anſpruch den höheren Streitwert hat.
Dieſen Maßſtab legt der 8 14 Geſetz, betr. die Errichtung
eines oberſten Gerichtshofes für Handelsſachen, vom
12. Juni 1869 (BGBl. S. 201) für den Fall feſt, daß
bei Klagenverbindung (oder Widerklage) Handelsſachen
un andere Sachen den Gegenſtand der Entſcheidung
bilden.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
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75
Rechtſprechung. Sie weiſt auch nicht die leiſeſte
Spur eines Beſtrebens nach ungerechtſertigter Zu⸗
ſtändigkeitserweiterung auf und hat die Beſorg⸗
niſſe längſt widerlegt, die ſeinerzeit in der Juſtiz⸗
kommiſſion des Reichstags bei Beratung des jetzigen
8 7 Abi. 2 EGzZ3PO. gegenüber der Betrauung
eines Landesgerichts mit ſouveräner Zuſtändigkeits⸗
entſcheidung geltend gemacht worden find (vgl.
v. Hahn, Materialien der ZPO. S. 1083).
Die Bedeutung der Novelle liegt nicht darin,
daß ſie künftig dem Oberſten Landesgericht eine
große Zahl von Reviſionen zuführen wird.
Nach den Erhebungen der bayeriſchen Juſtizver⸗
waltung (Begr. S. 4) würden von durchſchnittlich
200 Revifionen, die in der Zeit von 1904 bis
1909 alljährlich vom Oberſten Landesgericht an
das Reichsgericht abgegeben worden ſind, nur
etwa 17 im Jahre dem Oberſten Landesgericht
verblieben ſein, wenn der $ 8 EGzGGVG. die
nun vorgeſehene Faſſung gehabt hätte. Bei
dieſer Berechnung iſt die im Jahre 1910 durch⸗
geführte Entlaſtung des Revifionsgerichts natürlich
noch nicht in Anſatz gebracht. Immerhin darf
der Gewinn, den die Novelle für die bayeriſche
Rechtſprechung bedeutet, nicht unterſchätzt werden.
Denn erſt ſie bietet, wie bereits betont, die un⸗
entbehrliche Garantie für eine gleichmäßige An⸗
wendung der Landesgeſetze.
II. Von weit geringerer Bedeutung iſt die
im Art. 2 des Entwurfs vorgeſehene Beifügung
des folgenden (fünften) Abſatzes zum § 7
EGz ZPO.:
„Wird der Beſchluß des Oberſten
Landesgerichts, durch welchen das
Reichsgericht für zuſtändig erklärt
wird, dem Reviſionskläger erſt nach
dem Ablauf der Reviſionsfriſt zuge⸗
ſtellt, ſo beginnt mit der Zuſtellung
des Beſchluſſes der Lauf der Friſt für
die Reviſionsbegründung von neuem.“
Die Neuerung will einem von der Rechts⸗
anwaltſchaft beim Reichsgericht gerügten Mangel
abhelfen. Wird nämlich gegen das Urteil eines
bayeriſchen Oberlandesgerichts Reviſion eingelegt,
ſo kann die Reviſionsbegründung ſolange beim
Oberſten Landesgericht eingereicht werden, als
dieſes über die Zuſtändigkeitsvorfrage nicht nach
87 Abi. 2 EGz3PO. entſchieden hat (vgl. L.
v. Seuffert ZPO. 1 8 554 Anm. 2). Nun
beginnt aber nach 8 554 Abſ. 2 ZPO. die
Reviſionsbegründungsfriſt mit Ablauf der Re⸗
viſionsfriſt auch dann, wenn das Oberſte Landes⸗
gericht ſeine eigene Reviſionszuſtändigkeit verneint
und die Sache an das Reichsgericht abgibt. So
kann der Fall eintreten, daß dem jetzt erſt zu
beſtellenden reichsgerichtlichen Rechtsanwalt eine
ausreichende Friſt für die Begründung des Rechts⸗
mittels nicht zur Verfügung ſteht. Deshalb ſoll
nach Art. 2 künftig die Reviſionsbegründungsfriſt
von neuem zu laufen beginnen, wenn die das
Reichsgericht für zuſtändig erklärende Vorent⸗
ſcheidung erſt nach Ablauf der Reviſionsfriſt zu⸗
geſtellt wird (Begr. S. 4). Auch für dieſe zweite
Begründungsfriſt beſteht die Möglichkeit einer
Verlängerung durch den Vorſitzenden auf Antrag
(3 554 Abſ. 2 Satz 2 ZPO.).
III. Mit Recht verhält ſich der Entwurf
weitergehenden Wünſchen gegenüber ablehnend.
Hier ſei nur bemerkt:
1. Nachdem die Novellen von 1898 und 1905
es vermieden haben, an dem Grundſatze zu rütteln,
daß die Reviſion gegen Urteile bayeriſcher Ober⸗
landesgerichte beim Oberſten Landesgericht einzu⸗
legen, und daß von dieſem eine bindende Vor⸗
entſcheidung über die Reviſionszuſtändigkeit zu
fällen iſt, würde jetzt eine Aufgabe dieſes Grund⸗
ſatzes vollkommen unverſtändlich ſein. Freilich
lautet die Vorentſcheidung in der überwiegenden
Mehrheit der Fälle dahin, daß über die Reviſion
das Reichsgericht zu entſcheiden habe. So ſind
von 267 Reviſionen, die 1909 beim Oberſten
Landesgericht eingereicht wurden, 224 dem Reichs⸗
gericht und nur 43 dem Oberſten Landesgericht
zugefallen. Allein einerſeits würde eine Vorſchrift
des Inhalts, daß die Reviſion gegen Urteile
bayeriſcher Oberlandesgerichte ſtets oder auch nur
wahlweiſe beim Reichsgericht einzulegen ſei, dem
auch künftig noch ſtark überbürdeten Reichsgericht
eine nicht unerhebliche neue Belaſtung aufladen.
Andrerſeits aber läge in dieſer Aenderung ein
Mißtrauensvotum gegenüber dem Oberſten Landes⸗
gerichte, das angeſichts der höchſt loyalen Praxis
dieſes Gerichtshofes das äußerſte Befremden er⸗
regen müßte.
2. Es beſteht auch kein zwingender Grund,
die Vorſchrift des 8 8 Abſ. 1 Satz 2 EG33PO.
fallen zu laſſen, derzufolge jeder bei einem
Land- oder Oberlandesgericht (namentlich
alſo beim Gericht erſter oder zweiter Inſtanz) zu⸗
gelaſſene Rechtsanwalt die Reviſionsſchrift ($ 553),
die Reviſionsbegründungsſchrift ($ 554) und die
Revifionsanſchlußſchrift ($ 556 Abſ. 2 ZPO.) ver:
faſſen kann, ſolange die Zuſtändigkeits-Vorent⸗
ſcheidung den Parteien noch nicht bekannt gegeben
iſt (vgl. RG. vom 7. Januar 1908 JW. S. 144
Nr. 15). Der Anwaltſchaft des Reviſionsgerichts
das Begründungsmonopol zuzuerkennen, wäre un:
angemeſſen. Fortab hängt die Entſcheidung über
die Reviſionszuſtändigkeit davon ab, ob Landes⸗
recht oder Reichsrecht anzuwenden iſt; der Inſtanz⸗
anwalt aber muß in der Lage ſein, ſich darüber
zu äußern, welches Recht nach ſeiner Anſicht zur
Anwendung zu gelangen hat.
Mißſtände können ſich ergeben, wenn der
Reviſionskläger die Beſtellung eines Anwalts beim
Reviſionsgericht ungebührlich verzögert. Der
Termin wird angeſetzt; Senatspräſident, Referent
und Gegenanwalt bereiten ſich vor; ſchließlich ſtellt
ſich heraus, daß der Reviſionskläger überhaupt
6
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
Pas u SEE = ER
nicht verhandelt. Hier mag der Senatspräſident
Abhilfe ſchaffen, indem er die Sache erſt bearbeiten
läßt, nachdem der Anwalt beſtellt iſt. Erfolgt
die Beſtellung nicht zeitig genug vor dem Termine,
ſo wird die Sache in eine möglichſt nahe Sitzung
vertagt und eine andere Sache eingeſchoben. Zu
geſetzlichen Maßnahmen beſteht kein Anlaß.
Zurücknehmen kann die Reviſion nur ein
beim Reviſionsgericht zugelaſſener Rechtsanwalt.
Hat fie ein anderer eingelegt (§8 8 Abſ. 1 EGz3P O.),
ſo muß für den Zweck der Zurücknahme eigens
ein beim Reviſionsgericht zugelaſſener Anwalt be⸗
ſtellt werden. Der bayeriſchen Partei erwachſen
damit Mehrkoſten (vgl. 8 23 Nr. 1 RAnwGO.
mit 5 47 Nr. 3 GKG.) Trotzdem wird es
ſich kaum empfehlen, den Anwaltszwang (8 78
ZP.) noch weiter durch den Satz zu durchbrechen,
daß die Reviſion durch jeden Anwalt zurückge⸗
nommen werden dürfe, der ſie einlegen kann. Die
Fälle leichtfertiger Reviſionseinlegung würden da⸗
mit ſicherlich vermehrt werden.
IV. Für die Uebergangszeit will der Art. 3
des Entwurfs beſtimmen, daß die Art. 1 und 2
auf ſolche Reviſionen unanwendbar bleiben, die
vor dem Inkrafttreten des neuen Geſetzes einge⸗
legt find.?)
Die Feſtſtellung des Eigentums an Wegen.
Von Oberſtlandesgerichtsrat Hermann Schmitt
im Staatsminiſterium der Juſtiz in München.
(Fortſetzung).
d) Feldwege: Wenn in einer Gemeinde ein
Flurbereinigungsverfahren ſtattgefunden hat und
rechtskräftig abgeſchloſſen worden iſt, ſo können
alle Wege, die in dieſem Verfahren der Gemeinde
als Eigentum zugewieſen worden ſind, ohne
weiteres als Eigentum der Gemeinde feſtgeſtellt
werden; die Unterlage für die Entſcheidung im
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Flurbereinigungsverfahren iſt nicht nachzuprüfen;
denn die rechtskräftige Entſcheidung der Flur⸗
bereinigungskommiſſion iſt unanfechtbar.“)
Im übrigen iſt folgendes zu beachten: Die
erſten Anhaltspunkte für die Entſcheidung, ob es
ih um Grundſtücksbeſtandteile und dement⸗
ſprechend um Eigentum der anliegenden Grund:
ſtückseigentümer handelt, bietet der Flurplan,
auf dem die ſämtlichen Feldwege einzeln auf⸗
geſucht werden müſſen. Man wird ſich ſchon
auf Grund der Einſichtnahme des Flurplans
darüber ſchlüſſig machen können, welche Wege
zweifellos nicht Angrenzerwege, ſondern ſelb—
) Zur Zeit der Korrektur dieſes Aufſatzes hat der
Reichstag den Entwurt bereits in dritter Leſung un—
verändert angenommen.
*) Vgl. Art. 40 des Flurber.⸗Geſ. — In der Regel
| werden im zylurbereinigungsverfahren alle Wege der
Gemeinde als Eigentum überwieſen, wenn nicht beſondere
Verhältniſſe eine Ausnahme rechtfertigen.
Zeitſchrift für Rechtspflege
— —0 . i—ẽꝶod 8 —ꝛ35ri3ũQän —— — 3 X—Lw—ů—ůñů—ů—3ßÄ—ßL.—ͥ—¶ ———3ss3ßv3rĩłĩ— ³—————ñ8ßvÄ—rè,;§æ. r 5s5ß3—ñĩ;7 rr —Üũü—— —ͤ—j—.—̃ ——2t:: — —-— u: — —
ftändige Grundſtücke find, dann, welche Wege
zweifellos Grundſtücksbeſtandteile bilden; bei einer
dritten Gruppe von Wegen wird die Einſicht⸗
nahme des Flurplans zur Klarſtellung der Ver⸗
hältniſſe freilich nicht ausreichen.
Breitere Wege, die nicht über Grundftüde
hinweg⸗, ſondern zwiſchen Grundſtücken hindurch⸗
gehen und durch die ganze Flur laufen, ſo daß
die Annahme begründet iſt, daß ſie nicht nur
von den angrenzenden Grundſtückseigentümern
benutzt werden, ſondern einem größeren Perſonen⸗
kreiſe, der Allgemeinheit, dienen, können ohne
weiteres ausgeſchieden und als Gemeindeeigentum
behandelt werden; beſondere Erhebungen werden
nur veranlaßt ſein, wenn die Möglichkeit beſtände,
daß ein Großgrundbeſitzer auf dieſe Wege Eigen⸗
tumsanſprüche geltend macht.
Ebenſo können ſchmale Wege, die nach der
Zeichnung auf dem Flurplan Grundſtücke in der
Weiſe durchſchneiden, daß rechts und links vom
Wege Teilflächen eines mit nur einer Plan⸗
nummer bezeichneten Grundſtücks liegen, Wege,
die ſich in der Flur verlaufen und von denen
nach Lage der Verhältniſſe mit Beſtimmtheit an⸗
genommen werden kann, daß ſie für die Gemeinde,
für die Allgemeinheit keine Bedeutung haben,
daß ſie ausſchließlich zur Bewirtſchaftung der
von ihnen berührten Grundſtücke dienen (ſog.
Sackwege), als Angrenzerwege angeſehen werden.
Bezüglich der übrigen Wege, deren Verhäͤlt⸗
niſſe nach dem Flurplan allein nicht feſtgeſtellt
werden können, ſind eingehendere Erhebungen
notwendig. In der Regel wird es ſich empfehlen,
dieſe Wege in der Natur zu beſichtigen und zu
dieſer Augenſcheinseinnahme zwei flurkundige Per⸗
ſonen (Feldgeſchworene) und den Bürgermeiſter
beizuziehen und zwar die Feldgeſchworenen als
Auskunftsperſonen über Tatſachen, die für die
Beurteilung der Rechtsverhältniſſe von Bedeutung
ſein können, den Bürgermeiſter als Vertreter der
Gemeinde, die an dem Ergebnis der Verhand⸗
lungen ein weſentliches Intereſſe hat und unter
Umſtänden Eigentumsrechte geltend machen
will. Die Vernehmung der Auskunſtsperſonen
muß gründlich und zuverlaſſig ſein; man darf
ſich nicht mit ganz allgemein gehaltenen Aeuße⸗
rungen begnügen; es genügt beiſpielsweiſe nicht,
die Auskunftsperſonen erklären zu laſſen, daß alle
Wege Eigentum der Gemeinde ſeien, daß noch
kein Dritter Eigentumsanſprüche erhoben habe,
daß die Gemeinde alle Wege unterhalte.) Die
darf die Frage nicht dahin ſtellen, ob die Wege bisher
Gemeindeeigentum waren. Mit der einfach bejahenden
Antwort vermag der Richter nichts anzufangen; er muß
ſeine Entſcheidung begründen, er kann ſie nur auf Tat⸗
ſachen, nicht auf die einer tatſächlichen Unterlage ent⸗
behrende Meinung der Auskunftsperſonen ſtützen, die
ſich häufig über die Eigentumsverhältniſſe bezüglich
der unbedeutenden Feldwege nicht klar ſind und ihre
Meinung jederzeit wieder ändern können. Im übrigen
in Bayern. 1911. Nr. 4.
Verhältniſſe müſſen im einzelnen beſprochen und
gewürdigt werden.
Die Verhandlungen müſſen ſich zunächſt mit
der Beſchaffenheit des Weges, mit der Unterhaltung
befaſſen. Wenn die Gemeinde den Weg auf Grund
des Art. 38 GemO. unterhält, jo wird hierdurch
die Eigentumsfrage zwar nicht entſchieden, doch
iſt damit ein gewichtiger Umſtand ſür das Eigen⸗
tumsrecht der Gemeinde gegeben, namentlich dann,
wenn der Weg im Kataſter noch als Feldweg be⸗
zeichnet iſt. Weniger von Bedeutung iſt die Feſt⸗
ſtellung, daß die Gemeinde nach Art. 55 GemO.
die Unterhaltung des Weges angeordnet hat; denn
unter Feldwegen im Sinne dieſer Geſetzesſtelle
ſind alle Feldwege, die öffentlichen und die nicht
öffentlichen zu verſtehen;F“) ein Vorgehen auf
Grund dieſer Vorſchrift läßt nicht ohne weiteres
einen Schluß auf die Eigentumsfrage zu, auch
dann nicht, wenn man die Meinung vertreten
wollte,“) daß Art. 55 nur auf öffentliche Feld⸗
wege, nicht auch auf Privatfeldwege anzuwenden
ſei, es müßte denn in einwandfreier Weiſe feſtge⸗
ſtellt werden können, daß die Gemeinde die Wege
nicht nur als öffentliche Wege, ſondern auch als
ihr Eigentum betrachtet hat. Dagegen kann die
Tatſache, daß die Angrenzer die Wege unterhalten
haben, ohne von der Gemeinde hierzu angehalten
worden zu ſein, für das Eigentum der Angrenzer
ſprechen, weil in dieſem Falle die Annahme be⸗
rechtigt iſt, daß ein allgemeines Intereſſe an den
Wegen nicht beſteht. Weiter wird darüber zu
verhandeln ſein, wer das auf dem Wege wachſende
Gras nutzt, wer über die auf dem Wege ſtehenden
Bäume verfügt. Daß die Gemeinde die Nutzungen
an den Wegen verpachtet, kommt haͤufig vor; doch
kann dieſer Pachtvertrag an ſich fremdes Eigentum
nicht berühren; will man die Bedeutung einer
ſolchen Verpachtung zuverläſſig feſtſtellen, ſo muß
ermittelt werden, welche Wege im einzelnen durch
die Verpachtung tatſächlich getroffen wurden, ob
bei den Wegen, die nach Lage der Sache als An⸗
grenzerwege zu betrachten wären, eine Grasnutzung
überhaupt ſtattfinden kann und bejahendenfalls
ob ſie ſo bedeutend iſt, daß aus der ſtillſchwei⸗
genden Duldung der Angrenzer ein Schluß auf
die Preisgebung ihres Eigentums an der Weg⸗
fläche ſelbſt gezogen werden kann. Wird feſtge⸗
ſtellt, daß die Angrenzer ſeit Jahren die Verpach⸗
tung einer wertvolleren Grasnutzung geduldet
ſoll man überhaupt eine Frageſtellung vermeiden, die
bei nicht gewandten Perſonen die irrige Meinung auf⸗
kommen laſſen kann, daß der Frageſteller eine Bejahung
der Frage erwartet.
0) Vgl. Entſch. d. VerwH. Bd. 3 S. 29: weil
das Geſetz zwiſchen öffentlichen und nicht öffentlichen
nicht unterſcheidet. A. M. Kahr; ſ. Anm 30.
” Wie Kahr, GemO. 1 S. 586: die Regelung der
Privatwegeverhältniſſe liege außerhalb des Rahmens
einer Gemeindeordnung, die einſchlägigen Geſetzgebungs—
verhandlungen bieten keinen Anhalt für die Annahme,
daß dies gleichwohl beabſichtigt geweſen ſei.
18
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911 in Bayern. 1911. Nr. 4.
haben, ſo wird auch dieſer Umſtand zugunſten des
Eigentums der Gemeinde verwertet werden können.
Im übrigen iſt die Frage überhaupt von größter
Bedeutung, ob die Gemeinde irgendwelche Hand⸗
lungen vorgenommen hat, welche dahin gedeutet
werden können, daß ſie ſich als Eigentümerin des
Weges betrachtet hat und daß auch die Angrenzer
ſie als ſolche gelten laſſen wollten. So wird die
Tatſache, daß die Gemeinde von den Angrenzern
Teilflächen zur Verbreiterung oder zur Verlegung
des Weges gekauft hat, ein ſprechender Beweis
für das Eigentum der Gemeinde ſein, es müßte
denn die Gemeinde ſelbſt geltend machen, daß ſie
ſich beim Abſchluſſe des Rechtsgeſchäfts geirrt hat,
oder ein Teil der Angrenzer dartun, daß ſie von
dem Rechtsgeſchäfte keine Kenntnis erlangt haben.
Auch die Verkehrsbedeutung des Weges muß hier
gewürdigt werden; die Feldgeſchworenen können
unter anderem wiſſen, daß ein Feldweg zugleich
als Kirchen⸗, Schul⸗ oder Leichenweg für die
Gemeinde dient, oder daß er den einzigen Zu⸗
gang zu einer großen Flurabteilung bildet, die
wegen beſtehender Abhänge oder wegen eines in⸗
mitte liegenden Sumpfes auf anderen Wegen
nicht zu erreichen iſt, oder daß der Weg allein
zu einer Gemeindeweide führt und aus dieſem
Grunde von ollen oder doch von einer unbe⸗
ſchränkten Zahl der Gemeindeangehörigen benützt
werden muß. Anhaltspunkte für die Entſcheidung
der Eigentumsfrage kann auch die Vermarkung
bieten; es kann ihr jedoch nur dann Gewicht bei-
gelegt werden, wenn die Zeit, der Anlaß und die
Bedeutung der Abmarkung genauer feſtgeſtellt
werden kann; ) die Feldgeſchworenen können ſich
auch hierüber ausſprechen, insbeſondere können ſie
wiſſen, ob die Vermarkung mit Zuſtimmung der
Angrenzer vorgenommen wurde, ob ſie eine wirk⸗
liche Eigentumsgrenze darſtellen oder nur die
Wegrichtung und die Wegbreite feſtlegen ſollte,
die von den Fahrtberechtigten einzuhalten iſt.
Dem Stand der Markſteine muß beſondere Auf⸗
merkſamkeit zugewendet werden; manchmal ſtehen
ſie in der Mitte des Weges, manchmal abwechſelnd
zu beiden Seiten des Weges, ) während ſie ſich
in anderen Fällen nur an den am Wege liegenden
Grundſtücksgrenzpunkten finden. Schließlich wird
auch zu erörtern ſein, auf weſſen Koſten die Mark⸗
ſteine beſchafft wurden. Die Sorge der Gemeinde
für die Inſtandhaltung der Abmarkung einzelner
Wege kann unter Umſtänden für die Entſcheidung
von weſentlicher Bedeutung ſein; vorausgeſetzt
wird hierbei natürlich, daß die Gemeinde die er⸗
forderlichen Grenzſteine nicht, wie es an manchen
Orten üblich iſt, für alle Grundſtücke der Ge⸗
meindeflur, ſondern nur für die ihr gehörenden
Grundſtücke beſchafft. Man wird auch in dieſem
Falle he können, daß die Gemeinde durch
2 Vgl. Samml. Bd. 8 95 604.
) Siehe unten s Abſ. 3
die Inſtandhaltung der Markſteine zu erkennen
gegeben hat, daß fie die Wegfläche als ihr Eigen:
tum betrachtete; haben die Angrenzer die Gemeinde
gewähren laſſen und ſie ſelbſt als Eigentümerin
angeſehen, ſo kann dies die Annahme eines
Beſitzverhältniſſes rechtfertigen, das für die Be⸗
teiligten trotz des Fehlens einer nachweisbaren
Erwerbstatſache als der zu Recht beſtehende Zu⸗
ſtand gegolten hat und das infolgedeſſen im Wege
der außerordentlichen Erſitzung zum Erwerbe des
Eigentums führen konnte.)
Unter Umſtänden wird auch das Meſſungs⸗
amt um Aeußerung zu erſuchen ſein, namentlich
wenn Zweifel darüber beſtehen, ob die Wegfläche
in die Fläche der vom Wege berührten Grund⸗
ſtücke eingerechnet iſt; der in der Flur bekannte
Meſſungsbeamte wird ſachdienliche Aufſchlüſſe über
die Verkehrsbedeutung und andere Verhältniſſe
geben können; er wird ſich über den Zweck der
Vermarkung und namentlich darüber äußern können,
ob die aufgefundenen Steine überhaupt als Mark⸗
ſteine und nicht etwa, was einigemale feſtgeſtellt
werden mußte, als Abweisſteine zu gelten haben.
Zur Entſcheidung der Eigentumsfrage iſt er freilich
ebenſowenig wie eine andere Auskunftsperſon oder
ein anderer Sachverſtändiger berufen. Dieſe Auf⸗
gabe kommt nur dem Richter zu.
Einer Vernehmung der angrenzenden Grund⸗
ſtückseigentümer wird es in der Regel nicht be⸗
dürfen; ſie iſt überflüſſig, wenn der Richter ſich
für Eigentum der Angrenzer entſcheidet, ) und
ebenſo entbehrlich, wenn er ſich auf Grund be⸗
ſtimmter Tatſachen für das Eigentum der Ge⸗
meinde oder einer Privatperſon ſchlüſſig macht.
Ausnahmsweiſe kann natürlich auch die Vernehmung
der Angrenzer, wenigſtens einzelner von ihnen
zum Zwecke der Klarſtellung der Verhältniſſe ver⸗
anlaßt ſein.
Beſondere Aufmerkſamkeit erfordert die Be⸗
handlung der zunächſt der Grenze einer Steuer⸗
gemeinde laufenden Feldwege.) Wenn ein
ſolcher Weg an der Grenze läuft, alſo nur
Grundſtücke einer Steuergemeinde berührt, fo iſt
er auch nur in dieſer Steuergemeinde kataſtriert.
Wenn ein Weg aber auf der Grenze läuft, alſo
Grundſtücke der einen wie der benachbarten
Steuergemeinde berührt, ſo hätte er ſchon mit
Rückſicht auf § 62 des Grundſteuergeſetzes auch
in beiden Steuergemeinden je mit einer beſonderen
Plannummer kataſtriert werden ſollen; ganz ver⸗
einzelt iſt dies auch geſchehen; im Regelfalle aber
wurde ein auf der Grenze verlaufender Weg nur
in der einen Steuergemeinde kataſtriert, ſo daß
zu dieſem Wege nun auch Teilflaͤchen von Grund:
7) So zutreffend das Oberſte Landesgericht
Samml. 8 . Für die Annahme der ordentlichen Er—
jipung fehlt der richtige Titel.
) Vorgeſchrieben iſt fie nicht; ſiehe unten Anm. 48.
2% Siehe oben Ziff. I Abſ. 1.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
79
— — — — —
ſtücken der benachbarten Steuergemeinde gehören, die Straße oder der Weg ſpäter infolge einer
gleichviel ob dieſe Steuergemeinde in demſelben
Grundbuchamtsbezirke liegt oder nicht. Aus der
kataſtertechniſchen Behandlung der Grenzwege
dürfen alſo Schlüſſe auf die Zugehörigkeit der
Teilflaͤchen nicht gezogen werden, insbeſondere
darf aus der Tatſache, daß ein Weg nur in
einer Steuergemeinde kataſtriert iſt, nicht ohne
weiteres geſolgert werden, daß er ausſchließlich
Grundſtücke dieſer Steuergemeinde berührt. Es
iſt vielmehr in jedem einzelnen Falle geſondert
ſeſtzuſtellen, ob der Weg an oder auf der Grenze
läuft; eine Vernehmung der Angrenzer aus der
benachbarten Steuergemeinde wird ſich in dieſem
Falle nicht umgehen laſſen.
e) Waldwege: Das Verfahren geſtaltet ſich
bei dieſen Wegen, die nach den Erforderniſſen
des jeweiligen forſtwirtſchaftlichen Betriebs häufig
verlegt werden und daher in ihrem Beſtande
(Verlauf und Flächeninhalt) fortwährendem Wechſel
unterworfen ſind, aus dem Grunde einfacher, weil
bei ihnen nach Lage der Sache die Vermutung
dafür ſpricht, daß ſie Eigentum desjenigen ſind,
der über ſie Verfügung getroffen hat, d. i. des
Waldeigentümers; freilich keine Rechtsvermutung,
es muß aber angenommen werden, daß ſie ſeit
Beſtehen des Waldes Beſtandteile des Waldes
geweſen find, der ja an und für ſich ein ge:
ſchloſſenes Ganzes bildet; es würde auch jeder
vernünftigen Waldwirtſchaft widerſprechen, wenn
der Waldeigentümer ſolche Teilflächen des Waldes
an einen anderen abtreten und ſo mitten in
ſeinem abgeſchloſſenen Herrſchaftsbereiche einen
anderen Gebieter aufkommen laſſen wollte. Dies
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gilt nicht nur vom Staatswald, ſondern ebenſo
von Gemeinde⸗, Körperſchafts⸗, Stiftungs⸗ und
Privatwaldungen. Beim Staatswald iſt beſonders
zu berüdfichtigen, daß die Wege innerhalb der
geſchloſſenen Abmarkung liegen und vom Staats⸗
waldbeſitz nicht abgemarkt, daß ſie in den
Grenzvermeſſungsregiſtern nicht als fremdes Eigen⸗
tum betrachtet worden ſind,
Nutzungen auf den Wegen (Steine, Erde, Laub,
Holzwuchs, Geaͤckerich ꝛc.) für das Staatsärar
Verlegung wieder aufgelaſſen wurde, ſo daß der
Eigentümer wieder frei über die Flache verfügen
konnte. f
Im Anlegungsverfahren hat denn auch die
Staatsforſtverwaltung aus obigen Gründen an
allen Staatswaldwegen Eigentumsanſprüche er⸗
hoben, gleichviel ob ſie ſich in inmärkiſchen oder
ausmärkiſchen Bezirken befinden. Soweit für
die Wege Buchungsantrag geſtellt war, hatte
man die Wege als Beſtandteile der von ihnen
berührten Waldgrundſtücke feſtzuſtellen und dann
nach SS 189, 300 der Dienſtanweiſung zu be⸗
handeln, man durfte ſie aber nicht in das Ver⸗
zeichnis der nicht gebuchten buchungsfreien Grund⸗
ſtücke aufnehmen. Die bei einzelnen Gerichten
erörterte Frage, ob ſür die Wege, die als Grund⸗
ſtücksbeſtandteile anerkannt werden, überhaupt
Buchungsantrag geſtellt und die Anlegung eines
Grundbuchblattes (nicht bloß eines Schutzblattes
im Sinne des $ 300 Abſ. 2 DAnw.) verlangt
werden kann, muß grundſätzlich bejaht werden;
es ſteht ganz im Belieben des Eigentümers,
Grundſtücksbeſtandteile als ſelbſtändige Grund⸗
ſtücke zu erklären und als ſolche den beſtehenden
Vorſchriften entſprechend grundbuchmäßig behandeln
zu laſſen.
Eingehender ſind die Verhältniſſe der Wege zu
würdigen, welche auf (nicht: an) der Grenze ver⸗
laufen und deren Abmarkungsſteine abwechſelnd auf
beiden Wegſeiten ſtehen. Bei dieſen Wegen iſt, darüber
beſteht allſeitiges Einverſtändnis, zu vermuten, daß
die eigentliche Grenze auf der Mitte des Weges
liegt und die eigenartige Stellung der Steine
nur gewählt wurde, weil dieſe in der Mitte
des Weges der vorausſichtlichen Beſchädigungen
halber nicht aufgeſtellt werden konnten oder ſollten.
Oefter hat man das Rechtsverhältnis in einem
daß man alle
Bruchteilen
nicht der wirklichen Sach- und Rechtslage; denn
verwertet hat, daß ſie abſichtlich und unabſichtlich
verlegt, reguliert und verbeſſert worden ſind ohne
daß jemand dazwiſchen getreten iſt; auch das
kann nicht außer Betracht bleiben, daß ſie in
der Natur zum Teil als Wege gar nicht mehr
vorhanden ſind, daß ſie außer Gebrauch kamen
und ſich auf natürlichem Wege mit Holz be⸗
ſtockten.
Diſtriktsſtraßen und Gemeindeverbindungswege
durch den Staatswald geführt hat; die Staats—
forſtverwaltung hat dazu auch im Intereſſe der
Allgemeinheit die Genehmigung erteilt, in keinem
ſolchen Falle in Meſſungsverzeichniſſen in der
Weiſe dargeſtellt, daß Forſtärar und Gemeinde
(oder Steuergemeinde!) als Miteigentümer nach
erſcheinen. Dies entſpricht jedoch
wenn die Grenze auf der Mitte des Weges liegt,
ſo ſteht damit doch feſt, daß die eine Weghälſte
Beſtandteil des Staatswalds, jedenfalls aber
Alleineigentum des Waldeigentümers, die andere
der auf dieſer Seite
die Möglichkeit iſt
Weghälfte Beſtandteil
liegenden Grundſtücke iſt;
| freilich nicht ausgeſchloſſen, daß dieſe Weghälfte
Wohl iſt es vorgekommen, daß man
Eigentum der Gemeinde geworden iſt; trifft das
letztere zu, ſo wäre der der Gemeinde gehörende
Wegteil mit einer beſonderen Plannummer zu
verſehen, wenn nicht die Beteiligten trotz der be⸗
ſtehenden Vermarkung in unzweideutiger Weiſe
Falle iſt aber der Verſuch gelungen, nachzuweiſen, ihre Abſicht kundgeben, den Weg als Miteigen—
daß die Staatsforſtverwaltung das Eigentum an tum im Sinne der bezeichneten Geſetzesſtelle zu
der Wegſtrecke abgetreten hat; das war namentlich
in den Fällen von großer Bedeutung, in denen
beſitzen. Wohl zu unterſcheiden davon iſt der
Fall, daß ein Weg an der Grenze verläuft;
80 u Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
— — — —e— — —
— LI
dann kann der Weg in ſeiner ganzen Breite nur immer gleich bleibt, iſt eine häufig zu machende
als Beſtandteil des Waldes gelten.) Wahrnehmung. Es kommt nicht ſelten vor, daß
4. Ausſcheidung von Wegteilſtrecken. | Grundſtücke, über die nach dem Plane der Weg
Nicht ſelten muß feſtgeſtellt werden, daß ein hinführt, in Wirklichkeit von ihm an einer
mit einer Plannummer bezeichneter Weg auf anderen Stelle oder überhaupt nicht mehr be⸗
eine beſtimmte Strecke eigenes Grundſtück, auf rührt werden. Das Richtigſte wäre wohl, eine
die Reſtſtrecke aber Beſtandteil der Grundſtücke Neuvermeſſung herbeizuführen, um den Plan mit
iſt, über die er führt. Die Eintragung der als der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Die
eigenes Grundſtück zu erachtenden Teilſtrecke in Vermeſſung könnte jedoch nur auf Koſten der
das Grundbuch ſetzt voraus, daß dieſe aus: Beteiligten geſchehen und die Koſten würden zu
geſchieden und mit einer beſonderen Plannummer dem erſtrebten Nutzen in keinem Verhältnis
bezeichnet iſt. Die Ausſcheidung und die Aende⸗ ſtehen; auch ware es nicht ausgeſchloſſen, daß die
rung in der Plannummernbezeichnung hat das Uebereinſtimmung alsbald wieder verloren geht.
Meſſungsamt gebührenfrei in einem Meſſungs-. Man wird alſo im Regelfalle davon abſehen
verzeichniſſe darzuſtellen; das Grundbuchamt hat müſſen, den Beteiligten zu empfehlen, eine Neu⸗
dem Meſſungsamt mitzuteilen, bei welchen geo- vermefſung zu veranlaſſen. Im übrigen muß
metriſchen Punkten (Grenz⸗Eckpunkten der Grund⸗ man ſich damit abfinden, daß mit der im Grund⸗
ſtücke) die auszuſcheidende Teilſtrecke beginnt.) ſteuerkataſter vorgetragenen Plannummer nur
Beſonders häufig wird dieſer Fall zutreffen diejenige Wegfläche beſchrieben iſt, die im Kataſter⸗
bei Waldwegen, die außerhalb des Waldes unter plane als ſolche eingezeichnet iſt; man darf alſo
derſelben Plannummernbezeichnung weiterführen, nicht ohne weiteres dieſe Plannummer auf die
innerhalb des Waldes Beſtandteile des Waldes Teilflächen übertragen, die nach dem derzeitigen
bilden, außerhalb des Waldes aber Gemeinde⸗ Verlaufe des Weges von dieſem berührt werden.)
eigentum find; aber auch bei gewöhnlichen Feld: Das gleiche gilt, wenn ein unſelbſtändiger Weg
wegen kann ein ſolches Verhältnis gegeben ſein; vollſtändig aufgelaſſen und ein Erſatz überhaupt
dieſes kann ſchon urſprünglich zur Zeit der Landes⸗ nicht oder als ſolcher an anderer Stelle ein völlig
vermeſſung beſtanden, ſich aber auch erſt im Laufe neuer Weg geſchaffen wurde. Auch in dieſem
der Jahre entwickelt haben; die Teilſtrecke eines Falle darf die dem aufgelaſſenen Wege zu⸗
Feldwegs kann beiſpielsweiſe als Zufahrt zu kommende Plannummer nicht ohne weiteres auf
anderen abzweigenden Feldwegen für die All⸗ den neuen Weg übertragen werden; die Feſt⸗
gemeinheit beſondere Bedeutung erlangt und aus ſtellungen ſind jedoch dem Rentamte mitzuteilen
dieſem Grunde von der Gemeinde in Beſitz ge⸗ und dieſem das weitere zu überlaſſen. Der Um⸗
nommen und von ihr erſeſſen worden ſein. ſtand, daß die unſteuerbaren Flächen des alten
Nicht notwendig iſt eine ſolche Ausſcheidung Weges zu den Hauptgrundſtücken gezogen und
natürlich dann, wenn ein Waldweg außerhalb mit dieſen bewirtſchaftet werden, alſo ſteuerbar
des Waldes ſich fortſetzt und innerhalb wie geworden ſind, kann dem Rentamte Anlaß geben,
außerhalb des Waldes Beſtandteil der von ihm die früheren Wegteilflächen den Hauptgrundſtücken
berührten Grundſtücke und der Waldeigentümer zumeſſen zu laſſen.
damit einverſtanden iſt, daß die innerhalb des Weichen ſelbſtändige Wege in Wirklichkeit von
Waldes gelegene Wegſtrecke auch buchmäßig als der Richtung ab, die ſie nach dem Plane haben,
Beſtandteils⸗Weg behandelt wird. ſo kann man ſich darauf beſchränken, dieſes dem
5. Verlegung der Wege.) Daß die Meſſungsamte mitzuteilen; ein Eintragungs⸗
Richtung der unſelbſtändigen Feldwege nicht hindernis bildet die Abweichung nicht, auch dann
2 nicht, wenn für den Weg eine beſondere Fläche
*) Daß ein Weg im Innern des Staatswalds in ausgeſchieden iſt.
der vorgeſchriebenen Weiſe abgemarkt ſein ſollte, iſt nur ; 5 .
denkbar, wenn der auf der einen Seite des Weges 6. Oeffentliche Wege. Unter öffentlichen
liegende Wald früher Eigentum einer anderen Wegen ſind ſolche zu verſtehen, welche der Staat
Perſon war und erſt ſpäter in das Eigentum des oder ein gemeindlicher Verband zum allgemeinen,
ae e in in e wird in der wenn auch in gewiſſen Richtungen beſchränkten
ae, ene ache ai Claes, det _ Gebrauhe Befimmi hat, nabend Penaten old
Veräußerer ſich das Eigentum an der Wegteilfläche vor: ſind, deren Gebrauch nur einzelnen Perſonen kraft
behalten hat; aber auch hier wird von einem Miteigen⸗ Privatrechts zuſteht“). Der Begriff des öffent:
tum im Sinne des 8 1008 BGB. nur dann die Rede lichen Weges wird zunächſt in $ 90 GBO. er:
ſein können, wenn zwiſchen den Beteiligten eine be— 5 „ M 2 1 ;
ſondere Vereinbarung in dieſem Sinne getroffen wähnt; auf Grund dieſes Geſetzes ſchreibt 5 1 Ab. 1
worden iſt. der Kgl. VO. vom 1. Juli 1898 vor, daß öffent—
) Vgl. Bek. des StM. der Finanzen vom 15. Of: a:
tober 1910 und Bek. des StM. der Juſtiz vom 2. No- 30) Bei ſolcher Sachlage kann man ſich auf einen
vember 1910 (JMBl. S. 983 ff.). Vermerk im Sinne des 8189 Satz 5 DA. beſchränken;
25) Muſter jür die meſſungstechniſche Behandlung ſiehe unten Ziff. III.
einer Wegverlegung ſ. Anl. z. Fin.-Min⸗Bek. vom 4) Vgl. Entſch. d. VGH. Bd. 11 S. 325, 585, Bd. 25
15. Oktober 1910 (JM Bl. S. 984 ff.). S. 1; Kahr, GemO. I S. 338 — 403.
Zeitſchrift für r Rechtspflege in t Bahern. 1911. Nr. 4 81
——— en EN — — —
liche Wege nur auf Antrag ein Grundbuchblatt
erhalten, alſo buchungsfreie Grundſtücke ſind. Für
die Entſcheidung der Eigentumsfrage iſt der Be:
griff nicht von beſonderer, ſicher nicht von aus⸗
ſchlaggebender Bedeutung; denn öffentliche Wege
können Eigentum eines öffentlichen Verbandes,
aber auch Eigentum einer Privatperſon ſein. 4)
In der Regel wird freilich derjenige Verband
(Staat, Kreis⸗, Diſtrikts⸗ oder politiſche Gemeinde)
Eigentümer ſein, der dem Wege die Zweckbeſtim⸗
|
|
|
mung verliehen hat; ift der Weg Privateigentum,
ſo wird vorausgeſetzt, daß der Staat oder der
Gemeindeverband, welcher den Weg zu einem
öffentlichen Weg beſtimmt hat, auf privatrechtlicher
Unterlage, auf Grund einer durch Vertrag oder
Erfitzung erworbenen Dienſtbarkeit dieſe Zweckbe⸗
ſtimmung verfügen kann. Mit Rückſicht auf die
Zweckbeſtimmung werden als öffentliche Wege zu gelten
haben: Staats⸗, Diſtrikts⸗, Ortsſtraßen, Ortswege,
Gemeinde⸗ und Gemeindeverbindungswege. Bei
dieſen bietet die Eigentumsfeſtſtellung ohnedies
keine beſonderen Schwierigkeiten; bei Feldwegen und
Fußwegen müßte die Zweckbeſtimmung jeweils von
Fall zu Fall feſtgeſtellt werden; die Oeffentlichkeit
eines Weges wird zwar durch einen Verwaltungs⸗
akt der zuſtändigen ſtaatlichen oder gemeindlichen
Organe begründet, die Erklärung der Organe iſt
jedoch anfechtbar, bietet alſo ohne weiteres keine zu⸗
verläſſige Unterlage; Streitigkeiten über die öffent⸗
liche Eigenſchaft eines Weges find im Verwaltungs⸗
rechtswege zu entſcheiden. ) Sollte die Oeffent⸗
lichkeit eines Feldwegs feſtſtehen, ſo iſt es immer⸗
hin wenig wahrſcheinlich, daß die Grundfläche,
beſchwert mit der Laſt, der Allgemeinheit als Weg
zu dienen, im Eigentum einer oder mehrerer
Privatperſonen ſteht; die Frage, ob der Weg nicht
doch der Gemeinde gehört, iſt darum in dieſem
Falle mit beſonderer Genauigkeit zu prüfen; in
der Regel wird der Fall nur vorkommen, wenn
in der Gemeinde ein großer, geſchloſſener Grund-
beſitz liegt, innerhalb deſſen der Beſitzer (Staat,
Stiftungen, Standesherrſchaften ꝛc.) überhaupt alle
Wege als Eigentum beanſprucht.
Auch diejenigen Feldwege, die nicht eigene
Grundſtücke ſind, ſondern Beſtandteile der Grund⸗
ſtücke bilden, über die ſie hinwegführen, kommen
als öffentliche Wege kaum in Betracht, wenn ſie
auch im Sinne der Gemeindeordnung als ſolche
gelten können.“) Dieſe Wege haben für die Al:
4) RG3. 48, 299.
42 ur betr. die Errichtung eines Verwaltungs: .
gerichtshofs Art. 8 Nr. 34. Ohne vorherige Einvernahme
8 bei der Herſtellung und bei der Unterhaltung eines
eges beteiligten Perſonen kann die öffentliche Eigen⸗
aft eines Weges U N nicht
eigefle er (Entſch. d. VGH. Bd. 1 S. 95).
l. Kahr, GemO. I S. 386 > 118: „Daß
die Gemeinde nicht Eigentümerin des Grund und Bodens,
. v—p—ͤ—— — . 7⅛7i— —y—y—— — —
ſondern nur ſervitutberechti g ift, kommt bei öffentlichen
Feldwegen häufig vor“. Kahr kann hier nur die uns
ſelbſtändigen Wege im Auge haben; denn ſelbſtändige
— — Te — — ——ͤ 1uũ—ññ
— —ü—k ._ — — Be — = ee ne —
gemeinheit kein Intereſſe, fie werden als öffentliche
Wege auch nicht beanſprucht, wenn ſie auch tat⸗
ſächlich vielleicht der allgemeinen Benützung offen
ſtehen. Keinesfalls können die unſelbſtändigen
Wege als öffentliche Wege im Sinne des $ 90
GBO. angeſehen werden, da die Anlegung eines
Grundbuchblattes, wie fie 8 90 im Auge hat, nur
für ſelbſtändige Grundſtücke zuläſſig iſt. Sollte
angenommen worden ſein, daß ein Gemeinde⸗
verband an einem unſelbſtändigen Wege durch
Erſitzung eine Dienſtbarkeit erworben hat, die ihn
berechtigen würde, den Weg als öffentlichen Weg
zu erklären, jo wäre neuerdings die Frage zu
prüfen, ob die Gemeinde nicht überhaupt Eigen⸗
tümerin geworden iſt.
Hier darf ſchließlich noch die Frage erörtert
werden, ob und wie weit an einem öffentlichen
Wege Privatrechte zulaͤſſig find. Sowohl nach
früherem Rechte, wie nach dem Rechte des Bürger⸗
lichen Geſetzbuchs iſt die Begründung und der
Fortbeſtand von Privatrechten einzelner Perſonen
an dem Wege nicht ausgeſchloſſen, wenn dieſe
Rechte mit der Zweckbeſtimmung des öffentlichen
Weges vereinbar ſind. Ein derartiges Sonder⸗
recht kann auch durch Verjährung erworben werden,
es darf jedoch auch in dieſem Falle der Sonder⸗
anſpruch der Zweckbeſtimmung des Weges nicht
entgegenſtehen; andererſeits kann allerdings eine
noch ſo lange Ausübung allgemeiner Gebrauchs⸗
befugniſſe, die ſich auf die Oeffentlichkeit des Weges
gründen, nicht die Unterlage für die Begründung
eines derartigen Rechtes bilden.“)
(Schluß folgt).
Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungs⸗
verfahrens.
Von Rechtsanwalt Dr. Hugs Cahn in Nürnberg.
(Schluß.)
Aus dem Geſagten erhellt, daß die Offen:
barungspflicht eine ernſtere, minder ſtereotype und
leichter kontrollierbare wird, wenn nicht mehr der
Eid allein, im ſonſtigen prozeſſualen Leben das
unſicherſte Mittel zum Erkennen der Wahrheit,
das Verfahren beherrſcht. Das neue Syſtem
hätte aber vor allem auch den Vorteil, daß der Gläu⸗
biger der ſchweren Alternative — „freigeben oder
verklagt werden“ in den Widerſpruchsfällen mand)-
mal Keniginge, Er könnte ruhiger freigeben; dieſer
öffentliche Wege im Eigentum von Privatperſonen werden
nicht zahlreich ſein.
0 Vgl. Kahr, GemO. J S. 358 f.; Becher, Landes-
zivilrecht S. 1074 ff.; Oertmann, Baylandesprivh.
S. 394 ff.; Dernburg, PreußPrivR. 3. Aufl. Bd. I
S. 138 ff., 629 ff., RG. 6, 162.
82
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
= —— — —
Akt hätte nicht immer die gleiche Tragweite, wie Eidesformalismus den Vorzug gibt. Und dann
jetzt.
en ja in dem de lege ferenda zu regelnden
Verfahren die zum Schein oder durch nichtigen
Akt übereigneten Werte einer genauen Würdigung
im Offenbarungsbeweisverfahren unterziehen. Der
einzelne Gläubiger, ſelbſt vielleicht in kleinen Ver⸗
hältniſſen, brauchte unter Umſtänden nicht die
Kaſtanien für andre aus dem Feuer holen und
koſtſpielige Prozeſſe mit den Hintermännern ſeines
Schuldners durchführen.“)
Sehr heilſam wären die von mir vorgeſchlagenen
Aenderungen insbeſondere auch im Falle des 8 903
3PO., d. h. im Falle eines erneuten Vollſtreckungs⸗
Denn der Offenbarungsrichter kann und der Vorzug für den Schuldner!
Wie Kraus in
den BIRA. Bd. 71 S. 372 darlegt, kann ſchon
|
bedürfniſſes, ehe die 5 Schonungsjahre abgelaufen
ſind. Die ſehr heikle Prüfung des neuen Ver⸗
mögenserwerbes könnte am zweckmäßigſten in dem
von mir angeregten Offenbarungsbeweisverfahren
geſchehen.
Das oben entwickelte Verfahren hätte den
weiteren bedeutenden Vorzug des Wegfalles vieler
verdächtiger Eide.“) Wo der Schwur in Frage
kommt, ſtrebt man heute ſeine Verminderung an.
Wenn irgendwo, ſo iſt in unſrem Falle die
Minderung der Anzahl der Eide angebracht. Im
Kampf um die letzten Daſeinsmittel der Familie
iſt ein Abirren vom rechten Weg des wahren
Eides menſchlich leider begreiflich. Die hier vor⸗
geſchlagenen Neuerungen ſetzen andere, oft zuver⸗
läſſigere Beweiſe, die Ausſagen minder Befangener,
an die Stelle des gefaͤhrlichen Eides des Schuld—
ners ſelbſt.
Nach Aufklärung der Situation in dem neuen
Offenbarungsverfahren, nach Anwendung des Rechts⸗
mittels, nach Verkündung der Beſchlüſſe, wird zu⸗
dem der Schuldner leichter zum Vergleiche bereit
ſein, als in den kurzen Augenblicken des bisherigen
Eidesverfahrens. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
die Mehrzahl der Gläubiger, wenn der gute Wille
des Schuldners erkannt und ein Ratenabkommen
vorgeſchlagen wird, die gütliche Erledigung dem
) Die Bankkommiſſion des Deutſchen Handelstags
verlangte ſchlechthin eine geſetzliche Neuregelung der
Sicherungsübereignungen in ihrer Sitzung vom Of:
tober 1910. Zur Wirkſamkeit ſoll die Eintragung in
ein Regiſter erforderlich ſein, deſſen Einſicht jedem
zu geitatten iſt, welcher ein berechtigtes Intereſſe dar:
tut. Konkursordnung und Anfechtungsgeſetz ſollen dahin
ergänzt werden, daß die innerhalb einer beſtimmten
Zeit vor Zahlungseinſtellung oder Anfechtung vorgenom—
menen Sicherungsübereignungen anfechtbar ſind und dem
die Anſetzung eines Offenbarungseidestermins ſchwer⸗
wiegende Folgen für den Schuldner haben. Sein
Kredit wird geſchädigt uſw. Die Sitzungsliſten
werden in den mit Recht ſo unbeliebten Gerichts⸗
zeitungen veröffentlicht. Tritt an die Stelle des
Offenbarungseides zunächſt das oben ſkizzierte
Offenbarungsbeweisverfahren, jo wird das für
den Schuldner ſo ſchädliche Bekanntwerden des
peinlichen letzten Vollſtreckungsſtadiums mehr wie
bisher vermieden.
Endlich darf nicht vergeſſen werden, daß heut⸗
zutage die Mehrzahl der Schuldner nicht oder nicht
ausreichend vorbereitet im Eidestermine erſcheint,
ſo daß Vertagung oder Haftbefehl beantragt wird.
Erſtere zieht die Sache hinaus und erſchwert des
Gläubigers Lage, zumal an den ſehr beſchäftigten
Gerichten. Letzterer legt dem Gläubiger neue
Pflichten (Zahlung des Verhaftungs⸗ und Haft⸗
koſtenvorſchuſſes) “!) auf. Die in das Leben eines recht:
ſchaffenen, wenn auch vermögensloſen, Schuldners
einſchneidende Maßnahme der Verhaftung würde
unzweifelhaft weit ſeltener werden, wenn anſtatt
des Schuldners ſelbſt andere Perſonen die dem
Gläubiger wichtige Auskunft über Vermögen, Grund
und Beweismittel der Forderungen geben.
Es iſt alſo angezeigt, daß einer der den wirt⸗
ſchaftlich Schwachen übermäßig ſchützenden, neu⸗
zeitlichen Rechtsgrundſätze ) verlaſſen, mindeſtens
geändert wird, wenn die im Verkehrsleben befremd⸗
lich wirkenden Erfahrungen bei der Vollſtreckung
beachtet und die künftigen Offenbarungsnormen
dem Bedürfniſſe der Geſchäftsleute und Praktiker
angepaßt werden ſollen. Die ſchon von Ihering
im „Kampf ums Recht“ gegeißelte Parole unſerer
modernen Jurisprudenz und Praxis: „lieber
100 Gläubigern offenbar Unrecht thuen, als mög⸗
licherweiſe einen Schuldner zu ſtrenge behandeln,“
iſt nicht die meine. Die ſchnöde Mißachtung des
Gläubigers im Vollſtreckungsſtadium, die Gejeß:
loſigkeit des Gebahrens bösartiger Schuldner und
ihrer Berater kann und muß durch eine Beſſerung
der letzten Phaſe der Vollſtreckung verhütet werden.
Die meines Erachtens ſehr wünſchenswerte Dis⸗
kuſſion, wie man beſſert, kann mannigfaltig ſein.
Ich verſuchte nur einige Winke zu geben.
begünſtigten Gläubiger der Beweis der nicht vorhan-
denen Fraus auferlegt wird. Für den Eigentums—
vorbehalt an Maſchinen wird die Eintragung in das
Grundbuch verlangt.
10) Das Reichsgericht hat ſchon in ſeiner Entſcheidung
vom 19. März 1908 III. StS. 3 D. 84,08, BIN.
Faſſung vom 17. Mai 1908 gemäß § 807 Manifeſtierenden
ziemlich ſtreng ſeſtgelegt; nicht minder in den oben
erwähnten Entſcheidungen des V. StS. vom Frühjahr
heurigen Jahres.
11) Vgl. die Vorſchläge der Aelteſten der Kaufmann—
ſchaft von Berlin oben unter Anm. 4.
12) Auch Goldmann-Leipzig Das Recht, 1910 S 560)
betont, daß unſere „ſoziale“ Zivilprozeßordnung die
Intereſſen des „wirtſchaftlich ſchwächeren Schuldners“ in
ergiebigem Maße (u. a. in den 88 721, 811 f., 850 uſw.)
reſpektiere. Auch er bringt in bezug auf den Offen-
darungseid einen Vorſchlag de lege ferenda zugunſten
73 Bd., S. 702) die Erkundigungs pflicht des in der
des Gläubigers.
!
— nn nee
Nitteilungen aus der Praxis.
Bürgerlich rechtliche Schadenserſatzauſprüche der dem
Gewerbennfallverſicherungsgeſetze unterliegenden Ber-
ſonen während der erſten 13 Wochen nach dem Unfall.
(8 135 G86.)
I. Die Unfallverſicherungsgeſetze vom 30. Juni
1900 verfolgen den Zweck, die Arbeiter und kleineren
Betriebsbeamten und deren Familien gegen die peku⸗
niär nachteiligen Folgen eines Betriebsunfalles zu
ſchützen. Von den Unfallverſicherungsgeſetzen ſollen
der Erörterung nur die zwei Hauptgeſetze, nämlich
das Gewerbeunfallverſicherungsgeſetz und das Unfall⸗
verſicherungsgeſetz für Land⸗ und Forſtwirtſchaft zu⸗
grunde gelegt werden, da die übrigen!) für unſere
Frage weniger in Betracht kommen.
Nach dem Gew VerſG. und dem LU Berf®. find
einerſeits alle gewerblichen, das ſind die in Induſtrie
und Handwerk beſchäftigten, anderſeits alle in land⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
|
|
|
und forſtwirtſchaftlichen Betrieben beſchäftigten Ar⸗
beiter und Betriebsbeamten gegen die Folgen eines
Betriebsunfalles verſichert, letztere ſofern ihr Jahres⸗
arbeitsverdienſt an Lohn oder Gehalt 3 000 M nicht
überſteigt. Die Unterſtützung, die bei einem Betriebs⸗
unfall den Verletzten oder deren Hinterbliebenen von
der Berufsgenoſſenſchaft gewährt wird, ſetzt ſich zu⸗
ſammen aus dem Erſatz der Koſten des Heilverfahrens
und aus der Unfallrente.
Neben den durch die Unfallverſicherungsgeſetze
begründeten Anſprüchen gegen die Berufsgenoſſenſchaft
ſtünden den Verletzten gegen ihre Betriebsunternehmer
an ſich auch noch die gewöhnlichen bürgerlich⸗recht⸗
lichen Schadenserſatzanſprüche aus dem Vertragsver⸗
hältniſſe oder aus unerlaubter Handlung zu. Allein
8 135 Abſ. 1 Gew VerſG. und 8 146 Abſ. 1 LmUBeri®.
beſtimmen, daß die Verletzten „einen Anſpruch auf
Erſatz des infolge eines Unfalles erlittenen Schadens,“
alſo insbeſondere bürgerlich⸗rechtliche Anſprüche gegen
den Betriebsunternehmer nur geltend machen lönnen,
wenn durch ſtrafgerichtliches Urteil feſtgeſtellt worden
iſt, daß der in Anſpruch genommene den Unfall vor⸗
ſätzlich herbeigeführt hat. Da eine ſolche ſtrafgericht⸗
liche Feſtſtellung natürlich nur äußerſt ſelten vor⸗
kommen wird, kann man jagen, daß die 88 135 Abſ. 1
und 146 Abſ. 1 die bürgerlich⸗ rechtlichen Schadens⸗
erſatzanſprüche überhaupt ausſchließen.
Die Motive zum GewUBeri®. vom 6. Juli 1884
bemerken dazu:
„Neben der Sicherung der Arbeiter gegen die
wirtſchaftlichen Folgen der Unfälle verfolgt der Ent⸗
wurf das Ziel, alle Streitigkeiten zwiſchen Arbeit⸗
gebern und Arbeitern über Entſchädigungsanſprüche,
83
— m un
— nn
8 — — — — . ö ä —— —Ʒ—
dadurch erhalten ſollen, daß ihnen für jeden aus einem
Unfall entſtehenden Schaden ſelbſt in dem Falle eigenen
Verſchuldens eine zwar begrenzte, aber vollkommen
ſichere Entſchädigung gewährt wird.“
Der Ausſchluß der bürgerlich rechtlichen Anſprüche
und der Gedanke, daß er nur da berechtigt iſt, wo die
Arbeiterſchutzgeſetzgebung einen anderen Erſatz bietet,
findet ſich auch wieder im Entwurf einer Reichsver⸗
ſicherungsordnung.“)
Den Erſatz für die ausgeſchloſſenen bürgerlich⸗
rechtlichen Anſprüche ſollen alſo die Anſprüche gegen
die Berufsgenoſſenſchaft bilden. Dieſe Anſprüche ſetzen
aber nach $ 9 GewllVerſGG. und 88 LwlVerſG. erſt
mit Beginn der 14. Woche ein. Für die erſten 13
Wochen treffen die Unfallverſicherungsgeſetze zunächſt
keine Vorſorge. Für dieſe Zeit ſind verunglückte Ar⸗
beiter in der Regel durch das Krankenverſicherungs⸗
geſetz geſchützt: Dieſes Geſetz gewährt den gegen
Krankheit verſicherten Perſonen freie ärztliche Be⸗
handlung und Heilmittel, ſowie im Falle der Erwerbs⸗
unfähigkeit ein Krankengeld. Das Mißliche iſt nur,
daß ſich der Kreis der nach dem KVG. gegen Krank⸗
heit verſicherten Perſonen nicht vollkommen mit dem
auch während der erſten 13 Wochen verſorgt.
welche den letzteren aus Unfällen erwachſen, zu be⸗
ſeitigen und zu dem Ende alle Entſchädigungsanſprüche,
welche in Veranlaſſung eines Unfalles gegen den
Arbeitgeber nach bisherigem Rechte erhoben werden
konnten, aufzuheben. Die Berechtigung hiezu liegt in
dem Erſatze, welchen die Arbeiter für die ihnen nach
dem bisher geltenden Rechte zuſtehenden, in ihrer
Realiſierung höchſt unſicheren Entſchädigungsanſprüche
1) Bauunfallverſicherungsgeſetz, Seeunfallverſiche⸗
rungsgeſetz, Geſetz betr. die Fürſorge für Beamte und
Perſonen des Soldatenſtandes infolge von Betriebs—
88 896, 1032 und die Begründung zu 8
Kreis derjenigen deckt, welche nach dem Gew Verſc.
und LwüVerſG. gegen Unfall verſichert find. Die
gewerblichen Arbeitnehmer ſind zwar faſt durch⸗
weg auch gegen Krankheit verſichert. Sie find a
ie
land⸗ und forſtwirtſchaftlichen Arbeitnehmer dagegen
ſind großenteils gegen Krankheit nicht verſichert.
Darum beantwortet ſich die Frage, ob ſich der Aus⸗
ſchluß der bürgerlich⸗ rechtlichen Schadenserſatzan⸗
ſprüche gegen den Betriebsunternehmer (8 135 Abſ. 1
GewlVerſcG. und 8 146 Abſ. 1 LmUBerf®) auch
auf die erſten 13 Wochen erſtreckt, verſchieden, da er
natürlich nur für ſolche Zeiträume berechtigt iſt, in
denen entweder die Unfallverſicherungsgeſetze oder das
Krankenverſicherungsgeſetz einen anderen Erſatz ge⸗
währen. Für die land⸗ und forſtwirtſchaftlichen Arbeit:
nehmer hält dementſprechend 8 146 Abſ. 3 die bürgerlich⸗
rechtlichen Anſprüche für die erſten 13 Wochen aus⸗
drücklich aufrecht, ſoweit die land⸗ und forſtwirtſchaft⸗
lichen Arbeiter und Betriebsbeamten gegen Krankheit
nicht verſichert ſind.
ll. Im Gewerbeunfallverſicherungs⸗
geſetz fehlt eine derartige Beſtimmung. Infolge⸗
deſſen herrſcht allgemein die Anſicht, daß 8 135 Abſ. 3
GewllVerſG. die bürgerlich⸗ rechtlichen Schadens⸗
erſatzanſprüche durchweg auch für die erſten 13 Wochen
ausſchließt. “)
Die Motive bemerken dazu:
„Zur Erreichung des gedachten Zieles (Be⸗
ſeitigung von Streitigkeiten zwiſchen Arbeitern und
Arbeitgebern) iſt es unerläßlich, auch für die erſten
13 Wochen der infolge eines Unfalles eingetretenen
Erwerbsunfähigkeit, für welche nicht eine Ent⸗
ſchädigung nach Maßgabe dieſes Geſetzes, ſondern
Krankenunterſtützung, und zwar in der Regel unter
2) 12. Leg. Per. II. Seſſion 1909/10, 11 vgl.
1032.
2) Piloty, UBerf®. Anm. 3 zu 8 135 Gew VerſG.,
Handbuch der Unfallverſicherung 3. Aufl. Bd. I. Anm. 5
zu 8 135 GewllBerj®., Woedtke-Caſpar GewUBeri®.
Anm. 1 zu 8 135, Recht 1905 S. 2, Rechtſpr. der OLG.
unfällen, Geſetz betr. die Unfallfürſorge für Gefangene.
Bd. 14 S. 403.
84 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
Mitheranziehung der Arbeitgeber gewährt werden
ſoll, einen Entſchädigungsanſpruch gegen den Ar⸗
beitgeber nicht mehr zuzulaſſen, da andernfalls
nicht nur die Unfälle, welche nur eine Erwerbs⸗
unfähigkeit bis zu 13 Wochen zur Folge haben, ſondern
rückſichtlich der erſten 13 Wochen der Erwerbsunfähig⸗
keit auch alle übrigen Unfälle, nach wie vor, zu
einer Quelle von Streitigkeiten werden würden.“
Daß im Gewerbeunfallverſicherungsgeſetz ein dem
8 146 Abi. 3 des LwluVerſG. entſprechender Vor:
behalt fehlt, erklärt ſich aber daraus, daß einerſeits
die meiſten gewerblichen Arbeiter auch dem Kranken⸗
verſicherungsgeſetz unterliegen,) anderſeits daraus,
daß das Gew VerſG. in 8 12 Abſ. 2 ſelbſt eine Für⸗
ſorge für die erſten 13 Wochen getroffen hat, indem
es beſtimmt, daß der Betriebsunternehmer den nach
81 und 2 des GewlUVerſG., aber nicht zugleich nach
dem Krank VerſG. verſicherten Arbeitern und Betriebs⸗
beamten, letzteren allerdings nur bei einem Jahres⸗
arbeitsverdienſt bis zu 2000 M, für die erſten 13 Wochen
aus eigenen Mitteln die im KrankVerſG. vorgeſehene
Unterſtützung zu gewähren hat.“)
Es iſt alſo auch für dieſe der Krankenverſicherung
nicht unterliegenden Arbeitnehmer während der
erſten 13 Wochen geſorgt, und man iſt infolgedeſſen
berechtigt, zu ſagen, daß ſich im Vereich des
GewlVerſG. der Ausſchluß der bürgerlich⸗ rechtlichen
Anſprüche auch auf die erſten 13 Wochen erſtreckt
1. bei allen gewerblichen Arbeitnehmern, die
zugleich der Krankenverſicherung unterliegen, und
2. bei allen jenen, die der Krankenverſicherung
zwar nicht unterliegen, die aber gemäß 8 12 Abſ. 2
gleichwertige durch das Gew VerſG. begründete An⸗
ſprüche gegen die Betriebsunternehmer haben.
Damit iſt aber der Kreis der der Unfallver⸗
ſicherung unterliegenden gewerblichen Arbeitnehmer
noch nicht erſchöpft; denn es gibt auch folde, die
weder krankenverſicherungspflichtig ſind, noch auch die
Anſprüche des 8 12 Abſ. 2 haben. Das ſind unter
Umſtänden Betriebsbeamte mit einem Jahresgehalt
von mebr als 2000, aber weniger als 3000 AM.“)
) Piloty l. o. Anm. zu 8 146 Abſ. 3 LwüUVerſc.
5) Unter die Beſtimmung des 8 12 fallen haupt-
ſächlich Perſonen, die nicht gegen Lohn beſchäftigt
ſind, ſowie ſolche, die der Krankenverſicherung deshalb
nicht unterliegen, weil ihre Beſchäftigung durch die
Natur ihres Gegenſtandes oder im Voraus durch den
Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger als
1 Woche beſchränkt iſt (8 1 KranfBerf®.; vgl. Woedtke⸗
Caſpar l. c. Anm. 9 zu 8 12).
Daß hiebei für die Betriebsbeamten die Grenze
bei einem Jahresgehalt von 2000 M geſteckt iſt,
während die Betriebsbeamten doch bis zu einem
Jahresgehalt von 3000 M der Unfallverſicherung
unterliegen, erklart ſich daraus, daß der Geſetzgeber
von der Vorausſetzung ausging, daß Betriebsbeamte
mit einem Gehalt von mehr als 2000 M für die
während der erſten 13 Wochen entſtehenden Unkoſten
UF ae, Se
einſtweilen mit eigenen Mitteln aufkommen können.
unternehmer nach bürgerlichem Recht ſollte dadurch
keineswegs eingeſchränkt werden.
6) Nach 8 5 Abſ. le Gewilßeri®. kann durch
Statut die Verſicherungspflicht auch auf Betriebsbeamte
mit einem 3000 M überſteigenden Jahresarbeitsver—
dienſt erſtreckt werden. Dieſe ſind dann in der
gleichen Lage wie die Betriebsbeamten mit Gehältern
zwiſchen 2000 und 3000 M.
Diefe find nach 8 1 GemllBerf®. zwar unfallver⸗
ſicherungspflichtig, aber nach 8 2b KrankVerſG. nicht
mehr krankenverſicherungspflichtig. Sie erhalten alſo
während der erſten 13 Wochen keine Krankenunter⸗
ſtützung. Da fie mehr als 2000 M Jahresgehalt
haben, ſtehen ihnen aber auch die Anſprüche des 8 12
Ab) 2 Gew VerſG. gegen den Betriebsunternehmer
nicht zu. Wollte man nun bei dieſen Leuten den
Ausſchluß der bürgerlich⸗ rechtlichen Schadenserſatz⸗
anſprüche des 8 135 Abſ. 3 ebenfalls auf die erſten
13 Wochen erſtrecken, dann wäre ihnen während
dieſer Zeit überhaupt jede Möglichkeit genommen,
Erſatz des ihnen entſtandenen Schadens zu erlangen,
m. a. W. ſie wären während der erſten 13 Wochen
vollkommen ſchutzlos. Setzen wird den Fall, daß ein
Werkmeiſter mit 2400 M Jahresgehalt durch das
grobe Verſchulden feines Vetriebsunternehmers einen
Betriebsunfall erlitten hat, der ihn 12 Wochen arbeits⸗
unfähig macht und ihm bedeutende Heilungskoſten
verurſacht, ſo ſoll dieſer Mann weder Krankenunter⸗
ſtützung erhalten, — weil er nicht gegen Krankheit
verſichert iſt — noch ſoll er nach dem bürgerlichen
Recht ſeinen Betriebsherrn auf Schadenserſatz ver⸗
klagen können? Er ſoll alſo infolge der Arbeiter⸗
ſchutzgeſetzgebung ſchutzlos geworden ſein? Es liegt
auf der Hand, daß das Geſetz dieſe Abſicht nicht ge⸗
habt haben kann; denn die Arbeiterſchutzgeſetzgebung
wollte die Arbeiter doch nicht ſchlechter ſtellen, als
ſie nach bürgerlichem Recht ſtanden.
Das iſt m. E. ſo klar, daß man darüber kein
Wort weiter zu verlieren braucht. Es fragt ſich nur
noch, ob ſich der Sinn des Geſetzes auch mit dem
Wortlaut vereinbaren läßt, m. a. W., ob es möglich
iſt, gegebenenfalls den Ausſchluß der bürgerlich⸗
rechtlichen Anſprüche nicht auf die erſten 13 Wochen
auszudehnen, ohne dabei dem Wortlaut des Geſetzes
Zwang anzutun. Und es iſt möglich. Wenn nämlich
im GewllVerſG. eine dem 8 146 Abſ. 3 LwlUVerſG.
entſprechende ausdrückliche Beſtimmung darüber fehlt,
daß die Geltendmachung der bürgerlich rechtlichen
Anſprüche den nicht gegen Krankheit verſicherten ge⸗
werblichen Arbeitnehmern für die erſten 13 Wochen
vorbehalten bleibe, ſo muß doch anderſeits feſtgeſtellt
werden, daß das Geſetz auch nicht ausdrücklich aus⸗
ſpricht, daß die bürgerlich-rechtlichen Schadenserſatz⸗
anſprühe unter allen Umſtänden auch für die erſten
13 Wochen ausgeſchloſſen ſeien. Nach dem Wortlaut
des Geſetzes kann man vielmehr zweifeln, ob ſich der
Ausſchluß überhaupt auf die erſten 13 Wochen er-
ſtrecke, und erſt im Wege der Auslegung kommt man
zu dem Ergebniſſe, daß dies allerdings der Fall ſei.
Aber gerade die Auslegungsbehelfe, als welche hier
die Motive und der Abſ. 3 des 8 146 LwlUVerſG. in
Betracht kommen, laſſen mit voller Klarheit erkennen,
daß das GewllVerſG. den gegen Unfall verſicherten
gewerblicken Arbeitnehmern die bürgerlüch- rechtlichen
Schadenserſatzanſprüche nur da entziehen will, wo
die Arbeiterſchutzgeſetzgebung einen anderen Erſatz
Der Rückgriff der Betriebsbeamten gegen die Betriebs— geboten bat.
Wir kommen alſo zu folgendem Ergebniſſe:
§ 135 Abſ. 1 GewllVerſG. bezieht ſich nur bei
jenen nach Maßgabe des GewllVerſG. verſicherten
Perſonen auch auf die erſten 13 Wochen, die ent-
weder zugleich krankenverſicherungspflichtig ſind, oder
denen die Anſprüche des § 12 Abſ. 2 GewllVerſch.
zuſteben.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
III. Anderen dem GewuVerſG. unterliegenden
Perſonen bleiben für die Dauer der erſten 13 Wochen
„die auf geſetzlichen Beſtimmungen beruhenden An⸗
ſprüche eines Verletzten auf Erſatz des infolge des
Unfalls erlittenen Schadens“ vorbehalten. Hierher
gebören insbeſondere die Schadenserſatzanſprüche aus
dem BGB.) Dieſe Anſprüche können entſtehen aus
dem zwiſchen Arbeiter und Dienſtherrn beſtehenden
Vertragsverhältnis, oder aus unerlaubter Handlung.
Zu ihrer Geltendmachung ſind die bürgerlichen Gerichte
zuſtändig.
Es iſt dabei zu beachten, daß die Vorausſetzungen
für die Verfolgung der Anſprüche aus dem
GewllVerſG. und dem BGB. keineswegs die näm⸗
lichen find. Nach dem Gew VerſG. iſt die einzige
Vorausſetzung die, daß ein Betriebsunfall vorliegt.
Auf das Verſchulden des Betriebsunternehmers kommt
es nicht an. Bei der Geltendmachung bürgerlich⸗
rechtlicher Anſprüche muß jedoch dem Betriebsunter⸗
nehmer Vorſatz oder Fahrläſſigkeit nachgewieſen
werden.) Anderſeits kann bei bürgerlich⸗ rechtlichen
Schadenserſatzanſprüchen der Betriebsunternehmer
konkurrierendes Verſchulden des Verletzten ein⸗
wenden,“) während es bei den Anſprüchen aus dem
GewllVerſG. gleichgültig iſt, ob der Verletzte durch
ſein Verhalten zur Entſtehung des Schadens beige⸗
tragen hat oder nicht.
Die Anſprüche aus unerlaubter Handlung können
außer auf 8 823 namentlich auch auf die Haftung des
Tierhalters (8 833) und auf die Haftung für den
Einſturz eines Gebäudes (8 836) geſtützt werden.
Auch haftet bei unerlaubter Handlung der Be⸗
triebsunternehmer gemäß 8 831 für das Verſchulden
ſeiner Werkführer uſw., wenn er nicht den Nachweis
erbringen kann, daß er bei ihrer Auswahl die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat.
Der Umfang des zu erſetzenden Schadens bemißt
ſich bei unerlaubter Handlung nach 8 842 ff. Von
praktiſcher Bedeutung iſt die Frage, ob der Verletzte
gemäß 8 847 Schmerzensgeld beanſpruchen kann.
Für die Zeit von der 14. Woche an iſt dieſe Frage
von der Rechtſprechung längſt verneint.“) Allein
für die erſten 13 Wochen kann neben dem anderen
Schadenserſatz ſehr wohl auch Schmerzensgeld ver⸗
langt werden. Denn für die erſten 13 Wochen ſind
ganz allgemein die bürgerlich⸗rechtlichen Schadens⸗
erſatzanſprüche zugelaſſen, und wenn ſolche vom Ver⸗
letzten auf unerlaubte Handlung geſtützt werden, iſt
gar kein Grund vorhanden und wäre es nicht folge⸗
richtig, die Anwendbarkeit des 8 847 auszuſchließen.
Wo alſo die Geltendmachung bürgerlich⸗ rechtlicher
Schadenserſatzanſprüche möglich iſt, beſtimmt ſich die
Art und der Umfang ausſchließlich nach dem bürger⸗
lichen Recht.
Dr. Geigel in Aſchaffenburg.
7) Außerdem bleibt z. B. vorbehalten der An⸗
ſpruch auf Buße nach 8 231 StGB.
) 88 276, BGB.
) 8 254 BGB.
10) Reger, Entſch. Bd. 14 S. 271, 27 S. 127,
Erg.⸗Bd. 1 S. 103, RG. vom 6. Juni 1910 im Recht
1910 Nr. 2920.
— smiel we m nn nn mn
ſollte befunden, daß
85
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
nach Anſhebung des Konkurſes der ordunngsgemäß be:
ſtellte Projeßzbevollmächtigte den Neviſionskläger irri
als vertreten durch den Konkursverwalter ar inne hat.
— Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrages;
kann die Nepiſien trotz Anſhebung des Nonkurſes dar:
auf geſtützt werden, daß das Gericht die Vernehmung
des früheren Gemeinſchuldners als Zeugen zu Unrecht ab:
gelehnt habe? — Sind bei heller Beleuchtung der ſicher⸗
e Stelle eines Weges noch weitere Sicher⸗
eitsmaßregeln gebeten? Aus den Gründen: Da
ein Gerichtsbeſchluß, der die Aufhebung des Konkurs⸗
verfahrens ausſpricht, keiner Anfechtung unterliegt
(KO. § 190), fo muß angenommen werden, daß der Be⸗
klagte zur Zeit der Einlegung der Reviſion keinen kon⸗
kursrechtlichen Beſchraͤnkungen N unterlag (KO.
8 192), und daß insbeſondere das Verwaltungs» und
Verfügungsrecht des Konkursverwalters (KO. 86) fein
Ende erreicht hatte. Hieraus folgt indeſſen noch nicht
die Unzuläſſigkeit der Reviſion. Auch während des
Konkursverfahrens war der Beklagte und nicht der
Verwalter ſachlich Prozeßpartei, die Aufhebung des
Konkurſes führte ſomit keine Aenderung der Parteien,
ſondern nur eine ſolche in der Vertretung des Be⸗
klagten herbei — vgl. das bei Warneyer, Erg.⸗Bd. I
unter Nr. 471 abgedruckte Urteil dieſes Senats — ſie
hatte auch keine Unterbrechung des Verfahrens zur
Folge, das vielmehr jede Partei ohne weiteres fort⸗
ſetzen konnte (RG. 35. 58. 371). In Uebereinſtimmung
mit den Ausführungen des II. 950 in ſeinem Urteile
vom 3. Mai 1910 (JW. 1910, S. 656 Nr. 17) muß ferner
aus der Verfügungsbefugnis, die dem Konkursver⸗
walter in bezug auf den vorliegenden die Konkurs⸗
maſſe betreffenden Rechtsſtreit zuſtand, geſchloſſen wer⸗
den, daß eine von ihm erteilte Prozeßvollmacht ihre
Wirkſamkeit für die Zeit nach Beendigung des Kon⸗
kurſes auch gegenüber dem früheren Gemeinſchuldner
behält, ſo lange dieſer ſie nicht ordnungsmäßig wider⸗
ruft. Durch die Veränderung, die mit der Aufhebung
des Konkurſes in ſeiner geſetzlichen Vertretung eintritt
und die in dem Wegfall der Vertretung beſteht, wird
die Prozeßvollmacht nach 8 86 ZPO. nicht berührt.
Da nun weder die Zurücknahme der den Prozeßbevoll⸗
mächtigten der Vorinſtanzen vom Konkursverwalter
erteilten Vollmacht behauptet noch die ordnungsmäßige
Beſtellung des Prozeßbevollmächtigten der Reviſions⸗
inſtanz durch einen Vertreter in den früheren Inſtanzen
bezweifelt worden iſt, ſo unterliegt die Annahme keinem
Bedenken, daß der gegenwärtige Vertreter des Beklag⸗
ten befugt war, für ihn die Reviſion einzulegen. Daß
er das nicht getan habe, iſt aus dem Wortlaut der
Reviſionsſchrift nicht zu folgern; vielmehr iſt davon
auszugehen, daß er für die tatſächliche Prozeßpartei
die Reviſion eingelegt hat und daß die Angabe, Be⸗
klagter werde durch den Konkursverwalter vertreten,
nichts als ein Irrtum iſt, gegen deſſen Berichtigung
keine Bedenken beſtehen. Die Reviſion war daher als
zuläſſig zu erachten (ZPO. 8 554 a).
Dagegen iſt ſie nicht begründet. Gerügt iſt
einmal, daß das OL G. die Vernehmung des früheren
Gemeinſchuldners als Zeugen abgelehnt hat. Er
er einen zuverläſſigen Haus⸗
burſchen beauftragt habe, Paſſanten vor der offen
ſtehenden Luke während des Kohlenabladens zu warnen.
Wenn das Gericht daraus, daß der Hausburſche die
Klägerin nicht gewarnt hat, bereits ſchließen will, er
ſei keine zuverläſſige Perſon geweſen, ſo mag das nicht
ohne Bedenken ſein, kann aber auf ſich beruhen, weil
Zuläſſigkeit einer Neviſien, bei deren e
86
feine weiteren Erwägungen die Entſcheidung tragen.
Es ſtellt feſt, daß die Hausburſchen des Beklagten häufig
wechſelten, daß ſchließlich Wilhelm Sch. in N. als der
Beauftragte bezeichnet wurde und dieſer als Zeuge er⸗
klärte, er ſei erſt einige Monate nach dem Unfalle der
Klägerin in die Dienſte des Beklagten getreten. Hier⸗
aus ſchließt das OLG., daß der Beklagte den rich⸗
tigen Hausburſchen nicht kenne, und lehnt daher ſeine
Vernehmung über die Zuverläſſigkeit und Brauchbar⸗
keit des unbekannten Burſchen ab. Mit dieſer Er⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege
wägung bewegt ſich der Vorderrichter auf tatſächlichem
Gebiete; es enthält auch keinen Rechtsirrtum, wenn
er nicht auf die von der Reviſion hervorgehobene, üb-
rigens fernliegende Möglichkeit eingegangen iſt, der
Beklagte könne ſich trotzdem an die Perſon und den
Charakter des richtigen Hausburſchen erinnert.
gegen würde der von der Klägerin betonte Umſtand,
daß Beklagter jetzt keinesfalls als Zeuge gehört werden
kann, zur Zurückweiſung des Reviſionsangriffs nicht
genügen: denn es müßte dem Beklagten, wenn der
Beweisantritt zu Unrecht abgelehnt wäre, die Mög:
lichkeit gegeben werden, andere Beweismittel geltend
zu machen.
Kelleröffnung ſei durch eine Straßenlaterne, das Licht
aus dem Laden des Gemeinſchuldners und die Laterne
des Kohlenwagens ſo hell beleuchtet geweſen, daß die
Klägerin die Oeffnung hätte ſehen müſſen, wenn fie
auf den Weg geachtet hätte. Das OLG. bemerkt, daß
auch eine helle Beleuchtung der Unfallſtelle den Be⸗
klagten nicht von der Pflicht befreit habe, die Keller⸗
öffnung entweder mit einem Schutzgeländer zu ver⸗
ſehen oder eine Perſon zur Warnung aufzuſtellen. Die
Klägerin habe ſich darauf verlaſſen dürfen, daß ſich im
Das
Weiter hat der Beklagte behauptet, die
Trottoir einer Straße von der Größe von W. keine unge-
ſchützten Oeffnungen befänden und daher feine Berans
laſſung gehabt, auf ſolche zu achten, auch nicht, wenn ein
Kohlenfuhrwerk in der Nähe geſtanden habe. Mit Recht
wendet die Reviſion ein, daß die Paſſanten auch auf dem
Trottoir einer größeren Stadt verpflichtet ſind, auf den
Weg zu achten; ihr Angriff ſcheitert aber an der wei—
teren Feſtſtellung, daß das Verſchulden des Beklagten
ein ſo überwiegendes ſei, daß von der Anwendung
des 5 254 BGB. nicht die Rede fein könne. Hierbei
handelt es ſich allerdings nicht um eine der Nach⸗
prüfung in dieſer Inſtanz entzogene Feſtſtellung (vgl.
JW. 1906 S. 544 Nr. 9), aber die tatſächlich feſtgeſtellte
Sachlage rechtfertigt es, wenn das OLG. das in dem
Nichtverwahren der Oeffnung des Kellers liegende Ver—
ſchulden des Beklagten für ſo erheblich anſieht, daß
ihm gegenüber eine Unachtſamkeit der Klägerin auch
dann nicht in Betracht kommt, wenn die Unfallſtelle
durch die Laterne ausreichend erleuchtet war. (Urt.
des VI. 35. vom 1. Okt. 1910, VI. 496/1909). E.
204
II.
Iſt die auf Grund der Unfall verſicherungsgeſetze
ergangene Entſcheidung, daß ein Betriebsunfall vorliege
und Entſchädigung zu leiſten ſei, für die Gerichte bindend,
wenn die Berufsgensſſenſchaft den kraft Geſetzes anf fie
übergegangenen Schadenderſatzanſpruch des Berlchten
gegen den Urheber des Unfalls geltend macht? — Zum
Begriſſe Betriebsunfall (Unfall auf dem Rückwege von
der Arbeit). — Begrenzung des Erſatzanſpruchs der
Berufsgenoſſenſchaft durch die Höhe des dem Verletzten
gegen den Urheber des Unfalls erwachſenen Schadens:
erſatzanſpruchs. — Bemeſſung der Neute des § 843 BGB.
Aus den Gründen: Das RG. hat in ſeiner bis⸗
herigen Rechtſprechung, beſonders in dem in Bd. 55
S. 385 der Entſch. abgedruckten Urteil, den Stand—
punkt vertreten, daß die Entſcheidung der Verſiche—
rungsinſtanzen, es ſei für einen Unfall Entſchädigung
zu leiſten, für die erkennenden ordentlichen Gerichte
in allen den Fällen nicht bindend ſei, in denen ein
auf die Berufsgenoſſenſchaft kraft Geſetzes überge—
in Bayern. 1911. Nr. 4.
gangener Anſpruch der entſchädigungsberechtigten
Perſonen auf Erſatz des ihnen durch den Unfall ent⸗
ſtandenen Schadens gegen Dritte erhoben werde.
Das RG. hat in der erwähnten Entſcheidung ausge⸗
führt, daß 8 151 wu. ebenſo wie der entſprechende
8 140 Gew VG. den Uebergang des Entſchädigungs⸗
anſpruchs auf die Berufsgenoſſenſchaft nicht ſchon an
die bloße Feſtſtellung der Entſchädigungspflicht der
Berufsgenoſſenſchaft durch die Unfallverſicherungs⸗
inſtanzen knüpfe; vielmehr ſei der Uebergang der
Forderung davon abhängig, daß für die Berufsge⸗
noſſenſchaft die Entſchädigungspflicht auch wirklich nach
dem Geſetz begründet ſei. Das ordentliche Gericht,
dem die Prüfung obliege, ob der Entſchädigungsan—
ſpruch auf die Berufsgenoſſenſchaft übergegangen ſei,
habe zugleich auch zu prüfen, ob aus der Unfallver⸗
ſicherung Entſchädigung zu leiſten ſei. Dieſen Stand-
punkt hat das RG. auch in der vom OLG. angeführten
Entſcheidung in Sachen der Rheiniſchen landwirtſchaft—
lichen Berufsgenoſſenſchaft gegen H. (VI 216/07) keines⸗
wegs verlaſſen. Die Aufhebung des Urteils erfolgte da-
mals, weil die Frage nicht genügend geklärt war, ob der
beklagte Dampfdreſchmaſchinenbeſitzer als Betriebs⸗
oder Arbeiteraufſeher des landwirtſchaftlichen Unter⸗
nehmers oder als ſelbſtändiger Betriebsunternehmer
zu betrachten ſei. Die Bemerkung in den Gründen
jenes Urteils, das erkennende Gericht ſei an die rechts⸗
kräftige Feſtſtellung der Berufsgenoſſenſchaft gebunden,
daß ſie entſchädigungspflichtig ſei, iſt nur darauf
zu beziehen, daß die weiteren Feſtſtellungen, welche
das OLG. noch zu treffen habe, ergeben würden, Be⸗
klagter ſei kein Dritter i. S. des §S 151 L wu. ge⸗
weſen. Einer erneuten Stellungnahme zu der hier
ſtreitigen Frage, ob die bindende Kraft der Entſchei⸗
dungen der Verſicherungsinſtanzen für das ordentliche
Gericht nur bei der Verfolgung von Erſatzanſprüchen
gegen die Betriebsunternehmer und deren Gehilfen
beſtehe oder ob ſie unter analoger Anwendung der
unmittelbar nur für dieſe Fälle gegebenen geſetzlichen
Vorſchriften auch bei Geltendmachung von Erſatzan—
ſprüchen gegen Dritte anzunehmen ſei, bedarf es indes
für die Entſcheidung in der vorliegenden Sache nicht.
Denn das Reviſionsgericht pflichtet in Uebereinſtimmung
mit dem OLG. der in dem Feſtſtellungsbeſcheide des
Vorſtandes der klagenden Berufsgenoſſenſchaft ent—
haltenen Auffaſſung bei, daß der Unfall der Schul—
dienersfrau D. in der Tat einen bei dem Betriebe der
j
—
Landwirtſchaft vorgekommenen Unfall darſtelle, für
welchen die Entſchädigungspflicht der Berufsgenoſſen—
ſchaft nach dem LwulVG. begründet geweſen iſt. Für
den Begriff des Betriebsunfalls iſt das Erfordernis
aufzuſtellen, daß das körperlich ſchädigende, zeitlich
begrenzte Ereignis mit dem Betriebe in einem inneren
urſächlichen Zuſammenhange ſteht. RG. 44, 263;
52, 76; 66, 434. Die Verbindung mit dem Betriebe
braucht keine unmittelbare zu ſein; es bedarf keiner
Einheit von Ort und Zeit zwiſchen dem Betriebe und
dem den Unfall darſtellenden Ereignis. Es genügt,
daß der Verletzte bei Eintritt des Unfalls in einer mit
dem Betrieb in Zuſammenhang ſtehenden, dem Betrieb
dienſtbaren Tätigkeit oder Lage, im Banne des Be—
triebes, ſich befunden hat. Danach iſt es nicht not:
wendig, daß der Unfall ſich gerade während der Arbeit
ereignet; der Gefahrenbereich eines Betriebes erſtreckt
ſich häufig über die Grenzen der Betriebsſtätte hinaus;
es kann ein Betriebsunfall vorliegen, wenn der Ar—
beiter die Betriebsſtätte bereits verlajien hatte, ſich
aber noch innerhalb jenes Gefahrenbereichs befand.
Es iſt allerdings richtig, daß die Zurücklegung des
Weges von der außerhalb der Betriebsſtätte ge—
legenen Wohnung des Arbeiters zur Betriebsſtätte
und von dieſer zur Wohnung nicht ohne weiteres
als Betriebsvorgang aufzufaſſen iſt; ſoll er dem Be—
triebe zugerechnet werden, muß vielmehr der Umſtand
hinzutreten, daß der Gang nach ſeiner unmittelbaren
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
87
— ͤ äſ ͤ́œu—ͤ—u— D— 0³ :. ůrrðr—ůͤßůßÄ5r·lñ. ñ—ůͤÄX5·k ñ nn m — —
Zweckbeſtimmung mit dem Betrieb und in deſſen In⸗
tereſſe 81905 (Handbuch der Unfallverſicherung 1909,
Bd. 1 S. 89, 109; Bd. 2 S. 22). Auch das Mitſich⸗
führen von Arbeitsgerät, das beim Betriebe benutzt
wird, ſtempelt den Unfall noch nicht zum Betriebs⸗
unfall, ſofern es nicht bei Entſtehung des Unfalls mit⸗
gewirkt hat. Im vorliegenden Fall iſt aber zu be⸗
achten, daß Frau D., als ſie den Heimweg antrat, ihre
Arbeit noch nicht abgeſchloſſen, ihr Tagewerk noch
nicht vollendet hatte. Der Unfall ereignete ſich vor⸗
mittags. Die Schuldienersfrau war noch in ihrer Ar⸗
beit begriffen, als das Gewitter heraufzog. Sie mußte
ihre Arbeit abbrechen, um Schutz vor dem drohenden
Unwetter zu ſuchen. Hätte ſich ihr auf dem Felde
oder in deſſen unmittelbarer Nachbarſchaft ein Obdach
geboten, hätte ſie dieſes aufgeſucht, um den Verlauf
des Unwetters abzuwarten und wäre ſie hierbei durch
Blitzſchlag oder ein anderes ſchädigendes Ereignis
verletzt worden, ſo läge der Zuſammenhang mit dem
Betriebe klar zutage. Sie hat nun allerdings den
Heimweg angetreten; und erſt als ſie ſich ſchon auf
der Rückkehr nach ihrer Wohnung befand, Unterkunft
vor dem losbrechenden Unwetter im Hof der Gas⸗
anſtalt geſucht. Sie hat ſich aber unter vorzeitiger
Abbrechung ihrer Arbeit nur deshalb auf den Heimweg
begeben, weil ſie während der Arbeit auf dem
Felde von der Gefahr des Gewitters überraſcht
wurde, und ſie hat den Hofraum der Gasanſtalt nur
betreten, um einer Gefahr, die ſie bei ihrer Landarbeit
auf dem Felde bedroht hatte und vor der ſie geflüchtet
war, zu entgehen. Unter dieſen Umſtänden iſt hier
der innere Zuſammenhang mit dem Betriebe gegeben.
Es iſt nun freilich richtig, daß ſie in der Gasanſtalt
nicht durch das Unwetter beſchädigt, ſondern durch ein
Ereignis verletzt wurde, das einer andern Gefahren»
quelle entſprang. Dadurch wird aber der urſächliche
Zuſammenhang nicht aufgehoben. Es iſt für den Be⸗
griff des Betriebsunfalls nicht weſentlich, daß beſondere
eigentümliche Gefahren des Betriebes die Urſache ſeiner
Entſtehung bilden (RG. 52, 77). Hiernach das OLG.
ohne Rechtsirrtum einen Betriebsunfall angenommen.
Die Berufsgenoſſenſchaft war demnach entſchädigungs⸗
pflichtig; denn daß die Verletzte als Ehefrau des land⸗
wirtſchaftlichen Unternehmers zu den verſicherungs⸗
pflichtigen Perſonen gehörte, iſt vom OLG. zutreffend
angenommen und wird von der Reviſion ſelbſt nicht
in Zweifel gezogen. In dem Umfang ihrer durch das
UVG. begründeten Entſchädigungspflicht iſt der Erſatz⸗
anſpruch der Verletzten gegen die Beklagten auf die
klagende Berufsgenoſſenſchaft übergegangen. Dagegen
hat die Reviſion in letzter Linie noch geltend gemacht,
daß die Beklagten nur zur Erſtattung der von der
Klägerin bis zum vollendeten 70. Lebensjahre der
Verletzten aufzuwendenden Rentenbeträge verpflichtet
ſeien. Dieſem Reviſionsangriff war ſtattzugeben. Da
die Berufsgenoſſenſchaft ihren Erſtattungsanſpruch
gegen Dritte gemäß 8 151 Lwu VG. nur auf den
Uebergang der Anſprüche der entſchädigungsberechtigten
Perſonen an ſie ſtützen kann, wird der Umfang des
Erſtattungsanſpruchs durch die Höhe des dem Ver—
letzten oder deſſen Hinterbliebenen gegen den Dritten
erwachſenen Erſatzanſpruchs begrenzt. Nach 8813 BGB.
iſt dem Verletzten von dem Erſatzpflichtigen Schadens-
erſatz dafür zu leiſten, daß infolge der Verletzung ſeine
Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert wird
oder eine Vermehrung feiner Bedürfniſſe eintritt. So—
weit es ſich um die Entſchädigung für Verluſt oder
Minderung der Erwerbsfähigkeit handelt, muß erwogen
werden, ob der Verletzte nach dem natürlichen und
regelmäßigen Gang der Dinge ohne die Verletzung
in der Lage geweſen ſein würde, bis in das hohe
Greiſenalter ſeine Arbeitskraft zu verwerten; wo dies
nicht anzunehmen iſt, muß für die Dauer der Rente
eine Altersgrenze feſtgeſetzt werden. IW. 1906, 308 19).
Daß das OLG. dieſe Erwägungen angeſtellt hätte, iſt
nicht erſichtlich. Auch iſt nicht ohne weiteres anzu⸗
nehmen, daß die Verletzte ohne den Unfall auch nach
Vollendung des 70. Lebensjahres ihrer landwirtſchaft⸗
lichen Arbeit in ungemindertem Maße hätte nachgehen
können. Andererſeits iſt in dem Urteil nicht erörtert,
wieweit durch den Unfall eine Vermehrung der Be⸗
dürfniſſe der Verletzten eingetreten iſt und welcher
Teil der ihr zuzubilligenden Entſchädigung hierauf zu
rechnen wäre. Da dieſer Teil der Entſchädigung voraus⸗
ſichtlich über das 70. Lebensjahr hinaus zu gewähren
ſein würde, iſt eine Sonderung von der Entſchädigung
für den Erwerbsverluſt erforderlich. Mit Rückſicht
darauf, daß die Reviſion ſelbſt davon ausgeht, daß
die Verletzte bis zum vollendeten 70. Lebensjahre ihre
volle Erwerbsfähigkeit behalten hätte, andererſeits der
Umfang der Erſtattungspflicht der Beklagten über dieſen
Zeitpunkt hinaus von der Höhe der der Verletzten nach
ihrem 70. Lebensjahre gebührenden Rente abhängt,
war das Urteil inſoweit aufzuheben, als die Beklagten
zur Erſtattung der Rentenbeträge für einen weiteren
Zeitraum als bis zum vollendeten 70. Lebensjahr der
Verletzten verurteilt ſind. In dieſem Umfang war
die Sache, da es ſich um noch zu treffende tatſächliche
Feſtſtellungen und Würdigungen handelt, an die Vor⸗
inſtanz zurückzuverweiſen. (Urt. des VI. 38S. vom
26. September 1910, VI 484/09). E.
2109
IL
1. Das Vorrecht des 8 61 Nr. 5 der KO. erſtreckt
ſich auf die ganze Forderung des Kindes, auch wenn ſie
wegen einer Ueberſchuldung des väterlichen Vermögens
nicht ganz einbringlich iſt. ö
2. Anfechtung eines Vertrags, durch den der in
Konkurs geratene Erbe eine gegen ihn ſelbſt gerichtete
681.8 an VBermächtuisnehmer abgetreten hat
Die verſtorbene Witwe H., die Mutter des Gemein⸗
ſchuldners Guſtav H. und die Großmutter feiner
Kinder, der Kläger, hat in einem Teſtamente von einer
ihr gegen ihren Sohn G. zuſtehenden Kapitalforderung
zu 182 329.67 M an ihre Enkelin Elſa H. 12500 M,
an die Enkel Guſtav und Hans H. je 7000 M ver⸗
macht. Den Reſt des Nachlaſſes ſollten ihre beiden
Kinder Guſtar H. und Amalie W. geb. H. zu gleichen
Teilen erben. In einem zwiſchen dieſen beiden Erben
geſchloſſenen Erbteilungsvertrag wurde das ganze
Vermögen der Erblaſſerin gegen eine an die Miterbin
W. zu zahlende Abfindung von 69 000 M dem Buftav
H. überlaſſen, der auch alle im Bermögensverzeichnis
aufgeführten Verbindlichkeiten (Schulden und Legate)
zur Zahlung übernahm. Später wurde über das
Vermögen des Erben Guſtav H. das Konkursverfahren
eröffnet. Die Kläger beanſpruchen durch ihren Pfleger
das Vorrecht für die ihnen gegen den Gemeinſchuldner
zuſtehenden Vermächtnisforderungen von zuſammen
26 500 M. Der beklagte Konkursverwalter hat den
Betrag dieſer zur Konkurstabelle angemeldeten For⸗
derungen und das behauptete Vorrecht beſtritten, da
die der Witwe H. gegen ihren Sohn zuſtehende For⸗
derung von 182 329.67 M ü höchſtens auf 10% des Nenn⸗
betrags zu bewerten geweſen ſei. Der Nachlaß ſei
deshalb mit Rückſicht auf die vorhandenen Paſſiven
von 44000 M in Wahrheit überſchuldet, die Ver⸗
mächtniſſe aber ſeien damit hinfällig geweſen. Vor⸗
ſorglich werde der unter den Erben geſchloſſene Erb-
teilungsvertrag als den Konkursgläubigern gegenüber
unwirkſam angefochten. Die Vorinſtanzen haben die
von den Klägern angemeldeten 26500 M als Konkurs-
forderungen mit dem Vorrecht des § 61 Nr. 5 KO.
feſtgeſtellt. Das RG. hob auf.
Gründe: 1. Der Berufungsrichter nimmt an, daß
die beiden Erben der verwitweten H. in dem Erb—
teilungsvertrage zur Erfüllung des von der Erblaſſerin
angeordneten Vermächtniſſes den Klägern 26500 M
88 Zeitſchrift für Rechtspflege
—— wi ᷣ —— —
von denjenigen 182 329.67 M abgetreten haben, welche
der Miterbe und fpätere Gemeinſchuldner Guſtav 9.
zum mütterlichen Nachlaß ſchuldete, daß hierbei Guſtav
H. die Abtretung namens ſeiner von ihm vertretenen
Kinder angenommen hat und daß den Klägern, nach⸗
dem fie auf diefe Weiſe Gläubiger ihres Vaters in
Höhe von 26500 M geworden ſind, das in 8 61 Nr. 5
KO. geordnete Vorrecht im Konkurſe des Vaters zuſteht.
Die Reviſion verſucht auszuführen, das Vorrecht ſei den
Klägern nur für den Forderungsbetrag zuzubilligen,
bis zu welchem ihr Vater, der Schuldner, zur Zeit
des Ueberganges der Forderung zu zahlen imſtande
geweſen ſei. Dieſer Betrag ſei mit Rückſicht auf die
ſchon damals vorhandene Ueberſchuldung nur auf 10%
der Forderung zu veranſchlagen. Allein mit Recht
legt der Berufungsrichter dar, daß eine ſolche Unter⸗
ſcheidung zwiſchen dem Nennwert und dem wahren
wirtſchaftlichen Wert einer den Kindern gegen ihren
Vater zuſtehenden Geldforderung in dem Wortlaute
des 8 61 Nr. 5 KO. keine Stütze findet. Inhalt und
Umfang einer beſtehenden Schuldverpflichtung werden
durch das Unvermögen des Schuldners in keiner Weiſe
beeinflußt, auch die ganz oder zum Teil uneinbring⸗
liche Forderung bleibt, und zwar nicht bloß im Rechts⸗
finne ſondern auch nach der Verkehrsauffaſſung, For⸗
derung zum vollen urſprünglichen Betrage und genießt
demgemäß auch in voller Höhe die Vergünſtigungen,
mit denen ſie ſonſt das Geſetz ausſtattet.
2. Dagegen beſchwert ſich die Reviſion nicht ohne
Grund darüber, daß der Berufungsrichter auf die auch
in zweiter Inſtanz vom Beklagten erklärte Anfechtung
aus 8 31 KO. nicht eingegangen iſt. Wenn der Be⸗
klagte dort als Gegenſtand der Anfechtung den „Erb⸗
teilungsvertrag“ bezeichnet, ſo handelte es ſich dabei
um eine unſchaͤdliche ungenaue Ausdrucksweiſe. Ges
meint iſt augenſcheinlich die bei Gelegenheit jenes
Vertrages von beiden Erben erklärte und zugleich von
Guſtav H. namens feiner Kinder angenommene Ab⸗
tretung der dieſen als Vermächtnis ausgeſetzten
26500 M von der Forderung, die Guſtav H. zum
mütterlichen Nachlaß ſchuldete.
Weſen der Erbengemeinſchaft als eines Rechtsverhält⸗
niſſes zur geſamten Hand, daß durch den Erbfall eine
Vereinigung der zum Nachlaß gehörigen Rechte mit
den von einem Erben zum Nachlaß geſchuldeten Ver⸗
bindlichkeiten nicht eintritt. Auch der Schuldnererbe
iſt mithin in ſeiner Eigenſchaft als Erbe der urſprüng⸗
lichen Gläubigerin zugleich geſamtberechtigter Gläu⸗
biger des von ihm ſelbſt geſchuldeten Nachlaßaußen⸗
ſtandes geworden. In dieſer Eigenſchaft hat Guſtav
H. durch die anteilige Abtretung an feine Kinder ge—
meinſchaftlich mit ſeiner Schweſter und Miterbin über
den Außenſtand verfügt ($ 2040 Abſ. 1 BGB.). Es
bedarf keiner Ausführung, daß dieſe vertragsmäßige
Verfügung ſowohl als Rechtshandlung (Nr. 1) wie
Es folgt aus dem
als entgeltlicher, weil in Erfüllung der Vermächtnis⸗
anordnung vollzogener Vertrag (Nr. 2) zu gelten hat.
Es liegt ferner auf der Hand, daß die Guſtav H.ſchen
Gläubiger wenn auch nicht durch die bloße Abtretung
ſo doch dadurch benachteiligt worden ſind, daß die
Zeſſionare hiermit zugleich den Anſpruch auf vorzugs⸗
weiſe Befriedigung im Konkurſe erworben haben. Es
kann ſich mithin nur darum handeln, ob der ab—
tretende Miterbe und nachmalige Gemeinſchuldner
hierbei in Benachteiligungsabſicht gehandelt habe und
wie gemäß $ 31 Nr. 1 und 2 KO. die Beweislaſt zu
verteilen ſei. In dieſer Beziehung wird der Berufungs—
richter bei Erörterung des Sachverhalts auch in Be—
tracht zu ziehen haben, daß die Verbindlichkeiten aus
Vermächtniſſen in 8 1967 BGB. zwar im allgemeinen
zu den Nachlaßverbindlichkeiten gezählt und damit
den Grundſätzen von der beſchränkten Haftung des
|
Erben unteritellt ſind, daß aber die Vermächtnis⸗
gläubiger im Nachlaßkonkurſe gemäß § 226 Nr. 5 KO.
erſt an letzter Stelle zu befriedigen ſind und, daß dem,
in Bayern. 1911. Nr. 4.
Erben in 8 1978 Abſ. 1 verbunden mit 8 1979 BG.
im Falle der Anordnung der Nachlaßverwaltung oder
der Eröffnung des Nachlaßkonkurſes, nach 8 1991
Abſ. 1, 4 auch im Falle des ſog. dürftigen Nachlaſſes
eine beſondere Verantwortlichkeit für die Art und
Weiſe der Verwaltung des Nachlaſſes auferlegt iſt,
deren Verletzung ihn ſchadenserſatzpflichtig werden
läßt. Gilt dies alles auch nur im Verhältnis zwiſchen
dem Erben und den Nachlaßgläubigern, nicht auch
den Privatgläubigern des Erben, ſo bleibt doch be⸗
ſtehen, daß ihm beſondere Vorſicht gerade in der VBe⸗
friedigung von Vermächtnisgläubigern zur Pflicht
gemacht iſt. In dieſem Zuſammenhange kann deshalb auch
von Bedeutung ſein, daß wie der Beklagte behauptet
und der Berufungsrichter als möglich unterſtellt, in»
zwiſchen über den Nachlaß der verwitweten H. der
Konkurs eröffnet worden iſt, weil ſich vermöge der
Uneinbringlichkeit der bei Guſtav H. ausſtehenden
Forderung auch die Ueberſchuldung des mütterlichen
Nachlaſſes herausgeſtellt habe. (Urteil des IV. 38.
vom 24. Oktober 1910, IV D. 614/09).
2153 — — — u.
IV.
Welchen Einfluß hat es auf den Schadenserſatz⸗
anſpruch nach 8 945 ZBO., wenn der Schuldner zur
Abwendung des Arreſtvollzugs entgegen der Vorſchrift
des 592330. nicht Geld, ſondern Wertpapiere hinterlegt?
Der Beklagte hat gegen den Kläger einen Arreſt er»
wirkt; als der zur Abwendung der Vollziehung er⸗
forderliche Geldbetrag wurde die Summe von 42000 M
feſtgeſtellt. Kläger hinterlegte 42 000 M in 3½ prozent.
Preußiſchen Konſols. Nachdem der Arreſt aufgehoben
war, wurden von den hinterlegten Papieren 37100 M
am 4. Dezember 1907 und der Reſt mit 4900 M am
20. Oktober 1908 hinausgegeben. Der Kläger verlangt
Erſatz des Schadens, den er durch die Sicherheitsleiſtung
erlitten habe, und zwar 3651,20 M für Kursverluſt
und 4628,85 M für Zinsverluſt; er macht geltend, daß
er die Papiere eigens für die Hinterlegung angeſchafft
und ſofort nach der Freigabe wieder veräußert habe,
wobei der Kursverluſt entſtanden ſei, und daß er mit
feinem Geld 6% ü hätte verdienen können. Das LG.
hat die Klage abgewieſen. Das Berufungsgericht hat
bezüglich des Zinſenverluſtes den Klageanſpruch dem
Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache
in die erſte Inſtanz zurückverwieſen, mit dem weiter⸗
gehenden Anſpruch die Klage abgewieſen. Soweit der
Klageanſpruch für gerechtfertigt erklart worden iſt, iſt
das Urteil rechtskräftig. Soweit die Klage abgewieſen
iſt, hat der Kläger Reviſion eingelegt. Sie hatte Erfolg.
Gründe: Die Entſcheidung hängt davon ab,
welche Bedeutung der Tatſache beizumeſſen iſt, daß
der Kläger entgegen der Vorſchrift des 8 923 ZPO.
nicht Bargeld, ſondern Wertpapiere hinterlegt hat.
Der Berufungsrichter nimmt an, daß die Hinterlegung,
weil fie dem § 923 nicht entſpreche, den Schadens—
erſatzanſpruch aus 8 945 ZPO. für den Kursverluſt
nicht begründen könne. Er ſagt hierüber: weil eine
Vereinbarung der Parteien über die Hinterlegung von
Wertpapieren nicht behauptet werde, ſo müſſe ange-
nommen werden, daß der Kläger eigenmächtig von
ſeiner Pflicht abgewichen ſei. Der gegen dieſe Schluß—
folgerung gerichtete Angriff der Reviſion iſt begründet.
Es war zu prüfen, ob nicht ebenſo wie durch eine
Vereinbarung auch ſchon durch die bloße Zuſtimmung
des Beklagten zu der einmal geſchehenen Hinterlegung
von Wertpapieren die Befugnis des Beklagten aus—
geſchloſſen war, aus einer Zuwiderhandlung des
Klägers gegen S 923 IPOD. für ſich Rechte herzuleiten.
Es kommt hierbei folgendes in Betracht: wenn die
ziemlich erhebliche Summe in Bargeld hinterlegt worden
wäre, dann wäre bei der niedrigen Verzinſung, wie
ſie die Hinterlegungsſtellen gewähren, ein bedeutender
Schaden durch Zinſenverluſt unausbleiblich geweſen.
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An der tunlichſten Verringerung dieſes Schadens hatte
auch der Beklagte wegen feiner Erſatzpflicht nach 8 945
ZPO. ein Intereſſe. Durch die Hinterlegung von
Wertpapieren wurde alſo dem beiderſeitigen Intereſſe
gedient, und der Kläger konnte wohl von vornherein
darauf rechnen, daß der Beklagte dieſer Art der Sicher⸗
heitsleiſtung zuſtimmen werde. Der Beklagte hat denn
auch auf die Hinterlegung der Wertpapiere hin die
Vollziehung des Arreſtes unterlaſſen, obwohl er ſie
hätte weiterbetreiben können. Der Berufungsrichter
mußte deshalb der Frage nähertreten, ob der Beklagte
— auch wenn eine Vereinbarung über die Art der
Hinterlegung nicht anzunehmen iſt — der Hinterlegung
von Papieren zugeſtimmt und ob und inwieweit er
dadurch die Haftung für die Gefahr des Kursverluſtes
übernommen habe. Dabei wird aber ins Auge zu
faſſen ſein, ob nicht aus dem Stillſchweigen des Be⸗
klagten die Uebernahme der Gefahr des Kursverluſtes
nur inſoweit wird gefolgert werden können, als die
, Wertpapieren ſeinem eigenen Intereſſe
diente, alſo bis zu der Höhe, in welcher ſich der Zinſen⸗
verluſt verringerte.
Die Annahme des Berufungsrichters, daß der
Schaden aus Kurs verluſt mit dem urſprünglichen
ſchädigenden Ereignis in einem ſo entfernten Zuſammen⸗
hang ſtehe, daß er nach der Auffaſſung des Lebens
vernünftigerweiſe nicht mehr in Betracht gezogen
werden könne, iſt nicht haltbar. Kursrückgang bei
Wertpapieren iſt eine ſo naheliegende Möglichkeit, daß
jedermann, der Geſchäfte mit ſolchen macht, damit
rechnen muß. Das Geſetz ſelbſt rechnet bei Regelung
der Materie der Sicherheitsleiſtung mit dieſer Mög⸗
lichkeit, indem es die durch Hinterlegung von Wert⸗
papieren hergeſtellte Sicherheit nur in Höhe von drei
Vierteilen des Kurswertes annimmt (8 234 Abſ. 3
BGB.). Bei der nochmaligen Beurteilung der Sach⸗
lage wird der Berufungsrichter auch zu erwägen haben,
ob die Verpflichtung des Beklagten zum Erſatze des
Schadens nach dem Grundſatze des 8 254 BGB. durch
ein Verſchulden des Klägers beeinflußt wird, ſoweit
ein ſolches, ſei es in der Art der Hinterlegung ſelbſt,
ſei es in dem Nichtumtauſche der hinterlegten Wert⸗
papiere (8 235 BGB.) gefunden werden könnte. (Urt.
des IV. 35. vom 27. Oktober 1910, IV 144/10).
2154
— — gn.
— —ů — ——
B. Strafſachen.
1
Die Berpflichtung zur Buchführung nach 8 5 des
Neblans. vom 6. Juli 1904. Der § 5 Reblaus GG. lautet:
„Wer mit Reben oder Rebteilen Handel treibt, iſt
verpflichtet, Bücher zu führen, aus welchen die Her⸗
kunft, die Abgabe und der Verſand der Reben oder
Rebteile zu erſehen ift,..... „Die Bek. vom 27. Mai
1906 (G BBl. 1906 S. 198) ſchreibt in § 10 vor, daß
bei der Führung der Bücher ein beſtimmtes Formular
zu benützen ſei. Der Angeklagte befaßte ſich gleich
vielen Winzern und Weinbergsarbeitern zum Zwecke
des Erwerbs damit, Blindreben zur Anzucht von
Wurzelreben einzuſetzen und die bewurzelten Reben
zu verkaufen, ſoweit er ſie nicht in ſeinem eigenen
Weinberg verwendete. Das Blindholz entſtammte
nicht ausſchließlich dem eigenen Grundbeſitz des An⸗
geklagten, ſondern er nahm es auch beim Schneiden
fremder Weinſtöcke mit Zuſtimmung der Arbeitgeber
an ſich oder es wurde ihm von dieſen überlaſſen, nicht
als Lohn oder in Anrechnung auf Lohn, ſondern un-
entgeltlich. Bücher nach 8 5 Reblaus. hat der An⸗
debate nicht geführt, obwohl ihm die Verwaltungs⸗
ehörde ein nach der Bek. vom 27. Mai 1906 einge⸗
richtetes Buch eingehändigt hatte. Die Strafkammer
hat den Angeklagten von der Anklage wegen eines
Vergehens gegen 88 5, 10 Nr. 3, 11 Nr. 2 Reblaus.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
89
—
freigeſprochen, weil der Angeklagte nicht „Handel mit
Reben treibt“, ſo daß ihn die in 8 5 geſchaffene Ver⸗
pflichtung überhaupt nicht trifft. Das Reichsgericht
hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückver⸗
wieſen. In den Gründen wird zunächſt die Aus⸗
legung der Strafkammer als dem Zwecke des Reblaus.
zuwiderlaufend bezeichnet und darauf hingewieſen, daß
für die Verbreitung der Reblaus der Verkehr mit
Reben die größte Gefahr bilde, daß es das Ziel des
Reblaus. ſei, wi Verkehr „ſoweit angängig“ ein⸗
zuſchränken, daß die Buchführung zur leichteren Ueber⸗
wachung des Verkehrs vorgeſchrieben ſei. Nur der
Weg der Rebe von Weinberg zu Weinberg ſei von
Intereſſe, die begleitenden rechtsgeſchäftlichen Vorgänge
ſeien I die Frage der e an ſich
ganz belanglos. Dies ſpreche nicht dafür, daß das
Geſetz durch die Wahl der Bezeichnung „Handel treiben“
die Buchführungspflicht auf denjenigen Teil des Ver⸗
kehrs mit Reben habe beſchränken wollen, der durch
Kaufleute im Betrieb des Handelsgewerbes und durch
eigentliche Handelsgrundgeſchäfte vermittelt werde.
Durch die Wahl der Worte „Handel treiben“ ſei nur
der Teil des Rebenverkehrs von der Buchführungs⸗
pflicht ausgeſchieden worden, der in vereinzelten Ver⸗
äußerungen oder unentgeltlich ftattfinde, ſowie die
Verpflanzung von Reben in Weinbergen eines und
desſelben Beſitzers. Das Geſetz habe den fortgeſetzten
Umſatz von Reben zum Zwecke dauernden Erwerbs
durch Kauf oder Tauſch zweifellos wegen der erheb⸗
lichen Gefahr der Reblausverbreitung, die er in ſich
berge, treffen wollen und zwar gleichviel, ob er Ausfluß
des Betriebs eines Handelsgewerbes im engeren Sinne
der Handels⸗ und Gewerbegeſetzgebung ſei oder nicht.
Dann fahren die Gründe fort:
„Auf die Landwirtſchaft, alſo auch auf den Wein⸗
bau und die Anpflanzung von Reben zu Zuchtzwecken
finden allerdings die Beſtimmungen des HGB. keine
Anwendung. Die Verwertung der Urerzeugniſſe, die
Nutzbarmachung der Abfälle, H auch der durch die
Bodenwirtſchaft gewonnenen bewurzelten Reben bildet
nur den Abſchluß der land wirtſchaftlichen Tätigkeit.
Dieſe wäre nicht nach Handelsrecht zu beurteilen, ſelbſt
wenn die Blindreben angekauft oder ſonſt entgeltlich
angeſchafft worden wären, um ſie nach der Bewurzelun
weiterzuveräußern. Auch die GewO. findet, ſoweit fi
aus ihren Beſtimmungen nicht das Gegenteil ergibt,
auf Landwirtſchaft und landwirtſchaftliches Neben⸗
gewerbe keine Anwendung. Daraus folgt aber keines⸗
wegs, daß im Neblaus®., wo es ſich um die Ueber⸗
wachung des Verkehrs mit Reben handelt, das geſamte
landwirtſchaftliche Nebengewerbe von der Buchpflicht
habe freigelaſſen werden ſollen und daß zu dieſem
Zwecke die Worte „Handel treiben“ gewählt ſeien, die
im Sinne des Handelsrechts verſtanden auf die Ver⸗
wertung ſelbſtgezogener Erzeugniſſe durch den Land⸗
wirt nicht zutreffen. Vielmehr kann im Geſetz das
Wort „Handel treiben“ nur im Sinne des allgemeinen
Sprachgebrauches verwendet ſein und darunter fällt
auch der vom Winzer gewerbsmäßig betriebene Ver⸗
kauf von Reben. Wäre es anders, ſo wäre die An⸗
wendung des Geſetzes in einem Maße eingeſchränkt,
daß ihr nur wenig Bedeutung zukäme. Denn die ge⸗
werbsmäßige Veräußerung von Reben, insbeſondere
friſch bewurzelter Reben erfolgt der Natur der Sache
nach regelmäßig in Verbindung mit der Rebenzucht
zum Zwecke der Verwertung ſelbſtgezogener Erzeugniſſe,
ſteht alſo mit dem landwirtſchaftlichen Betrieb im
engſten Zuſammenhang. Grundſätzlich beſteht inſoweit
fein Unterſchied zwiſchen Fällen, in denen Reben aus⸗
ſchließlich zum Zwecke der Veräußerung eingeſetzt und
gezogen werden, und den Fällen, in denen die
Zucht zunächſt für den eigenen Bedarf erfolgt. Die
Rebſchulen und die Gärtnereien mit Rebenzucht, für
welche die Beſtimmung des § 5 Reblaus. nach der
Begründung in erſter Linie getroffen iſt, würden hier⸗
-— | —
90 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
nach entweder überhaupt nicht unter die Beſtimmung
fallen, wenn dieſe in dem Sinne zu verſtehen wäre,
daß nur der eigentlich handelsgewerbliche Betrieb für
buchpflichtig erklärt werden ſollte, oder es bedürfte
doch auch jenen landwirtſchaftlichen oder gewerblichen
Unternehmungen gegenüber zur Begründung der Buch»
pflicht des Nachweiſes im Einzelfall, daß die handels⸗
gewerbliche Tatigkeit, nicht Anpflanzung und Zucht
von Reben, den Hauptbeſtandteil des Betriebs bilde.
Werden aber die mehrerwähnten Worte im Sinne des
gemeinen Sprachgebrauchs aufgefaßt, ſo beſteht kein
Bedenken, darunter auch jede gewerbliche Weiterver⸗
äußerung von Reben zu begreifen, gleichviel ob ſie
zunächſt im Anſchaffungsgeſchäft erworben ſind oder
ob ſie der Verkäufer ohne ein ſolches erlangt, insbe⸗
ſondere in dem eignen landwirtſchaftlichen Betrieb dem
Boden abgewonnen hat. Auf den Umfang, in dem
der gewerbsmäßige Verkauf von Reben ſtattfindet,
kommt es dabei nicht an; die kleinen Betriebe ſind
im Geſetz nicht ausgenommen. Ebenſo legt das Urteil
zu Unrecht Gewicht darauf, ob der Abſatz im Wege
des Hauſierhandels erfolgt oder die Beſtellungen auf:
geſucht werden. Nach gemeinem Sprachgebrauch gilt
jeder Kauf und Tauſch als „Handel“, und Handel
„treiben“ deutet nur auf die fortgeſetzte, gleichartige
gewerbsmäßige Tätigkeit hin. Die Beſtimmung in
§ 5 Reblaus. bietet für die Richtigkeit dieſer Aus⸗
legung auch inſofern einen Anhalt, als die Buchungen
ſich auf „Herkunft“, Abgabe und Verſand zu erſtrecken
haben, ſonach nicht unbedingt vorgeſehen iſt, daß der
Verkäufer die Reben im Wege des abgeleiteten ent⸗
geltlichen Erwerbs (Anſchaffungsgeſchäft) erlangt hat.“
(Urt. des I. StS. vom 5. Januar 1911, I D 827/10).
2147 3
II.
Sewerbsmäßiges Glücksſpiel: Kaun das Bergehen
des § 284 StG. im Inlande durch einen ansländiſchen
Buchmacher begangen werden, der im Julande weder
den Sitz ſeines Gewerbes hat noch perſönlich tätig
wird? Iſt es von Belang, ob das gewerbsmäßige
Glücksspiel im Lande der gewerblichen Niederlaſſung
ſtrafbar iſt, jowie ob die Wettverträge im Inlande
zuſtande kommen? Aus den Gründen: Mit Un⸗
recht beanſtanden die Beſchwerdeführer die Annahme
des Erſtrichters, daß die ausländiſchen Buchmacher,
für welche die Angeklagten die Wettaufträge geſammelt
haben, im Deutſchen Reich aus dem Glücksſpiel ein
Gewerbe gemacht haben. Richtig iſt zwar und von
dem Erſtrichter ſelbſt feſtgeſtellt, daß dieſe Buchmacher
den Sitz ihres Gewerbes im Auslande haben und
perſönlich innerhalb des Deutſchen Reichs nicht tätig
geworden ſind.
Nach den tatſächlichen Feſtſtellungen des angefochtenen
Urteils haben jene ausländiſchen Buchmacher, wenn
ſie auch ihren Sitz im Auslande hatten, doch ihren
Gewerbebetrieb, das gewerbsmäßige Buchmachen, von
dorther auf das Inland erſtreckt. Sie haben durch
die Angeklagten Wettaufträge ſammeln, Einſätze ent—
gegennehmen laſſen, die Einſätze ſich überſenden, die
Gewinne auszahlen laſſen, alſo, da alles dies im
Inlande geſchah, im Inlande förmliche Einrichtungen
zur Ausübung des gewerbsmäßigen Buchmachens ge—
troffen und dieſe Einrichtungen auch zu dieſem Zwecke
benutzt. Das genügt, um die Annahme zu recht—
fertigen, daß jene ausländiſchen Buchmacher ſich im
Inlande gegen den $ 284 StGB. verfehlt haben.
Das LG. geht mit Recht davon aus, daß, wer durch
einen anderen, ſei es auch vom Auslande her, im
Inlande den Tatbeſtand eines Vergehens verwirklichen
läßt, ſich trotz ſeiner eigenen Abweſenheit doch des
Vergehens im Inlande ſchuldig macht. Das L.
nimmt ferner ohne Rechtsirrtum an, daß jemand
gleichzeitig in mehreren Landern — ſo auch im In—
lande und im Auslande — aus dem Glücksſpiel ein
Allein deſſen bedurfte es auch nicht.
|
{
nn
Gewerbe machen kann, indem er den gewerbsmäßigen
Betrieb des Glücksſpiels gleichzeitig auf mehrere
Länder erſtreckt und daß er ſolchenfalls im Inlande
ſich durch das gewerbsmäßige Glücksſpiel ſtrafbar
macht ohne Rückſicht darauf, ob es auch im Auslande,
wo er feinen Wohnfig hat, ſtrafbar if. Die auf
dieſer Grundlage getroffene tatſächliche Feſtſtellung,
daß die ausländiſchen Buchmacher im Deutſchen
Reiche aus dem Glücksſpiel eine Gewerbe gemacht
haben, indem ſie durch Vermittelung der Angeklagten,
ihrer Gehilfen, den gewerbsmäßigen Betrieb des
Glückſpiels durch Abſchluß von Rennwetten in Deutſch⸗
land auf das Gebiet des Deutſchen Reichs ausgedehnt
haben, iſt erſichtlich von falſchen Rechtsanſchauungen
nicht beeinflußt. Vergeblich bekämpfen auch die Be⸗
ſchwerdeführer die Annahme des Erſtrichters, daß die
Wettverträge im Inlande zuſtande gekommen find.
Denn die Grundlage dieſer Annahme, die Feſtſtellung,
daß der Abſchluß der Wettverträge durch die Auf⸗
gabe zur Poſt endgültig zuſtande kommen ſollte, iſt
tatſächlicher Art und hinſichtlich ihrer tatſächlichen
Richtigkeit nach 8 376 StPO. der Nachprüfung des
Reviſionsgerichts entzogen. Indeſſen würde, ſelbſt
wenn die ausländiſchen Buchmacher, wie mehrere
Beſchwerdeführer behaupten, die Zurückweiſung der
Wettaufträge für den Fall verſpäteter Aufgabe zur
Poſt oder nach ihrem Gutdünken ſich vorbehalten
haben ſollten, die Annahme nicht erſchüttert werden,
daß die ausländiſchen Buchmacher im Inlande aus dem
Glücksſpiel ein Gewerbe gemacht haben. Denn es
muß angenommen werden, daß ſelbſt im Falle eines
ſolchen Vorbehalts das Vergehen im Inlande ſchon
dadurch vollendet war, daß die Buchmacher Wett⸗
aufträge und Einſätze durch die Vermittler im In⸗
lande für ſich hatten einſammeln laſſen. Für die
Vollendung des Vergehens iſt mehr nicht erforderlich,
als daß das Spiel begonnen hat, nicht, daß es end⸗
gültig geworden oder durchgeführt iſt. Begonnen
aber hatte unter den feſtgeſtellten Umſtänden das
Spiel ſchon mit der Entgegennahme der Wette und
des Einſatzes des inländiſchen Wettluſtigen durch den
vom Buchmacher dazu beauftragten oder ermächtigten
Vermittler. Ob der Gegenſpieler verpflichtet war,
es zu halten, iſt ohne Belang. Iſt aber hiernach
die Feſtſtellung, daß die Haupttat im Inland be⸗
gangen iſt, einwandfrei, ſo wird die Berufung der
Angeklagten auf deren Strafloſigkeit nach auslän⸗
diſchem Rechte hinfällig. (Vgl. auch Goltd Arch. 56, 92).
(Urt. des V. StS. vom 16. Dezember 1910, V
687/10). E.
2139
III.
Zum Begriffe des Gewahrſams und Mitgewahr⸗
ſams. Aus den Gründen: Daß die Gelder fi
im Gewahrſam des Angeklagten befunden haben, iſt
rechtlich einwandfrei nachgewieſen. Es iſt feſtgeſtellt,
daß er die Kaſſenführung hatte, und daraus, daß er⸗
wähnt wird, daß auch der Direktor K. einen beſonderen
Schlüſſel zum Geldſchrank hatte, folgt, daß im übrigen
die Schlüſſel zum Geldſchrank ſich in der Verwahrung
des Angeklagten befunden haben. Damit waren aber
die in dem Geldſchrank verwahrten Gelder in dem
Gewahrſam des mit der Kaſſenführung im allge—
meinen und ſomit auch mit der Beaufſichtigung und
ordnungsmäßigen Verſchließung des Geldſchranks be—
trauten Angeklagten. Daß der Direktor K., der die
Kaſſenführung des Angeklagten zu beaufſichtigen und
ihn während deſſen kurzer Reiſen und auch ſonſt wohl
bei zufälliger Verhinderung in den Kaſſengeſchäſten
zu vertreten hatte, auch einen beſonderen Schlüſſel
zum Geldſchrank beſaß, nötigte den Vorderrichter
gegenüber ſeinen ſonſtigen Feſtſtellungen nicht zu der
Annahme, daß die in dem Geldſchrank verwahrten
Gelder ſich im Mitgewahrſame K. s befunden hätten.
—
„
Die Feſtſtellung, daß die vom Angeklagten unter⸗
ſchlagenen Gelder ſich in deſſen Gewahrſam befunden
haben, gibt alſo auch in dieſer Richtung zu rechtlichen
Bedenken keinen Anlaß. Daß die Summen, die im
Geldſchranke waren, meiſt von der R.⸗W. Diskonto⸗
bank herrührten, und von dort in der Regel durch
einen Lehrling oder Boten der Aktiengeſellſchaft ab⸗
geholt worden waren, ändert ſelbſtverſtändlich an der
Tatſache, daß ſie, ſolange ſie im Geldſchranke lagen,
ſich im Gewahrſam des Angeklagten befanden, eben⸗
ſowenig etwas, wie der übrigens in dem Urteile nicht
feſtgeſtellte Umſtand, daß der Angeklagte außerhalb
der Dienſtſtunden keinen Zutritt zu dem Geſchäfts⸗
raume hatte, in dem der Geldſchrank ſtand. (Urt.
des V. StS. vom 23. Dezember 1910, VD an)
2140 &
Oberſtes Landesgericht. ö
A. Zivilſachen.
1.
Wann wird die Bereinbarung über die Anseinander:
ſetzung einer fortgefeßten Gütergemeinſchaft (Erbenge⸗
meinſchaft) wirkſam, wenn im Auseinanderſetzungstermine
nicht alle richtig geladenen Beteiligten erſchienen find?
(838. 8 91 Abſ. 3, 8 93 Abſ. 2; BGB. SS 182, 184,
1497, 2040). Die Tändlerseheleute Georg und Thereſe
W. lebten in allgemeiner Gütergemeinſchaft. Nach
dem Tode der Frau ſetzte Georg W. mit ſeinen Kindern
Joſeph W., Georg W., Karoline H. und Anna G. und
ſeiner Enkelin Thereſe W. die Gütergemeinſchaft fort.
Am 27. Dezember 1907 ſtarb Georg W. In einem
Teſtamente hatte er ſeine Söhne Joſeph und Georg
W. zu gleichen Teilen als Erben eingeſetzt, ſeine Tochter
Anna G. mit einer Abfindungsſumme von 1500
bedacht und die beiden anderen Abkömmlinge nicht
berückſichtigt, weil ihre Anſprüche an das Geſamtgut
und an ſeinen Nachlaß ſchon befriedigt waren. Das
Amtsgericht überwies die Vermittelung der Ausein⸗
anderſetzung dem Notariat. In der Verhandlung vom
13. März 1909 waren nur Joſeph W. und Anna G.
erſchienen. Sie einigten ſich dahin, daß das Eigentum
an den Geſamtguts⸗ und Nachlaßſachen, insbeſondere
an den Anweſen Hs.⸗Nr. 390, 391 auf Joſeph und
Georg W. übergehen, dieſe dagegen ihrer Schweſter
Anna G. eine Abfindung von 1500 leiſten und
die Geſamtguts⸗ und Nachlaßverbindlichkeiten über⸗
nehmen ſollten. Nachdem Georg W. und Karoline H.
die ihnen nach § 93 Abſ. 2 GF G. geſetzte Friſt unbe:
nützt hatten verſtreichen laſſen und Thereſe W. am
8. Mai 1909 zu gerichtlichem Protokolle die Erklärung
abgegeben hatte, daß ihr Anſprüche nicht zuſtehen,
beſtätigte der Notar die Auseinanderſetzung am 17. Mai
1909. Der Beſchluß wurde nicht angefochten. In⸗
zwiſchen waren die Grundſtücke verſteigert worden.
In dem Verteilungsverfahren ergab ſich für das Ge⸗
ſamtgut und den Nachlaß ein Ueberſchuß, der hinter⸗
legt wurde. Später wurden zugunſten vollſtreckbarer
Forderungen des Rechtsanwalts und anderer Gläubiger
einzelne Anteile an dem Geſamtgut und dem Nachlaſſe
gepfändet. Am 8. Juni 1910 ſtellte Rechtsanwalt R.
für ſich und die anderen Pfändungsgläubiger an das
Amtsgericht den Antrag, die Auseinanderſetzung
des Geſamtguts der Eheleute Georg und Thereſe W.
und des Nachlaſſes des Georg W. zu vermitteln. Das
Amtsgericht lehnte den Antrag ab. Die Beſchwerde
wurde zurückgewieſen. Auch die weitere Beſchwerde
der Gläubiger wurde verworfen.
Gründe: Mit Recht haben die Vorinſtanzen dem
Antrage keine Folge gegeben. Ihm ſteht entgegen,
daß die Auseinanderſetzung von dem Notar beſtätigt
und die Beſtätigung rechtskräftig geworden iſt. Damit
iſt das Auseinanderſetzungsverfahren und die Ver—
mittelungstätigkeit des Nachlaßgerichts beendet. Aller⸗
Rechtspflege in Bayern. 1911.
M|
Ä
|
|
|
Nr. 4.
91
— — — — — —
dings kann der Auseinanderſetzungs vertrag trotz der
Rechtskraft der Beſtätigung angefochten werden. Die
Anfechtung muß jedoch durch Klage erfolgen, wenn
nicht alle Beteiligten die Unwirkſamkeit anerkennen.
Dagegen kann das Nachlaßgericht hierüber nicht ent⸗
ſcheiden. Uebrigens hat das Beſchwerdegericht mit
Recht den Auseinanderſetzungsvertrag als wirkſam
erachtet. Bei der Gemeinſchaft zur geſamten Hand
nach den 8$ 1497, 2040 BGB. können die Verträge
entweder von den ſämtlichen Teilhabern gemeinſchaft⸗
lich oder ſo geſchloſſen werden, daß einzelne den Ver⸗
trag ſchließen und die übrigen zuſtimmen. Im erſten
Falle wird allerdings der Vertrag erſt mit der Abgabe
der letzten Erklärung vollendet und wirkſam, wenn die
Teilhaber die Vertragserklärungen zeitlich getrennt ab-
geben. Im zweiten Falle aber gehören nur die Er⸗
Härungen der mitwirkenden Teilhaber zum Tatbeſtande
des Vertrags, dagegen wird die Zuſtimmung der übrigen
Genoſſen nach 88 182 ff. BGB. erteilt. Bei dem in
§ 91 Abſ. 3, 8 93 Abſ. 2 GF G. geregelten Verfahren
werden die Verträge in der zweiten Art geſchloſſen.
Das ergibt ſich daraus, daß die Vereinbarungen über
die Art der Teilung nicht von dem Erſcheinen aller
Beteiligten abhängen, ſondern die Zuſtimmung der
nicht erſchienenen Beteiligten als Verſaͤumnisfolge an⸗
genommen wird. Es iſt alſo anzunehmen, daß die
Zuſtimmung der in dem Verhandlungstermine nicht
erſchienenen Beteiligten auf den Zeitpunkt der Vor⸗
nahme der Auseinanderſetzung zurückwirkt und daß
alſo die Auseinanderſetzung ſo zu behandeln iſt, als
wenn ſie ſchon bei der Vornahme wirkſam getroffen
worden wäre. In dieſem Zeitpunkte ſtimmte der Inhalt
des Auseinanderſetzungsvertrags mit der wirklichen
Sachlage überein. Die Auseinanderſetzung war des⸗
halb nicht etwa wegen des Mangels dieſer Ueberein⸗
ſtimmung nichtig. (Beſchluß des I. ZS. vom 9. De⸗
zember 1910, Reg. III 87/1910). W.
2131
II.
Kann beſtehendes Stockwerkseigentum nach dem
Inkrafttreten des BGB. in mehrere Stockwerksrechte
geteilt werden? Entſteht ein einheitliches Stockwerks⸗
eigentum bloß dadurch, daß mehrere Stockwerksrechte
an demſelben Hanſe in einer Hand zuſammentreffen ?
(Art. 182 EGz BGB.; Art. 42 UeG.; 88 889, 1009 BGB.).
An dem Hauſe Nr. 457 in M. beſteht Stockwerkseigentum.
Die Witwe Maria D. iſt im Grundbuche als Eigen»
tümerin des Wohnhausanteils Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr.
457 a gemeinſchaftlich mit Hs.⸗Nr. 457 b, 4570, 457 d
und 457e (im Erdgeſchoß: ein Keller; zu ebener Erde:
Wohnzimmer, Küche, Werkſtätte; über einer Stiege:
zwei Kammern, ferner ein Dachboden) und des Ge⸗
müſegartens Pl.⸗Nr. 479½ und als Eigentümerin des
Wohnhausanteils Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 457e gemein⸗
ſchaftlich mit Hs.⸗Nr. 457, b, e, d (über eine Stiege:
Wohnzimmer; über zwei Stiegen: eine Kammer und
ein oberer Teil des Bodens) eingetragen. Die Wohn⸗
hausanteile Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 457 b, e, d befinden
ſich im Eigentum anderer Perſonen. Die hypothekariſche
Belaftung des Wohnhausanteils HS -Nr. 457a weicht
von der des Wohnhausanteils Hs.⸗N. 457e ab. Laut
notarieller Urkunde hat Maria D. ihren Hausanteil
Pl.⸗Nr. 479“ Hs.⸗Nr. 457a und den Gemüſegarten
Pl.⸗Nr. 479½ ihrem Sohne Gottfried D. übergeben.
Die Uebergeberin und der Uebernehmer haben in der
Urkunde die Auflaſſung erklärt. Das GBA. hat die
Eintragung der Auflaſſung abgelehnt. Die Beſchwerde
hat das LG. als unbegründet zurückgewieſen. Auf
die weitere Beſchwerde wurden beide Entſcheidungen
aufgehoben und das GBA. angewieſen anders zu
verfügen.
Gründe: Nach Art. 182 EGz BGB. bleibt das
zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. beſtehende Stock—
werkseigentum beſtehen. Die Neubegründung von
Stockwerkseigentum iſt aber vom 1. Januar 1900 an
92 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
—— U— —
nicht mehr zuläfſig. Die Frage, ob die nach den bis⸗
herigen Geſetzen zuläſſige Teilung des Stockwerks⸗
eigentums auch nach dem 1. Januar 1900 noch zu⸗
läſſig iſt, wird in dem Kommentare von Planck
(3. Aufl. Bd. 6 Bemerkung 3 Abſ. 3 zu Art. 182
Gz BGB.) bejaht, von Habicht (Einwirkung des B88.
auf zuvor entſtandene Rechtsverhältniſſe, 3. Aufl. S. 416
Anm. 1) verneint. Wäre der erſteren Anſicht beizu⸗
treten, ſo würde zu prüfen ſein, ob die Entſcheidungen
der Vorinſtanzen nicht ſchon aus dieſem Grunde auf⸗
gehoben werden müßten. Der Senat ſchließt ſich aber
der auch von dem Os. Stuttgart in der Entſcheidung
vom 2. Juni 1905 (RYAN. Bd. 6 S. 82) gebilligten
Anſicht an, daß, weil das Geſetz die Neubegründung
von Stockwerkseigentum nicht zuläßt, auch die Teilung
eines beſtehenden Stockwerkseigentums unzuläſſig iſt.
Hiernach können, wenn mehrere Stockwerksrechte durch
eine hierauf gerichtete Willenserklärung zu einer recht⸗
lichen Einheit vereinigt worden ſind, die früheren
Rechte nicht mehr getrennt veräußert werden (Henle⸗
Schneider, AGz BGB., 2. Aufl., Vorbem. zu Art. 42
Ue®.). Mit Unrecht aber haben die Vorinſtanzen an⸗
genommen, daß ſich die Hausanteile Nr. 457 a und
Nr. 457e ſchon dadurch, daß Maria D. Eigentümerin
der beiden Stockwerksrechte geworden iſt, auf Grund
der Vorſchriften des BGB. über das Miteigentum zu
einer rechtlichen Einheit vereinigt haben. Nach Art. 42
UeG. iſt das Stockwerkseigentum zwar Miteigentum
an dem Grundſtück, aber mit der Maßgabe, daß jedem
Miteigentümer das ausſchließliche und dauernde Be⸗
nützungsrecht der Teile des Gebäudes zuſteht, die ihm
zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. gehören. Das
Stockwerkseigentum iſt ſohin nicht Miteigentum ſchlecht⸗
hin, ſondern das Miteigentum der einzelnen Berech⸗
tigten iſt begrifflich verbunden mit einem einen weſent⸗
lichen Beſtandteil des Anteils an der Gemeinſchaft
— 11 —ñf
|
1
1
bildenden, ausſchließlichen und dauernden Benützungs⸗
recht an beſtimmten Gebäudeteilen (Becher, Mat.
III. Abt. S. 31; Henle⸗Schneider, AG. S. 455; Habicht
a. a. O. S. 421). Durch dieſes räumliche Verhältnis
wird der dem Stockwerksberechtigten zukommende
Bruchanteil näher beſtimmt (Becher a. a. O. S. 66;
Henle⸗Schneider a. a. O. Bem. 3a zu 8 42 S. 456) und
damit das Stockwerkseigentum ſelbſt in einem gewiſſen
Sinne räumlich begrenzt. Hierdurch unterſcheidet es
ſich von dem Miteigentum, deſſen Bruchanteil nur ge⸗
dacht iſt. Aus dieſem Grunde wird bei dem reinen
Miteigentum der Miteigentümer, der zu ſeinem bis⸗
herigen Anteil einen weiteren Bruchanteil hinzuerwirbt,
in der Regel nicht zwei beſondere Bruchteile haben,
ſondern einen einheitlichen Anteil in der Größe der
beiden bisherigen Bruchteile. Eine ſolche Vereinigung
kann aber bei dem Zuſammentreffen von Stockwerks⸗
rechten nicht angenommen werden, weil bei dieſen die
Anteile jeweils mit einer beſtimmten räumlichen Be⸗
ziehung verknüpft ſind. Dieſem Ergebniſſe ſteht auch
die Auffaſſung nicht entgegen, die das Stockwerksrecht
als ein Miteigentum betrachtet, das durch die be—
ſonderen ausſchließlichen Nutzungsrechte der anderen
Berechtigten beſchränkt und belaftet iſt (Henle-Schmitt,
Grundbuchweſen S. 232; DANWGBNE. 8 397). Hieraus
ergibt ſich allerdings für den Fall, daß zwei Stock—
werksrechte in einer Hand zuſammentreffen, daß das
eine Miteigentumsrecht zugunſten des anderen belaſtet
iſt, daß ſohin in Anſehung des einen Miteigentums—
anteils dem Miteigentümer zugleich ein Sonderrecht
zugunſten des anderen Anteils zuſteht. Dieſe Doppel:
ſtellung unterliegt aber keinem rechtlichen Bedenken
und iſt in den 88 889, 1009 BGB. ausdrücklich zu⸗
gelaſſen. Beſtehen hiernach die Stockwerksrechte Hs.
Nr. 457a und 457e noch als geſonderte Rechte neben⸗
einander, ſo ſteht der Veräußerung des Hausanteils
Nr. 457a kein rechtliches Hindernis im Wege. (Beſchluß
des I. 8S. vom 2. Dezember 1910, Reg. III 85/1910).
2145 W.
—— Sue —
— —L—
B. Strafſachen.
j J.
Sind vorübergehend bewilligte Vergütungen bei der
Berechnung der Einkemmenſtener anzuſetzen? Miüſſen
die Arbeitgeber ſolche Vergütungen dem Neutamte mit-
teilen? Die Aktiengeſellſchaften X. und J. gewähren
Angehörigen ihres kaufmänniſchen und techniſchen
Perſonals an Weihnachten, Neujahr ꝛc. Vergütungen
in Geſtalt von Bargeldbeträgen. Ein vertragsmäßiger
Anſpruch der Angeſtellten auf die Gewährung beſteht
nicht; ob und mit welcher Summe der einzelne An⸗
geſtellte bedacht wird, ſteht im Belieben des Arbeit⸗
gebers. Unter Bezugnahme auf Art. 21 des bayer.
Ein!St®. vom 9. Juni 1889 forderte das Stadtrent⸗
amt A. die Geſellſchaft ſchriftlich auf, ein Verzeichnis
ihres kaufmänniſchen und techniſchen Perſonals nach
dem Stande vom 1. Juli 1909 unter Benützung eines
Formulars herzuſtellen und vorzulegen und in dieſes
nebem anderen auch die Vergütungen einzutragen. Die
Angeklagten als geſchäftsleitende Vorſtandsmitglieder
der Aktiengeſellſchaften legten Verzeichniſſe ihrer An⸗
geſtellten vor, weigerten ſich aber, Einträge in die
Spalte „Vergütungen“ zu machen, weil Vergütungen
nicht ſteuerbares Einkommen der Angeſtellten ſeien;
ſie beharrten auf dieſer Weigerung auch, als das
Rentamt ſie in einer weiteren Zuſchrift darauf auf⸗
merkſam gemacht hatte, daß die Oberberufungskom⸗
miſſion in einer Entſcheidung vom 19. Juni 1909
Vergütungen als ſteuerbares Einkommen erklärt habe.
Daraufhin wurde durch Strafbeſcheide gegen jeden der
Angeklagten wegen einer Zuwiderhandlung nach Art.
61 Abf. 2 des Eink StG. und des 8 2 Abſ. 2 der Bek.
der Staatsminiſterien des Innern und der Finanzen
vom 4. Januar 1900, den Vollzug der Geſetze vom
9. Juni 1899 über die Einkommen⸗ und Kapitalrenten⸗
ſteuer ꝛc. betreffend, nach Maßgabe des Art. 70 Abf. 1
Ait 1 Eink StG. eine . feſcgeſden Die
ngeklagten trugen auf gerichtliche Entſcheidung an.
Das Schöffengericht hat ſie je wegen einer Zuwider⸗
handlung gegen das Eink St. verurteilt. Die Bes
rufungen der Angeklagten wurden verworfen. Die
Reviſionen der Angeklagten wurden für begründet
erklart.
Aus den Gründen: 1. Das EinkStG. vom
9. Juni 1899 ſchreibt im 2. Abſchnitte: „Verfahren
bei Anlage der Einkommenſteuer“ unter lit. A. vor,
wie die Steuerliſten aufzuſtellen ſind. In erſter Linie
haben die Steuerpflichtigen ihre Steuererklärungen
nach Maßgabe der Art. 23, 24 ſelbſt abzugeben. In
den Art. 18 bis 21 ſind Vorkehrungen dagegen ge⸗
troffen, daß Steuerpflichtige die Steuererklärung unter⸗
laſſen oder nur unvollſtändige Angaben machen. So
hat nach Art. 21 Abſ. 1, wer andere Perſonen in
ſtändiger Weiſe gegen Gehalt, Lohn oder ſonſtiges
Entgelt beſchäftigt, auf dem dazu beſtimmten Formu⸗
lare der Gemeindebehörde Mitteilung über das von
ihm herrührende Einkommen dieſer Perſonen zu machen.
Nach Art. 61 Abſ. 2 kann durch Miniſterialvorſchrift
angeordnet werden, daß die unter Art. 21 erwähnten
Arbeitgeber ... innerhalb beſtimmter Friſt der Ge⸗
meindebehörde oder dem Rentamte die Mehrung im
Stande der von ihnen beſchäftigten oder bei ihnen
angeſtellten Perſonen ſowie die Bezüge der neu hinzu⸗
gekommenen anzuzeigen haben. Dieſe Anordnung iſt in
8 2 der Bek. der Staatsminiſterien des Innern und der
Finanzen vom 4. Januar 1900 getroffen worden. Der
Arbeitgeber muß die Anzeige binnen vier Wochen nach
Ablauf des Monats, in dem der Zugang eines Be—
dienſteten ſtattfand, bei dem Rentamte eritatten. Sach—
lich iſt die in Art. 61 Abſ. 2 des Eink StG. vorgeſehene
Anmeldung der neu zugegangenen Bedienſteten von
der in Art. 21 vorgeſchriebenen Mitteilung nicht ver⸗
ſchieden.
2. Hier handelt es ſich, da die Steuerperiode am
—
1. Januar 1908 begonnen hatte, um die Mitteilung
an das Rentamt gemäß dem Art. 61 Abſ. 2 und darum,
ob die Anzeige den vorgeſchriebenen Inhalt hatte.
Der in den Art. 21 und 61 EinfSt®. gleichheitlich
feſtgeſtellten Pflicht des Arbeitgebers, über das von
ihm herrührende Einkommen der bei ihm ſtändig be⸗
ſchäftigten Perſonen Mitteilung zu machen, hat das
Berufungsgericht eine irrtümliche Auslegung gegeben,
da es annimmt, daß dieſe Verpflichtung mit der
Steuerpflicht des Arbeitnehmers nicht in innerem
Zuſammenhange ſtehe. Der Steuerpflichtige ſelbſt hat
nach Art. 24 die Art der Erwerbsquelle, aus der er „ein
nach dem gegenwärtigen Geſetze ſteuerbares Ein⸗
kommen“ bezieht und den Jahresbetrag „des tref⸗
fenden Einkommens“ anzugeben. Etwas anderes
iſt mit dem von dem Arbeitgeber „herrührenden Ein⸗
kommen“ in den Art. 21, 61 Abſ. 2 auch nicht ge⸗
meint. Eine Auskunftserteilung allgemeiner Art über
alles dasjenige, was aus dem Vermögen des Arbeit⸗
gebers in Nahe des Dienſtverhältniſſes in das Ver⸗
mögen des Arbeitnehmers übergeht, iſt nicht verlangt.
Der Geſetzgeber hat den Ausdruck „Auskunftgeben“,
der ſich in Art. 18 des Entwurfs zum EintSt®. vom
19. Mai 1881 vorfand, wohl gefliſſentlich vermieden,
‚und dafür den Ausdruck „Mitteilung machen“ gewählt,
der die Sachlage beſſer kennzeichnet. Es iſt nicht
einzuſehen, warum dem Arbeitgeber eine umfaſſendere
Steuererklärung zugemutet werden ſollte, als dem
Steuerpflichtigen ſelbſt. Bei der Beratung des Geſetzes
in der K. d. Abg. hat der Abgeordnete G. bei einer
Anregung, den jetzigen Art. 21 zu ſtreichen, die hier
feſtgeſtellte Pflicht als die Verpflichtung der Arbeit⸗
geber bezeichnet, für die Lohnarbeiter „zu fatieren,
was ſie als einkommenſteuerpflichtiges Einkommen
betrachten“ und der Regierungsvertreter erklärte wört⸗
lich: „Der hier ausgeſprochene Grundſatz der Ver⸗
pflichtung eines Dritten, ſeinerſeits über einen ſteuer⸗
baren Bezug desjenigen Aufſchluß zu geben, der von
ihm dieſen Bezug erhält, iſt nicht etwa etwas ganz
eues in unſerer Geſetzgebung, denn auch bei der An⸗
lage der Mietſteuer wird gemäß Art. 12 des Haus⸗
ſteuergeſetzes der Mietertrag nicht allein durch die
Angaben des Hauseigentümers, ſondern auch durch jene
des Mieters ermittelt, welche Angaben ſich gegen⸗
ſeitig zu kontrollieren haben.“ Dieſe Erklärungen
und insbeſondere der Hinweis auf die Veranlagung
der Mietſteuer, bei der die Angaben des ſteuerpflich⸗
tigen Hausbeſitzers und des Mieters ſich gleichfalls
decken müſſen, laſſen keinen Zweifel darüber aufkommen,
daß auch die in Art. 21, 61 und in Art. 24 Eink StG.
vorgeſchriebenen Erklärungen des Arbeitnehmers und
des Arbeitgebers, dasſelbe, nämlich das ſteuerbare
Einkommen zum Gegenſtande haben. Wird dem
Steuerpflichtigen zugemutet, daß er an der Hand des
Geſetzes prüft, was ſteuerbares Einkommen iſt, ſo muß
es auch dem, der ihn beſchäftigt, überlaſſen bleiben,
ſich darüber zu entſcheiden, was der Arbeitnehmer an
ſteuerbarem Einkommen von ihm empfängt. Irrt er
in der Auslegung des Geſetzes, ſo tut er es, wie der
Steuerpflichtige ſelbſt, auf ſeine Verantwortung. Er
kann unter Umſtänden der Ordnungsſtrafe wegen un⸗
vollſtändiger Angabe verfallen. Seine Mitteilungs⸗
pflicht bezieht ſich aber nur auf die Bezüge, die von
dem Arbeitnehmer verſteuert werden müſſen.
3. Es iſt deshalb zu prüfen, ob Vergütungen, wie
ſie die Arbeiter der Angeklagten beziehen, zu verſteuern
ſind. Dabei iſt der Richter an eine Entſcheidung der
Oberberufungskommiſſion über den Umfang der Steuer⸗
pflicht nicht gebunden; denn er hat, ſobald auf gericht⸗
liche Entſcheidung angetragen worden iſt, die Schuld-
rage nach den allgemeinen Grundſätzen der 88 260,
261 StPO. ſelbſtändig zu prüfen und der Umſtand,
daß er dabei möglicherweiſe zu einer anderen Aus⸗
legung ſteuergeſetzlicher Beſtimmungen gelangt als die
Steuerbehörde, kann ihn nicht daran hindern, auf
on Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 44.
ſtrafrechtlichem Gebiete die nach ſeiner Rechtsan⸗
ſchauung gebotene Entſcheidung zu treffen. Der
Satz, daß der Einkommenſteuerpflicht nach dem Ge⸗
ſetze vom 9. Juni 1899 nur ſolche Einnahmen einer
Perſon unterworfen ſind, auf deren Bezug ihr ein
Anſpruch i. S. des bürgerlichen Rechts zuſteht, ließe
ſich in dieſer Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten.
Die ſteuerbaren Gattungen des Einkommens ſind in
Art. 2, wie ſich aus Art. 3 ergibt, nicht erſchöpfend
aufgezählt. Es iſt zuzugeben, daß, wenn zum Bei⸗
ſpiele die Arbeitsleiſtung einer Perſon von dem Arbeit⸗
geber ſelbſt nur teilweiſe, im übrigen aber nach dem
Herkommen durch freiwillige Zuwendungen Dritter
entlohnt wird, welche die Dienſte der Perſon in An⸗
ſpruch nehmen, wie dies bei den Angeſtellten des Gaſt⸗
und Schankwirtſchaftsgewerbes, beim Fuhrweſen u. dgl.
häufig der Fall iſt, auch die Einnahme aus dieſen
Zuwendungen zum ſteuerbaren Einkommen und zwar
zu dem unſtändigen Einkommen nach Art. 1 gehören.
Bergütungen dagegen, die der Dienſtherr dem Be⸗
dienſteten neben den vertragsmäßigen Reichniſſen ge⸗
währt, ſind in Art. 2 lit. d nicht neben den „nach dem
Dienſtvertrage für einen Monat oder länger ge⸗
ſicherten Bezügen“ erwähnt; auch die Begr. des Entw.
zum EinkSt. vom 31. Mai 1856, der in Art. 2,
Abt. III lit. a die „auf einem laufenden Dienſtvertrag
beruhenden Bezüge von Privatbedienſteten“ als fteuer-
bar erklärt, ſpricht bei den Einnahmen unter Abt. III
nur von „dem fixen Einkommen aus öffentlichen oder
Privatkaſſen“. Dieſe Umſtände müſſen zu der An⸗
nahme führen, der Geſetzgeber habe ſolche freiwillige
Nebenleiſtungen des Dienſtherrn, die Gelegenheitsge⸗
ſchenke ſind, und auf die der Bedienſtete nicht mit
Sicherheit rechnen kann, ſteuerfrei laſſen wollen.
Die Steuerfreiheit würde ſich übrigens auch aus
Art. 9 lit. e des Geſ. vom 9. Juni 1899 ergeben. Hier⸗
nach find bei Dienſterträgniſſen als ſteuerbarer Gegen⸗
ſtand alle fortlaufenden Funktionsnebenbezüge ſowie
dauernd gewährte Gebühren oder Entſchadigungen für
beſtimmte Dienſtleiſtungen anzuſchlagen, ſoweit ſie nicht
zur Beſtreitung des dienſtlichen Aufwandes verwendet
werden. Diäten und Reiſekoſtenentſchädigungen, ſowie
Vergütungen, die vorübergehend bewilligt werden, ſind
nicht anzuſetzen. Daß die Vorſchrift des Art. 9 nur
auf öffentliche Diener anzuwenden ſei, iſt aus dem
Wortlaute des Geſetzes nicht zu entnehmen: der Zweck
der Vorſchrift führt dazu, ſie auf öffentliche und pri⸗
vate Bedienſtete anzuwenden, und in dieſem Sinne iſt
die Vorſchrift, die ſich in ähnlicher Faſſung ſchon in
dem Geſetze von 1856 findet, auch bei der Beratung
dieſes Geſetzes verſtanden worden. Der Begriff „vor⸗
übergehend bewilligte Remunerationen“ iſt auch nicht
auf ſolche Reichniſſe zu beſchränken, welche ganz oder
zum Teile zur Deckung eines Dienſtaufwandes beſtimmt
ſind. Eine ſolche Auslegung würde ſchon mit dem
Wortſinne des Ausdrucks „Remunerationen“ in Wider⸗
ſpruch ſtehen; eine Entſchädigung für einen Vermögens⸗
aufwand pflegt man nicht „Remuneration“ zu nennen.
Sie entſpricht auch nicht der Abſicht des Geſetzgebers;
allerdings war die Feſtſtellung der ſteuerfreien Bezüge
in Art. 9 lit. c, die ihr Vorbild in dem Art. 8 Abſ. 3
des Entwurfs zum Eink StG. von 1856 hat, zunächſt
eine Folge des in Art. 8 Abſ. 1 dieſes Entwurfs feſt⸗
gelegten und in den Art. 8 Abſ. 2 des Geſ. von 1899
herübergenommenen Grundſatzes, daß bei Berechnung
des ſteuerbaren Einkommens der 2. und 3. Abteilung
die eigentlichen Betriebskoſten abgezogen werden können.
Bei der Aufzählung der ſteuerfreien Bezüge iſt der
Grundſatz aber nicht ſtrenge eingehalten worden. Das
hat auch der Berichterſtatter des II. Ausſchuſſes der
K. d. Abg. ausdrücklich hervorgehoben. Billigkeits⸗
und Zweckmäßigkeitsgründe waren alſo für die Be⸗
ſtimmung maßgebend, daß bloß vorübergehend be—
willigte Vergütungen bei der Verſteuerung außer An⸗
ſatz bleiben ſollen. Vergütungen, die vorübergehend
—
vertragsmäßig oder aus Freigebigkeit bewilligt werden,
ſtehen begrifflich im Gegenſatze zu den im 1. Satze des
Art. 9 lit. e erwähnten fortlaufenden Funktionsneben⸗
bezügen und den dauernd gewährten Gebühren oder
Entſchädigungen. Die Vergütungen, die die Ange⸗
klagten nicht für einen Zeitabſchnitt im voraus,
ſondern nach Umfluß eines Arbeitsjahrs für dieſes
Jahr und ohne Folgewirkung für die Zukunft den
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
Bedienſteten zubilligen, ſind vorübergehend bewilligte
Vergütungen, wie ſie das Geſetz im Auge hat.
ſind deshalb bei der Berechnung der Einkommenſteuer
nicht anzuſetzen und der Dienſtherr iſt nicht gehalten,
die Steuererklärung nach Art. 21, 61 Abſ. 2 des EinkStG.
auf ſie zu erſtrecken. (Urt. vom 22. November 1910,
Rev.⸗Reg. 370/10). Ed.
2122
II.
Art. 55 Waſſer S. Haftung des Betriebsleiters nach
8 151 Gewo. Der Kaufmann K. in F. hat den Be⸗
trieb ſeines an dem Fluſſe Sch. gelegenen Schleifwerkes
in Schw. und dieſes ſelbſt dem Paliermeiſter E. über⸗
laſſen. E. hatte die von K. zu liefernden Gläſer ſelbſt⸗
ſtändig mit ſeinen nur von ihm abhängigen Leuten
zu verarbeiten. E. wurde wegen einer Uebertretung
nach Art. 55, 203 Ziff. 7 Waſſer G. beſtraft. Die Be⸗
rufung und die Reviſion wurden verworfen.
Aus den Gründen: Der Art. 55 WaſſerG. be⸗
ſtimmt, daß jeder Beſitzer einer Stauanlage für den
Fall, daß und inſolange der Waſſerſtand über die feit-
geſetzte Höhe ſteigt oder zu ſteigen droht, ohne An⸗
ſpruch auf Entſchädigung durch Oeffnung der Schleuſen
und der ſonſtigen zur Senkung des Waſſerſpiegels
beſtehenden Vorrichtungen uſw. für die Abführung des
Waſſers ſorgen muß. Nach Art. 203 Ziff. 7 WaſſerG.
wird beſtraft, wer den Vorſchriften des Art. 55 zu⸗
widerhandelt. Die Verpflichtung nach Art. 55 beſteht
ganz im allgemeinen, nicht bloß im öffentlichen In-
tereſſe. Die feſtqeſetzte Höhe iſt die durch den Eichpfahl
nachgewieſene Höhe. Daß der Waſſerſtand der Schw.
über die durch den Eichpfahl feſtgeſetzte Höhe bei der
Stauanlage zu Schw. geſtiegen iſt, und daß der An⸗
geklagte den Grundablaß nicht geöffnet hat, der eine
zur Senkung des Waſſerſpiegels dienende und be—
ſtehende Vorrichtung bildet, iſt feſtgeſtellt. Der Beſitzer
hat für die Abführung des Waſſers durch Oeffnung
dieſer Vorrichtung zu ſorgen. Ohne Belang iſt es,
ob auch andere Schleuſen geöffnet wurden; denn der
Beſitzer hat durch Oeffnung der Schleuſen und der
ſonſtigen Vorrichtungen für die Abführung des Waſſers
zu ſorgen, und zwar auch dann, wenn die Senkung
unter die feſtgeſetzte Höhe dadurch nicht oder nicht
vollſtändig erreicht werden könnte. Der Angeklagte
hat das Waſſer ſtändig über die zuläſſige Eichpfahl—
höhe geſpannt, um die für den Betrieb des Schleif—
werks erforderliche Waſſerhöhe zu gewinnen. Es mag
richtig ſein, daß er bei der Erfüllung der Verpflichtung
Schaden erlitten hätte. Dadurch war für ihn kein
triftiger Grund gegeben, ſich der geſetzlichen Verpflichtung
zu entziehen.
Die Zuwiderhandlung iſt objektiv einwandfrei
ſeſtgeſtellt. Ob die Begründung der ſtrafrechtlichen
Verantwortlichkeit des Angeklagten durch das Be—
rufungsgericht richtig iſt, ob dieſer Beſitzer im Sinne
der S§ 854, 868 BGB. oder nur Beſitzdiener nach
8 855 BGB. iſt, kann dahingeſtellt bleiben; jedenfalls
ſteht nach den Ausführungen der beiden Urteile, ſo—
wohl des Schöffengerichts als der Strafkammer, feit,
daß er von dem Eigentümer des Stauwerks, dem
Kaufmann K., der ſelbſt infolge der weiten Ent—
fernung die nötigen Maßregeln nicht treffen konnte,
mit der Vertretung und ſelbſtändigen Leitung des
Betriebs betraut worden war. Als Leiter haftete er
nach dem S 151 GewO. Unter den im $ 151 erwähnten
polizeilichen Vorſchriften ſind nicht nur die in der
Sie
GewO. enthaltenen und die von der Landesgeſetzgebung
nach 8 144 GewO. erlaſſenen gewerbepolizeilichen
Vorſchriften, ſondern auch polizeiliche Vorſchriften
anderer Art zu verſtehen, die nach Reichs⸗ oder Landes⸗
recht auch von Gewerbetreibenden beachtet werden
müſſen (Landmann, GewO. 5. Aufl. 8 151 Anm. 2).
(Urt. vom 20. Dezember 1910, Rev.⸗Reg. .
21501 5
Oberlandesgericht München.
Wie muß der Antrag nach 8 170 StPO. unter⸗
ſchrieben ſein? Der Antrag auf gerichtliche Ent⸗
ſcheidung iſt vom Antragſteller ſelbſt geſchrieben und
unterſchrieben; nach der Unterſchrift iſt beigefügt:
„Gemäß 8 170 StPO. unterzeichnet: M., den 29. De⸗
zember 1910, Dr. F., Rechtsanwalt.“ Die Frage, ob
dies der Formvorſchrift des 8 170 StPO. genügt, iſt
zu verneinen. Nach 8 385 StPO. kann der Ange⸗
klagte die Reviſionsanträge und deren Begründung
nur „in einer von dem Verteidiger oder einem Rechts⸗
anwalt unterzeichneten Schrift” (oder zu Protokoll
des Gerichtsſchreibers) anbringen. Hierzu hat das
RG. am 30. April 1907 (JW. 1907 S. 561 Nr. 89)
entſchieden, daß aus der neben der Unterſchrift des
Angeklagten ſtehenden, mit „Dr. P., Rechtsanwalt“
unterſchriebenen ee „die vorſtehenden Anträge
und Ausführungen mache ich hiemit zu den meinigen“
nicht gefolgert werden könne, daß der Rechtsanwalt
Dr. P. die Schrift verfaßt oder doch bei deren Ab⸗
faſſung weſentlich mitgewirkt habe, dies aber nach
dem Zwecke der Vorſchrift der Fall ſein müſſe. Es
hat ferner in dem Urteil vom 9. Auguſt 1910
(Seuff Bl. Bd. 76 S. 35) dargelegt, daß dieſer Vor⸗
ſchrift durch die Mitunterſchrift des Anwalts auf
einer vom Angeklagten verfaßten, geſchriebenen und
unterſchriebenen Reviſionsſchrift nur zum Schein ge⸗
nügt werde. Auch 8 170 StPO. kann nur dahin vers
ſtanden werden, daß der Anwalt nicht etwa bloß
neben die Unterſchrift des Verletzten, der den Antrag
verfaßt und geſchrieben hat, ſeine Unterſchrift ſetzen,
ſondern daß er auch ſelbſt den Antrag verfaßt oder
doch bei ſeiner Abfaſſung weſentlich mitgewirkt haben
muß. Durch die Worte „Gemäß 8 170 StPO. unter⸗
zeichnet“ und die dieſen Worten beigefügte Unter⸗
ſchrift des Anwalts kommt das nicht zum Ausdruck.
Vielmehr wird gerade durch dieſe Art der Unterzeich—
nung, wie das RG. in ſeinem Urteil vom 2. Oktober
1888 (RGSt. 18, 103) zutreffend ſagt, der Verdacht
erweckt, daß der Rechtsanwalt Bedenken trägt, die
Verantwortlichkeit für den Antrag zu übernehmen.
Demgemäß war letzterer ohne ſachliche Würdigung
als unzuläſſig zurückzuweiſen. (Beſchl. vom 23. Januar
1911; RegRr. 82/10 J).)
2145
Oberlandesgericht Nürnberg.
Hingabe eines Wechſels regelmäßig „jahlungs⸗
halber“. Liegt in der Prolongation eines Wechſels
eine Novation? Aus den Gründen: Mit Recht
iſt das Lch. davon ausgegangen, daß die Hingabe
eines Wechſels an Zahlungsſtatt nicht vermutet,
ſondern daß bis zum Beweiſe des Gegenteils Hingabe
1) Tiefe dohe Reagiſterzlͤer für die in den weitaus meiſten
Fällen unbegründeten Anträge legt die Vermutung nabe, daß die
Patzteien der unterzeichnenden Anwälte vorber nicht genugend auf die
beträchtlichen Koſten bingewieſen werden. Die Gebühr beträgt nach
5 69 B 5. je nach der Qualifikation der behaupteten Straftat 100,
50, 20 ; ein grundloſer Antrag gegen Ebenatten wegen Meineids
foitet alſo 200 If Gebühr. Armenrecht iſt fur dieſe Anträge nicht
voͤrgeſeben. Der Einſender.
zahlungshalber als Regel angenommen wird. (Staub⸗
Stranz, Bd. 6 (6) S. 241 Anm. 60 zu Art. 82 u.
S. 252 Anm. 25 zu Art. 83). Durch die Hingabe des
zweiten und des dritten Wechſels an die Klägerin
wurde alſo die Verbindlichkeit der Beklagten aus dem
erſten Wechſel nicht getilgt und nicht durch die Ver⸗
bindlichkeiten aus den neuen Wechſeln erſetzt; dies
war auch dann nicht der Fall, wenn die neuen oder
doch der zweite Wechſel zur Prolongation der erſten
Wechſelſchuld hingegeben wurden, da hierin keine
Novation liegt und durch die Annahme ſolcher Wechſel
der erſte Wechſel an und für ſich nicht berührt wird.
(RG. Z. Bd. 9 S. 62 ff. u. 41 S. 23 ff.). Hingabe an
Zahlungsſtatt könnte nur im Falle einer, wenn auch
nicht ausdrücklich erklärten, aber doch deutlich erkennbar
gemachten Willenseinigung der Parteien angenommen
werden. Ein ſolcher Vertrag liegt nicht vor; die
bloße Ueberſendung des Prolongationswechſels bindet
den Inhaber des erſten Wechſels nicht; auch in der
Annahme allein liegt ebenſo wie in der Verwendung
zur verſuchsweiſen Einziehung des Betrags für Rech⸗
nung des erſten Wechſels nicht die Aeußerung des
Willens, letzteren zu tilgen (Staub⸗Stranz, a. a. O.
Anm. 27a zu Art. 1). Eine ſolche Abſicht iſt hier
umſomehr ausgeſchloſſen, als die Klägerin trotz der
neuen Wechſel in unverändertem Beſitze des erſten
Wechſels blieb, als der zweite Wechſel den Zins⸗
anſpruch aus dem erſten Wechſel gar nicht berück⸗
ſichtigte, als der zweite Wechſel nicht förmlich in
Umlauf geſetzt, ſondern offenbar nur zur Vermittlung
der verſuchsweiſen Einziehung an die Handelsbank
begeben und im übrigen nicht wechſelmäßig behandelt
wurde und als der mit dem 3. Wechſel geſandte Bar⸗
betrag zu 400 M nicht angenommen wurde. Die
Klägerin wollte nach ihrem geſamten Verhalten ihre
Rechte aus dem erſten Wechſel offenbar nicht auf⸗
geben, ſondern vorbehalten; den zweiten Wechſel hat
ſie nur verſuchsweiſe zur Verwirklichung ihrer Rechte
aus dem erſten Wechſel angenommen und verwendet,
jedoch unbeſtritten ohne Erfolg, den dritten Wechſel
hat ſie nicht einmal unterſchrieben und dadurch im
Zuſammenhalte mit der Rückſendung der 400 M jede
Aenderung ihrer Rechte abgelehnt. Bei dieſer Sach⸗
lage iſt die Behauptung, die Klägerin habe für den
erſten Wechſel die beiden neuen Wechſel erhalten und
an Zahlungsſtatt angenommen, ohne Bedeutung.
Zunächſt iſt ſie rechtlich zur Feſtſtellung einer Novation
unzulänglich, da über den ſeinerzeitigen Willen der
Beklagten und deſſen Aeußerung eine beſtimmte Be⸗
hauptung überhaupt nicht aufgeſtellt, ferner außer
der Hingabe und der Entgegennahme der beiden
neuen Wechſel beſondere Handlungen oder Aeuße⸗
rungen der Parteien, die entgegen der Regel auf eine
Annahme an Zahlungsſtatt ſchließen laſſen ſollen,
gar nicht behauptet ſind und der Eid der Klägerin
auf eine rechtliche Beurteilung der Folgen ihres Ver⸗
haltens hinaus liefe, nicht auf die Feſtſtellung einer
Tatſache. a
Hiernach blieb die Verbindlichkeit der Be⸗
klagten aus dem erſten Wechſel unberührt. Hieran
wurde auch dann nichts geändert, wenn in der
Annahme des zweiten Wechſels durch die Klägerin
eine Prolongation des erſten liegt. Die Be:
hauptung der Beklagten, es fei hierwegen die Prä⸗
ſentation und die Proteſtierung des erſten Wechſels
unzuläſſig geweſen, beruht auf Rechtsirrtum; da trotz
der Prolongation der erſte Wechſel unberührt blieb,
mußte zur Erhaltung aller Rechte hieraus beim
Domiziliaten zur Verfallzeit Proteſt erhoben werden.
(Art. 41, 43, 44 WO. i. d. F. des Gef. vom 30. Mai
1908 betr. die Erleichterung des Wechſelproteſtes;
Staub⸗Stranz, a. a. O. S. 25 Anm. 27a zu Art. 4).
Denn durch die Prolongation wurde nur die vom
Verfalltage verſchiedene Zahlungszeit geändert. Für
die Proteſtkoſten hat die Beklagte als Akzeptantin
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
—— 3 ͤ —16—
—— ———— ͤ—ͤ—
95
aufzukommen (Staub⸗Stranz S. 148 /9 Anm. 5, 14 u.
15 zu Art. 51, S. 276 Anm. 19 zu Art. 87, S. 231
Anm. 31 ff. zu Art. 82). Da die Klägerin ihrer Rechte
aus dem erſten Wechſel ſich durch die Prolongation
nicht begeben wollte, da ſie ferner mit der verſuchs⸗
weiſen Begebung des zweiten Wechſels zur Einziehung
hierüber nicht förmlich verfügt und einer vertrags⸗
mäßigen Pflicht nicht zuwidergehandelt hat, (Rehbein,
Bd. 6 (7) S. 27 Anm. 22 zu Art. 4), da ſchließlich
auch eine Tilgung des zweiten Wechſels unterblieben
iſt, ſo blieb auch das Recht der Klägerin auf die
Zinſen aus dem erſten Wechſel ungeſchmälert er⸗
halten; denn die Prolongation bewirkte hier nach
dem Parteiwillen nur die Hinausſchiebung der Geltend⸗
machung der Rechte aus dem erſten Wechſel bis zum
Verfalltag — 15. Dezember 1909 — des zweiten
Wechſels, ohne die Zinszahlungspflicht aus dem un⸗
berührten erſten Wechſel zu ändern. Da der zahlungs⸗
halber oder zur Prolongation gegebene zweite Wechſel
bei Verfall nicht getilgt wurde, die Beklagte viel⸗
mehr den vergeblichen Verſuch einer neuen Teil⸗
zahlung und der Begebung eines dritten Wechſels
machte, durfte die Klägerin alle ihre vorbehaltenen
Rechte aus dem erſten Wechſel verwirklichen. Zu
der Klage hat die Beklagte auch begründeten Anlaß
gegeben. Wenn ſie auch nur gegen Rückgabe des
alten und der neuen Wechſel zu zahlen brauchte, ſo
lag es doch zunächſt ihr ſelbſt ob, mit ihrer am
6. Oktober 1909 durch Präſentation bei der Domi⸗
ziliatin angeforderten und nur vorläufig und unter
Vorbehalt aller Rechte bedingungsweiſe durch Prolon⸗
gation geſtundeten Leiſtung voranzugehen, wie ſie es
am 26. Dezember 1909, 31. Januar und 9. Februar
1910 der Klägerin wiederholt ſchriftlich verſprochen
hat. Daß ſie ihre Zahlung angeboten und die
Klägerin die Herausgabe der Wechſel verweigert hätte,
hat die Beklagte nicht behauptet; einer Präſentation
des zweiten, durch Nichteinlöſung gegenſtandsloſen
Wechſels bedurfte es nach der Präſentation des nach
wie vor zu Recht beſtehenden erſten Wechſels nicht
mehr; dem abgelehnten dritten Wechſel kommt ohne⸗
hin keine weitere Bedeutung zu. Die Beklagte hat
mit ihrer nach der Klageſtellung und vor der erſten
mündlichen Verhandlung geleiſteten Zahlung von
1000 M Wechſelreſtſumme zudem nicht den ganzen,
auch die Zinſen ſeit 6. Oktober 1909 umfaſſenden
Klageanſpruch befriedigt, ſo daß die Klägerin zur
Ausantwortung der Wechſel an ſie gar nicht ver⸗
pflichtet war. (Staub⸗Stranz S. 124/55 Anm. 9 ff. zu
Art. 39). Das Begehren, der Klägerin nach 8 93
ZPO. die Prozeßkoſten zu überbürden, ift ſohin unbe⸗
gründet. (Urteil vom 11. Juli 1910). H.
2091
Aus der Praxis
des Gerichtshofs für Kompetenzkouflikte.
Sind die Gerichte zuſtändig, wenn eine Kirchen⸗
gemeinde eine Feſtſtellung darüber beauſprucht, daß die
Angehörigen einer Filialkirchengemeinde zu Haud⸗ und
Spaundienſten für Kultusbauten in der Hauptgemeinde
verpflichtet find? Aus den Gründen: I. Der
Pfarrſprengel L. umfaßt die Ortſchaft L. Bez.-Amts F.
und die politiſche Gemeinde D. Bez.-Amts N. Ein
Pfarrhaus befindet ſich nur in L., wo der Pfarrer
ſeinen Wohnſitz hat. Kirchen befinden ſich in L. und
in D. In beiden Kirchen werden von dem Pfarrer
von L. Gottesdienſte abgehalten und die Sakramente
geſpendet. In L. findet in der Regel alle Sonn- und
Feiertage, in D. nur ſiebenmal im Jahre Gottesdienſt
tatt. Kirchengemeinden beſtehen in L. und D.; jede
er beiden Kirchengemeinden hat eine ſelbſtändige
—
96 Zeitſchrift für Rechtspflege
Kirchenverwaltung und geſondertes Kirchenvermögen.
Das Pfarrhaus zu L. wurde im Jahre 1905 zum
Erſatz für das alte, baufällig gewordene Pfarrhaus
errichtet. Die Baulaſt an dem Pfarrgebäude liegt
ſeit dem am 20. Dezember 1870 zur Beendigung eines
Rechtsſtreites zwiſchen dem Fiskus und der Kirchen⸗
gemeinde L. abgeſchloſſenen Vergleiche dem Staatsärar
ob. Kurz nachdem im Jahre 1898 das Bedürfnis der
Herſtellung eines Pfarrhausneubaues ſich heraus⸗
geſtellt hatte und von dem Staatsärar anerkannt
worden war, nahm die Kirchenverwaltung L. bei der
Inſtruktion der Sache die Mitglieder der Kirchen⸗
gemeinde D. zur Teilnahme an der nach dem ALR.
Teil II Tit. 11 8 714 den „Eingepfarrten in jedem
Falle“ obliegenden unentgeltlichen Leiſtung der Hand⸗
und Spanndienſte für den Neubau in Anſpruch; die
Kirchengemeinde D. und deren einzelne Mitglieder
beſtritten jedoch jede rechtliche Verpflichtung hierzu.
Die Gemeindeangehörigen von D. blieben auf dieſem
Standpunkte ſtehen, auch nachdem das Bezirksamt N.
ſie wiederholt darauf hingewieſen hatte, daß ſie bei
Aufrechterhaltung ihrer Weigerung Gefahr liefen, in
einen Zivilprozeß hierwegen verwickelt zu werden.
Die Kirchenverwaltung L. vertrat die Anſicht, daß die
Entſcheidung auf dem Verwaltungsrechtsweg zu er⸗
folgen habe. Am 26. Juli 1902 erteilte das Bezirks⸗
amt F. ihr den Streitkonſens, wobei es von der An⸗
nahme ausging, daß es ſich um eine nach Art. 10
Ziff. 13 VGG. auf dem Verwaltungsrechtsweg zu ent⸗
ſcheidende Streitſache handele. Die Regierung,
Kammer des Innern, billigte gleich der Kammer der
in Bayern. 1911. Nr. 4.
dahin gehören auch die Streitigkeiten,
Finanzen dieſe Anſicht nicht; die Entſcheidung des
Streites komme den Gerichten im Zivilprozeßwege zu
und es müſſe daher von Kuratel wegen gewürdigt
werden, ob zur Führung des Zivilprozeſſes die Ge⸗
nehmigung zu erteilen ſei. Die Regierung empfahl
zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung des Neu⸗
baues der Kirchengemeinde L., nötigen Falles den
auf die Filialiſten von D. treffenden Teil der Hand⸗ |
und Spanndienſte vorläufig und unter Vorbehalt der
endgültigen Austragung der Rechtsfrage in einem
ſpäteren Zivilprozeß zu übernehmen.
verwaltung und die Kirchengemeindeverſammlung be=
ſchloſſen dies zu tun, nachdem in einer Regierungs-
entſchliezung vom 7. Mai 1903 ausdrücklich den
Parochianen von L. das Recht vorbehalten worden
war, gegen die Filialiſten von D. auf Anerkennung
und Erfüllung ihrer Dienſtpflicht oder auf Erſatz für
den an ihrer Statt geleiſteten Teil der Baudienſte zu
klagen. Auf die Klage der Kirchengemeinde L. ſtellte
das LG. F. mit Urteil vom 24. Mai 1909 feſt, daß
ſind, die bei Baufällen am Pfarrgebäude L. not—
wendigen Hand- und Spanndienſte zuſammen mit
den Mitgliedern der Kirchengemeinde L. unentgeltlich
zu leiſten. Die Filialkirchengemeinde D. legte Be—
rufung ein. Am 31. März 1910 erklärte die Re⸗
gierung, Kammer des Innern, gegenüber dem Be⸗
rufungsgericht, daß ſie den Rechtsweg für unzuläſſig
erachte und gemäß Art. 8 und 9 KompͤKonfl. vom
18. Auguſt 1879 den Kompetenzkonflikt erhebe. Der
Verwaltungsgerichtshof nehme die Zuſtändigkeit bei
Baupflichtſtreitigkeiten dann für ſich in Anſpruch,
wenn eine Verbindlichkeit der Kirchengemeinde für
Kultusbauzwecke in Frage komme (Entſch. 24. 225).
Da dies hier zutreffe, ſei die Erhebung des Kompe—
tenzkonflikts umſomehr veranlaßt, als ſolche Streitig—
keiten nicht ſelten ſeien.
II. Für die Entſcheidung der Frage, ob die
dieſer Beziehung das Allgemeine preußiſche Landrecht
einnimmt, das ohnehin auch vielfach Gegenſtände und
Fragen regelt, die dem öffentlichen Rechte zuzurechnen
ſind. Die Zuſtändigkeit für die Entſcheidung von
Streitigkeiten über die Bau- und ſonſtige Konkurrenz⸗
pflicht bei Kirchen⸗ und anderen Kultusbauten wurde
in Bayern im erſten Drittel des 19. Jahrhunderts
für das ganze rechtsrheiniſche Gebiet geregelt und
zwar durch folgende geſetzgeberiſche Erlaſſe. Das vor
der Verfaſſungsurkunde ergangene und deshalb mit
Geſetzeskraft ausgeſtattete Kgl. Reſkript vom 16. De⸗
zember 1810 an das Kgl. Oberappellationsgericht
(Döllinger, Verordnungsſammlung Bd. 11, 3. Teil,
S. 1400) beſtimmt: „Zu dem Reſſort der Generals
kommiſſariate gehört die Erledigung aller — früher
den ehemaligen Landesdirektionen und dem geiſtlichen
Rate zugewieſenen — in Betreff der Pfarrkirchen und
Schulgebäude vorkommenden Anſtände, Irrungen und
Differenzen in bloß adminiſtrativer Hinſicht.
Dahin gehören z. B. die Fragen: Ob der Bau not⸗
wendig iſt, wie und wann gebaut werden fol? Ob
der Fall wirklich vorhanden ſey, daß Dezimatoren
und andere Baupflichtige zur Konkurrenz aufzurufen
ſeyen? oder ob die vorkommenden Baureparationen
bloß von dem Pfründengenießer oder den betreffenden
Kirchenfonds ꝛc. beſtritten werden ſollen? oder ob der
Baufall ein Hauptbau oder eine Hauptbaureparatur
jey? . . . Dagegen müſſen alle privatrechtlichen
Gegenſtände, welche in Beziehung auf ſolche Objekte
vorkommen, den betreffenden Juſtizſtellen verbleiben;
welche in
privatrechtlicher Hinſicht über die Verbindlichkeit der
Baulaſt oder zur Baukonkurrenz obwalten. ... Die
. . . Deklaration vom 14. Auguſt 1794 ſpricht dieſes
deutlich aus, indem die Beſchwerden der Beteiligten
wegen ähnlicher Baukonkurrenz in petitorio .. an
die Juſtizſtellen verwieſen werden, bei welchen ſodann
der Prozeß ordentlich inſtruiert und beſchieden werden
fol.” Das am 1. Oktober 1830 an die fieben Kreis»
regierungen, Kammern des Innern, diesſeits des Rheins
ergangene Kgl. Reſkript (Döllinger a. a. O. S. 1422)
Die Kirchen⸗
verordnet unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das
Reſkript vom 16. Dezember 1810: „1. Wenn bei
einem Kirchen⸗ oder Pfarrhofbaue, bei welchem die
Konkurrenzverbindlichkeit einer phyſiſchen oder juri⸗
diſchen Perſon in Anſpruch genommen wird, darüber
Streit entſteht, ob dem in Anſpruch Genommenen
überhaupt eine Verbindlichkeit zur Tragung der Bau—
laft bei dem in Frage ſtehenden Gebäude obliege, fo
iſt die Entſcheidung dieſes Streites ſowohl in posses-
sorio als in petitorio den zuſtändigen Zivilgerichten
die Mitglieder der Kirchengemeinde D. verpflichtet
Gerichte zuſtändig ſind, iſt es weder von Bedeutung,
daß an ſich die Beſtimmungen über die aus dem
Kirchen⸗ oder Pfarrverband entſpringenden Anſprüche
und Verbindlichkeiten nach der modernen Auſchauung
zweifellos dem öffentlichen Recht angehören, noch
kommt darauf etwas an, welchen Standpunkt in
zu überlaſſen. . .. 2. Wenn dagegen die Konkurrenz⸗
verbindlichkeit im allgemeinen durch ein ausdrückliches
Geſetz, durch das eigene unbeſtrittene Anerkenntnis
des Beteiligten, durch Vertrag, Beſitz, Vergleich oder
durch richterliches Urteil jedem Zweifel entrückt und
daher nur davon die Frage iſt, ob der Fall
einer Konkurrenz in conereto gegeben ſey, und wie
hoch ſich der zu leiſtende Betrag zu belaufen habe?
ſo iſt darüber von den Kreisregierungen, Kammern des
Innern, nach vorausgegangener geſetzmäßiger Ver—
handlung zu entſcheiden .. .“. Dieſes Reſkript hat die
Grundlage zu einem Ausſpruche der bayeriſchen Geſetz—
gebungsorgane gebildet. Im Dezember 1831 kam
ein Geſamtbeſchluß der beiden Kammern der Stände—
verſammlung über folgenden bei der Beratung des
Budgets geſtellten Antrag zuſtande: „Es möge die
Kgl. VO. vom 1. Oktober 1830 dahin erläutert werden,
daß jede Baupflichtfrage bei obwaltendem Widerſpruche
eines oder mehrerer Beteiligten den ordentlichen
Gerichten zugewieſen . . . werde“ (vgl. Verh. der
K. d. RR. 1831 X. Bd. S. 479 und der II. K. der
Ständeverſammlung 26. Bd. Protokollnummer 148
über die Sitzung vom 13. Dezember 1831 S. 43 und
44). Die Kgl. Entſchließung hierauf in Ziff. III 8 46
— — —
des Landtags⸗Abſchieds vom 29. Dezember 1831 (GBl.
S. 102) lautet: „Die von Uns unterm 1. Oktober 1830
erlaſſene Entſchließung hinſichtlich der Concurrenz⸗
verbindlichkeit zu Kirchen⸗ und Pfarrhofbauten ſpricht
mit voller Deutlichkeit aus, daß die Verhandlung und
Entſcheidung der über ſolche Verbindlichkeiten ent⸗
ſtehenden privatrechtlichen Streitigkeiten dem ver-
faſſungsmäßigen Wirkungskreiſe der ordentlichen
Gerichte unter keinem Vorwande entzogen werden
ſolle. . .. Es iſt daher in allen dieſen Beziehungen
dem in dem Geſamtbeſchluſſe über das Finanzggeſetz
vorgelegten 5 der Stände längſt entſprochen.“
Dadurch iſt dem Kgl. Reſkript vom 1. Oktober 1830
ebenfalls materiell Geſetzeskraft verliehen worden, wie
ſolche dem vor der Erlaſſung der Verfaſſung er⸗
gangenen Kgl. Reſkript vom 16. Dezember 1810 ohne⸗
hin zukommt. Was in all den angeführten geſetz⸗
geberiſchen Erlaſſen unter „privatrechtlichen Streitig⸗
keiten“ verſtanden wurde, erhellt aus den Aus⸗
führungen des Regierungskommiſſärs Miniſterialrats
von Abel in der Sitzung der II. Kammer vom 18. Ok⸗
tober 1831 (Protokollnummer 111 S. 31 in der Verh.
a. a. O. Bd. 20); er erklärte: „Sobald darüber ein
allgemeiner Streit entſteht, ob irgend eine phyſiſche
oder juridiſche Perſon bey einer Kirche oder einem
Pfarrhofe die Baulaſt zu tragen oder dazu eine Con⸗
currenz zu leiſten verbunden ſey, — ſobald alfo der
in Anſpruch Genommene dieſer Verbindlichkeit all⸗
gemein widerſpricht, iſt jederzeit ein ſtreitiges Privat⸗
rechtsverhältnis vorhanden; denn es gehören dieſe
Verbindlichkeiten dem Gebiete des Privatrechts an.
Die Verhandlung und Entſcheidung privatrechtlicher
Streitigkeiten aber — das Richteramt und dergleichen
Rechtsſachen — ſteht verfaſſungsmäßig den Gerichten,
und nur dem Gerichte zu.“ Derſelbe Redner hob
dabei hervor (a. a. O. S. 25 und 27), daß die Zu⸗
ſtändigkeit der Verwaltungsbehörden nur auf rein
adminiſtrative Fragen ſich erſtrecke, namentlich
darauf, ob, wie und wann zu bauen ſei, ob der Fall
der Dezimatoren⸗ Konkurrenz gegeben oder der Bau
von dem Pfründebeſitzer oder aus Kirchenmitteln zu
errichten ſei u. dgl.... In dem gleichen Sinn äußerten
ſich auch die anderen Redner (a. a. O. S. 20, 34, 38,
56). Bemerkenswert iſt ferner, daß bei dem gleichen
Anlaſſe (a. a. O. S. 35) der Miniſterialrat von Abel
betonte, daß hinſichtlich der BO. vom 1. Oktober 1830
„die Staatsregierung der Anſicht war, daß ſie durch⸗
aus nichts Neues enthalte, ſondern nur den Sinn der
längſt beſtandenen Verordnungen, welcher mißver⸗
ſtanden worden, erläutere und die Mißverſtändniſſe
berichtige.“ In allen angeführten geſetzgeberiſchen
Erlaſſen iſt nicht unterſchieden, ob es ſich bei der
Baupflicht um Leiſtungen wegen des Pfarrverbandes
handelt oder nicht; namentlich überweiſt das Reſkript
vom 1. Oktober 1830 und demzufolge auch ent⸗
ſprechend dem Geſamtbeſchluß der beiden Kammern
der Landtagsabſchied von 1831 „jede Baupflichtfrage“
der Zuſtändigkeit der Gerichte. Seitdem wurden in
Bayern die Baupflicht⸗ und Konkurrenzfragen zu den
Juſtizſachen gerechnet und insbeſondere auch nicht
unter die „adminiſtrativ⸗kontentiöſen! Sachen ein⸗
gereiht. Dabei wurde, wie in dem unten erwähnten
Kompetenzerkenntnis vom 17. Oktober 1859 mit klaren
Worten ausgeſprochen iſt, keineswegs verkannt, „daß
die Entſcheidung von Streitigkeiten über die Pflichten,
welche aus dem Gemeindeverband entſpringen, zu den
Adminiſtrativbehörden kompetiert, da die Geſetze, aus
welchen dieſelbe zu ſchöpfen iſt, Teile des öffentlichen
Rechtes find“; gleichzeitig wurde aber auch die An—
ſicht als unrichtig bezeichnet, „daß die Frage, ob die
Gemeindeglieder zugunſten der primär oder ſubſidiär
Baupflichtigen mit Hand» und Spanndienſten unent-
geltlich konkurrieren müſſen, in den Geſetzen über die
e und Verwaltung der Gemeinden und in
dem Gemeindeumlagengeſetze ihre Entſcheidungsquelle
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
97
— — — — — —
habe“. Auf dieſer Grundlage hat gerade auch für
Streitigkeiten über die Verpflichtung der Angehörigen
einer Filialkirchengemeinde zu Hand⸗ und Spann⸗
dienſten bei Kultusbauten in der Hauptgemeinde der
frühere Kompetenzſenat des bayeriſchen Oberſten
Gerichtshofs am 19. Juli 1858 (Reg Bl. S. 1025) und
am 17. Oktober 1859 (RegBl. S. 1042) die Gerichte
für zuſtändig erklärt und der Oberſte Gerichtshof
(Sammlung 1, 290; 2, 158; 3, 497, letzteres eine
Plenarentſcheidung vom 26. Juli 1873) dies als ſelbſt⸗
verſtändlich ſeiner Entſcheidung zugrunde gelegt. Sie
gingen dabei von dem Gedanken aus, daß die Frage,
ob die Kirchengemeindeglieder zugunſten der primär
oder ſubſidiär Baupflichtigen unentgeltlich mit Hand⸗
und Spanndienſten konkurrieren müſſen, ſowohl nach
den älteren als nach den neueren Geſetzen und Ver⸗
ordnungen privatrechtlicher Natur ſei — eine An⸗
ſicht, die auch von Seuffert, Kommentar über die
bayeriſche Gerichtsordnung (2) 1, 183; Krick, kirchliche
Baupflicht und kirchliches Bauweſen S. 94 ff. und
Handbuch der Verwaltung des Kirchenvermögens (4)
S. 77, Luthardt BlAdmPr. 28, 260 und Knilling
ebenda 47, 41 vertreten wird. Dies war die Rechts⸗
lage, als das VerwGG. vom 8. Auguſt 1878 erging
und zunächſt in Art. 10 Ziff. 13 den Verwaltungs⸗
gerichtshof für zuſtändig erklärte für „Anſprüche und
Verbindlichkeiten aus dem Kirchen⸗ und Pfarrverband,
Dienſte, Umlagen, Abgaben und andere Leiſtungen
für kirchliche Zwecke“, aber auch in Art. 13 Abſ. 1 be⸗
ſtimmte: „Die Zuſtändigkeit des Verwaltungsgerichts⸗
hofs erſtreckt ſich nicht: 1. auf Rechtsſachen, welche
vor die Zivil⸗ oder Strafgerichte gehören“. Dies
letztere trifft aber nach den vorſtehenden Darlegungen
gerade bezüglich der Baulaſt⸗ und Konkurrenzſtreitig⸗
keiten zu. Auch die Einführung der Reichsjuſtiz⸗
geſetze führte in dieſer Beziehung keine Aenderung
herbei: Nach 8 4 EGz GG. iſt die .
nicht gehindert, ihren Gerichten jede andere Art der
Gerichtsbarkeit zu übertragen; ſelbſt wenn man i. S.
des Art. 10 Ziff. 13 Verw. die in Frage ſtehenden
Streitigkeiten zu den öffentlich⸗ rechtlichen Sachen
zählen wollte, würde deshalb die fortdauernde Rechts⸗
gültigkeit der mehrerwähnten Erlaſſe aus den
Jahren 1810, 1830 und 1831 keiner Anfechtung zu⸗
gänglich fein. In der Tat hat denn auch das Obs.
am 8. Juli 1903 (Samml. 4, 564) in einem dem
gegenwärtigen gleichgelagerten Falle kein Bedenken
gegen die Zuſtändigkeit der Gerichte gehabt. Nicht
minder weiſt die Reichsgeſetzgebung die Vorſchriften
über die Kirchenbaulaſt dem bürgerlichen Rechte
wenigſtens inſoferne zu, als gerade nach Art. 132
EGBGB. die landesgeſetzlichen Vorſchriften über die
Kirchenbaulaſt und die Schul baulaſt unberührt gelaſſen
wurden. Auch dies führt zur Zuſtändigkeit der Ge⸗
richte für Streitigkeiten auf dieſen Rechtsgebieten.)
(Urteil vom 7. Dezember 1910). E.
2152
Literatur.
Meyer, Haus, Amtsgerichtsſekretär in Neuſtadt a. A.
Das bayeriſche Gebührengeſetz mit einem An⸗
hang, enthaltend die mit dem GebG. zuſammen⸗
hängenden Geſetze, Verordnungen und Bekannt—
machungen. Auf Grund der Faſſung des Geſetzes
vom 13. Juli 1910 erläutert in Verbindung mit
Friedrich Degel in Neuſtadt a. A. München 1910,
Franz Gais, Verlag.
Der Verfaſſer, deſſen frühere Veröffentlichungen
praktiſches Geſchick, reiches Wiſſen und ſcharfes Unter—
1) Anm. des Herausgebers:
Beweisgrund iſt wenig überzeugend.
Der zuletzt angefübrte
ſcheidungsvermögen zeigen, hat ſich hier an eine über⸗
aus widerhaarige Aufgabe gewagt. Einen Kommentar
zum Gebührengeſetze, der allen Anforderungen ent⸗
ſpricht, kann nur ſchreiben, wer auf den verſchieden⸗
artigſten Rechtsgebieten gleich gut Beſcheid weiß, und
ſich auch nicht ſcheut, die im Geb. verſteckten Probleme
von Grund aus zu erforſchen. Mit der Verwertung
der Motive und der — oft nicht einmal richtigen —
Entſcheidungen iſt es da nicht getan. Bei den nahezu
unlösbaren Schwierigkeiten, die der Stoff bietet, würden
das hohe Streben und der Fleiß des Verfaſſers auch
dann alle Anerkennung verdienen, wenn er vom Ziele
weit entfernt geblieben wäre. Er hat aber ſtellen⸗
weiſe nicht nur Befriedigendes ſondern ſehr Gutes ge⸗
liefert, beſonders da, wo ihm die im Berufe gewonnene
Erfahrung zur Seite ſtand, wie z. B. bei der Behandlung
des Abſchnitts „Angelegenheiten der freiwilligen Ge⸗
richtsbarkeit.“ Auch die nicht gerade glücklich gefaßten
Vorſchriften des Geſetzes über die Gebühren im Ver⸗
fahren der Zwangsverſteigerung und der Zwangsver⸗
waltung find ausführlich und erſchöpſend erläutert.
Zu rühmen ſind die zahlreich eingeſtreuten rechneriſchen
Beiſpiele. Wenn auch nicht alle Teile des Buches ſich
auf gleicher Höhe halten und man zuweilen mehr
eigenes Eindringen in den Stoff an Stelle des Zu—
ſammentragens von Material wünſchen würde, ſo
muß doch anerkannt werden, daß das Werk eine Be⸗
reicherung der ſpärlichen Literatur über das Gebühren⸗
weſen bedeutet und daß es der Praxis gute Dienſte
leiſten kann. von der Pfordten.
Romberg, Dr. Kurt, Gerichtsaſſeſſor in Berlin.
Kolonialbeamtengeſetz vom 8. Juni 1910. Text⸗
ausgabe mit kurzen Erläuterungen, Zuſammen⸗
ſtellung der Ergänzungsvorſchriften und Sachregiſter.
XVI und 391 S. Mannheim und Leipzig, J. Bens⸗
heimer. Mk. 5.—.
Der im vorigen Jahre bei J. Schweitzer in München
erſchienenen, von dem Referenten beſorgten Ausgabe
des Kol BG. iſt ſoeben die vorliegende Handausgabe
gefolgt, die ſich beſcheiden „Textausgabe“ nennt. Sie
enthält nach einer die Geſchichte, die Grundgedanken,
das Syſtem und die Bedeutung des Kol BG. würdi—
genden Einleitung außer den beiden alten kolonial—
beamtenrechtlichen Verordnungen den unkommentierten
und den kommentierten Text des Kol BG. ſowie die
ſäͤämtlichen ſeither ergangenen ergänzenden Geſetze und
Verordnungen. Inhaltlich zeugen die erläuternden
Anmerkungen von großer Sachkenntnis ihres Ver—
faſſers, wenn ſie auch — wie dies bei der erſtmaligen
Kommentierung eines neuen Geſetzes nicht zu ver—
wundern iſt — von Ungenauigkeiten und Mißverſtänd—
niſſen nicht frei ſind. So könnte man z. B. nach den
Bemerkungen des Verfaſſers meinen, die Vorſchrift
des $ 48 Abſ. 2 Kol BG. ſei neu, während fie doch
wörtlich aus Art. 8 Nr. 3 der Kaiſerl. Verordnung
vom 9. Auguſt 1896 (RGBl. S. 691) übernommen
iſt. Zu 89 (Anm. 7c) wäre zu erwähnen, daß die
Obergerichte in Ueberweiſungsſachen (GVG. SS 29, 75)
nicht an die Landgerichte verweiſen können, es ſei denn,
daß die Sache zuvor dem Schöffengericht überwieſen
und von dort nach 8 I Kol BG. an das Schutzgebiets—
gericht verwieſen war. Irrig iſt m. E. die Anſicht des
Verfaſſers (Anm. 7 e a. a. O.), der Unterſuchungs—
richter könne an den Bezirksrichter verweiſen und um—
gekehrt; wie in den Konſulargerichtsbezirken fo gibt
es auch in den Schutzgebieten keine Vorunterſuchung
und infolgedeſſen keinen Unterſuchungsrichter in unſerem
Sinne; umgekehrt kann der Bezirksrichter keine Vor—
unterſuchung (in unſerem Sinne) eröffnen oder bean—
tragen. Schwerwiegender als dieſe Ausſtellungen
ſcheint mir aber der Umſtand zu ſein, daß die An—
merkungen zu den einzelnen Paragraphen des Kol BG.
durch die Einſchachtelung der ergänzenden Vorſchriften,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
5 — — — — u
— ——— m UL UL I m UT ͤ—•U—ä — — — —
ohne daß dieſe im Druck befonders kenntlich gemacht
ſind, an Ueberſichtlichkeit ſehr verlieren. So ſind z. B.
bei $ 1 Kol. das ganze RBG. und noch andere
Beſtimmungen, bei 8 2 Kol BG. das Beſoldungsgeſetz
vom 15. Juli 1909, vor 832 Kol BG. das Beamtenhinter⸗
bliebenengeſetz vom 17. Mai 1907 in extenso abge⸗
druckt. All dies hätte in den Anhang 1 werden
ſollen. Doch wird die Güte des auch äußerlich ge⸗
diegen ausgeſtatteten Buches hierdurch nicht weſentlich
beeinflußt. Dem Verlag möchte ich empfehlen, zur
Vermeidung von Irrtümern die Angabe des Jahres
des Erſcheinens auf dem Titel des Buches künftighin
nicht zu unterlaſſen. Dr. Doerr.
Doerr, Dr. F., Kgl. Amtsrichter, Privatdozent in
München. Gerichts ver faſſungsgeſetz nebſt
Einführungsgeſetz und Anhang, die geſetzliche Rege⸗
lung der deutſchen Konſular⸗ und Schutzgebiets⸗
gerichtsverfaſſung enthaltend. Textausgabe mit
Anmerkung und Sachregiſter. VII, 123 S., München
1910. J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Gebd. Mk 1.80.
Doerr's Erläuterung des GBG. hält ſich, dem
Charakter einer „Textausgabe mit Anmerkungen“
entſprechend, in beſcheidenen Grenzen, zeichnet ſich
aber durch Verläſſigkeit und Beſtimmtheit ſowie durch
Geſchick in der Auswahl der zahlreichen Verweiſungen
aus. Allein für die Praxis, der das Büchlein ſeiner
Anlage nach vor allem zu dienen beſtimmt iſt, bietet
der Verfaſſer ſozuſagen eine ſtumpfe Waffe dar, weil
er auf eine umfaſſendere Verarbeitung des Landes⸗
rechts verzichtet ll eine Darſtellung des Ineinander⸗
greifens reichs⸗ und landesrechtlicher Normen auf dem
Gebiet der Gerichtsverfaſſung wäre nicht nur der Er⸗
läuterung des GVG. zugute gekommen, ſondern hätte
auch eine Lücke ausgefüllt, die die bayeriſche Praxis
zuweilen ſchmerzlich empfindet. — — 20 —
Bonſchab, F., Direktor der Bayeriſchen Landwirt⸗
ſchaftsbank, Reichs geſetz, betr. die Erwerbs⸗
und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften. Text⸗
ausgabe mit Erläuterungen und Sachregiſter.
2. neubearbeitete Auflage. 302 S., München 1910,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Gebd. Mk. 3.—.
Der Verfaſſer bietet bedeutend mehr, als die
Bezeichnung „Textausgabe mit Anmerkungen“ ver—
muten läßt, nämlich eine eingehende Darſtellung des
Rechtes der Erwerbs- und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften
in der Form von Erläuterungen zu den geſetzlichen
Beſtimmungen. Die einſchlägige Literatur iſt mit er»
freulicher Selbſtändigkeit verwertet, die Ergebniſſe
der Rechtſprechung find bis in die neueſte Zeit nach⸗
getragen, ſo daß aus dem Buche eine vorzügliche
Ueberſicht über den derzeitigen Stand von Theorie
und Praxis des Genoſſenſchaftsrechtes gewonnen
werden kann. Trotz der Fülle des verarbeiteten
Stoffes hat es der Verfaſſer verſtanden, durch ge—
ſchickte Gliederung die Ueberſichtlichkeit zu wahren;
dadurch iſt auch eine raſche und bequeme Orientierung
in den Fragen der täglichen Praxis ermöglicht. Das
Werk kann Intereſſenten warm empfohlen werden.
n
Krech, Dr. J., Kaiſ. Geh. Regierungsrat in Berlin, und
Dr. O. Fiſcher, Profeſſor in Breslau. Die Geſetz⸗
gebung betreffend die Zwangsvollſtreckung in
das unbewegliche Vermögen im Reiche und
in Preußen, Textausgabe mit Einleitung, An—
merkungen, Koſten- und Gebührentabellen und Sach—
regiſter. 6. vermehrte und verbeſſerte Auflage. XVI,
333 S. Berlin 1910. J. Guttentag, Verlagsbuch—
handlung. Gebd. Mk. 2.—.
Dieſes den Bedürfniſſen der preußiſchen Gerichts—
praxis angepaßte Werk enthält die SS 864 bis 871
Zeitſchrift für Rechtspflege
ZPO., das ZwVG. mit feinem EG., das preußiſche
AG. zum Zw., das preußiſche Geſetz über die Bahn⸗
einheiten, einen Auszug aus dem preußiſchen GKG.
ſowie eine Reihe ſonſtiger einſchlägiger Beſtimmungen
des preußiſchen Landesrechts. Für bayeriſche Ver⸗
hältniſſe kommt nur der der ZPO. und dem Zw.
gewidmete Teil in Betracht; die Erläuterungen ſind
verhältnismäßig knapp gehalten und berückſichtigen
vornehmlich die Rechtſprechung; ſie ermöglichen eine
raſche Orientierung, laſſen aber ein tieferes Eindringen
in die Ergebniſſe der auf dem Gebiet der Zwangs—
verſteigerung ſo wichtigen Theorie an manchen Punkten
vermiſſen. 3
Zacharias, Dr. A. N., Oberlandesgerichtsrat in Ham—
burg. Gedanken eines Praktikers zur Frage
des juriſtiſchen Modernismus. Berlin 1910,
J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Geh. Mk. 0.60.
Nachdem ſich die erſte Erregung über die heftigen
Angriffe von Fuchs und Adickes gegen das Syſtem
unſerer Rechtspflege etwas gelegt hat, kommen jetzt
die „Gemäßigten“ zum Wort. Auch Zacharias ſucht
zu vermitteln. Er empfiehlt größere Freiheit der
Rechtsauslegung gegenüber dem geſchriebenen Rechte,
ſtärkere Berückſichtigung der tatſächlichen Grundlagen
des Rechtsfalls, Maßhalten in der Entwickelung
ſog. „wiſſenſchaftlicher“ Gedanken im Urteil. Für die
wichtigſte Aufgabe der Zukunft hält er jedoch eine
beſſere Ausbildung der Juriſten auf anderen Gebieten
(Technik, Naturwiſſenſchaften, Handel uſw.). Was
hierüber vorgebracht wird, iſt unzweifelhaft ſehr be—
achtenswert. Nur wäre vor der Ueberſchätzung der Viel-
ſeitigkeit zu warnen, die einen gefährlichen Dilettantis—
mus mit ſich bringen könnte. Durchaus zu billigen
iſt es, daß Zacharias den Wert der Kenntnis lebender
Sprachen gebührend hervorhebt, und es iſt ſehr zu
bedauern, daß auf dieſem Gebiete das humaniſtiſche
Gymnaſium kaum das Notdürftige lehrt. Bei der
immer ſteigenden Bedeutung des internationalen Rechts—
verkehrs wird bald der Zeitpunkt kommen, in dem
der Juriſt mit dem Wenigen, was er auf die Uni—
verſität mitbringt, nicht mehr ausreichen wird.
von der Pfordten.
von Henle, Dr. W., Staatsrat i. o. D. u. Miniſterial⸗
direktor im k. b. Juſtizminiſterium, Die Zwang s—
enteignung von Grundeigentum in Bayern,
unter Berückſichtigung der Novelle vom 13. Auguſt
1910. Handausgabe mit Erläuterungen. 2. neu⸗
bearbeitete Auflage. XIV, 266 S. München 1910,
C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed).
Geb. Mk. 3.50.
Die Darſtellung des bayeriſchen Zwangsenteig—
nungsrechtes aus der Feder der bekannten Autori—
tät auf dem Gebiete des Liegenſchaftsrechts war
in der erſten Auflage ohne Zweifel das Beſte, was
wir auf dieſem Gebiet hatten. Die zweite Auflage
bedarf darum gewiß keiner Empfehlung. Die bayeriſche
Staatsregierung hat die Vorlegung eines Entwurfes
über ein neues Enteignungsgeſetz angekündigt. Allein
es iſt mehr als fraglich, ob unſere Geſetzgebungs—
maſchine mit dieſem ſchwierigen Stück Arbeit ſo ſchnell
zuſtande kommen wird, und für die zahlreichen Fälle,
in denen in unſerer Zeit großer wirtſchaftlicher Unter-
nehmungen bis dahin noch das alte Recht zur An—
wendung kommt, war die Neuherausgabe des vor
zwanzig Jahren erſchienenen Buches entſchieden ein
Bedürfnis — nicht nur wegen der Novelle vom
13. Auguſt 1910, ſondern auch wegen der fonſtigen
Neuerungen, die ſich ſeit dem Erſcheinen der erſten
Auflage auf dem Gebiete des Enteignungsrechtes,
beſonders durch das AGz BGB., ergeben haben. Das
Buch wird deshalb gewiß allgemein willkommen
geheißen. -e-.
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in Bayern. 1911. Nr. 4.
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99
Meyers Großes Konverſations⸗Lexikon. Ein Nach⸗
ſchlagewerk des allgemeinen Wiſſens. Sechſte, gä
lich neu bearbeitete und vermehrte Auflage. Mehr
als 158 000 Artikel und Verweiſungen auf 19622
Seiten Text mit 17673 Abbildungen, Karten und
Plänen im Text und auf 1611 Bildertafeln (darunter
188 Farbendrucktafeln und 355 ſelbſtändige Karten—
beilagen) ſowie 176 Textbeilagen. 20 Bände und
1 Ergänzungsband in Halbleder gebunden zu je
12 Mark. (Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts
in Leipzig und Wien.)
Als im Herbſt 1908 der „Große Meyer“ mit dem
XX. Bande ſeinen Abſchluß fand, ſtellte der rührige
Verlag das Erſcheinen eines Ergänzungs bandes
in Ausſicht, der alles das in ſich aufnehmen ſollte,
was ſeit Beginn der ſechſten Auflage an Neuerungen,
Veränderungen und Berichtigungen nachzutragen war.
Nun liegt dieſer als XXI. Band mit dem Umfang von
1029 Seiten in der gleichen würdigen Ausſtattung
wie das Hauptwerk vor. Seinen weſentlichen Inhalt
bilden längere oder kürzere Artikel über Staaten»
geſchichte, neue Entdeckungen und Erfindungen, Um—
geſtaltungen in Geſetzgebung und Militärweſen, über
die Fortſchritte der Kolonien, die Ergebniſſe neuer
Forſchungen auf allen Wiſſenszweigen, wichtige For—
ſchungsreiſen, neue Volkszählungen, die Bewegung
auf den Gebieten der bildenden Künſte. Ferner ent—
hält er einen vollſtändigen Nekrolog und neue Bio—
graphien zeitgenöſſiſcher Größen, eine planmäßige Er—
gänzung der ſtatiſtiſchen Angaben, Literaturüberſichten,
Pſeudonyme, uſw. Auf der gleichen Höhe der Voll—
endung wie der Text ſteht die Illuſtrierung des Bandes,
der über 800 Abbildungen, Karten und Pläne im Text
und auf 89 Tafeln (darunter 8 farbige und 12 ſelb—
ſtändige Karten) ſowie 16 Textbeilagen aufweiſt Wir
ſehen in dem Ergänzungsband eine vortreffliche Leiſtung,
durch die der „Große Meyer“ bis auf die unmittel—
bare Gegenwart fortgeführt und vervollſtändigt wird,
und empfehlen jedem Beſitzer des Hauptwerkes ſeine
Anſchaffung.
Kleinfeller, Dr. Georg, o. ö. Profeſſor in Kiel. Lehr⸗
buch des Deutſchen Zivilprozeßrechts.
Für das akademiſche Studium. 2. völlig umgear⸗
beitete Auflage. XIII. 793 S. Berlin 1910. Franz
Vahlen. broſch. Mk. 13.—, geb. Mk. 14.—
Dieſes vortreffliche Buch, deſſen 1. Auflage wir
früher eingehend beſprochen haben (Jahrgang 1905
S. 62), iſt, ſoviel uns bekannt iſt, die erſte ſyſtema⸗
tiſche Darſtellung, die die Novellen von 1909 und 1910
vollſtändig in den Text eingearbeitet hat. Dieſer Vor-
zug ſowie die gedrängte und klare Darſtellung machen
das Buch zu einem ſehr empfehlenswerten Hilfsmittel.
Das im Königreiche Bayern geltende Reichs⸗ und Landes⸗
recht ſamt den Vollzugsbeſtimmungen in über—
ſichtlicher Zuſammenſtellung. Ein Handbuch für
den Gebrauch der amtlichen Geſetz- und PVerords
nungsblätter und der Amtsblätter der Miniſterien,
bearbeitet von Landgerichtsrat Dr. Glock
und Landgerichtsrat J. Schiedermair.
Karlsruhe 1909. Preis geb. 12 Mk.
Nachtrag (bis zum Geſetzesſtand vom 1. September
1910), ca. 240 S., mit ausführlichem alphabetiſchem
Regiſter. Karlsruhe 1910. G. Braunſche Hofbuch⸗
druckerei und Verlag. Preis geb. 5 Mk.
Zu der in den beteiligten Streifen allgemein geſchätz⸗
ten Sammlung iſt nunmehr der 1. Nachtrag erſchienen,
der alle neuen Geſetze des Reichs und des Königreichs
Bayern nebſt den Vollzugsvorſchriften bis zum 1. Sep⸗
tember 1910 gewiſſenhaft berückſichtigt. Auf das
Regiſter, das mehr als 70 Seiten umfaßt, iſt beſondere
Sorgfalt verwendet worden, ſo daß das Erſcheinen
des Nachtrags den Wert der Sammlung noch bedeu—
100
tend erhöht und jedem Juriſten, gleichviel welche Art
der Tätigkeit er ausübt, ſehr willkommen ſein wird.
Die unbedingte Zuverläſſigkeit der Sammlung
und die überſichtliche Anlage können nicht genug ge⸗
rühmt werden. Insbeſondere erleichtert es die oft
ungemein ſchwierige Prüfung der Frage, ob ältere
nicht ausdrücklich aufgehobene Geſetze und Geſetzes⸗
vorſchriften noch gelten oder ob ſie gegenſtandslos
geworden ſind. Uebrigens läßt auch dieſes Buch wieder
erkennen, welche Zerfahrenheit Geſetzgebung und Ver⸗
waltung durch überſtürzte Neuerungen, namentlich
aber durch die unerträglichen Flickarbeiten in unſeren
Rechtszuſtand gebracht haben. Auf dieſem Wege kann
es nicht weiter gehen.
Sudden, Hans Dr., a. o. Profeſſor in München. Die
Behandlung der jugendlichen Verbrecher
in den Vereinigten Staaten von Nord⸗
amerika. 166 S. Nürnberg 1910, Friedrich Korn'ſche
Buchhandlung. Preis Mk. 1.50.
Eine treffliche Schrift, allen, die mit der großen
Sache der Fürſorge für die gefährdete Jugend zu tun
en zur Lektüre und Beachtung dringend zu empfehlen.
ne Fülle von Bildern zieht in buntem Wechſel am
Auge des Leſers vorüber, Gedanken, Beſtrebungen,
Berfuche, Taten, Erfolge — kurz das pulfierende Leben
auf einem Gebiete, auf dem wir erſt taſtend und ſuchend,
allzuoft beeinflußt und beeinträchtigt von grauer
Theorie die erſten Schritte unternommen haben. Dem
„Kenner“ mag das eine oder andere aus dem reichen
ebotenen Material nicht neu ſein; leſenswert iſt die
chrift auch für ihn, weil es der Verfaſſer in hervor⸗
ragendem Maße verſteht, den Geiſt, der die amerikaniſche
Jugendfürſorge beherrſcht, lebendig und anſchaulich
zu machen. Und darin liegt das eigentlich Wertvolle
dieſer Schrift: Es kann ſich für uns nicht darum handeln,
kritiklos amerikaniſche Einrichtungen in unſere anders
gearteten Verhältniſſe zu übernehmen, aber was uns
not tut, das iſt am Beiſpiele Amerikas zu lernen, aus
welchem Geiſt heraus Jugendfürſorge betrieben werden
muß. Wie oft hat man bei den Maßnahmen in Deutſch⸗
land das niederdrückende Gefühl, daß neuer Wein in
alte Schläuche gefaßt wird, daß treffliche Gedanken
mit Einrichtungen verwirklicht werden ſollen, die das
Gute daran ſchon im Keime erdrücken. Möge dieſe
Schrift in recht Vielen die Ueberzeugung ſtärken, daß
der Dienſt an der gefährdeten Jugend nur getan
werden kann im Geiſt des Verantwortlichkeitsgefühls
und der Tatkraft, die ſich nicht ſcheut mit alten Vor⸗
urteilen aufzuräumen, und daß es bei der Jugend⸗
Ta weniger auf Einrichtungen ankommt als auf
erſönlichkeiten. Mezger.
Friedländer, Dr. A. und Dr. N. Nachtrag zum
Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung. (Er⸗
läuterung der Novelle vom 22. Mai 1910. Berlin und
0 1910, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Herr Dr. A. Buckeley in München und die
Attenkofer'ſche Verlagsbuchhandlung in Straubing
ſenden uns unter Bezugnahme auf die Beſprechung
des Deutſchen Juriſtenbreviers (Nr. 1 S. 31)
folgende Berichtigung:
„In Nr. 1 der ZIR. wird von unſerm Juriſten⸗
brevier geſagt, daß es unter „Anwendung kleinen
Druckes“ hergeſtellt und „un verhältnismäßig
teuer“ ſei.
Demgegenüber möchten wir berichtigen:
1. Das Werk iſt nicht mit kleinen Lettern,
ſondern mit Lettern vollſtändig normaler und all⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 4.
gemein üblicher Größe hergeſtellt, [in Lettern derſelben
Type, in denen z. B. die Haupttexte der Deutſchen
Juriſtenzeitung geſetzt find;] nur ein verſchwindend
5 Bruchteil des Werkes iſt in kleinen Lettern
geſetzt.
2. Es iſt objektiv unrichtig, daß der Preis uu⸗
verhältnismäßig teuer ſei; richtig iſt vielmehr,
daß es im geſamten deutichen Buchhandel keinen Ber:
lag gibt, in dem ſämtliche im Juriſtenbrevier ent⸗
haltenen Geſetze — [ſelbſt in bloßen von allen Ver⸗
e abſehenden und keine Randſchlag wörter
enthaltenden Geſetzesabdrücken]! — in neuer Faſſung
weder in Kompendien noch in Einzelausgaben zum
Preis des Juriſtenbrevier zu haben ſind. Der Aus⸗
druck unverhältnismäßig teuer iſt objektiv um
jo unrichtiger, als die Verarbeitung des feinſten für
as Juriſtenbrevier verwandten teuren Papieres
außergewöhnliche Koſten verurſachte, was dem
Herrn Rezenſenten bekannt war.“
Die Redaktion hat keinen Anlaß zu einer Be⸗
merkung.
Notizen.
Strafverfahren gegen geiſtig Minderwertige. Die
MBek. vom 16. Januar 1911, Erhebungen im
trafverfahren gegen geiſtig minderwertige Täter be⸗
treffend (JMBl. S. 49), macht die Aufzeichnungen,
welche über Ort und Grad der geiſtigen Mängel
ſchwachbegabter oder in der Entwickelung zurück⸗
n Kinder in den Volksſchulen und ins⸗
eſondere in den in größeren Städten für ſolche
Kinder eingerichteten Hilfsſchulen geführt werden, der
Strafrechtspflege nutzbar. Die Aufzeichnungen können
auch bei erwachſenen Beſchuldigten zur Feſtſtellung
des Geiſteszuſtandes wertvolle Anhaltspunkte geben.
Deshalb werden die Staatsanwälte und die Amts⸗
anwälte allgemein angewieſen, wenn es ſich in einem
Strafverfahren um die Beurteilung der Zurechnungs⸗
fähigkeit oder Strafwürdigkeit eines geiſtig Minder⸗
wertigen handelt, die Schulbehörden um Aufſchluß zu
erſuchen, ob ſich während ſeiner Schulpflicht geiſtige
Mängel gezeigt haben. Den Schulbehörden iſt die
Erteilung der erforderlichen Aufſchlüſſe an die
Staatsanwälte und Amtsanwälte zur Pflicht gemacht.
2156
Juriſtendentſch. Geſetzesſprache. Wir machen unſere
Leſer auf ein hübſches Büchlein aufmerkſam, das
ſoeben im Verlage von Arthur Roßberg in Leipzig
als Band 300 der Juriſtiſchen Handbibliothek erſchienen
iſt. Unſere Juriſtenſprache. Unſere neue
Geſetzesſprache. Von W. Genſel, Vortr. Rat
a. D., Geh. Rat. 100 S., geb. M 1,80. Es geht in
ſeinem erſten Teile den gräßlichen Mißgeburten der
Amtsſprache mit erfriſchender Herzhaftigkeit und ge⸗
ſundem Humor zu Leibe. Im zweiten Teile beſpricht
der Verfaſſer die neue Geſetzesſprache in den Ent⸗
würfen einer Strafprozeßordnung und einer Reichs⸗
verſicherungsordnung.
In dritter Auflage wird vorausſichtlich im
März d. 38. erſcheinen: „Der dienſtliche Ver⸗
kehr und die Amtsſprache“ von Theodor
von der Pfordten. Der Abſchnitt, der vom
Juriſtendeutſch handelt, iſt bedeutend erweitert worden;
zahlreiche neue Beiſpiele ſind angeführt.
2157
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
— — —
Zeitſchrift für Nechtapflege
Herausgegeben von Verlag von
Th. von der Pfordten in Bayern 8. Be ze
8 2
nr. 5. Münden, den 1. März 1911. 7. Jahrg.
K. Landgerichtsrat, verw. lm K. Baner.
Stgatsminlſterlum der Yuftlz. München und Berlin.
———— ͤ——ññññññ—):ññ]%.éßx —ññG 0 ee,
Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats / u Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich : „ Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und „oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
Poſtanſtalt. , 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. 101
16 igener Zuſtändigkeit zu prüfen haben, ob in d
dur 1 n art. 16 des beſete⸗ Tun bes Beſchuldigten die geſehüchen Mertmale
vom 20, Dezember 1807, betr. die Veſteuerung eines Gewerbebelriebs im Umherziehen, des
des Gewerbebetriebs im Umherziehen. Unternehmens eines Wanderlagers oder der Ver⸗
4 1 B zu erblicken ſind,
Iſt bezüglich der Feſtſetzung der Jahres- und da im Falle der Bejahung der Frage die
e ns Gericht an die Entſcheidung Strafe nach dem Mehrfachen des Betrags der
der Verwaltungsbehörde gebunden? von der Verwaltungsbehörde endgültig feſtgeſetzten
Vom Senatspräſidenten v. Payr in München. 6 hat 5
Hat in dem Verfahren bei Zuwiderhandlungen 21. November 1905 (Entſch. Bd. VI S. 217,
gegen die Vorſchriften über die Erhebung öffent: 223) ebenfalls ausgeſprochen, daß für die Feſt⸗
licher Abgaben und Gefälle der Beſchuldigke gegen ſetzung der Jahresſteuer nicht das Gericht ſondern
den Strafbeſcheid auf gerichtliche Entſcheidung die Finanzbehörde zuſtändig iſt. Im Gegenſatze
angetragen, jo hat der Richter in eigener Zus zu dieſer Anſicht hat das Reichsgericht in einer
ſtändigkeit zu prüfen, ob der Beſchuldigte zur Strafſache wegen einer Zuwiderhandlung gegen
Entrichtung der öffentlichen Abgabe und des das Bayeriſche Wandergewerbeſteuergeſetz am
Gefälles verpflichtet war und ob gegen ihn wegen 12. Dezember 1910) ausgeſprochen, daß
einer Unterlaſſung der Entrichtung eine Strafe „nach dem Willen des Bayeriſchen Geſetzes
auszuſprechen iſt. Mehrere Geſetze über die Er⸗ die Feſtſetzung der Steuer durch die Ver⸗
hebung öffentlicher Abgaben und Gefälle enthalten waltungsbehörde nur finanzielle Bedeutung
ff.... ⁊ ß
i materielle Wirkung nicht beizumeſſen iſt, viel⸗
Betrage der vorenthaltenen öffentlichen Abgabe mehr die Prüfung der Vorausſetzungen der
zu beſtimmen iſt. Zu dieſen Geſetzen gehört Strafbarkeit auch hinſichtlich der für die Be⸗
1. . Wandergewerbeſteuergeſetz vom meſſung der Strafe ge 5
33 ’ dem Strafrichter ebenſo in vollem Umfange
N d Art. 16 des G 9
20. Dezember 1897 ach dem j g zuſtehen muß, wie hinſichtlich der Frage, ob
ſetzes verfällt, . N . überhaupt eine den Gegenſtand einer ſtrafbaren
geſſepung der n erh e ie W
ö n egründet anzuerkennen iſt“.
nd * 5 . 1985 5 Er u des i an 10
n zu ein Anlaß die Erwägungen darzulegen, die für die
betrieb im Umherziehen unterworfenes Gewerbe Anſicht des Oberſten Landesgerichts zu ſprechen
betreibt, in eine dem zwei⸗ bis fünffachen, bei ſcheinen.
Wanderlagern uns gg - 8 A. I. Schon das Bapyeriſche Zollſtrafgeſetz
bis zehnfachen Betrage der Jahresſteuer für a — 8 33 —
das betriebene Gewerbe gleichkommende Geld— DONE ER une ESP MOIN >
ſtrafe“. y Siehe auch RGE St. 7, 220, 222 Satz 2; vgl. 8, 390,
7 0 . ge 4 - . 7
n uwider andlun en 399 letzter Satz. Es kann dahin geſtellt bleiben, ob die in
In 919 1 ſetz 1115 gen der 12. Auflage des Kommentars von Löwe Note 7 zu
ee Dune d b iſc 9 Geile bi § 462 der StPO. vorgetragene Anſchauung durch die
ſoweit erſichtlich — die bayeriſchen Gerichte bisher | Entiheidungen Bd. 7 S. 220, Bd. 8 S. 390 vollſtändig
ſtets an der Anſchauung feſtgehalten, daß fie in | geſtützt wird.
„Erledigung der Zollſtrafſachen im admini⸗
ſtrativen Wege“. Die im Jahre 1856 erlaſſenen
Steuergeſetze ermächtigten die Steuerausſchüſſe
zur Erlaſſung von Straſbeſchlüſſen, gegen die
— unter Ausſchluß des gerichtlichen Verfahrens —
eine Reklamation an den „vermehrten Steuer⸗
ausſchuß“ angebracht werden konnte.
Das Einführungsgeſetz zum Strafgeſetzbuche für
das Deutſche Reich vom 26. Dezember 1871 hielt die
Beſtimmungen über das Verfahren in Steuerſtraf⸗
ſachen nach den Geſetzen des Jahres 1856 aufrecht;
es behandelte in dem Abſchnitte „Verfahren in Zoll⸗
ſtrafſachen“ (Art. 99 bis 106) das Verfahren bei
Zuwiderhandlungen gegen das Vereinzzollgeſetz,
gegen die Vorſchriften über die Beſteuerung des
Salzes, des Rübenzuckers und über die Erhebung
von Uebergangsabgaben.
II. Der Entwurf eines Geſetzes zur Aus⸗
führung der Reichs⸗Strafprozeßordnung (Verhand⸗
lungen der Kammer der Abgeordneten 1878,79
Beil.-Bd. V S. I ff.) enthielt in den Art. 57
bis 69 Beſtimmungen über das „Verfahren in
Zollſtrafſachen“ und in den Art. 70 bis 73 Be⸗
ſtimmungen über das „Verfahren in Steuerſtraf⸗
ſachen“.
1. 17 5 Ar 72 lautete:
Abſ. I: „Wird gegen einen Strafbeſchluß
auf gerichtlich Entſcheidung angetragen, außer⸗
dem aber wegen ber. Steuer ſelbſt, ſei es vom
Steuerpflichtigen oder von dem Vertreter der
Finanzbehörde, an den verſtärkten Steueraus⸗
ſchuß oder die Regierungsfinanzkammer Be⸗
ſchwerde eingelegt, ſo bleibt die gerichtliche Ent⸗
ſcheidung bis zur rechtskräftigen Feſtſtellung der
Steuer ausgeſetzt.
Abſ. Il: Hat der Vertreter der Finanz—
eine
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
— . .f. —— —
S. 289
— —
5 a IE —
lungen a. a. O. ©. 45); „. .. nach ausdrücklicher
Konſtatierung in den Verhandlungen der Juſtiz⸗
kommiſſion des Reichstags bleiben die Fragen,
ob und in welcher Höhe jemand zu beſteuern
iſt, alſo die Vorſchriften der Steuergeſetze über
Prüfung und Feſtſetzung der Steuererklärungen
ſowie Steueranlagen von der Strafprozeßordnung
völlig unberührt (Protokolle S. 701)“. “)
3. Bei den Beratungen in 955 Verſamm⸗
lungen der geſetzgeben Körper fanden die Art. 57
bis 69, Art. 70 bis 73 des Entwurfs keinen
Widerſpruch. In der endgültigen Faſſung des
Geſetzes entſprechen deſſen Art. 85 bis 97 den
Art. 57 bis 69, die Art. 98 bis 101 den Art. 70
bis 73 des Entwurfs (Verhandl. a. a. O. S. 419
bis 423).
B. I. Demſelben Landtage, der mit der
Beratung des Entwurfs des Ausführungsgeſetzes
zur Strafprozeßordnung befaßt war, wurde am
27. Januar 1879 vom Staatsminiſterium der
Finanzen der Entwurf eines Geſetzes über die
Beſteuerung des Gewerbebetriebs im Umherziehen
vorgelegt (Verhandlungen a. a. O. Beil.⸗Bd. IV
Der Entwurf „ ſetzte ſich zur Aufgabe, unter
tunlichſter Anlehnung an die in Bayern übliche
—
Art der Gewerbebeſteuerung — Steuertarif mit
Normal- und Betriebsanlage — von den Geſetzen
der Staaten Preußen, Sachſen, Sachſen-Weimar,
Württemberg, Baden dasjenige zu benützen, was
ſich für den Beſteuerungszweck als beſonders brauch⸗
bar erwies.“ „Demgemäß wurden die Verfahrens-,
Kontroll- und Strafbeſtimmungen den preußiſchen
behörde allein gegen einen Strafbeſchluß des
Steuerausſchuſſes reklamiert, der Steuerpflichtige
aber auf gerichtliche Entſcheidung angetragen,
ſo bleibt letztere bis zur Beſchlußfaſſung über
die Reklamation ausgeſetzt.“
2. Zu Art 72, den Abſaͤtzen 1 und 2 und den
folgenden Abſätzen 3 und 4 äußert die Begrün⸗
dung des Entwurfs (Verhandlungen a. a. O.
S. 46):
„Einer weiteren Regelung bedurfte das Prä—
judizialverhältnis zwiſchen den verſchiedenen Fällen,
welche ſich bei Anfechtung von Beſchlüſſen der
Steuerausſchüſſe wegen der Höhe der Beſteuerung
einerſeits und wegen der Strafe anderſeits er—
geben können. In erſterer Beziehung ſetzt der
Entwurf feſt (Art. 72 Abſ. 1), daß die definitive
Feſtſetzung des Steuerbetrags, welche für die
Frage, ob und in welchem Umfang eine Be—
ſtrafung des Pflichtigen veranlaßt ſei, präjudiziell
zu ſein pflegt, immer der Verbeſcheidung der
Beſchwerde gegen den Strafbeſchluß voranzugehen
habe.“
Dieſe Aeußerung in der Begründung ſteht im
Einklange mit der Aeußerung ebenda (Verhand—
und ſächſiſchen Geſetzen nachgebildet“ (Begründung
a. a. O. S. 296)
II. 1. Die 8 über das admini—
ſtrative und gerichtliche Strafverfahren ſind in den
Art. 20, 21, 22 des Entwurfs ddieſen entſprechen
die Art. 22, 23, 24 in der Faſſung des Geſetzes
vom 10. März 1879 [Wandergewerbeſteuergeſetz];
Verhandl. a. a. O. S. 382) enthalten.
Nach Art. 20 des Entwurfs ſteht dem Steuer—
pflichtigen gegen den rentamtlichen Strafbeſcheid
ein Reklamationsrecht an die Regierungsfinanz—
kammer zu; nach Art. 22 Abſ. 6 des Entwurfs
bleibt, wenn eine Reklamation wegen Feſtſetzung
der Steuer zur Regierungsfinanzkammer ergriffen,
außerdem aber wegen der vom Rentamte neben
Anlage der Steuer verhängten Strafe auf gericht—
liche Entſcheidung angetragen wird, die letztere bis
zur rechtskräftigen Feſtſtellung der Steuer aus—
geſetzt.
2. Zu den Beſtimmungen des Entwurfs über
das Strafverfahren äußert die Begründung (Ver—
handl. a. a. O. S. 299):
„Das Strafverfahren war in der Weiſe ein:
zurichten, welche deſſen Handhabung vor und nach
1 Hahn, Materialien z. StpO. Bd. I S. 1125.
Vgl. v. Bomhard-Koller, Komm z. StpO. S 530
Note 1 zu Art. 98 des AG.
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 103
dem Zeitpunkte des Inkrafttretens der Strafprozeß⸗ | für das Ausmaß der Betriebsanlage öfter ein
ordnung . . ermöglicht. Hiefür ſchien die Anpaſſung weiter Spielraum gelaſſen (ſ. die Nummern 5,
an das Verfahren in Zollſtraſſachen als der ge: Za, b. c, g, 9 des Tarifs, Art. 15 Ziff. 3 des Geſ.);
eignetſte Weg. Nur glaubte man den Beteiligten das Amt kann unter Umſtänden eine Steuerer⸗
die Ergreifung einer Beſchwerde gegen den Straf: | mäßigung gewähren. Gleichwie es in der Natur
beſcheid an die Regierungsfinanzkammer nicht ver⸗ | der Dinge liegt, daß das Rentamt bei der An-
wehren zu ſollen, da demſelben (ſo! denſelben?) | meldung der Beteiligten die Steuer nach Maß⸗
die gleiche Befugnis hinſichtlich der Steueranlage gabe des Geſetzes und unter Würdigung aller
einzuräumen fein wird, die Entſcheidung der höheren einſchlägigen wirtſchaftlichen und ſteuertechniſchen
Inſtanz über die Steuer in den Hinterziehungs- Verhältniſſe feſtſetzt, jo dürfe es auch durchaus
fällen die Grundlage für Ausmeſſung der Strafe angemeſſen ſein, daß das Rentamt in Fällen der
bildet und es daher zweckmäßig erſcheint, wenn Steuerhinterziehung die Steuer in demſelben Maß
die Möglichkeit der gleichzeitigen Entſcheidung über feſtzuſetzen hat, das es im Falle der Anmeldung
Steuer und Strafe ſeitens der im Beſchwerde⸗ des Gewerbebetriebs durch die Beteiligten beſtimmt
wege angerufenen Finanzſtelle offen gehalten wird.“ haben würde. Man wird, ohne der Tätigkeit der
Die Begründung nimmt hierbei Bezug auf den Gerichte nahezutreten, behaupten können, daß das
Art. 89 Abſ. 4 AGz StPO., auf den Art. 99 Abſ. 1 | Gericht für die Bemeſſung der Strafe eine ficherere
und den Art. 100 Abſ. 1 des bezeichneten Geſetzes. Grundlage hat, wenn es der Bemeſſung die Steuer⸗
C. J. Nach § 18 des Preußiſchen Geſetzes vom feſtſetzung der Steuerbehörde zugrunde legt, als
3. Juli 1876, betr. die Beſteuerung des Gewerbe- wenn es die Steuer „nach ſeiner freien, aus dem
betriebs im Umherziehen, wird, wer ein der Steuer Inbegriffe der Verhandlung geſchöpften Ueber⸗
vom Gewerbebetrieb im Umherziehen unterliegendes zeugung“ feſtſetzen muß.
Gewerbe betreibt, ohne einen Gewerbeſchein gelöſt | 2. Die §§ 18, 28 Abſ. 1 (ſ. auch § 28 Abi. 2 und
zu haben, mit einer dem doppelten Betrage der [8 24) des Preußiſchen Geſetzes enthalten eine klare,
Jahresſteuer für das betriebene Gewerbe gleichen [durchaus zweckmäßige Abgrenzung der Zuſtändigkeit
Geldſtrafe beſtraft; nach § 28 Abſ. 1 des Geſetzes der Steuerbehörde und der Befugniſſe des Gerichts.
iſt bei den gerichtlichen Entſcheidungen hinſichtlich! Man darf annehmen, daß der bayeriſche Geſetz⸗
der Höhe der Geldſtrafe die von der Regie- geber dieſe Abgrenzung kannte, daß ihm ihre
rung feſtzuſetzende Jahresſteuer zugrunde Vorzüge nicht entgingen und daß er ſie auch für
zu legen. das gerichtliche Verfahren bei Zuwiderhandlungen
Nach Art. 14 des Bayeriſchen Wandergewerbe-⸗ gegen das Wandergewerbeſteuergeſetz feſthalten
ſteuergeſetzes wird die Steuer vom Gewerbebetrieb wollte. Es darf in dieſer un auf das
im Umherziehen vom Rentamte feſtgeſetzt; nach hingewieſen werden, was oben A Nr. II Ziff. 1, 2
Art. 16 verfällt, wer ohne mit dem Nachweis aus der Begründung des Entwurfs des Geſetzes
|
über die Feſtſetzung ... der Steuer verſehen zu ſein zur Ausführung der Reichsſtrafprozeßordnung (zu
ein der Steuer .. . unterworfenes Gewerbe betreibt, Art. 72 des Entwurfes nun Art. 100 des Geſ.)
in eine dem zwei- bis fünffachen oder dem fünf- hervorgehoben wurde, ferner darauf, daß (oben B
bis zehnfachen Betrage des Jahresſteuer ... Nr. II Ziff. 1, 2) zur Begründung des Art. 22
gleichkommende Geldſtrafe. Allerdings hat das des Entwurfs des Wandergewerbeſteuergeſetzes der
dem Preußiſchen Geſetz „im allgemeinen nach— | Meinung Ausdruck gegeben worden ift, „daß die
gebildete Bayeriſche Wandergewerbeſteuergeſetz eine Entſcheidung der höheren Inſtanz über die Steuer
ausdrückliche „Beſtimmung wie die des 8 28 des in den Hinterziehungsfällen die Grundlage für die
Preußiſchen Geſetzes nicht getroffen“, aber daraus Ausmeſſung der Strafe bildet“.
darf nicht gefolgert werden, daß der bayeriſche Behält man dieſe Aeußerungen der bayeriſchen
Geſetzgeber dem Gerichte die Befugnis einräumen Staatsregierung im Auge, ſo erhellt daraus wohl
wollte, bei der gerichtlichen Entſcheidung den Be: ihre Anſchauung, daß wie in allen anderen Steuer:
trag der Jahresſteuer ineigener Zuftändigfeit ſachen, jo auch in Sachen der Wandergewerbe—
feſtzuſetzen. ſteuer die Entſcheidung darüber, in welcher Höhe
II. In dieſer Beziehung dürfte folgendes zu | jemand zu beſteuern ſei, der Steuerbehörde zu:
ſagen ſein: ſtehe. Beſtand aber dieſe Anſchauung — ein Wider:
1. Nach dem Wandergewerbeſteuergeſetz iſt das ſpruch gegen fie iſt nirgends aufgetaucht — fo war
Rentamt die Behörde, die auf Anmeldung der kein genügender Anlaß gegeben, ausdrücklich
Beteiligten die Wandergewerbeſteuer feſtzuſetzen das auszuſprechen, was im $ 28 Abſ. 1 des
hat (Art. 7, 8 des Geſ.). Das Rentamt hat als Preußiſchen Geſetzes beſtimmt worden iſt.
ſteuerveranlagende Behörde die Steuer nach den 3. Die Anſchauung des Geſetzgebers hat aber
Vorſchriften des Geſetzes, nach dem dem Geſetze auch im Wandergewerbeſteuergeſetze vom 10. März
beigefügten Tarif und „nach den für den Anſatz 1879 einen unverkennbaren Ausdruck gefunden.
der Normalanlage und für das Ausmaß der Be— Nach Art. 24 Abſ. 1 lit. c des Geſetzes kann
triebsanlage maßgebenden Verhältniſſen“ (Art. 5) der Steuerpflichtige gegen den Straſbeſcheid des
feſtzuſetzen. Es iſt dem Ermeſſen des Rentamts Rentamts Reklamation zur Regierung, Kammer
104
der Finanzen, ergreifen. Durch Art. 24 Ab. 6
des Geſetzes iſt beſtimmt:
„Wird eine Reklamation wegen Fe ſtſetzu ng
der Steuer zur Regierung . . . ergriffen,
außerdem aber wegen der vom Rent:
amte neben Anlage der Steuer ver—
hängten Strafe auf gerichtliche Entſcheidung
angetragen, jo bleibt letztere bis zur rechts⸗
kräftigen Feſtſtellung der Steuer aus
geſetzt.“
Nach dieſer Faſſung des Geſetzes dürfte be⸗
züglich des „Präjudizialverhältniſſes“ (ſ. oben A
Nr. I Ziff. 2) zwiſchen dem Beſchluſſe des Rent:
amts und der Entſcheidung der Regierungsfinanz—
kammer hinſichtlich der Feſtſetzung der Steuer
einerſeits und der Bemeſſung der Strafe als eines
Mehrfachen der Jahresſteuer durch das Gericht
anderſeits kein Zweifel mehr beſtehen und klar
ſein, daß die Steuerbehörde endgültig und rechts⸗
kräftig die Jahresſteuer feſtzuſetzen, das Gericht
den feſtgeſtellten Betrag der een der Strafe
zugrunde zu legen hat.
III. 1. Das Reichsgericht gibt dem Art. 24
„Abſ. 5“ des Wandergewerbeſteuergeſetzes eine
andere Auslegung; es äußert in den Gründen
der Entſcheidung vom 12. Dezember 1910:
8 Welche Bedeutung aber dieſer Be⸗
ſtimmung“ (Art. 24 Abſ. 5) „beizumeſſen iſt, er⸗
gibt die Begründung zum Entwurf des bayer.
Ausführungsgeſetzes vom 18. Auguſt 1879 zur
Strafprozeßordnung, deſſen Art. 100 (Art. 72
des Entw) eine gleiche Beſtimmung enthält, wie
die des .. Geſetzes vom 20 zen. 187. Dort ift zur
Rechtfertigung der Zulaſſung der Vorſchrift aus⸗
drücklich geſagt, daß in Fällen der vorliegenden
Art die Entſcheidung der Verwaltungsbehörde der
gerichtlichen Entſcheidung vorauszugehen habe,
„weil zwar die Entſcheidung einer höheren Ber:
waltungsbehörde noch der Judikatur unterſtellt
werden könne, nicht aber umgekehrt ein gericht-
liches Urteil der Prüfung im Verwaltungswege
(Beil.⸗Bd. V d. Vhdlgn. d. Abg. K. S. 46)“ —.
2. Die Aeußerung des Reichsgerichts gibt den
Anlaß zu den folgenden Bemerkungen:
a) Gemäß der Geſetze vom 21. Mai 1856
über die Kapitalrenten⸗ und die Einkommenſteuer
und gemäß des Geſetzes vom 1. Juli 1856 über
die Gewerbeſteuer ſind „Steuerausſchüſſe“ einge—
richtet. Dieſe Ausſchüſſe find „kollegial organi—
ſierte Behörden“, bei denen eine Staatsanwalt⸗
ſchaft beſteht, deren Amt von dem Rentbeamten
verſehen wird.
Nach Art. 98 AGzStpO. (Art. 70 des Eutw.)
ſind die Steuerausſchüſſe zur Erlaſſung von Straf—
beſcheiden (Strafbeſchlüſſen) im Sinne des § 459
StPO. zuſtändig. Gegen die Strafbeſchlüſſe ſteht im Verwaltungswege“
nach Maßgabe der Steuergeſetze dem Staatsanwalt
und dem Steuerpflichtigen die Beſchwerde an den
verſtärkten Steuerausſchuß oder die Regierungs—
— . —— ³—— 7] ̃ — ⁵⅛; . sjr . — — . . = Ä nn
|
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
finanzkammer zu; der Steuerpflichtige hat außer⸗
dem nach 8 459 StPO. die Befugnis zur Bean⸗
tragung gerichtlicher Entſcheidung. Durch das
Nebeneinanderbeſtehen verſchiedener Rechtsmittel⸗
ſyſteme kann ſich das Verfahren leicht verwickelt
geſtalten. Daher regelt der Art. 100 AG.
(Art. 72 des Entw.) das Präjudizialverhältnis
zwiſchen den verſchiedenen Fällen, die ſich bei der
Anfechtung von Beſchlüſſen an Steuerausſchüſſe
wegen der Höhe der Beſteuerung einerſeits und
wegen der Strafe anderſeits ergeben können.
Zum Zwecke dieſer Regelung ſetzt der Art. 100
Abſ. 1 für den Fall, daß gegen den Strafbeſchluß
des Steuerausſchuſſes auf gerichtliche Entſcheidung
angetragen, außerdem aber wegen der Steuer
ſelbſt vom Staatsanwalt oder dem Steuerpflich⸗
tigen Beſchwerde eingelegt worden iſt, feſt, daß die
gerichtliche Entſcheidung bis zur rechtskräftigen Feſt⸗
ſtellung der Steuer ausgeſetzt bleibt. Die Motive
ſagen zu dem Abſ. 1 des Art. 72 des Entw., daß
„die definitive Feſtſetzung des Steuerbetrags,
welche für die Frage, ob und in welchem Um⸗
fang eine Beſtrafung des Pflichtigen veranlaßt
ſei, präjudiziell zu ſein pflegt, immer der Ver⸗
beſcheidung der Beſchwerde gegen den Strafbe⸗
ſchluß voranzugehen habe“
(ſ. Verhandlungen a. a. O. Beil.⸗Bd. V S. 45, 46
zu Art. 70, 71, Art. 72 Abſ. 1 Abſ. 1 und 2 der
Begründung).
b) Der Art. 100 Abi. 2 des Geſetzes zur Aus⸗
führung der StPO. hat den Fall im Auge, daß
der Vertreter der Finanzbehörde gegen
einen Strafbeſchluß des Steuerausſchuſſes rekla⸗
miert, der Steuerpflichtige die Einlegung der
Reklamation unterlaſſen und nur auf gerichtliche
Entſcheidung angetragen hat; der Abſ. 2 beſtimmt
aber auch für dieſen Fall, daß die gerichtliche Ent⸗
ſcheidung bis zur Beſchlußfaſſung über die Rekla⸗
mation ausgeſetzt zu bleiben hat. Dieſe Beſtim⸗
mung bringt das Präjudizialverhältnis zwiſchen
der Beſchwerde wegen der Steuer ſelbſt und
zwiſchen der Anfechtung des Beſchluſſes wegen der
Strafe genau in derſelben Weiſe zum Ausdrucke
wie der Abſ. 1 des Art. 100.
Es äußert nun zu Art. 72 Abſ. 2 des Entw.
die Begründung:
„Aber auch die Verbeſcheidung einer vom
Vertreter der Finanzbehörde gegen einen Straf:
beſchluß ergriffenen Reklamation wird der Würdi—
gung des Antrags auf gerichtliche Entſcheidung,
welche der Pflichtige anſtrebt, vorauszugehen haben
(Art. 72 Abſ. 2), weil zwar die Entſcheidung auch
einer höheren Verwaltungsbehörde noch der ge—
richtlichen Judikatur unterſtellt werden kann, nicht
aber umgekehrt ein gerichtliches Urteil der Prüfung
(Verhandlungen a. a. O.
S. 16 Abſ. 3 der Begründung zu Art. 72).
c) Der Sinn und die Tragweite der vom
Reichsgerichte beſonders betonten Worte „weil
Zeitſchrift für Rechtspflege
zwar die Entſcheidung ufm.“ erhellt, wenn man
berüdfichtigt, daß fie ein Teil der |
zu Art. 72 Abſ. 2 des Entwurfs find. Hat
nämlich gegen den Strafbeſchluß des Steueraus⸗
ſchuffes der Steuerpflichtige nur wegen der Strafe
auf gerichtliche Entſcheidung angetragen, der Ver⸗
treter der Finanzbehörde aber — der Rentamtmann
als Staatsanwalt — wegen der Steuer ſelbſt
reklamiert, ſo ſoll durch die Vorſchrift des Abſ. 2
des Art. 72 verhütet werden, daß die gerichtliche
Entſcheidung ohne Rückſicht auf die Ergeb⸗
niſſe des vom Staatsanwalt eingelegten
Rechtsmittels ergeht. Iſt einmal die ge⸗
richtliche Entſcheidung ohne dieſe Rückſicht er:
gangen und rechtskräftig geworden, ſo kann ſie
— ſelbſtverſtändlich — im Verfahren über die
Beſchwerde des Staatsanwalts keine Beachtung
finden, wogegen das Gericht dies Ergebnis dieſer
Beſchwerde dann berüdfichtigen kann, wenn ſeine
Entſcheidung bis zur Entſcheidung über die Ver⸗
waltungsbeſchwerde ausgeſetzt zu bleiben hat. Es
kann zugegeben werden, daß die Worte „weil
zwar die Entſcheidung auch einer höheren Verwal⸗
tungsbehörde noch der gerichtlichen Judi—
katur unterſtellt werden kann“ wegen
ihrer allgemeinen Faſſung die Deutung zuzulaſſen
ſcheinen, daß im Verfahren in Steuerſtrafſachen
die Entſcheidung der Verwaltungsbehörde vom
Gerichte nachgeprüft und durch eine von ihm in
eigener Zuſtändigkeit erlaſſene Entſcheidung in
allen Fällen erſetzt werden kann. Die Deu⸗
tung iſt richtig bezüglich der Entſcheidung der
Frage, ob in dem Tun eines Beſchuldigten
die Merkmale einer Steuerpflichtigkeit
vorliegen. Daraus aber, daß das Gericht
zur ſelbſtändigen Prüfung dieſer Frage befugt
iſt, folgt noch nicht, daß es im Falle der Be:
jahung dieſer Frage befugt ift. die von
der Steuerbehörde feſtgeſetzte Steuer
nachzuprüfen. Hätte dies durch die mehr:
erwähnten Worte der Begründung ausgedrückt
werden ſollen, ſo ſtünde es im direkten Gegenſatze
zu der Begründung bezüglich des Art. 72 Abſ. 1
des Entw., worin es heißt, daß die definitive Feſt⸗
ſetzung des Steuerbetrags, die für die Frage, ob
und in welchem Umfange eine Beſtrafung des
Pflichtigen veranlaßt ſei, präjudiziell zu ſein pflegt,
immer der Verbeſcheidung der Beſchwerde gegen
den Strafbeſchluß voranzugehen habe“. Hätte
der Geſetzgeber gewollt, daß das Verf fahren vor
dem Gerichte und das Verfahren über die Ver⸗
waltungsbeſchwerde in völliger Selbſtändigkeit
nebeneinander einherzugehen haben und daß das
Gericht die Ergebniſſe dieſes Verfahrens auch nicht
bezüglich der definitiven Feſtſetzung des Steuer⸗
betrags zu berückſichtigen habe, ſo wäre der
Art. 72 Abſ. 1 und 2 des Entwurfs (Art. 100
Abſ. 1 und 2 des Geſetzes) ganz anders zu faſſen
und die Vorſchrift nicht veranlaßt 1
daß in den im Abſ. 1! und 2 des Art.
in Bayern. 1911. Nr. 5.
| bezeichneten Fällen das gerichtliche Verfahren bis
zur rechtskräftigen Feſtſtellung der Steuer aus⸗
geſetzt bleiben ſoll.
Demnach dürften beachtliche Erwägungen gegen
die Auslegung ſprechen, die in der Entſcheidung
des Reichsgerichts den mehrerwähnten Worten der
Begründung zu Teil geworden iſt.
d) Zu dieſen Erwägungen geſellt ſich eine
weitere.
Nach Art. 14 Abſ. 1. 2 des WGStG. wird
in den Fällen der Anmeldung der Pflichtigen die
Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen vom
Rentamt ohne Beiziehungeines Steuerausſchuſſes feſt⸗
geſetzt; dieſem Ausſchuß iſt nur die Einſteuerung zur
Kenntnisnahme und Stellung etwaiger Anträge
vorzulegen. In den Faͤllen der Hinterziehung
| der Steuer wird der Strafbeſcheid vom Rentamt
erlaſſen und zwar ohne jede Mitwirkung des
Steuerausſchuſſes. Der Unterſchied zwiſchen einem
Verfahren, in dem der Steuerausſchuß einen Straf⸗
beſchluß erläßt und der Rentbeamte die Stelle
eines Staatsanwalts verſieht, und einem Ver⸗
fahren, in dem der Rentbeamte den Strafbeſcheid
erläßt, leuchtet ein. Der Rentbeamte kann nicht
gegen den von ihm erlaſſenen Strafbeſcheid zur
Regierungsfinanzkammer reklamieren. Im Ver⸗
fahren wegen Hinterziehung der Wandergewerbe⸗
ſteuer kommen nur Rechtsmittel des Steuer⸗
pflichtigen in Betracht. Daher wurde das be⸗
zeichnete Verfahren nicht dem Verfahren in Steuer⸗
| ſtrafſachen, ſondern „dem in Zollſtrafſachen an:
gepaßt“, von dem es ſich aber auch darin wieder
unterſcheidet, daß — während gegen den Straf⸗
beſcheid in Zollſtrafſachen eine Beſchwerde an die
höhere Verwaltungsbehörde nach Art. 89 Abſ. 5
des AGzStpPO. nicht ſtattfindet gegen
den rentamtlichen Strafbeſcheid eine Beſchwerde
hinſichtlich der Steueranlage zur Regierungs-
finanzkammer zugelaſſen iſt. Eben mit Rückſicht
auf die Verſchiedenheit der Geſtaltung des Ver⸗
fahrens bei Strafbeſchlüſſen der Steuerausſchüſſe
und des Verfahrens bei rentamtlichen Straf:
beſcheiden nimmt die Begründung des Entwurfs
zum Wandergewerbeſteuergeſetze (Verhandl. a. a. O.
Bd. IV S. 299 vorletzter Abſatz zu Art. 15 mit
21) nur auf Art. 100 Abſ. 1 des AGzStpO.
(Art. 72 Abſ. 1 des Entw.) Bezug und ſtimmt
der Art. 24 Abſ. 6 des WGStG. mit Art.
100 Abſ. 1 im weſentlichen überein, wo⸗
| 15 der Abſ. 2 des Art. 100 für das Ver⸗
fahren bei ber Hinterziehung der Wandergemerbe:
| fteuer überhaupt nicht in Betracht kommt.
Daher möchte es immerhin fraglich ſein, ob die
| in der Begründung zu Art. 72 Abſ 2 des Entw.
Art. 100 Abſ. des Geſ. zur
Ausführung der StPO. enthaltenen Worte für
die Auslegung des Art. 24 Abſ. 6 des WGStG.
in der Weiſe verwertet werden können, wie es in
der Sn ſcheidung des Reichsgerichts geſchehen iſt.
Aus den vorſtehenden Darlegungen dürfte
2
ſich ergeben, daß nach dem Willen des bayeriſchen
Geſetzgebers die Feſtſetzung der Steuer durch die
Verwaltungsbehörde nicht bloß eine finanzielle
Bedeutung haben ſondern daß ihr für die ftraf:
rechtliche Beurteilung materielle Wirkung beizu⸗
meſſen ſein ſoll. Der bayeriſche Geſetzgeber wollte
bezüglich der Frage der Höhe des Betrags der
Jahresſteuer die Möglichkeit eines Zwieſpalts
zwiſchen den Entſcheidungen der Finanzbehörde
und des Gerichts verhüten, da es immer miß⸗
lich iſt, wenn bei der Anwendung eines und des⸗
ſelben Geſetzes die Entſcheidungen der Verwaltungs⸗
behörden und der Gerichte zu verſchiedenen Er⸗
gebniſſen führen.
Der Etraußwirtſchaftsbetrieb in der
Jheinpfalz.
Von Landgerichtsrat J. Michel in Frankenthal.
In Nr. 1 des 7. Jahrganges (1911) der
Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern iſt auf
Seite 14 ff. unter dem Titel: „Der Ausſchank
ſelbſterzeugter Getränke in der Rheinpfalz“ eine
Abhandlung von Landgerichtsrat Otto Zoeller in
München (früher in Landau, Pfalz) veröffentlicht,
in welcher der Verfaſſer unter anderem auch die
für die Winzer und das weintrinkende Publikum
der Pfalz wichtige Frage erörtert, ob der Strauß—
wirt auch ſeinen ſelbſtgezogenen gezuckerten Wein
ausſchänken darf. Unter Angabe gewichtiger
Gründe bejaht der Verfaſſer dieſe Frage für den
Fall, daß der Straußwirt ſeinen ſelbſtgezogenen
gezuckerten Wein nicht durch Aufſchriften auf dem
Wirtsſchilde oder auf Plakaten als „Selbſtgebaut“
oder als „Eigenes Gewächs“ bezeichnet.
Dieſe Rechtsanſchauung hat, wie voraus—
zuſehen war, das lebhafteſte Intereſſe der Winzer
und des weintrinkenden Publikums der Pfalz ge—
funden. Sie iſt in ihren praktiſchen Folgen für
beide Teile bedeutſam. Ob ſie die Billigung der
Gerichte finden wird, ſteht vorerſt noch dahin.
Der Zweck des Folgenden iſt einen Beitrag zur
Klärung einer weiter im Straußbwirtſchafts—
betriebe aufgetauchten Rechtsfrage und der von
dem genannten Verfaſſer behandelten Frage zu
liefern.
Zeitſchrift für Rachtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
ſchließlich nahezu unmöglich machte, gewann das
Recht zum Straußmirtichaftsbetriebe erhöhte Be⸗
deutung. Die Winzer verlegten ſich in ſtärkerem
Maße auf den Straußbwirtſchaftsbetrieb. Sie be⸗
gnügten ſich nicht damit an ihrem Wohnorte
den „Strauß auszuſtecken“, ſondern ſie eröffneten
auch an anderen Orten der Pfalz Straußwirt⸗
ſchaften. Sie mieteten geeignete Räume, ſtellten
das erforderliche Wirtſchaftsinventar bereit und
ließen durch Angeſtellte (ſog. Stellvertreter) ihren
Wein ausſchänken. Dieſer Ausdehnung des
Straußwirtſchaftsbetriebes machten jedoch die
Gerichte bald ein Ende. In Anlehnung an die
oberſtrichterliche Rechtſprechung ſtellten ſie ſich
auf den Standpunkt, daß der Art. 9 lit. b
Nr. 1 des bayeriſchen Geſetzes vom 30. Januar
1868 betr. das Gewerbsweſen auch für die Pfalz
gelte. Nach dieſem Artikel war aber der Strauß⸗
wirtſchaftsbetrieb nur den Weinbauern nach Maß⸗
gabe des örtlichen Herkommens und der orts⸗
polizeilichen Vorſchriften geſtattet. Ein örtliches
Herkommen oder ortspolizeiliche Vorſchriften,
welche den Straußwirtſchaftsbetrieb in der vor:
geſchilderten Ausdehnung erlaubt hätten, beſtand
aber nirgends. Demgemäß wurden die Strauß:
wirte und ihre Stellvertreter, die den Beſtim⸗
mungen der Gewerbeordnung zuwider ohne Kon⸗
zeſſion Wirtſchaſten betrieben oder dazu behilflich
waren, zu Strafen verurteilt. Ihre Straußwirt⸗
ſchaften wurden geſchloſſen.
Das Oberſte Landesgericht in München hat
nun in einem Urteile vom 10. April 1909
(Bd. 9 S. 217 ff.)!) in durchaus zutreffender Be:
gründung die Geltung des vorerwähnten Art. 9
für die Pfalz verneint. Damit dürfte der Streit
um die Geltung dieſes Artikels für die Pfalz in
der Rechtslehre und in der Rechtſprechung end:
1. Der Etraußmirtichaftsbetrieb iſt in der
Pfalz uralt. Ein Strauß — meiſt ein Kiefernaſt —
am Hauſe deſſen, der den Wein gebaut hat, alſo
im Regelfalle eines Winzers, kündigte an, daß
dieſer darin fein eigenes Erzeugnis an Wein aus—
ſchaͤnke. Einer polizeilichen Erlaubnis, wie fie
ſpäterhin die anderen Weinwirte nötig hatten,
bedurfte er dazu nicht. Als in den letztver—
floſſenen Jahren die überhandnehmende Wein—
pantſcherei dem Winzer den Verkauf
ſeines
Weines im Großen immer mehr erſchwerte und
gültig zur Ruhe gebracht ſein.
Die für den Straußwirtſchaftsbetrieb durch
dieſe Entſcheidung geſchaffene günſtige Rechtslage
erweckte ihn in der ſoeben beſchriebenen ausgedehnten
Form zu neuem Leben. Sie verlockte ſogar Winzer
aus dem benachbarten Heſſen dazu ihren in
Heſſen gebauten Wein in der Pfalz im Wege
des Straußwirtſchaftsbetriebes auszuſchänken. Es
hat ſich deshalb die Rechtsfrage aufgeworfen, ob
auch ein Nichtpfälzer oder ein nicht in der Pfalz
Wohnender ſeinen außerhalb der Pfalz gebauten
Wein in der Pfalz im Wege des Straußwirt—
ſchaftsbetriebes ausſchänken darf und ob dieſe
Befugnis einem Pfälzer oder in der Pfalz
Wohnendem auch hinſichtlich ſeines außerhalb der
Pfalz ſelbſtgezogenen Weines zuſteht. Dieſe Frage
wird zu bejahen ſein.
In der erwähnten Abhandlung hat der Ver—
faſſer ſchon mit Recht betont, daß die Befugnis
zum Ausſchank des eigenen Erzeugniſſes an Wein
) Auch abgedruckt in dieſer Zeitichrift Jahrg. 1909
S. 419.
im Straußwirtſchaftsbetriebe nicht dem Winzer,
dem berufsmäßigen Weinbauer allein zuſtehe,
ſondern jedermann, der Wein ſelbſt baut. Es
muß aber auch geſagt werden, daß es keine
geſetzliche Beſtimmung gibt, welche dieſes Recht
wegen der Nationalität oder des Wohnortes des
Straußwirtes oder wegen des Urſprungsortes des
Weines beſchränkt oder aufhebt.
Der Straußbwirtſchaftsbetrieb war in der
Pfalz uralten Rechtens. Die ſpäterhin ein⸗
ſetzende franzöſiſche Geſetzgebung hat für die Pfalz
die uneingeſchränkte Gewerbefreiheit eingeführt
und damit den Straußwirtſchaftsbetrieb auf
einen neuen geſetzlichen Boden geſtellt. Das Ziel
dieſer Geſetzgebung war größtmögliche Hand:
lungs⸗ und Bewegungsfreiheit für den Einzelnen.
Die von ihr geprägten Rechtsſätze: „La liberté
consiste à pouvoir faire ce qui ne nuit pas
aux droits d'autrui“ und „Ce qui n'est pas
defendu par la loi ne peut étre empeche“
laſſen dies klar erkennen. Die Gewerbefreiheit
ftand dem Einzelnen zu ohne Rückſicht auf ſeine
Nationalität, ſeinen Wohnort und auf den Ur⸗
ſprungsort des Erzeugniſſes, mit dem er ſein
Gewerbe betrieb. Ausländer und Inländer, aus⸗
ländiſche und inländiſche Erzeugniſſe waren in
dieſer Hinſicht einander gleichgeſtellt. Die ſo ge⸗
ſchaffene Rechtslage beſteht heute noch fort. Denn
das bayeriſche Gewerbegeſetz vom 30. Januar
1868 brachte in dieſer Hinſicht keine Aenderung
und die Reichsgeſetze vom 12. Juni 1872, betr.
die Einführung der Gewerbeordnung in Bayern,
und vom 23. Juli 1879. betr. die Abänderung
einiger Beſtimmungen der Gewerbeordnung, haben
dieſen Rechtszuſtand aufrecht erhalten, indem
beide Geſetze, erſteres mit ausdrücklichen Worten,
letzteres, wie die Schlußfolgerung ergibt, be⸗
ſtimmen: „Inſoweit bisher in Bayern der Aus⸗
ſchank der eigenen Erzeugniſſe an Getränken ohne
polizeiliche Erlaubnis ſtatthaft war, bedarf es
einer ſolchen auch in der Folge nicht.“
Die vorgetragenen Gründe führen mithin
notwendigerweiſe zur Bejahung der bezeichneten
Rechtsfrage.
2. Aus dem unter 1. Geſagten ergibt ſich,
daß in der Pfalz jedermann, von Hinderungs⸗
gründen rein polizeilicher Natur abgeſehen, unein⸗
geſchränkt ſein eigenes Erzeugnis an Wein im
Straußwirtſchaftsbetriebe ausſchänken darf. Un⸗
erläßliche Bedingung iſt aber, daß der Wein
eigenes Erzeugnis des Ausſchänkenden iſt. Es
wird ſohin die Entſcheidung über die von dem
genannten Verfaſſer behandelte Frage, ob der
Straußwirt ſeinen ſelbſtgezogenen, gezuckerten
Wein konzeſſionsfrei ausſchänken darf, davon ab—
hängen, ob ſelbſtgezogener gezuckerter Wein als
eigenes Erzeugnis im Sinne des Geſetzes anzu—
ſehen iſt.
Der Verfaſſer hat dieſe Frage bejaht. Er
unterſcheidet zwiſchen landwirtſchaftlichen Erzeug⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
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niſſen z. B. Traubenwein, Obſtwein, und Fabri⸗
kationserzeugniſſen wie Bier u. dgl. Letztere
ſeien dann eigenes Erzeugnis, wenn ſie der Aus⸗
ſchänker in ſeinem Fabrikationsbetriebe ſelbſt her⸗
geſtellt habe, wobei es auf die Herkunft der Stoffe
nicht ankomme. Bei den landwirtſchaftlichen Er⸗
zeugniſſen dagegen müſſe außerdem noch gefordert
werden, daß der Herſteller die Grundſtoffe aus
ſelbſt bewirtſchafteten Grundſtücken gewonnen habe.
Dagegen könne nicht verlangt werden, daß das
ganze Getränke mit allen ſeinen Zutaten aus⸗
ſchließlich aus eigenen Erzeugniſſen herrühre. Aus
dieſer Begriffsbeſtimmung folgert der Verfaſſer,
ein aus ſelbſterzeugten Trauben gekelterter und
ſelbſtgebauter Traubenwein ſei auch dann eigenes
Erzeugnis, wenn ihm wegen zu hoher Säure oder
zu geringen Alkoholgehalts Zucker oder Zucker⸗
wſſaer zugeſetzt worden ſei. Es könne nicht außer⸗
dem noch verlangt werden, daß der Herſteller
auch den Zucker ſelbſt erzeugt oder das Waſſer
aus eigenem Brunnen gewonnen habe.
Ich kann dieſer Anſicht nicht beitreten.
Der Geſetzgeber hat ſelbſt nicht beſtimmt,
was er unter eigenem Erzeugnis verſteht. Es
wird dies deshalb im Wege der Geſetzesauslegung
zu erforſchen ſein. Wenn es zu dieſem Zwecke
auch förderlich iſt, nach der Methode des Ver⸗
faſſers eine Unterſcheidung zwiſchen Fabrikations⸗
erzeugniſſen und landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen
zu treffen, ſo geht es doch nicht an, an der Hand
dieſer Unterſcheidung allein den Begriff des eigenen
Erzeugniſſes allgemein für jede Erzeugnisgruppe
zu beſtimmen, wie es der Verfaſſer getan hat.
Es muß vielmehr bei jedem einzelnen Getränke
geprüft werden, ob nicht aus dem allgemeinen
Sprachgebrauche, aus der Verkehrsanſchauung und
aus der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes Anhalts⸗
punkte dafür zu gewinnen ſind, was der Geſetz⸗
geber jeweils als eigenes Erzeugnis anſehen will.
In dieſer Hinfiht iſt nun zu jagen, daß, wenn
von eigenem Erzeugnis an Wein die Rede iſt,
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und der
Verkehrsanſchauung darunter nur der Wein ver-
ſtanden wird, der von den Weinbauenden aus
Trauben von ſelbſt bewirtſchafteten Grundſtücken
durch zuläſſige Kellerbehandlung gewonnen wurde,
mit anderen Worten der Naturwein. Kein Menſch
denkt dabei an gezuckerten Wein. Es folgt aber
auch aus der Entſtehungsgeſchichte der oben er⸗
wähnten Reichsgeſetze, daß man gerade beſonderes
Gewicht darauf legte, dem Winzer die Befugnis
zum konzeſſionsfreien Ausſchanke ſeines Eigenbaues
zu erhalten. Der Grund lag darin, daß der
Winzer ſchon ſeit altersher ſein eigenes Gewächs
im Straußwirtſchaftsbetriebe ausſchänkte und daß
der Geſetzgeber gerade dieſe Art des Straußwirt—
ſchaftsbetriebes nicht beſeitigen wollte. Es muß
aber auch hervorgehoben werden, daß in der
Pfalz bis in die neueſte Zeit herein in Strauß—
wirtſchaften nur Naturwein ausgeſchänkt wurde,
108
und daß jedermann, der eine Straußmirtichaft
betrat, von der Erwartung geleitet war Natur⸗
wein vorgeſetzt zu erhalten. In dieſer Hinſicht be⸗
finde ich mich allerdings im Widerſpruche mit
dem Verfaſſer, welcher den Standpunkt vertritt,
daß in der Pfalz keine allgemeine Verkehrsan⸗
ſchauung beſtehe, wonach man in Straußbwirt⸗
ſchaften nur Naturweine finde. Das Gegenteil
iſt richtig. Es mag ſein, daß im ſog. Oberlande
in einzelnen Straußbwirtſchaſten gezuckerter Wein
ausgeſchänkt wurde. Es wird dies vielleicht auch
im Unterlande vorgekommen ſein. Es wurde ſogar
erwieſen, daß in einer Straußwirtſchaft gefälſchter
Wein verabfolgt wurde. Es läßt ſich aber nicht
ſagen, daß dies unbeanſtandet geſchah. Denn es
wird nicht behauptet werden können, daß die zum
Einſchreiten berufene Behörde von dieſen Fällen
Kenntnis hatte und trotzdem nicht einſchritt.
Fälle können nur als unzuläſſige Ausnützung des
Straußbwirtſchaftsbetriebes angeſehen werden. Sie
ſind nicht geeignet, ſeinen wahren Charakter zu
aͤndern.
Nach alledem wird man zu dem Schluſſe
kommen müſſen, daß der Geſetzgeber unter eigenem
Erzeugnis an Wein nur Naturwein verſtanden
hat und daß der Straußwirt, der gezuckerten
Wein ausſchänkt, ſich gegen 88 33, 147 GewO.
verfehlt.
Die Theorie des Verfaſſers, wonach auch ge:
zuckerter Wein als eigenes Erzeugnis im Sinne
des Geſetzes anzuſehen iſt, wenn nur der Aus⸗
ſchänker die Grundſtoffe ſelbſt erwirtſchaftet und
den Wein ſelbſt fertig behandelt hat, wenn er
auch nicht den zugeſetzten Zucker ſelbſt erzeugt
oder das Waſſer aus eigenem Brunnen gewonnen
hat, führt in Anſehung des Straußwirtſchafts⸗
betriebes zu einem merkwürdigen Ergebniſſe.
Ein Beiſpiel mag dies dartun. Ein Strauß:
wirt hat einen Wein mit hoher Säure. Um ſie
zu mindern kauft er bei dem Kolonialwaren—
händler Zucker und bei der Gemeinde durch Ent⸗
nahme aus der Waſſerleitung Waſſer. In zu:
läſſigem Maße ſetzt er die hieraus bereitete
Zuckerlöſung dem Weine zu. Nach der Theorie
des Verfaſſers darf der Straußwirt dieſen Wein
ausſchänken, weil er als eigenes Erzeugnis gilt.
Würde der Straußwirt um die Säure zu mindern
einen Naturwein mit hoher Süße kaufen und ihn
dem Säuerling beimiſchen, ſo dürſte er nach der
Anſicht des Verfaſſers den ſo gewonnenen Wein
nicht ausſchänken, weil ein Teil der Grundſtoffe
dieſes Weines nicht ſelbſt erwirtſchaftet iſt und
deshalb kein eigenes Erzeugnis mehr vorliegt. Hier⸗
nach wäre ein Straußwirt, der ſeinen
Kunden Naturwein bieten will, übler daran
als einer, der ihnen gezuckerten Wein vor—
ſetzen will. Das kann doch der Geſetzgeber un:
möglich gewollt haben. Gerade dieſes Beiſpiel lehrt,
daß der Geſetzgeber unter eigenem Erzeugnis an Wein
nur Naturwein verſtanden haben kann und daß
Dieſe
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
|
zuckertem Wein verfolgt werden.
der Begriff eigenes Erzeugnis in Anſehung des
Weines nicht in abſtrakter Weiſe losgelöſt von der
hiſtoriſchen Entwicklung des Straußbwirtſchaftsbe⸗
triebes, der einſchlägigen Rechtsentwicklung, dem
Sprachgebrauche und der Verkehrsanſchauung be⸗
ſtimmt werden kann. Betrachtungen allgemeiner
Art ſtehen dieſer Anſicht nicht entgegen.
Der Verfaſſer läßt in ſeiner Abhandlung ein
gewiſſes Mitleid mit den armen Straußwirten
durchblicken, die wegen des Ausſchankes von ge⸗
Gewiß wird
ihnen in ihrer derzeitigen, durch die Mißernte in
den beiden letzten Jahren geſchaffenen üblen Lage
niemand das Mitleid verſagen wollen. Dies darf
aber nicht von der als richtig erachteten Geſetzes⸗
auslegung und Anwendung abbringen, zumal
dann nicht, wenn dies ſo geübte Mitleid den Be⸗
mitleideten zum Verhängnis werden könnte. Die
Beliebtheit der Straußwirtſchaft beruht nun ein⸗
mal auf der Gewißheit darin gegen einen ange⸗
meſſenen Preis Naturwein zu erhalten. Nicht der
laute, urteilslos trinkende Zecher, ſondern der mit
Behagen und Verſtändnis ſchlürfende Verehrer
eines guten Naturtropfens hält in der Strauß:
wirtſchaft Einkehr. Setzt man dieſem gezuckerten
Wein vor, dann bleibt er weg. Der Strauß—
wirtſchaft fehlt der Gaſt. Der Straußwirt kann
ſein „eigenes Erzeugnis“ nicht abſetzen. Es liegt
ſohin im Intereſſe der Straußwirte ſelbſt, wenn
daran feſtgehalten wird, daß in der Straußwirt⸗
ſchaft nur Naturwein verabfolgt werden darf. Dies
um fo mehr, als gerade jetzt durch den heilſamen
Einfluß des neuen Weingeſetzes und durch das
Vorgehen der Winzergenoſſenſchaften die Vorliebe
und das Verſtändnis für Naturwein in weite
Kreiſe getragen wird. Nur dadurch allein wird
es gelingen, die nichtpfälziſche Konkurrenz fern⸗
zuhalten.
Es kommt aber noch hinzu, daß ſich die
Straußwirte nicht gerade der beſonderen Gunſt
der übrigen Wirte erfreuen. Dieſe ſehen ſchon
laͤngſt mit Neid, wie die Straußwirte ihren Be⸗
trieb nicht nur konzeſſionsfrei, ſondern auch ſteuer⸗
und umlagenfrei ausüben, während ſie ſelbſt unter
dieſen Abgaben zu leiden haben. Das Wirtſchafts⸗
gewerbe iſt auch nicht auf Roſen gebettet. Es
erblickt in den Straußwirtſchaften ſchon lange eine
läſtige Konkurrenz. Wird dieſe noch verſchärft
dadurch, daß die Straußwirte auch die Befugnis
in Anſpruch nehmen gezuckerten Wein auszu—
ſchänken, ſo wird der Gegendruck nicht ausbleiben.
Man wird auf eine Einſchränkung des Rechtes
zum Straußbwirtſchaftsbetrieb auch in anderer
Hinſicht hinarbeiten. Es wird daher der Strauß—
wirtſchaftsbetrieb beſſer abſchneiden, wenn daran
feſtgehalten wird, daß in ihm nur Naturwein
ausgeſchaͤnkt werden darf.
Das weintrinkende
Publikum würde auch ungern die Gewähr ſchwinden
ſehen in der Straußwirtſchaft Naturwein zu
erhalten.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
3. Unter 2. iſt ausgeführt, daß dem Strauß⸗
wirt der Ausſchank gezuckerten Weines gemäß
88 33, 147 GewO. verboten iſt. Es iſt noch
die Frage zu prüfen, ob dies nicht auch gemäß
8 5 des nn vom 7. April 1909 der Fall
iſt. Der Verfaſſer bejaht dies in ſeiner Ab⸗
handlung für den Fall, daß der Straußwirt
ſeinen gezuckerten Wein durch Aufſchriften auf
dem Wirtsſchilde oder auf Plakaten als „Eigenes
Gewächs“ oder als „Selbſtgebaut“ bezeichnet. Dieſe
Anſicht des Verfaſſers wird wohl allgemein als
richtig anerkannt werden.
Der Verfaſſer verneint dagegen die Frage für
den Fall, daß der Straußwirt nur ein Schild
anbringt mit der Aufſchrift „Straußwirtſchaft“
oder daß er nur einen Strauß ausſteckt. In
dieſem Falle erkläre der Straußwirt nur, daß er
keine konzeſſionierte Wirtſchaft, ſondern einen kon⸗
zeſſionsfreien Ausſchank habe. Der Verfaſſer geht
dabei allerdings davon aus, daß in der Pfalz
eine allgemeine Verkehrsanſchauung dahin, daß in
Straußwirtſchaften nur Naturwein ausgeſchänkt
werde, nicht beſtehe. Ich habe oben behauptet,
das Gegenteil ſei richtig, und muß deshalb bei
meinen Ausführungen von dieſem Standpunkt
ausgehen.
Nach meinem Dafürhalten iſt 8 5 des Wein:
geſetzes vom 7. April 1909 auch dann anwendbar,
wenn der Straußwirt nur ein Schild anbringt
mit der Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ oder wenn
er nur einen Strauß ausſteckt. Denn Abſ. 1 da⸗
ſelbſt verbietet „gezuckerten Wein unter einer Be⸗
zeichnung feilzuhalten oder zu verkaufen, die auf
Reinheit de? Weines deutet“ und „in der Benen⸗
nung anzugeben oder anzudeuten, daß der Wein
Wachstum eines beſtimmten Weinbergbeſitzers ſei“.
Eine hiernach verbotene Bezeichnung oder Benen—
nung des gezuckerten Weines wird aber nicht
allein dann vorliegen, wenn durch ausdrückliche
Worte in Schrift oder Druck auf dem Wirtsſchild,
auf dem Faß, auf Plakaten, oder durch raſch nach⸗
einander aufleuchtende und erlöſchende elektriſche
Lämpchen ſichtbar gemacht der Wein als Natur⸗
wein oder als Wachstum des Ausſchänkers be⸗
zeichnet wird, ſondern auch dann, wenn dieſe Be⸗
zeichnung oder Benennung des Weines in ſolchen
Worten oder Veichen erfolgt, daß der Perſonen⸗
kreis, für den fie berechnet find, ohne weiteres
ihnen entnimmt, daß der ausgeſchänkte Wein
Naturwein und eigenes Wachstum des Ausichän:
kenden iſt.
Dies trifft bei einem Schilde mit der Auf⸗
ſchrift „Straußwirtſchaft“ und beim ausgeſteckten
Strauße zu. Wenn in einem Orte der Pfalz
an einem Hauſe ein Schild mit der Aufſchrift
„Straußwirtſchaft“ angebracht oder ein Strauß
ausgeſteckt wird, dann weiß jeder von denen, an
die ſich der Straußwirt damit wenden will, daß
der Straußwirt damit ankündigt, daß er ſeinen
ſelbſtgebauten Naturwein zum Ausſchank bringt.
109
Daß jedermann die Sprache des Straußes ver⸗
ſtehen muß, wird nicht verlangt werden können.
Es wird eine verbotene Bezeichnung oder Benen⸗
nung auch dann vorliegen, wenn das gewählte
ſymboliſche Zeichen oder das zu dieſem Zwecke
allegoriſch gebrauchte Wort dem Perſonenkreis,
an den es gerichtet iſt, dermaßen vertraut iſt,
daß er ohne weiteres den wahren Sinn herausleſen
kann. Dies iſt nach dem oben Geſagten ſowohl
bei dem Wirtsſchilde mit der Aufſchrift „Strauß⸗
wirtſchaft“ als auch bei dem ausgeſteckten Strauße
der Fall. Beide find eben für das Publikum
mehr als bloße Wirtsſchilde und ſollen es nach
dem Willen des Straußwirtes auch ſein. Sie
erfüllen die Funktion des Wirtsſchildes und der
Plakate ꝛc. mit der Aufſchrift „Eigenes Ge:
wächs“ uſw. zugleich. Daß fie nur zum Aus:
druck bringen ſollen, hier werde keine konzeſſionierte
Wirtſchaft ſondern ein konzeſſionsfreier Ausſchank
geführt, wie der Verfaſſer meint, trifft nicht zu.
Für eine ſolche Erklaͤrung hätte der Straußwirt
kein Bedürfnis und das Publikum kein Intereſſe.
Sohin iſt der Ausſchank gezuckerten Weines
im Straußwirtſchaftsbetriebe nach 8 5 des Wein⸗
geſetzes auch dann verboten, wenn nur ein Schild
mit der Aufſchrift „Straußwirtſchaft“ angebracht
oder ein Strauß ausgeſteckt wird.
—
Die Feſtſtellung des Eigentums an Vegen.
Von Oberſtlandesgerichtsrat Hermann Schmitt
im Staatsminiſterium der Juſtiz in München.
(Schluß).
7. Das techniſche Verfahren. Die Vor⸗
ſchriften hierüber ſind in 88 510 ff. der Dienſt⸗
anweiſung enthalten, die im weſentlichen auf die
Vorſchriften der Geſchäſtsanweiſung für die An⸗
legungsbeamten vom 1. Oktober 1898 (JMBl.
S. 507) 45) und auf die Bek. vom 11. Juli 1901
(JM Bl. S. 489) 45) verweiſen.
In $ 510 wird u. a. auch auf 8 48 Geſch Anw.
verwieſen; hiernach kann eine Perſon, ohne im
Grundſteuerkataſter als Beſitzer eingetragen zu ſein,
als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen
werden, wenn ihr Eigentum glaubhaft gemacht iſt
und der im Grundſteuerkataſter als Beſitzer Be:
zeichnete der Eintragung zuſtimmt. In der Praxis
| ift die Frage ftreitig geworden, ob auf Grund
dieſer Vorſchrift die Zuſtimmung der Gemeinde
erforderlich iſt, wenn die Wege im Kataſter unter
einer allgemeinen Ueberſchrift, wie „Beſitz Nr. /
und unter dem Beſitztitel der Gemeinde oder Orts⸗
2 gemeinde oder der Steuergemeinde zuſammengefaßt
— — — — — —
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|
|
|
ind und nun einzelne von ihnen als Eigentum
) Henle-Dandl, Die Anlegung des Grundbuchs,
2. Aufl. S. 188 ff., 332 ff.
eines anderen gebucht oder als Grundſtücksbeſtand⸗
teile behandelt werden ſollen. Das Oberſte Landes⸗
gericht hat die Frage für den Fall, daß die Wege
der Steuergemeinde zugeſchrieben ſind, verneint.“)
Das gleiche hat aber auch in allen anderen Fällen
zu gelten, wenn das Kataſter überhaupt keinen
Anhaltspunkt für die Eigentumsfrage bietet, weil
ſeinerzeit im Liquidationsverfahren die Befitver:
hältniſſe in Anſehung der unſteuerbaren Flächen
überhaupt nicht ermittelt wurden, ſo daß ſich die
Eintragungen im Kataſter alſo nicht auf eine
Feſtſtellung des Beſitzſtandes der einzelnen Wege
gründen; es kann keinen Unterſchied begründen,
ob dieſe Flächen der Form nach der Steuergemeinde
oder der politiſchen Gemeinde oder einer Orts⸗
gemeinde zugeſchrieben wurden.“)
Ebenſowenig bedarf es einer Zuſtimmungs—
erklärung der Angrenzer, wenn die Wege als Be⸗
ſtandteile ihrer Grundſtücke behandelt werden ſollen;
ſie wird in den nach $ 510 der Dienflanmeifung |
maßgebenden Vorſchriften nicht gefordert.“)
§ 510 der Dienſtanweiſung verweiſt auch auf
SS 15 ff. der Bekanntmachung vom 11. Juli 1901;
darnach iſt für die nachträglich einzutragenden
Grundſtücke eine Aufforderung zur Anmeldung
von Rechten zu erlaſſen. Dabei iſt jedoch folgendes
zu beachten: Wird nachträglich feſtgeſtellt, daß
ein mit eigner Plannummer bezeichneter Weg,
der im Anlegungaverfahren irrigerweiſe als ſelb—
ſtändig und buchungsfrei angeſehen wurde, in
Wirklichkeit Beſtandteil der Grundſtücke iſt, über
die er führt, ſo braucht für dieſen Weg eine An⸗
meldungsaufforderung nicht erlaſſen zu werden,
wenn für die Hauptgrundſtücke eine ſolche ergangen
war; . gilt auch dann, wenn für den Weg
nach § 300 DAnw. ein Schutzblatt angelegt wird.
Ehe die Anmeldungsaufforderung erlaſſen wird,
iſt deshalb feſtzuſtellen, ob die zu behandelnden
Wege in Wirklichkeit Beſtandteile der Grundſtücke
ſind, über die ſie führen.
Nach der Durchführung des Verfahrens ſind
alle Wegeplannummern, deren Flächen nicht ſelbſt⸗
ſtändige Grundſtücke, ſondern Beſtandteile der
Grundſtücke find, aus dem Verzeichniſſe der nicht ge:
en buchungsfreien Grundſtücke zu ſtreichen.
s Sammlung Bd. 8 S. 604.
) Für den Fall, daß die Wege im Kataſter der
Gemeinde zugeſchrieben ſind, hat das Oberſte Landes—
gericht mit Beſchluß vom 4. November 1910 die auf—
geworfene Frage bejaht; die Bedeutung der Eintragung
110 Zeitſchrift für Rechtspflege i in Bayern. 1911. Nr. 5.
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B. Wege im Privateigentum.
Wie ſchon oben hervorgehoben, kann als Eigen⸗
tümer eines ſelbſtändigen Weges jede natürliche
und juriſtiſche Perſon in Frage kommen. Am
häufigſten wird das Eigentum vom Staat, von
Stiftungen, Standesherrſchaften, Fideikommiß⸗
beſitzern. Stammgutseigentümern und anderen
Großgrundbeſitzern in Anſpruch genommen. Es
muß im einzelnen Falle zwiſchen den Beteiligten
und der Gemeinde verhandelt werden.
Beſonderes Intereſſe beanſpruchen die Wege,
die als eigene Grundſtücke von mehreren Perſonen
beanſprucht werden; es kann ſich dabei um ge⸗
wöhnliches Miteigentum nach Bruchteilen oder um
eines jener Rechtsverhältniſſe handeln, die der
Art. 43 UeG. im Auge hat; es kann auch ſein,
daß ein ſolcher Weg nur im Eigentum eines der
e ſteht, während den übrigen Beteiligten
nur ein Fahrtrecht zukommt. Bei Feldwegen,
insbeſondere bei ſolchen, die nicht vor ſehr langer
Zeit entitanden find, wird es näher liegen die
Unſelbſtändigkeit der Wegteilflächen anzunehmen
als ein immerhin verwickeltes Miteigentumsver⸗
hältnis der Angrenzer.
Steht der Weg als ſelbſtändiges Grunditüd
im Miteigentum mehrerer Perſonen, ſo iſt regel⸗
mäßig ein Miteigentum nach Bruchteilen im
Sinne des $ 1008 BGB. gegeben. Mit Rück⸗
ſicht auf 848 GBO. und $ 748 BGB. find hier
die Anteile der Berechtigten feſtzuſtellen; für die
Berechnung der Bruchteile wird, ſoweit nicht be⸗
ſondere Vereinbarungen vorliegen, in der Regel
das Verhältnis des Flächeninhalts der einzelnen
Hauptgrundſtücke maßgebend ſein, deren Intereſſen
der Weg dient.“) Aus Zbweckmäßigkeitsgründen
empfiehlt es ſich, ſoweit nicht Art. 43 Ue®. in
Betracht kommt, im Hinblick auf $ 749 Abſ. 1
BGB. die Beteiligten noch darauf hinzuweiſen,
daß die dauernde und unbedingte Benutzung des
gemeinſchaftlichen Weges nur geſichert iſt, wenn
eine Grunddienſtbarkeit im Sinne des $ 1009
BGB. beſtellt wird. In der Regel wird der
| Miteigentumsanteil am Wege nach der Meinung
im Kataſter wurde in dieſem Falle vom Oberſten Landes— |
kann die Frage nur in der Weile gelöſt werden,
gericht gar nicht gewürdigt; es will die Eintragung im
Kataſter auch dann nicht als belanglos gelten laſſen,
wenn die Liquidationsprotokolle Erhebungen über die
unſteuerbaren Grundflächen nicht entnehmen laſſen; dieſer
rein formale Standpunkt iſt unhaltbar. Vgl. dagegen
v. Henle im Recht 1911 Nr. 1 S. 47 Fußnote 1; durch
die IM Bek. vom 30. Dezember 1910 (JIM Bl. 1911 S. 40
ſ. o. Anm. 4) iſt die Streitfrage entſchieden, da das
Staats- Min. d. Juſt. die Vorſchrift in $ 48 in eigner
Zuſtändigkeit erlaſſen hat.
“, So auch das Ob G. Samml. 8 S. 604.
und nach dem Willen der Berechtigten mit dem
Eigentum an beſtimmten (meiſt den angrenzenden)
Hauptgrundſtücken verbunden jein;?°) bei den Ver:
handlungen muß alſo für dieſe Verbindung die
rechtliche Unterlage geſucht werden. Eine gewohn—
heitsrechtliche Entwicklung im Sinne des Art. 43
UeG. wird nur bei Rechtsverhältniſſen älteren
Urſprungs angenommen werden können; im übrigen
40) Jedenfalls iſt eine Vereinbarung, daß jeder der
jeweiligen Miteigentümer gleichheitlich anteilsberechtigt
ſein ſolle, nicht nur unbillig mit Rückſicht auf § 748
Big B., ſondern auch rechtlich unhaltbar, da jede Aende—
rung in der Zahl der Miteigentümer eine Aenderung
in der Größe der Miteigentumsanteile zur Folge
haben würde.
800 Vgl. Henle-Dandl, Die Anl. d. GB. 2. Aufl. S. 254.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
daß die einzelnen Miteigentümer ihre Eigentums⸗
anteile am Wege nach $ 890 Abſ. 2 BGB. den
Hauptgrundſtücken als Beſtandteil zuſchreiben laſſen.
II. Die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Nach § 90 Abſ. 2 GBO. kann der Eigen:
tümer buchungsfreier Grundſtücke beantragen die
bereits eingetragenen Grundſtücke aus dem Grund⸗
buche wieder auszuſcheiden; durch dieſe Ausbuchung
wird die Eigentumsfrage an ſich nicht berührt.
Dem Antrage muß ſtattgegeben werden, wenn
eine Eintragung, von welcher das Recht des
Eigentümers betroffen wird, nicht vorhanden iſt.
Wohl zu unterſcheiden hiervon iſt das Ver⸗
fahren, das einzuſchlagen iſt, wenn im Anlegungs—
verfahren Wege als Eigentum einer (juriſtiſchen
oder natürlichen) Perſon eingetragen worden ſind,
deren Eigentumsrecht nachträglich von anderer
Seite beſtritten wird, indem die Wege von
anderen Perſonen ſei es als eigene Grundſtlücke
oder als Beſtandteile der von den Wegen be⸗
rührten Grundſtücke beanſprucht werden. Dieſes
Wiederaufnahmeverfahren bezweckt eine Berichtigung
des Grundbuchs, im beſonderen eine Richtig⸗
ſtellung der Eigentumsverhältniſſe im Grundbuch.
Während bei der Feſtſtellung des Eigentums an
nicht gebuchten Wegegrundſtücken nach $ 91 der
GBO. in erſter Linie die landesrechtlichen Vor:
ſchriften (88 510 ff. DA.) maßgebend find, kommen
für das Wiederaufnahmeverfahren in Anſehung
der bereits gebuchten Grundſtücke ausſchließlich die
Vorſchriften der GBO., namentlich die 88 13, 19,
22 zur Geltung; hiernach bedarf es zur Ein⸗
tragung eines neuen Eigentümers grundſätzlich
eines Antrags (8 13), der Bewilligung der als
Eigentümer eingetragenen Perſon (§ 19) und der
Bewilligung des einzutragenden Eigentümers
ſelbſt (§S 22 Abſ. 2); “!) die Bewilligung des ein:
getragenen Eigentümers iſt nur dann nicht er⸗
forderlich, wenn die Unrichtigkeit der Eintragung
durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Ur⸗
kunden nachgewieſen wird.
Das gleiche gilt natürlich auch dann, wenn
das Verfahren bezüglich der bereits gebuchten
Wegegrundſtücke, ſei es aus Anlaß einer Grund⸗
buchbereinigung oder aus einem anderen Grunde
von Amts wegen wieder aufgenommen wird.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts
wegen iſt nicht gleichbedeutend mit einer von
Amts wegen zu betätigenden Berichtigung des
Grundbuchs; fie verfolgt nur den Zweck feſtzu—
ſtellen, ob die Eintragung im Grundbuche zu—
treffend iſt, und verneinendenfalls die erforderlichen
1) Der Vorſchriſt in 8 22 Abſ. 2 iſt auch dann
zu genügen, wenn die Berichtigung des Grundbuchs
dahin erfolgen ſoll, daß die als ſelbſtändige Grund—
ſtücke gebuchten Wegflächen nur Beſtandteile der von
ihnen berührten Grundſtücke ſind; in dieſem Falle wird
alſo die Zuſtimmung der Angrenzer zu erholen ſein.
ö
|
1
j
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|
111
Anträge und Bewilligungen“) anzuregen und
entgegenzunehmen um die Berichtigung des
Grundbuchs zu ermöglichen. Eine Berichtigung
des Grundbuchs von Amts wegen kann nur im
Falle des § 54 Abſ. 1 Satz 2 GB. ſtattfinden,
der nur ſelten zutreffen wird. |
Iſt nun die Wiederaufnahme des Verfahrens
von einer im Grundbuche nicht eingetragenen
Perſon beantragt oder liegt ein Anlaß vor das
Verfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen,
ſo wird man, ehe man umfangreiche Erhebungen
einleitet, ſich zunächſt darüber vergewiſſern, ob
die eingetragene Perſon überhaupt in Verhand⸗
lungen eintreten will. Im übrigen wird ſich der
Umfang der Erhebungen nach der Sachlage im
Einzelfalle zu richten haben. In manchen Fällen
wird die Prüfung des Kataſterplans und der
ſeiner Herſtellung vorangegangenen Liquidations⸗
verhandlungen zur Aufklärung genügen; in
anderen Fällen wird die Einnahme eines Augen:
ſcheins unter Zuhilfenahme des Kataſterplans und
unter Beiziehung der Feldgeſchworenen die er⸗
forderlichen Aufſchlüſſe geben. In allen Zweifels⸗
fällen wird es notwendig fein die eingetragene
Perſon zur Darlegung der Eigentumsverhältniſſe
und namentlich, wenn fie auf ihrem Eigentum
beſteht, zur Begründung ihrer Behauptung zu
veranlaſſen. Im übrigen kann nur das unter I
Geſagte hierher wiederholt werden.
Bewilligt die eingetragene Perſon die Be⸗
richtigung des Grundbuchs nicht, ſo find die Be-
teiligten auf den Rechtsweg zu verweiſen. Die Ein⸗
tragung eines Widerſpruchs kann nach $ 899 BGB.
nur auf Grund einer einſtweiligen Verfügung des
Prozeßgerichts oder des nach § 942 Abſ. 2 35 O.
zuſtändigen Amtsgerichts erfolgen, es müßte denn
die eingetragene Perſon ſelbſt die Eintragung eines
Widerſpruchs bewilligen; die Ausnahme des $ 514
D Anw. trifft auf das Wiederaufnahmeverfahren
nicht zu.
Handelt es ſich um die Berichtigung einer
Eintragung, welche die Gemeinde als Eigentümerin
von Wegegrundſtücken ausweiſt, ſo wird es von
Vorteil ſein die Mitwirkung der Verwaltungs⸗
behörden in Anſpruch zu nehmen. Auch wenn
die Gemeinde erklärt, daß fie ſich auf Verhand⸗
lungen überhaupt nicht einlaſſen wolle, wird man
feſtzuſtellen haben, welche von den der Gemeinde
zugeſchriebenen Wegflächen in der Natur als Wege
nicht mehr beſtehen, ſondern zu den angrenzenden
Grundſtücken gezogen find und mit dieſen bewirt⸗
ſchaftet werden. Es iſt nicht anzunehmen, daß
die Gemeinde ſchließlich auch bezüglich dieſer
) Einer Auflaſſungserklärung bedarf es nicht;
es handelt ſich in dieſem Falle nicht um einen Wechſel
in der Perſon des Eigentümers, ſondern nur um die
Eintragung desjenigen, der in Wirklichkeit ſchon längſt
Eigentümer iſt, wenn er bisher im Grundbuch auch
als ſolcher nicht eingetragen war.
112 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
Wegeflächen die Berichtigung des Grundbuchs
verweigern wird.
Es kann aber auch der Fall vorkommen, daß
die Gemeinde die Berichtigung des Grundbuchs
beantragt oder bewilligt, daß jedoch das Bezirks⸗
amt hierzu die Genehmigung verſagt. Hier wird
zu unterſcheiden ſein, ob es ſich um eine ge:
nehmigungsbedürftige Veräußerung der Gemeinde
im Sinne des Art. 159 Abſ. 1 GemO. handelt
oder ob nur die Anerkennung eines längſt be:
ſtehenden Rechtsverhältniſſes in Frage ſteht. Im
letzteren Falle muß die Bewilligung der Gemeinde
zur Berichtigung des Grundbuchs genügen, der
ſtaatsaufſichtlichen Genehmigung bedarf es nicht.
Selbſtverſtändlich wird man aber, wenn das Ver—
fahren von Amts wegen wieder aufgenommen wurde,
die Tatſachen, die für das Bezirksamt bei der
Verweigerung der Genehmigung maßgebend waren,
würdigen und entſprechend berückſichtigen. Ergibt
ih unzweifelhaft, daß die Feſtſtellung im An:
legungeverfahren zutreffend war, ſo hat es hierbei
ſein Bewenden; es empfiehlt ſich jedoch im Grund⸗
buche auf die neuerlichen Ermittlungen hinzuweiſen.
Bei Staatswaldungen, die irrigerweiſe der
Gemeinde zugeſchrieben wurden, läßt ſich die
Gemeinde leicht verleiten die Berichtigung des
Grundbuchs zu verweigern, weil ſie fürchtet, daß,
wenn die Wege als Eigentum des Staates ein⸗
getragen werden, der ganze Staatswald als aus—
märkiſch erklart werden könnte, was für die Ge:
meinde natürlich einen Ausfall an Umlagen zur
Folge haben würde. Bedenken dieſer Art können
durch die Belehrung widerlegt werden, daß Wal⸗
dungen, welche nicht bereits im Jahre 1818 aus—
märkiſch waren, künftig nicht als ausmärkiſch erklärt
werden können.“)
III. Die buchmäßige Behandlung der Wege.“
A. Wege, die nicht eigene Grund—
ſtücke ſind, ſondern Beſtandteile der Grundſtlücke,
über die ſie führen.
1. Für dieſe Wege ſollen, ſoferne ſie mit
Plannummern bezeichnet ſind, im Grundbuch
Schutzblätter angelegt werden, die den Vorſchriften
des 8 229 DAnw. entſprechen. Im Titel des
Blattes wird die Wegeplannummer mit der im
Sachregiſter enthaltenen Beſchreibung eingetragen;
die Bildung von Sternplannummern iſt nicht zu:
läſſig, auch überflüſſig. In der erſten Abteilung
wird nach §S 300 DAnw. das Rechtsverhältnis
dargeſtellt durch die Eintragung:
„ Vgl. Entſch. d. VGH. Bd. 3 S. 713, Bd. 26
S. 42.
5% Ueber die kataſtertechniſche Behandlung der Wege
ſ. Fin Min Bek. vom 15. Oktober 1910 (JM Bl. S. 984).
Darnach ſoll das Meſſungsverzeichnis über die Ver—
meſſung eines vom Wege berührten Grundſtücks darüber
Aufſchluß geben, ob auch die mit neugeſchöpften Plan—
nummern bezeichneten Grundſtücksteile vom Wege berührt
werden.
„Am .. . Eigentümer des Weges find nach
Maßgabe der den Weg bildenden Teilflaͤchen
die jeweiligen Eigentümer der Grundſtücke
Pl. Nr. X Xx, über die der Weg führt.“
Ein Erwerbstitel wird hier nicht angegeben;
unrichtig iſt es jedenfalls als Erwerbstitel für die
Teilflächen als ſolche unvordenkliche Verjährung
zu bezeichnen; denn jeder Eigentümer hat ſeine
Teilfläche ohne weiteres mit dem Hauptgrundſtück
erworben.
Die Grundſtücke, über welche der Weg führt,
ſind aus dem Kataſterplan zu entnehmen, in dem
die Plannummern eingetragen find; außerdem gibt
das Meſſungsamt hierüber den zuverläſſigſten Auf⸗
ſchluß, insbeſondere, wenn der vom Rentamte er⸗
holte Kataſterplan nicht richtig geſtellt iſt. Bei
ſich kreuzenden unſelbſtändigen Wegen iſt zu be⸗
achten, daß, ſoweit die Wege ſich berühren, nicht
Teilflächen des einen Weges als Beſtandteil des
anderen Weges gelten können; wenn die Schnitt⸗
fläche der beiden Wege auf einem einzigen Grund⸗
ſtücke liegt, iſt ſie ausſchließlich Beſtandteil dieſes
Grundſtücks; werden von der Schnittfläche mehrere
Grundſtücke berührt, ſo muß ſie als Beſtandteil
dieſer ſämtlichen Grundſtücke angeſehen werden.
In der an das Rentamt gemäß 88 510, 578
D Anw. zu machenden Mitteilung brauchen die
vom Wege berührten Grundſtücke nicht angegeben
zu werden.“)
2. Auf den Grundbuchblättern der Grundftüde,
| die von einem Wege berührt werden, iſt nach
8 300 D Anw. die Zugehörigkeit der Teilfläche
durch den Vermerk
„hierzu die zum Wege Pl.⸗Nr. x gezogene
Teilfläche“
erkennbar zu machen; unrichtig iſt es, die Aus⸗
drucksweiſe zu gebrauchen „hierzu Anteil (oder
Miteigentum) an dem Wege Plan⸗Nr. x“, weil
dieſe Ausdrucksweiſe Anlaß zu der Meinung geben
kann, als handle es ſich bei den unſelbſtändigen
Wegflächen um ein Miteigentumsverhältnis. Die
Zugehörigkeit des vom Wege berührten Teiles iſt
hier auch dann erkennbar zu machen, wenn für
den Weg ein Schutzblatt nicht angelegt worden
iſt. Der Zugehörigkeitsvermerk iſt in die zweite
Längsſpalte des Titels im unmittelbaren Anſchluß
an die Beſchreibung der Grundſtücke einzutragen; ““)
iſt dies nicht möglich, weil die Grundſtücke ſchon
eingetragen ſind und eine Umlegung des Blattes
nicht veranlaßt iſt, ſo muß die Beiſchreibung des
Vermerks in der Form einer ſelbſtändigen Ein—
tragung geſchehen, z. B. in der Faſſung:
„Am ... Zu Pl.-Nr. x gehört auch die
zum Wege Pl.-Nr. Y gezogene Teilfläche“.
In der Spalte für Anmerkungen iſt dann bei
dieſer Eintragung auf die Nummer zu verweiſen,
55) Vgl. IM Bel. vom 2. November 1910 (JMBl.
S. 983).
56) Vgl. Muſter XXI zur Dienſtanweiſung (Titel,
fortl. Nr. 7 bei Plan-Nr. 155).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
unter der die Pl.⸗Nr. X vorgetragen iſt, bei dieſer
Plannummer aber auf die den Zugehörigkeitsver⸗
merk enthaltende Eintragung („Teilfläche |. Nr...)
Bezug zu nehmen. In jedem Falle iſt bei dem
Zugehörigkeitsvermerk in der dritten Längsſpalte
auch die Grundbuchſtelle anzugeben, an „welcher für
den Weg ein Schutzblatt angelegt iſt; “) dagegen
wird auf dem Schutzblatt der Wege⸗Plannumer nicht
auf die Grundbuchblätter der Grundſtücke verwieſen,
über die der Weg führt. Unzuläſſig iſt es den ganzen
Zugehörigkeitsvermerk in der dritten Längsſpalte
vorzutragen.
Wurden Zugehörigkeitsvermerke bei Grund⸗
ſtücken eingetragen, die Beſtandteil eines Fidei⸗
kommißguts im Sinne der VII. Verfaſſungsbeilage
find, jo hat der Grundbuchbeamte dem Fidei⸗
kommißgerichte nach 8 60 DAnw. hiervon Kenntnis
zu geben; einer Ediktal⸗Ladung im Sinne des
Tit. 2 8 26 der VII. Verf.⸗Beil. bedarf es na⸗
türlich in einem ſolchen Falle nicht.
3. Im Sachregiſter iſt bei den Wegen in der
fünften Spalte der Vermerk
8 der Grundſtücke, über die der
beiqufehen c l § 189 DAnw.). Die Beiſetzung dieſes
Vermerks hat auch dann zu geſchehen, wenn für
den Weg im Grundbuch ein Schutzblatt angelegt
wird. Wenn im Grundſteuerkataſter bei der
Plannummer eines Weges der Flächeninhalt nicht
angegeben iſt, bleibt die zweite Spalte des Sach⸗
regiſters unausgefüllt, in der fünften Spalte wird
der Vermerk
„Ohne Flaͤchenangabe im Grundſteuer⸗
kataſter“
eingetragen. Iſt im Kataſter die Fläche des
Weges nicht ausgeſchieden, aber in der Geſamt⸗
fläche enthalten, die der Weg gemeinſchaftlich mit
anderen Wegen umfaßt, ſo iſt bei der erſten in
der Geſamtfläche inbegriffenen Plannummer die
Geſamtfläche unter Anführung der übrigen Plan⸗
nummern anzugeben. Wenn die Zahl der übrigen
Plannummern ſehr groß iſt, genügt die Angabe
der Geſamtflaͤche mit dem Zuſatz:
„Geſamtfläche mit anderen nicht ſteuerbaren
Plannummern“.
Bei den übrigen Plannummern der in der
Geſamtfläche inbegriffenen Grundſtücke iſt in der
zweiten Spalte auf die erſte Spalte zu verweiſen
(8 186 Abſ. 2 DAnw.).
Bei den Grunditüden, über die der Weg
führt, iſt der kataſtermäßigen Beſchreibung des
Grundſtücks der Zuſatz
„hierzu die zum Wege Pl⸗Nr. X gezogene
Teilfläche“
beizufügen. Dieſer Vermerk iſt im Sachregiſter
auch dann beizuſetzen, wenn er bereits im Titel
des Grundbuchblattes eingeſchrieben iſt.
7) Der Ausdruck „Zubehör“ ſtatt Beſtandteil iſt zu
vermeiden.
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113
4. Beſondere Fälle: Iſt infolge der Ver⸗
legung eines unſelbſtändigen Weges die Abweichung
des Planes von der Wirklichkeit jo groß.) daß
es nicht angängig iſt, die im Plane ange:
gebene Wegrichtung im Grundbuch zu beſchreiben,
ſo kann man von der Anlegung eines Schutz⸗
blattes für die Wegplannummer und von der
Beifügung des Zugehörigkeitsvermerkes zu den
Hauptgrundſtücken im Grundbuch und Sach⸗
regiſter abſehen und ſich darauf beſchränken, der
Wegeplannummer in der fünften Spalte den
Vermerk nach $ 189 Satz 5 DAnw. beizuſetzen.
Das gleiche gilt, wenn ein Weg als ſolcher in
der Natur völlig verſchwunden iſt, ohne daß ein
Erſatz für ihn geſchaffen wurde. In jedem Falle
empfiehlt es ſich aber, die Ausnahme und ihren
Grund in den Akten zu vermerken und hierauf
im Sachregiſtervermerk kurz zu verweiſen.
Wenn ein unſelbſtändiger Grenzweg auch
Grundſtücke der benachbarten Steuergemeinde be⸗
rührt und dieſe zum Bezirke eines anderen
Grundbuchamts gehört, darf die Mitteilung an
das letztere nicht überſehen werden, damit es den
in ſeinem Bezirke gelegenen Grundſtücken im
Grundbuch und im Sachregiſter die vorgeſchriebenen
Zugehörigkeitsvermerke beiſetzt.
B. Wege, die eigene Grundſtücke
ſind und im Eigentum einer einzelnen
natürlichen oder juriſtiſchen Perſon ſtehen.
Dieſe werden wie die übrigen Grundſtücke be⸗
handelt, gleichviel. ob ſie öffentliche Wege oder
Privatwege, ob ſie Eigentum einer öffentlichen
Korporation oder einer Privatperſon find. Die
Eigenſchaft eines öffentlichen Weges kommt im
Grundbuch nicht zum Ausdruck, auch dann nicht,
wenn an dem öffentlichen Wege ein beſonderes
auf privatrechtlicher Unterlage beruhendes Be⸗
nützungsrecht beanſprucht und eingetragen werden ſoll.
C. Wege, die eigene Grunſtücke ſind
und im Miteigentum mehrerer Per:
ſonen ſtehen.
1. Bei Wegen, die Miteigentum der je⸗
weiligen Eigentümer anderer Grundftüde find,
kann nach $ 346 Abſ. 1 DAnw. davon abgeſehen
werden in der erſten Abteilung des für das
Grundſtück als Ganzes angelegten Blattes die
Namen der als Miteigentümer in Betracht
kommenden Eigentümer der Hauptgrundſtücke auf⸗
zuführen; es genügt hier die Eintragung:
„Die jeweiligen Eigentümer der nach⸗
bezeichneten Grundſtücke, Miteigentümer
nach Bruchteilen, und zwar der Eigentümer
der Pl⸗Nr. x zu ½0 2c.“
Auf den für die Hauptgrundſtücke beſtehenden
Grundbuchblättern nicht auch im Sachregiſter)
ſoll nach $ 346 Abſ. 2 im Titel im Anſchluß
an die kataſtermäßige Beſchreibung der Grund—
sn) Benn der Weg in feinem neuen Verlaufe ganz
andere Grundſtücke berührt. Siehe oben I, 4, 5.
114
ſtücke die Zugehörigkeit des Anteils an dem ge⸗
meinſchaftlichen Grundſtücke vermerkt werden, z. B.
„hierzu Anteil“) an dem Wege Pl.⸗Nr. X.“
Dabei iſt in der 3. Längsſpalte auf die Stelle des
Grundbuchs hinzuweiſen, an der das Blatt für
das ganze Grundſtück angelegt iſt.
Die Vorſchrift in § 346 Abſ. 1 gilt für alle
Fälle, in denen das Miteigentum am Wege mit
dem Eigentum an einem anderen Grundſtücke
verbunden iſt, gleichviel ob dieſe Verbindung auf
gewohnheitsrechtlicher Entwicklung, ſohin auf geſetz⸗
licher Unterlage (Art. 43 UebG.) oder auf einer
Erklärung im Sinne des $ 34 HypG., nun des
§ 890 Abſ. 2 BGB. beruht; dagegen iſt die
Vorſchrift in 8 346 Abſ. 2 entbehrlich, wenn die
Verbindung auf einer Erklärung der Berechtigten
beruht;
bindung ſchon durch die Zuſchreibung des Anteils
als Beſtandteil des Hauptgrundſtücks im Grund—
buch zum Ausdruck.
denn in dieſem Falle kommt die Ver⸗
zu 8 924 3
gleiche muß nach 8 936 ZPO. wegen des Mangels
Sowohl im Falle des Art. 43 UeG. wie in
dem Falle, wenn die Verbindung auf einer Er—
klärung beruht, kann die Eintragung einer Grund—
dienſtbarkeit auf dem gemeinſchaftlichen Wege ver—
langt werden. Wenn für dieſen ſelbſt ein Blatt
nicht angelegt iſt, ſondern nur die einzelnen Mit—
eigentumsanteile auf verſchiedenen Blättern ein:
getragen ſind, ſo begegnet die Eintragung der
Grunddienſtbarkeiten gewiſſen Schwierigkeiten. Dieſe
können nicht dadurch beſeitigt werden, daß die
Dienſtbarkeiten als Belaſtungen der einzelnen Mit:
eigentumsanteile zur Eintragung kommen; die
Dienſtbarkeiten können nur als Belaſtung des
Grundſtücks eingetragen werden. Dies kann in
der Weiſe geſchehen, daß man die Blätter für die
einzelnen Anteile zuſammen als Blatt des Grund—
ſtücks betrachtet und für die Eintragung auf jedem
Anteilsblatte die gleiche Faſſung wählt, alſo auf
jedem Blatte die jeweiligen Eigentümer der ſämt—
lichen herrſchenden Grundſtücke als Berechtigte
bezeichnet z. B.
„Am . . . Fahrtrecht an Pl.⸗Nr. 10 für
die jeweiligen Eigentümer der Grundftüde
Pl.⸗Nr. 1, 2, 3 nach der näheren Bezeichnung
in der Eintragungsbewilligung ꝛc., einge:
tragen als Belaſtung der Pl.-Nr. 10.“
Man kann aber auch für das gemeinſchaftliche
Grundſtück Pl.⸗Nr. 10 ein eigenes Blatt anlegen,
auf dieſem in der vorbezeichneten Faſſung die
Grunddienſtbarkeit für ſämtliche Miteigentümer
merkung für unnötig, wenn die einſtweilige Ver—
(die jeweil. Eigentümer der Pl. ⸗Nr. 1, 2, 3) vor:
tragen und durch gegenſeitige Verweiſungen in
der dritten Spalte der vier Blätter (für die drei
Anteile und das Grundſtück als Ganzes) den
Zuſammenhang zwiſchen dem Blatte für das
Grundſtück als Ganzes und den Blättern für die
einzelnen Miteigentumsanteile erhalten.
50) Anteil, nicht Le im Gegenſaße zu 8 300
TAnw., ſ. oben Ziff. 2
AZgettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
Mitteilungen aus ” Praxis.
Löſchungsklage. Widerſpruch gegen eine einſt⸗
weilige Verfügung. I. Ein Konkursverwalter hatte
beim Amtsgericht eine einſtweilige Verfügung er⸗
wirkt, derzufolge auf dem Grundbuchblatte für das
Anweſen des Schuldners eine Vormerkung zur
Sicherung des Anſpruchs auf Einräumung einer
Sicherungshypothek für eine Bauforderung einge⸗
tragen worden war. Der Schuldner erhob nach der
Zuſtellung der einſtweiligen Verfügung zum Land⸗
gerichte Klage auf Löſchung der Vormerkung. Die
Klage wurde abgewieſen mit folgender Begründung:
„Die ZPO. beſtimmt in 8 924, daß gegen den Be⸗
ſchluß, durch den der Arreſt angeordnet wird, Wider⸗
ſpruch ſtattfindet. Dieſe Vorſchrift ſchließt die Be—
ſeitigung des Arreſtes und ſeiner Wirkungen auf
einem anderen Wege, etwa durch Klage, Beſchwerde
oder Einrede in einem anderen Rechtsſtreite aus.
(Vgl. Gaupp-Stein, Peterſen, Struckmann und Koch
O., RGS. 14, 391; 18, 376). Das
einer gegenteiligen Beſtimmung in den 88 937— 945
3PO. auch für die einſtweilige Verfügung gelten.
Mit den Unterſchieden zwiſchen der einſtweiligen Ver—
fügung und dem Arreſt kann man die gegenteilige
Auffaſſung nicht begründen, ebenſowenig aus $ 942
3PO. 8 942 ZPO. gibt nach richtiger Auslegung
allerdings auch dem Schuldner das Recht, innerhalb
der vom Amtsgerichte feſtgeſetzten Friſt ſeinen Gegner
zur mündlichen Verhandlung laden zu laſſen, oder
falls die Friſt nicht beſtimmt wurde, ſie nachträglich
ſetzen zu laſſen (vgl. JW. 1897 S. 420, Sydow⸗Buſch
Bem. 6 zu § 942). Dabei handelt es ſich aber wie
beim Widerſpruchsverfahren nach $ 924 ZPO. um ein
Verfahren, in dem nach der ausdrücklichen Geſetzes⸗
vorſchrift „über die Rechtmäßigkeit der einſtweiligen
Verfügung“, nicht über die „ entſchieden
werden ſoll (vgl. JW. 1902 S. 185).
Da das Geſetz 1 das Widerſpruchs⸗
verfahren zuläßt, iſt kein Raum für eine Klage auf
Aufhebung des Arreſtes oder der einſtweiligen Ver—
fügung, auch nicht für eine Klage, die die Wirkungen
des Vollzugs der einſtweiligen Verfügung beſeitigen
will. Eine einſtweilige Verfügung beſteht mit der
Kraft einer vollſtreckbaren Entſcheidung, ſolange ſie
nicht aufgehoben iſt. Sie beſtehen zu laſſen, ihre
Wirkſamkeit aber durch eine Entſcheidung in einem
anderen Verfahren aufzuheben, geht ſo wenig an, wie
die Beſeitigung einer anderen vorläufig vollſtreckbaren
Entſcheidung durch ein neues Prozeßverfahren.
Die Vorſchriften der 83 886, 894 BGB., auf die
ſich der Vertreter des Klägers zur Begründung ſeiner
Klage beruft, können nicht für das Verfahren maß—
gebend ſein, ſondern ſetzen nur die Rechte des durch
den Eintrag benachteiligten Grundeigentümers gegen—
über dem Gläubiger feſt. Der 8 25 GBO., der den
822 GBO. ergänzt, erklärt ausdrücklich die Bewilli⸗
gung des Berechtigten zur Löſchung einer auf Grund
einer einſtweiligen Verfügung eingetragenen Vor—
fügung durch eine vollſtreckbare Entſcheidung aufge—
hoben wird. Kann und muß der Schuldner auf dem
Wege des Widerſpruchs die Aufhebung der einſt—
weiligen Verfuͤgung herbeiführen, ſo iſt eine Klage,
durch die er den Gläubiger zur Löſchungsbewilligung
nötigen und ſeine mangelnde Einwilligung durch ein
Urteil nach 8 894 ZPO. erlegen will, unnötig und
auch aus dieſem Grunde unzuläſſig.
Zu prüfen iſt noch, ob nicht die Klage ſelbſt die
Erforderniſſe des von der ZPO. vorgeſehenen „Wider:
ſpruchs“ enthält. Das iſt zu verneinen; denn der
Widerſpruchskläger hat die Aufhebung der Anord—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
115
nung, der er widerſpricht, zu begehren. Ein ſolches
|
Begehren ift aber weder in der Klage enthalten, noch
übrigens nicht allein aus 8 886 und 894 BGB. be-
mündlich vorgebracht worden. Da die einſtweilige
Verfügung vom Amtsgericht erlaſſen war, ſo wäre
der Widerſpruch auch bei dieſem anzubringen geweſen,
nicht beim Landgericht (88 924, 925 3PO.).“
Das Oberlandesgericht hob dieſes Urteil auf und
verwies die Sache an das Landgericht zurück.
Aus den Gründen: „Die auf Grund der
einſtweiligen Verfügung eingetragene Vormerkung
ſichert einen Anſpruch i. S. des S 883 BGB. Die
Kläger behaupten, der der Vormerkung zugrunde ge—
legte San fei zum Teil nicht vorhanden geweſen,
zum Teil durch Aufrechnung erloſchen. Sie machen
alſo eine Einrede geltend, welche die Geltendmachung
des Anſpruchs dauernd ausſchließen würde (§886 BGB.).
Der Weg, die Beſeitigung der Vormerkung zu fordern,
ift hier die Klage auf Löſchung, fie iſt eine dingliche
Klage, ſohin auch
läſſig. Nach 88 885 BGB. wird eine Vormerkung
auch auf Grund einer einſtweiligen Verfügung gemäß
§ 935 ZPO. eingetragen. Das L hat ange⸗
nommen, daß eine ſolche Vormerkung nur durch den GB ftreifte und ihn nicht zum Ausgangspunkt für
Widerſpruch gegen die einſtweilige Verfügung er—
reicht werden könnte. Dieſe Annahme iſt irrig.
Richtig iſt allerdings, daß nach 8 936 ZPO. auf die
Anordnung und das weitere Verfahren bei einit-
weiligen Verfügungen die Vorſchriften über das
Arreſtverfahren entſprechende Anwendung finden,
ſoweit nicht abweichende Vorſchriften getroffen ſind,
und daß in dieſen nicht ausgeſprochen iſt, daß bei
der einſtweiligen Verfügung außer dem Widerſpruch
noch ein anderes Rechtsmittel gegeben ſei. Der
Widerſpruch iſt der einzige prozeſſuale Rechtsbehelf
gegen die einſtweilige Verfügung. Durch deren Auf—
hebung wird aber keine Entſcheidung darüber ge—
troffen, ob der Anſpruch unbegründet iſt, ſondern nur
darüber, ob er glaubhaft gemacht iſt.
ſchauung des LG. richtig, daß die einſtweilige Ver⸗
fügung eine gewiſſe Rechtshängigkeit ſchafft, die ein
zweites Verfahren ausſchließt, jo wäre die Durch—
führung des Hauptprozeſſes neben dem Verfahren
über die einſtweilige Verfügung unzuläſſig, was aber
nicht der Fall iſt.
auf Grund einer i e Verfügung eingetragen
iſt Die Klage auf Löſchung der Vormerkung iſt
gründet, ſondern auch als Negatorienklage gemäß
8 1004 BGB. zulaſſig.
gegen den Konkursverwalter zu⸗
Wäre die An⸗
Die Berufung des Beklagten auf 8 25 GBO. geht
fehl. Zunächſt hat der Prozeßrichter nicht zu prüfen,
ob der Grundbuchrichter löſchen wird, wenn der
Kläger ſiegt; der Klagantrag begehrt ja aber auch die in
§ 25 GBO. vorgeſehene Bewilligung der Löſchung.
Auch 8 894 BGB. könnte von den Klägern ange⸗
wendet werden.“
II. Ein Vergleich zwiſchen dieſen beiden Ent⸗
ſcheidungen ergibt, daß das LG. das Hauptgewicht
auf die formell- rechtlichen Beſtimmungen legt, während
das OLG. feine Entſcheidung auf die materiellerecht:
lichen Vorſchriften gründet, ohne dabei anzugeben,
welches Geſetz das rechtfertigt. Und doch wäre dieſe
Angabe erforderlich, da die einſtweilige Verfügung
den erſten Anſtoß gab und da ſie noch vor der An⸗
bringung der Löſchungsklage zugeſtellt war. Daß
das OLG. in den Gründen nur am Schluſſe den 8 25
ſeine Unterſuchungen nahm, daß es ferner nicht die
geſetzliche Vorſchrift anführte, die neben dem Wider⸗
ſpruche gegen eine einſtweilige Verfügung die
Löſchungsklage gewährt, das ſind vor allem die
Gründe, warum die Ausführungen des OLG. nicht
überzeugen können.
Wie die Löſchung einer Vormerkung herbeizu⸗
führen iſt, beſtimmt nur die GBO. und ſie regelt in
ihrem 8 25 den Fall, daß der Berechtigte, der eine
Vormerkung auf Grund einer einſtweiligen Ver⸗
fügung erlangt hat, nicht in die Löſchung willigt:
Hier iſt zu löſchen, wenn die einſtweilige Verfügung
durch eine vollſtreckbare Entſcheidung aufgehoben iſt.
Es iſt alſo zunächſt eine vollſtreckbare Entſcheidung
und Inhalt dieſer Entſcheidung.
herbeizuführen und es bleibt die Frage nach Form
Dabei iſt zu be⸗
tonen, daß 8 25 GBO. ſich an 8 19 des preuß. AG.
z. ZPO. vom 24. März 1897 anſchließt, der ſagt:
Der Anſpruch auf Einräumung einer Sicherungs-
hypothek an dem Baugrundſtück des Beſtellers febt .
nach 8 648 BGB. eine Forderung des Unternehmers
aus dem Bauvertrage voraus.
einem Teile dieſer Forderung die Einrede der Auf—
rechnung entgegen. Iſt dieſe begründet, ſo fällt die
Vorausſetzung des 8 648 BGB. weg und es iſt die
Geltendmachung des Anſpruchs auf Einräumung
einer Sicherungshypothek 9 ausgeſchloſſen.
Für dieſen Fall gewährt § 886 BGB. ausdrücklich
demjenigen, deſſen Grundſtück von einer Vormerkung
eines Anſpruchs i. S. des 8 883 BGB. getroffen wird,
das Recht, die Beſeitigung der Vormerkung zu ver—
langen, die Vormerkung ſelbſt erliſcht aber erſt
durch die Löſchung; es iſt deshalb die Klage der
richtige Weg. Daß etwa § 886 BGB. den Fall der
Eintragung auf Grund einſtweiliger Verfügung nicht
treffen wollte, iſt nicht zu vermuten, es müßte das
ausdrücklich ausgeſprochen ſein. Aus dem Wortlaut
des Schlußſatzes des §S 886 BGB. „fo kann er von
dem Gläubiger die Beſeitigung der Vormerkung ver—
langen“, geht deutlich hervor, daß der Gläubiger die
Befeitigung auch mit beſonderer Klage fordern darf
(vgl. Staudinger, Anm. b zu $ 886 BGB.). Wäre
etwa in der Behauptung des Klägers, ein Teil der
Bauforderung habe von Anfang an nicht beſtanden,
keine Einrede i. S. des 8 886 BGB, ſondern die Er—
hebung eines Anſpruchs aus 8 894 BGB. zu er⸗
blicken, ſo würde dafür gleichfalls die Klage auf
Löſchung der Vormerkung geſtattet ſein, obwohl dieſe
Die Kläger ſetzten
„Die durch einſtweilige Verfügung angeordneten Ein⸗
tragungen im Grund⸗ oder Hypothekenbuch find durch
Vorlage eines vollſtreckbaren Urteils oder Beſchluſſes,
welche die einſtweilige Verfügung aufheben, auf An⸗
trag des Eigentümers zu löſchen.“ Alſo ergibt ſich
die neue Frage, durch welche Entſcheidung — Urteil
mm —ͤ ä — —— —— —́Gÿ¹AuV— 4 — —
läutert, wie folgt:
oder Beſchluß — wird eine einſtweilige Verfügung
aufgehoben? Wenn auch 8 25 GBO. die Worte
„welche die einſtweilige Verfügung aufheben“ nicht
übernommen hat, ſo ergibt doch die Denkſchrift zur
GBO. (abgedr. in der Ausgabe von Heymanns Ver⸗
lag, Berlin 1897 ©. 41), daß 8 25 GBO. nichts
anderes vorſchreiben wollte, als das früher geltende
preußiſche Recht; denn es heißt hier in der Denk:
ſchrift: „Iſt zufolge einer einſtweiligen Verfügung
eine Vormerkung oder ein Widerſpruch eingetragen,
ſo verliert dieſe Eintragung ohne weiteres ihre Be⸗
rechtigung, wenn die gerichtliche Anordnung, auf der
ſie beruht, wegfällt.“
Es bleibt alſo bei der Frage, durch welche Ent-
ſcheidung eine einſtweilige Verfügung aufgehoben
wird. Sie iſt in § 936 ff. ZPO. geregelt und es iſt
von § 936 ZPO. auszugehen, den Gaupp-Stein
(3) O. 8./9. Aufl., 1908, Bd. II S. 818 II) in Ueber:
einſtimmung mit Literatur und Rechtſprechung er—
„Auch das Widerſpruchsverfahren
findet wie beim Arreſt in allen Fällen ſtatt, wo die
116
einstweilige Verfügung ohne vorgängige mündliche
Verhandlung erlaſſen wurde. Hat dagegen das Amts⸗
gericht, in deſſen Bezirk ſich der Streitgegenſtand be⸗
findet, ausnahmsweiſe die Verfügung erlaſſen, ſo
findet nicht der Widerſpruch, ſondern das Verfahren
nach 8 942 ZPO. Anwendung.“ Alſo entweder 8 924
oder 942 ZPO., kein anderer Weg, feine Bezug⸗
nahme auf Vorſchriften materiellen Rechts! Warum?
a) Verfolgt man die Entſtehungsgeſchichte des 8 924,
des 8 804 älterer, des § 749 älteſter Faſſung, ſo er⸗
gibt ein Vergleich völlig gleichen Wortlaut, gegen
welchen ſich nie Einwände erhoben. (Vgl. Hahn,
Materialien). Dort iſt nur auf S. 474 betont, daß
das Ausnahmeverfahren den Zweck ſchnellſter Er⸗
ledigung verfolge. Auch die bis heute ergangenen
Novellen zur ZPO. verändern dieſes Bild nicht. So
brachte die Novelle von 1898 die Vorſchriften des
Zivilprozeßrechts mit denen des bürgerlichen Rechts
in Einklang, ohne eine Vorſchrift zu ſchaffen, wonach
die Beſtimmungen über das Widerſpruchsverfahren
ergänzt, abgeändert oder aufgehoben worden wären.
Auf eine ſolche Vorſchrift müßte ſich aber berufen
können, wer in die Vorſchriften der ZPO. über das
Widerſpruchsverfahren materiell⸗ rechtliche Beſtim⸗
mungen einbeziehen will. Es handelt ſich hier nur
um die Frage, in welchem Verfahren eine einſtweilige
Verfügung aufgehoben wird. Zu einer befriedigenden
Löſung wird nur gelangen, wer dieſe Grenze genau
einhält und nicht behauptet, daß das Verfahren zur
Aufhebung einer einſtweiligen Verfügung, die einen
Grundbucheintrag bewirkt hat, geſondert geregelt ſei.
b) Der Wortlaut des 8 924 und des 8 942 ZPO.
läßt jeden Hinweis darauf vermiſſen, daß außer den
hier feſtgeſetzten Wegen noch andere gangbar ſein
ſollten. Das Geſetz hätte, wie auch ſonſt, durch den
Gebrauch des Wortes „können“ eine Berechtigung
zur Beſchreitung anderer Wege ausdrücklich feſtſetzen
müſſen. So hat auch die Rechtſprechung vor der
Novelle vom 17. Mai 1898 übereinſtimmend und
gleichmäßig entſchieden und zwar nicht nur das
Reichsgericht, ſondern auch das Oberlandesgericht Kiel
und das bayerische Oberſte Landesgericht (vgl. RGS.
14, 391; 18, 361, 377; 30, 472; Seuff. Arch. Bd. 38
Nr. 293; ferner die zahlreichen Entſcheidungen über
die ausſchließliche Zuſtändigkeit, die ſich gleichfalls
nur auf der Grundlage der hier verteidigten Auf⸗
faſſung erklären laſſen, z. B. RGS. 29, 396; 37,
369 und für Bayern Seuff. Arch, Bd. 40, Nr. 81;
Bd. 46, Nr. 156).
In einem dieſer letzteren Erkenntniſſe wird geilt-
voll der Widerſpruch im Arreſtverfahren uſw. mit
dem gegen einen Zahlungsbefehl verglichen und in
der Tat wird man beide Widerſprüche mit Seuffert
(ZPO. 9. Aufl. 1903 Bd. II, Anm. 1 zu 8 924 S. 623)
als völlig gleich zu behandelnde Rechtsmittel in
weiterem Sinne bezeichnen müſſen. Trotz des Wider-
ſpruchs gegen einen Zabhlungsbefehl bleiben gemäß
§ 695 ZPO. die Wirkungen der Rechtshängigkeit be—
ſtehen. Die innere Gleichheit, wie auch der geſetzliche
Wortlaut, der das „können“ vermiſſen läßt, zwingen
beim Mangel einer ausdrücklich anderen geſetzlichen
Beſtimmung das gleiche für den Widerſpruch anzu—
nehmen. Die Verfabren beim Zahlungsbefehl, wie
auch beim Arreſt und bei der einſtweiligen Ber:
fügung ſind Vorverfahren, die es ihrem inneren
Weſen nach nicht vertragen, daß ein Teil von dem
einmal begangenen Wege abgeht und einen anderen
— — — ͤ ᷓÜBœœ—
— . a a ̃]—— — — . — ———
Zeitſchrift für e Nechtapllege in Bapern. 1911. Nr. 6. in Bayern. 1911. Nr. 5.
betritt; auch der andere Teil muß auf dem Weg
folgen, den der eine beſchritten hat.
So die Rechtſprechung vor der Novelle vom
17. Mai 1898. Aus der Zeit nach dieſem Tage
wurde nur in dem in der JW. 1901 S. 160 Nr. 9
veröffentlichten Reichsgerichtserkenntnis eine Stellung⸗
nahme zu der Frage gefunden; außerdem nur in dem
in der OLG. Rſpr. Bd. 13 S. 190 veröfſentlichten
Erkenntnis des OLG. Celle; beide weichen von der
erwähnten Rechtſprechung nicht ab. Und in der Tat
liegt kein Grund dazu vor.
c) Auch die Literatur zur ZPO. pflichtet völlig
der Rechtſprechung bei (Seuffert a. a. O. zu 8 928,
Peterſen, 5. Aufl. 1906, Bd. II S. 667 Anm. 1. Neu⸗
miller EBD. zu 8 924 S. 415, Gaupp⸗Stein a. a. O.
8 924 I S. 796). Dieſer beginnt die Erläuterungen
in feiner jüngſt veröffentlichten Novelle zur ZPO.
vom 1. Juni 1909 S. 167 zu 8 924 mit den Worten:
„Ueber den Widerſpruch, den alleinigen Rechts⸗
behelf des Schuldners gegen den in Beſchlußform er⸗
laſſenen Arreſtbefehl“!
Dieſe Unterſuchungen widerlegen die vereinzelte
Anſchauung Staudingers a. a. O., die er ſelbſt zu
begründen unterläßt, und zwingen die herrſchende An⸗
ſchauung als allein richtig anzuerkennen. Möglicher⸗
weiſe würde Staudinger doch auch im vorliegenden
Falle mit der hier gewonnenen Löſung einverſtanden
ſein, weil die einſtweilige Verfügung dem Kläger
vor der Erhebung der Klage zugeſtellt wurde. Denn
mit der angeführten Rechtſprechung des Oberſten
Landesgerichts und Seufſert a. a. O. wird bebauptet,
daß mindeſtens die Schritte zur Aufhebung einer
zugeſtellten einſtweiligen Verfügung als Rechts⸗
mittel in weiterem Sinne zu beurteilen und zu
würdigen ſind, ſo daß die einſtweilige Verfügung
mindeſtens von der Zuſtellung an mit den Wirkungen
der Rechtshängigkeit zu bekleiden iſt. Ob Staudinger
für den Fall beigepflichtet werden könnte, daß noch
nicht zugeſtellt iſt, braucht hier nicht unterſucht
zu werden.
Auch die gelegentliche Bemerkung des Kammer-
gerichts (OLG. Rſpr. Bd. 10 S. 400) bezieht ſich auf
eine noch nicht zugeſtellte Verfügung. Selbſtver⸗
ſtändlich iſt aber die Zuſtellung Grundbedingung für
die Wirkung der Rechtshängigkeit. Deshalb wird
vielleicht die hier erörterte Frage verſchieden zu be⸗
antworten ſein, je nachdem die einſtweilige Ver⸗
fügung vor der Zuſtellung der Löſchungsklage zuge⸗
ſtellt war oder nicht.
Hieran ändert auch die vom Berufungsgerichte
hervorgehobene Tatſache nichts, daß gleichzeitig mit
dem Verfahren wegen einſtweiliger Verfügung der
Hauptrechtsſtreit laufen kann; denn die Zuläſſigkeit
des gleichzeitigen Laufes beider Verfahren iſt geſetzlich
ausdrücklich gewährleiſtet. Sohin kann gemäß 8 25
GBO. die Bewilligung des Berechtigten zur Löſchung
einer Vormerkung, die auf Grund einer zugeſtellten
einſtweiligen Verfügung eingetragen iſt, nur durch
eine vollſtreckbare Entſcheidung erſetzt werden, die ſie
in geſetzlichem Weg gemäß den formellen Vorſchriften
der ZPO. aufhebt. Dieſe “ Löſung allein befriedigt.
Denn der Vollzug einer ſolchen Eintragung im
Grundbuch iſt nicht anders einzuſchätzen, als der
einer jeden anderen Vollſtreckungsmaßregel. Eben—
ſowenig, wie der Gerichtsvollzieher (abgeſehen von
den ausdrücklich zugelaſſenen Ausnahmen in 88 767 ff.)
die Pfändung aufheben darf, ſolange die fie bes
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
gründende Entſcheidung noch wirkſam iſt, ebenſowenig
wie die Aufhebung etwa wegen einer der negativen Feſt⸗
ſtellungsklage ſtattgebenden Entſcheidung begründet
wäre, ebenſowenig darf in folder Weiſe etwa der Grunde
buchbeamte handeln. Er müßte trotz einer auf Löſchung
erkennenden Entſcheidung die Löſchung verweigern, bis
ihm der Wegfall der Grundlage, d. i. der einſt⸗
weiligen Verfügung, nachgewieſen iſt. Hierzu iſt
aber nur der Weg des Widerſpruchs gegeben, allen⸗
falls der des 8 942 ZPO., gewiß aber kein anderer.
Mit Recht weiſt auch das OLG. Celle in der ange⸗
führten Entſcheidung in OLG. Rſpr. Bd. 13 S. 190
darauf hin, daß angeſichts der 88 924, 927, 936 ZPO.
-ein Urteil auch nicht ein Intereſſe des Klägers an
alsbaldiger richterlicher Feſtſtellung annehmen könnte,
und deshalb eine Feſtſtellungsklage unzuläſſig ſei.
Schließlich iſt die Frage der Tragung der Koſten
aufzuwerfen: Es bedarf nur des Hinweiſes, daß
dieſe weit geringer ſind, wenn die durch die ZPO.
vorgeſchriebenen Wege eingeſchlagen werden, als
wenn die Löſchungsklage gewählt wird. Nach aner⸗
kanntem Rechtsgrundſatz hat aber der unterliegende
Teil nur die notwendigen Koſten zu erſtatten, d. h.
für den Fall der Zuläſſigkeit auch der Löſchungsklage
nur die Koſten, die beim Verfahren nach 88 936 ff.
ZPO. entſtanden wären, während der Mehrbetrag
vom Klageteil zu tragen und zu erſtatten iſt, auch
wenn er ſiegt.
Rechtsanwalt Landau in Nürnberg
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Umfang der Haftung des Staats für das N
des Grundbuchbeamten (5 12 GBD., § 839 868.). Iſt
unter allen Umſtänden ein Mitverſchulden bes Verletzten
(8 839 Abſ. 3 BGB.) darin zu finden, daß er nicht die
Beſchwerde gegen die Ablehnung einer Auflaſſung er:
greift? Der Kläger hatte von den Landwirten E., B.
und K. Brundbeſitz gekauft, ihn parzelliert und ſodann
an fünfzig Perſonen weiter verkauft. Mit den drei
Verkäufern und ſeinen fünfzig Abkäufern erſchien er
dann zur Auflaſſung vor dem Amtsgerichte.
Die Erſchienenen waren hier darüber einig, daß die
einzelnen Grundſtücke unmittelbar von den drei Ver⸗
käufern an die Abkäufer des Klägers aufgelaſſen
werden follten und ſtellten auch an den Grundbuch—
richter das Verlangen, eine ſolche Auflaſſung 155
nehmen. Der Grundbuchrichter lehnte die Aufnahme
ab und erklärte ſich nur bereit, eine Verhandlung über
eine Auflaſſung zwiſchen den drei Erſtverkäufern und
dem Kläger und ſodann eine weitere Verhandlung über
eine Auflaſſung zwiſchen dem letzteren und ſeinen Ab⸗
käufern aufzunehmen. Der Kläger ſah ſich dadurch
genötigt. eine doppelte Auflaſſung ſtattfinden zu laſſen;
zunächſt ließ er die gekauften Grundſtücke auf ſeinen
eigenen Namen im Grundbuche überſchreiben und ſo—
dann erteilte er ſeinen Abkäufern Auflaſſung. Durch
die erſte Auflaſſung find 961.82 M Koſten entſtanden.
Auf Erſtattung dieſes Betrages wurde der Fiskus ver⸗
klagt. Das OLG. hat die Klage abgewieſen. Die
ee hatte Erfolg.
s den Gründen: Nach 8 12 GB. trifft
den Beteitinten gegenüber die im $ 839 BGB. be⸗
ſtimmte Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den
Staat oder die Körperſchaft, in deren Dienſt der Be⸗
amte ſteht; daraus folgt hier allerdings, daß auch der
117
Staat nur unter den Beſchränkungen haftet, unter denen
beim Fehlen des 8 12 GBO. der Beamte [ron nach
8 839 BGB. gehaftet haben würde, daß mithin auch
für die Haftung des Staates aus 8 12 GBO. die im
Abſ. 3 des § 839 BGB. gegebene Beſchränkung gilt,
wonach eine Erſatzpflicht überhaupt nicht eintritt,
ſondern ausgeſchloſſen iſt, wenn der Verletzte vorſätzlich
oder fahrläſſig unterlaſſen hat, den Schaden durch
Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, wenn er
alſo nicht bloß die Möglichkeit hatte, zur Abwendung
des Schadens ein Rechtsmittel zu benutzen, ſondern
wenn die Nichtbenutzung dieſes Rechtsmittels auch
ſchuldhaft war. Hier ſteht ferner allerdings feſt, daß
dem Kläger gegenüber der e eehgeD Weigerung
des Grundbuchrichters gemäß 88 71 ff. GBO. das
Rechtsmittel der Beſchwerde zuſtand und daß er von
dieſem Rechtsmittel keinen Gebrauch gemacht hat. Ein
Verſchulden kann aber darin nicht gefunden werden.
Da der Abf. 3 des 8 839 BGB. nur eine Ausnahme
von der gewöhnlichen Regel feſtſetzt, trifft die Beweis⸗
laſt für das Vorhandenſein der dort geforderten Voraus⸗
ſetzungen, mithin auch für das Verſchulden des Ver⸗
letzten, denjenigen, der ſich auf jene Ausnahmebe⸗
ſtimmung beruft, hier alſo den Fiskus. Dieſer hat
aber irgend welche ſchlüſſige Tatſachen in den Vor⸗
inſtanzen nicht behauptet. Aber auch abgeſehen hier⸗
von ergibt die Sachlage kein Verſchulden des Klägers.
Ein ſolches Verſchulden war ausgeſchloſſen, wenn an
dem Tage, an dem der Kläger und ſeine fünfzig Ab—
käufer zur Vornahme der Auflaſſung vor dem Grund—
buchamt erſchienen, noch gar keine formgültigen,
bindenden Kaufverträge nach 8 313 BGB. vor⸗
lagen. Denn wenn es an ſolchen Verträgen da—
mals fehlte, wenn mithin die Abkäufer nicht ge=
bunden waren, ſo konnte und mußte der Kläger für
den Fall einer Ergebnisloſigkeit des Auflaſſungstermins
Schwierigkeiten für die ſpätere Abwickelung des Ge—
ſchäfts, Rücktrittserklärungen des einen oder anderen
Abkäufers oder dgl. befürchten. Er handelte dann
nur vernünftig und zweckentſprechend, wenn er eine
Beſchwerde unterließ und die gleichzeitige Anweſenheit
aller Beteiligten, die damals zur Vornahme der Auf-
laſſung bereit waren, benutzte, um ſofort die Sache
endgültig zu erledigen. Nun hat zwar das Berufun
gericht nicht feſtgeſtellt, ob an dem Tage der Auf⸗
laſſung formgültige bindende Kaufverträge vorlagen
oder nicht. Eine Zurückverweiſung behufs weiterer
Aufklärung war indeſſen überflüſſig, da ſelbſt dann
das Verſchulden des Klägers zu verneinen iſt, wenn
Kaufverträge damals beſtanden haben ſollten. Es kann
ihm als einem Laien nicht verübelt werden, wenn er
glaubte, infolge einer Ergebnisloſigkeit des Auflaffungs-
termins ſeinen fünfzig oder mehr Abkäufern gegenüber
ſchon deshalb zu einer Entſchädigung insbeſondere
wegen Zeitverſäumnis verpflichtet zu ſein, weil er ſie
zu jenem Termine beſtellt hatte; ebenſowenig konnte
von ihm verlangt werden, daß er die Höhe dieſer
Entſchädigung und die Höhe des ihm bei einer doppelten
Auflaſſung entſtehenden Schadens ſofort überſah und
beide verglich. Endlich konnte er auch beim Vorliegen
bindender Kaufverträge bei der großen Zahl von
Käufern mit Grund annehmen, daß er Schwierigkeiten
und Weitläufigkeiten haben, vielleicht ſogar der Klage
des einen oder anderen Käufers ausgeſetzt ſein werde,
wenn er die Auflaſſung nicht ſofort vor ſich gehen
laſſe. Unter allen dieſen Umſtänden kann es ihm
nicht zum Verſchulden zugerechnet werden, daß er von
einer Beſchwerde Abſtand nahm und dem an ſich un—
gerechtfertigten Verlangen des Grundbuchrichters nach
Vornahme einer doppelten Auflaſſung nachgab. Die
Vorſchrift des § 839 Abſ. 3 BGB. ſteht ſomit dem
Beklagten nicht zur Seite; damit iſt die Erſatzpflicht
des Beklagten aus 8 12 GBO. gegeben. (Urt. des V.
38S. vom 21. Dezember 1910, V 83/10).
2159
—— — .
118
II.
Wenn eine Auflaſſung vollzogen wurde, obwohl
keine Einigung über die Eigentumsübertragung vorlag,
ſo bedarf es zur Beſeitigung des Fehlers nicht einer
Nückauflaſſung, ſondern nur der Berichtigung des Grund⸗
buchs. Vereinbarungen hierüber unterliegen nicht der
Formvorſchrift des 5 313 B88. Eine Verurteilung
zur Auflaſſung an eine andere Perſon als den Eigen⸗
tümer — etwa an den Zeifienar des Eigentümers — iſt
unzuläſſig. Aus den Gründen: Das OLG. hat
mit Recht angenommen, daß die Auflaſſung inſoweit
nichtig war, als die Bezeichnung des Grundſtückes
auch die S. wieſe umfaßte, daß ferner der Beklagte
das Eigentum an der Wieſe nicht dadurch allein er⸗
langte, daß er als Eigentümer der Wieſe in das
Grundbuch eingetragen wurde, die Wieſe vielmehr
in dem Eigentume des H. blieb (vgl. Gruchots Beitr.
34, 707, 44, 996; RG. 28, 307, 46, 227). Mit Recht
hat das Berufungsgericht ferner angenommen, daß
durch die Veräußerung eines Teiles der Wieſe der
Beklagte ungerechtfertigt bereichert worden ſei und
daß er zur Herausgabe der Kauffumme verpflichtet
ſei. Die Verpflichtung ergibt ſich aus 8 816 Abſ. 1
Satz 1 BGB. Der Berufungsrichter hat weiter ange:
nommen, die notarielle Urkunde vom 24. Januar 1905
gebe die Abreden des H. und des Beklagten unrichtig
und unvollſtändig wieder; dem notariellen Vertrag ſei
inſoweit keine rechtliche Bedeutung beizumeſſen, als er
von den tatſächlich erfolgten Abmachungen abweiche;
118 BZ3rutſchriſt für Rechtspf für Rechtspflege in im Bayern. 1911. Nr. 5.
die Vertragſchließenden ſeien aber an ihre münd⸗
lichen Abmachungen gebunden, weil die Formvor—
ſchrift des 8 313 BGB. nicht Platz greife, denn es
handle ſich nicht um die Verpflichtung, das Eigentum
an einem Grundſtück zu übertragen, ſondern um die
Anerkennung, daß die Wieſe irrtümlich dem Beklagten
zugeſchrieben worden ſei und daß H. ihr Eigentümer
geblieben ſei. Die Erwägungen des Berufungsgerichts
ſind zutreffend. Es handelt ſich um eine bloße Be—
richtigung des Grundbuchs, nicht um einen nach 8 313
zu beurteilenden Fall. Vereinbarungen über die Be⸗
richtigung des Grundbuchs ſind formfrei, abgeſehen
davon, daß die Eintragungsbewilligung in einer der
Formen des §8 29 GBO. nachgewieſen werden muß,
wenn die berichtigende Eintragung nach §8 19 GBO.
nicht nach 8 22 erfolgen ſoll (vgl. RG. 73, 154).
Allein die Begründung des Berufungsurteils recht⸗
fertigt nicht die Entſcheidung. Das OLG. hat den
Beklagten verurteilt, an den Kläger, (dem H. ſeine
Anſprüche abgetreten hatte), oder an eine von dieſem zu
ermächtigende Perſon die Wieſe aufzulaſſen. Würde
dieſe Entſcheidung vollzogen, ſo würde das Eigentum
an dem Grundſtück auf eine Perſon übertragen, der
keine Eigentumsrechte an dem Grundſtücke zuſtehen.
Es würde nicht das Grundbuch berichtigt, ſondern es
würde Eigentum übertragen. Mit Recht beſchwert
ſich der Beklagte über dieſe Verurteilung. Er konnte
nach dem Sachverhaltnis nur verurteilt werden, zu
bewilligen, daß H. als Eigentümer der Wieſe im
Grundbuch wieder eingetragen werde. Weiter geht
der Anſpruch des Eigentümers nicht (S 894 BGB.).
Ein Auflaſſungsanſpruch ſteht weder dem H. noch
dem Kläger gegen den Beklagten zu. (Urteil des
IV. 85. vom 19. Dezember 1910, IV 730/09).
2162
— —— n
III.
Zum Begriffe des Wuchers. Aus den Gründen:
Die Reviſion rügt zunächſt, daß der Berufungsrichter
den Begriff des Wuchers verkannt habe, denn der Be—
wucherte müſſe notwendig der Darlehnsſchuldner ſein.
Dieſe Notwendigkeit ergibt ſich jedoch weder aus der
geſetzlichen Begriffsbeſtimmung des 8 138 Abſ. 2 BGB.,
die nur von der Notlage „eines“ andern redet, noch
ſonſt aus dem Begriffe des Wuchers. Dieſer wird in
der Regel durch die Wahl verdeckender Rechtsformen
verſchleiert und deshalb iſt gerade bei ihm der wirt⸗
ſchaftliche Zweck des Rechtsgeſchäfts von entſcheidender
Bedeutung. Ueberdies aber war nach der Feſtſtellung
des Berufungsrichters M. mit ſeiner Frau auch formell
als Bürge an dem Darlehensgeſchäft beteiligt und es
macht nach der Rechtſprechung keinen Unterſchied, ob
bei einem ſolchen Rechtsgeſchäft, das eine Einheit bildet,
der eine oder der andere von mehreren Mitſchuldnern,
der Hauptſchuldner oder der Bürge von dem Wucher
betroffen wird. (Urt. des V. 8 S. vom 4. Januar 1911,
V. 72/10).
2160
— — n.
IV.
Die Vorſchrift des 8 852 ZBO. iſt auch anf Scha⸗
denserſatzanſprüche nach $ 945 SPD. anzuwenden. Der
Beginn der Verjährung hängt nicht davon ab, daß das
Urteil im Hauptprozeß ergangen iſt. Der Beklagte
hatte dem Kläger durch einſtweilige Verfügung des
Amtsgerichts jede Stauung in dem gemeinſamen
Mühlgraben verbieten laſſen. Das Verbot wurde
vom LG. teilweiſe aufgehoben. Durch Urteil des
OLG. vom 12. Oktober 1905 wurde die Berufung der
Beklagten zurückgewieſen. Der Kläger erhob hierauf
einen Schadenserſatzanſpruch auf Grund des 8 945
3PO. Die Klage wurde abgewieſen. Berufung und
Reviſion blieben erfolglos.
Aus den Gründen: Der Kläger rügt unrich⸗
tige Anwendung des $ 852 BGB. Es hat jedoch der
erkennende Senat in dem Urteile vom 8. Oktober 1910
(IV. 638/09) ſchon angenommen, daß die Vorſchrift
des 8 852 BGB. gegenüber Anſprüchen aus 8 945
ZBO. Platz greift. Von dieſer Auffaſſung abzugehen
liegt kein Grund vor. Neues iſt nur inſofern vor⸗
gebracht worden, als der Kläger auf die Vorſchrift
des 8929 Abſ. 2 ZPO. hingewieſen hat. Allein dieſe
Vorſchrift ſteht der Annahme nicht entgegen, daß die
in 8 945 ZPO. verordnete Haftung Haftung aus un⸗
erlaubter Handlung iſt. Die Partei, die einen Arreſt
oder eine einſtweilige Verfügung vollzieht, ſetzt ſich,
|
wenn ihr auch eine kurze Friſt zur Vollziehung geſetzt
iſt, der Gefahr einer Erjakpflicht für den Fall aus,
daß die Anordnung des Arreſtes oder der einſtweiligen
Verfügung ſich als von Anfang an ungerechtfertigt
erweiſt oder die angeordnete Maßregel auf Grund
des 8 926 Abſ. 2 oder des § 942 Abſ. 3 ZO. aufge⸗
hoben wird. Ebenſowenig kann der Reviſion Erfolg
gewährt werden, wenn ſie geltend macht, die Verjäh—
rung habe nicht beginnen können, bevor das Urteil
im Hauptprozeß ergangen ſei. Von der Erledigung
des Hauptprozeſſes hing der Schadenserſatzanſpruch
des Klägers nicht ab. Der Anſpruch war begründet,
wenn die Anordnung der einſtweiligen Verfügung
ſich als ungerechtfertigt erwies. Daß aber die Ans
ordnung der einſtweiligen Verfügung ungerechtfertigt
war, hat ſich ſpäteſtens mit dem Eintritt der Rechts⸗
kraft des oberlandesgerichtlichen Urteils vom 12. Ok—
tober 1905 ergeben. Die Klage iſt ſpäter als drei
Jahre nach dem Zeitpunkt erhoben worden, in welchem
der Kläger von dem Schaden und der Perſon des Er—
ſatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat. Der Anſpruch
wurde daher mit Recht als verjährt abgewieſen. (Urt.
des IV. 35. vom 3. Dezember 1910, IV 26/10).
2164 3 — — —ı
B. Strafſachen.
Rechtmäßigkeit der Amtdausübung des Voll⸗
ftreckungobeamien beſonders bei der Entſcheidung, gegen
wen und in welche Vermögensſtücke zu vollſtrecken iſt.
Aus den Gründen: Wie das RG. wiederholt
anerkannt hat, befindet ſich der Vollſtreckungsbeamte
in der rechtmäßigen Ausübuung ſeines Amtes, ſofern
und ſo lang er das ihm zuſtehende Ermeſſen walten
VdBZeitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5. 11
läßt und nach dem Ergebniſſe der ihm danach ob⸗
liegenden pflichtmäßigen Prüfung u amtliches Han⸗
deln einrichtet (vgl. u. a. RGSt. 6, 400 (403); 24,
218; 26, 23; 5, 208, 296). Derſelbe Grundſatz iſt in
dem vom 86. angeführten Urteil (35, 218) aus-
geſprochen. Er greift auch hier Platz. Wer nach
einem vollſreckbaren Schuldtitel als Vollſtreckungs⸗
ſchuldner in Betracht kommt, hängt allerdings nicht
von dem bloßen pflichtmäßigen Ermeſſen des Voll⸗
ſtreckungsbeamten ab, iſt vielmehr — rein objektiv —
durch den Inhalt des Schuldtitels bedingt. Allein
pflichtmäßige Prüfung der im Einzelfalle gegebenen
Vorausſetzungen für Richtung und Art des amtlichen
Vorgehens hat einzutreten, ſobald es ſich um die
Frage handelt, ob die Perſon, der der Vollſtreckungs⸗
beamte gegenüberſteht und gegen die er einſchreiten
will, nach dem Schuldtitel als der Vollſtreckungs⸗
ſchuldner zu erachten iſt. Wäre beiſpielsweiſe der
Schuldner in der Ausfertigung des Schuldtitels un⸗
richtig bezeichnet und würde der Vollſtreckungsbeamte
hierdurch verleitet werden, fälſchlicherweiſe gegen die
Perſon, auf die die Bezeichnung hinweiſt, mit Voll⸗
ſtreckungsmaßregeln vorzugehen, ſo befände er ſich
mindeſtens ſo lange in der rechtmäßigen Ausübung
ſeines Amtes, als er nicht in überzeugender Weiſe
von ſeinem Irrtum unterrichtet wird. Nicht anders
liegt die Sache, wenn die Bezeichnung des Schuldners
in dem Schuldtitel zu Mißverſtändniſſen Anlaß geben
kann und wenn ſie in Verbindung mit den Umſtänden
des Falles nach der Auffaſſung des Vollſtreckungs⸗
beamten auf die Perſon als Vollſtreckungsſchuldner
hinweiſt, gegen die er die Vollſtreckungsmaßregeln er⸗
greifen will und ergreift. So liegt nach dem Urteils⸗
inhalte die Sache hier. Der Reviſion mag zugegeben
werden, daß die in dem Schuldtitel gewählte Aus⸗
drucksweiſe zur Kennzeichnung des Schuldners bei
richtigem Verſtändniſſe ſagen will und auch ſagt, daß
Schuldnerin die minderjährige Tochter des Ange⸗
klagten und er, der Angeklagte, nur deren geſetzlicher
Vertreter ſei. Allein eine geſetzliche Vorſchrift oder
eine ſonſtige allgemein bindende Beſtimmung dahin,
daß die gewählte Ausdrucksweiſe dieſen Sinn habe
und etwa zur Bezeichnung eines ſolchen Rechts—
verhältniſſes zu wählen ſei, gibt es nicht. Ihre
Auslegung ruht daher im weſentlichen auf tatſäch⸗
lichem Gebiete. Rein ſprachlich genommen, iſt als
Schuldner nicht die minderjährige Tochter, ſondern
der Angeklagte genannt und deſſen Perſon nur
außerdem noch nach einer beſtimmten rechtlichen
Eigenſchaft, eben der des geſetzlichen Vertreters ſeiner
Tochter, näher gekennzeichnet. Hierzu kommt, daß
nach den getroffenen Feſtſtellungen der Angeklagte
ſelbſt ſich als den Schuldner d. h. als denjenigen be=
trachtet hat, gegen den nach dem Schuldtitel die
Zwangsvollſtreckung zu richten war. Er hat daher
auch von ſeinem Standpunkt aus annehmen müſſen,
daß ſich der Gerichtsvollzieher bei ſeinem Vorgehen
gegen ihn als den Vollſtreckungsſchuldner in der
rechtmäßigen Ausübung ſeines Amtes befinde. Auf
dieſer ſich aus den Urteilsfeſtſtellungen ergebenden
tatſächlichen Grundlage war es nicht rechtsirrig,
wenn das LG. den Sachverhalt nach den hier im
Eingange dargelegten rechtlichen Geſichtspunkten be=
urteilte und die Rechtsmäßigkeit der Amtsausübung
für nachgewieſen erachtete. Dieſe entfiel auch nicht
bei der Wegnahme des Fünfzigmarkſcheins. Die
Wegnahme geſchah nach dem Urteil in der ehelichen
Wohnung des Angeklagten. Anderſeits fehlt es an
jeder Andeutung, daß etwa deſſen Frau den Schein,
den ſie hervorholte und in der Hand hielt, in ge—
fondertem eigenen Beſiz und Gewahrſam gehabt
hatte, oder, wenn es der Fall geweſen wäre, daß dies
der Gerichtsvollzieher bei pflichtmäßiger Aufmerkſam—
keit hätte erkennen müſſen. Der Umſtand allein, daß
fie den Schein vorzeigte, war noch keinerlei recht»
BGB
liches Anzeichen dafür. (RGSt. 5, 296). Auf 8 1362
. oder darauf, daß der Gerichtsvollzieher dieſe
Geſetzesvorſchrift erweislich kannte, kommt es hiernach
wie auch deshalb nicht an, weil die Prüfung und Ent⸗
ſcheidung der Frage, ob eine erkennbar oder ver⸗
meintlich im Beſitze des Schuldners beſindliche Sache
Eigentum des Schuldners oder eines anderen iſt,
nicht dem Gerichtsvollzieher zuſteht und Zweifel
darüber die Pfändung nicht hindern. (Urt. des
V. StS. vom 20. Dezember 1910, VD u)
2138
Oberſtes Landesgericht.
A. R
wangsmaßregeln um ori des 8 1636 des
. (Art. 130 AGHBEB.). Die Ehe des M. mit
feiner Ehefrau B. wurde am 9. März 1907 geſchieden;
er Mann wurde für den allein ſchuldigen Teil er⸗
klärt. Aus der Ehe ſind zwei Kinder, beide noch
minderjährig, hervorgegangen. Sie leben bei ihrer
Mutter. Auf den Antrag des M. hat das Vormund⸗
ſchaftsgericht am 26. Februar 1908 ſeinen perſönlichen
Verkehr mit den Kindern ſo geregelt, daß der Vater
die Kinder während beſtimmter Tage bei ſich haben
darf. Am 23. März 1910 hat das Vormundſchafts⸗
gericht den Gerichtsvollzieher des Aufenthaltsortes der
Kinder ermächtigt, auf den Antrag des M. alle zum
Vollzuge der Verfügung zuläſſigen und angemeſſenen
Maßnahmen unmittelbaren Zwanges anzuwenden. Die
Ermächtigung iſt damit begründet, daß M. zum Voll⸗
zuge der Verfügung Zwangsmaßregeln nach Art. 130
AGz BGB. anzuordnen beantragt hat. Auf Grund
der Verfügung vom 23. März 1910 hat M. in Be⸗
gleitung des Gerichtsvollziehers die Kinder aus dem
Hauſe gegen den Widerſpruch der Mutter weggenommen
und drei Wochen lang bei ſich behalten. Auf Be-
ſchwerde der Frau B. hat das Landgericht E. die
Verfügung vom 23. März 1910 aufgehoben. Die
weitere Beſchwerde des M. iſt zurückgewieſen worden.
Gründe: Durch die Aufhebung der Verfügung
vom 23. März 1910 hat das LG. das Geſetz nicht
verletzt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß nach
Art. 130 AGzBGB. die Anwendung unmittelbaren
Zwanges auch in den Fällen des § 1636 BGB. zuläſſig
iſt, wenn es ſich um den Vollzug einer Verfügung
handelt, durch welche die Herausgabe eines Kindes
angeordnet wird, und die Anwendung unmittelbaren
Zwanges erforderlich iſt, um die Herausgabe zu be—
wirken. Ob dieſe Vorausſetzung gegeben iſt, hat das
Vormundſchaftsgericht zu prüfen, wie auch nach der
ausdrücklichen Vorſchrift des Abſ. 2 die Zwangsmaß—
regeln, alſo die Handlungen, die im einzelnen Falle
zur Bewirkung des Zwanges vorgenommen werden
dürfen, von dem Gerichte ſelbſt anzuordnen ſind. Nach
beiden Richtungen hat das Gericht ſeine Enſcheidung
unter Berückſichtigung der Umſtände des einzelnen
Falles nach ſeinem pflichtmäßigen Ermeſſen zu treffen.
Da zur Anwendung von Zwang nur im äußerſten
Falle geſchritten werden darf und peinliche Szenen
ſchon mit Rückſicht auf das jugendliche Gemüt der
Kinder möglichſt vermieden werden müſſen, wird in
der Regel der Anordnung von Zwangsmaßregeln
deren Androhung vorauszugehen haben (vgl. Böhm
und Klein, AG., Bem. 4 zu Art. 130 S. 208). Ob
die Androhung ſtets erfolgen muß oder ob es nicht
auch Fälle geben kann, in denen wie bei Gefahr auf
Verzug von der Androhung ausnahmsweiſe abgeſehen
werden kann, mag dahin geſtellt bleiben, wie auch
unerörtert bleiben kann, ob die Verfügung vom
23. Februar 1908 ſchon die Anordnung enthält, daß
dem M. von ſeiner geſchiedenen Frau die Kinder zu
120
den in der Verfügung genannten Zeiten herauszugeben
find. Denn jedenfalls war es nicht zuläſſig, daß das
Vormundſchaftsgericht, ehe überhaupt feſtſtand, ob die
Anwendung unmittelbaren Zwanges erforderlich ſei,
dieſe im Vornehinein für den Fall angeordnet hat,
daß ſie etwa notwendig ſein könnte, und noch dazu,
die Art und Weiſe des Vorgehens dem freien Belieben
eines Dritten überlaſſen hat, ſtatt, wie es ſeine Pflicht
geweſen wäre, ſelbſt zu prüfen und zu beſtimmen,
welche Maßregel zuläſſig und angemeſſen erſchien.
(Beſchluß des 1. ZS. vom 16. Dezember 1910, Reg. III
94/1910). W.
2149
Wann beginnt die Beriährung für den Schadens⸗
an aufpruch gegen den Staat wegen der Berletzung
mtspflicht durch einen Beamten? (Not. Art. 126,
AGz BGB. Art. 60, BGB. §§ 839, 852, 198). Aus
den Gründen: Mag die im Art. 60 AGz BGB.
feſtgelegte Haftung des Staates aus einer „geſetzlichen
Schuldüberweiſung auf den Staat gegenüber dem
Gläubiger“ oder aus dem ſog. Vertretungsgedanken
erklärt werden, in jedem Falle geht die Haftung des
Staates gegenüber dem Dritten nicht weiter als die
im § 839 BGB. beſtimmte Verantwortlichkeit des Be⸗
amten, an deſſen Stelle der Staat tritt. Es kann
Zeitſchrift me Rechtspflege in in Bayern. 1911.
Nr. 5.
wer den Schadenserſatzanſpruch geltend macht. So⸗
lange der Verletzte noch damit rechnen darf, daß ihm
von anderer Seite Erſatz zuteil wird, kann er nach
8 839 Abſ. 1 Satz 2 BGB. mit Art. 60 AG z BGB. den
alſo die Entſchädigungspflicht des Staates nur inſo⸗
weit in Anſpruch genommen werden, als der Der:
letzte nicht auf andere Weiſe Erſatz finden kann. Der
in Anſpruch genommene Staat iſt berechtigt, die Er⸗
ſatzleiſtung völlig zu verweigern, wenn die im § 852
BGB. vorgeſehenen Vorausſetzungen für die Ver⸗
jährung der Erſatzanſprüche des Verletzten erfüllt
ſind. Hier iſt der Schaden, deſſen Erſatz der Kläger
von dem Beklagten begehrt, nach der Klagbehauptung
dadurch entſtanden, daß der Notar die ihm dem
Kläger gegenüber obliegende Amtspflicht fahrläſſig
verletzt hat. Mit einer ſolchen Verletzung der Amts-
pflicht war die Haftung aus dem § 839 Abſ. 1 Satz 1
eingetreten; erſatzpflichtig im Sinne des §8 852 war
der ſchuldige Beamte. Das im 8 852 für den Beginn
der Verjährung geſetzte Erfordernis: Kenntnis von
der Perſon des Erſatzpflichtigen, fällt alſo hier zu—
ſammen mit der Kenntnis der den Notar als Beamten
treffenden, die Schadenserſatzpflicht begründenden
fahrläſſigen Amtspflichtverletzung. Mehr iſt nicht zu
fordern und namentlich darf, um mit der Verjährung
zu rechnen, nicht verlangt werden, daß der Kläger
erſt noch Kenntnis davon bekommen mußte, daß die
durch den § 839 geſchaffene Verantwortlichkeit nach
Bayeriſchem Landesrechte an Stelle des Beamten den
Staat trifft. Durch die Beſtimmung des Art. 60
Az BGB. wurde, wozu der Vorbehalt des Art. 77
EGz BGB. gar keinen Raum geboten hätte, nicht eine
von der im 8 839 BGB. begründeten Erſatzpflicht un⸗
abhängige Haftung des Staates, mithin auch nicht
ein eigener Erſatzpflichtiger im Sinne der 88 839, 852
BGB. geſchaffen, ſondern immer iſt es nur die und
gerade die im 8 839 dem Beamten auferlegte
Schadenserſatzpflicht, die an Stelle des Beamten nun
dem Staate überbürdet iſt. Unkenntnis der Vor—
ſchrift des Art. 60 und der Notwendigkeit, in einem
Falle des 8 839 BGB. die Klage ſtatt gegen den Bes
amten gegen den Fiskus erheben zu müſſen, bedeutet
darum nicht die Unkenntnis der Perſon des Erſatz—
pflichtigen i. S. des 8 852 BGB.; es iſt deshalb auch
nicht zu prüfen, ob die Verweiſung auf einen ſolchen
Rechtsirrtum zuläſſig oder der Rechtsirrtum ent—
ſchuldbar wäre.
Dagegen beruht es auf einer irrigen Auffaſſung
des 8 839 BGB. von einer „Einrede“ aus der „Sub—
ſidiarität“ der Haftung des Staates zu ſprechen.
Die Behauptung, daß nicht auf andere Weiſe Erſatz
zu erlangen ſei, gehört zum Klagegrunde; den Be—
weis, daß jene Vorausſetzung vorliegt, hat zu führen,
Staat nicht in Anſpruch nehmen; der Schadenserſatz⸗
anſpruch aus der Amtspflichtverletzung kann inſolange
nicht geltend gemacht werden, ein Klagerecht des Ver⸗
letzten iſt noch nicht entftanden. Das hat zur Folge,
daß vorher auch die Verjährung nicht beginnen kann.
Denn wenn es im 8 198 BGB. heißt: „Die Ber-
jährung beginnt mit der Entſtehung des Anſpruchs“,
ſo iſt dabei an einen klagbaren Anſpruch zu denken,
Ein Anſpruch, der infolge einer ihm anhaftenden un⸗
vollkommenheit nicht geltend gemacht werden kann,
iſt im Sinne des $ 198 ebenſowenig entſtanden, wie
der nur bedingt begründete Anſpruch (vgl. Planck
Anm. 2 zu § 198 BGB.). (Urt. des II. 3S. vom
19. Dezember 1910, Reg. I 201/1910). W.
2150
B. Strafſachen.
Mimsſatropfen. Unter welchen Boransſetungen
unterliegen die reinen Deſtillate dem Apsthekenzwang ?
Der Saß von der . des Strafrechts⸗
irrtums gilt nicht ausnahmslos.
Der Drogiſt A. in M. war angeklagt ohne poli⸗
zeiliche Erlaubnis etwa ein halbes Jahr lang in ſeinem
Geſchäfte eine Arznei, ſog. Mimoſatropfen, als Heil⸗
mittel im Kleinhandel feilgehalten und verkauft zu
haben, obwohl ſie nach 8 1 der Kaiſ. VO. vom 22. Okt.
1901, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln und nach
der Nr. 5 des dieſer VO. beigegebenen Verzeichniſſes
A außerhalb der Apotheken nicht feilgehalten oder
verkauft werden darf. Das Berufungsgericht verurs
teilte den A., indem es annahm, daß die Mimoſa⸗
tropfen dem Apothekenzwange unterliegen und aus⸗
führte, daß die Meinung des A., die Mimoſatropfen
fallen nicht unter die Kaiſ. VO., weit fie im Verzeich⸗
niſſe A nicht aufgeführt ſeien, ihn vor Strafe nicht
ſchützen könnte, da er ſich in einem Irrtum über die
Strafgeſetze befunden habe. Das Urteil wurde auf—
gehoben, A. freigeſprochen.
Aus den Gründen: 1. In dem Verzeichnis A der
Kaiſ. BO. find 2 Deſtillate dem ſreien Verkehr ausdrücklich
überlaſſen, wenn auch als flüſſige Gemiſche oder Löſungen
dagegen find in dem Verzeichniſſe B unter den „Stoffen“,
die außerhalb der Apotheken nicht feilgehalten werden
dürfen, eine Reihe von Deſtillaten aufgeführt; der
Deſtillate als ſolcher gedenken weder die Verordnung
ſelbſt noch die ihr beigegebenen beiden Verzeichniſſe.
Deshalb iſt nur die Annahme gerechtfertigt, daß die
reinen Deſtillate dem Apothekenzwang nicht unterliegen.
Reine Deſtillate in dieſem Sinne grundſätzlich ſind aber
nur ſolche Erzeugniſſe, zu deren Herſtellung die De—
ſtillation unentbehrlich iſt. Dagegen kann das Er—
zeugnis nicht als reines Deſtillat anerkannt werden,
wenn die Deſtillation nur zur Umgehung der Saif.
BD. dienen ſoll, namentlich wenn fie an Stelle einer
wiſſenſchaftlich und ökonomiſch vorzuziehenden Mi—
ſchung, Löſung, Ausziehung oder Abkochung ange—
wendet oder an eine oder mehrere dieſer Verfahrens-
arten angeſchloſſen wird, ohne daß ſie das Weſen oder
weſentliche Eigenſchaften des Erzeugniſſes ändern kann
oder ſoll, oder wenn ſie zu einem ſonſtigen Zweck er—
folgt, der mit der Herſtellung des Mittels nicht in
Beziehung ſteht. Unter ſolchen Umſtänden folgt aus
der Bedeutungsloſigkeit des eingeſchobenen Deſtilla—
tionsverſahrens für die Herſtellung des Heilmittels,
daß dieſes letztere nur nach der zu ſeiner Herſtellung
wirklich erforderlichen Zubereitungsart beurteilt werden
kann und deshalb namentlich dann dem Apothefen-
zwang unterliegt, wenn dieſe Zubereitungsart zu den
im Verzeichnis A aufgeführten gehört. Nach den Feſt⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege
ſtellungen der Strafkammer werden die Mimoſatropfen
durch Zubereitungsarten gewonnen, wie ſie in der
Kaiſ. VO. aufgeführt ſind, nämlich durch Löſung oder
Herſtellung eines flüſſigen Gemiſches; die nachträgliche
Deſtillation hat keine weſentliche Aenderung des Er:
zeugniſſes zur Folge; die Dejtillarion iſt auch nur
vorgenommen worden, um die Kaiſ. VO. zu umgehen.
Aus den vorſtehenden Ausführungen ergibt ſich alſo,
daß die Mimoſatropfen von dem freien Verkehre aus—
geſchloſſen ſind und die Entſcheidung der Strafkammer
en von dem Angeklagten mit Unrecht angefochten
wurde.
2. Der Erwägung des Berufungsgerichts dagegen,
daß der Irrtum des A. über die Anwendung des
Strafgeſetzes ihn nicht ſtraflos machen kann, kann der
Senat mit Rückſicht auf die beſonderen Verhältniſſe
des Falles nicht beipflichten. Bekanntlich enthält das
StGB. keine allgemeine Vorſchrift darüber, ob die
Unkenntnis des Strafgeſetzes oder ein ſonſtiger Irrtum
auf dem Gebiete des Strafrechts zugunſten des Täters
zu berückſichtigen ſei oder nicht, wenn es auch nach
der Entſtehungsgeſchichte in ſeiner Abſicht liegt, daß
ein ſtrafrechtlicher Irrtum nicht vor Strafe ſchützen ſoll.
Die neuere deutſche Rechtſprechung, namentlich die des
Reichsgerichts, hat die Unkenntnis des Strafgeſetzes
für unerheblich erklärt. Die Rechtslehre hat ſich aber,
namentlich in der jüngſten Zeit vielfach im entgegen-
geſetzten Sinn ausgeſprochen, ſie geht dabei von dem
Gedanken aus, daß der Rechtsirrtum die Kenntnis
und mit ihr das Wollen der Tat als einer ſtrafbaren
ausſchließe, und ſtellt insbeſondere als Vorausſetzung
für die Strafbarkeit auf, daß der Täter ſich der Rechts⸗
widrigkeit oder Normwidrigkeit ſeiner Tat oder wenig⸗
ſtens ihrer Pflichtwidrigkeit bewußt geweſen ſei (vgl.
Binding, Normen Bd. 2 S. 403, 499, ferner die bei
Frank, Kommentar z. StGB., 5. Aufl. S. 130 verzeich⸗
neten Schriftſteller, ferner Hälſchner, Das gemeine
deutſche Strafrecht Bd. 1 S. 296). Auch die Verfaſſer
des Vorentwurfs zu einem deutſchen StGB. haben ſich
dieſer Anſicht nicht verſchließen können; ſie haben die
Berückſichtigung eines Strafrechtsirrtums offen gelaſſen,
indem fie als 8 61 Abſ. 2 die Beſtimmung aufnahmen:
„Hält der Täter die Handlung für erlaubt, weil er
ch über das Strafgeſetz irrt, ſo können hinſichtlich der
eſtrafung die Vorſchriften über den Verſuch ($ 76)
angewendet werden“. Beſonders für die gegenwärtige
Zeit weiſt Galli (Gerichtsſaal Bd 68 S. 64) darauf
hin, „daß die zunehmenden ſtrafrechtlichen Spezial-
geſetze den zu der Auslegung und Anwendung beru—
fenen Perſonen und Behörden Schwierigkeiten bereiten“
6 380 v. Bar, Geſetz und Schuld im Strafrecht Bd. 2
Als ausnahmsloſe Regel aufgefaßt enthält der
Satz, daß der Angeklagte ſich nicht mit Erfolg auf die
Unkenntnis oder die unrichtige Auffaſſung des Inhalts
eines Strafgeſetzes berufen kann (error juris noret), in
feinem letzten Grund eine unwiderlegbare Rechts ver⸗
mutung dahin, daß jedem normal entwickelten zivili⸗
ſierten Menſchen die mit Strafdrohungen ausgeſtatteten
ſtaatlichen Gebote oder Verbote bekannt ſeien. Eine
ſolche Rechtsvermutung iſt aber nur bei den allgemeinen
Regeln des menſchlichen Handelns unbedenklich. Handelt
es ſich aber um Geſetze, die Sondergebiete regeln, ſo
kann ſich der Zweifel einſtellen, ob deren Kenntnis bis
in alle Einzelheiten jedem zugemutet werden kann.
In beſonderem Maße gilt dies aber dann, wenn als
nicht entlaſtender Irrtum nicht bloß die Unkenntnis
des Beſtehens eines ſolchen Geſetzes und feines weſent⸗
lichen Inhalts, ſondern auch die ſeiner jeweiligen
Auslegung in ſeinem ganzen Umfang angerechnet wird.
Hier wird man Beling (Unſchuld, Schuld und Schuld—
ſtufen im Vorentwurf S. 72) beipflichten müſſen, wenn
er meint, „daß es kraß unbillig iſt, denjenigen zu
ſtrafen, der ſich nach beſten Kräften um die Vor—
ſchriften gekümmert hatte und nur unvermeidlichem
in Bayern. 1911. Nr. 5.
121
Irrtum erlegen war”. Eine ausnahmsloſe Durchführung
der erwähnten Rechtsvermutung könnte leicht zu Härten
führen, die nicht mehr als Folgen einer Anwendun
des Rechtes angängig ſind und die darum nicht bloß
erſt auf dem Wege der Begnadigung ausgeglichen
ſondern namentlich vom Richter von vornherein ver—
mieden werden können, namentlich wenn man bedenkt,
daß der Satz von der Unentſchuldbarkeit des Rechts⸗
irrtums in Deutſchland z. Zt. nicht geſetzlich feſtgelegt iſt.
Dieſe Erwägungen treffen gerade für den vor—
liegenden Fall zu. Das Kammergericht hat erſt einige
Zeit, nachdem der Angeklagte die Mimoſatropfen von
Berlin bezogen und über deren freie Verkehrsfähigkeit
ſich dort erkundigt hatte, ſeine Anſicht über das Ver⸗
hältnis der Deſtillate zur Kaiſ. VO. vom 22. Oktober
1901 geändert. Da bis dahin das Kammergericht die
Deſtillate ohne Unterſcheidung je nach der Notwen⸗
digkeit oder Ueberflüſſigkeit der Deſtillation als dem
freien Verkehre zugänglich behandelt und auch das
bagerifde Oberſte Landesgericht keine gegenteilige
Stellung eingenommen hatte, fo würde es aller Ge⸗
rechtigkeit widerſprechen, wollte man die allerdings
richtige neuere Rechtsanſchauung zum Nachteile des
Angeklagten auf ſeine Handlung anwenden, obwohl
ſie in ihren weſentlichen Teilen noch in die frühere
Zeit fiel. Man kann es dem Angeklagten mit Fug
auch nicht einmal zum Vorwurf anrechnen, daß er
nicht ſofort von dem Wandel in der Rechtſprechung
Kenntnis erhalten und fein Verhalten danach einge⸗
richtet hat. Die Tatſache allein, daß ſein Verhalten
erſt nach dem Wechſel in der Rechtſprechung der ge⸗
richtlichen Beurteilung unterſtellt worden iſt, darf
nicht überſehen werden, will man nicht — was
doch in der Rechtspflege am wenigſten angeht —
dem Zufalle Tür und Tor öffnen. Aus dieſen
Gründen hält es der Senat für unerläßlich, den
Angeklagten ſtraflos zu laſſen, weil er ſeine
Handlung nach der zur Zeit der Vornahme überwie⸗
genden Auslegung der Kaiſerlichen Verordnung im
Sinne dieſer Norm für erlaubt zu halten berechtigt
war. Er hält grundſätzlich an der von der deutſchen
Rechtſprechung beobachteten Regel „error juris crimi-
nalis nocet“ feſt und erachtet nur mit Rückſicht auf die
beſonderen Verhältniſſe des Falles ausnahmsweiſe eine
Abweichung von der Regel für veranlaßt. (Urteil
vom 3. Dezember 1910, RevReg. 445 / 10). Ed.
21060
Nachſchrift des Herausgebers. „Der Regel
Güte daraus man erwägt, daß fie auch 'mal 'ne Aus⸗
nahm' verträgt.“ Das ſchöne Wort des Nürnberger
Philoſophen klang dem Herausgeber im Ohr, als er
dieſes erfreuliche Urteil las, das dem Buchſtabenglauben
offen und ehrlich abſagt und den rechten Gebrauch von
der Freiheit macht, deren ſich ein höchſter Gerichtshof
rühmen darf.
Oberlandesgericht Zweibrücken.
1 gegen die guten Sitten bei einer Ning⸗
bildung. Eingehen der Verpflichtung unter gewiſſen
Umſtänden vertragsbrüchig in werden. Im Regie⸗
rungsbezirke N. haben ſich zahlreiche Brauereien, dar—
unter die Aktiengeſellſchaft F., zu einem „Verein 9.-
ſcher Brauereien“ zuſammengeſchloſſen, der u. a. die
„Regelung der Verkaufspreis- und Wettbewerbsver—
hältniſſe“ zum Zweck hat. Die Vereinsbrauereien
haben Mindeſtpreiſe feſtgeſetzt, zu denen an Wirte und
Flaſchenbierhändler geliefert werden darf (ſog. Kun—
denpreiſe), und Mindeſtpreiſe, die von ihren Kunden
für den Ausſchank und für die Abgabe von Flaſchen—
bier an Private einzuhalten ſind (Ausſchankpreiſe).
Sie haben vereinbart, daß die Mitglieder ihren Kunden
122
nur zu den feſtgeſetzten Kundenpreiſen, ſolchen Kunden
aber, welche die feſtgeſetzten Ausſchankpreiſe nicht ein⸗
halten, überhaupt nicht liefern dürfen, bis ſie ſich jenen
Ausſchankpreiſen unterworfen haben, und zwar „uns
bekümmert um ältere oder laufende Ver⸗
träge“. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen
dieſe Vereinbarungen ſind Vertragsſtrafen angedroht,
die ein Schiedsgericht feſtſetzen ſoll. Eine Vereins-
brauerei, die infolge dieſer Vorſchrift von einem Kunden
wegen Vertragsbruchs in Anſpruch genommen wird,
ſoll aus der Vereinskaſſe Erſatz erhalten. Der „Ring“
hat den Ausſchankpreis von 24 Pfg. auf 30 Pfg. für den
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 5.
|
Liter erhöht, mußte aber bald zum alten Preiſe zu
rückkehren. Gegen die Aktiengeſellſchaft F. hat das
Schiedsgericht wegen Zuwiderhandlung gegen die Ver—
einbarungen Strafen feſtgeſetzt. Sie hat gegen den
Verein Klage erhoben, mit der ſie auf Grund des
§ 1041 Nr. 1 3PO. Aufhebung des Schiedsſpruches
begehrt. Das LG. hat den Schiedsſpruch aufgehoben,
weil die Vereinbarungen über den Schiedsvertrag
nach 8 138 BGB. nichtig ſeien. Die Berufung wurde
verworfen.
Aus den Gründen: Die Vereinsbrauereien
ſuchen durch die Ringbildung für das von ihnen ver—
ſorgte Gebiet eine Monopolſtellung zu erlangen, um
ſo den Auswüchſen der Konkurrenz entgegen treten
und zugleich durch Erhöhung des Reingewinnes der
wirtſchaftlichen Not abhelfen zu können. Darin liegt
noch kein Verſtoß gegen die guten Sitten. Ein ſolcher
würde aber vorliegen, wenn eine wucheriſche Verteue—
rung eines notwendigen Lebensbedürfniſſes durch die
Monopolſtellung bezweckt wäre. Allein man kann
bezweifeln, ob das Bier wirklich ein notwendiges,
nicht zu erſetzendes Lebensbedürfnis iſt. Und daraus,
daß eine Preiserhöhung infolge des allgemeinen Wider⸗
ſtandes der beteiligten Kreiſe nicht durchgeführt
werden konnte, kann nicht geſchloſſen werden, daß ſie
wucheriſch war. Auch die den einzelnen Brauereien
auferlegte Verpflichtung ihren Abnehmern nur zu
beſtimmten Preiſen zu liefern und ihnen die Verpflich⸗
tung aufzuerlegen ihrerſeits nur zu beſtimmten Preiſen
zu verkaufen, iſt an ſich nicht zu beanſtanden. Es iſt
im gewerblichen Konkurrenzkampfe zuläſſig, daß die
Produzenten die Eingehung von Verpflichtungen
ſolcher Art durch Maßnahmen zu erzwingen ſuchen, die
den Geſchäftsbetrieb der Zwiſchenhändler erſchweren.
Aber Maßnahmen, die darauf hinauslaufen würden,
ſelbſtändige Gewerbetreibende lahm zu legen und ſie
um ihr wirtſchaftliches Daſein zu bringen, würden
gegen die guten Sitten verſtoßen. Die Brauereien
haben in weitem Umfange die Wirte, auch ſoweit ſie
nicht als ſog. Zäpfler geradezu ihre Angeſtellten find,
in wirtſchaftliche Abhängigkeit gebracht. Für Wirte
beſteht alſo nur dann eine Möglichkeit, ſich erſchwerten
Lieferungsbedingungen zu entziehen, wenn ſie eine
andere Brauerei finden, die ihnen die Mittel gibt,
ſich aus der wirtſchaftlichen Abhängigkeit von der
erſten zu befreien. Deshalb liegt es ſchon an der
Grenze des Zuläſſigen, wenn den Wirten, die be—
ſtimmte Ausſchankpreiſe nicht einhalten wollen, ge—
droht wird, daß ihnen die Weiterlieferung entzogen
werde. Denn ſobald die Vereinsbrauereien die er—
ſtrebte Monopolſtellung erreichen würden, wäre den
Darin, daß jemand vertragsbrüchig wird, liegt nicht
immer ein Verſtoß gegen die guten Sitten. Aber der
Bruch eines Vertrags verletzt doch immer die Rechte
des anderen Teiles und deshalb erkennt die Recht⸗
ſprechung an, daß gegen die guten Sitten und damit gegen
§ 826 BGB. verſtoßen kann, wer fi an der Ver⸗
letzung von Vertragspflichten anderer beteiligt um
ſich einen Vermögensvorteil zu verſchaffen. Keines⸗
falls aber kann die Rechtsordnung die Uebernahme
einer Vertragspflicht billigen, einem Dritten gegen—
über vertragsbrüchig zu werden, noch weniger eine
Vereinbarung, in der fi die Vertragsteile unter der
Androhung von Strafen verſprechen „unbekümmert um
laufende Verträge“ die darin vereinbarten Lieferungs-
preiſe zu erhöhen und keinem mehr zu liefern, der ſich
auf die neuen Bedingungen nicht einlaſſen will. Der
beklagte Verein behauptet, man habe ſich vor der Er⸗
höhung des Bierpreiſes mit allen Wirten in Berbins
dung geſetzt und von einzelnen Ausnahmen abges
ſehen ihre Zuſtimmung erhalten. Selbſt wenn das
richtig wäre, würde der Vereinbarung des Vertrags—
bruchs der bedenkliche Charakter nicht genommen.
Belanglos iſt auch die Behauptung, daß die Wirte
ſelbſt von den Brauereien verlangt hätten, es ſolle
Wirten nicht mehr geliefert werden, welche die Preiſe
nicht erhöhen wollten. In dieſen Behauptungen wers
den die Erhöhung der Kundenpreiſe und die der
Ausſchankpreiſe vermengt und Zweck und Wirkung der
beanſtandeten Vereinbarung werden verſchleiert.
Hätten die zahlreichen langfriſtigen Bierlieferungs>
verträge nicht beſtanden, fo hätte man die Kunden-
preiſe ſchon durch die Vereinbarung erhöhen können,
in Zukunft nur zu beſtimmten Preiſen zu liefern.
Man konnte die Wirte nur dadurch beſtimmen frei⸗
willig von ihrem Rechte abzugehen, auf Jahre hinaus
das Bier zu beſtimmten Preiſen zu beziehen, daß man
auch ihnen höheren Gewinn in Ausſicht ſtellte. Daran
war man eben wieder durch die langfriſtigen Verträge
gehindert, da man wohl den ſog. Zäpflern nicht aber
den ſelbſtändigen Wirten beſtimmte Verkaufspreiſe
vorſchreiben konnte. Deshalb konnten offenſichtlich
die erhöhten Kundenpreiſe nur durch zahlreiche Ver—
tragsbrüche erreicht werden. Dieſe aber konnte eine
einzelne Brauerei nicht verſuchen, weil ſie den zu er⸗
wartenden Schadenserſatzanſpruch nicht erfüllen konnte.
Wirten jene einzige Möglichkeit genommen, ſich den
angedrohten Maßnahmen zu entziehen; ſie wären der
Brauerei auf Gnade und Ungnade ausgeliefert und
die Durchführung der angedrohten Maßnahme würde
nicht bloß ihren Betrieb erſchweren, ſondern ſie vor
ihren völligen wirtſchaftlichen Ruin ſtellen. Die Ver—
einbarungen gehen aber noch weiter; ſie laufen nicht
bloß darauf hinaus, die Abnehmer für die Zukunft
zur Annahme der vereinbarten Bedingungen zu nö—
tigen, ſondern auch darauf, durch den Zuſammenſchluß
der Brauereien zum Ring den Bruch beſtehender Ver—
träge zu ermöglichen.
Verpflichtete ſich jedoch der ganze Verband, die Ver⸗
träge zu mißachten, ſo war zu erwarten, daß nur
wenige Wirte auf ihren Rechten beſtehen würden,
weil ſie infolge der Ringbildung keine andere Brauerei
finden konnten, die ihnen zu den alten Bedingungen
lieferte, und einen längeren Stillſtand ihres Geſchäftes
nicht aushalten konnten. Es war zu erwarten, daß
ſchon die Ankündigung des Vertragsbruches durch den
Ring die Mehrzahl der vertragsberechtigten Wirte ge—
fügig machen werde. Die Vereinbarung des Vertrags—
bruchs war demnach dazu beſtimmt, einen Druck auf
die Gegenkontrahenten auszuüben. Wenn die Wirte
nach der Vereinbarung des Vertragsbruches der Er—
höhung der Preiſe zuſtimmten, ſo beweiſt das nicht,
daß ſie ſich der Nichtachtung der Verträge auch frei—
willig unterworfen hätten. Das Recht Bier zu billi—
geren Preiſen zu beziehen, hätte ſicherlich kein Wirt
freiwillig aufgegeben. Hatte ein Wirt aber einmal
dem Drucke nachgegeben und ſich zur Zahlung des
höheren Kundenpreiſes und zur Forderung höherer
Ausſchankpreiſe verſtanden, dann mußte er auch vers
langen, daß alle Wirte zur Einhaltung der erhöhten
Ausſchankpreiſe gezwungen würden.
Auf der Achtung der Vertragsrechte und auf dem
Vertrauen auf loyale Erfüllung der Vertragspflichten
beruht der ganze wirtſchaftliche Verkehr. Treu und
Glauben im Verkehr würden aufs Schwerſte erſchüttert,
wenn ſolche Vereinbarungen als rechis verbindlich an—
erkannt würden. Sie laufen dem Anſtandsgefühl
aller billig und recht Denkenden um ſo mehr zuwider,
als der Rechtsbruch von einem Verbande großer in⸗
duſtrieller Unternehmungen gegenüber wirtſchaftlich
ſchwächeren Einzelperſonen ins Auge gefaßt
wurde. Daß die größere Macht des in dem Ver bande
zuſammengeſchloſſenen Kapitals ausgenützt werden
ſollte, tritt namentlich in der Beſtimmung hervor,
daß die Vereinsbrauerei, die ein Kunde wegen Ver⸗
tragsbruchs in Anſpruch nimmt, aus der Vereinskaſſe
Erſatz erhalten ſoll. Damit ſollte das einzige Schutz⸗
mittel abgeſchwächt werden, das die Rechtsordnung
dem durch Vertragsbruch Verletzten gibt.
Soweit der Vertragsbruch auch für den Fall
vereinbart wurde, daß ein Wirt die Ausſchankpreiſe
nicht in der vom Verein vorgeſchriebenen Weiſe er⸗
höhen wollte, wurde auch ein Zwang auf die freie
Willensbeſtimmung des Gewerbetreibenden bei ſeinen
geſchäftlichen Maßnahmen ausgeübt. Gerade bei der
weitgehenden wirtſchaftlichen Abhängigkeit der Wirte
von den Brauereien und bei der Monopolſtellung der
Brauereien liegt es ſchon hart an der Grenze des Zu⸗
läſſigen, wenn Wirten das Bier entzogen wird, die
ſich an beſtimmte Ausſchankpreiſe nicht halten wollen.
Dieſe Grenze wurde ſicher dadurch überſchritten, daß
die Entziehung unter bewußtem Bruch von Vertrags⸗
pflichten geſchehen ſollte und daß die Vertragsbrü⸗
chigen gegen die Folgen geſchützt werden ſollten. In⸗
ſoweit enthält die Vereinbarung des Vertragsbruchs
den Verſuch, durch unerlaubte, von der Rechtsordnung
mißbilligte Mittel in die gewerbliche Selbſtbeſtimmung
der Gewerbetreibenden einzugreifen. Es kommt nicht
darauf an, ob und in welchem Umfange der Vertrags⸗
bruch wirklich durchgeführt wurde; der Verſtoß gegen
Treu und Glauben lag ſchon in der Vereinbarung an
ſich. Ueberdies hat ſie, wie oben dargelegt wurde,
ihren Zweck auch erreicht, ſelbſt wenn es zu einem
Vertragsbruche tatſächlich nicht gekommen fein oe:
(Urteil vom 13. Juli 1910, L. 178/09).
2161
Oberlandesgericht Nürnberg.
Inläſfigkeit des geſchäftlichen Wettbewerbverbotes.
Mitwirkung eines Dritten an der Verletzung dieſes
Berbstes (55 138, 826 BGB.). Aus den Gründen:
Das Konkurrenzverbot, dem ſich St. bei dem Ver⸗
kaufe ſeines Bäckereianweſens an den Kläger N.
unterwarf, iſt wirkſam. Infolge ſeiner Beſchränkung
auf die Gemeinde Z. und auf eine Zeit von nur
5 Jahren iſt das Verbot nicht ſo läſtig, daß es die
Bewegungsfreiheit des Verkäufers St. unangemeſſen
einengen und ſein gewerbliches Fortkommen unbillig
erſchweren könnte, er kann überall außer in Z. und
vom 1. Juli 1914 an auch dort wieder die Bäckerei
ausüben. Soweit er ſich einer mäßigen Beſchränkung
ſeiner perſönlichen Freiheit und ſeiner Gewerbefreiheit
freiwillig unterworfen hat, entſprach das der durch
die Veräußerung ſeines Anweſens und der Bäckerei
geſchaffenen Lage: Er ſelbſt beabſichtigte, ſich anderswo
niederzulaſſen und der Kläger N. hatte ein berech⸗
tigtes Intereſſe daran, ſich als junger Geſchäftsmann
in Z., wo er fremd war, vor den Gefahren der Kon—
kurtenz durch ſeinen dort eingebürgerten Vorgänger
angemeſſen zu ſchützen. Die Vereinbarung dieſes Kon—
kurrenzverbotes verſtößt daher nicht gegen die guten
Sitten (8 138 BGB.; Sörgel, Rechtſpr. 1909 S. 44
Nr. 28; 1908 S. 43 Nr. 16; Recht 11 Nr. 1780 und
DJ Z. 1207 S. 664). Die Vereinbarung, St. dürfe
5 Jahre in Z. „keine Bäckerei mehr betreiben“, iſt
nach den Umſtänden des Falles dahin auszulegen,
daß St. nicht bloß ſelbſt, allein oder mit anderen
eine Bäckerei nicht mehr ausüben, ſondern auch eine
ſolche durch einen anderen nicht ausüben laſſen dürfe.
Dieſer Vereinbarung hat St. dadurch zuwidergehandelt,
Zeitſchrift für Rechtspflege 1 in Bayern. 1911. Nr. 5.
daß er nach vergeblichen Verſuchen einer gütlichen
Einigung mit dem Kläger N. in dem auf den Namen
ſeines einjährigen Kindes erworbenen neuen Anweſen
in Z. eine Bäckerei einrichtete und an ſeinen Schwager,
einen der Bäckerei unkundigen Schloſſer, verpachtete.
Dieſer hat die Bäckerei nur übernommen, weil, wie
er wußte, der Kläger N. den St. die Bäckerei nicht
hätte beginnen laſſen. Mag St. ſelbſt in der Bäckerei
tätig fein oder ſtatt feiner ein Gehilfe, nach dem Be-
weisergebniſſe bezweckte die Verpachtung der von ihm
vertragswidrig errichteten Bäckerei nur die Umgehung
des Konkurrenzverbotes und iſt deshalb einer un⸗
mittelbaren Verletzung des Verbotes gleichzuſtellen.
Der Beklagte Schloſſer R. hat unter bewußter Ver⸗
letzung von Treu und Glauben im Geſchaftsverkehre
ſeine Hand dazu geboten, daß die von St. . -
widrig gegründete Bäckerei im Anweſen des St. .
Kindes unter der Form eines Pachtvertrags betri
und der Kläger in ſeinem Geſchäftsbetriebe empfindlich
gefhädigt wird. Der Beklagte hat von Anfang an
wiſſentlich an der Vertragsverletzung des St. teil⸗
genommen und ermöglicht deſſen fortgeſetzten Ver⸗
tragsbruch im argliſtigen Zuſammenwirken mit ihm,
hierdurch fügt er in einer gegen die guten Sitten
verſtoßenden Weiſe dem Kläger N. vorſätzlich Schaden
zu. Mit Recht wurde er daher verurteilt, dieſen
Geſchäftsbetrieb während der Dauer des Konkurrenz⸗
verbotes zu unterlaſſen (8 826 BGB.; Staub HGB. I
340 Anm. 13 und 14 zu $ 74; 3. II, 719; 1909
S. 399; 1910 S. 404). (Urt. vom 16. Mai 1910,
Ber.⸗Nr. 142/10). B — r
2143
Oberlandesgericht Augsburg.
Der Rechtsanwalt erhält die Beweisgebühr auch
daun, wenn er ſich bei der Beweiserhebung durch einen
Nechtskundigen vertreten läßt, welcher, ohne als allge:
meiner Stellvertreter anfgeſtellt zu fein, über 2 Jahre
im Vorbereitungsdienſt beſchäftigt iſt. Aus den
Gründen: Es iſt beſtritten, ob ein Rechtsanwalt,
dem vom Prozeßbevollmächtigten einer Partei die Ver⸗
tretung in einem auswärtigen Beweiserhebungstermine
übertragen iſt, die im 8 45 NAGEbDO. beſtimmte Be⸗
weisgebühr auch dann erhält, wenn er ſich bei der
Beweiserhebung durch einen über 2 Jahre im Vor⸗
bereitungsdienſt beſchäftigten, bei ihm in Praxis be»
findlichen, aber nicht als allgemeiner Stellvertreter
aufgeſtellten Rechtskundigen vertreten läßt; bei der in
RG. 21 S. 349 abgedruckten Plenarentſcheidung des
Reichsgerichts hat es ſich um die Reiſeentſchädigung
gehandelt. Die Ausführungen in dieſer Entſcheidung
können nicht ohne weiteres auch für die Anwalts-
gebühren als zutreffend anerkannt werden. Der
die Frage verneinenden Entſcheidung RGZ. 31, 425 ſteht
die die Frage bejahende Entſcheidung RG. 15, 433
gegenüber. Den Vorzug verdient die vielfach (ſ. die
Zitate bei Quednau, Komm. z. RAGebO. 1909 S. 13)
vertretene Anſicht, wonach die Frage zu bejahen iſt.
40 der RAD. macht es dem Rechtsanwalt zur
Pflicht den im Vorbereitungsdienſt bei ihm beſchäf⸗
tigten Rechtskundigen Anleitung und Gelegenheit zu
praktiſchen Arbeiten zu geben, und im § 30 der VO.
vom 4. Juli 1899, die Prüfungen für den höheren
Juſtiz- und Verwaltungsdienſt und die Vorbereitung
für dieſe Prüfungen betr. — in der alten, hier noch
maßgebenden Faſſung — iſt hervorgehoben, daß den
Rechtspraktikanten volle Gelegenheit geboten werden
ſoll, ſich in allen Geſchäftszweigen wiſſenſchaftlich und
praktiſch genügend auszubilden und den Dienſt in
materieller und formeller Hinſicht kennen zu lernen.
Offenbar iſt alſo dem Rechtsanwalt auch die Ver—
pflichtung auferlegt, den bei ihm in Vorbereitungs-
124 Zeitſchrift für ür Rechtspflege in Bayer:
praxis ſtehenden Rechtspraktikanten bei Gericht auf⸗
treten zu laſſen, ſoweit das nach 8 25 NAD. über⸗
haupt zuläſſig iſt. Es kann aber nicht angenommen
werden, daß der Rechtsanwalt hiermit zugleich zu
einer Einbuße an ſeinem Einkommen genötigt werden
ſollte, was der Fall wäre, wenn er die bei perſönlicher
Wahrnehmung eines Termins anfallende Gebühr bei
Uebertragung der Vertretung an feinen Rechtsprakti⸗
kanten nicht an würde.
Bei dem Mangel einer geſetzlichen Regelung der
Gebührenfrage hinſichtlich ſolcher Fälle iſt es gerecht»
fertigt überhaupt keinen Unterſchied zu machen, ob der
Rechtsanwalt ſelbſt den Termin wahrnimmt oder ob
er ſich in geſetzlich erlaubter Weiſe durch einen Rechts⸗
praktikanten vertreten läßt (ſ. Seufferts Archiv Bd. 46
Nr. 126; 38 Nr. 260). (Beſchl. des I. ZS. vom
16. Januar 1911, II 10/1911).
2158 Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Stölzle in Kempten.
Literatur.
Warnehers Jahrbuch der Entſcheidungen.
A. Zivil⸗, Handels- und Prozeßrecht. Unter Mit⸗
wirkung von Amtsgerichtsrat Meyer in Magdeburg,
Amtsrichter Dr. Krauſe in Dresden und Land⸗
richter Mollner in Gne 125 bearbeitet von Amts⸗
gerichtsrat Dr. Otto Warneher⸗Leipzig. 9. Jahr⸗
gang, enthaltend die Literatur und Rechtſprechung
des Jahres 1910 zu BGB., EGBGB, HGB.,
ZPO., KO., AG., GG., G80. 85 anderen
Reichsgeſetzen und 172 Landesgeſetzen. XX, 630 S.
Gebd. Mk. 10.—.
B. Strafrecht und Strafprozeß. Unter Mitwirkung
von Amtsrichter Hans Braun in Frauenſtein, be⸗
arbeitet von Amtsgerichtsrat Georg Noſenmüller⸗
Schandau. 5. Jahrgang, enthaltend die Literatur
und Rechtſprechung des Jahres 1910 zu StGB.,
StPO., GewO., MStBB., MStG O. ſowie 83 anderen
Reichs⸗ und 215 Landesgeſetzen. XXIII, 368 S.
Gebd. Mk. 9.—.
Leipzig 1911, Roßberg'ſche Verlagsbuchhandlung (Ars
thur Roßberg).
Staatskonkurs⸗Aufgaben für den höheren Juſtiz⸗ und
Verwaltungsdienſt im Königreich Bayern. Die
Aufgaben im Jahre 1910. München 1911,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 230 S.
Mk. 1.50.
Bleeck, Siegfried. Die Majeſtätsbeleidigung im
geltenden deutſchen Strafgeſetz (Strafgeſetzbuch vom
ar Februar 1876 — Geſetz vom 17. Februar 1908).
„ 86 S. Berlin 1909, J. Guttentag. Mk. 2.50.
re gründliche Unterſuchung, die auch die ziem—
lich umfaſſende Literatur über den Gegenſtand ſorg—
fältig prüft.
Braun, Friedrich Edler von, k. Oberregierungsrat im
Staatsminiſterium des Innern. Das Bayeriſche
Geſetz über die Güterzertrümmerung vom
13. Auguſt 1910 mit Erläuterungen, Vollzugsvor—
ſchriften und den ſonſtigen einſchlägigen Vorſchriften.
XXIII. 146 S. München und Berlin 1910. J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 2.—.
Der Verfaſſer, der als Landwirtſchaftsreferent des
Staatsminiſteriums des Innern bei der Schaffung des
in Bayern. 1911. Nr. 5.
gearbeitet hat, erläutert das Geſetz vor allem vom
volkswirtſchaftlichen und verwaltungsrechtlichen Stand⸗
punkt aus und ſichert ſeiner Darſtellung damit den
Vorzug der Anſchaulichkeit und Faßlichkeit; auch die
eingehende Berückſichtigung der Vollzugsvorſchriften
verleiht dem Buche Wert und Bedeutung.
Ben B. Lindſey, Jugendrichter in Denver, Die Auf⸗
gabe des Jugendgerichts. Aut. Uebertragg.
von Dr. A. Paul. Mit einer Einleitung von Dr.
jur. Anna Schultz, Hamburg. Heilbronn 1909,
E. Salzer. 134 S. Broſch. Mk. 1.60, geb. Mk. 2.20.
Jugendgericht und Jugendfürſorge beherrſchen
heute nicht nur das Intereſſe des Staates, ſondern
auch das weiter Kreiſe von Privatperſonen. Die
leſenswerte Schrift ſchildert in gemeinverſtändlicher
Weiſe die günſtigen Erfahrungen eines amerikaniſchen
Jugendrichters mit dem e ee Jugendgericht
und den damit zuſammenhängenden Einrichtungen.
Die Mitteilungen ſcheinen teilweiſe etwas optimiſtiſch
gefärbt zu ſein; großen wiſſenſchaftlichen Wert 198
ſie keinesfalls.
Wolf, Dr. B., Landrichter in Elberfeld. Die Geſetz⸗
gebung über das Polizeiverordnungsrecht
in Preußen unter Berückſichtigung der Recht⸗
ſprechung und Literatur. 220 S. Halle 1910, Buch⸗
handlung des Waiſenhauſes. Mk. 4.—, gebd. 4.75.
Das Buch iſt auch für die bayeriſche Praxis ver⸗
wendbar, weil es eine Reihe reichsrechtlicher Vor⸗—
ſchriften berückſichtigt.
— — n.
Sprachecke
des Allgemeinen Dentſchen Sprachvereinz.
Mahnung für Beamte.
O Menſch, der du Beamter von Beruf,
Schreib, wie du ſprichſt: natürlich, einfach, klar!
Vermeide Redensarten wie „behuf',
Auch „in Erwägung“ Elingt zu ſonderbar,
Und willſt für klug du gelten und für weiſe,
So ſage „oder“ ftatt „beziehungsweiſe“!
Statt daß man ſchreibt „zum Zweck' bei vielen Sachen,
— Zum Zweck der Anordnung der Vormundſchaft —
Kann man es ſich mit „zu“ bequemer machen,
vielumſtrittenen Geſetzes und bei ſeinem Vollzuge mit⸗
Auch „Für die Anordnung“ hat Sinn und Kraft.
„Verwünſchter Zopf!“ ſo hört mit Recht man fluchen,
Oft iſt's, als wär man im Chineſenreich,
Und leſ' ich vom „dortſeitigen Erfuden“,
Wünſch' ich den Sprachverein herbei ſogleich.
Weitſchweifigkeit — der Ausdruck endlos breit,
„Mitteilung machen“ und „in Abſatz bringen“,
Und dabei iſt doch koſtbar unſre Zeit,
Ein einzig Wort wird g'rad' ſo gut gelingen!
Ach, und der fremden Wörter Flitterputz
Paßt läppiſch zu dem ſchlichten deutſchen Kleid.
Vereinigt euch fortan zu Schutz und Trutz,
Dann iſt die Hilfe ſicherlich bereit.
„Der Inkulpat“ — wer mag der Aermſte fein?
„Das quäſtionierte Kind?! — unſchuld'ges Wurm!
„Der Rubrizierte“ . Himmel, halte ein!
„Expropriantin“ . nein, ich läute Sturm!
Ich kenne meine „Pflicht, ich bin Beamter,
Doch kein zu ew'ger Fremdherrſchaft Verdammter!
Was das Geſetz befiehlt, das führ' ich aus:
Deutſch ſei die Loſung im Behördenhaus!
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im m Staatsminiſteriumd. Justiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Selier) Nünchen und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
— — — —
Ur. 6. 6. Miinchen, den 1 15. März 1911. 7. —
Zeit ift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
Th. von der Pfordten in Bayern 3. Pe. | zu
K. Landgerichts rat, verw. im K. Baner.
Staats minlſterium der Juftlz Münden und Berlin.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
: u ebühr 30 Pfg. für dle halbgeſpaltene te
% oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich :
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Ferdinand Regelsberger.
Ein Nachruf.
Hochbetagt aber immer noch unermüdlich ſchaffend iſt Ferdinand Regelsberger am 28. Februar
1911 im 80. Lebensjahr abberufen worden. Sein Name hat einen guten Klang bei den bayeriſchen
Juriſten und ein treues Andenken iſt ihm ſicher.
Ferdinand Regelsberger iſt am 10. Dezember 1831 in Heidenheim a. H. geboren. Nachdem
er den bayeriſchen Staatskonkurs mit ausgezeichnetem Erfolg als Erſter beſtanden hatte, habilitierte
er ſich im Jahre 1858 an der juriſtiſchen Fakultät der Univerſität Erlangen. 1862 folgte er einer
Berufung zum außerordentlichen Profeſſor nach Zürich, um dann im Jahre 1872 in ſein Heimatland
zurückzukehren, wo er bis 1881 als Ordinarius des römiſchen Zivilrechts an der Univerfität Würz⸗
burg wirkte. 1881 wurde er an die Univerität Breslau berufen und in Göttingen endete ſchließlich
ſeine Laufbahn.
Nur ein kleiner Teil der akademiſchen Lehrtätigkeit Regelsbergers hat ſich in Bayern abgeſpielt.
Gleichwohl haben wenige Rechtslehrer ein ſo großes Anſehen bei der bayeriſchen Praxis genoſſen
wie er. Dieſen hohen Ruf verdankte er vor allem ſeiner ſyſtematiſchen Darſtellung des bayeriſchen
Hypothekenrechts, deren erſte Auflage im Jahre 1874 in Leipzig erſchien. An dieſer glänzenden
Leiſtung auf einem von der Theorie ſonſt etwas vernachläſſigten Gebiete, in der ſich wiſſenſchaftliche
Tiefe mit feinem Geſühle für die Bedürfniſſe der Praxis glücklich vereinigte, haben ſich ganze Ge⸗
nerationen bayeriſcher Juriſten gebildet. Regelsbergers Hypothekenrecht war zumeiſt das erſte Buch,
das der Rechtspraktikant nach ſeinem Eintritt in den Vorbereitungsdienſt zur Hand nahm um ſich
über dieſen ihm noch fremden Rechtsſtoff zu unterrichten. Auch das Lehrbuch des Pandektenrechtes
(Leipzig 1893) fand guten Eingang. Es iſt nicht über den allgemeinen Teil hinausgediehen; daß
es aber eine hervorragende Leiſtung war, die den Werken Windſcheids und Dernburgs ebenbürtig zur
Seite treten durfte, zeigt ſich darin, daß es auch heute noch — ein Jahrzehnt nach dem Inkrafttreten
des BGB. — in wiſſenſchaftlichen Werken wie in gerichtlichen Entſcheidungen nicht ſelten angeführt wird.
Auf eine Beſprechung der zahlreichen anderen Werke Regelsbergers müſſen wir hier verzichten.
Jedoch ſei noch ſeiner langjährigen Mitarbeit bei der Herausgabe der Jahrbücher für die Dogmatik
des bürgerlichen Rechts gedacht. Auch unſere Zeitſchrift hatte die Ehre ihn zu ihren Mitarbeitern zählen
zu dürfen: im Jahrgang 1908 (S. 253 ff.) hat er einige vielumſtrittene moderne Probleme behandelt.
Seine feinſinnigen Ausführungen zeigten, daß er niemals hinter ſeiner Zeit zurückgeblieben iſt ſondern
mit offenen Augen auch die Strömungen des Gegenwartslebens verfolgte.
Aus allen ſeinen Schriften mit ihrer ſchlichten und einfachen Darſtellung, ihrer vornehmen und
ſtreng ſachlichen Schreibweiſe ſprach ein hochgebildeter Geiſt und ein lauterer Charakter.
Der Herausgeber.
Nr. 6
München, den 15. März 1911.
7. Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. Landgerichtsrat, verw. Im K. Bayer.
Staate miniſterium der Juſtiz.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchbandlung und
Poſtanſtalt.
— — —ů—— — ee
Nachdruck verboten
Der 8 380 und der § 372 der SM.
Von Heinrich Gerland, Univerſitätsprofeſſor und
Oberlandesgerichtsrat in Jena.
Die Frage, ob eine Reviſion auf Verletzung
des § 372 StPO. geſtützt werden kann, wird
von der Literatur, ſoweit ich ſehe, einſtimmig
verneint,“) und auch die Praxis hat ſich über—
wiegend auf dieſen Standpunkt geſtellt.) Die
Gründe, die hierfür geltend gemacht werden,
ſcheinen durchſchlagend zu ſein. Es wird nämlich
behauptet, §S 372 enthalte eine das Verfahren be:
treffende Vorſchrift, deren Verletzung mithin nach
§ 380 im Wege der Reviſion nicht gerügt
werden könne. Den Charakter als Norm formalen
Inhaltes folgert man aber des weiteren und
zwar mit Recht aus dem Hinweis des § 380
auf 8 398 StPO. 8 398 enthält bekanntlich in
ſeinem 2. Abſatz das Verbot der reformat io in
peius für den Fall, daß in der Reviſionsinſtanz
die Sache zur abermaligen Verhandlung an den
iudex a quo zurückgewieſen wird. Da 8 380 dieſe
in Bayern
Berlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zeller)
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—
125
Der weiteſtgehende, kaum denkbare Fall wäre der,
Vorſchrift ausdrücklich als eine ſolche prozeſſualer
Natur charakteriſiert, jo iſt der Schluß zwingend,
daß das in $ 372 enthaltene Verbot der refor-
matio in peius ebenfalls ein Verbot des Prozeß⸗
rechtes iſt. Kann aber deshalb ohne
weiteres auch der Schluß gezogen werden,
daß ſeine Verletzung nie die Möglichkeit
einer erfolgreichen Reviſion begründet?
Dieſe Frage ſcheint mir aufgeſtellt und in ver⸗
neinendem Sinn beantwortet werden zu müſſen,
ſo ſeltſam das auch auf den erſten Blick er—
ſcheint.
Bedenkt man die möglichen Verletzungen des
8 372, fo iſt natürlich die flagranteſte und
damit auch einfachſte die, daß ſich der Richter
nicht an die Vorſchrift des § 372 gehalten hat.
) Vgl. v. Kries, Lehrbuch des g e
S. 678: Löwe⸗Hellweg. StPO., 11. Aufl. 8 380 Anm. 8
vor allem Schmidt, 8 380 der deutſchen StPO. S. 52.
2) Vgl. die Angaben bei Schmidt, S. 52 Anm. 2.
So auch Goltdammers Archiv Bd. XXXVII S. 368.
|
von Fällen,
daß er wider beſſeres Willen den § 372 nicht an⸗
gewandt hat. Ein minder ſchwerer, eher denkbarer
Fall wäre dagegen der, daß er aus Unkenntnis oder
Unachtſamkeit die Vorſchrift des $ 372 nicht be:
achtet hätte. Immer würde in dieſen Fällen eine
ausſchließliche Verletzung des § 372 vorliegen,
und derartige Rechtsverletzungen könnten im Wege
der Reviſion nicht gerügt werden. Denn in der
Tat wäre hier nur formales Recht verletzt, und
es müßte § 380 zur Anwendung kommen, jo un:
erfreulich das auch ſcheinen mag.
Allein es gibt nun doch eine ganze Reihe
die anders gelagert ſind. Und
gerade ſie dürften die bedeutungsvollſten ſein.
Ich möchte von einem konkreten Fall ausgehen:
Es iſt auf Grund von § 74 StGB. wegen Dieb:
ſtahls und Betrugs zu einer Geſamtſtrafe von 1 Jahr
verurteilt worden, während die Einzelſtrafen auf
9 und 6 Monate bemeſſen worden ſind. In
der Berufungsinſtanz wird wegen Betrugs frei:
geſprochen, die Geſamtſtrafe aber wird beibehalten.
Dabei geht der Berufungsrichter von der Annahme
aus, daß die eigentlich erkannte Strafe die
Geſamtſtrafe als Einheit, die Einzelſtrafen nur
als Strafberechnungsfaktoren ohne ſelbſtändige Be:
deutung zu betrachten ſeien. Offenbar iſt hier
§ 372 StPO. ſubjektiv nicht verletzt, denn der
Berufungsrichter kennt die Norm betreffend die
reformatio in peius, die er ſeinerſeits nicht übertreten
zu haben wähnt. Tatſächlich aber hat er
ſie übertreten. Denn tatſächlich find die
eigentlich erkannten Strafen die Einzelſtrafen, die
ihre Selbſtändigkeit nicht etwa durch die Geſamt⸗
ſtrafe verlieren. Nicht ſie ſind die Rechnungs—
faktoren, ſondern Berechnungsfaktor iſt die Geſamt⸗
ſtrafe,) wie denn mithin die weſentliche Beſtim—
mung des § 74 StGB. nur die iſt, daß
mehrere erkannte Strafen unter beſtimmten Vor⸗
ausſetzungen nicht ganz zu verbüßen ſind. Daß
) Vgl. z. B. Olshauſen, StGB., 7. Aufl. 8 74
Anm. 20; Löwe-Hellweg $ 372 Anm. 4 b Abi. 1.
126
in dem oben gegebenen Beiſpiel der Angeklagte
wegen Diebſtahls zu 9 Monaten Gefängnis ver⸗
urteilt iſt, wird nicht durch die Tatſache geändert,
daß er insgeſamt nur 12 Monate zu verbüßen hat,
wenn er noch wegen eines anderen Deliktes zu
6 weiteren Monaten verurteilt wird. Allerdings
iſt ja dieſe ganze Frage ſehr beſtritten, wie ich mir
wohl bewußt bin. Aber für uns kommt es auch nicht
darauf an das Problem der Geſamtſtrafe auf ſeine
Richtigkeit hin zu unterſuchen, ſondern es genügt
für unſere weiteren Erörterungen, daß wir uns
auf den weiter oben präziſierten Standpunkt im
Hinblick auf die Auslegung des 8 74 StGB.
ſtellen. Es entſteht mithin für uns die Frage,
ob die Entſcheidung des Berufungsrichters, die
nach unſerer Auffaſſung fehlerhaft iſt, in der
Reviſionsinſtanz angefochten werden kann. Und
dieſe Frage iſt meiner Anſicht nach
zu bejahen. Allerdings iſt ja $ 372 StPO.
verlegt, allein nicht ausſchließlich, ſondern verletzt
iſt auch die materiell rechtliche Beſtimmung des
§ 74 StGB., ) indem der Richter ſich über
den Begriff und die rechtliche Bedeutung der
Geſamtſtrafe, namentlich in ihrem Verhältnis zur
Einzelſtrafe geirrt hat. |
Beachtet man nun die Beziehung, in
welcher die beiden Geſetzes verletzungen zu einander
ſtehen, ſo leuchtet ein, daß die Verletzung
des 8 74 die primäre, die des § 372 die
ſekundäre iſt. Allerdings beruht das Urteil in
erſter Linie auf der Verletzung des 8 372, da
aber dieſe Verletzung ihrerſeits wiederum beruht
auf der Verletzung des § 74, fo beruht das Urteil
nach dem Satz causa causae est causa causati
in letzter Linie auf der Verletzung des 8 74.
Eine Reviſion kann mithin den Fehler rügen.
Allerdings kann fie ſich im Hinblick auf 8 380
StPO. nicht auf eine Verletzung von $ 372
StPO. ſtützen, wohl aber auf die des $ 74 StGB.,
die in der Verletzung des § 372 StPO. zum
Ausdruck kommt.“)
Das Ergebnis, welches wir in dem eben be⸗
handelten konkreten Fall gewonnen haben, läßt
ſich verallgemeinern: Es iſt bei einer Verletzung
des 8 372 ſtets zu unterſuchen, ob es ſich um
eine ausſchließliche Verletzung dieſer Beſtimmung
handelt oder nicht. Im letzteren Fall iſt des
weiteren zu unterſuchen, in welchem Verhältnis
die mehreren Verletzungen zu einander ſtehen.
Iſt dies ein Abhängigkeitsverhältnis primärer
und ſekundärer Verletzung, ſo iſt die Reviſion zu:
) Vgl. ungen des Reichsgerichts in Straf:
ſachen Bd. \
8) u et des Oberlandesgerichts Dres⸗
den vom 14. März 1883, Annalen Bd. V S. 101 f., und
Colmar vom 20. Dezember nn sub] ſche Zeitſchrift
für Elſaß-Lothringen Bd. X S. 110 f.
) Und dieſes Ergebnis laßt a noch weiter ver⸗
—— —äUä0— j.n]—— — ͤ
— ——— ͤ E—éuäV— — —
0 Beitfehrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
rechtlicher Natur iſt.) Und fo gelangen wir zu
dem Endreſultat: Die Verletzung des Ver⸗
botes der reformatio in peius kann
trotz der Beſtimmung des 8 380 StPO.
zum Gegenſtand einer Reviſionsrüge
gemacht werden, wenn die Verletzung
ſelbſt durch einen Fehler bei der An:
wendung oder Nichtanwendung des
materiellen Rechtes bedingt iſt.
Dieſes Ergebnis wird auch noch durch die
andere Erwägung geſtützt, daß 8 380 StPO.
eine Ausnahmebeſtimmung iſt, die als ſolche
natürlich durchaus reſtriktiv auszulegen iſt.“)
Und zwar ergibt ſich dieſer ihr Charakter einmal
aus ihrem Inhalt ſelbſt, dann aber auch aus
ihrer Entſtehungsgeſchichte. Iſt doch 8 380 in
das Geſetz gekommen im Wege gegenſeitigen
Nachgebens, indem die Regierung ihren Stand⸗
punkt, die Berufung bei ſchöffengerichtlichen Ur:
teilen auszuſchließen, aufgab, der Reichstag ſeiner⸗
ſeits aber auf eine uneingeſchränkte Reviſions⸗
möglichkeit, wie ſie der Entwurf vorſah, ver⸗
zichtet.) Man hat ja das Reſultat, welches
ſich bei dieſer Einigung ergeben hat, ſcharf an⸗
gegriffen, und man hat in dem Ausſchluß der
Möglichkeit. die Reviſion gegen Berufungsurteile
rein formal begründen zu können, einen der
weſentlichſten Mißgriffe ſehen wollen, den die
StPO. begangen hat.“) Allein dem kann
ich nicht zuſtimmen. Gewiß, ich halte den
heutigen Zuſtand auch nicht für erfreulich, allein
nicht etwa, weil 8 380 zu weit, ſondern weil er
zu eng iſt. Ich meine, man ſollte die Reviſion
bei Berufungsurteilen ganz ausſchließen, wie das
in durchaus richtiger Weiſe gegenüber den un⸗
bedeutendſten Delikten des täglichen Lebens der
8 397 Abſ. 2 MStõGO. tut, der in dieſer Hin⸗
ſicht geradezu vorbildlich für die Reform auch des
bürgerlichen Strafprozeſſes ſein ſollte. Wenn bei
ſolchen Fällen auch im bürgerlichen Strafprozeß die
Reviſion ganz ausgeſchloſſen würde, ſo hätten wir
auf dem Strafprozeß doch nur dasſelbe erreicht,
was wir auf dem Gebiet des Zivilprozeſſes längſt
haben. Und daß gegen die Berufungsurteile der
Zivilkammern keine Reviſion läuft, ſollte das ein
Unglück ſein? Ich meine alſo, man ſollte
ruhig die Reviſion gegen Berufungs⸗
ſtets zu unterſuchen iſt, ob ſie ausſchließlicher Natur
find oder nicht. Die Reviſion kann alſo darauf geſtützt
werden, um noch einen anderen Fall zu erwähnen,
10 f | daß der Richter $ 244 Abſ. 2 StPO. angewendet hat,
laͤſſig, falls die primäre Verletzung materiell: ni
als Uebertretung qualifizieren.
Kries, Strafprozeßrecht S. 677 Anm. 3.
weil er irrtümlich angenommen hat. die Tat laſſe ſich
Anderer Anſicht v.
) Löwe⸗Hellweg, StPD.8 380 Anm. 2b; Binding,
Grundriß des Strafprozeßrechtes 5. Aufl. S. 265 und
andere mehr.
s) Ueber die e sgeſchichte eingehend K.
Schmidt, 8 380 StPO. S. I ff.
) So Löwe⸗ Hellweg 8 380 Anm. 4; Binding J. e.
S. 265 ſpricht gar von einer perverſen Beſtimmung des
allgemeinern auf alle formalen Verletzungen, bei denen | Geſetzes.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
— — nm nn
urteile der Strafkammern beſeitigen.
Denn es iſt doch geradezu unerhört, daß 3 In⸗
ſtanzen, alſo 11 Richter damit befaßt werden
können, wie ich das neulich erlebt habe, daß
Meyer dem Müller vorwirft, er Müller habe ihn
Meyer halb tot geärgert! Und wenn man da⸗
gegen einwendet, daß dann die Beſtimmungen
über das Berufungsverfahren leges imperfectae
ſeien “e), da kein Schutz durch Rechtsmittel gewährt
ſei, ſo gilt das doch überall da, wo keine Rechts⸗
mittel gegeben find, alſo namentlich ſtets für die
Vorſchriften des Reviſionsverfahrens. Daraus
kann man, wie ich meine, wirklich keinen Grund
gegen die Beſchränkung der Rechtsmittelmöglich⸗
keit entnehmen, denn einmal muß jede Sache
ein Ende nehmen.“)
Wie nun aber man auch über die kritiſche
Frage de lege ferenda denken mag, de lege
lata jedenfalls iſt $ 380 StPO. eng auszulegen,
und auch das, ich wiederhole, läßt unſere weiter
oben gegebene Entſcheidung der behandelten Frage
gerechtfertigt erſcheinen.
Die Einreichung des Vermögensverzeich⸗
niſſes bei fortgeſetzter Gütergemeiuſchaft.
Von Amtsgerichtstat Sommer in Cöln.
Die Rechtſprechung und die Rechtswiſſenſchaft
nehmen ziemlich einſtimmig an, daß die in
8 1640 BGB. ausgeſprochene Verpflichtung zur
Einreichung eines Vermögensverzeichniſſes ſich bei
fortgeſetzter Gütergemeinſchaft nicht auf dasjenige
Vermögen des Kindes erſtreckt, das zum Anteil
des verſtorbenen Ehegatten am Geſamtgut gehört.
Die Begründung dieſer Rechtsauffaſſung, auf die
im einzelnen hier nicht naͤher eingegangen werden
10) K. Schmidt J. c. S. 5, vgl. auch weiter S. 7 und
67 f. Uebrigens iſt Beſchränkung der Reviſion in ſor⸗
maler Hinſicht auch in anderen Rechten eine keineswegs
Bern Erſcheinung; ich erinnere nur an das engliſche
echt.
1) Der Entwurf einer StPO. hat § 380 beſeitigt
und die Reviſion in allen Fällen uneingeſchränkt zuge⸗
laſſen. Vgl. die Begründung Reichstag, 12. Legislatur⸗
periode II. Seſſion, Druckſachen Nr. 7 Begründung
S. 184 f. Die Kommiſion des Reichstags hat ſich dem
angeſchloſſen, vgl. Kommiſſionsbericht S. 866 ff.
Proteſtieren möchte ich bei dieſer Gelegen-
heit gegen die formale Aenderung, wonach
Re viſion in Zukunft Rechtsrüge heißen ſoll.
Der Begriff Reviſion iſt ein eingebürgter.
Man erſchwert die Benutzung der ganzen
bisherigen Literatur und Judikatur für die
Zukunft außerordentlich, wenn man einen
derartigen Grundbegriff anders benennt.
Ein Grund dafür iſt wirklich nicht erſichtlich.
und die Berechtigung des reinen Purismus
hat doch auch ihre Grenzen.
!
|
0
1911. Nr. 6. 127
ſoll, ſtützt ſich darauf, daß die Beſtimmung des
§ 1940 BGB. ſich nur auf die Vermögensver⸗
waltung des Vaters oder der Mutter in ihrer
Eigenſchaft als Inhaber der elterlichen Gewalt
bezieht und auf die Vermögensverwaltung aus
einem andern Titel, insbeſondere auf die Ver⸗
waltung des Geſamtguts bei fortgeſetzter Güter⸗
gemeinſchaft, nicht angewendet werden koͤnne. Mit
anderen Worten: Der Anteil des Kindes am Ge⸗
ſamtgut iſt nicht Kindesvermögen im Sinne der
85 1640 ff. BGB. Der Abkömmling hat keinen
Anſpruch auf den Anteil des Geſamtguts, der
ihm beim Tode des erſtverſterbenden Elternteils
zukommt, ſondern nur Anſpruch auf den An⸗
teil, der ſich bei der dereinſtigen Schichtung für
ihn ergibt. Dieſe Rechtsauffaſſung iſt juriſtiſch
nicht wohl angreifbar; eine andere Frage aber
iſt es, ob man dabei zu wirtſchaftlich befriedigenden
Zuſtänden gelangt, und ob es ſich nicht vom ge⸗
ſetzgeberiſchen Standpunkt aus empfiehlt, dem
überlebenden Ehegatten in den erwähnten Fällen
wenigſtens die Einreichung eines Vermögensver⸗
zeichniſſes über das Geſamtgut aufzugeben. Die
letzte Frage iſt zu bejahen, da ohne eine ſolche
Verpflichtung ein wirkſamer Schutz des Vermögens
Minderjähriger nicht ausführbar iſt. Nach
8 1456 BGB. iſt der Mann der Frau für die
Verwaltung des Geſamtguts nicht verantwortlich.
Dieſe große Selbſtändigkeit des Mannes iſt durch
wirtſchaftliche Rückſichten geboten. Die volljährige
Frau hat aber durch perſönliche Einwirkung und
ihr zu Gebote ſtehende Rechtsbehelfe hinreichende
Möglichkeit einer Gefährdung ihres Vermögens
entgegenzuwirken. Außerdem muß ſie die Folgen
ihrer Handlungsweiſe tragen, wenn ſie vor Ein⸗
gehung der Ehe nicht Sorge getragen hat, eine
Form des Güterrechts zu wählen, die dem
Manne weniger Freiheit gewährt. „Die dem
Manne traut, traut auch den Schulden“ ſagt
das alte, franzöſiſche Rechtsſprichwort. Anders
ſteht es mit den Kindern. Sie kommen in feſte
güterrechtliche Verhältniſſe bei der fortgeſetzten
Gütergemeinſchaft hinein und können als Une
mündige ihre Rechte nicht ſelbſt wahrnehmen.
Daraus ergibt ſich für fie ein erhöhtes Schuß:
bedürfnis, dem aber das Vormundſchaftsgericht
mit den ihm heute zu Gebote ſtehenden Mitteln
nicht entſprechen kann. Da der Anteil des
Kindes am Geſamtgut nicht Kindesvermögen im
Sinne des 8 1640 BGB. iſt, verſagen die ſonſt
dem Richter durch den §8 1667 BGB. ge
währten Schutzbefugniſſe. Das Gericht kann dem
Vater wohl die elterliche Gewalt nehmen, aber
nicht ohne weiteres die Verwaltung des Geſamt—
gutes. Erſt wenn die Vorausſetzungen des
§ 1495 BGB. vorliegen, alſo regelmäßig ſtarke
Gefährdung des Vermögens des Kindes einge—
treten iſt, kann die Aufhebung der fortgeſetzten
| Gütergemein] haft und damit die Herausgabe des
Kindesvermögens erzwungen werden.
128
—— — —
Aber auch abgeſehen von den Fällen einer |
böswilligen Gefährdung des Kindesvermögens iſt
der Umſtand, daß der überlebende Ehegatte von
der Pflicht zur Einreichung eines Vermögensver⸗
zeichniſſes bei fortgeſetzter Gütergemeinſchaft ent⸗
bunden iſt, in wirtſchaftlicher Hinſicht bedenklich.
Die Art und Weiſe, wie ein Vermögen angelegt
iſt, kann als ſicher gelten, ſo lange ein geſchäfts⸗
kundiger Mann fie überwacht. Das Vermögen |
iſt aber gefährdet, wenn die Verwaltung in die
Hand einer geſchäftsunkundigen Frau übergeht.
In derartigen Fällen kann aber der Vormund⸗
ſchaftsrichter nur dann der Mutter raten, ihr
gegebenen Falles auch einen Beiſtand beſtellen,
wenn er durch ein Vermögensverzeichnis Näheres
über das Vermögen erfährt. Verheiratet ſich die
Mutter wieder, ſo iſt der Vormundſchaftsrichter,
wenn bereits beim Tode des erſten Mannes ein
Vermögensverzeichnis eingereicht worden iſt, in
der Lage, durch Vergleich mit dem neu einzu⸗
reichenden Verzeichnis feſtzuſtellen, ob die Mutter
das Vermögen gut verwaltet hat und ſie demnach
Vormünderin ihrer Kinder werden kann. Erfährt
der Richter erſt bei der Wiederverheiratung etwas
über die Vermögensverhältniſſe der Kinder, deren
ganzes Vermögen bei fortgeſetzter Gütergemein⸗
ſchaft ja faft ausnahmslos in ihrem Anteil am
Geſamtgut beſteht, ſo iſt er nicht in der Lage
ſich ein Urteil über die Vermögensverwaltung der
Mutter bilden zu können. Ebenſo ſtößt die
Durchführung etwaiger Erſatzanſprüche der Kinder
aus SS 1456, 1487 BGB. und die Feſtſtellung
der gegenſeitigen Rechte und Pflichten nach
8 1499 BGB. auf Schwierigkeiten, wenn kein
Vermögensverzeichnis vorliegt, das über den
Stand des Vermögens beim Tode des erſtver⸗
ſtorbenen Ehegatten Auskunft gibt! Endlich ſei
noch darauf hingewieſen, daß nach § 14 Ziff. 9
des preußiſchen Geſetzes vom 16. April 1860 (be: |
treffend die Gütergemeinſchaft in Weſtfalen), wenn
der erſtverſtorbene Gatte die Schichtung ange—
ordnet hat, ein klagbarer Anſpruch darauf beſteht,
und der Anteil des Abkömmlings am Geſamtgut
dann bemeſſen wird nach dem Vermögensſtand
beim Tod des verſtorbenen Ehegatten. Es liegt
auf der Hand, daß auch hier den Kindern
Schwierigkeiten entſtehen, wenn kein Verzeichnis
über den Beſtand des Vermögens aus jenem
Zeitpunkt vorliegt. Aus vorſtehendem ergibt ſich,
daß die rechtlich nicht anfechtbare Auffaſſung, daß
der überlebende Ehegatte bei fortgeſetzter Güter⸗
gemeinſchaft kein Vermögensverzeichnis einzu—
reichen braucht, zu ſchweren, wirtſchaftlichen Miß—
ſtänden führen kann, und deshalb eine ent— |
ſprechende Aenderung der einſchlägigen Geſetzes⸗
beſtimmungen notwendig iſt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
Studien aus dem bayeriſchen Forſtſtrafrecht.
Vom Landgerichtsrat Hümmer in München.
1
Die Einführung des Gerichtsverfaſſungsgefetzes
und der Reichsprozeßgeſetze gab im Jahre 1879
den meiſten deutſchen Bundesſtaaten den Anlaß
neben dem Verfahren in Forſtſtrafſachen auch das
Forſtſtrafrecht zu ändern. In Bayern machte ſich
Mitte der ſiebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
eine Bewegung geltend, die auf Reviſion der Forſt⸗
geſetze, allerdings vorwiegend in forſtpolizeilicher
Richtung, hinzielte; die Staatsregierung hatte bereits
1877 einen darauf abzielenden Geſetzentwurf be⸗
arbeitet; er gelangte nicht zur Annahme, weil ſich
inzwiſchen die Anſchauungen des Landtags in grund:
legenden Fragen geändert hatten. Daher gelten die
forſtſtrafrechtlichen Tatbeſtände in der Hauptſache
noch ſo, wie ſie im rechtsrheiniſchen Forſtgeſetz und
im pfaͤlziſchen Forſtſtrafgeſetz in den Jahren 1852,
1831 und 1846 ins Leben traten. Aber auch
die allgemein ſtrafrechtlichen Beſtimmungen beider
Geſetze find nur in beſchränktem Maße den Vor⸗
ſchriſten des allgemeinen Teiles des Reichsſtraf⸗
geſetzbuchs angeglichen. Sie bereiten der praktiſchen
Anwendung nicht ſelten Schwierigkeiten. Einen
Teil davon wollen die folgenden teils unmittelbar
aus der Straſpraxis geſchöpften teils durch ſie
wenigſtens angeregten Ausführungen aus dem Wege
räumen.
Die allgemeinen Vorſchriften des Strafgeſetz⸗
buchs (88 1— 79) finden auf die beiden bayeriſchen
Forſtgeſetze und auf das nicht kodifizierte pfaͤlziſche
Forſtpolizeirecht Anwendung, ſoweit dieſe Landes:
geſetze nichts anderes beſtimmen, Art. 4 AGz StPO.
Ausland im Sinne des $ 4 StGB. iſt bei An:
wendung des bayeriſchen Forſtſtrafrechts das „nicht:
bayeriſche Gebiet“. Die Anwendung des 8 4
Ab). 1 a. a. O. führt dazu, das Territorialitäts⸗
prinzip für die bayeriſchen Forſtrügeſachen: Forſt⸗
frevel, Forſtpolizeiübertretungen und die auf Forſt—
frevel bezüglichen Zuwiderhandlungen gegen $ 361
Nr. 9 StGB., aufzuſtellen. Es entſcheidet alſo
der Ort der Begehung, der bei Forſtfreveln und
Forſtpolizeiübertretungen leicht feſtzuſtellen ſein wird.
Bei dem Unterlaſſungsdelikt des 8361 Nr. 9 StGB.
kommen als Tatort der Ort oder die Orte in
Betracht, an denen hätte gehandelt werden ſollen.
Wenn alſo im bayeriſchen Grenzbezirk wohnende
Eltern dulden, daß die von ihnen zu beaufſichtigenden.
zu ihrer Hausgenoſſenſchaft gehörenden Kinder
jenſeits der bayeriſchen Grenze Holz freveln, ſo iſt
die Uebertretung aus $ 361 Nr. 9 in Bayern
begangen, weil an ihrem Wohnſitz die Eltern ihre
Kinder von den Forſtfreveln hätten abhalten ſollen.
Allerdings dauert dieſe Abhaltungspflicht fort bis
zu der Zeit, wo die Kinder außerhalb Bayerns
das Holz entwenden; inſofern iſt die Uebertretung
von den Eltern auch am Frevelorte verübt und
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Ar. 6. 129
— . — —
es könnten die Gerichte des nichtbayeriſchen Bundes⸗
ftaates aus $ 361 Nr. 9 StGB. gegen die Eltern
ebenfalls einſchreiten. Da eine Doppelbeſtrafung
der Eltern wegen derſelben Uebertretung unzuläſſig
wäre, hätte die Prävention die Gerichtszuſtändigkeit
zu beſtimmen. Nach den gleichen Geſichtspunkten
wäre der Fall zu beurteilen, wenn die außerhalb
Bayerns wohnenden Eltern duldeten, daß ihre
Kinder auf bayeriſchem Boden Holz frevelten.
Neben dem Grundſatz der Territorialität findet
auf die bayeriſchen Forſtrügeſachen auch der der
Perſonalität Anwendung. Art. 49 Abſ. 4 JG.)
ſagt nämlich: „Bayeriſche Staatsangehörige können
auch wegen der außerhalb des bayeriſchen Staats⸗
gebietes von ihnen verübten Forſtfrevel nach den
in Abſ. 1 erwähnten Artikeln beſtraft werden.“
Hiernach erſtreckt ſich das Perſonalitätsprinzip nur
auf die Forſtfrevel, nicht auf die Forſtpolizeiüber⸗
tretungen und die auf Forſtfrevel bezüglichen
Zuwiderhandlungen nach $ 361 Nr. 9 StGB.;
vielmehr unterliegen dieſe ausſchließlich der Ver⸗
folgung durch den nichtbayeriſchen Staat, in deſſen
Gebiet fie begangen find (8 6 StGB. mit Art. 4
AGzStpO.). Vorausſetzung für die Anwendung
des Art. 49 Abſ. 4 a. a. O. iſt keineswegs, wie
das der $ 4 Abi. 2 Nr. 3 StGB. vorſchreibt,
daß den Forſtfrevel auch das Geſetz des außer⸗
bayeriſchen Begehungsortes mit Strafe bedroht;
iſt die Tat dort mit Strafe bedroht, ſo iſt es
unerheblich, wie ſie von dem dortigen Geſetzgeber
ſtrafrechtlich qualifiziert iſt; es kommt nur darauf
an, ob ſie ein Forſtfrevel im Sinne der Art. 79
bis 105 JG. verbunden mit Abſ. 2 und 3 des
Art. 49 iſt. Ob ſolche ausländiſche Forſtfrevel
zu verfolgen find, darüber entſcheidet im Einzel⸗
falle das freie Ermeſſen des Forſtmeiſters als
Forſtamtsanwalts.“) Iſt die vom nichtbayeriſchen
Staate wegen eines ſolchen Forſtfrevels verhängte
Strafe bereits vollſtreckt, ſo muß ſie auf die vom
bayeriſchen Forſtrügegericht zu erkennende ange⸗
rechnet werden ($ 7 StGB.). Beſteht die außer⸗
bayeriſche Strafe in Forſt⸗ oder Gemeindearbeit
(vgl. 8 14 preuß. Forſtdiebſtahls S. vom 15. April
1878), jo hat der bayeriſche Forſtſtrafrichter dieſe
mit dem bayeriſchen Strafenſyſtem nicht vergleich⸗
bare Strafart nach billigem Ermeſſen einzuſchätzen;
er kann einen Tag Forſtarbeit eintägiger Haft
oder einer Geldſtrafe von 2 & gleichſetzen, iſt aber
nicht gehindert ſie höher oder niedriger anzuſchlagen.
Nach den Motiven zu Art. 23 AGzStpO.
wurde mit der Anfügung des Abſ. 4 an den
Art. 49 JG. bezweckt, bayeriſche Staatsangehörige
auch für die in Nachbarſtaaten verübten Forſt⸗
frevel beſtrafen zu können, um ſo mehr als derartige
1) FG. = rechtsrheiniſches Forſtgeſetz; FStG. =
Forſtſtraſgeſetz für die Pfalz.
n einem Falle iſt die Verfolgung geboten;
wenn der Frevel teils innerhalb teils außerhalb Bayerns
verübt iſt.
Beſtrafungen zur Sicherung der Gegenſeitigkeit oft
dringend geboten ſeien. Dieſer Zweck des Geſetz⸗
gebers iſt im Geſetzestext nicht zum Ausdrucke
gekommen: die Worte „außerhalb des bayeriſchen
Staatsgebietes“ lauten allgemein und beziehen ſich
auch auf Staaten,“) die nicht an Bayern grenzen.
So kann ein Bayer in Bayern wegen eines Forſt⸗
frevels beſtraft werden, den er in Frankreich ver:
übt hat. Der Staatsvertrag zwiſchen Deutſchland
und Belgien vom 29. April 1885 (RGBl. ©. 251)
ſchreibt in Art. 1 die gegenſeitige Verfolgung der
durch die eigenen Untertanen im Gebiete des anderen
Staates begangenen Forſtfrevel zwingend vor; auch
dieſer beſchräͤnkt ſich nicht auf die in den Grenz⸗
waldungen verübten Delikte. |
Eine Ausnahme erleidet die Beſtimmung des
Art. 49 Abſ. 4 FG. durch die im Jahre 1839
abgeſchloſſene, 1844 erneuerte Uebereinkunft zwiſchen
Bayern und Oeſterreich zur wirkſamen Hintanhaltung
der Jagd⸗, Fiſch⸗, Forſt⸗ und Feldfrevel an der
Landesgrenze (Reg Bl. 1839, 825; 1844, 308).
Nach dieſem noch geltenden Staatsvertrag darf ein
in Oeſterreich wohnender Bayer, der in Oeſterreich
einen Forſtfrevel begeht, hierwegen von den baye⸗
riſchen Behörden nicht verfolgt werden. Dagegen
iſt Art. 49 Abſ. 4 JG. wieder anwendbar, wenn
der auf öſterreichiſchem Gebiete frevelnde Bayer
in Bayern wohnt.
Beſitzt jemand neben der bayeriſchen noch eine
andere (deutſche oder außerdeutſche) Staatsange⸗
hörigkeit, ſo ſchließt das die Anwendbarkeit des
Art. 49 Abſ. 4 nicht aus. Wer etwa gleichzeitig
Bayer und Oeſterreicher wäre, würde nach der
Abſicht des vorerwähnten Staatsvertrages von
jenem Staate zu beſtrafen ſein, in dem er wohnt,
nicht aber von demjenigen, in deſſen Gebiet er
frevelt und nicht wohnt.
Frevelt ein Nichtbayer in Bayern, ſo wird er
nach bayeriſchem Recht vom bayeriſchen Forſtrüge⸗
gericht abgeurteilt. Die deutſchen Bundesſtaaten
ſind hierbei auf Grund des Titels 13 des Ge⸗
richtsverfaſſungsgeſetzes zur Rechtshilfe verpflichtet;
ob andere Staaten Rechtshilfe leiſten, bemißt ſich
nach den jeweils beſtehenden Staatsverträgen. Wenn
der Heimatſtaat den in Bayern frevelnden Fremden
ebenfalls beſtraft, ſo gilt das im folgenden Abſatz
Bemerkte. Nur wenn ein in Oeſterreich wohnen⸗
der Oeſterreicher einen Forſtfrevel in Bayern be⸗
geht, darf er im Hinblick auf die angeführte Ueber⸗
einkunft in Bayern nicht verfolgt, ſondern muß
ſeiner Heimatbehörde zur Beſtrafung überlaſſen
werden. |
Die bayeriſche Staatsangehörigkeit muß vor:
handen ſein in dem Zeitpunkt, wo der Tatrichter
— Amtsrichter oder Strafkammer — das Urteil
fällt; daß der Frevler bei Erlaſſung des Reviſions⸗
) Die Verfolgung eines Bayern, der auf ſtaaten⸗
loſem Gebiet einen Forſtfrevel begangen, in Bayern
dürfte kaum jemals praktiſch werden.
130
urteils nicht mehr Bayer iſt, hat für die Frage
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
Was bisher zu Art. 49 Abſ. 4 FG. ausge:
feiner Beſtrafung keine Bedeutung. Die Be: führt wurde, gilt gleichmäßig für die Pfalz, da
ſtimmungen des $ 4 Nr. 3 Abſ. 2 StGB. find | Art. 2 Abſ. 3 JStG. dem Inhalt nach das
gegenüber der landesrechtlichen Sondervorſchrift
($ 2 EGzStGGB.) des Art. 49 Abi. 4 J G. nicht
anwendbar; insbeſondere bedarf es nicht des Straf⸗
antrags des außerbayeriſchen Staates und es kann
von einer Anwendung ſeiner e ſoweit
fie milder find als die bayeriſchen, keine Rede fein.
Auch 8 5 StGB. ift durch Art. 49 Abſ. 4 FG.
bei dem von einem Bayern außerhalb Bayerns
verübten Forſtſrevel ausgeſchloſſen; ſelbſt die rechts⸗
kräftige Freiſprechung des Bayern durch das nicht⸗
bayeriſche Gericht oder die nach den Geſetzen des
Tatorts eingetretene Verjährung der Straſver⸗
folgung oder »Vollſtreckung hindern nicht ſeine
Beſtrafung durch das bayeriſche Gericht. |
Der Wortlaut des Art. 49 Abſ. 4 bezieht ſich
zwar unmittelbar nur auf die „Beſtrafung“ der
von Bayern außerhalb Bayerns begangenen Forſt⸗
frevel. Da aber das bayeriſche FG. den Adhäſions⸗
prozeß beibehalten hat, entſpricht es ſicherlich dem
Willen des Geſetzgebers, daß auch in einem ſolchen
Falle der Frevler neben der Strafe zu Wert:
und Schadenserſatz verurteilt wird. Für dieſe
Auffaſſung ſpricht insbeſondere der Grundſatz des
Schutzes der beteiligten Intereſſen, wenn der be⸗
ſchädigte, außerhalb Bayerns liegende Wald einem
Bayern gehört, wie denn auch bayeriſche Gemeinden
i B. im angrenzenden Böhmen Waldungen be⸗
tzen.
Für einen nach Art. 49 Abſ. 4 zu ſtrafenden
Forſtfrevler iſt eine Zivilverantwortlichkeit nur
dann begründet, wenn der aus Art. 69 Haftbare
in Bayern wohnt. Denn wie die bayeriſchen
Forſtgeſetze überhaupt, ſo haben insbeſondere ihre
durch Art. 107 EGz BGB. auſrechterhaltenen
bürgerlichrechtlichen Beſtimmungen nur innerhalb
des bayeriſchen Staatsgebietes Geltung, ſofern
fie nicht eine ausdrückliche Beſtimmung enthalten,
daß ſie auch außerhalb in gewiſſer Richtung
gelten ſollen. Eine derartige Beſtimmung beſteht
für die Zivilverantwortlichkeit nicht. Wird mit⸗
hin ein Bayer wegen eines außerhalb Bayerns
verübten Forſtfrevels verfolgt, ſo können ſeine
im Beſitze der bayeriſchen Staatsangehörigkeit
befindlichen Eltern, bei denen er außerhalb Bayerns
wohnt, nicht als zivilverantwortlich mitverurteilt
werden. Die Zivilverantwortlichkeit iſt eine Haftung
für die Folgen fremden Verſchuldens und beruht
teils auf zivilrechtlichen teils auf forſtpolizeilichen
Erwägungen. Dieſe machen Halt an der Landes—
grenze: denn es iſt die Annahme berechtigt, daß
für die Handhabung der Forſtpolizei in den fremden
Waldungen der ausländiſche Geſetzgeber Vor—
kehrungen trifft; zivilrechtlich iſt die Zivilver—
antwortlichkeit Haftung für eine unerlaubte Hand—
lung; dafür iſt im internationalen Privatrecht
das Recht des Begehungsortes maßgebend, wie
nämliche verordnet, wie jene Geſetzesſtelle.
Die Pfalz und das rechtsrheiniſche Bayern
ſind in forſtſtrafrechtlicher Beziehung von ein⸗
ander unabhängige Rechtsgebiete; jene wird durch
das FStG., dieſes durch das FG. beherrſcht;
beide Geſetze ſchließen ſich gegenſeitig formell aus,
wenn ſie auch im Inhalt vielfach übereinſtimmen.
Ob deshalb eine Handlung Forſtfrevel, Forſt⸗
polizeiübertretung oder Uebertretung nach $ 361
Nr. 9 StGB. iſt, beſtimmt ſich für jedes der
getrennten Gebiete nach den dort beſtehenden
Geſetzen und geſetzmäßigen Verordnungen. Wer
alſo in der Pfalz einen Forſtfrevel begeht, wird
nach dem FStG. beſtraft, mag er in der Pfalz
oder im rechtsrheiniſchen Bayern beheimatet oder
Nichtbayer ſein. Iſt der Frevler Nichtbayer oder
treffen bei einem Frevel mehrere in verſchiedenen
Gerichtsbezirken wohnende Perſonen zuſammen,
ſo iſt in erſter Linie das Gericht des Tatortes
zur Aburteilung zuſtändig (Art. 58 Abſ. 2 FStG.).
Iſt dagegen der Frevelnde ein Bayer, ſo beſtimmt
ſein Wohn⸗ oder Aufenthaltsort das zuſtändige
Gericht, Art. 58 Abſ. 1 daſ.; dieſe Beſtimmung
iſt nach den Motiven zu dem Zwecke gegeben,
um den Beteiligten eine Erleichterung zu ver⸗
ſchaffen, und iſt deshalb auch dann anwendbar,
wenn ein im diesſeitigen Bayern wohnender
Bayer in der Pfalz frevelt. Er wird hierwegen
von dem Gerichte ſeines rechtsrheiniſchen Wohn:
orts abgeurteilt, das aber das pfälziſche Recht
anzuwenden hat. Bei Forſtpolizeiübertretungen
richtet ſich die Zuſtändigkeit des Gerichts nach
dem Tatort (Art. 58 Abſ. 1 FStG.), bei den
Uebertretungen aus $ 361 Nr. 9 StGB. nach
dem Tatort oder Wohnſitze des Täters, SI 7, 8
StPO. mit Art. 91 Abſ. 1 FStG. Begeht
ſohin ein im rechtsrheiniſchen Bayern wohnender
Bayer eine Forſtpolizeiübertretung in der Pfalz,
ſo wird die Tat nur nach pfälziſchem Recht be⸗
urteilt und von dem dortigen Forſtrügegericht
abgeurteilt. Bei Uebertretungen aus § 361 Nr. 9
StGB. tritt eine Kolliſion kaum je ein, da durch
die zur Auswahl geſtellten Gerichtsſtände des
87 und des 8 8 StPO. Zweifel über die Zu:
ſtändigkeit nicht wohl auftauchen können. Das
für die Pfalz im Verhältnis zum diesſeitigen
Bayern Ausgeführte gilt auch umgekehrt im Hin:
blick auf die Art. 117, 50, 188 FG.
Begeht ein aktiver Soldat einen Forſtfrevel,
der kriminellen Charakter trägt — im Gegen—
ſatz zu einem ſolchen polizeilicher Natur z. B.
nach Art. 93 Nr. 6 EG. — ſo wird er von dem
zuſtändigen Militärgericht abgeurteilt, mag es
ein bayeriſches ſein oder nicht. Dieſes hat je
nach dem Orte der begangenen Tat das rechts—
rheiniſche oder das pfaͤlziſche Forſtſtrafrecht anzu:
das auch Art. 12 EGz BGB. mittelbar anerkennt.! wenden. Auf den Wohnort des Frevlers kommt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
es dabei nicht an; denn die Beſtimmungen des
Art. 117 Abſ. 1 §G. und 58 Abi. 1 FStG.
ſetzen voraus, daß der Frevel durch das bürger⸗
liche Gericht abgeurteilt wird. Dagegen unter⸗
ſtehen die Forſtfrevel polizeilichen Charakters und
die Forſtpolizeiübertretungen!) ſtets der Abur⸗
teilung durch das bürgerliche Gericht, auch wenn
ſie von einer Militärperſon des aktiven Heeres
oder der aktiven Marine begangen werden (88 1
und 2 MStõG0.). Dagegen fallen die Ueber:
tretungen aus § 361 Nr. 9 StGB., weil wahl:
weile mit Hajt zu ahnden, in die Zuftändigfeit
der Standgerichte, wenn eine Militaͤrperſon der
Täter iſt. Die Verurteilung durch ein wenn
auch nichtbayeriſches deutſches Militärgericht ſteht
der durch ein bayeriſches Forſtrügegericht gleich;
das gilt insbeſondere für die Kollektivdelikte des
ausgezeichneten Rückfalles und des Gewohnheits⸗
frevels. Bei dieſen macht es auch keinen Unter⸗
ſchied, ob die Frevel innerhalb oder außerhalb
Bayerns verübt find; es ware denkbar, daß alle
zur Begründung des ausgezeichneten Rückfalles
oder des Gewohnheitsfrevels dienenden Frevel
außerhalb Bayerns verübt find, wenn ſie nur
durch ein bayeriſches Forſtrügegericht oder ein
deutſches Militärgericht abgeurteilt wurden (Art. 49
Abſ. 4 §G., Art. 2 Abi. 3 JStG.)
II.
Ueber die ſtrafrechtlichen Schuldformen des
Vorſatzes und der Fahrläſſigkeit enthalten das
FG. und das F StG. keine Beſtimmungen. Nach
Art. 4 AGz StPO. kommen deshalb die im all:
gemeinen Teile des Reichsſtrafgeſetzbuchs ent⸗
haltenen Vorſchriften zur Anwendung. Da dieſes
aber weder vom dolus noch von der culpa eine
Begriffsbeſtimmung gibt, ſind beide Verſchuldens⸗
arten auch für die Forſtrügeſachen nach ihrem
durch Rechtſprechung und Wiſſenſchaft feſtgeſtellten
Weſensinhalt anzuwenden. Die Forſtruͤgeſachen
bilden in ihrer überwiegenden Mehrzahl Polizei⸗
übertretungen; hierher gehören zunächſt die auf
Forſtfrevel bezüglichen Uebertretungen aus $ 361
Nr. 9 StGB., dann die Forſtpolizeiübertretungen
im engeren Sinn, endlich die große Menge der
Forſtfrevel durch Uebertretung forſtpolizeilicher
Beſtimmungen und andere Gefährden. Der für
das Reichsſtrafrecht geltende Grundſatz, daß bei
Polizeiübertretungen ſowohl vorſätzliches als fahr⸗
läſſiges Handeln beſtraft wird — ſoweit letzteres
nach dem Einzeltatbeſtand überhaupt denkbar iſt —
beherrſcht auch die Polizeiübertretung des baye-
riſchen Forſtſtrafrechts.?) Die kriminellen Ueber:
) Mit Freiheitsſtrafe (MStG O. 8 2) find ſolche
Uebertretungen weder im FG. noch im F StG. bedroht.
2) Ausnahmsweiſe iſt bloß die fahrläſſige Ber
gehung ſtrafbar: Beſchädigung oder ſonſtige Verände—
rung von Grenzzeichen (FG. Art. 92 Nr. 3, St.
Art 30 Nr. 3 weil die vorſätzliche Verübung durch
8 274 StGB. bedroht iſt.
— ———— —
131
tretungen, die im früheren bayeriſchen Strafrecht
Uebertretungen ſchlechthin hießen im Gegenſatze
zu den Polizeiübertretungen — erſtere waren im
Strafgeſetzbuch, letztere im Polizeiſtrafgeſetzbuch
behandelt; ein Hinweis auf den Unterſchied findet
ſich noch im Art. 5 AGzStPO., auf die Polizei⸗
geſetze auch im 8 2 Abſ. 2 EGz StGB. und $ 2
MStGdᷣO. — können zum Teil bloß vorſätzlich
zum Teil auch fahrläſſig begangen werden.
Beiſpiele der erſteren Art bieten die Art. 79, 80,
82, 83 Abſ. 1 und 2, 86, 95 Abſ. 5 JG., der
letzteren Art die Art. 88, 95 Abſ. 1—4, 100 FG.
Auch der zum Vergehen geſtempelte Gewohnheits⸗
frevel (Art. 104 G., Art. 40 FStG.) kann
fahrläſſig begangen werden; ſo wenn jemand an
nicht angewieſenen Waldorten pechelt (Art. 85
und 87 5G.) und ſich in einem unentſchuldbaren
($ 59 Abſ. 2 StGB.) Irrtum darüber befindet,
daß ihm die Stelle zum Pecheln angewieſen ſei.
Der bayeriſche Forſtſtrafgeſetzgeber hat auf die
vorſätzliche und auf die fahrläſſige Begehung
grundjäglich die gleiche Strafdrohung geſetzt. Er
iſt dabei bewußt von dem damals geltenden all⸗
gemeinen Strafrecht abgewichen, das die Fahr⸗
laſſigkeit gelinder beſtrafte als den Vorſatz.
Deshalb kann ein geringerer Grad des Ver⸗
ſchuldens bei der Strafbemeſſung nur inſoweit
berückſichtigt werden als relativ beſtimmte Strafen
in Frage ſtehen. Nur in zwei Fällen (Art. 33
und 36 FStG., 95 und 96 JGG.) tritt bei vor⸗
ſätzlicher, in gewiſſer Abſicht begangener Ueber:
tretung ſtatt der Geldſtrafe Haft ein.
Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß
zur Verübung eines nur bei Vorſatz mit Strafe
bedrohten Forſtdeliktes auch der Eventualdolus
genügt. Dagegen kommen im Gebiete des baye⸗
riſchen Forſtſtrafrechts ſolche Delikte nicht vor,
die ein Verſchulden nicht vorausſetzen, wie dies
z. B. häufig im Zoll- und Steuerſtrafrecht der
Fall iſt. Insbeſondere kann das nicht etwa
daraus gefolgert werden. daß es der Forſtſtraf⸗
geſetzgeber regelmäßig unterlaſſen hat, den Vor⸗
ſatz in den beſonderen Tatbeſtand aufzunehmen.
Dieſe Erſcheinung kann man auch bei zahlreichen
Strafdrohungen des Polizeiſtrafgeſetzbuchs beob⸗
achten, die zweifellos ein ſubjektives Verſchulden
vorausſetzen.
Ueber den Verſuch enthalten die beiden Forſt⸗
geſetze keine Beſtimmungen. Abgeſehen vom Ge-
wohnheitsfrevel ſind die Forſtſtraftaten Ueber⸗
tretungen; deshalb find fie nach Art. 4 AGz StPO.
mit $ 43 Abſ. 1 StGB., wenn nicht vollendet,
ſtraffrei; das gleiche gilt nach $ 43 Abſ. 2 daſ.
für den Gewohnheitsfrevel, da deſſen Verſuch
nicht ausdrücklich mit Strafe bedroht iſt. Die
Unterſcheidung zwiſchen Vorbereitungs- und Aus⸗
führungshandlungen kann im einzelnen Falle
Schwierigkeiten bereiten. So wird im Faͤllen
des Baumes durch den Frevler bereits eine Aus—
führungshandlung und in dem Ergreifen des ge—
132
—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
fällten Baumes die Vollendung der Entwendung
zu erblicken ſein; dagegen iſt das Heranſchaffen
der Säge oder der Axt und der Transportmittel
an den Stamm eine bloße Vorbereitungshandlung.
Dabei iſt nicht außer acht zu laſſen, daß die
als ſolche ſtrafloſe Vorbereitungs- oder Verſuchs⸗
handlung ſchon den Tatbeſtand einer anderen
Forſtübertretung enthalten kann; ſo das Fahren
außerhalb der erlaubten Waldwege oder der in
den Schlägen angewieſenen Holzabfuhrwege.
Oder: der Frevler hat mit dem Abſägen des
Stammes begonnen und wird vom Waldaufſeher
ertappt; es liegt zwar ſtrafloſer Verſuch der
Entwendung (Art. 79 FGG.), zugleich aber eine
nach Art. 95 daſ. ſtrafbare vollendete Ueber⸗
tretung der Beſchädigung vor; dieſe Strafbarkeit
bleibt beſtehen, ſelbſt wenn der Frevler vom
Verſuch der Entwendung zurücktritt. So kann
auch der Täter, wenn er von der Entwendung
verkaufs⸗ oder verbrauchsbereiten Holzes oder ge⸗
ſchälter Lohrinde (Art. 79, 83 Abſ. 3 JG.) zurück⸗
tritt oder tätige Reue beweiſt, zwar nicht wegen
Diebſtahlsverſuchs beſtraft werden (8 242 Abſ. 2
mit 8 46 Nr. 1 und 2 StGB.); wohl aber bleibt
er nach Art. 92 Nr. 1 G., 30 Nr. 1 JStG.
ſtrafbar, wenn er bei der Ausführung des ver:
ſuchten Diebſtahls eine künſtliche Anſaat oder eine
Pflanzung unter ſechs Jahren betreten hat.
Wenn allerdings Handlungen, die ſachlich
bloße Verſuchsakte ſind, unter ſelbſtändige Straf⸗
drohungen geſtellt ſind, ſo ſind ſie damit delicta
sui generis geworden und müſſen in jeder Be⸗
ziehung wie vollendete Straftaten behandelt werden.
So iſt nach Art. 94 Nr. 5 38. 35 FStG.
ſtrafbar nicht nur, wer Erde und andere Boden—
beſtandteile unbefugt hinwegnimmt, ſondern auch
wer unbefugt danach gräbt. Der Geſetzgeber hat es
in der Hand auch bloße Vorbereitungshandlungen
zu ſelbſtändigen Delikten zu erheben, vgl. „wer
es unternimmt . . .. in den 88 81—83, 105,
114 StGB. In den bayeriſchen Forſtgeſetzen iſt
dies nicht geſchehen; insbeſondere iſt das „Unter-
nehmen einer Lichthauung“ in Art. 75 FG. gleich⸗
bedeutend mit „Ausführung“ einer Lichthauung;
weder der Wortlaut noch die Entſtehungsgeſchichte
dieſes Artikels ſprechen dafür, daß dadurch auch
die Vorbereitung des Kahlhiebes mit Strafe be—
legt werden ſollte.
Vom Standpunkte der Geſetzgebungspolitik
würde es ſich empfehlen, den Verſuch des Forſt—
diebſtahls für ſtrafbar zu erklären, wie es das
preußiſche Forſtdiebſtahlsgeſetz (5 4) und das
württembergeriſche Forſtſtrafgeſetz (Art. 11) getan
haben; vielleicht auch den der Forſtbeſchädigung,
da hier zum Teil ſehr hohe Werte gegen den ver—
breche riſchen Angriff geſchützt werden müſſen.
(Schluß folgt).
Mitteilungen ans der Praxis.
Die Anlegung eines Grundbuchblattes für ein Erb:
baurecht. Das Muſter XXII zur DAGBAe. enthält
auch ein Beiſpiel für die Anlegung eines beſonderen
Grundbuchblattes für ein Erbbaurecht und zwar
in der zweifellos zuläſſigen Form der Eintragung auf
einem gemeinſchaftlichen Blatte mit mehreren Grund⸗
ſtücken des Erbbauberechtigten, die mit dem Erbbau⸗
rechte gleichmäßige Belaſtung in der dritten Abteilung
des Grundbuchblattes teilen. (GBO. 8 4; DA. 88 219,
213 u. a.; BGB. 8 1017 ])).
Die Anlegung eines beſonderen Grundbuchblattes
für ein Erbbaurecht erfolgt nach GBO. 8 7 entweder
auf Antrag oder von Amts wegen; letzteres ſoll ſtets
geſchehen, wenn das Recht veräußert oder belaſtet
werden ſoll. Das Muſter XXII geht von dieſem
letzteren Falle aus.
Am 15. Mai 1910 iſt im Titel des Blattes
Nr. 211 das „Erbbaurecht an Pl.⸗Nr. 81 ¼ nach der
näheren Bezeichnung in der Eintragungsbewilligung
vom 10. Februar 1910, Urk. d. Not. Waslingen GR.
Nr. 146“ mit nachfolgender Bezeichnung des Baus
werkes nach dem Meſſungsverzeichniſſe eingetragen
worden und am gleichen Tage wurde unter der näm⸗
lichen Tagebuchziffer in der zweiten Abteilung
dieſes Blattes eine Reallaſt an dem Erbbaurechte
Pl.⸗Nr. 81¼ “ eingetragen. Die Anlegung des Grund⸗
buchblattes für das Erbbaurecht iſt alſo von Amts
wegen erfolgt, um deſſen Belaſtung mit einer Real⸗
laſt ſowie mit den in der dritten Abteilung des
Blattes bereits eingetragenen Rechten den 88 1017
Abſ. 1, 873 Abſ. 1 BGB. entſprechend ordnungsgemäß
eintragen zu können.
Nun gehört aber zur Anlegung eines Grundbuch⸗
blattes für ein Grundſtück oder grundſtücksgleiches
Recht ſtets auch die Eintragung des Eigentümers oder
Berechtigten in die erſte Abteilung des Grundbuch⸗
blattes oder, wenn die Eintragung des Grundſtückes
oder Rechtes auf einem ſchon beſtehenden Blatte er:
folgt, die Eintragung des rechtlichen Vorganges,
auf Grund deſſen das Grundſtück oder Recht von dem
ſchon eingetragenen Berechtigten erworben worden
iſt, in der erſten Abteilung dieſes Blattes. (DA.
SS 343 Nr. 1, 2; 353; vgl. auch 8 311).
Bei der Eintragung eines Erbbaurechtes iſt dies
gemäß BGB. Ss 873, 1015 die „Einigung“ des Eigen⸗
tümers und des Erwerbers über die Beſtellung des
Erbbaurechtes. (Del. 8 354 Nr. 4). (Von einer
„Auflaſſung“ kann bei einem Erbbaurechte gemäß
BGB. 88 1017 Abſ. 2, 925 nur bei der rechtsgeſchäft⸗
lichen Uebertragung eines ſchon beſtehenden, nicht
aber, wie hier, bei der Begründung des Rechtes ge—
ſprochen werden.) Gemaß DA. 8 356 Abi. 1, 2 er:
folgt daher die Eintragung in der erſten Abteilung
durch Anführung des Tages der Einigung.
Hier weiſt nun das Muſter XXII der Dienſtan—
weiſung eine Lücke auf, inſoferne in der erſten Ab—
teilung des Blattes Nr. 211 die notwendige Eintragung
des Rechtsvorganges beim Erwerbe des am 15. Mai
1910 im Titel eingetragenen Erbbaurechtes an Pl.
Nr. 81 ½ fehlt. Es iſt wohl anzunehmen, daß dieſe
Eintragung nur aus Verſehen weggeblieben iſt; ſie
iſt daher aus den übrigen Eintragungen dieſes und
des Muſters XXI ſinngemäß zu ergänzen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
1911. Nr. 6. 133
In Muſter XXI iſt nämlich das Erbbaurecht als
Belaſtung eingetragen in der zweiten Abteilung des
Grundbuchblattes für das Grundſtück Pl.⸗Nr. 81":
oder vielmehr für die nunmehr mit Pl.⸗Nr. 81¼; *
bezeichnete Grundfläche des Bauwerkes und bleibt dort
auch eingetragen nach Anlegung des Grundbuch⸗
blattes für das letztere. Dieſe Eintragung iſt am
12. Februar 1910 erfolgt auf Grund der bereits er⸗
wähnten Eintragungsbewilligung vom 10. Februar
1910; im Hinblick auf die Beſtimmung des $ 20 GBO.
iſt deshalb anzunehmen, daß auch die Einigung über
die Beſtellung des Erbbaurechtes in der nämlichen
Urkunde des Notariats Waslingen vom 12. Februar
1910 GR.⸗Nr. 146 protokolliert worden iſt.
Aber nicht bloß der Tag der Einigung über die
Beſtellung des Erbbaurechts iſt in der erſten Abteilung
des hierfür anzulegenden Grundbuchblattes erſichtlich
zu machen. Da der Erwerb oder die Entſtehung des
Erbbaurechtes Einigung und Eintragung im
Grundbuche zur Vorausſetzung hat (BGB. 88 873,
1012), ſoll die erſte Abteilung des Blattes ſtets
auch denjenigen Tag erſehen laſſen, an welchem die
rechtsbegründende Eintragung erfolgt iſt; iſt
dieſe Eintragung ſchon früher an einer anderen Stelle
des Grundbuchs erfolgt, ſo iſt daher Tag und Stelle
dieſer Eintragung anzuführen.
8 358 der DA. ordnet dies zwar unmittelbar nur
für den Fall an, daß ein ſchon früher an anderer
Stelle eingetragenes Grundſtück ohne Aenderung
im Eigentum auf ein ſchon beſtehendes Grundbuch⸗
blatt übertragen wird; aus den dieſer Anordnung
zugrunde liegenden Erwägungen ergibt ſich aber
ihre ſinngemäße Anwendung auch für den Fall der
Eintragung eines ſchon beſtehenden Erbbaurechts;
wenigſtens dann, wenn das Erbbaurecht wie hier
bereits unter der Herrſchaft des neuen Liegenſchafts⸗
rechts begründet wurde.
Der Anwendung ſteht auch nicht entgegen, daß
für das Erbbaurecht bisher kein Blatt im eigentlichen
Sinne angelegt war, ſondern daß es eben erſt ange⸗
legt werden ſoll; denn in gewiſſem Sinne kann doch
auch ſchon die Stelle, wo das Erbbaurecht bei ſeiner
Begründung als bloße Belaſtung in der zweiten Ab⸗
teilung eingetragen wurde, als Grundbuchblatt gelten;
ja, wie Meikel (GBO. 8 7 Anm. 4c) mit Recht be⸗
merkt, ſie muß ſogar als ſolches gelten, falls das
Grundbuchamt etwa dem 8 7 GBO. — der ja nur
eine Verfahrensvorſchrift iſt — zuwider bei der Ver⸗
äußerung oder Belaſtung des Erbbaurechtes die Blatt⸗
anlegung unterlaſſen und die Rechtsänderung etwa
nur bei der urſprünglichen Eintragungsſtelle des
Rechtes (hier in der zweiten Abteilung des Blattes
Nr. 188, Muſter XXI der DA.) eingetragen hätte.
Um ſo weniger wird darum ein Bedenken beſtehen,
die grundſtücksgleiche Eigenſchaft des Erbbaurechts
hier zu verwerten, wo nicht entgegen, ſondern ſinn⸗
entſprechend mit den Beſtimmungen der GBO. und
der DA. eine Eintragung erfolgen ſoll.
Auch Zeitpunkt und Stelle der Eintragung des
Erbbaurechts ſind alſo dem Muſter XXI zu entnehmen,
wo die rechtsbegründende Eintragung unter dem
Datum des 12. Februar 1910 in Bd. 2 S. 418 des
angenommenen Grundbuchs für Waslingen erfolgt iſt.
Nach alledem wird die Ergänzung des Muſters XXII
in der Weiſe zu erfolgen haben, daß in der erſten
Abteilung hinter der Eintragung Nr. 2 — unter ent⸗
ſprechender Abänderung der folgenden Nummern der
|
|
erſten Längsſpalte — etwa die folgende Eintragung
1 wird:
m — — — — no.
3. : en ss ai 1900, Das Erb⸗ Thb. 1008.
baurecht an r. 81 ¼ 1 von Anl. IV 9, 31.
Oskar Frei erworben durch Eini⸗
| gung vom 10. Februar 1910 und
[Eintragung in II 418 vom 12. |
Februar 1910. Altinger.
Amtsrichter Ferling in Bamberg.
Die amtliche Ermittlung des Wertes von
Grundſtücken. Nach Art. 87 Abſ. 2 AGz BGB.
können die Staatsminiſterien der Juſtiz und des
Innern die Grundſätze beſtimmen, nach denen der
Wert der Grundſtücke auf Antrag des Eigentümers
durch Sachverſtändige feſtzuſtellen iſt, und das bei
der Feſtſtellung zu beobachtende Verfahren regeln.
Die Veſtimmung dieſer Grundſätze und des dabei
zu beobachtenden Verfahrens iſt durch die Be⸗
kanntmachung der beiden vorgenannten Miniſterien,
die Anweiſung für die amtliche Feſtſtellung des
Wertes von Grundſtücken betreffend vom 14. Juli 1909
(JM Bl. 1909 S. 307 ff.) erfolgt. Nach den bisher
gemachten Erfahrungen bleibt das Anwendungsgebiet
dieſer Bekanntmachung — die amtliche Feſtſtellung
kann nach $ 12 (vgl. Art. 87 Abſ. 1 AGz BGB.) nur
auf Antrag des Eigentümers erfolgen — hauptſächlich
auf die Fälle beſchränkt, in welchen es ſich um den
Rangrücktritt von Minderjährigen handelt, und auf
Erbſchaftsauseinanderſetzungen. Die Darlehensſucher,
die ſich an die Banken wenden — beſonders bei Be⸗
leihung von ländlichen Grundſtücken — legen dagegen
unaufgefordert die Schätzungen der gemeindlich
aufgeſtellten Schätzleute vor, wie ſie bisher üblich
waren und auf unmittelbares Erſuchen des Eigen⸗
tümers von den Schätzern ohne jede amtliche Mit⸗
wirkung gefertigt werden; die Regel iſt auch nach
wie vor — trotz § 29 Abſ. 1 Satz 4 der Bek. vom
14. Juli 1909 und trotz des dankenswerten Hinweiſes
auf die hiedurch möglichen Haftungsfolgen in der
Bekanntmachung des Kgl. Staatsminiſteriums des
Innern vom 2. Dezember 1909 (MA Bl. d. Innern
1909 S. 1095; vgl. hiezu RG. Bd. 71 S. 60 und dieſe
Zeitſchrift 5 S. 411, auch RG. 73, 205) — daß die
Mehrzahl der ländlichen Bürgermeiſter ihre Unter⸗
ſchriftsbeglaubigung unter dieſe privaten Schätzungen
ſetzt, wenngleich in letzterer Beziehung bei geſchäfts⸗
gewandteren Gemeinden eine Beſſerung zu ver⸗
ſpüren iſt.
Es macht ſich jedoch in einer großen Anzahl von
Fällen das bewußte Beſtreben geltend, ſich über die
Vorſchriften der neuen Schätzungsbekanntmachung
hinwegzuſetzen, anſcheinend nur aus dem Grunde um
die Weitläufigkeiten des amtlichen Schätzungsver⸗
fahrens zu vermeiden. Hierunter fällt die folgende
Faſſung am Schluſſe der privat aufgeſtellten
Schätzungen:
„Die unterzeichneten Schätzleute beſtätigen, daß
ſie gegenwärtige Schätzung nach beſtem Wiſſen und
Gewiſſen betätigt haben und von der in Art. 88 der
[Ausführungsbeſtimmungen zum BGB. feſtgelegten
Haftpflicht Kenntnis beſitzen.“
Dieſe Erklärung iſt auf den gedruckten Schätzungs⸗
formularen ebenfalls im Druck vervielfältigt! Nach
134
Lage der Sache wollen ſich die Schätzer damit nicht
ihrer Haftung entziehen, ſie wollen vielmehr ihre
Haftpflicht anerkennen, ſie ſind ſich aber nicht bewußt,
daß ihre Erklärung völlig gegenſtandslos ift. Wo
der geiſtige Urheber dieſer Erklärung, die in den
Formularen der verſchiedenſten Gemeinden benützt
wird, zu ſuchen iſt, wird ſchwer zu ermitteln ſein.
Die Findigkeit, wer weiß welcher Perſonen hat
nun aber einen neuen Modus gefunden, um, wie ſie
anſcheinend meinen, der Weitläufigkeit des amtlichen
Schätzungsverfahrens aus dem Wege zu gehen; ein
anderer Grund dürfte wohl auch hier kaum anzu⸗
nehmen ſein.
Darnach werden nämlich in der bisher üblichen
ſummariſchen Weiſe auf Antrag des Darlehens⸗
ſuchers Haus und Grundſtücke von den gemeindlichen
Schätzleuten abgeſchätzt ohne jede Berückſichtigung der
Schätzungsvorſchriften der amtlichen Bekanntmachung,
Haus⸗ und Grundſtückswert zuſammengezäblt und
unter der ſo gefundenen Summe — bisher nur hand⸗
ſchriftlich — bemerkt: „Die unterzeichneten Schätzer
haften für vorſtehende Schätzung in gleicher Weiſe
als wenn gerichtliche oder notarielle Schätzung gemäß
Art. 87 und 88 AGz BGB. vorgenommen worden wäre.“
Es iſt an dieſer Stelle nicht nötig, hierzu längere juri⸗
ſtiſche Ausführungen zu machen; nur kurz ſei bemerkt:
Die Haftung für Vorſatz und Fahrläſſigkeit nach
8 276 Abſ. 1 BGB. kann, abgeſehen von der Bes
ſtimmung des $ 276 Abſ. 2, durch Parteivereinbarung
oder durch Geſetz erweitert oder eingeengt werden.
Die Uebernahme einer Haftung für eine private
Schätzung dem Darlehensgeber gegenüber, der einen
Auftrag zur Schätzung nicht erteilt hat und der dem
Schätzer gegenüber nicht in ein Vertragsverhältnis
tritt, iſt jedoch angeſichts der geſetzlich genau ge⸗
regelten Vorausſetzungen, unter welchen allein eine
erweiterte Haftung Platz greift (Art. 79 EG., Art. 87,
88 AGz BGB.) ausgeſchloſſen und wirkungslos. Die
beſondere Haftung tritt eben nicht ein, wenn nicht
das vorgeſchriebene amtliche Verfahren eingehalten
iſt (val. auch Oertmann, Bayer. Landesprivatrecht
8 58 II 3, Entſch. d. ObLG. 3 n. Samml. 71).
Es war nun zwar nicht beabſichtigt nichtamtliche
Schätzungen völlig zu unterbinden (vgl. 8 29 der MB.
vom 14. Juli 1909): allein es beſteht doch die große
Gefahr, daß wie unter der Herrſchaft der alten
Schätzerinſtruktion die privaten Schätzungen der ge—
meindlichen Schätzleute im Laufe der Jahre ſogar
von Behörden als amtliche Schätzungen allgemein
anerkannt wurden, das nämliche auch, wenigſtens in
privaten und nicht rechtskundigen Kreiſen, mit den hier
geſchilderten Schätzungen geſchieht, zumal da ſolche Er:
klärungen durch den Druck vervielfältigt werden. Welche
Gefahr hierin für den Privatkapitaliſten liegt, das
liegt auf der Hand. Es dürfte daher wohl angezeigt
ſein, dieſen abusus noch im Keim zu erſticken, die
Verwendung ſolcher Vordrucke wie die irreführende
und unſachgemäße Haftungserklärung durch eine Ab—
änderung oder Ergänzung des $ 29 der MB. vom
14. Juli 1909 zu verhindern. Nach Satz 3 a. a. O.
haben die Schätzer bei der Abgabe einer ſolchen nicht—
amtlichen Schätzung ohnehin irgendwie deutlich zu
machen, daß es ſich nur um eine Privatſchätzung
handelt. In welcher Weiſe dies geſchieht, vielmehr
nicht geſchieht, iſt hier ausgeführt worden.
Es würde ſich daher im Intereſſe des Kredits
empfehlen — ob nun ein ſolcher weiterer Hinweis
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
auf die Unwirkſamkeit von Haftungserklärungen für
private Schätzungen ergeht oder nicht — den gemeind⸗
lichen Schätzleuten geradezu vorzuſchreiben, daß der
Wortlaut des zweiten Satzes des 8 29 a. a. O. in
der bisherigen oder in der oben angedeuteten er⸗
weiterten Faſſung unverkürzt auf den zur Schätzung
verwendeten Formularen zum Abdruck kommt.
Bankdirektor Bonſchab in München.
Eine bedenkliche Lücke im Geſetze gegen den un:
lanteren Wettbewerb? In Nr. 3 der Zeitſchrift „Der
Manufakturiſt“ wird auf ein am 12. Januar ds. Irs.
ergangenes Urteil des Strafſenates des Oberlandes⸗
|
gerichts Köln hingewiesen, in welchem ausgeſprochen
wird, daß auf die im 8 9 des Geſetzes bezeichneten
Ankündigungen zwar die Vorſchrift des 8 7 Abſ. 2,
nicht aber auch die des 8 7 Abſ. 1 des Geſetzes An⸗
wendung fände. Der Tatbeſtand, der dieſem Urteile
zugrunde lag, iſt kurz folgender:
Ein Möbelhändler hatte in einem Inſerat, das
in einem Lokalblatt erſchienen war, einen nur „noch
kurze Zeit dauernden großen Möbelverkauf zur be⸗
ſchleunigten Räumung des Lagers aus den noch vor⸗
handenen Beſtänden“ angekündigt. Gegen den An⸗
kündiger wurde auf Grund des 8 7 Abſ. 1 und 8 9
des Geſetzes gegen den unlauteren Wettbewerb An⸗
klage erhoben. Der Angeklagte wurde jedoch in allen
Inſtanzen freigeſprochen; zwar ſei der in der Anzeige
angegebene Grund, nämlich befchleunigte Räu⸗
mung des Lagers aus den noch vorhandenen Beſtänden,
kein ernſtlicher im Sinne des 87 Abſ. 1 des Geſetzes,
ſondern eine rein reklameartige Bezeichnung, welche
daher die Forderung dieſer Geſetzesbeſtimmung nicht
erfülle; trotzdem könne 8 7 Abſ. 1 keine Anwendung
finden, weil in der Ankündigung nicht die Bezeichnung
„Ausverkauf“ ſondern „großer Möbelverkauf“ gewäblt
worden ſei. Nun ſtehe zwar nach 89 die beanſtandete
Ankündigung der Ankündigung eines Ausverkaufs
gleich, jedoch nach dem klaren Wortlaute des Geſetzes
nicht im Sinne des 8 7 Abſ. 1, ſondern nur in dem
des Abſ. 2, der die Anzeigepflicht für beſtimmte Arten
von Ausverkäufen vorſchreibt, ſoferne die höhere Ver⸗
waltungsbehörde dies anordnet. Wenn es ſich auch
hier vielleicht um eine Lücke im Geſetze oder ſelbſt
um einen geſetzgeberiſchen Fehler handle, ſo ſei das
Gericht doch an den klaren unzweideutigen Wortlaut
des Geſetzes gebunden und könne deshalb auch einen
etwaigen anderen Willen des Geſetzgebers nicht hinein
legen.
Dieſes Urteil iſt in der Tat geeignet, zu den
Verwirrungen, die der vielfach unklare Wortlaut des
Geſetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7.
Juni 1909 angerichtet hat, eine neue hinzufügen: es
zeugt zudem von einem ungewöhnlich hohen Grad
von formal juriſtiſcher Geſetzesauslegung. Wäre
dieſes Urteil richtig, ſo bedürfte es bei allen Anzeigen
über Ausverkäufe, ſoferne nur die Bezeichnung „Auge
verkauf“ nicht ausdrücklich gewählt wird, keiner Uns
gabe des Grundes, der zu dem Ausverkauf Anlaß
gegeben hat, obwohl das in 87 Abſ. 1 ausdrücklich
vorgeſchrieben iſt. Bei näherem Zuſehen zeigt ſich
denn auch, daß das Urteil bei einigermaßen ſinnge—
mäßer Auslegung der Geſetzesvorſchriften nicht wohl
aufrecht erhalten werden kann.
Die in 8 9 des Geſetzes bezeichneten Ankün—
digungen — es ſind dies ſolche, die den Verkauf von
Zeitſchrift für
Waren wegen Beendigung des Geſchäftsbetriebes,
Aufgabe einer einzelnen Warengattung oder Räumung
eines beſtimmten Warenvorrates aus dem vorhandenen
Beſtande betreffen — ſind u. a. den Ankündigungen
eines Ausverkaufs im Sinne des 8 7 Abſ. 2 des
Geſetzes, alſo den Ankündigungen „beſtimmter Arten
von Ausverkäufen“ gleichgeſtellt, für welche durch die
höhere Verwaltungsbehörde neben der ſchon im 87
Abſ. 1 vorgeſchriebenen Angabe des Grundes des
Ausverkaufs auch noch Erſtattung einer beſonderen
Anzeige und Einreichung eines Verzeichniſſes vor⸗
geſchrieben werden kann. Wenn nun in 8 9 Abſ. 1
des Geſetzes geſagt iſt, daß der Ankündigung eines
Ausverkaufes im Sinne des 8 7 Abſ. 2 auch noch
beſtimmte andere Ankündigungen gleich geachtet werden
ſollen, ſo heißt dies doch nichts anderes, als daß für
dieſe letzteren Ankündigungen dieſelben Vorſchriften
gelten ſollen, wie für die in $ 7 Abſ. 2 bezeichneten
Ausverkaufsarten. Da nun für die im 8 7 Abſ. 2
erwähnten Ankündigungen, ſoferne die Regierung von
der ihr zuſtehenden Ermächtigung Gebrauch macht,
vorgeſchrieben iſt: 1. Angabe des Grundes, welcher
zu dem Ausverkauf Anlaß gibt; 2 Erſtattung be⸗
ſonderer Anzeige bei der von der höheren Verwal⸗
tungsbehörde bezeichneten Stelle, ſo gelten genau die
gleichen Vorſchriften auch für die in 8 9 Abſ. 1 ge⸗
nannten Ankündigungen, wobei noch zu beachten iſt,
daß Angabe des Grundes für die Ausverkäufe im
Sinne des 8 7 Abſ. II ſelbſtverſtändlich auch dann
erforderlich iſt, wenn die höhere Verwaltungsbehörde
von ihrer Ermächtigung, noch weiter gehende Vor⸗
ſchriften zu erlaſſen, keinen Gebrauch gemacht hat.
8 9 Abſ. 1 ſagt nicht, daß für die dort bezeichneten
Ankündigungen die Vorſchrift des 8 7 Abſ. 2 An⸗
wendung finden ſoll, ſondern nur, daß ſie ebenſo be⸗
handelt werden ſollen, wie die Ankündigungen der
letztgenannten Geſetzesſtelle. Es iſt zuzugeben, daß
die Faſſung des Geſetzes keineswegs glücklich iſt;
außer dem 87 Abſ. 2 iſt im 89 bekanntlich auch der
§ 8 des Geſetzes (Verbot des Vor⸗ und Nachſchiebens)
angeführt. Die Bezugnahme auf dieſes Verbot hat
zweifellos keine andere Bedeutung, als die, daß dieſes
Verbot auch auf die Ankündigungen des 8 9 Ans
wendung finden ſoll, ſo daß man zu dem Ergebnis
gelangt, daß der in einem Satze erfolgten Zitierung
des 8 7 Abſ. 2 einerſeits, des 8 8 anderſeits, eine
verſchiedenartige Bedeutung beizumeſſen iſt. Auf den
erſten Blick möchte es ſcheinen, daß eine ſolche Geſetzes—
auslegung dem Wortlaute des Geſetzes einen uner—
laubten Zwang antut. Gleichwohl iſt ſie nicht nur
allein ſinngemäß, ſondern auch zwingend. Der Geſetz⸗
geber konnte, wenn er im 8 9 den 8 7 Abſ. 2 an:
führte, deſſen unmittelbare Anwendung gar nicht an
ordnen, weil zur Anwendung der Vorſchriften des
9 7 Abſ. 2 (Erſtattung beſonderer Anzeigen, Ein:
reichung eines Verzeichniſſes) immer erſt die Anord—
nung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich iſt.
Zu dem gleichen Ergebniſſe wie die vorſtehenden
Ausführungen gelangt, wenn auch aus anderen Grün-
den, der in 3. Auflage 1910 erſchienene Kommentar
1 F Finger (Seite 139 zu 89
1
G. Clarus, Syndikus der Handelskammer Regensburg.
Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
— . nl ul nn nn nn nn nn nn nn nn,
185
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Wenn ein in Jahlungsſchwierigkeiten geratener
Schuldner feinen Gläubigern freiwillig fein Vermögen
zur Verwertung mit der Vereinbarung überläßt, daß
ſie ſich daraus befriedigen und einen etwaigen Ueber⸗
ſchuß herausgeben ſollen, fo verzichten damit die Glän⸗
diger nicht ohne weiteres auf den Neſt ihrer Forde⸗
rungen, der bei Verwertung des Vermögens nicht gedeckt
wird. Am 10. September 1906 wurde über das Ver⸗
mögen des beklagten Ehemannes S. das Konkurs⸗
verfahren eröffnet, das am 9. März 1907 infolge eines
Zwangsvergleiches wieder aufgehoben wurde. In der
Zeit nach dem 10. Dezember 1906 errichtete die be⸗
klagte Ehefrau, die mit ihrem Manne in geſetzlichem
Güterſtande lebt, in L. ein Modewarengeſchaft unter
ihrem Namen. Dieſem Geſchäft lieferte die Klägerin
Waren für 10950 M. Am 14. März 1907 übernahm
der beklagte Ehemann dieſes Geſchäft mit allen Schulden
und führte es unter ſeiner eingetragenen Firma Julius
S. weiter. Nun verklagte die Klägerin die beiden
Beklagten auf den Reſtkaufpreis von 8612 M mit dem
Antrage, den Beklagten S. zur Duldung der Zwangs⸗
vollſtreckung in das eingebrachte Gut ſeiner Ehefrau
zu verurteilen. Die Ehefrau S. wurde als Käuferin,
ihr Ehemann auf Grund des 8 25 HGB. ferner aus
Bereicherung in Anſpruch genommen, weil die Waren
in ſeinem Geſchäfte veräußert worden waren, und ihm
der Erlös zugefloſſen ſei; endlich wurde die Klage
auf Anerkennung geſtützt. Mit dieſer Anerkennung
hat es folgende Bewandtnis: Der beklagte Ehemann
hat, als er von neuem in Zahlungsſchwierigkeiten ge⸗
raten war, am 8. Auguſt 1908 mit der Mehrzahl ſeiner
Gläubiger, darunter auch der Klägerin, ein ſchriftliches
Uebereinkommen getroffen, dem auch die übrigen Gläu⸗
biger zuſtimmten. Durch dieſes Uebereinkommen über⸗
ließ S. unter Zuſtimmung ſeiner Frau dreien ſeiner
Gläubiger, darunter der Klägerin, zur Vermeidung des
Konkurſes das Warenlager, die Einrichtung, die Außen⸗
ſtände uſw.; aus den eingehenden Geldern ſollten die
Gläubiger befriedigt, der Ueberſchuß ſollte dem Ehe⸗
manne ausgehändigt werden. Die Gläubiger verzich⸗
teten auf Zinſen. Die Gläubiger wurden auf dieſem
Wege nicht ganz befriedigt. Die Klägerin hatte immer
noch 2796.02 M nicht erhalten. Deshalb beſchränkte
ſie ihren Klageantrag auf dieſen Betrag. Die Be⸗
klagten bekämpften dieſen Anſpruch mit der Behaup⸗
tung, daß die beklagte Ehefrau nicht hafte, weil nach
der Vereinbarung mit der Klägerin bei der Beſtellung
der Kauf nur äußerlich auf den Namen der Frau abs
geſchloſſen wurde mit der Abrede, daß nach Erledigung
des Konkurſes an deren Stelle der beklagte Ehemann
durch Uebernahme des Geſchäftes trete; außerdem iſt
es nach der Anſicht der Beklagten allgemeine Anſchau⸗
ung im Handelsverkehr, daß die Gläubiger auf den
Ausfall verzichten, wenn der Schuldner ſeinen Gläu⸗
bigern ſein ganzes Geſchäft überläßt. In dieſem Sinne
ſei auch das Verhalten der Gläubiger hier zu deuten.
Das Landgericht hat der Klage ſtattgegeben. Das
OLG. hat die Klage abgewieſen. Das RG. hob auf.
Gründe: Das OLG. ſtellt feſt, daß in dem Ver⸗
trag vom 8. Auguſt 1908 nicht ausdrücklich ein Ver:
zicht der Gläubiger auf ihre Forderungen ausgeſprochen
iſt, ſoweit ſie etwa bei der Verwertung des Vermögens
nicht befriedigt werden. Das OLG. nimmt aber doch
an, daß die Klägerin auf den Ausfall durch den Ver—
trag vom 8. Auguſt 1908 verzichtet habe, und weiſt
die Klage aus dieſem Grunde ab. Zur Feſtſtellung
des Verzichts gelangt das OLG. dadurch, daß es den
Rechtsſatz aufſtellt, bei Verträgen, durch welche der
136
Schuldner feinen Gläubigern die Verwertung feines
Vermögens auftrage, ſei die Befreiung des Schuldners
gewollt, wenn ſie nicht ausgeſchloſſen werde. Dieſen
Rechtsgrundſatz findet der Verufungsrichter ſchon in
der „venditio bonorum“ des römiſchen Rechts ausge⸗
ſprochen; er meint, dieſer Rechtsgrundſatz ſei — aller⸗
dings unter Einſchränkungen — in die Konkursgeſetz⸗
gebungen übergegangen und verdiene nach dem recht:
lichen und wirtſchaftlichen Weſen ſolcher Verträge
Billigung. Angeſichts dieſer Rechtslage wäre es, —
fo bemerkt das OLG. —, Sache der Gläubiger ge⸗
weſen, eine von der üblichen Art abweichende Rege⸗
lung vorzuſchlagen, einen abweichenden Vorſchlag
hätten aber die Gläubiger nicht gemacht. Der Vertrag
ſchweige darüber, wie es mit dem Ausfall gehalten
werden ſolle; es ſei deshalb anzunehmen, daß es die
Klägerin bei der (geſetzlichen) Regel habe belaſſen
wollen; denn ſie hätte ihren Willen, daß dem Vertrag
vom 8. Auguſt 1908 keine befreiende Wirkung zukommen
ſolle, bei deſſen Abſchluß zum Ausdruck bringen müſſen;
das habe ſie nicht getan; folglich habe ſie verzichtet.
Der Berufungsrichter ſtellt ſomit eine geſetzliche Ver⸗
mutung dafür auf, daß die Gläubiger, die einem
Liquidationsvertrag beitreten, auf den Ausfall ihrer
Forderungen verzichten. Maßgebend für die Aus—
legung von Verträgen find jedoch die 88 133, 157
BGB. Nach den Beſtimmungen dieſer Geſetzesvor—
ſchriften iſt aber der wahre Wille der Vertragſchließenden
nach den Grundſätzen von Treu und Glauben mit
Rückſicht auf die Verkehrsſitte zu erforſchen. Dieſe
Beſtimmungen gelten namentlich dann, wenn es ſich
um ſtillſchweigende Willens erklärungen handelt, und
auch dann, wenn es ſich um die hier zu entſcheidende
Frage handelt, ob etwa durch ſtillſchweigende Willens⸗
erklärungen ein Erlaßvertrag nach 8 397 BGB. zuſtande
gekommen iſt. Angeſichts dieſer Beſtimmungen, mo»
nach es immer auf den wirklichen Willen der Parteien
ankommt, iſt kein Raum für die geſetzliche Vermutung
eines Verzichts, auf welche der Berufungsrichter allein
ſein Urteil geſtützt hat. Das OLG. hat ſomit die
§S 133, 157 BGB. durch Nichtanwendung und durch
Aufſtellung einer nicht beſtehenden Verzichtsvermutung
verletzt. (Urt. des II. 35. vom 20. Dezember 1910,
II 119/10). ee,
2176
Il.
Zu 35 812, 818 B83. Wer zur Deckung
einer Forderung eine Hypothek erworben
und auf dieſe ohne Rechtsgrund in der
Zwangsverſteigerung einen Betrag er⸗
halten hat, kann in der Regel nicht mehr
wegen ungerechtfertigter Bereicherung
in Anſpruch genommen werden, wenn er das
Empfangene auf die Forderung feines
Schuldners verrechnet und den Ueberſchuß
herausgezahlt hat. Bereichert iſt er nur
inſoweit, als die Forderung gegen ſeinen
Schuldner nicht vollwertig war oder als
ernocheinen einbringlichen Rückforderungs—
anſpruch gegen ſeinen Schuldner hat.
Der Beklagte hatte infolge unrichtiger Verteilung
des Verſteigerungserlöſes auf ſeine Hypothek einen
Betrag erhalten.
der ausgefallen war, klagte gegen ihn. Das RG.
führte Folgendes zu der Frage aus, ob der Beklagte
noch ungerechtfertigt bereichert ſei: „Begründet iſt die
Rüge der Verletzung des 8 818 Abſ. 3 BGB. Die Be—
klagte hatte in der Berufungsinſtanz geltend gemacht:
Sie habe die Hypothek nur zur Sicherung ihrer Forde—
rungen gegen die Firma Schl. übertragen erhalten. Nach
der Verteilung des Erlöſes habe ſie mit dem Zedenten
abgerechnet. Bei der Abrechnung ſei zugrunde gelegt
worden, daß ſie den auf die Hypothek entfallenen
Betrag behalten ſolle. Sie habe demgemäß den Ueber—
ſchuß über ihre Forderung mit 2564.64 M bar gezahlt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
— . ͤ 33ä—äñ ————— 2——e i — — ———— — —
Ein ihm nachſtehender Gläubiger,
und Wechſel ſowie Urteile gegen die Schuldnerin über
2637.45 M herausgegeben. Die Wiedereinziehung der
gezahlten Summe ſei wegen der Vermögensloſigkeit
der Empfänger nicht mehr möglich, ebenſowenig ein
Vorgehen gegen die Wechſelſchuldner. Sonach ſei zur
Zeit der Klagerhebung die Beklagte nicht mehr be⸗
reichert geweſen. Der Berufungsrichter hat dieſen
Einwand für unerheblich erachtet. Er führt an: Aller⸗
dings würde eine Bereicherung inſoweit nicht vor⸗
liegen, als die Beklagte aus dem an ſie gelangten
Verſteigerungserlöſe nachträglich für Rechnung der
Firma Schl. an Dritte Beträge ausgezahlt hätte, welche
den Betrag ihrer Forderungen gegen die gedachte
Firma überſtiegen. Es ließen aber die Anführungen
der Beklagten nicht erkennen, ob es ſich bei ihren
Leiſtungen aus dem Verſteigerungserlöſe um ſolche
handle, welche mit ihrer Befriedigung für Forderungen
an die Firma Schl. im Zuſammenhange ſtünden, oder
um ſolche, welche unabhängig von ſolchen Forderungen
gemacht ſeien. Die Beklagte hätte die ganze Abrech⸗
nung vorlegen müſſen. Die jetzigen Angaben ent⸗
hielten offenbar aus dem Zuſammenhang geriſſene
Einzelpoſten, welche kein Urteil darüber zul ießen, ob
wirklich die Bereicherung nachträglich wieder fort⸗
gefallen ſei.
Den Ausführungen des Berufungsgerichts läßt
ſich nicht beitreten. Wenn, wie die Beklagte geltend
macht, die Hypothekforderung ihr nur zur Sicherung
ihrer Anſprüche gegen Schl. diente, ſo könnte man
zweifeln, ob durch den ungerechtfertigten Eingang der
Hypothekforderung überhaupt das Vermögen der Be-
klagten und nicht das Vermögen des Zedenten B. ver⸗
mehrt worden iſt; denn was die Beklagte aus der
Forderung erlangte, kam dem Zedenten und für dieſen
der Firma Schl. zugute. Immerhin hatte die Beklagte
nach außen die Stellung einer Hypothekgläubigerin.
Die Leiſtung bei der Verteilung u an fie kraft
eigenen Rechtes, nicht als Vertreterin des Zedenten B.
Der Betrag gelangte alſo bei der Zahlung in ihr Ver⸗
mögen. Aber gegenüber dem Anſpruch aus ungerecht—
fertigter Bereicherung kann die Beklagte ſich darauf
berufen, daß ſie den empfangenen Erlös ihrer Schuld⸗
nerin Schl. zur Tilgung von Schulden gut brachte
und den Ueberſchuß der Firma Schl. oder dem Zedenten
B. bar hinauszahlte. Wenn der Berufungsrichter dies
nicht anerkennt, ſo geht er nicht von den richtigen,
für die Anwendung der 8$ 812, 818 BGB. geltenden
Grundſätzen aus. Soweit der Erlös zur Tilgung von
Schulden der Firma Schl. verwendet worden iſt, wird
ſich allerdings fragen, wie die Forderungen der Be—
tlagten zu bewerten waren. Inſoweit, als die For⸗
derungen nicht vollwertig waren, wird auch mit der
Abrechnung die Vermögensmehrung nicht weggefallen
ſein. Waren die Forderungen gut, ſo wird das Ge—
ſamtvermögen der Beklagten nicht dadurch vermehrt
worden ſein, daß das Geld an die Stelle der For—
derungen trat. Ferner kann die Beklagte nunmehr,
nachdem ſich ergeben hat, daß die auf die Hypothek—
forderung von 7500 M erfolgte Leiſtung des recht—
lichen Grundes entbehrte, einen Anſpruch gegen ihre
frühere Schuldnerin (oder den Zedenten B.) auf Heraus—
gabe der bar gezahlten 2564.64 M und auf Zahlung
der für getilgt erklärten Forderungen erheben und
inſoweit wird eine Bereicherung vorliegen, als dieſe
Anſprüche zu dem Vermögen der Beklagten gehören.
Dieſe Bereicherung beſtünde aber nur in dem Wert
der Anſprüche. Wie die Beklagte geltend gemacht hat,
ſollen die Anſprüche ſchon zur Zeit der Klagerhebung
)
wertlos geweſen fein. Nach dieſen Richtungen war
das Vorbringen der Beklagten erheblich. Die Auf—
nahme des angebotenen Beweiſes konnte daher ohne
Verletzung des 8 818 Abſ. 3 BGB. nicht abgelehnt
werden.“ (Urt. des IV. 35. vom 19. November 1910,
IV 729/09).
2168
— - n.
III.
Muß der zu Entmündigende im Verfahren anf die
Anfechtungsklage ſtets auch in der Berufungsinſtanz
perſönlich vernommen werden? Aus den Gründen:
Seit dem Inkrafttreten der Zivilprozeßnovelle vom
17. Mai 1898, durch welche der 8 654 ZPO. ſeine
jetzige Faſſung erhalten hat, hat das Reichsgericht in
gleichmäßiger Rechtſprechung angenommen, daß der
Entmündigte im Verfahren auf die Anfechtungsklage
nicht bloß in erſter ſondern auch in der Berufungs⸗
inſtanz unter Zuziehung eines Sachverſtändigen per⸗
ſönlich vernommen werden muß, wenn nicht die im
5 654 Abſ. 3 ZPO. vorgeſehenen Ausnahmefälle
vorliegen. Die Anſicht iſt hergeleitet aus der Stellung
des 8 671 im Syſtem der ZPO., aus dem Zwecke des
Geſetzes, das eine möglichſt zuverläſſige Beurteilung
des Geiſteszuſtandes des zu Entmündigenden gewähr⸗
leiſten will, und aus der Begründung der Vorſchrift
in den Motiven. Die erneute Prüfung der Frage
gibt dem Senat keinen Anlaß, von der bisherigen
nſicht abzugehen. Insbeſondere können die Aus⸗
führungen des Berufungsgerichts die Auffaſſung des
Reichsgerichts nicht widerlegen. Mit Unrecht beruft
ih das Berufungsgericht auf 8 526 ZPO. Der
Paragraph enthält die allgemeine Vorſchrift, daß
bei der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungs-
gericht die Beweisverhandlungen ſoweit vorzutragen
ſind, als es zum Verſtändnis der Berufungsanträge
und zur Prüfung der Richtigkeit der Entſcheidung er⸗
forderlich iſt. Dieſe Vorſchrift gilt allerdings auch in
Entmündigungsſachen. Es kann alſo in der münd⸗
lichen Verhandlung unbedenklich das Protokoll über
die in erſter Inſtanz bewirkte perſönliche Vernehmung
des Anfechtungsklägers vorgetragen werden. Für
Entmündigungsſachen gilt aber außerdem die beſondere
Vorſchrift des 8 671 ZPO., daß unter allen Umſtänden
die perſönliche Vernehmung des Entmündigten in der
Berufungsinſtanz wiederholt werden foll, und dieſe
wird durch 8 526 nicht berührt.
Das Berufungsgericht erkennt an, daß bei Unter⸗
laſſung der wiederholten Vernehmung dem Berufungs⸗
gerichte der perſönliche Eindruck des zu Entmündi—
genden entgeht, macht demgegenüber aber geltend,
daß das gleiche der Fall ſei, wenn der zu Ent⸗
mündigende, wie 8 654 Abſ. 2 ZPO. es zulaſſe, durch
einen erſuchten Richter vernommen werde. Dabei ſei
noch zu beachten, daß in vielen Fällen der erſuchte
Richter und der zuzuziehende Sachverſtändige dieſelben
Perſonen ſein würden, die in dem amtsgerichtlichen
e mitgewirkt hätten. Das beweiſt
aber nicht, daß die Auslegung des Reichsgerichts
nicht richtig ſei, ſondern nur, daß eine unzweckmäßige
Geſetzesanwendung den Zweck des Geſetzes vereiteln
kann. Das Berufungsgericht hat nach ſeinem pflicht—
mäßigen Ermeſſen zu entſcheiden, welche Art der Ver-
nehmung des Anfechtungsklägers zweckdienlich iſt.
Erachtet es daher die wiederholte Vernehmung durch
den erſuchten Richter unter Zuziehung der früher ge—
hörten Sachverſtändigen für bedeutungslos, ſo kann
es die Vernehmung vor dem beauftragten Richter oder
dem erkennenden Gerichte und die Zuziehung eines
anderen Sachverſtändigen beſchließen und es ſo
vermeiden, eine Maßnahme zu treffen, die nur den
Wortlaut des Geſetzes erfüllt und auf eine leere
Formalität hinauslaufen könnte. Daß das Berufungs—
gericht die wiederholte Vernehmung nicht deshalb ab
lehnen kann, weil es ſie für unerheblich hält, ergibt
ſich ſchon daraus, daß die Novelle von 1898 die im
§ 598 a. F. (= 8654) Abſ. 3 vorgeſehene Ausnahme
beſeitigt hat, wonach die Vernehmung unterbleiben
konnte, wenn ſie nach Anſicht des Gerichts unerheblich
war. (Urt. des IV. 35. vom 15. Dezember 1910,
IV 55/10).
2163
— — en.
ZJZJettſchrift fü für Rechtspflege in Vat
|
—
in Bayern. 1911. Nr. 6. 137
IV.
In Eheſachen darf der nder die Reviſien ein⸗
legen, auch wenn es nur geſchieht, damit er die Klage
zurücknehmen oder anf den Klageanſpruch verzichten
kann. Aus den Gründen: Die Reviſion iſt, ob»
ſchon das Berufungsgericht nach dem Antrage der
Klägerin erkannt hat, nur zu dem Zweck der Zurück-
ziehung der Klage eingelegt. Das iſt zuläſſig. Der
ſonſt im Prozeſſe geltende Grundſatz, daß nur die⸗
jenige Partei das Urteil durch Rechtsmittel anfechten
kann, die durch das Urteil beſchwert iſt, findet in
Eheſcheidungsſachen nach der beſonderen Natur des
Scheidungsurteils keine Anwendung. Wahrend in
anderen Prozeſſen der obſiegende Kläger zu jeder Zeit
in der Lage iſt, die aus dem Urteil erlangten Rechte
wieder aufzugeben, kann der Ehegatte, nach deſſen
Antrag auf Scheidung erkannt iſt, dies nur dadurch
erreichen, daß er in der Rechtsmittelinſtanz die Klage
zurückzieht und damit eine die Aufhebung des Schei⸗
dungsurteils ausſprechende Entſcheidung des Gerichts
herbeiführt. Es muß deshalb der Partei geſtattet
ſein, nur zum Zweck der Zurückziehung der Klage
das Rechtsmittel der Berufung, oder wenn in der
Berufungsinſtanz erkannt iſt, der Reviſion einzulegen.
Hier war nun allerdings nach $ 271 ZPO. die bloße
Zurücknahme der Klage nicht möglich, da Beklagter
der Zurücknahme widerſprochen hat. Die Klägerin
mußte zur Beſeitigung des Urteils auf die aus ihm
erlangten Rechte oder, was auf dasſelbe hinausläuft,
auf den Klageanſpruch ſelbſt verzichten. Dieſe Er⸗
klärung, die nicht bloß materiellrechtlicher, ſondern
zugleich prozeſſualer Natur iſt und deshalb noch in
der Reviſionsinſtanz zu berückſichtigen iſt, hat der
Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit ihrer aus⸗
drücklichen Zuſtimmung abgegeben. Das Berufungs-
urteil war deshalb, wie die Klägerin beantragt hat,
aufzuheben. (Urt. des IV. 3S. vom 19. November
1910, IV 301/10). — — 2 · n.
2167
V.
Haltung des Tierhalters aus 3 833 B68. ä. F.
bei Erweiſung eines Gefälligkeitsdienſtes durch einen
Nachbar. Prüfung des Mitverſchuldens des Ber-
letzten von Amts wegen. Anwendung der SS 146 Abſ. 1
und 151 Lwuverſs. Beweislaſt des Beklagten. Am
19. Oktober 1906 forderte die Frau des Beklagten den
auf deſſen Hofe zufällig anweſenden Kläger auf
einen im Stalle des Beklagten ſtehenden, dieſem ge⸗
hörenden Ochſen wieder anzubinden, der ſich los⸗
geriſſen hatte. Der Kläger ging in den Stall. Dort
wurde er nach ſeiner Angabe von dem Ochſen an die
Wand gedrückt und am linken Arm und am Hand⸗
gelenk verletzt. Wegen der Folgen nahm er den Be—
klagten als Tierhalter in Anſpruch. Das LG. erklärte
die Klage dem Grunde nach für berechtigt. Die Be⸗
rufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Das OLG.
erklärte die Klage auf Erſatz des ſchon entſtandenen
Schadens dem Grunde nach für berechtigt und ſtellte
feſt, daß der Beklagte auch den aus der Verletzung
noch entſtehenden Schaden, nach Abzug des von der
Berufsgenoſſenſchaft Gezahlten, zu vergüten habe. Die
Reviſion des Beklagten wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Die Reviſion rügt die
Verletzung der §§ 833, 254 BGB., ſowie der SS 146,
151 Lwuüerſc. Die Rügen ſind nicht begründet.
Nach dem Sachverhalte handelt es ſich um einen
Tierſchaden im Sinne des 8 833 BGB. ä. F. Darauf,
daß bei der Entſtehung des Schadens ein ſchuldhaftes
Handeln des Klägers mitgewirkt habe, hatte der Be—
klagte in der Berufungsinſtanz keinen Einwand ge—
fügt, das OLG. hat den Sachverhalt trotzdem aus
dem Geſichtspunkt des 8 254 BGB. geprüft. Es iſt
nicht zu beanſtanden, wenn das Berufungsgericht
darin kein Verſchulden erblickt hat, daß der Kläg
138
. a —— —— — —
ein in der Behandlung von Vieh erfahrener Bauer,
auf Grund des Erſuchens der Frau des Beklagten
verſucht hat, den Ochſen wieder anzubinden. Der
Beklagte hat keine Behauptungen darüber aufgeſtellt,
daß etwa der Kläger bei dem Verſuche unvorſichtig
vorgegangen ſei: er hat auch keine Tatſachen ange⸗
führt, die einen Schluß darauf zulaſſen, der Kläger
habe durch einen ſtillſchweigenden Vertrag auf
Schadenserſatzanſprüche verzichtet. Fehl geht die
Meinung der Reviſion, der Fall liege gleich dem
Falle des aus Gefälligkeit vom Tierhalter zur Mit⸗
fahrt aufgenommenen Fahrgaſtes. Der Kläger hat
nicht, wie der Fahrgaſt, eine Gefälligkeit ange⸗
nommen, ſondern dem Tierhalter eine Gefälligkeit
erwieſen. (Vgl. Warneyer Jahrb. 1910 Nr. 153).
Der Rechtſprechung des Reichsgerichts entſpricht
die Ausführung des OLG, der Beklagte ſei bemeis-
pflichtig für die Tatſachen, aus denen ſich ergibt, daß
ſich der Unfall in einem verſicherungspflichtigen Be⸗
triebe des Beklagten ereignet hat und daß deshalb
31970 LwuVerſcß. anwendbar iſt (vgl. Warneyer
ahrb. 1908 Nr. 143). Das OLG. hat die Einrede
auf Grund des Vorbringens des Beklagten eingehend
geprüft. Es hat ausgeführt: Dem Kläger habe es
ferne gelegen ſich auf die Dauer der Dienſtleiſtung
feiner Selbſtändigkeit zu begeben und in ein Ab⸗
hängigkeitsverhältnis zu dem Beklagten zu treten.
Dieſem als Nachbar habe er in Erwartung ähnlicher
Hilfe für den Bedarfsfall nur einen Gefälligkeitsdienſt
ohne Entgelt geleiſtet. Der Beklagte ſtehe deshalb
dem Kläger nicht als Betriebsunternehmer im Sinne
des 8 146 ſondern als Dritter im Sinne des 8 151
gegenüber. Die ſo begründete Nichtanwendung des
146 Abſ. 1 iſt nicht zu beanſtanden (Jur W. 1908
351%. Das OL. hebt ausdrücklich hervor, daß
der Anſpruch auf die Berufsgenoſſenſchaft überge-
gangen ſei, ſoweit dieſe den Kläger entſchädigt hat
(8 151 a. a. O.), daß jedoch der Kläger dieſem Um:
ſtande durch die Einſchränkung des
Rechnung getragen habe. Auch in dieſer Hinſicht
laſſen ſich Bedenken gegen die Ausführungen des
OLG. nicht erheben. (Urt. d. IV. 38S. vom 28 Ja⸗
nuar 1911, IV 175 / 1910). G—ı.
2174
B. Strafſachen.
Erforderniſſe einer Bilanz. Aus den Gründen:
Das LG. hat angenommen, daß die beiden als
Bilanzen bezeichneten Aufſtellungen nicht als Bilanzen
angeſehen werden können. Daß dabei die rechtliche
Natur der Bilanz, wie fie ſich aus den 88 39, 40 HGB.
in Verbindung mit den 88 42, 83 GmbHG. ergibt,
verkannt ſei, iſt der Urteilsbegründung nicht zu ents
nehmen. Freilich iſt nicht klar, was damit geſagt
ſein ſoll, wenn es im Urteil heißt, die aufgeſtellten
Verzeichniſſe ſeien nur „Rohbilanzen“. Wenn damit
ausgedrückt ſein ſoll, ſie enthielten nichts weiter, als
eine rechneriſche Ueberſicht der Buchungen aller Konten
und könnten deshalb die Stelle der reinen Bilanzen
nicht erſetzen, die einen das Verhältnis des Vermögens
und der Schulden darſtellenden Abſchluß haben
müßten, ſo wäre rechtlich gegen eine ſolche Auffaſſung
nichts zu erinnern.
näher darlegen ſollen. Verfehlt erſcheint auch die
Begründung dafür, daß die Eröffnungsbilanz nicht
als Bilanz i. S. des Geſetzes gelten könne; denn das
ausſchlaggebende Gewicht iſt darauf gelegt, daß die
Bilanz falſch ſei, weil die Sacheinlage des Geſell—
ſchafters Sch. als Bareinlage gebucht worden ſei.
Die inhaltliche Unrichtigkeit hätte nur dahin führen
können, in der mangelhaften Bilanz eine unordentliche
Seitfärift für megtarſteg
Klagantrags
1911. Nr. 6.
in Bayern.
— VNÿ3H—
Charakter einer Bilanz vollſtändig zu nehmen. Da⸗
gegen wird das Urteil getragen durch dasjenige,
was über die zweite Bilanz feſtgeſtellt iſt. Unter
den Aktiva iſt ein Warenbeſtand aufgeführt und
von dieſem iſt als erwieſen angenommen, daß die
Aufſtellung rein willkürlich und anſcheinend nur zu
dem Zweck e iſt, einen Ausgleich zwiſchen
Aktiva und Paſſiva herbeizuführen. Dieſer Umſtand
konnte in Verbindung mit der ſchon vorher feſt⸗
geſtellten Tatſache, daß ein Inventar der vorhandenen
Waren überhaupt nicht aufgeſtellt war, das Gericht
ohne Rechtsirrtum zu der Ueberzeugung bringen, daß
die als Bilanz bezeichnete Zuſammenſtellung vom
Juni 1908 in Wirklichkeit eine ſolche nicht ſei. Beim
Nichtvorhandenſein eines Inventars des Warenlagers
fehlte die weſentliche Grundlage und Vorbedingung
für die Bilanzziehung; eine willkürliche Schätzung
von Beſtand und Wert der Warenvorräte ermöglichte
keine unmittelbare ſichere Ueberſicht über den jeweiligen
Vermögensbeſtand. (Urteil des V. StS. vom 13. De⸗
zember 1910, V D 759/10). E.
2141
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
1
At die nach 8 332 StPO. angeordnete Vermögens:
beſchlagnahme ein abſolutes Beräußerungdverbot nach
9 134 868., deſſen Eintragung in das Grundonch nicht
zuläſſig iſt, oder ein beſchränktes Veräußerungsverdot
im. Sinne des 8 136 BGB. und deshalb eintragungs⸗
fähig? Ein Schwurgericht erließ gegen den An—
geklagten Haftbefehl und belegte deſſen im Deut—
ſchen Reiche befindliches Vermögen mit Beſchlag. Das
Vormundſchaftsgericht hat eine Pflegſchaft eingeleitet
und das GBA. erſucht, die Beſchlagnahme auf dem
Blatte für die dem Angeklagten gehörenden Grund—
ftüde einzutragen. Das gleiche Erſuchen ſtellte
der Staatsanwalt. Das GBA. hat den Erſuchen
keine Folge gegeben, weil die Beſchlagnahme auf
Grund des 8 332 StPO zu den abſoluten Veräuße—
rungsverboten gehöre und dieſe nicht eintragungs⸗
fähig ſeien. Die Beſchwerde des Staatsanwalts wies
das LG. zurück. Das Obs G. hat die weitere Be⸗
ſchwerde des StA. zurückgewieſen.
Gründe: Dem GA. iſt darin beizutreten, daß
die Beſchlagnahme nach 8 332 StPO. ein unbe⸗
ſchränktes Veräußerungsverbot enthält und deshalb
nicht eintragungsfähig iſt. Die Rechtslehre erkennt
allgemein an, daß die geſetzlichen Veräußerungsver—
bote nicht eintragungsfähig ſind, die im öffentlichen
Intereſſe erlaſſen find; die Verbote dieſer Art wirken
Das Gericht hätte dies aber
Führung der Handelsbücher zu finden; ſie war aber
nicht ausreichend, um der Zuſammenſtellung den
nach § 134 BGB. unbeſchränkt gegen jedermann und
ohne Rückſicht auf die Gutgläubigkeit eines dritten
Erwerbers. Dagegen wirken die geſetzlichen Veräuße—
rungsverbote, die nur den Schutz beſtimmter Perſonen
bezwecken, nach SS 135, 892 BGB. nur zugunſten
dieſer Perſonen und bedürfen zur Sicherung ihrer
Wirkſamkeit gegen den gutgläubigen Erwerber der
Eintragung in das Grundbuch. Aus den 88 135,
136 ergibt ſich ferner ohne weiteres, daß ein Ver—
äußerungsverbot, das von einem Gericht oder einer
anderen Behörde zum Schutze beſtimmter Perſonen
erlaſſen wird, ebenſo zu behandeln iſt wie das be—
ſchränkte geſetzliche Veräußerungsverbot. Zweifel
können entſtehen, in welcher Weiſe ein Veräußerungs—
verbot zu behandeln iſt, das im öffentlichen Intereſſe
erlaſſen iſt, aber auf der Anordnung eines Gerichts
oder einer anderen Behörde beruht. In dem $ 136
iſt anſcheinend allgemein beſtimmt, daß ein Veräuße—
rungsverbot eines Gerichts oder einer anderen Be—
hörde einem geſetzlichen Veräußerungsverbote nach
8 135 gleichfteht, ohne Rückſicht darauf, ob es im
öffentlichen Intereſſe oder zum Schutze beſtimmter
Perſonen ergeht. Daß ſich aber der § 136 nur auf
ein Veräußerungsverbot bezieht, das den Schutz be⸗
ſtimmter Perſonen bezweckt, folgt ſchon daraus, daß
die im 8 135 getroffenen Vorſchriften den Schutz be⸗
ſtimmter Perſonen zum Inhalt haben und deshalb
überhaupt nicht auf Veräußerungsverbote anwendbar
95 die im öffentlichen Intereſſe erlaſſen ſind, ſohin
en Schutz der Geſamtheit zum Zwecke und zum
Gegenſtande haben. Jeden Zweifel löſt die Ent⸗
ſtehungsgeſchichte der 88 135, 136. Der 8§ 107 des
1. Entwurfs, aus dem die SS 135, 136 hervorge⸗
gangen find, enthielt in ſeiner urſprünglichen Faſſung
als 1. Abſatz die Beſtimmung: „Verſtößt die Vor⸗
nahme eines Rechtsgeſchäfts gegen ein im öffentlichen
Intereſſe erlaſſenes Veräußerungsverbot, ſo iſt das
Rechtsgeſchäft nichtig.“ Dieſen Abſatz ſtrich ſchon die
1. Kommiſſion, weil ſich die Nichtigkeit eines gegen
ein unbeſchränktes Veräußerungsverbot verſtoßenden
Rechtsgeſchäftes ſchon aus der Vorſchrift des 8 105
(S 134) ergebe. Dem Einwurfe, daß infolge der
Streichung Zweifel entſtehen könnten, welche Folgen
der Verſtoß gegen ein auf richterlicher Anordnung
beruhendes unbeſchränktes Verbot nach ſich zieht, wurde
mit der Erwägung begegnet, daß die Zuläſſigkeit eines
ſolchen Veräußerungsverbots eine geſetzliche Ermächti⸗
gung vorausſetzt, daß es mithin zu den geſetzlichen
Beräußerungsverboten gerechnet werden kann (Prot.
der I. Kommiſſion S. 218). Deshalb behandelt der
8 107 des Entwurfs in feiner endgültigen Faſſung
nur die zum Schutze beſtimmter Perſonen dienenden
geſetzlichen und gerichtlichen Veräußerungsverbote; das
zu wird in den Motiven zu dem Entwurfe (Bd. I
S. 212) ausgeführt: „Die Nichtigkeit einer Veräuße⸗
rung, welche gegen ein im öffentlichen Intereſſe er⸗
laſſenes abſolutes Veräußerungsverbot verſtößt, bedarf
keiner beſonderen Hervorhebung; ſie ergibt ſich — auch
hinſichtlich des mittelbar auf Geſetz beruhenden richter⸗
lichen Veräußerungsverbots (vgl. StPO. 88 332 bis
335, 480) — aus der Vorſchrift des § 105.“ Die
II. Kommiſſion änderte den 8 107 zwar inſoferne, als
fie den Abſ. 2 ſtrich und den Inhalt des Abi. 1
auf zwei Paragraphen (SS 135, 136) verteilte. In
den Protokollen (Bd. I S. 135) wird aber hervor⸗
gehoben, daß dies nur eine Aenderung „formeller
Art“ war. Es kann ſohin aus dem Inhalt und der
Entſtehungsgeſchichte der 88 125, 136 entnommen
werden, daß der 8 136 ſich nur auf Veräußerungs⸗
verbote bezieht, die den Schutz beſtimmter Perſonen
bezwecken, und daß Veräußerungsverbote, die zwar
von einem Gericht oder einer anderen Behörde, aber
im öffentlichen Intereſſe erlaſſen werden, den un—
mittelbar auf Geſetz beruhenden unbeſchränkten Vers
äußerungsverboten gleichſtehen. Das Veräußerungs—
verbot, das in der Beſchlagnahme nach 8 332 StPO.
enthalten iſt, iſt im öffentlichen Intereſſe gewollt und
deshalb wie ein unbeſchränktes geſetzliches Ver—
äußerungsverbot zu behandeln. Deshalb iſt es nicht
eintragungsfähig, auch wenn die DAB Ae. in 8 139
Abſ. 3, S 122 Nr. 2 anſcheinend von einer anderen
Auffaſſung ausgeht.
Gegen die Eintragungsfähigkeit ſpricht auch noch
ein weiterer Grund. Nach 8 334 StPO. verliert der
Angeſchuldigte mit der erſten Bekanntmachung in
dem Deutſchen Reichsanzeiger das Recht, über das in
Beſchlag genommene Vermögen unter Lebenden zu
verfügen, und es iſt eine Güterpflege einzuleiten. Der
Pfleger tritt aber nicht, wie bei der gewöhnlichen
Pflegſchaft, neben den Pflegling, ſondern an die Stelle
des Pfleglings nnd übt Statt deſſen und zwar inner-
halb der durch den Beſchlagnahmezweck gezogenen
Grenzen das Verwaltungs- und Verfügungsrecht aus.
Der Pflegling ſelbſt kann Rechtsgeſchäfte über das
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
— — — — — — —— — — ——— A —
—— — — . : — — — — —
Nr. 6.
139
iſt alſo in feiner Geſchäſtsfähigkeit beſchränkt (Gru⸗
chots Beitr. 29, 1112, RG. Z. 11, 188). Solche Ver⸗
hältniſſe find nicht eintragungsfähig (RJ A. 5, 260,
Oberneck Grundbuchrecht 4. Aufl. Bd. J S. 394 846 Ib,
Turnau⸗Förſter, Liegenſchaftsrecht 3. Aufl. Bd. 1 S. 255,
256, Güthe, GBO. Bd. I S. 209 Bem. 38 a. E.). Gegen
dieſe Auffaſſung kann der 8 6 KO. nicht verwertet
werden, wie es im Recht 1909 S. 340 geſchieht; trotz
des dort getroffenen Verfügungsverbots kann der Ge⸗
meinſchuldner über Maſſegrundſtücke zugunſten gut⸗
gläubiger Erwerber mit voller Wirkſamkeit verfügen
(88 7, 113 KO., 8 892 BGB.; Jaeger KO., 3. Aufl.
Bem. 24 zu § 6). (Beſchluß des I. 35. vom 13. Ja⸗
nuar 1911, Reg. III 100/1910). W.
2165
II.
55 die Anslegungsregel des 5 133 888. an:
wendbar, wenn Zweifel daräber beſtehen, ob eine Klage
gegen eine . erhoben worden iſt oder gegen
die politiſche Gemeinde, zu der die Ortsgemeinde ge:
hört? L.⸗O. iſt eine ſelbſtändige Ortſchaft nach Art. 5
GemO. und bildet mit L.⸗U. und anderen Orten die
politiſche Gemeinde L. Die Ortsgemeinde L.⸗O. hat
die Verwaltung ihres Vermögens der Gemeinde⸗
verwaltung der Geſamtgemeinde L. übertragen. Die
Ortsgemeinde L.⸗O. iſt Eigentümerin des Grundſtücks
Pl.⸗Nr. 597 im Sch.feld, auf dem mehrere Quellen
entſpringen. In einem Protokolle der Gemeinde⸗
verwaltung L. vom 15. März 1885, betr. „die Er⸗
richtung einer Waſſerleitung aus dem Sch.feld“, in
dem als gegenwärtig „die Gemeindeverwaltung L.
und der Bürgermeiſter H.“ bezeichnet ſind, iſt im Ein⸗
gange erwähnt, daß der Schloſſer F. von Z. ſich zur
Uebernahme der Waſſerleitung um einen beſtimmten
Koſtenvoranſchlag bereit erklärt habe. Sodann heißt
es weiter: „Diefem Koſtenpunkt wird von obenbezeich⸗
neten Verwaltungen unter nachſtehenden Beſtimmungen
zugeſtimmt und zwar einſtimmig: 1. Die Gemeinde⸗
verwaltung L. (Abt. O.) genehmigt die Ableitung der
auf ihrem Gemeindegrunde befindlichen Brunnenquellen
im Sch.feld gelegen durch Anbringung von Röhren
und den nötigen Brunnenſtuben mit den unter Ziff. 4
angeführten Bedingungen unentgeltlich, wobei jedoch
eine notarielle Verbriefung in Anbetracht der Koſten
ausgeſchloſſen bleibt ... 4. Mit dieſem Beſchluß wird
das Waſſerrecht 1. an das Pfarrhaus und deſſen ſämt⸗
liche angebrachte Gebäude und Nutzungen im Hof⸗—
raum, ſoweit ſolche Waſſer bedürfen, 2. an G. mit
feinen Beſitzungen Hs.⸗Rr. 3 und 5, an M. mit
feinen Beſitzungen von Hs.⸗Nr. 4 unter folgenden
Bedingungen verliehen uw nue Das
Protokoll iſt von den Mitgliedern der Gemeinde⸗
verwaltung unterſchrieben; am 17. März 1885 unter⸗
ſchrieb es der Vertreter des Pfarramts und ſodann
wurde es auch von G. und M. unterſchrieben. Die
Waſſerleitung wurde gebaut und von G., M. und
dem Pfarrer in Benützung genommen. Seit dem
Jahre 1894 iſt das Schulhaus in L. an die Waſſer⸗
leitung angeſchloſſen. Am 21. April 1907 faßte der
Ausſchuß der Marktgemeindeverwaltung L. den Be⸗
ſchluß, „daß die Waſſerleitung, welche auf dem Grund—
ſtücke Pl.⸗Nr. 597 entſpringt und (wobei) das Grund⸗
ſtück Eigentum der Gemeinde L.-O. iſt und (fie) für
das Pfarrhaus und das Schulhaus beſtimmt iſt, und
auch der Oekonom M. und der Kaufmann G. ange⸗
ſchloſſen ſind, nunmehr nur für das Pfarrhaus und
das Schulhaus und auch für das früher oder ſpäter
notwendige Schulhaus benützt werden darf. Die bis—
herigen Mitbenützer G. und M. haben von dieſer
Waſſerleitung abzutreten und hat nur das Pfarrhaus
und das Schulhaus Anteil an der vorgenannten Waſſer—
leitung.“ Am 2. Februar 1908 erhob M. Klage gegen
„die Gemeinde L., vertreten durch den Gemeinde—
mit Beſchlag belegte Vermögen nicht mehr eingehen, ausſchuß, dieſer vertreten durch den Vorſtand, den
140
3 Zeitſchrift für Rechtspflege
Bürgermeiſter von L.“, mit dem Antrage, feſtzuſtellen,
daß der Kläger zur Ableitung des Waſſers der auf
dem Grunde der Beklagten Pl.⸗Nr. 597 befindlichen
Brunnenquellen durch die angebrachten Röhren und
Brunnenſtuben zu ſeinem Anweſen Hs.-Nr. 4 und zum
Bezuge des Waſſers berechtigt iſt. Die Klage ſtützt
ſich auf den Vertrag vom 15. März 1885, vorſorglich
auf Erſitzung und hebt hervor, daß der Beſchluß vom
21. April 1907 von der Gemeinde als der Eigen⸗
tümerin des Quellengrundſtücks gefaßt worden ſei.
Das Landgericht A. wies die Klage ab. Der Kläger
legte Berufung ein. Erſt nachdem eine Verhandlung
vor dem Berufungsgerichte ſtattgefunden hatte und
Zeugen vernommen worden waren, machte die Be—
klagte darauf aufmerkſam, daß das Quellengrundſtück
nicht der politiſchen Gemeinde L., ſondern der Orts⸗
gemeinde L.⸗O. gehöre und deshalb dieſe hätte verklagt
werden ſollen. In der Verhandlung vom 14. November
1908 trug hierauf der Kläger vor, er berichtige den
vollſtändigen Namen der Beklagten dahin, daß die
Beklagte heißen ſolle „Gemeinde L.⸗O., vertreten durch
den Gemeindeausſchuß, dieſer durch den Bürgermeiſter“.
Hierin erblickte die Beklagte eine Klagänderung, der
je ſich widerſetzte. Die Parteien waren darüber einig,
aß der Vertrag vom 15. März 1885 namens der
Ortsgemeinde L ⸗O. geſchloſſen wurde und daß der
Beſchluß vom 21. April 1907 namens der gleichen
Ortsgemeinde gefaßt worden iſt. Das OLG. wies
die Berufung zurück. Das Ob“ G. hat auf die Reviſion
des Klägers das Urteil des OLG. aufgehoben und die
Sache zurückverwieſen.
Gründe: Das Urteil des OLG. geht davon aus,
daß die Klage gegen die politiſche Gemeinde L. er—
hoben worden und daß deshalb die Erklärung des
Klägers, er berichtige den Namen der Beklagten in
„Gemeinde L.⸗O., vertreten durch den Gemeindeaus—
ſchuß L.“ nicht eine Berichtigung, ſondern eine Klage⸗
änderung ſei. Das OLG. führt aus, daß im „Be⸗
treffe” der Klage und auch in der Klage ſelbſt wie
in der Berufung ſtets nur von der „Gemeinde L.,
vertreten durch den Gemeindeausſchuß“ die Rede ſei
und daß unter dieſer Bezeichnung nur die politiſche
Gemeinde verſtanden ſein könne. Dieſe Ausführung
wird den Auslegungsgrundſätzen nicht gerecht. Auch
für Prozeßerklärungen gilt ſinngemäß die Auslegungs—
regel des 8 133 BGB., daß nicht an dem buchſtäblichen
3 — — — —g—: —
*
gegen wen die Klage ſich richtete; es iſt die Gemeinde,
der das Quellengrundſtück gehört und die durch den
Vertrag vom 15. März 1885 dem Beſitzvorgänger des
Klägers das von dieſem behauptete Waſſerbenützungs⸗
recht eingeräumt, dann jedoch durch ihren in ihrer
Eigenſchaft als Eigentümerin des Quellengrundſtücks
gefaßten Beſchluß vom 21. April 1907 in dieſes Waſſer⸗
benützungsrecht eingegriffen hat. All dies trifft nicht
auf die politiſche Gemeinde L., ſondern nur auf die
Ortsgemeinde L.⸗O. zu. Die Anſicht des Berufungs⸗
gerichts, daß der Beſchluß vom 21. April 1907 von
der Gemeindeverwaltung namens der politiſchen Ge⸗
meinde gefaßt worden ſei, iſt nicht gerechtfertigt; aus
dem Betreffe „Waſſerleitung im Pfarrhaus und in das
Schulhaus“ iſt nicht zu entnehmen, daß es ſich nur
um eine Angelegenheit der politiſchen Gemeinde handeln
kann. Es wird in dem Beſchluß angeführt, daß das
Grundſtück, auf dem die Waſſerleitung entſpringt,
Eigentum der Gemeinde L. (Abt. O.) iſt; das läßt
eher einen Schluß darauf zu, daß die Auffaſſung der
Parteien richtig iſt. Die Annahme, es ſei trotzdem
die Klage wegen der Bezeichnung der beklagten Partei
als „Gemeinde L., vertreten durch den Gemeinde—
ausſchuß“ gegen die politiſche Gemeinde gerichtet
worden, würde alſo vorausſetzen, daß der Kläger ſich
bei der Klageerhebung in mehrfacher Beziehung irrte,
die politiſche Gemeinde für die Eigentümerin des
Quellengrundſtücks und für die Vertragspartei vom
Jahre 1885 hielt und glaubte, es ſei der Beſchluß
vom 21. April 1907 namens der politiſchen Gemeinde
gefaßt. Das iſt wenig wahrſcheinlich, da der Kläger
die Urſchrift des Vertrags vom 15. März 1885 beſaß
und eine Abſchrift des Beſchluſſes vom 21. April 1907
erhalten hatte. Einen Irrtum des Klägers hat die
Beklagte gar nicht behauptet. (Urt. des II. ZS. vo
12. Dezember 1910, Reg. I 230/1910). W.
2166
B. Strafſachen.
1
Verhältnis der 88 185, 186, 73 des E88. zu:
einander. An das Bezirksamt M. gelangte ein
Schreiben, worin behauptet iſt, daß in der Wirt—
ſchaft in E. jeden Sonntag gerauft wird, daß der
Sinne des Ausdrucks zu haften, ſondern der wirkliche
Wille zu erforſchen iſt. Unter „Gemeinde“ wird aller—
dings regelmäßig die politiſche Gemeinde verſtanden,
gleichviel ob ſie eine Ortſchaft oder mehrere Ort—
ſchaften umfaßt; für die Ortſchaften, die ein eigenes
Gemeinde- oder Stiftungsvermögen beſitzen und des—
halb inſoweit mit eigener Rechtsperſönlichkeit bekleidet
find, hat ſich die Bezeichnung „Ortsgemeinde“ heraus-
gebildet. Dieſer Begriff hat jedoch im Geſetze keinen
Rückhalt und im gegebenen Falle iſt in den Ber:
trägen und Protokollen nie von der Ortsgemeinde,
ſondern nur von der „Gemeinde L. Abt. O.“ die Rede.
Wenn es demnach auch an und für ſich in Fällen wie
hier ſich nie empfehlen wird, ſchlechthin von der „Ge—
meinde“, ſondern je nachdem von der politiſchen Ge—
meinde oder von der Ortsgemeinde zu ſprechen und
wenn auch eine gewiſſe Vermutung dafür angenommen
werden kann, daß eine Klage „gegen die Gemeinde“
der politiſchen Gemeinde gilt, ſo iſt dieſe Vermutung
doch nicht zwingend, es kann vielmehr auch durch
Auslegung feſtgeſtellt werden, wer gemeint iſt.
Bei dieſer Auslegung verſagt allerdings ein Um—
ſtand, aus dem ſonſt ein Schluß darauf gezogen werden
kann, welche Rechtsperſönlichkeit verklagt werden ſollte,
nämlich die Bezeichnung der geſetzlichen Vertretung,
da auch die Ortsgemeinde L.-O. von dem Gemeinde—
ausſchuß und weiter von dem Bürgermeiſter der Ge—
ſamtgemeinde vertreten wird. Dagegen läßt ſich aus
dem weiteren Inhalt der Klage mit Gewißheit erſehen,
Wirt immer ſelbſt beim Raufen dabei iſt uſw., und
worin es ſchließlich heißt: „Es wurde ſchon einmal
eine Anzeige gemacht bei der Gendarmerie in R.
wegen der Polizeiübertretung, aber, was ich weiß,
haben die Gendarmen keine Anzeige gemacht, weil ſie
von dem Wirt immer beſchenkt werden, was Tatſache
iſt, ich habe es ſelbſt ſchon mitangeſehen. Dem
Wachtmeiſter in R. iſt ein Glas Branntwein und ein
Rauſch lieber als eine Anzeige machen und der andere
iſt der nämliche.“
Aus den Gründen des Reviſions⸗
urteils. Nach § 186 StGB. iſt es verboten in
Beziehung auf einen andern eine ehrenrührige nicht
erweislich wahre Tatſache zu behaupten. In der Be—
hauptung der ehrenrührigen Tatſache ſteckt eine
Aeußerung der Mißachtung der Ehre des andern.
Dieſe Aeußerung wird „abjorbiert“ durch die Bee
ſtrafung nach $ 186. Die Annahme eines rechtlichen
Zuſammenhangs von 8 185 StGB. und 8 186 iſt in
dieſem Falle abzulehnen; es liegt kein Grund vor,
neben der üblen Nachrede noch den in ihr ſteckenden
Gehalt der Aeußerung der Mißachtung zu berück—
ſichtigen. Verbindet der Täter mit der Behauptung
einer ehrenrührigen Tatſache ausdrücklich eine Aeuße—
rung der Mißachtung und Beſchimpfung der Ehre
des andern, jo enthält dieſe Aeußerung die Merkmale
einer Beleidigung nach 8 185 Stg. Daß dieſe
Aeußerung nicht unter allen Umſtänden durch die
Beſtrafung nach 8 186 „abſorbiert“ wird, fondern
EZ
einer ſelbſtändigen rechtlichen Beurteilung unterliegen
kann, ergibt ſich aus den 88 192, 193 StGB. Zur
rechtlichen Kennzeichnung von Fällen dieſer Art wird
häufig die Formel „LS 185, 186, 73 des StGB.” ges
braucht; man geht dabei anſcheinend davon aus, daß
durch die „eine Aeußerung“ — üble Nachrede und
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 6.
|
Kundgebung der Mißachtung — mehrere Strafgefeße
verletzt werden. Aber dieſe Auffaſſung entſpricht nicht
ganz dem im $ 73 StGB. aufgeſtellten Merkmal,
„einer und derſelben Handlung“. Eine Verletzung
mehrerer Strafgeſetze durch eine und dieſelbe Hand⸗
lung im Sinne des 8 73 liegt vor, wenn jemand
durch ein zeitlich und in ſeinem urſächlichen Wirken
nicht unterbrochenes Tun einen Tatbeſtand verwirk⸗
licht, der den Merkmalen mehrerer verſchiedener Straf⸗
geſetze eniſpricht, ſo daß in dem Tatbeſtande jedenfalls
fämtlide Merkmale eines Strafgeſetzes und neben
ihnen noch eines oder mehrere Merkmale eines
anderen Strafgeſetzes enthalten ſind. Die eine und
dieſelbe Handlung des 8 73 StGB. iſt eine „Einheit
des natürlichen Tuns und Laſſens, der körperlichen
Tätigkeit und des ſie leitenden Willens, als eine
natürliche Handlungseinheit“ (RG St. 32, 137, 138),
die vom Standpunkte mehrerer verſchiedener Straf⸗
geſetze rechtlich zu beurteilen iſt. Ein in der Praxis
der Gerichte nicht immer ſcharf genug erfaßter Unter⸗
ſchied beſteht zwiſchen der „Verbrechensmehrheit“ bei
„Handlungseinheit“ im Falle des 8 73 StGB. einer⸗
ſeits und den Fällen des fog. fortgeſetzten Verbrechens
anderſeits. Nimmt jemand durch mehrere zeitlich ge⸗
trennte gleichartige Akte mehrere äußerlich ſelbſtändige
Handlungen gegen das Rechtsgut einer und derſelben
Perſon vor, deren jede für ſich allein die geſetzlichen
Merkmale eines ſtrafrechtlichen „Haupttatbeſtandes“
verwirklicht, ſo können die mehreren Handlungen als
auf die fortſchreitende Ausführung des nämlichen
Entſchluſſes — vorſätzlich — gerichtet angeſehen und
mit Rückſicht auf die Einheit des Entſchluſſes und die
Einheit des Objektes als eine — fortgeſetzte — ver⸗
brecheriſche Handlung, als eine „Verbrechenseinheit“
aufgefaßt werden. Der rechtlichen Möglichkeit, daß
die mehreren, in gewiſſem Sinn gleichartigen Hand—
lungen als ein Verbrechen behandelt werden, ſteht
nicht entgegen, daß ſie nicht alle unter eine und
dieſelbe ſtrafgeſetzliche Beſtimmung ( denſelben Para—
graphen“ des StGB.) fallen oder daß einfache und
qualifizierte Tatbeſtände vorliegen; es iſt ſtets nur
ein Strafgeſetz, aber unter Umſtänden mit ver-
ſchiedenen Qualifikationen in Frage, und das Straf—
geſetz, dem der ſchwerſte Schärfungsgrund eignet, gibt
die Grundlage für die Beſtrafung ab.
Dem ſog. fortgeſetzten Verbrechen ähnlich iſt eine
andere Erſcheinungsform ſtrafrechtswidrigen Ver⸗
haltens. Enthält ein Brief mehrere gegen die Ehre
einer und derſelben Perſon gerichtete beleidigende
Aeußerungen — üble Nachreden und Beſchimpfungen —,
oder gebraucht jemand im Lauf eines Wortwechſels
gegenüber dem Gegner mehrere Schmähworte oder
verſetzt jemand im Lauf eines Angriffs dem Ange—
griffenen mehrere Schläge mit der Folge mehrerer
Verletzungen, ſo liegt eine Reihe von Handlungen
vor, in deren jeder die Merkmale einer ſtrafbaren
Handlung zu finden ſind. In Fällen dieſer Art
ſchließen ſich die mehreren, in einem zeitlich ununter—
brochenen Verlaufe ſich abwickelnden Tätigkeitsakte zu
einem Tatbeſtande zuſammen, deſſen mehrere gleich—
artige Einzelhandlungen auf einem verbrecheriſchen
Vorſatze ruhen und auf die Herbeiführung eines Er:
folges — der Verletzung der Ehre, des Körpers —
gerichtet ſind, wie ſie ſich denn auch für das Gefühl
des Beleidigten, des Verletzten zu einer Beleidigung,
einer Körperverlezung vereinigen. Es entſpricht
daher der natürlichen Auffaſſung, daß man — wie
bei dem fortgeſetzten Verbrechen — eine einzige ſtraf—
bare Handlung, — unter Umſtänden ein Strafgeſetz
Rauſch lieber.
— ö U2—ä— — — —
mit mehreren Qualifikationen — annimmt und daß
das Strafgeſetz mit dem ſchwerſten Schärfungsgrund
die Grundlage für die Beſtrafung abgibt.
Die Strafkammer geht davon aus, daß in dem
Briefe in Beziehung auf die Gendarmen die Behaup⸗
tung einer ehrenrührigen Tatſache (Unterlaſſung einer
Anzeige) enthalten iſt und daß die Stelle des Briefes
„dem Wachtmeiſter iſt ein Glas Branntwein und ein
.“ eine einfache Beleidigung enthält.
Die Anſchauung, daß die fragliche Stelle nicht die
Behauptung einer Tatſache im Sinne des 8 186 StGB.,
ſondern die Merkmale einer Beleidigung nach 8 185
enthält, iſt nicht zu beanſtanden. Daraus ergibt ſich,
daß der Angeklagte mit der Behauptung einer ehren⸗
rührigen Tatſache ausdrücklich eine Aeußerung der
Mißachtung der Ehre der Gendarmen verbunden hat.
Nach den obigen Ausführungen kann in dem ganzen
vom Angeklagten verwirklichten Tatbeſtande nicht ein
rechtliches Zuſammentreffen von § 186 und 8 185
StGB. gefunden werden. Denn, wenn auch der
8 185 und der 8 186 dem Schutze des Rechtsgutes der
Ehre dienen, ſo kann doch im Hinblick auf die in den
88 185, 186 feſtgeſetzten Tatbeſtande davon keine Rede
ſein, a durch die Verwirklichung des Tatbeſtandes
des S 186 zugleich auch ſämtliche oder auch nur eines
der Merkmale des 8 185 verwirklicht werden. Hiernach
kommt hier der $ 73 StGB. nicht in Frage. Da ferner
die Tatbeſtände des 8 186 und des $ 185 vom Ange⸗
klagten nicht in mehreren zeitlich getrennten Akten
verwirklicht wurden, kann von der Annahme eines
fog. fortgeſetzten Verbrechens keine Rede fein. Dagegen
iſt aus der Tatſache, daß der Angeklagte in einem
Briefe ſowohl eine ehrenrührige Tatſache behauptete
als eine Mißachtung der Ehre äußerte, der Schluß auf
das Vorhandenſein eines auf Herbeiführung eines
Erfolgs gerichteten Vorſatzes des Angeklagten gerecht⸗
fertigt und daraus ergibt ſich den obigen Aus⸗
führungen zufolge die Annahme einer einheitlichen
Handlung des Angeklagten. Hat ein Angeklagter
durch eine Handlung den Tatbeſtand des § 186 und
des 8 185 verwirklichend ein Vergehen der Beleidi⸗
gung begangen, ſo wird es, da die Strafdrohungen
des 8 185 und des § 186 (abgeſehen von den Straf⸗
drohungen bezüglich der mittels Tätlichkeiten be⸗
gangenen Beleidigung [8 185] und bezüglich der
öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften be⸗
gangenen Beleidigung nach 8 186) gleich ſind, in der
Regel gleichgültig ſein, welches der beiden Geſetze als
bei der Strafbemeſſung angewendet bezeichnet wird
— vgl. Olshauſen (8. Aufl.) Note 23 Abſ. 2 zu
873 — aber die Straſe wird aus 8 185 oder 8 186
feſtzuſetzen ſein, wenn Tatſachen feſtſtehen — Be⸗
gehung mittels Tätlichkeiten, Begehung durch Ber:
breitung von Schriften —, an deren Vorhandenſein
die ſtrengere Strafdrohung geknüpft iſt. (Urt. vom
31. Dezember 1910, RevReg. 569/10). Ed.
2172
II.
Ausübung prozeſſualer Befngniſſe des Beſchuldigten
außerhalb der Hauplverhandlung durch andere Perſonen
als den Verteidiger. Aus den Gründen: Nach dem 8338
StPO. ſtehen die zuläſſigen Rechtsmittel gegen gerichtliche
Entſcheidungen ſowohl der Staatsanwaltſchaft als dem
Beſchuldigten zu. Der $ 339 StPO. gibt auch dem Bers
teidiger das Recht für den Beſchuldigten Rechtsmittel
einzulegen. Ob daraus zu folgern iſt, daß der Be—
ſchuldigte dieſes Recht nur durch einen Verteidiger aus—
üben dürfe, wenn er nicht nach dem 8 338 das Rechts-
mittel in Perſon einlegen will, iſt beſtritten. Die
StPO. enthält feine Beſtimmung darüber, ob der Bes
ſchuldigte ſich bei der Ausübung ſeiner prozeſſualen
Befugniſſe außerhalb der Hauptverhandlung durch
andere Perſonen als den Verteidiger auf Grund einer
Vollmacht vertreten laſſen kann. Der Senat ſchließt
142
ſich der Meinung an, die bei dem Schweigen des Ge⸗
ſetzes in ergänzender Anwendung der allgemeinen
prozeſſualen Grundſätze die Vertretung des Beſchul⸗
digten bei einzelnen Prozeßhandlungen, insbeſondere
bei der Einlegung von Rechtsmitteln, durch einen
beliebigen Bevollmächtigten für zuläſſig erachtet, ſo⸗
ferne nicht die StPO. anderes ausdrücklich vorſchreibt.
Da der Kommiſſionär B. von dem Angeklagten zur
Einlegung der Berufung bevollmächtigt worden iſt,
konnte er ſomit, ohne daß er die Genehmigung des
Gerichts zu feinem Auftreten nach dem 8 138 Abſ. 2
StPO. bedurfte, die Berufungserklärung wirkſam
abgeben. (Urteil vom 31. Dezember 1910, BeſchReg.
1023 / 10). Ed.
2171
Oberlandesgericht München.
Zu 88 325, 567, 727 350. Durch rechtskräftiges
Verſäumnisurteil waren auf Klage eines Nachbars
die Baumeiſterseheleute R. zur Beſeitigung einer Dach⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
— — — — —— ͤ—ä3v— — — ——— ́éUHU— “ n u4yi.,]b i .—-—m—•1Z—ͥg y! •]ſ.]... ]%é?7ẽrͤñͤß—ßX—ͤ-k ͤ —— —. . rßöð1ĩ 2——
rinne und zur Tragung der Prozeßkoſten verurteilt
worden. Nunmehr beantragte der Klageteil gegen den
Anſteigerer als Rechtsnachfolger vollſtreckbare Ausferti⸗
gung nicht nur hinſichtlich der Hauptſache, ſondern
auch im Koſtenpunkt. Das Landgericht wies ab, weil
ſich ſolchenfalls die Vollſtreckbarkeit nur auf die Haupt⸗
ſache beziehe (ROL G. 13, 154; Mot. BGB. 1, 380);
die Beſchwerde blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Die Beſchwerde iſt aus
den vom Erſtrichter angeführten Erwägungen unbe⸗
gründet. Auch ohne die Worte in Anſehung der
Sache ſelbſt“ kann das Geſetz nur in dieſer Beſchrän⸗
kung ausgelegt werden; denn die Prozeßkoſtenhaftung
iſt ebenſowenig ein Anhang des Beſitzes als ſolchen
wie etwa die Schadenserſatzpflicht neben einem Ab:
wehrausſpruch. Es beſtünde auch gar kein Grund
zu einer derartigen Ausdehnung der Haftung, da für
die Prozeßkoſten die urſprünglich Verklagten und
deren allgemeine Rechtsnachfolger weiter haften. (Be⸗
ſchluß v. 16. Dezember 1910; BeſchwReg. Nr. N
2118 8
Oberlandesgericht Bamberg.
Einstweilige Verfügung nach 88 3 und 25 UW.
wegen irreführenden Gebrauchs einer Firma. Wen:
derung der tatſächlichen Voransſetzungen während des
Nechtſertigungsverſahrens. Der Beklagte S., der ſeit
1905 in A. unter der Firma „Pariſer Damenmäntel⸗-
geſchäft“ einen Kleinhandel mit fertigen Damenmänteln
betreibt, die er bis zum Jahre 1908 aus Paris, von
da an aber ausſchließlich aus Berlin bezog ohne ſeine
Firma zu ändern, errichtete 1910 in der benachbarten
Stadt M. ein Zweiggeſchäft, das er an den öffentlichen
Anſchlagstafeln und in den Zeitungen durch Bekannt—
machungen folgenden Inhalts ankündigte: „Anfang
Mai Eröffnung der Filiale M. des Pariſer Damen—
mäntelgeſchäfts, Hſtraße 17.“ Auf Antrag des Be⸗
ſitzers eines Damenkonfektionsgeſchäfts in M. hat das
Amtsgericht auf Grund der 88 3 und 25 UWG. dem
S. durch einſtweilige Verfügung bei Meidung einer
Geldſtrafe verboten, in Ausſchreibungen und dgl. für
feine Zweigfirma in M. die Firma „Pariſer Damen:
mäntelgeſchäft“ zu führen und geboten die Anſchläge
zu beſeitigen, weil durch die Ankündigungen bei dem
Publikum der Glaube erweckt werde, daß es ſich um
ein Zweiggeſchäft einer Pariſer Firma handle, oder
doch wenigſtens, daß die feilgehaltenen Waren aus
Paris bezogen ſeien und ſohin dieſe Ankündigungen
unrichtige Angaben über den Urſprung und die Be—
zugsquelle von Waren enthalten, die geeignet ſeien,
1911. Nr. 6.
den Anſchein einer beſonderen Leiſtungsfähigkeit und
eines beſonders günſtigen Angebots hervorzurufen.
Während des Rechtfertigungsverfahrens vor dem LG.
A. erklärte ſich S. bereit, in der Stadt M. nur zu
firmieren: „Pariſer Damenmäntelgeſchäft in A., Zweig⸗
niederlaſſung in M.“ und die früheren Ankündigungen
zu beſeitigen. Zu dieſer Firmierung ſei er befugt,
da ſein Hauptgeſchäft in A. von Pariſer Kaufleuten
gegründet wurde. Letzteres wurde nicht beſtritten.
Ferner wies S. nach, daß er am 18., 21. und 27. Mai
1910 mehrere Poſten Damenmäntel und Damenkleider
aus Paris bezogen hatte. Auch erklärte er, daß er
ſich entſchloſſen habe, ſeine Waren auch ferner zum
überwiegenden Teil wieder aus Paris zu beziehen.
Das LG. hat die einſtweilige Verfügung aufgehoben.
Es nahm an, daß die urſprünglichen Ankündigungen
gegen 8 3 UW. verſtoßen hätten. Da ſich aber der
Beklagte der Entſcheidung des Amtsgerichts tat⸗
ſächlich unterworfen habe und die neue Firmierung
nicht mehr gegen das UWG. verftoße, ſei die einſt⸗
weilige Verfügung zurzeit nicht mehr gerechtfertigt.
Der Kläger legte Berufung ein. Das OLG. hob das
landgerichtliche Urteil auf und erklärte die einſtweilige
Verfügung unter Ueberbürdung aller Koſten auf den
Beklagten für gerechtfertigt. 5
Gründe: Die Ankündigung der „Filiale des
Pariſer Damenmäntelgeſchäfts“ enthält eine Angabe
über geſchäftliche Verhältniſſe, insbeſondere über die
Beſchaffenheit und über die Bezugsquelle von Waren.
Es fragt ſich, ob dieſe Angaben unrichtig ſind. Es
kommt nicht darauf an, was der Urheber der Angaben
mit ihnen hat ſagen wollen und ob er an ihre
Richtigkeit geglaubt hat oder nicht, oder darauf. wie
mehrdeutige Angaben vom Richter oder einem bes
ſtimmten Teile der Bevölkerung verſtanden werden.
Einflußlos iſt alſo der Umſtand, daß die Kenner des
Gründungsvorgangs die Firma des Beklagten nicht in
dem der einſtweiligen Verfügung zugrunde gelegten
Sinne auffaſſen. Maßgebend für die Anwendbarkeit
des §8 3 UWG. auf eine Ankündigung iſt nur die Auf⸗
faſſung, die das Publikum ihr beilegt, für das die
Ankündigung beſtimmt iſt. Dem Publikum iſt es
gleichgültig, ob der beklagte S. und die früheren In⸗
haber der Firma aus Paris ſtammen und ob das
Geſchäft mit Pariſer Geld gegründet wurde. Es folgert
aus dem Gebrauche der Bezeichnung „Pariſer Mäntel—
geſchäft“ nur, daß das Geſchäft eine Zweigniederlaſſung
eines zu Paris betriebenen Hauptgeſchäfts ſei und daß
die dort feilgebotenen Waren aus Paris ſtammen.
So verſtanden iſt aber die Angabe unrichtig, denn
das neu eröffnete Geſchäft iſt keine Pariſer Filiale
und ſeine Waren kommen nicht aus Paris, ausge—
nommen einige Stücke, die der Beklagte mit Rückſicht
auf den ſchwebenden Prozeß beſtellt hat, um der Ge—
ſchäftsbezeichnung einigermaßen den Anſchein der Wahr—
heit und dem Rechtsſtreit eine für ihn günſtige Wendung
zu geben. Das erſtrebte Ziel kann der Beklagte damit
aber nicht erreichen; denn dieſer Warenbezug kann
fein Unternehmen nicht zu einem „Pariſer Damens
mäntelgeſchäft“ machen. Die unrichtigen Angaben find
auch geeignet den Anſchein eines beſonders günſtigen
Angebtos hervorzurufen. Mit Recht hat das Amts—
gericht angenommen, daß durch die Bezeichnung in
dem Publikum die Anſchauung erweckt werde, es
werde ihm beim Einkauf in dem von Paris aus ge—
leiteten und mit Waren verſehenen Geſchäfte des Be—
klagten etwas ganz beſanderes geboten. Es meint
wegen des in Paris insbeſondere in der Kleidermode
herrſchenden Reichtums könne es dort ſeinen Kleider—
bedarf mit beſonders geſchmackvoller und moderner
Ware aus erſter Hand decken. Dieſe Geſchmacksrichtung
iſt auch dem Beklagten bekannt, deshalb hat er mit
ſolcher Zähigkeit an der unrichtigen Geſchäftsbezeichnung
feſtgehalten.
Die einſtweilige Verfügung iſt nicht dadurch un—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr.6.
gerechtfertigt geworden, daß der Beklagte im Laufe
des Verfahrens verſprochen hat, ſeinen Ankündigungen
die Form zu geben „Pariſer Damenmäntelgeſchäft in
A., e e M.“ Auch die Bezugnahme
auf das Geſchäft in entlaſtet den Kläger nicht,
da immer noch auf die Stadt Paris als Bezugsquelle
und Herkunſtsort der Waren hingewieſen wird.
Uebrigens wäre das 1 des Klägers auch des⸗
wegen gerechtfertigt, weil der Unterlaſſungsanſpruch
nicht einen fortdauernden rechtswidrigen Zuſtand er⸗
fordert, für ſeine Begründung vielmehr in der Regel
ein einmaliger Verſtoß su Er wird nicht ſchon
dadurch 1 daß der Beklagte im Prozeß erklärt,
er wolle ſeine unlautere Geſchäftsanpreiſung einſtellen,
auch nicht dadurch, daß er ſie tatſächlich einſtellt. Die
Beeinträchtigten haben ein Recht darauf, daß ihr An⸗
ſpruch auf Unterlaſſung durch Urteil e werde.
Dieſes Recht könnte nur durch den Nachweis beſeitigt
werden, daß jede Gefahr einer künftigen Wiederholung
dauernd ausgeſchloſſen iſt. Eine ſolche Gefahr liegt
aber nach dem Verhalten des Beklagten nicht ferne.
(Wird weiter ausgeführt.) (Urt. des I. 38S. vom
3. Dezember 1910, Ber.⸗Reg. Nr. 312/10).
2127 6 — — = n.
Oberlandesgericht Nürnberg.
Für den Antrag auf Anordnung der Rückgabe einer
Sicherheit nach § 715 ZBO. ſteht dem Rechtsanwalt
eine beſondere Gebühr neben der ET, nicht zu
(8 24 RAGebO.). Von dem im GebO. auf⸗
hassen Grundſatze, daß die im 5 13 benannten Ge⸗
ühren die geſamte Tätigkeit des Rechtsanwalts von
dem Auftrage bis zur Beendigung der Inſtanz um⸗
faſſen, können Ausnahmen nur in den geſetzlich vor⸗
geſehenen Fällen zugelaſſen werden. Solche Fälle ſind
im 8 30 a. a. O. geregelt, der Antrag nach 8 715
3PO. iſt hierbei nicht aufgeführt; im Gegenteil, es
iſt in Nr. 3 des § 30 die befondere Erhebung der
Gebühr (nach § 23 Nr. 1) nur für die 8 1 nach
8 109 ZPO. durch die Verweiſung auf 8 38 Nr. 2 GKG.
vorgeſehen. Hätte das en auch für den Fall des
8 24 RAGebO. ($ 47 Nr. 16 GKG.) die beſondere
Erhebung der Gebühr 15 der Prozeßgebühr zulaſſen
wollen, ſo hätte es ſicher 9 Fall des Antrags
nach 8 715 ZPO. neben dem ähnlichen Falle des Ans
trags nach $ 109 daſelbſt erwähnt. Dieſe Erwähnung
iſt ifenbar abſichtlich unterblieben; denn während
der Antrag nach 8 109 3p. eine eingehende ſachlich
prüfende Tätigkeit des Rechtsanwalts vorausſetzt,
handelt es ſich bei dem Antrage nach 8 715 3PO.
nur um eine rein förmliche Tätigkeit, die ſich an die
Rechtskraft des Urteils ohne weiteres anſchließt. Der
Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Tätigkeiten ſollte
und konnte auch in dem bloßen Gebührenunterſchiede
von ®/ıo und ½0 (§§ 23, 24 RA Geb.) allein um fo
weniger zum Ausdruck kommen, als das Geſetz es für
nötig gefunden 925 ſogar die Zuverläſſigkeit der „be⸗
ſonderen“ Gebührenerhebung für den ſachlichen An⸗
trag nach $ 109 ZPO. im 8 30 Nr. 3 RAGeb 0. eigens
zu erklären. Hieraus folgt, daß der Antrag nach
§ 715 ZPO., der mit dem nach § 35 RAGeb O. nicht
gebüßzenpfiäfigen Antrage auf Erwirkung des Rechts⸗
aftzeugnifjes eng eee einer beſonderen
Gebühr neben jenem des § 13 nicht unterliegen ſoll.
Wenn er auch ein rechtskräftiges Urteil vorausſetzt,
ſo gehört er doch zu der die Inſtanz beendigenden
Tätigkeit im Sinne des 8 29 RAGebO.; daß er
in Abſ. 2 daſelbſt nicht aufgeführt iſt, kann hieran
nichts ändern, da die dort genannten Fälle nur
als Beiſpiele, nicht erſchöpfend aufgezählt ſind. Der
Antrag iſt hiernach durch die Prozeßgebühr mitabge—
Ve • 6—j— — — — — DD
143
golten, was jetzt die Rechtſprechung vorwiegend an⸗
nimmt en Koſtenfeſtſetzungsverfahren (7)
S. 193 .2 zu § 24 und S. 165 Anm. II 3h zu
13 NAGEbD.: RechtſprOL G. 13, 259 ff.; 17, 239;
ay 3 R. 1905 S. 135, 307; 1907 S. 332 — gegen 1907
S. 135 —; Recht 1910 Beil. Nr. 356). Geſchluß an
18. Januar 1911, Beſchw.⸗Nr. 12/11). B—
2142
Landgericht Frankenthal.
Der Verzicht des Schuldners anf den gepfändeten
Lohnteil kann anfechtbar und nach 8 826 BGB. ni tig
fein. Für fällige Unterhaltsbeiträge wurden die
ſprüche des S. an die Firma M. aus dem Arbeits-
verhältniffe gepfändet, ſoweit fie den Betrag von
20 M wöchentlich überſteigen. Am Tage der Zu⸗
ee des ee ee ſchrleb S. der
Firma M.: „Ich eröffne hiedurch, daß ich nunmehr
um einen Wochenlohn von 20 M arbeiten möchte,
dagegen nicht gewillt bin, bewußter ſtarrköpfigen, un⸗
dankbaren Dirne auch nur einen Pfennig zukommen
zu laſſen.“ S. bezog hierauf nur noch 20 M Wochen⸗
lohn, ſtatt wie bisher 24 M, im übrigen blieb das
Arbeits verhältnis unverändert. Die Klage der Gläu⸗
bigerin gegen die Firma M. auf Zahlung von 4 M
„ wies das AG. ab, das LG. gab ihr ſtatt.
s den Gründen: Die Vorausſetzungen des
f 3 gf. 1 des Anf®. find gegeben. S. hat der Be-
lagten erklärt, er verzichte für die Zukunft auf 4 M
ſeines Wochenlohnes; die Firma hat das angenommen
und eine Aenderung der Beſtimmungen des Dienſt⸗
vertrages über den Lohn mit S. vereinbart; das
ſind i Rechtshandlungen. Fraglich könnte
nur ſein, ob der Schuldner durch den Verzicht auf
Mehrverdienſt ein Vermögensſtück „aufgibt“. Es iſt
zuzugeben, daß der Gläubiger kein Recht darauf hat,
daß der Schuldner für ihn einen in Ausſicht ſtehenden
Gewinn oder Erwerb mache. Die die Anfechtbarkeit
verneinende Entſcheidung des Reichsgerichts (RG. 69, 59)
legte Gewicht auf die Vertragsfreiheit und darauf, daß
jener Angeſtellte entlaſſen worden wäre, wenn nicht
ſeiner Frau der Gehaltsüberſchuß verblieben wäre,
wodurch die Lage der Gläubiger jedenfalls nicht ge⸗
beſſert worden wäre. Abgeſehen davon, daß dieſe
a in der Praxis Widerſpruch gefunden hat
(Jahrb. d. deutſch. Rechts 8, 1245), liegt hier der Fall
anders. Hier handelt es ſich um ein ſchon laufendes
Vertragsverhältnis, das ein gewiſſes ſchon feſtgelegtes
Einkommen gewährleiſtet, ſolange der Schuldner ſeine
Arbeitskraft wie bisher verwertet. Wenn hier der
Schuldner auf einen Teil ſeines Einkommens ver⸗
zichtet, gibt er einen Anſpruch auf, der die Befriedi⸗
gung der Gläubiger ſicherte und jetzt ihrem Zugriff
willkürlich entzogen wird. Die Benachteiligung wird
auch durch die Möglichkeit der Dienſtentlaſſung nicht
ausge loſſen. Die unmittelbare Wirkung iſt der
Wegfall des Anſpruchs, alſo die Benachteiligung. Die
Entlaſſung oder Nichtanſtellung iſt nur eine entfernte
Wirkung, die vielleicht eintreten kann. (DJ Z. 14, 765.)
Die angefochtene Vereinbarung verſtößt auch gegen
8 826 BGB. Es widerſpricht dem Anſtandsgefühl,
wenn der Schuldner ſo verwerflich handelt, daß die
Benachteiligung des Gläubigers geradezu den Zweck
feines Handelns bildet. Für den Verzicht des S.
ſind nicht beachtenswerte Rückſichten, wie Erhaltung
der Stelle, Sicherung des Familienunterhaltes u. dgl.
entſcheidend geweſen, ſondern er hat den Mehrverdienſt
in der ausgeſprochenen Abſicht aufgegeben der Gläu⸗
bigerin nichts zukommen zu laſſen; dieſes Verfahren
kann unbedenklich als Schikane im Sinne des § 226
BGB. gekennzeichnet werden. An dieſer wider die
guten Sitten verſtoßenden, vorſätzlichen Schadens-
144
— u — —
ftiftung hat ſich die Firma M. beteiligt. Sie hat
ihrem Arbeiter die argliſtige Handlungsweiſe ermög⸗
licht, indem ſie auf ſeinen Vorſchlag einging; ſie hat
ſich in Kenntnis des Sachverhalts ſozuſagen ſchenkungs⸗
weiſe zuwenden laſſen, was durch Gerichtsbeſchluß dem
Kinde zugewieſen war. Dabei kann unerörtert bleiben,
ob nicht einer ſolchen offenſichtlichen Umgehung einer
richterlichen Maßnahme ohne weiteres die richterliche
Anerkennung zu verſagen wäre. Die Beklagte kann
ſich alſo nicht darauf berufen, daß S. nur 20 M
Wochenlohn verdient. (Urt. vom 17. Februar 1911.)
2170 M.
Literatur.
J. v. Standingers Kommentar zum Bürgerlichen Geſeh⸗
buch und dem Einführungögeſetze, herausgegeben von
Dr. Theodor Locwenfeld, Philipp Mayring, Dr. Karl
Kober, Dr. Felix . Dr. Erwin Niezler,
Dr. Ludwig Kuhlenbeck, br. Theodor Eugelmann,
Joſeph Wagner. 5.6. neubearb. Aufl. 18. Lieferung.
Band II, Lieferung 5 (Schluß). Preis Mk. 16.—
München und Berlin 1910. J. Schweitzer Verlag
(Arthur Sellier).
Die Lieferung 5, die für ſich ſelbſt einen Band
von ca. 640 Seiten bildet, hat mit einem Schlage
das Recht der Schuldverhältniſſe vom 8 659 bis zum
8853 geführt. In zwei Teilen von zuſammen 1811 Seiten
iſt ſomit der Band vollendet, deſſen Erſcheinen wir
neben dem Familienrecht am ſtärkſten erſehnt haben.
Die Leiſtung der beiden Redaktoren Kober und
Engelmann, die nach der Vollendung ihres 3. und
4. Bandes ſich an den beſonderen Teil des Rechts der
Schuldverhältniſſe gemacht und ihn in fo kurzer Zeit
bewältigt haben, iſt einfach ſtaunenswert. Die Recht-
ſprechung des Jahres 1910 iſt bis gegen das Ende
in verwertet. So habe ich Urteile vom 14., 18., 19.,
2. und 27. Oktober 1910 berückſichtigt gefunden. Nur
einmal habe ich vergeblich eine Auskunft geſucht.
Ich ſtellte die Frage, ob im Falle des 8 436 BGB.
der Käufer eines Grundſtücks wegen Irrtums an—
fechten könne, weil ihm unbekannt geweſen ſei, daß
der Ortsbauplan die Hergabe eines Streifens des
Grundſtücks zur Straße verlange. Die Frage iſt zu
verneinen, da 8 436 ſolche öffentlich-rechtliche Laſten
zwingend als allgemein bekannt behandelt und die
Irrtumsanfechtung die durch 8436 gewährleiſtete Rechts-
ſicherheit vereiteln würde. Eine vortreffliche Leiſtung
bildet wieder das alphabetiſche Regiſter Keidels
(S. 1745— 1811).
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Kretzſchmar, Dr. F., Oberlandesgerichtsrat, Das
Erbrecht des Deutſchen Bürgerlichen Geſetzbuchs.
V, 567 S. Leipzig 1910, Dieterichſche Verlagsbuch—
handlung. Mk. 12.—, geb. Mk. 14.—.
So tief wie Strohals grundlegendes Werk geht
Kretzſchmars Erbrecht nicht. Immerhin iſt es weit
über den Rahmen eines Grundriſſes hinausgewachſen,
den der Verfaſſer, wie er im Vorworte mitteilt, ur—
ſprünglich zu ſchreiben beabſichtigte. Wegen der ſyſte—
matiſchen Gliederung und der klaren Schreibweiſe
eignet es ſich vor allem zum erſten, grundlegenden
Studium der ſchwierigen Materie. 6.
Neue Auflagen aus der Guttentagſchen Sammlung
deutſcher Reichsgeſetze.
1. Meyer, Georg, Juſtizrat, Rechtsanwalt bei den Kgl.
Landgerichten I, II, III Berlin. Das Recht der
Beſchlagnahme von Lohn- und Behaltfors»
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Zeitſchrift für Rechtspflege
—— — ͥ — 2— —
en Be a —
in Bayern. 1911. Nr. 6.
— nn 5
derungen. Auf Grundlage der Reichsgeſetze vom
21. Juni 1869 und 29. März 1897 und der Zinil-
prozeßordnung mit Einleitung, Anmerkungen und
Sachregiſter. 4. vermehrte Auflage. 202 S. Berlin
1910, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G. m. b. H.
2. Lindemann, Otto, Oberlandesgerichtsrat in Frank⸗
furt a. M. Geſetz, betreffend das Urheberrecht
an Werken der Literatur und der Tonkunſt
vom 19. Juni 1901. In der Faſſung der Geſetzes
vom 22. Mai 1910. Textausgabe mit Einleitung, An⸗
merkungen und Sachregiſter nebſt einem Anhang,
enthaltend die revidierte Berner Uebereinkunft vom
13. November 1908, 3. Auflage, 155 S. Berlin 1910,
J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G. m b. H.
Eger, Dr. Georg, Geheimer Regierungsrat, Die
Eiſenbahn-⸗Verkehrsordnung vom 23. De⸗
zember 1908 nebſt den Allgemeinen Ausführungs—
beſtimmungen und Abfertigungsvorſchriften auf der
Grundlage des Deutſchen Handelsgeſetzbuchs vom
10. Mai 1897. Dritte Auflage. XII, 628 S. Berlin
1910, J. Guttlutag, Verlagsbuchhandlung.
Dieſes vielbenützte und vielzitierte Werk unſerer
erſten Autorität auf dem Gebiete des Verkehrsrechts
zeigt auch in der neuen Auflage die alten Vorzüge.
Von einer eingehenderen Würdigung kann wohl bei
der . Meiſterſchaft des Verfaſſers abgeſehen
werden. 5
Notizeu.
Die Vorſchriften über den Gewerbebetrieb der Pfand⸗
leiher und der Pfandvermittler find durch zwei Bekannt-
machungen des Staatsminiſteriums des K. Hauſes und
des Aeußern vom 11. Februar 1911 umgeſtaltet worden
(GVBl. S. 83 ff. und S. 94 ff.). Geändert iſt im
weſentlichen nur die Faſſung. So ſind die Vorſchriften
der Bek. vom 12. Februar 1910 (GVBl. S. 76) in
den Text eingearbeitet worden; der 8 13 der Bek.
vom 5. November 1906 und der $ 10 der Bek. vom
14. Januar 1909, die von der Buchführung handeln,
ſind in mehrere kleinere Paragraphen zerlegt worden.
Die Vorſchrift, daß der Pfandleiher Pfandſcheine nicht
ankaufen, nicht belehnen und nicht mit ihnen Handel
treiben darf, ſtand bisher im § 16 Abſ. 3 der Bek.
vom 5. November 1906; fie iſt jetzt in den 8 3 der
neuen Bek. über das Pfandleihgewerbe als Nr. 5
übernommen. Von größerer Bedeutung iſt, duß dieſem
§ 3 als Nr. 7 eine neue Vorſchrift hinzugefügt iſt: fie
verbietet dem Pfandleiher die von einem Pfandver—
mittler verſetzten Pfänder um den Betrag des Pfand—
darlehens ſamt Zinſen zurückzugeben, wenn ſie nicht
zu einem Preiſe verſteigert werden, der den Betrag
des Pfanddarlehens ſamt Zinſen erreicht. Im Zu—
ſammenhange damit ſteht die neue Vorſchrift im $ 6
Nr. 7 der Bek. über das Pfandvermittelungsgewerbe,
die dem Pfandvermittler gleichfalls ſolche Geſchäfte
verbietet. Es iſt nicht recht einzuſehen, was mit dieſen
Verboten erreicht werden ſoll.
Im übrigen verweiſen wir auf die Abhandlungen
im Jahrg. 1909 S. 144 ff., 160 ff. und im Jahrg. 1907
S. 58 ff. Die darin enthaltenen Schilderungen des
Rechtszuſtands treffen im Großen und Ganzen auch noch
nach dem Inkrafttreten der neuen Bekanntmachungen
(1. März 1911) zu.
217.3
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Fran; Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
ur. 7. 7. - Münden, den 1. 1. April 1911. 191] 7. Jahrg.
Zeilſchrift für Bechlapflege
Verlag von
Th. von der Pfordten in Bayern 3. ng | „
K. Sandgerichtsrat, verw. im K. Bayer. ©
Stantäminifterium der Juftiz- München und Berlin.
> tion und edition: München, Lenbachplatz 1.
: RE re ebühr 30 910. ur die balbgeſpaldene Vetltzelle
oder 1 aum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Die Seen . am 1. und 1 5. jeden Mon 8
im W n mindeftens 2 Bogen. Preis lertelſabr lic .
Boca rn Bertelungen übernimmt jede Buchhandlung und I“
0 9
Nachdruck verboten. 145
| In dieſer letzten Gegenüberftellung zwiſchen
de Aechtsworal Moral und Sitte liegt das Problem. Das muß
Von Profeſſor Dr. Hans Albrecht Fiſcher in Gießen. a — erſten her rg un benn
Das Reichsgericht hat für den Begriff der die eſensunterſchiede zwiſchen Sitte und Sittlich⸗
„guten Sitten“ eine kurze und konſtant wieder⸗ 1 era a Moral find groß und
lehrende Formel gewählt. Seit der Entſcheidung allgemein bekannt. Allein zu einer gewiſſen ſprach⸗
im 48. Bande in Zivilf. S. 124 definiert der lichen Ungenauigkeit in der Verwendung der Aus⸗
oberſte Gerichtshof die guten Sitten als das drücke, „Sitte und Sittlichkeit kommen ſachliche
Schwierigkeiten: die guten Sitten im Rechtsſinn
= 5 1 15 ar . de . gehören nicht reſtlos einem der drei großen Ge⸗
; ; in: biete Sitte, Sittlichkeit und Recht an.) Wäre der
zipielle N ge ut da 9 1 ichs. Verſtoß wider die guten Sitten nichts weiter ‚al
gericht in den zahlreichen Entſcheidungen, bie ein Verſtoß gegen das Anſtandsgefühl aller billig
ſich mit dem Gutenſittenbegriff beſchäftigen, der und gerecht Denkenden, ſo hätte die engſte Wort⸗
angegebenen Formel angefügt hat, ſich mit der in aan 3 lden se . 10
dieſem Auflage vertretenen Auffaffung in Einklang d 8 1 Er en de ei in dem 15 1 880 15
bringen laſſen. Allein jene Formel ſelbſt unter⸗ = r . 0 itte ai MILDE Ber
liegt erheblichen Bedenken. Bei inhaltlicher und | ”. 1 wiedergegeben 55 n 905 .
grundſätzlicher Uebereinſtimmung ſcheint freilich ziehung ließe ſich ein Hinüberneigen zu den Grenz⸗
das Bemängeln der Definition auf einen leeren gebieten der Moral und Ethik konſtatieren, inſo⸗
Wortſtreit auszulaufen. Aber nur ſcheinbar. Iſt Ba este . auf 5 und die
ſchon an ſich keine Wiſſenſchaft in ihrem Inhalt di er 3 er beſten Sitt Sn 4 En nur auf
fo ſehr von der Form abhängig wie die Rechts⸗ die Be ; FR 9 85 f e 5 des 8689.
wiſſenſchaft, jo wird es bei dem berechtigten An⸗ nn e. Doch ii en S5 1 5 850
ſehen, das der oberſte Gerichtshof genießt, bald keine Provinz der geltenden Sitten, die guten
nicht mehr an jenen fehlen, welche nicht das Geſetz, Sitten bilden vielmehr ‚ein Grenzgebiet zwiſchen
ſondern die Reichsgerichtsformulierung auslegen an und 1 in ihnen verkörpert ſich die
und welche gerade, wenn fie exakt arbeiten, dann Rechtsmoral.
8 Der Verkauf eines Buches, welches dem Ver⸗
zu unrichtigen Ergebniſſen gelangen müſſen. An⸗ käufer von ſeinen Schülern als Geſchenk gewidmet
|
|
|
|
|
zeichen hierfür find ſchon vorhanden. So hat ein u n
im Jahre 1908 in Gruchots Beiträgen Bd. 52 5 ſei Fan Das 1 zu 8 7585
S. 497ff. erſchienener Aufſatz von Hagen fi findet ſich ef eu a an 150 15 . o⸗
mit der Auslegung der Reichsgerichtsformel be⸗ | eu nn lee 8 0 . Si
ſchäftigt, und der gekennzeichnete Erfolg ift m. E. den ſpäteren Auflagen verſchwindet das Beiſpie
und in der fünften Auflage (1910) Bd. I S. 246
|
gen, Bee der det ne | Mh Kr Aalen de Baar a ch
Herzog (Zum Begriff der guten Sitten. Breslau
1910) verliert ſich ebenfalls nach der durch die
Reichsgerichtsdefinition nahegelegten u. Her⸗
zog meint, daß es ſich beim Verſtoß gegen die des? . 1
widrigteit (C. H. Beck, München 1911) S. 56—91. Dort
. 110) Indem ee i. bee Ban der fe Fee e Jae ee de dn
1 er egri er ozialethi ie Einwirkun er Unſt
Sitte“, gegen die „ſozial wertvollen Sitten“ handle. lichteit aut die Rechtswidrigkeit näher rent
1) Zur Ergänzung der hieſigen kurzen Ausführungen
und zur Entlaftung von einer umfangreicheren litera=
riſchen Polemik ſei auf ein kürzlich erſchienenes Buch
des Verfaſſers verwieſen: H. A. Fiſcher, Die Rechts⸗
146 AZeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
als ein Verſtoß gegen die guten Sitten des BGB.
aufgefaßt. Obwohl der heutige Standpunkt des
Co ſackſchen Lehrbuchs durchaus zu billigen iſt,
iſt eigentlich das Verſchwinden jenes Beiſpiels,
welches in ſeiner pointierten Faſſung gerade zur
Warnung dienen konnte, zu bedauern.
Wird eine Handlung als gegen die guten
Sitten verſtoßend charakteriſiert, ſo liegt darin ein
ſchwerer Vorwurf. Wer contra bonos mores
handelt, handelt nicht nur rechtswidrig, ſondern
ſchuldhaft, wenngleich ſich dieſes Verſchulden
in die üblichen Einteilungen von Vorſatz und
Fahrläſſigkeit nicht einzwängen läßt. Die naͤhere
wiſſenſchaftliche Begründung hierfür habe ich
an anderer Stelle (Rechtswidrigkeit S. 140 ff.)
zu geben verſucht. Wer beſtreitet, daß, wer
einen Verſtoß gegen die guten Sitten begeht,
ſchuldhaft handelt, kann m. E. zu einem rich⸗
tigen Verſtändnis des 8 826 nicht gelangen.
Freilich ſcheint ſich, wie ein Blick in die 5. /6.
Auflage des Staudingerſchen Kommentars
(1911) 8 826 Erl. 6. Bd. II. S. 1634 lehrt, die
Zahl derer, welche vermeinen, daß „S 826 an
gewiſſe Handlungen zwar die Erſatzpflicht an⸗
knüpft, ſie damit aber noch nicht zu rechtswidrigen
macht“, noch immer zu vergrößern. Gewiß iſt
es richtig, daß 8 826 auch Anwendung finden
kann auf Schadenshandlungen, welche auf Grund
der allgemeinen menſchlichen Betätigungsfreiheit
vorgenommen werden. In demſelben Augenblick
aber, wo im Einzelfalle das Verdikt geſprochen
werden muß: dieſe Betätigung verſtößt gegen die
guten Sitten, iſt die Handlung nicht mehr harm⸗
los, ſondern auch rechtlich ſchlecht. Es iſt erfreu⸗
lich, daß jetzt auch der Kommentar der Reichs⸗
gerichtsräte (S 826 Erl. 1) dieſe Konſequenz zieht.
Daß in $ 826 BGB. außerdem noch ein auf
die Schadenszufügung gerichteter Vorſatz verlangt
wird, um den Täter haftbar zu machen, iſt viel⸗
fach ohne Bedeutung, manchmal aber für den
Schadensſtifter zu milde.
Es wäre bedauerlich, wenn wir den Wert
äußerer Anſtandsregeln jo überſchätzten, daß wir
ihre Uebertretung mit einem derartigen Makel der
Schuld, wie ſoeben geſchildert, belaſteten. Der
Rechtsordnung vor allem ſteht es am wenigſten
zu, eine ſolche Ueberſchätzung zu unterſtützen. Tut
ſie es aber dennoch, verleiht ſie einem beſtimmten
Brauche und beſtimmten Anſtandsregeln Zwangs—
charakter und bedroht ſie ihre Uebertretung mit
Rechtsnachteilen, ſo hören damit die geübten Regeln
auf, „Konventionalregeln“ zu ſein, ſie werden zu
Rechtsnormen. Der Verſtoß gegen die guten
Sitten iſt aber im BGB. mit ſehr erheblichen
Rechtsnachteilen belegt: Rechtsnachteile, welche ſogar
noch größer ſind, als bei Verſtößen gegen ein
geſetzliches Verbot. Es muß genügen, hier auf
die unterſchiedliche Faſſung von 8 134 und 8 138
ſowie auf den $ 309 BGB., welch letztere Vor—
ſchrift bei Verſtößen gegen die guten Sitten keine
Anwendung findet, zu verweiſen. Nach einer
5 Bemerkung Savigny's (Syſtem III
S. 171) in der Lehre von den unſittlichen Be⸗
! dingungen ſollte das Widerrechtliche ſtets unfittlich
(contra bonos mores) fein. Das widerſpricht
ſowohl dem römiſchen wie dem heutigen Recht.
Nicht alles, was rechtswidrig iſt, iſt contra bonos
mores; was aber contra bonos mores iſt, iſt
mit erhöhtem Vorwurfsgehalt rechtswidrig. Dieſer
ganze Gedankengang zeigt aber, daß der Ausgangs⸗
punkt, nämlich die Gleichſtellung der guten Sitten
mit Sitte und Anſtand, offenbar unrichtig ſein muß.
In den guten Sitten verkörpert ſich, wie ge⸗
ſagt, die Rechtsmoral. Drei charakteriſtiſche Züge
der Rechtsmoral ſollen hier hervorgehoben werden,
von denen ſie die beiden erſten dem Recht, den
dritten denn doch der Moral verdankt.
1. In der Rechtsmoral zeigt ſich zunaͤchſt die
von den Philofophen ſogenannte negativ ſitt⸗
liche Funktion des Rechts. Das BGB.
ſpricht nicht von der zwangsweiſen Verwirklichung
der guten Sitten, ſondern von den Verſtößen
wider ſie, von der Verhinderung ſolcher Verſtöße
und der Beſeitigung ihrer üblen Folgen. Die
vollſtändige Uebernahme reiner Moralvorſchriften
in die Rechtsordnung iſt aus mancherlei Gründen
unmöglich (vgl. Rechtswidrigkeit S. 63 — 70). Die
fittliche Lehre, vor allem die chriſtliche Morallehre,
ſtellt, auch wo fie fi) nur mit dem äußeren Ber:
halten gegenüber den Mitmenſchen beſchäftigt,
Idealvorſchriften auf, die niemand ganz zu erfüllen
vermag. Das Recht als Maſſenordnung muß
auch von den Maſſen erfüllt werden können.
Rechtsſatzungen, welche Menſchenkraft überſteigen
oder, was nur unter unſäglichen Anſtrengungen
möglich iſt, täglich verlangen, bleiben nicht nur
ohne den beabſichtigten Erfolg, ſondern richten
noch obendrein großen Schaden an: ſie rufen ſo⸗
wohl Heuchelei der Uebertretenden als auch ſchwerere
Verfehlungen als ein milderes Geſetz hervor, da
bekanntlich, wenn einmal ein Geſetz übertreten
wird, es dem Delinquenten auf ein mehr oder
weniger nicht mehr anzukommen pflegt. So weit
muß alſo die reine Morallehre in der konkreten
Rechtsvorſchrift abgemindert erſcheinen, daß ihre
Erfüllung billigerweiſe noch von dem Volksdurch⸗
ſchnitt erwartet werden kann. Dahin gehören die
Vorſchriften über Wahrung von Treu und
Glauben im Verkehrsleben. Nun iſt aber im
allgemeinen das Recht zur Durchführung poſi—
tiver Moralvorſchriften überhaupt nicht geeignet,
da die äußeren Zwangsmittel, gerade wenn ſie
wirken, jene Uneigennützigkeit und Reinheit der
Geſinnung ausſchließen, welche der äußerlich guten
Tat erſt ihren moraliſchen Wert gibt. Der Reli—
gion und Ethik iſt alſo das Recht keine Hilfe.
Seine eigenen Aufgaben erfüllt unſere auf das
Privateigentum aufgebaute Rechtsordnung am
beiten, wenn fie nicht poſitiv Moralität zu er:
zwingen ſucht, ſondern negativ gegen allzugrobe
—
—
moraliſche Verfehlungen einſchreitet und im übrigen
den durch geſetzliche Schranken eingeengten Egois⸗
mus des Rechtsſubjekts ſelbſt für ſich ſorgen und
ſich vor Schaden behüten läßt. Wiederholt und
in geiſtreichen Wendungen iſt es daher in Wiſſen⸗
ſchaft und in Entſcheidungen ausgeſprochen, daß,
wer die Verſtöße wider die guten Sitten meidet,
noch lange kein anftändiger, geſchweige denn ein
ſittlich hochſtehender Menſch zu ſein braucht.
Wiederholt hat das Reichsgericht die Anwen⸗
dung des $ 826 BGB. abgelehnt, weil Rechts:
ausübung oder auf Grund der allgemeinen Frei⸗
heit vorgenommene Handlungen jene weitgezogenen
Grenzlinien noch nicht überſchritten hätten (vgl.
RG. Bd. 67 S. 153 und 170, Bd. 69 S. 162
und ſonſt). Dabei iſt das Grenzgebiet, wo feinere
moraliſche Verfehlungen (oder was hier gleich⸗
geſtellt iſt: Anſtandsverletzungen) offenbar gegeben
ſind, ein Verſtoß wider die guten Sitten aber
noch nicht, keineswegs ohne juriſtiſche Bedeutung.
Es läßt ſich der in Einzelregelungen unſeres
Geſetzbuchs enthaltene Grundgedanke etwa dahin
formulieren: wer ohne es zu wiſſen oder zu wollen
anſtändig geweſen iſt oder ſo gehandelt hat, wie
die feinere Moral (ſittliche Pflicht) es gebietet,
darf das Mehr an Leiſtung gegenüber dem, was
ihm nur nach formalem Recht abgerungen werden
konnte, nicht zurückfordern. Die hier einſchlägigen
Geſetzesſtellen, welche die soluti retentio garan⸗
tieren, ſind ſchon ſo oft in der Literatur behandelt,
daß ich mich auf Folgendes beſchränken kann.
Der § 814 BGB. und der $ 534 (mit feinen
Ausſtrahlungen auf das Familien- und Erbrecht)
koordinieren „ſittliche Pflicht“ und „auf den An⸗
ſtand zu nehmende Rückſicht“. Mehr noch als
bei den „guten Sitten“ iſt für dieſe Geſetzesſtellen
in der Literatur die Meinung vertreten, daß
„fittlich“ hier ein ungenauer Ausdruck fer und als
adjektiv von „Sitte“, nicht von „Sittlichkeit“ aus:
gelegt werden müſſe, ſo daß alſo „Anſtand“ und
„ſittliche Pflicht“ nicht mehr als ein Ly oed dvom
bedeute. Man exemplifizierte dann bei § 534
auf den von Ihering ſogenannten Liberalitäts⸗
zwang, dem zuwider zu handeln unanſtändig aber
nicht unfittlich ſei. Dieſe Anſicht habe ich auch
verteidigt (Rechtswidrigkeit S. 75) und in dieſer
Beziehung habe ich mich zu berichtigen. Und
zwar hat mich zur Aenderung meiner Meinung
ein Aufſatz von Schierlinger (Blätter für
Rechtsanwendung Bd. 71 S. 661 — 668) angeregt,
wo gerade jene referierte, nunmehr von mir auf—
gegebene Anſicht verfochten wird. Schierlinger
folgert daraus, daß wahre Fälle der unvoll⸗
kommenen Verbindlichkeiten und damit des § 814
die in den 88 656 und 762 — 764 geregelten
ſeien, „dieſelben würden, wenn ſie nicht ſchon von
jenen Spezialbeſtimmungen getroffen wären, ohne:
hin den — erſt ſpäter dem BGB. eingefügten —
Vorſchriften unſeres $ 814 Halbſ. 2 unterſtehen.
Die geſchichtliche Grundlage der Regel, daß die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
— nn
Zahlung von Spielſchulden, die Entrichtung eines
ſog. Kuppelpelzes die Rückforderung ausſchließt,
bildet offenbar die Sitte, die manchmal ſogar die
Sittlichkeit überwindet; denn vor der ſtrengen
Moral könnte hier die Gültigkeit auch der geleiſteten
Zahlung nicht beſtehen“. (S. 664i5.)
Tatſächlich mag manchmal die Sitte die Sitt⸗
lichkeit überwinden, aber es wäre ein ſchwerer Vor⸗
wurf für unſer Geſetzbuch, wenn es ſich in dem Kampfe
dieſer beiden Mächte bewußt auf die Seite der
Sitte ſtellte. Es kann zweifelhaft ſein, ob ohne
die ausdrücklichen Vorſchriften der 88 656 Abſ. 1
S. 2 und 762 Abſ. 1 S. 2 soluti retentio ſchon
aus 8 817 S. 2 generell zu folgern geweſen wäre.
Jedenfalls liegt der geſetzgeberiſche Grund für den
Ausſchluß der Rückforderung von Ehemaklerlohn
und Spielſchuldzahlung der Beſtimmung des $ 817
S. 2 weit näher als dem $ 814 Halb}. 2: mit
ſolchen Dingen ſoll ſich unſer Recht
nicht befaſſen. Iſt es alſo unrichtig, daß die
genannten Geſetzesbeſtimmungen einen Sieg der
Sitte über die Sittlichkeit befiegeln, ſo iſt auf der
andern Seite nicht einzuſehen, warum die soluti
retentio, wenn einer moraliſchen Pflicht mit der
Leiſtung genügt war, weniger begründet ſein ſollte,
als wenn nur einer auf den Anſtand zu nehmen⸗
den Rückſicht ein Opfer gebracht war. Wenn
etwas der Rechtfertigung bedurfte, ſo war es der
Rückforderungsausſchluß bei Erfüllung der An⸗
ſtandsverpflichtung als dem Minus. Dieſe Recht:
fertigung hat bereits Ihering gegeben. Daß
Schierlinger irre geht, zeigen auch ſeine Bei⸗
ſpiele: „Mag die fittliche Pflicht noch ſo dringend
mahnen, daß der kinderloſe Reiche ſeinem armen
kinderreichen Bruder eine fortlaufende Unterſtützung
gewähre: ein moraliſcher Zwang bierzu beſteht
nicht, denn die Sitte gebietet ſolche Unterſtützung
keineswegs; fie kann aber unter Umſtänden ver⸗
langen, daß der Reiche für den am gleichen Ort
wohnenden armen Vetter und deſſen Kinder
Kleider und Schuhe beſchafft, denn es ſchadet
dem Anſehen des erſten, wenn jene zerlumpt und
barfuß herumlaufen. Selbſt eine derartige not⸗
gedrungene Freigebigkeit iſt aber und bleibt zweifel⸗
los Schenkung, nur unterliegt ſie nicht der Rück⸗
forderung und dem Widerrufe“ (S. 663). Wenn
ich recht verſtehe, bezieht ſich der zweite Satz nur
auf den zweiten Fall des erſten Satzes. Ganz
unverſtändlich bleibt mir aber die einleitende Be⸗
gründung des erſten Satzes, daß obwohl die
ſittliche Pflicht noch fo ſehr mahnt, ein
moraliſcher Zwang nicht beſteht, wenn oder
weil die Sitte eine Handlung nicht gebietet. In
der Sache meine ich allerdings, daß im erſteren
Beiſpielsfalle eine ſittliche Pflicht, im zweiten Falle
regelmäßig nicht einmal eine Anſtandspflicht zur
Unterſtützung des Vetters beſteht. Denn was
durch die Klugheit geboten erſcheint, braucht noch
nicht durch den Anſtand geboten zu ſein. Wenn
daher der Geber verarmt und der kinderreiche
148
— LL— — L nn
ee DL —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
Bruder und der Vetter reich werden, würde ich Anſtandspflicht zu genügen oder nur gezwungen in
dem Geber gegen den erſteren keinen, gegen den
Vetter dagegen den Rückforderungsanſpruch nach
§ 528 BGB. zugeſtehen. Und ebenſo würde ich,
falls der Geber die Unterſtützung in Erfüllung
einer vermeintlichen letztwilligen Verfügung eines
gemeinſamen Verwandten gewährte, die condictio
|
auf Grund des 8 814 BGB. gegen den Bruder
verſagen, gegen den Vetter gewähren. Freilich
ſind das Pauſchalentſcheidungen: hat ſich der Bruder
grober Verfehlungen gegen den Geber ſchuldig ge⸗
macht, welche im Verhältnis zwiſchen Aszendenten
zu Deszendenten den Pflichtteilsanſpruch zerſtören
(8 2333 Ziff. 1—4) und hat ſich der verarmte
Vetter im bisherigen Leben für den Geber geopfert,
ſo kann die Entſcheidung umgekehrt ausfallen.
Das alteriert aber die prinzipielle Seite nicht.
Bleiben wir noch einen Augenblick bei $ 814
BGB. ſtehen, jo bilden, wie ein Blick in die
Entſcheidungsſammlungen zeigt, gerade nicht ge⸗
ſchuldete, oder über das geſchuldete Maß hinaus
geleiſtete Unterhaltsbeiträge, ſei es Verwandten,
ſei es Ehegatten gegenüber ein wichtiges An⸗
wendungsgebiet für den Ausſchluß der Rückforde⸗
rung nach $ 814 Halbſ. 2 BGB. Dabei kann
allerdings an Stelle oder neben der ſittlichen
Pflicht auch der Anſtand die urſprüngliche Leiſtung
erfordert haben. Von großer Bedeutung iſt ferner
die Frage, ob die Leiſtung, welche auf Grund
eines formnichtigen Geſchäfts gemacht iſt, dem
Rückforderungsausſchluß nach $ 814 Halbſ. 2 unter:
liegt. Das Reichsgericht hat prinzipiell den
Rückforderungsanſpruch zugebilligt: „Wo das Geſetz
die Gültigkeit einer Willenserklärung an eine be⸗
ſtimmte Form knüpft, kann die Nichterfüllung oder
Nichtbeachtung derſelben nicht als eine Verletzung
von Treu und Glauben oder als ein Verſtoß gegen
die guten Sitten angeſehen werden, mag immer⸗
hin ein Mann von vornehmer Geſinnung Be
denken tragen von dem Einwande des Formmangels
Gebrauch zu machen“ (RG. 58, 218). Vgl. ferner
RG. 72, 342 und RG. in der DIZ. 1903 S. 32.
In dem Kommentar der Reichsgerichtsräte
($ 814 Erl. 2) iſt auf eine nicht veröffentlichte
Entſcheidung des IV. ZS. vom 14. November 1907
verwieſen. wonach das Beſtehen einer ſittlichen
oder Anſtandspflicht bejaht und damit die con-
dictio verſagt iſt bei Erfüllung nichtiger Ver⸗
mächtniſſe aus frommer Achtung des letzten Willens
des Erblafſers. Worauf die Nichtigkeit der Ver:
mächtniſſe beruhte, iſt nicht geſagt; den häufigſten
Fall wird jedenfalls ein Formmangel der letzt—
willigen Verfügung bilden. Ich glaube, daß ſo—
wohl der prinzipielle Standpunkt des Reichs-
gerichts, wie die letzterwähnte abweichende Einzel—
entſcheidung ſich halten laſſen. Will man das
näher begründen, ſo iſt es mit dem Satze: es
kommt auf den Einzelfall an, nicht getan. Jeden—
falls iſt es nicht entſcheidend, ob der Leiſtende ſeiner—
der irrigen Annahme einer rechtlichen Verbind⸗
lichkeit die Leiſtung aus dem formnichtigen Ge⸗
ſchäſt vollzog. Meiſt werden die Parteien die
rechtliche und moraliſche Seite ihrer Verpflichtung
nicht genügend ſcharf auseinander halten. Tun
ſie es aber ausnahmsweiſe und ſind ſich über das
Nichtvorhandenſein einer rechtlichen Verpflichtung
klar, dann liegt bereits ein Ausſchluß der condictio
nach 8 814 Halbſ. 1 vor. Am beſten iſt wohl die
„
zeit aus freien Stücken, um der Sittlichkeits- oder
allgemeine Faſſung, welche Reichel (Archiv Prax.
Bd. 104 S. 21 ff.) vorgeſchlagen hat: Wer durch
formnichtigen Vertrag eine Leiſtung verſpricht oder
durch formnichtiges einſeitiges Rechtsgeſchäft eine
Leiſtung aufgebürdet erhält, die zu vollziehen ſchon
ohnedies d. h. ſchon ungeachtet des formnichtigen
Geſchäfts Anſtand oder Sittlichkeit von ihm fordern,
kann die vollzogene Leiſtung nicht zurückfordern,
auch unter Bezugnahme auf den Formmangel
nicht. Es kann alſo entweder ſchon an ſich An⸗
ſtand und Moral eine Leiſtung erfordern, oder
es kann allein die Heiligkeit des gegebe-
nen Wortes trotz Formnichtigkeit des Geſchäfts
die Erfüllung verlangen. In dem erſteren Falle
— mag er auch zufällig mit dem zweiten zu⸗
ſammenfallen — wird die condictio verſagt, im
zweiten nicht. Die Zubilligung der condictio
bei Formmangel des Verpflichtungsgeſchäfts zeigt,
daß Anſtand und Moral nichts gelten, wenn
ſie ſich mit den Zwecken, welche die Rechtsordnung
verfolgt, in Widerſpruch ſetzen. Anſtand und
Moral find in 8 814 nur zugelaſſen als Hilfs⸗
kräfte des Rechts, nicht als rechtszerſtörende Mächte.
Es läuft alſo alles in letzter Linie auf die Aus:
legungsfrage nach der Geltungsſtärke einer Rechts⸗
norm hinaus. Glaubt unſer BGB. die ihm wich⸗
tigen Formvorſchriften nur aufrecht erhalten zu
können, wenn es nicht nur die Erzwingung der
Leiſtung aus formnichtigem Geſchäſt verſagt, ſondern
daneben noch eine condictio gibt, ſo müſſen ſitt⸗
liche und Anſtandsrückſichten weichen. Andere
Rechte dachten anders.“) Und bei derſelben Ge⸗
ſetzesbeſtimmung kann ſich ſogar mit dem Laufe
der Zeit die Auffaſſung ändern. Bis zur Börfen-
geſetznovelle vom 8. Mai 1908 war auch die
Rückforderung des zur Erfüllung eines verbotenen
Termingeſchäfts Geleiſteten trotz $ 814 BGB. durch
die Rechtſprechung zugelaſſen (RG. in JW. 1904
S. 38 und 407). Durch das Börſengeſetz vom
8. Mai 1908 88 64 Abſ. 2 und 66 Abi. 2 iſt
iſt die Rückforderung teils gänzlich, teils nach
einer Zeitſpanne von zwei Jahren ausgeſchloſſen.
Freilich ſollen dieſem Rückforderungsausſchluß nach
einer (im „Recht“ 1910 Nr. 3172, aber nicht in
der offiziellen Sammlung veröffentlichten) Ent⸗
) Vgl. z. B. PrAL R. I, 16, 8 176: „Bei Zah⸗
lungen aus einem bloß wegen Mangels der geſetzmäßigen
Form unverbindlichen Geſchäfte findet die Rückforderung
aus einer vorgeſchützten Unwiſſenheit dieſer geſetzlichen
Vorſchrift niemals ſtatt.“
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7. 149
ſcheidung des Reichsgerichts „lediglich wirt⸗
ſchaftliche Geſichtspunkte“ zugrunde liegen und
damit keineswegs weder allgemein noch wenigſtens
für den Kaufmann eine ſittliche Pflicht oder eine
auf den Anſtand zu nehmende Rückſicht zur Er⸗
füllung verbotener Börſenterminsgeſchäfte bejaht
ſein. Mag man das glauben oder bezweifeln:
Jedenfalls iſt es mit Freuden zu begrüßen, daß
unſer Recht mit dieſer Neuerung des Börſen⸗
geſetzes eine Kluft überbrückt hat, welche zwiſchen
unſerer faktiſchen moraliſchen und geſellſchaftlichen
Auffaſſung und der Rechtſprechung auf dem Ge⸗
biete des Terminhandels klaffte.
Wir kehren nunmehr zum Ausgangspunkt
zurück: Wir haben in der Geſetzesſprache „gute
Sitten“ und „fittliche Pflicht“ in dem Sinne zu
unterſcheiden, daß ſich in erſteren die vergröberte
Rechtsmoral, in der letzteren die reine Sittlich⸗
keitslehre darſtellt. Während die Rechtsordnung
gegen die Verſtöße wider die Rechtsmoral in
ſchärfſter Weiſe reagiert, ignoriert ſie die geringeren
Verſehlungen gegen Moral und Anſtand, ſie will
nur ſolcher geringeren Unfittlichkeit oder Unan⸗
ſtändigkeit nicht noch obendrein durch Gewährung
einer condictio zum Siege verhelfen (8 814).
Wenn wir ſagten: die guten Sitten enthalten die
Rechtsmoral, ſo zeigt ſich das auch noch in folgen⸗
dem: der Satz: eine deutſche Reichsrechtsnorm ver⸗
ſtößt wider die guten Sitten d. h. verlangt ein
Handeln oder Unterlaſſen, welches nach demſelben
deutſchen Reichsrecht als wider die guten Sitten
gebrandmarkt iſt — iſt perplex. Der Satz: eine
Rechtsnorm ſteht mit einer „ſittlichen Pflicht oder
einer auf den Anſtand zu nehmenden Rückſicht“
in Widerſpruch, deutet zwar einen bedauerlichen
Konflikt zwiſchen Recht einerſeits, Moral und An⸗
ſtand andrerſeits an, iſt aber möglich. Inſofern
beſteht eine Nüance zwiſchen der hieſigen und
der Reichsgerichtsauffaſſung: m. E. entſpricht aller⸗
dings die Erfüllung eines formnichtigen Geſchäfts
und die Erfüllung eines nicht privilegierten Börſen⸗
termingeſchäftes der in 8814 Halbſ. 2 erwähnten
ſittlichen Pflicht oder auf den Anſtand zu nehmen⸗
den Rückſicht. Aber der 8 814 Halbſ. 2 kann im
Tatbeſtande gegeben und dennoch durch andere
ſpezielle Vorſchriften außer Kraft geſetzt ſein.
(Schluß folgt). |
— — ———
Lertretbare und Gattungsſachen. — Menge:
ſachen und Etückſachen.
Von Profeſſor Dr. Langheineken in Halle.
I.
Das BGB. kennt ſowohl den Begriff „ver⸗
tretbare Sachen“ als auch den Begriff
„Gattungsſachen“.
Den en Begriff definiert das Geſetz in $ 91
wie folgt:
„Vertretbare Sachen im Sinne des Geſetzes
ſind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach
Zahl, Maß oder Gewicht beſtimmt zu
werden pflegen.“
Den zweiten Begriff umſchreibt es regelmäßig
(z. B. in 8 243) durch die Formel „eine nur
der Gattung nach beſtimmte Sache“.
Beiden Begriffen ſteht gegenüber der Begriff
der „individuell beſtimmten Sache“.
Für die vertretbaren Sachen finden ſich
Vorſchriften:
in 8 473 (Die Minderung des Kaufpreiſes
für eine mangelhafte Sache erfolgt, wenn der
Kaufpreis in vertretbaren Sachen beſteht,
direkt durch verhältnismäßige Herabſetzung an
den vertretbaren Sachen, alſo ohne deren Ab⸗
ſchaͤtzung in Geld),
in 8 607 (Nur vertretbare Sachen können
Gegenſtand eines Darlehens ſein),
in $ 651 Abſ. 1 (Für den Vertrag, bei
dem der Unternehmer eines Werkes den Stoff
zu beſchaffen hat, gelten, wenn vertretbare
Sachen herzuſtellen ſind, die Vorſchriften über
den Kauf),
in 8 700 (Für den unregelmäßigen Ber:
wahrungsvertrag über vertretbare Sachen
gelten grundſätzlich die Vorſchriften über das
Darlehen),
in $ 706 Abſ. 2 (Beſteht der Beitrag eines
Geſellſchafters in vertretbaren Sachen, ſo
fallen dieſe im Zweifel in das Geſellſchafts⸗
vermögen),
in 8 783 (Nur vertretbare Sachen
können Gegenſtand einer Anweiſung ſein).
Auf Gattungsſachen beziehen ſich die Vor⸗
ſchriften:
in 8 243 Abſ. 1 (Wird eine Gattungs⸗
ſache geſchuldet, ſo iſt eine Sache mittlerer
Art und Güte zu leiſten),
in 8 243 Abſ. 2 (Wird eine Gattungs⸗
ſache geſchuldet, jo beſchränkt ſich das Schuld:
verhältnis auf eine beſtimmte Sache nicht ſchon
mit der Ausſcheidung der Sache durch den
Schuldner, ſondern erſt mit dem Abſchluß der
geſamten dem Schuldner obliegenden Täligkeit),
in $ 279 (Bei der Gattungsſchuld
liegt Unvermögen des Schuldners zur Leiſtung
erſt dann vor, wenn die Leiſtung aus der
Gattung unmöglich geworden iſt),
in $ 480 (Beim Gattungskauf kann der
Käufer, wenn eine mangelhafte Sache geleiſtet
wird, die Leiſtung einer mangelfreien Sache
verlangen),
ferner die Vorſchriften in 8 300 Abſ. 2
(Folgerung aus 8 243 Abſ. 2), in 88 491,
524, 2182, 2183 (gleichgeartet mit 8 480)
und in $ 2155 (Ausnahme von $ 243 Abſ. 1).
Aus dem Umſtand, daß das Geſetz für die
vertretbaren Sachen mehrfach eine andere Regelung
trifft als für die Gattungsſachen, ergibt ſich mit
150
Deutlichkeit, daß es die beiden Begriffe voneinander
getrennt wiſſen will. Ungewiß bleibt indeſſen, ob
es dieſe Begriffe als ſubordinierte oder als koordi⸗
nierte oder als ſich kreuzende Begriffe auffaßt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 77
vertretbare Sachen.“ — Dem ſchloß ſich das
Im folgenden ſoll nun gezeigt werden, daß
die Definition für die „vertretbaren Sachen“ in
8 91 BGB. aus mehreren Gründen zu beanſtanden
iſt und daß dieſer Ausdruck bald im Sinne von
„Gattungsſache“ verwendet wird, bald auch in
einem engeren Sinne, der jedenfalls nicht der
Begriffsbeſtimmung in § 91 entſpricht.
Die folgenden Unterſuchungen müſſen demnach
darauf gerichtet ſein, zunächſt die in Betracht
kommenden Begriffe exakt zu beſtimmen und von⸗
einander abzugrenzen, ſodann aber den Ausdruck
„vertretbare Sachen“ in jedem feiner Anwendungs⸗
fälle auf ſeine wahre Bedeutung zu prüfen, ins⸗
beſondere auch nach der Richtung hin, ob an den
einzelnen Stellen des BGB. und ebenſo des HGB.
und der ZPO. dieſer Ausdruck im Sinne von
„Gattungsſache“ oder in einem anderen, etwa
engeren Sinne zu verſtehen iſt.
II.
Der Begriff „vertretbare Sachen“ und ſeine
Definition in $ 91 BGB., ſowie die gleichbedeutende
Bezeichnung „fungible Sachen“ gehen zurück auf
das römiſche Recht, insbeſondere auf 1. 2 8 1
D. de reb. cred 12.1: „res, quae pondere
numero mensura consistunt, quae in
genere suo functionem recipiunt per solutionem
[magis] quam specie“. An das Wort functionem
anknüpfend, hat man nun den wenig bezeichnenden
Ausdruck „res fungibilis“ gebildet.) Daraus ent:
ſtand die Bezeichnung „fungible Sache,“ wofür dann
„vertretbare Sache“ gebräuchlich geworden iſt.“
Ebenſo iſt auf das Wort genus zurückzuführen
die Bezeichnung „generiſch beſtimmte Sache“, wofür
man jetzt ſagt „Gattungsſache“.
Hiernach war es für das gemeine Recht ganz an⸗
gebracht, grundſätzlich den Ausdrücken „vertretbare
Sache“ und „Gattungsſache“ einen überein⸗
ſtimmenden begrifflichen Inhalt zu geben, wie es
insbeſondere Windſcheid tut mit den Worten:“)
„Die Sachen, die für den Verkehr in Betracht zu
kommen pflegen nach der Gattung, zu welcher ſie
gehören, nennt man Gattungsſachen oder auch.
weil bei ihnen jedes zu dieſer Gattung gehörige
Sachindividnum durch jedes andere zu derſelben
ſaͤchſiſche Recht an mit der Legaldefinition:)
„Vertretbar ſind Sachen, die, wenn ſie Gegen⸗
ſtand eines Rechtsverhältniſſes find, durch Sachen
derſelben Gattung geleiſtet werden können.“ —
Das Allgemeine Landrecht kennt zwar den Begriff
„Gattungsſache“ oder „genus“, “) nicht aber einen
ſelbſtändigen Begriff „vertretbare Sache“, ſondern
verwendet den Ausdruck „verbrauchbare Sache“)
in einem ganz ähnlichen Sinne,“) ohne aber deſſen
Verhältnis zur Gattungsſache klar herauszuſtellen.“)
Im BGB. dagegen werden wie geſagt die
beiden Ausdrücke unterſchiedlich verwendet. Für
die „vertretbare Sache“ iſt weſentlich die Beſtim⸗
mung „nach Zahl, Maß oder Gewicht“.
Die „Gattungsſache“ wird überall bezeichnet als
„eine nur der Gattung nach beſtimmte
Sache“, wobei offenbar die Anſchauung vorge⸗
herrſcht hat, daß eine einzelne Sache, alſo die
in der Einzahl, in der Anzahl 1 auftretende
Sache, immer nur Gattungsſache, niemals
vertretbare Sache ſein könne.
gehörige Sachindividuum vertreten werden kann,
— — —
) Der Urheber dieſes Sprachgebrauchs ſcheint Ulrich
Zaſius zu fein. Vgl. Windſcheid, Pandekten Bd. I
8 141 Anm. 3.
2) Savigny, Syſtem des heutigen Römiſchen
Rechts Bd. VI 8 268 S. 123, bevorzugt die Bezeichnung
„Quantitäten“ und definiert dieſe (Obligationenrecht
Bd. I S. 400 a. E) als „Sachen, welche innerhalb der
Grenzen einer beſtimmten Gattung gar keinen indivi—
duellen Wert haben, ſo daß bei ihnen aller Wert nur
durch Zahl, Maß oder Gewicht beſtimmt wird, die
Unterſcheidung der Individuen völlig gleichgültig iſt“.
2) Pandekten Bd I § 141 a. A.
Indeſſen muß hier eine dreifache Unklarheit
oder Ungenauigkeit konſtatiert werden: Erſtens iſt
die Beſtimmung „nach Maß oder Gewicht“
doch ſteis auch eine Beſtimmung „nach Zahl“;
denn ſie erfordert nicht nur die Angabe einer
Maß⸗ oder Gewichts⸗Einheit, ſondern auch die
Angabe einer Zahl.“) Zweitens kommt im Ber:
kehr neben der Maß⸗Einheit und der Gewichts⸗
Einheit auch noch die Münz⸗Einheit (der „Münz⸗
fuß“) in Betracht.) Drittens iſt auch die Zahl 1,
die Einzahl alſo, eine Zahl.
9) Sächſ. BGB. 8 61 Satz 2.
) Teil I, Titel 5, 8 275.
°) Teil I, Titel 2, 8 121 (Die Wiedererſtattung von
ver brauchbaren Sachen geſchieht in Sachen von
gleicher Gattung und Güte).
) Förſter⸗Eccius, Preuß. Privatrecht Bd. I
8 21 Anm. 17 S. 111, äußert: „Man hat fie [die ver⸗
tretbaren Sachen! mit den verbrauchbaren Sachen
identifiziert.“
) Der Begriff „verbrauchbare Sache“ iſt den Be
griffen „Gattungsſache“ und „vertretbare Sache“ weder
gleich noch ſubordiniert. „Verbrauchbar“ und „vertrets
bar“ ſind jedenfalls ſich kreuzende Begriffe, wie die
Wortverbindung „verbrauchbare oder vertretbare
Sachen“ in Art. 96 des Preuß. Entwurfs zum HGB.,
in Art. 91 des AüGB. und in S 706 Abſ. 2 BGB.
erkennen läßt.
») Etwas anderes wäre es, wenn im Geſetz ſtünde:
„nach Zahl und Maß oder Gewicht.“ Vielleicht hatte
dem Geſetzgeber unbewußt ein folder Gedanke vorges
ſchwebt, als er vermied, die in den römiſchen Quellen
(vgl. die fünf Zitate bei Windſcheid a. a. O. Anm. 2)
ausnahmslos auftretende Reihenſolge (pondere,
numero, mensura) abänderte durch Voranſtellung
des Wortes „Zahl“ in § 91 (wie übrigens ſchon Wind—
ſcheid a a. O. durch Voranſtellung des Wortes numero“),
im Gegenſatz zum Sächſ BGB. § 61 Saß 2, wo noch die
quellenmäßig genaue Reihenfolge eingehalten iſt, das Wort
„Zahl“ alſo noch in der Mitte ſteht.
10) Allerdings iſt die Münzeinheit urſprünglich nur
eine aus der Gewichtseinheit abgeleitete Einheit.
IH.
Indem man den erftgenannten Einwand in
den Vordergrund rückt, wird man zu einer bisher
unbeachtet gebliebenen Unterſcheidung geführt; d. i.
die dem Mathematiker wie dem Phyſiker ganz
geläufige Unterſcheidung zwiſchen „benannten
Zahlen“ und „un benannten Zahlen“. Wenn
man auf dieſen Gegenſatz zurückgeht, gewinnt man
einen einfachen, objektiven Geſichtspunkt für die
Beſtimmung der hier in Betracht kommenden Be⸗
griffe und für ihr gegenſeitiges Verhältnis wie
auch für ihr Anwendungsgebiet, und zugleich eine
brauchbare Grundlage für die Einführung paſſender
Bezeichnungen.
„Benannte Zahlen“ ſind Zahlenwerte, die
z. B. irgendwelche Längen: oder Flaͤchen⸗ oder
Hohl⸗ oder Gewichtsmaße angeben, alſo bezogen
find auf eine beſtimmte Einheit, wie Maßein⸗
heit (Langen⸗, Flächen⸗, Volumeneinheit), Gewichts⸗
einheit, Münzeinheit (Münzfuß), Zeiteinheit, Wärme:
einheit, Arbeitseinheit, Energieeinheit.
„Unbenannte Zahlen“ find Zahlenwerte,
die eine Anzahl Stücke angeben, eine Stückzahl dar⸗
ſtellen.“)
Den Unterſchied zwiſchen benannten und unbe⸗
nannten Zahlen kann man ſich klar machen, wenn
man ſich vergegenwärtigt, daß die Frage: „Wie⸗
viel Stühle oder Teller oder Maſchinen ſollen es
ſein (gekauft, gemietet, geliehen, hergeſtellt, zer⸗
ſtört ſein)?“ durch eine bloße Zahl (etwa 30)
beantwortet werden kann. Nicht ſo dagegen die
Frage: „Wieviel Bindfaden oder Draht oder
Band oder Stoff oder Wein oder Leuchtgas oder
Getreide oder Geld oder Zeit oder elektriſche Energie
ſoll zur Verwendung kommen?“ Hier muß ſtets
zu der Zahl noch eine Benennung hinzutreten,
alſo die angegebene Zahl auf eine beſtimmte Ein⸗
heit bezogen ſein (z. B. 30 kg). Denn die Zahl
allein kann eine ganz verſchiedene Bedeutung
haben, je nach dem etwa an Getreide 30 kg oder
30 dz (Doppelzentner) oder 30 Tonnen gemeint
ſind. Ebenſowenig würde für ein Quantum Wein
die Angabe 30 genügen, da hiermit nicht geſagt
wäre, an welche Hohlmaß-(Volumen⸗) Einheit dabei
gedacht iſt. Desgleichen läßt die Bezeichnung 30 etwa
für den Preis einer Taſſe Kaffee in Kufſtein unklar,
ob er 30 Pfennig oder 30 Heller betragen ſoll.“)
Ein weiteres Unterſcheidungsmerkmal liegt
darin, daß die unbenannten Größen, wenig⸗
ſtens in Beziehung auf Sachen, ſtets ganze
Zahlen fein müſſen (4 Stühle oder 3¼10 Teller
gibt es nicht), dagegen als benannte Größen
auch die verſchiedenſten Brüche auftreten können,
) So wenigſtens diejenigen unbenannten Zahlen,
die in dieſem Zuſammenhange eine Rolle ſpielen.
12) Keine benannte Zahl iſt z. B. ein Schock; denn
dafür läßt ſich ſubſtituieren ſechszig, alſo eine Zahl ohne
Benennung. Dagegen iſt ein Zentner auf keinerlei
Weiſe durch eine unbenannte Zahl zu erſetzen; es be⸗
darf hier immer einer Benennung, wie 50 kg oder
100 Pfund oder 50 000 g.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
151
„ . g oder 7/10 Tonne oder 2 ¼ Liter oder
2
Hiermit hängt unmittelbar zuſammen die Ver⸗
ſchiedenheit, daß nur von den durch benannte
Zahlen dargeſtellten Quantitäten ein beliebiger
Bruchteil gebildet werden kann, wie z. B. bei der
Minderung des Kaufpreiſes gemäß § 472, eine
Vorſchrift, die in exakter Faſſung!) lautet:
„Bei der Minderung iſt der Kaufpreis auf
einen Bruchteil herabzuſetzen, der dem Verhält⸗
niſſe entſpricht, in welchem zur Zeit des Verkaufes
der wirkliche Wert der Sache zu dem Werte der
ar in mangelfreiem Zuſtande geſtanden haben
würde.“
Eine ſolche „Minderung“ iſt alſo nur bei be⸗
nannten Größen (wie z. B. bei einer Summe
Geld oder bei einem Quantum Wein oder Ge⸗
treide) allgemein ausführbar. —
Uebereinſtimmung dagegen liegt, wie bereits
betont, nach der Richtung hin vor, daß die Ein⸗
heit ebenſogut als benannte wie als unbenannte
Zahl auftreten kann.
IV
Es ſoll nun an der Hand jener exakten Be⸗
griffe feſtgeſtellt werden, welche Bedeutung den
Ausdrücken „Gattungsſachen“ und „vertretbare
Sachen“ beizulegen iſt, und namentlich geprüft
werden, in welchem Sinne der Ausdruck „vertret⸗
bare Sachen“ an den einzelnen Geſetzesſtellen (im
BGB., im HGB. und in der ZPO.) zu ver⸗
ſtehen iſt.“) Dabei wird alſo grundſätzlich dar⸗
nach zu fragen ſein, ob im Einzelfall gemeint
ſind „Sachen, die mittels benannter Zahlen
nach einer Maß⸗, Gewichts⸗ oder Münzeinheit !)
beſtimmt werden“, oder aber „Sachen, die mittels
unbenannter Zahlen beſtimmt werden“, oder
endlich beides, alſo „Sachen, die mittels be⸗
nannter oder unbenannter Zahlen beſtimmt
werden“.
Was zunächſt den Ausdruck „Gattungs⸗
ſache“, alſo die im BGB. mehrfach gebrauchte
Formel „eine nur!“) der Gattung nach be:
ſtimmte Sache“ anlangt, ſo darf wohl davon
ausgegangen werden, daß ganz allgemein dar⸗
unter ebenſogut eine Quantität Wein oder Roggen
(von einheitlicher Art und Güte) wie auch irgend⸗
15) Vgl. m. Mathem. Bemerkungen zum BGB.
14
10) Auch ſonſt können für „vertretbare Sachen“ be⸗
ſondere Rechtsſätze gelten, bei denen dann ebenfalls die
Bedeutung dieſes Ausdruckes klar zu ſtellen iſt; ſo z. B.
über die Art der Schadenderſatzleiſtung. Vgl. hierzu
Oertmann, Kommentar $ 249 Nr. 2b S. 42 a. A. und
N. 3a S. 43 g. E. (3. und 4 Aufl.).
15) Vgl. oben Anm. 10. Die ſonſtigen Einheiten,
insbeſondere die Zeit- und die Energieeinheit, kommen
nicht in Betracht, weil weder Zeit- noch Energie⸗Größen
in Beziehung auf Sachen rechtlich bedeutſam ſind. Be⸗
achtenswerte Ausführungen hierzu finden ſich in der
intereſſanten Schrift von Bud de, Energie und Recht. Eine
phyſikaliſch⸗juriſtiſche Studie (Berlin 1902), insbeſ. S. 78 ff.
152
eine Anzahl Tiere oder Stühle (ebenfalls mit ge⸗
wiſſen einheitlichen Merkmalen) begriffen wird.
Damit gelangen wir zu folgender exakten Defini⸗
tion der Gattungsſachen:
„Gattungsſachen“ ſind die der Gattung
nach, d. h. durch gewiſſe einheitliche Merkmale
bezeichneten Sachen, die entweder mittels be⸗
nannter Zahlen, d. h. nach einer Maß⸗, Gewichts⸗
oder Münzeinheit, oder mittels unbenannter
Zahlen, d. h. nach Stücken, beſtimmt werden.
Vergleicht man hiermit die Legaldefinition in
$ 91 für die „vertretbaren Sachen“, jo wird evi⸗
dent, daß dieſe Begriffsbeſtimmung eher für die
„Gattungsſachen“ paßt, und damit wird bereits
der Gedanke nahegelegt, daß an der einen oder
der anderen Stelle des Geſetzes der Ausdruck
„vertretbare Sachen“ geradezu im Sinne von
„Gattungsſachen“ gebraucht wird. Man wird
ſogar weiter gehen und behaupten dürfen: In
8 91 bedeuten die Worte „nach Zahl, Maß oder
Gewicht“ genau genommen nicht „nach Zahl
und Maß oder Gewicht“, fondern gerade „nach
Zahl oder Maß oder Gewicht“. Nimmt man
jetzt hinzu den oben vor Anm. 9 bei Betrachtung des
8 91 in erſter Linie betonten Umſtand, daß eine
Bezeichnung nach Maß oder Gewicht notwendig
auch enthalten muß eine Bezeichnung nach Zahl,
während nicht umgekehrt eine Bezeichnung nach
Zahl ſtets mit einer Bezeichnung nach Maß oder
Gewicht verbunden zu ſein braucht, ſo darf man
ſich für berechtigt halten, an Stelle der letzteren
Formulierung („nach Zahl oder Maß oder Ge:
wicht“) zu ſubſtituieren: „nur nach Zahl oder
nach Zahl und Maß oder Gewicht.“
Folglich: Wo das BGB. und die auf dieſes
bezugnehmenden Geſetze die Worte „vertretbare
Sachen“ anwenden, wird man im allgemeinen
dieſen Ausdruck in dem umfaſſenden Sinne
von „Gattungsſachen“ zu verſtehen haben,
und nur dann, wenn ſich aus beſonderen Um⸗
ſtänden entnehmen läßt, daß die Wortgruppe
„nach Zahl, Maß oder Gewicht“ umgedeutet
werden müſſe in „nach Zahl und Maß oder
Gewicht“, alſo inſofern einſchränkend zu deuten
ſei, darf dem Ausdruck „vertretbare Sachen“ die
engere Bedeutung von „Sachen, die mittels
benannter Zahlen beſtimmt ſind“, beigelegt
werden. Freilich werden ſich für jene weitere, dem
Wortlaut entſprechende Auslegung auch ſtets noch
materielle Anhaltspunkte ergeben.
Damit hat ſich aber das Bedürfnis eingeſtellt,
für dieſen wie für ſeinen komplementären Begriff
beſondere Bezeichnungen einzuführen. Ich ſchlage
vor, einerſeits diejenigen Gattungsſachen, die
„meßbare oder Mengeſachen“ zu nennen,“)
152) Dieſes „nur“ bedeutet offenbar nicht „ausſchließ—
lich“, ſondern „bloß“, iſt alſo ziemlich überflüffig.
16) Man könnte daran denken, für dieſen Unter—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
—
—— — — —— ᷣ ö—õä—— ———— ö— — — — —— — — 4 —— 4 dA
— —ñꝑ̃ —y— —
andererſeits diejenigen Gattungsſachen, die mittels
unbenannter Zahlen beſtimmt werden, „zähl⸗
bare oder Stückſachen“ zu nennen.“) Für
dieſe Bezeichnungen ergeben ſich mithin folgende
Definitionen:
„Mengeſachen“ oder „meßbare Sachen“
ſind die der Gattung nach, d. h. durch gewiſſe
einheitliche Merkmale bezeichneten Sachen, die
mittels benannter Zahlen, d. h. nach einer
Maß⸗, Gewichts⸗ oder Münzeinheit beſtimmt
werden.
„Stückſachen“ oder „zählbare Sachen“
ſind die der Gattung nach, d. h. durch gewiſſe
einheitliche Merkmale bezeichneten Sachen, die
mittels unbenannter Zahlen, d. h. nach
Stücken beſtimmt werden.
Zuſammengenommen bilden dieſe beiden Be⸗
griffe den Oberbegriff „Gattungsſachen“, ſo daß
die Relation beſteht:
Gattungs⸗S. Menge ⸗S. + Stück⸗S.
V
Die Aufgabe, die uns jetzt obliegt, beſteht ſo⸗
mit darin, die einzelnen Geſetzesſtellen, an denen
der Ausdruck „vertretbare Sachen“ vorkommt,
daraufhin zu prüfen, ob darunter „Gattungsſachen“
oder nur „Mengeſachen“ zu verſtehen ſind.
Zuvor mögen noch zwei Punkte hervorgehoben
werden.
Eine Sache, die gewöhnlich als Gattungs⸗
oder als Mengeſache auftritt, kann im Einzelfall
als individuell beſtimmte Sache zur Geltung
kommen; ſo etwa ein Glas, aus dem ein berühmter
Mann getrunken bat, oder ein Geldſtück, das
jemand von einer hohen Perſönlichkeit geſchenkt
erhalten hat, Gegenſtände, die ein intereſſierter
Sammler vielleicht um den zwanzigfachen Betrag
erwerben möchte. — Unter gewiſſen Umſtänden
können Münzen auch als Stückſachen behandelt
Gold ſchmidt, Handbuch des Handelsrechts Bd. I Abt. 2
(Erlangen 1868) 8 61 S. 538 ff., ſcheint in der Tat
die „vertretbaren Sachen“ (allerdings in einem ab—
weichenden Sinne) als den engeren Begriff gegenüber
dem weiteren Begriff „Gattungsſachen“ aufzufaſſen; ſo
wenn er für das römiſche Recht ausführt (S. 539
Anm. 25): „Weil bei vertretbaren Sachen die
bloß generiſche Beſtimmtheit die Regel bildet, ſo wird
der Ausdruck genus meiſt nur da gebraucht, wo nicht
vertretbare Sachen nur generiſch beſtimmt ſind.“ Sodann
ſchränkt er dieſen Begriff noch weiter ein (dgl. unten
Anm. 21). Für das heutige Recht empfiehlt es ſich aber
einſtweilen, den Ausdruck „vertretbare Sachen“ möglichſt
zu vermeiden, da er, wie wir ſahen, nicht ſcharf definiert
iſt und, wie ſich zeigen wird, in doppelter Bedeutung
vom Geſetz gebraucht wird. — Das Wort „Mengeſachen“
wird gelegentlich bei Halpert, Ueber die juriſtiſche
a g Natur der Vertretungsſachen, S. 24) in einem anderen,
mittels benannter Zahlen beſtimmt werden,
begriff den Ausdruck „vertretbare Sachen“ zu verwenden.
die Stückſachen mitumfaſſenden Sinne gebraucht.
11) „Stückſachen“ können in der Einheit auftreten,
ohne daß eine Umrechnung in eine Mehrheit möglich
wäre; ſo z. B. ein Stuhl (von beſtimmten Eigenſchaſten).
Dagegen ſind „Mengeſachen“ ſtets als Mehrheit auf—
zufaſſen; ſo ſelbſt ein Zentner Roggen, der ja zugleich
50 kg Roggen darſtellt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
—— w—eͤt — — — ..
werden; ſo wenn man eine Anzahl neu geprägte
Jubiläumsmünzen erwerben will, oder wenn
jemand, der ſich mit einem Vorrat an 50⸗ Pfg. =
Stücken zu verſehen wünſcht, beim Bankier eine
Rolle ſolcher Geldſtücke für 50 Mark kauft (denn
er will und kann nicht 50 Mark kaufen, ſondern
100 Stück Münzen beſtimmter, einheitlicher
Art). — Ein weiteres Beifpiel: Es werden etwa
Orangen vom Großhändler nach Gewicht (z. B.
50 dz) eingeführt und damit als Mengeſachen
behandelt, Dat vom einfacheren Zwiſchenhandler
nach Stücken 6. B. 100 Stück) bezogen und
damit als Stückſ achen behandelt, endlich im
Kleinverkehr vielleicht in wenigen einzelnen, vom
Käufer ausgeſuchten Exemplaren gekauft und
damit als individuell beſtimmte Sachen
behandelt.
Dieſe Beispiele zeigen, daß dieſelben Sachen
als Mengeſachen wie als Stückſachen wie als
individuell beſtimmte Sachen in Betracht kommen
können. Aber dadurch wird der grundſätzliche
Unterſchied dieſer Begriffe nicht aufgehoben.)
Ferner: Iſt von einer beſtimmt bezeich⸗
neten Mehrheit von Stückſachen eine Sache
(oder eine Anzahl Sachen) gemeint in dem Sinne,
daß es gerade auf dieſe Stückſachen ankommen
ſoll, z. B. eines von meinen drei Reitpferden oder
der aus dem Metall eines beſtimmten Geſchoß⸗
ſtücks gegoſſene Briefbeſchwerer oder das vor
kurzem geworfene Füllen einer beſtimmten Stute,
ſo handelt es ſich allerdings um eine in dividuell
(im erſten Beiſpiel zugleich alternativ) beſtimmte
Sache. Ebenſo verhält es ſich, wenn eine Quan⸗
tität von Mengeſachen vollſtändig indivi⸗
dualiſiert iſt, z. B. der geſamte Ertrag eines be⸗
ſtimmten Weinberges.'?)
Wenn dagegen der Kreis der in Betracht
kommenden Stückſachen zwar in beſtimmter
Weiſe eingeengt, aber immerhin noch ſo weit ge⸗
zogen iſt, daß die einzelnen Stücke nicht mehr
als ſolche vorſtellbar find oder vorgeſtellt werden,
z. B. fünfzig Bäume eines beſtimmten Forſtes
ein Schaf aus einer beſtimmten Heerde,“) oder
wenn überhaupt nur aus äußeren Gründen eine
Beſchränkung vorgenommen iſt, die nicht unbe⸗
dingt weſentlich ſein ſoll, z. B. ſechs von dieſen
(gerade auf Lager befindlichen) dreißig Gläſern
oder dieſe Kiſte Zigarren (die der Zigarrenhändler
11) Entſcheidend iſt natürlich immer, ob im Einzel⸗
fall die Sache als Gattungsſache, Mengeſache, Stück⸗
ſache, individuell = beſtimmte Sache in Betracht kommt.
Freilich iſt dafür allgemeine Vorausſetzung deren Eigen⸗
ſchaft, daß ſie beliebig mittels benannter oder unbe—
nannter Zahlen beſtimmt werden kann (8 91: „beſtimmt
zu werden pflegt“). Immerhin iſt ſtets zuzuſehen, ob
im Einzelfall die Sache als Gattungsſache uſw. be⸗
ſtimmt wird.
* = auch Gold ſchmidt a. a. O. S. 536
Anm.
0 Bol Motive zum 1. Entw. eines BGB., Bd. II
S. 11; Litten, Die Wahlſchuld S. 90.
153
gerade aus ſeinem Vorrat von Kiſten gleicher
Sorte herausgenommen hatte), bleiben die Sachen
immerhin Stückſachen. Auch, wenn bei Menge⸗
ſachen der Vorrat, aus dem ſie entnommen wer⸗
den ſollen, irgendwie begrenzt iſt, z. B. zehn Sack
Kaffee von einer im Magazin des Schuldners
lagernden Schiffsladung von hundert Sack, be⸗
wahren ſie die Eigenſchaft als „Mengeſachen“.
— Hier handelt es ſich überall nicht um indi⸗
viduell beſtimmte Sachen, ſondern um Stück⸗
ſachen oder um Mengeſachen, alſo um Gattungs⸗
ſachen.“) Denn nicht iſt hier „der Kreis, aus
welchem geleiſtet werden ſoll, in anderer Weiſe
als durch ein Gattungsmerkmal bezeichnet“,
ſondern er iſt auch noch in anderer Weiſe als
durch ein Gattungsmerkmal bezeichnet, in erſter
Linie aber ind doch die Sachen gattungs mäßig
beftimmt.?*) (Schluß folgt.)
Studien aus dem bayeriſchen Forſtſtrafrecht.
Von Landgerichtsrat Hämmer in München.
(Schluß.)
III
Ueber die Teilnahme an Forſtfreveln beſtimmt
Art. 8 FStG.: „wird ein Forſtfrevel durch das Zus
ſammenwirken mehrerer Perſonen verübt, ſo wird die
Strafe gegen jede derſelben ausgeſprochen“. Es wirken
aber mehrere zu einem Frevel mit, wenn er das
Ergebnis ihrer gemeinſamen Tätigkeit iſt. Der
umfaſſende Ausdruck „Zuſammenwirken“ weiſt
darauf hin, daß die einzelnen Teilnehmer nicht
in gleicher Art und in gleichem Maße mitwirken
müſſen. Es fallen darunter die Mittäterichaft
und die Anſtiftung der 88 47, 48 StGB., aber
auch die Beihilfe des $ 49. Daß der Geſetzgeber
den Gehilſen dem Taͤter gleichſtellte, ergibt ſich
aus den Verhandlungen der 2. Kammer der
Ständeverſammlung 1831 Prot. der VIII. Sitzung
S. 13 ſowie aus dem damals in der Pfalz geltenden
code pénal Art. 59 (‚les complices d'un crime
ou d'un delit seront punis de la méme peine
que les auteurs de ce crime ou de ce delit‘)
und Art. 60, der die Teilnahme definiert und
dabei die Gehilfen eigens aufführt vv. „ceux qui
auront aidé l'auteur de l’action‘. Dem In⸗
0) So auch Windſcheid, Pandekten Bd. II
8 255 Anm. 17. Abweichend Oertmann a. a. O.
8 243 N. 1a S. 19.
2) Vgl. die Zitate bei Windſcheid a. a. O. Auch
Goldſchmidt a. a. O. S. 537, der ſich gegen Wind—
ſcheid wendet, ſcheint die ſo beſtimmten Sachen trennen
zu wollen von den „reinen“ Gattungsſachen, für die er
(S. 538) die Bezeichnung „vertretbare Sachen“ wählt.
22) Man könnte fie „beſchränkt gattungsmäßig
beſtimmt“ nennen. Auf ſie bezieht ſich der Ausdruck
„gemiſcht⸗generiſche Obligation“ (vgl. Motive a. a. O.).
Dieſe Kategorie wird uns bei den Erörterungen über
8 884 ZPO. wieder begegnen (unten VIII 2).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
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halte nach gleich regelt Art. 561 F G. die Teil⸗
nahme am Forſtfrevel für das rechtsrheiniſche
Bayern; nur drückt er ſich deutlicher aus als
Art. 8 Abſ. 1 FStG., wenn er beifügt: „dieſe
mögen als Miturheber oder als Gehilfen erſcheinen“.
Die Bezeichnung „Miturheber“ iſt aus dem StGB.
von 1813 ins FG. übergegangen; deſſen Art. 45
des 1. Teiles rechnete zu den Urhebern des Ver⸗
brechens nicht bloß jene „die es durch eigene
körperliche Kraft und Tat unmittelbar bewirkt“,
ſondern auch „diejenigen, welche mit rechtswidriger
Abſicht andere zur Begehung und Ausführung
des Verbrechens bewogen haben“; letztere aber ſind
die Anſtifter in der gegenwärtigen Terminologie.
Das StGB. von 1813 unterſchied drei Grade
von Gehilfen (Teil I Art. 73 — 78); dritter Grad
war die Nichtanzeige von Verbrechen (Art. 78).
Dieſe Begriffsbeſtimmung der Beihilfe iſt für das
Gebiet des rechtsrheiniſchen Forſtſtrafrechts nicht
mehr maßgebend, ſondern ausſchließlich die des
8 49 StB. Daß dem Gehilfen die gleiche
Strafe angedroht iſt wie dem Urheber, rechtfertigen
die Motive zu Art. 40 — 65 FG. mit den niedrigeren
im Geſetz überhaupt angenommenen Strafmaßen
und der erhöhten Gefährlichkeit der im Zuſammen⸗
wirken Mehrerer verübten Forſtfrevel. Indes iſt
es nicht ausgeſchloſſen, im Einzelfalle den Gehilfen
niedriger zu beſtrafen als den Täter, ſoweit eine
relativ beſtimmte Strafe dies zuläßt.
Straflos ſind Anſtiftung und Beihilfe, wenn
der Frevel oder die Forſtpolizeiübertretung, zu
welchen angeſtiftet oder Hilfe geleiſtet wurde, im
Stadium des — ſtrafloſen — Verſuchs ſtehen
geblieben ſind.
Auch im Gebiete des Forſtſtrafrechts iſt mittel⸗
bare Täterſchaft möglich, wenn ſich jemand eines
Gutgläubigen zur Verübung eines Forſtfrevels
bedient.
Die Vorſchrift des § 50 StGB. findet auch
auf Forſtfrevel und Forſtpolizeiübertretungen An⸗
wendung; dies gilt insbeſondere für die Straf—
ſchärfungsgründe, den ausgezeichneten Rückfall und
den Gewohnheitsfrevel. Eine Ausnahme gilt in—
des für Mitglieder der nämlichen Familie, die
gemeinſchaftlich gewiſſe Frevel durch Entwendung
begehen: ſie werden ſamtverbindlich in die Geld—
ſtrafe verurteilt; im Urteil oder Strafbefehl iſt
auszuſprechen, gegen welchen der Frevler die Geld:
ſtrafe bei Uneinbringlichkeit in Haft umgewandelt
werden ſoll; wenn gleichzeitig gegen mehrere Frevler
umgewandelt wird, ſo dürfen die Haftſtrafen zu—
ſammen den geſetzlichen Höchſtbetrag der Erſatz—
haft nicht überſteigen. Dieſe Vergünſtigung ge—
nießen aber die frevelnden Familienglieder nur,
wenn gegen ſie ausſchließlich Geldſtrafe erkannt
iſt; ſind gegen einzelne von ihnen zunächſt Haft⸗
oder Gefängnisſtrafen verhängt, ſo zählen dieſe
bei Berechnung der die übrigen treffenden Erſatz—
5 nicht mit. (Art. 56 II. III FG. 811
StG.). .
—— — . . ——— —A—Z . —————————————— a | | nn ig,
Eine ähnliche Vorſchrift enthalten die Art. 57
und 75 36. für gemeinſchaftlich verübte Forſt⸗
polizeiübertretungen. f
Auf die pfälziſchen Forſtpolizeiübertretungen
ſowie die Uebertretungen aus $ 361 Nr. I StGB.
finden in Ermangelung beſonderer Vorſchriſten die
Beſtimmungen des StGB. über Teilnahme un:
eingeſchränkte Anwendung (Art. 4 AGzSt O.).
Die Begünſtigung iſt in den Forſtgeſetzen nicht
mit Strafe bedroht; wird ſie zu einer Uebertretung
aus 8 361 Nr. 9 StGB., zu einer Forſtpolizei⸗
übertretung oder zu einem als Uebertretung ſtraf⸗
baren Forſtfredel gewährt, ſo iſt ſie ſchon deshalb
ſtraflos, weil 8 257 StGB. nur die Begünſtigung
eines Verbrechens oder Vergehens unter Straf⸗
drohung ſtellt. Aber auch auf die Begünſtigung
des Gewohnheitsfrevels, eines Vergehens, iſt $ 257
Abſ. 1 StGB. nicht anwendbar; denn das Schweigen
des Forſtſtrafgeſetzgebers iſt hier bewußt, da er den
Forſtfreveln im allgemeinen keine ſo hohe Bedeutung
beigelegt hat, um die Vereitelung des ſtaatlichen
Strafanſpruchs unter Strafe zu ſtellen. Uebrigens
iſt die Begünſtigungshandlung in einigen Fallen,
in denen ihre Straflofigkeit bedenklich erſcheinen
könnte, zu einem ſelbſtändigen Delikt erhoben; ſo
in Art. 94 Nr. 4 F., Art. 34 Nr. 2 FStG.:
Annahme von Sägblöden ohne Waldhammerzeichen
durch Sägemüller; Art. 98 J G., 39 Nr. 3 FStG.:
Erwerb von Walderzeugniſſen, die nicht veräußert
werden durften, in Kenntnis dieſes Umſtandes.
IV.
Wenn jemand mehrere noch nicht abgeurteilte
Forſtfrevel begangen hat, ſo treffen ihn die Strafen,
die auf die einzelnen Frevel geſetzt ſind (Art. 58
FG., 7 FStG.). Das gleiche beſtimmt der erſtere
Artikel für die im diesſeitigen Bayern verübten
Forſtpolizeiübertretungen. Dieſe Vorſchriften be⸗
ziehen ſich auf den ſachlichen Zuſammenfluß von
Forſtfreveln und von Forſtpolizeiübertretungen.
Ueber Idealkonkurrenz und fortgeſetzte Straftaten
ſchweigen die beiden Forſtgeſetze. Daß Ideal⸗
konkurrenz ſowohl zwiſchen einzelnen Forſtfreveln
und einzelnen Forſtpolizeiübertretungen als auch
zwiſchen ihnen und gemeinrechtlichen Delikten möglich
iſt, liegt ſo fehr in der Natur der Sache, daß der
Forſtſtrafgeſetzgeber es nicht ausdrücklich zu be:
ſtimmen brauchte. Die Schwierigkeiten beginnen
praktiſch zumeiſt erſt da, wo es ſich darum handelt
zu entſcheiden, ob Idealkonkurrenz und nicht viel⸗
mehr Geſetzeskonkurrenz vorliegt, m. a. W. ob der
Forſtſtrafgeſetzgeber bei einer beſtimmten Straf:
drohung von der ihm durch $ 2 EGzStGB. ges
währten Befugnis Gebrauch gemacht und die Materie
abſchließend geregelt hat. Hier ſei nur auf das
Verhältnis des Art. 59 Nr. 4 JGG. zu Art. 39
P StGB., Art. 59 Nr. 7 56. zu $ 360 Nr. 8
StGB., Art. 59 Nr. 8 FG. zu den SS 137 und
117 StGB. hingewieſen. Für die Beſtrafung der
Idealkonkurrenz gilt auch bei den Forſtrügeſachen
der $ 73 StGB.
Ob es nach bayeriihem Rechte fortgeſetzte
Forſtfrevel und Forſtpolizeiübertretungen gibt, iſt
beſtritten. Brater, Anm. 1 zu Art. 57, Gang⸗
hofer, Anm. 1 zu Art. 58, Schwaiger, Anm. zu
Art. 58 und Knoch, die allgemeinen Brundjäße
des bayer. Forſtſtrafrechts S. 189, bejahen die
Frage. Sie iſt richtiger zu verneinen. Denn der
Wortlaut der Art. 58 JG., 7 JStG. macht keine
Ausnahme. Ferner iſt in den Mot. zum Entw.
des FG. (Vhdl. d. K. d. A. Beil. Bd. I S. 627)
ausdrücklich bemerkt, daß der Art. 49 des Entw.
(Art. 58 JGG.) von der realen Konkurrenz der
Forſtfrevel handle, zu den Fallen der realen Kon⸗
kurrenz aber auch die im Art. 110 Abſ. 1 StGB.
von 1813 T. 1 behandelten gehören. Endlich ſpricht
für unſere Auffaſſung die Tatſache, daß für die
mehreren Frevel der Grundſatz der Häufung ſtatt
des Grundſatzes der Aufſaugung aufgeſtellt iſt;
nach den Motiven zu Art. 49 des Entw. (Beil.
Bd. 1 S. 627) iſt dies deshalb geſchehen, weil die
Forſtfrevel regelmäßig nur periodiſch nach längeren
Zwiſchenräumen abgeurteilt werden und der letztere
Grundſatz ein ſehr ausgedehntes Vorrecht zur ſtraf⸗
loſen Verübung von Forſtfreveln zwiſchen den
periodiſchen Forſtgerichtsſitzungen erteilen würde.
Auf dem hier vertretenen Standpunkte iſt auch von
jeher die oberſtrichterliche Praxis trotz wiederholter
. wre Auffaſſungen der unteren Gerichte
verharrt.
Für die Uebertretungen nach 8 361 Nr. 9
StGB. enthalten die Forſtgeſetze Beflimmungen
ſachlichrechtlicher Natur nicht; fie richten ſich deshalb
nach den allgemeinen Vorſchriften des StGB.,
insbeſondere auch was Deliktskonkurrenz und Fort⸗
ſetzung anlangt; übrigens werden derartige Ueber⸗
tretungen ſelten die Natur eines fortgeſetzten, ſondern
regelmäßig die eines Dauerreates haben.
Bei Idealkonkurrenz zwiſchen Forſtrüge⸗ und
Nichtforſtrügeſache iſt im ordentlichen Verfahren
vorzugehen, weil dieſes mit ſeinen höheren Garantieen
für Forſtrügeſachen nicht ſchlechthin ungeeignet iſt.
Wer etwa verkaufsfertiges und nichtverkaufsfertiges
Holz durch die nämliche Handlung entwendet, be⸗
eht einen Diebſtahl in Tateinheit mit einem Forſt⸗
ſcevel; die Handlung wird durch das Schöffengericht
oder durch die Strafkammer abgeurteilt. Doch
kann im ordentlichen Verfahren weder Wert⸗ und
Schadenserſatz zugeſprochen noch auf Zivilverant⸗
wortlichkeit erkannt werden. Sollte der Fall
eintreten, daß der Frevler davon keine Kenntnis
hatte, daß das noch im Walde liegende Holz bereits
zum Verkauf oder Verbrauche zugerichtet war
(Art. 81 FG.) — dies kann insbeſondere bei
mittelbarer Täterſchaft vorkommen — ſo muß ihm
ſeine, wenn auch ſchuldhafte Unkenntnis zu gute
gerechnet werden, da es ſich hier um eine vorſätzliche
Straftat handelt; er kann nicht wegen gemeinen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
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155
Diebſtahls, ſondern nur wegen Forſtfrevels durch
Entwendung beſtraft werden. N
V
Im Strafenſyſtem der Forſtdelikte ſpielt die
Geldſtrafe die Hauptrolle. Sie kann bei der ſach⸗
lichen Konkurrenz der Forſtfrevel wie der Forſt⸗
polizeiübertretungen bis zu unbeſchränkter Höhe
gehäuft werden. Dagegen iſt für die eventuellen
Haftſtrafen ein Höchſtbetrag feſtgeſetzt. Er beträgt
bei Forſtpolizeiübertretungen drei Monate, Art. 55
„ 6 FSt®., dies in Uebereinſtimmung mit
§ 78 Abſ. 2 StGB. Iſt dagegen nur für eine einzige
wenn auch noch ſo hohe, wegen einer Forſtpolizei⸗
übertretung verhängte Geldſtrafe eine Haftſtrafe
zu ſetzen, jo darf ſie höchſtens ſechs Wochen be⸗
tragen; das ergibt ſich aus dem Gebrauche des
Plurals „Geldſtrafen“ in den Art. 6 Abſ. 2,
Art. 55 Abſ. 2 a. a. O. im Zuſammenhalte mit
8 29 Abi. 2 StGB. Wenn mehrere Forſtpolizei⸗
übertretungs⸗ und gleichzeitig eine oder mehrere
Forſtfrevelſtrafen umgewandelt werden ſollen, ſo
kann die Höchſtgrenze von drei Monaten Haft
einerſeits für die erſteren und daneben von einem
Monat Haft für die letzteren (Art. 54 Abſ. 4
FG., Art. 5 Abi. 4 FStG.) erreicht werden.
Das folgt daraus, daß die Forſtgeſetze für die
Erſatzhaft bei Freveln und bei Forſtpolizeiüber⸗
tretungen je ein geſondertes Maximum aufgeſtellt
haben; auch daraus, daß der Geſetzgeber urſprünglich
davon ausging, daß ein Forſtpolizeiübertreter als
Waldbeſitzer vermögend fein und deshalb einen Forſt⸗
frevel nicht begehen werde; erſt Art. 15 EVollzG.
z. StGB. vom 26. Dezember 1871 ſah überhaupt
die Umwandlung der wegen Forſtpolizeiübertretungen
erkannten Geldſtrafen vor; bis dahin fehlte eine
ſolche Beſtimmung. weil man angenommen hatte,
daß bei Waldbeſitzern immer ein zureichendes
Vollſtreckungsobjekt vorhanden ſein werde (Mot.
Beil. I 626). Treffen dagegen Forſtfrevel⸗ oder
Forſtpolizeiübertretungsgeldſtrafen auf der einen
Seite und Geldſtrafen, die wegen gemeinrechtlicher
Uebertretungen erkannt find, auf der anderen Seite
zuſammen, ſo darf die für die letzteren zu ſetzende
Haft mit der für die erſteren anzuſetzenden zu⸗
ſammen drei Monate nicht überſteigen; hier tritt
mangels einer forſtgeſetzlichen Sondervorſchrift
gem. Art. 4 AGzStpPO. die Beſtimmung des
§ 78 Abſ. 2 StGB. in Geltung.
Der Höchſtbetrag der Eventualhaftſtrafe bei
den Forſtfreveln mit einem Monat iſt ſehr niedrig;
das zeigt ſich auffällig beim Frevel wertvoller
Bäume. Denn nach dem Umwandlungsmaßſtabe
der Art. 54 Abi. 4 FG., Art. 5 Abi. 2 FStG.
darf die Erſatzhaftſtrafe einen Monat nicht über⸗
ſteigen; der überſchießende Teilbetrag der Geld—
ſtrafe, der vielleicht höher iſt als der zur Um⸗
wandlung verwendete, fällt ungeſühnt zu Boden.
Der Monat als Höchſtbetrag der Erſatzhaft kann
bei der Umrechnung Schwierigkeiten bieten. Bei
156
Erlaſſung des FStG. für die Pfalz galt dort der
code pénal; dieſer beſtimmt in Art. 40 Abf. 4:
celle (i. e. la peine) à un mois est de trente
jours. Daher iſt es ohne weiteres einleuchtend,
daß auch auf dem Gebiete des pfälziſchen Forſt⸗
ſtrafrechts der Monat zu 30 Tagen gerechnet wurde.
|
|
Das im rechtsrheiniſchen Bayern im Jahre 1852
noch geltende StGB. von 1813 enthielt keine
Beſtimmung über die Berechnung des Monats;
deshalb ſchrieb das FG. in Art. 52 vor: „Die
Arreſtſtrafe darf nicht ... über einen Monat
(30 Tage) zuerkannt werden“. Durch dieſe
Spezialbeſtimmung war auch für das rechts⸗
rheiniſche Forſtſtrafrecht die Berechnungzweiſe des
code pénal') angenommen, wie dies auch das
StB. vom 10. November 1861 in Art. 2211
getan hat. Mit Einführung des RStGB. wurde
in die beiden Forſtgeſetze die Vorſchrift des 8 19
Abſ. 1 StGB. aufgenommen, daß der Monat
nach der Kalenderzeit zu berechnen iſt (Art. 531
FG. 41 FStG.). Die Umwandlung ſtößt aller:
dings da kaum auf Schwierigkeiten, wo dem Richter
verſchiedene Strafgrößen und ein beweglicher Um⸗
wandlungsmaßſtab zur Verfügung ſtehen wie regel⸗
mäßig bei den Delikten des StGB.; dieſen folgen
hierin die Forſtpolizeiübertretungen (Art. 55 Abſ. 1
FG., Art. 61 FStG.). Anders bei den Forſt⸗
freveln! Hier herrſcht das Syſtem der abſolut
beſtimmten Geldſtrafen vor und bei der Um⸗
wandlung find Geld: und Haftſtrafen in ein
ſtarres Verhältnis zu einander geſetzt (Art. 54
Abi. 2 G., Art. 5 Abſ. 2 FStG.). Ange:
nommen: A ift wegen Forſtfrevels durch Ent:
wendung rechtskräftig zu 100 M verurteilt. Er
zahlt die Straſe nicht, ſie iſt deshalb, nachdem
fie auch weder von ihm noch von einem Zivil⸗
verantwortlichen beigetrieben werden kann, in Haft
umzuwandeln. Es würden treten an die Stelle
der erſten
20 M = 10 Tage Haft; an die Stelle
der weiteren 80 „ = 20 „ „
100 M = 30 Tage Haft.
A tritt die Strafe am 1. Februar 1911 an;
fie endigt am 3. Marz 1911. Dadurch kommt
er aber um die Vorteile, die ihm das Geſetz
gewährleiſtet, indem es den Monat nach der
Kalenderzeit berechnet, d. h. er verbüßt hier zwei
Tage zuviel. Wandelt aber der Amtsrichter die
100 M um in „einen Monat Haft“ — nach
dem Wortlaute des Geſetzes — und A tritt die
Strafe am 1. Marz 1911 an, ſo muß er erſt
recht wieder einen Tag zuviel, nämlich 31 Tage
ſtatt 30 erſtehen. Der einzig mögliche Ausweg
aus dem Dilemma iſt m. E. nur der, daß der
Monat, deſſen Dauer zwiſchen 28, 29, 30 und
) Auch das italieniſche StGB. rechnet den Monat
zu 30 Tagen, codice penale art. 30 II; ogni mese & di
trenta giorni.
—— ¶ͤ —ä66̃ Ü — — D2w— ß —ꝛ̃ ä .+ñöſ— —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
31 Tagen ſchwankt, mit der niedrigſt möglichen
Dauer, nämlich mit 28 Tagen in Anſatz gebracht
wird. Dann iſt eine Beſchwerung des Verur⸗
teilten ausgeſchloſſen, die das Geſetz ſelbſt nicht
wollte. Die obigen 100 M find alſo in
10418 28 Tage Haft umzuwandeln.
Daraus folgt, daß auch die Erſatzhaftſtrafe
bei Jugendlichen 14 Tage nicht überſteigen kann,
und weiter, daß auch die primäre Haſtſtrafe der
jugendlichen Frevler höchſtens 14 Tage beträgt.
Hier 15 Tage anzunehmen, wäre willkürlich, weil
von der geſetzlich verbotenen Vorausſetzung aus⸗
gehend, daß der Monat zu 30 Tagen zu rechnen
ſei. Ueber das Mindeſtmaß der gegen jugendliche
Frevler zuläffigen primären Freiheitsſtrafe be:
ſtimmen zwar die Art. 53 G., 4 FSt. aus⸗
drücklich nichts; allein nach den Motiven zur Ab⸗
änderung des Art. 53 (Verh. d. K. d. Abg.
1878/79 Beil. V 376) wollte man den 8 57
Abſ. 1 Nr. 3 StGB. zur Auslegung des
Art. 53 II heranziehen, da durch die Abänderung
Uebereinſtimmung mit den Beſtimmungen des
StGB. hergeſtellt werden ſollte. Die Mindeſt⸗
ſtrafe des jugendlichen Frevlers beträgt deshalb.
wenn primär Haft oder Gefängnis angedroht iſt,
1 Tag Haft oder 1 Tag Gefaͤngnis.
Wenn der Frevler einen Teil der umge⸗
wandelten Haftſtrafe erſtanden hat und, wozu er
nach $ 28 Abſ. 4 StGB. befugt iſt, von dem
noch nicht verbüßten Teil ſich durch Erlegung des
entſprechenden Betrags der Geldſtrafe freimachen
will, ſo muß die Berechnung von vorne an er⸗
folgen. Wenn er z. B. zu 150 M verurteilt,
dieſe Strafe in 28 Tage Haft umgewandelt iſt
und er 10 Tage verbüßt hat, ſo muß er, um
ſich von dem Reſt zu 18 Tagen freizumachen,
noch 72 M zahlen; denn 92 M find in 28 Tage
Haft umgewandelt. Der Anſpruch des Staates
auf die überſchießenden 150 - 92 50 M iſt mit
der Rechtskraft des Umwandlungsbeſchluſſes end⸗
gültig erloſchen. Verkehrt wäre es, wollte man
die 10 Tage erſtandener Haft von rückwärts an
der Geldſtrafe von 92 M abrechnen, ſei es, daß
man die letzten 20 M oder 40 M der zehn⸗
tägigen Haft gleichſetzte; obwohl letzterenfalls der
Verurteilte nur noch 92— 10 52 M zu zahlen
hätte, iſt dies doch nicht als der Wille des Geſetz⸗
gebers anzunehmen. Denn er weiſt in den an⸗
geführten Art. 54 und 5 durch die Worte: „an
die Stelle der erſten 20 M tritt ein Tag Haft“
für je 2 M deutlich darauf hin, daß bei der Um⸗
wandlung von vorne zu zählen iſt; der Geſetzgeber
war offenſichtlich von dem Beſtreben beherrſcht,
bei den die große Mehrzahl der Frevel bildenden
geringwertigen Entwendungen die Erſatzhaft nicht
zu niedrig anzuſetzen, damit ſie ihre abſchreckende
Wirkung nicht ganz verliere.
1 Aehnlich wie bei Teilverbüßung der umge⸗
wandelten Haft iſt es zu beurteilen, wenn gnaden⸗
weiſe Teilzahlungen bewilligt find und dieſe zum
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
Teil nicht eingehalten werden, ſo daß es zur
Vollſtreckung von Teilbeträgen der Haft kommt.
Allerdings kann der Gnadenakt bei Bewilligung
der Teilzahlungen ausdrücklich gegenteilige Be⸗
ſtimmungen treffen; doch geſchieht das gewöhn:
lich nicht.
Ob primäre Freiheitsſtrafen, die wegen Forſt⸗
frevel verhängt ſind, neben den wegen gemein⸗
rechtlicher Straftaten erkannten, den Beſtimmungen
des RStGGB. über die Realkonkurrenz unterliegen,
darüber ſchweigen die Forſtgeſetze. Die Frage iſt
zu bejahen. Zunaͤchſt kann daraus, daß die Forſt⸗
frevel in einem beſonderen Verfahren abgewandelt
werden, nichts für die gegenteilige Anſicht ge⸗
folgert werden; denn dieſer Umſtand läßt das
materielle Strafrecht unberührt, dem die 88 74,
78 1 StGB. angehören. Aber auch daraus nicht,
daß Art. 58 FG. und 7 JStG. einen Höchſtſatz
von einem Monat für mehrfach verwirkte Haft
aufſtellen; damit wollte der Geſetzgeber nur für
das Gebiet des Forſtſtrafrechts eine Norm ſetzen.
Sonach find gemäß Art. 1 AGzStpO. und Art.
42 FStG. die Vorſchriften der 88 74, 77 II StGB.
auch beim Zuſammentreffen der gemein⸗ und forſt⸗
ſtrafrechtlichen Freiheitsſtrafen anzuwenden, nötigen⸗
falls in dem Verfahren der 88 492—494 StPO.
mit 8 79 StGB. und Art. 188 G., 91 FStG.
Hierbei kann zur Feſtſetzung der Geſamtgefängnis⸗
ſtrafe bald der regelmäßige bald der Forſtrüge⸗
Richter zuſtändig ſein, $ 494 Abſ. 3 StPO. If
Haft mehrfach verwirkt, jo kann der zuletzt ur:
teilende Richter in die Lage kommen, daß er eine
Haftſtrafe überhaupt nicht mehr ausſprechen darf.
Geſetzt: A iſt vom Schöffengericht wegen drei
Uebertretungen der Tierquälerei zu Haftſtrafen im
Geſamtbetrage von drei Monaten rechtskräftig
verurteilt. Bevor er dieſe verbüßt, wird er vom
Forſtrügegericht wegen Frevels im ausgezeichneten
Rückfall verurteilt, den er vor Erlaſſung des
ſchöffengerichtlichen Urteils verübt hat. Da letzteres
den Höchſtbetrag der Haft bereits erreicht hat,
andrerſeits die einzelnen, zu drei Monaten ſum⸗
mierten Haftſtrafen, weil rechtskräftig erkannt,
nicht mehr herabgeſetzt werden dürfen, kann der
Forſtrügerichter den A zwar des Rückfallfrevels
ſchuldig erkennen, ihm aber im Hinblick auf 3 77
Abſ. 3 StGB. keine Strafe auferlegen. Wohl
aber kann er ihn trotzdem zu Wert⸗ und Schadens⸗
erſatz verurteilen, auch die Zivilverantwortlichkeit
ausſprechen. Dieſe Ausſprüche haben zivilrechtlichen
Charakter und bleiben deshalb auch beſtehen, wenn
eine wegen Gewohnheitsfrevels erkannte Gefängnis⸗
ſtrafe mit einer wegen eines gemeinrechtlichen
Deliktes verhängten zu einer Geſamtſtrafe zu
vereinigen iſt. Sollte in dieſem Falle die Straf:
vollſtreckung auf eine außerbayeriſche Behörde
übergehen, ſo bleibt gleichwohl die Vollſtreckung
wegen des Wert⸗ und Schadenserſatzes und die
gegen den Zivilverantwortlichen dem zuſtändigen
bayeriſchen Amtsgericht.
157
VI.
Das rechtsrheiniſche Forſtgeſetz ſteht nun nahe⸗
zu 60 Jahre, das pfälziſche Forſtſtrafgeſetz faſt
80 Jahre in Geltung. Wenn auch in Einzelheiten
wegen des Wechſels des allgemeinen Strafrechts
wiederholt geändert, ſind ſie doch in den Grund⸗
lagen ihres materiellen Strafrechts ſich gleich ge⸗
blieben. Solch verhältnismäßig langes Leben
eines Strafgeſetzes ſpricht zweifellos für ſeine
innere Gediegenheit und praktiſche Brauchbarkeit.
In der Tat brachten beide Geſetze bei ihrer Er⸗
laſſung einen gewaltigen Fortſchritt gegenüber den
zahlreichen, buntſcheckigen, teilweiſe ins 17. Jahrhun⸗
dert zurückreichenden Forſtverordnungen, deren An⸗
wendbarkeit wegen des Mangels einer einheitlichen
oberſten Inſtanz im einzelnen ſehr zweifelhaft war.
Indes auch das beſte Strafgeſetz wird ſeine Auf⸗
gabe nicht mehr ausreichend erfüllen, wenn es
mit den veränderten ſozialen und wirtſchaftlichen
Verhältniſſen, mit den herrſchenden Anſchauungen
über den Zweck und das Weſen der Strafe und
der einzelnen Strafarten nicht mehr völlig im
Einklange ſteht.
Zunächſt muß es auffallen, daß für ein ein⸗
heitliches, wenn auch raumlich in zwei Teile ge⸗
trenntes Staatsgebiet zwei eigene Forſtſtrafgeſetze
beſtehen. Hiſtoriſch erklärt ſich das daraus, daß
bei Erlaſſung der 8 für jeden Teil ein
beſonderes Strafgeſetzbuch beſtand, an das ſich das
Forſtſtrafrecht anlehnen mußte, nämlich für die
Pfalz der code pénal, für das diesſeitige Bayern
der I. Teil des Strafgeſetzbuchs von 1813. Heute,
wo die Rechtseinheit im Strafrecht durch das
StGB. verkörpert iſt, iſt jener geſchichtliche Grund
weggefallen. Es liegt aber auch kein innerer
Anlaß vor, ein einheitliches Rechtsgebiet unter zwei
ſich gegenſeitig ausſchließende Strafgeſetze zu ſtellen.
Die waldwirtſchaftlichen und allgemeinen ölono⸗
miſchen wie ſozial geſchichteten Verhaͤltniſſe liegen
in der Rheinpfalz in der Hauptſache nicht anders
als im Hauptland. Das pfälziſche Forſtſtrafgeſetz
enthält denn auch im weſentlichen die gleichen
Beſtimmungen wie das diesſeitige Forſtgeſetz.
Soweit fie von einander abweichen — vgl. Art. 41
FStG. (allgemeine Strafmilderungsgründe) mit
Art. 61 FG. (Notſtand), dann die verſchieden
normierten Strafſchärfungsgründe des Art. 59 JG.
und des Art. 10 FStG., den abweichend begrenzten
Kreis der Zivilverantwortlichen in Art. 69 JG.
und Art. 13 FStG. und die Mindeſtſtrafe des
Gewohnheitsfrevels: 31 Tage in der Pfalz, Art. 40
Nr. 1 FStG., 1 Monat diesſeits des Rheins,
Art. 105 JG., das Fehlen der Beſtimmung des
Art. 106 FG. für die Pfalz, dann zahlreiche
Abweichungen in den einzelnen Deliktstatbeſtänden,
aber auch im Forſtrügeverfahren — ſind ſie ohne
grundſätzliche Berechtigung. Eine einheitliche Geſetz⸗
gebung würde wohl auch der Pfalz ein neues
Forſtpolizeirecht an Stelle der vielfach veralteten
158
ert für Meditäpflege in Bayern. i611 et. .
zerſplitterten, unzuſammenhängenden Forſtverord⸗ recht und das Forſtſtrafprozeßrecht je durch ein
nungen bringen.
Bei dem erheblich geſtiegenen Werte der
Forſtprodukte. insbeſondere des Nutzholzes, iſt es
fraglich, ob die faſt ausſchließliche Bedrohung der
Entwendungen mit Geldſtrafen noch gerechtfertigt
iſt. Es können Stämme im Werte von mehreren
hundert Mark gefrevelt werden und doch trifft
den Frevler nur Geldſtrafe oder die äußerſt nied⸗
rige Haftſtrafe von einem Monat, ſelbſt wenn er
mehrere Frevel nacheinander begeht. Es wäre
ferner zu erwägen, ob man nicht die Ent⸗
wendungen von Walderzeugniſſen von einem ge⸗
wiſſen höheren Wert an als Vergehen erklären
und ausſchließlich oder doch wahlweiſe mit Ge⸗
faͤngnis bedrohen ſollte.
Der heutigen Anſchauung entſpricht das für
die Forſtfrevel von den beiden Forſtgeſetzen nahezu
ausſchließlich angenommene Syſtem der abſoluten
Strafen nicht mehr. Das freie richterliche Er:
meſſen iſt dadurch beſeitigt und kommt auch bei
Berückſichtigung eines etwaigen Strafſchärfungs⸗
grundes (Art. 59 J G., 10 FStG.) nur mangel⸗
haft zur Geltung: die häufig viel wichtigeren
perſönlichen Verhältniſſe des Täters können dabei
überhaupt nicht in Betracht gezogen werden, da
die FForſtgeſetze die Geldſtrafe regelmäßig bloß
nach dem angerichteten Schaden oder nach dem
Werte des Entwendeten bemeſſen.
Daß der Verurteilte die Koſten des Straf⸗
verfahrens nicht tragen ſoll, wenn er zahlungs⸗
fähig iſt (Art. 68 FJG.), bedeutet eine ungerecht⸗
fertigte Ausnahme von den allgemeinen Ver⸗
fahrensgrundſätzen.
Daß der Forſtdiebſtahl gegen Angehörige
immer verfolgt werden muß, kann mit dem Hin⸗
weis auf die allgemein⸗wirtſchaftliche Bedeutung
der Wälder nicht ausreichend begründet werden.
Es gibt hier derart leichte Fälle, daß die Auf⸗
nahme einer dem § 247 StGB. entſprechenden
Beſtimmung wünſchenswert wäre. Es berührt
auch eigentümlich, daß derjenige, der einem An⸗
gehörigen verkaufsbereites Holz ſtiehlt (Art. 81
FG., 242 StGB.) mangels Strafantrags ſtraf⸗
frei ausgeht, während er, wenn das Holz noch
nicht verkauſsfertig iſt, wegen Forſtfrevels beſtraft
werden muß.
|
!
Ä
Ein neues Forſtgeſetz würde wohl auch die
Forſtfrevel ſyſtematiſch richtiger als bisher ein⸗
teilen in: Forſtdiebſtahl, Forſtbeſchädigung und
Weidefrevel, und würde die jetzt ſog. „Forſtfrevel
durch Uebertretun polizeilicher Beſti |
HVV gelten laſſen ſoll, wie anderſeits durch die wiederholte
und andere Gefährden“ in das Gebiet der Forſt—
polizeiübertretungen verweilen; denn ob letztere
im eigenen oder im fremden Walde begangen
werden, begründet für das heutige Rechtsempfinden
wohl keinen Unterſchied.
Ob bei der Neuregelung das Forſtſtrafrecht
von dem Forſtwirtſchafts-Recht abgetrennt werden
ſoll und wenn ja, ob das materielle Yorititraf:
beſonderes Geſetz zu ordnen find, ſind Fragen,
die ſich nur nach den Erwägungen legislativer
Politik entſcheiden laſſen. Uebrigens wird die
Neuregelung des Forſtrügerechts im Anſchluß an
die bald zu erwartende neue Strafprozeßordnung
früher als die Neukodifikation des materiellen
Forſtſtraſrechts eintreten.
Nitteilnugen ans der Praxis.
Iſt § 55 der baheriſchen Berordunng vom 4. Juli
1899 / 22. Oktsber 1910 über die Vorbedingungen für
den Juſtiz: und Berwaltungsdienſt rechtewirkſam ?
Es iſt jüngſt die Anſicht vertreten worden (Augsburger
Abd.⸗Ztg. 1911 Nr. 54, 23. Februar 1911 S. 9), daß
dem von 8 55 der bayeriſchen Verordnung vom 4. Juli
1899 / 22. Oktober 1910 über die Vorbedingungen für
den Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt verlangten Ver⸗
zicht auf das frühere Prüfungsergebnis bei Wieder⸗
holung der Prüfung grundſätzlich die Rechtswirkſam⸗
keit zu verſagen ſei. Es ſchaffe hier das bayerische
Landesrecht einen dem Reichsrecht unbekannten En⸗
digungsgrund der Richterfähigkeit.
Dieſe Anſicht iſt unrichtig. Daß 8 2 des GVG.
die Fähigkeit zum Richteramt an die erfolg reiche Ab⸗
legung zweier Prüfungen knüpft, iſt ſelbſtverſtändlich.
Außer Zweifel iſt auch, daß die Regelung des Prüfungs⸗
weſens Sache der Landesgeſetzgebung iſt. Es können
daher im Wege der Verordnung oder der Entſchließung
Grundſätze darüber aufgeſtellt werden, welche Vor be⸗
dingungen der Prüfling zu erfüllen hat, wobei nur
die Schranken des 8 2 Abſ. II und III des GVG.
beſtehen. Ebenſo iſt es Sache der landesrechtlichen
Verordnungen zu beſtimmen, unter welchen Bedingungen
die Prüfung mit Erfolg abgelegt iſt.
Es konnte daher 8 55 der Verordnung Grundſätze
darüber aufſtellen, unter welchen Bedingungen ein Prüf⸗
ling, der die Staatsprüfung bereits mit Erfolg abgelegt
hat, die Staatsprüfung wiederholen kann, um allen⸗
falls ſeine Note zu verbeſſern. Wenn ſie hierbei einen
Verzicht auf das frühere Prüfungsergebnis verlangt,
der erſt mit dem Beginn der wiederholten Prüfung
wirkſam wird, ſo geht ſie von der richtigen Erwägung
aus, daß wie bei jeder Konkurrenz auch bei der Staats⸗
prüfung nur eine Leiſtung als Maßſtab für die Fähig⸗
keiten und die Brauchbarkeit des Prüflings in Betracht
kommen kann und daß es ein unhaltbarer Zuſtand
wäre, wenn man dem die Prüfung wiederholenden
Prüfling die Wahl laſſen würde, für welches Ergebnis
er ſich entſchließen will. Das, was die Verordnung
in 8 55 vorſchreibt, iſt alſo ſachlich das ausdrückliche
Verlangen, daß der Prüfling die abgelegte Prüfung nicht
Ablegung der Prüfung deutlich zum Ausdruck bringt, daß
es ſo angeſehen werden ſoll, als wenn er die Prüfung
nicht abgelegt habe. Anders kann wohl das Verhalten
des Prüflings nicht gedeutet werden. Es ſoll daher
etwas Geſchehenes als nicht geſchehen erachtet werden.
In dem Augenblick, in dem der Verzicht erklärt wird
und die zweite Prüfung beginnt, iſt mit Zuſtimmung
des Prüflings im Sinne der Prüfungsvor⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
ſchriften anzunehmen, daß er die Prüfung bisher
noch nicht mit Erfolg abgelegt hat und nur das Er⸗
gebnis des neuen Wettbewerbs für die Einſchätzung
ſeiner Fähigkeiten und Leiſtungen in Frage kommen
ſoll. Weil er alſo in dieſem Falle die Staatsprüfung
noch nicht mit Erfolg abgelegt hat, kann er ſich auch
nicht mehr auf das frühere Prüfungsergebnis berufen.
Es liegt hier nicht eine Aberkennung der Fähigkeiten
zum Richteramt und des Rechts auf Zulaſſung zur
Anwaltſchaft vor, ſondern eine mit Zuſtimmung des
Prüflings erfolgte Nichtberückſichtigung des Ergebniſſes
der 1. Prüfung, die man richtig als Verzicht auf das
frühere Prüfungsergebnis bezeichnet hat. Daß dadurch
die Fähigkeit zum Richteramt ꝛc. ꝛc. erliſcht, iſt nur
eine Folge des Verhaltens des Prüflings. Der Fall
ift alſo ähnlich gelagert, wie die Fälle, in denen aus
anderen Gründen die Fähigkeit zum Richteramt ver⸗
loren geht.
Die bekämpfte Anſicht, welche Gewicht darauf legt,
daß das erfolgreiche Beſtehen der Prüfung und die
dadurch erlangte Fäbigkeit zum Richteramt nicht Rechte
ſind und daher auch nicht im Wege des Verzichts auf⸗
gegeben werden können, überſieht meines Erachtens den
Geſichtspunkt, daß die aufgeworfene Frage einzig und
allein auf Grund der landes rechtlichen Prüfungs⸗
vorſchriften beantwortet und mit Reichsrecht nicht
durcheinandergebracht werden darf.
8 55 der Verordnung überſchreitet daher nicht die
der Landesgeſetzgebung verliehenen Befugniſſe zur
Regelung des Prüfungsweſens. Man wird ihm auch
trotz der für den Prüfling beſtehenden Gefahr aus den
oben angeführten Gründen grundſätzlich zuſtimmen
müſſen.
Wäre die entgegengeſetzte Anſicht richtig, ſo wäre
die Staatsregierung wegen der eigentümlichen Folgen,
die ſich ergeben würden, wohl genötigt keinen Be⸗
werber mehr zu einer zweiten Prüfung zuzulaſſen, der
den Staatskonkurs einmal beſtanden hat. Das läge
wohl kaum im Intereſſe der Bewerber.
Landgerichtsrat Dr. Schultz in München.
Die Vorſchuhpflicht des Antragſtellers im Berſahren
der Zwangs verſteigerung und der Zwangsverwaltung.
Nach dem Vorgange des Gerichtskoſtengeſetzes
(VI. Abſchn.) ſieht auch das bayeriſche Gebührengeſetz
(II. Abt. I. Abſchn.) für das Verfahren der Zwangs⸗
verſteigerung und Zwangsverwaltung eine doppelte
Vorſchußpflicht des Antragſtellers vor. Hier wie dort
wird der Antragſteller zur Zahlung eines Gebühren⸗
und eines Auslagenvorſchuſſes verpflichtet. Beide
Vorſchüſſe werden im Art. 16 GebG. erwähnt, zu
Unrecht wird aber vielfach angenommen, daß die
Verpflichtung des Antragſtellers zur Leiſtung eines
Gebührenvorſchuſſes ſich auf Art. 16 GebG. gründe.
Dieſer Artikel handelt in ſeinen beiden Abſätzen nur
vom Auslagenvorſchuſſe. Der Gebührenvorſchuß wird
nur nebenher erwähnt („außer dem Gebührenvor⸗
ſchuß“ l). Läßt ſchon die Faſſung des Abſ. 1 erkennen,
daß nur die Auslagenvorſchußpflicht des Antrag⸗
ſtellers im Art. 16 Geb. geregelt werden ſollte, fo
ergibt ſich das unzweifelhaft aus dem Abſ. 2, der
von der Berichtigung „dieſes Vorſchuſſes“ (Singular!)
ſpricht und damit nur den Auslagenvorſchuß meinen
kann. Die Gebührenvorſchußpflicht des Antragſtellers
im Zwangsverſteigerungs⸗ und Zwangsverwaltungs-
—— ————ß—ß—— nn nn nn,
nn nm m
159
verfahren hat das Gebührengeſetz genau nach der des
Antragſtellers in den übrigen bürgerlichen Rechts⸗
ſtreitigkeiten geregelt; es bedurfte daher keiner be⸗
ſonderen Vorſchrift hierüber im bayer. Gebühren⸗
geſetze, denn die Anwendung der Vorſchriften des
Gerichtskoſtengeſetzes wurde ſchon durch den Art. 7
GebG. vermittelt. Die Verpflichtung des Antrag⸗
ſtellers zur Leiſtung eines Gebührenvorſchuſſes wird
alſo durch den Art. 7 GebG. in Verbindung mit 8 81
GKG., die zur Leiſtung eines Auslagenvorſchuſſes
aber durch den Art. 16 GebG. geregelt. Dieſe Feſt⸗
ſtellungen ſind von weſentlicher Bedeutung, wie die
folgenden Ausführungen erſehen laſſen.
l. Der Gebührenvorſchuß.
Die Verpflichtung zur Leiſtung eines Gebühren⸗
vorſchuſſes entſteht mit der Stellung des Antrags,
nicht erſt mit der Erlaſſung des Einleitungsbeſchluſſes,
wie Wochinger (Bayerns Gebührengeſetze Anm. 3 zu
Art. 16) zu Unrecht annimmt. Gleichwie die Ver⸗
pflichtung zur Zahlung eines Gebührenvorſchuſſes im
Zivilprozeſſe ſchon mit der Einreichung der Klage⸗
ſchrift entſteht, ohne Rückſicht darauf, ob ſie ſpäter
zugeſtellt wird und damit die Wirkung der Rechts⸗
hängigkeit eintritt oder nicht, ſo iſt ſie im Zwangs⸗
verſteigerungs⸗ und Zwangsverwaltungs verfahren
ſchon mit der Einreichung des Antrags auf Anord⸗
mung begründet, wenn auch die Beſchlagnahme des
Grundſtückes ſelbſt erſt ſpäter wirkſam wird (8 22
Zw G.).
Der von dem Antragſteller zu entrichtende Ge⸗
bührenvorſchuß beträgt ſo viel, wie die höchſte Ge⸗
bühr, die für einen Akt der Inſtanz angeſetzt werden
kann (8 81 GK GG.). Eine beſtimmte Aktgebühr bat
das Geſetz dabei nicht im Auge, auch haftet der An⸗
tragſteller nur bis zur Höhe einer Gebühr ohne Rück⸗
ſicht darauf, ob in dem Verfahren mehrere Gebühren
anfallen können oder nicht.
Im Zwangsverſteigerungsverfahren beträgt die
höchſte Gebühr, die angeſetzt werden kann, /%10 der
Sätze des 8 8 GKG. (Art. 9 GebG.). Zum Zwangs⸗
verſteigerungsverfahren iſt auch das Verteilungs⸗
verfahren und das Verfahren nach 88 143, 144 ZwVG.
zu rechnen. Für dieſe Verfahren gibt es daher keine
beſondere Vorſchußbpflicht des betreibenden Gläubigers.
Uebrigens wird das Verteilungsverfahren ebenſo wie
das Verfahren, das ſich an die Erbringung der Nach⸗
weiſe nach 88 143, 144 Zw. anſchließt, von der
Offizialmaxime beherrſcht; es fehlt deshalb an einem
„Antragſteller“, weshalb auch ſchon von dieſem Ge⸗
ſichtspunkte aus ſich eine Vorſchußpflicht nicht be⸗
gründen läßt.
Im Zwangsverſteigerungsverfahren beträgt die
höchſte Gebühr, die angeſetzt werden kann, 0 der
Sätze des 8 8 GKG. (Art. 11 GebG.).
Einige Kommentatoren des Gebührengeſetzes be⸗
haupten zu Unrecht, daß als Antragſteller auftretende
Ausländer im Hinblicke auf 8 85 GKG. einen drei⸗
fachen Gebührenvorſchuß leiſten müßten. Einen drei⸗
fachen Gebührenvorſchuß hat nur der Ausländer zu
entrichten, der als Kläger auftritt. Ein Auftreten
als Kläger kann aber nur im eigentlichen Zivilprozeß⸗
verfahren vorkommen, im Zwangsvollſtreckungs⸗
verfahren ſpricht das Geſetz nur von Gläubigern und
Schuldnern (vgl. die Ausführungen zu 8 85 in den
Kommentaren zum GKG. von Rittmann und Pfaffe⸗
roth). Ausländern gegenüber, die in Bayern nicht
160
Dr
ihren Ständigen Wohnſitz haben, kann die Staatskaſſe
dadurch genügend geſichert werden, daß von der im
Art. 287 Geb. eingeräumten Befugnis Gebrauch ge⸗
macht und die Einleitung des Verfahrens von der
Erlegung eines zur Deckung der Gebühren und Aus⸗
lagen hinreichenden Vorſchuſſes abhängig gemacht wird.
Nicht unerhebliche Schwierigkeiten bietet im
Zwangsverſteigerungsverfahren die Beſtimmung des
Gegenſtandswertes, aus dem der Gebührenvorſchuß
zu erheben iſt. Der Berechnung der /io⸗Gebühr und
damit auch des Gebührenvorſchuſſes iſt das Meiſt⸗
gebot zugrunde zu legen, wenn aber die daraus zu
befriedigenden Forderungen geringer ſind, der Be⸗
trag der Forderungen (Art. 9 Abſ. 2 u. 4 GebG.).
Die Vorſchußpflicht des Antragſtellers ſoll die Staats⸗
tafle ſichern und muß, ſoll fie ihren Zweck erfüllen,
ſchon zu Beginn des Verfahrens in Anſpruch ge⸗
nommen werden. In dieſem Zeitpunkte iſt aber eine
genaue Beſtimmung des Gegenſtandswertes unmög⸗
lich, denn das Meiſtgebot ergibt ſich erſt im Laufe
des ſpäteren Verfahrens und feine Höhe läßt ſich zur
Zeit der Antragſtellung zumeiſt auch nicht annähernd
angeben. Deshalb muß das Vollſtreckungsgericht den
Gegenſtandswert ſchätzungsweiſe feſtſtellen. Es wird
ſich dabei von dem Gedanken leiten laſſen müſſen,
daß es wohl dem Willen des Geſetzgebers am nächſten
kommt, wenn bei Unbeſtimmtheit des Gegenſtands⸗
wertes der höchſte mögliche Betrag angenommen
wird, weil für den Satz, nach dem der Gebühren⸗
vorſchuß zu berechnen iſt, die höchſte mögliche Ge⸗
bühr maßgebend ſein ſoll. Die Höchſtgrenze für den
Gegenſtandswert beſtimmt die Summe der aus dem
Meiſtgebote zu befriedigenden Forderungen. Darüber
hinaus kann der Streitgegenſtand niemals gehen;
denn ſelbſt wenn ſich nach Deckung aller aus dem
Meiſtgebote zu befriedigenden Forderungen noch ein
Ueberſchuß für den Schuldner ergeben ſollte, wäre
dieſer doch nach Art. 9 Abſ. 4 Geb. bei der Werts⸗
berechnung nicht zu berückſichtigen. Legt man der Be⸗
rechnung alle die Forderungen zugrunde, die bei aus⸗
reichender Höhe des Meiſtgebotes befriedigt werden
können, ſo erreicht man ungefähr den Höchſtbetrag
des Gegenſtandswertes. Schätzungsweiſe läßt ſich die
Höhe der zu befriedigenden Forderungen aus den
Vollſtreckungsakten im Zuſammenhalte mit dem
Grundbuche beſtimmen. Den aus letzterem erficht:
lichen Belaſtungen find noch die Koſten des Ver⸗
fahrens in dem in 8 109 ZwVG. angegebenen Um:
fange beizuzählen und weiter die nicht aus dem Grund⸗
buche erſichtlichen im 8 10 Zw VG. bezeichneten Uns
ſprüche, ſoweit ſie bekannt ſind. Es iſt nicht zu
verkennen, daß ein ſo gefundener Gegenſtandswert
nicht ganz zuverläſſig ſein kann, doch handelt es ſich
hier auch nur um ein kurzfriſtiges Proviſorium. Nach
der Erteilung des Zuſchlags ſteht der Gegenſtands-
wert genau feſt und es iſt dann auch der Gebühren:
vorſchuß zu berichtigen, nämlich entweder zu erhöhen
oder zu mindern.
Weſentlich einfacher iſt die Beſtimmung des
Gegenſtandswertes im Zwangsverwaltungsverfahren.
Der Berechnung der Gebühr iſt hier der Betrag der
Forderung zugrunde zu legen, für welche die Beſchlag—
nahme erwirkt worden iſt. Sie iſt ſtets aus dem
Inhalte des Antrags zu erſehen, wobei zu beachten
iſt, daß die einzuziehenden Zinſen mitzuberechnen ſind,
da es ſich um ein Zwangsvollſtreckungsverfahren
handelt (Art. 7 GebG. mit S 13 Abſ. 2 GG.). Sit
Sachlage geſchaffen.
die Beſchlagnahme zum Zwecke der Zwangsverwaltung
wegen mehrerer Forderungen erwirkt worden, ſo ſind
fie zuſammenzurechnen (Art. 7 GebG. mit 8 9 GKG.
und 8 5 ZPO.). Das gilt auch, wenn ein Gläubiger
dem Verfahren beitritt. Darin liegt eine Erweiterung
der Anträge im Sinne des 8 81 Abſ. 3 GKG., die
den Vorſchuß nach Maßgabe der Erweiterung erhöht.
Auf die Gebühr des Art. 9 Geb®. iſt die für den
Anordnungsbeſchluß nach Art. 8 Geb. geſchuldete
/o Gebühr anzurechnen. Und zwar kann man fie
unbedenklich auf den Gebührenvorſchuß anrechnen,
fo daß zumeift nur mehr der Differenzbetrag einzu⸗
heben iſt.
Mehrere Antragſteller haften für den Gebühren⸗
vorſchuß nach Kopfteilen. Daß die vielfach vertretene
und auf Art. 16 Abi. 2 Geb. gegründete Anſicht
irrig iſt, daß mehrere Antragſteller für den Gebühren⸗
vorſchuß ſamtverbindlich haften, ergibt ſich aus den
Ausführungen zu Eingang dieſer Abhandlung. Dort
wurde feſtgeſtellt, daß Art. 16 GebG. ſich nur auf
den Auslagenvorſchuß bezieht und daß der Gebühren⸗
vorſchuß den allgemeinen Beſtimmungen des GKG.
folgt. Nach 8 91 GKG. haften aber mehrere einer
Partei angehörende Perſonen nach Kopfteilen, denn
die bislang viel umſtrittene Frage, ob ſich 8 91 GKG.
neben den wirklich entſtandenen Gebühren und Aus⸗
lagen auch auf die darauf zu leiſtenden Vorſchüſſe
bezieht oder nicht, iſt zu bejahen (vgl. insbeſ. Ritt⸗
mann, GKG. zu 8 91).
Wenn ein Gläubiger einem Zwangsverſteige⸗
rungsverfahren beitritt, ſo ſind nunmehr mehrere
Antragſteller vorhanden. Auch hier findet an ſich der
8 91 GKG. Anwendung. Der Beitritt eines weiteren
Gläubigers wirkt aber nicht in dem Sinne zurück,
daß der urſprünglich für den ganzen Vorſchuß in
Anſpruch genommene erſte Antragſteller nunmehr den
ſeinen Kopfteil überſteigenden Betrag des Gebühren⸗
vorſchuſſes zurückfordern könnte. Die Vorſchußpflicht
des Antragſtellers ſoll die Staatskaſſe von vorneherein
für einen Teil der Gebühren decken. Die Vorſchuß⸗
pflicht iſt deshalb eine für ſich beſtehende Pflicht zur
unbedingten endgültigen Vorauszahlung eines be⸗
ſtimmten Gebührenteils (Pfafferoth, GRG. Vorbe⸗
merkungen zum VI. Abſchn.), der nur dann und nur
inſoweit zurückzuerſtatten iſt, als die wirklich er⸗
wachſenen Gebühren ſeine Höhe nicht erreichen. Hier⸗
aus ergibt ſich für das Zwangsverſteigerungsverfahren,
daß der erſte Antragſteller auch im Falle eines ſpä⸗
teren Beitritts der Staatskaſſe für den vollen Betrag
des Gebührenvorſchuſſes weiterhaftet, daß aber der
beitretende Gläubiger neben dem erſten Antragſteller
bis zur Höhe ſeines Kopfteiles Mitſchuldner iſt. Ein
ſpäter beitretender dritter Gläubiger haftet dann
neben feinen beiden Vormännern für / des Gebühren-
vorſchuſſes uſw. Da zur Zeit des Beitritts der Vor:
ſchuß in der Regel von dem erſten Antragſteller be—
reits eingefordert iſt, haben die nachträglich beitreten⸗
den Gläubiger keinen Vorſchuß mehr zu leiſten. Ihre
Mithaftung iſt nur von Bedeutung, wenn der Vor—
ſchuß von dem erſten Antragſteller nicht beigetrieben
werden kann.
Im Zwangsverwaltungsverfahren wird durch
den Beitritt eines Gläubigers eine weſentlich andere
Jeder Beitritt bringt hier eine
Erweiterung des Verfahrens mit ſich, die nach 8 81
Abſ. 3 G&G. den Gebührenvorſchuß erhöht. Es ent—
ſpricht nicht dem Begriffe der Erhöhung, wenn aus
dem Gegenſtandswerte des Beitrittsbeſchluſſes ein
geſonderter Gebührenvorſchuß angeſetzt wird, die Er⸗
höhung beſteht vielmehr in einer Ergänzung des ur⸗
ſprünglich angeſetzten Gebührenvorſchuſſes auf den
Betrag eines Vorſchuſſes nach dem nun erhöhten
Gegenſtandswerte. Es iſt alſo nur mehr der Diffe⸗
renzbetrag einzuheben, der ſich berechnet zwiſchen dem
Betrage des kontierten Vorſchuſſes und dem eines
Vorſchuſſes nach dem erweiterten Gegenſtandswerte.
Für den Betrag, der zur Ergänzung einzuheben iſt,
haftet der beitretende Gläubiger nicht ohne weiteres.
Es haftet vielmehr für den nach dem erweiterten
Gegenſtandswerte berechneten Geſamtvorſchuß jeder
der beiden Antragſteller zur Hälfte (8 91 GRG.).
Aus den oben angeführten, aus der Natur des Vor⸗
ſchuſſes als eines endgültigen Gefälles entnommenen
Gründen kann aber der erſte Antragſteller, der einen
Vorſchuß nach dem urſprünglichen Gegenſtandswerte
bezahlt hat, nicht die Rückzahlung des Betrages ver⸗
langen, der den Hälftebetrag des nach dem erhöhten
Streitgegenſtande berechneten Gebührenvorſchuſſes
überſteigt. Er haftet vielmehr nach wie vor mindeſtens
bis zur Höhe des urſprünglichen Vorſchuſſes und
zwar ſelbſt dann, wenn er ihn zur Zeit des Beitritts
des zweiten Gläubigers noch nicht entrichtet haben
ſollte (s 90 GK G.). Der Beitritt eines Gläubigers
kann aber auch für den erſten Antragſteller eine Nach⸗
zahlungspflicht begründen, nämlich dann, wenn der
Hälftebetrag des nach dem erweiterten Gegenſtands⸗
werte berechneten Gebührenvorſchuſſes den Betrag
des von dem Antragſteller vor dem Beitritte ge⸗
ſchuldeten Vorſchuſſes überſteigt. Ein Beiſpiel ver⸗
anſchaulicht das wohl am beſten: A erwirkt für eine
Forderung von 1000 M Beſchlagnahme zum Zwecke
der Zwangsverwaltung. Er zahlt einen Gebühren⸗
vorſchuß von 32 M. B tritt für ſeine Forderung von
3400 M dem Verfahren bei. Der Gebührenvorſchuß
nach dem erweiterten Gegenſtandswerte (1000 + 3400
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
wie — — u !! — 4 ͤ ꝗ——— —
= 4400 M) beträgt 68 M. Davon hat jeder der
beiden Gläubiger die Hälfte mit 34 M zu entrichten.
A hat 32 M bezahlt, er hat alſo noch 2 M nachzu⸗
zahlen. Die Vorſchuß⸗ und Nachzahlungspflicht des
Antragſtellers bleibt ſelbſt bei der Zurücknahme des
Antrages beſtehen. Eine ſolche Zurücknahme beendigt
nicht das Verfahren (5 93 GKG.), denn dieſes wird
für den oder für die beitretenden Gläubiger fort⸗
geſetzt. Sie gibt deshalb auch dem ſeinen Antrag
zurücknehmenden Gläubiger nicht das Recht, die
Deckung der auf ſeinen Antrag erwachſenen Koſten
aus ſeinem Vorſchuſſe zu fordern und dann die Rück⸗
zahlung des die Koſten überſteigenden Betrages ſeines
Vorſchuſſes zu beantragen.
I. Der Auslagen vorſchuß.
Neben dem Gebührenvorſchuſſe hat nach Art. 16
GebG. der Gläubiger, auf deſſen Antrag das Zwangs⸗
verſteigerungs⸗ und Zwangsverwaltungsverfahren
angeordnet wird, für die mit dem Verfahren bis zur
Einleitung der Verteilung verbundenen Auslagen auf
Erfordern einen zur Deckung hinreichenden Auslagen⸗
vorſchuß zu leiſten. Ein genauer Maßſtab für die
Beſtimmung der Höhe dieſes Vorſchuſſes läßt ſich
nicht geben, doch ergibt eine ſchätzungsweiſe Zuſammen⸗
ſtellung der im Verfahren vermutlich entſtehenden
Auslagen immerhin einige Anhaltspunkte. Der Aus⸗
lagenvorſchuß iſt in erſter Linie beſtimmt zur Deckung
der nach 8 80 b GKG. im Zuſammenhalte mit Art. 7
ö
161
Geb. geſchuldeten Pauſchſätze und weiter der dem
Notar aus der Staatskaſſe zu erſetzenden Gebühren
und Auslagen (vgl. 8 7 Abſ. 4 der Bek. des StM. d.
Fin. vom 25. Dezember 1899, IM Bl. 1900, 343). Zu
Unrecht zählt Wochinger (Bayerns Gebühren⸗Geſetze
Art. 16 Anm. 4) auch die durch die Anordnung von
Sicherheitsmaßregeln im Sinne der 88 25 und 170
ZwVG. erwachſenden Auslagen hierher. Der Be:
griff des Auslagenvorſchuſſes im Art. 16 GebG. ent⸗
ſpricht dem des 8 84 GKG. Es ſteht aber außer
allem Zweifel, daß der 8 84 GKG. nur eine Vor⸗
ſchußpflicht des Antragſtellers auf die in 8 79 GKG.
erſchöpfend aufgezählten Auslagen vorſieht. Eine er⸗
weiterte Vorſchußpflicht will aber auch der Art. 16
GebG. nicht Schaffen. Seine Anwendung auf die
durch die Anordnung von Sicherheitsmaßregeln er⸗
wachſenden Auslagen iſt übrigens auch um deswillen
überflüſſig, weil die 88 25 und 170 ZwVG. ſelbſt
dem Vollſtreckungsgerichte die Befugnis einräumen,
die Anordnung und die Fortſetzung der zur Abwen⸗
dung der Gefährdung nötigen Maßregeln von der
Leiſtung eines entſprechenden Vorſchuſſes abhängig
zu machen. Auslagen dieſer Art ſind deshalb bei
Feſtſetzung des Auslagenvorſchuſſes nach Art. 16
Geb. nicht zu beachten.
Die Verpflichtung zur Leiſtung eines Auslagen⸗
vorſchuſſes entſteht mit der Stellung des Antrags;
der Gerichtsſchreiber fordert ihn aber erſt auf An⸗
ordnung des Gerichts ein (Fin MBek. vom 25. Des
zember 1899, 8 28, IM Bl. 1900, 343).
Für den Auslagenvorſchuß haften mehrere An⸗
tragſteller ſamtverbindlich (Art. 16 Abſ. 2 Geb.).
wobei es keinen Unterſchied begründet, ob die Partei,
auf deren Antrag das Verfahren angeordnet wurde,
aus mehreren Perſonen beſteht, oder ob eine Mehr⸗
heit in der Perſon der Antragſteller ſich erſt durch
den Beitritt eines Gläubigers ergibt. Daß auch für
den beitretenden Gläubiger eine Auslagenvorſchuß⸗
pflicht beſteht, läßt zwar die Faſſung des Art. 16
GebG. nicht mit der wünſchenswerten Klarheit er:
ſehen, doch ſpricht daſür der Umſtand, daß auch be⸗
züglich der Gebührenpflicht das Geſetz den beitreten⸗
den Gläubiger dem gleichſtellt, auf deſſen Antrag das
Verfahren angeordnet wurde (vgl. inbeſ. Art. 8 Geb.).
III, Gemeinſames.
Die Gebühren: und Auslagenvorſchüſſe ſichern
die Staatskaſſe für die im Verfahren erwachſenden
Koſten. Da dieſe Koſten nach 8 109 ZwVG. aus
dem Verſteigerungserlöſe vorweg zu entnehmen ſind,
ſo kann auch, wer die Koſten durch Vorſchüſſe gedeckt
hat, an Stelle der Staatskaſſe den zu der Deckung
aufgewendeten Betrag fordern. Es handelt ſich hier
nicht um ein Recht, das einen Anſpruch auf Befrie⸗
digung aus dem Grundſtücke gewährt (8 10 ZwVG.),
ſondern um die Erſtattung eines Teils der aus dem
Erlöſe vorweg zu entnehmenden Koſten des Ver⸗
fahrens, wobei nur die Perſon des Empfangsberech⸗
tigten gewechſelt hat. Hieraus folgt auch, daß der
Gläubiger den Erſatzanſpruch nicht anzumelden braucht.
Vielfach wird die Anſicht vertreten, daß die Tätig⸗
keit des Gerichts oder des Notars von der Erlegung
des Gebühren- und Auslagenvorſchuſſes abhängig ge:
macht und daß das Gericht Anordnungen aufheben
oder das eingeleitete Verfahren einſtellen könne, wenn
der Vorſchuß nicht gezahlt wird. Dieſe Anſchauung
iſt irrig. Art. 7 GebG. vermittelt auch die Anwen—
162
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
ꝗ— — —e— ö ——— — ——
— — — . — —
dung des 8 3 GKG. Dieſer beſtimmt aber ausdrück⸗ der Geſchäftsbehandlung bedeutete, zugleich eine größere
lich, daß die Tätigkeit des Gerichts von der Sicherung
oder Zahlung der Gebühren und Auslagen nicht in
einem weiteren Umfange abhängig gemacht werden
darf, als die Prozeßordnungen oder das GKG. ſelbſt
es zulaſſen. Weder im ZwVG. noch im GKG. findet
ſich nun aber eine Beſtimmung, die die oben er:
wähnte Auffaſſung rechtfertigen kann. Daß die 83 25
und 170 ZwVG. eine von der Vorſchußpflicht des
Gebührengeſetzes unabhängige Vorſchußpflicht des An⸗
tragſtellers aufſtellen, wurde unter II ausgeführt.
Das gleiche gilt aber auch für den Fall des 8 161
ZwVG. Denn daß ein an den Verwalter ſozuſagen
Gewähr für die Richtigkeit der Koſtenberechnungen zu
bieten ſchien und die vermöge der Erhebung der Aus⸗
als Betriebskapital zu zahlender Vorſchuß kein Aus⸗
lagenvorſchuß im Sinne der Koſtengeſetze iſt, dürfte
ohne weiteres klar ſein. Eine einzige Ausnahme er⸗
gibt ſich, wenn der Antragſteller ein Ausländer iſt,
der in Bayern keinen Wohnſitz hat. Für ſolche Fälle
beſtimmt Art. 287 GebG., daß bei Anträgen auf Ein⸗
leitung des Verfahrens oder Vornahme einzelner
Amtshandlungen, dringende Fälle ausgenommen, jede
amtliche Tätigkeit in der Sache ſelbſt von der Zahlung
eines zur Deckung der Gebühren und Auslagen hin⸗
reichenden Vorſchuſſes abhängig gemacht werden kann.
Amtsgerichtsſekretär Heſſelbarth in Forchheim.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I
Die durch das Geſetz vom 1. Juni 1909 eingeführten
„ ($ 80b Gg.) haben nicht die recht⸗
liche Natur von Gebühren ſondern die von Auslagen.
Aus den Gründen: Die durch § 98 Abſ. 1 GKG.
den Bundesſtaaten in dem Verfahren vor dem Reichs⸗
gerichte gewährte Befreiung von Zahlung der Ges
bühren erſtreckt ſich nur auf die Gerichtsgebühren, ein⸗
ſchließlich der Gebührenvorſchüſſe, nicht aber auf die
Auslagen (GKG. 88 79 ff.). Das ergibt ſich ſchon aus
dem Wortlaute des Geſetzes, das überall grundſätzlich
zwiſchen Gebühren und Auslagen unterſcheidet, und
iſt auch in vielfachen Entſcheidungen des Reichsgerichts
ſchon ausgeſprochen worden. Es könnte ſich nur fragen,
ob die zufolge des Geſetzes vom 1. Juni 1909 jetzt ge⸗
mäß 8 80 b GKG. zu erhebenden Auslagen pauſch—
ſätze als Gebühren anzuſehen und daher dem 8 98
GKG. zu unterſtellen ſeien. Das iſt jedoch zu ver—
neinen. Die Pauſchalſätze werden „zur Deckung der
von den Parteien nicht zu erſetzenden“ (d. h. der nicht
nach SS 79, S0 a GG. im Einzelanſatze zu erſetzenden)
baren Auslagen erhoben. Dadurch, daß die Pauſch—
ſätze nach einem beſtimmten Prozentſatze der Gerichts—
gebühr zu berechnen ſind, haben die Auslagen —
Schreib-, Poſt⸗, Zuſtellungsgebühren — nicht ihre Eigen—
ſchaft als bare Auslagen verloren und die Auslagen—
pauſchſätze nicht den Charakter von Gebühren ange—
nommen. Daß letzteres nicht der Sinn des Geſetzes
iſt, bekundet ſchon die Stellung dieſer neuen Vor—
ſchriften in dem V. Abſchnitte des Geſetzes: „Aus—
lagen.“
Weiterhin ſpricht gegen jene Annahme auch der
geſetzgeberiſche Zweck der Pauſchalierung. Es war
damit nur beabſichtigt eine veränderte Art der Aus—
lagenberechnung zu ſchaffen, die gegenüber den bis—
lagen nach einem Prozentſatze der Gebühren die ge⸗
ringeren Streitwerte auf Koſten der höheren entlaſtet.
(Vgl. Begr. zum Entwurf des Geſetzes vom 1. Juni,
betr. Aenderung des GBG. uſw. zu 8 79 GKG. S. 55,
zu § 80 b S. 57 ff., Kommiſſionsbericht, zu $ 80 b S. 75).
Man wollte darnach nicht eine neue Gerichtsgebühr
einführen. Wenn einmal in der Begründung (S. 57)
davon die Rede iſt, es ſolle zu jeder einzelnen Gebühr
ein „Zuſchlag“ erhoben werden, ſo iſt damit nach dem
ee diefer Bemerkung nur eben jene Be:
rechnungsart, die Form der Erhebung, gemeint; denn
ſie wird damit begründet, daß im allgemeinen der
Maße f des Schreibwerkes im Verhältniſſe zu dem
Maße ſtehe, in welchem die geſamte gerichtliche Tätig⸗
keit in Anſpruch genommen wird, und daß dieſem
Maße die Zahl der anzuſetzenden Gebühren entſpreche.
— Hätte der Geſetzgeber den Auslagenpauſchſätzen die
Bedeutung von Gebühren verleihen wollen, ſo würde
er es auch wohl nicht für erforderlich erachtet haben,
die Anwendung des § 7 Abſ. 2 GKG., wie in 8 80 b
Abſ. 1 Satz 3 geſchehen iſt, ausdrücklich teftaufeben,
ſetzen wäre.
während von einer „Uebertragung“ des in 87 Abf
vorgeſchriebenen Mindeſtſatzes abgeſehen wurde (Begr.
S. 58). — Daraus, daß die Auslagenpauſchſätze un⸗
abhängig von der tatſächlichen Entſtehung von
Auslagen erhoben werden, läßt ſich deren Gebühren⸗
ee nicht herleiten; dieſe Unabhängigkeit liegt
im Weſen der Pauſchalierung. Die Annahme endlich,
daß der Auslagenpauſchſatz von den nach 5 98 GKG.
von der Zahlung der Gebühren befreiten Perſonen
nicht geſchuldet werde, kann auch nicht auf die Worte
im 5 80b „zehn vom Hundert der zum Anſatze gel an⸗
genden Gebühr“ geſtützt werden; denn hier iſt eben
diejenige den Maßſtab für die Berechnung des Pauſch⸗
ſatzes abgebende Gebühr gemeint, die nach den Ge⸗
bührenvorſchriften an ſich anzuſetzen iſt oder anzu⸗
(Vgl. hierzu Rittmann, Das Deutſche
Gerichtskoſtengeſetz 4 Aufl zu 8 80 b S. 458 f., Abſ. 2
—
befinden, alla nicht ohne weiteres deswe
herigen konkreten Einzelanſätzen eine Vereinfachung
S. 460, zu 8 98 Abſ. 1 S. 599, und Zeitſchrift
Deutſche Juſtizſekretäre 1911 S. 8 ff. z. II S. 11 f.
z. III). (Beſchl. des VI. 35. vom 23. Februar 1911,
VI 292/10).
2183
— — — .
II.
Der Gläubiger, der auf Grund der Vermutung im
5 1362 BGB. bewegliche Sachen pfänden läßt, die ſich
im Beſitze eines der Chegatten oder beider nn
en an
Schadenserſatz, weil die Vermutung des 3 1362 B68.
widerlegt iſt. Es muß der Nachweis bazu kommen, daß
der Gläubiger das Eigentum des anderen Teiles gekannt
hat. Anhaltspunkte für die Kenntnis des Gläubigers.
Die Klägerin fordert vom Beklagten Schadenserſatz,
weil er auf Grund eines vollſtreckbaren Schuldtitels
gegen ihren Mann am 16. Auguſt 1904 in ihrem
Bäckereigeſchäft verſchiedene Gegenſtände hat pfänden
laſſen, ſie auch nicht freigegeben hat, nachdem ſie ihm
eine eidesſtattliche Verſicherung ihres Mannes vorgelegt
hatte, daß die Sachen ihr Eigentum ſeien. Die Vor—
inſtanzen haben angenommen, daß die Klägerin Eigen⸗
tümerin der gepfändeten Sachen war, daß daher die
zugunſten des Beklagten als Gläubigers des Mannes
nach 8 1362 BGB. ſtreitende Vermutung für widerlegt
zu gelten hat. Während aber das LG. angenommen
hat, daß der Beklagte mindeſtens dann fahrläſſig ge—
handelt habe, als er auf Verlangen der Klägerin in
die Aufhebung der Pfändung nicht gewilligt habe, und
daher — unter Berückſichtigung eines mitwirkenden
Verſchuldens der Klägerin — den Klaganſpruch zu
/ dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat, hat
das OLG. auf die Berufung des Beklagten die Ent—
— _— — — — —
ſcheidung wegen dieſes Teils des Klaganſpruchs dem
Irunde nach von der Leiſtung oder Verweigerung des
dem Beklagten zugeſchobenen und von ihm angenom⸗
menen Eides dahin abhängig gemacht, daß er bei der
Pfändung nicht gewußt habe, daß die gepfändeten
Sachen der Klägerin gehörten. Es nimmt zunächſt
an, daß die bisherige Beweisaufnahme für eine ſolche
Kenntnis des Beklagten nichts ergeben habe, und ver⸗
neint dann, daß er bei Anwendung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt ſich hätte ſagen müſſen, daß
die Klägerin rechtlich Geſchäftsinhaberin und die Ver⸗
mutung des 8 1362 BGB. durch die Sachlage im ge»
gebenen Falle widerlegt ſei. Die hiergegen erhobenen
Angriffe ſind nicht begründet. Es iſt nicht richtig,
daß, nachdem das OLG. jene Vermutung für wider⸗
legt erachtet hatte, der 8 1362 in keiner Weiſe mehr
in Betracht zu kommen gehabt hätte, und daß das
Os. beim Beklagten Rechtskenntniſſe unterſtellt habe,
deren Beſitz von ihm nicht habe erwartet werden können.
Durch jene Feſtſtellung war nur dargetan, daß die in
der Pfändung liegende Eigentums verletzung wider⸗
rechtlich war; die Verpflichtung zum Schadenserſatz
ſetzt aber auch ein Verſchulden voraus und ein ſolches
würde nur vorliegen, wenn der Beklagte das Eigen⸗
tum der Klägerin gekannt haben ſollte oder es doch
bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorg⸗
falt hätte erkennen müſſen. In der einen wie in der
anderen Beziehung ſind von Wichtigkeit die Umſtände,
die zu der Annahme geführt haben, daß die Vermutung
des § 1362 für widerlegt zu erachten ſei, in dem Sinne,
ob aus ihnen, ſoweit ſie dem Beklagten bekannt waren,
ſeine Kenntnis vom Eigentum der Klägerin oder doch
= Beitfhrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
ſoviel zu entnehmen [el daß er ſich bei Anwendung
der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dieſe Kenntnis
würde verſchafft haben. Das hat aber das OLG. mit
eingehender Würdigung des Ergebniſſes der mündlichen
Verhandlung und der Beweisaufnahme ohne Rechts⸗
irrtum verneint, indem es die für und wider den Be⸗
klagten ſprechenden Umſtände gegeneinander abgewogen
und ausſchlaggebendes Gewicht darauf gelegt hat, daß
der Beklagte, um Sicherheit darüber zu erlangen, ob
die Klägerin oder ihr Mann . ſei,
Auskunft bei einer Auskunftei und bei der zuſtändigen
Gewerbepolizeibehörde eingezogen hat und daß beide
Auskünfte ihn zu dem Schluſſe berechtigten, daß der
Mann der Inhaber des Geſchäfts ſei, und daß infolge⸗
deſſen ein dem entgegenſtehendes Auftreten der Klägerin
rechtliche Wirkſamkeit nicht habe. Zutreffend hat es
auch dargelegt, daß dem Beklagten ebenſowenig zum
Verſchulden gerechnet werden kann, daß er die Pfänder
nicht freigegeben hat, nachdem ihm die eidesſtattliche
Verſicherung des Mannes vorgelegt worden war. Dabei
iſt es unerheblich, ob der Beklagte mit der Möglichkeit
gerechnet hat oder doch rechnen mußte, daß die Klägerin
das von ihr in Anſpruch genommene Recht im Rechts⸗
wege dartun werde; darin, daß der Gläubiger ſich
dieſer Möglichkeit bewußt iſt, liegt noch kein Verſchul den
und die Pfändung geht ſolchenfalls mangels eines
ſonſtigen Verſchuldens nur inſofern „auf Gefahr“ des
Gläubigers, als er als unterliegender Teil in dem
Interventionsſtreit die Prozeßkoſten tragen muß. (Urt.
des VI. 35. vom 9. Februar 1911, VI 699/09).
2187
— — en.
III.
Ueber eine Scheidungsklage zwiſchen ungariſchen
Ehegatten haben die deutſchen Gerichte nicht zu be:
finden. Feſtſtellung der ungariſchen Staatsangehörigkeit.
Aus den Gründen: Nach 8 606 Abſ. 4 ZPO.
kann eine Scheidungsklage ausländiſcher Ehegatten im
— A mn — — ——0•——ẽ nn
ausländiſchen Ehegatten angehören, nicht anerkannt
werden. Es ſoll hier durch die Erlaſſung eines deutſchen
Scheidungsurteils vermieden werden, das in dem
Heimatſtaate der Ehegatten keine Anerkennung finden
würde. Für Ungarn iſt nun aber durch das Ehegeſetz
5 XXXI vom Jahre 1894 8 114 beſtimmt,
daß in dem Eheprozeſſe eines ungariſchen Staats⸗
bürgers nur das Urteil des ungariſchen Gerichtes wirk⸗
ſam tft (vgl. das ungariſche Ehegeſetz, bearbeitet von
Dr. Back S. 80, bearbeitet von Dr. Kovacs S. 52,
Leske⸗Loewenfeld, die Rechtsverfolgung im inter⸗
nationalen Verkehr Bd. 4 S. 108, Gaupp⸗Stein ZPO.
Anm. 11 zu 8 606). Die deutſchen Gerichte ſind hier⸗
nach, wenn der Beklagte ein ungariſcher Staats⸗
angehöriger iſt, welche Staatsangehörigkeit nach 8 5
des Geſetzes über den Erwerb und Verluſt der un⸗
gariſchen Staatsbürgerſchaft Geſetz⸗Artikel vom Jahre
1879 (abgedruckt bei Dr. Cahn, Staatsangehörigkeit
S. 546) durch Verhelratung auch auf die Klägerin
übergegangen iſt, die durch dieſe Verheiratung zugleich
die deutſche Staatsangehörigkeit verlor (8 13 Nr. 5
des Geſetzes vom 1. Juni 1870), nicht zuſtändig, in
der vorliegenden Eheſcheidungsſache zu entſcheiden.
Die beſonderen Beſtimmungen des Haager Abkommens
über das Eheſcheidungsrecht vom 12. Juni 1902 kommen
hier nicht zur Anwendung, da Oeſterreich⸗Ungarn
dieſes Abkommen bisher nicht ratifiziert hat (vgl. die
Bekanntmachungen des Reichskanzlers vom 24. Juni 1904
RG Bl. S. 249, vom 9. Auguſt 1905 RGBl. S. 716 und
21. März 1907 RGBl. S. 84). Zur Entſcheidung darüber,
ob der Beklagte die Eigenſchaft eines ungariſchen
Staatsbürgers hat, war daher die Sache an das Be⸗
rufungsgericht zurückzuverweiſen, das, ſofern die Frage
nicht anderweit geklärt wird, zu prüfen hat, ob das
Zeugnis vom 7. Mai 1909 echt iſt, ob es von der zu⸗
ſtändigen Behörde ausgeſtellt 5 — in welcher Be⸗
ziehung etwaige Bedenken durch eine nach dem Ver⸗
trage zwiſchen dem Deutſchen Reich und der Oeſter⸗
reichiſch⸗zungariſchen Monarchie vom 25. Februar 1880
(RG Bl. 1881 S. 4) und der Bekanntmachung des
Reichskanzlers vom 2. Februar 1881 (RGBl. S. 8)
für Gemeindezeugniſſe nicht ausgeſchloſſene Legaliſation
gehoben ſein würden — und ob durch den Nachweis
der Gemeindezuſtändigkeit der Nachweis der ungariſchen
Staatsangehörigkeit erſetzt wird (vgl. das Staats⸗ und
Berwaltungsrecht des Königreichs Ungarn von Pro⸗
feſſor Dr. Gejza von Ferdinandy, überſetzt von Dr.
Schiller, 16. Band der Bibliothek des öffentlichen
Rechts von Scholz und Storck S. 219 und 220, S. 169
und 170). (Urt. des IV. 3 S. vom 20. Oktober 1910,
IV 601/09). — — n.
2190
IV.
Anfechtung einer Hypsthelbeſtellung zugunſten der
Eheſran nach der Abtretung der Hypethekſerderung an
einen Dritten. Beweislaſt? Anwendbarkeit des 6 892
BEB.T Aus den Gründen: Das OLG. geht bei
ſeinen ſich auf die 88 3, 11 RG. vom 21. Juli 1879
und 17. Mai 1898 ſtützenden Ausführungen davon
aus, daß die beiden der Beklagten abgetretenen Hypo⸗
theken Nr. 8 und 9 vom Schuldner D. ſeiner Frau im
letzten Jahre vor der Erhebung der Anfechtungsklage
beſtellt worden ſind. Es hat hiernach mit Recht an⸗
genommen, daß die Anfechtbarkeit der Hypothek⸗
beſtellungen der Ehefrau D. gegenüber für den Fall, daß
es ſich dabei um unentgeltliche Verfügungen handelt,
nach den Ziffern 3 und 4 des 8 3 ohne weiteres ge⸗
geben ſein würde. Es hat aber weiter angenommen,
daß die Anfechtbarkeit der Hypothekbeſtellungen auch
Inlande nur erhoben werden, wenn das inländiſche
Gericht auch nach den Geſetzen des Staates zuſtändig
iſt, dem der Ehemann angehört. Dieſe Beſtimmung
iſt mit Rückſicht darauf gegeben, daß Scheidungsurteile
inländiſcher Gerichte häufig in dem Staate, dem die
auf Grund der Ziffer 2 des 8 3, alſo für den Fall,
daß es ſich dabei um entgeltliche Verträge handelt,
und nach der Ziffer 1 des § 11 der Beklagten gegen-
über begründet ſei und hiergegen allein richten ſich
die Angriffe der Reviſion. Sie ſind hinfällig. Zuzu⸗
geben iſt, daß zur Begründung der Anfechtung nach
der eben angeführten Beſtimmung nicht die Feſtſtellung
genügte, daß der Beklagten beim Erwerb der Hypo⸗
theken die pekuniären Schwierigkeiten bekannt geweſen
ſind, mit denen der Schuldner zu kämpfen hatte, ſon⸗
dern daß es dazu der Feſtſtellung bedurfte, daß der
Beklagten bei jenem Erwerb die Umſtände bekannt
geweſen ſind, die die Anfechtbarkeit des Erwerbes der
Frau D. begründen, und daß zu dieſen Umſtänden —
bei Zugrundelegung der Ziffer 2 des 8 3 — die Tat⸗
. gehört, daß durch die beiden Hypothekbeſtellungen
ie Gläubiger des Schuldners D. benachteiligt worden
find. Dies hat aber auch das OL. nicht verkannt.
Es hat vielmehr die Benachteiligung der Gläubiger
des D. durch die Hypothekbeſtellungen, wenngleich
ohne weitere Begründung, ausdrücklich feſtgeſtellt und
damit, daß es dies als „auf der Hand liegend“ be⸗
zeichnet und weiterhin feſtſtellt, daß die Beklagte ſchon
nach dem Zirkular vom 30. April 1907 um die ſchlechte
Vermögenslage des D. gewußt hat, deutlich genug
ausgedrückt, daß der Beklagten bei ihrem Erwerbe
jene Benachteiligung der Gläubiger auch zum Bewußt⸗
ſein gekommen ſei. In der Tat iſt die Belaſtung des
Grundſtücks eines ſolchen Schuldners mit Hypotheken,
wenn das Grundſtück nicht ſchon überlaſtet oder ſein Wert
nicht ſchon durch die bereits beſtehenden Belaſtungen
erſchöͤpft iſt, ohne weiteres eine Benachteiligung feiner
Gläubiger; denn ſie liegt in jeder Veränderung, ins⸗
beſondere Verſchlechterung der Vermögenslage des
Schuldners, durch die der Befriedigungsanſpruch der
Gläubiger beeinträchtigt, deren Befriedigung aus dem
Vermögen des Schuldners vereitelt oder erſchwert wird.
Sie wird hier auch nicht dadurch ausgeſchloſſen, daß
der Schuldner D. bei Beſtellung der Hypotheken etwa
ſchon die Abſicht gehabt hat, ſeine Frau zur Ver⸗
pfändung oder Abtretung der Hypotheken an die Be⸗
klagte oder einen anderen Kapitaliſten zu veranlaſſen,
um ſich dadurch Baukapital zu verſchaffen. Dies konnte
nur Bedeutung haben für die Frage nach einer mit
der Hypothekenbeſtellung verbundenen Abſicht der
Gläubigerbenachteiligung und hätte . wie das
OLG. ohne Rechtsirrtum angenommen hat, von der
Beklagten behauptet und bewieſen werden müſſen.
Zu den Umſtänden, die die Anfechtbarkeit des Erwerbes
des Rechtsvorgängers begründen, im Sinne der Ziffer 1
des § 11 gehört, inſoweit die Ziffer 2 en 3 in
Betracht kommt, einmal: daß der entgeltliche Vertrag
vom Schuldner mit ſeinem Ehegatten, oder einem Ver⸗
wandten oder Verſchwägerten der dort bezeichneten
Art im letzten Jahre vor der Anfechtung abgeſchloſſen
iſt, und ſodann, wie ſchon bemerkt: daß dadurch die
Gläubiger des Schuldners benachteiligt worden ſind.
Dagegen gehört nicht dazu die Kenntnis des Ehe⸗
gatten (Verwandten oder Verſchwägerten) des Schuld⸗
ners von einer Abſicht des letzteren die Gläubiger zu
benachteiligen. Vielmehr war es Sache der Beklagten
den in dieſer Beziehung in der Ziffer 2 des 8 3 zu⸗
gelaſſenen Gegenbeweis zu führen (vgl. Jur W. 1910
S. 762 unter Nr. 33). Die Reviſion bemerkt endlich:
es ſei ausgeſchloſſen, daß die Beklagte nach Einleitung
der Zwangsverſteigerung wiſſentlich anfechtbare Hypo—
theken erworben haben ſollte; dabei verkennt ſie, daß
die Anfechtbarkeit nach Ziffer 1 des 8 11 vollends
nicht davon abhängt, daß der Anfechtungsgegner ſich
bei ſeinem Erwerbe der Anfechtbarkeit des Erwerbes
ſeines Rechtsvorgängers bewußt geweſen iſt, daß er
alſo aus den dieſe Anfechtbarkeit begründenden, ihm
bekannt gewordenen Umſtänden auch den richtigen
Schluß gezogen hat. Der von der Reviſion als ver—
letzt bezeichnete 8 892 BGB. beſchränkt die Anfechtbars
keit der im Grundbuch eingetragenen Rechte und der
dieſen Eintragungen zugrunde liegenden Rechtsgeſchäfte
auf Grund des bezeichneten Reichsgeſetzes nicht. Die
Richtigkeit des Inhalts des Grundbuchs wird durch
dieſe Anfechtbarkeit nicht berührt. (Urt. des V. 35.
vom 12. Dezember 1910, V 163/10).
218
— — 2 n.
SZ3ebitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1011. Nr. 7.
— —
— — —
V. |
Nichtbeachtung der Unfallverhätungsvorſchriften
einer Berufsgensſſenſchaft. Gibt es Ausnahmen von
dem Satze, daß fahrläſſig handelt, wer die Unfallver⸗
r ften nicht einhält, wer insbeſoendere ver⸗
stswidrig ingemdliche Arbeiter zu n Ver⸗
richtungen verwendet? Aus den Gründen: Das
OLG. gibt der Klage zu, daß dem Betriebsunter⸗
nehmer, der den in den Unfallverhütungsvorſchriften
angeordneten Vorſichtsmaßregeln dende regel⸗
mäßig der Vorwurf fahrläſſigen Verhaltens nicht zu
erſparen ſein werde. Allein es gebe hiervon Aus⸗
nahmen, ſofern nach den beſonderen Verhältniſſen des
Falles eine Abweichung von den ae 08:
vorſchriften nicht als eine Verletzung der dem Betriebs»
unternehmer kraft ſeines Berufes oder Gewerbes ob⸗
liegenden Sorgfalt angeſehen werden könne. Ein
ſolcher Ausnahmefall liege hier vor: Der Berufungs⸗
richter hat auf Grund der Ausſage des ſachverſtändigen
del fein und nach dem Eindrucke, den der junge G.
ei ſeinem perſönlichen Erſcheinen vor Gericht gemacht
hat, die Ueberzeugung gewonnen, daß der letztere ſchon
zur Zeit des Unfalles ein über ſein Alter hinaus in
geiſtiger und körperlicher Hinſicht entwickelter junger
Menſch geweſen und deshalb ſchon damals wohl im⸗
ſtande geweſen ſei, eine Kreisſäge zu bedienen. Der
Beklagte habe ſeinem Sohne, der zur fraglichen Zeit
ſchon die körperliche Entwickelung eines Achtzehn⸗
jährigen gehabt habe, die Kraft und Fähigkeit zutrauen
dürfen die an ſich gefährliche Arbeit an der Kreisſäge
zu bewältigen. Der aus der Be aft erf eines jugend⸗
lichen Arbeiters herzuleitende Vorwurf werde hinfällig,
weil der Beklagte einen zwar nur 14 — 15 Jahre alten,
in ſeiner Kraft und Entwickelung aber einem Achtzehn⸗
jährigen gleichſtehenden Arbeiter an der Kreisſäge habe
arbeiten laſſen. Der Unfall ſei ſomit ein unglücklicher
auch bei Anwendung aller Sorgfalt nicht zu ver⸗
meidender Zufall. Auch ſonſtige geſetzliche Beſtimmun⸗
gen, aus denen ein Verſchulden des FAT herzu⸗
leiten wäre, insbeſondere 8 120 a, 8 120% Gew.,
618 BGB. ftänden der Klägerin nicht zur Seite. Es
ei nach alledem widerlegt, daß die Verletzung des
jungen G. mit einem Verſchulden des Beklagten in
urſächlichem Zuſammenhange ſtehe.
Die Entſcheidung des Vorderrichters iſt unhaltbar.
Die Erſatzpflicht des Beklagten gemäß 8 136 GUV.
hängt duvon ab, ob ihm eine, für den Unfall urſäch⸗
liche, fahrläſſige Körperverletzung zur Laſt fällt, —
eine „qualifizierte“ Fahrläſſigkeit, nämlich eine ſolche
mit Außerachtlaſſung derjenigen Aufmerkſamkeit, zu
der der Betriebsunternehmer vermöge ſeines Gewerbes
beſonders verpflichtet iſt. Dieſe Frage war nach ſtraf⸗
rechtlichen Grundſätzen zu beurteilen (RG. ZS. Bd. 66
Nr. 57 S. 248, Bd. 69 Nr. 78 S. 344 ff., Bd. 62 Nr. 82
S. 343, JW. 1906 S. 4037, 1907 S. 115 Nr. 18). Maß⸗
gebend iſt alfo hier 8 230 Abſ. 2 StGB. Der Berufungs⸗
richter hat dies anſcheinend nicht beachtet, doch wäre
die Klägerin hierdurch an ſich nicht beſchwert, nament-
lich wegen des für die ſtrafrechtliche Fahrläſſigkeit
erforderlichen Momentes der Vorherſehbarkeit des Er⸗
folges. Aber es kommt hiernach nicht darauf an, ob
die Unfallverhütungsvorſchriften als Schutzgeſetz im
Sinne von § 823 Abſ. 2 BGB. anzuſehen find. Nicht
zu billigen iſt jedoch die Beurteilung, die der Berufungs—
richter im übrigen der Zuwiderhandlung gegen die
Vorſchrift zugunſten des Beklagten angedeihen läßt.
Die von einer Berufsgenoſſenſchaft in legaler Weiſe
erlaſſenen Unfallverhütungsvorſchriften (GU VG. 8 112)
haben nicht bloß die Bedeutung von Anleitungen oder
Ratſchlägen über die von den Betriebsunternehmern
zu treffenden Vorſichtsmaßregeln; es handelt ſich dabei
vielmehr um Vorſchriften, die durch einen öffentlich—
rechtlichen Akt der Berufsgenoſſenſchaft in deren Inter—
eſſe aber zugleich im öffentlichen Intereſſe zur Ver—
hütung von Betriebsunfällen erlaſſen für die Mitglieder
bindend find, — und zwar derart verbindlich, daß die
Mitglieder zur Befolgung der Anordnungen durch
Zwangsmaßregeln angehalten und wegen deren Ueber⸗
tretung von den Genoſſenſchaften mit Strafe belegt
werden können (vgl. RGS. 3 S. Bd. 72 Nr. 23 S. 114 f.).
Wenn insbeſondere hinſichtlich der Beſchäftigung
jugendlicher Arbeiter ein beſtimmtes Verbot aus⸗
des ift, fo gibt die Vorſchrift nicht nur eine
ichtſchnur für die von den Genoſſenſchaftsmitgliedern
zu treffenden Einrichtungen und Vorſichtsmaßregeln,
ſondern es iſt eine ſolche kategoriſche Borſchrift von
den Mitgliedern eben ben und unbedingt zu
befolgen. Wird durch die Nichtbefolgung der Vorſchriſt
ein Betriebsunfall herbeigeführt, ſo trifft in aller Regel
den Unternehmer oder Leiter des Betriebes der Vor⸗
wurf der Fahrläſſigkeit und darnach auch die Verant⸗
wortlichkeit gemäß 8 230 Abſ. 2 oder 8 222 Abſ. 2
StGB. Wenn der erkennende Senat ſchon ausgeſprochen
hat, es könnten in einem einzelnen Falle die Umſtände
ſo liegen, daß die Abweichung von einer Unfallver⸗
hütungsvorſchrift ſich rechtfertigen läßt und dem
Zuwiderhandelnden nicht zum Verſchulden gereicht, ſo
iſt dabei nicht an Fälle von der Art des gegenwärtigen
zu denken, wo dauernd die verbotswidrige Beſchäftigung
des Arbeiters ſtattgefunden hat.
Eine Unfallverhütungsvorſchrift nun, welche die
Beſchäftigung jugendlicher Perſonen unter einer genau
beſtimmten Altersgrenze in dem Betriebe oder an ge⸗
wiſſen Maſchinen verbietet, beruht auf allgemeinen, im
gewerblichen Leben und in den fraglichen Betrieben
gewonnenen Erfahrungen. Sie iſt einem Durchſchnitts⸗
maßſtabe entnommen, der, als Niederſchlag ſolcher Er⸗
fahrungen über die fortſchreitende körperliche und
geiſtige Entwickelung junger Arbeiter im Verhältnis
zu der betreffenden Aa i die Grenzlinie ent⸗
ſprechend beſtimmen läßt, inſoweit als es zur Unfall⸗
verhütung geboten iſt. Durch die ſo feſtgeſetzte Alters⸗
grenze iſt die Beſchäftigung jüngerer Perſonen bei den
Arbeiten ein⸗ für allemal ausgeſchloſſen. Nicht aber
ſoll dem einzelnen Unternehmer gleichwohl geſtattet
ſein, ein eigenes Ermeſſen walten zu laſſen und dar⸗
nach zu befinden, ob nach den Umſtänden, namentlich
nach der Individualität des Arbeiters von der Unfall⸗
verhütungsvorſchriſt abgewichen werden dürfe. Andern⸗
falls wäre eine geringe Gewähr dafür gegeben, daß
der Zweck der Vorſchrif erfüllt wird. (Urt. des IV. ZS.
vom 26. Januar 1911, IV 25/10).
2186
— — n.
VI.
Eine Eidesverweigerung kaun nicht anf Grund des
4119 568. angefochten werden. Aus den Gründen:
Die Reviſion rügt die Verletzung des § 119 888.,
weil der Beklagte durch die in zweiter Inſtanz ab⸗
gegebene Erklärung: „Er habe den Eid nicht geleiſtet,
weil er nicht gewußt habe und auch nicht habe feſt⸗
ſtellen können, ob der von W. akzeptierte Wechſel das
Giro des Klägers getragen habe; er ſei jedoch jetzt
bereit, den Eid zu leiſten“, ſeine Eidesverweigerung
15 habe. Allein die Eidesverweigerung iſt, wie
überhaupt prozeſſuale Erklärungen, nicht nach Maßgabe
des 8 119 BGB. anfechtbar. An dieſem von dem er⸗
kennenden Senat in ſeinem Urteile vom 10. Oktober 1908
(RG. 69, 261) ausgeſprochenen Rechtsgrundſatze wird
feſtgehalten. un liegt zwar, wie in dieſem Urteile
ebenfalls anerkannt iſt, eine Eidesverweigerung im
Sinne der ZPO. nicht vor, wenn der Eidespflichtige
nachweislich über den Inhalt der erklärten Weigerung
im Irrtum war oder ſie in Wirklichkeit nicht erklären
wollte. Aus jener in der Berufungsinſtanz abge⸗
falt Erklärung des Beklagten geht aber in keiner
iſe hervor, daß eine dieſer Vorausſetzungen hier
3 a az des I. 38S. vom 16. Januar 1911,
— — en.
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. in Bayern. 1911. Nr. 7. 165
B. rn:
Anz id — als uulanterer
PRO Aus om den: Die Voraus⸗
ſetzungen des 8 4 unls80. vom 7. Juni 1909 find im
angefochtenen Urteil ohne Rechtsirrtum nachgewieſen.
Die Strafkammer ſtellt ausdrücklich feſt, daß das hier
in Betracht kommende Schild des Angeklagten auf das
Publikum den Eindruck machen mußte, als ob der
Angeklagte im Gegenſatze zu anderen Zahnärzten und
Zahntechnikern etwas beſonderes leiſte, und daß das
— dem Inhalte des Schildes entnommene — unbe⸗
dingte Verſprechen, ſchmerzlos zu ziehen, geeignet war,
bei der im Publikum allgemein verbreiteten großen
Furcht vor den Schmerzen beim Zahnziehen dem An⸗
geklagten manche Kunden zuzuführen, die bei Kenntnis
der wahren Sachlage nicht gekommen wären. Auf
ie tatſächlichen Grundlage ift nicht nur die Ans»
nahme rechtlich un daß das Schild eine zur
Irreführung geeignete Angabe enthielt, Des auch
die Feſtſtellung, daß die Angabe unwahr iſt. Die
Strafkammer war hierbei in tatſächlichen Erwägungen
zu der Auffaſſung gelangt, daß die vom Angeklagten
gewählten Worte „ſchmerzloſes Zahnziehen“ keines⸗
wegs nur ein Reklameausdruck ſeien, der vom Publikum
nicht wörtlich verſtanden werde. Soweit der Bes
ſchwerdeführer in feiner Reviſionsſchrift das Gegenteil
behauptet, kann daher ſein Vorbringen nicht beachtet
werden. (Urt. des V. StS. vom 10. Februar 1911,
VD. 1032/10).
2192
— - —ı.
II.
Berichtigungs verfahren beim S gern
der Niederſchrift des berichtigten Spruches. Aus den
Gründen: Der Obmann, der den urſprünglichen
Spruch im erſten Berichtigungsverfahren mit einen
Namen unter Beifügung ſeiner Eigenſchaft als Ob⸗
mann unterſchrieben hatte, hat die im zweiten Be⸗
richtigungsverfahren gemachten Berichtigungen über
dieſe erſtmalige Unterſchrift geſetzt. Der Spruch würde
hiernach, ſelbſt wenn er vom Obmann nicht noch ein⸗
mal unterſchrieben worden wäre, auch in ſeiner ſchließ⸗
lichen Form durch die urſprüngliche Unterſchrift des
Obmanns im Zuſammenhalt mit der Beurkundung
über die Verkündung des Spruchs im Sitzungsprotokoll
gedeckt ſein. Hier hat aber der Obmann den berich⸗
tigten Spruch in ſeiner endgültigen Faſſung nochmals
unterſchrieben. Daß er dieſer Unterſchrift nicht noch⸗
mals ſeine Eigenſchaft als Obmann beigefügt hat,
bildet keinen Mangel des Spruchs. Denn die Bei⸗
[nous dieſer Eigenſchaft zur Unterſchrift des Obmanns
ſt nicht unentbehrlich. Hier war ſie um ſo entbehr⸗
licher, als nicht nur die erforderliche Feſtſtellung, daß
Gr. Obmann war, ſich im Sitzungsprotokolle indet,
ſondern auch im Spruche ſelbſt aus dem Zuſatze zur
erſtmaligen Unterſchrift zum Ausdruck gebracht iſt,
daß Gr. Obmann war und als ſolcher unterſchrieben
hat. Unſchädlich iſt auch, daß außer dem Obmann
auch noch die übrigen Geſchworenen den berichtigten
Spruch unterſchrieben haben, und daß die Unterſchrift
des Vorſitzenden und des Gerichtsſchreibers unter dem
berichtigten Spruche ſich nicht unmittelbar an die
auen des Obmanns anſchließt, ſondern ſich
unterhalb der Namen aller Geſchworenen befindet.
Denn auch ſo befindet ſie ſich unterhalb des Spruchs
und unterhalb der Unterſchrift des Obmanns.
Allerdings iſt nach § 312 StPO. der berichtigte
Spruch in der Weiſe niederzuſchreiben, daß der frühere
erkennbar bleibt. Der Sinn dieſer Vorſchrift iſt jedoch
nur der, daß dem Reviſionsgerichte die Möglichkeit
gegeben werden muß zu prüfen, ob der urſprüngliche
Spruch an einem Mangel gelitten hat, der die Be⸗
richtigung erforderlich machte. Es kann deshalb ge—
nügen, wenn der Inhalt des früheren Spruchs und
166
— un
die Art der Berichtigung mit Zuhilfenahme des
Sitzungsprotokolls erkannt werden kann. Das iſt ins⸗
beſondere dann der Fall, wenn es ſich, wie hier, um
die Beifügung der verſehentlich weggelaſſenen Unter⸗
ſchrift des Obmanns und um die Veifügung der be⸗
ſchloſſenen aber verſehentlich nicht niedergeſchriebenen
Antwort auf eine Hauptfrage handelt. Aber auch die
Berichtigung der Antwort zu Frage 8 dadurch, daß
die der Antwort verſehentlich beigefügten Klammern
weggeſtrichen ſind, genügt den zu ſtellenden Anforde⸗
rungen, denn aus dem Sitzungsprotokoll ergibt ſich
deutlich, daß dieſe Klammern vorher nicht weggeſtrichen
waren. Der frühere Spruch iſt alſo überall erkennbar.
(Urt. des V. StS. vom 14. Februar 1911, V D. 1195/10).
2191
N.
Oberſtes Landesgericht.
Zivilſachen.
I
Das Recht einer Gemeinde aus einer Waldung vor
Anderen gegen die Bezahlung der forſtamtlich jeſtge⸗
nellten Preiſe die Eichelernte zu beziehen, kaun ein die
Waldung belaſtendes, dingliches und eintragungsfähiges
Recht ſein. Nach dem Grundſteuerkataſter beſitzt die
Gemeinde L. das „Vorrecht zum Eichelleſen in der
Waldung N. gegen Zahlung der forſtamtlich beſtimmten
Kaufpreiſe.“ Mitte April 1909 meldete die Gemeinde
dieſes Recht bei dem Amtsgerichte N. zur Eintragung
in das Hypothekenbuch an. Da das Forſtärar die Zus
ſtimmung verweigerte, wurde das Recht von dem
Hypothekenamt am 16. April 1909 in der 2. Abteilung
in folgender Faſſung vorgemerkt: „Vorrecht der Ge⸗
meinde L. zum Eichelleſen in der Waldung N. PlNr.
1803 ff. der Steuergemeinde W.“ Nach dem erfolg⸗
loſen Verſuch einer gütlichen Ausgleichung wurden die
Parteien auf den Rechtsweg verwieſen. Am 29. April
1910 ſtellte das Forſtamt N. namens des Forſtärars
an das Grundbuchamt, für deſſen Bezirk ſeit dem 1. Mai
1909 das Grundbuch als angelegt anzuſehen iſt, den
Antrag, die Vormerkung nach 3 54 Abſ. 1 Satz 2 G80.
und 8 74 DAG BAe. als unzuläſſig zu löſchen, weil
das von der Gemeinde beanſpruchte Vorrecht, die Eichel⸗
maſt zu kaufen oder zu pachten, den Staat nicht in
der Verfügung über die Waldungen, ſondern nur in
der Verfügung über die Früchte beſchränke, ſohin weder
eine Dienſtbarkeit noch ein anderes dingliches, ein⸗
tragungsfähiges Recht bilde. Das GBA. hat den An⸗
trag abgewieſen, weil die Vormerkung ihrem Inhalte
nach ein dingliches Recht zum Gegenſtande habe. Die
Beſchwerde des Regierungsfiskalats wurde zurückge—
wieſen. Die weitere Beſchwerde hatte keinen Erfolg.
Gründe: Mit Recht haben die Vorinſtanzen ans
genommen, daß die Vormerkung ihrem Inhalte nach ein
eintragungsfähiges dingliches Recht zum Gegenſtande
hat. Die Beſchwerdeausführungen ſind beeinflußt durch
die Vorſchriften, die das römiſche Recht über die Be—
rechtigungen an fremden Sachen aufitellt. Dieſe Vor—
ſchriften haben aber im deutſchen Rechte weſentliche
Aenderungen erfahren. Das bayeriſche Landrecht, das
hier maßgebend iſt, hat mehrere Grundſätze, die das
römiſche Servitutenrecht beherrſchen, als „Subtilitäten“
aufgegeben, den Inhalt der Dienſtbarkeit auf Leiſtungen
ausgedehnt (T. II K. 7 8 2 Nr. 1), die Reallaſt mit
der Dienſtbarkeit vereinigt (8 2 Nr. 6 u nebſt Anm. 3
zu 82) und die Verknüpfung der Berechtigung mit Gegen—
leiſtungen zugelaſſen (Anm. z. L. R. II K. 8 8 15 Nr. 1e
2f, 10e d. 15). Bei dieſer geſetzlichen Regelung
des Begriffes der Dienſtbarkeiten beſtehen keine Be—
denken, den Inhalt der Vormerkung dahin zu ver—
ſtehen, daß die Gemeinde an den Waldungen das ding—
liche Rechthat, vor anderen gegen Zahlung der forſtamt—
lich feſtgeſtellten Preiſe die alljährlich anfallende Eichel—
ernte zu beziehen. Durch die Gegenleiſtung wird das
Rechtsverhältnis nicht zu einem Kauf oder Vorkauf ge:
ſtaltet. Der Bezug der einzelnen Ernte und die Bewirkung
der einzelnen Gegenleiſtung ſind nur die regelmäßig
wiederkehrenden Ausflüſſe des dauernden Grundverhält⸗
niſſes, das an den Waldungen ſelbſt haftend als ein die
Grundſtücke belaſtendes, dingliches, eintragungsfähiges
Nutzungsrecht angeſehen werden kann (Erkenntniſſe des
Bayeriſchen Oberappellationsgerichts vom 13. Juni
1846 und 13. März 1866 in den BlfR A. Bd. 13 S. 286,
Vd. 31 S. 269). Demnach kann die Zuläffigfeit der
Vormerkung, die jetzt, wo das Grundbuch als ange⸗
legt anzuſehen iſt, die Bedeutung eines Widerſpruchs
im Sinne des 8 899 BGB. hat, nicht beanſtandet werden
(Henle⸗Schmitt, Grundbuchweſen, Bem. 1 am Schluſſe
zu Art. 22 AG. zur EBD. Henle⸗Schneider, A., Vor⸗
bem. 1 Abſ. 2 zu Art. 44, 45, UeG.). (Beſchl. des
I. ZS. vom 10. Februar 1911, Reg. III. e
2181 i
II.
Wenn Grundftäde nach dem Ableben des einen
Elternteils den Kindern zum Miteigentum zugeſallen
find, aber nach dem Mainzer Landrechte dem überlebenden
Elternteile der Beiſitz zuſteht, fo kaun wicht ohne deſſen Zu⸗
ſtimmung auf dem Anteil eines Miterben eine Sicherungs⸗
hypsthek eingetragen werden. Zu dem Nachlaſſe des
Zimmermanns Valentin L. gehörten dreizehn Grund⸗
ſtücke, die er in die Ehe eingebracht hatte. Bei der An⸗
legung des Grundbuchs wurde in das Hypothekenbuch ein⸗
getragen, daß als die geſetzlichen Erben des Valentin L.
ſeine ſieben Kinder, darunter die mit dem Kupferſchmied
Auguſt S. in A. verheiratete Maria L. und der Schneider
Konrad L. in G., Miteigentümer der Grundſtücke zu
gleichen Anteilen ſind und daß der Zimmermanns⸗
witwe Margarete L. in G., der Mutter der Miteigen⸗
tümer, die mit ihrem Manne im Güterſtande des Mainzer
Landrechts lebte, der Beiſitz an den Grundſtücken zuſteht.
Auguſt W. hat am 24. März 1909 gegen die Kupfer⸗
ſchmiedseheleute Auguſt und Maria S. einen Boll-
ſtreckungsbefehl für 3925 M erwirkt; in dem Boll:
ſtreckungsbefehl iſt Auguſt S. angewieſen, die Zwangs⸗
vollſtreckung in das eingebrachte Gut ſeiner Ehefrau
zu dulden. Auf Grund dieſes vollſtreckbaren Titels
beantragte Auguſt W. bei dem Grundbuchamt für
einen Teil ſeiner Forderung an dem Anteile der
Maria S. an den ihr und ihren Geſchwiſtern gehörenden
dreizehn Grundſtücken Sicherungshypothek einzutragen;
er gab an, wie die 510 M auf die Grundſtücke zu ver⸗
teilen ſeien. Das GBA. lehnte den Antrag ab, weil
von der Eintragung der Vollſtreckungshypothek das
Beiſitzrecht der Witwe L. betroffen werde. Auf die
Beſchwerde des W. hat das Landgericht die Verfügung
aufgehoben. Das Landgericht hielt nach dem Mainzer
Landrechte die Einwilligung der Witwe Margarete
L. oder eines Dritten zu der von Auguſt W. bean—
tragten Eintragung der Sicherungshypothek nicht für
notwendig. Auf Grund dieſer Entſcheidung hat das
GBA. die Sicherungshypothek für Auguſt W. antrags⸗
gemäß eingetragen. Auf die weitere Beſchwerde der
Witwe Margarete L. hat das Oberſte Landesgericht
das GBA. angewieſen auf dem Blatte für die Nachlaß—
grundſtücke einen Widerſpruch gegen die Richtigkeit der
Eintragung der Sicherungshypothek des Auguſt W.
einzutragen.
Gründe: Wie der Senat ſchon in dem Beſchluſſe
vom 9. Dezember 1910!) ausgeführt hat, erſchöpft ſich
nach dem Mainzer Landrechte das Beiſitzrecht des über—
lebenden Ehegatten an dem eingebrachten Gute des
zuerſt verftorbenen, deſſen geſetzliche Erben die gemein—
ſchaftlichen Kinder find, nicht in dem „usus fructus
oder Nießbrauch“, dem Beiſitzberechtigten gebührt auch
die Verwaltung des eingebrachten Gutes. Kraft des
1) Abgedruckt in Nr. 8 dieſes Jahrgangs S. 70, 71.
Verwaltungsrechtes kann er über den Stamm dieſes
Vermögens, ſoweit nicht verzehrbare Sachen in Betracht
kommen, die dem Nießbrauch unterworfen find, nicht
unbeſchränkt verfügen, er bedarf der Zuſtimmung der
Kinder, denen das Eigentum zuſteht. Andererſeits ſind
aber auch die Kinder bei Verfügungen über das zu dem
eingebrachten Gute gehörende Vermögen an die Zu⸗
ſtimmung des Beiſitzberechtigten gebunden. Das gilt,
wenn Grundſtücke in Frage kommen, nicht nur von
der Veräußerung ſondern auch von der Verpfändung,
mag die Hypothek an dem ganzen Grundſtück oder an
dem ideellen Anteil eines der Kinder an dem Grund⸗
ſtücke beſtellt werden. Die Beſtellung einer Hypothek
greift in die Verwaltung eines Grundſtücks ein, ſie
macht eine Veräußerung, die ſich als notwendig oder
nützlich erweiſt und von den Eigentümern unter
Zuſtimmung des Beiſitzberechtigten beſchloſſen wird,
unter Umſtänden unmöglich. Das trifft auch auf die
Sicherungshypothek zu, die nachträglich in eine ge⸗
wöhnliche Hypothek umgewandelt werden kann. Eine
Hypothek, bei der der Gläubiger für gewiſſe Zeit, hier
für die Dauer des Beiſitzes, in der Geltendmachung
ſeiner Rechte gehemmt iſt, eine bedingte Hypothek, wie
das Beſchwerdegericht annimmt, iſt dem BGB. unbe⸗
kannt. Sind hiernach nach dem Mainzer Landrechte
die Kinder durch das Beiſitzrecht des überlebenden
Elternteils in der Veräußerung und Belaſtung des Ver⸗
mögens beſchränkt, das zum eingebrachten Gute des
verſtorbenen Eheteils gehört, ſo darf auch ein Gläubiger,
der an dieſem Vermögen im Wege der Zwangsvoll⸗
ſtreckung Befriedigung oder Sicherung ſuchen will, nicht
vollſtrecken, wenn er nicht bei dem Vorhandenſein einer
materiellrechtlichen Duldungspflicht auch in der Richtung
gegen den Beiſitzberechtigten einen vollſtreckbaren Titel
erlangt hat. Dieſer kann, ſoweit es ſich um die Ein⸗
tragung einer Sicherungshypothek handelt, nach der
allgemeinen Vorſchrift des 8 19 GBO. durch die in
der Form des 8 29 erklärte Einwilligung des Beiſitz⸗
berechtigten erſetzt werden. Dieſe Vorausſetzung iſt
hier nicht erfüllt. Das Grundbuch iſt deshalb durch
die unter Verletzung geſetzlicher Vorſchriften von dem
Landgericht angeordnete Eintragung einer Sicherungs⸗
hypothek unrichtig geworden; es war ſohin die Ein⸗
tragung eines Widerſpruchs nach § 54 Abſ. 1 Satz 1
GBO. zu veranlaſſen, ohne daß es der Aufhebung der
vollzogenen und im Koſtenpunkte die Margarete L.
nicht beſchwerenden Anordnung des Beſchwerdegerichts
bedurfte. (Beſchl. des I. ZS. vom 3. Februar 1911,
Reg, III 6/1911). W.
188.
Literatur.
Jaeger, Dr. Eruſt, Profeſſor der Rechte zu Leipzig,
Kommentar zur Konkursordnung und den
Einführungsgeſetzen mit einem Anhang, enthaltend
das Anfechtungsgeſetz, Auszüge aus den Koſten—
geleben, Ausführungsgeſetze und Geſchäftsordnungen.
. und 4. neubearbeitete Auflage. 3. Lieferung.
es J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung,
m. b. H.
Nach mehrjähriger Pauſe iſt ſoeben erſt die dritte
1 un Wider Erwarten bringt fie nicht
den Schluß des Werkes, ſondern nur den Schluß des
erſten Bandes, nämlich die 88 42 — 70. Lieferung 1
iſt bekanntlich bereits 1907, Lieferung 2 1908 erſchienen.
Wenn die neue Auflage in dem gleichen langſamen
Tempo weitergeführt wird, dann können wir für etwa
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
— —— —œ—ĩ— . —2:.·Aiůe —̃ —¼öæ — v—y — — — nn
— ——— ͤ ꝓù . — 4 ·˙*ͤi!’n— —-— ——— ͤ w—4—ęVę— 2 ůů—jLðv—t— —̃ͤꝛ ·˙*ꝛ⸗..ů—ů ů—ů—ů—— — — —
1915 die Vollendung der neuen Auflage erwarten. In
der Zwiſchenzeit ſind dann aber die früheren Lieferungen
veraltet, und ſo iſt aufs dringendſte ſchon jetzt zu
wünſchen, daß die Schlußlieferung zugleich einen Nach-
trag mit herausbringen möchte, der das ganze Werk
167
allenthalben auf die Höhe hinaufführt, die Geſetzgebung,
Wiſſenſchaft und Rechtſprechung bei Vollendung der
Neubearbeitung haben werden. Iſt es ſchon bei einem
Werk wie Staudingers BGB. 5. /6. Aufl. trotz der nicht
genug zu rühmenden Schnelligkeit der Aufeinanderfolge
der Lieferungen ftörend, daß die letzten Lieferungen
einen fortgeſchritteneren Standpunkt einnehmen als die
erſten, ſo wächſt ſich ein ſolcher Nachteil bei einem ſo
langſamen Erſcheinen wie bei Jaegers KO. zu einem
Uebelſtand aus, der ohne die von mir angeregte Ab⸗
hülfe den Wert des Werkes ganz erheblich beein⸗
trächtigt. Das wäre aber ganz beſonders zu beklagen
gerade bei Jaegers Werk, das an Umfang und Be⸗
arbeitung, an Stofffülle und Materialbeherrſchung unter
den Kommentaren zur KO. an Beachtung und Einfluß
einzig daſteht. Rechtsanwalt Dr. Böckel, Jena.
Oetker, Dr. Friedr., Profeſſor, Wirkſamkeit der
Entſcheidungen, Präkluſion von Beſchwer⸗
den, Einſtellungsbeſchluß und Rechts⸗
hängigkeit. Bemerkungen zur Entſcheidung des
Reichsgerichts Strafſachen Bd. 41 S. 277 ff. Leipzig
(C. L. Hirſchfeld) 1910. 52 S. 1.20 M. (Würzburger
Abhandlungen zum deutſchen und ausländiſchen
Prozeßrecht, herausgegeben von Mendelsſohn Bar⸗
tholdy und Oetker. Heft 2.)
Verfaſſer unterzieht in dem vorliegenden 2. Heft
der ſchon im Jahrg. 1910 S. 264 dieſer Zeitſchrift an⸗
gezeigten „Würzburger Abhandlungen“ die prozeſſualen
Entſcheidungen in der aus mancherlei Gründen berühmt
gewordenen Beleidigungsſache Moltke / Harden einer
kritiſchen Prüfung hinſichtlich der durch den Titel der
Schrift bezeichneten Punkte und liefert damit einen
wertvollen Beitrag zur Löſung überaus beſtrittener
und noch wenig geklärter prozeſſualer, Probleme. Dr.
Laforet, Dr. W., K. Bezirksamtsaſſeſſor im Bayer. Staats⸗
miniſterium des Innern, Das Zwangs ab⸗
tretungsgeſetz vom 17. November 1837 in der
Faſſung der Novelle vom 13. Auguſt 1910 und der
Abſchnitt Zwangsenteignung des Ausführungsgeſetzes
zur Reichszivilprozeßordnung in der Faſſung der
Bekanntmachung vom 26. Juni 1899. XII, 293 S.
München und Berlin 1910, (Schweitzers [blaue]
Textausgaben) J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Geb. Mk. 3.20.
Eine ſehr gründliche und ſelbſtändige Bearbeitung,
die zwar äußerlich in den Formen einer erläuterten
Textausgabe gehalten iſt, nach der ſachlichen Behand⸗
lung des Stoffes aber Anſpruch auf die Bezeichnung
als Kommentar erheben darf. Der zivilrechtliche Teil
des Geſetzes iſt nicht zu kurz gekommen. Die Anlage
iſt überſichtlich; die Literatur iſt ſorgfältig berückſichtigt
und überprüft. — — f — —
Meisner, Chriſtian, Rechtsanwalt in Würzburg. Das
in Bayern geltende Nachbarrecht mit Be⸗
rückſichtigung des Berg⸗ und Waſſerrechts. 2. voll»
ſtändig umgearbeitete und vermehrte Auflage. XVI,
493 S. München und Berlin 1910, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 11.50.
Der Verfaſſer hat den in zahlreichen Reichs- und
Landesgeſetzen verſtreuten Rechtsſtoff mit Sorgfalt aus
ſammengetragen und mit voller wiſſenſchaftlicher Selb»
ſtändigkeit verarbeitet. Eine unendliche Menge kleiner
und großer Streitfragen iſt behandelt, was um ſo
dankenswerter iſt, als auf dem Gebiete des Nachbar—
rechts oberſtrichterliche Entſcheidungen weit ſeltener
ergehen als auf anderen; infolge der Novelle zur ZPO.
von 1909 werden auch die oberlandesgerichtlichen Urteile
noch ſpärlicher werden als bisher. Das Buch iſt ins—
beſondere für den Amtsrichter und für die Rechts—
anwälte an den kleineren Amts- und Landgerichtsſitzen
unentbehrlich, aber auch den höheren Gerichten und
168
dem ſtädtiſchen Anwalt wird es — befonders in
Rechtsſtreitigkeiten nach 88 904 ff. BB. und in den
oft recht mißlichen Kommunmauer⸗Prozeſſen u. dgl. —
gute Dienſte tun. — f — —
Weber, Bayeriſche Cemeindeordnung, 9. Auflage.
Herausgegeben von Carl Anguſt ven Sutuner, K. Re⸗
ce München 1911, C. H. Beckſche Verlags⸗
uchhandlung Oskar Beck. 367 S. Geb. Mk. 3.—.
Weber⸗Sutners überaus praktiſche Handausgabe
der Gemeindeordnung erfreut ſich allenthalben der
größten Beliebtheit und hat eine Anpreiſung füglich
nicht mehr nötig. Die nunmehr vorliegende 9. Auf⸗
lage hat die infolge der raſch ſchreitenden Geſetzgebung
(Gemeindewahlrecht, Gemeindeſteuern) erforderlichen
Ergänzungen und Berichtigungen erhalten, und auch
die Rechtſprechung des Verwaltungsgerichtshofes iſt
aufs ſorgfältigſte nachgetragen. F.
Jaſtrow, Hermann, Amtsgerichtsrat in Berlin, Jor⸗
mularbuch und Notariatsrecht. Im An⸗
ſchluß an das C. F. Koch'ſche Formularbuch. Fünf⸗
zehnte (nach dem BGB. fünfte) Auflage. I. und
II. Teil. XXIV, 546 S., XX, 648 S. Berlin 1910,
J. Buttentag, Verlagsbuchhandlung.
Die hohe Auflagenzahl zeigt zur Genüge die
Beliebtheit dieſes Buches. Auch in Bayern hat es
vielfach Eingang gefunden, obwohl es im weſentlichen
auf preußiſche Verhältniſſe zugeſchnitten iſt. Wenn es
erlaubt iſt, bei der Beſprechung eines ſo bedeutſamen
Buches einen Wunſch zu äußern, ſo möchte ich die
Aufmerkſamkeit des Verfaſſers darauf lenken, daß die
im Formularbuch abgedruckten Muſter nicht ganz frei
vom „Amtsdeutſch“ find. Ein Werk, das fo ſehr ver⸗
breitet iſt, würde ſich ein Verdienſt erwerben, wenn
es ſeine Leſer auch zu ſauberer und von Sprachfehlern
freier Faſſung der Urkunden anleiten würde. Die
Beiſpiele leiden häufig an der ſog. „Hauptwort⸗
krankheit“. „Die Erreichung des Zwecks ſoll erfolgen“,
ſtatt „Der Zweck ſoll erreicht werden“; „Eine Ab⸗
änderung der Satzungen kann nur durch einen Mehr⸗
heitsbeſchluß von zwei Dritteln .... erfolgen“, ftatt
„Die Satzungen kann nur ein Mehrheitsbeſchluß von
zwei Dritteln .... ändern“ uſw. Wir finden auch
zuweilen das von Wuſtmann mit Recht verpönte
„voll“ ſtatt „ganz“. Gefährlich ſcheint uns auch der
Ausdruck „die jetzt bereiteſte () Stelle“ zu fein (S. 73).
Es wird nicht ſchwer fallen, einen Sprachkenner zu
finden, der einmal alle Muſter prüft und umgeſtaltet.
von der Pfordten.
Steinbach, Dr. F., K. Bezirksamtsaſſeſſor in Roſenheim.
Gewerbeordnung für das Deutſche Reich
mit den Nebengeſetzen und den Ausführungsbe⸗
ſtimmungen für das Reich, für Preußen und Bayern.
Mit Erläuterungen und ausführlichem Sachregiſter.
XVIII, 1032 Seiten. München und Berlin 1910,
(Schweitzers [blaue] Textausgaben) J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Gebunden Mk. 4.50.
An Ausgaben der Gewerbeordnung iſt gerade
kein Mangel, dennoch wird ſich die neue Bearbeitung
von Steinbach neben den älteren Werken durchſetzen
können.
bieten aber das für den täglichen Gebrauch Notwendige.
Da die Nebengeſetze mitabgedruckt und die Vollzugs—
vorſchriften mit aller wünſchenswerten Vollſtändigkeit
berückſichtigt ſind, auch der Preis trotz des ziemlich
großen Umfangs des Buches mäßig iſt, eignet ſich das
auch vorzüglich für die Praxis.
— — — —
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 7.
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— — '' Ü—ꝙ—— — 4 ů—5— œ¶W. ¶ -V— — mn
Die Erläuterungen ſind kurz und gedrängt,
Könige, 8. Reichsgerichtsrat. Geſetz, über die
privaten Verſicherungsunternehmungen.
Vom 12. Mai 1901. Textausgabe mit Anmerkungen
und Sachregiſter. 2. Aufl., 592 S. Berlin 1910
J. Guttentag. ö
Daß dieſe Ausgabe die 2. Auflage erlebt hat,
obwohl das Privatverſicherungsgeſetz in zahlreichen
kleineren und größeren Ausgaben kommentiert worden
115 bürgt allein ſchon für ihre Gediegenheit und prak⸗
tiſche Brauchbarkeit.
Dr. Lothar v. Seuffert, o. ö. Profeſſor der Rechte in
München, K. Geheimem Rat, Kommentar zur
eee in der Faſſung der Be⸗
antmachung vom 20. Mai 1898 mit den Aende⸗
rungen der Novellen vom 5. Juni 1905, 1. Juni
1909 und 22. Mai 1910 nebſt den Einführungs⸗
geſetzen. Elfte, neubearbeitete Auflage. 10. (Schluß⸗)
Lieferung. München 1911. C. H. Beck'ſche Ver⸗
lagsbuchhandlung Oskar Beck.
it der 10. Lieferung vollendet, liegt der Kom⸗
mentar nun in zwei ſtattlichen Bänden von 753 und
899 Seiten vor uns, der erſte große Kommentar, der
den Rechtszuſtand auf Grund des Geſetzes vom 22. Mai
1910 allenthalben darſtellt. Beſonders ſorgfältig ſind
die Rechtsänderungen des Geſetzes vom 1. Juni 1909
allenthalben berückſichtigt und in ihrer praktiſchen
Ausgeſtaltung erörtert. Ich kann nur wiederholen,
daß ich den Seuffert um der beſſeren Ueberſichtlichkeit
willen für den täglichen Gebrauch dem Gaupp⸗Stein
vorziehe. Das Lob des Kommentars erſtreckt ſich auch
auf das Wort⸗ und Sachregiſter (S. 845—899).
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Notizen.
Die Einhebegebühren des gerichtlichen Diener: und
Botenperſenals. Nach der Vorſchrift im 8 97a Abſ. 2
Satz 1 des GKG. (Novelle vom 1. Juni 1909) können
Koſtenbeträge bis zu 20 M durch Poſtnachnahme ein⸗
gezogen werden. Nach Art. 39 des Geb. in der
Faſſung vom 13. Juli 1910 gilt dieſe Vorſchrift auch
für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
(vgl. den Abſchnitt III der Bek. vom 12. Auguſt 1910,
den Vollzug des GKG. und des Geb. betr., JIM Bl.
1910 S. 719/20). Die Nebeneinnahmen, die bisher
den Gerichtsboten und Gerichtsdienern durch die Er⸗
hebung von Gebühren bei der Einziehung von Ge⸗
richtskoſten zufloſſen (Ziffer 2 der Bek. vom 1. Juli
1884, die Mitwirkung der Gerichtsboten und Amts⸗
gerichtsdiener bei der Erhebung von Gerichtskoſten
betr., JM Bl. 1884 S. 122), find infolge dieſes neuen
Verfahrens bedeutend zurückgegangen. Dieſer Rüd-
gang hat Anlaß zu der Anordnung gegeben, daß die
ſog. Einhebegebühren vom 1. April 1911 an für die
Staatskaſſe eingezogen werden ſollen, wogegen die mit
der Koſtenerhebung befaßten Boten und Diener durch
eine neue Regelung ihrer Gehaltsbezüge entſchädigt
werden (Bek. vom 8. Februar 1911, IM Bl. 1911 S. 67,
68). Geändert werden infolgedeſſen auch die Formulare
zu dem allgemeinen Gebührenregiſter der Gerichts-
ſchreibereien, zum Gebührenregiſter bezüglich des
Grundbuchweſens und zum Einzugsregiſter für die
Geldſtrafen und Koſten in Strafſachen (ſ. JM Bl. 1910
S. 643 ff.).
2195
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 8.
München, den 15. April 1911.
7. Jahrg.
— — — —
— (no
Zeitfhrift für Rehlspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. Sandgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staatsminiſterium der Juſtiz.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats /.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N.
Poſtanſtalt. 8
Nachdruck verboten.
in Bayern
Zum Begriffe des „öffentlichen Elektrizitäts-
werks“ im Sinne der Novelle zum Zwangs⸗
abtretungsgeſetze vom 13. Auguſt 1910.
Von Juſtizrat Dr. Moritz Obermeyer, Rechtsanwalt
in München.
Die Novelle vom 13. Auguſt 1910 zum Zwangs⸗
abtretungsgeſetz vom 17. November 1837 hat,
abgeſehen von den Erweiterungen in den neuen
Ziffern 10 und 15 des Art. I des Geſetzes vom
17. November 1837, eine äußerſt bedeutungsvolle
Ausdehnung des Enteignungsrechts in der nun⸗
mehrigen Ziffer 16 des Geſetzes vom 17. Novem⸗
ber 1837 gebracht. Danach kann, wenn die
übrigen Vorausſetzungen des Art. I des Geſetzes
vom 17. November 1837 vorliegen, die Zwangs⸗
abtretung auch verlangt werden zur Errichtung
und Aenderung öffentlicher Elektrizitäts⸗
werke und ſonſtiger Anlagen zur Erzeugung
von Licht, Kraft oder Wärme mit Einſchluß der
dazu gehörigen Nebenanlagen, Reſerveanlagen und
Leitungen, dann zur Fortleitung der gewonnenen
Kraft aus den unter Art. 153 des Waſſergeſetzes
fallenden Anlagen.
Wie bekannt hatte das Waſſergeſetz vom
23. März 1907 in Art. 153 Ziff. 3 und 4 die
Zwangsenteignung nur für zuläſſig erklärt für
Unternehmungen des Staates und für
genoſſenſchaftliche Unternehmungen, zur
Benützung von Gewäſſern, insbeſondere zur Her:
ſtellung und zur Unterhaltung von Bewäſſerungs⸗
und Entwäſſerungsanlagen, Stau- und Trieb⸗
werksanlagen und Sammelbecken. Der urſprüngliche
Regierungsentwurf zum Waſſergeſetz hatte die
Zwangsenteignung nur für genoſſenſchaftliche Unter⸗
nehmungen dieſer Art vorgeſehen. Die Abgeord:
netenkammer hatte auch für ſtaatliche Unter⸗
Verlag von
2. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
München und Berlin.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
„/ Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die Haldgefpaltene Petltzelle
% oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
20 Pfo. Beilagen nach Uebereinkunft. a
169
eignungsrechtes auch für derartige Unternehmungen
von Gemeinden und Ortſchaften verlangt, in der
zweiten Leſung dieſen Zuſatz aber wieder geſtrichen.
Bei der Beratung des Geſetzes in der Kammer
der Reichsräte beantragte der Referent die Aus:
|
dehnung auf Gemeinden und Ortſchaften wieder
einzufügen; der Storreferent beantragte das Zwangs⸗
enteignungsrecht auch allen Privatunternehmungen
gemeinnütziger Natur zu verleihen, er bezog ſich
unter anderem auf einen Artikel „Waſſerrecht und
Zwangsenteignung“ in der Nummer der Allgemeinen
Zeitung vom 20. Februar 1907, dem ich nicht
ferne ſtehe; dieſer regte an die Ziffern 3 und 4
des Art. 153 des Waſſergeſetzes durch eine Be⸗
ſtimmung des Inhalts zu erſetzen, daß Zwangs⸗
enteignung gefordert werden könne „für Unter⸗
nehmungen zur Benützung von Gewäſſern, ins⸗
beſondere zur Herſtellung und Unterhaltung von
Bewäſſerungs⸗ und Entwäſſerungsanlagen, Stau:
und Triebwerksanlagen, Sammelbecken, wenn das
Unternehmen einem öffentlichen Bedürfnis entſpricht,
ferner wenn es einen erheblichen Nutzen für die
Landeskultur einſchließlich der Teichwirtſchaft oder
für die Induſtrie mit hoher Wahrſcheinlichkeit
erwarten läßt“. a
Für dieſe Ausdehnung des Enteignungsrechtes
wurde vornehmlich geltend gemacht, daß der Kreis
der Unternehmungen von Genoſſenſchaften der in
Rede ſtehenden Art vorausſichtlich ſehr beſchränkt
ſein werde, ſchon wegen des dinglichen Charakters
diefer Genoſſenſchaften; daß faft alle modernen
Geſetze die in Rede ſtehende Ausdehnung des
Enteignungsrechts kennen, beiſpielsweiſe das Züricher
Geſetz betreffend Korrektion, Unterhaltung und
Benützung von Gewäſſern vom 15. Dezember 1901
8 30; daß nur durch ſolche Ausdehnung des Ent:
eignungsrechts die Durchführbarkeit großer wirt⸗
ſchaftlicher Unternehmungen gewährleiſtet werde,
nehmungen dieſer Art das Recht eingeführt in der die im Intereſſe des Landes gelegen ſei. Durch die
Erwägung, daß der Staat dadurch die Macht⸗
befugnis gewinnen ſolle, auch über Privatflüſſe
verfügen zu können. In der erſten Leſung hatte
die Abgeordnetenkammer die Ausdehnung des Ent:
geſetzlichen Vorſchriften, wonach das Unternehmen
vom gemeinen Nutzen gefordert werden müſſe,
ferner eine Vorprüfung durch das Staatsminiſterium
des Innern und ſodann die endgültige Entſcheidung
über die Vorausſetzungen des Enteignungsrechts
durch die Kreisregierung und den Verwaltungs⸗
gerichtshof zu erfolgen habe, ſei genügender Schutz
gegen Mißbrauch geſchaffen. Referent und Kor⸗
referent der Reichsratskammer zogen ihren Antrag
jedoch zurück mit Hinblick darauf, daß die k. Staats⸗
regierung erklärte, es werde bald eine Novelle
zum Zwangsabtretungsgeſetz vorgelegt werden.
Dieſe Novelle iſt die vom 13. Auguſt 1910.
Sie iſt wiederum nur ein Vorläufer des kommen⸗
den neuen Enteignungsgeſetzes, der zunächſt den
dringendſten Bedürfniſſen abhelfen ſoll, insbe⸗
ſondere mit Hinblick auf die zahlreichen im Laufe
befindlichen Projekte der Errichtung von Ueber⸗
landzentralen.
Für das kommende neue Enteignungsgeſetz
kann nur mit aller Entſchiedenheit der Wunſch
wiederholt werden, daß das Enteignungsrecht aus⸗
gedehnt werde auf alle auch von Geſellſchaften und
Privaten beabſichtigten Unternehmungen zur Be⸗
nützung von Gewäſſern, insbeſondere zur Herſtellung
und Unterhaltung von Stau: und Triebwerks⸗
anlagen, Sammelbecken u. dgl.; ferner für alle
auch von Geſellſchaften und Privaten beabſichtigten
Unternehmungen auf Errichtung und Aenderung
von Elektrizitäͤtswerken und ſonſtigen Anlagen der
in Art. 16 des nunmehr geltenden Zwangs⸗
abtretungsgeſetzes bezeichneten Art, wenn ſie einem
gemeinnützigen Bedürfnis entſprechen.
Außer den volkswirtſchaftlichen und waſſer⸗
wirtſchaftlichen Erwägungen, die dafür geltend zu
machen ſind, dürfte dafür auch der Umſtand
ſprechen, daß der durch die Novelle vom 13. Auguſt
1 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
— —
— — — — — — —ä— — —
ſamtorganismus des öffentlichen Ber-
bandes eingegliedert wird und die wirk⸗
liche Erreichung des angeſtrebten öffent⸗
lichen Zweckes ſichergeſtellt tif. Dieſe
organiſche Sicherung der Beſtimmung eines
Werkes für öffentliche Zwecke kann zunächſt dadurch
erfolgen, daß ein öffentlicher Verband das Werk ſelbſt
ausführt oder als Mitunternehmer ſich an der Errich⸗
tung des Werkes beteiligt. Sie kann aber auch ſchon
dadurch geſchehen, daß ein öffentlicher
Verband durch einen förmlichen Vertrag
das Werk für einen öffentlichen Zweck
beſtimmt. Die letztere Möglichkeit mußte deshalb
offen gelaſſen werden, weil zahlreiche Gemeinden das
Riſiko der finanziellen Beteiligung an einem Werke
nicht übernehmen können, aber doch die Vorteile eines
ſolchen Werkes, insbeſondere von Ueberlandzentralen
ſich nutzbar machen wollen. ö
Für den Begriff des öffentlichen Elektrizitäts⸗
werkes iſt es demnach gleichgültig, ob das Werk von
einem öffentlichen Verband oder unter Beteiligung eines
öffentlichen Verbandes errichtet wurde, oder ob es von
einem privaten Unternehmer zunächſt für private Zwecke
errichtet wurde. Entſcheidend ſowohl für die Zuläſſig⸗
keit der Enteignung, wie auch für deren Umfang iſt
ſtets die öffentliche Zweckbeſtimmung und deren Siche⸗
rung durch einen öffentlichen Verband. Das Erfordernis,
daß das Werk zu einem öffentlichen Zweck beſtimmt ſein
muß, ſchließt es aus, daß eine Gemeinde veranlaßt wird,
nur des Scheines halber — das könnte ja auch vor⸗
kommen — ſich mit einem geringen Betrage an einem
Elektrizitätswerk zu beteiligen, um dem Werke die Ent⸗
eignungsbefugnis zu ſichern; denn auch in ſolchen
Fällen, in denen ein öffentlicher Verband ſich an der
Errichtung eines ſolchen Werkes beteiligt oder das Werk
ſelbſt errichtet, iſt, wie geſagt, die Enteignung davon
abhängig, daß das Werk zu einem öffentlichen Zweck
beſtimmt iſt.
Ob ein öffentlicher Zweck vorliegt und das Werk
Vu einem ſolchen beſtimmt iſt, läßt ſich natürlich bei der
1910 und durch Ziff. 16 des Zwangsabtretungs⸗
geſetzes geſchaffene Begriff der öffentlichen Elek⸗
trizitätswerke für die Rechtsanwendung nach meiner
Meinung zu erheblichen Schwierigkeiten zu führen
geeignet iſt.
Die Motive zum Entwurf der Novelle vom
13. Auguſt 1910 bezeichnen als „öffentliche Elek⸗
trizitätswerke“ ſolche Werke, „die von einem öffent⸗
lichen Verband oder unter Beteiligung eines
ſolchen errichtet werden oder von einem ſolchen in
einem erheblichen Umfange für öffentliche Zwecke
beſtimmt ſind.“ Der Staatsminiſter des Innern
hat in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten
vom 30. Juni 1910 dieſen Satz näher wie folgt
erläutert:
„Ein öffentliches Werk im Sinne des Geſetzes
liegt dann vor, wenn das Werk dazu beſtimmt iſt
öffentlichen Zwecken zu dienen, und dieſe Zweckbeſtim—
mung organiſch geſichert iſt. Das Werk muß alſo er:
ſtens dazu beſtimmt ſein die Oeffentlichkeit, zum Bei—
ſpiel öffentliche Straßen, öffentliche Gebäude, öffentliche
Unternehmungen oder die Bewohner einer Ortſchaft,
mit Licht, Kraft oder Wärme zu verſorgen. Zweitens
Zweck nicht etwa nur die
muß die Zweckbeſtimmung durch die zuſtändigen Or- |
die Enteignung ausgeſchloſſen, da dies mit Art. 1 des
gane eines öffentlichen Verbandes, alſo des Staates,
einer Gemeinde, eines Diſtrikts oder Kreiſes, gewähr-
leiſtet ſein, jo daß das Werk gewiſſermaßen
als eine der Erfüllung öffentlicher Auf⸗
gaben dienende Einrichtung dem Ge—
Verſchiedenartigkeit der Verhältniſſe nicht allgemein,
ſondern nur von Fall zu Fall beſtimmen.
Ich möchte nur hervorheben, daß als öffentlicher
Beleuchtung öffentlicher
Straßen und Gebäude in Betracht kommt; als öffent⸗
licher Zweck kommt vielmehr jede Form der Ausnützung
der Elektrizität als Licht⸗, Kraft⸗ oder Wärmequelle in
Betracht. Unter den Begriff eines öffentlichen Zwecks
wird zum Beiſpiel auch fallen, wenn eine Gemeinde die
Verſorgung des Kleingewerbes oder der Landwirtſchaft
oder der Einwohner überhaupt mit elektriſcher Kraft ſich
zur Aufgabe ſetzt.
Dient ein Werk nach feiner Beſtimmung öffent:
lichen Zwecken, ſo bleibt es ein öffentliches Werk, auch
wenn es nebenbei für private Zwecke Elektrizität ab:
gibt. Umgekehrt wird ein für private Erwerbszwecke
errichtetes Werk nicht ohne weiteres deshalb ein öffent⸗
liches, weil es auch öffentliche Straßen und öffentliche
Gebäude mit Licht verſieht. Selbſt wenn ein privaten
Erwerbszwecken dienendes Werk durch einen förmlichen
Vertrag ſeitens eines öffentlichen Verbandes zur Liefe⸗
rung von Licht, Kraft oder Wärme für öffentliche Zwecke
des Verbandes ausdrücklich beſtimmt wird, erhält das
Werk doch nur inſoweit die Eigenſchaft eines öffent⸗
lichen Werkes im Sinne des Entwurfes, als es eben
dieſen öffentlichen Zwecken dient. Demnach kann auch
die Enteignung nur inſoweit in Anſpruch genommen
werden, als ſie notwendig iſt, um dieſe öffentlichen
Zwecke zu erfüllen. Für andere, private Zwecke bleibt
Zwangsabtretungsgeſetzes in Widerſpruch ſtehen würde.“
Geht man von dieſen Erläuterungen aus, ſo
iſt zunächſt folgendes klar:
171
— —— nn — —
a) Der Begriff des öffentlichen Elek⸗
trizitätswerkes iſt zweifellos dann gegeben,
wenn ein öffentlicher Verband (Kreis, Diſtrikt,
Gemeinde) das Werk ſelbſt aufführt oder als
Mitunternehmer, ſei es nun durch Beteiligung
bei einer Aktiengeſellſchaft oder einer Geſellſchaft
mit beſchränkter Haftung oder durch Konſortial⸗
beteiligung bei einer offenen Handelsgeſellſchaft,
einer Kommanditgeſellſchaft oder einer Geſellſchaft
des bürgerlichen Rechts ſich an der Errichtung
des Werks beteiligt. Der Beteiligung an der Er⸗
richtung dieſes Werks dürfte gleich ſtehen der Fall,
daß urſprünglich das Unternehmen nur von einem
Privaten oder einer privaten Erwerbsgeſellſchaft
errichtet wurde und nachträglich ein öffentlicher
Verband ſich beteiligt.
Die Beteiligung allein wird aber nicht ge⸗
nügen, um ſo weniger als beiſpielsweiſe, wenn die
Beteiligung an einer Aktiengeſellſchaft durch Zeich⸗
nung von Inhaberaktien erfolgt, ſolche bekanntlich
leicht übertragbar ſind, es wird die Vorausſetzung
hinzukommen müſſen, daß das Werk entweder aus⸗
ſchließlich oder doch in erheblichem Umfang dazu
beſtimmt iſt für öffentliche Zwecke zu dienen.
b) Anderſeits genügt nicht, wenn der öffent⸗
liche Verband fi) an dem von einer Privatgeſell⸗
ſchaft oder einem Privaten errichteten Elektrizitäts⸗
werk nur durch ein zu einer beſtimmten Zeit rück⸗
zahlbares oder kündbares Darlehen (etwa an aus⸗
gegebenen Schuldverſchreibungen) beteiligt, wenn
nicht daneben die unter d zu erörternden anderen
Vorausſetzungen des Begriffs der öffentlichen
Elektrizitätswerke gegeben find.
c) Ebenſo iſt zweifellos, daß ein reines Privat⸗
unternehmen, das gegründet iſt um den Unter⸗
nehmern Gewinn zu bringen, nicht durch die Tat⸗
ſache allein zum öfenttichen Elektrizitätswerke wird,
daß es wie an Private, jo vertragsmaͤßig auch
an Gemeinden zur Straßenbeleuchtung Elektrizität
abgibt und dadurch den Gemeinden die Anlage
eigener Werke erſpart (vgl. Kommentar von Henle
zum Zwangsabtretungsgeſetz 2. Aufl. S. 83).
d) Nach den Aeußerungen des Herrn Staats⸗
miniſters des Innern ſoll ein öffentliches
Elektrizitätswerk im Sinne des Gefetzes
aber auch dann vorliegen, wenn der öffentliche
Verband das Werk nicht ſelbſt ausführt und ſich
|
ö
|
|
„
|
auch nicht als Mitunternehmer an dem Werk be:
teiligt, wenn nur ein öffentlicher Verband
durch einen förmlichen Vertrag das
Werk für feine öffentlichen Zwecke be—
ſtimmt hat und dadurch das Werk als eine der
Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienende Einrich—
tung dem Geſamtorganismus des öffentlichen Ver:
bandes eingegliedert wird und die wirkliche Er:
reichung des angeſtrebten öffentlichen Zweckes ge:
ſichert iſt.
Dieſe Ausdehnung des Begriffs des öffent—
lichen Elektrizitätswerkes auf die Fälle, in denen
Private die alleinigen Unternehmer ſind, dieſe
— —
Unternehmer aber mit öffentlichen Verbänden Ver⸗
träge abgeſchloſſen haben und durch dieſe Verträge
die erwähnten Kriterien gewährleiſtet find, wird in
der Rechtsanwendung m. E. zu den größten
Schwierigkeiten führen. Und dieſe Schwierigkeiten
werden es mit ſich bringen, daß dieſe Ausdehnung
praktiſch keine größere Bedeutung gewinnt.
Hierbei iſt noch in Betracht zu ziehen, daß
nach der gleichen Aeußerung des Herrn Staats⸗
miniſters des Innern, dann, wenn ein privaten
Erwerbszwecken dienendes Werk durch einen förm⸗
lichen Vertrag von einem öffentlichen Verbande
zur Lieferung von Elektrizität für öffentliche Zwecke
des Verbandes ausdrücklich beſtimmt wird, das
Werk doch nur inſoweit die Eigenſchaft eines
öffentlichen Werkes erhält, als es eben dieſen
öffentlichen Zwecken dient.
Die vom Herrn Staatsminiſter des Innern
verlangten Merkmale ſind, wie auch der Kom⸗
mentar von Henle anzunehmen ſcheint, zweifellos
dann noch nicht gegeben, wenn das private Elek⸗
trizitätswerk mit einem öffentlichen Verband einen
Vertrag abſchließt, durch welchen es ſich ver⸗
pflichtet dieſem öffentlichen Verband für öffentliche
Zwecke Elektrizität zu liefern. Dann iſt noch nicht
die von der Staatsregierung verlangte Eingliede⸗
rung in den Geſamtorganismus des öffentlichen
Verbandes gegeben. Sie iſt alſo insbeſondere
nicht gegeben und das Enteignungsrecht ſteht da⸗
her m. E. nicht zu, wenn das private Elektri⸗
zitätswerk mit einem öffentlichen Verband, einer
Gemeinde u. dgl. einen Vertrag geſchloſſen hat,
wie ſolche die Regel bilden, wonach auf eine ge⸗
wiſſe Zeitdauer von Jahren die Lieferung und der
Bezug elektriſchen Stromes für öffentliche Zwecke
vereinbart wird.
Hierbei kann es keinen Unterſchied machen, ob
der Zeitraum ein kürzerer, etwa 10 Jahre, oder
ein längerer, beiſpielsweiſe 40 oder 50 Jahre, iſt.
Der Ausdehnung des Enteignungsrechts auf ſolche
Fälle ſteht insbeſondere die Erwägung entgegen,
daß mit Ablauf der vereinbarten Vertragszeit das
Unternehmen den öffentlichen Zwecken gar nicht
mehr dienen würde und ſomit, wenn man ihm
gleichwohl das Enteignungsrecht einräumen würde,
tatſächlich die Enteignung für eine bloß vorüber⸗
gehende Erfüllung öffentlicher Zwecke, im übrigen
aber, alſo auf die Dauer, weſentlich für private
Zwecke zuſtehen würde. Fragt man nun, in wel⸗
chen Fällen durch einen förmlichen Vertrag ein
von Privaten errichtetes Elektrizitaͤtswerk in der
Weiſe für einen öffentlichen Zweck beſtimmt ſei,
daß es als eine der Erfüllung öffentlicher Auf—
gaben dienende Einrichtung dem Geſamtorga—
nismus des öffentlichen Verbandes eingegliedert
ſei, ſo ſind das m. E. folgende Fälle:
1. Erſtens der Fall, daß durch förmlichen
Vertrag für ewige Zeiten die Lieferung elektriſchen
Stromes an einen öffentlichen Verband für öffent—
liche Zwecke von einem privaten Werk übernommen
172 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
—— un — = =. —
wurde. Dieſer Fall wird praktiſch nicht leicht
vorkommen, um ſo weniger als in einer ſolchen für
zentrale, die es mit mehreren öffentlichen Verbänden
zu tun hat, denen ſie Strom liefert, die hier
immer von einem privaten Unternehmer über⸗
nommenen Verpflichtung der öffentliche Verband
keine genügende Sicherung deshalb erblicken kann,
weil die Verpflichtung zur Lieferung elektriſchen
I
3
angeführten Vorausſetzungen nicht leicht gegeben
ſein werden (abgeſehen von dem bei Konzeſſionierung
der Wafferbenägung zum Zwecke des Elektrizitäts⸗
Stromes aus einem Elektrizitätswerk nicht als
dingliches Recht, ſei es als Reallaſt, fei es als
Dienſtbarkeit, konſtituiert werden kann, da die
geſetzlichen Begriffsmerkmale beider Rechtsinſtitute
dafür nicht vorliegen.
2. Dann der Fall, der meines Erachtens der
einzige in der Praxis häufiger vorkommende An⸗
wendungsfall ſein wird, daß das private Werk
und der öffentliche Verband durch förmlichen Ver⸗
trag die Verpflichtung zur Lieferung und zum
Bezug elektriſchen Stromes nur für beſtimmte
Zeit übernehmen, gleichzeitig aber für die Zeit
der Beendigung des Vertragsverhältniſſes der
Uebergang des Elektrizitätswerkes auf den öffent⸗
lichen Verband durch ſchon von vorneherein ge:
. . ——ͤ—ñ 5
werkes nur bei öffentlichen Flüſſen und Staats⸗
privatflüſſen bedingbaren Heimfall des Unter⸗
nehmens an den Staat nach Ablauf der Konzeſſions⸗
dauer), es müßte denn der eine oder andere der
mehreren öffentlichen Verbände in ſeiner wirtſchaft⸗
lichen Kraft und ſeinem wirtſchaftlichen Bedürfnis
ſo überwiegend ſein, daß er ſich das Recht ein⸗
räumen läßt und die Pflicht übernimmt, nach
Ablauf der zunaͤchſt normierten Vertragszeit das
Elektrizitätswerk zu übernehmen.
Ich bin daher der Anſicht, daß die Anwendung
der neuen Beſtimmung der Ziff. 16 des Art. 1
des Zwangsabtretungsgeſetzes auf von Privaten
oder Privatgeſellſchaften errichtete Ueberland⸗
zentralen, bei welchen ſich nicht von vorneherein
öffentliche Verbände beteiligen, nur in ſehr be⸗
troffene Abmachungen bedungen wird. Es wird ſchränktem Maße zuläͤſſig ſein wird.
nicht genügen, daß nur das Recht des öffentlichen
Verbandes auf Uebernahme des privaten Elektrizi: rung der Einrichtung in den Geſamtorganismus
tätswerkes nach Ablauf der Vertragszeit bedungen
wird; denn, wenn dann in ſolchem Falle die Ge⸗
meinde das Recht auf Uebernahme nicht ausübt
und etwa an Stelle der Ausübung dieſes Rechts
1
ſelbſt ein neues Elektrizitätswerk erbaut, hätte das
private Werk die Enteignung ausgeübt für einen
Zweck, der nur eine gewiſſe kürzere oder längere
Zeit öffentlichen Bedürfniſſen dient, nach Ablauf
dieſer Zeit aber ausſchließlich privaten Zwecken
dienen würde und nach Ablauf dieſer Zeit gerade
infolge der Ausübung von Enteignungsrechten die
beabſichtigte Errichtung eines ausſchließlich öffent:
lichen Werkes durch einen öffentlichen Verband
behindern würde. Es iſt ſohin notwendig, daß
nicht bloß Recht ſondern auch Pflicht des öffent⸗
lichen Verbandes zur Uebernahme des Elektrizitäts-
werkes nach Ablauf der Vertragszeit bedungen
werden und dieſe Möglichkeit wird dann nicht
gegeben fein, wenn die Lieferung des elektriſchen
Stromes für öffentliche Zwecke eines öffentlichen
Verbandes nicht der überwiegend vorwiegende
Hauptbeſtandteil des privaten Unternehmens iſt.
Der von vorneherein bedungenen Berechtigung
und Verpflichtung des öffentlichen Verbandes zur
Uebernahme des privaten Elektrizitätswerkes würde
der in den Konzeſſionsbedingungen bedungene
Heimfall des Elektrizitätswerkes an den Staat
nach Ablauf einer gewiſſen Zeit gleichſtehen.
Wenn man nun dieſes Ergebnis anwendet
auf den Fall der Schaffung von Ueberland—
zentralen, die von Privaten errichtet werden
und außer privaten Erwerbszwecken auch öffent—
lichen Zwecken dadurch dienen, daß ſie öffentlichen
Verbänden für öffentliche Zwecke elektriſche Kraft
liefern, ſo ergibt ſich, daß bei einer von einer
privaten Unternehmung errichteten Ueberland—
Man könnte daran denken, daß die Eingliede⸗
des öffentlichen Verbands durch förmlichen Vertrag
ſchon dann gegeben wäre, wenn die Verpflichtung
zur Lieferung und zum Bezug elektriſchen Stromes
durch den Privaten an den öffentlichen Verband
auf eine außerordentlich lange Zeit, ſagen wir
100 Jahre, übernommen wird.
Abgeſehen davon, daß dann, wenn man grund⸗
ſätzlich eine ſolche Eingliederung in der Tatſache
des Abſchluſſes eines Vertrags auf eine beſtimmte
Zeit nicht findet, es willkürlich iſt, eine gewiſſe
größere Reihe von Jahren der ſtändigen Widmung
gleichzuſetzen, kommt in Betracht, daß es vom
Standpunkte eines öffentlichen Verbandes aus nicht
zweckmäßig iſt, auf ſolche außerordentlich lange
Zeit Verträge mit Privatunternehmungen zu
ſchließen. Auch der von vorneherein erfolgenden
Feſtſetzung von Recht und Pflicht zur Uebernahme
des Elektrizitätswerks, die ohnehin nur dann gang⸗
bar iſt, wenn das Privatwerk ausſchließlich oder
doch vorwiegend nur mit einem öffentlichen
Verband Verträge abſchließt, ſteht noch die Er⸗
wägung entgegen, daß nicht abzuſehen iſt, welche
derzeit gar nicht vorherſehbare Aenderungen in
der Technik in ferner Zeit eintreten werden.
Bei den von Privaten errichteten Ueberland—
zentralen, die mehreren öffentlichen Verbänden
neben der Erfüllung privater Zwecke elektriſchen
Strom liefern, könnte man daran denken, Recht
und Pflicht zur Uebernahme nach Ablauf der Ver—
tragszeit dem jeweils größeren Verband einzu—
räumen und zu überbürden, dem die vertrags—
ſchließenden Verbände untergeordnet ſind, ſo dem
Kreis oder dem Staat. Das dürfte aber deshalb
nicht angängig ſein, weil es bedenklich iſt den
Kreiſen oder dem Staat für eine ferne Zukunft
ſolche Verpflichtungen zu überbürden.
— —— —ö—ñAUww ͤ ¶Nͤ nn
Eine weitere Schwierigkeit für die Rechtsan⸗
wendung bietet der Fall, daß ein privaten Er⸗
werbszwecken dienendes Werk zwar durch einen
förmlichen Vertrag im Sinne der vorſtehenden
Ausführungen von einem öffentlichen Verbande
zur Lieferung von elektriſchem Strom beſtimmt
wird, die Lieferung elektriſchen Stromes an den
öffentlichen Verband aber nur einen Teil des
Unternehmens darſtellt. |
Der Herr Staatsminiſter des Innern hat ſich
für dieſen Fall dahin geäußert, daß das Werk
dann nur inſoweit die Eigenſchaft eines öffentlichen
Werks im Sinne des Geſetzes habe, als es eben
dieſem öffentlichen Zweck diene, und daß die Ent⸗
eignung auch nur inſoweit in Anſpruch genommen
werden könne, als ſie notwendig iſt, um dieſen
öffentlichen Zweck zu erfüllen, während für die
anderen privaten Zwecke die Enteignung ausge⸗
ſchloſſen ſein ſolle.
ſprünglich nur für private Zwecke errichtet wurde,
nachträglich aber auch die Lieferung elektriſchen
Stromes für öffentliche Zwecke an einen öffent⸗
lichen Verband in einer ſonſt den Vorſchriften
des Geſetzes Genüge tuenden Weiſe übernimmt,
nur erfüllen könnte, wenn es das Enteignungsrecht
erwirbt, beiſpielsweiſe das Werk ſich nur dadurch
das erforderliche Mehrwaſſerquantum oder Mehr⸗
gefälle behufs Erweiterung ſeines Waſſerwerkes
verſchaffen könnte, ſoll dann das Enteignungs⸗
recht gegeben ſein?
Würde das Werk von Anfang an außer ſeinen
Privatzwecken die öffentlichen Zwecke übernommen
haben, fo hätte es zweifellos das Enteignungs—
recht nur für diejenige zuerſt zu berechnende
Waſſerkraft gehabt, welche zur Erfüllung der
öffentlichen Zwecke ausreicht und nicht für das
Plus, welches für die Privatzwecke erforderlich
war. Soll ſich die Sache dadurch umkehren, daß
die öffentlichen Zwecke erſt nachträglich hinzutreten,
ſo daß zur Bemeſſung des für öffentliche Zwecke
vorhandenen Bedürfniſſes praktiſch nicht von der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
Wenn ein ſolches Werk ur⸗
zuerſt und vorweg erfolgenden Erfüllung der
öffentlichen Zwecke ausgegangen würde, vielmehr
die Enteignung gewährt würde für das Plus
an Bedarf, welches durch die nachträglich Hinzu:
tretende Widmung eines Teils des Unternehmens
für öffentliche Zwecke ſich ergibt? Ich glaube, daß
die Frage zu verneinen iſt. |
Ihre Bejahung würde dazu führen, daß auf
einem Umweg praktiſch dem privaten Werk das
Enteignungsrecht für ſeinen geſamten Bedarf für
private und öffentliche Zwecke zuſammengenommen
zuſtehen würde, und das verſtößt gegen die Natur
der Sache und die ausdrückliche Erklärung des
Staatsminiſters des Innern.
dieſe nachträglich übernommene Verpflichtung aber anſchauungen verſchieden betätigen müſſen.
3 an
Die Rehtsmoral.
Von Profeſſor Dr. Hand Albrecht Fiſcher in Gießen.
(Schluß).
2. Außer daß die „guten Sitten“ nur leicht
zu erfüllende moraliſche Mindeſtforderungen auf⸗
ſtellen, haben ſie noch ein äußerliches und
generaliſierendes Element von Recht. Nicht
die Einzelmoral, zu welcher ſich das Individuum im
praktiſchen Lebenskampfe durchgerungen hat, nicht
die laxere oder verfeinerte Moral eines Standes,
ſondern die Volksmoral iſt es, was wir in
den „guten Sitten“ finden. Alſo, wie noch ein⸗
mal betont werden ſoll: keine Klaſſen⸗ und
Standesmoral! Welche großen Geſahren
unſerer ganzen Staatsordnung drohen, wenn die
98 138, 826 BGB. ſozialpolitiſch im Klaſſen⸗
kampf mißbraucht werden, hat erſt kürzlich Oert⸗
mann?) in verdienſtvoller Weile hervorgehoben.
Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß ſich bei dem großen
Reichtum an ſozialen Klaſſen und verſchiedenen
Berufsſtänden, welche unſere moderne Geſellſchafts⸗
ordnung beſitzt, dieſelben moraliſchen .
ie
unſer Privatrecht, gerade weil es generaliſierend
von einer im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
ſpricht, die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes,
Frachtführers, Rheders, Schiffers, Verfrachters
kennt (HGB. 88 437, 429, 497, 511, 606, 653
Abſ. 2), jo wird ſich auch die Rechtsmoral im
kaufmänniſchen Verkehr und im ärztlichen Berufe
generell verſchieden äußern. Das iſt nicht ge⸗
meint, wenn wir hier gegen Standesmoral Stel⸗
lung nehmen. Ein Verbrechen im Amte (StrGB.
989 331 ff.) kann eben nur ein Beamter begehen
und doch verletzt die Tat die Allgemeinheit und
wird als Delikt nicht nur von der betreffenden
Beamtenkategorie oder in dem iſolierten Verhält⸗
nis zwiſchen Beamten und der anſtellenden öffent:
lichen Körperſchaft, ſondern von allen Rechts⸗
genoſſen empfunden. Anders ſteht es mit den
Verfehlungen, welche nur das Disziplinarverfahren
gegen den Beamten hervorrufen oder die Aerzte⸗
und Anwaltskammer und die Ehrengerichtshöfe
dieſer beiden Stände beſchäftigen, weil gegen die
Standesehre verſtoßen wurde. Aber dann iſt es
auch verfehlt, wenn es in den vielberufenen Ent⸗
ſcheidungen des Reichsgerichts über die Nich⸗
tigkeit der Konkurrenzklauſeln unter (Zahn-) Aerzten
und über die Nichtigkeit des Verkaufs einer (zahn:)
ärztlichen Praxis (RG. Bd. 66 S. 139 ff. und
143 ff.) heißt, ſolche Abmachungen verſtießen gegen
das Anſtandsgefühl aller billig und gerecht Den⸗
kenden, weil die beiden Ehrengerichtshöfe der
Anwälte und Aerzte in konſtanter Praxis ſolche
Abmachungen verdammt hätten. Ich habe die
1) Oertmann, „Gute Sitten und Sozialpolitik“
in der deutſchen Juriſtenzeitung vom 15. März 1911
Sp. 435 ff.
beiden Entſcheidungen eingehend in meiner Rechts⸗
widrigkeit S. 82— 87 beſprochen und dem dort
Bemerkten nichts hinzuzufügen. Es ſcheint aber,
als wenn in neueſter Zeit das Reichsgericht
zwar nicht prinzipiell aber doch in Einzelfällen
von dem im 66. Bande eingenommenen Stand⸗
punkt zurückkommt. Hier ſoll der eine prinzipielle
Gedanke noch etwas weiter geſponnen werden:
Die Rechtsmoral oder die guten Sitten ſind Be⸗
ſtandteil der allgemeinen Rechtsordnung. Dis⸗
ziplinarvorſchriften als Standesrecht find not⸗
wendig, weil ſie von der allgemeinen Rechtsord⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
\
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22. MKK. ̃ ̃ — — — a Se
liches Verhalten des einen Ehegatten feſtgeſtellt
werden, es muß dann geprüft werden, ob nach
ſeiner Individualität, dem anderen, dem
klagenden Ehegatten die Fortſetzung der Ehe eine
unerträgliche Laſt ſein würde (RG. in JurW.
1905 S. 393 ff., 469, 693 ff., Gruch. Beitr.
Bd. 50 S. 681 ff.). Es muß nun verlangt
werden, daß das objektive Moment für alle
Stände nach gleichem Maße gemeſſen wird.
Nach einer Entſcheidung des Reichsgerichts
vom 30. April 1908 (Warneyer Ergänzungs⸗
band 1908 S. 421) war die Verurteilung eines
nung niemals getroffen werden können. Disziplinar⸗
ſtahls für genügend erklärt zur Anwendung des
vorſchriften gelten nicht nur für öffentliche Beamte,
ſondern find begrifflich auch für gewerbetreibende
Stände möglich. Laband ſpricht in feinem
Staatsrecht des Deutſchen Reichs (4. Aufl. 1901)
Bd. III S. 435 davon, daß die innerhalb eines
Oberlandesgerichtsbezirkes oder beim Reichsgericht
zugelaſſenen Anwälte zu „gewerblichen Innungen“
vereinigt ſeien. „Die Handhabung der Disziplinar⸗
gewalt iſt den Vorſtänden der Anwaltskammern
übertragen, wie ja auch bei anderen Gewerbe⸗
treibenden die Innungsvorſtände eine bisweilen
weitreichende Disziplinargewalt haben“ .....
(S. 436). Solche „Innungs“ verbände (wenn
man das Wort brauchen will) würden auch die
Aerztekammern bilden. Es muß nun der berech⸗
tigte Ehrgeiz der leitenden Kreiſe jedes Standes
ſein, dieſen Stand und ſeine Standesmoral mög:
lichſt zu heben: ſo werden alſo Aerzte- und An⸗
waltskammern gerade daran arbeiten ihren Be⸗
rufen den Charakter des „Gewerbes“ im gewöhn⸗
lichen Sinne möglichſt zu nehmen. Aber die
Hilfe der allgemeinen Rechtsordnung dürfen
ſie für dieſe reinen Standesbeſtrebungen nicht in
Anſpruch nehmen. Derſelbe Gedanke nach Berüd:
Ehegatten zu einer Woche Gefängnis wegen Dieb⸗
98 1568; ſubjektiv mag das im Entſcheidungsfalle
ſicherlich ſo geweſen ſein, aber auch objektiv? Will
—— l. — —— — —
ſichtigung von Standesauffaſſung, Standesehre
und Standesmoral meldet ſich auch im Familien—
recht ($ 1568), er muß auch hier zurückgewieſen
werden. Vor der Mißdeutung, daß ich die Men⸗
ſchen in höheren Ständen für beſſer hielte als
in den unteren, bin ich wohl ſicher. Aber es iſt
nun einmal ſo: daß die Stände, welchen der
man dies objektive Moment für alle Arbeiter⸗
ehen gelten laſſen? — Die höheren Stände müſſen
hier ein Opfer bringen: ein Volk, ein Recht,
eine Rechtsmoral. Wenn jeder Stand nach eigener
Standesehre und nach eigenem Gutenſittenbegriff
vom Richter behandelt werden will, dann hält die
Volksgemeinſchaft nicht, dann wird das viel miß⸗
brauchte Wort von der „Klaſſenjuſtiz“ wahr.
Glaubt ein Stand höhere geſellſchaftliche Moral,
als in der Mehrheit des Volkes lebt, praktiſch
pflegen zu können, um ſo beſſer. Dann ſoll dieſer
Stand aber Selbſthilfe und Selbſtzucht üben; es
iſt ſchon kein gutes Zeichen, wenn er die all⸗
gemeine Rechtspflege zu Hilfe rufen will und,
wie gezeigt, ein gefährliches Mittel.
Die Grundlehren der reinen Moral und Ethik
erheiſchen nach unſerer Anſchauung Allgemein⸗
gültigkeit, ſie ſind von Zeit und Ort unabhängig.
Die guten Sitten als Volksmoral tragen beide
Schranken in ſich. Sie find einmal ftreng na⸗
tional: Art. 30 EGzBGB. faßt daher die Mög:
lichkeit ins Auge, daß die Anwendung eines aus⸗
ländiſchen Geſetzes wider die guten Sitten des
Deutſchen Reichs verſtößt. Der umgekehrte Fall
iſt natürlich ebenſo gut möglich. Die guten Sitten
ſind zum andern auch der Zeitſchranke unter⸗
brutale Kampf um die einfachſten Exiſtenzmittel
erſpart bleibt, welche in höherer Bildung und
ökonomiſch geſicherter Poſition dahinleben, infolge
einer Verfeinerung der Sitte und Sittlichkeit auch
im Eheleben gewiſſe Verſtöße ſchwerer empfinden
werden. Das Reichsgericht hat einmal die
goldenen Worte geſprochen: „Das innere
Weſen der Ehe iſt von dem Stande und
der Lebensſtellung der Parteien unab:
hängig“ (RG. Bd. 34 S. 236). Nach der heu⸗
tigen Rechtſprechung des Reichsgerichts zu
$ 1568 iſt zwiſchen einem objektiven und einem
ſubjektiven Moment, welche kumulativ für die Ehe—
ſcheidung gegeben ſein müſſen, zu unterſcheiden:
es muß einmal eine objektiv ſchwere Verletzung
der ehelichen Pflichten oder ehrloſes oder unſitt—
worfen. Wie das Recht nur in der Uebung
ſeine Kraft zeigt und, wenn es außer Uebung
tritt, zu exiſtieren aufhört, ſo ſteht es auch mit
der Rechtsmoral. Es kann auch niemand wider
die guten Sitten verſtoßen, deren Einführung zwar
dringend zu wünſchen wäre, die nun einmal aber
noch nicht angewendet werden. Das letztere iſt
lebhaft beſtritten worden, weil Recht und Richter
erzieheriſch auf das Volk wirken und das Volk
auf eine höhere ſittliche Stufe heben ſollten. Wer
jo ſpricht, vindiziert dem Recht zu viel und ver:
kennt die Teilung der Aufgaben. Das Recht iſt
nicht die einzige geiſtige Macht, welche den Wien:
ſchen auf eine höhere Daſeinsſtufe heben ſoll.
Wenn wir die unter 1 und 2 erörterten
charakteriſtiſchen Eigenſchaften der Rechtsmoral
überblicken, jo leuchtet es ohne weiteres ein, wie
Zeitſchrift für Rechtspflege in
es möglich war, die „guten Sitten“ im BGB. mit
Sitte und Anſtand zuſammenzuſtellen. Alle jene
Züge der Rechtsmoral haben natürlich mit der
verinnerlichten reinen Moral und reinen Ethik
nichts gemein. Aus dem gleichen Grunde ergibt
ſich auch, weshalb die Verfaſſer des BGB. an⸗
ſtanden, das ‚contra bonos mores‘ des römiſchen
Rechts mit Verſtoß wider die Sittlichkeit
wiederzugeben; der Verdacht, daß es ſich dabei
um eine ſinnloſe Ueberſetzung des römiſchen Aus⸗
drucks gehandelt hat, wird durch die Vorarbeiten
zum BGB. widerlegt. Es folgt ferner, wie ſchon
einleitend erwähnt, daß die hieſige und
Reichsgerichts-Auffaſſung über den Guten⸗
ſittenbegriff wenig trennt. Ganz ſcheint die hie
vertretene Anſicht mit dem Standpunkt Herzogs
übereinzuſtimmen, wenn dieſer Schriftſteller zum
Beweiſe dafür, daß die ‚guten Sitten‘ des BGB.
eben Sitten ſeien, ausführt: Sitte iſt angewandte
Moral, ein Teil der objektiven Moral, in welcher
ſich die Anſchauungen der Geſamtheit ſpiegeln
(S. 106). Dieſe faktiſche Uebereinſtimmung über
den Gutenfittenbegriff taugt nichts, da die Ueber⸗
einſtimmung über die Grundbegriffe von Sitte
und Sittlichkeit zwiſchen uns fehlt.
Dafür, daß die guten Sitten aber keine äußern
Sitten verkörpern, iſt und bleibt m. E. beweis⸗
kräftig, was am Anfange dieſer Abhandlung über
das ſchwere Vorwurfselement geſagt
welchem die Verſtöße wider die guten Sitten be⸗
haftet find. Es folgt aber auch noch aus dem
dritten Merkmal der Rechtsmoral, welches jetzt
noch kurz erörtert werden ſoll.
3. „Ob eine Regel der Sitte befolgt iſt, hängt
nicht vom Motive des Handelnden ab“, bemerkt
Herzog S. 130 gelegentlich. Die Bemerkung
iſt richtig. Aber bei den Verſtößen wider die
guten Sitten ſind gerade Geſinnung, Mo⸗
tive und Zweck des Handelnden weſentlich.
Es fragt ſich nur, inwieweit die moraliſche Ver⸗
werflichkeit des Handelnden in ſeinem äußeren
Tun hervortreten muß, und ob an ſich indifferente
Handlungen von der ſie hervorrufenden ſchlechten
Geſinnung affiziert werden. Hierin liegt für die
Praxis die größte Schwierigkeit, und wenn man
auch die letztere Frage meiſt verneinen muß, ſo
wird ſich eine allgemeine theoretiſche Formel doch
ſchwerlich finden laſſen. Aber wo das äußere
Reſultat mißbilligenswert, insbeſondere andere
ſchädigend iſt, iſt jene Nachprüfung der morali—
ſchen Seite des Handelnden unumgänglich. Es iſt
überflüſſig auf die zahlreichen Entſcheidungen ein: |
zugehen, welche ſich mit dieſer Prüfung beſchäf—
tigen; es ſei nur auf die Entſcheidung im letzten
bisher erſchienenen (74.) Band der Reichsge—
richts-E. S. 227 ff. verwieſen. Durch die Nach—
prüfung der Geſinnung des Täters bekommen ſo
viele Entſcheidungen über die guten Sitten etwas
Individuelles und unſere angeſehenen Kommen:
die
iſt, mit
in Bayern. 1911. Nr. 8.
tare warnen daher gerade hier von unvorſichtigem
Präjudizienfultus. Durch die Betonung der Ver⸗
werflichkeit von Geſinnung, Zweck und Motiv bei
Verſtößen wider die Rechtsmoral kann es, wie
das Geſetz (8 817) ſelbſt hervorhebt, bei einer
Vermögensverſchiebung vorkommen, daß nur der
| Empfänger oder nur der Leiſtende gegen die guten
Sitten verſtößt.
Mit dem Ausſpruche: es liegt ein Verſtoß
| wider die guten Sitten im Rechtsſinne vor, iſt
natürlich über die einzelnen Geſetzesbeſtimmungen,
welche ſich mit den guten Sitten beſchäftigen,
noch nichts Erſchöpfendes geſagt. Insbeſondere
iſt es nicht der Zweck dieſer Zeilen das Verhält⸗
nis der §8 138 und 817 zueinander näher zu
erörtern. Ueber den 8 138 BGB. ſei hier zum
Schluß noch Folgendes angefügt. Der § 138
enthält eine größere Verobjektivierung der Moral⸗
widrigkeit, wie wir ſie ſonſt finden. Der Satz:
„Nichtigkeitsgrund iſt Moralwidrigkeit des Ge⸗
| ſchäfts, nicht der Geſchäftsgenoſſen“ (Hölder,
Dertmann) iſt cum grano salis richtig. Er
führt weiter als die Formulierung im Kommentar
der Reichsgerichtsräte, wo der ſubjektive
Verſtoß aller Geſchäftsſchließenden betont wird:
„Bei Verträgen iſt Nichtigkeit des ganzen Ge⸗
ſchäfts in der Regel nicht anzunehmen, wenn nur
der eine Teil unſittliche Zwecke verfolgt, der an⸗
dere dagegen den unſittlichen Charakter des Ge⸗
ſchäfts nicht kennt, hierüber ſogar gefliſſentlich in
Unkenntnis gehalten wird“ (Erl. 1 zu 8 138).
Darauf kommt es nicht an. Es ergeben ſich auch
Schwierigkeiten bei Behandlung des Wuchergeſchäfts,
da man nach überwiegender Anſicht nicht annimmt,
| daß der Bewucherte durch den Geſchäftsabſchluß
| und durch die Annahme der Leiſtung wider die
guten Sitten verſtößt. Andrerſeits gehen Hölder
| und Oertmann zu weit, wenn fie meinen, daß
ein Geſchäft unter § 138 fallen könne, „obwohl
die Beteiligten keinerlei ſubjektiver
Vorwurf trifft“. Es iſt ja richtig, daß ge⸗
wiſſe Geſchaftstypen ohne Rückſicht auf den Einzel⸗
fall generell unter den §8 138 fallen können. Aber
wenigſtens eine der Parteien muß jedenfalls auch
ſubjektiv wider die guten Sitten verſtoßen und
ſchuldhaft ſein. Den Bewucherten, wie geſagt,
beurteilt die herrſchende Lehre milde, hat er aus
| Unerfahrenheit oder Leichtſinn gehandelt, fo trifft
ihn vielleicht „eigenes Verſchulden“, aber es fällt
ihm kein Verſtoß wider die guten Sitten zur Laſt,
hat er aus Not den Weg zum Wucherer gefunden,
ſo iſt er vielleicht aus Notſtandsgeſichtspunkten
gänzlich vorwurfsfrei. Aber um ſo größer iſt die
Schuld des Wucherers, mag er ſein Vorgehen auch
für erlaubt halten. Ueberhaupt iſt die Ausrede,
man habe einen Verſtoß wider die guten Sitten,
den man begangen, als ſolchen rechtlich nicht er—
kennen können, niemals, auch beim Ausländer nicht,
zuzulaſſen. „Wer bei uns leben will, ſoll wiſſen,
was bei uns die guten Sitten verlangen. Es
darf alſo jedenfalls kein ſubjektiver Maßſtab an⸗
gelegt werden. Sobald man von einem objektiven
ausgeht, iſt das Kennenmüſſen immer vorhanden“
(M. Rümelin, Das Verſchulden im Straf⸗ und
Zivilrecht S. 40).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
— — — - ——
werten bei $ 700 (vertretbare Sachen als Gegen:
ſtand des unregelmäßigen Verwahrungs⸗
vertrages). Auch hier müſſen alſo Stückſachen
ausgeſchieden bleiben, und es können daher nur
diejenigen Gattungsſachen (vertretbare Sachen im
Sinne des $ 91) gemeint fein, die Menge:
ſachen ſind.
Vertretbare und Gattungsſachen. — Menge: |
ſachen und Etückſachen.
Von Profeſſor Dr. Langheineken in Halle.
(Schluß.)
VI.
Das BGB. enthält, wie bereits im Eingang
erwähnt, für die vertretbaren Sachen, deren Be⸗
Desgleichen wird in § 783 wegen der inneren
Verwandtſchaft der Anweiſung mit dem Dar⸗
lehn unter „vertretbaren Sachen“ dasſelbe zu ver⸗
ſtehen ſein wie in 8 607, alſo ebenfalls nur
Mengeſachen, nicht aber auch Stückſachen.““)
2. Während hiernach der Ausdruck „vertret⸗
bare Sachen“ bei den erörterten vier Anwendungen
in einem engeren Sinne gemeint ſein muß, als
§ 91, wörtlich genommen, an die Hand gibt,
dürfte, wie nunmehr gezeigt werden ſoll, eine ſolche
einengende Auslegung nicht gerechtfertigt ſein in
griff im 8 91 eingeführt iſt, an ſechs Stellen
Vorſchriften. Wir wollen nun jede einzelne Stelle
daraufhin prüfen, ob ſich ein Geſichtspunkt auf⸗
finden läßt, der entweder zeigt, daß der Ausdruck
„vertretbare Sachen“ in der weiteren Be⸗
deutung von „Gattungsſachen“, oder zeigt,
daß er in der engeren Bedeutung von „Menge:
ſachen“ gemeint ſein wird.
1. Ganz leicht und einfach entſcheidet ſich die
Frage gleich an der erſten Stelle. Nach 8 473
ſoll bei Mangelhaftigkeit der Kauffache die Min⸗
derung des Kaufpreiſes, wenn er nur in ver⸗
tretbaren Sachen (gleichviel ob Geld) beſteht, durch
verhältnismäßige Herabſetzung an den
vertretbaren Sachen erfolgen. Eine verhältnis:
mäßige Herabſetzung iſt aber, wie bereits oben
bei Anm. 13 feſtgeſtellt, nur bei benannten
Größen allgemein ausführbar. Folglich kann ſich
dieſe Vorſchrift nicht auf Stückſachen, ſondern nur
auf Mengeſachen beziehen.
Zum gleichen Ergebnis führt die Betrachtung
8 651 Abſ. 1 und in $ 706 Abſ. 2, jo daß alſo
hier unter „vertretbaren Sachen“ zu verſtehen ſind
alle Gattungsſachen,“) alſo mit Einſchluß
der Stückſachen.
Bei 8 651 Abſ. 1 bietet für dieſe Theſe einen
geeigneten Anhalt ſeine Entſtehungsgeſchichte. Im
Entwurf I 8 568 Abſ. 1 war, ohne daß auf den
Unterſchied zwiſchen vertretbaren und nicht vertret⸗
baren Sachen abgeſtellt wurde, beſtimmt:
„Hat der Uebernehmer ſich verpflichtet, aus
einem von ihm ſelbſt zu beſchaffenden Stoffe das
Werk herzuſtellen und dem Beſteller zu liefern,
ſo finden auf den Vertrag, ſofern nicht ein an⸗
deres vereinbart iſt, die für den Kaufvertrag
geltenden Vorſchriften Anwendung.“ —
In der Kommiſſion 11 wurden hierzu zwei
Anträge geftellt, der eine auf erſatzloſe Streichung
des 8 568, (wonach alſo gerade umgekehrt die für
den Werkvertrag geltenden Vorſchriften ſchlecht⸗
hin Anwendung zu finden hätten), der andere auf
Einführung der Unterſcheidung, die ſchließlich
des § 607 (vertretbare Sachen als Gegenſtand
eines Darlehns).
Eigenſchaften der vertretbaren Sachen aufgeführt
„Art, Güte und Menge“, im deutlichen Gegen—
ſatz zu § 243 Abſ. 1, der die Gattungsſache in
der Einzahl anführt und ſie nur nach „Art
und Güte“ beſtimmt fein läßt.“) Darlehns—
fähig ſind daher nur Mengeſachen, nicht auch
Stückſachen. — Folglich iſt der Vertrag, bei dem
jemand zehn Araberhengſte empfängt gegen die
Verpflichtung, nach einem Jahre zehn gleich gute
zurückzugeben, kein Darlehnsvertrag.”')
Derſelbe Geſichtspunkt (Verba: „Sachen von
gleicher Art, Güte und Menge“) iſt zu ver:
25) Val. oben Anm. 17.
240) Uebereinſtimmend Gold ſchmidt ana. O. S. 541
Anm. 31, der dieſes Beiſpiel bildet und bemerkt, daß
hier vorliege „ein Innominatkontrakt do ut reddas, auf
welchen die vom Darlehn im techniſchen Sinn geltenden
Grundſätze keine Anwendung finden“.
Hier werden als weſentliche
zum Geſetz erhoben worden iſt.
Zur 1 des letzteren Antrags wurde
angeführt:“) „Es trete bei vertretbaren Sachen,
die viele 2 bne h mer haben und deswegen leicht
auf Vorrat angefertigt werden können, der
Geſichtspunkt des Arbeitsverhältniſſes zurück. Denn
im Leben werde ein Unterſchied zwiſchen dem Falle,
in welchem eine bereits vorhandene, und dem
Falle, in dem eine erſt herzuſtellende vertret—
bare Sache zu liefern ſei, nicht gemacht; jeden⸗
=) Vgl. indeſſen noch die Bemerkung unten Anm. 42.
26) Eine ſolche Deutung iſt von vornherein aus—
geſchloſſen für einen Standpunkt, wie ihn Planck,
Kommentar Bd. 1891 Note S 162 (3. Aufl) einnimmt
mit den Worten: „Sachen, die dieſe Eigenſchaft (als
vertretbare Sachen im Sinne des 8 91) nicht haben,
werden nicht dadurch vertretbar, daß ſie in einem
einzelnen Falle nach Zahl, Maß oder Gewicht beſtimmt
werden, ſo z. B. wenn ein Rechtsgeſchäft über eine Sache
vorgenommen wird, die nur der Gattung nach be—
ſtimmt wird (ſ. z. B. SS 243, 279).
) Vgl. Protokolle Bd. II S. 339.
falls komme ber Unterſchied, ſoweit er als vor:
handen anzuerkennen ſei, den Vertragſchließenden
in der Regel nicht zum Bewußtſein“. — Zugunſten
des erſteren Antrags war geltend gemacht worden:“)
„Für die Art der Herſtellung einer nicht vertret⸗
baren Sache ſeien häufig die individuellen Wünſche
und Bedürfniſſe des Beſtellers ausſchlaggebend;
nehme der Beſteller die Sache wegen eines mög⸗
licherweiſe zu beſeitigenden Fehlers nicht an, ſo
ſei es für den Uebernehmer ſchwer, die Sache
weiterzuverkaufen. Das Gleiche gelte, wenn auch
in geringerem Maße, für die Herſtellung vertret⸗
barer Sachen; auch vertretbare Sachen ſeien bis⸗
weilen nach einem beſtimmten Muſter für einen
beſtimmten Zweck herzuſtellen?“) und deswegen
als weſentlich auf die Perſon des Beſtellers be⸗
rechnet anzuſehen.“ — Dieſen Bedenken wurde
von der Mehrheit mit dem Hinweis darauf be⸗
gegnet,”°) „die Rechtſprechung werde nicht verkennen,
daß es den Parteien unbenommen ſei, eine Sache,
die nach $ 779 (= 8 91 BGB.) im gewöhnlichen
Verkehr als eine vertretbare zu gelten habe,
in ihrem Vertragsverhältnis als eine nicht
vertretbare zu behandeln und dadurch ihren
Vertrag unter die Vorſchriften des Werkvertrags
zu ſtellen“.
Offenbar hatte man bei der Erwägung, daß
vertretbare ao. auf Vorrat angefertigt, daß
ſie nach einem beſtimmten Muſter hergeſtellt und
daß ſie nach dem Parteiwillen als nicht vertret⸗
bare behandelt werden können, nicht etwa aus⸗
ſchließlich „Mengeſachen“, ſondern überwiegend
„Stückſachen“ im Auge. Auch die wiederholte
Verwendung der Singularform „eine vertretbare
Sache“ weiſt gerade auf „Stückſachen“ hin.“)
Daraus folgt, daß hier an den weiteren Begriff,
der die Stückſachen mitumfaßt,??) alſo an Gat⸗
tungsſachen gedacht worden iſt. Folglich ſind
nicht nur in dem Falle, daß Mengeſachen (z. B.
10 kg Farbe oder 100 m Seidenſtoff von be⸗
ſtimmten Eigenſchaften) oder eine größere Anzahl
Stückſachen (3. B. 1000 Maͤntel), ſondern auch
in dem Falle, daß nur ein gattungsmäßig be:
ſtimmtes Stück (z. B. ein einzelnes Möbelſtück
28) Vgl. ebenda S. 338.
) Auch von der Meorheit wurde angenommen,
daß „fabrikmäßig hergeſtellte Sachen, die nach einem
beſtimmten Muſter und zu einem beſtimmten Zwecke
ZBeitſchrift für Rechtspflege i in Bayern. 11. Nr. 8.
|
|
!
|
|
—— — — ——gũ HR—
Art. 96 des Preuß. Entwurfs zurückgeht.
nach beſtimmtem Modell) hergeſtellt werden ſoll,
die Vorſchriften über den Kauf anzuwenden.“)
Uebrigens enthält § 651 dispoſitives Recht,
die Parteien haben es alſo in der Hand, im Ein⸗
zelfall eine abweichende Behandlung zu vereinbaren.
Dies dürfte unſtrittig ſein, wenngleich das e
den ausdrücklichen Vorbehalt des Entwurfes
(„Sofern nicht ein anderes vereinbart iſt“) nicht
mehr enthält.“) Immerhin trägt die Partei die
Beweislaſt, die ſich auf eine ſolche Vereinbarung
beruft. —
Aehnlich läßt ſich das gleiche Ergebnis für
§ 706 Abſ. 2 ableiten. Dieſe Vorſchrift iſt dem
Art. 91 AGB. nachgebildet, der wieder auf
Dort
war beſtimmt:
„Wenn Geld oder andere verbrauchbare oder
vertretbare Sachen ... in die Geſellſchaft einge⸗
bracht werden, ſo werden dieſe Gegenſtände Eigen⸗
tum der Geſellſchaft.“
Die Begründung dafür lautete:“) „Bei ein⸗
gebrachten vertretbaren oder verbrauchbaren
Sachen iſt ihrer Natur nach eine bloße Ge⸗
brauchsüberlaſſung nicht denkbar; ſie
gehen durch das Einbringen in das Eigentum
der Geſellſchaft über.“ — Sie zeigt, daß bei
obiger Formulierung die Gleichſtellung der ver⸗
tretbaren Sachen mit den verbrauchbaren Sachen
im allgemeinen Landrecht“) nachgewirkt hat, und
fie laßt die Folgerung zu, daß unter vertretbaren
Sacken zu verſtehen find namentlich auch Waren,“)
wie Früchte, Eier, Geflügel, ferner Maſchinen ?“
und Geſchäftsmobiliar, demnach auch Stück⸗
ſachen.
Daraus folgt, daß auch in 8 706 Abſ. 2 der
Ausdruck „vertretbare Sachen“ zu verſtehen iſt in
dem weiteren Sinn von „Gattungsſachen“.
Immerhin bleibt es auch hier den Parteien unbe⸗
nommen, ein anderes zu vereinbaren, da die Be⸗
ſtimmung des § 706 Abſ. 2 nur im Zweifel
gelten ſoll, eine Einſchränkung, die übrigens in
Art. 91 noch fehlte.
) Folglich hat hier der Beſteller bei mangelhafter
Lieferung keinen Anſpruch auf Beſeitigung der Mängel
geliefert werden, ſich rechtlich als vertretbare Sachen
charakteriſieren“ (vgl. ebenda S. 340)
70) a. a. O. S. 339f.
21) Vgl. oben Anm. 17.
2) So anſcheinend auch Oert mann, Kom—
mentar Bd. II 8 651 Note 2b S 756 a. A., wenn er
als Beiſpiel für nicht vertreibare Sachen im Sinne des
8 651 anführt „ein beſon ders kunſtvolles und
koſtbares Möbel“. Ebenſo Schollmeyer,
der einzelnen Schuldverhältniſſe (2. Aufl) S. 109, der
ar Beiſpiel die Lieferung von 10000 Militärpaletots
ildet.
Recht
|
(vgl. 8 633 Abſ. 2), dafür aber einen Wandelungs- und
einen Minderungsanſpruch ohne vorgängige Friſt—
ſetzung (ogl. 8 634 Abſ 1), ferner einen Schadenserſatz⸗
anſpruch unter den Vorausſetzungen des 8 463 (anders
als in 8 635).
24) Vgl. Oertmann a. a. O. Note 4 S. 757.
26) Vgl. Entwurf eines Handelsgeſetzbuchs für die
| Preufiſchen Staaten nebſt Motiven (Berlin 1857) S. 53.
6) Vgl. oben Anm. 7
9 Aehnlich Laſtig in Endemanns Handbuch
des Handelsrechts Bd. I S. 352 a. E., der als Beiſpiel
Kolonialwaren anführt.
28) Vgl. Reichsgericht in E 45 S. 63 f. (VII.
12. 12 99): „Maſchinen bekannter, gewöhnlicher Art
und üblicher Beſchaffenheit, bei denen es auf eine bes
ſtimmte Leiſtungsſähigkeit nicht ankommt, find ver-
tretbare Sachen.“
178
VII.
Im HGB. begegnen uns „vertretbare Sachen“
namentlich an zwei Stellen: $ 363 und $ 419
Abſ. 1, außerdem (mit der Negation verbunden)
in 8 381 und $ 406 Abi. 2.
1. Der § 363 handelt von der kaufmaͤnniſchen
Anweiſung über die Leiſtung von Geld, Wert:
papieren oder anderen vertretbaren Sachen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß darunter
dasſelbe wie in 8 783 BGB., alſo ausſchließlich
Mengeſachen zu verſtehen find.
2
Ebenſo verhält es ſich bei $ 419 Abi. 1 HGB.
Von vornherein könnte man freilich zu der an⸗
deren Auffaffung neigen im Hinblick auf die
Wortgruppe „von gleicher Art und Güte“
(nicht: „Art, Güte und Menge“); denn ſie
iſt gerade mit der im BGB. § 243 Abſ. 1 auf:
tretenden identiſch, die ſich unzweifelhaft allgemein
auf Gattungsſachen bezieht. Aber in Abſ. 3 findet
ſich die Formel „Sachen von gleicher Art, Güte
und Menge“, und ſchon dieſer Umſtand weiſt
darauf hin, daß hier nur an Mengeſachen
gedacht ſein kann.) Entſcheidend aber iſt der
Inhalt des Abſ. 2, welcher beſtimmt:
„Der Lagerhalter erwirbt auch in dieſem Falle
[nämlich im Falle der rechtmäßigen Vermiſchung
von eingelagerten vertretbaren Sachen mit anderen
Eigentum des Gutes; aus dem durch die Ver⸗
les entftandenen Geſamtvorrate kann er
jedem Einlagerer den ihm gebührenden Anteil
ausliefern, ohne daß er hierzu der Genehmigung
der übrigen Beteiligten bedarf.“
Wenn hier ſchlechtweg von „Anteil“ geſprochen
wird, ſo wird damit offenbar Bezug genommen
auf Mengen, die beliebig teilbar ſind; ſonſt hätte
1
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
ſeits in 8 592, andererſeits in 8 884 zu unter⸗
ſuchen.
1. Nach 8 592 iſt zum Urkundenprozeß geeignet
eine Verurteilungsklage, die geltend macht einen
Anſpruch auf „Zahlung einer beſtimmten Geld⸗
ſumme oder Leiſtung einer beſtimmten Quan:
tität anderer vertretbarer Sachen oder
Wertpapiere“. Bei der Entſcheidung der Frage,
ob unter vertretbaren Sachen zu verſtehen find
Gattungsſachen oder nur Mengeſachen, darf wohl
als ſicher angenommen werden, daß es ſprach⸗
widrig wäre, eine ſolche „Quantität“ in einer
einzelnen Sache zu finden, gleichviel ob die Sache
individuell oder gattungsmäßig beſtimmt iſt.““)
Darnach kann ein Anſpruch auf Lieferung einer
einzelnen gattungsmäßig beſtimmten Sache,
wie etwa eines einzelnen, nach einem beſtimmten
Muſter bezeichneten Möbelſtückes, nicht im Ur⸗
kundenprozeß geltend gemacht werden. Bringt
man nun den vorangeſtellten Geſichtspunkt zur
Geltung, wonach die „vertretbaren Sachen“, d. h.
die „Gattungsſachen“ in „Mengeſachen“ und
„Stückſachen“ zerfallen, ſo kann ſich in 8 592
jener Ausdruck nicht erſtrecken auf Stückſachen,
ſondern nur auf Mengeſachen. In der Tat
erſcheint die Einführung des bezeichneten allge⸗
meinen Geſichtspunktes gerechtfertigt, wenn man
erwägt, daß einem Anſpruche auf mehrere, etwa
Sachen von gleicher Art und Güte] nicht das 5 B De
zwei gattungsmäßig beſtimmte Sachen keine
andere prozeſſuale Behandlung wird zuteil werden
ja auch über die Art dieſer Teilung nahere Be⸗
ſtimmung getroffen werden müſſen. Ganz ähnlich
|
|
wie bei 8473 BGB. muß man daher annehmen,
daß in $ 419 Abſ. 1 HGB. als vertretbare
Sachen nur Mengeſachen in Betracht kommen
können.
2. Dagegen iſt in $ 381 ſowohl als auch in
8 406 Abſ. 2, welche beide auf 8 651 BGB.
Bezug nehmen und die dort für vertretbare Sachen
getroffenen Vorſchriften ausdehnen auf nicht vertret⸗
bare Sachen, dieſer Ausdruck ſelbſtverſtaͤndlich in
gleichem Sinne gemeint wie in $ 651 BGB., alſo
im Sinne von Gattungsſachen. Allerdings
hat dies Ergebnis hier nur formelle Bedeutung.
VIII.
Die ZBO. handelt von vertretbaren Sachen
an vier Stellen: in den SS 592, 688, 794 Ziff. 5
und in § 881.
ſollen als dem Anſpruch auf eine einzige, aber
ebenfalls gattungsmäßig beſtimmte Sache. Sicher:
lich iſt unannehmbar die Meinung, daß etwa auf
Lieferung eines Stuhles von beſtimmtem Muſter
nur im ordentlichen Verfahren, dagegen auf
Lieferung von zwei Stühlen gleichen Muſters
auch im Urkunden-Prozeß geklagt werden
könnte.
Damit find wir zu dem Ergebnis gelangt,
daß in 8 592 und ebenſo in 88 688 und 794
Ziff. 5 ZPO. unter „vertretbaren Sachen“ ledig⸗
lich Mengeſachen zu verſtehen ſind.
Freilich dürfte noch eine gewiſſe Erweiterung
dieſes Ergebniſſes vorzunehmen ſein, die aber
keineswegs einen Widerſpruch zu unſerer Grundauf—
faſſung enthält, ſondern eher zu deren Erhärtung
beizutragen geeignet iſt, und zwar eine Erweite⸗
rung mit Rückſicht auf den Zuſatz in $ 592 „oder
Wertpapiere“. Es können nämlich die Wertpapiere
allerdings Mengeſachen ſein, und dann findet $ 592
ganz zweifellos auf ſie Anwendung; dies iſt der
Sicherlich bedeutet der Ausdruck
in §§ 688 und 794 Ziff. 5 das nämliche wie in
8 592; es wird daher genügen, den Begriff einer:
2) Vgl. oben Anm., 17.
Fall, wenn es nicht gerade auf die Anzahl,
Stückzahl, ſondern vielmehr auf den Betrag
ankommt. Aber Wertpapiere können auch als
Stückſachen figurieren und doch Gegenſtand
eines im Urkundenprozeß geltend zu machenden
%) Für Mengeſachen gilt dies nicht; denn bei
ihnen repräſentiert die Einheit (3 B. 1 kg) ſtets zu⸗
gleich eine Mehrheit 6. B. 2 Pfund oder 1000 g).
oder eines Wertpapieres,
Anſpruches ſein; dann nämlich, wenn es ſich
handelt nicht nur um einen beſtimmten Geſamt⸗
betrag der Papiere, ſondern auch um einen
beſtimmten, einheitlichen Nennwert und folglich
zugleich um eine beſtimmte Anzahl dieſer
Papiere. So bei einer Klage etwa auf Leiſtung
von zehn Stück des vierprozentigen Anlehens
der Stadt Nürnberg von 1909, unkündbar bis
1. April 1919, zu 1000 M Nennwert, in dem
Sinne alſo, daß mit dieſer Klage nicht ſchlechthin
10 000 M (nominal) dieſer e gefordert
werden, ſondern gerade zehn Stück folder
Schuldverſchreibungen in Höhe von je 1000 M
nominal.
Daraus erkennen wir zugleich, daß in 3 592
und ebenſo in 8 688 und $ 794 Ziff. 5 der
Zuſatz „oder Wertpapiere“ keineswegs, wie all:
gemein gelehrt wird,“) etwas Ueberflüſſiges ent⸗
hält, ſondern notwendig war, um die Anwend⸗
barkeit dieſer Vorſchriften auf Wertpapiere auch
für den Fall auszuſprechen, daß dieſe als Stück⸗
ſachen beanſprucht werden.““
Zum Schluß noch eine einfache Folgerung aus
dem Geſagten: Soweit Wertpapiere als Stüd-
ſachen auftreten, ſich alſo auch nach der Stückzahl,
Anzahl beſtimmen, können ſie auch in der Ein⸗
zahl in Betracht kommen. Daher kann im Ur⸗
kundenprozeß auch auf Leiſtung eines Wertpapieres
von beſtimmter Sorte und beſtimmtem Betrage
geklagt werden,“) ſofern nicht etwa ein genau in:
dividualiſiertes, d. h. nach Serie, Buchſtabe und
Nummer bezeichnetes Papier gemeint iſt.
2. Etwas ſchwieriger geſtaltet ſich die Unter⸗
ſuchung und auch etwas anders das Ergebnis bei
§ 884 ZPO. Zum Verſtändnis dieſer Vorſchrift
iſt auf ſeine HN zurückzugreifen
und zuvor noch ein Blick auf 8 883 zu werfen.
Nach § 883 ZPO. beſteht die Zwangsvoll⸗
ſtreckung zur Erwirkung der Herausgabe loder
Leiſtung) von beweglichen Sachen, wenn eine in⸗
dividuell⸗beſtimmte Sache oder von beftimmten
Sachen eine Quantität herauszugeben iſt, darin,
daß der Gerichtsvollzieher die Sachen dem Schuldner
wegnimmt und dem Gläubiger übergibt (Abſatz 1),
und a bei Nichtauffindung der Sachen der
— —— —ů ä —
40 gl z. B. L. Seuffert, Kommentar Bd. II
8 592 Note 2b3 S. 157 (11. Aufl.); Stein, Kommentar
Bd. II 8 592 Note III 2 S. 179, und Urkunden⸗ und
Wechſelprozeß S. 73.
2) Vielleicht hat das Gleiche auch für §S 783 BGB.
und 8 363 HGB. zu gelten; allerdings iſt hier die
Faſſung gewählt: „Geld, Wertpapiere oder andere ver—
tretbare Sachen“.
“) Inſoweit trifft die Bemerkung bei X. Seuffert
a. a. O. Note 2b S. 154 der 10. Aufl., die aber S. 157
der 11. Aufl. ausgefallen iſt, das Richtige: „Eine be—
ſtimmte Quantität iſt auch die Einheit einer Sache
wenn IX
vorliegt“. Dagegen dürfte der Urkundenprozeß nich
zuläſſig ſein für eine Klage auf Lieferung einer 19195
ſtigen einzelnen Stückſache, wenngleich dieſe
nut gattungsmäßig beſtimmt ift.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. in Bayern. 1911. Nr. 8.
i
|
179
Schuldner zu einem Offenbarungseid genötigt
werden kann (Abſatz 2). Hierauf hatten ſich die
Entwürfe beſchränkt, auch noch der Entwurf III
(vom Jahre 1874) im 5 716, deſſen (hier allein
intereſſierender) Abſatz 1 lautete:
„Hat der Schuldner eine bewegliche Sache oder
eine Quantität beſtimmter beweglicher Sachen
herauszugeben, ſo ſind dieſelben von dem Gerichts⸗
vollzieher ihm wegzunehmen und dem Gläubiger
zu übergeben.“
Er entſpricht wörtlich dem 8 703 Abſ. 1 des
Entwurfes II (vom Jahre 1872) und faſt wört⸗
lich dem 8 691 Abſ. 1 des Entwurfes I (vom
Jahre 1871), nur daß hier ſtand: „oder eine
beſtimmte Quantität beweglicher Sachen“.
Zur Erläuterung dieſer Vorſchrift war aus⸗
geführt worden:) „Rückſichtlich einer Quantität
ſind die hier gegebenen Vorſchriften nur inſoweit
anwendbar, als dieſelbe bereits vollſtändig oder
wenigſtens als Teil einer individuellen Menge
individualiſiert iſt .... Die Zwangsvollſtreckung
auf Gewährung einer in der angegebenen Weiſe
nicht individualiſierten Menge in gleicher Weiſe
durch Wegnahme von Sachen der beſtimmten Art
auszuführen, iſt nicht zugelaſſen, weil dabei immer
noch die Verpflichtung des Schuldners und des
Gläubigers, Sachen der vorgefundenen Güte zu
geben und anzunehmen, in Frage bleibt und bei
entſtehendem Streite im Vollſtreckungsverfahren
zweckmäßig nicht feſtgeſtellt werden kann.“ —
Hierzu ſei in Anknüpfung an früher Geſagtes
(oben Va. E.) beiläufig bemerkt, daß eine „voll⸗
ſtändig individualiſierte Quantität“ nichts an⸗
deres als eine individuell⸗beſtimmte Sache oder
eine Mehrheit davon iſt, dagegen eine nur „als
Teil einer individuellen Menge individualiſierte
Quantität“ meiſt Gattungsſachen darſtellen wird.
Bedeutſamer iſt folgendes: Mit 5 Wort⸗
gruppe „Quantität beſtimmter a
Sachen“ könnte wiederum allenfalls eine Mehr⸗
heit von Stückſachen bezeichnet ſein, nicht aber
eine einzelne Stückſache, und ſo könnte man
ſich auch hier veranlaßt ſehen, durch Einführung
des einheitlichen Begriffes „Stückſache“ wiederum
das einheitliche Ergebnis herzuitellen, daß unter
jene Formel Stückſachen überhaupt nicht fallen,
ſondern nur Mengeſachen, genau wie in $ 592.
Indeſſen tritt hier ein Umſtand hinzu, der in
8 592 fehlt: Die Vorſchrift in 8 691 des Ent-
wurfes I wie in 8 716 des Entwurfes III gilt
nämlich auch in dem Falle, daß eine einzelne,
individuell: beſtimmte Sache herauszugeben iſt.
Wenn nun eine Vorſchrift ihrem Wortlaut nach ſo⸗
wohl auf die Herausgabe einereinzelnen, indivi⸗
duell-beſtimmten Sache, als auch auf die
Herausgabe mehrerer Stückſachen paßt, ſo
| tft die Annahme nahegelegt, daß fie ſich auch auf
% Entwurf [I] einer Deutſchen ee
nebſt Begründung (Berlin 1871) S. 477
180
___Beitfeheift für Wechtöpflege
die Herausgabe einer einzelnen Stückſache er:
ſtrecken laſſe, daß alſo die Einheitlichkeit des Er⸗
gebniſſes für Stückſachen in dem Sinne hergeſtellt
werden müſſe, daß die Vorſchrift für alle Stück⸗
ſachen Geltung haben ſoll. Immerhin bleibt
die Frage noch unentſchieden.
Die Reichsjuſtizkommiſſion hat dem 8 716
Abſ. 1 eine ſchärfere Faſſung gegeben, indem ſie
den Paſſus „eine Quantität beſtimmter beweg⸗
licher Sachen“ umformte in „von beſtimmten be⸗
weglichen Sachen eine Quantität“, und ſie hat
namentlich einen 8 716 a eingefügt, der mit dem
jetzigen 8 884 ZPO. übereinſtimmt und lautet:
„Hat der Schuldner eine beſtimmte Quan⸗
tität vertretbarer Sachen oder Wertpapiere
zu leiſten, jo findet die Vorſchrift des § 716
Abſ. 1 hetzt $ 883 Abſ. 1) entſprechende An:
wendung.“
Damit wird die zwangsweiſe Verwirklichung
eines Anſpruches auf Leiſtung einer Quantität
vertretbarer Sachen auch in dem Falle ermöglicht,
daß nicht der Kreis der Sachen, aus dem ge⸗
leiſtet werden ſoll, enger beſchrieben iſt; nur darf
gefordert werden.
der Ausdruck „vertretbare Sachen“ in 8 884 genau
dieſelbe Bedeutung wie in $ 883 ZPO. und in
$ 716 des Entwurfes III. Auf dieſen § 716,
alſo auf die Bedeutung, die bei Einfügung des
$ 716 nachweislich mit jenem Ausdruck ver:
bunden worden iſt, hat ſich nun die weitere Unter⸗
ſuchung zu richten.
Von den Gegnern dieſer Erweiterung der
Naturalexekution war bezeichnender Weiſe wieder:
holt darauf hingewieſen worden, daß „die Be:
tungsſachen oder etwa nur Mengeſachen zu ver⸗
ſtehen find, das bleibt nun noch zu entſcheiden.
Bei der Beratung wurde wiederholt von
Seiten der Mehrheit, ohne daß ein Widerſpruch
erſolgte, geltend gemacht, „es gebe nur einen
1 entweder individuell beſtimmte oder
generiſch beſtimmte, d. i. vertretbare Sachen;
darauf, ob das Genus der vertretbaren Sachen
enger oder weiter begrenzt ſei, komme nichts an“.“
Hieraus könnte man ſchon auf die umſaſſen dere
Bedeutung der „vertretbaren Sachen“ ſchließen.
Aber mehrfach findet ſich auch die Meinung aus⸗
geſprochen, daß unter „Quantität vertretbarer
Sachen“ hier dasſelbe wie in $ 581 des Entwurfs
(= 8 688 ZPO.) verſtanden werden folle,'?) alſo
nur Mengeſachen. Freilich hat das nicht viel
zu beſagen; denn gerade von derſelben Seite war
auf die anerkannte Unſicherheit in der Abgrenzung
der fraglichen Begriffe hingewieſen worden.
Ausſchlaggebend dafür, daß wir es hier mit
dem weiteren Begriff, alſo mit Gattungs⸗
ſachen überhaupt, zu tun haben, dürſten folgende
f b Erwägungen ſein:
dann dem Schuldner kein Offenbarungseid ab⸗
Abgeſehen hiervon hat aber
griffe Genus, Spezies, vertretbare oder unvertret⸗
bare Sachen in der Wiſſenſchaft noch nicht un⸗
beſtritten ſeien“,“) und daß bei Anſprüchen auf
Leiſtung einer Quantität vertretbarer Sachen aus
praktiſchen Gründen die Naturalexekution beſſer
beſchränkt bleibe auf die Fälle des §S 716. Als
derartige Fälle wurden, übrigens auch von den
Anhängern des Antrags, ſolche genannt, wo die
vertretbaren Sachen „durch einen beſtimmten
äußeren Umſtand nach der Vereinbarung der
Parteien individualiſiert worden ſeien; z. B. zehn
Sack Kaffee von einer im Magazin des Schuld:
ners gelagerten Schiffsladung zu hundert Sack“,
überhaupt Fälle, „wo eine Quantität aus einem
größeren individuell beſtimmten Sachenkomplex
herauszugeben ſei“.“) Daß es ſich in der Tat
hier trotz der relativen Einſchränkung nicht um
individuell-beſtimmte Sachen handelt. hatten wir
bereits früher (oben V a. E.) konſtatiert; ob aber
unter ſolchen „vertretbaren Sachen“ alle Gat—
0 Vgl. Hahn, Die geſamten Materialien zur
ZPO., 2. Abt. (Berlin 1880) S. 1027 S. 572 der ofſi⸗
ziellen Ausgabe]. S. 1033 S. 579.
) Ebenda S. 1055 S. 605], desgl. S.
S. 572], S. 1029 ([S. 574, 575).
1028
Die Vorſchrift des § 716 will den Gläubiger
in den Stand ſetzen, dem Schuldner, der Sachen
von derſelben Art und Güte in Beſitz hat wie
die von ihm zu leiſtenden, dieſe Sachen, obgleich
ſie individuell nicht geſchuldet ſind, durch den Ge⸗
richtsvollzieher geradeſo wegnehmen zu laſſen, wie
eine individuell geſchuldete Sache; dies, damit der
Gläubiger ſich nicht erſt den Leiſtungsgegenſtand
von anderer Seite zu verſchaffen und den Schuldner
auf Schadenserſatz nochmals zu verklagen braucht.“
Dieſer praktiſche Geſichtspunkt trifft aber gleich⸗
mäßig für alle nicht individuell⸗beſtimmten
Sachen als Leiſtungsgegenſtand zu, d. h. für
alle Gattungsſachen.
Weniger beweiskräſtig, aber immerhin unter:
ſtützend für die vorgetragene Meinung ſind die
bei der Begründung des Antrages auf Einfügung
des § 716 gebrauchten Wendungen wie „Gegen:
ſtände des betreffenden Genus“ oder „Sachen
des Genus“, Wendungen, die auf den Begriff
„Gattungsſachen“ hinzuweiſen ſcheinen. Daß in
der Tat bei jener Erweiterung der Naturalexe—
kution auch an Anſprüche auf Leiſtung von
Stückſachen, nicht nur von Mengeſachen ge—
dacht worden iſt, wird aber am deutlichſten er—
kennbar durch ein zur Erläuterung des beantragten
—
) Ebenda S. 1031 S. desgl. S. 10:8
573, S. 1055 [S. 605).
1, Ebenda S. 1032 S. 5775,
S. 580.
) Vgl. die Aeußerung a. a O. S. 1033 (S. 579]:
„Es ſeien zahlreiche Fälle denkbar, in denen es die
offenbarſte Ungerechtigteit gegen den Gläubiger wäre,
wenn man ihm nicht geſtatten würde, die im Beſitze
des Schuldners befindlichen, der Bezeichnung im Ur—
teilstenor überall entſprechenden Sachen im Wege der
Ezekution mit Beſchlag zu belegen.“
600 So a. a. O. S. 1027 [S. 572], S. 1031 [S. 576).
576
SD.
desgl. S. 1034
Zeitſchrift f für ür Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8. 181
— ——— . —ö—ñ—tä — — — —— ———
— — — — —-—— r... — ... .. . jĩ 6. — SEES OS EP BES ̃ . ̃ — — . — — —
8 716 a angeführtes, in der Praxis häufiges Bei⸗ 3. Der Ausdruck „vertretbare Sachen“ wird
ſpiel: nämlich die zwangsweiſe Beitreibung von ſowohl im BGB. als auch im HGB. und in der
Naturalabgaben, insbefondere zugunſten katholiſcher ZPO. bald im Sinne von „Mengeſachen“
Pfarreien, die einfach dadurch bewirkt werde, daß lalſo entgegen dem Wortlaut des 3 91 BGB. mit
von den in entſprechenden Qualitäten vorhandenen | Ausſchluß der Stückſachen), bald im Sinne von
oder aus dem Grundſtück gewonnenen Naturalien „Gattungsſachen“ (alſo mit Einſchluß der
die geſchuldete Quantität weggenommen werde.“) Stückſachen) verwendet. Die engere Bedeutung
Es liegt auf der Hand, daß ſich unter derartigen dürfte jenem Ausdruck beizulegen ſein in BGB.
Naturalien vielfach auch Stückſachen (wie Eier, 88 473, 607, 700, 783, in HGB. 88 363, 419
Geflügel, Krautköpfe uſw.) befinden werden. und in 380. §§ 592, 688, 794. Die weitere
So hat ſich die Annahme als gerechtfertigt Bedeutung ſcheint er anzunehmen in BGB. §8 651,
erwieſen, daß in 8 884 ZPO., abweichend von 706, in HGB. 88 381, 406 und in ZPO. 5 884.
83 592, 688, 794 Ziff. 5, unter „vertretbaren
Sachen zu verſtehen ſind alle Gattungs⸗
ſachen.“
Daraus ergibt ſich, daß z. B. ein Anſpruch
auf (einmalige oder mag wiederkehrende)
Leiſtung von einer Mandel Eier im Wege der
Der ſtrafrechtliche Schutz gegen Entziehung un⸗
Naturalexekution verwirklicht werden . bewehlicher Sachen. Die Unzulänglichkeit des ſtrafrecht⸗
IX. lichen Schutzes gegen Eingriffe in das Grundeigentum
| wurde in einem vor kurzem erledigten Zivilprozeß in
draſtiſcher Weiſe vor Augen geführt:
A hat eine Reihe zuſammenhängender Grund⸗
ſtücke zum Zwecke der Veranſtaltung größerer Vor⸗
führungen erworben. Das Geſamtareal wird durch⸗
ſchnitten von einem Bach, welcher nebſt den beiden⸗
ſeitigen Uferſtreifen in einer Geſamtbreite von 4 m
dem B zu Eigentum gehört. Zum Zwecke der ein⸗
heitlichen Benützung des Areals begann A dieſes mit
einer Eiſenbetonmauer und einem innerhalb dieſer
parallel mit ihr laufenden Holzzaun zu umgeben,
führte den Zaun über den Bach und errichtete, um
auch für die Mauer über den Bach einen den Zutritt
hindernden Abſchluß zu ſchaffen, Mauerpfoſten auf
dem Ufergrundſtück. Der Einſpruch des ſo von
ſeinem Bach (Forellenwaſſer) und Bachgrundſtück
völlig abgeſchnittenen 8 wurde, wiewohl er ſein
Eigentum durch Erwerbsurkunde und Grundbuch⸗
eintrag einwandfrei nachwies, nicht nur unberück⸗
ſichtigt gelaſſen und die Umzäunung fortgeſetzt, ſondern
es wurde der Bach ſogar innerhalb der Umzäunung
Mitteilungen aus der Praxis.
Zum Schluß mögen die gewonnenen Ergeb⸗
niſſe in Kürze zuſammengeſtellt werden: |
1. Die Definition des Begriffes „vertretbare
Sachen“ in 8 91 BGB. iſt ungenau und doppel⸗ |
deutig; auch läßt fie das begriffliche Verhältnis |
dieſer „vertretbaren Sachen“ zu den „nur der Gat⸗
tung nach beſtimmten Sachen“ nicht klar hervor⸗ |
treten. So kommt es, daß der Ausdruck „ver: |
tretbare Sachen“ vom Geſetz nicht überall in gleicher
Bedeutung gebraucht wird. |
2. Die Handhabe für eine exakte Begriffs⸗ |
entwicklung bietet der in der Mathematik und
Phyſik gebräuchliche Gegenſatz von benannten und
unbenannten Zahlen. Es gibt einerfeits Sachen
von beſtimmter, einheitlicher Art und Güte, die
nur nach Zahl (unbenannte Zahl) beſtimmt
werden: „Stückſachen“ oder „zählbare Sachen.“
Es gibt andererſeits Sachen von beſtimmter, ein⸗
heitlicher Art und Güte, die nach Zahl und Maß mehrfach überbrückt.
oder Gewicht oder Münzfuß (benannte Zahl) Die zuſtändige Polizeibehörde, an welche ſich B
beſtimmt werden: ⸗Mengeſachen! oder „me: wendete, weil er in der Zulaſſung des Publikums zu
bare Sachen“. Die Begriffe „Stückſachen“ und den Vorführungen eine Gefährdung ſeines Eigentums
‚Mengeiaden” dee. dagen Den, Zegrifi a Bund Bela der ae an a
1 9 Ay eo weilige Verfügung wurde vom Prozeßgerichte ab⸗
entweder (nur) nach Zahl oder nach (Zahl und) ee
| Erſt das auf Klage ergangene Urteil gab dem
Maß oder Gewicht (oder Münzfuß) beſtimmt Betlagten A die Beſeitigung der Anlagen auf dem
werden. — Im Einzelfall können Sachen, die fremden Grundſtück auf. Inzwiſchen waren fünf
ſonſt als Mengeſachen beſtimmt werden, als Stück- Monate verfloſſen, in welchen A den rechtswidrigen
ſachen oder ſogar als individuell beſtimmte Sachen Zuſtand aufrecht erhalten konnte.
auftreten, und ebenſo Sachen, die ſonſt als Stück—
|
|
Hierzu iſt folgendes zu bemerken: Das geltende
ſachen beſtimmt werden, als individuell beſtimmte Strafrecht kennt keinen Schutz gegen Entziehung un:
Sachen auftreten.
beweglicher Sachen. Der geſchädigte Grundeigen⸗
„„ tümer iſt ausſchließlich auf den Zivilrechtsweg an—
gewieſen, der nach Umſtänden recht langwierig werden
kann. Die Selbſthilfe des bürgerlichen Rechtes ver—
ſagt bei dem Fehlen behördlichen Beiſtandes wohl in
den meiſten Fällen; daß auch die einſtweiligen Ver:
fügungen nicht immer zum Ziele führen, beweiſt der
berichtete Fall.
5) So a. a. O. S. 1028 [S. 573].
2) Anders wohl Stein, Kommentar Bd. II 8 592
Note S. 728 a. A.: „Dagegen gilt 8 884 nicht, wenn
es ſich um die Leiſtung von ſolchen Gattungsſachen
er welche nicht die Natur von vertretbaren Sachen
aben
182
za a am
Der Strafrichter, der bei der rechtswidrigen
Wegnahme beweglicher Sachen ſofort tätig wird, der
z. B. die arme frierende Frau wegen der Wegnahme
weniger Koblenſtücke auf Anzeige zur Rechenſchaft
ziehen muß, ſteht abſeits, wenn wertvolle unbewegliche
Sachen dem Inhaber entzogen werden.
Der derzeitige ſtrafrechtliche Schutz unbeweglicher
Sachen beſchränkt ſich auf die Beſtimmungen in 8 274
Nr. 2 (Grenzverrückung), $ 303 (Sachbeſchädigung),
8370 Nr. 1 und 2 StGB. (Abgraben). 8 274 ſtellt
das Beſeitigen und Verſetzen der Grenzzeichen, alſo
die Urkundenfälſchung, in den Vordergrund, trifft ſo⸗
nach insbeſondere nicht den durchaus nicht ſeltenen Fall,
daß jemand, ohne daß die Verletzung von Grenz⸗
zeichen in Frage kommt, weil ſolche nicht vorhanden
ſind, eigenmächtig, z. B. in Ausnützung des entfernten
Wohnſitzes oder der Gleichgültigkeit ſeines Grund⸗
nachbarn, oder bei Anlaß der Vererbung eines Grund⸗
ſtückes an auswärts wohnende Erben, einen beträcht⸗
lichen Teil der Nachbargrundſtücke mitbepflügt und
ſo ſich aneignet oder doloſer Weiſe überbaut. 8 303,
die Sachbeſchädigung, trifft in allen Fällen nicht zu,
in denen der Wille des Täters auf Aneignung ge⸗
richtet iſt. 8 370 behandelt nur kleinere widerrechtliche
Handlungen an Grundſtücken (Abpflügen von Straßen
und Rainen, auch der eigenen).
Die Entziehung des Eigentums, welcher bei
beweglichen Sachen ein eigener Abſchnitt im
Strafgeſetzbuch gewidmet iſt, findet ſonach gegenüber
unbeweglichen Sachen keine grundſätzliche Be⸗
handlung im Strafgeſetz.
Aber auch der Entwurf des neuen Strafgeſetz⸗
buches läßt dieſen Schutz gegen Entziehung unbeweg⸗
licher Sachen vermiſſen, hält vielmehr bei den Eigen⸗
tumsdelikten des Diebſtahls und Raubes an dem Tat⸗
beſtandsmerkmal der Beweglichkeit der Sache feſt.
Freilich können unbewegliche Sachen nicht weg⸗
getragen werden; inſoferne mag praktiſch bezüglich
der Möglichkeit der Wiederbeſchaffung der Herrſchaft
über die entzogene Sache ein Unterſchied zwiſchen be⸗
weglichen und unbeweglichen Sachen zugegeben
werden. Allein begrifflich gehört die Unmög⸗
lichkeit oder Schwierigkeit, die weggenommene Sache
wieder zu erhalten, nicht zum Tatbeſtand des
Eigentumsdeliktes und überdies ſind dem beſtohlenen
Eigentümer einer beweglichen Sache zivilrechtlich
mindeſtens die gleichen Behelfe zur Wiedererlangung
der Sache an die Hand gegeben (vgl. 8 935 BGB.)
als dem Grundſtückseigentümer. Die einſeitige Ver—
ſtärkung dieſer Mittel durch ſtrafrechtlichen Schutz iſt
alſo auch hierdurch nicht zu erklären.
Sobald die Wegnahme begrifflich nicht als
Fortbewegung betrachtet, ſondern darin erblickt wird,
daß „die Sache dem Gewahrſam des bisherigen In—
habers ohne deſſen Zuſtimmung entzogen und in die
Verfügungsgewalt des Täters übergegangen iſt“, und
zum Begriff der Zueign ung erforderlich iſt, „daß
der Täter den Gewahrſam der fremden Sache er—
greift, um dieſe zunächſt für ſich zu erwerben und
über ſie für ſich zu verfügen“, iſt, um auf den am
Anfang erwähnten Fall zurückzukommen, in der Er:
richtung der Mauer und des Zaunes, durch welche
A das Grundſtuck des B unter Ausſchluß des letzteren
in Beſitz nimmt, um damit gleich einem Eigentümer
zu ſchalten und zu walten, der Tatbeſtand der Weg—
nahme in Zueignungsabſicht erfüllt. Es iſt nicht
einzuſehen, warum die Wegnahme einer fremden un—
Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
— — x fñ — = . FR
beweglichen Sache in der Abſicht fie ſich rechts⸗
widrig zuzueignen, eine weniger ſtrafwürdige Hand⸗
lung ſein ſoll, als die Wegnahme einer beweglichen
Sache unter gleichen Vorausſetzungen. Im Falle
bewußter widerrechtlicher Ueberbauung eines Nachbai⸗
grundſtücks oder des bewußt widerrechtlichen Pflügens
eines ſolchen dürfte der Tatbeſtand des vollendeten
Delikts der widerrechtlichen Aneignung noch leichter
zu finden ſein.
Es iſt daher ſicherlich ſehr wünſchenswert, daß
der Geſetzgeber bei Schaffung des neuen Strafgeſetz⸗
buches den Schutz unbeweglichen Eigentums gegen
widerrechtliche Entziehung berückſichtigt.
Rechtsanwalt Juſtizrat Dr. Ciſen berger in München.
Etwas über die Kriminalpolizei. Gerechtigkeit
und Rechtsſicherheit fordern, daß nicht nur der Un⸗
ſchuldige vor ungerechtfertigter Strafverfolgung be:
wahrt bleibt, ſondern auch nach Möglichkeit kein
Schuldiger der verdienten Strafe entgeht. Es wird
als ungerecht empfunden, wenn von mehreren Schul⸗
digen der Schlauere und Unwahrhaftigere ſtraffrei
ausgeht, während der weniger vom „Glück“ Begün⸗
ſtigte, Ehrlichere und Ungewandtere beſtraft wird.
Es erſchüttert auch die Rechtsſicherheit, wenn der
Schuldige mit einiger Wahrſcheinlichkeit darauf rech⸗
nen kann, ſich der Strafe zu entziehen. Dieſe Wahr:
ſcheinlichkeit iſt um fo größer, je vollkommener die
Leiſtungen der Verbrecher und je unvollkommener die
Leiſtungen der Kriminalpolizei ſind. Sie iſt um ſo
geringer, je vollendeter die Polizei und die Staats⸗
anwaltſchaft zu arbeiten vermögen. Auf den guten
Willen und die natürlichen Fähigkeiten kommt es
dabei nicht ausſchließlich an. Von hervorragender
Bedeutung ſind vielmehr auch die den Behörden zu
Gebote ſtehenden Hilfsmittel und ihre fachmänniſche
Ausbildung. Bei der heute ſo vorgeſchrittenen tech
niſchen Ausbildung der Verbrecher iſt es daher eine
unabweisbare Notwendigkeit den Strafverfolgungs⸗
behörden, ſoweit es die vorhandenen Geldmittel ge⸗
ſtatten, möglichſt vollkommene Hilfsmittel gegenüber
dem Verbrechertum an die Hand zu geben. .
Ich möchte mir im folgenden geſtatten, einige
Anregungen zu geben, die mir geeignet ſcheinen, den
genannten Behörden die Arbeit zu erleichtern. Zum
Teil handelt es ſich allerdings nicht um neue Vor⸗
ſchläge; es ſoll aber zur Erwägung gebracht werden.
ob ſich nicht die allgemeine Einführung empfiehlt.
Beſſer als jede Schilderung und genauer und
zuverläſſiger als jeder Zeuge gibt, wie bekannt, die
Photographie die Vorgänge wieder. Es iſt nicht
nötig auf den Wert dieſes Beweismittels nochmals
hinzuweiſen. Nun zeigt die Erfahrung, daß die
Gendarmen und Schutzleute meiſt die erſten Amts⸗
perſonen find, die an den Tatort kommen; daß fie
auch auf ihren Dienſtgängen vielfach Gelegenheit
haben, Verbrecher bei der Tat zu beobachten. Es iſt
auch bekannt, daß es mit Rückſicht auf den Verkehr
oder den Geſchäftsbetrieb (3. B. in Fabriken, Stein⸗
brüchen ꝛc.) oder mit Rückſicht auf Rettungsarbeiten
(3. B. bei Eiſenbahnunglücken uſw.) meiſt nicht möglich
iſt bis zum Eintreffen des Richters abſichtliche oder
zufällige Veränderungen des Tatortes oder der Sach—
lage hintanzuhalten. Und gerade in ſolchen Fällen
wäre es oft ſehr wichtig Grundlagen für eine zu—
Zeitſchrift für Rechtspflege
verläſſige Feſtſtellung des urſprünglichen Zuſtandes
zu haben, da erfahrungsgemäß in dieſer Beziehung
die meiſten Zeugen verſagen. Es wäre daher ſehr
zu begrüßen, wenn in ſolchen Fällen der Polizei⸗
beamte ſtets mit einem guten photographiſchen
Apparat ausgerüſtet und mit feiner Handhabung
ausreichend vertraut wäre. Wie oft wäre auch die
Feſiſtellung eines anfänglich unwichtig ſcheinenden
Umſtandes notwendig; es kann aber kein Zeuge
richtige Auskunft geben. Eine rechtzeitig aufge⸗
nommene Photographie würde ohne weiteres die
wahre Sachlage erſehen laſſen. Auch bei Aufläufen
u. dgl. könnte eine Anzahl guter Bilder oft wichtige
Aufſchlüſſe über den wahren Sachverhalt geben und
die Entſcheidung über die Glaubwürdigkeit der ein⸗
zelnen Zeugenausſagen ſehr vereinfachen. In man⸗
chen Fällen könnte auch der meiſt koſtſpieligere
richterliche Augenſchein unterbleiben. Mit Rückſicht
auf eine möglichſt weitgehende Verwendbarkeit wäre
es wohl zweckmäßig einen guten, aber kleinen und
unauffällig handzuhabenden Apparat zu benützen.
Ich denke dabei z. B. an Apparate, die womöglich
unter der Uniform!) getragen werden können und
deren Objektiv durch ein Knopfloch der Uniform die
Aufnahme macht; natürlich müßte ein folder Apparat
techniſch ſo vollkommen ſein, daß genügend ſcharfe
Aufnahmen auch bei weniger guter Beleuchtung er⸗
zielt werden können. Die Größe der Aufnahmen
wäre von untergeordneter Bedeutung, da gute Auf⸗
nahmen leicht vergrößert werden könnten.
Ueber den Nutzen der Polizeihunde ſind die
Meinungen zwar geteilt. Wenn ſie aber auch nicht
ausſchlaggebenden Beweis liefern können, ſo wäre
doch ihre Unterſtützung für den Polizeibeamten viel⸗
fach wertvoll. Es wäre daher wohl zu empfehlen,
wenn jede Gendarmerie ihren Polizeihund hätte.
Das ließe ſich vielleicht ohne allzugroße Koſten er⸗
reichen, wenn die Polizeibeamten, die perſönlich ſolche
Hunde halten, von der Gebühr für das Halten be⸗
freit wären und einen kleinen Zuſchuß zu den Futter⸗
koſten bekämen, und wenn ferner für beſondere
Leiſtungen der Hunde kleine Belohnungen gezahlt
würden.
Es wurde auch als Mißſtand empfunden, daß,
(wenigſtens bis vor kurzem), manche Gendarmerie⸗
ftationen noch keinen Fernſprecher hatten. Die
Erfahrung hat gezeigt, daß man nicht ſtets darauf
rechnen kann, daß die an dem betreffenden Ort einen
Fernſprecher beſitzenden Behörden oder Privatperſonen
die Gendarmerie an ihren Fernſprecher rufen; es
wird hin und wieder die Erledigung wichtiger Auf⸗
träge verzögert oder gar unmöglich gemacht. — Er⸗
wünſcht wäre auch, wenn den Polizeibeamten ein
Kraftfahrzeug zur Verfügung ſtände. Es könnten
dadurch nicht nur die Verbrecher ſchneller verfolgt
und der Tatort eher erreicht werden, ſondern es
würde angeſichts der Möglichkeit, daß unvermutet
und raſch ein Gendarm erſcheint, auch die Sicherheit
auf den Landſtraßen noch erheblich vermehrt werden.
Hin und wieder machen auch die Finanzbehörden
kleinliche Schwierigkeiten, wenn es ſich um Er ſatz
ungewöhnlicher Auslagen handelt, z. B. Erſatz
) Die Uniform dürfte auch einfacher und unauf-
fälliger werden. Das Auftauchen eines Gendarmen
kann der Verbrecher derzeit ſchon auf weite Ent—
fernungen bemerken und ſich in Sicherheit bringen.
in Bayern. 1911. Nr. 8. 183
für Chemikalien, Erfag für die Beſchädigung einer
Hoſe eines Polizeibeamten bei einer wichtigen Durch⸗
ſuchung u. dgl. Wenn in ſolchen Fällen der Beamte
befürchten muß, Erſatz nicht oder nur unter Schwierig⸗
keiten zu erlangen, ſo wird das ſeine Freudigkeit
dämpfen auch einmal etwas außerordentlich es, von der
Regel (Schablone) abweichendes in einer wichtigen Unter:
ſuchung zu tun, denn meiſt können die Polizeibeamten
ſolche Auslagen nicht aus eigener Taſche beſtreiten.
Gerade die Möglichkeit, auch einmal von der Regel
abweichende, im einzelnen Fall oft ſehr nützliche
Unter ſuchungshandlungen vorzunehmen, fürdert oft
wichtige Ergebniſſe da zu Tage, wo ein Arbeiten nach
der herkömmlichen Form keinen Erfolg haben könnte.
Es wäre daher eine möglichſt weitherzige Behandlung
bei dem Erſatz ſolcher Auslagen zu wünſchen. Die
Mehrausgaben würden meiſt durch Erſparnis an
Zeugengebühren wieder reichlich aufgewogen.
Die Verwertung von Fußſpuren und Finger⸗
abdrücken hält ſich im allgemeinen noch in recht
beſcheidenen Grenzen. Wo eine Sicherung der Spuren
bis zum Eintreffen eines Sachverſtändigen nicht an⸗
gängig iſt, müßten eben die Polizeibeamten dieſe
Spuren abbilden oder abnehmen. Es wäre daher zu
wünſchen, daß die Polizeibeamten mit der Behand⸗
lung und Verwertung ſolcher Spuren ausreichend ver⸗
traut und mit den erforderlichen Hilfsmitteln — auch
zum Sichtbarmachen unſichtbarer oder ſchlecht ſichtbarer
Fingerabdrücke — ausgerüſtet wären. Es wäre auch
zu begrüßen, wenn ſie damit vertraut wären, wie
ſolche Spuren zu photographieren ſind. Es würde
ſich wohl empfehlen, wenn ſie die nötigen Hilfsmittel,
ähnlich, wie es Groß den Unterſuchungsrichtern em⸗
pfiehlt, in handlicher Verpackung bei ſich führen würden.
In gar manchen Strafverfahren, die derzeit noch
mit Einſtellung wegen Nichtermittelung des Täters
enden, würde die Polizei mit den genannten Hilfs⸗
mitteln den Täter feſtſtellen, wohl auch die Unſchuld
eines zu Unrecht Angeſchuldigten leichter erweiſen können.
Die Koſten der Anſchaffung und Handhabung würden,
wie ſchon bemerkt, zum Teil dadurch eingebracht werden
können, daß der doch recht teure Zeugenbeweis viel⸗
fach ganz erheblich eingeſchränkt werden könnte. Ab⸗
geſehen davon würde die Möglichkeit leichter die Wahr⸗
heit zu ermitteln und Irrtümer auszuſchalten, auch
den Aufwand einiger Koſten zur Genüge rechtfertigen.
Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Sicherung eines vorbehaltenen Nangs durch eine
Vormerkung nach 3 18 68D. Rechtliche Natur einer
ſolchen Vormerkung. Beſeitigung durch eine ſpätere Ein⸗
tragung, die einen Nangvorbehalt nicht enthält. Er⸗
werb in gutem Glauben (5 892 BGB.) anf Grund
einer ſolchen Vormerkung. Auf dem Grundſtück eines
Putzermeiſters Friedrich R. ſtand ſeit dem 25. Mai
1906 in Abt. II Nr. 10 für die Beklagte eine
Sicherungshypothek von 50000 M mit dem Be⸗
merken eingetragen, daß der Eigentümer ſich vorbe—
184
halten habe, eine Hypothek von 50000 M mit dem
Range vor dieſer Sicherungshypothek eintragen zu
laſſen. In einer notariell beglaubigten Urkunde vom
24. Juli 1907 bewilligte R. dem Glaſermeiſter B. die
Eintragung einer Darlehnshypothek von 50 000 M mit
4½ % Zinſen und „legte dieſer Hypothek in Ausübung
der vorbehaltenen Befugnis den Rang vor den in Abt. III
Nr. 10 eingetragenen 50000 M bei“. Der Grundbuch⸗
richter machte jedoch die Eintragung von der Bei—
bringung der Hypothekenbriefe von Abt. III Nr. 10
abhängig und trug, als die Gläubiger die Heraus⸗
gabe verweigerten, in Abt. III Nr. 19 nur eine Vor⸗
merkung zur Sicherung des Anſpruchs auf Eintragung
der Hypothek „mit dem Range vor der Poſt Abt. III
Nr. 10° am 31. Juli 1907 von Amts wegen ein. Er
trat, nachdem inzwiſchen, am 17. Auguſt 1907, die Be⸗
klagte auf Grund einer einſtweiligen Verfügung eine
Vormerkung zur Sicherung des Anſpruchs auf Löſchung
des Rangvorbehalts bei Abt. III Nr. 10 hatte eintragen
gieitſchrift für Rechtspflege in
laſſen, am 7. September 1907 feine Rechte aus der
Eintragungsbewilligung und der Vormerkung der
Klägerin ab.
R. bewilligte die Eintragung für die
Klägerin. Seit dem 19. Juli 1907 ſchwebte die Zwangs⸗
verwaltung und Zwangsverſteigerung des Grundſtücks.
50 000 M*) beſtehen und iſt in der gegenteiligen Ein=
Am 5. November 1907 ſtand Bietungstermin an. Am
12. Oktober 1907 ſtellte die Klägerin, nachdem auch ſie
die Hypothekenbriefe von Abt. III Nr. 10 nicht hatte
erlangen können, beim Grundbuchamt den Antrag, die
Hypothek von 50000 M „ohne Vorrang vor der Poſt
Abt. III Nr. 10“ einzutragen, und bemerkte dabei:
Nr. 8.
Bayern. 1911.
werden. Es handelte ſich um eine Vormerkung, die
der Grundbuchrichter von Amts wegen auf Grund
des 8 18 Abſ. 2 EBD. eingetragen hatte, weil, wie
er annahm, der endgültigen Eintragung des Vorrangs
vor den Poſten in Abt. III Nr. 10 der Mangel der
Hypothekenbriefe entgegenſtand. Die Vormerkung
hatte den doppelten Zweck, der Hypothek, deren Ein:
tragung zugunſten der B. beantragt war, einmal gegen
weitere nachträglich beantragte Hypothekeneintragungen
und ſodann gegen etwaige Verfügungen über den
Rangvorbehalt bei Abt. III Nr. 10 den Rang zu
ſichern. Der Rang gegenüber den nacheingetragenen
Hypotheken mußte der Hypothek gewahrt bleiben, als
die Klägerin am 12. Oktober 1907 die endgültige Ein⸗
tragung „ohne Vorrang vor der Poſt Abt. III Nr. 10“
beantragte. Die Vormerkung konnte deshalb nicht
gelöſcht, ſondern mußte umgeſchrieben werden. So⸗
weit ſie gleichzeitig die Sicherung des Vorrangs
gegenüber Abt. III Nr. 10 bezweckte, wäre ſie aller⸗
dings, nachdem es der Klägerin nicht gelungen war,
das Hindernis zu befeitigen, nach 8 18 GBO. zu
löſchen geweſen. Die Löſchung konnte aber nur in
der Berichtigung eines Satzteils (Wegfall der Worte:
„mit dem Range vor der Hypothek Nr. 10 von
tragung des Ranges hinter der Poſt Abt. III Nr. 10
unbedenklich zu finden, wenngleich die vorgeſchriebenen
„Auf unſeren perſönlichen Anſpruch wird nicht ver⸗
zichtet.“ Der Grundbuchrichter ſchrieb darauf am
18. Oktober 1907 die Vormerkung in Abt. III Nr. 19
in eine Darlehnshypothek von 50000 M unter Bezug⸗
nahme auf die Urkunden vom 7. und 9. September
1907 mit der Maßgabe ein, daß die Poſt der in
Abt. III Nr. 10 im Range nachſtehe. Im Verteilungs⸗
termin iſt die Klägerin mit ihrer Hypothek ausgefallen,
dagegen iſt die Beklagte mit 14 933.23 M bei Abt. III
Nr. 10 zur Hebung gekommen. Infolge Widerſpruchs
der Klägerin iſt der Betrag als Streitmaſſe hinterlegt
und ſodann die Eintragung im Grundbuch gelöſcht
worden. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auf
Auszahlung der Streitſumme und der Hinterlegungs—
zinſen geklagt, das LG. hat nach den Anträgen der
Klägerin erkannt, das OLG. aber hat unter Abweiſung
der Klage die Auszahlung der ſtreitigen Beträge und
der Hinterlegungszinſen an die Beklagte angeordnet.
Die Reviſion blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen: Der in Abt. III Nr. 10
eingetragene Rangvorbehalt war allerdings dinglicher
Natur, die vorbehaltene Befugnis war aber derart
mit dem Eigentum am Grundſtück verknüpft, daß fie
von dieſem nicht getrennt und auf andere Perſonen
nicht übertragen werden konnte (vgl. Planck Anm. 3,
Turnau-Förſter Anm. II 3 zu 8 881 BGB.). Der
Eigentümer konnte ſich, wenn er von dem Rangvor—
behalt Gebrauch machen wollte, perſönlich zur Einräu—
mung einer bevorrechtigten Hypothek verpflichten, ein
dingliches Recht erwuchs aber dem Gläubiger, dem
der Vorrang beigelegt werden ſollte, erſt mit der Ein—
tragung der Hypothek und des Vorrangs (BGB.
ss 879 Abſ. 3, 880 Abſ. 2; Planck Anm. 4a und Be;
Turnau-Förſter Anm. II 7, III 3 bzw. II 5) Zu
einer ſolchen Eintragung des Vorrangs in Abt. III
Nr. 19 aber iſt es nicht gekommen. Die dort am
31. Juli 1907 von Amts wegen eingetragene Vor—
merkung des Vorrangs hat der Berufungsrichter mit
Recht durch die ſpätere auf Antrag der Klägerin be—
wirkte gegenteilige Rangeintragung für erledigt er—
achtet. Von einer falichen Eintragung konnte keine
Rede ſein, da ſie auf den eigenen Antrag der Klägerin
vorgenommen war. Ebenſowenig aber kann aus dem
Umſtand, daß die Vormerkung nicht gelöſcht worden
iſt, das Fortbeſtehen der Rangvormerkung gefolgert
Formen der Löſchung vielleicht nicht in jeder Bezie⸗
hung innegehalten ſein mögen. Uebrigens würde,
auch wenn man der Reviſion darin folgen wollte,
daß der Anſpruch auf den Rang vor der Poſt
Abt. III Nr. 10 auch nach der Umſchreibung der
Vormerkung immer noch vorgemerkt geblieben ſei,
damit nichts für die Klägerin gewonnen ſein. Denn
es iſt an ſich ſchon zweifelhaft und für die Vormer⸗
kungen der 83 883 ff. BGB. von der herrſchenden
Meinung verneint, daß die Vormerkung die Bedeu⸗
tung auch nur eines bedingten dinglichen Rechts
habe (vgl. Jäckel Anm. 2 zu § 48 3VG. Anm. 1 zu
8 120 daſ.; Planck zu 8 883 BGB.; Turnau-Förſter
daſ. Anm. II 4, Oberneck, Reichsgrundbuchrecht 4. Aufl.
Bd. I S. 443 ff., 448 ff.). Sie iſt, bei dieſer Art von
Vormerkungen wenigſtens, nur als dingliches Siche⸗
rungsmittel für perſönliche Anſprüche anerkannt, das
insbeſondere einen Anſpruch auf Berückſichtigung des
guten Glaubens (8 892 BGB.) nicht gewährt (vgl.
Planck Anm. 1a, 3i zu 8 883; Turnau-⸗Förſter daſ.
Anm. II 4d; Oberneck Bd. I S. 446). Die Vormer⸗
kung des 8 18 G80. iſt allerdings nicht zur Siche⸗
rung eines perſönlichen Anſpruchs auf Eintragung,
ſondern zur Sicherung des aus dem dinglichen Ber-
trage ſich ergebenden Eintragungsrechts beſtimmt (vgl.
RG 3. 55, 342, 62, 377; Turnau-Förſter Bd. II Anm. III
6, 7 zu 8 18; Oberneck Bd. I S. 268), immerhin iſt
auch ſie nur ein Sicherungsmittel, kein dingliches Recht
und kann zu einem ſolchen nur durch endgültige Ein—
tragung in der Reihe der dinglichen Rechte werden.
Von einem gutgläubigen Erwerb auf Grund einer
ſolchen Vormerkung kann deshalb, aber auch aus dem
Grunde keine Rede ſein, weil die Vormerkung ſelbſt
ergibt, daß der Eintragung Hinderniſſe entgegenſtehen.
In der Zwangsverſteigerung wird die Vormerkung
zwar nach $ 48 3G. einem bedingten Rechte gleich
behandelt, es geſchieht dies aber nur unter der Vor—
ausſetzung, daß das Recht nachträglich feſtgeſtellt wird.
die Bedingung, wenn man von einer ſolchen reden
darf, eintritt. Davon war im vorliegenden Fall keine
Rede. Das Hindernis, das der Eintragung entgegen—
ſtand, iſt auch nach der Umſchreibung der Vormerkung
nicht behoben worden, es konnte auch nicht behoben
werden, weil der Grundeigentümer nicht in der Lage
war der Klägerin die Hypothekenbrieſe zu beſchaffen.
(Urt. des V. 35. vom 6. Februar 1911, V 267.10).
220
— — n.
Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 8.
— ——⏑—ᷣ ͤ ð8Gü— nn
— — — — —
II.
1. Widerruf der Kündigung einer Hypothek. 2. Zu:
täffigfeit der Zwangsvollſtreckung in den Bruchteil eines
Grnndſtücks. In der Zwangsverſteigerung eines Grund⸗
ſtücks iſt der Beklagte zuſammen mit dem Malermeiſter
L. und dem Lehrer H., denen der Erſteher ſeine 5
aus dem Meiſtgebote zu gleichem Rechte und Anteilen
abgetreten hatte, durch Zuſchlag Eigentümer geworden.
Von dem Abtretungsgegenwert wurden 24 000 M als
Darlehn auf dem Grundſtücke für den Erſteher N. als
Hypothek eingetragen. Die Forderung ſollte nach drei⸗
monatiger Kündigung rückzahlbar ſein. Weil die
Zinſen nicht pünktlich gezahlt wurden, kündigte N.
jedem der drei Miteigentümer die Hypothek mit drei⸗
monatiger Friſt. Die Anteile des L. und des H. an
dem Grundſtück erwarb die Klägerin durch Auflaſſun
und Eintragung im Auguſt 1908; ſie übernahm 99
die Hypothekenſchuldanteile von je 8000 M, und am
1. Oktober 1908 bezahlte fie die ganzen 24000 M
nebſt Zinſen an N. Der Beklagte will die auf ihn
entfallenden 8000 M und Zinſen der Klägerin nicht
erſtatten. Die Klägerin hat beantragt den Beklagten
zur Zahlung von 8000 M und Zinſen und zur Duldung
ihrer Befriedigung aus ſeinem Miteigentumsanteil an
dem Grundſtück zu verurteilen. Der Beklagte hat die
Abweiſung der Klage beantragt, da N. die Kündigung
zurückgenommen habe, auch bei künftiger pünktlicher
Zinszahlung die Forderung nicht eingeklagt haben
würde. Das OLG. hat nach dem Klageantrage er⸗
kannt. Die Reviſion blieb erfolglos.
Aus den Gründen: 1. Gebilligt wird die
Auffaſſung des Berufungsgerichts, daß der Gläubiger
einſeitig das einmal eingetretene Ablöſungsrecht der
Klägerin nicht beſeitigen konnte, nachdem die Klägerin
nach dem eigenen Vortrage des Beklagten auf Aus⸗
zahlung beſtanden hatte. Die Kündigung iſt zwar eine
einſeitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Nom:
mentar von Reichsgerichtsräten § 609 Nr. 2), aber fie
iſt trotzdem nicht widerruflich (ſ. Thiele im Arch ZivPrax.
Bd. 89 S. 163), denn ſie iſt für beide Teile von
rechtlicher Wirkſamkeit, und dieſe Wirkungen, einmal
eingetreten, dauern für die Geſtaltung des Rechtsver⸗
hältniſſes bis zur Aufhebung mit beiderſeitigem Willen
fort. Die Kündigung wirkt daher nicht nur gegen den
Gekündigten ſondern auch gegen den Kündigenden ſelbſt
(ſ. Gruchots Beitr. Bd. 26 S 694). Kann ſich aber der Ge⸗
kündigte auf die durch die Kündigung hervorgerufene
älligkeit berufen, ſo braucht er ſich eine einſeitige
urücknahme nicht gefallen zu laſſen.
2. Fehl geht auch die Rüge, die die dingliche Ber-
urteilung für unſtatthaft erklärt, da die Hypothek nicht
auf dem Bruchteil des Beklagten, ſondern auf dem
ganzen Grundſtück eingetragen war.
iſt gemäß § 1153 BGB. auf die Klägerin übergegangen,
und zwar nicht etwa zu den ihren zwei Dritteln An-
teil an dem Grundſtück entſprechenden Teilen gemäß
8 1177 BGB. als Grundſchuld, ſondern ihrem ganzen
Umfange nach als Hypothek (8 1009 Abſ. 1 BGB.),
ruhend auf dem ganzen Grundſtück (ſ. Staudinger
klärt, wenn der Bruchteil in dem Anteil eines Mit⸗
8
eigentümers beſteht. Dieſer Fall liegt vor. Wie die
Begründung zur Novelle der ZPO. vom 17. Mai 1898
(S. 182) ergibt, hat man den Abſatz 2 zu 8 864 (früher
§ 757) eingefügt, weil die Zweckmäßigkeitsgründe, auf
denen die Vorſchriften der 88 1106, 1114, 1192, 1199
| 888. beruhen, es rechtfertigen, wenn auch die Zu⸗
läſſigkeit der Zwangsvollſtreckung in den Bruchteil
eines Grundſtücks oder einer Berechtigung davon ab-
hängig gemacht werde, daß entweder der Bruchteil in
dem Anteil eines Miteigentümers beſteht, oder der
Anſpruch des Gläubigers ſich auf ein Recht gründet,
mit dem der Bruchteil als ſolcher belaſtet iſt. Für
preußiſches Recht hat der erkennende Senat durch ein
Urteil vom 28. Januar 1888 (RGZ. 20, 270) in dieſem
Sinne erkannt, und die Motive zu 8 4 des 1. Entwurfs
zum 3G. (ſ. auch Jaeckel 1901 S. 6) bejahen die
Frage unter Bezugnahme auf dieſe Entſcheidung mit
dem Bemerken, daß in den beiden Fällen die Zwangs⸗
vollſtreckung in den Anteil ſelbſt dann berechtigt ſei,
wenn der Gläubiger in der Lage ſei, auch aus den
Die Hypothek
1009 1. a, Kommentar von Reichsgerichtsräten 8 1009
Nr. 1). Somit iſt auch der Bruchteil des Beklagten
mit ihr belaſtet, und die Klägerin iſt alſo ſoweit auch
dinglich ihm gegenüber berechtigt: deshalb muß ihr
auch die Möglichkeit dinglicher Befriedigung zuſtehen.
Hiernach ſpricht die Natur der Sache für die Zuläſſig⸗
keit der Zwangsvollſtreckung in den Bruchteil des
Beklagten. Sie findet aber auch, wie das Berufungs—
1 N ausführt, ihre geſetzliche Grundlage
864 Abſ. 2 ZPO. Die Reviſion will die Zwangs-
= ſtreckung nur für den Fall zulaſſen, daß die Hypo=
thek nur auf dem Bruchteil des Beklagten ruhte. Daß
dieſe Anſicht unzutreffend iſt, ergibt ſich ſchon daraus,
daß der 8 864 Abſ. 2 ZPO. die Zwangsvollſtreckung
in den Bruchteil eines Grundſtücks nicht nur für dieſen
Fall, ſondern auch für den weiteren für zuläſſig er⸗
|
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Betrage von
übrigen Anteilen oder aus dem ganzen Grundſtück
Befriedigung zu verlangen. (Urt. des V. 35. vom
29. Oktober 1910, V 627/09).
2114
— — — n
Fakſimilierte Unter griſten find unzuläſſig bei
Unterſchriften 8 Teil ſchuldverſchreibungen, die unter
den 5 780 BGB. fallen. Rechtliche Natur der ſolchen
Teilſchuldverſchreibungen beigegebenen fat und Er⸗
nenerungsſcheine. Notwendigkeit der ſtaatlichen Ge⸗
388 zur Ausgabe ſolcher Zinsſcheine (8 795
GB.). Die Beklagte hat Teilſchuldverſchreibungen
| 15 eine Anleihe von 200 000 M, eingeteilt in 100 Stück
zu 1000 und 200 Stück zu 500 M, nebſt Zins⸗ und
GB eheuerungäfegeinen ‚ausgeftellt und in den Verkehr
gebracht. Sie ſind in der für börſenmäßige Wert⸗
papiere üblichen Art des Druckes hergeſtellt. Im Text
heißt es: „An derjenigen Anleihe von 200 000 M,
welche wir durch Vermittlung der Effektenbank G.m. b. H.
aufgenommen haben, iſt die Effektenbank mit einem
beteiligt, über deren Empfang hier⸗
durch quittiert wird. Die Verzinſung und Rückzahlun
erfolgt an die Effektenbank oder deren Order na
Maßgabe der umſtehend abgedruckten Anleihebe⸗
dingungen.“ In der Allonge tragen die im Beſitz des
Klägers befindlichen Stücke das Blankogiro der ge-
nannten Bank. Die gedruckten Zinsſcheine zeigen die
übliche Form. Der Text wird eingeleitet mit: „Inhaber
dieſes Zinsſcheins empfängt am ... die halbjährlichen
Zinſen ... mit . ... Da die Beklagte die Gültigkeit
der Papiere beftreitet, haben die Kläger Feſtſtellungs⸗
klage mit dem Antrag erhoben: feſtzuſtellen, daß die
Beklagte ihnen aus den Schuldverſchreibungen nebſt
Zinsſcheinen hafte. Die Beklagte wendet unter anderem
ein, daß die Unterſchriften auf den Urkunden nicht
handſchriftlich vollzogen, ſondern fakſimiliert ſeien;
daß ſie nicht Kaufmann und daher nicht in der Lage
ſei, Verpflichtungsſcheine an Order auszuſtellen,
daß die Zinsſcheine als Inhaberſchuldverſchreibungen
nicht ohne ſtaatliche Genehmigung hätten ausgeſtellt
werden dürfen. Beide Inſtanzen haben die Klage
abgewieſen. Die Reviſion hatte keinen Erfolg.
Gründe: Mit Recht wendet der Vorderrichter
den 8 780 BGB. und die 88 126, 125 BGB. an. Wenn
auch im Text der Urkunde der Schuldgrund angegeben
wird, ſo kann doch kein Zweifel daran beſtehen, daß
die Abſicht auf Begründung einer ſelbſtändigen Ver—
pflichtung gerichtet geweſen iſt. Das ergibt ſchon die
Maſſenausgabe übereinſtimmender Papiere in Form
eines negotiablen Wertpapiers. Es erhellt auch aus
der Orderklauſel, weil die volle rechtliche Wirkſamkeit
des Indoſſaments nur bei einer abſtrakten Schuldver—
pflichtung erzielt werden kann. Da für die Beklagte,
welche nicht Kaufmann iſt, der 8 350 HGB. nicht in
186
Frage kommt, findet § 126 BGB. unmittelbar und
zwingend Anwendung. In dem Urteil, auf welches
die Kläger ſich berufen, hat freilich das Reichsgericht
im Jahre 1884 ſich dahin ausgeſprochen, daß bei
gleichlautenden Urkunden, welche als zum Umlauf
beſtimmte Wertpapiere in großer Anzahl ausgegeben
werden, die Herſtellung der Unterſchrift des Ausſtellers
durch Fakſimile⸗Druck ganz üblich ſei, und daß aus
dieſer Art der Unterzeichnung kein Einwand gegen
Gültigkeit der Urkunde hergeleitet werden könne, weil
die Rechtsſitte darüber entſcheide, in welcher Form die
Unterſchrift von Urkunden herzuſtellen iſt. Das trifft
aber nicht mehr zu, denn jetzt entſcheidet darüber nicht
mehr die Rechtsſitte, ſondern die Vorſchrift des Ge⸗
ſetzes, eben der $ 126 BB. Das Reichsgericht hat
in jener Entſcheidung keineswegs ein Gewohnheitsrecht
unterſtellt, vielmehr wird feſtgeſtellt, daß nach dem
damals gültigen Begriff der Schriſtlichkeit die eigen⸗
händige Unterſchrift da fehlen kann, wo die Herſtellung
im Wege mechaniſcher Vervielfältigung allgemein üblich
iſt. Dieſem Rechtszuſtand hat nun aber der 8 126
ein Ende bereitet, und ſoweit nicht Ausnahmen zuge⸗
laſſen ſind, muß es bei der ſtrengen Regel ſein Be⸗
wenden behalten.
Auch wegen der Zinsſcheine kann die Entſcheidung
nicht anders ausfallen. Die rechtliche Natur ſolcher
Zinsſcheine wird oft nicht leicht zu beſtimmen ſein
und es iſt namentlich auch die Frage lebhaft erörtert
worden, ob die Ausgabe ſolcher Zinsſcheine der ſtaat⸗
lichen Genehmigung bedürſe, wenn fie erfolgt in Be-
ziehung auf Titel, die an Order ausgeſtellt und die
unter Blanko⸗Indoſſament wie Inhaberpapiere zirku⸗
lieren können. Ein Streit darüber iſt indeſſen nur
inſoweit möglich, als Zweifel beſtehen können, ob der
einzelne Zinsſchein als eigentliches Inhaberpapier an⸗
zuſehen iſt. Hier iſt nun aber der Schein ausdrücklich
auf den Inhaber geſtellt und damit jeder Zweifel
beſeitigt. Er iſt kein Legitimationspapier nach § 808
BGB. und kann auch, da er alle Erforderniſſe einer
auf eine beſtimmte Geldſumme lautenden Ver—
pflichtungsurkunde aufweiſt, nicht als eine „Karte,
Marke oder ähnliche Urkunde“ nach $ 807 BGB. an⸗
geſehen werden. Auf ihn findet deshalb der 8 795
BGB. Anwendung. (Vgl. Ritter, Die allgemeinen
Lehren des Handelsrechts S. 184 und dazu Düringer
in Badiſche Praxis 1900 S. 352). Der Erneuerungs⸗
vitutenſtreit mit einem Dritten verwickelte Beklagte
haite am 25. September 1895 an den Kläger einen
Brief geſandt, worin es heißt: „Da Sie die fraglichen
!
|
|
|
|
ſchein, der ebenfalls auf den Inhaber geſtellt ift, ver- |
Spricht freilich nicht Zahlung einer beſtimmten Geld⸗
ſumme und fiele daher nicht unter den 8 795 BGB.
Aber Erneuerungsſcheine ſind ihrem Weſen nach nicht
Urkunden über eine ſelbſtändige Verpflichtung. Sie
ſind nur Legitimationspapiere, auch wenn ſie auf den
Inhaber lauten. (Vgl. BGB. § 805, RG 38S. Bd. 3
S. 154, Bd. 31 S. 147). Uebrigens aber iſt unter
den hier vorliegenden Umſtänden der Anſpruch der
Kläger aus den Zinsbögen und Talons auch aus
einem anderen Grunde hinfällig. Denn hier wird nicht
der Anſpruch aus dem einzelnen begebenen Papier
geltend gemacht. Es wird vielmehr unter Vorlegung
der Zinsbögen mitſamt der Titel die Hauptforderung
in erſter Linie geltend gemacht, die Zinsforderung
dagegen nur in ihrer Zugehörigkeit zur Hauptforderung.
Iſt den Klägern gegenüber die Hauptforderung hin—
fällig, fo kann ihnen auch keine Zinsforderung aus
der hinfälligen Hauptforderung daraus erwachſen, daß
fie wie den Titel ſelbſt, ſo auch die Zinsbögen in
Händen haben. (Urt. des JI. 35. vom 9. November
1910, I 15110). — — —n
2201
IV.
Unter welchen Vorausſehungen kann angenommen
werden, daß eine Partei „ohne ihr Verſchulden“ außer
ſtande war, den Neſtitutionsarund in dem früheren
Verfahren geltend zu machen? (Verſpätetes Wieder:
finden eines Brieſez). Gründe: Die in einen Ser⸗
Grundſtücke übernommen haben, ſo muß ich Ihnen,
wie hiermit geſchieht, die Weiterſührung des Prozeſſes
und alles weitere, was Sie zur Wahrung Ihres
Intereſſes für nötig halten, überlaſſen“. Das OLG.
ſtellt feſt, daß dieſer Brief erſt am 7. Jebruar 1908,
nach Verkündung des Berufungsurteils, wiedergefunden
wurde. Zugleich erachtet es ihn im Sinne der ZPO.
8 580 Nr. 7b für erheblich. Ob dieſer Anſicht bei⸗
gepflichtet werden darf, kann dahingeſtellt bleiben, da
das Urteil jedenfalls den 8 582 ZPO. verletzt. Die
Reſtitutionsklage iſt nach dieſer Vorſchrift nur zuläſſig,
wenn die Partei ohne ihr Verſchulden außer⸗
ſtande war den Reſtitutionsgrund in dem früheren
Verfahren geltend zu machen. Gewiß darf keine Fahr⸗
läſſigkeit darin erblickt werden, daß der Kläger den
12 Jahre zurückliegenden Brief aus dem Gedächtnis
verloren hat. Aber was das OLG. bemerkt, von einem
Verſchulden könne höchſtens dann die Rede ſein, wenn
er ſich des Briefes noch erinnert hätte, trifft nicht zu.
Vielmehr war unbedingt Veranlaſſung für den Kläger
gegeben, ſeine auf die Grundſtücksangelegenheit be⸗
züglichen Schriftſtücke durchzuſehen. Daß er das Vor⸗
handenſein ſolcher Schriftſtücke im allgemeinen kannte,
hat er nicht beſtritten. Es war das auch ſelbſtver⸗
ſtändlich, da, wie er wußte, die Auseinanderſetzung
wegen des Handelsgeſchäfts und wegen der Grund⸗
ſtücke noch ausſtand. Seit Ende 1904 war die An-
gelegenheit im Fluß, der Kläger hatte vollauf Zeit
die Korreſpondenz zu ſichten. Statt deſſen hat er nach
der Verkündung des Urteils der 2. Inſtanz dem Zeugen
H. einen „Haufen ungeordneter Papiere“ übergeben,
um daraus Material für einen neuen, auf Abrechnung
gerichteten Prozeß zuſammenzuſtellen; H. hat noch an
demſelben Tage den Brief gefunden. Ein ſolches Ver⸗
fahren kann umſoweniger entſchuldigt werden, als der
Kläger in ſeiner Eigenſchaft als Kaufmann durch das
Geſetz auf eine ordnungsmäßige Aufbewahrung ſeiner
Korreſpondenz hingewieſen iſt (§ GB. 88 38, 44). Der
erkennende Senat hat ſchon in der Entſcheidung I.
208/98 vom 21. September 1898 (JW. S. 608) aus⸗
geſprochen, die Rechtsſicherheit geſtatte nicht rechts⸗
kräftige Urteile nur auf Grund des Umſtandes in
Frage zu ſtellen, daß eine während des Rechtsſtreits
im Gewahrſam der Partei befindliche, aber infolge
unzureichender Ordnung im Geſchäftsbetrieb unbemerkt
gebliebene Urkunde nachträglich vorgelegt wird. Hieran
muß feſtgehalten werden. Da den Kläger der Vorwurf
trifft die Urkunde aus Fahrläſſigkeit zu ſpät geſucht
zu haben, iſt ſeine Reſtitutionsklage abzuweiſen. (Urt.
des I. ZS. vom 21. Dezember 1910, I 519/09).
— — en.
B. Strafſachen.
I
. Welche Gruudſtücksnmzännung berechtigt zur Aus⸗
übung der Eigenjagd in der Rheinpfalz?!) Die Ange⸗
klagte haben längere Zeit hindurch die Faſanenjagd
auf einzelnen ihnen gehörigen Grundſtücken in den
pfälziſchen Gemarkungen R. und N. ausgeübt, obwohl
die Feldjagden dieſer Gemeinden an andere Perſonen
verpachtet ſind. Ihre Grundſtücke hatten ſie durch
einen Drahtzaun aus parallel geſpannten Drähten
— — ——
umfriedigt, in welchem eine verſchließbare und ver—
ſchloſſen gehaltene Türe angebracht war. Sie wurden
_ 5 Val. bierzu dieſe Zeitſchrift Jabrg. 1907 S. 25, Jahrg. 1910
S. 259. A
— — — —
kommiſſion vom 21. September 1815 dem Grundbeſitzer
die Ausübung der Jagd auf ſeinem Grundſtück nur
zuſtehe, wenn dieſes von dem Bezirk der Gemeinde⸗
feldjagd durch eine mit verſchließbarer Türe verſehene
Umwehrung, und zwar eine Mauer, einen Zaun oder
eine Hecke abgetrennt ſei Eine ſolche Umſchließung
entſpreche aber nur dann den geſetzlichen Anforderungen,
wenn ſie für den Zutritt von Menſchen ein Hindernis
bilde, das nur durch Gewalt beſeitigt oder durch
Kraftanſtrengung überwunden werden könne. Die
Reviſion fucht darzutun, daß es genügen müſſe, wenn
der Grundſtücksbeſitzer ſein Grundſtück nach außen für
jedermann abſchließt und das Betreten des Grundſtücks
uberhaupt nur erſchwert. Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach franzöſiſchem Recht
iſt das Jagdrecht Ausfluß des Grundeigentums (droit
inhérent à la propriété) Dieſer Grundſatz iſt nament⸗
lich in den Geſeten vom 4. Auguſt 1789 über das
Lehnweſen und vom 30. April 1790 über die Jagd
ausgedrückt. Beide Geſetze find durch die BO. vom
6. Germinal VI in den vier linksrheiniſchen Departe⸗
ments eingeführt worden und gemäß Art 715 Code
civil auch nach dem Inkrafttreten diefes Geſetzbuches
in Geltung geblieben. Im Departement Donnersberg
ſind die Anordnungen dieſer Geſetze allerdings nicht
immer ohne Einſchränkungen durchgeführt worden.
Nachweisbar ſind dort die Feldjagden auf Anordnung
des Präfekten zum Vorteil der Gemeindekaſſen verpachtet,
die Eigenjagd von einzelnen Grundbeſitzern dagegen
nur inſoweit zugelaſſen worden, als die Grundſtücke
durch Mauern oder lebende Hecken (Art. 13 des Geſ.
von 1790) umſchloſſen waren (Verh. der heſſiſchen
2. Kammer der Landſtände zum Geſetz vom 26. Juli
1848). Für die vorgefundene Uebung hat dann nach
Beſeitigung der Fremdherrſchaft die Adminiſtrations⸗
kommiſſion durch ihre BO. die geſetzliche Grundlage
geſchaffen — zweifellos um den Verfall der Jagden
vorzubeugen und um die Erhaltung eines den allge⸗
meinen Intereſſen, ſowohl der Landwirtſchaft wie der
Jagd, angemeſſenen Wildſtands und zu dieſem Zweck
die waidgerechte Ausübung der Jagd zu ſichern. Wenn
die BO. auch den Grundſatz, daß das Jagdrecht Aus⸗
fluß des Grundeigentums ſei, dadurch nicht aufgegeben
hat, daß die Verpachtung der Feldjagden den Gemeinden
ſiberlaſſen und aufgegeben wird, fo iſt doch damit die
Ausübung der Jagdrechte aller Grundeigentümer dieſen
entzogen und auf die Gemeinde übertragen worden,
die durch Verpachtung davon Gebrauch zu machen hat.
Die ſelbſtſtändige Ausübung der Jagd durch einzelne
Grundbeſitzer iſt nur ſoweit zugelaſſen worden, als
es ohne Beeinträchtigung der vorſtehend angeführten
Zwecke geſchehen konnte. So erklärt es ſich, daß nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
|
|
ftüc vermittelt. Daraus iſt deutlich zu erkennen, daß
die Beſtimmung auf dem Gedanken beruht, es ſolle
der Grundbeſitzer befugt ſein, das ihm auf ſeinem
Grundſtück zuſtehende Jagdrecht auch der Ausübung
nach für ſich dadurch zu erhalten, daß er ſeinen
Willen, es von der Verpachtung der Geſamtheit der
Jagdgrundſtücke auszuſchließen, nicht nur erkennbar
macht, ſondern ihn auch gleichzeitig wirkſam in der
Weiſe betätigt, daß der Zutritt zu ſeinem Grundſtück
allgemein, alſo auch namentlich bei Ausübung der
Jagd in der ſonſtigen Feldgemarkung, nicht anders
möglich iſt, als durch die Türe, deren Verſchließ⸗
barkeit dem Beſitzer die Möglichkeit gibt, den Ein⸗
tritt zu geſtatten oder zu verfagen. Iſt das der
Sinn des Geſetzes, fo muß die neben der verſchloſſenen
Türe notwendige Umſchließung ſo geſtaltet ſein, daß
ſie den, der den Eintritt in das Grundſtück ſucht, auch
zum Aufſuchen der Tür nötigt; ſie muß alſo rings⸗
um ein wirkliches Hindernis für den Eintritt bieten.
Das iſt dann nicht der Fall, wenn ſie ohne Anſtrengung
überſtiegen oder ſonſt ohne Gewalt überwunden werden
kann oder gar einfaches Durchſchreiten oder Durchſchlüpfen
ermöglicht. Der gleichen Auffaſſung von der Bedeutung
der Vorſchrift haben ſowohl in der bayer. K. d. Abg.
bei Beratung des inzwiſchen aufgehobenen Geſetzes
vom 4. Juni 1848, wie namentlich in der heſſiſchen
2. Kammer der Landſtände bei Beratung des Geſetzes
vom 26. Juli 1848, deſſen Zweck die Ausdehnung der
VO. auf die rechtsrheiniſchen Landesteile bildete, die
Regierungsvertreter wiederholt und ohne Widerſpruch
Ausdruck gegeben. In dieſen Verhandlungen wurde
mehrfach erfolglos angeregt, als weiteres Erforder⸗
nis die Wilddichtigkeit der Umzäumung aufzuſtellen,
alſo die Ausübung des Jagdrechts auf dem umzäunten
Grundſtück davon abhängig zu machen, daß Wild dort
nicht einſpringen oder einſchlüpfen und nicht aus⸗
wechſeln kann. Darauf kommt es aber bei der Aus⸗
legung der BO. nicht an, denn es handelt fich dabei
erkennbar nicht um Anträge auf Uebernahme einer
in der VO. vorhandenen Beſtimmung, ſondern um
eine neu zu ſchaffende. Deshalb hat die Frage der
Notwendigkeit wilddichter Einzäunungen, die üb⸗
rigens gegenüber Flugwild überhaupt nicht in Be⸗
tracht kommen, auszuſcheiden. Dies um ſo mehr, als es
den Angeklagten, deren Drahtzäune nach der gegebenen
Beſchreibung ſelbſt gegen Haarwild undicht waren, nicht
zum Vorteil gereichen könnte, wenn angenommen würde,
die Verordnung von 1815 erfordere Wilddichtigkeit.
Uebrigens hat die Rechtſprechung der bayeriſchen Ge⸗
nur den Beſitzern zuſammenhängender Flächen nur
für ihre Perſon die Befugnis zur Jagdausübung ein⸗
geräumt wurde, ſondern daß auch für die Beſitzer von
einzelnen Grundſtücken die Ausübung des ihnen ver-
bleibenden Jagdrechts nur ſoweit erhalten wurde, als
ſie erkennbar und wirkſam ihre Grundſtücke aus dem
geſamten der Gemeinde zugewieſenen Jagdgebiet da-
durch ausſchieden, daß dieſe Grundſtücke mit einer
Mauer, einem „Zaun“ oder einer Hecke umgeben und ver⸗
mittels Tür und Schloß verſchloſſen gehalten wurden.
(Vgl. die für Rheinheſſen ergangene Entſcheidung des
2. 35. des RG. vom 28. April 1898, abgedr. in JW.
1898 S. 381).
Vom Standpunkt der VO. handelt es ſich des⸗
halb im Falle des § 5 Abf. 5 um eine eng gefaßte und
eng auszulegende Ausnahmebeſtimmung. Die Ab-
weichung in der Faſſung gegenüber Art. 13 des Geſetzes
von 1790 beſteht darin, daß neben der Hecke (haie vive)
auch der Zaun (haie, toter Zaun im Sinne der fran- V
zöfiſchen Rechtsſprache) als Umſchließung zugelaſſen,
andererſeits aber das Erfordernis aufgeſtellt wird,
daß eine verſchließbare Türe den Zugang zum Grund⸗
richte (Os G. München Bd. 1 S. 20, VGH. Bd. 28 S. 131
u. a.) ſelbſt für Art. 2 Nr. 2 des Geſetzes vom 20. März
1850, obwohl dort „dichte“ Einzäunungen verlangt
werden, angenommen, daß die Umzäunung nur einen
gegen den Zutritt von Menſchen wirkſamen Abſchluß
gewähren müſſe. Ein „Paralleldrahtzaun“ iſt nach
der Entſcheidung des VGH. auch dazu nicht geeignet.
Wenn nun auch zur Begründung dieſer Entſcheidung
beſonderes Gewicht darauf gelegt iſt, daß die Einzäu⸗
nung „dicht“ ſein müſſe, und dieſes Erfordernis in
der VO. von 1815 fehlt, ſo muß doch auch für dieſe aus
den vorſtehend angeführten Gründen nach ihrem Wort⸗
laut und Zweck verlangt werden, daß der „Zaun“,
ſei er aus Holzpfählen, Latten, Brettern oder ſonſt⸗
wie hergeſtellt, gleichwie eine dichte, lebende Hecke
(Art. 13 des Geſetzes von 1790) das Grundſtück für
Menſchen unzugänglich macht, derart, daß der Eintritt
nur unter Ueberwindung größerer Schwierigkeiten er⸗
zwungen werden kann. Ein Zaun, der ein Durch—
ſchreiten oder einfaches Durchſchlüpfen ermöglicht, kann
als ein ſolcher im Sinne der geſetzlichen Beſtimmung
nicht angeſehen werden. Die ſortdauernde Geltung der
O. vom 21. September 1815 folgt aus Art. 69 EG.
BGB. und Art. 143, 144 AG. BGB. (Urt. des I StS.
vom 20. Februar 1911, VIII 586). M.
2212
188
II.
Abweſenheit des einem jugendlichen Angeklagten
beſtellten Verteidigers zu Beginn der Hauptverhandlung.
Aus den Gründen: Die der Angeklagten L. zur
Laſt gelegte Tat — Abtreibung der Leibesfrucht i. S.
des § 218 StG. — iſt an ſich nach 8 1 StGB. ein
Verbrechen, da mit Zuchthaus bedroht iſt. Die
Abtreibung bleibt Verbrechen, auch wenn ſie wegen
jugendlichen Alters der Täterin nach § 57 Abſ. 1 Nr. 3
StGB. nur mit Gefängnis beſtraft werden kann. Ge⸗
mäß 8 140 Abſ. 2 Ziff. 2 StPO. mußte darum der
Angeklagten L. ein Verteidiger beſtellt werden, wenn
ſie rechtzeitig die Beſtellung beantragte. Sie hat die
Friſt zwar verſäumt, aber nachträglich um Beſtellung
eines Verteidigers gebeten und daraufhin hat ihr am
12. November 1910 der Vorſitzende des Gerichts den
Rechtsanwalt Dr. B. als Verteidiger zugeordnet. Dieſe
Verteidigungsbeſtellung iſt gemäß $ 141 StPO. als ge⸗
ſchehen zu erachten. Gemäß § 145 StPO. mußte darum,
wenn der beſtellte Verteidiger in der Hauptverhandlung
ausblieb, der Angeklagten ſogleich ein anderer Ber:
teidiger beſtellt werden, das iſt nicht geſchehen, als zu
eule für Rechtäpfiege
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Beginn der Hauptverhandlung der Rechtsanwalt Dr. B.
nicht erſchienen war, ſondern es iſt in die Verhandlung
eingetreten, der Eröffnungsbeſchluß verleſen, über den
Ausſchluß der Oeffentlichkeit verhandelt und beſchloſſen
und die Angeklagte L. zur Sache vernommen worden.
Erſt während der Vernehmung der Angeklagten iſt
ihr Verteidiger erſchienen. Der ſonach vorliegende
Verſtoß gegen § 145 StPO. hätte noch dadurch geheilt
werden können, daß der bis dahin vorgenommene
Teil der Hauptverhandlung wiederholt worden wäre.
Allein auch dies iſt nicht geſchehen. Der hiernach
vorliegende, nicht geheilte Verſtoß gehört nach 8 377
Nr. 5 StPO. zu denjenigen, bei denen ohne weiteres
von Rechts wegen anzunehmen iſt, daß das Urteil auf
ihnen beruht. (Urt. des V. StS. vom 7. März 1911,
X D. 91/1911). — — en.
2210
III.
Bei Freiſprechung des Angeklagten iſt der Aus⸗
ſpruch, daß dem Nebenkläger „die Koſten der Reben-
klage“ überbürdet werden, zu nuterlaflen.
Gründen: Der Ausſpruch, daß der Nebenkläger die
Koſten der Nebenklage zu tragen hat, war zu beſeitigen.
In einem von Amts wegen betriebenen Verfahren,
dem ſich der Nebenkläger nur unterſtützend angeſchloſſen
Aus den
in Bayern. 1911. Nr. 8.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
. Abgeſehen von dem Falle des 5 301 ZPO. kaun
eine Sicherunadhypothel auf Grund mehrerer vollſtreck⸗
barer Schuldtitel, die zuſammen 300 M über ſteigen, von
denen aber keiner auf mehr als 300 M lautet, im Grund:
buch auch dann nicht eingetragen werden, wenn die voll:
ſtreckbaren Schuldtitel dadurch entſtanden find, daß der
Gläubiger eine Forderung in Teilbeträgen ven 300 M
und weniger n de (ZBO. 8 866 Abf. 3). Adam S.
in K. hat unter dem Vorbringen, daß er von Wil⸗
helmine B. in K. für gelieferte Waren 1731,36 M zu
beanſpruchen habe, bei dem Amtsgerichte ſechs Klagen
erhoben. Er beantragte in jeder die Beklagte zur
Zahlung eines „Teilbetrags ihrer Schuld“ zu verur⸗
teilen, der in einer Klageſchrift auf 231,36 M, in den
übrigen auf je 300 M feſtgeſetzt iſt. Das AG. hat den
Klaganträgen in ſechs Verſäumnisurteilen ſtattgegeben.
S. legte ſodann dem GBA. vollſtreckbare Ausferti⸗
gungen der Verſäumnisurteile mit den Zuſtellungs⸗
nachweiſen vor und beantragte für die vollſtreckungs⸗
reife Geſamtforderung, die unter Berückſichtigung einer
Teilzahlung noch 1631,36 M betrage, eine Sicherungs⸗
hypothek einzutragen. Das GBA. lehnte die Eintra⸗
gung ab, weil keine der in den Schuldtiteln bezeich⸗
neten Forderungen den Betrag von 300 M überſteige
und die Zuſammenrechnung nicht zuläſſig ſei. Die
Beſchwerde des S. hat das LG. K. zurückgewieſen.
Auch die weitere Beſchwerde blieb erfolglos.
Gründe: Das Reichsgericht hat in dem Be⸗
ſchluſſe vom 17. Juni 1900 (RG. 48, 242 ff.) die Ein:
tragung einer Sicherungshypothek auf Grund mehrerer
Schuldtitel desſelben Gläubigers gegen denſelben
Schuldner, von denen keiner den Betrag von 300 M
überſteigt, für unzuläſſig erklärt, auch wenn die Ge⸗
ſamtſumme aller Forderungen mehr als 300 M be⸗
trägt. Der erkennende Senat hatte ſchon in der Ent—
ſcheidung vom 11. Mai 1900 (Samml. Bd. 2 S. 266 ff.),
den gleichen Standpunkt vertreten. Dieſer iſt auch
ſeitdem in der Rechtſprechung nicht mehr verlaſſen
worden, ſoweit es ſich um den Fall handelt, daß die
durch mehrere Schuldtitel ausgewieſenen Hauptforde—
rungen desſelben Gläubigers auf verſchiedenen Grün—
den beruhen und die Schuldtitel unter ſich in keinem
hat, können ſelbſtverſtändlich die Koſten des Ver⸗
fahrens nicht dem Nebenkläger überbürdet werden,
ſondern ſie fallen wie in jedem amtlichen Verfahren
der Staatskaſſe zur Laſt. Bare Auslagen von Prozeß—
beteiligten ſind unter den in Falle der Freiſprechung
eines Angeklagten der Staatskaſſe zu überweiſenden
Koſten überhaupt nicht inbegriffen, da unter den der
Staatskaſſa aufzuerlegenden Koſten nur die Gerichts—
koſten zu verſtehen ſind. Eine Verpflichtung der Staats—
kaſſe, dem Nebenkläger ſeine baren Auslagen zu er—
ſetzen, um die es ſich nach dem Geſagten allein noch
handeln kann, beſteht ebenfalls nicht, vielmehr hat
dieſe der Nebenkläger von Rechts wegen und ohne
beſonderen Ausſpruch zu tragen. Eines ſolchen bedarf
es beim Nebenkläger ſo wenig, wie beim freigeſprochenen
Angeklagten, dem ſeine Auslagen von ſelbſt überlaſſen
bleiben, wenn ſie nicht aus beſonderen Gründen ge—
mäß 8 499 Abf. 2 StPO. der Staatskaſſe auferlegt
werden (Urt. des V. StS. vom 3. Maͤrz 1911, V D.
1058/10).
2211
— — en.
prozeſſualen Zuſammenhange ſtehen. Dagegen ſind
die Meinungen darüber noch geteilt, ob die Zuſam—
men rechnung auch dann unzuläſſig iſt, wenn die ein—
zelnen vollſtreckungsreifen Forderungen auf demſelben
Grunde beruhen, alſo Teile einer einheitlichen Forde—
rung ſind, oder wenn mehrere vollſtreckbare Titel nach
8301 ZBO. in demſelben Rechtsſtreite in der Weiſe
erwirkt wurden, daß zunächſt ein Teilurteil und dann
ein Endurteil erging, oder wenn beide Voraus—
ſetzungen erfüllt find, weil Teil- und Endurteil den»
ſelben Anſpruch betreffen. Die Zuſammenrechnung
der durch mehrere vollſtreckbare Titel ausgewieſenen
Teile einer einheitlichen Forderung hält die überwie—
gende Anſicht für unſtatthaft (vgl. Peterſen-Anger,
ZPO. 3. Aufl. Anm. 4b zu § 866; Turnau-JFörſter,
Das Liegenſchaftsrecht, 3. Aufl. Bd. IS. 1033; Güthe,
BBD., Bd. 1 S. 400 u. a.). Zur gegenteiligen An—
ſchauung ſcheint ſich u. A. Seuffert zu bekennen (ZPO.
10. Aufl. Note Za zu 8 866). Die Zuſammenrechnung
der Beträge mehrerer vollſtreckbarer Schuldtitel, die
in demſelben Rechtsſtreit ihren Urſprung haben, wollen
Güthe a. a. O. und andere zulaſſen; Turnau-Förſter
a. a. O. bezeichnet die Frage als zweifelhaft; Peterſen—
Anger a. a. O. und Meyer (BlIfRA. 66, 337) geſtatten
auch keine Ausnahme für den Fall, daß der Gläubiger
ein Teil⸗ und ein Endurteil vorlegt, die zuſammen
einen vollſtreckbaren Hauptſachebetrag von mehr als
300 M ausweiſen. Ihnen ſcheint ſich zufolge einer
Mitteilung im 3158. 266 Jahrg. 11 auch das OLG.
— — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
Dresden in einer Entſcheidung vom 14. Januar 1910
angeſchloſſen zu haben.
Der Fall des 8 301 ZPO. ift nicht gegeben. Da⸗
gegen gehen die Vorinſtanzen offenbar davon aus,
daß es ſich bei dem Geſamtbetrage von 1731,36 M,
vorbringen ſchuldet, um eine einheitliche Forderung
handelt. Ob dieſe Annahme zutreffend iſt oder ob
nicht die Möglichkeit beſteht, daß ſich der Schuldbetrag
aus mehreren auf verſchiedenen Kaufverträgen beru⸗
henden Einzelforderungen zuſammenſetzt, kann dahin
geſtellt bleiben. Auch braucht nicht erörtert zu werden,
ob die Verſäumnisurteile auch dem Grund buchrichter
gegenüber den Nachweis der Zugehörigkeit der ein⸗
zelnen Klaganſprüche zu einer und derſelben Forde⸗
rung deshalb erbringen können, weil das Klagevor⸗
bringen wegen der Verſäumnis der Beklagten als zu⸗
geſtanden gilt. Denn auch wenn die in den ſechs
189
ke feine Forderung mehrere vollſtreckbare Titel ers
wirkt, z. B. um raſcher zu einem vollſtreckbaren Titel
zu gelangen, eine den Betrag von 300 M weit über⸗
ſteigende Forderung bei dem AG. in Teilbeträgen ein⸗
klagt, durch die Zuſammenrechnung der Beträge und
den Wilhelmine B. dem Adam S. nach al Klage:
Schuldtiteln feſtgeſtellten Beträge Teile einer und
derſelben Forderung ſind, erachtet der Senat den
Standpunkt der Vorinſtanzen für richtig und glaubt
die in den Gründen früherer Entſcheidungen von *
vertretene Rechtsauffaſſung (vgl. Samml. Bd.
538, Bd. 6 S. 497, 500, 501) inſoweit nicht
aufrechterhalten zu ſollen.
Das Reichsgericht hat in dem Beſchluſſe vom
17. Juni 1900 (RG. 48, 242 ff.) darauf hingewieſen,
daß die Eintragung einer Sicherungshypothek als
Maßregel der Zwangsvollſtreckung bei der Beratung
der Novelle vom Jahre 1898 auf Widerſpruch ſtieß
und daß ihre Gegner beſtrebt waren die Anwendung
der Zwangseintragung nach Möglichkeit einzuſchränken.
Es hat daraus gefolgert, daß die im 8 866 Abſ. 3
ZPO. zugelaſſene entſprechende Anwendung des $ 5
3PO. einſchränkend auszulegen iſt, daß daher darch
die Verweiſung auf den § 5 nur die Zuſammenrech⸗
nung mehrerer in demſelben Schuldtitel vereinigter
Forderungen, nicht aber die Zuſammenrechnung
mehrerer durch verſchiedene Schuldtitel vollſtreckbar
gewordener, in einem Eintragungsantrag verbundener
Forderungen zugelaſſen iſt. Iſt dies der Wille des
Geſetzes und hiernach die Zuſammenrechnung der durch
verſchiedene Schuldtitel ausgewieſenen Beträge nicht
ſchlechthin geſtattet, ſo kann auch keine Ausnahme
eintreten, wenn die verſchiedenen Schuldtitel, die pro⸗
zeſſual unabhängig find, Teile einer und derfelben
Forderung betreffen. Dies ſchon um des willen, weil
dem Gerichte, das die Vollſtreckungshandlungen vor⸗
zunehmen hat, d. h. dem GB A., nicht zugemutet wer⸗
den kann, die Zuſammengehörigkeit der einzelnen
Forderungsteile zu prüfen, ganz abgeſehen davon,
daß dies überhaupt nur ſelten möglich ſein wird. In
der Vollſtreckungsinſtanz iſt der Rechtsſchutzanſpruch
des Gläubigers auf Befriedigung oder Sicherung von
ſeiner materiell⸗rechtlichen Grundlage losgelöſt. Die
Prüfung, ob zwei vollſtreckbare Forderungen dem
Grunde nach zuſammen gehören, würde daher ein
Zurückgehen auf die Tatſachen erfordern, die die
Forderung entſtehen ließen. Daraus, daß es das
Reichsgericht in dem Beſchluſſe vom 1. November 1905
(RG3Z. 61, 423 ff.) für zuläſſig erklärt hat, für eine
den Betrag von 300 M überjteigende Hauptforderung
und eine dieſe Höhe nicht erreichende Nebenforderung
auf Grund zweier gleichzeitig vorgelegter Schuldtitel
eine Sicherungshypothek einzutragen, läßt ſich für
die Beantwortung der hier zu entſcheidenden Frage
nichts ableiten.
— nn —ʒ——U—́——ä—— — nn
— — — — — nn —
Denn in den in jenem Beſchluſſe
vorausgeſetzten Fällen iſt die Eintragungsfähigkeit der
Hauptforderung ohne Weiteres gegeben und die Neben—
forderung um deswillen eintragungsfähig, weil der
für ſie erwirkte vollſtreckbare Titel nur eine ziffer—
mäßige Erweiterung des vollſtreckbaren Titels über
die Hauptforderung bildet. Es liegt auch kein wirt—
ſchaftliches Bedürfnis vor einem Gläubiger, der will—
kürlich an Stelle eines einheitlichen Vollſtreckungstitels
die Wiederherſtellung des Zuſammenhangs der von
ihm ſelbſt geſchaffenen Teilforderungen die Vorteile
wieder zuzuwenden, die in der Vollſtreckungsinſtan
eine größere Forderung gewährt. Schließlich mag auch
noch darauf hingewieſen werden, daß bei der Beratung
der Novelle vom 1. Juni 1909, in der dem Antrage
des Abgeordneten Sch. entſprechend der im Entwurfe
des Geſetzes geſtrichene Abſ. 3 des 8 866 ZPO. mit
Ausnahme des Satzes 1 wieder in das Geſetz eingeſtellt
wurde, von keiner Seite die Zuſammenrechnung der
durch mehrere Schuldtitel ausgewieſenen Teile einer
einheitlichen Forderung angeregt oder vorbehalten
wurde, obwohl ſchon damals die herrſchende Meinung,
von dem Falle des 8 301 ZPO. abgeſehen, die Zuſam⸗
menrechnung mehrerer Schuldtitel auch dann als un⸗
zuläſſig erachtete, wenn es ſich dabei um Teile einer
und derſelben Forderung er Ra des
I. ZS. vom 3. März 1911, III 15/1911).
2203
B. Straffaden.
Rechtliche Wirkſamkeit des in einem privaten Ber:
gleich erklärten Verzichts auf die Erhebung der Privat:
klage. Vor der Einreichung der Privatklage wegen
Beleidigung hatten Vergleichsunterhandlungen zwiſchen
den Parteien ftattgefunden. Das Berufungsgericht
verurteilte die Angeklagte wegen eines Vergehens der
Beleidigung. a die Reviſion des Angeklagten wurde
das Urteil aufgehoben.
Aus den Gründen: Das Berufungsgericht
hat mit Unrecht die rechtliche Möglichkeit des Erlöſchens
des Strafantrags und des Rechtes auf Erhebung der
Privatklage auf Grund eines im Wege des privaten
Vergleichs erklärten Verzichtes verneint. Die allgemeine,
in der Rechtslehre und Rechtſprechung faſt durchgängig
verneinte Frage, ob das Recht auf Stellung des Straf⸗
antrags durch einen Verzicht des Antragsberechtigten
in wirkſamer Weiſe beſeitigt werden kann, mag dahin
geſtellt bleiben. Es ſcheidet auch die Frage aus, ob
im Falle eines nach der Stellung des Strafantrags
und nach der Erhebung der Privatklage abgeſchloſſenen
Vergleichs bas Strafverfahren noch auf andere Weiſe
als durch Zurücknahme des Strafantrags beendet
werden kann. Zur Entſcheidung ſteht nur die Frage,
welche rechtliche Wirkung in dem Verfahren auf Brivats
klage einem vor der Erhebung der Privatklage erklärten
Verzicht auf Strafantrag zukommt. In der Natur
der Sache liegt es, daß dieſer Verzicht auch jenen auf
Erhebung der Privatklage mitumfaßt, denn ohne die
Befugnis zur Stellung des Strafantrags iſt eine gil—
tige Erhebung der Privatklage nicht denkbar. Eine
geſetzliche Norm über die Wirkſamkeit eines Verzichts
auf die Stellung des Strafantrags und die Erhebung
der Privatklage iſt in der StPO. abgeſehen von der
Vorſchrift im 8 420 nicht enthalten. Hieraus kann
man aber nicht den Schluß ziehen, daß deshalb ein
ſolcher Verzicht Anerkennung nicht beanſpruchen könne.
Auch die Beſtimmung des 8 420 StPO. ſpricht ſich
über die rechtliche Wirkſamkeit einer Sühne vor der
Vergleichsbehörde nicht aus; ſie ordnet nur an, daß
bei Parteien desſelben Gemeindebezirks der Belei—
digungsklage ein Sühneverſuch vorangehen müſſe, und
daß die Erhebung der Klage davon abhänge, daß die
Sühne erfolglos blieb. Nur durch einen mit Not—
wendigkeit ſich ergebenden Schluß kommt man dazu,
daß alfo ein im Sühnetermin abgefchloffener Vergleich
die Möglichkeit eines ſtrafrechtlichen Vorgehens des
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
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Verletzten beſeitigen müſſe, wobei aber beſtritten iſt,
ob ein ſolcher Vergleich nur das Privatklagerecht oder
auch das Recht auf Strafantrag aufhebt. Mangels
einer geſetzlichen Beſtimmung gibt für die Beantwor⸗
tung der Frage das Weſen der Beleidigung und des
Privatklageverfahrens nach dem Geiſte des Geſetzes
den Ausſchlag.
Die Motive zum Entwurfe der StPO. ſprechen
in dem Abſchnitt über das Privatklageverfahren aus,
daß die Beſtrafung von Beleidigungen und leichten
Körperverletzungen in der Regel nicht durch das In⸗
tereſſe der öffentlichen Ordnung geboten iſt. Dieſe
Anſchauung hat durch die Anordnung eines dem Ver⸗
ahren in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten nachgebil⸗
eten Strafverfahrens und darin ihren Ausdruck ge⸗
funden, daß die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens
unter Umſtänden von einem Sühneverſuch abhängig
gemacht wird. Dadurch hat der Geſetzgeber ſtill⸗
ſchweigend anerkannt, daß die Beſeitigung des Klage⸗
rechts durch Vergleich dem Intereſſe des Staates
ebenſo entſpricht als die Durchführung eines Straf⸗
verfahrens und die Verhängung einer Strafe. Das
Erfordernis des Sühneverſuchs iſt zwar nicht allgemein,
ſondern nur unter Beſchränkung auf Angehörige der⸗
ſelben Gemeinde aufgeſtellt worden; aber dieſe „Aus⸗
nahme“ wurde nur gemacht, weil das Klagerecht über⸗
mäßig erſchwert würde, wenn das Geſetz zu Reiſen
zu einem Sühneverſuche nötigen würde (vgl. Goltd.
Arch. Bd. 51 S. 229 ff., wo zutreffend bemerkt iſt, daß
dem Vergleich zuliebe die Privatklage geſchaffen worden
iſt und daß beim Mangel von Vorſchriften über den
Vergleich, deſſen grundſätzliche Zuläſſigkeit in 8 420
StPO. ausgefprochen fei, die fehlenden geſetzlichen
Normen durch Auslegung und analoge Anwendung
der vorhandenen Vorſchriften gewonnen werden müſſen).
Deshalb iſt die Anſchauung nicht gerechtfertigt, die
einem Vergleich nur dann Wirkſamkeit zuerkennen
will, wenn er vor der im § 420 StPO. beſtimmten
Vergleichsbehörde abgeſchloſſen wurde. Ein zwingender
Grund für dieſe Beſchränkung liegt nicht vor. Aus
der im 8 420 StPO. ausgedrückten vorbeugenden
Abſicht, die den Verletzten zwingt bei dem Vermitt⸗
lungsamte fein Geſuch um Vornahme eines Sühne—
verſuchs anzubringen und ſelbſt bei dem Sühnetermine
zu erſcheinen, auch wenn er zu einer Sühne gar nicht
geneigt iſt, muß die Auffaſſung als zu eng und dem
Willen des Geſetzgebers nicht entſprechend erachtet
werden, die wegen des Fehlens einer ausdrücklichen
geſetzlichen Beſtimmung einem privaten Vergleiche die
Anerkennung verſagt. Eine ſolche an dem Buchſtaben
des Geſetzes haftende Auslegung verſagt allen Parteien
die von dem Geſetzgeber gewollte Begünſtigung einer
ſtrafrechtlich wirkſamen gütlichen Beilegung, die nicht
in demſelben Gemeindebezirke wohnen oder die ſich
vor der Vergleichsbehörde noch nicht hatten einigen
können, nachträglich aber doch noch vor der Stellung
des Strafantrages verſöhnt haben. Wohl wird ein
Sühneverſuch größere Ausſicht auf Erfolg haben, wenn
er unter der Autorität und Mitwirkung einer ſtaatlich
beſtellten Vergleichsbehörde erſtrebt wird, aber für
das Weſen der Sühne begründet es keinen Unterſchied,
ob der Vergleich vor dem Vermittlungsamt oder vor
einem Notare oder nur zwiſchen den Parteien ge—
ſchloſſen wird, ſoferne nur der Vergleich ſeinem In—
halte nach geſetzlich zuläſſig iſt. Iſt im 8 420 StPO.
für das Privatklageverfahren grundſätzlich die Zuläſſig—
keit der Beſeitigung des Strafrechts des Staates durch
Uebereinkommen der Parteien erklärt, ſo kann gegen
die Anerkennung eines außeramtlichen Vergleichs in
ſtrafrechtlicher Beziehung auch nicht geltend gemacht
werden, daß es ſich um öffentliches Recht handle, denn
auch in dieſer Richtung beſteht zwiſchen den beiden
Arten der Sühne kein in ihrem Weſen begründeter
Unterſchied. Das Geſetz räumt dem Beleidigten in
der Miterben.
weiteſtem Maße das Recht zur Zurücknahme des Straf-
antrags ein, auch wenn er die ſtrafrichterliche Tätig⸗
keit ſchon in Anſpruch genommen hat, ja ſogar noch
in der Berufungsinſtanz, obwohl ſchon eine Inſtanz
durch Urteil entſchieden hat ($ 431 StPO.) Darin
liegt eine viel größere Ausnahme von dem Grundſatze,
daß öffentliches Recht privater Willkür nicht unter⸗
worfen iſt, und die vom Geſetze gewollte Begünſtigung
der Vergleiche in Beleidigungsfachen iſt in das hellſte
Licht geſtellt. Es iſt deshalb auch wenig einleuchtend,
daß ein privater Vergleich ſo lange in einem Schwebe⸗
zuſtande bleiben ſoll, bis die Antragsfriſt verſtrichen
iſt; auch iſt das Aushilfsmittel wenig befriedigend,
daß zur Abkürzung des Schwebezuſtandes der Belei⸗
digte, der ſich mit ſeinem Gegner bereits ausgeſöhnt
hat, noch Strafantrag ſtellt, um dann durch die Zurück⸗
nahme des Antrags dem Vergleiche rechtliche Wirk⸗
ſamkeit zu verſchaffen. Kann der Wille des Verletzten
die Strafverfolgung hervorrufen und wieder rückgängig
machen, ſo muß ihm auch die Kraft zugeſchrieben
werden, auf die Verfolgung in Form eines nach dem
bürgerlichen Rechte giltigen Vergleichs zu verzichten.
In zivilrechtlicher Beziehung kann es aber wohl keinem
Bedenken unterliegen, daß einem ſolchen Verzichte
Rechtswirkſamkeit zukommt. Es widerſpräche aber der
Einheit der Rechtsordnung und dem allgemeinen
Rechtsempfinden, wenn der Staat auf Antrag einer
Partei, die in zivilrechtlich giltiger Weiſe verzichtet
hatte, ein Verfahren vor dem Strafgerichte durchführen
ließe, für deſſen Koſten und Schäden der Antragſteller
in einem gegen ihn angeſtrengten Zivilprozeſſe haftbar
erklärt werden müßte, da er zu ſolcher Antragſtellung
nach dem bürgerlichen Rechte nicht befugt war. Var,
(Geſetz und Schuld im Strafrecht, Bd. III 8 146) hebt
mit Recht hervor, daß der Mangel einer ausdrücklichen
geſetzlichen Beſtimmung da nicht hinderlich im Wege
ſtehen kann, wo es ſich nicht um Vermeidung der
Beſtrafungen, ſondern darum handelt, etwas anzuer⸗
kennen, was der Natur der Sache und der guten Sitte
entſpricht. Hiergegen verſtößt es aber, wenn jemandem,
der ſich ausdrücklich verpflichtet hat, die Stellung eines
Strafantrags zu unterlaſſen, deſſen ungeachtet das
Recht zuerkannt wird, unter Verletzung ſeines Wortes
Strafantrag zu ſtellen. Nur von untergeordneter Be⸗
deutung iſt es, daß die Erhebung von Beweiſen über
die Frage erforderlich werden kann, ob ein Verzicht
auf Strafverfolgung vorliegt. Dies kann auch bei
der Frage nach der Rechtsgiltigkeit des Strafantrags
der Fall ſein. Auch hier muß der Strafrichter bei der
Frage, ob die Antragsfriſt gewahrt iſt, auf Umſtände
zurückgreifen, die lange vor dem Strafantrage liegen,
und darüber Beweis erheben. (Urt. vom 24. Dezember
1910, RevReg. 473/10). Ed.
2175
Oberlandesgericht Bamberg.
Pflicht des Miterben zur Anstunftserteilung und
Leiſtung des Offenbarungseides nach 836 2027, 2028,
2038 und 260 363. Der Beklagte Johann S. und
ſeine Brüder Jakob und Peter S. ſind durch das
Teſtament ihrer verſtorbenen Schweſter Barbara H.
zu gleichen Teilen als Erben eingeſetzt und haben die
Erbſchaft angenommen. Die Erblaſſerin hatte in den
letzten Jahren vor ihrem Tode bei dem Beklagten
Wohnung und Verpflegung. Zu ihrem Nachlaß ge—
hörte u. a. auch ein Sparkaſſekapital von 1800 M.
Der Beklagte, der das Sparbuch aufbewahrte, erhob
einige Tage nach dem Tode der Erblaſſerin 200 M
zur Beſtreitung der Beerdigungskoſten ohne Wiſſen
Bei der Auseinanderſetzung vor dem
Nachlaßgericht verſchwieg er das und brachte vor, daß
er die Beerdigungskoſten aus eigenen Mitteln vorge—
ſchoſſen habe. Als Jakob und Peter S. ſpäter er—
fuhren, daß der Nachlaß weit mehr betragen habe,
als Johann ©. bei der Nachlaßverhandlung ange—
geben hatte, verlangten fie von ihm gemäß 88 2027,
2028, 260 BGB. die Vorlegung eines Verzeichniſſes
über den Beſtand der Erbſchaft, ferner Auskunftser⸗
teilung und Rechnungsſtellung ſowie die Leiſtung des
Offenbarungseides. Das Lc. wies die hierauf ges
richtete Klage ab. Auf die Berufung der Kläger hob
das OLG. das Urteil auf und verurteilte den Beklagten,
den Klägern Auskunft über den Beſtand der i
und über den Verbleib der Erbſchaftsgegenſtände zu
erteilen und ein Verzeichnis des Beſtands vorzulegen,
ferner anzugeben, welche erbſchaftlichen Geſchäfte er
geführt habe. Die Klage auf Leiſtung des Offen⸗
barungseides wurde abgewieſen.
Aus den Gründen: Die Vorausſetzungen des
8 2027 Abſ. 1 BGB. find hier nicht gegeben. Es iſt
zwar denkbar, daß ein Miterbe, der ein über ſein
wirkliches Erbrecht hinausgehendes Erbrecht beanſpru⸗
chend ſich Nachlaßbeſtandteile angeeignet hat, Erbſchafts⸗
beſitzer im Sinne der §§ 2018 und 2027 Abſ. I BGB.
iſt. Allein der Beklagte maßt ſich nicht ein über ſein
wirkliches Erbrecht hinausgehendes Erbrecht an,
ſondern er hat nach dem Eintritte des Erbfalls Nach⸗
laßbeſtandteile in Beſitz genommen .... Damit iſt der
Fall des 8 2027 Abſ. II gegeben. Für die Anwen⸗
dung dieſer Beſtimmung ſpielt der gute oder böſe
Glaube desjenigen, der eine Nachlaßſache in Beſitz
nimmt, keine Rolle. Sie gilt für den Beklagten auch,
wenn er die 200 M nur erhoben hat um die Beerdi⸗
gungskoſten zu beſtreiten. Der Beklagte muß deshalb
den Klägern als Miterben über den Beſtand der Erb⸗
ſchaft und über den Verbleib der Erbſchaftsgegenſtände
Auskunft erteilen. Aus 8 260 Abſ. I BGB. ergibt
ſich für ihn die weitere Verpflichtung, den Klägern
ein Verzeichnis des Beſtandes dieſer Erbſchaft vorzu⸗
legen.
Auch die Vorausſetzungen des 8 2028 BGB. ſind
gegeben. Die Erblaſſerin hat unbeſtritten die letzten
ahre bis zu ihrem Tode in der Familie des Be⸗
lagten Wohnung und Verpflegung genoſſen, hat ſich
alſo mit ihm in häuslicher Gemeinſchaft befunden.
Der Beklagte muß deshalb den Klägern als Miterben
auf Berlangen Auskunft darüber erteilen, welche erb⸗
ſchaftlichen Geſchäfte er geführt hat. Die weitere Ver⸗
pflichtung auch anzugeben, was ihm über den Ver⸗
bleib der Erbſchaftsgegenſtände bekannt iſt, beſteht
ſchon auf Grund des § 2027. Der im Kommentar
von Reichsgerichtsräten Anm. 1 zu § 2028 BGB. ver⸗
tretenen Anſchauung, daß den Miterben gegenüber dieſe
Verpflichtung aus § 2028 nicht beſtehe, kann ſich der
erkennende Senat nicht anſchließen, er tritt vielmehr
der im Urteil des RG. vom 28. April 1904 (RG. 38.
58 S. 89) niedergelegten gegenteiligen Auffaſſung bei.
Es iſt nicht einzuſehen, warum gerade in den Fällen
den Miterben dieſes Recht nicht zuſtehen ſoll, in
RE Gefahr der Nachlaßverſchleppung beſonders
groß iſt
Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung ergibt
ſich auch aus 8 2038 Abſ. I BGB. In dieſer Bezie⸗
hung ſchließt ſich der Senat den im Kommentar von
Reichsgerichtsräten Note 7 zu § 2038 enthaltenen Aus⸗
führungen an, wonach der Miterbe im Intereſſe einer
ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlaſſes ver⸗
pflichtet ſein ſoll den Miterben Auskunft über alle
ihm bekannten Nachlaßgegenſtände zu erteilen und
erforderlichenfalls den Offenbarungseid zu leiſten.
Dieſe Verpflichtung entſpricht einem dringenden Bes
dürfniſſe. Es beſteht allerdings Meinungsverſchieden⸗
heit darüber, ob der Miterbe Forderungen des Erb:
laſſers gegen ihn ſelbſt angeben muß. Das Reichs⸗
gericht hat in ſeinem Urteile vom 4. Januar 1904 —
BURN. 70, 16 ff. — ſich dahin ausgeſprochen, daß er
dazu dann nicht verpflichtet ſei, wenn er ſie beſtreite
und wenn ſie nicht durch Richterſpruch feſtgeſtellt ſeien.
Die Frage braucht indeſſen hier nicht unterſucht zu
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
werden. Jedenfalls geht das Recht des Erben nicht
191
— — — — — — — — — — —— —I—50 ——
ſoweit, daß er der Frage nach ſolchen Forderungen
einfach durch eine unrichtige Darſtellung des Sachver⸗
halts aus dem Wege gehen darf; er mag ſeinem
Rechtsſtandpunkt dadurch Rechnung tragen, daß er
die Poſt ſofort beſtreitet.
Das Verlangen der Kläger den Beklagten jetzt
ſchon auch zur Leiſtung des Offenbarungseids zu ver⸗
urteilen, ift unbegründet. Wie § 260 Abſ. I und 2028
Abſ. II BGB. erſehen laſſen, kann die Frage, ob der
Verpflichtete auch den Offenbarungseid zu leiſten habe,
erſt ſpäter auftauchen. Der Anſpruch darauf hängt
davon ab, ob Grund zu der Annahme beſteht, daß
das Verzeichnis über den Beſtand der Erbſchaft mit
der erforderlichen Sorgfalt aufgeſtellt oder daß die
Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt
worden ſei. as kann eine ſolche Verpflichtung des
Beklagten noch nicht durch Urteil ausgeſprochen wer⸗
den (vgl. Buſchs Z. 37, 56). (Urt. des I. 38. vom
17. Dezember 1910, Ber. Reg. 118/10). |
2129
— — gn.
Aus der Praxis
des Gerichtshofs für Kompetenzkouflikte.
Selene, wenn eine Gemeinde die Koſten
der Verpflegung in einem Krankenhauſe vorgeſcheſſen
hat und von den Erben Erſatz verlangt. 8 239 380.
iſt im Verfahren vor dem Gerichtshefe nicht anwendbar.
Das Vorbringen des Beklagten iſt bei der Eutſcheidung
über die Zuſtändigkeit in der Negel nicht zu beröck⸗
ſichtigen. Am 5. Auguſt 1896 ſtarb in B. der Schreiner
Lorenz P. Er wurde von ſeiner Mutter und ſeinen
Geſchwiſtern beerbt. P. war vor ſeinem Tode im
Diſtriktskrankenhauſe Br. untergebracht. Die Koſten
wurden von der Gemeinde B. gefordert; ſie zahlte
und verlangte Erſatz von den Erben. Da dieſe ſich
weigerten, ſtellte die Gemeinde Klage mit folgender
Begründung: Lorenz P. ſei von ſeinem Bruder
Joſeph B. als bei ihm beſchäftigter landwirtſchaftlicher
Arbeiter zur Gemeindekrankenverſicherung B. ange⸗
meldet worden und bis zum 1. April 1896 deren
Mitglied geweſen. Dann ſei er abgemeldet worden.
Sonach habe für die Gemeinde keine Verpflichtung
beſtanden die Krankenhauskoſten zu zahlen; ſie habe
nur, um der Krankenhausverwaltung den Abſchluß
der Bücher zu ermöglichen, unter Vorbehalt aller
Rechte gegen den Verpflichteten gezahlt. Das AG.
wies die Klage ab, weil der Rechtsweg unzuläſſig ſei.
Die Gemeinde ſtellte das Urteil vorerſt nicht zu,
ſondern verſuchte ihren Anſpruch auf dem Ver⸗
waltungswege geltend zu machen. Auf ihren Antrag
erklärte das Bezirksamt die Erben des Lorenz P. für
verpflichtet der Gemeinde B. die Krankenhauskoſten
zu erſetzen. Die Regierung dagegen wies auf Be⸗
ſchwerde den Anſpruch der Gemeinde B. gegen die
Erben zurück, weil die Gerichte und nicht die Ver⸗
waltungsbehörden zuſtändig ſeien. Die Entſcheidung
der Regierung wurde nicht angefochten. Inzwiſchen
waren mehrere Erben des Lorenz P. geſtorben. Der
Vertreter der Gemeinde lud ihre Rechtsnachfolger vor
das AG. zur Aufnahme des gerichtlichen Verfahrens.
Das AG. erließ ein Zuſatzurteil, wodurch es das
frühere Urteil auch als für die Rechtsnachfolger wirk⸗
ſam erklärte. Die beiden Urteile wurden zugeſtellt
und ſind rechtskräftig geworden. Die Gemeinde erhob
den Kompetenzkonflikt. Einer der Erben des Lorenz
P. ließ erklären, der Antrag ſei unzuläſſig, weil
durch den Tod einzelner Erben das Verfahren auch
ihm gegenüber unterbrochen ſei (8 239 ZPO.): denn
die Forderung könne gegen die in Erbengemeinſchaft
lebenden Erben nur einheitlich feſtgeſtellt werden.
Der Gerichtshof erklärte die Gerichte für zuſtändig.
Aus den Gründen: Aus dem 8 239 ZBO.
kann ein Einwand gegen die Zuläſſigkeit des Antrags
192
— —
— — ——
no abgeleitet werden. Nach 8 3 EE53BO. findet
die ZPO. auf alle bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten
Anwendung, die vor die ordentlichen Gerichte ge⸗
hören. Das Verfahren vor den nach § 17 Abſ. 2
GBG. beſtellten beſonderen Behörden — auch vor
dem Gerichtshof für Kompetenzkonflikte — iſt nach
Nr. 3 a. a. O. geſonderter geſetzlicher Regelung vor⸗
behalten. § 239 ZPO. iſt in dieſem Verfahren nicht
anwendbar, vielmehr kann die Tatſache, daß ſeit der
Erlaſſung des erſten amtsgerichtlichen Urteils mehrere
Beklagte geſtorben ſind, ſoweit ſie nicht ſchon in dem
Zuſatzurteile berückſichtigt iſt, erſt dann ihre Wirkung
äußern, wenn das gerichtliche Verfahren weitergehen
ſoll. Hiernach iſt der Fall eines verneinenden Kompe⸗
tenzkonflikts nach Art. 22 KKG. gegeben.
Die Gemeinde B. hat in der Klage behauptet, ſie
habe die Verpflegungskoſten ohne Rechtspflicht auf
die Aufforderung der Krankenhausverwaltung unter
Vorbehalt aller Rechte gegen den Verpflichteten be⸗
zahlt, nur um den Abſchluß der Bücher zu er⸗
möglichen; die Beklagten ſeien als Erben haftbar
und um den gezahlten Betrag zum Nachteile der
Gemeinde ohne rechtlichen Grund bereichert. Der
Umſtand, daß der Rechtstitel der ungerechtfertigten
Bereicherung angeführt wird, iſt zwar inſoferne nicht
ausſchlaggebend, als ein ſolcher Titel auch in einem
öffentlich⸗ rechtlichen Verhältniſſe begründet fein kann.
Nach dem Klagevorbringen wird aber der Anſpruch
nicht auf ein öffentlich⸗rechtliches Verhältnis geſtützt.
Die Gemeinde fordert nicht den Erſatz für eine
Leiſtung, die ſie in der irrtümlichen Annahme einer
aus dem Geſichtspunkte der Krankenverſicherung oder
der Armenunterſtützung hergeleiteten und ſomit
oͤffentlich⸗rechtlichen Verpflichtung gemacht hat, ſondern
die Erſtattung des Betrags, den fie nur aus Ent⸗
gegenkommen gegen die Krankenhausverwaltung an
Stelle des zunächſt Verpflichteten gezahlt hat. Der
Rechtsgrund des Anſpruchs gehört hiernach zweifellos
dem bürgerlichen Rechte an. Die Beklagten haben
behauptet, die Gemeinde habe mit der Zahlung nur
eine eigene Verbindlichkeit getilgt, weil Lorenz P.
berechtigt geweſen ſei von ihr Krankenunterſtützung
zu beanſpruchen. Damit iſt allerdings ein dem
öffentlichen Recht angehörendes Rechtsverhältnis be—
hauptet, das von der Verwaltungsbehörde feſtzu—
ſtellen iſt; dieſer Umſtand iſt aber für die rechtliche
Natur des Streitgegenſtandes nicht von Belang.
Denn die Grundlage für die Entſcheidung der Zu—
ſtändigkeitsfrage bildet das Vorbringen des Klägers,
nicht was der Beklagte dagegen geltend macht. Die
Verteidigung hat, wenn nicht beſondere Umſtände das
Gegenteil rechtfertigen, außer Betracht zu bleiben
(Gaupp⸗Stein, ZPO., 10. Aufl. S. 6, 8). Hängt die
Eniſcheidung von der Feſtſtellung eines öffentlich—
rechtlichen Verhältniſſes ab, ſo kann das Gericht den
Rechtsſtreit bis zur Entſcheidung der Verwaltungs—
behörde ausſetzen (8 148 ZPO.) es kann aber auch
ſelbſt in den Gründen die dem öffentlichen Rechte
0 Frage beantworten (Urt. vom 15. März
1911
— —— n.
20
Notizen.
Die rechtliche Stellung der öſterreichiſchnnaariſchen
Konſularbeamten i im gerichtlichen Verfahren. Nach 8 21
GVG. ſind die im Deutſchen Reiche angeſtellten Kon—
ſuln der inländiſchen Gerichtsbarkeit unterworfen, ſo—
fern nicht in Verträgen des Deutſchen Reichs mit an—
deren Staaten Vereinbarungen über die Befreiung der
Konſuln von der inländiſchen Gerichtsbarkeit getroffen
find. Die rechtliche Stellung eines fremden Konſuls
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 8.
222 ³ ³ ]. : ³⅛OA3 . —h—J— ů—1—ꝛxꝛů — —!— —Tt ] —-tH- L —T—ü—ä— — . OU—Ui»n...ñx n n . . T % ̃ͤ U—ůu᷑ůè——. dee
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— m — - a
— —V— m —
im gerichtlichen Verfahren beſtimmt ſich hiernach in
erſter Linie nach dem 5 i
trag, Handelsvertrag u. a.), den das Reich mit d
in Betracht kommenden Staate geſchloſſen hat. Die
Auslegung ſolcher Verträge begegnet aber in dieſer
Hinſicht mitunter erheblichen Schwierigkeiten. Denn
die Verträge enthalten neben mehr oder minder un⸗
klaren Einzelvorſchriften oder auch ohne ſolche in der
Regel die ſog. Meiſtbegünſtigungsklauſel, welche den
Konſuln des Vertragsſtaates die Vorrechte einräumt,
die den Konſuln eines dritten Staates zuſtehen oder
auf Grund ſpäterer Vereinbarungen zuſtehen werden.
Zur Ermittelung des Maßes von Vorrechten, die die
Meiſtbegünſtigung gewährt, iſt demnach die vergleichende
Prüfung der übrigen Staatsverträge erforderlich. Noch
ſchwieriger wird die Entſcheidung dann, wenn die
I an die Vorausſetzung geknüpft iſt,
daß fog. materielle Gegenſeitigkeit beſteht,
wenn demnach die den Konſuln des einen Teiles in
dem Gebiete des anderen einzuräumenden Vorrechte
auch auf Grund der Meiſtbegünſtigung nur in dem
Maße zugeſtanden werden, als ſie den konſulariſchen
Vertretern des letzteren Teils in dem Gebiete des
erſteren Staates gewährt werden. Dann müſſen zum
Vergleich auch die Verträge herangezogen werden, die
der Vertragsſtaat mit dritten Staaten geſchloſſen hat
— eine Aufgabe, der ſich die Gerichte an der Hand
der ihnen gewöhnlich zur Verfügung ſtehenden Behelfe
mit Erfolg kaum unterziehen können. Es iſt deshalb
zu begrüßen, daß wenigſtens die rechtliche Stellung
der öſterreichiſch⸗ungariſchen Konſuln in ihrer Eigen⸗
ſchaft als Zeugen durch eine Vereinbarung der Re⸗
gierungen im weſentlichen geklärt wurde (f. die Bek.
vom 30. März 1911. IM Bl. S. 89). Das Ergebnis
der Vereinbarungen iſt kurz zuſammengefaßt folgendes:
1. Die öſterreichiſch-ungariſchen Konſularbeamten,
die nicht der öſterreichiſch⸗-ungariſchen Monarchie an⸗
gehören, alſo Deutſche oder Angehörige eines dritten
Staates ſind, genießen als Zeugen keine Vorrechte.
Sie werden geladen wie andere Zeugen; gegen ihren
Ungehorſam hat das Gericht die gewöhnlichen Zwangs⸗
mittel.
2. Die öſterreichiſch-ungariſchen Konſularbeamten,
die der öſterreichiſch⸗ungariſchen Monarchie angehören,
genießen zunächſt die Bevorzugung, daß fie zum Er⸗
ſcheinen vor Gericht eingeladen werden. Das ſonſt
übliche Zeugenladungsformular darf nicht verwendet
werden. Erklärt fi) der Konſul für „behindert“, fo
kann das Gericht ſein Erſcheinen nicht erzwingen. Der
Konſularbeamte iſt dann, wenn ſeine ſchriftliche Er»
klärung nicht genügt, von einem beauftragten oder
erſuchten Richter in ſeiner Wohnung zu vernehmen.
Die Erklärung des Konſuls, daß er nicht erſcheinen
könne, iſt ein „nicht zu befeitigendes Hindernis“ im
Sinne des 8 2 22 StPO. Ob der Konſul Wahlkonſul
iſt oder Berufskonſul, iſt nicht erheblich; nur auf ſeine
Staatsangehörigkeit kommt es an. Glaubt das Ge—
richt, daß der Konſul für feine Weigerung zu erſcheinen
keinen Grund habe, ſo ſteht ihm nur der Weg der
Berichterſtattung an das StM. der Juſtiz offen, das
dann diplomatiſche Verhandlungen veranlaſſen kann.
Das Vorrecht des Konſuls erſtreckt ſich nicht auf
ſeine Familienglieder und ſeine perſönlichen Bedien⸗
ſteten, ebenſowenig auf das Perſonal in dem Geſchäfte
oder Gewerbe, das der Konſul etwa betreibt. Die mit
Konſulargeſchäften betrauten Hilfsbeamten genießen
die bevorrechtigte Stellung des Amtsvorſtands (Kon—
ſuls), wenn ſie nicht lediglich mechaniſche Dienſte,
Schreibarbeit uſw., leiſten.
2213
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K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
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20 Big. Bellagen nach Uebereinkunft.
193
Zum Veſchwerdeverfahren bei Einleitung gehoben wird. Von einer Seite wird behauptet,
einer vorläufigen Vormundſchaft.
Von Joſeph Wagner, Rat am Oberſten Landesgerichte.
Ueber das Beſchwerdeverfahren bei der Einlei⸗
tung einer vorläufigen Vormundſchaft (SS 1906 bis
1908 BGB.) beſtehen nicht bloß über die im
Zentralblatte für die freiwillige Gerichtsbarkeit,
Jahrg. V S. 618, 737 mit Jahrg. VI ©. 481
erörterten Fragen, ſondern auch über die Aus⸗
|
daß in dieſem Falle die Verfügung des Vormund⸗
ſchäftsgerichts, wodurch die vorläufige Vormund⸗
ſchaft angeordnet und ein vorläufiger Vormund
beſtellt wurde, wieder auflebt, während die andere
Meinung dahin geht, daß durch den Beſchluß des
Beſchwerdegerichts die vorläufige Vormundſchaft
endgültig beſeitigt iſt und wieder neu angeordnet
werden muß, wenn ſich nachträglich ein Bedürfnis
für die Einleitung einer ſolchen ergibt.
Für die erſte Meinung wird geltend gemacht,
legung des § 52 366. verſchiedene Meinungen. es ſei ſelbſtverſtändlich, daß durch die Beſeitigung
Zu ihrer Klärung in letzterer Hinſicht ſoll hiermit | der Urſache, die die Aufhebung der Verfügung
ein Beitrag geliefert werden.
Ueber den Beginn der vorläufigen Vormund⸗
ſchaft ſcheint § 52 bisher zu entgegengeſetzten An:
ſchauungen keinen Anlaß gegeben zu haben, da⸗
gegen beſtehen Zweifel darüber, wie die Vorſchrift
„eine Verfügung, durch die eine vorläufige
„Vormundſchaft aufgehoben wird, tritt mit
„der Bekanntmachung an den Mündel in
„Wirkſamkeit“
aufzufaſſen iſt.
Daß dieſe Vorſchrift von $ 16 Abi. 1 8G.
inſofern eine Ausnahme bildet, als nach ihr die
Wirkſamkeit der Aufhebung der vorläufigen Vor⸗
mundſchaft mit der Bekanntmachung an den
Mündel auch für den Vormund eintritt, dem die
Aufhebung noch nicht bekannt gemacht iſt, ſoll
nur nebenbei erwähnt werden.
Zweifel über die Auslegung der Vorſchrift
werden erhoben, wenn die vom Vormundſchafts⸗
1 eingeleitete vorläufige Vormundſchaft auf
ofortige Beſchwerde des Mündels (8 60 Abſ. 1
Ziff. 5 FGG.) aufgehoben, der aufhebende Be:
ſchluß des Beſchwerdegerichts aber auf die ſofortige
weitere Beſchwerde desjenigen, der den Antrag auf
Entmündigung zu ſtellen berechtigt iſt (§S 57 Abſ. |
Ziff. 2 mit $ 29 Abſ. 2 GG.), ) ebenfalls auf:
) Dafür, daß nicht die weitere Beſchwerde ſchlecht⸗
hin, ſondern nur die
des Vormundſchaftsgerichts bewirkt hat, dieſe Ver⸗
fügung ſelbſt wieder hergeſtellt wird. Dieſer
Grund kann jedoch nicht für richtig gehalten
werden. Auch ein Geſetz tritt nicht von ſelbſt
wieder in Kraft, wenn das Geſetz, durch das es
aufgehoben wurde, ſeinerſeits ſelbſt aufgehoben
wird, das Wiederaufleben des erſten Geſetzes könnte
nur durch eine beſondere Vorſchrift bewirkt werden.
Für die gegenwartige Frage fehlt eine ſolche Vor⸗
ſchrift.
Die Worte des 8 52 „tritt in Wirkſamkeit“
ſind offenbar gleichbedeutend mit den Worten
„werden wirkſam“ in 8 16 Abſ. 1, aber auch mit
den gleichen oder ähnlichen Worten in § 26 Satz 1,
8 53 Abi. 1, 8 56 Abſ. 2, 8 70, (8 82 Abſ. 2),
8 97 Abſ. 1, (8 98) FGG. Die Wirkſamkeit
der von dieſen Paragraphen (mit Ausnahme des
8 16 Abſ. 1) betroffenen Verfügungen tritt erft
|
pin, ſofortige weitere Beſchwerde
in einem ſolchen Falle in Frage kommt, wird gegenüber
mit der Rechtskraft ein, iſt alſo zweifellos end⸗
gültig. Daraus wird die Folgerung abgeleitet
werden dürfen, daß auch die Wirkſamkeit der
Verfügungen nach § 16 Abſ. 1 und 8 52 end⸗
gültig iſt.
Nach § 1908 Abſ. 3 BGB. hat das Vor⸗
mundſchaftsgericht die vorläufige Vormundſchaft
Rechtſpr. d. OLG. Bd 7 S. 207 auf die zutreffenden
Ausführungen im 3BlfF G. Jahrg. 6 S. 841 und auf
Keidel, Komment., 2. Aufl. Bem. 7 zu 829 FJGG., Be:
zug genommen.
194
aufzuheben, wenn der Mündel des vorläufigen
vormundſchaftlichen Schutzes nicht mehr bedarf,
z. B. wenn ſich herausſtellt, daß der Entmün⸗
digungsantrag keine Ausſicht auf Erfolg hat.
Daß eine ſolche Verfügung des Vormundſchafts⸗
gerichts endgültig iſt und daß, wenn ſich nach⸗
träglich das Bedürfnis der vorläufigen Vor⸗
mundſchaft wieder ergeben ſollte, die Anordnung
der vorläufigen Vormundſchaft nur durch eine
neue, das Vorhandenſein der von $ 1906 BGB.
erforderten Vorausſetzungen feſtſtellende Verfügung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
— —
—
richts iſt Zweifeln in dieſer Richtung durch feine
Entſcheidung vorzubeugen. Mit einer einſtweiligen
Anordnung nach § 24 Abſ. 3 und § 29 Abſ. 3
FGG. kann, abgeſehen von der Frage der Zu⸗
läſſigkeit, ſchon deshalb nicht geholfen werden,
weil die einſtweilige Anordnung mit der end⸗
gültigen Entſcheidung ihre Wirkung verliert. Eine
Verfügung dahin, daß die vorläufige Vormund⸗
ſchaft fortzubeſtehen hat oder neu einzuleiten iſt,
könnte das über die weitere Beſchwerde erkennende
erfolgen könnte, bedarf keiner näheren Ausführung.
Warum der die vorläufige Vormundſchaft auf:
hebende Beſchluß des Beſchwerdegerichts nicht die
gleiche Wirkung haben ſollte, iſt nicht einzuſehen.
(Vgl. Keidel, Komment. z. JGG., 2. Aufl., Bem. 2
Abſ. 2 zu § 52 und Bem. 2 zu $ 16, Birkenbihl,
Komment. z. FGG., Bem. 3 zu $ 52; Stau⸗
dinger, Komment. z. BGB., 5. 6. Aufl., Bd. 4,
Bem. Ib 3 Abſ. 2 zu § 1908).
Daß der bisherige Mündel mit der Bekannt⸗
machung des die vorläufige Vormundſchaſt auf:
hebenden Beſchluſſes des Beſchwerdegerichts an ihn
aufhört Mündel zu ſein, und ſeine volle Ge—
ſchäftsfähigkeit wieder erlangt, und daß mit dem
gleichen Zeitpunkte auch der bisherige vorläufige
Vormund aufhört Vormund zu ſein, darüber
kann nach 8 52 JGG. kein Zweifel beſtehen.
Nach der erſten hier bekämpften Anſicht würde
eine Aenderung dieſer Verhältniſſe eintreten, wenn
der Beſchluß des Beſchwerdegerichts durch das
über die ſofortige weitere Beſchwerde erkennende
Gericht aufgehoben wird. Darüber, wann und
mit welcher Tatſache dieſe Aenderung eintritt, der
frühere Mündel alſo ſeine volle Geſchäftsfähigkeit
wieder verliert und das Amt des früheren vor:
läufigen Vormundes wieder beginnt, fehlt jede
Vorſchrift. Da der Geſetzgeber es aus guten
|
|
|
En a En rl a 1 BT Bm — — nr
Gründen für notwendig gehalten hot in 8 52
den Zeitpunkt des Beginnes und der Beendigung
der vorläufigen Vormundſchaft genau zu beſtimmen,
iſt es für den Fall, daß die erſte Anſicht richtig
ſein ſollte, ſchwer zu erklären, warum der Geſetz⸗
geber nicht auch für den Fall des Wiederbeginns
der (aufgehobenen) vorläufigen Vormundſchaft eine
ähnliche Vorſchrift erlaſſen hat, obwohl es ſich
durchaus nicht von ſelbſt verſteht, in welchem Zeit⸗
punkt und mit welcher Tatſache die vorläufige Vor⸗
mundſchaft wieder aufleben fol. Aus der Unter:
laſſung einer ſolchen Vorſchrift darf wohl mit
Recht der Schluß gezogen werden, daß es dem
Willen des Geſetzgebers nicht entſpricht, aus dem
Grunde, weil der die vorläufige Vormundſchaft
aufhebende Beſchluß des Beſchwerdegerichts auf
ſofortige weitere Beſchwerde aufgehoben wird, das
Wiederaufleben der die vorläufige Vormundſchaft
anordnenden Verfügung des Vormundſchaftsgerichts
eintreten zu laſſen.
Es könnte eingeworfen werden, daß es Sache
|
des über die weitere Beſchwerde erkennenden Ge: |
Gericht nur in dem wohl kaum vorkommenden
Falle treffen, wenn der angefochtene auf Auf⸗
hebung der vorläufigen Vormundſchaft lautende
Beſchluß des Beſchwerdegerichts aus dem Grunde
aufzuheben iſt, weil in dieſem Beſchluſſe zwar das
Vorhandenſein der tatſächlichen Vorausſetzungen
der vorläufigen Vormundſchaft feſtgeſtellt, aber
irriger Weiſe von der Annahme ausgegangen wäre,
daß die vorläufige Vormundſchaft noch von irgend
einer von $ 1906 BGB. erforderten Tatſache,
z. B. der ausgeſprochenen Entmündigung, ab⸗
hängig iſt. Wenn das Beſchwerdegericht nicht
von einem ſolchen Irrtum ausgeht, wird ſein die
vorläufige Vormundſchaft aufhebender Beſchluß
nur mit dem Nichtvorhandenſein der in 8 1906
BGB. erforderten Vorausſetzungen begründet ſein
und auf die ſofortige weitere Beſchwerde nur dann
aufgehoben werden können, wenn bei den tatſäch⸗
lichen Feſtſtellungen formelle Verſtöße, z. B. Ver⸗
fehlungen gegen § 12 oder $ 25 JGG., unter:
laufen ſind. In dieſen wohl ausſchließlich vor⸗
kommenden Fällen hindert die Vorſchrift des 8 27
JGG. das über die weitere Beſchwerde erkennende
Gericht eine Entſcheidung über den Fortbeſtand
oder die Wiedereinleitung der vorläufigen Vor⸗
mundſchaft zu treffen, weil es darüber nicht ent⸗
ſcheiden kann, ob die von § 1906 erforderten
tatſächlichen Vorausſetzungen vorhanden find.
Von der hier vertretenen zweiten Anſicht iſt
offenbar auch das Kammergericht in ſeiner Ent⸗
ſcheidung vom 10. November 1902 (RIA. Bd. 3
S. 172) ausgegangen.
Aus dieſen Darlegungen ergibt ſich auch, wie
dann, wenn der auf Aufhebung der vorläufigen
Vormundſchaft lautende Beſchluß des Beſchwerde⸗
gerichts auf die ſofortige weitere Beſchwerde auf⸗
gehoben und die Sache an das Beſchwerdegericht
zurückverwieſen wird, die vom Beſchwerdegerichte
zu erlaſſende neue Entſcheidung, abgeſehen von
jener im Koſtenpunkte, zu lauten hat. Gelangt
das Beſchwerdegericht nun zur Ueberzeugung, daß
die Vorausſetzungen des § 1906 BGB. vorliegen,
ſo wird es die ſofortige Beſchwerde des früheren
Mündels zurückzuweiſen und das Vormundſchafts—
gericht anzuweiſen haben die vorläufige Vormund—
ſchaft wieder einzuleiten. Gelangt es zur gegen—
teiligen Ueberzeugung, ſo wird es nicht die ſchon
aufgehobene vorläufige Vormundſchaft nochmals
aufzuheben ſondern zu verfügen haben, daß es
bei der (im früheren Beſchluß angeordneten) Auf—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 195
— —ͤ̃ — -- — — — — —— —
hebung der vorläufigen Vormundſchaſt ſein Be⸗ einem Eigentumswechſel übertragen werden
wenden hat. — Eine Zuſtellung des neuen Be⸗ (S 470); |
ſchluſſes des Beſchwerdegerichts und des Beſchluſſes b) in Blätter, die nicht im Zuſammenhang
des über die ſofortige weitere Beſchwerde erkennen⸗ mit einem Eigentumswechſel übertragen
den Gerichts an den früheren vorläufigen Vor⸗ werden ($ 471).
mund hat nicht zu erfolgen, da er ja an der Gruppe 2 zerfällt:
Sache nicht mehr beteiligt iſt und da auch dann, a f . i
wenn vom Beſchwerdegericht im neuen Beſchluſſe a) in Blätter, bei denen die ältefte Laſt nicht
die Wiedereinleitung der vorläufigen Vormund⸗ älter iſt als der derzeitige Eigentümer
ſchaft angeordnet wird, vom Vormundſchaftsgericht ($ 472, I. I;
eine andere Perſon als die frühere zum vorläufigen b) in Blätter, bei denen die älteſte Laſt älter
Vormunde beſtellt werden kann. iſt als der derzeitige Eigentümer (8 472, J, 2).
Nach 8 472, I, 2 gelten für die Gruppe 2, a
die gleichen Vorſchriften wie für die Gruppe 1, b.
I.
N Es ſollen vorerſt nur die Fälle 2a und 2 b
lebertragung von Grundbuchblättern. 5 Wenden ein Unterſchied, ob gleichzeitig
Von Dr. Wilhelm Kriener, Amtsrichter in Landshut. mit der Uebertragung ein Eigentumswechſel auf
. en dem neuen Blatte eingeſchrieben wird oder nicht,
Das Grundbuch wird, wie früher das Hypotheken⸗ iſt, wie ſchon erwähnt, hier nicht gemacht.
buch, in der Weile geführt, daß die Eintragungen Die Vorſchriften für dieſe Uebertragungen
in fortlaufender Reihenfolge, mit dem Datum ver⸗ beruhen auf dem Gedanken, daß das neue Grund
1 cri SR ln 155 1 buchblatt die ganze Entwickelung eines Rechtes
eingeſchrieben werden. Wird durch die fortgesetzten (- Laſt, in erſter Linie alſo Hypothel), und ins:
Eintragungen der für das Blatt urſprünglich be. beſondere erkennen laſſen fol, wann und von
155 Raum aufgebraucht, oder das Blatt une welchem Eigentümer das Recht begründet worden ifl
erſichtlich, ſo muß zur Uebertragung geſchritten . „ .
werden. | Demgemäß beſtimmt die Dienſtanweiſung:
Bei der Uebertragung iſt auf zwei Geſichts⸗ A. Für Uebertragung in Abteilung 1.
punkte Rückſicht zu nehmen; einerſeits muß der 1. Der Eigentümer, der die ältefte Hypothek
beſtehende Rechtszuſtand vom alten Blatt auf das beſtellt hat, iſt auf dem neuen Blatte als
neue Blatt genau übernommen werden, anderſeits erſter Eigentümer zu übertragen, und zwar
ſind im Intereſſe der Ueberſichtlichkeit des neuen mit dem urſprünglichen Datum (8 472, 1,
Blattes rechtlich gegenſtandsloſe Einträge wegzu⸗ 2, Satz 1 und § 471, Satz 1).
laſſen und getrennte Einträge des alten Blattes, 2 Alle dieſer Eintragung zeitlich nach⸗
wenn tunlich, auf dem neuen Blatte zuſammen⸗ folgenden Eintragungen ſind auf das neue
zufaſſen. Blatt zu übernehmen ($ 472, I 2, Satz 2
ii 9 190 . 1 58 = Ab- und § 471, Satz 2).
eilung III. in der Regel auch die Laſten der 3. Alle früheren Eintragungen ſind auf dem
Abteilung II des alten Blattes mit ihrem ur⸗ 1 8 1 5 3
ſprünglichen Datum, und getrennt, zu übertragen 15110 1. f
ſind, bedarf keiner weiteren Ausführung. Hier N
ſoll unterſucht werden, wie die Uebertragungen in B. Für Uebertragung im Titel.
Abteilung J und im Titel des neuen Blattes zu 1. Der Titel hat mit dem nämlichen Datum
zu beginnen wie Abteilung I ($ 472, I. 2,
geſtalten ſind.
Die DAfdGBAe. unterſcheidet zwei Gruppen Satz 4 und 8 471, Satz 4).
2. Die dieſem Datum auf dem alten Blatt
alter Blätter:
; ; TE zeitlich nachfolgenden Eintragungen find
1. ſolche⸗ bei denen Laſten ug) mitzuüber⸗ womöglich wortgetreu auf das neue Blatt
tragen ſind (S 470, 471);
; 8 zu übertragen ($ 472, I, 2, Satz 5).
2. ſolche, bei denen Laſten mitzuübertragen i er
find (8 472) 3. Die zeitlich vorangehenden Eintragungen
Si 1 des alten Blattes können auf dem neuen
Jede der beiden Gruppen wird wieder, und Blatte in eine Eintragung zuſammengefaßt
zwar nach verſchiedenen Geſichtspunkten, in zwei werden (58 wie vor, Sätze 3).
Unterarten geſchieden. Ein Beiſpiel ſoll dieſe Sätze veranſchaulichen.
Gruppe 1 zerfällt: Angenommen, das alte Blatt lautet im Titel
a) in Blätter, die im Zuſammenhang mit und in Abteilung I wie folgt:
1. Am 1. A 1870. |
Pl.⸗Nr. 78, Wohnhaus Hs.⸗Nr. 17 in
beemelg, mit Hofraum 0,080 ha
Pl.⸗Nr. 79, Grasgarten, ſennen 1.6
Garten .. 0,220 ha
Pl.⸗Nr. 105, Angibubader, |
Acker. 0,163 ha Vermeſſung ſ. 3
Pl.⸗Nr. 130, Rotwieſe, Wieſe 0,679 ha Abſchreibg. ſ. 4
Pl.⸗Nr. 168, Pointl, Acker . 0,348 ha Mermeifung ſ. 5
Pl.⸗Nr. 1030, .
Waldung . 1,348 ha Vermeſſung ſ. 7
2. Am 1. Januar 1883.
Pl.⸗Nr. 95, Langewieſe, Wieſe 0,685 ha
Uebertragen von I, 547.
3. Am 1. Januar 1885.
Der Pl.⸗Nr. 105 iſt eine von Pl-Nr.
126 abgetrennte Teilſläche zu 0,017 ha
zugemeſſen und hat Pl.⸗Nr. 105 folgende
Beſchreibung
Pl.⸗Nr. 105,
Acker.
laut Operat 96/84.
4. Am 1. Januar 1886.
Pl.⸗Nr. 130 wird nach Pfandfreigabe
wegen Uebertragung nach VI, 365 abge—
ſchrieben.
5. Am 1. Januar 1887.
Von Pl.⸗Nr. 163 wird eine zu Pl-Nr.
376 zugemeſſene Teilfläche von 0,048 ha
nach Pfandfreigabe abgeſchrieben; Pl.-Nr. 3
163 hat folgende Beſchreibung
Nr. 163, Pointl, Acker
laut Operat 48/86.
6. Am 1 Januar 1888.
Pl.⸗Nr. 78 und 79 haben durch Ber:
meſſung unter ſich folgende Beſchreibung
5 Nr. 78, Wohnhaus Hs.
Zu 1.
use 9 89
ja
—
—
—
. 0,300 ha
Nr. 10 in Gramelkam, mit Zu 1
1 und Scheune . . 0,0% ha
Pl.⸗Nr. 79, eee
Garten. ... 0,210 ha
laut Operat 68, 87.
7. Am 1. Januar 1889.
Pl.⸗Nr. 1030 hat durch Vermeſſung
auf Grund faktiſchen Beſitzſtandes folgende |
Fläche und Beſchreibung Zu !
Pl.⸗Nr. 1030, e
Waldung
6 1,369 ha
laut Neumeſſungsoperat 79/88.
Abteilung J.
1/J. Am 1. Januar 1870.
A, erworben laut .
2/II. Am 1. Januar 1880.
B, erworben laut .
3. Am 1. Januar 1883.
Pl.⸗Nr. 95 wurde erworben laut .
4. Am 1. Januar 1885.
Die Teilfläche von 0,017 ha
Pl.⸗Nr. 105 wurde erworben laut.
5, III. Am 1. Januar 1890.
U, erworben laut!)
zur
. 1) Die Grundſätze gelten ohne Unterſchied, ob die
übertragungsbedürftigen Blätter unter altem oder neuem
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
der aͤlteſten zu übertragenden Laſt.
neuen Blatte weg.
Ra
Zu A. Wer auf das neue Blatt als erſter
Eigentümer zu übernehmen iſt, beſtimmt ſich nach
Iſt alſo die
älteſte Hypothek unter A errichtet worden, etwa
im Jahre 1877, jo beginnt Abteilung I des neuen
Blattes mit: 1/J. Am 1. Januar 1870 A, er:
worben laut . . .; alle nachfolgenden Eintragungen
ſind, gleichfalls mit ihren urſprünglichen Daten,
auf das neue Blatt zu übertragen; das neue Blatt
hat alſo geradeſo zu lauten wie das alte. Iſt
die älteſte Hypothek unter B beſtellt worden, viel⸗
leicht 1886, jo beginnt Abteilung 1 des neuen
Blattes mit: 11. Am 1. Januar 1880, B er:
worben laut ...; der Rechtsnachfolger C iſt mit
ſeinem urſprünglichen Datum des weiteren mitzu:
übertragen, der Rechtsvorgänger A bleibt auf dem
Hier iſt noch zu bemerken:
die Eintragungen Nr. 2 II, 3 und 4 des alten
Blattes können auch hier auf dem neuen Blatte
nicht in eine Eintragung zuſammengefaßt werden,
da ja alle Eintragungen mit ihrem urſprünglichen
Datum zu übertragen ſind.
Iſt die älteſte Laſt unter C errichtet worden,
z. B. 1895, ſo beginnt das neue Blatt mit: 1/J.
Am 1. Januar 1890. C, erworben laut ...;
die Rechtsvorgänger A und B bleiben auf dem
neuen Blatte weg.
Zu B. Für den Titel ergibt ſich folgendes:
Je nachdem Abteilung 1 des neuen Blattes
mit dem 1. Januar 1870, 1880 oder 1890 zu
beginnen hat, hat auch die erſte Eintragung im
Titel mit dieſen Daten zu beginnen. Beginnt
nun der Titel des neuen Blattes mit dem 1. Januar
1870, ſo folgen die Eintragungen von 1883,
1885 .. . dieſem Datum zeitlich nach; fie ſind f
daher wortgetreu auf das neue Blatt zu über:
tragen. Hat der Titel des neuen Blattes mit
dem 1. Januar 1880 zu beginnen, ſo iſt das
gleiche der Fall. Beginnt der Titel des neuen
Blattes dagegen mit dem 1. Januar 1890, ſo
gehen die Eintragungen von 1883 bis 1889 dieſem
Datum zeitlich voran; in dieſem Falle alſo können
dieſe Eintragungen auf dem neuen Blatte zuſammen—
gefaßt werden, und zwar in folgender Weiſe:
1. Am 1. Januar 1890.
Mr. 78, Wohnhaus Hs.-Nr. 17 in Gramel-
kam mit Hofraum und Scheune . . 0,090 ha
Pl.⸗Nr. 79, Grasgarten, Garten. . 0,210 ha
Pl.⸗Nr. 95, Langewieſe, Wieſe . 0,685 ha
Pl.⸗Nr. 105, Anglhubacker, Acker. . 0,180 ha
Pl.⸗Nr. 163, Pointl, Acker .. . 0,300 ha
Pl.⸗Nr. 1030, Bergwald, Waldun . 1,369 ha
Wir ſehen alſo: Je älter die erſte Hypothek
iſt, die vom alten Blatt übertragen werden muß,
deſto mehr Eintragungen in Abteilung I und im
Titel folgen ihr zeitlich nach und deſto weniger
Recht entſtanden ſind; als Daten hätten daher in dem
obigen Beiſpiel auch 1910, 1920, 1930 gewählt werden
können.
Eintragungen gehen ihr zeitlich vor; je jünger
dieſe Hypothek iſt, deſto weniger Eintragungen
folgen ihr zeitlich nach, deſto mehr dagegen gehen
ihr zeitlich vor. Da nun nach den erwähnten
Vorſchriften jene Eintragungen in Abteilung I
und im Titel des alten Blattes, die der maß:
gebenden Hypothek zeitlich nachfolgen, auf das
neue Blatt mitübertragen werden müſſen, jene
aber, die der Hypothek zeitlich vorangehen, in Ab⸗
teilung I des neuen Blattes weggelaſſen werden
und im Titel daſelbſt zuſammengefaßt werden
können, ſo geſtaltet ſich das neue Blatt um ſo
einfacher und überſichtlicher, je jünger die erſte
Hypothek iſt.
Iſt fie ſo jung, daß ihr Eintragungen in Ab:
teilung I und im Titel überhaupt nicht nachfolgen,
ſo erſcheint in Abteilung I des neuen Blattes nur
der gegenwärtige Eigentümer, alle Eintraͤge im
Titel können nach dem neueſten Kataſterſtand in
einen einzigen Eintrag zuſammengefaßt werden.
Je älter dagegen die Hypothek, deſto mehr
Einträge ſind vom alten Blatt auf das neue zu
übernehmen; iſt die erſte Hypothek endlich jo alt
wie das alte Blatt ſelbſt, ſo müſſen ſo ziemlich
alle Einträge auf das neue Blatt mitübernommen
werden. Nun ſind aber dieſe alten Einträge oft
in hohem Grade unüberſichilich; beſonders ſtörend
ſind die Vermeſſungen von Grundſtücken im Titel;
während im Beiſpiel abſichtlich ein möglichſt ein⸗
facher Tatbeſtand gewählt wurde, finden ſich im
alten Blatt nicht ſelten ſchon bei einer Plan⸗
nummer allein, beſonders bei Gebäuden, 6—10
Vermeſſungen.
Sollten dieſe Einträge alle mitübertragen
werden, ſo würde das neue Blatt wohl ebenſoviel
geſonderte Eintragungen aufweiſen wie das alte
Blatt und ihm an Unüberſichtlichkeit meiſtens
nicht nachſtehen.
Im folgenden ſoll unterſucht werden, ob nicht
doch auch Einträge des alten Blattes, die der
Hypothek zeitlich nachfolgen, auf dem neuen Blatt
vereinfacht werden können. (Schluß folgt.)
Mitteilungen aus der Praxis.
Körperliche Mißzhandlung durch Auſteckung mit
einer Geſchlechtskrankheit? Das geltende deutſche
Strafgeſetzbuch enthält, wie bekannt, keine Sonder⸗
beſtimmung über Beſtrafung der Körperverletzung
durch Anſteckung mit einer Geſchlechtskrankheit. Auch
der Vorentwurf eines neuen StGB. für das Deutſche
Reich (1909) enthält eine ſolche beſondere Straf:
vorſchrift nicht. Zwar könnte die neue Faſſung des
ſeitherigen 8 223 a (künftig $ 228), der von der ſog.
gefährlichen Körperverletzung handelt, geeignet er—
ſcheinen, eine Beſtrafung der durch geſchlechtliche
Anſteckung bewirkten Geſundheitsbeſchädigung zu er—
möglichen Der 8 228 des Entwurfs lautet nämlich:
„Hat der Täter die Körperverletzung mittelſt gefähr—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
lichen Gebrauchs einer Waffe oder eines Meſſers oder
fonſt in einer Weiſe begangen, daß dadurch
| das Leben des Verletzten oder in erheblichem
Maß ſeine Geſundheit gefährdet werden
konnte), ſo iſt die Strafe Gefängnis nicht unter
zwei Monaten, bei mildernden Umſtänden Gefängnis
bis zu drei Jahren oder Haft oder Geldſtrafe bis zu
fünftauſend Mark.“ Denn daß die Geſundheit eines
Menſchen in erheblichem Maß durch geſchlechtliche
Anſteckung gefährdet werden kann, iſt wohl zweifellos.
Es könnte dann auch die Strafverfolgung von amts⸗
| wegen eintreten, weil ja in den Fällen der gefähr⸗
|
|
|
|
lichen Körperverletzung ein Antrag des Verletzten
nicht erforderlich iſt ($ 232, Entw. 8 233).
Wenn unter der Herrſchaft des geltenden StGB.
eine Strafverfolgung wegen Körperverletzung durch
geſchlechtliche Anſteckung nur äußerſt ſelten eintrat,
ſo findet dies in dem Umſtand ſeine Erklärung, daß
einerſeits der Wortlaut des 8 223 a eine ſolche Ver⸗
| folgung nicht geſtattete, andrerſeits von dem Antrags
recht zur Verfolgung auf Grund des 8 223 ſo gut
wie gar nicht Gebrauch gemacht wurde. Sehr begreif⸗
| licher Weiſe; ein natürliches Schamgefühl hält gerade
die ſittlich noch nicht verkommenen Perſonen davon
ab Anzeige zu erſtatten und Zeugnis abzulegen.
| Andere Geſetzgebungen oder Geſetzentwürfe da⸗
| gegen haben dieſen Fall der Körperverletzung (Ge⸗
ſundheitsbeſchädigung) durch beſondere Strafbeſtim⸗
mung getroffen. Bedenkt man, daß der 8 228 unſeres
Entwurfs zur Anwendung auf dieſe Art der Körper⸗
verletzung doch immerhin noch einer gewiſſen Aus⸗
legung bedarf, daß er in dieſer Anwendung eigentlich
nur eine ſog. lex implicita, nicht, wie das Strafgeſetz
ſein ſoll, eine lex expressa iſt, jedenfalls wegen des
Erforderniſſes der Vorſätzlichkeit (8 223 und 8 227
Entw.) nur dann Anwendung finden könnte, wenn der
Täter von feinem Krankheitszuſtande beſtimmte Kennt⸗
nis hat, ſo verdienen allerdings die Geſetze den Vor⸗
zug, die dieſe Straftat beſonders behandeln. So
lautet z. B. der 8 79 des Vorentwurfs zu einem
Schweizeriſchen StGB. (1909): „Wer die Geſund⸗
heit eines Menſchen wiſſentlich und gewiſſenlos in
ſchwere unmittelbare Gefahr bringt, — eine geſchlechts⸗
kranke Perſon, die jemanden wiſſentlich, namentlich
durch geſchlechtlichen Verkehr in unmittelbare Gefahr
bringt, wird mit Gefängnis beſtraft. Die Gefährdung
des Ehegatten durch geſchlechtlichen Verkehr wird nur
auf Antrag beſtraft.“
Noch wirkſamer aber will der Vorentwurf zu
einem öſterreichiſchen StGB. (1909) vor einer Ge⸗
ſundheitsbeſchädigung durch geſchlechtliche Anſteckung
ſchützen. Sein 8 304 beſtimmt:
1. „Der Geſchlechtskranke, der einen mit der Gefahr
der Anſteckung verbundenen Geſchlechtsverkehr
ausübt,
2. wer zu einem mit der Gefahr der Anſteckung ver⸗
bundenen Geſchlechtsverkehre mit einem Ge⸗
ſchlechtskranken Vorſchub leiſtet,
die geſchlechtskranke Amme, die ihren Dienſt an-
tritt und wer zu einem geſchlechtskranken Kinde
eine Amme nimmt,
wird mit Gefängnis von vier Wochen bis zu
drei Jahren beſtraft. — Wer ſeinen Ehegatten
gefährdet, wird nur auf Privatanklage des Ver—
letzten verfolgt.“
—
1) Die Sperrung ſtammt vom Einſender.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
Die Materie iſt, wie erſichtlich, im öſterreichiſchen
Entwurf am vollſtändigſten geregelt: ſeine Be⸗
ſtimmungen dürften der Nachahmung wert ſein, jeden⸗
falls werden ſie Gegenſtand der Würdigung bei der
Beratung unſeres Entwurfs ſein müſſen. Dies umſo⸗
mehr, als die Verfaſſer des Deutſchen Vorentwurfs
bei Aufſtellung des 8 228 an dieſen beſonderen Fall
der Körperverletzung kaum werden gedacht haben;
außerdem würde ihnen das Erfordernis der Antrag⸗
ſtellung im Falle der Gefährdung des Ehegatten wohl
nicht entgangen ſein. Sollte aber die durch geſchlecht⸗
liche Anſteckung bewirkte Körperverletzung nur, wie
bisher, auch als unter 8 223 (E. 8 227) und 8 230
(E. 8 232 Abſ. 1) fallend gedacht fein, fo wäre dies
als ein Mangel anzuſehen, der im Hinblick auf die
ſozial⸗ethiſche Bedeutung der Straftat und auf ihre
ſchwerwiegenden Folgen für die Volksgeſundheit ent⸗
ſchieden zu beklagen fein würde.“)
Senatspräſident Oberſtlandesgerichtsrat a. D.
Kunkel in München.
Mängel und Verbeſſerung des Offenbarungsver⸗
fahrens? Die Abhandlungen in den Nr. 3 und 4 dieſer
Zeitſchrift haben hauptſächlich die Art und Weiſe der
Offenbarungspflicht des Schuldners zum Gegenſtande.
Ein weiterer Mangel des gegenwärtigen Verfahrens
dürfte in folgendem liegen.
Die Vorſchriften der ZPO. über den Offenbarungs⸗
eid enthalten keine Beſtimmung, die jedem, der nicht
am Verfahren beteiligt iſt, aber ein berechtigtes In⸗
tereſſe glaubhaft macht, die Einſicht der Akten eines
Offenbarungseidsverfahrens geſtattet und die Er⸗
teilung einfacher oder beglaubigter Abſchriften vor⸗
ſchreibt. (Vgl. dagegen 88 34, 78 GG.). Gleichwohl
ließ man früher faſt allgemein jeden Gläubiger das
Vermögensverzeichnis einſehen, das der Schuldner in
dem von einem anderen Gläubiger durchgeführten
Offenbarungseidsverfahren beſchworen hatte, ebenſo
wie die Ergänzungen, die er zu Protokoll angegeben,
wenn nur der Gläubiger etwa durch einen gegen den
Schuldner erwirkten Vollſtreckungstitel ein berechtigtes
Intereſſe glaubhaft machen konnte. Ja viele Ge—
richtsſchreibereien erteilten in dieſem Fall auch an⸗
ſtandslos Abſchriften des Offenbarungseidsprotokolls
und des Vermögensverzeichniſſes.
Es geſchah das wohl — und an manchen Orten
kommt man auch jetzt noch den Gläubigern eines
Maniſeſtanten in dieſer Weiſe entgegen — in der
Annahme, die Parteien des durchgeführten Offen⸗
barungseidsverfahrens, der es beantragende Gläubiger
und der Schuldner, ſeien ſtillſchweigend damit ein—
verſtanden, daß auch anderen Einſicht der Akten jenes
Verfahrens geſtattet werde, die ein berechtigtes In—
tereſſe daran haben, insbeſondere anderen Gläubigern.
Allein einen Anſpruch auf Akteneinſicht haben die
Gläubiger nach geltendem Rechte leider nicht.
Denn $ 299 Abſ. 2 ZPO. verweiſt einen Dritten,
der Gerichtsakten einſehen will, darauf, die Erlaubnis
des Gerichtsvorſtandes einzuholen, der ſie erteilen
1) Die vorstehende Skizze war nahezu vollendet,
als ein das gleiche Thema behandelnder Vortrag in
der Juriſtiſchen Geſellſchaft angekündigt wurde. Ob
und inwieweit mit den Ausführungen des Vortragenden
die obigen ſich decken, iſt dem Einſender unbekannt.
kann, wenn die Parteien eingewilligt haben oder
wenn ein rechtliches Intereſſe glaubhaft gemacht wird.
Dieſe Vorſchrift iſt zwar nicht unter den allgemeinen
(erite8 Buch) der ZPO. enthalten, wird aber wohl
bei dem Mangel einer beſonderen Vorſchrift für die
Zwangsvollſtreckung und deren vierten Abſchnitt (Offen⸗
barungseid und Haft) für dieſen analog gelten (die
88 760 und 875 gewähren auch nur den Beteiligten
Rechte).
Es bleibt ſohin, wenn genau nach dem Geſetze
verfahren wird, dem Gläubiger nichts anderes übrig,
als den Gerichtsvorſtand um Bewilligung der Akten⸗
einſicht zu erſuchen, wobei dann für deſſen Entſcheidung
eine Mindeſtgebühr von 2 M erwächſt, da fie ein
gebührenpflichtiger Akt der Juſtizverwaltung iſt
(Art. 201 ff. GebG.) ). Muß der Gläubiger aber erſt
einen beſonderen Antrag ſtellen, der erſt verbeſchieden
werden muß, ſo wird oft koſtbare Zeit verloren und
dem Schuldner Gelegenheit gegeben noch Gegenſtände
zu veräußern, die er bei der Eidesleiſtung angegeben
hat und die bei raſchem Zugriffe noch mit Beſchlag
belegt werden konnten.
Anderſeits aber wird der Gläubiger oft die Koſten
für den Antrag auf Geſtattung der Akteneinſicht und
deren Zulaſſung umſonſt aufwenden müſſen, da der
Schuldner nichts Pfändbares angegeben hat: er hat
dann außer den übrigen Koſten der Rechtsverfolgung
und Vollſtreckung auch noch dieſe Koſten zu tragen.
Das iſt beſonders dann für ihn ärgerlich, wenn
zwiſchen feinem Antrag auf Abnahme des Offen⸗
barungseides und dem hierzu beſtimmten Termine der
Schuldner auf den Antrag eines anderen Gläubigers
den Eid leiſtet: er iſt dann mit den Koſten des Ver:
fahrens belaſtet, das nicht mehr durchgeführt werden
kann, kann aber ohne weitere Koſten ſich nicht ein⸗
mal über das Ergebnis des von ſeinem glücklichen
Konkurrenten durchgeführten Verfahrens unterrichten.
Zudem iſt der Gerichtsvorſtand nicht verpflichtet
(„kann“), die Einſicht zu geſtatten, wenn in der Regel
wohl auch kein Grund vorliegen wird, ſie zu ver⸗
weigern, und vor allem kann auch der Amtsvorſtand
keine Erlaubnis zur Erteilung von Abſchriften geben,
da dies in $ 299 Abſ. 2 ZPO. wie es ſcheint mit
Abſicht, überhaupt nicht vorgeſehen iſt.
Es dürfte ſich deshalb empfehlen, eine etwa dem
§ 34 Gy. nachgebildete Sonderbeſtimmung für das
Offenbarungseidsverfahren, vielleicht als 8 915 a, ein⸗
zufügen, um es jedem Gläubiger zu ermöglichen, die
Oſfenbarungsakten einzuſehen und ſich Abſchriften des
u. und Vermögensverzeichniſſes erteilen zu
laſſen.
Dieſe Erweiterung des in 8 299 Abi. 2 3PO.
nur beſchränkt vorgeſehenen Rechtes der Akteneinſicht
rechtfertigt ſich eben dadurch, daß die Offenbarungs⸗
eidsakten nicht, wie ſonſtige Prozeß- und Vollſtreckungs⸗
akten, im allgemeinen nur Angelegenheiten zum Gegen—
ſtand haben, die Dritte nur unter beſonderen Um:
ſtänden etwas angehen, ſondern für jeden Gläubiger
von erheblichem Intereſſe ſind — er iſt eben dabei
„beteiligt“ im weiteren Sinne. Sie iſt aber auch
deshalb geboten, weil ein anderer Gläubiger doch nicht
mehr berechtigt iſt, mangels beſonderer Vorausſetzung
(8 914 3] O.) vor Ablauf langer 5 Jahre vom
Schuldner eine neue Eidesleiſtung zu verlangen.
) Vgl. Pfaff-Reiſenegger-Schmidt a. a. O. Anm. 7
zu Art. 201.
Bis eine Novelle kommt, könnte aber vielleicht
dadurch Abhilfe geſchaffen werden, daß die Amtsgerichts⸗
vorſtände unter Hintanſetzung fiskaliſcher Rückſichten
ermächtigt werden eine allgemeine Entſcheidung dahin
zu treffen, daß in allen Fällen, in welchen der Ge⸗
richtsſchreiberei ein rechtliches Intereſſe glaubhaft
gemacht wird, die Einſicht der Offenbarungseidsakten
zu geſtatten ſei, und die Gerichtsſchreibereien auf
Antrag auswärtiger Gläubiger dann die Akten an
deren Wohnſitzgericht (Gerichtsſchreiberei) zur Ein⸗
ſichtnahme überſenden dürfen. Die Entſcheidung auch
der Frage dem Gerichtsvorſtande vorzubehalten, ob
im einzelnen Fall hinreichende Glaubhaftmachung
erfolgt iſt, dürfte nicht veranlaßt ſein, da 8 299
Abſ. 2 doch nur analog anzuwenden iſt.
Rechtsanwalt Dr. Neubürger in Fürth.
Zur Anwendung des 8 610 BEB. anf Abreden über
die Prolongatien eines Darlehens. Unter dieſer Ueber⸗
ſchrift ſtellt Landgerichtsrat Dr. Marcus in Berlin
in der DIZ. (1910 S. 820 /1) die Behauptung auf,
daß 8 610 BGB. auch auf Abreden über die Prolon⸗
gation von Darlehen Anwendung finde. Dieſem Er⸗
gebnis iſt beizuſtimmen. Die Begründung jedoch dürfte
nicht ganz einwandfrei ſein.
Marcus kommt zu ſeiner Anſicht auf dem Wege
einer — wenn auch nicht als ſolcher bezeichneten —
analogen Anwendung des 8 610, ohne daß er jedoch
die Anſicht der herrſchenden Meinung zu verlaſſen
wagt, daß 8 610 BGB. eine Sondervorſchrift ſei.
Wenn er verſucht, dieſer Sondervorſchrift mit Hilfe
des 8 157 BGB. den Charakter eines allgemeinen
Grundſatzes zu geben, ſo iſt dem entgegen zu halten,
daß es auf dieſe Weiſe möglich wäre, jeder Sonder⸗
vorſchrift, die auf dem Grundſatz von Treu und Glauben
beruht — und das werden wohl ſehr viele ſein —
mit Hilfe des 8 157 die Eigenſchaft eines allgemeinen
Satzes beizulegen nnd ſie fo der analogen Anwendung
zugänglich zu machen: ein Ergebnis, das mit dem ſeit
alters aufgeſtellten Satz, Sonderrecht eigne ſich nicht
zur Verwertung mittels Analogie (Dernburg Bd. 1
S 19 III), in Widerſpruch ſtünde. Wenn man den
§ 610 analog anwenden will, ohne ſich den Vorwurf
der Inkonſequenz zuzuziehen, wird man annehmen
müſſen, daß die clausula rebus sic stantibus als all-
gemeiner Grundſatz im BGB., wenn auch nicht aus⸗
drücklich ausgeſprochen, ſo doch tatſächlich anerkannt
worden tft (vgl. Staudinger 5./6. Aufl. Bd. 2 S. 205,
242 und meine dort zitierte Schrift).
Einfacher und m. E. auch richtiger iſt folgende
Löſung, die eine Stellungnahme zu der eben beſprochenen
Theorie überflüſſig macht: Wer verſpricht, daß er am
1. Januar 1911 ein Darlehen von M 1000.—, rückzahl⸗
bar am 31. Mai 1911, gewähren wolle, und ſpäter ver⸗
ſpricht, daß er von dieſem Tage an das Darlehen
bis zum 31. Oktober 1911 prolongieren wolle, der
verſpricht, daß er 1. vom 1. Januar 1911 bis 31. Mai
1911 ein Darlehen von M 1000.— und 2. vom 1. Juni
1911 bis 31. Oktober 1911 gleichfalls ein Darlehen
und zwar dasſelbe Darlehen geben wolle. In beiden
Fällen verſpricht er alſo die Hingabe eines Darlehens.
Daß die Hingabe i. S. des 8 810 BGB. eine körper⸗
liche in Geſtalt einer Uebergabe ſein müſſe, wird wohl
nicht verlangt werden dürfen. obwohl dieſem Erforder-
nis auch durch eine brevi manu traditio Genüge ges
we Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9. 1
— . - ———mmn—: — — — . —
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leiſtet wäre (vgl. 8 607 Abſ. 2 BGB.). Hingabe be⸗
deutet vielmehr nur die Ueberlaſſung des Dar⸗
lehens. Der Umſtand aber, daß in dem einen Fall
das Darlehen zum erſten Male, in dem anderen Fall
das gleiche Darlehen zum zweiten Male zu über⸗
laſſen, alſo hinzugeben verſprochen wird, kann keines⸗
falls eine unterſchiedliche Behandlung der beiden Dar⸗
lehensverſprechen rechtfertigen.
Man wird alſo auch in der Abrede über die ſog.
Prolongation eines Darlehens nichts anderes, als ein
zweites Darlehensverſprechen zu ſehen haben, auf das
$ 610 unmittelbar Anwendung findet.
Gepr. Rechtspraktikant Dr. Stahl in Neuſtadt a. / A.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
J.
Wenn bei einem Grundſtückskaufe der Makler ohne
Wiſſen des Berkänfers dem Käufer aus feiner „Cour⸗
tage“ eine Vergütung zahlt um ihn zum Kaufe zu
bewegen, jo kaun nicht deswegen angenommen werden,
der Kanſpreis ſei in Wahrheit um den Betrag dieſer
Vergütung geringer, als er im Vertrage Iefige etzt iſt.
Weder für den Berlänfer noch für den Makler befteht
eine Verpflichtung einem Vorkaufsberechtigten von dem
Vorgange Kenntnis zu geben. Im Juni 1906 wurde
das Haus N. 82 in H. von den Eigentümern M. und
S. an R. und W. verkauft. Der Kaufpreis wurde im
notariell beurkundeten Vertrag auf 600 000 M ange:
geben. Im Anweſen hatte die Klägerin verſchiedene
Räume gemietet, und, da ſie Eigentümerin des be—
nachbarten Grundſtücks war, hatte ſie ſich ein Vor⸗
kaufsrecht bezüglich des Grundſtücks N. 82 einräumen
laſſen. Auf Mitteilung des Verkaufs erklärte die
Klägerin vom Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen, und
iſt Eigentümerin des Grundſtücks geworden. Den
Kaufvertrag mit R. und W. hatte der Beklagte ver⸗
mittelt und dafür von den Verkäufern eine Courtage
in der ungewöhnlichen Höhe von 13000 M zugeſagt
erhalten. Um das Geſchäft zuſtande zu bringen be—
willigte er aus eigenen Mitteln R. und W. eine Ver⸗
gütung von 7000 M, ohne von dieſem Sonderab—
kommen der Klägerin oder den Verkäufern Mitteilung
zu machen. Als die Klägerin davon erfuhr, klagte
fie gegen den Beklagten auf Zahlung von 7000 M:
er habe durch ſein Eingreifen eine Lage geſchaffen,
wonach die Klägerin habe annehmen müſſen, der von.
R. und W. bewilligte Kaufpreis betrage 600 000 M,
während er in Wahrheit nur 593 000 M betragen
habe. Das Verhalten des Beklagten verſtoße ebenſo—
wohl gegen ſein Vertragsverhältnis zur Klägerin —
auch als deren Makler ſei er bei dem Geſchäfte tätig
geweſen — wie gegen die guten Sitten (8 826 BGB.).
Der Schaden der Klägerin beſtehe in den 7000 M, um
die der ihr feſtgeſetzte Kaufpreis den von R. und W.
bewilligten Kaufpreis überſteige. Das RG. führte zu
der Frage, ob der Beklagte gegen die guten Sitten
verſtoßen habe, folgendes aus:
„Die Annahme der Vorinſtanzen, der Beklagte habe
durch ſein Verhalten gegen die guten Sitten verſtoßen, iſt
nicht begründet. Die Verkäufer hatten gemäß 8 510 BGB.
der Klägerin als dem Vorkaufsberechtigten den Inhalt
des mit R. und WM. geſchloſſenen Kaufs unverzüglich mit—
zuteilen. Keiner Ausführung bedarf, daß dieſe Mitteilung
200
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wahr ſein mußte; würden Verkäufer und Käufer nur zum
Schein einen Vertrag ſchließen oder einen fingiert hohen
Kauſpreis angeben, um den Vorkaufsberechtigten zu
deſſen Bewilligung zu beſtimmen, fo läge ein unzweiſel—
haft rechts⸗ und ſittenwidriges, unter Umſtänden ſtraf⸗
bares Verhalten vor auf Seiten jedes, auch des Maklers,
der ſich an einer ſolchen auf Täuſchung gerichteten
Machenſchaft beteiligte. Da indeſſen die Vorinſtanzen
feſtgeſtellt haben, daß die Verkäufer von der R. und
W. gewährten Vergütung (7000 /) nichts gewußt
haben, kommt ein Verſtoß der Verkäufer gegen ihre
Offenbarungspflicht aus 8 510 BGB. nicht in Frage.
Nur aus der Perſon des Beklagten iſt zu beurteilen,
ob ihm ein Verſtoß gegen die guten Sitten zur Laſt fällt.
Die Vorinſtanzen haben feſtgeſtellt, daß R. und
W. die Vergütung von 7000 M nicht nur für den
5 der Ausübung des Vorkaufsrechts, ſondern ſchlecht—
in auch für den Fall zugeſagt erhalten haben, daß
ſie Käufer bleiben. Die Vorinſtanzen folgern hieraus,
daß „der wahre Kaufpreis“ nicht 600 000 M, ſondern
nur 593000 M ſei. Der Verſtoß gegen die guten
Sitten wird — dies zutreffend — nicht in der Zuſage
oder Gewährung der 7000 , ſondern im Ver⸗
ſchweigen dieſer Tatſachen gefunden, weil infolgedeſſen
der Vorkaufsberechtigte nicht erfahren habe, daß der
Kaufpreis, zu dem er das Haus zu erwerben berechtigt
geweſen wäre, um 7000 M niederer ſei, als der ihm
mitgeteilte notarielle Kaufvertrag angebe.
Daß der Beklagte von ſeinem Abkommen mit R.
und W. dem Borfaujsberedtigten unmittelbar hätte
Mitteilung machen ſollen, nehmen auch die Vorinſtanzen
nicht an. Das ergibt ſich als zutreffend ſchon daraus,
daß der Beklagte, wie ohne Rechtsirrtum angenommen
wird, nicht als Makler der Klägerin, ſondern nur als
ſolcher der Verkäufer und der Käufer R. und W. tätig
geweſen iſt, mithin jener als einem Dritten gegenüber
zu Mitteilungen über Einzelheiten der erzielten Ber:
tragseinigung, wenn überhaupt berechtigt, ſo doch
jedenfalls weder rechtlich noch ſittlich verpflichtet war.
Dagegen hat ſchon das Landgericht unter ſtillſchwei⸗
gender Billigung des Berufungsgerichts die Auffaſſung
ausgeſprochen, der Beklagte hätte auf Grund ſeines
Vertrags- und Vertrauensverhältniſſes zu den Ver—
käufern als ſeinen Auftraggebern dieſen von ſeinem
Sonderabkommen mit R. und W. Mitteilung machen
ſollen, damit die Verkäufer ihrerſeits der ihnen ob—
liegenden Verpflichtung hätten nachkommen können
den Vorkaufsberechtigten „den wahren Kaufpreis“ zu
offenbaren. Eine ſolche Verpflichtung der Verkäufer
beſtand indeſſen nicht. Der gegenteiligen Annahme
der Vorinſtanzen liegt eine Vorausſetzung zugrunde,
die das Berufungsgericht dahin ausdrückt:
Der Beklagte habe durch ſein Verfahren ein Kauf—
gefhäft mit einem wahren Kaufpreis von nur
593 000 zur Entſtehung gebracht. Denn wenn
auch „nach außen“ — und wie die Verkäufer be⸗
ſchworen haben, ohne deren Wiſſen — der Preis im
Vertrag auf 600 000 & feſtgeſetzt geweſen ſei, fo ſei
doch „mittelbar aus dem Vermögen der Ver⸗
käufer eine geheime Rückvergütung gewährt und
ſo den Erſtkäufern ermöglicht worden für das Grund—
ſtück höchſtens 593000 M auſwenden zu müſſen.“
Der Vorkaufsberechtigte aber habe Anſpruch darauf,
daß nur die wahren durch den erſten Vertrag ge—
ſchaffenen Rechtsbeziehungen die Grundlage ſeines Ein—
tritts bildeten. Habe der Beklagte bewirkt, daß die
Klägerin zu einem höheren Preis einſpringen mußte,
als der von den Erſtkäufern gegebenen Falles zu
zahlende geweſen wäre, ſo habe er das Vorkaufsrecht
der Klägerin verletzt und ihr „möglicherweiſe“ Schaden
verurſacht. Dieſe Ausführungen ſind rechtsirrig.
Wären den Erſtkäufern R. und WR. etwa von einem
Dritten geſchenkte Gelder zugefloſſen, womit fie den An—
kauf bewirkten, fo hätten die Vorkaufsberechtigten daraus
zweifellos für ſich nichts herleiten können. Ebenſowenig
dann, wenn der Makler die 7000 M ſchlechthin aus
ſeinem Vermögen, etwa überhaupt ohne Courtage zu
beziehen, aufgewandt hätte. Das Weſentliche iſt nach
der Betrachtungsweiſe der Vorinſtanzen darin gelegen,
daß die 7000 1 Vergütung „ihrer weiteren Pro—
venienz nach“ aus den Mitteln des Verkäufers
ſtammten. Für dieſe aber waren die vollen 13 000 M
nur Courtage, die ſie dem Makler zahlen mußten; daß
ihre Höhe beſonders vereinbart ſei, hob 8 10 des
Vertrags durch die Worte „laut Abrede“ hervor. In
welcher Weiſe der Makler den erhaltenen Betrag ver:
wendete, konnte den Verkäufern an ſich gleichgültig
fein; insbeſondere ergab ſich daraus für ſie keines-
wegs die Auffaſſung, daß „der wahre Kaufpreis“ mit
Rückſicht auf die vom Makler den Erſtkäufern ge—
ſpendeten 7000 M nicht mehr 600 000 M, ſondern
nur noch 593000 M betrage. Die Annahme des Be-
rufungsgerichts, nur „nach außen“ ſei der Kaufpreis
auf 600000 M feftgefeßt worden, entbehrt einer zu⸗
reichenden Unterlage und die Betrachtungsweiſe, die
Vergütung von 7000 M hätten R. und W. „mittel:
bar“ aus dem Vermögen der Verkäufer erhalten,
verwechſelt den wirtſchaſtlichen Zuſammenhang der
Dinge ohne Grund mit dem rechtlichen. Nach dem
Willen der Vertragſchließenden war und blieb der
Kaufpreis in dem auch nach der Annahme der Vor⸗
inſtanzen ernſtlich gemeinten Erſtkaufvertrag 600 000 M,
und unrichtig iſt die Vorausſetzung der Vorinſtanzen,
daß, wenn die Verkäufer um die Zuſage oder Ge⸗
währung der Vergütung von 7000 M durch den Be⸗
klagten an R. und W. gewußt hätten, die Vorkaufs⸗
berechtigten hätten verlangen können zu 593000 M
zu erwerben. Sie träfe nur dann zu, wenn feſtgeſtellt
wäre, die Courtage ſei (13 000 M) in der Tat von den
Verkäufern dem Makler nur mit dem Willen gegeben
worden, daß davon 7000 M den Erfifäufern zufließen,
— wenn der Makler alſo inſoweit von den Verkäufern
nur vorgeſchoben wäre. Dies aber wäre bloß aus
einer Kenntnis der Verkäufer vom Vorhaben des
Maklers, den Erſtkäufern die Vergütung zu gewähren,
nicht zu ſolgern geweſen.“ (Urt. des VI. ZS. vom
12. Januar 1911, VI 599/09).
2216
S
II.
Verpfändung einer Grundſchuld für künftige 555
derungen. Erſordernis der „Beſtimmbarkeit“ der For⸗
derung. Aus den Gründen: Die Annahme des
OLG., daß die Verpfändungserklärung vom 20. Sep>
tember 1907 nicht ſchon deshalb zur Beſtellung eines
gültigen Pfandrechts an der Grundſchuld ungeeignet
war, weil dieſe erſt am 24. September 1907 eingetragen
worden iſt, wenn auch ſelbſtverſtändlich das Pfand—
recht nicht vor der Eintragung der Grundſchuld und
vor der Uebergabe des Grundſchuldbriefes wirkſam
wurde, iſt von der Reviſion nicht bemängelt worden
und von Amts wegen nicht zu beanſtanden (vgl. 588 1154.
1192, 1274, 1279 ff. 1291 BGB.). Die Reviſion ſucht
unter Berufung auf die Gründe des Urteils erſter
Inſſanz nur auszuführen, daß die zu ſichernden For—
derungen in der Verpfändungserklärung nicht mit hin—
reichender Beſtimmtheit bezeichnet worden ſeien. Dem
kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Allerdings
ſetzt das Pfandrecht an einer beweglichen Sache oder
an einem Recht, insbeſondere an einer Grundſchuld
(vgl. SS 1204, 1273, 1279, 1291 a. a. O.), begrifflich
eine Forderung voraus, und wenn dieſe auch eine
künftige, d. h. eine ſolche ſein kann, deren Entſtehung
nur für die Zukunft in Ausſicht genommen iſt, ſo liegt
es doch in der Natur der Sache, daß die zu ſichernde
Forderung irgendwie beſtimmbar fein muß. In § 1145
Abſ. 2 des J. Entwurfes, aus dem § 1204 Abſ. 2 BGR.
hervorgegangen iſt, war neben der bedingten und
künftigen Forderung auch die unbeſtimmte“ aufgeführt.
Damit war indes nach den Motiven (Bd. 3 S. 798)
Zeitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
201
nur eine ihrem Gegenſtande nach unbeſtimmte For⸗
derung gemeint, während es als ſelbſtverſtändlich an⸗
geſehen wurde, daß die zu ſichernde Forderung in dem
dinglichen Vertrage auf eine ſolche Weiſe beſtimmt
werden müſſe, die ſchließlich auf eine beſtimmte For⸗
derung hinleite (vgl. Biermann, zu $ 1204 BGB.
Anm. 3, 2. Aufl. S. 432; Planck, zu 8 1204 Anm. 2 b a,
3. Aufl. S. 749; Windſcheid⸗Kipp Bd. 1 8 225 unter
I. 1, 9. Aufl. S. 1134). Allein dem Erforderniſſe der
Beſtimmbarkeit iſt, wie das OLG. zutreffend ausführt,
dadurch Genüge geſchehen, daß die Grundſchuld für
alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen des
Beklagten gegen G. verpfändet worden iſt. Damit iſt
das Pfandrecht für jede einzelne dem Beklagten gegen
G. zuſtehende oder erwachſende Forderung gültig be—
ſtellt worden, ſoweit ſie überhaupt Gegenſtand einer
Pfandſicherung ſein kann. Eine Beſchränkung der
Pfandſicherung auf eine oder mehrere beſtimmte For—
derungen haben die Beteiligten nicht gewollt, auch
wenn ſie davon ausgegangen ſein ſollten, daß es ſich
vorausſichtlich nur um den Erſatz gewiſſer Koſten und
Auslagen handeln werde. Die nähere Bezeichnung
der zu ſichernden Forderungen nach Schuldgrund oder
Rechtsverhältnis fiel damit von ſelbſt weg, denn eine
Beſtimmung, wie fie in $ 1115 BGB. für die Hypo⸗
thek getroffen worden iſt, beſteht für das Fahrnis⸗
pfand nicht, und zu einer un Anwendung
fehlt jeder Anlaß. (Urt. des V. 35. vom 20. Februar
1911, V 272/10). — — —ı
2209
III.
Zu 88 823, 831 86. Unterfchied zwiſchen Lei:
tung und Anfficht beim Forſtwirtſchaſtsbetrieb. Ober:
aufficht über die Forſtbeamten. Aus den Gründen:
Rechtsirrig iſt es, wenn das angefochtene Urteil eine
perſönliche Haftung des Beklagten als des Grundbe—
ſitzers aus 8 823 BGB. verneint, weil die Haftung
dafür, daß in den Waldungen über die Holzfällerei
eine angemeſſene Aufſicht neben und außer der durch
dem Akkordanten übertragenen ausgeübt werde, nur
auf 8 831 BGB. geſtützt werden könnte, alſo durch
den Nachweis beſeitigt würde, daß der Beklagte in
der Auswahl der zur Aufſicht im Forſtbetrieb beſtellten
Perſonen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beob—
achtet habe. Durch die Beſtellung angemeſſen vorge—
bildeter und einwandsfrei bewährter Beamter hierfür
kann ſich der Beklagte nicht der zivilrechtlichen Ber:
antwortung dafür entſchlagen, daß innerhalb ſeines
forſtwirtſchaftlichen Betriebs insbeſondere beim Fällen
und Aufbereiten des Holzes mit der Vorſicht verfahren
werde, die im Intereſſe des benachbarten öffentlichen
Verkehrs geboten iſt.
Reichsgerichts ſchon häufig betont iſt, muß derjenige,
der ſolche Arbeiten ausführen läßt, die den Verkehr
beeinfluſſen können, Sorge dafür tragen, daß nicht
daraus für den allgemeinen Verkehr Gefahren er—
wachſen. Daß der Beklagte nicht im Sinne des § 831
die Holzfällerei zu leiten hat,
nommen: von einer ſolchen Leitung iſt aber zu unter—
ſcheiden die allgemeine Aufſichtspflicht, die
jedem Geſchäftsherrn über ſeine Angeſtellten und ihre
Dienſtvorrichtungen obliegt, die außerhalb und neben
der Leitungspflicht des 8 831 befteht und nicht nach
dieſer Beſtimmung, ſondern nach 8 823 BGB. zu be—
urteilen iſt. Deren Maß und Art richtet ſich nach den
Umſtänden; je nach dieſen begreift ſie auch eine Pflicht
zur Unterweiſung für die vorzunehmende Tätigkeit und
eine allgemeine, fortlaufende Ueberwachungstätigkeit.
Selbſtverſtändlich braucht der Beklagte dieſe allge—
meine Aufſichtspflicht nicht notwendig und ausſchließ—
lich in Perſon zu erfüllen. Indeſſen kann von ihm
Wie in der Rechtſprechung des
iſt zutreffend ange⸗
— -—
U
nungen zur Sicherung des Verkehrs vor den bei der
Holzfällerei entſtehenden Gefahren getroffen werden
und ihre Verwirklichung angemeſſen gewährleiſtet iſt.
An Feſtſtellungen in dieſer Hinſicht fehlt es im ange⸗
fochtenen Urteil. Daß der Beklagte dieſe hier erörterte
Aufſichtspflicht verletzt habe, hat an ſich der Beſchä⸗
digte zu beweiſen. Nun iſt aber im Urteil feſtgeſtellt,
daß das vom Berufungsgericht für kauſal erachtete
ordnungswidrige Kreuz- und Querfällen in den Wal⸗
dungen ſtets geduldet, eine dem entgegentretende Wei⸗
ſung niemals erteilt worden iſt. Damit iſt ein ord⸗
nungswidriger Zuſtand von längerer Dauer dargetan,
der zunächſt nur in der Verſäumung der allgemeinen
Aufſicht feine Erklärung findet und bei gehöriger Ueber⸗
wachung der Wahrnehmung des Aufſichtspflichtigen
nicht hätte entgehen können. Darnach wäre es Sache
des Beklagten darzutun, daß die Verletzung ohne ſein
Verſchulden erfolgte und er ſeiner Aufſichtspflicht ge⸗
nügt habe. Deſſen wurde der Beklagte endlich auch
nicht etwa dadurch überhoben, daß er die Arbeit des
Holzfällens einem fachkundigen Unternehmer übertrug.
Sind wie hier mit den übertragenen Arbeiten befons
dere Verkehrsgefahren verbunden, ſo erwächſt daraus
für den Beklagten die Verpflichtung, für die gefahr⸗
loſe Durchführung der übertragenen Arbeit Sorge zu
tragen und dem eine beſondere Aufmerkſamkeit zuzu⸗
wenden. (Urt. des VI. 35. vom 4. Februar 1911,
VI 392/10). — — gn.
2184
Wirkung der — einer Grundſchuld während
des Nechtsſtreits auf das 203 2 des urſprün Hie 18
Grundſchuldgläubigers (58 265, 325 ZPO.)
im Koſtenpunkte zu enticheiden, e die Genubfhne
erſt abgetreten wird, während der Nechtsſtreit ſchon in
der Bernfungsinftanz anhängig it? Aus den
Gründen: Irrtümlich iſt die Anſicht des Berufungs⸗
richters, daß Abtretung der Grundſchuld an einen
Dritten während des Laufes des Rechtsſtreits nach
§ 265 ZPO. auf die Berechtigung des Klägers zur
Geltendmachung der Grundſchuld keinen Einfluß ge-
habt habe. Dahingeſtellt kann bleiben, ob die Meinung
des Berufungsrichters zutreffend iſt, daß es einer
Aenderung des Antrages nicht bedürfe, weil im Klag—
antrage nicht ausgedrückt ſei, für wen die Grundſchuld
eingetragen ſei, ſondern nur Duldung der Zwangs—
vollſtreckung wegen der „eingetragenen“ Grundſchuld
ſchlechthin begehrt werde, daß alſo in der Urteilsformel
nicht an Stelle des Klägers der Zeſfionar als derjenige
bezeichnet zu werden brauche, an den der Grundſchuld—
betrag zu zahlen ſei (vgl. RG Z. 56, 308; GruchBeitr.
Bd. 49 S. 904, 1061; Jur W. 1905 S. 27 Nr. 36, 1906
S. 810 Nr. 5, 1907 S. 337 Nr. 17, 1908 S. 303 Nr. 11).
Der Berufungsrichter überſieht aber die Vorſchrift des
§ 265 Abſ. 3 ZPO., wonach dem Kläger der Einwand
entgegengeſetzt werden kann, daß er zur Geltendmachung
des Anſpruchs nicht mehr befugt ſei, wenn er ver:
äußert oder abgetreten hat und das Urteil nach § 325
gegen den Rechtsnachfolger nicht wirkſam ſein würde.
Dieſer Abſ. 3 ſtellt eine Ausnahme von Abſ. 2 Satz 1
auf, nach dem die Veräußerung oder Abtretung auf
den Prozeß keinen Einfluß haben ſoll, und zwar dahin,
daß der Kläger überhaupt den Prozeß nicht weiter
durchführen kann, ſondern mit ſeiner Klage abgewieſen
werden muß, wenn ſich der Beklagte auf die Vorſchrift
beruft (RGZ. 49, 366; 56, 309). Der Grund dafür
liegt darin, daß der Beklagte nicht genötigt ſein ſoll,
die Beſtellung eines zur Anweiſung und Ueberwachung
der Forſtwirtſchaftsbeamten geeigneten Oberbeamien |
und weiter verlangt werden, daß die nötigen Anord—
ſich weiter mit einem Kläger einzulaſſen, deſſen Ab—
weiſung ihn doch gegen eine neue Inanſpruchnahme
durch den Zeſſionar nicht ſchützen würde (RG. a. a. O.).
Nach § 325 Abſ. 1, 2 ZPO. wirkt aber das Urteil
gegenüber demjenigen, der nach dem Eintritte der
Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger des Klägers ge—
worden iſt, dann nicht, wenn der Rechtsnachfolger
202
für feinen Rechtserwerb die Vorſchriften des bürger⸗
lichen Rechts zugunſten derjenigen zur Seite ſtehen,
welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten.
Zu dieſen Vorſchriſten gehört die des 8 892 BGB.,
wonach zugunſten des gutgläubigen rechtsgeſchaftlichen
Erwerbers eines Rechtes an einem Grundſtück oder
eines Rechtes an einem ſolchen Rechte der Inhalt des
Grundbuchs als richtig gilt, alfo ein ſolcher Erwerber
gegen einen aus dem Grundbuche nicht erſichtlichen
Mangel im Rechte feines Rechts vorgängers geſchützt
wird. Auf dieſe Vorſchrift kann ſich auch der Dritte
berufen, an den der Kläger unſtreitig die eingeklagte
Grundſchuld im Laufe des Rechtsſtreits abgetreten
hat. Daher iſt nach § 265 Abſ. 3 ZPO. der Einwand
des Beklagten gerechtfertigt, daß der Kläger zur Geltend⸗
machung des Anſpruches aus der Grundſchuld nicht
mehr befugt ſei. Ob der Dritte nach den den tatſäch⸗
lichen Verhältniſſen, unter denen die Abtretung der
Grundſchuld erfolgt iſt, ſich mit Erfolg auf ſeinen
guten Glauben berufen könnte, darauf kommt es für
die Anwendung des § 265 Abſ. 3 nicht an. Nach dem
Sinne dieſer Beſtimmung genügt es zur Begründung
des Einwandes der nunmehr mangelnden Aftivlegiti-
mation des Klägers, daß nach der Art der veräußerten
in Streit befangenen Sache oder des abgetretenen
Klaganſpruches die Möglichkeit gegeben iſt, daß der
Erwerber zufolge ſeiner Gutgläubigkeit ſelbſtändige,
von einem etwaigen Mangel im Rechte des Rechts⸗
vorgängers unabhängige Rechte an dem Streitgegen⸗
ſtand erlangt hat (vgl. RG. 49, 366). Auf welche
Weiſe die Grundſchuld an den Dritten abgetreten iſt,
geht aus dem Tatbeſtande des Berufungsurteils nicht
hervor. Anſcheinend iſt die Grundſchuld nicht nur
gemäß SS 1154 Abſ. 1, 1192 BG. durch Erteilung
der Abtretungserklärung in ſchriftlicher Form und
Uebergabe des Grundſchuldbriefes an den Dritten
übertragen worden, ſondern auch für dieſen im Grund—
buch umgeſchrieben, da der Berufungsrichter anzu—
nehmen ſcheint, daß der Zeſſionar im Grundbuch als
Gläubiger eingetragen ſei. Jedoch bedarf es der Nach—
holung einer Feſtſtellung nach dieſer Richtung nicht,
da die Parteien darüber einig ſind, daß die Grund—
ſchuld wirkſam an einen Dritten abgetreten iſt. Dem⸗
nach hätte der Berufungsrichter auf den vom Beklagten
in der Berufungsinſtanz erhobenen Einwand der
mangelnden Aktivlegitimation des Klägers die Klage
abweiſen müſſen (RG. 49, 365; 56, 309).
Gemäß $ 91 3 PO. waren dem Kläger die ge⸗
„ Koſten des Rechtsſtreites aufzuerlegen. Aller:
ings iſt anzunehmen, daß die Abtretung der Grund—
ſchuld erſt im Laufe der Berufungsinſtanz erfolgt iſt,
da das Urteil des LG. am 7. Oktober 1909 erlaſſen
und die Grundſchuld nach den Parteianfuhrungen im
Februar 1910 abgetreten worden iſt. Trotzdem hat
der Kläger auch die Koſten der erſten Inſtanz zu tragen,
wiewohl der erſte Richter den Beklagten nach der
Sachlage in erſter Inſtanz mit Recht verurteilt hat.
Denn der Kläger, der durch die Abtretung der Grund—
ſchuld die Abweiſung ſeiner Klage ſelbſt veranlaßt
hat, iſt die allein unterliegende Partei und dieſe hat
nach § 91 ZPO. grundſätzlich die Koſten des Rechts—
ſtreits ohne Ausnahme zu tragen. Nach den Sonder—
beſtimmungen der SS 94 bis 96, 97 Abſ. 2, 3 ZPO.
können zwar bei Vorliegen der dort erforderten Voraus—
ſetzungen auch der ſiegenden Partei Teile der Koſten
auferlegt werden. Von dieſen Beſtimmungen trifft
aber keine zu, insbeſondere auch nicht die des § 96,
wonach die Koſten eines ohne Erſolg gebliebenen
Angriffs- oder Verteidigungsmittels der Partei auf—
erlegt werden können, welche es geltend gemacht hat,
auch wenn fie in der Hauptſache ſiegt (vgl. RG. 65,
35; Jur W. 100 S. 714 Nr. 3). (Urt. des V. 35. vom
23. Januar 1911, V 256. 10).
2194
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Zeitſchrift für Rechtapflege in Bayern. 1911. Nr. 9. in Bayern. 1911. Nr. 9.
Betriebsunfall i. S e. dee 31 HaftpflG., wenn eine
Kraftdroſchke mit einem ſtille ſtehenden ‚Inge ber Straßen:
bahn ARME: bt. Höhere Gewalt itverſchulden
des Verletzten, wenn er die Kraſtdroſchke gemietet hatte.
Der Kläger fuhr in einer Kraftdroſchke die K.ſtraße in
B. entlang, und zwar in der Richtung von Weſten
nach Oſten. Die Straße wird von mehreren Linien
der von der Beklagten betriebenen elektriſchen Straßen⸗
bahn befahren, die zum Teil in die rechtwinkelig in
die K.ſtraße einmündende A. ſtraße abbiegen. In dem
Augenblicke, als ein aus zwei Wagen beſtehender
Straßenbahnzug aus der A.ſtraße in die K.ſtraße in
weſtlicher Richtung einbog, fuhr die Kraftdroſchke, in
der der Kläger ſaß, in den erſten der Straßenbahn⸗
wagen hinein. Der Kläger erlitt Verletzungen. Er
nimmt auf Erſatz des Schadens die Beklagte in An⸗
ſpruch. Das LG. hat den Klageanſpruch dem, Grunde
nach für gerechtfertigt erklärt; die Berufung der Bes
klagten wurde zurückgewieſen. Die Reviſion hatte
keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Der die Annahme eines
Betriebsunfalles i. S. des § 1 Haftpfl®. begründende
äußere Zuſammenhang des Unfalles mit einem be—
ſtimmten Betriebsvorgange der Eiſenbahn und der
innere Zuſammenhang mit dem Eiſenbahnbetriebe und
deſſen Gefahren kann nicht mit Grund beſtritten werden.
Die Schwere der Straßenbahnwagen und ihr Laufen
in den ein für allemal feſtgelegten Geleiſen, das ein
Ausweichen nicht geſtattet, ſind für die Verurſachung
des Zuſammenſtoßes und ſeiner Kraft und ſomit für
die Körperverletzung des dadurch aus ſeinem 1
geſchleuderten Klägers urſächlich geweſen. Mit U
recht beruft ſich die Reviſionsklägerin darauf, daß
in einer Entſcheidung des erkennenden Senats (vom
10. Dezember 1910, VI 64809) die Frage offen
gelaſſen wurde, ob ein Betriebsunfall auch dann vor
liegen würde, wenn das Automobil auf einen ſtehen—
den Straßenbahnwagen aufgefahren wäre, und daß
im gegebenen Falle der Straßenbahnwagen tatſächlich
gehalten habe. Jene Frage kann aufgeworfen werden,
wenn es ſich um einen Stillſtand des Eiſenbahnbe—
triebes, um ein Anhalten des Straßenbahnwagens auf
einer Halteſtelle handelt. Hier war der Straßenbahn
wagen im Fahren, der Wagenführer ſah den heran—
fahrenden Kraftwagen, fürchtete den Zuſammenſtoß
mit dem fahrenden Straßenbahnwagen, der ſelbſt nicht
ausweichen konnte, und brachte dieſen zum Stehen,
um den Zuſammenſtoß ſchließlich noch zu vermeiden.
Wenn dieſer nun doch erfolgte, dann liegt der Fall
genau ſo, als wenn der Kraftwagen in den fahrenden
Straßenbahnwagen hineingefahren wäre; dieſer befand
ſich im Betriebe, und die mit ſeinem Betriebe ver—
bundene Gefahr für den übrigen Straßenverkehr hat
— neben der Unachtſamkeit des Wagenführers des
Kraftwagens — den Unfall verurſacht.
Auf höhere Gewalt kann die Beklagte ſich gleich—
falls nicht berufen. Ereigniſſe, die der auf den öffent—
lichen Straßen ſich bewegende Straßenbahnbetrieb mit
ſich bringt, indem andere Verkehrsmittel mit ihm in
gefährlichen Konflikt geraten, können nicht als höhere
Gewalt angeſehen werden. Die Kreuzungen der
Straßen, in denen der Straßenbahnbetrieb ſich bewegt,
begünſtigen dieſe Konflikte, mit denen der Unternehmer
der Straßenbahn rechnen muß. Als höhere Gewalt,
die die Haftung der Straßenbahn ausſchließt, kann
nur ein außergewöhnliches, außerhalb des Be—
triebes wirkendes Ereignis angeſehen werden, das
nach menſchlicher Erfahrung nicht vorauszuſehen iſt,
deſſen Eintritt nicht erwartet und auch bei den zweck—
mäßigſten Einrichtungen durch menſchliche Kraft und
Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (RG. 54
S. 404, Bd. 60 S. 304, Bd. 64 S. 404, Warneyer,
Rechtſprechung 1909 Nr 226 und 279). Ein ſolches
ungewöhnliches Ereignis kann wohl ein Zuſammenſtoß
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
203
fein, der durch das Durchgehen der Pferde eines Fuhr⸗ ausſchließlich dadurch beſtimmt wurde, daß er
werkes verurſacht wird, der
iſt, weil das Verhalten führerlos ſich ſelbſt überlaſſener
ſcheugewordener Pferde unberechenbar iſt und jeden
Verkehr auf der Straße gefährdet (RG. Z. Bd. 64 S. 404),
nicht aber die Vorgänge des regelmäßigen alltäglichen
Straßenverkehrs ſelbſt, in den in neuerer Zeit auch
das Fahren der Kraftwagen hinein gehört, und in dem
alltäglich auch Unachtſamkeiten und Ordnungswidrig⸗
keiten der Fußgänger wie der Wagenlenker mit unter⸗
laufen; dieſe begründen dann, wenn ein Unfall erfolgt,
ein Verſchulden der Wagenlenker, das fie für dieſen
verantwortlich macht, bei Zuſammenſtößen mit der
Straßenbahn neben deren Betriebsunternehmer;: aber
ſie ſtellen keinen Fall höherer Gewalt für den letzteren dar.
Für das behauptete eigene Verſchulden des verletzten
Klägers kommt in Betracht, daß der Kläger nicht Eigen⸗
tümer der Kraftdroſchke und nicht Dienſtherr des Kraft⸗
wagenführers war; er hatte gar keine rechtliche Ge⸗
walt über dieſen. Die Fälle, in denen die Recht⸗
ſprechung die Inſaſſen der Kraftwagen für die Fahr⸗
läſſigkeiten der Wagenlenker im Straßenverkehr neben
dieſen veranwortlich gemacht hat (Jur. Wſchr. 1905
S. 287 Nr. 11; 1908 S. 405 Nr. 7; 1910 S. 105 Nr. 3;
1911 S. 40 Nr. 26 und 27), liegen anders und haben
überall den Eigentümer des Kraftwagens und den Ge⸗
ſchäftsherrn des Wagenführers im Auge, wenn ſie die
Gefährlichkeit des Handels des letzteren erkannt haben
und in der Lage waren, die Gefahr abzuwenden. Es
iſt zuzugeben, daß auch außerhalb dieſer Fälle unter
beſonderen Umſtänden ein Verſchulden eines Fahr⸗
gaſtes in einem fremden Kraftwagen angenommen
werden kann, wenn er ein rechtswidriges Tun des
Wagenführers ſelbſt veranlaßt hat. Hier iſt aber ge⸗
rade vom Berufungsgericht feſtgeſtellt, daß der Kläger
den Wagenführer zum vorſichtigen Fahren aufgefordert
hat, und nicht für erwieſen erachtet worden, daß er
über haupt ein unzu läſſig ſchnelles Fahren des Wagen»
führers wahrgenommen hat. Der letztere hätte beim
Paſſieren der Straßenkreuzung die Fahrgeſchwindigkeit
erheblich mäßigen und, wenn nötig, einen Augenblick
anhalten müſſen; in dieſer Beziehung trifft aber den
Kläger kein Vorwurf. (Urt. des VI. ZS. vom 4. Fe⸗
bruar 1911, VI 112/10).
2217
—— -n.
B. Straffaden.
I
„Probefahrt“ i. S. des z 53 NStempö. Aus
den Gründen: Der Angeklagte, der ein Handels—
geſchäft mit Kraftfahrzeugen betreibt, hat an zwei
Tagen im Februar 1909 zum Befahren öffentlicher
Wege einen der Perſonenbeförderung dienenden Kraſt—
wagen benützt, den er unmittelbar zuvor feſt gekauft
und in Eigenbeſitz übernommen hatte. Obwohl der
Wagen von dem Verkäufer und ſeitherigen Beſitzer
ſeit dem Juni 1908 nicht mehr verſteuert worden
war, hatte der Angeklagte keine Erlaubniskarte gelöſt.
Auf der Fahrt, die vom Orte des Ankaufs nach dem
Orte ſeiner gewerblichen Niederlaſſung geplant war,
aber kurz vor der Ankunft am Ziele aufgegeben
werden mußte, wollte der Angeklagte angeblich er= |
proben, ob das angekaufte, bereits gebrauchte, ſeit
längerer Zeit aber nicht mehr benutzte Kraftfahrzeug
noch gebrauchsfähig ſei oder ob es vor der beab—
ſichtigten und unmittelbar bevörſtehenden käuflichen
Ueberlaſſung an einen dritten Erwerber erſt noch
ausgebeſſert werden müſſe. Das Strafkammerurteil
hat dem Angeklagten, der vor Erwerb des Wagens
dieſen angeblich nur in kurzer Probefahrt gefahren
und verſäumt hatte ſich über ſeine Eigenſchaften
näher zu unterrichten, auch geglaubt, daß er zur
Ausführung der zweitägigen Fahrt allein
ſchlechthin unvermeidlich ſich überzeugen wollte, o
f
der Wagen in ſeinem der⸗
zeitigen Zuſtand noch fahrtüchtig und hiernach ge—
eignet ſei zur Erfüllung des Kaufvertrages Ber:
wendung zu finden. Das Urteil läßt es dahingeſtellt,
ob der Vertrag von dem Angeklagten ſchon rechts⸗
verbindlich geſchloſſen oder nur in beſtimmte Ausſicht
genommen war. Auf Grund dieſer Feſtſtellungen iſt
der Angeklagte freigeſprochen worden. Weil Prüfung
und Erprobung des Kraftwagens nach Anſicht des
Tatrichters der einzige und ausſchließliche Zweck war,
den der Angeklagte bei Benutzung des Kraftwagens
zur Fahrt verfolgte, iſt die letztere als eine „Probe⸗
fahrt“ angeſehen worden, die nach 8 53 RStemp®.
bei Ingebrauchnahme — auch fertiger und gebrauchs⸗
fähiger — Kraftfahrzeuge nicht gelten ſoll.
Die Entfcheidung iſt nicht frei von Rechtsirrtum.
Aus der Beſtimmung in 8 53 RStempG. iſt nicht
ſicher zu erkennen, was unter der mehrdeutigen Be⸗
zeichnung „Probefahrt“ verſtanden werden ſoll. Die
Rechtſprechung hat ſich aber mit dem Begriff mehr⸗
fach befaßt und unter Heranziehung der Entſtehungs⸗
geſchichte und der Ausführungsvorſchriften nach⸗
gewieſen, daß nur eine ganz beſtimmte Art von
probeweiſer Benützung fertiger Kraftfahrzeuge ſteuer⸗
frei bleiben ſoll. Nur Fabriken und Händler haben
auf die Steuerfreiheit Anſpruch und nur für die „zum
Verkauf geſtellten“ Fahrzeuge, aber auch für dieſe nur
bei ſolchen Fahrten auf öffentlichen Verkehrswegen,
die ſie ausſchließlich vornehmen um durch die probe⸗
weiſe Benutzung der einzelnen im Handel verkäuflichen
Fahrzeuge Kaufliebhaber über deren Eigenſchaften zu
unterrichten, in zweiter Linie auch wohl um ſich ſelbſt
für den bevorſtehenden geſchäftlichen Abſatz des Fahr⸗
zeuges von deſſen Zuſtand zu überzeugen. (Entſch.
des RG. Bd. 40, 256; Bd. 43, 214; Urt. des erkenn.
Senats 1 D 237/09 vom 1. Mai 1909, Urt. des 4. Senats
4 D 189/09 vom 18. Mai 1909.) In beiden Fällen
wird das Fahrzeug nur innerhalb der eigentlichen
Handelstätigkeit zum Zwecke der Vorbereitung der
gewerblichen Weiterveräußerung der zum Verkaufe
geſtellten Ware benutzt; es wird zu einem beſtimmten
Zwecke probiert, nicht gebraucht.
Dieſe Vorausſetzungen der Steuerbefreiung treffen
hier nicht zu. Zwar wird für den von dem Ange⸗
klagten verfolgten Zweck von der Steuerbehörde er-
folglos die Beanſtandung erhoben, daß die Feſtſtellung,
für den Angeklagten habe die Erprobung des Fahr⸗
zeuges den einzigen Beweggrund zu deſſen Benutzung
abgegeben, unvereinbar ſei mit den Nachweiſen über
den Verlauf der Fahrt, bei der auch Fahrgäſte unter-
wegs Aufnahme gefunden und der urſprünglich ein—
geſchlagene Weg aus geſchäftlichen Intereſſen verlaſſen
worden ſei. Hat der Angeklagte tatſächlich einzig und
allein um die Gebrauchsfähigkeit des Wagens zu er—
proben und feſtzuſtellen die Fahrt unternommen, ſo
hört dieſer Zweck nicht dadurch auf der einzige und
ausſchließliche zu ſein, daß der Angeklagte die Gelegen—
heit dieſer Erprobung benutzt hat andere an der Fahrt
teilnehmen zu laſſen, oder daß er nebenbei auf der
Fahrt bei Auswahl des Weges ſich durch geſchäftliche
Rückſichten leiten ließ, gleichviel ob dadurch die Er—
probung zweckmäßiger geſtaltet wurde oder nicht.
(Urteile des 4. Senats 4 5 189/09 vom 18. Mai 1909
und 4 D 62509 vom 12. Oktober 1909). Deshalb kann
aus dem angeführten Geſichtspunkt weder ſachlich her⸗
geleitet werden, der Begriff der Probefahrt ſei ver—
kannt, noch iſt prozeſſual der von der Beſchwerde—
führerin erhobene Vorwurf gerechtſertigt, daß das Ge—
richt durch Unterlaſſung von Erhebungen und Feſt—
ſtellungen über den Verlauf der Fahrt und die Aen—
derung der Fahrtrichtung ſeine Pflicht zur Wahrheits—
ermittelung verſäumt habe. Dagegen dringt die ſach—
liche Beſchwerde aus einem anderen Grunde durch.
und [Nach den vorſtehenden Ausführungen muß daran feſt—
gehalten werden, daß fteuerfrei nur Fahrten mit
ſolchen Kraftwagen ausgeführt werden dürſen, die
„zum Verkauf geſtellt find“, und nur ſolche
Fahrten, die von Händlern und Fabriken aus Anlaß
namentlich zur Vorbereitung des Abſatzes des ein—
zelnen Wagens unternommen werden, insbeſondere
ſolche, die den Kaufliebhabern die Eigenſchaften des
Wagens vorführen ſollen. Daß der von dem Ange⸗
klagten benutzte Wagen „zum Verkauf geſtellt“ ge⸗
weſen fei, hat das angefochtene Urteil nicht nachge⸗
wieſen. War der Wagen bereits an einen Dritten
verkauft — worüber das Urteil eine Entſcheidung zu
geben ablehnt — ſo war er jedenfalls nicht zum Ver⸗
kauf geſtellt, ſeine Erprobung, falls ſie unter Benutzung
eines öffentlichen Weges ſtattfand, daher nicht ohne
Erlaubniskarte zuläſſig. auch dann nicht, wenn
der Angeklagte ſich ſelbſt dadurch unterrichten wollte,
ob das Fahrzeug die vertragsmäßig von ihm zu ge—
währleiſtenden Eigenſchaften beſaß und er den Käufer
zu deſſen Abnahme anhalten konnte. War das Fahr—
zeug aber nicht verkauft, ſo blieb immer noch zu prüfen,
ob es von dem Angeklagten im Zeitpunkte der Er—
probung „zum Verkauf geſtellt“ war und ob die zur
Erprobung beſtimmte Fahrt dazu diente, den Abſatz
des Fahrzeuges zu fördern und im Hinblick auf die
mit dem Kaufsliebhaber ſchwebenden Verhandlungen
die Eigenſchaften des Fahrzeuges zu ermitteln und
jenem nachzuweiſen. (Urt. des I. Strafſenats vo
2. März 1911, 1 D 635/10). II.
2219
II.
Der allgemeine Vorwurf, daß man bei einer Be⸗
hörde durch „Schmieren“ etwas erreichen könne, iſt nach
5 185 StGB., nicht nach 3 186 StGB. ſtraſbar. Aus
den Gründen: Verfehlt iſt die Annahme des Ge⸗
richts, daß eine nach $ 186 StGB. ſtrafbare Beleidigung
vorliege. Dazu wäre erforderlich, daß eine „Tatſache“
behauptet oder verbreitet iſt, und unter Tatſache im
Sinne des Geſetzes iſt nur eine Begebenheit, ein kon—
kreter Vorgang zu verſtehen, der in der Vergangenheit
oder Gegenwart in die Erſcheinung getreten und da—
durch Gegenſtand der Wahrnehmung geworden iſt.
Innere Vorgänge, deren Daſein und Art dargetan und
damit wahrnehmbar gemacht werden kann, ſind aus
dem Kreiſe der Tatſachen nicht ausgeſchloſſen, wohl
aber alle Ergebniſſe abſtrakter Schlußfolgerungen. Hier
hat es ſich nicht um die Behauptung beſtimmter kon—
kreter Vorgänge, weder äußerer noch innerer, ſondern
nur um den Vorwurf gehandelt, daß man durch
„Schmieren“ bei dem Amte oder bei einem Beamten
des Amts Cl. etwas erreichen könne. In der Aeuße—
rung konnte mithin nur eine nach § 185 StGB. ſtraf—
bare abfällige Kritik der Tätigkeit des Amtes, nicht
aber eine Beleidigung im Sinne des 8 186 StGB.
gefunden werden. (Urt. des V. StS. vom 31. Januar
1911, V D. 1034 10).
2193
— — en.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Unter welchen Voraus ſetzungen kaun die BO. vom
13. November 1902, die Unfallfürſorge für die nicht:
pragmatiſchen Staatsbeamten und Stantobedieniteten be:
treffend, auf einen früher eingetretenen Betriebsunfall
angewendet werden? Der Kläger wurde am 15. Mai
1881 in ſtatusmäßiger Eigenſchaft als Lokomotiv—
führer angeſtellt, am 1. Juni 1884 zum Lokomotiv—
führer DI, am 1. Mai 1893 zum Werkführer be—
fördert und vom 1. März 1906 an durch die Ent⸗
ſchließung der Eiſenbahndirektion B. vom 16. Februar
1906 nach Maßgabe der 88 22 ff. VO. vom 26. Juni
1894 mit einer jährlichen Penſion von 1482 M in den
dauernden Ruheſtand verſetzt. Die Penſion wurde
berechnet aus 76 °/o des Gehalts von 1950 M. Das
Dienſteinkommen des Klägers betrug zur Zeit der
Penſionierung 1950 M Gehalt, 540 M Funktions⸗
zulage für den Entgang von Fahrt- und Prämien⸗
geldern, 210 M Gehaltszulage, ſohin im ganzen
2700 M. In der 1907 erhobenen Klage machte der
Kläger geltend, das Leiden, das zu feiner Penſio⸗
nierung geführt hat, ſei die Folge zweier Betriebs⸗
unfälle, die er am 3. Juli 1886 und am 28. Juni 1902
erlitten habe, er könne daher nach den §8 44 ff. VO.
vom 26. Juni 1894 im Zuſammenhalte mit der BO.
vom 13. November 1902 eine Penſion in der Höhe
von 66 % feines Geſamtdienſteinkommens von
2700 M, ſohin von 1800 M, ſtatt der ihm zugebilligten
nicht
Normalpenſion von 1482 M beanſpruchen. Dem:
gemäß wurde der Klagantrag auf die Zahlung des
Unterſchiedes von 318 M jährlich gerichtet. Der Fis⸗
kus wendete u. a. ein, der zweite Unfall habe keine
bedeutenden Folgen, der erſte aber habe ſich ſchon
vor dem Inkrafttreten der Unfallfürſorgeverordnungen
vom 30. November 1886, 19. März 1891, 26. Juni
1894, 13. November 1902 ereignet; ein Anſpruch aus
dem Haſtpflichtgeſetze ſei wegen Verjährung ausge⸗—
ſchloſſen. Das LG. hat nach dem Klagantrag erkannt.
In den Gründen iſt feſtgeſtellt, daß der Kläger die
Betriebsunfälle erlitten hat, daß zwar der zweite
Unfall das Leiden des Klägers nicht beeinflußt hat,
dieſes aber durch den erſten Unfall verurſacht worden
iſt. Das LG. nahm ferner an, daß der Anſpruch auf
Unfallfürſorge die Eigenſchaft der Penſion hat, daß
alſo die zur Zeit der Penſionierung maßgebenden
Beſtimmungen anzuwenden ſeien und daß es deshalb
ohne Bedeutung ſei, daß ſich der Unfall ſchon vor
dem Inkrafttreten der Unfallfuͤrſorgebeſtimmungen er—
eignet hat. Die Berufung des Beklagten wurde zu—
rückgewieſen. Auch die Reviſion blieb ohne Erfolg.
Gründe: Es kann zugegeben werden, daß der
Anſpruch auf Unfallfürſorge mit dem Anſpruch auf
den regelmäßigen Ruhegehalt nicht zuſammenfällt;
es geht dies ſchon daraus hervor, daß der Unfall—
fürſorgeanſpruch beſondere Vorausſetzungen hat und
an eine beſtimmte Anmeldungsfriſt gebunden iſt.
Dadurch wird aber das Weſen des Fürſorgeanſpruchs
berührt, das nicht in der Leiſtung eines
Schadenserſatzes, ſondern in der Gewährung eines
Ruhegehaltes beſteht. (Gräf, UVerſc g. 4. Aufl. S. 557
Anm. **). Für die Beurteilung eines Ruhegehalts—
anſpruchs iſt aber, wie das Reichsgericht in ſtändiger
Rechtſprechung anerkannt hat, in der Regel das Geſetz
anzuwenden, das bei der Verſetzung des Beamten in
den Ruheſtand gilt (RG. 63, 290). Hieraus kann
gefolgert werden, daß ein Unfallfürſorgegeſetz zur
Ausgleichung von Unfallfolgen herangezogen werden
kann, auch wenn ſich der Unfall ſchon vor ſeinem
Inkrafttreten ereignet hat. Dieſe Folgerung hat auch
die Billigung des Reichsgerichts gefunden (RG. 60,
215 und JW. 1904 S. 267). Unzutreffend iſt die
Anſchauung des Reviſionsklägers, daß es ſich bei
dieſen Entſcheidungen nur um die Frage gehandelt
habe, ob der durch ein Fürſorgegeſez — hier das
preußiſche Fürſorgegeſetz vom 18. Juni 1887 — ge—
gebene Fürſorgeanſpruch nach den Beſtimmungen
eines neuen Geſetzes zu erhöhen iſt. Rechneriſch und
wirtſchaftlich liegt zwar die Auffaſſung nahe, daß der
durch das Geſetz vom 18. Juni 1887 geſchaffene An—
ſpruch durch das Fürſorgegeſetz vom 2. Juni 1902 er-
weitert oder erhöht worden iſt. Rechtlich iſt aber
davon auszugehen, daß mit dem Inkrafttreten des
Geſezes vom 2. Juni 1902 das Geſetz vom 18. Juni
1887 außer Kraft getreten iſt. Von da an konnte
deshalb ein Anſpruch aus dem letzteren Geſetz nicht
mehr, auch nicht in einem erweiterten Umfang ent:
ſtehen, ſondern nur ein Anſpruch auf Grund des
Geſetzes vom 2. Juni 1902. Auch davon kann nicht
die Rede ſein, daß in den Fällen, die den Ent⸗
ſcheidungen des Reichsgerichts zugrunde lagen, der
Kläger ſchon vor dem Inkrafttreten des Geſetzes vom
2. Juni 1902 einen Fürſorgeanſpruch erworben hatte.
Allerdings war der Unfall, aus dem der Kläger
ſeinen Anſpruch ableitete, unter der Herrſchaſt des
Geſetzes vom 18. Juni 1887 eingetreten. Allein die
Tatſache, daß der Beamte in Ausübung des Dienſtes
in einem reichsgeſetzlich der Unfallverſicherung unter⸗
liegenden Betrieb einen Unfall erlitten hat, bildet
nur eine der Vorausſetzungen für die Entſtehung des
Anſpruchs. Dieſe erfordert überdies, daß der Unfall
„eine den Anſpruch begründende Folge“ gehabt, näm⸗
lich die Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder beein—
trächtigt hat (§ 8 Abi. 2 RG. vom 18. Juni 1901),
und daß der Beamte aus dem Dienſte ausſcheidet.
Der Tatbeſtand iſt ſohin nicht weſentlich verſchieden
von dem des vorliegenden Falles. Anderſeits handelt
es ſich auch im vorliegenden Falle nicht darum, die
Unfallfürſorge auf einen ſchon vor ihrer Einführung
abgeſchloſſenen Tatbeſtand zu erſtrecken.
Unfallereignis iſt vorausgegangen, die Unfallfolge
und das Bedürfnis für ſie zu ſorgen, find erſt ſpäter
eingetreten. In Fällen dieſer Art die durch das RG.
vom 15. März 1886 geſchaffene Fürſorge zu gewähren,
entſpricht auch dem Zwecke des Geſetzes, das aus
Gründen der Billigkeit den Reichs⸗, Staats⸗ und
Gemeindebeamten „tunlichſt“ und „ſobald als mög:
lich“ Erſatz dafür gewähren wollte, daß ſie von der
Unfall verſicherung ausgeſchloſſen waren (Verh. des
RT. Sten®Ber. 1885/86 Bd. 4 S. 52 Spalte 2, S. 55,
Bem. zu § 13 des Entwurfs). Es wäre unbillig den
Beamten, die in einem reichsgeſetzlich der Unfallver⸗
ſicherung unterliegenden Betriebe verunglücken, den
Erſatz und die Fürſorge zu verſagen, weil ſich der
Unfall ſchon vor dem Inkrafttreten der Fürſorge—
vorſchriften ereignet hat. Es kann die Möglichkeit
zugegeben werden, daß in ſolchen Fällen ſchon vor
dieſem Zeitpunkt ein Anſpruch aus dem bürgerlichen
Recht, insbeſondere aus dem Haftpflichtgeſetz ent-
ſtanden iſt. Die wirtſchaſtlichen Folgen des Neben-
einanderbeſtehens mehrerer Anſprüche ſind aber im
Verhältniſſe zu den Nachteilen, die die Ausſchließung
der Beamten von der Unfallverſicherung bewirkt, ſo
gering, daß ſie unberückſichtigt bleiben können. Dieſer
Auffaſſung entſpricht auch die Vorſchrift des Art. 101
BG. vom 16. Auguſt 1908, der den Unfällen, die in
reichsgeſetzlich der Unfallverſicherung unterliegenden
Betrieben eintreten, die Unfälle gleichſtellt, die ſich in
anderen Betrieben ereignen, obwohl in dieſen Fällen
die Vorſchriften des Haftpflichtgeſetzes aufrecht er-
halten werden mußten.
für die Annahme, daß der der VO. vom 13. No⸗
vember 1902 als einem Penſionsgeſetze zukommende
Geltungsbereich auf die Unfälle nach ihrem Inkraft-
treten beſchränkt werden ſollte. Auch die Begründung
des Entwurfs eines BG. (Verh. der K. der Abg.
1907/1908 Beil. Bd. 3 S. 94 Abſ. 4 der Bem. zu
Art. 89) geht unter Bezugnahme auf die erwähnten
Entſcheidungen des Reichsgerichts davon aus, daß für
die Berechnung des als Unfallfürſorge zu gewährenden
Ruhegehalts nicht der Zeitpunkt des Unfalls, ſondern
der Zeitpunkt der Verſetzung in den Ruheſtand maß—
gebend iſt. (Urteil des J. 35. vom 24. Februar 1911,
Reg. I 265/1910). W.
22006
Nur das
Es fehlt ſohin jeder Anhalt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
erhält,
B. Strafſachen.
Zum bayeriſchen Wandergewerbeſteuergeſetz; Meß⸗
nnd Marktverkehr; Weſen und Tragweite des ſog.
Formaldeliktes.)] Der ſtaatlich genehmigte Viehmarkt
in N. wird an jedem letzten Dienstage des Monats
auf einem ganz beſtimmten Platz innerhalb der Stadt
abgehalten. Seit langen Jahren hat ſich an dem dem
Viehmarkte vorausgehenden Tag ein ſog. Vorviehmarkt
auf den Viehrampen des Bahnhofs und den um:
liegenden Plätzen außerhalb der Stadt herausgebildet.
Es entwickelt ſich dabei unter den Händlern, die ihr
Handelsvieh mit der Eiſenbahn zum Viehmarkte bei-
ſchaffen, gleich nach dem Ausladen des Viehes ein
lebhaftes Kauf⸗ und Tauſchgeſchäft; das Ganze ver⸗
läuft wie ein ſtaatlich genehmigter Viehmarkt, obwohl
dieſer Vorviehmarkt nicht auf einer ſtaatlichen Ge⸗
nehmigung beruht. Er findet aber mit Wiſſen und
unter Auffiht der zuſtändigen Polizeibehörde, des
Stadtmagiſtrats N. ſtatt; es iſt ein Tierarzt zur
Stelle, der das Vieh unterſucht und dafür Gebühren
die der Stadtmagiſtrat einheben läßt. An
einem ſolchen Vorviehmarkttag hat B. in M., der
in N. keine gewerbliche Niederlaſſung hat, ohne Be⸗
ſtellung nach dem Ausladen auf der Viehrampe am
Bahnhofe fein Vieh feilgeboten. Das Sch. ſprach
ihn von der Anklage wegen einer Zuwiderhandlung
gegen das WGStG. frei. Die Berufung und Reviſion
wurden verworfen.
Aus den Gründen des Reviſionsurteils:
Nach dem Art. 1 Ziff. 1, 2 des WESO. v. ) Tczember 1007
unterliegt der Steuer vom Gewerbebetrieb im Umher⸗
ziehen, wer außerhalb ſeines Wohnorts ohne Be⸗
gründung einer gewerblichen Niederlaſſung und ohne
vorgängige Beſtellung in eigener Perſon Waren irgend
einer Art außer ſelbſtgewonnenen Erzeugniſſen der
Land- und Forſtwirtſchaft uſw. ſeilbieten oder Waren
bei anderen Perſonen als bei Kaufleuten oder an
anderen Orten als in offenen Verkaufsſtellen zum
Wiederverkauf ankaufen will. Dieſer Steuer ſind aber
nach Art. 2 Ziff. 2 nicht unterworfen diejenigen,
welche ausſchließlich im Meß⸗ und Marktverkehre die
bezeichneten Arten des Gewerbebetriebs ausüben. Wer
ohne mit dem Nachweis über die Feſtſetzung der Steuer
und deren Entrichtung verſehen zu ſein, ein der Steuer
vom Gewerbebetrieb im Umherziehen unterworfenes
Gewerbe betreibt, verfällt nach Art. 16 in eine Geld-
ſtrafe. Ueber die allgemeinen Meſſen, Jahr⸗ und
Wochenmärkte enthalten die 88 64 bis 69 GewO. eine
Reihe von Einzelbeſtimmungen; bezüglich der Märkte,
die für beſtimmte Gattungen von Gegenſtänden ge—
halten werden, bewendet es nach dem § 70 Gewd.
bei den beſtehenden Anordnungen. Hiernach bleibt
auf Grund des Art. 24 des bayer. Geſ. v. 30. Januar
1868, das Gewerbsweſen betr., die Einführung neuer
Märkte von der Genehmigung der Regierung abhängig
und ſteht nach dem § 30 Abſ. 2 der VO. vom
29. März 1892, den Vollzug der GewO. betr., und
nach 83 der VO. vom 10. November 1904, betreffend
die Formation der Staatsminiſterien, die Bewilligung
zur Errichtung von Viehmärkten — dieſe gehören zu
den ‚„Spezialmärkten“ im Sinne des § 70 GewO. —,
die nicht ausſchließlich zur Befriedigung örtlicher Be—
dürfniſſe dienen ſondern auf einen größeren Verkehr
berechnet find, den Kreisregierungen zu. B. war hier:
nach nur dann von der Pflicht zur Entrichtung der
Wandergewerbeſteuer befreit, wenn der Vorviehmarkt
als ein Markt i. S. der Beſtimmungen auf dem Ge—
biete des Gewerbeweſens und des WG StG. zu erachten
ſondere Beachtung;
Das Urteil verdient be—
es zeigt einen bedeutſamen und erfreulichen
Wechſel der Anſchauungen des Oberſten Landesgerichts. Es konnte
hler nur ein Auszug aus den Gründen wiedergegeben werden, weil
der zur Verfügung ſtebende Raum für den unverkürzten Abdruck des
ſehr umfangreichen Urteils nicht ausreichte.
1) Anm. des Herausgebers.
206
iſt. Dieſe Vorausſetzung iſt aber nicht gegeben Der
Umſtand allein, daß der Vorviehmarkt mit Wiſſen
und unter Aufſicht des Stadtmagiſtrats N. ſtattfindet,
kann dem Vorviehmarkte nicht die Eigenſchaft eines
Marktes im geſetzlichen Sinne verleihen, da er nie⸗
mals von der Regierung genehmigt wurde.
deshalb objektiv alle Tatbeſtandsmerkmale einer Zu⸗
widerhandlung nach Art. 16 gegeben.
Der Rechtſprechung des Oberſten Landesgerichts
iſt bis in die neueſte Zeit die Anſchauung zugrunde
gelegen, daß die Zuwiderhandlung gegen das WG StG.
ein „Formaldelikt“ fei, das weder Vorſatz noch Fahr:
läſſigkeit erfordere, vielmehr ſchon gegeben ſei, wenn
die Tatſache des Betriebs eines dieſer Steuer unter⸗
worfenen Gewerbes ohne Erfüllung der gefetzlich be⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
!
Es find
ſtimmten 5 nämlich des Beſitzes des Be⸗
ſteuerungsnachweiſes, feſtſteht. Darauf, ob den Händ⸗
ler irgend ein Verſchulden treffe, komme es gar nicht
En: und infolgedeſſen fei namentlich auch die Berufung
au
mithin die Anwendbarkeit des §8 59 StG. ausge⸗
ſchloſſen. Der vorliegenve Fall legt es nahe, die
Rechtsauffaſſung vom Formaldelikt grundſätzlich nach⸗
zuprüfen. B. hat nämlich geltend gemacht, es ſei ihm
unbekannt geweſen, daß die Vorviehmärkte zu N. nicht ge⸗
nehmigte Märkte ſind. Da ſie allgemein als ordnungs⸗
den Schuldausſchließungsgrund des Irrtums,
mäßige Viehmärkte angeſehen würden, ſei ihm ein Zwei⸗
fel in dieſer Richtung niemals aufgeſtiegen. Die Be⸗
rückſichtigung des dem B. unterlaufenen von den Vor⸗
inſtanzen angenommenen tatſächlichen Irrtums über
die ſtaatliche Genehmigung des Vorviehmarktes und
ſeine darauf gegründete Freiſprechung kann jedoch nur
zu Recht beſtehen, wenn die Frage, ob ihm ein Ver⸗
ſchulden zur Laſt fällt, erheblich iſt und nicht viel⸗
mehr ſchon die bloße Erfüllung des objektiven Tat⸗
beſtandes zur Begründung ſeiner ſtrafrechtlichen Ver⸗
antwortlichkeit für genügend angeſehen wird, wie das
ſeither gemeinhin bei Zuwiderhandlungen gegen die
F über öffentliche Gefälle und Abgaben ge—
ieht.
Dieſe Sondernatur der ſteuerrechtlichen Delikte,
die zur Sicherung der Steuererträgniſſe für unent⸗
ßiſchen Rechtſprechung ſchon ſeit geraumer Zeit ange—
nommen. Die Steuergeſetzgebung des Reichs iſt
weſentlich auf den gleichen Grundſätzen wie die
Preußens aufgebaut. Nicht wenige Geſetzesbeſtim⸗
mungen lauten ſogar wortwörtlich gleich. So ergab
es ſich von ſelbſt, daß die Auslegung der Reichsgeſetze
im gleichen Sinn erfolgte und vielfach ebenfalls da—
von ausgegangen wurde, daß die bloße Tatſache der
Nichterfüllung der Abgabenpflicht ohne Rückſicht auf
das Vorliegen eines Verſchuldens unter Strafe ge—
ſtellt ſei, ſofern nicht gerade einer der jede ſtrafrecht—
liche Verantwortlichkeit ausſchließenden allgemeinen
Gründe der §§ 51 ff. StGB. Platz greift. Teilweiſe
ging man hierbei ſogar noch weiter als die preußiſche
Rechtſprechung. Während dieſe nicht ſelten als Bor:
ausſetzung der Strafbarkeit aufgeſtellt hat, daß der
Beſchuldigte ſich der den Tatbeſtand der Zuwider—
handlung bildenden Tatſachen bewußt geweſen ſein
müſſe, haben einzelne Erkenntniſſe des Reichsgerichts
(RGSt. Bd. 29 S. 74, Bd. 32 S. 132, abw. jedoch
Bd. 30 S. 52) den Begriff des Formaldelikts folge—
richtig durchgeführt und ausgeſprochen, daß auch auf
Gegenbeweis gegen die geſetzliche
§ 8, 16, vom 29. Mai 1885 8 23, vom 27. April 1894
§ 3, 19, 26, vom 14. Juni 1900 85 19, 27, 38, vom
14. Juli 1909 88 2, 33, 43, 64, 69, 75, 88) iſt aus:
drücklich ſchon die bloße Nichterfüllung der Verpflichtung
zur Entrichtung der Abgabe unter Strafe geſtellt.
Zur Vermeidung von Härten läßt jedoch das Geſetz
in ſolchen Fällen nicht ſelten dem e den
ermutung offen
und verweiſt die Geſetzesübertretung in die Reihe der
bloßen Ordnungswidrigkeiten, wenn dargetan wird,
daß der Angeſchuldigte eine Defraudation nicht hat
verüben können oder eine ſolche nicht beabſichtigt ge⸗
weſen iſt, oder wenn nicht feſtgeſtellt wird, daß eine
Defraudation beabſichtigt geweſen iſt (fo z. B. Ver 3G.
§ 137 Abſ. 2, § 138; Zucker StG. von 1887 843 u. a.).
In dieſer Mannigfaltigkeit weiſt auf den allein
richtigen Weg das reichsgerichtliche Erkenntnis vom
24. November 1898 (RGSt. Bd. 31 S. 345), wo aus⸗
geführt iſt: „Allerdings kommen in den Geſetzen
Strafbeſtimmungen vor, die von jedem Verſchulden
bei der Zuwiderhandlung abſehen und ſchlechthin die
Nichterfüllung der vom Geſetze auferlegten Pflicht mit
Strafe bedrohen. Aber daraus iſt nicht eine für
Steuergeſetze allgemein gültige Rechtsregel abzuleiten,
vielmehr bei dem einzelnen Geſetze zu prüfen, ob ſeine
Abſicht dahin geht, den das ſonſtige Strafrecht be-
herrſchenden Satz, daß jede Strafe ein Verſchulden
des Täters vorausſetze, für einen beſonderen Tatbe⸗
ſtand auszuſchließen.“
Bis zur Erlaſſung der Entſcheidungen des Reichs⸗
gerichts vom 4. Juni und 1. Dezember 1883 (RGSt.
Bd. 8 S. 414, Bd. 9 S. 255) war noch niemals in
Bayern oberſtrichterlich ausgeſprochen worden, daß
die Strafbarkeit der Abgabenhinterziehung weder
ſtrafbaren Vorſatz noch ſchuldhafte Fahrläſſigkeit er⸗
fordere, vielmehr ſchon durch Nichtbeobachtung der
geſetzlichen Verpflichtung begründet werde. Die vor⸗
aufgeführten zwei reichsgerichtlichen Erkenntniſſe und
die im Anſchluß hieran ergangenen Urteile des Ober⸗
landesgerichts München vom 12. Februar, 22. es
bruar, 7. März 1884 (Slg. Bd 3 S. 25 f.) und vom
20. April 1893 (Bd. 6 S. 370) können nicht als dem
behrlich gehalten wird, wird namentlich in der preu⸗
die Kenntnis des Täters vom Vorliegen der zum |
Umſtände nichts
geſetzlichen Tatbeſtande gehörigen
Allerdings haben auch einzelne Reichsge—
ankomme.
u. a.) unzweideutig ausgeſprochen, daß die
Defraudation und die Anwendung der Strafe ſchon
durch die in der geſetzlichen Vorſchrift bezeichneten
Tatſachen begründet wird. In anderen Geſetzen (jo
z. B. in den Reichen ‘Stegen vom 1. Juli 1881
ö
Willen und dem Geiſte des bayeriſchen Geſetzgebers
entſprechend anerkannt werden. Durch ſie wurden je⸗
doch der Begriff und die allgemeine Lehre vom Formal—
delikt in die bayeriſche Rechtſprechung eingeführt. Die
im reichsgerichtlichen Urteile vom 4. Juni 1883 er⸗
wähnte „gleichmäßige Rechtſprechung in Bayern“ iſt
nicht nachweisbar. Im Gegenteile, was an bayeriſchen
oberſtrichterlichen Erkenntniſſen veröffentlicht worden
iſt, ging weſentlich nur darauf hinaus, daß mit Rück⸗
ſicht auf die hohe Bedeutung der Steuerdelikte für die
Finanzen des Staates ſchon Fahrläſſigkeit oder irgend
ein Verſchulden oder Verſehen und die bloße Möglich—
keit einer Gefährdung der Steuerintereſſen des Staates
genügen ſoll. Inſoweit, aber nicht bis zur gänzlichen
Ausſchaltung der Frage nach einem zugrunde liegen—
den Verſchulden, ſeien die ſog. fiskaliſchen Delikte nicht
den allgemeinen Beſtimmungen des StGB. ſondern
beſonderen Grundſätzen unterſtellt (Bl. f. RA. Bd. 16
S. 215 und 249; Ztſchr. f. Geſetzg. u. Rechtspfl. Bd. 11
S. 33 uſw.). (Es wird ſodann ausgeführt, daß die
Geſetzgebung bis zu den Steuergeſetzen des Jahres
1881 keinen Raum für eine Strafe ohne Schuld ließ.)
Wie nun die Strafbeſtimmungen in den Art. 16,
17 Abſ. 1 und 19 des WG StG. aufzufaſſen find, dar»
über geben die Motive zu den mit den Art. 16 bis
22 des Geſetzes wenigſtens in ihren hier erheblichen
Teilen übereinſtimmenden Art. 15 bis 21 des Ent:
wurfes folgenden Aufſchluß: „Die Strafbeſtimmungen
des Entwurfs gehen von der Abſicht aus, jede Ver—
fehlung gegen das Geſetz, ſei ſie auf Hinterziehung
der Steuer gerichtet oder durch Nichtbeachtung der für
das Verfahren gegebenen Vorſchriften begründet, mit
Strafe zu belegen“. „Das Ausmaß der Strafe für
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
Zuwiderhandlungen, welche nicht als Hinterziehung
zu erachten find, iſt den Strafbeſtimmungen der Ge—
werbeordnung entſprechend“ (Abſ. 2). (Verh. d. K. d.
Abg. 1878/79, Beil. Bd. 4 S. 299.) Da die „Hinter⸗
siehlng” begriffsmäßig ein vorſätzliches Handeln vor⸗
ausſetzt, ſind die Strafbeſtimmungen der Art. 16 und
17 Abſ. 1 nur bei böſer Abſicht des Pflichtigen an⸗
wendbar. Und dafür, daß eine „Nichtbeachtung“ der
für das Verfahren gegebenen Vorſchriften auch dann
anzunehmen ſei, wenn der Steuerpflichtige es nicht
an der Anwendung von ſoviel Achtiſamkeit fehlen ließ,
als billigerweiſe verlangt werden kann, aber trotzdem
infolge eines entſchuldbaren Irrtums oder eines Zu⸗
falls den objektiven Tatbeſtand einer Zuwiderhandlung
erfüllt hat, geben weder der Wortlaut des Geſetzes
noch die Geſetzgebungsverhandlungen auch nur den
geringſten Anhaltspunkt. Iſt auch das bayerifche
WStG. unbeſtreitbar ein völlig ſelbſtändiges Geſetz,
ſo bedürfte es doch ganz beſonderer und unzweideutiger
Anhaltspunkte, wenn es bei den Vorausſetzungen für
die Strafbarkeit auf einen von dem der übrigen baye⸗
riſchen Geſetzgebung grundſätzlich abweichenden Stand⸗
punkt geſtellt werden ſoll, und ſolche liegen nicht vor.
Obſchon es zur Sicherung der Steuererträgniſſe
wünſchenswert und erforderlich ſein mag, den Vollzug
der Steuergeſetze und deſſen Kontrolle möglichſt wenig
zu erſchweren, kann doch nicht zugegeben werden, daß
die fiskaliſchen Intereſſen ſoweit rückſichtslos verfolgt
werden dürfen, daß der Staatsbürger, obwohl er
redlich beſtrebt geweſen iſt den berechtigten Anfor⸗
derungen des Staates und des Staatslebens Genüge
zu leiſten, ein Strafübel über ſich ergehen laſſen muß.
Eine ſolche Ueberſpannung der fiskaliſchen Intereſſen
verträgt ſich nur ſchwer mit der Idee des Rechts⸗
ſtaates und der Rechtspflege: ſie enthält ferner zu⸗
gleich eine 1 der Autorität der Verwal⸗
tungs- und der Finanzbehörden ſelbſt, fie zwingt den
Untertan, den amtlichen Erklärungen und Aufſchlüſſen
zu mißtrauen, und gibt ihm überdies nicht einmal
einen Fingerzeig, wo und wie er ſich eine zuverläſſige,
ihn vor Schaden bewahrende Aufklärung erholen kann.
Das Aeußerſte, was zur Sicherung der Steuererträgniſſe
als angängig bezeichnet werden kann, iſt die Auf-
ſtellung einer widerlegbaren Rechtsvermutung für die
Abſichtlichkeit der Verfehlung, der gegenüber die Be⸗
weislaſt nicht die Anklage, ſondern den Beſchuldigten
trifft, wie dies bei der Steuerreform vom 9. Juni
1899 nach den Motiven namentlich zum EStG. (Verh.
d. K. d. Abg. 1897/98, Beil. Bd. 14 S. 397, auch
S. 404, 430) geſchehen iſt, wo übrigens ausdrücklich
hervorgehoben wurde, daß „ſeither, um die Hinter⸗
ziehungsſtrafe zu begründen, das Erfordernis aufge-
ſtellt war, daß die unrichtigen ꝛc. Angaben wiſſentlich
gemacht ſein müſſen, die Beweisführung für den Um⸗
ſtand der Wiſſentlichkeit oder Abſichtlichkeit demgemäß
der Anklage oblag.“ Wie ſehr dies der Grundrichtung
der bayeriſchen Steuergeſetzgebung entſprach, erhellt
am beſten daraus, daß bei der Steuerreform vom
14. Auguſt 1910 für die Strafbarkeit wegen Steuer-
hinterziehung im weſentlichen wieder auf das Erfor—
dernis der Wiſſentlichkeit oder einer rechtswidrigen
Gefährdung oder Entziehung oder Verkürzung der
Abgabe oder wenigſtens des Mangels eines genügenden
Entſchuldigungsgrundes zurückgegriffen worden iſt
(vgl. Art. 71 EStG., Art. 28 GewStG., Art. 21
KapRStG., Art. 13 Hunde Geb., Art. 17 Waren HStG.).
Nach alldem muß der Begriff des Formaldelikts
als ein Fremdkörper im Gebäude des bayeriſchen
Steuerrechts bezeichnet werden; er kann bei der An—
wendung der bayeriſchen Steuergeſetze nicht in Frage
kommen, übrigens auch für die Reichsgeſetze nur dann,
wenn beſondere Anhaltspunkte dafür im Geſetze ge—
geben ſind; jedoch muß kraft der beſonderen Natur
der Steuerdelikte mit Ausnahme der Fälle, in denen
das Geſetz ſelbſt Abſichtlichkeit oder Wiſſentlichkeit des
Handelns als Vorausſetzung für die Strafbarkeit auf⸗
ſtellt, ſchon eine bloße Nachläſſigkeit genügen, die
neben der Fahrläſſigkeit im Sinne des StGB. auch
jedes ſonſtige vermeidliche Verſehen umfaßt. Infolge⸗
deſſen kann ſich der Senat der bisherigen Auslegung
des Art. 16 WGStG. nicht anſchließen; er ſtimmt
vielmehr der Auffaſſung der Inſtanzgerichte bei, daß
der feſtgeſtellte tatſächliche Irrtum ein Verſchulden
des Angeklagten B. und damit auch ſeine Strafbar⸗
keit ausſchließt. (Urt. vom 17. Januar 1911, RevReg.
10.) Ed.
2218
Oberlandesgericht München.
I.
Geometergebühren. Der Kgl. Obergeometer R.,
Vorſtand des Meſſungsamts P., wurde durch Beweis⸗
beſchluß des Landgerichts P. zu einem richterlichen
Augenſchein beigezogen, um feſtzuſtellen, ob eine Mauer
die Grenze von zwei Nachbargrundſtücken überſchreitet
und hatte dies techniſch feſtzuſtellen. Er liquidierte
28,40 M für Anteilnahme am landgerichtlichen In⸗
formationsaugenſchein „für das Kgl. Finanzärar“ und
15 M für Anfertigung eines Gutachtens. Durch Ver⸗
fügung des beauftragten Richters wurden ihm außer
den 15 M für das ſchriftliche Gutachten (§4 3860.)
nach 88 7, 3, 8 380. weiter zugebilligt: für Reiſe⸗
koſten des Obergeometers 2,20 M, des Gehilfen 2,20 M,
für Aufwand des Beamten 5 &, des Gehilfen 2,50 M,
für Zeitverſäumnis des Beamten 7 M, — in Summa
18,90 M — ſtatt der liquidierten 28,40 M. Dagegen
erhob Obergeometer R. beim Landgericht „Einſpruch“,
der als Beſchwerde im Sinne des $ 17 Abſ. 3 3860.
behandelt und für begründet erachtet wurde.
Aus den Gründen: Obergeometer R. war als
Sachverſtändiger in einem Rechtsſtreite zur Ent-
ſcheidung einer techniſchen Pre beigezogen, die er
auf Grund vorgenommener Meſſung zu prüfen hatte;
er war demnach nicht Sachverſtändiger aus Veran:
laſſung feines Amtes und die Anwendung des 8 14
GeboO. kommt nicht in Frage. Dagegen iſt $ 13 an⸗
wendbar und es iſt die Entfchädigung nach den Tax⸗
vorſchriften zu bemeſſen, die für den Fall gelten, daß
er nicht ein Dienſtgeſchäft vornimmt, ſondern auf
Parteiantrag eine Meſſung vollzieht Demnach iſt
hier nicht maßgebend die Bek. vom 16. Juni 1909,
die Entſchädigung für den Dienſtaufwand bei äußeren
Dienſtgeſchäften der Meſſungsämter betreffend (J MBl.
1909 S. 480): denn es handelt ſich um kein Dienſt⸗
geſchäft im Sinne dieſer Bek. zur VO. vom 15. De⸗
zember 1908, den Ummeſſungsdienſt der Finanz⸗
verwaltung betreffend (GVBl. 1908 S. 1094). Maß⸗
gebend find vielmehr die Meſſungs⸗ und Abmarkungs—
gebühren, wie ſie in der Bek. vom 18. Februar 1907
(FMBl. S. 117) feſtgeſetzt und nach § 9 der ange—
führten VO. von den Parteien zu entrichten ſind.
Die vom Obergeometer R. urſprünglich liquidierten
Gebühren entſprechen nun vollſtändig den in der letzt-
erwähnten Bek. vom 18. Februar 1907 enthaltenen
Vorſchriften, wonach er für das vorgenommene
Meſſungsgeſchäft (88 2 und 15 der Bek.) Gebühren
nach Zeitaufwand und Entfernung für ſich und einen
Aſſiſtenten berechnen kann (88 7, 8 der Bek.) Die ein⸗
zelnen Anſätze nach Zeit und Entfernung ſind nach der
dienſtlichen Liquidation nicht zu bemängeln, die Ge—
bühren entſprechen demnach den beſtehenden Tax—
vorſchriften, weshalb unter Abänderung der Ent—
ſcheidung die urſprüngliche Liquidation zu genehmigen
war. In welcher Weiſe Obergeometer R. die
feſtgeſezten Gebühren mit dem Kgl. Finanzärar
zu verrechnen hat, kommt nicht in Betracht und iſt
auf die Feſtſetzung ohne Einfluß. (Beſchl. vom
17. Februar 1911; Beſchw.⸗Reg. 86/11).
2180 N.
208
II.
„Formelle Behandlung der Beſchwerden gegen Be⸗
ſchlüſſe der OG. Auf eine ſolche beim OLG. eingereichte
Beſchwerde wurde beſchloſſen, fie habe „unberückſichtigt
zu bleiben“; dieſer Beſchluß wurde dem Beſchwerde—
führer zugeſtellt.
Aus den Gründen: Gegen Beſchlüſſe des
OLG. findet nach S 567 Abſ. 2 3p O. i. d. F. des
Geſ. vom 22. Mai 1910 eine Beſchwerde überhaupt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
nicht mehr ſtatt; es beſteht deshalb nach der neuen
Faſſung der SS 135 GVG. und 7 EG. ZPO. auch
kein Beſchwerdegericht mehr, dem die Beſchwerde vor⸗
gelegt werden könnte. Der Beſchluß vom 10. ds. Mts.
iſt vielmehr rechtskräftig geworden und es muß des⸗
halb die Eingabe des
bleiben (§§ 577, 322 3 O.). Die Gebührenfreiheit
folgt aus 8 47 Nr. 1 GKG. (Beſchluß vom 15. März
1911; Beſchw.⸗Reg. Nr. 152/11). N.
221
III.
Zu 9a GG. Der Hausknecht R. war von
dem im Gaſthausſtall eingeſtellten Pferde des Kauf⸗
manns B. an der Bruſt gebiſſen worden und hatte
wegen mehrwöchentlicher Dienſtunfähigkeit und heftiger
Schmerzen auf Zahlung von 500 M Schmerzensgeld,
109.50 M bisherigen Verdienſtentgang und für die
Dauer der zur Zeit der Klageerhebung noch beſtehenden
— — -
222
der Vatergutsforderung. Die elterliche Gewalt über
die drei noch minderjährigen Kläger ſtand ſeit dem
Tode des Vaters der Mutter, der Gemeinſchuldnerin,
zu. Kraft der elterlichen Gewalt hatte ſie das Recht
und die Pflicht für das Vermögen ihrer Kinder zu
ſorgen. Ihr Recht auf die Vermögens verwaltung war
durch keine Verfügung beſchränkt, es wurde erft mit
der Rechtskraft des die Eröffnung des Konkursver—
fahrens anordnenden Beſchluſſes vom 14. Juni 1909
beendigt (SS 1686, 1627 ff., 1638 ff., 1667 ff, 1647
BGB). Zum Vermögen ihrer Kinder gehörte zunächſt
deren Anteil am Nachlaſſe ihres Vaters oder das, was
ihnen bei der Nachlaßauseinanderſetzung zur Befriedi⸗
gung ihrer Erbanſprüche zugewieſen wurde, nämlich
chuldners unberückſichtigt
Erwerbsbeſchränkung auf 5 M wöchentlichen Verdienſt⸗
erſatz ſowie die ziffermäßig nicht angegebenen Heilungs⸗
koſten geklagt.
von 650-900 M an; die Beſchwerde des Anwalts
zwecks Erhöhung auf 2100 M blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Die Beſchwerde des An—
walts perſönlich iſt zuläſſig, weil ſie auf Erhöhung
des Streitwerts gerichtet iſt (8 12 RAGebdo.), aber
ſachlich iſt fie unbegründet. Auch bei 8 9a GKG. iſt
die geringere Geſamtſumme der Klageforderung maß—
gebend, falls fie unter dem fünfjährigen Geſamt⸗
betrag bleibt (ROL G. Bd. 2 S. 434). Hier kann nun
nicht angenommen werden, daß die Erwerbseinbuße
ſolange gedauert hätte, daß fie zum Satze von 5 M
wöchentlich in Verbindung mit den unbezifferten
Heilungskoſten die Streitwertsklaſſe 650-900 M
überſchritten hätte. Denn die bezifferten Klagebeträge
machen nur 609.50 M aus und ſchon aus der Klage
erhellt, daß eine Unfallrente nicht bewilligt war,
denn ſonſt hätte ſie dort abgezogen werden müſſen;
alſo waren offenbar von vorneherein die Unfallfolgen
vorausſichtlich in wenigen Monaten behoben. Der
Beſchwerdewert deckt ſich mit dem Gebührenunter—
ſchied (58 16 GKG. mit RG. 12, 362; 51, 173).
(Beſchl. vom 3 Februar 1911; Beſchw.-Reg. Nr. 71/11).
2175 N.
Oberlandesgericht Nürnberg.
1
Ueber das Vorrecht für die Forderungen der Kinder
des Gemeinſchuldners wegen ihres geſetzlich feiner Ber:
waltung unterworfenen Vermögens (F 61 Nr. 5 KO.).
Verwaltung eines vom Gewalthaber ſelbſt geſchuldeten sta:
Das Gericht nahm einen Streitwert
die Forderung zu je 4000 M, als deren Schuldnerin
die Witwe Hr. den Klägern gegenüber „aus dem
Rechtsgrunde des väterlichen Erbteils“ ſich bei der
Uebernahme des Nachlaſſes bekannt und wofür ſie
Hypothek auf dem ihr zugefallenen Anweſen beſtellt
hat. Auch dieſe Forderung der Kinder war der Ber:
waltung ihrer Mutter unterworfen; gleichgültig iſt,
daß die Witwe Verwalterin und Schuldnerin in einer
Perſon war, ferner daß ſie durch Vertrag mit ihren
Kindern zur Sicherheit für deren Forderung gegen ſie
eine Hypothek beſtellt hatte und daß ſich die Forde⸗
rung nur zum Teilbetrage von je 3000 M auf die
letztwillige Verfügung des Erblaſſers ſtützt und zum
Teilbetrage von je 1000 M auf einer Schenkung der
Witwe Hr. an ihre Kinder, auf einer freiwilligen Er⸗
höhung ihres Vaterguts beruht. Die Forderung war,
ſobald ſie entſtanden war, als Vermögen der Kläger
kraft Geſetzes Gegenſtand der Verwaltung durch ihre
Mutter. In der vertragsmäßigen Begründung der
Forderung allein lag nicht, wie der Konkursverwalter
vorbringen ließ, eine vertragsmäßige Regelung ihrer
künftigen Verwaltung, hierfür blieb nur das Geſetz
maßgebend. Das Vorrecht nach $ 61 Nr. 5 KO. um:
faßt nicht bloß Anſprüche auf Erſatz für Verluſte aus
Anlaß der Vermögens verwaltung, ſondern auch die
Anſprüche auf Leiſtung des Gegenſtands der Verwal—
tung ſelbſt; gerade die Tatſache, daß Witwe Hr. ſelbſt
die Schuldnerin der von ihr verwalteten Forderung
ihrer Kinder war, erhöht die Schutzbedürſtigkeit. Selbſt
wenn die Witwe ihr Vermögen immer weiter für ſich
verbraucht oder belaſtet hätte, blieb doch die Vater⸗
gutsforderung ihrer Kinder gegen ſie beſtehen und
ihrer Verwaltung mit der Wirkung des Vorrechts im
Konkurſe unterworfen, es konnte dadurch weder die
Forderung untergehen noch die Verwaltung aufhören
(Seuff A. 44, 477; 50, 382). Das Vorbringen des
Konkursverwalters, für den Unterhalt und die Erzie⸗
hung der Kinder ſeien wenigſtens 3000 M verwendet
und hierdurch ihr Vermögen vermindert worden, iſt,
pitals. Aus den Gründen: Im Konkursverfahren über
das Vermögen der Witwe Hr. wurde auf Grund der
Anmeldung des Pflegers ihrer drei minderjährigen
Kinder deren Vatergutsforderung zu je 4000 M im
allgemeinen Prüfungstermine als gewöhnliche nicht
bevorrechtigte Konkursforderung anerkannt und feit
geſtellt. das vom Pfleger beanſpruchte Vorrecht nach
§ 61 Nr. 5 KO. beſtritt der Konkursverwalter. Dieſes
Ergebnis wurde in die Konkurstabelle eingetragen.
abgeſehen von der Feſtſtellung der ganzen Forderung
zur Konkurstabelle, auch deshalb ohne Bedeutung, weil
Witwe Hr. dieſe Aufwendungen aus ihrem Vermögen
nicht einſeitig mit den Anſprüchen ihrer Kinder auf—
rechnen konnte (85 1630, 1795 BGB.), ferner weil
ſie für die Koſten des Unterhalts ihrer Kinder, ſoweit
deren Einkünfte nicht reichten, aus eigenen Mitteln
aufzukommen hatte, da ihr Unvermögen hierzu nicht
einmal behauptet und nicht anzunehmen iſt (58 1601,
1610, 1602 Abſ. I und II, 1603 Abſ. Lund II BGB.),
und weil ſie auf den Erſatz ihrer Mehrauslagen ge—
wiß verzichtet, ſeine Geltendmachung nie beabſichtigt
und geäußert hat.
Am 6. November 1908 iſt mit Bewilligung des
früheren Pflegers und mit Genehmigung des Vor—
mundſchaftsgerichts die zur Sicherung der Vaterguts—
forderung errichteten Hypothek gelöſcht worden. Da—
durch iſt jedoch weder die perſönliche Forderung der
Vorrecht geſchmälert worden.
Mit Unrecht beſtreitet der Konkursverwalter das auf
Kinder gegen ihre Mutter untergegangen noch ihr
Der Umſtand, daß der
Pfleger ſich zur Loſchungsbewilligung deshalb ent—
die Klage des Pflegers vom 2. feſtgeſtellte Vorrecht ſchließen zu können glaubte, weil Witwe Hr. „zur
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
1911. Nr. 9. 209
hypothekariſchen Sicherung des Vaterguts ihrer eigenen
Kinder geſetzlich nicht verpflichtet geweſen ſei“, daß
er alſo die auf dem ee ee zwiſchen Mut⸗
ter und Kindern beruhende Sicherheitsleiſtung von
der durch Vertrag zwiſchen Schuldner und Gläubiger
begründeten Sicherung einer Forderung nicht unter—
ſchieden hat, iſt nicht zum Nachteil der Kläger zu ver⸗
werten. Hierdurch wurde nicht erſt das Vermögen der
Kläger vertragsmäßig der Verwaltung ihrer Mutter
unterworfen, ſondern es wurde an ihrer geſetzlichen
Vermögens verwaltung überhaupt nichts geändert; die
Batergutsforderung der Kläger war jetzt ohne ding⸗
liche Sicherheit, wie früher mit ſolcher, der mütter⸗
lichen Verwaltung kraft Geſetzes unterworfen, ſie blieb
trotz des Verzichts auf die Hypothek mit dem Vor⸗
rechte nach 8 61 Nr. 5 KO. ausgeſtattet, wie wenn ſie
von Anfang an nicht durch eine Hypothek geſichert ges
weſen wäre. Dadurch, daß die Gemeinſchuldnerin den
Rang der gelöſchten Hypothek für ihre Zwecke ver-
wertet und ihr Vermögen auch ſonſt verringert oder
belaſtet hat, wurde die Forderung der Kläger ſamt
ihrem Vorrechte nicht berührt; unter allen Umſtänden
blieb der Anſpruch der Kläger gegen ihre Mutter auf
Erſatzleiſtung für die Verſchlechterung oder Gefährdung
ihrer Forderung und das Vorrecht des § 61 Nr. 5 KO.
auch hierfür beſtehen. (Urt. vom 6. Juni 1910, Ber⸗
Nr. 140/10). B r.
2197
II.
Sicherungsübereignung von Sachen, die der Schuld⸗
ner erſt nach der Vereinbarung erwirbt; Verhandeln
des Schuldners mit ſich felbft als Bertreter des Glän⸗
bigers (58 930, 868, 181 BGB.) Aus den Gründen:
Daß der wirtſchaftliche Erfolg der Beſtellung eines
Pfandrechts auch durch die Uebereignung von Sachen
zum Zwecke der Sicherung einer Forderung erreicht
werden kann und darf, unterliegt bei dem Fehlen
eines geſetzlichen Verbots keinem Zweifel (SS 1204 ff.,
929 ff., 223 JI BGB.). Das zu Sicherungszwecken er—
worbene Eigentum genießt den gleichen geſetzlichen
Schutz gegen fremde Eingriffe wie das den gewöhn—
lichen Gebrauchszwecken dienende Eigentum (RGKomm.
I S. 892 Anm. 5). Selbſtverſtändliche Vorausſetzung
iſt, daß ſich der ernſtlich beabſichtigte Eigentums-
erwerb nach den Vorſchriften des BGB. auch wirklich
vollzogen hat (Jur W. 1903 Beil. S. 143; RG. 57
S. 157 ff.; 59 S. 146 ff, 62 S. 126 ff.).
der Sicherungsübereignung, die ſich als Erſatz für
die mit Beſitzvorbehalt unmögliche Verpfändung zum
Schutze der wirtſchaftlich Schwachen ungeachtet der
ſchweren Gefahren für die Sicherheit des Geſchäfts—
verkehrs und des Kredits eingebürgert hat, muß auf
die genaue Befolgung der Geſetze ſtreng geachtet und
jeder Verſuch einer Einführung milderer Formen ent—
Gerade bei
f
a —
ſchieden zurückgewieſen werden, damit der Grundſatz
der Gleichheit des Rechtes erhalten bleibt und die
Neigung zu Abmachungen, die den Verdacht des
Scheines gegen ſich haben und für Dritte nicht offen-
ſichtlich ſind, nicht zum Schaden von Treu und
Glauben im Verkehr überhand nimmt (Seuff. Arch.
des Eigentums iſt wirkungslos, wenn der Erwerber
die Sachen nicht beſitzt, es muß die Uebergabe der
Sachen in die tatſächliche Gewalt des Erwerbers
($ 929) oder die Vereinbarung eines den Beſitz des
Erwerbers vermittelnden Rechtsverhältniſſes (§ 930
BGB.) hinzukommen. Auf Grund des Beweisergeb—
niſſes mag davon ausgegangen werden, daß die
Klägerin R. als Gläubigerin eines Darlehens von
2000 M und der Schuldner P. ſeit dem Frühjahr 1908
durüber einig waren, es ſollten nicht bloß die vor—
handenen, ſondern auch die künftig vom Schuldner P.
auf ſeinem Anweſen anzuſchaffenden, zu gewinnenden
und herzuſtellenden Inventarſtücke, Feldfrüchte und
Ziegelſteine zu Sicherungszwecken in das Eigentum
der Klägerin R. übergehen und es ſollte der Schuld—
ner P. ſie nur als „Vertreter“ der Klägerin „inne—
haben“; es mag auch unterſtellt werden, daß hiermit
nicht bloß ein — nach § 930 BGB. unzuläſſiger —
leerer Beſitzvorbehalt, ſondern ein den mittelbaren Be—
ſitz begründendes Rechtsverhältnis gleichviel welcher
Art ($ 868) geſchaffen worden ſei. Dieſe Berein-
barung vom Frühjahr 1908 war für die im Herbſt
1909 auf Betreiben des Beklagten M. bei dem
Schuldner P. gepfändeten Sachen nicht ohne weiteres
wirkſam, da der Schuldner P. dieſe Sachen erſt lange
nach jener Vereinbarung in Beſitz bekam; dagegen
konnte die Vereinbarung des Eigentumsübergangs
auch für die ſpäter vom Schuldner erworbenen Sachen
nachträglich wirkſam werden, unter der Voraus—
ſetzung, daß der Schuldner als Erwerber der Ber:
einbarung gemäß handelte. Aus feiner Ausſage, er
habe bei den fpäteren Anſchaffungen und Her—
ſtellungen von Inventarſtücken und Ziegelvorräten
„jeweils immer die Meinung und das Bewußtſein
gehabt, daß dieſe Sachen Eigentum der Klägerin fein
ſollten“, kann man allerdings auf den mit den Ab—
ſichten der Klägerin ſich deckenden Willen des Schuld⸗
ners ſchließen, es ſolle das Eigentum auf ſie über—
gehen. Damit allein konnte aber dieſe Wirkung noch
nicht erreicht werden. Denn dieſe inneren Vorgänge
konnten, gerade bei der Uebereignung auf Grund
eines den Beſitz nur vermittelnden Rechtsverhältniſſes
(8 930), eine rechtliche Bedeutung nur erlangen,
wenn ſie durch äußere Tatſachen in die Erſcheinung
traten, ſei es daß die Klägerin ſelbſt die frühere Ver-
einbarung ſpäter mitvollzog, oder daß der Schuldner
P. dieſen Erfolg durch ein erkennbares Verhandeln
mit ſich ſelbſt als Vermittler herbeiführte; erſteres
iſt nicht einmal behauptet und letzteres iſt nicht ge⸗
ſchehen. Der Schuldner mußte als Zeuge zugeben,
daß er mit der Klägerin, feiner Gläubigerin, nie ab-
gerechnet und daß er ihr nie ein Verzeichnis über das
Inventar des Anweſens, die Ernte der Oekonomie
oder die Fabrikate der Ziegelei gefertigt hat; es iſt
ſerner nicht einmal behauptet, daß der Schuldner der
Klägerin die Nachſchaffung von Inventar, die Ge—
winnung von Früchten und die Herſtellung von
Ziegeln angezeigt und die Ausführung des Ueber—
einkommens, wonach ſie Eigentümerin und mittelbare
Beſitzerin werden ſollte, ihr mitgeteilt oder durch be—
ſondere Buchung und dgl. erkennbar geäußert habe.
Der äußerlich nicht geoffenbarte Wille des Schuldners,
die Klägerin zum unmittelbaren Beſitzer der Nach—
ſchaffungen zu machen, blieb alſo wirkungslos.
(Urt. vom 5. Dezember 1910, Ber.⸗Nr. L. 306/10).
2198 Br.
Landgericht Paſſau.
Der Vergleich im Privatklageverfahren bildet einen
Vollſtreckungstitel, anf Grund deſſen die Koſten gericht:
lich feſtgeſetzt werden können. Aus den Gründen:
64 S. 277). Die bloße Einigung über den lebergang
ſchloſſen worden,
Iſt in einem Privatklageverfahren ein Vergleich ge—
in dem der Privatbeklagte die
Koſten des Verfahrens übernommen hat, und weigert
ſich der Privatbeklagte, die Koſten zu zahlen, ſo
müßte ein neuer, oft mit vielen Koſten verbundener
Zivilprozeß angeſtrengt werden, wenn der Vergleich
nicht als Vollſtreckungstitel gelten würde. Damit
wäre gerade das Gegenteil von dem erreicht, was
durch den Vergleich bezweckt werden ſollte. Die
Koſten würden nicht gemindert ſondern erhöht. Nach
den Beſtimmungen der StPO. über das Privatklage—
verfahren iſt die Anwendung von Vorſchriften der
ZPO. in mancher Hinſicht geboten (vgl. SS 419, 503
Abſ. V StPO.). Die Anwendung der Vorſchriften der
210
3PO. muß auch da ſtatthaft fein, wo das Bedürfnis
dafür infolge einer Lücke der StPO. zutage tritt und
es kann der Forderung nach annaloger Anwendung
von 88 103 Abſ. 1, 794 Nr. 1 ZPO. die Berechtigung
nicht abgeſprochen werden. Der Abſatz 3 des § 397
des Entwurfs einer StPO. iſt entſtanden aus dem
Bedürfniſſe nach Regelung der ſtreitigen Frage. Es
kann nicht unrichtig ſein, wenn die Praxis bei dem
jetzt beſtehenden Streite ſich nach derjenigen Seite
neigt, welche dereinſt die maßgebende geſetzliche
Geltung erlangen Kar (Beſchl. vom 11. e
1911, Beſchw.⸗Reg. 4 u. 5/1911).
2177
Literatur.
Gerland Dr. 95 75 o. Profeſſor an der Univerſität
Jena. Die Reformdes Juriſtiſchen Studiums.
160 IV. Bonn 1911, A. Marcus und E. Webers
Verlag.
Das vielbehandelte, aber immer noch nicht er⸗
ſchöpfte Thema der Reform unſeres juriſtiſchen Studiums
bildet den Gegenſtand dieſes anregend geſchriebenen,
von modernen Anſchauungen zeugenden Buches, das
an Entſtehung einer Ergänzung und Erweiterung
er vom Verſaſſer an der Univerſität Jena gehaltenen
Antrittsvorleſung verdankt. Die Schrift bringt zunächſt
(S. 1—17) eine gedrängte, auf die verſchiedene Ent⸗
wicklung in den Einzelſtaaten nicht weiter eingehende
Darſtellung der juriſtiſchen Studienverhältniſſe an den
deutſchen Hochſchulen im 19. Jahrhundert. Daran
reiht ſich im zweiten Teile (S. 18—39) eine wertvolle
kurze Ueberſicht über die wichtigſten Wünſche und
Anregungen,
wurden. In dem dritten Teile (S. 40 - 159), dem
eingehender kritiſcher Stellungnahme ſeinen eigenen
Standpunkt in der Reformfrage. Verlängerung des
Univerſitätsſtudiums auf vier Jahre, Verlegung des
modernen Rechtes an den Anfang der Ausbildung,
Teilung des Unterrichts in eine Elementar- und eine
Zeitſchrift für für Rechtspflege i in VBahern. 1911. Nr. 9.
— — — — &ö—
ausſpricht, daß damit allein die oft recht unbefriedigende
Schreibweiſe des Reichsgerichts nicht erklärt wird. Die
Neigung zu unüberſichtlichem Satzbau und zu geſuchten
Redewendungen iſt häufig unverkennbar; ſie könnte
und müßte überwunden werden und wie erfreulich
wäre es, wenn das Reichsgericht den unteren Inſtanzen
auch in der Darſtellung vollkommene Muſter bieten
würde.
Die Verfaſſer beabſichtigen das Unternehmen fort⸗
zuſetzen, wenn es Anklang findet. Es ſcheint mir nicht
unzweifel haſt zu fein, ob der buchhändleriſche Erfolg
bei der Ueberſchwemmung des Marktes mit Sammlungen
von Entſcheidungen die aufgewendete Mühe und Sorg⸗
die in der weitgehend berückſichtigten
Reformliteratur der letzten ſechs Jahrzehnte vorgebracht | und Vorbildung zum Rechtsſtudium, die nicht nur
Heine im weſentlichen zuſtimmende Beantwortung der
Hauptteile des Buches, entwickelt der Verfaſſer unter 5 8
Oberſtufe nach dem Vorgange Zitelmann's jedoch ohne
deſſen Zwiſchenpraxis, ſind die zwar — wie der Verſaſſer
ſelbſt ſagt — nicht neuen, aber wohl begründeten For—
derungen, auf die Gerland in der Hauptſache die Neu—
ordnung des Univerſitätsſtudiums aufgebaut wiſſen will.
Die Verbeſſerung des Prüfungsweſens, eine Hauptnot—
wendigkeit der Reform, erblickt der Verfaſſer in der Ver—
tiefung des Univerſitätsſchlußexamens ſowie in der, wie
er ſelbſt nicht verkennt, mit Schwierigkeiten verbundenen
Einführung einer Zwiſchenprüfung. Dr. H. Schanz.
Noeſt, Dr. B., Juſtizrat in Solingen, und E. Plum,
Rechtsanwalt in Cöln, Die Reichs gerichtsent⸗
ſcheidungen in Zivilſachen. 72. und 73 Band
der amtlichen Sammlung. VIII. 168 S. XXVI,
201 S. Berlin 1910, Karl Heymanns Verlag. Je
Mk. 2.—, gebd. Mk. 2.50.
Die Verfaſſer haben den originellen Verſuch ge—
macht einen Band der amtlichen Sammlung von
Reichsgerichtsentſcheidungen in eine kürzere, leichter
lesbare Form zu bringen und durch Fußnoten den
Zuſammenhang mit der Literatur und der übrigen
Rechtſprechung herzuſtellen, wobei mitunter auch ein—
zelne Nebengedanken weiter verfolgt oder die praktiſchen
Folgen einer Entſcheidung hervorgehoben werden. In
der Einleitung führen die Verfaſſer die ſchwerfällige
Sprache der Reichsgerichtsentſcheidungen auf das Be—
ſtreben zurück, „dem Gedanken eine genaue Begrenzung
zu geben und ihn vor jedem Mißverſtändnis zu ſichern.“
Das iſt fein und höflich ausgedrückt. Im Intereſſe
der Sache liegt es aber wohl, wenn man unverblümt
falt lohnen wird. Zu wünſchen iſt es; denn insbe⸗
ſondere für den Anfänger iſt ein ſolches Buch von
Wert, weil es die Hauptgedanken herausſchält und
durch die e zum eigenen Nachdenken er⸗
muntert und anleitet. von der Pfordien.
Mittermaier, W., Dr. jur., o. ö. Profeſſor des Rechts
an der Univerſität Gießen. Wie ſtudiert man
Rechts wiſſenſchaft? Das Studium der Rechts⸗
wiſſenſchaft und ſeine zweckmäßige Einrichtung.
Eine Anleitung für Studierende. IV, 176 S
Stuttgart 1911, Wilhelm Violet. Mk. 2.50.
Das leichtfaßlich geſchriebene, populär gehaltene
Buch des bekannten Gießener Rechtslehrers bietet viel
mehr, als ſein Titel eigentlich beſagt. Nach einigen
Bemerkungen über die Schwierigkeiten einer Anleitung
zum Rechtsſtudium bringt es zunächſt einen kurzen,
jedoch inhaltreichen Abriß über Begriff und Syſtem
des Rechtes, dann über Rechtswiſſenſchaft, deren
Gliederung und Verhältnis zu anderen Wiſſenſchaften.
Daran reiht der Verfaſſer im dritten Kapitel beſonders
intereſſante Ausführungen über Aufgabe, Eignung
Frage des Frauenſtudiums bringen, ſondern auch
unter Aufzählung aller für den juriſtiſchen Beruf
wünſchenswerten Eigenſchaften und Fähigkeiten ein
juriſtiſches Idealbild entrollen, das, ſo berechtigt auch
jede Forderung im einzelnen erſcheint, in feiner Ge⸗
ſamtheit doch wohl ſelten Verwirklichung findet. Im
vierten Kapitel erfährt ſodann die geſetzliche Regelung
des Rechtsſtudiums in Deutſchland eine ausführlichere
Behandlung, wobei auch die geſchichtliche Entwicklung,
die gerade heutzutage wieder im Vordergrunde ſtehende
Reformfrage und die Einrichtungen des Auslandes,
wenn auch nur kurz, geſtreift werden. Das umfaſſende
fünfte Kapitel, das ſich mit den Einzelheiten des
Studiums und den Prüfungen beſchäftigt, birgt den
hauptſächlichſten und wichtigſten Teil des Themas
in ſich; in feſſelnder Darſtellung wird hier eine in⸗
haltreiche von jeglicher Pedanterie freie Anleitung
zum Rechtsſtudium geboten, die dem jungen Rechts—
befliſſenen unter Hinweiſung auf alles für ihn
Wiſſenswerte eine Reihe beachtens werter Vorſchläge
für die Einrichtung ſeines Studiums und die Vor—
bereitung auf die Prüfungen an die Hand gibt.
Alles in allem genommen kann die Schrift, der in
dankenswerter Weiſe auch ein Sachregiſter beigegeben
iſt, dem angehenden Juriſten nur warm empfohlen
werden; er wird in ihr reiche Belehrung und An—
regung für ſeine ganze Studienzeit finden.
Dr. 9. Schanz.
Pfaff, Dr. Hermann von, und Anton von Neiſenegger.
Das bayeriſche Gebührengeſetz mit Erläu⸗
terungen. Siebente Auflage auf Grund der Faſſung
vom 13. Juli 1910 bearbeitet von Hermann Schmidt,
Miniſterialrat im K. B. Staatsminiſterium der Fi—
nanzen. 516 S. München 1911, C. H. Beckſche Ver⸗
lagsbuchhandlung (Oskar Beck). Gebd. Mk. 5.0.
Die neue Auflage, die infolge der Novelle vom
29. April 1910 notwendig geworden iſt, weiſt einen
etwas kleineren Umfang auf und iſt deshalb auch
billiger als ihre Vorgängerin. Es ſind nämlich eine
Reihe von Vollzugsvorſchriften weggelaſſen, die bis⸗
her im Anhang abgedruckt waren; die zur Ergänzung
nötige ſechſte Auflage gibt der Verlag zum ermäßigten
Preiſe von Mk. 2.50 für das Stück ab. Es wäre
freilich wünſchenswert geweſen, wenn man das ge⸗
ſamte Material in einem Bande vereinigt zur Ver⸗
fügung hätte, zumal da beide Auflagen zuſammen
doch etwas teuerer zu ſtehen kommen als die ſechſte
allein. Indeſſen darf man nicht verkennen, daß die
ſortgeſetzten raſch aufeinanderfolgenden Aenderungen
des Geſetzes eben zu dem Gebrauche ſolcher Auskunfts-
mittel zwingen.
Die Anlage des Buches, das eine erſchöpfende
Ueberſicht über die Materialien und den Stand der
Auslegung des Geſetzes in der Praxis gibt, iſt bekannt.
von der Pfordten.
And, Dr. jur. C., Privatdozent an der Univerſität
Tübingen. Verwaltungsrechtliche Geſetze
Württembergs. Erſter Band, Gemeindeordnung,
Textausgabe mit Anmerkungen. VIII. 491 S. Tü⸗
9 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Gebd.
Die ſehr überſichtlich geſtaltete Ausgabe bringt
kurze präziſe Anmerkungen. Zur Erlangung eines Ueber⸗
blicks über das in manchen Beziehungen eigenartige
württembergiſche Gemeinderecht, deſſen Vergleichung
mit den bayeriſchen Einrichtungen viel Intereſſe bietet,
iſt das Buch ſehr geeignet.
Hotz, M., Oberpoſtaſſeſſor im Kgl. bayer. Staatsmini⸗
ſterium für Verkehrs angelegenheiten. Das Tele⸗
graphenwege⸗Geſetz vom 18. Dezember 1899
unter beſonderer Berückſichtigung der für das König⸗
reich Bayern gültigen verwaltungsrechtlichen Vor⸗
ſchriften. 139 Seiten. München und Berlin 1910,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 3.—.
Der Wert der Ausgabe liegt vor allem darin,
daß durch Einfügung der zahlreichen landesrechtlichen
Beſtimmungen (Verordn., Min.⸗Entſchl.) das vor⸗
liegende Spezialgebiet für Bayern eine erſchöpfende
Beſprechung gefunden ve Die techniſchen Erläutes
rungen werden vor allem dem Juriſten die Hand⸗
habung des Geſetzes erleichtern. (i.
4
Notizen.
Das Strafverfahren gegen Ingendliche und deren
bedingte Begnadigung. Die Bekanntmachung vom
7. April 1911, das Strafverfahren gegen jugendliche Be⸗
ſchuldigte und deren bedingte Begnadigung rail
(ZMBI. S. 101), baut das jugendgerichtliche Verfahren
weiter aus. Der erzieheriſche Zweck dieſes Verfahrens
legt ein reges Zuſammenwirken der Juſtizbehörden
mit den Schulbehörden und Lehrern nahe. Ein ſolches
5 nano hat auch bisher ſchon mit gutem
Erfolge ſtattgefunden. In der Bekanntmachung vom
7. April 1911 wird es nun zuſammenfaſſend geregelt.
Die Regelung betrifft
1. die Mitteilungen an die Schulbehörden
Lehrer bei Verfehlungen ihrer Schüler,
2. die Erholung gutachtlicher Aeußerungen der Schuls
behörden und Lehrer über ihre ſtraffällig ges
wordenen Schüler,
3. die Inanſpruchnahme der Unterſtützung der Schul—
behörden und Lehrer zur Erreichung des Zweckes
der Bewilligung von Bewährungsfriſten.
Die älteren Vorſchriften über die Mitteilungen
an die Schulbehörden waren in verſchiedenen Bekannt-
und
211
machungen zerſtreut. Hierdurch und durch mancherlei
ſachlich in keiner Weiſe begründete Abweichungen
ihres Inhalts voneinander war ihr Vollzug erſchwert.
Die vorgeſchriebenen Mitteilungen waren zum Teil
überflüffig, auf der anderen Seite aber wieder unzu⸗
reichend. Die Bekanntmachung vom 7. April 1911
regelt das Mitteilungsweſen einheitlich für alle Arten
von Schulen, vereinfacht es bedeutend und erreicht durch
Beſchränkung auf das Weſentliche und durch zweck⸗
mäßige elaſtiſche Geſtaltung der Vorſchriſten eine er⸗
hebliche Minderung des Schreibwerks. Neu iſt die
Vorſchrift, daß die Schulbehörden von den Mitteilungen
den Klaßlehrern Kenntnis zu geben haben.
Gutachtliche Aeußerungen der Schulbehörden
können für die Beurteilung der ſtrafrechtlichen Ver⸗
antwortlichkeit von Schülern und die Strafzumeſſung
wie auch für die Bewilligung einer Bewährungsfriſt
und deren Widerruf von großem Werte ſein. Des⸗
halb wird der Staatsanwaltſchaft zur Pflicht gemacht,
zur Klärung aller dieſer Fragen gutachtliche Aeußerungen
der Schulbehörden einzuholen. Aber auch hier tritt
das Beſtreben einer Vermeidung unnötigen Schreib⸗
werks hervor. Die Einholung gutachtlicher Aeußerungen
ſoll nur erfolgen, wenn dazu nach Lage des Falles
ein Anlaß beſteht. Die Schulbehörden haben vor Ab⸗
gabe ihrer Aeußerungen den Klaßlehrer des Schülers
zu hören. Zu ihrer Belehrung gibt die Bekannt⸗
machung vom 7. April 1911 eine gedrängte Darlegung
des Weſens und Zweckes der bedingten Begnadigung
und der Grundſätze, nach denen die Bewilligung einer
Bewährungsfriſt und deren Widerruf erfolgt.
Die Bewilligung einer Bewährungsfriſt wird
Schülern künftig durch die Schulbehörden unter Zu⸗
ziehung des Klaßlehrers, aber in Abweſenheit der
Mitſchüler eröffnet. Mit der Eröffnung ſoll eine Be⸗
lehrung über die Bedeutung der Bewilligung einer
Bewährungsfriſt und eine angemeſſene Ermahnung
verbunden, auch ſoll der erzieheriſchen Einwirkung
auf Schüler während des Laufs einer Bewährungs⸗
friſt beſondere Sorge zugewandt werden. Dieſe Vor⸗
ſchriften find die wichtigſten der Bekanntmachung.
Die ſchriftliche Mitteilung der Bewilligung einer Be⸗
währungsfriſt an Jugendliche hat ſich als wenig ge⸗
eignet erwieſen. Sie iſt fortan bei allen Schülern
ausgeſchloſſen.
2225
Der Geſchäſtsverkehr der Inſtizbehörden mit dem
Auslande. Die Vorſchriften über den Rechtshilfeverkehr
mit dem Auslande waren ſeit dem Inkrafttreten des
neuen Haager Abkommens über den Zivilprozeß und
der zu ſeiner Ergänzung getroffenen Vereinbarungen
nicht mehr überſichtlich. Die Bekanntmachung vom
8. April 1911 (JMBl. S. 113) bringt deshalb eine
neue Zuſammenſtellung der Vorſchriften und hebt zu⸗
gleich 8 Bekanntmachungen auf. Neu iſt, daß den
Juſtizbehörden der unmittelbare Verkehr mit den Ge⸗
richten der deutſchen Schutzgebiete geſtattet iſt. Außer⸗
dem iſt jetzt die Prüfung der Erſuchungsſchreiben durch
den Landgerichtspräſidenten u. a. (8 4 der Bek. vom
8. Mai 1906) auf den unmittelbaren Verkehr mit den
deutſchen Konſulaten eingeſchränkt. Die Prüfung iſt
vor allem weggefallen für die Erſuchungsſchreiben,
die auch künftig noch dem Juſtizminiſterium vorzulegen
ſind, und für den unmittelbaren Verkehr mit den fremden
Landesbehörden, auch für den Verkehr mit den däniſchen,
franzöſiſchen, luxemburgiſchen und niederländiſchen Be⸗
hörden in Zivilſachen. Die Juſtizbehörden haben daher
allen Anlaß zur Vermeidung von Schwierigkeiten, die
auf dem diplomatiſchen Wege auszutragen wären, ihre
unmittelbaren Erſuchen an fremde Behörden mit pein—
licher Genauigkeit abzufaſſen.
Zur Regelung des unmittelbaren Verkehrs mit
der Legationskaſſe des Auswärtigen Amtes in Berlin,
die die Konſulatskoſten zu behandeln hat, find ein—
212
— —
gehende Vorſchriften in § 19 enthalten. Die autogra⸗
phierte Entſchl. vom 13. November 1902 Nr. 40768
gilt nicht mehr.
In 8 32 Abſ. II berückſichtigt die EN
die deutſch⸗franzöſiſche Vereinbarung vom 29. März 191
(RGBl. S. 161), die den deutſchen und den franzöſiſchen
Behörden in Zivilſachen den unmittelbaren Rechthilfe⸗
verkehr geſtattet und auch inſofern bemerkenswert iſt,
als fie für die Erſuchungsſchreiben Muſter aufftellt,
deren genaue Beachtung ſich empfiehlt. Ueberſetzungen
in die franzöſiſche Sprache können überall ohne be⸗
ſondere Schwierigkeiten beſchafft werden. Die Bekannt⸗
machung ſtellt es deshalb — entgegen der Regel (8 22
Abſ. II) — den Behörden frei, die Ueberſetzungen durch
einen inländiſchen Dolmetſcher anfertigen zu laſſen.
Die Bekanntmachung iſt beſtrebt den Verkehr mit
dem Auslande ſo einfach als möglich zu geſtalten und,
wo es nur immer geht, das Schreibwerk zu vermindern.
Es iſt zu hoffen, daß dieſes Streben bei den äußeren Be⸗
hörden, die jetzt im Auslandsverkehre viel ſelbſtändiger
geſtellt ſind wie früher, die dringend erforderliche Unter⸗
ſtützung ſindet.
2223
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 9.
S. 45), es ſei völliger Unſinn, „Eurer Hochwohlgeboren“
zu ſchreiben, woraus zu ſchließen iſt, daß er annimmt,
es müſſe „Euer Hochwohlgeboren“ heißen. Aber ſo⸗
wohl „Euer Hochwohlgeboren“ als „Euere Hochwohl⸗
geboren“ iſt ein ſo wunderliches Sprachgebilde, daß es
ſich verlohnt zu ſehen, wie es entſtanden und ob es
dee iſt. Im ehemaligen Sprachgebrauch galt nur
der Adelige als „geboren“, nicht der Unadelige, und
als abſtraktes Subſtantiv hierzu wurde das Wort
Geborenheit gebraucht. Als gleichbedeutend mit Bes
borenheit war aber auch das abſtrakte Subſtantiv
Geborne — alſo nicht die weibliche Form des adjek⸗
iviſchen Partizips geboren — im Gebrauch, und fo
wurde noch im 18. Jahrhundert geſchrieben: „an des
Herrn von Burgsdorf Hochwohlgeborne“, was alſo
dasſelbe war wie: „an des Herrn von Burgsdorff
Hochwohlgeborenheit“. Die weitere Entwicklung ging
dahin, daß z. B. geſchrieben wurde: „Seiner Hochwohl⸗
gebohrnen, dem Herrn uſw.,“ und: „von Euer Wohl⸗
edelgebohrnen mit einem Schreiben beehrt zu mer
den, uſw.“ Im erſten Beiſpiel wurde das Wort „Hoch⸗
wohlgebohrnen“ noch rein als Hauptwort gefühlt
mund die Endung —en war die alte Singularbeuge—
Auslieferungsvertrag mit Großbritannien. Ein Ver⸗
trag des Reichs mit Großbritannien vom 30. Januar
1911 (RGBl. S. 175) dehnt die Anwendung des Aus⸗
lieferungsvertrags vom 5. Mai 1894 über die Aus⸗
lieferung zwiſchen den deutſchen Schutzgebieten und den
britiſchen Gebieten (RGBl. S. 535) auf Auslieferungen
zwiſchen den erſteren und beſtimmten britiſchen Pros
tektoraten aus. Für die bayeriſchen Juſtizbehörden
iſt der Vertrag nicht von unmittelbarer Bedeutung.
2222
form, wie ſie noch erſichtlich iſt in dem Ausdruck:
auf Erden, an die Sonnen. Im zweiten Beiſpiel be⸗
weiſt der Gebrauch der Form „Euer“, daß „Wohl⸗
edelgebohrnen“ nicht mehr durchaus als Subſtantiv
gefühlt wurde. Aber die Form auf —en wurde auch
als Nominativ gebraucht, z. B.: „Euere Hochedelge⸗
bohrnen vergeben mir uſw.“ Das unbequeme — nen
wurde, zunächſt natürlich im Sprechen, dann aber auch
im Schreiben gekürzt und es hieß: z. B.: „Euer Wohl⸗
edelgebohrn dienſtſchuldigſt ergebenſter Diener uſw.“
Schließlich wurde „gebohrn“ oder „geborn“ vermeint⸗
Der Verkehr mit Kraftfahrzeugen. Dem Inter⸗
nationalen Abkommen über den Verkehr mit Kraftfahr⸗
zeugen vom 11. Oktober 1909 (RGBl. 1910 S. 603 ff.)
find mit Wirkung vom 1. Mai 1911 an Luxem burg,
Schweden und die Schweiz beigetreten, die Schweiz
jedoch nur unter dem Vorbehalte, daß die Kantone in
ihrem Gebiete den Verkehr mit Kraftfahrzeugen und
ähnlichen Verkehrsmitteln ganz oder auf einzelnen
Straßen verbieten dürfen. Die der Verordnung des
Bundesrats vom 21. April 1910 (RG Bl. 1910 S. 640)
beigegebene Anlage A und das Muſter 1 werden er⸗
au (Bek. des Reichskanzlers vom 6. April 1911,
GBl. S. 179).
2220
Sprachecke.
Euer Hochwohlgeboren und Eurer Hochwohlgeboren.
Daß „Euere Königliche Hoheit“ und „Eurer Königs
lichen Hoheit“ zu ſchreiben iſt und nicht Euer König⸗
liche Hoheit, wie es öfter vorkommt, ergibt ſich aus
der Sprachlehre und kommt auch zum Ausdruck in
dem durch die 5 Zivilſtaatsminiſterien am 12. Juli
1886 gegebenen Formular für Eingaben an die aller—
höchſte Stelle (JMBl. S. 207). Bedauverlich iſt, daß
in Schweitzers Terminkalender für bayer. Juriſten 1911
(S. 82) bei der Wiedergabe des Formulars „Euer
Königlichen Hoheit“ ſtatt „Eurer Königlichen Hoheit“
ſteht, wodurch, wie die Erfahrung zeigt, mancher
verleitet wird in ſeinen Eingaben denſelben Fehler
zu machen. Ob nun aber „Euer Hochwohlgeboren“
zu fchreiden iſt oder „Euere Hochwohlgeboren“ und
„Eurer Hochwohlgeboren“, darüber herrſcht vielfach
Ungewißheit. Nun ſagt Wuſtmann in ſeinem be—
kannten Buch „Allerhand Sprachdummheiten“ (4. Aufl.
lich berichtigt zu „geboren“, weil man es nur als
Partizip zu verſtehen wußte, während „geborn“ dem
früheren richtigen „Hochwohlgeborne“ noch näher ſtand.
So iſt man zu dem heutigen „Euer Hochwohlgeboren“,
„Euere Hochwohlgeboren“ und „Eurer Hochwohlge⸗
boren“ gekommen. Man ſchreibt es ſo und nimmt
es als etwas Gegebenes hin, über deſſen Richtigkeit
man ſich keine Rechenſchaft gibt. Das Richtige klang
aber noch lange Zeit an, z. B.: „ich höre, daß des
Herrn Hofrats Wohlgeboren uſw.“ Aber jetzt iſt für
das urſprüngliche „Geborne“, „Hochwohlgeborne“ als
Hauptwort ganz das Gefühl verſchwunden. (Siehe
Deutſches Wörterbuch von Jakob Grimm und Wilhelm
Grimm unter den Wörtern Geborenheit und Geborne.)
Nach dieſen Darlegungen iſt weder „Euer Hochwohl⸗
geboren“ richtig noch „Euere Hochwohlgeboren“ und
„Eurer Hochwohlgeboren“; trotz Wuſtmann eher die
zweite Form. Richtig wäre es heute zu ſchreiben:
„an die Hochwohlgeborenheit des Herrn N.“, oder
was zeitgemäßer und einfacher wäre: an den „Hoch⸗
wohlgeborenen Herrn N.“ oder was auch heute ſchon
üblich iſt: „an den Herrn N. Hochwohlgeboren“, wo
„Hochwohlgeboren“ aber als adjeetiviſche Appofition
anzuſehen wäre. Allerdings in der Anrede bliebe
nichts andres übrig als zu ſchreiben: „Euere Hoch⸗
wohlgeborenheit, wie man auch „Euere Majeſtät
und „Euere Königliche Hoheit“ ſagt, oder da dies zu
unzeitgemäß und geſpreizt erſcheinen dürfte, dafür
|
H
„Sie“ zu ſagen. Dies wäre ja das Einfachſte und Ver⸗
ſtändigſte, wenn ſich auch das „Sie“, die dritte Perſon
des Plurals, wieder aus dem einfachen, Du“, das der
Römer und der Grieche beibehalten haben, aus über-
triebener Höflichkeit in unnatürlicher Weiſe herausent—
wickelt hat. T.
en
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 10.
München, den 15. u 15. Mai 1911. 1.
15 . Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Baner.
Staats miniſterlum der Juſtiz.
Die Zeitſchrift 9 9 am 1. und 15. jeden Monats
im Umfange von mi 2 Bogen. Preis vierteljährlich
Mk. 3.—. Beſtellungen ü jede Buchbandlung und
Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Die Reform des Nechtsſtudiums.
Von Univerſitätsprofeſſor und Oberlandesgerichts rat
Dr. Heinrich B. Gerland in Jena.
Zu den aktuellſten Fragen der unſere Gerichts⸗
verhältniſſe betreffenden Reformbewegung gehört
augenblicklich die Frage der Reform des Rechts⸗
unterrichtes, der in ſeiner heutigen Ausgeſtaltung
von den verſchiedenſten Ausgangspunkten aus mehr
oder weniger fcharf angegriffen wird. Ich ſelbſt habe
zu den in Betracht kommenden Problemen neuer⸗
dings in eingehender Weiſe Stellung genommen,
ſo daß ich bezüglich meiner eigenen Auffaſſung
auf meine damaligen Ausführungen einfach ver⸗
weiſen kann.) An dieſer Stelle beabſichtige ich
nur auf zwei neuerdings veröffentlichte, intereſſante
Arbeiten hinzuweiſen und die in ihnen aufgeſtellten
Poſtulate kritiſch zu prüfen, da es mir leider bei
der Abfaſſung meiner Arbeit ſelbſt nicht mehr
möglich war. jene Schriften zu benutzen. Es handelt
ſich aber um die Veröffentlichungen von Grueber und
Krückmann, ) beides wertvolle Beiträge zu der
einſchlägigen Literatur, wenn auch der Standpunkt
in beiden ein durchaus verſchiedener iſt.
Beginnen wir mit der Grueber'ſchen Arbeit,
die im weſentlichen eine Erwiderung auf die
bekannten Zitelmann'ſchen Ausführungen iſt, ſo
freue ich mich, mit dem Verfaſſer in zwei wichtigen
und, wie ich glaube, für die ganze Frage grund:
legenden Punkten übereinzuſtimmen, einmal in ſeiner
Auffaſſung vom Recht, das nicht als hiſtoriſche
Wiſſenſchaft, ſondern als die das tatſächliche Leben
beherrſchende Macht verſtanden werden ſoll, ferner
darin, daß der Inhalt des Studiums die ſelbſttätige
Durcharbeitung der Elemente unſeres Rechtes ſein
ſoll. Und auch darin ſtimme ich mit Grueber
überein, wenn er den Zitelmann'ſchen Gedanken
1) Die Reform des juriſtiſchen Studiums, Bonn 1911,
Marcus und Weber.
9) Grueber, Die Vorbildung der Juriſten und ihre
Reform, Nürnberg, Sebald, 1910; Krückmann, Vorpraxis,
akademiſche Rechtſprechung und anderes. Zur Reform
des Rechtsſtudiums. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1911.
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
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München und Berlin.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplat 1.
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oder deren Raum. Bei Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft.
213
eine Zwiſchenpraxis ablehnt mit der glücklichen
Formulierung: „Nicht eine Praxis als Vorbe⸗
reitung für die Theorie .... ſondern eine praktiſche
Theorie: eine Lehre, welche ſich auf die Praxis
ſtützt und Anleitung zu ſelbſtändiger, praktiſcher
Arbeit bietet, iſt, was not tut.“ Aber freilich,
bei dem Ausbau dieſes an ſich ſo zutreffenden
Gedankens beginnen die Schwierigkeiten, beginnen
auch die Differenzen zwiſchen dem Verfaſſer und
mir. Grueber iſt nichts weniger als radikal. Er
verſucht (und dieſe Methode iſt durchaus zu billigen)
auf Grundlage der beſtehenden Studienordnung
den Unterricht zu verbeſſern, zu moderniſieren.
Und zwar meint er, daß das Studium wie jetzt
mit der Einführung beginnen müſſe, die einen
doppelten Inhalt haben müſſe als juriſtiſche
Enzyklopädie und Methodologie. Dem Einwurf
Zitelmann's, daß der Gedanke der Einführung
und ihrer Zwecke dadurch vereitelt werde, daß
gleichzeitig Sondervorleſungen zu hören feien, ſucht
er dadurch zu widerlegen, daß er vorſchlägt, die
Einführung mit dem römiſchen Recht zu verbin⸗
den und dieſem als Einleitung vorauszuſchicken.
Daneben aber müſſe ſofort eine praktiſche Ein⸗
leitung in das Rechtsleben gegeben werden, wozu
ſich am beſten die Uebungen im römiſchen Privat⸗
recht eigneten. Bei der Darſtellung des römiſchen
Privatrechtes ſei das bisherige gemeine Recht mit
Einſchluß der Aenderungen darzuſtellen, die es im
BGB. erfahren hat. Im 2. Semeſter ſoll dann
das deutſche Privatrecht gehört werden, auch wiederum
mit Uebungen, und zwar ſollen auch hier die In⸗
ſtitute mit Einſchluß der Geſtaltung, die ſie im
modernſten Recht gefunden haben, vorgetragen wer⸗
den. Daneben können, meint Grueber, im 1. Se⸗
meſter noch Strafrecht, im 2. Strafprozeßrecht ge⸗
hört werden. Auf dieſem Unterbau ſoll ſich dann
das übrige Studium aufbauen.
Intereſſant iſt in dieſen Ausführungen ein
Doppeltes: Grueber erkennt, und zwar mit Recht,
daß der eigentliche Mangel unſeres heutigen Lehr:
planes im Anfängerunterricht liegt. Er will ferner eine
engere Verquickung der Vorleſungen und Uebungen.
214 Zeitſchrift für Rechtspflege
eine verſchärfte Betonung der letzteren herbeiführen.
In beidem gebe ich ihm Recht. Aber die Mittel,
mit denen er die Reform durchführen will, ſcheinen
mir unzulänglich zu ſein. Nach wie vor ſoll die
Grundlage des Studiums die hiſtoriſche ſein, und
es ſcheint mir dieſer Gedanke in einem gewiſſen
Widerſpruch mit Grueber's eigenſter Auffaſſung des
Rechtes zu ſtehen. Nach wie vor ſoll ferner vom
römiſchen Recht ausgegangen werden. Nach wie vor
ſoll endlich das Privatrecht den Mittelpunkt der Aus⸗
bildung bilden. In dieſen drei Punkten ſtehe ich
auf entgegengeſetztem Standpunkt wie Grueber.
Gewiß, Rechtsgeſchichte iſt notwendig, aber nicht,
um das gegenwärtige Recht zu verſtehen,
ſondern um es werten zu lernen. Dogmatik
kann nicht aus der Hiſtorie gelernt werden, wohl
aber lehrt uns jene Kritik in der beſten Weiſe.
Und wenn auch in der Geſchichte gelegentliche Hin⸗
weiſe auf das geltende Recht gegeben werden
können, jo find das doch nur Ausblicke, die
nicht zu wirklichen Einblicken führen. Damit
aber kann der Wirklichkeitshunger des Studenten,
den Grueber anerkennt, den er richtig und treffend
charakteriſiert, nicht befriedigt werden. Und was
für die ſyſtematiſchen Vorleſungen gilt, gilt in
verſtärktem Maß für die Uebungen. Grueber ſagt:
„Durch ſolche Vorleſungen, welche gerade darauf
gerichtet ſind, das römiſche Recht in ſeiner modernen
Bedeutung, in ſeiner das Leben noch immer be⸗
herrſchenden Kraft darzuſtellen, erhält der Hörer
unmittelbar den Eindruck eines anwendbaren oder
doch für die Anwendung verwertbaren Rechtes.“
Aber wird er das wirklich erhalten? Die Ver⸗
wertbarkeit iſt doch in der Tat nur eine indirekte.
Der Anfänger, der ja weder hiſtoriſch noch kritiſch
— — ͤ ù¶nᷣÄ———ůñůꝛ .ͤ —ͤ—.—ů— ñ—'ů— —E — —ͤ—t—-—
in Bayern. 1911. Nr. 10.
des täglichen Lebens wird bei geeigneter Frage⸗
ſtellung des Dozenten der Anfänger (ohne alle
und jede Rechtskenntnis) von ſelbſt dahin geführt,
die grundlegenden Begriffe des Privatrechtes zu
entwickeln. So ſührt das Verlangen nach Zigarren
in einem Laden, als Beiſpiel gedacht, zur Auffindung
und Feſtſtellung der Begriffe der Aufforderung
zur Stellung einer Offerte, der Offerte, des Ver⸗
trages und damit der juriſtiſchen Tatſache und
Handlung, des ein⸗ und zweiſeitigen Rechtsgeſchäfts
— im Gegenſatz zum Delikt —, des dinglichen
und obligatoriſchen Vertrags und damit zugleich
zu den beſonderen Wirkungen des Kaufes und der
Tradition. Das iſt methodologiſch vortrefflich.
Aber wo ſoll das vor ſich gehen? In den römiſch⸗
rechtlichen Anfängerübungen. Alſo die ganzen Be⸗
griffe, die ganze Entſcheidung nach römiſchem Recht.
Es ware doch zweifellos hier das natürlichſte, nach
BGB. zu entſcheiden. Wozu muß denn die
Einführung in das BGB. durch das Studium
des römiſchen Rechtes erfolgen? Ich kann mir
kaum etwas ſonderbareres vorſtellen, als daß
wir in das moderne Recht in der baroken Form
einführen, indem wir ein nicht mehr geltendes
Recht vortragen. Inſtitutionen des bürgerlichen
Rechtes, das ſcheint mir notwendig zu fein. Und
der einzig ſtichhaltige Grund, am roͤmiſchen Recht
in der gekennzeichneten Art ſeſtzuhalten, ſcheint
mir doch der zu ſein, daß wir noch keine ſo
vorzüglichen Inſtitutionen beſitzen, wie zum rö⸗
miſchen Recht. So ſchaffe man ſie! Das
dürfte eine wertvollere Aufgabe ſein, ſelbſt als Pa⸗
pyri zu entziffern, und es iſt das eine Aufgabe, die
doch früher oder ſpäter gelöſt werden muß. Gewiß,
weil die Studenten die Grundlage, die Inſtitu⸗
geſchult iſt, wird in dem römiſchen Recht zumeift |
nicht das immer noch wirkende Leben entdecken
können, das es für das moderne Recht haben ſoll.
Sein Wirklichkeitshunger wird ſicher nicht geſtillt.
Auch nicht in den Uebungen, in denen ja nicht
wie im Gericht entſchieden wird, ſondern nach dem
Recht der Vergangenheit und in fremder Sprache.
Schon die Tatſache, daß die Quellen lateiniſch
ſind, die Schwierigkeiten, die ſich für die meiſten
Studenten daraus ergeben, ſollten nicht unter⸗
ſchätzt werden. Man hat auf der Schule genug
überſetzt, um endlich einmal frei leſen zu wollen.
Und ich glaube auch nicht, daß der Wirklichkeits—
hunger geſtillt iſt, wenn der Student zur „lebendigen
Erfaſſung des Gegenſatzes der beiden Rechtsſyſteme“
gelangt. Das erſtrebt er in den meiſten Fällen
nicht, und es heißt, den Blick vor offenen Tatſachen
verſchließen, wollte man annehmen, daß die Wehr: |
zahl der juriſtiſchen Studenten an dieſer rein
wiſſenſchaftlichen Betrachtungsweiſe Geſchmack fände.
Leben ja, aber modernes Leben! Geſetze ja, aber keine
Quellen! Und dann, iſt es didaktiſch denn wirklich
notwendig mit dem römiſchen Recht zu beginnen?
Ich finde bei Grueber folgende treffende Sätze:
|
im erſten Semeſter mit Erfolg zu leſen.
tionen vernachläſſigt haben, verſtehen ſie heute das
bürgerliche Recht nicht. Aber warum haben fie
die Inſtitutionen vernachläſſigt? Die Antwort
würde für den Romanismus ſicher nicht erfreulich
klingen, wenn man die Studenten ſelbſt befragen
würde.
So bleibe ich trotz Grueber auf meinem ab⸗
weichenden Standpunkt: man beginne mit modernem
Recht, man laſſe das römiſche Recht zurücktreten.
Aber man beginne auch gleich mit dem öffentlichen
Recht und zwar mit Staatsrecht. Daß das
Strafrecht, wie Grueber meint, die leichteſte der
Rechtswiſſenſchaften iſt, bezweifele ich ſehr. Ich
würde es für unmöglich halten, Strafrecht 9
n
es iſt andererſeits auch naheliegend bei einer
Darſtellung des Rechtes des Staates mit dem
oberſten Rechtsbegriff, mit dem Begriff des Staates
und ſeiner Lehre zu beginnen.
Endlich möchte ich noch bemerken, daß Grueber
den erſten Abſchnitt des Studiums, der im weſent⸗
| lichen rechtsgeſchichtlichen Inhalt haben ſoll, nicht mit
einer Zwiſchenprüfung abſchließen will. Er ſchlägt an
ihrer Stelle ein ganz eigenartiges Erſatzmittel vor.
„Durch eine Beſprechung der einfachſten Vorgänge Es ſoll der Dozent am Schluß ſeiner Uebungen
Beitſchrift für Rechtapflege in für Rechtspflege
— — — — . .... ——.—..—9Lͤ———.—
eine ſchriftliche Prüfung veranſtalten. Allerdings
ſoll ihr Nichtbeſtehen nicht etwa zu einem
Ausſchluß von dem weiteren Studium führen,
ſondern nur zu der Ausſicht, ſpäterhin in dem
betreffenden Fach einer ſtrengen Sonderprüfung
unterzogen zu werden. Ich kann dieſen Vor⸗
ſchlag nicht für ſehr empfehlenswert halten. Ent⸗
weder wird er ernſt durchgeführt, dann haben wir
an Stelle der einen Prüfung die vielen Einzel⸗
prüfungen. Oder aber er wird nicht ſtreng durch⸗
geführt. Dann verliert die Einrichtung ihre den
Fleiß regulierende Wirkung. Ferner erhellt nicht,
wer darüber entſcheidet, ob die Prüfung beſtanden
iſt, der Dozent oder die Kommiſſion für die erſte
Prüfung, an die die Akten jener Uebungsprüfung
einzureichen find. Allerdings mag zugegeben werden,
daß das Zwiſchenexamen einfacher geſtaltet werden
kann als die eigentliche Referendarsprüfung, und
es ließe ſich namentlich die Frage ventilieren, ob
in der erſten Prüfung bereits Klausuren not⸗
wendig, ja ſogar möglich ſind. Allein ſtets
muß es ſich um ein wirkliches Examen handeln.
Und Grueber unterſchätzt doch den Optimismus
des Unfleißigen ſehr, wenn er denkt, daß die
Ausführung der Vorſchrift durch die Ausſicht
auf das oben erwähnte Sonderexamen garantiert
ſein werde. Das was Grueber vorſchlägt, iſt nicht
Fiſch noch Fleiſch, iſt kein richtiges Examen, und
ſo fürchte ich, wird auch die von ihm ausgehende
heilſame Wirkung keine allzugroße ſein.
Die Schrift von Grueber iſt durchaus konſer⸗
vativ, an das Beſtehende anknüpfend. Einen
ganz anderen Charakter hat die Arbeit Krück⸗
manns. Letzterer will radikal mit dem Gewor⸗
denen brechen, ſchlägt weitgehendſte Umänderung
im Studiengang vor. Er will völlige Um⸗
wälzung des Beſtehenden, will etwas ganz Neues,
noch nicht Dageweſenes. Auch Krückmanns Schrift
enthält eine Fülle von Anregungen, namentlich
pädagogiſcher Art, die von bleibendem Wert ſind,
und ſicher wird niemand, der ohne Vorurteil die
kleine Broſchüre in die Hand nimmt, ſie ohne
vielfache Anregung, ohne mannigfaltige Belehrung
leſen. Ich weiſe auf ſeine treffend geſchilderten
Beobachtungen über die Pſyche des Studenten
hin, auf ſeine feinſinnigen Ausführungen über
die induktive und die deduktive Methode und die
Möglichkeit einer Vereinigung beider, auf manch
anderes noch. Allein ſo zutreffend das alles
auch iſt, ſo wertvoll die Erfahrungen ſeiner viel⸗
fachen pädagogiſchen Experimente auch genannt
werden müſſen, mit dem Grundgedanken, den er
entwickelt, mit den Reformpoſtulaten, die er auf:
ſtellt, kann ich mich nicht befreunden. Intereſſant
iſt dabei,
Mangel ebendort ſieht, wo ihn Grueber gefunden
hat, ſo daß in dieſer Hinſicht beide Schriften
denſelben Ausgangspunkt haben. Auch Krückmann
geht nämlich davon aus, daß die Mangelhaftig⸗
keit des Anfängerunterrichtes die Wurzel alles
daß Krückmann den entſcheidenden
in Bayern. 1911. Nr. 10.
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215
Uebels ſei. Er denkt ſich nun das Studium in
drei Teile zerlegt: in ein Vorſtudium, das den
Elementarunterricht umfaßt, in das eigentliche
Studium als mittlere Stufe, in ein vertieftes
Nachſtudium als höchſte Stufe. Dabei iſt aber
das entſcheidende, daß der Elementarunterricht
den Univerfitäten genommen und teils den
Schulen teils der Praxis anvertraut werden ſoll.
Und zwar ſoll in der letzteren ſich Studium und
Vorpraxis verbinden, ſo daß die nötige theoretiſche
Einführung durch die Praktiker unter Oberaufſicht
der Dozenten gegeben werden ſoll.
Dieſen Vorſchlag halte ich für durchaus un⸗
realiſierbar. Gewiß, ein allgemeiner rechtlicher
Elementarunterricht, eine zuſammenfaſſende Bür⸗
gerkunde, gehört auf die Schule, und ich würde
es auch begrüßen, wenn leichtere juriſtiſche Schrift⸗
ſteller auf der Schule geleſen würden.) Denn
die Rechtsentwicklung iſt nur ein Teil der
Kulturentwicklung, und die Geſchichte mehr als
Kulturgeſchichte auf der Schule zur Darſtellung
zu bringen, weniger aber als Staats- oder gar
Kriegsgeſchichte, ſollte das Ziel einer ausſchauenden
Schulpolitik ſein. Auf dieſe Frage ſelbſt hier
naͤher einzugehen verbietet der Raum, obwohl
die Krückmannſchen Darlegungen zu dieſem Punkt
intereſſant, wenn auch meines Erachtens nicht
einwandfrei find. Allein der Rechtsunterricht, der
auf der Schule erteilt werden kann, kann und darf
nur wirklich ganz elementar ein. Wenn Krückmann
meint, auch die Logik werde durch die Juris⸗
prudenz gelehrt, ſo trifft das ja zu, aber doch
nur bei einer dogmatiſchen Vertiefung des
Unterrichtes, für die im Schulunterricht keine
Gelegenheit iſt. Es iſt ausgeſchloſſen, den Ge⸗
dankeninhalt einer Stelle wie der 1. 9 Dig. II, 57
auf der Schule zu entwickeln. Dazu müßten die
Schüler ſchon alle Juriſten ſein, ganz abgeſehen
davon, daß die Lehrer dies auch ſein müßten.
Durch die Bürgerkunde auf den Schulen
wird der Univerſitätsunterricht niemals
entlaſtet werden.
Und auch den Vorſchlag Krückmanns bezüglich
der Vorpraxis halte ich für unrealiſierbar. Ich gebe
zu (und inſofern bedeutet die Krückmannſche Arbeit
einen Fortſchritt gegenüber Zitelmann), daß eine
Vorpraxis ohne gleichzeitiges Studium unmöglich,
weil bedeutungslos iſt. Aber ich bezweifle, daß
der Unterricht von der Praxis gegeben werden
kann. Zunächſt iſt es ja einfach ausgeſchloſſen
aus Gründen, die nicht weiter erörtert zu werden
brauchen, daß ſich die Praktiker eine pädagogiſche
Oberaufſicht durch die Dozenten gefallen laſſen
werden. Ferner aber weiche ich von Krückmann
noch inſofern entſcheidend ab, als ich den
) Hiſtoriſch intereſſant iſt, daß z. B. in Bern eine
derartige Bürgerkunde mit praktiſchen Tendenzen in den
Landesſchulen bereits Ende des 18. Jahrhunderts ge—
lehrt wurde. Vgl. den Revolutions-Almanach von
1800 S. 16 f.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
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Anfängerunterricht keineswegs für ſo leicht halte.
Ich meine vielmehr, er ſei der ſchwerſte Teil des
Unterrichtes überhaupt. Und daß dem ſo iſt,
beweiſt doch die Tatſache, daß wir mit dem An⸗
fängerunterricht an den Univerfitäten bis jetzt am
wenigſten Glück gehabt haben. Hier tauchen eben
Probleme auf, die keineswegs leicht zu löſen ſind.
So muß ich auch offen geſtehen, es klingt mir
nicht überzeugend, wenn ſich Krückmann anheiſchig
macht, in einem Sommerſemeſter ein Dutzend
Aſſeſſoren, Referendare, Gerichtsſekretäre () der⸗
artig didaktiſch zu ſchulen, daß ſie die didaktiſchen
Anfängeraufgaben ſpielend erledigen können. Ich
fürchte, der von ſolchen Rechtslehrern erteilte
Unterricht würde in der Tat mehr ein Spiel
werden. Denn ein wirklich überlegter, ſyſtematiſch
angelegter Unterricht kann doch von derart vor⸗
gebildeten Dozenten ſicher nicht erteilt werden.
Aber nirgends iſt die Gefahr endgültiger Verbildung
größer wie gerade beim erſten Unterricht, der ſo oft,
ich wiederhole das, was ich an anderer Stelle ein⸗
gehender aus zuführen verſucht habe, beſtimmend für
das ganze weitere juriſtiſche Leben ſein wird, wie ja
die erſten Eindrücke bekanntlich immer am tiefſten
haften. Aber ſchließlich die entſcheidende Frage:
Würde es ſich für die Univerſitäten empfehlen,
den Elementarunterricht abzugeben? Würde
dadurch die Tätigkeit des Dozenten gewinnen?
Die Antwort auf dieſe Frage hat natürlich
immer eine gewiſſe ſubjektive Färbung. Aber
dem Satz Krückmanns, der Elementarunterricht
ſei ſubalterner Natur, muß ich offen widerſprechen.
Mir iſt er in gewiſſer Hinſicht immer als der
idealſte Teil unſerer Lehrtätigkeit erſchienen.
Gerade in ihm können die grundlegenden Prin⸗
zipien entwickelt werden. Gerade durch ihn kann
man beſtimmend wie nirgends ſonſt auf den
Ideengehalt des Anfängers und damit auf ſeine
ſpäteren Handlungen einwirken. Und ſchließlich,
was in letzter Linie iſt das Ziel des Lehrenden?
Schwierige Probleme mit den Schülern durch⸗
arbeiten, an ſich, wie jedes Seminar beweiſt, eine
reizvolle Tätigkeit? Nein, das letzte bleibt doch
immer, auf den Menſchen einzuwirken, daß die
Ideen, die man als groß und wahr erkannt hat,
demnächſt betätigt werden, ſich fortentwickeln zu
ſchönerer Blüte, zu reicherer Frucht. Einwirkung
auf den Menſchen, dadurch auf die Men⸗
ſchen, das ſcheint mir das höchſte, und nie
kann das beſſer geleiſtet werden, als im Elementar—
unterricht. Den Univerſitäten den letzteren zu
nehmen, hieße die Quelle ihrer methodologiſchen
Wirkung verſtopfen, wie ja doch auch der große
Virtuoſe ſeinen Schülern zunächſt den Elementar—
unterricht des Inſtrumentes zu geben pflegt. So
ſcheint mir die Hauptforderung zu ſein, den Ele—
mentarunterricht zu vertiefen, nicht ihn aber für
die Univerſitäten zu beſeitigen. Nun iſt richtig:
Die Vorpraxis würde manches zu leiſten imſtande
ſein, und ich will nicht leugnen, daß die Stu—
—— ᷣ — d — . — . ͤ—3Æꝗ—Bu— 2 «˙ö˙ͥ 4.4... X——. ——. ——.j—ß5ß5—ßę⸗ ...... .. —..——...———.————.———.———.—.8——.8ß—..8ߧ+—iö———
denten mit einer gewiſſen Vorbildung auf die
Univerſitäten kämen. Aber dies würde nicht daher
kommen, weil ihr Wirklichkeitshunger geſtillt wird.
Denn man täuſche ſich doch ja nicht: Würde
akademiſche Freiheit für die Vorpraxis gegeben,
ſo würden die Klagen über den Unfleiß der ju⸗
riſtiſchen Studenten ſicher auch für die Zeit der
Vorpraxis ertönen. Daß bei der Vorpraxis der
Lernzwang gegeben iſt, das garantiert allerdings
gewiſſe Erfolge, die aber nicht groß genug ſind,
um den Nachteilen der Einrichtung auch nur die
Wagſchale zu halten, um es notwendig zu machen,
die großen Schwierigkeiten, die ſich der Einführung
einer ſolchen Einrichtung entgegenſtellen, zu über⸗
winden.
Ich kann auf die vielen Einzelheiten der
Krückmannſchen Schrift des Raumes halber nicht
eingehen, wenn ich auch dringend zur Lektüre des
intereſſanten Werkes rate. Nur einige wenige
Punkte ſeien noch hervorgehoben.
Zitelmann hatte eine Zweiteilung des Studi⸗
ums vorgeſchlagen, derart, daß der Rechtsſtoff
einmal propädeutiſch, einmal vertieft vorgetragen
werden ſollte. Dieſem auch ſonſt ſchon gemachten
Vorſchlag hatte ich mich angeſchloſſen. Krückmann
wendet nun dagegen ein, daß Wiederholungen in
theoretiſchen Vorleſungen unerträglich ſeien. Aber
er überſieht, daß wenigſtens nach meinen Vor⸗
ſchlägen das zweitemal der Rechtsſtoff ganz anders
vorgetragen werden ſoll. Das erſtemal zuſammen⸗
faſſend, knapp, aber erſchöpfend (ob induktiv oder
deduktiv laſſe ich dahin geſtellt bleiben), das
zweitemal vertieft, aber nicht, wie dies Grueber
noch will, erſchöpfend, ſondern nur in ausge⸗
wählten Kapiteln dargeſtellt. Es würde mich
lebhaft intereſſieren, zu erfahren, wie ſich Krück⸗
mann zu dieſem Vorſchlag ſtellt.
Des weiteren: Krückmann verlangt neben
dem Studium noch eine Nebenpraxis, und zwar
obligatoriſche Ferienkurſe an den Gerichten. Ich
habe meine Bedenken gegen dieſen Vorſchlag an
anderer Stelle eingehend begründet.) Ich be⸗
merke, indem ich auf jene verweiſe, hier nur, daß
mich die Krückmannſchen Ausführungen nicht zu
einer anderen Anſicht geführt haben.
Endlich: Krückmann will den Gegenſatz
zwiſchen Theorie und Praxis dadurch vermindern,
die Bedeutung der Fakultäten dadurch erhöhen,
daß er die letzteren wieder an der Rechtspflege be⸗
teiligen will. Er ſchlägt vor, ſie zu privilegierten
Schiedsgerichten zu machen. Nun wäre es ja
zweifellos ſehr ſchön, wenn ſich dieſer Gedanke
realiſieren ließe. Aber wie will man das tun?
Die Parteien werden ſich kaum ſehr gerne und
häufig an ein nur aus Theoretikern zuſammen—
geſetztes Schiedsgericht wenden, das zudem auch
nicht beſonders billig arbeiten würde. Und ſo
ſchön es wäre, wenn wir wieder Sammlungen
) Reform des juriſtiſchen Studiums S. 116 f.
von Fakultätsentſcheidungen bekämen, ich glaube
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
nicht, daß der Tag der erſten Publikation ſehr
nahe iſt.) Aber der dem Vorſchlag zugrunde
liegende Gedanke iſt ein geſunder: den Dozenten
wieder hinein in das praktiſche Leben zu ſtellen.
Hier meine ich nun iſt der einfachſte Vorſchlag
doch der, den Dozenten im Nebenamt als Richter
zu beſchäſtigen. Und daß dieſe Idee ſich ohne
beſondere Schwierigkeiten verwirklichen läßt, be⸗
weiſen die Verhältniſſe in Jena, wo dieſe Ein⸗
richtungen beſtehen und ſich, will man Praktikern
wie Dozenten glauben, trefflich bewährt haben.
Der Geiſt echter Wiſſenſchaft iſt der kritiſche
Geiſt. Auf ihm beruht eine jede Entwicklung, er
aber verbürgt auch den Fortſchritt. Es iſt ein
erfreuliches Zeichen für das mutige Vorwärts:
ſtreben unſerer Fakultäten, daß das Problem des
Rechtsunterrichtes ſo lebhaft von allen Seiten von
den Dozenten ſelbſt in Angriff genommen wird.
Und dieſe Tatſache allein ſollte manchen mit Ur⸗
teilen über unſere Univerſitätsverhältniſſe vor⸗
ſichtiger ſein laſſen, als er es iſt. Mögen in
dieſen Beſtrebungen auch die einzelnen Anſichten
weit auseinandergehen, die Ziele des Kampfes ſind
doch die gleichen, und aus der Fülle der Mei⸗
nungen und Vorſchläge werden ſich die hiſtoriſchen
Reſultate ſeinerzeit ſchon herauskriſtalliſieren. Und
ſo freue ich mich, wenn ich auch von Grueber und
Krückmann vielfach abweiche, doch mit ihnen zu⸗
ſammenzuſtehen für dieſelbe Sache; und wenn auch
jeder nach ſeiner Art wirkt, wir wollen alle das⸗
ſelbe: den beſten Weg zu finden für die Aus⸗
bildung unſeres juriſtiſchen Nachwuchſes, damit
aber die Zukunft eines gedeihlichen Rechtslebens
unſeres Volkes mit zu garantieren.
Uebertragung von Grundbuchblättern.
Von Dr. Wilhelm Kriener, Amtsrichter in Landshut.
(Schluß).
II.
Zunächſt ſollen nur die Eintragungen im Titel
geprüft werden. Arten ſolcher Eintragungen ſind,
was auch aus den einzelnen Nummern des Bei—
ſpiels zu erſehen iſt, hauptſächlich folgende:
1. der urſprüngliche Eintrag.
2. Zuſchreibungen von ganzen Grundſtücken.
3. Zuſchreibungen von Teilflächen zu ſchon ein⸗
getragenen Grundſtücken unter gleichzeitigem
Vollzug von Operaten.
) Vgl. auch Straßburger Poſt Nr. 450 vom
21. April 1911.
|
217
4. Abſchreibungen von Brundftüden.
5. Abſchreibungen von Teilflächen von ſchon
eingetragenen Grundſtücken unter Vollzug
von Operaten.
6. Vermeſſungen ſchon eingetragener Grund⸗
ſtücke unter ſich.
7. Berichtigungen der Fläche eines ſchon ein⸗
getragenen Grundſtücks auf Grund tatſäch⸗
lichen Beſitzſtandes, 6. und 7. natürlich
gleichfalls unter Vollzug von Operaten.
Bei 4. und 5. handelt es ſich um gegenſtands⸗
los gewordene Eintragungen im Sinne des 8 468
DA.; ſowohl die ganze Pl.⸗Nr. 130 als auch die
wegveräußerte Teilflaͤche der Pl.⸗Nr. 163 find für
den gegenwärtigen Rechtszuſtand des Blattes be⸗
langlos; Pl.⸗Nr. 130 kann deshalb auf dem neuen
Blatte wegbleiben und Pl.⸗Nr. 163 gleich mit der
Reſtfläche von 0,340 übertragen werden.
Bei 6. und 7. handelt es ſich nicht um recht⸗
liche, ſondern nur um tatſächliche Aenderungen;
die Grundſtücke waren mit den nämlichen Flächen,
wie ſie durch die Operate Nr. 68/87 und 79/88
ausgewieſen ſind, ſchon im Jahre 1870 dem auf
dem Blatt geſchilderten Rechtszuſtand unterworfen;
es ſteht nur eine Veranderung oder Berichtigung
der kataſtermäßigen Bezeichnung in Frage. Erſteres
iſt übrigens in gleicher Weiſe der Fall bei Um⸗
numerierung von Plannummern, Umrechnung
des alten Tagwerkmaßes in das Hektarmaß und
mangelhafter Beſchreibung der Grundſtücke über⸗
haupt (3. B. Bezeichnung des Grundſtücks nur
mit der Ziffer der Plannummer, irrige Angabe
des Flächeninhaltes infolge offenſichtlichen Schreib:
verſehens). Da hiernach Rechtsänderungen nicht
vorliegen, dürfte es unbedenklich ſein, auf dem
neuen Blatt gleich die gegenwärtige, richtige Be⸗
ſchreibung der Grundſtücke einzutragen.
Anders dagegen verhält es ſich in den Fällen 2.
und 3.; hier liegen Rechtsänderungen vor, die
noch gegenwärtig für das Blatt Geltung haben;
da nun aber dieſe Aenderungen erſt in den Jahren
1883 und 1885 eingetreten ſind, der Titel des
neuen Blattes aber mit dem 1. Januar 1870
oder 1880 zu beginnen hat, ſo kann hier eine
Zuſammenfaſſung der Eintraͤge nicht ſtattfinden,
ſondern es ſind drei geſonderte Einträge erforder⸗
forderlich.
Aus dem Bisherigen ergibt ſich alſo folgendes:
a) Abſchreibungen konnen auf dem neuen
Blatte weggelaſſen werden.
b) Tatſächliche Aenderungen können auf dem
neuen Blatte ohne Rückſicht auf die frühere Be:
ſchreibung des Grundſtücks eingetragen werden.
c) Für jede Zuſchreibung iſt dagegen auf dem
neuen Blatte ein geſonderter Eintrag erforderlich.
Der Titel des neuen Blattes würde ſich daher
ſo darſtellen:
218 u Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
—— H—̃ ·.¼A—.—D-W —— C⅛uꝗC—ðVrã3 ” ...... ———————————————.—————————————ů—ͤ—5ß̃᷑ß ] —uͥ k ———i2 . AgX——.————————————.kkñññ¼—.——5—: . —
— ——P nr —— Blatt die erſte Eintragung in Abteilung I und
im Titel ein früheres Datum zu tragen als die
1. Am 1. Januar 1870. (Oder: un erſte Eintragung in Abteilung III oder II. Dieſes
1. Januar 1880.) Abweichen der Daten iſt da ohne Bedeutung, wo
. an 19 ne dazwiſchen liegenden 0 Zuſchreibungen
a auf dem Blatt nicht ſtattgefunden haben, aber
e N nicht da, wo der Eigentümer Grundſtücke oder
V 0,210 ha Teilflächen ſpäter erworben hat und dieſe dem
Blatte zugeſchrieben wurden.
Angenommen, nach dem Beiſpiele wurde die
ältefte Hypothek unter B. beſtellt. Der Titel des
neuen Blattes hat dann nach dem unter II Aus⸗
geführten mit dem Datum des 1. Januar 1880
zu beginnen; es folgen dann unter dem 1. Ja⸗
nuar 1883 und 1. Januar 1885 die zwei weiteren
Eintragungen, wie gleichfalls oben unter Il am
Schluſſe angegeben.
Abteilung J erhält nach dem unter I Aus⸗
geführten folgende Faſſung:
1/ II. Am 1. Januar 1880. B, erworben laut...
2. Am 1. Januar 1883. Pl.⸗Nr. 95 wurde
erworben laut
3. Am 1. Januar 1885. Die Teilfläche von
0,017 ha zur Pl.⸗Nr. 105 wurde erworben
laut.
4/1. Am 1. Januar 1890. C, erworben laut...
Würde man nun da, wo zwiſchen Anweſens⸗
erwerb und Hypothekbeſtellung auf dem alten Blatt
Zuſchreibungen erfolgt ſind, Abteilung 1 und
Titel des neuen Blattes nicht mit dem urſprüng⸗
lichen Datum, ſondern mit dem Datum der Hy⸗
pothek beginnen laſſen, ſo würde dies der Ver⸗
einfachung des neuen Blattes ſehr zu Statten
kommen; denn dann könnten alle Einträge, die
auf dem alten Blatte vor dieſem Datum liegen,
auf dem neuen Blatte in eine einzige Eintragung
zuſammengezogen werden.
Iſt z. B. die maßgebende Hypothek vom 1. Ja⸗
nuar 1884, ſo könnten im Titel des neuen Blattes
die eben erwähnten Einträge 1 und 2 unter dem
1. Januar 1884 in einen Eintrag zuſammenge⸗
zogen werden, und Abteilung I des neuen Blattes
könnte dann lauten:
1/I. Am 1. Januar 1885. B, erworben Pl.⸗
Nr. 95 laut ..., die übrigen Grundftüde
„ 0,163 ha Vermeſſung ſ. 3
Pl.⸗Nr. 163, Pointl, Acker . 0,300 ha
Pl.⸗Nr. 1030, Bergwald,
Waldunng 1.369 ha
2. Am 1. Januar 1883.
Pl.⸗Nr. 95, Langewieſe, Wieſe 0,685 ha
Uebertragen von J, 547.
3. Am 1. Januar 1885.
Der Pl.⸗Nr. 105 iſt eine von Pl.⸗Nr.
126 abgetrennte Teilfläche zu 0,017 ha
zugemeſſen und hat Pl.⸗Nr. 105 folgende Zu 1
Beſchreibung
Pl.⸗Nr. 105, Anglhubacker,
„ 0, 180 ha
Bei 5., 6. und 7. liegt allerdings der Uebel⸗
ſtand vor, daß dann auf dem neuen Blatt unter
einem Datum Beſchreibungen von Grundſtücken
eingetragen find, wie fie zu jener Zeit kataſter⸗
mäßig noch nicht beſtanden: es liegt in dieſer
Richtung ein Anachronismus vor. Anderſeits
würde ſich aber bei Mitübertragung der oft ſehr
zahlreichen Vermeſſungen das neue Blatt ebenſo
unüberſichtlich geſtalten, wie das alte Blatt war;
dieſem größeren Uebel iſt das kleinere des Ana⸗
chronismus wohl vorzuziehen, der ſich ja nur auf
tatſächliche, nicht auf rechtliche Dinge bezieht;
zudem kann durch Beiſchreibung der Operats⸗
ziffern in die Anmerkungen auf ſoche tatſächliche
Aenderungen hingewieſen werden.
Die Vereinfachungen im Titel laſſen ſich mit
den Vorſchriften der DA. in Einklang bringen.
Es gibt aber auch Falle, in denen die genaue
Beachtung der DA. unter Umſtänden zu Unzu⸗
träglichkeiten führen kann, und es dürfte ſich
empfehlen, nach Lage der Sache beſtimmte Aus⸗
nahmen von der Regel zuzulaſſen, wenn dieſe
Unzuträglichkeiten ſich in zu großem Maße geltend
|
| |
machen. laut.
Dieſe Fälle ſollen unter III und IV erörtert 2. Am 1. Januar 1884. Die Teilfläche von
werden. | 0,017 ha zur Pl.⸗Nr. 105 erworben laut...
III. Iſt die maßgebende Hypothek vom 1. Januar
Nach der DA. ift der Eigentümer, der als 1886, jo könnten im Titel alle drei Einträge unter
erſter zu übertragen iſt, weil er die älteſte noch dem 1. Januar 1886 in einen einzigen zuſammen⸗
beſtehende Laſt beſtellt hat, auf das neue Blatt gezogen werden, wie unter I am Ende dargeſtellt.
mit feinem urſprünglichen Datum zu über: Abteilung I dagegen erhielte folgende Faſſung:
tragen; das nämliche Datum erhält der Titel des 1,1. Am 1. Januar 1886. B, erworben Pl.
neuen Blattes. In allen Fällen, in denen im Nr. 95 laut . .., 0,017 ha zu Pl.⸗Nr. 105
alten Blatt die Eintragung des Eigentümers früher laut . . ., die Reſtfläche der Pl.⸗Nr. 105 und
erfolgte, als die Eintragung der Laſt, (weil eben | alle übrigen Grundſtücke erworben laut...
der Eigentümer die Laſt erſt zu einer ſpäteren Dieſes Verſchieben des Datums beim erſten
Zeit beſtellt hat), hat daher auch auf dem neuen zu übernehmenden Eigentümer vereinfacht das neue
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
Blatt auch nach anderer Richtung. Angenommen,
im alten Blatte ſind unter 1890 eingetragen:
A und B, Verlobte; unter 1891: A und B 55
nunmehr verheiratet; unter 1892: A und B
haben allgemeine Gütergemeinſchaft vereinbart;
unter 1893: A und B wohnen nunmehr in 3
Müßte mit dem urſprünglichen Datum auf dem
neuen Blatte begonnen werden, fo wären 4 Ein:
träge nötig; ſo aber kann, wenn die Hypothek
aus dem Jahre 1895 ſtammt, unter dieſem
Datum übertragen werden: A und B, Eheleute
in Z., in allgemeiner Gütergemeinſchaft.
Es darf daher wohl geſagt werden: Ffinden
ſich auf dem alten Blatt zwiſchen dem Datum
des Eigentumseintrags und des Hypothekeintrags
eine ungewöhnlich große Menge von Zuſchrei⸗
bungen, ſo daß deren geſonderte Uebertragung die
Ueberſichtlichkeit und Klarheit des neuen Blattes
von vornherein in Frage ſtellen würde, ſo ſollte
es ausnahmsweiſe erlaubt ſein, Titel und Ab⸗
teilung 1 nicht mit dem urſprünglichen Datum,
ſondern mit dem Datum der Hypothek beginnen
zu laſſen, und die zeitlich vorhergehenden Ein⸗
1 auf dem neuen Blatte zuſammenzu⸗
aſſen.
Dieſen Vereinfachungen dürften ſachliche oder
formelle Bedenken nicht entgegenſtehen.
Dem unter Abſchnitt I am Anfang erwähnten
Motive der Uebertragungsvorſchriften, wonach das
neue Blatt die Entwicklung des Rechtes erſehen
laſſen ſoll, iſt Rechnung getragen; ob den Ein⸗
tragungen im Titel und in Abteilung I das Datum
des 1. Januar 1880 oder jenes des 1. Januars
1883 oder 1885 vorangeſtellt wird, iſt rechtlich
völlig belanglos.
Formelle Bedenken könnten vielleicht entſtehen,
wenn Einträge vereinigt werden, die auf dem
alten Blatte nach dem Jahre 1898 eingetragen
worden wären; von dieſem Jahre an mußten
alle Einträge mit der Unterſchrift des Richters
verſehen werden; werden nun mehrere ſolche Ein⸗
traͤge des alten Blattes auf dem neuen Blatte
in einen einzigen vereinigt, ſo iſt die Uebernahme
der Unterſchriften beſonders dann ausgeſchloſſen,
wenn dieſe von verſchiedenen Richtern ſtammen;
von deren Uebernahme kann aber abgeſehen werden,
da ja der übertragende Richter den Uebertragungs⸗
vermerk unterzeichnet und damit die Richtigkeit
der Uebertragung beſtätigt. Zudem iſt dies, aller:
dings nur für Uebertragungen im Titel, in 8 475
DA. ausdrücklich geſtattet.
Auch folgende Möglichkeit ſoll noch erwähnt
werden: der zu übernehmende Eigentümer iſt auf
dem alten Blatte vor 1898, alſo ohne Unterſchrift,
eingetragen; die älteſte Hypothek iſt nach 1898
entſtanden, z. B. 1902; erſcheint dann auf dem
neuen Blatte der Eigentümer in einem ſelbſtän⸗
digen Eintrag, und zwar unter dem Jahre 1902,
ſo liegt eine nicht mit Unterſchrift verſehene Ein—
tragung aus einem ſpäteren Jahre als 1898 vor;
219
das iſt jedoch unbedenklich, da ja aus dem Ueber⸗
tragungsvermerk und dem angegebenen Erwerbs⸗
titel erſehen werden kann, daß der Eintrag nicht
aus dem Jahre 1902 ſtammt, ſondern aus einer Zeit,
da eine Unterſchrift noch nicht vorgeſchrieben war.
Selbſtverſtaändlich iſt, daß eine ſolche Zuſam⸗
menziehung nur beim erſten zu übernehmenden
Eigentümer ſtattfinden könnte; die Rechtsnach⸗
folger ſind mit ihren urſprünglichen Daten zu
übertragen, und haben bei ihnen Zuſchreibungen
auf dem alten Blatte ſtattgefunden, ſo ſind auch
dieſe, ſowohl im Titel als in Abteilung I, einzeln
mit ihren urſprünglichen Daten zu übertragen.
IV.
Endlich ſei noch folgender Fall geprüft: iſt es
wirklich in allen Fällen erforderlich, daß auf
dem neuen Blatt die ſämtlichen Eigentümer mit:
übertragen werden, die im Laufe der Zeit das
Grundſtück ſeit Beſtehen der älteſten Hypothek
beſeſſen haben?
Anlaß zu dieſer Frage gibt folgende nicht
ſeltene Sachlage.
Auf einem im übrigen laſtenfreien Anweſen
find von altersher Kirchen: oder Stiftungsgelder
zu ganz geringem Betrage, z. B. zu 20 Gulden,
als Hypotheken eingetragen; der Eigentümer iſt
zur Löſchung nicht zu bewegen; er will ſein Anweſen
zu dem nicht drückenden Betrage der frommen
Stiftung verpfändet wiſſen.
Iſt dieſe Laſt vom Jahre 1825, und hat in
der Zwiſchenzeit zehnmal ein Eigentumswechſel
ſtattgefunden, jo find in Abteilung I des neuen
Blattes 10 Eigentümer in 10 getrennten Einträgen
einzutragen; ſind dabei unter der Herrſchaft ein⸗
zelner Eigentümer Grundftüde zugeſchrieben worden,
ſo vergrößert ſich die Zahl der Einträge.
Angenommen, in 80 Jahren iſt aus irgend⸗
einem Grunde eine neue Uebertragung des
Blattes erforderlich; die Laſt zu 20 Gulden
aus dem Jahre 1825 ruht aber nach wie vor
noch auf dem Anweſen; die Zahl der Nachfolger
im Eigentumsrechte iſt in der Zwiſchenzeit auf
das doppelte geſtiegen. Die Zahl der dann in
die Abteilung I des neuen Blattes zu überneh⸗
menden Einträge ſteigt ins Ungemeſſene und raubt
dem neuen Blatt Raum und Uoeberſichtlichkeit.
Von der Uebernahme der ſämtlichen Rechts⸗
vorgänger im Eigentum könnte in ſolchen beſon⸗
deren Fällen wohl Umgang genommen werden.
Das Grundbuch muß erſehen laſſen:
1. das Rechtsobjekt;
2. die einzelnen dinglichen oder verdinglichten
1 keineswegs aber rein perſönliche
echt
3. die Inhaber der Rechte.
Inhaber des Eigentumsrechtes iſt nur der gegen⸗
wärtige Eigentümer, nicht auch die früheren.
Die Einträge, die ſich auf dieſe beziehen, ſind
ſtreng genommen grundbuchrechtlich gegenſtandslos.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
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Denn mag auch ein früherer Eigentümer einem
Hypothekengläubiger nach $ 56 bayer. HypG.
oder nach 8 416 BGB. perſönlich haftbar bleiben,
ſo iſt das doch nicht ein dingliches, ſondern ein
rein perſönliches Rechtsverhältnis; zu deren Auf⸗
nahme iſt aber das Grundbuch nicht beſtimmt,
ganz abgeſehen davon, daß aus dem Grundbuch
nie erſehen werden kann, ob ein ſolches, wenn
auch nur perſönliches Verhältnis, zur Zeit der
Uebertragung überhaupt noch beſteht.
Man könnte deshalb in ſolchen Fällen, ins⸗
beſondere dann, wenn außer der einen alten Laſt
weitere Laſten nicht beſtehen, die Uebertragung
vielleicht nur des erſten und des gegenwärtigen,
oder auch nur des gegenwärtigen Eigentümers.
ausnahmsweiſe genügen laſſen.
Es geſtattet ja auch 8 358 DAnw., daß Ueber:
tragungen von Grundſtücken auf ein ſchon be⸗
ſtehendes Blatt unter dem Datum der Uebertragung
ſtattfinden dürfen; nach der allgemeinen Faſſung
dieſer Vorſchrift iſt dies auch dann ſtatthaft, wenn
auf dem Grundbeſitz Hypotheken laſten, die ſchon
unter Rechtsvorgängern begründet worden find,
ferner auch dann, wenn auf dem Blatt, das über⸗
tragen werden ſoll, andere Rechtsvorgänger ein⸗
getragen ſind, als auf dem Blatt, dem zugeſchrieben
wird; die auf dem erſteren Blatt eingetragenen
Rechtsvorgänger ſind dann auf dem anderen Blatt
ſelbſtverſtändlich wegzulaſſen.
Was aber bei Uebertragungen auf ein ſchon
beſtehendes Blatt ausdrücklich erlaubt iſt, könnte
auch bei Uebertragungen auf ein neues Blatt in
den erwähnten Ausnahmsfällen geſtattet werden.
Allerdings könnte die folgerichtige Durchführung
dieſes Gedankes zu dem ſehr einfachen Ergebniſſe
führen, alle Uebertragungen ohne Unterſchied in
Titel und Abteilung I ſtets mit dem Datum der
Uebertragung, dem neueſten Kataſterſtand und dem
gegenwärtigen Eigentümer beginnen zu laſſen;
ſelbſtverſtändlich kann aber ein ſolches radikales
Verfahren, da es in dieſer Allgemeinheit den Vor⸗
ſchriften der DAnw. geradezu widerſprechen würde,
nicht gutgeheißen werden.
12
Die zu Beginn der Abhandlung erwähnte
erſte Gruppe von Blättern kann kurz erledigt
werden.
Bei Gruppe la iſt dem Titel und der Ab:
teilung I des neuen Blattes das Datum der
Uebertragung voranzuſtellen; es iſt nur der neueſte
Kataſterſtand und der gegenwärtige Eigentümer
einzutragen.
Für die Blätter der Gruppe 1b finden die
in den vorigen Abſchnitten niedergelegten Grund—
ſätze entſprechende ſinngemäße Anwendung.
|
U
Nitteilungen aus der Praxis.
Iſt in den auf die Anzeige des Familienhauptes
errichteten Geburts- und Sterbeurkunden zur Bezeichnung
des Ortes der Geburt und des Todes im Sinne der
33 22 und 59 BSG. außer der Angabe des Ortsnamens
auch die genauere Bezeichnung der Oertlichkeit (Wohnung
uſw.) beizufügen? Nach den angeführten Geſetzesſtellen
haben die Geburts⸗ und Sterbeurkunden auch den
Ort der Geburt und des Todes zu enthalten. Das
Ob G. hat in einer Beſchwerdeſache durch Beſchluß
vom 31. Juli 1907 (Samml. von Entſch. des Obs G.
in Zivilſ. Bd. 8 S. 373) ausgeſprochen, daß in Sterbe⸗
urkunden, die auf Anzeige von Familienhäuptern von
einem Standesamt in einem Ort mit nicht 700 Seelen
errichtet worden waren, dem Namen des Ortes, wo
der Tod erfolgt war, die Worte: in der Wohnung
des Anzeigenden, beizufügen ſeien, und zwar entgegen
der Anſicht des Amtsgerichtes und des Landgerichtes
aus folgendem Grunde: es ergebe ſich aus einer Ver⸗
gleichung der der Bundesratsverordnung vom 22. Ja⸗
nuar 1875 (3 Bl. f. d. Deutſche Reich S. 86) beige⸗
fügten Muſter mit jenen, die der nunmehr geltenden
Bekanntmachung vom 25. Mai 1899 (RGBl. S. 225)
beigegeben und — wie näher ausgeführt iſt — bin⸗
dender Natur ſeien, daß ſeit dem 1. Januar 1900 in
die Sterbeurkunden außer der Angabe des Namens
der Stadt uſw. ferner aufgenommen werden müſſe
die genauere Bezeichnung der Oertlichkeit, wo der
Tod erfolgt ſei, in den vorliegenden Fällen alſo die
Angabe, daß der Tod in der Wohnung des Anzeigenden
eingetreten ſei (vgl. RGBl. 1899 S. 249, 250, 252).
Da es nicht ausgeſchloſſen iſt, daß auf dieſen
Beſchluß hin die oberen Aufſichtsbehörden entſprechende
Weiſungen, und wegen der Gleichheit des Grundes
auch für die Geburtsurkunden, an die Standesämter
erlaſſen haben oder noch erlaſſen werden, ſo dürfte
die Frage am Platz ſein, ob der Beſchluß einer näheren
Prüfung Stand hält.
Nun wird die bindende Natur der der Bekannt⸗
machung vom 25. Mai 1899 beigegebenen Muſter, die
vom Amtsgericht und vom Landgericht in Abrede ge⸗
ſtellt worden iſt, nicht beſtritten, allein aus den
Muſtern läßt ſich der Beſchluß nicht begründen, wie
mit folgendem nachgewieſen werden ſoll:
Nach 8 57 des Geſetzes iſt zur Anzeige der Sterbe⸗
fälle verpflichtet das Familienhaupt, und wenn ein
ſolches nicht vorhanden oder an der Anzeige behindert
iſt, derjenige, in deſſen Wohnung oder Behauſung der
Sterbefall ſich ereignet hat. Wenn nun eine Perſon,
die nicht Familienhaupt iſt, die Anzeige macht, ſo muß
ſich aus der Sterbeurkunde ergeben, daß in ihrer
Wohnung oder Behauſung der Tod erfolgt iſt. Denn
dadurch iſt ſie zur Anzeige legitimiert. Für dieſen
Fall dient das Muſter C2, (RGBl. 1899 S. 250)
eines der Muſter, auf das ſich der Beſchluß ſtützt.
Hier ſteht der Anzeigende zu dem Verſtorbenen nicht
im Verhältnis des Familienhauptes, aber in des An-
zeigenden Wohnung oder Behauſung hat ſich der
Sterbefall ereignet. Darum iſt auch dem Namen des
Ortes, wo der Tod erfolgt iſt, beigefügt: in dem Ge⸗
ſindehaus des Anzeigenden. Und damit dieſe Bei—
fügung nicht unrichtig aufgefaßt werde, iſt in einer
authentiſchen dem Muſter beigedruckten Note mit Bes
ziehung auf die Beifügung bemerkt: wird die Anzeige
nicht von dem Familienhaupte, ſondern von demjenigen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 199. N in Bayern. 1911. Nr. 10.
—
erſtattet, in deſſen Wohnung oder Behauſung ſich der
Sterbefall ereignet hat, ſo iſt das in der Eintragung
erſichtlich zu machen. Daraus ergibt ſich doch zweifel⸗
los: die Oertlichkeit, wo der Tod erfolgt iſt, iſt nur
zu dem Zweck im Muſter C2 genauer bezeichnet, um
die Legitimation des Anzeigenden nach 8 57 des Ge⸗
ſetzes darzutun. Wenn in dem Falle des Muſters C2
der Anzeigende aus eigener Wiſſenſchaft von dem
Todesfall unterrichtet geweſen wäre (88 58, 19 des
Geſetzes), ſo hätte die Beifügung: in dem Geſinde⸗
haus des Anzeigenden, auch wegbleiben können; es
hätte aber dann zur Legitimation des Anzeigenden
am Schluß der Sterbeurkunde bemerkt werden müſſen:
Der Anzeigende erklärte, daß er aus eigener Wiſſen⸗
ſchaft von dem Sterbefall unterrichtet ſei. Aus dem
8 57 des Geſetzes in Verbindung mit dem Muſter C2
und der angeführten Note folgt zugleich auch, daß,
wenn das Familienbaupt die Anzeige macht, es nicht
notwendig iſt, die Wohnung oder die Behauſung an⸗
zugeben, wo ſich der Sterbefall ereignet hat, daß alſo
hier die bloße Angabe des Namens des Orts genügt,
wo der Tod erfolgt iſt. Der Beſchluß kann ſich daher
nicht auf Muſter C2 ſtützen.
Zur Begründung der gegenteiligen Anſicht bezieht
ſich der Beſchluß auch auf das Muſter C1 (RGBl.
1899 S. 249). Hier zeigt das Familienhaupt den Tod
an, und doch iſt dem Namen des Orts, wo der Tod
erfolgt iſt, beigefügt: in der Wohnung des Anzeigenden.
Da zur Legitimation des Anzeigenden die Beifügung
nicht nötig iſt, weil ja die Legitimation durch die
Familienhauptseigenſchaft gegeben iſt, ſo ſcheint es,
als ob die Beifügung gemacht ſei zur genaueren Be⸗
zeichnung der Oertlichkeit. Allein in dem Muſter C1
iſt dem Wohnort des Anzeigenden nicht Straße und
Hausnummer beigefügt. Die Beifügung: in der Woh⸗
nung des Anzeigenden, hat daher keine Unterlage, ſie
läßt nicht die nähere Certlichkeit erkennen, wo der
Tod erfolgt iſt, weil die Wohnung des Anzeigenden,
der Oertlichkeit nach, ſelbſt nicht genauer bezeichnet
iſt. Die Beifügung iſt bedeutungs⸗ und wertlos,
trotz ihr gibt das Muſter nur kund, daß der Tod in
dem Wohnort des Anzeigenden erfolgt iſt, gerade ſo,
wie wenn ſie nicht erfolgt wäre. Das Muſter C1
läßt ſich daher für den Beſchluß auch nicht verwerten.
Man vergleiche in dieſem Punkte auch das Muſter C3
und die Muſter für Geburtsurkunden Al, A2, A3
(RGBl. 1899 S. 251, 235, 236, 237), wo immer der
Angabe: in ſeiner Wohnung uſw. beim Geburts⸗ und
Sterbeort die Angabe der Wohnung nach Straße und
Hausnummer beim Wohnort entſpricht.
Der Beſchluß zieht zu ſeiner Unterſtützung auch
noch das Muſter C4 (RGBl. 1899 S. 252) heran,
wo dem Sterbeort Berlin beigefügt iſt: im Tiergarten.
Zunächſt ſei dazu bemerkt: wenn größere Orte in
mehrere Standes amtsbezirke eingeteilt find, jo ergibt
ſich die Einteilung in natürlicher Weiſe nach den Straßen
und Hausnummern, den freien Plätzen, Anlagen uſw.
Da die Zuſtändigkeit der Standesbeamten ausſchließ⸗
lich iſt, ſo iſt notwendig, daß jeder auch vom Familien⸗
haupte gemachten Anzeige die Straße mit Haus⸗
nummer uſw. zu entnehmen iſt, wo ſich der Sterbe⸗
fall ereignet hat. Sonach ſind im Muſter C4 die
Worte: im Tiergarten, nur beigefügt, damit dadurch
die Zuſtändigkeit eines beſtimmten Berliner Standes⸗
amts feſtgeſtellt wird. Den von dem Beſchluß vor⸗
ausgeſetzten Sinn könnte die Beifügung bei der be—
kannten Größe des Berliner Tiergartens auch nicht
221
gut haben. Alſo auch das Muſter C4 läßt ſich für
den Beſchluß nicht verwerten.
Der Beſchluß führt auch noch die Vergleichung
der älteren Muſter mit den jetzt geltenden ins Feld.
Und in der Tat, die alten Muſter C1 und C2 geben
auf Anzeige des Familienhauptes, deſſen Wohnung
nach Straße und Hausnummer angegeben iſt, den
Sterbeort nur mit Berlin an, ohne beizufügen: in
der Wohnung des Anzeigenden. Nun iſt ja anzu⸗
nehmen, daß der Verſtorbene in der Wohnung des
anzeigenden Familienhauptes verſtorben iſt, allein
immerhin iſt die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß
er in einem anderen Standesamtsbezirk, als in dem,
zu dem die Wohnung des Anzeigenden gehört, ver⸗
ſtorben iſt. Der Annahme dieſer Möglichkeit war
durch die Faſſung der alten Muſter C1 und C2 nicht
vorgebeugt, und die Zuſtändigkeit des Standesamts
ergab ſich nicht mit unbedingter Sicherheit. Deshalb
ſind ſolche Muſter unter die neuen Muſter nicht auf⸗
genommen. Aber für die Auffaſſung des Beſchluſſes
ſpricht dies keineswegs, und ſonſtige zur Sache ein⸗
ſchlägige Unterſchiede zwiſchen den alten und neuen
Muſtern ſind nicht vorhanden.
Der Kommentar von Sartorius äußert ſich zu
der Frage, was unter Ort der Geburt und des er⸗
folgten Todes zu verſtehen ſei, dahin, daß als Ort
ſtets die Ortſchaſt, in der die Geburt oder der Tod
ſtattgefunden, anzugeben ſei, in größeren Ortſchaften
auch die Wohnung nach Straße und Hausnummer.
Sartorius teilt alfo nicht die Anſicht des ObL G., daß
immer, alſo auch auf die Anzeige des Familienhauptes,
dem Ort, mag er klein oder groß fein, 100 Einwohner
oder 100 000 zählen, Straße und Hausnummer bei⸗
zufügen ſei. Es kann allerdings auch der Meinung
von Sartorius nicht beigepflichtet werden, daß über⸗
haupt in größeren Ortſchaften die Wohnung nach
Straße und Hausnummer zu bezeichnen ſei. Denn
wo in den Muſtern Straße und Hausnummer an⸗
gegeben iſt, iſt Berlin, Breslau oder Leipzig der Ort
der Geburt oder des Sterbefalls, alſo Städte, die in
mehrere Standesamtsbezirke eingeteilt ſind; wo es
nicht der Fall iſt, handelt es ſich um Obernik und
Koſtenblut, Orte, die je nur ein Standesamt haben.
Etwa aber wegen der Identität der Geborenen oder
Verſtorbenen Straße und Hausnummer beizufügen,
iſt nicht nötig, da die Identität durchweg durch die
Angabe von Vater und Mutter und gegebenenfalls
durch die des Ehegatten, ſowie durch ſonſtige in die
Urkunde aufzunehmenden Angaben feſtgeſtellt wird,
und wenn Vater und Mutter oder Ehegatte nicht
bekannt find, fo treffen 88 24. 58 Abſ. 2 des Geſetzes
genügende Vorſorge, um die Identität feſtzuſtellen.
Die Anſicht, die hier näher begründet iſt, iſt
auch ſchon von dem 1876 erſchienenen Kommentar von
. vertreten worden, auf den verwieſen werden
ann.
Ein Punkt ſoll noch erörtert werden: Beſteht
wegen der bindenden Natur der Muſter ein Zwang,
die Sterbeurkunden, die auf die Anzeige des Familien⸗
hauptes in einem Ort mit nur einem Standesamt
errichtet werden, nach dem Muſter C 1 zu errichten?
Zur Beantwortung der Frage iſt auf das Muſter C 4,
und auf das Muſter A 2 zurückzugreifen. Im Muſter
C4 iſt dem Wohnort des Verſtorbenen, Berlin, mit
Recht Straße und Hausnummer nicht beigefügt, weil
es überflüſſig iſt, da der Tod zu Berlin im Tier:
garten erfolgt iſt. Im Muſter A 2 iſt dem Wohnort
222
der Kindsmutter, Berlin, aber Straße und Haus⸗
nummer beigefügt, trotzdem dies gerade ſo überflüſſig
iſt, weil die Geburt in der Wohnung der anzeigenden
Hebamme in einer anderen Straße erfolgt iſt. Die
Muſter C4 und A2 können nicht beide als Muſter
hinſichtlich der Frage dienen, ob dem Ort der Geburt
oder des erfolgten Todes eine Beifügung zu machen
ſei, denn ſie widerſprechen ſich, es bleibt alſo nichts
anderes übrig, als von dem nicht einwandfreien Muſter
A2 abzuſehen. Es wird dann aber auch erlaubt ſein,
die für das ebenfalls nicht einwandfreie Muſter C 1
geſtellte Frage zu verneinen.
Um zum Schluß kurz zu wiederholen: Das Ob“ G.
iſt der Anſicht, daß in allen Fällen, auch wenn das
Familienhaupt in einem Ort mit nur einem Standes⸗
amt anzeigt, dem Ort des erfolgten Todes die genauere
Bezeichnung der Oertlichkeit beizufügen ſei. In dem
Muſter C 1 zeigt zwar das Familienhaupt in einem
Ort mit nur einem Standesamt an, allein die Bei⸗
fügung enthält nur zum Schein eine genauere Be⸗
zeichnung der Oertlichkeit. Im Muſter C2 erfolgt
die Anzeige nicht durch das Familienhaupt, und die
genauere Bezeichnung der Oertlichkeit iſt nur deswegen
beigefügt, um die Legitimation des Anzeigenden dar⸗
zutun. Im Muſter C 3 erfolgt die Anzeige auch nicht
durch das Familienhaupt und die genauere Bezeich⸗
nung der Oertlichkeit iſt nur deswegen beigefügt, um
die Zuſtändigkeit des Standesamts darzutun. Endlich
die Vergleichung der alten Muſter mit den neuen
ergibt nur, daß ein Teil der erſten dem Zweck, die
Zuſtändigkeit des Standesamts feſtzuſtellen, nicht mit
genügender Sicherheit entſprach und darum nicht zu
den neuen Muſtern aufgenommen wurde. Der Bes
ſchluß kann alſo durch die Muſter nicht begründet
werden, und ſo iſt die am Eingang geſtellte Frage dahin
zu beantworten: in den auf Anzeige des Familien⸗
hauptes in einem Ort mit nur einem Standesamt
errichteten Sterbeurkunden iſt dem Namen des Ortes,
wo der Tod erfolgt iſt, eine genauere Bezeichnung
der Oertlichkeit nicht beizufügen und das Gleiche gilt
auch für die Geburtsurkunden.
Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuſtadt a. d. H.
Zur Auslegung des $ 46 Abſ. 2 GF. Nach 8 46
Abſ. 1 GF G. kann das Vormundſchaftsgericht die Vor:
mundſchaft aus wichtigen Gründen an ein anderes
Vormundſchaftsgericht abgeben, wenn ſich dieſes zur
Uebernahme bereit erklärt und auch der Vormund,
falls ein ſolcher ſchon beſtellt iſt, ſeine Zuſtimmung
erteilt. Abſ. 2 des 8 46 beſtimmt: „Einigen ſich die
Gerichte nicht oder verweigert der Vormund ſeine Zu⸗
ſtimmung, fo entſcheidet das gemeinſchaſtliche obere
Gericht“. Nach der ſtändigen Rechtſprechung des
bayer. Oberſten LG. kann eine Entſcheidung des
oberen Gerichts nach 8 46 Abſ. 2 nur ergehen, wenn
entweder ſich die Gerichte über die Uebernahme nicht
einigen und der Vormund der Uebernahme zuſtimmt,
oder zwar die Gerichte über die Abgabe einig ſind,
aber der Vormund ſeine Zuſtimmung zur Abgabe
verweigert. Ausgeſchloſſen iſt dagegen nach der An—
ſicht des Oberſten LG. die Entſcheidung des oberen
Gerichts, wenn es ſowohl an der Einigung der Ge—
richte als auch an der Zuſtimmung des Vormunds fehlt
(Bayᷣbèe GZ. Bd. 2 S. 223, 245, 314, 728, Bd. 3
S. 13, 699). Es fragt ſich, ob dieſe Auslegung richtig
|
Ä
|
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
iſt. Daß ſie den Bedürfniſſen der Praxis nicht voll⸗
auf entſpricht, gibt das Oberſte LG. ſelbſt zu. In
der Entſcheidung Bd. 2 S. 728 führt es aus: „Es
mag dahingeſtellt bleiben, ob bei dieſem Rechtszuſtand
der Zweck der geſetzlichen Beſtimmung völlig erreicht
werden kann“. Gleichwohl hält es an ſeiner An⸗
ſchauung feſt, die es folgendermaßen begründet: „Der
Geſetzgeber geht jedenfalls von der Vorausſetzung
aus, daß das um die Uebernahme erſuchte Gericht
die für die Abgabe ſprechenden ‚wichtigen Gründe
auch dann anerkennen werde, wenn etwa der Vormund
ohne Grund oder aus nicht zutreffenden Gründen ſeine
Zuſtimmung zur Abgabe verweigern wollte“. „Einigen
ſich die Gerichte, ſo liegt die Annahme nahe, daß der
Widerſpruch des Vormunds völlig ungerechtfertigt iſt,
und hier gewährt das Geſetz die Möglichkeit der Ab⸗
hilfe, indem es die Angehung des gemeinſchaftlichen
oberen Gerichts zuläßt. Wenn aber die Gerichte ſich
nicht einigen und demnach ein Gericht der Meinung
des Vormunds beitritt, wird kein dringendes Be⸗
dürfnis für die Abgabe der Vormundſchaft anzuerkennen
ſein, da vorausgeſetzt werden muß, daß das Gericht,
welches das Vorhandenſein wichtiger Gründe verneint,
alle Umſtände gewiſſenhaft erwogen hat“ (Bd. 2
S. 728, Bd. 3 S. 699). Dieſe Begründung klingt
gewunden und iſt auch nicht ſtichhaltig. Es iſt nicht
einzuſehen, warum gerade bei Weigerung des Vor⸗
munds das der Abgabe der Vormundſchaft wider⸗
ſprechende Gericht im Rechte ſein ſoll, und warum
gerade bei Weigerung des Vormunds anzunehmen iſt,
das das Vorhandenſein wichtiger Gründe verneinende
Gericht habe alle Umſtände gewiſſenhaft erwogen.
Man muß doch vielmehr davon ausgehen, daß jedes
Gericht ſeine Schuldigkeit tut, daß alſo bei Weigerung
des Vormunds auch das der Abgabe zuſtimmende
Gericht alle für und gegen die Abgabe ſprechenden
Geſichtspunkte gewiſſenhaft geprüft hat. Eben des⸗
halb, weil dies der Fall iſt und daher nicht feſtſteht,
für welches Gericht die beſſeren Gründe ſprechen,
hat das obere Gericht zu entſcheiden. 8 46 Abſ. 2
beſagt ſomit: Nur bei Einigung der Gerichte und
bei Zuſtimmung des Vormunds kann eine Vormund⸗
ſchaft ohne weiteres an ein anderes Gericht abgegeben
werden. Fehlt es an einer dieſer Vorausſetzungen,
ſo kommt die Entſcheidung dem oberen Gerichte zu,
fehlt es an beiden, ſo muß um ſo mehr das obere Ge⸗
richt angerufen werden. Der Wortlaut des 8 46
Abſ. 2 ſteht dieſer Auslegung keineswegs entgegen.
Es liegt durchaus kein Anhaltspunkt dafür vor, daß
das Wort „oder“ im Sinne des lateiniſchen aut, aut
(entweder oder, ein drittes gibt es nicht) gebraucht ſei
und nicht vielmehr im Sinne von vel, vel. Letzteres
iſt doch die Regel, falls kein begrifflicher Gegenſatz
vorhanden iſt. Wenn wir in $ 2005 BGB. leſen:
„Führt der Erbe abſichtlich eine erhebliche Un=
vollſtändigkeit der im Inventar enthaltenen An⸗
gabe der Nachlußgegenſtände herbei oder bewirkt
er in der Abſicht, die Nachlaßgläubiger zu be⸗
nachteiligen, die Aufnahme einer nicht beſtehenden
Nachlaßverbindlichkeit, jo haftet er für die Nach—
laßverbindlichkeiten unbeſchränkt“
wird wohl niemand behaupten, der Erbe hafte nur
dann unbeſchränkt, wenn er entweder ein unvoll⸗
ſtändiges Inventar errichte oder in Benachteiligungs—
abſicht eine fingierte Verbindlichkeit in das Inventar
aufnehme, dagegen hafte er nicht unbeſchränkt, wenn er
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16. 222 in Bayern. 1911. Nr. 10. 223
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ein unvollſtändiges Inventar errichte und eine nicht
beſtehende Nachlaßverbindlichkeit aufnehme. Warum
ſoll es in 8 46 Abſ. 2 GF G. anders fein? Zur Her⸗
beiführung der Entſcheidung des oberen Gerichts ge⸗
nügt einer der angeführten Tatbeſtände, ſind ſie beide
vorhanden, muß das obere Gericht um ſo mehr tätig
werden. Es wäre zu begrüßen, wenn das Oberſte LG.
ſeine Auffaſſung aufgeben und den 8 46 Abſ. 2 ſinn⸗
gemäß auslegen würde. Zurzeit iſt die Praxis ge⸗
zwungen, ſich auf Umwegen zu helfen. So iſt dem
Verfaſſer folgender Fall bekannt: Ein Vormund⸗
ſchaftsgericht erſuchte ein anderes um Uebernahme
der Vormundſchaft. Dieſes lehnte ab. Auch der Vor⸗
mund verweigerte ohne vernünftigen Grund ſeine Zu⸗
ſtimmung, obwohl er am Sitze des erſuchten Gerichts
wohnte und die Abgabe im Intereſſe des Mündels
und des Vormunds lag. Im Hinblick auf die Recht⸗
ſprechung des Ober ſten LG. hätte die Anrufung des
höheren Gerichts zu keinem Erfolge geführt. Das 85
ſuchende Gericht half ſich daher auf andere Weiſe.
erblickte in der Weigerung des Vormunds ein das 117
des Mündels gefährdendes Verhalten und entließ den
Vormund gemäß 8 1886 BGB. Es wurde ein neuer
Vormund ernannt, der der Abgabe zuſtimmte. Jetzt
hätte eine Entſcheidung des oberen Gerichts herbei⸗
geführt werden können, die indes überflüſſig wurde,
weil inzwiſchen das erſuchte Gericht ſich zur Ueber⸗
nahme der Vormundſchaft bereit erklärte.
Rechtspraktikant Frank in Hersbruck.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
J.
ft der Rechtsſtreit in der Rechtsmittelinſtanz an:
een ‚ o kann uur der für dieſe Inſtanz beſtellte
roze bevollmächtigte die Klage zurücknehmen. Aus
den Gründen: Der Annahme des Reviſionsklägers,
daß die Klage wirkſam zurückgenommen worden ſei,
konnte nicht beigetreten werden. Allerdings kann die
klagende Partei auch noch in der Rechtsmittelinſtanz
mit Einwilligung des Gegners die Klage zurüd:
nehmen und dies hat zur Folge, daß alsdann der
Rechtsſtreit als nicht anhängig geworden anzuſehen
iſt (8 271 Abſ. 3 ZPO.). Im Anwaltsprozeſſe unter-
liegt jedoch die Zurücknahme dem Anwaltszwange.
Wird ſie nicht in der mündlichen Verhandlung erklärt,
ſo erfolgt ſie nach 8 271 Abſ. 2 durch Zuſtellung eines
Schriftſatzes. Man könnte geneigt ſein anzunehmen,
daß, weil die Erhebung der Klage ($ 253 Abſ. 1) eine
der erſten Inſtanz angehörige Prozeßhandlung iſt, der
Prozeßbevollmächtigte dieſer Inſtanz auch nach deren
Beendigung zur Zurücknahme der Klage ermächtigt
ſei (8 81 ZPO.) Allein das Erfordernis = anwalt⸗
lichen Vertretung beſteht nach 8 78 Abſ. 1 ZPO. ge⸗
rade darin, daß der zu beſtellende Vertreter als Rechts—
anwalt bei dem Prozeßgerichte zugelaſſen iſt.
Prozeßgericht iſt, ſolange der Rechtsſtreit in der Rechts⸗
mittelinſtanz anhängig iſt, das Rechtsmittelgericht.
Der Anforderung des Geſetzes wird daher nicht genügt,
wenn über den Kopf des für dieſe Inſtanz beſtellten
Prozeßbevollmächtigten hinweg der Prozeßbevoll—
mächtigte erſter Inſtanz die Klage zurücknimmt und
damit eine Prozeßhandlung vollführt, deren Wirkſam⸗
keit ſich über alle Inſtanzen erſtreckt. Die Voraus⸗
ſetzungen, unter denen dies nach §§ 78 Abſ. 2, 79 zus
läſſig ſein würde, liegen nicht vor. Im gegebenen
Falle war, als die Zurücknahme der Klage erklärt
wurde, der Rechtsſtreit in der erſten Inſtanz nicht
mehr anhängig. Die Erklärung entbehrte daher der
geſetzlich vorgeſchriebenen Form. Da die Klägerin
dieſen Mangel in der mündlichen Verhandlung geltend
gemacht hat, ſo bedurfte es keiner Erörterung, ob
etwa beim Ausbleiben dieſer Rüge die Zurücknahme
der Klage nach § 295 Abſ. 1 ZPO. wirkſam geworden
und die auf Eheſcheidung lautenden Urteile der Vor⸗
inſtanzen kraft Geſetzes hinfällig geworden wären
(8 278 Abſ. 3). (Urt. des IV. 35. vom 5. November
1910, IV 598/09). — —- —ı.
2233
II.
Aus ſchluß der Haftung der Tierhalters gegenüber
dem Hufſchmied? Der Kläger hatte ſich ſchriftlich ver⸗
pflichtet die auf dem Pachtgute des Beklagten erfor⸗
derlichen Schmiedearbeiten auszuführen. Er hatte ins⸗
beſondere gegen eine jährliche Vergütung von 240 M
das Beſchlagen und Schärfen ſämtlicher Gutspferde
und das Auswirken der Hufe aller Füllen übernommen.
Am 14. April 1906 war der Kläger zum Auswirken
auf dem Gutshofe des Beklagten erſchienen. Vier
Füllen befanden ſich in einer Bucht des Pferdeſtalls.
Wie in en Fällen wurden dem Kläger drei
Arbeiter des Beklagten zur Verfügung geſtellt. Dieſe
hatten nacheinander ein Füllen zu ergreifen und dem
Kläger zuzuführen. Als das letzte der zuſammen⸗
getriebenen Füllen von den Arbeitern ergriffen werden
ſollte, wurde der in einer Ecke der Bucht mit ſeinem
Handwerkszeug ſtehende Kläger durch einen Hufſchlag
eines zu einer plötzlichen jähen Bewegung übergehenden
Füllens im Geſicht verletzt. Wegen der Folgen des
Unfalls nahm der Kläger den Beklagten als Tier⸗
halter in Anſpruch. Das Oberlandesgericht wies die
Klage ab. Die Reviſion hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Das OLG. hat ausgeführt:
Es handle ſich um einen nach 8 833 BGB. fallenden
Tierſchaden, bei deſſen Entſtehung ein Verſchulden des
beſchädigten Klägers nicht mitgewirkt habe. Dem
Klaganſpruche ſei aber der Erfolg zu verſagen, weil
der Kläger durch das Vertragsverhältnis gegenüber
dem Tierhalter die mit ſeiner Tätigkeit verbundene
Gefahr übernommen habe. Eine ausdrückliche Be—
ſtimmung ſei allerdings in dem ſchriftlichen Vertrage
nicht enthalten. Auch könne eine in der Gegend
herrſchende, auf die Gefahrübernahme bei ſolchen Ver⸗
trägen hinweiſende Verkehrsſitte nicht angenommen
werden. Bei Prüfung des Vertrages ſei zunächſt die
Stellung des Hufſchmieds zu unterſuchen. Bei den
Perſonen, die eine beſtimmte Hantierung mit einem
Tiere übernähmen, ſei ein Unterſchied zu machen
zwiſchen dem Trainer und Stallmeiſter, die, wie vom
Reichsgericht anerkannt ſei (RG. ZS. Bd. 58 S. 410,
Jur W. 1905 S. 143), regelmäßig die Gefahr auf
ſich nähmen und den dem Tierhalter gegenüber durch—
aus unſelbſtändigen Perſonen (Knecht, Kutſcher, Vieh-
treiber). Zwiſchen beiden Klaſſen ſtehe der Hufſchmied
und zwar ſo, daß ſeine Stellung ſich der Rechtslage
der erſten Klaſſe ungemein nähere. Von Bedeutung
ſei ferner, daß es ſich hier nicht um die Ausführung
einer einzelnen Arbeit gehandelt, daß vielmehr der
Kläger regelmäßig wiederkehrende Hufſchmiedearbeiten
an einer größeren Anzahl von Pferden gegen eine
feſte jährliche Vergütung übernommen habe. Dem
Kläger ſeien zwar ſtets mehrere Arbeiter des Beklagten
zur Hilfeleiſtung zur Verfügung geſtellt worden; der
Beklagte ſei in früheren Fällen vorübergehend bei der
Arbeit zugegen geweſen und habe einzelne Anordnungen
gegeben. Das ändere aber nichts daran, daß im übrigen
224
der Kläger als Hufſchmied die Hufſchmiedearbeiten ſelb⸗
ſtändig zu beſorgen gehabt habe. Daraus ſei zu
folgern, daß der Kläger ſich verpflichtet habe, die
Gefahren mit zu übernehmen und daß die Vergütung
die Gegenleiſtung für die Arbeit und die übernommene
Gefahr geweſen ſei.
Dieſen Ausführungen gegenüber rügt die Reviſion
mit Recht Verletzung des 8 157 BGB. Soweit das
ORG. angenommen hat, daß die Stellung des Klägers
ſich der in den angeführten Urteilen des Reichsgerichts
erörterten Stellung des Trainers und Stallmeiſters
ungemein nähere, wird die Bedeutung der Erwägungen
verkannt, die in beiden Fällen zur Annahme des Aus⸗
ſchluſſes der Tierhalterhaftung geführt haben. Es
handelte ſich dort um einen durch wiederholtes Ein⸗
fahren und Zureiten zu erreichenden Abrichtungszweck.
Es iſt insbeſondere darauf hingewieſen worden, daß
der Trainer dem abzurichtenden Pferde gegenüber eine
durchaus ſelbſtändige Stellung erlangt habe, denn er
habe das in Wartung und Pflege übernommene, dem
Einfluß des Tierhalters entzogene Pferd in ſeine un⸗
bedingte und ausſchließliche Gewalt und Herrſchaft
bekommen. Von einem ähnlichen tatſächlichen oder
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
rechtlichen Verhältniſſe des Hufſchmieds zu dem ſchä⸗
hat der Beklagte trotz gerichtlichen Befragens nicht
digenden Tiere konnte hier keine Rede ſein. Die
Füllen befanden ſich bei dem Unfall in dem Stalle
und Machtbereiche des Beklagten, der tatſächlich in
früheren Fällen des Auswirkens einzelne Anordnungen
gegeben hat. Dazu kommt, daß der Beklagte drei
— Arbeiter mit der Aufgabe betraut hatte, die in
er Bucht des Stalles befindlichen Füllen zu ergreifen
und dem Kläger zum Zwecke des Auswirkens der
Hufe zuzuführen. Gerade bei einem Verſuche der Ar⸗
beiter des Beklagten ein Füllen zu ergreifen, hat ſich
der Unfall zugetragen. (Urt. des IV. 3S. vom
17. November 1910, IV 197/10). — — —ın.
2169
III.
Unter welchen Boransfegungen kann angenommen
werden, daß ein Haustier der Erwerstätigkeit des Tier⸗
alters zu dienen beſtimmt fei? Aus den Gründen:
s kann nicht anerkannt werden, daß der Berufungs-
richter von unrichtigen Rechtsanſchauungen ausgegangen
ſei. Unbeſtritten iſt, daß der Unfall auf einer von
dem Beklagten mit ſeiner Frau, ſeiner Nichte und der
Klägerin unternommenen Spazierfahrt vorgekommen
iſt. Dafür, daß die bei dieſer Ausfahrt benutzten
Pferde ſeiner Erwerbstätigkeit zu dienen beſtimmt
ſeien, hat der Beklagte nur folgendes angeführt. Seit
1902 habe er wegen der Kränklichkeit ſeiner Frau die
Verwaltung ſeiner Gaſtwirtſchaft einem Büffetkellner
übertragen, der von den verkauften Speiſen und Ges
tränken beſtimmte Prozente erhalte. Er ſelbſt beſchäf—
tige ſich ſeitdem mit der Vermittelung des Ankaufs
und Verkaufs von Immobilien. Zu dieſer Erwerbs—
tätigkeit habe er fein Geſpann angeſchafft und beſtimmt,
er benutze es für alle Reiſen in der Umgegend, die er
zum Zweck der Beſichtigung von Grundſtücken und der
Vermittelung ihres Umſatzes machen müſſe. Auf Be—
fragen, ob er über die von ihm behauptete Beſtimmung
der Pferde für das Immo biliengeſchäft, insbeſondere
über den Umfang dieſes Geſchäfts und die Zahl der
Geſchäftsfuhren nähere Angaben machen könne, hat er
nur noch erklärt, daß er die Pferde jährlich 20 bis
30 mal für ſein Immobiliengeſchäft verwendet habe.
Wenn bei dieſer Sachlage der Berufungsrichter die
Vorausſetzungen des § 833 Satz 2 BGB. nicht für
nachgewieſen erachtet, ſo kann ihm der Vorwurf des
Rechtsirrtums nicht gemacht werden. Damit ein Haus—
tier für die Erwerbstätigkeit des Tierhalters beſtimmt
ſei, iſt es zwar, wie in der Begründung zu dem Ent—
wurfe des Geſetzes vom 30. Mai 1908 (Druckſachen des
Reichstags 11. Legislatur-Periode II. Seſſion 1905,06
== —— Do ee ——— —
—
Nr. 255 S. 5) beſonders hervorgehoben iſt, nicht er—
— — — m — = — ——— m — —
forderlich, daß das Tier ausſchließlich dieſem Zwecke
dient. Anderſeits genügt es nicht, wenn das Tier
nur ganz nebenbei in dem Erwerbsgeſchäfte Verwen⸗
dung findet. Die Beſtimmung in $ 833 Satz 2 will
damit, daß ſie die Haustiere, die dem Berufe der
Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters
zu dienen beſtimmt ſind, zu einer beſonderen Kategorie
zuſammenfaßt, den Gegenſatz zu den Luxustieren be⸗
zeichnen, wie dies bei den Beratungen des Reichstags
vielfach zutage getreten iſt (vgl. Reichstagsſitzung vom
14. Januar 1905 S. 3778, Reichstagsſitzung vom
11. Januar 1908 S. 2354, Kommiſſionsbericht vom
21. März 1905 S. 8, vgl. auch Joſef in Gruchots Beitr.
Bd. 53 S. 29, Roſcher, Haftung für Tierſchäden S. 35).
Die Milderung der Haftung ſoll den Beſitzern zugute
kommen, die in ihrer Wirtſchaft oder ihrem Berufe
darauf angewieſen ſind, Haustiere zu halten, während
auf Luxustiere ſich dieſe Vergünſtigung keinesfalls
erſtrecken ſoll. Beklagter behauptet nun, daß er die
Pferde für ſein Immobiliengeſchäft halte, das in der
Vermittelung des Umſatzes von Grundſtücken beſtehe.
Wie es ſich mit dieſem Geſchäfte näher verhält, welchen
Umfang das Geſchäft hat, ob und wieviel Vermittlungs⸗
aufträge ihm zugehen, wieviel er hieraus verdient,
aufgeklärt. Die geringe Zahl der Fälle, in denen
der Beklagte nach ſeiner Angabe die Pferde für ſein
Immobiliengeſchäft, zur e von Grund⸗
ſtücken uſw. verwendet — auf den Monat kommen
nur etwa zwei Fälle — ſpricht nicht für die Behaup⸗
tung des Beklagten, ſondern rechtfertigt eher die An⸗
nahme, daß der Beklagte nur gelegentlich, mit oder
ohne Auftrag, mit der Vermittelung des Verkaufes
von Grundſtücken zu tun hat und daß er ebenſo die
Pferde nur gelegentlich zu Grundſtücksbeſichtigungen
und dergleichen benutzt. Dieſe Benutzung würde hinter
der Verwendung der Pferde für Vergnügungszwecke
derart zurücktreten, daß der 8 833 Satz 2 keine An⸗
wendung finden kann. Jedenfalls iſt das Gegenteil
von dem beweispflichtigen Beklagten nicht dargelegt.
Tatſachen dafür, daß das Immobiliengeſchäft und die
Verwendung der Pferde für dieſes Geſchäft von irgend
erheblicher Bedeutung war, ſind von dem Beklagten
nicht unter Beweis geſtellt. (Urt. des IV. ZS. vom
27. Oktober 1910, IV 607/07). — - n.
IV
Ein Sturz auf dem Bahnſteig infolge von Blatt:
eis iſt in der Regel kein Betriebsunfall, dagegen haftet
der Unternehmer auf Grund des Befördernungsvertrags.
Aus den Gründen: Nicht beizutreten war dem OLG.
in der Annahme, daß $ 1 des Haftpil®. Anwendung
finde. Unfälle auf dem Bahnſteige vor dem Einſteigen
in den Eiſenbahnhnzug oder nach dem Ausſteigen aus
dem Wagen ſind an ſich nicht Betriebsunfälle der
Eiſenbahn; erſt mit dem Einſteigen in den Wagen
beginnt und mit dem Verlaſſen des Wagens endigt
für den Reiſenden die Verbindung mit dem Eiſenbahn—
betriebe. Nur die Eile oder das Gedränge, die aber
vorwiegend nur bei einem notwendigen Umſteigen aus
einem Zug in den andern oder bei ſehr kurzem Auf—
enthalt eines Zuges auf einer Zwiſchenſtation in Bes
tracht kommen und die im Einzelfalle der beſonderen
Feſtſtellung bedürfen, ſtellen den ſonſt fehlenden ur—
ſächlichen Zuſammenhang mit dem Eiſenbahnbetriebe
und ſeinen Gefahren für Unfälle her, die ſich auf den
Bahnſteigen ereignen. Der Satz des Berufungsurteils,
daß der gefahrvolle Zugang zu den Eiſenbahnwagen
zu den Gefahren des Eiſenbahnbetriebes gehört und
die Anwendung des 8 1 des HaſtpflG. begründe, iſt
in dieſer Allgemeinheit unrichtig. Wenn jemand bei
Winterglätte auf dem Bahnſteige fällt, fo iſt das kein
anderer Vorgang, als wenn er infolge von Glätte auf
der Straße ſtürzt; es handelt ſich um eine allgemeine,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
durch die Wetterverhältniffe des Winters bedingte Ver⸗
kehrsgefahr, nicht um eine vom Eiſenbahnbetriebe her⸗
kommende Gefahr. Der Fall unterſcheidet ſich für die
Anwendung des 81 des Haftpfl®. nicht von demjenigen
der Entſcheidung des Reichsgerichts Bd. 53 S. 276 der
Sammlung, wo der Verletzte 15 dem Vorplatze des
Bahnhofes infolge von Glätte gefallen war; beſondere
Umſtände, die eine urſächliche Beziehung zu dem Eiſen⸗
bahnbetriebe herſtellen könnten — nach dem Ausgeführten
Eile oder Gedränge —, ſind nicht feſtgeſtellt, auch gar
nicht behauptet. Zwar iſt im Tatbeſtand des Berufungs⸗
urteils von dem lebhaften Verkehr des zweiten Weih⸗
nachtsfeiertages auf dem Bahnhofe die Rede, auf den
der Kläger hingewieſen hat, um die Notwendigkeit
eines öfteren Beſtreuens des Bahnſteiges darzutun; es
iſt aber für den Weg des Klägers zum Zuge ſchon in
erſter Inſtanz als Ergebnis der Beweisaufnahme feſt⸗
geſtellt worden, daß der Kläger in aller Ruhe und
nicht ſchnell gegangen iſt, ſich auch nicht in einem Ge⸗
dränge befunden hat oder von anderen Bahnſteig⸗
paſſanten geſtoßen worden iſt, und ebenſo iſt am Schluſſe
des Berufungsurteils feſtgeſtellt, daß der Kläger ruhig
nach dem Zuge hin ſich bewegt hat. Unter dieſen
Umſtänden kann von einem Betriebsunfall im Sinne
des 8 1 des Haftpfl®. nicht gefprochen werden.
Der Vertragsgeſichtspunkt iſt dagegen vom Be-
rufungsgericht zutreffend zur Grundlage der Entſcheidung
gemacht worden. Der Kläger hatte mit dem Beklagten
durch al der Fahrkarte einen Beförderungsvertrag
geſchloſſen, der den Beklagten auch zur Gewährung
eines verkehrsſicheren Zuganges zu dem Eiſenbahnzug
verpflichtete. Der Vertrag hat weiter die rechtliche
Folge, daß der Beklagte für ſeine Angeſtellten, deren
er ſich als ſeiner Hilfsperſonen bei der Erfüllung des
Vertrages bediente, nach 8 278 BGB. einzuſtehen hat,
und daß ihn die Beweislaſt trifft, daß er der durch
den Vertrag übernommenen Sorgfaltspflicht genügt
habe (vgl. . 1905 S. 185 Nr. 36). (Urt. des VI.
3S. vom 30. Januar 1910, VI 456/10).
2185
— — .
B. Strafſachen.
Befugnis der Polizeibeamten zum Waffengebrauche
und zum Notwehr⸗Augriff auf eine Menſchenmenge.
Drohung als Verteidigungsmittel. Verdrängen des
Schutzmauns vom Poſten. Eingriff in die amtliche
Tätigkeit durch die Aufforderung den Säbel einzuſtecken.
Höhniſche Aenzerungen aus der Menge. Bereithalten
der Waffe.) Aus den Gründen: Das LG. ſtellt
feſt, es habe ſich eine ſich immer mehr vergrößernde
allmählich auf etwa 200 bis 300 Perſonen anwachſende
Menſchenmenge gebildet, die offenbar Partei für den
Mitangeklagten Sch. ergriff und gegen die Polizei⸗
beamten, insbeſondere gegen den Angeklagten N., eine
drohende Haltung einnahm. Als die ſich ſammelnden
Menſchen immer näher auf den Angeklagten einrückten
und ihn ſchließlich rückwärts gegen das Gitter eines
Vorgartens drängten, habe ſich der Angeklagte N.
veranlaßt geſehen, den Säbel zu ziehen und nun ſeiner⸗
ſeits gegen die Zunächſtſtehenden angriffsweiſe vor⸗
zugehen. Dieſe Zunächſtſtehenden waren nach der
weiteren Sachdarſtellung offenſichtlich K. St. und R.,
gegen den er zuletzt tätlich vorging und mit dem er
dann auch handgemein wurde. Die Strafkammer
rechnet ferner mit der Möglichkeit, daß dem Angeklagten
ſchon vor dem Ringen mit R. die Achſelklappen her⸗
untergeriſſen und der Helm vom Kopfe geſchlagen
worden war. Dieſe Feſtſtellungen ließen ohne Rück⸗—
ſicht auf die Amtseigenſchaft des Angeklagten eine
1) Anm. des Herausgebers. Das Urteil wird beſonders im
Hinblick auf gewiſſe Vorkommniſſe in München aus der jüngſten
|
Zeit Intereſſe beanspruchen können.
225
Prüfung und Erörterung der Notwehrfrage unbedingt
geboten erſcheinen. Denn nach der tatſächlichen An⸗
nahme der Strafkammer muß das feindliche Vorgehen
der angeſammelten Menge gegen den ihr allein gegen⸗
überſtehenden Angeklagten als ein Angriff, und zwar
als ein rechtswidriger Angriff, angeſehen werden.
Dieſer könnte nach der Sachlage ſelbſt dann ſchon
vorliegen, wenn es noch zu keinen Tätlichkeiten gegen
den Angeklagten gekommen wäre. Angreifer würden
alle diejenigen ſein, die ſich der Lage des Angeklagten
bewußt waren und in dieſem Bewußtſein, wenn auch
zunächſt ohne eigene Tätlichkeiten, in der gekenn⸗
zeichneten feindlichen Weiſe gegen den Angeklagten
vorgingen, ihn bedrängten und ihn ſo aller Bewegungs⸗
freiheit beraubten. Darüber hinaus unterſtellt die
Strafkammer aber weiter als möglich, daß er aus
der Menge heraus ſogar ſchon tätlich angegriffen
worden war, ehe er gegen R. vorging. Dieſem An⸗
griffe gegenüber war der Angeklagte nach § 53 StGB.
zur Verteidigung befugt. Die Verteidigung kann auch
die Form eines Gegenangriffs haben. Unter Um⸗
ſtänden wird dies ſogar die einzig mögliche Form
wirkſamer Abwehr ſein, zumal wenn ſich der An⸗
gegriffene einem an Zahl oder ſonſt überlegenen An⸗
greifer gegenüber befindet. Ob ſolche Umſtände ge⸗
geben waren, unterlag zunächſt dem tatſächlichen Er⸗
meſſen. Wenn daher, wie die Strafkammer feſtſtellt,
der Angeklagte in ſeiner Bedrängnis angriffsweiſe
gegen die ihm Zunächſtſtehenden vorging, ſo machte
das die Prüfung und Erörterung nicht entbehrlich,
ob er ſich in den Grenzen berechtigter Verteidigung
gehalten hat. Nach dem Zuſammenhange der weiteren
Darſtellung des Erſtrichters muß aber angenommen
werden, daß es eben dieſer Angriff war, der ſich ge⸗
gen die a genannten drei Perſonen, insbeſondere
alſo auch gegen R. richtete. Dann würden die Tät⸗
lichkeiten des Angeklagten gegen R. objektiv im Be⸗
reiche eines Gegenangriffs liegen, deſſen Rechtswidrig⸗
keit im Urteile nicht nachgewieſen iſt. Namentlich
können auch die Drohungen, deren 15 der Angeklagte
gegenüber K. und St. bediente, ſehr wohl eine be⸗
rechtigte Verteidigung darſtellen. Die Tatſache, daß
die angedrohte Handlung, wenn ausgeführt, rechts⸗
widrig oder ſtrafbar ſein würde, nimmt ihrer bloßen
Androhung noch nicht die Eigenſchaft eines zuläſſigen
Abwehrmittels. Wenn 55 die Strafkammer an⸗
nahm, es habe von Notwehr keine Rede ſein können,
weil er von R. irgend einen Angriff nicht zu befürchten
brauchte, ſo iſt dies gegenüber den vorerörterten
Urteilsfeſtſtellungen erſichtlich darauf zurückzuführen,
daß ſie das Weſen des Angriffs und der danach ſtatt⸗
haften Verteidigung im Sinne von $ 53 StGB. vers
kannt hat.
Vor allem waren aber auch die Befugniſſe, die
dem Angeklagten als Polizeibeamten aus der Sach—
lage erwuchſen, zu prüfen und zu erörtern. Nach der
im Eingange des Urteils getroffenen Feſtſtellung hatte
der Angeklagte „auf der Clemens⸗Auguſtſtraße“ Dienſt.
Die Strafkammer mußte ſich deshalb darüber klar
werden, welche Rechte und Pflichten hiermit für den
Angeklagten verbunden waren, ob es insbeſondere
nicht zu ſeinen umtlichen Aufgaben gehörte, auf der
Straße einen beſtimmten Standort einzunehmen, ges
gebenenfalls denjenigen Platz, von dem aus er ſeinen
Dienſtobliegenheiten am geeignetſten nachkommen
konnte, nach dem durch die Umſtände gebotenen
und inſofern pflichtmäßigen Ermeſſen zu wählen.
Sie hatte deshalb zu prüfen, ob die angeſammelte
Menſchenmenge nicht durch ihr Vorgehen gegen ihn
rechtswidrig in ſeine dienſtlichen Rechte und Pflichten
eingriff und ihn an der Ausübung ſeines Dienſtes
gewaltſam hinderte, damit alſo die pflichtmäßige Be—
tätigung der in ihm verkörperten Staatsgewalt übers
haupt unbefugterweiſe gänzlich lahm legte. Träfe
dies zu, ſo würde der Angeklagte amtlich ebenſo be—
226
rechtigt als verpflichtet geweſen fein, erforderlichen⸗
falls unter Anwendung von Gewalt, das Anſehen
der Staatsgewalt wieder herzuſtellen und ſich die
Möglichkeit wieder zu ſchaffen, ſeinen Dienſt zu ver⸗
ſehen. Er wäre insbeſondere zum Waffengebrauche be⸗
fugt geweſen, wenn, während er ſich im Dienſte befand,
Gewalt oder Tätlichkeit gegen ihn ausgeübt wurde
oder wenn er auf andere Art den ihm angewieſenen
Poſten nicht behaupten konnte. (Wird aus den Dienſt⸗
vorſchriften näher begründet). Ob dieſe tatſächlichen
Vorausſetzungen vorlagen, würde er ſelbſt, nicht irgend
ein Dritter, pflichtmäßig zu ermeſſen gehabt haben.
Es hätte aber außerdem in den Grenzen ſeiner Amts⸗
befugniſſe gelegen, ſeine Waffe gebrauchsbereit zu
machen, d. h. ſeinen Säbel zu ziehen, auch wenn die
Vorausſetzungen noch nicht eingetreten waren, wenn
ihr Eintritt aber nach ſeinem pflichtmäßigen Urteile
drohte und bevorſtand. Denn es iſt Pflicht des
Polizeibeamten, wenn er ſich im Dienſte
befindet, das Anſehen der in ihm verkörperten
Staatsgewalt unbedingt zu wahren und
ſich die Möglichkeit der Ausübung ſeines
Dienſtes zu erhalten. Er muß deshalb ge⸗
gebenenfalls dafür ſorgen, daß er genügend
gerüſtet und vorbereitet iſt, um drohen den
Gefahren ſolcher Art ſchnell und wirkſam
zu begegnen.
nicht erkennbar vorausgeſetzten Rechtsgrundlage konnten
ſich die Aufforderungen an den Angeklagten, den
Säbel einzuſtecken, als unbefugte und nach der Sach⸗
lage unangebrachte Einmiſchungen und als ſtörende Ein⸗
griffe in die amtliche Tätigkeit des Angeklagten dar⸗
ſtellen. Vollends die Aeußerung des R.: „es tue ihm,
dem Angeklagten, ja niemand etwas“, konnte gegen⸗
über der Lage, in die der Angeklagte gebracht war,
Verhöhnung ſein oder doch in dieſem Sinne vom An⸗
geklagten empfunden werden. Das alles konnte den
Angeklagten von ſeinem berechtigten Standpunkt aus
zu der Auffaſſung führen, daß es der feindlich an⸗
drängenden Menge obendrein darauf ankomme, ihn
in verteidigungsunfähigem Zuſtande ſich gegenüber
zu haben und zu behalten. Denn wäre es den dieſen
Willen kundtuenden dem Angeklagten zunächſtſtehenden
drei Perſonen wirklich darum zu tun geweſen, daß
ſich zum Waffengebrauch kein amtlicher Anlaß fand,
ſo hätte die Erwägung nahe gelegen, ob ſie ſich dann
nicht auf die Seite des Angeklagten geſtellt und ihrer—
ſeits mitgeholfen haben würden, die Menge von ihm
abzudrängen. Davon iſt im Urteil mit keinem Worte
die Rede. (Urt. des V. StS. vom 24. März 1911,
v D 1202/18).
2231
5 \ ©
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Kann die Ehefrau ohne die Zuſtimmung des Mannes
einer Genoſſenſchaſt beitreten? Wie weit hat das
Negiſtergericht die Vorausſetzungen der Eintragung in
das Genoſſenſchaftsregiſter zu prüfen? Kann die Ent⸗
ſcheidung über die Beſchwerde gegen eine Verfügung
des Regiſtergerichts verlangt werden, wenn ihr das
Auf dieſer von der Strafkammer
Negiſtergericht auf Veraulaſſung des Beſchwerdegerichts
abgeholfen hat? (Gen. 83 15, 161 und 8 29 Abſ. 3, 4
der Vollzugsvorſchriften des Bundesrats vom 1. Juli
1899; FGG. § 19.) In das Genoſſenſchaftsregiſter
des Amtsgerichts B. iſt der Konſumverein B. als
Genoſſenſchaft m. b. H. eingetragen. Am 15. Novem—
ber 1910 ſiellte Katharina N. in B. eine von ihr
unterzeichnete Beitrittserklärung aus, um die Mitglied—
ſchaft zu erwerben. Der Vorſtand ließ den Beitritt
zu und reichte die Erklärung dem Regiſtergericht ein.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
— ———0ůͤäöä —ä — —
— .) '. ͤ ũ àmv äbw.ĩ . 53 08ß3iQi4ẽgͥ;ĩ]q-R̃kͤĩ5ĩ ͥ!.k!ĩ⸗„.Pf.!—
Dieſes lehnte die Eintragung ab und gab die Beitritts⸗
erklärung dem Vorſtande zur Erholung der Geneh⸗
migungserklärung des Ehemannes zurück. Der Vorſtand
legte Beſchwerde ein, weil die Ehefrauen nach den
Vorſchriften des BGB. verpflichtungsfähig ſeien, des⸗
halb ohne Genehmigung des Ehemannes der Genoſſen⸗
ſchaft beitreten könnten. Das LG. ließ den Ehemann
vernehmen, der erklärte, er lebe mit ſeiner Ehefrau
in dem geſetzlichen Güterſtande und ſei mit der Beitritts⸗
erklärung ſtets einverſtanden geweſen. Es gab ſodann
die Akten dem AG. zurück zur Erwägung, ob es feine
Verfügung nicht ändern wolle. Das AG. verfügte
dann die Eintragung der Katharina N. in die Liſte
der Genoſſen, berichtete dies dem LG. und teilte es
dem Vorſtande mit. Der Vorſtand ſtellte gleichwohl
an das LG. den Antrag, über ſeine Beſchwerde zu
entſcheiden. Dieſes beſchloß, bei der erfolgten Ein⸗
tragung der Katharina N. in die Liſte der Genoſſen
habe es ſein Bewenden, eine Entſcheidung auf die
neue Beſchwerdeſchrift werde als überflüſſig abgelehnt.
Das Ob“G. hat auch die weitere Beſchwerde des
Vorſtands zurückgewieſen.
Gründe: Der Beſchwerde iſt darin beizutreten,
daß die Beitrittserklärung der Katharina N. genügte,
um den Antrag auf Eintragung in die Liſte der Ge⸗
noſſen zu rechtfertigen (8 15 GenG. vom 1. Mai 1889,
in der Faſſung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898).
Eine Ehefrau iſt nach den Beſtimmungen des BGB.
weder durch die Ehe als ſolche noch durch das in der
Ehe geltende Güterrecht in der Geſchäftsfähigkeit be⸗
ſchränkt; nur ihre Verfügung über eingebrachtes Gut
oder Geſamtgut unterliegt den geſetzlichen Beſchrän⸗
kungen. Nach § 29 Abſ. 3, 4 der auf Grund des § 161
Gen®. von dem Bundesrat erlaſſenen und am 1. Juli
1899 durch den Reichskanzler bekannt gemachten
(RGBl. 1899 S. 347 ff.), als Rechtsnorm geltenden Be⸗
ſtimmungen (Obs G. Bd. 11 S. 283) hat das Regiſter⸗
gericht — abgeſehen von den Fällen der SS 120, 127
— nur zu prüfen, ob die Beitrittserklärung die Unter-
ſchrift des Genoſſen trägt und unbedingt iſt, ſowie ob
die Einreichung ordnungsmäßig durch den Vorſtand
erfolgt iſt. Auf die Echtheit der Unterſchrift und die
Wirkſamkeit der Beitrittserklärung erſtreckt ſich die
Prüfung des Gerichts nicht. Eine Ablehnung der
Eintragung aus dieſen Gründen iſt jedoch nicht aus⸗
geſchloſſen, falls ſich die Unwirkſamkeit der Beitritts⸗
erklärung ohne weitere Ermittelungen aus den dem
Gerichte bekannten Tatſachen als zweifellos ergibt.
Daraus, daß die Beitretende eine Ehefrau iſt, ergab
ſich die Unwirkſamkeit nicht zweifellos. Das Regiſter⸗
gericht durfte alſo die Eintragung nicht ablehnen.
Das Regiſtergericht hat aber in zuläſſiger Weiſe der
Beſchwerde abgeholfen, indem es die Katharina N.
nachträglich eintrug. Die Beitrittserklärung enthielt
zwar nicht den Geburtsnamen der Beitretenden; das
Regiſtergericht hat aber auf dieſen Mangel kein Gewicht
gelegt. Dadurch, daß der Beſchwerde abgeholfen wurde,
iſt die Angelegenheit erledigt. Die Sache liegt jetzt
ebenſo, wie wenn das Regiſtergericht die in der zweiten
Verfügung enthaltene Anordnung ſchon mit der erſten
Verfügung erlaſſen hätte. Eine Beſchwerde darüber,
daß das Gericht Nachweiſe gefordert hat, deren es
nicht bedurfte, iſt ebenſowenig gegeben, wie eine Be—
ſchwerde gegen die Gründe der dem Beſchwerdeführer
günſtigen Verfügung. Nach § 19 FGG. findet das
Rechtsmittel der Beſchwerde ſtatt gegen die Verfügun—
gen des Gerichts erſter Inſtanz. Das Beſchwerde—
gericht hat zu entſcheiden nach Maßgabe des Sach—
verhalts, wie er ſich zur Zeit ſeiner Entſcheidung dar—
ſtellt. Das LG. hat deshalb mit Recht angenommen,
daß die Angelegenheit durch die zweite Verfügung des
Regiſtergerichts erledigt iſt, daß eine beſchwerende
Verfügung nicht mehr beſteht und daß die Beſchwerde
aus dieſem Grunde unzuläſſig iſt. Zur Entſcheidung
von nur theoretiſchen Fragen iſt der Beſchwerderichter
nicht berufen, auch wenn der Beſchwerdeführer mit
Rückſicht auf die Möglichkeit zukünftiger gleichartiger
Fälle ein Intereſſe an der Entſcheidung hat; die Ent⸗
ſcheidungen des Beſchwerdegerichts haben nur zu er⸗
gehen, wenn ſie für die Angelegenheit einen Erfolg
haben. (Beſchluß des I. 35. vom 17. März 7
Reg. III 17/11).
2221
B. Strafſachen.
I.
san ung zur Koſtenfeſtſetzung nach 8 496
Abſ. 2 tpo. Der Nebenkläger hat die re
teilten Sagen zur Zahlung der von ihm berech⸗
neten Auslagen aufgefordert. Der eine der Ange⸗
klagten hat nicht 5 der andere zwar die
Höhe der Koſten brieflich anerkannt, aber um Ver⸗
teilung der Koſten gebeten und bemerkt, daß nach einem
Vergleich erſt Zahlung zu leiſten ſei, wenn die Ange⸗
klagten in den Beſitz von Mitteln gelangt ſeien. Die
Strafkammer lehnte den Antrag auf Feſtſetzung der
Koſten unter Bezugnahme auf die im Bd. 3 S. 38
und die im Bd. 8 S. 136 der Sammlung abgedruckten
Beſchlüſſe des Oberſten Landesgerichts ab, da weder
über die Höhe, noch über die Notwendigkeit der Koſten
Streit beſtehe (8 496 Abſ. 2 StPO.). Der Beſchluß
wurde aufgehoben.
Gründe: Der Senat kann die frühere Anſicht,
daß die Koſtenfeſtſetzung nur erfolgen dürfe, wenn über
die Höhe der Koſten und Auslagen Streit im engſten
Sinne des Wortes entſtehe, nicht mehr aufrecht er⸗
halten. Die Anſicht führt zu keinem befriedigenden
Ergebniſſe. Der ſiegende Nebenkläger hat nicht nur
ein Intereſſe daran, daß die Höhe der ihm zu er⸗
ſtattenden Koſten fetießt, fondern und zwar im erhöhten
Maße daran, daß er wirklich Erſatz erlangt. Iſt der
Schuldner nicht zahlungswillig, ſo muß er zur zwangs⸗
weiſen Zahlung angehalten werden können. Dies iſt
nur möglich auf Grund einer vollſtreckbaren Urkunde;
dieſe kann der Nebenkläger nur erlangen, wenn von
dem Gerichte der Betrag der Koſten feſtgeſetzt und dieſe
Entſcheidung mit der Vollſtreckungsklaufel verſehen
wird. Die weitere Auslegung des 8 496 Abſ. 2 StPO.
geftattet im Falle der Zahlungsweigerung die Er⸗
laſſung einer Entſcheidung im Sinne des 8 496 Abſ. 2.
Wenn der Unterlegene überhaupt nichts oder wenig⸗
ſtens zur Zeit nichts zahlen will, ſo beſtreitet er damit
die Forderung in ihrem ganzen Umfange; in dieſem
Beſtreiten iſt aber tatſächlich auch ein Beſtreiten der
Forderung ihrer Höhe nach zu erblicken; die briefliche
Anerkennung der Höhe der Koſten iſt wertlos, das
tatſächliche Verhalten des zur Zahlung aufgeforderten
aber nicht zahlenden Schuldners rechtfertigt den Schluß,
daß er auch die Höhe der Koſten beſtreiten will. Dieſe
weitere Auslegung der Beſtimmung des 8 496 Abſ. 2,
der keine Beſtimmung der StPO. entgegenſteht, ins⸗
befondere auch nicht die Beſtimmung des 8 495, führt
allein zu dem von dem Geſetz gewollten vernünftigen
Ergebniſſe. Dieſer Anſicht hat ſich auch die Recht⸗
ſprechung und Literatur in der neueſten Zeit in über⸗
wiegender Mehrzahl angeſchloſſen. (Beſchl. vom 4. 11
In BeſchwReg. 122/11).
II.
Betrieb der Straußwirtſchaften in der Pfalz; ge:
ſchichtliche Entwickelung; Umfang der Befugniſſe des
Straußwirts. Der in L. (Pfalz) wohnende Weinguts—
beſitzer M. ift Eigentümer von 12 Morgen Weinbergen,
die in den Gemeinden A., L., F. und B. — in der Vorder⸗
pfalz — liegen; er erzeugt aus den Erträgniſſen der
Weinberge Wein in eigener Kelterei. M. mietete im
Juni 1910 im Hauſe der Witwe B. in Th. ein Lokal
Zeitſchrift für Rechtspflege in ! Bayern. 1911. Nr. 10. 22
und einen Keller, um den ſelbſterzeugten Wein im
Lokal auszuſchenken und den Weinvorrat im Keller
zu lagern. Er ſtattete das Lokal aus und beſchaffte
die Gläſer. Als „Schenker“ beſtellte er den B. Dieſer
hatte den Wein im Namen des M. auszuſchenken, den
Weinkeller zu überwachen, den Weiſungen des M. zu
folgen. Der Wein blieb im Keller Eigentum des M.
M. beſtimmte den Ausſchankpreis. Die Abrechnung
zwiſchen N. und M. ſollte bei den Beſuchen des M.
erfolgen. M. und N. wurden von dem Sh®. wegen
je eines un nach 88 33, 147 Ziff. 1 GewO.
verurteilt, von der Strafkammer aber freigeſprochen.
Das Urteil des LG. wurde aufgehoben.
Aus den Gründen: Th. liegt im ſog. Weſtrich
der Pfalz. Wein wird dort nicht gebaut. Durch den
Frieden von Luneville (1801) wurde das ganze linke
Rheinufer rechtlich ein Beſtandteil der franzöſiſchen
Republik. Dadurch gelangten die franzöſiſchen Geſetze
in den am linken i gelegenen Gebieten des
römiſch⸗deutſchen Reichs in Geltung, die unter die
franzöſiſche Herrſchaft gerieten. Die Geſetze brachten
insbeſondere für die jetzt zum Regierungskreiſe der
Pfalz gehörenden, ſeinerzeit franzöſiſch geweſenen
8 Landteile die ſogenannte Handels» und ge
heit, deren Grundgedanke war: „Jedermann fo
freiſtehen, jedes beliebige Gewerbe zu treiben, nur
muß er ſich vorher mit einem Patente verſehen, die
Gebühr nach dem beſtimmten Tarif entrichten und ſich
den beſtehenden oder zu erlaſſenden Polizeiverord⸗
nungen unterwerfen“. Dieſe Geſetze blieben in Kraft,
als aus Teilen der franzöſiſchen Departements der
Saar, des Donnersbergs und des Niederrheins die
jetzige Pfalz als „Rheinkreis“ mit der Krone Bayern
vereinigt wurde. Am 26. Februar 1818 erging die
im Amtsblatte des Rheinkreiſes vom 6. April 1818
veröffentlichte BO., betr. die neue Gewerbſteuer im
Rheinkreiſe. Nach den §§ 1, 2 der BO. und der
VollzJ. vom 13. Mai 1820 iſt der Gewerbſteuer nicht
unterworfen der Ackerbauer, auch wenn er die Pro⸗
dukte ſeiner eigenen Ernte ſelbſt fabriziert und par⸗
tienweis abſetzt, aber er iſt zur Steuer heranzuziehen,
ſobald er mit den Fabrikaten ſeiner Erzeugniſſe als
.. Wein .. . zugleich das Gewerbe eines Detail⸗
händlers, gleichviel ob mit oder ohne Aushängeſchild,
in ſeinem Hauſe verbindet. Auf dem nämlichen Stand⸗
punkte ſteht die Bek. der Regierung des Rheinkreiſes
vom 6. Januar 1830 (IntelligBl. S. 63), wonach
jeder Weinproduzent, der feine „ſelbſterzogenen Weine“
in ſeiner Wohnung gleich einem Wirte verzapft — es
ſei mit oder ohne Aushängeſchild — der h
gleich einem Wirt unterliegt. Nach der Nr. 547 b
des Tarifs zum GewStG. vom 1. Juli 1856 find
gewerbeſteuerpflichtig „Weinwirtſchaften ohne Abgabe
von warmen Speiſen“, darunter nach dem Satze der
Kl. IV , Weinſchenken“, nach dem geringeren Satze der
Kl. II „bloße fog. Heckenwirtſchaften u. dgl.“. Nach
der Nr. 81 u. 80 (Sp. Bemerkungen) des Tarifs zu
f „Mal 1881
den Geſetzen über die Gewerbeſteuer vom 1
9. Juni 1899
wird dagegen ſteuerfrei belaſſen: „Der in Weingegenden
übliche Ausſchank des eigenen Erzeugniſſes, ſofern er
nur einen Teil des Jahres hindurch dauert und nicht
die Abgabe von warmen Speiſen damit verbunden
wird“. Nach Art. 1 Abſ. II GewStG. vom 14. Auguſt
1910 fällt unter das Geſetz nicht. der Weinbau,
ſoweit ſich dieſer Erwerbszweig auf die Gewinnung
des Erzeugniſſes und deſſen Verwertung nach einer
Bearbeitung beſchränkt, die im Bereich eines ſolchen
Wirtſchaftsbetriebs liegen. Die GewStG. vom 1. Juli
1856, 19. Mai 1881, 9. Juni 1899 und 14. Auguſt 1910
gehen von dem Rechtsbeſtande der Einrichtung der
ſog. Straußwirtſchaften aus. Sie beziehen ſich, was
wohl nicht bezweifelt werden kann, nur auf den Aus—
ſchank des in Bayern erzeugten Weins; fie unter:
ſcheiden vom Standpunkte der Beſteuerung aus zwiſchen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
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dem Betriebe einer mit allen Gewerbsbefugniſſen aus⸗
geſtatteten Weinwirtſchaft und einem „nur einen Teil
des Jahres hindurch dauernden Schankbetriebe“ und
bieten wertvolle ** zur Feſtſtellung des
Begriffs einer Straußwirtſchaft. Der Strafſenat des
Oberſten Landesgerichts hat in dem Urteile vom 10.
April 1909) ausgeſprochen, daß die Weinbauer in
der Pfalz das Recht zum Ausſchanke des eigenen Er⸗
zeugniſſes auf Grund des Rechtszuſtandes haben, der
ſich in der Pfalz ſchon vor dem 30. Januar 1868 ge⸗
bildet hatte, und daß ſie zu dem Ausſchank keiner
gewerbepolizeilichen Genehmigung bedürfen. Der
Senat hält an dieſer Anſchauung feſt (ſ. a. Bay fR.
7. Jahrg. 1911 S. 14, S. 106; BlfRA. Bd. 76 (1911)
S. 192, S. 196 Nr. II). In den Gründen des Urteils
vom 10. April 1909 wurde unerörtert gelaſſen, ob die
da und dort beſtehenden Beſchränkungen des Betriebs
einer ſog. Straußwirtſchaft neben der franzöſiſchen
Geſetzgebung in der Pfalz fortdauernd gelten. Dieſer
Frage iſt nun näher zu treten. (Es folgt eine ge
ſchichtliche Ausführung über die Straußwirtſchaften, die
wegen Mangels an Raum hier nicht wiedergegeben
werden kann).
In der am 31. Dezember 1775 vom Biſchof von
Speyer erlaſſenen, Ohmgeldsordnung“ (Geſ Slg. Bd. IV
S. 224) heißt es: „Nr. 20. Straußwirte müſſen auch
Ohmgeld zahlen. Es iſt unſern bürgerlichen Unter⸗
tanen von Altersher gegönnt geweſen, in gewiſſer
Maaß und Ordnung ihr neues eigen Gewächs gegen
Reichung des herkömmlichen Ohmgelds auszuzapfen
und des Ends Sträuß oder Kränz an ihren Häuſern
anzuſtecken, wenn vorhero bei unſern Amtleuten wie
auch denen Ohmgeldern (d. i. den Ohmgeld⸗Ein⸗
nehmern) davon die geziemende Anzeige geſchehen, bei
zur Zeit gnädigſt belaſſen. Die Straußwirte müſſen
ihre Abſicht, zu verzapfen, anzeigen und ihren Wein⸗
vorrat verſiegeln laſſen; zu eichen brauchen ſie wegen
der Kürze des Betriebs nicht, müſſen aber den Faß⸗
inhalt genaueſt erkundigen. Nr. 21.
ſchaften keinen andern Betrieb haben, als von neuem
Wein, ſoll als Abrechnung für die Hefe ein Viertel
für die Ohm geſtattet werden“. Durch die Verord⸗
nungen vom 6. Juli 1737 und 3. Mai 1738 (GeſSlg.
Bd. II S. 172, 178) ſprach der Biſchof von Speyer
aus, daß ein herrſchaftlicher Zöller (d. i. Steuerbeamter)
nicht nur kein Schildwirt fein dürfe, „ſondern ihm
nur der Strauß erlaubet ſeye, wenn die Reihe an ihn
kommt und anderſter nicht“.
Man kann aus den erwähnten biſchöflichen Ver⸗
ordnungen ein ziemlich klares Bild von Maß und
Ordnung der Straußwirtſchaften im Gebiete des
Biſchofs gewinnen. Augenſcheinlich beziehen ſich die
Verordnungen nur auf Wein, der in dieſem Gebiet
erzeugt iſt und auf das Verzapfen durch die „Unter-
tanen“ des Biſchofs in ſeinem Lande. Aus der Ohm—
geldsordnung iſt insbeſondere der wirtſchaftliche und
rechtliche Unterſchied zwiſchen den Schildwirten, d. i.
den Inhabern der Schildgerechtigkeiten und den Strauß—
wirten bezüglich des Umfanges der Befugnis zum
Weinausſchanke zu entnehmen. Anderſeits aber ſtellt
der Biſchof die Straußwirte für die Zeit des Betriebs
der Straußwirtſchaft unter die polizeilichen Be—
ſchränkungen, die im Intereſſe der guten Ordnung
des Gemeinweſens allen Schankwirten auferlegt werden
und Weinbaubetriebs⸗Verhältniſſen, die in dem ganzen
Gebiete ähnlich waren. Die Natur der Sache zeichnete
die Grundlinien vor, die ſich für die Einrichtung
empfahlen. Daher dürfte die Annahme nicht unbe⸗
. ſein, daß auch in L. und den drei Gemeinden
„ F. und B. vermöge einer gewohnheitsrechtlichen
Uebung „Maß und Ordnung“ in annähernd derſel ben
Weiſe herrſchte, wie im Gebiete des Biſchofs von
Speyer.
Seit der Geltung der franzöſiſchen Geſetze war
in der Pfalz jedermann berechtigt, einen Weinaus⸗
ſchank als Gewerbe zu betreiben und hierbei den von
ihm erzeugten und den hinzugekauften Wein auszu⸗
ſchenken; er ſtand als Wirt unter allen Polizeiver⸗
ordnungen, die die Ausübung des Betriebs einer
Schankwirtſchaft — einer Schildgerechtigkeit im Sinne
des früheren Rechtszuſtandes — regelten. Für den
auf das eigene Erzeugnis beſchränkten Ausſchank des
Eigenbaues durch den Weinbauer waren durch das
neue Recht die Schranken gefallen, die bisher den
Ausſchank des Grundherrn vor dem des Grundholden
begünſtigt oder die Zahl der ausſchankbefugten Wein⸗
bauer begrenzt hatten, aber daraus folgt nicht, daß
durch die neue Geſetzgebung der Unterſchied verwiſcht
wurde, der zwiſchen einer als Gewerbe betriebenen
Schankwirtſchaft und dem auf das eigene Erzeugnis
beſchränkten Weinausſchank beſteht. Dieſer Unterſchied
wurzelt in dem Weſen und Zweck einer Straußwirt⸗
ſchaft. Dieſes Weſen und der Zweck führen zu einer
Ordnung der Dinge, die verſchieden iſt von der Ord⸗
nung der als Gewerbe betriebenen Schankwirtſchaft.
Und gleichwie die franzöſiſche Geſetzgebung den freien
Gewerbebetrieb nach der Regelung durch die beſtehen⸗
den und zu erlaſſenden Polizeiverordnungen geſtattete,
welcher hergebrachter Maß und Ordnung Wir es noch
Da derlei Wirt⸗
müſſen. Dem Senate liegen feine Belege dafür vor, daß
und wie in den Orten L., A., F. und B. die Einrichtung
des Straußwirtſchaftsweſens durch Anordnungen der
Obrigkeiten geregelt war, aber man wird mit Grund
annehmen können, daß eine Regelung ſtattgefundeun
hat. Die Einrichtung ſtammte aus einer uralten Zeit,
da das ganze Weinbaugebiet am Rhein politiſch noch
nicht zerſtückelt war.
1) S. diefe Zeltſcht. Jabrg. 1909 S. 419.
Sie ruhte auf wirtſchaftlichen
wird man annehmen müſſen, daß ſie den Ausſchank
der Weinbauer, der nur in einem gewiſſen Sinn ein
„Gewerbebetrieb“ iſt, nach den Normen behandelt und
fortdauernd zulaſſen wollte, die ſich nach der Natur
der Sache aus ſeiner eigentümlichen Natur ergeben.
Dieſer Ausſchank beruht auf der Anerkennung des
Bedürfniſſes der Weinbauer zu einer Gelegenheit für
den Abſatz der von ihnen erzeugten Weine, wenn deren
Verkauf nach der Marktlage des Großhandels ſtockt.
Daher haben die Weinbauer das größte Intereſſe da⸗
ran, daß ihnen bei dem notgedrungenen Abſatz im
Schankwege abgeſehen vom Wettbewerbe der „Schild⸗
wirte“ kein weiterer Wettbewerb entſteht, als der, den
ſie bei der ohnehin ſchon großen Zahl ihrer Betriebe
ſich ſelbſt bereiten. Jeder Weinbauer iſt vermöge
feines Weinbaubetriebs in der Regel darauf ange⸗
wieſen, daß er in der nächſten Nähe ſeiner Rebgrund⸗
ſtücke wohnt. Er wird — in der Regel — an ſeinem
Wohnorte die Trauben keltern, auch wenn er ſie von
Weinbergen gewonnen hat, die in verſchiedenen Ge⸗
meinde⸗ und Weinmarkungen liegen. Daher liegt es
für ihn am nächſten, daß er an ſeinem Wohnorte,
dem Mittelpunkte ſeiner wirtſchaftlichen Tätigkeit, den
aus mehreren Weinmarkungen gewonnenen Wein in
einer Straußwirtſchaft verzapft. Glaubt er an einem
andern Ort als an ſeinem Wohnorte den aus einer
Gemarkung gewonnenen Wein ausſchenken zu ſollen,
ſo wird ihm dies unter Beſchränkung auf den in dieſer
Markung gewonnenen Wein an einem Orte dieſer
Markung nicht verwehrt werden können. Bei einer
ſolchen Ordnung der Dinge können ſich die übrigen
Weinbauer am Wohnorte des Straußwirts oder in
der einſchlägigen Gemarkung über die Eröffnung einer
Ausſchankſtelle mit Grund nicht beſchweren, weil ihnen,
je nach ihren Weinbaubetriebs-Verhältniſſen, die
gleichen Befugniſſe zuſtehen.
Als die bayeriſche Staatsregierung Ende der 60 er
Jahre des vorigen Jahrhunderts das Gewerbsweſen
in Bayern neu und einheitlich regeln wollte, ſchlug
ſie die Beſtimmung vor, daß ſich die Ausübung des
Rechtes der Weinbauer in der Pfalz nach den ober—
_Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
229
polizeilichen Schenkordnungen zu richten habe und daß bliebe, die für ihn nach den vorſtehenden Ausfüh⸗
der Ausſchank des eigenen Erzeugniſſes den Wein⸗
bauern geſtattet bleiben ſolle, deren Perſönlichkeit und
Verhalten genügende Bürgſchaften eines ordnungs-
mäßigen Gewerbebetriebs gewährt. Der Vorſchlag
fand die Zuſtimmung der Abgeordnetenkammer nicht.
So unterblieb damals eine Klarſtellung der Rechts⸗
lage der Weinbauer der Pfalz. Da man nun aber
an dem dort beſtehenden Rechtszuſtande nichts ändern
wollte, ſo konnte in der Pfalz jeder Weinbauer nach
wie vor ohne Rückſicht auf ſeine Perſönlichkeit und
ſein Verhalten das eigene Erzeugnis ausſchenken, aber
für die Art der Ausübung blieben auch die Normen
in Kraft, die ſei es als Geſetz, ſei es als Gewohn⸗
heitsrecht hierfür beſtanden haben. Den oben be⸗
zeichneten Unterſchied hat die bayeriſche Steuergeſetz⸗
gebung feſtgehalten. Sie läßt ſeit dem Geſetze vom
19. Mai 1881 den Ausſchank des Eigengewächſes
ſteuerfrei, weil und inſoweit der Weinbauer dadurch
die Erzeugniſſe ſeines Weinbaus verwertet. Daraus
nun aber, daß die Steuerfreiheit nur gewährt wird
bei einem auf einen Teil des Jahres beſchränkten
Ausſchank und aus der Erwägung, daß der Wein⸗
bauer für eine kurze Betriebszeit wohl nicht ſeinen
Wohnort zu wechſeln pflegt, wird angenommen werden
dürfen, daß der Steuergeſetzgeber als Regelfall nur
an einen am Erzeugungsorte veranſtalteten Weinaus⸗
ſchank gedacht hat. Und gleichwie dieſer ſteuerpflichtig
wird, wenn aus den Umſtänden zu entnehmen iſt,
daß mit ihm der Betrieb einer förmlichen Wirtſchaft
verbunden wird, ſo hat auch das Staatsminiſterium
des K. Hauſes und des Aeußern durch die am 30.
Dezember 1909 erlaſſene Bek., Wirtſchaftsgewerbe betr.,
(Amtsblatt 1910 S. 1) angeordnet, daß der Umwand⸗
lung von Ausſchankſtellen der Weinbauer in Bier-,
Wein⸗, Gaſtwirtſchaften mit Nachdruck zu begegnen
ſei ($ 4 f. a. 8 14 der Bek.).
Faßt man die ſämtlichen dargelegten Erwägungen
zuſammen, ſo wird man an der Hand der Geſetze und
nach den Folgerungen, die ſich aus der Natur der
Sache aufdrängen, zu den nachſtehenden Schlüſſen
gelangen können: A) Der Weinbauer der Pfalz bedarf
keiner gewerbepolizeilichen Genehmigung, wenn er den
in der Pfalz von ihm erzeugten Wein in der Form einer
ſog. Straußwirtſchaft ausſchenken will. B) Der Wein⸗
bauer darf den Wein als Straußwirt in der Gemeinde
der Pfalz ausſchenken, in der er ihn gewonnen hat; der
Ausſchank hat ſich auf die in der Gemeinde erzeugte
Menge zu beſchränken. C) Der Weinbauer darf auch
als Straußwirt an ſeinem Wohnort in der Pfalz den
aus ſeinen Weinbergen in der Pfalz von ihm ge—
wonnenen Wein ausſchenken, den er nicht in der Ge⸗
meinde des Gewinnungsortes ausgeſchenkt hat. Hält
man feſt an dieſen Grundſätzen — Ausnahmen wären
mit Zuſtimmung der zuſtändigen Behörden bei be—
ſonderen Anläſſen, Jahrmärkten, Volksfeſten u. dgl.
denkbar — fo wird durch fie den Intereſſen der fteuers
pflichtigen Wirtſchaftsbetriebe und auch den berech—
tigten Intereſſen der Weinbauer genügend Rechnung
getragen. Jedenfalls ergäben ſich unerträgliche Zu:
ftände, wenn der großen Zahl der pfälziſchen Wein—
bauer der ganze Regierungskreis der Pfalz als Frei—
zügigkeitsgebiet eröffnet und wenn geſtattet wäre, daß
jeder Weinbauer der Pfalz an jedem Orte der Pfalz
ohne Genehmigung der Behörde den ſteuerfreien Aus—
ſchank des eigenen Erzeugniſſes als Straußwirt unter—
nimmt. In der Pfalz hatte im Laufe der Zeit die
Tatſache, daß der Betrieb der Gaſt- und Schanfwirte
ſchaft ohne polizeiliche Erlaubnis ſtatthaft war, Miß—
ſtände herbeigeführt. Um dieſe Mißſtände zu beſeitigen,
iſt das Geſetz vom 23. Juli 1879 erlaſſen worden.
Die Mißſtände würden zu einem großen Teile wieder—
kehren, wenn im Widerſpruche mit dem Reichsgeſetze
|
|
|
|
rungen von jeher gegolten haben und die für ihn
nach der Natur der Sache gelten müſſen. (Urt. vom
18. März 1911, Rev.⸗Reg. 22/11). Ed.
2224
III.
Zuläſſigkeit der Beſchwerde gegen einen von dem
erkennenden Gericht auf Grund des 5 81 StPO. er⸗
laſſenen Beſchluß. Aus den Gründen: Die Frage,
ob auf den Beſchluß aus 8 81 StPO. der 8 347 An⸗
wendung findet, iſt beſtritten und auch in der Recht⸗
ſprechung verſchieden entſchieden. Das Reichsgericht hat
in dem Urteile vom 1. Mai 1890 (RG St. Bd. 20 S. 378),
allerdings nur nebenbei und ohne alle nähere Be⸗
gründung, ausgeſprochen, es müſſe angenommen werden,
daß die Beſtimmung, nach welcher im 8 81 die fofortige
Beſchwerde zugelaſſen werde, durch den 8 347 modi⸗
fiziert ſei, ſo daß der Beſchluß, wenn er vom er⸗
kennenden Gericht erlaſſen, nicht mit Beſchwerde,
ſondern nur mit den gegen das Endurteil zuläſſigen
Rechtsmitteln angefochten werden könne. Dieſer Auf⸗
faſſung haben ſich mehrere Oberlandesgerichte ange⸗
ſchloſſen. Den gegenteiligen Standpunkt dagegen ver.
treten mit guten Gründen insbeſondere das OLG.
München in dem Beſchluſſe vom 28. Juli 1892 (Samml.
Bd. 7 S. 311 und Goltd Arch. Bd. 41 S. 156), ferner
Dalke in Goltd Arch. Bd. 40 S. 412 und in ſeinem
„Strafrecht und Strafprozeß“ (12. Aufl. 1910) Note 100
zu Abſ. 3 des 8 81 StPO. und insbeſondere Köhler
in ſeiner Abhandlung im Gerichtsſaal Bd. 53 S. 192.
Dieſe Gründe beſtimmen auch den Senat zu der An⸗
nahme, daß ein auf Grund des 8 81 StPO. in der
Hauptverhandlung erlaſſener Beſchluß mit der ſo⸗
fortigen Beſchwerde angefochten werden kann, ſohin
auf ihn 8 347 keine Anwendung findet. Bemerkt mag
noch fein, daß der Entwurf einer neuen StBO. im
§ 309, der hier vertretenen Anſicht folgend, den im
bisherigen 8 347 Satz 2 aufgeführten Ausnahmen als
weitere die Unterbringung des Angeklagten in eine
öffentliche Irrenanſtalt ausdrücklich hinzugefügt und
daß hierzu in der Begründung ausgeführt wird, es
ſei beſtritten, ob die Anwendung dieſer Maßregel ſchon
nach geltendem Rechte ſelbſtändig angefochten werden
kann. Zwar ſei nicht zu verkennen, daß dem er⸗
kennenden Gericht eine ihm für die Urteilsfällung not⸗
wendig ſcheinende Feſtſtellung unmöglich gemacht wird,
wenn das im Beſchwerdeweg angerufene Gericht die
Maßregel nicht für angemeſſen erachtet. Dieſe Rück-
ſicht müſſe jedoch zurücktreten, da es ſich hier um eine
ſo ſchwere in die perſönlichen Rechte eingreifende
Maßregel handelt, daß eine Kontrolle durch ein höheres
Gericht nicht entbehrt werden kann. (Beſchl. vom
11. Februar 1911, Beſchw.⸗Reg. 95/11). Ed.
226
Oberlandesgericht München.
Rechtliche Bedeutung des Gebührenanſatzes und der
Aurechnung. Nachdem die auf Widerſpruch gegen einen
Zahlungsbefehl erhobene Klage zurückgenommen war,
hat der Sekretär des Landgerichts M. eine Gebühr
nach § 46 GKG. mit 5 M 60 Pf. und zugleich 60 Pf.
„Pauſchgebühr“ angeſetzt, nur die erſtere aber als durch
die bei dem Amtsgerichte erhobene Gebühr aufgezehrt
bezeichnet. Gegen den auf die MBek. vom 12. Auguſt
1910, den Vollzug des GKG. und des Geb. betr.
(JMBl. S. 709 ff.), geſtützten Anſatz von 60 Pf. hat
die Klägerin Erinnerungen erhoben, weil die Vorſchrift
der MBek. über den Ausſchluß einer Anrechnung des
angeſetzten Auslagenpauſchſatzes mit 8 80 b Abſ. 2 GKG.
in Widerſpruch ſtehe. Die Beſchwerde gegen den zurück—
vom 23. Juli 1879 der Betrieb einer Straußwirtſchaft [weiſenden Beſchluß des Landgerichts machte geltend,
in der Pfalz nicht den Beſchränkungen unterworfen
#
daß die Unhaltbarkeit der bekämpften Vorſchrift und
230
_ Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
damit des beanſtandeten Pauſchſatzes zwar nicht aus Feſtſtellung der Anrechnungswirkungen nicht ſelbſt
dem 2. Abſatz des 8 80 b GKG. abzuleiten ſei, deſſen wiederum wenigſtens im gewiſſen Sinne, fo im Sinne
Anführung in den Erinnerungen nur den Zweck ver⸗
folgt habe, die Zahlung eines den Mindeſtbetrag für die
Inſtanz überſteigenden Betrags darzutun, daß ſich
dagegen ihre Unwirkſamkeit aus Abſ. 1 Satz 2 des
8 80 b GKG. ergebe, weil wegen der Aufzehrung der
ee durch die nach 8 37 GKG. anzu⸗
rechnende Gebühr eine „zum Anſatz gelangende Ge⸗
bühr“, aus der ein Pauſchſatz berechnet werden könnte,
N nicht vorliege. Die Beſchwerde blieb er⸗
olglos. |
Aus den Gründen: Darüber, daß in den
Erinnerungen die Beanſtandung gerade wegen einer
aus dem 2. Abſatz des 8 80 b GKG. abzuleitenden Un⸗
haltbarkeit der angewendeten Vorſchrift erhoben war,
kann nach dem klaren Wortlaut der Erinnerungen kein
Zweifel beſtehen. 1 Angriff iſt nicht aufrecht er⸗
halten, er war auch nicht berechtigt; denn wie in dem
angefochtenen Beſchluſſe ausgeführt wird (vgl. Ritt⸗
mann GKG. § 80 b Anm. 7), tft die in Abſ. 2 a. E.
getroffene Beſtimmung, daß das Mahnverfahren und
der entſtehende Rechtsſtreit als eine Inſtanz gelten,
nur für die unmittelbar vorher in demſelben Abſatz
geregelte Höhe der Pauſchſätze einer Inſtanz von Be⸗
deutung, ſie enthält aber in keiner Weiſe eine An⸗
rechnungsvorſchrift. Ob die Anführung des 2. Ab⸗
ſatzes in den Erinnerungen etwa noch einem anderen
Zwecke diente und inſoweit berechtigt war, bedarf hier
keiner näheren Unterſuchung, da auch der in der Be-
ſchwerde ſelbſt enthaltene Angriff fehlgeht. Die Schluß⸗
folgerung, daß es, weil eine Gebühr nicht mehr zu
zahlen ſei, an einer „zum Anſatz gelangenden Gebühr
überhaupt fehle“, beruht auf einer Vermengung zweier
Begriffe, die völlig voneinander verſchieden ſind.
Der Gebührenanſatz ſelbſt beſteht ſeinem Weſen
nach in einer zu dem Zwecke der künftigen Befriedigung
der Staatskaſſe vorzunehmenden Unterſtellung gegebener
Tatbeſtände unter die Vorſchriften des GKG., er iſt
m. a. W. die der künftigen Befriedigung der Staats⸗
kaſſe dienende Rechnungsaufſtellung und bildet darum
auch die Grundlage der Einziehung (Pfafferoth, Ge⸗
richtskoſtenweſen, Anm. 2 zu 8 4 GKG.). Grundſätzlich
hat der Anſatz überall zu erfolgen, wo nicht kraft ge—
ſetzlicher Beſtimmung (vgl. z. B. 8 47 Abſ. 1 GKG.)
oder kraft eines auf geſetzlicher Ermächtigung erfolgenden
gerichtlichen Ausſpruches (8 6 GKG.) von vorneherein
feſtſteht, daß eine Gebührenerhebung überhaupt nicht
in Frage kommt. In Fällen dieſer Art bedarf es
natürlich keiner Rechnungsaufſtellung, ſo daß der An—
ſatz als ſolcher zu unterbleiben hat. Handelt es ſich
aber, wie hier, nur um die Frage, welcher Einfluß
dem Vorhandenſein einer nach geſetzlicher Vorſchrift
anzurechnenden Gebühr zukommt, fo iſt die Rechnungs-
aufſtellung als ſolche nicht entbehrlich. Denn erſt durch
eine hieran anknüpfende Rechnungsoperation ergibt
ſich bei Vergleichung der beiden Gebühren, ob der
Betrag der neuen Gebühr gemindert oder aufgezehrt
wird. Der hiernach unerläßlichen Rechnungsauf—
ſtellung fehlt aber auch nicht etwa der Zweck die künftige
Befriedigung der Staatskaſſe vorzubereiten. Denn es
kann keinen Unterſchied begründen, ob die Erledigung
eines ſtaatlichen Gebührenanſpruchs durch Zahlung
oder durch Anrechnung einer früher angeſetzten Gebühr
herbeigeführt werden ſoll. Die der Anrechnung not—
wendigerweiſe vorangehende Rechnungsaufſtellung hin—
ſichtlich der neuanfallenden Gebühr vereinigt hiernach
alle Vorausſetzungen für den Begriff des Gebühren—
anſatzes in ſich. Die Anrechnung ihrerſeits liegt nicht
mehr auf dem Gebiete des Anſatzes der neuen Gebühr.
Ihre Bedeutung fällt in das Gebiet des Erlöſchens des
Gebührenanſpruchs; denn durch die Anrechnung wird
der dem neuen Anſatz entſprechende Anſpruch teilweiſe
oder ganz rechneriſch getilgt (Itſchr. f. das Deutſche
Gerichtsſekretariat 1900 S. 241). Ob die rechneriſche
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|
des 8 4 GKG., Anſatz iſt, bedarf hier keiner näheren
Prüfung. Gleichfalls eine nur in das Gebiet der Til⸗
gung fallende Frage iſt es, ob die anzurechnende
höhere Gebühr vollſtändig bezahlt iſt, ſo daß eine
weitere Gebührenzahlung nicht ſtattzufinden hat. Des⸗
halb, weil auf eine Gebühr nichts mehr zu zahlen iſt,
kann alſo das Vorhandenſein eines die Berechnung
des Pauſchſatzes ermöglichenden Gebührenanſatzes nicht
in Frage geſtellt werden. Unter dieſen Umſtänden wäre
die Möglichkeit einer Abſetzung des beanſtandeten
Pauſchſatzes nur dann gegeben, wenn die Pauſchſätze
ihrer rechtlichen Natur nach Gebühren, nicht Auslagen⸗
vergütung wären, ſo daß die Anrechnung unmittelbar
aus 837 GKG. gefolgert werden müßte, was übrigens
die Beſchwerde gar nicht geltend macht. Daß den
Pauſchſätzen nicht die Natur von Gebühren zukommt,
daß ſie vielmehr trotz der Form ihrer Erhebung Aus⸗
lagen vergütung bleiben, hat der Erſtrichter zutreffend
ausgeführt.!) Es genügt in dieſer Richtung auf Ritt-
mann a. a. O. 8 80 b, Anm. 2, 8 37 Anm. 5 a. E.,
Neumiller, Die Zivilprozeßnovelle vom 1. Juni 1909
(S. 14, Fußnote 68 a) zu verweiſen. (Beſchluß vom
24. Februar 1911, Beſchw.⸗Reg. Nr. 716/10 N
2214 a
Oberlandesgericht Nürnberg.
Umfang des nicht vermögensrechtlichen Schadens
nach 3 847 B88. Aus den Gründen: Die Mit⸗
klägerin, eine achtjährige Bauerstochter, hat ſowohl
bei dem Unfalle ſelbſt, bei dem ihr der Zeige⸗ und
der Mittelfinger der rechten Hand im Grundgliede
ſchräg und ſcharf abgeſchnitten und der Ringfinger
bis auf den Knochen des Grundgliedes glatt durch⸗
ſchnitten wurde, als auch aus Anlaß der operativen
nung der Knochenſtümpfe und der Anlegung
von Wundnähten, ſowie während des vierwöchigen
mit wiederholten Gängen zu dem auswärts wohnenden
Arzt verbundenen Heilungsvorgangs ſehr heſtige, durch
Nervenaufregung und Schlafloſigkeit geſteigerte
Schmerzen erleiden müſſen, die durch die Jugend und
den Schrecken der Verletzten nicht, wie die Beklagten
einwenden, gemindert werden konnten. Zu dieſen
körperlichen Schmerzen traten bei und nach dem
Unfalle noch erhebliche ſeeliſche Schmerzzuſtände,
hervorgerufen durch den furchtbaren Schrecken und
durch den Anblick der verſtümmelten Hand. Dieſe
pſychiſchen Schmerzen werden ſich während der Lebens⸗
dauer der Verletzten beim Anblicke ihrer verkrüppelten
Hand und bei der Erinnerung an den Unfall er-
fahrungsgemäß immer wieder, wenn auch ſpäter viel:
leicht in geringerer Stärke erneuern. Auch dieſe
ſeeliſchen Schmerzen gehören zu den nach 8 847 BGB.
zu entſchädigenden Benachteiligungen der Verletzten
(RGRKomm. 1 S. 710 Anm. 4; Staudinger BGB.
3./4.] II. 2 S. 1542 Anm. 2, Oertmann, Schuldverh.,
Anm. zu $ 847; Rechtſpr. OLG. 20 S. 268; Recht 12
Nr. 2822 u. a. — gegen Rechtſpr. OLG. 18 S. 104).
Außerdem iſt noch die Tatſache der körperlichen Ver—
unſtaltung der Verletzten als ſolche nach 8 847 zu
berückſichtigen neben ihrer Bedeutung für den ma—
teriellen Schaden nach 8 842. Angeſichts aller dieſer
Umſtände können ſich die Berufungsführer, gleichviel
ob ihr Verſchulden gering war oder nicht und gleich—
viel wie ihre und der Kläger Vermögensverhältniſſe
gelagert ſind, keineswegs darüber beklagen, daß das
Landgericht der Verletzten 600 M hals rechte und billige
Entſchädigung nach 8 847 BGB. zuerkannt hat.
(Urteil vom 8. Febr. 1911, Ber.-Nr. L. 395/10). Br.
2199
2) Den gleichen Grundſatz bat nunmehr auch das Reichsgericht
zu § 98 Grc. ausgeſprochen (ſ. dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1911 Nr. 7
S. 162). Der Einſ.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Oberlandesgericht Bamberg.
Geſetzliche Bertretung einer bayerischen Landge⸗
meinde beim Vertragsabſchluß mit einem Dritten und
bei Zuſtellung einer Klage. Die Baufirma N. hat
gegen die Landgemeinde M. Klage 8 Zahlung von
3000 M mit folgender Begründung erhoben: Am 22.
Januar 1908 ſei zwiſchen der Klägerin und der Be⸗
klagten ein Werkoertrag geſchloſſen worden, durch
den die Gemeinde M. der Klägerin die zur Herſtellung
einer Waſſerleitung in M. erforderlichen Arbeiten und
Lieferungen um 30 000 M übertragen habe. Die Ver⸗
tragsurkunde hätten der Bürgermeiſter und zwei
Gemeindeausſchußmitglieder namens der Beklagten
unterzeichnet. Sie hätten dabei auf Grund eines Be⸗
ſchluſſes des Gemeindeausſchuſſes gehandelt und ſeien
demnach zum Abſchluſſe des Vertrags befugt geweſen.
Allein 14 Tage vor Beginn der Arbeiten habe die
Beklagte den Vertrag ohne Grund gekündigt. Sie
abe der Klägerin den mutmaßlichen Reingewinn von
000 M nach 8 649 BGB. zu erſetzen. Die Beklagte
wendete ein, die Klage ſei nicht vorſchriftsmäßig er⸗
hoben, weil ſie dem Bürgermeiſter zugeſtellt, geſetz⸗
licher Vertreter aber der Gemeindeausſchuß ſei; ferner
ſei der Vertrag unwirkſam, da ein ordnungsmäßiger
Mehrheitsbeſchluß des Gemeindeausſchuſſes über die
Bergebung der Waſſerleitungsarbeiten nicht zuſtande
gekommen ſei und weder der Bürgermeiſter noch die
zwei Gemeindeausſchußmitglieder eine beſondere Voll⸗
macht zur Vertretung der Gemeinde gehabt hätten.
Das LG. wies die Klage ab, weil der Bürgermeiſter
und die Gemeindeausſchußmitglieder nicht im Vollzuge
eines rechtsgültigen Beſchluſſes des Gemeindeausſchuſſes
und nicht im Rahmen ihrer geſetzlichen Vertretungs⸗
macht gehandelt hätten. Auf Berufung der Klägerin
hat das OLG. den Klageanſpruch dem Grunde nach
für berechtigt erklärt und die Sache zurückverwieſen.
Aus den Gründen: Die Klage wurde dem
Bürgermeiſter zugeſtellt. Damit iſt dem Erfordernis
des S 171 Abſ. 2 ZPO. genügt und die Klage vor⸗
ſchriftsmäßig erhoben. Die in 8 171 ZPO. bezeich⸗
neten Perſonen ſind unabhängig von ihrem Willen
geſetzliche Vertreter der Partei für die Entgegennahme
der Zuſtellung. Ob ſie zugleich namens der Partei
den Prozeß führen können und ſelbſt geſetzliche Ver⸗
treter der Partei ſind, darauf kommt es nicht an
(Gaupp⸗Stein ZPO. 8 171 I Abſ. 2 und Kahr GemO.
Bd. I S. 770 Note dc zu Art. 84). Die Angabe des
geſetzlichen Vertreters der Partei in der Klageſchrift
iſt kein abſolutes geſetzliches Erfordernis, da die Vor⸗
ſchrift in $ 130 Ziff. 1 ZPO. nur inſtruktioneller Natur
iſt und ein Mangel nachträglich berichtigt werden
kann. Es ſchließt ſogar die fehlerhafte Bezeichnung
der Partei in der Klageſchrift nicht ohne weiteres
die Gültigkeit der Klageerhebung aus und es iſt ſelbſt
in einem ſolchen Falle die Berichtigung der Klage
zuläſſig.
Unbegründet iſt aber auch der Einwand der Rechts⸗
unwirkſamkeit des Vertrags vom 22. Januar 1908.
Dieſer Vertrag iſt nach dem Klagevorbringen ein
Werkvertrag i. S. des 8 631 BGB. und als folder an
keine beſtimmte Form gebunden. In Gemeinden mit
Landgemeindeverfaſſung entſcheidet allerdings nur der
Gemeindeausſchuß als Kollegium mit Mehrheit darüber,
ob ein Vertrag namens der Gemeinde mit einem
Dritten geſchloſſen werden ſoll oder nicht (Art. 130
Gem.). Es ift demnach zunächſt zu prüfen, ob der
Gemein deausſchuß am 25. November 1907 über die
Uebertragung der Arbeiten und Lieferungen an die
Klägerin ordnungsmäßig Beſchluß gefaßt hat. Nach
dem Verlauf der Gemeindeausſchußſitzung ſteht zwar
nicht ganz einwandfrei feſt, ob die wirkliche Mehrzahl
aller anweſenden Ausſchußmitglieder dem Antrage des
Bürgermeiſters zugeſtimmt hat der Klägerin den Zu—
ſchlag zu erteilen. Dieſe Frage kann unentſchieden
2
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231
—
in Bayern. 1911. Nr. 10.
bleiben, weil der Klageanſpruch aus einem anderen
Grunde berechtigt iſt. Wie nicht beſtritten iſt, hat der
Bürgermeiſter nach der Gemeindeausſchußſitzung vom
25. November 1907 noch am gleichen Tage mit Tele⸗
gramm und beſonderem Schreiben namens der Ge⸗
meindeverwaltung der Klägerin mitgeteilt, daß ihr
der Zuſchlag auf ihr Angebot erteilt wurde. Das
gleiche berichtete er am 10. Dezember 1907 an das
Waſſerverſorgungsbureau zugleich mit der Anfrage,
ob mit der Klägerin noch weitere Vereinbarungen
zu treffen ſeien. Das Waſſerverſorgungsbureau er⸗
öffnete der Gemeindeverwaltung, daß eine Abſchrift
des Gemeindeausſchußbeſchluſſes über die Zuſchlags⸗
erteilung ſowie die Erklärung der Klägerin über deren
Bereitwilligkeit, den Bau am 1. März 1908 zu bes
ginnen, noch einzuſenden ſeien und daß ſodann die
Verträge vom Bureau entworfen und der Gemeinde
zugeleitet werden. Dieſer Aufforderung entſprach die
Gemeindeverwaltung mit Schreiben vom 22. Dezember
1907. Die beigelegte vom Bürgermeiſter und zwei
Gemeindeausſchußmitgliedern unterzeichnete und vom
Bürgermeiſter beglaubigte Abſchrift des Beſchluſſes
des Gemeindeausſchuſſes aus dem Sitzungsprotokoll
lautete im weſentlichen:
M., den 25. November 1907.
„In heutiger Sitzung, zu welcher die Mitglieder
der Gemeindeverwaltung vorſchriftsmäßig geladen und
auch erſchienen waren, kam zur Beſchlußfaſſung: Die
Ausführung der Waſſerverſorgungsanlage der Ge⸗
meinde wird dem Bauunternehmer N. (d. i. der
Klägerin) unter den vom K. Waſſerverſorgungsbureau
aufgeſtellten allgemeinen und beſonderen Bedingungen
übertragen“.
Am 7. Januar 1908 hat das K. Waſſerverſorgungs⸗
bureau zwei Vertragsentwürfe an die Gemeindever⸗
waltung mit dem Auftrage geſchickt, den Namen des
ernannten Baukaſſiers einzuſetzen und die rechtsver⸗
bindliche Fertigung zu vollziehen, ſodann die Verträge
wieder einzuſenden. Dieſem Auftrage hat die Ge⸗
meindeverwaltung in der Weiſe entſprochen, daß von
dem Bürgermeiſter und zwei Ausſchußmitgliedern am
22. Januar 1908 die zwei Vertragsentwürfe unter⸗
ſchrieben und darauf der Klägerin überſendet wurden.
Letztere hat die Entwürfe ſodann unterzeichnet und
dem Waſſerverſorgungsbureau vorgelegt. Damit war
der Werkvertrag zwiſchen der Klägerin und der Ge⸗
meinde M. geſchloſſen. Die Ausfertigung des dem
Waſſerverſorgungsbureau vorgelegten Gemeindeaus⸗
ſchußbeſchluſſes vom 25. November 1907 entſpricht der
Vorſchrift des Art. 145 Abſ. 7 GemO. Sie wurde
vom Bürgermeiſter in dem durch das Waſſerver⸗
ſorgungsbureau vermittelten Rechtsverkehr mit dem⸗
jenigen Unternehmer erteilt, deſſen Angebot nach dem
Inhalt des Beſchluſſes den Zuſchlag erhalten hatte,
und zwar als eine amtliche öffentliche Beurkundun
und zum Nachweiſe dafür, daß der Klägerin dur
e der Gemeindevertretung der Zuſchlag erteilt
wurde.
Die Gemeinde kann ſich der Haftung aus dem
Vertrage, der auf Grund der in zuſtändiger Weiſe und
rechtsförmig erteilten Ausfertigung unterzeichnet wurde,
nicht entſchlagen. Sie muß vielmehr den Vertrag als
bindend gegen ſich gelten laſſen, ſelbſt wenn die in
der Beſchlußausfertigung über das Vorliegen eines
ordnungsmäßigen Gemeindeausſchußbeſchluſſes ent⸗
haltene Beſtätigung der Wirklichkeit nicht entſpricht
und dieſer Beſchluß gar nicht zuſtande gekommen iſt,
weil der Gemeindevorſtand das Vorhandenſein eines
vom zuſtändigen gemeindlichen Organe gefaßten Be—
ſchluſſes im Rechtsverkehr mit Dritten amtlich be—
ſtätigt und bei Erteilung der Ausfertigung innerhalb
ſeiner geſetzlichen Zuſtändigkeit gehandelt hat. (Vgl.
Kahr, GemO. Bd. 1 S. 769 Abſ. 2 und S. 480 A. 8a
Abſ. 8, VerwGH. Bd. 7 S. 295, Bd. 10 S. 212 und
Bd. 11 S. 124, BlAdm pr. Bd. 22 S. 248 und Bd. 23
S. 17). Es würde der Billigkeit widerſtreiten, wenn
man verlangen wollte, daß die Klägerin vor Unter⸗
zeichnung der Vertragsurkunde erſt noch hätte unter⸗
ge ſollen, ob nicht etwa bei der Beſchlußfaſſung
es Gemeindeausſchuſſes die für den Bereich der Ver⸗
waltung der Gemeindeangelegenheiten beſtehenden
arch Vorſchriften verletzt worden ſind und ob
nicht allenfalls aus einer Nichtbeachtung dieſer Vor⸗
ſchaftlic für ſie als den mit der Gemeinde in rechtsge⸗
ſchäftlichen Verkehr tretenden Dritten Rechtsnachteile
Rain könnten. (Urt. des I. 38S. vom 4. März 1911,
09). G — -en.
L. 334
2230
Literatur.
Heinitz, Dr. E., Juſtizrat. Das Reichsgeſetz über das
Verlagsrecht. Textausgabe mit Einleitung, An⸗
merkungen und Sachregiſter. Zweite Auflage be⸗
arbeitet von Dr. B. Marwitz, Rechtsanwalt in
Berlin. 147 S. Berlin 1911. J. Guttentag, Ver⸗
lagsbuchhandlung. Gebd. Mk. 1.80.
Auf eine recht geſchickt zuſammengeſtellte Einleitung
läßt der Verfaſſer eingehende Erläuterungen der ein⸗
zelnen Paragraphen folgen; ſie ſtellen mit beſonderer
Sorgfalt die Beziehungen zum allgemeinen bürgerlichen
Rechte her und ſind in allen Fragen der täglichen
Praxis ein verläſſiger Führer. In Ausſtattung und
Druckanordnung teilt die Ausgabe die bekannten Vor⸗
züge der Guttentag'ſchen Sammlung.
Notizen.
Die allgemeine Einführung des Fingerabdruckver⸗
fahrens im Königreiche Bayern. Dem Beiſpiele Sachſens,
das ſchon im Jahre 1904 bei den Polizeibehörden der
größeren Städte und den Gerichtsgefängniſſen das Finger—
abdruckverfahren eingeführt hat, iſt nun erfreulicher-
weiſe auch Bayern gefolgt. Bisher war das Finger⸗
abdruckverfahren eingeführt ſeit 1. Juli 1909 bei der
Kgl. Polizeidirektion München, die am 1. Mai 1911
bereits über 16 127 Fingerabdruckblätter verfügte, ferner
feit einem Jahre bei den Arbeitshäufern St. Georgen⸗
Bayreuth und Rebdorf und außerdem bei einer ge—
ringen Anzahl größerer Gemeinden, die aber meiſt
nur ſchwere Verbrecher dieſem Verfahren unterwarfen.
Eine Entſchließung des Kgl. Staatsmini⸗
ſteriums des Innern vom 14. April 1911
(M ABl. S. 245) hat nunmehr die Ausbreitung eines
Netzes von Aufnahmeſtellen über das ganze Königreich
und die Errichtung einer Sammelſtelle angeordnet,
die zugleich Auskunftſtelle für die übrigen Behörden
fein fol. Als Sammel- und Auskunftsſtelle
wurde die Kgl. Polizeidirektion München be⸗
ſtimmt. Aufnahmeſtellen ſind einzurichten in den
kreis unmittelbaren Städten und den übrigen
Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern.
Das Abnehmen von Fingerabdrücken iſt auf beſtimmte
Kreiſe von Polizeigefangenen zu beſchränken. Als
ſolche Perſonen kommen in Betracht:
1. alle Zigeuner ohne Rückſicht auf Strafmündigkeit,
2. alle Feſtgenommenen, an deren Identität Zweifel
beſtehen,
3. alle Frauensperſonen, die unter ſittenpolizeilicher
Kontrolle geſtellt ſind,
4. alle diejenigen, die wegen der Art der Verbrechen
und Vergehen (Taſchen- und Ladendiebe, Hoch—
e
Päderaſten, Kuppler, Zuhälter, Schmuggler u. dgl.)
oder wegen des Verdachts der Rückfälligkeit als
gewohnheitsmäßige Verbrecher zu erachten ſind,
— — lm
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 10.
5. die wegen Uebertretung der 88 361 Nr. 3, 4, 6
oder 363 St. Feſtgenommenen. Die Abnahme
von Fingerabdrücken von einheimiſchen bekannten
Bettlern wird in der Regel unterlaſſen werden
können. ö
Die in den Fällen 1 und 2 aufgenommenen Finger⸗
abdrücke ſind jeweils ſofort, die übrigen wochenweiſe
amt den ausgefüllten Perſonalkarten an die Kgl. Po⸗
lizeidirektion zu ſenden.
Erſuchen um Auskunftserteilung find unmittelbar
an die Kgl. Polizeidirektion zu richten. Falls gewünſcht
wird, daß dieſe die Feſtſtellung des Feſtgenommenen durch
Ermittlungen bei außerbayeriſchen Behörden des In⸗
und Auslands übernimmt, hat die erſuchende Behörde
20 Stück der Fingerabdrücke (Originale oder photo⸗
graphiſche Vervielfältigungen) einzuſenden.
Zur Vervollſtändigung des Netzes der Aufnahme⸗
ſtellen iſt die Einführung des Fingerabdruckverfahrens
auch bei den Gendarmeriehauptſtationen und
bei den Gendarmerieſtationen am Sitze eines
Amtsgerichts angeordnet worden.
Die allgemeine Einführung des Fingerabdruck⸗
verfahrens bedeutet einen gewaltigen Fortſchritt auf
kriminaliſtiſchem Gebiete, der vor allem auch den Juſtiz⸗
behörden zugute kommen wird. Es ſteht ſelbſtver⸗
ſtändlich den Staatsanwälten und Strafrichtern frei
von jedem Unterſuchungs⸗ und Strafgefangenen, bei
dem ſie dies für notwendig oder zweckmäßig erachten,
Fingerabdrücke nehmen zu laſſen, und es iſt nur zu
erwünſchen, daß ſie von dieſer Gelegenheit den weiteſt⸗
gehenden Gebrauch machen. Wie nötig dies iſt, zeigt
ein Fall, der ſich vor einigen Wochen ereignet hat.
Ein zu lebenslänglichem Zuchtshaus verurteilter Raub⸗
mörder war aus einem heſſiſchen Zuchthaus entſprungen
und durch das nördliche Bayern nach Böhmen ge⸗
wandert. Eine böhmiſche Polizeibehörde nahm ihn
in Haft und ſandte ſeine Fingerabdrücke nach München,
ließ ihn aber wieder frei, da er dort nicht identifiziert
werden konnte. Später ſtellte ſich heraus, daß der
Mann von zwei oberfränkiſchen Amtsgerichten unter
gen Namen abgeurteilt worden war. Wären fchon
m Zuchthaus oder in einem der beiden Amtsgerichts⸗
gefängniſſe ſeine Fingerabdrücke genommen worden,
ſo hätte er ohne Mühe identifiziert werden können,
ſo aber erfreut er ſich jetzt noch der goldenen Freiheit.
Die Errichtung von Aufnahmeſtellen an allen
Amtsgerichtsſitzen erleichtert nun auch auf dem Lande
die Ermittlung unbekannter Leichen durch
Fingerabdrücke, die kürzlich bei der Ermordung der
Proſtituierten Monika Huber in München ſo raſch und
ſicher gelang. Das Abnehmen von Fingerabdrücken
ſollte bei unbekannten Leichen nie verfäumt werden.
Es führt meiſt ſicherer zum Ziel als das Photo»
graphieren und das Ausſchreiben in den Fahndungs—
blättern. Auch bei Waſſerleichen kann man, wenn die
Haut nicht bereits völlig zerſtört iſt, oft noch brauch—
bare Fingerabdrücke gewinnen. Die Aufnahmeſtellen
erhalten von der Polizeidirektion eine ausführliche
Anweiſung zum Abnehmen der Fingerabbrücke, die
auch das Daktyloſkopieren von Leichen behandelt. In
allen Fällen, in denen man ſchlechte Abdrücke erhält,
empfiehlt es ſich, die Aufnahme zu wiederholen und
der an die Landeszentrale in München gerichteten
Anfrage gleich mehrere Fingerabdruckblätter beizu—
legen. Dies gilt vor allem auch dann, wenn Finger—
abdrücke, die am Tatort auf Glas, Papier u. dgl.
zurückgeblieben ſind, mit dem Fingerabdruckblatt eines
der Tat Verdächtigen verglichen werden ſollen.
Dr. Tb. Harſter.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Fran; Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ar. 11.
München, den 1. Juni 1911.
1. Jahrg.
Zeitschrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
„3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und NJ.
Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Jas Keichszuwachsſteuergeſetz.
Von Profeſſor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn.
Dem am 1. April 1911 mit Rückwirkung
bis zum 1. Januar 1911 in Kraft getretenen
Reichszuwachsſteuergeſetze vom 14. Februar
19119) liegt der Gedanke zugrunde, daß der:
jenige, der ohne eigenes Zutun, insbeſondere nicht
durch Aufwendung eigener oder von ihm ent⸗
lohnter Arbeit noch durch eigene geldwerte Sach⸗
aufwendungen (Kapital), ſondern infolge von
Maßnahmen der organiſierten Gemeinſchaft (Reich,
Staat, Kreis, Gemeinde uſw.) oder lediglich als
Niederſchlag der geſamten geſellſchaftlichen Kultur⸗
arbeit an ſeinem Grundbeſitz eine Werterhöhung
erfahren hat, von dieſer einen progreſſiv mit
ihr wachſenden Teil als Steuer an die Gemein⸗
ſchaft in dem Augenblicke abführen ſoll, wo er
pielen „unverdienten Wertzuwachs“ durch Kauf,
auſch oder ſonſtwie in Geld oder Geldeswert
realiſiert. Die Zuwachsſteuer enthält alſo eine
Beſteuerung von verwirklichten Konjunktur⸗ oder
Spekulationsgewinnen an den im Reiche liegenden
Grundſtücken. Den Grundſtücken völlig gleich
werden in dieſer Hinſicht die vom Reichs⸗ oder
Landesrecht den Srundftüden gleichgeſtellten „Be:
rechtigungen“, wie Bergwerkseigentum, Erbbau⸗
recht, Apothekengerechtigkeit uſw., behandelt. Die
Steuerpflicht iſt an die Übertragung des Eigen⸗
tums geknüpft und wird durch die Eintragung
der Rechtsänderung in das Grundbuch, wo ſolches
fehlt, durch die Umſchreibung in den öffentlichen
Büchern begründet. Erfolgt dieſe nicht binnen
Jahresfriſt ſeit dem Abſchluſſe des Veräußerungs⸗
in Bayern
|
Berlag von |
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
München und Berlin.
Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
Inſertionsgebühr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzelle
oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellenanzeigen
A 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
233
ſind, das letzte die Steuerpflicht. Für die Veran⸗
lagung iſt dann der Zeitpunkt maßgebend, wo
das Rechtsgeſchäft oder das letzte Rechtsgeſchäft
abgeſchloſſen wurde.
Da die Umgehung der bisher beſtehenden
landesgeſetzlichen und kommunalen Zuwachsſteuern
ſehr in Schwung war und die ſyſtematiſche An⸗
leitung dazuzſogar einen einträglichen neuen Beruf
bildete, ſo iſt das Zuwachsſteuergeſetz mit einer
ganzen Reihe von Vorſchriften durchſetzt, welche
die neue Reichsſteuer vor der gleichen Gefahr be⸗
hüten ſollen. Dazu gehört namentlich, daß als
Rechtsgeſchäfte im obigen Sinne auch gewiſſe Rechts⸗
handlungen gelten, die in den Dienſt der Um⸗
gehungsabſicht geſtellt zu werden pflegen, nämlich:
Weiterübertragung der Rechte des Grundſtücks⸗
erwerbers oder der Rechte aus bindenden Ver⸗
äußerungsanträgen oder aus Verträgen, die zu
Veräußerungen verpflichten, Abtretung der Rechte
aus dem Meiſtgebot, Erklärung des Meiſtbietenden,
ſür einen anderen geboten zu haben, und Ver⸗
äußerungsermächtigungen. Auch wird die Be⸗
ſteuerung nicht ausgeſchloſſen durch die Verdeckung
des beabſichtigten ſteuerpflichtigen mittels eines
nichtbeabſichtigten, an ſich ſteuerfreien Rechtsge⸗
ſchäfts. Da die Bildung einer Geſellſchaft zwiſchen
Veräußerer und Erwerber und Uebertragung der
Geſellſchaftsanteile des erſteren auf den letzteren
eine beſonders beliebte Steuerumgehungsform iſt,
ſo iſt dem Uebergange von Grundſtückseigentum
hinſichtlich der Steuerpflicht gleichgeſtellt der Ueber⸗
gang von Rechten am Vermögen einer Geſell⸗
ſchaft, ſoweit dieſes aus Grundſtücken beſteht, wenn
zum Gegenſtande der Unternehmung die Ver⸗
geſchaftes, jo begründet mit Ablauf der Friſt wertung von Grundſtücken gehört oder die Geſell⸗
dieſes ſelbſt und, wenn innerhalb dieſer Friſt
mehrere ſolche Rechtsgeſchäfte abgeſchloſſen worden
) Mit Einleitung, Erläuterungen, den Ausführungs—
beſtimmungen des Bundesrats, Preußens, Bayerns und
Sachſens und ausführlichem Sachregiſter für den Hand—
gebrauch erſcheint alsbald nach Veröffentlichung der Voll—
zugsvorſchriften vom Verfaſſer dieſes Artikels eine Aus⸗
|
ſchaft zwecks Erſparung der Zumadhiteuer gebildet
iſt. Ausgenommen ſind jedoch Aktiengeſellſchaften,
und zwar notgedrungen, weil der Uebergang von
|
|
Inhaberaktien ſich jeder Kontrolle entzieht. Die
„Verwertung“ umfaßt nicht bloß Veräußerungen,
ſondern auch alle Vorgänge, die dieſer mirtichaft:
gabe bei J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) in Mün⸗ lich gleichkommen, anderſeits aber nur ſolche Ver⸗
chen (Schweitzers blaue Textausgaben mit Anmerkungen). äußerungen, die auf Nutzbarmachung des Mehr—
234
werts hinzielen. Kuxe, bewegliche wie unbeweg⸗
liche, ſind nur ſoweit ſteuerpflichtig, als die ſoeben
genannten Vorausſetzungen zutreffen.
Steuerfrei ſind: 1. Zur Schonung der
minderbemittelten Klaſſen Veräußerer, die nebſt
ihrem Ehegatten im letzten Jahre nicht über
2000 M, Einkommen (ohne Berückſichtigung von Ab⸗
zugsberechtigungen wie Kinderprivileg u. a.) be⸗
zogen und keinen gewerbsmäßigen Grundſtücks⸗
handel treiben, wenn der Veräußerungspreis (bei
Teilveräußerungen der des Geſamtgrundſtücks) bei
unbebauten Grundſtücken 5000 V, bei bebauten
20 000 M nicht überſteigt. 2. Landesfürſt und
⸗Fürſtin, ſofern nicht die Landesgeſetze, wie in
Lippe, Ausnahmen zugunſten der Gemeinden
machen, bezüglich der in ihrem Lande, — Reich,
Staat und Gemeinden bezüglich der in ihrem
Bereiche belegenen Grundſtücke, und gemeinnützige
Siedlungsgeſellſchaften. 3. Aller Erwerb von
Todes wegen, durch Schenkung, durch eheliche Güter: |
gemeinſchaft oder deren Aufhebung, durch Teilungs⸗
Obſtbäume und Weinſtöcke nebſt den haͤngenden
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
— — — — nn
ganze aufſtehende Ernte, der ganze Holzbeſtand
der Forſten, auch der noch nicht ſchlagreife, die
Früchten, nicht aber die Bergwerksprodukte. Der
Preis beſtimmt ſich nach dem Geſamtbetrage
der Gegenleiſtung einſchließlich der vom Erwerber
übernommenen oder ihm infolge der Veräußerung
obliegenden Leiſtungen und der vorbehaltenen oder
auf dem Grundſtücke laſtenden Nutzungen, bei
Zwangsverſteigerungen nach dem Betrage des
Meiſtgebots, zu dem der Zuſchlag erteilt wird,
einſchließlich der vom Erſteher übernommenen
Laſten. An die Stelle eines nicht vereinbarten
oder nicht zu ermittelnden Preiſes tritt der ge⸗
meine Wert des Grundſtücks. Der Wert wieder⸗
kehrender Leiſtungen oder Nutzungen wird nach
den Vorſchriften des Erbſchaftsſteuergeſetzes be:
|
verträge zwiſchen Erben oder Teilnehmern an
einer Gütergemeinſchaft oder durch Zuſchlagser⸗
teilung an eine ſolche Perſon bei Teilung im
Verſteigerungswege, ferner Erwerb der Abkömm⸗
linge von den Verwandten aufſteigender Linie,
Einbringen in eine aus dem Veräußerer und
ſeinen Abkömmlingen oder nur aus letzteren be⸗
ſtehende Geſellſchaſt, ſolange nicht ein fremder Geſell⸗
ſchafter hinzutritt, Einbringen von Nachlaßgegen⸗
ſtänden in eine Vereinigung von Miterben, Grund—
ſtücksaustauſch bei Zuſammenlegungen (Flurbe⸗
reinigungen), Grenzregelungen oder Umlegungen
und Ablöſungen von Rechten an Forſten, ſoweit
eine Behörde ſolche Maßnahmen anordnet oder
als zweckdienlich anerkennt, endlich der Austauſch
von Feldesteilen zwiſchen angrenzenden Bergwerken
oder ſolchen, die behufs beſſerer techniſcher Aus—
nutzung vereinigt werden. In allen dieſen Fällen
(zu 3) iſt aber die Steuerpflicht nicht auſgehoben,
ſondern nur aufgeſchoben, nämlich bis zum nächſten
ſteuerpflichtigen Eigentumsübergang, bei dem dann
rechnet. Sind ſteuerpflichtige und freie Gegen⸗
ſtände zuſammen veräußert, ſo muß der Steuer⸗
pflichtige der Steuerbehörde die Einzelpreiſe oder
⸗Werte angeben, andernfalls beſtimmt dieſe den
Anteil der erſteren an der Geſamtſumme. Geht
das Eigentum nur eines Grundſtücks teil es über,
ſo wird deſſen Erwerbspreis nach Verhältnis ſeines
— . —.—— . 7⏑§ßꝗmn g .,
}
0
preiſes angeſetzt werden,
der ganze, während der Beſitzzeit ſowohl des
Veräußerers als ſeines Rechtsvorgängers ent:
ſtandene Wertzuwachs der Steuerberechnung zu—
grunde gelegt wird. Es wird dann alſo auf
den Erwerbspreis beim letzten, im Sinne des
Geſetzes ſteuerpflichtigen Rechtsvorgang zurück—
gegangen.
Als ſteuerpflichtiger Wertzuwachs gilt
der Unterſchied zwiſchen dem Erwerbs- und Ver—
äußerungspreiſe mit den gleich zu erwähnenden
Zu: und Abrechnungen. Zum Grundſtücke ge:
hören begrifflich die Erdoberfläche und die mit
ihr als weſentliche Beſtandteile verbundenen
Gegenſtände. Doch kommen vom Preiſe in
Abzug der Wert der vom Veräußerer über—
nommenen Laſten, der Maſchinen und der noch
mit dem Boden zuſammenhängenden Erzeugniſſe
des Grundſtücks. Zu letzteren gehören u. a. die
+
Wertes zu dem des Geſamtgrundſtücks berechnet.
Der jo ermittelte Unterſchied zwiſchen Erwerbs:
und Veräußerungspreis enthalt aber ſowohl den in
obigem Sinne verdienten wie den nach Abſicht des
Geſetzes allein ſteuerpflichtigen unverdienten Wertzu⸗
wachs. Der erſtere muß alſo noch ausgeſchieden
werden. Das geſchieht dadurch, daß dem Erwerbs:
preiſe hinzugerechnet wird der Wert der Aufwen⸗
dungen, die innerhalb des der Steuerberechnung
zugrunde zu legenden Zeitraums in das Grund—
ſtück gemacht worden ſind, ſo wie ſie das Geſetz
ſpezialiſiert. Dadurch vermindert ſich der Unter⸗
ſchied zwiſchen den beiden Preiſen um dieſen ver⸗
dienten Wertzuwachs, jo daß nur der unverdiente.
das reine Steuerobjekt, zurückbleibt. Außer den
Erwerbskoſten, die vorbehaltlich der Nachweiſung
eines höheren Betrages mit 4% ↄ des Erwerbs—
gehören hierher zwei
Gruppen von Aufwendungen:
1. Solche für noch vorhandene Bauten, Um:
bauten und ſonſtige dauernde beſondere Ber:
beſſerungen, auch land- und forſtwirtſchaftlicher
Art, und für bergmänniſche Verſuchs- und Aus—
richtungsarbeiten, ſoweit ſie nicht der laufenden
Unterhaltung von Baulichkeiten oder Bewirt⸗
ſchaftung von Grundſtücken dienen. Als Ent—
ſchädigung für die mit der Aufwendung ver—
bundene Arbeit dürfen außerdem 5 %ũ und wenn
der fie ausführende Veräußerer Baugewerb—
treibender oder -Handwerker iſt, 1576 Ä des an:
rechnungsfähigen Wertes hinzugerechnet werden.
Iſt aber der Unternehmer eine Geſellſchaft oder
Genoſſenſchaft, jo muß Ne aus Baugewerbetrei—
benden oder - Handwerkern beſtehen, um dieſen
Vorzug zu genießen. Nicht anrechnungsfähig ſind
durch ausgezahlte Verſicherungsſummen gedeckte
Zeitſchrift für Rechtspflege
Aufwendungen, wenn fie zur Wiederherſtellung
von Baulichkeiten gemacht wurden, die vor dem
gedachten Zeitraum errichtet waren. Im Intereſſe
der Landeskultur darf bei Meliorierung von Moor-,
Sumpf-, Oed⸗ oder Haideland die Erhöhung des
Ertragswertes ſtatt des Wertes der Aufwendungen
hinzugerechnet werden. Hatte der jetzige Ver⸗
aͤußerer das Grundſtück in einer Zwangsver⸗
ſteigerung erworben, in der er als Hypotheken⸗
oder Grundſchuldgläubiger mit feiner Forderung
ausgefallen war, ſo iſt der ausgefallene Betrag
dem Erwerböpreile bis zur Höhe des damaligen
Grundſtückswertes oder, wenn der Wert zur Zeit
der Eintragung der Forderung höher war, zu
dieſem Werte hinzuzurechnen. Denn einen Ge⸗
winn erzielt der Veräußerer am Grundſtück erſt
nach Einholung jenes Verluſtes durch die Wert⸗
ſteigerung. Hatte er die Forderung gegen Ent⸗
gelt erworben, ſo beſchränkt ſich die Anrechnung
auf deſſen Höhe.
2. Die Aufwendungen, Leiſtungen und Bei⸗
traͤge für Straßenbauten u. a. Verkehrs⸗ ein⸗
ſchließlich Kanaliſierungs-Anlagen, ferner unver⸗
goltene Beiträge ſür ſonſtige öffentliche Einrich⸗
tungen. Ihnen ſind für jedes volle Jahr des
gedachten Zeitraums, längſtens jedoch für 15 Jahre,
4% ihres Betrages hinzuzurechnen.
Die völlige Ausſcheidung des unverdienten
Wertzuwachſes leidet jedoch unter dem doppelten
Mangel der fortſchreitenden Geldentwertung und
der großen natürlichen Schwierigkeiten, die vielfach,
namentlich bei landwirtſchaftlichem Befitz, entſtehen,
ſoweit der höhere Verkaufswert auf beſonders
ſorgfältige Bodenpflege durch den Veräußerer
und ſeine Familie zurückzuführen iſt, alſo auf
Leiſtungen, die ihrer Natur nach nicht unter jene
anrechnungsfähigen Sachaufwendungen fallen.
Hier nimmt das Geſetz eine Art von ſummariſchem
Ausgleich für die ſonſt eintretende Schädigung des
Veräußerers dergeſtalt vor, daß dem Erwerbs⸗
preiſe für denſelben Zeitraum ferner hinzugerechnet
werden: vom Betrage des Erwerbspreiſes und
der obigen Anrechnungen, ſoweit er 100 ,
bei Weinbergen 300 M, pro Ar nicht überſteigt,
2½ ; vom Mehrbetrage bei unbebauten Grund⸗
ſtücken 2, bei bebauten 1 /. Dieſe Sätze er⸗
mäßigen ſich bei den unbebauten auf die Hälfte,
wenn der Zeitraum nicht mehr als 5 Jahre be⸗
trägt. Anderſeits find vom Veräußerungspreiſe
abzuziehen die Veräußerungskoſten und auf An⸗
trag des Veraͤußerers als billige Entſchädigung
für den Fall, daß das Grundſtück ihm während
ſeiner Beſitzzeit keinen oder einen unternormalen
Jahresertrag brachte — ſo daß alſo der wirkliche
Gewinn ſich um ebenſoviel geringer ſtellt, ja viel:
leicht auf Null herabſinkt oder gar in Verluſt
wandelt — der Betrag, um den dieſer Ertrag im
ſelben Zeitraum, doch nicht länger als für 15
zuſammenhängende Jahre, hinter 3% des um
die obigen Anrechnungen erhöhten Erwerbspreiſes
in Bayern. 1911. Nr. 11.
235
zurückbleibt. Zuſammenhängend müſſen die 15
Jahre ſein, damit nicht der Pflichtige ſich, wenn
der Zeitraum größer iſt, die für ihn vorteil:
hafteſten, alſo ertragſchwächſten Jahre herausſucht.
Im übrigen werden Verluſte bei Grundſtücksver⸗
äußerungen nur dann berückſichtigt, wenn Teile
eines örtlich und wirtſchaftlich zuſammenhängenden
Beſitzes innerhalb 3 Jahren vom Veräußerer oder
ſeinen Erben durch verſchiedene Rechtsakte teils
mit Gewinn teils mit Verluſt veräußert werden.
Der Verluſt darf dann vom Gewinn abgezogen
werden. (Schluß folgt.)
Die Bedeutung der Neſſungsanerkeunung.
Von Rechtsanwalt Joſeph Fehler in Regensburg.
I. 1. Die Klägerin iſt Eigentümerin des Grund⸗
ſtückes Pl.⸗Nr. 45 b zu 0,062 ha und als ſolche
im Grundbuch eingetragen. Die Beklagten find
Beſitzer und Eigentümer des unmittelbar angren⸗
zenden Grundſtückes Pl.⸗Nr. 470 zu 0,034 ha
und als ſolche gleichfalls im Grundbuch eingetragen.
Im Frühjahr 1910 ließen die Beklagten ihre
Wieſe Pl.⸗Nr. 470 neu vermeſſen. Die Vermeſſung
ergab, daß die Kataſterplangrenze nördlich der
tatſächlich eingehaltenen Grenze verlief. Den Be⸗
klagten fiel durch die neue Vermeſſung ein Grenz⸗
ſtreifen von etwa 33 m Länge und einer zwiſchen
0,50 bis 3 m ſchwankenden Breite zu, d. h. ihr
Grundſtück Pl.⸗Nr. 47a wurde um dieſe Fläche
größer, das der Klägerin Pl.⸗Nr. 45 b um eben⸗
ſoviel kleiner.
Beide Parteien haben die Meſſung anerkannt,
das geometriſche Meſſungsprotokoll unterzeichnet
und in die Setzung von Grenzſteinen durch den
Geometer eingewilligt.
2. Später erhob die Klägerin Klage zum
Amtsgerichte und beantragte Verurteilung der Be:
klagten dazu, daß fie ihr Eigentum an dem meg:
gemeſſenen Grenzſtreifen anerkennen. Sie beſtritt
die Rechtsgültigkeit der Abmarkung und behauptete,
das Eigentum an dem weggemeſſenen Grenzſtreifen
durch Verjährung erworben zu haben.
3. Fälle dieſer Art ſind häufig von den Ge⸗
richten zu entſcheiden und es rechtfertigt ſich eine
Unterſuchung über die rechtliche Bedeutung der
Meſſungsanerkennung, die zu folgendem Ergebniſſe
führen wird.
II. a) Die Grenze zwiſchen den Grundſtücken
Pl.⸗Nr. 45 b und 47a war vor der amtlichen
Vermeſſung am 29. April 1910 nicht durch amt:
lich geſetzte Grenzſteine vermarkt. Die Streitsteile
(die Eigentümer) hatten folglich gegenſeitig einen
Abmarkungsanſpruch im Sinne des § 919 BGB.
(j. Meisner, Nachbarrecht, 2. Aufl. S. 20; Stau:
dinger, Sachenrecht, 3. Aufl. Aum. 3 zu § 919).
Jeder Abmarkung hat eine Feſtſtellung der
Grundſtückgrenzen vorauszugehen (AbmGeſ. Art. 1
236 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
Abſ. 1; ſ. Staudinger, Sachenrecht, a. a. O., Ob.⸗ Grenzfeſtſtellungsvertrag wird in Fällen von der
LG., Strafſ. Bd. 5 S. 164; VerwGHH. Bd. 23, Art des vorliegenden auch deswegen verlangt, weil
232 ff.; Warneyers Jahrbuch 1908 zu 88 919, 920 ſich das Eigentum an jenem Grundſtücksteile ändere,
BGB.; Komm. d. Reichsgerichtsräte Erl. zu 919). der durch die vollendete Erfitzung getroffen wird;
Die Grundſtückgrenze kann in einem richter⸗ da eine Aenderung des Grundbuchs notwendig fei,
lichen Urteile beſtimmt werden. Dieſe Grenzfeſt⸗ könne der Vertrag nur in den Formen der 88 19 ff.
ſtellung können aber auch die Parteien ſelbſt in GBO. und der 88 873, 925 BGB. erfolgen.
einem formloſen Vertrag vornehmen, wenn keine Dieſer Satz geht jedenfalls zu weit. Es wird
der anderen einen Grundſtücksteil zu übereignen ein Unterſchied zu machen ſein zwiſchen Angaben
verſpricht (. Staudinger, Sachenrecht a. a. O.; über die tatſächlichen Verhältniſſe des Grundſtücks
Komm. d. Reichsgerichtsräte S. 258; Gruchots und ſolchen Angaben, die eine rechtliche Beziehung
Beiträge Bd. 50 Beilagenheft S. 939; Allgem. des Grundſtückseigentümers zum Grundſtücke nach⸗
Vermeſſungsnachrichten 18. Jahrg. 1906 S. 374). weiſen (vgl. RG3. Bd. 73 S. 125 ff. und Ober⸗
Die wechſelſeitige Grenzvermarkung durch die neck, Reichsgrundbuchrecht, 9. Aufl. S. 390). Denn
Grundſtücksnachbarn bei Gelegenheit der Grenz: wenn die katſächlichen Angaben z. B. über die
vermeflung durch einen Geometer iſt ein ſolcher Größe des Grundftüdes — Pl.⸗Nr. 47 a zu 0,034 ha
Grenzfeſtſtellungsvertrag. — nicht unter dem Schutze des öffentlichen Glau⸗
b) Hier könnte man einwenden, der Vertrag bens ſtehen, dann haben die Realberechtigten feinen
unterliege der Vorſchrift des 5 313 BGB. des: Anſpruch auf unverſehrte Erhaltung dieſer aus
halb, weil man die gewonnene Grenze erſt dadurch dem Kataſter herübergenommenen Angaben. Wenn
erhalte, daß der eine Nachbar — die Klägerin — kein ſolcher Anſpruch beſteht, dann können dieſe
jenen Teil ihres Grundſtückes abtrete, den fie in⸗ tatſächlichen Angaben jedenfalls ohne Zuſtimmung
folge einer vor dem Inkrafttreten des Reichsgrund⸗ der Realberechtigten geändert werden, und zwar
buchsrechts vollendeten Erſitzung erworben habe ohne Beobachtung von Formen, ſoweit die 88.19 ff.
(1. Meisner, Nachbarrecht, 2. Aufl. S. 21 Anm. 4; | GBO. eine ſolche nicht ausdrücklich vorſchreiben.
Brettreich⸗Scheurl, AbmarkG. S. 26). ! 2 a
Dagegen ift folgendes zu erwidern: Es wird „on win mad n. gem das Aa
bei der Grenzfeſtſtellung über das Grundeigentum | don eumeſſungen ohne Zuſtimmung der Real:
mitentſchieden. Aber das iſt nicht der Zweck der berechtigten in das Grundbuch einzutragen und
Feſtſtellung; ſondern es ſoll die Unſicherheit der ſo a des Dun zu 8 Wollte
Grenze beſeitigt werden (ſ. Dernburg, Sachenrecht nan Die Frage nach der zuläſſigen Form von
S. 264; Gruchots Beitr. Bd. 34 S. 134; JW. Grundbuchberichtigungen allgemein beantworten,
1881 S. 174). j ſo wäre die Entſcheidung vielleicht darauf abzu⸗
Der Vertrag ſoll keinen Anſpruch auf Ueber⸗ ſtellen, ob durch die Aenderung des Grundbuch-
tragung einer beſtimmten Grundſtücksfläche ſchaffen; 8 1 5 Sinne 5 8 705
ſondern er ſetzt die Grenzen jo feſt, daß das Eigen: a 10 rn le er nicht. ie ann aber
tum an dem diesſeits oder jenſeits der Grenze unentſchieden bleiben. Den jedenfalls iſt ſoviel
liegenden Stücke der ſtreitigen Fläche dem Nachbar ſicher, 8 die Beobachtung der mehrfach bezeich⸗
zum Eigentum zugeteilt wird (vgl. OL GRſpr. neten Vorſchriften in jenen Fällen nicht verlangt
Bd. 20 S. 205). nn 1 1 ee nos
if it vertrag gerade jenes Grundſtück gewonnen wird,
%%% das durch Kataſter und Flurpläne und den Ein⸗
nur dann ein, wenn ſich eine Partei der andern a j
oder beide Parteien gegenſeitig verpflichten, Grund: 9 925 uns als Plannummer 47a aus⸗
ſtücksteile abzutreten. Nur der obligatoriſche Ver⸗ .
Das ergibt ſich aus folgendem:
trag, der die Verpflichtung zu einer dinglichen
Rechtsänderung enthält, unterliegt dieſer Beſtim— d) Solange die Erſitzung keinen grundbuch⸗
mung. Der Grenzfeſtſtellungsvertrag verpflichtet mäßigen Ausdruck gefunden hat, beſteht allenfalls
für beide Grundſtücksnachbarn ein Anſpruch auf
aber nicht zur Uebertragung von Grundeigentum.
Die Parteien wollen gar nichts von ihrem Eigen- Berichtigung des Grundbuchs, wenn dieſes infolge
tum veräußern, ſondern ſie haben nur den Willen | der Erſitzung unrichtig wurde. Wenn aber eine
jene Linie feſtzuſetzen, an der das Eigentum des Partei auf den Anſpruch aus der Erſitzung ver⸗
einen Teils aufhört und das des andern beginnt. zichtet, dann fällt ohne weiteres der Berichtigungs⸗
Durch den Vertrag wird feſtgeſetzt, was nach ihrer anſpruch weg. Der Verzicht auf den Berichtigungs—
übereinſtimmenden Anſchauung einem jeden bereits | anſpruch und auf die Erſitzung kann jedenfalls
gebührt (ſ. RG. in Gruchots Beitr. Bd. 50, Bei- mit perſönlicher Wirkung unter den Beteiligten
lagenheft S. 937; Deruburg, Sachenrecht S. 264). ) | formlos erklärt werden, ausdrücklich und auch ſtill⸗
N Die Beobachtung der notariellen Form beim ſchweigend. Der Verzicht auf die Verjährung be—
durfte vor dem BGB. keiner Form (ſ. Savigny.
) Vgl. auch die Entſcheidung des Reichsgerichts im Syſtem des röm. Rechts, Bd. 5 S. 412; Unter⸗
Jahrgang 1906 dieſer Zeitſchriſt S. 227. holzner, Verjährungslehre S. 93f.).
Auch das bürgerliche Recht enthält keine ſolche
Formvorſchrift. Es iſt auch ſonſt kein Rechts⸗
grund erſichtlich, warum ein ſolcher Verzicht heute
der Form bedürfte, ſolange wenigſtens das Er⸗
gebnis der Erſitzung nicht im Grundbuch ſteht.
Wer dieſe Annahme nicht billigt, muß notwendig
annehmen, daß in Fällen, wie dem vorliegenden,
das Grundbuch zuerſt dadurch zu berichtigen iſt,
daß das Eigentum an dem durch die Erſitzung
betroffenen Grundſtücksteil umgeſchrieben wird,
und daß dieſer Eintrag alsdann durch eine neue
Berichtigung gemäß $ 873 BGB., 88 19 ff. GBO.
im Sinne des Verzichtes auf das ſo erworbene
Eigentum wieder beſeitigt wird.
Eine ſolche Annahme kann nicht befriedigen.
Nur der formloſe Verzicht auf den Berichtigungs⸗
anſpruch des $ 894 BGB. und das Recht aus
der Erfitzung entſpricht dem Verkehrsbedürfnis.
Wenn der Verzicht auf die Erſitzung formlos er⸗
klärt werden kann — ausdrücklich oder ſtill⸗
dieſem Grunde auch nicht für ungültig erklärt
werden.
Daß die bei Gelegenheit einer geometriſchen
Vermeſſung vorgenommene Grenzanerkennung ein
Vertrag über die Feſtſtellung der Grenze iſt, dürfte
kaum beſtritten werden können.
Landeskriminalpolizei.
Von Dr. Theodor Harſter, Bezirksamtsaſſeſſor bei der
Kgl. Polizeidirektion München.
Die Vervollkommnung der Organiſation und
der Hilfsmittel der Kriminalpolizei iſt in der
letzten Zeit in einer Anzahl deutſcher Bundes⸗
ſtaaten erfreulicherweiſe erheblich gefördert
worden. Neben dem ernſten Beſtreben im eigenen
Lande die Kriminalpolizei zu wirkſamem Kampfe
gegen das Verbrechertum mit den erprobteſten
Waffen auszurüſten, macht ſich da und dort be—
reits der dringende Wunſch fühlbar, daß die ge—
ſamte Kulturwelt ſich zur einheitlichen Führung
dieſes Kampfes zuſammenſchließen möge. Leider
liegt dieſes Ziel, trotzdem ihm die Entwicklung
jetzt entſchloſſener und raſcher zuſtrebt als bis⸗
her, noch in ſehr weiter Ferne. Nur wenige
Staaten beſitzen jetzt ſchon eine Kriminalpolizei,
die in Bezug auf Organiſation, Leitung, Be—
fähigung der Beamten, Ausrüſtung und Schlag⸗
fertigkeit durchweg — und zwar überall, nicht nur
in einigen Großſtädten — allen Anforderungen
entſpricht, die vernünftigerweiſe geſtellt werden
können. Ueber die beſten Einrichtungen verfügt
wohl Frankreich, das ja überhaupt auf krimi—
naltechniſchem Gebiete immer noch alle anderen
Kulturſtaaten hinter ſich läßt. Durch ein Geſetz
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11. N
237
vom 28. Dezember 1907 hat Frankreich ſein
geſamtes Staatsgebiet in 12 Kriminalpolizeibezirke
geteilt.) Die aus 4 Kriminalkommiſſaren und
10 Kriminalſchutzmännern beſtehenden „Brig ad es
regionales de police mobile“ unterſtehen
unmittelbar der Generaldirektion in Paris. Sie
haben ſich nur mit der Behandlung von Ver⸗
brechen, beſonders von Kapitalverbrechen zu be⸗
ſchäftigen, ſind mit allen Errungenſchaften der
Kriminaltechnik ausgeſtattet und — was beſonders
wichtig iſt — in ihrer Arbeit nicht durch Zu⸗
ſtändigkeitsgrenzen eingeengt. Die Tätigkeit der
Ortspolizeibehörden ſoll dadurch nicht ausgeſchaltet,
ſondern im Gegenteil gefördert und in einheitliche
Bahnen geleitet werden. Die Generalpolizeidirektion
in Paris unterrichtet von allen Kapitalverbrechen
die ſämtlichen Brigaden auf dem kürzeſten Wege,
teilt ihnen alle bereits ermittelten Anhaltspunkte,
das Signalement des flüchtigen Täters uſw. mit
und ermöglicht dadurch ein augenblicklich beginnen⸗
des und ein durchaus gleichmäßiges — bei der
Beachtung gefunden.
der Tagespreſſe erſchienen Artikel, die eine Nach⸗
ahmung des franzöſiſchen Vorbildes befürworteten
oder andere Vorſchläge zur einheitlichen Geſtaltung
unſerer kriminalpolizeilichen Einrichtungen machten.
Dabei tauchte auch der Vorſchlag auf, man ſolle
alle Fahndungseinrichtungen in Reichszen⸗
tralen zuſammenfaſſen und eine Reichskrimi—
nalpolizei mit mobilen Polizeibrigaden ſchaffen.
Ich kann mich auf die Gefahr hin, ein kurzſich⸗
tiger Partikulariſt geſcholten zu werden, nicht für
dieſen Gedanken begeiſtern. Die Polizei iſt nicht
Sache der Reichs-, ſondern der Landesgeſetzgebung.
Dem ließe ſich ja freilich durch eine Aenderung
des Art. 4 der Reichsverfaſſung abhelfen, aber
wer glaubt im Ernſte, daß eine Verwirklichung
dieſes Planes in abſehbarer Zeit zu erreichen ſein
wird? Die Ausgeſtaltung der Kriminalpolizei in
Deutſchland iſt aber eine Frage von ſolcher Wich—
tigkeit, daß ſie ſofort entſchloſſen angepackt werden
muß, wenn nicht Deutſchland in der Bekämpfung
des Verbrechertums auch von Nationen ins Hinter—
treffen geſchoben werden ſoll, die auf dieſem Ge—
biete bisher nicht gerade Hervorragendes geleiſtet
haben. Auch der Bau einer Reichskriminalpolizei
könnte nicht vom Dachſtuhl, ſondern müßte von
den Fundamenten aus begonnen werden und in
der Tat iſt ja eine Anzahl von Bundesſtaaten
ſchon daran gegangen dieſe zu legen, einige haben
an ihrem Teile ſchon weit in die Höhe gebaut
) Vgl. zum Folgenden Kurt Weiß in der Zeit—
ſchrift für die geſamte Strafrechtswiſſenſchaft, Bd. 29
S. 525 ff. und in den Mitteilungen der Internationalen
Kriminaliſtiſchen Vereinigung Bd. 17 S. 373 ff.
238
und im Königreiche Sachſen grüßt uns bereits
der vollendete Bau einer Landeskriminal⸗
polizei, an der ſich alle anderen Bundesſtaaten
möglichſt bald ein Muſter nehmen ſollten. Dieſe
Arbeiten dürfen, auch wenn man die Regelung
von Reichs wegen ins Auge faßt, nicht umſonſt
geleiſtet ſein. Zuerſt müſſen daher die
Einzelſtaaten ihre Kriminalpolizei und
ihre Fahndungseinrichtungen auf die
unbedingt erforderliche Höhe bringen,
dann erſt kann man daran denken, ſie zu zen⸗
traliſieren und, wenn dies dann noch nötig ſein
ſollte, eine Reichskriminalpolizei zu ſchaffen. Zur
Zeit herrſcht auf dem Gebiete der Kriminalpolizei,
der Fahndungs⸗ und Erkennungsmittel in den
einzelnen deutſchen Staaten noch eine ſolche Un⸗
gleichmäßigkeit, daß ein ſofortiges Eingreifen
dringend not tut.
Betrachten wir nur die Pflege, die dem wich⸗
tigſten modernen Erkennungsmittel, dem Finger⸗
abdruckverfahren, in Deutſchland zuteil wird.
Der Hauptvorteil dieſes Verfahrens beruht, abge⸗
ſehen von der vollkommenen Sicherheit der Beweis⸗
führung, in der Raſchheit und Einfachheit der
Aufnahme, die es im Gegenſatze z. B. zur Körper⸗
meſſung und zur Photographie ermöglicht es in
weiteſtem Umſang anzuwenden, jeden Bettler und
Landſtreicher dem Verfahren zu unterwerfen und
dadurch in kurzer Zeit ein gewaltiges Erkennungs⸗
material anzuſammeln. Hat doch die K. Polizei⸗
direktion München in weniger als zwei Jahren
von mehr als 15000 ihr in München vorge:
führten Perſonen Fingerabdrücke genommen,
während der im ganzen Deutſchen Reich in mehr
als 13 Jahren zuſammengebrachte Vorrat an
Meßkarten nach Bertillons Syſtem einſchließlich
der von den Zentralen des Auslands eingegangenen
ſich zu Beginn dieſes Jahres nur auf 102 000
Karten belief!
Sachſen hat die Vorteile dieſes Verfahrens
zuerſt dadurch ausgenützt, daß es im Jahre 1904
bei den ſtädtiſchen Sicherheitspolizeibehörden, bei
den Gefangenenanſtalten und den Gerichtsgefäng—
niſſen das Fingerabdruckverfahren einjührte und
die Sammlung und Regiſtrierung der Fingerab—
druckblätter bei der K. Polizeidirektion Dresden
als Landeszentralſtelle anordnete. Sieben Jahre
ſpäter folgte Bayern und ſpannte ein Netz von
320 Aufnahmeſtellen für Fingerabdrücke über das
geſamte Staatsgebiet aus; als Landes-Sammel—
und Auskunftſtelle wurde durch eine Entſchließung
des K. Staatsminiſteriums des Innern vom
14. April 1911 die K. Polizeidirektion München
beſtimmt. Hamburg beſitzt eine reichhaltige
Regiſtratur für Fingerabdruckblätter, desgleichen das
Stadtpolizeiamt Stuttgart, das die allgemeine
Einführung des Fingerabdruckverfahrens in ganz
Württemberg bisher vergeblich angeſtrebt hat.
Ueberall ſonſt im Deutſchen Reiche mit Ausnahme
von Berlin iſt das Fingerabdruckverfahren nichts
ZSeieitſchrift für Rechtspflege
Bayern. 1911. Nr. 11.
in
weiter als ein Anhängſel der Bertillonage; Preußen,
Baden, Heſſen, die Reichslande und die kleineren
Bundesſtaaten haben ſich noch nicht zur allgemeinen
nun des Fingerabdruckverfahrens entſchließen
önnen.
Nur wenige deutſche Polizeibehörden, Staats⸗
anwälte und Richter ſuchen die Perſonalien von
Verhafteten, deren Identität zweifel⸗
haft iſt, durch Verſendung von Fingerabdruck⸗
blättern an die daktyloſkopiſchen Regiſtraturen des
In⸗ und Auslands feſtzuſtellen. Man begnügt
ſich mit der viel weniger zuverläſſigen Verſendung
von Photographien, der Ausſchreibung in den
Zentralpolizei⸗- und Fahndungsblättern und, wenn
es hoch kommt, der Verſendung einiger weniger
Meßkarten durch den Berliner Erkennungsdienſt,
der ſie ins Ausland ſchickt, während die deutſchen
Fingerabdruckregiſtraturen nichts erhalten. Daß
unbekannte Leichen in vielen Fällen durch
ihre Fingerabdrücke identifiziert werden können —
man erinnere ſich z. B. an den Fall des Fried⸗
berger Bankräubers Wingeß oder der kürzlich in
München ermordeten Monika Huber — iſt be⸗
ſchämend vielen Polizeibehörden und Staatsanwalt⸗
ſchaften noch gänzlich unbekannt.
Und wie mit dem Fingerabdruckverfahren, ſo
ſteht es auch auf anderen Gebieten der
Kriminaltechnik. Da und dort ein offener
Blick, ein raſches, herzhaftes Anpacken, ſonſt aber
überall ein zähes Kleben am Alten, eine Abneigung
gegen alle neuen Einrichtungen, beſonders wenn
ſie Geld koſten oder ein mühevolles Studium er⸗
fordern, und als Geſamtergebnis die größte Un⸗
gleichmäßigkeit in der Beſchaffenheit der kriminal⸗
polizeilichen Einrichtungen und die größte Unſicher⸗
heit in ihrer Verwendung. Darum tut dringend
not ein deutſcher Polizeikongereß, bei dem
ſchonungslos alle Mängel des bisherigen Syſtems
aufgedeckt werden müßten, bei dem aber auch bei
einigem gutem Willen leicht Mittel und Wege
gefunden werden könnten, die Kriminalpolizei im
geſamten Deutſchen Reich auf die gleiche hohe
Stufe zu heben.
Dieſe Ausführungen waren notwendig, um
den Haupteinwand, der gegen die Einrichtung
eines Reichs- oder Landeskriminalpolizeidienſtes
nach franzöſiſchem Muſter geltend gemacht wird.
zu widerlegen, den Einwand, daß die deutſche
Kriminalpolizei bereits ſo gut organiſiert ſei, daß
nach einer ſolchen Neuerung kein Bedürfnis
beſtehe.“)
Die Gründe, die wie wohl überall im Deutſchen
Reiche, ſo auch in Bayern die Einrichtung
mobiler Kriminalbrigaden als unbedingt notwendig
erſcheinen laſſen, ſind in Kürze folgende:
Die bayeriſche Kriminalpolizei müßte, wenn
ſie allen Anforderungen genügen will, ſo organi—
2) Vgl. z. B. Nr. 339 des Berliner Lokalanzeigers
vom 2. Juni 1909 und Nr 126 der Norddeutſchen All:
gemeinen Zeitung vom gleichen Tage.
EEE Zeitſchrift für Rechtspflege
ſiert ſein, daß ſie an jedem Orte des Staatsgebiets
raſch eingreifen und die nach der Sachlage geeig⸗
netſten Maßnahmen treffen kann. Es müßte alſo
die Möglichkeit beſtehen, auch an den entlegenſten
Orten des Königreichs ſofort nach dem Bekannt⸗
werden eines Verbrechens beſonders befähigten
Polizeibeamten den erſten Angriff zu überlaſſen,
Beamten, die aus den Tüchtigſten auszuwählen,
in allen Zweigen der Kriminaltechnik auszubilden
und mit entſprechender Ausrüſtung (Gerätetaſche,
Photographenapparat, Vorrichtung zum Abnehmen
der Fingerabdrücke uſw.) zu verſehen waͤren. Von
dieſem Ziele ſind wir aber noch ſehr weit entfernt.
An der kriminaltechniſchen Ausbildung
und Ausrüſtung fehlt es faſt durchweg und
die beſtehenden Zuſtändigkeits grenzen ge⸗
ſtatten nicht die Beamten zu verwenden, deren
Gewandtheit und kriminaliſtiſche Erfahrung erprobt
iſt, ſondern ſie weiſen die Behandlung auch der
ſchwierigſten Kriminalfälle den Beamten zu, in
deren Bezirke der Tatort gelegen iſt. Das ſind
natürlich nicht immer gerade die gewandteſten,
tüchtigſten, erfahrenſten Kriminaliſten, und ſelbſt
wenn ſie es wären, würden die Erfahrungen, die
ſie in dieſem ſchwierigen Kriminalfalle geſammelt
haben, künftig brach liegen, bis ſich zufällig
im gleichen Ortspolizei- oder Gendarmerieſtations⸗
bezirk ein ähnliches ſchweres Verbrechen ereignet.
Die wichtigſte kriminaliſtiſche Arbeit liegt im
erſten Angriff am Tatort ſelbſt und hier
werden oft die folgenſchwerſten Fehler gemacht,
weil eben ſehr oft nicht genügend ausgebildete und
ausgerüſtete Polizeibeamte zur Stelle ſind. Die
notwendigen photographiſchen Aufnahmen macht
nicht ein Kriminalbeamter, ſondern in der Regel
der nächſte erreichbare Berufs- oder Amateur:
photograph; das Abformen von Fußſpuren, Fahrrad:
ſpuren u. dgl. in Erde, Staub, Schnee wird ſelten
ſachgemäß durchgeführt, Fingerabdrücke werden
am Tatort nicht geſucht oder nicht gefunden,
weil es eben an der nötigen Ausbildung fehlt.
Sind aber wirklich augenfällige Fingerſpuren vor⸗
handen, die vom Münchener Erkennungsdienſt
unterſucht und verglichen werden könnten, ſo
mangelt wieder die Erfahrung in der Verpackung
und im Transport der Glasſcheiben, Flaſchen und
ſonſtigen Gegenſtände, auf denen ſich die Abdrücke
befinden, und die Folge iſt, daß die Abdrücke oft
verwiſcht oder ganz unbrauchbar ankommen.
Auch die weiteren Nachforſchungen
muß der Staatsanwalt und der Unterſuchungs—
richter immer wieder in die Hände der örtlich
zuſtändigen Beamten legen, auch wenn er lieber
andere damit betrauen würde. Und wenn dann die
Spuren in einen anderen Bezirk weiſen, iſt es
wiederum in der Regel nicht angängig den Be⸗
amten, der die Sache von Anfang an behandelt
hat und ſie daher am beſten kennt, dorthin zu
ſchicken und ihn dort die erforderlichen Unter—
ſuchungshandlungen vornehmen zu laſſen, ſondern
239
m — — — II I IT
in Bayern. 1911. Nr. 11.
man iſt auf ein Erſuchen an die zuſtändige Orts⸗
polizeibehörde oder Gendarmerieſtation angewieſen,
das natürlich auch wieder nicht immer gerade in
die Hände des erfahrenſten und tüchtigſten Be⸗
amten gerät. Außerdem kann, wie der Dresdener
Polizeipräſident von Koettig in einer Abhand⸗
lung in H. Groß' Archiv Bd. 40 S. 180 ſehr
richtig ſagt, das ſchriftliche Erſuchen, das an eine
andere Behörde gerichtet wird, niemals die eigene
Arbeit der von Anfang an mit der Sache be⸗
faßten Beamten erſetzen. „Denn abgeſehen davon,
daß die Kenntnis des Falles aus eigener An⸗
ſchauung und die perſönliche Vertrautheit mit
allen, auch ſcheinbar nebenſächlichen Einzelheiten,
die im ſchriftlichen Erſuchen naturgemäß nicht
mitgeteilt zu werden pflegen, den Erfolg der Er⸗
örterungen günſtig beeinflußt, wird ſich der erſuchte
Beamte ſelten der auswärtigen Sache mit ſolchem
Eifer annehmen, wie es der mit dem Falle von
Anfang an befaßte und für den Erfolg mit ſeiner
Dienſtehre haftende Beamte zu tun pflegt. Es iſt
dies zwar nicht zu billigen, aber menſchlich erklär⸗
lich und in der Erfahrung begründet.“
| Dieſe Mängel dürften die Notwendigkeit
einer Aus- und Neugeſtaltung unſerer
| Kriminalpolizei überzeugend dartun. Man
wende nicht ein, der Prozentſatz der unentdeckten
Verbrechen oder Vergehen ſei in Bayern nicht hoch.
Es kommt nicht darauf an, ob ein Verbrechen
| ſchließlich aufgeklärt und ob der Täter beſtraft
worden iſt; denn auch in Fällen, in denen dieſes
Ziel ſchließlich erreicht wurde, kann die Kriminal⸗
polizei verhängnisvolle Irrwege gegangen ſein,
kann ſie manchen Fehler gemacht haben, der bei
beſſerer Organiſation hätte vermieden werden
können. Eine Statiſtik der unaufgeklärten
Verbrechen beweiſt alſo nichts, eine Statiſtik
—
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der vermeidbar geweſenen Fehler aber
würde ſicher das oben gewonnene Ergebnis ſtützen.
Und dieſe Statiſtik müßte gerade die aufge⸗
klärten Verbrechen zum Gegenſtande haben;
denn nur hier kann man ſich ein zutreffendes
Urteil darüber bilden, ob die Kriminalpolizei be⸗
friedigend gearbeitet oder ob ſie verſagt hat. Ja
ſogar in manchen Fällen, in denen ſcheinbar alles
vorzüglich geklappt hat, iſt, wie der nachſtehende
| Fall dartun dürfte, die Frage berechtigt, ob bei An:
wendung aller Hilfsmittel der modernen Kriminal⸗
technik nicht noch Beſſeres hätte geleiſtet werden
können.
Am 8. Juli 1910 wurde in München ein
Einbruchdiebſtahl verübt, bei dem viele Schmud:
ſachen und andere Wertgegenſtände abhanden
kamen. Der Erkennungsdienſt fand nach Ein:
ſtaubung mit Lykopodium auf einer Kommode den
ſehr deutlichen Abdruck des Zeige-, Mittel-, Ring⸗
und kleinen Fingers einer rechten Hand. Die
Nachſchau in der Regiſtratur für Fingerabdruck—
blätter ergab, daß die Perſon, von der jener Ab—
druck herrührte, noch nicht in München daktylo—
240 Zeitſchrift für Rechtspflege
ſkopiert war, weshalb der Erkennungsdienſt um
Vorſtellung aller irgendwie verdächtigen Perſonen
erſuchte. Am 14. Juli wurde in Berchtesgaden
ein gewiſſer A. K. feſtgenommen, als er in Wirt⸗
ſchaften Schmuckſachen verhauſierte, die von dem
Einbruch herrührten. Die Vergleichung der Ab⸗
drücke ergab, daß der Abdruck auf der Kommode
nicht von A. K. herrührte, es mußte alſo noch
ein Genoſſe mitgearbeitet haben. Der Verdacht
fiel auf einen gewiſſen L. S. und einen Soldaten
E. K., die mit A. K. lebhaften Verkehr unter⸗
halten hatten. Am 16. Juli 1910 wurde der
Soldat in München verhaftet, als er eine Uhr
verkaufen wollte, die von dem Diebſtahl herrührte.
Auch ſeine Fingerabdrücke ſtimmten mit denen auf
der Kommode nicht überein. Nun gewann die
Annahme, daß auch L. S. bei dem Einbruch mit⸗
gewirkt habe, immer mehr an Wahrſcheinlichkeit.
Es wurde Haftbefehl gegen ihn erlaſſen, aber erſt
nach faſt 10 Monaten gelang es ſeiner habhaft
zu werden. Der Erkennungsdienſt verglich ſeine
Fingerabdrücke mit den am Tatort zurückgebliebenen
und konnte nunmehr mit abſoluter Sicherheit feſt⸗
ſtellen, daß L. S. der Urheber des Handabdrucks
auf der Kommode ſei.
dies eröffnet wurde, die Beteiligung an dem Dieb-
ſtahl zu.
Solche Fälle zeigen wohl beſſer als alle
L. S. geſtand, als ihm
anderen Beweismittel, wie notwendig es iſt, eine
einheitlich ausgebildete, gleichmäßig arbeitende
Kriminalpolizei im geſamten Königreich, im ent⸗
legenſten Landbezirke wie in der Hauptſtadt, zur
Verfügung zu haben.
Dem Königreich Sachſen, das dem Finger⸗
abdrudverfahren den Eingang in Deutſchland
verſchafft hat, gebührt der Ruhm, auch in der
Einrichtung eines fliegenden Landes—
kriminalpolizeidienſtes den übrigen deut⸗
in Bayern. 1911. Nr. 11.
Schwierigkeiten verbunden iſt. Außerdem ſollen
ſie das jetzt fehlende Bindeglied zwiſchen den ein⸗
zelnen lokalen Polizeibehörden bilden.“ °)
Die Zentralleitung hat die Pflicht, die Bri⸗
gaden in Erörterungen, die ſich über das ganze
Land erſtrecken, mit Anweiſungen, Unterlagen und
Hilfsmitteln für ihre Tätigkeit zu verſehen, ſowie
die Verbindung der Zentralleitung mit den ein⸗
zelnen Kriminalbrigaden und dieſer untereinander
aufrecht zu erhalten und für die Ausbildung und
Fortbildung der Mannſchaften und die Ausrüſtung
der Brigaden mit allen modernen Hilfsmitteln
der Kriminalpolizei zu ſorgen.
„Die Kriminalbrigaden haben abgeſehen von
den Weiſungen der Zentralleitung lediglich die
Aufträge der Staatsanwaltſchaften und Unter⸗
ſuchungsrichter auszuführen.“ Sie erhalten dieſe
Aufträge unmittelbar und erſtatten auch ihre
Berichte unmittelbar.
Jede Brigade beſitzt eine Bertilloniſche Univerſal⸗
Reiſekamera für Perſonen⸗, Tatbeſtands⸗, Tat:
ſpuren⸗ und metriſche Aufnahmen und eine Geräte:
taſche mit allem Rüſtzeug zur Auffindung und
Sicherung von Verbrechensſpuren. Alle Beamten
haben einen ſechswöchigen Ausbidungskurs bei der
K. Polizeidirektion Dresden durchgemacht. Die
Brigaden ſind an das Reichstelephon angeſchloſſen.
Sie genießen in Sachſen freie Fahrt auf den
Eiſenbahnen und ſind auch ſonſt in dringenden
Fällen zur Benützung der ſchnellſten Verkehrsmittel
ermächtigt.
Wie wir ſehen, haben ſich die franzöſiſchen
Brigades mobiles ohne beſondere Schwierigkeit
nach Sachſen verpflanzen laſſen; ſollte es nicht
möglich ſein, nach dieſem Vorbild auch in
Bayern einen Landeskriminalpolizei⸗
dienſt zu ſchaffen? Wenn auch die ſäͤchſiſche
ſchen Staaten ein Beiſpiel gegeben zu haben.
Seit 1. Januar 1911 beſteht in Sachſen ein
Landeskriminalpolizeidienſt unter dem Namen
„Königlich Sächſiſche Landeskriminal—
polizei“. Die ſieben fliegenden Brigaden, die
mit Gendarmen, ſtädtiſchen Beamten und Beamten
der K. Polizeidirektion Dresden beſetzt und 2—4
Mann ſtark ſind, haben ihren Sitz in Dresden,
Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Bautzen, Plauen und
Freiberg. Die Zentralleitung ſteht der
K. Polizeidirektion Dresden zu. Zweck
und Hauptaufgabe der Brigaden, die an keine
örtlichen Zuſtändigkeitsgrenzen gebunden ſind und
mit allen Polizeibehörden und Polizeiorganen
unmittelbar verkehren, iſt „die wirkſame Unter—
ſtützung der Staatsanwaltſchaften und Unter—
ſuchungsrichter bei der Unterdrückung, Aufdeckung
und Ausforſchung ſolcher ſchwererer Verbrechen
und Vergehen, welche die öffentliche Sicherheit in
beſonders hohem Maße beeinträchtigen, weil ſie
ſich entweder über weitere Gebiete verbreiten oder
die Ermittlung der Schuldigen mit beſonderen
Einrichtung nicht ohne weiteres auf Bayern über⸗
tragen werden kann, ſo ſind doch die notwendigen
Aenderungen nicht von grundlegender Bedeutung.
Die Brigadebezirke müßten wohl viel größer
werden als die ſächſiſchen. Es wäre völlig aus⸗
reichend, wenn man in jeden Regierungsbezirk (8)
oder vielleicht ſchon, wenn man in jeden Ober:
landesgerichtsbezirk (5) eine Brigade legen würde.
Die Auswahl der Beamten der Brigaden aus
den Gendarmen, ſtädtiſchen Polizeibeamten und
den Beamten der K. Polizeidirektion München
müßte mit beſonderer Sorgfalt erfolgen; nur aus⸗
gezeichnet qualifizierte, gewandte und tüchtige Leute
dürften genommen werden. Auf gute Umgangs—
formen und perſönlichen Takt wäre gleichfalls zu
ſehen, damit die für den Anfang zu erwartenden
kleinen Eiferſüchteleien und ſonſtigen Reibungen
mit den Organen der Ortspolizei möͤglichſt ver:
mieden werden und das Ziel eines förderlichen
Zuſammenarbeitens mit den Ortspolizeibehörden
in der Bekämpfung und Verfolgung des Verbrechens
2) v. Koettig a. a. O. S. 182.
Zeitſchrift für Rechtspflege
um ſo raſcher erreicht werden kann. Die Zu⸗
ſtändigkeit, Ausbildung und Ausrüſtung der
Brigaden und die Aufgaben der Zentralleitung
könnten ähnlich wie in Sachſen geregelt werden.
Die Entſendung der Kriminalbeamten nach aus⸗
wärts dürfte nur erfolgen durch die Zentralleitung
oder auf Weiſung des Staatsanwaltes oder Unter⸗
ſuchungsrichters. In Fällen von beſonderer Be⸗
deutung und Dringlichkeit müßte allerdings auch
das Anſuchen einer unzuſtändigen Behörde, z. B.
einer Gendarmerieſtation, genügen, um die Brigade
in Bewegung zu ſetzen. Der Zentralleitung wäre
vorzubehalten, die Mannſchaft der Brigaden, wenn
nötig, auch bei beſonderen Anläſſen, Feſten u. dgl.,
bei denen große Menſchenanſammlungen zu er⸗
warten find, zur Unterſtützung der Ortspolizei⸗
behörden zu entſenden und ihnen dabei beſondere
Aufträge, wie z. B. die Fahndung nach Taſchen⸗
dieben u. dgl. zu erteilen.
Alles in Allem: Der Weg, den Sachſen ein⸗
geſchlagen hat, iſt auch für Bayern gangbar. Er
würde uns am raſcheſten und beſten zu dem oben
geſchilderten Ziele führen, zu einer im ganzen
Staatsgebiete gleichmäßig raſch verfügbaren und
gleichmäßig gut arbeitenden Kriminalpolizei.
Mitteilungen aus der Praxis.
Unwirkſame und nachträgliche Anseinanderſetzungen.
Dem Beſchluß des BayObLG. vom 9. Dezember 1910
(BaygfR. 11, 91, Bay Not. 11, 32, Recht 11 Nr. 608)
liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach dem Tode
der Frau hatte der Mann die Gütergemeinſchaft mit
den fünf Abkömmlingen fortgeſetzt und teſtamentariſch
als Erben zwei Söhne berufen ſowie einer Tochter
eine Abfindung ausgeſetzt. Bei der Auseinanderſetzung
nach des Mannes Tode erſchienen im Verhandlungs⸗
termin am 13. März 1909 nur die genannte Tochter
und einer der berufenen Söhne und einigten ſich dahin,
daß das Eigentum am Geſamtgut und dem Nachlaß,
insbeſondere die Grundſtücke, die damals unter Zwangs⸗
verſteigerung ſtanden, auf die beiden berufenen Söhne
übergehen, die der Tochter die Abfindungsſumme
hypothekariſch ſicher ſtellen ſollten; die Beſeitigung
der Zwangsverſteigung ſollte Sache der Söhne (Ueber⸗
nehmer) ſein. Von den drei Kindern, die im Termin
ausgeblieben waren, ließen zwei die ihnen gemäß 8 93
Abſ. 2 FGG. geſtellte Friſt verſtreichen, während das
Dritte am 8. Mai gerichtlich erklärte, daß ihm An⸗
ſprüche nicht zuſtehen. Darauf beſtätigte das Nach⸗
laßgericht die Auseinanderſetzung und dieſer Beſchluß
wurde rechtskräftig. Inzwiſchen waren aber die Grund⸗
ſtücke am 30. April verſteigert; ein im Verteilungs-
verfahren für das Geſamtgut und den Nachlaß ſich
ergebender Ueberſchuß von rund 2000 M wurde
hinterlegt und von Gläubigern gepfändet, die nun:
mehr eine neue Auseinanderſetzung beantragten.
Dieſer Antrag wurde zurückgewieſen, vom Ob G.
mit folgender Begründung: Die Auseinanderſetzung
ſei rechtskräftig beſtätigt, hiermit das Verfahren be⸗
endigt; ſei ſie unwirkſam, ſo könne ihre Anfechtung
in Bayern. 1911. Nr. 11. 241
— — — — — — — — — —— — . ¶ — —
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—— — de — — — 4 —
nur im Prozeßwege erfolgen. Aber die Auseinander⸗
ſetzung ſei auch wirkſam erfolgt; die Zuſtimmung der
im Termin ausgebliebenen Erben wirke auf den Zeit⸗
punkt der Vornahme der Auseinanderſetzung zurück
und dieſe ſei ſo zu behandeln, als wenn ſie ſchon im
Termin am 13. März wirkſam erfolgt wäre. Da
damals die Grundſtücke noch nicht verſteigert waren,
ſei die Auseinanderſetzung der damaligen Sachlage
entſprechend und ſonach rechtswirkſam erfolgt.
Dieſer Entſcheidung iſt nicht beizuſtimmen. Die
hinterlegten 2000 M waren Geſamthandseigentum der
Abkömmlinge, alſo „Nachlaß“ und „Geſamtgut“ i. S.
der 88 86, 99 FGG.; folglich war auf Antrag jedes
Beteiligten, insbeſondere auch der Pfändungsgläubiger
(8 86 Abſ. 2), das Nachlaßgericht verpflichtet in An⸗
ſehung jenes Geldes die Auseinanderſetzung zu ver⸗
mitteln. Eine Vorſchrift, wonach, wenn die Ausein⸗
anderſetzung einmal ſtattgefunden hat und durch rechts⸗
kräftigen Beſtätigungsbeſchluß beendigt iſt, ein weiteres
Auseinanderſetzungsverfahren unzuläſſig wäre, gibt
es nicht; vielmehr iſt. wenn neue Nachlaßbeſtandteile
in Frage kommen, das früher formell endgültig erledigte
(in Wahrheit materiell aber noch nicht beendigte) Ver⸗
fahren wieder aufzunehmen und die neue Auseinander⸗
ſetzung ebenſo vom Nachlaßgericht gemäß 88 91, 93
zu beſtätigen, wie die früher unvollſtändig erfolgte.
Was aus irgend einem Grunde (ſei es verſehentlich
oder nach dem Willen der Erben oder weil es erſt
ſpäter Nachlaßgegenſtand wurde) bei der Auseinander⸗
ſetzung unverteilt geblieben iſt, das iſt Geſamtgut ge⸗
blieben und unterliegt folglich dem Verfahren der 88 86
bis 99). Das hat auch das BayObLG. im Beſchluß
vom 14. Januar 1908 (3 Bl G. 8, 616, Recht 1908
Nr. 840) anerkannt: hier hatte an der Auseinander⸗
ſetzung teilgenommen der Pfleger eines Verſchollenen;
ſpäter ſtellte ſich heraus, daß der Verſchollene ſchon
vor dem Erblaſſer geſtorben, alſo zu Unrecht zum
Verfahren zugezogen war. Daher führte der Pfleger
den auf den Verſchollenen gefallenen Erbteil an das
— — — — ——— Em ä nn Lu —
0
Nachlaßgericht ab und das ObL G. wies das Nachlaß⸗
gericht an, das rechtskräftig beſtätigte Verfabren wieder
aufzunehmen und jenen Erbteil des Verſchollenen, der
in Wahrheit noch unverteilter Nachlaß ſei, unter die
wahren Erben zu verteilen.
Danach mußte auch im eingangs entſchiedenen
Fall das Nachlaßgericht das Verfahren zwecks Ver⸗
teilung des hinterlegten Geldes wieder aufnehmen.
Hätten freilich ſchon in dieſem Zeitpunkt die Erben
dem Antrag der Pfändungsgläubiger unter Berufung
auf die frühere Auseinanderſetzung widerſprochen, ſo
hätte dies allenfalls dem Nachlaßgericht Anlaß geben
können, von den Pfändungsgläubigern die Beibringung
eines den Widerſpruch verwerfenden Urteils als eine
„Unterlage“ im Sinne des 8 87 Abſ. 2 zu verlangen.“
Aber ein ſolcher Widerſpruch lag nicht vor; daher
1) Die entgegengeſetzte Anſicht in RG. 21, 252 und
von Joſef in DNotV. 4, 127 beruht auf Erwägungen,
die für das frühere Preuß. Recht maßgebend waren,
daß nämlich, wenn einmal der Nachlaß geteilt iſt, ein
„Nachlaß“ nicht mehr vorliege, folglich nicht mehr ein
neues Auseinanderſetzungsverfahren, fondern nur die
Teilung der unverteilt gebliebenen Nachlaßſtücke als
einzelner (88 752 ff.) zuläſſig jet. Dieſe Anſicht iſt
mit der ſpäteren Rechtſprechung des RG. nicht zu ver-
einigen und daher nicht aufrechtzuhalten.
2) Vgl. Joſef in KGBl. 08, 4.
>
durfte die neue Auseinanderſetzung nicht als ungeſetz⸗
lich abgelehnt werden und wäre vielmehr, wenn im
Verfahren über die Wirkſamkeit der früheren Abs
machungen Streit entſtand, jenes gemäß 8 95 aus⸗
zuſetzen geweſen. Jene frübere Auseinanderſetzung
war übrigens, wie gegen das ObLG. anzunehmen,
unwirkſam. Der Auseinanderſetzungsvertrag iſt ein
auf Veräußerung gegen Entgelt gerichteter Vertrag;
jeder Erbe veräußert ſein Geſamthandseigentum an
die Miterben und erhält dafür entweder Bruchteils⸗
eigentum am Nachlaß (RG. 57, 435) oder Einzelſtücke
zu Alleineigentum oder eine bare Vergütung: das
bringt das Geſetz zum Ausdruck durch den in 8 2042
Abſ. 2 angezogenen 8 757, wonach jeder Teilhaber
wie ein Verkäufer Gewähr zu leiſten hat.) Im
eingangs entſchiedenen Fall aber erzeugte die frühere
Auseinanderſetzung weder Rechte noch Pflichten: den
beiden Uebernehmern waren die Grundſtücke durch
die Zwangsverſteigerung entzogen; allein dafür waren
die Miterben nicht haftbar, weil nach dem Vertrage
die Uebernehmer ſelbſt die ſchwebende Zwangsver⸗
ſteigerung zu beſeitigen hatten; und da die Ueber⸗
nehmer die Grundſtücke nicht erhielten, fo brauchten
ſie auch an die Miterbin nicht die Abfindung zu zahlen.
Die Auseinanderſetzung war danach geſchloſſen unter
der Bedingung, daß die Uebernehmer die Zwangs⸗
verſteigerung der Grundſtücke noch beſeitigen würden
oder beſeitigen könnten; dieſe Bedingung war aber
nicht eingetreten.
Rechtsanwalt Dr. Joſef in Freiburg i. Br.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
L
Nichtigkeit eines Teiles eines Nechtsnefchäfts. Kein
richterliches Ermäßigungsrecht hierbei (8 139 BGB.).
Aus den Gründen: Der Berufungsrichter lehnt
eine Prüfung des Einwandes, ob die Bindung des
Beklagten (eines Wirtes) aus dem Bierlieferungsver—
trage auf 15 Jahre für die Zeit vom 1. Oktober 1906
an nach den perſönlichen und ſachlichen Umſtänden
eine unzuläſſige Beſchränkung der wirtſchaftlichen Be—
wegungsfreiheit des Beklagten bedeute und daher den
Vertrag nach § 138 Abſ. 1 BGB. nichtig mache, mit
einer nicht zutreffenden Begründung ab. Der Berufungs—
richter verurteilte den Beklagten zur Erſtattung des
Gewinnes, der der Klägerin (einer Bierbrauereiaktien—
geſellſchaft) von der Einſtellung des Bierbezugs d. i.
vom 1. Oktober 1907, bis zur Verkündung des Urteils
) Vgl. Marcus in 3BlFG. 9, 123. Nach 8 111
117 Preuß. ALR. fanden auf eine Teilung (Aus—
Zeitſchrift für Rachtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
erſter ge d. i. der 8. November 1909, entgangen
fei, in Höhe von 632 M 06 Pfg.; denn wenn die Bindung
auf 15 Jahre auch eine zu lange ſein möchte, ſo liege
in der Einigung auf zu lange Zeit auch die Einigung
auf angemeſſene Zeit, die Zeit vom 1. Oktober 1907
bis 8. November 1909, die in zweiter Inſtanz allein
noch im Streite lag, ſei aber angemeſſen. Es iſt
richtig, daß nur der Anſpruch auf Dr Gewinn
für die Zeit vom 1. Oktober 1907 bis 8. November 1909
in die zweite Inſtanz gelangt iſt; denn die Klägerin
hat ſich dabei beruhigt, daß der erſte Richter den über
den 8. November 1909 hinaus ſich erſtreckenden Anſpruch
als noch nicht fällig abgewieſen hat. Allein der Be⸗
rufungsrichter verletzt den 8 139 BGB. Dieſer läßt,
wenn ein Teil eines Rechtsgeſchäfts wegen Verſtoßes
gegen die guten Sitten nichtig iſt (8 138 Abſ. 1 BGB.),
e nicht den ganzen Vertrag nichtig werden,
wenn der übrige Teil des Vertrages ohne den nichtigen
Teil ebenſo geſchloſſen worden wäre, wie er in der
Tat geſchloſſen worden iſt. Soll dieſe Ausnahmevor⸗
ſchrift auf den hier ſtreitigen Vertrag angewendet
werden, — und der Berufungsrichter bezieht ſich für
feine Anſicht auf 8 139 BGB. —, fo würde der Bier:
abnahmevertrag ohne den nichtigen Teil, alfo ohne
die Zeitbeſtimmung, abgeſchloſſen worden ſein. Man
kann aber nicht mit dem Berufungsrichter ſagen, die
Parteien, die die Möglichkeit der Nichtigkeit gar nicht
ins Auge gefaßt und für dieſen Fall keinerlei Abkommen
getroffen haben, hätten deshalb, weil eine Bindung
von 15 Jahren gegen die guten Sitten verſtoße, jeden⸗
falls auf eine geringere Zeit und zwar auf angemeſſene
Zeit abgeſchloſſen. Denn ſo haben die Parteien eben
nicht abgeſchloſſen, das vermeintlich Geringere iſt vom
Standpunkte der Parteien aus, der allein entſcheidet,
nicht etwas Geringeres, ſondern etwas Anderes. Der
Berufungsrichter will an Stelle des vereinbarten
nichtigen Teiles des Vertrags etwas ſetzen, was die
Parteien nicht vereinbart haben. Eine ſolche Befugnis,
welche im Falle der Nichtigkeit eines Teiles eines
Vertrages zu einem richterlichen Ermäßigungsrecht
führt, kennt der 8 139 BGB. nicht. Hieraus folgt die
Aufhebung dieſes Teiles des Urteils und die Zurüd-
verweiſung, damit der Einwand des Verſtoßes gegen
einanderſetzung) die Vorſchriſten über Vergleiche An-
wendung. Das heutige Recht hat eine ſolche Vor—
ſchrift nicht; allerdings können die Vorausſetzungen
des 8 779 BGB. bei einer Auseinanderſetzung zu-
treffen, vgl. z. B. RG. JW. 05, 721 N. 12 (Recht 06
S. 51 N. 34): hier hatten die mit der Erblaſſerin im
fünften Grad verwandten Kläger mit der Beklagten,
die mit der Erblaſſerin im vierten Grad verwandt
war, einen wahren Vergleich über das Erbrecht ab—
geſchloſſen.
die guten Sitten geprüft werde, nachdem die erforderlichen
Tatſachen feſtgeſtellt fein werden. (Urt. des II. 38S.
vom 28. März 1911, II 627/10). B—r.
2235
II.
Bedeutung der Vereinbarung, daß eine Abrede über
einen Pachtvertrag nicht in die notarielle Urkunde über
einen damit zuſammenhängenden Tauſchvertrag „hinein:
kommen“ ſolle. Aus den Gründen: Es kommt
weſentlich auf die Frage an, ob neben dem notariellen
Vertrage die Vereinbarung einer dreijährigen Pacht
beſtand, wobei es gleichgültig iſt, ob man in dieſer
Vereinbarung eine Bedingung oder einen Teil der
Vertragsleiſtungen des Beklagten ſieht. In beiden
Fällen wäre die Abrede weſentlich und ihre Nicht:
beurkundung hätte die Nichtigkeit des ganzen Vertrages
zur Folge gehabt, gleichviel ob dem Beklagten Argliſt
zur Laſt fiel oder nicht. Der Berufungsrichter hat
über die Frage Beweis erhoben, den Beweis aber
nicht erſchöpft. Er zieht aus dem von den beiden
Zeugen bekundeten Umſtande, daß der Kläger damit
einverſtanden geweſen ſei, der Pachtvertrag ſolle nicht
in den Tauſchvertrag „hineinkommen“ und es ſolle
darüber im Vertrage „nichts vermerkt werden“, den
Schluß, daß eine etwaige Vereinbarung über die Ver—
pachtung durch die ſpätere maßgebende Einigung vor
dem Notar „aufgehoben“ worden ſei. Dieſer Schluß
iſt offenſichtlich verfehlt. Die Einigung eine Pacht—
vereinbarung in den Tauſchvertrag nicht aufzunehmen,
bedeutet keineswegs die Aufhebung, ſondern ſpricht
vielmehr für das Fortbeſtehen der Vereinbarung.
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
Denn durch das Einverſtändnis, daß etwas in den
Vertrag nicht hineinkommen, darin nicht vermerkt
werden ſolle, wird nur die Beurkundung, nicht die
Geltung ausgeſchloſſen. Die Nichtbeurkundung hat
dann, wenn es ſich
ganzen Vertrages zur Folge, mochten die Parteien
dies wollen und ſich darüber klar geworden, oder
mochte dies nicht der Fall ſein. Der Berufungsrichter
hatte daher alle Veranlaſſung der fraglichen Abrede
auf den Grund zu gehen und die Bedeutung der Ver⸗
einbarungen durch den angebotenen Beweis aufzuklären.
(Urt. des V. 35. vom 5. April 1911, V 689/09).
2239
— — —ı.
III.
Zum Begriffe des „Vertreters“ i. S. des 5 385
Nr. 4 der 35 O. Kein Wegfall des Sengnißperweigerungs-
rechts, wenn die Ehefran als Zeuge dafür benannt iſt,
daß ſie beſtimmte Dandlungen nicht als Vertreterin des
Mannes vorgenommen hat. Aus den Gründen:
Das Berufungsgericht nimmt als erwieſen an, daß
die Ehefrau des Beklagten in deſſen Gegenwart und
ſo, daß dieſer es auch gehört hat, dem Kläger vor
dem Abſchluſſe des Vertrags wiederholt zugeſichert
hat, der Gaſthof bringe täglich 100 M, daß dieſe vom
Beklagten gebilligte Erklärung keine unverbindliche
Anpreiſung, ſondern eine vertragsmäßige Zuſicherung
ſei. Die Reviſion beſchwert ſich dagegen, daß trotz
des Antrags des Beklagten die Beeidigung der Ehe⸗
frau unterblieben ſei. Der Reviſion kann nicht zugegeben
werden, daß das Berufungsgericht für erwieſen er»
achtet, die Ehefrau des Beklagten habe als feine Be-
vollmächtigte oder als Geſchäftsführerin für ihn unter
ſeiner ſofortigen Genehmigung jene Zuſage abgegeben.
Denn obwohl das Berufungsgericht bei der Erörterung
der Wirkſamkeit der Erklärungen dieſer Zeugin gegen
ihren beklagten Ehemann die §8 164, 177 BGB. ans
zieht, worauf die Reviſion hinweiſt, ſo geht doch aus
der Erörterung ſelbſt hervor, daß das Berufungs-
gericht die Zeugin bei der Abgabe dieſer Erklärung
nicht als Vertreterin ihres Ehemannes i. S. des 8 385
Nr. 4 ZPO. angeſehen hat. Wenn es fie als feine
„Unterſtützungsperſon“ bezeichnet, deren Zuſicherungen
er als von ihm ſelbſt abgegeben gelten laſſen müſſe,
ſo geht daraus hervor, daß es in ihr nicht eine Ver⸗
treterin im Rechtsſinne (ſ. Gruchot Bd. 48 S. 1104),
ſondern nur ein Werkzeug des Beklagten, eine ſtatt
ſeiner in ſeiner Gegenwart ſprechende Perſon geſehen
hat, auf die es 88 385 Nr. 4 3PO., 383 Nr. 3, 393
Nr. 3 ZPO. mit Recht nicht angewendet hat. Aber
auch im anderen Falle würde eine Verpflichtung zu
ihrer Beeidigung aus §8 385 Nr. 4 ZPO. nicht aner⸗
kannt werden können. Denn, wie ſich aus der Wahl
des Wortes „ſollen“ an jener Stelle ergibt, fällt das
Zeugnisverweigerungsrecht des Ehegatten nur fort,
wenn der Beweisführer Handlungen des Zeugen als
Vertreters einer Partei behauptet (Gaupp-Stein § 385 I
Nr. 4 Abſ. 2). Hier iſt aber die Zeugin von dem
Beklagten benannt worden, der gerade beſtritten hatte,
daß ſeine Ehefrau von ihm zu derartigen Erklärungen
beauftragt worden ſei oder Vertretungsvollmacht für
ihn gehabt habe. (Urt. des V. 35. vom 25. März
1911, V 326/10). — — en.
2238
IV.
Tatſachen, mit denen in erſter Inſtanz die angebliche
Unſittlichkeit eines Rechtsgeſchäfts begründet werden
ſollte, dürfen in zweiter Inſtanz nicht berückſichtigt
werden, wenn ſie von den Parteien nicht mehr vorgetragen
werden. Der Kläger, der Rechtsanwalt in J. war,
trat mit dem Beklagten in Verhandlungen, die dazu
führten, daß der Beklagte ſich zum Kaufe der Haus—
um einen weſentlichen Vertrags⸗
beſtandteil handelt, kraft Geſetzes die Nichtigkeit des
— — — —
beſitzung des Klägers in J. verpflichtete, in der der
Kläger feine Wohn⸗ und Geſchäftsräume hatte. Nach⸗
dem zwiſchen ihnen Meinungsverſchiedenheiten ent⸗
ſtanden waren, ſchloſſen ſie am 9. März 1907 einen
notariellen Vertrag, nach dem der Kläger dem Be⸗
klagten feine Hausbeſitzung für 53 300 verkaufte.
Der Beklagte hat in erſter Inſtanz u. a. die Nichtigkeit
der Verträge geltend gemacht, da der Hauptzweck der
Verkauf der Praxis des Klägers und das Wettbewerb—
verbot für dieſen geweſen ſeien, was einen Verſtoß gegen
die guten Sitten enthalte. Das LG. wies die Klage
ab, die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Berufungs:
urteil wurde aufgehoben.
Aus den Gründen: Mit Recht macht die Re⸗
viſion dem Berufungsgerichte zum Vorwurfe, daß es
die Nichtigkeit des Kaufvertrags vom 9. März 1907
aus einem Tatbeſtandsſtoff entnommen hat, der ihm
von keiner der Parteien vorgetragen worden iſt. Mag
die Entſcheidung des LG. auf Grund des Vortrags
der Parteien gerechtfertigt ſein, ſo änderte ſich doch
zufolge des den deutſchen Zivilprozeß beherrſchenden
Grundſatzes der Verhandlungsmaxime die Sachlage,
ſobald der Beklagte mit Beginn des zweiten Rechts⸗
zugs ſeine Erklärungen änderte. Denn es iſt Sache
der Parteien in der Verhandlung vor Gericht den
nach ihrem freien Ermeſſen ausgewählten Stoff vor⸗
zulegen, die Parteien verhandeln unter der Ueber⸗
wachung des Gerichts, das nur im Wege der Prozeß⸗
leitung und nur dann eingreift, wenn es erforderlich
iſt zwecks ordnungsmäßiger Betätigung der Parteien.
Was dieſe nicht vorbringen wollen, kann daher nicht
die Grundlage der Entſcheidung bilden (ſ. Planck, Lehr⸗
buch des Deutſchen Zivilprozeßrechts Bd. J S. 194, 434;
Gaupp⸗Stein, ZPO. 10. Aufl. Vorbem. vor § 128 II 2).
Während der Beklagte vor dem Landgerichte den Ver⸗
ſtoß gegen die guten Sitten darin gefunden hatte, daß
beide Parteien ſtets darüber einig geweſen ſeien, daß
den Kernpunkt und Hauptzweck der Verträge der Ver⸗
kauf der Praxis des Klägers gebildet habe in Ver⸗
bindung mit einem Verbote für dieſen mit dem Be—
klagten in Zukunft im Bezirke des Landgerichts von
J. irgendwie in Wettbewerb zu treten, hat er vor
dem Berufungsgerichte von vornherein erklärt, daß
er niemals die Abſicht oder auch nur das Bewußtſein
gehabt habe dem Kläger für deſſen Praxis etwas zu
zahlen. Sei vor dem Landgericht eine ſolche Bes
hauptung aufgeſtellt worden, ſo ſei dies ohne ſein
Zutun durch ſeinen Prozeßbevollmächtigten geſchehen;
er habe ein Entgelt nur für das Haus mit Oefen und
Bureaueinrichtung ſowie für die ihm übertragenen
Ausſtände zahlen wollen, während der Kläger aller—
dings, und zwar ohne daß es dem Beklagten erkenn—
bar geworden ſei, in den Kaufpreis den Wert der
Praxis mit einbezogen gehabt habe. Der Kläger hat
die Richtigkeit dieſer Erklärung, ſoweit ſie die angeb—
liche Abſicht oder das angebliche Bewußtſein des Be—
klagten betrifft, nicht beſtritten, ſondern nur den ihn
betreffenden Teil dieſer Erklärung mit der Behauptung
angegriffen, daß auch er nicht die Abſicht gehabt habe,
ſich für die Ueberlaſſung der Praxis und den Verzicht
auf den Wettbewerb ein Entgelt auszubedingen. Nach
der Verhandlungsmaxime konnte es nicht darauf an—
kommen, ob dieſem nunmehrigen Vorbringen der Par—
teien Glauben zu ſchenken ſei; es hatte das Berufungs-
gericht vielmehr unbekümmert hierum aus diefem Vor—
bringen ſeine Entſcheidung zu gewinnen. Hiernach
hätte es zur Feſtſtellung der Nichtigkeit der Verträge
nur gelangen können, wenn es die anſcheinend vom
Beklagten gehegte Auffaſſung gebilligt hätte, daß die
Unſittlichkeit des Geſchäfts aus einem nur dem Kläger
zur Laſt fallenden Verſtoße gegen die guten Sitten
hergeleitet werden könne. Das Berufungsurteil hat
aber das Gegenteil ausgeführt. (Urt. des V. ZS. vom
4. März 1911, V 207/10).
2887
.
244
V
Funkenflug iſt keine „höhere Gewalt“ i. S. des
3 456 989. Aus den Gründen: Die Reviſion
rügt, daß das OLG. den Begriff der höheren Gewalt
verkannt habe, wenn es annehme, daß darunter Fun⸗
kenflug aus der Maſchine nicht falle. Für die Anwen⸗
dung des Reichshaftpflichtgeſetzes möchten in dieſer
Hinſicht vielleicht andere Grundſätze gelten. Jeden⸗
Kon habe für die Beurteilung feiner Pflichten aus
em Frachtvertrag der Beklagte alles zu ſeiner Exkul⸗
pation Erforderliche getan, wenn er unter Beweis
ſtelle, daß die Funkenfänger des Zuges in Ordnung
waren, daß kein ſchlechtes Kohlenmaterial verwendet
war, daß überhaupt alle denkbaren Vorſichtsmaßregeln
getroffen waren. Genügte dies dem OLG. noch nicht,
um anzunehmen, daß der Beklagte die äußerſte Vor⸗
ſicht angewendet habe, ſo hätte es den Sachverhalt
durch Frageſtellung noch weiter aufklären müſſen.
Nach 8 456 HGB. haftet die Eiſenbahn für den wäh⸗
rend des Transports entſtandenen Schaden, ſofern ſie
nicht das Vorliegen einer der vorgeſehenen Befreiungs⸗
urſachen nachweiſt. Sie glaubt das Vorliegen höherer
Gewalt dadurch nachweiſen zu können, daß ſie Funken⸗
flug als die Urſache des Brandes angibt und dartut,
daß ſie alle Sorgfalt angewendet habe, der Gefahr
des Funkenfluges vorzubeugen. Aber damit kann
der Nachweis, daß der Schaden durch höhere Gewalt
verurſacht ſei, nicht erbracht werden. Der Begriff der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
— — — — —— — — — — — — —— — — — ͤ . —
— . (—„+„—d ——ñ ͤ—“ 1 ̃ —— ͤ— . — —ͤ—B‚—.ꝛĩ—5——ĩr—5vr85ß5ß75—rv5tvbðv5rv5rrĩ5ßK5—ð—“᷑¼—ñ——öÜ-:i——3i‚⁊—
höheren Gewalt iſt kein ſpezifiſch frachtrechtlicher. In
der Literatur herrſcht Streit über ihn. Es ſtehen ſich
eine ſubjektive und eine objektive Theorie gegenüber.
Der erſteren genügt es, daß das ſchadenbringende Er⸗
eignis auch bei Anwendung äußerſter Sorgfalt nicht
abgewendet werden konnte. Die letztere legt entſchei⸗
dendes Gewicht darauf, ob das unabwendbare Er⸗
eignis außerhalb des dem Betrieb eigentümlichen Ge—
fahrenkreiſes gelegen iſt. Das Reichsgericht hat in
feſtſtehender Rechtſprechung nur ſolche (relativ) unab⸗
wendbaren Ereigniſſe als höhere Gewalt beurteilt,
welche von außen kommen, d. (h. nicht mit dem Be⸗
trieb der Eiſenbahn in natürlichem Zuſammenhang
ſtehen. Der Funkenflug kann hierher nicht gerechnet
werden. Er iſt recht eigentlich eine ſpezifiſche Be⸗
triebsgefahr des Eiſenbahnbetriebes. Wenn das OLG.
im weiteren Verlauf ausführt, der Beklagte habe auch
keineswegs dargetan, daß er alles getan habe, um
das Eindringen von Funken in das Innere des Vieh—
wagens zu vermeiden, ſo mag dieſe Erwägung aller⸗
dings mit dem zutreffenden grundſätzlichen Stand—
punkte des OLG. nicht ganz übereinſtimmen oder
mindeſtens überflüſſig ſein. Auf dieſer Erwägung be—
ruht aber die Entſcheidung nicht. Denn das OLG.
hat den Funkenflug als Urſache des Brandes nicht
einmal feſtgeſtellt und brauchte es auch nicht zu tun,
da die Eiſenbahn in allen Fällen haftet, in denen ihr
der ihr obliegende Entlaſtungsbeweis nicht gelingt.
Und dies hat das OLG. mit zutreffenden Gründen
verneint. Daß die Eiſenbahn für den durch die ſpe⸗
zifiſchen Gefahren ihres Betriebes verurſachten Schaden
auch dann haftet, wenn ſie alle Vorſicht angewendet
hat, um ihnen vorzubeugen oder zu begegnen, ent—
ſpricht der Billigkeit. Denn in Fällen ſolcher Art
trifft weder den Abſender noch die Eiſenbahn ein
Verſchulden. Aber die Eiſenbahn ſteht der Schadens⸗
urſache näher. Sie iſt i.,rem Betrieb eigentümlich.
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— — —
Wie fie die Vorteile ihres Betriebs genießt, jo hat ſie
auch die mit ihm untrennbar verknüpften Gefahren
zu tragen. Nach dem Ausgeführten hatte das Ox.
keine Veranlaſſung zur Ausübung des Fragerechts in
der Richtung, ob der Beklagte alles zur Vorbeugung
des Funkenfluges Erforderliche getan habe. (Urt.
des I. 35. vom 21. November 1910, I 527/09).
Bon
— -- == n.
1911. Nr. 11.
VI.
In welchem Umfange hat Schadensersatz zu leiſten,
wer einen anderen dadurch zum Eintritt in eine Ge:
noſſenſchaft beſtimmt hat, daß er ihn über die Höhe des
Geſchäftsanteils tänſchte? Der Kläger wurde Mitglied
einer Brennereigenoſſenſchaft. Die Beklagten gehören
zum Vorſtande. Durch Beſchluß der Generalverſamm⸗
lung war der Geſchäftsanteil von 1000 M auf 5000 M
erhöht und der Genoſſenſchaft die Befugnis beigelegt
worden dieſe 5000 auf einmal einzuziehen. Der
Kläger wurde auf die Klage der Genoſſenſchaft zur
Zahlung des rückſtändigen Geſchäftsanteils von 4350 M
verurteilt. Er behaupket: Erſt durch dieſe Klage habe
er Kenntnis davon erhalten, daß die Beklagten ihn
vor ſeinem Beitritt zur Genoſſenſchaft 99 65 falſche
Angaben über die Höhe des Geſchäftsanteils der Ge⸗
noſſen getäuſcht und zum Beitritt beſtimmt hatten.
Sie hätten auf ſeine Frage nach der Höhe des Anteils
erklärt, er betrage 1000 M. die in Monatsraten von
5 M zu entrichten ſeien. Zur Bekräftigung hätten fie
ihm den $ 37 des alten Statuts vorgeleſen. Der
Kläger fordert die Feſtſtellung ihrer Erſatzpflicht, ſowie
Zahlung von 4000 M, als des Unterſchiedes zwiſchen
dem vorgeſpiegelten und dem wirklichen Geſchäfts⸗
anteile. Seine Klage wurde abgewieſen. Das Os.
legte dem Kläger den richterlichen Eid darüber auf,
daß ihm vor ſeiner Beitrittserklärung der Beſchluß
der Generalverſammlung vom 16. Oktober 1903 nicht
vorgeleſen worden ſei. Im Falle der Leiſtung des
Eides wurde feſtgeſtellt, daß die Beklagten als Geſamt⸗
ſchuldner verpflichtet wären den dem Kläger durch
ſeinen Eintritt in die Brennereigenoſſenſchaft ent⸗
ſtehenden Schaden zu erſetzen, und der bezifferte
Schadensanſpruch des Klägers dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Die Reviſion hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Es wird die Verletzung
des 8 249 BGB. gerügt, weil das Os G., wie feine
Beurteilung des Anſpruches auf Zahlung von 4000 M
ergebe, Erſatz des poſitiven Schadens zuerkennen wolle,
während dieſer wohl von dem Vertragsgegner inner-
halb eines beſtehenden Vertragsverhältniſſes, aber
nicht von den Beklagten, die dem Kläger als Dritte
gegenüberſtänden, gefordert werden könne In dieſer
Hinſicht hat das OLG. ausgeführt: Was die geforderten
4000 M anlange, fo könne der Kläger nach 8 249 BGB.
verlangen von den Beklagten ſo geſtellt zu werden,
wie er ſtände, wenn die vorgetäuſchte Tatſache (Höhe
des Geſchäftsanteils zu 1000 M mit 5 M Abzahlungs⸗
raten) richtig wäre, d. h. er könne das Mehr des wirk⸗
lichen Geſchaftsanteils erſetzt verlangen, da der Be⸗
trag von 5000 M ſtatutenmäßig ſofort einzuzahlen ſei.
Dieſer Begründung kann nicht beigetreten werden.
Rur bei wiſſentlich falſchen Verſicherungen des Ver⸗
käufers über Eigenſchaften der Kaufſache hat das
Reichsgericht unter ſinngemäßer Anwendung des 8 463
BGB. wegen Gleichheit des Rechtsgrundes ausge⸗
ſprochen, daß der betrogene Käufer berechtigt ſei den
die Eigenſchaften vorſpiegelnden Verkäufer auf Scha⸗
denserſatz ſo in Anſpruch zu nehmen, wie wenn dieſer
ihm die Eigenſchaften vertragsmäßig zugeſichert, ſie
aber dann nicht gewährt hätte. Dagegen handelt es
ſich hier um einen außerhalb eines Vertrages geltend
gemachten Schadenserſatzanſpruch wegen argliſtiger
Taͤuſchung. Danach haben die Beklagten, im Falle
ſie den Kläger argliſtig getäuſcht und dadurch zum
Beitritt zur Brennereigenoſſenſchaft bewogen haben,
den ihm zugefügten Schaden zu erſetzen und gemäß
§ 249 8G. Erſatz durch Herſtellung desjenigen Zu—
ſtandes zu leiſten, der beſtehen würde, wenn der zum
Erſatz verpflichtende Umſtand chier die Täuſchung)
nicht eingetreten wäre. Unter dieſer Vorausſetzung
würde der Kläger, der der Genoſſenſchaft nur bei
einem Geſchäftsanteil von 1000 M beitreten wollte,
überhaupt nicht beigetreten ſein. Da die Herſtellung
eines dem entſprechenden Zuſtandes den Beklagten
| geitſchrift für Rechtspflege
— —— — ü — — — — — —
nicht möglich iſt, ſo haben ſie den Kläger nach 8 251
Abſ. 1 BGB. in Geld zu entſchädigen. Um ihn aber
wirtſchaftlich ſo zu ſtellen, wie er geſtanden hätte,
wenn er der Genoſſenſchaft nicht beigetreten wäre, ſind
die Nachteile und Vorteile, die er durch den Beitritt
gehabt hat, gegeneinander auszugleichen. Erſt dann
läßt ſich beurteilen, ob dem Kläger ein Schaden ent⸗
ſtanden iſt. Dieſe Ausgleichung iſt bisher nicht erfolgt.
(Urt. des I. ZS. vom 27. Februar 1911, I 181/10).
2241 — — en.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Können Gemeinderechte öffentlichrechtlicher Natur
in das Grundbuch eingetragen werden? (DAfdG B Ae.
§ 123 Nr. 6). Am 12. Oktober 1910 hat der Vorſtand
des Pfarramts P. auf Grund von Ur
der Behauptung, der Inhaber der Pfarrei P. empfange
alljährlich außer dem faſſionsmäßigen Rechtholzbezuge
noch einen beſtimmten Anteil an den Ueberſchüſſen
der Gemeindewaldkaſſe, an das Grundbuchamt den
Antrag geſtellt das zum Pfarranweſen Hs.⸗Nr. 9 ge⸗
hörende ganze Gemeinderecht im Grund buch einzutragen.
Das Grundbuchamt wies den Antrag zurück. Die Be⸗
unden und unter
ſchwerde des Pfarramts P. wurde vom Landgericht
mit der Begründung zurückgewieſen, die vorgelegten
Urkunden ſprächen mehr dafür, daß das Gemeinderecht
der Pfarrpfründeſtiftung P. nicht privatrechtlicher
ſondern öffentlichrechtlicher Natur ſei, das Gemeinde⸗
recht dürfe deshalb im Grundbuch auch dann nicht
eingetragen werden, wenn Zweifel an der privatrecht⸗
lichen Natur des Rechtes beſtünden.
Landesgericht hat die weitere Beſchwerde zurückgewieſen.
Das Oberſte
Gründe: Ein Nutzungsrecht an Gemeindegründen
(Gemeinderecht) kann privatrechtlich oder öffentlich⸗
rechtlich ſein. Es iſt privatrechtlich, wenn es mit einem
beſtimmten Anweſen ſo verbunden iſt, daß es dem
Eigentümer des Anweſens die Nutzungsberechtigung
unabhängig von dem Verhältniſſe gewährt, in dem er zur
Gemeinde ſteht (vgl. BlfR A. Bd. 35, S. 375 ff., 379, Bd. 40,
S. 299). Oeffentlichrechtlich iſt es namentlich dann, wenn
ſich das Recht der Teilnahme an den Gemeindenutzungen
auf den Gemeindeverband gründet. Auch dann wird
das Rechtsverhältnis in der Regel öffentlichrechtlich
ſein, wenn einem Pfarrer oder einem Lehrer als Teil
ſeines Dienſteinkommens eine beſtimmte Teilnahme an
den Nutzungen des Gemeindevermögens eingeräumt iſt.
Wie die auf einem privatrechtlichen Titel beruhenden
Gemeinderechte, ſo können auch die auf den Gemeinde—
verband ſich gründenden Gemeindenutzungsrechte mit
einem Anweſen verbunden fein (Art. 33 Gem O.). Das
gleiche kann auch bei ſolchen Gemeindenutzungsrechten
der Fall ſein, die einen Teil des Dienſteinkommens
eines Pfarrers oder Lehrers zu bilden haben, nament⸗
lich wenn das Anweſen die Beſtimmung hat, dem
Pfarrer oder Lehrer als Wohnung zu dienen. Unter
der Herrſchaft des früheren Rechtes mögen mitunter
auch Gemeinderechte öffentlichrechtlicher Natur, die
mit einem Anweſen verbunden ſind, in das Hypotheken-
buch eingetragen worden ſein (Henle-Schmitt, Das
Grundbuchweſen in Bayern S. 237 Bem. 2 a). In
das Grundbuch können aber ſolche Rechte nicht ein-
getragen werden. Das Grundbuch iſt nur für die
Eintragung privatrechtlicher Verhältniſſe beſtimmt;
alle auf Grundſtücken haftenden Rechte und Laſten,
die auf einem öffentlichrechtlichen Verhältniſſe beruhen,
find nicht eintragungsfähig (8 123 Nr. 6 DAfdGBAe.,
Henle⸗Schmitt a. a. O. § 13 Bem. 4 S. 31, § 18
Bem. 211 Abſ. 3 1 S. 55). Mit Unrecht beruft ſich
die weitere Beſchwerde auf das Urteil des Oberſten
Landesgerichts vom 10. Januar 1906 (Samml.
— . ͤ K—ꝗ—— ——— — — — — — — uv
in Bayern. 1911. Nr. 11. 245
Bd. 7 S. 3 ff.). Denn dieſes ſpricht nirgends aus, daß
Rechte auf Gemeindenutzungen öffentlichrechtlicher
Natur eintragungsfähig ſind, die auf einem Anweſen
ruhen, ſondern = nur darauf hin, daß ein auf
einem Anweſen ruhendes Gemeinderecht unter der
Herrſchaft des früheren Rechtes „Zubehör“ des An⸗
weſens war und das rechtliche Schickſal der Hauptſache
teilte, daß daher nach 8 33 Hyp®. die Verpfändung
des Anweſens auch das dazu gehörende Gemeinderecht
ergriff, gleichviel welche rechtliche Natur es hatte.
Das gleiche gilt übrigens nach den 88 96, 1120 BGB.
auch für das Grundbuchrecht. Auch auf die Bem. 1 f
Abf. 2 zu 8 68 IM Bek. vom 1. Oktober 1898 bei
Henle⸗Dandl, Grundbuchanlegung, 2. Aufl. S. 287,
kann die weitere Beſchwerde nicht geſtützt werden. Ab⸗
geſehen davon, daß es ſich hier nicht um ein Recht
handelt, das im Grundſteuerkataſter bei dem Anweſen
eingetragen iſt, hat dieſe Bemerkung offenbar nur Ge⸗
meinderechte im Auge, von denen es nicht zweifelhaft
iſt, daß fie eintragungsfähig find. Der weiteren Bes
ſchwerde mag zugegeben werden, daß die Ausführungen
in dem Beſchluſſe des Senats vom 1. Juli 1910
(Samml. Bd. 11 S. 498, vgl. auch Bd. 8 S. 87)
über die Nichteintragbarkeit öffentlichrechtlicher Laſten
nicht unmittelbar auf Gemeindenutzungsrechte öffentlich⸗
rechtlicher Natur anwendbar find. Allein ſachlich be⸗
ſteht in Anſehung der Eintragungsfähigkeit zwiſchen
Rechten und Laſten kein Unterſchied. Wie in das
Grundbuch nur Laſten eingetragen werden können,
die auf einer privatrechtlichen Grundlage beruhen,
ebenſo können auch nur Rechte eingetragen werden,
von denen es außer Zweifel ſteht, daß fie dem Privat-
recht angehören (vgl. DAfdGBAe. $ 123 Nr. 6). (Be⸗
ſchluß des I. ZS. vom 3. März 1911, Reg. III . 1).
2236
Nachſchrift des Herausgebers. Die Recht⸗
ſprechung hat bisher nur angenommen, daß in das
Grundbuch öffentlichrechtliche Laſten nicht eingetragen
werden können (ſ. dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1910 S. 243,
453). Auch die Stellen aus „Henle⸗Schmitt, Grundbuch⸗
weſen“, die der Beſchluß anführt, handeln nur von
der Eintragung öffentlichrechtlicher Belaſtungen.
Um daraus, daß ſolche Laſten nicht eintragungsfähig
ſind, ſchließen zu können, daß auch Rechte öffentlich⸗
rechtlicher Art nicht in das Grundbuch eingetragen
werden dürfen, wird man auf die Vorſchrift im 8 8
GBO. zurückgehen müſſen. Dort iſt in Abſ. 1 Satz 1
beſtimmt, daß Rechte, die dem jeweiligen Eigentümer
des Grundſtücks zuſtehen, auf Antrag auch auf dem
Blatte dieſes Grundſtücks zu vermerken find. Voraus⸗
geſetzt iſt alſo, wie der Gebrauch des Wortes auch
jeigt, daß die Rechte als Belaſtungen auf einem anderen
Grundſtücke eingetragen ſind. Aus dieſem Wortlaute
des Geſetzes dürfte folgen, daß Rechte, die im Ge⸗
meindeverbande wurzeln, auf dem Blatte des fog. herr⸗
ſchenden Grundſtücks nicht eingetragen werden dürfen,
weil fie eben auch als Laſten nicht eingetragen werden
dürfen. Man wird auch der Anſicht von Achilles⸗
Strecker (G., Teil 1 S. 165 Aum. 2 zu $8 G0.)
nicht beitreten können, daß der $ 8 Abſ. 1 Satz 1 GBO.
im Wege der ausdehnenden Auslegung auf Rechte
öffentlichrechtlicher Natur erſtreckt werden könne, deren
Vormerkung auf dem Blatte des herrſchenden Grund—
ſtücks wegen ihrer wirtſchaftlichen Bedeutung im Inter-
eſſe des Rechtsverkehrs liegt. Denn das Grundbuch
iſt eben nur dazu beſtimmt über die privatrechtlichen
Verhältniſſe des Grundſtücks Aufſchluß zu geben. Mit
der „ausdehnenden Auslegung“ könnte man auch
wieder zu der Eintragung öffentlicher Laſten kommen,
die mitunter auch „im Intereſſe des Rechtsverkehrs“
liegen könnte.
B. Straffaden.
I
Verkauf von Anſichtspoſtkarten an Sonn: und Feſt⸗
tagen in den Schank⸗ und Gaſtwirtſchaften. H. ließ in
der zu ſeinem Gaſthof in St. gehörigen Gartenwirt⸗
ſchaft im Sommer 1910 an Sonn» und Feſttagen in
einem nur von dem Wirtſchaftsgarten aus zugänglichen
Pavillon Zigarren, Zigaretten und Anſichtspoſtkarten
verkaufen. Vom Schöffengericht wegen eines Ber:
gehens nach 8 105 b Abſ. 2, 8 146 GewO. verurteilt,
wurde er vom Berufungsgericht freigeſprochen. Die
Reviſion des Staatsanwalts wurde verworfen.
Aus den Gründen: Der Senat hat in dem
Urteile vom 23. Dezember 1902 (Slg. Bd. 3 S. 152)
in einem ähnlich gelagerten Falle die Anſchauung ver:
treten, daß der Gaſt- oder Schankwirt zwar kraft feiner
Gewerbebefugnis Genußmittel, die nicht zu den Speiſen
und Getränken gehören, trotz der Sonntagsruhe ab—
geben darf, daß es ihm aber nicht geſtattet iſt in der
geſchloſſenen Zeit Gebrauchsgegenſtände abzugeben, bei
denen es ſich nicht um einen mit dem Genuſſe der
Speiſen und Getränke verbundenen Genuß auf der
Stelle handelt. Dieſe einſchränkende Auslegung
kann mit Rückſicht auf die im Publikum herrſchenden
Gewohnheiten und die Anſchauungen des Verkehrs
(Reger Bd. 23 S. 354, Bd. 29 S. 362) nicht aufrecht
erhalten werden. Die wiederholte Prüfung der Rechts—
lage ergibt folgendes:
Indem der Geſetzgeber im 8 105i Abſ. 1 GewO.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
die Anwendung der SS 105 a Abſ. 1, 105 b bis 105g
auf das Gaſt⸗- und Schankwirtſchaftsgewerbe ausſchloß,
hat er den Betrieb der Gaſt- und Schankwirtſchaft nicht
nur inſoweit von der Sonntagsruhe ausgenommen,
als die notwendigen Erſcheinungsformen dieſes Ge—
werbes, die Verabfolgung von Speiſen und Getränken
mit oder ohne Beherbergung der Gäſte in Betracht
kommen, er hat nicht gemeint, daß die Gajt- und
Schankwirtſchaft während der Ruhezeit nur in dieſem
beſchränkten Umfange fortgeführt wird, ſondern er
wollte den Betrieb beider Gewerbe mit Rückſicht dar-
auf, daß Fremde auch an Sonntagen in Gaſthäuſern
unterkommen müſſen, und daß die ortsanweſende Be—
völkerung in den Schankwirtſchaften gerade an arbeits—
freien Tagen mit Vorliebe verkehrt, an den Sonn—
und Feſttagen ohne Einſchränkung fortdauern laſſen.
Der Betrieb des Wirtsgewerbes erſchöpft ſich nun ſchon
ſeit langem nicht mehr darin, daß der Gaſtwirt Unter—
kunft und Verpflegung, der Schankwirt Getränke dar—
bietet; das Publikum fordert Bedienung aller Art,
Leſeſtoff, Unterhaltungsſpiele u. dgl.; es erwartet in
den Schankwirtſchaften Verköſtigung, es will den Genuß
des Rauchens nicht entbehren. Dieſen Anforderungen
kann ſich der Wirt nicht verſchließen, wenn er nicht im
Wettbewerbe mit anderen Unternehmern zurückbleiben
will. Mit dieſen Verhältniſſen mußte gerechnet werden,
als der 8 105i der GewO. Geſetz wurde. Der Geſetz—
geber hat auch nicht das, was der Wirt als ſolcher
den Gäſten bieten muß und darf, mit den Grenzen
umſchreiben wollen, die allenfalls bei der Erlaſſung
der Novelle vom 1. Juni 1891 im Hinblick auf die
damaligen Anſprüche des Publikums beſtanden. (Verh.
des Reichstags 1890/91, Sten B. Bd. 3 S. 1608 u.
1611). Das Berufungsgericht hat einwandfrei feſt—
geſtellt, daß ebenſo wie der Verſchleiß von Zigarren
oder Zigaretten auch der Verkauf von Anſichtspoſt—
karten in Gaſt- und Schankwirtſchaften heutzutage der
allgemeinen Verkehrsauffaſſung entſpricht, daß alſo
das Publikum vom Wirte die Darbietung einer Kaufs—
gelegenheit nach dieſer Richtung ausnahmslos ver—
langt. Hieraus iſt zutreffend zu folgern, daß der Ver—
kauf ſolcher Karten z. 3. zum Betriebe der Gaſt- und
Schankwirtſchaft gehört und deshalb mit dieſem die
Vergünſtigung des F 105i GewO. genießt, alſo uud)
wahrend der Sonntagsruhe ſtattfinden darf, wofur
auch Landmann (5. Aufl. S. 100 unter lit. a) eintritt.
Belanglos iſt, daß Anſichtskarten nicht zu den Genuß⸗
mitteln gehören. Sie werden wie dieſe auf der Stelle
verbraucht. Da es ſich bei der Abgabe von Anſichts⸗
karten, nicht wie bei dem Ausſchanke von Bier, Wein ꝛc.
um eines der begrifflich notwendigen oder Grundge⸗
ſchäfte des Wirtes handelt, für die beſondere Uebungen
beſtehen können, ſondern um ein Nebengeſchäft, das
nur im Rahmen des Wirtsgewerbes begünſtigt iſt, fo
iſt auch ſtrenge daran feſtzuhalten, daß die Abgabe
von Anſichtspoſtkarten nur an Gäſte der Wirtſchaft und
daß ſie nicht in Mengen erfolgt, die einen Ankauf auf
Vorrat vermuten laſſen. Wird 2 beſtanden, daß
die Nebengeſchäfte des Wirtes, der Tabak⸗ und Karten⸗
verkauf, örtlich und quantitativ den Rahmen des Wirts⸗
gewerbes nicht überſchreiten dürfen — was auch für
den Geſchäftsbetrieb nach dem werktäglichen Laden⸗
ſchluß gilt — ſo können Umgehungen des Geſetzes nicht
öfter vorkommen, als ſie jetzt ſchon für den Bezug von
Brot, Wurſt u. dgl. möglich ſind, und insbeſondere
kann der Wirt nicht darauf verfallen, für Gegenſtände,
die nicht innerhalb der Wirtſchaftslokalitäten von den
Gäſten alsbald verbraucht werden, alſo z. B. für Reiſe⸗
andenken, Photographien u. dgl. während der geſchloſ—
ſenen Zeit Kaufsgelegenheit zu bieten.
Nach 8 105i Abſ. 2 GewO., der eine Ausnahme
von der Regel des 8 105 a Abſ. 1 bedeutet, können die
Arbeiter auch in Gaſt- und Schankwirtſchaftsgewerben
nur zu ſolchen Arbeiten an Sonn- und Feſttagen ver⸗
pflichtet werden, die nach der Natur des Gewerbe—
betriebs einen Auſſchub oder eine Unterbrechung nicht
geſtatten. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob der Ver⸗
kauf von Zigarren und Anſichtskarten in einem Wirts⸗
garten zu dieſen unaufſchieblichen Arbeiten zählt. Iſt
dies nicht der Fall, ſo darf daraus nicht gefolgert
werden, daß der Verkauf dieſer Gegenſtände in Wirt⸗
ſchaften während der Sonntagsruhe überhaupt nicht
geſtattet wäre. Denn wenn der Wirt auch zu gewiſſen
Geſchäften, weil ſie aufſchieblich ſind, ſeine Arbeiter
nach § 105i Abſ. 2 zivilrechtlich nicht verpflichten kann,
ſo kann er die Geſchäfte doch, wenn ſie überhaupt zum
Betriebe der Gaſt- und Schankwirtſchaft gehören, durch
arbeitswillige Bedienſtete verrichten laſſen oder ſelbſt
vornehmen. Angeſichts der Vorſchrift des 8 105 i Abſ. 2
Gew. iſt eine Verkürzung der Sonntagsruhe der Be—
dienſteten dadurch, daß ſie Anſichtskarten in der ge—
ſchloſſenen Zeit an ihre Gäſte abgeben, nicht zu be—
fürchten. Was die Schädigung der Handelsgewerbe⸗
treibenden durch die Abgabe von Zigarren und Anfichts: -
karten in Wirtſchaften anlangt, ſo iſt zu betonen, daß
die Beſtimmungen der SS 105b bis 105g mit 41a
GewO. nur im Intereſſe der gewerblichen Arbeiter
erlaſſen worden find, daß eine Ausdehnung der Bor:
ſchriften auf das Gaſt- und Schankwirtſchaftsgewerbe aus
praktiſchen Gründen undurchführbar war und daß es
eine notwendige Folge dieſer Verhältniſſe iſt, wenn
das Wirtsgewerbe in bezug auf Sonntagsarbeit eine
bevorzugte Stellung genießt. Ganz abgeſehen davon
handelt es ſich bei dem Ankaufe dieſer Genußmittel
und Gebrauchsgegenſtände, wie geſagt, um die Be—
friedigung eines augenblicklichen Bedürfniſſes, das nicht
vorhergeſehen und nicht verſchoben zu werden pflegt.
ſo daß, wenn dem Gaſte die Abgabe einer Zigarre,
einer Anſichtskarte am Sonntag verweigert wird, die
Handelsgewerbetreibenden davon keinen Nutzen haben,
weil der Bedarf weder vorher noch nachher bei ihnen
gedeckt wird. (Urt. vom 21. März R
d.
1493.07
II.
Anwendung des § 53 Gewd. (Streikparagraph) bei
Ausſperrungen und ſein Verhältnis zu dem eine härtere
Strafe androhenden allgemeinen Strafgeſege. Aus den
Gründen: I. Organiſierte Arbeiter find Berufsge—
noſſen, die ſich zu einer Vereinigung mit der Verab—
redung zuſammengeſchloſſen haben, ihre wirtſchaftliche
Lage möglichſt günſtig zu geſtalten und zu dieſem
Zweck auf gemeinſchaftliche geſamtverbindliche Weiſe
günſtige Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen zu erlangen
(RGSt. 35, 205; JW. 39 S. 679 Nr. 24). Dieſe Ver⸗
abredungen treten in die Erſcheinung, wenn die Ar⸗
beiter von den Arbeitgebern höhere Löhne und beſſere
Arbeitsbedingungen verlangen oder der beabſichtigten
Herabſetzung der Löhne oder der Verſchlechterung der
Arbeitsbedingungen entgegentreten. Die Arbeiter
dürfen ſich nach dem 8 152 GewO. zur Durchſetzung
ihrer Beſtrebungen aller erlaubten Mittel, insbeſondere
der Einſtellung der Arbeit (Streik) bedienen und An⸗
hänger werben. Die gleichen Rechte ſind den Arbeit⸗
gebern zur Erreichung von günſtigen Lohn⸗ und Ar⸗
beitsbedingungen eingeräumt; ſie können insbeſondere
durch Entlaſſung der Arbeiter (Ausſperrung) ihr Ziel
zu erreichen ſuchen. Die Ausſperrung iſt nur der
Gegendruck gegen die Weigerung der Arbeiter unter
den neuen von den Arbeitgebern geſtellten ihnen nicht
günſtigen Bedingungen arbeiten zu wollen. In dieſer
Weigerung tritt die Verabredung zutage, ſich jeweils
des Mittels zu bedienen, das geeignet iſt günſtige
Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen zu erlangen. Die Folge
der Weigerung wäre auf Seite der Arbeiter die Ar⸗
beitseinſtellung geweſen; dieſer ſind die Arbeitgeber
durch die Ausſperrung zuvorgekommen. Nach dem
Erörterten iſt es für die Anwendbarkeit der 58 152,
153 GewO. gleichgültig, ob es ſich um Streik oder
Ausſperrung und dabei um Beſtrebungen handelt, die
eine Verbeſſerung oder die Verhinderung der Ver⸗
ſchlechterung der beſtehenden Lohn⸗ und Arbeitsbe⸗
dingungen bezwecken. Davon machen die aus Anlaß
der Verhandlungen über den Abſchluß von Arbeits-
verträgen — Tarifen — ausbrechenden Streiks und
Ausſperrungen keine Ausnahme, ſie ſind vielmehr die
häufigſten Erſcheinungen auf dem Gebiete der 88 152,
153 GewO. Anzuwenden iſt $ 153 GewO., wenn die
1 Arbeiter ſich der durch ihn verbotenen
Mittel bedienen um die Berufsgenoſſen zum Anſchluſſe
zu bewegen; es ſoll niemanden das Recht Erwerb und
Arbeit zu ſuchen und zu erhalten, wo und wie er es
nach eigener Entſchließung will, durch Zwang oder
Einſchüchterung verkümmert werden.
2. Der Beſchwerdeführer vermißt Ausführungen
darüber, daß die Beſtrafung nicht aus SS 185, 240
StGB. erfolgte und nicht erwogen wurde, ob nicht eine
mildere Strafe hätte eintreten können.
a) Mit Bezug auf den Schlußſatz des $ 153 Gemd.
„foferne nach dem allgemeinen Strafgeſetze nicht eine
härtere Strafe eintritt“ haben das Reichsgericht und
das Oberſte Landesgericht angenommen, daß der $ 153
mit dem anzuwendenden eine härtere Strafe ans
drohenden allgemeinen Strafgeſetz in rechtlichem Zu—
ſammenhange nach 8 73 StGB. ſteht, und daß des⸗
halb für die Strafbemeſſung die Beſtimmungen des
s 73 maßgebend find (RGSt. 30, 359; 37, 307; 24,
58; Obs G. Bd. 7 S. 54/55). Dieſe Auffaſſung führt
zu dem Ergebniſſe, daß auf Grund des allgemeinen
in thesi eine ſchwerere Strafe androhenden Straf—
geſetzes eine mildere Strafe ausgeſprochen werden
kann, als dies bei der Strafbemeſſung nach dem
milderen Geſetze des § 153 der Fall wäre; es kann
3 B. bei dem rechtlichen Zuſammenhange zwiſchen den
§ 153 GewO. und SS 185 oder 240 StGB. auf Geld⸗
ſtrafe erkannt werden, während bei ausſchließlicher
Anwendung des § 153 — des milderen Geſetzes —
das Urteil nur auf Gefängnisſtrafe lauten könnte.
Dieſes Ergebnis iſt unbefriedigend und gibt zu Be—
denken Anlaß.
b) Das Oberſte Landesgericht hat dieſen Bedenken
im Urteile vom 13. April 1907 (Bd. 7 S. 294) im An⸗
ſchluß an eine in der Rechtslehre verbreitete An—
ſchauung Rechnung getragen und angenommen, daß,
wie nach dem deutſchen Strafrecht überhaupt Straf—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
247
geſetze zueinander in dem Verhältniſſe der Subſidiarität
ſtehen können d. h. das eine von ihnen nur in Er⸗
mangelung der Anwendbarkeit des anderen anzuwenden
iſt, dieſes Verhältnis auch zwiſchen dem § 153 GewO.
und dem nach dem Schlußſatze anzuwendenden allge⸗
meinen Strafgeſetze 9 ſo insbeſondere zwiſchen
8 153 GewO. und 8 240 StGB.; was von dem Ver⸗
hältniſſe des 8 240 Stchs. zu § 153 Gew. gilt, hat
auch für das Verhältnis des 8 153 zu § 185 StGB.
zu gelten, wenn Strafantrag geſtellt und öffentliche
Klage erhoben iſt. Der erkennende Senat ſchließt ſich
dieſer Anſchauung an, und zwar um ſo mehr, als nun
auch das Reichsgericht in den Urteilen vom 14. April
1910 und 6. Juni 1910 (JW. 39 S. 379; Warneyers
yabıb. der Entſch. für Strafrecht und Strafprozeß
5 S. 145 Nr. 4a) ausdrücklich ausgeſprochen hat,
daß für eine gleichzeitige Anwendung des 8 153 Gew.
neben dem eine härtere Strafe androhenden allge⸗
meinen Geſetze kein Raum iſt, daß vielmehr in dieſem
Falle der 8 153 Gew. den Charakter einer ſubſidiären
5 hat (ſ. a. Schenkel, Deutſche GewO. 8 153
Note 2).
e) Das andere Geſetz, nach dem eine härtere Strafe
eintritt, iſt das primäre Geſetz. Für die Härte der
Strafe iſt zunächſt die Strafart, innerhalb gleicher
Strafarten die Strafhöhe, und bei ungleichen Straf⸗
arten die ſchwerſte Strafart maßgebend. Von allen
Strafarten iſt die Geldſtrafe die mildeſte Strafart.
Primäres Geſetz könnte deshalb niemals ein Geſetz
ſein, das nur Geldſtrafe androht. In Befolgung
dieſes Grundſatzes darf auch dann, wenn das primäre
Geſetz neben Gefängnisſtrafe wahlweiſe Geldſtrafe an⸗
droht, nur auf Gefängnis- nicht auf Geldſtrafe er⸗
kannt werden.
d) Zu dem gleichen Ergebniſſe führen folgende
Erwägungen: Bei der Bemeſſung der Strafe aus dem
primären Geſetze darf die Wechſelbeziehung zu dem
§ 153 GewO. und der geſeage b rich Wille nicht außer
acht gelaſſen werden. Der § 153 GewO. für das
Deutſche Reich iſt der GewO. des Norddeutſchen Bundes
vom 21. Juni 1869 (§ 170) entnommen; beide gleich⸗
lautende Geſetzesbeſtimmungen ſind die wörtliche
Wiedergabe des § 3 des allerdings nicht zum Geſetze
gewordenen preuß. Geſetzentwurfs vom 20. Februar
1866. Nach dieſem Entwurfe ſollten alle der Koalitions⸗
freiheit entgegenſtehenden Verbote aufgehoben, gleich—
zeitig aber Maßnahmen zum Schutze gegen Mißbrauch
dieſer Freiheit getroffen werden. Die Motive führen
u. a. aus: „Die Staatsregierung kann auch ihrerſeits
nicht umhin als Bedürfnis anzuerkennen, daß ſie von
der Verabredung ſich ausſchließenden Arbeiter von
dem etwaigen Terrorismus ihrer Arbeitsgenoſſen ge—
wahrt werden. Sie hatte ſich aber zunächſt die Frage
vorzulegen, ob dieſem Bedürfnis durch die Vorſchriften
des Strafgeſetzbuchs nicht bereits ausreichend vorge—
ſehen ſei. Unzulänglich erſcheinen ſie inſoferne, als
fie gerade das Mittel nicht treffen, welches als Zwangs-
mittel die größte Wirkſamkeit hat, die Verrufs—
erklärungen und als ſie die Verfolgung von Ehrver—
letzungen der öffentlichen Anklage in der Regel ent—
ziehen.“ Der Entwurf wollte demnach dem Mißbrauche
der Koalitionsfreiheit mit ſcharfen Mitteln entgegen—
treten und wählte zu dieſem Zwecke eine härtere
Strafart, die Gefängnisſtrafe. An dieſem Grundſatze
wurde in den ſpäteren Verhandlungen des Reichstags
des Norddeutſchen Bundes und des Deutſchen Reichs—
tags nicht gerüttelt, niemals kam eine Geldſtrafe in
Frage. Mit der Begründung, daß ſich der 8 153 Gewd.
in ſeiner bisherigen Faſſung inſoferne als ungenügend
gezeigt habe, als die angedrohte Strafe zu gering iſt“,
wurde im Jahre 1891 dem Reichstag eine Novelle
vorgelegt, die Gefängnisſtrafen von 1 Monat bis
5 Jahren vorgeſehen hatte. Die Novelle wurde ab—
gelehnt, aber aus der Begründung und den Verhand—
lungen geht hervor, daß an eine Milderung des Ge—
248
ſetzes, an eine Geldſtrafe, gar nicht gedacht wurde.
Will der Geſetzgeber ſchon nach dem ſubſidiären mil⸗
deren Geſetze des 5 153 GewO. auf Gefängnisſtrafe
erkannt wiſſen, ſo kann es nicht in ſeiner Abſicht ge⸗
legen haben, bei Anwendung des härteren (primären)
Geſetzes eine der Strafart nach mildere (Geld)ſtrafe
als die des 8 153 Gew. zuzulaſſen, und fo auf der
einen Seite zu geſtatten, was auf der anderen Seite
verboten iſt. Die Begründung des Entwurfs, daß der
8 153 GewO. neben anderem zu dem Zwecke geſchaffen
wurde, um das Zwangsmittel der Beleidigung treffen
zu können, das bei mangelndem Strafantrag ſtraflos
hätte angewendet werden können, ſchließt jeden 8
darüber aus, daß bei Anwendung des § 185 StGB.
— die öffentliche Klage vorausgeſetzt — auf Be
ſtrafe nicht erkannt werden darf. Die gegenteilige
Anſchauung würde zu dem vom Geſetzgeber nicht ge-
wollten Ergebniſſe führen, daß bei dem gleichen Tat⸗
beſtand im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage
eine Geldſtrafe ausgeſprochen werden könnte, während
bei Nichterhebung der öffentlichen Klage (z. B. wegen
mangelnden Strafantrags) wegen Beleidigung auf
Grund des milderen Geſetzes ($ 153 GewO.) nur eine
Verurteilung zur Gefängnisſtrafe eintreten könnte.
Was von 8 185 StGB. gilt von anderen primären
Geſetzen z. B. $ 240 StGB. Auch aus dieſen Gründen
darf im Verhältnis zu dem $ 153 GewO. bei An⸗
wendung des primären Geſetzes, wenn es neben Ge⸗
fängnis⸗ oder Zuchthausſtrafen wahlweiſe Geldſtrafe
androhen ſollte, auf letztere Strafe nie erkannt werden.
(Vgl. Finger, Lehrbuch des Deutſchen Strafrechts Bd. J
8 116 Note 698 S. 540; Meyer, Lehrbuch des Deutſchen
Strafrechts, 5. Auflage S. 441 und RGsSt. 3, 390).
Das Reichsgericht hat allerdings ſeinen Standpunkt
wieder verlaſſen (ſ. NGSt. 24, 58); immerhin hat es
in dem letzteren Urteile die durch dieſe Auffaſſung
zutage tretenden unbefriedigenden Ergebniſſe nicht ver⸗
kannt und durch praktiſche Winke mit dem Rechts⸗
empfinden auszugleichen verſucht.
e) Nach alledem haben ſich die Tatrichter bei jeder
im Hinblick auf die 88 152, 153 GewO. erhobenen
Anklage die Frage vorzulegen, ob der Sachverhalt
unter ein Strafgeſetz fällt, nach dem eine härtere Be⸗
ſtrafung eintritt. Wird ſie bejaht, ſo iſt dieſes Straf—
geſetz ausſchließlich anzuwenden und nach ihm iſt die
Strafe zu bemeſſen; ſie darf nur nicht auf Geldſtrafe
lauten. (Urt. vom 21. Januar 1911, Rev.⸗Reg. 632/10).
2196 Ed.
Oberlandesgericht Nürnberg.
Juhalt des Schuldverhältnifſes. Nicht ernſtlich
gemeinte Willenserklärung (88 241, 305, 118 BGB.).
Der Kläger, ein Wirt, und der Beklagte, ein Flaſchen⸗
bierhändler, lebten ſeit Jahren in Feindſchaft; nach
der Erledigung einer Beleidigungsſache vor Gericht
kamen ſie mit anderen Gemeindeangehörigen in einer
Wirtſchaft zuſammen; der Bürgermeiſter ſuchte ſie zu
verſöhnen und den Beklagten zur Aufgabe des
Flaſchenbierhandels, der Urſache des Unfriedens war,
zu bewegen. Der Beklagte ſicherte dies für die Zeit
von Neujahr 1909 ab zu und fügte auf die Bedenken
des Klägers, er werde, wie ſchon öfter, ſein Ver—
ſprechen und ſein Ehrenwort doch wieder nicht halten,
die Aeußerung bei: „Wenn es nicht wahr iſt, zahle
ich Dir 1000 1“. Da der Beklagte den Flaſchenbier—
handel fortbetrieb, belangte ihn der Kläger auf
Zahlung von 1000 M. Das Landgericht verurteilte
ihn zur Zahlung der Vertraasſtrafe in dem herab—
geſetzten Betrage von 100 M. Die Berufung des
Klägers wurde zurückgewieſen und auf die Berufung
des Beklagten hin das Urteil aufgehoben und die
Klage abgewieſen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
Aus den Gründen: Nach dem Beweisergebniſſe
handelte es fi bei dem Wirtshausgeſpräche der
Parteien offenbar nicht darum, Streitpunkte bürgerlich⸗
rechtlicher Art auszugleichen und beſtimmte Anſprüche
der einen Partei gegen die andere zu ne oder
feſtzulegen, ſondern darum, eine nachhaltige Aus-
ſöhnung der Streitsteile zu bewirken und den gefähr⸗
deten Frieden in der Gemeinde zu ſichern. Es mag
gewiß fein, daß es allen Ernſt mit der Ausföhnung
war und daß der Beklagte auch die Einſtellung ſeines
Flaſchenbierhandels in Ausſicht ſtellte. Allein weder
die Parteien noch die ſonſtigen Anweſenden dachten
daran, daß zwiſchen erſteren ein ſörmliches Schuld⸗
verhältnis mit gegenſeitigen Rechten und Pflichten
geſchaffen werden ſolle und der Beklagte vom Kläger
zur Einſtellung ſeines Flaſchenbiergeſchäftes ange⸗
halten werden könne. Dem Kläger ſtand weder ein
geſetzlicher noch ein vertragsmäßiger Anſpruch auf
Einſchränkung der freien Gewerbeausübung des Be-
klagten zu, letzterer wollte ſich nur des Friedens
halber zur Unterlaſſung ſeines Flaſchenbierhandels
freiwillig und einſeitig herbeilaſſen. Der Kläger ſelbſt
dachte nicht an die Möglichkeit der Erzwingung
dieſer Unterlaſſung und ſtrebte ſie auch gar nicht an:
dies beweiſt ſein Zweifel an dem Verſprechen und
dem Ehrenwort des Beklagten. In der Aeußerung
des letzteren, „wenn es nicht wahr ſei, zahle er
1000 M“, liegt nur eine in ſolchen Kreiſen übliche
derbe Bekräftigung ſeines Verſprechens über ſein
künftiges Verhalten im Intereſſe des Friedens, nicht
aber die bindende Vereinbarung einer Bertragsitrafe
oder einer ſelbſtändigen Strafabrede; dies war aus
den Umſtänden, beſonders aus den Vermögens
verhältniſſen des Beklagten erkennbar. Die Parteien
wollten nicht ein Schuldverhältnis mit Rechten und
Pflichten begründen, ſie wollten nicht einen Vertrag
miteinander ſchließen. Die Willenserklärungen des
Beklagten waren nicht ernſtlich im Sinne einer recht⸗
lichen vertragsmäßigen Bindung gemeint, ſie waren
auch in der für jedermann erkennbaren Erwartung
abgegeben, der Mangel der Ernſtlichkeit in dieſem
Sinne werde nicht verkannt werden, ſie waren daher
nichtig und konnten Rechtsanſprüche 25 an
(SS 241, 305, 145 ff., 339 ff., 343 Abſ. 2 en
BGB.). (urteil vom 10. Ottober 1910, a 9 5 410
2144 r.
Landgericht Nürnberg.
Verpflichtung zur et ng im Widerſpruchs⸗
prozeſſe nach 5 93 ZPO., wenn die beſſeren Rechte des
Widerſpruchsklägers nur dem Gerichte gegenüber zum
Zwecke der Einſtellung der Zwangs vollſtreckung glanb-
aft gemacht werden. Das Amtsgericht hatte der
iderſpruchsbeklagten, die nach der Zuſtellung der
Klage die gepfändeten Gegenſtände freigegeben hatte,
die Koſten des Rechtsſtreites überbürdet, weil die Bes
klagte aus dem vor der Erhebung der Widerſpruchs⸗
klage ihr zugeſtellten Einſtellungsbeſchluß des Voll—
ſtreckungsgerichts habe entnehmen müſſen, daß die
Klägerin ihr Eigentumsrecht durch eine Rechnung des
Möbelhändlers glaubhaft gemacht habe; wenn trotz—
dem die Beklagte es auf die Klage habe ankommen
laſſen, ohne ſich weiter über die Sachlage zu unter—
richten, ſo habe ſie die Klage veranlaßt und ſei koſten⸗
pflichtig. Dieſe Entſcheidung wurde vom LG. auf—
gehoben.
Gründe: Die erkennende Kammer hat wieder⸗
holt entſchieden,
der herrſchenden Anſicht
daß der Intervenient der ihm nach
obliegenden Pflicht der
Glaubhaftmachung regelmäßig nur genügt, wenn er
die zur Beſcheinigung ſeiner beſſeren Rechte dienenden
Urkunden dem Pfändungsgläubiger unmittelbar vor—
legt, und daß ſich der Gläubiger mit der Verweiſung
Beitfeprift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11,
auf den gerichtlichen Einſtellungsbeſchluß umſoweniger
zu begnügen braucht, als ſolche einſtweilige An⸗
ordnungen häufig auf eine geringere Glaubhaftmachung
hin ergehen, als ſie der Gläubiger verlangen kann,
der ſein Pfändungspfandrecht endgültig aufgeben ſoll.
Dieſe Grundſätze ſind auch hier anzuwenden. Die
Beweiserhebung hat ergeben, daß die Klägerin dem
Vertreter der Beklagten die Urkunde vom 4. Oktober
1905 nicht vorgezeigt hat. Der unbeeidigt vernommene
Ehemann der Klägerin hat zwar angegeben, daß er
die Urkunde den Angeſtellten des Rechtsanwalts N.
vorgelegt habe. Die unſicheren Angaben dieſes Zeugen
werden widerlegt durch die der Zeugen, die bekundet
haben, daß der Ehemann ihnen keine Rechnung vor⸗
gezeigt, ſondern erklärt hat, dieſe liege beim Amts⸗
gericht. Bei dieſer Sachlage kann die Beklagte der
Vorwurf nicht treffen, daß ſie durch ihr Verhalten
die Erhebung der Widerſpruchsklage veranlaßt habe.
(Beſchluß vom 5. Mai 1911). T.
2243
Landgericht Schweinfurt.
Kann ein Rechtsanwalt im e
fahren als Vertreter des zu Entmündigenden auftreten,
der nach z 1906 BGB. unter vorläufige Vormundſchaft
geſtellt wurde? Der Privatier T., gegen den das Ent⸗
mündigungsverfahren wegen Geiſteskrankheit ein⸗
geleitet war und für den das Vormundſchaftsgericht
gemäß $ 1906 einen Vormund beſtellt hatte, hat einem
Rechtsanwalt ſchriftliche Prozeßvollmacht erteilt. Auf
Grund dieſer Vollmacht hat dieſer beantragt ihn im
Entmündigungsverfahren als Vertreter des T. zuzu-
laſſen und ihm die Akteneinſicht zu gewähren. Das
AG. hat den Antrag zurückgewieſen. Auf Beſchwerde
hat das LG. den Beſchluß aufgehoben und das AG.
angewieſen anderweit über den Antrag zu befinden.
Gründe. Das AG. geht davon aus, daß T.
durch die Einleitung der vorläufigen Vormundſchaft
mit dem Zeitpunkt der Beſtellung des Vormunds be-
ſchränkt geſchäftsfähig geworden ſei und deshalb
ohne Einwilligung des Vormundes wirkſam keine
Vollmacht mehr habe ausſtellen können. Dem Erſt⸗
richter iſt darin beizupflichten, daß T. ein zivilrechtlich
wirlſames Vollmachtsverhältnis ohne Mitwirkung
ſeines Vormundes nicht mehr begründen konnte. Mit
der Stellung unter vorläufige Vormundſchaft wurde
T. nach SS 114, 107, 108 BGB. in der Geſchäfts⸗
fähigkeit beſchränkt. Die Beſchränkung trat mit der
Beſtellung des Vormundes ein. § 52 GF. Er konnte
alſo ohne Einwilligung ſeines geſetzlichen Vertreters
auch keinen Prozeß bevollmächtigten mehr ernennen,
er wurde ſelbſt prozeßunfähig. ($ 52 ZPO.). Für
das Entmündigungsverfahren iſt eine Ausnahme von
dieſen allgemeinen Beſtimmungen nicht getroffen. Allein
das ſchließt nicht aus, daß T. tatſächlich einen anderen
dafür gewann, ihm in dem Entmündigungsverfahren
als Beiſtand ſeine Dienſte zu widmen. Der andere
leiſtet eben dieſe Dienſte auf die Gefahr hin, daß er
wegen des Mangels rechtlicher Geltung des zugrunde—
liegenden Vertrags für ſeine Bemühungen kein Ent—
gelt verlangen kann. Wie es dem zu Entmündigenden
gestattet fein muß, ſich ſelbſt gegen den in dem Ent—
mündigungsantrag enthaltenen Angriff auf ſeine recht⸗
liche Selbſtändigkeit zu verteidigen, ſo muß er das
auch durch Perſonen ſeines Vertrauens tun können.
Und in dieſer Hinſicht hat die Vollmacht Bedeutung.
Sie drückt das tatſächliche Verhältnis aus, daß
T. für das Entmündigungs verfahren dem Anwalt die
Wahrung ſeiner Rechte anvertraut hat. Damit iſt der
Rechtsanwalt für die Zwecke des Entmündigungsver—
fahrens genügend legitimiert und zu dem Verfahren
beizuziehen, ſoweit es geſetzlich zuläſſig iſt.
—
— —— ᷓ fuä— — — . — — — —
— ô——
249
Die Meinungen darüber, inwieweit einem ſolchen
Beiſtand des zu . das Recht auf Akten⸗
einſicht und Anweſenheit bei deu Beweisterminen zu
geſtatten iſt, gehen auseinander. Gaupp⸗Stein (ZPO.
Abſ. II zu 8 653) und Neukamp (ZPO. Abſ. 2 d) geben
Be auf die Auffaſſung der geſetzgebenden Faktoren
ei der Beratung der Zivilprozeßnovelle von 1898
(KommBer. S. 164) dem zu Entmündigenden, feinem
Bevollmächtigten oder Beiſtand ein Recht hierauf.
Andere vertreten den Standpunkt, daß für ein ſolches
Recht die genügenden Unterlagen im Geſetz mangeln
(vgl. Seuffert, ZPO. 8 653 Abſ. 3; Peterſen, ZBO.
8 653). Allein auch fie geben der Anſicht Ausdruck,
daß das Gericht jedenfalls die Akteneinſicht und die
Teilnahme an den Beweisterminen geſtatten kann,
und bezeichnen insbeſondere die Beiziehung des be⸗
vollmächtigten Anwalts gewiſſermaßen als die Regel,
von der nur aus beſonderen Gründen abzugehen ſein
wird (vgl. insbeſ. Seuffert a. a. O.). Das Beſchwerde⸗
gericht hat ſich der letzteren Meinung angeſchloſſen.
Das LG. kann z. Z. nicht beurteilen, ob Gründe vor⸗
liegen, welche gegen die Beiziehung des Beiſtandes
ſprechen. Hiernach war das Amtsgericht anzuweiſen,
anderweit über den Antrag zu befinden. (Beſchluß
vom 9. Juli 1910, BeſchwReg. ID 392/10). Bl.
1
Literatur.
Dr. Glaudins Freiherr von Schwerin, Schuld und
Haftung im geltenden Recht. 43 S. München
un 150 1911, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Die Schuld iſt das Bekommenſollen des Gläubi⸗
gers, dem regelmäßig, aber nicht notwendig, ein
Leiſtenſollen des Schuldners gegenüberſteht. Die
Haftung iſt das Einſtehenmüſſen, ſie hat den Zweck,
dem Gläubiger Genugtuung wegen Nichterfüllung der
Schuld zu verſchaffen, indem ſie ihm eine Zugriffs⸗
macht gegen Sachen (Sachhaftung) oder gegen die
Perſon (Perſonenhaftung, in abgeſchwächter Form
Vermögenshaftung) gewährt. Dieſer Zugriffsmacht
entſpricht ſchon vor dem Zugriff eine Gebundenheit
des Haftungsobjekts. Die Haftung ſetzt alſo zwar
immer eine Schuld voraus, die auch eine künftige
Schuld ſein kann; dagegen ſetzt nicht auch umgekehrt
die Schuld eine Haftung voraus; es gibt Schulden
ohne Haftung.
Dieſe Scheidung von Schuld und Haftung iſt, ſeit
v. Amira fie für das nordgermaniſche Obligationen-
recht erwieſen und durchgeführt hat, auch für andere
Rechtsgebiete unterſucht und weiter in den Einzelheiten
verfolgt worden. Den Hauptanteil an dieſer Arbeit
haben Germaniſten gehabt (Puntſchart, v. Schwind,
Egger, Gierke, neueſtens auch Herbert Meyer), und
daher kommt wohl das heute noch anzutreffende Miß—
verſtändnis, als ob die ganze auf der Unterſcheidung
aufgebaute Theorie eine ſpezifiſch germaniſtiſche ſei.
Freilich hätte ſchon die Beachtung des von Brinz vor
Jahrzehnten unternommenen eigenartigen Verſuchs
einer Scheidung von Schuld und Haftung für das
römiſche Recht von dieſer Meinung abhalten können,
die neuerdings durch die Unterſuchungen von Partſch
über das griechiſche Bürgſchaftsrecht vollends als irrig
ſich erwieſen hat. Das Problem beanſprucht aber
noch weiter nicht nur für die Vergangenheit Beach—
tung, ſondern hat ſeine volle Bedeutung auch für das
Recht der Gegenwart, inſonderheit auch für das Recht
des BGB., fu wenig auch feine Verfaſſer ſich deſſen
deutlich bewußt waren. Auch dies iſt in den letzten
Jahren ſchon in verſchiedenen Arbeiten teils ange—
deutet, teils weiter ausgeführt worden, erfreut ſich
aber immer noch keiner allgemeinen Anerkennung.
Jetzt faßt v. Schwerin in feiner aus einem Vor⸗
trag entſtandenen, klaren und leicht lesbaren Schrift
die Ergebniſſe dieſer Unterſuchungen für das geltende
Recht zuſammen, indem er gleichſam ein kleines Syſtem
gibt, das auf den Grundbegriffen der Schuld und der
Haftung aufgebaut iſt. Seine Grundauffaſſung iſt im
weſentlichen die v. Amiras. Zu den einzelnen zweifel⸗
haften Fragen nimmt er regelmäßig beſtimmt Stellung,
ohne natürlich in dieſem engen Rahmen eine ſehr
eingehende Begründung geben und mit jeder ab⸗
weichenden Anſicht fi. auseinanderſetzen zu können.
Von beſonderem Intereſſe iſt die Auffaſſung der
Grundſchuld: ſie iſt eine Schuld, nämlich ein Be⸗
kommenſollen des Gläubigers (ſog. Gläubigerſchuld),
mit reiner Sachhaftung. Ebenſo ſind die Rentenſchuld
und die Reallaſt bloße Gläubigerſchulden, hinter denen
eine Sachhaftung ſteht. v. Schwerins Schrift iſt
namentlich denen, die von der ganzen Unterſcheidung
von Schuld und Haftung noch nichts wiſſen oder ſie für
elne Spezialangelegenheit der Rechtshiſtoriker oder
für eine wertloſe theoretiſche Spielerei halten, ange⸗
legentlich zu empfehlen. E. R.
Simcon, Dr. P., Kammergerichtsrat. Die löſchungs⸗
pflichtige Cigentümergrundſchuld. Ein
Beitrag zur Auslegung des 8 1179 BGB. 64 S.
. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung.
1.25.
Die Schrift gibt den Inhalteines in der Juriſt. Gefell-
ſchaft zu Berlin gehaltenen Vortrags wieder. Sie be—
handelt zunächſt an der Hand praktiſcher Beiſpiele in
feſſelnder Weiſe das Eigentümergrundpfandrecht, legt
dar, welche Schwierigkeiten rechtlicher und tatſächlicher
Art die vom BGB. in übertriebener Weiſe ausgebildete
Rechtsform bietet und wie weit 8 1179 BGB. dem
dinglich Berechtigten die Möglichkeit gewährt, ſich gegen
die ihm nachteilige Eigentümergrundſchuld zu ſchützen.
Zutreffend bekämpft der Verfaſſer die Anſicht, daß
§ 1179 ein Mittel biete, um die Entſtehung der Eigen
tümergrundſchuld mit dinglicher Kraft auszuſchließen, in⸗
dem er ſich in überzeugender Weiſe auf die Entſtehungs-
geſchichte dieſer Geſetzesſtelle beruft. Hiernach entbehrt
alſo auch die hin und wieder in der Praxis auftretende
Meinung, daß eine Hypothek, die löſchen zu laſſen
ſich der Eigentümer des Grundſtücks nach Maßgabe
des § 1179 verpflichtet hat, ohne Zuſtimmung oder
Antrag des Eigentümers gelöſcht werden könne, der
rechtlichen Unterlage. Der Verfaſſer hebt hervor, daß
nicht einmal für altrechtliche Hypotheken durch Landes—
recht beſtimmt werden kann, daß die Eigentümergrund—
ſchuld ausgeſchloſſen bleibe, und daß nur auf Grund des
Art. 167 EG. z. BGB. (nicht Art. 107, Druckfehler)
eine Ausnahme für die Satzungen der landſchaftlichen
oder ritterſchaftlichen Kreditanſtalten anzuerkennen
iſt. Im Anſchluſſe hieran äußert ſich der Verfaſſer
über den Begriff der in $ 1179 vorgeſehenen Vor—
merkung, der er eine Wirkung nur dann zuſpricht, wenn
eine
gefunden hat und dadurch zur Durchführung des vor—
gemerkten Anſpruchs die Mitwirkung einer dritten
Perſon notwendig geworden iſt; eingehend erörtert
er für den nicht zutreffenden Fall das zwiſchen den
urſprünglich Beteiligten beſtehende, ausſchließlich nach
Schuldrecht zu beurteilende Rechtsverhältnis.
Von beſonderem Intereſſe ſind die Ausführungen
über die Rechtslage bei einem Wechſel in der Perſon
des Hypothekars, des Vormerkungsgläubigers und des
Grundſtückseigentümers; mit beachtenswerten, wenn
auch nicht durchſchlagenden Gründen tritt der Ver—
ZBleetſchrift für Rechtspflege in Bahern. 1911. Nr. 11.
. ̃ ͤ— —T—xñ—— T— —— a
Verfügung des Anſpruchsverpflichteten ſtatt⸗
faſſer dabei der herrſchenden Meinung entgegen, daß;
der Rechtsnachfolger des Eigentümers auf Grund der
Vormerkung verpflichtet ſei, die Zuſtimmung zur
Löſchung der Hypothek zu geben; er will dies nur
dann gelten laſſen, wenn der frühere Eigentümer mit
dem Grundſtück zugleich auf die von ihm erworbene,
Eigentümergrundſchuld auf den neuen Eigentümer
übertragen hat. In den letzten Abſchnitten erörtert
der Verfaſſer die Wirkung der Löſchungsvormerkung
im Zwangsverſteigerungs verfahren, im Konkurſe und
gegenüber der Gläubigeranfechtung. So bedeutet die
anregend geſchriebene, den Stoff vollſtändig beherr⸗
chende Abhandlung eine weſentliche Bereicherung
er an ſich noch ſpärlichen Literatur über die rechtliche
Bedeutung des § 1179, die in zahlreichen Fällen ſchon
Gegenſtand der oberftrihterlichen Rechtſprechung war.
München. Schmitt, Oberſtlandesgerichtsrat.
n Sigmund, Rechtsanwalt und Juftigrat in
Nürnberg. Zuwachs ſteuergeſetz ae 14. es
bruar 1911. 282 S. München 1911, C. H. Beck ſche
Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck. Geb. Mk. 3.50.
In Merzbacher tritt ein vorzüglicher Führer durch
die beſonderen Schwierigkeiten des Zuwachsſteuer⸗
geſetzes auf den Plan. Er gibt in der Einleitung einen
geſchichtlichen Rückblick und einen Ueberblick über das
Geſetz (S. VIII X). Dann kommentiert er das Ge⸗
ſetz auf S. 1—174. Die Ausgabe iſt für die Praxis
des täglichen Lebens berechnet. Sie iſt juriſtiſch zu⸗
verläſſig und dabei gemeinverſtändlich gehalten.
Merzbacher verwertet auch hier die auf verwandten
Gebieten bisher gewonnenen Ergebniſſe der Rechtslehre
und Rechtſprechung, insbeſondere die Praxis des
preußiſchen Stempelſteuer⸗ und Kommunalabgaben⸗
geſetzes, der preußiſchen und der bayeriſchen Geſetze
über die direkten Steuern. In den Anmerkungen zu
den einzelnen Geſetzesbeſtimmungen finden ſich fort⸗
geſetzt und in reichem Maße praktiſche, rechneriſche
Beiſpiele, größere daneben noch im Anhang. Dieſer
bietet außerdem Tabellen zur Umrechnung der alten
Flächenmaße, ferner zu den Steuerſätzen des § 28,
weiter aus dem Reichsſtempelgeſetz vom 15. Juli 1909
den Abſchnitt IX (88 78--90) nebſt Tarif Nr. 11.
Von beſonderem Werte iſt der Abdruck der Aus⸗
führungsbeſtimmungen des Bundesrats vom 27. März
1911 (S. 187 —260). Ein alphabetiſches Sachregiſter
erleichtert die Benutzung des Bandes.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel
Schmitt, Wilhelm, Aſſiſtent am Kgl. Amtsgerichte
Schweinfurt. Juſtizdienſtliches Handlexikon
für das Königreich Bayern. 100 S. Schweinfurt
1911, Selbſtverlag. Mk. 2.40, geb. Mk. 3.30.
Der Verfaſſer glaubt mit der Herausgabe dieſes
Handlexikons „einen oft gefühlten Mangel“ zu beheben,
wir können aber dieſen Glauben leider nicht teilen,
ſind vielmehr der Meinung, es wäre dem Verfaſſer
beſſer geweſen, er hätte fein „urſprünglich zum perſön⸗
lichen Gebrauch“ beſtimmtes Werk auch ſerner für ſich
behalten. Von Glock-Schiedermair ſcheint der Ver⸗
faſſer noch nichts gehört zu haben, ſo hat er denn
ein Nachſchlageregiſter zuſammengeſtellt, in dem er
— die alphabetiſche Reihenfolge muß den Mangel
jeglicher Vollſtäͤndigkeit und jeglichen Syſtems ver:
decken — ohne Wahl Juſtizdienſtliches und Nichtjuſtiz⸗
dienſtliches fröhlich durcheinander mengt. Der a
ſtabe S beginnt z. B. folgendermaßen: f. — ſiehe.
— Seite: Silber; Süd. 8. = Süden. Sa Summa alf
Natürlich mangelt es auch nicht an Schnitzern aller
Art: a. t. lat. a tempore, im Tempo; oder D. N. G. M.
— Deutſcher Reichsgeſetz⸗Muſterſchutz uff. F.
Yblagger, Ludwig, Kgl. Rentamtmann in Eichſtätt.
Geſetz, die Fortſetzung der Grundentlaſtung
betreffend, vom 2. Februar 1898 mit den No—
vellen, den wichtigſten Miniſterialbekanntmachungen
und Entſchließungen und oberrichterlichen Entſchei—
dungen. 2. verbeſſerte und ergänzte Auflage. XL
131 S. München und Berlin 1911, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 2.50.
Das Grundentlaſtungsgeſetz, einer der wichtigſten
Beſtandteile der bayeriſchen Agrargeſetzgebung, erſcheint
in Schweitzers blauen Textausgaben nunmehr in
2. Auflage. Die Anmerkungen ſind kurz und knapp,
aber vollſtändig ausreichend, die Rechtſprechung iſt
eingehend berückſichtigt. Wünſchenswert wäre bei einem
Geſetz mit ſo langer und intereſſanter Geſchichte eine
ausführlichere hiſtoriſche Einleitung — vielleicht kann
dieſem Bedürfnis bei Gelegenheit einer weiteren Auf⸗
lage Rechnung getragen werden. F.
Kaufmann, E., Juſtizrat, Rechtsanwalt in Magdeburg.
Handelsrechtliche Rechtſprechung. Unter
Mitwirkung des Landrichters Dr. Löwenthal zu
Magdeburg. Elftes Bändchen (Rechtſprechung und
Literatur des Jahres 1910). VIII, 675 S. Hannover
ns Helwingſche Verlagsbuchhandlung. Gebd.
Der 11. Band von Kaufmanns bewährter handels⸗ |
rechtlicher Rechtſprechung, der die Judikatur des Jahres
1910 umfaßt, reiht ſich ſeinen Vorgängern würdig an.
Es iſt erſtaunlich, mit welcher Genauigkeit und Zu⸗
verläſſigkeit hier alles zuſammengetragen iſt, was aus
der Rechtſprechung des vergangenen Jahres die Be—
achtung weiterer Kreiſe verdient. Neu hinzugekommen
ſind die Entſcheidungen zum Kunſtſchutz⸗w und lite⸗
rariſchen Urhebergeſetz, ſodaß jetzt eine beinahe lücken⸗
loſe Ueberſicht über das große Gebiet des Urheber⸗
und Erfinderrechts geboten wird. Das Geſchick der
Herausgeber Typiſches herauszuheben und mit kurzen
Worten die leitenden Gedanken der Begründung einer
Entſcheidung wiederzugeben, ſichert dem Werk auch die
Beachtung derer, die die weitverbreitete Wertſchätzung
ſolcher Sammlungen nicht teilen.
iſt beſſer, das Format größer und die Druckanordnung
uͤberſichtlicher geworden. Zeige
Stengleins Kommentar zu den ſtrafrechtlichen Neben⸗
geſetzen des Deutſchen Reichs. Vierte Auflage, völlig
neu bearbeitet von Ludwig Ebermayer, Reichsgerichts⸗
rat, Franz Galli, Reichsgerichtsrat a. D., Georg
Lindenberg, Geh. Oberjuſtizrat, Senatspräſident beim
Kammergericht. Berlin, Otto Liebmann.
Mit der ſechſten Lieferung (Preis 3.50 Mk.) iſt
nunmehr der 1. Band dieſer ſchätzens werten Samm⸗
lung abgeſchloſſen, über deren Forſchreiten wir in
Jahrg. 1910 S. 413 berichtet haben. Der Geſamtpreis
des 1. Bandes beträgt broſchiert Mk. 29.00, gebunden
Mk. 31.75.
Die letzte Lieferung enthält an neueren Geſetzen
insbeſondere das Geſetz gegen den unlauteren Wett—
bewerb vom 7. Juni 1909 (erläutert von Reichsgerichts
rat Ebermayr) und das Stellenvermittlergeſetz vom
2. Juni 1910 (erläutert von Senatspräſident Linden⸗
berg). Durch weiſe Beſchränkung der Erläuterungen
haben es die Herausgeber erreicht, daß die Sammlung
ſich immer noch in einem angemeſſenen Umfang hält
— bei der regen Arbeit der Geſetzgebungsmaſchine ein
wahres Kunſtſtück, das um ſo ſchwerer zu vollbringen
war, als bei manchen Geſetzen über den Rahmen des
Strafrechtlichen hinausgegangen werden und Ausflüge
in das zivilrechtliche Gebiet gemacht werden mußten
(ſo z. B. beim Geſetz über die Sicherung der Bau—
forderungen, beim Unl WG. uſw.).
— — —ı.
Moſel, Heinrich v. d., Rechtsanwalt in Kötzſchenbroda,
Examensfälle mit Löſungen für Studierende
und Referendare. Nebſt einem Anhang von
Anträgen, Beſchlüſſen uſw. aus der Praxis. 1. Heft.
un oenbendg 1910, Selbſtverlag des Verfaſſers.
Der durch ſeine Löſungen zu Dr. Schücks Zivil—
rechtspraktikum bekannt gewordene Verfaſſer bringt
Die Ausſtattung
beigegeben iſt. Im Anſchluß an die Aufgaben wurden
im Anhang als Muſterbeiſpiele einige häufiger vor⸗
kommende Anträge und Beſchlüſſe zuſammengeſtellt,
die ausſchließlich das Gebiet der Zwangsvollſtreckung
betreffen. Daß bei der Literatur vielfach nicht die
neueſte Auflage berückſichtigt wurde, betrachte ich als
einen Mangel; im übrigen aber glaube ich, daß das
Büchlein manchem jungen Juriſten bei der Vorbereitung
auf die Prüfungen ein willkommenes Hilfsmittel ſein
wird. Dr. H. Schanz.
Hoepfel, Fr., ſt. Landgerichtsdirektor. Das Reichs⸗
geſetz über den Verkehr mit Kraftfahr⸗
zeugen vom 3. Mai 1909. 616 S. Nürnberg und
Leipzig 1911, U. E. Sebald. Preis geb. Mk. 5.80.
Hoepfels Kommentar zum Kraftfahrzeuggeſetz iſt
eine ganz vorzügliche Leiſtung. Die Erläuterungen
find ebenſo gründlich wie fcharffinnig, man wird nicht
leicht für eine Frage vergeblich Aufſchluß ſuchen. Be⸗
ſonders möchte ich die ausführliche, die geſamte Lite⸗
ratur und Rechtſprechung verarbeitende Darſtellung
des ſehr dornigen Haftpflicht- und Entſchädigungs⸗
rechtes hervorheben. Die Vollzugsvorſchriften ſind
vollſtändig beigegeben. F.
Notizen.
Die Behandlung der Begnadigungs⸗ und Strafauf⸗
ſchubsſachen wird neu und zuſammenfaſſend geregelt
durch die Bek. vom 6 Mai 1911 (JM Bl. S. 155 ff.).
22 ältere Bekanntmachungen und Entſchließungen,
von denen ein Teil gar nicht in den amtlichen Blättern
veröffentlicht iſt und die bis in das Jahr 1846 zurück⸗
reichen, werden aufgehoben. Der unüberſichtliche Zu-
ſtand, der von den äußeren Behörden oft ſehr unan»
genehm empfunden wurde, iſt damit beſeitigt. Die
Bekanntmachung vereinfacht ferner den Geſchäftsgang,
vermindert das Schreibwerk und beugt der Ber:
ſchleppung des Strafvollzugs vor. Bei der Wichtig—
keit des Gegenſtandes für die Gerichte und die Staats-
anwaltſchaften werden, wir vorausſichtlich in der
nächſten Zeit noch eine ausführlichere Darſtellung des
Verfahrens in Begnadigungs- und Strafaufſchubs—
ſachen nach den neuen Vorſchriften bringen.
2245
Die Verſolgung der Fälſchungen von Nahrungs⸗
und Genußmitteln. Eine Bekanntmachung der Mini⸗
ſterien der Juſtiz und des Innern vom 15. April 1911
(JMBl. S. 181) weiſt unter Bezugnahme auf die Er⸗
gebniſſe der Kriminalſtatiſtik die Polizeibehörden und
die Staatsanwaltſchaften auf die Notwendigkeit ener-
giſchen Vorgehens gegen Fälſchungen hin. Die Ver⸗
bredien und Vergehen gegen das Nahr MittelG. und
die verwandten Geſetze ſind in Bayern ſeit einem
Jahrzehnt raſch geitiegen; vom Jahre 1898 bis zum
Jahre 1908 ſind die rechtskräftigen Verurteilungen
wegen ſolcher ſtrafbarer Handlungen von 326 bis auf
976 angewachſen. Auch die Zahl der Perſonen, die
auf Grund der Vorſchriften des Nahr Mittel G. wegen
Uebertretungen verurteilt werden, iſt im Steigen be—
griffen: 1898 betrug fie noch 249, 1905 ſchon 624.
Seitdem iſt allerdings bis 1908 ein Rückgang einge—
treten, aber im Jahre 1909 wurde wieder die Zahl
622 erreicht. Seit 1909 werden in der bayeriſchen
Juſtizſtatiſtik auch die Uebertretungen des Margarine—
geſetzes, des Weingeſetzes uſw geſondert nachgewieſen.
Es wurden im Jahre 1909 167 Perſonen wegen ſolcher
Uebertretungen verurteilt.
Die Bekanntmachung gibt auch Anleitungen zu
der Auswahl der Sachverſtändigen — außer den Amts—
hier vier lehrreiche Rechtsfälle aus dem Zivil- und ärzten und den Beamten der öffentlichen Unterſuchungs—
Strafrechte, denen jeweils eine ausführliche Löfung, anſtalten ſollen auch Herſteller und Handeltreibende
bei den erſten drei Aufgaben auch ein Urteilsentwurf gehört werden, wenn es die Sachlage fordert; die
252
Handelskammern, die Handwerkskammern und bie
Vereinigungen für Weinbau und Weinhandel ſollen
die geeigneten Perſonen vorſchlagen — ſie empfiehlt
auch raſche Durchführung der Strafverfahren und
ſorgfältige Behandlung beſchlagnahmter Nahrungs⸗
und Genußmittel.
2246
Die Mitteilung gerichtlicher Akten an die Bor⸗
ſtände der Auwaltskammern. Eine Bek. vom 8. Mai
1911 (JMBl. S. 193) verweiſt in Abf. 1 darauf, daß
im ehrengerichtlichen Verfahren nach §8 62 ff. RAO.
für die Ueberſendung gerichtlicher Akten an den Vor⸗
ſtand der Anwaltskammer die Vorſchriften der StPO.
maßgebend find (vgl. 8 66 RA., wonach auf das
ehrengerichtliche Verfahren im allgemeinen die Bor:
ſchriften der StPO. über das Verfahren in den zur
Zuſtändigkeit der Landgerichte gehörenden Strafſachen
entſprechende Anwendung finden). Nach 8 96 der
StPO. darf die Vorlegung oder Auslieferung von
Akten durch Behörden dann nicht gefordert werden,
wenn die oberſte Dienſtbehörde erklärt, daß das Be⸗
kanntwerden ihres Inhalts dem Wohle des Reichs
oder eines Bundesſtaates Nachteil bereiten würde.
Sollte alſo der Inhalt geforderter Akten Anlaß zu
Bedenken gegen die Abgabe bieten, ſo werden die
Gerichte zunächſt der vorgeſetzten Stelle zu berichten
haben. Das wird wohl nur in ſeltenen Ausnahme⸗
fällen nötig ſein.
Der Abſ. 2 der Bel. vom 8. Mai 1911 regelt
den Fall, daß der Vorſtand der Anwaltskammer um
die Ueberſendung gerichtlicher Akten erſucht, deren er
zur Ausübung der Aufſicht oder bei ſeiner ver⸗
mittelnden Tätigkeit oder zu der Abgabe eines Gut⸗
achtens bedarf (8 49 der RAD) Solchen Erſuchen
ſollen die Juſtizbehörden ſtattgeben.
24
Sprachecke
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins.
Vom Datum. Seit Wuſtmann es als ein Zeichen
der immer mehr zunehmenden Verrohung des Sprach—
gefühls und als einen abſcheulichen Fehler gebrand—
markt hat, daß man immer „am Donnerstag, den
13. Auguſt“ ſchreibe, ſeitdem meinen viele Deutſche
wirklich, nicht mehr ſo ſchreiben zu dürfen, und immer
mehr andere bitten den „Sprachverein“ um ein Gut—
achten. Nun, wie an vielen anderen Stellen hat auch
hier Wuſtmann über die Schnur gehauen. Und ſelt—
ſam: eigentlich gibt er in dem, wovon er ausgeht,
den Grund an, weshalb der „Fehler“ eigentlich gar
kein Fehler iſt. Er ſagt nämlich, jede von beiden
Fügungen für ſich allein ſei richtig; nur beide zuſammen—
zukoppeln, ſei greulich. Dieſe ſeine Folgerung aber
iſt falſch; denn es iſt weder greulich noch abſcheulich,
ſo zu ſchreiben. Zwar wenn man keinen Beiſtrich, kein
Komma zwiſchen die beiden Zeitangaben ſetzt, wenn
man alſo ſchreibt „am Donnerstag den 13. Auguſt',
dann macht man einen böſen Verſtoß gegen das Sprach—
gefühl; denn das Komma iſt hier vor „den“ unbedingt
nötig, weil eben zwei Fügungen gleicher Bedeutung,
aber ganz verſchiedener Art nebeneinander ſtehen.
Steht aber der Beiſtrich, dann iſt alles richtig: nicht
das Wort „Donnerstag“ allein, das im Wemfall ſteht,
wird durch den Beiſatz erklärt und ergänzt, ſondern
die ganze Fügung „am Donnerstag“ erhält einen Bei—
ſatz, und der kann ſeine feſte Form ruhig behalten.
Es ſtehen hier eben zwei feſte Formeln nebeneinander,
getrennt durch eine deutlich hörbare Pauſe, die einem
|
|
|
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 11.
„nämlich“ entſpricht, das man in Gedanken beifügt;
eine Pauſe, die alſo in Schrift und Druck durch das
Komma angedeutet werden muß. Iſt es doch auch
umgekehrt ſo, denn wer würde Anſtoß nehmen an dem
Satze „Den 15. Juli, am Sonntag, wird das Feſt fein“
oder „Den 2. Auguſt, an einem Freitag, iſt er geftorben”?
Man ſtellt ja auch andere Fügungen der Zel neben:
einander und ſagt etwa: „Eines ſchönen Tages, den
18. April, kam er plötzlich aus Amerika zurück“ oder:
„Eines ſchönen Tages, am 20. Dezember, war unſer
Haus ganz eingeſchneit“. Alſo man braucht keinen
Anſtoß zu nehmen an der loſen Nebeneinanderſtellung
verſchiedener, aber gleichwertiger Zeitbeſtimmungen.
Wer es aber doch tut, nun der ſetze auch den Tag in
den Wenfall und ſage und ſchreibe — wie das auch
Wuſtmann anrät — „Dienstag, den 4. März“, wenn
er nicht das von anderen daneben empſohlene, aber
von Wuſtmann ſpäter als unbeabſichtigte Folgerung
aus feiner Mahnung abgelehnte „am Dienstag,
dem 4. März“ anwenden will, das aber hier wieder⸗
um manchem gar zu peinlich erſcheint. — Anders
liegt die Sache bei einigen anderen Verhältniswörtern,
die wirklich auf die zweite Hälfte dieſer Fügungen
mit einwirken, in der alſo nicht die einfache Ukkuſativ⸗
ügung unverändert bleiben darf. Es muß daher
heißen: Vom (oder von) Montag, dem 9. d. M., an;
er wurde zum Dienstag, dem 8. Juni, eingeladen; das
Feſt dauerte vom Samstag, dem 9., bis zum Dienstag,
dem 12. März (oder vom Samstag, dem 9., bis Diens⸗
tag, den 12. März, da „bis“ allein mit dem Wenfall
N wird: bis nächſten Monat, bis dieſen Tag
uſw.).
Die ... .. ſchen Chelente. In mancher deutſchen
Gegend, namentlich im Oſten unſeres deutſchen Vater⸗
landes, wuchert ein ſchreckliches Unkraut in der Sprache,
beſonders in der Zeitungs⸗ und in der Amtsſprache.
Das iſt die falſche Ausdrucksweiſe, durch die man
Eheleute als Geſamtheit oder Einheit bezeichnen will.
Da reißt man den Vor- und den Familiennamen des
Mannes auseinander und ſchiebt den Vor⸗ und den
Vatersnamen der Frau dazwiſchen, ſchreibt alſo z. B.:
„die Schneider Auguſt und Anna geb. Schmidt⸗Müller⸗
ſchen Eheleute“ und glaubt nun, das ſei deutſch. Oder
man ſchreibt z. B.: „Die Damenſchneider Reinhold
Faßbinderſchen Eheleute“ (oder gar falſch mit dem
Auslaſſungshäkchen „Faßbinder'ſchen“, „Müller'ſchen“
uſw., obgleich hier gar nichts ausgelaſſen iſt!). So
ſpricht aber doch kein Menſch! Folgt man dem allein
richtigen Grundſatze: Schreibe natürlich, einfach und
klar, ſo darf ein ſolches Wortungetüm nicht geſchrieben
werden. Leidet die Deutlichkeit, wenn man ſchreibt,
wie man ſpricht: der Schneider Auguſt Müller und
ſeine Frau Anna, geborene Schmidt? Oder wenn man
auf das Wort Eheleute nicht verzichten will und des:
halb ſchreibt: die Eheleute Schneider Auguſt Müller
und Anna, geb. Schmidt? — Geradezu fürchterlich wird
das Ungeheuer aber, wenn zu dem Vatersnamen des
Mannes noch ein Zuſatz tritt, wie z. B. junior; dann
ſchreibt man wahrhaftig: „die Schneider Auguſt und
Anna geb. Schmidt-Müller juniorſchen Eheleute“, und
wer das vorlieſt, der muß nach dem Leſen ſeinem
Schöpfer danken, daß die Zunge nicht zerbrochen iſt. —
Die Kanzleiſprache iſt ein fruchtbarer Nährboden für
dieſes Unkraut Laſſen wir es dort verdorren, oder
beſſer: reißen wir es auch dort mit Stumpf und Stiel
aus und verwehren ihm vor allen Dingen den Zu—
gang zu dem ſchönen Garten der reinen deutſchen
Sprache!
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ir. 12.
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
. Sandgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſtertum der Juſtiz.
Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
„ von mindeftens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
5 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und NJ
Voſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
die Rünchener Mietverträge.
Von Landgerichtsrat Straub in München.
Bei dem großen Intereſſe, welches die Frage
der Rechtsgiltigkeit der nach dem Formulare des
Münchener Grund: und Hausbeſitzervereins ab⸗
geſchloſſenen Mietverträge in weiten Kreiſen der
Beteiligten erregt hat, dürfen die Ausführungen
des Herrn OLGR. Mittelſtein in Hamburg in
den BafRA. Nr. 8/11 nicht unwiderſprochen
bleiben, da ſonſt die hohe richterliche Stellung
und die anerkannte wiſſenſchaftliche Bedeutung des
Verfaſſers zu der Meinung verführen könnten, in
der Sache ſei nun das letzte Wort geſagt.
Mittelſtein erblickt mit Recht den Kernpunkt
der von ihm angegriffenen beiden Münchener
Urteile darin, daß dieſe es als gegen die guten
Sitten verſtoßend erachten,
„wenn ein beſtimmter Intereſſentenkreis, wie
die Vermieter, ihr regelmäßig vorhandenes wirt⸗
ſchaftliches Uebergewicht und den in München
tatſächlich vorhandenen Wohnungsmangel dazu
benützen, durch Verwendung eines gleichheitlichen
Mietvertragsformulars die ſämtlichen in das
Geſetz zum Schutze der Mieter aufgenommenen
ſozialpolitiſchen Beſtimmungen durch abweichende
Vertragsbeſtimmungen wieder aufzuheben.“
Nicht gegen einzelne dieſer Formularbeſtim⸗
mungen richten ſich alſo die Urteile, ſondern gegen
deren Geſamtheit, ſoweit dadurch alle zum Schutze
der Mieter getroffenen geſetzlichen Beſtimmungen
ſchlechthin und für alle Fälle ausgeſchaltet werden.
Daß bei dem dispoſitiven Charakter der Be⸗
ſtimmungen des BGB. über die Miete und der
durch dieſes Geſetz grundſätzlich gewährleiſteten
Vertragsfreiheit eine Rechtsanſchauung, wie ſie
in den Urteilen vertreten iſt, von Vielen nicht ge⸗
teilt wird, iſt ſelbſtverſtändlich, macht aber nicht
deren ſachliche Widerlegung unnötig. Der einzige
allgemeine Einwand Mittelſteins, daß die Rechts⸗
ane un der Münchener Gerichte folgerecht auch
auf die zahlloſen anderen Formulare beſtimmter
München, den 15. Juni 1911.
7. Jahrg.
Zeilſchrift für Rechtspflege
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2. Shweiker Verlag
(Arthur Zelier)
München und Perlin.
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263
Intereſſentenkreiſe angewendet werden müßte, kann
als eine ſolche Widerlegung nicht erachtet werden.
Wenn vielmehr auf dieſe Formulare die gleichen tat⸗
ſächlichen Vorausetzungen zutreffen, iſt nicht einzu:
ſehen, warum nicht die gleichen rechtlichen Folge⸗
rungen daraus gezogen werden könnten. Tatſächlich
iſt dies auch in der Rechtſprechung des Reichsgerichts,
wie das landgerichtliche Urteil hervorhebt, ſchon
mehrfach geſchehen, die gegenteilige Annahme
Mittelſteins iſt ſonach unrichtig.
Allenfallſige weittragende wirtſchaftliche oder
ſonſtige Folgen einer derartigen Rechtſprechung
können und dürfen dieſe nicht verhindern, wenn
ſie richtig iſt, ſind zudem von den Beteiligten
durch eine einſeitige Betonung ihrer Intereſſen
ſelbſt verſchuldet.
Unrecht wird nicht dadurch Recht, daß es lange
gedauert hat, und daß ſeine Beſeitigung denen,
die lange Zeit Vorteile daraus gezogen haben,
allenfalls ſchweren Schaden zufügen kann.
Mittelſtein warnt hier vor jeder Ver⸗
allgemeinerung. Gerade eine ſolche wollen ja
die Münchener Urteile verhindern. Wer lange
als Streitrichter in einer Großſtadt mit Miet⸗
ſachen beſchäftigt war, iſt ebenſoweit davon ent⸗
fernt in allen Vermietern nur Reiche oder gar
fog. Wohnungswucherer zu ſehen, als davon, in den
Mietern immer nur die wirtſchaſtlich Schwächeren
und Unterdrückten zu erblicken. Mit Recht hat
ein von Mittelſtein zitiertes anderes Urteil des
Landgerichtes entſchieden, daß die Vereinbarung
einer ſog. Wohnungsentſchaädigung allein nicht
ſchlechthin umſittlich iſt, wenn ſie auch den eigent⸗
lichen Streitpunkt bildet, und wenn auch ihre Er⸗
findung der Tropfen war, welcher das Gefäß der
Geduld der Münchener Mieter und vielleicht auch
der Gerichte zum Ueberlaufen brachte.
Nicht nur die Beſtimmung über die Miet⸗
entſchädigung, ſondern auch manche andere, ja die
Geſamtheit der hier erörterten Formularbeſtim⸗
mungen kann in einzelnen Fällen nicht nur am
Platze, ſondern unbedingt nötig, ja vielleicht nicht
einmal genügend ſein, um die Vermieter beſtimmten
254 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
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Mietern gegenüber vor ſchweren wirtſchaftlichen legung einzelner Formularbeſtimmungen iſt dem
Schädigungen zu ſchützen. Verfaſſer ein Mißgeſchick widerfahren. Seinen
Die angegriffenen Urteile verkennen dies auch Ausführungen hat er nämlich offenfichtlich ein
durchaus nicht, ſondern wenden fi nur dagegen, ganz anderes Mietvertragsformular zugrunde ge:
daß wahllos und für alle Fälle ſämtlichen, auch legt als die beiden Urteile, die er kritiſiert. Zwar
den anſtändigen Mietern die Vertragsfreiheit ge: handelt es ſich natürlich nicht um zwei ihrem
raubt werden ſoll und ſie den Vermietern gegen⸗ weſentlichen Inhalte nach verſchiedene Formulare,
über ſaſt vollſtändig rechtlos gemacht werden ſondern nur um zwei verſchiedene Ausgaben des
ſollen, mithin an die Stelle der geſetzlichen Ord- gleichen Formulars mit undeſentlichen redaktio⸗
nung, die für normale Fälle in den Beſtim⸗ nellen Aenderungen, die aber eine Verſchiebung
mungen des BGB. zum Ausdruck gebracht werden der Paragraphennumerierung zur Folge hatten.
ſollte, die von den Vermietern einſeitig beliebte Wenn deshalb Mittelſtein beanſtandet, daß die
Betonung ihrer eigenen Intereſſen mit einer Art Anſchauung des Landgerichtes völlig unbegründet
lokaler Geſetzeswirkung geſetzt werden ſoll. ſei, $ 16 öffne der Chikane durch Hausbeſitzer und
Die Hauptangriffe Mittelſteins richten ſich Hausmeiſter gegenüber dem Mieter Tür und Tor,
aber gegen die Auslegung der einzelnen Formular | jo kann ihm darin beigepflichtet werden. Aber
beſtimmungen und die daraus gezogenen Schluß- nur bezüglich des von ihm wörtlich angeführten
folgerungen, wobei ſeiner Kritik eine gewiſſe, dei Paragraphen, der in ſeinem Formulare die
wiſſenſchaftlichen Beſprechungen rechtskräftiger Ur⸗ Ziffer 16 führt. Der § 16 des in den Münchener
teile ſonſt nicht übliche Schärfe anhaftet. Akten befindlichen Formulars lautet dagegen:
Er bemängelt zunächſt an dem landgericht⸗ „Die nachſtehende Hausordnung (mit 15
lichen Urteile das Fehlen eines tieferen Eingehen weiteren Paragraphen) gilt als Beſtandteil des
auf die tatſächlichen Umſtände des Falls und auf Vertrages und berechtigt die Nichtbeachtung
die Geſtaltung der Münchener Mietverhältniſſe derſelben nach zweimaliger Mahnung den Ver⸗
überhaupt. Dieſe nach ſeiner Anſchauung lücken⸗ mieter zur Kündigung des Vertrages mit
haften tatſächlichen Feſtſtellungen ſind aber gar dreitägiger Kündigungsfriſt.“
nicht im landgerichtlichen, ſondern im amtsgericht⸗ Ob dieſe Beſtimmung wirklich nicht zu Chikanen
lichen Urteile getroffen und in Erſteres nur über⸗ die Handhabe bieten kann, muß bezweifelt werden,
nommen. Im Rahmen eines amtsgerichtlichen namentlich da zwiſchen ſchweren und geringfügigen
Urteils iſt aber doch wohl kein Raum für eine Uebertretungen kein Unterſchied gemacht iſt. Jeden⸗
eingehende ſtatiſtiſche Darſtellung der zurzeit oder ſalls müßte dieſer Unterſchied gegenüber dem
ſeit Jahren in München beſtehenden Wohnungs: Wortlaute erſt von den Gerichten in jedem ein-
bewegung. Die Feſtſtellung, daß in München zelnen Falle durch einſchränkende Auslegung ge⸗
tatſächlich ein Wohnungsmangel vorhanden iſt, macht werden. Wenn ſie ſich aber der weiterhin
muß vielmehr für jeden Kenner der örtlichen von Mittelſtein vertretenen ſtrengen Auslegung
Verhältniſſe genügen, iſt auch bisher noch von des $ 416 ZPO. anſchließen, daß jeder das gegen
keinem ernſtlich beſtritten worden. Ihre Richtig⸗ ſich gelten laſſen muß, was er unterſchreibt, auch
keit geht ſchon daraus hervor, daß ſonſt nach dem wenn er es nicht geleſen oder nicht verſtanden
einfachen volkswirtſchaftlichen Satze der Regelung hat, bleibt den Mietern in dieſer Beziehung wenig
des Preiſes durch das Verhältnis zwiſchen Ange- Hoffnung.
bot und Nachfrage die Mietpreiſe in München Daß ein von Anfang an nichtiger Vertrag durch
nicht ſchon ſeit Jahren ſich in ſtetig aufwärts Unterſchrift der Vertragsſchließenden nicht recht⸗
ſteigender Bewegung befinden könnten, nicht zum liche Wirkſamkeit erlangt, weil eben Nichtiges gar
mindeſten aber auch daraus, daß fonſt ſolche Miet- nicht gewollt werden kann, bedarf wohl keiner
vertragsformulare überhaupt nicht möglich wären.
Die von Mittelſtein hier und auch ſonſt ver:
werteten Angaben des Grund- und Hausbeſitzer⸗
vereins find rechtlich unerheblich, zudem Be—
hauptungen am Progzeſſe ſelbſt nicht Beteiligter
und bedürfen in einem Urteile eines Münchener
Gerichtes keiner Widerlegung, da die tägliche
weiteren Ausführung.
Die von Mittelſtein vorgeſchlagene Auslegung
des $ 2 Abſ. 3, der in beiden Formularen der
| gleiche iſt und von der ſog. ſchon beſprochenen
Wohnungsentſchädigung handelt, ſteht im Gegen:
ſatze zu der bisher in der Praxis zu Tage ge—
tretenen Anſchauung vieler Hausbeſitzer. Es ließen
Praxis lehrt, daß die einzelnen Mitglieder des | ſich zahlreiche Fälle feſtſtellen, in welchen dieſe
Vereins ganz andere Anſchauungen über die ihnen Entſchädigung verlangt wird, obwohl weder vor
nach dem Formulare zuſtehenden Rechte vertreten. dem Einzuge noch nach dem Auszuge des Mieters
Zu Belehrungszwecken für auswärtige Intereſſenten [der Vermieter auch nur die geringſte Aufwendung
iſt es aber nicht beſtimmt. Hier ſei nur die ein- für die Wohnung gemacht hatte.
fache Tatſache erwähnt, daß in vielen Papier: Von der jetzt — nach dem Bekanntwerden der
geſchäften andere Mietvertragsformulare als das beiden Urteile — veröffentlichten. beruhigenden
hier ſtreitige gar nicht mehr geführt werden. Auslegung des Vereins als ſolchen gilt das be—
Bei ſeinen weiteren Beanſtandungen der Aus- reits bemerkte; vor Tiſche las man übrigens
auch dort anders. Was die Hausbeſitzervereine
anderer Städte vereinbaren oder vereinbart haben
wollen, iſt für die Beurteilung des Münchener
Formulars gleichgültig.
Die in dieſem als Spezialität enthaltene „Woh⸗
nungsentſchädigung“ verfolgt, wie Mittelſtein er⸗
kennt, allerdings den gleichen Zweck mit, der in
anderen Städten durch langfriſtige Mietverträge
erreicht werden ſoll. Sie iſt aber deshalb gewählt,
weil in der Rechtſprechung die Meinung über:
wiegt, daß der Abſchluß eines Mietvertrages auf
beſtimmte Zeit während dieſer dem Vermieter die
Möglichkeit nimmt, den Mietpreis zu ſteigern.
Ob dagegen eine durch eine Steigerung veran⸗
laßte Kündigung des Mieters dieſen von der Zah⸗
lung der Entſchädigung befreit, wird wohl kaum
von allen Gerichten zu ſeinen Gunſten entſchieden
werden.
Dies alles ſind jedoch nach Mittelſtein nur
Nebenpunkte. Nach ſeiner Anſchauung fällt die
Entſcheidung des Landgerichtes, wenn deſſen An⸗
nahme unrichtig iſt, daß dem Vermieter die Woh⸗
nungsentſchädigung, welche er mit dem § 2 Abſ. 3
verfolgt, ſchon durch die Beſtimmungen der 88 4,
9, 10 und 15 des Formulars gewährt werde.
Er ſtellt nun feſt, daß alle dieſe Paragraphen in
keiner Weiſe zutreffen, daher auch nicht geeignet
find, den Beweis zu erbringen, daß die Wohnungs⸗
entſchädigung nicht den Zweck verfolge, den Mittel⸗
ſtein annimmt, nämlich die Schadlosſtellung des
Hauseigentümers wegen der Abnützung der Woh⸗
nung. Dieſe Feſtſtellung iſt im allgemeinen richtig,
leider aber gegenſtandslos, weil eben die Para⸗
graphen ſeines Formulars andere Nummern tragen
als die des Formulars, auf welches die Urteile
Bezug nahmen.
In dieſem lautet z. B. § 4:
„Mieter erkennt die volle Gebrauchsfähigkeit
der Mieträume an, ſofern er nicht innerhalb
8 Tagen nach Einzug über etwa vorhandene
Mängel jchriftliche Anzeige erſtattet hat.
Der Mieter verpflichtet ſich, während der
Mietsdauer die Mietsräume in gebrauchsfähigem
Zuftande zu erhalten und bei Beendigung der
Miete dieſelben im gleichen Zuſtande zu über⸗
> wie er fie bei ſeinem Einzuge erhalten
at.“
Es iſt dies der Mittelſteinſche 8 5, während
die SS 9, 10 und 15 bei Mittelftein den Num⸗
mern 10, 11 und 16 entſprechen.
Auf dieſe Paragraphen iſt in $ 2 Abſ. 3 aus⸗
drücklich inſoferne hingewieſeu, als es heißt, daß
„die darin enthaltenen Verpflichtungen des Mieters
durch die Wohnungsentſchädigung nicht berührt
oder ausgeſchaltet werden ſollten.“
Mittelſtein hat auch ſie „der Vollſtändigkeit
halber“ beſprochen, offenbar weil er ſelbſt fühlte,
daß ſie als weſentlich vom Landgerichte hätten
erwähnt werden ſollen, wie es ja in Wirklichkeit
auch tatſächlich geſchehen iſt.
Beitſchrift für Rechtspflege in Bapern. 191 l. Nr in Bayern. 1911. Nr. 12.
255
Es iſt ihm zuzugeben, daß 88 9, 10 und 15
(bei Mittelſtein 88 10, 11 und 16) nicht in erſter
Linie in Betracht kommen, ſondern nur der Voll⸗
ſtändigkeit halber erwähnt ſind, da auch ſie ſich
auf Inſtandhaltung und Wiederherſtellung der
Mieträume beziehen. Maßgebend iſt vielmehr zu⸗
nächſt 84 Abſ. 2 (bei Mittelſtein $ 5 Abſ. 2).
Auch Mittelſtein erkennt an, daß der Ver⸗
mieter auf Grund dieſer Beſtimmung dann ſchon
alles erhalten könnte, was er nach Mittelſteins
Auslegung erſt mit Hilfe des § 2 Abſ. 3 er⸗
reichen will, wenn hier beſtimmt wäre, daß der
Mieter die Wohnung, falls er fie neu dekoriert
erhalten hat, neu dekoriert zurückgeben muß. Nach
ſeiner Anſchauung dürfte der Vermieter nicht
Wiederherſtellung der Wohnung und Wohnungs⸗
entſchädigung nebeneinander verlangen. Tatſächlich
geſchieht dies aber häufig und zwar auf Grund
des Wortlautes des 8 2 Abſ. 3, der den ausdrück⸗
lichen Hinweis auf $ 4 Abſ. 2 enthält, mit einem
gewiſſen Schein von Recht, wenn man die Rechts⸗
gültigkeit des ganzen Vertrages unterſtellt.
Mittelſtein erklärt jedoch, daß er dieſe weit⸗
gehende Auslegung zugunſten des Vermieters nicht
billigen würde, weil $ 4 nur von gebrauchsfähigem
Zuſtande ſpricht, der auch nach vertragsmäßiger
Abnützung noch vorhanden ſein kann. Es geht
aber denn doch etwas weit, wenn man, um eine
ſonſt, auch nach Mittelſtein, unhaltbare Beſtim⸗
mung ($ 2 Abſ. 3) zu halten, dem klaren Wort:
laute des 3 4 Abſ. 2, welcher auch der in der Praxis
zu Tage getretenen Vertragsabficht der Vermieter
entſpricht, Gewalt antun ſoll. Nach 8 4 muß der
Mieter beſtätigen, daß er die Wohnung in voller
Gebrauchsfaͤhigkeit übergeben erhalten hat und ſich
verpflichten, ſie während der Mietsdauer in ge⸗
brauchsfaͤhigem Zuſtande zu erhalten, außerdem
aber auch noch dazu, ſie bei Beendigung der Miete
in dem gleichen Zuſtande zurückzugeben, wie
er hie bei ſeinem Einzuge erhalten hat, aljo nicht
blos in gebrauchsfähigem Zuſtande. Gerade dieſes
Verlangen neben der Wohnungsentſchädigung hat
ja die allgemeine Erbitterung der Mieter hervor⸗
gerufen.
Zum Schluſſe beanſtandet Mittelſtein noch,
daß der angebotene Beweis über die angebliche
vertragswidrige Abnützung der Wohnung nicht er⸗
hoben worden iſt. Nach dem Tatbeſtande iſt der
Klaganſpruch jedoch nur auf § 2 Abſ. 3 geſtützt
unter Verzicht auf außerordentliche Abnützung.
Da aber nicht die Beſtimmung über die Wohnungs⸗
entſchädigung allein, ſondern der Vertrag in allen
ſeinen Nebenbeſtimmungen ſchlechthin als nichtig
erklärt wurde, war es rechtlich unerheblich, ob der
Klaganſpruch aus anderen Gründen berechtigt
ſein könnte, auf die er nicht geſtützt war. Dies
iſt in beiden Urteilen ausdrücklich ausgeführt.
Ueber die weitere Frage, ob bei ganz ſtrenger
Konfequenz nicht $ 139 BGB., ſondern § 138
BGB. auf den ganzen Vertrag hätte Anwendung
256
finden müſſen, läßt fich ſicherlich ſtreiten. Dafür
können Zweckmäßigkeitsgründe maßgebend geweſen
ſein, namentlich weil der Vertrag ſonſt von beiden
Parteien erfüllt und damit die Frage ohnehin
gegenſtandslos geworden war, ſo daß es keinen
Zweck hatte, ſie noch aufzurollen.
Wenn ſchließlich nach der Anſicht Mittelſteins
die erörterten Urteile nicht geeignet ſeien ſollen,
umwaͤlzend auf die Praxis zu wirken, ſo haben
ſie doch das erfreuliche Ergebnis gezeitigt, daß in
München z. Z. auch wieder die Formulare mit
milderer Faſſung, insbeſondere ohne Wohnungs⸗
entſchädigung in Gebrauch genommen werden,
wenn auch vorerſt nur vereinzelt.
die Anordnungen der höheren Verwal⸗
tungsbehörde über die Anzeigepflicht bei
Ansverläufen.
Von Rechtsanwalt Dr. Kleinberger in München.
Das UWG. beſtimmt in 87, daß Ausverkäufe
nur unter Angabe des Grundes des Ausverkauſs
angekündigt werden dürfen. Weiterhin räumt die
genannte Geſetzesſtelle der höheren Verwaltungs⸗
behörde das Recht ein für die Ankündigung be⸗
ſtimmter Arten von Ausverkäufen anzuordnen,
daß zuvor bei der Behörde Anzeige über den
Grund des Ausverkaufs und den Zeitpunkt des
Beginns zu erſtatten, ſowie ein Verzeichnis der
auszuverkaufenden Waren einzureichen ſei. Ueber
die Ausführung dieſes Anordnungsrechtes der
Verwaltungsbehörde iſt lebhafter Streit entſtanden.
Im allgemeinen bewegen ſich die Anordnungen,
welche die Provinzialbehörden auf Grund des 5 7
UWG. getroffen haben, nach drei Richtungen:
1. Eine Anzahl Verordnungen zählt die Aus—
verkaufsarten, welche den erwähnten Beſchrän⸗
kungen unterworfen werden, kaſuiſtiſch auf.
2. Andere Regierungen haben ſchlechthin alle
Ausverkaufsarten oder Ausverkäufe mit Aus—
nahme der durch das Reichsgeſetz ſelbſt in
99 Abſ. 2 ausgenommenen Inventur- und
Saiſon-Ausverkäufe den Beſchränkungen
unterworfen.
. Endlich haben einige Regierungen angeordnet,
daß alle Arten von Ausverkäufen mit Aus—
nahme einzelner beſtimmt aufgeführter den
polizeilichen Beſchränkungen unterworfen ſind.
In der Praxis iſt nun die Gültigkeit der
beiden letzterwähnten Kategorien von Verord—
nungen lebhaft angeſtritten worden. Das bayeriſche
Oberſte Landesgericht hat in einer kürzlich erlaffenen
Entſcheidung in Uebereinſtimmung mit den Vor—
inſtanzen beide Kategorien für unzuläſſig und die
betreffenden Regierungsbekanntmachungen für un—
O
|
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
gültig erklärt. Die Urteilsgründe) gehen in zu⸗
treffender Weiſe davon aus, daß ſchon der Wortlaut
des 8 7 Abſ. 2, welcher für „beſtimmte Arten“
von Ausverkäufen Anordnungen zuläßt, im Gegen:
laß zu der Ausdrucksweiſe in § 7 Abſ. 1. welcher
für „alle Ausverkäufe“ die Angabe des Grundes
des Ausverkaufs verlangt, nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch eine namentliche Aufzählung der
anzeigepflichtigen Arten, eine kaſuiſtiſche Aufzäh⸗
lung erheiſcht. Auch die in der Begründung zum
Entwurf des Geſetzes betonten wirtſchaftlichen Er:
wägungen, daß die Bedürfniſſe in den verſchiedenen
Gegenden des Reiches und in bezug auf die ein⸗
zelnen Arten der Ausverkäufe verſchieden ſeien
und daß deshalb die Erlaſſung der Anordnungen
den Provinzialbehörden überlaſſen werde, zwingen
nach den Ausführungen des Oberſten Landes⸗
gerichts zu dem gleichen Schluſſe. Dieſem Urteil
kann nur beigepflichtet werden.
Ueber die Ungültigkeit der generellen Beſchrän⸗
kung aller Ausverkäufe ohne beſtimmte Ausnahmen
ſind die Meinungen nach dem jetzigen Stand der
Literatur und Rechtſprechung ungeteilt. Es ge⸗
nügt in dieſer Hinſicht der Hinweis auf die er⸗
ſchöpfenden Gründe des angeführten oberſtrichter⸗
lichen Urteils. Dagegen erachtet Jacubowsky —
Markenſchutz und Wettbewerb, 10. Jahrg., S. 91
und 147 — die Beſtimmung der zu beſchrän⸗
kenden Ausverkaufsarten auch in der Weiſe als
zuläſſig, daß neben den geſetzlich privilegierten
Saiſon- und Inventur-Ausverkäufen einige weitere
Ausnahmen ſtatuiert, „alle übrigen“ Ausverkäufe
aber den Beſchränkungen unterworfen werden.
Er begründet ſeinen Standpunkt damit, daß
der Begriff „beſtimmte Arten“ nur im Gegenſatz
zu „ſämtlichen Arten“ ſtehe. Da bei kaſuiſtiſcher
Aufführung der Ausverkäufe die Gefahr der Um⸗
gehung beſtehe, ſei es zweckmäßig nur die Aus⸗
nahmen aufzuführen und alle übrigen Ausverkäufe
den Beſchränkungen zu unterwerfen. Er empfiehlt
einen von ihm in dieſer Weiſe verfaßten Normal⸗
entwurf.
Die Anſicht Jacubowskys wird dem Wortlaut
und Sinn des Geſetzes nicht gerecht.
1. Der Wortlaut des Geſetzes geſtattet die
von Jacubowsky befürwortete Faſſung nicht. Straf:
geſetze ſind eng auszulegen, ihre Anwendung iſt
in erſter Linie durch den Wortlaut begrenzt. Iſt
dieſer klar und deutlich, ſo iſt kein Raum für
eine weitergehende Auslegung. „Beſtimmte Arten“
bedeutet beſtimmt zu bezeichnende, von anderen
abzuhebende Arten, d. h. die Arten müſſen kaſu—
iſtiſch nach ihren Unterſcheidungsmerkmalen an:
gegeben werden. Die Ausdrucksweiſe, daß alle
Ausverkäufe mit Ausnahme von drei oder vier
beſtimmten Arten beſchränkt werden, bezeichnet nur
die erlaubten Ausverkäufe im einzelnen, während
) Die Urteilsgründe find in dieſer Nummer S. 269
abgedruckt.
Jeitſchrift für Rechtspflege ir Rechtspflege in in Bayern.
die den Beſchränkungen unterworfenen Ausverkaäufe
nur allgemein angegeben find. Der Wortlaut
des Geſetzes verlangt aber gerade die genaue Be⸗
zeichnung der letzteren.
2. Auch der Sinn und Zweck des Geſetzes
ſowie die Entſtehungsgeſchichte ſprechen gegen die
Anfiht Jacubowskys.
Der Geſetzgeber hat mit voller Abſicht die
einſchränkenden Anordnungen nur für „beſtimmte
Arten von Ausverkäufen“ zugelaſſen. Er geht
davon aus, daß es verſchiedene Arten von Aus⸗
verkäufen gibt, daß aber das Bedürfnis einer
polizeilichen Aufficht nicht nur in verſchiedenen
Gegenden des Reichs, ſondern auch für die
verſchiedenen Arten der Ausverkaäufe ver:
ſchieden ſei. Deshalb ſollen die Regierungen
prüfen, welche Arten von Ausverkäufen zu be⸗
ſchränken ſind.
Die Anordnung iſt nicht ſo zu treffen, daß
die Regierung die nach ihrer Anſicht unſchädlichen
Ausverkaufsarten ausnimmt und alle übrigen all⸗
gemein den Beſchränkungen unterwirft. Das wäre
keine Anordnung für „beſtimmte“ Arten, ſon⸗
dern eine ſolche für „alle Arten“ mit Ausnahme
beſtimmter.
Hätte der Geſetzgeber eine allgemeine Anord⸗
nung in der Weile zulaſſen wollen, daß nur be:
ſtimmte Arten auszunehmen ſeien, dann würde er
ſich anders ausgedrückt haben, er würde geſagt
haben, daß die Regierungen ſchlechthin für Aus⸗
verfäufe mit Ausnahme ſolcher, für welche kein
Bedürſnis zu polizeilicher Aufſicht beſtehe, die
Einſchränkungen zu treffen haben.
Die Abſicht des Geſetzgebers geht dahin, daß
die Regierung bei jeder zu beſchränkenden Aus⸗
verkaufsart das Bedürfnis nach Erlaſſung be:
ſchränkender Anordnungen zu prüfen habe, bevor
fie eine tief in wirtſchaftliche Verhältniffe einſchnei⸗
dende Maßregel trifft. Das kann ſie nicht, wenn ſie
ſchlechthin alle Ausverkäufe beſchränkt und nur ein⸗
zelne Arten ausnimmt. Dem in der Begründung
zum Entwurf zum Ausdruck gebrachten Willen des
Geſetzgebers wird die Behörde nicht gerecht, wenn
ſie ganz allgemein von vorneherein noch gar nicht
vorkommende Arten des Ausverkaufs ſowie folche
Arten, die ſie gar nicht in Erwägung gezogen
hat, den Beſchränkungen unterwirft. Die Prü⸗
fung der Zweckmäßigkeit der Regierungsanordnung
ſoll nicht rein negativ ſein und nur dahin gehen,
welche Ausverkäufſe nicht zu beſchränken find. Viel⸗
mehr ſoll der Anordnung eine poſitive Prü—
fung vorausgehen, ob die Beſchränkung für die
und jene beſtimmte Ausverkaufsart geboten iſt.
Dieſe Prüfung iſt nur möglich, wenn die Be—
ſchränkungen für einzelne, genau bezeichnete Aus:
verkaufsarten normiert werden.
Ich gelange ſohin mit dem Oberſten Landes:
gericht zu folgendem Ergebnis: Die Anordnungen
der höheren Verwaltungsbehörde nach § 7 Abſ. II
UWG. müſſen für einzelne, kaſuiſtiſch zu be:
Js.
Nr. 12.
ſtimmende Ausverkaufsarten getroffen werden.
Anordnungen, welche ſich auf alle Ausverkaufs⸗
arten, wenn auch mit beſtimmt bezeichneten
Ausnahmen, beziehen, ſind unzuläſſig und un⸗
gültig.
Selbſtverſtändlich dürfen bei der Beſtimmung
der zu beſchränkenden Ausverkaͤufe nur wirkliche
Ausverkäufe einbezogen werden, nicht auch andere
forcierte Verkaufsmethoden, welche den Ausver⸗
käufen naheſtehen. Einzelne Regierungsbekannt⸗
machungen unterwerfen die Ankündigung von
Reſtertagen, weißen Wochen, Spezialtagen uſw.
den Beſchraͤnkungen der Ausverkäufe. Dies iſt
zweifelsohne unzuläſſig, weil derartige Verkaufs⸗
methoden keine Ausverkaͤufe find. Es würde im
Rahmen dieſer Abhandlung zu weit führen, auf
den Begriff des „Ausverkaufs“ einzugehen, ſoviel
ſei aber bemerkt, daß die geſetzgebenden Faktoren
wiederholt betont haben, daß die Veranſtaltung
von Reſtertagen, Spezialtagen, weißen Wochen u.
dergl. nicht als Ausverkäufe zu erachten ſeien und
ohne jede Beſchränkung zuläffig find.
Das Neichszuwachsſteuergeſetz.
Von Profeſſor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn.
(Schluß.)
Bei der Feſtſtellung des Erwerbspreiſes zieht
das Geſetz, weil deſſen Ermittelung in der Regel,
je weiter der Erwerbsvorgang zurückliegt, um ſo
ſchwieriger wird, gewiſſe zeitliche Grenzen. Es
handelt ſich hier alſo um einen zeitlichen Rück⸗
griff, nicht etwa um die „rückwirkende Kraft“
des Geſetzes. Liegt nämlich der Erwerb des Grund⸗
ſtücks vor dem 1. Januar 1885, ſo tritt an die
Stelle des Erwerbspreiſes der Wert, den es an
dieſem Tage hatte. Vom 1. Januar 1925 ab
wird aber, wenn der Erwerb mehr als 40 Jahre
vor dem Eintritt der Steuerpflicht zurückliegt, der
Wert zugrunde gelegt, den es 40 Jahre vor
dieſem Eintritt hatte. In beiden Fällen wird
jedoch, wenn der Pflichtige nachweiſt, daß er oder
ſein Rechtsvorgänger vor jener Zeit einen höheren
Preis gezahlt hat, dieſer zu Grunde gelegt. Um
zu verhindern, daß die Steuer herabgemindert
wird im Wege einer Abrede, wonach der Erwerber
ſie übernimmt und der Veräußerungspreis dafür
entſprechend niedriger bemeſſen wird, iſt im Falle
vertragsmäßiger Uebernahme der Steuer durch
den Erwerber bei der Feſtſetzung dem Ver—
äußerungspreiſe ein nach den geſetzlichen Vor—
ſchriften berechneter Steuerbetrag hinzuzurechnen.
Beim Tauſch von Grundſtücken wird die Steuer
für jedes der beiden Tauſchobjekte geſondert be:
rechnet und erhoben.
Der Steuerſatz ſtuft ſich ab nach dem
prozentualen Verhältnis der Wertſteigerung zum
258
Erwerbspreiſe und feinen Zurechnungen ſowie nach
der Beſitzdauer des Veräußerers, die im allge:
meinen, je kürzer ſie iſt, um ſo ſtärker einen ſpeku⸗
lativen Charakter der Veräußerung vermuten läßt,
in manchen Fällen jedoch entgegengeſetzte Be⸗
deutung haben kann. Er beginnt mit 10 %r des
Wertzuwachſes bei einer Wertſteigerung bis zu
10% und ſteigt um je 1°/o in Stufen, die bis
zu 190% je 10%, weiterhin bis zu 290% je
20% betragen. Darüber hinaus beträgt er 30 „.
Sie ermäßigt ſich aber für jedes volle Jahr des
für die Steuerberechnung maßgebenden Zeitraums
um 1% 66 und, wenn das Grundſtück vor dem
1. Januar 1900 erworben war, für die Zeit bis zum
1. Januar 1911 um 1 ½½ %. Steuerbeträge
unter 20 M werden nicht erhoben. Steuer⸗
pflichtig iſt der Veräußerer. Daneben haftet,
ſofern dieſer die Steuer nicht ſicherſtellt, der Er⸗
werber bis zur Höhe von 2% des Veräußerungs⸗
preiſes. Erſtattung der Steuer kann vom Bundes⸗
rat aus Billigkeitsrückſichten, ſonſt in beſonderen
Fällen (beſonders bei Nichtigkeit oder Rückgängig⸗
machung des Geſchäfts, Rückübertragung des Eigen:
tums und Preisminderung) erfolgen. Die Ver⸗
waltung und Erhebung der Steuer iſt Sache
der Bundesſtaaten. Sie geſchieht durch die einen
Steuerbeſcheid erlaſſenden Zuwachsſteuerämter, in
deren Bezirk das veräußerte Grundſtück liegt, und
Oberbehörden nach landesgeſetzlichen näheren Vor⸗
ſchriften unter Reichskontrolle. Es beſteht An⸗
melde⸗, Auskunſts- und Deklarationspflicht beider
Vertragsparteien und Mitteilungspflicht der mit
dem Eigentumswechſel beſaßten Behörden und
Amtsperſonen. Das Zuwachsſteueramt hat das
Recht der Beanſtandung der Zuwachsſteuererklaͤrung,
mit Setzung einer Friſt zur Gegenerflärung. und
der ſelbſtändigen endgültigen Feſtſetzung der Steuer.
Alle Behörden, Beamten und Notare ſind ihm
gegenüber zur Hilfeleiſtung bei Ermittlung der
Steuer, insbeſondere zur Geltattung der Einſicht
in die Verhandlungen über die dafür maßgebenden
Vorgänge verpflichtet. Die Regelung des Rechts-
mittelverfahrens iſt im weſentlichen der
Landesgeſetzgebung überlaſſen.“) Zuläſſig find: die
Beſchwerde, falls fie nicht landesrechtlich ausge:
ſchloſſen wird, und das Verwaltungsſtreitverfahren
oder ein anderweites verwaltungsgerichtliches Ver—
ſahren, bei deſſen Ermanglung oder landesrecht—
lichem Ausſchluß der Rechtsweg. Stundung der
Steuer, gegebenenfalls gegen Sicherheit, und Raten—
zahlung kann nach näherer Beſtimmung des Bundes—
rats in Fällen geſtattet werden, wo die ſofortige
Einziehung eine Haͤrte ſein würde. Als Straf—
mittel einſchließlich Ordnungsſtraſen find ledig:
lich Geldſtrafen vorgeſehen. Der Steueranſpruch
verjährt in 10 Jahren.
Schon vor der Veräußerung kann der Eigen—
tümer, um den Steuerbetrag errechnen zu können,
2) S. unten Anm. 3.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
ſich einen die Steuerberechnungsunterlagen feſtſtellen⸗
den amtlichen Beſcheid gegen eine Gebühr erteilen
laſſen. Vom Ertrage der Steuer erhalten:
das Reich 50 %% , die Gemeinden oder, nach näherer
Beſtimmung der Landesgeſetzgebung, die Gemeinde⸗
verbände (Kreiſe) 40 /,, die Bundesſtaaten 10%.
Den Gemeinden (G.⸗Verbänden), die vor dem
1. April 1909 die Steuer ſchon beſchloſſen und
vor dem 1. Januar 1911 in Kraft hatten, iſt
der bisherige Durchſchnittsertrag bis zum 1. April
1915 garantiert. Statt deſſen kann ihnen auch
ihre alte Steuerſatzung auf gleiche Zeit und bis
zur gleichen Ertragshöhe belaſſen werden. Alle
Gemeinden dürfen mit Genehmigung der Landes⸗
regierung prozentuale Zuſchläge zur Steuer erheben,
doch dürfen dieſe und die Reichsſteuer zuſammen
30 %ů der Wertſteigerung nicht überſchreiten. Zur
Verhütung aller Steuerumgehungen, denen
das Geſetz nicht vorzubeugen vermag, darf der
Bundesrat, vorbehaltlich nachträglicher Genehmi⸗
gung des Reichstags, auch ſolche Rechtsvorgänge
für ſteuerpflichtig erklären, die nicht unter das
Geſetz fallen, aber einem anderen es ermöglichen,
wie ein Eigentümer über das Grundſtück zu ver⸗
fügen, und für ſolche Fälle auch abweichende Be⸗
rechnungsbeſtimmungen erlaſſen.
Was endlich die Uebergangszeit anlangt,
ſo ſind die vor dem 1. Januar 1911 eingetretenen
Steuerfälle noch nach den alten landesgeſetzlichen
oder kommunalen Zuwachsſteuerordnungen zu er⸗
ledigen, die im übrigen am 1. April mit Wirkung
vom 1. Januar 1911 außer Kraft getreten ſind.
In den Fällen, in welchen die Auflaſſung und
Eintragung in das Grundbuch erſt nach dem
1. Januar 1911 erfolgte, die zugrunde liegenden
Verträge aber ſchon vorher rechtsgültig abgeſchloſſen
waren, tritt die rückwirkende Kraft des Geſetzes
billigerweiſe nicht ein. Dieſe Rückſichtnahme könnte
jedoch zu betrügeriſchen Vordatierungen privat⸗
ſchriftlicher Vertraͤge führen. Sie iſt daher davon
abhängig gemacht, daß die Urkunde über das
Veraäußerungsgeſchäft vor dem 1. Januar 1911
entweder in öffentlich beglaubigter Form errichtet
oder bei irgend einer Behörde eingereicht war.
Hat eine Auseinanderſetzung zwiſchen Erben oder
Teilnehmern an einer Gütergemeinſchaft vor dem
1. Januar 1911 ſtattgefunden, jo bleibt die
Steuerpflicht für die Zeit vor ihr auf den Anteil
des Erwerbers beſchränkt. Hat einer von mehreren
Abkömmlingen vor dem 1. Januar 1911 ein
Grundſtück von Verwandten auſſteigender Linie
entgeltlich erworben, ſo bleibt für die Zeit vor
dem Erwerb die Steuerpflicht beſchraͤnkt auf den
Anteil, der ihm als geſetzliches Erbteil angefallen
ſein würde. Beides deshalb, weil bei der Aus:
einanderſetzung oder bei dem Erwerbe den Inter—
eſſenten die Art der zuwachgsſteuergeſetzlichen
Regelung dieſer beiden Fälle noch nicht bekannt
war und daher von ihnen für Zurückhaltung des
auf den bis dahin entſtandenen Wertzuwachs ent
Zeitſchrift für t Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 112. 259 in Bayern. 1911. Nr. 12.
en Steuerbetrages nicht vorgeſorgt werden
unte
Zum Zuwachasſteuergeſetze find ergangen die
Ausführungsbeſtimmungen des Bundesrats vom
27. März 1911, während die Vollzugsvorſchriften
der Bundesstaaten, von denen die preußiſchen die
Form eines Ausführungsgeſetzes tragen, erſt von
einem Teile dieſer Staaten erlaſſen worden ſind.“)
Beachtenswert find auch die in Nr. 2, Jahrgang 1,
der im Reichsſchatzamt herausgegebenen „Amt:
lichen Mitteilungen über die Zuwachsſteuer“, vom
15. April 1911, erſchienenen „Erläuterungen zum
Zuwachsſteuergeſetz“.
Nitteilungen aus der Praxis.
Vorläufige Bollſtreckbarkeit von Berſäumnisurteilen
nach vorausgegangenem Mahnverfahren. Hierüber
findet ſich in Nr. 8 der BlfRA. auf S. 274 ff. eine
Abhandlung, zu der mir folgende Ausführungen ge⸗
ſtattet ſeien:
An der zitierten Stelle iſt die Auffaſſung ver⸗
treten, daß der Gläubiger, wenn der Schuldner gegen
den Zahlungsbefehl Widerſpruch einlegte und in dem
ſodann anberaumten Termin zur mündlichen Ver⸗
handlung nicht erſcheint, wohl die Erlaſſung eines
Verſäumnisurteils, nicht aber die vorläufige Voll⸗
ſtreckbarkeit dieſes Urteils beantragen könne, weil
der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung
des zu erlaſſenden Urteils dem Schuldner nicht vorher
mitgeteilt, alſo der Vorſchrift des 8 335 Abſ. I Ziff. 3
u nicht genügt fei.
Der Verfaſſer der Abhandlung erkennt an, daß
dieſe Geſetzesauslegung dem Zwecke, den der Geſetz⸗
geber mit dem Mahnverfahren verfolgt, direkt ins
Geſicht ſchlägt, hält die Auslegung aber für logiſch
unanfechtbar und macht dem Geſetzgeber weiter den
Vorwurf, daß er bei Abfaſſung der Novelle vom
Jahre 1909 es überſehen habe, die nach Erhebung des
Widerſpruchs ergehenden Verſäumnisurteile in die
Kategorie der nach 8 708 ZPO. ohne Antrag für vor⸗
läufig vollſtreckbar zu erklärenden Urteile aufzunehmen;
während nämlich vor der Novelle der Gläubiger nach
Einlegung des Widerſpruchs den Schuldner laden
mußte und hierbei Gelegenheit hatte, den Antrag auf
vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung des Urteils zu⸗
zuſtellen, entfalle nunmehr dieſe Möglichkeit, da jetzt
die Ladung durch die Parteien beſeitigt ſei; bei An⸗
bringung des Geſuchs um Erlaſſung des Zablungs⸗
befehls beantrage der Gläubiger höchſtens im Falle
des Widerſpruchs Termin anzuberaumen, er komme
aber nicht auf den Gedanken ſchon jetzt die Vollſtreck⸗
barkeits⸗Erklärung eines etwa ſpäter ergehenden Ver⸗
ſäumnisurteils zu beantragen, ſodaß bei richtiger
Geſetzesauslegung die bedauerliche Tatſache beſtehe,
daß die vorläufige Vollſtreckbarkeit des Urteils nicht
erwirkt werden könne.
) Für Bayern ſ. d. VO. vom 1. April 1911, GVBl.
S. 185 /6; wichtig iſt insbeſondere der § 2, der die
Rechtsmittel gegen die Steuerbeſcheide regelt. Der
Rechtsweg iſt in Bayern nicht zuläſſig.
259
Der Verfaſſer hält die Ausführungen bei Gaupp⸗
Stein, Komm. zur Novelle Anm. III zu 5 696 nicht
für richtig, wonach es eines Antrags auf vorläufige
Vollſtreckbarkeit des Urteils nach 8 709 Nr. 4 ZPO.
nicht bedarf, da dieſer Antrag ſchon in dem die Grund⸗
lage der Verhandlung bildenden Zahlungsbefehl,
nämlich in den Worten „bei Vermeidung ſofortiger
Zwangsvollſtreckung“, und in dem vorangegangenen
Geſuch enthalten iſt. Er behauptet, der Antrag das
Urteil für vorläufig vollſtreckbar zu erklären, ſei weder
in dem Zahlungsbefehl, noch in dem ihm zugrunde
liegenden Geſuch enthalten, die fraglichen Worte in
dem Zahlungsbefehl ſeien kein Antrag auf Vollſtreck⸗
barkeitserklärung, ſondern eine Mitteilung des Gerichts
an den Schuldner über die etwaigen Folgen ſeiner
Nichtleiſtung. Daß dies der Sinn des Geſetzes ſei,
ſchließt der Verfaſſer aus den Vorſchriften über den
Vollſtreckungsbefehl, der nach 8 700 ZPO. einem für
vorläufig vollſtreckbar erklärten Verſäumnisurteile
gleich ſtehe, ſowie daraus, daß nach Ablauf der Wider⸗
ſpruchsfriſt der Vollſtreckungsbefehl nicht ohne weiteres
auf den Zahlungsbefehl geſetzt werde, was der Fall
ſein müßte, wenn man die erwähnten Worte des
Zahlungsbefehles als Antrag auf Vollſtreckbarkeits⸗
erklärung anſehen wollte, ſondern daß es vielmehr
nach 8 699 ZPO. eines beſonderen Antrages des
Gläubigers bedürfe, um den Vollſtreckungsbefehl zu
erwirken.
Gegenüber dieſen Ausführ ungen dürfte Folgendes
hervorzuheben ſein:
Eine Geſetzes Auslegung, die dem vom Geſetzgeber
verfolgten Zwecke direkt zuwiderläuft, iſt ohne weiteres
höchſt bedenklich und könnte nur dann als richtig an⸗
erkannt » werden, wenn die Möglichkeit einer an⸗
deren, zu einem befriedigenden Ergebniſſe führenden
Auslegung mit Sicherheit ausgeſchloſſen wäre. Das
iſt aber bei der gegenwärtigen Frage keineswegs der
Fall, im Gegenteil erſcheint mir die Auslegung des
Verfaſſers als unzutreffend.
Das Mahnverfahren will dem Gläubiger binnen
möglichſt kurzer Friſt einen Vollſtreckungstitel und
eine urteilsmäßige Feſtſtellung feines Anſpruchs ver⸗
ſchaffen. Hierüber wird der Schuldner auch nicht im
Zweifel gelaſſen und deshalb ergeht auf das Mahn⸗
geſuch hin der ausdrückliche Befehl an ihn bei Ver⸗
meidung ſofortiger Zwangsvollſtreckung den Gläubiger
wegen ſeines Anſpruches ꝛc. zu befriedigen (8 692 ZPO.
In dieſen Worten des Zahlungsbefehls iſt nicht eine
einfache Mitteilung des Gerichts an den Schuldner
über die Folgen ſeiner Nichtleiſtung zu erblicken,
ſondern eine direkte vom Geſetzgeber ſelbſt vorgeſehene
Androhung der Zwangsvollſtreckung, was ſich ſchon
aus der natürlichen Wortbedeutung ergibt.
Daß der Geſetzgeber eine wirkliche Androhung
der ſofortigen Zwangsvollſtreckung beabſichtigte, geht
auch deutlich aus den Motiven zur ZPO. hervor,
worin es auf S. 382 heißt:
„Die direkte Androhung der Zwangsvollſtreckung
mahnt den Schuldner am eindringlichſten und ſo
verſtändlich, daß er nicht erſt Rechtsbelehrung zu
ſuchen braucht, an die Folgen des Friſtablaufs
und ſteht nicht im Widerſpruche mit dem Umſtande,
daß, bevor die Zwangsvollſtreckung beginnen kann,
noch das Urteil in Geſtalt des Vollſtreckungsbe⸗
fehles dazwiſchentreten muß. Denn da Letzterer
ohne ſachliche Prüfung auf die bloße Tatſache des
Friſtablaufs hin zu ergehen hat, ſo läßt ſich bereits
260 Bu Zeitſchrift für Rechts pfleg
bei Erlaß des Zahlungsbeſehles die gewiſſe Folge
der Zwangsvollſtreckung vorausſehen undandrohen.“
Wenn alſo vom Geſetzgeber ſelbſt dieſe Androhung
der Zwangsvollſtreckung in den Zahlungsbefehl auf⸗
genommen iſt, ſo rechtfertigt ſich der Schluß, daß
derjenige, der ſich des Mahnverfahrens bedient, eben
damit dem Schuldner die ſofortige Zwangsvollſtreckung
androht, ohne daß es in dem Mahngeſuch eines be⸗
ſonderen hierauf gerichteten Antrages bedarf. Die In⸗
anſpruchnahme des Mahnverfahrens iſt daher an ſich
gleichbedeutend mit dem Antrag auf Verurteilung
an auf vorläufige Vollſtreckbarkeits⸗Erklärung des
rteils.
Dieſer Auffaſſung ſteht auch der Umſtand nicht
entgegen, daß es noch eines beſonderen Antrags des
Gläubigers bedarf. um den Vollſtreckungsbefehl zu
erwirken. Dieſer Antrag bedeutet nicht etwa eine
Ergänzung des Mahngeſuches dahin, daß nunmehr
auch die Vollſtreckbarkeitserklärung beantragt wird,
(welch letzterer Antrag nach der Auffaſſung des Unter⸗
zeichneten bereits im Zahlungsbefehl enthalten iſt),
ſondern mit dieſem Antrag verlangt der Gläubiger
nur die Vornahme des weiteren — früher richterlichen,
ſeit der Novelle vom Gerichtsſchreiber zu vollziehen⸗
den — Aktes, durch welchen die in dem Zahlungsbefehl
enthaltene bedingte Verurteilung zu einer vorbehalts⸗
loſen, einem vorläufig vollſtreckbaren Verſäumnis⸗
Urteile gleichgeſtellten Verurteilung wird. Die Gegen⸗
überſtellung des ordentlichen Verfahrens mit dem
Mahnverfahren ergibt hier folgendes: Geradeſo wie
im ordentlichen Verfahren, (wenn auch in der Klage
bereits der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeits⸗
erklärung enthalten iſt), die Erlaſſung des Verſäumnis⸗
urteils noch eines in der Verhandlung zu ſtellenden
Antrages des Klägers bedarf und die Verurteilung
ohne dieſen Antrag nicht ausgeſprochen wird, iſt im
Mahnverfahren zur Erlaſſung des Vollſtreckungsbe⸗
ſehles noch ein beſonderer Antrag des Gläubigers
erforderlich (vgl. Motive S. 376). Es iſt daher nicht
richtig, wenn es in der erwähnten Abhandlung heißt,
der Voll ſtreckungsbefehl müßte ohne weiteres auf den
Zahlungsbefehl geſetzt werden, wenn man die frag⸗
lichen Worte des Zahlungsbefehles als Antrag des
Gläubigers auf Vollſtreckbarkeitserklärung anſehen
wollte und es kann die Vorſchrift des 8 699 ZPO.
nicht als Argument für die Behauptung benützt werden,
daß der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeit nicht
im Zahlungsbeſehl enthalten ſei.
Der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeit iſt
alſo mit dem Zahlungsbefehl dem Schuldner zugeſtellt
und es kann daber die vorläufige Vollſtreckbarkeit des
Verſäumnisurteils erwirkt werden
Dieſe den Anforderungen der Praris entſprechende
Auslegung iſt übrigens nicht bloß in dem Kommentar
von Gaupp⸗Stein zur Novelle, ſondern auch in den
früheren Auflagen von Gaupp⸗-Stein vertreten, ſie iſt
ferner von Struckmann-Koch und Wilmowski-Levy
ausdrücklich gebilligt und von den anderen Kommen—
tatoren nicht beſtritten.
Für die Praris beſteht kein Bedürfnis von dieſer
den Intereſſen des Gläubigers und dem Zweck des
Mahnverfahrens entſprechenden Auffaſſung abzugehen,
und es geht nicht an den Geſetzgeber für unannehm—
bare Ergebniſſe verantwortlich zu machen, die auf
einer gerade zu vermeidenden Buchſtabenauslegung
beruhen. Amtsrichter Gros in München.
e in Bayern. 1911. Nr. 12.
J
Gerichtlicher Sühnetermin im Privatklageverfahren.
Nach 8 420 StPO. muß im Privalllageverfahren
wegen einer Beleidigung, wenn die Parteien im gleichen
Gemeindebezirke wohnen, vor der Erhebung der Klage
vor einer nichtgerichtlichen Behörde ein Sühnetermin
ſtattfinden. Die gleiche Beſtimmung enthält 8 383
des Entwurfs einer neuen StPO. Der Grund der
Beſtimmung iſt, daß im Sühnetermin die Beleidigung,
wenn möglich, durch Vergleich erledigt werden ſoll.
Durch Vergleich werden zum Teil auch die Privat⸗
klagen erledigt, die an das Amtsgericht gelangen, weil
der Sühneverſuch vor der Vergleichsbehörde keinen
Erfolg hatte, und zwar entweder vor der Beweisauf⸗
nahme oder, was die Regel bildet, nach der Beweis⸗
aufnahme. In den weitaus meiſten Privatklagefällen
wäre eine öffentliche gerichtliche Verhandlung mit
formeller Beweisaufnahme nicht notwendig, wenn in
den Entwurf der StPO. eine Beſtimmung aufgenommen
würde, wonach es in das Ermeſſen des Amtsrichters
geſtellt wird, ſofort nach der Einreichung der Privat⸗
klage die Parteien zu einem nichtöffentlichen Sühne⸗
termine zu laden unter Androhung von Rechtsnachteilen
für den Fall des Nichterſcheinens. Den Parteien
könnte es freiſtehen zu dieſem Termin Zeugen oder
ſonſtige Beweismittel mitzubringen oder die Ladung
von Zeugen wäre von Amts wegen anzuordnen, wenn
es notwendig iſt. Meines Erachtens würde es dem
Amtsrichter ſehr oft gelingen die Parteien ohne
weiteres zu vergleichen, ſicherlich öfter als der nicht⸗
gerichtlichen Vergleichsbehörde wohl ſchon deshalb,
weil er in der Regel ein höheres Anſehen als dieſe
genießt. In dem Termin könnte der Richter den
Parteien eindringlich vorſtellen, wie unnütz es ſei
einen koſtſpieligen, zeitraubenden Prozeß mit zweiſel⸗
haftem Ausgang zu beginnen. Der Vorteil eines
nichtöſſentlichen Sühnetermins liegt auf der Hand.
Es würde dadurch die Eröffnung des Hauptverfahrens
und der mündlichen Verhandlung mit dem umſtänd⸗
lichen Apparat der Zeugenvernehmung und Proto⸗
kollierung, mit den oft recht entbehrlichen Ausführungen
der Parteien und ihrer Rechtsbeiſtände u. ſ. f. weg⸗
fallen. Die Parteien würden keineswegs in ihrem
Recht benachteiligt werden. Bei den Privatklagen
handelt es ſich überhaupt oft weniger um das Recht
als um das Austragen gehäſſiger Streitigkeiten, um
das Aufwühlen von Schmutz der ſchlimmſten Art.
Man ſucht ſich gegenſeitig bloß zu ſtellen und perſönliche
Verhältniſſe ans Licht zu zerren. Wie manchen fein
empfindenden Richter ſtößt es geradezu ab beobachten
zu müſſen, wie vor der breiteſten Oeffentlichkeit
ſchmutzige Dinge erörtert werden. Die öffentliche
Verhandlung verſchärft häufig noch die Feindſchaft
zwiſchen den Parteien. Mit dem Urteil des Schöffen⸗
gerichts gibt man ſich nicht zufrieden. Die eine oder
beide Parteien legen Berufung ein. Die ohnehin
nicht niedern Koſten der Privatklage ſchwellen rieſig
an. Es wäre alſo nur von Vorteil für die Parteien,
wenn beim nichtöffentlichen gerichtlichen Sühneverſuch
von vornherein der Prozeßſucht und Rechthaberei
entgegengetreten würde.
Amtsrichter Doſenheimer in Ludwigshafen a. Rh.
‘
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. n
lage auf uuterlaſſs einer üblen Nachrede.
Boransſetzungen für die Fe an daß die Gefahr
einer Wiederholung vorliegt. Aus den Gründen:
Zwiſchen dem Beklagten und dem Vater der Kläger
waren im Jahre 1908 Streitigkeiten über die Grenze
der Grundſtücke, wegen der Befugnis des Sch. über
den Grundbeſitz des Beklagten zu gehen, ſowie darüber
entſtanden, ob letzteres vom Sch. ſchen Grundſtücke aus
durch eine im Gartenzaune angebrachte Tür geſchehen
dürfe. Auch ſchwebte zu Ende 1908 ein Strafverfahren,
das auf Anzeige des Beklagten gegen Sch. eingeleitet
worden war, weil er zwei dem Beklagten gehörige
Apfelbäume hatte ausgraben und in ſeinen eigenen
Garten verpflanzen laſſen. In dem Schreiben vom
27. Dezember 1908 nun verbot der Beklagte dem
Sch. und ſeinen Angehörigen das Betreten ſeines
Grundſtückes, unterſagte ihm nach dem Grundſtücke
des Beklagten zu eine Gartentür zu haben und forderte
deren Beſeitigung; ſchließlich ſchreibt er: „Sollten Sie
meinem Verbote betr. Beſeitigung der Gartentür bis
7. Januar 1909 nicht nachgekommen ſein, ſo werde
ich gegen Sie Klage erheben und gleichzeitig zur ge⸗
richtlichen Ahndung bringen laſſen, daß — nach mir
gemachten Anzeigen — Ihre Kinder wiederholt bei
Obſtdiebſtählen betroffen worden ſind uſw. Meine
Gewährsmänner find bereit, ihre Ausſagen zu beeiden.“
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß —
ohne Beſchränkung auf das vermögensrechtliche Gebiet
und auf Beſeitigung eines vom Beklagten geſchaffenen,
dauernden bedrohlichen Zuſtandes — die Klage auf
Unterlaſſung jedes widerrechtlichen Eingriffes in ein
vom Geſetze geſchütztes Recht in rechtsähnlicher An⸗
wendung der 88 12, 862, 1004 BGB. dann zu ge⸗
währen ſei, wenn dieſer Eingriff, ſei es auch nur in
der Vergangenheit und ſei es auch nur objektiv be⸗
reits verwirklicht worden iſt und in der Zukunft
weitere Eingriffe zu beſorgen ſind. Der Brief vom
27. Dezember 1908 enthalte die Behauptung einer
Tatſache, welche die Kläger verächtlich zu machen ge—
eignet ſei, alſo den Tatbeſtand der üblen Nachrede
und damit eine Verletzung ihres Rechtes auf Ehre.
Der objektiv vorliegende Eingriff in ein geſetzlich ge—
ſchütztes Recht begründe deshalb den Unterlaſſungs⸗
anſpruch und zwar gleichviel, ob die briefliche Be—
ſchuldigung der Kläger vom Beklagten zur Wahr—
nehmung berechtigter Intereſſen erfolgt ſei, ſoferne
nur die Wiederholung zu beſorgen ſei. Daß das
letztere Erfordernis zutreffe, wird näher ausgeführt.
Der Beklagte könnte der Verurteilung auf die Klage
nur entgehen, wenn er den ihm obliegenden Beweis
der Wahrheit ſeiner Beſchuldigung erbracht hätte.
Das ſei jedoch keineswegs der Fall.
Die Reviſion wendet zunächſt ein: Der Beklagte
habe in ſeinem Briefe nur die Behauptung aufgeſtellt,
daß „nach einer ihm erſtatteten Anzeige“
die Kläger wiederholt bei Obſtdiebſtählen in ſeinem
Obſtgarten betroffen worden ſeien. Dieſe Behauptung
decke ſich nicht mit der vom Berufungsgerichte ange—
nommenen Behauptung, deren Wiederholung dem
Beklagten verboten ſei. Der Beklagte habe nicht die
Wahrheit der Beſchuldigung behauptet, ſondern nur
eben, daß ihm eine Anzeige gemacht ſei. Dieſe Be—
hauptung aber ſei nach der Feſtſtellung des Berufungs—
gerichts wahr, jedenfalls nicht widerlegt. Mit dieſem
Angriffe würde die Reviſion, wenn es auf den Tatbeſtand
des § 186 StGB. (oder auch des 8 824 BGB.) an⸗
käme, nicht durchdringen können, denn für das „Be—
haupten“ einer ehrenrührigen Tatſache iſt nicht er⸗
forderlich, daß der Vorwurf unmittelbar ausgeſprochen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
|
261
wird; die Behauptung der Tatſache kann auch ſchon
in der Aeußerung eines Verdachtes liegen oder in der
Mitteilung der Angaben eines anderen, wenn man
dieſe dadurch zu ſeinen eigenen machen will.
Die Klage — rügt die Reviſion weiter — ſei aber
ſchon an ſich rechtlich unhaltbar. Eine Unterlaſſungs⸗
klage ſei nur gegeben wegen eines Eingriffes in ſolche
Rechte und Rechtsgüter, die durch das bürgerliche
Recht geſchützt ſind. Dahin gehörten zwar nach 8 824
BGB. Kredit, Erwerb und Fortkommen, nicht aber
die perſönliche Ehre. Dieſe ſei durch das Strafrecht
hinreichend geſchützt, und es könne dem angeblich Be⸗
leidigten nicht geſtattet ſein, ſtatt der Verfolgung im
Strafverfahren und ohne Rückſicht auf die hier feſt⸗
geſetzte Antragsfriſt den Weg der Zivilklage zu be⸗
treten — mit dem Erfolge, daß auch die Vorſchrift
des 8 193 StGB. außer Anwendung bliebe. Die
Möglichkeit einer wiederholten Aufſtellung der nicht
erweislich wahren Tatſache laſſe ſich, wenn der auf
Unterlaſſung Beklagte nicht zugibt etwas Unwahres
behauptet zu haben, leicht begründen. Es ſei aber
ein Rechtsgrund ebenſo wie ein Bedürfnis für die
Gewährung einer Unterlaſſungsklage in ſolchen Fällen
nicht anzuerkennen. Es wäre in der Tat ſehr frag:
lich, ob in einem Falle der vorliegenden Art eine
Unterlaſſungsklage überhaupt zu geſtatten ſei, ob
namentlich aus den vom Berufungsgerichte anges
führten Urteilen des erkennenden Senats (RG3.
Bd. 60 S. 6 ff., Bd. 61 S. 366 ff.), die ſich auf Fälle
der Beeinträchtigung von Kredit, Erwerb und Fort⸗
kommen beziehen, die Konſequenz der Zulaſſung
jener Klage auch für den Fall einer nur ehrenkränken⸗
den üblen Nachrede, den hier vom Berufungsgericht
allein feſtgeſtellten Tatbeſtand des 8 186 StGB., ge⸗
zogen werden darf. Und es würde fich weiter fragen,
ob die Klage hier zuläſſig ſei, trotzdem die Beſchul⸗
digung zur Wahrnehmung berechtigter Intereſſen er⸗
folgt war, und ob dem Beklagten die Beweislaſt für die
Wahrheit der Beſchuldigung aufgebürdet werden kann.
Allein es bedarf keines Eingehens auf alle dieſe
Rechtsfragen, da die angefochtene Entſcheidung ſchon
aus einem anderen Grunde unhaltbar iſt.
Unter allen Umſtänden nämlich hat die Klage
auf Unterlaſſung (mag ſie auf ein Abwehrrecht gegen⸗
über einer unerlaubten Handlung geſtützt oder als
ſog. quaſinegatoriſche Klage erhoben ſein) — und hat
jedenfalls die Verurteilung auf dieſe Klage zur Vor⸗
ausſetzung, daß die Fortſetzung oder Wiederholung
von Handlungen, Eingriffen derſelben Art ernſtlich
zu befürchten ſteht. Die Ausführungen des Berufungs-
urteils nun, mit denen die Annahme einer beſtehen⸗
den Wiederholungsgefahr begründet wird, ſind in
mehrfacher Richtung bedenklich. Der Berufungsrichter
zieht aus einer Reihe von Umſtänden den Schluß, es
biete der bei Erhebung der gegenwärtigen Klage vor—
liegende Sachſtand keine Grundlage für die Annahme
des Landgerichts, daß eine Wiederholung des rechts—
widrigen Eingriffes nicht zu beſorgen fei; es ſeien
auch ſeitdem nicht Umſtände hervorgetreten, die geeignet
erſchienen die Beſorgnis weiterer Eingriffe in die Ehre
der Kläger zu beſeitigen, für das Gegenteil ſei viel»
mehr die Aufrechterhaltung der nur auf ſchwachen
Füßen ſtehenden Beſchuldigung „anzuziehen“. Die
erſteren nur negativen Erwägungen würden für ſich
keinesfalls ausreichen; es wird damit höchſtens die
Möglichkeit einer Wiederholung feſtgeſtellt; erforder—
lich wäre eine auf Tatſachen ſich gründende Wahr—
ſcheinlichkeit der Wiederholung. Aber eine ſolche,
genügend beſtimmte, pofitive Feſtſtellung iſt auch in
dem letztangeführten Satze der Urteilsgründe nicht zu
erblicken. Aus dem Umſtande, daß der Beklagte im
gegenwärtigen Rechtsſtreite es unternommen hat, den
Wahrheitsbeweis für die fragliche Beſchuldigung
zu führen, (durch den er ja nach Anſicht des Vorder—
richters allein der Verurteilung entgehen konnte), folgt
262
noch nicht, daß zu befürchten ſei, er werde außerhalb
des Prozeſſes jene Beſchuldigung wiederholen. In erſter
Inſtanz hatte der Beklagte nach dem landgerichtlichen
Tatbeſtande vorgebracht, er habe ſich nie dahin ge⸗
äußert, daß die Kläger Obſt entwendet hätten, er habe
ee keine Veranlaſſung hierzu, und die Annahme, daß
er jene Aeußerung wiederholen werde, entbehre jeder
Begründung. Wenn dann in der Berufungsinftang
der Beklagte doch die Behauptung, daß die Obſtent⸗
wendungen von den Klägern tatſächlich begangen
ſeien, aufgeſtellt und dafür den Pächter M. als Zeugen
benannt hat, fo durfte dieſes fein prozeſſuales Ver⸗
2. nicht ſchlechthin gegen den Beklagten für die
nnahme der e verwertet werden.
Es iſt aus dem Berufungsurteile nicht erſichtlich, daß
der Beklagte nach dem Ergebniſſe der Beweisaufnahme
habe erkennen müſſen, jene Beſchuldigung ſtehe nur
‚auf ſchwachen Füßen“, andererſeits auch nicht, daß
in der Schlußverhandlung der Beklagte die Bezich⸗
tigung trotzdem ausdrücklich aufrecht erhalten hätte.
Die Sache liegt ſchon inſofern hier anders, als in dem
Falle des Urteils RG. Z. Bd. 60 S. 6 ff., wo der Beklagte
im Prozeßverfahren mit äußerſter Zähigkeit und Be⸗
harrlichkeit ſeinen Standpunkt und die Richtigkeit
ſeiner Angaben zu vertreten geſucht hat. Uebrigens er⸗
mangeln auch die Folgerungen, die das Berufungs⸗
gericht aus dem Vorgehen des Beklagten bei Auf⸗
ſtellung der Beſchuldigung in dem Briefe vom 27.
Dezember 1908, aus der Drohung mit Strafanzeige
und aus der Veranlaſſung zu dieſem Vorgehen zieht,
größtenteils der Schlüſſigkeit. (Wird weiter ausge⸗
führt). (Urt. des VI. 35. vom 1. Mai 1911, VI
180 / 10). — — —ı.
2266
II.
Gebrauch eines fremden Namens als Firmenbeſtand⸗
teil. Angabe „bifterifcher Tatſachen“ in der Firma.
An der Außenſeite des offenen Geſchäftsladens der
Beklagten iſt folgende Aufſchriſt: „R.'s Drogenhaus
K. u. D. Gegründet 1807. Von 1831 bis 1890 im
Beſitze von H. F. Riv.“ Den gleichen Vermerk tragen
die Geſchäftsbücher und Briefumſchläge der Beklagten,
auch befindet er ſich auf ihren Preisliſten ſowie in
ihren ſonſtigen Bekanntmachungen. Bei Uebernahme
des Geſchäfts hatten die Beklagten K. u. D. in einem
Rundſchreiben und in Zeitungsankündigungen zur
öffentlichen Kenntnis gebracht, daß ſie die unter der
Firma R.l's Drogenhaus und Sanitätsbaſar beſtehende
Drogerie, gegründet 1807, von 1831 bis 1890 im
Beſitze von H. F. Riv., gekauft hätten. Die Klägerin
verlangt Unterlaſſung des Gebrauchs des Namens Riv.
Das LG. wies die Klage ab. Auf Berufung der
Klägerin verurteilte das Oberlandesgericht die Be—
klagten beim Betrieb ihres Geſchäfts jeden Gebrauch
des Namens Riv. zu unterlaſſen, insbefondere die
Aufſchrift an ihrem Geſchäft „von 1830 bis 1890 im
Beſitz von H. F. Riv.“ zu beſeitigen. Die Reviſion
blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Das LG. hatte die Klage
abgewieſen, weil die Beklagten den Namen Riv. nicht
als einen ihnen jetzt zukommenden gebrauchten, fon=
dern mit ihm nur auf eine hiſtoriſche Tatſache hin—
weiſen wollten. Das Berufungsgericht dagegen führte
aus: Der Zuſatz deute an, daß ein Nachfolgeverhältnis
der Firma der Beklagten zu der Firma H. F. Riv.
dergeſtalt beſtehe, daß die Beklagten die alte Firma
fortführten. Die Beklagten ſeien aber nicht berechtigt
den Zuſatz ihrer Firma hinzuzufügen (8 22 Abſ. 1
HGB.). Der Zuſatz ſei namentlich deshalb geeignet
in dem kaufenden Publikum den Irrtum zu erregen,
zwiſchen der erloſchenen Firma H. F. Riv. und der
Firma der Beklagten beſtehe ein Nachfolgeverhältnis,
weil der Name H. F. Riv. auf dem Firmenſchild der
Beklagten durch die Größe der Schrift und die ganze
Aufmachung auffällig hervorgehoben ſei und dadurch
— — . d öl˖Ü 4 —⁴k•— 4 ü—— ———3lÄ—ůůůͤꝛ·?l. ji k!ñ,ßð?v nn
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
dem Publikum als ſehr weſentlicher Teil der Bezeich⸗
nung des Geſchäfts vor die Augen geführt werde.
Durch den unberechtigten Zuſatz zu der Firma und
durch die beſondere Hervorhebung des Namens Riv.
auf dem Firmenſchild und auf den für die Oeffent⸗
lichkeit beſtimmten Schriftſtücken der Beklagten werde
die Klägerin als Trägerin des Namens Riv. in ihrem
auf $ 12 BGB. ſich ſtützenden Namenrechte verletzt.
Sie habe ein berechtigtes Intereſſe den Beklagten
den Gebrauch des Namens Riv. zu unterſagen. Der
unbefugte Gebrauch des Namens Riv. bringe bei dem
e Unternehmen der Beklagten die Ge⸗
jebr für die Klägerin und ihre Familie, daß ihnen
orgänge in dem Geſchäfte der Beklagten zur Laſt
gelegt würden.
Die Ausführungen des Oberlandesgerichts laſſen
erſehen, daß der Berufungsrichter angenommen hat,
die Beklagten gebrauchten den Namen Riv. als Firmen⸗
beſtandteil. Rechtliche Bedenken beſtehen gegen die
Annahme nicht. Daß als Firma nur die Worte R.'s
Drogenhaus K. u. D. eingetragen ſind, ſtand der An⸗
nahme, die Beklagten gebrauchten die Firma mit dem
jtreiligen Zuſatze, nicht entgegen (vgl. RG. ZS. Bd. 5
S. 111, Bd. 36 S. 14, Bd. 55 S. 123) Es ließ ſich
auch der Vermerk „gegründet 1807“ als zur Firma
gehörig anſehen (vgl. REZS. Bd. 44 S. 17). Ferner
konnte angenommen werden, daß der Vermerk „von
1831 bis 1890 im Beſitz von H. F. Riv.“ in gleicher
Weiſe wie ein Zuſatz „vormals Betrieb von a
ein Nachfolgeverhältnis anzeige. Die Frage, ob der
Zuſatz zu der Firma gehöre, einen Beſtandteil der
Firma bilde, liegt weſentlich auf tatſächlichem Gebiet:
die Größe der Schrift, die ganze Aufmachung, der
Umſtand, daß der Zuſatz überall ſich findet, wo die
eingetragene Firma angegeben iſt, ſchließlich die Un⸗
richtigkeit der angeblichen hiſtoriſchen Tatſache, all
das konnte dem Berufungsgerichte die Ueberzeugung
verſchaffen, daß die Beklagten unter dem aus der ein⸗
getragenen Firma und dem Zuſatz beſtehenden Namen
ihre Geſchäfte betreiben. Ohne Grund rügt die Revi⸗
ſion, der Berufungsrichter habe den Unterſchied zwiſchen
Firmenzuſätzen und bloßen „Notifikatorien“ verkannt
(vgl. RG. 3S. Bd. 5 S. 112, Bd. 19 S. 24). Der Be⸗
rufungsrichter hat die Frage geprüft, iſt aber aus
rechtlich bedenkenfreien Gründen zu der Annahme
gelangt, daß der Zuſatz Beſtandteil der Firma ſei.
Uebrigens beruht die Entſcheidung des Berufungs⸗
gerichts nicht auf der Anwendung des 8 37 Abſ. 2
HGB., ſondern auf der Anwendung des von dem
Berufungsrichter angeführten 8 12 BGB. Die Ent-
ſcheidung des Berufungsgerichts geht nicht dahin, daß
die Beklagten den Gebrauch der Firma, ſoweit ſie den
ſtreitigen Zuſatz enthalte, zu unterlaſſen hätten, ſon⸗
dern dahin, daß ſie bei ihrem Geſchäftsbetrieb jeden
Gebrauch des Namens Riv. zu unterlaſſen haben. Die
Entſcheidung hängt nicht von der Feſtſtellung ab, daß
der den Namen Riv. enthaltende Zuſatz einen Be-
ſtandteil der Firma der Beklagten bilde. Sie iſt nach
§ 12 BGB. gerechtfertigt und geht nicht, wie die Revi⸗
ſion geltend macht, in ihrer Faſſung zu weit. Die
Beklagten ſind nicht befugt bei ihrem Geſchäftsbetriebe
den Namen Riv. zu gebrauchen. Unter die Beſtim⸗
mung des 8 12 fallen auch die Fälle, in denen jemand
einen fremden Namen zu Reklamezwecken, auf Schil⸗
dern uſw. gebraucht (JW. 1911 S. 26 Nr. 2, Kom⸗
miſſions-Protokolle 6 S. 113). Daß das Intereſſe der
Klägerin verletzt wird, wenn die Beklagten den Namen
Riv. bei dem Betrieb ihres Geſchäftes gebrauchen,
hat das Berufungsgericht feſtgeſtellt. Ob und inwie—
weit in der Geſchichte des Geſchäfts der Beklagten der
Name Riv. zu erwähnen iſt, kann dahingeſtellt bleiben;
die Verurteilung der Beklagten bezieht ſich nur auf
die Art und Weiſe des Geſchäftsbetriebes. (Urt. des
IV. 35. vom 16. Februar 1911, IV 176/10).
2249
— — — l.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
III.
Berſtoß gegen die guten Sitten durch Annahme
des Berſprechens einer übermäßig großen Mitgift.
Aus den Gründen: In zweiter Linie führt die
Reviſion aus, es ſtreite wider die guten Sitten, wenn
der Kläger als Schwiegerſohn den Beklagten zwingen
wolle, ſein Verſprechen zu erfüllen, obgleich die Ver⸗
mögensverhältniſſe des Beklagten ſo ſeien, daß er ſich
damit ſelbſt entblöße und für ſeine übrigen Kinder
ſo gut wie nichts mehr übrig bleibe. Sie meint, der
Kläger, dem die beſcheidene Vermögenslage des Bes
klagten ſchon beim Vertragsabſchluſſe bekannt geweſen
ſei, habe ſich die un verhältnismäßig hohe Summe
überhaupt nicht verſprechen laſſen dürfen. Die Revi⸗
ſion iſt der Anſicht, daß beides gegen die 88 138 und
826 BGB. verſtoße. Dem kann nicht beigetreten
werden. Lagen oder liegen die Vermögensverhält⸗
niſſe des Beklagten ſo, wie ſie von der Reviſion ge⸗
ſchildert werden, ſo würde zwar vielleicht ein auf der
Höhe ſittlicher Bildung ſtehender Mann von beſonders
vornehmer Denkart und verfeinertem Anſtandsgefühle
bei Kenntnis der Sachlage Anſtand genommen haben,
ſich das Mitgiftverſprechen geben zu laſſen und ebenſo
jetzt Anſtand nehmen, es klagend geltend zu machen.
Aber daß der Kläger, worauf es für die Anwendung
der 88 138 und 826 BGB. allein ankommen kann,
gegen die Ehrbarkeit und Gewiſſenhaftigkeit des an⸗
ſtändigen Durchſchnittsmenſchen oder gar gegen das
Anſtandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden
verſtoßen hätte und verſtieße, läßt ſich ſelbſt bei Unter⸗
ſtellung der Angaben des Beklagten nicht ſagen. Mit⸗
hin kann auch aus dem jetzt von der Reviſion hervor⸗
gehobenen Geſichtspunkte weder von einer Nichtigkeit
des Geſchäfts wegen Verſtoßes gegen die guten Sitten
noch davon die Rede ſein, daß dem Beklagten die Ein⸗
rede der Argliſt aus 8 826 BGB. zuſtände. (Urt. des
IV. 35. vom 11. Februar 1911, IV 426/10). — — gn.
2248
IV.
Ausgleichung zwiſchen dem Geſamtgut und dem
eingebrachten Gute bei Errungenſchaftsgemeinſchaſt
(88 1529, 1539 BCB.). Bedeutung der Zuſtimmung
eines Ehegatten zu Ausbeſſerungen, Umbau und Ren:
bauarbeiten auf einem Grundſtücke, das zum einge:
gebrachten Gute gehört. Die Beklagte iſt Eigentümerin
eines Grundſtücks in C. Während des Beſtehens der
Errungenſchaftsgemeinſchaft hat der Kläger für Aus⸗
beſſerungen und zur Errichtung eines Neubaus auf
dieſem Grundſtücke 10 929 M 21 Pf. aufgewendet. Die
Beklagte iſt in erſter Inſtanz verurteilt worden dieſe
10 929 M 21 Pf. bei der Auseinanderſetzung als ihr zur
Laſt fallend zu verrechnen. Ihre Berufung hatte keinen
Erfolg. Das RG hob auf.
Aus den Gründen: Der Kläger will nicht nur
auf dem Grundſtücke der Beklagten ein neues Wohn⸗
haus Nr. 12 a errichtet, ſondern auch das vorhandene
Wohnhaus Nr. 12 ausgebeſſert haben. Nach § 1529
Abſ. 2 BGB. ſind jedoch die Laſten des eingebrachten
Gutes in dem durch 85 1384 bis 1387 beſtimmten
Umfange vom Geſamtgute zu tragen. Erbe Vorſchrift
erſtreckt ſich auch auf die Koſten der Erhaltung der
zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenſtände. Sie
fallen gemäß 8 1384 nach den für den Nießbrauch
geltenden Vorſchriften dem Geſamtgute zur Laſt. Die
Beklagte hat deshalb für ſolche Aufwendungen Erſatz
zum Geſamtgute inſoweit jedenfalls nicht zu leiſten,
als die Ausbeſſerungen oder Erneuerungen zu der
gewöhnlichen Unterhaltung des Wohnhauſes gehörten
(8 1041). Nur wenn ſie darüber hinausgingen und
wenn es ſich etwa um Ausbeſſerungen nach Art eines
Umbaus gehandelt hat, gilt von ihnen das gleiche,
wie von dem Neubau Der Verufungsrichter weiſt
263
führung der Bauarbeiten zugeſtimmt hat. Soweit
dieſe 5 ſich zugleich auf die gewöhnlichen
»Unterhaltungskoſten bezogen hat, begründet ſie keine
Entlaſtung des Geſamtgutes und führt deshalb auch
nicht zu einer Erſtattungspflicht der Beklagten. In
dieſer Beziehung iſt daher auch der in den Gründen
des Berufungsurteils enthaltene Hinweis auf 8 1539
Satz 2 verfehlt.
Soweit es ſich dagegen um die Koſten des Neu⸗
baus oder um ſolche Unterhaltungskoſten handelt, die
über das im 8 1041 Satz 2 vorgeſchriebene Maß
hinausgingen, kann ſich allerdings aus der Zuftimmung
der Beklagten eine Anwendung des 8 1539 Satz
ergeben. Daß zur Zeit der Beendigung der Errungen⸗
e e das eingebrachte Gut der Beklagten
urch dieſe Aufwendungen bereichert war, hat die Be⸗
Hagte beſtritten und der Berufungsrichter hat nicht
feſtgeſtellt, daß die damals vorhandene Bereicherung
dem Betrage der Aufwendungen gleichkam. Die Vor⸗
ausſetzungen für eine Anwendung des 8 1539 Satz 1
liegen daher noch im Ungewiſſen. Gleichwohl beſteht
ein beſonderer Grund, weshalb von der beklagten
Ehefrau die Erſtattung des wirklichen Aufwandes
zum Geſamtgute verlangt werden kann, im Sinne des
8 1539 Satz 2 dann, wenn die zum Zwecke der Ver⸗
waltung des eingebrachten Frauengutes 5
Aufwendungen den Umſtänden nach vom Manne für
erforderlich gehalten werden durften. Dies ergibt ſich
aus 8 1525 Abſ. 2 in Verbindung mit 8 1374 und
mit 8 1390 BGB. Die nach 8 1390 beſtehende Aus⸗
nahme, daß die Aufwendungen dem Geſamtgute zur
Laſt fallen, findet nach dem Vorangeführten auf die
ungewöhnlichen Ausbeſſerungskoſten und die Koſten
eines Neubaus jedenfalls keine Anwendung. Die Vor⸗
ausſetzung der Regelvorſchrift des 8 1390 aber, daß
der Mann den Umſtänden nach die Aufwendung für
erforderlich halten durfte, kann als erfüllt gelten, wenn
beide Eheleute darüber einig waren, daß der Bau
ausgeführt werden ſollte, ſofern nicht beſondere Gründe
dagegen ſprechen. Trifft dies zu, fo wird die Ber⸗
pflichtung der Frau zum Geſamtgut Erſatz zu leiſten
durch den Bedarf begrenzt, den eine ordnungmäßige
Ausführung eines ſolchen Umbaus oder Neubaus
erforderte. Bauarbeiten, die außerdem vorgenommen
ſind, unterliegen, wenn ſie nicht etwa noch die be⸗
ſondere Zuſtimmung der Frau gefunden haben, nur der
Vorſchrift des 8 1539 Satz 1. (Urt. des IV. 3S. vom
20. Februar 1911, IV 245/10). — - en.
2250
V.
„Aunsdräckliche“ Einwilligung in die Fortführung
einer Firma (§ 22 Abſ. 1 HGB.). Aus den Grün⸗
den: Das Recht des Erwerbers eines Handelsgeſchäfts
die bisherige Firma fortzuführen, wird durch 8 22
HGB. an das Erfordernis einer „ausdrücklichen“ Ein⸗
willigung des bisherigen Inhabers oder ſeiner Erben
geknüpft. In welchem Sinne das Wort „ausdrücklich“
da verſtanden werden muß, wo es im HGB. oder im
BGB. gebraucht wird, hängt nicht von der Stellung
ab, die man in der allgemeinen Theorie des Rechts⸗
geſchäfts zu der Unterſcheidung der ausdrücklichen und
der ſtillſchweigenden Willenserklärungen einnimmt.
Die Bedeutung muß in jedem einzelnen Fall ermittelt
werden. Im Falle des 8 22 ging die Abſicht des
Geſetzgebers nur dahin die Zweifel und Unſicherheiten
auszuſchließen, die unvermeidlich find, wenn man fon=
kludente Umſtände als Träger der Einwilligungser—
klärung anerkennt. Vor allem ſollte verhindert werden,
daß in einem bloßen paſſiven Dulden der Fortführung
der Firma eine Einwilligung erblickt würde. Daher
wurde eine beſtimmte unmittelbare Aeußerung des
Zuſtimmungswillens verlangt. Jede Form aber, in
welcher eine Aeußerung unmittelbar erfolgen kann,
darauf hin, daß die Beklagte unbeſtritten der Aus- | follte genügen (vgl. ROH. Entſch. Bd. 10 S. 291.
264
RG. in JW. 1888 S. 220 Nr. 7). Das OL. ift nun
nicht etwa der Meinung, daß die oben hervorgehobenen
Umſtände — das Verlangen des hohen Kaufpreiſes,
die Antwort auf die Frage des Notars, die wider⸗
ſpruchsloſe Duldung der Kläger, der Briefwechſel vom
16. und 17. Auguſt 1906 — einzeln oder zuſammen⸗
gefaßt eine ausdrückliche Einwilligung enthielten. Viel⸗
mehr hat es ſie nur als Beweisgründe dafür benützt,
daß die Kläger bei Abſchluß des Kaufvertrags oder im
ee Dune damit eine beſondere Aeußerung des
Inhalts abgegeben haben, daß die Fortführung ge—
ſtattet werde. Einer ſolchen Verwertung der Umſtände
tritt der 8 22 nicht entgegen. Dieſe Vorſchrift iſt
keine den Indizienbeweis verbietende Prozeßvorſchrift.
Sie gehört dem materiellen Rechte an und beſtimmt
durch Ablehnung des ſchlüſſigen Verhaltens, daß an
den Erklärungstatbeſtand höhere Anforderungen ge=
ſtellt werden ſollen, als es für gewöhnlich der Fall
iſt. (Urt. des I. 85. vom 22. April 1911, I 127/10).
2251
— - u.
VI
Gegen den ſtillen Geſellſchafter beſteht kein Kon⸗
kurrenzverbot (8 112 HGB.). Der Ehemann der Klä⸗
gerin betrieb in Fr. ein Stroh- und Filzhutgeſchäft,
das infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens
geſchloſſen wurde. Um es mit fremdem Gelde weiter
zu führen, trat er mit dem Beklagten in Verbindung.
Es kam ein Vertrag zuſtande, wonach ſich die Klägerin
vom 1. Januar 1905 an bei dem von dem Beklagten
zu betreibenden Fabrikationsgeſchäft als ſtille Geſell⸗
ſchafterin mit 4000 M beteiligte, während ihr Ehe:
mann als Prokuriſt mit einem ihr ausſchließlich zur
Laſt fallenden Jahresgehalt von 1500 M eintrat und,
wenn das Konkursverfahren durch Zwangsvergleich
beendigt wurde, berechtigt war die Stelle feiner Ehe-
frau in der Weiſe einzunehmen, daß er zuſammen
mit dem Beklagten eine offene Handelsgeſellſchaft
bildete. Er hatte ebenſo, wie der Beklagte, ſeine ge—
ſamte geſchäftliche Tätigkeit den Zwecken der Geſell—
ſchaft unter Ausſchluß jeder Tätigkeit in demſelben
oder einem anderen Handelszweige zu widmen. Der
Vertrag ſollte bis zum 31. Dezember 1914 dauern.
Im Januar 1909 kündigte der Beklagte das Geſell—
fchaftsverhältnis zum 31. Dezember 1909. Die Klägerin
beantragte darauf die Nichtberechtigung des Beklagten
zu dieſer Kündigung feſtzuſtellen. Dieſer machte zur
Begründung ſeines Antrages auf Abweiſung der Klage
geltend: Er habe wegen der nachläſſigen Geſchäfts—
tätigkeit des Ehemannes der Klägerin ihm ſeine Stel—
lung gekündigt. Für den Abſchluß des Geſellſchafts—
vertrages ſei in erſter Linie nicht die Beteiligung der
Klägerin, ſondern die Tätigkeit ihres Ehemannes be—
ſtimmend geweſen. Außerdem habe dieſer am 1. Ja-
nuar 1909 in Fr. ein Konkurrenzgeſchäft eröffnet. Die
Klage wurde in den Vorinſtanzen abgewieſen. Die
Reviſion hatte Erfolg.
Gründe: Nach Anſicht des OLG. iſt die vor⸗
zeitige Aufkündigung der zwiſchen den Parteien ge—
. ſtillen Geſellſchaft gemäß $ 339 HGB. und
8 723 BGB. gerechtfertigt. Der wichtige Grund zur
einſeitigen Auflöſung des Vertrages liege für den
Beklagten darin, daß der Ehemann der Klägerin in
Fr. in demſelben Geſchäftszweige, worauf ſich der
Betrieb der ſtillen Geſellſchaft erſtrecke, ausſchließlich
tätig ſei. Zwar beſtehe gegen den ſtillen Geſellſchafter
als ſolchen kein Konkurrenzverbot, wie es im 8 112
HGB. dem offenen Handelsgeſellſchafter auferlegt ſei.
Das Geſellſchafts verhältnis der Parteien habe aber
nur die Form einer ſtillen Geſellſchaft nach außen hin,
in Wahrheit liefen die Beziehungen zwiſchen der Klä—
gerin und ihrem Ehemanne auf der einen und dem
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
|
|
|
Beklagten auf der anderen Seite auf eine der offenen |
Handelsgeſellſchaft fait gleiche Vertragslage hinaus.
Die Klägerin und deren Chemann jtänden gewiſſer—
maßen dem Beklagten als eine Perſon gegenüber. Die
Klägerin, die durch die Perſon ihres Mannes hindurch
als wirkliche Geſellſchafterin anzuſehen ſei, hätte durch
ihn hindurch die Pflicht zum Betriebe des Handels⸗
gewerbes. Deshalb beſtände auch gegen ſie ſtillſchwei⸗
gend ein vertragliches Konkurrenzverbot. Sie müſſe
die Konkurrenz, die ihr Ehemann dem Beklagten mache,
gegen ſich gelten laſſen, weil ſie nur den Namen her⸗
gegeben habe, während ihr Ehemann die für den Be⸗
klagten bei Eingehung des Vertragsverhältniſſes maß⸗
gebend geweſenen fachmänniſchen und kauſmänniſchen
Kenntniſſe allein beſeſſen habe und beſitze. Es ſei er⸗
wieſen, daß er dem Konkurrenzverbot zuwidergehan⸗
delt habe, da er nach Behauptung der Klägerin ſeine
geſchäftlichen Kenntniſſe und Erfahrungen als tech⸗
niſcher Leiter in der Filz⸗ und Strohhutabteilung der
Firma Gebr. R. in Fr. verwerte. Die Klägerin könne
ſich nicht darauf berufen, daß er ohne Grund von
dem Beklagten entlaſſen ſei. Auch die unberechtigte
Entlaſſung beſeitige nicht das Konkurrenzverbot.
Dieſe Begründung iſt nicht in dem Sinne zu ver⸗
ſtehen, daß das Vertragsverhältnis der Parteien nach
außen als ſtille Geſellſchaft, nach innen ſchlechthin als
offene Handelsgeſellſchaft ſich darſtelle. Die Abſtellung
der Entſcheidung auf den § 339 HGB. weiſt darauf
hin, daß auch das OLG. die Rechtsverhältniſſe der
Parteien in ihrer Geſamtheit als ſtille Geſellſchaft be⸗
handelt. Dieſe können auch nur nach dem ſchriftlichen
Vertrage als ſtille Geſellſchaft gekennzeichnet werden.
Die Klägerin beteiligt ſich danach an dem Geſchäfte
des Beklagten als ſtille Geſellſchafterin mit einer Ein⸗
lage von 4000 M und nimmt, obwohl Gewinn und
Verluſt unter die Geſellſchafter nach . verteilt
werden follen, doch nur (wie der 8 337 Abſ. 2 HGB.
es vorſchreibt) bis zum Betrage ihrer Einlage an dem
Verluſte teil. Am Schluſſe des Vertrages iſt zur Er⸗
gänzung ausdrücklich auf die geſetzlichen Beſtimmungen
über die ſtille Geſellſchaft verwieſen. Der klare In⸗
halt des Vertrages ſchließt aber die Annahme des
OLG. aus, daß gegen die Klägerin ſtillſchweigend ein
Konkurrenzverbot beſtehe. Nach den geſetzlichen Vor⸗
ſchriften beſteht kein ſolches Verbot gegen den ſtillen
Geſellſchafter. Auch der Vertrag hat nichts Abwei⸗
chendes für die Dauer der ſtillen Geſellſchaft feſtgeſetzt.
Dagegen enthält er im 8 9 ein Konkurrenzverbot gegen
die Klägerin und deren Ehemann für den Fall, daß
ſie nach dem Tode des Beklagten deſſen Geſchäft nicht
für eigene Rechnung unter der bisherigen Firma über⸗
nehmen werde. Andererſeits zeigen die dem Ehemanne
der Klägerin auferlegte Verpflichtung ſeine geſamte
geſchäftliche Tätigkeit den Zwecken der Geſellſchaft zu
widmen und das ihm für den Fall des Zwangsver⸗—
gleiches im Konkursverfahren über ſein Vermögen ein⸗
geräumte Recht in das Geſchäft des Beklagten als
offener Handelsgeſellſchafter einzutreten deutlich, wie
großen Wert die Parteien auf ſeine Tätigkeit in dieſem
Geſchäfte legten. Dies zwingt, den Vertrag dahin aus—
zulegen, daß das Verbleiben des Ehemannes der Klä—
gerin im Geſchäfte des Beklagten Bedingung für den
Fortbeſtand der ſtillen Geſellſchaft zwiſchen ihm und
der Klägerin ſein ſollte. Die Feſtſtellung der Urſache
der Entlaſſung des erſteren aus ſeiner bisherigen Stel—
lung iſt daher von entſcheidender Bedeutung für die
Beantwortung der Frage, ob ſeine Entlaſſung in Ver—
bindung mit dem Eintritte in ein fremdes Geſchäft dem
Beklagten einen wichtigen Grund zur Kündigung des
Geſellſchaftsvertrages gibt. Dies hat das OLG. vers
kannt. Mit Recht macht die Reviſion geltend, daß ſich
der Beklagte auf die Konkurrenztätigkeit des Ehe—
mannes der Klägerin nicht berufen könne, wenn er
ihn zu Unrecht entlaſſen und damit ſelbſt die Notlage
geſchaffen habe, aus der dieſer ſich durch Annahme
ſeiner neuen Stellung habe befreien müſſen. Denn wenn
auch der Vertragswille der Parteien dahin ging, daß
das Verbleiben des Ehemannes der Klägerin im Ge—
ichäfte des Beklagten Bedingung für den Fortbeſtand
der ſtillen Geſellſchaft ſein ſolle, ſo kann doch die Ent⸗
laſſung nicht als Eintritt der Bedingung zugunſten
des Beklagten gelten, wenn dieſer die Entlaſſung wider
Treu und Glauben herbeigeführt hat (vgl. $ 162 Abſ. 2
BGB.). Das OLG. hätte daher die hierher gehörigen
Parteibehauptungen und die Ergebniſſe der Beweis:
aufnahme in erſter Inſtanz prüfen müſſen. (Urt. des
1. 35. vom 21. März 1911, I 54/80).
2242
— — —ı.
VII.
Erſorderniſſe der Neviſionsbegründung (5 554 3PO.).
Aus den Gründen: Die ſchriftliche Reviſionsbe⸗
gründung genügt in ihrem N mit der Wen⸗
dung: „Das Urteil I. Inſtanz dient als Reviſions⸗
begründung“ und mit der Einſchaltung einer Stelle aus
dieſem Urteile nicht der zwingenden Vorſchrift des
§ 554 ZPO. Dasſelbe gilt von dem hinzugefügten
Satze: „Vor allen Dingen hat das Oberlandesgericht
den klaren Ausſagen der Zeugen, insbeſondere H.,
N., N. und K. keine genügende Rechnung getragen“.
Da hiermit eine Verletzung des Geſetzes in bezug auf
das Verfahren gerügt wird, ſo hätten die Tatſachen,
die den Mangel ergeben ſollen, klar und beſtimmt
bezeichnet werden müſſen. Dies iſt nicht geſchehen.
(Urt. des I. ZS. vom 26. April 1911, I 559/09).
2252
— — — n
VIII.
Erferderniſſe für die Angabe der Reviſionsgründe
nach 5 554 Abs. 3 Nr. 2 380. Verpflichtung zur An⸗
gabe von Aktenſtellen. Aus den Gründen: Gegen⸗
über der zwingenden Vorſchrift des 8 554 ZPO. ge⸗
nügt es nicht die Reviſion — wie es in der ſchrift⸗
lichen Reviſionsbegründung geſchehen iſt — mit der
Bemerkung zu rechtfertigen: „Das Berufungsgericht
habe die in erſter Inſtanz vernommenen Zeugen nicht
gewürdigt“ und „die zu dieſem Punkte angebotenen
klägeriſchen Beweiſe abgelehnt“. Aufgabe der Reviſion
iſt es vielmehr die Tatſachen, die den Mangel ergeben
ſollen, unter Angabe der Aktenſtellen, wo ſie
zu finden ſind, klar und beſtimmt zu bezeichnen. Darum
kann auch der zur Ergänzung der Reviſionsbegründung
eingereichte Schriftfatz die Reviſion nicht ſtützen. Er
bezeichnet weder die Tatſachen, die nicht berückſichtigt
fein ſollen, noch läßt er erkennen, ob die Beweisan⸗
gebote, deren Nichterhebung gerügt wird, für alle in
der Reviſionsbegründung unter Nr. 4, 5, 6 enthaltenen
Angriffe oder teils für den einen, teils für den an⸗
deren Angriff in Betracht kommen. Außerdem fehlen
Angaben darüber, wo die aus den Schriftſätzen vom
12. und 26. März 1909 wiederholten und die neu
hinzugefügten Beweisangebote in dem 26 Seiten um—
faſſenden Schriftſatze vom 21. September 1909 ange⸗
führt find. (Urt. des J. ZS. vom 13. März 1911, I
369/10). — —— n
2240
B. Strafſachen.
I.
„Ueberlaſſen“ ange Poſtkarten im Sinne der
184 Nr. 2, 184 a St dB. Aus den Gründen:
ie Annahme der Strafkammer, daß der Angeklagte
die Karten einer Perſon unter 16 Jahren gegen Ent—
gelt überlaſſen habe, muß beanſtandet werden. Es iſt zwar
feſtgeſtellt, daß der Schutzmann O. den 14 jährigen G.
veranlaßt hat ſich dieſe Karten im Laden des An—
geklagten zu kaufen, weiter aber auch, daß der
Angeklagte den G., als dieſer die Karten verlangte,
zunächſt gefragt hat, wie alt er ſei, und als G. ſein
Alter angegeben hatte, ihm die Karten erſt gegeben
hat, auf die Erklärung des G., daß ihn ein an der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
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|
|
265
Ecke ſtehender Mann „zum Kaufe beauftragt“ habe,
und nachdem er ſich von ſeiner Ladentür aus nach
dieſem Manne umgeſehen hatte, nämlich dem Schutz⸗
mann O., der G. veranlaßt hatte, die Karten zu kaufen.
Demnach bleibt aber mindeſtens die Möglichkeit offen,
daß der Angeklagte der Meinung geweſen iſt, G. komme
im Auftrage dieſes Mannes und der Mann a der
Käufer der Karten. Wäre diefe Annahme auch irrig
geweſen und hätte G. die Karten tatſächlich für ſich ge⸗
kauft, ſo hätte doch infolge dieſes Irrtums der An⸗
geklagte nicht gewußt, daß er einer Perſon unter 16
Jahren verkaufe, ſondern den jugendlichen G. für den
Boten eines erwachſenen Käufers gehalten. Dann
könnte ihm aber nach 8 59 StGB. der Umſtand, daß
eine Perſon unter 16 Jahren die Karten kaufte, nicht
zugerechnet und er aus 88 184 Nr. 2, 184 a StGB.
nicht beſtraft werden. Denn darin, daß er die Karten
dem G. nur zur Ueberbringung an einen erwachſenen
Käufer aushändigte, kann ein „Ueberlaſſen“ der Karten
an G. i. S. der SS 184 Nr. 2. 184 a nicht gefunden
werden, da dazu ſchon nach dem Wortſinne erforder
lich iſt, daß der Beſitz zu eigener Verfügung oder
eigenem Gebrauch desjenigen übertragen wird, dem
überlaſſen wird. Nach den bisherigen Feſtſtellungen
iſt deshalb die Verurteilung des Angeklagten wegen
eines Vergehens aus 88 184 Nr. 2, 184 a unhaltbar.
(Urt. des I. Strafſen. vom 24. April 1911, 1 D 222/11).
2262
— —— n
II.
Schutz des $ 193 StGB. bei Veröffentlichung von
Gerichtsverhandlungen in der Preſſe. Aus den
Gründen: Der Beſchwerdeführer beruft ſich darauf,
daß er als Redakteur ſelbſt davon betroffen werde,
wenn durch die Weglaſſung der Berichte über Gerichts⸗
verhandlungen der Abonnentenkreis der Zeitung ver»
ringert werde, und daß er außerdem damals von
demſelben Rechtsanwalt in einem Prozeß verteidigt
worden ſei, deſſen Beweisanträge in der Sache gegen
G. er wiedergegeben habe um die Sorgfalt dieſer Ber:
teidigung darzutun. Dabei verkennt er aber, daß das
berechtigte Intereſſe, das der 5 193 StG. ſchützen
will, ſich auf die beleidigende Aeußerung ſelbſt be⸗
ziehen muß, hier alſo auf die angebliche Tatſache,
daß K. die wiedergegebenen Verfehlungen begangen
habe. An einem Zuſammenhange der vom Beſchwerde⸗
führer geltend gemachten Intereſſen mit der Ehrver⸗
letzung des K. fehlt es aber hier durchaus. Ein In⸗
tereſſe daran, die ehrverletzenden Behauptungen über
K. zu verbreiten, iſt vom Angeklagten nicht geltend
gemacht worden und auch nicht erſichtlich. Das In:
tereſſe aber Berichte über Gerichtsverhandlungen zu
veröffentlichen und dadurch die Zeitung zu heben,
oder das die Tüchtigkeit des eigenen Verteidigers
hervorzuheben macht den Gegenſtand der Gerichts-
verhandlung nicht zu einer Angelegenheit, an der der
Redakteur ſelbſt perſönlich beteiligt wäre. Auch die
Behauptung des Angeklagten, die Sachlage bilde jeden—
falls einen der im $ 193 angeführten „ähnlichen Fälle“,
geht fehl. Es gibt kein unbedingtes Recht öffentliche
Gerichtsverhandlungen in der Preſſe zu veröffentlichen
ohne ſich ſtrafbar zu machen, wie dies bei wahrheits—
getreuer Berichterſtattung über Reichstags: oder Land—
tagsverhandlungen der Fall iſt. Gerade aus den über
dieſe letzteren erlaſſenen Vorſchriften erhellt, daß der
Veröffentlicher von Gerichtsverhandlungen den allge—
meinen Strafgeſetzen unterworfen iſt und keine Sonder—
rechte für ſich beanſpruchen darf. Iſt die Verbreitung
des Inhalts einer Gerichtsverhandlung im einzelnen
Falle an ſich eine ſtrafbare Handlung, ſo iſt ſie nicht
anders zu beurteilen, als wenn die verbreitete Tat—
ſache außerhalb einer Gerichtsverhandlung behauptet
worden wäre. Wenn alſo in der Gerichtsverhandlung
ehrenkränkende Behauptungen im Sinne des 8 186
StGB. aufgeſtellt worden find, fo darf ein anderer
266
fie nur dann ungeſtraft verbreiten, wenn fie entweder
erweislich wahr find, oder wenn er gerade an der
Verbreitung dieſer Tatſachen ein berechtigtes Antereffe |
hat oder zu haben glaubt und weder aus der Form
noch aus den Umſtänden auf die Abſicht der Be⸗
leidigung zu ſchließen iſt. (Urt. des I. Straffen. vom
3. April 1911, I D 100/11). — — 2 n.
2263
III.
e e e im Falle des 3 193 Sts.
Aus den Gründen: Die Strafkammer räumt dem
Angeklagten ein, daß er zur Wahrnehmung berechtigter
5 5 gehandelt habe, verſagt ihm aber den Schutz
38 193, weil er „nicht nur dieſen Zweck verfolgt,
1 dabei auch die Abſicht gehabt habe, den Ge⸗
neral zu beleidigen“; dazu wird dann geſagt: „liege
aber die Abſicht der Beleidigung vor, ſo ſei für die
Anwendung des 8 193 kein Raum mehr“. Das iſt
rechtsirrig. Der $ 193 beſtimmt, daß Fälle der dort
bezeichneten Art nur inſofern ſtrafbar ſind, als das
Vorhandenſein einer Beleidigung aus der Form
der Aeußerung oder aus den Umſtänden hervorgeht,
unter welchen ſie geſchah. Danach kann keine Rede
davon ſein, daß eine ehrenkränkende Aeußerung, die
zur Wahrnehmung berechtigter Intereſſen gemacht iſt,
ohne weiteres den Schutz des § 193 deshalb nicht ge⸗
nießen kann, weil „auch“ die Abſicht zu beleidigen vor⸗
gelegen hat. Das Fehlen der Abſicht zu beleidigen
iſt keine Vorausſetzung der Anwendung des 8 193,
vielmehr kann mit dem Zwecke der Wahrnehmung be⸗
rechtigter Intereſſen die Abſicht zu beleidigen aus den
verſchiedenſten Gründen verbunden ſein, ohne daß die
Aeußerung den Schutz des § 193 verliert. Die Straf:
barkeit kann in ſolchem Falle nur dann eintreten, wenn
die Abſicht zu beleidigen aus der Form der Aeußerung
oder aus den Umſtänden, unter denen ſie geſchah,
äußerlich erkennbar geworden iſt, und auch da nur
unter der Vorausſetzung, daß der Täter ſich bewußt
geweſen iſt nach Form und Umſtänden über das zur
Wahrnehmung ſeiner berechtigten Intereſſen Erforder⸗
liche hinauszugehen. Eine Prüfung in dieſer Richtung
hat die Strafkammer nicht vorgenommen; der von ihr
angeführte Grund iſt nicht geeignet die Strafloſigkeit
einer zur Wahrnehmung berechtigter Intereſſen ge—
tanen Aeußerung auszuſchließen. (Urt. des I. Straf⸗
fenats vom 4. Mai 1911, I D 207/11).
2265
— —-—ı
IV.
Begriff des Handtrunts. Herſtellung unter Ber:
wendung ausländiſcher Weine. Aus den Gründen:
Nach 8 3 WG. iſt die Zuckerung auständiichen Weines
verboten, auch wenn die Herſtellung des Weines nicht
gewerbsmäßig erfolgt. Das ſchließt nach § 11 nicht
aus, daß ausländiſcher Wein zur Bereitung von Haus—
trunk in der Weiſe verwendet wird, daß ihm Zucker
oder Zuckerwaſſer beigemengt wird. Zwar ſieht das
Geſetz nur vor, daß Haustrunk aus Traubenmaiſche,
Traubenmoſt, Nückſtänden der Weinbereitung oder
getrockneten Weinbeeren hergeſtellt wird, aber es iſt
ſelbſtverſtändlich in erhöhtem Maße zuläſſig, auch
fertigen Wein zur Bereitung von Haustrunk zu ver—
wenden und unbehindert durch die Vorſchriften des 83
zu bereiten.
Es wird aber ſtets, ſobald es ſich um die An—
wendung der Ausnahmebeſtimmungen für den Haus—
trunk handelt, vorausgeſetzt, daß das Getränke aus—
ſchließlich für den Bedarf des eigenen Haushaltes des
Herſtellers hergeſtellt wird. Das ergibt ſich klar aus
der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes und kommt auch
in der Beſtimmung des 8
Ausdruck. An dieſer Woran gebricht es aber
nach den Urteilsfeſiſtellungen bei dem von dem An—
gellagten unter Verletzung der Beſtimmungen des 83
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
hergeſtellten Getränke.
Eheleuten S.
11 Abi. 4 WG. deutlich zum
Nr. 12.
Wenn der Angeklagte auch
nicht deſſen gewerbsmäßige Weiterveräußerung in der
Wirtſchaft beabſichtigte, ſo ſollte es doch dritten Per⸗
ſonen — und zwar nicht etwa Hausgenoſſen, Be
dienſteten oder Gäſten innerhalb des eigenen Haus⸗
halts des Angeklagten — ſondern außerhalb — zur
freien Verfügung übergeben werden, da die Ueber⸗
ſendung des Getränkes an die Tochter des Angeklagten
vorgeſehen war, die einen eigenen Haushalt führte.
(Urt. des I. Straffen. vom 10. April 1911, 1 D 248/11).
2264 ey
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
riff und rechtliche Behandlung des Zubehörs
in der 1 J zwiſchen dem Inkrafttreten des B88. und
der Einführung des Grundbuchrechts. Begriff des „für
einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Ge⸗
bändes und der „zum Betriebe beſtimmten Gerät⸗
ſchaften“. Erlöſchen der Znbehöreigenſchaft durch „Ber:
anßzerung“ nach dem bayer. HypG. (BGB. 8538 97, 98,
EG. BGB. Art. 181, 189, HypG. §§ 33, 35 — 38, 78).
Hermann und Roſa W. in A. haben durch notariellen
Vertrag vom 17. März und 26. Mai 1908 von Thereſe
B., nun verehelichte S. in A., das Anweſen Lit. F
Nr. 54 und 55 erworben. Darin wurde früher eine
Brauerei betrieben. Es beſteht aus mehreren Einzel⸗
gebäuden. Die Käufer haben das an die G. Straße
angrenzende Gebäude, den einſtigen Lagerbierkeller,
zu einem Wohnhauſe mit Laden umgebaut. Das
Brauhaus wurde von W. den Zwecken ſeines Ge⸗
ſchäftsbetriebs (Limonadefabrikation und Vierabfüll⸗
geſchäft mit Flaſchenbierhandel) angepaßt; beim Um⸗
bau entfernte er die Brauereimaſchinen und brachte
dafür die erforderlichen Maſchinen ein. Von der
Straße aus führt eine Toreinfahrt in den Hof, in
dem ſich das die Geſchäftsräumlichkeiten des W.
enthaltende Gebäude befindet; an dieſes Gebäude
ſchließen ſich die Stallgebäude, das Magazin und
das Remiſengebäude an; ſie bilden die Süd⸗ und
Weſtgrenze des Grundſtücks und ſtoßen an die Süd⸗
weſtecke des Vordergebäudes. Das obere Stockwerk
des ehemaligen Brauhauſes wurde als Wohnung her⸗
gerichtet und benützt. Die Räume zu ebener Erde
dienten dem Geſchäftsbetriebe. Vom Hofe aus betritt
man zunächſt das Bureau, an das ſich ein Laboras
torium anſchließt. Vom Bureau aus gelangt man in
den eigentlichen Geſchäftsraum, in dem die Limonade
hergeſtellt und das Bier in Flaſchen gefüllt wird.
Dieſer Raum war ſeinerzeit das Sudhaus der Brauerei,
iſt ſehr hoch, gewölbt und hat noch denſelben Beton:
boden wie früher. Die Maſchinen find zum Teil auf
Betonſockeln aufgeſchraubt, die auf dem Betonboden
des Raumes ruhen oder auf einer kleinen Erhöhung
des alten Betonbodens angebracht ſind oder ſtehen;
ein Teil der Maſchinen ſteht ohne Befeſtigung auf
dem Boden oder auf Betonſockeln. Vom Fabrikations-
raum führt ein mechaniſch betriebener Aufzug in den
Keller. Der Stall iſt für drei Pferde eingerichtet.
Am 4. und 18. März 1908 hat Hermann W. mit
Thereſe B. einen Vertrag geſchloſſen, wonach er ſich
und ſeine Beſitznachfolger verpflichtete, auf die Dauer
von 10 Jahren das Bier für den Flaſchenbierhandel
ausſchließlich aus der von Thereſe B., jetzt von ihrem
Ehemanne S. betriebenen Brauerei in A. zu beziehen.
Einige Zeit danach haben die Eheleute W. von den
ein Darlehen von 15000 M erhalten,
zu deſſen Gunſten ſie mit notarieller Urkunde vom
12. Auguſt 1908 auf ihrem Anweſen „Samt allen mit—
haftenden Werten? Hypothek beſtellten. In der
Hypothekenurkunde wurde das Anweſen nach dem
geltſchrift für
— m — —
früheren Kataſtervortrage beſchrieben als: „Keller⸗
gebäude mit Mälzerei, Schupfe, Stallgebäude, Brau⸗
haus und Hofraum“. Das Hypothekenamt bemerkte
in der Vollzugsbeſtätigung, daß das Anweſen nun⸗
mehr kataſtriert iſt als: Wohnhaus, Seitengebäude
mit Stallung, Automobilremiſe, Magazin, Waſchküche,
bewohnbares Rückgebäude mit Gefchäftsräumen.
In einem privatſchriftlichen Vertrage vom 15.
April 1909 erkannte Hermann W. an, von dem Ge⸗
treidehändler R. in A. ein Darlehen von 7500 M er»
halten zu haben, zu deſſen Sicherheit er die im Ver⸗
trage näher bezeichnete Wohnungs⸗ und Geſchäfts⸗
einrichtung dem R. zu Eigentum übertrug; W. wurde
zufolge „Leihvertrags“ für zwei Jahre gegen Ent⸗
richtung einer jährlichen Leihgebühr von 5% aus
dem Darlehensbetrag im Beſitze der Gegenſtände be⸗
laſſen; er erklärte, daß er dieſe Gegenſtände von nun
ab nur namens des R. und für dieſen beſitze. Auf
Grund der vollſtreckbaren Ausfertigung der Hypo⸗
1 vom 12. Auguſt 1908 hat der Hypo⸗
thekengläubiger S. die Beſchlagnahme des verpfän⸗
deten Anweſens zum Zwecke der Zwangsverſteigerung
erwirkt. Der Beſchlagnahmebeſchluß wurde am 3
November 1909 erlaſſen und am 11. November den
Ehegatten W. zugeſtellt. S. hat beanſprucht, daß die
geſamte Geſchäftseinrichtung als Zubehör des beſchlag⸗
nahmten Anweſens der Zwangsvollſtreckung unterſtellt
werde. Der Beamte hat ſie auch als beſchlagnahmt
erachtet, jedoch von der Verſteigerung zunächſt aus⸗
genommen, da das LG. A. die weitere Zwangsvoll⸗
ſtreckung in dieſe Gegenſtände einſtellte. Durch die
Klage ließ R. beantragen, daß die Zwangsvollſtreckung
in die im Anweſen F. 54, 55 in A. befindlichen, zum
Bierabfüllgeſchäft und zur Limonadenherſtellung be⸗
ſtimmten Einrichtungsgegenſtände für unzuläſſig er⸗
klärt werde. Die Einrichtungsgegenſtände ſeien durch
den Vertrag vom 15. April 1909 ihm übereignet
worden, ſie ſeien weder Zubehör noch Beſtandteile
des Anweſens und nur zu vorübergehendem Zwecke
in das Anweſen verbracht worden. Der Beklagte
macht geltend, die Gegenſtände ſeien Zubehör. Das
LG. gab der Klage ſtatt. Das Berufungsgericht hat
die Klage abgewieſen. Die Reviſion blieb erſolglos.
Gründe: Die Vorinſtanzen haben die Zubehör⸗
eigenſchaft nach dem BGB. und die Pfand haftung nach
dem bayeriſchen Hyp®. beurteilt. Das Reviſionsgericht
ſtimmt dem zu. Der 8 33 Hypo. beſtimmt, daß die
Hypothek auf die „Zugehörungen“ der Sache ſich er⸗
ſtreckt, gibt jedoch nicht an, was er unter Zugehörungen
verſteht, ſo daß hierfür das geltende bürgerliche Recht
maßgebend iſt, alſo hier das BGB., unter deſſen
Herrſchaft W. das Anweſen erworben und für
ſeinen Gewerbebetrieb eingerichtet, die Gegenſtände in
das Anweſen verbracht und die Hypothek des Bes
klagten beſtellt hat. Der Austritt von Zubehörſtücken
aus der Pfandhaftung iſt eine Aenderung des Inhalts
der Hypothek und iſt ſohin nach Art. 189 Abſ. 1 Satz 2
EG. BGB. nach dem früheren Rechte zu beurteilen, bis
das Grundbuch als angelegt anzuſehen iſt; für die
Rechtswirkung des Verkaufs vom 15. April 1909
kommt es ſohin auf das alte Recht an, da das Grund—
buchrecht in A. erſt am 1. Mai 1909 eingeführt wurde.
a) Der Reviſionskläger hebt mit Recht hervor,
daß es nicht darauf ankomme, ob die Sachen Zubehör
des Geſchäfts des W., ſondern nur ob ſie Zubehör
des Grundſtücks ſind oder waren. Allein auch das
OLG. hat die Frage dahin geſtellt, ob die Sachen Zus
behör des verpfändeten Anweſens geworden ſind und
hat dieſe Frage bejaht, ohne daß ein Rechtsirrtum
erſichtlich iſt. Bei einem für einen gewerblichen Be—
trieb dauernd eingerichteten Gebäude ſpricht nach dem
§ 98 Nr. 1 BGB. die Vermutung dafür, daß die zu
dem Gewerbebetriebe beſtimmten Maſchinen und
ſonſtigen Gerätſchaften dem wirtſchaftlichen Zwecke des
Gebäudes zu dienen beſtimmt ſind, ſo daß ſie bei
Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
267
einem dieſer Beſtimmung entſprechenden räumlichen
Verhältniſſe, ſoferne die Verkehrsauffaſſung nicht im
Wege ſteht, Zubehör des Gebäudes ſind. Das Be⸗
rufungsgericht ſtützt ſich in ſeinen Erwägungen haupt⸗
ſächlich auf die Vorſchrift im 8 98 des BGB.; daß es
die Rechtsbegriffe irrig auslegt, geht aus ſeinen Aus⸗
führungen nicht hervor. f
b) Ob der Betrieb des W. ein Fabrikbetrieb war,
iſt gleichgültig, da die Anführung der Mühle, der
Schmiede, des Brauhauſes, der Fabrik, wie aus dem
die Aufzählung einleitenden Worte „insbeſondere“
hervorgeht, nur als ein Beiſpiel gedacht iſt. Das OLG.
erachtet es auch ohne Rechtsirrtum für gleichgültig,
daß nur ein Teil des Geſamtanweſens für den Ge⸗
werbebetrieb eingerichtet iſt, um ſo mehr als der für
den Gewerbebetrieb eingerichtete Teil ein nicht unbe⸗
deutender Teil des Geſamtanweſens iſt. Der Reviſions⸗
kläger führt aus, daß das Gebäude nicht für einen
beſtimmten gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet
war, indem mit der Beſeitigung der Brauerei, für die
das Gebäude hergeſtellt und eingerichtet war, die Räume
für zahlreiche andere Betriebe verwendet werden konnten
und die Verwendung für einen ſolchen Betrieb noch
nicht bewirkte, daß das Gebäude dadurch für den
neuen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet wurde.
Allein eine ausſchließliche Verwendbarkeit des Ge⸗
bäudes oder Gebäudeteils zu einem beſtimmten Ge:
werbebetrieb wird im 8 98 Nr. 1 BGB. nicht ge⸗
fordert. Verlangt wird nur, daß es für den gewerb⸗
lichen Betrieb dauernd eingerichtet iſt. Das OLG.
hat das mit Recht bejaht. Nach der Darlegung des
Os. hat W. das Anweſen erworben, weil er es für
beſonders geeignet zur Errichtung ſeines Gewerbe⸗
betriebs hielt und hat einen nicht unbedeutenden Teil
für ſeinen Gewerbebetrieb eingerichtet, wobei er von
der Abſicht geleitet war, daß dieſer Gewerbebetrieb
auf unabfehbare Zeit mit dem Anweſen verknüpft ſein
und bei der Veräußerung auf den Erwerber übergehen
ſolle. Keineswegs geht aus dem Urteile hervor, daß
es in der Erhöhung des früheren Betonbodens und
in der Anbringung von Betonſockeln die einzigen
baulichen Veränderungen in den für den Gewerbe⸗
betrieb des W. beſtimmten Räumen erblickte. Wenn
ein zufolge ſeiner baulichen Beſchaffenheit, der Größe,
Zahl und Einteilung der einzelnen Räume zu einem
beſtimmten Gewerbebetriebe beſonders geeignetes Ge⸗
bäude mit den für dieſen Gewerbebetrieb nötigen
Maſchinen und Gerätſchaften verſehen wird, iſt es für
den gewerblichen Betrieb eingerichtet. Daß die Zweck⸗
beſtimmung des Gebäudeteils als dauernd gedacht
war, hat das OLG. daraus geſchloſſen, daß W. mit
S. einen auch ſeine Beſitznachfolger bindenden Bier⸗
bezugsvertrag geſchloſſen hat. Dieſe Schlußfolgerung
bewegt ſich auf tatſächlichem Gebiet. g
c) Daß die ſämtlichen Gegenſtände zur Zeit des
Verkaufs an den Kläger und zur Zeit der Beſchlag—
nahme des Anweſens in einem der Zweckbeſtimmung
nach dem 8 97 Abſ. 1 und $ 98 Nr. 1 BGB. ent⸗
ſprechenden räumlichen Verhältniſſe zum Anweſen
ſtanden, hat der Reviſionskläger nicht beſtritten. Da⸗
gegen behauptet er, daß einzelne dieſer Gegenftände
nicht zu den Maſchinen und 1 im Sinne
des 8 98 Nr. 1 BGB. zählen, noch auch ſonſt dem
wirtſchaftlichen Zwecke des Anweſens zu dienen be—
ſtimmt ſind und zudem im Verkehr nicht als Zubehör
angeſehen werden. Hier kann es ſich nur um die
Bureaueinrichtung, die Flaſchen, die Verſandkiſten,
die Eſſenzen, die Pferde, Wagen und den Vorrat an
Heu, Stroh, Hafer und Heizmaterial handeln; doch
geht auch in dieſer Beziehung der Reviſionsangriff
fehl. Nach der übereinſtimmenden Rechtſprechung des
Reichsgerichts und des Oberſten Landesgericht (RGZ.
Bd. 47 S. 262 und ObLèG3S. Bd. 5 S. 85) find Zu—
behör nicht nur die Gerätſchaften, die zum Gewerbe—
betrieb im engeren Sinne, nämlich zur Herſtellung
268
der Waren beſtimmt find, ſondern auch die Geräts
ſchaften, die dem Gewerbebetrieb im weiteren Sinne
dienen, wozu insbeſondere auch der Vertrieb der her⸗
geſtellten Waren gehört. Hierher iſt der Fuhrpark
(Pferde und Wagen, erſtere nach 8 97 Abſ. 1) zu
rechnen (RG Z. 47 S. 262 und Jur W. 1907 S. 703
Ziff. 3 Nr. 2); ebenſo auch die zur Verpackung der Ware
beſtimmten Gerätſchaften, wie Flaſchen und Verſand⸗
kiſten (Bay ZR. Bd 5 S. 254). Dem Gewerbebetrieb
im weiteren Sinne dient auch die Bureaueinrichtung.
Da auch ſolche Gegenſtände, die nur zur einmaligen
Benutzung im Gewerbebetrieb beſtimmt ſind, Zubehör
fein können (Bay R. Bd. 5 S. 254), find auch ver»
brauchbare Gegenſtände nicht ausgenommen und zwar
um fo weniger, als das BGB. weder im 8 97 noch im
§ 98 die im 8 92 erwähnten Sachen allgemein aus⸗
ſchließt und hier die im Verbrauche beſtehende ein⸗
malige Benützung noch weniger eine vorübergehende
Benützung im Sinne des 8 97 Abſ. 2 BGB. iſt wie in
dem vom Reichsgericht im vorerwähnten Urteil ent⸗
ſchiedenen Falle. Das OLG. konnte alſo auch die
Vorräte von Heu, Stroh, Hafer und Heizmaterial als
Zubehör des Anweſens im Sinne des 8 97 Abſ. 1
behandeln. Das Urteil des Oberſten Landesgerichts
vom 20. Februar 1904 (Obèe 83S. Bd. 5 S. 90) ſteht
nicht entgegen, da damals nur die Frage der Zube—
höreigenſchaft der Biervorräte zur Entſcheidung ſtand
und von den Malz⸗ und Hopfenvorräten, ſowie von
den Hilfsſtoffen an Feuerungsmaterial und Eis nur
nebenbei geſprochen, übrigens auch die Frage nach
dem bayeriſchen HypG. erörtert wurde. Auch die
Eſſenzen konnten als Zubehör erklärt werden; denn
wenn auch daran feſt zu halten iſt, daß die im ge⸗
werblichen Betriebe hergeſtellte Ware nie Zubehör des
Anweſens iſt, ſo gilt dies doch nicht von den zur Ver⸗
arbeitung beſtimmten Stoffen, ſolange mit der Ver⸗
arbeitung noch nicht begonnen iſt; auf fie kann 8 97
Abſ. 1 Satz 1 BGB. zutreffen, ohne daß zugleich der
Satz 2 dieſer Vorſchrift Platz greift. Die Entſcheidung
des Oberſten Landesgerichts vom 21. Oktober 1889
(ältere Sammlung Bd. 12 S. 419) iſt auf Grund des
bayerifden HypG. ergangen.
Auch die Reviſionsrüge, daß das Berufungsgericht
den 8 35 HypG. durch unrichtige Auslegung verletzt
habe, geht fehl. Dieſe Vorſchriſt beſtimmt: „Sind
bewegliche Zugehörungen veräußert worden, ſo hat
der Hypothekgläubiger gegen den dritten Beſitzer der—
ſelben keinen Anſpruch'. Das Berufungsgericht legte
das dahin aus, daß der Begriff „Veräußerung“ hier
neben der Eigentumsübertragung auch noch die tat—
ſächliche Trennung des Zubehörſtücks von der vers
pfändeten Hauptſache mitumfaßt. Der Reviſionskläger
iſt der Anſicht, daß jede Eigentumsübertragung genuͤgt
und daß es eines Wechſels der Innehabung, einer
Entfernung der veräußerten Zugehörungen aus dem
verpfändeten Grundſtücke nicht bedarf. „Veräußerung“
iſt ein ſehr vieldeutiges Wort (ſ. Windſcheid-Kipp,
Lehrbuch des Pandektenrechts Bd. IS 69 zu Anm. 8— 12
Bayer. LR. Teil I Kap. 6 S 26 Ziff. 7, Kap. 7 8 13
Ziff. 7). Es muß alſo in jedem einzelnen Falle feſtgeſtellt
werden, welchen Sinn der Geſetzgeber damit verknüpfte.
Von dem Erlöſchen der Hypothek ſprechen nun auch
die 88 71 ff. Hyp®., von denen § 78 für die Frage,
ob und wieſerne durch die Trennung eines Pertinenz—
ſtücks vom Hauptgute die Hypotheken erlöſchen, auf
die SS 35— 38 verweiſt. Es iſt nicht anzunehmen,
daß hier nur ein Anwendungsfall des § 35 heraus—
gegriffen werden ſollte; vielmehr iſt es wahrſchein—
licher, daß hier wegen der Syſtematik des Geſetzes die
Gründe des Erlöſchens ganz wiedergegeben wurden.
Danach iſt im $ 35 nur eine mit einer Trennung des
Zubehörſtücks vom Hauptgute verbundene Veräußerung
gemeint. Dazu führt auch der Zuſammenhang mit
den 88 36 - 40, in denen es ſich um taiſächliche Ver:
einigung, tatſächlichen Austauſch, tatſächliche Ablöſung |
Nr. 12.
mit tatſächlichem Erſatz, tatſächliche Trennung handelt.
Es liegt daher nahe, unter der Veräußerung im 8 35
eine tatſächliche Entäußerung mit der Folge der
Trennung vom Hauptgute zu verſtehen. Unter dieſen
Umſtänden iſt beſonderes Gewicht darauf zu legen,
daß der Anſpruch „gegen den dritten Beſitzer“ verſagt
wird. Allerdings iſt die Ausdrucksweiſe im Hyp®.
nicht ſtreng und es werden insbeſondere die Ausdrücke
„Beſitzer“ und „Beſitztitel“ oft für Eigentümer und
Eigentumstitel gebraucht. Allein hier handelt es ſich
um den Ausdruck „dritter Beſitzer“. Von dem Ans
ſpruche gegen den dritten Beſitzer ſpricht das Geſetz
in den 88 42 und 43 und 54-58; im 8 54, der die
Hauptbeſtimmung iſt, wird der „dritte Beſitzer“ als
ein anderer bezeichnet, in deſſen Händen das Gut ſich
befindet. Nach dieſer Auffaſſung ſetzt auch der § 35
einen Wechſel in der Innehabung voraus, ſohin eine
Trennung des Zubehörſtücks vom Hauptgute. Auch
die Gründe, welche den Geſetzgeber zu dieſer Be:
ſtimmung veranlaßten, laſſen erſehen, daß ſie eine
tatſächliche Trennung vorausſetzt. Der Anſpruch gegen
den dritten Beſitzer wurde dem Hppothekgläubiger ver⸗
ſagt, weil die Erſatzſtücke an die Stelle der früheren
Stücke treten und weil eine Fortdauer der Haftung
mit dem täglichen Verkehr und dem Betrieb aller
Erwerbsarten unvereinbar wäre (Gönner, Kommentar
zum Hyp®. 88 34 36 Erl. II 6). Der 8 35 will eben
nur einheitlich ausſprechen, daß die Pfandhaftung er⸗
liſcht, wenn ein Umſtand eintritt, durch den das Zu-
behör nach dem Privatrechte der größeren Rechts⸗
gebiete ihre Eigenſchaft verliert; hierzu verlangt das
gemeine Recht die Wiederaufhebung der Verbindung.
welche die Zubehöreigenſchaft begründete. (Seuffert,
Praktiſches Pandektenrecht Bd. I 8 64 bei Note 4) und
das gleiche gilt für das Bayer. LR. (Kreittmayr's
Anmerkungen T. II Kap. 2 814 Nr. 9).
Die Rechtslehre faßt den 8 35 dahin auf, daß
durch die Veräußerung ohne Trennung das Zubehör:
ſtück nicht pfandfrei wird. Aber auch die Rechtſprechung
ſtützt die gegenteilige Anſicht nicht. Auf das Urteil
des Oberſten Landesgerichts vom 29. November 1880
(ältere Sammlung Bd. 8 S. 632) ſei hier weniger
Gewicht gelegt, weil in dem damaligen Falle die
Trennung vollzogen war. Aber das Urteil des l. 38.
vom 27. Dezember 1883 (a. a. O. Bd. 10 S. 266)
ſpricht ausdrücklich aus, daß die Hypothek das Zu⸗
behörſtück umfaßt, ſolange die Trennung, die hier
als Vollendung des Veräußerungsaktes bezeichnet wird,
noch nicht eingetreten iſt. Nun wird allerdings das
Urteil des I. 35. vom 29. April (a. a. O. Bd. 9 S. 129)
für die gegenteilige Anſicht verwertet und deshalb
von Regelsberger-Henle (Das bayeriſche Hypotheken—
recht 3. Aufl. 8 47 Anm. 10) bekämpft; dieſer Bes
kämpfung ſchließt ſich Bonſchab an (BlfRA. Bd. 66
S. 191). Dieſes Urteil ſpricht mehrmals von einer
Ueberweiſung der Sachen an die Käuferin, führt aus,
daß ſie zufolge der Veräußerung nicht mitverſteigert
und deshalb vom Anſteigerer nicht erworben wurden,
und behandelt die Belaſſung der veräußerten Sachen
in verpfändeten Anweſen nur von dem Geſichtspunkt
aus, daß der Ort, wo der Käufer die gekauften und
überwieſenen Sachen liegen hat, für das Rechtsver—
hältnis gleichgültig iſt. Darnach iſt es überhaupt
fraglich, ob dieſes Urteil der vom erkennenden Senate
gebilligten Anſicht des Berufungsgerichts überhaupt
entgegenſteht. Vor allem aber hat der erkennende
Senat deshalb keinen Anlaß, eine Entſcheidung der
vereinigten Zivilſenate über die Rechtsfrage einzuholen,
weil der erſte 35. die abweichende Auslegung des
§ 35 in dem ſpäteren Urteile vom 27. Dezember 1883
(a. a. O. Bd. 10 S. 267) ſelbſt berichtigt hat (Urt.
des II. ZS. vom 24. April 1911, Reg. 1 36,1911).
2204 W.
B. Strafſachen.
I.
Namentliche Aufzählung der anzeinepflichtigen Arten
der Ausverkäufe durch die höheren Verwaltungsbehörden
(Unl WG. 87 Abſ. 2 vom 7. Juni 1909).!) Aus den
Gründen: Die Regierung von Sch. hat auf Grund des
§ 7 Abſ. 2 UnlWG. vom 7. Juni 1909 folgendes ange⸗
ordnet: „Ehe ein Ausverkauf irgendeiner Art aus⸗
genommen lediglich die Saiſon⸗ und Inventur⸗Ausver⸗
käufe, die in der Ankündigung als ſolche bezeichnet
werden und im ordentlichen Geſchaͤftsverkehr üblich
ſind, erſtmals angekündigt wird, iſt bei der Ortspolizei⸗
behörde Anzeige über den Grund des Ausverkaufs
und den Zeitpunkt ſeines Beginnes zu erſtatten, ſo⸗
wie ein genaues Verzeichnis der auszuverkaufenden
Gegenſtände einzureichen uſw.“ Die Anordnung der
Regierung trifft alle Arten von Ausverkäufen mit
Ausnahme der Saiſon⸗ und Inventur-Ausverkäufe,
auf die die Vorſchriften der 88 7 und 8 des Geſetzes
nach 8 9 Abſ. 2 ohnedies keine Anwendung finden.
Zur Erlaſſung ſolcher allgemeiner Anordnungen
ſind die höheren Verwaltungsbehörden auf Grund
des 87 Abſ. 2 nicht befugt. Die Vorſchrift des 87
Abſ. 2: „Durch die höhere Verwaltungsbehörde kann...
für die Ankündigung beſtimmter Arten von Aus⸗
verkäufen angeordnet werden, daß ...“ ſteht zunächſt
ſchon in einem gewiſſen Gegenſatze zu 87 Abſ. 1, der
für alle Ausverkäufe die Angabe des Grundes des
Ausverkaufs in der Ankündigung verlangt. Aber
auch an ſich betrachtet, ſpricht der Wortlaut des Abſ. 2
dagegen, daß hier an eine generelle Anordnung
gedacht iſt. Wäre dies der Fall, ſo hätte der Geſetzes⸗
text einfach lauten können: „Durch die höhere Ver⸗
waltungsbehörde kann für die Ankündigung von Aus⸗
verkäufen angeordnet werden, daß uſw.“ Es iſt not⸗
wendig, daß die Anordnung nach 5 7 Abſ. 2 die Arten
von Ausverkäufen, wegen deren Anzeige erſtattet
werden ſoll, „beſtimmt“, und zwar durch namentliche
Aufzählung der anzeigepflichtigen Arten, nicht nur
durch Hinweis auf die Arten von Ausverkäufen, die
außer den in 8 9 Abſ. 2 des Geſetzes benannten beiden
Arten von der Anzeigepflicht befreit ſein ſollen. Dieſe
Auffaſſung ſteht außer mit dem Sprachgebrauch auch
mit der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes in vollem
Einklange. In der Begr. zum Entw. des Gef. vom
7. Juni 1909, der in 8 6 Abſ. 2 eine dem 8 7 Abſ. 2
des Geſetzes in den hier weſentlichen Punkten gleich»
lautende Vorſchrift enthielt, wird der Vorſchlag, dem
Ausverkäufer die Verpflichtung zur Anmeldung des
Ausverkaufs und zur Vorlegung eines Inventars auf—
zuerlegen, als im allgemeinen zur Bekämpfung von
Auswüchſen des Ausverkaufsweſens geeignet bezeichnet
und dabei ſolgendes bemerkt: „Es liegt jedoch in der
Natur der einſchlägigen wirtſchaftlichen Verhältniſſe
begründet, daß die Verpflichtung zur Anzeige des
Ausverkaufs nicht ſchlechthin und in allen Fällen Platz
greifen kann. Das Bedürfnis wird nicht nur in den
verſchiedenen Teilen des Reiches in Stadt und Land,
ſondern auch in bezug auf die einzelnen Arten
der Aus verkäufe durchaus verſchieden fein. Der Ent»
wurf hat deshalb die Befugnis zum Erlaſſe der in
Frage ſtehenden Anordnungen der höheren Verwal—
tungsbehörde übertragen, die in der Lage ſein wird,
nach Maßgabe der örtlichen und ſachlichen Verhält—
niſſe zu prüfen, ob eine ſolche Anordnung angezeigt
iſt, Erfolg verſpricht und mit den allgemeinen Ver—
hältniſſen des Bezirks vereinbar iſt . . . . Gegen dieſe
Regelung find ullerdings von einem Teil der gewerb—
lichen Kreiſe Bedenken geltend gemacht worden. Ins—
beſondere iſt eingewendet, daß die Anfertigung des
Verzeichniſſes ... auf Schwierigkeiten ſtoßen werde. ..
Außerdem wird beſorgt, daß die Vorſchriſt zu einer
1) S. die Abhandlung S. 256 dieſer Nummer.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
269
— re- ——ᷣ3 nn
— —— ——
unerwünſchten Beläftigung auch des redlichen Aus⸗
verkaufes führen... werde. Dieſe Bedenken würden
beachtenswert fein, wenn die Anzeige ... allgemein
und für alle Arten des Ausverkaufs vorgeſchrieben
wäre. Das iſt nicht der Fall. Die Saiſon⸗ und In⸗
ventur⸗Ausverkäufe, in Anſehung derer die Rätlichkeit
der Vorſchrift ganz beſonders angefochten iſt, ſind,
um dem Bedenken zu begegnen . .. ausdrücklich aus⸗
genommen worden.“
Aus dieſen Ausführungen darf geſchloſſen werden,
daß das Geſetz nicht nur ſelbſt eine allgemeine An⸗
ordnung bezüglich der Anzeigeerſtattung von Aus⸗
verkäufen nicht erlaſſen, ſondern auch die von der
höheren Verwaltungsbehörde zu treffende Anordnung
als eine Ausnahmevorſchrift betrachtet wiſſen wollte,
die die beſonders verfänglichen Arten von Ausver⸗
käufen einzeln aufführen ſoll und auf Saiſon⸗ und
Inventur⸗Ausverkäufe im Sinne des 89 Abſ. 2 unter
keinen Umſtänden erſtreckt werden darf. Dirfe Auf⸗
faſſung findet ſich auch in den Kommentaren von
Finger, 3. Aufl., Anm. 13; Cahn⸗Weiß, Anm. Vzu 87
des Geſetzes vom 7. Juni 1909; gegen die Zuläſſig⸗
keit genereller Anordnungen der höheren Verwaltungs⸗
behörde haben ſich ferner Fuld, Anm. V zu 87, dann
in der Monatſchrift „Markenſchutz und Wettbewerb“,
Jahrg. 10, Siegel (S. 44) und Jacubowsky (S. 90 ff.
und S. 147) erklärt, wobei jedoch Jacubowsky eine
Beſtimmung der Arten von Ausverkäufen auch in der
Weiſe für zuläſſig erachtet, daß in der Anordnung
nur die nicht anzeigepflichtigen Arten von Ausver⸗
käufen einzeln bezeichnet werden. Die Anordnung
der Regierung entbehrt hiernach, weil zu allgemein
gehalten, der rechtlichen Wirkſamkeit. (Urteil vom
4. März 1911, Rev.⸗Reg. 38/11). Ed.
2228
II.
In der Aenßerung, daß jemand hexen köune, kaun eine
üble Nachrede gefunden werden. Aus den Gründen:
Bei der Verſchiedenartigkeit der in den einzelnen
Volksſchichten insbeſondere auf religiöſem Gebiete
herrſchenden Anſchauungen ging die Strafkammer von
der richtigen Annahme aus, daß bei der Erforſchung
des Sinnes und der Bedeutung einer Aeußerung die
Anſchauungen der Kreiſe zugrunde zu legen ſind, denen
die äußernde und die von der Aeußerung betroffenen
Perſonen angehören. Da bekanntermaßen der im
Mittelalter allgemein verbreitete Hexenglaube auch
jetzt noch in einzelnen Gegenden lebendig iſt, muß
lid das Reviſionsgericht nach 8 376 StPO. mit der
Feſtſtellung der Strafkammer abfinden, daß dieſer
Glaube auch in dem Bezirke des Amtsgerichts D.
herrſcht und von der Angeklagten und den fie um-
gebenden Perſonen geteilt wird. Wird in einem ſol⸗
chen von dem Hexenglauben beherrſchten Berjonen=
kreis eine Frauensperſon als Hexe bezeichnet oder
angeſehen, ſo gilt ſie als eine Perſon, die ſich von
Gott losgeſagt und mit dem Teufel oder anderen
böſen Geiſtern verbunden hat, um mit deren Hilfe
oder Unterſtützung übernatürliche Handlungen vorzu—
nehmen zu eigenem Nutzen oder zum Schaden anderer.
Dieſe „teufliſche Verbindung“ ſetzt eine ſolche Frauens-
perſon der Verachtung und Geringſchätzung der hexen—
gläubigen Umgebung aus und die Behauptung einer
mit der teufliſchen Verbindung im Zuſammenhange
ſtehenden Tatſache iſt geeignet, die Perſon verächtlich
zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzu—
würdigen. Unter der öffentlichen Meinung iſt hier
die Meinung jener unbeſtimmten Mehrheit von Pers
ſonen zu verſtehen, die an das Vorhandenſein von
Heren glauben; im übrigen liegt die Entſcheidung
darüber, ob eine Tatſache geeignet iſt jemand ver—
ächtlich zu machen, auf dem Gebiete der tatſäch—
lichen Beweiswürdigung; es genügt in dieſer Rich—
tung ein beſtimmter Perſonenkreis und deſſen An—
270
ſchauung; nicht das Geſetz entſcheidet darüber, was
bei anderen den Eindruck hervorrufen kann, die be⸗
treffende Perſon ſei verächtlich.
Als im Kreiſe mehrerer Frauensperſonen die Tochter
der Angeklagten erzählte, daß die Privatklägerin ihre
Gänſe durch eine Seuche verloren habe, und darauf die
Wirtin R.bemerkte, daß die Privatklägerin um ſo mehr
Butter habe und, wie dieſe ihr ſelbſt erzählt habe,
alleweil Butter mit 6 bis 8 Pfund ausbuttere, äußerte
die Angeklagte ungefähr alſo: „Vergönnt ſich denn die
gar nichts oder kann ſie hexen? Das alte Häusl⸗
weib — die Schwiegermutter der Privatklägerin —
iſt a Hex' geweſen und hat a Hexenbüchl gehabt und
das hat die H. geerbt.“ Durch dieſe Aeußerung hat
die Angeklagte nach der Anſchauung des Berufungs⸗
gerichts ihrer Anſicht über die große Butterproduktion
dahin Ausdruck verliehen, daß die Privatklägerin
möglicherweiſe ebenſo wie ihre Schwiegermutter Beten
könne, alſo eine Hexe ſei. Dieſe Auslegung entſpricht
einer richtigen Gedankenfolge. Darnach hat die An⸗
geklagte ſich nicht etwa in abſtrakten Betrachtungen
und Schlußfolgerungen ergangen, ſondern ſie hat die der
Wahrnehmung und Beweiserhebung zugängliche Tat⸗
ſache behauptet, daß die reichliche Buttererzeugung
möglicherweiſe auf eine Verbindung der Privatklägerin
mit dem Teufel zurückzuführen ſei. Der Begriff der
„Tatſache“ iſt dadurch gewahrt. (Urt. vom 29. April
1911, Rev R. 175 / 11). Ed
2257
III.
Naturheilkundiger; unbefugte Ahnung eines arzt⸗
ähnlichen Titels. Die Kaufleute A. u. R., die keine
ärztliche Prüfung abgelegt haben, eröffneten in M.
eine Anſtalt für naturgemäße Behandlung von Krank⸗
heiten, insbeſondere von Geſchlechtskrankheiten. Die
Behandlung geſchah nicht nach den Grundſätzen der
mediziniſchen Fachwiſſenſchaft, ſondern nach dem ſog.
Naturheilverfahren durch Elektriſieren uſw. Die Anſtalt
wurde einige Zeit von dem Heilkundigen H. geleitet, der
den Titel „Direktor“ führte. Ein ſtaatlich geprüfter Arzt
war während dieſer Zeit in der Anſtalt nicht beſchäf⸗
tigt, die Kranken wurden von H. behandelt. Dieſer
iſt gleich ſeinen Prinzipalen keine ſtaatlich geprüfte
Medizinalperſon. Von Haus aus Techniker war er
ſpäter Kaufmann, beſuchte dann eine „Fachſchule für
Naturheilkunde“ und beſchäftigte ſich in den letzten
zehn Jahren mit dieſer Heilkunde. Der Beginn des
Anſtaltsbetriebs wurde ordnungsgemäß dem Amts⸗
arzt angezeigt. Im April, Mai und Juni 1910 er⸗
ſchienen in mehreren Zeitungen Ankündigungen fol⸗
genden Inhalts: „N.ſtraße 50, Biol. med. Ambulato⸗
rium, Harn⸗ und Geſchlechtsleiden, auch alte Ausflüſſe,
ſex. Schwäche ꝛc. Diskrete, med. komb. Behandlung.
Giftfrei und ohne Berufsſtörung. Syphilis ohne
Queckſilber. Separatzimmer für Damen; Sprechzeit
von 10—1 Uhr, 3 bis 7 Uhr, Sonntags von 10 bis
1 Uhr. Mikroſkop. und chem. Unterſuchungen. Dir. H.“
Zwiſchen den Worten Biol.-med. und Ambulatorium
war ein Anker abgebildet, um deſſen Schaft ſich eine
Schlange windet. Ferner war an dem Haus ein
Schild mit folgender Auſſchrift angebracht: „Biol.
med. Ambulatorium. Harn- und Geſchlechtsleiden.
Sprechzeit 10—1 Uhr und 3—7 Uhr. Sonntag nur
vormittags. Moderne kombinierte Methode.“ Die
Polizeibehörde beanſtandete die Bezeichnung der An—
ſtalt, da ſie den Glauben erwecken könne, daß ſie von
einem ſtaatlich geprüften Arzte geleitet werde; H. hielt
dieſe Anſchauung aber für unrichtig, behielt den Schild
bei und ſetzte die Inſerierung in den Zeitungen fort.
Der Angellagte wurde von den Vorinſtanzen wegen
eines Vergehens wider § 147 bj. 1 Ziff. 3 Gewd.
verurteilt. Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach 8 147 Abſ. 1 Ziff. |
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
„Inſerate, berückſichtigen.
Rechtsirrtum nicht beeinflußt.
fein, ſich als Arzt (Wundarzt bezeichnet oder
ſich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube
erweckt wird, der Inhaber ſei eine geprüfte Medizinal⸗
perſon. Hier handelt es ſich nur um die zweite Alter⸗
native dieſer Vorſchrift. Titel i. S. der GewO. iſt
die Benennung, die jemand ſich beilegt oder die ihm
beigelegt wird, um eine von ihm ausgeübte wiſſen⸗
ſchaftliche oder gewerbliche Tätigkeit zu bezeichnen.
Beſtritten tft, ob eine nach § 147 Abſ. 3 GewO. ſtraf⸗
bare Titelführung auch vorliegt, wenn dem Gewerbe⸗
betrieb eine unperſönliche Bezeichnung gegeben wird,
die zu dem Glauben verleitet, der Inhaber ſei eine
eprüfte Medizinalperſon. Das Oberſte Landesgericht
hat ſchon in dem Urteile vom 30. April 1910 (Bd. 10
S. 109) ausgeſprochen, daß für die Anwendung der
zweiten Alternative des 8 147 Abſ. 1 Ziff. 3 GewO.
nicht notwendig die Beilegung eines perſönlichen
Prädikats erforderlich ſei, daß vielmehr auch eine die
Tätigkeit einer Perſon kennzeichnende Bezeichnung zur
Annahme der Beilegung eines arztähnlichen Titels
genügen könne. Es beſteht kein Anlaß von dieſer
Auffaſſung abzugehen. Die Strafkammer konnte dem⸗
nach bei der Würdigung der Frage, ob ſich der An⸗
geklagte einen arztähnlichen Titel beigelegt hat, die
begleitenden Umſtände, insbeſondere den Inhalt der
Ihre Annahme, daß der
Angeklagte mit der zur Verwechslung geeigneten Ab⸗
kürzung „Dir.“ in Verbindung mit dem Wortlaute
der Inſerate und dem Inhalte des Firmenſchildes ſich
einen arztähnlichen Titel beigelegt hat, u) von einem
Schon in der ohne
Abkürzung gebrauchten Bezeichnung „Direktor“ könnte
unbedenklich die Beilegung eines arztähnlichen Titels
gefunden werden. Die Strafkammer hat weiter feſt⸗
geſtellt, daß der von dem Angeklagten gebrauchte
Titel geeignet war den Glauben zu erwecken, der
Inhaber ſei eine geprüfte Medizinalperſon, und daß
der Angeklagte der Möglichkeit der Täuſchung des
Publikums ſich bewußt war, eine ſolche Täuſchung
geradezu beabſichtigte. Auch dieſe im weſentlichen
dem tatſächlichen Gebiet angehörenden Feſtſtellungen
laſſen keinen Rechtsirrtum erſehen. Die Tatbeſtands⸗
merkmale einer Zuwiderhandlung gegen die Vorſchrift
des § 147 Abſ. 1 Ziff. 3 GewO. find ſomit einwand⸗
frei feſtgeſtellt. (Urt. vom 4. April 1911, Rev.
127/11). Ed.
2258
Literatur.
Th. von der Pfordten, Landgerichtsrat in München,
Der dienſtliche Verkehr und die Amts:
ſprache. Dritte verbeſſerte und ergänzte Auflage.
159 S. München 1911, J. Schweitzer Verlag (Arthur
Sellier) Gebd. Mk. 2.70.
Die ſeit mehreren Jahren einſetzenden Bemühungen,
das zum Geſpötte gewordene, ſogenannte „Juriſten⸗
deutſch“ aus der Welt zu ſchaffen und es durch eine
einfache, klare, für den Juriſten wie für den Laien
leicht verſtändliche Sprache zu erſetzen, ſind nicht frucht⸗
los geblieben. Einen hervorragenden Anteil an den
bisherigen Erfolgen darf das im Jahre 1907 erſchienene
Büchlein in Anſpruch nehmen. Nun iſt es nach kurzer
Zeit in der dritten verbeſſerten, durch die Beſtimmungen
über den dienſtlichen Verkehr mit dem Ausland er
gänzten Auflage erſchienen, ein erfreulicher Beweis
ſeiner Lebensfähigkeit und Verwendbarkeit. Mit be-
grüßenswerter, rückhaltsloſer Offenheit geißelt der
gewandte und geiſtreiche Verfaſſer die immer noch dem
amtlichen Stile anhaftenden Gebrechen; er beweiſt dies
an Beiſpielen; er läßt Sätze und Abſchnitte aus
Urteilen, Entſcheidungen und Beſchlüſſen durch ihre
GewO. wird beſtraft, wer ohne hiezu approbiert zu wörtliche Wiedergabe von ſelbſt wirken; er tadelt
aber nicht bloß, er lehrt in überzeugender Weiſe, wie
man die Gedanken ſtatt in ſchwerfälligen, hartver⸗
ſtändlichen, ſchwulſtigen und ermüdenden Sätzen durch
eine kurze, leichtfaßliche, von Phraſen freie Ausdrucks⸗
weiſe zu Papier bringen kann. Die Sprache des
Büchleins ſelbſt zeigt in herzerfriſchender Weiſe den
Weg, der zum richtigen Ziele führt. Das Werkchen
kann den im Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſte ſtehenden
Beamten nicht genug empfohlen werden; es ſollte auf
keinem Arbeitstiſche fehlen. Jeder, der es einmal
geleſen hat und in den veralteten Formen nicht erſtarrt
iſt, wird es immer wieder zur Hand nehmen, daraus
lernen und ſich daran erfreuen. So möge denn das
mit ebenſoviel Fleiß als Sachkenntnis geſchriebene,
mit friſchem, geſundem Humor gewürzte Werkchen in
allen beteiligten Kreiſen Eingang finden, aber auch
Beachtung: zur Hebung des Anſehens der Juriſten⸗
welt, nicht zuletzt auch zur Freude des verdienten
Berfaſſers und ſeines rührigen Verlegers.
Oberſtlandesgerichtsrat Ederer.
Croner, n Rechtsanwalt. Reform der
deutſchen Rechtsanwaltſchaft. 25 S.
Leipzig 1911. Verlag von Eduard Demme. Mk. 0,50.
Die kleine Schrift verfolgt offenbar den Zweck
weitere Kreiſe über die dem Juriſten bekannten Ver⸗
hältniſſe der deutſchen Rechtsanwaltſchaft und die
Vorſchläge zu ihrer Reform aufzuklären. Sie befaßt
ſich zunächſt mit der Ueberfüllungsfrage und tritt für
Einführung des numerus clausus ein. Leider werden
hierbei die zahlreichen Bedenken, welche gegen dieſes
Syſtem beſtehen und oft geltend gemacht worden ſind,
nur zum kleineren Teile angeführt und erörtert, eine
Unvollſtändigkeii, die gerade bei einer populären Dar:
ſtellung rechtspolitiſcher Fragen beſonders bedenklich
iſt. Der Verfaſſer befürwortet denn auch die Trennung
des Notariats von der Anwaliſchaft. Durchaus ſym⸗
pathiſch berühren die nun folgenden Ausführungen
über das Verhältnis zwiſchen Richtern und Rechts⸗
anwälten ſowie über die Stellung des Verteidigers
im gegenwärtigen und zukünftigen Strafprozeß. Zum
Schluß tritt der Verfaſſer für eine Reform des Armen⸗
rechts, nämlich für die Honorierung der Armenanwälte
aus der Staatskaſſe und die Mitwirkung der Anwalt-
ſchaft bei Bewilligung des Armenrechis ein.
33
Stein, F. Dr., Profeſſor in Leipzig und Dr. N.
Schmidt, Profeſſor in Freiburg. Aktenſtücke zur
Einführung in das Prozeßrecht. Zivil⸗
prozeß. Bearbeitet von Friedrich Stein.
Siebente Auflage. VIII. 196 S. Tübingen 1910.
Se 5 505 Mohr (Paul Siebeck). In Lwd. gebd.
SZiitſchrift für Rechtspflege in Ba in Bayern. 1911
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Die Aktenſtücke von Stein haben ſich als vor⸗
treffliches Anſchauungsmittel für den zivilprozeſſualen
Unterricht längſt einen bedeutenden Namen gemacht.
Die Vorzüge der bisherigen Auflagen finden ſich in
gleicher Weiſe auch bei der nunmehr vorliegenden
ſiebenten Auflage, die um einige neue Fälle bereichert,
namentlich den durch die Novelle vom 1. Juni 1909
hervorgerufenen Neuerungen Rechnung trägt.
Dr. H. Schanz.
Jaeger Dr. Gruft, Profeſſor in Leipzig, Reichs zivil⸗
geſetze. Eine Sammlung der wichtigſten Reichs—
gefege über bürgerliches Recht und Rechtspflege.
Für den Gebrauch auf der Hochſchule und in der
Praxis. Mit ſyſtematiſchem, alphabetiſchem und
chronologiſchem Geſamtregiſter. 3. Auflage von
Jaeger, BGB. Mit einem Anhang enthaltend:
Landesg eſetze für das Königreich Bayern,
herausgegeben von J. Schiedermair, K. Landgerichts»
Nr. 12. 271
rat in München. Stand der Geſetzgebung am
1. März 1911. gr. 8. XVI, 1708 S. München 1911,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 11.—
Die Freunde dieſer in akademiſchen Kreiſen 15
bei Praktikern gleichmäßig beliebten Sammlung werden
es freudig begrüßen, daß die neue Ausgabe trotz des
Anwachſens des Stoffes — neu aufgenommen ſind
insbeſondere das Gerichtskoſtengeſetz und die Gebühren⸗
ordnungen des Reichs — zu einem nicht unweſentlich
billigeren Preiſe abgegeben wird. Die Verbilligung
iſt durch eine Aenderung der äußern Ausſtattung er⸗
reicht worden, ohne daß die Haltbarkeit und die Ge⸗
brauchsfähigkeit des Buches darunter gelitten hätten.
Die Ueberſichtlichkeit iſt durch Beigabe farbiger Ein—
ſchlagblätter vor den Hauptabſchnitten noch erhöht.
Zweckmäßig iſt auch die neue Syſtematik. Bürgerliches
Recht, Handelsrecht uſw. ſind jetzt zu einem a.
Teil des Reichsrechts „Reichsprivatrecht“ vereinigt;
2. Teile des Reichsrechts ſind die Geſetze über Gerichts⸗
verfaſſung, Prozeß, freiwillige Gerichts barkeit, Gerichts⸗
koſten und Gebührenweſen uſw. zuſammengefaßt. Ein
glücklicher Gedanke war auch die Beigabe amtlicher
Muster aus dem Grundbuch- und Nachlaßweſen, die dem
Studierenden lebendige Anſchauung geben ſollen.
von der Pfordten.
Eger, Dr. jur. G., Geh. Regierungsrat. Das Reichs-
geſetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen.
Vom 3. Mai 1909. Textausgabe mit Anmerkungen.
VIII, 301 S. Stuttgart und Leipzig 1911, Deutſche
Verlagsanſtalt. Gebd. Mk. 6.—
Dem „Kommentar“ zum Automobilgeſetz hat 1355
nunmehr eine Textausgabe mit Anmerkungen folgen
laſſen, die nach Anlage und Inhalt eher die Bezeichnung
„Handausgabe“ verdient. Sie enthält, teilweiſe in
wörtlicher Wiedergabe, einen Auszug aus den im
„Kommentar“ gebotenen Erläuterungen, der aber
immer noch ſo reichhaltig iſt und ſoviele Einzelheiten
berückſichtigt, daß das Werk auch bei ſchwierigeren
Fragen nicht im Stiche läßt. Eine Muſterleiſtung iſt
vor allem die Auslegung des S 7 des Geſetzes Für
bayeriſche Verhältniſſe iſt einige Vorſicht bei Benutzung
der Ausführungen über „öffentliche Wege oder Plätze“
(8 1) geboten. Eine Anregung: für die Mehrzahl der
Intereſſenten iſt die bei Zitaten oberſtrichterlicher Ent⸗
ſcheidungen häufig genannte Sammlung von „Eiſen—
bahnrechtlichen Entſcheidungen und Abhandlungen“
nur ſehr ſchwer zugänglich; es dürfte ſich deshalb
empfehlen, wo dies möglich, auch die gangbaren
juriſtiſchen Zeitſchriften als Fundort anzugeben.
Rand, A. von, Miniſterialdirektor im Kgl. Staats⸗
miniſterium des Kgl. Hauſes und des Aeußern.
Das Baye riſche Berggeſetz vom 13. Auguſt
1910, nebſt einem die Ausführungsbeſtimmungen
und die oberbergpolizeilichen Vorſchriften enthalten»
den Anhang. Handausgabe mit Erläuterungen,
ſyſtematiſchem Inhaltsverzeichnis und ausführlichem
Sachregiſter. 2. verbefjerte Auflage. XII, 325 Seiten.
Münden und Berlin 1911, J. Schweitzer Verlag
(Arthur Sellier). Geb. Mk. 7.—.
Der für alle gewerblichen Betriebe weiter aus:
gebaute Arbeiterſchutz hat auch eine wiederholte Er—
gänzung des bayer. Berggeſetzes notwendig gemacht,
die nun mit der Erlaſſung des neuen Berggeſetzes ihren
Abſchluß gefunden hat. Die vorliegende Bearbeitung
durch den Miniſterialreferenten hatte ſchon in erſter
Auflage — erſchienen 1900 — dankbare Annahme in
der Praxis gefunden. Die vorliegende Neuausgabe
hat nicht nur die Geſetzesänderungen berückſichtigt,
ſondern den geſamten Rechtsſtoff einer Umarbeitung
: unterzogen und dabei eine erhebliche Erweiterung er—
fahren. Auch durch die Aufnahme aller bergpolizei—
lichen Beſtimmungen hat die Ausgabe an allgemeiner
Verwertbarkeit gewonnen. G.
272 Zeitſchrift für Rechtspflege
Doerr, Dr. Friedrich, K. Amtsrichter, Privatdozent an
der Univerſität München. Kolonial beamten⸗
geſetz vom 8. Juni 1910 auf Grund der Geſetzes⸗
materialien erläutert und mit den ergänzenden
Geſetzen, insbeſondere dem Reichsbeamtengeſetz und
dem Beamtenhinterbliebenengeſetz herausgegeben. IV,
131 S. München und Berlin 1910. J. Schwei ber
Verlag (Arthur Sellier). Gebd. Mk. 2.60.
Die kurzen er n neben einen Ueberblick
über den Zuſammenhang der Vorſchriften mit denen
anderer Reichsgeſetze.
von der Pfordten.
Lambertz, Sans, Der Richter. Erzählungen aus Alt⸗
Japan. 12°. 103 S. München 1911, C. H. Beck'ſche
Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck. Geb. Mk. 2.80.
Anſpruchsloſe, hübſch erzählte Anekdoten, die zu⸗
weilen an Märchen aus „Tauſend und eine Nacht“
erinnern, aber moderner gefärbt ſind.
— -en.
Lotzl, Dr. dvar, Die Volksſchulpflicht nach
eutſchem Volksſchulrecht. 83 Seiten. Berlin und
München 1911, R. Oldenbourg. Mk. 1.50
Eine mehr hiſtoriſche als dogmatiſche Erfaſſung
des Stoffs, welche aber auf Vollſtändigkeit Anſpruch
machen kann und darum zur Orientierung ſehr wohl
geeignet iſt. G.
Notizen.
Die Bekämpfung der Pornographie. Das Reichs⸗
geſetzblatt 1911 S. 209 veröffentlicht das Abkommen
vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung der Verbreitung
unzüchtiger Veröffentlichungen. Als vorläufige Frucht
des internationalen Kongreſſes gegen die Pornographie
(Paris, 21. u. 22. Mai 1908) und der Konferenz der
Bevollmächtigten der Regierungen (Paris, 18. April
bis 4. Mai 1910) iſt von Deutſchland, Oeſterreich,
Ungarn, Senn Brafilien, Dänemark, Spanien, den
Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Groß⸗
britannien, Italien, den Niederlanden, Portugal, Ruß—
land und der Schweiz in Anlehnung an das inter⸗
nationale Abkommen über Verwaltungsmaßregeln zur
Gewährung wirkſamen Schutzes gegen den Mädchen⸗
handel vom 18. Mai 1904 (RGBl. S. 695) am 4. Mai
1910 ein Verwaltungsabkommen (arrangement) ge⸗
troffen worden, das die gegenſeitige Mitteilung von
Nachrichten zur Ermittelung und Bekämpfung von
Vergehen in Beziehung auf unzüchtige Veröffent-
lichungen erleichtern ſoll.
In Frage kommen nach Art. 1 Nr. 1 Handlungen,
die ſich als Zuwiderhandlungen gegen die Landes—
geſetzgebung hinſichtlich unzüchtiger Schriften, Zeich⸗
nungen, Bilder oder Gegenſtände darſtellen und „deren
Tatbeſtandsmerkmale einen internationalen Charakter
haben (dont les éléments constitutifs ont un caractere
international)“. Letztere Vorausſetzung wird nicht im
juriſtiſch⸗techniſchen Sinne der Tatbeſtandsmerkmale
zu begrenzen ſein, vielmehr wird maßgebend ſein, ob
die Tat aus irgend welchen Gründen, z. B. im Hin⸗
blick auf die Perſon des Täters oder auf die Art und
den Umfang ihrer Ausführung, eine Bedeutung hat.
die auch für die anderen Vertragsſtaaten von Intereſſe
iſt. Jeder Vertragsſtaat ſoll eine Behörde einrichten
oder bezeichnen, die Nachrichten zur Ermittelung und
Bekämpfung ſolcher Handlungen ſammelt und zur
—— — — ¹—— ———— ¶ mᷓʃ• 4 m ———
Verhinderung der Einfuhr ſowie zur Sicherung oder
Beſchleunigung der Beſchlagnahme den gleichartigen
Behörden der anderen Vertragsſtaaten liefert, ihnen
in Bayern. 1911. Nr. 12.
auch Strafnachrichten über die Verurteilungen wegen
ſolcher Handlungen und die Landesgeſetze auf dieſem
Gebiete mitteilt. Vorausgeſetzt iſt überall, daß die
Landesgeſetzgebung dieſen Nachrichten nicht entgegen⸗
ſteht. Zwiſchen den Nachrichtenbehörden iſt der un⸗
mittelbare Verkehr geſtattet. (Vgl. für das Abkommen
zur Bekämpfung des Mädchenhandels die Reichs⸗
kanzler⸗Bek. vom 15. Juli 1905 — Zentralbl. f. d.
Deutſche Reich S. 185 —, wonach der Polizeipräſident
in Berlin als Zentralſtelle für Deutſchland be⸗
zeichnet iſt).
Das Abkommen tritt ſechs Monate nach der Hinter⸗
legung der Ratiſikationsurkunden in Kraft. Es ent⸗
hält noch Beſtimmungen über die Kündigung, über
den Beitritt anderer Staaten und über die Aus⸗
dehnung auf Kolonien, Beſitzungen oder Konſular⸗
gerichtsbezirke der Vertragsſtaaten. Die Ratifikations⸗
urkunden ſind von Dänemark am 8. April 1911, von
den anderen Staaten am 15. März 1911 in Paris
hinterlegt worden. (Bek. vom 5. Mai 1911, RG Bl.
S. 215). Zur Ausführung des Abkommens werden
nach der Einrichtung der Zentralbehörde Vorſchriften
der Bundesregierungen notwendig ſein.
2258
e im Falle des 3 505 ZPO. Nach
8 505 Abf BO. in der Faſſung der Novelle vom
1 Juni 1509 at ein örtlich oder ſachlich unzuſtän⸗
diges Amtsgericht auf Antrag des Klägers durch Be⸗
ſchluß den Rechtsſtreit an das zuſtändige Gericht zu
verweiſen, wenn dieſes ermittelt werden kann. Auf
Grund einer Vereinbarung der Bundesregierungen be⸗
ſtimmt eine Bekanntmachung vom 12. Mai 1911 (JM Bl.
S. 214/5), in welcher Weiſe die Koſten anzuſetzen, ein⸗
zuziehen und zwiſchen den Gerichtskaſſen zu verrechnen
ſind, wenn der Rechtsſtreit an das Gericht eines an⸗
deren Bundesſtaates verwieſen wird. Unberührt bleiben
natürlich die Vorſchriften im 8 505 Abſ. 3 ZPO., in
denen die Behandlung der Koſten im Berhältniffe
zwiſchen den Parteien geregelt iſt (vgl. auch 8 30
KG., 8 26 RAGGebO.).
Sprachecke.
Die Faſſung der Beſchlüſſe in Bollſtreckungs ſachen
zeitigt oft recht eigentümliche Blüten der Amtsſprache.
Das iſt um fo bedauerlicher, als ſolche Beſchlüſſe häufig
rechtsunkundigen Perſonen zugeſtellt werden, die mit
den rätſelhaften Sätzen nichts anzufangen wiſſen.
Ein Muſterbeiſpiel bietet die folgende Bfändungs⸗
benachrichtigung, die uns ein Freund unſeres
Blattes hat zukommen laſſen: es 1 (!) der
Firma X. in M., vertr. d. RA.
wird
1. dem Br. . .. 2. der N. Bank ... erklärt: Auf
Grund vollſtreckbaren Urteils des Landgerichts M....
fordert die Requirentin () an () den Requiſiten sub 1
den Betrag von M 2000 und für feſtgeſetzte Koſten
M 200. Wegen letzteren Anſpruchs beabſichtigt die
Requirentin () den Anſpruch des Requiſiten sub 1 an
die Requiſitin sub 2 auf... zu pfänden. Indem
hievon den Requiſiten (!) Kenntnis gegeben wird, wird
denſelben verboten und zwar dem Requiſiten (0 sub I
über die Forderung zu verfügen ꝛc. und der Requi⸗
ſitin sub 2 eine Zahlung an den Requiſiten sub 1
zu leiſten.“
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. w. im Staatsminiſteriumd. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweiger Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ar. 13. München, d den 1. en J. Juli 111. 1911. Ä T . Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
Th. von der Pfordten in Bayern 2. ä ze.
K. Landgerichtsrat, verw. Im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz. München und Berlin,
u Redaktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
: e 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzelle
oder deren Raum. Bei . Rabatt. Stellenanzeigen
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Die Sen erſcheint, am 1. und 15. jeden Monat
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertelfäbrlich
5 1 fell Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
oſtan
Nachdruck verboten. N 273
Die Zahrhundertfeier des öſterreichiſchen verſtummen. Und die öſterreichiſche Feier zeitigt
Algemeinen Bürgerlichen Geſetzuchs. Gere dend laden n een Berta, daß
Von Univ.⸗Profeſſor Dr. Leopold Wenger in München. die notwendigen Teilreformen gelingen werden,
' ie 5 er 0.0 daß der Grundbau noch feſthalten wird im zweiten
5 en 4 rg ne Jahrhundert des Beſtands. Oeſterreich, das Land
der Zweifler und Kritiker an allem, was die
ihres hundertjährigen Bürgerlichen Geſetzbuchs. f .
Wenn die Redaktion dieſer in erſter Linie der Oeimat geſchaffen hat und ſchafft, das Land oft
blinder Auslandsbewunderung und ſteter Selbſt⸗
deutſchen und baveriſchen Rechtspflege gewidmeten verkleinerung, es feierte mit Enthuſiasmus dieſes
Zeitſchrift einem Gedenkwort an die ſeltene Feier ö
o echt öſterreichiſche Geſetz: es feierte ſein ABGB.
freundlich Raum gibt, jo mag gzunächſt daran mit Feſten und Jubelſchriften“), an denen Ange:
erinnert ſein, daß vor 1900 auch auf kleinen
Teilen bayerischer Erde!) nach dem jubilierenden börige aller Nationen und aller juriſtiſchen Be⸗
Geſetzbuch Recht geſprochen wurde. So hat Bayerns rufe ſich beteiligten. nr
Rechtsgeſchichte am Feſte formell Anteil. Indes . an u es, dr N
bedarf es wohl keiner beſonderen Begründung, wenn wußte 1 7 es AB ee vornehmlich beſtimmten:
es gilt, ein Feſt des eng verbündeten Nachbarreichs ein politiſche s und ein juriſtiſches. Beide
zu feiern, ein Feſt, in dem ſich die alte Kraft | aber lehrt uns die Geſchichte richtig bewerten.
des ſtammverwandten Oeſterreich in jugendlicher Erſt das politiſche Moment. Das Geſetz
Friſche wieder gezeigt hat. weiſt ſeiner Entſtehung nach zurück in die unver⸗
Denn das war das ſchöne Leitmotiv des ganzen geſſene Glanzzeit der großen Kaiſerin Maria
Feſtes, ein Motiv, das über die Juriſtenkreiſe Thereſia. Sie hat 1758 ſchon den Plan aus⸗
Oeſterreichs hinaus empfunden wird, und das auch geſprochen, „allen ihren Erbländern ein ſicheres,
die Zeilen durchziehen ſoll, die der Verfaſſer in gleiches 155 zu geben. Sie, Joſeph II. und
dankbarer Erinnerung an die Lern: und Lehrjahre Leopold II. haben das Werk vorbereitet, das der letzte
in Oeſterreich dem Feſtgedenken widmet. deutſche und erſte öſterreichiſche Kaiſer Franz mit
Als Deutſchland vor anderthalb Jahren auf Patent vom 1. Juni 181 U in den damals ſogenannten
das erſte Dezennium feines ſchwer erkämpften ein⸗ deutſchen Erbländern publiziert hat.“) Von dem
heitlichen Bürgerlichen Geſetzbuches zurückblickte, Glanze jener Zeit, in dem das alte Habsburger⸗
da war das Urteil weiter Kreiſe hart. Nicht bloß reich die feſten Grundlagen zu einem einzigartigen
der Nichtjuriſt, der ja mit klarem, von Sach- neuen Staatsweſen teils umgelegt, teils ganz neu
|
kenntnis ungetrübtem Blick bewehrt, am lauteſten on
|
|
|
|
Ä
) Nur wenige Stimmen miſchen ſich nicht in den
Jubel, ſo Benedikt, Oeſterr. Rundſchau vom 1. Juni
1911, Bd. XXVII, S. 347
5 In juriſtiſchen Blättern und in der Tagespreſſe.
Beſondere Hervorhebung verdient die zweibändige ſtatt—
liche Feſtſchrift zur Jahrhundertfeier des ABGB. Wien,
Manz 1911 (im folgenden als Feſtſchrift I, II zitiert).
Teil I, X und 762 S. Teil II, IV und 1011 S.
4) Ein Fakſimile der Allerh. Reſolution des Kaiſers
an Bayern unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung des Franz vom 18. Auguſt 1810, mit welcher endgültig der
ABGB. abgetreten, und der ſog. Fraiſchbezirk in der Titel des Geſetzbuches feſtgelegt wurde: „Allgemeines
Oberpfalz. Genaue Daten nach Mitteilung des Kgl. Bürgerliches Geſeßbuch für die geſamten deutſchen Erb—
bayer. Juſt Min. bei v. Mayr, Se chrift aur alle länder der öſterreichiſchen Monarchie“ ſchmückt den I. Teil
hundertfeier des öſterr. ABGB. Bd. 1, 383 f. 2 der Feſtſchrift.
und ſicherſten ſein Urteil zu fällen pflegt, auch
manch ruhig denkender Fachmann fand an dem
Werk und des Geſetzes Wirken mehr auszuſetzen
als zu loben. Das ſtarke, vielgeſcholtene deutſche
Selbſtbewußtſein ſcheint dem BGB. gegenüber zu
) Markt⸗Redwitz in Oberfranken, 1816 von Oeſterreich
274
geſchaffen hat, einer Zeit, die jedem Oeſterreicher
aus der erſten Schulzeit her lieb geworden und
geblieben iſt, aber auch von den Zeiten der Kriege
mit dem korſiſchen Eroberer, in denen Oeſterreichs
Heere zuerſt die Sage von der Unüberwindlichkeit
des Kaiſers Napoleon durch die Tat bei Aſpern
widerlegt, von all dem alten ruhmvollen Oeſterreich,
liegt ein Abglanz auf dem Geſetze. Sein wechſeln⸗
des Geltungsgebiet hängt mit Oeſterreich-Ungarns
innerer Geſchichte innigſt zuſammen. Erſt für die
deutſchen Erbländer beſtimmt und für das enge
Oeſterreich von 1811 publiziert, wird es allmählich
Geſetz in den Teilen des Reichs, die nach Napoleons
Sturz wieder und neu hinzukommen. Franz
Joſephs Thronbeſteigungsmanifeſt verkündet den
Gedanken, „alle Lande und Stämme der Monarchie
zu einem großen Staatskörper zu vereinigen“.
Ein Reich, ein Recht! Ungarn, Kroatien, Sla⸗
vonien, Siebenbürgen erhalten 1852 und 1853
das ABGB. Und merkwürdig: während Ungarn
durch die Ereigniſſe von 1860/61 ſich emanzipiert
und auch die Privatrechtseinheit mit Oeſterreich
bricht, bleibt das Geſetz in Kroatien und Slavonien’)
und in Siebenbürgen in Geltung! In den Orient
weiſt ſeine Geltung für die öſterreichiſchen Staats⸗
bürger und Schutzgenoſſen in der Türkei ), ſeine
teilweiſe und ſubſidiäre Geltung in Bosnien und
in der Herzegowina.) Und wenn kürzlich der
Präfident der Advokatenkammer von Sarajevo im
bosniſchen Landtage den Antrag ſtellte, das ABGB.
auch formell als Geſetz einzuführen), jo iſt das
zugleich ein bedeutſames Moment neueſter poli⸗
tiſcher Geſchichte: Oeſterreich der Kulturbringer
auf dem Balkan.
Wo das Geſetz gilt, fühlt man ſich auf alt⸗
öſterreichiſcher Erde. Jede Schmälerung ſeines
territorialen Machtbereichs bedeutet Abbröckelung
der politiſchen Macht der nur in der Einigkeit
ſtarken Monarchie. Das Geſetz bedeutet mehr und
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
anderes als uns das BGB. Wir können das
bürgerliche Recht ändern, neu machen: es wird
ein einheitliches Recht fürs Reich bleiben, denn
die Einheit iſt geſetzlich feſtgelegt und ſteht als
Selbſtverſtändlichkeit im politiſchen Programm der
Parteien. Anders in Oeſterreich. Eine Reviſion,
viel mehr noch eine Neuſchaffung des bürgerlichen
Rechts könnte nationale und föderaliſtiſche Aſpi—
rationen auslöſen, die der Rechtseinheit gefährlich
würden. Es iſt größte Vorſicht beim Umbau und
Ausbau, bei der Erſetzung unbrauchbar gewordener
) Darüber ein intereſſanter Aufſaßz von Mauro:
vic. Feſtſchrift I, 6895 ff. In Kroatien hat ſich das
öſterreichiſche Privatrecht durch ſeinen inneren Wert
immer mehr Anhänger erworben.
e) Detaillierte Daten gibt v. Mayr, Feſtſchr. I, 3835.
7) Darüber intereſſante Ausführungen von Pilar
und Zobkow in der Feſtſchr. I. 701 ff., 727 ff.
e) Vgl. Schauer, DIZ. 1911, 730%, und über
die Beſtrebungen der bosniſch-herzegowiniſchen Advo—
katenkammer Pilar, a. a. O. 723 ff. — allerdings ohne
großen Optimismus bezüglich des Erfolgs.
Teile des Geſetzes nötig, ſoll nicht die Einheit des
öſterreichiſchen Privatrechts gefährdet werden). Von
dieſem Geſichtspunkt aus wird vielleicht mancher
lieber der in Angriff genommenen Reform durch
Novellengeſetzgebung zuſtimmen, wie ſie der Alt⸗
meiſter der öſterreichiſchen Jurisprudenz Joſef
Unger angeregt hat, und wie ſie gegenwärtig
im Herrenhauſe vorbereitet wird.
Veranlaſſen fo politiſche Gründe zum mög:
lichſten Konſervatismus bei der notwendigen
Reform, die man begreifen und in weitem Um⸗
fange auch billigen kann, jo iſt das juriftifche
Moment, das bei der Feier mehr denn einmal
in den Vordergrund trat, und gerade die Modern⸗
ſten für das alte Recht zu gewinnen geeignet war,
ein ganz eigenartiges.
Wieder gibt uns die Geſchichte des Geſetzes den
Fingerzeig. Der Codex Therefianus von 1767,
der erſte Entwurf zum Sa. war ein achtbän⸗
diges Werk geworden. Die Kaiſerin hat auf des
Fürſten Kaunitz Rat eine Reviſionsreſolution!“)
erlaſſen:
12 Solle das Geſäz⸗ und Lehr⸗Buch nicht mit
einander vermenget, mithin alles jenes, was nicht
in den Mund des Geſäzgebers, ſondern ad Cathe-
dram gehöret, als Definitionen, Divisionen, und
dergleichen aus dem Codice ausgelaſſen werden.
22 Solle alles in möglichſter Kürze, jo viel
es ohne undeutlich zu werden, geſchehen kann, ge⸗
faſſet, anbey ſich in kein allzu genaues detail, be⸗
ſonders, wo dieſes dem Geſäzgeber gleichgültig ſeyn
kann, eingelaßen, und die Casus rariores ent⸗
weder übergangen, oder unter allgemeinen Säzen
begrifen werden.
32 Alle Zweydeutigkeit und Undeutlichkeit ſolle
ſorgfältig vermieden werden. Doch iſt in betref
der Deutlichkeit die behörige Maaß zu halten, und
ſich unter dieſem Vorwande weder in unnüze Wieder⸗
holungen, noch auch alda in Erläuterungen einzu⸗
laßen, wo ohnehin bey einem vernünftigen Menſchen
kein Zweifel vorwalten kann.
4 In den Geſäzen ſelbſt ſolle ſich nicht an
die Römiſchen Rechte gebunden, ſondern überall die
natürliche Billigkeit zum Grunde geleget werden.
52 Die Geſäze ſollen, jo viel möglich simpli-
fizieret, daher ohne Noth nicht vermehret, noch
auch bei ſolchen Fällen, jo weſentlich einerley find,
wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität ver⸗
vielfältigt werden.
Dieſe Gedanken ſind leitend für das end—
liche Geſetz geblieben: „gute Lücken“ !), Ber:
meidung der Kaſuiſtik, Emanzipation von
9) Aehnliche Gedanken äußert Schauer, DIZ. 1911,
734
©.
10) Das Fakſimile diejer Reſolution vom 4. Auguſt
1772, dem der folgende Text nachgedruckt iſt, iſt eben⸗
falls dem 1. Teil der Feſtſchr. beigeſchloſſen.
11) Den ſchon vielfach nachgeſprochenen Terminus
prägt v. Schey, Ueber den redlichen und unredlichen Be⸗
jiper S. 9.
Zeitſchrift für Rechtspflege
ſklaviſchem Romanismus, Befolgung der Grund⸗
ſätze der natürlichen Billigkeit. Wie dieſe Leit⸗
ſätze im Geſetz ſelbſt verwertet worden, zeigen ein⸗
gehende und wertvolle Aufſätze des erſten Bandes
der Feſtſchrift: Wellſpacher!) hat den Ein:
fluß des Naturrechis aufs Geſetz, v. Koſchem⸗
bahr⸗Lyskowski!) das Verhältnis des Geſetz⸗
buchs zum römiſchen Recht, v. Schey das Pro⸗
blem Geſetzbuch und Richter behandelt). Liegt
nicht der Anlaß zur Feſtfreude vieler in dem, was
das Geſetz nicht ſagt? In ſeinen guten Lücken,
in den elaſtiſchen Normen, die dem freien Ermeſſen
des Richters ſoviel Spielraum bei Beurteilung des
einzelnen Falles laſſen, in der Möglichkeit nach
Prinzipien zu handeln, die man ehedem unter dem
Namen Naturrecht ſubſumierte, die man heute als
natürliche Billigkeit, geſundes Rechtsempfinden,
Rechtsgefühl des einfachen Mannes, oder wohl
auch — gelegentlich mit böſem Seitenblick auf
den Juriſten — als Selbſtverſtändlichkeiten des
geſunden Menſchenverſtandes uſw. uſw. anſieht?
Gewiß iſt das Geſetz, wie Klein in dem Ein⸗
leitungsartikel!“) zur Feſtſchrift beobachtet, ſeiner
Zeit mit ihren gebundenen wirtſchaftlichen Be⸗
ziehungen vorangeeilt, indem es das Zivilrecht
einer erſt im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts
gewordenen Geſellſchaft der freien Verkehrswirt⸗
ſchaft ſchuf, aber die Kunſt dieſer Schöpfung war
bedingt durch die Fernhaltung der Kaſuiſtik, durch
die oft geübte ars tacendi et ignorandi! Das
ABGB. iſt wahrhaftig kein Geſetz, das den Richter
beengte oder gar knebelte. Aber ſind die Vorteile,
die damit für den ſonſt wohl unerträglichen Zu⸗
ſtand der Herrſchaft eines Geſetzes von 1811 über
das Verkehrsleben von 1911 gegeben ſind, ſo
groß, um den Wunſch zu rechtfertigen, auf die
Dauer es bei dieſem Syſtem zu belaſſen? Sollen
auch die Reformen ſo ſein, daß ſie wieder ein
Jahrhundert währen können? Soll der neue
Einbau wiſſenſchaftliches oder volkstümliches Recht
bringen? Soll das Neue dem deutſchen BGB.
ſich auch in der Form nähern, oder ſoll man
möglichſt es vermeiden, die neuen Steine ſehen
zu laſſen, die anſtatt alter, die brüchig geworden,
in den Bau eingefügt werden?
Vieles wird noch Theorie und Praxis aus dem
Geſetze herausleſen lernen, was bisher verſchloſſen
war; der zweite Band der Feſtſchrift iſt dafür
lebendiger Beweis. Anderes aber kann nur der
Geſetzgeber wandeln. Es iſt in dieſer allgemeinen
Betrachtung nicht der Ort, auf Einzelnes einzu:
gehen!“): Die Reformvorſchläge find von berufenen
Lehrern und Praktikern des öſterreichiſchen Rechts
1) S. 173 ff.
19 S. 209 ff.
14) S. 499 ff.
15) Lebenskraft des bürgerlichen Geſeßbuches Bd. J
. 1
16) Vgl. dazu etwa die Zuſammenſtellung bei v.
Mayr, Oeſterr. Gerig. 1906, Nr. 17 — 20.
in Bayern. 1911. Nr. 13.
275
mit mitarbeitendem Intereſſe aufgenommen worden
und haben auch bei uns lebhaftes Intereſſe erweckt.
Das wenige aber, was hier geſagt wurde, mag
zeigen, wie ſchwer die Probleme ſind, die gerade
die öſterreichiſche Zivilrechtsreform zu bewältigen
hat: zu den allgemein⸗juriſtiſchen kommen hier die
beſonderen politiſchen Schwierigkeiten.
Der Wunſch und die Zuverſicht der deutſchen
Jurisprudenz aber, die in ſo reger Wechſelbeziehung
mit der öſterreichiſchen ſteht — ich darf nur an
das Strafrecht und die Prozeſſe erinnern, — iſt
es, daß auch hier das Werk ſo geſchaffen werde,
daß die Kraft des alten Habsburgerreichs erſtarke!
Als Auſtria vor zwei Jahren zum Schutze
ihres öffentlichen Rechts in der bosniſchen Kriſe
das Schwert aus der Scheide zog und in der
blinkenden Sonne prüfte, da war kein Roſtfleck
und keine Scharte am Schwert. Germania aber
ſtand mit blanker Wehr an der Seite der Schweſter
und die Feinde zogen grollend ab. Ihr wohl⸗
gefälliger Traum war dahin, daß Oeſterreich morſch
ſei und dem Zerfalle nahe.
Am 1. Juni 1911 wurde ein Feſt des privaten
Rechts gefeiert. In dem ſo oft ſturmdurchtobten
Abgeordnetenhauſe in Wien, in dem die Leiden⸗
ſchaften der Nationen ſo oft auf einanderprallten,
daß Altöſterreich in allen Fugen zu krachen be⸗
gann, in demſelben Saale ſaßen am Jahrhunderts⸗
tage eines echt öſterreichiſchen Werkes die Vertreter
aller Nationen und Parteien friedlich beiſammen,
um ein öſterreichiſches Feſt zu feiern. Dort, wo
ſo bittere Klagen über Gewalt laut geworden,
huldigten alle dem Recht und der Gerechtigkeit,
die nach der Griechen ſchönem Worte die „Gleich⸗
heit“ aller iſt.
Das Viribus unitis des greiſen Kaiſers hat
in dem Feſtakte einen ſinnfälligen Ausdruck er⸗
halten. Dem alten Geſetze ſelbſt aber kann kein
beſſerer Glückwunſch ins zweite Säkulum mitgegeben
werden, als daß es, die Fehler abſtoßend, die ihm
anhaften, in ſeiner verjüngten Geſtalt ein Hort
der Gerechtigkeit ſei, ius suum cuique tribuens!
Ri neuen bayeriſchen Vorſchriften über dns
Verfahren der zuſtizbehörden in Vegnadi⸗
gungs⸗ und Strafaufſchubsſachen.
Von J. Bleyer, II. Staatsanwalt in München.
Die Vorſchriften über das Verfahren der
Juſtizbehörden in Begnadigungs- und Strafauf—
ſchubsſachen waren bisher in einer großen Zahl
von Bekanntmachungen und Entſchließungen zer—
ſtreut. Ein Teil von ihnen war amtlich nicht
veröffentlicht oder ſchwer zugänglich. Den älteren
Entſchließungen lag das frühere bayeriſche Straf—
recht von 1813 oder 1861 zugrunde. Für die
276
Pfalz fehlte es häufig überhaupt an Anordnungen.
Die dort unter der Herrſchaft des franzöſiſchen
Strafrechts erlaſſenen Vorſchriften waren in Ver⸗
geſſenheit geraten; man half ſich meiſtens mit der
entſprechenden Anwendung der Vorſchriften für das
rechtsrheiniſche Bayern. Ein Hauptvorzug der
neuen Bekanntmachung vom 6. Mai 1911 (JM Bl.
S. 155) liegt deshalb im $ 33, der 22 Ent:
ſchließungen und Bekanntmachungen aus den
Jahren 1846 bis 1900 ausdrücklich aufhebt und
weiter beſtimmt, daß alle ſonſtigen Vorſchriften
über das Verfahren in Begnadigungs⸗ und Straf:
aufſchubsſachen, alſo beſonders die in generaliſierten
Entſchließungen enthaltenen, aufgehoben ſind, ſo⸗
weit nicht der 8 35 ſie aufrechterhält.
1
Materielles Begnadigungsrecht enthält die Be⸗
kanntmachung nicht. Sie regelt das Verfahren
in Begnadigungs- und Strafaufſchubsſachen, deren
Behandlung in den Geſchäftsbereich der Juſtiz⸗
behörden gehört (8 30). Das tft zunächſt der Fall
bei den von den ordentlichen Gerichten ausge⸗
ſprochenen Kriminalſtrafen. Die Vorſchriften
der Bekanntmachung finden aber auch entſpre⸗
chende Anwendung auf Begnadigungs- und Straf⸗
aufſchubsgeſuche „für Ordnungsſtrafen und andere
Strafen, die nicht Kriminalſtrafen find” (§ 30).
Vorausſetzung iſt, daß das Gericht, das die Strafe
ausſprach, unter der Dienſtaufſicht des Juſtiz—
miniſteriums ſteht und daß die Strafvollſtreckung
zur Geſchäftsaufgabe der Juſtizbehörden gehört.
Die Geſuche, für deren Behandlung die Juſtiz⸗
verwaltung nicht zuſtändig iſt, laſſen ſich nicht
aufzählen. Es gehören dazu Geſuche wegen Geld—
ſtrafen, die durch Strafbeſcheide der Verwaltungs—
behörden feſtgeſetzt ſind (§S 31), Geſuche wegen
Strafen, die ein Verwaltungsgericht oder ein Ge—
werbe⸗ oder ein Kaufmannsgericht feſtgeſetzt hat
(3. B. eine Strafe wegen Zeugenungehorſams),
Geſuche in Militärſtrafſachen (ſ. 8 10). Geſuche
wegen Ordnungsſtrafen des Verſicherungsrechts.“)
Zur Abgrenzung der Zuſtändigkeit der Juſtiz—
verwaltung und der Finanzverwaltung enthält
der § 32 einige grundſätzliche Anordnungen. Zu
den Geſuchen, die nicht die Juſtizbehörden, ſondern
die Finanzbehörden zu würdigen und zu behandeln
haben, gehören vor allem Geſuche um Zurück—
zahlung einer Geldſtrafe oder um Freigabe eines
eingezogenen Gegenſtandes oder um Erlaß, Min—
derung, Stundung der Gerichtskoſten. Wird
ein ſolches Geſuch bei einer Juſtizbehörde ein—
gereicht, ſo iſt es ohne vorbereitende Behandlung
an die Finanzbehörde, in der Regel an das Kent:
amt abzugeben. Iſt es mit einem Geſuche ver—
1) Selbſiverſtändlich beziehen ſich die Vorſchriften
nicht auf die Behandlung von Sachen, in denen das
Begnadigungsrecht überhaupt nicht der Krone Bayern
zuſteht. Das iſt insbeſondere wichtig bei der Anwendung
der Vorſchriſten des $ 12 der Bekanntmachung.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
bunden, über das die Juſtizbehörden entſcheiden,
ſo ſind die Akten nach der Erledigung des letzteren
Geſuchs der Finanzbehörde zu ſenden. Das gilt
auch dann, wenn eine Entſchließung des Juſtiz⸗
miniſteriums ergeht. Iſt z. B. in einer ſchöffen⸗
gerichtlichen Sache um Erlaß der Strafe und der
Koſten gebeten und wird das erſtere Geſuch durch
Entſchließung des Juſtizminiſteriums erledigt, ſo
hat der Amtsanwalt auch ohne beſonderen Auf:
trag dafür zu ſorgen, daß die Akten nach der
Eröffnung der Entſchließung dem Rentamte zur
Behandlung des Geſuchs um Koſtenerlaß zugehen.
Es empfiehlt ſich deshalb durch eine Vormerkung
in den Akten zu verhindern, daß die Verſendung
überjehen wird.
Nach der Bekanntmachung ſind alle Geſuche
um Freigabe eines eingezogenen Gegenſtandes an
die Finanzbehörden abzugeben. Es kommt nicht
darauf an, ob der Gegenſtand in der Verwahrung
des Gerichts oder des Rentamts iſt und ob er
überhaupt ſchon in ſtaatlicher Verwahrung (ſei
es durch vorausgehende Beſchlagnahme oder durch
nachfolgende Vollſtreckungshandlung) oder ob er
noch im Gewahrſam des Verurteilten oder eines
Dritten iſt.
Nach den Grundſätzen des § 32 iſt auch in
anderen dort nicht genannten Fällen zu prüfen,
welche Verwaltung für die Behandlung und Würdi⸗
gung eines Geſuchs zuſtändig iſt.
Bei Ordnungsſtrafen und anderen Strafen,
die nicht Kriminalſtrafen find, finden die Vor:
ſchriften der Bekanntmachung nur entſprechende
Anwendung (8 30). Es kommt dabei auf die
Umſtände des einzelnen Falles an, ob eine von
den allgemeinen Vorſchriften abweichende Behand:
lung geboten iſt. Iſt z. B. um Erlaß oder
Minderung einer Geldſtrafe gebeten. die ein
Richterdisziplinargericht ausgeſprochen hat, ſo liegt
die vorbereitende Behandlung dem Oberſtaats—
anwalte bei dem Oberlandesgericht ob, nicht zu:
nächſt dem landgerichtlichen Staatsanwalte. Denn
dieſer hat zwar für die Vollſtreckung der Geld:
ſtrafe zu ſorgen (Art. 64 Abſ. 2 RDG.), iſt aber
an dem disziplinargerichtlichen Verfahren ſonſt
nicht beteiligt.
II.
Die Aufnahme mündlicher Begnadigungsge—
ſuche iſt zunächſt Aufgabe des Gerichtsſchreibers
bei dem mit der Sache in erſter Inſtanz befaßten
Gerichte (§S 1). Es iſt dabei außer Zweifel ge—
tellt, daß in landgerichtlichen Sachen zunächſt die
landgerichtlichen Gerichtsſchreiber zuſtaͤndig find.
Wendet ſich der Bittſteller an den Amtsanwalt
oder Staatsanwalt, ſo darf ihn dieſer an die
Gerichtsſchreiberei verweiſen. Nur in dringenden
Fällen muß er, ſeine ſonſtige Zuſtaͤndigkeit in
der Sache vorausgeſetzt, das Geſuch aufnehmen.
In dritter Linie kann ſich der Geſuchſteller an
jede amtsgerichtliche Gerichtsſchreiberei wenden.
Die Vorſchrift, daß ſchriftliche Begnadigungs⸗
geſuche von einem Rechtsanwalt oder dem Ver⸗
teidiger zu verfaſſen find, iſt längſt ſtillſchweigend
außer Kraft getreten und nicht wiederholt. Eben⸗
ſowenig beſteht eine bindende Vorſchrift darüber,
wo ein ſchriſtliches Begnadigungsgeſuch einzureichen
iſt. In der Regel empfiehlt ſich die Einreichung
bei der für die vorbereitende Behandlung zuftän:
digen Behörde (S 3 Abſ. II) oder, wenn der
Geſuchſteller möglichſt ſchnell die Einſtellung der
Straſvollſtreckung herbeiführen möchte, bei der
Strafvollſtreckungsbehörde. Die unmittelbare Ein⸗
ſendung des Geſuchs an das Juſtizminiſterium iſt
zwecklos, weil das Geſuch zur Behandlung hinaus⸗
gegeben wird, wenn es nicht ſofort abgewieſen
wird. |
Auch darüber find Vorſchriften nicht erlaſſen,
wer zur Einreichung eines Begnadigungsgeſuches
legitimiert iſt. Grundſätzlich kann jedermann die
allerhöchſte Gnade anrufen, und es iſt ſtaatls⸗
rechtlich nicht ausgeſchloſſen, daß jemand gegen
ſeinen Willen begnadigt wird. Die Behörden
dürfen deshalb die Aufnahme und die Behandlung
von Begnadigungsgeſuchen nicht deshalb ablehnen,
weil nach ihrer Anſicht der Geſuchſteller kein be⸗
gründetes Intereſſe an der Begnadigung hat oder
weil der Verurteilte ſich dem Geſuche nicht an⸗
ſchließt. Ob der Geſuchſteller dann einen Beſcheid
bekommt, iſt eine Frage für ſich.
III.
Begnadigungsgeſuche haben wie bisher in der
Regel aufſchiebende Wirkung (3 2 Abſ. I). Wird
die Vollſtreckung einer Geldſtrafe eingeſtellt, ſo
erhält davon das Rentamt (oder der für die
Beitreibung der Strafe zuſtändige Gerichtsſchreiber)
Kenntnis. Der Mitteilung an das Rentamt be
darf es nicht, wenn die Einſtellung der Voll:
ſtreckung noch erfolgt, bevor das Rentamt erſucht
iſt die Geldſtrafe beizutreiben.
dafür zu ſorgen, daß die Strafe in das Einzugs—
regiſter vorläufig nicht aufgenommen wird.
Durch die Vorſchriften in 8 2 Abſ. II, III
ſind den Behörden die Mittel gegeben, mit denen
Es iſt dann aber
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
—
|
fie dem Mißbrauche des Begnadigungsgeſuchs
zur Verzögerung der Strafvollſtreckung wirkſamer
und entſchiedener als bisher entgegentreten können.
Dem Begnadigungsgeſuche iſt die aufſchiebende
Wirkung zu verſagen
1. wenn die ſofortige Vollſtreckung das Be:
gnadigungsrecht der Krone offenbar nicht
beeinträchtigt,
2. wenn das Geſuch offenbar ausſichtslos iſt
und nur die Vollſtreckung verſchleppen ſoll.
Ob die Vorausſetzungen für die ſofortige Ein—
leitung der Strafvollſtreckung vorliegen, entſcheidet
die Strafvollſtreckungsbehörde nach pflichtmäßigem
Ermeſſen. Sie kann zunächſt das Ergebnis der
Ermittlungen abwarten.
|
die vorbereitende Behandlung zuftändig find,
werden gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben,
daß die Vollſtreckung unverzüglich eingeleitet wird.
Dem Begnadigungsgeſuche ſoll ferner die auf⸗
ſchiebende Wirkung in der Regel verſagt werden,
wenn ſchon ein Begnadigungsgeſuch abgewieſen iſt.
Das gilt nicht nur für neue Geſuche gleichen In⸗
halts, ſondern auch für Geſuche anderen Inhalts.
Auch auf die Identität des Geſuchſtellers kommt
es nicht an. Hat z. B. der Verurteilte erfolglos
um Straferlaß gebeten, ſo kann er oder ein An⸗
gehöriger oder der Arbeitgeber die Vollſtreckung
durch ein Geſuch um Strafmilderung oder um Straf:
minderung in der Regel nicht weiter aufhalten.
Ob Anlaß beſteht, die Straſvollſtreckung ferner
einzuſtellen oder nicht, entſcheidet hier nicht die
Strafvollſtreckungsbehörde, ſondern in amtsgericht⸗
lichen und ſchöffengerichtlichen Sachen der Staats⸗
anwalt, ſonſt der Oberſtaatsanwalt. Die Straf⸗
vollſtreckungsbehörde wird deshalb, wenn nicht
ſchon unverzügliche Vollſtreckung angeordnet iſt,
auf ein neues Geſuch die Entſcheidung der zu⸗
ſtändigen Behörde abwarten und anfragen, wie
ſie ſich verhalten ſoll, wenn ſie keine Mitteilung
bekommt.
Die Abweiſung eines Begnadigungsgeſuchs
nimmt auch dem ſpäteren Geſuch um Bewilligung
einer Bewährungsfriſt die aufſchiebende Wirkung
(§ 9 Abſ. 3 der Bekanntmachung vom 14. Dezem⸗
ber 1903, JMBl. S. 285).
Es bedarf keiner beſonderen Erläuterung, daß
Begnadigungsgeſuche dem Juſtizminiſterium auch
vorzulegen ſind, wenn ihnen die aufſchiebende
Wirkung verſagt wurde.
Die Anordnungen der Bekanntmachung über
die Einſtellung der Strafvollſtreckung enthalten
Weiſungen des inneren Dienſtes über den Straf:
vollzug. Sie geben wie ſonſtige Verwaltungs⸗
vorſchriften ähnlichen Inhalts dem Verurteilten
ſelbſtverſtändlich kein Recht auf Verſchonung mit
der Strafvollſtreckung, das den ſtaatlichen Straf:
vollſtreckungsanſpruch zurzeit ausſchlöſſe. Der Ver⸗
urteilte kann deshalb aus der angeblichen Ver—
letzung der dienſtlichen Vorſchriften nicht „Einwen⸗
dungen gegen die Zuläſſigkeit der Strafvollſtreckung“
($ 490 StqpO.) ableiten. Das Gericht müßte
den Antrag als unzuläſſig zurückweiſen. Allenfalls
kann die Dienſtaufſicht angerufen werden (Art. 69 f.
AG. z. GWG.). Aus dem gleichen Grunde würde
auch, abgeſehen von anderen Erwägungen, die
fahrläſſige Nichtbeachtung der Vorſchriften durch
die beteiligten Beamten nicht den Tatbeſtand des
§ 345 Abſ. 2 StGB. erfüllen; ſie könnte aber
Anlaß zu dienſtaufſichtlichem oder dienſtſtrafrecht—
lichem Einſchreiten geben.
IV.
Begnadigungsgeſuche müſſen ſchleunig und
Die Behörden, die für | gründlich behandelt werden. Welche Ermittlungen
278
anzustellen find, beſtimmt ſich nach den Umſtänden
des Falles (S 4). Dieſer Vorſchriſt entſpricht es
nicht, wenn die Behörde ihre „Gründlichkeit“ da⸗
durch zu beweiſen ſucht, daß ſie über alle mög⸗
lichen nebenſächlichen Behauptungen des Geſuchs
eingehende Erhebungen veranlaßt. Feſtgeſtellt
werden ſoll, was nach der Art der ſtrafbaren
Handlung und dem Stande der Strafpollitredung
für die Entſchließung der Stelle, die über das
Geſuch entſcheidet, vorausſichtlich von Bedeutung
iſt. Beſonderes Gewicht iſt auch darauf zu legen,
daß mehrere Ermittlungen gleichzeitig, nicht nach⸗
einander verfügt werden. Freilich muß ſich dann
die Behörde von vornherein darüber klar werden,
was ſie ermitteln will. Es iſt ferner immer der
kürzeſte Weg zu wählen. Durchaus überflüſſig
iſt es, das Geſuch vor der Hinausgabe in der
Kanzlei abſchreiben zu laſſen und die Urſchrift
zurückzubehalten. Es genügt in dieſer Hinſicht,
daß für die Befolgung des § 4 Abſ. VI der
Bekanntmachung geſorgt wird.
Entſtehen durch die Behandlung des Geſuchs
Koſten, z. B. Koſten für ärztliche Unterſuchung,
jo trägt fie die Staatskaſſe ($ 4 Abſ. V). Daß
das Verfahren von Staatsgebühren frei tft, geht
aus Art. 234 Ziff. 12 GebG. in der Faſſung vom
13. Juli 1910 hervor.
Nicht ſelten ſagt der Geſuchſteller nicht mit
der erforderlichen Deutlichkeit, ob er ein Rechts⸗
mittel einlegen oder um Begnadigung bitten will.
Er muß dann gefragt werden, wie das Geſuch
aufgefaßt werden ſoll. Die Behörde wird ſich
aber davor hüten müſſen, dem Antragſteller (etwa
durch die Form der Frageſtellung) nahezulegen,
daß er ſein Geſuch als Begnadigungsbitte aus—
legt. Beſondere Vorſicht iſt dann geboten, wenn
die Rechtsmittelfriſt nicht abgelauſen iſt und der
Antragſteller noch dazu gegenüber dem gerichtlichen
Erkenntniſſe mit neuen Behauptungen hervortritt,
die die Sache in einem anderen Lichte zeigen
ſollen. Das iſt ſehr häufig im Strafbefehlsver—
fahren, wo oft nur eine knappe Strafanzeige vor:
liegt. Da die Begnadigung nur ausnahmsweiſe
eintreten kann und das Begnadigungsverfahren
nicht dazu beſtimmt iſt ein weiteres gerichtliches
Verfahren zu erſetzen, kann es kommen, daß die
Begnadigung abgelehnt werden muß, obwohl das
Rechtsmittel vielleicht Erfolg gehabt hätte. Die
Beteiligten glauben freilich mitunter, ihre Lage
beſſer zu geſtalten, wenn ſie um Gnade bitten,
als wenn ſie von ihren prozeſſualen Rechten
Gebrauch machen. Die Behörden ſollten dieſem
Irrtum entgegentreten, wo ſie ihm begegnen.
Ueber die Mitwirkung der Finanz
behörden im vorbereitenden Verfahren
enthält die Bekanntmachung Vorſchriften in den
SS 4 (Abſ. II, III) und 21 (Abſ. V, VI). Ob⸗
wohl bisher die Anhörung der Finanzbehörden
nur für die Behandlung von Stundungsgeſuchen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
und auch hier nur mit Einſchränkungen vorge⸗
ſchrieben war (JMBl. 1900 S. 299 unter J),
hatte ſich vielſach der Brauch gebildet, in allen
Fällen, in denen ſich das Geſuch auf eine Geld⸗
ſtrafe bezog, mochte ſie noch ſo klein ſein, ein
„Gutachten“ des Rentamts einzuholen. Das
Gutachten beſtand häufig darin, daß das Rentamt
die Akten „ohne Erinnerung“ zurückgab. Andere
Rentämter ſahen, oft von den Juſtizbehörden
dazu veranlaßt, ihre Aufgabe darin, ſich in kürzeren
oder längeren Ausführungen über die ſtraſbare
Handlung, die Angemeſſenheit der Strafe und die
Würdigkeit des Geſuchſtellers auszuſprechen. Die
Bekanntmachung ſchränkt die Mitwirkung der
Finanzbehörden auf das richtige Maß ein. Sie
find nach 8 4 Abſ. II in Begnadigungsſachen
nur ausnahmsweiſe zu hören und nur über
die Erwerbs⸗ und Vermögensverhältniſſe des
Verurteilten, wenn es nach dem Inhalte des
Geſuchs darauf ankommt und die ſonſtigen Er⸗
mittlungen (Vermögenszeugnis in den Akten,
Erhebungen der Vollzugsorgane u. a.) darüber
keinen genügenden Auſſchluß geben. Iſt um
Stundung (mit der Entrichtung von Teilzahlungen
oder ohne ſolche) gebeten, ſo wird das Rentamt
um Aeußerung nur erſucht, wenn es ſich um eine
„größere“ Geldſtrafe handelt ($ 21 Abſ. V). Die
Finanzbehörde ſoll hier Auskunft über die
Zahlungswilligkeit des Schuldners erteilen,
die ſich in der Regel daraus ergeben wird, wie
er ſeinen ſonſtigen Zahlungsverpflichtungen gegen⸗
über dem Staate nachkommt.
In Forſtſtrafſachen wird das Forſtamt immer,
das Rentamt nur unter den oben angegebenen
Vorausſetzungen gehört (ſ. $ 4 Abſ. III, 8 21
Abſ. VI). In Zoll- oder Steuerſachen iſt die
Zoll- oder Steuerbehörde ſtets zu hören (a. a. O.);
es wird die Behörde um Aeußerung zu erſuchen
ſein, die die fiskaliſchen Intereſſen im gericht—
V.
Bei der Berichterſtattung an das Staatsmini⸗
ſterium der Juſtiz (§ 5) iſt auf möglichſte Min⸗
derung des Schreibwerks zu ſehen. Die Form
der Berichterſtattung iſt verſchieden geblieben, je
nachdem es ſich um eine landgerichtliche (ſchwur—
gerichtliche) oder eine ſonſtige Begnadigungsſache
handelt. Die Gutachten der Amtsanwälte wurden
bisher teils in der Form von Randberichten er—
ſtattet, teils in der Form geſonderter Berichte.
Nach § 5 Abſ. II genügt in der Regel die Form
des Randberichts. Für landgerichtliche Sachen iſt
das Formblatt unverändert beibehalten, das ſeit
dem Jahre 1904 in Gebrauch iſt. Es iſt aber
ausdrücklich vorgeſchrieben, daß die Einträge in
bündiger Kürze zu halten ſind. Beſonders
die Spalte 4 (Inhalt und Begründung der Be—
gnadigungsbitte) kann oft mit einigen Schlagworten | Mitteilungen aus der Praxis.
kurz aber treffend ausgefüllt werden.
Znſtändigkeit für die Bewilligung der öffentlichen
VI. Zuſtellung notarieller Urkunden (ZPO. 88 794, 797,
N 204). Das Kammergericht hat durch Beſchluß vom
Die Eröffnung der Entſchließung (§ 6, ſ. auch 10. Januar 1908 ausgeſprochen, daß hierfür nicht das
8 25 Abſ. J) beſorgte in amts⸗ und ſchöffenge⸗ Vollſtreckungs⸗, ſondern das Prozeßgericht zuſtändig
richtlichen Sachen bisher häufig der Amtsanwalt, iſt KGGBl. 19 S. 29). Es fragt ſich nun, welches Ge⸗
obwohl eine ältere Entſchließung ſie dem Gericht richt hier das Prozeßgericht iſt. Bei Notariatsurkunden
aufgetragen hatte. Da ſie mit dem Betriebe der iſt ein Prozeßgericht nicht vorhanden: nn Stelle
Strafvollſtreckung enge zuſammenhängt, iſt ſie jetzt ** = Ne ae
der Strafvollſtreckungsbehörde übertragen. In Forſt⸗ | zeichnete Gericht. Wurde die Vollſtreckungsklauſel auf
ſtrafſachen iſt für Freiheitsſtrafen das Amtsgericht, Anordnung durch Urteil gemäß 8 797 Abſ. 5 oder
für Geldſtrafen das Rentamt Vollſtreckungsbehörde 8800 Abſ. 3 ZPO. erteilt, fo iſt das Gericht, das das
(Art. 179 Forft®.; Art. 86, 87 Pfalz. Forſt⸗ Urteil erlaſſen hat, als Prozeßgericht nach 8 204 auch
ſtraf G.), die Eröffnung ſoll aber immer durch das zuſtändig für die Bewilligung der öffentlichen Zuſtel⸗
Amtsgericht erfolgen. Die Art der Eröffnung iſt lung der Vollſtreckungsklauſel; dieſes Gericht muß
wie bisher dem Ermeſſen der eröffnenden Behörde auch als zuſtändig erachtet werden für die Bewilligung
überlaffen; fie kann die Entſchließung dem Be- der Öffentlichen Juſtellung des Schuldtitel jelbit, da
teiligten ſoweit fie für ihn beſtimmt ift, gegen dieſer mit der Vollſtreckungsklauſel für die Zwangs⸗
U 10 > ündli ( d t, geg vollſtreckung ein untrennbares Ganzes bildet (88 795,
nterſchrift mündlich eröffnen laſſen oder ihm eine 724 30.)
Abſchrift der Entſchließung zuſtellen, ſoweit ſie Soll nun aber ein notarielles Schuldbekenntnis
eröffnet wird, oder ihm in der Vorladung zum mit feiner — ohne Klageerhebung und urteilsmäßige
Strafantritt mitteilen, daß das Geſuch abgewieſen | Anordnung erteilten — Vollſtreckungsklauſel, oder eine
wurde. dieſer beiden Urkunden öffentlich zugeſtellt werden, ſo
iſt auch in dieſen Fällen für die Bewilligung der Zu⸗
ſtellung in entſprechender Anwendung der Vorſchriften
der 88 797 Abſ. 5 und 800 Abſ. 3 ZPO. das darin
beſtimmte Gericht zuſtändig (vgl. Gaupp⸗Stein ZPO.
8. und 9. Aufl. 8 797 Anm. V). Für die Zuſtändigkeit
dieſes Gerichtes haben ſich nunmehr — (wegen der
früheren Rechtsanſicht vgl. BayziR. 1907 S. 439) —
auch das Amtsgericht München und das Landgericht
München I ausgeſprochen (Beſchw.⸗Reg. Nr. 109/11).
Für die ſachliche Zuſtändigkeit iſt der Wert des An⸗
ſpruchs maßgebend, wegen deſſen ſeinerzeit die Zwangs⸗
voll ſtreckung erfolgen fol (GVG. 88 23, 70, Gaupp⸗
Stein a. a. O.). Es empfiehlt ſich im Geſuch um Be⸗
willigung der öffentlichen Zuſtellung einer Notariats⸗
urkunde die Höhe dieſes Wertes anzugeben. Das Ge—
ſuch ſelbſt iſt, wie ſich aus dem Vorſtehenden ergibt,
beim Vorhandenſein der Vorausſetzungen des 8 800
ZPO. beim Amts⸗ oder Landgerichte des belegenen
Grundſtücks zu ſtellen, im übrigen bei dem Amts⸗
oder Landgerichte, in deſſen Bezirk der letzte bekannte
Wohnſitz des Antraggegners ſich befand ($ 16 ZPO.),
oder in Ermangelung eines ſolchen Wohnſitzes bei
dem Amts⸗ oder Landgerichte, in deſſen Bezirk ſich
Vermögen des Antraggegners befindet (S8 797 Abſ. 5,
23 ZPO.)
VII.
Ueber die Aktenführung enthält der § 7 Bor:
ſchriften, die für Strafauſſchubsſachen durch § 25
Abſ. I ergänzt werden. Das Verfahren in Be⸗
gnadigungs- und Strafaufſchubsſachen iſt eine An⸗
gelegenheit der Juſtizverwaltung. Die Geſuche und
die Schriftſtücke, die ſich auf ſie beziehen, ſind des⸗
halb Akten der Juſtizverwaltung und als ſolche ge⸗
trennt von den gerichtlichen Akten über das Straf⸗
verfahren zu führen und aufzubewahren. Nur die
Schriftſtücke, die einen Strafaufſchub nach $ 487
StPO. betreffen, werden in die Gerichtsakten ein:
gelegt, denn in dieſer Hinſicht ſteht die Tätig⸗
keit der Strafvollſtreckungsbehörde unter der Prü⸗
fung der Gerichte (55 490, 494 StPO.).
VIII.
Geſuche um Aenderung des Strafortes ſind
je nach ihrem Inhalte Begnadigungsgeſuche oder
Vorſtellungen an die Juſtizverwaltung (ſ. § 9).
In der Hausordnung für die Gerichtsgefängniſſe
vom 3. Januar 1910 fehlt eine ausdrückliche An⸗
ordnung darüber, welche Behörde für den ein—
zelnen Fall eine Ausnahme von den Vor: 8 N z
ſchriften über die Einlieferungsbezirke der Gerichts: | gl 5 VV»i—́xß; 0 a
2 2 Or. 8
gefängniſſe zulaſſen kann. Für den Oberlandes⸗ weiſe erhoben werden? Die Bekanntmachung vom
gerichtsbezirk wird der Oberſtaatsanwalt und in 12. Auguſt 1910, den Vollzug des GKG. uſw. betr.
anderen Fällen das Juſtizminiſterium zuſtändig (JM Bl. 1910 S. 709, Fin Min Bl. 1910 S. 183), ord⸗
ſein (ſo auch Degen-Klimmer, Strafvoll- net in Ziff. I, 3 an, daß neben dem im Einzelfalle
ſtreckung S. 9). (Schluß folgt.) zu erhebenden Gebührenvorſchuſſe zugleich zehn vom
| : Hundert als Pauſchſatz für die von den Parteien nicht
zu erſetzenden baren Auslagen nach Maßgabe des 8 80 b
GKG. vorſchußweiſe zu erheben find. Dagegen wird
nun vielfach (ſ. auch Rittmann, GRG. 4. Aufl. Anm.
Amtsrichter Diemayr in München.
280
— — — —
11 und 12 zu 8 80 b) geltend gemacht, daß dem Ge⸗
richtskoſtengeſetze „Gebühr“ und „Gebührenvorſchuß“
verſchiedene, in geſonderten Abſchnitten behandelte Be⸗
griffe ſeien, der Pauſchſatz ſohin neben dem Gebühren⸗
vorſchuſſe vorſchußweiſe nicht erhoben werden könne,
daß vielmehr die Fälligkeit des Pauſchſatzes, der ſeinen
Charakter als Auslage beibehalte, gemäß 88 93 ff.
GKG. eintrete uſw. Dieſe auf den erſten Blick be⸗
ſtechenden Gründe dürften aber doch den Kern der
Sache nicht treffen. Der Pauſchſatz, ein Anhängſel
der Gebühr, entſteht erſt mit der Anſetzung der Ge⸗
bühr: an dieſe Gebühr iſt er der Höhe und Fälligkeit
nach gebunden. Gemäß 8 81 GKG. beträgt der Ge⸗
bührenvorſchuß ſoviel wie die böchſte Gebühr, welche
für einen Akt der Inſtanz angeſetzt werden kann. Es
darf alſo mit anderen Worten die jeweils zuläſſig
höchſte Gebühr der Inſtanz ſchon vor ihrer gemäß
58 93 ff. eintretenden Fälligkeit als Gebührenvorſchuß
angeſetzt werden. Wenn aber dieſe Gebühr angeſetzt
wird, fo hängt ſich ihr gemäß 8 80 b der Pauſchſatz
an, der „zehn vom Hundert der zum Anſatze gelan⸗
genden Gebühr“ beträgt. Aus welchem Grunde dieſe
Gebübr angeſetzt wird, ob in der Eigenſchaft als Vor⸗
ſchuß, Verhandlungs-, Beweis⸗ oder Entſcheidungs⸗
gebühr uſw., iſt für die Anwendung des 8 80d ohne
Belang. Es kann alſo auch ohne ausdrückliche, geſetz⸗
liche Anordnung neben dem Gebührenvorſchuſſe zu⸗
gleich der Pauſchſatz vorſchußweiſe erhoben werden.
Oberſekretär Reger in Nürnberg.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Der zur Verkündung der Entſcheidung über den
Zuſchlag anberaumte beſondere Termin ($ 87 Zw.)
darf uur aus wichtigen Gründen vertagt werden. Cs
darf dabei keine Nückſicht auf das Intereſſe des Schuldners
oder unbeteiligter Perſonen genommen werden. Jedoch
handelt der Beamte, der ohne genügenden Grund ver⸗
tagt, nicht unter allen Umſtänden fahr läſſig. Der Kläger
hatte am 20. Auguſt 1908 in dem Termin zur Zwangs—
verſteigerung des den H.jchen Minderjährigen gehörigen
Grundſtücks zu M. das Meiſtgebot mit 17700 M ab»
gegeben. Der Termin zur Verkündung der Entſcheidung
über den Zuſchlag war auf den 27. Auguſt anberaumt
worden. Der Beklagte verkündete jedoch in dieſem
Termin den Zuſchlag nicht, ſondern ſetzte einen neuen
Verkündungstermin auf den 3. September 1908 an.
In dieſem neuen Termine verſagte der Beklagte den
Zuſchlag, weil inzwiſchen der eine der beiden betreiben—
den Gläubiger den Verſteigerungsantrag zurückgenom—
men, der andere die einſtweilige Einſtellung des Ver—
fahrens beantragt hatte. Die Beſchwerde des Klägers
hatte keinen Erfolg. Der Kläger behauptet, daß das
Grundſtück einen Wert von mindeſtens 25 000 M Habe,
und beanſprucht die Erſtattung des ihm durch die
Verſagung des Zuſchlages entgangenen Gewinns in
Höhe von 7000 M. Das LG. hat den Klageantrag
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das OLG.
die Klage abgewieſen. Das OLG. nimmt an, daß der
Amtsrichter aus zweifachem Grunde zur Vertagung
des Verkündungstermines befugt geweſen ſei, erſtens
um zu prüfen, ob der Vormund der H.ſchen Minder—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
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— Yy+UiJ»n⁰ U. 9—Q09333G9969—Q2vNLfQ3—
jährigen — O. — in der Tat, wie er im Termin vom
27. Auguſt behauptete, zum Verſteigerungstermin nicht
ordnungsmäßig geladen ſei, ſodann um dem O., der
erklärte, daß er ſich bemühen wolle, vom Kläger die
Abtretung des Rechtes aus dem Meiſtgebot zu erlangen.
die Möglichkeit hierzu zu verſchaffen. Die Reviſion
hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Nach 8 87 Zw BG. iſt der
Beſchluß, durch welchen der Zuſchlag erteilt oder ver⸗
ſagt wird, in dem Verſteigerungstermin oder in einem
fofort zu beſtimmenden Termine zu verkünden. Das
Geſetz erwähnt die Möglichkeit einer Vertagung dieſes
letzteren Termins nicht. Dieſe Möglichkeit iſt gleich⸗
wohl nicht zu bezweifeln. Aber dieſe Vertagung darf
nur aus zwingenden Gründen, im weſentlichen nur
dann erfolgen, wenn die nachträgliche Vorbringung
neuer Tatſachen die Erhebung weiterer Beweiſe nötig
macht, deren ſofortige Erhebung nicht angeht, ſowie
dann, wenn die Beurteilung der neu vorgebrachten
Tatſachen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Denn
jede Vertagung gefährdet das Recht des Meiſtbietenden.
Im Gegenſatz zu $ 107 des Entwurfs I des Geſetzes,
welcher die Rücknahme des Verſteigerungsantrages
und die Bewilligung der einſtweiligen Einſtellung des
Verfahrens nur bis zum Schluſſe der im Verſteigerungs⸗
termine ſtattfindenden Verhandlung zuließ, läßt das
Geſetz — ſ. $ 33 — aus billiger Rückſichtnahme gegen
den Schuldner dieſe Maßregeln ſolange zu, als ſie
noch möglich find, d. h. bis zur Verkündung des Zus
ſchlages. Durch jede Hinausſchiebung des Verkündungs⸗
termines wird daher dem Schuldner eine neue Friſt
gegeben, um den Zuſchlag durch Befriedigung oder
ſonſtige Einwirkung auf die Gläubiger zu verhindern
und damit das Recht des Meiſtbietenden zu vereiteln.
Der Meiſtbietende aber hat nach $ 81 ein Recht auf
die Erteilung des Zuſchlages unter den geſetzlichen
Vorausſetzungen. Auf das Beſtehen dieſes Rechtes
muß der Verſteigerungsrichter Rückſicht nehmen; er
muß bei einer Vertagung ſich gegenwärtig halten,
daß ſie das Recht des Meiſtbietenden gefährden kann.
Dies erfordert nicht nur die Rückſichtnahme auf den
Meiſtbietenden ſelbſt, ſondern auch die auf die Gläu⸗
biger und Schuldner im allgemeinen. Denn die Hint⸗
anſetzung der Rechte des Meiſtbietenden muß die
Neigung zum Mitbieten vermindern und ſo das Er—
gebnis der Verſteigerungen ungünſtig beeinflußen.
Darnach iſt es unzuläſſig, den Verkündungstermin
zu vertagen, um die Ordnungsmäßigkeit der Ladung
eines Beteiligten aus den Akten feſtzuſtellen. Ob die
Ladungen und Zuſtellungen, welche dem Verſteigerungs—
termin vorausgehen müſſen, ordnungsmäßig erfolgt
ſind, hat der Richter ſelbſtverſtändlich rechtzeitig vor
dieſem Termin zu prüfen (ſ. § 43). Werden gleichwohl
nachträglich Bedenken erhoben, fo iſt der Richter ver:
pflichtet die erforderliche Feſtſtellung ſofort vorzu—
nehmen. Ebenſowenig aber iſt der Verſteigerungs—
richter berechtigt den Verkündungstermin im Intereſſe
des Schuldners oder dritter Perſonen zu vertagen.
Das erſtere würde auf die Bewilligung einer Zahlungs-
friſt für den Schuldner hinauslaufen, das letztere
würde nicht minder jeder Berechtigung ermangeln.
Das Berufungsgericht ſucht ſeine Annahme, daß der
Beklagte die Verkündung habe ausſetzen dürfen um
dem Vormund den Erwerb der Rechte aus dem Meiſt—
gebot zu ermöglichen, damit zu begründen, daß der
Zeuge B., „der zwar kein Bevollmächtigter des Klägers
war“, aber doch „mit der Angelegenheit zu tun hatte
und die Abſichten des Klägers kannte“, im Einver—
ſtändnis des Klägers die Abtretung „als möglich“
bezeichnete, daß der Richter auch um ſo eher annehmen
konnte, daß es dem Vormund gelingen werde mit
dem Kläger über die Abtretung der Rechte einig zu
werden, als ſich der Vormund zu einem erheblichen
Geldopfer bereit erklärt hatte um die Erteilung des
Zuſchlags zu verhindern. Das Berufungsgericht führt
— — —— —
ferner aus, es ſei nicht dargetan, daß der Amtsrichter
mit der Möglichkeit eines das Meiſtgebot weſentlich
überſteigenden Wertes des Hauſes hätte rechnen müſſen.
Er beſtreite, daß das Haus einen höheren Wert gehabt
habe, und die Behauptung des Vormundes ſei gewiß
kaum geeignet geweſen ſeine Meinung zu erſchüttern.
Beide Erwägungen des Berufungsgerichts gehen
fehl. Der Amtsrichter hat zwar im Prozeß beſtritten,
daß der Wert des Grundſtücks den Betrag des Meiſt⸗
gebots überſteige, keineswegs aber behauptet, daß er
in dem Termine vom 27. Auguſt 1908 irgend welche
eigene Kenntnis über den Wert des Grundſtücks gehabt
habe. Mangels ſolcher eigenen zuverläſſigen Kenntnis
aber mußte der Amtsrichter von vornherein mit der
Möglichkeit rechnen, daß das Meiſtgebot den Wert des
Grundſtücks nicht decke. Völlig unbegreiflich und un⸗
verantwortlich aber wäre es geweſen, wenn der Amts⸗
richter trotz der poſitiven Mitteilung des geſetzlichen
Vertreters des Schuldners, daß der Grundſtückswert
ein weſentlich höherer ſei, und trotz der Bereitwillig⸗
keit dieſes geſetzlichen Vertreters zur Abwendung des
Zuſchlags erhebliche Geldopfer zu bringen, mit dieſer
Möglichkeit nicht gerechnet hätte. Mit dem Einver⸗
ſtändnis des Klägers aber durfte der Beamte nur
rechnen, wenn es der Kläger ſelbſt oder ſein mit Voll⸗
macht verſehener Vertreter erklärt hätte. Auf bloße
Möglichkeiten darf der Verſteigerungsrichter keine
Rückſicht nehmen. Er muß, wie die Motive zu 8 113
Entwurfs I (entſprechend dem 8 81) Seite 226/227
ſagen, auf das Meiſtgebot den Zuſchlag erteilen, wenn
kein geſetzlicher Grund zur Ablehnung vorhanden iſt.
Er darf daher die Erteilung des Zuſchlages auch nicht
hinausſchieben und damit gefährden, weil ſich mög⸗
licherweiſe in den Vorausſetzungen für die Erteilung
des Zuſchlages etwas ändern könnte. Eine ſtrenge
Handhabung der Vorſchriften ift für den Verſteigerungs⸗
richter unbedingt geboten, auch um nur den Schein
der Willkür oder der Begünſtigung des einen oder
anderen Beteiligten zu vermeiden.
Darnach war die Vertagung der Verkündung,
welche der Richter in dem Termin vom 27. Auguſt
1908 anordnete, objektiv ungerechtfertigt. Gleichwohl
iſt der Reviſion der Erfolg zu verſagen. Während
die Kommentare zu dem Zw. darin übereinſtimmen,
daß eine weitere Vertagung des beſonderen in 8 87
vorgeſehenen Verkündungstermines zuläſſig iſt, ſprechen
ſie pl darüber nicht in beſtimmter Weiſe aus, unter
welchen Vorausſetzungen eine ſolche Vertagung ſtatt⸗
haft iſt. Ebenſowenig lag bisher eine Entſcheidung
höherer Gerichtshöfe vor, welche ſich hierüber aus—
ſpräche und welche insbeſondere mit Entſchiedenheit
die Notwendigkeit hervorhöbe, bei der Entſcheidung
über die Vertagung auf die Möglichkeit einer Gefähr—
dung des Rechtes des Meiſtbietenden Rückſicht zu
nehmen. Das Geſetz ſelbſt enthält keinen klaren und
unzweifelhaften Ausſpruch. Die Vertagung des in
§ 310 ZPO. vorgeſehenen beſonderen Termins zur
Urteilsverkündung erfolgt nicht ſelten aus bloßen
Zweckmäßigkeitsgründen; aus dieſem Paragraphen iſt
die einwöchige Friſt des 8 87 Abſ. 2 S. 1 ZwVG.
entnommen Iſt es bei der Verſchiedenheit der beiden,
in § 310 3PO. und 8 87 Zw G. geregelten Fälle
auch nicht gerechtfertigt, die Befugnis zur Vertagung
in gleicher Weiſe zu handhaben, ſo wird doch das
Verfahren des Amtsrichters auch hierdurch entſchuldigt.
Erwägt man ferner, daß das Berufungsgericht in
vorbereiteter und überlegter Entſcheidung die vor—
liegenden Umſtände für ausreichend erachtet hat die
Vertagung des Verkündungstermins objektiv zu recht—
fertigen, ſo wird gegen den Amtsrichter, der einen
ſchnellen Entſchluß faſſen mußte, und der befürchten
mußte, daß durch die ſofortige Verkündung des Zu—
ſchlages den minderjährigen Schuldnern, über die er
eine gewiſſe Obhut auszuüben hatte, da er gleichzeitig
Zeitſchrift für Re Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 13.
Vormundſchaftsrichter war, ein unwiederbringlicher
Berluft erwüchſe, der Vorwurf eines Verſchuldens,
insbeſondere der Fahrläſſigkeit, nicht mit Grund er⸗
hoben werden können. (Urt. des III. ZS. vom
25. April 1911, III 330/10). — — n.
2284
II.
Haftung des Nechtsanwalts, wenn er es verſäumt
in einem Fre töftreite rechtzeitig einen 1 zu er⸗
heben. wieweit darf er ſich auf die von ſeinem
Perſonal 5 Jae verlaſſen, in⸗
wieweit iſt er verpflichtet den Sachverhalt ſelbſt genauer
. erforſchen? Mitverſchulden der Partei, die den
echtsauwalt ungenügend unterrichtet hat. Der Kläger
iſt in einem von dem Landwirt G. gegen ihn geführten
Vorprozeſſe auf Leiſtung von Schadenserſatz wegen
fahrläſſiger Körperverletzung innerhalb eines landwirt⸗
ſchaftlichen Betriebes unterlegen. Da er ſelbſt der
Unternehmer dieſes Unfallsbetriebes war, ſo wäre er
gemäß 8 146 Abf. 1 LF Verſc. (Faſſung vom 5. Juli
1900 RGBl. S. 573) nicht unterlegen, wenn dieſe
Tatſache rechtzeitig geltend gemacht worden wäre.
Mit der Klage nimmt er jetzt den Beklagten als ſeinen
Rechtsbeiſtand 1. Inſtanz auf Erſatz des durch den
Prozeßverluſt entſtandenen Schadens in Anſpruch, weil
dieſer ſchuldhaft verſäumt habe den erwähnten Ein⸗
wand zu erheben. Das LG. hat den Anſpruch feinem
Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; das Berufungs⸗
gericht hat den Anſpruch zur Hälfte unbedingt abge—
wieſen, weil inſoweit eigenes Verſchulden des Klägers
vorliege, und die Zuerkennung der anderen Hälfte
von dem eidlichen Nachweis der Tatſache abhängig
gemacht, daß der Kläger dem Beklagten von ſeiner
Eigenſchaft als Betriebsunternehmer Mitteilung ges
macht habe. Die Reviſion des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Ein ſchuldhaftes Verhalten
des Beklagten iſt auch gegeben, wenn der Kläger weder
dem Beklagten noch deſſen Bureauvorſtand eine aus—
drückliche Mitteilung darüber gemacht hat, daß er der
Unternehmer des Unfallbetriebes geweſen ſei. Die
Klageſchrift des Vorprozeſſes gab dem Beklagten Kunde
davon, daß G. wegen des Unfalls von der Berufs⸗
genoſſenſchaft W. eine Rente erhalte, daß ſich alſo der
Unfall in einem den Unfallverſicherungsgeſetzen unter—
liegenden Betriebe zugetragen habe. Schon deshalb
hätte der Beklagte ſich mit den Wirkungen des er—
wähnten Geſetzes auf die Entſchädigungspflicht des
Klägers befaſſen ſollen. Denn wenn letzterer auch nur
Dritter im Sinne des $ 151 a. a. O. geweſen wäre,
ſo wären doch gemäß dieſer Bestimmung die Anſprüche
des G. gegen den jetzigen Kläger auf die Berufsge—
noſſenſchaft im Umfang ihrer durch das UBeri®. be—
gründeten Entſchädigungspflicht übergegangen; inſo—
weit hätte alſo dem G. die Aktivlegitimation zur Klage
gefehlt. Weiterhin war der Klagſchrift des Vorprozeſſes
in Verbindung mit dem Brief des Rechtsanwalts S.
zwar die — objektiv unrichtige — Behauptung zu
entnehmen, daß nicht der jetzige Kläger Unternehmer
des Unfallbetriebs geweſen ſei, ſondern deſſen Vater,
andererſeits aber auch die Tatſache, daß der jetzige
Kläger, nicht aber auch deſſen Vater, bei der Holzab—
fuhr, bei der der Unfall ſich ereignete, neben anderen
Arbeitern beteiligt war. Hiernach war die Möglich—
keit, ja die Wahrſcheinlichkeit gegeben, daß der jetzige
Kläger, auch wenn er nicht ſelbſt Betriebsunternehmer
war, in Abweſenheit ſeines Vaters namentlich auch
bei ſeinem Beruf als Forſtauſſeher der Betriebs- oder
Arbeiteraufſeher des Unfallbetriebes geweſen ſei; in
dieſem Falle wäre aber nach § 146 Abſ. I gleichfalls
ſeine Haftung für den Unfall ausgeſchloſſen geweſen.
Wenn alſo der Beklagte als gewiſſenhafter Anwalt
handeln wollte, mußte er behufs wirkſamer Durch—
führung der Vertretung des Klägers die Möglichkeit
— — DL ml ü⁴ri ̃— —
des Einwands aus dem UBerfG. ins Auge faſſen
und die Stellung des Klägers in dem Unfallbetriebe
näher erforſchen. Daß der Beklagte dieſe Beſtimmungen
gekannt habe, hat er zugeſtanden; ihre Unkenntnis
würde ihn auch bei ihrer Wichtigkeit nicht von dem
Vorwurf des Verſchuldens befreien können. Trotz
dieſer Sachlage hat aber der Beklagte den Einwand
nicht vorgebracht und keine Schritte zur näheren Auf-
klärung der in der Klagſchrift des Vorprozeſſes recht
undeutlich gelaſſenen Stellung getan, die der jetzige
Kläger in dem Unfallsbetriebe einnahm. Er hat ſich
mit der Information begnügt, die ſein Bureauvorſtand
bei dem erſten Erſcheinen des Beklagten des Vor⸗
prozeſſes von dieſem entgegengenommen hatte und die
darin beſtand, daß dieſer neben den betreffenden Satz
der Klagſchrift ein: „Ja“ ſetzte. Mit dieſem Verhalten
hat der Beklagte feine Anwaltspflichten fahrläſſig ver⸗
letzt. Zu dieſen Pflichten gehört es die Partei auf
Grund der eigenen Rechtskenntniſſe auf das Beſte zu
beraten und die für eine wirkſame Vertretung geeig⸗
neten Schritte zu tun. Vornehmlich hierin liegt die
Aufgabe des beratenden Rechtsbeiſtands und zu dieſem
Zwecke wird ſeine Hilfe von der rechtskundigen Partei
in Anſpruch genommen. In Haftpflichtſachen, bei
denen die Reichsunfallverſicherungsgeſetze eingreifen,
iſt der fragliche Einwand eine beſonders ſichere und
wirkſame Verteidigung. Angeſichts der ihm gegebenen
Fingerzeige mußte der Beklagte erforſchen, ob ſich
nicht eine tatſächliche Unterlage für den Einwand er⸗
gebe. Er durfte nicht ohne weiteres die Richtigkeit
der Klagtatſachen unterſtellen, auch nicht die Initiative
der Partei abwarten und ſich auf die Genauigkeit der
äußerlich knappen Information des Bureauvorſtands
verlaſſen; denn bei beiden konnte er nicht die Kenntnis
des rechtlichen Einwands und den Blick für die zur
Begründung erheblichen Tatſachen vorausſetzen. Für
ein Verſehen ſeines Bureauvorſtands trifft ihn die
Verantwortlichkeit. Der Beklagte war zu eigener
ſelbſtändiger ſachverſtändiger Prüfung der Rechtslage
verpflichtet. Hätte er dieſe ſo angeſtellt, wie ſie von
einem gewiſſenhaften Anwalt zu erwarten iſt, ſo wäre
ihm der Einwand bei der Sachlage nicht entgangen
und er hätte dann den Kläger ſelbſt darüber gehört,
in welchem Verhältnis er zu dem Unfallsbetrieb ge—
ſtanden habe. Kein Zweifel beſteht aber darüber, daß
der Kläger, der ja ſelbſt als Betriebsunternehmer die
Unfallsanzeige ſchon 3 Tage nach dem Unfall an die
Berufsgenoſſenſchaft erſtattet hat, ihm eine vollitändig
klare Auskunſt erteilt hätte.
Ein eigenes Verſchulden des Klägers iſt zu ver—
neinen. Freilich hat auch die Partei die Pflicht den
Anwalt möglichſt gut zu inſtruieren und ihm alle er—
heblichen Tatſachen mitzuteilen, aber innerhalb der
Schranken der eigenen Denkweiſe, Fähigkeiten und
Rechiskenntniſſe. Vom Kläger war aber die Kenntnis
der ihm günſtigen Geſetzesbeſtimmung auch nicht nach
ihrem Grundinhalte zu erwarten; es kann ihn deshalb
nicht der Vorwurf treffen, daß er die für den Einwand
erheblichen Tatſachen nicht von ſelbſt dem Beklagten
mitgeteilt habe. Auch gereicht es ihm nicht zum Ver—
ſchulden, daß er die falſche Darſtellung des Urteils
über die Unternehmereigenſchaft ſeines Vaters dem
Beklagten gegenüber nicht berichtigt hat, da ihm eben
die Erheblichkeit dieſes Umſtandes nicht bekannt war.
Daraus, daß der Kläger im nunmehrigen Prozeſſe be—
hauptet hat, daß er dem Beklagten Aufſchluß über die
eigene Unternehmereigenſchaft gegeben habe, läßt ſich
ein gegenteiliger Schluß nicht ableiten. Endlich ge—
ſtattet auch die bloße-Tatſache der Anweſenheit des
Klägers in den Verhandlungen des Vorprozeſſes nicht
die Folgerung, daß er die Erheblichkeit der Tatum—
ſtände erkannt und ſie ſchuldhaft nicht aufgeklärt habe.
(Urt. des III. ZS. vom 4. April 1911, III 100 10).
2270 .
dern für Rehtapfege In Waperm. t Nr 1.
|
III.
Wirkung des Vergleichs mit einem Geſamtſchuldner
für die übrigen Schuldner. (66 422—125 BGB.).
Am 10. Juni 1905 haben ſich die Parteien nach wechſel⸗
ſeitigen Beleidigungen mit Peitſchen geſchlagen; im
Anſchluß hieran hat der Agent Fr. mit der Krücke ſeines
Spazierſtocks mehrere Male auf den Kläger einge:
ſchlagen, ſo daß dieſer blutende Kopfwunden erlitt.
Wegen der Folgen der Verletzungen hat der Kläger
gemäß 88 823, 830, 842, 843 BGB. im gegenwärtigen
Rechtsſtreite vom Beklagten und von F. Schadenserſatz
efordert. Während der Rechtsſtreit in der erſten
Inſtanz ſchwebte, hat der Kläger die Klage gegen F.
infolge eines mit F. geſchloſſenen außergerichtlichen
Vergleichs zurückgenommen, in dem ſich zur
Zahlung von 10500 M an den Kläger verpflichtete und
dieſer anerkannte weitere Anſprüche nicht zu haben.
Das Berufungsgericht hat den Klageanſpruch in Höhe
von 60 v. H. dem Grunde nach für gerechtfertigt er⸗
klärt. Es läßt dahingeſtellt, ob der dem Kläger zu—
gefügte Schaden nur auf die von F. verübte Mißhand—
lung oder auch auf die Peitſchenhiebe des Beklagten
zurückzuführen iſt, da der Beklagte auch für jene als
Gehilſe des Fr. nach BGB. 8 830 Abſ. 2 hafte. Auf
den zwiſchen dem Kläger und Fr. A en Vergleich
könne ſich der Beklagte nach BGB. § 123 nur berufen,
wenn jene das ganze Schuldverhältnis hätten aufheben
wollen; für das Vorhandenſein eines ſolchen Willens
habe aber die Beweisaufnahme ebenſowenig etwas
ergeben, wie dafür, daß der Kläger befriedigt worden
ſei. Die Reviſion blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Die Reviſion führt aus, § 423
ſei hier überhaupt nicht anwendbar, da ein, Erlaß“ nicht
vorliege, vielmehr ſei die auch der Höhe nach beſtrittene
Klageforderung im Vergleichswege auf 10 500 M feſt⸗
eſetzt worden. Da der Kläger jetzt jedenfalls dem
8. gegenüber ſeinen Anſpruch nicht mehr aus der un—
erlaubten Handlung, ſondern nur aus dem Vergleiche
herleiten könne, habe er von F. an Erfüllungsſtatt
das Verſprechen ſtatt der Zahlung von 10 500 M ans
genommen; die Leiſtung an Erfüllungsſtatt wirke aber
objektiv für alle Schuldner. Außerdem hätte unter—
ſucht werden müſſen, ob nicht ſchon aus konkludenten
Handlungen ſich die Abſicht der Aufhebung des Schuld—
verhältniſſes ergebe. Dafür käme in Betracht, daß
der Kläger den F. nicht befreien könne, ohne auch den
als Mittäter in Anſpruch genommenen Beklagten zu
entlaſſen; denn ſonſt hätte F. nach SS 426, 840 BGB.
dem Beklagten doch die Hälfte des ganzen Schadens
zu erſetzen, käme alſo nicht billiger fort, als ohne den
Vergleich.
Von dieſen Ausführungen iſt ſoviel richtig,
daß nicht eigentlich ein Erlaß vorliegt, ſondern ein
Vergleich; damit ergibt ſich einerſeits die Nichtanwend—
barkeit des 8 423; andererſeits die Anwendbarkeit des
8 425 BGB., wonach andere als die in 88 422 — 424
bezeichneten Tatſachen nur für und gegen den Geſamt—
ſchuldner wirken, in deſſen Perſon ſie eintreten. Im
übrigen gehen jene Ausführungen durchaus fehl. Von
einer Leiſtung an Erfüllungs Statt kann keine Rede ſein;
ebenſowenig hat nach den Feſtſtellungen des Berufungs—
gerichts Fr. auch nur teilweiſe erfüllt. Konkludente
Handlungen, aus denen ſich der übereinſtimmende
Wille des Klägers und des F. ergäbe das ganze
Schuldverhältnis aufzuheben, hat der Beklagte nicht
behauptet. Eine ſolche Willensrichtung muß aber —
auch im Falle des § 423 — nachweiſen, wer die
Wirkung des Rechtsgeſchäfts über die Perſonen der
Kontrahenten hinaus für feine Perſon in Anſpruch
nimmt. Iſt eine ſolche Willensrichtung nicht vor—
handen und liegt auch keine der in SS 422-424 be:
zeichneten Tatſachen vor, ſo bleibt das Rechtsverhältnis
zwiſchen dem Gläubiger und den übrigen Geſamt—
ſchuldnern nach 3 425 völlig unberührt, und wenn
daraus weiter ſich ergibt, daß auch an dem zum Re⸗
greß berechtigenden Verhältnis der Geſamtſchuldner
untereinander nichts geändert wird, ſo läßt ſich doch
dieſer Umſtand nicht für die Annahme jener Willens—
richtung verwerten, da hierdurch ſonſt einer Tatſache,
der das Geſetz eine das ganze Schuldverhältnis auf⸗
hebende Wirkung verſagt, eine ſolche Wirkung in allen
Fällen eingeräumt werden würde. (Urt. des VI. 38.
vom 1. April 1911, VI 256/10). — — · n.
2286
IV.
5 539 BB. ſchließt Deliktsanſprüche nicht ſchlecht⸗
hin aus. Aus den Gründen: Das Verufungs⸗
gericht nimmt an, daß die vertragliche Haftung des Be⸗
klagten nach 8 539 BGB. ausgeſchloſſen ſei. Die Reviſion
ſtimmt dem ausdrücklich zu, glaubt aber hieraus auch
den Ausſchluß jedes Deliktsanſpruchs ohne weiteres fol⸗
gern zu können. Dem konnte nicht beigetreten werden.
Richtig iſt, daß der aus dem Mietvertrag nach 8 538
erwachſene, im vorliegenden Fall vom Kläger zufolge
des 8 539 verwirkte Schadenserſatzanſpruch — wegen
Nichterfüllung — auf nichts anderes gerichtet iſt, als
der deliktiſche Schadenserſatzanſpruch: auf Erſatz des
durch die Mangelhaftigkeit der Sache erlittenen
Schadens. Deſſen ungeachtet kann nicht daraus, daß
für das Mietverhältnis § 539 eingreift, geſchloſſen
werden, auch der deliktiſche Schadenserſatzanſpruch
könne zufolge des dort geſetzlich unterſtellten Verzichts
nicht mehr geltend gemacht werden. Die deliktiſche
Haftung des Beklagten, wie fie von der Klage bean-
ſprucht, vom angefochtenen Urteil angenommen iſt,
beruht auf dem vom Reichsgericht vielfach ausge—
ſprochenen Rechtsſatz, daß, wer einen Verkehr au
ſeinem Grundſtück eröffnet, auch für Gefahrloſigkeit
des Verkehrs zu ſorgen hat und daß mangelhafte Er⸗
füllung dieſer Pflicht Schadenserſatzpflicht gemäß 8 823
BGB. nach ſich zieht. Dieſe Verletzung einer Verkehrs-
pflicht, die jedem gegenüber beſteht, iſt und bleibt
widerrechtlich auch dann, wenn, was dahingeſtellt
bleiben kann (Staudinger, BGB. 8 539 Bem. II), die
Verletzung des zwiſchen den Parteien beſtehenden
Mietverhältniſſes, — das aus dem Mangel der Miet⸗
ſache entſtehende Mißverhältnis der beiderſeitigen
Vertragsleiſtungen — es nicht mehr wäre. Der An—
ſpruch auf Verkehrsſicherheit ſteht unter anderen Vor—
ausſetzungen als die Mieteranſprüche und hat andere
rechtliche Grundlagen. Soweit dem Beklagten die
Verletzung von Verkehrspflichten zur Laſt gelegt wird,
kommt der Kläger nicht als Mieter, ſondern ſchlechthin
als Angehöriger des Publikums in Betracht, für deſſen
1 1 15 die Treppe beſtimmt iſt; gerade er als Haus:
bewohner iſt zu dieſem Verkehr in beſonders großem
Umfang genötigt. Seine aus dem allgemeinen An—
ſpruch auf Verkehrsſicherheit entfließende Rechtsſtellung
iſt geſchieden von der als Mieter: er kann aus jener
darnach noch Anſprüche beſitzen, die er nach Maßgabe
des Mietverhältniſſes verloren hat. So begründet
das ſchuldhaft verkehrswidrige Verhalten des Be—
klagten auf der Grundlage allgemeiner Rechtswidrig—
keit einen Anſpruch auf Schadenserſatz, zu dem der
Beklagte lediglich als Vermieter aus dem Mietvertrag
nicht verpflichtet wäre. (Urt. des VI. 35. vom
21. April 1911, VI 143/10). — — n.
2285
V.
„Gehört die Erteilung von Auskunft über die Kredit:
würdigleit eines Kunden ju den gewerblichen Pflichten
eines Bankhauſes? Haftet das Bankhaus hiernach
gemäß 8 831 oder § 30 BGB. für den Schaden, den
einer der Angeſtellten bei der Erteilung einer ſolchen
Auskunft anrichtet? Bedeutung des Umſtandes, daß
der Augeſtellte nur Geſamtprokura hatte. Haftet der
|
= Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
283
Angeſtellte ſelbſt nur dann nach 5 826 BEB., wenn er
die Auskunft wider beſſeres Wiſſen erteilt hat? Beweis
ſeines guten Glaudens. Die Klägerin hat der Firma
M. in H. am 2. Mai 1907 durch Vermittelung ihres
Agenten W. Weizen geliefert. Wegen Eingehung weiterer
Geſchäfte erkundigte ſich W. auf Veranlaſſung der
Klägerin am 13. Mai 1909 bei der Zweigniederlaſſung
der beklagten Bank zu H., dem Bankhaus der Firma
M., nach ihrer Kreditwürdigkeit. W. erklärte dem
Beklagten H, der mit dem Kaufmann Kn. Vorſteher
der Zweigniederlaſſung war und mit ihm Geſamt⸗
prokura hatte: er komme im Auftrag feiner Firma;
es handle ſich um einen Kredit bis zu 30 000 M, in
letzter Zeit liefen in H. ungünſtige Gerüchte über die
Firma um. Der Beklagte H. erwiderte: „In H. werde
viel geſprochen; die Firma habe nach ihrer letzten
Bilanz noch ein Vermögen von 400 000 M, die Grund⸗
ſtücke ſeien mäßig belaſtet; das Geſchäft ſei gut und
flott, W. kenne es ja auch; er wüßte nicht, aus welchen
Gründen man das Geſchäft nicht machen ſollte.“
Hierauf verkaufte W. für die Klägerin der Firma M.
Donauroggen für 14850 M gegen Zweimonatsakzept.
Am 23. Juli 1907 wurde über das Vermögen der
Firma M. das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin
hat mit der Behauptung, die Auskunft des H. ſei
wiſſentlich falſch geweſen, dieſen und die Bank auf
Schadenserſatz verklagt. In den Borinftanzen wurde
die Klage gegen die Bank abgewieſen. Die Entſcheidung
in der Richtung gegen H. wurde von einem Eide des
H. abhängig gemacht. Das RG. hob auf.
Aus den Gründen: Das OL. hat die Haf⸗
tung der Bank für den Schaden aus der Auskunft des
H. verneint, weil es nicht zu den gewerblichen Pflichten
eines Bankhauſes gehöre, Auskünfte über die Kredit⸗
fähigkeit eines Kunden zu erteilen, H. deshalb auch
nicht von der Beklagten zu der Verrichtung einer
ſolchen Auskunftserteilung beſtellt geweſen, 8 831 BGB.
mithin nicht anwendbar ſei. Dieſe Anſchauung iſt
irrig. Das Berufungsgericht hat das Urteil des
Senats vom 7. Juli 1910, Rep. 546/09, auf das es ſich
beruft, mißverſtanden. Dort iſt ausgeführt, daß, weil
die Auskunftserteilung nicht zu den gewerblichen
Pflichten eines Bankhauſes gehöre, auch nicht ohne
weiteres ein Vertrags verhältnis zwiſchen dem
Auskunftbegehrenden und dem Bankhaus entſtehe.
Daraus, daß es keine gewerbliche Pflicht eines Bank⸗
hauſes iſt, Auskunft zu erteilen, folgt jedoch nicht,
daß die Auskunfterteilung auch nicht zu den geſchäft⸗
lichen Gewohnheiten einer Bank, alſo zu den handels⸗
gebräuchlichen Verrichtungen des Bankiers zählt. Mit
Recht ſagt die Reviſion, daß die tägliche Erfahrung
das Gegenteil lehre, und das LG. hat aus eigener
Kenntnis feſtgeſtellt, daß üblicherweiſe Erkundigungen
über Kaufleute bei der Bank eingezogen und von ihr
im Intereſſe ihrer Kunden gegeben werden. Die Bank
hat dies auch gar nicht geleugnet, ſondern ſich auf
den Standpunkt geſtellt, den ſich das Berufungsgericht
zu eigen gemacht hat, daß ſie kein Auskunftsbureau
ſei und deshalb 8 831 nicht Platz greife. Hiernach
muß bis zu anderer Feſtſtellung davon ausgegangen
werden — und auch die ſtreitige Auskunft iſt ein
Beleg dafür — daß im Geſchäftsbetrieb der Beklagten
ebenſo wie bei andern Bankhäuſern in geeigneten
Fällen Auskünfte über die Kreditwürdigkeit von Kunden
gegeben zu werden pflegen. Zur Erteilung ſolcher
Auskünfte ſind im allgemeinen diejenigen Perſonen
berufen, die vermöge ihrer leitenden Stellung einen
Einblick in die geſchäftlichen Beziehungen zwiſchen
der Bank und demjenigen, über den die Auskunft
erholt wird, und damit auch über deſſen die Kredit—
würdigkeit bedingenden Verhältniſſe beſitzen, alſo in
erſter Reihe die Bankvorſtände (Bankherren) und die
Prokuriſten. H. war mit einem gewiſſen Kn. Vorſteher
der Zweigniederlaſſung der Beklagten zu H. und hatte
mit ihm Geſamtprokura. In den Kreis der Verrich—
284
tungen, zu denen er beſtellt war, gehörte ſohin an
ſich die Erteilung der Auskunft un W.
Der Einwurf der Reviſionsbeklagten, daß H. nur
Geſamtprokura mit Kn. hatte, iſt nicht zu beachten.
Es handelt ſich hier um keine der Geſamtvertretung
bedürftige rechtsgeſchäftliche Willenserklärung, ſondern
um eine unerlaubte Handlung, um ein ſchädliches,
rein tatſächliches Verhalten des H. durch falſche Mit⸗
teilungen. Die Beklagte hat auch keinen Brauch be—
hauptet, und ein ſolcher iſt nach der Natur des Vor—
gangs wohl ausgeſchloſſen, daß im Falle der Geſamt—
vertretung mündliche Auskünfte der fraglichen Art
nur von den Geſamtvertretern gemeinſchaftlich erteilt
werden. Mit dem Hinweis auf die Geſamtprokura
des H. kann ſich die Beklagte daher ihrer Verantwort⸗
lichkeit aus $ 831 nicht entſchlagen.
Zweifelhaft kann jedoch ſein, ob die vorſätzliche
ſittenwidrige Beſchädigung fremden Vermögens durch
den Angeſtellten unter § 831 fällt. In dem Urteil
vom 7. Juni 1909, Rep. VI 344/08 (Warneyer 1909
Nr. 484) hat der Senat die Anwendbarkeit des 8 831
für ausgeſchloſſen erklärt, wenn das Handeln des
Angeſtellten erſt durch die ſubjektive Willensrichtung
überhaupt rechtswidrig wird, wie bei § 826 und 8 823
Abſ. II BGB. in Verbindung mit § 263 StGB. Nach
erneuter Prüfung hat der Senat dieſe Anſicht auf—
gegeben. Durch § 831 wird der Geſchäftsherr zum
Erſatz des Schadens verpflichtet, den der Beſtellte in
Ausführung der ihm übertragenen Verrichtung einem
dritten widerrechtlich zufügt. Dieſe Erſatzpflicht findet
zwar darin ihre Grenze, daß der Geſchäftsherr nicht
für ſchuldhafte Vermögensbeſchädigungen durch ſeinen
Angeſtellten haftet, für die er, wenn er ſie ſelbſt be—
gangen hätte, nicht haften würde, weil eben das BGB.
keine allgemeine Haſtung für ſchuldhafte Vermögens—
beſchädigung kennt. Im übrigen tritt, da das Geſetz
nicht unterſcheidet, die Erſatzpflicht des Geſchäftsherrn
für feinen Angeſtellten nach $ 831 unbeſchränkt ein.
Eine andere Frage iſt, ob eine vorſätzliche oder arg—
liſtige Handlung des Angeſtellten, ſofern nicht gerade
der Geſchäftsherr den Auftrag dazu gegeben hat, oder
die Handlung in ſeiner Willensrichtung liegt, noch
als von dem Rahmen der dem Beſtellten übertragenen
Verrichtungen umſpannt angeſehen werden kann.
Begrifflich iſt dies nicht ausgeſchloſſen, weil es nach
S 831 nur darauf ankommt, ob der Beſtellte den
Schaden (objektiv) in Ausführung der Verrichtung
zugefügt und nicht, in welcher Abſicht er die Verrich—
tung ausgefuhrt hat. Es wird deshalb im einzelnen
Fall zu unterſuchen ſein, ob die vorſätzliche Handlung
noch in den Kreis der Maßnahmen fällt, die die Ver—
richtung darſtellen, ob ſie innerlich mit ihr zu—
ſammenhängt und nicht etwa nur bei Gelegenheit der
Ausführung der Verrichtung vorgenommen wurde.
Hier war die Auskunftserteilung an W. gerade eine
Verrichtung, zu der H. beſtellt war. Daran könnte
der Umſtand nichts ändern, daß H. im Innern über—
zeugt war, daß der Inhalt der Auskunft ganz oder
teilweiſe der Wahrheit nicht entſpreche. Gleichgültig
würde es auch ſein, wenn etwa nach der Regelung
des inneren Geſchäftsbetriebs Kn. und nicht H. zur
Erteilung von Auskünften beſtimmt geweſen ſein ſollte.
Gehörte dieſe Tätigkeit zu der Aufgabe eines Bank—
voͤrſtehers der Beklagten, ſo wäre es unerheblich, wenn
H. im Verhältnis zu ſeiner vorgeſetzten Stelle auf—
tragswidrig in den ſeinem Amtsgenoſſen zugewieſenen
Dienſtbereich eingegriffen hätte.
Die Haftung der Beklagten für den von H. an—
gerichteten Schaden koͤnnte ſich ferner aus $ 30 BGB.
ergeben. H. würde als beſonderer Vertreter im Sinne
dieſer Vorſchrift zu erachten ſein, wenn in den Satzungen
der Beklagten die Errichtung von Zweigniederlaſſungen
und die Beſtellung von Vorſtehern hierfür vorgeſehen
fein ſollte (vgl. RG. 3. 74 S. 21, 250). An der Ber:
Zeitſchrift j für ö Rechtspflege in Bayern. 1911.
|
|
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Nr. 13.
tretungsmacht, auf die in dem letzteren Urteil Gewicht
gelegt iſt, würde es dem H. als Prokuriſten nicht fehlen.
Das OLG. verkennt aber auch den Begriff des
Verſtoßes wider die guten Sitten, wenn es die Ent⸗
ſcheidung gegen H. darauf abſtellt, daß H. die Auskunft
wider beſſeres Wiſſen erteilt haben müſſe. Der
Bankier iſt derjenige, der vielfach um Auskunft über
die Kreditwürdigkeit von Perſonen angegangen wird,
mit denen er in Geſchäfts verbindung ſteht, und er
pflegt ſolche Auskünfte zu erteilen, um dieſen Perſonen
die Vorteile des neuen Kredits zuzuwenden und mittel⸗
bar den eigenen Umſatz mit ihnen zu fördern. Der
Bankier braucht keine Auskunft zu geben. Tut er es
dennoch, ſo darf von ihm erwartet werden, daß er
dabei gewiſſenhaft und ſorgſam verfährt. Denn gerade
er als der berufene Kreditgeber kennt den Kredit als
eine der wichtigſten und empfindlichſten Grundlagen
unſeres jetzigen Wirtſchaftslebens; er weiß, daß Handel
und Wandel, namentlich der kaufmänniſche Waren—
austauſch auf dem Vertrauen beruhen, daß der Kredit-
nehmer ſeinen Zahlungsverbindlichkeiten nachkomme,
und welche Gefahren die Täuſchung in dieſem Ber:
trauen für den Getäuſchten, aber auch für das Geſchäfts—
leben überhaupt erzeugen kann. Hier hat H., der
gewußt hat, daß von ſeiner Auskunft ein Kredit bis
zu 30000 M abhängig gemacht werde, und daß der
Anfragende auf ſeine Zuverläſſigkeit baue, ohne jede
Einſchränkung und Erläuterung, ohne Nachſchau in
den Büchern um ſeinem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen,
angegeben, die Firma M. beſitze nach der letzten Bilanz
ein Vermögen von 400000 M und ihre Grundſtücke
ſeien mäßig belaſtet, obwohl die Firma ſeit drei oder
vier Jahren der Bank trotz deren Drängens keine
Bilanz mehr vorgelegt hatte, laut der Ausſage des
M. in Wahrheit nach der letzten Bilanz kein eigent-
liches Vermögen mehr beſeſſen hat, und ihre Grund—
ſtücke auch nach der mutmaßlich gefärbten Schätzung,
die fie ſelbſt der Bank eingereicht hatte, zu / belehnt
waren. Eine ſolche ins Blaue hinein erteilte irre—
führende Auskunft eines Bankvorſtehers, zumal des
Oberbeamten einer Bank, die wegen ihres Anſehens
beſondere Achtbarkeit für ſich in Anſpruch nimmt, geht,
wenn ſie auch nicht bewußt falſch war, ſelbſt über
die Grenzen der Leichtfertigkeit hinaus. In Anſehung
der möglichen unheilvollen Folgen für den Auskunft—
begehrenden enthält ſie einen derartigen Mangel an
Gewiſſenhaftigkeit, daß ſie das Anſtandsgefühl eines
jeden rechtlich und billig denkenden Menſchen, nament—
lich eines auf die Verläßlichkeit feines Standes halten:
den Kaufmanns verletzen muß und deshalb den guten
Sitten widerſtreitet. Spricht die ganze Sachgeſtaltung
zunächſt für eine Zuwiderhandlung des H. gegen § 826,
ſo wird dieſer Annahme nicht durch eine irgendwie
denkbare Entſchuldigung wie eine mögliche Gedächtnis:
ſchwäche des H. der Boden entzogen. Es iſt vielmehr
ſeine Sache, die Zweifel zu zerſtreuen, die gegen ſeinen
guten Glauben beſtehen und darzulegen, daß und aus
welchen Gründen er der feſten Ueberzeugung ſein
durfte, daß die Firma M. gut ſtehe, und kein Verluſt
bei ihr zu erwarten ſei, daß er alſo, wenn auch die
Angaben über das Vermögen der Firma und die Be—
laſtung ihres Grundbeſitzes mißverſtändlich oder un—
richtig und unüberlegt waren, dem W. mit gutem
Gewiſſen die Krediteinräumung empfehlen konnte. Da
die Firma M. kaum zwei Monate nach der Auskunft
in Konkurs geraten iſt, und von den Beklagten nicht
behauptet wird, daß un vorhergeſehene in der Zwiſchen—
zeit eingetretene Ereigniſſe den Zuſammenbruch ver—
ſchuldet haben, ſo wird H. darzutun haben, daß vor
der Auskunft keine Anzeichen hervorgetreten waren,
die einen Schatten auf ihre unveränderte Kredit—
würdigkeit werſen konnten; daß ſie ihre Verpflichtungen
pünktlich erfüllt, ihre Wechſel prompt und regelmäßig
eingelöſt hat, und daß ihre Abtragungen und An—
ſchaffungen einen normalen Stand eingehalten haben.
on Beitſchrift für Rechtspflege
Von Bedeutung wird möglicherweiſe ſein, was die
Urſache des Konkurſes war, wie ſich die Verhältniſſe
der Firma im Konkurs herausgeſtellt haben, welche
Dividende auf die Gläubiger entfällt, und ob beträcht⸗
liche Minderungen im Wert der Aktiven durch den
Konkurs herbeigeführt worden find. (Urt. des VI. 38.
vom 12. April 1911, VI 576/10).
2276
— — n.
VI.
Vertiefung und Befeſtigung einer ſchon vorhandenen
vom Kläger verſchuldeten Ehezerrüttung durch den be:
klagten Ehegatten (8 1568 BGB.). Aus den Gründen:
Das Berufungsgericht hat angenommen, die durch das
Verſchulden des Klägers hervorgerufene Zerrüttung
des ehelichen Verhältniſſes ſei ſo tief und unheilbar,
daß eine Steigerung durch die von der Beklagten in
der Erbitterung ausgeſtoßenen Beſchimpfungen nicht
mehr möglich geweſen ſei und daß deshalb ein ur⸗
ſächlicher Zuſammenhang zwiſchen der beſtehenden
Zerrüttung und den Eheverfehlungen der Beklagten
entfalle. Dieſe Ausführungen ſind rechtlich zu bean⸗
ſtanden. Der Tatbeſtand des 8 1568 BGB. kann im
Falle einer durch das Verhalten des einen Ehegatten
ſchon eingetretenen Zerrüttung auch dadurch erfüllt
werden, daß der andere Ehegatte durch ihm zur Laſt
fallende ſchwere Eheverfehlungen eine Vertiefung und
Befeſtigung der vorhandenen Zerrüttung ſchuldvoll
herbeiführt. (Urt. des IV 3S. vom 27. April 1911,
IV 375/10). „
2274 1
B. Strafſachen.
1
Vorſchriften über den Haustrunk. Ein aus Rofinen
bereitetes Geträuke iſt kein eg i. S. des 5 10
des WG.!) Der Angeklagte hat eine Zuſammenſtellung
von Stoffen, die nach Anweiſung des Angeklagten be—
handelt, ein alkoholhaltiges nach Ausſehen, insbe—
ſondere Farbe und Geſchmack weinähnliches Getränk
ergibt, das im Verkehr mit Wein verwechſelt werden
kann, zum Zwecke der Herſtellung dieſes Getränkes in
Kenntnis ſeiner Eigenſchaft als einer Nachmachung
von Wein angekündigt iſt, feilgehalten und verkauft,
obwohl ein Teil dieſer Stoffe, nämlich Tamarinden—
mus, kohlenſaures Natron, Weinſtein, Farbſtoff, Zucker⸗
kouleur und Apfeläther bei der Herſtellung von Wein,
weinhaltigen und weinähnlichen Getränken nicht ver—
wendet werden darf. Damit iſt der Tatbeſtand des
8 26 Nr. 3 WG. vom 7. April 1909 einwandfrei nad)»
gewieſen. Insbeſondere iſt nach den feſtgeſtellten
Eigenſchaften des Getränkes nicht zu beanſtanden, daß
es die Strafkammer als Nachmachung von Wein an—
geſehen hat. Denn Nachmachung von Wein iſt die
vorſätzliche Herſtellung eines die Eigenſchaften des
Weines vortäuſchenden Getränks aus anderen Stoffen.
(Erl. zum Entwurf des WG. S. 25 zu 8 7). Das
trifft aber auf die Herſtellung des Z’jhen Haustrunks
zu, wenn dieſer, wie feſtgeſtellt, dem Wein nach Aus—
ſehen und Geſchmack in dem Maße ähnlich iſt, daß er
mit Wein verwechſelt werden kann. Nachmachung von
Wein iſt nach 5 9 WG. verboten, doch fällt unter
dies Verbot nach § 10 nicht die Herſtellung von dem
Wein ähnlichen Getränken aus Fruchtſäften, Pflanzen—
ſäften oder Malzauszügen, alſo von Obſtweinen,
Beerenweinen und Malzweinen, und nach § 11 nicht
die Herſtellung des Haustrunks, des zum Verbrauch
im Haushalt des Herſtellers beſtimmten Getränkes
aus Traubenmaiſche, Traubenmoſt, Rückſtänden der
Weinbereitung oder aus getrockneten Weinbeeren.
in Bayern. 1911. Nr. 13.
285
Doch finden nach 8 11 Abſ. 2 auf die Herſtellung des
Haustrunks die Vorſchriften des 8 4 entſprechende An⸗
wendung. Die Strafkammer hat geprüft, ob die Her⸗
ſtellung des „Z.'ſchen Haustrunks“ unter eine dieſer
Ausnahmen von dem Verbot des 89 fällt, und zu⸗
nächſt verneint, daß die Ausnahme des § 10 Platz
greife, weil der Grundſtoff des Getränkes Roſinen
ſeien. Das iſt nicht zu beanſtanden. Nur die aus
Fruchtſäften, Pflanzenſäften oder Malzauszügen her⸗
geſtellten dem Weine ähnlichen Getränke ſind von dem
Verbot des 8 9 ausgenommen. Fruchtſaft im Sinne
des § 10 iſt aber der Saft der Roſine, wenn von
einem ſolchen überhaupt zu reden ift, ganz gewiß nicht,
da das Geſetz die Herſtellung von Wein aus Roſinen
gerade verhüten will. (Vgl. 81 WG.). Daß die Ver⸗
wendung von Tamarindenmus und Apfeläther nicht,
wie die Reviſion will, den Z.'ſchen Haustrunk zu
einem Getränk aus Fruchtſäften oder Pflanzenſäften
machen kann, bedarf keiner Ausführung. Ob er wegen
dieſer Beſtandteile oder wegen ſeiner Zuſammenſetzung
überhaupt den Charakter eines Getränks aus Frucht-
ſaft hat und deshalb als Erſatz für Obſt⸗ und Beeren⸗
wein zu dienen beſtimmt und geeignet iſt, iſt deshalb un⸗
erheblich, weil er eine Nachmachung von Wein iſt, und,
wenn es auch erlaubt iſt, Getränke herzuſtellen, welche
einen Erſatz für Wein und für Obſt⸗ und Beerenwein
bieten können und ſollen, jedenfalls zu dem Zweck nicht
Getränke hergeſtellt werden dürfen, welche, wie das in
Rede ſtehende, als Nachahmung von Wein, als Kunſt⸗
wein anzuſehen find. (Erl. zum Entwurf des WG.
. zu 8 77 und Kommiſſionsbericht S. 39 zu
§ 8). Auf 8 10 WG. kann ſich danach der Ange⸗
klagte nicht mit Erfolg berufen. Ebenſowenig auf § 11,
da die Verwendung der von ihm angekündigten, feil⸗
gehaltenen und verkauften Stoffe nach 8 4 und der
dazu erlaſſenen Aus führungsbeſtimmung mit Aus⸗
nahme der Roſinen auch bei der Herſtellung des Haus⸗
trunkes unzuläſſig iſt. Das Getränk, zu deſſen Her⸗
ſtellung der Angeklagte die Stoffe verkauft hat, iſt
als Kunſtwein kein Wein i. S. des WG., auch kein
weinhaltiges Getränk wohl aber ein weinähnliches
Getränk i. S. des 8 26 Nr. 3 WG. (RGSt. 37 S. 422).
(Urt. des I. Straffenats vom 8. April 1911, ID
203,11).
2280
II.
Zuſammentreſfen des z 328 StGB. mit den Bot:
ſchriſten des Ver z. Die Strafkammer hat inſofern
rechtlich geirrt, als ſie gegenüber dem einheitlichen
Zuſammentreffen von Konterbande mit dem Vergehen
gegen 8 328 StB. den Grundſatz des $ 73 StGB.
auf die Straffeſtſetzung anwandte und unter dieſem
rechtlichen Geſichtspunkte die Strafe nur aus 8 328
beſtimmte, während in den Fällen des Zuſammen—
treffens von Konterbande (oder Defraudation) mit
anderen ſtrafbaren Handlungen nach der Sondervor—
ſchrift von 8 158 Ver 3G. die Strafe für die Konter—
bande (oder Defraudation) zugleich mit der Strafe
für die zuſammentreffende Handlung anzuwenden iſt,
der Grundſatz des 8 73 StGB. alſo keine Geltung
gewinnt. Zwar würde auch in einem Falle des Zu—
ſammentreffens von 8 134 Ver 3G. mit 8 328 StGB.
die Strafe, wie es dem Ergebniſſe nach im angefochtenen
Urteile geſchehen iſt, nur aus § 328 zu beſtimmen
ſein. Das würde dann aber ſeine rechtliche Begründung
nicht in der Anwendung des Grundſatzes von 8 73 StGB.
finden, ſondern darin, daß § 134 Ver 3G. die in ihm
beſtimmte Strafe ſelbſt nur für den Fall androht,
daß in beſonderen Geſetzen, zu denen hier auch 8 328
StGB. zu rechnen wäre, nicht eine höhere Strafe feſt—
geſetzt iſt. Ob das Gleiche auch gegenüber § 140 Ver 3G.
(einfacher Rückfall) zu gelten hätte, oder ob auch ſchon
ihm gegenüber, wie in den Fällen des § 141 (fernerer
Rückfall), auf die Strafe des Vereinszollgeſetzes neben
der des Strafgeſetzbuchs zu erkennen wäre, kann auf
— — n.
286 Zeitſchrift für Rechtspflege
—
ſich beruhen bleiben. Denn der Angeklagte wird durch
die Art, wie der Erſtrichter die Strafe feſtgeſetzt hat,
keinesfalls beſchwert, weder dadurch, daß im Urteile
die Beſchränkung der Straffeſtſetzung auf eine Strafe
aus 8 328 StGB. rechtlich unzutreffend begründet
worden iſt, noch durch den Umſtand, daß nicht neben
dieſer Strafe auch eine Strafe aus 8 140 Ver 3G. feſt⸗
geſetzt wurde. Ebenſowenig werden die Angeklagten
dadurch beſchwert, daß gegen ſie ſtatt auf Konfiskation
nur auf Beſchlagnahme der zum Gegenſtande der
— 4 ͤ ꝓ äö— D—
Konterbande gemachten Tiere erkannt worden iſt. (Urt.
des V. StS. vom 9. Mai 1911, V D 176/11).
2283
— — n.
III.
Strafenhänfung nach 88 134, 146 336., 5 328
StGB. Das Urteil läßt einen Rechtsirrtum in keiner
Richtung erkennen, insbeſondere iſt der Strafausſpruch
rechtlich nicht zu beanſtanden und anzuerkennen, daß
im Falle des Zuſammentreffens bandenmäßiger Konter⸗
bande mit dem Tatbeſtande des 8 328 StGB. gemäß
$ 134 V3. auf Konfiskation (oder Geldleiſtung nach
§ 155 VG.) und an Stelle der in $ 134 angedrohten
Geldſtrafe auf Gefängnisſtrafe aus 8 328 StGB. zu
erkennen iſt, ſowie daß neben dieſe Hauptſtrafen ge-
mäß 8 146 B3®. eine hieraus zu ſchöpfende weitere
Gefängnisſtrafe als beſondere Schärfungsſtrafe zu
treten hat. (Entſch. Bd. 16 S. 58; Bd. 18 S. 174;
Bd. 38 S. 394, 401, 402).!) (Urt. des I. StS. vom
9. März 1911, 1 D 1098/10).
2278
— — - n
IV.
Bermögensbeſchädigung durch Erſchleichung eines
Blankoakts bei einem Wechſel. (Blaukoakzept oder
Blaukogiro). Die Rüge der Reviſion, daß das Urteil
den wechſelrechtlichen Akt, deſſen Vornahme durch E.
der Angeklagte betrügeriſch erſchlichen hat, an eins
zelnen Stellen als Blankogiro, ſonſt aber als Blanfo-
ak zept bezeichne, alſo unklar laſſe, welche rechtliche
Natur er gehabt habe, iſt an ſich begründet. Irrig
iſt aber die daraus gezogene Folgerung, es fehle an
der Prüfung, ob die im Urteil feſtgeſtellte ſtrafbare
Handlung auch vorliege, wenn E. ein Blankogiro ge—
geben habe, da dies und das Blankoakzept zwei ver—
ſchiedene Dinge ſeien. Letzteres trifft zwar zu. Der
Unterſchied iſt indeſſen für die allein in Betracht kom-
mende Frage, ob durch Erſchleichung eines Wechſelaktes
die zum Tatbeſtande des Betruges erforderliche Ver—
mögensbeſchädigung des Betrogenen herbeigeführt
werden kann, ohne ausſchlaggebende Bedeutung. Nach
Art. 14 WO. haftet der Girant (Indoſſant) jedem
ſpäteren Inhaber des Wechſels für deſſen Annahme
und Zahlung wechſelmäßig. Händigte alſo E. die mit
ſeinem Blankogiro verſehene, wenngleich wegen Fehlens
der übrigen Formalitäten noch keinen gültigen Wechſel
darſtellende Urkunde dem Angeklagten ein oder ließ
er eine ſolche zum Zweck der Niederſchrift des Blanko—
giros ihm von dem Angeklagten vorgelegte unvoll—
ſtändige Wechſelurkunde nach Vollziehung des Giro—
vermerks in den Händen des Angeklagten, ſo ſchaffte
er dadurch die Möglichkeit, daß letzterer nach Aus—
füllung der Urkunde in den noch zu ergänzenden Punkten
den dadurch formgerecht gewordenen Wechſel in Um—
lauf ſetzte und damit die wechſelmäßige Haftung des E.
aus deſſen Unterſchrift herbeifuhrte. Ob tatſächlich
eine ſolche ſpätere Ausfüllung und Begebung der Urs
kunde ſtattgefunden hat, iſt dabei gleichgültig. Denn
ſchon * bloße Möglichkeit, daß es geſchah, gefährdete
1) Die ae des III. StS. in E. 3S, 26, 80, es mußten in
ſolchem Falle Koönfiskation, weldſtrafe und die beiden Freibeits—
traten gebäuft werden, beruht auf einet mißzverſtandlichen Auffafſung
der angeführten Entſch. Ad. 16, 58; 18, 174. Dieſe Entſch. ſteben
deutlich auf dem i daß in Fällen der vorliegenden Art
die Geldſtrafe durch die Strafe des beſonderen Geſetzes erſetzw werden
ſoll.
— ZNG— . ͤ ;! — . — ͤ Ä— 22
— — k —œPT¾ —
— 3 .rᷓ— 4 ů — —— . — — — ——ͤDü
in Bayern. 1911. Nr. 13.
— —— — —Eö . — ——
— — —
das Vermögen des E. und dieſe Gefährdung ſteht bei
der Anwendung des § 263 StGB. einer wirklichen
Vermögensbeſchädigung gleich, wie dies der Senat für
den analogen Fall der Erſchleichung einer Wechſel⸗
ausſteller-⸗Unterſchrift ſchon ausgeſprochen hat. Dafür,
daß die Strafkammer, je nachdem der Betrug des An⸗
geklagten ein Blankogiro oder ein Blankoakzept betraf,
etwa die Höhe der Strafe verſchieden bemeſſen haben
würde, gewährt das Urteil keinen Anhalt. Hiernach
iſt der Angeklagte durch die oben erwähnte Unklarheit
nicht benachteiligt. Auch daß das Urteil an zwei Stellen
im Widerſpruch mit ſeinen übrigen Feſtſtellungen von
der dem Eröffnungsbeſchluß zugrunde liegenden An:
nahme ausgeht, der Wechſel ſei von dem Angeklagten
dem E. (nicht umgekehrt) gegeben, hat erſichtlich
auf das, was die Strafkammer hat feſtſtellen wollen,
und auf die Höhe des Strafmaßes keinen Einfluß ge—
übt. (Urt. des J. Strafſenats vom 27. April 1911,
I D 221/11). — —— n
281
V.
Verleſung von Schriftſtücken durch den Verteidiger
beim Schlußwort. In der Hauptverhandlung kam der
Verteidiger in ſeinen Ausführungen auch auf ein durch
Einſtellung beendigtes Vorverfahren gegen G. wegen
Verbrechens nach § 176 StGB. zu ſprechen. Auf Ein⸗
wand des Staatsanwalts gegen die Hereinziehung
dieſer Strafſache wurde ein Gerichtsbeſchluß dahin
verkündet, es werde dem Verteidiger geſtattet, auf den
Fall G. einzugehen, ſoweit es für die Rechtsfrage er:
forderlich ſei. Nunmehr fuhr der Verteidiger in ſeinem
Vortrag fort, wobei er, wie das Protokoll ſagt, „einige
Zeugenausſagen aus dem Fall G.“ (vermutlich aus Ab—
ſchriften) wörtlich vorlas. Die Reviſion meint, dies
ſei unzuläſſig geweſen und es ſei nicht von der Hand
zu weiſen, daß die ſo gewonnene Kenntnis von dem
Akteninhalt der Sache G. auf die Entſcheidung im
Fall St. von Einfluß geweſen ſei. Dieſer Auffaſſung
kann nicht beigetreten werden. Allerdings muß die
Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung durch den
Vorſitzenden erfolgen (8 237 StPO.). Die Erhebung
eines Urkundenbeweiſes in der Weiſe, daß der Ver—
teidiger die Urkunde erſt in ſeinen Schlußausführungen
bekannt gibt, iſt unzuläſſig (8 284 StPO.), ebenſo
darf nicht durch Verleſung einer Zeugenausſage der
Nachweis irgendeiner für den Schuldbeweis erheb—
lichen Tatſache verſucht werden (8 249 StPO.). Hätte
dies der Verteidiger getan, ſo wäre es Aufgabe des
Vorſitzenden geweſen, hiergegen einzuſchreiten (§ 237
StPO.). Allein darum handelt es ſich hier nicht.
Offenſichtlich wollte der Verteldiger dem Gericht keine
Beweisaufnahme vorführen, ſondern nur in rechtlicher
Beziehung darlegen, daß in einem ähnlich liegenden
Fall eine Verfehlung nach & 176 Nr. 3 StGB. nicht
angenommen worden ſei. Zu dieſem Zwecke mußte
er auf den Inhalt dieſes Verfahrens eingehen. Was
er in dieſer Beziehung vorbrachte, konnte für das Ge—
richt nur die Bedeutung einſeitiger Behauptungen einer
Prozeßpartei haben, welche nicht Teil der Beweis auf—
nahme im Sinne des 8 260 waren. Wäre hierüber
irgendein Zweifel möglich, ſo würde er durch den zu—
treffenden Rechtsſtandpunkt ausgeſchloſſen, den das
Gericht in dem verkündeten Gerichtsbeſchluß einge—
nommen hat. Indem es hier ausſprach, daß es ein
Eingehen auf den Fall G. nur für die Rechtsfrage
zulaſſe, gab es unzweideutig zu erkennen, daß es Aus—
führungen des Verteidigers nur als Darlegungen zur
Rechtsfrage auffaſſe. Ueber dieſe entſcheidet aber das
Gericht nach eigener Sachkenntnis und es fehlt auch
nach dem Inhalt der Gründe an allen Anhaltspunkten,
daß es hierbei, wie die Reviſion meint, irgendwie in
unzuläſſiger Weiſe beeinflußt wurde. (Urt. des J. StS.
vom 30. März 1911, I D 178,11). — —— n
2277
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
1
| Kann der Notar die weitere Beſchwerde einlegen,
wenn er die von ihm aufgenommene Urkunde dem Grund»
buchamt nuter Anſchluß an die Anträge der Beteiligten
um Bollzuge vorgelegt hat? (GD. 88 80, 15, 13).
us den Gründen: Nach 8 80 GBO. muß die
weitere Beſchwerde von einem Rechtsanwalt unter⸗
zeichnet ſein, wenn ſie durch Einreichung einer Be—
ſchwerdefriſt eingelegt wird; die Unterzeichnung durch
den Notar genügt nur, wenn dieſer nach 8 15 GBO.
den Eintragungsantrag geſtellt hat. Das iſt hier nicht
der Fall. Den nach $ 13 EBD. erforderlichen Eins
tragungsantrag hat nicht der Notar, ſondern haben
die Beteiligten ſelbſt geſtellt. Der Fall des $ 15 tft
daher nicht gegeben. Daran wird dadurch nichts ge—
ändert, daß der Notar die Urkunde mit einem hekto⸗
graphierten Formular „unter Anſchluß an die von
den Beteiligten geſtellten Anträge zum Vollzuge“ vor⸗
gelegt hat. Denn in dieſer Erklärung kann ein ſelb⸗
ſtändiger Antrag des Notars nicht erblickt werden.
Es braucht daher nicht auf die Frage eingegangen zu
werden, ob einem Antrag des Notars überhaupt eine
rechtliche Bedeutung zukommt, wenn die Beteiligten
den Eintragsantrag in der von dem Notar errichteten
Urkunde erklärt haben (Beſchlüſſe des Kammergerichts
vom 6. Juni 1904, Os GRſpr. Bd. 10 S. 92, und vom
1. März 1906, RJ A. Bd. 7 S. 136, Obs ZS. Bd. 5
S. 136, Bd. 7 S. 185, Bd. 9 S. 209, Bd. 11 S. 335
und 626). (Beſchluß des I. ZS. vom 12. Mai 1911,
Reg. III 35/1911). W.
2290
II.
ae Pe oder Verbindung mehrerer
Nechtsgeſchäfte (Art. 186 Geb.). Laut einer Notariats⸗
urkunde vom 8. Mai 1908 haben die Bauerseheleute
F., H. und G. in F. und die Gemeinde F. auf die
Dauer von fünf Jahren ſich verbindlich gemacht, „auf
Verlangen des S. oder ſeiner Erben oder eines von dieſer
Seite zu benennenden Dritten ſofort an dieſe die in
der Urkunde aufgeführten Grundſtücke zu beſtimmten
Preiſen zu verkaufen und das Eigentum hieran rechts—
förmlich zu übertragen“. Das Notariat ſetzte für die
Vorverträge nach Art. 145 Webb. eine Gebühr von
424 M 50 Pf. an. Die Kammer der Finanzen be—
richtigte dieſen Anſatz auf 736 M 50 Pf. und hielt
eine weitere Gebühr von 736 M 50 Pf. für geredt-
fertigt, weil die von den Grundbeſitzern eingegangenen
Verpflichtungen zur Schließung von Kaufverträgen
hinſichtlich der Perſon der Berechtigten je zwei von⸗
einander unabhängige ſelbſtändige Vorverträge bilden.
Deshalb wurde die Nachholung von 1048 M 50 Pf.
angeordnet. Durch den Beſchluß des Landgerichts
wurde die von S. gegen die Nachholung eingelegte
Beſchwerde zurückgewieſen. Das Oberſte Landesgericht
hob auf die weitere Beſchwerde des S. den Beſchluß
des Landgerichts auf und erklärte die Nachforderung
von 736 M 50 Pf. für unberechtigt.
Gründe: Das Landgericht hat den Inhalt der
Urkunde offenſichtlich unrichtig aufgefaßt, wie ſich dar—
aus ergibt, daß es den vorliegenden Fall für gleich—
gelagert erachtet mit den Fällen, die den von ihm an⸗
geführten Entſcheidungen vom 11. November 1902,
6. Dezember 1905 und 27. November 1907 zugrunde
liegen. Dies iſt jedoch nicht zutreffend. Alle dieſe
früheren Fälle hatten das Gemeinſame, daß jemand
zunächſt für einen anderen und im Falle, daß dieſer
nicht erwerben ſollte, für ſich ſelbſt kaufte. In dieſen
Fällen wurde angenommen, daß zwei Kaufverträge
vorliegen. Die Verkäufer hatten zunächſt an den Ver—
tretenen, außerdem aber vorſorglich an den Vertreter
verkauft und ebenſo hatten die Käufer eine Doppel-
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 12.
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anderen und vorſorglich für ſich ſelbſt kauften. Ein
ſolcher Fall iſt hier nicht gegeben. Die Grundbeſitzer
und S. haben einen auf Schließung eines Kaufver⸗
trags abzielenden Vorvertrag geſchloſſen und einen
Beſtandteil bildete die Beſtimmung, wonach die Grund⸗
beſitzer ſich verpflichteten, auf Verlangen des S. oder
jene Erben oder eines von dieſer Seite zu benennen⸗
en Dritten an dieſe die Grundſtücke zu verkaufen.
S. hat hierbei nur in eigenem Namen gehandelt und
aus dem Wortlaut des Vertrags ergibt ſich klar, daß
er als Vertreter (Bevollmächtigter, Geſchäftsführer
ohne Auftrag) eines Dritten in keiner Weiſe auftrat.
Die Grundbeſitzer haben nur dem S. gegenüber eine
Verpflichtung eingegangen und wenn ſie ſeinerzeit an
einen von S. benannten Dritten verkaufen ſollten,
erfüllen ſie damit eben dieſe Verpflichtung. Somit
liegt ein einheitliches Rechtsgeſchäft vor und iſt für
die Anwendung des Art. 186 Abſ. 1 Geb. kein Raum.
Ob die Parteien beabſichtigten aus dem von ihnen
geſchloſſenen Vertrage einem Dritten ein unmittelbares
Recht zu geben, iſt belanglos. Sollte dies der Fall
ſein, ſo könnte dadurch die Einheitlichkeit des Vertrags
nicht in Frage geſtellt werden. Die Verpflichtung der
Grundbeſitzer gegenüber S. gegebenen Falles auf Ver⸗
langen eines Dritten mit dieſem einen Kaufvertrag zu
ſchließen, wodurch ſie ihre Verpflichtung gegen S. er⸗
füllen würden, wäre in dieſem Falle eine beſondere
Geſtaltung der gegen dieſen eingegangenen Verpflich⸗
tung und eine Bedingung des Hauptvertrags i. S.
des Art. 186 Abſ. 2. (Beſchluß des II. 3S. vom
29. Mai 1911, Reg. V Nr. 13/1911). W.
2291
B. Strafſachen.
1
Gegenüber den Straußwirten in der Rheinpfalz
beſteht kein grundſätzliches Zuckerungsverbot. Aus
den Gründen: Nach 8 3 WG. vom 7. April
1909 darf dem aus inländiſchen Trauben gewonnenen
Traubenmoſt oder Wein (bei Herſtellung von Rotwein
auch der vollen Traubenmaiſche) Zucker, auch in reinem
Waſſer gelöſt, zugeſetzt werden, um einem natürlichen
Mangel an Zucker oder Alkohol oder einem Uebermaß
an Säure inſoweit abzuhelfen, als es der Beſchaffen⸗
heit des aus Trauben gleicher Art und Herkunft in
guten Jahrgängen gewonnenen Erzeugniſſes entſpricht.
Der Zuſatz an Zuckerwaſſer darf jedoch in keinem Falle
mehr als ½ der geſamten Flüſſigkeit betragen.
Die Zuſetzung von Zucker darf nur zu beſtimmten
Zeiten und innerhalb der am Weinbau beteiligten
Gebiete des Deutſchen Reichs und auch hier nur nach
Anzeige bei der zuſtändigen Behörde vorgenommen
werden. Der 8 5 Abſ. 1 verbietet ſodann zwar nicht,
gezuckerten Wein als Wein zu bezeichnen, wohl aber,
ihn unter einer Bezeichnung feilzuhalten oder zu ver—
kaufen, die auf Naturreinheit des Weines oder auf
beſondere Sorgfalt bei der Gewinnung der Trauben
deutet; auch iſt es verboten, in der Benennung anzu—
geben oder anzudeuten, daß der Wein Wachstum eines
beſtimmten Weinbergbeſitzers ſei. Wer Wein gewerbs—
mäßig in Verkehr bringt, muß nach Abſ. 2 des 8 5
dem Abnehmer auf Verlangen vor der Uebergabe mit—
teilen, ob der Wein gezuckert iſt. Nach dem gegen—
wärtigen Rechtszuſtand iſt demzufolge die Zuckerung
des Weines nur zuläſſig, ſoweit ſie zu ſeiner Ver—
beſſerung nötig iſt und es der Beſchaffenheit des in
guten Jahrgängen aus demſelben Gewächſe gewonnenen
Erzeugniſſes entſpricht. Unter dieſer Bedingung darf
aber auch der gezuckerte Wein noch fernerhin als
„Wein“ bezeichnet und muß nur auf ausdrückliches
Verlangen des Abnehmers Auskunft über die Zuckerung
erteilt werden.
In den Urteilen des erkennenden Senats vom
ſtellung eingenommen, indem fie zunächſt für einen 10. April 1909 (Bay gf. Bd. 5 S. 419) und vom
288
18. März 1911 (ebenda Bd. 7 S. 227) iſt ausführlich
dargelegt, daß und aus welchen Gründen ſowie in
welcher Ausdehnung den Weinbauern in der Pfalz der
Ausſchank der aus eigenen Weinbergen dort gewonnenen
Weine ohne beſondere polizeiliche Erlaubnis geſtattet
iſt und daß die Zulaſſung ſolcher „Straußwirtſchaften“
auf der Anerkennung des Bedürfniſſes der Weinbauer
zu einer Gelegenheit für den Abſatz der von ihnen
erzeugten Weine, wenn deren Verkauf nach der Markt-
lage des Großhandels ſtockt, beruht. „Die uralte Ein⸗
richtung der Straußwirtſchaften“ iſt nach Baſſermann⸗
Jordan, Geſchichte des Weinbaues, 2. Bd. S. 394 „die
ultima ratio des Winzers, der ſein Produkt nicht ver⸗
kaufen kann.“ Dies muß im Auge behalten werden,
wenn die Frage zu beantworten iſt, ob der Straußwirt
gezuckerten Wein ausſchänken darf.
Es kann der Reviſionsbegründung nicht zugeſtimmt
werden, wenn ſie behauptet, es ſei die Frage, was
unter eigenem Erzeugnis zu verſtehen ſei, nach dem
Sprachgebrauch und der Verkehrsanſchauung zur Zeit
der Einführung der GewO. durch das RG. vom
12. Juni 1872 zu beantworten, bei der für die Pfalz
die Befugnis zum Ausſchank der ſelbſterzeugten Ge⸗
tränke ohne polizeiliche Erlaubnis aufrecht erhalten
wurde. Ganz abgeſehen davon, daß nicht erſt in dem
RG. vom 12. Juni 1872 der Ausſchank der eigenen
Erzeugniſſe vom Konzeſſionszwang freigelaſſen wurde,
ſondern ſchon das bayer. Geſ. vom 30. Januar 1868,
das Gewerbsweſen betr., ebenfalls davon Umgang ge⸗
nommen hatte für die Pfalz Beſtimmungen über den
Ausfchank geiſtiger Getränke aufzuſtellen, fo wäre
logiſcherweiſe im Sinne der Reviſion auf die Zeit
zurückzugreifen, zu der die Einrichtung der Strauß⸗
wirtſchaften überhaupt entſtanden iſt. Das würde
ſchon deshalb unmöglich fein, weil die Einrichtung
der Straußwirtſchaften uralt und die Zeit ihrer Ent⸗
ſtehung überhaupt nicht genau feſtzuſtellen iſt. Anderer⸗
ſeits iſt es richtig, daß das Zuckern der Weine erſt
zu Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
in Deutſchland in Uebung gekommen iſt, nachdem die
verſchiedenen von Chaptal, Gall und Petiot erfundenen
Weinverbeſſerungsmethoden allmählich bekannt ge—
worden waren. Steht man hiernach einem verhältnis⸗
mäßig jungen Verfahren gegenüber, ſo muß über ſeine
Zuläſſigkeit für die in Straußwirtſchaften verzapften
Weine ebenſo nach allgemeinen Erwägungen entſchieden
werden, wie das die Geſetzgebung für ſeine Zuläſſig—
keit im allgemeinen getan hat. In der Literatur
find die Meinungen geteilt. In der Bay ZfR. 7. Jahr-
gung (1911) haben ſich zwei pfälziſche Juriſten, der
eine (Zoeller) S. 14 ff. für die Zuläſſigkeit des Aus—
ſchankes gezuckerten Weines durch die Straußwirte,
der andere (Michel) S. 106 ff dagegen ausgeſprochen,
in Nr. 13 des Jahrganges 1911 der in Neuſtadt a. H.
erſcheinenden Weinfachzeitung „Das Weinblatt' hat ſich
eine Stimme gegen die Zulaſſung von gezuckertem
Wein in Straußwirtſchaften, in Nr. 14 eine ſolche
dafür geäußert; in dem letzteren Sinne hat auch ein
Artikel der Nr. 21 vom 16. März 1911 der in Mainz
erſcheinenden „Deutſchen Weinzeitung“ Stellung ge—
nommen.
Das angefochtene Urteil enthält die unzweideutige
Feſtſtellung, daß in den Weinlagen der Oberhaardt
die Zuckerung der Weine allgemein üblich und ſogar
notwendig iſt und daß in den geringeren Lagen der
Oberhaardt das Publikum nicht erwartet oder verlangt,
daß der Straußwirt nur naturreinen Wein ausſchänke.
Dieſe Feſtſtellung iſt für das Reviſionsgericht bindend;
ihre Beſtreitung in der Reviſionsrechtfertigung iſt mit
geulget für megtepſtege in Bayern. 1011. br. 18
EEE
Michel a. a. O. S
dem 8 376 StPO. nicht vereinbar und, ſoweit ihre
Begründung beanſtandet wird, als nur auf 8 266
StPO. ſtützbar, nach 8 380 StPO. ſogar ausgeſchloſſen.
Uebrigens beſtehen auch keine ſachlichen Bedenken da—
gegen. Im Gegenteil iſt: wie Baſſermann-Jordan
a. a.
O. Bd. 2 S. 480 ſagt, „keineswegs zu verkennen,
daß bei dem derzeitig vielfach vorherrſchenden Geſchmack
die geringeren Lagen mancher Weinbaugebiete, zumal
in ſchlechten Jahrgängen, eine Verzuckerung und Ent⸗
ſäuerung ihrer Produkte nicht entbehren können“, ſo
würde durch ein Verbot die Einrichtung der Strauß⸗
wirtſchaft geradezu in ihrem Lebensnerv getroffen
werden. Den Schwierigkeiten der Winzer in geringeren
Lagen, ihren Wein in ſchlechten Jahrgängen verkaufs⸗
weiſe im Ganzen an den Mann zu bringen, würde
dann auch auf dem Wege der „ultima ratio“ nicht mehr
abgeholfen werden können. Trotzdem wäre aber dem
Publikum keine Gewähr dafür geboten, daß der Wein
ungezuckert bliebe. Es müßten dann nur die Winzer
ihre Erzeugniſſe zu einem ſehr billigen Preis an die
Händler und die konzeſſionierten Wirte ablaſſen, dieſe
aber könnten innerhalb des Rahmens des Geſetzes
ungehindert zuckern und auf dieſe Weiſe den Gewinn
einheimſen, denn die Winzer ſelbſt nicht beziehen
dürften. Hätte aber gar ein Weinbauer in der Hoff:
nung, ſeine Ernte im Großen verkaufen zu können,
ſeinen zu ſaueren Wein gezuckert und ſchließlich doch
keinen Abnehmer gefunden, ſo wäre er in die denkbar
unangenehmſte Lage verſetzt. Man wird ohne Bedenken
auf die Straußwirtſchaften im beſonderen anwenden
dürfen, was die amtliche Denkſchrift zu dem Entwurf
des WG. von der Zuckerung im allgemeinen ſagt:
„Wenn nicht geſtattet würde, in Fällen, wo die Traube
nicht die genügende Reife erreicht, durch einen mäßigen
Zuckerzuſatz einigermaßen zu erſetzen, was die Natur
verſagt hat, ſo würde, wie ſich der Geſchmack des
weintrinkenden Publikums entwickelt hat, alljährlich
ein großer Teil der Weinerte unverwertbar bleiben
und in der Folge der Weinbau auch aus Lagen und
Landſtrichen verſchwinden müſſen, deren Erzeugniſſe
in Jahren der Reife ſie als für den Weinbau voll⸗
kommen geeignet erweiſen. In dem angedeuteten Um⸗
fange wird das Zuckern von Wein daher als eine
nützliche Maßregel anerkannt und zugelaſſen werden
müſſen“. Auch die Erwägung ſteht nicht im Wege.
daß ein Straußwirt, der um die Säure zu mindern,
einen Naturwein mit hoher Süße gekauft und ihn dem
Säuerling beigemiſcht hat, den ſo gewonnenen Wein
nicht als Straußwirt verſchenken dürfte, weil er nicht
mehr aus ſeinen eigenen Erzeugniſſen zuſammengeſetzt
wäre. Denn auf der anderen Seite iſt dafür nach
§ 2 WG. die Verſchnitterlaubnis nicht durch eine be:
ſtimmte Verhältnisgrenze eingeengt, wie der 83 WG.
eine ſolche für die Zuckerung aufſtellt, und ferner weiß.
wer die Verbeſſerung ſeines Weines durch Verſchnitt
unter Verwendung fremder Erzeugniſſe der durch
Zuckerung vorzieht, von vorneherein, daß er dadurch
ſeinem Weine die Eigenſchaft des eigenen Erzeugniſſes
entzieht. Andererſeits können diejenigen, welche unter
allen Umſtänden einen Naturwein zu trinken wünſchen,
vermöge des ihnen durch den 8 5 Abſ. 2 WG. eröff⸗
neten und durch die Strafdrohung verſtärkten Frage—
rechts jede wünſchenswerte Gewähr finden. Ueberdies
bleibt es jedem Winzer unbenommen, in feiner Strauß:
wirtſchaft nur naturreine Weine zu verſchänken und
das ausdrücklich zu jedermanns Kenntnis zu bringen.
Dadurch könnte, ſelbſt, wenn es richtig ſein ſollte,
daß „der mit Behagen und Verſtändnis ſchlürfende
Verehrer eines guten Naturtropfens“ wegbleibt (vgl.
108), wenn man ihm gezuckerten
Wein vorſetzt, jedenfalls vermieden werden, daß man
ſagen könnte: „Der Straußwirtſchaft fehlt der Gaſt“
Hiernach liegen gegenüber den Straußwirten nicht
mehr ſtichhaltige Gründe für ein grundfägliches
Zuckerungsverbot vor als in Beziehung auf den Wein—
bau überhaupt. Iſt deshalb der aus ſelbſtgebauten
und gekelterten Trauben vom Winzer gewonnene Wein
auch dann noch deſſen „eigenes Erzeugnis“, wenn er
unter Beobachtung der geſetzlichen Beſtimmungen ge—
zuckert worden iſt, fo hält ſich der Straußwirt bei
deſſen Verzapfung noch innerhalb des Rahmens der
altherkömmlichen Bergünftigung und bedarf dazu keiner
beſonderen polizeilichen Genehmigung nach 8 33 Gewd.
Die Strafkammer hat darum durch ihre Entſcheidung
nicht gegen die 88 33 und 147 Abſ. 1 Ziff. 1 GewO.
verſtoßen. Aber auch eine Verletzung der §8 5 und 28
Nr. 1 WG. ſteht nicht in Frage. Es iſt nicht dargetan,
daß der Angeklagte ſeinen gezuckerten Wein unter
irgendeiner Bezeichnung feilgehalten hat, die auf Rein-
heit des Weines hingedeutet hätte, oder daß er in
deſſen Benennung irgendwie angegeben oder angedeutet
hat, daß er Wachstum eines beſtimmten Weinberg⸗
beſitzers ſei, da bis jetzt im ganzen Verfahren von
einer ſolchen Bezeichnung oder Benennung ſeines
Weines noch nie die Rede war. Die Bezeichnung ſeiner
Wirtſchaft als Straußwirtſchaft iſt keine Bezeichnung
oder Benennung des darin verſchänkten Weines und
nur eine ſolche iſt für den Fall der Zuckerung im 8 5
WG. verboten. Mit der Bezeichnung ſeiner Wirtſchaft
als Straußwirtſchaft ſagt der Winzer in der Tat nicht
mehr als, daß er Wein aus eigenen Weingärten aus⸗
ſchänke, er gibt aber damit ſeinem Wein keine Bezeich⸗
nung und keine Benennung und ſagt damit insbeſondere
nicht, daß ſein Wein noch naturrein und ihm nament⸗
lich kein Zucker zugeſetzt ſei. Dies trifft beſonders
dann zu, wenn allgemein bekannt iſt, daß der Strauß⸗
wirt gezuckerten Wein verzapfen dürfe. (Urt. vom
20. Mai 1911, RevReg. 116/11). Ed.
2293
II.
um bayeriſchen Wandergewerbeſtenergeſetz: Begriff
des Wanderlagers; die Einrichtung einer Fabrik hat
regelmäßig nicht die Eigenſchaft eines Wanderlagers.
Gründe: Der Kaufmann St. betreibt von ſeiner
Niederlaſſung in K. in Baden einen Handel mit Ma⸗
ſchinen, Feld-, Forſt⸗ und Induſtriebahnen; er hat in
K. ein Lager, Werkſtätten und die ſonſtigen notwen⸗
digen Geſchäftsräume und verſteuert daſelbſt auch ſeinen
Gewerbebetrieb. Im Jahre 1909 geriet die „Maſchinen⸗
baugeſellſchaft Z. in der Pfalz AG.“ in Konkurs. Der
Konkursverwalter verkaufte die geſamte maſchinelle
Einrichtung der Maſchinenfabrik und Gießerei, ferner
die geſamte Einrichtung des kaufmänniſchen Bureaus
an St. mit der Auflage, daß dieſer die gekauften
Sachen ſpäteſtens am 1. Juli zu entfernen habe. Der
größte Teil der Einrichtung war feſt mit dem Boden
verbunden, die Fundamentſchrauben waren in den
Boden einbetoniert, bei einigen Maſchinen war ſogar
der geſamte Fundamentrahmen mit Beton übergoſſen.
St. kaufte die Einrichtung zum Wiederverkauf im ein⸗
zelnen und ſuchte Käufer in ganz Deutſchland und im
Auslande durch Bekanntmachung der Kaufsgelegenheit
in inländiſchen und ausländiſchen Zeitungen und Fach—
zeitſchriften und Verſchickung von Verzeichniſſen an
Intereſſenten zu gewinnen. Die Einrichtung blieb in
der Fabrik ſtehen und konnte dort angeſehen werden.
Ein Handlungsgehilfe war ſtändig im Lager in Z.;
er hatte die Einrichtung zu überwachen, die Arbeiter
zu beaufſichtigen und bei dem Verkaufe mitzuwirken.
Die Kaufverträge wurden größtenteils durch St. ſelbſt
entweder in K. oder Z., in geringem Umfange von
B. abgeſchloſſen. Der überwiegende Teil der Gegen—
ftände wurde von Käufern außerhalb Z. erworben
und ging in alle Gegenden Deutſchlands, außerdem
nach Holland und nach Rumänien. Ein geringer Teil
wurde von Leuten erworben, die in 3. und Umgebung
wohnen. Das Rentamt 3. erblickte in dem Unter—
nehmen des St. die Veranſtaltung eines Wanderlagers
und leitete gegen St. ein Verfahren wegen Nichtanmel—
dung dieſes „Gewerbebetriebs im Umherziehen“ ein. Die
Strafkammer ſprach den Angeklagten frei; die Reviſion
wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Annahme der Straf—
kammer, daß das WGStG. und insbeſondere feine
Beſtimmungen über die Wanderlager hauptſächlich dem | worden ſeien.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
— — K —üpä—̃ — — ——ẽ——— — —
289
Zwecke dienen ſollen die den ſeßhaften Handels⸗ und
Gewerbetreibenden durch den Gewerbebetrieb im Um—
herziehen erwachſene fühlbare Konkurrenz einzuſchränken,
iſt nicht nur in dem Erkenntniſſe des Reichsgerichts
vom 28. Juni 1886 (Bd. 14 S. 247 (249) anerkannt,
ſondern auch in der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes
begründet. Die Ausführung der Strafkammer, daß
es an den tatſächlichen Vorausſetzungen für die An-
wendung des WGStG. gefehlt habe, weil die Tätig⸗
keit des Angeklagten St. nicht geeignet geweſen ſei,
das örtliche Verkaufsgewerbe in Z. zu ſchädigen oder
auch nur zu gefährden, iſt deshalb zutreffend. In
noch höherem Grade aber ſteht der Anwendbarkeit des
WEISE. entgegen, daß ein Wanderlager im Sinne
des Geſetzes überhaupt nicht in Frage iſt. Nach Art. 15
Ziff. 2 iſt ein Wanderlager „ein feilgebotenes Waren⸗
lager“. Ebenſo beſteht nach Ziff. 1 der Anweiſung
vom 4. März 1880 zur Ausführung des preuß. Ge⸗
jenen vom 27. Februar 1880, betr. die Beſteuerung
es Wanderlagerbetriebs — abgedr. bei Falkmann
u. Strutz, Die preußiſche Gewerbeſteuergeſetzgebung,
3. Aufl. S. 440 — „der Wanderlagerbetrieb in der
Regel darin, daß der Inhaber eines Warenlagers die
Waren an einem oder mehreren Orten, woſelbſt er
weder wohnt, noch eine gewerbliche Niederlaſſung
begründet hat, dem Publikum zu freihändigen Käufen
von einer feſten Verkaufsſtätte ... aus vorübergehend
feilbietet“. In dem gleichen Sinne haben ſich auch
die Erkenntniſſe des Reichsgerichts (Bd 29 S. I) und
des Oberſten Landesgerichts (Bd. 1 S. 331, Bd. 5
S. 326) ausgeſprochen. Hiernach iſt ein Wanderlager
ein für Verkaufszwecke den vermutlichen Bedürfniſſen
des jeweils in Frage kommenden Käufer-Publikums
angepaßtes, beſonders „aſſortiertes“ Warenlager. Eine
nach den beſonderen Lebensbedürfniſſen einer Perſon
oder einer Unternehmung aus den verſchiedenſten
Gegenſtänden zuſammengeſetzte und von dieſer bisher
benützte wirtſchaftliche Einheit, wie die in einem Nach—
laß enthaltene fahrende Habe oder die Einrichtung
einer Fabrik u. dgl., beſitzt deshalb nicht die Eigen—
ſchaft eines Wanderlagers. Erſt durch die Vereinigung
von zwei oder mehreren ſolchen Einrichtungen zum
Zwecke des Verkaufs könnte ein Warenlager und in—
folgedeſſen ein Wanderlager zuſtande kommen. Auch
dann, wenn der ganze Beſtand an Fabrikaten mit der
ſonſtigen Einrichtung angekauft würde, könnte u. U.,
ſoweit es ſich um die Fabrikate handelt, ein Wander—
lager in Frage kommen. Alle dieſe Vorausſetzungen
liegen hier nicht vor und es iſt insbeſondere auch
nicht feſtgeſtellt, daß der Angeklagte St. etwa zur
vollen Befriedigung der Bedürfniſſe ſeiner Käufer irgend—
welche Gegenſtände aus früher erworbenen Fabrik—
einrichtungen oder aus ſeinem Lager in K. herange—
zogen hätte. Die Fabrikeinrichtung der „Maſchinen—
baugeſellſchaft Z. AG.“ war vor dem Ausbruche des
Konkursverfahrens kein Warenlager, ſondern nur eine
wirtſchaftliche Einheit und konnte dadurch, daß ſie als
ein Ganzes von St. dem Konkursverwalter abgekauft
wurde, nicht ein Warenlager werden. (Urt. vom 24.
März 1911, Rev.⸗R. 72/11). Ed.
2300
Oberlandesgericht München.
Erſtattung ausländiſcher Anwaltsgebühren. Der
Kläger war vom Beklagten beauftragt für deſſen
Rechnung bei einer Verſteigerung in Amſterdam ſechs
ſilberne Leuchter aus der Zeit Ludwig XV. einzuſteigern
und führte den Auftrag aus. Der Beklagte weigerte
die Zahlung, weil die Leuchter ſich als unecht erwieſen
und das Geſchäft nicht mit der Sorgfalt eines ordent—
lichen Kaufmannes ausgeführt, insbeſondere die Wei—
ſungen des Beklagten als Kommitienten nicht befolat
Er wurde jedoch vom Landgericht M.
290
(Bayern) zur Zahlung von 997 M 05 Pf. (Preis der
Leuchter nebſt Auktionsgebühr und Proviſion) rechts⸗
fräftig verurteilt. Der Anwalt des Klägers beantragte
die Koſten auf 923 M 83 ur feftaufegen, darunter
346 Gulden 13 Cts. -= 588 0 Pf. Koſten des
holländiſchen Advokaten Van = B. den der Kläger
als Korreſpondenzanwalt zugezogen hatte. Dieſe
Koſten wurden (mit geringen Abſtrichen) zugebilligt;
die Beſchwerde blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Die Erſtattung der Ge⸗
bühren eines ausländiſchen Anwalts hängt duvon ab,
ob deſſen Zuziehung zur Vermittelung des Verkehrs
mit dem inländiſchen Anwalt notwendig war (Walter⸗
Joachim, RAO. 5. Aufl. S. 340; Quednau, RAG.
S. 345, Willenbücher, Koſtenfeſtſ. 7. Aufl. S. 43). Hier
läßt ſich nun mit Grund nicht beſtreiten, daß der
Kläger zur zweckentſprechenden Rechtsverfolgung einen
heimiſchen Anwalt zuziehen durfte, um durch deſſen
Vermittelung die Korreſpondenz mit dem beim Prozeß⸗
gericht zugelaſſenen Anwalt zu führen. Wenn auch
der Kläger, wie ſein Brief an den Beklagten vom
8. März 1905 ergibt, der deutſchen Sprache leidlich
mächtig fein mag, fo beſtand doch für ihn alle Ver—
anlaſſung ſich an einen Anwalt am Orte ſeines
Wohnſitzes zu wenden, um durch ihn dem Prozeßbe⸗
vollmächtigten die zur Anfertigung von Schriftſätzen
und für die mündliche Verhandlung erforderliche In⸗
formation erteilen zu können. Denn der Beklagte
ließ die Klage aus tatſächlichen und rechtlichen Er—
wägungen bekämpfen und im beſonderen geltend
machen, der Kläger habe bei nur einigermaßen forg-
fältiger Prüfung erkennen müſſen, daß die Leuchter,
die auch auf der Auktion allſeitig als neu bezeichnet
wurden, imitiert ſeien. Davon, daß die unterlegene
Partei die Gebühren eines ausländiſchen Korreſpondenz—
anwalts nur in Höhe des 8 44 der deutſchen RAG.
erſtatten müßte, kann keine Rede ſein. Es iſt auch in
dem Beſchl. des KG. vom 23. Oktober 1901 (KG Bl. 1902
S. 8), auf den ſich die Beſchwerde beruft, nur geſagt,
daß, wenn der öſterr. Anwalt bloß eine Gebühr fordert,
wie ſie im gleichen Falle einem deutſchen Rechtsanwalt
zuſtehen würde, nichts im Wege ſteht den von der
deutſchen RAG. vorgeſchriebenen Anſatz als einen
angemeſſenen zu bewilligen ([. Quednau, RAG.
S. 345). Die Gebühren der Anwälte in den Nieder—
landen ſind nun allerdings weſentlich höher als in
Deutſchland, weil es dort Pauſchgebühren nicht gibt
und der Anwalt für jede Tätigkeit geſondert entlohnt
wird; vgl. Art. 29 niederl. Gebo. von 1843, wonach
der Anwalt für jede Beratung mit dem Klienten I fl
80 Cts., für jedes Erſcheinen vor Gericht 3 fl 60 Cts.
und für die Ausfertigung eines Briefes und das Leſen
eines erhaltenen Briefes je 90 Cts. verlangen darf.
Dieſe Gebühren, die der Kläger ſeinem Amjterdamer |
Anwalt bezahlen muß, kann er jedoch, wie oben dar—
gelegt, von ſeinem unterlegenen Gegner erſtattet ver—
langen, inſoweit die Tätigkeit, für die eine Gebühr
gefordert wird, im einzelnen zur zweckentſprechenden
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
a ̃ ——————— ñ— —— ſq.W...T?᷑Uu U — —— — . —yꝛñ . — — . — ——
Rechtsverfolgung entfaltet r. Dies iſt bei d
. e 5 x a unlauterer Wettbewerb, um ſich eine Monopolftellung
ſtreitigen Gebühren durchweg der Fall. (Beſchl. vom
15. Mai 1911; Beſchw.-Reg. Nr. 268/11 J).
2209
Oberlandesgericht Zweibrücken.
Unterlaſſungs⸗ und Schadenserſatzklage
Gewerbetreibenden gegen eine Stadtgemeinde wegen
Schädigung feines Gewerbebetriebe durch die Art und
Weiſe der Feſtſetzung der Vergütung für die Benützung
eines ſlädtiſchen Gewerbebetriebs. Die pfälziſche Stadt
L. hielt ſeit Jahren in einem ſtädtiſchen, Sargmagazin“
eines
für die Einwohnerſchaft der Stadt Särge und ſonſtige
für das Begräbnis nötige Gegenſtände zum Kaufe
bereit. Im Herbſt 1908 beſchloß der Gemeinderat,
eine „Leichen-, Begräbnis- und Friedhofordnung“ und
als Anhang dazu eine „Begräbnistarordnung” zu
erlaſſen. Danach beſorgt die Stadt gegen Entrichtung
der in drei Klaſſen abgeſtuften Taxen von 90, 60 und
40 M das Begräbnis und liefert einen, klaſſenmäßigen“,
mehr oder weniger verzierten Sarg. Für den Sarg
werden je nach der Klaſſe 65, 45 und 30 M berechnet.
Nach § 44 dürfen zu den Begräbniſſen auf den ſtädti⸗
ſchen Friedhöfen andere als die von der Gemeinde
getroffenen Begräbniseinrichtungen nicht benützt
werden. Die Kreisregierung erklärte die Leichenord⸗
nung für vollziehbar, nachdem das Bürgermeiſteramt
den S 44 dahin erläutert hatte, daß er ſich nur auf
die Vorkehrungen der Gemeinde wie Leichenwagen,
Leichenhalle uſw., nicht aber auf Begräbnisgegenſtände
wie Särge, Leichenkleider uſw. beziehe; auch die
Begräbnistaxordnung wurde vom Bezirksamte geneh—
migt. Das Bürgermeiſteramt gab die neuen Vorſchriften
öffentlich mit dem Zuſatze bekannt: „Die Einwohner:
ſchaft wird noch beſonders darauf aufmerkſam gemacht,
daß für die Begräbnispauſchaltaxe ſeitens der Stadt
auch der Sarg aus dem ſtädtiſchen Sargmagazin be—
zogen wird. Ein Nachlaß dieſer allgemeinen Begräbnis⸗
taxe tritt nicht ein, wenn der Sarg von anderer Seite
als dem ſtädtiſchen Sargmagazin bezogen wird.“ Der
jetzige Kläger E. iſt der Inhaber des einzigen privaten
Sargmagazins in L. Infolge einer Beſchwerde, die
er an die Regierung richtete, beſchloß der Gemeinde—
rat, in die Begräbnistaxordnung folgende Beſtimmung
aufzunehmen: „Die allgemeine Begräbnistaxe mindert
ſich um 25%, wenn der Sarg nicht aus dem ſtädtiſchen
Sargmagazin bezogen worden iſt“. Die Abzüge in
dieſem Falle betragen je nach der Klaſſe 22.50, 15.—
und 10.— M.
In der Klage gegen die Stadtgemeinde beantragte
E. die Beklagte zu verurteilen, 1. die Angabe zu
unterlajlen, daß für die Begräbnispauſchaltaxe die
Stadt auch den Sarg aus dem ſtädtiſchen Sargmagazin
liefere und daß die allgemeine Begräbnistaxe ſich um
25% mindere, wenn der Sarg nicht aus dem Sarg—
magazin bezogen wird, und 2. dem Kläger Schadens⸗
erſatz in Geld zu leiſten. Die Klage wurde damit
begründet, daß das Vorgehen der Stadt den ungeſetz—
lichen Verſuch enthalte die Benützung des ſtädtiſchen
Sargmagazins zur Zwangspflicht zu machen. Durch
die den neuen Vorſchriften angefügten Beiſätze ſei das
Publikum in den irrigen Glauben verſetzt worden,
es ſei verpflichtet die Särge aus dem ſtädtiſchen
Magazin zu beziehen. Auch die, welche die Wahrheit
kennen, könnten ſich der ungeſetzlichen Verpflichtung
nicht entziehen, weil ſie zuerſt die ganze Taxe und
jetzt einen außergewöhnlich großen Teil hätten zahlen
müſſen. Durch dieſen Zwang ſei das Geſchäft des
Klägers vernichtet worden. Die Beklagte müſſe für
den Sarg einen Abzug machen, der ſeinem Verkaufs—
preiſe gleichkomme. Das Vorgehen der Stadt ſei ein
für eine rein privatwirtſchaftliche Tätigkeit zu ver—
ſchaffen. Die Beklagte verletze die Gewerbefreiheit als
Schutzgeſetz im Sinne des $ 823 BGB., indem ſie
die Begräbnistaxe mit der Begräbnisordnung ver:
quicke. Sie verſtoße aber auch gegen $ 826, weil
ſie bewußt den Klager ſchädige und nur den Zweck
verfolge ſeine Konkurrenz auszuſchalten. Die Klage
wurde in beiden Inſtanzen abgewieſen.
Aus den Gründen: 1. Der Rechtsweg iſt auch
inſoweit zuläſſig, als die Klage auf Unterlaſſung
gerichtet iſt. Denn ſie iſt nach ihrer allein maßgebenden
Begrundung die privatrechtliche Unterlaſſungsklage,
mit der aus der Tatſache der Schädigung von Privat—
‚ Interejjen
vorbeugender Rechtsſchutz gegen künftige
weitere ſolche Schädigungen verlangt wird; fie iſt auf
bie 88 823 und 826 BGB. und auf die Behauptung
unlauteren Wettbewerbs durch falſche Angaben geſtützt,
worauf ohne Zweifel an ſich ein privatrechtlicher
Unterlaſſungsanſpruch gegründet werden kann. Auſ⸗
hebung eines Gemeinderatsbeſchluſſes iſt nicht begehrt.
2. Die Klage iſt aber unbegründet. Zunächſt kann
keine Rede davon ſein, daß das den Kläger ſchädigende
Vorgehen des Gemeinderates dem Konkurrenzneide
entſpringe und nur bezwecke, einen Mitbewerber aus
dem Felde zu ſchlagen. Es entſpringt vielmehr dem
Beſtreben die Mißſtände zu bekämpfen, die ſich faſt
überall, wo die Leichenbeſtattung als Gewerbe betrieben
wird, dadurch ergeben haben, daß der Gemütszuſtand
der Hinterbliebenen und ihre Pietät gegen den Toten
die Ausbeutung ihrer Lage durch Verkäufer, Vermittler
und Zwiſchenperſonen begünſtigen. Der Schutz dieſer
Perſonen gegen ſolche Gefahren bildet eine Aufgabe,
wenn nicht der ſtaatlichen, ſo doch der gemeindlichen
Tätigkeit, weshalb die Förderung unentgeltlicher Be⸗
erdigung durch die Gemeinde nicht nur in der Literatur
erhoben, ſondern vielfach, insbeſondere in der Schweiz,
auch durchgeführt worden iſt. Auch andere Städte —
ſo Mannheim und Frankfurt a. M. — haben die Sache
in ganz ähnlicher Weiſe wie L. geregelt. Hiernach ſteht
die Regelung durch den Gemeinderat in L. völlig im
Einklang mit den Anforderungen an eine große Stadt.
Ein ungeſetzlicher, widerrechtlicher Zwang zur
Benützung des ſtädtiſchen Sargmagazins liegt bei der
zuletzt beſchloſſenen Art der Bemeſſung des Nachlaſſes
im Falle der Nichtlieferung des Sarges durch das
ſtädtiſche Sargmagazin nicht vor. Denn die Stadt iſt
befugt, die Gegenleiſtung für die von ihr verkauften
Gegenſtände nach eigenem Gutdünken feſtzuſetzen. Das
gleiche muß aber auch für die urſprüngliche Regelung
gelten, nach der die Stadt von der Taxe nichts nach⸗
ließ, falls der Sarg anderswoher bezogen wurde.
Auch hier lag kein Zwang zur Benützung gemeindlicher
Särge vor, vielmehr ſtand es jedem frei, den Sarg
anderswoher zu nehmen. Zur Feſtſtellung einer
Zwangspflicht hätte es allerdings einer beſonderen
Rechtsnorm als geſetzlichen Grundlage bedurft. Aber
eine Zwangspflicht beſtand ſo wenig, wie demjenigen,
der die Kurtaxe bezahlt, die Zwangspflicht auferlegt
iſt die täglichen Konzerte zu beſuchen, weil ſonſt die
Leiſtungen der Kurverwaltung zu teuer wären. Die
Beklagte verlangte eine Pauſchgebühr und überließ
es den Leuten, ob ſie die ſämtlichen durch die Gebühr
gedeckten Leiſtungen beanſpruchen wollen oder nicht.
Die Beteiligten werden, auch wenn ihnen nur die
Wahl gelaſſen wird, von der Stadt zu beziehen, die
Särge von dort nehmen, weil ſie wiſſen, daß die Stadt
beſſer und billiger liefern kann als der Privatmann.
Daraus ergibt ſich, wie wenig es eines Zwangs in
dieſer Richtung bedarf. Durch die Möglichkeit von
der Stadt zu beziehen, nicht durch einen Zwang iſt
das Geſchäft des Klägers geſchädigt. Das Verlangen
aber, die Stadt ſolle teuerer verkaufen, iſt durch nichts
gerechtfertigt. Die Stadt hat weder eine ausſchließliche
Gewerbeberechtigung noch ein Zwangs- oder Bann⸗
recht erworben, folglich auch den 8 10 Gew. nicht
übertreten. Hiernach liegt keine zur Schadenserſatz—
oder Unterlaſſungsklage berechtigende Handlung der
Beklagten vor, weil ſie weder den eingerichteten
Gewerbebetrieb des Klägers vorſätzlich oder fahrläſſig
widerrechtlich verletzt (§ 8231), noch ſchuldhaft gegen
ein Schutzgeſetz verſtoßen (8 8231), noch vorſätzlich in
einer gegen die guten Sitten verſtoßenden Weiſe dem
Kläger Schaden zugefügt hat (8 826). (Urt. vom
29. März 1911, L. 180/10). V.
2273
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
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291
Literatur.
Lehmann, Dr. jur. Heinrich, Gerichtsaſſeſſor und Privat⸗
dozent an der Univerſität Bonn. Der Pro zeß⸗
vergleich. X, 258 S. München 1911. C. H.
Beckſche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck. Mk. 10.—.
Die zivil⸗ und prozeßrechtlichen Wirkungen des
Prozeßvergleichs ſind in den letzten Jahren wieder
Gegenſtand lebhafter Erörterungen geweſen, auch unſere
Zeitſchrift hat mehrere Abhandlungen über das Thema
gebracht. Die vielfachen Streitfragen ſind noch keines⸗
wegs geklärt. Lehmann liefert zu ihrer Löſung einen
wertvollen hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Beitrag, der von
gründlichem Durcharbeiten des Stoffes und von ſelb⸗
ſtändigem Urteil zeugt. Bei der Darlegung der Ziele
und Wege der Unterſuchung kommt der Verfaſſer auch
auf die ſog. Freirechtslehre zu ſprechen. Seinen ver⸗
mittelnden, beſonnenen Ausführungen kann man nur
beiſtimmen. von der Pfordten.
Zuwachs ſteuergeſetz, Textausgabe mit alphabetiſchem
Sachregiſter. 40 S. München 1911, C. H. Beckſche
Verlagsbuchhandlung Oskar Beck. geb. Mk. —.80.
Willenbücher, Das Koſtenfeſtſetzungs verfahren
und die Gebührenordnung für Rechtsan⸗
wälte. Siebente, neu bearbeitete Auflage von
Kammergerichtsrat Dr. P. Simeon und Landrichter
W. Fiſcher. Berlin 1910, H. W. Müller. 349 S.
geb. 7 Mk.
Willenbüchers altberühmtes, dem Richter wie dem
Anwalt gleichermaßen unentbehrliches Werk iſt nun⸗
mehr von berufener Hand wieder auf den Stand der
gegenwärtigen Geſetzgebung gebracht worden; es galt,
die Aenderungen zu verarbeiten, die das materielle und
das formelle Koſtenfeſtſetzungsrecht durch die Geſetze
vom 1. Juni 1909 und vom 22. Mai 1910 erfuhr,
Möge der bisherige Erfolg dem Buch auch in Zukunft
treu bleiben. F.
Notizen.
Das Geſetz betreffend den Patentausführungszwang
vom 6. Juni 1911 (KS Bl. 243). Die Reichsregierung
iſt ſchon ſeit längerer Zeit mit den Vorarbeiten zu
einer Umgeſtaltung des geltenden Patentrechts be⸗
ſchäftigt. Die Entwickelung des internationalen Rechts
und wiederholt in der Oeffentlichkeit geäußerte Wünſche
ließen es jedoch angezeigt erſcheinen mit der Abän⸗
derung des 8 11 PatG. unabhängig von dieſer großen
und ſchwierigen Aufgabe des Reichsgeſetzgebung als⸗
bald vorzugehen.
8 11 PatG. beſtimmte bisher:
„Das Patent kann nach Ablauf von drei Jahren,
von dem Tage der über die Erteilung des Patents
erfolgten Bekanntmachung (8 27 Abſ. 1) gerechnet,
zurückgenommen werden:
1. wenn der Patentinhaber es unterläßt, im In⸗
lande die Erfindung in angemeſſenem Umfange zur
Ausführung zu bringen, oder doch alles zu tun, was
erforderlich iſt, um dieſe Ausführung zu ſichern;
2. wenn im öffentlichen Intereſſe die Erteilung
der Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung an andere
geboten erſcheint, der Patentinhaber aber gleichwohl
ſich weigert, dieſe Erlaubnis gegen angemeſſene Ver-
gütung und genügende Sicherſtellung zu erteilen.“ Die
Patenterteilung gewährt alſo nicht bloß Rechte, ſondern
legt dem Inhaber des Patents im Intereſſe der All⸗
gemeinheit auch Pflichten auf, die Ausführungs- und
die Lizenzerteilungspflicht, und die Erfüllung dieſer
Pflichten ſuchte das Geſetz bisher dadurch zu ſichern,
daß es unter den in 8 11 angegebenen Vorausſetzungen
eine Zurücknahme des Patentes zuließ.
292
Bei der Verpflichtung zur Lizenzerteilung hat es
auch das Geſetz vom 6. Juni d. Js. belaſſen. Aber im
Falle der Lizenzverweigerung kann nicht mehr wie
bisher unter den in 8 11 Ziff. 2 beſtimmten Voraus-
ſetzungen die Zurücknahme des Patents ausgeſprochen
werden; man hat gegen dieſe geltend gemacht, daß
ſie über das Ziel hinausſchieße und berückſichtigungs⸗
werte Intereſſen des Patentinhabers ſchädige, insbe⸗
ſondere einer erſprießlichen Ausführung und Ent:
wickelung der Erfindung in der Hand des Patentin⸗
1 85 ſelbſt Schwierigkeiten bereite und der ſchikanöſen
echtsverteidigung im Patentverletzungsprozeß Vor⸗
ſchub leiſte. Aus dieſen Gründen hat man an die
Stelle der Zurücknahme des Patents die Erteilung
einer Zwangslizenz geſetzt. 8 11 Abſ. 1 lautet in⸗
fol gedeſſen jetzt: „Verweigert der Patentinhaber einem
anderen die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung
auch bei Angebot einer angemeſſenen Vergütung und
Sicherheitsleiſtung, ſo kann, wenn die Erteilung der
Erlaubnis im öffentlichen Intereſſe geboten iſt, dem
andern die Berechtigung zur Benutzung der Erfindung
zugeſprochen werden (Zwangslizenz). Die Berechtigung
kann eingeſchränkt erteilt und von Bedingungen ab⸗
hängig gemacht werden.“ Die Motive heben aus⸗
drücklich hervor, daß in Uebereinſtimmung mit dem
bisherigen Recht eine Entſcheidung gegen den Patent:
inhaber nur zuläſſig ſein ſolle, wenn ein öffentliches
Intereſſe beſtehe. „Ein ſolches Intereſſe wird dann
anzuerkennen ſein, wenn die Vorteile einer Erfindung,
die dem gewerblichen Leben wertvolle Dienſte leiſten
kann, dieſem gefliſſentlich vorenthalten werden, oder
wenn die Benützung einer für das Gewerbe nützlichen
Erfindung an unverhältnismäßig läſtige Bedingungen
1 wird. Hierzu treten die Fälle, daß durch die
us führung der Erfindung in der Hand eines einzelnen
der Beſtand ganzer Induſtriezweige bedroht wird oder
der Lizenzbedürftige ſich gehindert ſieht, eine ihm ſelbſt
patentierte, von dem Patente des andern abhängige,
für die Allgemeinheit nützliche Erfindung zu verwerten.“
Nach dem Schlußſatze des Abſ. 1 kann die Lizenz das
ganze Patent oder nur einen Teil umfaſſen, ſie kann
örtlich und zeitlich begrenzt ſein, die Verwertung der
Erfindung dem Lizenznehmer nur für den eigenen
Betrieb freigeben oder auch in fremden Werkſtätten
geſtatten uſw.
Von größerer Bedeutung als die Aenderung des
geltenden Rechtes hinſichtlich der Verpflichtung zur
Lizenzerteilung iſt die Aenderung hinſichtlich der Aus
führungspflicht (Ziff. 1 in der bisherigen Faſſung des
8 11). Der Ausführungszwang des bisherigen Rechts
iſt aus verſchiedenen Gründen lebhaft angefochten
worden. Er hatte ſchließlich infolge des mit den Ver⸗
einigten Staaten von Amerika geſchloſſenen Abkommens
vom 23. Februar 1909 dahin geführt, daß unſere
deutſche Induſtrie bei uns rechtlich ſchlechter geſtellt
war als die amerikaniſche. Nach dieſem Abkommen
finden die in den Geſetzen des einen vertragſchließenden
Teiles enthaltenen Vorſchriften, wonach bei Nichtaus⸗
führung eines Patents die Zurücknahme oder eine
ſonſtige Beſchränkung des Rechtes vorgeſchrieben iſt,
auf die den Angehörigen des anderen Teils gewährten
Patente nur in dem Umfange der von dieſem Teile
ſeinen eigenen Angehörigen auferlegten Beſchränkungen
Anwendung. Amerika legt aber ſeinen Angehörigen
keinen Ausführungszwang auf; die Erwartung, die
man auf deutſcher Seite bei Abſchluß des Ueberein—
kommens von 1909 hegte, daß es das tun werde, hat
ſich nicht erfüllt. Infolgedeſſen war in Deutſchland
der Deutſche dem Ausführungszwang unterworfen, der
Amerikaner aber davon befreit. Dieſer Mißſtand
führte zwar nicht zu einer Beſeitigung des Ausführungs—
zwangs, wohl aber zu einer ſehr weſentlichen Ein—
—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 13.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
ſchränkung; Abſ. 2 des 8 11 beſtimmt jetzt: „Das
Patent kann, ſoweit nicht Staatsverträge entgegen⸗
ſtehen, zurückgenommen werden, wenn die Erfindung
ausſchließlich oder hauptſächlich außerhalb des Deutſchen
Reichs oder der Schutzgebiete ausgeführt wird.“ Die
Unterlaſſung der Ausführung eines Patentes im In⸗
lande wird ſomit in Zukunft für ſich allein keinen
Anſpruch auf Zurücknahme des Patentes begründen,
ſondern nur dann, wenn die Erfindung ausſchließlich
oder hauptſächlich außerhalb des Deutſchen Reiches
oder der Schutzgebiete ausgeführt wird, und auch dann
nur, wenn nicht Staatsverträge entgegenſtehen. Die
Vorſchrift kommt alſo nicht zur Anwendung, wenn
die Erfindung in einem Staat ausgeführt wird, der
mit dem Reiche vereinbart hat, daß die Ausführung
in dem Gebiete des einen vertragſchließenden Teiles
der Ausführung in dem Gebiete des anderen gleich⸗
ſtehen ſoll (Italien, Schweiz, die Vereinigten Staaten
von Amerika). Dagegen iſt die Vorſchrift von Be⸗
deutung als Retorſionsmaßregel gegenüber Staaten,
in denen unſere eu dem Ausführungszwang
unterliegt. Es ſoll verhindert werden, daß z. B. ein
Engländer durch die Erwirkung eines deutſchen Patents
die Ausnützung ſeiner Erfindung in Deutſchland verbieten
kann, ſelbſt aber die Ausführung nur im Ausland vor-
nimmt und von dort aus den deutſchen Markt verſorgt,
während unſere Induſtrie in England Jabriken gründen
muß, um des dort erwirkten Patentſchutzes nicht ver⸗
luſtig zu gehen. In der Reichstagskommiſſion hat
man gefürchtet, es könne der Verſuch gemacht werden,
den Ausführungszwang zu umgehen, indem z. B. der
engliſche Inhaber eines deutſchen Patents es zu dieſem
Zweck auf einen dem Ausführungszwange nicht unter⸗
liegenden amerikaniſchen Fabrikanten übertrage. Man
hat deshalb in den Abſ. 2 des neuen $ 11 als zweiten
Satz die Beſtimmung aufgenommen: „Die Uebertragung
des Patents auf einen anderen iſt inſofern wirkungs⸗
los, als ſie nur den Zweck hat, der Zurücknahme zu
entgehen.“
Die Unterlaſſung der 1 eines Patents
im Inlande bietet, wie ſchon hervorgehoben, an ſich
keinen Grund mehr zur Zurücknahme des Patents.
Ergeben ſich aus der Unterlaſſung der Ausführung
Nachteile für die Allgemeinheit, ſo kann nach Abſ. 1
nötigenfalls durch die Erteilung einer Zwangslizenz
geholfen werden. Aber dies iſt nicht der einzige Zweck
des Lizenzzwanges. Er kann Platz greifen, auch wenn
der Patentinhaber ſein Patent im Inland ausführt,
und er gilt dem vom Ausführungszwange befreiten
inländiſchen oder ausländiſchen Patentinhaber gegen⸗
über ſo gut wie gegenüber dem anderen, der ihm noch
unterliegt.
Die Erteilung einer Zwangslizenz ſowohl wie
die Zurücknahme eines Patentes können nicht vor
Ablauf von drei Jahren ſeit der Bekanntmachung der
Erteilung des Patentes erfolgen (Abſ. 3 des neuen
8 11); außerdem ſoll gegen Angehörige der Pariſer
Union nach Ziff. 3b des Brüſſeler Schlußprotokolls
die Zurücknahme nur dann ausgeſprochen werden
können, wenn der Patentinhaber Gründe für ſeine
Untätigkeit nicht dartut. Auf das Verfahren und die
Entſcheidung über die Erteilung der Zwangslizenz
finden nach Art. II des Geſetzes vom 6. Juni d. Js.
die Vorſchriften des Patentgeſetzes über die Zurück—
nahme des Patents (8325 ff.) Anwendung. Art. III
beſeitigt die Vorſchrift in §8 30 Abſ. 3 Pat., die
nicht mehr praktiſch werden wird. Nach Art. IV tritt
das Geſetz am 1. Juli d. Js. in Kraft. 2292
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 14 u. 15. 14 u. 15.
München, de den 1. Auguſt 1911.
7. Jahrg.
Zeitſchrift für Nechtapflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staatsminiſterium der Juſtiz.
Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
im N von mindeſtenz 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
1 falt Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und J.
oſtan 8
in Bayern
Berlag von
2. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
München und Berlin.
nd Expedition lat 1.
en 130 Big. für die elbe 7 8 „delt lle
oder 0. 8 aum. Bel reed Ka Et ellenanzelgen
Beilagen nach Uebereinku
Nachdruck verboten. 293
Die neuen baheriſchen Vorſchriften über das
Verfahren der zuſtizbehörden in Vegnadi⸗
gungs- und Strafaufſchubsſachen.
Von J. Bleyer, II. Staatsanwalt in München.
(Schluß.)
IX.
Die Streitfrage, wann die Strafhaft beginnt,
beantwortet die Bekanntmachung für den Bereich
ihrer Vorſchriften wie die bisherige Praxis (.
dagegen Kreß, Ueber die Grenzen von Unter⸗
ſuchungshaft und Strafhaft, BayrziR. 1906
S. 409 f.). Strafhaft iſt nach $ 11 Abſ. III die
Haft des Verurteilten ſeit der Aufnahme in die
Strafanſtalt oder in das Gefängnis, wo er die
Strafe zu verbüßen hat. War er in dem Ge—
fängnis, in dem die Strafe zu vollſtrecken iſt,
bisher in Unterſuchungshaft, ſo gilt als Strafhaft
die Haft ſeit der Vollziehung des Strafvoll:
ſtreckungsbefehls. Die genaue Begriffsfeſtſtellung
Geſuch nach dem Sinne und Zwecke des 8 11
Abſ. III als Bitte um Strafunterbrechung zu be⸗
handeln ſein. Der bekannte Streit über die Be⸗
rechnung der Strafzeit ſpielt hier keine Rolle.
X.
Die Vorſchriften über die vorläufige Unter⸗
brechung der Strafhaft in dringenden Fällen
haben eine durchgreifende Aenderung erfahren
(8 12). Die bisherigen veralteten Vorſchriften
waren ſchon bei der Abgrenzung der Zuſtändig⸗
keit unklar und trugen den Bedürfniſſen der
Praxis nicht genügend Rechnung. Der $ 12 ſtellt
zunächſt die Gefängnisinſpektoren bei der Bewilli⸗
gung der vorläufigen Unterbrechung den übrigen
Gefängnisvorſtänden gleich. Außer den Gefäng⸗
nisvorſtänden dürfen jetzt auch die Vorſtände der
Strafanſtalten unterbrechen. Die Unterbrechung
iſt zulaͤſſig „in beſonders dringenden Fällen“;
daß ein wirtſchaftlicher Notſtand vorliegt, iſt
nicht mehr Vorausſetzung. Das Ermeſſen der
Behörde hat hier einen ziemlich weiten Spielraum.
iſt beſonders für die Fälle bedeutſam, in denen Beſondere Vorſicht wird geboten ſein, wenn der
gezweifelt werden könnte, ob der Verurteilte um | Reit der Strafe noch groß oder der Gefangene
Strafaufſchub oder um Strafunterbrechung bittet. | der Flucht verdächtig it. Die „nachträgliche Ge⸗
auſſc 155 in 15 1 0 1 | an 18 A 1 nicht
aufihub noch mögli r Perſonen, die na mehr eingeholt. n ihre Stelle iſt kurze un⸗
81 Abſ. 4 der Hausordnung für die bayeriſchen mittelbare Berichterſtattung des Gefängnisvor—
Strafanſtalten in der Strafanſtalt vorläufig ver⸗
wahrt werden, weil gegen ihre Aufnahme Bedenken
beſtehen, oder für Perſonen, die zwar ſchon in dem
Gerichtsgefängniſſe verwahrt werden, in dem die
Strafe zu vollſtrecken ift, aber dort als Strafgefangene
noch nicht aufgenommen ſind. Wird ein Straf—
gefangener unter Einrechnung der Strafe, die er
verbüßt, nachträglich zu einer Geſamtſtrafe ver:
urteilt und bittet er, die Vollſtreckung der Geſamt⸗
ſtrafe (d. h. ihres Reſtes) auszuſetzen, ſo wird ſein
Geſuch nur dann als Strafaufſchubsgeſuch zu
gelten haben, wenn er zur Verbüßung des Straf—
reſtes an einen anderen Strafort gebracht
werden muß und dorthin noch nicht abgeliefert
iſt. Bleibt er am gleichen Strafort, jo wird das fangene,
ſtandes oder des Vorſtandes der Strafanſtalt ohne
Vorlegung der Akten getreten. Iſt die Ent⸗
ſcheidung nicht beſonders dringend, ſo wird vor der
Unterbrechung an das Juſtizminiſterium berichtet,
nötigenfalls unmittelbar. Das gleiche gilt, wenn
der Gefängnisvorſtand oder der Vorſtand der
Strafanſtalt keinen Anlaß findet, die erbetene
Unterbrechung zu bewilligen. Er darf demnach
zwar die Unterbrechung in den dafür vorge—
ſehenen Fällen ſelbſtändig bewilligen, aber er
kann das Geſuch um Unterbrechung nicht durch
Abweiſung erledigen. In der Regel darf auf
Grund des § 12 Abſ. J nur auf beſtimmte kurze
Zeit unterbrochen werden. Beantragt der Ge—
ihn wegen eines Todesfalles in der
294
Familie u. dgl. für längere Zeit, z. B. für die
Erntezeit, zu entlaſſen, ſo hat der Gefängnisvor⸗
ſtand oder der Vorſtand der Strafanſtalt, wenn
er die Vorausſetzungen der vorläufigen Unter⸗
brechung für gegeben hält, vorübergehende Unter⸗
brechung zur Teilnahme an der Beerdigung und
zur Beſorgung der dringendſten Geſchäfte zu be⸗
willigen und dafür zu ſorgen, daß der Antrag
auf weitere Unterbrechung von der zuſtändigen
Behörde (8 3 Abſ. II) möglichſt ſchleunig behan⸗
delt und dem Juſtizminiſterium vorgelegt wird.
Das gleiche iſt zur Beſeitigung von Zweifeln im
8 13 ausdrücklich für den Fall vorgeſchrieben,
daß nach der vorläufigen Unterbrechung gebeten
wird, die Zeit der Beurlaubung zu verlängern.
Das Vorrecht des Oberſtaatsanwalts in Zwei⸗
brücken, Strafunterbrechung zu bewilligen, iſt in
der Bekanntmachung nicht aufrechterhalten, alſo
beſeitigt (ſ. $ 33).
Die Vorſchriften über die Unterbringung kranker
Gefangener in Heilanſtalten wurden durch $ 12
nicht berührt.
Die Unterbrechung der Strafvollſtreckung gegen
ſchwangere Perſonen vollzieht ſich im all⸗
gemeinen nach dem bisherigen Verfahren (§ 14).
Es iſt aber ausdrücklich geſagt, daß nur dann
unterbrochen werden ſoll, wenn die Entbindung
nicht am Strafort erfolgen kann. Soll die Ge⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
fangene in eine vom Straforte getrennte Ent:
bindungsanſtalt ohne Strafunterbrechung verbracht
werden, ſo kann dies der Vorſtand des Gerichts—
gefängniſſes (. 888 V HO. für die GG.) und,
wenn die Strafe in einer Strafanſtalt verbüßt
wird, das Miniſterium als Aufſichtsbehörde (ſ.
§ 44 1 HO. für die Strafanſtalten) anordnen.
Die Bekanntmachung vom 25. März 1871 (JM Bl.
S. 67), die den Oberſtaatsanwalt für zuſtändig
erklärte, gilt in dieſer Hinſicht nicht mehr.
XI.
Ueber die Anwendung des § 487 StPO. gibt
die Bekanntmachung zunächſt Vorſchriften, die
hauptſächlich das Verfahren betreffen (§S 15), dann
beſondere Vorſchriften über die Vollſtreckung gegen
ſchwangere Perſonen und gegen ſtillende Mütter
(SS 16, 17). In dieſen Fällen müſſen die Inter—
eſſen der Strafrechtspflege mit dem Intereſſe an
der Aufrechterhaltung der Ordnung in den Straf—
anſtalten und Geſängniſſen in Einklang gebracht
werden. Können ſich die Vollſtreckungsbehörde
und der Vorſtand des Gerichtsgefängniſſes oder
der Strafanſtalt wegen der Aufnahme einer
Schwangeren nicht einigen, ſo ruft die erſtere die
Entſcheidung der Aufſichtsbehörde (für ein Gerichts—
gefängnis des zuftändigen Oberſtaatsanwalts, § 24
HO. f. d. GG., für eine Strafanſtalt des Mini—
— — ͤ . — — K- — ä—
|
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|
|
|
|
ſteriums) an. Stillende Mütter können mit ihren
Säuglingen ausnahmsweiſe in ein Gerichtsge-
fängnis aufgenommen werden. Das Miniſterium
kann unter Umſtänden geſtatten, daß die Strafe,
die eine ſtillende Mutter in der Strafanſtalt zu
verbüßen hätte, bis zur Entwöhnung des Kindes
in einem geeigneten Gerichtsgefängniſſe vollſtreckt
wird ([. C VII der Bekanntmachung vom
28. Januar 1903, JIM Bl. S. 42).
XII.
In der Zuſtändigkeit zur Entſcheidung über
Strafaufſchub in anderen Fällen als nach $ 487
StPO. und zur Stundung der Zahlung von
Geldſtrafen hat ſich nichts geändert. Die Befugnis
der Oberſtaatsanwälte, über die Geſuche und die
Beſchwerden zu entſcheiden, deren Erledigung früher
dem Juſtizminiſterium vorbehalten war, gründet
ſich auf die allerhöchſte Entſchließung vom 11. De⸗
zember 1910 und die Bekanntmachung vom 17. De⸗
zember 1910 (JMBl. S. 1031), deren Vorſchriften
in die neue Bekanntmachung eingearbeitet ſind.
Um Aufſchub „auf unbeſtimmte Zeit“ (§ 18 Abſ. III)
wird auch dann gebeten, wenn der Verurteilte im
Anſchluß an die Anzeige gegen einen Zeugen
wegen Verletzung der Eidespflicht ſpäter ein Wieder:
aufnahmeverfahren betreiben will und bis dahin
mit der Strafvollitredung verſchont ſein möchte.
Das gilt auch dann, wenn er in der Annahme,
das Verfahren wegen der oe werde
bis dahin erledigt ſein, vorläufig Aufſchub bis zu
einem benannten Zeitpunkt erbittet. Denn es läßt
ſich nie vorausſehen, wie lange das Verfahren
dauern wird.
Nach $ 20 ſoll das während der Vollſtreckung
einer Strafe geſtellte Geſuch um Ausſetzung der
Vollſtreckung einer Anſchlußſtrafe nicht als Geſuch
um Strafunterbrechung, ſondern als Geſuch um
Strafaufſchub behandelt werden. Wenn aber ſchon
angeordnet wurde, daß die Anſchlußſtrafe ohne
Rückſicht auf Geſuche um Aufſchub vollſtreckt werde,
und deshalb die Vollſtreckung trotz des Geſuchs
eingeleitet wurde, ſtellt ſich die Bitte ſelbſtverſtänd⸗
lich als Geſuch um Strafunterbrehung und damit
als Begnadigungsgeſuch dar (ſ. $ 11 Abſ. J).
Beſonderen Wert legt die Bekanntmachung wie
§ 78 der Dienſtvorſchriften für die Staatsanwalt:
ſchaften darauf, daß die Straſvollſtreckung nicht
grundlos verzögert wird. Den häufigen Verſuchen,
die Vollſtreckung durch Aufſchubsgeſuche ungebühr—
lich zu verſchleppen, iſt deshalb entſchieden entgegen⸗
zutreten durch die raſche Behandlung der Geſuche
um Aufſchub, durch das Unterlaſſen unnötiger Er—
hebungen und durch die Prüfung, ob ſich der Ver—
urteilte nicht ſchon bisher durch die Stellung
anderer Anträge Auſſchub mehr als genügend ver:
ſchafft hat. Beſonders wenn es ſich um kurze
Freiheitsſtrafen oder geringe Geldſtrafen handelt,
die der Verurteilte bei gutem Willen ſchon hätte
verbüßen oder zahlen können, wird ſich oft die
ſofortige Abweiſung des Geſuchs empfehlen (ſ. $ 23
Abſ. J). Die Strafe ſoll ein Uebel fein und von
dem Verurteilten empfunden werden. Es iſt ver—
Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 295
ſich ihm möglichſt wenig fühlbar zu machen. zuſtändig iſt. Die Vorſchriften der 88 23, 26, 27
Die Entſcheidung über das Geſuch wird in machen dieſem Treiben ein Ende. Der Ober⸗
Urſchrift zu den in § 25 Abſ. II bezeichneten ſtaatsanwalt kann bei Geſuchen um Aufſchub oder
Akten genommen ($ 24 Abſ. I). Die Oberſtaats⸗ Stundung die ſofortige Vollſtreckung anordnen
anwälte ſühren alſo keine eigenen Akten über die ohne Unterſchied, ob er für die Entſcheidung über
Strafaufſchubsſachen, in denen ſie entſcheiden. Die das Geſuch zuſtändig iſt oder ob eine Beſchwerde
Verwendung von Formblättern iſt ſelbſtverſtändlich vorliegt. In dem obigen Falle hat jetzt der
nicht ausgeſchloſſen, ſondern empfehlenswert. Wird Staatsanwalt an den Oberſtaatsanwalt zu be⸗
dem Geſuch entſprochen, ſo erhält die Entſcheidung richten und ſich die Ermächtigung zur ſofortigen
keine Begründung. Wird dem Geſuche nicht oder Straſfvollſtreckung zu verſchaffen.
nur teilweiſe entſprochen, ſo ſind die Gründe da⸗
für in der Form einer kurzen Aktennotiz anzugeben.
Das au 1 nn einigen 1105 8 1
Die Begründung ſoll den vorgeſetzten Behörden, n i g
ae 1 u. . 9 05 die engliſche Ger ichtsverfaſſung.
ienſtaufſichtlich prüfen, klar machen, warum das j f
Geſuch abgewieſen wurde. Den Beteiligten wird Von Oberlandesgerichtsrat Frhr. v. Richthofen in Jena.
nur die Entſcheidung, nicht auch die Begründung Der Oberbürgermeiſter von Frankfurt a. M.
eröffnet (ſ. $ 25 Abſ. I). Im übrigen iſt von | Dr. Adickes war im Jahre 1906 in einer Rede
der Eröffnung der Eniſcheidung unter VI die Rede im preußiſchen Herrenhauſe und einer Schrift:
geweſen. „Grundlinien durchgreifender Juſtizreform“ mit
Auch in den neuen Vorſchriften über das der Forderung hervorgetreten, eine Reform der
Beſchwerdeverfahren und die Anordnung der jo: deutſchen Rechtspflege unter Verwertung engliſch⸗
fortigen Strafvollſtreckung durch den Oberftaats: ſchottiſcher Rechtsgedanken anzubahnen. Er ſelbſt
anwalt ($S 26, 27) kommt der Gedanke zum bezeichnete als eine Hauptaufgabe, zu der er im
Ausdrucke, daß die Strafvollitrefung bei aller Intereſſe der Erreichung ſeines Zieles anregen
Wahrung berechtigter Intereſſen raſch und nad: ! wollte, ein ſorgfältiges Studium der Verfaſſung
drücklich durchgeführt werden ſoll. der engliſch⸗ſchottiſchen Gerichte und ihres Ver⸗
Beſchwerdeinſtanz iſt der Oberſtaatsanwalt. fahrens in Zivil- und Strafſachen, damit man
Er entſcheidet über die Beſchwerden gegen die daraus Ergebniſſe für die Löſung der großen
Entſcheidungen des Staatsanwalts ohne Rückſicht Reformfragen in unſerer Rechtspflege gewinnen
darauf, ob es ſich um eine amtsgerichtliche oder möge (Grundlinien S. 148). Der rege Meinungs:
eine landgerichtliche Sache handelt. Eine fürm: austauſch, der ſich an die Adickesſchen Vorſchläge
liche Beſchwerde gegen die Entſcheidungen, die der anſchloß, hat dem ordentlichen Profefſor der Rechte
Oberſtaatsanwalt auf Grund der allerhöchſten | an der Univerfität Jena und akademiſchen Rat
Ermächtigung (8 18 Abſ. III) oder im Beſchwerde⸗ am dortigen Oberlandesgericht Dr. Heinrich B.
kehrt, wenn die Straſvollſtreckung darauf ausgeht erſchöpft waren, innerhalb deren der Staatsanwalt
|
|
verfahren trifft, iſt nicht vorgeſehen. Das Yuftiz: Gerland den äußeren Anlaß geboten, das ein:
miniſterium kann aber jederzeit die Akten prüfen ſchlägige Tatſachenmaterial zuſammenzutragen, ohne
und dienſtaufſichtliche Weiſungen geben. Dem das ja die Prüfung der Frage, ob eine Anlehnung
Mißbrauche des Beſchwerdeverfahrens zur Der: der deutſchen Gerichtsorganiſation an die engliſchen
ſchleppung der Vollſtreckung iſt durch die Ein⸗ Einrichtungen ausführbar und empfehlenswert ſein
ſchränkung der aufſchiebenden Wirkung von Be: würde, unmöglich iſt. Nachdem er wiederholt
ſchwerden vorgebeugt. längere Zeit in England zugebracht und mit nam—
Die Vorſchriften über die Anordnung der haften Kennern des engliſchen Rechtslebens Fühlung
ſofortigen Straſvollſtreckung und die Verſagung geſucht und gefunden, auch ſchon mehrfach in Vor:
der aufſchiebenden Wirkung von Geſuchen waren trägen und kleineren Veröffentlichungen (nament—
bisher lückenhaft. Wer mit den Lücken vertraut lich: „Die engliſche Gerichtsverfaſſung in ihrer
war, konnte die Strafvollſtreckung leicht verzögern. gegenwärtigen Entwicklung und die deutſche Ge—
Ein beliebtes Mittel war es, nach der Abweiſung richtsreform“, 1908) ſich über die Rechtseinrich⸗
eines Geſuchs nach $ 488 StpoO. ſofort ein tungen jenſeits des Kanals ausgeſprochen hatte,
neues mit anderer Begründung vorzulegen. Da hat er ein umfangreiches Werk!) erſcheinen laſſen,
darin in der Regel eine Beſchwerde gegen die von dem man wohl ſagen darf, daß es die gründ—
ablehnende Entſcheidung nicht gefunden werden lichſte Bearbeitung der engliſchen Gerichtsverfaſſung
konnte, hatte der Staatsanwalt auch über das darſtellt, die bisher aus der Feder eines deutſchen
zweite Geſuch zu entſcheiden. Sofortige Voll: en
ſtreckung konnte er nicht anordnen; er mußte jogar BFFFFJVUV»¶ͤ m ee
damit rechnen, daß noch vor der Einleitung des (ietzt Abe che Profeſſor an der Univerſität Jena.
Vollzugs das dritte Geſuch uſw. eintreffe. So gel Halbbände. 1020 Seiten mit Sachregiſter. Leipzig,
ging es nicht ſelten fort, bis die vier Monate [G. J. Göſchenſche Verlagshandlung 1910.
1) Die engliſche Gerichtsverfaſſung. Eine ſyſtema—
Gelehrten gefloſſen iſt. In der Tat wird jeder,
der ſich in das Studium des verwickelten und für
uns zunächſt völlig undurchſichtigen Rechtsgebiets,
das Gerland zu ſchildern unternommen hat, ver⸗
tieft, feſtſtellen müſſen, daß ein bedeutender Fleiß
dazu gehört hat, die grundlegenden Kenntniſſe zu
ſammeln und zu verarbeiten. Die Arbeit dürfte
deshalb beſonders ſchwierig geweſen ſein, weil es
ſich um die Erforſchung der Einrichtungen eines
fremden Landes handelt, und weil man bei dem
Fehlen jeder Kodifikation darauf angewieſen iſt,
aus vielen Geſetzen von alter und neuer Zeit und
nicht zuletzt aus den Gerichtsgebräuchen das gel⸗
tende Recht zu ermitteln. Anerkennung verdient
gewiß das von Gerland in ſeinem Vorwort be⸗
zeugte Entgegenkommen der engliſchen Behörden,
insbeſondere des Lord Chief Justice, und her⸗
vorragender Vertreter der Anwaltſchaſt; ohne dieſes
wären die Schwierigkeiten wohl kaum zu über⸗
winden geweſen. Wollte ein Ausländer unſere
Gerichtsverfaſſung darſtellen, jo würde er an der
Hand des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes und ſeiner
Nebengeſetze ſicherlich eine ſehr viel leichtere Auf⸗
gabe haben.
Der Zweck dieſer Abhandlung iſt, den Leſerkreis der
Zeitſchrift mit dem Buche bekannt zu machen und
ihn zugleich über die Grundzüge der engliſchen
Gerichtsverfaſſung genauer zu unterrichten. Es
verlohnt ſich dies ſicherlich, denn das in dem Ger—
landſchen Werke niedergelegte Studienergebnis
entſpricht durchaus der aufgewendeten Mühe. Ein
Gang durch das von ihm bearbeitete Rechtsgebiet
an der Hand ſeiner Einteilung wird dies beſtätigen.
Im I. Halbbande werden die ordentlichen
Gerichte behandelt, zunächſt die niederen (SS 1— 10,
S. 1— 281), dann die höheren (SS 11 — 25,
S. 282 612). Zuvörderſt nimmt die Dar:
ſtellung der Friedens gerichte einen breiten
Raum ein (S. 3— 165). Das Amt des Friedens—
richters (Justice of the Peace) iſt ein Ehren:
amt und erfordert keine juriſtiſche Vorbildung,
doch ſteht jedem Friedensrichter ein rechtsgelehrter
Bürobeamter (Clerk) zur Seite. Sehr intereſſant
iſt die geſchichtliche Entwicklung (S. 3 ff.) des
unter Eduard III. (1327-1377) begründeten
Amtes: ſein urſprünglich ariſtokratiſcher Charakter
wurde ſeit der Mitte des 19. Jahrhunderts all—
mählich demokratiſiert, namentlich durch die Justice
of the Peace Act von 1906, die das frühere
Erfordernis eines Mindeſteinkommens für die Er—
neunung zum Friedensrichter beſeitigte und dadurch
den Zugang zu dieſem Amte auch den unbe—
mittelten Schichten der Bevölkerung öffnete. Die
PERL. ; er gr f 7Std
Zuſtändigkeiten des Friedensrichters ſind dagegen schließlich in der weitgehenden Beſchäftigung des
im Laufe der Zeit mehr und mehr eingeſchränkt
worden.
leichteſten Deliktsfällen (S. 46 f.), als Mitglied
der aus mindeſtens zwei Friedensrichtern beſtehen—
den Petty Sessions, die die große Maſſe der
kleineren Straftaten des täglichen Lebens abzu—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. |
I
}
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Er wird tätig: als Einzelrichter bei den,
urteilen haben und daneben noch eine beſchränkte
adminiſtrative und zivilrechtliche Zuſtändigkeit be⸗
ſitzen (vergl. S. 20 ff.), endlich als Mitglied der
Richterbank bei den periodiſch (meiſt vierteljährlich)
abgehaltenen Quarter Sessions, die teils mit teils
ohne die Jury der Geſchworenen über die Delikte
von mittlerer Schwere verhandeln (S. 47 ff.).
Auf S. 70 ff. bringt Gerland intereſſante Mit⸗
teilungen über die Zuſammenſetzung der Jury,
namentlich über die Beteiligung der verſchiedenen
Bevölkerungsſchichten am Geſchworenenamte, und
unterzieht die gegenwärtigen Zuſtände einer ein⸗
gehenden Kritik.
In den Städten hat die Verfaſſung der
Friedensgerichte weſentliche Modifikationen er⸗
fahren, die ſich hauptſächlich in der Richtung be⸗
wegen, daß man an Stelle des Laienrichters den
gelehrten, an Stelle des ehrenamtlichen den be⸗
amteten Richter geſetzt hat. Wir finden hier den
Polizeirichter (Stipendiary Magistrate), der vor
ſeiner Ernennung durch die Krone mindeſtens
ſieben Jahre Barriſter geweſen ſein muß; er wird
vielfach unter Zuziehung von ehrenamtlichen
Friedensrichtern als primus inter pares tätig,
ſo daß ein unſeren Schöffengerichten ähnliches Ge⸗
bilde entſteht (S. 112). Das Nähere iſt im 8 6
(S. 104 ff.) dargeſtellt.
Im folgenden Paragraphen behandelt Gerland
die gegenwärtige Entwickelung der Friedensgerichte
und gibt Ausblicke in die Zukunft. Er legt dar,
daß man bei der bunten Fülle von Einzelerſchei⸗
nungen, die der gegenwärtige Rechtszuſtand auf:
weiſt, nicht davon ſprechen kann, daß eine durd):
greifende Reform des alten Inſtituts bereits durch⸗
geführt ſei, und daß daher die jetzt in England
beſtehende Reſormbewegung gegen die Friedensge—
richte ihren guten Grund hat. Dieſe richtet ſich
in erſter Linie gegen die Rechtſprechung der Friedens⸗
richter und wird publiziſtiſch beſonders von dem
Abgeordneten Labouchère in ſeiner Wochenſchrift
„Truth“ vertreten (S. 145 Anm. 4). In der
Hauptſache fordert man Aufhebung der Differenzie⸗
rung zwiſchen Stadt und Land und einheitliche
Gerichtsorganiſation für beide unter Zurückdrängung
des Laienrichtertums, ſowie Beſeitigung der ver—
waltungsrechtlichen Funktionen der Friedensrichter.
Trotz der Reformbedürftigkeit der Verhältniſſe
wird ein Eingreifen der Geſetzgebung vorausſicht—
lich noch lange auf ſich warten laſſen. Der Ver⸗
faſſer ſieht die Gründe hierfür „einmal in einer
gewiſſen Indolenz der öffentlichen Meinung gegen:
über beſtehenden Mißſtänden, ferner in der kon—
ſervativen Freude der Engländer am Hergebrachten,
Parlamentes mit der äußeren und inneren Staats—
verwaltung“ (S. 162).
Liegt das Schwergewicht der friedensrichterlichen
Tätigkeit auf dem Gebiete des Strafrechts, Jo haben
die Grafſchaftsgerichte (County Courts)
ihre Bedeutung in der Zivilgerichtsbarkeit erſter
Inſtanz. Auch dieſe Gerichte reichen mit ihren
Wurzeln in alte Zeiten zurück. Die Lokalgerichte
der Sheriffs der vornormanniſchen Zeit wurden in
der normanniſchen Periode im Sinne einer Zen⸗
traliſierung umgeſtaltet; ſchon im 14. Jahrhundert
iſt dieſe Entwickelung ſoweit gediehen, daß alle er⸗
heblicheren Zivilklagen bei den Londoner Gerichten
angebracht werden müſſen, während den Gerichten
der Sheriffs nur noch die Zuſtändigkeit für Sachen
im Streitwerte bis zu 40 shillings verbleibt. Die
Folge war die Entſtehung zahlreicher lokaler Son⸗
dergerichte, die in einem ſehr verſchiedenartigen Ver⸗
hältniſſe zu den Gerichten der Hauptſtadt ſtanden.
Nachdem ſich die Unhaltbarkeit dieſer Zuſtände
immer mehr offenbart, und eine lebhafte Reform⸗
bewegung eingeſetzt hatte, entſchloß ſich endlich im
Jahre 1846 die Geſetzgebung zum Eingreifen. Das
Ergebnis war die Schaffung neuer Gerichtshöfe
mit Bezirken, die ganz England umfaßten, und
mit einheitlicher Regelung des Verfahrens und der
Anſtellungsverhältniſſe. Man legte ihnen die alte
Bezeichnung der County Courts bei und unter⸗
ſcheidet nun in der engliſchen Literatur den mo⸗
dernen Statutory County Court von dem alt⸗
hiſtoriſchen Common Law County Court. Seit
1846 hat die Zuſtändigkeit der neuen Gerichte
durch eine Reihe von Geſetzen eine bedeutende Er⸗
weiterung erfahren, wodurch die Lokaliſierung der
Rechtspflege ſtarke Fortſchritte gemacht hat.
Gerland beſpricht im § 8 (S. 165 ff.) die Ent⸗
ſtehung und Bedeutung der Grafſchaftsgerichte und
das Problem ihrer Weiterentwickelung, das in der
vollſtändigen Lokaliſierung der erſtinſtanzlichen Zivil⸗
rechtspflege einerſeits und in der Abtrennung der
Bagatellſachen andererſeits gipfelt. Das Haupt⸗
hindernis dieſer Fortentwickelung iſt das „heute
längſt innerlich überlebte” Circuitſyſtem (S. 183),
nach dem die höheren Richter ihren Amtsſitz nur
in London und an einigen anderen Zentralplätzen
haben und von dort aus behufs Erledigung der
anhängig gewordenen Sachen ihrer Zuſtändigkeit
periodiſch das Land bereiſen. Die Beſeitigung
dieſes Syſtems durch Lokaliſierung der Rechtspflege
nach feſtländiſchem Muſter iſt bisher deshalb auf
unüberwindliche Schwierigkeiten geſtoßen, weil die
höheren Rechtsanwälte, die Barristers, faſt durch—
weg in London und einigen anderen Großſtädten
wohnen und ſämtlich in den vier Londoner Inns
of Court ſtraff organiſiert ſind, und weil hierauf
ihre hohe ſoziale Stellung zurückzuführen iſt, die
es wieder rechtfertigt, die höheren Richter nur
aus ihrem Kreiſe zu ernennen. Es wäre eine
bedeutende Vermehrung der Richterſtellen, eine
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 297
deutlich die Hemmniſſe, die ſich einer Reform der
alten Einrichtungen Englands entgegenſtellen.
Weiter wird im $ 9 (S. 195 ff.) die Organi⸗
ſation der County Courts — zur Zeit beſtehen
deren in England 552 — ſehr ausführlich erörtert.
Dieſe ſind jetzt mit nur 58 Richtern beſetzt, die
in 54 Circuitdiſtrikten ihre Amtsgeſchäfte zu er⸗
ledigen haben. Wir ſehen alſo das Amt des Graf⸗
ſchaftsrichters durchweg für mehrere Courts in
Perſonalunion vereinigt, der Amtsbezirk des Rich⸗
ters iſt ſomit weit ausgedehnter als der Gerichts⸗
bezirk, letzterer wird vom Richter, der von Ort
zu Ort reiſt, aber nicht im Circuitdiſtrikt zu
wohnen braucht, regelmäßig zur Abhaltung der
Sitzungen beſucht — Verhältniſſe, die uns fremd⸗
artig anmuten. Für den Richter wird juriſtiſche
Vorbildung und mindeſtens ſiebenjährige Praxis
als Barriſter erfordert, die Beſoldung beträgt
1500 & (= 30.000 M). Seine Hilfsperſon iſt
der Registrar; zu dieſem Amte kann ein und die⸗
ſelbe Perſon nur an einem County Court er⸗
nannt werden (S. 245). Die vorbereitende Tätig⸗
keit und die Mitarbeit des Registrar und weiterer
Clerks, die oft noch beſtellt ſind, machen es ver⸗
ſtändlich, daß eine nach unſeren Begriffen ſo ge⸗
ringe Zahl von Richtern die Geſchäfte im ganzen
Gebiet des Königreichs zu erledigen vermag (ogl.
S. 253 ff.). Ein Eingehen auf die weiteren Aus⸗
führungen über die Zuſtändigkeit und das Ver⸗
fahren der County Courts, die teilweiſe auch unter
Zuziehung einer Jury entſcheiden, verbietet ſich
hier. Nur ſei noch auf die intereſſante Erörterung
über die Beteiligung eines aus fünf Grafſchaſts⸗
richtern gebildeten Komitees an der Fortentwicke⸗
lung des Prozeßrechtes hingewieſen (S. 232 ff.).
Auf Schritt und Tritt begegnen uns im eng⸗
liſchen Gerichtsweſen Erſcheinungen, die ſich aus
früher Zeit herübergerettet haben und für die
Bedürfniſſe der Gegenwart nicht mehr paſſen
wollen. Als weiteres Beiſpiel hierfür ſei das
Gericht des Coroner ($ 10, S. 270 ff.)
angeführt, eine uralte Inſtitution, deren erſte Er⸗
wähnung in das 10. Jahrhundert verlegt wird.
Es iſt ein Unterſuchungsgericht für Kapitalver⸗
brechen, beſteht aus dem Coroner (Coronator),
der für einen beſtimmten Bezirk ernannt wird
und juriſtiſcher Vorbildung nicht bedarf — meiſt
werden Aerzte oder Solicitors dazu berufen —
und einer Jury, von 12 bis 23 Geſchworenen
und mutet in ſeinem Verfahren aͤußerſt alter⸗
tümlich an.
Die höheren Gerichte, zu deren Darſtellung
in den $$ 11 bis 25 (S. 282 bis 612) der Ver⸗
faſſer nunmehr übergeht, find der High Court
Herabſetzung ihrer jetzt für unſere Begriffe ge- | of Justice, der Court of Appeal (beide offiziell
waltigen Gehälter erforderlich, und dann wäre | zuſammengefaßt unter der Geſamtbezeichnung
es ſehr in Frage geſtellt, ob man noch aus dem Supreme Court of Judicature of England),
Anwaltſtande einen wirklich geeigneten Richterſtand ſowie das Oberhaus des Parlaments, ſämtlich
gewinnen könnte (vgl. hierüber S. 187 ff. und mit dem Sitze in London.
In ihnen haben wir
597 ff.). Dieſes herausgegriffene Beiſpiel zeigt trotz aller Fortſchritte der Lokaliſierung der Rechts—
298
pflege noch immer den eigentlichen Kern des eng:
liſchen Gerichtsweſens zu ſehen. Der High
Court in ſeiner jetzigen Geſtalt beruht auf der
Judicature Act von 1873, die als das wichtigſte
Reformgeſetz der engliſchen Gerichtsverfaſſung zu
gelten hat. In erſter Linie handelte es ſich da⸗
bei allerdings um eine Reform des materiellen
Rechts, deren Bedeutung in der Ueberwindung
des althergebrachten Gegenſatzes zwiſchen Law und
Equity liegt (S. 301 f.). Auch für die gleich⸗
zeitig vorgenommene Reform der Gerichtsorgani-⸗
ſation ſieht Gerland den leitenden Gedanken in
der Ueberwindung dieſes Dualismus, die endlich
Zeitſchrift für Rechtspflege in n Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
auch zu einer Vereinheitlichung des Prozeßrechts
führte (S. 303). So entſtand aus der größeren
Zahl von einzelnen hohen Gerichten, die bis dahin
nebeneinander beſtanden hatten, der große Be:
ſamtgerichtshof des High Court.
die für die Rechtſprechung maßgebenden Richter,
die zwar an Zahl gering, an Würde, Rang und
äußerem Anſehen aber ſo gehoben erſcheinen, daß
eine gleich hochſtehende Klaſſe von Richtern in
keinem anderen Staate zu finden ſein dürfte.
Eigenartig und eindrucksvoll iſt die Feierlichkeit,
mit der im Oktober nach dem Schluß der großen
Ferien das neue Geſchäftsjahr des höchſten Gerichts⸗
hofs begonnen wird. Auf S. 293 ff., Anm. 2,
finden wir darüber einen Bericht. Daß dieſes
beſondere Anſehen der engliſchen hohen Richter für
unſere Augen viel Beſtechendes hat, iſt unzweifel⸗
haft; dennoch wird man ſich gegenüber Vorſchlägen,
die eine Uebertragung dieſer Einrichtungen auf
Deutſchland befürworten, äußerſt vorſichtig ver—
halten müſſen, wie es auch Gerland tut.
Die Zuſammenſetzung des High Court iſt
trotz der Reform noch ſehr verwickelt, und das
gleiche iſt von ſeinen Zuſtändigkeiten zu ſagen.
Er iſt teils Zentralinſtanz für ganz England, teils
— z. B. für Konkursſachen — nur Lokalinſtanz
für die Grafſchaſt Middlesex, in der London liegt;
teils wird er im erſten, teils im zweiten Rechts—
gange, teils mit, teils ohne Geſchworenen Jury
tätig. Wir lernen die einzelnen Abteilungen
kennen: die Chancery Division, die hauptſächlich
mit den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts—
barkeit beſaßt iſt, die Probate Divorce and Ad-
In ihm wirken
von Adickes der Fall ſein mußte.
miralty Division, deren Geſchäftskreis die Nach-
laßſachen, die Eheſachen und die ſeerechtlichen An-
gelegenheiten umfaßt — dieſe ſeltſame Zuſammen—
ſtellung erklärt ſich geſchichtlich — endlich die be—
ſonders wichtige Kings Bench Division, der alle
ſonſtigen Zivilſachen und daneben Straſſachen und
verwaltungsgerichtliche Angelegenheiten unterſtehen.
Gerland gibt zunächſt (S. 305 ff., 312 ff.) einen
guten Ueberblick über die Organiſation und die
Kompetenzverteilung im Hirh Court und be:
handelt dann in den S 11 bis 16 und 19
(S. 336 ff., 467 ff.) die einzelnen Abteilungen
mit aller Ausführlichkeit. Auf die Einzelheiten
kann hier leider nicht eingegangen werden,
ſo
1911. Nr. 14 u. 15.
lohnend es auch iſt, dem Verfaſſer auf ſeinem
Wege durch dieſen Gerichtshof zu folgen, der ſicher⸗
lich zu den bedeutſamſten der Kulturwelt gehört.
Die gemeinſchaftliche Gerichtsſchreiberei aller
Abteilungen, das Central Office ($ 17, S. 429 ff.),
deren Einrichtung auf einem Geſetze von 1879
beruht, bietet bemerkenswerte Eigentümlichkeiten.
Wir werden hier mit dem Amte des Master be⸗
kannt, der eine Art Richter zweiter Klaſſe mit
juriſtiſcher Vorbildung und weitgehender Zuſtändig⸗
keit darſtellt. Die auf die 9 Abteilungen des
Central Office verteilten 18 Masters bilden ein
gemeinſames Kollegium mit dem Senior Master
an der Spitze und nehmen den Richtern einen ſehr
weſentlichen Teil der Arbeit ab. Ihnen ſind zur
Hilfeleiſtung noch zahlreiche Clerks von verſchie⸗
denen Rangklaſſen beigegeben.
Daß auch im übrigen die Richter des High
Court durch Beamte ſtark entlaſtet werden, die mit
beſonderen Verrichtungen beauftragt ſind, erfahren
wir aus $ 18 (S. 452 ff.). Nach Kenntnisnahme
aller dieſer Einrichtungen nimmt es uns nicht
mehr derart wunder, daß der Gerichtshof mit
einer ſo geringen Anzahl von Richtern (zurzeit
26) auskommt, wie es nach der Lektüre der Schrift
Es leuchtet
ein, daß bei einer ſo verſchiedenen Geſtaltung der
Geſchäfte eine einfache Vergleichung der Anzahl
der Richter in England und Deutſchland nicht an⸗
gängig iſt.
Im 8 20 (S. 494 ff.) begegnen wir dann einer
hochintereſſanten Darſtellung der in graue Vorzeit
zurückreichenden — die erſten Anſätze zu dieſer
Einrichtung finden ſich ſchon unter König Hein:
rich I. (1100-1135) — Courts of Assize.
Es find dies periodiſch zuſammentretende, vorzugs—
weiſe zur Erledigung von Strafſachen, aber auch
von Zivilſachen beſtimmte Gerichte, die von um—
herreiſenden Richtern des High Court (oder in
deren Vertretung von aͤlteren Barriſters) in den
wichtigſten Orten der einzelnen Graſſchaften ab—
gehalten werden und in der Beſetzung mit einem
Richter und zwölf Geſchworenen entſcheiden. Auf
die hohe Bedeutung dieſes Circuitſyſtems für die
ganze engliſche Gerichtsverfaſſung haben wir ſchon
hingewieſen, als wir ihm an einer anderen Stelle
begegneten. Troͤffend bemerkt Gerland in feiner
hiſtoriſchen Einleitung (S. 496): „Die Entſtehung
der Aſſiſengerichte iſt eine Begleiterſcheinung der
Durchführung der Zentraliſation“. Das Bild,
das der gegenwärtige Zuſtand der Aſſiſengerichte
bietet, iſt „ſeiner Vergangenheit entſprechend bunt
und unſyſtematiſch“ (S. 504). In der weiteren
Darſtellung erkennen wir auch hier die beiden
Strömungen, die für die jetzige Lage der eng—
liſchen Gerichtsverfaſſung bezeichnend ſind: die
eine drängt auf Reformen unter Anlehnung an die
kontinentalen Einrichtungen, die andere, tief im
engliſchen Nationalcharakter wurzelnd, ſucht das
von altersher Ueberkommene pietätvoll zu erhalten.
Tatſächlich hat die Reform von 1873 gerade an
den Verhältniſſen der Courts of Assize wenig
geändert. Wie zäh ſich hier Althergebrachtes er⸗
halten hat, zeigt z. B. die noch jetzt zu Recht be⸗
ſtehende Einrichtung der Jury of Matrons, aus
zwölf Frauen zuſammengeſetzt, die einzuberufen
iſt, wenn eine zum Tode verurteilte Frau geltend
macht, ſie ſei ſchwanger; ſie hat über dieſe Frage ein
Verdikt zu fällen und bindet durch dieſes den
Richter in bezug auf die Vollſtreckung des Urteils.
(Näheres über dieſe merkwürdige Einrichtung
S. 527 f.).
Für London und ſeine nähere Umgebung werden
die ſtrafrechtlichen Zuſtändigkeiten der Aſſiſengerichte
durch den Central Criminal Court ausge⸗
übt, der im Jahre 1834 geſchaffen wurde. Auch
dieſes Gericht tritt nur periodenweiſe, aber min⸗
deſtens zwölfmal im Jahre zuſammen (S. 539).
Als Vorſitzender gilt pro forma der Lord Mayor,
da der Central Criminal Court immer noch in
erſter Linie als ein Gericht der City of London
betrachtet wird (S. 542). Er beteiligt ſich aber
nur an der Eröffnung der Sitzungen, die mit
mittelalterlichem Pompe vor ſich geht. Neben ihm
figurieren auch die Aldermen of the City als
„Ehrenrichter“; die eigentlichen richterlichen Ge⸗
ſchäfte werden aber von Mitgliedern des Supreme
Court und der Londoner City-Gerichte beſorgt,
die durch eine General Commission des Königs
beauftragt werden.
Im 8 21 finden wir eine Schilderung der
lokalen Gerichtsbureaus des Supreme Court, die
in der Hauptſache auf der Judicature Act von
1873 beruhen (S. 547 ff.). Dieſe ſogenannten
District Registries haben ſich allmählich zu wirk⸗
lichen Gerichten mit beſchränkter Zuſtändigkeit ent⸗
wickelt. Es iſt intereſſant zu ſehen, wie auch auf
dieſem Wege die Ueberwindung der den wirtſchaftlichen
Verhältniſſen der Neuzeit unerträglichen Zentrali⸗
ſation nach und nach Fortſchritte macht. Urſprüng⸗
lich wohl nur als örtliche Gerichtsſchreibereien des
Supreme Court gedacht, haben die District Re-
gistries und die der Nachlaßgerichtsbarkeit dienen:
den Probate District Registries (S. 557 ff.)
bereits einen beträchtlichen Teil wenigſtens der
Zivilgerichtsbarkeit an ſich gezogen; ihre Zuſtändig⸗
keit konkurriert mit der des High Court.
Nach einem kurzen Abſchnitt über die Voll⸗
ſtreckungsbeamten des High Court (8 22, S. 561 ff.),
dem wir entnehmen, daß die Zwangsvollſtreckung
als ſolche im Gegenſatze zu der eigentlichen Recht⸗
ſprechung durchaus lokaliſiert iſt und im weſent⸗
lichen in den Händen der Sheriffs der Grafſchaften
und ihrer Unterbeamten ruht, kommt Gerland
im § 23 (S. 564ff.) zur Darſtellung des Court
of Appeal. Dieſes einheitliche Rechtsmittel—
gericht für Zivilſachen wurde durch die Juſtiz—
reform von 1873 geſchaffen zum Erſatz einer Reihe
von zweitinſtanzlichen Gerichtshöfen, die bis dahin
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
— ———————————————— ⁊ ä — — —Ü— — — ——ẽ.—.g' ' — ——— — — m
des Court of Appeal.
299
unabhängig nebeneinander beſtanden hatten. Die
Vorſchriften über ſeine Zuſtändigkeit ſind äußerſt
verwickelt. Es läßt ſich zwar der allgemeine Satz
aufſtellen: Eine jede Entſcheidung richterlicher
Natur iſt anfechtbar, ſofern nicht ein anderes
ausdrücklich beſtimmt iſt, (S. 566), aber derartige
Sonderbeſtimmungen ſind eben ſo zahlreich, daß
ſelbſt Gerland ſich ein näheres Eingehen darauf
verſagen muß. Der Court of Appeal entſcheidet,
ſoweit es ſich um Rechtsmittel gegen Endent⸗
ſcheidungen handelt, in der Beſetzung von drei
Richtern, während die Rechtsmittel gegen Zwiſchen⸗
entſcheidungen an ein Zweimännerkollegium gehen.
Daneben beſteht die eigentümliche Vorſchrift, daß
das Letztere, der ſog. Divisional Court, auch dann
zur Entſcheidung berufen iſt, wenn ſich die Prozeß⸗
parteien ſchriftlich darauf einigen, vor dem Divi-
sional Court Recht zu nehmen. Dieſe im Sn:
tereſſe einer Entlaſtung des Court of Appeal er⸗
laſſene Beſtimmung hat ſich indeſſen nicht bewährt
(vgl. S. 570 f.). Die Zahl der Richter am Court
of Appeal beträgt nur fünf, ſie müſſen mindeſtens
15 Jahre Barriſter oder mindeſtens ein Jahr
Richter am High Court geweſen fein, haben den
Vorrang vor den Richtern des High Court,
empfangen den gleichen Jahresgehalt wie dieſe,
nämlich 5000 .£ (= 100 000 ) und führen den
Titel Lord Justice of Appeal (S. 574).
Nachgetragen jet hier, daß als Rechtsmittel
gericht für Strafſachen der Court of Criminal
Appeal zu gelten hat. Er iſt auf Grund der
Criminal Appeal Act von 1907 gebildet worden,
hat aber keine eigenen Richter, vielmehr werden
ſeine Mitglieder nur aus der Kings Bench Divi-
sion des High Court genommen, jo daß der Court
of Criminal Appeal als ein Senat der Letzteren
erſcheint. Er eutſcheidet in einer Beſetzung von
mindeſtens drei Richtern ohne Mitwirkung einer
Jury (vgl. S. 307 ff., 346 f.).
Die höchſte Spitze der engliſchen Gerichtsver⸗
faſſung haben wir in dem House of Lords
zu ſehen. Das Oberhaus iſt hauptſächlich in
Zivilſachen, jedoch auch in beſtimmten Kriminal-
fällen zur Rechtſprechung berufen. Natürlich kann
bei einem Parlament, deſſen Mitgliederbeſtand ſich
zwiſchen 550 und 600 bewegt, von einer eigent:
lichen Tatigkeit als Gerichtshof nicht die Rede
ſein. Allerdings beſtehen noch jetzt althiſtoriſche
Normen, nach denen das Oberhaus in voller Be—
ſetzung als Kriminalgericht erſter Inſtanz (dann
auch „High Court of the King in Parliament‘
genannt) für Anklagen von ſeiten des Unter—
hauſes wegen Hochverrats (Impeachment), ſowie
für Anklagen gegen weltliche Peers oder deren
Gemahlinnen wegen Kapitalverbrechen (Trial by
Peers) zuſtändig iſt, doch find ſolche Fälle natur:
gemäß äußerſt ſelten (vgl. S. 589 f.). Regel—
mäßig aber tritt das House of Lords in Tätig—
keit als Reviſionsgericht für die Entſcheidungen
Deren Anfechtung iſt
300
zwar faſt durchweg zuläſſig, aber durch die außer:
ordentlich hohen Koſten — deren Durchſchnitt im
Jahre 1907 für jede Sache etwa 9000 M be:
trug — ſehr eingeſchränkt. Die Erledigung der
Reviſionen erfolgt aber in einer Weiſe, daß Ger⸗
lands Ausſpruch: „Es iſt weiter nichts wie eine
Rechtsfiktion, wenn heute noch behauptet wird,
das House of Lords als ſolches habe gerichtliche
Funktionen auszuüben, ſei das oberſte Gericht
Englands“ (S. 581), vollauf gerechtfertigt ift. Den
eigentlichen Gerichtshof bilden nur der Lord
Chancellor von Großbritannien, die ad hoc er⸗
nannten Lords of Appeal in Ordinary und
ferner alle die Peers, die hohe Richter von Groß⸗
britannien und Irland waren oder noch ſind.
Es ſtellt alſo eine kleine Zahl von „Law Peers“,
die in einer Beſetzung von mindeſtens drei, ge⸗
wöhnlich fünf Richtern entſcheiden, das House of
Lords als „Reichsgericht“ vor, während die große
Maſſe der übrigen Oberhausmitglieder (die „Lay
Peers“) von jeder Teilnahme an der regelmäßigen
Rechtſprechung ausgeſchloſſen iſt. Man kann ſagen,
daß ſich aus dem Schoße des Parlaments ein
ſelbſtändiger Gerichtshof der Richterlords losgelöſt
hat. Beſonders charakteriſtiſch tft, daß dieſer auch
während einer Vertagung, ja ſogar nach einer
Parlamentsauflöſung judizieren kann. Die Prozeß⸗
ordnung erläßt das Oberhaus durch die ſog.
Standing Orders, die Geſetzeskraft haben (S. 585).
Ueber das Verfahren, das ſeltſamer Weiſe einen
Anwaltszwang nicht kennt, teilt Gerland im An⸗
ſchluſſe an das Werk von Denison und Scott,
Practice and Procedure of the House of Lords
noch manche intereſſante Einzelheiten mit (S. 585 ff.).
Die Berufung des Parlaments zur Tano an
der Rechtſprechung, die natürlich in alte Zeiten
zurückreicht, darf als eine der eigentümlichſten
Erſcheinungen der engliſchen Gerichtsverfaſſung
gelten.
Im Schlußparagraphen des I. Bandes (S. 59 1ff.)
würdigt der Verfaſſer die gegenwärtige Entwide:
lung der ordentlichen Gerichte Englands und richtet
einen Ausblick in die Zukunft. Er führt aus,
daß ſich die geringe Zahl der höheren Richter
nicht bewährt habe, legt an der Hand zahlreicher
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
|
—— nn nn
fortſchreitenden Dezentraliſation ſowohl der Gerichte
wie der Anwaltſchaft und in der Abſchaffung der
Circuiteinrichtung, die jetzt noch als „kardinaler
Angelpunkt des ganzen Gerichtsſyſtems“ (S. 609)
zu bezeichnen iſt, alſo in einer Reform der Ge⸗
ſamtverfaſſung. (Schluß folgt).
Form der Veſchwerdezurücknahme in Grund⸗
buchſachen.
Von Landgerichtsrat du Chesue in Leipzig.
In ihrem Grundbuchrecht II 669 führen Fuchs⸗
Arnheim aus: „Richtet ſich die Beſchwerde gegen
die Ablehnung eines Eintragungsantrags ... fo
enthält die Zurücknahme der Beſchwerde, da letztere
den abgelehnten Antrag wiederholt, mittelbar auch
die Zurücknahme des erſten Antrags. Es recht;
fertigt ſich deshalb im Intereſſe der Rechtsſicher⸗
heit die analoge Anwendung der für die Rück⸗
nahme des Antrags durch 88 32, 291 GBO. vor:
geſchriebenen Form aus dem gleichen Grunde .
Richtet ſich die Beſchwerde gegen einen Eintrag
gemäß § 71? Satz 2, fo hat dieſelbe die Be⸗
deutung eines ſelbſtändigen Antragsrechts dem
Beſchwerdegericht gegenüber (GBO. 8 71 Nr. 19).
Der Antrag geht dahin, daß das Grundbuchamt
zur Eintragung eines Widerſpruchs oder einer
Löſchung veranlaßt wird. In dieſem Falle ent⸗
hält die Zurücknahme der Beſchwerde unmittelbar
die Rücknahme eines geſtellten Eintragungsantrags;
es iſt daher auch hier die Anwendung der Form
des $ 29 Satz 1 (§ 32 GBO.) geboten. Eine
verſchiedene Behandlung der noch für die Be⸗
ſchwerde, ſoweit es fih um Ablehnung oder
Vornahme von Eintragungen handelt,
verbleibenden Fälle, nämlich derjenigen, in denen
die Löſchung oder Aenderung eines Eintrags ver⸗
langt werden kann ($ 71 Nr. 18 GB.), dürfte
Preßſtimmen dar, daß man allgemein eine ſtarke
Vermehrung der Richter behufs Beſchleunigung
des Verfahrens wünſche, weiſt auf die ſtatiſtiſch
nachweisbare Ueberlaſtung des High Court und
ſeits die Schwierigkeiten, die ſich einer Richter⸗
vermehrung entgegenſtellen. Die Regierung ſcheut
eine ſolche, weil ſie eine Herabminderung des
großen Anſehens dieſer Richter, das hauptſächlich
nicht angängig ſein, da es ſich auch hier wenigſtens
mittelbar um Rücknahme geſtellter Eintragungs⸗
begehren, z. B. des Begehrens um Löſchung einer
Vormerkung handelt. Der Grund, daß die Rechts⸗
ſicherheit zwar keine Form für die Stellung eines
Eintragsungsantrags erfordert, weil niemand durch
denſelben benachteiligt wird ($ 30 Nr. 2 GB0O.),
des Court of Appeal hin und erörtert anderer⸗
mit auf ihrer geringen Anzahl beruht, ſowie die
mit Rückſicht auf die Rieſengehälter bedeutende
finanzielle Belaſtung fürchtet. Jedenfalls werden
die Reformbeſtrebungen bald in der Oeffentlichkeit
noch mehr von ſich reden machen, als es jetzt ſchon
der Fall iſt. Gerland ſieht das Ziel in einer
entnehmen (a.
wohl aber für die Zurückziehung eines Eintragungs-
antrags .. ., trifft auch für die Zurücknahme der
Beſchwerde zu, wenn ſie unmittelbar oder mittel—
bar die Rücknahme eines geſtellten Eintragungs—
antrags enthält. Aus der Formfreiheit der Ein:
legung der Beſchwerde iſt demnach kein Grund
für die Formloſigkeit der Rücknahmeerklarung zu
A. Predari 705, Güthe S 73
N. 9 . . .)“. Im erſtgenannten Kommentare habe
ich unter 5 ausgeführt: „Die Zurücknahme der
Beſchwerde .. . unterliegt ebenſowenig wie ihre
Einlegung, beſonderen Formvorſchriften ... die
Zurücknahme der gegen Ablehnung eines Ein:
tragungsantrags gerichteten Beſchwerde ent⸗
hält... die Rücknahme auch des Eintragungs—
antrags. Nun find nach $ 32 GBO. Erklärungen,
durch die ein Eintragungsantrag zurückgenommen
wird, in der Form des $ 29 Satz 1 GBO. abzugeben.
Dieſe Vorſchrift iſt mit Rückſicht auf das Intereſſe
der Rechtsſicherheit gegeben. Man wird ſie daher
auch auf die Zurücknahme von Beſchwerden der
bezeichneten Art anzuwenden haben“. In gleicher
Weiſe habe ich mich in meinem „Prozeßgange des
formalen Grundbuchrechts“ S. 30 Anm. geäußert,
auch bei Behandlung der Beſchwerde gegen Beein⸗
trächtigungen durch Eintragung S. 47 ausgeführt,
„auch iſt die Rücknahme der Beſchwerde, anders als
im Eintragungsprozeſſe, formlos (§ 32 GBO.) “.
Endlich habe ich in Rhein AV. 27 S. 288 dar:
gelegt, daß die Rücknahme der Beſchwerde gegen
eine Zwiſchenverfügung formlos ſei. Die Auf—
faſſung von Fuchs-Arnheim geht demnach über
die von mir vertretene inſofern hinaus, als
Fuchs⸗Arnheim auch für die Rücknahme einer zu—
läſſigerweiſe gegen eine Eintragung gerichteten
Beſchwerde die Form des 8 29 GBO. fordert, gehe
dieſe nur auf Eintragung eines Widerſpruchs
oder ſogleich auf Löſchung oder Aenderung einer
Eintragung. Dieſer Gegenſatz gibt zu erneuter
Prüfung der Frage Anlaß.
Die Beſtimmung des $ 32 („Erklärungen,
durch die ein Eintragungsantrag zurückgenommen
wird, bedürfen der im $ 29 Satz! vorgeſchriebenen
Form“) ſteht in dem „Eintragungen in das Grund—
buch“ überſchriebenen zweiten Abſchnitte der GBO.
Dieſer Abſchnitt beginnt mit $ 13 (Eine Eintragung
ſoll nur auf Antrag erfolgen) und endigt mit $ 55
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
|
lichen,
ö
|
(Bekanntmachung der geſchehenen Eintragung). Auf |
ihn folgt der von den Hypotheken-, Grundſchuld—
und Rentenſchuldbriefen handelnde dritte Abſchnitt.
Der zweite Abſchnitt handelt, wie eine Ueber⸗
prüfung ſeiner Beſtimmungen ergibt, vom Ein—
tragungsverfahren; unter dem Eintragungsantrag
iſt in ihm verſtanden das zur Beurkundung einer
beſtimmten Rechtslage im Grundbuch erforderliche
und auf ſie gerichtete Verlangen des Intereſſenten.
8 32 insbeſondere ſteht in unmittelbarem Zu—
ſammenhange mit §§ 29, 30 GBO. Nachdem
§ 29 vorgeſchrieben hat, eine Eintragung ſolle nur
erfolgen, wenn die Eintragungsbewilli—
gung oder die ſonſtigen zu der Ein—
tragung erforderlichen Erklärungen in
beſtimmter Form nachgewieſen ſeien, nachdem 3 30
erläutert hat, daß dies für den Eintragungsantrag
nur gelte, wenn durch ihn zugleich eine zu
der Eintragung erforderliche Er:
klärung erſetzt werden ſoll, beſtimmt,
nachdem eine der Reichstagskommiſſion entſtam—
mende Stempelvorſchrift (8 31) über die Einigungs—
vollmacht gefolgt iſt, $ 32 die Form der Cr:
klärung, durch die ein Eintragungsantrag zurück—
|
301
genommen wird, worauf das Geſetz von § 33 ab
zur Regelung der ſonſtigen Eintragungsgrundlagen
übergeht. Dieſer Zuſammenhang weiſt zwingend
darauf hin, daß es ſich hier um den auf eine Ein:
tragungsbewilligung oder eine ſonſtige
zur Eintragung erforderliche Erklärung
geſtützten, an das Grundbuchamt gerichteten Ein:
tragungsantrag handelt; nur wenn man 8 32
aus dem Zuſammenhange reißt, kann man unter
Eintragungsantrag einen auf Beſeitigung einer
durch den Buchinhalt hervorgerufenen Beeinträch—⸗
tigung gerichteten Antrag verſtehen, der deshalb
unmittelbar an das Beſchwerdegericht gerichtet
wird, weil die gerügte Beeinträchtigung durch das
beendete Eintragungsverfahren des Grundbuchamts
hervorgerufen worden iſt. Iſt dem aber ſo, ſo
kann ein Eintragungsantrag an das Beſchwerde⸗
gericht, wenn auf ihn § 32 anwendbar ſein ſoll,
nur ein ſolcher ſein, der den erſtinſtanziellen, auf
die oben bezeichneten Eintragungsgrundlagen ge:
ſtützten Eintragungsantrag wiederholt; es kann
alſo 8 32 nur für die Rücknahme der Beſchwerde
gegen Abweiſung eines ſolchen Eintragungsantrags
gelten. Damit fällt die Beſchwerde des 8 71
Abi. 2, Soweit fie auf Eintragung eines Wider:
ſpruchs oder Löſchung einer ihrem Inhalte nach un:
zuläſſigen Eintragung geht, außerhalb des Rahmens
des 8 32, und dasſelbe gilt für die Beſchwerde gegen
eine Vormerkung, einen Widerſpruch, eine unge—
naue Faſſung, eine falſche Schreibweiſe des Namens
uſw., da auch bei ihnen der Beſchwerdeantrag nicht
auf einer Eintragungsbewilligung oder ſonſtigen
Erklärung — unter dieſen ſind die rechtsgeſchäft⸗
wie Vollmachten, Zuſtimmungen, Ab—
tretungen, im Gegenſatze zu den in 88 33 ff. GBO.
behandelten zu verſtehen (Predari 468) — ruht;
hätte ja doch in dieſem Falle der Antrag zunächſt
| an
das Grundbuchamt gerichtet werden müſſen.
Noch ein weiterer Grund ſpricht aber gegen
die Anwendung des $ 32 auf die Beſchwerde im
Sinne des § 71 Abſ. 2 Satz 2, ſoweit ſie alſo
auf Eintragung eines Widerſpruchs oder Löſchung
einer ihrem Inhalte nach unzuläſſigen Eintragung ge—
richtet iſt. Der Eintragungsantrag iſt, wie wir oben
ſahen, auch abgeſehen von ſeiner Grundlage (Ein—
tragungsbewilligung, ſonſtige rechtsgeſchäftliche Er—
klärung), das zur Beurkundung einer beſtimmten
Rechtslage im Grundbuch erforderliche und auf
fie gerichtete Verlangen des Intereſſenten; ihm
entſpricht eine durch ihn ausgelöſte prozeſſuale Ver—
pflichtung des Grundbuchamts die beantragte Ein—
tragung vorzunehmen, und in zweiter Inſtanz
eine gleiche Verpflichtung des Beſchwerdegerichts
das Grundbuchamt zur Eintragung anzuweiſen.
Nun wäre es ja an ſich denkbar, wenn auch im
Hinblicke darauf, daß das Grundbuchamt und
nicht das Beſchwerdegericht das Grundbuch führt,
rechtstechniſch nicht wohl verſtändlich, daß ein
ſolches Eintragungsverlaugen ſogleich an das Bes
ſchwerdegericht zu richten wäre. Dann aber bliebe
302
noch immer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen ihm
und dem Antrag auf Löſchung einer ihrem Inhalte
nach unzuläſſigen Eintragung oder auf Eintragung
eines Widerſpruchs im Sinne von $ 71 Abſ. 2
Satz 2. Während nämlich der Eintragungsantrag
in dem angegebenen Sinne eine frühere Eintragung
nicht notwendig vorausſetzt und die Beurkundung
von herbeizuſührenden oder außerhalb des Grund⸗
buchs bereits eingetretenen Aenderungen der Rechts⸗
lage bezweckt, ſetzt der Antrag des $ 71 Satz 2
notwendig eine frühere Eintragung voraus, auf
die ſich der Widerſpruch oder die Löſchung beziehen
ſoll, und bezweckt die Vermeidung von Nachteilen,
die ſich aus der früheren Eintragung für den
Antragſteller ergeben können. Sit der Eintragungs⸗
antrag der Herbeiführung einer Beurkundung der
Rechtsänderung gewidmet, ſo iſt der Antrag aus
8 712 Satz 2 der Abwehr von Nachteilen zu
dienen beſtimmt, die aus einer ſolchen Beurkundung
entſtehen können.“) Der letztgenannte Antrag ſetzt
alſo ein vollendetes Eintragungsverfahren voraus
und iſt eben deshalb bei der höheren Inſtanz an—
zubringen. Gewiß kann, wenn das Eintragungs—
verfahren erſt unter Erſchöpfung der Inſtanzen
zur Eintragung geführt hat, der dadurch Benach—
teiligte dieſe auch mittels eines an das Grund—
buchamt gerichteten Antrags auf Löſchung oder
Eintragung eines Widerſpruchs angreifen. Allein
er muß ſich alsdann auf eine Rechtsänderung be⸗
rufen und dieſe nachweiſen können — wirklicher
Eintragungsantrag — oder er muß ſich auf die
Vorausſetzungen des $ 54 GBO. ſtützen, in welchem
Falle dann überhaupt kein Antrag, ſondern nur
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
tung gegenüber dem Antragſteller zu erfüllen, d. i.
die Eintragung vorzunehmen, ſo geht die des
9 71? Satz 2 nur dahin, daß das Beſchwerde⸗
gericht, gleichfalls in Erfüllung ſeiner prozeſſualen
Verpflichtung, das Grundbuchamt anweiſen ſoll ſeine
Offizialpflicht zum angriffsweiſen Vorgehen gegen
die Eintragung zu erfüllen, weil damit zwar nicht
ein — nicht beſtehender — Anſpruch des Intereſſenten
an das Grundbuchamt erfüllt, wohl aber ſein mit
dem Offizialintereſſe des § 54 parallel gehendes
Intereſſe befriedigt wird. Wir ſehen alſo, daß
ſich der Antrag des § 71? Satz 2 in weſentlichen
Punkten von einem Antrag auf Eintragung einer
Löſchung oder eines Widerſpruchs im Umfange
des § 54 an das Grundbuchamt, geſchweige denn
von einem wirklichen Eintragungsantrage in unſerem
Sinne unterſcheidet; nicht die Beurkundung der
Rechtslage iſt ſein Zweck, ſondern die Abwendung
einer bereits vorliegenden durch die Beurkundung
geſchaffenen Beeinträchtigung, ihm entſpricht auch
nicht unmittelbar eine prozeſſuale Verpflichtung
des die beantragte Eintragung vornehmenden
Grundbuchamts, vielmehr nur eine ſolche des
Beſchwerdegerichts zur Anweiſung, während dem
Grundbuchamte dem Antragſteller gegenüber gar
keine Verpflichtung obliegt. Ein ſolcher Rechts
behelf kann überhaupt kaum noch als Antrag auf
Eintragung eines Widerſpruchs oder einer Loͤſchung
bezeichnet werden, ſelbſt da nicht, wo, wie bei der
Löſchung, das Ziel eines wirklichen Eintragungs—
antrags und desjenigen aus $ 71? Satz 2 iden:
tiſch ſein können, da die Vorausſetzungen und
eine Anregung der Offizialtätigkeit des Grund-
buchamts vorliegt.
prozeſſuale Verpflichtung entſpricht, wird ein Ber:
langen gemäß $ 54 nur, wenn es zur Abwehr
der Nachteile aus einer Eintragung bei der Be—
ſchwerdeinſtanz geſtellt wird. Der die Beſchwerde
Wirklicher Antrag, dem eine
auslöſende Tatbeſtand iſt alsdann die durch die
Eintragung hervorgerufene Beeinträchtigung des
Dritten und die weitere Beeinträchtigung, die darin
liegt, daß das Grundbuchamt es unterläßt im
Offizialverfahren angriffsweiſe gegen die Ein—
tragung vorzugehen. Weil gerade dieſe letzter—
wähnte Beeinträchtigung durch Nichthandeln allein
die Durchbrechung des Ausſchluſſes der Beſchwerde
gegen eine Eintragung rechtfertigt, deshalb iſt die
Beſchwerde gegen eine Eintragung auf die Fälle des
§ 51 beſchränkt. Geht die Beſchwerde gegen Zurück—
weiſung eines Eintragungsantrags dahin, daß das
Beſchwerdegericht in Erfüllung ſeiner prozeſſualen
Verpflichtung das Grundbuchamt anweiſen ſoll
ſeine, des Grundbuchsamts, prozeſſuale Verpflich—
1) Man könnte dies wohl auch dahin ausdrücken:
Beim Eintragungsantrag iſt die Eintragung der End—
zweck des Verfahrens; bei dem (Beſchwerde-Antrage des
8 712 iſt die Beſeitigung einer in der angegriffenen
Eintragung liegenden Beeinträchtigung der Endzweck,
die Eintragung Widerſpruch, Löſchung) nur das Mittel.
Erſorderniſſe beider ganz andere ſind.
Der hier entwickelten Auffaſſung entſpricht
auch der Wortlaut des 8 712. „Die Beſchwerde
gegen eine Eintragung iſt unzulaͤſſig“; darin liegt,
daß niemand, der ſich durch eine Eintragung be—
ſchwert fühlt, einen Anſpruch auf ihre Beſeitigung
an das Beſchwerdegericht hat. „Im Wege der
Beſchwerde kann jedoch verlangt werden, daß das
Grundbuchamt angewieſen wird“ .. .. d. h. es
beſteht ein Anſpruch gegen das Beſchwerdegericht,
daß dieſes das Grundbuchamt anweiſe „nach § 54
einen Widerſpruch einzutragen oder eine Löſchung
vorzunehmen“, nämlich unter den Vorausſetzungen
des 8 54 von Amts wegen vorzugehen, alſo
nicht einen von ihm, dem Grundbuchamte, beein:
trächtigten Anſpruch des Beſchwerdeführers zu
erfüllen, weil ein ſolcher Anſpruch nicht beſteht.
Wollte das Geſetz die hier bekämpfte Meinung
zum Ausdrucke bringen, ſo hatte es etwa ſagen
müſſen: Im Wege der Beſchwerde kann jedoch
verlangt werden, daß das Beſchwerdegericht in den
Fällen des $ 54! die Eintragung eines Wider:
ſpruchs oder eine Löſchung anordne; zugleich hätte
es aber ein Antragsrecht anſtatt der Offizialpflicht
des § 54 aufſtellen müſſen. Alsdann wäre die
Beſchwerde wegen Zurückweiſung eines Antrags
auf Yöldyung oder Eintragung eines Widerſpruchs
gleicher Natur wie die Beſchwerde wegen Zurück—
— ne
weiſung eines Eintragungsantrags, und das Be:
ſchwerdegericht könnte in beiden Fällen das Grund⸗
buchamt anweiſen, dem prozeſſualen Anſpruche, den
es zurückgewieſen hatte, nunmehr zu entſprechen.
Dann erſt würde eine gleiche Behandlung beider
Beſchwerden auch in Hinſicht auf ihre Rücknahme
geboten ſein.
Es fragt ſich endlich, ob der von den Ma⸗
terialien für die Vorſchrift des 8 32 GBO. an:
gegebene Grund, Förderung der „Rechtsſicherheit“,
die von Fuchs⸗Arnheim gelehrte Gleichſtellung der
verſchiedenen Beſchwerdearten rechtfertigt. Die
Begründung der Vorſchrift mit dem Intereſſe der
Rechtsſicherheit ſagt recht wenig. Am nächſten
liegt wohl die Deutung: der Antrag hat gewiſſe
mittelbare Folgen für den Rang der Rechte (817
GB0O.), ſeine Zurücknahme gleichfalls. Mit der
Zurücknahme des Eintragungsantrags (S 32) fällt
eine bereits begründete Rechtslage wieder weg, ſie
ſei, welcher Art ſie wolle. Um eine Unſicherheit
in dieſem Punkte zu vermeiden, ſoll die Rück⸗
nahme des Antrags der Form des § 29 genügen.
Gegen eine ſolche Begründung mag ſich mancher⸗
lei einwenden laſſen, immerhin ſcheint ſie mir
noch am nächſten zu liegen. Jedenfalls würde
auch ſie nur den Eintragsantrag in unſerem
Sinne und im Sinne der SS 13 ff. GBO., zu
denen $ 17 gehört, treffen. Doch iſt die Aus⸗
drucksweiſe der Materialien viel zu allgemein, um
aus ihr etwas Beſtimmtes für oder wider folgern
zu können. Auch wenn, wie es nach der Ent⸗
ſtehungsgeſchichte des Geſetzes den Anſchein hat,
die Meinung die geweſen iſt, daß diejenigen Gründe,
die zur Formfreiheit des Eintragungsantrags ge—
führt haben, nicht für die Rücknahme des Antrags
ſprechen, ſo läßt ſich doch aus der lex lata
nicht der Grundſatz folgern, daß alle grundbücher⸗
lichen Erklärungen im Zweifel der Form bedürfen.
Im Gegenteil, die Meinung des Geſetzes iſt die,
daß das ganze Gebiet des Antrags einſchließlich
des wirklichen Eintragungsantrags in unſerem
Sinne formfrei iſt. Die Formfreiheit des $ 32
ſtellt ſich alſo de lege lata als Ausnahmevor⸗
ſchrift gegenüber dem Grundſatze der Formfreiheit
des Antrags dar und iſt daher eng auszulegen.
Dies führt gleichfalls zu dem oben wiedergegebenen
Satze, daß die Rücknahme des Antrags und der
Beſchwerde formfrei iſt, ſoweit nicht — für den
Eintragungsantrag im engeren Sinne — etwas
Gegenteiliges vom Geſetze beſtimmt iſt. Es kann
ſchon aus praktiſchen Gründen kaum der Wille
des Geſetzes ſein, daß die Einlegung von Be—
Z3eitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
ſchwerden möglichſt erleichtert, ihre Rücknahme aber
durch Aufſtellung eines weitgreifenden Formen—
zwangs möglichſt erſchwert werden ſoll. Eine
ſolche Auffaſſung würde mit dem Antragsprinzip
der Grundbuchordnung nicht in Einklang zu
bringen ſein.
303
Mitteilungen aus der Praxis.
Eine Lücke im Güterzertrüämmerungsgeſetze? In
Güterhändlerkreiſen müht man ſich ſeit dem Inkraft⸗
treten des Bayeriſchen Güterzertrümmerungsgeſetzes
vom 13. Auguſt 1910, in deſſen Wehren Breſchen zu
legen, und es hat den Anſchein, daß an einem hervor⸗
ragenden Punkte der Anſturm bereits gelungen iſt.
Zwar wird noch einiger Widerſtand geleiſtet, allein
das Rüſtzeug der Verteidiger dürfte dem Angriffe nicht
gewachſen ſein.
Um nämlich die läſtigen Vorkaufsrechte des Art. 1
auszuſchalten, ſind einige Güterhändler auf den Aus⸗
weg gekommen, dem verkaufsluſtigen Anweſensbeſitzer
nicht mehr ſeinen Grundbeſitz abzukaufen, ſondern ſich
von ihm notarielle Vollmacht zur Zertrümmerung
ſeines Anweſens erteilen zu laſſen, ſo daß der bis⸗
herige Grundeigentümer als der Zertrümmerer, der
Güterhändler nur als Ausführungsorgan figuriert.
Ueber die Zuläſſigkeit dieſer Geſetzesumgehung ſind
die Notariate und Gerichte verſchiedener Anſchauung.
So verlangte z. B. ein gewerbsmäßiger Güter⸗
händler von einem Notariate des Landgerichtsbezirks
Landshut die Errichtung einer ſolchen Vollmachts⸗
urkunde. Der Notar verweigerte ſeine Tätigkeit mit
dem Hinweis auf die Beſtimmungen des Güterzer⸗
trümmerungsgeſetzes. Der Güterhändler beantragte
Entſcheidung nach Art. 17 Not GQ. Das Landgericht
Landshut erklärte dieſe Verweigerung durch Beſchluß
vom 5. Mai 1911 für berechtigt mit folgender Be⸗
gründung: „Aus dem Vorbringen des Antragſtellers
ergibt ſich, daß das Anweſen durch den Güterhändler
zertrümmert werden ſoll; dieſer ſoll dafür eine Pro⸗
viſion erhalten, welche dem ſonſtigen ungefähren Ge⸗
winn aus einer Zertrümmerung entſprechen mag.
Dem Güterhändler ſoll die vollſtändige, freihändige,
ökonomiſche Verwertung des Anweſens überlaſſen
werden gleichwie einem Eigentümer; die Rechtsſtellung
des letzteren könnte aber nur herbeigeführt werden
durch einen Kaufvertrag; dieſer ſoll im gegebenen Fall
umgangen werden, um die beſchränkenden Vorſchriften
des Güterzertrümmerungsgeſetzes außer Wirkſamkeit
zu ſetzen; deshalb ſoll die äußere Form der Vollmachts⸗
erteilung gewählt werden, um die Zertrümmerung
durchführen zu können. Es handelt ſich hier aber
nicht um eine wirkliche, dem Parteiwillen entſprechende
Vollmachtserteilung, zufolge welcher der Güterhändler
namens und im Auftrage der Vollmachtgeber in deren
Intereſſe und nach deren Anweiſungen handeln ſollte,
ſondern die volle, freie, un verantwortliche Dispoſition
fol vollſtändig in die Hände des Güterhändlers ge-
legt werden. Eine ernſtlich gewollte Vollmacht mit
den geſetzlichen Folgen kommt nicht in Frage; es hans
delt ſich nur um ein Scheingeſchäft, welches nach 8 117
BGB. nichtig iſt. Zur Errichtung eines ſolchen Ge—
ſchäftes darf der Notar nach Art. 16 Not. nicht mit⸗
wirken.“
Das Landgericht Eichſtätt hat in einem gleich—
artigen Falle durch Beſchluß vom 22. April 1911 das
Gegenteil ausgeſprochen und dazu ausgeführt, daß
Art. 16 Not. hier nicht einſchlage, weil das zu be—
urkundende Geſchäft weder gegen ein Strafgeſetz ver—
ſtoße, noch offenbar nichtig ſei, noch nur zum Schein
oder Scherz vorgenommen werden wolle; es handle
ſich nur um die Ausnützung einer Lücke des Geſetzes
zur Erlangung wirtſchaftlicher Vorteile; der Wille
304
der Parteien ſei auf das, was beurkundet werden ſolle,
gerichtet, indem ſie wirklich und ernſtlich und mit Rechts⸗
wirkſamkeit eine Vollmachtserteilung erklären wollten.
So bedauerlich es für die Zwecke des Geſetzgebers
ſein mag, vom Rechtsſtandpunkte aus dürfte die An⸗
ſchauung des Landgerichts Eichſtätt den Vorzug ver⸗
dienen. Solange ein Geſetz die Möglichkeit ſeiner
Umgehung gibt, darf es umgangen werden, ſoferne
nur das Mittel dazu und der Endzweck erlaubt iſt.
Nichts aber hindert einen Eigentümer ſein Eigentum
zu veräußern und ſich dabei eines Bevollmächtigten
zu bedienen. Wenn dabei die Vollmacht ohne jede
Beſchränkung erteilt wird, ſo widerſpricht das eben⸗
ſowenig dem Begriff und Weſen des Vertretungsver⸗
hältniſſes wie der Umſtand, daß der Bevollmächtigte
ein eigenes Intereſſe an der Geſchäftsführung durch
Proviſionsgewinn hat. Beides iſt im Geſchäftsverkehr
ſo alltäglich, daß es verwunderlich wäre, wenn es beim
Grundſtücksverkehr nicht vorkäme. Daß der Bevoll⸗
mächtigte nicht im Intereſſe des Vollmachtgebers
tätig werde, wird im Ernſte niemand behaupten wollen;
ſein Intereſſe liegt eben in der vom Güterhändler zu
betätigenden Veräußerung. Der Ernſt der Vollmachts—
erteilung ergibt ſich aus ihrem Zwecke ſelbſt: man will
ſie, weil ſie den Vorteil der Ausſchaltung von Vorkaufs⸗
rechten und damit auch die Vermeidung einer Geſchäfts⸗
verzögerung aus Art. 3 GZertr G. bringt, und weil durch
dieſen Ausweg der Güterhändler ſich den Gewinn
für feine Tatigkeit ſichern kann. Daß dieſe Vollmachts⸗
erteilung zum Zwecke der Geſetzesumgehung gewollt
iſt, berechtigt noch nicht zu behaupten, ſie ſei über⸗
haupt nicht gewollt.
Nicht mit Unrecht führt der Beſchluß des Land⸗
gerichts Eichſtätt aus, daß der Geſetzgeber in ſeinem
Geſetze die verſchiedenen Umgehungsmöglichkeiten ein⸗
gehend gewürdigt hat, und daß gerade deshalb das
Schweigen des Geſetzes über dieſe eine Umgehungs—
art zu dem Schluſſe führe, daß ſie von ihm nicht ge⸗
troffen werde (Art. 12).
Es wäre wünſchenswert, daß etwa noch weiter
zu dieſer Frage vorliegende Entſcheidungen oder
Aeußerungen bekannt gegeben würden.
Amtsrichter Pösl in Mainburg.
Nachſchrift des Herausgebers. Es iſt
zuzugeben, daß ein Vertrag über die Erteilung einer
Vollmacht zu einem Kaufvertrage nicht allein des:
halb ein nichtiger Scheinvertrag iſt, weil er auch im
Intereſſe des Bevollmächtigten geſchloſſen wird oder
weil der Bevollmächtigte und der Auftraggeber im
inneren Verhaltniſſe Vereinbarungen getroffen haben,
die nach ihrer Wirkung auf einen Kaufvertrag zwiſchen
ihnen hinauslaufen können. Die Gültigkeit der Voll—
machts⸗Erteilung als eines fog. abſtrakten Rechts—
geſchäfts wird durch ſolche obligatoriſche Verein—
barungen an ſich nicht berührt (vgl. Planck Bem. 1
zu 8 167 BGB.). Anders liegt die Sache, wenn der
Inhalt des Vollmachtsvertrags ſelbſt jo geſtaltet iſt,
daß jeder Einfluß des Auftraggebers auf die weitere
Geſtaltung der Rechtsverhaältniſſe ausgeſchaltet und
ſo der Bevollmächtigte ſofort tatſachlich in die Rechts-
ſtellung eines Käufers verſetzt wird. Das wird zum
Beiſpiel der Fall fein, wenn die Widerruflichkeit der
Vollmacht ausgeſchloſſen wird ($ 168 Satz 2 BGB.)
oder der Rücktritt des Auftraggebers von dem Voll-
machts-Vertrage mit Vertragsſtrafe bedroht wird,
insbeſondere aber dann, wenn der Bevollmächtigte
Zeitſchrift far Rechtäpflege in Bayern. 1911. Nr. 1. u. 5. für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
von dem Verbote des 8 181 BGB. befreit wird. Dann
liegt eben in der fo ausgedehnten Vollmachts⸗Extei⸗
lung ſelbſt in Wahrheit ſchon der Kaufvertrag und
daran kann durch die Bezeichnung des Vertrags nichts
geändert werden, man hat es mit einem jog. ver⸗
deckten Rechtsgeſchäfte zu tun (8 117 Abſ. 2 BGB.).
Mit Recht hat das Oberſte Landesgericht in einem
ſo gelagerten Falle den angeblichen Vollmachtsvertrag
als Kaufvertrag behandelt (vgl. die Entſcheidung auf
S. 315 dieſer Nummer) und damit den Weg gezeigt,
auf dem den Verſuchen einer Umgehung des Güterzer⸗
trümmerungsgeſetzes wirkſam entgegengetreten werden
kann. Eine wertvolle Unterſtützung erhält der Be⸗
ſchluß des Oberſten Landesgerichts durch das Urteil
des Reichsgerichts vom 28. April 1911, das gleichfalls
in dieſer Nummer auf S. 306 f. abgedruckt iſt. Der
„Tatbeſtand, über den das Landgericht Eichſtätt ent⸗
ſchieden hat,“) war, ſoweit es ſich erkennen läßt,
anders gelagert, insbeſondere ſcheinen die dem Be⸗
vollmächtigten zugedachten Befugniſſe nicht ſo unge⸗
wöhnlich ausgedehnt geweſen zu ſein, wie in den
vom Oberſten Landesgericht und vom Reichsgericht
entſchiedenen Fällen. Deshalb wäre es aber auch
verfehlt aus ihm zu ſchließen, daß die Umgehung
des Güterzertrümmerungsgeſetzes durch Vollmachts⸗
verträge ſchlankweg unter allen Umſtänden geduldet
werden müſſe.
Kann ein Rechtsanwalt nach $ 116 300. einer
armen Partei beigeordnet werden? Eine bedenkliche
Praxis hat ſich ſeit ungefähr einem halben Jabr am
Amtsgericht München und am Landgericht München |
eingebürgert. Wenn ein Rechtsanwalt, der einer
armen Partei vom Amtsgericht beigeordnet wurde
— in der Regel geſchieht das bei Streitigkeiten über
Unterhaltsforderungen —, nach Beendigung des Rechts⸗
ſtreits ſeine Koſten feſtſetzen läßt, wird beinahe regel⸗
mäßig nur mehr die Prozeßgebühr mit dem Pauſch⸗
ſatz zugebilligt, die übrigen Gebühren (Verhandlungs-,
Beweis- und Schlußverhandlungsgebühr) werden
geſtrichen mit der Begründung, der Anwalt ſei ge:
mäß 8 116 ZPO. der armen Partei zur unentgelt⸗
lichen Wahrnehmung ihrer Rechte in der mündlichen
Verhandlung beigeordnet worden, könne alſo für dieſe
Tätigkeit keine Vergütung beanſpruchen. Da dies an⸗
ſcheinend feſtſtehende Praxis werden ſoll, iſt es an-
gezeigt, die Frage in der Fachpreſſe zu ventilieren.
Ein Anwalt kann nach $ 116 ZPO. m. E. einer
armen Partei überhaupt nicht beigeordnet werden.“
Das ergibt ſich ganz klar aus dem Wortlaut dieſer
Vorſchrift: „Inſoweit nicht eine Vertretung durch
Anwälte geboten oder ein Anwalt gemäß 8 31 RAO.
beigeordnet iſt, kann einer armen Partei ... ein
Juſtizbeamter oder ein Rechtskundiger, der die vor⸗
geſchriebene erſte Prufung für den Juſtizdienſt bes
ſtanden hat, auf Antrag beigeordnet werden.“ 8 116
ſieht alſo die Beiordnung eines Rechtsanwalts über—
haupt nicht vor, ſondern geſtattet nur die Beiordnung
eines Juſtizbeamten oder eines Rechtspraktikanten.
Der Rechtsanwalt iſt zwar auch „ein Rechtskundiger,
1) Der Beſchluß iſt in Nr. 6 der Bay Notz. 1911
S. 275 ff. veröffentlicht.
) Zu demſelben Reſultat gelangt Vogt in BIIRM.
Bd. 74 S. 730.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
der die vorgeſchriebene erſte Prüfung für den Juſtiz⸗
dienſt beſtanden hat“, aber es war ſicherlich nicht die
Abſicht des Geſetzgebers, mit dieſem Wortlaut Rechts⸗
anwälte zu treffen. Selbſtverſtändlich wird die Bei⸗
ordnung dadurch, daß es in dem amtsgerichtlichen
Beſchluß heißt: „Rechtsanwalt X. wird gemäß 8 116
ZPO. beigeordnet“, nicht rechtsgültig.
Die Beiordnung von Rechtsanwälten iſt nach den
Eingangsworten des 8 116 nur auf andere Weiſe
möglich. Entweder im Anwaltsprozeß gemäß 8 115
Nr. 3 ZPO. oder im Parteiprozeß gemäß $ 34 RAO.
Würden die Rechtsanwälte unter die im 8 116 be⸗
zeichneten Perſonenkategorien fallen, dann wäre die
Beſtimmung in 8 34 RAD. überhaupt überflüſſig.
Daß ein Anwalt nach $ 116 nicht beigeordnet
werden kann, beſtätigt z. B. auch Gaupp⸗Stein Anm. I
zu 8 116: „Ein Recht auf die Beiordnung eines An⸗
walts hat die arme Partei nur im Anwaltsprozeß.
Im Parteiprozeſſe kann ihr nach 8 34 RAD. auf
Antrag ein bei dem Amtsgericht zugelaſſener Rechts⸗
anwalt beigeordnet werden, deſſen Stellung dann ge⸗
nau der des Armenanwalts im Anwaltsprozeſſe gleicht.
Dieſe Vorſchrift genügt dem Bedürfniſſe nicht, wenn
bei dem Amtsgerichte kein oder nur ein Anwalt zu—
gelaſſen iſt, ganz abgeſehen von der begreiflichen
Scheu der Amtsrichter vor allzu ſtarker Belaſtung
der Anwälte. Deshalb geſtattet 8 116 der Partei
anſtatt eines Anwaltes einen Juſtizbeamten,
der nicht als Richter angeſtellt iſt, alſo namentlich
einen Gerichtsſchreiber uſw. oder einen Rechtskundigen,
der die erſte Prüfung beſtanden hat, auch wenn er
nicht mehr im Vorbereitungsdienſt ſteht, beizuordnen“.
Auch aus einem anderen Grund iſt die Praxis
des Amtsgerichts München, Rechtsanwälte nach 8 116
beizuordnen, verfehlt. Ein Anwalt kann von einem
Gericht natürlich nur beigeordnet werden, wenn er
an dieſem Gericht zugelaſſen iſt (Friedländer, RAO.
Anm. 7 zu 8 34). Nun iſt aber die weitaus über⸗
wiegende Mehrzahl der Münchener Rechtsanwälte am
Amtsgericht München überhaupt nicht zugelaſſen (zur⸗
zeit nur zwei), ſondern nur an den Landgerichten
und am Oberlandesgericht. Infolgedeſſen könnte das
Amtsgericht München richtigerweiſe überhaupt nur
dieſe beiden Anwälte beiordnen, aber auch nicht nach
8 116 ZPO., wie es formularmäßig bis jetzt immer
geſchieht, ſondern nur gemäß 8 34 RAD.
Von dieſen „nach $ 116 ZPO.“ vom Amtsgericht
beigeordneten Armenanwälten wird — was wiederum
unrichtig iſt — ſtets verlangt, daß ſie eine Prozeß⸗
vollmacht vorlegen. Erfolgte die Beiordnung nach
§ 116, fo geſchah fie bloß zur Wahrnehmung der
Rechte in der mündlichen Verhandlung: mit
Zuſtellungen, ſowie überhaupt dem ganzen anderen
Prozeßbetrieb hat ſich der nach $ 116 Beigeordnete
überhaupt nicht zu befaſſen; hiermit wird aber das
Verlangen der Prozeßvollmacht begründet. Zum
Auftreten in der mündlichen Verhandlung iſt der
Armenvertreter nach 8 116 jedoch ſchon durch den
Gerichtsbeſchluß allein ermächtigt. Gleichwohl heißt
es aber ſo und ſo oft in den Sitzungsprotokollen:
„Erſcheint für Kläger Rechtsanwalt X, einſtweilen
ohne Prozeßvollmacht zugelaſſen.“
Der praktiſche Unterſchied — und damit komme
ich auf den Ausgangspunkt meiner Ausführungen
zurück — iſt folgender: Nach $ 34 RAO. und 8 115
Nr. 3 ZPO. wird ein Anwalt nur zur vor läufig
unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte der armen
305
Partei beigeordnet, nach 8 116 ZPO. hat dieſe Wahr:
nehmung endgültig unentgeltlich zu geſchehen. Nach
jenen Beſtimmungen ſind daher der armen Partei
die Prozeßkoſten nur geſtundet, nach 8 116 erlaſſen.
Siegt alſo die arme Partei, ſo kann der ihr bei⸗
geordnete Anwalt gemäß $ 124 ZPO. fofort feine
Gebühren feſtſetzen laſſen und vom Gegner beitreiben.
Unterliegt die arme Partei, ſo ſetzt die Beitreibung
der Gebühren von ihr gemäß 8 125 ZPO. einen
eigenen Gerichtsbeſchluß voraus. Auf jeden Fall
aber hat der Anwalt Anſpruch auf alle ſeine Ge⸗
bühren, nicht nur auf die Prozeßgebühr.
Die erwähnte Praxis iſt daher aus mehreren
Gründen unrichtig und wird auch, ſoviel bekannt,
von keinem anderen Gerichte geübt.
Rechtsanwalt Dr. Stenger in München.
Zum Vollzug des 5 116 der 350. (Erwiderung
auf die vorſtehende Mitteilung). Die durch
das Reichsgeſetz vom 17. Mai 1898 (RGBl. S. 256 ff.)
zunächſt als 8 107 a eingefügte Beſtimmung des 8 116
ZPO. hat den in der Begründung zur Novelle aus⸗
drücklich ausgeſprochenen Zweck, eine Lücke für den
Fall auszufüllen, daß der armen Partei nach den 88 34
und 36 RAD. im amtsgerichtlichen Prozeß ein Anwalt
nicht beigeordnet werden kann, weil ein beim Amts⸗
gerichte zugelaſſener Anwalt nicht vorhanden oder
der zugelaſſene Anwalt an der Uebernahme der Ver⸗
tretung gehindert iſt.“
Nach 8 116 ZPO. können einer armen Partei
unter den feſtgeſtellten Vorausſetzungen beigeordnet
werden: N
1. Juſtizbeamte, die nicht als Richter angeſtellt
ſind;
2. Rechtskundige, die die vorgeſchriebene 1. Prü⸗
fung für den höheren Juſtiz⸗ und Verwaltungs⸗
dienſt beſtanden haben.
Der Wortlaut und der Zweck des 8 116 ZPO. laſſen
alſo die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu. Es iſt
auch nirgend erſichtlich, daß die Beiordnung von Rechts⸗
anwälten nach 8 116 3PO. ausgeſchloſſen werden
ſollte. Im Gegenteil ſtützt die Begründung dieſes
8 107 a der Novelle die hier vertretene Annahme.
Denn es heißt hier: Den Juſtizbeamten ſtellt der
Entwurf entſprechend den Vorſchriften des 8 144
Abſ. 2 StPO. die Rechtskundigen, welche die vor⸗
geſchriebene 1. Prüfung für den höheren Juſtizdienſt
beſtanden haben, ausdrücklich gleich. Die Feſt⸗
ſtellung der Grundſätze, nach denen bei
der Auswahl der beizuordnenden Ber:
ſonen zu verfahren tft, kann den Dienſtes⸗
vorſchriften überlaſſen werden. Siehe die
Materialien zur ZPO. (Berlin 1898, Heymanns Ber:
lag, S. 129).
Auch der Kommentar von Gaupp-Stein zur ZPO.
ſcheint in ſeiner neueſten Auflage die Möglichkeit der
Beiordnung von Rechtsanwälten anzuerkennen. Die
von Dr. Stenger hervorgehobenen Bemerkungen ſind
geändert; insbeſondere fehlen die Worte: anſtatt
eines Anwaltes.
1) Daß nach § 34 NAD. in amtsgerichtlichen
Prozeſſen nur ein beim Amtsgerichte zugelaſſener
Anwalt beigeordnet werden kann, iſt die allgemeine
Meinung (ſiehe JW. 1890 S. 77 und Dr. Fried:
länder, Kom. zur RAO. Bem. 3 zu 8 34).
2
Der Kommentar von Peterſen⸗Remelé⸗Anger
(5. Auflage) bemerkt in Note 3 zu 8 116 ausdrücklich,
daß auch Rechtsanwälte, die bei dem Prozeßgerichte
nicht zugelaſſen ſind, der armen Partei beigeordnet
werden können.
Es iſt deshalb die bei dem Amtsgerichte Mün⸗
chen ſeit langer Zeit beſtehende Uebung, auch Rechts⸗
anwälte, die nicht zugelaſſen find, nach 8 116 ZPO.
beizuordnen, nicht „bedenklich“, — um jo weniger,
als ein Zwang zur Annahme der Vertretung nicht
geübt werden kann und nicht geübt wird.
Iſt ein Rechtsanwalt der armen Partei nach 8 116
ZPO. beigeordnet und ſiegt die arme Partei im
Rechtsſtreit, ſo kann die unterliegende Partei zur
Erſtattung der Verhandlungs- und Beweisgebühr
des Anwaltes der Gegenpartei nicht herangezogen
werden. Dagegen billigt die Praxis des Amtsgerichts
München dem Rechtsanwalte die Prozeßgebühr dann
zu, wenn er von der armen Partei Prozeßvollmacht
erhalten hat.
Darüber, ob die arme Partei auf ihre durch
5 116 ZPO. erworbenen Rechte verzichten und fo im
Falle des Obſiegens die Erſtattung der ſämtlichen
Koſten des ihr beigeordneten Anwalts durch die
Gegenpartei herbeiführen kann, ſpricht ſich der Be⸗
ſchluß des Landgerichts München I vom 5. November
1910, Beſchwerde⸗Regiſter V Nr. 541/10, dahin aus, daß
ein ſolcher Verzicht wohl möglich, aber nicht zu ver⸗
11 iſt und deshalb unzweideutig erklärt werden
muß.
Iſt der Rechtsſtreit durchgeführt, ſo kann ein
ſolcher Verzicht nur zu dem Zwecke, dem beigeordneten
Anwalte zur Erſtattung ſeiner Koſten zu verhelfen,
wohl nicht mehr erklärt werden.
Daß der nach 8 116 ZPO. beigeordnete Rechts⸗
anwalt eine Prozeßvollmacht ſeiner Partei nicht vor—
legen muß, iſt außer Zweifel. Eine andere Frage iſt,
ob er eine Terminsvollmacht vorzulegen hat. Wenn
gleichwohl auf die Vorlegung einer Prozeß voll—
macht in einzelnen Fällen hingewirkt wird, fo ſteht
dies im Einklang mit dem Kommentar von Gaupp—
Stein, der in der Bemerkung 3 zu $ 116 empfiehlt,
daß der Anwalt von der Partei (ſtatt der Ter—
mins-Vollmacht, die nach Gaupp⸗Stein beizubringen
iſt) eine Prozeßvollmacht ſich ausſtellen läßt, damit
er auch die Zuſtellungen für die arme Partei be—
treiben kann und Zuſtellungen an ihn erfolgen können.
Amtsgerichtsrat Leien decker in München.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
ö
Unterliegt die ie zum Grunditüfsderfanf
der Formvorſchrift des § 313 BGB.? Verhältnis des
F 313 zu § 167 Abſ. 2 BB. In einer privatſchrift—
lichen Urkunde vom 20. April 1909 erklärte der Bes
klagte, daß er ſeinen Grundbeſitz um 84000 M der
Klägerin zum Kauf anbiete, daß er ſich bis zu Ende
Dezember 1909 an den Antrag binde und daß er den
Kaufleuten Kurt T., Bernhard B. und Henry R.
(Angeſtellten der Klägerin), jedem für ſich allein,
Vollmacht erteile den Antrag zu notariellem Protokolle
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
— — — — — — — — ... —— —Üt;H— 4 ͤ —Üu——
—
zu erklären. Der Antrag wurde am 21. April 1909
notariell beurkundet; als Bevollmächtigter des Be⸗
klagten trat dabei Henry R. auf. Durch notarielle
Erklärungen vom 2. und 3. Juli 1909 ermäßigte R.
unter Vorlegung privatſchriftlicher Vollmachten namens
des Beklagten den geforderten Kaufpreis auf 75 000 M
und 72 000 M. Am 9. Juli gab Kurt T. als Bevoll⸗
mächtigter der Klägerin die notariell beurkundete Er⸗
klärung ab, daß die Klägerin die Anträge des Be⸗
klagten vom 21. April und vom 2. und 3. Juli an⸗
nehme. Auf Grund dieſer Vorgänge verlangte die
Klägerin die Auflaſſung und Uebergabe der Grund⸗
ſtücke des Beklagten gegen Zahlung von 72 000 M.
LG. und OLG. wieſen ab. Das R. hob auf.
Gründe: Das OLG. hält den Kaufvertrag für
nichtig, weil der Beklagte dem Henry R., der ihn bei
der notariellen Beurkundung des Vertragsantrags
vertreten hat, nicht in der Form des § 313 BGB.,
ſondern nur privatſchriftlich Vollmacht erteilt hat.
Dazu iſt ausgeführt: Durch ihr Verfahren habe die
Klägerin, bevor es noch zu einer Beurkundung ge⸗
kommen ſei, die Herrſchaft ſowohl über den Antrag
wie über die Annahme in die Hand bekommen, ſie
habe einen ihrer drei Angeſtellten, die von dem Be⸗
klagten bevollmächtigt geweſen ſeien, an einem be-
liebigen Tage zum Notar beordern können, um dort
den Antrag beurkunden zu laſſen; ein ſolches Ver⸗
fahren widerſpreche dem Grundgedanken des 8 313
BGB. und ſei auch durch die Vorſchrift des 8 167
Abſ. 2 nicht gerechtfertigt, da dieſe nur eine allgemeine
Beſtimmung enthalte, die zurücktreten müſſe, ſobald
ihre Anwendung mit dem Grundgedanken eines Spezial-
geſetzes, hier des §8 313, unvereinbar ſei. Das OL.
nimmt ferner an, daß en 100 eine Stütze
finde in dem urteile RG. Bd. 50 S. 163 und daß
das Urteil RG.Z. Bd. 62 S. 335 nicht entgegenſtehe.
Dieſen Ausführungen kann inſoweit nicht beigetreten
werden, als fie fi auf das Verhältnis der §§ 313
und 167 Abſ. 2 BGB. beziehen. Die beiden Vor⸗
ſchriften ſtehen ſich nicht als allgemeine Regel und
Sonderbeſtimmung gegenüber. Die des § 167 Abſ. 2
hat vielmehr die Bedeutung, daß fie, wie allgemein
für die formbedürftigen Rechtsgeſchäfte, ſo auch für
das Gebiet des 8 313 den Umfang des Jormzwangs
näher beſtimmt, indem ſie das Hilfsgeſchäft der Voll⸗
macht ausdrücklich als nicht darunter fallend bezeichnet.
Im übrigen beruht die angefochtene Entſcheidung auf
Erwägungen, die ſich nicht ſchlechthin durch den Hin⸗
10 auf die Formfreiheit der Vollmacht beſeitigen
aſſen.
Allerdings lag nach den Feſtſtellungen des OLG.
der den Angeſtellten der Klägerin erteilten Vollmacht
— anders als in dem RG3Z. Bd. 50 S. 163 behandelten
Falle — nicht ein ſonſtiges Rechtsverhältnis zugrunde,
vielmehr war die Vollmacht abſtrakt und darum auch
kraft Geſetzes widerruflich erteilt. Daß eine Vollmacht
dieſer Art keiner Form bedarf, auch wenn ſie auf den
Erwerb oder die Veräußerung von Grundeigentum
gerichtet iſt, HIN RZ. Bd. 62 S. 335 dargelegt, und
daran iſt grundſätzlich auch hier feſtzuhalten. Das ſchließt
aber nicht aus, daß im Einzelfalle nur der äußeren
Form nach eine abitrafte Vollmacht vorliegt, während
in Wirklichkeit ſchon die Bevollmächtigung demſelben
Zwecke dienen ſoll und tatſächlich auch dient wie das
Hauwptgeſchäft. Würde etwa, — was nach 8 181 BGB.,
gelleidete Verkaufserklärung enthält,
ſoweit die Vertretungsmacht in Betracht kommt, zu—
läſſig wäre, — der Verkauf eines Grundſtücks in der
Weiſe vor ſich gehen, daß der Eigentümer den Er—
werber ermächtigt, als Vertreter des Verkäufers ſich
ſelbſt den Vertragsantrag zu ſtellen, ſo würde regel—
mäßig anzunehmen ſein, daß die dem Käufer erteilte
Ermächtigung nach dem gewollten und tatſächlich er⸗
reichten Erfolge nur die in eine andere rechtliche Form
wenn ſie auch
nach außen in der Geſtalt einer abſtrakten oder wider—
ruflichen Vollmacht auftritt. Denn der Verkäufer
hätte alles getan, was von ſeiner Seite zum Abſchluſſe
des Vertrags erforderlich iſt, und das Geſchäft käme
ohne weitere Mitwirkung des Verkäufers oder eines
zur Wahrung ſeiner Intereſſen berufenen Dritten zum
Abſchluſſe.!) In einem ſolchen Falle könnte die an
ſich beſtehende Formfreiheit der Vollmacht nicht dazu
führen, daß der Kaufvertrag auf Grund der formlos
erteilten Vollmacht wirkſam zuſtande kommt. Dieſes
Ergebnis wäre mit dem Sinn und Zwecke des 8 313
nicht vereinbar. Dasſelbe kann aber auch zutreffen,
wenn wie hier, die Vollmacht nicht dem Käufer ſelbſt,
ſondern einer dritten Perſon erteilt iſt. Es beſteht
die Möglichkeit, daß nach der Abſicht der Beteiligten
der bevollmächtigte Dritte, wenn er auch nach außen
aus eigener Entſchließung als Vertreter im Willen
für den Verkäufer zu handeln hat, doch nur nach den
Weiſungen des Käufers und als deſſen willenloſes
Werkzeug tätig werden ſoll. Dieſe Art der Bevoll-
mächtigung eines Dritten würde ſachlich der dem
Vertragsgegner ſelbſt erteilten Vollmacht gleichſtehen
und wäre darum, was die Anwendbarkeit der Form—
vorſchrift des § 313 betrifft, auch gleich zu beurteilen.
Das Berufungsgericht iſt deshalb von einem an ſich
richtigen Geſichtspunkt ausgegangen, indem es Gewicht
darauf gelegt hat, daß die von dem Beklagten bevoll-
mächtigten Perſonen Angeſtellte der Klägerin und in
ihren Angelegenheiten von ihren Anordnungen ab—
hängig ſind. Dies reicht aber allein noch nicht aus
um für das vorliegende Verhältnis die Annahme zu
rechtfertigen, daß ſie nur als willenloſe Werkzeuge
der Klägerin handeln ſollten, vielmehr muß noch feſt⸗
geſtellt werden, ob der beiderſeitige Parteiwillen da-
hin gerichtet war, daß ſie nur in ſolcher Weiſe tätig
zu ſein hätten. (Urt. des II. ZS. vom 28. April 1911,
II 466 / 10).
2304 Mltgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Böckel in Jena.
II.
Inwieweit unterliegen Vergleiche der Formvorſchrift
des 5 313 BGB.? Aus den Gründen: Dahin⸗
geſtellt konnte bleiben, ob es ſich bei dem Vertrage
vom 4. Dezember 1908 um einen Vergleich handelt;
denn die in der Rechtſprechung insbeſondere auch des
erkennenden Senats vertretene Rechtsanſicht, daß Ver⸗
gleiche in bezug auf die durch einen Grundſtücks—
veräußerungs vertrag begründeten Rechtsverhältniſſe
der im 8 313 vorgeſchriebenen Form nicht bedürften
(vgl. IW. 1902 Beil. S. 233 unter 105; Bay ZfR. 1909
S. 208 /9), bedeutet nur eine Einſchränkung der im
Beſchluſſe des Senats vom 12. April 1902 (RG3Z.
51. 43) ausgeſprochenen Satzes, daß auch Verträge,
durch die die auf das Veräußerungsgeſchäft bezüg—
lichen Beſtimmungen eines noch nicht durch Auflaſſung
erfüllten Grundſtücksveräußerungs vertrages abgeändert
werden ſollen, dem Formzwange des 8 313 unter⸗
lägen, und bezieht ſich nicht auf Vergleiche, durch die
eine Verpflichtung zur Uebertragung des Eigentums
an einem Grundſtücke neu begründet werden ſoll.
(Urt. des V. ZS. vom 29. Mai 1911, V 540/10).
2312 — — n.
III.
Zu 8 313 B6B.: Formbedürftigkeit einer nach⸗
träglich in einem Werkvertrage getroffenen Vereinbarung
über die Verrechnung des Kaufpreiſes. Aus den
Gründen: Als Zeſſionarin des Bauunternehmers
B. beanſprucht die Klägerin einen Werklohnbetrag für
verſchiedene Bauten. Die Beklagte verweigert die Zah—
lung, weil zwiſchen B. und ihr im Frühjahr 1906 bei Ab-
luß eines Werkvertrags mündlich vereinbart worden |
ſch 5 N ch a Herauszahlung eines angeblich zum Nachlaſſe des N.
1) Vgl. zu dieſen bedeutſamen Ausführungen die Mitteilung
auf S. 03 dieſer Nummer und die Nachſchrift dazu, ſowle dle Ent:
ſcheidung des Oberſten Landesgerichts auf S. 315 dieſer Nummer.
|
I
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 307
ſei, B. müſſe ſich auf ſeine Forderung für die ihm da—
mals übertragenen Bauten den Kaufpreis anrechnen
laſſen, den er an die Beklagte auf Grund eines nota—
riellen Vertrags vom 11. September 1905 für ein
innerhalb 5 Jahren anzukaufendes — bisher noch nicht
aufgelaſſenes — Grundſtück zu zahlen habe. Das OLG.
führt zutreffend aus, daß durch dieſe Vereinbarung die
Zahlungsbedingungen des notariellen Vertrags ſowohl
hinſichtlich der Zeit als auch der Art der Tilgung des
vereinbarten Kaufpreiſes geändert ſeien; während der
Käufer nach dieſem Vertrage binnen 5 Jahren von
dem Vertragsſchluß ab den Zeitpunkt, an dem er das
Grundſtück erwerben wollte, wählen und damit die
Zahlung des Preiſes, die „bei Tätigung des Kaufver⸗
trags“ erfolgen ſollte, bis zum September 1910 hinaus-
ſchieben konnte, mußte er nach der behaupteten Ver⸗
einbarung vom Frühjahr 1906 den Kaufpreis bereits
1906 und nicht durch Barzahlung, ſondern durch Her:
ſtellung der übernommenen Bauten tilgen. Bei dieſer
Sachlage hat das OLG. mit Recht die angebliche münd⸗
liche Vereinbarung auf Grund des $ 313 BGB. für
nichtig erklärt. Der JFormzwang dieſer Vorſchrift be-
ſchränkt ſich nach feſtſtehender Rechtſprechung des RG.
(vgl. Entſch. 51, 180; 52, 4; 64, 40; 65, 392; 72, 2)
nicht auf das Verſprechen das Eigentum an einem
Grundſtücke zu übertragen, ſondern erſtreckt ſich auf
den ganzen Grundſtücksveräußerungsvertrag, nament⸗
lich auch auf die Abreden über die Gegenleiſtungen
des Erwerbers; ſo iſt insbeſondere die Abrede der
Tilgung des Kaufpreiſes durch Hingabe von Wert⸗
papieren (Urt. vom 22. Nov. 1907 und vom 23. Okt.
1908, II 224/07 und II 330/08), durch Abtretung einer
Hypothekenforderung (JW. 1907 S. 508), durch Verrech⸗
nung mit Werklohnforderungen (Urt. vom 14. Juni
1910, VII 460/09, und vom 18. Febr. 1911, V 109/10)
für formbedürftig erklärt worden. Dieſe Abreden unter⸗
liegen ferner nicht nur dann dem Formzwange, wenn
ſie bei Abſchluß des Grundſtücksveräußerungsvertrags,
ſondern auch wenn ſie nachträglich in Abänderung des
formgerechten — noch nicht erfüllten — Veräußerungs-
vertrags getroffen werden; denn Aenderungen, die
an Stelle der urſprünglichen Vereinbarungen treten,
können hinſichtlich der Form nicht anders beurteil, wer—
den, als wenn ſie ſofort zu Beſtandteilen des Vertrags
gemacht worden wären (Entſch. 51, 180; 65, 392; Urt.
vom 13. Okt. 1908, II 130/08). Folglich iſt die obige, die
urſprünglichen Zahlungsbedingungen abändernde Ver—
einbarung mit Recht für nichtig erklärt worden. Daß, wie
die Reviſion hervorhebt, die Aenderung der Zahlungs—
bedingungen „im Zuſammenhange mit dem Bauvertrag
und als Vergütung für dieſen“ vereinbart iſt, ſteht der
Anwendung des 8 313 nicht entgegen; feiner Vorſchrift
unterliegen die Grundſtücksveräußerungsverträge und
daher auch deren Abänderungen auch dann, wenn ſie
einen Teil eines anderen Vertrags bilden (Entſch. 57,
432; 68, 262). Schließlich ſpricht auch die Entſcheidung
des V. ZS. vom 2. April 1910 (V 263/09; JW. 1910
S. 575, Warneyer III Nr. 200), auf die ſich die Re—
viſion beruft, nicht zu deren Gunſten, denn dieſe er—
klärt nur einen Vergleich über die Rechte und Pflich⸗
ten aus einem Grundſtücksveräußerungsvertrage für
nicht formbedürftig;!) um einen ſolchen handelt es ſich
aber hier nicht. (Urt. des III. ZS. vom 10. Mai 1911,
III 382/10). E.
2306
IV.
Ein Bankguthaben kann durch formloſe Abtretung
der Forderung unter Lebenden wie auf den Todesfall
verſchenkt werden, ohne daß zugleich das Bankkontobuch
übergeben werden muß. Die Erben des verwitweten
Privatmannes N. verlangen von der Beklagten die
1) Vgl. dazu die Entſcheidung des V. 35. vom 29. Mai 1911,
abgedruckt in dieſer Nummer S. 307 unter II.
308
gehörenden Bankguthabens von 6000 M, das die Bes
klagte nach dem Tode des N. auf Grund des in ihrem
Beſitze befindlichen Bankkontobuches erhoben hatte.
Die Beklagte hat eingewendet, daß ihr das Guthaben
ſchon bei Lebzeiten der Frau des N. von dieſer mit
Zuſtimmung des Erblaſſers durch unentgeltliche Ab—
tretung geſchenkt worden ſei. Das LG. erkannte für
die Beklagte auf mehrere Eeide. Das OLG. verur⸗
teilte die Beklagte unbedingt nach dem Klagantrage.
Die Reviſion der Beklagten wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Das Berufungsgericht hat
das Beweisergebnis gewürdigt und iſt dabei zu der
Ueberzeugung gelangt, daß weder eine Schenkung unter
Lebenden noch eine Schenkung auf den Todesfall vor—
liege. Bei dieſer Beweiswürdigung iſt das Berufungs—
gericht von zutreffenden rechtlichen Geſichtspunkten
ausgegangen. Im Berufungsurteil heißt es: „Zur
Gültigkeit der behaupteten Schenkung würde die form—
loſe Einigung der Beteiligten, nämlich der Niſchen
Eheleute und der Beklagten genügt haben. Sie hätte
den ſofortigen Uebergang der abgetretenen Forderung
auf die Beklagte bewirkt und es wäre der Eintritt
der Wirkung nicht von der Begebung des Bankkonto—
buchs an die Beklagte abhängig geweſen. Letztere
würde mit dem Abſchluſſe des Schenkungsvertrags
ſofort auch Eigentum an dem Bankkontobuche kraft
Geſetzes und demzufolge das Recht auf Ablieferung
des Buches gegen die W.fchen Eheleute erworben haben.“
Dieſe rechtlichen Ausführungen entſprechen dem vom
erkennenden Senate in mehrfachen Entſcheidungen ein—
genommenen Rechtsſtandpunkte. (Vgl. insbeſondere
JW. 1907 S. 73 Nr. 3). Wenn alſo die Ni.ſchen Ehe—
leute die ihnen an das Bankgeſchäft zuſtehende For—
derung an die Beklagte abtraten, und darüber einig
waren, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolge (S 516
Abſ. I BGB.), fo vollzogen fie damit eine Schenkung.
Die Abtretung bedarf grundſätzlich keiner Form, kann
vielmehr auch durch ſchlüſſige Handlungen geſchehen.
Sie bedarf zu ihrer Wirkſamkeit ferner nicht der Ueber—
gabe des über das abgetretene Bankguthaben lautenden
Bankkontobuchs. Die Abtretung begründet vielmehr
das Recht des neuen Gläubigers, vom alten Gläubiger
die Herausgabe der über die Forderung lautenden Ur—
kunden zu verlangen. Wird eine Schenkung in dieſer
Weiſe durch Abtretung einer Forderung vollzogen, ſo
wird dadurch der Mangel der Form geheilt. Dieſe
heilende Wirkung kommt der Schenkung unter Lebenden
und der Schenkung auf den Todesfall (8 2301 BGB.)
gleichmäßig zuſtatten. Dabei iſt es gleichgültig, ob
ein Schenkungsverſprechen vorangegangen iſt oder nicht.
Hier hat aber das Berufungsgericht auf Grund ein—
gehender Prüfung der Sachlage ohne Irrtum ſeine
Ueberzeugung dahin ausgeſprochen und begründet, daß
von einem Vollzuge der Schenkung durch die Niſchen
Eheleute keine Rede fein könne. (Urt. des IV. 35. vom
18. Mai 1911, IV 476/10). G—-—— n.
2295
V.
Umfang des Schadenderſates bei argliſtiger Tan:
ſchung über den Umſatz eines gekauften Gaſthofs. Ver:
jährung des Anſpruchs. Aus den Gründen: Das
Berufungsgericht ſtellt feſt, daß der Beklagte den Kläger
argliſtig getäuſcht hat durch die bewußt unwahre Zu—
ſicherung eines Umſatzes von 250 hl Lagerbier im
Jahre 1904 und eines annähernd gleichen Umſatzes
in den Vorjahren. Es handelt ſich ſomit um eine
wiſſentlich falſche Verſicherung über eine Eigenſchaft
der Kaufſache. Für ſolche Fälle hat das Reichsgericht
wiederholt ausgeſprochen, unter ſinngemäßer Anwen—
dung des 8 463 BB. wegen Gleichheit des Rechts—
grundes, daß der betrogene Käufer berechtigt iſt den
die Eigenſchaft vorſpiegelnden Verkäufer auf Schadens—
erſatz ſo in Anſpruch zu nehmen, wie wenn dieſer ihm
die Eigenſchaft vertragsmäßig zugeſichert, dann aber
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
1911. Nr. 14 u. 15.
nicht gewährt hätte (RG. 63, 112; 66, 338; JW.
1910 S. 934). Hieraus ergibt ſich, daß der Kläger als
Schadenserſatz den Geldbetrag fordern kann, der ers
forderlich iſt ihn wirtſchaftlich in die Lage zu bringen,
in der er ſich befinden würde, wenn der Gaſthof einen
Jahresumſatz von 250 hl jährlich bei dem Verkaufe
gehabt hätte. Da der Gaſthof dann einen Wert von
63 000 M haben würde, während er tatſächlich infolge
des geringeren Bierumſatzes nur einen ſolchen von
52 000 M hat, fo iſt ein Schadenserſatz von 9000 M
nach Abzug der im vorausgegangenen Rechtsſtreit zu—
geſprochenen 2000 M mit Recht zugebilligt. Es iſt
aber auch das Verlangen der Reviſion ungerechtfer—
tigt, daß der Schaden nur inſoweit in bar erſetzt werde,
als ſich aus dem Verhältnis zwiſchen Barzahlung und
Stundung des Kaufpreiſes ergebe. Die Reviſion ver—
kennt nicht, daß das Reichsgericht in der Entſcheidung
vom 2. Oktober 1907 (RG=Z. 66, 339) den entgegen-
ſtehenden Standpunkt vertreten hat, ſie hat aber um
Nachprüfung gebeten, weil ihrer Meinung nach dieſes
Urteil im Widerſpruch ſtehe mit dem vom 28. März
1906 (RG. 63, 112). Dieſe Anſicht iſt jedoch irrig;
denn, abgeſehen davon, daß die dort gebrauchten Worte
„Ermäßigung oder Erſatz“ nicht mit Sicherheit für die
Auffaſſung des Beklagten ſprechen würden, überſieht
die Reviſion, daß dort geklagt worden war auf Zah—
lung oder auf Löſchung eines gleich hohen Betrages
von dem eingetragenen Kaufgelderreſte. Mag ein ſolches
Verlangen unter Umſtänden bei Geltendmachung eines
Anſpruchs auf Preisminderung berechtigt ſein können,
ſo gilt dies doch nicht bei der Forderung des Schadens-
erſatzes wegen Nichterfüllung. Es lag daher kein Grund
vor von der erwähnten Entſcheidung vom 2. Oktober
1907 und deren Begründung abzugehen.
Endlich ergibt ſich aber auch aus der Zugrunde—
legung des 8 463 BGB., daß die aus der Zurückwei—
ſung der Verjährungseinrede erhobene Rüge der Revi—
ſion unbegründet iſt. Es bedarf keines Eingehens auf
die von der Reviſion angeregte Frage, wann der Lauf
der dreijährigen Verjährung des 8 852 BGB. begon-
nen hat, weil dieſe Beſtimmung hier überhaupt keine
Anwendung findet. Ein auf 8 463 BGB. beruhender
Anſpruch iſt kein ſolcher aus einer unerlaubten Hand—
lung, und ſelbſt wenn ein ſolcher Anſpruch gleichzeitig
anzunehmen wäre, ſo würde dies doch nicht die Folge
haben, daß auch der vertragliche oder einem vertrag—
lichen gleich zu behandelnde Schadenserſatzanſpruch der
kürzen Verjährung des 8 852 BGB. unterliegen würde
(RG. 66, 88). Es kann hier vielmehr nur die dreißig—
jährige Verjährung des 8 195 BGB. in Frage kom⸗
men (Urt. des V. 35. vom 3. Mai 1911, V 420/10).
2311 — —- n.
VI.
Rechtsverhältnis zwiſchen dem Bürgen und dem
Gläubiger, wenn die Bürgſchaftserklärung unter der
Vorausſetzung abgegeben wurde, daß der Gläubiger
dem Hauptſchuldner weiteren Kredit gewähren werde,
das aber nicht geſchehen iſt. Anwendbarkeit des 8 812
Abſ. 1 Satz 2 BB. Der Kläger übernahm durch
ſchriftliche Erklärung vom 10. Juni 1906 dem Be—
klagten gegenüber die ſelbſtſchuldneriſche Bürgſchaft
für eine Schuld ſeines Sohnes an den Beklagten.
Unter der Behauptung, daß der Beklagte dem Haupt—
ſchuldner als Gegenleiſtung für die Verſchaffung der
Rürgichaft des Klägers zu weiteren Darlehen in Höhe
von 1000-1500 M ſowie zur Löſchung einer Sicher—
heitshypothek ſich verpflichtet, dieſe Verpflichtungen
aber nicht erfüllt habe, hat der Kläger gegen den
Beklagten auf Feſtſtellung geklagt, daß dieſem aus
der Bürgſchaftserklärung Rechte gegen den Kläger
nicht zuſtehen, hilfsweiſe auf Befreiung von der
Bürgſchaft. Das Landgericht hat dem Hilfsantrage
ſtattgegeben, das OLG. die Klage abgewieſen. Die
Reviſion hatte Erfolg.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
Aus den Gründen. Das Berufungsgericht
gelangt zu folgendem Ergebniſſe. Auch wenn man
das behauptete Verſprechen weiterer Kreditierung für
bewieſen erachte, ſeien die Klageanträge nicht begrün⸗
det. Ein gegenſeitiger Vertrag zwiſchen den Parteien
liege nicht vor; dem Kläger ſolle auch nach den Be⸗
hauptungen des Klägers dieſes Verſprechen als Gegen-
verpflichtung zur Bürgſchafts verpflichtung nicht ab⸗
gegeben worden ſein. Es komme alſo noch in Frage,
ob die Bürgſchaftserklaärung des Klägers unter der
ſei es aufſchiebenden, ſei es auflöſenden Bedingung
der weiteren Kreditierung an den Hauptſchuldner ab⸗
gegeben worden ſei. Nun ſei zwar anzuerkennen,
daß die Bürgſchafts verpflichtung einſchränkende Neben⸗
abreden auch ohne Einhaltung der Form des 8 766
BGB. Gültigkeit haben könnten. Immerhin ſetze dies
voraus, daß die Vertragsparteien darüber einig ge—
weſen ſeien, die Nebenabrede ſolle neben der fchrift-
lichen Erklärung gelten. Dafür fehle aber jede
Unterlage, zumal da ſich die Bürgſchaft nur auf die
beſtehende alte Schuld bezogen habe. Weiter könne wohl
an eine Anfechtung der Bürgſchaftserklärung wegen
Irrtums gedacht werden. Allein wenn der Kläger
zur Eingehung der Bürgſchafts verpflichtung durch die
Mitteilung ſeines Sohnes, er werde dann weitere
Darlehen erhalten, auch allein beſtimmt worden ſei,
fo komme doch nur ein unerheblicher Irrtum im Bes
weggrunde in Frage. Eine argliſtige Täuſchung
durch den Beklagten könne vorliegen, wenn der Be—
klagte von vornherein nicht die Abſicht gehabt habe,
dem Sohne des Klägers weitere Geldmittel zu be—
ſchaffen, und wenn er das Verſprechen abgegeben
hätte, um die Bürgſchaft des Klägers zu erſchleichen.
Eine ſolche betrügeriſche Abſicht des Beklagten laſſe
ſich aber nicht feſtſtellen. Eine Rückforderung der mit
der Bürgſchaftserklärung vom Kläger gemachten
Leiſtung nach 8 812 BGB., weil die bezweckte Gegen—
leiſtung des Beklagten ausgeblieben ſei, ſetze voraus,
daß die Zweckbeſtimmung vereinbarungsgemäß zum
Inhalte des Rechtsgeſchäfts gemacht worden ſei, nicht
ein bloßes Motiv bedeute. Das würde vorliegen,
wenn das Darlehen, zu deſſen Sicherung die Bürg—
ſchaft dienen ſollte, nicht gegeben werde, oder wenn
durch die Bürgſchaft für ein beſtehendes Darlehen
mittels Verpfändung der Bürgſchaftsurkunde ein
weiterer Kredit erlangt werden ſollte und dieſer Zweck
nicht erreicht wurde. So liege aber der Fall nicht.
Dem Berufungsgerichte kann darin nicht bei—
getreten werden, daß, auch wenn der von dem Kläger
behauptete Sachverhalt erwieſen würde, ſeine Ver—
pflichtung aus dem Bürgſchaftsvertrage unter allen
Umſtänden beſtehen bleibe. Die ſchriftliche Bürgſchafts—
erklärung enthält von der Gegenverpflichtung des
Gläubigers oder von der Bedingung oder von dem mit
dem Bürgſchafts vertrage bezweckten Erfolge allerdings
nichts. Allein das ſteht weder der Annahme entgegen,
daß zwiſchen den Parteien ein gegenſeitiger Vertrag
zuſtande gekommen ſei des Inhalts, daß der Kläger
ſich verpflichtete, für die bereits beſtehende Schuld des
Hauptſchuldners, ſeines Sohnes, die Bürgſchaft ein—
zugehen, während der Beklagte dem Kläger gegenüber
die Verpflichtung übernahm dem Hauptſchuldner
einen weiteren Kredit zu gewähren, noch der An—
nahme einer bedingten Bürgſchaftsverpflichtung, noch
endlich der Annahme, daß die Bürgſchaft zu dem
Zwecke jener weiteren Kreditgewährung erteilt worden
und dieſer Zweck auch Beſtandteil und Inhalt des
einſeitig verpflichtenden Bürgſchaftsvertrages geworden
wäre. Denn, wie der erkennende Senat mehrfach
ausgeſprochen hat, enthält die dem 8 766 BGB. ent:
ſprechende Bürgſchaftsurkunde ihrer Natur und ihrem
Zwecke nach nur die Bürgſchaftsverpflichtung des
Bürgen, nicht die Verpflichtungen des Gläubigers,
auch nicht ſonſtige, ſei es noch fo weſentliche Beſtand—
teile des Bürgſchaftsvertrages. Auch die Bürgſchaft
309
beſchränkende Bedingungen braucht ſie nicht zu ent⸗
halten, wenngleich für dieſe eine gewiſſe tatſächliche
Vermutung anzuerkennen ſein mag, daß die Bedingung,
wenn getroffen, auch in die ſchriftliche Erklärung auf—
genommen worden ſein würde. In keinem der Fälle
kann aber aus dem Fehlen der Gegenverpflichtung
des Gläubigers oder der Bedingung oder des zum
Vertragsinhalte gemachten vorausgeſetzten Erfolges
in der Urkunde darauf geſchloſſen werden, daß die
Parteien, auch wenn die vorherige mündliche Be⸗
redung dieſer Vertragsbeſtandteile erwieſen iſt, ſchließ⸗
lich davon abgeſtanden und dahin einig geworden
ſeien, daß nur die ſchriftliche Erklärung gelten ſolle.
Die Bürgſchaftserklärung der Urkunde hat die Ver—
mutung der Vollſtändigkeit nur für die Verpflichtungen
ih Bürgen für ſich, nicht für den übrigen Vertrags-
inhalt.
Sämtliche drei genannten Fälle ſind nach dem
allgemeinen Sachſtande rechtlich möglich. Der Feſt⸗
ſtellung eines gegenſeitig verpflichtenden Vertrages
ſteht nur die tatſächliche Schwierigkeit im Wege, daß
die Parteien überhaupt niemals unmittelbar mit:
einander in Verkehr getreten ſind, um Vereinbarungen
über die gegenſeitigen Verpflichtungen zu treffen.
Aehnlicher Schwierigkeit begegnet tatſächlich die An-
nahme einer bedingten Bürgſchafts verpflichtung des
Klägers, da der bezweckte Erfolg, auch wenn er Ver—
tragsinhalt wurde, nicht notwendig als Bedingung
den Vertragsparteien zum Bewußtſein gekommen und
von ihnen gewollt fein muß. Dagegen muß die An-
nahme eines zum Vertragsinhalte gemachten Erfolges
des Bürgſchaftsvertrages im Sinne von $ 812 Abſ. 1
Satz 2 BGB. ebenſo rechtlich als tatſächlich für un-
bedenklich erachtet werden. Wenn der Hauptſchuldner
mit dem Gläubiger die Abmachung trifft: gegen deſſen
Verpflichtung zu weiterer Kreditgewährung werde er
ihm für die beſtehende Schuld durch Bürgſchaft ſeines
Vaters Sicherheit verſchaffen, dann iſt es faſt ſelbſt—
verſtändlich, daß auch die Bürgſchaft nur in dieſem
Sinne erklärt wird. Der Gläubiger muß der Auf—
faſſung ſein, daß der Schuldner ſeinem Vater als dem
in Ausſicht genommenen Bürgen den Sachverhalt,
die Gegenverpflichtung des Gläubigers ihm, dem
Schuldner gegenüber, mitteilt, und daß der Vater
die Bürgſchaftsverpflichtung eingeht, um ſeinem Sohne
den weiteren Kredit zu verſchaffen. In dieſem Bewußt—
ſein gibt der Bürge die Bürgſchaftserklärung ab,
und in dieſem Bewußtſein nimmt der Gläubiger, wie
dies im gegebenen Falle dem behaupteten Sachverhalt
entſpricht, ſie aus der Hand des Schuldners entgegen,
mit dem er die Abmachung getroffen hat. Daß hier
die weitere Verpflichtung des Gläubigers dem Haupt-
ſchuldner gegenüber für die Bürgſchafts verpflichtung
nur Beweggrund, nicht als gewollter und voraus—
geſetzter Erfolg Geſchäftsbeſtandteil ſei, muß geleugnet
werden; fie iſt nur nicht Beſtandteil der Bürgſchafts—
erklärung und braucht dies auch nicht zu ſein. Wenn
demgemäß der Bürgſchaftsvertrag in dem bei beiden
Vertragsparteien vorhandenen Bewußtſein geſchloſſen
wurde, daß infolge der Bürgſchafts verpflichtung dem
Schuldner weitere Leiſtungen zufließen ſollten, und
daß die Bürgſchaft allein zum Zwecke der Herbei—
führung dieſes Erfolges eingegangen wurde, dann
liegt ein einſeitig verpflichtender, aber mit dem beiden
Vertragsteilen bewußten Zwecke eines beſtimmten
außerhalb der Vertragsleiſtung liegenden Erfolges
untrennbar verbundener Vertrag vor, und der Be—
klagte iſt beim Ausbleiben dieſes von ſeiner Hand—
lung abhängigen Erfolges durch die Bürgſchafts—
leiſtung des Klägers ohne rechtlichen Grund auf
Koſten des Klägers bereichert und deshalb verpflichtet,
der in dem Bürgſchaftsvertrage erworbenen Vorteile
auf Verlangen des Klägers ſich wieder zu begeben;
er darf aus der Bürgſchaft keinen Vorteil ziehen, da
dieſe von dem Bürgen nur zu dem alleinigen und,
’
wenngleich nur ſtillſchweigend, aber doch dem Gläu⸗
biger erkennbar erklärten Zwecke eingegangen war,
eine Ausdehnung des Kredits des Hauptſchuldners
herbeizuführen, zu der ſich der Gläubiger dieſem
gegenüber bereits verpflichtet hatte. (Urt. des
VI. 3S. vom 10. April 1911, VI 321/10).
2288 — — n.
VII.
Die Beſtellung einer Sicherungshypothek für eine
fremde Schuld enthält nicht notwendig und allgemein
die Uebernahme einer Bürgſchaft durch den Eigentümer.
Es ſteht ihm deshalb die Einrede der Vorausklage nach
3771 BGB. nicht ohne weiteres zu. Nebenabreden bei
der Bürgſchaftserklärung. Die Beklagte hat in einem
prozeßgerichtlichen Vergleich dem Kläger zur Sicherung
aller ſeiner jetzigen und künftigen Anſprüche an ihren
Sohn auf ihrem Anweſen eine Sicherungshypothek
von 8000 M beſtellt. Der Kläger beantragt ſie für
ſchuldig zu erkennen, auf Grund der eingetragenen
Sicherungshypothek die Zwangsvollſtreckung in ihr
Anweſen durch Verſteigerung zu geſtatten. Die Be—
klagte wurde nach dem Klageantrag verurteilt, ihre
Berufung wurde zurückgewieſen. Die Reviſion blieb
erfolglos.
Aus den Gründen: Bei der Beurteilung des
Vergleichs geht das Berufungsgericht davon aus, daß
der Eigentümer eines Grundſtücks, der dem Gläubiger
für den einem Dritten gewährten Kredit eine Sicherungs—
hypothek beſtellt, Bürge werde und zugleich dem
Gläubiger für ſeine Forderungen aus der Bürgſchaft
eine hypothekariſche Sicherheit gewähre. Allein die
Uebernahme einer Bürgſchaft und die Beſtellung einer
Hypothek für eine fremde Schuld find zwei ganz ver—
ſchiedenartige Rechtsgeſchäfte, das eine ſetzt nicht das
andere voraus. Insbeſondere erfordert zwar die Be—
ſtellung einer Hypothek das Beſtehen einer Schuld,
allein dieſe Schuld kann ebenſowohl eine fremde, als
eine eigene Schuld des Eigentümers fein. Auch ent⸗
hält die Beſtellung einer Hypothek für eine fremde
Schuld keineswegs notwendig und allgemein zugleich
die Uebernahme der Bürgſchaft, ſondern ſie unterwirft
nur das Grundſtück der dinglichen Herrſchaft des
Gläubigers. Ein perſönlicher Anſpruch, wie ihn die
Bürgſchaft erzeugt, wird nicht begründet. Hier hat
die Beklagte in dem Vergleich nur dem Kläger eine
Sicherungshypothek beſtellt und dieſe Hypothek iſt im
Grundbuch eingetragen worden als Kreditkaution zu—
gunſten des Klägers zur Sicherung aller Anſprüche,
welche für ihn aus dem Geſchäftsverkehr mit dem
Sohne der Beklagten beſtehen und noch entſtehen.
Keineswegs iſt alſo die Hypothek für eine Bürgſchafts—
ſchuld, alſo für eine eigene Schuld der Beklagten ein—
getragen worden.
Zu dieſer Erörterung bot nur die Frage Anlaß,
ob der Beklagten die nach § 771 BGB. dem Bürgen
zuſtehende Einrede der Vorausklage zukomme. Dieſe
Frage iſt zu verneinen, wenn man davon ausgeht.
daß die von der Beklagten dem Kläger beſtellte
Sicherungshypothek nicht eine Bürgſchaftshypothek,
ſondern eine Hypothek für eine fremde Schuld ſei.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
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zunächſt gegen den Sohn der Beklagten geltend zu
machen, ſondern daß er ſich ſofort an die Hypothek
habe halten können. Dieſe im Wege der Auslegung
gefundene, tatſächliche Feſtſtellung iſt bedenkenfrei. Die
Beklagte hat gegen ſie den Einwand erhoben, es ſei
neben der Vergleichsurkunde vor und bei der Beur:
kundung des Vergleichs mündlich vereinbart worden,
daß ſich der Kläger zunächſt an ihren Sohn halten
müſſe. Die Zuläſſigkeit einer ſolchen mündlichen Neben-
abrede erkennt das OLG. an, das Erfordernis der
Schriftform für die Bürgſchaft ſelbſt würde die Gültig⸗
keit einer ſolchen Nebenabrede nicht beeinträchtigen,
wie das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die
in den Entſcheidungen B. 65 S. 46 und in der JW.
1908 S. 304 abgedruckten Urteile aufführt, da die
Nebenabrede nur eine Einſchränkung, nicht eine Er⸗
weiterung der in der Urkunde beurkundeten Bürgſchaft
ſein würde. Allein die Einrede wird vom Berufungs⸗
gericht zurückgewieſen, weil die Nebenabrede nur dann
hätte in Betracht kommen können, wenn zugleich ver⸗
einbart worden wäre, daß ſie neben dem ſchriftlich
Beurkundeten Geltung haben ſolle, eine ſolche Verein⸗
barung aber nicht behauptet worden ſei.
Die Reviſionsklägerin hat unter Hinweis auf die
in der JW. 1908 S. 108 abgedruckte Entſcheidung
ausgeführt, das Berufungsgericht habe ſich über die
Formbedürftigkeit der Nebenabrede geirrt; nur eine
die Bürgſchaft erweiternde, nicht eine ſie einſchränkende
Nebenabrede bedürfe der Schriftform. Dieſe Aus⸗
führungen beruhen auf einer unzutreffenden Beurteilung
der Auffaſſung des Berufungsgerichts. Dieſes hat
aus dem Inhalte der Vergleichsurkunde ſelbſt her—
geleitet, daß die Beklagte auf die Einrede der Vor—
ausklage verzichtet habe. Dieſer Verzicht enthält eine
Erweiterung der nach dem Geſeßz dem Bürgen ob:
liegenden Haftung und bedarf mithin der Schriftform.
Dieſe aber war gegeben, inſofern eben aus dem Inhalt
der Urkunde ſelbſt jener Verzicht hergeleitet worden
iſt, mithin auch in der Urkunde ſelbſt ſeinen erkenn⸗
baren Ausdruck gefunden hat Dem gegenüber würde
eine Nebenabrede, die dahin ging, daß der Kläger ſich
zunächſt an den Sohn der Beklagten halten müſſe,
durch die mithin jener Verzicht auf die Einrede der
Vorausklage beſeitigt würde, eine Einſchränkung der
Bürgſchaftshaftung der Beklagten enthalten haben
und deshalb nach den angeführten Entſcheidungen
auch ohne Schriftform gültig geweſen ſein. Von
dieſem der Beklagten nur zugunſten gereichenden
Geſichtspunkt aus hat aber auch das Berufungsgericht
die Sache beurteilt. Seine Ausführungen laſſen keinen
Rechtsverſtoß erkennen. Im Ergebniſſe iſt ſonach dem
Berufungsgericht darin zuzuſtimmen, daß der Geltend—
machung der Hypothek die Einrede der Vorausklage
nicht entgegenſteht. (Urt. des VII. 35. vom 24. l
1911, vil 305/10). d.
2275
VIII.
Beſteht ein Auftragsverhältnis zwiſchen den Agenten
der Verſicherungsgeſellſchaft und dem Berſicherungs.
nehmer?
Denn nach § 1137 BGB. kann der Eigentümer gegen
die Hypothek die dem perſönlichen Schuldner gegen
die Forderung, ſowie die nach 8 770 BGB. einem
Bürgen zuſtehenden Einreden geltend machen: zu den
dem Bürgen nach 8 770 BGB. zuſtehenden Einreden
gehört nicht die Einrede der Vorausklage. Zu dem
Ergebnis, daß der Beklagten die Einrede der Voraus—
klage nicht zuſtehe, iſt auch das Berufungsgericht auf
anderem Wege gelangt. Es nimmt nämlich an, daß
die Beklagte auf das ihr an ſich zuſtehende Recht der
Vorausklage in dem Vergleich verzichtet habe. Sei
dieſer Verzicht auch nicht ausdrücklich ausgeſprochen,
ſo ergebe er ſich doch daraus, daß dem Kläger nicht
die Verpflichtung auferlegt worden ſei ſeine Forderung
Aus den Gründen: Das Berufungs—
gericht hat verneint, daß ein Auftrags verhältnis vor:
liege. Grundſätzlich werde der Agent (hier der Be:
klagte L.) und ebenſo der Vertreter des Agenten (hier
der Beklagte Kr.), wenn er die Verſicherungsnehmer
zur Aufnahme von Verſicherungsanträgen aufſuche,
nur als Vertreter ſeiner Verſicherungsgeſellſchaft tätig.
Im Einzelfall ſei allerdings ein Auftragsverhältnis
zwiſchen dem Agenten und dem Antragſteller möglich:
um es annehmen zu können, müßten aber beſondere
Umſtände dargetan werden. Solche Umſtände ſeien
aber vom Kläger nicht geltend gemacht, deſſen Vor—
bringen nur dahin gehe, er habe den Beklagten Kr.
gebeten, für die Erledigung des Verſicherungsantrages
Sorge zu tragen, auch die Sache zu beſchleunigen,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
worauf Kr. ihm verſprochen habe, ſich über den noch
nicht feſtgeſtellten Wert der zu verſichernden Gebäude
bei dem Mauermeiſter T. zu erkundigen und „alles
prompt zu erledigen“. Dieſe Aeußerungen bewegten ſich
innerhalb der Grenzen der Erklärungen und Zuſiche⸗
rungen, wie ſie in der Regel zwiſchen dem einen
vertragſchließenden Teil und dem Vertreter des anderen
gewechſelt werden, ohne daß daran gedacht werde,
eine perſönliche Verpflichtung des Vertreters dem
Gegner gegenüber zu übernehmen. Dieſe Ausführungen
werden von der Reviſion ohne Grund beanſtandet.
Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß im Einzel⸗
falle der Agent zum Verſicherungsnehmer in ein Ver⸗
tragsverhältnis treten, ſein Beauftragter werden kann,
und wenn auch ein ſolches Auftragsverhältnis keine
anderen Vorausſetzungen erfordert, als im allgemeinen
die Begründung eines Auftragsverhältniſſes, ſo muß
doch in jedem Falle der Wille, für den anderen ein
Geſchäft unentgeltlich zu führen, ſich ihm dazu zu ver⸗
pflichten, ſeſtgeſtellt werden, und es liegt in der Natur
der Sache begründet, daß dieſer Wille regelmäßig fehlt,
wenn es ſich um Geſchäfte handelt, die von dem
Agenten einer Verſicherungsgeſellſchaft — oder deſſen
Vertreter — als deren Angeſtelltem mit Rückſicht auf
das zwiſchen dem Verſicherungsnehmer und der Ver⸗
ſicherungsgeſellſchaft zu begründende Vertragsverhält—
nis vorzunehmen ſind, nicht alſo der Sorge des
Verſicherungsnehmers obliegen. Soll bei derartigen
Geſchäften gleichwohl ein Auftrags verhältnis zwiſchen
dem Agenten und dem Verſicherungsnehmer angenom⸗
men werden, ſo bedarf es eben der Anführung von
Tatſachen, die einen Willen jenes Inhalts rechtfertigen.
Das Berufungsgericht hat aber ohne Rechtsirrtum
dargelegt, daß das Vorbringen des Klägers ſolche
Tatſachen nicht enthält. Dies gilt nicht nur von dem
Beklagten L., dem Agenten der Verſicherungsgeſellſchaft,
ſondern auch von dem Beklagten Kr., den der Kläger
nur, weil er ihn für den Agenten hielt, zur Aufnahme
des Verſicherungsantrags zu ſich beſtellt hatte, und
den er, als er ſeinen Irrtum erkannte, nur als den
Angeſtellten des Beklagten L. anſehen konnte und
angeſehen hat, wie denn Kr. ſelbſt auch nur in dieſer
Eigenſchaft angeſehen ſein wollte. Aus der von der
Reviſion hervorgehobenen Behauptung der Beklagten,
daß der Kläger mit dem Beklagten Kr. — richtiger
mit dem Beklagten L. — an Stelle des örtlich an ſich
zuſtändigen Agenten W. die Verſicherung habe erledigen
wollen, läßt ſich zugunſten des Klägers nichts herleiten.
Die Reviſion glaubt, für die von ihr vertretene
Auffaſſung ſich auf das in RGZ. Bd. 25 S. 233
abgedruckte Urteil beziehen zu können, in dem es für
rechtlich zuläſſig angeſehen wird, daß der Agent als
Beauftragter des Verſicherten für dieſen die Prämien
zahle. Indeſſen liegt dieſer Fall deswegen anders,
als der hier zur Entſcheidung ſtehende, weil die Zahlung
von Prämien für den Verſicherten nicht zu den dem
Agenten von der Verſicherungsgeſellſchaft zugewieſenen
Geſchäften gehört. Auch die ſelbſtändige und ohne
jede Mitwirkung des Verſicherungsnehmers erfolgende
Ausfüllung des Verſicherungsantrags und Beantwor—
tung der Fragen gehört nicht zu dieſen Geſchäften
und deswegen wird, wenn der Agent in dieſer Weiſe
auf Verlangen des Verſicherungsnehmers tätig wird,
ohne weiteres ein Auftrags verhältnis zwiſchen beiden
angenommen werden können. (Urt. des VI. ZS. vom
24. April 1911, VI 124/10). — — n.
2287
IX.
Fortführung eines unter Lebenden erworbenen
Handelsgeſchäfts unter der bisherigen Firma. Erforder⸗
niſſe einer Bekanntmachung, die gegen den Eintritt der
in 3 25 Abſ. 1 HB. beſtimmten Folgen der Fort⸗
führung Schutz gewähren ſoll. Aus den Gründen:
Gegenüber einer ſtrengeren Meinung (Cohn in Gru—
311
chots Beitr. 42, 52/53), welche der gerichtlichen Be⸗
kanntmachung und der unmittelbaren Benachrichtigung
des Gläubigers von dem Ausſchluß der Uebernahme
von Verbindlichkeiten des früheren Geſchäftsinhabers
nur dann eine Wirkſamkeit Dritten gegenüber beimißt,
wenn ſie der Fortführung des Geſchäftes vorausgeht,
räumt die Rechtſprechung des RG. in Uebereinſtimmung
mit der in der Rechtslehre überwiegenden Auffaſſung
auch einer nachfolgenden Bekanntmachung dieſe Wirkung
dann ein, wenn ſie ſich unmittelbar der Fortführung
des Geſchäftes anſchließt (Urt. vom 7. Nov. 1903,
I 292/03 in Gruchots Beitr. 48, 1002 und JW. 1904
S. 8 Nr. 9). Dem Uebernehmer iſt zwar eine an⸗
gemeſſene Friſt zur Herbeiführung der Eintragung
und Bekanntmachung zuzugeſtehen. Aber „eine ehe
Wochen nach der Geſchäftsübernahme ohne erſichtlichen
Zuſammenhang mit dieſer erfolgende Mitteilung“
erfüllt, wie das Urt. des RG. vom 27. Juni 1903,
I 257/03, in Holdheims MSchr. 1903, 245 ausführt,
die Vorausſetzungen des 8 25 Abſ. 2 HGB. nicht.
Das OLG. hat die Frage, ob die Eintragung und
Bekanntmachung der die Schuldübernahme ausſchließen⸗
den Vereinbarung rechtzeitig erfolgt ſind, nicht er⸗
örtert. Dieſer Prüfung aber bedarf es. Denn die
Friſt von mehr als einem Monat, die hier ſchon
zwiſchen dem Beginn der Fortführung des Geſchäftes
und der Eintragung im Handelsregiſter liegt, iſt ſo
erheblich, daß die Rechtzeitigkeit der noch ſpäter er⸗
folgten Bekanntmachung keineswegs ſelbſtverſtändlich
iſt. Sache der Beklagten wird es ſein, die Umſtände
darzulegen, aus denen ſie gleichwohl die Wirkſamkeit
der verſpäteten Eintragung und Bekanntmachung her⸗
leiten will. Bei dieſer Prüfung wird auch zu beachten
ſein, daß, wie in dem Urt. des RG. vom 4. Jan. 1911,
I 461/09 ausgeführt iſt (beſtimmt zum Abdruck in der
Samml. der Entſch., auszugsweiſe in JW 1911 S. 287
veröffentlicht), die Wirkſamkeit der Bekanntmachung
von objektiven Vorausſetzungen abhängt, und eine
verfpätete Bekanntmachung nicht dadurch Wirkſamkeit
erlangen kann, daß die Verſpätung von dem Ueber⸗
nehmer nicht verſchuldet iſt. Dabei wird allerdings
die Berückſichtigung der beſonderen Umſtände des Falles
nicht ausgeſchloſſen. Zu beachten iſt weiter, daß dem
Uebernehmer des Geſchäftes ein doppelter Weg gegeben
ift, der Ausſchließung des Ueberganges der Verbind—
lichkeiten Dritten, alſo den Gläubigern, gegenüber
Wirkung zu verſchaffen, nämlich neben der Eintragung
in das Handelsregiſter und deren Bekanntmachung die
unmittelbare Benachrichtigung des Gläubigers. Die
Rückſichtnahme auf die Intereſſen der Gläubiger kann
es geboten erſcheinen laſſen, daß der Uebernehmer
dieſe ſofort und unmittelbar benachrichtigt, wenn eine
unverzügliche Eintragung der Geſchäftsübernahme in
das Handelsregiſter Schwierigkeiten bereitet. Die
weitere Prüfung wird ſich aber nicht nur auf die
Rechtzeitigkeit der Bekanntmachung, ſondern auch auf
deren Inhalt zu erſtrecken haben. Eine Bekannt⸗
machung, die gegen den Eintritt der in $ 25 Abſ. I
HGB. beſtimmten Folgen der Fortführung des Ge—
ſchäftes Schutz gewähren ſoll, muß ſo deutlich ſein, daß
der Dritte erkennen kann, daß ſeine Forderung von
dem Erwerber nicht übernommen iſt (RG. vom 16. Okt.
1901, 1 219/09, JW. 1901 S. 802 Nr. 11). Eine Ver⸗
weiſung auf Verträge, die einer verſchiedenen Aus—
legung zugänglich ſind, kann alſo nicht genügen. (Urt.
des III. 35. vom 12. Mai 1911, III 5561909). E.
2308
X.
Kann auf Grund eines vertragsmäßigen Konkurrenz:
verbotes trotz § 75 Abſ. 2 HB. und trotz der Verein:
barung einer Vertragsſtrafe die Unterlaſſung der in einem
Konkurrenzgeſchäſt ausgeübten Tätigkeit als Gewerbe:
gehilfe i. S. des § 133 f Gew. beanſprucht werden?
Aus den Gründen: 1. Daß aus einem vertrags—
312
mäßigen Konkurrenzverbot auf Unterlaſſung der Tätig⸗
keit in einem Konkurrenzgeſchäfte geklagt werden kann,
iſt allgemein anerkannt (Staudinger, BB. Bem. VIIIa
zu 8 611, Eltzbacher, Unterlaſſungsklage S. 145, Leh⸗
mann, Unterlaſſungsklage S. 139, Oertmann, Komm.
Bem. 3 e zu 8 241, Wendt, ArchZivPrax. 92, 77,
Schicker, GewO. [4.] Anm. 4 zu 8 133 f). Dem ſteht
die Entſch. des RG. 72, 393 nicht entgegen. Sie be⸗
trifft nicht den Fall eines vertragsmäßigen Konkurrenz⸗
verbotes und ſagt nur, daß dem Prinzipale gegen den
Handlungsgehilfen, der den übernommenen Dienſt nicht
antritt oder vor Ablauf der Dienſtzeit verläßt, nicht
kraft Geſetzes ein klagbarer Anſpruch darauf zuſteht,
daß er in der Zeit, während deren er ſich von dem
Dienſte fernhält, nicht einem anderen Prinzipale Dienſte
leiſte. Durch ſie wird, wie die Begründung hervor—
hebt, nicht der Entſcheidung tatſächlich anders ge-
lagerter Fälle vorgegriffen, in denen auf Grund aus—
drücklicher oder aus den Umſtänden zu entnehmender
ſtillſchweigender Vereinbarung ein Anſpruch des Prinzi⸗
pals hergeleitet wird, dem Handlungsgehilfen die Dienſt—
leiſtung bei einem beſtimmten anderen Prinzipal oder
in einer beſtimmten Art von Geſchäften zu verbieten.
Die gegenteilige Annahme führt auch nicht zu dem
Ergebniſſe, daß das Fortkommen des Angeſtellten durch
die vollſtändige Lahmlegung ſeiner gewerblichen Tätig—
keit verhindert oder unbillig erſchwert würde. Denn
eine derartige Vereinbarung iſt, ſoweit ſie eine un—
billige Erſchwerung des Fortkommens des Angeſtellten
enthält, unwirkſam, und wegen ihrer Unwirkſamkeit
in dieſem Umfange kann auch durch ſie das Fortkommen
des Beklagten nicht unbillig erſchwert ſein. 2. Das
OLG. hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß der
§ 75 Abſ. 2 HGB. auf die im 8 133 f Gew. bes
zeichneten Angeſtellten keine entſprechende Anwendung
findet. Denn die Vorſchrift des §8 133 f GewO. iſt
durch das EG. HGB. vom 10. Mai 1897 getroffen,
alſo gleichzeitig mit der Vorſchriſt des 8 75 HGB. in
Kraft getreten, und der Inhalt des 8 75 HGB. iſt,
wie der erkennende Senat bereits in dem Urt. vom
7. Juni 1904 (III 107/04) ausgeſprochen hat, in den
8 133 f GewO. mit voller Abſicht nicht aufgenommen
worden (Hahn-Mugdan, Mat. zum HGB. S. 647 64).
Das OLG. hat weiter ausgeführt, für die Annahme,
daß eine entſprechende Anwendung des 8 75 Abſ. 2
HGB. auf das Rechtsverhältnis der Parteien als ver—
einbart zu gelten habe, fehle es an jedem Anhalte.
Dies iſt damit begründet, die bloße Tatſache, daß die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
Parteien die dem Beklagten auferlegten Beſchränkungen |
für die Zeitdauer vereinbart haben, welche das HGB.
im 8 74 Abſ. 2 als höchſte Dauer zulaſſe, rechtſertige
nicht den Schluß, daß ſie die Anwendung irgendwelcher
Beſtimmungen des HGB., insbeſondere des 8 75 Abſ. 2
gewollt hätten; eine weitere tatſächliche Begründung
für eine ſolche Annahme habe der Beklagte nicht ge—
geben. Das OLG. hat dabei allerdings die Nr. 6 des
Geſchäftsherr die ſchon bei der Eingehung des Agentur⸗
Vertrags, nach welcher es dem Beklagten verboten
iſt auch als Agent, Handlungsgehilfe oder Handlungs—
bevollmächtigter bei einem Konkurrenzgeſchäfte Stellung
zu nehmen, nicht beſonders erwähnt. Daraus ergibt
ſich aber nicht, daß es die Vertragsbeſtimmung über-
ſehen hat. Einer beſonderen Erwähnung hätte es
nur bedurft, wenn der Beklagte ſich auf dieſe Be—
ſtimmung beſonders berufen hätte. Uebrigens folgt
aus der vom Beklagten übernommenen Verpflichtung,
weder eine Stellung als Handlungsgehilfe, noch eine
Stellung als Gewerbegehilfe bei einem Konkurrenz—
geſchäft anzunehmen, noch keineswegs, daß es im
Willen der Parteien gelegen habe, die Vorſchrift des
8 75 Abſ. 2 HGB. ſolle auch im Falle der Annahme
als Gewerbegehilfe Platz greifen. 3. Auch die Vor—
ſchriften des BGB. über die Vertragsſtrafe, insbes
ſondere der 8 340, find nicht verletzt. Nach § 340
kann der Gläubiger im Falle der Verwirkung der
nebeneinander verlangen. Klägerin fordert hier auch
nicht beides nebeneinander, ſondern nur die Unter-
laſſung. Daß aber etwa der Parteiwille darauf ge⸗
richtet geweſen ſei, die Klägerin ſolle im Falle der
n nur den Anſpruch auf Unterlaſſung
aben, ſieht das OLG. nicht als erwieſen an. Es
nimmt vielmehr an, daß die Parteien bei ihrer Ver⸗
einbarung auch andere aus Zuwiderhandlungen ents
ſpringende Anſprüche als die Anſprüche auf Vertrags⸗
ſtrafe im Auge gehabt haben. Dieſe Feſtſtellungen
ſind ausreichend, da nach 8 340 beim Fehlen ander⸗
weiter Vereinbarungen die Regel Platz greift, daß der
Gläubiger die Unterlaffung der Zuwiderhandlung oder
die Strafe fordern kann. Von einer Verkennung der
Beweislaſt kann hiernach keine Rede ſein. Die Reviſion
beruft ſich auch mit Unrecht darauf, daß keine Er⸗
örterungen darüber ſtattgefunden haben, ob das volle
Intereſſe der Klägerin an der Unterlaſſung durch die
Strafe genügend geſichert iſt. Allerdings hat das RG.
für die Auslegung der unter Vertragsſtrafe geſtellten
gewerblichen Konkurrenzverbote — ſei es zwiſchen
ſelbſtändigen Gewerbetreibenden, ſei es zwiſchen Brinzis
palen und Handlungs- oder Gewerbegehilfen — in ſtän⸗
diger Rechtſprechung (RG. 33 Nr. 30; 40 Nr. 28; Bol ze
16 Nr. 385; 19 Nr. 494; JW. 1894, 434“; 1902 Beil.
S. 250 Nr. 156) angenommen, daß der Verpflichtete ſich
von der ihm auferlegten Beſchränkung durch die feſtge—
ſetzte Strafleiſtung dann frei machen kann, wenn die
Strafe ihrer Höhe nach dazu beſtimmt erfcheint, dem Be-
rechtigten das volle Intereſſe an der Vertragserfüllung
zu erſetzen. Dieſe Auffaſſung, die auch in der Literatur
vertreten wird (Staub-Könige, HGB. Anm. 16 zu
$ 348, Düringer-Hachenburg, HGB. Anm. 8 zu 8 75),
iſt auf das Weſen der die Erwerbsfreiheit einſchränken—
den Strafſtipulation gegründet und daher bezüglich
der Gewerbegehilfen, bezüglich deren eine geſetzliche
Aenderung ſeit 1900 nicht getroffen worden iſt, weiter
zu beachten (vgl. RG. 59 Nr. 23). Aber in eine Er⸗
örterung nach dieſer Richtung brauchte das OLG. nur
einzutreten, wenn der Beklagte eine dahingehende Be—
hauptung in den Vorinſtanzen aufgeſtellt hätte. Das
hat er nicht getan, vielmehr nur den Standpunkt ver⸗
treten, die Klägerin könne die Unterlaſſung fernerer
Tätigkeit deshalb nicht verlangen, weil 8 75 Abſ. 2
Satz 1 HGB. Platz greife. Abgeſehen davon hat der
Beklagte der Klägerin aber auch niemals die Ver—
tragsſtrafe angeboten oder ſeine Verpflichtung, ſie zu
zahlen anerkannt, vielmehr auch die Abweiſung des
in erſter Inſtanz auf die Zahlung der Vertragsſtrafe
gerichteten eventuellen Klageantrags beantragt. (Urt.
des III. ZS. vom 26. April 1911, III 366 1910). E.
2307
XI.
Proviſionsanſpruch des Bezirksagenten (4 89 588).
Keine Ausnahme von der Regel des & 89, wenn der
vertrags beſtehenden unmittelbaren Beziehungen zu Ab⸗
nehmern fortſezt. Aus den Gründen: Der Kläger
hat die Generalvertretung ſeiner Molkereien für D.
nebſt Umgegend dem Beklagten übertragen und ihm
eine beſtimmte Proviſion für alle unmittelbaren und
mittelbaren Ordres aus dieſem Bezirke zugeſichert.
Während der Geltung des Vertrages lieferte der Kläger
Kaͤſe an den Molkereibeſitzer V. ohne Proviſion an den
Beklagten zu zahlen. Das Berufungsgericht hat die
Widerklage des Beklagten auf Vorlegung eines Buchaus—
zuges über die Lieferungen an B.und Zahlung von 50004
nebſt Zinſen abgewieſen. Nach § 89 HGB. gebührt
dem für einen beſtimmten Bezirk beſtellten Handlungs—
agenten die Proviſion im Zweifel auch für ſolche Ge—
ſchäfte, welche in dem Bezirk ohne feine Mitwirkung
durch den Geſchäftsherrn oder für dieſen geſchloſſen
ſind. Die hier aufgeſtellte Auslegungsregel kann
Strafe nur die Erfüllung oder die Strafe, nicht beides | widerlegt werden nicht nur durch den Beweis einer
Zeetſchrift für Rechtspflege in Bayern. I 1911. Nr. 14 u. 15.
313
entgegenſtehenden ausdrücklichen Vereinbarung, ſondern
auch durch Darlegung von Umſtänden, aus denen ſich
ein anderer Wille der Vertragſchließenden ergibt. Die
Reviſion beanſtandet mit Recht, daß das Berufungs⸗
gericht aus dem Zweck des Agenturvertrages und aus
dem Zweck des § 89 HGB. die allgemeine Folgerung
zieht, daß die Fortſetzung der bereits bei Abſchluß des
Vertrages beſtehenden unmittelbaren Beziehungen zu
Abnehmern, insbeſondere zu alten Engros-Abnehmern,
von der Auslegungsregel des $ 89 nicht getroffen
werde, weil dieſe Auffaſſung ohne weiteres dem Bes
griffe des Bezirksagenten entſpreche und deshalb auch
ohne beſondere Abmachung von den Vertragsparteien
als gewollt gelten müſſe, demnach ein Zweifelsfall im
Sinne des $ 89 gar nicht vorliege. Das Berufungs-
gericht hat eine Verkehrsſitte dieſes Inhalts nicht feſt⸗
geſtellt, und es bedurfte daher zur Ausſchließung der
Auslegungsregel des 3 89 der Feſtſtellung einer ent⸗
gegenſtehenden ausdrücklichen oder aus den tatſäch⸗
lichen Umſtänden zu entnehmenden Willenseinigung
der Parteien. Es iſt deshalb auch die Schlußfolgerung
nicht zutreffend, daß dem Beklagten der Beweis ob—
liege, er habe mit dem Kläger allgemein oder gerade
bezüglich des Abnehmers V. eine beſondere, von jener
üblichen Auffaſſung abweichende Vereinbarung getroffen.
(Urt. des III. 35. vom 11. April 1911, III, 304/10).
2272 — —— n
B. ö
Anſchein eines er gün rigen Angebots bei der
Ankündigung: „Eigene Neparatur⸗Werkſtatt“. Die Revi⸗
ſion der Nebenklägerin iſt unter anderen als von der
Beſchwerdeführerin ſelbſt geltendgemachten, weſentlich
dem tatſächlichen Gebiet angehörigen Geſichtspunkten
begründet. Die Strafkammer ſieht als erwieſen an,
daß der Angeklagte in der Ankündigung feines Aus—
verkaufs die wiſſentlich unwahre Angabe gemacht habe
„Eigene Reparaturen-Werkſtatt“, ſpricht ihn aber frei,
weil er damit nicht die Abſicht verfolgt haben könne,
unter Irreführung des Publikums den Anſchein eines
beſonders günſtigen Angebots hervorzurufen. Sie be—
gründet dieſe Annahme in folgender Weiſe: Der An⸗
geklagte habe zugegeben, daß er eine eigene Reparatur
werkſtatt nicht beſitze, daß er aber die Ausbeſſerungen
durch feine Handwerker ſowohl in H. wie in C. aus:
führen laſſe, ſo daß alſo der Käufer von Schuhwaren
damit rechnen könne, die in dem Geſchäfte gekauften
Waren auch dort wieder zur Ausbeſſerung abgeben zu
können. Das Intereſſe des Käufers werde aber da—
durch gewahrt, daß er Sicherheit habe, die in einem
Geſchäfte gekauften Schuhwaren auch wieder durch Ver-
mittelung dieſes Geſchäfts ausbeſſern zu laſſen, und es
könne ihm gleichgültig ſein, ob der Verkäufer dieſe
Ausbeſſerungen durch feſtangeſtellte Arbeiter oder durch
freie Handwerker ausführen laſſe. Dieſe Ausführung
iſt von Rechtsirrtum beeinflußt.
Bei dem in Rede ſtehenden Tatbeſtandsmerkmale
kommt es nicht ſowohl auf die wirkliche Gunſt des
Angebots an, als vielmehr darauf, ob der Anſchein
eines ſolchen erweckt werden ſoll. Hierüber entſcheiden
in erſter Linie nicht die tatſächlich beſtehenden Geſchäfts—
verhältniſſe des Ankündigenden und der — objektive —
Inhalt der Angebote, ſondern die Vorſtellungen und
Anſchauungen des Publikums, an das ſich die Ankün—
digung richtet. Entſcheidend iſt m. a. W., welche Vor—
ſtellungen über Art und Inhalt und zwar über die
Gunſt des Angebots die Ankündigung in dieſem Kreiſe
des Publikums anzuregen und zu erwecken geeignet
iſt, ſowie ob der Ankündigende es darauf abgeſehen
hat, ſolche Vorſtellungen hervorzurufen, die ſeine An—
gebote in den Augen des Publikums als beſonders
günſtig erſcheinen laſſen. Es iſt mithin nicht aus—
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ſchlaggebend, ob nach der Auffaſſung der Strafkammer
bei objektiver Würdigung des Sachverhalts das In-
tereſſe des Käufers in der von ihr angegebenen Weiſe
gewahrt war und ob es ihm gleichgültig ſein könne,
wie der Verkäufer die Ausbeſſerungen ausführen laſſe.
Vielmehr kommt es darauf an, welches Intereſſe nach
den im Publikum herrſchenden Vorſtellungen der Durch—
ſchnittstäufer an dem Beſtehen einer „eigenen Repa—
raturwerkſtatt“ ſeines Verkäufers zu haben meint. Es
wäre m. a. W. zu prüfen und feſtzuſtellen geweſen, ob
nach dieſen Vorſtellungen das Publikum annimmt, daß
es die gewünſchten Ausbeſſerungen in einer eigenen
Reparaturenwerkſtatt des Verkäufers billiger erhält,
als wenn der Verkäufer die Ausbeſſerungen nur ver:
mittelt oder als wenn es genötigt wäre ſelbſt einen
Handwerker unmittelbar zu beauftragen. Eine ſolche
Annahme des Publikums könnte zwar dann für aus—
geſchloſſen erachtet werden, wenn ein Händler, wie
der Angeklagte, den von ihm mit der Ausbeſſerung
beauftragten ſelbſtändigen Handwerker nur fog. Händ⸗
lerpreiſe zahlt und ſeinem Käufer und Auftraggeber
keine höheren Preiſe zu berechnen braucht und berech⸗
net, als ein Handwerker ſeinem Privatkunden, und
wenn dieſe Verhältniſſe in den Kreiſen des Publikums
allgemein bekannt ſind. Allein irgendeine ſolche Feſt—
ſtellung iſt im Urteile nicht getroffen. In dem gleichen
Sinne hätte es ſich fragen können, ob das Publikum
etwa glaubt, in einer eigenen Reparaturenwerkſtatt
auch beſſer bedient zu werden als von Handwerkern,
die außerhalb des Geſchäftsbetriebs ſtehen, etwa in
der Erwägung, daß der Verkäufer von Fabrikware, der
eine ſolche Werkſtatt unterhalte, nicht nur das größere
Intereſſe an ſachgemäßer Ausbeſſerung, ſondern nach
den Erfahrungen mit ſeiner Ware auch das größere
Verſtändnis dafür haben werde, wie die von ihm ge—
lieferte Fabrikware bei der Ausbeſſerung und für deren
Zweck am geeignetſten zu behandeln ſei. Erſt auf
Grund von Erwägungen ſolcher oder ähnlicher Art
konnte die Frage gepruft werden, ob der Angeklagte
bezweckte derartige Vorſtellungen im Publikum ſich zu⸗
nutze zu machen und hervorzurufen.
Das angefochtene Urteil bietet um ſo weniger Ge—
währ dafür, daß die Strafkammer den Sachverhalt
unter dieſen rechtlichen Geſichtspunkten geprüft hat,
als es keinerlei Aufſchluß darüber gibt, welches denn
nun nach der Auffaſſung des Erſtrichters der Zweck
war, den der Angeklagte mit feiner wiſſentlich un-
wahren Angabe verfolgt hat. Denn da aus dem Ur—
teile nicht das Gegenteil zu entnehmen iſt, muß mit
der Möglichkeit gerechnet werden, daß es auch in der
Auffaſſung der Strafkammer praktiſche Geſchäftszwecke
waren, die der Angeklagte damit fördern wollte. Da—
nach hätte einerſeits die Tatſache der unwahren An—
gabe im Zuſammenhange mit dem Geſamtinhalte der
Ankündigung betrachtet werden müſſen und es wäre
dabei zu erwägen geweſen, ob die Angabe nicht dazu
dienen konnte und nach der Abſicht des Angeklagten
dazu dienen ſollte gerade für den angekündigten Aus—
verkauf Kunden anzulocken, dieſen nämlich als beſon—
ders vorteilhaft erſcheinen zu laſſen, vorteilhaft etwa
um deswillen, weil hiernach auch die im Ausverkauf
erworbenen Waren noch nach deſſen Beendigung wie
eine jede andere im gewöhnlichen Geſchaftsgange ge—
kaufte Ware zur Reparatur in die eigene Reparaturen—
werkſtatt des Verkäufers ſollte gegeben werden dürfen.
Andererſeits hätte die Verfolgung von Wettbewerbs—
zwecken auch unter dem Geſichtspunkt in Frage kommen
können, ob der Angeklagte neben dem Vorteil, ſein
Ausverkaufsangebot überhaupt verlockend zu machen,
den bei den Ausbeſſerungen zu erzielenden Verdienſt
auf Koſten der Handwerker zu C. an ſich ziehen wollte,
indem er ihnen Reparaturen überhaupt nicht über⸗
trug, dieſe vielmehr durch Handwerker in H. aus—
führen ließ, oder wenn er ſie mit der Ausführung
betraute, ihnen doch nur Händlerbezahlung gewährte,
-
während fie anderenfalls mit Privatauftrag bedacht
worden wären und alſo den Privatkundenpreis gezahlt
erhalten hätten.
Die Ausführung der Strafkammer gibt auch in»
ſofern zu Bedenken Anlaß, als darin nur die Abſicht
den Anſchein eines beſonders günſtigen Angebots hers
vorzurufen verneint wird und die Strafkammer da=
mit zu erkennen gibt, daß der Angeklagte die Abſicht
den Anſchein eines immerhin günſtigen Angebots zu
erwecken gehabt haben mag. Alsdann würden die
vorausgehenden begründenden Ausführungen zuviel
beweiſen. Dann könnte es dem Käufer bei Zugrunde—
legung der vorſtehend entwickelten richtigen Geſichts⸗
punkte in der Tat ganz gleichgültig ſein, ob der Verkäu⸗
fer eine eigene Reparaturenwerkſtatt habe oder nicht, ſo
wäre nach dem Urteilsinhalte nicht einzuſehen, wie in
der Auffaſſung der Strafkammer noch Raum für eine
Abſicht des Angeklagten bleiben könnte den Anſchein
eines günſtigen Angebots hervorzurufen. (Urt. des
V. StS. vom 21. April 1911, VD 169/11). — — n.
2289
II.
Wann liegt rechtmäßige Amtsausübung im Sinne
des z 113 StG. vor? Die Verurteilung des Ange⸗
klagten R. wegen Widerſtands iſt nicht aufrecht zu
erhalten. Da nach den Urteilsfeſtſtellungen der Ange—
klagte der Durchſuchung keine Hinderniſſe bereitet hat,
der Widerſtand vielmehr erſt „nach der Beendigung
der Durchſuchung? ſtattfand und ſich gegen die Voll—
ſtreckung der angekündigten Feſtnahme richtete, ſo
kommt es darauf nicht an, ob die Durchſuchung recht—
mäßig angeordnet und durchgeführt wurde. Darüber,
ob auch die Feſtnahme des Angeklagten an und für
ſich nach den Beſtimmungen der $S 112, 127 Abſ. 2
StPO. zuläſſig und gerechtfertigt war, ſpricht ſich das
Urteil überhaupt nicht aus, vielmehr beſchränkt es ſich
darauf, anzuführen, der Gendarmeriewachtmeiſter ſei
nach pflichtmäßiger Prüfung zu der Ueberzeugung
gelangt, daß der Angeklagte das Jagdvergehen verübt
habe und Verdacht beſtehe, er werde ſich der Ver-
folgung durch die Flucht entziehen. Dadurch wird die
Annahme der Rechtmäßigkeit der in der Verhängung
und dem alsbaldigen Vollzug der Feſtnahme beſiehen—
den Amtsausübung im allgemeinen gerechtfertigt;
denn die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Amts—
ausübung bemißt ſich dann, wenn einem Beamten die
Prüfung obliegt, ob die geſetzlich fejtgelegten Voraus—
ſetzungen für eine beſtimmte ihm übertragene Voll—
ſtreckungsmaßregel vorliegen, nicht fo ſehr danach, ob
dieſe Vorausſetzungen tatſächlich gegeben find, als
vielmehr danach, ob der Beamte zufolge ſeines pflicht—
mäßigen Ermeſſens ſie für gegeben erachtet. Ob der
Beamte aber ſeine Entſchließungen nach pflichtmäßigem
Ermeſſen getroffen hat, iſt nach den Umſtänden des
Einzelfalles zu unterſuchen. In Fällen namentlich, in
denen das Gericht die geſetzliche Zuläſſigkeit der Maß:
nahmen verneint oder wie hier offen läßt, alſo nicht
ausſchließt, daß der Beamte zu Unrecht die geſetzlichen
Vorausſetzungen ſeiner Maßnahmen für gegeben er—
achtet, ſich alſo geirrt hat, muß gejordert werden, daß
ein der rechtlichen Nachprüfung zugänglicher Nachweis
dafür geführt wird, daß der Beamte auf Grund be—
ſtimmter Tatſachen, nach den Begleitumſtänden des
Einzelfalls ohne Verſchulden trotz Anwendung der ihm
pflichtgemäß obliegenden Sorgfalt ſich über das Vor—
handenſein der geſetzlichen Vorausſetzungen irren konnte.
Denn wenn der Vollſtreckungsbeamte nur infolge
ſchuldhafter Verſäumniſſe, durch Unterlaſſung von Er—
mittelungen oder durch fahrläſſige Nichtbeachtung von
ſolchen Umſtänden, die geſetzlich ſeiner Anordnung
entgegenſtehen, Vollſtreckungshandlungen anordnet und
vornimmt, ſo fehlt es an einer pflichigemäß erlangten
Ueberzeugung des Beamten von der Berechtigung
ſeines Vorgehens; ſein auch mit der Pflichtwidrigkeit
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
— — . ę ͤ—— . — . — — —Zͤä ũ—— — — —
vereinbarer guter Glaube an die Berechtigung ſeiner
Maßnahmen iſt nicht genügend, um ſeine Amtshand⸗
lung als rechtmäßige im Sinne des 8 113 anſehen
zu laſſen. (Urt. des I. Strafſenats vom 29. April
1911, 1 D 245/11). — - u.
2279
III.
Bermögensſchädigung bei beträgeriſcher Gewinnung
von Zeitungs Abonnenten durch einen Neiſenden des
Verlegers. G. follte gegen Proviſion für den Ver⸗
lagsbuchhändler M. Beſtellungen auf ein Familien⸗
blatt zum Preiſe von 3,60 M für den in 18 Lieferungen
erſcheinenden Jahrgang aufſuchen. Er erhielt von
M. je 140 Stück der Nr. 1 u. 2 des Blattes, die er
an die neugewonnenen Abonnenten gegen Bezahlung
von 40 Pf. abgeben ſollte. Dieſe durfte er in An:
rechnung auf die Proviſion für ſich behalten; deren
Reſt ſollte er bei Ablieferung der Beſtellzettel be⸗
kommen. Durch die unwahre Angabe, das Blatt koſte
im ganzen Jahre nur 40 Pf. und andere falſche Vor⸗
fpiegelungen, beſtimmte er eine Menge Leute zur Be⸗
ſtellung. Das LG. verurteilte ihn wegen Betrugs
zum Schaden der Beſteller und außerdem noch wegen
Urkundenfälſchung und Betrugs zum Schaden des M.;
dieſem hatte er die teils von den Beſtellern, teils
eigenmächtig von ihm ſelbſt unterſchriebenen Beſtell—
zettel unter Verſchweigung des wahren Sachverhalts
eingeſandt und ihn dadurch beſtimmt, ihm nicht nur
das für die Hefte eingenommene Geld zu laſſen, ſon—
dern noch einen weiteren Betrag als Proviſion zu
zahlen. Das RG. hob das Urteil aus folgenden
Gründen auf:
Das LG. hat das zum Tatbeſtande des Betrugs
gehörige Merkmal der Vermögensbeſchädigung des—
halb für gegeben erachtet, weil die Beſteller durch
Abſchluß des Vertrages und Zahlung der 40 Pf.
Anſpruch auf den ganzen Jahrgang hätten erwerben
wollen, während ſie tatſächlich nur die beiden erſten
Hefte des Jahrgangs (nämlich für die 40 Pf.) erhalten
hätten, da M. ſich mit Recht geweigert habe die auf
betrügeriſche Weiſe zuſtande gekommenen Verträge zu
erfüllen, dadurch alſo eine den einzelnen Abonnenten
zum mindeſten nach deren ſubjektiver Wertſchätzung
nachteilige Differenz zwiſchen dem von ihnen hinge—
gebenen Geldwert und dem Geldwerte des dadurch
erlangten Leiſtungsanſpruchs eingetreten ſei. Das iſt
rechtsirrig. Für die Frage, ob eine Vermögensbe—
ſchädigung vorliegt, kann niemals das ſubjektive Er—
meſſen des Getäuſchten allein entſcheidend ſein, und
es genügt auch nicht, daß der Getäuſchte weniger er:
hält, als ihm verſprochen war, vielmehr muß das
Vermögen objektiv gemindert ſein, wenn auch bei
der Beantwortung der Frage, ob eine Wertverminde—
rung des Vermögens eingetreten iſt, auf die beſonderen
Verhältniſſe und Bedürfniſſe des Getäuſchten Rückſicht
zu nehmen iſt. RG St. 16, 1 (4, 7); 42, 58 (61). Die
Strafkammer hätte deshalb zur Beantwortung der
Frage, ob das Vermögen derjenigen beſchädigt iſt, die
für 40 Pf. einen ganzen Jahrgang des Deutſchen
Familienblattes beſtellt und den Preis bezahlt, aber
nur 2 Hefte erhalten haben, unterſuchen müſſen, ob
ein dieſen Perſonen nachteiliger Unterſchied einge—
treten iſt zwiſchen dem Geldwerte, den ihr Vermoͤgen
infolge des Vertragſchluſſes tatſächlich hatte, und dem»
jenigen Geldwerte, den es gehabt hätte, wenn ſie den
Abonnementsvertrag nicht geſchloſſen hätten. Dabei
durfte die Tatſache, daß ſie auf Grund des Vertrages
tatſächlich 2 Hefte der Zeitſchrift erhalten haben,
deren Wert der Angeklagte auf 40 Pf. angegeben hat,
nicht, wie das LG. ohne Angabe von Gründen meint,
außer Betracht gelaſſen werden und mußte notwendig
unterſucht werden, ob und welche Wirkungen der vom
Angeklagten namens des M. geſchloſſene Vertrag
gegen dieſen hat, welche Rechte die ſog. Abonnenten
Zeitſchrift für Rechtspflege in
durch Abſchluß des Vertrages gegen M. erworben
haben, mit Rückſicht darauf, daß der Angeklagte nach
den Feſtſtellungen des Urteils Reiſender des M.
war, deſſen Vollmacht den durch 8 55 HGB. be⸗
ſtimmten geſetzlichen Umfang hat, alſo nicht
ſchlechthin von dem ihm erteilten Auftrag abhängig
des Vertragsſchluſſes konnte entſchieden werden, ob
die Abonnenten an ihrem Vermögen geſchädigt ſind.
Nach den bisherigen Feſtſtellungen iſt das nicht nach⸗
gewieſen und unterliegt deshalb ſoweit das Urteil
der Aufhebung. Sollte bei der erneuten Verhandlung
nach den vorſtehenden Geſichtspunkten die Vermögens⸗
beſchädigung der Abonnenten nicht feſtgeſtellt werden,
ſo wird weiter zu prüfen ſein, ob etwa durch die
Handlungen des Angeklagten das Eigentum des M.
(an den den Abonnenten übergebenen Heften der Zeit⸗
ſchrift) verletzt oder deſſen Vermögen beſchädigt iſt
und ob aus dieſem Grunde die Handlungen des An⸗
geklagten ſtrafbar find. Dabei wird zu unterſuchen
ſein, wie weit eine etwa feſtgeſtellte Verletzung des
Eigentums oder des Vermögens des M. zuſammen⸗
fällt mit derjenigen Vermögensbeſchädigung des M.,
welche das LG. zur Verurteilung des Angeklagten
wegen einer weiteren ſelbſtändigen Handlung, die als
Urkundenfälſchung in Tateinheit mit Betrug beurteilt
iſt, herangezogen hat. Es iſt nicht ausgeſchloſſen,
daß ſich dann ein anderer rechtlicher oder tatſächlicher
Zuſammenhang zwiſchen den verſchiedenen Hand—
lungen des Angeklagten ergibt, als das LG. bisher
angenommen hat, oder ein Zuſammenhang beſteht,
wo er bisher nicht angenommen iſt, daß alſo durch
das Urteil auch die §8 73 oder 74 StGB. verletzt find.
Deshalb muß das Urteil in ſeinem ganzen Umfang
aufgehoben werden. (Urt. des I. StS. vom 13. Fe⸗
bruar 1911, 1 1112/1910). E.
2261
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
L
Kaun in dem Vertrag über Erteilung einer Boll:
macht zur Zertrümmerung eines Anweſens und Zahlung
einer Proviſion ein Kaufvertrag über das Anweſen ge:
funden werden? Müſſen die Beſchwerdeführer in Ge:
bührenſachen über eine Gegenäußerung der Negierungs⸗
finanztammer gehört werden? Aus welchen Grün den
darf das Beſchwerdegericht in ſolchen Sachen die Er⸗
hebung von angebotenen neuen Beweiſen ablehnen?
(BGB. 88 117, 133, 242, 433; Geb. Art. 48, 49).
Laut einer Notariatsurkunde, überſchrieben: „Vertrag
über die Zertrümmerung eines Anweſens“, haben die
Gaſtwirtsgatten B. und die Kaufleute G. und E. folgen-
den Vertrag geſchloſſen:
1. „Die Ehegatten B. beauftragen und ermächtigen
G. und E. ihren Grundbeſitz im ganzen oder parzellen-
weiſe zu verkaufen, zu vertauſchen, die eingetauſchten
Objekte wieder weiter zu veräußern. Zu dieſem Zweck
erteilen die Ehegatten B. dem G. und E. die Rechte
eines General bevollmächtigten. Sie ſollen insbeſondere
ermächtigt ſein die Vertragsbeſtimmungen feſtzuſetzen,
die Auflaſſung entgegenzunehmen und zu beantragen,
über Kauf⸗ und Tauſchſchillinge zu quittieren, ſie ab—
zutreten, ſowie ganz oder teilweiſe zur Löſchung zu
bewilligen und zu beantragen. Alle Einzelnheiten der
Kauf⸗ oder Tauſchverträge bleiben ihrem freien Er—
meſſen vorbehalten.
2. Der Auftrag und die Vollmacht ſind von den
Ehegatten B. in unwiderruflicher Weiſe erteilt.
3. G. und E. nehmen die Vollmacht und den Auf—
1) S. dazu die Mittellung auf S. 303 dieſer Nummer und die
Nachſchrift dazu, ferner die Entſcheidung des Reichsgerichts auf
S. 306 f. dieſer Nummer.
Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15
315
trag an und verpflichten ſich, mit tunlichſtem Fleiße
die Veräußerung des vorhandenen oder des dafür ein⸗
getauſchten Beſitztums zu betätigen.
4. Alle Bodenzinsablöſungen erfolgen auf Koſten
der Ehegatten B., welche auch etwaige hierauf ruhende
Naturalanſprüche wegzufertigen haben.
iſt. Nur unter Berückſichtigung der Geſamtwirkungen 5
6. Für die Durchführung der Zertrümmerung,
uebernahme der anfallenden Kauf⸗ und Tauſchſchillinge,
für Zeitverſäumnis, für Auslagen an Speſen, für
Mühewaltung uſw. vergüten die Ehegatten B. dem
G. und E. eine Proviſion von 12% aus dem ganzen
Mobiliar⸗ und Immobiliarerlöſe.
8. Als Zeitpunkt der Abrechnung zwiſchen den
Ehegatten B. und G. und E. gilt der beendete Ver⸗
kauf der Mobilien und Immobilien, ſowie der etwa
eingetauſchten Immobilien.
9. Von dem Erlöſe werden abgezogen: a) Die Pro⸗
viſion, b) die etwa an und für die Ehegatten B. ge⸗
machten Vorſchüſſe und Zahlungen ſamt 5% vom
Tage der Leiſtung an, c) die weggefertigten Hypotheken-
anſprüche. Der Reſtbetrag iſt bar an die Ehegatten
B. zu bezahlen.
10. Die Kauf- und Tauſchſchillinge haben die Ehe⸗
gatten B. an G. und E. abzutreten. Um dieſe For⸗
derungsabtretungen vornehmen zu können, ſollen die
beiden von der Beſchränkung des 8 181 BGB. be⸗
freit ſein.
12. G. und E. haben an die Ehegatten B. binnen
vier Tagen einen Vorſchuß von 80 000 M bar zu leiſten.
13. Sollten entgegen der Beſtimmung des Abſ. 2
die Ehegatten B. anſtreben den Vertrag aufzuheben,
ſo haben ſie an G. und E. für Zeitverſäumnis uſw.
eine Entſchädigungsſumme von 3000 M auf Verlangen
e %% „„ „„ „% „% rer „„ „ % „% „% „„ „% „ „% „ „„ %„% „ „
14. Die Koſten zahlen G. und E. Sollten jedoch
die Ehegatten B. von dieſem Vertrage zurücktreten,
ſo müſſen ſie alle Beurkundungskoſten außer der Ent⸗
ſchädigungsſumme von 3000 M zahlen.“
Der Notar hatte die Urkunde mit der Staats-
gebühr von 600 M bewertet, die K. der Fin. hat jedoch
aus dem Grunde, weil die Urkunde einen Kaufvertrag
uber das Anweſen enthalte, die Nachholung einer
Staatsgebühr von 4090 M abzüglich der gezahlten
600 M angeordnet. Gegen die Nachforderung haben
G. und E. die Beſchwerde eingelegt. Das LG. hat
nach Anhörung der Regierungsfinanzkammer die Be⸗
ſchwerde zurückgewieſen. Für die rechtliche Natur des
Vertrags ſei nach dem 8 133 BGB. der wirkliche Wille
der Vertragsſchließenden, nicht ſein buchſtäblicher Sinn
entſcheidend. Aus dem Inhalte der Notariatsurkunde
gehe aber hervor, daß die Ehegatten B. verkaufen,
die Beſchwerdeführer erwerben wollten. Dieſem Zweck
entſpreche der Vertragsinhalt in ſeinen wirtſchaftlichen
und rechtlichen Wirkungen. 1. Die Ehegatten B. ſollten
Geld und nur Geld erhalten, nämlich die Anzahlung
und ſpäter den Reſt auf Grund einer Abrechnung, die
nur den Zweck habe die Höhe des Kaufpreiſes ziffer—
mäßig feſtzuſtellen. Letzterer ſei im Vertrage durch
ein beſtimmtes prozentuales Verhältnis zum Erlös
aus dem Weiterverkaufe genau feſtgeſetzt. Die angeb—
liche Proviſion ſei nichts als die Bezeichnung dieſes
Verhältniſſes. Den Kaufpreis ſollten die Verkäufer
von den Käufern als Schuldnern erhalten; denn letztere
erwürben die Kaufſchillinge aus dem Weiterverkaufe
durch Abtretung an ſich ſelbſt zu eigenem Rechte. Die
Beſtimmung über die Verzinſung der Anzahlung diene
nur zur Verſchleierung, ſei mithin für die wirtſchaft—
liche und rechtliche Wirkung des Vertrags belanglos.
2. Für den Kaufpreis ſollten die Käufer das Anweſen
zum Weiterverkauf und zu dieſem Ende die unum—
ſchränkte Befugnis erhalten, ganz nach freiem Ermeſſen
über das Beſitztum zu verfügen; die Verkäufer ver—
316
lören damit das Recht der Verfügung über ihr An-
weſen, da jede Verfügung das Recht der Güterhändler
beeinträchtigen würde, alſo dem Vertrage zuwider
wäre. Tatſächtlich hätten ſich die Ehegatten B. ihrer
Rechte als Eigentümer zugunſten der Güterhändler
vollſtändig begeben, hätten dieſe in die Rechtſtellung
des Eigentümers verſetzt, ihnen das Anweſen zum
Eigentum übertragen. Daß die Käufer nur zum Zwecke
der Weikerveräußerung über das Anweſen verfügen
können, bedeute für ſie in Wirklichkeit keine Einſchrän⸗
kung, denn dieſer Zweck ſei ja gerade von ihnen ſelbſt
gewollt. Auch widerſpreche die Bedingung, daß der
Käufer mit dem Kaufgegenſtand in beſtimmter Weiſe
zu verfahren habe, nicht dem Weſen des Kaufes. Der
Erlös aus dem Weiterverkaufe fließe ausſchließlich
und unmittelbar in die Taſche der Güterhändler; ſie
trügen die Gefahr der Einbringlichkeit und hätten
auch den Nutzen der Zinſen. Der Weiterverkauf, deſſen
ſämtliche Koſten ſie aus ihrem eigenen Vermögen ohne
irgendwelche Gegenleiſtung beſtritten, erfolge alſo aus—
ſchließlich auf ihre Rechnung. Ein Kauf, bei dem ſich
der Käufer verpflichtet, als Kaufpreis einen beſtimmten
Prozentſatz des Erlöſes aus dem Weiterverkaufe zu
zahlen, ändere dadurch nicht ſeine rechtliche Natur.
Dieſe Eigentümlichkeit erkläre ſich zur Genüge aus
dem wirtſchaftlichen Zuſammenhange zwiſchen Kauf
und Weiterveräußerung, der bei jedem Kaufe zur Zer—
trümmerung vorliege; denn hier biete in der Regel
der Erlös aus der Weiterveräußerung dem Käufer die
Mittel zur Bezahlung des Kaufpreiſes. 3. Das Weſen
des Dienſtvertrags beſtehe darin, daß der Verpflichtete
dem Berechtigten für deſſen Zwecke ſeine Arbeitskraft
zur Verfügung ſtellt. Das ſei hier nicht der Fall. Die
Güterhändler hätten bei dem Weiterverkauf ihr eigenes
Geſchäft in ihrem eigenen Intereſſe beſorgt, das dahin
ging einen möglichſt hohen Preis beim Weiterverkaufe
zu erzielen; daß die Ehegatten B. irgendwie über die
Dienſte der Güterhändler für ſich verfügen könnten,
ſchließe der Vertrag ausdrücklich aus. Das gleiche
gelte für den Werkvertrag und die Geſchäftsbeſorgung.
Auch die Zahlung des anſehnlichen Vorſchuſſes von
80 000 M entſpreche weder der Natur des Dienſt- noch
des Werkvertrags. Denn ‚Vorſchuß“ ſolle vernünftiger—
weiſe nur der erhalten, der aus dem Vertrag infolge
der Dienſtleiſtung oder Werkherſtellung eine Vergütung
zu beanſpruchen habe. Nach allem liege in Wirklich—
keit ein durch ſimulierte andere Geſchäfte nur ſehr
ſchlecht diſſimulierter, klar genug erkennbarer Kauf—
vertrag vor. Das Oberſte Landesgericht hat die weitere
Beſchwerde der Güterhändler G. und E. zurückgewieſen.
Gründe: 1. Mit Unrecht erblicken die Beſchwerde—
führer eine Verletzung des Geſetzes darin, daß das
LG. die Aeußerung der Regierungsfinanzkammer ihnen
nicht mitgeteilt hat. Das Geb. enthält im Art. 48
keine Vorſchrift, die dem Beſchwerdegericht ein ſolches
Verfahren zur Pflicht macht; ebenſowenig fordert der
Grundſatz von der Notwendigkeit des rechtlichen Ge—
hörs, der ja auch für das Geb. gilt (Ob GZ. 2, 879),
ein für allemal eine ſolche Maßnahme. Handelt es
ſich danach von vorneherein nur um eine Frage des
richterlichen Ermeſſens, ſo iſt auch nicht einzuſehen,
wie die Entſcheidung des LG. auf der Unterlaſſung
beruhen ſollte.
2. Unbegründet iſt auch die Rüge einer Verletzung
der 8S 133, 242 BGB. Wohl wäre es bedenklich, in
den Worten des Vertrags, für ſich allein betrachtet,
die nach außen berechnete Kundgabe des auf Kauf und
Verkauf gerichteten Willens erblicken zu wollen: denn
das hieße den Vertragswillen aus einem Wortlaut
ableiten, der ſchon der Natur der Sache nach nimmer—
mehr als die Erklärung dieſes Willens angeſchen
werden könnte. Eine ſolche Verkennung lag aber dem
LG. fern. Es deutet auf „Simulation“ und „‚Diſſimu—
lation“. Danach haben alſo die Vertragsteile mit den
Worten des Vertrags ihren wirklichen Willen nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
geoffenbart, ſondern im Gegenteil ihn verſchleiert,
m. a. W., ſie haben im beiderſeitigen Einverſtändniſſe
die auf Begründung eines Auftrags- und Vollmachts⸗
verhältniſſes lautende Willenserklärung nur zum Schein
abgegeben und durch das Scheingeſchäft ein anderes,
wirklich gewolltes Rechtsgeſchäft, den Kauf, verdeckt
(8 117 BGB.). Nun iſt, damit nach dem Abſ. 2 des
8 117 die für das verdeckte Rechtsgeſchäft geltenden
Vorſchriften Anwendung finden können, erforderlich,
daß der darauf gerichtete Wille der Vertragsteile
immerhin genügenden Ausdruck gefunden hat; der
nicht oder nicht ausreichend erklärte Wille hat kein
rechtliches Daſein. Allein das LG. hat, indem es die
einzelnen Beſtimmungen der Urkunde in ihrem inneren
Zuſammenhange beleuchtete, durch Auslegung (8 133)
in rechtlich nicht zu beanſtandender Weiſe tatſächlich
feſtgeſtellt, daß die Erklärungen der Parteien in der
Urkunde trotz der Wortfaſſung keinen anderen Willen
und nur den Willen ausgedrückt haben, wie er von
beiden Vertragsteilen erklärt werden mußte, um die
rechtlichen Erforderniſſe des Kaufes ($ 433) als ge⸗
geben annehmen zu laſſen (Vereinbarung der Zahlung
eines Kaufpreiſes; Verpflichtung dem Käufer die Sache
zu übergeben und daran Eigentum zu verſchaffen).
Dieſe tatſächliche Feſtſtellung iſt für das Oberſte Landes-
gericht bindend und eine Nachprüfung nur nach der
Richtung zuläſſig, ob ihre rechtlichen Grundlagen den
Rechtsnormen entſprechen. Letzteres iſt der Fall. Die
Auslegung verſtößt nicht gegen die geſetzlichen Aus—
legungsregeln und vor allem nicht gegen die Denk—
geſetze. Was die Parteien gewollt und erklärt haben,
bemißt ſich von Fall zu Fall, und es iſt deshalb be-
langlos, daß das Reichsgericht (RGS ZS. 50, 163) einen
Vertrag ähnlichen Inhalts auf Grund der damaligen
Sachlage nicht als einen Kaufvertrag angeſehen hat;
auch iſt in den Ausführungen des LG. nirgends eine
Verkennung der Rechtsbegriffe des Kaufes und der
Gewährleiſtung, des Dienſt- oder Werkvertrags, der
Geſchäftsbeſorgung oder der Geſellſchaft zu finden. Die
Auslegung hat ſich auf den perſönlichen Vertrag, auf
das Kauſalgeſchäft beſchränkt; die Erforderniſſe für
Eigentumsubertragung (3 873 BGB.) aus dem Ber:
trage herausleſen zu wollen, iſt dem LG. nicht in den
Sinn gekommen. Wenn im übrigen nach dem Art. 48
Abſ. 2 GebG. die Beſchwerde auf neue Beweiſe ge—
ſtützt werden kann und die unberechtigte Ablehnung
der vom Beſchwerdefuhrer neu vorgebrachten Beweiſe
eine Verletzung des Anſpruchs auf rechtliches Gehör
und damit der Vorſchriften über das Verfahren be—
deutet (Gaupp-Stein, ZPO. Anm. III, 2 Abſ. 2 zum
§ 568), fo iſt doch die Nichtberückſichtigung ſolcher
neuen Beweiſe dann nicht unberechtigt, wenn das
Gericht in freier Würdigung aller Umſtände (S 286
ZPO.) bereits die volle Ueberzeugung von der Wahr:
heit oder Unwahrheit der erheblichen Tatſachen er—
langt hat. Daß Letzteres zutrifft, hat das LG. ein—
gehend dargelegt; ſeine Entſcheidung entbehrt danach
auch nicht der Begründung und es entfällt damit die
dem 5 551 Nr. 7 ZPO. i. V. mit Art. 49 Abſ. 1 Satz 2
GebG. entnommene Rüge. (Beſchl. des II. ZS. vom
8. Mai 1911, Reg. V 12/1911). W.
2309
II.
Darf das Grundbuchamt die Eintragung einer Hypo⸗
thek ablehnen, weil in der Beſtellungsurkunde die Hypo⸗
thek, die ihr im Nange vorgehen joll, mit einem höheren
als dem eingetragenen Betrag angegeben iſt? (GBO.
Ss 16, 18, 19). Laut notarieller Urkunde bewilligte und
beantragte die Kaufmannsfrau Ida G. in F., die mit
ihrem Mann in Gütertrennung lebt, für ein Darlehen
des Inſtallateurs H. von 10000 M die Eintragung
einer Hypothek hinter einer Belaſtung von 180000 M.
H. legte die Urkunde dem Grundbuchamte mit dem
Antrage vor die Hypothek an der angegebenen Stelle
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
einzutragen. Das GBA. hat den Eintragungsantrag
abgewieſen, weil die Eintragungsbewilligung nur laute
auf Eintragung einer Hypothek von 10000 M nach
Vorgang von 180 000 M, während 172000 M vor⸗
gingen. Die Hypothek ſei nicht beſtellt an nächſtoffener
Rangſtelle; an der in der Urkunde bezeichneten Stelle
könne aber die Hypothek nicht eingetragen werden. In
der Beſchwerde des H. wird geltend gemacht: Durch
die Bemerkung, daß die Hypothek hinter einer Be⸗
laſtung von 180000 M eingetragen werden folle, habe
ausgedrückt werden follen, daß die Hypothek nicht hinter
einer Belaſtung von mehr als 180 000 M eingetragen
werden dürfe, eine beſſere Stellung der Hypothek habe
aber damit nicht ausgeſchloſſen werden ſollen; äußerſten
Falls könnte die Eigentümerin von dem Antragſteller
die Einräumung des Vorrangs für eine Hypothek von
8000 M verlangen. Das Landgericht hat die Be»
ſchwerde zurückgewieſen. Auch die weitere Beſchwerde
blieb erfolglos.
Gründe: Nach 8 16 Abſ. 1 GBO. ſoll einem
Eintragungsantrage nicht ſtattgegeben werden, deſſen
Erledigung an einen Vorbehalt geknüpft wird. Durch
dieſe Vorſchrift ſoll dem GBA. die Prüfung der Frage
erſpart werden, ob nach der Sachlage die Eintragung
wirklich begehrt iſt. Ein ſolcher Vorbehalt liegt in
dem Antrage, daß die Eintragung einer Hypothek an
einer beſtimmten Stelle oder hinter einem beſtimmten
Betrag erfolgen ſoll (Fuchs⸗Arnheim, Das Grundbuch⸗
recht Bd. II 8 16 Anm. 5; Meikel, GBO. § 16 Bem. 2).
Kann das GBA. die Sachlage ſofort klären, ergibt
ſich alſo die Erledigung des Vorbehalts ohne weitere
Prüfung, ſo beſteht kein Anlaß den Antrag abzulehnen.
(Meikel a. a. O. Bem. 3a). Stellt aber das GBA. feſt,
daß nicht hinter dem beſtimmten Betrag eingetragen
werden kann, dann iſt es vor die Frage geſtellt, ob
bei dieſer Sachlage die Eintragung wirklich begehrt
wird. Da ihm die Prüfung dieſer Frage erſpart werden
ſoll, kann es nach $ 16 GO. den Eintragungsantrag
ablehnen. Der Gläubiger H. hat bei dem GBA. die
Eintragung der Hypothek „an der in der Urkunde ans
gegebenen Stelle“ beantragt, die Erledigung des Ans
trags iſt daher an einen Vorbehalt i. S. des 8 16
GBO. geknüpft. Auch wenn der Antrag dahin zu
verſtehen wäre, daß die Hypothek an nächſtoffener
Stelle eingetragen werden ſolle, würde ihm nicht ſtatt⸗
gegeben werden können. Zwar könnte in dieſem Falle
von einem dem Antrage beigefügten und der Sach—
lage widerſprechenden Vorbehalte nicht geſprochen
werden. Es würde aber an der dieſem Antrag ent—
ſprechenden Eintragungsbewilligung fehlen. Das Be—
ſchwerdegericht hat die Eintragsbewilligung dahin aus—
gelegt, daß die Eigentümerin G. die Eintragung der
Hypothek nur nach 180 000 M, nicht nach 172000 M
oder an nächſtoffener Stelle bewilligt hat. Dieſe Aus:
legung läßt keinen Rechtsirrtum erkennen. Die Be—
hauptung der weiteren Beſchwerde, der Wille der Be-
teiligten ſei ein anderer geweſen, kann dem klaren
und beſtimmten Wortlaute der Urkunde gegenüber
keine Berückſichtigung finden. Der Antrag die Hypo»
thek an nächſtoffener Stelle einzutragen ſtünde daher
mit der Eintragungsbewilligung nicht im Einklang;
er müßte deshalb nach 8 19 GBO. zurückgewieſen
werden (Güthe, GBO. 2. Aufl. Bd. 1 8 19 Bem. 66
S. 397). Die Eigentümerin hat ſich bei der Beſtellung
der Hypothek für das Darlehen des H. nicht die Be—
fugnis vorbehalten eine andere Hypothek, deren Höhe
genau hätte beſtimmt werden müſſen, mit dem Range
vor der Hypothek des H. eintragen zu laſſen. Das
GBA. konnte daher auch nicht dem Antrage des Be
ſchwerdeführers in der Weiſe ſtattgeben, daß es einen
Rangvorbehalt zugunſten einer Hypothek für den
dem Unterſchiede zwiſchen 172 000 M und 180000 M
entſprechenden Betrag von 8000 M eintrug. (Beſchluß
des I. 35. vom 19. Mai 1911, Reg. III 36/1911).
2298 W.
317
III.
Können eingekindſchaftete Kinder die Wiederauf⸗
nahme der über den 9 ihres Vaters gepflogenen
Verhandlungen unter der Behauptung verlangen, daß
nach Oberpfälziſchem Rechte der Stiefmutter der in
Auſpruch genommene Beiſitz am Nachlaſſe unr hinſichtlich
ihrer leiblichen Kinder zuſteht? (Oberpf. LR. III,
15; Ue®. Art. 84; Bayer. Nachl G. Art. 3, 4 mit
NachlO. SS 104, 126). Der am 14. Juni 1909 zu E.
(Oberpfalz) geſtorbene Austrägler Lorenz L. iſt zwei⸗
mal verheiratet geweſen. Bei ſeinem Tode waren
aus jeder Ehe drei Kinder und en zweite Frau
Barbara am Leben. Bei der von dem Nachlaßgericht
am 24. Juli 1909 gepflogenen Verhandlung, zu der
die Witwe und mehrere Kinder erſchienen waren, er⸗
klärte die Witwe, daß die ſechs Kinder die geſetzlichen
Erben ſeien, daß ihr aber nach den Beſtimmungen
des Oberpf. LR. der Beiſitz an dem Nachlaſſe zuſtehe.
Die anweſenden Kinder nahmen die Erbſchaft an und
erklärten, daß ſie einen Erbſchein nicht nötig hätten.
Das von der Witwe in Anſpruch genommene Beiſitz⸗
recht wurde nicht beſtritten. Die Witwe verweigerte
die Leiſtung des von zwei Kindern über die Ver⸗
mögensverhältniſſe verlangten Offenbarungseides.
Das Nachlaßgericht verwies die Kinder wegen des
Offenbarungseides auf den Rechtsweg und legte die
Akten weg. Am 21. Dezember 1909 ſtellte die Mit⸗
erbin R. an das Nachlaßgericht den Antrag, die Nach⸗
laßverhandlungen wieder zu eröffnen und das Bei⸗
ſitzrecht der überlebenden Witwe auf die Erbteile ihrer
leiblichen Kinder einzuſchränken, da es der Witwe nur
an den Erbteilen dieſer Kinder nach dem Oberpf. LR.
3. Teil 15. Titel pag. 317—319 zuſtehe. Das Nachlaß⸗
gericht wies den Antrag unter der Annahme zurück,
daß der Witwe der Beiſitz am ganzen Nachlaſſe zuſtehe.
Gegen dieſe Verfügung legte die R. Beſchwerde ein
und ſuchte gleichzeitig um die Bewilligung des Armen⸗
rechtes nach. Das LG. wies die Beſchwerde zurück,
legte der Beſchwerdeführerin die Koſten auf und ver⸗
weigerte ihr das Armenrecht, weil über den Umfang
des der Witwe zuſtehenden Beiſitzrechts nur das Pro:
zeßgericht entſcheiden könne. Auch die weitere Be⸗
ſchwerde der R. wurde zurückgewieſen.
Gründe: Auf die Güterrechtsverhältniſſe des
Erblaſſers und der Witwe L. finden die Beſtimmungen
des Oberpf. LR. von 1657 Anwendung, ſoweit ſie im
Bayer. LR. als ſortbeſtehend anerkannt find. Nach
Art. 84 Abſ. 2 UeG. bleibt es in dieſem Falle, wenn
bei dem Tode des einen Ehegatten gemeinſchaftliche
Abkömmlinge vorhanden ſind, in Anſehung der Rechte
des überlebenden Ehegatten bei den Vorſchriften des
Oberpf. Rechtes, außer wenn der überlebende Ehegatte
auf den Beiſitz verzichtet. Nach Art. 3 NachlG. hatte das
Nachlaßgericht nach dem Tode des L. deſſen Erben zu
ermitteln um feſtzuſtellen, wer zur Erbſchaft berufen
und Erbe geworden iſt. Das Nachlaßgericht hat dem—
gemäß die Beteiligten vernommen oder vernehmen
laſſen. Da die Witwe auf den Beiſitz nicht verzichtete,
waren geſetzliche Erben nur die Kinder des Ver—
ſtorbenen. Damit hat das Nachlaßgericht der ihm
durch den Art. 3 NachlG. auſerlegten Verpflichtung
Genüge getan. Zwar ſchreibt der Art. 4 vor, daß
das Nachlaßgericht, wenn mehrere Erben vorhanden
ſind, unter beſtimmten Vorausſetzungen die Aus—
einanderſetzung von Amts wegen zu vermitteln hat.
Die Auseinanderſetzung iſt aber nicht möglich, ſolange
das Beiſitzrecht beſteht (8 104 NachlO. vom 20. März
1903). Die Vermittelung der Auseinanderſetzung
hätte daher auch nicht nach § 126 Abſ. 1 NachlO. auf
Antrag eines Beteiligten erfolgen können. Das Bei—
ſitzrecht iſt bei den Nachlaßverhandlungen von den
Kindern aus der erſten Ehe nicht beſtritten worden.
Das Nachlaßgericht hätte auch einen Streit nicht ent—
ſcheiden können, ſondern hätte die Beteiligten auf den
Rechtsweg verweilen müſſen (§ 46 Abi. 2 Nachl O.).
Ebenſowenig kann das Nachlaßgericht nachträglich
eine ſolche Entſcheidung treffen. Der Antrag zu
dieſem Zwecke die Nachlaßverhandlungen wieder zu
eröffnen iſt daher nicht begründet. (Beſchluß des
I. 35. vom 12. Mai 1911, Reg. III 39/1911). W.
2216
IV.
Glaubhaftmachung einer Forderung nach 8 1994
Abſ. 2 BGB. Gründe der Feſtſtellung, daß eine Erb⸗
ſchaft im Sinne des § 1943 BGB. angenommen wurde
Koſtentragung nach Art. 131 AG. 3. BGB. im Falle der
Beſtimmung einer Inventarfriſt für den Erben auf
Antrag eines Nachlaßgläubigers. Am 7. Mai 1910
ſtarb zu H. der ledige Apotheker Karl B. Seine Mutter
Martha B. und ſeine Schweſter erklärten als geſetz—
liche Erben am 10. Juni 1910 zum Protokolle des
Nachlaßgerichts, daß ſie die Erbſchaft ausſchlagen. Frau
Z in St. erhob mit der Behauptung, daß ſie dem Ver—
ſtorbenen laut eines Schuldſcheins ein Darlehen von
3420 M gegeben habe, Anſprüche gegen den Nachlaß
und erwirkte die Anordnung einer Nachlaßpflegſchaft.
Dem Pfleger gab die Witwe B. als Nachlaß ihres
Sohnes zunächſt außer 20 M Bargeld Kleider und
Wäſche und einige Gegenſtände darunter eine ſilberne
Taſchenuhr im Geſamtwerte von 61,80 Man. Das
auf Grund dieſer Angaben von dem Pfleger gefertigte
und bei Gericht eingereichte Inventar bezeichnete die
Nachlaßgläubigerin Z. als unrichtig: in dem Verzeich—
niſſe fehlten viele wertvolle Geſchenke, die ſie ſelbſt
dem Erblaſſer gemacht habe. Martha B. ſchrieb dem
Nachlaßpfleger hierauf, es hätten ſich noch einige zum
Nachlaſſe gehörende Gegenſtände, u.a. ein Ring und
eine Uhr mit Stahldeckel und Kette vorgefunden; einen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
Kettenring und einen Stock habe ſie gleich nach dem
Tode ihres Sohnes ſeiner Braut und deren Bruder
als Andenken gegeben, weil ihr Sohn bei den Eltern
ſeiner Braut während ſeiner Krankheit unentgeltlich
verpflegt worden war. Sie ſei bereit den Wert zu
erſetzen. Schon früher hatte Martha B. die von ihr
beſtrittenen Krankheits- und Leichenkoſten zu 349,55 41
mit dem Anſpruch auf bevorrechtigte Befriedigung
dem Nachlaßpfleger bekanntgegeben und hierauf die
20 M Barrücklaß verrechnet. Einen Antrag der Z.,
der Witwe B. eine Inventarfriſt zu ſetzen, wies das Nach—
laßgericht ab. Auf Beſchwerde der Z. hob das Land—
gericht N. die Entſcheidung auf, wies das Amtsgericht
an, der Witwe B. eine Inventarfriſt zu beſtimmen
und legte die Koſten der Martha B. auf. Die weitere
Beſchwerde der B. hatte den Erfolg, daß die Ent—
ſcheibung des LG. im Koſtenpunkte aufgehoben wurde,
im übrigen wurde das Rechtsmittel zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Das Beſchwerdegericht
hat die nach 8 1914 Abſ. 2 BGB. erforderliche Glaub—
haftmachung der Forderung der 3. in der Bezugnahme
auf den Schuldſchein, deſſen Höhe und Ausſtellungs—
zeit angegeben ſind, ſowie darin erblickt, daß die Witwe
B. die Berechtigung der Frau Z. zur Antragſtellung
im Sinne des § 1994 Abſ. 1 BGB. nicht beſtritten
hatte. Ob eine Tatſache glaubhaft gemacht ſei, iſt
eine Frage des richterlichen Ermeſſens (Seuffert, 3PO.
Ss 294 Anm. 1 b). Es iſt daher nicht erfindlich, inwie—
jerne durch die Entſcheidung der Rechtsbegriff der
Glaubhaftmachung verkannt ſein ſoll. Daß die Be—
ſchwerdeführerin die Erbſchaft vor der Ausſchlagungs—
erklaͤrung angenommen hat, hat das Beſchwerdegericht
aus dem Verhalten der Witwe B. in Anſehung der
ihr überſandten Nachlaßgegenſtände ihres Sohnes ge—
folgert. Dabei iſt es von dem anerkannten Rechtsſatze
ausgegangen, daß es nach den Umſtänden zu beurteilen
iſt, ob eine Handlung des als Erbe Berufenen deſſen
Willen bekundet, die Erbſchaft als eigenes Vermögen
zu behandeln. Die Erwägungen, auf Grund deren das
Beſchwerdegericht zu dem Ergebniſſe gelangt iſt, daß,
1911. Nr. 14 u. 15.
die Witwe B. die von ihr anfänglich verſchwiegenen
Gegenſtände nicht, wie ſie behauptet, infolge ihrer Auf⸗
bewahrung in einem beſonderen Schränkchen vergeſſen
hat, ſondern zufolge eines ſchon vor dem 10. Juni
1910 gefaßten Entſchluſſes für ſich behalten wollte
und deshalb auf die Seite gebracht 95 ſind tatſäch⸗
licher Natur und lb feinen Verſtoß gegen erbrecht⸗
liche Grundſätze erſehen, insbeſondere keinen gegen den
8 1943 des BGB. (8 1994 trifft hier überhaupt nicht
zu). Es beſteht auch kein rechtliches Bedenken gegen
die Annahme, daß ſich die Beſchwerdeführerin die Nach⸗
laßſachen ihres Sohnes auf Grund ihres geſetzlichen Erb⸗
rechts, alſo nicht im Irrtum über den Berufungsgrund
(8 1949 BGB.) angeeignet hat. Da hiernach das Be⸗
ſchwerdegericht in rechtlich einwandfreier Weiſe aus
den Tatſachen gefolgert hat, daß die Beſchwerdeführerin
ſchon vor dem 10. Juni 1910 die Erbſchaft angenom-
men hat, kann deren ſpäterer Ausſchlagung keine Wirfs
ſamkeit mehr zukommen und der 8 1953 BGB. nicht
Platz greifen. Die weitere Beſchwerde iſt deshalb nicht
begründet, ſoweit ſie ſich gegen die Aufhebung der
Verfügung des Amtsgerichts und gegen die Anweiſung
richtet der Witwe eine Inventarfriſt zu beſtimmen.
Mit Unrecht hat aber das Beſchwerdegericht die Koſten
der Witwe B. auferlegt. Das durch den Antrag der
Z. auf Beſtimmung einer Inventarfriſt veranlaßte Ver—
fahren betrifft eine eigene Angelegenheit der Antrag—
ſtellerin, ſie hat daher nach Art. 131 AG. z. BGB. die
Koſten dieſes Verfahrens zu tragen. (Beſchluß des
I. ZS. vom 26. Mai 1911, Reg. III 40/1911). W.
2297
B. Strafſachen.
I.
Umfang der Beſchlagnahme von Briefen auf der
Poſt nach 8 99 StPO. Die Strafkammer beſchloß:
„Es wird gemäß 8 99 StPO. die Beſchlagnahme der
bei dem Poſtamt in W. an die Taglöhnersfrau Julie
W. oder an Frau Antonie G. eingehenden Brieſe,
Sendungen und Telegramme angeordnet, welche ver—
muten laſſen, daß ſie von dem Angeklagten Johann
W. herrühren, welche Vermutung bei Briefen und
anderen Poſtſendungen aus einer Vergleichung der
Schriftzüge der Adreſſen mit denen des Briefes des
Angeklagten vom 16. März 1911, hinſichtlich der Tele⸗
gramme aus deren Inhalt geſchöpft werden kann.“
Auf die Beſchwerde des Staatsanwalts erließ das
Oberſte Landesgericht folgenden Beſchluß: Es wird
die Beſchlagnahme der an die Taglöhnersfrau Julie
W. oder an Frau Antonie G. gerichteten Briefe,
Sendungen und Telegramme auf der Poſt in W. an—
geordnet mit Ausnahme der verſchloſſenen Briefe und
Sendungen, die offenſichtlich einen amtlichen Charakter
tragen, und der Telegramme, unverſchloſſenen Briefe
und Sendungen, deren Inhalt unzweifelhaft Anhalts—
punkte über den Aufenthalt des Taglöhners Johann
W. von P. nicht enthält.
Aus den Gründen: Nach dem erſten Satzteile
des 8 99 StPO. iſt die Beſchlagnahme der an den
Beſchuldigten gerichteten Sendungen ſchlechthin und
unbedingt zuläſſig; dieſer Fall liegt hier nicht vor.
Dagegen unterliegt die Beſchlagnahme der im zweiten
Satzteile bezeichneten Briefe uſw. gewiſſen Voraus—
jegungen. Der Entwurf der Sı BO. enthielt als 8 90
die Beſtimmung, die lautete: . . . . „oder wenn anzu:
nehmen iſt, daß ſie von ihm herrühren oder für ihn
beſtimmt ſind und daß ihr Inhalt für die Unterſuchung
eine Bedeutung habe.“ Die Faſſung des Entwurfs
gab in der Reichstagskommiſſion und im Reichstage
zu dem Bedenken Anlaß, daß ſie zu allgemein, zu
dehnbar und zu unbeſtimmt ſei, deshalb gegen miß—
bräuchliche Anwendung nicht genügend ſchütze und dem
eitſchrift für Rechtspflege in
Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
Grundſatze der in § 5 des Poſtgeſetzes vom 18. Oktober
1871 gewährleiſteten Unverletzlichkeit des Briefge—
heimniſſes zu wenig Rechnung trage. Auf dem Wege
des Kompromiſſes kam die jetzige Faſſung zuſtande.
Durch ſie ſollte ein doppelter Zweck erreicht werden.
Zunächſt ſollte nach der negativen Seite verhindert
werden, daß auf bloße Vermutungen hin die Beſchlag—
nahme erfolge; insbeſondere ſollte die Beſchlagnahme
der ganzen Korreſpondenz grundſätzlich ausgeſchloſſen
ſein, inſoweit in jedem Falle wahl» und unterſchieds⸗
los die ſämtlichen Briefſchaften uſw. in Pauſch und
Bogen von der Poſt an den erſuchenden Staatsanwalt
oder Richter geſendet, von dieſen geſichtet und die
verdächtigen beſchlagnahmt werden ſollen. Nach der
poſitiven Seite ſollte der Staatsanwalt oder Richter
nur unter den Vorausſetzungen des zweiten Satzteiles
des — nunmehrigen — 8 99 die Beſchlagnahme an⸗
ordnen dürfen. Abänderungsanträge, welche die Be⸗
fugnis zur Beſchlagnahme aufs äußerſte beſchränkt
und das richterliche Ermeſſen ſo gut wie ausgeſchaltet
hätten, wurden abgelehnt, weil bei der Mannigfaltig—
keit und Verſchiedenartigkeit der Straffälle durch zu
weitgehende Beſchränkungen der Unterſuchungszweck
vereitelt würde. Durch die zum Geſetze gewordene
Beſtimmung ſollte zwar dem Staatsanwalt und dem
Richter ein gewiſſer Spielraum gelaſſen, der Staatsan⸗
walt und der Richter ſollten jedoch gezwungen werden
jeden einzelnen Fall gewiſſenhaft zu prüfen und die
Annahme, daß der Brief uſw. von dem Beſchuldigten
herrühre und für die Unterſuchung Bedeutung habe,
nicht auf willkürliche Vermutungen zu ſtützen, ſondern
mit Tatſachen zu begründen; als ſelbſtverſtändlich
wurde es erachtet, daß es ſich dabei nicht um un-
trügliche Gewißheit handeln könne.
Darnach haben der Staatsanwalt oder der Richter
nach pflichtgemäßem und vernünftigem Ermeſſen die
Beſchlagnahmemaßregeln anzuordnen und der Poſt die
Briefſchaften zu bezeichnen, die von ihr zurückbehalten
und an die erſuchende Behörde geſchickt werden ſollen.
Es darf nicht der Poſt überlaſſen werden, zu prüfen,
ob und gegebenen Falles, welche Briefe uſw. von
dem Beſchuldigten herrühren; ein ſolches Verfahren
wäre geſetzwidrig, übrigens in vielen Fällen praktiſch
nicht durchführbar; ein viel beſchäftigtes Poſtamt hätte
nicht die Zeit; manche Poſtanſtalt an einem weltab—
gelegenen Orte verfügt bei der Schwierigkeit, die die
Schriftenvergleichung bietet, wohl kaum über das Ver—
ſtändnis oder die Erfahrung, aus der Handſchrift des
Beſchuldigten zu beurteilen, ob die Adreſſe von ihm
herrührt. Welche Merkmale oder Kennzeichen der
Staatsanwalt oder Richter der Poſt mitzuteilen hat,
durch die die Auswahl der beſchlagnahmefähigen
Briefe ermöglicht wird, hängt von den Umſtänden
des Falles ab. In dieſem Sinne iſt die ſogenannte
Individualiſierung zu verſtehen; eine zu enge Aus—
legung dieſes Begriffs, wie es die Strafkammer getan
hat, ſteht mit dem Geiſte des Geſetzes und ſeinem
Zwecke in Widerſpruch. Das Richtige trifft wohl
Keller, der (Kommentar zur StPO. §§ 99) äußert:
„Der Grundſatz der Individualiſierung darf nicht auf
die Spitze getrieben werden. Die Beſchlagnahme kann
eine ganze Kategorie von Briefen umfaſſen, z. B. wenn
es ſich um die Briefe aus einem Gebiete des In- und
Auslandes (etwa aus Amerika) an einen Verwandten
oder die Ehefrau des flüchtigen Beſchuldigten handelt
und bezüglich des Letzteren Anhaltspunkte dafür vor—
liegen, daß er ſich dorthin geflüchtet hat.“ Die Eigen—
tümlichkeiten des Einzelfalles beſtimmen auch den Um—
fang der Beſchlagnahme; dieſe kann ſich auf einen
einzelnen Brief, auf eine Mehrheit von Briefen, auf
ſämtliche Briefe beziehen; allgemeine Normen aufzu—
ſtellen iſt bei der Vielgeſtaltigkeit der Straffälle un—
möglich. Es iſt etwas anderes, wenn z. B. der In—
haber eines großen Geſchafts geflohen iſt oder ein
Taglöhner. In jenem Falle wird es ſich um eine
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tägliche, umfangreiche Korreſpondenz handeln; es
wird beſonderer Vorſicht und Umſicht des Staatsan-
walts und des Richters bedürfen, um die richtige
Auswahl zu treffen. Bei einem Taglöhner — dieſer
Fall liegt hier vor — wird eine geſchäftliche Korre—
ſpondenz ſo gut wie ausgeſchloſſen ſein: die wenigen
ein⸗ und ausgehenden Briefe werden regelmäßig
Familienangelegenheiten betreffen; nur ab und zu
wird der Poſtbote Offerten, Reklameſchriften oder
Schreiben von Behörden in eine Familie bringen,
die der Bevölkerungsſchichte der Taglohnarbeiter an—
gehört. Dieſe Tatſachen ſind offenkundig; ſie beruhen
auf den Erfahrungen des täglichen Lebens.
Nach den Ermittelungen iſt der Angeklagte
nicht ohne Wiſſen und Willen ſeiner Angehörigen
geflohen; es iſt deshalb die Annahme begründet, daß
er bei ſeinen innigen Beziehungen zu ihnen ſie über
ſeinen Aufenthalt nicht in Unkenntnis läßt, ſchriftlich
Familienangelegenheiten beſpricht uſw. Es iſt be—
kannt, daß der Flüchtige, um ſich vor Entdeckung zu
ſchützen, mindeſtens ſeine Handſchrift auf dem Brief—
umſchlage verſtellt, oder durch Dritte Briefe oder doch
die Adreſſe ſchreiben läßt. Dazu kommt jetzt noch die
Maſchinenſchrift, die zur Zeit der Erlaſſung des Ge—
ſetzes noch nicht im Brauche war wie heutzutage und
bei deren Anwendung es überhaupt keine in dem
Aeußern des Briefes ſelbſt liegenden Merkmale gibt,
die auf den Angeklagten als Schreiber hinweiſen.
Daraus aber, wie die Strafkammer getan hat, zu
ſchließen, daß dann die Beſtimmung des § 99 StPO.
überhaupt nicht anwendbar ſei, hieße nichts anderes,
als die Anwendung des § 99 StPO. in der Haupt:
ſache ausſchließen und dem Verhalten eines findigen
und raffinierten Verbrechers Vorſchub leiſten. Liegen
die Verhältniſſe ſo wie in dem vorwürfigen Falle,
daß nämlich die Korreſpondenz unbedeutend iſt, ſich
regelmäßig auf die Familienverhältniſſe und die
Familienangehörigen beſchränkt, daß dieſe von dem
Flüchtigen über ſeinen Aufenthalt durch ſchriftliche
Mitteilungen, die äußerlich als von ihm herrührend
nicht erkennbar ſind, in Kenntnis erhalten werden,
fo kann der Unterſuchungszweck, — die Ermittelung
des Aufenthalts des Flüchtigen, — nur erreicht werden,
wenn die Beſchlagnahme fo wie geſchehen angeordnet
wird. (Beſchl. vom 30. Mai 1911, Beſchw.⸗Reg. 371/11).
2301 Ed.
II.
Begriff der in den Jagdrevieren aufſichtslos umher⸗
ſtreifenden Hunde. Der Jagdberechtigte H. erſchoß am
25. Oktober 1910 in ſeinem Gemeindejagdbezerke J.
den Hund des Z., einen vier bis fünf Monate alten
Schnauzer, der ſich auf der von J. nach dem nahen Orte
M. führenden Straße ungefähr 100 Schritte von dem
letzten Hauſe von J. entfernt befand und von ſeinem
früheren Herrn in J., dem er zugelaufen war, zurück—
getrieben worden war. H. wurde wegen Sachbe—
ſchädigung verurteilt, die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach dem § 16 der VO.
vom 6. Juni 1909, deſſen Wortlaut, was die Zuläſ—
ſigkeit des Tötens von Hunden betrifft, mit der früheren
BD. vom 5. Oktober 1863, pol. Vorſchriften über Aus:
übung und Behandlung von Jagden betr., wörtlich
übereinſtimmt, dürfen in den Jagdrevieren aufſichts—
los umherſtreifende Hunde von dem Jagdausübungs—
berechtigten oder dem von ihm aufgeſtellten Jagdauf—
ſeher getötet werden. Dieſe Beſtimmung bezweckt den
Schutz der Jagd gegen Beunruhigung durch aufſichts—
los umherſtreifende Hunde, ſie ſetzt voraus, daß ein
Hund ein Verhalten zeigt, das geeignet iſt, die Hege
und Pflege der Jagd zu ſtören und das Wild zu ge—
fährden. Die dem Jagdausübungsberechtigten erteilte
Ermächtigung findet ihre notwendige Beſchränkung
und Begrenzung in dem Schutzbedürfniſſe der Jagd
ſowie in dem Anſpruche des Beſitzers eines Hundes
auf Unterlaſſung jeder unnötigen Tötung feines Tieres.
Es genügt nach dem Sinne des Wortes „umherſtreifen“
zur Anwendung des 8 16 der VO. vom 9. Juni 1909
nicht, daß ſich ein Hund überhaupt innerhalb des Jagd—
reviers ohne Aufſicht befindet oder dort umherläuft,
z. B. um ſeinen Herrn, den er verloren hat, zu ſuchen,
der S 16 verlangt vielmehr, daß der Hund umher—
ſtreife und dadurch der Jagd gefährlich werde. Umher⸗
ſtreifen bedeutet „in dem Jagdgebiete da und dort ſich
umhertreiben“, wie es Hunde zu tun pflegen, die dem
Wilde nachſpüren. Nur ein ſolches Verhalten eines
Hundes iſt der Jagd gefährlich und ermächtigt nach
dem 8 16 den Jagdausübungsberechtigten zum Töten
des Hundes auf der Stelle. Der von dem Angeklagten
getötete Hund iſt aber nicht umhergeſtreift. Er lief
auf der Straße von J. nach M. Daß er ſich abſeits
vom Wege im Jagdgebiete herumgetrieben habe, hat
das Berufungsgericht nicht feſtgeſtellt. Solange der Hund
auf dem Wege verblieb, auf dem ſchon wegen des
herrſchenden Verkehrs das Wild ſich nicht aufzuhalten
pflegt, war die Jagd nicht gefährdet und erforderten
die Intereſſen der Jagd nicht die Tötung. Auch war
die Tat des Angeklagten ſelbſt dann, wenn er damals
den Hund des Z. für einen andern Hund gehalten
hatte, der die Jagd ſchon früher beunruhigt hatte,
doch rechtswidrig, da ein derartiges Verhalten eines
Hundes zu einer früheren Zeit dem Jagdberechtigten
nicht die Befugnis gibt einen ſolchen Hund zu einer
anderen Zeit zu töten, in der er nicht umherſtreift.
(Urt. vom 6. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 197/11). Ed.
2302
III.
Verkehr mit Kraftſahrzengen; das Befahren einer
verbotenen Straße kaun unter Umſtänden ſtraflos fein.
Die Angeklagten B. und K. wurden von den Vor—
inſtanzen verurteilt, weil jeder von ihnen am 15. Juni
1910 vormittags mit einem Automobil die nach den
diſtriktspolizeilichen Vorſchriften für Kraftfahrzeuge
verbotene fog. Seeſtraße gefahren iſt. Vom Reviſions—
gericht wurden ſie freigeſprochen.
Aus den Gründen: Der Angeklagte B.
beabſichtigte von ſeinem Wohnorte aus ein Automobil
nach M. zu ſahren; zu ſeiner Unterſtützung fuhr auf
einem zweiten Automobile mit ihm auf dem gleichen
Wege ſein Chauffeur K. Infolge eines anhaltenden
gewitterartigen Regens waren andere Straßen un—
fahrbar; ſie wollten daher die für Automobile frei—
gelaſſene Diſtriktsſtraße St. H.-B. befahren. Als fie
an die Stelle kamen, an der die Seeſtraße von der
Diſtriktsſtraße abzweigt, meinten ſie ſich in einem Not—
ſtande zu befinden, indem ſie ſich vorſtellten, ſie
könnten die Straße gegen H. wegen der auf dieſer
Zeitſchrift für Rechtspflege d in Bayern. all
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Strecke befindlichen tief gelegenen und vom Hochweſſer
gefährdeten Brücke wohl nicht ohne Lebensgefahr
paſſieren und möglicherweiſe, falls fie bis zur Brücke
an dieſer Straße vorzufahren verſuchten, nicht mehr
zurückgelangen, und indem ſie weiter glaubten, den
Rückweg nach St. H. und S., der inzwiſchen durch
hereinſchlagende Seewellen überſchwemmt und viel-
leicht unterſpült ſein konnte, nicht mehr ohne Gefahr
zurücklegen zu können, ſo daß ihnen nach ihrer Vor—
ſtellung nichts anderes übrig blieb als die verbotene
Seeſtraße weiterzufahren.
Das Gericht hat nach Art. 15 PStGB. nur die
geſetzliche Gültigkeit, nicht aber die Notwendigkeit oder
Zweckmäßigkeit der Vorſchrift zu prüfen. Die Aus—
legung der Vorſchrift unterliegt der Prüfung des Ge—
richts. Bei ihr iſt wie bei der Auslegung der Geſetze
der wirkliche Wille zu erſorſchen und nicht an dem
buchſtäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Die
Vorſchriften find fo auszulegen, daß ſie eine vernünftige
Anwendung zulaſſen. 8 1 der Vorſchriften verbietet
ohne Ausnahme den Verkehr auf der Seeſtraße. Bei
dieſem Verbot iſt davon auszugehen, daß die Diſtrikts—
Nr. 14 u. 15.
polizeibehörde nur den Verkehr des täglichen Lebens
im Auge hatte und nur dieſen treffen wollte, nicht
aber außerordentliche Fälle berückſichtigt hat und be⸗
rückſichtigen wollte, in denen durch Zufall oder höhere
Gewalt, insbeſondere durch Naturereigniſſe das Be⸗
fahren der Straße geboten ſein konnte. Solche Aus⸗
nahmefälle lagen außerhalb des Bereiches der Er⸗
wägungen. Wenn z. B. ein Zugpferd bei dem
Vorüberfahren an einer Straße, für die Fahrverbot
beſteht, ſcheut und den Wagen die verbotene Straße
entlang bewegt, wird das Verbot des Fahrens auf
dieſer Straße auf den Fuhrmann, der den Wagen auf
dieſer Straße zurückbringt, ſicher nicht ausgedehnt
werden können. Solche außerordentliche Fälle hatte
das Verbot nicht im Auge. Das Amt hat den „Ver⸗
kehr“ unterſagt; von „Verkehr“ kann in ſolchem Not⸗
falle nicht geſprochen werden. Eine Auslegung der
diſtriktspolizeilichen Vorſchrift in dem Sinne, daß auch
für ſolche Fälle die Benützung der Straße verboten
werden ſollte, würde einer vernünftigen Anwendung
im Wege ſtehen.
Es iſt zu prüfen, ob die Lage der Angeklagten
fo war, daß ihr Handeln, weil es unter die Aus⸗
nahme fällt, durch die diſtriktspolizeilichen Vorſchriften
nicht betroffen werden ſollte. Der Ausweg von U.
nach O. oder H. war verboten, das Verbleiben in U.
oder auf der offenen Straße war nach den örtlichen
Verhältniſſen unmöglich, das telephoniſche Anrufen
des Bezirksamts verſprach keinen ſicheren Erfolg. Die
Angeklagten haben daher mit Recht von den ihnen
in den Urteilsgründen angegebenen Mitteln, durch die
ſie ſich aus der Zwangslage durch ein ſtrafloſes Tun
hätten befreien können, keinen Gebrauch gemacht. Ein
vernünftiger Ausweg aus der Zwangslage, in die ſie
ohne ihr Verſchulden hineingekommen find, mußte ge:
funden werden; ſie mußten um ſich und ihr Eigentum
hinauszubringen die Seeſtraße befahren. Lag aber
eine Situation vor, die überhaupt oder wenigſtens
nach der Anſicht der Angeklagten nur auf dem von
ihnen eingeſchlagenen Wege beſeitigt werden konnte,
ſo wird angenommen werden müſſen, daß das
diſtriktspolizeiliche Verbot ſich auf dieſen Ausnahmes
fall überhaupt nicht bezog und daß ſich die Angeklagten
aus dieſem Grunde keiner Zuwiderhandlung gegen die
diſtriktspolizeilichen Vorſchriften ſchuldig gemacht haben.
Die Angeklagten müßten aber ſelbſt dann ſtraf—
los ſein, wenn die Auslegung der diſtriktspolizeilichen
Vorſchriften in dem angegebenen Sinne nicht zuläſſig
wäre. Die Verurteilung der Angeklagten könnte nur
erfolgen, wenn in ihrem Tun ein ſtrafbares Ver—
ſchulden — Vorſatz oder Fahrläſſigkeit — zu erblicken
wäre. Den Angeklagten konnte nicht zugemutet werden
ihr wertvolles Eigentum in U. im Stiche zu laſſen;
ihr Eigentum an den Automobilen war in erheblichem
Grade gefährdet und ſie glaubten behufs Abwendung
der Gefährdung ſo handeln zu müſſen, wie ſie ge—
handelt haben; wenn ſie ſich hierbei vielleicht auch in
einem tatſächlichen Irrtum befanden und objektiv
rechtswidrig gehandelt haben, jo war doch ihre Hand—
lung nach ihrem entſchuldbaren, ſubjektiven Ermeſſen
nicht ſtrafbar, da ihr das Erfordernis des Bewußt—
ſeins der Rechtswidrigkeit fehlte. Die Angeklagten
haben ſich nicht mutwillig der Gefahr ausgeſetzt ſtraf—
bar zu werden. (Urt. vom 1. April 1911, RevR. 124/11).
2250 El.
Oberlandesgericht München.
Zengengebühren bei Unterbrechung einer Geſchäfts⸗
reiſe. Der Mechaniker E. war vor das Landgericht
auf Vorm. 9½ Uhr als Zeuge geladen und wurde
um 10 Uhr entlaſſen; er erhielt 5 M angewieſen.
Hiergegen legte er Beſchwerde ein mit dem Antrag.
ihm 12 M zuzubilligen, weil er wegen des Termins
eine Geſchäftsreiſe habe unterbrechen müſſen, hiernach
2 M vergeblich für Fahrtkoſten ausgelegt und an zwei
halben Tagen je 5 M Verdienſtentgang gehabt habe.
Die Beſchwerde blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Der Beſchwerdeführer hat
ohnehin den geſetzlichen Höchſtbetrag von 1 M unter
Zugrundelegung einer Zeitverſäumnis von 5 Stunden
zugebilligt erhalten; damit iſt er für die durch die
Ladung erforderlich gewordene 5 aus⸗
reichend entſchädigt. Wenn der Zeuge am Tage vor
dem Termin eine Geſchäftsreiſe antrat, ſo hat er dies
auf die Gefahr hin getan ſeine Reiſe unterbrechen zu
müſſen; die (nach ſeiner Behauptung eingetretene)
Möglichkeit, daß er die von ihm zu beſuchende Perſon
nicht antreffen und das Geſchäft daher nicht am gleichen
Tage erledigen könne, lag ſo nahe, daß auch der Zeuge
damit rechnen mußte; zudem hätte er ja vor ſeiner
Abreiſe um Verlegung des Termins nachſuchen können.
(Beſchl. v. 5. Mai 1911, Beſchw.⸗Reg. Nr. 265/11 J).
2247 N.
Oberlandesge richt Bamberg.
Zur Entſcheidung über einen Auſpruch gegen den
bayeriichen Fiskus auf Nückerſtattung zu Unrecht er:
hobener Gebühren und von Zinſen hieraus find die
bürgerlichen Gerichte nicht zuſtändig. gabrläffine
Amtspflichtverletzung nach $ 839 B68. und Art. 60
AG. z. BGB. Mitverſchulden des Geſchädigten durch
Unterlaſſung der Aufſichtsbeſchwerde. Die Klägerin hat
am 26. November 1902 bei dem Amtsgerichte A. zum
Handelsregiſter die Errichtung ihrer Zweigniederlaſſung
angemeldet. Für die Eintragung ſetzte der Gerichts⸗
ſchreiber nach Art. 60 Abf. 2 Geb. i. d. F. von 1899 eine
Gebühr von 15 000 M an, weil er annahm, daß der
Hauptgeſchäftsbetrieb bei der Zweigniederlaſſung ſtatt⸗
finde. Hiergegen erhob die Klägerin Erinnerungen.
Das Rentamt A. hob am 1. Mai 1904 die Gebühr
ein. Am 20. Oktober 1904 meldete die Klägerin die
Aufhebung ihrer Zweigniederlaſſung an. Das AG.
trug die Aufhebung am 21. Oktober in das Handels—
regiſter ein. Mit Beſchluß vom 7. Februar 1907 wies
das AG. die Erinnerungen der Klägerin zurück, nach—
dem der Umfang des Geſchäftsbetriebs der Zweig—
niederlaſſung eingehend ermittelt worden war. Die
Beſchwerde wurde zurückgewieſen. Dagegen erklärte
das Obèe G. am 17. Juni 1907 den Anſatz der Gebühr
von 15000 M für nicht gerechtfertigt. Am 8. Auguſt
1907 wurden die 15 000 M vom Rentamt zurückbezahlt.
Dieſe ſtellte hierauf bei dem Rentamte den Antrag
auf Zahlung von 4% Zinſen aus 15000 M für die
Zeit vom 1. Mai 1904 bis zum 8. Auguſt 1907.
Dieſer Antrag wurde vom Rentamt und auf Beſchwerde
von der Regierung abgelehnt. Dem Geſuche der
Klägerin um Abhilfe nach Art. 2 AG. z. ZPO. gab
das Finanzminiſterium keine Folge.
Die Klägerin hat gegen den Fiskus Klage auf
Zahlung des Zinſenbetrages erhoben, weil der Beklagte
mit der Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Gebühr
von der Erhebung an im Verzug geweſen ſei, da nach
der Entſcheidung des Obs. der Anſatz der Gebühr
von Anfang an nicht gerechtfertigt geweſen ſei. Er
habe ferner die 15000 M über 3 Jahre ohne recht⸗
fertigenden Grund im Beſitz und Genuß gehabt und
ſei dadurch ungerechtfertigt bereichert; auch ſei nur
durch die fahrläſſige Amtspflichtverletzung des Amts—
richters die Entſcheidung über die Erinnerungen der
Klägerin gegen den Anſatz der Gebühr verzögert und
dadurch die Klägerin geſchädigt worden. Das LG. wies
die Klage ab. Die Berufung wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Die Einrede aus § 274
Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
|
Abſ. 1 Nr. 2 ZPO. hat das LG. mit Recht für be-
gründet erachtet. Der Rechtsweg iſt unzuläſſig, wenn
die Anrufung der bürgerlichen Gerichte wegen des
Anſpruchs überhaupt oder zurzeit um deswillen nicht
ſtatthaft iſt, weil der Rechtsſtreit nicht in das Gebiet
der ſtreitigen Gerichtsbarkeit fällt. In § 13 GG.
iſt beſtimmt, daß vor die ordentlichen Gerichte alle
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten gehören, für welche
nicht entweder die Zuſtändigkeit von Verwaltungs
behörden oder Verwaltungsgerichten begründet iſt oder
reichsgeſetzlich beſondere Gerichte beſtellt oder zugelaſſen
ſind. Der Begriff der bürgerlichen Rechtsſtreitigkeit
iſt weder in 8 13 noch in ſonſtigen reichsrechtlichen
Vorſchriften näher erläutert. Maßgebend für die Ent⸗
ſcheidung iſt die rechtliche Natur des Streitgegenſtands
und dieſen beſtimmt zunächſt der Inhalt der Klage.
Es kommt insbeſondere darauf an, ob der Kläger einen
privatrechtlichen Anſpruch geltend macht und ob nach
den von ihm vorgebrachten Tatſachen die Möglichkeit
eines privatrechtlichen Anſpruchs gegeben iſt. Dabei
iſt es ohne Belang, ob der Kläger ſein tatſächliches
Vorbringen auch unter die richtigen rechtlichen Geſichts⸗
punkte gebracht hat, wie auch nicht entſcheidend ſein
kann, daß die Partei ihrem Anſpruche einen dem
bürgerlichen Recht entlehnten Titel beilegt. Inſoweit
nun, als die Klägerin ihren Anſpruch auf Verzug und
ungerechtfertigte Bereicherung ſtützt, ergibt ihr tat⸗
ſächliches Vorbringen nicht, daß fie ein Privatrechts⸗
verhältnis geltend macht. Der Zinſenauſpruch iſt nur
eine von dem Hauptanſpruch auf Rückerſtattung der
15 000 M abhängige Nebenforderung, die die rechtliche
Natur des Hauptanſpruchs teilt, auch wenn ſie ſelbſt⸗
ſtändig eingeklagt und ſo zur „Hauptſache“ im prozeſſu⸗
alen Sinne geworden iſt. Die Entſcheidung hängt
daher vor allem davon ab, ob der Hauptanſpruch
privatrechtlich oder öffentlichrechtlich war.
Es handelte ſich urſprünglich darum, ob die
Klägerin zur Zahlung der in Art. 60 Abſ. 2 Geb.
ä. F. normierten Gebühr verpflichtet ſei. Die in dieſem
Geſetze beſtimmten Gebühren ſind aber nach der in
ſeinem Art. 1 enthaltenen ausdrücklichen Vorſchrift
öffentliche Abgaben und fließen, ſoweit nicht etwas
anderes beſtimmt iſt, in die Staatskaſſe. Sie ſind
ſteuerartige Abgaben und decken wie die Steuern Be⸗
dürfniſſe des Staats. Die Verbindlichkeit zur Entrich⸗
tung ſolcher Gebühren liegt aber ebenſo wie die
Verpflichtung zur Zahlung von Steuern außer dem
Bereiche eines Privatrechtsverhältniſſes, ſie entſtammt
ausſchließlich dem öffentlichen Rechte. Daraus folgt,
daß auch die Berechtigung des Pflichtigen zu verlangen,
daß die geſetzlichen Beſtimmungen über Veranlagung,
Einhebung und Rückvergütung beachtet werden, im
öffentlichen Rechte begründet iſt. In Bayern iſt zudem
nach 8 88 der FormVoO. vom 9. Dezember 1825 der
Finanzverwaltung unter Leitung des Staatsminiſteri—
ums der Finanzen die Erhebung aller Staatsauflagen
für Staatszwecke zugewieſen und nach 8 1 VO. vom
23. Dezember 1899 betr. die Ausführung des GKG.
und des Geb. liegt die Aufſicht über die rechneriſche
Behandlung des Gebührenweſens den Finanzbehörden
unter der Oberleitung des Staatsminiſteriums der
Finanzen ob. Mit der Erhebung der öffentlichen
Abgaben iſt aber die Nachholung und Rückerſtattung
notwendig verbunden und es fällt daher auch dieſe
in den Bereich der Finanzverwaltung. Der Anſpruch
al Rückerſtattung von Gebühren iſt deshalb bei den
Finanzbehörden geltend zu machen und die Einmiſchung
der Gerichte in den Wirkungskreis dieſer Behörde
auch hierin nicht zuläſſig. Hieran ändert auch der
Umſtand nichts, daß ein Klagegrund vorgeführt wird,
der auch einen zivilrechtlich verfolgbaren Anſpruch
begründen kann, da für die Zuſtändigkeit nur das der
Leiſtung oder der beſtrittenen Verpflichtung zugrunde
liegende Rechtsverhältnis maßgebend iſt, dieſes aber
nicht dadurch geändert wird, daß der Anſpruch auf
7
322
Rückerſtattung der Gebühr auf ſchuldhaften Verzug
oder auf ungerechtfertigte Bereicherung geſtützt wird;
denn ſolche Anſprüche können ſowohl dem bürgerlichen
als auch dem öffentlichen Rechte angehören. Steht
hiernach außer Zweifel, daß der Hauptanſpruch der
Klägerin ſeinem inneren Weſen und ſeiner Natur nach
dem öffentlichen Rechte angehört, dann iſt für ihn
auch der Rechtsweg ausgeſchloſſen. Das Gleiche hat
aber auch für den aus dem Hauptanſpruch abgeleiteten
Anſpruch auf Zahlung von Zinſen zu gelten. Den
Anſpruch auf Zinszahlung hat die Klägerin gerade
auf die Verneinung des Beſtandes der öffentlich-recht⸗
lichen Verbindlichkeit zur Entrichtung der Gebühr von
15 000 M, ſowie auf die durch die Erhebung bewirkte
rechtswidrige Minderung ihres Vermögens geftüßt.
Damit iſt dem Zinsanſpruche der Klägerin deutlich
der Stempel ſeiner öffentlich-rechtlichen Natur aufge:
drückt und es haben daher über dieſen Anſpruch nicht
die Gerichte, ſondern die Finanzbehörden zu entſcheiden.
Die Zuſtändigkeit der Gerichte iſt aber auch nicht
durch eine beſondere geſetzliche Vorſchrift angeordnet
und kann namentlich nicht aus den Beſtimmungen des
Geb. abgeleitet werden. In dem Verfahren nach
Art. 44 ff. Geb. ift das Erinnerungs- und Beſchwerde—
recht gegen die Gebührenanſätze in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt: in dieſem
Verfahren iſt aber nur darüber zu entſcheiden, ob der
Anſatz gerechtfertigt iſt. Die Verurteilung zu einer
Leiſtung, die Rückerſtattung des zuviel oder zu Unrecht
erhobenen Betrags kann in dieſem Verfahren nicht
ausgeſprochen werden. Da das Geſetz ſelbſt keine Be—
ſtimmung über die Zuſtändigkeit der Gerichte zur Er—
laſſung ſolcher Entſcheidungen enthält, geht es nicht
an, die nach Art. 44 ff. auf das Erinnerungs- und
Beſchwerdeverfahren gegen den Anſatz einer Gebühr
beſchränkte Zuſtändigkeit der Gerichte auf andere
Fragen zu erſtrecken. Nur in dieſem Sinne hat ſich
das ObL®. in dem Beſchluſſe vom 17. Juni 1907 aus-
geſprochen. Dieſer Beſchluß enthält keine Entſcheidung
darüber, daß die Gerichte zur Entſcheidung über den
Anſpruch auf Rückerſtattung einer zu Unrecht erhobenen
Gebühr zuſtändig ſind. Der Beſchluß führt aus, in
dem durch Art. 44 ff. Geb. geregelten Verfahren könne
dem Antrage auf Verurteilung der Staatskaſſe zur
Zurückzahlung der 15000 M ſamt Zinſen nicht ent—
ſprochen werden, da in dieſem Verfahren das Gericht
nur darüber zu entſcheiden habe, ob der Anſatz der
Gebühr gerechtfertigt ſei oder nicht. Daraus kann nicht
geſchloſſen werden, daß eine ſolche Verurteilung im
ordentlichen Klageverfahren erfolgen könne. Das iſt
nicht ausgeſprochen und ſollte auch nicht ausgeſprochen
werden. Ebenſowenig kann aus der Vorſchrift in
Art. 125 AG z. BGB. geſchloſſen werden, daß die
Gerichte für den Anſpruch auf Rückerſtattung zu Un—
recht erhobener Gebühren zuſtändig ſeien, da in dieſer
Geſetzesvorſchrift die Frage nur für das Gebiet der
Verjährung entſchieden iſt. Das LG. hat daher zu—
treffend entſchieden, daß der Klage, inſoweit ſie ſich
auf den Verzug und die ungerechtfertigte Bereicherung
des Fiskus ſtützt, die Einrede der Unzuläſſigkeit des
Rechtswegs entgegenſteht.
Der Klageanſpruch iſt auch auf $ 839 Abſ. 1 BGB.
und Art. 60 AG. z. BGB. gegründet, weil der Amts-
richter die Entſcheidung über die von der Klägerin
am 9. Januar 1903 erhobenen Erinnerungen fahrläſſig
verzögert und erſt am 7. Februar 1907 Beſchluß gefaßt,
dadurch aber die Klägerin geſchädigt habe. Die Erſatz—
pflicht des Beklagten würde auch ausgeſchloſſen ſein,
wenn eine ſolche Amtspflichtverletzung des Amtsrichters
vorliegen würde, weil die Klägerin es fahrläſſig unter:
laſſen hat, den Schaden durch Gebrauch des zuläaäſſigen
Rechtsmittels der Aufſichtsbeſchwerde abzuwenden
(3 839 Abſ. 3 BGB.). Die Klaͤgerin, welche durch
Rechtsanwälte verbeiſtandet wurde, hätte ſehr wohl
durch dieſes Rechtsmittel eine Verzögerung der Beſchluß—
Zeitſchrift für Rechtspflege in
Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
faſſung verhindern können, wenn ihre Erſuchen um
Beſchleunigung erfolglos blieben. Da ſie es unterließ,
von dieſem Rechtsmittel Gebrauch zu machen, hat ſie
ſelbſt ſchuldhaft gehandelt, und dadurch wird die
Schadenserſatzpflicht des Beklagten beſeitigt. (Urt. des
I. ZS. vom 24. März 1911, L 269/09). G — — gn.
2282
Landgericht München II.
1. Zu § 347 Sto. 2. Während der Vertagung
des Landtags durch die Krone bedarf es zur Durd:
führung des Strafverfahrens gegen ein e
nicht der Einwilligung ſeiner Kammer.) Aus den
Gründen: 1. Das Schöffengericht hat beſchloſſen,
die Hauptverhandlung auszuſetzen, weil der Angeklagte
Landtagsabgeordneter iſt und die Einwilligung der
K. d. Abg. zur Strafverfolgung fehlte. Der Privat-
kläger hat Beſchwerde eingelegt. Die Beſchwerde iſt
zuläſſig. § 347 StPO. entzieht den in der ſchöffen—
gerichtlichen Hauptverhandlung ergangenen Beſchluß
der ſelbſtändigen Anfechtbarkeit nicht; er iſt nur auf
Entſcheidungen der erkennenden Gerichte anwendbar,
welche in innerem Zuſammenhang mit der Urteils⸗
fällung ſtehen, nicht auf ſolche, die einer Durchführung
des Verfahrens bis zum Urteil entgegentreten. (Vgl.
. 1 und 4 zu 8 317 StPO., RGSt. Bd. 43
S. 179).
2. Die mangelnde Einwilligung der K. d. Abg.
ſteht dem Strafverfahren nicht deshalb allein entgegen,
weil der Angeklagte Abgeordneter iſt. Nach Tit. VII
8 26 BU. i. d. F. des Gef. vom 6. Juli 1908 bedarf
es vielmehr zur Durchführung einer Strafverfolgung
gegen Landtagsmitglieder der Einwilligung der Kam—
mer nur „während der Verſammlung des Landtags
in ordentlicher oder außerordentlicher Tagung“. Auch
für die Anhänger der in der BayziR. 1909 S. 295
vertretenen Anſchauung über die Tragweite dieſer
Vorſchrift kann es nicht zweifelhaft ſein, daß die Straf—
verfolgung eines Landtagsabgeordneten von der Ein—
willigung der Kammer unabhängig wäre, während
der Landtag „geſchloſſen“ iſt. Nun iſt allerdings z. Z.
der Landtag nicht geſchloſſen, ſondern durch Ah. Bot-
ſchaft vom 8. Auguſt 1910 ſeit 10. Auguſt nur „ver:
tagt“. Dieſe Form, in den Beratungen des Landtags
die notwendige, ſich häufig und auch gegenwärtig
ſicher auf über ein Jahr erſtreckende Unterbrechung
eintreten zu laſſen, hat die Staatsleitung ſeit län—
gerem einem „Schluſſe“ des Landtags vorgezogen, weil
ſie nur „ein vorübergehendes Ruhen, nicht einen Ab—
bruch der Geſchäfte“ (Seydel) bewirkt. Dabei handelt
es ſich alſo um die verfaſſungsmäßige Vertagung des
Landtags durch die Krone im Sinne von Tit. VII
§ 23 Vu. Verſchieden davon ſind die Unterbrechungen,
welche durch das Recht jeder Kammer, ihre Sitzungen
ſelbſt zu beſtimmen, in den Beratungen eintreten können.
Bei der verfaſſungsmäßigen Vertagung liegt ein tat—
ſächlicher Stillſtand in der Betätigung des Parlaments
vor. Es kann im natürlichen Wortverſtand keine Rede
davon fein, daß dann noch eine „Berfammlung” des
Landtags in (ordentlicher oder außerordentlicher)
„Tagung“ beſtünde. Ein Parlament, deſſen Tätigkeit
eingeſtellt iſt und deſſen Mitglieder nach ihren Wohn—
ſitzen im Lande heimgekehrt find, iſt nicht „verfammelt“
und der Begriff der „Vertagung“ ſchließt den der
„Tagung“ aus. Dieſelben Kritereien treffen nur äußer—
lich zu bei den Unterbrechungen in den Plenarbera—
tun jen einer Kammer aus deren eigener Machtvoll—
kommenheit, welche unei zentlich auch wohl „Ver:
1) lleberelnſtimmend die Abbandlung Jahrgang 1910 S. 386
dieſer Zeitſchrifſt im Gegenſatze zu der Mitteilung im Jahrgang 190%
S. 29/5.
tagungen“ genannt werden. Hier iſt die nächſte Sitzung
und zwar von der Kammer ſelbſt oder ihren geſchäfts⸗
ordnungsmäßigen Organen ſchon beſtimmt, und die
„Tagung“ im Rechtsſinn dauert allerdings fort. Wäh⸗
rend des Zeitraums der verfaſſungsmäßigen Vertagung
aber iſt die Sachlage ganz anders.
Die grammatikaliſch-ſtiliſtiſche Auslegung des Ge⸗
ſetzes läßt alſo die Auffaſſung nicht zu, daß während
einer verfaſſungsmäßigen Vertagung des Landtags die
Einleitung oder Fortſetzung der Strafverfolgung eines
Mitglieds ohne Einwilligung ſeiner Kammer verboten
ſei. Dieſe Auslegung, welche durch den Vergleich mit
der älteren Faſſung („Kein Mitglied der Stände—
verſammlung kann während der Dauer der
Sitzungen ohne Einwilligung der betreffenden Kam⸗
mer zu Verhaft gemacht werden“) beſtätigt wird, deckt
ſich auch vollſtändig mit dem vernünftigen Zweck des
Geſetzes. Hiefür braucht nur an die Begründung er⸗
innert zu werden, welche in der K. d. Abg. ſelbſt dem
Antrag an die Staatsregierung auf Vorlegung eines
Geſetzentwurfs über Abänderung des 8 26 Tit. VII
d. BU. in der Sitzung vom 26. Februar 1908 gegeben
worden iſt. „Es handelt ſich nicht darum, daß einem
Abgeordneten als Privatperſon ein gewiſſes Privi⸗
legium eingeräumt werden ſoll, ſondern . ... daß die
möglichſt vollſtändige Präſenz der Mitglieder des Land⸗
tags und die geordnete Abwicklung der Geſchäfte ....
ſtattfindet. Nicht um der Strafrechtspflege Schwierig⸗
keiten zu bereiten, nicht um einen Abgeordneten . ...
der ſtrafrechtlichen Unterſuchung zu entziehen, ſind
dieſe Beſtimmungen getroffen worden, ſondern ledig—
lich zu dem Zweck, um die Ausübung des übertrage—
nen Mandats und die geordnete, unbeeinflußte Ab—
wicklung der Parlamentsgeſchäfte zu ermöglichen“
(Verh. d. K. d. Abg. 1907/08, Sten Ber. Bd. 3 S. 559).
Die Ausdehnung des Privilegs auf die Dauer der
verfaſſungsmäßigen Vertagungen des Landtags, wie
ſie in Bayern gehandhabt werden, würde es aber
wirklich zu einem ganz perſönlichen der Parlaments-
mitglieder machen, hätte mit dem einleuchtend dar⸗
gelegten Zweck des Geſetzes überhaupt nichts mehr zu
ſchaffen, und würde ohne jeden Zuſammenhang mit
dem das Geſetz begründenden beſonderen Staatsintereſſe
der Strafrechtspflege nur zugunſten einzelner Peſonen
Schwierigkeiten machen. Auch aus der Entſtehungs—
geſchichte des Geſetzes vom 6. Juli 1908 kann die vom
Angeklagten gewünſchte Auslegung nicht abgeleitet
werden. Es iſt zwar richtig, daß die Rechtſprechung
zu Art. 31 Reichsverfaſſung das entſprechende Privileg
des Reichstags auch auf die Dauer ſeiner Ver—
tagungen erſtreckt und daß der Antrag des bayeriſchen
Landtags, durch welchen die Aenderung von Titel VII
8 26 BU. herbeigeführt wurde, eine Angleichung an
den Rechtszuſtand im Reiche im Rahmen von 8 6
Abſ. 2 Ziff. 1 EG. z. StPO. erſtrebt hat. Dies war
aber doch nur inſofern der Fall, als die bayerijche
Verfaſſungsurkunde allein die Verhaftung der Land-
tagsmitglieder ohne Einwilligung der Kammer ver—
boten hatte, und das Verbot nun im Einklang mit
der Reichsverfaſſung auf den Betrieb eines Strafver—
fahrens überhaupt „während der Dauer der Land—
tagsverſammlung“ ausgedehnt werden follte (vgl. den
Antrag vom 12. Februar 1908, Verh. d. K. d. Abg. a.
a. O. Beil Bd. 2 S. 609). Die aus dem Antrag an—
geführte Zeitbeſtimmung iſt neutral: daß ſie bezüglich
der Vertagungen im Sinne der Judikatur zu Art. 31
RV., woſelbſt der weitergehende Ausdruck „Sitzungs—
periode“ gebraucht iſt, verſtanden werden müſſe, iſt
in der K. d. Abg. weder bei der Beratung des An—
trags noch des folgenden Geſetzentwurfs laut geworden
(vgl. Verh. d. K. d. Abg. a. a. O. Bd. 3 S. 558 ff. und
Bd. 5 S. 81ff.). Aus der Begründung zu dem Ent—
wurf (ebenda Beil Bd. 3 S. 279) war weder im einen
noch anderen Sinne eine zwingende Folgerung zu ent—
nehmen. In der Kammer der Reichsräte wurde bei
„ nr lentennede In.
. — ͤ—ͤ—o— —éx—ũ—e e —— — — — — Bi
Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15. 323
Beratung des Beſchluſſes der Abgeordnetenkammer
über den Antrag Dr. Süßheim und Gen. der Wunſch
ausgeſprochen, es möge der Geſetzentwurf alle mög—
lichen Streitfragen, ſo ob das Privilegium während
der Vertagung fortdauere außer Zweifel ſtellen (Verh.
d. K. d. Reichsr., Seſſion 1907/08, Sten B. Bd. 1 S. 216).
Bei der Beratung des Entwurfes im Ausſchuß wurde
deſſen Auslegung in dieſer Richtung vom Referenten
zur Sprache gebracht, und vom Staatsminiſter des
Innern erwidert, daß während der Vertagung des
Landtags durch die Krone ſeinen Mitgliedern das
Privileg nicht eingeräumt fein ſolle (ebenda Beil Bd. 2
S. 421). Der Referent brachte dieſe Erklärung der
Staatsregierung bei der Plenarberatung zum Vor⸗—
trag, ohne daran ein Bedenken zu knüpfen. Sie blieb
ohne Widerſpruch (Verh. a. a. O. Bd. 1 S. 464). Die
hiermit erſchöpfte Betrachtung der Geſetzesverhand—
lungen kann nur zu dem Ergebnis führen, daß die
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes mindeſtens nichts
enthält, was eine Auslegung, die zur Verwerfung der
Beſchwerde führen müßte, aufzunötigen oder die For⸗
ſchung nach dem ‚eigenen Willen‘ des Geſetzes ein⸗
zuſchränken geeignet wäre, auch wenn man die Stelle
der Motive, daß „dem Wunſche des Landtags in ſo
weitgehendem Maße entſprochen werden ſolle, als es
im Rahmen des S6 EGG. z. StPO. irgend möglich er⸗
ſcheine“, und die weitere Tatſache, daß nach dem
ſtenographiſchen Protokoll über die Ausſchußberatung
im Reichsrat der Berichterſtatter urſprünglich der Mei⸗
nung geweſen fein ſoll,!) das Privileg hätte dem Ent⸗
wurf zufolge während einer Vertagung des Landtags
fortzudauern, nicht unberückſichtigt läßt. Als Geſetzes⸗
willen läßt aber nicht nur die ſprachliche und logiſche Aus⸗
legung erkennen, daß während der verfaſſungsmäßigen
Vertagungen des Landtags Strafverfolgungen eines
ſeiner Mitglieder von dieſer Eigenſchaft des Beſchul⸗
digten unbeeinflußt bleiben, ſondern das Geſetz legt
ſich ſogar authentiſch in dieſem Sinne aus. In Abſ. 2
find feine Vorſchriften nämlich entſprechend ausge-
dehnt auf die Mitglieder eines bei nichtverſammeltem
Landtag einberufenen beſonderen Ausſchuſſes für die
Dauer ſeiner Tagung.“ Damit ſind nicht nur die Be⸗
griffe ‚Verſammlung des Landtags“ und „Tagung“
in dem hier vertretenen ſprachgetreuen Sinne erklärt,
ſondern es iſt auch klar unterſtellt, daß die Ausſchuß⸗
mitglieder ohne eine eigene dahingehende Anordnung
auf Grund ihrer Abgeordneteneigenſchaft allein während
einer Vertagung das Privileg nicht genießen würden;
denn daran, daß bei „geſchloſſenem“ Landtag ein Aus⸗
ſchuß tagte, iſt nicht zu denken. Die gleiche Bedeutung
beſitzt es, wenn man in Art. 5 des Geſetzes vom
9. Auguſt 1908, betr. die Behandlung der Geſetzent⸗
würfe über die direkten Steuern ausdrücklich beſtim—
men zu müſſen geglaubt hat, es ſollten die Vorſchriften
des Tit. VII §S 26 VU. während der Tagung der Aus-
ſchüſſe zur Beratung dieſer Entwürfe auch auf die
Präſidenten und die übrigen Direktorialmitglieder
beider Kammern Anwendung finden. (Beſchl. vom
30. Mai 1911, Beſchw.⸗Reg. 83 I 11). Ul.
2300
Literatur.
Damme, Dr. jur. F., Geheimer Regierungsrat, Direktor
im Kaiſerlichen Patentamt, Der Schutz techni—
ſcher Erfindungen als Erſcheinungsform mo—
derner Volkswirtſchaft. X, 184 Seiten. Berlin 1910.
Otto Liebmann. Mk. 3.40. Gebd. Mk. 4.—.
Die neue Gedanken und Horizonte bietende Schrift
des im Bereiche des Patentweſens hervorragend be—
kannten Verfaſſers will dazu beitragen dem Erfin—
1) Privatem Aufſchluß zufolge It das Protokoll an dieſer Stelle
nicht vollſtaͤndig und durch einen Zufall unberichtigt geblieben.
324
dungsſchutz den volkswirtſchaftlichen Boden zurückzu⸗
gewinnen, dem er entſproſſen, aber im Laufe der Jahr⸗
zehnte zum Schaden ſeines tieferen Verſtändniſſes mehr
und mehr entfremdet iſt. Die letzten Ziele des ſtaat⸗
lichen Erfindungsſchutzes erſchöpfen ſich keineswegs in
der Verleihung eines Monopolrechts an den einzelnen
Erfinder, ſondern ſind überall und ſtets in der För⸗
derung der nationalen Gewerbepolitik zu ſuchen. So:
wohl der Kampf der Freihändler bis in die ſiebziger
Jahre gegen alles Patentweſen, wie die Auswüchſe
des heutigen Patentweſens finden durch die Hervor—
kehrung der nationalen Bedeutung des Erfindungs⸗
ſchutzes erſt ihre richtige Beleuchtung. Jede zukünftige
Patentgeſetzgebung wird daher dem volkswirtſchaft⸗
lichen Moment mehr Einfluß als bisher erkennbar
war einräumen müſſen. Verfaſſer führt dies im ein⸗
zelnen näher aus und berückſichtigt hierbei insbeſon⸗
dere die geſchichtliche Entwicklung in England. D.
Dietz, H., Kriegsgerichtsrat in Raſtatt, Die Be⸗
ſchwerdeordnungen für das Heer (einſchließ⸗
lich Bayern und Schutztruppen) und für die
Kaiſerliche Marine. 8. 200 Seiten. 1. und
2. Tauſend. Raſtatt 1911. H. Greiſer. Gebd. Mk. 2.80.
Seinen mit allgemeinem Beifall aufgenommenen
erläuterten Ausgaben der Disziplinarſtrafordnung für
das Heer (1909) und der Ehrengerichtsverordnungen
(1910) hat Verfaſſer in kurzer Zeit einen gleichwertigen
und nach denſelben Grundſätzen bearbeiteten Kommentar
zu den Beſchwerdeordnungen folgen laſſen und damit
einem oft empfundenen praktiſchen Bedürfnis ent⸗
ſprochen, da Heer und Marine bisher bei Handhabung
des Beſchwerderechts fo ziemlich auf die nackten Beſtim—
mungen der Beſchwerdeordnungen angewieſen waren,
insbeſondere eine auf die praktiſchen Bedürfniſſe zu—
geſchnittene gründliche Erläuterung entbehrt haben.
Das Buch wird daher in den beteiligten Kreiſen ſehr
willkommen ſein. Dr.
Neger, A., Rat d. K. b. Verwaltungsgerichtshofes,
Handausgabe des Bayer. Geſetzes über Heimat,
Verehelichung und Aufenthalt vom
16. April 1868 in der Faſſung der Bekanntmachung
vom 20. Juli 1899. Mit Erläuterungen und Beidruck
älterer heimatrechtlicher Beſtimmungen ſowie mit
Vollzugsvorſchriften. 8. durchgeſehene und ergänzte
Auflage. 8°. VIII, 253 S. Ansbach 1911, C. Brügel
& Sohn. Geb. Mk. 4.—.
Regers Heimatgeſetz, ſchon längſt der unentbehrliche
treue Berater des bayeriſchen Juriſten in allen heimat—
rechtlichen Fragen, iſt in 8. Auflage erſchienen. Einer
beſonderen Anpreiſung bedarf das treffliche Buch nicht
mehr, ſtatt ihrer genüge dieſer kurze Hinweis. F.
Stier⸗Somlo, Dr. F., Profeſſor in Bonn. Zuwachs—
ſteuergeſetz vom 14. Februar 1911. VIII. 190 S.
Nürnberg und Leipzig. 1911. U. E. Sebald.
Unter den großen Staaten hat zuerſt Deutſchland
eine Beſteuerung des ohne Zutun des Eigentümers
entſtandenen, fog. unverdienten Wertzuwachſes von
Grundſtücken für das ganze Reichsgebiet eingeführt.
Dieſer Verſuch der Reichsgeſetzgebung, ebenſo mutig
wie bedeutungsvoll und zukunftsreich, bedeutet die Be—
ſchreitung eines Weges, an deſſen als Ziel vorſchwe—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 14 u. 15.
— ——— fm—Aj— — —ĩ—: ů —ÿÄ— —
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a he — — — i. —[ʃ‣ —ð᷑ ...r . —ů
bendem Ende die Herſtellung des größtmöglichſten ge-
rechten Ausgleiches der wirtſchaftlichen Ungleichheiten
winkt. Mag man dieſes Urteil und dieſe Hoffnung
mit dem Verfaſſer teilen oder nicht, ſo gilt es heute
angeſichts des Geſetzgebungswerkes nicht in grund—
ſätzlicher Verneinung und dem auf wirtſchaftlichen In—
tereſſen beruhenden Widerſtande zu beharren, ſondern
mitzuhelfen an der Ausführung der gegebenen Rechts⸗
ſätze und an der Verwirklichung der finanz⸗ und ſozial⸗
politiſchen Ziele des Geſetzes. Dieſer Aufgabe hat ſich
auch der vorliegende Kommentar gewidmet. Er ent⸗
hält wertvolle Erläuterungen zu den einzelnen 88 unter
eingehender Berückſichtigung der Entſtehungsgeſchichte
des Geſetzes und ſeiner einzelnen Beſtimmungen. Das
Geſetz gilt zwar nicht in den deutſchen Schutzgebieten;
dieſe ſind nicht Inland i. S. des 8 1 Abſ. 1. Aber
immerhin iſt die Feſtſtellung von Intereſſe, daß die
Wertzuwachsſteuer dem deutſchen Kolonialrechte längſt
nicht mehr fremd iſt, ſogar von allen deutſchen Landen
erſtmals im Schutzgebiete von Kiautſchou zur Ein⸗
führung kam, bevor dies in reichsdeutſchen Kommunen
geſchah; der Kolonie gebührt alſo das Verdienſt der
erſten praktiſchen und glücklichen Erprobung dieſer
Steuer. Doerr.
Keyſſner, Dr. Hugo und Dr. H. Beit Simeon, Aktien⸗
geſellſchaft und Kommanditgeſellſchaft auf
Aktien (Handelsgeſetzbuch II. Buch, Abſchnitt 3
und 4). 6. Auflage bearbeitet von J. Keyſſner, Amts⸗
richter. 376 S. Berlin 1911, J. Guttentag (Nr. 24
der Guttentagſchen Sammlung deutſcher Reichsgeſetze).
Geb. Mk. 3.—.
Dieſer kleine Teilkommentar zum Handelsgeſetzbuch
— es find die 88 178-334 erläutert — hat ſich mit
Recht viele Freunde erworben, er iſt ein vortreffliches
kleines Handbuch des geſamten Aktienrechtes. Die
Erläuterungen berückſichtigen außer der Rechtſprechung
auch die preußiſchen Ausführungsbeſtimmungen.
F
Notizen.
Die Beſeitiaung von Tierkadavern und die Regelung
des Abdeckereiweſens. Neue geſetzliche Vorſchriften hier⸗
über enthält das Reichsgeſetz vom 17. Juni 1911
(RG Bl. S. 248); es wird zugleich mit dem Vieh—
ſeuchengeſetze vom 26. Juni 1909 durch Kaiſ BO. in Kraft
geſetzt werden (8 7 des Geſ., 8 82 Vieh SG.). Das
Geſetz ordnet in 8 1 Abſ. 1 an, daß die Kadaver oder
Kadaverteile beſtimmter Tierarten unſchädlich zu be⸗
ſeitigen ſind, ſoweit nicht durch Beſtimmung des Bun:
desrats ihre Verwertung zugelaſſen ift (Abſ. 2). Unter
Kadavern ſind die Leichen gefallener oder nicht zu
Schlachtzwecken getöteter Tiere zu verſtehen, auch auf
totgeborene Tiere kann das Geſetz durch landesrecht⸗
liche Ausführungsvorſchriften erſtreckt werden (8 4
Satz 2). Die Kadaver ſind durch Vergraben, durch
thermiſche Vernichtung oder auf chemiſchem Wege zu be⸗
ſeitigen (S 2). Die Landesgeſetze können dieſe Bor;
ſchriften verſchärſen ‘S 3), fie können auch das Ab»
deckereiweſen und den Betrieb von Vernichtungsan—
ſtalten abweichend von den Vorſchriften der Gewo.
regeln, die ſchon jetzt die Abdeckereien zu den „geneh-
migungspflichtigen Anlagen“ zählt (8 16 Gemd.; für
Bayern gelten daneben zur Zeit die Vorſchriften in
den Art. 70, 71 PStGB.). Unberührt läßt das Geſetz
(S 6) die weitergehenden Vorſchriften in den älteren
Reichsgeſetzen und den Ausführungsbeſtimmungen dazu
(vgl. insbeſondere § 20 Abſ. 1, SS 26, 34, 41, 45 des
Vieh SG. vom 26. Juni 1909, 8 2 Nr. 5 Rinder pPG.,
§ 9 Abſ. 5, 8 10 Abſ. 2, 8 16 des Gef. betr. die Schlacht
vieh- und Fleiſchbeſchau). Die Zuwiderhandlungen
gegen das Gejeg vom 17. Juni 1911 find Hebertre-
tungen ($ 5).
2310
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von Ss Sch weißer Verlag (Arthur Sellier) München und Ber lin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 16 u. 17. München, den 1. September 1911. 7. Jahrg.
Zeit hrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
Th. von der Pfordten in Sagen 2. n
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſterlum der Juſtlz. München und Ferlin.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats
im Umfange von mindeftens 2 Bogen. Preis vierteljährlich
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Inſertionsgebübt 30 Pfg. für dle halbgeſpaltene Betitzeile
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Nachdruck verboten. 325
˖ 5 | chen Materials, das das deutſche Ge⸗
die eufliſhe Gerictsverfaſſunn. erte elar in bunden dun Berti een
Von Oberlandesgerichtsrat Frhr. v. Richthoſen in Jena. hat, nach, daß im engliſchen Handelsverkehre von
(Schluß.) der Schiedsgerichtsklauſel der weiteſtgehende Ge⸗
Auch der zweile Halbband bringt viel des brauch gemacht wird. „Der engliſche Handel
Intereſſanten. Zunächſt werden die Gerichte meidet im weiteſten Umfang die ordentlichen Ge⸗
und Behörden der freiwilligen Gerichts- richte. Die Handelsſtreitigkeiten werden in der
barkeit und die Sondergerichte behandelt. Regel nicht von dieſen entſchieden. (S. 742).
Wir lernen die eigenartige Railway and Canal Dies wird für die City von London, für Liverpool,
Commission kennen (S. 634 ff.), deren Zuſtändig⸗ Mancheſter, Hull und mehrere andere Handels⸗
keit ſich anfangs nur auf die Klagen wegen Ver: zentren noch im einzelnen dargetan. Die Geſetz⸗
letzung der Verpflichtungen erſtreckte, die den Eiſen⸗ gebung iſt dem Beſtreben der kaufmänniſchen
bahngeſellſchaften und den Kanalgeſellſchaften in Kreiſe, ihre Streitigkeiten vor ſachkundigen Ver⸗
bezug auf ihren Geſchäftsbetrieb obliegen, ſpäter trauensmännern auszutragen, ſogar ſelbſt entgegen:
aber beträchtlich erweitert wurde. Ferner finden gekommen, indem ſie durch die Arbitration Act
wir eine eingehende Erörterung über die Militär: von 1889 die Verweiſung von Prozeljen durch
und Marinegerichte (S. 646 ff.). Seltſam berührt den ordentlichen Richter an ein Schiedsgericht zu⸗
uns hier die Mitteilung, daß eine Exemtion der ließ. Mit Zuſtimmung der Parteien kann dies
Militärperſonen von der gewöhnlichen Zivilgerichts⸗ in allen Fällen geſchehen, ſonſt nur in ſolchen
barkeit nicht ſtattfindet, dieſe vielmehr mit der Sachen, die ausgedehnte Unterſuchungen von Do-
Militärgerichtsbarkeit dergeſtalt konkurriert, daß kumenten oder Unterſuchungen wiſſenſchaftlicher
die Aburteilung einer Sache durch ein Militär- Art erfordern, und in Rechnungsſachen (Näheres
gericht deren nochmalige Verhandlung vor dem S. 731 ff.). Ja der großen Ausdehnung des
Zivilgericht nicht hindert, und daß bei einer aber⸗ ſchiedsrichterlichen Verfahrens dürfte der Schlüſſel
maligen Verurteilung lediglich die vom erſteren für die Tatſache zu ſuchen ſein, daß nach ſtatiſtiſchen
Gericht bereits vollſtreckte Strafe anzurechnen iſt. Nachweiſen die Zahl der von den höheren Gerichts⸗
Aus § 30 (S. 674 ff.) erfahren wir, daß die höfen gefällten Zivilurteile in England jo ſehr
geiſtliche Gerichtsbarkeit der Staatskirche in Eng: viel niedriger iſt als bei uns. Gerland gelangt
land noch nicht zu den hiſtoriſchen Erinnerungen nach der Erörterung des ganzen Schiedsgerichts⸗
gehört, wenn auch ihre Zuſtändigkeit keine be- weſens zu dem Schluſſe: „Die Gerichtsflucht des
deutende mehr iſt. Handels iſt die Bankrotterklaͤrung der engliſchen
Die folgenden Abſchnitte (S. 681 ff.) behandeln Gerichtsperfaſſung in Hinblick auf die Zivilrechts⸗
die Lokalgerichte, die in zahlreichen engliſchen pflege“ (S. 749), ein Satz, der wohl die Ver:
Städten, auch in London, noch beſtehen und mit neinung der von Adickes aufgeworfenen Frage, ob
ihren Wurzeln meiſt in alte Zeiten zurückreichen. unſere Gerichtsorganiſation nach dem Muſter der
Zu ihnen zählen auch die Univerſitätsgerichte zu engliſchen zu reformieren ſei, in ſich ſchließt.
Oxford und Cambridge, deren Bedeutung indes Im dritten Kapitel des erſten Abſchnitts finden
im weſentlichen nur noch eine geſchichtliche iſt wir eine Erörterung der prozeſſualen, der admini—
(S. 706 ff.). | ſtrativen und der legislativen Beziehungen der ver—
Im 8 35 (S. 725 ff.) findet fi eine intereſ: [ſchiedenen Gerichte zueinander (S. 750 ff.).
ſante Ausführung über die Schiedsgerichte, Auf S. 755,757 wird uns eine Tabelle des Inſtan—
die im engliſchen Rechtsleben eine große Rolle zenzuges dargeboten, welche die Buntſcheckigkeit der
ſpielen. Gerland weiſt an der Hand eines um- engliſchen Gerichtsverfaſſung aufs deutlichſte ber:
826 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
vortreten läßt. Wir lernen dann die dem eng: | begegnet uns wieder der Coroner) und Offizial⸗
la 5 e BEL Er 11 0 Mm u a 18 i
ennen (Writs of Habeas Corpus, Mandamus, efugniſſe de orney-General und des Solicitor-
un erg 5 1 5 ene ae 1 5
gemäße Erlaſſe des ourt an die ihm egierung, deren Tätigkeit ſich nicht nur auf die
untergebenen Gerichte oder auch an andere Behör⸗ Strafverfolgung, ſondern auch auf die Juſtizver⸗
den oder Privatperſonen, in der Regel mit der waltung erſtreckt (S. 863 ff., 972). Endlich werden
Wirkung, daß die betreffende Angelegenheit zur wir mit dem erſt ſeit 1879 beſtehenden Amte des
eg 8 1 8 ger | eo 857 fl, ber nebst den 1 5 sea
zogen wir ei der Prüfung der er ne en ihm beigegebenen
legislativen Beziehungen der Gerichte wird auf Assistant Directors eine Behörde darſtellt, die
die Geſetzeskraft der Präzedentien eingegangen, die | unſerer Staatsanwaltſchaft ähnlich ſieht. Ihre
1 1 = en a | 1 0 no I Er 175
echts im weſentlichen erſetzen (S. ). Die ränkt ſich aber in der Praxis auf die Verfol⸗
daraus entſtehende Starrheit der Rechtsentwicklung | gung ſchwererer Straftaten. Jedenfalls iſt von
Er in a 5 1 Be den an er ren ni au Ingen,
roffen, daß ſich da em der Praäͤzedentien ni wie von den Gerichten: ſie enthalten alte u
bewahrt hat (S. 771 ff.). moderne Beſtandteile, deren Ineinandergreiſen uns,
Der zweite Abſchnitt des erſten Teiles des die wir an eine einheitliche Behördenorganiſation
1 5 5 118 on 8 1 1 N . 1 1 .
richte und ſeiner Stellung. Zunächſt wird au er 2. ni g ) bringt eine ein⸗
S. 774 bis 849 die Rechtsſtellung der Richter gehende Darſtellung der Verhältniſſe der eng⸗
ausführlich erörtert (Perſonenkreis, Arten, Anſtel⸗ lichen Rechtsanwaltſch aft. Deren Zwei⸗
118 ben nel =. 5 a 5 nn ao 57 0
eit. Schutz der richterlichen Stellung, äußeres An- werden doch allgemein ſowohl bezüglich ihrer Tätig:
ſehen), dann kurz diejenige des ſonſtigen Gerichts⸗ keit als ihrer ſozialen Stellung die Solicitors als
perſonals (S. 849 f.). Daß es eine eigene Richter: die niederen, die Barristers als die höheren An⸗
laufbahn in England nicht gibt, die Richter — ſo- wälte angeſehen. Gerland gibt zunächſt einen
weit von ihnen überhaupt juriſtiſche Vorbildung hiſtoriſchen Ueberblick über die Entwicklung und
verlangt wird — vielmehr faſt durchweg aus dem begründet ſeine Anſicht, daß die Verhältniſſe auf
Anwaltſtande genommen und außerordentlich gut eine Beſeitigung der Zweiteilung in Verbindung
beſoldet werden, iſt bekannt. In der eingehenden mit der Lokaliſierung der Gerichte hindrängen —
Darſtellung der Anſtellungs- und Beförderungs- eine Reform, der freilich von dem Barriſterſtande
verhältniſſe (S. 781 ff.) tritt der große Unterſchied vorläufig heftiger Widerſtand entgegenſetzt wird.
zwiſchen den Zuſtänden diesſeits und jenſeits des Da dieſer einen ſehr großen Einfluß auf die poli⸗—
Kanals deutlich hervor. Von beſonderem Intereſſe tiſchen Parteien beſitzt, ſo iſt an ein baldiges Er⸗
iſt die Strafgewalt des Richters wegen Contempt reichen des Ziels der Vereinheitlichung, das die
of Court, „die in weitem Umfang über die aus Solicitors erftreben, nicht zu denken. Im 8 47
der Sitzungspolizeigewalt reſultierende Strafbe- (S. 897ff.) wird dann von den Solicitors ge
fugnis des Richters hinausgeht“ (S. 829). In handelt, deren Rechtsſtellung ſowohl bezüglich der
der Tat haben wir hier eine ſcharfe Waffe vor freien Zulaſſung in der Hauptſtadt und der Pro-
uns, die dem engliſchen Richter zur Wahrung vinz, als auch im Hinblick auf den unmittelbaren
feines Anſehens nach allen Richtungen hin anver: Verkehr mit den Parteien mit derjenigen unſerer
traut iſt und wegen der empfindlichen Strafmittel Rechtsanwaͤlte die größere Aehnlichkeit hat. Eine
(Geldſtrafe bis zu 300 & oder Gefängnisſtrafe, eigentliche Organiſation dieſes Standes exiſtiert
die ſogar ein Jahr überſteigen kann, vgl. S. 837) nicht, wohl aber eine freie Vereinigung, die ſeit
auch zur Erreichung ihres Zwecks wohl geeignet 1827 in London beſtehende Incorporated Law
erſcheint. Gerland gibt auf S. 826 bis 838 unter | Society, der etwa die Hälfte der — übrigens ſehr
Anführung vieler Beiſpiele eine anſchauliche Schil- zahlreichen — praktizierenden Solicitors angehört,
derung dieſer Rechtseinrichtung, die für die ge- und der die Berechtigung beigelegt iſt, die Prü—
ſamte Beurteilung der engliſchen Gerichtsverfaſ- fungsordnungen für die drei Examina zu erlaſſen,
ſung von großer Wichtigkeit iſt. deren Ablegung von einem Solicitor⸗Kandidaten
Im zweiten Teile des Geſamtwerks, deſſen gefordert wird. Völlig verſchieden iſt der Stand
Umfang nur etwa ein Siebentel des erſten aus- der Barristers gegliedert, deſſen Verhältniſſe im
macht, werden die übrigen Organe der Gerichts- § 48 (S. 924 ff.) eine eingehende Würdigung
verfaſſung behandelt: Die Klagebehörden, die Rechts- finden. Ihre feſte Organiſation in den althiſto⸗
anwaltſchaft und die Juſtizverwaltung. Im 1. Ab- riſchen vier Londoner Inns of Court iſt body:
ſchnitt lernen wir die verſchiedenen Arten der Ein- intereſſant. „Man wird Mitglied einer Anwalts—
leitung eines Strafverfahrens kennen: Popular- korporation, um Anwalt zu werden; man wird
klage (Vereins-, Polizeiklage), Gerichtsklage (hier , aber nicht etwa wie bei uns Mitglied einer be—
\
Zeitſchrift für ir Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17. 327
ſtimmten Anwaltsorganiſation, weil man Anwalt dem Daſein lebhafter Reformbeſtrebungen in Eng:
geworden iſt“ — ſo präziſiert der Verfaſſer den | land zu entnehmen ift, die von tiefgehender Un⸗
Unterſchied zwiſchen den engliſchen und den deut⸗ zufriedenheit mit den Zuſtänden des Rechtslebens
ſchen Einrichtungen (S. 825). Auf Einzelheiten zeugen. Gar manche innerlich überlebte Ein⸗
kann hier leider nicht eingegangen werden, es ſei richtung früherer Jahrhunderte iſt auch uns auf
aber im allgemeinen darauf hingewieſen, daß ge: [dem kurzen Rundgange begegnet. Eine Umfor⸗
rade der Abſchnitt über die Barristers und auch mung unſerer Gerichtsverfaſſung nach engliſchem
derjenige über die Solicitors dazu angetan find, | Mufter kann ernſtlich nicht in Frage kommen, ſo
ein Bild von der Eigenart der engliſchen Rechts: intereſſant es auch iſt, ſich mit einer Vergleichung
einrichtungen zu geben. der jo grundverſchiedenen Rechtszuſtände der beiden
Am Schluſſe des Werkes (S. 969— 974) ſteht Länder zu beſchäftigen.
eine Erörterung über die Juſtizverwaltung,
die ſich als zerſplittert und auf verſchiedene Mini⸗
ſterien verteilt darſtellt (ein Juſtizminiſterium in
unſerem Sinne fehlt den Engländern bisher), und
über den weitreichenden Einfluß des Parlaments
auf die Juſtizverwaltung.
Dieſe Inhaltsüberſicht dürfte zeigen, daß Ger⸗
land mit großem Fleiße ein ungeheures Material
zuſammengetragen und wohl verſtanden hat, es
zu ſichten. Er hat damit der deutſchen Wiſſen⸗
ſchaft eine einheitliche, gründliche und vollſtändige
Proviſoriſche Verfügungen der Verwaltungs⸗
behörden in Wegſtreitigkeiten.
Von Bezirksamtsaſſeſſor Dr. Steinbach in Roſenheim.
Wie in früheren Zeiten fo iſt es auch heut⸗
zutage nichts ſeltenes, daß Private unter Behaup⸗
Darſtellung der engliſchen Gerichtsverfaſſung ge⸗ tung eines ihnen zuſtehenden Rechtes ſich in den
boten, an der es bisher noch fehlte. Die beiden Beſitz öffentlicher Wege zu ſetzen ſuchen. Das
Londoner Juriſten, denen er fein Werk gewidmet radikalſte Mittel zu dieſem Zwecke iſt die Ab⸗
hat: Sir Harry B. Poland und Dr. Ernſt Schufter | ſperrung durch einen Zaun oder eine Schranke;
haben ihn bei der Sammlung der Bauſteine we- aber auch eine Tafel mit der Aufſchrift „Privat⸗
ſentlich unterſtützt (vgl. Vorwort S. XII). Sie weg; Begehung verboten“ bringt hinlänglich
und andere engliſche Kritiker haben dem vollendeten deutlich zum Ausdruck, daß die Wegfläche dem
Werke volle Gerechtigkeit widerfahren laſſen und allgemeinen Gebrauche entzogen werden ſoll; wer
namentlich die ſich überall zeigende deutſche Gründ⸗ ſich um das Verbot nicht kümmert, läuft Gefahr,
lichkeit hervorgehoben. Ich nenne nur die Wer: nach $ 368 Nr. 9 StGB. beſtraft zu werden.
tungen in folgenden Zeitungen und Zeitſchriften: Ein anderes Mittel iſt die Umackerung eines
The Times vom 20. Oktober 1910; Pall Mall | öffentlichen Weges — vgl. VGHE. V S. 170 —
Gazette vom 16. Juni 1910; Valentine in der | oder feine Einengung durch einen ſeitlich inner⸗
Juridical Review July 1910, S. 162 164; halb der Wegflaͤͤche angebrachten Zaun.
Solicitors Journal vol. IV S. 675; Law Maga- Alle derartigen Manipulationen enthalten
zine and Review Nov. 1910. Eine ausführliche | einen ſchweren Eingriff in Rechte anderer; es iſt
Würdigung aus deutfcher Feder hat, ſoweit wir aber charakteriſtiſch für die Rechtsentwicklung
ſehen, bisher noch gefehlt. Hoffen wir, daß dieſe unſerer Zeit, daß ſie entweder gar nicht mit Strafe
Zeilen manchem Leſer die Anregung geben, ſich | bedroht oder doch nur als Uebertretungen ſtrafbar
näher mit dem wichtigen Buche zu beſaſſen. ſind. Im Vergleich zu dem ausgedehnien Schutz
Kehren wir am Schluſſe der Erörterung zu | des Privateigentums iſt der des Gemeingebrauchs
der mehrfach geſtreiften Frage zurück, ob man einer ziemlich mangelhaft. Wer z. B. einen öffentlichen
Reſorm unſerer deutſchen Gerichtsverfaſſung nach Weg durch einen Zaun abſperrt, riskiert in der
engliſchem Vorbild das Wort reden darf, jo wird Regel nicht das mindeſte; denn $ 366 Nr. I StGB.
die Antwort verneinend ausfallen müſſen. Gewiß | findet nach der herrſchenden Rechtſprechung nur
bleibt das große Anſehen der Richter an den Anwendung auf Gegenſtände, die nicht in dauernde
höheren Gerichtshöfen Englands ein erheblicher [Verbindung mit dem Grund und Boden gebracht
Vorzug der Einrichtungen jenſeits des Kanals, worden find (Riedel⸗Sutner, P StGB. S. 323
und niemand wird beſtreiten wollen, daß eine | Anm. 6); das Abpflügen oder Abgraben iſt nur
höhere Wertung des deutſchen Richterſtandes in eine harmloſe Uebertretung nach 8 370 Nr. 1
der Allgemeinheit jehr zu wünſchen wäre. Wer | a. a.
eingehend prüfen will, darf ſich aber durch dieſe Findet nun eine ſolche Beeinträchtigung des
Erſcheinung nicht beſtechen laſſen. Hinter der beſtehenden Gemeingebrauchs ſtatt, jo wird es
glänzenden Außenſeite des engliſchen Richtertums | in der Regel nicht lange dauern, bis ein oder der
verbergen ſich viele und arge Schwächen des ganzen andere Intereſſent beim Bezirksamte erſcheint, um
Syſtems. Die engliſchen Einrichtungen ſind ſelbſt dort ſchleunigſte Abhilfe zu erbitten. Das letztere
in hohem Grade reformbedürſtig, wie Gerland in trifft, wenn es die Sachlage ſelbſt kennt, ſofort,
zahlreichen Fällen nachgewieſen hat, und auch aus | im andern Fall nach ſummariſchen Erhebungen
328
Zeitſchrift fü für Zeitſchrift für Rechtspflege in 8 in
die nötigen Maßnahmen, „um den Weg pro vi⸗
ſoriſch für die allgemeine Benützung
offen zu halten“ (VGHE. V, 175); es wird
alſo, wenn es zu der Ueberzeugung gekommen iſt,
daß tatſaͤchlich bisher der Weg der allgemeinen
Benützung offenſtand und ein entgegenſtehendes
Privatrecht nicht ſofort erweislich iſt, die Beſeiti⸗
gung der angebrachten Abſperrungsvorrichtungen
oder Warnungstafeln anordnen.
Die Zulaͤſſigkeit ſolcher „proviſoriſchen
Verfügungen“ iſt vom K. Staatsminiſterium
des Innern — vgl. VGHE. I, 413 —, vom
Verwaltungsgerichtshof — vol. VEHE. I, 413;
II, 189; IV, 569 uſw. —, dann auch in ber
Literatur anerkannt — ſiehe insbeſondere Kahr,
Gemeindeordnung Bd. I S. 392, 393. Freilich
finden ſich auch manche Zweifler, von denen weiter
unten die Rede ſein wird.
Die proviſoriſchen Verfügungen ſind ein ſehr
altes Rechtsinſtitut. Zur Zeit des Polizeiſtaats
war ihre Gültigkeit ſelbſtverſtändlich; Kreitmayr
erwähnt ſie, indem er ausführt, an Stelle der
römiſchen actio popularis ſei „ein ſummariſches
Verfahren per mandata“ getreten. Die Privat⸗
rechtsſtellung des Einzelnen zur Wahrnehmung
öffentlicher Intereſſen beſtand zu jenen Zeiten nicht
mehr; ſie war auch entbehrlich, da ein noch ein⸗
facheres Verfahren angewendet werden konnte.
Solange in Bayern der Satz galt, daß die
öffentlichen Wege außerhalb des privatrechtlichen
Verkehrs ſtehen — res extra commercium —,
daß Eigentum an ihnen nicht möglich ſei und
daß über die Oeffentlichkeit eines Weges, alſo
darüber, daß eine beſtimmte Bodenfläche als Weg
von Rechtswegen dem Gemeingebrauch zu dienen
habe, die Verwaltungsbehörden zu entſcheiden
haben, war auch die Zuläſſigkeit einſtweiliger
Verfügungen durch eben dieſe Behörden ſelbſtver⸗
ſtändlich. Man ging von der Anſicht aus, daß
der Gemeingebrauch das Privatrecht, alſo die
Herrſchaft eines Einzelnen, ausſchließe; daß die
Oeffentlichkeit eines Weges nichts anderes bedeute
als die Negation des Privatrechts, wie umgekehrt
die Behauptung eines Privatrechts die Negation
des Gemeingebrauchs. Beſtand hierwegen Streit,
ſo wäre die Zuſtändigkeit der Gerichte an ſich
ebenſo zu rechtfertigen geweſen wie jene der Ver—
waltungsbehörden. Die Praxis entſchied ſich,
offenbar weil ſie das öffentliche Intereſſe für das
bedeutungsvollere hielt, für die Zuſtändigkeit der
Verwaltungsbehörden. Hieraus ergab ſich die
notwendige Folge, daß dieſe bei Beeinträchtigung
des Gemeingebrauches auch die zu ſeinem Schutze
notwendigen Verfügungen erlaſſen konnten.
Dieſe Praxis hat ſich aber hinſichtlich der
materiellen Beurteilung des Rechtsverhältniſſes
und damit auch hinſichtlich der Zuſtändigkeitsfrage
vollſtändig geändert. Der Umſchwung datiert ſeit
Luthardts bekannter Abhandlung „Ueber öffent-
liche Wege“ in den Blättern für admin. Praxis
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Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
Bd. 21 S. 321 ff. Hier wird ausgeführt, daß
auch an öffentlichen Wegen Eigentum beſtehe
und daß daher, wenn dieſes Eigentum ſtreitig fei,
die Zuſtändigkeit der Gerichte gegeben ſei. Die
Vorbedingung und Grundlage des Gemein:
gebrauchs iſt hiernach die privatrechtliche Herrſchaft
über Grund und Boden. (Vgl. z. B. Seydel,
Bayer. Staatsrecht, 1. Aufl. Bd. V S. 488; aber
auch Entſch. des ObL G. in 35. vom 15. Oktober
1888, Samml. Bd. XII S. 178; BSHE. IV, 603.)
Man ſollte nun meinen, daß aus der Unzu⸗
ſtändigkeit zur Erlafſung einer endgültigen Ent⸗
ſcheidung auch jene zur Erlaſſung einſtweiliger
Verfügungen ohne weiteres zu folgern ſei.
Allein ſchon Luthardt iſt nicht ſoweit ge:
gangen: „Illiquiden Privatrechtsanſprüchen gegen⸗
über darf die Verwaltungsbehörde .... jede zur
Abwendung von Unordnungen und Gefahren nötig
erſcheinende Maßregel ergreifen. und zwar unbe⸗
ſchadet aller privatrechtlichen Anſprüche, d. h. vor⸗
behaltlich der ſpäteren richterlichen Entſcheidung“
(a. a. O. S. 357). Damit iſt die Zuſtändigkeit
der Verwaltungsbehörden zu proviſoriſchen Ver⸗
fügungen aufrechterhalten, ſoweit man dies nur
irgend wünſchen kann.
Die Praxis hat ſich, wie bereits erwähnt,
Luthardt auch in dieſem Punkte angeſchloſſen.
Allein es find doch auch Zweifel laut ge:
worden. So führte Seydel — a. a. O. S. 490 —
aus, daß von demſelben Richter, der über Mein
und Dein erkenne, auch die Feſtſtellung des Be⸗
ſitzſtandes zu erwirken ſei. Dagegen erklärt er
doch wieder vorläufige Maßnahmen „in dem
Sinne“ für zuläſſig, daß die Verwaltungsbehörde
„feſthält, was ſie hat, daß ſie den Beſitzſtand
wahrt, wenn ein ſolcher gegeben iſt; aber ſie tut
dies als Partei, fie entſcheidet nicht.“ Eine Ab:
handlung in den BlAdmPr. Bd. 43 S. 490 ff.
ſcheint auch dieſe „Wahrung des Beſitzſtandes“
für unzuläſſig zu halten.
Wohl mit Recht! Denn die Verwaltungsbe⸗
hörde iſt weder ſelbſt Beſitzerin im Sinne des
Zivilrechts, noch etwa geſetzliche Vertreterin der
Gemeinde, die allenfalls als Beſitzerin in Betracht
kommt. Sie kann dies ſchon deshalb nicht ſein,
weil ihr die juriſtiſche Perſönlichkeit und daher
im Falle eines Prozeſſes jede Legitimation mangelt.
Ihre Maßnahmen ſind nicht rechtsgeſchaͤftlicher
Natur, ſondern, Regierungsakte. Sie kann nur
als Behörde in Tätigkeit treten; im Beſitzſtreit
kann ſie keine Parteirolle ſpielen; eben deshalb
iſt auch eine Ueberprüfung ihrer Maßnahmen
durch das Gericht ausgeſchloſſen.
Die proviſoriſchen Verfügungen können alſo
nicht auf eine zivilrechtliche Grundlage
geſtellt werden.
Sie können aber auch nicht als ein Rechts—
inſtitut des Polizeirechtes gerechtfertigt werden;
denn heutzutage gilt der Satz, daß polizeiliche
Gebote und Verbote inhaltlich ſtets unmittelbar
oder mittelbar auf eine geſetzliche Beſtimmung
geſtützt ſein müſſen (Seydel a. a. O. S. 7). Eine
ſolche Beſtimmung fehlt aber zum mindeſten in
allen Fällen, in denen ein Strafverfahren
nicht eingeleitet werden kann. Vgl. Kahr,
GemO. Bd. S. 392 Anm. 135, 136; Pol StGB.
Art. 20; AG. zur StPO. Art. 102.
Mit der theoretiſchen Rechtfertigung ſieht es
alſo ſchlecht aus. Man hat es mit einem Ueber⸗
bleibſel des früheren Wegrechtes zu tun, das bei
der Vernichtung des letzteren noch Stand gehalten
hat, das aber in das gegenwärtige Recht nirgends
mehr gut hineinpaßt. Schließlich muß man ſich
damit begnügen, daß das Rechtsinſtitut durch ſein
Beſtehen hinlänglich gerechtfertigt iſt; da es
wirklich exiſtiert, mag es überflüſſig ſein, einen
Beweis für ſeine Möglichkeit zu verſuchen.
Es ſei noch geſtattet, auf das Widerſpruchs⸗
volle hinzuweiſen, das in dieſem Rechtsgebilde liegt.
Die Verwaltungsbehörde kann proviſoriſch einen
geſperrten Weg öffnen entweder auf Anrufen eines
Privaten oder einer Gemeinde. Im erſteren Falle
beſteht die Möglichkeit, daß der von ihren Maß⸗
nahmen Betroffene keinen Gegner findet, den er
mit Zivilklage belangen könnte. Denn es ſteht
ihm zunaͤchſt nur die Behörde gegenüber; er kann
ſich über ſie bei der vorgeſetzten Stelle beſchweren.
aber er kann ſie nicht verklagen. Er kann ſich
aber auch nicht an die Gemeinde halten, ſolange
dieſe den Weg nicht für ſich in Anſpruch nimmt;
und fie wird das letztere häufig ſchon dann ab:
lehnen, wenn ein Prozeß zu befürchten iſt; ſie
wird es ferner ablehnen, wenn ihr die Laſt der
Wegunterhaltung ſchwerwiegender ſcheint als der
Vorteil der allgemeinen Wegbenützung. Sie kann
die Oeffentlichkeit des Weges ausdrücklich zugeben,
aber ſeine Eigenſchaſt als Gemeindeweg beſtreiten.
Gegen jeden Einzelnen, der den Weg begeht,
Klage zu ſtellen, iſt unmöglich. So beſteht die
Gefahr, daß das Proviſorium ſich in ein Defini⸗
tivium verwandelt, und daß derjenige, gegen den
die behördliche Maßnahme ſich richtet, außer
Stande iſt, ſein wirkliches oder vermeintliches Recht
im Zivilprozeßwege zu verfolgen. |
Aber auch, wenn die behördliche Verfügung |
auf Antrag einer Gemeinde ergangen iſt, die
den Weg als Gemeindeweg beanſprucht, kann es |
zu unangenehmen Situationen kommen. Das
adminiftrative Proviſorium gilt nach der Recht:
ſprechung — vgl. z. B. VGHE. Bd. I S. 413,
Bd. V S. 170 — „jo lange, als nicht auf dem
Zivil⸗ oder Adminiſtrativwege eine definitive Ent⸗
ſcheidung erfolgt iſt“. Es iſt nun möglich, daß
der Zivilprozeß anhängig geworden iſt, und daß
in ihm eine einſtweilige gerichtliche Verfü—
gung beantragt und auch erlaſſen wird; daß
ferner die letztere mit dem adminiſtrativen Provi—
ſorium im Widerſpruche ſteht. Quaestio quid juris?
Man ſieht, daß die Verwaltungsbehörde bei
Erlaſſung ſolcher proviſoriſcher Verfügungen die
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
329
äußerſte Vorſicht walten laſſen muß, fo ſehr es
ſich auch hier um raſches Eingreifen handelt, und
ſo eigenartig es ihr auch erſcheinen mag, die Haͤnde
in den Schoß zu legen, wenn Angelegenheiten in
Frage ſtehen, die auf den erſten Blick in ihrem
eigentlichſten Wirkungskreis zu liegen ſcheinen.
Mindeſtens ebenſo fremdartig wird es freilich dem
Richter vorkommen, wenn er um eine einſtweilige
Verfügung zur Aufrechthaltung des öffentlichen
Verkehrs angegangen wird.
Unrichtiges Bekenntnis erhaltener Hypotheken⸗
darlehns⸗Valuta und Erwerb der fälligen Hypo⸗
thek durch einen neuen Geldgeber.
Von Rechtsanwalt Dr. Engen Joſef in Freiburg i. Br.
I. Wer ein Darlehn „auf Hypothek“ nimmt,
kann die Auszahlung des Darlehns erſt verlangen,
wenn er ſeinerſeits die vereinbarte Sicherheit be⸗
wirkt hat, d. h. erſt wenn die Eintragung in der
vereinbarten Weiſe erfolgt und der etwa gebildete
Hypothekenbrief dem Glaͤubiger ausgehändigt iſt.
Der Eigentümer (Darlehnsnehmer) kann alſo nicht
verlangen, daß der Darlehnsgeber mit ihm ſich
auf dem Grundbuchamte einfinde und dort ihm
das Geld auszahle, ſobald der Eigentümer vor
dem Grundbuchamt die Eintragungsbewilligung
zu Protokoll erklärt hat. Denn wenn auch der
Grundbuchbeamte die Eintragungsbewilligung an⸗
ſtandslos entgegennimmt, ſo kann der Darlehns⸗
geber doch nicht unbedingt darauf rechnen, daß
die Vollziehung der Eintragung nicht beanſtandet
werde (Mot. 3, 704). Die richtige Faſſung der
Eintragungsbewilligung wäre danach eine Er—
Härung dahin, daß dem Eigentümer ein Darlehn
zugeſagt iſt und er für dieſe (künftige, 81113
Abſ. 2 BGB.) Forderung Hypothek beſtellt.“)
Die allgemein übliche Faſſung der Eintragungs⸗
bewilligung des Eigentümers, wonach er ein Dar⸗
lehn erhalten zu haben erklärt und hierfür
Hypothek beſtellt, bewirkt ſomit eine unrichtige
Erklärung: der Eigentümer quittiert über die
Zahlung der ihm vom Darlehnsgeber geſchuldeten
Valuta, obwohl er dieſe noch garnicht erhalten
hat. Dem Darlehnsgeber aber droht ans der
geſchilderten Sach- und Rechtslage eine andere
Gefahr: denn der Eigentümer kann ſpäter ſtets
beſtreiten, daß er die Darlehnsvaluta erhalten
habe. Dann entſteht die Frage, ob der Gläubiger
ſich auf die vom Eigentümer in der Eintragungs—
bewilligung erteilte Quittung berufen kann (ob:
wohl ſie wie erwähnt, unrichtig iſt), oder ob der
Gläubiger nachweiſen muß, daß er nachträglich die
1) Eintragungsbewilligungen dieſer Art, ſog. Zu—
ſageſcheine, kommen häufig in Baden vor, während ſie
z. B. in Preußen nicht üblich ſind.
330
Valuta gezahlt habe. Im früheren Preußiſchen
Recht wurde dies letztere angenommen, alſo dem
Hypothekengläubiger ein Nachweis aufgebürdet, der
ihm (und namentlich ſeinen Erben) oft recht ſchwer
ſein wird, beſonders wenn inzwiſchen lange Zeit ver⸗
floſſen iſt. Für das jetzige Recht hat das RG.
dieſe Frage im Urt. vom 12. Juni 1901 (RG.
49 S. 6) entſchieden, dem folgender Sachverhalt zu⸗
grunde liegt: Auf dem Grundſtück des Beklagten
war für den Kläger eine Hypothek eingetragen
auf Grund der Urkunde vom 17. Mai, in
der Beklagte bekannt hatte, vom Kläger ein
Darlehen erhalten zu haben. Der Beklagte be:
ſtritt aber das Darlehen erhalten zu haben und
der Kläger gab zu, daß bei der Ausſtellung der
Urkunde am 17. Mai der Beklagte das Geld
noch nicht erhalten hatte; der Kläger behauptete
aber, das Geld ſei dem Beklagten unmittelbar
darauf in bar und in anderer Weiſe gewährt
worden. Bei dieſer Sachlage erachtete das Be⸗
rufungsgericht den Kläger beweispflichtig dafür,
daß er dem Beklagten das Darlehen bezahlt habe,
und- wies die Klage ab, da es dieſen Nachweis
nicht für erbracht anſah. Das RG. trat dem bei,
indem es ausführte: Wer eine beſtrittene Forderung
geltend macht, müſſe dieſe nachweiſen. Wenn aber
die Forderung im Grundbuch als diejenige ver:
merkt wird, für die die Hypothek beſtellt iſt, ſo
trete mit der Eintragung nach 88 1138, 891 die
Vermutung ein, daß die Forderung dem Gläubiger
zuſtehe. Dieſe Vermutung falle hier fort, da un⸗
ſtreitig der Gläubiger im Zeitpunkt der Ein:
tragung die Darlehnsvaluta nicht gezahlt hatte,
folglich liege nunmehr dem Kläger die Beweis—
pflicht dafür ob, daß die Forderung nachträglich
durch Valutazahlung begründet ſei.
geſtändnis des Gläubigers, daß er die Valuta zur
Zeit der Ausſtellung der Urkunde nicht gezahlt
habe, mache zwar den Gläubiger nicht unter allen
der
— ä—
Das Zu⸗ |
Umſtänden beweispflichtig, ſondern die richterliche
Ueberzeugung habe hierüber zu entſcheiden; hier
habe aber das Berufungsgericht von dieſer Ueber—
zeugung einen ſachgemaͤßen Gebrauch gemacht;
indem es nach der Sachlage den Kläger für be—
weispflichtig hielt.
deutung. Oberncck, der ihr beiſtimmt, hält danach
für geboten, daß der Hypothekengläubiger ſich nach
der Zahlung der Valuta eine neue Quittung aus-
ſtellen läßt”); Lütkemann, der die Entſcheidung
gleichfalls für richtig halt, erachtet für die Spar⸗
kaſſen als geboten, daß dieſe eine ganz andere
Faſſung der Eintragungsbewilligungen verlangen )
ein Rat, dem nach Mitteilung von Bollenbed*)
1 Dot. 2, 307.
) 3B NG. 8 494.
) DNotV. 10, 657.
e) Der Eigentümer iſt inſofern der Gläubiger. weil
er — obwohl Darlehnsſchuldner — die Valuta vom Dar—
lehnsgeber zu fordern hat.
|
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
eine Sparkaſſenverwaltung bereits nachgekommen
iſt. Der Anſicht des RG. iſt ferner beigetreten
Staudingers Kommentar (Anm. Ile zu $ 1138),
während ihr Planck (Anm. 3 Abſ. 2 zu $ 1138)
und ganz beſonders Bollenbeck entgegengetreten
ſind. Andere Beſprechungen der wichtigen Frage
find nicht bekannt geworden.““)
Inſoweit Bollenbeck ſich gegen die Anſicht
Lütkemanns wendet, auf die des näheren hier
nicht eingegangen werden kann, iſt ihm durchaus
beizuſtimmen. Auch den weiteren Ausführungen
Bollenbecks iſt beizuſtimmen: Die Quittung über
die Valuta, die vom Eigentümer?) in der Ein:
tragungsbewilligung im Bewußtſein nicht erfolgter
Zahlung erklärt wird, behält nach der im Ver⸗
kehr herrſchenden Auffaſſung in allen Fällen ihre
Beweiskraft ſolange, bis der Eigentümer ſie ent:
kraͤftet durch den Nachweis, daß die Erwartung
ſich nicht erfüllt habe, in der er die Quittung er⸗
klaͤrt hat, die Leiſtung alſo überhaupt nicht be:
wirkt ſei; der Eigentümer muß demnach in ſolchem
Fall ſeinerſeits das Noch beſtehen der Schuld,
alſo beweiſen, daß ihm die Valuta auch nach⸗
träglich nicht gezahlt ſei. Denn Sinn und Zweck
der Vorausquittung liegen nicht darin, daß dem
Darlehnsgeber der Beweis der Erfüllung am
Tage der Ausſtellung der Quittung, ſondern
daß ihm der Beweis der Erfüllung überhaupt
verſchafft werde.
Nur kann Bollenbeck nicht zugegeben werden,
daß das RG. den entgegengeſetzten Grundſatz
ſchlechthin aufgeſtellt habe. Im Gegenteil ſagt
das RG. Bd. 49 S. 9 ausdrücklich: Darüber, ob
das Zugeſtändnis des Hypothekengläubigers, er
habe die Valuta am Tage der Eintragungs⸗
bewilligung noch nicht bezahlt gehabt, zur
Entkräftung der vom Eigentümer erteilten Quittung
genügend ſei, könne man „beſtimmte Regeln nicht
aufſtellen“, und der (oben erwähnte) Grundſatz
des früheren Preußiſchen Rechts, wonach jenes
Zugeſtändnis den Hypothekengläubiger unter allen
Umſtänden beweispflichtig mache, ſei für das jetzige
Recht — nämlich gegenüber der Vermutung des
8 1138 BGB. und der freien Beweiswürdigung
des § 286 ZPO. — nicht zu billigen.
Dieſe Entſcheidung iſt von einſchneidender Be⸗
Bedauerlich iſt es nur, daß das RG. in dieſem
Urteil nicht rechtsgrundſätzlich die Falle, wo jenes
Zugeſtändnis den Hypothekengläubiger beweis—
pflichtig macht, von anderen Fällen abgegrenzt hat.
Wichtig iſt in dieſer Beziehung ein in den
bisherigen Erörterungen dieſer Frage noch nicht
berückſichtigtes Urteil des RG. vom 26. Mai 1909,
3 BlFG. 10, 296: Hier hatte in der allgemein
üblichen Weiſe der Eigentümer den Empfang des
Darlehens in der Eintragungsbewilligung anerkannt;
der beklagte Hypothekengläubiger hatte indes im
) Der vorliegende Aufſatz iſt im November 1910
Habgeſchloſſen, die ſeit dieſem Zeitpunkt erſchienenen Be—
arbeitungen alſo nicht mehr berückſichtigt.
Prozeß das Gegenteil zugeſtehen müſſen, nämlich daß
zur Zeit der Eintragungsbewilligung das Darlehen
noch nicht völlig gezahlt geweſen ſei; an dieſes
Zugeſtändnis hatte der Hypothekengläubiger aber
die Behauptung geknüpft: die Hypothek habe nach
der Vereinbarung zur Sicherung für die künftig
erwachſenden Forderungen dienen ſollen, und er
habe nachträglich die Darlehne gegeben. Das
RG. führt hierüber aus: „Mit Rückſicht auf
dieſe hinzugefügte Behauptung wird
der Eigentümer durch jenes Zugeſtänd⸗
nis des beklagten Hypothekengläubigers
keineswegs von der Beweispflicht für
das Nichtbeſtehen der durch die Hypothek
geſicherten Forderung befreit. Denn es
iſt rechtlich zuläſſig, daß zwiſchen dem Eigentümer
und dem Hypothekengläubiger vereinbart wird,
daß künftige Forderungen ... mit dem Augen:
blick ihrer Entſtehung als durch die im voraus
eingetragene Hypothek geſichert gelten ſollen. ...
Daher müßte der Eigentümer, um ſeiner Beweis⸗
pflicht zu genügen, dartun, daß eine .. Forderung
nach der Hypothekeneintragung nicht entſtanden iſt.“)
Ganz dasſelbe muß auch in unſerem Fall
gelten: Beim Hypothekendarlehn braucht, wie
eingangs erwähnt, der Darlehngeber die Valuta
dem Eigentümer erſt nach der Eintragung zu
zahlen; folglich kommt die Einigung der Be—
teiligten über die Beſtellung der Hypothek darauf
hinaus, daß die Eintragung für eine künftige
Forderung erfolgen ſoll, die mit dem Augenblick
ihrer Entſtehung (alſo bei erfolgender Auszahlung
der Valuta) als durch die zum voraus eingetragene
Hypothek geſichert gelten ſoll. Folglich ſchließt die
bloße Tatſache, daß die Valuta zur Zeit der
Eintragungsbewilligung noch nicht bezahlt
war, nicht die wirkſame Entſtehung des Gläubiger:
rechts aus. Diefes wird vielmehr nur ausge—
ſchloſſen, wenn der Eigentümer nachweiſt, daß
auch nachträglich die erwartete Forderung dem
Gläubiger nicht entſtanden ſei, daß dieſer alſo
15 nachträglich die Darlehnsvaluta nicht gezahlt
abe.
So iſt alſo die Aufregung, die das erſterwähnte
Urteil des RG. hervorgerufen hat, durchaus nicht
gerechtfertigt; das RG. hat dort durchaus nicht
rechtsgrundſätzlich die unbedingte Beweispflicht des
Hypothekengläubigers aufgeſtellt, und der Rechts—
grundſatz, den das RG. in ſpäteren Urteilen auf—
geſtellt hat, geſtattet eine Anwendung auf unſern
Fall, die den Anſprüchen der Verkehrsſicherheit durch—
aus entſpricht. Das RG. iſt auch in keinem ſeiner
ſpäteren Urteile, die für unſere Frage mittelbar
Bedeutung haben könnten, auf die im erſterwähnten
Urteil ausgeſprochene Rechtsanſicht zurückgekommen.
II. In dem oben allein beſprochenen Fall,
wo der Eigentümer eine neue Darlehnshypothek
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
6) Aehnliche Ausführungen finden ſich auch im Urt.
vom 27. März 1909, Recht 09 Nr. 1684.
|
331
aufnimmt, iſt der Gläubiger nicht verpflichtet,
die Valuta vor der Eintragung auszuzahlen.
Wirtſchaftlich durchaus gleich und doch rechtlich
ganz verſchieden liegt der Fall, wo eine bereits
vorhandene Hypothek fällig iſt und der Eigen⸗
tümer mit einem Dritten dahin einig wird, daß
dieſer den bisherigen Hypothekengläubiger befrie⸗
digen und von ihm hiergegen die Hypothek er⸗
werben ſoll.) Sit dieſe eine Buch hypothek, jo
erwirbt der neue Geldgeber das Gläubigerrecht
zwar nicht ſchon durch die Abtretung, ſondern erſt
durch ſeine Eintragung als Gläubiger (8 1154
Abſ. 3), d. h. erſt mit der Umſchreibung hat
der bisherige Gläubiger als der Zedent ſeiner
Verpflichtung zur Verſchaffung des verkauften
Rechts (8 433 Abſ. 1) genügt. Allein daraus
kann der neue Geldgeber keine Einwendungen
gegen ſeine ſofortige Zahlungspflicht herleiten;
denn nach ſeinem Abkommen mit dem Eigentümer
iſt er verpflichtet den bisherigen Gläubiger bei
Fälligkeit der Hypothek zu befriedigen, alſo
obwohl er mit dieſem Zeitpunkt die Buchhypothek)
noch nicht erwirbt. Der neue Geldgeber iſt alſo
der Gefahr ausgeſetzt, daß die Hypothek vielleicht
im Augenblick der Befriedigung gar nicht mehr
dem bisherigen Gläubiger zuſteht, ſie z. B. von
ſeinen Gläubigern gepfändet oder bereits auf einen
anderen umgeſchrieben iſt. Der neue Geldgeber
mag, um ſich vor ſolcher Gefahr zu ſchützen, noch
unmittelbar vor der Zahlung das Grundbuch ein⸗
ſehen, auch ſofort die Abtretungsurkunde zur Um⸗
ſchreibung einreichen; oder er mag ſich ausbe⸗
dingen, daß die Erledigung des ganzen Geſchäfts
„vor offnem Grundduch“ geſchehe, insbeſondere
der bisherige Gläubiger die Abtretung zu Pro:
tokoll des Grundbuchsamts erkläre.
Vorausſetzung der Zahlungspflicht des neuen
Geldgebers iſt aber ſtets, daß der bisherige Gläu⸗
biger als ſolcher im Grundbuch eingetragen iſt
oder daß ſeine Legitimation zur Verfügung über
die für einen Anderen eingetragene Poſt bei ver⸗
ſtändiger Würdigung unbedenklich iſt. Z. B.:
5 5) Der bisherige Gläubiger iſt geſetzlich nicht zur
Abtretung an einen Dritten (den neuen Geldgeber) ver⸗
pflichtet; nach 8 1144 erſtreckt ſich ſeine Verpflichtung
nur auf Erteilung der zur Umſchreibung auf den
Eigentümer oder der zur Löſchung erforderlichen
Urkunden. Auch verändert der Umſtand, daß der bis—
herige Gläubiger ſich bereit erklärt, die vom Eigentümer
geſchuldete Zahlung von einem Dritten anzunehmen
und ihm die Hypothek abzutreten, grundſätzlich nicht die
Rechtslage des bisherigen Gläubigers, er kann alſo ver—
langen, daß ihm die Zahlung in ſeiner Wohnung (8 270)
vom neuen Geldgeber — der nur an Stelle des
Eigentümers zahlt — geleiſtet werde und daß der neue
Geldgeber hier die Abtretungserklärung und den et—
waigen Hypothekenbrief in Empfang nimmt. Der bis—
herige Gläubiger beweiſt nur ein beſonderes Entgegen—
kommen, wenn er ſich zu den erwähnten Rechtshand—
lungen beim Notar oder auf dem Gra einſindet.
8) Dagegen erwirbt er die Briefhypothek ſchon mit
der Aushändigung des Hypothekenbrieſs und der Ab—
tretungsurkunde; 8 1154 Abſ. 1.
332
Die Buchhypothek iſt 8. X eingetragen; als ihr
Gläubiger tritt aber Y auf, weil X fie ihm
notariell abgetreten hat; hier braucht der neue
Geldgeber die Zahlung an Y nicht zu leiſten,
weil X mangels erfolgter Umſchreibung der Hypo:
thek gar nicht Glaͤubiger geworden iſt (RG. 54,
362). Das gleiche gilt, wenn die (Buch⸗ oder
Brief⸗ ‚onpothef für X eingetragen ift und als ihr
Inhaber Y auftritt, der feine Legitimation durch
eine Reihe von Urkunden erweiſen will, die eine
umfangreiche Prüfung erſordern und Zweiſel an
der Legitimation nicht ausgeſchloſſen erſcheinen
laſſen, ſo etwa Erbauseinanderſetzungen, Er⸗
klärungen geſetzlicher Vertreter, letztwillige Ver⸗
fügungen, ausländiſche Urkunden. Mögen dieſe
Urkunden auch bei richtiger Prüfung, die dem
Grundbuchamt obliegt, ausreichen, um die Legi⸗
timation des Y zu begründen: der Eigentümer
und der von ihm beſorgte neue Geldgeber ſind
nicht verpflichtet, ſich auf eine umfangreiche Legi⸗
timationsprüfung einzulaſſen; ſie können vielmehr
verlangen, daß der angebliche Glaͤubiger zweiſel⸗
los legitimiert ſei und dieſer hat ſich ſelbſt die
Folgen zuzuſchreiben, wenn er aus Sparſamkeits—
rückſichten oder ähnlichen Gründen die Umſchreibung
auf ſeinen Namen unterließ. In ſolchem Fall
kann alſo der neue Geldgeber, obwohl er ſich
dem Eigentümer gegenüber zur Uebernahme
der Hypothek verpflichtet hat, dieſe ablehnen.“)
Anders natürlich, wenn dem neuen Geldgeber der
Sachverhalt ſoweit bekannt war, daß er die der
Legitimation des angeblichen Glaͤubigers entgegen:
ſtehenden Bedenken erkennen mußte. Sagte er
dem Eigentümer dennoch die Uebernahme der
Hypothek zu, ſo kann er dieſe nicht nachträglich
ablehnen, weil ihm die Legitimation des angeb—
lichen Inhabers bedenklich iſt.
Als ſelbſtverſtäͤndlich iſt noch zu erwähnen,
daß wenn der Gläubiger zur Abtretung an den
vom Eigentümer beſorgten neuen Geldgeber bereit
iſt und dieſer die Zahlung grundlos verweigert,
der Zahlungsanſpruch des bisherigen Gläubigers
zwiſchen dem bisherigen Gläubiger und dem neuen
Geldgeber unmittelbare Verhandlungen ſtattge—
funden, ſo kann je nach der Sachlage auch der
Schluß gerechtfertigt ſein, daß zwiſchen ihnen ein
jelbjtändiger Vertrag zuſtande gekommen iſt,
wonach letzterer dem erſteren die Hypothek abge—
kauft hat. Dann hat der Hypothekengläubiger
gegen den neuen Geldgeber einen direkten Anſpruch
auf Zahlung des Hppothekenkapitals, d. h. des
Kauſpreiſes (Abtretungsentgelts); der Hypotheken-
glaͤubiger kann dann nach ſeiner Wahl gegen den
NE auf Zahlung der Hypothek oder gegen
) Da der Gläubiger den Beweis für ſeine Legi—
timation nicht zweifelsfrei führen kann, iſt er nach 8 208
im Annahmeverzug a es hörte nach $ 301 die J
zahlungspflicht des Eigentümers auf.
Zgeeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
————
den neuen Geldgeber auf Zahlung der Zeſſions⸗
valuta klagen.
In jedem Fall iſt nach der Abtretung
die Rechtslage zwiſchen dem bisherigen Gläubiger
und dem neuen Geldgeber die gleiche, als wenn
der Hypothekengläubiger ohne jedes Zutun des
Eigentümers die Hypothek einem Dritten ent⸗
geltlich abgetreten hat;“) der bisherige Gläubiger
iſt alſo z. B., wenn der Umſchreibung auf den
neuen Geldgeber Hinderniſſe entgegenſtehen, dieſem
gegenüber nach $ 440 zu deren Beſeitigung ver⸗
pflichtet.
III. Das Ergebnis dieſer Unterſuchung iſt
hiernach:
1. Beim Hypothekendarlehn braucht der Dar⸗
lehnsgeber die Valuta dem Eigentümer erſt nach
der Eintragung zu zahlen; folglich kommt die
Einigung der Beteiligten über die Beſtellung
der Hypothek darauf hinaus, daß die Eintragung
für eine künftige Forderung erfolgen ſolle, die
(bei Auszahlung der Valuta) als durch die zum
voraus eingetragene Hypothek geſichert gelten
ſoll. Folglich ſchließt die bloße Tatſache, daß
die Valuta bei der Eintragungsbewilligung noch
nicht gezahlt war, die wirkſame Entſtehung des
Hypothekenrechts nicht aus; der Eigentümer muß
vielmehr nachweiſen, daß ihm der Gläubiger auch
nachträglich die Valuta nicht gezahlt habe.
2. Der Erwerber einer Buchhypothek erlangt
das Gläubigerrecht zwar erſt durch die Eintragung;
hat aber der Erwerber ſich dem Eigentümer gegen:
über verpflichtet, die fällige Hypothek durch Be⸗
friedigung des bisherigen Gläubigers zu über:
nehmen, fo iſt er zur Zahlung des Hypotheken—
kapitals verpflichtet gegen bloße Aushändigung
der Abtretungserklärung des bisherigen Glaͤubigers,
vorausgeſetzt, daß dem Verſügungsrecht des letzteren
beachtenswerte Bedenken nicht entgegenſtehen. Nach
der Abtretung iſt zwiſchen dem bisherigen Glaͤu—
biger und dem Erwerber die Rechtslage die
gleiche, wie bei einer Abtretung ohne Zutun des
Eigentümers.
gegen den Eigentümer unberührt bleibt. — Haben
Mitteilungen aus der Praxis.
Zeugengebühren der Feſtbeſoldeten. Bei der Feſt⸗
ſetzung der Zeugengebühren für Angeſtellte oder Ars
beiter mit feſtem Gehalt oder Lohn ergeben ſich in
der Praxis immer noch Schwierigkeiten, deren Aus—
gangspunkt in der Vorſchrift des 8 616 S. 1 BGB.
zu ſuchen iſt. Nach ihr verliert der Angeſtellte oder
Arbeiter ſeinen Anſpruch auf Gehalt oder Lohn gegen⸗
über ſeinem Arbeitgeber dann nicht, wenn er durch
die Beiziehung als Zeuge „für eine verhältnismäßig
nicht erhebliche Zeit“ an der Arbeitsleiſtung verhindert
wird. Dieſe Beſtinmung ſahen manche Gerichte als
eine Vorſchrift zwingenden Rechts an. Demgemäß
10) Vgl. über dieſen Fall Joſef im Recht 08, 741.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
—
erachteten ſie den Arbeitgeber zur Zahlung des vollen
Gehaltes oder Lohnes an ſeine feſtbeſoldeten Ange⸗
ſtellten bedingungslos auch dann für verpflichtet, wenn
dieſe infolge der Erfüllung der Zeugenpflicht während
einer „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ nicht
für ihn arbeiten konnten. Die Folge dieſer Auffaſ⸗
ſung war, daß in ſolchen Fällen den Angeſtellten oder
Arbeitern die Gewährung einer Zeugengebühr grund⸗
ſätzlich verſagt wurde, weil ſie einen Verdienſtausfall
nicht erlitten. Die Vorſchrift liegt aber im Gebiete
des dispoſitiven Rechts. Ihre Anwendung kann von
den Beteiligten durch ausdrückliche oder ſtillſchweigende
Vereinbarung ausgeſchloſſen werden. In einer ge⸗
meinſamen Bekanntmachung d. K. Staatsmin. d. Juſt.
und d. Fin. v. 4. März 1904 (JMBl. 1904 S. 50) iſt
mit Recht hervorgehoben, daß ohne weiteres ange⸗
nommen werden kann, daß nuch dem wahren Willen
der Beteiligten die Anwendung jener Vorſchrift aus⸗
geſchloſſen ſein ſoll, weil weder der Arbeitgeber noch
der Arbeitnehmer ein Intereſſe daran haben kann, daß
die Leiſtung der Zeugengebühren von dem eigentlichen
Schuldner auf den Arbeitgeber abgewälzt wird. Es
wird deshalb in der Bekanntmachung auch als richtig
bezeichnet, wenn die Gerichte in ſolchen Fällen die
Zeugengebühr ohne Rückſicht auf die erwähnte Vor⸗
ſchrift feſtſetzen. Dieſes Verfahren wird unzweifelhaft
den praktiſchen Bedürfniſſen gerecht. Es bewahrt
Arbeitgeber und nehmer vor ungerechtfertigten Schä⸗
digungen. Trotzdem ſetzt in der Praxis mitunter die
Bemängelung ein, obwohl man nach meinem Dafür⸗
halten noch einen Schritt weitergehen und den Feſt⸗
beſoldeten unter gewiſſen Vorausſetzungen ſogar dann
eine Zeugengebühr gewähren muß, wenn nach dem
Willen der Beteiligten die Geltung obiger Vorſchrift
nicht ausgeſchloſſen ſein ſoll, wenn alſo bei Arbeits⸗
verhinderung infolge Zeugſchaftsleiſtung ein Gehalt⸗
oder Lohnabzug nicht ſtattfindet. Dies wird dann ges
ſchehen müſſen, wenn entweder der Angeſtellte oder
Arbeiter die infolge der Vorladung als Zeuge vers
ſäumte Arbeit durch eine geſteigerte Tätigkeit in den
üblichen Geſchäftsſtunden oder durch Fortarbeiten in
Ueberſtunden nachholen muß, oder wenn der Arbeit⸗
geber den vertragsmäßig begründeten Gehalts- oder
Lohnabzug nur um deswillen nicht vornimmt, weil
er den Betrag ſeinem Angeſtellten ſchenken will, ohne
daß er dabei die Abſicht hat, damit den Schuldner
der Zeugengebühr von ſeiner Verpflichtung zur Zah⸗
lung zu befreien. Die gegenteilige Auslegung führt
zu einer Schädigung des Arbeitnehmers und zur Nicht:
achtung des Willens des Arbeitgebers. Ob ſich dieſe
Anſicht durchſetzen wird, ſteht dahin. Anzeichen dafür
ſind vorhanden, wie folgendes Beiſpiel aus der Praxis
zeigt. Einem Buchhalter mit feſtem Gehalt wurde
eine Zeugengebühr bewilligt, weil er in ſeiner Frei—
zeit, die ihm für feine perſönlichen Intereſſen zur Ver—
fügung ſtand, die infolge ſeiner Zuziehung als Zeuge
unerledigt gebliebene Arbeit nachholen mußte und weil
Anhaltspunkte dafür nicht vorlagen, daß die Anwen—
dung der mehrfach erwähnten Vorſchrift nicht aus-
geſchloſſen ſein ſolle. Die Finanzbehörde hat dieſe
Entſcheidung mit Beſchwerde angegriffen, weil der
Buchhalter keinen Verdienſtentgang gehabt habe. In
dem die Beſchwerde abweiſenden Beſchluſſe hat das
Oberſte Landesgericht ausgeführt, „daß dem Zeugen,
der durch ſeine Vorladung verhindert worden iſt, die
ihm obliegenden Arbeiten während der ordnungsmäßi—
gen Geſchäftszeit zu erledigen, dafür, daß er wäh—
333
rend der für die Nacharbeit erforderlichen
Zeit ſich nicht anderweitig betätigen, zum
mindeſten aber ſeinen perſönlichen Inter ⸗
eſſen verſchiedenſter Art nicht nachgehen
konnte, im Sinne d. ZSGebO. und d. MBek. vom
4. März 1904 eine Entſchädigung für Zeitverſäumnis
zuzubilligen war.“
Landgerichtsrat Michel in Frankenthal.
Gerichtlicher Sühnetermin im Privatklageverfahren.
Unter dieſer Spitzmarke hat Doſenheimer S. 260
dieſer Zeitſchrift die Möglichkeit eines nichtöffentlichen
Sühnetermins vor dem Amtsrichter im Privatklage⸗
verfahren wegen Beleidigung (neben dem nach 8 420
StPO. notwendigen Sühneverſuch) für wünſchenswert
erklärt, da der Richter eher imſtande ſei einen Ver⸗
gleich herbeizuführen. Hierzu ſei bemerkt, daß in den
deutſchen Schutzgebieten eine ähnliche Einrichtung be⸗
ſteht, die ſich bewährt hat. Dort iſt nämlich der
Richter (Bezirksrichter, in Kiautſchou der Oberrichter)
für den Vergleichsverſuch nach 8 420 StPO. allgemein
zuſtändig, wenn auch befugt, mit deſſen Vornahme
andere Perſonen zu beauftragen.“) Eine ſolche Re⸗
gelung entſpräche auch dem Reichsſtrafprozeßrechte.
Denn in der Wahl der Vergleichsbehörden ſind den
Landesjuſtizverwaltungen durch 8 420 StPO. keine
Schranken geſetzt, ſodaß auch die Amtsgerichte als
Vergleichsbehörden im Sinne dieſer Geſetzesbeſtimmung
bezeichnet werden können. Geſchähe dies, dann wäre
der Doſenheimer'ſche Vorſchlag in der Haupt⸗
ſache ohne weiteres gegenſtandslos und eine Aenderung
des 8 420 StPO. in dieſem Punkt — abgeſehen von
der Einſchränkung des Abſ. 2 — nicht veranlaßt. Nach
Pfafferoths Jahrbuch der Deutſchen Gerichtsver⸗
faſſung (Berlin 1880) S. 357 f. ſind denn auch tat⸗
ſächlich in einzelnen deutſchen Bundesſtaaten die Amts⸗
richter zu Vergleichsbehörden beſtellt worden, und
zwar in:
a) Mecklenburg⸗Schwerin und ⸗Strelitz, wenn die
Parteien am Sitze des Amtsgerichts wohnen,
b) Reuß ältere Linie und
e) größtenteils in Lübeck, Bremen und Hamburg.
II. Staatsanwalt Dr. Doerr.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Wann endigt die in § 8 EG. 380. zugelaſſene
Möglichkeit ſich in der Neviſions inſtanz durch jeden bei
einem LG. oder OL. zugelaſſenen Rechtsanwalt ver⸗
treten zu laſſen? — Unfallfürſorge des Staates für
Poſtbeamte; Erſatzanſpruch des Staates für feine Auf:
wendungen gegen den Urheber des Unfalls; kaun das
Reichsgericht, wenn der bayeriſche Staat auf Feſtſtellung
dieſes Erſatzanſpruchs klagt, die vom OL. verneinte
Frage nachprüfen, ob ein Betriebsunfall i. S. des bayer.
B. vorliegt? — Keine Zurückverweiſung vom NG.
an das Oberſte LG. — Aus den Gründen: 1. Allerdings
ist die erſte Reviſionsbegründung, welche die materiellen
1) Vgl. mein Deutſches Kolonial-Strafprozeßrecht,
Zeitſchr. f. Kolonialpolitik ꝛc. 1908 S. 668. zu
Note 76 und 76a.
334
Angriffe gegen das Urteil enthält, von dem Prozeß—
bevollmächtigten des Klägers in der Beruſungsinſtanz,
dem Juſtizrat P., unterzeichnet. Nach 8 8 EGG ZPO.
können ſich die Parteien für die bei dem ObèL G. vor⸗
zunehmenden Prozeßhandlungen auch durch jeden bei
einem LG. oder OLG. zugelaſſenen Rechtsanwalt ſo
lange vertreten laſſen, bis das Obe G. über die
Zuſtändigkeit für die Verhandlung und Entſcheidung
der Reviſion Entſcheidung getroffen hat. Für die Ent-
ſcheidung der vorliegenden Reviſion hat ſich das Obs.
durch Beſchluß vom 22. April 1910 für unzuſtändig
erklärt. Die Reviſionsbegründung des Juſtizrats P.
iſt bei dem ObL G. am 22. April 1910 abends 5 ½ Uhr
eingegangen. Es beſteht alſo die Möglichkeit, daß
der Beſchluß bereits gefaßt war, als die Reviſionsbe—
gründung einging. Gleichwohl iſt die Reviſion für
ordnungsmäßig begründet zu erachten. Denn der
Beſchluß vom 22. April iſt dem Juſtizrat P., als
Vertreter des Reviſionsklägers, erſt am 23. April zu⸗
geſtellt worden. Solange aber der Beſchluß dem Res
viſionskläger noch nicht zugeſtellt war (§ 329 Abſ. 3
ZPO.), konnte die Reviſionsbegründung noch bei dem
ObLG. durch den Juſtizrat P. eingereicht werden.
(Urt. des II. ZS., JW. 1908, 144).
2. Die im Betriebe der Poſtverwaltungen beſchäftigten
Betriebsbeamten, deren Gehalt 3000 M nicht überſteigt,
unterliegen nach 81 Ziff. 3 GewllVerſG. der Unfallver⸗
ſicherung. Iſt für Staatsbeamte durch die Landesgeſetz—
gebung gegen die Folgen eines im Dienſt erlittenen Be—
triebsunfalls eine Fürſorge getroffen, die der nach 881
bis 7 UnfFürſG. für Beamte vom 18. Juni 1901 zu ge—
währenden mindeſtens gleichkommt, ſo finden die
reichsgeſetzlichen Beſtimmungen über Unfallverſicherung
nach 8 14 dieſes Geſetzes keine Anwendung. Solchen
Staatsbeamten ſteht wegen eines im Dienſt erlittenen
Betriebsunfalls jedoch ein reichsgeſetzlicher Anſpruch
auf Erſatz des durch den Unfall erlittenen Schadens
nur nach Maßgabe der 88 10 bis 12 UnſFürſG. zu
($ 14 a. a. O.). H. iſt bayeriſcher Staatsbeamter.
Durch das vom OLG. zur Anwendung gebrachte bayer.
Beamtengeſetz vom 16. Auguſt 1908, deſſen Art. 89 ff.
ſich mit den einſchlägigen Beſtimmungen der 88 1—7
des RG. im weſentlichen decken, iſt wie auch das OLG.
annimmt, den bayeriſchen Staatsbeamten eine Für—
ſorge gewährleiſtet, die der nach dem Reichsgeſetze zu
gewährenden gleichkommt. Wieweit ſolchen Staats-
beamten oder deren Hinterbliebenen dritte — in 8 10 des
UnfFürſc. nicht erwähnte — Perſonen für den durch
einen Betriebsunfall erlittenen Schaden haften, beſtimmt
ſich nach 812 Abſ. 3 Satz la. a. O. nach den ſonſtigen
geſetzlichen Vorſchriften. Jedoch geht nach 8 12 Abſ. 3
Satz 2 die Forderung des Entſchädigungsberechtigten
an den Dritten auf die Betriebsverwaltung ſoweit über,
als fie zu den ins 12 Abſ. 1 gedachten Zahlungen auf
Grund dieſes Geſetzes verpflichtet iſt. Der Schadenserſaßz—
anſpruch des H. gegen den Beklagten aus 8 823 BGN.
wegen der ihm zugefügten vorſätzlichen oder fahrläſſigen
Körperverletzung iſt alſo objektiv nach keiner Richtung
beſchränkt. Lediglich in ſubjektiver Beziehung iſt ihm
der Anſpruch ſoweit entzogen und auf den Kläger
übergegangen, als der Klager auf Grund des die
mindeſtens gleichkommende Unfallſürſorge anordnenden
Landesgeſetzes zu den in 8 12 Abſ. 1 gedachten
Zahlungen — Penſionen, Koſten des Heilverfahrens,
Renten — verpflichtet iſt. Nur unter dem Geſichts—
punkt der Aktiv-Legitimation des Klägers kommen
ſonach die 88 10-12 und 14 UnfFürſG. und die Art. 80 ff.
bayer. BG. hier in Betracht. Das O G. iſt nun bei
der Prüfung nach dieſer Richtung zu dem Ergebnis
gelangt, daß der Kläger dem H. auf Grund des bayer.
BG. überhaupt zukeinen Zahlungen wegen des erlittenen
Unfalls verpflichtet iſt oder verpflichtet werden kann,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
weil die erlittene Verletzung ſich nicht als einen im Dienst
erlittenen Betriebsunfall darſtellt. Dieſe Feſtſtellung
iſt ausſchließlich auf Grund des bayer. BG. getroffen
und konnte nur aus dieſem hergeleitet werden, weil
die Frage der Zahlungsverpflichtung des Klägers in
dieſem Geſetze geregelt iſt. Da die Reviſion, ſoweit
über fie vom RG. zu entſcheiden iſt, nach $ 549 ZPO.
in Verbindung mit 88 1 und 6 der Kaiſerl. VO.
vom 28. Sept. 1879 auf die Verletzung bayeriſchen
Landesrechts nicht geſtützt werden kann, iſt die gedachte
Feſtſtellung des OLG. der Nachprüfung durch das RG.
entzogen. Wenn der Reviſionskläger für den Fall,
daß das RG. ſich auf dieſen Standpunkt ſtellen ſollte,
in dem Eventualantrage die Verweiſung der Sache
vor das ObL G. beantragt hat, fo hat er hierbei über⸗
ſehen, daß nach 87 Abſ. 3 EG. ZPO. die Entſcheidung
des Ob. über die Zuſtändigkeit auch für das RG.
bindend iſt, daß daher eine ſolche Zurückverweiſung
der Sache gar nicht in Frage gezogen werden darf.
Da mit der Ausführung des OL G., daß der Kläger
dem H. wegen der erlittenen Verletzung auf Grund
des bayer. BG. keinerlei Zahlungen zu leiſten hat oder
zu leiſten haben wird, zugleich auch der Uebergang des
Schadenserſatzanſpruchs des H. gegen den Beklagten
auf den Kläger verneint iſt, ſo ergab ſich daraus die
Abweiſung der Klage wegen mangelnder Aktiv-Legiti—
mation des Klägers als notwendige Folge. (Urt. des
VI. 35. vom 27. Mai 1911, VI 223/29 10). E.
2.319
II.
Welcher Betrag gebührt als Werterſatz i. S. des 992
Abi. 13386. dem Dritten, deſſen Eigentum an Znbehör⸗
ſtücken durch den Zuſchlag erloſchen iſt? Aus den
Gründen: Der erkennende Senat hat in einem Urt.
vom 12. April 1911 zur Sache R. gegen U. IV. 384/1910
ausgeſprochen, daß als Werterſatz im Sinne des $ 92
Abſ. 1 3G. dem Dritten, deſſen Eigentum an Zubehör—
ſtücken erloſchen iſt, derjenige Betrag gebührt, der zu
dem Geſamterlös in demſelben Verhältniſſe ſteht, wie
der Verkehrswert der fremden Zubehörſtücke zu dem
Verkehrswert der Verſteigerungsgegenſtände, und daß
es auf die Frage nicht ankommt, ob der Erſteher mit
Rückſicht auf die fremden Zubehörſtücke einen höheren
Preis geboten habe, als er ohne die Zubehörſtücke
geboten hätte. Dieſe Auffaſſung, an der feſtgehalten
wird, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Daß der Rechtsvorgänger der Kläger zur Zeit der
Verſteigerung Eigentümer der damals noch auf dem
Gut vorhandenen, zum Wirtſchaftsbetrieb dienenden
26 Stück Rindvieh war, hat das Berufungsgericht
feſtgeſtellt. Zutreffend hat es auch angenommen, daß
das Eigentum an dem Vieh durch den Zuſchlag er—
loſchen und der Anſpruch auf Erſatz des Wertes aus
dem Verſteigerungserlöſe an die Stelle getreten iſt.
Bei den weiteren Ausführungen hat das OLG. nicht
beachtet, daß für den Anſpruch der Kläger in erſter
Linie die Vorſchrift des 8 92 Abſ. 1 maßgebend iſt.
Der Anſpruch des Dritten iſt, wie ſchon in der Ent—
ſcheidung Bd. 8 S. 205 angeführt iſt, ein Eigentums—
anſpruch, ſolange der Verſteigerungserlös. nicht verteilt
iſt; Bereicherungsanſpruch iſt er nur inſoweit, als
Herausgabe des nach § 92 dem Dritten gebührenden,
aber an die Gläubiger bereits ausgezahlten Betrages
gefordert wird. Die Grundſätze über ungerechftfertigte
Bereicherung kommen alſo inſoweit noch nicht in Be—
tracht, als es ſich darum handelt zu ermitteln, wie groß
der Anteil iſt, der dem Dritten an dem Verſteigerungs—
erlöje gebührt oder gebührte. Gewiß iſt richtig, daß.
wie das Beruſungsgericht betont, der Dritte einen
Anſpruch nur inſoweit erheben kann, als in dem Ver—
ſteigerungserlös der Erlös für feine Sachen ſteckt.
Aber mit dem Schuldner und ſeinen Gläubigern ver—
halt es ſich ebenſo; auch die Gläubiger konnen einen
Anſpruch nur inſoweit erheben, als in dem Ver—
ſteigerungserlös der Erlös für die Gegenſtände des
Schuldners ſteckt. Es liegt daher kein Grund vor
dem Dritten den Nachweis aufzubürden, ob und wie—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
335
viel der Erſteher gerade mit Rückſicht auf die fremden
Zubehörſtücke geboten habe. Ob der Erſteher ſich
darüber Gedanken gemacht hat oder nicht, kann von
keiner Bedeutung ſein, falls nicht der Wert der fremden
Zubehörſtücke durch Abgabe und Annahme eines
beſonderen Gebotes feſtgeſtellt wird. Dem Berufungs—
gericht kann nicht zugegeben werden, daß es eine
Unbilligkeit gegen die Gläubiger iſt, wenn von ihnen
verlangt wird, daß fie den Wert der Sachen heraus⸗
geben, die ſie veräußern ließen, ohne daß ihnen ein
Recht daran zuſtand. Ebenſowenig kann dem Be⸗
rufungsrichter beigetreten werden, wenn er noch mit
der Erwägung, der Verſteigerungserlös habe etwa
10 000 M mehr betragen, als das Grundſtück ein⸗
ſchließlich der fremden Zubehörſtücke wert geweſen fei,
und der Erſteher fei bereit geweſen weitere 10000 M
zu bieten, die Abweiſung des Klaganſpruchs begründen
zu können glaubt. (Urt. des IV. ZS. vom 15. Mai 1911,
IV 574/1910). E.
23336
III.
Unter welchen Voransſetzungen können der Vorſtand
und der Borfitzende des Auſſichtsrates einer Aktienge⸗
ſellſchaft für den Schaden verantwortlich gemacht werden,
der daraus entſteht, daß eine irrtümlich an Diele ſtatt
an einen Dritten geleiſtete Zahlung zum Vorteile der
Geſellſchaft verwendet wird? Wer iſt der Geſchädigte?
Der Kaufmann G., der bis Ende Mai 1905 Direktor
der Aktiengeſellſchaft G. & J. war, hatte im Februar
1905 dem Kläger drei Aktien der Geſellſchaft für 3000 M
verkauft und ihn erſucht, den Kaufpreis auf ſein Konto
bei der MBank in B. einzuzahlen. Der Kläger zahlte
am 19. Juni 1905, nach ſeiner Angabe verſehentlich,
die Summe auf das Konto der AG. G. & J. bei der
genannten Bank ein; die AG. hob den Betrag ab und
verwendete ihn zur Tilgung von Forderungen, die
ihr angeblich gegen G. zuſtanden. Sie geriet in Kon⸗
kurs. Der Kläger erhielt für ſeine Forderung auf
Erſtattung der 3000 M aus der Konkursmaſſe 600 M;
er nimmt auf Erſtattung des Reſtes die beiden Bes
klagten in Anſpruch, von denen C. Vorſtand, A.
Vorſitzender des Aufſichtsrates der AG. war. Das LG.
hat die Klage abgewieſen, das OLG. abändernd den
Klageanſpruch gegenüber C. unbedingt, gegenüber A.
bedingt für den Fall dem Grunde nach für gerecht—
fertigt erklärt, daß er einen ihm auferlegten Eid über
die Mitteilung des Sachverhalts an ihn durch den Be—
klagten C. nicht leiſten werde.
Aus den Gründen: A. Die Reviſion des C.
macht geltend, daß durch ſein Verhalten nur G. ge—
ſchädigt ſein könne, nicht aber der Kläger; daß ferner
zu Unrecht eine vorſätzliche Schädigung des Klägers
durch C. angenommen worden ſei: ſeine Handlungs—
weiſe, insbeſondere die Unterlaſſung einer Rückfrage
beim Kläger über den Zweck der Einzahlung, ſtelle nur
eine Fahrläſſigkeit dar; der Kläger habe im Konkurſe
der AG. eine Dividende nur als Zeſſionar des G. ge—
fordert und erhalten; daraus gehe hervor, daß G.
die Zahlung des Klägers als für ſeine Rechnung er—
folgt angeſehen und anerkannt habe. Dieſe Angriffe
verſagen. Das Berufungsgericht nimmt an, daß C.
den vom Kläger eingegangenen Betrag der Kaſſe der
AG. zuführte, obwohl er im Zweifel war, ob und auf
welchen Rechtsgrund hin ſie das Geld für ſich ver—
einnahmen dürfe. Die Vermögenslage der AG. fei
ſchlecht und C. ſich bewußt geweſen, daß die AG. vor—
ausſichtlich nicht in der Lage ſein würde, das Geld
zurückzuzahlen, wenn ſeine Zweifel ſich dahin löſen
würden, daß ſie nicht berechtigte Empfängerin des Geldes
ſei. Der einzige und naheliegende Weg, die Sache
klar zu ſtellen, wäre eine Rückfrage bei dem Kläger
geweſen. In der Unterlaſſung dieſer Anfrage erblickt
das OLG. ein Beweismoment dafür, daß C. die Wahr:
heit nicht ermitteln wollte, ſondern darauf ausging,
unbekümmert um Rechte Dritter den an die AG. ge—
langten Geldbetrag auf jeden Fall dieſer zu erhalten.
Das find tatſächliche Feſtſtellungen, die der Reviſion
nicht zugänglich find, und von denen aus die Rechts-
auffaſſung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte
der ſkrupelloſen Ausnutzung des Irrtums eines Dritten
ſich ſchuldig gemacht habe, die gegen die guten
Sitten i. S. des §S 826 BGB. verſtoße, nicht zu bes
anſtanden iſt. Zutreffend hat auch das OLG. ange⸗
nommen, daß die durch die argliſtige Handlungsweiſe
des C. geſchädigte Perſon der Kläger, nicht etwa G.
ſei. Wenn jemand eine Zahlung anſtatt an ſeinen
Gläubiger irrtümlich an einen Dritten leiſtet, ſo
hat er keine Zahlung geleiſtet und wird von ſeiner
Schuld nicht frei; und daran ändert es auch nichts,
wenn der Dritte die Zahlung als eine ſolche jenes
Gläubigers an ihn in Empfang nimmt. Deshalb iſt
es für die Stellung des Klägers zu der AG. G. & J.
und zu den Beklagten auch ganz ohne Belang, ob, wie
die Beklagten behaupten, G. die Handlungsweiſe der
Beklagten genehmigt habe, indem er die Zahlung als
für ſeine Rechnung erfolgt anerkannt und für ſeine
daraus hervorgehenden Anſprüche gegen die AG. an
den Kläger abgetreten habe. Nur eine Genehmigung
des Klägers zu der Verfügung, die die Beklagten
für die AG. über feinen Vermögensgegenſtand ge—
troffen haben, würde die Rechtslage verändern. Eine
ſolche liegt aber nicht in der Entgegennahme der Abs
tretung der etwaigen Forderung des G. gegen die
AG., die ja unſtreitig geſchehen iſt. Es iſt ſelbſtverſtänd⸗
lich, daß der Kläger alle Wege beſchreitet, die ſich ihm
bieten um zu ſeinem Rechte zu kommen. Der Kläger
hat ſeinen Standpunkt feſtgehalten, daß er die Rück⸗
zahlung des Betrages von der AG. zu fordern be-
rechtigt ſei; weil dieſe zahlungsunfähig geworden iſt,
verlangt er Schadenserſatz von den Beklagten als den
Perſonen, die widerrechtlich feine Gelder dem Ver⸗
mögen der AG. zugeführt haben. Wenn er ſich da⸗
neben auch die etwaige Forderung, die auf Grund des—
ſelben Tatbeſtandes vielleicht G. gegen die AG. er⸗
heben könnte, hat übertragen laſſen, weil möglicher:
weiſe der Konkursverwalter und auch die Gerichte
— wie auch im gegenwärtigen Rechtsſtreite das Ge—
richt erſter Inſtanz — der Meinung ſein könnten, nicht
der Kläger, ſondern G. ſei gegenüber der AG. an⸗
ſpruchsberechtigt, fo enthält dieſes Verhalten des Klä⸗
gers keine rechtliche Anerkennung des Geſchehenen und
ebenſowenig einen Verzicht auf die Erhebung des
Schadenserſaßanſpruches gegen die Beklagten.
B. Soweit die Ansführungen des Berufungsge—
richts eine Haftung des Beklagten A. für den dem
Kläger erwachſenen Schaden betreffen, geben ſie zu
rechtlichen Bedenken Anlaß. Der für die AG. han—
delnde Vertreter, der durch feine Verfügungen die AG.
berechtigte und verpflichtete, der auch allein dem Ver⸗
mögen der AG. durch feine Handlungen Werte zu—
führen konnte, war der Beklagte C. A. mochte als
Vorſitzender des Aufſichtsrats einen vielleicht maß—
gebenden Einfluß auf die Geſchäfte der AG. ausüben;
ſelbſt vornehmen konnte er ſie nicht. Seine beein—
fluſſende Tätigkeit konnte danach für die widerrecht—
liche Verfügung des C. über den dem Kläger gehöri—
gen Vermögenswert nur den rechtlichen Charakter der
Anſtiftung oder der Beihilfe haben (8 830 Abſ. 2 BGB.),
der bewußten Beteiligung an einer fremden unerlaub—
ten Handlung. Die Anſtiftung erfordert eine Tätig—
keit, die den Willensentſchluß des Dritten zur Begehung
der unerlaubten Handlung ſubjektiv und objektiv ur—
ſächlich beſtimmt; die Beihilfe ſetzt zwar (vgl. RGRſpr.
6, 416; 9, 149; RGSt. 21, 93) dieſe urſächliche Be—
deutung der Handlung des Gehilfen für die Begehung
der unerlaubten Handlung nicht voraus, verlangt
aber eine Tätigkeit, die die Ausführung des von dem
Haupttäter gefaßten Entſchluſſes zur Begehung der
Tat zu fördern bezweckt. Wenn die Tatſachen feſt⸗
geſtellt worden wären, die der Kläger hinſichtlich der
336
Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
Mitwirkung des A. nach den Tatbeſtänden des erſten
wie des zweiten Urteils behauptet hat, daß nämlich
dieſer durch ſeinen Einfluß einen Beſchluß des Auf⸗
ſichtsrats herbeigeführt hätte, das Geld des Klägers
einzubehalten, ſodaß der C., zwar immerhin ſelbſt für
ſeine Handlung verantwortlich, doch nur ausgeführt
hätte, was auf Betreiben des A. der Aufſichtsrat be⸗
ſchloſſen hatte, dann wäre der Tatbeſtand der An—
ſtiftung offenbar gegeben. Dieſe Tatſachen ſind aber
vom Berufungsgerichte nicht für erwieſen erachtet
worden. Eine bloße Zuſtimmung des Beklagten A.
zu der von C. geäußerten Einbehaltungsabſicht, wie
fie der dem A. auferlegte Eid dartun oder mider-
legen ſoll, erfüllt dieſen Tatbeſtand, ja ſelbſt auch den
der Beihilfe, nicht ohne weiteres; fie iſt an ſich recht⸗
lich bedeutungslos. Hatte C. ſeinen Entſchluß zur
Zeit der Zuſtimmungserklärung des A. bereits gefaßt,
dann kann eine Gehilfenſchaft des letzteren in Frage
kommen; ſeine Zuſtimmung muß jedoch dann nicht
als bloße gutachtliche Aeußerung über ein ihm an ſich
gleichgültiges geſchäftliches Vorhaben des C. erklärt
worden ſein, ſondern in der Abſicht, die Ausführung
des Entſchluſſes des C. zu fördern, dieſen bei der Aus:
führung zu unterſtützen. Hat anderſeits C dem A.
die Angelegenheit vorgetragen, um zu einem Ent⸗
ſchluſſe hinſichtlich der Behandlung des eingegangenen
Geldbetrages zu gelangen, den er bis dahin noch nicht
gefaßt hatte, dann kann allerdings die Zuſtimmung
des A. als Anſtiftung zu der rechtswidrigen Einbe—
haltung des Geldes durch C. ſich darſtellen, jedoch nur,
wenn fie den C. zum Entſchluſſe der Tat wicklich be⸗
ſtimmt hat und wenn zugleich A. den Vorſatz hatte,
in C. durch ſeine Meinungsäußerung den Entſchluß
zu der unerlaubten Handlung hervorzurufen. Alles
dies bedarf jedoch der Feſtſtellung, die das Berufungs—
gericht unterlaſſen hat. Es wird ſich darüber eine
Ueberzeugung bilden müſſen, welchen Tatbeſtand es
für gegeben erachtet, wenn der Beklagte A. den ihm
zugeſchobenen Eid leiſtet oder verweigert. (Urt. des
VI. 35. vom 12. Juni 1911, VI 281/1911). E.
2329
IV.
Entſprechende Anwendung des 5 254 BGB. auf die
Ausgleichung zwiſchen mehreren Geſamtſchuldnern, ins:
beſondere auf den Erſatzauſpruch des auf Grund des
Haftpfl. in Anſpruch genommenen Eiſenbahnnnter.
nehmers gegen den, der durch Fahrläſſigkeit den Unfall
verſchuldet hat. Bei einem Zufammenitoße zwiſchen
einem Motorwagen der von der Klägerin betriebenen
Straßenbahn und dem ihm entgegenfahrenden, vom
Beklagten gelenkten Kraftwagen wurden auf dem
Straßenbahnwagen der Motorſührer H. und der Fahr:
gaſt P. verletzt. P. hat die Klägerin auf Grund des
Haftpflichtgeſetzes auf Schadenserſatz in Anſpruch ge—
nommen. Im gegenwärtigen Progeſſe verlangt fie
die Feſtſtellung, daß der Beklagte verpflichtet ſei, ihr
für ihre Schäden aus dem Zuſammenſtoße, insbeſondere
für Entſchädigungen aufzukommen, die ſie an P. zu
zahlen hat. Das LG. hat der Klage teilweiſe, das
OLG. ganz ſtattgegeben, das RG. die Reviſion des
Beklagten zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Der Beklagte hat den
auf die Fälle zu beſchränken,
Zuſammenſtoß des Automobils mit dem Motorwagen
verſchuldet und zwar dadurch, daß er zu raſch gefahren
iſt, angeſichts des Straßenbahnwagens der Vorſchrift
zuwider ſeine Schnelligkeit nicht vermindert und bei
der Schlüpfrigkeit des Bodens infolge ſeines unvor—
ſichtigen Fahrens die Gewalt über das Fahrzeug ver—
loren hat, während andererſeits der Führer des Motor—
wagens durch rechtzeitiges Bremſen den Wagen zum
Stehen gebracht hatte. Das Berufungsgericht beurteilt
das Verſchulden des Beklagten als ein ſchweres, wo:
gegen die Betriebsgefahr der Bahn nur in verhältnis—
mäßig geringfügigem Maße neben jenem Verſchulden
zu dem Unfalle mitgewirkt habe. Mitgewirkt habe
allerdings die Betriebsgefahr um deswillen, weil das
Gebundenſein des ſchweren Motorwagens an die Eiſen⸗
ſchienen dem Führer ein ſeitliches Ausweichen gegen⸗
über dem Automobil unmöglich machte. Der Beklagte
ſtellt ſeine Schuld an dem Unfalle nicht in Abrede,
iſt auch wegen Vergehens gegen § 316 Abſ. 1 des
StGB. rechtskräftig zu einer Geldſtrafe verurteilt
worden; er beſtreitet ferner nicht, der Klägerin für die
ihr durch deren Haftpflicht aus dem Unfalle erwach⸗
ſenen Schäden haftbar zu ſein und will nur — unter
Berufung auf § 840 Abſ. 1 und 8 426 BGB. — feine
Haftung auf die Hälfte beſchränkt wiſſen. — Das
Berufungsgericht würde nun, wie es ausführt, kein
Bedenken haben, für den Fall, daß die Parteien allein
ſich als an ſich erſatzpflichtiger Schuldner und als
durch den Unfall unmittelbar Beſchädigter gegenüber⸗
ſtänden, in Anwendung des 8 254 BGB. das Ver⸗
ſchulden des Beklagten für fo ſchwer und feine Be»
deutung als Urſache des Unfalls für ſo überwiegend
gegenüber der von der Klägerin zu vertretenden Bes
triebsgefahr anzuſehen, daß es dem Beklagten einen
Schadenserſatzanſpruch an die Klägerin ganz verſagen
und umgekehrt der Klägerin einen Anſpruch auf vollen
Erſatz ihres Schadens zuſprechen würde. Zum gleichen
Ergebniſſe ſei aber auch für den Ausgleichungsanſpruch
der Klägerin zu gelangen. Die Beſtimmung des 8 254
BGB. gelte auch für die Fälle des 8 840 BGB. und
demgemäß werde die Regel der Verpflichtung der Ge⸗
ſamtſchuldner unter ſich nach gleichen Anteilen dann un⸗
anwendbar, wenn nach dem Grundſatze des 8 254 der
eine im Verhältnis zum andern als der allein Schadens⸗
erſatzpflichtige ſich kennzeichne. Es liege dann ein Fall
des zweiten Halbſatzes des erſten Satzes in Abſ. 1 des
8 426 vor: „ſoweit nicht ein anderes beſtimmt ift“.
Die Reviſion beſtreitet, daß die Rechtsauffaſſung des
Vorderrichters dem Geſetze entſpreche. Der 8 254 BB.
habe doch nur das Verhältnis zwiſchen dem Beſchädigten
und dem zum Schadenserſatz Verpflichteten im Auge,
nicht aber den Fall des Ausgleiches zwiſchen zwei zum
Schadenserſatze als Geſamtſchuldner Verpflichteten. Hier
ſeien beide Parteien aus dem gleichen Rechtsgrunde,
nämlich aus einer unerlaubten Handlung haftbar. Die
Vorſchrift des 8 840 Abſ. 3 BGB. ſei, wie auch der Be⸗
rufungsrichter anerkenne, auf die Haftung aus 8 1 des
Haftpfl6., die als eine ſolche aus unerlaubter Handlung
aufgefaßt werden müſſe, nicht anwendbar. Alsdann
aber wären die Parteien im Verhältniſſe zueinander
zu gleichen Teilen verpflichtet und es läge hier der
Fall nicht vor, daß „ein anderes beſtimmt iſt“. —
Dieſe Bedenken ſind nicht berechtigt. Die Frage, ob
die Vorſchrift des 8 254 BGB. entſprechende Anwen—
dung auf die Ausgleichung zwiſchen mehreren Ge—
ſamtſchuldnern nach 8 426 BGB. zu finden habe, iſt
vor kurzem vom erkennenden Senate bejahend ent—
ſchieden worden in dem Urt. vom 22. Dez. 1910 VI
610.09, RG3. 75, 25 ff. Dieſes Urteil betraf gleich—
falls einen Ausgleichungsanſpruch nach Maßgabe der
ss 840, 426 BGB. Allerdings ſtanden dort die beiden
Geſamtſchuldner als Mieter und Vermieter in einem
Vertrags verhältniſſe zueinander. Aber die grund—
ſätzlichen Ausführungen jener Entſcheidung ſind nicht
wo dem einen Geſamt—
ſchuldner die Verletzung einer Vertragspflicht gegen
den anderen zur Laſt fällt. J. S. des 8 426 Abſ. 1
Satz 1 BGB. kann „ein anderes“ als die Verpflichtung
zu gleichen Anteilen „beſtimmt“ ſein auch durch das
Geſetz oder die Natur des beſonderen Rechtsverhält—
niſſes. Und eine ſolche andere geſetzliche Regelung
darf namentlich in den Beſtimmungen des 8 254 BGR.
gefunden werden, deren Anwendung auf das Rück—
griffs verhältnis zwiſchen den Geſamtſchuldnern durch
die Gleichheit des Grundes und die Bedeutung des
Regelſatzes über die gleichmäßige Verteilung des
Schadens als einer bloßen Hilfs regel, übrigens auch
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
nach dem Geſichtspunkte der Billigkeit gerechtfertigt
iſt (vgl. Oertmann, Recht der Schuldverh. 8426 Anm. 2f.
3.14. Aufl. S. 359, 8 840 Anm. 2 S. 1126). Das muß
auch für den Ausgleichungsanſpruch des aus 8 1
Haftpfl. ſchadenserſatzpflichtigen Eiſenbahnunterneh⸗
mers gelten. Dem ſteht nicht entgegen, daß dieſe
Haftung als eine ſolche aus unerlaubter Handlung
im weiteren Sinne zu betrachten, und daß auf ſie das
in 8 840 Abſ. 3 BGB. zugunſten der nach SS 833
bis 838 BGB. Haftpflichtigen geſchaffene Ausnahmerecht
nicht auszudehnen iſt (RG Z. 53, 114; 58, 114; 61, 63).
Keinesfalls iſt dies von Bedeutung in einem Falle,
wo wie hier der Eiſenbahnunternehmer neben einem
nicht wegen bloßer Gefährdungshaftung, ſondern aus
eigentlichem Delikte Schadenserſatzpflichtigen haftet.
Im vorliegenden Falle könnte ſogar, wie auch vom
Reviſionsbeklagten angeregt worden iſt, in Frage
kommen, ob nicht abgeſehen von 88 426, 254 BGB.
der Beklagte von der Klägerin aus dem Grunde auf
Erſatz des vollen durch den Unfall verurſachten Schadens
in Anſpruch genommen werden kann, weil er durch
fahrläſſige Gefährdung des Eiſenbahntransportes den
Haftpflichtfall für die Klägerin herbeigeführt hat, daher
ſofern 8 316 StGB. als ein Schutzgeſetz auch zugunſten
des Bahnbetriebsunternehmers anzuſehen iſt, der Kläge⸗
rin unmittelbar nach § 823 Abſ. 2 BGB. ſchadens⸗
erſatzpflichtig wäre. Indes bedarf es der Heranziehung
dieſes Geſichtspunktes nicht, da die Beſtimmungen in
88 426, 254 BGB. ausreichen, um eine gerechte Aus⸗
gleichung mit demſelben Ergebniſſe zu ermöglichen.
Uebrigens mag noch auf die inzwiſchen in $ 17 Kraft⸗
fahrzG. vom 3. Mai 1909 — insbeſondere in Abſ. 2
daſ. — hinſichtlich der Schadensausgleichung zwiſchen
dem Kraftfahrzeughalter und dritten Erſatzpflichtigen,
auch dem Eiſenbahnunternehmer, getroffenen Beſtim⸗
mungen hingewieſen werden, die zwar an ſich auf den
gegenwärtigen Fall nicht Anwendung finden, denen
aber gleichfalls das dem 8 254 BGB. entnommene
Prinzip zugrunde liegt. Vgl. inſoweit Eger, Komm.
zu dem erwähnten Geſetze, Anm. 125 S. 414 f. Recht⸗
lich durchaus einwandfrei hat aber das Berufungs⸗
gericht hier dem gegenüber der Betriebsgefahr der
Straßenbahn kauſal weit überwiegenden Verſchulden
des Beklagten die Bedeutung beigemeſſen, daß der
Beklagte im Verhältniſſe der Parteien den ganzen
Schaden allein zu tragen und dementſprechend der
Klägerin zu erſetzen habe. Die Reviſion hat noch ein⸗
gewendet, es ſei nicht richtig, daß der Unfall allein
durch das Verſchulden des Beklagten herbeigeführt
worden ſei; nach der eigenen Feſtſtellung des Be⸗
rufungsurteiles habe ja die von der Klägerin zu ver⸗
tretende Betriebsgefahr zu dem Unfalle mitgewirkt.
Gewiß iſt dieſe Gefahr für den — zweifellos bei dem
Betriebe der Eiſenbahn (Haftpfl ö. 8 1) eingetretenen
— Unfall mitverurſachend geweſen; aber ein verur-
ſachendes Verſchulden liegt lediglich bei dem Be⸗
klagten, nicht bei der Klägerin vor. Und der 8 254
BGB., welcher gerade eine beiderſeitige Beteiligung
an der Kauſalität vorausſetzt, begründet in ſeiner An⸗
wendung auf das Rückgriffsverhältnis der Urheber
des Schadens je nach den Umſtänden des Falles nicht
bloß eine Teilung, ſondern den Rückgriff auf den
vollen Erſatz. (Urt. des VI. 35S. vom 19. Juni 1911,
VI 383/1910). E.
3231
V.
Kaun im Falle der Streitgenoſſenſchaft das Urteil
egen einen Teil der Beklagten von der Leiſtung eines
ides abhängig gemacht werden, der von einem anderen
Streitgenoſſen geleiſtet werden ſoll, für die Entſcheidung
gegen dieſen ſelbſt aber ohne Bedeutung iſt? — Un:
wendung des 5 826 BGB. auf die Schädigung durch
Erteilung einer unrichtigen Auskunft; Erfordernis des
Bewußtſeins von ihrer Unrichtigkeit. — Mitwirkendes
Verſchulden des um die Auskunft Nachſuchenden. Aus
7
337
den Gründen: 1. Für den Fall, daß der Kläger
den ihm auferlegten richterlichen Eid leiſten werde,
hat das Berufungsgericht den Beklagten P. dem
Grunde nach zur Leiſtung der Hälfte des beanſpruchten
Schadenerſatzes an den Kläger verurteilt; es hat
jedoch dem ſolchergeſtalt verurteilten P. des weiteren
einen richterlichen Eid auferlegt, bei deſſen Leiſtung
auch den anderen Beklagten gegenüber der Klage⸗
anſpruch in der gleichen Höhe dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt, bei deſſen Verweigerung die Klage
dieſen Beklagten gegenüber abgewieſen werden ſoll.
Ueber dieſe Eidesauflage beſchweren ſich ſowohl P.,
der den Eid leiſten ſoll, obwohl er für die Ent⸗
ſcheidung des Rechtsſtreits ihm gegenüber ohne jede
Bedeutung iſt, als auch die anderen Beklagten, deren
Verurteilung von ſeiner Leiſtung abhängig gemacht
iſt. Sie erachten ſämtlich dieſe Eidesauflage für
prozeßrechtlich unzuläſſig. Dieſe Rüge iſt begründet.
Die deutſche ZPO. kennt keine zeugenſchaftliche Ver
nehmung der Parteien zur Sache überhaupt; das Be⸗
weismittel des Eides, des zugeſchobenen wie des
richterlichen, iſt ſeinem Weſen nach zwar auch ein
Zeugnis der Partei, aber lediglich und ausſchließlich
ein Zeugnis in eigener Sache; die zum Eide zuge⸗
laſſene Partei ſoll durch die Leiſtung des Eides
Zeugnis für, durch deſſen Weigerung Zeugnis gegen
ſich ablegen; ſie ſoll durch ihre Eidesleiſtung ihre
eigenen Behauptungen ſtützen oder von denen des
Gegners ſich befreien. Gewiß kann nach 8 476 ZPO.
der richterliche Eid bei mehreren Streitgenoſſen allen
oder einem oder einigen mit Wirkung für alle auf⸗
erlegt werden; aber er muß für den Schwurpflichtigen
ſelbſt etwas zu bedeuten haben; er muß für die Ent⸗
ſcheidung ſeines Rechtsſtreits als Beweismittel dienen
(RG. 60, 259). Indem das Berufungsgericht dem
Beklagten P. einen Eid auferlegt hat, der nicht zu
ſeiner eigenen Entlaſtung, ſondern ganz allein zur
Belaſtung ſeiner Streitgenoſſen dienen ſoll, hat es
die rechtliche Natur des Beweismittels des Eides nach
dem Beweisſyſtem der ZPO. verkannt.
2. . geht das Berufungsgericht davon
aus, daß im gegebenen Falle eine Haftung der Be-
klagten für den durch die erteilte Auskunft dem Kläger
erwachſenen Schaden nur auf der Grundlage des
8 826 BGB. ausgeſprochen werden kann, wonach zum
Schadenserſatze verpflichtet iſt, „wer in einer gegen
die guten Sitten verſtoßenden Weiſe einem anderen
vorſätzlich Schaden zufügt“. Die Anwendung des
8 826 auf die Haftung für eine erteilte Auskunft ſetzt
voraus, daß die in der Auskunft kundgegebenen Tat⸗
ſachen objektiv unwahr ſind, daß der die Auskunft
Erteilende dieſer Unwahrheit ſich bewußt war, daß er
alſo die Auskunft wider beſſeres Wiſſen in dieſer
Weiſe erteilte, und daß er ſich ferner bewußt war,
daß die Auskunft einen ſchädlichen Erfolg für den
Auskunftsempfänger haben werde oder doch haben
könne, im letzteren Falle, wenn er dieſen möglichen
Erfolg in ſeinen Willen aufgenommen und für den
Fall ſeines Eintrittes gebilligt hat. Endlich muß die
Handlungsweiſe des Auskunfterteilenden ſittlich ver—
werflich fein, dem Anſtandsgefühl aller billig und gerecht
Denkenden“ zuwiderlaufen (vgl. Warneyer, Rechtſpr.
1908 Nr. 49, 214 und 518; JW. 1905 S. 369 Nr. 8;
RG. 48, 114; 58, 214, 219; 63, 146 u. a.). Ohne
das im gegebenen Fall insbeſondere ſtreitige Bewußt—
ſein des Auskunfterteilenden von der Unwahrheit
ſeiner Mitteilung iſt von Ausnahmefällen grober Ver—
letzung einer Berufspflicht abgeſehen, wo auch bei
bloßer gröbſter Fahrläſſigkeit der Tatbeſtand des 8 826
BGB. gegeben fein kann (RG. 72, 175), eine vorſätz⸗
liche Schädigung des Auskunftsempfängers nicht denk-
bar. Zwar iſt der Satz nicht an ſich unrichtig, den
das OLG. unter Berufung auf eine Entſcheidung des
RG. (Gruchots Beitr. 39, 849 — unter der Herrſchaft des
alten Rechts ergangen) aufſtellt: „argliſtig handelt
Zgeitſchrift für Rechtspflege in
auch, wer Unwahres als wahr und als ſeine Ueber⸗
zeugung hinſtellt, ohne von der Wahrheit überzeugt
zu ſein“. Allein dabei iſt die Grenze zwiſchen einer
bloßen Fahrläſſigkeit, die vorliegt, wenn der Auskunft⸗
erteilende bei gehöriger Sorgfalt zur Erkenntnis der
Unwahrheit ſeiner Mitteilung hätte gelangen müſſen,
aber nicht gelangt iſt, und der Vorſätzlichkeit, bei der
das Erkennenmüſſen auch zu einem wirklichen Erkennen
geworden iſt, genau im Auge zu behalten. Das gilt
zumal da, wo es ſich nicht um eine Mitteilung von
Tatſachen, ſondern um die Aeußerung eines Urteiles
z. B. über die Kreditwürdigkeit oder die Zuverläſſig⸗
keit einer Perſon handelt, das auf Grund von Zats
ſachen gewonnen werden muß. Würde in allen Fällen,
in denen jemand bei reiflicher Ueberlegung, bei An⸗
wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
(8 276 BGB.), zu der Ueberzeugung von der Unrichtig—
keit der von ihm gegebenen Auskunft hätte gelangen
müſſen, auch zu folgern ſein, daß die Auskunft auch
wirklich ſeiner Ueberzeugung nicht entſprochen habe,
ſo würde eine fahrläſſig falſche Auskunft kaum mehr
denkbar ſein. In dem vom Berufungsgericht ange—
führten Urteile des RG. war feſtgeſtellt worden, daß
der Mitteilende von der Richtigkeit ſeiner Mitteilung
nach Lage der Umſtände des Falles unmöglich über:
zeugt ſein konnte. Solche Umſtände, die den Tat⸗
beſtand aus dem Gebiete des fahrläſſigen Handelns
herausheben, müſſen vorliegen und feſtgeſtellt werden.
Mit Recht wird in einem neueren Urteile des RG.
(V. 8S., JW. 1911 S. 213 Nr. 7) unter Hinweis auf
frühere Entſcheidungen desſelben Senats ausgeſprochen,
daß in der beſtimmten Behauptung beſtimmter, dem
Behauptenden nicht genau bekannter Tatſachen unter
Umſtänden Argliſt (dolus eventualis) gefunden werden
könne, daß es dazu aber, da in ſolchen Fällen der
Regel nach nur Fahrläſſigkeit vorliegen werde, des
Nachweiſes beſonderer Umſtände bedürfe, die eine Arg⸗
lift erkennen laſſen.) Das gilt noch mehr bei der
Aeußerung von Urteilen auf Grund nicht migeteilter
Tatſachen. Zwiſchen einem leichtfertig gewonnenen
und ausgeſprochenen Urteile und einem mit Bewußt
ſein ohne Ueberzeugung abgegebenen Urteile iſt wohl
zu unterſcheiden; nur das letztere ſtellt ſich als arg—
liſtige Handlung im Sinne des 8 826 dar. Wer über
eine Perſönlichkeit oder über eine Sache, von denen
er eigene Kenntnis nicht beſitzt, ein Urteil gewinnen
will, wird ſich nach der Geſamtheit des ihm vor—
liegenden Materials richten und richten müſſen unter
Abwägung des Gewichtes, das den einzelnen Stücken
dieſes Materials zukommt. Wenn von mehreren über
eine dritte Perſon befragten Perſonen, die unterrichtet
ſein konnten, nur eine gerüchtweiſe einer Verfehlung
oder böſen Eigenſchaft erwähnt, während die übrigen
ſich lediglich günſtig äußern, ſo wird der Fragende
unter Umſtänden wohl berechtigt ſein, jenes eine Ge—
rücht als für die Bildung ſeiner Ueberzeugung un—
maßgeblich beiſeite zu laſſen; jedenfalls kann, wenn
er der Meinung iſt, kein Gewicht darauf legen zu
müſſen, nicht von einer Vorſätzlichkeit unwahrer Aus—
kunftserteitung, ſondern nur von einer Fahrläſſigkeit
die Rede ſein. Ja, wenn die befragten Perſonen die
Geſchäftsinhaber ſelbſt ſind, unter deren Augen die
zu beurteilende Perſon tätig geweſen iſt, und denen
die beſte Kenntnis über ſie zuzutrauen iſt, und wenn
dieſe günſtig ausſagen über ihren früheren Ange—
ſtellten, ſo wird der Regel nach die Außerachtlaſſung
der einen unbeſtimmten ungünſtigen Mitteilung nicht
einmal ein Fahrläſſigkeitsverſchulden darſtellen.
3. Die Beklagten haben den Einwand des mit—
wirkenden eigenen Verſchuldens des Klägers erhoben.
Das Berufungsgericht hat den Einwand als gerecht—
fertigt anerkannt und deshalb den Kläger mit der
Hälfte ſeines Anſpruches abgewieſen. Es erblickt das
1) Vgl. dazu auch die in Nr. 13 dieſes Jabrqanas der Zeit—
ſchrlit auf S. 28. ff. abgedruckte Eniſcheidung des vl. 32.
Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
mitwirkende Verſchulden des Klägers darin, daß er
bei ſeiner Anfrage in keiner Weiſe auf die Höhe der
von ihm beabſichtigten Beteiligung an dem Geſchäfts⸗
unternehmen des H. hingewieſen und dadurch einer
leichtfertigen Behandlung der Angelegenheit durch die
Beklagten ſelbſt den Boden geebnet habe. Die Be⸗
klagten verlangen, daß das eigene Verſchulden des
Klägers höher bewertet werde und meinen, daß die
Annahme eines ſolchen Verſchuldens auch weiter da⸗
durch begründet werde, daß der Kläger überhaupt in
ſeiner Anfrage nicht zum Ausdrucke gebracht habe,
daß es ſich um eine Auskunft über die Kreditwürdig⸗
keit des H. handle, und ferner, daß er, obwohl er
neben den günſtigen auch ungünſtige und nur be⸗
ſchränkt günſtige Auskünfte über H. erhalten habe,
dennoch mit ſo hohen Summen an deſſen Unternehmen
ſich beteiligt habe. Indeſſen konnten und mußten die
Beklagten die Wahrſcheinlichkeit in Betracht ziehen,
daß eine Kreditgewährung an H. in Frage ſtehe;
außerdem beſtand nur die Möglichkeit, daß der Kläger
den H. in ſeinem Geſchäft anſtellen wolle; beide Fälle
waren ins Auge zu faſſen; die Erſatzpflicht der Be⸗
klagten aus § 826 BGB. iſt aber nicht davon abhängig,
daß ſie die Art des Schadens vorausſahen, den der
Kläger erleiden konnte. Ein Verſchulden des Klägers
iſt in dieſer Richtung nicht anzuerkennen. Der zweite
von den Beklagten geltend gemachte Geſichtspunkt
kommt nicht in Frage, wenn gerade ihre günſtige
Auskunft dem Kläger das Vertrauen eingegeben hat,
dem H. in verhältnismäßig hohem Betrage Kredit zu
gewähren. Mit Recht geht im übrigen das Berufungs-
gericht zu dieſem Punkte davon aus, daß das BGB.
grundſätzlich auch gegenüber vorſätzlichen Schädigungen
die Beachtung eines mitwirkenden auf Fahrläſſigkeit
beruhenden Verſchuldens des Beſchädigten nicht aus
ſchließt, wenngleich in der Regel die Abwägung des
Fahrläſſigkeitsverſchuldens gegenüber dem auf Borfag
beruhenden zu dem Ergebniſſe führen wird, daß wegen
des erſteren eine Minderung der Erſaßpflicht des
Schädigers nicht auszuſprechen iſt (RG. Z. 69, 277;
JW. 1908 S. 9 Nr. 10, Warn. Rechtſpr. 1908 Nr. 446
und namentlich 1911 Nr. 64). Jedenfalls kann es
daher nicht für rechtsirrtümlich angeſehen werden,
wenn das Berufungsgericht das Fahrläſſigkeitsver⸗
ſchulden des Klägers nicht höher als zur Hälfte des
Schadens bewertet hat. (Urt. des VI. 35. vom
27. Mai 1911, VI 371/1910). E.
2330
VI.
Kann eine offene Handelsgeſellſchaft wegen einer
Fahrläſſigkeit i. S. des § 136 Gewunf BG. von der De:
rufsgenoſſenſchaft für die Handlungen ihrer Vertreter in
Anſpruch genommen werden? Aus den Gründen:
Es iſt richtig, daß eine offene HG., die keine phyſiſche
Perſon iſt, keine unerlaubte Handlung, wie ſie § 136
im Auge hat, begehen kann. Damit iſt jedoch für die
Beklagte nichts gewonnen. Nach 8136 Abſ. 1 S. 1
und 2 haften Betriebsunternehmer, wenn fie den Uns
fall durch ſogenannte qualifizierte Fahrläſſigkeit herbei—
geführt haben, für die Aufwendungen der Berufsge—
noſſenſchaft auch ohne Feſtſtellung durch ſtrafgericht—
liches Urteil. In § 136 Abſ. 2 iſt beſtimmt, daß eine
Handelsgeſellſchaft für die durch einen der Liquida—
toren herbeigeführten Unfälle haftet. Hieraus iſt nicht
etwa der Schluß zu ziehen, daß die Handelsgeſellſchaft
während ihres Beſtehens für die durch einen Ver—
treter verſchuldeten Unfälle nicht hafte, ſondern im
Gegenteil, daß der Geſetzgeber dieſe Haftung als ſelbſt—
verſtändlich vorausgeſetzt hat und nur den vielleicht
zweifelhaften Fall, wenn die Handelsgeſellſchaft nach
ihrer Auflöfung ſich in Liquidation befinde, regeln
wollte, und zwar gleichfalls dahin, daß ſie auch dann
für die durch ihre geſetzlichen Vertreter d. ſ. die Liqui—
datoren verurſachten Unfälle aufzukommen habe. Jene
Vorausſetzung gruͤndet ſich auf die ſtändige Recht—
Beitfgeift für ___Beitfärift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17 in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
ſprechung des RG., wonach namentlich die offene Hans
delsgeſellſchaft für unerlaubte Handlungen, die ein
vertretungsberechtigter Geſellſchafter in Ausführung
einer ihm zuſtehenden Verrichtung verübt, verantwort⸗
lich iſt (RG. 46 18 und Zit.; für das neue Recht: VI
16/05, 393/05, 292/06, 62/07 "vgl. § 903 des Entw. zur
ABO.) Die Unfallverhütungsvorſchriften der Klä⸗
gerin befehlen den Betriebs unternehmern, die Kreis⸗
ſägen mit Schutzhauben zu verſehen. Betriebsunter⸗
nehmer waren die Teilhaber der Beklagten. Dieſe
haben die Anbringung einer Schutzhaube unterlaſſen
und damit die beſondere Aufmerkſamkeit, zu der ſie
vermöge ihres Gewerbes verpflichtet waren, außer
Augen geſetzt. Daß die Teilhaber vertretungsberech⸗
tigte Geſellſchafter waren, iſt von der Beklagten nie
beſtritten worden. Das OLG. ſtellt weiter feſt, daß
die Vertreter der Beklagten den Unfall und zwar auch
die tödliche Verletzung eines Arbeiters als Folge
ihres Verhaltens vorausſehen konnten. Die Vertreter
der Beklagten haben ſonach den Unfall durch Fahr⸗
läſſigkeit i. S. des 8 136 herbeigeführt. Für dieſe un⸗
erlaubte Handlung haftet aber die offene Handels⸗
geſellſchaft. (Urt. des VI. 38S. vom 22. Juni 1911,
VI 331/1910). E.
2320
VII.
Anwendung der 88 823 oder 826 BGB. zugunſten
der Gläubiger, die durch eine von ihrem Schuldner
mit einem anderen Gläubiger insgeheim abgeſchloſſene
Sicherungsübereignung geſchädigt worden find. Der
Kaufmann V., Inhaber eines Teppich- und Linoleum⸗
geſchäftes, bezog ſeinen Bedarf an Linoleum ſeit dem
Jahre 1904 von der mitverklagten Aktiengeſellſchaft D.
auf Kredit. Zur Sicherung ihrer Forderungen ſchloß
dieſe am 1. Januar 1908 mit V. einen Sicherungs—
vertrag, wodurch V. auf die Geſellſchaft ſein geſamtes
Teppich⸗ und Läuferſtofflager zu Eigentum übertrug,
das ihm gleichzeitig von der Geſellſchaft zum kom⸗
miſſionsweiſen Verkaufe überlaſſen wurde; V. erkannte
weiterhin an, daß er alle Teppiche und Läuferſtoffe, die
er, wenngleich im eigenen Namen, erwerben werde,
tatſächlich für die Geſellſchaft erwerbe. Im Juni 1909
iſt über das Vermögen des V. der Konkurs eröffnet
worden. Die Klägerin hat dem V. im Jahre 1908
Bankkredit gewährt, woraus ihr ſchließlich ein Gut⸗
haben von 30556 M 15 Pf zuſtand. Sie hat im
gegenwärtigen Rechtsſtreit den V. und die Geſellſchaft
D. als Geſamtſchuldner auf Bezahlung der genannten
Summe belangt mit der Behauptung, daß fie gemein⸗
N durch jene, vor den anderen Gläubigern des
V. geheim gehaltenen Abmachungen in betrüglicher
und gegen die guten Sitten verſtoßender Weiſe die
Klägerin geſchädigt hätten. Gegen V. erging in erſter
Inſtanz Verſäumnisurteil. Der Klage gegen die Geſell—
ſchaft D. gab das LG. ſtatt, das OLG. wies fie ab;
das RG. hat dieſes Urteil aufgehoben.
Aus den Gründen: Das tatſächliche Vor—
bringen der Klägerin iſt in Verbindung mit dem bereits
feſtgeſtellten Sachverhalt hinreichend ſchlüſſig, um die
Handlungsweiſe der Beklagten D. wenn nicht als
Teilnahme an einem Betrug im ſtrafrechtlichen Sinn
(StB. 8 263, BGB. § 823 Abſ. 2) fo doch als eine
ſittenwidrige Schädigung (BGB. § 826) zu kennzeichnen.
Für die Frage aber, ob eine ſolche unerlaubte Hand—
lung dargetan oder erweislich ſei, hat das OLG. den
Sachverhalt nicht erſchöpfend und nicht überall rechtlich
zutreffend gewürdigt. Es hat wohl nicht verkannt,
daß bei einer frauduloſen, nach den Vorſchriften der
KO. oder des AnfG. anfechtbaren Benachteiligung der
Gläubiger unter Umſtänden mit dem ee e
anſpruche auch ein Schadenserſatzanſpruch nach SS 823
oder 826 BGB. gegenüber dem dritten Teiluehmer
an jener Handlung konkurrieren kann, wenn nämlich
die Rechtshandlung über den bloßen Anfechtungstat—
beſtand hinausgehend die Merkmale einer unerlaubten
339
Handlung nach 88 823 oder 826 erfüllt. Das iſt ins⸗
beſondere der Fall, wenn eine betrügliche Täuſchung,
eine argliſtige Verſchleierung der den Gläubiger
ſchädigenden Machenſchaften, hinzutritt; doch iſt das
nicht der einzige für die Anwendung des § 826 BGB.
in Betracht kommende Fall (RGZ. 74, 225 ff.). Hier
handelt es ſich bei dem Verhalten der beiden Beklagten
keineswegs bloß darum, daß der Beklagten D. in
frauduloſer Weiſe eine Vorzugsſtelle vor den übrigen
Gläubigern verſchafft worden wäre, ſondern gerade
auch um Machenſchaften der eben erwähnten Art. —
Das Berufungsurteil verfährt nun darin nicht richtig,
daß es ausgehend von den vielleicht über das Ziel
teilweiſe hinauslaufenden Ausführungen der Klägerin
über die Wirkung des Vertrags vom 1. Januar 1908
und die Abſicht der Beteiligten hierbei lediglich unter
dem Geſichtspunkte eines hiernach aufgeſtellten ab—
ſtrakten Vorderſatzes den Sachverhalt daraufhin prüft,
ob hier eine unerlaubte Handlung der Beklagten nach⸗
gewieſen ſei. Der Tatbeſtand des $ 826 BGB. konnte
im konkreten Falle auch durch eine weniger weit—
reichende Abſicht und Wirkung erfüllt ſein. So kommt
es namentlich nicht bloß darauf an, daß mit dem
fraglichen Abkommen ausſchließlich die Befriedigung
der Beklagten D. bezweckt wurde, nur zu ihren Gunſten
die Erſchleichung von Deckungsmitteln geplant und
ausgeführt worden iſt, mit der Folge, daß alle anderen
Gläubiger ganz oder doch im weſentlichen unbefriedigt
blieben. Sollte nach der Abſicht der Beteiligten das
Geſchäft des V. wenigſtens zunächſt noch weitergeführt
werden, ſo verſtand es ſich von ſelbſt, daß in der
Zeit nach dem 1. Januar 1908 noch Zahlungen an
andere Gläubiger wie auch an die Klägerin ſelbſt
erfolgten. Das ſchloß aber eine betrüglich oder in
unlauterer Weiſe herbeigeführte Schädigung der
Klägerin nicht aus. Das weſentlichſte Moment für
die Beurteilung der Handlungsweiſe der Beklagten
liegt in der rechtlichen und wirtſchaftlichen Bedeutung
des Vertrages vom 1. Januar 1908. Die Bedeutung
dieſes Abkommens war nach dem Inhalte des Ver-
trages unverkennbar die, daß durch die Uebereignung
des geſamten Teppich⸗ und Läuferſtofflagers, der vor:
handenen wie der zugekauften Beſtände an die Be⸗
klagte D. in Verbindung mit der ſchon im Jahre 1904
vereinbarten Abtretung der Ausſtände, ferner durch
die Beſtimmung, daß das Lager dem V. nur mehr
zum kommiſſionsweiſen Verkaufe überlaſſen blieb unter
Einrichtung einer Kontrolle der beklagten Aktiengeſell—
ſchaft über den Geſchäftsbetrieb, das V.'ſche Geſchäft
in dieſem ganzen Umfange nach dem aktiven Beſtande
auf die Beklagte D. übertragen wurde. Wenn außer⸗
dem, wofür die Klägerin Beweis angeboten hat, auch
das Linoleum dem V. von der Beklagten nur mehr
unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurde, ſo war
damit tatſächlich mindeſtens auf abſehbare Zeit hinaus
das Geſchäft vollſtändig in der Hand der beklagten D.,
V. aber wäre faktiſch aus der Stellung des ſelb⸗
ſtändigen Geſchäftsinhabers in die eines Kommiſſionärs
der Geſellſchaft oder wohl eher eines von ihr durch—
aus abhängigen Geſchäftsführers zurückgetreten. Nach
außen dagegen behielt, wie nach dem Klagevorbringen
und den Ausführungen des LG. zu unterſtellen iſt,
das V.'ſche Geſchäft ganz fein altes Geſicht und handelte
der Inhaber der Firma nach wie vor als ſcheinbar
verfügungsberechtigter Geſchäftsherr, der als ſolcher
weiterhin auch Kreditgeſchäfte mit Dritten einging. Wurde
durch Verheimlichung des wirklichen Sachverhalts bei
dritten Kreditgebern ein Irrtum über die Vermögens—
lage und die Kreditverhältniſſe des V. erregt oder
unterhalten, dann lag darin eine betrügliche oder
doch ſittenwidrige Täuſchung. Es liegt auf der Hand,
daß in den Augen der Geſchäftswelt die Kredit—
würdigkeit eines Kaufmanns in der erheblichſten Weiſe
verringert, wo nicht vollſtändig vernichtet wird, wenn
er ſich auf Sicherungsübereignungen und Transaktionen
Forderungen oder andere Vermögensſtücke des Auf:
traggebers abſichtlich zum Nachteile desſelben verfügt
hat. Durch die Verfügung muß alſo die Vermögens—
lage des Auftraggebers gegenüber ihrem bisherigen
Beſtand verſchlechtert worden ſein. Dies trifft regel⸗
mäßig dann nicht zu, wenn Schulden, die auf dem Ver⸗
mögen laſten, aus den Beſtandteilen des Vermögens ge—
tilgt werden, da der Veräußerung von Vermögensſtücken
die Befreiung von einer Verbindlichkeit ausgleichend
gegenüber tritt. Nach den Feſtſtellungen des ange—
fochtenen Urteils hat nun der Angeklagte als Geſchäfts—
führer einer G. m. b. H. vertragswidrig auf „Finanz⸗
wechſel“ d. h. Akzepte dritter Perſonen, die ihm von
den Akzeptanten zur Erhöhung des Betriebskapitals
ſeines früheren, von der Geſellſchaft m. b. H. über⸗
nommenen Geſchäfts überlaſſen worden waren, und
deren Einlöſung nach dem Geſellſchaftsvertrag Privat—
ſache des Angeklagten ſein ſollte, aus Mitteln der
Geſellſchaft die Summe von etwa 7000 M abbezahlt,
nachdem er vorher widerrechtlich bei notwendig ge—
wordenen Prolongationen der Wechſel die Geſellſchaft,
ſei es als Ausſtellerin, ſei es als Akzeptantin der
neuen Wechſel durch Abgabe der ihm zuſtehenden
Unterſchrift der Firma verpflichtet hatte. Rechtlich
zutreffend hat die Strafkammer den Angeklagten für
die hierdurch bewirkte Belaſtung des Geſellſchaftsver—
mögens aus § 266 StGB. ſtraftrechtlich nicht verants
wortlich gemacht. Dieſes Vergehen ſetzt eine Ver—
fügung über beſtimmte Vermögensſtücke voraus. Eine
dem 8 312 HGB. entſprechende Strafbeſtimmung aber
enthält das Geſetz vom 20. Mai 1898 nicht. Haftete
nun die Geſellſchaft in formell gültiger Weiſe aus den
Wechſeln infolge des Vertrauensbruchs des Angeklagten
wechſelmäßig für Zahlung der Wechſelſummen (Art. 8
und 22 WO.), fo iſt nicht erſichtlich, weshalb der
Angeklagte dadurch, daß er dieſe Verbindlichkeiten der
Geſellſchaft als ihr geſetzlicher Vertreter aus ihrem
Barbeſtand bereinigte, über die dazu verwendeten
Geldſtücke abſichtlich zum Nachteile der Geſellſchaft
verfügt haben ſollte. Der Nachteil, den er der Geſell—
ſchaft durch ſein eigennütziges Vorgehen bei Herſtellung
der Wechſel durch Leiſtung der Firmenunterſchrift ver—
urſacht hatte, blieb beſtehen. Ihm gegenüber ſtellte
die Erfüllung des Wechſelverſprechens keine neue Ver—
mögensbeſchädigung dar, jedenfalls ſolange nicht, als
die Zahlung durch eine andere Perſon ſich als nicht
durchführbar erwies. Nach dem ganzen Zuſammen—
hang der Urteilsgründe aber muß angenommen werden,
daß der Angeklagte ſelbſt und wohl auch die Perſonen,
die neben der Geſellſchaft die Wechſel unterſchrieben
hatten, damals nicht imſtande waren die Wechſel
auszulöſen. Daher beſteht zur Zeit wenigſtens kein
genügender tatſächlicher Anhalt dafür, daß der An—
geklagte durch abſichtliche Unterlaſſung der ihm ob—
gelegenen erforderlichen, mindeſtens möglicherweiſe
von Erfolg begleiteten Schritte Zahlung auf andere
Weiſe als durch Inanſpruchnahme des Geſellſchafts—
vermögens beizubringen ein die Geſellſchaft bewußt
ſchädigendes Verhalten an den Tag gelegt hätte, wie
auch dafür ſich nichts aus dem Urteil beibringen läßt,
vaß der Angeklagte ſchon bei Eingehung der Wechſel—
verbindlichkeiten für die Geſellſchaft es darauf abge—
ſehen gehabt hätte zu ihrer ſeinerzeitigen Bereinigung
ausſchließlich das Vermögen der Geſellſchaft heran—
zuziehen. Anderſeits gibt die Heranziehung des weiteren
rechtlichen Geſichtspunktes der Unterſchlagung zu dem
Bedenken Anlaß, daß jeder nähere Nachweis dafür
fehlt, worin die rechtswidrige
Geſellſchaft gehörigen Gelder durch den Angeklagten
erblickt werden konnte, wenn dieſer nur als ihr Ver—
treter ihre Gelder dazu benutzte, ſie von ihren Wechſel—
verbindlichkeiten zu befreien. (Urt. des J. StS. vom
12. Juni 1911, 10 400 1911). E.
2.42
K — — —
Zueignung der der,
|
III.
1. Strafbarkeit der Vorſtandsmitglieder einer ein⸗
getragenen Genoſſenſchaft wegen Unterlaſſung des An:
trags auf Konkurseröffnung. — 2. Urkundenfälſchung:
zum Begriffe des Gebrauchmachens zum Zweck einer
Täuſchung (Veröffentlichnng der mit einer gefälſchten
Unterſchrift verſehenen Bilanz); die Bilanz als beweis⸗
erhebliche Urkunde. Aus den Gründen: 1. Zwar
ſtellt die Strafkammer feſt, daß die Ueberſchuldung
des Konſumvereins im Jahre 1910 den Betrag der
Haftſummen aller Genoſſen (Mitglieder) „um mehr als
die Hälfte überſtieg“, jedenfalls mehr als ein Viertel
aller Haftſummen betrug. Sie irrt aber rechtlich, wenn
ſie, wie es im Urteile geſchieht, ſchon hieraus die ge⸗
ſetzliche Verpflichtung der Vorſtandsmitglieder herleitet,
die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen.
Nach 8 140 Gen. tritt die Verpflichtung hierzu nur
ein, wen ſich eine ſolche Ueberſchuldung aus der
Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Jahres auf—
geſtellten Bilanz ergibt. Darüber, ob dieſe Voraus—
ſetzung in einem Einzelfalle erfüllt iſt, entſcheiden dann
dieſelben rechtlichen Geſichtspunkte, die in dem Urteile
des erkennenden Senats Entſch. 44, 48 (51/52) für die
entſprechenden Fälle des 8 240 HGB. und 8 64 Abſ. 1
Gef. betr. die G. m. b. H. vom „ ail e erörtert
20. Mai 1808
ſind. Allein das angefochtene Urteil enthält keinerlei
Feſtſtellung, daß für das Jahr 1910 oder in ihm eine
Bilanz der bezeichneten Art überhaupt aufgeſtellt
worden iſt, aus der ſich die Ueberſchuldung i. S. des
Geſetzes hätte ergeben können. 2. Das Begriffsmerk⸗
mal des Gebrauchmachens zum Zwecke einer Täuſchung
iſt darin verwirklicht gefunden, daß der Angeklagte
durch die Veröffentlichung der mit der gefälſchten Unter—
ſchrift des F. verſehenen Bilanz in dem Kreisblatt
„das Publikum und insbeſondere die Genoſſen in den
Glauben verſetzt habe, es liege eine mit dem Abdruck
übereinſtimmende, feine und F.s echte Unterſchriften
tragende Urſchrift vor“; er habe fie auch in dieſen
Glauben verſetzen wollen. Das iſt rechtsirrig. Der
Abdruck kann nur einer Abſchrift gleichgeſtellt werden.
Nur von dieſer iſt nachgewieſen, daß ſie als ſolche dem
Publikum und den Genoſſen unmittelbar zugänglich
gemacht wurde. (Entſch. 23, 249 [251]). Zwar ſetzt
das Gebrauchmachen nicht unbedingt voraus, daß die
Urkunde dem zu Täuſchenden unmittelbar vorgelegt
wird. Andererſeits genügt aber keinesfalls die bloße
Behauptung, daß eine Urkunde der bezeichneten Art
vorhanden ſei, auch dann nicht, wenn die Behauptung
dahin geht, daß der Behauptende ſie im Beſitz habe,
oder wenn zur Bekräftigung alles deſſen eine Abſchrift
vorgelegt wird. Erforderlich iſt vielmehr einmal, daß
die Urkunde ſelbſt zum Gegenſtande des Gebrauchs
gemacht wird, ſodann daß tatſächlich und nach dem
Willen desjenigen, auf deſſen Seite das Gebrauch—
machen in Frage kommt, die Möglichkeit und
Gelegenheit geboten wird, die Urkunde als ſolche
einzuſehen, daß ſie m. a. W. dem zu Täuſchenden in
dieſer Weiſe bereit geſtellt iſt (RGSt. 16, 228;
27, 184; 41, 144 [146/147])). Nach dieſer Richtung
ſind aus der wiedergegebenen Begründung irgend—
welche tatſächliche Feſtſtellungen nicht zu entnehmen.
Andrerſeits erklärt die Strafkammer zwar, daß der
Angeklagte nicht „bezweckt“ habe, die Schriftleitung
des Kreisblattes, alſo diejenigen Perſonen, denen er
nach dem Urteilsinhalte die Urſchrift vorgelegt hatte,
„zu täuſchen?. Dieſe — an ſich tatſächliche — An⸗
nahme erſcheint aber von Rechtsirrtum beeinflußt. Nach
dem Zuſammenhange mit der auf die Beweiserheblich—
keit der Bilanz bezüglichen, unmittelbar vorhergehenden
Begründung muß die wiedergegebene Stelle offenbar
dahin verſtanden werden, daß der Angeklagte nicht
bezweckt habe, die Schriftleitung über die Richtigkeit
des Bilanzinhalts zu täuſchen. Darauf kommt es aber
für die Frage, ob er von der Bilanz als Urkunde zum
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
— Ä —
Zwecke einer Täuſchung Gebrauch gemacht hat, nicht
an. Entſcheidend war vielmehr in erſter Linie, ob er
über die Echtheit der Urkunde täuſchen wollte. (Entſch.
29, 357 [359]; 32, 56). Hierzu kann er durch ans
dere Erwägungen tatſächlicher Art, als durch die
Abſicht, über den Inhalt der Urkunde zu täuſchen, be-
wogen worden ſein. So kann es genügen, daß er ſich
vorſtellte, die Schriftleitung würde Bedenken tragen,
die Bilanz abzudrucken und zu veröffentlichen, wenn
ſie wüßte, daß die eine Unterſchrift gefälſcht ſei (Entſch.
5, 438 [441 Abſ. 2] in Verbindung mit Entſch. 32, 56).
Ob die Schriftleitung nachweisbar getäuſcht worden iſt,
ob ſie ſich insbeſondere über Echtheit oder Unechtheit
tatſächlich irgendwelche Vorſtellungen gebildet hat,
darauf würde es hierbei nicht ankommen. Die Straf:
kammer hat bei ihrer Sachbeurteilung erſichtlich unter
dem Einfluß einer zu engen Auffaſſung von der Bes
weiserheblichkeit der Bilanz als Urkunde geſtanden.
Es braucht hier nicht zu der Frage Stellung genommen
zu werden, ob, wie im Urteile geſchieht, dieſe Beweis-
erheblichkeit ſchon damit allein begründet werden kann,
„daß die Urſchrift der Bilanz als Ausweis über
das Vermögen der Genoſſenſchaſt diene“. Die
rechtliche Bedeutung der Bilanz liegt jedenfalls u. a.
darin, daß fie zumal bei geſetzmäßig erfolgter Unter—
zeichnung (8 17 Abſ. 2 GenG., 8 41 Abſ. 1 Satz 1
GB., RGSt. 8, 424 [427]), beweiſen kann und be⸗
weiſt, der zu ihrer Aufſtellung Verpflichtete habe der
ihm unter öffentlich-rechtlichen Geſichtspunkten auf—
erlegten Pflicht Genüge geleiſtet die Bilanz zu ziehen
und ſich und gegebenenfalls auch anderen in der ge—
ſetzlich ſo vorgeſchriebenen Weiſe eine Ueberſicht
über den in Betracht kommenden Vermögenszuſtand
zu verſchaffen (vgl. 8 17 Abſ. 2 a. a. O., 8 244 in
Verb. mit 85 239 —241 KO.). Mindeſtens in dieſem
Sinne iſt fie zum Beweiſe von Rechten und Rechts-
verhältniſſen erheblich (RG St. 24, 210 [214]; 32, 56;
40, 78 [79 Abſ. 1 a. E.]). Die Strafkammer durfte
ſich daher keinesfalls, wie fie getan, bei der Beur—
teilung des Sachverhalts auf die Prüfung der Frage
beſchränken, ob Grund zu der Annahme vorliege, daß
der Angeklagte die Schriftleitung über die Richtigkeit
des Bilanzinhalts habe täuſchen wollen. (Urt.
des V. StS. vom 26. Mai 1911, 5 D 336/1911). E.
2324
IV.
1. Urkundenfälſchung: ſteht der Annahme der rechts⸗
widrigen Abſicht der Umſtand entgegen, daß die Abſicht
des Täters auf einen materiell nicht rechtswidrigen
Erfolg gerichtet war?
2. Betrug: liegt eine Vermögensbeſchädigung i. S.
des § 263 StGB. vor, wenn ein Geldgeber für fein
Darlehen die Sicherheit nicht erhält, die er durch die
Verpfändung eines Sparlaſſenbuchs erhalten ſollte?
Aus den Gründen: 1. Beide Reviſionen ſtützen
ihre Angriffe in erſter Linie darauf, daß, wie das
Urteil dahingeſtellt läßt, der Angeklagte W. nach dem
für feine Ehe geltenden Güterſtande berechtigt geweſen
ſei, über das Sparkaſſenguthaben feiner Ehefrau zu
verfügen oder ſich doch dazu für berechtigt gehalten
habe. Sie glauben daraus folgern zu konnen, daß
er berechtigt geweſen ſei die von ihm mit dem Namen
ſeiner Frau unterzeichnete Urkunde auszuſtellen, in—
haltlich deren Dr. F. und L. ermächtigt wurden, das
„Sparkaſſenbuch“ der Frau W. zu „beleihen“. Das
iſt rechtsirrtumlich und beruht auf einer Verkennung
des Weſens der Urkundenfälſchung. Denn das beſteht
im Mißbrauch eines falſchen urkundlichen Beweis—
mittels zur Führung eines urkundlichen Beweiſes im
Rechtsleben unter Taͤuſchung über Echtheit oder Un—
verfälſchtheit des Beweismittels, nicht aber in der
Verletzung fremden materiellen Rechts. Nicht dieſes,
ſondern die Beweiskraft der Urkunde ſoll durch die
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gegen die Urkundenfälſchung gerichtete Strafdrohung
geſchütt werden. Deshalb erfordert das zum Tat⸗—
beſtand der Urkundenfälſchung gehörige Merkmal der
rechtswidrigen Abſicht nicht den Willen einen materiell
rechtswidrigen Erfolg herbeizuführen, ſondern den
und nur den Willen die falſche Urkunde im rechtlichen
Verkehr als Beweismittel zu benutzen, durch ihre Be⸗
weiskraft auf einen anderen einzuwirken. Im übrigen
kommt es auf den mit der Fälſchung verfolgten Zweck
nicht an, die Fälſchung bleibt auch dann ſtrafbar,
wenn der Täter dadurch einen erlaubten Zweck er⸗
reichen wollte, weil ein Recht, durch das Mittel der
Fälſchung dieſen Zweck zu erreichen, nicht beſteht, und
wenn der Täter ſich darüber im Irrtum befunden hat,
wenn er geglaubt hat, man dürfe falſche Urkunden
gebrauchen um ein Recht auszuüben oder einen be⸗
rechtigten Zweck zu verfolgen, ſo iſt das ein Irrtum
auf ſtrafrechtlichem Gebiete, der keine Berückſichtigung
finden kann — RGStS. 17, 200; 21, 69; 23, 249; 35,
117 (119); 37, 83 (87). Danach iſt es für die Frage,
ob die Angeklagten ſich der Urkundenfälſchung ſchuldig
gemacht haben, völlig gleichgültig, ob W. berechtigt
geweſen iſt oder ſich für berechtigt gehalten hat das
Sparkaſſenbuch ſeiner Frau zu verpfänden, da er auch
dann nicht berechtigt geweſen wäre zum Zwecke der
Verpfändung die Einwilligung ſeiner Frau zur Ver—
pfändung falſch anzufertigen, dieſer Urkunde den Schein
zu verleihen, als wäre ſie von ſeiner Frau ausgeſtellt,
während ſie tatſächlich von ihm ausgeſtellt iſt. Das
hat er getan, denn nach der Feſtſtellung der Straf—
kammer hat er die Urkunde mit dem Namen ſeiner
Frau unterſchrieben und von ſeiner Frau die Ge—
nehmigung nicht gehabt für ſie die Urkunde zu unter—
ſchreiben und hat auch ihr Einverſtändnis dazu nicht
vorausſetzen können.
2. Das LG. hält eine Vermögensbeſchädigung für
gegeben, weil W. . . s das Darlehn nur gegen Sicher:
heit habe hergeben wollen, in Wahrheit aber dieſe
Sicherheit nicht erhalten habe, nämlich weil Frau W.
nicht, wie der Angeklagte dem W. .. 8 vorgeſpiegelt
hatte, in die Verpfändung ihrer Forderung einge—
willigt hatte. Das iſt rechtsirrig. Eine Vermögens—
beſchädigung i. S. des 8 263 StGB. liegt nur dann
vor, wenn das Vermögen des Getäuſchten objektiv
gemindert iſt, wenn ein dem Getäuſchten nachteiliger
Unterſchied eingetreten iſt zwiſchen dem Geldwerte,
den ſein Vermögen nach und infolge der durch die
Täuſchung hervorgerufenen Verfügung tatſächlich hatte,
und demjenigen Geldwerte, den es gehabt hätte, wenn
die Täuſchungshandlung nicht vorgekommen wäre —
RG St S. 16, 1 (3). Deshalb genügt es zur Annahme
einer Vermögensbeſchädigung nicht, daß der Getäuſchte
weniger erhält, als ihm verſprochen war — RG StS. 42,
58 (bl). Mit der Feſtſtellung des LG., daß W. . . 8
die Sicherheit nicht erhalten hat, die er erhalten wollte,
iſt alſo das Tatbeſtandsmerkmal der Vermögens—
beſchädigung nicht nachgewieſen, ganz abgeſehen davon,
daß dieſe Feſtſtellung nicht bedenkenfrei iſt, weil das
LG. die Frage offen gelaſſen hat, ob W. zur Ver—
fügung üver die Sparkaſſeneinlage feiner Frau, alſo
auch über das Sparkaſſenbuch, befugt war. Denn
wäre dieſe Frage zu bejahen, fo hätte W. . . 8s die
Sicherheit, die er haben wollte, auch erhalten. Ob
das wirklich eine Sicherheit geweſen wäre, hat das
LG. gleichfalls unerörtert gelaſſen. Ware die Ver—
pfändung des Sparkaſſenbuchs, von dem allein in dem
Urteil die Rede iſt, ſchlechthin unwirkſam geweſen,
auch mit Einwilligung der Frau W. (RG. 68, 277
(282), jo würde auch die Annahme des vom Geſetz
geforderten urſächlichen Zuſammenhangs zwiſchen der
Täuſchungshandlung der Angeklagten und der Be—
ſchädigung des Vermögens des W. . . s Bedenken unter—
liegen; denn die Vermögensbeſchädigung wäre, wenn
ſie überhaupt eingetreten iſt, auch eingetreten, wenn
die Urkunde, über deren Echtheit der Angeklagte den
344
W. . . s getäuſcht hat, echt geweſen wäre, der Ange⸗
klagte den W. .. 8 alſo nicht getäuſcht Hätte. (Urt.
des I. StS. vom 8. Mai 1911, J D 271/1911).
2343
VI.
Schwurgerichtl. e e für Preßvergehen in
Bayern. Aus den Gründen: Nach Art. 35 AG.
GVG. urteilen in Bayern die Schwurgerichte über die
mittels eines Preßerzeugniſſes (8 2 Pre$®.) verübten
Verbrechen und Vergehen. Die dem Angeklagten zur
Laſt gelegten Vergehen des Betrugs ſind aber durch
den Abſchluß von Verträgen mit den Geſchädigten
verübt worden. Daß dabei auch Preßerzeugniſſe,
nämlich die Anzeigen, welche die zu Schädigenden
heranlocken und „den Betrug einleiten“ ſollten, mit
in Betracht kommen, macht die Straftaten des An⸗
geklagten nicht zu ſolchen, die mittels eines Preß—
erzeugniſſes verübt worden ſind. Vgl. die Urt. des
erk. Senats D 546/08, 189/10, 122/10. Noch weniger
iſt dies deshalb der Fall, weil die Verträge auf
mechaniſch vervielfältigten Formularen verlautbart
fein ſollen. Denn fie find keine „zur Verbreitung be—
ſtimmten Vervielfältigungen“, alſo keine Preßerzeug—
niſſe im Sinne des § 2 PreßG. und des Art. 35 AG.
GVG. (Urt. des I. StS. vom 24. Mai 1911, ID
439/1911). E.
2335
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
.. Eine Auflaſſung, die mit dem Vertrag über Ber:
änßerung von Grundſtücken an einen Güterhändler ver:
bunden iſt, wird nicht dadurch wirkungslos, daß der
Veräußerer von dem Vertrage nach Art. 5 des bayer.
Güterzertr. zurücktritt. Der Kaufmann H. vertauſchte
am 15. März 1911 in notarieller Urkunde das An—
weſen Hs.⸗Nr. 50 in L. an die in allgemeiner Güter—
gemeinſchaft lebenden Bauerseheleute Anton und Anna
A. gegen deren Anweſen Hs.-Nr. 34 in F. Die Urkunde
enthält auch die Auflaſſungserklärungen der beiden
Vertragsteile und deren Eintragungsbewilligungen und
Eintragungsanträge. Am 18. Marz reichte Anton A.
bei dem Notariate die ſchriftliche Erklärung ein, daß
er auf Grund des Art. 5 GüterzertrG. von dem Tauſch-
vertrage zurücktrete. Am 20. März erſchienen H. und
die Eheleute A. bei dem Notariate und ließen die „bei
gleichzeitiger Anweſenheit“ abgegebenen Erklärungen
beurkunden, daß Anna A. ſich der Rücktrittserklärung
ihres Mannes nicht angeſchloſſen und Anton A. den
Rücktritt infolge Beeinfluſſung von dritter Seite er—
klärt habe; der Rücktritt ſolle als nicht erklärt ange—
ſehen werden und keine Geltung haben, der Vertrag
vom 15. März unverändert aufrecht erhalten bleiben.
Das Grundbuchamt lehnte die Eintragung der Ehe—
leute A. als Eigentümer des Anweſens Hs.-Nr. 50 in
L. ab, weil der Tauſchvertrag unvollziehbar ſei. Durch
die Rücktrittserklärung des Anton A. feier als Grund—
geſchäſt aufgelöſt worden; damit ſeien die geſetzlichen
Rückgewährungsanſprüche in Kraft und an die Stelle
der Anſprüche aus dem Tauſchvertrage getreten, wozu
insbeſondere der Anſpruch auf die Eintragung der
Rechtsänderung in das Grundbuch gehöre. Die Er—
klaͤrung vom 20. März ſei unbehelflich. Durch den
Rücktritt werde der Vertrag mit rückwirkender Kraft
aufgehoben. Es ſei daher nicht eine Wiederherſtellung,
ſondern nur eine Wiederholung des Vertrags möglich.
Auf die Beſchwerde des H. hob das LG. die Verfügung
des Grundbuchamts auf und wies es an, die Urkunde
zu vollziehen, ſoferne nicht ein anderes als das in
der angeſochtenen Verfugung angeführte Hindernis
entgegenſtehe. Das Gericht ging von der Auffaſſung
— Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 1
u. 17.
aus, daß nach 8 356 BGB., wenn bei einem Vertrag
auf einer Seite mehrere beteiligt ſeien, das Rücktritts⸗
recht nur von allen ausgeübt werden könne und daher
die von Anton A. einſeitig abgegebene Rücktrittserklä⸗
rung wirkungslos ſei, da die Eheleute A. in allge⸗
meiner Gütergemeinſchaft lebten. Die weitere Beſchwerde
der Eheleute A. wies das ObL G. als unbegründet zurück.
Gründe: Ob der Annahme des LG., daß die
Rücktrittserklärung des Anton A. nach 8 1445 BGB.
der Einwilligung der Frau bedurfte, beizuſtimmen
wäre, kann dahingeſtellt bleiben. Ebenſo braucht nicht
erörtert zu werden, ob nicht der Grund buchrichter bei
der Auslegung der Urkunde vom 20. März, die offen⸗
ſichtlich nur zu dem Zwecke aufgenommen wurde um
den Vertrag vom 15. März aufrecht zu erhalten, gegen
die Vorſchrift des $ 133 a. a. O. verſtoßen hat. Der
ſchuldrechtliche Vertrag, der der einzutragenden Rechts-
änderung zugrunde liegt, iſt, von hier nicht gegebenen
Ausnahmen abgeſehen, der Prüfung des Grundbuch—
richters entzogen (Ob G. n. S. 9, 524 und die dortigen
Zitate). Dieſe hat nur den Eintragungsantrag und
die Eintragungsbewilligung nebſt deren Unterlagen
und im Falle der Auflaſſung auch dieſe zum Gegen—
ſtande. Rechtsirrig iſt die Anſicht des Grundbuch—
richters, daß die in der Urkunde vom 15. März er⸗
klärte Auflaſſung durch den Rücktritt in ihrer Wirk—
ſamkeit mitbetroffen wird und daß zur Wiederher—
ſtellung des durch den Rücktritt aufgehobenen Rechts-
zuſtandes eine neue Auflaſſung erforderlich iſt. Der
Rücktritt beſeitigt nur den ſchuldrechtlichen Vertrag
und das durch ihn geſchaffene Schuldverhältnis. Die
auf grund des ſchuldrechtlichen Vertrags erfolgten Lei—
ſtungen werden durch den Rücktritt nicht mit ding—
licher Wirkung hinfällig, ſondern können nur nach
85 346 ff. BGB. rückgängig gemacht werden. Die Auf:
laſſung bildet nicht ein einen Anſpruch erzeugendes
Verpflichtungsgeſchäft, ſondern ein eine Leiſtung —
Erfüllung — darſtellendes, von dem den Anſpruch auf
Uebertragung des Eigentums begründenden ſchuldrecht—
lichen Vertrage losgelöſtes Verfügungsgeſchäft (Güthe,
GBO. [2.] § 19 Anm. 13, Goldmann und Lilienthal, BGB.
2. 184 ff.). Sie wird daher durch den Rücktritt in ihrer
Wirkſamkeit nicht unmittelbar betroffen. Durch Ver—
trag oder durch ein ihn erfekendes rechtskräftiges Ur—
teil kann ſie rückgängig gemacht werden; ein Fall dieſer
Art iſt aber hier nicht gegeben. Dagegen könnte die
Frage aufgeworfen werden, ob nicht durch die Nück—
trittserklärung, ſei es ausdrücklich oder ſtillſchweigend,
die von den Eheleuten A. erteilte Eintragungsbewil—
ligung, ſolange ſie noch nicht dem Grundbuchamte zu—
gegangen oder dem anderen Teile ausgehändigt und
damit bindend war (Güthe a. a. O. 8 19 Anm. 79 ff.;
Goldmann und Lilienthal a. a. O. 2. 135 Abſ. 2), wider:
rufen und der von den Eheleuten A. geſtellte Ein—
tragungsantrag zurückgenommen wurde. Auf dieſe
Frage hat es aber mit Rückſicht auf den Vertragsnach—
trag vom 20. März nicht mehr anzukommen; denn die
Eheleute A. haben darin ausdrücklich erklärt, daß ſie
den Vertrag vom 15. März im vollen Umfang, alſo
auch in Anſehung der von ihnen ausgeſtellten Ein—
tragungsbewilligung und des von ihnen geſtellten Ein-
tragungsantrags aufrecht erhalten wiſſen wollen. Dem—
nach kann auch in dieſer Richtung von dem Geſichts⸗
punkte des Rücktritts aus ein Vollzugshindernis nicht
gefunden werden. Die Entſcheidung des LG. iſt da—
her, wenn auch aus anderen Gründen, gerechtfertigt.
(Beſchl. des J. ZS. vom 9. Juni 1911, Reg. II, an
2321 .
II.
Gebühren im Falle der Abtretung der Rechte ans
dem Meiſtgedot (nach dem GebG. in der Faſſung dom
28. April 1907). In dem Zwangsverſteigerungsver—
fahren E. gegen S. blieb in dem Verſteigerungstermin
vom 15. April 1909 der Kaufmann K. mit 17000 M
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
— —— ———— . .. ᷑ u —.i-. ' .. .ĩið—öä— ͤ—— ꝛu ———— .' ...—5ꝛ85ßv3V6v˙ -——ůß35irͥQl.. .. — kk —Cꝓ!ᷓ k.
Meiſtbietender. Er beantragte den Zuſchlag auf acht
Tage zu vertagen. In dem zur Verkündung der
Entſcheidung über den Zuſchlag beſtimmten Termine
vom 22. April 1909 trat zunächſt der Anſteigerer das
Recht aus dem Meiſtgebot an die Firma O. ab,
deren Vertreter die Abtretung annahm und ſich namens
ſeiner Vollmachtgeberin verpflichtete, die Verbindlich⸗
keiten aus dem Meiſtgebot als Geſamtſchuldner neben
dem Meiſtbietenden zu erfüllen. Daraufhin erteilte
der Notar ihr den Zuſchlag. Nach einer weiteren zu
dieſer Urkunde getroffenen Feſtſtellung hat noch vor
der Verkündung des Zuſchlagsbeſchluſſes der Meiſt⸗
bietende unter Uebergabe einer notariell beglaubigten
Vollmacht der Firma O. vom 13. April 1909 erklärt,
daß er ſchon im Verſteigerungstermin — wenngleich in
eigenem Namen — für ſeine Vollmachtgeberin geboten
habe, daß ſein Gebot als für dieſe Firma erfolgt gelten
ſolle und daß er auf Grund dieſer ſeiner Erklärung
den Zuſchlag für O. verlange. Dem iſt beigefügt, daß
der Zuschlags beſchluß auch noch auf Grund dieſer Er⸗
klärungen des Meiſtbietenden erfolge. Die Urkunde
vom 15. April iſt als „Zwangsverſteigerung“, die
Urkunde vom 22. April als „Fortſetzung, Beſchluß“
betitelt. Der Notar bewertete die Urkunden nach
Art. 10 und 146 Geb. in der Faſſung vom 28. April
1907) mit einer Staatsgebühr von 340 M. Die Re⸗
gierung, K. der F., ordnete die Nachholung einer
Gebühr von 51 M (3% aus 17000 M nach Art. 145)
für die Abtretung der Rechte aus dem Meiſtgebot an.
Das LG. wies die Beſchwerde hiergegen als unbe—
gründet zurück. Auf die weitere Beſchwerde der Firma
O. hob das Obè G. den Veſchluß des LG. auf und er⸗
klärte mit nachſtehender Begründung die Gebühren⸗
n für ungerechtfertigt.
Das LG. hat mit Recht für die Entſcheidung
den Art 14 Abſ. 2 GebG. in der Faſſung vom 28. April
1907 für ausſchlaggebend erachtet. Danach find die
im Verfahren vor dem Verſteigerungsbeamten beur—
kundeten Vereinbarungen und Erklärungen, ſoweit ihr
Inhalt über den Gegenſtand und den Zweck des Ver—
fahrens hinausgeht, nach den Beſtimmungen des Geb.
über die Gebühren für Urkunden der Notare zu be—
werten. Daraus folgt, daß ſolche Erklärungen, ſoweit
ſie inhaltlich über den Gegenſtand oder den Zweck des
Verfahrens nicht hinausgehen, den für die Zwangs—
verſteigerung und Zwangsverwaltung geltenden ge—
bührenrechtlichen Beſtimmungen unterliegen. Weder
der I. Abſchnitt der II. Abteilung (Gebühren in Zwangs—
vollſtreckungsſachen), noch der III. Abſchnitt der IV. Abs
teilung des Geſetzes (Gebühren für die Verhandlungen
der Notare), enthält eine Sonderbeſtimmung für die
Bewertung der Abtretung der Rechte aus dem Meiſt—
gebote. Daraus folgt, daß bei einer Bewertung nach
den Vorſchriften über die Urkunden der Notare die
für die Bewertung der Verträge geltende allgemeine
Beſtimmung des Art. 145 anzuwenden iſt und daß
andernfalls die Beurkundung gebührenfrei bleibt.
b) Gleichgültig iſt zunächſt, wie die Urkunde be—
zeichnet wurde und ob die beurkundete Vereinbarung
notwendig war oder nicht. Es iſt deshalb belanglos,
daß die Urkunde vom 22. April 1909 als Fortſetzung
(des Verſteigerungsprotokolls) und als Beſchluß (über
die Erteilung des Zuſchlags) bezeichnet wurde; eben—
ſowenig kommt in Betracht, daß die Urkunde auch
die Erklärung mit dem hierzu erforderlichen Nachweiſe
nach § 81 Abſ. 3 3G. enthält, fo daß die Erklärungen
nach dem $ 81 Abſ. 2 daſelbſt überhaupt nicht not—
wendig waren.
c) Das LG. ſtellt zunächſt die Frage richtig
dahin, ob die Abtretungserklärung über den Gegen—
ſtand (zu ergänzen; oder über den Zweck) des Ver—
fahrens hinausgeht, ſucht aber die zutreffende Antwort
dadurch zu gewinnen, daß es nicht etwa den Gegen—
ſtand und den Zweck des Verfahrens vor dem
Verſteigerungsbeamten erörtert, ſondern ſeine
345
Würdigung auf den Gegenſtand und den Zweck des
Termins, in dem die Erklärungen jeweils abge—
geben werden, beſchränkt. So gelangt es zu der Unter⸗
ſcheidung zwiſchen den Erklärungen im Verſteigerungs⸗
termine, der nach dem 8 81 Abſ. 2 ZIG. auch für
die Abgabe ſolcher Erklärungen beſtimmt iſt und
zwiſchen den Erklärungen in dem geſonderten Ver⸗
fündigungstermine, der nach der Anſicht des LG.
lediglich der Verkündung des Beſchluſſes dient, durch
den der Zuſchlag erteilt oder verſagt wird. Zu—
nächſt hat das LG. den Zweck des Verkündigungs⸗
termins zu eng aufgeſaßt, wie dies ſchon aus dem
3. Abſatze des 8 87 hervorgeht; ſodann aber — und
dies iſt das Weſentliche — durfte das Gericht den
in einem Satze zweimal enthaltenen Ausdruck „Ver⸗
fahren“ nicht verſchieden auslegen; der zweite kürzere
Ausdruck verweiſt auf die erſtgebrauchte genauere Aus⸗
drucksweiſe; maßgebend iſt, wie ſchon aus dem Be⸗
griffe „Verfahren“ überhaupt hervorgeht, nicht der
Gegenſtand und Zweck des einzelnen Termins, des
einzelnen Verfahrens abſchnitts, ſondern der Gegen:
ſtand und Zweck des Verfahrens vor dem Ver⸗
ſte ige rungsbeamten.
e) Gegenſtand dieſes Verfahrens iſt in engerem
Sinne das beſchlagnahmte Anweſen nebſt den weiteren
Gegenſtänden, welche die Beſchlagnahme nach den
SS 20 und 21 ZVG. umfaßt; im weiteren Sinne kommen
auch die am beſchlagnahmten Anweſen beſtehenden
dinglichen Rechte, die zu übernehmenden und die zum
Erlöſchen beſtimmten, hinzu. Eine noch weiter gehende
Auslegung kann auch die Forderung, für welche die
Beſchlagnahme erwirkt wurde, hierunter begreifen. Es
iſt nicht nötig, eine Stellung hierzu zu nehmen, da die
Erklärungen, um die es ſich hier handelt, inhaltlich
über den Gegenſtand des Verfahrens im engſten Sinne
2 hinausgehen.
) Der Zweck des Verfahrens iſt die Sue
der 1 (Art. 25 Abſ. 1 AG. GBO. u. 3BG.),
wozu auch die 5 über gr Zuſchlag gehört
(Art. 25 Abſ. 2 a. a. O.). Aus den 85 56, 90, 107
Abi. 2 3G. erhellt, daß nach der Anſicht des Geſetz⸗
gebers der Zuſchlag dem erteilt werden ſoll, der nach
dem Ergebniſſe der Verſteigerung in die dinglichen
Beziehungen zum verſteigerten Grundſtücke treten ſoll
und aus deſſen Mitteln die zur Verteilung beſtimmte
Maſſe zu leiſten iſt. Dies iſt in den Fällen, daß eine
vorgeſchobene Perſon das Meiſtgebot legte oder ein
ohne Vertretungsmacht Handelnder zur Vermeidung
der Zurückweiſung ſeines Gebots in eigenem Namen
bot, derjenige, für den der Meiſtbietende handeln wollte,
wenn er den Meiſtbietenden dazu ermächtigt hatte
oder nachträglich ſeine Genehmigung erteilt. Die Er—
klärungen, welche bewirken ſollen, daß in einem ſolchen
Falle der Zuſchlag nicht dem ohne Abſicht des Er—
werbes für ſich handelnden Meiſtbietenden, ſondern
dem erteilt wird, der das Grundſtück erſtehen will,
bleiben im Rahmen des Zweckes des Verfahrens. Hierbei
macht es keinen Unterſchied, welchen der beiden vom
Geſetze offen gelaſſenen Wege die Beteiligten wählen,
ob ſie nach dem 8 81 Abſ. 3 ZVG. die Rückwirkung
herſtellen oder ein neues Rechtsgeſchäft ſchließen, durch
das die Rechte und Pflichten aus dem Meiſtgebot auf
den übertragen werden, für den der Meiſtbietende
handelte (8 81 Abſ. 2 a. a. O.). Daß ein Rechtsgeſchäft
der letzteren Art auch anderen Zwecken dienen kann,
insbeſondere bei einer Veräußerung der Rechte aus
dem vom Meiſtbietenden in eigener Sache für ſich ge—
legten Meiſtgebote den Rechtsübergang vermittelt, tut
nichts zur Sache; in einem ſolchen Falle gehen die
Erklärungen, für deren Inhalt nicht ausſchließlich der
Wortlaut, ſondern auch der hierin zum Ausdruck ge—
brachte Wille der Parteien maßgebend iſt, über den
Zweck des Verfahrens hinaus und ſind geſondert zu
bewerten. Eine ſolche Auslegung des Art. 14 des Ge—
ſetzes in ſeiner alten Faſſung trägt den tatſächlichen
346
Verhältniſſen und damit auch der Billigkeit Rechnung.
Im Falle des Vorgehens nach 8 81 Abſ. 2 3G.
müſſen alſo zur Löſung der Gebührenfrage die zugrunde⸗
liegenden Verhältniſſe aufgeklärt werden. Ueber⸗
wiegende Gründe ſprechen dafür, den Art 14 im Ver⸗
hälnis zu den übrigen Beſtimmungen des J. Abſchnitts
der II. Abteilung des Geb®. als Ausnahmevorſchrft
zu erachten und daher der Finanzbehörde die Beweis—
laſt zu überbürden, um ſo mehr als ſie es iſt, die
einen Anſpruch erhebt. Allein dies kann hier dahin-
geſtellt bleiben, da die Beſchwerdeführerin den Nach»
weis erbracht hat, daß der Meiſtbietende für ſie zufolge
der ihm erteilten Vollmacht handeln wollte. Die Ab-
tretung der Rechte aus dem Meiſtgebot iſt alſo in—
haltlich auch nicht über den Zweck des Verfahrens
hinausgegangen; ihre geſonderte Gebührenbewertung
iſt daher untunlich; die dagegen eingelegten Be—
ſchwerden ſind begründet. Die Gebührengeſetznovelle
vom Jahre 1910 kann hier nur inſoferne als Aus—
legungsbehelf herangezogen werden, als aus der den
neuen Vorſchriften angewieſenen Stelle (Abſ. 3 und 4
des Art. 14) hervorgeht, daß auch bisher der Art. 14
anzuwenden war. Im übrigen aber wurden dieſe Er—
klärungen nunmehr völlig anders gebührenrechtlich ge—
regelt, die Gebührenfreiheit und die Bewertung nach
dem Art. 145 GebG. fällt weg und ebenſo die Unter⸗
ſcheidung, ob ſie über den Gegenſtand oder Zweck des
Verfahrens hinausgehen oder nicht; es wird je nach
dem Zeitpunkte der Abgabe der Erklärungen eine un—
mwiderlegbare Vermutung nach der einen oder anderen
Richtung hin aufgeſtellt; außerdem wird eine beſtimmte
Klaſſe Meiſtbietender begünſtigt, ſo daß alſo nunmehr
der Zeitpunkt der Erklärungen oder die Perſon des
Meiſtbietenden den Ausſchlag gibt. (Beſchl. des II. or
vom 17. Mai 1911, Reg. V 21/19).
2322
B. Strafſachen.
J.
Wahr ſagen gegen Lohn iſt ohne Rückſicht anf die
angewandten Mittel als Gaukelei zu beſtraſen. Witre:
logie, Stellung des Horoſkopes. Die Angeklagte gibt
ſeit April 1910 Unterricht in der Aſtrologie. Sie hat
wiederholt verſchiedenen Kursteilnehmern und anderen
Perſonen das Horoſkop geſtellt. Sie ließ ſich Zeit,
Stunde und Ort der Geburt angeben, ſtellte alsdann
an der Hand dieſer Angaben nach mathematiſchen
Regeln Berechnungen an und weisſagte auf Grund
der Ergebniſſe ihrer Berechnungen und der auf ſolche
Ergebniſſe ſich beziehenden Ausſprüche in den ſog.
Regelbüchern den Leuten die Zukunft. Für ihre Be—
muhungen verlangte und erhielt die Angeklagte 10 .M
und mehr je nach der Schwierigkeit des Falles. Vom
Schöffengerichte freigeſprochen wurde die Angeklagte
von der Strafkammer wegen Gaukelei nach Art. 54
StGB. verurteilt. Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach Art. 54 PStGB.
wird beſtraft, wer gegen Lohn oder zur Erreichung
eines ſonſtigen Vorteils ſich mit angeblichen Zaubereien
oder Geiſterbeſchwörungen, mit Wahrſagen, Karten—
ſchlagen, Schatzgraben, Zeichen- und Traumdeuten oder
anderen dergleichen Gaukeleien abgibt Unter Wahr—
ſagen wird nach dem allgemeinen Sprachgebrauche
verſtanden, „die Zukunft voraus verkünden“; dieſes
Wort hat auch in dem Geſetze keine andere Bedeutung.
Das Geſetz macht keinen Unterſchied, ob zur Ver—
kündung der Zukunft mathematiſche Berechnungen
angeſtellt werden, ob die Zukunft und das Schidial |
der Menſchen aus der Stellung der Sterne vorher—
geſagt wird, oder ob aus den Linien der Hand —
auch in ſolchen Fällen berufen ſich die Wahrſager
darauf, daß nach den Erfahrungen daraus die zu—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
künftigen Schickſale der Menſchen vorhergeſagt werden
können — oder ſonſtwie prophezeit wird. Das Geſetz
ſteht mit der heutigen Wiſſenſchaft auf dem Stand-
punkte, daß es keine Kunſt gibt die Zukunft vorher⸗
zuſagen und daß das Vorherſagen, ſei es mit welchen
Mitteln immer, eine Täuſchung iſt. Das Geſetz be=
droht den mit Strafe, der ſich gegen Lohn oder zur
Erreichung eines ſonſtigen Vorteils mit Wahrſagen
abgibt. Eine bewußte Täuſchung iſt nicht Merkmal
des Tatbeſtandes des Art. 54 P StGB.; es kommt
nicht darauf an, ob der Wahrſager ſelbſt glaubt,
durch ſeine Kunſt die Zukunft vorherſagen zu können
oder nicht. Dies wurde bei der Beratung des Art. 94
P StGB. von 1861, des nunmehrigen Art. 54 PStG B.
von 1871, von dem Referenten ohne Widerſpruch da⸗
hin ausgedrückt, daß dieſe Uebertretung auch bei aber—
gläubiſchen und ſelbſtbetörten Perſonen vorkomme,
und es wird auch von der Rechtſprechung der Art. 54
in dieſem Sinne ausgelegt (OLG. München Bd. VII
S. 298). (Urt. vom 6. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 198/11).
2299 Ed.
II.
Der Karfreitag iſt in Bayern, insbeſendere an
Orten mit e emiſchter Bevölkerung, kein
allgemeiner i im inne des 8 43 Abſ. 2 StPO.
(vgl. ſpeziell für München den Beſchluß des Straf:
ſenats vom 6. Mai 1905, Beſchw.⸗Reg. Nr. 319/1905,
für Aſchaffenburg Erk. d. VGH. in deſſen Sammlung
Bd. 31 S. 147). Für Weiden hat das Reichsgericht
im Jahre 1900 (RGSt. Bd. 33 S. 438) die Eigen⸗
ſchaft als konfeſſionell gemiſchten Ort angenommen,
und das Hauptmerkmal eines ſolchen, das ſtatiſtiſche,
trifft auch heute noch zu, wenn auch ein am angeführten
Ort weiter angegebenes, mehr nebenſächliches Kriterium,
das Vorhandenſein einer Simultankirche, ſeither weg—
gefallen iſt. Hiernach kann für Weiden die Friſtver—
längerung des 8 43 StPO. nicht in Anſpruch ge—
nommen werden. (Beſchl. vom 3. Mai 1911, Rev.⸗Reg.
209/11). Ed.
2300
Oberlandesgericht München.
Erfüllungsort für Gehaltsforderungen. Nach 8 269
BGB. entſcheidet beim Mangel einer ausdrücklichen
Abmachung über den Erfüllungsort zunächſt die Natur
der ſtreitigen Verpflichtung. Bei Dienſt- und Arbeits-
verhältniſſen aber entſpricht es der Natur der Sache,
daß der Lohn da gezahlt wird, wo die Arbeit geleiſtet
wird (OLGR. Bd. 21 S. 66; Staudinger BGB. Bem. 2
zu § 269). Dies gilt nicht nur bei niederen Dienſt—
leiſtungen (3. B. Bauhandwerkern), ſondern erſt recht
bei höher bezahlten leitenden langfriſtigen Stellungen.
Meiſt wird ja in ſolchen Fällen am Arbeitsorte auch
eine gewerbliche Niederlaſſung des Prinzipals beſtehen
(vgl. 88 21, 29 3 O.); notwendig iſt dies aber nicht,
um den natürlichen Erfüllungsort zu begründen. Hier
ſpricht die Natur der Sache umſomehr für M. als
Erfüllungsort, als bei der Anſtellung die Gründung
einer ſelbſtändigen Vertriebsgeſellſchaft („Kommandit—
geſellſchaft“ wird fie mehrfach genannt) geplant war
und die Anſtellung gerade im Hinblick auf dieſe
Gründung einer zweifellos in M. zu errichtenden
Geſellſchaft geſchah. Es iſt nicht anzunehmen, daß der
Kläger, wäre über den Erfüllungsort bei der Anſtellung
ausdrücklich geſprochen worden, ſich an die weitent—
legenen Wohnſitze der drei Gegenkontrahenten hätte
verweilen laſſen, zumal der Hauptbeteiligte an den
Verhandlungen und Vollmachtträger der ubrigen zur
Zeit des Vertragsabſchluſſes einen Wohnſitz außerhalb
N. überhaupt nicht gehabt zu haben ſcheint, anderer—
ſeits aber damals ſchon als Geſchaͤftsführer einer
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
347
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biefigen G. m. b. H., in deren Räumen der Kläger
arbeitet, tätig war und häufigen längeren Hotelauf⸗
enthalt hier nahm, ſo daß der Regiſterauszug ihn ſchlecht⸗
hin als „in M.“ bezeichnet. Die Sachlage iſt hier ähnlich,
wie bei den Verträgen, die vor mehreren Jahren hier
für eine künftige G. m. b. H. „Kriegsſchauſpiele“ ge⸗
ſchloſſen wurden, die niemals rechtlich entſtand; damals
wurde ebenfalls für die perſönliche Haftungsklage
gegen die auswärts wohnenden Gründer M. als Er⸗
füllungsort angenommen (vgl. auch Seuff. Arch. Bd. 55
Nr. 104). Daß die Anſtellung nach der Behauptung
des Klägers nicht bis zur wirklichen Gründung der
Vertriebsgeſellſchaft aufgeſchoben, ſondern ſofort wirk⸗
ſam war, ſpricht nicht gegen M. als Erfüllungsort,
ſondern dafür. Denn es iſt nicht anzunehmen, daß
man für die vermeintlich kurze Zeit bis zur wirklichen
Geſellſchaftsgründung einen anderen Erfüllungsort
beſtimmen wollte als nachher. Endlich kommt auch
für M. als Erfüllungsort in Betracht, daß bei
normalem Geſchäftsbetriebe die Gehälter aus den
Betriebseinnahmen entnommen zu werden pflegen
und die Kaſſe begriffsmäßig hier und zwar vom
Kläger ſelbſt geführt werden ſollte und geführt worden
iſt; noch ſelbſtverſtändlicher iſt dies bei der Umſatz⸗
tantieme. Daß ein Geſchäft mit einem Direktor zu
5000 M Jahresgehalt an der Spitze nicht einmal
ſeine eigenen Speſen deckt, kann nicht wohl im
voraus als Vertragsgrundlage angeſehen werden.
(Urt. vom 20. Januar 1911, L 910/10.) N.
2314
Oberlandesgericht Bamberg.
Erzwinaung vollſtändiger Anskunſtserteilung als
einer vom Willen des Schuldners ane ſchließlich abhängi⸗
gen Handlung gemäß § 888 ZPO. Der Kläger behaup⸗
tete, daß der zur Auskunftserteilung über die Höhe
eines Geſellſchaſtsgewinnes und zur Vorlegung der
Belege verurteilte Beklagte dieſer Verpflichtung nicht
nachgekommen ſei, weil er die ihm von ſeinem Mit⸗
geſellſchafter ausgehändigten Belege nicht vollfiändig
vorgelegt habe. Er beantragte nach $ 888 ZPO. den
Beklagten zur Erfüllung der Verpflichtung durch eine
Geldſtrafe anzuhalten. Das LG. wies den Antrag als
unbegründet ab. Das OLG. hob auf und verwies die
Sache zurück.
Gründe: Das LG. hat den Antrag abgewieſen,
weil es annahm, daß 8 888 ZPO. hier keine Anwen-
dung finden könne, weil nicht der Beklagte ſondern
deſſen Mitgeſellſchafter mit der Führung der Bücher
betraut geweſen ſei und deshalb nur dieſer im Beſitze
der urkundlichen Unterlagen für die Gewinnberechnung
ſei und alſo auch nur allein oder zuſammen mit dem
Beklagten die Rechnung ſtellen könne; es ſtehe hier⸗
nach keine ausſchließlich vom Willen des Schuldners
abhängige Handlung in Frage. Dieſe Annahme be=
ruht auf einer Verkennung des Vorbringens des Klä—
gers, das eben gerade dahin geht, daß der Beklagte,
wenn er nur ernſtlich wolle, die erforderliche Aus—
kunft erteilen und ausreichend belegen könne und daß
er die ihm von ſeinem Mitgeſellſchafter ausgehändigten
Belege dem Kläger nicht vollſtändig vorgelegt habe,
alſo eine nur von ſeinem Willen abhängige Handlung
vorzunehmen ſich weigere, um dadurch die Feſtſtellung
der wahren Höhe ſeines Gewinnanteils zu verhindern.
Die Erhebung des hierüber angetretenen Beweiſes iſt
von Bedeutung für die Frage, ob hier eine Handlung
i. S. von $ 888 ZPO. in Frage ſteht, und die Beweis—
erhebung iſt nicht etwa deswegen überflüſſig, weil ſich
der Mitgeſellſchafter des Beklagten im Beſitze der zu
einer Rechnungsſtellung erforderlichen Bücher und Be—
lege befindet Nicht Rechnungsſtellung iſt dem Be—
klagten zur Pflicht gemacht, ſondern nur Auskunfts-
I ] ³¹Ü¹ ³ wm ne unter ⁰qy ⅛ - rx: rr... Tf!!! . . T
|
erteilung und Vorlegung der Urkunden und Belege,
denen ſein Gewinn zuverläſſig zu entnehmen iſt. Die
Auskunftspflicht des Beklagten bringt es aber von
ſelbſt mit ſich, daß er auch die zur Leiſtung erforder⸗
lichen Mittel (Bücher, Belege) herbeiſchafft, ſoweit dies
in ſeiner Macht liegt und er nicht durch äußere reale
Umſtände, z. B. durch die begründete Verweigerung
oder die Unmöglichkeit der notwendigen Mitwirkung
Dritter hieran gehindert iſt (vgl. Gruchot, Bd. 27
S. 1126). Daß ein ſolches Hindernis nicht beſteht, will
der Kläger durch die von ihm vorgeſchlagenen Zeugen
beweiſen. Vor der Erhebung dieſes Beweiſes kann
deshalb auch nicht mit Sicherheit geſagt werden, daß
eine Handlung in Frage ſtehe, die nicht ausſchließlich
von dem Willen des Schuldners abhänge. Darüber,
daß die Auskunfterteilung ſowohl wie die Rechnung⸗
ſtellung in der Regel unter die Handlungen fallen, die
durch einen Dritten nicht vorgenommen werden können,
beſteht aber nirgends ein Streit (vgl. JW. 1888, S. 136°
und 1904 S. 416“; Seuffert, ZPO. 11. Aufl. 8 887
Note 2a und 8888 Note 1, Gaupp⸗Stein, ZPO. 8. /9. Aufl.
8 887 II, 2 und 3). (Beſchluß des I. ZS. vom 19. Juni
1911, BeſchwR. 92/11.) G. . . . n.
2317
Landgericht Schweinfurt.
Rechtliche Bedeutung der Einbringung eines Auto⸗
mobils in eine Garage, die ſich nicht in einem Hotel
befindet. Es kommt auf die Umſtände des Einzelfalles
an, ob bei der Unterbringung eines Automobils in
einer Garage ein Mietvertrag oder ein Verwahrungs⸗
vertrag vorliegt. Hier war es dem Kläger offenſichtlich
darum zu tun der Beklagten ſein Automobil zur Ver⸗
wahrung zu übergeben; es wurde von der Beklagten.
die durch ihren Garagenwärter K. vertreten war, zur
Aufbewahrung übernommen. Selbſt wenn der Kläger
eine beſtimmte Abteilung der Garage (Box) ausge⸗
wählt hätte, in der das Automobil untergebracht
werden ſollte, würde dies an der Natur des Vertrags
als Verwahrungsvertrag nichts ändern (vgl. Mittel⸗
ſtein, Die Miete, 2. Aufl., 8 9 Ziff. 1), ebenſowenig
der Umſtand, daß allenfalls K. den Kläger fragte, ob
er nicht den Schlüſſel mitnehmen wolle, und daß die
Vergütung nicht nach dem Wert des Automobils,
ſondern ausſchließlich nach der Zeit der Unterbringung
des Automobils berechnet wurde. Der Verwahrungs—
vertrag erſtreckt ſich auch auf die bei dem Automobil
zurückgelaſſenen Sachen, alſo auch auf den Ueberzieher
des Klägers. Liegt aber ein Verwahrungsvertrag vor
(BGB. 85 6888 ff.), fo haftet die Beklagte, da die Auf—
bewahrung gegen Entgelt erfolgte, nach BGB. 8 276
für Vorſatz und Fahrläſſigkeit und hat dabei ein et⸗
waiges Verſchulden ihres Garagenwärters in gleichem
Umfange zu vertreten wie eigenes Verſchulden (BGB.
8 278). (Urt. vom 10. März 1911, F 148/10).
2207
A
Literatur.
Degen, N., Kgl. Landgerichtsrat, und Dr. O. Klimmer,
Kgl. Amtsrichter, im Bayer. Juſtizminiſterium, Die
Strafvollſtreckung in den bayeriſchen
Gerichtsgefängniſſen und Strafanſtalten.
8°. VIII, 379 S. München 1911, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Gebd. Mk. 8.80.
Eine reichsgeſetzliche Regelung des Strafvollzuges
durch ein Strafvollzugsgeſetz, das gleichzeitig mit dem
neuen Strafgeſetzbuch ins Leben treten ſoll, iſt eine
von der Wiſſenſchaft und von den Praktikern einmütig
348
erhobene Forderung. Ob und wann dieſe Forderung
erfüllt wird, iſt ungewiß. Der Bundesratsbeſchluß
vom 28. Oktober 1897 über die Grundſätze, die bei
dem Vollzug gerichtlich erkannter Freiheitsſtrafen
bis zu weiterer gemeinſamer Regelung in Anwendung
zu kommen haben, bildet eine einſtweilige Grundlage,
ni der die Bundesſtaaten ihr Strafvollzugsrecht aus⸗
und fortbilden konnten. Das Bedürfnis nach einer
Umgeſtaltung war zu dringend, als daß ſie aufs Un⸗
gewiſſe hätte verſchoben werden können.
In Bayern trat mit dem 1. Oktober 1907 die
neue Hausordnung für die Strafanſtalten in Kraft,
durch welche die früheren in manchen Teilen veralteten
Hausordnungen für die Zuchthäuſer, die Gefangen⸗
anſtalten und das Zellengefängnis Nürnberg beſeitigt
wurden. Eine die Hausordnungen für die Straf⸗
anſtalten und deren Ausführungsvorſchriften zuſammen⸗
faſſende und erläuternde Bearbeitung gab es bisher
nicht. Für die Gerichtsgefängniſſe war das verdienſt⸗
volle Werk von Henle „Das Gerichtsgefängnisweſen
in Bayern“ (Nördlingen, Beck, 1887) vorhanden.
Es trat mit dem 1. Februar 1910 in der Haupt⸗
ſache außer Gebrauch, da durch die Bekanntmachung
vom 3. Januar 1910 die neue Hausordnung für die
Gerichtsgefängniſſe an dieſem Tage in Kraft trat und
die Dienſt⸗ und Hausordnung für die Gerichtsgefäng—
niſſe vom 10. April 1883 und die Bekanntmachung
vom 6. Dezember 1881 die Vollſtreckung der Zwangs-
und der Sicherheitshaft betr. von dem gleichen Tage
an aufgehoben wurden.
Die Anwendung der neuen Hausordnungen für
die Strafanſtalten und für die Gerichtsgefängniſſe
erfordert oft ein Eingehen auf die Ausführungsvor⸗
ſchriften, auf die einſchlägigen Geſetze, Verordnungen
und Bekanntmachungen. Das Aufſuchen und Nach⸗
ſchlagen dieſer Materien iſt zeitraubend. Nicht ſelten
beſtehen Zweifel über die Auslegung einzelner Be⸗
ſtimmungen der Hausordnungen. Es wird deshalb
ſicher von jedem Praktiker freudig begrüßt, daß die
Verfaſſer des vorliegenden Buches ſich die Aufgabe
geſtellt haben, nicht nur die Hausordnungen mit Er—
läuterungen und Hinweiſungen zu verſehen, durch
welche das Verſtändnis erleichtert und das raſche Auf«
finden der mit verſchiedenen Beſtimmungen der Haus⸗
ordnungen zuſammenhängenden Vorſchriften ermöglicht
wird, ſondern auch die wichtigſten von dieſen Vor⸗
ſchriften teils vollſtändig teils im Auszuge aufzunehmen.
Die Bekanntmachung über die Hausordnung für
die Gerichtsgefängniſſe (Lit. A) iſt vorangeſtellt. Sie
nimmt mit den 11 Anlagen, welche die Formblätter
zu den vorgeſchriebenen Verzeichniſſen und Büchern
enthalten, 168 Seiten ein. Angeſchloſſen iſt die
Bekanntmachung vom 11. Januar 1910 über die ſtän⸗
digen landgerichtlichen Aushilfsgefängniſſe.
Der dann unter Lit. B folgenden Hausordnung für
die bayeriſchen Strafanſtalten (79 Seiten) iſt eine
Einleitung vorangeſchickt, die eine Aufzählung der
Strafanſtalten, ſowie das wichtigſte über deren
Organiſation, über die Verhältniſſe der Strafanſtalts—
beamten und das Etats- und Rechnungsweſen enthält.
Daran ſchließt ſich eine gedrängte Darlegung über
die geſetzliche Grundlage (Art. 27 AG. z. StPO., 8$ 15,
16, 22, 5711 StGB.) der Hausordnung, ein Hinweis
auf die eine der Hauptquellen der Hausordnung
bildenden ‚Grundſätze des Bundesrates“ und auf Ziel
und Zweck der Hausordnung, die ſich „im übrigen
auf den bewährten Grundſätzen der früheren Haus—
ordnungen aufbaut, aber die vielfachen Erfahrungen
verwertet, die in den letzten Jahrzehnten auf dem
Gebiete des Strafvollſtreckungsweſens gemacht worden
ſind'. Mit Recht ſagt Landgerichtsrat Degen, der
dieſen Teil des Buches bearbeitet hat: „Früher ein
Stiefkind der Rechtswiſſenſchaft und ſelbſt den meiſten
Richtern und Staatsanwalten eine terra incognita, hat
ſich das Sondergebiet der ſog. Gefängniskunde, von
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
—
den Praktikern im regſten Austauſch der Meinungen
und Erfahrungen befruchtet und allmählich auch der
wiſſenſchaftlichen Behandlung erſchloſſen, die Stellung
errungen, die ihm gebührt”. Die Betonung des
Beſſerungszweckes der Strafe neben dem Vergeltungs⸗
zweck und des Grundſatzes der Individualiſierung
wird als der wichtigſte Inhalt der Hausordnung
bezeichnet.
Unter C kommen zum Abdruck die Vorſchriften
über die Einweiſung der Verurteilten in die Straf⸗
anſtalten in der Faſſung, welche die grundlegende
Bekanntmachung vom 28. Januar 1903 durch die bis
zur 1 vom 3. Juli 1909 erfolgten
Aenderungen erhalten hat. Unter D folgt die Be⸗
kanntmachung über die vorläufige Entlaſſung von Straf⸗
gefangenen vom 14. September 1908 mit einer Tabelle
für die Berechnung der /⸗Strafzeit. Der Anhang des
Buches enthält — teils vollſtändig, teils im Auszug
— eine Reihe von Geſetzen, Verordnungen und Be⸗
kanntmachungen, die für den Strafvollzug und die
Verhältniſſe der Strafanſtalts und Gefängnisbeamten
von Bedeutung ſind.
Dieſe Mitteilungen dürften genügen um darzutun,
daß das Buch ein wertvolles Hilfsmittel für den
Strafanſtaltsbeamten und für den mit dem Dienſt
bei den Gerichtsgefängniſſen befaßten Beamten iſt.
Wer es in die Hand nimmt, wird den Verfaſſern
dankbar fein für ihre Arbeit. Die zu den Hausord⸗
nungen gegebenen Erläuterungen haben einen beſon⸗
deren Wert, denn die Verfaſſer waren an der Aus⸗
arbeitung beteiligt, ſie ſaßen ſozuſagen an der Quelle,
und find darüber, wie eine etwa zu Zweifeln Ver⸗
anlaſſung gebende Beſtimmung zu verſtehen iſt, am
beſten unterrichtet.
Nürnberg. Oberregierunge rat Michal.
Güthe, Gg., Kammergerichtsrat. Die Grund buch⸗
ordnung für das Deutſche Reich und die
Preußiſchen Ausführungsbeſtimmungen. 2. umgearb.
Auflage. Lex. 8. 2 Bände. XLIII. VIII und
1909 Seiten. Berlin 1911, Franz Vahlen. Broſch.
Mk. 42.—, gebd. Mk. 48.—.
Daß ein Geſetz mit nur 102 Paragraphen, das
ausſchließlich das formelle Verfahren regelt, in zwei
dicken Bänden mit insgeſamt 1909 Seiten kommentiert
wird, könnte auf den erſten Blick befremden. Das
Erſtaunen verſchwindet jedoch, wenn man bedenkt,
daß gerade auf dem Gebiete des Grundbuchrechts die
landesrechtlichen Ausführungsvorſchriften einen ſehr
breiten Raum einnehmen, und wenn man ferner be»
obachtet, mit welcher Gründlichkeit und peinlichen
Gewiſſenhaftigkeit der Verfaſſer zu Werke gegangen
iſt. Dazu kommt, daß die GBO. nur verſtändlich iſt,
wenn fortgeſetzt auf das materielle Grundſtücksrecht
des BGB. zurückgegriffen wird, und daß ſie auch mit
anderen Geſetzen, z. B. der ZPO., dem Zw., dem
GFG. in innigen Beziehungen ſteht. In vorbildlicher
Weiſe hat es der Verfaſſer verſtanden dieſen Zus
ſammenhang überall klarzulegen. Wie ſorgfältig er
Literatur und Rechtſprechung verfolgt und verwertet
hat, zeigte ſchon die 1. Auflage und auch die 2. kann
wohl als lückenlos bezeichnet werden. Beſonders her»
vorzuheben iſt das im 2. Band enthaltene alphabeti—
ſche Verzeichnis der ſog. „Legitimationsfragen“ und
der dinglichen Rechte: eine Art von grundbuchrecht—
lichem Handbuch in Lexikonform. Alles in allem: ein
höchſt bedeutſames Werk, auf das die deutſchen Prak—
tiker ſtolz ſein können. von der Pfordten.
Buchert, Karl, Rat des Kgl. Bayer. Verwaltungs-
gerihtshofes. Sammlung in der Praxis
oft angewandter Verwaltungsgeſetze
nebſt einer Anzahl derartiger Verordnungen ꝛc. für
das Königreich Bayern. In einem Bande unter
Berückſichtigung aller bisherigen Aenderungen nach
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
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dem nunmehr gültigen Texte unter Beifügung eines | einen bedeutend breiteren Raum ein — 591 ©. zu
Sachregiſters. Dritte vermehrte und verbejjerte
Auflage. VIII, 1264 S. München 1911, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 12.50.
Von den drei Geſetzesſammlungen von Jaeger,
Allfeld und Buchert bedurfte die zuletzt genannte wohl
am meiſten der Erneuerung, weil die 2. Auflage in⸗
folge des Fortſchreitens der Geſetzgebung an zahl⸗
reichen Stellen überholt war. Dem Bedürfniſſe iſt
nun in glücklicher Weiſe entſprochen. Die Anordnung
der Sammlung — alphabetiſche Reihenfolge — iſt die
gleiche geblieben. Wie bei der kürzlich in dieſen
Blättern angezeigten Jaegerſchen Ausgabe iſt durch
eine Aenderung der äußeren Ausſtattung der Umfang
des Buches gemindert worden. Das Problem, das
das ungewiſſe Schickſal der Reichsverſicherungsordnung
ſtellte, iſt in der Weiſe gelöſt, daß die alten Ver⸗
ſicherungsgeſetze weggelaſſen ſind und daß ein Nach⸗
tragsband zu der Sammlung koſtenlos abgegeben
wird. —— fi —
Pariſius, Ludolf, und Dr. Hand Crüger, Das Reichs»
Er betreffend die Geſellſchaften mit be⸗
ſchränkter Haftung. Syſtematiſche Darſtellung
und Kommentar nebſt Entwürfen von Geſellſchafts⸗
verträgen und praktiſcher Anleitung für die Regiſter⸗
führung. 5. umgearb. Aufl. 503 S. Berlin 1911,
J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Mk. 11.—
Der vorliegende Kommentar gliedert ſich in vier
Abſchnitte, eine ſyſtematiſche Darſtellung, die 262 S. um⸗
faſſenden Erläuterungen, eine Sammlung von Muſter⸗
ſtatuten für G. m. b. H., in der mehrere der in der
Gegenwart übermächtigen Kartellverträge aufgeführt
ſind, und eine praktiſche Anleitung zur Regiſterführung,
ſowohl für den Regiſterrichter wie für die Geſellſchafts⸗
vertretungen beſtimmt. Das Buch bietet fomit allen
Perſonenklaſſen, welche mit dieſem Geſetz zu arbeiten
haben, Anleitung und Aufſchluß. Bei dieſer Auflage
galt es nur, die ſchon früher bewährte Anlage und
wiſſenſchaftliche Behandlung mit den Ergebniſſen der
jüngſten Rechtſprechung und den Erfahrungen der
Praxis in Einklang zu bringen. Dazu war der Ver⸗
faſſer als Berater einer das ganze Reichsgebiet ums
ſpannenden handelsrechtlichen Zentrale wie wenige
berufen. Das Werk iſt wohl der beſte Kommentar
zu dem handelsrechtlichen Sondergeſeſetz. Zu begrüßen
wäre, wenn der Verfaſſer künftig nach dem Vorbilde
von Staubs Wechſelordnung am Eingange den ein=
fachen Geſetzestext abdrucken ließe. Dr. G.
Regers Handausgabe der Gewerbeordnung für
das Deutſche Reich mit dem Kinderſchutzgeſetz, Ausz.
a. d. bayer. Gewerbegeſetze von 1868, dem Gewerbe⸗
gerichtsgeſetze, dem Kaufmannsgerichtsgeſetze, dem
Stellen vermittlergeſetze, ſowie den Vollzugsvor⸗
ſchriften des Reiches und des Königreichs Bayern.
In 3. und 4. Aufl. neu bearbeitet und nunmehr in
5. Aufl. herausgegeben von Th. Stöhſel, K. Re⸗
gierungsrat. J. Bd. 8°. 686 S. Ansbach 1911,
C. Brügel & Sohn. Gebd. Mk. 7.50.
In raſcher Folge kaum binnen Jahresfriſt ſind
drei Handausgaben der GewO. erſchienen: Neukamp
in 9. Aufl., Steinbach und das vorliegende Werk:
anſcheinend in der Erwartung, daß nunmehr eine
Cäſur im Ausbau unſeres Gewerberechts eingetreten
ſei. Die Hoffnung iſt infofern nicht unbegründet, als
die Reichsgeſeßgebung in der Folge einen neuen Weg
der Weiterbildung des Gewerberechts betreten will,
indem ſie ſich nicht mehr auf eine Abänderung und
Erweiterung der GewO. beſchränken, ſondern das
Recht durch Spezialgeſetze weiterbilden will.
Das vorliegende Werk hält einem Vergleich mit
den beiden andern Ausgaben ſehr wohl ſtand. Die
Erläuterungen zur GewO. ſelbſt nehmen nicht nur
418 S., 200 S. — und ermöglichen infolgedeſſen ſchon
eine reichhaltigere, in manchen Fragen erſchöpfende
Erfaſſung des ol die muftergültige Drudanordnung
des Brügelſchen Verlags gewährleiſtet trotzdem eine
leichte und raſche Orientierung. Abgeſehen von dieſen
allgemeinen Vorzügen liegt der Hauptwert der Reger⸗
Stöhſelſchen Ausgabe vor allem darin, daß ſie ſich
darauf beſchränkt das in Bayern geltende Gewerbe⸗
recht darzuſtellen. Da allgemein in der GewO. dem
Landesrecht ein breiter Spielraum gelaſſen iſt, iſt eine
derartige Sonderausgabe ein wirkliches Bedürfnis.
Die Brauchbarkeit des vorliegenden Buches für den
bayeriſchen Praktiker wird darum von keiner anderen
Ausgabe erreicht. Der II. Band wird die umfang⸗
reichen Vollzugsvorſchriften des Reichs und des König⸗
reichs Bayern und verſchiedene Nebengeſetze ne
1.:G.
Sydow, Dr. N., Konkursordnung und Anfech⸗
tungsgeſetz. Unter beſonderer Berückſichtigung
der Entſcheidungen des Reichsgerichts. 11. Auflage.
Fortgeführt von L. Buſch. XXXII, 539 S. Berlin
1 80 Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Geb.
Die vorliegende 11. Auflage hat wieder an Um⸗
fang gewonnen; die reiche Fülle des Gebotenen —
die Anm. zu §§ 29—31 umfaſſen nunmehr 36 Seiten
— erſetzt in vielen konkursrechtlichen Fragen einen
Kommentar. Die neue Druckanordnung bei Stichworten
gliedert die Erläuterungen und erleichtert die Benützung
erheblich. Die in der Praxis längſt richtig gewürdigte
Ausgabe bedarf keiner Empfehlung. Dr. G.
Sauter, Dr. jur. Fritz. Das Berufsgeheimnis
und fein ſtrafrechtlicher Schutz. (8 300 StGB.)
XVI, 318 S. Breslau 1910, Schletter'ſche Buch⸗
handlung. Mk. 7.60.
Verfaſſer liefert eine ſehr gründliche, die geſamte
hierher gehörige Literatur eingehend berückſichtigende
hiſtoriſch⸗dogmatiſche Darſtellung des in 8 300 StGB.
enthaltenen Tatbeſtands der Verletzung pon Berufs⸗
geheimniſſen. Er nimmt zu allen einſchlägigen Streit⸗
fragen ſowie zum deutſchen Vorentwurfe von 1909
Stellung, deſſen Verbeſſerungen er einerſeits aner⸗
kennt ohne andrerſeits die Mängel zu verſchweigen.
Die. Strafrechtsreform wird an dem Buche nicht acht—
los vorübergehen dürfen, wenn auch nicht alles darin
Beifall findet. So iſt z. B. nicht einzuſehen, warum
Winkeladvokaten und Kurpfuſcher auch de lege ferenda
günſtiger geſtellt ſein ſollten als Rechtsanwälte und
Aerzte; darauf läuft aber der Vorſchlag des Ver—
faſſers S. 292 f., die Schweigepflicht nicht auf „dieſe
Auswüchſe der neuzeitlichen Gewerbefreiheit“ aus—
zudehnen, ebenſo wie $ 268 Vorentw. in der Tat
hinaus. Ignorieren iſt nicht immer ein geeignetes
Bekämpfungsmittel; auch die Kriminalpolitik muß
Realpolitik ſein, mit den gegebenen Verhältniſſen,
alſo auch mit jenen als ſolche erkannten „Auswüchſen“
rechnen, die man nicht einfach wuchern laſſen und da—
durch fördern darf. Dr.
Waſſermann, Dr. Martin, Rechtsanwalt in Hamburg.
Der unlautere Wettbewerb nach deutſchem
Recht. 2. Auflage. 2 Bdchn. (Sammlung Göſchen
Bd. 339 u. 535). 60 u. 151 Seiten. Leipzig 1911,
G. J. Göſchen'ſche Verlagshandlung. Gebd. je Mk. 0.80.
Das Werkchen bietet mehr, als man gewöhnlich
von einer allgemeinverſtändlichen Einführung in ein
Wiſſensgebiet erwartet. Es enthält einen vollſtändigen,
Literatur und Rechtſprechung gut verarbeitenden
Kommentar zum UnlWG. Die Verteilung des ver:
hältnismäßig kleinen Materials auf zwei getrennte
Bändchen, von denen das erſte mit dem $ 13 UnlW.
350
abſchneidet und das zweite die übrigen Paragraphen
erläutert und das gemeinſchaftliche Sachregiſter bringt,
ſtört jedoch den praktiſchen Gebrauch; die Zuſammen⸗
faſſung in einem einzigen, wenn auch ſogenannten
Doppelband wäre weit vorteilhafter geweſen. A
berr.
Zorn, Dr. Ph., Geh. Juſtizrat, o. Proſeſſor in Bonn.
Die Konſulargeſetzgebung des Deutſchen
Reichs. Text⸗Ausg. m. Anm. u. Sachregiſter. 3. vollſt.
neu bearb. Auflage von Regierungsaſſeſſor Dr. K.
Zorn. 12%. 594 S. Berlin 1911, J. Guttentag,
Verlagsbh. Gebd. Mk. 4.50.
Die Neuauflage der Zornſchen Sammlung iſt
gegenüber der vor zehn Jahren erſchienenen 2. Auf⸗
lage erheblich erweitert und enthält nunmehr ſämt⸗
liche auf das Konſularweſen bezügliche Vorſchriften
nach dem neueſten Stande der Geſetzgebung. Eine
ähnliche Neubearbeitung waͤre auch der 1901 im
gleichen Verlag erſchienenen, heute großenteils ver—
alteten Zornſchen Ausgabe der Deutſchen Kolonial⸗
geſetzgebung zu wünſchen. Dr.
En Bayeriſcher Juriſtenkalender für das Jahr 1911.
I. und II. Teil. 4. Jahrgang. XVI. 101 und 181 S.
Nürnberg und Leipzig, U. E. Sebald.
Der erſte Teil dieſes techniſchen Hilfsmittels ent—
hält eine Anzahl von Geſetzen und Dienſtvorſchriften,
die im Juſtizdienſt häufig angewendet werden müſſen,
ſowie mehrere Tabellen und Angaben über den Poſt—
verkehr. Der zweite Teil (Beamtenſchematismus) iſt
ſehr geſchickt angelegt; zweckmäßig ſind insbeſondere die
Angaben über die Beſetzung der einzelnen Gerichte.
von der Pfordten.
Gimmerihal, Max, Amtsgerichtsrat in Arnſtadt i. Th.,
Der deutſche Waiſenrat. IV. 125 S. Nürn⸗
berg und Leipzig 1910, U. E. Sebald.
Ein gemeinverſtändlicher Führer durch die Geſetze,
die bei der Ausübung des Waiſenratsamts zu berück—
ſichtigen ſind. Die Darſtellung iſt ziemlich eee
und recht überſichtlich
Schneider, H., Amtsgerichtsrat a. D., Das Geſetz
über die Sicherung der Bau forderungen
vom 1. Juni 1909. Nürnberg und Leipzig 1910,
U. E. Sebald. Preis geb. Mk. 4.80.
Das vielumſtrittene Vauforderungsgeſetz hat bis—
her nur zu ſeinem kleinſten Teile praktiſche Bedeutung
erlangt. Wenn einmal (vorläufig ſcheint in keinem
Bundesſtaat eine Ausſicht hierfur zu beſtehen) auch
ſein zweiter Abſchnitt über die „dingliche Sicherung
der Bauforderungen“ in Kraft geſetzt werden ſollte,
ſo kann der vorliegende, ſehr gründliche Kommentar
als brauchbares Hilfsmittel insbeſondere in allen
Fragen des Liegenſchaftsrechtes empfohlen werden.
F
Simon, Dr. Haus, Rechtsanwalt in Berlin.
wachsſteuergeſetz vom 14. Februar 1911.
XII, 150 S. Stuttgart 1911,
Anſtalt. Gebd. Mk. 3.60.
Der Kommentar beabſichtigt das Geſetz dem
Juriſten wie dem Laien verſtändlich zu machen. Der
Zuſammenhang mit dem Grundſtücks- und Hypotheken—
recht wird nachgewieſen, auch wird an geeigneten
Stellen auf das Baurecht Bezug genommen. Der
Verfaſſer hat in demſelben Verlag einen Kommentar
des Geſetzes zur Sicherung der Bauforderungen heraus—
gegeben. Dadurch ſind ihm die ſchwierigen Gebiete,
die hier in Frage kommen, beſonders vertraut geworden,
und das iſt auch ſeinen Erläuterungen zum Zuwachs—
ſteuergeſetze zugute gekommen. Ratſam wäre es ge—
weſen das Erſcheinen der Ausführungsvorſchriften ab—
zu warten.
du:
8.
Deutſche Verlags⸗
Zeitſchrift für Rec Rechtspflege in in Bayern. 1911. . 16
Nr. 16 u. 17.
Woerner, Dr. Otte, München. Sammlung der
für die Rechtskandidaten, Rechtsprakti⸗
kanten und geprüften Rechtspraktikanten
in Bayern geltenden Vorſchriften mit An»
merkungen und Sachregiſter. VIII, 390 S. Nürn⸗
berg, U. E. Sebald. Kart. Mk. 2.—.
Die Sammlung wird mit ihren ſachkundigen Er⸗
läuterungen den jungen Juriſten und den beteiligten
Behörden gute Dienſte leiſten. Der Zuſammenhang
mit dem neuen Beamtengeſetz iſt ſorgfältig berückſichtigt,
wo ſich dazu Anlaß bot.
München. Staatsanwalt Bleyer.
Das bayeriſche Malzauſſchlaggeſetz vom 18. März 1910
mit den Ausführungsbeſtimmungen, Formularen und
einem alphabetiſchen Sachregiſter. a und
Berlin 1911. J. Schweitzer Verlag. 237 S. Mk. 2.—.
Das in der Sammlung „Schweitzers (blaue) Text⸗
ausgaben“ erſchienene Büchlein enthält den Text des
im Titel bezeichneten Geſetzes und Ausführungsbe—
ſtimmungen hierzu vom 24. März 1910 ſamt den For⸗
mularmuſtern und Anlagen. Dr.
Pblagger L., Kgl. Rentamtmann in Eichſtätt. Wech⸗
ſelſtempelgeſetz vom 15. Juli 1909 nebſt Aus-
führungsbeſtimmungen und Vollzugsvorſchriften. Mit
Wechſelſtempeltarif, Sachregiſter und 4 Anhängen.
91 Seiten. Nürnberg und Leipzig. U. E. Sebald.
Kart. Mk. 1.50.
Das Büchlein bezweckt ſowohl eine Erleichterung
für die mit dem Vollzuge des Geſetzes betrauten —
insbeſondere bayeriſchen — Behörden als auch eine
raſche Einführung in das Studium des Geſetzes. Dieſem
Zwecke entſprechen Inhalt und Form, insbeſondere auch
der Umfang der Berückſichtigung der Judikatur. Leider
wirkt eine Reihe von Druckfehlern u. dgl. nament. ich
in den Zitaten oft jtörend; vgl. z. B. S. 9 Note 1
zu § 1: Schutzgeb S8 90, 93 gibt es nicht. Dr.
Cuno, Oberbürgermeiſter in Hagen i. W., Zuwachs
ſteuergeſetz vom 14. Februar 1911. Textausgabe
m. Einl., Anm. und Sachregiſter nebſt Anhang.
12°. 122 S. München 1911, Eugen Rentſch Ver⸗
lag Gebd. Mk. 1.80.
Neben den allerdings nicht weitgreifenden An:
merkungen verleiht der Ausgabe die im Eingang ge—
gebene ſyſtematiſche Darſtellung des Geſetzes auch für
den Laien Wert. Der vorliegende Text krankt aber
ebenſo wie die Handausgabe von Simon daran, daß
die Verfaſſer das Erſcheinen der Ausführungsbe—
ſtimmungen nicht abgewartet haben. In der Praxis
iſt dieſe erſte Auflage daher kaum zu benutzen. G
J. v. Standingers Kommentar zum Bürgerlichen Geſetz⸗
buch und dem Einführungsgeſetze herausgegeben von
Dr. Theodor Loewenfeld, Philipp Mayıing, Dr. Karl
Kober, Dr. Felix He 1 Dr. Erwin Riegler,
Dr. Ludwig Kuhlenbeck. Dr. Theodor Engelmann,
Joſeph Wagner. 5./6. neubearbeitete Auflage. 21.
Lieferung. Band V. Lieferung 3 (Schluß). Inhalt:
Erbrecht (Ss 2218-2235) erläutert von Wr. F.
Serzielder; alphabetiſches Regiſter zum V. Bande
bearbeitet von F. Keidel und Inhaltsverzeichnis
zum V. Bande. München und Berlin 1911, J.
Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Preis 8.50 Mk.
Es genügt anzuzeigen, daß mit der vorliegenden
Lieferung das von Herzfelder allein erläuterte Erb—
recht nunmehr fertig vorliegt. Damit iſt der Kommen»
‚ tar zum Bürgerlichen Geſetzbuch mit Ausnahme des
‚ läuterungen erſt zur rechten Wirkung bringen.
8 2050 Anm. VI PD, 2 S.
Einfuͤhrungsgeſetzes vollitändig geworden. Mit Freude
und Stolz ſehen wir auf die gewaltigen 7 Bände mit
ihrer unendlichen Fülle beſtgeſichteten Materials. Zu
Herzfelders Erbrecht wäre noch beſonders hinzuweiſen
auf die Menge rechneriſcher Beiſpiele, die die Er—
Zu
334 darf erwähnt werden,
daß ſich erſt jüngſt das Oberlandesgericht Jena in
ſeinem allerdings noch nicht rechtskräftigen Urteile
vom 13. Juli 1911 in Sachen Endres gegen Janſen
(2 U 30/11) der Anſicht Herzfelders gegen den Kommen»
tar der Reichsgerichtsräte dahin angeſchloſſen hat,
daß für die in Rentenform gewährte Ausſtattung die
beſondere Beſtimmung des Abſatz 2 des 8 2050, ſoweit
dieſe anwendbar iſt, gilt und daß inſofern Abſatz 2
den Abſatz 1 einſchränkt.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Schmidt, Chriſt., Anwaltsgebührentabelle ge⸗
mäß der bayeriſchen Landesgebührenordnung in den
Angelegenheiten der Rechtspflege mit Pauſchſätzen.
München, Verlag von Joſ. C. Huber, Dieſſen bei
München.
Die vorliegende Tabelle iſt überſichtlich und
brauchbar. Sie wird den Anwälten willkommen ſein.
Ueber den Wert der aus dem Inhalt der Landes⸗
gebührenordnung herausgearbeiteten, kurzen Ueber⸗
ſchriften und Bemerkungen kann man verſchiedener
Meinung ſein. Sie ſind naturgemäß nicht vollſtändig
und müſſen daher von demjenigen, der das Geſetz
ſelbſt nicht genau kennt, mit Vorſicht benutzt werden.
— 1 —
Noſenthal, Dr. Alfred, und C. Wehner, Reichs⸗
geſetz gegen den unlauteren Wettbe⸗
werb vom 7. Juni 1909 nebſt den in Betracht
kommenden Beſtimmungen des BGB. und der Inter⸗
nationalen Union zum Schutze des gewerblichen Eigen⸗
tums. Dritte, ſtark vermehrte, umgearbeitete und
ergänzte Auflage. Mannheim und Leipzig 1911,
J. Bensheimer. 375 S.
Dieſer Kommentar erfreut ſich mit Recht großer
Beliebtheit. Das Vorwort zur erſten Auflage datiert
vom Auguſt 1909, das zur dritten vom März 1911.
Es find alſo in etwa 1¼ Jahren drei Auflagen nötig
geworden. Die neueſte Auflage iſt von Roſenthal
allein umgearbeitet worden. Er hat die einzelnen
Gebiete vollſtändiger durchgearbeitet und einheitlicher
dargeſtellt. Die Reichhaltigkeit zeigt ſchon ein Blick
in das geſchickte Sachregiſter, das auch ein Namens⸗
regiſter beſonders charakteriſtiſcher Rechtsfälle in ſich
ſchließt, ſo daß der Intereſſent, dem einer jener Fälle
als vorbildlich für den zur Entſcheidung ſtehenden in
der Erinnerung vorſchwebt, nur im Sachregiſter nach—
zuſchlagen braucht, um die geſamte Darſtellung der
Teil materie zu finden. Um zu veranſchaulichen, was
ich meine, genügt es, hier aus dem Sachregiſter einige
Namen herauszugreifen: Champagner, Chartreuſe,
Farina, Gartenlaube, Jäger, Kyriazi, Mumm, Pilſener,
oder einige Schlagworte: Gella, Füllinſerat, Abon⸗
nentenzahl, Auflagenſchwindel. Der Kommentar er-
örtert in lichtvoller, überſichtlicher Weiſe den ganzen
Stoff fortlaufend unter Berückſichtigung der bunten
Mannigfaltigkeit der Fälle des täglichen Lebens und
der Aeußerungen in Literatur und Rechtſprechung. Zu
§ 1 erleichtert eine beſondere Inhaltsüberſicht über
die 150 Anmerkungen den Gebrauch. Der Kommentar
bietet nun aber auch vor der Erläuterung der einzel—
nen Paragraphen des Geſetzes eine ſyſtematiſche Ein⸗
führung in die Materie (S. 1—72), dabei auch eine
Gegenüberſtellung des Geſetzes von 1896 und des
geltenden Geſetzes. Von beſonderem Wert ſind darin
die Ausführungen über das Verhältnis des Unl WG. zu
den übrigen gegen unlauteres Geſchäftsgebaren ge⸗
richteten Geſetzen, namentlich zu 88 823 und 1004 BGB.
(S. 30—41), und die Darlegungen über die Anſprüche
auf Grund des UWG. (der Anſpruch auf Unterlaſſung,
die Wiederholungsgefahr als Vorausſetzung der Unter—
laſſungsklage, der Anſpruch auf Beſeitigung, auf
Schadenserſatz)z. Die Abgrenzung gegen 8 826 BGB.
erfolgt zu 81 UnlWG. Anm. 7 ff.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
351
Notizen.
Die Mitwirkung der Inſtizbehörden beim Vollzuge
des Zuwachs ſtenergeſetzes. In der IMB. vom 27. Juni
1911 (JMBl. S. 263) find unter Nr. I bis VI die
Vorſchriften zuſammengeſtellt, nach denen die Juſtiz⸗
behörden beim Vollzuge des Zuwachsſteuergeſetzes
mitzuwirken haben. Aufgabe der Juſtizbehörden iſt
es vor allem, den Zuwachsſteuerämtern (Rentämtern)
die Rechtsvorgänge mitzuteilen, die nach dem Geſetze
die Steuerpflicht begründen.
Der weſentlichſte Teil dieſer Aufgabe fällt den
Grundbuchämtern und den Notariaten zu
(Nr. 1 bis III der Bek.). Die in den Ausführungs⸗
beſtimmungen des Bundesrats vorgeſehene Erſtattung
beſonderer Uebereignungs⸗ und Veräußerungsanzeigen
für jede einzelne Eintragung oder Beurkundung iſt
den bayeriſchen Grundbuchämtern und Notariaten
erlaſſen; fie wird dadurch erſetzt, daß die Grundbuch⸗
ämter in den Umſchreibverzeichniſſen, die Notariate
in den Gebührenregiſtern die Steuerfälle durch Vor⸗
ſetzung eines 3 (die Notariate außerdem gewiſſe Steuer⸗
fälle durch Anführung der Geſetzesſtelle) kenntlich machen.
Nur ausnahmsweiſe haben auch die bayeriſchen Grund⸗
buchämter und Notariate eine beſondere Uebereignungs⸗
oder Veräußerungsanzeige zu erſtatten: die Grund-
buchämter im Falle der Uebereignung eines Berg⸗
werks, (weil darüber das Umſchreibverzeichnis keine
Auskunft gibt), die Notariate dann, wenn das Grund»
ſtück oder grundſtücksgleiche Recht im Bezirk eines
auswärtigen Zuwachsſteueramtes liegt, mit dem das
Notariat nicht wegen der Gebühren abrechnet; im
letzteren Falle kann aber die Einreichung der Ver⸗
aͤußerungsanzeige unterbleiben, wenn die Veräußerungs⸗
urkunde binnen zehn Tagen dem Grundbuchamte zum
Vollzuge vorgelegt und daraufhin der neue Eigen⸗
tümer in das Grundbuch eingetragen wird.
Dieſelbe Mitteilungspflicht wie dem Notariat
liegt dem Prozeßgericht ob, wenn es in einem
Prozeßvergleich einen die Steuerpflicht begründenden
Rechtsvorgang beurkundet (Nr. VI der Bek.). Der
Gerichtsſchreiber hat hier für jeden einzelnen Fall
eine beſondere Veräußerungsanzeige zu erſtatten.
Die Mitwirkung der Regiſtergerichte (Nr. IV,
der Bek.) dient in der Hauptſache dem Vollzuge
des 8 3 des Zuwachsſteuergeſetzes. Das Regiſtergericht
hat die unter 8 3 fallenden Rechtsvorgänge, ſoweit fie
ihm — insbeſondere aus den nach 8 40 des GmbHs.
jährlich eingereichten Liſten der Geſellſchafter — bekannt
werden, dem Zuwachsſteueramte mitzuteilen, im übrigen
aber nur von Fall zu Fall auf beſonderes Erſuchen
des Zuwachsſteueramtes Auskunft zu geben.
Der letzte Abſchnitt der Bek. Nr. VII beſtimmt,
auf welche Zeit zurück die in Nr. I, II u. VI vorge⸗
ſchriebenen Anzeigen nachträglich zu erſtatten ſind.
2347
Die Mitwirkung der Inſtizbehörden beim Bollzuge
des Einkommeuſtenergeſetzes wird geregelt durch eine
Bekanntmachung vom 14. Juli 1911 (JM Bl. S. 283 ff.).
Hiernach haben die Vormundſchaftsgerichte dem Rent⸗
amte Kenntnis zu geben, wenn über einen Abweſenden
eine Pflegſchaft mit Kapitalvermögen am 1. Oktober
1911 beſteht oder ſpäter angeordnet wird oder wenn
dem Abweſenden ſpäter Kapitalvermögen zufällt (f.
Art. 35 Abſ. II des EinkStG. vom 14. Auguſt 1910,
GVBl. S. 512, und § 3 Abſ. IV Satz 2 und 3 der
Vollzugsvorſchriften vom 28. Mai 1911, GVBl. S. 458).
Ferner haben die Nachlaßgerichte vom 1. Januar 1912
an die Nachlaßpfleger, die Nachlaßverwalter und die
Teſtamentsvollſtrecker auf ihre Verpflichtungen nach
Art. 73 Abſ. 1 des EinftSt®. hinzuweiſen (vgl. dazu
8 85 Abſ. II der Vollzugsvorſchriften, GVBl. 1911
352
S. 551). Der 3. Abſchnitt der Bek. vom 14. Juli 1911
regelt die Einſicht der grundbuchamtlichen Tagebücher
durch die Rentämter (ſ. dazu 8 51 Abſ. II, III der
Bollzugsvorſchriften, GVBl. 1911 S. 519).
2348
Denticher Juriſtentag. Die Ständige Deputation
des Deutſchen Juriſtentages hat in der unter dem
Borſitz von Erz. Prof. Dr. Brunner zu Bad Elſter ab⸗
gehaltenen Pfingſtkonferenz beſchloſſen, den nächſten
Deutſchen Juriſtentag im September 1912 in Wien
ſtattfinden zu laſſen.
Es ſollen folgende Themata auf die Tagesord⸗
nung geſetzt werden:
1. Sind für die Zwecke der Beleihung von Erb⸗
baurechten durch Hypothekenbanken und andere Kredit⸗
inſtitute die Beſtimmungen des geltenden Rechts aus⸗
reichend, oder erſcheint — und in welchem Sinne —
eine graänzung dieſer Beſtimmungen geboten?
2. Empfehlen ſich geſetzliche Maßnahmen in bezug
auf die Sicherungsübereignung?
3. Empfiehlt ſich eine Aenderung des im Deutſchen
Reich und in Oeſterreich geltenden Rechts betreffend
die aus Anlaß einer Grundſtücksveräußerung ſtatt⸗
findende Uebernahme einer durch Hypothek geſicherten
Forderung durch den Grundſtückserwerber?
4. Empfehlen ſich geſetzgeberiſche Maßnahmen, durch
welche die Haftung des perſönlichen Schuldners für
den Hypothekenausfall beſchränkt wird, wenn der Gläu⸗
biger ſeine Hypothek nicht ausgeboten und das Grund⸗
ſtück weit unter dem Werte erſtanden hat?
5. Empfiehlt ſich eine Fortbildung des geltenden
Schadenserſatzrechts durch beſondere geſetzliche Beſtim⸗
mungen über die Haftung für Schäden, die verurſacht
werden:
a) durch Errichtung, Beſtand und Betrieb elek⸗
triſcher Anlagen und Fernleitungen;
b) durch die Verwendung von Luftſchiffen und
Flugmaſchinen?
6. Welche der für Privatangeſtellte außerhalb des
HGB. geltenden ſozialen Schutzvorſchriften eignen ſich
zur Erſtreckung auf alle Privatangeſtellten?
7. Inwieweit empfiehlt es ſich, die Grundgedanken
des heutigen deutſchen Aktienrechts in das öſterreichiſche
Recht aufzunehmen?
8. Die Freiheitsſtrafe nach dem Vorentwurf zu
einem deutſchen StGB.
9. Die Sicherungsmaßregeln nach dem Vorentwurf
zu einem deutſchen StGB.
10. Die Todesſtrafe.
11. Was kann geſchehen, um bei der Ausbildung
(vor oder nach Abſchluß des Univerſitätsſtudiums) das
Verſtändnis der Juriſten für pſychologiſche, wirtſchaft—
liche und ſoziologiſche Fragen in erhöhtem Maße zu
fördern?
12. Sind die Grundſätze der Mündlichkeit der Ver—
handlung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
in dem jetzt geltenden deutſchen Zivilprozeß zweck—
mäßig durchgefuhrt, oder welche Aenderungen empfehlen
ſich für den Fall einer durchgreifenden Neugeſtaltung
des bürgerlichen Rechtsſtreits?
13. Unter welchen Vorausſetzungen kann die recht—
liche Gleichſtellung der in Oeſterreich oder in dem
Deutſchen Reich errichteten Notariatsurkunden in beiden
Reichen erzielt werden?
Der Beitritt zum Deutſchen Juriſtentag geſchieht
durch Anmeldung bei dem Schriftführer Juſtizrat
Dr. Hugo Neumann, Berlin W., Potsdamer Straße 118,
oder bei der Geſchäftsſtelle J. Guttentag Verlagsbuch⸗
handlung G. m. b. H., Berlin W., Lützowſtraße 107/108,
unter Beifügung des Jahresbeitrages von 6 M.
|
' erheiicht und benötigt,
52 BBeüſckriſt für Rechtspflege in Bapern. 1911. Nr. 18 u. 117. für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 16 u. 17.
Sprachecke.
Zahlungsunwilliger Schuldner, Zahlungsunwillig⸗
keit. Dieſe Ausdrücke ſchleichen ſich in neuerer Zeit
in die Juriſtenſprache ein. So ſprach eine Strafkam⸗
mer (ſiehe RG St. Bd. 43 S. 171) von einem zahlungs⸗
unwilligen Schuldner und eine andre Strafkammer in
der allerneueſten Zeit nach einem Zeitungsbericht von
der Zahlungsunwilligkeit eines Schuldners. Man
Dan hierbei von der Anſicht auszugehen, daß das
räfix un immer die Eigenſchaft habe, die Bedeutung
des Wortes, dem es vorgeſetzt wird, in ihr Gegenteil
zu verwandeln. Dies iſt auch meiſtens der Fall: aus
Wahrheit wird Unwahrheit, aus Glück Unglück, aus
Heil Unheil. Das Präfix kann auch die Bedeutung
des Wortes ſteigern: aus Zahl entſteht Unzahl, aus
Summe Unſumme. Es kann weiter auch dem Worte
eine bloß abweichende Bedeutung in der Richtung des
Unangenehmen, des Nachteiligen, des Schlimmen geben:
aus Tier wird Untier, aus Kraut Unkraut, aus Tat
Untat, aus Wetter Unwetter, aus Name Unname, aus
Mut Unmut, aus Wille Unwille. Um bei dem letzten
Ausdruck zu bleiben: Unwille iſt alſo nicht das Gegen⸗
teil von Wille, iſt nicht Nichtwille, und einer, der un⸗
willig iſt, iſt nicht nichtwillig. Unwillig iſt auch nicht
dadurch entſtanden, daß dem Worte willig das Prä—
fix un vorgeſetzt worden wäre, ſondern es iſt unmit⸗
telbar aus dem Worte Unmile entſtanden. Ein zah⸗
lungsunwilliger Schuldner iſt alſo nicht ein nichtzah⸗
lungswilliger Schuldner, er iſt vielleicht ein zahlungs⸗
williger Schuldner, der darüber unwillig iſt, daß er
zahlen muß, und Zahlungsundwilligkeit iſt nicht Nichts
zahlungswilligkeit. Man wird daher dieſe Ausdrücke
wohl wieder außer Gebrauch ſetzen müſſen. Und es
iſt bemerkenswert, daß das Reichsgericht ſelbſt in dem
oben angeführten Urteil den Ausdruck zahlungsun—
willig vermeidet, indem es dafür nicht zahlungswillig
gebraucht, und von mangelndem Zahlungswillen und
mangelnder Zahlungswilligkeit ſpricht, nicht aber von
Sahlungsunmilligteit. T:
Vernotwendigt ſich „ſich vernolwendigen“? Immer
häufiger begegnet man jetzt dem ſonderbaren Ausdruck
„ſich vernotwendigen“. Da heißt es in einem gericht»
lichen Schriftſtück: „Da Beklagter Zahlung verweigert,
hat ſich Klage vernotwendigt“, und ſchon 1890 ſchrieb
einmal eine Zeitung: „Für Lübeck, Lauenburg, dem
() Fürſtentum Lübeck und Oſtholſtein, wird ſich ein
zweiter großer Extrazug vernotwendigen“. Die „Grenz—
boten“ hatten alſo unrecht, als ſie erſt 1907 das Wort
als einen neuen Beweis begrüßten, daß die deutſche
Sprache „ſich rüſtig weiter verſchwülſtigt“; daß fie es
aber auch allen Aktenmenſchen „dringend zum täglichen
Gebrauch empfahlen“, das hat ſich bewährt, denn es
gibt immer noch zahlreiche unter dieſen, die ſolche
neue Brocken, die man ihnen hinwirſt, gierig auf⸗
fangen. Tatſächlich ſieht man das Wort leider immer
häufiger; fo laſen wir es kürzlich in einem Verlags-
vertrage: „. .. für die erſte und alle weiteren event.
ſich vernotwendigenden Auflagen“. Immer öfter be—
ſchwert man ſich beim Sprachverein über das Auf—
tauchen dieſes Wortes, und daher vernotwendigt es
ſich allerdings, daß einmal die Frage aufgeworfen
wird: Vernotwendigt es ſich wirklich, dieſes Scheuſal
ſelbſt in der Aktenſprache ſür vernotwendigt zu halten?
Ja, ſo zu fragen, das iſt unumgänglich, unabweislich,
unausbleiblich, unvermeidlich, notwendig und nötig;
es wird verlangt, erfordert, begehrt, beanſprucht, ja
ſo zu fragen; und deshalb
beantworten wir dieſe Frage mit einem glatten Nein.
| Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweißer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 18. München, den 15. September 1911. 7. Jahrg.
Iteilſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
h. von der Pfordten in Bay EIN 3. ace | derlas
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz. München und Berlin.
Redaktion und Expedition: München. Lenbachplatz 1.
„ Inſertionsgebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene l
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats /
im Umfange von mindeftens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
pr er Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und I
oſtanſta h
—
Nachdruck verboten. 353
in Rü 0 Vormunde der in Nr. 1, 2 be⸗
de kenn ura n Münden. een Alan eh wee bur
Von Amtsrichter Matthias Mayr in München. 4. im Falle einer nach den Vorſchriften der
Nach dem Vormundſchaftsrechte des BGB. Nr. 1 bis 3 ſtattfindenden Bevormundung ein
wird für jeden Mündel vom Vormundſchafts⸗ Gegenvormund nicht zu beſtellen iſt und dem Vor⸗
gerichte nach Anhörung des Gemeindewaiſenrats munde die nach 8 1852 BGB. zuläffigen Be⸗
ein einzelner Vormund ausgewählt und beſtellt. freiungen zuſtehen. .
Hierbei find Verwandte und Verſchwägerte des Auf Grund dieſer Vorbehalte erging das
Mündels zunächſt zu berückſichtigen (1779 BGB.). bayeriſche Geſetz vom 23. Februar 1908, die
Gewiſſe Perſonen haben ein Recht als Vormund Berufsvormundſchaft betr. (GVBl. Nr. 12 S. 85).
beſtellt zu werden (§S 1776 BGB.). Kein Bor: Nach dieſem Geſetze können Beamte einer Ge⸗
mund aber erlangt ſein Amt kraft Geſetzes, es meinde vor den berufenen Perſonen zu Vor⸗
bedarf vielmehr immer der Beſtellung (81789 BGB.). mündern für die Minderjährigen beſtellt werden,
Der Vormund führt ſein Amt als Ehrenamt neben die unter der Aufſicht der Beamten in einer von
ſeinem bürgerlichen Beruf. Die berufsmäßige ihnen ausgewählten Familie oder Anſtalt oder
Führung vieler Vormundſchaften durch eine | (bei unehelichen Minderjährigen) in der mütter⸗
Perſon kennt das BGB. nicht. lichen Familie erzogen oder verpflegt werden
Nach Art. 136 EG. z. BGB. bleiben die landes⸗ (Art. 1 und 3 B G.). Durch ein von den
geſetzlichen Vorſchriften unberührt, nach welchen Staatsminiſterien der Juſtiz und des Innern
1. der Vorſtand einer unter ſtaatlicher Ver⸗ genehmigtes Gemeindeſtatut kann aber auch be:
waltung oder Aufſicht ſtehenden Erziehungs⸗ oder | ſtimmt werden, daß Gemeindebeamte alle oder
|
Verpflegungsanſtalt oder ein Beamter alle oder einzelne Rechte und Pflichten eines Vormunds
einzelne Rechte und Pflichten eines Vormunds für für ſolche Minderjährige ohne weiteres haben
diejenigen Minderjährigen hat, welche in der Anz (Art. 2). Der Berufsvormund genießt die nach
ſtalt oder unter der Aufſicht des Vorſtandes oder § 1852 Abs. 2 BGB. zuläſſigen Befreiungen
des Beamten in einer von ihm ausgewählten (Art. 6). Soweit er das Amt des Vormunds
Familie oder Anſtalt erzogen oder verpflegt werden, erhält, endigen die Rechte und Pflichten des bis⸗
und der Vorſtand der Anſtalt oder der Beamte herigen Vormunds (Art. 5).
auch nach der Beendigung der Erziehung oder Zur Ausführung dieſes Geſetzes haben die
Verpflegung bis zur Volljährigkeit des Mündels Kollegien der Haupt- und Reſidenzſtadt München
dieſe Rechte und Pflichten behält unbeſchadet der am 29. November und 7. Dezember 1910 das
Befugnis des Vormundſchaftsgerichts, einen anderen Folgende beſchloſſen:
Vormund zu beſtellen; § 1. Ein Beamter der Gemeinde kann nach
2. die Vorſchriften der Nr. 1 bei unehelichen Maßgabe der Dienſtanweiſung als beruflicher Vor—
Minderjährigen auch dann gelten, wenn dieſe unter | mund über uneheliche Minderjährige beſtellt werden,
der Aufſicht des Vorſtandes oder des Beamten in die unter ſeiner Aufſicht in einer von ihm aus—
der mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt gewählten Familie oder Anſtalt oder in der
werden; | mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt werden
3. der Vorſtand einer unter ſtaatlicher Ver- (Art. 1, 3 des Geſetzes).
waltung oder Aufſicht ſtehenden Erziehungs- oder Er kann nach Maßgabe der Dienſtanweiſung
Verpflegungsanſtalt oder ein von ihm bezeichneter auch Pflegſchaften über eheliche Minderjährige zur
Angeſtellter der Anſtalt oder ein Beamter vor den | Geltendmachung ihrer Unterhaltsanſprüche über:
nach § 1776 BGB. als Vormünder berufenen nehmen.
354
Er führt den Namen Berufsvormund.
82. Der Berufsvormund überwacht in Unter:
ſtützung des Gemeindewaiſenrats die körperliche
Pflege der in München ſich aufhaltenden unehe⸗
lichen Säuglinge, bis dem Gemeindewaiſenrate die
durch 8 1851 BGB. vorgeſchriebene Mitteilung
des Vormundſchaftsgerichts zugegangen iſt.
8 3. Der Berufsvormund vermittelt zur Unter:
bringung von Koſtkindern geeignete Pflegeſtellen.
8 4. Der Berufsvormund kann bei der Er:
füllung feiner Amtspflichten freiwillige oder be⸗
ſoldete Pfleger oder Pflegerinnen verwenden.
8 5. Die Vorſchriften treten mit dem 1. Januar
1911 in Kraft.
Die Einführung der Berufsvormundſchaft in
München gibt zu folgenden rechtlichen Betrach⸗
tungen Anlaß:
1. Allgemeine rechtliche Bedeutung der gemeindlichen
Beſchlüſſe vom 29. November und 7. Dezember 1910.
Das Geſetz vom 23. Februar 1908, die Be⸗
rufsvormundſchaft betr., umfaßt zwei Arten der
Berufsvormundſchaft:
die ſog. geſetzliche Berufsvormundſchaft, bei
der ein Gemeindebeamter ipso jure Vormund ge:
wiſſer Mündel iſt (Art. 2) und die ſog. beftellte
Berufsvormundſchaft, bei der es einer beſonderen
Beſtellung des Gemeindebeamten als Vormund
von Fall zu Fall bedarf.
Die Münchener Einrichtung beſchränkt ſich auf
die zweite Art der Beruſsvormundſchaft. Die Be⸗
ſchlüſſe der ſtädtiſchen Kollegien find kein Gemeinde:
ſtatut im Sinne des Art. 2, ſondern laſſen nur
die Beſtellung eines beſtimmten Gemeinde⸗
beamten für gewiſſe Arten von Mündeln zu.
Bei der großen Zahl der einſchlägigen Vor⸗
mundſchaften wäre es in München mit großen
Schwierigkeiten verbunden geweſen, gleich die ge⸗
ſetzliche Berufsvormundſchaft einzuführen. Daraus
erklärt es ſich, daß man ſich zunächſt auf die
ſchwächere Art beſchränkt hat. Man darf aber
erwarten, daß auch in München der Uebergang
zur geſetzlichen Berufsvormundſchaft erfolgen wird,
wenn ſich die Einrichtung einmal vollkommen ein—
gebürgert hat.
Es wirft ſich die Frage auf, ob es überhaupt
gemeindlicher Beſchlüſſe bedurfte, um die Berufs—
einzuführen. Denn Gemeindebeamte, unter deren
Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. für Rechtspflege in in Bayern. 1 1911. Nr. 18.
Ain in der berufsmäßigen Uebernahme von
Vormundſchaften beſteht, und geben den (gemeinde⸗)
dienſtlichen Rahmen für die Aufgaben dieſes Amts.
Es iſt alſo jetzt im Gegenſatz zum bisherigen Zu:
ſtand ein Beamter vorhanden, der Vormundſchaften
im Hauptamte führt.
2. Der Pflichtenkreis des Münchener Berufsvormunds.
Dem Münchener Berufsvormund find ver⸗
ſchiedene Aufgaben zugewieſen, teils ſolche, die im
Rahmen des Geſetzes vom 23. Februar 1908 liegen
(eigentliche Berufsvormundſchaft), teils ſolche, die.
dieſem Geſetze fremd ſind.
a) Eigentliche berufsvormundſchaftliche
Aufgaben.
Nach den gemeindlichen Beſchlüſſen ſoll der
Berufsvormund als beruflicher Vormund für ſolche
uneheliche Minderjährige beſtellt werden können,
die unter ſeiner Aufſicht in einer von ihm aus⸗
gewählten Familie oder Anſtalt oder in der
mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt werden.
Hier ſpringt vor allem die Beſchraͤnkung auf
uneheliche Minderjährige in die Augen. Art. 1
des Geſetzes enthält dieſe Beſchraͤnkung nicht.
Ihre Bedeutung erſchöpft ſich in einer Begrenzung
des Amtskreiſes des Münchener Berufsvormunds.
Das Vormundſchaftsgericht iſt aber nicht gehindert,
den Berufsvormund mit Zuſtimmung der Ge
meinde auch für eheliche Minderjährige zu beſtellen.
Der Berufsvormund hätte auch in einem ſolchen
Falle die ihm durch das Geſetz vom 23. Februar
1908 eingeräumte Rechtsſtellung.
Soll der Berufsvormund dieſe Rechtsſtellung
erhalten, ſo muß die Vorausſetzung erfüllt ſein,
daß das Kind in einer von ihm ausgewählten
Familie oder Anſtalt unter ſeiner Aufſicht erzogen
wird. Ob dieſe Vorausſetzung zutrifft, hat das
Vormundſchaftsgericht nach den Grundläßen der
freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen feſt⸗
zuſtellen. Das macht oft Schwierigkeiten. Bisher
erfolgte die Beſtellung des Berufsvormunds faſt
ausſchließlich auf Anregung des Stadtmagiſtrats
München. Dabei war nicht immer dargetan,
ob jenes perſönliche Verhältnis des Berufsvor⸗
munds zu dem Mündel beſtand. In dieſen Fällen
vormundſchaft nach Art. 1 des Geſetzes in München
Vormund verpflichtet.
Aufſicht und nach deren Auswahl Minderjährige
erzogen wurden, gab es auch vorher ſchon in
München. Und mehr verlangt der Art. 1 des
Geſetzes nicht. Wenn ein ſolcher Gemeindebeamter
als Vormund beſtellt worden wäre, hätte er auch
bisher ſchon zweifellos alle Vorrechte des Berufs—
vormunds genoſſen (Art. 5 und 6). Inſoferne
wäre alſo die aufgeworfene Frage zu verneinen.
Gleichwohl find die gemeindlichen Beſchlüſſe durch—
aus nicht bedeutungslos.
das erforderliche Gemeindeamt, deſſen Geſchäfts- ,
Denn ſie ſchaffen erſt
wurde dann der Berufsvormund als gewöhnlicher
Ich halte dieſes Verfahren
nicht für richtig. Es kann nicht dahingeſtellt
bleiben, ob die Vorausſetzungen des Geſetzes ge
geben ſind. Denn wenn ſie gegeben ſind, genießt
der Berufsvormund kraft Geſetzes die eingeräumten
Vorrechte. Die Feſtſtellung iſt namentlich dann
wichtig, wenn bisher ein anderer Vormund beſtellt
war. Denn das Amt dieſes Vormunds endet
kraft Geſetzes nur dann, wenn der gemeindliche
Vormund wirklicher Berufsvormund wird. Andern—
falls muß der bisherige Vormund gefragt werden,
ob er freiwillig ſein Amt niederlegen will. Ganz
geitfcheift für Rechtspflege in in Bayern. 1911. Nr. 18, 355
— —
unerläßlich iſt die zweifelsfreie Feſtſtellung dann,
wenn berufene Perſonen ($ 1776 BGB.) über:
gangen werden ſollen. Dagegen hat die Frage
der zuläſſigen Befreiungen nur geringe praktiſche
Bedeutung; denn es handelt ſich meiſt um ganz
vermögensloſe Mündel.
Der Berufsvormund hat die geſetzlichen Vor⸗
rechte in allen Fallen, in denen der Mündel nach
ſeiner Auswahl und unter ſeiner Aufſicht unter⸗
gebracht iſt. Er erlangt ſie nicht etwa bloß dann,
wenn berufene Perſonen übergangen worden ſind.
Das muß ausdrücklich hervorgehoben werden. Das
Geſetz vom 23. Februar 1908 ſchließt ſich ängſtlich
dem Wortlaute des Art. 136 EG. z. BGB. an und
hat damit die ungenaue, juriſtiſch wenig glückliche
Faſſung dieſes Artikels übernommen. Dieſe Faſſung
(Art. 1 des Geſetzes) könnte zu der Anſicht führen,
daß nur der wirklicher Berufsvormund iſt, der
berufene Perſonen übergangen hat. Dieſe Aus⸗
legung muß abgelehnt werden. Denn ſie waͤre
logiſch ein Unſinn, weil ſie den Berufsvormund
einer dem Mündel fremden Perfon e
ſchlechter ſtellen würde als ſeinen nächſten An⸗
5
Allerdings fordert das Geſetz auch noch, daß das
Kind unter der Aufſicht des Berufsvormunds
ſteht. Allein auch das Recht und die Pflicht der
Aufſicht erlangt jeder Vormund, demnach auch
der Berufsvormund durch ſeine Beſtellung. Ein
auf öffentlichrechtlicher gemeindeamtlicher Grund⸗
lage ruhendes Aufſichtsrecht für die Berufsvor⸗
mundſchaft zu fordern, iſt nach dem Wortlaute
des Geſetzes nicht angaͤngig. Ich ſtelle demnach
den Satz auf: Der ſtädtiſche Berufsvormund er⸗
hält in allen Fällen, in denen er für einen Minder⸗
jährigen beſtellt worden iſt, die im Geſetze vom
23. Februar 1908 eingeräumten Vorrechte, ſomit
die Rechtsſtelluug des eigentlichen Berufsvormunds,
ſoferne er nur die Unterbringung des Kindes
billigt. Er kann aber unter Uebergehung einer
berufenen Perſon oder gegen den Willen des bis⸗
herigen Vormunds nur dann beſtellt werden, wenn
er ſchon bisher die Erziehungsſtelle „ausgewählt“
und die Erziehung und Verpflegung des Kinds
„beaufſichtigt“ hat. (Schluß ſolgt).
Die ungenaue Faſſung des Geſetzes läßt auch
Zweifel darüber aufkommen, wann eigentlich feſt⸗
geſtellt werden kann, daß der Mündel unter Auf⸗
ſicht des gemeindlichen Beamten in einer von
ihm ausgewählten Familie oder Anſtalt er⸗
zogen oder verpflegt wird. Eine Auswahl der
Familie oder Anftalt durch den Berufsvormund
ſelbſt wird ſelten ſtattfinden. In der Regel wird
der Mündel in einer von der Mutter oder dem
bisherigen Vormund beſtimmten Familie oder
Anſtalt erzogen werden. Häufig wird die Koſt⸗
ſtelle auch von der heimatlichen Armenpflege aus⸗
gewählt ſein. Bei Zwangszöglingen erfolgt die
Auswahl durch die Diſtriktsverwaltungs behörde.
Der Begriff der „Auswahl“ durch den Berufs⸗
vormund muß alſo erheblich weiter gefaßt werden,
wenn anders das Geſetz praktiſche Bedeutung haben
ſoll. Barthelmeß läßt in ſeinem Kommentar zum
BVG. das Erfordernis der Auswahl ſchon dann
gegeben ſein, wenn die Auswahl zwar von dem
zur tatſächlichen Fürſorge berechtigten Elternteil
getroffen iſt, die Gemeinde oder der Beamte aber
der Auswahl ausdrücklich oder ſtillſchweigend zu⸗ 5 8 689 II 3PO. beſtimmt, daß zur Er:
geſtimmt haben, ferner auch dann, wenn die dem laſſung des Zahlungsbefehles dasjenige Amtsgericht
Beamten vorgeſetzte Behörde die Auswahl ge: zuſtändig iſt, welches für die im ordentlichen
troffen hat, weil dann das Einverſtändnis des Verfahren erhobene Klage zuſtändig ſein würde,
Beamten zu vermuten ſei. Ich verkenne nicht, daß wenn das Amtggericht in erſter Inſtanz ſach⸗
dieſe Auslegung ſehr weit geht, muß ihr aber lich unbeſchränkt zuſtändig wäre. Die Haupt:
gleichwohl beipflichten, weil man ſonſt nicht zu bedeutung dieſer Aenderung iſt die, daß im Gegen⸗
praktiſch brauchbaren Ergebniſſen kommt. Das ſatz zu früher nunmehr auch im Gerichtsſtand des
hat die merkwürdige Folge, daß der gemeindliche Erfüllungsortes und im vereinbarten Gerichtsſtand
Vormund durch ſeine Beſtellung auch in den Fällen der Zahlungsbefehl beantragt werden kann. Der
|
ie Behandlung der Mahnſachen und der
Ferienſachen nach der Novelle zur 35H. vom
1. Juni 1909.
Von Amtsrichter Theodor Gres in München.
Die Novelle zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz, zur
Zivilprozeßordnung, zum Gerichtskoſtengeſetz und
zur Gebührenordnung für Rechtsanwälte hat wäh⸗
rend ihrer nunmehr nahezu eineinhalbjährigen
Wirkſamkeit in der Praxis eine Reihe von Streit⸗
fragen gezeitigt. Es ſollen hier einige von ihnen
beſprochen werden, die ſich auf die Behandlung
der Mahnſachen und der Ferienſachen beziehen.
I. Das Mahnverfahren iſt in drei wichtigen
Punkten gegenüber dem früheren Rechtszuſtand
geändert worden, nämlich dadurch, daß die ört⸗
liche Zuſtändigkeit erweitert, daß der Amtsbetrieb
für die Zuſtellungen eingeführt und daß die Ueber⸗
un in das ordentliche Verfahren erleichtert
die Vorrechte des eigentlichen Berufsvormunds Gläubiger muß in dieſem Fall die Angaben über
bekommt, in denen zunächſt jene Vorausſetzung den Erfüllungsort oder die Vereinbarung in das
nicht gegeben war, ſoferne er nur die bisherige | Mahngeſuch aufnehmen, damit der Richter bei
Unterbringung des Kindes als Vormund billigt. der Erlaſſung des Zahlungsbefehles ſeine Zuſtän-
356
5 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
digkeit feſtſtellen kann. Daraufhin ergeht der
Zahlungsbefehl und wird zugeſtellt; eine Zu⸗
ſtellung des Mahngeſuchs an den Schuldner findet
nicht ſtatt.
Es iſt nun die Frage aufgetaucht, wie nach
der Erhebung des Widerſpruchs in dem ſich an⸗
ſchließenden ordentlichen Verfahren beim Ausbleiben
des Beklagten die Zuſtändigkeit des Gerichts zur
Erlaſſung des Verſäumnisurteils feſtzuſtellen iſt.
Amtsgerichtsrat Jaſtrow in Berlin hat in der JW.
1911 S. 17 ff. hierzu ausgeführt, daß der Klaͤger,
wenn man nach der Strenge des Geſetzes gehen
würde, dem Beklagten einen Schriftſatz zuſtellen
laſſen müßte, in dem die Behauptung des Er:
füllungsortes oder der Vereinbarung enthalten iſt,
da nach $ 335 Abſ. I Ziff. 3 ZPO. nur ſolche
Behauptungen im Verſäumnisverfahren als zu:
geſtanden gelten, die der Klaͤger dem Beklagten
durch einen Schriftſatz mitgeteilt hat. Das ent⸗
ſpricht keineswegs dem praktiſchen Bedürfnis und
iſt nicht geeignet, das Mahnverfahren, deſſen
häufigere Anwendung die Novelle fördern wollte,
beliebt zu machen. |
In der Praxis wird nun wohl allgemein jo
verfahren, daß die Angaben über Erfüllungsort
oder Zuſtändigkeitsvereinbarung in den Zahlungs⸗
befehl aufgenommen werden. Der Schuldner
erhält auf dieſe Weiſe Kenntnis oon den Be⸗
hauptungen des Gläubigers und dieſe Behauptungen
haben beim Ausbleiben des Schuldners dann als
zugeſtanden zu gelten. Jaſtrow erkennt an, daß
das Geſetz im Mahnverſahren augenſcheinlich den
Inhalt des Zahlungsbefehls dem Vorbringen in
einem Schriftſatze gleichſtellt, da dem Beklagten
das Mahngeſuch ja nicht zugeſtellt wird; er be⸗
zeichnet dieſe Regelung aber immerhin als ein
Mittel nicht supplendi, ſondern corrigendi iuris
civilis gratia, da eine Behauptung, um als zu:
geſtanden zu gelten, dem Beklagten vom Kläger
(nicht vom Gericht) mitgeteilt ſein müſſe, und hält
es für wünſchenswert, daß das Geſetz dieſen
Punkt ausdrücklich geregelt hätte.
Ich glaube, daß auch ohne ausdrückliche ge—
ſetzliche Regelung die geſchilderte Praxis den Prozeß⸗
vorſchriften entſpricht. Wenn das Geſetz im § 693 IL
ZPO. beſtimmt, daß mit der Zuſtellung des
Zahlungsbefehls die Wirkungen der Rechtshangig—
keit eintreten (die ſonſt an die Zuſtellung der
Klageſchrift geknüpft ſind), ſo iſt damit deutlich
ausgeſprochen, daß der Zahlungsbefehl im Mahn:
verfahren die Klageſchrift vertritt, wenn er ſeiner
rechtlichen Natur nach auch ein richterlicher Akt
und keine Klage iſt. Der Inhalt des Zahlungs—
befehls gilt alſo dann dem Beklagten ebenſo mit:
geteilt, wie der Inhalt der Klage, und wenn der
Erfüllungsort oder die Zuſtändigkeitsvereinbarung
im Zahlungsbefehl enthalten iſt und der Beklagte
im Termin nicht erſcheint, gelten auch dieſe Be—
hauptungen als zugeſtanden.
Jaſtrow erwähnt noch, es ſei auch möglich,
die Behauptungen in die Ladung des Beklagten
zum Termin aufzunehmen. Wenn er dieſe Maß⸗
nahme als eine Korrektur des Geſetzes bezeichnet,
ſo iſt ihm meiner Auffaſſung nach völlig beizu⸗
treten. Es dürfte dieſe Regelung auch nicht ge⸗
nügen, um ein Verſäumnisurteil gegen den aus⸗
gebliebenen Beklagten zu ermöglichen; denn die
vom Gerichte ausgehende Ladung iſt einem Partei⸗
ſchriftſatze nicht gleichzuſtellen und es fehlt im
Gegenſaz zu dem vorher behandelten Fall der
Aufnahme in den Zahlungsbefehl an einer ge⸗
ſetzlichen Vorſchrift, aus der dieſe Gleichſtellung
zu folgern wäre.
2. Zn SS 696, 697 3 PO. Die Frage, ob
das Amtsgericht nach vorausgegangenem Mahn⸗
verfahren bei einem zur Zuſtändigkeit der Land⸗
gerichte gehörigen Streitgegenſtande Verſaͤumnis⸗
urteil erlaſſen kann, iſt ſehr beſtritten. Die Kom⸗
mentare von Gaupp⸗Stein und Seuffert verneinen
ſie. Auf dem gleichen Standpunkt ſteht Rechts⸗
anwalt Dr. Rieß in Berlin (JW. 1910 S. 796),
Landrichter Schrödter in Glatz (JW. 1910 S. 987
und 1911 S. 530), Rechtsanwalt Deiler in Augs⸗
burg (JW. 1911 S. 527). Bejaht wird die Frage
in der Ausgabe von Sydow⸗Buſch, ferner von
Rechtsanwalt Frohmuth in Neiſſe (JW. 1910
S. 985), von Amtsgerichtsrat Dr. Levin in Berlin
(JW. 1910 S. 985, Fußnote und 1911 S. 531)
und von Rechtsanwalt Dr. Leviſon in Düſſeldorf
(JW. 1910 S. 986). Remelé: „Die durch das
Geſetz vom 1. Juni 1909 geänderten Beſtim⸗
mungen“ S. 48 bejaht die Frage ebenfalls, ab:
geſehen von den Fällen ausſchließlicher Zuſtändig⸗
keit des Landgerichts (§ 70 II, III GVG.)
Von Entſcheidungen aus der Praxis iſt an⸗
zuführen, daß das Landgericht Naumburg in
einem Urteil vom 28. Februar 1911 (JW. 1911
S. 416) den verneinenden Standpunkt einnahm,
das Amtsgericht Leer dagegen ſich (JW. 1911
S. 125) der gegenteiligen Auffaſſung anſchloß.
Die hieſige Gerichtspraxis geht, ſoviel dem
Unterzeichneten bekannt iſt, dahin, daß ein Ver⸗
ſäͤumnisurteil in landgerichtlichen Sachen nicht
erlaſſen wird, und dieſer Standpunkt ſcheint mir
zutreffend zu ſein. Bei Erörterung der Frage
iſt zunächſt auf die Entſtehungsgeſchichte der
SS 696, 697 3P O. einzugehen.
Nach bisherigem Recht war nach der Ein⸗
legung des Widerſpruchs das Verfahren verſchieden,
je nachdem die wegen des Anſpruchs zu erhebende
Klage vor die Amtsgerichte oder vor die Land:
gerichte gehörte. Im erſteren Falle bedurfte es
keiner beſonderen Klage, die Klage wurde viel⸗
mehr als mit der Zuſtellung des Zahlungsbefehles
erhoben angeſehen. Im letzteren Falle erloſchen
die Wirkungen der Rechtshängigkeit, wenn nicht
binnen einer ſechsmonatigen Friſt die Klage zum
Landgericht erhoben wurde. Dieſe Regelung ent:
ſprach nicht den praktiſchen Bedürfniſſen, das Er:
fordernis der Erhebung einer Klage machte das
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
Verfahren ſchwerfallig und unbeliebt und deshalb
beſtimmte der Entwurf im Abſatz I des 5 696
ganz allgemein, alſo auch für landgerichtliche Ob⸗
jekte, daß im Falle rechtzeitiger Erhebung des
Widerſpruchs die Klage als mit der Zuſtellung
des Zahlungsbefehls bei dem Amtsgericht erhoben
anzuſehen iſt, welches den Befehl erlaſſen hat.
Nach der Begründung des Entwurfs konnte von
dem Erfordernis einer Klage zum Landgericht
unbedenklich abgeſehen werden, wenn die Ver⸗
weiſung des Rechtsſtreits vom Amtsgericht an ein
anderes Gericht in der in den 88 505, 506 des
Entwurfs vorgeſehenen Weiſe erleichtert wurde
(Begr. S. 42).
Der Abſatz II des 8 696 ZPO. intereſſiert
hier nicht weiter. Der Entwurf hatte ferner als
Abſ. III des § 696 die Beſtimmung aufgenommen:
„Eine Prüfung der Zuſtändigkeit von Amts wegen
findet nicht ſtatt. Im übrigen bleiben die Vor⸗
ſchriften des § 505 unberührt.“ Die Begründung
des Entwurfs führt hierzu auf S. 43 aus, nach
§ 689 II ZPO. (dieſer ſtimmte im Entwurf
mit dem früheren Geſetz überein; die Erweiterung
der Zuſtändigkeit, wie ſie jetzt beſteht, erfolgte erſt
durch die Beſchlüſſe der Kommiſſion) ſei zur Er⸗
laſſung des Zahlungsbefehls das Amtsgericht des
allgemeinen perſönlichen Gerichtsſtandes, des Auf⸗
enthaltsortes oder des dinglichen Gerichtsſtandes
ausſchließlich zuſtändig. Wenn das Amtsgericht
bei Erlaſſung des Zahlungsbeſehles ſeine Zu⸗
ſtändigkeit irrtümlich angenommen habe, müßte
alſo entweder die Klage wegen Unzuſtändigkeit
abgewieſen, oder auf Antrag des Klägers nach
§ 505 ZPO., ſofern die Vorſchrift für das weitere
Verfahren nach rechtzeitig erhobenem Widerſpruch
nicht eingeſchränkt werde, der Rechtsſtreit an das
zuſtändige Gericht verwieſen werden. Dieſe Re⸗
gelung ſei unbefriedigend; da das Amtsgericht
ſchon vor Erlaſſung des Zahlungsbefehles ſeine
Zuſtändigkeit von Amts wegen zu prüfen habe,
würden Irrtümer über die Zuſtändigkeit bei der
Erlaſſung des Zahlungsbefehles meiſt nur an
Orten vorkommen, welche, wie Berlin in mehrere
Gerichtsbezirke geteilt oder welche, wie Hamburg
und Altona räumlich ineinander gewachſen ſeien.
In derartigen Fällen ſei das Intereſſe des
Schuldners daran, daß das zuſtändige Gericht
entſcheide, nur gering und der Mangel der Zu⸗
ſtändigkeit könne unbedenklich unbeachtet bleiben,
wenn ihn der Schuldner ſelbſt nicht geltend mache.
Deshalb wurde beſtimmt, daß eine Prüfung der
Zuſtändigkeit — wobei zweifellos die Begründung
nur die örtliche Zuſtändigkeit im Auge hatte —
von Amts wegen nicht ſtattfinde, im übrigen
aber die Vorſchrift des 8 505 unberührt bleibe,
wonach der Schuldner, wenn er dies wollte, die
Verweiſung an das (örtlich) zuſtändige Gericht
beantragen konnte. Von der ſachlichen Zuſtändig⸗
keit handelt die Begründung zu § 696 alſo
überhaupt nicht.
357
Die Begründung des Entwurfs ging ferner
von der Meinung aus, da infolge der nach $ 693
ZPO. begründeten, auch durch den Widerſpruch
nicht beſeitigten ($ 695 II) Rechtshängigkeit das
weitere Verfahren an den Gerichtsſtand des Mahn⸗
verfahrens gebunden ſei, bleibe das Amtsgericht
auch in einem Falle, in welchem es ſich um ein
landgerichtliches Objekt handle, für das weitere
Verfahren zuſtändig (Begr. S. 44), den Parteien
müſſe jedoch hier die Möglichkeit gewährt werden,
den Prozeß vor dem Landgericht fortzuſetzen.
Deshalb habe der Entwurf im $ 697 1 ent⸗
ſprechend dem $ 506 beſtimmt, daß das Amts:
gericht in ſolchem Falle, ſofern eine Partei vor
der Verhandlung darauf antrage, durch Beſchluß
ſich für unzuſtändig zu erklären und den Rechts⸗
ſtreit an das Landgericht zu verweiſen habe, ſowie
daß die Vorſchriften des Abſ. II und III Satz 1
des 8 505 über die Unanfechtbarkeit des Be⸗
ſchluſſes und die bisher erwachſenen Koſten An⸗
wendung finden ſollen. In der Begründung heißt
es auf S. 44 weiter, daß der Rechtsſtreit auch
dann vom Amtsgericht zu entſcheiden ſein würde,
wenn es ſich um eine zur ausſchließlichen Zu:
ſtändigkeit des Landgerichts gehörige Sache handele
und die Ueberweiſung nicht beantragt würde;
allein der Fall, daß wegen eines der im 8 70
II und III GVG. bezeichneten Anſprüche ein
Zahlungsbefehl beantragt werde, ſei ſo ſelten, daß
er nicht beſonders im Geſetz berückſichtigt zu
werden brauche, zumal da das Gericht in der
Lage ſei, in ſolchem Falle auf die Stellung des
Verweiſungsantrages hinzuwirken.
Hiernach vertritt die Begründung alſo die An⸗
ſicht, daß infolge der Bindung des weiteren Ver⸗
fahrens an den Gerichtsſtand des Mahnverfahrens
die Zuſtändigkeit des Amtsgerichts auch für land⸗
gerichtliche Streitwerte begründet ſei. Ob dieſer
Anſicht beizutreten iſt, iſt ſpäter zu unterſuchen.
Mit dem Ergebnis, zu dem die Begründung ge⸗
langte, war man in der Reichstagskommiſſion
nicht einverſtanden. Der Kommiſſionsbericht führt
auf S. 65 aus, es ſei nicht zu billigen, daß
Prozeſſe über beliebige Werte auf dem Wege des
Mahnverfahrens an das Amtsgericht geleitet
würden. Der Schuldner werde oft aus Unkennt⸗
nis verſäumen rechtzeitig die Unzuſtändigkeit des
Amtsgerichts zu rügen, und könne dann ohne, ja
gegen ſeinen Willen an das Amtsgericht gebunden
ſein, die Beruſung an das Oberlandesgericht und
die Reviſion verlieren. Die Bedenken mehrten
ſich, da der Entwurf und mit ihm die Kommiſſion
den 8 504 Il geſtrichen habe und im § 696 III
beſtimme, daß eine Prüfung der Zuſtändigkeit von
Amts wegen nicht ſtattfinde; erſcheine alſo der Be:
klagte im Termine vor dem Amtsgericht nicht, For
ergehe Verſäumnisurteil gegen ihn, gleichgültig
wie hoch der Anſpruch ſei.
Der Regierungsvertreter befürwortete die An:
nahme des Entwurfs. Er erklärte, der 869611 beziehe
ſich nur auf die örtliche Zuſtändigkeit. Dies könne,
falls die jetzige Faſſung Zweifel daran zulaſſe, durch
eine veränderte Faſſung klargeſtellt werden. Wenn
ein landgerichtlicher Anſpruch erhoben werde und
das Amtsgericht alſo für das Verfahren nach recht⸗
zeitig erhobenem Widerſpruch ſachlich unzuſtändig
ſei, jo greife $ 697 Platz, wonach das Amtsge⸗
richt auf Antrag einer Partei ſich für unzuſtändig
zu erklaren und den Rechtsſtreit an das Landge⸗
richt zu verweiſen habe. Die Streichung des
§ 504 II habe keine ſachliche Aenderung bezweckt,
dieſer “u ſei nur geſtrichen worden, weil er
überflüſſig ſei, da ſich ſchon aus § 502 ergebe,
daß das Gericht den Beklagten auf die Unzu⸗
ſtändigkeit aufmerkſam zu machen habe, falls
dies nach den Umſtänden angezeigt ſei. Dieſer
8 502 gelte auch für das Verfahren nach erhobenem
Widerſpruch. — Gerade das Erfordernis einer be⸗
ſondern Klage für den Fall des Widerſpruchs
mache das Mahnverfahren ſchwerfällig und unbe⸗
liebt, die verbündeten Regierungen ſtänden deshalb
auf dem Standpunkt, daß, wenn man das Mahn⸗
verfahren heben wolle, die Regelung, wie ſie der
Entwurf im $ 697 J vorſchlage, ſich dringend
empfehle.
Im Gegenſatz zu der Auffaſſung der Begründung
ſtand alſo der Regierungsvertreter auf dem Stand:
punkte, daß das Amtsgericht bei landgerichtlichem
Streitwert nach Erhebung des Widerſpruchs un—
zuſtändig ſei und daß der Beklagte vom Richter
auf dieſe Unzuſtändigkeit hingewieſen werden müſſe.
Der Regierungsvertreter las aus § 697 J keines⸗
wegs heraus, daß hierdurch die Zuſtändigkeit des
Amtsgerichts für landgerichtliche Objekte begründet
oder der Grundſatz der Prüfung der Zuſtändigkeit
von Amts wegen beſeitigt werden ſolle, ſondern
er empfahl die Annahme des Entwurfs, um die
beſondere Klage zum Landgericht unnötig zu machen.
| In der 1. Leſung der Kommiſſion wurde die
Faſſung des § 696 I u. III und des § 697 ab:
gelehnt. In der 2. Leſung wurde beantragt, die
§§ 696 I und 697 in der Faſſung der Regierungs-
vorlage wiederherzuſtellen, ebenſo $ 504 JI. Zur
Begründung war ausgeführt, die nach dem bis—
herigen Geſetz vor dem Landgericht zu erhebende
Klage führe zu Weiterungen, die der Entwurf be—
ſeitigen wolle. Den Bedenken gegen deſſen an ſich
zweckmäßige Vorſchläge könne man dadurch be—
gegnen, daß man den § 504 II wiedereinſtelle,
den § 696 III aber beſeitigt laſſe. Dann ſei
ganz klar ausgeſprochen, daß im Mahnverfahren
auf Widerſpruch hin der Anſpruch zwar ohne Rück—
ſicht auf ſeine Höhe beim Amtsgericht verbleibe,
daß das Amtsgericht aber ſeine Zuſtändigkeit zu
prüfen und im Falle ſeiner Unzuſtändigkeit den
Beklagten darauf hinzuweiſen und einen etwaigen
Antrag auf Erlaß eines Verſäumnisurteils zurück—
zuweiſen habe (Kommiſſionsbericht S. 66, 67).
Dieſer neue Antrag wurde angenommen, und hier—
mit hat ſich die Kommiſſion dieſe letztere Begründung
Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
|
zu eigen gemacht. Hiernach hat die Kommiſſion
nicht den geringſten Zweifel darüber gelaſſen, daß
nach ihrer Anſicht das Amtsgericht für landge⸗
richtliche Objekte unzuſtändig iſt, daß es ſeine Zu⸗
ſtändigkeit von Amts wegen zu prüfen hat und
ein Verſäumnisurteil nicht erlaſſen darf.
Die Vertreter der gegenteiligen Anſchauung
ſind nun der Meinung, dieſe Auffaſſung der
Kommiſſion ſei im Geſetz nicht zum Ausdruck ge⸗
kommen. Weil die Kommiſſion die SS 696 J, II
und 697 in der unveränderten Faſſung des Ent:
wurfs angenommen habe, könne nun ein anderer
Sinn, als dieſe Paragraphen nach der Entwurfs⸗
Begründung haben ſollten, nicht herausgeleſen
werden; § 6971 ſei gegenüber den allgemeinen
Zuſtändigkeitsvorſchriften eine Ausnahmebe⸗
ſtimmung. Dieſer Auffaſſung kann nicht beige⸗
treten werden. Im Gegenteil iſt die Ausführung
der Entwurfsbegründung unverſtändlich, „daß das
Amtsgericht auch für landgerichtliche Objekte zu⸗
ſtändig ſei, weil das Verfahren nach Widerſpruchs⸗
erhebung an den Gerichtsſtand des Mahnverfahrens
gebunden ſei“.
Richtig iſt nur ſoviel, daß infolge der durch
die Zuſtellung des Zahlungsbefehles begründeten
Rechtshängigkeit das weitere Verfahren an den
Gerichtsſtand des Mahnverfahrens gebunden iſt.
Durch dieſe Bindung wird aber ein nach den all⸗
gemeinen Beſtimmungen unzuſtändiges Gericht eben⸗
ſowenig zuſtändig, wie die Erhebung einer Klage
bei einem unzuſtändigen Gericht, durch welche
allerdings das Verfahren zunächſt (nämlich bis
zur Klageabweiſung oder zur Verweiſung) an dieſes
Gericht gebunden wird, das Gericht zu einem zu⸗
ſtändigen macht. Weder § 696 noch 8 697 enthält
eine Zuſtändigkeits⸗Vorſchrift. Beide Paragraphen
wollen lediglich den als unnötig und unbequem
empfundenen Umweg der beſonderen Klage beim
Landgericht beſeitigen. Das Verfahren bleibt beim
Amtsgericht anhängig, auch wenn ein landgericht⸗
liches Objekt in Frage ſteht. Dies bedeutet einen
erheblichen Fortſchritt gegenüber dem früheren Rechts⸗
zuſtand: das Amtsgericht kann infolge von Proro-
gation zur Entſcheidung zuſtändig werden oder es
bedarf nur der einfachen Verweiſung an das Land—
gericht, wenn der Unzuſtändigkeitseinwand ge:
bracht wird; die neue Klageerhebung iſt über⸗
flüſſig, auch erlöſchen nunmehr nicht wie früher
die Wirkungen der Rechtshängigkeit.
Aus der Vorſchrift des § 697 J, daß ſich das
Amtsgericht nach Antragſtellung für unzuftändig
zu erklären habe, kann nicht geſchloſſen werden,
daß es ohne Autragſtellung zuſtändig ſein ſolle.
§ 697 iſt den SS 505 und 506 nachgebildet. Auch
dort heißt es, daß das Gericht ſich für unzuſtändig
zu erkären und den Rechtsſtreit an das zuſtändige
Gericht zu verweiſen habe und es kann natürlich
nicht behauptet werden, daß ohne dieſen Antrag
die Zuſtändigkeit des angegangenen Gerichtes ge:
geben wäre. Auch die ſonſtigen Vorſchriften über
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. 9 in Bayern. 1911. 1911. Nr. 1585. 3858 18.
das Mahnverfahren enthalten keine Beſtimmung,
aus der die Zuſtändigkeit des Amtsgerichts für
landgerichtliche Gegenſtände im Nachverfahren zu
folgern iſt.
Im Verſäumnisverfahren hat das Gericht,
wie allgemein anerkannt iſt, von Amts wegen die
allgemeinen Prozeßvorausſetzungen zu prüfen. wozu
auch die Zuſtändigkeit gehört. Nun könnte das
Geſetz allerdings eine Ausnahme von dieſer Prozeß⸗
regel zulaſſen. Das iſt aber nicht geſchehen. Wenn
der Abſatz III des § 696, wie ihn der Entwurf
vorſchlug, Geſetz geworden wäre, läge allerdings
eine ſolche Ausnahmebeſtlimmung vor. Bei der
allgemeinen Faſſung dieſes Abſatzes: „Eine Prüfung
der Zuſtändigkeit von Amts wegen findet nicht
ſtatt“ könnte und müßte man wohl die Vorſchriſt
ſowohl auf die örtliche wie die ſachliche Zuſtändig⸗
keit beziehen, wenngleich nach der Begründung
hiermit nur die örtliche Zuſtändigkeit gemeint ſein
ſollte; dieſe beſchränkende Abſicht der Regierungs⸗
vorlage wäre eben in dem gewahlten Text nicht
genügend zum Ausdruck gekommen. Die Kommiſſion
hat das Bedenkliche einer derartigen Vorſchrift er⸗
kannt und gerade deshalb ihre Beſeitigung be⸗
ſchloſſen.
Aus dem 8 697 Abſ. I eine Ausnahme von
der allgemeinen Regel der Prüfung der Zuftändig:
keit von Amts wegen abzuleiten, geht aber auch
nicht an. Der Wortlaut dieſes Paragraphen zwingt
keineswegs zu dieſer Annahme. Mit der Faſſung
des Abſatzes I des $ 697 ſollte geradeſo wie im
8 505 der von der Novelle anerkannte Grund⸗
ſatz ausgedrückt werden, daß bei Unzuſtändigkeit
nicht die Klage abzuweiſen, ſondern der Rechts⸗
ſtreit an das zuſtändige Gericht zu verweiſen ſei.
Wenn das Geſetz beim Erſcheinen des Be:
klagten dem Richter noch ausdrücklich die Ver⸗
pflichtung auferlegte, den Beklagten auf die ſach⸗
liche Unzuſtändigkeit hinzuweiſen (§ 504 ID, fo
iſt hiermit mittelbar die allgemeine Regel be⸗
ſtätigt, das im Verſäumnis⸗-Verfahren die Zu:
ſtändigkeit von Amts wegen zu prüfen iſt. $ 6971
kann alſo nicht als Ausnahmebeſtimmung gegen:
über dieſer allgemeinen Regel aufgefaßt werden,
um fo weniger, als die Kommiſſion ausdrücklich da—
von ausgegangen iſt, daß die Zuſtändigkeit von
Amts wegen zu prüfen ſei.
Die Erlaſſung eines Verſäumnisurteils iſt
alſo bei einem zur Zuſtändigkeit des Landgerichts
gehörigen Streitwerte unzuläſſig. Unabhängig
von dieſer Frage iſt die weitere Frage, ob das
Verſaͤumnisurteil erlaſſen werden kann, wenn
infolge von Teilzahlung nach Zuſtellung des
Zahlungsbefehles nurmehr eine den Betrag von
600 M nicht überſteigende Summe Gegenſtand
des weiteren Verfahrens iſt.
die Zuſtändigkeit des Amtsgerichts nunmehr ge—
geben; das Verſäumnisurteil kann dann alſo er—
laſſen werden (vgl. Seuffert, Komm. z. ZPO.
In dieſem Fall iſt
|
|
359
Anm. 21 zu § 263, Anm. 1 Abſ. II zu 8 697
. Komm. zur Novelle Anm. 2 II zu
8 697
3. Zu 8 697 Abſ. II. Die Frage, ob der
Rechtsſtreit an das Landgericht auch dann ohne
mündliche Verhandlung verwieſen werden kann,
wenn der Verweiſungsantrag nicht im Mahn⸗
geſuch geſtellt und auch nicht mit dem Widerſpruch
verbunden iſt, ſondern von einer der Parteien
nachträglich geſondert angebracht wurde, wird von
Gaupp Stein verneint, von Seuffert dagegen be⸗
jaht für den Fall, daß noch keine mündliche
Verhandlung beantragt iſt. Für die Bejahung
ſpricht ſich auch das Landgericht Cleve im Be⸗
ſchluß vom 12. Juli 1910 aus (JW. 1910 S. 923),
was Dr. Dittenberger für bedenklich hält (vgl. die
angeführte Stelle der J W.).
Richtig iſt, daß der Wortlaut des § 697 II
er die Verneinung der Frage ſpricht. Der Sinn
des Geſetzes zwingt jedoch meiner Auffaſſung nach
nicht zu dieſer Auslegung. Nach der Begründung
wurde kein entſcheidendes Gewicht darauf gelegt,
daß der Antrag ſchon im Mahngeſuch oder gleich⸗
zeitig mit der Widerſpruchserhebung geſtellt wird.
Es heißt in der Begründung S. 44 einfach: „Da
Zweifel darüber, ob eine wegen des Anſpruchs
zu erhebende Klage vor die Amtsgerichte oder die
Landgerichte gehört, ſelten beſtehen werden, ſo iſt
es unbedenklich, wenn. wie der Abſ. II zur Ver⸗
einfachung des Verfahrens vorſchlägt, dem Gericht
die Befugnis gewährt wird, die Entſcheidung über
den Antrag auf Verweiſung. ſoferne dieſer ſchon
in dem Geſuch um Erlaſſung des Zahlungs-
befehles geſtellt oder mit dem Widerſpruch ver⸗
bunden worden iſt, ohne vorgängige mündliche
Verhandlung zu treffen.“
Die Vorſchrift iſt alſo auf die Einfachheit der
zu entſcheidenden Frage gegründet und verfolgt
den Zweck einer Vereinfachung des Verfahrens.
Der gleiche Grund und der gleiche Zweck laſſen
es angezeigt erſcheinen, auch einem nicht gerade
mit dem Mahngeſuche oder dem Widerſpruch ver⸗
bundenen Verweiſungsantrag ohne mündliche Ver—
handlung ſtattzugeben. Dafür ſprechen namentlich
gewichtige praktiſche Rückſichten: dem Verweiſungs⸗
antrag muß unter allen Umſtänben entſprochen
werden, wenn die landgerichtliche Zuſtändigkeit
gegeben iſt. Es würde alſo nur eine zweckloſe
Beläftigung der Parteien und des Gerichts be—
deuten, wenn ein Termin zur mündlichen Ver—
handlung über den Verweiſungsantrag anberaumt
werden müßte, und dieſer Verhandlungstermin
würde, wenn die Parteien oder die Anwälte nicht
am Sitz des Prozeßgerichts wohnen, auch noch
mit unnötigen Koſten verknüpft fein, ganz abge:
ſehen davon, daß entgegen der Abſicht der Novelle
dadurch die Erledigung, wenn auch nicht erheblich,
|
verzögert würde. Es darf angenommen werden,
daß der Geſetzgeber mit der Anführung der beiden
360
Fälle (der Verbindung mit dem Mahngeſuch oder
der Widerſpruchserhebung) nur die Normalfälle
hervorheben, jedoch nicht ausſchließen wollte, daß
auch einem geſonderten Antrag auf Verweiſung
ohne mündliche Verhandlung entſprochen werden
kann. (Fortſ. folgt).
Die Vollſtreckbarkeit deutſcher Vollſtreckungs⸗
titel in Leſterreich.
Von Dr. Arthur Lebrecht, Rechtsanwalt in Nürnderg.
J.
Gemäß den 88 704, 794 ZPO. 8 57
Gew., \ 16 KfmGG., 88 19, 41, 46
Koni6G., § 2 Schutz., gibt es in Deutſch⸗
land hauptſächlich ſolgende Vollſtreckungstitel:
Urteile der ordentlichen Gerichte, der Gewerbe⸗
und Kaufmanns, Konſulals- und Schutzgebiets⸗
gerichte, ſerner gerichtliche Vergleiche, Koſtenfeſt⸗
ſetzungsbeſchlüſſe und ſonſtige Beſchlüſſe (3. B. Be⸗
ſchlüſſe gemäß § 766 ZPO.), Vollſtreckungsbefehle,
notarielle und gerichtliche Urkunden gemäß 8 794
Nr. 5 ZPO. Endlich ſind Vollſtreckungstitel auch
die Arreſte und einſtweiligen Verfügungen, Konkurs:
tabellenauszuge und Zwangsvergleiche, Schieds⸗
ſprüche, ſowie gewiſſe Entſcheidungen der Ver⸗
waltungsbehörden. Von dieſen Vollſtreckungs⸗
titeln kommen für eine Vollſtreckung in Oeſterreich
gemäß der Verordnung des öſterreichiſchen Juſtiz⸗
miniſters vom 21. Dezember 1899 folgende in
Betracht: die Urteile, Beſchlüſſe und Beſcheide der
Zivilgerichte, wenn ein weiterer Rechtszug dagegen
ausgeſchloſſen iſt, einſchließlich der ausdrücklich er:
wähnten Koſtenfeſtſetzungsbeſchlüſſe, Vollſtreckungs—
befehle des Mahnverfahrens, die Auszüge aus den
Konkurstabellen und die Schiedsſprüche von
Schiedsrichtern. Die Urteile der Gewerbe- und
Kaufmannsgerichte ſind noch ausdrücklich in der
Verordnung hervorgehoben. Da Bosnien und
die Herzogewina keine Gewerbe- und Kaufmanns:
gerichte kennen, iſt dort die notwendige Gegen:
ſeitigkeit für die letztgenannten Urteile nicht ge⸗
geben. (Vgl. Zeitſchrift für internat. Recht, Bd. 15
Seite 444.)
Die Urteile der deutſchen ordentlichen Gerichte
find, ihre Rechtskraft vorausgeſetzt, bei Vorhanden⸗
fein der unten näher zu erörternden Vorausſetzungen
ſtets vollſtreckbar. Da die Urteile der deutſchen
Konſulats- und Schutzgebietsgerichte den ſonſtigen
deutſchen Urteilen gleichgeſtellt ſind, ſo unterliegt
auch deren Vollſtreckbarkeit im Auslande keinerlei
Bedenken. (Gaupp-Stein ZPO. 10. Aufl. S. 12).
Vor deutſchen Gerichten geſchloſſene Vergleiche ſind
) Sie wird in dieſer Abhandlung für die Folge
nur noch kurz als „Zeitſchrift“ bezeichnet werden.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
als Vollſtreckungstitel nicht anerkannt (vgl. Recht:
ſprechung der OLG. Bd. 29 S. 148). Es muß
vielmehr auf Grund des durch den Vergleich
materiell feſtgeſtellten Rechtsverhältniſſes zunächſt
ein Vollſtreckungsurteil in Oeſterreich erlaſſen
werden. Die Verordnung des öſterreichiſchen
Juſtizminiſters vom 19. Oktober 1904 zur Her⸗
ſtellung der Gegenſeitigkeit gegenüber dem deutſchen
Reich (Zeitſchrift Bd. 15 S. 489) ſpricht zwar
von Exekutionsanträgen, welche ſich auf die Er⸗
kenntniſſe deutſcher Gerichte oder die vor dieſen
abgeſchloſſenen Vergleiche gründen. Es iſt dies
jedoch offenbar ein Redaktionsverſehen. In der
öſterreichiſchen Praxis werden deutſche Vergleiche
nicht vollſtreckt, wie ſich ja auch aus der erwähnten
Verordnung vom Jahre 1899 ergibt. Die Koſten⸗
feſtſetzungsbeſchlüſſe und ſonſtigen Beſchlüſſe der
Zivilgerichte ſind in der Verordnung vom Jahre
1899 beſonders erwähnt. Die Möglichkeit der
Vollſtreckung aus einem Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß
iſt übrigens in einer Entſcheidung des oberſten
Gerichtshofes in Wien vom 18. Oktober 1909
ausdrücklich anerkannt worden, wobei insbeſondere
hervorgehoben iſt, daß das von dem Gerichts⸗
ſchreiber des deutſchen Gerichts ausgeſtellte Rechts⸗
kraftzeugnis für die Vollſtreckung in Oeſterreich
genügt. (Zeitſchrift Bd. 13 S. 188).
Soweit es ſich um einen Beſchluß handelt,
welcher die Koſten des Prozeſſes dem Kläger auf⸗
bürdet, iſt auch durch Art. 18 und 19 des Haager
Abkommens über den Zivilprozeß die Vollſtreck⸗
barkeit ohne weiteres gewährleiſtet. Die Voll⸗
ſtreckungsbefehle im Mahnverſahren find in Dal:
matien, Galizien und der Bukowina nicht voll⸗
ſtreckbar, da in dieſen Bezirken nach öſterreichiſchem
Rechte das Mahnverfahren überhaupt unzuläſſig
iſt (Zeitſchrift Bd. 20 S. 60).
Nach den bisher geltenden Verordnungen ſind
deutſche Notariats- und Gerichtsurkunden gemäß
§ 794 Nr. 5 ZPO. keine geeigneten Exekutions⸗
titel in Oeſterreich, jedoch iſt man zurzeit be⸗
ſtrebt, dieſem Mangel alsbald abzuhelfen. (Zeit⸗
ſchrift Bd. 20 S. 61).
Die vorläufigen Maßnahmen der Arreſte und
einſtweiligen Verfügungen find keine Vollſtreckungs⸗
titel für das Ausland, dagegen muß aus deutſchen
Schiedsſprüchen in Oeſterreich die Exekution be⸗
willigt werden. ſelbſtverſtändlich iſt dies erſt dann
möglich, wenn die Vorausſetzungen erfüllt find,
unter welchen ein Schiedsſpruch in Deutſchland
ſelbſt zur Zwangsvollſtreckung geeignet iſt. Gemäß
8 1042 ZPO. iſt dies nur dann der Fall, wenn
die Zuläſſigkeit durch ein Vollſtreckungsurteil
ausgeſprochen iſt, ohne dieſes Vollſtreckungsurteil
iſt ein deutſcher Schiedsſpruch auch nicht im
) Siehe auch Punkt 13 der Tagesordnung des
Juriſtentages 1912, mitgeteilt in Nr. 16/17 dieſes Jahr⸗
gangs S. 352.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
deutſchen Reich vollſtreckbar umſoweniger im Aus⸗
land (Zeitſchrift Bd. 18 S. 107, Bd. 20 S. 443).
Auf Grund der Entſcheidungen der Verwal⸗
tungsbehörden des deutſchen Reiches oder eines
deutſchen Bundesſtaates iſt eine Exekutionsbe⸗
willigung unmöglich, da weder in der mehrfach
erwähnten Verordnung des Juſtizminiſters, noch
in einem Staatsvertrage hiervon die Rede iſt.
(Vgl. Zeitſchrift, Bd. 13 S. 187).
II.
In örtlicher Hinſicht iſt zu betonen, daß die
Vollſtreckbarkeit der genannten Urkunden ſich nur
auf Oeſterreich ſelbſt bezieht; in Ungarn iſt die
Gegenſeitigkeit nicht verbürgt. (Neumiller ZPO.
zu 8 328). Auf die Beſchränkungen in den
Gebieten von Bosnien, Herzegowina, Dalmatien,
Galizien und der Bukowina wurde ſchon oben
hingewieſen.
III.
Die Frage, ob die Verordnung für die Gegen⸗
ſeitigkeit der Vollſtreckung der Urteile rückwirkende
Kraft habe, d. h. die Frage, ob die Verbürgung
der Gegenſeitigkeit zur Zeit der Erlaſſung des
Vollſtreckungsurteils genüge, oder ob ſie ſowohl in
dieſem Zeitpunkte als auch zur Zeit der Erlaſſung
des deutſchen Urteiles vorhanden ſein muß, iſt jetzt
über 10 Jahre nach dem Inkrafttreten der Ver⸗
ordnung praktiſch nicht von erheblicher Bedeutung,
die Frage iſt in der Rechtſprechung ſehr beſtritten.
Mit der herrſchenden Lehre dürfte jedoch anzu⸗
nehmen ſein, daß die Frage zu bejahen iſt.
(Zeitſchrift Bd. 19 S. 536).
IV.
Die Vorausſetzungen, welche der 8 328 der
deutſchen ZPO. verlangt, müſſen mit Rückſicht
auf die ſtreng durchgeführte Gegenſeitigkeit ſämt⸗
lich erfüllt ſein.
a) Zunächſt iſt notwendig, daß das deutſche
Gericht auch nach den Vorſchriften der öſter⸗
reichiſchen Jurisdiktionsnorm zuftändig iſt, doch
wird für genügend erachtet, wenn Oeſterreich den
betreffenden Gerichtsſtand erſt zu der Zeit einge⸗
führt hat, wo das zu vollſtreckende deutſche Urteil
erlaſſen wurde, auch wenn bei der Klageerhebung in
Deutſchland das öſterreichiſche Geſetz den betreffen⸗
den Gerichtsſtand noch nicht lannte. (Zeitſchrift
Bd. 11 S. 470). Die Gerichtsſtaͤnde find im
deutſchen wie im öſterreichiſchen Rechte vielfach
gleich gelagert. Namentlich den bei Klagen gegen
Ausländer beſonders wichtigen Gerichtsſtand des
Vermögens kennt die öſterreichiſche Jurisdiktions⸗
norm gleichfalls. Immerhin ſind einige wejent:
liche Abweichungen vorhanden. Oeſterreich kennt den
ſogenannten Fakturengerichtsſtand; er kommt jedoch
für deutſche Urteile nicht in Betracht, da eine
gegen einen Oeſterreicher in Deutſchland anhängig
361
gemachte Klage, welche ſich nur auf den Fakturen⸗
gerichtsſtand ſtützen würde, mangels Zuſtändigkeit
des angegangenen deutſchen Gerichts abgewieſen
werden müßte. Andererſeits genügt die Verein⸗
barung eines Erfüllungsortes nach öſterreichiſchem
Rechte nicht, wenn ſie nicht ausdrücklich ſchriftlich
erfolgt iſt. Wiederholt ſchon haben öſterreichiſche
Gerichte die Vollſtreckung deutſcher Urteile des⸗
wegen ablehnen müſſen, weil eine ſchriftliche Ver:
einbarung des Erfüllungsortes nicht behauptet
werden konnte. (Zeitſchrift Bd. 12 S. 499, Bd. 16
S. 51). Die öſterreichiſche Praxis verſagt den
Gerichtsſtand des Vermögens ſolchen Ausländern,
die als Kläger auftreten. So wurde eine Ber⸗
liner Firma, welche gegen einen Amerikaner in
Eger unter Berufung auf $ 99 der Jurisdiktions⸗
norm, welcher dem $ 23 ZPO. entſpricht, Klage
ſtellte, wegen Unzuſtändigkeit abgewieſen, weil nur
Inländer dieſen Gerichtsſtand anrufen könnten.
(Zeitſchrift Bd. 20 S. 99). Die deutſche Recht⸗
ſprechung vertritt bekanntlich den entgegengeſetzten
Standpunkt; auf die Staatsangehörigkeit des
Klägers kommt es nicht an. (Vgl. Gaupp⸗Stein
ZPO. zu 8 23).
Bei Geſuchen um Exekutionsbewilligung in
Oeſterreich muß, wie oben angeführt wurde, die
Zuſtändigkeit nach öſterreichiſchem Rechte nachge⸗
wieſen werden. Um prüfen zu können, ob das
deutſche Gericht zuſtändig war, muß das aus⸗
ländiſche Gericht ein Urteil mit Tatbeſtand und
Gründen haben; Urteile, die unter Weglaſſung
des Tatbeſtands und der Gründe ausgefertigt ſind
(8 496 Abſ. 6 ZPO.), find daher nicht zu ge
brauchen, wohl aber abgekürzte Verſaͤumnis⸗ und
Anerkenntnisurteile, bei welchen das Urteil direkt
auf die Klage ſelbſt geſetzt iſt, ſo daß ſich die kom⸗
petenzbegründenden Tatſachen aus der Klage un⸗
mittelbar ergeben (8 313 Abſ. 3 ZPO.).
b) Im allgemeinen genügt jede Art der Zu⸗
ſtellung der Klage, wenn ſie ordnungsgemäß er⸗
folgt iſt, um die Vollſtreckbarkeit im Auslande
zu begründen; eine wichtige Einſchränkung erfährt
jedoch dieſer Grundſatz dann, wenn der unter⸗
legene Beklagte ein Oeſterreicher iſt und ſich auf
den Prozeß nicht eingelaſſen hat; der Hauptfall
iſt das Verſaͤumnisurteil. Die Anerkennung iſt
nur dann möglich, wenn die den Prozeß ein⸗
leitende Ladung dem Beklagten entweder im
Staate des Prozeßgerichts in Perſon oder durch
Gewährung der Rechtshilfe zugeſtellt worden iſt.
Dieſe äußerſt wichtige Beſtimmung, welche erſt
eine volle Gegenſeitigkeit zwiſchen Deutſchland und
Oeſterreich herbeigeführt hat, iſt in einer Verord⸗
nung des öſterreichiſchen Juſtizminiſters vom
19. Oktober 1904 niedergelegt, abgedruckt in der
Zeitſchrift Bd. 15 S. 489. Wenn dagegen der
unterlegene Beklagte ein Angehöriger eines anderen
Staates z. B. ein Ungar iſt, iſt die Zuſtellung
an den Beklagten in Perſon oder durch Gewährung
der Rechtshilfe nicht erforderlich; in dieſem Falle
362
genügt alſo eine Erſatzzuſtellung oder eine öffent:
liche Zuſtellung der Klage (vgl. Zeitſchrift Bd. 18
S. 193; ein deutſches Verſäͤumnisurteil gegen
eine ungariſche Firma wurde nach vorangegangener
öffentlicher Zuſtellung in Oeſterreich ſür vollſtreck⸗
bar erklärt). Die Zuſtellung an den geſetz⸗
lichen Vertreter wird der Zuſtellung an den Be⸗
klagten in Perſon gleich geachtet, nicht dagegen
eine Zuſtellung an den Prozeßbevollmaͤchtigten.
(Zeitſchriſt Bd. 15 S. 362.) Die Einlaſſung zur
Hauptſache iſt gewahrt durch einmaliges Auftreten
im erſten Termin, wenn auch in einem fpäteren
Termine Verſaͤumnisurteil ergeht, ebenſo wird
durch die Einlegung eines Rechtsmittels die Ein⸗
laſſung zur Hauptſache dargetan.
c) Der Verſagungsgrund für die Exekutions⸗
fähigkeit, daß nämlich die Anerkennung des Urteils
gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines
öſterreichiſchen Geſetzes verſtoßen würde, kommt
praktiſch verhältnismäßig ſelten vor, da derartige
Urteile in der Regel auch in Deutſchland nicht
erlaſſen werden können. Die tatſächlichen Voraus⸗
ſetzungen, auf welchen die Feſtſtellung bezüglich
des materiellen Rechtsverhältniſſes beruht, ſind
der Nachprüfung durch den Exekutionsrichter ent⸗
zogen, was insbeſondere bei Verſäumnisurteilen
von Bedeutung iſt. Der Beklagte kann nicht
mehr im Vollſtreckungsverfahren mit dem Ein⸗
wand gehört werden, daß der Anſpruch auf einem
unſittlichen Grund beruhe, wenn er den Einwand
nicht im Prozeß ſelbſt geltend gemacht hat. (Zeit:
ſchrift Bd. 20 S. 95).
Beſonders wichtige Entſcheidungen über die
Frage, wann die Anerkennung gegen den Zweck
eines öſterreichiſchen Geſetzes verſtoßen würde,
finden ſich bezüglich gewiſſer Urteile, die deutſche
Verſicherungsgeſellſchaften in Deutſchland gegen—
über Oeſterreichern erwirkt haben. (Zeitſchrift Bd. 13
S. 189 und 463, Bd. 15 S. 386). Der oberſte
Gerichtshof hat ſtets ſolchen Urteilen die Aner—
kennung verſagt, wenn die Vollſtreckung gegen den
Zweck des öſterreichiſchen Geſetzes vom 29. März
1873, betreffend die Zulaſſung ausländiſcher Ver:
ſicherungsgeſellſchaften in Oeſterreich, verſtoßen
hätte. Ausländiſche Verſicherungsgeſellſchaften
dürfen nur unter genau fixierten Bedingungen
als rechtlich beſtehend anerkannt und zum Ge—
ſchäftsbetrieb zugelaſſen werden, insbeſondere iſt
eine behördliche Zulaſſungserklärung unumgänglich
notwendig. Es würde daher unter Umſtänden
gegen den Zweck des genannten Geſetzes verſtoßen,
wenn in Oeſterreich ein Urteil anerkannt würde,
das eine deutſche Verſicherungsgeſellſchaft erwirkt
hat, die in Oeſterreich nicht zugelaſſen iſt.
d) Bezüglich der Verbürgung der Gegenſeitig—
keit zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich beſtehen
keinerlei Bedenken mehr. (Vgl. Urteil des Reichs—
gerichts vom 25. Juli 1908, Zeitſchrift für Rechts-
pflege in Bayern 1908 S. 419).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
v
Die Zwangsvollſtreckung wird auf Antrag des
deutſchen Prozeßgerichts oder des Gläubigers ſelbſt
von dem Landesgerichte bewilligt, in deſſen Bezirk
der Schuldner ſeinen Wohnſitz hat, ohne daß erſt
— im Gegenſatz zum deutſchen Recht — ein
Vollſtreckungsurteil erwirkt werden müßte. Die
Vorausſetzungen für die Vollſtreckbarkeit ſind von
Amts wegen zu prüfen; gegen die Exekutionsbe⸗
willigung ſteht dem Schuldner Rekurs bis zur
3. Inſtanz zu, ebenſo dem Gläubiger wegen Ver⸗
ſagung der Exekutionsbewilligung.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Beſtellung einer Sicherungs hypothek durch den geſetz⸗
lichen Vertreter auf feinem eigenen Grundſtück für ein
von dem Minderjährigen aufzunehmendes Darlehen:
1. Unter welchen Vorausſetzungen kaun der Darlehens:
geber, wenn mangels vormundſchaftsgerichtlicher Ge⸗
nehmigung keine Darlehensforderung entſtanden iſt, der
Grundbuchberichtigungsklage des geſetzlichen Vertreters
mit dem Einwande begegnen, daß die Hypothek für feine
Bereicherungs forderung gegen den Darlehensempfänger
oder für feine Anſprüche gegen den geſetzlichen Vertreter
aus dem von dieſem erteilten Kreditanſtrage beſtehe?
2. Raum er beanſpruchen zur Einwilligung in die Um⸗
ſchreibung der Hypothet auf den geſetzlichen Vertreter
nur Zug um Zug mit der Begleichung feiner Bereiche:
rungs forderung verurteilt zu werden ? 3. Hat er einen
Schadenserſatzanſpruch gegen den geſetzlichen Vertreter,
der ihn nicht auf die Minderjährigkeit des Darlehens
empfängers aufmerkſam gemacht hat? Auf dem Grund⸗
ſtücke der Klägerin Marie B. iſt für die Beklagte unter
Bezugnahme auf die Bewilligung eine Sicherungs—
hypothek für eine mit 5% jährlich verzinsliche Dar—
lehnsfordernng von 10000 M eingetragen. Die Be—
willigungserklärung der Klägerin hat folgenden Wort—
laut: „Am 13. Auguſt hat mein Sohn unter meiner
Einwilligung von Fräulein Emma Th. ein Darlehn
von 10000 M erhalten. Dieſes Darlehn iſt vom
14. Auguſt 1907 ab in vierteljährlichen voſtnumerando
fälligen Teilen mit 5% jährlich verzinslich — — —.
Dies vorausgeſchickt beſtelle ich für die obengenannte
Forderung der Emma Th. an meinen Sohn Max an
meinem Grundſtücke in B. K.-ſtraße Nr. 12 Hypothek.
Zugleich bewillige und beantrage ich die Eintragung
als Sicherungshypothek im Grundbuch.“ Zur Zeit
der Ausſtellung dieſer Urkunde hatte der damals noch
unter der elterlichen Gewalt der Klägerin ſtehende
Max B. das Darlehn noch nicht erhalten, dagegen
ſind ihm von der Beklagten noch im Laufe des
Auguſt 1907 Barbeträge und Inhaberpapiere nebſt
laufenden Zinsſcheinen übereignet worden. Die Be
klagte beziffert den hiernach als Darlehn hingegebenen
Geſamtbetrag auf 1089,41 M, während ihn Max B.
auf 10 443,70 M berechnet hat. Auch die Klägerin
will ihn in Höhe von 10000 M als gegeben an—
erkennen, macht jedoch geltend, daß trotzdem eine
Darlehnsforderung der Beklagten gegen Max B. nicht
entſtanden ſei, weil die nach 8 1822 Nr. 8 BGB. er-
forderliche Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts
Zeitſchrift für Rechtspflege
nicht eingeholt worden ſei und weil Max B. nach er⸗
reichter Volljährigkeit durch Erklärung gegenüber der
Beklagten die Genehmigung des Darlehnsvertrages
verweigert habe. Die Klägerin nimmt deshalb die
von ihr beſtellte Hypothek als Eigentümergrundſchuld
in Anſpruch und hat klagend beantragt, die Beklagte
zur Einwilligung in die Berichtigung des Grundbuches
zu verurteilen. Die Beklagte hat die Abweiſung der
Klage und eventuell verlangt, daß ſie nur Zug um
Zug gegen Zahlung von 10 809,41 M zur Einwilli⸗
gung in die Berichtigung des Grundbuches verur⸗
teilt werde.
Aus den Gründen: 1. Nach der unzweideutigen
Faſſung ſowohl des Eintragungsvermerks wie der Be⸗
willigung iſt die ſtreitige Hypothek eine Sicherungs⸗
hypothek i. S. des 8 1184 BGB., beſtellt für eine
unter Angabe des Gläubigers, des Schuldners, des
Geldbetrages und des Schuldgrundes beſtimmt be⸗
zeichnete Forderung, nämlich für eine der Beklagten
gegen den Sohn der Klägerin zuſtehende, zu 5% ver⸗
zinsliche und bis zum Ende des Jahres 1915 unkünd⸗
bare Darlehnsforderung von 10000 M. Dieſe Forde⸗
rung iſt, wie das Berufungsgericht ſelbſt anerkennt,
nicht zur Entſtehung gelangt, weil die nach den
88 1643, 1822 Nr. 8 BGB. erforderliche Genehmigung
des Vormundſchaftsgerichts nicht erteilt worden iſt,
und weil der Sohn der Klägerin nach erreichter Voll⸗
jährigkeit der Beklagten gegenüber erklärt hat, daß er
die Genehmigung verweigere (8 1829 Abſ. 3 BGB.).
Wenn das Berufungsgericht trotzdem annimmt, daß
die Hypothek mit einer Forderung bekleidet ſei, und
zwar mit einer der Beklagten gegen Max B. infolge
der Hingabe des Darlehnsbetrages zuſtehenden Be⸗
reicherungsforderung, ſo überſieht es, daß dieſe Be⸗
reicherungsforderung nach ihrer rechtlichen Natur und
ihrem Inhalt von der Darlehnsforderung weſentlich
verſchieden iſt, und daß nach dem Geſetz eine gewöhn⸗
liche Sicherungshypothek ebenſowenig wie eine Ver⸗
kehrshypothek in der Weiſe beſtellt werden kann, daß
von zwei Forderungen entweder die eine oder die
andere geſichert ſein ſoll. Wollten die Parteien er⸗
reichen, daß entweder die Darlehnsforderung oder der
Bereicherungsanſpruch der Hypothek untergelegt werde,
fo hätten ſie die Form der Höchſtbetragshypothek
wählen müſſen (8 1190 BGB.). Nun wäre es zwar
denkbar, daß die Klägerin ſich der Beklagten gegen—
über verpflichtet hätte, für den Fall der Nichtentſtehung
der Darlehnsforderung die Hypothek mit der Bes
reicherungsforderung zu bekleiden, oder daß beide
vereinbart hätten, die als Sicherungshypothek i. ©.
des 8 1184 BGB. begründete Hypothek ſolle nach
innen d. h. in ihrem Verhältniſſe zu einander die
Funktion der Höchſtbetragshypothek verſehen, alſo
zugleich den etwaigen Bereicherungsanſpruch der Be—
klagten gegen Max B. ſichern (RGZ. 60, 247); eine
Abmachung des einen oder des anderen Inhalts
könnte der erhobenen Berichtigungsklage (8894 BGB.)
mit Erfolg entgegengeſetzt werden. Eine derartige
Vereinbarung iſt jedoch nach dem Tatbeſtande des
Berufungsurteils von der Beklagten nicht behauptet
worden und, wie die Reviſion zutreffend hervorhebt,
aus den Umſtänden keineswegs ohne weiteres zu ent⸗
nehmen. Vielmehr läßt das Parteivorbringen zu—
nächſt nur darauf ſchließen, daß die Klägerin die
Hypothek beſtellt hat, ohne ſich der Beklagten gegen—
über hierzu verpflichtet gehabt zu haben. Auch fehlt
bisher jeder Anhalt dafür, daß die Beklagte, die ja
damals die Minderjährigkeit des Max B. unſtreitig
nicht kannte, an die Möglichkeit der Entſtehung eines
Bereicherungsanſpruchs an Stelle der gewollten Dar—
lehnsforderung auch nur gedacht hätte. Gegenüber
der Annahme eines auf die Haftung mit dem Grund—
ſtücke beſchränkten Kreditauftrages weiſt die Reviſion
gleichfalls mit Recht darauf hin, daß die Beklagte
gar nicht behauptet hat, ſie ſei von der Klägerin be—
auftragt worden, deren Sohne im eigenen Namen
und auf eigene Rechnung Kredit zu gewähren, und
die Ausführung des Berufungsgerichts, die ganze
Sachlage dränge zur Annahme eines ſolchen Auf—
trages, entbehrt ebenſo der tatſächlichen Unterlage,
wie die aus dem Briefe des Max B. an die Beklagte
vom 12. Auguſt 1907 gezogene und als zweifellos
bezeichnete Folgerung, daß die Klägerin am 13. oder
14. Auguſt als Auftraggeberin wegen Hingabe des
Darlehns an ihren Sohn mit der Beklagten ver-
handelt habe. Vor allem entzieht aber das Berufungs⸗
gericht der Feſtſtellung eines Kreditauftrages i. S. des
8 778 BGB. dadurch ſelbſt die rechtliche Grundlage,
daß es betont, die Klägerin habe dabei wohl nicht die
Abſicht gehabt, ſich für die aus der Kreditgewährung
entſtehende Verbindlichkeit perſönlich als Bürge zu
verpflichten, ſie ſei jedoch damit einverſtanden geweſen,
daß ihr Grundſtück dafür verhaftet werde. Von einem
Kreditauftrage könnte nur dann die Rede ſein, wenn
die Klägerin ihre perſönliche Bürgenhaftung nicht
ausgeſchloſſen hätte. Sie hätte zwar dieſe ihre per⸗
ſönliche Haftung dahin einſchränken können, daß die
Beklagte bloß befugt ſein ſollte, ſich ausſchließlich aus
ihrem Grundſtücke zu befriedigen. Durch eine dahin⸗
gehende Vereinbarung würde indes die Bekleidung der
Hypothek mit dem Bereicherungsanſpruche der Be-
klagten gegen Max B. ebenfalls nicht herbeigeführt
worden ſein, von der Frage ganz abgeſehen, ob der
Bereicherungsanſpruch zu den aus der Kreditgewährung
entſtandenen Verbindlichkeiten i. S. des $ 778 BGB.
zu rechnen wäre.
2. Das LG. hat die Beklagte nicht ſchlechthin,
fondern nur Zug um Zug gegen Zahlung von 10 443,70 N
— in dieſer Höhe hat es die Leiſtung der Beklagten
an Max B. und deſſen Bereicherung für dargetan
erachtet — zur Einwilligung in die Umſchreibung der
Hypothek auf den Namen der Klägerin verurteilt. Es
iſt der Anſicht, daß der Beklagten wegen ihres Be—
reicherungsanſpruches ein Zurückbehaltungsrecht zu—
ſtehe. Wenn ſie auch das Darlehn nicht der Klägerin,
ſondern deren Sohne gegeben habe, ſo bilde doch die
Beſtellung der Hypothek durch die Klägerin die Gegen—
leiſtung für das dem Sohne gegebene Darlehn und
umgekehrt. Es handele ſich um einen einheitlichen,
zwiſchen der Beklagten einerſeits und der Klägerin
und ihrem Sohne andererſeits geſchloſſenen Vertrag,
und obſchon die Beklagte einen Bereicherungsanſpruch
nur gegen den Sohn habe, ſo könne ſie doch die ihr
von der Klägerin gemachte Leiſtung bis zur Befriedi—
gung wegen jenes Anſpruchs zurückhalten. Das Be⸗
rufungsgericht billigt dieſe Anſicht, indem es ausführt,
es liege ein einheitliches Rechtsgeſchäft vor, inhaltlich
deſſen die Klägerin nicht Dritte, ſondern Mitkontrahentin
geweſen ſei, und das darin beſtanden habe, daß die
Beklagte mit Einwilligung der Klägerin deren Sohne
ein Darlehn gewährt, zu deſſen Rückzahlung der Sohn
ſich verpflichtet und zu deſſen Sicherſtellung, gleichſam
als Gegenleiſtung für deſſen Gewährung, die Klägerin
mit ihrem Grundſtücke Sicherheit beſtellt habe. So—
weit die Reviſion hiergegen geltend macht, daß gegen—
über der von der Klägerin verlangten Leiſtung das
Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB. überhaupt
nicht gegeben ſei, kann ihr allerdings nicht beigepflichtet
werden, da das Anwendungsgebiet des 8 273 BGB.
auf Schuldverhältniſſe im engeren Sinne keineswegs
beſchränkt iſt (RG. 59, 202). Dagegen verneint fie
mit Recht, daß die Beklagte wegen des ihr lediglich
gegen den Sohn der Klägerin zuſtehenden Bereiche—
rungsanſpruchs ein Zurückbehaltungsrecht habe. Das
Geſetz gibt dem wegen einer geſchuldeten Leiſtung in
Anſpruch genommenen Verpflichteten ein Zurück—
behaltungsrecht unzweideutig nur wegen eines ihm
gegen den Gläubiger ſelbſt zuſtehenden Anſpruchs,
und die Klägerin iſt weder ſelbſt auf Koſten der Be—
klagten ungerechtfertigt bereichert noch haftet ſie per—
364
ſönlich der Beklagten aus der ungerechtfertigten Be⸗
reicherung ihres Sohnes.
3. Das OLG. ſtellt indes weiter feſt, daß die
Klägerin ſich der Beklagten in Höhe von 10 433,70 M
ſchadenserſatzpflichtig gemacht habe, und es ſpricht der
Beklagten wegen ihres Schadenserſatzanſpruches ein
Zurückbehaltungsrecht zu. In dieſer Hinſicht führt es
aus, die Klägerin habe gewußt, daß ihr Sohn noch
minderjährig ſei, und es erſcheine ohne weiteres ein⸗
leuchtend, daß ihr auch die beſchränkte Verpflichtungs⸗
fähigkeit ihres Sohnes ſowie die Notwendigkeit der
Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts neben der
ihrigen zu gewiſſen Rechtsakten bekannt geweſen ſei.
Den gegen dieſe Annahme angeführten Tatſachen könne
irgend ein Einfluß auf die Beurteilung der Sachlage
nicht beigemeſſen werden. Die Kenntnis der Klägerin
von der Verpflichtungsunfähigkeit ihres Sohnes ergebe
am beſten der Umſtand, daß ſie es ausweislich der Ur⸗
kunde vom 14. Auguſt 1907 für nötig befunden habe,
ihre Einwilligung zu der Darlehnsaufnahme zu geben.
Es wäre aber ihre Pflicht geweſen, die Beklagte, die
von der Minderjährigkeit des Sohnes keine Kenntnis
gehabt und deren Entſchließung dadurch zweifellos
ſtark beeinflußt worden wäre, aufzuklaͤren. Sie hätte
ſich ſagen müſſen und habe ſich auch geſagt, daß die
Beklagte einem Verpflichtungsunfähigen eine ſo große
Summe nicht leihen würde. Dadurch, daß ſie zu tun
unterlaſſen habe, was nach dem Anſtandsgefühl aller
gerecht und billig Denkenden unter den gegebenen Um»
ſtänden geboten geweſen ſei. habe fie der Beklagten
in einer gegen die guten Sitten verſtoßenden Weiſe
Schaden zugefügt. Den ſchädigenden Erfolg habe ſie
ſich auch bei Abgabe ihrer Verpflichtungserklärungen
vom 14. Auguſt 1907 vorgeſtellt. Sie ſei der Bes
klagten ſomit ſchadenserſatzpflichtig (SS 826, 249 BGB.),
und dieſer der Beklagten gegen ſie zuſtehende fällige
Anſpruch beruhe auf demſelben rechtlichen Verhältnis,
aus dem heraus die Klägerin ihr Verlangen nach Be—
richtigung des Grundbuchs ableite. — Dem Berufungs-
gerichte mag zugegeben werden, daß es bei der Klägerin
als langjähriger Inhaberin der elterlichen Gewalt die
Kenntnis von der Notwendigkeit der vormundſchafts⸗
gerichtlichen Genehmigung zu gewiſſen Rechtsakten
im allgemeinen ohne weiteres vorausſetzen durfte.
Dieſe allgemeine Kenntnis bedingt jedoch keineswegs,
daß die Klägerin gewußt habe, daß auch zur Auf—
nahme von Geld auf den Kredit ihres minderjährigen
Sohnes neben ihrer Einwilligung die Genehmigung
des Vormundſchaftsgerichts erforderlich ſei. Eine
dahingehende ausdrückliche Feſtſtellung hat das Be—
ruſungsgericht jedenfalls nicht getroffen und konnte
es fünlich auch nicht treffen, ſolange es nicht den von
der Klägerin für ihre damalige Unkenntnis ſchlüſſig
angetretenen Beweis erhoben hatte. Mußte es aber
mit der Möglichkeit rechnen, daß die Klägerin die
Notwendigkeit der vormundſchaftsgerichtlichen Geneh—
migung zur Darlehnsaufnahme nicht kannte, ſo konnte
es auch nicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß die
Klägerin die Minderjährigkeit ihres Sohnes der Be—
klagten argliſtig verſchwiegen habe. Denn wenn die
Klägerin glaubte, daß die Darlehnsaufnahme durch
ihren Sohn um wirkſam zu ſein nur ihrer Ein—
willigung bedürfe, und daß infolgedeſſen die von ihr
beſtellte Hypothek der Beklagten in der Tat die ver—
langte Sicherheit gewähre, ſo iſt ſchlechterdings nicht
erſichtlich, welchen Anlaß ſie gehabt haben könnte,
die Minderjährigkeit ihres Sohnes zu verheimlichen,
und inwiefern ſie verpflichtet geweſen wäre, die Be—
klagte noch in anderer Weiſe als durch Erwähnung
ihrer mütterlichen Einwilligung in der Eintragungs—
urkunde auf die Minderjährigkeit
machen. Streng genommen ſtellt das Berufungs—
gericht nicht einmal beſonders feſt, daß die Klägerin
damals das Nichtwiſſen der Beklagten um die Minder—
jährigkeit ihres Sohnes gekannt habe. Die Frage der
aufmerkſam zu
——
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
Argliſt bedarf hiernach der erneuten Prüfung auch
unter Berückſichtigung der in der Berufungsinſtanz
über das ſonſtige Geſchäftsgebaren der Klägerin und
ihres Sohnes aufgeſtellten Behauptungen. (Urt. des
V. 35. vom 20. Mai 1911, V 526/1910). E.
2351
II
Baginismus als Grund für die Anfechtung einer
Che. Aus den Gründen: Auf Grund des Gutachtens
des Frauenarztes Dr. P. hat das Berufungsgericht als
erwieſen angenommen, daß die Beklagte eine blutarme
und kränkliche Perſon, deren Muskeln ſchlaff und
ſchwach und deren Brüſte vollſtändig zurückgebildet
find, an Vaginismus leidet. Dieſes Leiden beſteht bei
der Beklagten in einer übermäßigen Empfindlichkeit
des angeborenen engen Scheideneingangs, die dem Ge⸗
ſchlechtsverkehr inſofern ein mechaniſches Hindernis
bereitet, als bei Berührung des Scheideneingangs ein
krampfartiges Zuſammenziehen der umliegenden Mus⸗
kulatur und des Beckenbodens ſtattfindet, wodurch die
Vollziehung des Beiſchlafs regelmäßig unmöglich
wird. In dem Berufunasurteil iſt weiter ausgeführt,
der Umſtand, daß trotzdem eine Schwängerung der
Beklagten zuſtande gekommen fei, beweiſe, daß der
Beiſchlaf mit großer Rückſichtsloſigkeit unter Verur⸗
ſachung heftiger Schmerzen ausgeführt ſein müſſe.
Die Angſt vor dieſen Schmerzen habe bei der Be⸗
klagten eine anhaltende Aufregung hervorgerufen, die
bei der Ungewißheit über den Ausgang des Eheftreits
noch gegenwärtig beſtehe und unter der ſie ſeeliſch wie
körperlich immer mehr herunterkomme. Das OLE.
nimmt darnach. indem es auch hier dem Gutachten des
genannten Sachverſtändigen folat, ein dauerndes Bei⸗
wohnungsunvermögen der Beklagten an, das weder
durch ärztliche Behandlung noch durch die Zeit be⸗
hoben werden könne und das auch ſchon bei Eingehung
der Ehe vorhanden geweſen ſei. Es erachtet deshalb
die Vorausfetzungen des 8 1333 BGB. für vorliegend.
da der Kläger, falls er nicht über die perſönliche
Eigenſchaft der Beiwohnungsfähigkeit ſich geirrt
hätte, verſtändigerweiſe die Ehe nicht geſchloſſen haben
würde, und da auch die ſechsmonatige Ausſchlußfriſt
(8 1339 BGB.) gewahrt ſei. Die gegen dieſe Beur⸗
teilung gerichteten Angriffe der Reviſion können
keinen Erfolg haben. Die Reviſion meint, das Leiden
des Vaginismus habe die Beiwohnungsunfähigkeit der
Beklagten nicht zur Folge gehabt, da zwiſchen ihr
und dem Kläger vor der Geburt des Kindes Geſchlechts⸗
verkehr ſtattgefunden habe. Demgegenüber iſt in dem
Berufungsurteil und dem Gutachten des Dr. P. darauf
hingewieſen, daß eine Beiwohnung zwar mäglich ſei,
ſich aber nur erzielen laſſe, wenn mit großer Gewalt⸗
tätigkeit ohne Rückſicht auf die der Beklagten zugefügten
heftigen Schmerzen vorgegangen werde. Daß ein ſolcher
Zuſtand der Beiwohnunagsunfähigkeit gleichſteht. iſt
rechtlich nicht zu bezweifeln. Die Reviſion vertritt
ferner — was hiermit in einem gewiſſen Zuſammen—
hange ſteht — die Anſicht, das Beiwohnungsunvermögen
ſei erſt dadurch verurſacht worden, daß die Beklagte
durch die große Rückſichtsloſigkeit des Klägers und die
infolgedeſſen erlittenen großen Schmerzen in eine an»
haltende Furcht und Aufregung verſent worden ſei.
Damit ſetzt ſich indes die Reviſion in Widerſpruch mit
der Feſtſtellung des Berufungsgerichts und dem ihr
zugrunde liegenden Gutachten des Dr. P. In dem Be-
rufungsurteil wird als Folge der anhaltenden Auf—
regung und Furcht der Beklagten nur das hingeſtellt.
daß ſie ſeeliſch wie körperlich immer mehr zurückgekommen
iſt. Mag dies auch dazu beigetragen haben, das Bei—
wohnungsunvermögen zu erhöhen, ſo iſt doch die Ur—
ſache dieſes Unvermögens in dem bereits zur Zeit der
Eheſchließung ausgebildeten Leiden des Vaginismus
zu ſehen. Aus dem Gutachten des Dr. V. iſt zu ent⸗
nehmen, daß der Beklagten ſchon von der erſten Zeit
2 ——5i 3 — —ää6ä —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18. 365
der Ehe an die Veiwohnung arge Schmerzen bereitet
hat, was übrigens auch aus dem von Dr. S. in dem
Vorprozeſſe erſtatteten Gutachten hervorgeht. Unter
dieſen Umſtänden kann der Reviſion auch darin nicht
beigepflichtet werden, daß in dem bloßen Vaginismus,
wie er zur Zeit der Eheſchließung bei der Beklagten
beſtand, eine zur Anfechtung der Ehe ausreichende
perſönliche Eigenſchaft nicht zu erblicken ſei (RGZ. 67,
57). Nach dem Gutachten des Dr. P. handelt es ſich
um eine mit Organveränderungen nicht verbundene
Krankheitsform, welche durch ärztliche Behandlung
nicht zu heben iſt und auch im Laufe der Zeit nicht
vergeht. Hiermit ſteht es in Übereinſtimmung, daß
in dem Vorprozeſſe die Verpflichtung der Beklagten
zur häuslichen Gemeinſchaft mit dem Kläger wegen
jenes Leidens verneint worden iſt, daß demgemäß die
Beklagte bereits ſeit dem 1. Mai 1906 ununterbrochen
getrennt gelebt hat und gleichwohl nach den ärztlichen
Zeugniſſen des Dr. S. und Dr. B. vom 8. Mai und
5. Juli 1908 ſowie nach den in dieſer Prozeßſache von
Dr. P. am 15. Januar und 2. April 1910 abgegebenen
Gutachten eine Beſſerung des Leidens nicht zu erreichen
geweſen iſt. Die Vorausſetzungen des 8 1333 BGB.
ſind ſomit ſämtlich gegeben, da nach der bedenken⸗
freien Feſtſtellung des Vorderrichters der Kläger bei
Kenntnis der Sachlage die Ehe nicht eingegangen ſein
würde. (Urt. des IV. ZS. vom 11. Mai 1911, IV
479 / 1910). E.
2345
III.
Iſt die Klage des Bermächtnisnehmers auf Auf:
laſſung eines Grundſtückes, das eine in Fahrnisgemein⸗
ſchaft lebende Fran als Miterbin in Erbengemeinſchaft
erworben hat, auch gegen den Ehemann zu richten?
Aus den Gründen: Der Berufungsrichter hält die
Verurteilung des verklagten Ehemanns zur Auflaſſung
um deswillen für gerechtfertigt, weil zur Auflaſſung der
den Klägern vermachten Grundſtücke ſeine Mitwirkung
erforderlich ſei. Da die beklagten Eheleute in der Fahrnis⸗
gemeinſchaft des BGB. lebten, ſtünden ihm an der ſeiner
Frau zugefallenen Erbſchaft, auch ſoweit ſie ſich als
deren eingebrachtes Gut darſtelle, Verwaltungs- und
Nutzungsrechte zu und die Frau bedürfe zur Ver⸗
fügung über eingebrachtes Gut der Einwilliaung des
Mannes (88 1550 Abſ. 2, 1525, 1395 BGB.). Die
Reviſion meint dagegen, der beklagte Ehemann hätte
zwar zur Duldung der Zwangsvollſtreckung verurteilt
werden können, wenn ein dahingehender Antrag
geſtellt worden wäre, zur Auflaſſung habe er dagegen
nicht verurteilt werden dürfen. Sie bezeichnet inſo⸗
weit die 88 1550 und 1551 BGB. ſowie 8 739 ZRO.
als verletzt. Dieſer Reviſionsangriff entbehrt nicht
einer gewiſſen Berechtigung. Bei der Fahrnisgemein-
ſchaft iſt von dem Geſamtgut das eingebrachte Gut
eines Ehegatten ausgeſchloſſen ($ 1550 Abſ. 1). Auf
dieſes finden die bei der Errungenſchaftsgemeinſchaft
für das eingebrachte Gut geltenden Vorſchriften An⸗
wendung (8 1550 Abſ. 2). Eingebrachtes Gut eines
Ehegatten iſt das unbewegliche Vermögen, das er beim
Eintritte der Fahrnisgemeinſchaft hat oder während
der Gemeinſchaft durch Erbfolge oder einzelne andere
Rechtsakte erwirbt (8 1551 Abſ. 1). Erlangt ein Ehe⸗
gatte durch Erbfolge Vermögen, zu dem ſowohl unbe—
wegliches als bewegliches Vermögen gehört, ſo fällt
das unbewegliche Vermögen ſeinem Eingebrachten zu,
während das bewegliche Vermögen Geſamtaut wird.
Iſt er in einem ſolchen Falle nicht als Alleinerbe,
ſondern neben anderen zur Erbſchaft berufen, jo gehört
ſein Anteil am Nachlaſſe, ſoweit er unbewegliches
Vermögen betrifft, zu ſeinem eingebrachten Gut und
nur im übrigen zum Geſamtgut. Dieſer auch in der
Rechtswiſſenſchaft faſt allgemein vertretenen Anſicht
ſteht nicht entgegen, daß (8 2033 Abſ. 2) ein Miterbe
über ſeinen Anteil an den einzelnen Nachlaßgegen—
ſtänden nicht allein verfügen kann, über einen eins
— — — — —ʒ t— — ——üä— - — — —ä.— ä Hzʒʒñ—ʒ—iʒ̃ — T— — — —
zelnen Nachlaßgegenſtand vielmehr (8 2040 Abſ. 1)
die Erben nur gemeinſchaftlich zu verfügen befugt ſind.
Denn (vgl. auch RG. 65, 227 f., insbeſ. 231/232 und
68, 410 f., insbeſ. 412/413) das ändert nichts daran,
daß, wie das Geſetz in 8 2033 Abſ. 2 gerade anerkennt,
dem Miterben auch an den einzelnen Nachlaßgegen⸗
ftänden ein Anteil immerhin zuſteht, wenn dabei auch
nicht Miteigentum nach Bruchteilen, ſondern ein
Geſamthandverhältnis in Frage kommt. Der im
Erbweg angefallene Anteil der beklagten Ehefrau
an den Grundſtücken, deren Auflaſſung die Kläger
verlangen, gehört alſo zum eingebrachten Gut der
beklagten Ehefrau. Infolgedeſſen liegt den Klägern
gegenüber auch die durch die letztwilligen Verfügungen
der Erblaſſer vom 27. Januar 1903 begründete, in⸗
folge des Erwerbs der Grundſtücksanteile entſtandene
Verbindlichkeit die Auflaſſung der Grundſtücke an die
Kläger herbeizuführen ihr als der Inhaberin ihres
Eingebrachten, nicht etwa dem beklagten Ehemann
oder ihr und dem beklagten Ehemann ob. Schon aus
dieſem Grunde kann daher nur ſie, nicht auch der
beklagte Ehemann verurteilt werden, die Auflaſſung
zu bewilligen und zu beantragen. Nun bedarf zwar
die Frau zur Verfügung über eingebrachtes Gut, alſo
auch zu der Auflaſſung, der Einwilligung des Mannes
(88 1550 Abſ. 2, 1525, 1395). Das hat aber lediglich
zur Folge, daß der Mann verpflichtet iſt ſeine Ein⸗
willigung zu der Auflaſſung zu erteilen. Es hätten
deshalb (vgl. auch 8 739 ZPO.) die beklagte Frau
zur Herbeiführung der Auflaſſung und der beklagte
Mann zur Erteilung ſeiner Einwilligung verurteilt
werden müſſen. Statt deſſen iſt der beklagte Ehemann
in den Vorinſtanzen neben der Frau und ſogar als
Geſamtſchuldner mit ihr zur Erteilung der Auflaſſung
verurteilt worden. Der ſachliche Unterſchied mag
zwar im gegebenen Falle für den beklagten Ehemann
nicht erheblich ſein, immerhin aber iſt es ange⸗
meſſen die Ungenauigkeit zu beſeitigen und die im
übrigen gebotene Zurückweiſung der Reviſion bloß mit
der Maßgabe auszuſprechen, daß der beklagte Ehe⸗
mann, ſoweit es ſich um die Sache ſelbſt handelt, nur
verurteilt wird zu der Auflaſſung ſeine Einwilligung
zu erteilen. (Urt. d. IV. ZS. vom 23. Mai 1911, IV
441.1910.) E.
2332
B. Strafſachen.
1
In 33 3 und 12 Wein.: was verſteht man unter
Moft? Bedentuna der Entziehung der Gärfähigkeit.
Der Angeklagte hat unter dem Namen „alkoholfreie
Weine“ oder „alkoholfreie Nektarweine“ flaſchenweiſe
Getränke in den Verkehr gebracht, die nach den Feſt⸗
ſtellungen im Urteil „ſteriliſierte und geſchönte Trau—
benmoſte“ waren, alſo geklärter Traubenſaft, dem durch
Steriliſierung die Gärfähigkeit genommen und dadurch
Haltbarkeit verliehen war. Angeblich nach der Ver—
ſchiedenheit der zur Herſtellung der Moſte verwendeten
Trauben ſind die einzelnen Sorten des „alkoholfreien
Nektarweines' verſchieden benannt, und zwar nach geo—
graphiſchen Bezeichnungen (Länder-, Orts- und Lage—
namen) oder auch nach der Art der verwendeten
Trauben. Eine Sorte führt auf der Preisliſte und
den Flaſchenaufſchriften den Namen „‚Tokayer alkohol—
frei“; ſie iſt aus Trauben gewonnen, die in Rhein—
heſſen gewachſen ſind und deren Art dort „Tokayer
Trauben“ genannt wird. Unter Anwendung der SS 6,
12, 26 Abſ. 1 Nr. 1 Wein. iſt der Angeklagte auf
Grund dieſer Feſtſtellungen verurteilt worden, weil
er Moſt, den er gewerbsmäßig in den Verkehr brachte,
unrichtig mit einer nur zur Kennzeichnung ſeiner Her—
kunft zuläſſigen geographiſchen Bezeichnung verſehen
habe. Die Anklage war weiter auf 8 16 Abf. 1 Waren 8G.
und 8 4 Nr. 1
dieſer Strafbeſtimmungen iſt aber mit der Begründung
abgelehnt, daß der Angeklagte an ſeine Abnehmer
Preiskarten verſandt habe, in denen die Auskunft ent⸗
halten ſei, beſtimmte Marken, darunter „Tokayer alko⸗
holfrei“ ſeien „aus in Deutſchland wachſenden Reben»
arten gekeltert“, ſo daß einem Irrtum der Abnehmer
über den Ort der Gewinnung der Trauben vorgebeugt
geweſen ſei. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwalt⸗
ſchaft die Nichtanwendung der beiden genannten Straf⸗
geſetze als rechtsirrig. Denn nach der vorſtehend wieder⸗
gegebenen Begründung hat das Urteil in rein tat⸗
ſächlicher Entſcheidung verneint, daß der Angeklagte
die in 8 16 Waren ZG. und 8 4 Unl WG. näher be⸗
zeichneten Täuſchungszwecke verfolgt habe: einen Rechts⸗
irrtum läßt die Entſcheidung inſoweit nicht erkennen.
Sowohl von der Staatsanwaltſchaft wie von dem
Angeklagten wird ſodann Verletzung der 88 6, 12,
26 Abſ. 1 Nr. 1 Wein. gerügt und von dem Ans
geklagten zur Begründung dieſer Beſchwerde nament⸗
lich hervorgehoben, daß die Feſtſtellungen des Urteils,
ſoweit ſie ſich auf die Beſchaffenheit der von dem An⸗
geklagten in Verkehr gebrachten Getränke beziehen,
nicht ausreichten um eine Nachprüfung zu ermöglichen,
ob auf dieſe Getränke das Wein. Anwendung finde
oder nicht. Gerade dieſer letzteren Beanſtandung kann
die Berechtigung nicht abgeſprochen werden; ſie muß
zur Aufhebung des Urteils führen, auch wenn grunds
ſätzlich die im Urteil vertretene Rechtsanſicht zu bil-
ligen und anzunehmen wäre, daß 812 Wein®. ſich nicht
ausſchließlich auf friſch gewonnenen oder auf zur Wein⸗
bereitung beſtimmten und dazu verwendbaren Moſt be
zieht, ſondern auch auf ſolchen Moſt, deſſen Gärung
vorübergehend oder dauernd unmöglich gemacht iſt. Die
Anwendung der Strafbeſtimmungen der 88 6, 26 Abſ. 1
Nr. 1 Wein. auf die von dem Angeklagten hergeſtellten
und unter der Herkunftsbezeichnung „Tokayer“ (Entſch.
40, 288) in den Verkehr gebrachten Getränke iſt dann
gerechtfertigt, wenn dieſe als „Traubenmoſt“ i. S. des
§ 12 Wein. zu gelten haben. Dafür gewährt aber
das angefochtene Urteil inſoweit keine ausreichende
Grundlage, als daraus nicht zu erſehen iſt, welcher
Behandlung im einzelnen der von dem Angeklagten
zur Herſtellung der verkaufsfertigen Getränke verwen—
dete Traubenſaft unterzogen wurde und welche Folgen
dieſe Behandlung gehabt, wie ſie namentlich die Be—
ſchaffenheit und Zuſammenſetzung des Rohſtoffs be—
einflußt hat. Die Bezeichnung des Getränks als „ſte—
riliſierter und geklärter Traubenmoſt“ erſetzt Nachweiſe
in dieſer Richtung nicht, auch nicht die Ausführung,
die Getränke ſeien „nichts weiter als ſteriliſierte Trau—
benmoſte“ geweſen. Beides um fo weniger, als das Ur:
teil „gewiſſe chemiſche Veränderungen“ als Folge der
Behandlung erwähnt. ohne ſie jedoch irgendwie näher
zu bezeichnen und ihre Bedeutung zu erörtern, und
als weiter die Angabe des Sachverſtändigen P., wo—
nach die Getränke infolge des Herſtellungsverfahrens
aller im Moſte vorhandenen Eiweißkörper verluſtig
gegangen ſeien und die Eigenſchaften des Moſts völlig
eingebüßt hätten, mit der Bemerkung abgetan wird,
daß der Sachverſtändige von einer nach 8 1 Wein.
nicht zutreffenden Auffaſſung des Begriffs Wein aus—
gehe und zu Unrecht als Moſt nur den friſchen Kelter—
ablauf gelten laſſen wolle, während auf die ausſchlag—
gebende Frage nach der Bedeutung der hervorgehobenen
Veränderungen in Zuſammenſetzung und Beſchaffenheit,
die der als Rohſtoff verwendete Moſt erlitten hat,
überhaupt nicht eingegangen wird. Nicht jedem Er—
zeugnis, das aus Traubenſaft gewonnen wird, gebührt
fortdauernd der Name „Moſt“, man verſteht da—
runter den aus der Traubenmaiſche abfließenden oder
durch Auspreſſen oder auf andere mechaniſche Weiſe
daraus oder auch aus nicht zerquetſchten Trauben ge—
wonnenen Saft und zwar ſolange dieſer ſtofflich uns
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
verändert bleibt, ohne jede andere zeitliche Begrenzung
Unl WG. geſtützt; die Anwendung als diejenige, die ſich aus dem vollendeten Uebergang
von Moſt in Wein auf dem Wege der Gärung ergibt.
Solange dem Moſt ſein Weſen, ſeine Art und Beſchaf⸗
fenheit erhalten bleibt, iſt er Moſt. Wird aber zur
Herſtellung eines anderen Erzeugniſſes Moſt mit an⸗
deren Stoffen vermiſcht oder zur Gewinnung anderer
Erzeugniſſe derart bearbeitet, daß Veränderungen in
der Beſchaffenheit und der ſtofflichen Zuſammenſetzung
eintreten, ſo kann möglicherweiſe dadurch das Weſen
des Rohſtoffs völlig aufgehoben werden: Ausſehen,
Geruch und Geſchmack können derart beeinflußt ſein,
daß der Rohſtoff ſich nicht mehr als Moſt erweiſt und
dieſen Namen verliert. Deshalb hätte, wie der Ver⸗
teidiger zutreffend hervorhebt, der Tatrichter zumal
gegenüber der Verteidigung des Angeklagten und um
die rechtliche Nachprüfung ſeines Urteils zu ermöglichen
feſtſtellen müſſen, von welcher Bedeutung die chemi⸗
ſchen und ſonſtigen Veränderungen waren, die der von
dem Angeklagten zur Herſtellung des „Tokayer alko⸗
holfrei“ verwendete Moſt erfuhr, welcher Art die Ein⸗
wirkungen waren, denen er zur Haltbarmachung und
Klärung ausgeſetzt wurde, ob er einfach in mäßigen
Grenzen erhitzt und durch erlaubte Schönungsmittel
geklärt wurde, oder ob weitere Maßnahmen der Her⸗
ſtellung ſtattfanden, über die bis jetzt keinerlei Aus:
kunft gegeben iſt, die aber zu durchgreifenden Weſens⸗
änderungen geführt haben können. Wenn die feſtge⸗
ſtellten chemiſchen Veränderungen äußerlich in Geſchmack,
Geruch und Ausſehen der hergeſtellten Getränke der⸗
art hervortreten, daß dieſe im Verkehr mit Moſt übers
haupt nicht verwechſelt werden können, dann findet
§6 Wein. auf das unter falſcher Herkunftsbezeichnung
in den Verkehr gebrachte Getränk keine Anwendung;
im umgekehrten Fall dagegen, wenn die Steriliſierung
lediglich die Abtötung der Gärerreger, im übrigen
aber eine durch die Sinne wahrnehmbare Aenderung
im Weſen des Moſts nicht bewirkt hat. hänat die
Anwendung des Weins. allerdings ausſchließlich da⸗
von ab, ob die Gärfähiakeit, deren der Moſt verluſtia
aing, eine i S. des Wein. weſentliche und begriff—
lich unerläßliche Eigenſchaft des „Moſtes“ bildet. Dieſe
im angefochtenen Urteil bejahte Frage, ob als „Moſt“
i. S. des 8 12 Wein. auch ein ſolcher Traubenſaft
gelten kann, der die Eigenſchaft eingebüßt hat, mittels
alkoholiſcher Gärung in der üblichen Kellerbehandlung
ſich zu Wein zu entwickeln, iſt ſonach erſt dann zu
entſcheiden, wenn im übrigen feſtſteht, daß zwiſchen
den von dem Angeklagten hergeſtellten Getränken und
gewöhnlichem, gärfähigem Traubenſaft keine ſonſtigen
ſinnfälligen Unterſchiede beſtehen, die eine Weſensver⸗
ſchiedenheit begründen. Für die hiernach gebotene
wiederholte Verhandlung der Sache mag indes zu
dieſer Frage Folgendes bemerkt werden: Das Wein.
regelt den Verkehr mit „Wein“. Nach der geſetzlichen
Beariffsbeſtimmung wird darunter nur das durch alko—
holiſche Gärung aus dem Saſt der friſchen Weintraube
hergeſtellte Getränk verſtanden. Wenn einzelne Bes
ſtimmungen des Geſetzes auch auf Moſt und Trauben
maiſche ausgedehnt find (8 3), fo iſt das zunächſt nur
um deswillen geſchehen, weil der Moſt als Grund-
ſtoff zur Wein bereitung dient, in der Kellerbehand—
lung zu Wein wird. Weſentlich aus dieſem Geſichts—
punkt iſt auch die Beſtimmung in § 12 Wein. ge-
troffen. Das Wein. von 1901 enthielt eine derartige
Beſtimmung nicht. Je mehr die Rechtſprechung darauf
beſtand, nur ſolche Erzeugniſſe als Wein, weinhaltig
oder weinähnlich anzuerkennen, die eine alkoholiſche
Gärung durchgemacht hatten oder Alkoholgehalt auf—
wieſen, alſo den Anſchein einer ſolchen Gärung hervor—
riefen, um ſo mehr machte ſich als Lücke bemerkbar, daß
Verfälſchungen des Moſts vor Eintritt der Gärung,
die ſich erſt im fertigen Wein äußern ſollten, nicht ver—
folgt werden konnten: ſelbſt die Einziehung ſtieß auf
Schwierigkeiten, ſogar in Fällen, in denen Moſt oder
an als Mittel zur Weinbereitung mit Zuſätzen in
den Verkehr gebracht wurde, die bei fertigem Wein ver⸗
boten waren (Entſch. 38, 311; 40, 69; 41, 35). Dem
ſollte und zwar offenbar zu dem Zweck abgeholfen
werden, daß Moſt, der zur Wein bereitung beſtimmt
iſt, ſchon als Rohſtoff Schutz gegen Verfälſchung und
ſonſtige Unlauterteiten erhielt, die bisher nur in dem
fertigen Weine getroffen werden konnten. Inſoweit
ſprechen daher erhebliche Gründe dafür, daß der Moſt
nur im Hinblick auf die Weinbereitung, als Grundſtoff
des Weins, nach dem Wein. beurteilt werden ſollte,
und daß ſomit Moſt, dem die Gärfähigkeit genommen
iſt und der zur Weinbereitung endgültig nicht mehr
taugt, auch nicht mehr unter das Wein. fällt im
Gegenſatz zu dem nur vorübergehend ſtillgemachten
Moſt, worin die Gärung nur auf Zeit unterdrückt iſt
und demnächſt ohne äußeres Zutun wieder eintritt.
In der Begründung zu § 10 des Entw. des Wein.
iſt allerdings nichts davon erwähnt, daß begrifflich
zum Weſen des Moſtes die Eigenſchaft gehöre, daß er
ſich durch alkoholiſche Gärung zu Wein entwickeln könne;
vielmehr wird allgemein Moſt ohne Rückſicht darauf,
ob er zur Weinbereitung dienen ſoll, namentlich auch
der zum ſofortigen Genuß beſtimmte Moſt unter das
Wein. geſtellt in bewußter Stellungnahme gegenüber
dem in Entſch. 40, 69 für das frühere Wein®. ver:
tretenen Standpunkt. Daraus folgt aber keineswegs,
daß es nun für den Begriff des Moſtes nicht mehr
darauf ankomme, ob ihm die Gärfähigkeit erhalten
geblieben iſt oder nicht. Denn auch für den zum Ge-
nuß beftimmteu Moſt iſt die Fähigkeit zu gären von
größter Bedeutung, da in dem Verlauf der Gärung,
durch die ſich der friſche Traubenſaft zum Wein ent⸗
wickelt, in den erſten Stufen der Enwicklung, während
deren die Flüſſigkeit ſich überhaupt nur dazu eignet,
unvergoren genoſſen zu werden, in raſcher Aufeinander⸗
folge auch für den Geſchmack bedeutſame und durch be⸗
ſondere Benennungen gekennzeichnete Veränderungen
ſich vollziehen. Trotzdem rechtfertigt es ſich nicht, das
Vorhandenſein der natürlichen im Moſte ſchlum⸗
mernden Gärfähigkeit begrifflich zum Weſen des Moſts
zu erfordern. Ein der Gärerreger beraubter Moſt, der
aber künſtlich zur alkoholiſchen Gärung gebracht werden
kann durch den Zuſatz von Stoffen, wie ſie auch zur
Umgärung ausgegorener insbeſondere kranker Weine
benützt werden, ein ſolcher Moſt, aus dem alſo nach
wie vor Wein gewonnen werden kann, bleibt Moſt;
denn das Beſtehen dieſer Möglichkeit beweiſt, daß er
feine Weſensart nicht geändert, daß er ein zur erlaubten
Weinbereitung tauglicher Grundſtoff geblieben und auch
geeignet iſt, als Moſt genoſſen zu werden. Deshalb
iſt anzunehmen, daß $ 12 Wein G. auch auf den Trau⸗
benmoſt anwendbar iſt, in dem durch Erhitzen die
Gärung unterdrückt wurde, vorausgeſetzt, daß der Moſt
infolge der Art der Bearbeitung nicht die Eigenſchaft
eingebüßt hat, ſich demnächſt ſei es ſelbſtändig durch
natürliche Gärung, ſei es durch Einleitung künſtlicher
Gärung zu Wein zu entwickeln, und daß er auch in
den anderen oben hervorgehobenen Beziehungen das
Weſen von Moſt bewahrt hat; die bei der Steriliſierung
notwendig eintretenden Verſchiebungen in der Zuſam—
menſetzung alſo, obwohl chemiſch nachweisbar, doch
nicht derart ſinnfällig bemerkbar ſind, daß es für den
Verkehr von Bedeutung wäre. Wie ein derartiger —
durch einfache mäßige Erhitzung ſteriliſierter Moſt —
regelmäßig dann im Verkehr den Beſchränkungen des
Wein. unterliegen wird, fo wird er anderſeits auch
Anſpruch darauf haben, daß er mit Wein oder friſchem
Moſt, ſelbſt ſolchem eines anderen Jahrgangs ver—
ſchnitten werden kann und überhaupt in der Keller—
behandlung anderem Moſt an und für ſich gleichſteht.
Die in dem angefochtenen Urteil erörterte und unter
Bezugnahme auf die geſetzgeberiſchen Verhandlungen
bejahte Frage, ob auch „alkoholfreie Weine“ unter das
Wein. fallen, ſteht nicht zur Entſcheidung, denn wie
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
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das Urteil ſelbſt zutreffend hervorhebt, handelt es ſich
hier nicht um ſolche wieder entgeiſtete Weine, ſondern
um un vergorenen Traubenſaft; die Heranziehung jener
Weine war nicht erforderlich; die Schlußfolgerung, daß,
wenn das Wein. auf alkoholfreie Weine anwendbar
ſei, das Gleiche bezüglich der ſteriliſierten Moſte der
Fall ſein müſſe, iſt keineswegs zwingend. (Urt. des
1. StS. vom 18. Mai 1911, 1 D 1190/1910). E.
2341
II
Notwendiger Inhalt des Strafautrags. Aus den
Gründen: Der Verletzte L. hat zum Protokoll eines
Schutzmannes am 25. Februar 1911 erklärt: „Ich ſtelle
gegen den Wirt Louis W. wegen Mißhandlung Straf⸗
antrag“ und das Protokoll unterſchrieben. Ohne
Grund bezweifelt die Reviſion die Wirkſamkeit dieſes
Strafantrags, weil er keine Angaben darüber ent⸗
halte, wann und wo die Mißhandlung erfolgt ſei.
Zu einem Strafantrag iſt inhaltlich nichts weiter er⸗
forderlich, als eine unzweideutige Erklärung des
Willens des Verletzten, daß eine beſtimmte Tat beſtraft
werde. Muß danach auch die Handlung, deren Ver⸗
folgung begehrt wird, beſtimmt bezeichnet werden, ſo
iſt dazu doch keineswegs unumgänglich erforderlich,
daß Ort und Zeit der Handlung angegeben wird. Es
genügt, daß die Handlung ſo beſtimmt bezeichnet iſt,
daß kein Zweifel darüber beſteht, welche Handlung
Gegenſtand des Strafantrags iſt, insbeſondere auch
nicht darüber, daß dieſe Handlung dieſelbe iſt, wegen
deren die Verurteilung erfolgt iſt. Dieſen Anforde⸗
rungen genügt der Strafantrag vom 25. Februar 1911.
Schon durch die Angabe der Perſon des Täters und
durch die Bezeichnung der Tat als Mißhandlung
wurde unter den obwaltenden Umſtänden außer Zweifel
geſtellt, daß der Antragſteller die Beſtrafung der am
12. Januar 1911 ihm in der Wirtſchaft des Angeklagten
von dieſem zugefügten Mißhandlung wolle, eben der⸗
jenigen, wegen deren der Angeklagte verurteilt worden
iſt. Denn eine andere Handlung des Angeklagten,
die als Mißhandlung des Antragſtellers hätte bezeichnet
werden können, als die am 12. Januar 1911 vom
Angeklagten in ſeiner Wirtſchaft begangene, kam bei
Stellung des Antrags nicht in Frage. Wegen dieſer
letzteren Tat hatte L. Strafanzeige erſtattet und in
dem auf dieſe Anzeige anhängig gewordenen Straf—
verfahren hat er auf Veranlaſſung der Staatsanwalt⸗—
ſchaft den Antrag vom 25. Februar 1911 geſtellt.
Der Antrag kann alſo nur die Tat des Angeklagten
zum Gegenſtand gehabt haben, die Gegenſtand der
Unterſuchung war. Wird aber durch den Antrag be—
wieſen, daß der Antragſteller gewollt hat, daß der
Angeklagte ſtrafrechtlich verfolgt werde, ſo folgt daraus,
daß auch ſchon die Strafanzeige vom 12. Januar 1911
in der Abſicht erſtattet worden iſt, daß die in der An-
zeige bezeichnete Tat beſtraft werde, und deshalb iſt
ſchon dieſe Anzeige als Strafantrag anzuſehen (RGRſpr.
StS. 1, 115). In der Anzeige iſt aber auch Zeit und
Ort der Tat angegeben, die Tat alſo ſo bezeichnet,
wie es die Reviſion verlangt. (Urt. des I. StS. vom
27. Mai 1911, 1 D 429/1911). E.
2333
III.
Wie hat das Gericht bei der Bemeſſung der Geſamt⸗
ftrafe zu verfahren?! Aus den Gründen: Aus den
erkannten Einzelſtrafen von drei Wochen und dreimal
je 2 Wochen hat das LG. die verhängte Geſamtſtrafe
von 6 Wochen in der Weiſe gebildet, daß ſie die drei
letzteren je auf 1 Woche ermäßigt und dieſe ermäßigten
Einzelſtrafen zu der Zwöchigen Strafe hinzugerechnet
hat. Das entſpricht nicht dem Geſetze. Nach 8 74 StGB.
iſt auf eine Geſamtſtrafe zu erkennen, welche in einer
Erhöhung der verwirkten ſchwerſten Strafe beſteht.
Dieſe Erhöhung iſt dem pflichtgemäßen freien Er—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
„H ñ ñ ñ —. —. Fe — FE —. . . ——. ͤ—— — Te re
meſſen des Richters anheimgegeben, wobei er, wie in fertigt ift die Entſcheidung inſoweit, als der Erſt⸗
den Motiven zu $ 74 StGB. ausdrücklich anerkannt
iſt, die „Zahl und Schwere der übrigen Vergehen
berückſichtigen fol”. Für rechneriſche Zwiſchenſtufen,
welche den Anſchein erwecken, als ſollten die verwirkten
Einzelſtrafen auch innerhalb der Geſamtſtrafe bis zu
einem beſtimmten vom Gerichte feſtgeſetzten Maße ein
ſelbſtändiges Daſein behalten, kann daneben kein Raum
bleiben. Das von dem LG. eingeſchlagene Verfahren
zieht dem richterlichen Ermeſſen gewiſſe rechneriſche
Schranken, es hindert ihn unter Umſtänden zu einem
dem Geſetz entſprechenden Ergebnis zu kommen und
birgt die Gefahr in ſich, daß der Sachlage des ein«
zelnen Falles nicht die gebührende Rückſicht zuteil
wird, vielmehr in allen Fällen nach einheitlichen
Grundſätzen die rechneriſche Ermittelung der Geſamt⸗
ſtrafe ſtattfindet und namentlich unterſchiedslos die
Kürzung der Einzelſtrafen nach einem beſtimmten
üblichen Maßſtab vorgenommenen wird. Dadurch
kann der Verurteilte empfindlich benachteiligt werden.
Da dies im vorliegenden Falle nicht ausgeſchloſſen iſt,
war der die Bildung und Erkennung der Geſamtſtrafe
betreffende Teil des Urteils aufzuheben und inſoweit
die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Ent—
ſcheidung zurückzuverweiſen. Hierbei wird die Geſamt⸗
ſtrafe in der Weiſe feſtzuſetzen fein, daß die Einſatz⸗
ſtrafe unter Berückſichtigung der Höhe der Einzelſtrafen
aber ganz nach freiem Ermeſſen des Richters erhöht
und ſo nicht eine Summe von Strafen und Strafteilen,
ſondern eine einheitliche Strafe gefunden wird (hier
ſelbſtverſtändlich unter Beobachtung des 3398 StPO.) —
RGSt. 44, 302. (Urt. des I. StS. vom 1. Mai 1911,
1 274/1911). E.
2334
IV.
„ Erforderniſſe der Begründung einer Rüge nach & 377
Ziff. 8 StPO. — zu 5 384 Abſ. 2 Satz 2 St pd. Die
Ruge der Verletzung des 8 377 Ziff. 8 StPO. iſt von
dem Verteidiger nur damit begründet worden, daß
durch die Ablehnung der Beweisanträge, welche der
Angeklagte nach dem Sitzungsprotokoll vom 27. April
1911 in der Hauptverhandlung von dieſem Tage und
nach dieſem Tage ſchriftlich geſtellt habe, die Ber
teidigung unzuläſſig beſchrankt worden ſei. Darin
kann eine genügende Angabe der den Mangel ent—
haltenden Tatſachen, wie ſie 8 384 Abſ. 2 Satz 2
StPO. erfordert, nicht gefunden werden. Von dem
Angeklagten jelvit iſt zur Begründung derſelben Rüge
zu Protokoll des Gerichtsſchreibers ausgeführt worden,
eine unzuläſſige Beſchränkung der Verteidigung liege
darin, daß ſeine Anträge auf nochmalige Vernehmung
ſeiner Eltern als Zeugen zu Unrecht abgelehnt worden
ſeien. Von dem Termine zur kommiſſariſchen Ver—
nehmung feiner Eltern ſei er nicht ordnungsmäßig
und nicht rechtzeitig benachrichtigt worden; die Ver—
leſung des Vernehmungsprotokolls ſei deshalb un—
ſtatthaft und dem Antrag auf Wiederholung der Ver—
nehmung zu entſprechen geweſen. Auch dieſe Begrün—
dung genügt den Anforderungen des § 384 Abſ. 2 Satz 2
StPO. nicht; denn Anträge auf nochmalige Verneh—
mung der Eltern ſind ſowohl in der Hauptverhandlung
vom 27. April 1911 als nach dieſem Tage geſtellt und
aus ganz verſchiedenen Grunden abgelehnt worden;
es hütte deshalb angegeben werden müſſen, auf welchen
der in Betracht kommenden Gerichtsbeſchlüſſe ſich die
Rüge bezieht. (Urt. des V. SiS. vom 20. Juni 1911,
5 D 580% 1911). E.
238
V.
Muß das Gericht, das den mehreren ſachlich zu⸗
ſammentreffender Vergehen deſchuldigten Angeklagten
bezuglich eines Teiles jur nicht überführt erachtet, ihn
inſoweit freiſprechen, wenn es im übrigen ihn wegen
richter es unterlaſſen hat, die Angeklagten in den⸗
jenigen Diebſtahlsfällen freizuſprechen, die ihnen im
Eröffnungsbeſchluſſe als ſelbſtändige Straftaten zur
Laſt gelegt ſind, wegen deren aber eine Verurteilung
nicht erfolgen konnte, weil die Angeklagten nicht für
überführt erachtet worden ſind. Das LG., das ange⸗
nommen hat, daß die wiederholten Diebſtähle, die
jedem Angeklagten nachgewieſen find, bei jedem Ange⸗
klagten miteinander im Fortſetzungszuſammenhange
ſtehen, hat wegen der nicht nachgewieſenen Fälle um
deswillen von einer Freiſprechung abgeſehen, weil es
davon ausging, daß auch dieſe Fälle, wenn ſie nach⸗
gewieſen wären, unter ſich und mit jenen im Fort⸗
ſetzungszuſammenhange ſtehen würden und daß es
deshalb wegen der Unmöglichkeit, hinſichtlich ein und
derſelben Handlung teils zu verurteilen teils freizu⸗
ſprechen, nicht angehe auf Freiſprechung zu erkennen.
Dies iſt rechtsirrig. Ein Fortſetzungszuſammenhang
im Rechtsſinn iſt nur zwiſchen wirklich begangenen
ſtrafbaren Handlungen möglich. Er konnte alſo der
Freiſprechung von den nicht für erwieſen erachteten
Anklagepunkten nicht entgegenſtehen. Die Freiſprechung
war vielmehr notwendig, da es ſich um — nach dem
Eröffnungsbeſchluß — ſelbſtändige Anklagepunkte
handelte und dieſe durch die über die übrigen Anklage⸗
punkte getroffene Entſcheidung nicht erledigt wurden.
Der Irrtum über die rechtlichen Vorausſetzungen des
Fortſetzungszuſammenhangs hatte aber auch weiterhin
zur Folge, daß die Angeklagten — und zwar alle
vier Angklagte, nicht nur die drei Beſchwerdeführer
— nicht, wie es nach § 498 Abſ. 1 StPO. zu geſchehen
gehabt hätte, von der Tragung der auf die nicht er⸗
wieſenen Straffälle erwachſenen beſonderen Koſten ent⸗
bunden, ſondern zu Unrecht mit den ſämtlichen Koſten
ſämtlicher Diebſtahlsfälle belaſtet worden ſind. (Urt.
des V. StS. vom 20. Juni 1911, 5 D 422/1911).
2339
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
„Beſondere Grande“ zu einer von der Regel des
5 1635 BGB. abweichenden Anordnung des Bormund:
ſchaftsgerichts. Durch das rechtskräftige Urteil des
LG. K. vom 6. Mai 1910 iſt die Ehe der Landwirts⸗
eheleute Heinrich uud Philippine S. aus BVerſchulden
der Frau geſchieden worden. Das einzige Kind Robert,
geboren am 30. November 1906, verblieb zunächſt bei
ſeiner Mutter, die ihren Familiennamen wieder ans
genommen hat und bei ihren Eltern wohnt. Als
Heinrich S. gegen ſeine frühere Frau Klage auf Her—
ausgabe des Kindes ſtellte, regte deren Vater bei dem
Vormundſchaftsgericht an, die Sorge für die Perſon
des Kindes nach S 1635 Abſ. 1 Satz 2 BGB. der
Mutter zu übertragen. Dieſe ſchloß ſich der Anregung
an. Das Vormundſchaftsgericht übertrug, nachdem es
die erforderlichen Erhebungen gepflogen hatte, die Sorge
für die Perſon des Kindes der Mutter, weil dies für
das Kind vorteilhafter ſei. Auf die Beſchwerde des
S. hob das LG. die Entſcheidung des Vormundſchafts⸗
gerichts auf; nach den zur Zeit beſtehenden Verhält—
niſſen möge die Unterbringung im Haufe der mütter-
lichen Großeltern für das Kind allerdings angenehmer
und vorteilhafter ſein, aber es liege kein genuͤgender
Grund vor, eine von der Regel des § 1635 868.
abweichende Anordnung zu treffen; der Vater befinde
ſich in geordneten Erwerbs- und Vermögensverhält—
niſſen und werde in der Pflege und Erziehung von
ſeinen Angehörigen, beſonders ſeiner Mutter, unters
eines fortgeſetzten Vergehens verurteilt! Nicht gerecht⸗ ſtutzt, fo daß eine Gefährdung der Intereſſen des
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 18.
Kindes nicht zu beſorgen ſei. Der weiteren Beſchwerde
der Mutter des Kindes hat das Obs. den Erfolg
verſagt.
Gründe: Das Beſchwerdegericht iſt mit Recht
davon ausgegangen, daß die Sorge für die Perſon
des Kindes dem für ſchuldig erklärten Eheteile nicht
ſchon deshalb zu übertragen iſt, weil die Belaſſung
bei der Mutter dem Kinde vorteilhafter iſt, ſondern
daß dafür beſondere Gründe vorliegen müſſen. Der
Umſtand, daß das Kind durch die Verbringung in
die Familie des Vaters in neue, ihm ungewohnte Ver⸗
hältniſſe verſetzt würde, kann für ſich allein einen
ſolchen Grund nicht abgeben. Die von der Regel des
8 1635 BGB. abweichende Anordnung enthält eine
Beſchränkung des nichtſchuldigen Teiles in der ihm
zuſtehenden Sorge für die Perſon des Kindes, die
ſich nur dann rechtfertigt, wenn ohne eine ſolche Maß⸗
regel das Intereſſe des Kindes einer ernſtlichen Ge⸗
fährdung ausgeſetzt fein würde (Obs G. n. S. 4, 145;
9, 474; 11, 588; Os G. 10, 287; 21, 260). Das Bes
ſchwerdegericht hat die bei der Mutter und bei dem
Vater beſtehenden Verhältniſſe geprüft und iſt dabei
zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Vater in der
Lage iſt, das Kind ordentlich zu pflegen und zu er⸗
ziehen, und daß keine Umſtände vorliegen, die die
Annahme einer Gefährdung des geiſtigen und leib⸗
lichen Wohles des Kindes rechtfertigen könnten. Dieſe
Folgerung konnte das Beſchwerdegericht ohne Rechts⸗
irrtum aus den von ihm feſtgeſtellten Tatſachen ziehen,
deren Richtigkeit durch das Rechtsmittel der weiteren
Beſchwerde nicht angefochten werden kann. (Beſchl.
des I. 35. vom 2. Juni 1911, Reg. III 41/1911).
2353 W.
II.
Kauf i. S. des Art. 1 GäterzertrG. (Berdeckung
durch einen Tanſchvertrag); Beginn der Friſt zur Ans
übung des Vorkaufs rechts bei nachträglicher Aenderung
des Vertrages. Am 3. April 1911 ließen die Bauers⸗
eheleute G. und die Güterhändler W. und B. in S.
einen „Tauſchvertrag“ beurkunden, wonach die Ehe⸗
leute G. ihr Anweſen mit einem Geſamtgrundbeſitze
von 20.741 Hektar im Wertanſchlage von 40700 M
an die Güterhändler W. und B. gegen eine Waldung
mit 1.540 Hektar Fläche im Wertanſchlage von 2700 M
„vertauſchten“. Die Grundſtücke wurden ſofort gegen⸗
ſeitig aufgelaſſen; die Eintragung des Eigentums»
wechſels wurde beantragt. Da die Güterhändler die
auf dem Anweſen ruhenden Hypotheken im Betrage
von 8100 M übernahmen, ergab ſich für die Eheleute
G. eine Tauſchaufgabe von 29 900 M. Hiervon wurden
13 000 M durch Verrechnung getilgt. Die weiteren
16 900 M verpflichteten ſich die Güterhändler am
3. Juli 1911 zu zahlen. In einer Nachtragsurkunde
vom 6. April wurde „unter Wahrung des geſetzlichen
Rücktrittsrechtes für die Ehelente G.“ vereinbart, daß
der Tauſchwert des Anweſens um 1500, ſohin auf
42 200 M erhöht werde; die Reſtforderung der Ehe—
leute G. daher nicht 16 900, ſondern 18 400 M betrage.
Das Bezirksamt gab am 8. April von dem Inhalte
des Vertrags vom 3. April und des Nachtrags vom
6. desſ. Monats der Bayeriſchen Zentral-Darlehens-
kaſſe Kenntnis. Am 27. April reichte dieſe bei dem
Grundbuchamte die Erklärung ein, daß ſie von dem
Vorkaufsrechte Gebrauch mache. Das Vorkaufsrecht
wurde noch an demjelben Tage auf dem Blatte für
das Anweſen eingetragen. Gegen die Eintragung
legten die Güterhändler W. und B. Beſchwerde mit
dem Antrag ein, das Grundbuchamt anzuweiſen, ent—
weder einen Widerſpruch gegen die Eintragung des
Vorkaufsrechts einzutragen oder dieſes zu löſchen. Zur
Begründung machten ſie geltend, daß bei einem Tauſch—
vertrag ein Vorkaufsrecht nicht zugelaſſen ſei und daß
die Zentraldarlehenskaſſe die Friſt zur Ausübung des
Vorkaufsrechts nicht gewahrt habe. Das LG. wies
369
die Beſchwerde zurück. Das Ob. hat auch die wei⸗
tere Beſchwerde zurückgewieſen.
Gründe: Die Rüge einer Verletzung des 8 515
BGB. iſt nicht gerechtfertigt. Das Beſchwerdegericht
hat zutreffend das Weſen des Tauſches darin ge⸗
funden, daß die unmittelbare Leiſtung eines jeden
Teiles in der Verſchaffung einer Sache beſteht (Mot.
z. BGB. 2, 366); es hat aber auf Grund der Wür⸗
digung des Vertragsinhaltes feſtgeſtellt, daß das von
den Güterhändlern abgetretene Grundſtück nicht den
für die Hingabe des Anweſens der Eheleute maß⸗
gebenden Gegenwert bildet, ſondern daß nach der
Abſicht der Vertragsteile durch die Ueberlaſſung dieſes
Grundſtücks ein Teil des Kaufpreiſes berichtigt werden
ſoll. Dieſe Feſtſtellung liegt auf tatſächlichem Gebiet
und läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Das
Gericht konnte zu dieſer Feſtſtellung auf Grund des
auffälligen Mißverhältniſſes gelangen, in dem der
nur 2700 M betragende Wert des Waldgrundſtücks
zu dem Werte des auf 42 200 M angeſchlagenen An⸗
weſens ſteht. Unzutreffend iſt die Einwendung der
Beſchwerdeführer, daß nach dem erkennbaren Ders
tragswillen die gegenſeitige Hingabe der Sachen von-
einander abhängen und die Hingabe des einen Gegen⸗
ſtandes ohne die des anderen nicht beſtehen ſollte.
Der Inhalt der Urkunde bietet keinen Anhalt dafür,
daß die Eheleute im Verhältniſſe zu der ſie als Gläu⸗
biger treffenden Geldleiſtung an der Erlangung des
ihnen von den Güterhändlern abgetretenen Grund»
ſtücks ein überwiegendes oder auch nur ein beſonderes
Intereſſe hatten (Mot. a. a. O. S. 321 Abſ. 2). Auch die
weitere Rüge, daß das Beſchwerdegericht zu Unrecht
die für die Ausübung des Vorkaufsrechts geſetzte Friſt
für gewahrt erachtet habe, iſt nicht begründet. Dem
Beſchwerdegericht iſt darin beizutreten, daß die Friſt
erſt dann beginnt, wenn die Bedingungen vereinbart
ſind, unter denen der Vorkäufer einzutreten hat. Dies
ergibt ſich aus dem Zwecke der Friſt. Denn dieſe
wird dem Vorkaufsberechtigten gewährt, damit er
überlegen und ſich ſchlüſſig machen kann, ob er in die
Bedingungen des Vertrags eintreten will oder nicht
(AbgK Verh. 1909/1910 Beil.⸗Bd. 9 S. 804); fie kann
daher nicht früher beginnen, als dieſe Bedingungen
feſtgeſtellt ſind. Damit erweiſt ſich der Einwand als
unbegründet, daß bei dieſer Auslegung des Geſetzes
die Friſt gegen den Willen des Geſetzgebers erweitert
würde. Das Beſchwerdegericht hat ferner nicht, wie
die Beſchwerde geltend macht, angenommen, der Ber
trag ſei erſt zur Vollendung gelangt, als alle Be⸗
dingungen endgültig feſtgeſetzt waren, in die der Vor⸗
käufer einzutreten hatte. Es hat feſtgeſtellt, daß der
am 3. April geſchloſſene Vertrag durch den Nachtrag,
vom 6. April in einem weſentlichen Beſtandteile der
Vereinbarung über den Kaufpreis eine Aenderung ers
fahren hat und hat aus dieſer Feſtſtellung die Folge-
rung gezogen, daß der ſo geänderte Vertrag als am
6. April geſchloſſen zu gelten hat. Dieſe Folgerung
iſt nicht zu beanſtanden. Ohne Rechtsirrtum kann
angenommen werden, daß die am 6. April getroffene
Vereinbarung, weil durch ſie der Vertrag vom 3. April
in einem weſentlichen Beſtandteile geändert wurde
und der Vertrag nach dem Willen der Vertrag—
ſchließenden nur mit dieſer Veränderung gelten ſollte,
mit den unveränderten Teilen des bisherigen Ver—
trags einen neuen Vertrag darſtellt (RGZ. 65, 392;
Goldmann und Lilienthal, BGB. (2) Bd. 1 S. 162
Anm. 37; für das frühere Recht Oberſter Gerichtshof 7,
455). Die von den Beſchwerdeführern angefuͤhrte
Entſcheidung des ObLG. vom 16. November 1909 (n.
Samml. 10, 524) hat einen anderen Sachverhalt zum
Gegenſtand und nimmt zu der hier vorliegenden
Frage nicht Stellung. Verfehlt iſt auch die Aus—
führung der Beſchwerde, daß durch die am 3. April
erfolgte Auflaſſung die Verpflichtung zur Eigentums—
übertragung entſtanden und hierdurch der Vertrag
370
zur Vollendung gekommen ſei. Der Anſpruch auf
Eigentumsübertragung wurde durch den ſchuldrecht⸗
lichen Grundvertrag geſchaffen; durch die Auflaſſung
wird ein Anſpruch überhaupt nicht begründet. (Beſchl.
des I. ZS. vom 2. Juni 1911, Reg. III 42/1911). -
2354 W
B. Strafſachen.
Unbefugte Jagdausübung eines Jagd berechtigten
von ſeinem Jagdgebiete aus. In der Ortſchaft S.
beſitzt N. ein Oekonomieanweſen, zu dem eine etwa
180 Schritt entfernte Wieſe gehört; auf dieſer ſteht
eine auf allen Seiten mit dicht aneinander liegenden
Bretterwänden verſehene, eingedeckte von einem wild⸗
reichen Walde etwa 4 Schritte entfernte Hütte. In
ihrer dem Walde zugekehrten Wand befindet ſich am
Erdboden eine ins Freie gehende, von dem Ange⸗
klagten und ſeinem inzwiſchen verſtorbenen Vater N.
hergeſtellte Oeffnung von 22 em Höhe, 17 em unterer
und lö em oberer Breite, die gegen den Erdboden
durch das Eindringen von Füchſen ꝛc. etwas vertieft
iſt. Um jagdbare Tiere, insbefondere Füchſe, Dachſe,
Marder, Iltiſſe einzufangen und ſich anzueignen, hatten
Vater und Sohn die Oeffnung hergeſtellt, eine zum
Fangen der genannten Tiere geeignete Falle im Innern
der Hütte unmittelbar unter der Oeffnung aufgeſtellt
und nicht bloß in die Falle und um ſie und die Oeff⸗
nung herum ſondern auch außerhalb dieſer auf der
Wieſe Heublumen geſtreut. Das Berufungsgericht
verurteilte den angeklagten Sohn wegen eines fort-
geſetzten Vergehens nach 88 292, 293, 47 des StGB.
Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Bezugnahme der Re—
viſion auf das Urteil des RG. vom 13. März 1890
(RGSt. 20, 341/43) iſt verfehlt. Der Entſcheidung lag
ein ganz anders gelagerter, nämlich der Fall zugrunde,
daß der Jagd berechtigte auf feinem Jagdgebiete vers
ſuchte, das Wild von einem fremden Jagdgebiete her
in das ſeinige zu locken. Tätigkeiten, die ſich nur auf
dem eigenen Jagdgebiet abwickeln und das fremde
unberührt laſſen, ſind keine unbefugte Jagdaus—
übung; dieſer dem geltenden Recht entſprechende
Satz iſt in jenem Urteil ausgeſprochen. Greifen da—
gegen die Handlungen des Jagdberechtigten auf ein
fremdes Jagdgebiet über zu dem Zwecke, daß das dort
befindliche jagdbare Wild auf das eigene Jagdgebiet
übertreten und da nach dem Uebertritte erlegt werden
ſoll, ſo unterliegen ſie der ſtrafrechtlichen Ahndung.
(RGSt. 20, 98, 341; Rechtſpr. des RG. 10, 565; 8,
420, Urt. des ObLG. vom 17. März 1908, Rev.⸗Reg.
Nr. 105.09 und vom 28. Dezember 1906, Rev.⸗Reg.
Nr. 546/06 letzteres abgedruckt in Bay. 1907 S. SS).
Dabei iſt es für die rechtliche Beurteilung gleichgüllig,
ob der Täter zu dem genannten Zwecke das fremde Jagd—
gebiet ſelbſt betritt, oder auf dieſem von ſeinem ein—
gezäunten Grundſtück aus die Handlungen vornimmt.
Streut z. B. der Jagdberechtigte auf das fremde, nicht
zu ſeinem Jagdbezirke gehörige Grundſtück Futter als
Lockmittel für das zu erlegende Wild, und wechſelt
es infolgedeſſen in das Jagdgebiet des futterſtreuenden
Jägers und ſind Anſtalten getroffen, daß es ſofort
nach dem Uebertreten erlegt werden ſoll, dann übt
er unbefugt die Jagd aus (ſ. das Urteil vom 28. De—
zember 1906). Als Eigentümer der Hütte war der
Vater des Angeklagten nach Art. 2 Abſ. 1 Nr. 2 des
Geſ. vom 30. Mai 1850, die Ausübung der Jagd betr.,
zur Ausübung der Jagd nur im Innern der Hütte
berechtigt, ebenſo der Sohn, dem er die Jagdausübung
überlaſſen konnte. Die Jagd wurde mithin wenigſtens
teilmeife an einem Orte ausgeübt, an dem der An—
geflagte und fein Vater zu jagen nicht berechtigt
waren. (Urt. vom 30. Mai 1911, Rev.⸗Reg. Nr. 233
1911). Ed.
200
— ZSůU —ᷣ— 2 —
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|
I — — — — [5
Aus der Praxis des bayer. Verwaltungs:
gerichtshofs.
Zum Begriffe des Güterhändlers. (Süterhandel als
Nebengewerbe.) In der Sammlung von e
des Verwaltungsgerichtshofes Bd. 32 S. 59 ff. u. 63 ff.
werden zwei ältere Entſcheidungen vom 12. Februar
1906 und vom 5. Oktober 1908 abgedruckt, die zu
Art. 19 Abſ. 1 des Geſetzes vom 2. Februar 1898, die
Fortſetzung der Grundentlaſtung betreffend, ergangen
ſind. Sie beſchäftigen ſich mit der Feſtſtellung des
Begriffs des Güterhandels und des Güterhaͤndlers;
ſie ſind wohl wegen ihrer Bedeutung für die An⸗
wendung des G38. vom 13. Auguſt 1910 nachträglich
veröffentlicht worden. Art. 1 des G36. ſpricht von
gewerbsmäßigen Händlern mit landwirtſchaftlichen
Grundſtücken (Güterhändlern); Art. 19 des Grund⸗
entlaſtungsgeſetzes (wie auch die Art. 42a — 420 des
Geſetzes, betr. die Abänderung des Forſtgeſetzes vom
26. Februar 1908) von gewerbsmäßigen Händlern mit
ländlichen Grundſtücken. Die beiden Faſſungen ſollen
den gleichen Begriff verkörpern (Beſ. Begr. zu Art. 1
u. 2 des Entw. eines Geſetzes über die Güterzertrüm⸗
merung, Verh. d. K. d. Abg. 1909/10 Beil. 852 S. 21).
Es kam vor, daß Perſonen, die wegen Ablöſung der
Bodenzinſe in Anſpruch genommen wurden, eins
wendeten, der Güterhandel ſei ihnen nicht Selbſtzweck,
ſondern ergebe ſich nur nebenher in ihrem Haupt-
gewerbebetriebe. So beſtritt in dem der erſten Ent⸗
ſcheidung zugrunde liegenden Falle der in Anſpruch
Genommene ſeine Eigenſchaft als gewerbsmäßiger
Güterhändler: er erwerbe als Sägwerksbeſitzer und
Holzhändler neben geſchlagenem Holze und ganzen
Beſtänden zur Deckung ſeines Bedarfs auch ganze
Waldanweſen durch Kauf; nach der Fällung des
Holzes müſſe er den Grund und Boden wieder vers
äußern. Es gelinge ihm ganz ſelten, ſolche Komplexe
im ganzen loszubringen; er müſſe ſie deshalb in der
Regel zertrümmern. Sein Gewerbe beſtehe ſonach
nur im Holz⸗, nicht aber im Güterhandel, weshalb
er auch nicht gewerbsmäßiger Güterhändler ſei. In
dem zweiten Falle erklärte der Ablöſungspflichtige,
er habe das Anweſen und die Waldgrundſtücke nur
erworben, weil er den Wald für ſeinen Holzhandel
nötig gehabt habe und das Holz ohne die Grundſtücke
nicht kaͤuflich geweſen ſei. Der Gerichtshof hat in
beiden Entſcheidungen ausgeſprochen, daß der als
Nebengewerbe betriebene Güterhandel auch ein ge—
werbsmäßiger Güterhandel im Sinne des Geſetzes ſei.
Das Geſetz mache keinen Unterſchied, ob ein gewerbs—
mäßiger Güterhandel als ſolcher ſelbſtändig betrieben
werde oder ob er nur Nebenbetrieb eines anderen
Gewerbes und durch letzteres veranlaßt ſei. Ein
Merkmal des gewerbsmäßigen Güterhandels mit länd—
lichen Grundſtücken ſei, daß ganze Anweſen oder eins
zelne Grundſtücke nicht zur Bewirtſchaftung, ſondern
zum handelsmäßigen Umſatz erworben würden. In
dem Verteidigungsvorbringen liege gerade das Zu—
geſtändnis, daß der Käufer das Anweſen und die
Waldgrundſtücke nicht zur Bewirtſchaftung erworben
habe. Der Umſtand, daß der Erwerb und die Ver—
äußerung durch das Intereſſe des Holzhandels be—
ſtimmt war, ändere an der Gewerbsmäßigkeit des
Umſatzes nichts. Es ſei nicht daran zu zweifeln, daß
der Gewinn aus der Veräußerung der vom Walde
entblößten Grundſtücke dem Beſchwerdeführer ebenſo
willkommen geweſen und von ihm beim Erwerbe der
Grundſtucke ins Auge gefaßt worden ſei, wie der Ge—
winn aus der Verwertung des Holzes. Man könne
vielleicht ſagen, daß der Guterhandel in einem ſolchen
Falle ein Nebenbetrieb des Holzhandels ſei, nicht
aber, daß überhaupt kein gewerbsmäßiger Güterhandel
vorliege. In einem Urteile vom 30. Oktober 1909
hat das Obs. (Samml. in Strafſ. Bd. 9 S. 378
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
bef. 382 ff., MA Bl. 1909 S. 1099) den entgegengeſetzten
Standpunkt eingenommen. Es erklärt, im Sinne des
Geſetzes vom 26. Februar 1908, das als Ausnahme⸗
geſetz eine ausdehnende Auslegung nicht zulaſſe, ſei
gewerbsmäßiger Händler mit ländlichen Grundſtücken
nicht jeder, der zu wiederholten Malen in der Abſicht
Gewinn zu erzielen ſolche Grundſtücke an⸗ und ver⸗
kaufe, ſondern nur, wer den An- und Verkauf länd-
licher Grundſtücke als ſelbſtändiges Gewerbe
allein oder neben einem anderen Berufe betreibe, der
Güterhändler im landläufigen Sinn des Wortes. Die
Vorausſetzung des gewerbsmäßigen Güterhandels
fehle, wenn ländliche Grundſtücke nur im Rahmen
eines anderen ſelbſtändigen Gewerbebetriebes und
zwar nur als Mittel zum Zweck gekauft und verkauft
würden. Das Obs G. nimmt alſo an, daß Neben⸗
betriebe, auch wenn die Gewinnabſicht beſteht, keinen
gewerbsmäßigen Güterhandel verkörpern könnten.
Das Urteil iſt zur Forſtgeſetznovelle erlaſſen. Seine
Begründung ſtützt ſich ausſchließlich auf die Ent⸗
ſtehungsgeſchichte und die beſonderen Zwecke dieſes
Geſetzes. Das Urteil will vielleicht eine über das
Soriigeieh hinausreichende Bedeutung überhaupt nicht
eanſpruchen. Aber gerade die Frage, die es in einer
von der Rechtſprechung des Verwaltungsgerichtshofes
abweichenden Weiſe löſt, muß nach dem Forſtgeſetz,
dem Grundentlaſtungs- und dem Güterzertrümmerungs⸗
geſetz gleichmäßig beantwortet werden. Goldſchmit
und Garde bezeichnen in ihrer Ausgabe des G3.
(S. 70) die Entſcheidung des ObL G. als nicht bedenken⸗
frei, da ſie eine Unterſcheidung mache, die das Geſetz
ſelbſt nicht kenne. Eingehender wendet ſich v. Braun
in feiner Ausgabe des G3G. (S. 13) gegen die Be⸗
gründung des Urteils; er billigt den Standpunkt der
beiden damals noch nicht gedruckten Entſcheidungen
des Verwaltungsgerichtshofes. Die Auffaſſung des
Verwaltungsgerichtshofes dürfte den Vorzug ver-
dienen. Sägwerksbeſitzer, Holzhändler, Zelluloſe⸗
fabrikanten, die Inhaber von Holzſchneidewerken und
Papierfabriken, die im Rahmen ihres Hauptgewerbe⸗
betriebs Grundſtücke erwerben und wieder veräußern,
können begrifflich gewerbsmäßige Güterhändler fein.
Solche Gewerbetreibende unterliegen deshalb der
Pflicht zur Ablöſung der Bodenzinſe und allen Be—
ſchränkungen, die ſich aus dem Forſtgeſetz und dem
G3. ergeben, wenn die ſämtlichen Vorausſetzungen
der Geſetzesbeſtimmungen zutreffen. Gewerbsmäßige
Güterhändler ſind ſie nur, aber auch immer dann,
wenn eine fortgeſetzte (wenn auch nicht ununterbrochene),
auf Erzielung von Gewinn gerichtete Tätigkeit vor—
liegt. Sie tritt, wie der VGH. hervorhebt, beim
Güterhandel regelmäßig in wiederholten Erwerbs—
und Veräußerungsgeſchäften in die Erſcheinung. Die
Gewinnabſicht liegt in der Regel auch beim Güter—
handel im Nebenbetrieb vor. Nicht notwendig iſt die
Feſtſtellung eines tatſächlichen Gewinnes (VGH. 32,
60 u. 64). — In der Entſcheidung vom 12. Februar
1906 ſpricht der VGH. noch aus, daß es für die An—
wendung des Art. 19 des Geſetzes vom 2. Februar 1898
gleichgültig iſt, ob der Güterhändler die bayeriſche
Staatsangehörigkeit beſitzt oder nicht. Auch das hat
für das GIG. zu gelten. M.
2357
Literatur.
Zacharias, Dr. A. N., Oberlandesgerichtsrat in Ham-
burg. Ueber Perſön lichkeit, Aufgaben und
Ausbildung des Richters. 8“. 161 S. Berlin
1911. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Mk. 3.50.
Beachtenswerte Ausführungen zu der viel erör—
terten Frage der Richtervorbildung bringt die vor—
1911. Nr. 18. 371
gerichtsrats Zacharias. Ausgehend von dem Grund⸗
ſatze „Erſt das Ziel, dann der Weg zum Ziele“ ent⸗
rollt der Verfaſſer zunächſt ſein Idealbild von der
Perſönlichkeit des Richters und zwar nicht eigentlich
pofitiv, ſondern mehr negativ, indem er verſchiedene
nicht ſelten hochgehaltene Typen richterlicher Perſön⸗
lichkeit, ſo den Typus des feinſinnigen, gründlichen,
und ehrwürdigen deutſchen Gelehrten, den Typus des
ſchneidigen Richters und den Typus des fleißigen, be⸗
ſcheidenen und in engbegrenztem Intereſſenkreiſe heran⸗
gewachſenen Beamten mit treffenden Gründen ablehnt.
Daran reihen ſich längere Erörterungen über die Auf⸗
gaben des Richters, die, fo beherzigenswert fie find,
doch eine gewiſſe Einſeitigkeit inſofern aufweiſen, als
ſie ausſchließlich das Gebiet der ſtreitigen Rechtspflege
berühren. In dem dritten Abſchnitte, der den Haupt⸗
teil des Buches, die Ausbildung des Richters, enthält,
wird das Schwergewicht auf eine innige Verbindung
der Rechtspflege mit dem praktiſchen Leben gelegt.
Der Verfaſſer redet hier namentlich der Aneignung
einer möglichſt eingehenden Kenntnis des Verkehrs⸗
lebens durch Beſchäftigung in Handels⸗ und Gewerbe⸗
betrieben und durch Umgang mit Angehörigen anderer
Berufszweige das Wort. Außerdem fordert er Ver⸗
ſtändnis für Art und Lebensintereſſen der arbeitenden
Klaſſen, Förderung in modern naturwiſſenſchaftlicher
Bildung und Beherrſchung der wichtigſten lebenden
Sprachen. Auf die Reform des juriſtiſchen Studiums
wird nicht näher eingegangen; der Verfaſſer erkennt
die hohe Bedeutung des römiſchen Rechtes an und
erhebt nur Bedenken dagegen, daß bei unſeren juriſtiſchen
Prüfungen dem Einprägen von Einzelbeſtimmungen
zu viel Wert beigemeſſen wird. Die Abhandlung iſt
von modernem Geiſte erfüllt, hält ſich jedoch durchweg
von radikalen Forderungen ferne. Ihre Lektüre bietet
vielfache Anregung, beſonders auch wegen der zahl⸗
reichen Beiſpiele, die der Verfaſſer aus dem reichen
Schatze ſeiner praktiſchen Erfahrung anführt.
Dr. H. Schanz.
Zeiler, A., K. I. Staatsanwalt in Zweibrücken. Ein
Gerichtshof für bindende Geſetzesaus⸗
legung. 8°. 42 Seiten. München 1911. In Komm.
bei J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Mk. 1.50.
Der gutgemeinte, aber wegen der Schwierigkeit
praktiſcher Verwirklichung wohl ausſichtsloſe Vorſchlag
des Verfaſſers geht dahin, in gewiſſen Fällen den um⸗
ſtändlichen Weg der Geſetzgebung durch gerichtliche Ent⸗
ſcheidungen zu erſetzen und zu dieſem Behufe noch einen
oberſten Gerichtshof mehr zu ſchaffen, nur mit dem
Unterſchiede, daß den von dem Auslegungs-Gerichtshof
ausgeſprochenen Rechtsſätzen wie Geſetzen alle deutſchen
Gerichte (mit Einſchluß der Sondergerichte ſowie der
Schutzgebiets⸗ und der Konſulargerichte) unterworfen
fein ſollen. Zur Beſſerung unverkennbarer Rechts-
ſchäden bedarf es nicht noch eines Ober-Reichsgerichts;
wohl aber iſt auf unbedingte Vermeidung der Ueber⸗
haſtung unſerer Geſetzgebung und auf weit ſorg—
fältigere Durcharbeitung guter Geſetze hinzuwirken,
die auch bei dem verwickelten Verkehre der Gegenwart
nicht von heute auf morgen verbraucht und veraltet,
nicht Eintagsgeſetze ſein ſollten. Hierin iſt leider zum
Schaden der Rechtsſicherheit viel geſündigt worden.
Die Wurzel des Uebels liegt alſo nicht auf einem
Gebiete, das einen völlig neuen ne
Ausbildung und Fortbildung der Richter. Bericht über
die Verhandlungen des 2. Preußiſchen Richtertages
vom 17. Mai 1910. 96 Seiten. Hannover 1910,
Verlag der Deutſchen Richterzeitung (Helwingſche
Verlagsbuchhandlung). Mk. 1.50.
Der am 17. Mai 1910 zu Berlin verſammelte
liegende Studie des bekannten hanſeatiſchen Oberlandess 2. Preußiſche Richtertag hat zu der Frage der Aus»
872
—
bildung und Fortbildung der Richter Stellung ges
nommen. Auf Grund eingehender Verhandlungen,
die in dankenswerter Weiſe nunmehr in Buchform
veröffentlicht wurden, hat er ſich über die Unzulänglich⸗
keit des derzeitigen juriſtiſchen Bildungsganges aus⸗
geſprochen und eine Reihe wohl begründeter und be⸗
achtenswerter Verbeſſerungsvorſchläge aufgeſtellt. Für
das Univerſitätsſtudium fordert der Richtertag vor
allem eine Verlängerung der Studienzeit auf 3
Jahre, außerdem die Zerlegung des Unterrichts in
eine grundlegende Unterſtufe und eine durch eine
Zwiſchenprüfung hiervon getrennte Oberſtufe, die
ſtärkere Betonung der praktiſchen Zwecke des Rechtes
bei den Lehrvorträgen und die Heranziehung von
Richtern zur Abhaltung praktiſcher Ausbildungskurſe
an den Univerſitäten. Für die Neugeſtaltung des
Borbereitungsdienftes wird neben einer Abkürzung
der geſamten Vorbereitungszeit auf 3½ Jahre die
Einführung einer halbjährigen Praxis bei den Ver⸗
waltungsbehörden, die Zugrundelegung des Syſtems
der Einzelausbildung und die Ergänzung der Praxis
durch gemeinſchaftliche Uebungen angeſtrebt. Um
die Fortbildung der Richter genügend zu ſichern,
ſchlägt der Richtertag die Einrichtung beſonderer Fort⸗
bildungslehrgänge durch den Staat vor, die ſich nicht
nur mit rechtswiſſenſchaftlichen Fragen befaſſen, ſon⸗
dern auch auf das wirtſchaftliche und ſoziale Gebiet
hinübergreifen ſollen. Die von den Berichterſtattern
noch erörterte Frage der Aſſeſſorenanſtellung fand
keine Erledigung: die Beratung und Beſchlußfaſſung
über dieſen wichtigen Punkt wurde dem nächſten
Nichtertage vorbehalten. Dr. H. Schanz.
— m
Notizen.
Neue Staatsverträge mit der Schweiz. Das RGBl.
hat jetzt (S. 887 f.) den neuen deutſch⸗-ſchweizeriſchen
Niederlaſſungsvertrag, der an die Stelle des Nieder⸗
laſſungsvertrags vom 31. Mai 1890 tritt, und einen
weiteren Vertrag über die „Regelung von Rechtsver—
hältniſſen der beiderſeitigen Staatsangehörigen im
Gebiete des anderen vertragſchließenden Teiles“ vers
öffentlicht. Die Niederlaſſung eines Deutſchen in der
Schweiz war bisher abhängig von der Beibringung
eines Leumundszeugniſſes. Dieſes bildete die Grund—
lage für ein ſog. Unbeſcholtenheitszeugnis, das die
zuſtändige Geſandtſchaft in Bern ausſtellte. Das ge—
E Zeugnis wurde nicht erteilt, wenn gegen
en Antragſteller im Reichsgebiet ein Strafverfahren
anhängig war, deſſen Durchführung durch die Nieder—
laſſung in der Schweiz vereitelt worden wäre. Aus—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr.
— —— . ß—ß—:.—.———— 4 ͤ ͤum— —— . —ñ . DX—•—ä
nahmen wurden nur gemacht, wenn das Strafverfahren
ohne beſondere Bedeutung war. Auf dieſe Weiſe konnte
die Niederlaſſung von Beſchuldigten oder Verurteilten
verhindert werden, die ſich der Strafverfolgung oder
Strafvollſtreckung entzogen; und mancher hat ſo wohl
oder übel den Rückweg nach Deutſchland antreten
müſſen.
Immerhin konnte bei der Zunahme des Verkehrs
an dem Unbeſcholtenheitszeugniſſe nicht feſtgehalten
werden. Vorausſetzung (des Aufenthalts oder) der
Niederlaſſung iſt nach dem neuen Vertrage nur mehr
der Beſitz eines gültigen Heimatſcheines (Art. 1
Abſ. 2). Dadurch iſt aber die Möglichkeit im Intereſſe
der Strafrechtspflege die Niederlaſſung verfolgter Per—
ſonen zu hintertreiben, nicht ausgeſchloſſen. Die Ver⸗
waltungsbehörden können die Ausſtellung von Heimat—
|
|
|
Eigentum von J. Schweißer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
ſcheinen verweigern, wenn ein überwiegendes öffent⸗
liches Intereſſe dagegen ſpricht. Es iſt deshalb zu
empfehlen, daß die Juſtizbehörden in den geeigneten
Fällen die Verwaltungsbehörde rechtzeitig benachrich⸗
tigen und die Verweigerung des Heimatſcheines be⸗
antragen.
An den Vorausſetzungen für eine Auslieferung
und dem Verfahren dabei hat der neue Niederlaſſungs⸗
vertrag nichts geändert, ebenſowenig an dem Verhält⸗
niſſe zwiſchen Auslieferung und Ausweiſung.
Hie und da glaubt eine Behörde den Flüchtling leichter
dadurch zu bekommen, daß ſie bei der ausländifchen
Behörde mehr oder minder deutlich auf ſeine Aus⸗
weiſung hinwirkt. Das iſt nicht zu billigen. Rechts⸗
hilfe für ein inländiſches Strafverfahren haben die
ſchweizeriſchen Behörden nur auf Grund des Aus⸗
lieferungsvertrags zu leiſten. Die „Niederlaffung” des
Verfolgten in der Schweiz ſteht der Durchführung des
Auslieferungs verfahrens nicht entgegen. Der Art. 1
des Niederlaſſungsvertrags ſpricht zwar von einem
„Rechte“ der Angehörigen des anderen Teiles auf
Niederlaſſung, ſolange ſie die Geſetze und Polizeiver⸗
ordnungen des Aufenthaltsſtaates befolgen. Dieſes
Recht hat der Fremde aber nur, bis er läſtig fällt.
Dann entledigt ſich der Aufenthaltsſtaat ſeiner, ſei es
durch Ausweiſung (Art. 2 a. a. O.), ſei es durch Aus⸗
lieferung. Die Ausweiſung ſteht jedoch im Ermeſſen
des Aufenthaltsſtaates; einen Anſpruch auf Ueber⸗
lieferung hat der Heimatſtaat nur, wenn die Voraus⸗
ſetzungen des Auslieferungsvertrags vorliegen. Der
Unterſchied wirkt noch weiter, er beeinflußt auch die
rechtliche Stellung des Ueberlieferten vor Gericht. Der
Ausgewieſene iſt von dem Augenblick an, in dem er
an die Grenze geſtellt wird, der inländiſchen Straf⸗
gewalt nach den inländiſchen Geſetzen unterworfen.
Die Stellung des Ausgelieferten richtet ſich zunächſt
nach dem Auslieferungsvertrag und den ergänzenden
Sätzen des Völkerrechts und erſt in zweiter Linie nach
dem inländiſchen Rechte.
Der Vertrag über die Regelung von Rechtsver⸗
hältniſſen der beiderſeitigen Staatsangehörigen ent⸗
hält einige Vorſchriften über den Rechtsſchutz uſw., die
ſchon in dem alten Niederlaſſungs vertrag enthalten
waren, aber jetzt aus Zweckmäßigkeitsgründen in einem
beſonderen Vertrage zuſammengefaßt wurden. Durch
das Haager Abkommen über den Zivilprozeß, an dem
die Schweiz beteiligt iſt, haben wichtige Prozeßfragen,
wie die Sicherheitsleiſtung für die Prozeß- uud Ge:
richtskoſten und die Bewilligung des Armenrechtes,
ſelbſtändige Regelung gefunden. Die Zuſicherung des
gleichen Rechtsſchutzes bezieht ſich nur auf natürliche
Perſonen, nicht auf juriſtiſche Perſonen.
2355
Konſularvertrag mit Japan. Der deutſch⸗japaniſche
Konſularvertrag vom 4. Juli 1896 iſt am 17. Juli
ds. Is. außer Kraft getreten. Zur vorläufigen Re—
gelung des Konſulatweſens hat ein diplomatiſcher
Notenaustauſch den beiderſeitigen Konſularbeamten
das Recht der Meiſtbegünſtigung eingeräumt (RGBl.
S 867 f.). Da der Vertrag von 1896 weitgehende, in
mancher Hinſicht die weiteſtgehenden Vorſchriften über
konſulariſche Vorrechte enthielt, hat ſein Wegfall mittel—
bar auch die rechtliche Stellung der Konſularbeamten
anderer Staaten beeinflußt. (S. dazu dieſe Zeitſchriſt
1911 S. 192.)
2.356
Verantwortl. Herausgeber: i. V. Eduard Eckert,
K. II. Staatsanwalt, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 19.
Berlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
München und Berlin.
Serausgegeben von
Ch. von der Pfordten
A. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staats miniſterlum der Juſtiz.
Redaktion und Expedition: München, denbachplatz 1.
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Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats .
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Voſtanſtalt.
Nachdruck verboten. 373
f ö lcher F ch i „als Mittel di
der II. dentſche Auwaltstag in Würzburg. wirtschaftlichen Schaden des Standes empfehlen
Von Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Rofenthal in München. möchte.
Die Wichtigkeit dieſer Frage, welcher übrigens
Wohl noch nie, ſeitdem der deutſche Anwalt⸗ Vorbildung der Juriſten“ nur wenig nachgab,
verein beſteht, hatte ein ordentlicher Anwaltstag hatte wohl auch heuer zum erſtenmal den Vor⸗
ein ſolches Intereſſe wachgerufen, wie es dem auf ſtand des deutſchen Anwaltvereins in höchſt dankens⸗
12. bis 14. September nach Würzburg einberufenen werter Weiſe veranlaßt, die Beratung durch Gut⸗
20. Anwaltstag entgegengebracht wurde. achten vorzubereiten, ſo wie dies bei dem deutſchen
Die vielfachen Abhandlungen, welche in juris Juriſtentag ja ſeit Jahrzehnten eingeführt iſt. —
ſtiſchen Fachzeitſchriften wie in der Tagespreſſe Zur Frage des numerus clausus hatten die
über die Tagesordnung des Anwaltstages, vor Herren Kollegen Dr. Friedländer⸗München
allem deren wichtigſte Frage: „Empfehlen ſich ge- und Dr. Kaßler⸗Halle eingehend begründete
ſetzgeberiſche Maßnahmen gegen eine Ueberfüllung Gutachten abgegeben; erſterer hatte ſich hierbei in
des Anwaltsſtandes?“ veröffentlicht worden waren, außerordentlich gründlichen, von allen Seiten in
hatten lange, bevor die Tagung in Würzburg zus ihrem Werte anerkannten Ausführungen als ab⸗
ſammentrat, den Beweis erbracht, wie richtig der ſoluten Anhänger der freien Advokatur bekannt
Münchner Anwaltverein gehandelt hatte, als er und jede Einſchränkung, „d. h. jede Maßnahme,
durch ſeinen Vertreter in der Vertreterverſammlung durch welche in weiterem Umfang als dies nach
des deutſchen Anwaltvereins im Januar dieſes der Rechtsanwaltsordnung der Fall iſt, die Zu⸗
Jahres dieſen Gegenſtand als erſten auf die Tages⸗ laſſung der zur Rechtsanwaltſchaft Befähigten von
ordnung des Anwaltstages zu ſetzen beantragt hatte. dem freien Ermeſſen einer Behörde oder anderer
Zwar hatten ſchon der Anwaltstag in Stutt⸗ Stellen abhängig gemacht wird“, unbedingt ver⸗
gart (1894) ebenſo wie der in Hannover 1905 und worfen.
ſpäterhin im Jahre 1909 die vereinigten Vor⸗ | Kollege Kaßler hatte ſeinerſeits, indem zwar
ſtände der Anwaltskammern ſich in entſchiedenſter auch er unter allen Umſtänden an der Unab-
|
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I das in zweiter Linie zu behandelnde Thema „Die
Weiſe gegen den numerus clausus in hängigkeit der Rechtsanwaltſchaft feſtzuhalten er⸗
jeder Geſtalt ausgeſprochen; die ſtändig wieder- klärte, empfohlen, daß künftig „die Zulaſſung zur
kehrenden, in den letzten Jahren immer ernſter Anwaltſchaft nur in einer beſtimmten, in Zeit:
und verſtärkt auftretenden Klagen über die Not abſchnitten von 3 zu 3 Jahren durch den Vor⸗
in der deutſchen Anwaltſchaft in Verbindung mit ſtand der Anwaltskammer nach gutachtlicher
der Tatſache, daß neuerdings gegen dieſe wirt: Aeußerung der Juſtizverwaltung und eventuell der
ſchaftlichen Mißſtände gerade die Beſchränkung der örtlichen Anwaltsvereine zu revidierenden Höchſt—
freien Zulaſſung als Heilmittel mehrfach empfohlen zahl geſchehen könne“, hatte ſich alſo für den
worden war, mußten es aber dem deutſchen Anwalt⸗ numerus clausus, wenn auch gegen jede ſtaatliche
verein als dem berufenen Vertretungsorgan der Anſtellungsbefugnis ausgeſprochen.
deutſchen Rechtsanwaltſchaft zur Pflicht machen, Neben dieſen beiden Gutachten waren in der
ſeinerſeits durch eine eingehende Behandlung die Fachliteratur, vor allem dem Organ des deutſchen
Frage zu prüfen und zur Entſcheidung zu bringen, Anwaltvereins, der Juriſtiſchen Wochenſchrift, eine.
ob in der Tat die Mehrzahl der Anwälte ſelbſt Reihe von Abhandlungen und Vorſchlägen er—
die Beſchränkung der freien Zulaſſung, d. h. die ſchienen, welche zum Teil, wie die markigen
Einführung eines numerus clausus, ſei es in Begrüßungsworte, die Juſtizrat Ernſt Heinitz—
371
Berlin dem Anmaltstag n der Deutichen Juriſten-
zeitung gewidmet hatte, ſich rundweg und ohne
jede Einſchränkung für die Aufrechterhaltung der
freien Advokatur erklärten, zum Teil aber auch,
wie Juſtizrat Weißler-Halle für Einführung
eines numerus clausus votierten, wobei freilich
Form und Durchführung des numerus clausus
bei jedem ſeiner Anhänger verſchieden geſtaltet und
ausgearbeitet war.
Auch Umfragen bei den deutſchen Anwälten
waren veranſtaltet worden, um auf ſchriftlichem
Weg die Anſicht der Rechtsanwälte zu dieſer
wichtigen Frage feſtzuſtellen; ſo hat die Deutſche
Rechtsanwaltszeitung (Herausgeber Soldan⸗Mainz)
bei ſämtlichen deutſchen Rechtsanwälten angefragt,
hierbei allerdings von nur ungefähr s der deutſchen
Anwälte eine Antwort erhalten; von dieſen 3630
Stimmen hatten ſich nun 2118 für den numerus
clausus, 2022 für Einführung einer Vorbereitungs—
zeit (und zwar 1263 für numerus clausus und
Vorbereitungszeit) und nur 845 für Beibehaltung
des bisherigen Zuſtandes erklärt, während die bei
einzelnen, bekannteren Anwälten von der Redaktion
des Berliner Tageblattes veranſtaltete Umfrage
eine ſtarke Stimmung gegen den numerus clausus
in jeder Geſtalt erkennen ließ.
Beide Umfragen aber konnten ein richtiges
Bild nicht geben; die des Berliner Tageblattes
deshalb, weil ſie ſich nur an einzelne Anwälte
gewandt hatte, die der deutſchen Rechtsanwalts—
zeitung aber deshalb, weil die meiſten deutſchen
Anwälte, welche gegen den numerus clausus
ſtimmen wollten, auf die Anfrage aus den ver—
ſchiedenſten Gründen nicht geantwortet hatten.
Die Entſcheidung war alſo völlig dem An—
waltstag anheimgegeben.
II.
Welches Intereſſe der Tagung auch die außer—
halb der Anwaltſchaft ſtehenden Juriſten, vor allem
die deutſchen Juſtizverwaltungen entgegenbrachten,
hatte auch in den Vertretern Ausdruck gefunden,
welche dieſe Juſtizverwaltungen zur Tagung ab—
geordnet hatten; neben dem bayer. Juſtizminiſter
Exz. v. Miltner und dem Präſidenten des
Oberlandesgerichts Bamberg Ritter v. Marth,
wie Vertretern des Landgerichts Würzburg, waren
Vertreter des Reichsjuſtizamtes, des preußiſchen,
ſächſiſchen, heſſiſchen, braunſchweigiſchen Juſtiz—
miniſteriums und der Vorſitzende der Juſtiz—
kommiſſion der Stadt Lübeck, ferner Abgeordnete
der Univerſität Würzburg bei den Verhandlungen
zugegen.
Am erſten Tage, an welchem die Frage des
numerus clausus zur Debatte ſtand, waren wohl
über 1100 Anwälte aus allen Provinzen Deutſch—
lands anweſend, welche ſämtlich die Verhandlungen
mit andauerndem Intereſſe verfolgten. Unter
lebhafter Zuſtimmung der Verſammlung nahm
zu Beginn der Verhandlungen Se. Erz. der bayer.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
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Juſtizminiſter das Wort zu einer längeren, die
Tätigkeit der Anwälte voll anerkennenden und die
Zuſammengehörigkeit aller Juriſten, gleichviel ob
Richter,. Verwaltungsbeamter oder Rechtsanwalt,
entſchieden betonenden Anſprache, welche einen
ſtarken Widerhall bei ſämtlichen Anweſenden aus:
löſte. Der Referent Juſtizrat Landsberg-Poſen,
welcher ſeinen Standpunkt in eingehendſter rhetoriſch
glänzender Weile begründete, hatte einen „Bes
ſchlußantrag“ geftellt, wonach er zwar eine wirt⸗
ſchaftliche Notlage der Anwaltſchaft als be⸗
ſtehend anerkannte, eine Ueberfüllung en
verneinte und alle auf Einführung des
numerus clausus oder ſonſtige gegen
die Freiheit der Anwaltſchaft gerichtete
Reformvorſchläge ablehnte, dagegen einen
zeitgemäßen Ausbau des Gebührenweſens, der
Freizügigkeit, Erweiterung des anwalt⸗
ſchaftlichen Arbeitsfeldes und Reform der
Vorbildung empſahl.
Im ſtrikten Gegenſatz zu dem Referenten ſtellte
der Korreferent, Kollega Fuchs-Leipzig, welcher
ſchon im Jahre 1909 auf der Verſammlung des
ſächſiſchen Anwaltsvereins der Einführung des
numerus clausus das Wort geredet hatte, zum
Schluſſe ſeiner ſehr intereſſanten und fleißigen,
wohl aber die Schattenſeiten der derzeitigen Lage
der Anwaͤlte allzuſehr betonenden Ausführungen
den Antrag, es mögen Vorſchriften angeſtrebt
werden, zufolge deren „die Anwärter für die Rechts⸗
anwaltſchaft ohne Rückſicht auf Lebens- und Dienſt⸗
alter, Konfeſſion, politiſche Geſinnung und Exa⸗
mensnote in einer für jedes Gericht zu führenden
Liſte nach ihrer Anmeldung vorgemerkt und nun
nach der Reihenfolge der Eintragung unter Aus⸗
ſchluß jedes behördlichen Ernennungsrechtes in die
Anwaltsſtellen einrücken, die innerhalb der für
dieſe Gerichte vom Kammervorſtand periodiſch nach
Bedarf feſtzuſetzenden Höchſtzahl frei werden.“
Im weſentlichen hatte ſich alſo der Referent
Landsberg dem Gutachten Friedländer, der Kor:
referent Fuchs dem Gutachten Kaßler angeſchloſſen.
Die Diskuſſion, welche durchaus auf der Höhe
der Referate ſtand, brachte noch ſehr wertvolle Aus⸗
führungen, von welchen ich hier vor allem die des
Kollegen Reichstagsabgeordneten Baſſer—
mann und des Vorſitzenden des deutſchen Anwalt⸗
vereins Geheimer Juſtizrat Haber und endlich
des Juſtizrats Eugen Fuchs-Berlin als beſonders
temperamentvoller und überzeugender Verteidiger
einer unabhängigen, freien Rechtsanwaltſchaft hervor:
heben möchte. — Auch an Abänderungsvorſchlaͤgen
und Anträgen fehlte es nicht; ſo hatte u. a. auch
Sand-Augs burg einen ſchon früher in der JW.
veröffentlichten Antrag der Anwaltskammer des
Oberlandesgerichtsbezirk Augsburg auf Einführung
einer 2 jährigen nach der Richteramtsprüfung zu
abſolvierenden Vorbereitungspraxis aufgenommen;
dieſer Antrag aber fiel, wie alle übrigen,
weg, durch Annahme des Antrages Eugen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. 375
—— — —
Die Dauer des Univerſitätsſtudiums ſolle vier
Jahre betragen, im 3. Semeſter ſei eine ernſte Zwi⸗
ſchenprüfung anzuordnen, welche darüber entſcheiden
ſolle, ob der Rechtsbefliſſene ſich genügende allge⸗
meine Bildung erworben und deshalb befähigt
lei, mit Erfolg die Rechte zu ftudieren.
Das Univerſitätsſtudium ſolle mit einer Prü⸗
fung über die theoretiſche Vorbildung abgeſchloſſen
die ſicherſte Gewähr für ihre Tüch⸗ werden und ſodann ſollen die Referendare während
tigkeit und Unabhängigkeit und hält drei Jahre praktiſche Vorbereitungszeit leiſten.
alle vorgeſchlagenen Maßregeln, welche einer Von dieſer Zeit ſollen mindeſtens 1 /ù Jahre
|
Tuh3:Berlin, weldyer als der weiteſtgehende
zuerſt zur Abſtimmung und Annahme gelangte.
Dieſer Beſchluß, welcher in ſpater Nachmittags⸗
ſtunde in namentlicher Abſtimmung mit 619 gegen
244 Stimmen gefaßt, mit ſtürmiſchen Beifall auf: |
genommen wurde, ging dahin:
„Der 20. Deutſche Anwaltstag ſieht in
der Freiheit der Rechtsanwaltſchaft
etwaigen Ueberfüllung des Anwaltsſtandes bei den Gerichten und der Staatsverwaltung,
dadurch vorbeugen wollten, daß fie die Zu: : "ie Jahr bei einem Rechtsanwalt und / Jahr
laſſung zur Rechtsanwaltſchaft in irgendeiner bei einer Verwaltungsbehörde verwendet werden;
Meile mehr als bisher beſchränken, für un⸗ im übrigen ſollen die Referendare die Wahl haben,
nötig und im Intereſſe der Rechtspflege und ob ſie während eines weiteren / Jahres bei den
des Standes für ſchädlich.“ Gerichten oder Staatsanwaltſchaſt oder bei einem
a Rechtsanwalt oder bei einer Rechtsauskunftsſtelle
III. und während eines weiteren / Jahres bei der
Der zweite Verhandlungstag war im Verwaltungsbehörde oder einer Handels-, Ge:
weſentlichen, inſoweit nicht Gegenſtände formaler | werbe⸗, Landwirtſchaftskammer, Bank oder dal. ar:
Art wie Satzungsänderungen, Vorſtandswahlen, beiten wollen.
Entgegennahme des Jahresberichtes u. dgl. zu er⸗ Die Ausbildung ſelbſt ſei durch Uebungskurſe
ledigen waren, der Frage „Vorbildung der Ju- und nach einjähriger Tätigkeit durch Ueberlaſſung
riſten“ gewidmet, zu welcher Herr Geheimer Juſtiz- ſelbſtändiger Geſchäfte zu unterſtützen.
rat Boyens⸗Leipzig ein Gutachten erſtattet und Die Schlußprüfung ſei lediglich als praktiſche
die Herren Kollegen Magnus-Berlin und anzuordnen und darauf zu richten, ob der Kandidat
Meisner-Würzburg die Referate übernommen befähigt ſei im praktiſchen Juſtizdienſt
hatten. | eine ſelbſtändige Stellung mit Erfolg
Außerdem hatte der Geſchäftsleiter des deut⸗ zu verſehen, wobei ſeine Erfolge während der
ſchen Anwaltvereins Kollega Dr. Heinrich Ditten— | Vorbereitungspraxis mit in Rückſicht gezogen werden
berger⸗Leipzig das Ergebnis einer, durch den ſollen.“
deutſchen Anwaltverein bei den Vertretungskörpern | Es iſt augenfällig und braucht deshalb nicht
des Handels, des Handwerks und der Landwirt: beſonders hervorgehoben zu werden, daß der
ſchaft über die Reform der juriſtiſchen Vorbildung größte Teil dieſer Forderungen in Bayern bereits
gepflogenen Umfrage, in einer ſehr klar geſchriebenen erfüllt iſt, wie denn die bayeriſchen Einrichtungen
Abhandlung niedergelegt und Gerichtsaſſeſſor Dr. des Prüfungsweſens und Vorbereitungsdienſtes auch
Alfred Waller eine Arbeit über Studienreform | von den Referenten Magnus und Meisner wieder⸗
und Anwaltstag geliefert, worin er die wichtigſten holt als nachahmenswertes Beiſpiel erwähnt wurden.
Geſichtspunkte des Themas zuſammengefaßt hatte. Dem mehrfach geſtellten Verlangen nach einer
Welche Schwierigkeiten der Behandlung dieſes einheitlichen, in ganz Deutſchland geltenden Prü⸗
weitausholenden Themas, das ja im Grunde von fungsordnung trug das Gutachten Boyens inſoweit
der Gymnaſialbildung ausgehend Univerſitäts— | Rechnung, daß es zwar von einer Regelung im
ſtudium und Vorbereitungspraxis prüfen muß, mit Wege der Reichsgeſetzgebung als derzeit völlig aus⸗
ſich bringt, konnte man ebenſo ſehr an dem Gut- ſichtslos abſieht, dagegen verlangt, daß die Zwiſchen⸗
achten Boyens wie an den Darlegungen des Refe- prüfung vor jeder deutſchen Univerſität gültig ab:
renten Magnus erkennen. Denn jo ausgezeichnet | gelegt werden und daß die venia docendi auf
und wiſſenſchaftlich auch beide in Anlage und deutſchen Univerſitäten nur demjenigen erteilt werden
Durchführung gehalten waren, mußten fie doch | dürfe, der die juriſtiſche Schlußprüfung beſtanden
auf einzelnen Gebieten Zurückhaltung üben, um habe, und daß die deutſchen Bundesſtaaten ihre
ſich nicht allzuſehr in Einzelheiten zu verlieren. ][Vorſchriften über Prüfungsordnung und Bor:
Das Gutachten Boyens war in eingehenden, bereitungsdienſt möglichſt einheitlich geſtalten ſollten.
die Geſchichte wie den derzeitigen Stand der Be: Der Referent Magnus⸗Berlin, welcher im weſent⸗
wegung umfaſſenden Ausführungen, im weſent- lichen von dem Korreferenten Meisner-Würzburg
lichen zu der Schlußfolgerung gekommen: unterſtützt wurde, hatte in ſeinem Referate zu den
„Es ſei eine beſſere Vorbildung der wichtigſten Fragen des Prüfungsweſens, der all:
jungen Juriſten zu empfehlen und zu dieſem Zwecke | gemeinen Geſtaltung der Schul- und Univerfitäts-
die Anforderungen an die allgemeine Bildung bildung, Dauer des Studiums und der Vor—
auf philoſophiſch-hiſtoriſcher Grundlage und an bereitungspraxis, wirtſchaftlichen und allgemeinen
die wirtſchaftliche Bildung zu erhöhen. Fortbildung der Referendare, Theſen aufgeſtellt,
0
376
über welche jedoch im einzelnen eine Beratung nicht
gepflogen werden konnte.
Die Vielſeitigkeit der angeregten Fragen, wie
die Schwierigkeit des Themas überhaupt, zeitigten
vielmehr nach einer lebhaften und eingehenden
Tiskuſſion, an welcher ſich u. a. auch Univerſitäts⸗
profeſſor Mayer : Würzburg, Univerſitäts⸗
profeſſor Dr. Löͤwenfeld-München und Juſtiz⸗
rat Wildhagen-Leipzig beteiligten, den Antrag
Ernſt Heinitz⸗Berlin, wonach über die Geſamt⸗
heit der mit der Vorbildung der Juriſten zuſammen⸗
hängenden Fragen in einer Kommiſſion des
deutſchen Anwaltvereins beraten und ſodann der
Vertreterverſammlung Bericht erſtattet werden ſolle.
Dieſer Antrag wurde mit großer Majorität
zum Beſchluß erhoben; jedoch hatte vorher noch
die Verſammlung grundſätzlich durch Annahme
eines entſprechenden Antrages ihre Anſicht dahin
ausgeſprochen:
„Die Klagen über mangelnde Ausbildung der
Juriſten entbehren zwar nicht jeder Begründung,
ſind aber übertrieben. Inſolge der techniſchen
Fortſchritte, der Umwälzung der wirtſchaftlichen
Verhältniſſe, der dadurch herbeigeführten Intereſſen⸗
zuſpitzung und hierdurch wiederum bedingten Maſſen—
geſetzgebung, ſind die Aufgaben der Juriſten un—
gleich ſchwieriger geworden.
Immerhin iſt ein Bedürfnis nach einer Ver—
beſſerung der Ausbildung anzuerkennen, jedoch mit
der Maßgabe, daß dieſe Verbeſſerung ſich im
Rahmen der derzeitigen Einrichtungen durchführen
läßt und daß zu grundlegenden Umwälzungen ein
Anlaß nicht beſteht.“
Der Anwaltstag it damit den Referenten und
Diskuſſionsrednern gefolgt und hat mit jenen die
häufig auftretende Klage über Weltfremdheit der
Richter und Anwälte als in hohem Maße über—
trieben bezeichnet.
Andererſeits hat aber der Anmaltstag dem
Antrage Wildhagens zugeſtimmt, wonach
„häufiger als bisher Rechtslehrer aus be—
währten Praktikern entnommen werden und
häufiger als bisher Rechtslehrer in der Praxis
tätig ſein ſollen, und hat ferner ebenfalls
nach dem Antrage Wildhagens ausgeſprochen,
daß die beſte Vorbildung für den Richter
eine erfolgreiche Anwaltstätigkeit ſei und des—
halb angeſtrebt werden muſſe, daß ungleich
häufiger als bis jetzt bewährte An—
wälte zu Richtern ernannt werden.“
Nach einer ähnlichen Richtung bewegte ſich
übrigensein Antrag, welcher beſonders von bayeriſchen
Kollegen unterſtützt worden war und der dahin ging:
Der Anwaltstag ſolle beſchließen, „es ſei die
Einführung einer der Richteramtsprüſfung nad):
folgenden zweijährigen anwaltſchaftlichen praktiſchen
Vorbereitungszeit als Vorausſetzung für Anſtellung
als Richter und Verwaltungsbeamter und für Zu—
laſſung zur Rechtsanwaltſchaft anzuſtreben“.
Eine Abſtimmung über dieſen Antrag wurde
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
K — — —— ͤ—— TEE HEEES)
nicht vorgenommen, da die Antragſteller in der
Annahme, daß es doch gemaͤß dem Antrag Ernſt
Heinitz zu einer Kommiſſionsberatung kommen
würde, auf Abſtimmung verzichtet und gebeten
hatten, auch dieſen Antrag der Kommiſſion als
Material zu überweiſen.
Es wird nun Sache des deutſchen Anwalt⸗
vereins ſein, durch Auswahl geeigneter Mitglieder
die Kommiſſion ſo zuſammenzuſetzen, daß ihre
Beratungen als Grundlage für die weitere Be⸗
handlung dieſer für die deutſche Juriſtenwelt und
das deutſche Volk ſo außerordentlich wichtigen
Fragen dienen und die Reform des Univerſitäts⸗
ſtudiums wie der Vorbereitungspraxis in gute
Bahnen gelenkt wird; vielleicht gelingt es, wie es
ja in letzter Zeit ſchon angeregt wurde, daß der
deutſche Anwaltverein gerade in dieſer Frage mit
den übrigen großen deutſchen Juriſtenverbänden
Fühlung nimmt, um ſo eine gemeinſchaftliche
Aktion auf dieſem Gebiete vorzubereiten, was
ſicherlich den auf dieſe Weiſe zuſtande kommenden
Beſchlüfſen eine erhöhte Bedeutung ſichern würde.
IV.
Neben dieſen eben behandelten wichtigen Fragen
des numerus clausus und der Vorbildung der
Juriſten, welche das Rückgrat der Verhandlungen
des Anwaltstages bildeten, dürfen aber die Be—
ratungen nicht völlig überſehen werden, welche in
den anläßlich des Anwaltstages nach Würzburg
berufenen Verſammlungen gepflogen wurden.
Außer den jährlichen Generalverſammlungen
der Hilfskaſſe für deutſche Rechtsanwälte wie der
erſt ſeit einigen Jahren beſtehenden Ruhegehalts⸗
und Witwen- und Waiſenkaſſe ſowie des Vereins
der Amtsgerichtsanwälte ſoll hier vor allem die
Vertreterverſammlung Erwähnung finden; denn
in ihr, die erſt durch den letzten Anwaltstag ins
Leben gerufen wurde, wird neben dem Vorſtand
des Anwaltvereins die Hauptarbeit geleiſtet, indem
ſie die Anwaltstage vorbereitet, wichtige Fragen
der Praxis und Wiſſenſchaft wie der Geſetzgebung
in Ausſchüſſen behandelt und alle geſchäftlichen
Angelegenheiten zu erledigen hat, ſoweit ſie nicht
dem Vorſtand allein überlaſſen ſind.
Es darf hier vielleicht auch erwähnt werden.
daß die Vertreterverſammlung je einen beſtehenden
Ausſchuß für bürgerliches Recht (einſchließlich
Handelsrecht), für Zivilprozeß und Gerichts—
verfaſſung, für Strafrecht und Strafprozeß und
einen ſolchen für alle die Rechtsanwaltſchaft als
ſolche betreffenden Angelegenheiten (Rechtsanwalts—
ordnung, Gebührenordnung uſw.) eingeſetzt hat;
von dieſen hat neuerdings der letztgenannte Aus—
ſchuß einen Entwurf für eine Rechtsanwalts—
gebührenordnung fertiggeſtellt, welcher eine durch—
|
aus objektive und keineswegs einſeitige Grundlage
für die längſt als nötig empfundene und von der
Reichsregierung wiederholt zugeſagte Reform des
Gebührenweſens bieten wird.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
Auch die Anregung, für erkrankte oder be⸗
dürftige Kollegen durch den deutſchen Anwalt⸗
verein Erholungsheime errichten zu laſſen und
die Frage, ob behufs Ausdehnung des Arbeits⸗
gebietes der deutſchen Rechtsanwaltſchaft die
Gründung einer Treuhandgeſellſchaft, wie ſolche
von Kollega Soldan⸗Mainz vorgeſchlagen wurde,
möglich iſt, wurde in der Vertreterverſammlung
beſprochen und ſodann zur weiteren Vorbereitung
an Kommiſſionen verwieſen.
Dieſe kurzen Bemerkungen über die von den
großen Thematen der heurigen Tagung etwas
abliegenden, aber trotzdem nicht unwichtigen Ver⸗
handlungsgegenſtände mögen geſtattet ſein, da ja
auch ſie beweiſen, welch reges Leben in der deutſchen
Anwaltſchaft wirkt und wie ſehr die Anwaltſchaft
nicht nur auf Hebung des Wertes und Anſehens
ihres Standes hinwirkt und hierbei auch wichtige
ſoziale Pflichten zu erfüllen beſtrebt iſt, ſondern
auch vor allem — trotz der oft ſchwer empfundenen
wirtſchaftlichen Schäden und mancher immer wieder⸗
kehrender Enttäuſchung — ſtets auch für die
Beſſerung der Rechtspflege ſich einzuſetzen bemüht;
hat doch auch die heurige Tagung des nunmehr
ungefähr 8700 Mitglieder zählenden Anwalt⸗
vereins wiederum gezeigt, daß die deutſche Anwalt⸗
ſchaft noch immer die ideellen Güter ihres Berufes
hochzuhalten weiß und höher als wirtſchaftliche
Vorteile einſchätzt ihres Standes Freiheit und
Unabhängigkeit als wichtigſte Vorausſetzungen für
eine fortſchreitende und gedeihliche Entwicklung der
deutſchen Rechtspflege und Geſetzgebung.
Die Verufsvormundſchaft in München.
Von Amtsrichter Matthias Mayr in München.
(Schluß).
b) Sonſtige Aufgaben.
a) Pflegſchaften. Der Münchener Be⸗
rufsvormund ſoll auch für eheliche Minderjährige
als Pfleger zur Geltendmachung von Unterhalts⸗
anſprüchen gegen den Vater beſtellt werden können
Dieſe Pflegſchaften ſind in der Praxis ſehr häufig.
Es handelt ſich dabei um Fälle des § 1909
Abſ. 1 Satz 1 BGB. Nach Barthelmeß würden
dieſe Pflegſchaften unter das Geſetz vom 23. Fe⸗
bruar 1908 fallen, ſobald nur der Pfleger die im
Geſetze geforderte perſönliche Beziehung zu der
Unterbringung des Kindes hätte. Ich halte dieſe
Anſicht für irrig. Pflegſchaften können m. E.
überhaupt nicht unter das Geſetz betr. die Be⸗
rufsvormundſchaft fallen. Der Pfleger kann nie
die Vorrechte dieſes Geſetzes erlangen. Der Art. 136
des EG. z. BGB. und das Geſetz vom 23. Fe—
bruar 1908 ſprechen nur von Vormundſchaften.
Der Art. 136 iſt eine Ausnahmevorſchrift, deren
ausdehnende Auslegung nach einem allgemeinen
Rechtsgrundſatz verboten iſt. Es iſt deshalb auch
eine Bezugnahme auf den $ 1915 BGB. unzu⸗
läſſig. Mit dem gleichen Rechte könnten die
Gegner meiner Anſicht unter Berufung auf 8 1897
BGB. die Berufsvormundſchaft auch für voll:
jährige Mündel zulaſſen. Ueberdies glaube ich
meine Anſchauung noch durch folgende Erwägungen
ſtützen zu können: Wenn auch die eigentliche Be⸗
rufsvormundſchaft nicht notwendig vorausſetzt, daß
im einzelnen Falle berufene Perſonen übergangen
werden, ſo iſt dies doch eine ihrer weſentlichen
Aeußerungen, die deshalb auch an die Spitze des
Geſetzes geſtellt iſt (Art. 1). Für die Pfleg⸗
ſchaften über Minderjährige nach 8 1909 BGB.
iſt dieſes Vorrecht ohne jede Bedeutung. Denn
berufene Perſonen gibt es hier nicht (8 1916 BGB.).
Ferner: Geſetzliche Vorausſetzung der Berufsvor⸗
mundſchaft iſt die Erziehung des Kindes unter der
Aufſicht des Vormunds, alſo ein Moment der
perſönlichen Fürſorge. Eine Sorge für die Perſon
iſt nun zwar mit der Vormundſchaft unzertrenn⸗
bar verbunden, nicht aber mit der Pflegſchaft.
Daraus nun, daß dieſe 2 wichtigen Merkmale der
Berufsvormundſchaft bei der Pflegſchaft keine
weſentliche Rolle ſpielen, glaube ich gleichfalls
ſchließen zu können, daß unter das Geſetz vom
23. Februar 1908 nur Vormundſchaften fallen.
Die Beſchlüſſe der ſtädtiſchen Kollegien haben
die Geſchäftsaufgabe des Berufsvormunds auf
Pflegſchaften zur Geltendmachung von Unterhalts⸗
anſprüchen beſchraͤnkt. Denn hier ſtehen am
meiſten die Intereſſen der Armenpflege am Spiel.
Gleichwohl kann er natürlich, wenn die Gemeinde
zuſtimmt, auch Pflegſchaften über Minderjährige
zu anderen Zwecken, ja auch Pflegſchaften über
Volljährige gemäß § 1910 BGB. übernehmen.
In dem letzteren Falle kann natürlich von der
Anwendung des Geſetzes vom 23. Februar 1908
ſchon deshalb keine Rede ſein, weil dieſes Minder⸗
jährigkeit vorausſetzt. Tatſächlich wird der Be⸗
rufsvormund häufig als Pfleger für ſolche Voll⸗
jährige vorgeſchlagen, die geiſteskrank und auf
Koſten der Stadtgemeinde München in einer
Irrenanſtalt untergebracht find, wenn nämlich
dieſe Geiſteskranken eine Invalidenrente beziehen
oder ſonſtige Vermögensrechte beſitzen. Auch hier⸗
bei handelt es ſich überwiegend um die Intereſſen
der Armenpflege und um die Verwirklichung ihrer
Erſatzanſprüche. Ich räume ein, daß es praktiſch
und zur Geſchäftsvereinfachung dienlich iſt, wenn
in dieſen Fällen der Berufsvormund das Amt
des Pflegers übernimmt. Anderſeits kann ich
doch ein gewiſſes rechtliches Bedenken gegen die
Beſtellung des Berufsvormunds in dieſen Fällen
nicht unterdrücken. Der Pfleger hat ſich nämlich
in dieſen Fällen ſchlüſſig zu machen, ob er die
Invalidenrente oder die vorhandenen Vermögens—
ſtücke des Pfleglings der Armenpflege zum Erſatz
ihrer Auslagen überweiſen ſoll. Die Armenpflege
— — — — — — — —
hat hieran ein begreifliches Intereſſe. Anderſeits
aber kann auch der Pflegling ein Jutereſſe daran
haben, daß ihm ſein kleines Vermögen erhalten
bleibt. Der Münchener Berufsvormund iſt nun
auch ein Organ der Armenpflege. Das kann zu
einem Widerſtreit ſeiner Pflichten führen.
5) Ueberwachung der körperlichen
Pflege der in München ſich aufhalten⸗
den unehelichen Säuglinge. Dies iſt an
ſich Aufgabe des Gemeindewaiſenrats. Dieſer
erhält aber von der Anordnung einer Vormund⸗
ſchaft und damit von dem Vorhandenſein des
Kindes erſt durch die Mitteilung des Vormund⸗
ſchaftsgerichts auf Grund des $ 1851 BGB.
Kenntnis. Die Mitteilung kann erſt erfolgen,
wenn für das Kind ein Vormund beſtellt iſt.
Die Beſtellung des Vormunds verzögert ſich aber
oft ſehr lange, wenn die uneheliche Mutter nicht
ſelbſt einen Vormund vorſchlagen kann, da dann
der Vorſchlag durch den Gemeindewaiſenrat ab⸗
gewartet werden muß. So kommt es nicht ſelten
vor, daß viele Wochen vergehen, bis die Mit⸗
teilung nach §S 1851 BGB. an den Gemeinde⸗
waiſenrat erfolgen kann. Um nun die hier be⸗
ſtehende Lücke auszufüllen, werden alle Geburts:
anzeigen unehelicher Kinder vor der Vorlage an
das Vormundſchaftsgericht durch die Geſchäftsſtelle
des Berufevormunds geleitet. Der Berufsvor⸗
mund kann dann eine feiner Pflegerinnen beauj:
tragen, die Ueberwachung des Säuglings zu über:
nehmen und der unehelichen Mutter erforderlichen⸗
falls mit Rat und Tat an die Hand zu gehen.
Inſoweit handelt der Berufsvormund als Organ
des Gemeindewaiſenrats.
) Vermittlung von Koſtplätzen. Dieſe
Aufgabe hat ebenſowenig wie die eben erörterte in
dem Geſetze vom 23. Februar 1908 einen Boden.
Sie hängt aber doch inſoferne damit zuſammen,
als ſie dem Berufsvormund in den Fällen, in
denen er wirklicher Berufsvormund iſt oder wird,
die eigene Auswahl der Familie oder Anſtalt er:
möglicht. Anderſeits ſteht ſie auch zu der ihm
übertragenen Säuglingsfürſorge in naher Beziehung,
weil gerade die Auffindung eines geeigneten Koit:
platzes der Mutter, die bald nach der Entbindung
wieder dem Verdienſte nachgehen muß, große
Schwierigkeiten bereitet. Die polizeiliche Ueber:
wachung des Koſtkinderweſens liegt in München
den Polizeiämtern ob. Vielleicht gibt ſich im
Intereſſe der Geſchäftsvereinfachung bald die Mög—
lichkeit, dieſe Zuſtändigkeit gleichfalls dem Stadt—
magiſtrat zu übertragen.
3. Zuſtändigkeitsgrenzen.
Die bisherigen Betrachtungen haben gezeigt,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
daß der Pflichtenkreis des Münchener Berufs-
vormunds ſehr vielſeitig iſt. Es läßt ſich die Be—
fürchtung nicht unterdrücken, daß die Arbeitslaſt
für eine Schulter bald zu groß werden wird.
derjenigen Vormundſchaften und Pflegſchaften fein,
die der Berufsvormund übernimmt. Der Haupt⸗
grund, der in Bayern und in München zur Ein⸗
führung der Berufsvormundſchaft geführt hat, iſt
die Höhe der Armenlaſten, die durch Verletzung
der Unterhaltspflicht verurſacht ſind. Die Armen⸗
pflege München hat ungefähr 600 uneheliche Kinder
in Familien und Anſtalten untergebracht und
unterſtützt ungefähr 400 Kinder in der mütter⸗
lichen Familie. Sie wendet jährlich ungefähr
120 000 M zu dieſem Zweck auf. Der Berufs:
vormund wird ſonach bei der Uebernahme von
Vormundſchaften ſich zunächſt auf die Kinder be⸗
ſchränken, die der Armenpflege München zur Laſt
fallen. Das hat zur Folge, daß ſeine Mündel
in der Regel hier heimatberechtigt ſein werden.
Es iſt ihm aber weder durch das Geſetz noch durch
die Beſchlüſſe der ſtädtiſchen Kollegien verboten,
auch auswärtige Mündel in ſeinen Taͤtigkeits⸗
bereich zu ziehen.
Die ihm in § 2 der gemeindlichen Beſchlüſſe
aufgetragene Ueberwachungspflicht erſtreckt ſich da⸗
gegen grundſätzlich nicht bloß auf die hier oder in
Bayern beheimateten, ſondern auf alle ſich in
München aufhaltenden Säuglinge.
Der Tätigkeitsbereich des Münchener Berufs⸗
vormunds iſt endlich nicht auf den Stadtbezirk
und auch nicht auf den Bezirk des Amtsgerichts
München beſchraͤnkt. Auch andere Amtsgerichte
können in die Lage kommen, den Münchener
Berufsvormund als Vormund zu beſtellen, wenn
es ſich z. B. um hier beheimatete Mündel handelt.
Die Stellung eines Berufsoormundes nach dem
Geſetze vom 23. Februar 1998 genießt er aber
nur dann, wenn er von einem bayeriſchen
Vormundſchaſtsgerichte dazu beſtellt worden iſt.
4. Aufgaben des Vormundſchaftsgerichts.
Das Vormundſchaftsgericht wird in der Regel
nur auf den Vorſchlag des Stadtmagiſtrats Mün⸗
chen den Berufsvormund beſtellen. Es kann aber
natürlich auch ſeinerſeits die Anregung zu einem
ſolchen Vorſchlage geben. Erfolgt der Vorſchlag,
ſo muß, wenn berufene Perſonen vorhanden ſind
oder wenn ein anderer Vormund bereits beſtellt
iſt, geprüft werden, ob die Vorausſetzungen der
eigentlichen Berufsvormundſchaſt gegeben find.
Das wird am zweckmäßigſten durch eine perjön-
liche Rückſprache mit dem Berufsvormund ſelbſt
geſchehen. Die Beſtellung des Berufsvormunds
erfolgt wie die eines anderen Vormunds. Auch
er erhält eine Beſtallung. In der Beſtallung
ſind die ihm eingeräumten Befreiungen zu ver—
merken (8 10 Abſ. I der Vormundſchaſtsordnung).
Bei der großen Zahl der Vormundſchaften, die
der Berufsvormund im Laufe der Zeit erhalten
wird, ſind die üblichen Beſtallungsbücher un—
praktiſch. Das erſte Blatt des Beſtallungsbuchs
genügt. Die auf den übrigen Blättern enthaltene
Um ſo beſchränkter muß natürlich die Auswahl Belehrung iſt für den Berufsvormund überflüſſig.
— Die dem Berufsvormund zuftehenden Be:
freiungen ſind in der Spalte 8 des Vormerkungs⸗
bogens einzutragen. — Von der Beſtellung des
Berufsvormunds muß der Gemeindewaiſenrat be⸗
nachrichtigt werden. Dagegen kann eine Anfrage an
den Gemeindewaiſenrat wegen Eignung des Be:
rufsvormunds vernünftigerweiſe unterbleiben. —
Wenn der Berufsvormund eine Vormundſchaft
übernimmt, endigt kraft Geſetzes das Amt des
bisherigen Vormunds. Dieſer muß davon benach⸗
richtigt werden. Auch der Berufsvormund
hat das Vermögen des Mündels zu verzeichnen
($ 1802 BGB.). Auch muß er die üblichen Er:
ziehungsberichte erſtatten. Auch von der Rech⸗
nungslegung iſt er nicht befreit. — Auf Ver⸗
langen des Stadtmagiſtrats muß er jederzeit vom
Amt enthoben werden (Art. 7 BWG.).
Damit ſchließe ich die rechtlichen Betrachtungen,
zu denen die neue Einrichtung in München an⸗
geregt hat. Man kann daraus erſehen, daß es
ſich um ein ſchwieriges Rechtsgebiet handelt, auf
dem noch viele zweifelhafte Fragen zu löſen ſind.
Doch die rechtlichen Schwierigkeiten werden ſicher
überwunden werden. Sie bedeuten nichts im
Vergleiche zu dem großen Fortſchritt, den die
Einführung der Berufsvormundſchaft in München
bedeutet. Jeder Vormundſchaftsrichter wird ſchon
über die Unbrauchbarkeit ſo vieler Laienvormünder,
insbeſondere der vom BGB. bevorzugten Groß:
väter geklagt haben. Und Kindsmütter, die ſich
über die Zahlungsſaumſal des Kindsvaters und
über den untätigen Vormund beſchweren, ſind beim
Vormundſchaftsgericht tägliche Erſcheinungen. Das
wird jetzt in vielen Fällen anders werden. Es
darf erwartet werden, daß der Berufsvormund
insbeſondere die Unterhaltsanſprüche ſeiner Mündel
mit allem Nachdruck verfolgt. Damit kann er
ſowohl im Intereſſe der Armenpflege als auch
für die ihm anvertrauten Kinder viel Gutes
wirken. Neben den eigentlichen vormundſchaftlichen
Geſchäften hat aber der Berufsvormund, wie wir
geſehen haben, noch eine Reihe anderer Pflichten
von hoher ſozialer Bedeutung. Möge es ihm
gelingen ſie ſo zu erfüllen, daß es der All⸗
gemeinheit zum Segen gereicht.
Die Behandlung der Mahnſachen und der
Ferienſachen nach der Novelle zur 380. vom
1. zuni 1909.
Von Amtsrichter Theodor Gros in München.
(Fortſetzung).
4. Zu 8 699. Sehr beſtritten iſt die Frage,
ob es zuläſſig iſt, das Geſuch um Erxlaſſung des
Vollſtreckungsbefehles gleichzeitig mit dem Mahn—
geſuch zu ſtellen. Bejaht wird die Frage von
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
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379
Seuffert Anm.-1,e zu $ 699; Fitting, Die Neu:
erungen der Novelle zur ZPO. S. 40'; Mothes,
Die Mängel des Mahnverfahrens; von den Land⸗
gerichten Neiſſe, Inſterburg und Dresden (JW. 1910
S. 636, 773, 922), vom Amtsgericht Neiſſe (JW.
1910 S. 727) und vom Amtsgericht München⸗
Gladbach (DIYZ. 1911 S. 447). Verneint wird
die Frage von Gaupp⸗Stein Anm. II“ zu § 699;
Sydow⸗Buſch Anm. 1 zu $ 699; von den Land:
gerichten Mainz, Wiesbaden, Leipzig, Braunſchweig,
Aurich, Oldenburg, Dresden, Frankfurt a. M. und
Hanau (JW. 1910 S. 689, 727, 773; 1911
S. 125 und 416). ö
Die eine Meinung, die ſich für Verneinung
der Frage ausſpricht, Führt aus, daß ein bedingter
Antrag für eine künftige Prozeßlage grundſätzlich
nur für den Fall der Abweiſung eines Primär⸗
antrages zuläſſig ſei und eine ſo erhebliche Ab⸗
weichung von der Regel bilde, daß er nur in den
vom Geſetz beſonders aufgeführten Fällen (wie
z. B. im $ 696, 697) zugelaſſen werden könne.
Auch ſprächen erhebliche praktiſche Bedenken gegen
die Verbindung, da der Gläubiger, wenn der
Schuldner nach Zuſtellung des Zahlungsbefehles
bezahle, es regelmäßig verſäumen werde, den Ge⸗
richtsſchreiber hiervon zu benachrichtigen und den
Antrag auf Erlaſſung des Vollſtreckungsbefehles
zurückzuziehen. Es entſtünde ſo eine große Zahl
von ungerechtfertigten Vollſtreckungstiteln, die eine
erhebliche Gefahr für die Schuldner bedeute.
Die andere Meinung geht davon aus, daß
der Wortlaut des § 699 ZPO. nicht entgegen⸗
ſtehe, da er keinen Zeitpunkt angebe, in dem das
Geſuch um Erlaſſung des Vollſtreckungsbefehles
geſtellt werden müſſe. Es ſei ferner kein ſach⸗
licher Grund vorhanden, ein vorzeitig geſtelltes
Geſuch um Erlaſſung des Vollſtreckungsbefehles
zurückzuweiſen, das praktiſche Bedürfnis erheiſche
vielmehr die Zuläſſigkeit der Verbindung dieſes
Geſuches mit dem Mahngeſuch. Während vor
der Novelle der Gläubiger die Zuſtellung des
Zahlungsbefehles beſorgt und daher alsbald Kennt⸗
nis von dem Zuſtellungstag erhalten habe, er⸗
fahre er hiervon jetzt erſt, wenn die Mitteilung
des Gerichtsſchreibers über die Zuſtellung an ihn
gelange. Dies ſei häufig erſt der Fall nach Um⸗
fluß der Widerſpruchsfriſt. Der Gläubiger könne
daher das Vollſtreckungsbefehls-Geſuch nicht recht⸗
zeitig abſenden und ſo verzögere ſich entgegen der
Abſicht der Novelle die Erledigung des Mahn:
verfahrens. Die Fälle der 85 696 II, 697 II
ſeien dem Falle des 8 699 nicht ähnlich. Uebrigens
erklaͤre in 8 697 II das Geſetz die Verbindung
des Verweiſungsantrages mit dem Mahngeſuch
oder der Widerſpruchseinlegung nicht erſt für
zuläſſig, ſondern ſetze im Gegenteil nach der Faſ—
ſung des Paragraphen die Zuläſſigkeit dieſer Ver—
bindung als ſelbſtverſtändlich voraus. Auch das
praktiſche Bedenken, daß der Gläubiger im Falle
der Zahlung es überſehen werde, das Geſuch zurück—
380 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19
zunehmen, ſei kein Grund, um den Antrag auf möglich, das Geſuch um Erlaſſung des Voll:
Vollſtreckungsbefehl als unzuläſſig zu behandeln, ſtreckungsbefehles ſchon gleichzeitig mit dem Mahn⸗
da der Gläubiger, wenn er befriedigt werde, doch geſuch zu ſtellen, ſo wäre wohl der Beginn der
daran denken müſſe, den Antrag auf Erlaſſung in 8 701 vorgeſehenen ſechsmonatigen Friſt auf
des Vollſtreckungsbefehls zurückzuziehen. Ein Ana- den Zeitpunkt der Einreichung des Mahngeſuchs
logon beſtehe in den Fällen der $ 900, 901 ZPO., oder der Zuſtellung des Zahlungsbefehles und
in denen es allgemein auch ohne ausdrückliche ge: nicht des Ablaufes der Widerſpruchsfriſt feſtgeſetzt
ſetzliche Beſtimmung als zuläſſig bezeichnet werde, | worden. Schließlich überwiegen doch die oben
den Antrag auf Inhaftnahme des Schuldners angeführten praktiſchen Bedenken, wenn es richtig
gleichzeitig mit dem Antrag auf Beſtimmung des iſt, daß nach der Statiſtik z. B. im Jahre 1904
Termins zur Leiſtung des Offenbarungseides zu von nahezu 1½/ Million Zahlungsbefehlen für
ſtellen. nur etwa die Hälſte der Vollſtreckungsbefehl be⸗
Von den beiden Anſchauungen dürfte wohl antragt wurde. Umgekehrt darf bei den heutigen
die erſtere den Vorzug verdienen, die ſich für die | Verkehrsverhältniſſen angenommen werden, daß
Verneinung der Frage ausſpricht. Meines Er⸗ der Gläubiger in den meiſten Fällen noch vor
achtens zwingt die rechtliche Natur des Vol: Ablauf der Widerſpruchsfriſt in den Beſitz der
ſtreckungsbefehles zu dieſer Entſcheidung. Der Nachricht von der Zuſtellung des Vollſtreckungs—
Vollſtreckungsbefehl iſt einem für vorläufig voll⸗ befehls gelangen wird.
ſtreckbar erklärten Verſäumnisurteil gleichgeſtellt, Die hieſige Praxis, welche die Verbindung
er iſt alſo eine Entſcheidung, die eine Verurteilung von Mahngeſuch mit dem Geſuch um Exlaſſung
ausſpricht. Nun kennt aber die Zivilprozeßord⸗ des Vollſtreckungsbefehles für unzuläſſig erklärt,
nung einen bedingten oder von zukünftigen Er⸗ ſcheint mir daher zutreffend zu ſein.
eigniſſen abhängigen Antrag auf Verurteilung | 5. Zu 88 697 II, 88 II, 703 380. Die
überhaupt nicht. Der mit dem Mahngeſuch ver: Frage, ob der Anwalt oder ein ſonſtiger Ber:
bundene Antrag auf Erlaſſung des Vollſtreckungs⸗ treter, der namens einer Partei Antrag auf Er:
befehles iſt aber eben gerade für den Fall geſtellt. laſſung eines Zahlungsbefehles und zugleich im
daß die Widerſpruchsfriſt unbenützt abläuft, ift | Mahngeſuch Antrag auf Verweiſung an das Land⸗
alſo ein bedingter Antrag, der nach dem erwähnten gericht ſtellt, ſeine Vollmacht nachzuweiſen hat,
allgemeinen Grundſatz als unzuläſſig zu bezeichnen wurde vom Amtsgericht Berlin-Mitte mit Be:
ift, ohne daß es einer Bezugnahme auf die 88 696 JI, ſchluß vom 6. Mai 1910 und vom Landgericht 1
697 II bedürfte und ohne daß auf die 88 900, | Berlin mit Beſchluß vom 20. Mai 1910 (JW.
901 als ähnliche Fälle verwieſen werden könnte. 1910 S. 689) bejaht, da $ 703 ZPO. nur für
Bei dieſer Auffaſſung kann auch dahingeſtellt [den Fall des Mahngeſuchs und der Widerſpruchs⸗
bleiben, ob andere (nicht auf Verurteilung ge: erhebung eine Ausnahme von der allgemeinen Vor:
richtete) bedingte Anträge für eine künftige Prozeß⸗ ſchrift des $ 88 II ZPO. (Prüfung der Vollmacht
klage zuläſſig ſind oder nicht. von Amts wegen im Parteiprozeß) zulaſſe und als
Wenn es der Geſetzgeber hätte zulaſſen wollen, | Ausnahmebeſtimmung nicht ausdehnend ausgelegt
daß gleichzeitig mit dem Mahngeſuch das Geſuch werden dürfe.
um Vollſtreckungsbefehl geſtellt wird, ſo hätte er In den Kommentaren von Gaupp-Stein und
überhaupt anordnen können, daß der Zahlungs- von Seuffert wird die Frage dagegen zutreffender—
befehl nach Umfluß der Widerſpruchsfriſt von | weile verneint. Wenn es zuläſſig iſt den Ber:
Amts wegen für vorläufig vollſtreckbar zu erklären weiſungsantrag ſchon in dem Geſuch um Erlaſſung
ſei, falls der Gläubiger keinen gegenteiligen An: des Zahlungsbeſehles zu ſtellen ($ 697 II) und
trag einbringt. wenn für das Zahlungsbefehlsgeſuch ſelbſt der
Daß der Geſetzgeber wohl nur die Stellung Nachweis einer Vollmacht nicht vorgeſchrieben iſt,
des Geſuches um Vollſtreckungsbefehl nach Um- ſo iſt ſchon aus dieſem formellen Grund nicht
fluß der Widerſpruchsfriſt im Auge hatte, ergibt einzuſehen, warum hier eine verſchiedene Behand:
ſich auch aus einer Bemerkung der Motive zu lung eintreten ſoll. Auch irgendwelche ſachlicen
dem jetzigen S 699. Es heißt dort auf S. 385: Gründe für den Verweiſungsantrag einen Voll:
„Die ſachliche Prüfung, ob der Anſpruch des machtsnachweis zu verlangen beſtehen nicht. Wird
Klägers in ſich begründet iſt und deshalb in Er: das Verweiſungsgeſuch ſchon in dem Mahngeſuch
mangelung des Streits judikatsmäßig feſtzuſtellen geſtellt, jo kann es unbedenklich als Beſtandteil
ſein wird, erfolgt bereits beim Erlaß des Zahlungs- dieſes Geſuchs angeſehen werden und es gilt die
befehles; ‚ſucht nach abgelaufener Friſt der Ausnahmevorſchrift des §S 703 ZPO. mangels
Gläubiger die Vollſtreckbarkeits Erklärung nad‘, ausdrücklicher anderer Regelung auch für das
ſo beſchränkt ſich die Kognition .. .. ſachgemäß Verweiſungsgeſuch.
auf die Feſtſtellung der formalen Vorausſetzungen 6. Kann nach vorausgegangenem Mahnver—
für den Erlaß des Urteils.“ fahren bei einem Streitwert von 301 —600 Mk.
Weiter ſcheint mir 8 701 ZPO. für die hier das Verſäumnisurteil für vorläufig vollſtreckbar
vertretene Auffaſſung zu ſprechen. Wäre es erklärt werden, wenn ſich der Gläubiger erſt im
Verhandlungstermin zur Sicherheitsleiſtung er⸗
bietet? (88 710, 714 3 O.).
Nach § 335 Abſ. J Ziff. 3 ZPO. iſt der An⸗
trag auf Erlaſſung des Verſäumnis⸗Urteils zurück⸗
zuweiſen, wenn der nicht erſchienenen Partei ein tat⸗
ſächliches mündliches Vorbringen oder ein Antrag
nicht rechtzeitig mittels Schriftſatzes mitgeteilt war.
Der Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeits⸗
erklärung iſt nun nach der herrſchenden, von allen
größeren Kommentaren vertretenen Anſchauung
als ein Sach-Antrag zu erachten, da der Ausſpruch
über Vollſtreckbarkeit in dem Urteil ſelbſt zu er⸗
folgen hat (Gaupp⸗Stein, Komm. z. ZPO. Anm. I
zu § 714), er bedarf daher der Mitteilung gemäß
§ 335 38O.
Dieſem Erfordernis iſt Genüge geleiſtet; der
dem Schuldner zugeſtellte Zahlungsbefehl enthält
die Aufforderung an den Schuldner, den Gläubiger
binnen einer vom Tage der Zuſtellung an laufenden
Friſt von einer Woche „bei Vermeidung ſofortiger
Zwangsvollſtreckung“ zu befriedigen ($ 692 ZPO.).
Wie bereits oben unter 1. ausgeführt, vertritt
der Zahlungsbefehl die Klage und die eben er⸗
wähnte „Zahlungsaufforderung bei Vermeidung
ſofortiger Zwangsvollſtreckung“ kann und muß da⸗
her als Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeitser⸗
klärung aufgefaßt werden. Auf dieſem Standpunkt
ſtehen auch faſt alle Kommentare. Mit der Zu⸗
ſtellung des Zahlungsbefehls iſt alſo dem Schuld⸗
ner auch der Antrag des Gläubigers auf vorläufige
Vollſtreckbarkeitserklärung des Urteils mitgeteilt.
Nun fragt es ſich aber, ob dem Ausſpruch der
vorläufigen Vollſtreckbarkeit des Verſäumnisurteils
der Umſtand entgegenſteht, daß dem Schuldner das
erſt in der Verhandlung erfolgte Erbieten des
Gläubigers zur Sicherheitsleiſtung nicht mitgeteilt
wurde. Zu dieſer im ordentlichen Verfahren auf⸗
getauchten Frage hat das Landgericht Düſſeldorf
im Jahre 1902 (JW. 1902 S. 562) in bejahendem
Sinne Stellung genommen. Eine bei dieſem Land⸗
gericht angebrachte Klage enthielt den Antrag das
Urteil für vorläufig vollſtreckbar zu erklären; von
dem Erbieten des Klägers zur Sicherheitsleiſtung
war in der Klageſchriſt keine Rede. In der münd⸗
lichen Verhandlung beantragte der Kläger das
gegen den nicht erſchienenen Beklagten zu er—
laſſende Urteil für vorläufig vollſtreckbar zu erklären,
indem er ſich gleichzeitig mündlich zur Sicherheits:
leiſtung erbot. Das Landgericht lehnte den An—
trag ab mit der Begründung, der Beklagte habe
annehmen müſſen, der Antrag werde abgewieſen,
weil er nach dem Inhalt der Klageſchrift unbe⸗
gründet ſei. Der Antrag des Klägers mit dem
mündlichen Zuſatz, daß der Kläger ſich zur Sicher:
heitsleiſtung erbiete, ſei gemäß §710 ZPO. ein neuer
erweiterter Antrag, da bei Angebot der Sicherheits—
leiſtung eine vorläufige Vollſtreckbarkeit in allen
Fällen und ohne Vorliegen der ſonſtigen Voraus—
ſetzungen der SS 708, 709 3] O. zuläſſig jet.
Dieſer neue Antrag ſei aber dem Beklagten nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
|
381
mitgeteilt, weshalb er nach $ 335 1 Nr. 3 zu:
rückzuweiſen ſei.
Rechtsanwalt Dr. Aberer in Cöln hält dieſe
Entſcheidung für verfehlt (JW. a. a. O.). Er
führt aus, das Erbieten zur Sicherheitsleiſtung ſei
kein Antrag und auch kein Teil des Antrags auf
vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung, es brauche
daher auch nicht gemäß § 335 mitgeteilt zu
werden. Wenn der Kläger ſich in der mündlichen
Verhandlung zur Sicherheitsleiſtung erbiete, ſo
liege kein erweiterter Antrag vor, ſondern vielmehr
eine dem Intereſſe des Beklagten dienende Be⸗
ſchränkung des urſprünglichen Klageantrages, eine
beſondere Mitteilung eines ermäßigten Klagebe⸗
gehrens ſei in der Prozeßordnung nirgends vorge⸗
ſchrieben, da der weitergehende Antrag ſtets den
eingeſchränkten enthalte. Profeſſor Dr. Kuhlenbeck
ſtimmt (an der zitierten Stelle) dem Dr. Aberer
inſoferne zu, als das Erbieten zur Sicherheits⸗
leiſtung nach ſeiner Auffaſſung kein Teil des Antrags
iſt; trotzdem hält er die Entſcheidung des LG.
Düſſeldorf für richtig weil das Erbieten zur Sicher:
heitsleiſtung unter den Begriff des tatſächlichen
mündlichen Vorbringens im Sinne des § 335
3P O. falle. Letzterer Vorſchrift liege der Gedanke
zugrunde, daß der Verzicht einer Partei auf ihre
Verteidigung nur inſoweit angenommen werden
könne, als ſie ſolche nach Lage der in der Klage⸗
ſchrift zugeſtellten Behauptungen für nötig erachten
müßte; das Erbieten des Klägers zur Sicherheits⸗
leiſtung ſei Behauptung einer künftigen Tatſache,
inſoferne werde alſo das tatſächliche Vorbringen des
Klägers ergänzt und da dieſes neue Vorbringen
für die Frage der vorläufigen Vollſtreckbarkeit von
Bedeutung fei, habe das LG. Düſſeldorf mit Recht
den Antrag auf vorläufige Vollſtreckbarkeitser⸗
klärung des Verſäumnisurteils zurückgewieſen.
Nach Begründung der Zuſtändigkeit der Amts⸗
gerichte für Streitigkeiten von 301 —600 M kann
es auch vor dem Amtsgericht vorkommen, daß die
Klage bei einem ſolchen Streitwert zwar den An⸗
trag auf vorläufige Vollſtreckbarkeit, nicht aber
das Erbieten zur Sicherheitsleiſtung enthält. Im
Mahnverfahren wird ſogar regelmäßig ein derar⸗
tiges Erbieten zur Sicherheitsleiſtung vor der Ver⸗
handlung nicht erfolgt ſein. Trotzdem kann nach
meiner Auffaſſung, wenn ſich der Kläger im Ver⸗
handlungstermin zur Sicherheitsleiſtung erbietet,
das Verſäumnisurteil für vorläufig vollſtreckbar
erklärt werden. Die Vorſchrift des $ 335 J Nr. 3
3PO. bezieht ſich nur auf Anträge oder auf tat⸗
ſächliches mündliches Vorbringen. Das Erbieten
zur Sicherheitsleiſtung iſt nun weder ein Antrag,
noch ein Teil des Antrags auf vorläufige Voll—
ſtreckbarkeitserklärung, ſondern nur eine vom Geſetz⸗
geber feſtgeſetzte Bedingung der Wirkſamkeit dieſes
Antrags. Aber auch als tatſächliches mündliches
Vorbringen im Sinne des § 335 I Nr. 3 kann das
Erbieten zur Sicherheitsleiſtung nach meiner Auf—
faſſung nicht erachtet werden. Mit dem tatſächlichen
382
mündlichen Vorbringen, welches $ 335 erwähnt, kann
nichts anderes gemeint ſein, als mit dem gleichen
Ausdruck im § 331 ZPO. Hierunter fallen aber
nur ſolche tatſächliche Angaben, die beim Aus⸗
bleiben des Beklagten als zugeſtanden zu gelten
haben und von deren Schlüſſigkeit die Erlaſſung
des Verſäumnisurteils abhängt. Gerade weil dieſes
tatſächliche mündliche Vorbringen als zugeſtanden
gilt, muß es ſeinem vollen Umfange nach dem Be:
klagten mitgeteilt ſein. Für das Erbieten zur
Sicherheitsleiſtung kann nun aber von einem fin⸗
gierten Zugeſtändnis keine Rede fein; die Schutz⸗
vorſchrift des $ 335 J Nr. 3 bezieht ſich daher auch
nicht auf dieſes Erbieten. $ 710 ZPO. hat die
Sicherung des Beklagten im Auge, dieſem Zweck
iſt vollkommen Genüge geleiſtet, wenn ſich der
Kläger (wenn auch erſt im Verhandlungstermine)
zur Sicherheitsleiſtung erbietet.
Der Ausführung des LG. Düſſeldorf, der Be⸗
klagte habe annehmen müſſen, der Antrag werde
abgewieſen, weil er nach dem Inhalt der Klage⸗
ſchrift unbegründet ſei, kann nicht beigetreten
werden. Das Geſuch des Klägers um vorläufige
Vollſtreckbarkeitserklärung iſt gerechtfertigt, ſo⸗
bald der Kläger ſich zur Sicherheitsleiſtung er⸗
bietet, und es iſt keine Geſetzesvorſchrift des In⸗
halts vorhanden, daß dieſes Erbieten bereits in
der Klageſchriſt oder in einem geſonderten Schrift:
ſatz zu erfolgen habe, da nach den obigen Aus:
führungen 8 335 ZPO. hier nicht zutrifft.
Der Beklagte, dem der Antrag des Klägers
auf vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung mitgeteilt
iſt, wird alſo zwar einerſeits darauf vertrauen
können, daß das Gericht, wenn der Kläger ſich
nicht zur Sicherheitsleiſtung erbietet. das Urteil
nicht für vorläufig vollſtreckbar erklärt, jedoch wird
er andererſeits damit rechnen müſſen, daß dem
Wunſche des Klägers entſprochen wird, wenn
Letzterer in der Verhandlung ſich zur Sicherheits:
leiſtung bereit erklärt. Glaubt der Beklagte, daß
die ſofortige Vollſtreckung ihm beſondere Nachteile
verurſacht, ſo muß er eben im Termin erſcheinen
und die entſprechenden Anträge ſtellen ($ 712
3PO.). Dieſes Ergebnis entſpricht dem praktiſchen
Bedürfnis; auch beſteht kein ſachlicher Grund dem
Kläger die vorläufige Vollſtreckbarkeit des Urteils
zu verſagen, wenn der Beklagte keine ſachlichen
Einwendungen hat, wenn ihm der Antrag auf
vorläufige Vollſtreckbarkeitserklärung mitgeteilt
wurde und wenn ihm für die Nachteile aus der
ſofortigen Vollſtreckung Sicherheit geleiſtet wird.
Insbeſondere für das Verfahren nach vor:
ausgegangenem Mahnverfahren iſt dieſe Aus—
legung geboten. Das Mahnverfahren ſollte durch
die Novelle gehoben und beliebter gemacht werden.
Der Gläubiger, der zur Weiterverfolgung ſeines
Anſpruchs ſchon von vornherein entſchloſſen iſt,
wird gleich im Mahngeſuch den Antrag auf
Terminsanberaumung für den Fall der Wider—
ſpruchseinlegung ſtellen. Er legt ſodann die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
Weiterführung der Sache in die Hände des Ge⸗
richts und will natürlich im Termin, wenn der
Beklagte nicht erſcheint, einen Vollſtreckungstitel
erhalten. Eines beſonderen Antrages auf vor⸗
läufige Vollſtreckbarkeitserklärung bedarf es im
Mahngeſuch, wie oben ausgeſührt, nicht, da der
Zahlungsbefehl ſelbſt dem Schuldner die ſofortige
Vollſtreckung androht. Da es eines ſolchen An⸗
trags nicht bedarf, wird der Gläubiger auch regel⸗
mäßig nicht daran denken, ſich gleich bei Ein⸗
reichung des Mahngeſuchs zur Sicherheitsleiſtung
zu erbieten. In der Praxis findet ein derartiges
Erbieten im Mahngeſuch auch wohl niemals ſtatt.
Wenn nun der Glaͤubiger genötigt waͤre dem
Schuldner noch einen geſonderten Schriftſatz zu⸗
zuſtellen, in dem er ſich zur Sicherheitsleiſtung
erbietet um die ſofortige Vollſtreckbarkeit des
Urteils zu erlangen, ſo würde er wohl meiſt nicht
das Mahnverfahren, ſondern den Weg der ordent⸗
lichen Klage wählen um ſein Recht zu verfolgen.
Die hier vertretene Auffaſſung entſpricht alſo der
Abſicht der Novelle dem Mahrverfahren eine
möglichſte Verbreitung und Beliebtheit zu ſichern.
7. Zu 88 38, 76 II, III GebofRA; 80 b
GKG. Die Frage, ob dem Rechtsanwalt nach
Einlegung des Widerſpruchs neben dem Pauſchſatze
des 8 76 III GebOfR A. noch das nach 8 76 II
zu berechnende Pauſchale aus der bei Erwir⸗
kung des Zahlungsbefehls erwachſenen Gebühr
zuſteht, wurde in der Praxis verſchieden beant⸗
wortet. Bejaht wurde die Frage von dem LG.
Augsburg (JW. 1911 S. 127); auf dem gleichen
Standpunkt ſcheinen die Leitſätze der Kommiſſion
des Münchener Rechtsanwaltsvereins zu ſtehen
(ſ. dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1910 S. 264). Ver⸗
neint wurde die Frage vom LG. Traunſtein
(JW. 1911 S. 127) und vom LG. München 1
in einem Beſchluß vom 21. Juni 1910 (JW. 1910
S. 732), ſowie in einem ſpäteren, nicht veröffent⸗
lichten Beſchluß des gleichen Landgerichts.
Die „Leitſätze“ begründen die Bejahung der
Frage damit, daß die Gebühr nach 8 38!
GebOfRA. eine vollſtändig ſelbſtändige Gebühr
ſei, daß daher dieſe Gebühr und der daraus be—
rechnete Pauſchſatz beſtehen bleibe, wenn auch im
nachfolgenden Rechtsſtreit die Gebühren des 8 38
ganz oder teilweiſe auf die erwachſene Prozeß—
gebühr anzurechnen ſeien; denn durch dieſe An—
rechnung ermäßige ſich nicht nachträglich die Ge—
bühr im Mahnverfahren, ſondern lediglich der
Anſatz für die Prozeßgebühr, ohne daß dadurch
der Charakter der Prozeßgebühr als der Gebühr
nach S 131 GebOfdt A. verändert werde. In⸗
folgedeſſen ſeien bei Anfall der ohne Rückſicht
auf ihre Höhe Prozeßgebühr verbleibenden Gebühr
des 8 131 GebOfR A. auch die Pauſchminimal—
Sätze des § 76 11T SEHON. anſetzbar.
Das LG. Augsburg führt zur Begründung
aus, die Bejahung der Frage ergebe ſich aus der
Vergleichung des § 76 Geb Odi A. mit 8 80 b
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
— [7
GKG. Beide Geſetzesſtellen enthielten Beſtim⸗
mungen, welche das Verfahren bei Berechnung
und Feſtſetzung der Schreibgebühren vereinfachen
ſollten. In beiden Geſetzesſtellen ſei überein⸗
ſtimmend feſtgeſetzt, daß das Einſpruchsverfahren,
das auf den Urkunden- und Wechſelprozeß folgende
ordentliche Verfahren, das Beweisſicherungs⸗,
Koſtenfeſtſetzungs⸗ und Sicherheitsrückgabever⸗
fahren, wofür ſonſt beſondere Gebühren erhoben
würden, bezüglich der Pauſchſätze nicht als ge:
ſonderte Inſtanz gelten ſollten. Während aber
in $ 80 b GKG. ausdrücklich feſtgeſetzt ſei, daß
das Mahnverfahren und der darauf folgende
Rechtsſtreit für die Berechnung der Pauſchſätze
als eine Inſtanz zu gelten hätten, fehle dieſe Be⸗
ſtimmung in § 76 III GebOfRA. Dieſe Be:
ſtimmung ſei abſichtlich weggelaſſen worden, weil
man von der Anſicht ausgegangen ſei, daß der
Rechtsanwalt für den Antrag auf Erlaſſung des
Zahlungsbefehles einen geſonderten Pauſchſatz er⸗
halten ſolle.
Das Landgericht München J begründet die
Verneinung der Frage damit, daß das Mahn⸗
verfahren keine neue Inſtanz ſei, weil bei Wider⸗
ſpruchseinlegung die Klage als mit Zuſtellung des
Zahlungsbefehles beim Amtsgericht erhoben anzu:
ſehen ſei. Es ſtehe daher dem Rechtsanwalt ge⸗
mäß § 76 GebOfR A. für das ganze amtsgericht⸗
liche Verfahren einſchließlich des Mahnverfahrens
nur eine Pauſchgebühr im Mindeſtſatz von 4 M
zu, das Pauſchale für die bei Erwirkung des Zah:
lungsbefehles erwachſene Gebühr ſei daher auf die
Mindeſtpauſchgebühr des § 76 III in vollem Um:
fang anzurechnen. Demgegenüber könne der durch
die Beſtimmung des $ 80 b GKG. begründete
Unterſchied zwiſchen dieſem Geſetz und der GebOfRA.
nicht ins Gewicht fallen.
Die letztere Auffaſſung verdient den Vorzug.
Der Abſatz III des § 76 GebOfRA. bildet eine
Ausnahme von der allgemeinen Regel des Ab:
ſatzes II dieſes Paragraphen. Hiernach iſt für
die ſämtlichen in einer Inſtanz anzuſetzenden
Pauſchſätze eine Mindeſt⸗ und eine Höchſtgrenze
feſtgelegt. Die Frage, was zu der Inſtanz ges
hört, iſt im § 76 III nur inſoweit entſchieden, als
daſelbſt beſtimmt iſt, daß die in den 88 271, 28
und 30 J Nr. 3 GebOfRA. erwähnte Tätigkeit
des Rechtsanwaltes hinſichtlich der Pauſchſätze (im
Gegenſatz zur Berechnung der Gebühren) nicht als
beſondere Inſtanz zu gelten habe. Daß das
Mahnverfahren als geſonderte Inſtanz zu gelten
hätte, iſt nirgends ausgeſprochen. Aus der Vor—
ſchrift des S 696 ZPO. ergibt ſich vielmehr, daß
das Mahnverfahren und das Verfahren nach
Widerſpruchseinlegung nur eine Inſtanz bilden.
Dies iſt für die Fälle ſelbſtverſtändlich, in denen
der nachfolgende Rechtsſtreit beim Amtsgericht
verbleibt. Aus dem § 80 b Abſ. II GK G., worin
ausdrücklich hervorgehoben iſt, daß das Mahnver—
—— . —ßkle. u —— —— — ä—ͤ—
|
383
Inſtanz zu gelten haben, kann nichts Gegen:
teiliges gefolgert werden. Es iſt vielmehr an⸗
zunehmen, daß dieſe Beſtimmung nur die Fälle
im Auge hatte, in welchen nach Widerſpruchs⸗
einlegung der Rechtsſtreit an das Landgericht ver:
wieſen wurde. Die Anſetzung eines beſonderen
Pauſchſatzes für das Mahnverfahren neben den
Pauſchſätzen des $ 76 III GebOfRA. iſt daher
unzuläſſig. Für die Berechnung der dem Anwalt
im Mahnverfahren und im nachfolgenden Ber:
fahren gebührenden Pauſchſätze iſt lediglich $ 76 III
GebOfRA. maßgebend. Erreicht daher die Summe
der hiernach anzuſetzenden Pauſchſätze den Betrag
von 4 oder 6 M nicht, fo hat der Anwalt ledig:
lich 4 oder 6 M hund nicht außerdem noch einen
nach § 76 I1 zu berechnenden Pauſchſatz für das
Mahnverfahren zu beanſpruchen. (Schluß folgt.)
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Schenkung oder Verkauf zu billigem Preis? —
Schenkung zur Erfüllung einer ſittlichen Pflicht (8 2330
BGB.). — Kann die Klage aus 8 2329 BG. auf
Duldung der Zwangsvollſtreckung wegen des an dem
Pflichtteil fehlenden Betrags gerichtet werden? Der
Bauer K. iſt in geſetzlicher Erbfolge von fünf Kindern
erſter Ehe, von drei Kindern zweiter Ehe und von
den ſieben minderjährigen Kindern eines vor ihm ver⸗
ſtorbenen Sohnes zweiter Ehe beerbt worden. Sein
Nachlaß enthielt jedoch nichts. Denn K. hatte den
ſein ganzes Vermögen darſtellenden Grundbeſitz an
zwei ſeiner Kinder zweiter Ehe veräußert.
1. Der Berufungsrichter ſtellt feſt, der an die Be⸗
klagten veräußerte Grundbeſitz ſei 37500 M wert
geweſen, während die von den Erwerbern über—
nommenen Gegenleiſtungen auf 14752 M 12 Pf
zu veranſchlagen ſeien. Der Wertunterſchied habe daher
22 747 M 88 Pf betragen. Es ſei ausgeſchloſſen,
daß der Erblaſſer oder die Beklagten ſich deſſen nicht
bewußt geweſen ſeien. Beide Vertragsteile hätten
vielmehr gewußt, daß die Erwerber inſoweit, als der
Wert der Grundſtücke den Wert der Gegenleiſtungen
überſtieg, durch die Zuwendung der Grundſtücke eine
Bereicherung empfingen, und fie ſeien mit dem Ver—
äußerer darüber einig geweſen, daß die Zuwendung
inſoweit unentgeltlich erfolge. Dieſe Feſtſtellungen
erſchöpfen die Begriffserforderniſſe einer Schenkung
(8 516 Abſ. 1), die im gegebenen Falle mit einem
Kaufvertrage in der Art verbunden war, daß fie in den
Vertragserklärungen der Beteiligten äußerlich nicht
hervortrat, gleichwohl aber durch dieſe Erklärungen
umfaßt und durch fie verdeckt wurde (8 117 BGB).
Die Reviſion zielt mit einem Teil ihrer Ausführungen
darauf hin, daß es ſich nicht um einen derartigen Fall
der fog. gemiſchten Schenkung gehandelt habe, viel—
mehr nur ein Verkauf zu billigem Preiſe abgeſchloſſen
ſei. Es iſt richtig, daß hierin ein rechtlicher Unter—
ſchied beſteht, der dem Tatrichter unter Umſtänden be—
ſondere Schwierigkeiten bereiten mag. Allein unter
5 5 . g den Umſtänden des gegebenen Falles hätte die An—
fahren und der entſtehende Rechtsſtreit als eine ; nahme, daß die geringen Gegenleiſtungen der Erwerber
384
ernftli im Sinne einer vollen Abgeltung bedungen
worden wären, der allgemeinen Lebenserfahrung
ſchlechthin widerſprochen. Es fehlte an jedem erſicht⸗
lichen Grunde, der die bloße Unvorteilhaftigkeit des
Geſchäfts für den Verkäufer als eines Verkaufs zu
billigem Preiſe rechtfertigen konnte. Um ſo weniger
läßt es ſich rechtlich beanſtanden, wenn der Berufungs⸗
richter bei freier, ihm durch 8 286 ZPO. gewähr⸗
leiſteter Sachbeurteilung die Vereinbarungen der Ber-
tragsparteien darin durchſchaut hat, daß der Veräußerer
eine ernſtgemeinte Abgeltung für die Grundſtücks⸗
übereignungen nur im Verhältnis des Wertes jener
Leiſtungen empfangen, ſoweit aber dieſe Leiſtungen
den Grundſtückswert nicht deckten, ohne Entgelt bleiben
ſollte. Dieſe Feſtſtellung des ſubjektiven Willens der
Beteiligten findet wie in den meiſten Fällen ihre
ſicherſte Stütze in dem allgemeinen Rechtsempfinden,
das ungeachtet der Gleichheit der äußeren Vertrags-
geſtaltung kaum jemals darüber im Zweifel zu ſein
pflegt, ob der Verkäufer unter der Ungunſt der Ver⸗
hältniſſe oder aus einem anderen beſonderen Grunde
ein Vermögensſtück zu einem ungewöhnlich billigen
Preiſe fortgegeben oder ob er unter dem bloßen Vor⸗
geben des Verkaufs es zum Teil oder gar der Haupt⸗
ſache nach verſchenkt hat.
2. Die Beklagten behaupten, daß die ihnen ges
machten Schenkungen einer ſittlichen Pflicht des Erb»
laffers entſprochen hätten. Der Berufungsrichter hat
dies abgelehnt. Er erblickt weder in den Dienite
leiſtungen der Beklagten einen Grund für das Beſtehen
einer ſolchen Pflicht, noch hält er den Einwand für
durchgreifend, daß der Erblaſſer verſprochen habe, ſie
für dieſe Dienſte durch Ueberlaſſung der Grundſtücke
zu entſchädigen. Die Beklagten ſeien zur Leiſtung der
Dienſte vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts nach
88 121. 254 Teil II. Titel 1 des AL R., ſpäterhin aber
nach 8 1617 BGB. verpflichtet geweſen. Gerade für
die Beklagten habe neben dieſer Rechtspflicht zugleich
eine ſittliche Pflicht zur Dienſtleiſtung beſtanden. Der
Erblaſſer dagegen habe dadurch, daß er ſein ganzes
Vermögen den Beklagten zuwendete, nicht eine ſittliche
Pflicht gegen dieſe erfüllt, ſondern eine ſittliche
Pflicht gegen die dadurch um ihr Erbteil gebrachten
anderen Kinder verletzt. Die Behauptung des Ver—
ſprechens einer ſolchen Vergütung ſei weder nach den
eigenen Auslaſſungen der Beklagten noch auch nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme richtig. Übrigens
würde ein derartiges Verſprechen nicht ſo zu verſtehen
ſein, daß die Beklagten die Grundſtücke ganz oder zum
größten Teile unentgeltlich erhalten ſollten. Vielmehr
hätte ſchon eine Ueberlaſſung der Grundſtücke zu einem
ihrem Werte wenigſtens annähernd entſprechenden
Preiſe als Erfüllung der etwa gegebenen Zuſicherung
gelten müſſen. Was die Reviſion gegen dieſe Aus—
führungen vorbringt, geht ſehl. Die, wie der Be—
rufungsrichter mit Recht angenommen hat, mit den
ſittlichen Pflichten des Erblaſſers gegenüber feinen
anderen Abkömmlingen völlig unvereinbare Grund—
ſtücksveräußerung kann um dieſer Sittenwidrigkeit
willen nicht die Beurteilung finden, daß der Erblaſſer
trotzdem i. S. des $ 2330 den Beklagten gegenüber
dazu ſittlich verpflichtet geweſen wäre. Es hat aber
auch an der von den Beklagten behaupteten Voraus—
ſetzung ſür das Beſtehen der behaupteten ſittlichen Pflicht
geſehlt. Denn der Erblaſſer hatte nach den Feſt—
ſtellungen des Berufungsrichters zu einer Erkenntlich—
keit für die Dienſte der Beklagten keine Veranlaſſung.
Er hatte unter den obwaltenden Umſtänden die Dienſte
der Beklagten nach Geſetz und Recht von ihnen zu
fordern. Die in dieſer Beziehung herangezogenen alt—
rechtlichen und jetzt geltenden Geſetzesvorſchriften ſind
nicht verletzt. Das Verſprechen des Erblaſſers, wenn
für deſſen Unterſtellung nach der Tatſachenwürdigung
des Berufungsrichters überhaupt noch ein Raum bleibt,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
——ͥ— — — — . —— 2 ⁴ . —— — — — ——ẽ — -b
Auslegung des Berufungsrichters und der Feſtſtellung,
daß, ſoweit der Berufungsrichter den Vertrag als
einen ernſtgemeinten Kaufvertrag gelten läßt, er in
dieſer Eigenſchaft immer noch einen für die Beklagten
beſonders vorteilhaften Erwerb darſtellt.
3. Hat hiernach der Berufungsrichter den 8 2329
BGB. zutreffend gegen die Beklagten als die Be⸗
ſchenkten zur Anwendung gebracht, fo verfagt die Rüge
der Reviſion, daß die Beklagten nicht zur Duldung der
Zwangsvollſtreckung ſondern nur zur Herausgabe
hätten verurteilt werden dürfen. Denn der Inhalt
ihrer Verpflichtung beſteht nicht in der Herausgabe
des Geſchenkes ſchlechthin, ſondern in deſſen Heraus⸗
gabe zum Zwecke der Befriedigung wegen des den
Pflichtteilsberechtigten fehlenden Betrages und einer
ſolchen Verpflichtung würde die Verurteilung zur Dul⸗
dung der Zwangsvollſtreckung in den herauszugebenden
Gegenſtand, damit der feſtgeſtellte Fehlbetrag dadurch
beigetrieben werde, vollkommen entſprechen. Auch in
dem Rechte, die Herausgabe durch Zahlung dieſes
Betrages abzuwenden, würden die Beklagten dadurch
nicht verkürzt fein. (Urt. des IV. ZS. vom 6. April 1911,
IV 361/1910). E.
2368
II.
Beendigung der Verpflichtung der Zollbehörde zur
Berwahrung des Zollgutes. Aus den Gründen:
Die Klägerin verlangt von dem verklagten Zollfiskus
den Erſatz des Wertes einer Kiſte, die für ſie aus Paris
eingetroffen, von der Eiſenbahnverwaltung unter Be:
nachrichtigung der Klägerin zur Verzollung in dem
der Zollverwaltung überlaſſenen Zollſchuppen nieder⸗
gelegt war, nach der Zollabfertigung aber abhanden
kam. Das Berufungsgericht nimmt übereinſtimmend
mit RG. 67, 340 an, daß durch die Ablieferung des
Gutes an die Zollverwaltung ein Rechtsverhältnis
begründet wurde, das die Zollbehörde privatrechtlich
und vertragsähnlich verpflichtete das Gut nach der
Zollabfertigung unverſehrt an die durch den Fracht-
brief legitimierte Empfängerin auszuhändigen, und
lehnt die Haftung des Beklagten deshalb ab, weil
das Gut der Klägerin ausgehändigt worden ſei. Es
ſtellt feſt, daß T., der zum Empfang der Kiſte bevoll⸗
mächtigte Vertreter der Klägerin, nach der Yollabs
fertigung dem dienſttuenden Plombeur N. erklärte, er
nehme die Kiſte gleich mit oder er wolle ſie gleich
mitnehmen, daß T. dieſe Erklärung ohne jede Ein⸗
ſchränkung abgab, ſie insbeſondere nicht davon ab—
hängig machte, daß ein Fuhrwerk des Spediteurs der
Klägerin da ſei, und daß N. ſich hiermit ſtillſchweigend
einverſtanden erklärte. Darin konnte ohne Rechts
irrtum eine Aushändigung der Kiſte gefunden werden.
Die Erklärung des T. ließ unzweideutig erkennen, daß
er die Kiſte in ſeine Obhut nehmen wolle: der Zoll—
beamte konnte und mußte annehmen, daß T. nun auch
für das Gut ſorgen werde, und, wenn er hierzu ſeine
Zuſtimmung gab, ſo war damit der Beſitz der Kiſte
von der Zollverwaltung auf die durch T. vertretene
Klägerin übergegangen. § 133 BB. iſt nicht ver⸗
letzt. Wenn die Reviſion für den Uebergang des Bes
ſitzes eine Aenderung der tatſächlichen, insbeſondere
der räumlichen Verhältniſſe vermißt, ſo überſieht ſie,
daß die Verhandlung zwiſchen T. und N. im unmittel-
baren Anſchluß an die zollamtliche Behandlung und
in nächſter Nähe der Kiſte ſtattfand, ſodaß die tat—
ſächliche Gewalt i. S. des § 854 Abſ. 1 BGB. auch
ohne Ortsveränderung übergehen konnte. Auf die
Vorſchrift des § 854 Abſ. 2 braucht nicht zurückge⸗
griffen zu werden. § 856 iſt nicht verletzt, da die Zoll:
behörde durch den dienſttuenden Plombeur in den
Uebergang der tatſächlichen Gewalt einwilligte. Daß
T. die Kiſte nicht allein tragen konnte und wiederholt
von dem von ihm erwarteten Fuhrwerk ſprach, iſt
belanglos; denn dabei handelte es ſich nur um das
bat ſeine Erfüllung gefunden nach der einwandfreien | Wegjchaffen der Kiſte, nicht um ihre Aushändigung,
die dem Wegſchaffen vorausgehen mußte. Mit der
Aushändigung hatte die Beklagte ihre Verpflichtung
erfüllt, das durch die Ablieferung des Gutes an die
Zollverwaltung begründete Rechtsverhältnis war er⸗
loſchen (BGB. § 362 Abſ. 1); die weitere Sorge für
die Kiſte lag von nun an der Klägerin ob. Der Ein⸗
tritt dieſer Rechtswirkung konnte durch die ſpäteren
Vorgänge nicht rückgängig gemacht werden. Infolge⸗
deſſen iſt es gleichgültig, ob T. den Empfang der
Kiſte beſtätigte, ob auf den Frachtbrief ein Empfangs⸗
ſtempel geſetzt wurde, und daß T. ſchließlich die Kiſte
ſtehen ließ und den Frachtbrief einem der Plombeure
mit dem Erſuchen übergab, er möge ihn dem Kutſcher
des Spediteurs aushändigen, damit dieſer eine Legiti⸗
mation zum Empfang der Kiſte habe. Die Beweis⸗
angebote der Klägerin waren daher unerheblich, ihre
Nichtbeachtung enthält keine Verletzung des $ 286 ZPO.
Eine Verpflichtung zur Verwahrung über den Zeit⸗
punkt der Aushändigung hinaus, etwa bis zum Weg⸗
ſchaffen der Kiſte aus den Räumen der Zollverwaltung,
läßt ſich weder aus einer entſprechenden Anwendung
der Vorſchriften über den Verwahrungsvertrag 88 68sff.
BGB. noch aus § 242 BGB. ableiten. Auch die Pflicht
des Verwahrers endet mit der Rückgabe der Sache
und die Rückſicht auf die Verkehrsſitte erfordert eine
Fortdauer der Verwahrungspflicht jedenfalls dann nicht,
wenn der Berechtigte die Sache mit Zuſtimmung des
Berwahrers übernommen hat, fi dann aber anders
entſchließt und die Sache liegen läßt. Um eine Ver⸗
wahrungspflicht über den Zeitpunkt der Aushändi—
gung hinaus zu begründen, hätte alſo ein neuer Ver⸗
wahrungsvertrag geſchloſſen werden müſſen. Dies iſt
aber nicht geſchehen und namentlich, wie ſchon das
Berufungsgericht zutreffend darlegt, nicht darin zu
finden, daß T. die Kiſte nebſt dem Frachtbrief zurück⸗
ließ und einen Plombeur darum erſuchte den Fracht—
brief dem Kutſcher des Spediteurs auszuhändigen.
(Urt. des III. ZS. vom 26. Mai 1911, III 408/1910).
2360 E.
III.
1. Nechtskraft des Urteils: Kaun das Gericht gegen:
über einer auf argliſt ige Zäufhung geſtützten Klage auf
Erſatz des negativen Vertragsintereſſes die argliſtige
Täuſchung verneinen, wenn der Kläger in einem Bor:
yrozeh aus dem gleichen Srund auf Anerleunung der
Nichtigkeit des Vertrags, fowie auf Erſtattung des anf
Grund des Vertrages Geleiſteten geklagt und das Gericht
in einem Teilurteil den Vertrag für nichtig erklärt hat?
2. Anſpruch auf Erſtattung der Koſten einer ungerecht⸗
fertigten einſtweiligen Verfügung (ZPO. S 945). Aus
den Gründen: 1. Der Kläger verlangt, weil er durch
argliſtige Täuſchung von dem Beklagten zur Ein—
gehung eines Vertrages über den Kauf eines Hauſes
beſtimmt worden ſei, Erſatz des hierdurch entſtandenen
Schadens (des negativen Vertragsintereſſes) und beruft
ſich zur Begründung ſeines Anſpruchs auf ein in einem
Vorprozeß ergangenes, in der Reviſionsinſtanz be—
ſtätigtes Teilurteil, durch welches feſtgeſtellt ſei, daß
der Beklagte ihm das Vorhandenſein von Schwamm
in dem Hauſe argliſtig verſchwiegen habe. Für den
gegenwärtigen Rechtsſtreit hat indes das Berufungs-
gericht das Sachverhältnis dahin gewürdigt, daß dem
Beklagten ein argliſtiges Verhalten nicht zur Laſt
falle, daß er nach der von dem Sachverſtändigen H.
vorgenommenen gründlichen Ausbeſſerung und nach
der Erklärung dieſes Sachverſtändigen, daß nunmehr
der Schwamm endgültig beſeitigt ſei, die Schwamm—
freiheit des Hauſes ohne Argliſt habe behaupten dürfen.
Die Reviſion wirft dem Berufungsrichter vor, hierbei
die Grundſätze über die Rechtskraft des Urteils ver—
kannt zu haben. Dieſer Vorwurf trifft jedoch nicht
zu. In dem Vorprozeß hatte der Kläger, der den
Vertrag wegen Betruges anfocht, nur auf Anerkennung,
daß der Vertrag rechtsunverbindlich ſei, und auf Er—
|
ſtattung der Leiſtungen aus dem Vertrage geklagt.
Demgemäß war in der Urteilsformel des Teil⸗
urteils nur ausgeſprochen, daß der Vertrag nichtig
ſei. Nur dieſe Entſcheidung iſt rechtskräftig geworden,
nicht der in den Entſcheidungsgründen angeführte
Grund, daß der Beklagte ſich der argliſtigen Täuſchung
ſchuldig gemacht habe, da die Urteilsgründe an der
Rechtskraft des Urteils nicht teilnehmen. Nur dafür
bildet die Entſcheidung die Grundlage, daß infolge
der Nichtigkeit des Vertrages die beiderſeitigen Ber-
tragsleiſtungen zurückzugewähren ſind. Dagegen
handelt es ſich bei dem Schadenserſatzanſpruch um
einen von dem Anſpruch auf Rückgewähr ſowohl dem
Grunde als dem Gegenſtande nach völlig verſchiedenen
ſelbſtändigen Anſpruch. Der Berufungsrichter wur
deshalb nicht gehindert hinſichtlich des Schadenserſatz⸗
anſpruchs den Sachverhalt in anderer Weiſe zu be-
urteilen, als dies im Vorprozeſſe geſchehen war.
2. Nach 8 945 ZPO. iſt der Antragſteller, wenn die
von ihm erwirkte einſtweilige Verfügung ſich als von An⸗
fang an ungerechtfertigt erweiſt, verpflichtet dem Gegner
den Schaden zu erſetzen, der ihm aus der Vollziehung
der angeordneten Maßregel oder aus der Sicherheits⸗
leiſtung zum Zweck der Abwendung oder Aufhebung
der Vollziehung entſtanden iſt. Nach dem Wortlaut
dieſer Vorſchrift kann es ſcheinen, als ob § 945, da
er nur von der Vollziehung der durch einſtweilige
Verfügung angeordneten ſachlichen Maßregel ſpricht,
auf die Koſten der einſtweiligen Verfügung überhaupt
keine Anwendung finde. Zur Gewinnung des richtigen
Verſtändniſſes des 8 945 find jedoch die für das
Zwangsvollſtreckungsverfahren geltenden Vorſchriften
der 88 717 Abſ. 2 und 788 Abſ. 2 ZPO. mit heranzu⸗
ziehen. Die Vorſchrift des 8 717 Abſ. 2 iſt ſeit dem Ab⸗
änderungsgeſetz vom 17. Mai 1898 an Stelle des 8 655
Abſ. 2 getreten, in welchem beſtimmt war, daß der Kläger.
ſoweit ein für vorläufig vollſtreckbar erklärtes Urteil
aufgehoben oder abgeändert wird, auf Antrag des
Beklagten zur Erſtatkung des von dieſem auf Grund
des Urteils Gezahlten oder Geleiſteten (ohne Rückſicht
auf ein Verſchulden des Klägers) zu verurteilen iſt.
Dieſe Beſtimmung iſt dann durch 8 717 Abſ. 2 neuer
Faſſung dahin erweitert worden, daß der Kläger zum
Erſatz des Schadens verpflichtet iſt, der dem Beklagten
durch die Vollſtreckung des Urteils oder durch eine
zur Abwendung der Vollſtreckung gemachte Leiſtung
entſtanden iſt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß zu
dem nach 8 717 Abſ. 2 zu leiſtenden Schadenserſatz
auch der Erſatz der in 8 655 Abſ. 2 d. F. gedachten,
im Zwangsvollſtreckungsverfahren beigetriebenen Koſten
gehört (RG. 49,414). In demſelben Sinne iſt 8 945. ZPO.
auszulegen, welcher die Schadenserſatzpflicht des 8 717
Abſ. 2 auf die einſtweilige Verfügung ausgedehnt hat.
Abweichend von 8 717 Abſ. 2 wird dagegen in 8 945
zur Begründung der den Koſtenerſatz einſchließenden
Schadenserſatzpflicht nur das gefordert, daß die einjt-
weilige Verfügung von Anfang an für ungerechtfertigt
erklärt iſt. Der formellen Aufhebung der einſtweiligen
Verfügung bedarf es nicht (RG. 58, 238). Es iſt auch
nicht nötig, daß der Schadenserſatzanſpruch oder Koſten—
erſatzanſpruch, wenn der der einſtweiligen Verfügung
zugrunde liegende Anſpruch in dem über dieſen
Anſpruch geführten Hauptprozeß als nicht beſtehend
und damit die einſtweilige Verfügung als von vorn—
herein ungerechtfertigt erklärt iſt (RG. 59, 360), ſchon
in dieſem Hauptprozeſſe geltend gemacht wird. Die
Berechtigung des Klägers, auf Grund des 8 945 ZPO.
Erſatz der im Zwangsvollſtreckungsverfahren bei—
getriebenen often zu fordern, kann hiernach nicht ver—
neint werden. Außerdem hat der Kläger Anſpruch auf
Erſatz der Koſten, die durch Eintragung der durch die
einſtweilige Verfügung angeordneten Vormerkung ent—
ſtanden ſind. Dieſer Anſpruch würde, wenn er nicht
ſchon aus § 945 folgen würde, aus § 788 Abſ. 2 in
Verbindung mit 8 928 ZPO. herzuleiten fein. Nach
386
8 788 Abſ. 2 find die Koſten der Zwangsvollſtreckung
unbedingt dem Schuldner zu erſtatten, wenn das Urteil,
aus welchem die Zwangsvollſtreckung vorgenommen
iſt, aufgehoben wird. Die Anwendbarkeit dieſer Vor⸗
ſchrift auf die Koſten der Vollziehung einer demnächſt
für ungerechtfertigt erklärten einſtweiligen Verfügung
oder eines ſolchen Arreſtes iſt vom RG. 7, 376 und
22, 169 ſowie neuerdings in dem S. 736 Nr. 5 der JW.
für 1900 abgedruckten Urteile ausgeſprochen. Jeden⸗
falls iſt nicht anzunehmen, daß die Koſtenerſatzpflicht
eine verſchiedenartige iſt, je nachdem es ſich um die
Vollſtreckung eines Urteils oder um die Vollziehung
einer einſtweiligen Verfügung handelt. Dieſe Grund⸗
ſätze ſind von dem Berufungsrichter, der den Anſpruch
auf Erſatz der 415.37 M Koſten in voller Höhe abweiſt,
verkannt worden. Die Aberkennung der 415,37 M
kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß nach 8 945
ZPO. die aus der Anordnung der einſtweiligen Ver⸗
fügung erwachſenen Koſten nicht zu erſtatten ſeien.
(Urt. des IV. 3S. vom 15. Mai 1911, IV 478/1910).
2369 E.
IV.
Ir § 833 B58B.: Verletzung durch eine willkürliche
Handlung des Tieres; Haftung nach $ 833 Satz 2 trotz
Beſtellung eines tauglichen Tierhüters. Aus den
Gründen: Ein Bäckerfuhrwerk der Beklagten ſtand
mit einem Pferde der Beklagten beſpannt vor einem
Hauſe in der B.ſtraße in R., während der Kutſcher
ſich zum Beſuch eines Kunden in das Haus begeben
hatte. Der Kläger kam mit ſeinem Zweirad in der
Richtung, in der der Wagen ſtand, vorſchriftsmäßig
auf der rechten Straßenſeite gefahren und wollte an
dem Wagen von hinten her vorbeifahren. Als er
neben dem Wagen war, ſetzte ſich das Pferd in Be⸗
wegung und zwar nicht nach vorne, ſondern es begann
fofort nach links eine Kehrtwendung zu machen. Dabei
ſtieß es mit der Schnauze den Kläger an, ſodaß er
mit feinem Rad zu Fall kam. Das Pferd, das regel⸗
mäßig dazu verwendet wurde, Backwaren zu den Ab⸗
nehmern der Beklagten zu fahren, hatte die Gewohnheit
ſich ſchon wieder in Bewegung zu ſetzen, wenn der
Kutſcher nach Erledigung ſeiner Geſchäfte aus dem
Hauſe und zum Wagen kam. Dies war auch der Fall,
als der Kläger gerade neben dem Wagen war. Das
Pferd kannte auch die zu beſuchenden Häuſer und
wußte, daß das Haus, vor dem der „Wagen damals
hielt, das letzte der zu beſuchenden in jener Straße
war! es wendete deshalb aus eigenem Antrieb zur
Rückfahrt um. Die Reviſion machte in erſter Reihe
geltend, es liege überhaupt nn von einem Tier ver:
urſachter Schaden i. S. des 8 833 BGB. vor, weil
das Pferd nicht aus eigenem unkontrollierbarem An⸗
trieb, ſondern in gewohnter Erfüllung einer Weiſung
des Lenkers gehandelt habe. Aus den Feſtſtellungen
des Berufungsgerichts ergibt ſich jedoch nicht, daß das
vorzeitige Anziehen des Pferdes auf eine Weiſung oder
ſonſtige Einwirkung des Kutſchers zurückzuführen geweſen
wäre, ſondern nur, daß der Kutſcher für die Regel dem
eigenmächtigen Verhalten des Tieres nicht entgegen—
getreten iſt. Jedenfalls aber hat im Augenblick des
Zuſammenſtoßes das Pferd ſich nicht entſprechend dem
Willen des Kutſchers verhalten; denn der Kutſcher hat
bekundet, daß er beim Aufſteigen auf den Wagen den
Kläger herankommen ſah und ſofort das Pferd zurück—
hielt, ohne aber den Zuſammenſtoß noch verhindern
zu können. Weiter meint die Reviſion,
der Beklagten ſei nach 8 833 Say 2 dadurch aus:
geſchloſſen, daß ſie bei Beaufſichtigung des Tieres die
im Verkehr erforderliche Sorgſalt beobachtet habe.
Es fragt ſich hier zunächſt, ob die Haftung des Tier—
halters ohne weiteres dadurch ausgeſchloſſen wird,
daß das Tier zur Zeit der Schadenſtiftung ſich unter
der Aufſicht einer Hilfsperſon befunden hat, bei deren
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19. Rechtspflege in B in Bayern.
die Haftung,
des dem Beklagten macht,
Beſtellung der Tierhalter die im Verkehr erforderliche
1911. Nr. 19.
Sorgfalt beobachtet hat. Die Frage iſt zu verneinen.
Der Begriff der Beaufſichtigung in 8 833 Satz 2 er⸗
ſchöpft ſich keineswegs in allen Fällen in der Beſtellung
eines tauglichen Tierhüters: der Umfang der Aufſichts⸗
pflicht des Tierhalters wird vielmehr durch die Eigen⸗
ſchaften des einzelnen in Betracht kommenden Tieres
und durch die Art ſeiner Verwendung beeinflußt. Hat
das Tier Eigenheiten, die die Gefahr der Schadens⸗
ſtiftung bei ſeiner Benutzung erhöhen, oder wird es
in einer Weiſe verwendet, die eine ſolche erhöhte Ge⸗
fahr mit ſich bringt, ſo können unter Umſtänden zur
Abwehr dieſer Gefahr poſitive Anordnungen notwendig
werden, die über die Befugniſſe des beſtellten Tier⸗
hüters hinausgehen und ein eigenes Eingreifen des
Tierhalters unumgänglich erſcheinen laſſen. Dabei
iſt es zur Begründung des Fortbeſtehens der Haftung
aus 8 833 BGB. nicht etwa erforderlich, daß das
Unterlaſſen des eigenen Eingreifens des Tierhalters
zugleich auch gegen 8 823 BGB. verſtößt, wenngleich
dies häufig der Fall ſein wird. Das Berufungsgericht
ſtellt nun feſt, daß das Pferd Eigenſchaften hatte, die
in Verbindung mit der von der Beklagten angeord⸗
neten Verwendung auf den Straßen der Großſtadt
eine geſteigerte Gefahr der Schadenſtiftung mit ſich
brachten, und daß zum mindeſten die Neigung des
Pferdes zum Scheuen der Beklagten bekannt war Hier⸗
nach war für die Beklagte eine über die Beſtellung
eines tauglichen Tierhüters hinausgehende Aufſichts⸗
pflicht i. S. des vorſtehend Erörterten gegeben. (Urt.
des IV. 3S. vom 6. April 1911, IV 394 / 1910). E.
2362
V.
Haftung des Tierhalters 2. 4 833 Satz 2 363.
trotz Beſtellung eines tauglichen Tierhüters. Aus
den Gründen: Die Reviſion ſcheint auf dem Stand⸗
punkte zu ſtehen. daß der Tierhalter im Falle der
Annahme eines Tierhüters der in 8 833 Satz 2 BGB.
bezeichneten Sorgfaltspflicht genüge, wenn er bei der
Auswahl des beſtellten Tierhüters die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt beobachtet. Dieſe Anſicht findet
ſich hier und da auch in der Rechtslehre vertreten.
Der Senat hat aber bereits in den Urt. vom 6. und
27. April 1911 IV 394/10 und IV 437/10 ausge-
ſprochen, daß ſich die im 8 833 Satz 2 BGB. beſtimmte
Pflicht zur Beaufſichtigung des Tieres keineswegs in
der Beſtellung eines tauglichen Tierhüters erſchöpft.
Im Urteile vom 6. April iſt geſagt, der Umfang der
Aufſichtspflicht werde vielmehr durch die Eigenſchaft
des einzelnen in Betracht kommenden Tieres und durch
die Art ſeiner Verwendung beeinflußt; habe das Tier
Eigenheiten, die die Gefahr der Schadensſtiftung bei
ſeiner Benutzung erhöhten, oder werde es in einer
Weiſe verwendet, die ſolch eine erhöhte Gefahr mit
ſich bringe, fo könnten unter Umſtänden zur Abwen⸗
dung dieſer Gefahr poſitive Anordnungen erforderlich
werden, die über die Befugniſſe des beſtellten Tier⸗
hüters hinausgingen und ein eigenes Eingreifen des
Tierhalters unumgänglich erſcheinen ließen. Aehnlich
iſt im Urt. vom 27. April ausgeführt, daß der Tier⸗
halter über die Beſtellung eines geeigneten Tierhüters
hinaus für jede Vernachläſſigung der im Verkehr er—
forderlichen Sorgſalt bei der Beaufſichtigung des Tieres
hafte. An dieſen Sätzen iſt feſtzuhalten. Tut man
das aber und berückſichtigt man dabei, daß kein Grund
vorliegt den Begriff der Beaufſichtigung des Tieres
eng zu faſſen, daß er vielmehr unter Umſtänden auch
die Verwendung des Tieres umfaßt, wie erwähnt und
in den Reichstagsverhandlungen (Sten Ber. 1907,08
S. 2673) vom Staatsſekretär des Reichsjuſtizamts
ausdrücklich hervorgehoben wurde, ſo iſt es nicht rechts—
irrig, wenn das Berufungsgericht den Vorwurf, den
als noch in den Rahmen
der dem Tierhalter nach 8 833 Satz 2 BGB. ob⸗
— nn — —
liegenden Verpflichtung zur Beaufſichtigung des Tieres
fallend angeſehen und behandelt hat. Zu entſcheiden
iſt alſo nur noch, ob der Berufungsrichter mit Recht
in dem von ihm geſchilderten Verhalten des Beklagten
ein Verſchulden, eine Vernachläſſigung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt gefunden hat. Der Kläger
hatte beim Train gedient und verſtand ſich auch im
Alter noch auf die Wartung eines Pferdes; auch hatte
der Zeuge D. ſchon einmal ungefährdet mit dem Pferde
Klee in einem Karren geholt. Das OLG. iſt deshalb
vielleicht weit gegangen, wenn es trotzdem angenommen
hat, der Beklagte habe, als er dem 62 jährigen Kläger
den Auftrag zum Heuholen gab, als vorſichtiger Mann
damit rechnen müſſen, daß das Pferd, ein Reitpferd,
dazu nach mehrtägigem unbeſchäftigtem Stehen im
Stalle gebraucht werden würde und daß es dann unter
dem fremden Geſchirr und unter der ihm ungewohnten
Tätigkeit ſo wild werden könne, daß der Kläger es
nicht zu bändigen verſtehen werde. Es fragt ſich aber,
ob das OLG. zu weit gegangen iſt, ob ſeine Anſicht
eine Ueberſpannung des Begriffs der im Verkehr er⸗
forderlichen Sorgfalt enthält, ſodaß ſie rechtlich zu
beanſtanden wäre, und dieſe Frage muß verneint
werden. (Urt. des IV. 35. vom 18. Mai 1911, IV
379/1910). E.
2368
VI.
Der in
3a HaftpflG. tz ei Anſpruch auf
Erſatz der Heilungskeſten wird durch einen Unterhalts⸗
auſpruch des Verletzten nicht berührt. Aus den
Gründen: Nach 8 3a Haftpfl. wird durch den
Betriebsunfall für den Verletzten gegen den Unter⸗
nehmer ein Anſpruch auf Erſatz der Koſten der
Heilung begründet. Allerdings kennzeichnet das Ge⸗
ſetz dieſen Anſpruch als einen Schadenserſatzanſpruch;
es ſetzt alſo eine Vermögens benachteiligung des Er⸗
ſatzberechtigten voraus. Das Geſetz geht aber da—
von aus, daß dem Verletzten durch die Notwendigkeit
der Aufwendung von Koſten für feine Heilung regel⸗
mäßig ein Vermögensnachteil erwächſt (RG. 47, 213).
Es hat deshalb die Haftpflicht des Betriebsunter⸗
nehmers ohne Rückſicht auf die beſtehende Unterhalts-
pflicht eines Dritten geregelt. Dieſer Grundſatz iſt in
§ 7 Haftpfl ö., welcher die Schadenserſatzpflicht
wegen Aufhebung und Minderung der Erwerbsfähig—
keit und wegen Vermehrung der Bedürfniſſe des Vers
letzten regelt, noch dadurch beſonders zum Ausdruck
gebracht, daß die Vorſchrift des 8 843 Abſ. 4 BGB.
für entſprechend anwendbar erklärt wird. Die Be⸗
ſtimmung des 8 843 Abf. 4 BGB., wonach der Schadens⸗
erſatzanſpruch des Verletzten dadurch nicht ausge—
ſchloſſen wird, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt
zu gewähren hat, bezieht ſich zwar ihrem Wortlaut
nach zunächſt auch nur auf die Fälle der Aufhebung
oder Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Ver⸗
mehrung der Bedürfniſſe des Verletzten. Nach der
Entſtehungsgeſchichte dieſer Geſetzesvorſchrift beſteht
aber kein Zweifel daran, daß damit ein allgemeiner,
den ganzen Inhalt der Schadenserſatzpflicht wegen
Verletzung des Körpers oder der Geſundheit um—
faſſender Grundſatz aufgeſtellt werden ſollte. Auch
der Anſpruch auf Erſatz der Heilungskoſten wird
daher durch einen dem Verletzten ſeinen Verwandten
gegenüber zuſtehenden geſetzlichen Unterhaltsanſpruch
grundſätzlich nicht berührt (RGZ. 65, 163). Auch für
das Gebiet des Haftpfl. hat infolge der Bezug—
nahme auf 8 843 Abſ. 4 BGB. in 8 7 dieſes Geſetzes
der gleiche Grundſatz Geltung. Die Annahme des
Berufungsgerichts, daß der Anſpruch auf Erſtattung
der Heilungskoſten nicht dem ſiebenjährigen Kläger,
ſondern deſſen Vater zuſtehe, verletzt daher das Geſetz.
(Urt. des VI. 35. vom 19. Juni 1911, VI 364/1910).
2328 E.
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VII.
Mt der Rechtsweg zuläſſig, wenn ein zur Ruhe ge⸗
ſezter Beamter eine Gehaltsferderung mit der Be:
gründung geltend macht, daß die Zurruheſetzung nurecht⸗
mäßig ſei? Aus den Gründen: Der auf den 1. Februar
1908 in den Ruheſtand verſetzte Kläger fordert Gehalt von
dieſem Zeitpunkt ab, da die Zurruheſetzung unrechtmäßig
ſei. Die Entſcheidung über Verſetzung in den Ruheſtand
ſteht allein den Verwaltungsbehörden zu und iſt für
die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten
vermögensrechtlichen Anſprüche maßgebend. Der Kläger
macht die Gehaltsforderung nur geltend, damit die
Frage der Zurruheſetzung richterlich anders ent⸗
ſchieden werde. Das iſt keine bürgerliche Rechts⸗
ſtreitigkeit, wie der jetzt erkennende Senat ſchon früher
(RG Z. 70, 398) und für einen dem vorliegenden gleichen
Tatbeſtand i. S. K. wider den Landesfiskus von
Elſaß⸗Lothringen durch Urt. vom 11. März 1910,
Rep. III 582/09 entſchieden hat. Die Einkleidung des
Klagebegehrens in eine Geldforderung vermag deſſen
eigentlichen und alleinigen Inhalt, nämlich das Ver⸗
langen, daß der Richter eine ihm gerade entzogene
Frage entſcheide, nicht zu ändern. Die aus einem
öffentlichrechtlichen Grunde — der Zurruheſetzung —
ſofort und zweifellos folgende Grundloſigkeit des er⸗
hobenen Geldanſpruchs zeigt, daß der Richter nicht
eine Vorfrage, ſondern nichts mehr zu entſcheiden hat.
Der bei Zulaſſung des Rechtswegs notwendige Spruch
auf Abweiſung der Klage als einer unbegründeten
wäre nur eine Deklaration der ſelbſtverſtändlichen
rechtlichen Bedeutung der Zurruheſetzung. Eine der⸗
artige Deklaration, die das Ergebnis eines bürger⸗
lichen Rechtsſtreits eben nicht iſt, will der Kläger ſelbſt
nicht; er will vielmehr und hält rechtsirrig für zu⸗
läſſig, daß der Richter die Zurruheſetzung ſelb—
ſtändig nachprüfe und aufhebe, und nur auf dieſe von
ihm verlangte Aufhebung ſtützt er feine Geldforderung.
Die vom LG. zutreffend begründete Verſagung des
Rechtswegs ſteht mit der vom Berufungsgericht an⸗
geführten Rechtſprechung des RG. nicht im Wider⸗
ſpruch: Die Entſcheidungen in ZS. 59, 162 und 69,
183 kommen überhaupt nicht in Betracht; die Ent⸗
ſcheidung 57, 78 hatte eine andere Frage (Nachbringung
der Vorentſcheidung des Kreisausſchuſſes) zum Gegen⸗
ſtande, und in Gruchots Beitr. 1902, 1190 iſt eben nicht
geprüft, ob der Klageantrag einen wirklichen vermögens—
rechtlichen Anſpruch enthielt. (Urt. des III. ZS. vom
13. Juni 1911, III 243/1910). E.
2361
VIII.
Ginfluß der Auſtellung eines penſisnierten Offiziers
bei der Reichsbank auf 7 Benfionsbezun. Aus
den Gründen: Die Vorinſtanzen haben die Klage
abgewieſen, weil das Recht auf den Bezug der Militär⸗
penſion des Klägers, welcher im Jahr 1897 als
Leutnant der Reſerve mit einer Jahrespenſion von
487 M verabſchiedet worden und ſeit 1900 bei der
Reichsbank mit einem Jahresgehalt von jetzt über
4000 M angeſtellt iſt, nach Erreichung dieſes Gehalts
ruhe. Dieſe Entſcheidung iſt zu billigen. Maßgebend
für die Beurteilung der Frage iſt zunächſt das
Off Penſ S. vom 31. Mai 1906 (3 41 Abſ. 1 Eingang
und Ziff. 6 ſowie $ 24). Nach der letzteren Beſtim⸗
mung iſt das Ruhen der Penſion durch eine Anſtellung
im Zivildienſt bedingt, als welche i. S. des Geſetzes
(Abſ. 2) jede Anſtellung als Beamter oder in der
Eigenſchaft eines Beamten im Reichs-, Staats- oder
Kommunaldienſte gilt. Daß die Beamten der Reichs—
bank unmittelbare Reichsbeamte ſind und als ſolche
im Dienſte des Reiches ſtehen, iſt nach der im BankG.
vom 14. März 1875 (88 12—41) der Reichsbank ge—
gebenen Verfaſſung und Zweckbeſtimmung, ſowie der
| dort ihren Beamten gegebenen Stellung nicht zu be—
388
zweifeln. Dieſe ihre Eigenſchaft wird nicht dadurch
beeinträchtigt, daß nicht der Reichsfiskus, ſondern die
Anteilseigner der Bank Eigentümer des Bankver⸗
mögens ſind und daß die Beſoldungen dieſer Beamten
nicht aus der Reichskaſſe, ſondern aus der Kaſſe der
Reichsbank entrichtet werden. Zutreffend iſt dies ſchon
in den früheren Entſcheidungen des RG. 36, 141;
45, 123 dargelegt worden; von ihnen abzugehen liegt
keinerlei Grund vor. Auf die Beamten der Reichs-
bank trifft jedenfalls auch die Beſtimmung des 8 24
Off Penſc. zu, daß fie in der Eigenſchaſt von Reichs⸗
beamten im Reichsdienſte angeſtellt ſind. Mit dieſer
Norm ſollten nach der Begründung des Geſetzes
(Reichst. 11. Legisl.⸗P. II. Seſſ. 1905 / 1906 Nr. 13 Anl. J)
gerade die Beamten getroffen werden, welche die
gleichen Rechte und Pflichten haben wie Reichsbeamte,
wenn ſchon ſie ihre Bezüge nicht aus Reichsmitteln
erlangen, wie z. B. die Beamten der Reichsbank, der
Seehandlung u. a. Daß auch die weiteren, die Höhe
des Einkommens betreffenden Vorausſetzungen für das
Ruhen der Penſion i. S. des § 24 Abſ. 1 gegeben find,
iſt den zutreffenden, von der Reviſion nicht ange⸗
griffenen Darlegungen der Vorinſtanzen zu ent⸗
nehmen. Ein anderes Ergebnis iſt auch nicht aus
dem MilPenfG. vom 27. Juni 1871 in der Faſſung
vom 22. Mai 1893 zu folgern, das für den Fall einer
dem Penſionär günſtigeren Rechtslage anzuwenden
wäre (8 43 OffPenſG. von 1906). Nach jenem Ge⸗
ſetze ſoll (vgl. 8 33 Ubi. 16 und Abſ. 2) das Recht
auf den Bezug der Penſion ruhen, wenn und ſolange
der Penſionär im Reichs- oder Staatsdienſte ein
Dienſteinkommen bezieht. Der Kläger verneint das
Vorhandenſein dieſer Vorausſetzung, weil er ſein Ge—
halt nicht vom Reichsfiskus, ſondern aus der Kaſſe
der Reichsbank erhalte. Damit würde aber eine Vor—
ausfetzung in das Geſetz hineingetragen, die ihm un—
bekannt iſt. Nach dem klaren Wortlaut iſt die Vor—
ausſetzung des Ruhens der Penſion lediglich die An—
ſtellung im Reichsdienſt und der damit verbundene
Bezug eines Dienſteinkommens. Das Geſetz ſpricht
nicht davon, aus welchen Mitteln das Dienſteinkommen
zu fließen habe. Es kann auch nicht als eine ſelbſt—
verſtändliche Vorausſetzung unterſtellt werden, daß
gerade der Dienſtherr das Dienſteinkommen entrichte.
Weſentlich iſt nur die Art der Anſtellung im Reichs—
oder Staatsdienſt — im Gegenſatz zum Kommunal-
und Privatdienſt — und der aus dieſer Dienſtſtellung
fließende Bezug des Dienſteinkommens: unerheblich
dagegen iſt, aus welchen Mitteln der Bezug erfolgt.
Die Erheblichkeit der Bezugsquelle wäre nur dann
zu bejahen, wenn dies im Geſetze in irgend einer
Weiſe zum Ausdruck gekommen wäre. Dies iſt aber
für die Offiziere in § 53 a. a. O. nicht geſchehen. Zwar
findet ſich für die Penſionsverhältniſſe der Per—
ſonen der Unterklaſſen in 8 106 desſelben Geſetzes die
Beſtimmung, daß unter Zivildienſt jeder Dienſt zu
verſtehen iſt, für den ein Entgelt aus einer öffent—
lichen Reichs- oder Staatskaſſe gezahlt wird. Mit
Rückſicht auf die beſondere Entſtehungsgeſchichte dieſer
letzteren Beſtimmung iſt denn auch vom RG. in der
Entſcheidung 36, 141 das Ruhen der Militärpenſion
eines bei der Reichsbank angeſtellten früheren Ser—
geanten verneint worden. Die Befreiung der bei der
Reiche bank angeſtellten Perſonen der Unterklaſſen von
dem Ruhen der Penſion rechtſertigt aber keineswegs,
wie der Kläger meint, aus dem Geſichtspunkt der
Gleichberechtigung die Annahme, daß dasſelbe auch
für die Offiziere zu gelten habe. Die Penſionsverhält—
niſſe beider Klaſſen ſind von Anfang an äußerlich ge—
ſondert unter durchaus verſchiedenen Vorausſetzungen
und Ausgeſtaltungen geregelt worden, ſo daß ſich
eine wechſelſeitige Uebertragung der geſetlichen Bes
ſtimmungen verbietet. Im Gegenteil fuhrt die Tat:
ſache, daß S 106 die Zahlung aus Mitteln des Reichs
uſw. hervorhebt, 8 33 dies aber nicht tut, zu dem
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
Schluſſe, daß das Geſetz in letzterem Fall auf die Be⸗
zugsquelle keinen Wert gelegt hat. Zu Unrecht be⸗
ruft ſich der Kläger für ſeine Auslegung auf den
Zweck der über das Ruhen der Penſion gegebenen
Beſtimmungen, der dahin gehe, daß der Penſionär,
der aus Reichsmitteln ein auskömmliches Einkommen
habe, nicht auch noch daneben die gleichfalls aus
Reichsmitteln ſtammende Militärpenſion bekommen
ſolle; er ſucht hieraus abzuleiten, daß ein Ruhen ſeiner
Penſion vom Geſetze nicht gewollt ſei, weil fein Ein⸗
kommen nicht aus Reichsmitteln bezahlt werde. Allein
die Annahme, daß das Geſetz nur dann das Ruhen
der Militärpenſion gewollt habe, wenn letztere und
das Zivildienſteinkommen aus derſelben Kaſſe 1
werden, verbietet ſich ſchon nach dem Inhalt des 8 33,
wonach ja auch die Anſtellung im Staatsdienſt im
Gegenſatz zum Reichsdienſt das Ruhen rechtfertigt,
und mehr noch nach der Faſſung von 1871, wo auch
der Kommunaldienſt gleichgeſtellt iſt. Der geſetz⸗
geberiſche Gedanke war vielmehr nur der, daß der
Penſionär, wenn er eine i. S. des Geſetzes auskömm⸗
liche Stellung im öffentlichen Dienſt erlangt habe,
während der Dauer dieſer Inhaberſchaft keinen An⸗
ſpruch auf die Militärpenſion haben ſolle. Endlich
hat der Kläger noch aus der Neuredaktion des 8 33
des früheren Geſetzes von 1893 in 8 24 des jetzigen
Geſetzes von 1906 einen Rückſchluß auf den Inhalt
des früheren Geſetzes gezogen. Nach feiner Behaup—
tung ſoll aus der Einſchaltung der Worte in 8 24
Abſ. 2: „in der Eigenſchaft eines Beamten“ in Ver⸗
bindung mit der oben wiedergegebenen Geſetzes⸗
begründung hervorgehen, daß unter der Herrſchaft
des früheren Geſetzes die Reichsbankbeamten von § 33
nicht betroffen worden ſeien. Dieſer Schluß iſt jedoch
nicht gerechtfertigt. Die Neuredaktion diente nur zur
vollſtändigen Klarſtellung, daß dieſe Beamten den
Beſtimmungen über das Ruhen der Penſion unter⸗
liegen, was in der Praxis zweifelhaft geworden war;
einen Schluß auf einen der Auslegung des Klägers
entſprechenden Willen des früheren Geſetzgebers läßt
fie nicht zu. (Urt. des III. ZS. vom 30. Mai 1911,
IIT 597/1910). E.
2.359
B. Strafſachen.
I.
1. Wer iſt i. S. des 5 6 PreßG. als Drucker eine
nicht in einer Druckerei, ſondern von dem Berbreiter
ſelbſt mit einer fremden Handpreſſe hergeſtellten Druck⸗
ſchrift anzuſehen?
2. Liegt zwiſchen dem durch die Verbreitung einer
Druckſchrift verübten Vergehen und einer bezüglich der:
ſelben Druckſchrift begangenen Verfehlung nach 8% 6, 18
oder 19 Preß G. Ideal⸗ oder Nealkonkurrenz vor? 1. Der
Angeklagte hat fi auf dem Flugblatte ſelbſt als „für
den Druck verantwortlich! bezeichnet und dazu be⸗
hauptet, daß er die Druckſchrift mittels einer einem
anderen gehörigen Handpreſſe ſelbſt hergeſtellt
habe. Das LG. bezeichnet die letztere Behauptung
nicht als widerlegt, geht vielmehr ſelbſt von dem be—
haupteten Sachverhalt aus, gelangt aber zur Ver—
urteilung des Angeklagten aus Sb PreßG. auf Grund
der Rechtsanſchauung, daß in ſolchem Falle die vor—
geſchriebene Angabe des Namens und Wohnorts des
Druckers nur dann vollſtändig und richtig ſei, wenn
auch Name und Wohnort des Inhabers der Hand—
preſſe auf der Druckſchrift genannt ſeien. Dieſe Rechts⸗
anſchauung kann in ſolcher Allgemeinheit nicht gebilligt
werden. Zutreffend iſt nur, daß in dem Regelfalle
der Entſtehung einer Druckſchrift in einer gewerblichen
Druckerei nicht der zur Ausführung verwendete Ges
werbegehilſe oder Arbeiter, ſondern der Inhaber des
Betriebs, alſo zumeiſt der Eigentümer der Druckerei,
Nr. 19.
als „Drucker“ i. S. des 86 Prei®. zu erachten iſt.
Dafür aber, daß in den Fällen, in denen nicht inner⸗
halb einer Druckerei, ſondern außerhalb einer ſolchen
von einem Privaten auf einer Handpreſſe eine Druck⸗
ſchrift hergeſtellt iſt, unter allen Umſtänden der Eigen⸗
tümer der Preſſe „als Drucker“ zu erachten und des⸗
halb auf der Druckſchrift anzugeben wäre, findet ſich
weder im Wortlaute des Geſetzes ein Anhalt noch in
ſeinem Sinn und Zweck, noch iſt in dieſer Richtung
ein Grundſatz durch die Rechtſprechung entwickelt
worden. Es iſt ſehr wohl möglich, daß im Falle
eines ſolchen privaten Drucks der Eigentümer der
Preſſe außer allem Zuſammenhange mit dem Betriebe
ſteht oder doch nicht in einem Zuſammenhange, der
es rechtfertigen würde ihn als „Drucker“ zu bezeichnen
und verantwortlich zu machen. Lag ein ſolcher Fall
vor, und dies iſt nach den Feſtſtellungen des LG. nicht
ausgeſchloſſen, ſo war die Nennung des Eigentümers
auf dem Flugblatte nicht erforderlich und, da die
Verurteilung des Angeklagten nur wegen dieſer Unter⸗
laſſung erfolgt iſt, die Verurteilung nicht gerechtfertigt.
Anderſeits ſind die Feſtſtellungen des LG. nicht derart,
daß ſofort die Freiſprechung von der Anſchuldigung
des Preßvergehens erfolgen könnte. Dies um ſo
weniger, als der Erſtrichter, weil er das Vorliegen
eines Vergehens nach 88 6, 18 PreßGG. annahm, nicht
in der Lage war, zu prüfen, ob durch die Worte
„Verantwortlich für den Druck Karl B. in D.“ der
Angeklagte in geſetzmäßiger Weiſe als „Drucker“ des
Flugblattes angegeben iſt oder ob dieſe Faſſung den
Drucker nicht mit hinreichender Deutlichkeit erſehen
läßt und deshalb eine Beſtrafung nach SS 6, 19
Nr. 1 PreßG. veranlaßt iſt.
2. Die hiernach unvermeidliche Zurückverweiſung
der Sache im Punkte des Preßvergehens zieht aber
auch die Aufhebung der Verurteilung wegen Vergehens
i. S. des 8 130 StGB. notwendig nach fi. Die Zu:
widerhandlungen gegen die §8 6, 18, 19 PreßG. voll⸗
enden ſich durch das Erſcheinenlaſſen der mit unge⸗
nügender oder unrichtiger Bezeichnung des Druckers,
Verlegers und Redakteurs verſehenen Druckſchrift.
Das Erſcheinenlaſſen aber trifft für die Regel — und
daß ein Ausnahmefall vorliege, iſt nicht feſtgeſtellt —
mit dem Beginne der Verbreitung der Druckſchrift zu-
ſammen. Durch die Verbreitung der Druckſchrift iſt
aber nach den Feſtſtellungen des LG. hier zugleich auch
das Vergehen gegen 8 130 StGB. begangen. Nach
natürlicher Auffaſſung handelt es ſich in derartigen
Fällen regelmäßig um Begehung mehrerer Straftaten
durch ein und dieſelbe Handlung (Idealkonkurrenz
§ 73 StGB.). Es bedurfte darum beſonderer Be—
gründung, wenn ausnahmsweiſe eine Mehrheit von
ſelbſtändigen Handlungen angenommen werden ſollte.
Da es an einer ſolchen Begründung in dem ange—
ſochtenen Urteil vollkommen fehlt, ſo iſt nicht ausge⸗
ſchloſſen, daß ein Rechtsirrtum vorliegt und daß ohne
deſſen Vorliegen anders entſchieden worden wäre.
(Urt. d. V. StS. vom 30. Mai 1911, 5 D 345/1911).
2326 E.
II.
Vermiſchung von Traubenmoſten untereinander oder
mit Wein. Verneinung der Fahrläſſigkeit, wenn eine
Zuckerung dadurch erfolgt ſein ſoll, daß ausländiſcher
Wein mit gezuckertem inländiſchem Weine nach Be:
endigung der ſtürmiſchen Gärung verſchnitten wurde.
Die Meinung, daß Traubenmoſte untereinander oder
Wein mit Traubenmoſt nicht vermiſcht werden dürften,
findet im Geſetz keine Stütze. §S 2 Wein. geſtattet
die Herſtellung von Wein aus „Erzeugniſſen“ ver—
ſchiedener Herkunft, und 8 12 erläutert ausdrücklich,
daß 8 2 auch auf Traubenmoſt Anwendung finde.
Auf den Zweck, den der Angeklagte mit dem Ver—
ſchnitt verfolgte, kommt es nicht an. Die Zufuͤhrung
von Extraktſtoffen iſt, wenn fie lediglich durch einen
— mn lm — ——
vom Geſetz zugelaſſenen Verſchnitt erfolgt, nicht ver⸗
boten. Daß der Angeklagte nicht vorſätzlich gehandelt
hat, iſt rechtlich einwandfrei feſtgeſtellt. Aber auch
Fahrläſſigkeit konnte nach dem Sachverhalt ohne
Rechtsirrtum verneint werden und die Verneinung
iſt auch ausreichend begründet. Das LG. nimmt die
Möglichkeit an, daß gezuckerter Wein auch nach der
Beendigung der ſtürmiſchen Gärung noch etwas Zucker
enthalte, läßt es aber unentſchieden, ob der ſolchem
Wein zugeſetzte ausländiſche Wein durch den Verſchnitt
indirekt ſelbſt gezuckert werde. Jedenfalls ſchließt ſie
eine Fahrläſſigkeit des Angeklagten aus, weil er ein
einfacher Mann ſei und von ihm die Kenntnis der
nur bei ſtreng wiſſenſchaftlicher Betrachtung erkenn⸗
baren Tatſache, daß auch nach der erſten Gärung eines
gezuckerten Weines noch ein Zuckergehalt in dem Wein
zurückbleibt, nicht verlangt werden könne. Der An⸗
geklagte habe ſich aus dem Württembergiſchen Wochen⸗
blatt für Landwirtſchaft dahin unterrichtet, daß man
ausländiſchen Wein nicht mit inländiſchem gezuckerten
Wein verſchneiden dürfe, ehe letzterer vergoren habe,
und er habe ſich durch Horchen davon überzeugt, daß
der Wein nicht mehr „‚ſchoſſe“. Damit ift geſagt, daß
der Angeklagte nach ſeinen Fähigkeiten nicht voraus⸗
ſehen konnte, daß in dem inländiſchen Wein noch
Zucker enthalten ſei, und damit wird die Freiſprechung
von dem Vergehen des 8 29 Nr. 6 Wein. getragen.
Es bedarf daher nicht der Erörterung, ob auch die
in der Literatur vertretene Anſicht richtig iſt, daß,
wenn der aufgezuckerte inländiſche Wein die ſtürmi⸗
ſche Gärung überſtanden hat, er unbeanſtandet mit
ausländiſchem Moſt oder Wein verſchnitten werden
könne. (Urt. des I. StS. vom 13. Februar 1911,
1 D 260/1911). E.
2367
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Können ſtatutenwidrige Beſchlüſſe der General:
verſammlung einer Gensſſenſchaft dadurch rechtswirkſam
werden, daß die Anfechtung unterbleibt? (Gen. 88 16,
51). Nach 8 39 b des Statuts des Darlehenskaſſen⸗
vereins Z., e. G. m. u. H., können 8 31 des Statuts
ſowie 8 39 b ſelbſt und einige andere Beſtimmungen
des Statuts nur geändert werden, „wenn alle Mit⸗
glieder des Vereins dafür ſtimmen und zwar in vor⸗
ſchriftsmäßiger Sitzung“. In der Generalverſamm—
lung vom 1. Mai 1910 wurde einſtimmig eine neue
Satzung beſchloſſen, die ſich von der früheren weſent⸗
lich unterſcheidet. Während z. B. das frühere Statut
im 8 31 mit 8 23 c einen jährlich unter die Mit⸗
glieder zu verteilenden Gewinn vorſieht, iſt in § 55
der neuen Satzung über die Verwendung des Gewinns
eine andere Beſtimmung getroffen; auch über die
Aenderung der Satzung enthält der 8 65 der neuen
Satzung zum Teil andere Beſtimmungen als der 8 39 b
des bisherigen Statuts. In dem Vorlageberichte des
Darlehenskaſſenvereins vom 1. Mai 1910 iſt bemerkt,
daß die Zahl der Mitglieder 178 beträgt und daß da—
von in der Generalverſammlung 98 erſchienen waren.
Das Regiſtergericht lehnte die Eintragung des neuen
Statuts wegen Verletzung des § 39b der noch gelten-
den Satzung ab. Das LG. wies die Beſchwerde, das
Obe G. auch die weitere Beſchwerde des Darlehens—
kaſſenvereins zurück.
Gründe: In Uebereinſtimmung mit dem Be—
ſchluſſe vom 14. Oktober 1910) iſt auch jetzt daran
feſtzuhalten, daß das Regiſtergericht den General—
verſammlungsbeſchluß einer Genoſſenſchaft zu bean—
ſtanden hat, wenn aus der Anmeldung hervorgeht,
1) Siehe 6. Jahrgang dieſer Zeitſchrift S. 432.
Zeitſchrift für Rechtspflege
daß bei deſſen Faſſung gegen das Geſetz oder gegen
das Statut verſtoßen worden iſt. Das Beſchwerde⸗
gericht hat einwandfrei feſtgeſtellt, daß der General⸗
verſammlungsbeſchluß vom 1. Mai 1910 gegen den
$ 39 b des noch geltenden Statuts ſchon deshalb ver⸗
ſtößt, weil nicht alle Mitglieder dafür geſtimmt haben,
obwohl er eine ron des § 31 über die Feſt⸗
ſetzung der Dividende und die Verteilung des Gewinns
enthält. Die Entſcheidung über die weitere Beſchwerde
hängt daher von der Beantwortung der Frage ab,
ob der Mangel der Zuſtimmung aller Genoſſen zur
Ablehnung der Eintragung des Generalverſammlungs-
beſchluſſes in das Genoſſenſchaftsregiſter führen muß,
wie das Kammergericht in den von der Beſchwerde⸗
führerin angeführten Beſchlüſſen vom 13. Mai und
18. Nov. 1900 (landwirtſchaftl. Genoſſenſch.⸗Bl. 1900
S. 511 und 689) ausgeführt hat, oder ob es ſich bei
dem Mangel, wie in dem Beſchluſſe des Senats vom
14. Oktober 1910 in Uebereinſtimmung mit dem Be⸗
ſchluſſe des OLG. Colmar vom 6. Juli 1910 ange:
nommen wurde, um einen Verſtoß gegen eine zum
Schutze der Genoſſen getroffene ſtatutariſche Vorſchrift
handelt, auf deren Beobachtung die Genoſſen durch
die Unterlaſſung der Anfechtung nach § 51 Geng.
verzichten können. Bei der durch die vorliegende Bes
ſchwerde veranlaßten wiederholten Prüfung der Frage
glaubt der Senat in dieſer Beziehung an der früheren
Anſchauung nicht feſthalten, ſondern ſich der von dem
KG. in dem Beſchluſſe vom 13. Mai 1910 vertretenen
und in dem Beſchluſſe vom 18. November 1910 in
dem entſcheidenden Punkte aufrechterhaltenen Rechts-
auffaſſung anſchließen zu ſollen. Der 8 51 Gen.
kann nicht die Bedeutung haben, daß durch die Unter⸗
laſſung der hier vorgeſehenen Anfechtungsklage ein
Generalverſammlungsbeſchluß auch dann rechtswirk—
ſam wird, wenn bei der Beſchlußfaſſung über eine
genoſſenſchaftliche Angelegenheit, über die nach der
Satzung nur in Anweſenheit aller Mitglieder der
Genoſſenſchaft und mit Zuſtimmung aller Genoſſen
Beſchluß gefaßt werden kann, nicht die ſämtlichen
Genoſſen anweſend waren oder zugeſtimmt haben.
Dadurch, daß die Satzung, wie es der § 16 Abſ. 2
Satz 2 u. 3 Gen. ermöglicht, für die Beſchlußfaſſung
über die Aenderung einer genoſſenſchaftlichen An—
gelegenheit die Anweſenheit und Zuſtimmung aller
Genoſſen verlangt, verleiht fie jedem einzelnen Ge—
noſſen ein Recht darauf, daß dieſe Angelegenheit ohne
ſeine Zuſtimmung nicht geändert werden darf. Dieſes
Recht würde vereitelt, wenn ein ohne die Zuſtim—
mung aller Genoſſen gefaßter Generalverſammlungs—
beſchluß dadurch wirkſam werden könnte, daß er nicht
binnen einem Monate mit der Klage aus 8 51 Gen.
angefochten wird. Der zur Generalverſammlung richtig
geladene, aber nicht erſchienene Genoſſe kann nach
§ 51 a. a. O. die Anfechtungsklage gar nicht erheben,
er würde daher, wenn der $ 51 auch auf die nach
der Satzung mit Stimmeneinheit zu faſſenden Be—
ſchlüſſe anwendbar wäre, dem Generalverſammlungs—
beſchluſſe gegenüber ſchutzlos fein, obwohl dieſer viel-
leicht ein Recht beſeitigt, das ihn beſtimmte, der Ge—
noſſenſchaft beizutreten und von dem er nach dem
Statut annehmen durfte, daß es ohne ſeine Zuſtim—
mung nicht geändert oder beſeitigt werden könne. Die
Anwendung des 8 51 mag angemeſſen fein bei einer
Vorſchrift, die nach der Satzung durch einen mit einer
beſtimmten Mehrheit gefaßten Generalverſammlungs—
beſchluß geändert werden kann. Denn hier weiß jeder
Genoſſe, daß die Mehrheit ohne ſeine Mitwirkung
und ſogar gegen ſeinen Widerſpruch Beſchlüſſe faſſen
kann; es liegt daher ein Rechtsverhältnis vor, auf
das ſich die genoſſenſchaftliche Duldungspflicht erſtreckt.
Davon kann aber dann keine Rede ſein, wenn es ſich
um eine Angelegenheit handelt, bei der der Wider—
ſpruch jedes einzelnen Genoſſen genügt, um die Aen—
derung des Statuts zu verhindern. In dieſem Falle
in Bayern. 1911. Nr. 19.
— — — — ———— —ä —
— ——— ͤ ö — : — e — —— — — —
m —
B — —
iſt jeder einzelne Genoſſe durch die Satzung dagegen
geſichert, daß eine Aenderung ohne ſeine Zuſtimmung
erfolgt. Das Nichterſcheinen des Genoſſen kann daher
nicht als Verzicht auf ſein Widerſpruchsrecht auſgefaßt
werden, ſondern hat im Gegenteile zur Folge, daß
ein gültiger Beſchluß über die fragliche Angelegenheit
nicht zuſtande kommt. Das Urteil des RG. vom 3. Mai
1905 (RZ. 60, 414), das ſich für die Anwendbarkeit
des 8 51 ausſpricht, und auf das der Senat bei feinem
Beſchluſſe vom 14. Oktober 1910 Bezug genommen
benz iſt offenbar nur auf eine Satzungsänderung zu
eziehen, die mit einer beſtimmten Stimmenmehrheit
erfolgen kann. Das RG. hat auch in einem Be⸗
ſchluſſe vom 22. April 1911 (Reg. I TB 33/1910)
unter Hinweis auf das vom gleichen Senat erlaſſene
Urt. vom 18. Februar 1911 (Entſch. 75, 239) anerkannt.
daß nach 8 16 Gen. — entgegen der Anſicht von
Birkenbihl im Dr. Mauererſchen Komm. zum Gen.
S. 203 — ein Genoſſenſchaftsſtatut die Beſchlußfaſſung
der Generalverſammlung über gewiſſe Statutenände⸗
rungen von dem Erforderniſſe des Erſcheinens der
ſämtlichen Mitglieder in der Generalverſammlung und
ihrer Zuſtimmung zu der Aenderung abhängig machen
kann, daß ſich ferner eine Beſtimmung von der im
8 39 b der Satzung der Beſchwerdeführerin bezeich⸗
neten Art als vertragliche Grundlage der genoſſen⸗
ſchaftlichen Vereinigung darſtellt, die für alle Genoſſen
gleich verbindlich iſt und jedem Genoſſen ein unent⸗
ziehbares Recht darauf gewährt, daß in Bezug auf
die verfaſſungsmäßigen Vorſchriften, die von der Feſt⸗
ſetzung berührt werden, eine Aenderung ohne die in
der General verſammlung erklärte Zuſtimmung aller
Genoſſen nicht getroffen werden kann und daß ein in
einem ſolchen Falle ohne die Zuſtimmung aller Ge⸗
noſſen gefaßter Beſchluß nur der Schein eines General⸗
verſammlungsbeſchluſſes und daher nichtig iſt. (Beſchl.
des I. 38S. vom 26. Mai 1911, Reg. III 4/1911). >
2352 .
B. Straffaden.
Die Strafandrohnngen des Art. 41 Abſ. 3 Gem.
beziehen ſich nur auf die Entziehung eder Verkürzung
der Gefälle und nicht auf die rechtswidrige Verſchaffung
einer Rückvergütung geleifteter Gefälle. Das Obs.
kommt zu dieſem Ergebnis im Gegenſatze zu einer
Entſcheidung des OLG. München (Samml. 3, 281) auf
Grund der Entſtehungsgeſchichte des Art. 41 GemO.
im Zuſammenhalt mit den Vorſchriften des Malzauf⸗
ſchlaggeſetzes vom 16. Mai 1868. In der Begründung
heißt es u. a.:
A. 1. Nach Art. 34 Abſ. 1 des Entw. zur GemO.
— es ſei darauf hingewieſen, daß der ganze Artikel
ſtrafrechtlichen Inhalts war — ſollten die Gemeinden
befugt ſein Kontroll- und Sicherungsvorſchriften zu
erlaſſen und ſollte die Frage der Defraudationsſtrafen
durch Verordnung geregelt werden. Der Wortlaut:
„Vorſchriften zur Kontrolle und Sicherung der Ver—
brauchsabgaben“ läßt kaum die Annahme zu, daß der
Entwurf auch an Vorſchriften zur Sicherung der Ge»
meinde gegen Rückvergütungsanſprüche dachte. Sicher
aber dürfte ſein, daß der Entwurf mit dem Worte
„Defraudationsſtrafen“ nur an die Hinterziehung oder
Verkurzung der an die Gemeinde zu entrichtenden
Gefälle dachte. Der Entwurf nimmt Bezug auf die
Verordnungen vom 31. Dez. 1808 und 12. Mai 1815;
der $ 9 jener VO. und der Art. 8 dieſer VO. haben
Fälle des heimlichen Entziehens des Fleiſch⸗ und
Getreideaufſchlags im Auge (vgl. VO. vom 28. Juli
1807, den Malzauſſchlag betr. 8 XIX: die Borent>
haltung oder Veruntreuung des Malzaufſchlags iſt 8
ein Eingriff in die öffentlichen Gelder; § XXII: Mit—
wirkung zur Defraudation des Aufſchlags: vgl. ferner
geitſchrift für Rechtspflege
Art. 433 StGB. von 1813: Verkürzung der dem Staat
ſchuldigen Abgaben, Gefälle, Defraudation der Auf:
ſchläge; 8 2 mit & 1 Zollitraf®. vom 17. Nov. 1887;
ſiehe auch Weiske, Rechtslexikon Bd. 3: „Defraudation“
die ſchuldvolle Entziehung der dem Staate ſchuldigen
indirekten Steuer). Man iſt daher wohl zu der Ans
ſchauung berechtigt, daß der Entwurf mit dem Aus—
drucke „Defraudationsſtrafen“ die Beſtrafung der Fälle
der Defraudation in dem hergebrachten Sinne „ſchuld⸗
hafter Entziehung und Verkürzung öffentlicher Gefälle“
im Auge hatte, aber unter ihr nicht begriff das wider⸗
rechtliche Verſchaffen einer Rückvergütung.
2. Der Berichterſtatter Abgeordneter Dr. Edel hielt
die Regelung der Frage der Defraudationsſtrafen durch
Verordnung für bedenklich und die ſofortige geſetzliche
Regelung der Sache für nicht ſo ſchwierig, wie die
Staatsregierung meinte; er äußerte: „Dieſe Frage iſt
nicht ſo außerordentlich ſchwierig, als daß ſie nicht
bei entſprechender Fixierung des Strafmaximums
durch ortspolizeiliche Vorſchriften geregelt werden
könnte, wie es namentlich auch im Königreich Preußen
der Fall iſt, in welchem man ſich nach der ... Städte⸗
ordnung vom 30. Mai 1853 damit begnügt hat, der
Stadtbehörde die Erlaſſung von Regulativen über die
Erhebung aller Arten von Kommunalſteuern zu ge—
ſtatten, in welchen die Kontravenienten mit Ordnungs⸗
ſtrafen ... bedroht werden können“ (Verh. 1866/69,
Verh. des beſonderen Ausſchuſſes J. Abt. S. 119).
Dr. Edel hatte bei dieſer Aeußerung den 8 53 der
preuß. Städteordnung im Auge (GeſS. 1853 S. 261).
Der Paragraph handelt von der Aufbringung der
Gemeindeſteuern. Dieſe können beſtehen in Zuſchlägen
zu den Staatsſteuern und in beſonderen direkten
oder indirekten Gemeindeſteuern, die der Genehmigung
der Regierung bedürfen, wenn ſie neu eingeführt,
erhöht oder in ihren Grundſätzen verändert werden
ſollen. Der letzte Abſatz des 8 53, in dem die
Frage der „Rückvergütung“ nicht berührt iſt, lautet:
„In den über die Erhebung von Kommunalſteuern zu
erlaſſenden, von der Regierung zu genehmigenden
Regulativen können Ordnungsſtrafen gegen die Kon—
travenienten bis auf Höhe von zehn Talern angeordnet
werden.“ Berückſichtigt man dieſes Vorbild des
Referenten Dr. Edel, ſo liegt die Annahme nahe, daß
er, ausgehend ebenfalls von dem in der bayer. Geſetz⸗
gebung hergebrachten Begriffe der Defraudation, nur
an die geſetzliche Regelung der Beſtrafung der „Defrau—
danten“ und, Kontravenienten“ nicht aber daran dachte,
daß durch feinen Vorſchlag auch die rechtswidrige Vers
ſchaffung einer Rückvergütung getroffen werden ſolle.
Für dieſe Annahme ſpricht auch der Wortlaut des
Vorſchlags des Dr. Edel. Hiernach wird mit Strafe
bedroht die rechtswidrige Entziehung oder Verkürzung
der Gefälle und — unter Umſtänden — die Strafe
bemeſſen im mehrfachen Betrage des entzogenen
Gefälls. Man darf daran nicht zweifeln, daß dem
Berichterſtatter Dr.
zwiſchen einer Defraudation und der rechtswidrigen
Verſchaffung einer Rückvergütung eines Gefälls klar
war. Dieſer Unterſchied iſt in den Art. 84, 85 Malz⸗
aufſchlG. ſcharf hervorgehoben, aber im Art. 35 Abi. 3
Art. 41 Abſ. 3
nicht zum Ausdrucke gekommen. Nur wenn man der
Meinung ſein konnte, daß Dr. Edel (und nachmals
der ſeinem Vorſchlage folgende Geſetzgeber) durch die
Worte: „rechtswidrige Entziehung oder Verkürzung
der Gefälle“ auch die „rechtswidrige Verſchaffung einer
Rückvergütung“ treffen und bei der Strafbemeſſung
ſtatt des Betrags „des entzogenen Gefälls“ den Betrag
der „rechtswidrig verſchafften Rückvergütung“ zugrunde
gelegt wiſſen wollte, könnte von der rechtsähnlichen
Anwendung des Art. 41 Abſ. 3 auf die Fälle der
rechtswidrigen Verſchaffung der Rückvergütung die
Rede ſein. Einer ſolchen Anwendung ſtünden freilich
ſehr erhebliche rechtliche Bedenken entgegen. Dem im
Edel der rechtliche Unterſchied
in Bayern.
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5
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1911. Nr. 19.
391
Geſetze klar bezeichneten äußeren Tatbeſtande würde
gleichgeſtellt ein tatſächlich und rechtlich erheblich ver»
ſchiedener äußerer Tatbeſtand; der Strafbemeſſung
würde zugrunde gelegt ein von dem Geſetzesworte
nach der tatſächlichen und rechtlichen Seite erheblich
abweichender Strafſatz.
3. Aber auch wenn man die eben (Ziff. 2) dar⸗
gelegten Bedenken gegen die Zuläſſigkeit der rechts⸗
ähnlichen Anwendung des Art. 41 Abſ. 3 GemO. nicht
teilen ſollte, gibt der vorliegende Fall noch den Anlaß
zu folgender weiterer Bemerkung: Nach Art. 41 Abſ. 3
und 4 iſt als Uebertretung ſtrafbar die rechtswidrige
Entziehung oder Verkürzung der Geſälle, alſo die
vollendete ſtrafbare Handlung. Der bayerifche Geſetz⸗
geber wäre befugt geweſen, trotz des 8 43 StGB. zu
beſtimmen, daß auch der Verſuch der rechtswidrigen
Entziehung oder Verkürzung der Gefälle ans fein
fol (Art. 4, 5 EG. StGB. vom 26. Dez. 1871 —
Art. 4, 5 A. StPO.). Im Hinblick auf Art. 41 Abſ. 5
GemO. iſt nach Art. 85 MalzaufſchlagG. nun aller
dings ſtrafbar, wer ſich widerrechtlich eine Rückver⸗
gütung zu verſchaffen ſucht; hiernach iſt eine Handlung,
die nach der Regel des 8 43 StGB. nur als ne
anzuſehen wäre, als vollendete Handlung ſtrafbar.
Allein der Art. 41 Abſ. 3 GemO. enthält keine Bes
ſtimmung des Inhalts, daß der Verſuch der Ent⸗
ziehung oder Verkürzung der Gefälle ſtrafbar ſein ſoll.
Selbſt wenn man alſo den Art. 41 Abſ. 3 auf die
rechtswidrige Verſchaffung einer Rückvergütung in
rechtsähnlicher Weiſe anwenden zu dürfen glaubte,
könnte man nur die vollendete, nicht die verſuchte
eee für ſtrafbar halten.
B. Aus Art. 41 Abſ. 5 GemO. und aus Art. 84, 85
Malzaufſchlag G. ergibt ſich, daß die nach Art. 86 dieſes
Geſetzes zuläſſigen ortspolizeilichen Vorſchriften ſich
auch auf die Kontrolle und Sicherung der „Rückver⸗
gütung des Lokalmalzaufſchlags“ beziehen können
(May, Kommentar zum MalzaufſchlagG. in Doll
manns Geſetzgebung Teil II Bd. 6 S. 563 Abſ. 3).
Es fragt ſich noch, ob auch auf Grund des Art. 41
Abſ. 3 GemO. ortspolizeiliche Vorſchriften erlaſſen
werden können, die ſich auf die Kontrolle und
Sicherung der Rückvergütung anderer Gefälle als
des Lokalmalzaufſchlags beziehen, und ob die Zu⸗
widerhandlung gegen dieſe Vorſchriften nach Art. 41
Abſ. 3 ſtrafbar vi Im $ 4 der auf Grund des Art. 40
und des Art. 41 erlaſſenen VO. vom 27. Nov. 1875
betr. den Fleiſch-, Getreide⸗ und Mehlaufſchlag und
die Rückvergütung der Aufſchläge iſt der Anſpruch auf
Rückvergütung als bedingt bezeichnet: a) durch den
Nachweis, daß der Aufſchlag entrichtet wurde, b) durch
die Beobachtung der zur Kontrolle und Sicherung des
Gefälls in bezug auf die Rückvergütung von den
Gemeinden erlaſſenen Vorſchriften, die jedoch den
Handel und die Produktion nicht unnötig beſchweren
dürfen. Wenn man nun auch mit der VO. darin
übereinſtimmt, daß die Gemeinden in der in 8 4 unter d
bezeichneten Richtung Vorſchriften erlaſſen dürfen, ſo
folgt aus der Zuſtändigkeit zur Erlaſſung noch nicht,
daß auch die Zuwiderhandlung gegen dieſe Vorſchriften
nach Art. 41 Abſ. 3 ſtrafbar iſt. Beziehen ſich die
Strafdrohungen dieſes Art. 41 Abſ. 3 überhaupt nur
auf die Entziehung der Gefälle und nicht auf die
Rückvergütung geleiſteter Gefälle, ſo ſind Vorſchriften
in letzterer Richtung (zur „Sicherung und Kontrolle
der Rückvergütung“) auch nicht unter Strafſchutz geſtellt
und beſteht für den, der die Vorſchriften nicht beobachtet,
nur der Nachteil des Verluſtes des Anſpruchs auf
Rückvergütung (A. L. in BlAdmPr. 20, 235).
C. Mit den vorſtehenden Ausführungen iſt nicht
geſagt, daß in dem Tun der Angeklagten nicht unter
Umſtänden die Merkmale einer anderen ſtrafbaren
Handlung gefunden werden können. Mit Recht ift
die Strafkammer davon ausgegangen, daß im Falle
der Anwendbarkeit der ortspolizeilichen Vorſchriften
über die rechtswidrige Entziehung oder Verkürzung
der Gefälle nach 8 2 Abi. 2 EG. StGB. die Beſtim⸗
mungen des StGB., beſonders des 8 263, nicht zur
Anwendung gelangen (Oppenhof 8 263 Nr. 66). Fällt
dagegen die Handlung der Angeklagten nicht unter
irgendwelche dem Landesrechte vorbehaltenen be⸗
ſonderen Strafbeſtimmungen des Landesrechts, dann
wäre an ſich die Anwendung der allgemeinen ſtraf⸗
geſetzlichen Beſtimmungen nicht ausgeſchloſſen, ſelbſtver⸗
ſtändlich — nach gegebener Prozeßlage — unter Be⸗
rückſichtigung des Verbots der reformatio in pejus,
das eine Erhöhung der Strafe, nicht aber eine
ſchwerere Beurteilung der Tat ausſchließt (Löwe,
StPO. 8 372 Nr. 2). Nimmt der Einführende nur
eine Scheinausfuhr vor, d. h. trifft er Maßregeln, die
nach außenhin die Annahme zu begründen ſcheinen,
daß das angeblich auszuführende Produkt der Ver⸗
zehrung im Gemeindebezirk entzogen werden ſoll,
bleibt aber trotzdem das Produkt zur Verzehrung im
Gemeindebezirke beſtimmt, ſo ſucht er ſich durch dieſes
Verhalten im Zuſammenhalte mit der Beobachtung
der in § 4 bezeichneten Vorſchriften die Rückvergütung
zu verſchaffen, auf die er kein Recht hat; er ſtrebt
einen rechtswidrigen Vorteil an. Die Gemeinde wird
durch die Leiſtung der Rückvergütung am Vermögen
gelhublat; nach Umſtänden kann die Vermögens⸗
eſchädigung ſchon darin liegen, daß ihm die Gemeinde
den zurückzuvergütenden Betrag gutſchreibt. Es wäre
ſonach die objektive Vorausſetzung eines Vergehens
nach 8 263 StB. oder nach 88 263, 43 StGB. ges
geben; ob auch die ſubjektiven Vorausſetzungen dieſer
Strafbeſtimmungen in jeder Richtung nachweisbar
find, hat die Strafkammer nicht geprüft und von
ihrem Standpunkt aus auch nicht prüfen müſſen. (Urt.
vom 9. Mai 1911, Rev.⸗Reg. Nr. 148 —151 / 1911).
2346 Ed.
Literatur.
Etier-Somle, Dr., Profeſſor in Bonn. Jahrbuch des
VBerwaltungsrechts. Unter Einſchluß des Staats⸗
verfaſſungs⸗, Staatskirchen⸗ und Völkerrechts. 6. Jahr:
ang. 1. Hälfte: Literatur des Jahres 1910. Berlin
911. Verlag von Franz Vahlen. 659 S.
Stier⸗Somlos Jahrbuch bedarf einer weiteren
Empfehlung nicht; ich habe es ſchon früher hier an⸗
gezeigt. Es genügt, darauf hinzuweiſen, daß der ſtets
mit Intereſſe erwartete neue Jahrgang nunmehr er:
ſchienen iſt. Offenbar mit Rückſicht auf dieſes allge⸗
meine Intereſſe hat der Verlag zunächſt die erſte
Hälfte herausgebracht, die über die verwaltungsrecht—
liche Literatur des Jahres 1910 in drei Abteilungen
(1. Allgemeiner Teil S. 1— 101, 2. Reichsverwaltungs⸗
recht S. 102-457, 3. Einzelſtaatliches Verwaltungs⸗
recht S. 458 —627, dazu Sachregiſter S. 628 - 659)
berichtet. Wie ſorgfältig die Literatur bis zu kleinen
Zeitſchriftenaufſätzen hin geſammelt wird, mag in Ab»
teilung 1F („Reform der Verwaltung. Fragen der
Ausbildung der Verwaltungsbeamten und Juriſten“)
der Vermerk Nr. 26 zeigen: „Deinhardt Richard, OLG R.,
Jena, berichtet über eine Verfügung des OL GPräſ.
Dr. Börngen, Jena, über die Ausbildung der Refe—
rendare, die der „weltabgewandten Begriffsjuris—
prudenz“ entgegentritt und die Ausbildung der Re—
ferendare in den Dienſt der Kenntnis des Verkehrs
und des Lebens ſtellen will. Die Verfügung, die nicht
veröffentlicht iſt, muß als höchſt bedeutſam bezeichnet
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 19.
werden, wenngleich manches in ihr auf eine ungeſunde
Wertſchätzung der Lehre von der freien Rechtsfindung |
hindeutet.
Jena.
—
DIZ. 15, 689.
Rechtsanwalt Dr. Böckel.
——
Brand, Dr. Arthur, Kammergerichtsrat. Das Han⸗
delsgeſetzbuch mit Ausſchluß des Seerechts. VII,
1091 S. Berlin 1911, O. Häring. Mk. 24.—.
An guten Kommentaren zum Handelsgeſetzbuch
iſt gerade kein Mangel. Dennoch hoffen wir, daß
auch dieſe neue Bearbeitung die Stellung erringen
wird, die ihr als einer gediegenen Leiſtung eines er⸗
fahrenen, mit dem Stoffe vollſtändig vertrauten Prak⸗
tikers gebührt. Die Erläuterungen ſind gedrängt und
ſauber disponiert. Ihre Gliederung tritt dadurch ſehr
deutlich hervor, daß jeder Abſchnitt mit Stichwörtern
oder kurzen Rechtsſätzen in Fettdruck oder Sperrdruck
beginnt. Gute Beifpiele für dieſe Art der Anordnung
bieten z. B. die Anmerkungen zu 88 43, 52, 120 u. a.
Die Rechtſprechung iſt ſehr ſorgfältig verwertet, man
findet aber auch da ausführliche Belehrung, wo ſie
ſpärlich fließt oder noch gar nicht Stellung genommen
hat, ein Vorzug, dem man nicht jedem großen
Kommentare nachrühmen kann. Hiernach kann das
Buch auch für den Gebrauch in der Staatsprüfung
empfohlen werden, zumal da es wegen des mäßigen
Umfangs bequem zu handhaben iſt. Zweckmäßig wäre
es vielleicht geweſen, im Sachregiſter, das ſich im übrigen
durch ſeine Verläſſigkeit auszeichnet, die Schlagwörter
fett oder doch geſperrt zu drucken. von der Pfordien.
Notizen.
Auslieferungsverkehr mit dem Auslande. Nach einer
Bek. vom 1. September 1911 (JM Bl. S. 313) ſollen
die Juſtizbehörden, wenn ſie deutſche Konſuln in den
Vereinigten Staaten von Amerika um Fahndung er⸗
ſuchen, den Konſularbehörden zur Verbreitung im
Konſulatsbezirke (durch Behörden, Zeitungen, deutſche
Vereine u. dgl.) womöglich eine größere Zahl von
Abbildungen und Beſchreibungen der verfolgten Perſon
überſenden. Dazu eignen ſich in erſter Linie Stücke
des Polizeiblattes, in dem der Verfolgte abgebildet
und zur Verhaftung ausgeſchrieben iſt. Es empfiehlt
ſich in vielen Fällen auch bei der Stellung von Aus⸗
lieferungs⸗ und Ablieferungsanträgen ſo zu verfahren,
wenn der Beſchuldigte oder Verurteilte noch nicht feſt⸗
genommen iſt. Die Beigabe einer größeren Zahl von
Bildern, die dann an die wichtigeren Polizeibehörden
des fremden Staates verteilt werden können, gibt eine
viel ſtärkere Gewähr für eifrige Fahndung als die
Beigabe einer einzigen Photographie, deren Berviels
fältigung vom guten Willen der fremden Behörden
abhängig bleibt.
2370
Nechtshilfeverkehr mit dem Auslande. Durch die
Bek. vom 7. September 1911 (JMBl. S. 314) hat der
8 9 der zuſammenfaſſenden Bek. vom 8. April 1911
(Organiſation der Gerichtsbehörden in den Schutz⸗
gebieten) eine andere Faſſung erhalten. Ferner weiſt
die neue Bekanntmachung auf Eigenarten des braſi⸗
lianiſchen Gerichtsverfahrens hin, die beachtet werden
ſollen. Schließlich empfiehlt ſie, in Spanien ſtets
ſofort die Zwangszuſtellung in Zivilſachen zu bean—
tragen, weil man mit der koſtenloſen Zuſtellung im
Verwaltungswege dort gewöhnlich nicht zum Ziele
kommt.
2371
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ar. 20.
München, den 15. Oktober 1911.
7. Jahrg.
Jeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Ch. von der Pferdten
. Laudgerichtsrat, verw. im R. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monat :
im Stange von mi end 2 at Preis teen n .
Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlu .
Boßankalt
Nachdruck verboten.
Vechſelnde Meinungen über Tateinheit und
Tateumehrheit in den verſchiedenen
Abſchnitten des Etrafprozeſſes.
Von Dr. Fr. Doerr, II. Staatsanwalt in Nürnberg.
Das Archiv für Militärrecht (II. Bd. 1911
S. 130) hatte eine Diskuſſion folgender Fragen
angeregt, die nicht bloß den Millitärſtraſprozeß
berühren, ſondern mindeſtens in gleichem Maße
den bürgerlichen, richtiger gemeinen Strafprozeß
angehen:
1. Wie hat das Urteil zu lauten, wenn die
Anklage (und im gemeinen Strafprozeß der dem
Militärſtrafprozeß fehlende Eröffnungsbeſchluß)
ſieben ſelbſtändige, realkonkurrierende Straftaten
des Angeklagten als Prozeß⸗ oder Aburteilungs⸗
gegenſtand bezeichnet hat, das erkennende Gericht
aber eine fortgeſetzte Handlung annimmt, indeſſen
nur in fünf Fällen die Schuld des Angeklagten
für erwieſen erachtet?
2. Wie ſteht das Berufungsgericht der Angelegen⸗
heit gegenüber, wenn die erſte Inſtanz lediglich
unter Verneinung der Schuld in zwei Fallen,
aber ohne Freiſprechung dieſerhalb, eine Verur⸗
teilung unter dem Geſichtspunkt einer ſieben⸗
gliedrigen Tateinheit ausgeſprochen und nur der
Angeklagte gegen das Urteil, und zwar in vollem
Umfang, zuläſſige Berufung eingelegt hat?
Darauf bringt die genannte Zeitſchrift die
weit auseinandergehenden Antworten von fünf
Schriftſtellern: Riſſom (S. 209 f.), Werber
(S. 210 ſ.), Genge (S. 211 f., 287 f.), Hecker
(S. 212 f.) und Beling (S. 337 ff.), von denen
nur Genge und insbeſondere Beling ihren Stand—
punkt eingehender begründen.
Die allgemeine prozeſſuale Bedeutung des
Problems erfordert eine Stellungnahme auch außer—
halb einer ſpeziell militärrechtlichen Zeitſchrift;
dies um ſo mehr, als keine der erwähnten fünf
Meinungen ihm vollauf gerecht wird.
in Bayern
Verlag von
2. Schweitzer Verlag
(Arthur Selier)
München und Berlin.
ktion und Expedition: München, Lenbachplatz 1.
Infertonegetähr 3 80 Pfg. für die daldgeſpaltene Vetitzelle
um. Bei Wiederholungen Nabatt. Stellenanzeigen
20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
393
I.
Was zunächſt die erſte Frage anlangt, jo hat
das erkennende Gericht, wenn es entgegen der
Anklage ſtatt Realkonkurrenz jelbitändiger Hands
lungen eine einheitliche, aus mehreren unſelb⸗
ſtändigen Einzelakten ſich zuſammenſetzende Tat
annehmen will, die Beziehungen dieſer im bis⸗
herigen Prozeßverlaufe für ſelbſtändig gehaltenen
Einzelhandlungen zu einander daraufhin zu
prüfen, ob ein Einheitsnexus vorhanden ſei. Dieſe
Prüfung ſetzt aber zunächſt die Feſtſtellung der
einzelnen Handlungen in Anſehung ihres objektiven
und ſubjektiven Tatbeſtands voraus; ſie ſetzt alſo
die Feſtſtellung
1. der einzelnen objektiven Tatakte,
2. der Taͤterſchaft des Angeklagten hinſichtlich
aller dieſer Einzelakte,
3. der Strafbarkeit aller Einzelhandlungen,
mithin den Mangel ſowohl an Schuld⸗ wie an
Strafausſchließungsgründen, voraus.
Fehlt es bezüglich der einen oder anderen
bisher als ſelbſtändig erachteten Einzelhandlung
an einer ſolchen Vorausſetzung, ſo entfällt damit
logiſcherweiſe die Möglichkeit Beziehungen zu
anderen Handlungen feſtzuſtellen, die die Annahme
einer Tateinheit rechtfertigen könnten. Es iſt alſo
in dem an die Spitze geſtellten Beiſpiel ein Un⸗
ding, die fünf erwieſenen Fälle mit anderen nicht
bewieſenen und ſohin rechtlich nicht vorhandenen zu
einer ſiebengliedrigen Tateinheit zuſammenzufaſſen.
Hierin hat Genge a. a. O. S. 211 ganz recht.
Es bleibt daher nur übrig, wegen der beiden
Faͤlle, in denen das Gericht die Schuld des An⸗
geklagten — einerlei, aus welchem Grund, ob
aus tatſächlichen oder rechtlichen Erwägungen —
nicht für erwieſen erachtet, freizuſprechen,“) während
1) Unrichtig Riſſom, richtig Genge (nur S. 287 un:
zutreffend: Bei gewiſſen [?] Strafausſchließungsgründen
dürfe der Richter die Einheitlichkeit der ſtrafloſen Tat
mit anderen ſtrafbaren Handlungen feſtſtellen und be—
ſondere Freiſprechung unterlaſſen). Teilweiſe abweichender
Meinung: Beling a. a. O. S. 343 ff., deſſen Unter-
ſcheidung nicht zutrifft. Originell, aber verfehlt Hecker
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
— ... b . . . —.—.—)?ʒ.——.— ——.—————.)—. —.—..— i — .
die noch verbleibenden fünf Fälle unter dem Geſichts⸗
punkie fortgeſetzter oder einheitlicher Handlung
zuſammengefaßt und mit einer der einheitlichen
Straftat entſprechenden einheitlichen Strafe belegt
werden können.“) (Vgl. Doerr, Das fſortgeſetzte
Delikt, Stuttgart 1908, S. 228 und die daſelbſt
N. 4 zitierte RGE. vom 11. April 1907, Seuff.
BlfRA. LXXII S. 584 ff.).
Hat dagegen ſchon die Anklage oder der Er⸗
öffnungsbeſchluß auf ein fortgeſetztes Delikt ge⸗
lautet und iſt in der Hauptverhandlung nur ein
Teil der Einzelakte nachgewieſen worden, dann iſt
im Hinblick auf die einheitliche, auch eine einheit⸗
liche Entſcheidung erfordernde Straftat mit der
Verurteilung nicht — wie Beling a. a. O. S. 343
meint?) — zugleich eine Freiſprechung wegen des
unbewieſen gebliebenen Teils zu verbinden — ſo
wenig, wie bei einer Idealkonkurrenz, ) einem zu:
ſammengeſetzten Verbrechen oder in dem Jalle,
daß der in der Anklage angenommene Wert der
geſtohlenen Sache ſich in der Hauptverhandlung
als zu hoch gegriffen herausſtellt, entſprechend
einem zivilprozeſſualen Urteile teils Verurteilung
und „im übrigen“ Freiſprechung des Angeklagten
a. a. O.: Sobald das Gericht erſter Inſtanz die ſieben
Fälle als Tateinheit anſehe, ſtehe es einer fiebenfad
in idem gerichteten Anklage gegenüber und habe auf
ſie mit einer Verurteilung und ſechs Einſtellungen zu
antworten (hiergegen mit Recht Beling a. a. O. S. 339 f.).
) Der von Genge (S. 211) vorgeſchlagene Urteils⸗
tenor: „Der Angeklagte wird wegen Diebſtahls in fünf
Fällen . . .. verurteilt . ..“ iſt ſchon um deswillen un⸗
genau und nicht empfehlenswert, weil man hierbei eher
an Realkonkurrenz als an fortgeſetzten Diebſtahl denken
würde. Der Urteilstenor wäre deshalb folgendermaßen
zu formulieren: I. Der Angeklagte wird von der An—
klage zweier Vergehen des Diebſtahls .. . . unter Ueber-
bürdung der hierwegen entſtandenen, ansſchbeidbarenKoſten
auf die Staatskaſſe freigeſprochen. II. Der Angeklagte
iſt ſchuldig eines fortgeſetzten Vergehens des Diebſtahls,
begangen am .. .. in .. . „ und wird hierwegen .
verurteilt .
) Ob die Anklage auf Realkonkurrenz oder auf
delietum continuatum laute, müſſe gleichgültig fein;
auch wenn die Anklage eine fortgeſetzte Körperverletzung
durch ſieben Stockhiebe annehme und das Gericht zwei
der leßteren nicht feſtſtellen könne, ſei die Doppel:
freiſprechung am Platze; denn auch hier ſei auf die
Lebensereigniſſe ſelber abzuſtellen und der Vorſchlag,
ſie ſo oder ſo zu zählen, nicht ausſchlaggebend.
Richtig iſt nur, daß das Gericht ſtatt fortgeſetzter Körper—
verletzung eine Mehrheit realkonkurrierender Vergehen
annehmen kann; billigt es aber an ſich die Annahme
fortgeſetzter Körperverlezung, ſo iſt neben einer Ver—
urteilung hierwegen nicht teilweiſe Freiſprechung im
Urteilstenor, ſondern nur eine entſprechende Feſtſtellung
in den Urteilsgründen möglich. — Nimmt die Anklage
ſiebengliedrige OLandlungseinheit, das Gericht zwei Fälle
für unbewieſen und bezüglich der übrigen fünf Hand—
lungen Realkonkurrenz an, ſo unterbleibt eine beſondere
Freiſprechung wegen der unbewieſenen Fälle (io Genge
a. a. O S. 287 f.) m. E jedoch nur dann, wenn dieſerhalb
nicht auch Realkonkurrenz entgegen der Anklage an—
genommen wird.
) Unzutreffend und abweichend von der gemeinen
Meinung: Urt. des ObL G. München vom 19. Oktober
1909. Goltdurch. IL VIII S. 224: hiergegen mit Rechte
neuerdings Grimm, Seuff lf. 1911 S. 41 ff.
erfolgen kann (vgl. Doerr a. a. O. S. 228
N. 3). Geſchah es dennoch, ſo bildet eine der⸗
artige unangefochtene Freiſprechung neben der an⸗
gefochtenen Verurteilung für die Rechtsmittel⸗
inſtanz kein Hindernis, zu dem Standpunkte der
Anklage zurückzukehren.
II.
Unſere zweite Frage geht davon aus, daß die
I. Inſtanz auf die Realkonkurrenz annehmende
Anklage (und den übereinſtimmend mit der An⸗
klage ergangenen Eröffnungsbeſchluß im gemeinen
Strafprozeß) wegen eines fortgeſetzten Delikts ver⸗
urteilt und ohne ausdrückliche Freiſprechung nur
in den der Rechtskraft unfähigen Urteilsgründen
ausgeſprochen hat, daß von den in Rede ſtehenden
ſieben Fällen zwei unbewieſen ſeien. Die I. In⸗
ſtanz hat alſo in fehlerhafter Weiſe zwei von der
Anklage behauptete ſelbſtändige Straftaten zwar
nicht feſtſtellen können, aber unter dem Geſichts⸗
punkte der Tateinheit formell mit zum Gegen:
ſtande des einheitlichen Schuldſpruchs gemacht.
Gegen dieſe Verurteilung hat der Angeklagte all⸗
gemein, ohne Beſchränkung auf beſtimmte Be⸗
ſchwerdepunkte, Berufung eingelegt. Infolgedeſſen
gelangt der ganze Inhalt des verurteilenden Er⸗
kenntniſſes, alſo das ganze angeblich fortgeſetzte
Delikt i. S. des angefochtenen Urteils mit allen
ſieben Fällen zur tatſaͤchlichen und rechtlichen
Würdigung des Berufungsgerichts, ſo daß dieſes
insbeſondere auch über die zwei kritiſchen Fälle
verhandeln und entſcheiden muß und ſie, ſei es
als unſelbſtändige oder als realkonkurrierende
ſelbſtändige Handlungen, unter Verurteilung ſtellen
kann.“)
Man darf nicht — wie dies Genge (a. a. O.
S. 212) tut — einerſeits zugeben, die Anfechtung
umfaſſe an ſich (2) auch die im angefochtenen Ur:
teil angeblich unbeſchieden gebliebenen, in Wirk⸗
lichkeit zur Tateinheit gerechneten beiden Diebſtähle,
und andrerſeits behaupten, der Angriff richte ſich
) Ebenſo Riſſom, Werber, Hecker. Abweichend
Genge, der nur die fünf Fälle als der Nachprüfung
des Berufungsgerichts unterliegend, die kritiſchen zwei
Fälle aber als außerhalb deſſen Kognition ſtehend ans
ſieht; die zweite Inſtanz habe nur, um die Sache formell
in Ordnung zu bringen, die Freiſprechung nachzuholen
und ſo den Fehler der Vorinſtanz zu heilen. Wenn
Riſſom (S. 210) aber meint, es ſei die gleiche Lage,
als wenn der Vorderrichter entgegen der auf Diebſtahl
von 20 Sack lautenden Anklage die geſtohlene Menge
auf 10 Sack feſtgeſtellt habe, dann wäre auf Berufung
des Angeklagten die obere Inſtanz nicht gehindert die
Menge auf 20 oder 25 Sack feſtzuſtellen, ſo trifft der
Vergleich inſoſern nicht ganz zu, als in dieſem Bei—
ſpiele ſchon die Anklage nur eine ſtrafbare Handlung
angenommen hat, während im vorwürfigen Falle davon
ausgegangen worden iſt, daß die Anklage eine Mehr⸗
heit ſelbſtändiger Handlungen bezeichnet. Die Lage
wird nur deshalb die gleiche, weil der Vorderrichter
trotz mangelnden Schuldbeweiſes hinſichtlich zweier ſelb⸗
ſtändiger Fälle die F reiſprechung unterlaſſen, dieſe beiden
Fälle in den Bereich der Tateinheit gezogen hat.
EBilBelſchriſt für R für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. . 3 in Dahern. 1911. Nr. 9069. Nr. 20. 395
nicht gegen die in Rechtskraft übergegangenen tat: Nachprüfung überhaupt nicht befugt. Führt die
ſächlichen Feſtſtellungen. Vielmehr hat, nachdem Reviſion nicht aus anderen Gründen zur Urteils⸗
unbeſchränkte Berufung eingelegt iſt, das Berufungs⸗ aufhebung und Zurückverweiſung, ſo hätte es nach
gericht die ſeinem Urteile zugrunde zu legenden 8 394 StPO. die in der Vorinſtanz zu Unrecht
Feſtſtellungen ſelbſtändig und ohne Bindung an unterbliebene Freiſprechung von der Anklage in
die Urteilsgründe und Feſtſtellungen erſter In⸗ zwei nicht bewieſenen Fällen nachzuholen, wie dies
ſtanz zu treffen. das Reichsgericht in ſeinem oben erwähnten Ur⸗
Man kann auch nicht mit Beling a. a. O. teil vom 11. April 1907 getan hat. Hier wären
S. 346 f. den nicht freigeſprochenen Angeklagten für die Beurteilung der deshalb, weil die Urteils⸗
als mit Bezug auf zwei Akte rechtskräftig frei⸗ | formel der Vorinſtanz den Ausſpruch der Frei⸗
geſprochen anſehen. Das Prozeßrecht kennt keine ſprechung in zwei Fällen nicht enthält (vgl. Genge
der Rechtskraft fähige latente Freiſprechung in den a. a. O. S. 212 oben), eingelegten Reviſion nur
Urteilsgründen. die tatſächlichen Feſtſtellungen des Vorderrichters,
Hält auch das Berufungsgericht mit der Vor⸗ nicht eine — wie es in der Berufungsinſtanz
inſtanz die erwähnten zwei Fälle für unbewieſen, möglich iſt — neue Beweisaufnahme zugrunde
ſo hat es hierwegen die in erſter Inſtanz zu Unrecht zu legen. ü
unterlaſſene Freiſprechung nachzuholen, da nach |
Obigem unbewieſene, für eine Verurteilung aljo
nicht vorhandene, ſelbſtändige Reate nicht zu un⸗
ſelbſtändigen Teilen einheitlicher Handlung werden Die Behandlung der Nahnſachen und der
können. n
rache aber die Berufungsinſtanz den Nach- Ferienſachen nach der Novelle zur 38d. vom
wobei ſie bezüglich deren Selbſtändigkeit oder
Unſelbſtändigkeit freie Hand hat, ſo kann dies
wegen des — ſich nur auf die Strafe beziehenden
— Verbotes der reformatio in peius doch nicht
zu einer Erhöhung der in erſter Inſtanz ausge⸗
ſprochenen Strafe führen.
Von Amtsrichter Theodor Gros in München.
Schluß.)
II. Durch die Novelle zum GVG. wurde der
Kreis der Ferienſachen erweitert. Unter die eigent⸗
Hält das Berufungsgericht die Annahme einer lichen Ferienſachen wurden noch die in 8 5 Nr. 1—4
fortgeſetzten Handlung bezüglich aller Fälle für des Kaufmannsgerichtsgeſetzes bezeichneten Streitig⸗
unzutreffend, ſo hat es eine Geſamtſtrafe i. S. keiten und die Anſprüche aus dem außerehelichen
§ 74 StGB. auszusprechen, die wegen des eben Beiſchlafe aufgenommen.
erwähnten Verbots die erſtinſtanziell ausgeſprochene Zu den Wechſelſachen, die ſchon früher zu den
Einheitsſtrafe nicht überſteigen darf. Ferienſachen gehörten, ſei nur beiläufig erwähnt,
Anders läge der Fall, wenn die Vorinſtanz, daß das RG. entgegen dem früher von ihm ver⸗
anſtatt bloß in den der Rechtskraft nicht fähigen tretenen Standpunkt in einer Entſcheidung des
Gründen den mangelnden Beweis hinſichtlich zweier III. Senates vom 4. Februar 1910 (JW. 1910
Fälle feſtzuſtellen, wegen dieſer beiden ſelbſtändigen S. 294 Nr. 35) die Auffaſſung vertrat, daß als
Reate im Urteilstenor ausdrücklich auf Frei⸗ Wechſelſachen nur die im Wechſelprozeß, nicht die
ſprechung erkannt hätte und dieſe Freiſprechung im ordentlichen Verfahren verfolgten Anſprüche
mangels Rechtsmitteleinlegung rechtskräftig ge- aus Wechſeln zu erachten ſind.
worden wäre. Dann läge hinſichtlich der beiden Die hauptſächlichſte Aenderung der Novelle iſt
Fälle res iudicata vor mit der Wirkung, daß die, daß im Verfahren vor den Amtsgerichten
das Berufungsgericht die rechtskräftig erledigten auch ſolche Sachen auf Antrag als Ferienſachen
Reate nicht nochmals zum ſelbſtändigen Gegen- bezeichnet werden müſſen, die nicht zu den eigent⸗
ſtand der Verhandlung und Aburteilung machen lichen Ferienſachen gehören ($ 202 III GV.).
könnte — unbeſchadet ſeines Rechts, die Unter: Jedoch iſt in ſolchen Fällen der Beſchluß, wo⸗
ſuchung auf das ganze fortgeſetzte Delikt mit allen nach die Sache zur Ferienſache erklärt wurde,
feinen Einzelakten zu erſtrecken (vgl. Doerr aufzuheben, wenn in einem Termin zur münd—
a. a. O. S. 225 f.).“) lichen Verhandlung widerſprechende Anträge ge:
Anders ſtünde auch das Reviſionsgericht ſtellt werden, es ſei denn, daß die Sache beſon⸗
der Sache gegenüber. Dieſes iſt zur tatſächlichen | derer Beſchleunigung bedarf.
1. Häufig kommt es vor, daß der Kläger es
zunächſt unterläßt den Antrag auf Erklärung
als Ferienſache bei Einreichung der Klageſchrift
zu ſtellen, ſo daß der Verhandlungstermin auf
die Zeit nach den Ferien anberaumt wird. Es
fragt ſich nun, ob das Gericht in ſolchen Fällen
gemäß § 202 III GVG. verpflichtet iſt auf neuen
weis auch hinſichtlich jener zwei Fälle für erbracht, IR Zuni 1909.
|
|
1) Teilweiſe anderer Anſicht Beling a. a. O. S. 314 f.,
347. Ich ſtimme ihm aber darin zu. daß bei gleich—
zeitiger teilweiſer Verurteilung und Freiſprechung wegen
derſelben einheitlichen Tat in erſter Inſtanz die die Be—
rufung des Angeklagten hinſichtlich der Verurteilung
zurückweiſende zweite Inſtanz den Grundſatz Ne bis in
idem nicht verletzt.
—U— ——————————— ͤ—ͤ—⁴—6— ů— —3ñF— . — — —
396
Antrag unter Aufhebung des Termines nach den
Ferien und unter Erklärung der Sache zur Ferien⸗
ſache ohne weiteres Termin in den Ferien an⸗
zuberaumen.
Das Amtsgericht Magdeburg hat in einem
Beſchluß vom 16. Juli 1910 (JW. 1910 S. 772)
dieſe Frage verneint. Es iſt der Meinung, der
Kläger habe, wenn einmal Termin nach den Ferien
anberaumt wurde, auf das ihm nach $ 202 GVG.
zuſtehende Recht dadurch verzichtet, daß er den
Antrag auf Erklarung zur Ferienſache nicht in
der Klageſchrift oder doch nicht wenigſtens vor
Anberaumung des Termines nach den Ferien
ſtellte und das Gericht konne dann nicht ge:
zwungen werden die Sache nachträglich zur Ferien⸗
ſache zu erklaren; in dieſen Fällen hätten viel⸗
mehr die Beſtimmungen über Terminsverlegung
($ 227 II ZPO.) Anwendung zu finden; jedoch
macht das AG. Magdeburg das Zugeſtändnis,
daß dem Geſuch um Terminsverlegung dann
ſtattzugeben ſei, wenn die Klage ſo zeitig vor den
Ferien eingereicht worden ſei, daß der Kläger
noch Anberaumung eines Termines vor den Ferien
hätte erwarten können und wohl deshalb den An⸗
trag nach $ 202 GVG. nicht geſtellt habe.
Das LG. Gera hat in einem Beſchluß vom
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
0
12. Auguſt 1910 (JW. 1910 S. 869) den gegen⸗
teiligen Standpunkt eingenommen, da beim Fehlen
einer entgegenſtehenden geſetzlichen Beſtimmung der
Antrag auf Erklärung zur Ferienſache auch noch
nach Anberaumung eines Verhandlungstermins
wirkſam geſtellt werden könne. Dieſer Auffaſſung
iſt beizutreten. Das Geſetz hat allgemein vor:
geſchrieben, daß im Verfahren vor den Amts⸗
gerichten, ſolange widerſprechende Anträge noch
nicht geſtellt ſind, der Rechtsſtreit zur Ferienſache
erklärt werden muß. Dies trifft auch für den
Fall zu, wenn der Kläger es zunächſt unterließ
den Antrag auf Erklaͤrung zur Ferienſache zu
ſtellen, ſei es, weil er noch einen Termin vor
— — — — . ——
— —
— ——— — —
daraus hervor, daß nach Satz 2 der Beſchluß auf⸗
zuheben iſt, wonach die Sache zur Ferienſache er⸗
klaͤrt wurde, wenn widerſprechende Anträge geſtellt
wurden. (Vgl. dazu die Begründung der Novelle
zu 8 202 GG., wo es heißt: „.... Ferner
ſoll bei den Amtsgerichten, um die Erlangung
eines Vollſtreckungsurteils möglichſt zu beſchleunigen,
auf Antrag jede Sache, „ſolange ſie nicht ſtreitig
wird“, als Ferienſache behandelt werden.“
Die gleiche Auffaſſung vertrat das LG. II
Berlin im Beſchluß vom 1. Auguſt 1910 (JW.
1910 S. 869). A. M. iſt das LG. München J,
welches mit Beſchluß vom 21. Juni 1910 aus⸗
ſprach, daß auch ſolche Sachen ohne weiteres auf
Antrag als Ferienſachen zu erklären ſeien, in denen
vor den Gerichtsferien ſchon kontradiktoriſch ver⸗
handelt wurde, da es ſein koͤnnte, daß in dem
Ferientermine keine widerſprechenden Anträge mehr
geſtellt würden. Dieſe Auffaſſung ſtimmt nicht
mit der aus der Begründung zur Novelle ſich er⸗
gebenden Abſicht des Geſetzgebers überein. In
einem ſolchen Falle iſt vielmehr das Bedürfnis
beſonderer Beſchleunigung nachzuweiſen.
Doch wird man ſagen können, daß ein Be⸗
dürfnis zur beſonderen Beſchleunigung gegeben iſt,
wenn der Kläger dartut, daß die Sache nicht mehr
kontradiktoriſch werden wird, (wenn der Klaͤger z.
B. nachweiſt, daß der gegneriſche Anwalt nicht
mehr auftritt, oder daß der Beklagte auch in
anderen anhängig geweſenen Prozeſſen Verſaͤumnis⸗
urteil gegen ſich ergehen ließ). Dieſes Bedürfnis
hat der Geſetzgeber ſelbſt anerkannt, da er ſolche
Sachen, in denen die baldige Erlangung eines
Vollſtreckungstitels zu erwarten iſt, unter die Ferien⸗
ſachen aufnahm.
3. Zu $ 791 GK. Nachträgliche Anträge
auf Erklaͤrung zur Ferienſache kommen, wie oben
den Ferien erwartete, ſei es infolge eines Der: |
ſehens. Ein Verzicht des Klaͤgers auf das ihm
nach $ 202 GG. zuſtehende Recht kann keines⸗
falls angenommen werden; daß Kläger nicht hier:
auf verzichten wollte, geht ja aus ſeinem neuen
Antrag hervor.
2. Anders liegt die Sache, wenn in einem
Rechtsſtreit ſchon vor den Ferien widerſprechende
Anträge geſtellt und ein Termin nach den Ferien
zur Fortſetzung der mündlichen Verhandlung an—
beraumt wurde oder wenn nach kontradiktoriſcher
Verhandlung vor den Ferien der Kläger beantragt
die Sache in den Ferien weiter zu behandeln.
Hier muß dargetan werden, daß die Sache be—
ſonderer Beſchleunigung bedarf. Nur ſolange be—
ſteht eine Verpflichtung des Gerichtes eine Sache
ohne weiteres zur Ferienſache zu erklären oder als
ſolche zu behandeln, als die Sache nicht kontradik—
toriſch wurde. Dies geht, wenn der 1. Satz des
5 202 III GVG. auch ganz allgemein lautet, | mäßigen Ganges des Verfahrens liege.
erwähnt, häufig vor. Ihnen muß entſprochen
werden, ſolange die Sache nicht kontradiktoriſch iſt.
Nun hatte der Gerichtsſchreiber in einem ſolchen
Falle für die beiden den Parteien zugeſtellten Aus⸗
fertigungen des Beſchluſſes, durch den der urſprüng⸗
lich auf die Zeit nach den Ferien anberaumte
Termin in die Ferienzeit verlegt wurde, der Klägerin
Schreibgebühren berechnet. Das AG. Freiberg
billigte dies, das LG. Freiberg erklärte dieſen An⸗
ſatz jedoch in einem Beſchluß vom 19. November
1910 für ungerechtfertigt (JW. 1911 S. 416).
Das Amtsgericht Freiberg hatte auf den Beſchluß
des LG. München II vom 30. Juni 1910 (JW.
1910 S. 774) Bezug genommen. In dieſem Be:
ſchluß iſt ausgeführt, es handele ſich, wenn ein be—
reits bekannt gegebener Termin auf Antrag einer
Partei vertagt werde, bei der Bekanntgabe der
Terminsverlegung an die Parteien nicht um ein
kraft Geſetzes herzuſtellendes, ſondern um ein durch
das nachträgliche Verhalten der Parteien notwendig
gewordenes, in ihrem einſeitigen Intereſſe vorge—
nommenes Schreibwerk, das außerhalb des regel—
Es ſei
— —
nicht Zweck eines Pauſchſatzes, Auslagen zu decken,
die außerhalb des Rahmens eines ordentlichen Ver⸗
fahrens durch unvorhergeſehenes Verhalten einer
Partei verurſacht worden ſeien.
Das LG. Freiberg begründet die entgegen⸗
geſetzte Auffaſſung damit, daß es ſich bei der
Ausfertigung des Terminsverlegungsbeſchluſſes
allerdings um Schreibwerk handele, welches durch
den nachträglichen Antrag der Partei erſorderlich
geworden und in ihrem einſeitigen Intereſſe vor⸗
genommen worden ſei, jedoch würden die Aus:
lagen nach 8 79 Nr. 1 GKG. nicht ſchon für
ſolches Schreibwerk erhoben, ſondern es ſei weis
tere Vorausſetzung für die Entſtehung der durch
den Pauſchſatz nicht gedeckten Schreibgebühr, daß
es ſich um Ausfertigungen handele, die ſelbſt nur
auf Antrag erteilt würden, eine durch einen Partei⸗
antrag notwendig gewordene, aber von Amts wegen
hergeſtellte Ausfertigung ſei noch keine auf An⸗
trag erteilte Ausfertigung. Dieſer Auffaſſung iſt
beizutreten. Der Verlegungsbeſchluß iſt gemäß
5 329 ZPO. den Parteien von Amts wegen zu:
zuſtellen. Die Ausfertigungen des Verlegungs⸗
beſchluſſes find alſo erforderlich, um dieſer Prozeß:
vorſchrift Genüge zu leiſten und ſie ſind nicht
ſolche Ausfertigungen, die nur auf Antrag erteilt
werden, wenn auch der Verlegungsbeſchluß ſelbſt
durch die Partei veranlaßt wurde. Selbſtver⸗
ſtändlich kann die Herſtellung dieſer Ausſerti⸗
gungen auch nicht von vorgängiger Bezahlung
eines die Gebühr deckenden Betrages abhängig
gemacht werden, was gemäß § 97 II GKG. ge:
ſchehen könnte, wenn dieſe Ausfertigungen unter
die ſchreibgebührenpflichtigen Ausfertigungen des
§ 791 fallen würden.
4. Die zur Beweisſicherung erforderlichen
Prozeßhandlungen ſind nicht unter die eigentlichen
Ferienſachen aufgenommen. In einem Rechts—
ſtreit, der zur Ferienſache erklärt iſt, kann natür⸗
lich ohne weiteres jederzeit eine Beweisſicherung
ſtattfinden, da ſich die Eigenſchaft einer Sache als
Ferienſache auch auf unſelbſtändige Nebenverfahren
(3. B. Beſtimmung des zuſtändigen Gerichts,
Richterablehnung, Armenrecht, Beweisſicherung ꝛc.)
erſtreckt; jedoch wird man auch in einem anderen
Rechtsſtreit wegen der Dringlichkeit der Sache in
dem Geſuch um Vornahme der zur Beweisſiche⸗
rung erforderlichen Handlung einen ſtillſchweigen—
den Antrag auf Erklärung der Sache zur Ferien⸗
ſache erblicken können. Derartige ſtillſchweigende
Anträge find auch vom RG. anerkannt (vgl.
RGE. 55, 327). Das Gericht wird alſo bei
beſtehender Dringlichkeit, wenn auch ein ausdrück—
licher Antrag auf Erklärung der Sache zur Ferien—
ſache nicht geſtellt wurde, ohne weiteres die Sache
zur Ferienſache erklären können, um Verzöge—
rungen zu vermeiden.
5. Die Entmündigung iſt nicht ein Akt
der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das Verfahren in
Entmündigungsſachen iſt vielmehr der ſtreitigen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
397
Rechtspflege angegliedert. Die Vorſchrift des
§ 202 1 GV., wonach während der Ferien nur
in Ferienſachen Termine abgehalten und Ent⸗
ſcheidungen erlaſſen werden, findet daher auch
hierauf Anwendung und es wird deshalb der-
jenige, der die Entmündigung betreibt, wenn er
eine Tätigkeit des Gerichts während der Ferien
veranlaſſen will, auch zugleich das Gefuch um
Erklärung zur Ferienſache zu ſtellen haben. Iſt
aber einmal ein Entmündigungsverfahren einge⸗
leitet und befindet es ſich bereits im Stadium der
Beweiserhebung, ſo wird das Gericht auch ohne
beſonderen Antrag im Falle der Dringlichkeit das
Verfahren zur Ferienſache erklären können, da der
Richter gemäß 8 653 ZPO. hier zu einer Tätig⸗
keit von Amts wegen verpflichtet iſt.
Mitteilungen aus der Praxis.
Zur Frage der Doppel beſtrafungen (ne bis in idem).
Das im Jahrgang 1909 dieſer Zeitſchrift S. 187 mit⸗
geteilte Erkenntnis eines Landgerichts, das die Ver⸗
letzung des Grundſatzes ne bis in idem im Gegen—
ſatze zu der herrſchenden Meinung als Wiederaufnahme⸗
grund im Sinne des 8 399 Nr. 5 StBOD. zuließ und
hierbei von der richtigen Anſicht ausging, daß Frei⸗
ſprechung im Sinne dieſer Geſetzesbeſtimmung gleich⸗
bedeutend mit Nichtverurteilung zu Strafe ſei, kommt
zweifellos einem Bedürfniſſe der Praxis entgegen.
Denn tatſächlich ſind Doppelverurteilungen wegen der
gleichen Tat viel weniger ſelten als man glauben
möchte, wenn es auch nur ganz ausnahmsweiſe vor⸗
kommen mag, daß — wie dort — zwei auf Strafe
lautende Urteile, alſo gerichtliche Entſcheidungen
auf Grund vorausgegangener Hauptverhandlung,
wegen einer und derſelben Verfehlung gegen die
Strafgeſetze ergehen. Iſt es doch kaum denkbar, daß
ein bereits abgeurteilter Angeklagter ſich wegen der
gleichen Tat in mündlicher Verhandlung nochmals
mit Strafe belegen laſſen wird, ohne dem erkennenden
Richter von der ſchon erfolgten Beſtrafung Mitteilung
zu machen. Die Gefahr der Doppelverurteilung nach
vorausgegangener Hauptverhandlung beſteht daher
faſt nur in dem verhältnismäßig ſeltenen Abweſen⸗
heits verfahren.
Anders liegt dagegen die Sache bei den amts⸗
richterlichen Strafbefehlen. Hier liegt die erwähnte
Gefahr, insbeſondere bei großen Gerichten und Amts⸗
anwaltſchaften, durchaus nicht jo ferne und die Er-
fahrung lehrt, daß es trotz aller Gewiſſenhaftigkeit
und Sorgfalt der beteiligten Organe immer wieder
zu derartigen im Intereſſe des Anfehens der Rechts-
pflege bedauerlichen Doppelbeſtrafungen kommt.
Mögen ſie auch in vielen Fallen dadurch beſeitigt
werden, daß der Angeklagte nach rechtzeitiger (in:
ſpruchseinlegung in der Hauptverhandlung den Nach⸗
weis der bereits erfolgten Beſtrafung erbringt, ſo
kommt es doch auch nicht gar zu ſelten vor, daß die
Einſpruchseinlegung — ſei es aus Gleichgültigkeit des
HBeſchuldigten oder aus anderen Gründen — verab—
ſäumt und der zweite Strafbefehl ebenfalls rechts-
kräftig wird.
Was wird nun mit der Vollſtreckung dieſer unter
Verletzung des Grundſatzes ne bis in idem erkannten
zweiten Strafe?
Ich darf wohl ohne weiteres behaupten, daß es
keine Strafvollſtreckungsbehörde — in Bayern keinen
Amtsrichter — gibt, die in einem ſolchen Falle bei
Kenntnis der Sachlage den formell zweifellos zuläſſigen
Strafvollzug einleiten würde. Und doch verlangt der
mit der Wirkung eines rechtskräftigen Urteils aus⸗
geſtattete Strafbefehl (8 450 StPO.) die Vollſtreckung
der Strafe. Wie dieſem Zwieſpalt entrinnen, nach⸗
dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bei amts⸗
richterlichen Strafbefehlen nach dem Wortlaute des
8 399 StPO. (ſ. auch Motive S. 219) ausgeſchloſſen
iſt und das Vollſtreckungsverfahren nach der herr⸗
ſchenden Meinung auch keine Möglichkeit zur Abhilfe
bieten fol?
Der Gnadenweg iſt die letzte Auskunft, auf die
man denjenigen verweiſt, der doch ein Recht darauf
hat, nicht zweimal wegen der gleichen Tat beſtraft
zu werden. Daß der Laie dies nicht verſteht, braucht
wohl nicht erſt betont zu werden.
Es ſcheint mir aber auch, als ob ſich bei richtiger
Würdigung des Weſens eines Straſbefehls und der
Natur des mebrerwähnten Grundſatzes ne bis in
idem ein Weg finden ließe, auf dem das offenbare
Unrecht der Doppelbeftrafung in prozeſſualer Weiſe
wieder beſeitigt werden könnte. Ich denke hierbei an
8 490 StPO., der eine Entſcheidung des Gerichtes
vorſieht, wenn Einwendungen gegen die Zuläſſigkeit
der Strafvollſtreckung erhoben werden. Welcher Art
dieſe Einwendungen ſein müſſen, wird in den Motiven
(S. 231) nicht weiter ausgeführt. Nach der herrſchen⸗
den Anſicht können nur ſolche Einwendungen in Frage
kommen, welche außerhalb des Urteils und des dieſem
vorausgegangenen Verfahrens liegen und das Urteil
als ſolches in ſeinem Beſtande und Inhalt nicht be⸗
rühren, alſo etwa der Einwand der Verjährung der
Strafvollſtreckung uſw.
Dieſe Meinung iſt zweifellos richtig, ſoweit rechts⸗
kräftige richterliche Urteile, alſo Eniſcheidungen
nach vorausgegangener Hauptverhandlung in Frage
ſtehen, die durch die Mündlichkeit des Verfahrens die
denkbar größte Gewähr für erſchöpfende Behandlung
des Prozeßſtoffes einſchließlich der Prozeßvoraus—
ſetzungen bieten und im Intereſſe des Anſehens der
Gerichte unabänderlich ſein müſſen. Anders verhält
es ſich dagegen mit den Strafbefehlen, bei deren Er-
laſſung jene Gewähr fehlt, und die deshalb trotz der
ihnen in § 450 beigelegten Wirkung eines rechts⸗
kräftigen Urteils einem ſolchen doch nicht gleichgeſtellt
werden dürfen.
Das Reichsgericht macht denn auch gerade bei
der Frage des Verbrauches der Strafklage einen
Unterſchied zwiſchen einem rechtskräftigen Straf—
befehle und einem rechtskräftigen Urteile, indem es
beim Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils die
Strafklage hinſichtlich der gleichen Tat für unbedingt
verbraucht erklärt, während es in dem andern Falle
eine nochmalige Verfolgung derſelben Tat wenigſtens
unter einem in dem Strafbefehle noch nicht ge—
würdigten, eine erhöhte Strafbarkeit begründenden
Geſichtspunkte zuläßt. Zur Begründung beruft es
ſich auf, 8 263 SPO. und die Unmöglichkeit, in dem
Straſbefehlsverfahren die Tat nach allen ihren recht—
lichen Geſichtspunkten zu würdigen. Es erkennt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
|
|
a —— — —
damit die Zuläſſigkeit einer Nachprüfung des rechts⸗
kräftigen Strafbefehls auf die materielle Richtigkeit
ſeiner Entſcheidung, wenn auch nur unter beſtimmten
Vorausſetzungen, an. Ein Weiterſchreiten auf dieſem
Wege führt dazu, die Zuläſſigkeit der Nachprüfung
des Strafbefehls auch bezüglich ſeiner prozeſſualen
Richtigkeit, insbeſondere des Vorhandenſeins ſeiner
prozeſſualen Vorausſetzungen zu bejahen, da mangels
der Mündlichkeit des Verfahrens auch in dieſer Hin⸗
ſicht dem Richter bei ſeiner Entſcheidung vielfach die
nötigen Unterlagen fehlen werden. Zu den prozeſſualen
Vorausſetzungen eines Strafbefehls gehört aber auch,
daß nicht ſchon wegen der gleichen Tat unter dem
nämlichen rechtlichen Geſichtspunkte eine Beſtrafung
erfolgt iſt.
Ergibt ſich daher in dem Einwendungsverfahren
nach 8 490 StPO., daß ein Strafbefehl unter Ver⸗
letzung dieſes Geſichtspunktes ergangen iſt, ſo kann
ihn der Richter zwar nicht wieder aufheben, wohl
aber hat er die Straſvollſtreckung aus ihm für uns
zuläſſig zu erklären. Wurde in dem zweiten Straf⸗
befehle die Tat unter einem ſchwereren Geſichts punkte
gewürdigt und hierbei unterlaſſen, die in dem erſten
Strafbefehle ausgeſprochene Strafe anzurechnen, ſo
kann aus den nämlichen Erwägungen heraus die ſes
Verſäumnis nachgeholt werden, indem die Straf:
voll ſtreckung nur hinſichtlich des überſchießenden Teiles
der zweiten Strafe für zuläſſig erklärt wird.
Ich verhehle mir nicht, daß gegen die hier ver⸗
tretene Anſchauung verſchiedene Bedenken geltend
gemacht werden können. Sie trägt jedoch dem
praktiſchen Bedürfniſſe Rechnung, ohne nach meiner
Ueberzeugung dem Geſetze zu widerſprechen. Die
Bedeutung des 8 450 StPO. wird durch ſie freilich
erheblich eingeſchränkt. Das gleiche iſt aber ſchon
durch die oben erwähnte Rechtſprechung des Reichs⸗
gerichtes zur Frage des Verbrauches der Straſklage
geſchehen, die trotz ihrer beſtechenden Begründung
ſchließlich doch nichts anderes iſt als ein Zugeſtändnis
an die Praxis und ihre Notwendigkeiten.
II. Staatsanwalt Gick in München.
Zur Auslegung des § 36 Nr. 3 350. Vor einiger
Zeit verklagte ein Anwalt zwei aus einem Wechſel
Verpflichtete, von denen der eine bei dem Amtsgericht
A, der andere bei dem Amtsgericht B ſeinen allge⸗
meinen Gerichtsſtand hatte, als Streitgenoſſen vor
dem Amtsgericht A. Der gemeinſchaftliche Ausnahme:
gerichtsſtand des 8 6032 ZPO. griff nicht durch, weil
eine behauptete Rechtsnachfolge nicht durch Urkunden
beweisbar war und infolgedeſſen im ordentlichen Ver⸗
fahren geklagt werden mußte. Zweifellos war das
Gericht A für die Klage gegen B nicht zuſtändig, und
die Klage mußte daher inſoweit abgewieſen werden.
Der Richter wies aber die Klage ganz ab und zwar
mit der Begründung: gemäß 8 363 3] O. hätte der
Kläger, da mehrere Perſonen als Streitgenoſſen im
allgemeinen Gerichtsſtand verklagt werden ſollten und
für den Rechtsſtreit ein gemeinſchaftlicher, beſonderer
Gerichtsſtand nicht begründet geweſen ſei, durch das
im Inſtanzenzuge höhere Gericht das zuſtändige Gericht
beſtimmen laſſen müſſen. Dies habe er aber unterlaſſen.
Wir Scheint dieſe Entſcheidung nicht bedenkenfrei
zu ſein und zwar aus folgenden Gründen:
Durch den 8 363 ZPO. wird an den allgemeinen
Beſtimmungen über den Gerichtsſtand nichts geändert.
Der Kläger muß nicht die beiden Perſonen als Streit⸗
genoſſen verklagen und ein zuſtändiges Gericht be⸗
ſtimmen laſſen: (anders die Nummern 1, 2, 4, 5, 6
des § 36) !) er kann auch den umſtändlicheren Weg
einſchlagen, A beim Amtsgericht A und B beim Amts⸗
gericht B zu verklagen. Das Geſetz gibt ihm nur die
— ſonſt nach den geltenden Beſtimmungen nicht be⸗
ſtehende — Möglichkeit dies durchzuſetzen: vgl.
den Wortlaut: „wenn .... verklagt werden ſollen“.
8 363 ZPO. enthält alſo keine Prozeßvorausſetzung.
die der Richter zu prüfen hätte, ſondern m. E. nur eine
Rechtswohltat für den Kläger. Die Vorſchrift iſt dem
Kläger, wenn man der Anſicht des Gerichts folgt, das die
Entſcheidung getroffen hat, ja zweifellos auch inſoferne
günſtig, als ſie ihm die Möglichkeit ſchafft. Perſonen
für die verſchiedene Gerichte örtlich zuſtändig ſind,
als Streitgenoſſen zu verklagen, ſie iſt ihm aber auch
inſofern ungünſtig, als ſie in Fällen, in denen ſonſt
eine Teilabweiſung möalich geweſen wäre, zur gänzlichen
Abweiſung führt. Dieſen Erfolg kann aber eine
Rechtswohltat niemals haben. Wäre die Vorſchrift
nicht vorhanden, ſo hätte der Richter zweifellos den
Beklagten A verurteilt und nur gegen B die Klage
abgewieſen, denn es ergehen täglich zahlreiche Ent⸗
ſcheidungen, in denen gegen Streitgenoſſen verſchieden
erkannt wird, und keine Vorſchrift ſpricht dafür, daß
der Fall der Klage gegen den einen Streitgenoſſen
auch den der Klage gegen den anderen nach ſich zieht.
Es iſt demnach m. E. der Standpunkt zu vertreten,
daß die Mitverklagung des B in Anſehung der Klage
gegen A nur als bedeutunasloſes superfluum behandelt
werden dürfte, eine Auffaſſung, für die doch ſicher
neben den oben ausgeführten juriſtiſchen Erwägungen
die praktiſche ſpricht, daß der Geſetzgeber, als er die
Vorſchriſt des 8 363 ſchuf, kaum daran gedacht hat,
daß ſie dazu dienen könne, einem korrekt verklagten
Verpflichteten einen ungerechtfertigten Aufſchub zu
gewähren. Dies tritt beſonders kraß in dem ge⸗
ſchilderten Beiſpiel hervor, in dem es ſich um den
Anſpruch aus einem Wechſel handelt, alſo einen An⸗
ſpruch, der ſtets beſonderer Beſchleunigung bedarf,
die ihm im vorliegenden Falle ſchon deshalb nicht
in vollem Maße zuteil werden konnte, weil der Wechſel⸗
prozeß eines formalen Mangels halber ausgeſchloſſen
war. Und gerade in Wechſelſachen hat die erörterte
Frage Bedeutung, weil hier erfahrungsgemäß die
Streitgenoſſenſchaft faſt ſtets eine Rolle ſpielt.
Referendar Dr. Eger in Berlin.
1) In dieſen Fällen beruht aber der gewiſſer⸗
maßen prozeßvorausſetzungsartige Charakter der Vor—
ſchrift des § 36 auf der tatſächlichen Unmöglichkeit,
ohne Beſtimmung des zuſtändigen Gerichts weiter zu
kommen, und iſt daher auch hier nur ſcheinbar. Es
ſpricht daher m. E. im Falle des § 364 nichts dagegen,
wenn der Kläger ein Recht an einem Grundſtück geltend
macht, das teilweiſe im Bezirk des Gerichts 4, teilweiſe
im Bezirk des Gerichts B liegt, und vor dem Gericht
A klagt, dahin zu entſcheiden, daß der Klage ſtatt—
gegeben wird, ſoweit das Grundſtück im Bezirke A
liegt, im übrigen die Klage abgewieſen wird. Selbſt
eine hierdurch eintretende Schwierigkeit in Anſehung
der Buchung darf den Prozeßrichter nicht abhalten,
eine materiell richtige Entſcheidung zu treffen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
399
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Zu 5 138 BGB.: Geheime Abmachungen von Unter⸗
nehmern über die Höhe ihrer Gebote bei dem Wettbewerb um
öffentlich ausgeſchriebene Arbeiten. Aus den Gründen:
Zur Entſcheidung ſteht nur die Frage, ob die zwiſchen
den Prozeßparteien und zwei weiteren Bauunternehmern
H. und P. getroffene Vereinbarung über ihre Beteiligung
an einem Wettbewerb um Erd⸗ und Brückenbauarbeiten
gegen die guten Sitten verſtößt und deshalb nach 8 138
BGB. nichtig iſt. Dieſe Vereinbarung ging dahin, daß
auf die Brückenbauarbeiten die Klägerin, auf die Erd⸗
arbeiten die Beklagten das niedrigſte und die drei
anderen Vertragsparteien höhere Gebote abgeben und
die Klägerin dem H. 2000 M, die Beklagten dem P.
1000 M als Gewinnanteil auszahlen ſollten; ſollten
aber die Arbeiten einem anderen Vertragsgenoſſen
übertragen werden, dann ſollte dieſer die genannten
Beträge auszahlen. Nach der Behauptung der Klägerin
iſt weiter noch vereinbart worden, daß die Beklagten,
wenn ihnen die Brückenbau⸗ und die Erdarbeiten zu⸗
geſchlagen würden, erſtere der Klägerin als Unter⸗
unternehmerin übertragen müßten. Die Vorinſtanzen
haben die Vereinbarung für nichtig erklärt; die Ver⸗
einbarung habe nur bezweckt, durch nicht ernſthaft
gemeinte höhere Preisforderungen der anderen Ver⸗
tragsgenoſſen die ausgeſchriebenen Arbeiten den Prozeß⸗
parteien auf ihre im Vergleiche mit jenen Schein⸗
angeboten beſonders günſtig erſcheinenden Gebote
zu verſchaffen, die Abrede habe auf eine Täu⸗
ſchung der Bauherrin über den Charakter der An⸗
gebote abgezielt; dadurch unterſcheide ſich der vor⸗
liegende Fall von dem in dem Urt. des I. 35. vom
7. März 1908 (I 357/07; JW. 1908 S. 296) abge⸗
urteilten, in dem das Moment der Täuſchung durch
die Abgabe nicht ernſthafter höherer Offerten gefehlt
habe. Mit Recht rügt die Reviſion, daß die An⸗
nahme, die höheren Preisforderungen ſeien nicht ernſt
gemeint, nur Scheinangebote gemefen. mit dem vor⸗
getragenen Sachverhalte nicht im Einklange ſteht.
Die Klägerin hat allerdings behauptet, bei dem Ber:
tragsſchluſſe ſei man davon ausgegangen, daß die
Arbeiten einer der Prozeßparteien übertragen werden
würden, und habe nicht ernſtlich daran gedacht, daß
einer der anderen Vertragſchließenden eine der aus»
geſchriebenen Arbeiten erhalten würde. Anderſeits iſt
aber in dem ſchriftlichen Vertrage dieſe Möglichkeit
ausdrücklich vorgeſehen. Danach läßt ſich aus jenem
Vorbringen der Klägerin unmöglich folgern, die höheren
Angebote ſeien überhaupt nicht ernſtlich gemeint ge-
weſen, ſondern nur, daß die Parteien die Erteilung
des Zuſchlags auf dieſe, eben weil ſie die höheren
waren, für höchſt unwahrſcheinlich gehalten haben,
wie dies auch von den Beklagten nach dem Tat⸗
beſtande des Berufungsurteils behauptet iſt. Die aus⸗
ſchreibende Firma hatte ſich nicht verpflichtet, dem
Mindeſtfordernden die Arbeiten zu übertragen. Mit
der Möglichkeit, daß ein anderer ſie bekomme, mußten
die Vertragſchließenden rechnen und haben ſie nach
dem Inhalte des ſchriftlichen Vertrags auch gerechnet.
Daß die höheren Gebote das vereinbarte Mindeſtgebot
ſo erheblich überſteigen ſollten oder überſtiegen hätten,
daß ſie deshalb nicht in Betracht kommen konnten, iſt
nicht behauptet worden; die Tatſache, daß die Brüdene
bauarbeiten nicht der Klägerin auf ihr Mindeſtgebot,
ſondern den Beklagten übertragen worden ſind, ſpricht
dagegen. Demnach waren die höheren Gebote keine
Scheinangebote. Der Vorderrichter legt nun gerade
auf den wiederholt betonten Umſtand, dieſe Gebote
ſeien nicht ernſthaft gemeint, nur Scheinangebote ge-
400
weſen, entſcheidendes Gewicht. Mit dieſer Feſtſtellung
fällt folglich auch ſeine Entſcheidung. Letztere ſtellt
ſich auch nicht etwa aus einem anderen Grunde als
richtig dar. Insbeſondere iſt nicht feſtgeſtellt und
auch von den Beklagten nicht behauptet worden, daß
die Mindeſtgebote nicht angemeſſen geweſen ſeien; aus
der Tatſache, daß die Firmen, denen die Arbeiten
übertragen wurden, 3000 M an die Vertragsgenoſſen
als Gewinnanteile abgeben mußten, folgt für ſich
allein noch nicht, daß ihre Gebote um dieſen Betrag
die Grenzen des Angemeſſenen überſchreiten mußten.
Daß ſchließlich nicht jede derartige Vereinbarung ohne
Rückſicht auf die Angemeſſenheit der vereinbarten
Mindeſtgebote und auf das Vorliegen einer Täuſchungs⸗
abſicht gegen die guten Sitten verſtößt, nimmt auch
der Vorderrichter im Anſchluß an das angeführte Urteil
des I. 35. an und iſt auch von dem erkennenden
Senate (III 221/03, Urteil vom 24. Nov. 1903) bereits
ausgeſprochen worden. (Urt. des III. JS. vom 19. 908
1911, III 444/1910).
9875
II.
Ungältigkeit eines Bertrags, durch den ein Schuldner
ſeinem Gläubiger alle gegenwärtigen und künftigen
Ceſchäſtsaußeuftände abtritt und zugleich feine Fabrik⸗
einrichtung, feine Rohftoffe und Waren ihm übereignet,
ſowie feine künftig zu erwerbenden Rohſtoffe und
Waren ihm zu übereignen ſich verpflichtet. Aus den
Gründen: Der Kläger hat mit dem Fabrikanten S.,
dem jetzigen Gemeinſchuldner, einen Vertrag geſchloſſen,
durch welchen er ſich verpflichtete dem S. einen Kre—
dit zu beſchaffen, S. dagegen ihm eine Entſchädigung
von 10% des von ihm erzielten Reingewinns zus
ſicherte und ihm zur Sicherheit für alle, aus dem
Vertrags verhältnis erwachſenden Anſprüche das Einen:
tum an ſeinem ganzen Lager fertiger und halbfertiger
Waren und den Rohmaterialien, Werkzeugen und
Geſchäftseinrichtungsgegenſtänden zu übertragen er—
klärte, ihm alle bereits vorhandenen und zukünftigen
Geſchäftsausſtände zedierte und ſich verpflichtete, ihm
auch das Eigentum an den ſpäter zu erwerbenden
Rohmaterialien und Waren zu übertragen. Das Ver—
tragsverhältnis war zunächſt auf ein Jahr berechnet,
ſollte jedoch von Jahr zu Jahr verlängert werden,
falls es nicht drei Monate vor Ablauf des Jahres
gekündigt würde. Auf Grund dieſes Vertrages hat
der Kläger in dem über das Vermögen des S. er—
öffneten Konkurſe Ausſonderungs- und Maſſeanſprüche
erhoben. Das Berufungsgericht hat die Klage abge⸗
wieſen, weil der Vertrag dadurch, daß er die geſchäft⸗
liche Selbſtändigkeit des S. völlig beſeitige, den guten
Sitten widerſtreite, er auch zwar nicht in unmittel-
barer aber entſprechender Anwendung des 8 310 BGB.
für ungültig zu erachten ſei. Die Reviſion, welche im
weſentlichen die Verletzung der S8 138, 310 BGB.
rügt und ausführt, daß die Auffaſſung des Berufungs—
gerichts dem fiduziariſchen Charakter des Vertrages
vom 22. Juni 1904 nicht gerecht werde, iſt unbegründet.
Der Vertrag enthält eine nichtige Beſtimmung ſchon
in der Vereinbarung der Abtretung aller zukünſtig
entſtehenden Geſchäftsaußenſtände. Die Ungültigfeit
einer ſolchen Abtretung hat das RG. bereits in dem
Urteil vom 1. Oktober 1907 (Entſch. 67, 166) ausge—
ſprochen und zwar in einem Falle, in welchem die
Abtretung gleichfalls nur zum Zwecke der Sicherung
des Gläubigers und Zeſſionars erfolgt war. Daß in
jenem Falle der Abtretende mehrere Gewerbe betrieb,
kann einen weſentlichen Unterſchied nicht begründen.
Insbeſondere entbehrt auch hier die Bezeichnung der
abgetretenen Forderungen der nötigen Beſtimmtheit.
Jede Erweiterung des Geſchäftsbetriebes, jede Be—
teiligung des Abtretenden an anderen Unterneh—
mungen, der Abſchluß von Börſen- und ſonſtigen Ge—
Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
ſchäften muß zu Zweifeln führen, ob die daraus er⸗
wachſenen Forderungen als Geſchäftsausſtände i. S. des
Vertrages anzuſehen und demnach mitabgetreten find
oder nicht. Die Vermutung des 8 344 Abſ. 1 HGB. kann
nicht genügen um dieſe Zweifel zu beſeitigen. Das
Bedürfnis des Verkehrs, aus welchem die Notwendig:
keit der Anerkennung der Abtretbarkeit zukünftiger
Forderungen vornehmlich hergeleitet wird — RG. 55,
334 — rechtfertigt nicht die Abtretung zukünftiger
RS in einem derartigen Umfang, wie er
ier verſucht wird. Die Anerkennung derartiger
Abtretungen würde vielmehr den redlichen Ber-
kehr ſchwer gefährden. Insbeſondere muß aber in
einem Falle, wie dem vorliegenden, in dem mit der
Abtretung der künftigen Geſchäftsausſtände die Ueber:
eignung der geſamten Fabrikeinrichtung, der Roh⸗
ſtoffe und der Waren verbunden und zugleich die
Verpflichtung übernommen worden iſt, auch die künftig
zu erwerbenden Rohſtoffe und Waren dem Kläger zu
übereignen, der Vereinbarung als gegen die guten
Sitten verſtoßend die rechtliche Anerkennung verſagt
werden. Wenn die Vereinbarung nicht einen bloßen
Scheinvertrag, eine Umgehung der geſetzlichen Be—
ſtimmungen bezweckt, welche eine Pfandbeſtellung
durch constitutum possessorium nicht zulaſſen, fo ent:
zieht ſie dem Schuldner völlig die geſchäftliche Selb—
ſtändigkeit und gibt dem Gläubiger die Möglichkeit
jederzeit einzugreifen und die gewerbliche Tätigkeit des
Schuldners lahmzulegen. Daß die übereigneten Sachen
dem Schuldner „zum unentgeltlichen Gebrauch über—
laſſen“ find, und ihm die ‚Ermächtigung' erteilt iſt,
die Rohſtoffe zur Fertigſtellung von Waren zu vers
wenden, und die fertigen Waren in ordnungsmäßigem
Geſchäftsbetriebe zu veräußern, ändert hieran nichts;
ebenſowenig, daß der Vertrag zunächſt nur auf ein
Jahr geſchloſſen iſt. Auch der Umſtand kann die
Rechtswirkſamkeit der Vereinbarung nicht begründen,
daß ſie getroffen iſt um dem Schuldner neuen Kredit
zu verſchaffen und ſie ſomit dem augenblicklichen
Vorteile des Schuldners dienen mag. Denn die
Rückſicht auf den geſunden Verkehr, auf die Intereſſen
der ſonſtigen Gläubiger, an denen es bei einem
Schuldner, der ſich zu derartigen Verträgen beſtimmen
läßt, niemals fehlen wird, insbeſondere auf die—
jenigen, von denen der Schuldner die Waren zu
ſeinem weiteren Geſchäftsbetriebe entnimmt, erfordert,
daß die rechtliche Anerkennung einer Vereinbarung
verſagt wird, durch die der Schuldner ſich feines ge⸗
ſamten dem Geſchäftsbetriebe dienenden Vermögens,
auch des zukünftig zu erwerbenden, zugunſten eines
Gläubigers entäußert und zum bloßen Werkzeuge
dieſes Gläubigers wird, während er gleichwohl nach
außen hin den Schein eines ſelbſtändigen Gewerbe—
betriebes aufrecht erhält. Dem fiduziariſchen Rechts—
geſchäfte kann kein weiterer Spielraum gegeben werden
als dem wirtſchaftlich ernſtgemeinten. Demnach iſt
der Vertrag vom 22. Juni 1904 jedenfalls inſofern
für ungültig zu erachten, als er die Abtretung aller
künftigen Außenſtände enthält. Da aber der Vertrag,
wie das Berufungsgericht bedenkenfrei feſtſtellt, nur
als ein einheitliches Ganzes gewollt war, ſo ergibt
ſich hieraus nach 8 139 BGB. die Nichtigkeit des
Vertrages ſeinem ganzen Inhalt nach. Es bedarf
daher nicht der Prüfung der Frage, ob nicht auch
diejenigen Beſtimmungen der Vertrages, welche die
Uebertragung des Warenlagers zum Gegenſtande
haben, ebenfalls ſchon an ſich ungültig find; vgl. in
dieſer Beziehung die Ausführungen von H. Hoeniger
in der Zeitſchr. des Deutſch. Notarvereins, 11. Jahrg.
S. 177 ff. (Urt. des III. ZS. vom 5. Mai 1911, III
204/1910). E.
2376
Zeitſchrift für ÜMùuBeilſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 0. M in Bayern. 1911.
III.
Nechtsverhältniſſe eines ſog. Unterkonſortinms.
Aus den Gründen: Der Berufungsrichter legt die
Schreiben der Parteien dahin aus, daß die Beklagte
nicht, wie ſie in zweiter Inſtanz geltend gemacht hat,
beſtimmte 50 Stück Kuxe von der Klägerin gekauft,
ſondern mit der Klägerin einen Unterkonſortialvertrag
(Untergeſellſchafts vertrag) geſchloſſen habe; Gegen⸗
ſtand dieſes Vertrages ſei die Unterbeteiligung der
Beklagten an dem Konfortialanteil (Geſellſchaftsanteil)
geweſen, der für die Klägerin durch den von ihr mit
drei anderen Perſonen zum An⸗ und Verkauf von
R.⸗Kuxen durch den e .
ſchaftsvertrag) begründet worden ſei. Die höchſt⸗
[nn Rechtſprechung hat vielfach bei ähnlicher
Sachlage, namentlich in Fällen der Ueberlaſſung einer
Beteiligung durch den Teilhaber eines zur Emiſſion
von Wertpapieren gegründeten Konſortiums, die Ans
nahme ſolcher Unterkonſortial verträge (Untergeſell⸗
ſchaftesverträge) gebilligt 0 ROH. 15, 249; 17, 196,
22, 1 6, 46, 46, 27; 56, 206; 67,
394; Gruchot 48, 1042). Die Rechtsverhältniſſe der⸗
artiger zwiſchen Kaufleuten begründeter Unterkonſortien
(Untergeſellſchaften) wurden nach früherem Recht durch
die Art. 266 ff. des alten HGB. über die handels⸗
rechtliche Gelegenheitsgeſellſchaft beſtimmt (RG. bei
Gruchot 48, 1042); jetzt unterſtehen ſie den Vorſchriften
der 88 705 ff. BOB. über die Geſellſchaft (RG. 67,
395). Hiervon geht auch der Berufungsrichter aus.
Er ſagt über die Rechtsverhältniſſe der Untergeſell⸗
ſchaft zu der Hauptgeſellſchaft und der Untergeſell⸗
ſchafter zueinander, daß der Unterbeteiligte keine
Rechte gegen die Hauptgeſellſchaft, insbeſondere keinen
Einfluß auf die Geſchäftsführung der Hauptgeſell⸗
ſchafter habe und alle Verfügungen der Hauptgeſell⸗
ſchafter und ihre Geſchäftsführung gegen ſich gelten
laſſen müſſe, ſoweit fie ordnungsmäßig geſchehen ſeien,
die Geſchäfte ſich im Rahmen des Hauptgeſellſchafts⸗
vertrages hielten und beſonderen Beſtimmungen des
F nicht entgegenliefen, ſowie
daß ihm der die Beteiligung überlaſſende Hauptgeſell⸗
ſchafter nach 8 708 BGB. bei der Erfüllung der ihm ob»
liegenden Verpflichtungen nur für diejenige Sorgfalt
einzuſtehen habe, die er in eigenen Angelegenheiten an⸗
wende. Dies iſt nicht zu beanſtanden, entſpricht vielmehr
der vom ROHG. und vom RG. bei ähnlicher Sach⸗
lage den Unterkonſortialen beigelegten Rechtsſtellung
(ROH. 15, 252; 17, 203, 391; 22, 385; RG. 1, 80;
67, 395). (Urt. des V. 35. vom 13. Mai 191i v
586/1910).
2373
IV.
Wird die Annahme eines Mitverſchuldens des Ber:
letzten durch die Feſtſtellung einer „löblichen Abſicht“
oder durch feine Abſtumpſung gegen die Betriebsgefahr
ausgeſchloſſen? Mittelbarer urſächlicher Zuſammenhang
1 dem ſchuldhaften Verhalten des erletzten und
em ſchädigenden Erfolg. Der Arbeiter N. wurde bei
Bahnbauarbeiten auf einer Staatsbahnlinie beſchäftigt.
Ein Materialzug ſtieß an einen von ihm zuvor ab⸗
gehängten Rollierſteinwagen, auf dem N. ſtand und
mit Abladen von Steinen beſchäftigt war. N. ſtürzte
herab und fiel zwiſchen die Schienen; bei dem Ver⸗
ſuche zwiſchen den rollenden Rädern herauszukriechen,
wurde er von dieſen erfaßt und getötet. Die Berufs⸗
genoſſenſchaft hat den Fiskus gemäß 8 140 GewllVerſc.
und auf Grund des 81 HaftpflG. auf Erſatz der von
ihr an die Witwe und Kinder des Getöteten gezahlten
Entſchädigungsbeträge und Renten in Anſpruch ge—
nommen. Das LG. wies die Klage ab. Die Be—
rufung wurde als unbegründet zurückgewieſen. Die
Reviſion blieb erfolglos.
Nr. 20. 401
Gründe: Das OLG. erblickt in dem Verhalten
des Getöteten ein für den Unfall urſächliches grobes
Verſchulden. N., der ſeit 6—7 Jahren beim Bahnbau
beſchäftigt war, habe die Warnungsſignale und Zu⸗
rufe ſo gut wie die anderen Arbeiter gehört und ver⸗
ſtanden, ſie aber wiſſentlich nicht beachtet und ſei auf
dem Wagen ſtehen geblieben, obwohl den Arbeitern
wiederholt eingeſchärft worden ſei ſich in einem ſolchen
Falle niederzuſetzen. Hätte er dies getan, ſo wäre
das Unglück vermieden worden. Ein Verſchulden des
Fiskus oder ſeiner Betriebsorgane liege nicht vor, auch
kein die Betriebsgefahr erhöhendes Moment. Es müſſe
daher — auch im Hinblick auf 8 254 BGB. — ein
überwiegendes eigenes Verſchulden des Getöteten an⸗
genommen werden.
Die Reviſion rügt Verletzung des 8 1 HaftpflG.,
des 8 254 BG. und der 88 286 und 551 Nr. 7 ZO.
Im Berufungsurteil iſt geſagt: wenn auch angenommen
werden müſſe, daß N. ſich bei feinem Verhalten nur
durch ſeinen Fleiß und durch ſein Beſtreben Lob zu
ernten und bald fertig zu werden, leiten ließ, ſo
enthalte doch die Nichtbeachtung der Warnungsſignale
und die Nichtveränderung ſeiner Stellung auf dem
Wagen eine grobe Fahrläſſigkeit. Die Reviſion meint,
wenn der Verunglückte „in der beſten Abſicht“ ge⸗
handelt habe, ſo werde dadurch die Entſcheidung der
Frage des Verſchuldens oder doch des Grades ſeines
Verſchuldens beeinflußt. Dem kann jedoch hier nicht
beigepflichtet werden. An der Kauſalität des Ver⸗
ſchuldens würde durch einen an ſich löblichen Beweg⸗
arund der Handlungsweiſe nichts geändert. In ſub⸗
jektiver Hinſicht könnte unter anderen Umſtänden ein
Uebereifer bei der Arbeit die Achtloſigkeit in milderem
Lichte erſcheinen laſſen. Allein hier handelte es ſich
nicht um bloße Unaufmerkſamkeit gegenüber der Ge⸗
fahr, und zudem war ein Uebereifer beim Abladen
wenig am Platze. Nach der Feſtſtellung des Berufungs⸗
gerichts hätte an der Stelle, wo N. voreilig abzuladen
unternahm, nicht abgeladen werden dürfen, weil dort
ſchon „rolliert“ war, und der Verunglückte hätte dies
bei einiger Umſicht und Ueberlegung ſelbſt erkennen
müſſen
Die Klägerin hatte darauf hingewleſen, daß der
fändige Umgang mit der Betriebsgefahr gegen dieſe
Gefahr abſtumpfe. Dem hält das Berufungsgericht
entgegen, daß die Gleichgültigkeit gegen die Gefahr
ſtets eine Fahrläſſigkeit des ſie nicht Achtenden ſei und
daß er allein dieſe Fahrläſſigkeit zu vertreten habe.
Von der Reviſion wird dieſe Ausführung als irrig
bekämpft; es müſſe bei der Frage nach dem eigenen
Verſchulden des Verletzten auch auf die Verhältniſſe
und Lebensgewohnheiten Rückſicht genommen werden,
alſo auch auf jene allgemein bekannte Erfahrungs⸗
tatſache. Nun mag der Reviſion zugegeben werden,
daß der vom OLG. aufgeſtellte Satz gegenüber der
Vorſchrift des 8 254 BGB. zu ſchroff oder zu allgemein
gefaßt iſt. Es kann nach Umſtänden bei Betriebs—
unfällen von Bahnbedienſteten oder Bahnarbeitern
gerechtfertigt fein für die Frage des eigenen Vers
ſchuldens einen milderen Maßſtab anzulegen, weil
ihre Tätigkeit ſie fortwährend in Verbindung mit den
Gefahren des Betriebes bringt und der ſtete Umgang
mit der Gefahr ſie weniger auf dieſe achten läßt. Indes
darf doch dieſem Geſichtspunkte da nicht zulaſten des
Betriebsunternehmers Rechnung getragen werden, wo
der Verunglückte wie hier, nicht nur einer zum Schutze
der Arbeiter erlaſſenen Weiſung zuwiderhandelt, ſon—
dern auch die noch unmittelbar angeſichts der nahenden
Gefahr abgegebenen Signale und Warnungsrufe ge—
fliſſentlich unbeachtet läßt. Die Folgen eines ſolchen
Ungehorſams hat allerdings der Betcoffene allein zu
vertreten.
Als irrig bezeichnet die Reviſion weiter die An—
nahme des OL G., daß das Verſchulden des N. für
402
feinen Tod kauſal geweſen ſei. Er ſei erſt, als er
nach dem Sturze herauszukriechen verſuchte, von den
Rädern erfaßt und getötet worden. Der Arbeiter R.,
der ebenfalls vom Wagen gefallen ſei, habe keinen
Schaden genommen. Der Verſuch durch die Räder
zu kriechen, werde aber dem N. vom OLG. nicht zur
Schuld angerechnet. Auch dieſer Angriff kann keinen
Erfolg haben. Wenn der Vorderrichter dem Ver⸗
unglückten den Verſuch herauszuklettern, nicht als
Verſchulden zugerechnet hat, ſo ſtand das der Feſt⸗
ſtellung der Urſächlichkeit ſeines vorangegangenen ſchuld—
haften Verhaltens keineswegs entgegen.
ſichtige verbotswidrige Stehenbleiben des N. auf dem
Wagen hat ſeinen Sturz veranlaßt und ihn in die
gefährliche Sitution auf den Schienen gebracht.
fo verſchuldete Sturz iſt und bleibt die erſte und
Das unvor⸗
Der
weſentlichſte Urſache des Unfalles, wenngleich noch
eine weitere Handlung oder Bewegung des Geſtürzten
in die Kauſalreihe eingetreten iſt und die tödliche Ver⸗
letzung unmittelbar herbeigeführt hat. Daran ändert
es auch nichts, wenn nach dem Sturze aber als deſſen
Folge bei dem Verunglückten eine Beeinträchtigung
feiner Denkfähigkeit oder freien Willensbeſtimmung
hinzugekommen wäre, die ihn den Verſuch heraus⸗
zukriechen unternehmen ließ. Der Arbeiter R., der
gleichfalls auf dem Wagen ſtehen geblieben und herab⸗
geſchleudert worden iſt, hatte das beſondere Glück,
auf die Puffer des Wagens zu fallen. Es iſt un⸗
erfindlich, wie dieſer Hergang gegen die Urſächlichkeit
des dem N. zur Laſt fallenden Verſchuldens zu ver⸗
werten ſein ſollte.
1911, VI 190/1910).
2294
(Urt. des VI. 35. vom 4. Mai
— — —n
V.
Kann der Hypothetſchuldner mit Wirkung für den
Gläubiger mit einem Dritten vereinbaren, daß eine auf
die Hypothek geleiſtete Zahlung als nicht geſchehen gelten
fol? Bewirkt eine ſolche Vereinbarung das Wieder:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
Reviſion iſt zuzugeben, daß es mindeſtens zweifelhaft
iſt, ob der feſtgeſtellte Sachverhalt die Annahme eines
Verſtoßes gegen die guten Sitten und aus dieſem
Grunde die der Nichtigkeit des Zahlungsgeſchäfts vom
21. Februar 1907 zu rechtſertigen vermag. Einer
Löſung des Zweifels und überhaupt einer Entſcheidung
darüber, ob die Zahlung gegenüber dem Beklagten
wirkſam erfolgt iſt, bedarf es jedoch nicht, da dem
Kläger auf alle Fälle die von ihm im Auguſt 1907
mit den Eheleuten St. über die Rüdgängigmadjung
der Zahlung getroffene Vereinbarung entgegenſteht.
Allerdings kann ſich der Beklagte dem Kläger gegen⸗
über auf dieſe Vereinbarung, bei der die Eheleute St.
lediglich im eigenen Namen gehandelt haben, nur
dann berufen, wenn fie ſich als ein zu feinen Qunſten
geſchloſſener Vertrag i. S. des 8 328 Abſ. 1 BGB.
darſtellt. Insbeſondere kann er nicht, wie das Be⸗
rufungsgericht meint, ein unmittelbares Recht gegen
den Kläger daraus herleiten, daß die Ehefrau St.
als ſeine Geſchäftsführerin ohne Auftrag gehandelt
und daß ſein neuer Vormund die Geſchäftsführung
genehmigt habe (vgl. SS 677 ff., 681, 667 BGB.).
Denn ein Handeln der Ehefrau St. in ſeinem Namen,
als Vertreterin ohne Vertretungsmacht (vgl. § 177
BGB.), ſteht nicht in Frage, und es kann deshalb
dahingeſtellt bleiben, ob bei Annahme eines ſolchen
Handelns dem Berufungsgerichte der Vorwurf der
Verletzung des 8 178 BGB. zu machen geweſen wäre.
Allein die Feſtſtellung, daß die Vereinbarung vom
23. Auguſt 1907 ein Vertrag i. S. des 8 328 Abſ. 1
BGB. ſei, iſt rechtlich unbedenklich. Namentlich iſt es
verfehlt, wenn die Reviſion auszuführen ſucht, daß
aufleben der Hypothek und ſteht fie der auf die
Zahlung geſtützten Klage auf Hypotheklöſchung ent⸗
gegen? Aus den Gründen: Das Berufungsgericht
hält für erwieſen, daß der Kläger am 21. Februar 1907
dem Manne der damaligen Vormünderin des Beklagten
gegen Aushändigung einer von dieſer und dem Gegen—
vormunde unterzeichneten, den Empfang „für Rech—
nung“ des Beklagten beſcheinigenden Quittung 6000 M
als Abzahlung auf deſſen Hypothekenforderung von
noch 17000 M übergeben habe, obgleich ihm die Ab—
ſicht der Vormünderin, den gezahlten Betrag nicht
mündelſicher anzulegen, ſondern ihn ihrem Mann als
Darleha zu belaſſen, bekannt geweſen ſei. Es erblickt
hierin, einerlei ob die Vermögens verhältniſſe des Ehe—
manns St. ſchon damals den Verluſt der 6000 M
befürchten ließen oder nicht, ein gegen die guten Sitten
verſtoßendes Rechtsgeſchäft, und es nimmt deshalb in
erſter Linie an, daß die Zahlung nach § 138 Abſ. 1
BGB. nichtig und ſomit nicht geeignet geweſen ſei,
die Tilgung der Hypothekenforderung in Höhe der
6000 M herbeizuführen. In zweiter Linie iſt es der
Anſicht, daß die Zahlung, auch wenn ſie dem Be—
klagten gegenüber wirkſam geweſen ſein ſollte, durch
die im Auguſt 1907 zwiſchen den Eheleuten St. und
dem Kläger getroffene Vereinbarung wieder rückgängig
gemacht worden ſei. Dieſe Vereinbarung, bei der der
Kläger den Eheleuten St. die Quittung vom 21. Februar
1907 zurückgegeben und dafür den Darlehnsſchuldſchein
der Eheleute St. vom 23. Auguſt 1907 erhalten habe,
ſtelle ſich entweder als Vertrag zugunſten eines Dritten,
des Beklagten, i. S. des § 328 Abſ. 1 BGB. dar, oder
der Beklagte durch die Vereinbarung nicht bloß ein
Recht gegen den Kläger habe erwerben, ſondern auch
ſeine Anſprüche gegen die Eheleute St. habe verlieren
ſollen, und zwar gegen die Frau aus der Verletzung
ihrer Pflichten als Vormünderin, gegen den Mann
aus dem Empfange der 6000 M. Von dem Aufgeben
der Anſprüche des Beklagten gegen die Eheleute St.
brauchte das zwiſchen dieſen und dem Kläger ge—
troffene Abkommen nicht abhängig gemacht zu werden
und iſt es nicht abhängig gemacht worden. Das Ab»
kommen ging ausſchließlich dahin, daß die Eheleute
St. Darlehnsſchuldner des Klägers nach dem dieſem
ausgehändigten Schuldſchein vom 23. Auguſt 1907
als ein Vertrag, der von der Ehefrau St. als auftrags ı
loſer Geſchäftsführerin des Beklagten (vgl. 8677 BGB.)
geſchloſſen und von dem jetzigen Vormunde. ſpäteſtens
im gegenwärtigen Prozeſſe, genehmigt worden ſei. Der
1
‘
werden follten, und daß dafür im Verhältniſſe zwiſchen
dem Kläger und dem Beklagten die in der zurück—
gegebenen Quittung beſcheinigte Zahlung der 6000 M
als nicht geſchehen gelten ſollte. Nun iſt es zwar
nicht richtig, daß hierdurch, wie das Berufungsgericht
ſich ungenau ausdrückt, die Hypothekenforderung
„wiederhergeſtellt“ wurde. Denn im Falle der Wirk⸗
ſamkeit der Zahlung war die Forderung des Beklagten
gegen den Kläger in Höhe von 6000 / endgültig
erloſchen (vgl. 8 362 BGB.) und die Hypothek war
als Eigentümergrundſchuld auf den Kläger über—
gegangen (SS 1163, 1177 daſ.); zur Herſtellung eines
dem früheren gleichen Zuſtandes hätte es alſo noch
anderer Maßnahmen bedurft (vgl. 88 1154, 1198 BGB.).
Aber die Vereinbarung hatte, auch wenn die Vertrag—
ſchließenden einen ſo weitgehenden Erfolg beabſichtigt
haben ſollten, mindeſtens die Wirkung (vgl. § 140
BGB.), daß der Kläger verpflichtet wurde, ſich von
dem Beklagten ſo behandeln zu laſſen, wie wenn die
Zahlung der 6000 M und das dadurch herbeigeführte
Erlöſchen des Schuldverhältniſſes nicht erfolgt wäre
(vgl. Oertmann vor § 362 BGB. Anm. 4, 2. Aufl.
S. 214; Planck zu $ 366 BGB. Anm. 2 Abſ. 2). Iſt
dies aber nicht zu beanſtanden, ſo iſt die Klage auf
Einwilligung in die Löſchung der Hypothek in Höhe
der am 21. Februar 1907 vom Kläger gezahlten
6000 M auf alle Fälle unbegründet. (Urt. des V. 35.
vom 17. Mai 1911, v 476/1910). E.
2.379
VI.
Grundſchuldbeſtellnng für Forderungen aus Dif:
ferenzgeſchäften. Auf dem Grundbeſitz des Klägers
ſind für den Beklagten, einen Angeſtellten der Firma
P., drei Grundſchulden zu je 8000 M eingetragen.
Die Klage verlangt, daß der Beklagte deren Löſchung
bewillige und die Grundſchuldbriefe herausgebe, weil
ſie nie ausgefüllt, nur zum Schein für den Beklagten,
in Wirklichkeit zur Sicherung ſeiner Firma für ihre
Forderung aus verbotenen Börſenſpielgeſchäften ein⸗
getragen worden ſeien und weil der Kläger die
Vorgänge bei der Grundſchuldbeſtellung überhaupt
nicht verſtanden habe. Der Beklagte hat Abweiſung
beantragt. Er behauptet bei der Grundſchuldbeſtel⸗
lung mit dem Kläger verabredet zu haben, daß er,
der Beklagte, dafür 24000 M anſchaffen und auf das
Konto des Klägers bei der genannten Firma ein⸗
zahlen ſolle. Dies ſei dadurch geſchehen, daß die
Firma P. dem Konto des Beklagten 24000 M ab»
und dem des Klägers zugeſchrieben habe. Hierdurch
habe der Kläger den Gegenwert erhalten. Die Klage
wurde abgewieſen. Das OLG. wies die Berufung
und das RG. die Reviſion zurück.
Aus den Gründen: Mit Recht nimmt ſchon
das LG. an, daß, ſoweit Nichtigkeit der Grundſchuld⸗
einträge behauptet wird, der Berichtigungsanſpruch
nach 8 894 BGB., ſoweit Nichtausfüllung der Grund⸗
ſchulden behauptet wird, der Bereicherungsanſpruch
nach 88 812 ff. in Frage kommt. Betrachtet man zus
nächſt den erſten, vorgehenden Anſpruch, ſo iſt mit
RG. 68, 97; 73, 143: RG. V 75/10 vom 25. Januar
1911, JW. 1911 S. 210/3 die Annahme abzulehnen,
daß etwa die Nichtigkeit der Grundſchuldeinträge aus
der Nichtigkeit, weil Unſittlichkeit der Grundgeſchäfte
gefolgert werden könne. Dagegen wäre ihre Nichtig⸗
keit allerdings dann gegeben, wenn die Grundſchuld⸗
beſtellung dem 8 873 BGB. zuwider ohne gültige
Einigung und urkundliche Bewilligung des Klägers
erfolgt wäre. Dergleichen hat der Kläger allerdings
behauptet, der Berufungsrichter hat aber dieſe Bes
hauptungen für widerlegt erklärt. Wenn nun auch
äußerlich rechtsgültig, könnten doch die drei Grunde
ſchulden vom Kläger etwa deswegen nach 88 812 ff.
BGB. zurückgefordert werden, weil ſie auf einem wider
die guten Sitten verſtoßenden Grundgeſchäft beruhen
oder weil der mit ihrer Eintragung erſtrebte Erfolg
nicht eingetreten iſt. Das OLG. verneint dieſe Mög⸗
lichkeit im weſentlichen deshalb, weil — ſelbſt an⸗
genommen, daß die Grundgeſchäfte verbotene Börſen⸗
ſpiele geweſen ſeien — die Firma P. rechtswirkſam
für ihre Forderung hätte befriedigt werden können
und weil dies mit Erfolg auch unter Entlaſtung des
Klägers vom Beklagten bewerkſtelligt worden ſei.
Hiergegen richtet der Reviſionskläger den Angriff, daß
ſeine Behauptung, er habe nicht Erfüllung, ſondern
nur Sicherung zugunſten der genannten Firma be—
abſichtigt (welch' letztere nach dem Geſetz ungültig
geweſen wäre), nicht gewürdigt worden ſei. Dieſer
Angriff iſt hinfällig. Allerdings hatte der Kläger
mehrfach behauptet, er habe in Wirklichkeit nur Siche—
rung, nicht Befriedigung der Bank gewollt. Aber
dem widerſprach feine im Tatbeſtand des Berufungs-
urteils enthaltene Erklärung. daß das ganze Geſchäft
lediglich gemacht worden ſei „um ihm der Bank
gegenüber die Einreden aus Differenzgeſchäften abzu—
ſchneiden“. Durch bloße Sicherheitsbeſtellung konnten
ſolche Einreden nicht abgeſchnitten werden, da auch
ſie nach 8 762 BGB., 8 66 Abſ. 3 Börf®. mit dem
Hauptgeſchäft nichtig geweſen ſein würde. Auch wäre
es widerſinnig geweſen, daß die Firma P. am Tage
der drei Grundſchuldeintragungen ihre alte Siche—
rungshypothek auf dem Grundbeſitz des Klägers löſchen
ließ um wieder eine ungültige Sicherung zu erlangen.
Abgeſchnitten konnte dem Kläger wirkſam der Dif—
ferenzeinwand nur inſoweit werden, als eine nach
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
403
Satz 2 des 8 762 BGB. und 8 66 Abf. 4 Börf®. an
fh nicht rückforderbare Tilgung der angeblichen
Spielſchuld erfolgte. Wenn ſomit der Kläger die Ab⸗
ſicht den Differenzeinwand abzuſchneiden zugibt, ſo
geſteht er damit zugleich die Abſicht zu, daß 24000 M
an ſeiner Schuld getilgt, alſo nicht bloß geſichert
werden ſollten. Das OLG. war daher im Rechte,
wenn es, ein Scheingeſchäft verneinend, ausdrücklich
die Abſicht des Klägers, der Bank gegenüber zu er⸗
füllen, feſtgeſtellt hat. Auf das Zivilrecht geſtützte
Angriffe hat die Reviſion überhaupt nicht erhoben,
aus ihm ſind auch von Amts wegen keine Bedenken
gegen das Berufungsurteil abzuleiten, mag man, wie
es an einzelnen Stellen der Vorderrichter zu tun
ſcheint, unmittelbare Befriedigung der Firma P. durch
die Grundſchuldbeſtellung, wobei alſo der Beklagte
nur ihr beauftragter Treuhänder geweſen wäre, oder
mag man Erfüllungsauftrag des Klägers an den Be⸗
klagten, Vollzug dieſes Auftrags durch letzteren und
Auslagenvergütung an ihn durch die Grundſchuldbeſtel⸗
lungen annehmen. In erſterem Falle war die Grund»
ſchuldbeſtellung zugunſten der Firma als wirkliche
(Differenz⸗)Schuldtilgung zu erachten, da fie als gleich⸗
zeitige Eingehung einer Verbindlichkeit i. S. des 8 762
Abſ. 2 BGB. ebenſowenig wie i. S. des 8 817 Satz 2
BGB. angeſehen werden kann (vgl. RG. 73, 144).
Im zweiten Falle kann, wie ſchon aus obigem hervor⸗
geht, von einer Ungültigkeit der Erfüllung, die durch
Aufrechnung und Umſchreibungen in den Handels⸗
büchern der Firma P. zwiſchen dieſer und dem Be⸗
klagten erfolgt ſein ſoll, und von der Ungültigkeit des
Erfüllungsauftrages hierzu ebenſowenig die Rede ſein.
(Urt. des V. 3S. vom 10. Mai 1911, V u)
2378 :
VII.
Gilt in Eheſcheidungsſachen eine Ausnahme von
dem Grundſatze, daß gegen eine Entſcheidung uur die
Partei ein Rechtsmittel einlegen kann. die durch fie
irgendwie formell beſchwert iſt? Uebergang vom
Scheidungsautrag zum Antrag anf Aufhebung der ehe:
lichen Gemeinſchaft in der Neviſionsinſtanz. Aus den
Gründen: 1. Es fragt ſich zunächſt, ob die Reviſion
zuläſſig iſt, obwohl das Oberlandesgericht in vollem
Umfange den Anträgen der Beklagten und Wider⸗
klägerin entſprochen hat. Die Frage iſt zu bejahen.
Zwar gilt im Zivilprozeſſe im allgemeinen der Grund»
ſatz, daß eine Entſcheidung nur von der Partei durch
Einlegung eines Rechtsmittels angefochten werden
kann, die durch die Entſcheidung in irgendeiner Weiſe
formell beſchwert iſt. Dieſer Grundſatz beſteht an ſich
auch in Eheſcheidungsſachen, ſodaß z. B. ein Ehegatte,
deſſen Antrag auf Abweiſung einer vom anderen Ehe⸗
gatten erhobenen Scheidungsklage Erfolg gehabt hat,
ein Rechtsmittel nicht zu dem Zwecke einlegen kann,
um nachträglich ſeinerſeits Widerklage auf Scheidung
zu erheben (RG. 45, 321, vgl. auch 55, 244). Der
Satz kann aber in Eheſcheidungsſachen mit Rückſicht
auf die beſondere Natur des Scheidungsurteils nicht
ausnahmslos Anwendung finden. Während nämlich
in ſonſtigen Rechtsſtreitigkeiten der obſiegende Teil
jederzeit in der Lage iſt, ſeine aus einer gerichtlichen
Entſcheidung erlangten Rechte wiederaufzugeben, indem
er ſie einfach nicht weiter verfolgt, liegt beim
Scheidungsurteile die Sache anders. Mit der Rechts-
kraft des Urteils tritt die Auflöſung der Ehe von
ſelbſt und auch dann ein, wenn ſie in dieſem Zeit—
punkte nicht mehr dem Wunſche des Ehegatten ent—
ſprechen ſollte, der ſie erwirkt hat. Dabei tritt die
Rechtskraft ohne Zutun des Ehegatten ein, da
Scheidungsurteile gemäß $ 625 ZPO. von Amts wegen
zugeſtellt werden. Mit Rückſicht hierauf und auf die
in der ZPO. den Eheſachen zugunſten der Aufrecht—
erhaltung der Ehe eingeräumte Sonderſtellung hat
deshalb die Rechtſprechung des RG. (Gruchots Beitr. 41,
404
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
171. JW. 1911 S. 155 Nr. 16 IV. 301/10 und die Entſch. Scheidungsurteil zuzulaſſen, dazu zwingen, in der Re:
vom 12. Januar 1911 IV. 21/10) der Partei, die ſich nach⸗
träglich zur Fortſetzung der Ehe entſchließt, geſtattet,
lediglich zum Zwecke der Zurücknahme der Klage oder
des Verzichts auf den Scheidungsanſpruch Berufung
oder, wenn im zweiten Rechtszuge erkannt iſt, Reviſion
einzulegen. Entſprechend hatte das RG. unter der
Herrſchaft des früheren Rechts die Einlegung eines
Rechtsmittels wie in Fällen, in denen die Scheidung
auf Grund gegenſeitiger Einwilligung nach preuß.
ALR. ausgeſprochen war, zum Zwecke der Zurücknahme
der früher erklärten Einwilligung (RG3Z. 27, 370 und
Urt. vom 8. März 1894 IV. 256/93) ſo auch zugelaſſen,
um dem Kläger oder Widerkläger, nach deſſen Antrag
erkannt war, Gelegenheit zu geben, von der Scheidungs⸗
klage zur Klage auf Trennung von Tiſch und Bett
überzugehen (RG. 36, 351, Gruchots Beitr. 41, 171).
Nun weiſt zwar die Aufhebung der ehelichen Gemein⸗
ſchaft, wie fie in den 88 1575, 1576, 1586 und 1587
BGB. geregelt iſt, mag auch ihr Weſen und ihr Ber:
hältnis einerſeits zur Scheidung und andererſeits zur
früheren Trennung von Tiſch und Bett zweifelhaft
ſein, unzweifelhaft wie jener ſo auch dieſer gegenüber
Verſchiedenheiten auf. Jedenfalls aber hat ſie unter
allen Umſtänden mit der früheren Trennung von Tiſch
und Bett das gemeinſam, daß ſie nur eine ſchwächere
Wirkung als die Scheidung hat (8 1586 BGB.), indem
fie im Gegenſatze zu dieſer das Band der Ehe minde⸗
ſtens nicht völlig löſt. Der Ehegatte, der an Stelle
der erwirkten Scheidung Aufhebung der ehelichen
Gemeinſchaft begehrt, will alſo immerhin das ihm
ſchon zugefprochene Recht teilweiſe wiederaufgeben.
Aus dieſem Grunde trägt der Senat kein Bedenken,
anzuerkennen, daß der Kläger oder Widerkläger, auf
deſſen Antrag die Scheidung ausgeſprochen iſt, gegen
das Scheidungsurteil Berufung oder Reviſion auch
lediglich zu dem Zwecke einlegen kann, um nachträglich
den Scheidungsantrag in den Antrag auf Aufhebung
der ehelichen Gemeinſchaft umzuwandeln. Anders
würde, was wenigſtens die Reviſion anlangt, die Frage
zu beantworten ſein, wenn in der Reviſionsinſtanz
der Uebergang von der Scheidungsklage zur Klage
auf Aufhebung der ehelichen Gemeinſchaft aus ſonſtigen
Gründen überhaupt nicht mehr möglich wäre. Das
wird von einigen Schriftſtellern allerdings ſowohl
für dieſen Fall als für den umgekehrten Fall des
Uebergangs von der Klage auf Aufhebung der ehelichen
Gemeinſchaft zur Scheidungsklage deshalb ange—
nommen, weil auch die Umwandlung nur bis zu dem
Zeitpunkt erfolgen könne, bis zu dem neue materielle
Anträge prozeßrechtlich überhaupt zuläſſig ſeien, d. h.
nur bis zum Schluſſe der mündlichen Verhandlung
in der Berufungsinſtanz. Für den umgekehrten Fall
hat es auch der Senat durch Urt. vom 25. September
1905 IV. 151/05 mit der Begründung ausgeſprochen,
daß für ein derartiges Hinausgehen über die ſachliche
Entſcheidung des Berufungsrichters die Reviſions—
inſtanz keinen Raum biete. Die große Mehrheit der
Schriftſteller läßt dagegen in beiden Fällen die Um—
wandlung auch noch in der Reviſionsinſtanz zu, meiſt
aus der Erwägung heraus, daß die Umwandlung
keine Klageänderung enthalte und die Feſtſtellung
irgend welcher neuer Tatſachen nicht erforderlich mache.
Den hier in Rede ſtehenden Uebergang von der
Scheidungsklage zur Klage auf Aufhebung der ehe—
lichen Gemeinſchaft hat auch bereits der Senat durch
Urt. vom 5. Januar 1905 IV. 27404 für noch in der
Reviſionsinſtanz zuläſſig erklärt. In dem entſchiedenen
Falle hatte ſich freilich auch der Gegner mit der Um—
wandlung einverſtanden erklärt, was hier nicht zutrifft.
Auf das Einverſtändnis des Gegners kann es aber
bei der Frage nach der Zuläſſiakeit des Uebergangs
nicht entſcheidend ankommen. Entſcheidend iſt vielmehr,
daß dieſelben Gründe, die dahin führen, trotz mangeln—
den Beſchwerdegrundes ein Rechtsmittel gegen das
— m — — — — —
viſionsinſtanz auch den Uebergang von der Scheidungs⸗
klage zur Klage auf Aufhebung der ehelichen Gemein:
ſchaft zuzulaſſen. Im Streitfalle iſt nach alledem die
Reviſion zuläſſig. Die Frage, ob ſie auch im umge⸗
kehrten Falle zuzulaſſen wäre, bedarf nicht der Ent⸗
ſcheidung.
2. Trotz Zuläſſigkeit der Reviſion kann mit Kück⸗
ſicht auf die Vorſchrift in § 1575 Abſ. 1 Satz 2 BGB.
ſachlich dem Antrage der Beklagten und Widerklägerin
ſtatt auf Scheidung auf Aufhebung der ehelichen
Gemeinſchaft zu erkennen nicht entſprochen werden.
Der Kläger hat vor dem Reviſionsgerichte ausdrücklich
erklärt, er wolle es bei der Scheidung belaſſen wiſſen.
Nun nehmen zwar die Schriftſteller, die ſich gegen die
Möglichkeit des Ueberganges von der einen zur
anderen Klage noch in der Reviſionsinſtanz ausſprechen,
auch an, daß der Antrag aus 8 1575 Abſ. 1 Satz 2
BGB. in der Reviſionsinſtanz nicht mehr geſtellt
werden könne, während die Mehrheit der Schriftſteller
auch hier den entgegengeſetzten Standpunkt vertritt.
Wie aber dieſe Frage auch zu entſcheiden ſein möchte.
wenn der Antrag auf Aufhebung der ehelichen Cemein⸗
ſchaft ſchon früher geſtellt war, jedenfalls muß, wenn
dieſer Antrag wie hier erſt in der Reviſionsinſtanz
neftellt und dort zugelaſſen wird, dann auch dem
Gegner geſtattet werden, den Antrag aus 8 1575
Abſ. 1 Satz 2 BGB. noch in der Reviſionsinſtanz zu
ſtellen. Die an ſich ſtatthafte Reviſion der Beklagten
iſt deshalb als ſachlich unbegründet zurückzuweiſen.
(Urt. des IV. ZS. vom 18. Mai 1911, IV 504/1910).
2337 E.
VIII.
Feſtſtellung der Perſon, mit der der Beklagte die
Ehe gebrochen hat, im Scheidungsurteil (5 624 380.) :
kaun ein Ehegatte um dieſe Feſtſtellung zu erzielen das
Scheidungsurteil anfechten, das den in feiner Klage
behaupteten Ehebruch als nicht erwieſen bezeichnet, die
Scheidung aber aus einem anderen in der Klage geltend:
gemachten Grund ausſpricht? Die Ehe der Parteien
iſt in erſter Inſtanz auf die Klage des Mannes und
die Widerklage der Frau geſchieden und es find beide
Teile für ſchuldig an der Scheidung erklärt worden.
Die Entſcheidung über die Klage beruhte auf der Feſt⸗
ſtellung, daß die Beklagte mit Iſidor G. Ehebruch
getrieben habe, die Entſcheidung über die Widerklage
auf der Feſtſtellung, daß zwar ein als Scheidunas—
grund wirkſamer Ehebruch, deſſen ſich nach der Be⸗
hauptung der Beklagten der Kläger namentlich auch
mit ihrer eigenen Schweſter Gertrud Sch. ſchuldig
gemacht haben ſollte, nicht erwieſen ſei; der Kläger
habe aber die Beklagte in roher und grober Weiſe
mißhandelt und dadurch auch von ſeiner Seite eine
die Scheidung rechtfertigende Zerrüttung der Ehe
herbeigeführt.
Aus den Gründen: Die Entſcheidung auf die
Widerklage der Frau war in erſter Inſtanz auf den
Eheſcheidungsgrund des & 1568 BGB. geſtützt. Die
Beklagte verlangte vom Berufungsgericht eine Ab—
änderung in der Weiſe, daß die Eheſcheidung zugleich
wegen des behaupteten Ehebruchs mit der Gertrud Sch.
ausgeſprochen werde. Der Berufungsrichter hat die
Berufung zurückgewieſen. Da er es jedoch ablehnt
ſachlich auf das Begehren der Beklagten und Wider—
klägerin einzugehen und dabei auf das Urt. des R.
vom 6. Juli 1903 (Entſch. 55, 244 ff.) verweiſt, hat
ſeine Entſcheidung die Bedeutung einer Verwerfung
des Rechtsmittels wegen Unzuläſſigkeit. Hiergegen
kämpft die Reviſion mit der Begründung an, daß der
Berufungsrichter zu Unrecht durch die auf die Wider—
klage ergangene Entſcheidung des LG. die Beklagte
nicht für beſchwert gehalten habe. Die Beklagte ſei
nach § 624 ZBO. zu dem Verlangen berechtigt geweſen,
daß der behauptete Ehebruch des Klägers gleichfalls
feftgeftellt werde. Die Vorſchrift des § 624 ſei nicht,
wie in dem Urt. vom 6. Juli 1903 bemerkt werde,
nur reglementärer, ſondern zwingender Natur. Auch
beſtehe neben dem öffentlichen Intereſſe an der Ver⸗
hinderung einer Eheſchließung mit dem, der an dem
Ehebruche mitſchuldig ſei, das eigene perſönliche
Intereſſe des durch den Ehebruch verletzten Ehegatten.
Ihm müſſe die Möglichkeit gegeben ſein, einer ſolchen
i des ſchuldigen Ehegatten nach
8 1312 Abſ. 1 BGB. vorzubeugen. Die Reviſion
konnte keinen Erfolg haben. Allerdings handelt es
ſich im § 624 ZPO. um eine zwingende Geſetzesvor⸗
ſchrift. Sie hat jedoch zur Vorausſetzung, daß die
Eheſcheidung wegen Ehebruchs ausgeſprochen wird,
und hat mit der Frage nichts zu tun, wie die Prozeß⸗
lage beſchaffen ſein muß, wenn der Scheidungsgrund
des Ehebruchs zur Geltung kommen ſoll. Reglementär
iſt ſie nur in dem Sinne, daß die an eine Eheſcheidung
wegen Ehebruchs gelnüpften Rechtsfolgen (§8 1312
Abſ. 1, 1328 Abſ. 1 BGB., § 172 StGB.) auch dann
eintreten, wenn die förmliche Feſtſtellung der Perſon
des Mitſchuldigen, obwohl ſie ſich aus den Verhand⸗
lungen ergab, unterblieben iſt, insbeſondere wenn
ſie nur in den Gründen des Scheidungsurteils neben⸗
her Erwähnung gefunden hat. Ob im übrigen Fälle
denkbar find, in denen ein Ehegatte durch die auf
ſeinen Antrag ausgeſprochene Eheſcheidung deshalb
beſchwert iſt, weil das Urteil zwar auf einen von ihm
behaupteten Scheidungsgrund geſtützt iſt, gleichwohl
aber in der Hervorkehrung dieſes Scheidungsgrundes
ſich mit der Klagebegründung in Widerſpruch ſetzt,
bedarf für den gegebenen Fall keiner Erörterung. Die
Beklagte hatte in erſter Inſtanz mit der Widerklage
die beiden Scheidungsgründe des 8 1565 und des 8 1568 |
neben und unabhängig voneinander geltend gemacht. In
dieſem weſentlichen Punkte beſteht zwiſchen dem 91905
wärtigen und dem Falle des Urt. vom 6. Juli 1903
(Entſch. 55, 244 ff.) nicht, wie die Reviſion meint, ein
Unterſchied ſondern volle Uebereinſtimmung. Bei einer
derartigen Klagebegründung führte ſchon die Spruch⸗
reife in bezug auf den einen der geltend gemachten
mehreren Scheidungsgründe zu einer Entſcheidung,
die das Klagebegehren erſchöpfte (88 146, 300 ZPO.).
Das LG. durfte das Verfahren nicht noch bis zur
Spruchreife bezüglich des zweiten Scheidungsgrundes
fortſetzen, um alsdann die Entſcheidung auch auf ihn
ausdehnen zu können. Die Widerklägerin war daher
durch die zur Widerklage erlaſſene Entſcheidung des
LG. nicht beſchwert und die von ihr eingelegte Be⸗
rufung war deshalb inſoweit unzuläſſig. An dieſer
nicht nur in dem Urt. vom 6. Juli 1903 ſondern auch
in ſpäteren Entſcheidungen (Urt. IV. 139/04 vom 16. Juni
1904, JW. 410 5, IV. 330/04 vom 12. Januar 1905 und
INV. 38/08 vom 25. Juni 1908) befolgten Rechtſprechung
iſt für die Fälle der vorliegenden Art jedenfalls feſt⸗
zuhalten. (Urt. des IV. 3S. vom 29. Mai 1911, IV
525/1910). E.
2344
IX.
Verhältnis der Beſtimmungen des MannſchBerſG.
vom 31. Mai 1906 zu denen des KriegsinvGs. vom
31. Mai 1901. Aus den Gründen: Der Kläger
iſt als Kriegsinvalide im Jahre 1890 penſioniert,
ſpäter im preußiſchen Zivildienſt als Gerichtsvollzieher
angeſtellt worden und aus dieſer Stellung am 1. Mai
1907 in den Ruheſtand getreten. Er erhält außer
einer Kriegszulage eine Zivilpenſion von 2271 M und
ferner eine Militärpenſion von 504 M, die ihm als
Zuſchuß nach SS 19, 20 KriegsinvG. vom 31. Mai 1901
gewährt wird. Der Kläger beanſprucht, daß ihm neben
der Zivilpenſion, dem Penſionszuſchuß von 504 M und
Preuꝛiſchent file Regrepſlege im Bahern. 1911. Nr. 20 | 405
die im 8 45° bes Geſetzes von 1906 bezeichneten In⸗
validen das für ſie Vorteilhafte aus dem alten und
dem neuen Geſetz für ſich in Anſpruch nehmen könnten,
als unbegründet und dem Sinne des 8 47 nicht ent⸗
ſprechend zurückgewieſen. Der 8 45 des Gef. von 1906
beſtimmt, daß für die vor dem Inkrafttreten dieſes Ge⸗
ſetzes aus dem aktiven Militärdienſt entlaſſenen Per⸗
ſonen die bisherigen Geſetzesvorſchriften mit Bun
Ausnahmen in Kraft bleiben. Nach 8 45 Nr. 6 in
Verbindung mit 8 36 Nr. 4 des Geſ. von 1008 würde
der Kläger neben feiner Zivilpenſion von 2271 M die
Rente (88 9 bis 11) nur in Höhe von 300 M be⸗
anſpruchen können, weil nach 8 36 Nr. 4 die Zivil⸗
penſion und die zuerkannte Rente zuſammen den
Höchſtpenſionsbetrag der zuletzt bekleideten Stelle,
welcher unbeſtritten 2571 M beträgt, nicht überſteigen
dürfen. Neben den 2271 M und 300 M könnte der
Kläger jene auf Grund des Geſetzes von 1901 ihm
zuerkannten 504 M nicht beanſpruchen, weil dieſes
Geſetz durch 8 76 des Geſetzes von 1906 aufgehoben
iſt und daher neben dem letzteren nicht zur Anwen⸗
dung kommen kann. Nach 8 47 Geſ. von 1906 finden
die Vorſchriften des 8 45 auf die daſelbſt bezeichneten
Perſonen nur inſoweit Anwendung, als die nach den
bisherigen Geſetzesvorſchriften zuſtehende Verſorgung
nicht günſtiger iſt. Im vorliegenden Fall trifft letz⸗
teres zu, da der Kläger nach den bisherigen Geſetzes⸗
vorſchriften neben der Zivilpenſion von 2271 M noch
504 M erhält. Hierdurch erledigt ſich der von der
Reviſion in der mündlichen Verhandlung für ihre
Anſicht vorgebrachte Grund, daß die 504 M auf die
Penſion nicht anzurechnen ſeien, weil der Kläger ſie
ſo bekommen müſſe, wie es früher beſtimmt iſt.
Die 504 M werden ebenſo wie früher auf die Zivil⸗
penſion von 2271 M nicht angerechnet. Der Fehler
in dieſer Begründung der Reviſion liegt aber darin,
daß ſie von der Annahme ausgeht, der Kläger
habe auf den ne rat der Zivilpenſion mit
2571 M nach 8 45 Nr. 6 und § 36 Nr. 4 des Ge⸗
ſetzes von 1906 Anſpruch. Das iſt jedoch nicht der
Fall, weil die Anwendbarkeit dieſer geſetzlichen Be⸗
ſtimmungen nach 8 47 durch die Anwendung der bis⸗
herigen Geſetzesvorſchriften ausgeſchloſſen wird. (Urt.
des III. 35. vom 5. Mai 1911, III 121/1910).
2377
B. Strafſachen.
I.
Vergehen gegen den Poſtjwang: Vorſätzlichkeit als
VBorausſetzung eines fortgeſetzten Vergehens — zum Be:
ariffe Beförderung —; iſt anßzer dem Befördernden auch
ſtrafbar, wer irgendwie verſchuldet, daß ein anderer
dem Poſtzwang unterliegende Gegenſtände gesetzwidrig
befördert? — Beförderung durch expreſſe Boten“ —
Feſtſtellung des hinterzogenen, nicht genan zu ermitteln-
den Portobetrages. Aus den Gründen: Der
Buchhändler T. in W. hat in den Jahren 1904 bis
1908 als Inhaber einer Zeitungsagentur für den
D. . . er Generalanzeiger, eine öfter als einmal
wöchentlich erſcheinende politiſche Zeitung, nach acht
Orten, die mehr als zwei Meilen von D. entfernt
liegen und Poſtanſtalt beſitzen, die für die dortigen
Abonnenten nötigen Zeitungen nicht durch die Poſt
verſendet, ſondern durch einen eigenen Boten von W.
aus auf der elektriſchen Straßenbahn befördern laſſen.
Der Zeitungsbote, der die Beförderung beſorgte, hatte
für ſeine eigene Fahrt eine Monatskarte; für die
Pakete, die an einzelnen Tagen zuſammen bis zu
160 kg wogen, die er daher nicht ſelbſt zu tragen
der Kriegszulage aus der Invalidenpenſion noch ein vermochte und deshalb bei ſich auf dem Vorderperron
monatlicher Betrag von 25 M gezahlt werde. Mit
Recht hat das Berufungsgericht die Auffaſſung, daß
des Straßenbahnwagens aufſtapelte, löſte er jeweils
zwei, drei oder vier Fahrkarten zu je 30 Pfennig. Der
406
Angeklagte, der feit 1. Dezember 1900 bei der Straßen⸗
bahn als Ingenieur und Betriebsdirektor angeſtellt
iſt, hatte in dieſer Eigenſchaft für den ganzen Betrieb
zu ſorgen, Fahrplan und Tarif zu entwerfen, auch
die Aufſicht zu führen. Er befuhr die Straßenbahn
zu Aufſichtszwecken und ſah den Zeitungsboten mit
ſeinen Paketen etwa alle zwei Monate einmal auf
der Bahn. Er hat gegen die Beförderung der mit
Packpapier umhüllten Zeitungspakete nichts erinnert,
nach ſeiner Verteidigung, weil er dabei an etwas
Strafbares nicht gedacht habe. Das LG. hält dafür,
daß der Angeklagte als Beförderer der Pakete zu
erachten iſt und daß er ſich als ſolcher fortgeſetzt
handelnd gegen die §8 1, 2, 27 Ziff. 1 Poft®. verfehlt
hat, weil die Beförderung gegen Entgelt durch ein
anderes Verkehrsmittel als die Poſt erfolgte, der
Verkehr von Zeitungen zwiſchen den in Frage
ſtehenden Orten aber dem Poſtzwang unterlag. Hierbei
iſt nicht feſtgeſtellt, daß der Straßenbahndirektor den
Inhalt der Zeitungspakete gekannt hätte, aber es iſt
davon ausgegangen, daß er bei Anwendung der er⸗
forderlichen Sorgfalt hätte wiſſen können, daß ſich in
den Paketen poſtzwangspflichtige Zeitungen befanden,
und daß er wegen der Vernachläſſigung dieſer er⸗
forderlichen Sorgfalt und wegen der Vernachläſſigung
ſeiner Pflicht die Untergebenen über ihre Pflichten
gegen das PoſtG. zu belehren für den Verſtoß gegen
den Poſtzwang verantwortlich ſei. Gegen die Ber:
urteilung und deren Begründung ergeben ſich die nach—
ſtehenden Bedenken.
1. Die Urteilsgründe laſſen darüber keinen Zweifel,
daß der Erſtrichter dem Angeklagten nicht ein vor—
ſätzliches, ſondern ein fahrläſſiges Vergehen gegen das
PoſtG. zur Laſt legt. Sie ergeben aber ebenſo deutlich
die Annahme, daß das Vergehen durch jeden einzelnen
der täglich erfolgten Beförderungsakte vollendet worden
iſt, daß aber in ihnen zuſammen eine einheitliche fort—
geſetzte Straftat begangen iſt. Dies folgt nicht nur
daraus, daß in der Schlußfeſtſtellung der Urteils—
gründe geſagt wird, der Angeklagte habe „fortgeſetzt
handelnd“ die verbotswidrigen Beförderungen aus—
geführt, ſondern auch daraus, daß in dem angefochtenen
Urteil die Frage, ob und inwieweit etwa eine Ver—
jährung der Strafverfolgung vorliegt, überhaupt nicht
behandelt iſt. Der Erſtrichter iſt alſo von der An—
nahme eines Fortſetzungszuſammenhangs zwiſchen
Fahrläſſigkeitsdelikten ausgegangen. Ein ſolcher Zu—
ſammenhang zwiſchen nicht vorſätzlichen, ſondern nur
fahrläſſigen Delikten iſt aber, wie das RG. ſchon
wiederholt ausgeſprochen hat, unmöglich, weil das
fortgeſetzte Delikt rechtsgrundſätzlich ein vorſäßliches
Handeln erfordert. Das Urteil beruht alſo in dieſem
Punkte auf einem Rechtsirrtum. Bei Vermeidung des
Irrtums und Prüfung der Frage der Verjährung
unter Zugrundelegung der rechtlichen Selbſtändigkeit
der einzelnen vom Erſtrichter als geſetzwidrig erachteten
Beförderungshandlungen hätte möglicherweiſe ein
Teil dieſer Tathandlungen wegen eingetretener Ver—
jährung der Strafverfolgung ($ 7 EG. StGB.) nicht
zur Beſtrafung herangezogen werden können. Die
Verurteilung iſt daher ſchon aus dieſem Grunde
nicht haltbar.
2. Bei der Feſtſtellung, daß der Angeklagte als
Beförderer der auf die Wagen der Straßenbahn ge—
ſchafften Zeitungspakete zu gelten habe, finden ſich in
den Gründen des angefochtenen Urteils neben rechtlich
einwandfreien Erwägungen auch ſolche, die Bedenken
erregen. Während es keinem rechtlichen Bedenken be—
gegnet, daß derjenige i. S. des Poſtch. als „Beför—
derer“ erachtet wird, dem außer der Feſtſtellung des
Fahrplans und Tarifs auch die Sorge für den ganzen
Betrieb und deſſen Ueberwachung obliegt, iſt die Er—
wägung, daß der Betriebsdirektor ebenſogut wie
Schaffner und Kontrolleure als Beförderer anzuſehen
iſt, geeignet Bedenken zu erregen, da nicht erſichtlich
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
gemacht iſt, aus welchen Gründen auch Kontrolleure
Beförderer ſein ſollen. Die Feſtſtellung, daß die
Zeitungspakete gegen Bezahlung befördert worden
ſind, iſt rechtlich einwandfrei mit Rückſicht darauf,
daß nach der vorher getroffenen Feſtſtellung der
Zeitungsbote für dieſe Pakete jeweils Fahrkarten
„gelöft“, alſo bezahlt hat. Nicht einwandfrei aber
iſt es, daß der Erſtrichter zum Nachweiſe der Ent⸗
geltlichkeit der Beförderung darauf Bezug nimmt,
daß der Angeklagte als Betriebsdirektor Gehalt und
Tantiemen erhält. Nur auf die Frage, ob die Be⸗
förderung gegen Bezahlung erfolgte, kam es an. Ob
derjenige, der als Beförderer ſtrafrechtlich in Anſpruch
genommen wird, für ſeine Perſon davon einen Vorteil
hatte, war dagegen für das hier in Rede ſtehende Tat⸗
beſtandsmerkmal belanglos.
3. Die Feſtſtellung der Fahrläſſigkeit des Ange⸗
klagten beruht inſoweit auf unanfechtbarer Grundlage,
als angenommen iſt, der Angeklagte habe bei pflicht⸗
mäßiger Sorgfalt den Inhalt der durch die Straßen»
bahn beförderten Zeitungspakete erkennen können.
Soweit aber darüber hinaus dem Angeklagten als
nach 8 27 PoſtG. zu ahndende Fahrläſſigkeit zur Laſt
gelegt wird, daß er nicht ſeine Untergebenen über
ihre Pflichten gegenüber dem Boft®. belehrt hat, be⸗
ſtehen rechtliche Bedenken. Denn wenn man mit dem
Erſtrichter davon ausgeht, daß der Angeklagte nach
ſeiner beſonderen Stellung als Betriebsdirektor der
Straßenbahn „Beförderer“ der Zeitungspakete war
und daß er ſtrafbar war, weil er den Inhalt der
Pakete perſönlich erkennen konnte, ſo war es für die
Straftat ohne Belang, ob die Untergebenen des Ange—
klagten über das Poſt G. unterrichtet waren. Wollte
aber der Erſtrichter mit ſeiner Erwägung über die
Pflicht zur Bekanntmachung der Grundſätze des PoſtG.
an das Straßenbahnperſonal zum Ausdrucke bringen,
daß der Angeklagte auch ohne Beförderer zu ſein
doch der Strafe verfallen mußte, weil er durch Unter⸗
laſſung der Belehrung verurſacht hätte, daß ſeine
Untergebenen gegen das Bojt®. verſtießen, fo wäre
dies rechtsirrig. Denn nur der Beförderer ſelbſt,
nicht auch jeder, der irgendwie verſchuldet, daß ein
anderer poſtzwangspflichtige Gegenſtände geſetzwidrig
befördert, iſt nach dem PoſtG. ſtrafbar.
4. Angeſichis des Sachverhalts, daß die Zeitungs-
pakete durch einen eigenen Boten zur Straßenbahn
gebracht worden ſind, daß dieſer Bote ſelbſt mit der
Straßenbahn fuhr, die Pakete zu ſich auf den Wagen
nahm und von dort wieder abſetzte, bedurfte die
Frage der näheren Würdigung, ob nicht eine „Bes
förderung durch expreſſe Boten? vorliege, wie fie im
S 2 PoſtG. zugelaſſen iſt. Das LG. hat zwar dieſe
Frage geprüft. Allein der darauf bezügliche Teil der
Urteilsgründe erregt den Verdacht rechtsirrtümlicher
Auffaſſung. Der Erſtrichter ſagt nach der Schilderung
des Sachverhalts: „Mindeſtens ſeit 1. September 1904
wurden ſo erheblich mehr Zeitungen mit der Straßen—
bahn befördert, als ein expreſſer Bote allein befördern
kann.“ Er nimmt an, daß die obere Grenze der
Traglaſt, die ein expreſſer Bote allein befördern
kann, für jeden Einzelfall 60 kr beträgt, beſtimmt
ſchätzungsweiſe, wieviel mehr an jedem Tage die mit
der Straßenbahn beförderten Zeitungen gewogen
haben und berechnet nach dem Gewichte dieſes Ueber—
ſchuſſes den Betrag des nach ſeiner Meinung hinter—
zogenen Paketportos und aus dieſem ſpäterhin durch
Vervierfachung den Betrag der Strafe. Hiernach iſt
jeweils ein und dieſelbe Beförderung zum Teil, näm⸗
lich bis zum Gewichte von 60 kr als „Beförderung
durch erprejien Boten“ und ſtraffrei erachtet, zum
anderen Teil aber, nämlich für das Mehrgewicht für
poſtgeſetzwidrig und ſtrafbar erklärt. Dieſe Auffaſſung
findet im Poſtc. ſelbſt keine Stütze. Auch in der
Rechtſprechung iſt Sie abgelehnt. Das RG. hat die
Anſicht, daß die Größe und Schwere des beförderten
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
Stückes dafür ausſchlaggebend ſei, ob eine Beförde⸗
rung durch einen expreſſen Boten vorliege, ausdrücklich
mißbilligt (RGSt. 38, 136, 139 unten) und in
anderen Entſcheidungen Grundſätze aufgeſtellt, nach
denen zu beurteilen iſt, ob in Fällen wie der hier
zur Unterſuchung ſtehende eine Beförderung durch
expreſſe Boten vorliegt oder nicht. Es wäre nach
dieſen Grundſätzen, von denen abzuweichen kein Anlaß
beſteht, insbeſondere zu prüfen geweſen, ob der mit
der Straßenbahn fahrende Bote ſelbſt das Beförde⸗
rungsmittel war, oder ob die Straßenbahn das Be⸗
förderungsmittel war, der Bote nur ein gleichzeitiger,
wenn auch mit der Obhut über die Pakete befaßter,
Fahrgaſt (RGSt. 35, 220, 226; 37, 98, 100, 398;
38, 136, 138). Es wäre ferner zu prüfen geweſen,
ob die hier zugrunde liegenden Tatſachen dem Ange⸗
klagten bekannt waren und ob es ihm als Fahrläſſig⸗
keitsſchuld angerechnet werden konnte, wenn er ſich
über dieſe Tatſachen im Irrtum befand. Der Erſtrichter
hätte, wenn er die Rechtsgrundſätze angewendet hätte,
die in den erwähnten Entſcheidungen aufgeſtellt ſind,
zu einem anderen Ergebniſſe jedenfalls bei der Bes
rechnung der Strafe, wenn nicht auch bei der Beant⸗
wortung der Schuldfrage gelangen müſſen.
5. Die Beſchwerden über die Berechnung der
Strafe entbehren auch abgeſehen von dem ſchon ers
wähnten Mangel inſofern nicht einer gewiſſen Be⸗
rechtigung, als die Grundlagen der Berechnung nur
in ſehr allgemeinen Wendungen angegeben ſind. Zum
Verdacht eines Rechtsirrtums iſt indeſſen kein Anlaß
gegeben. Die Behauptung, daß eine Wahrſcheinlich⸗
keitsrechnung ſich für die Berechnung einer Geldſtrafe
überhaupt nicht eigne, kann in dieſer Allgemeinheit
nicht als richtig anerkannt werden. Richtig iſt zwar
ſoviel, daß die Feſtſtellung, es liege eine Hinterziehung
in beſtimmter Höhe wahrſcheinlich vor, nicht die
Grundlage einer Verurteilung bilden könnte. Eine
Feſtſtellung ſolcher Art liegt aber auch dem jetzt an⸗
gefochtenen Urteil nicht zugrunde. Dagegen iſt es
durch keinen Rechtsſatz und keine Verfahrens vorſchrift
dem Richter verwehrt, wenn er auf Grund einer
Wahrſcheinlichkeitsberechnung die Ueberzeugung ge—
winnt, daß eine Hinterziehung zum mindeſten bis zu
einem beſtimmten Betrage gewiß iſt, dann — wie es
auch hier das LG. getan hat — dieſe ſeine Ueber⸗
zeugung und dieſen danach nicht wahrſcheinlichen,
ſondern ſicheren Mindeſtbetrag der Verurteilung zu⸗
ſchieden ſein und wechſeln.
grunde zu legen. Aus dem Sinn und Zweck des Geſetzes
ergibt ſich vielmehr, daß in Fällen der vorliegenden
Art der Nachweis der Hinterziehung nicht für jeden
Einzelbetrag bis ins einzelne geführt werden muß.
Denn ſonſt würde gerade bei Hinterziehungen, die
ins große gehen und ſich über Jahre erſtrecken, die
ſtrafrechtliche Ahndung ausgeſchloſſen fein, weil der
Natur der Sache nach der Beweis bis ins einzelne
unmöglich iſt. Die von dem Beſchwerdeführer für
ſeine Meinung angezogene Entſcheidung des RG. bezog
ſich auf einen anderen Fall, nämlich auf Wahrſchein—
lichkeits rechnungen unſicherer Art, aus denen eine
richterliche Ueberzeugung nicht erwachſen konnte.
(Urt. des V. StS. vom 3. März 1911, 5 D 1155/1910).
2325 E.
II.
Befugniſſe der höheren Berwaltungsbehörde nach
g 7 Abſ. 2 UnlWG.) Aus den Gründen: Die
Verordnung des Regierungspräſidenten in D. entbehrt,
ſoweit fie der Verurteilung aus 8 10 Nr. 2 UnlWG.
zugrunde liegt, ſachlicher Gültigkeit. Wie in dem
zum Abdrucke beſtimmten Urteile des Senats vom
heutigen Tage — 5 D 255,11 — gegenüber dem
1) S. dazu die Abhandlung von Rechtsanwalt Kleinberger
und die Entſcheidung des Oberſten Landgerichts vom 4. März 1911,
Nr. 12 dieſes Jahrg. der Zeitſchrift S. 256 — 269.
Urteile des Landgerichts B. vom 25. Januar 1911
eingehend dargelegt iſt, kann die höhere Verwaltungs⸗
behörde nach der ihr in 87 Abſ. 2 Unl WG. erteilten
geſetzlichen Ermächtigung die dort vorgeſehenen An⸗
ordnungen immer nur für „beſtimmte Arten von
Ausverkäufen“ treffen. Aus dem Kreiſe dieſer Arten
von Ausverkäufen find nach 8 I Abſ. 1 daſelbſt die
Inventur⸗ und Saiſonverkäufe ſchon kraft Geſetzes
ausgeſchieden; dieſe kommen alſo als Arten von
Ausverkäufen, auf die ſich eine Verordnung i. S. von
8 7 Abſ. 2 beziehen könnte, nicht in Betracht. Eine
Verordnung, welche die Anordnungen, lediglich unter
Ausſchließung dieſer ſog. Inventur⸗ und Saiſonaus⸗
verkäufe, unterſchiedslos für alle Warenverkäufe trifft,
die unter der Bezeichnung eines Ausverkaufs oder
einer nach 8 9 Abſ. 1 des Geſetzes gleichartigen ans
gekündigt werden, hält ſich daher nicht in den Grenzen
der 5 Ermächtigung. Nach dieſer wäre es
vielmehr geboten geweſen, daß die Ausverkäufe, die
im Sinne von 8 7 Abſ. 2 zum Gegenſtande der Re⸗
gelung gemacht werden ſollten, in der Verordnung
der Art nach bezeichnet, d. h. die einzelnen verſchie⸗
denen Arten, für die die Verordnung zu gelten hat,
in dieſer als ſolche beſtimmt wurden. Es würde mit⸗
hin auch nicht genügen, wenn angeordnet würde, daß
die Ausverkäufe in dem ganzen Verwaltungsbezirke
oder in einem mehr oder minder ausgedehnten Teile
des Bezirkes ſchlechthin den Beſchränkungen des 87
Abſ. 2 des Geſetzes unterworfen und davon — außer
den ſchon geſetzlich ausgeſchiedenen Inventur und
Saiſonausverkäufen — nur beſtimmte Arten non Aus⸗
verkäufen ausgenommen ſein ſollten.
Was unter „Arten“ von Ausverkäufen zu ver⸗
ſtehen iſt, richtet ſich nach Sprachgebrauch und Ver⸗
kehrsanſchauung. Danach umfaßt eine beſtimmte „Art“
von Ausverkauf den Kreis ſolcher Ausverkäufe, die
gewiſſe übereinſtimmende Merkmale aufweiſen, ſich
durch dieſe von anderen Ausverkäufen unterſcheiden
und im Verhältniſſe zu ihnen eine mehr oder minder
große in ſich geſchloſſene Gruppe bilden. Darüber,
ob dies der Fall iſt, insbeſondere alſo, welche Merk⸗
male in dieſem Sinne weſentlich ſind, entſcheidet die
Verkehrsanſchauung. Irgendeine ein für allemal
geltende Regel läßt ſich inſoweit nicht aufſtellen. Die
Einteilung der Ausverkäufe und ihre Zuſammenſtellung
zu gewiſſen Gruppen wird in der Verkehrsanſchauung
vielmehr nach Zeit, Art und Bedürfnis durchaus ver-
Es iſt deshalb insbe⸗
ſondere nicht angängig, den Begriff der „Art“ ein⸗
ſeitig etwa auf die „Branche“ oder „die Form“ oder
„den Ort“ des Ausverkaufs abzuſtellen. Als Bei⸗
ſpiele für „Arten“ von Ausverkäufen dem Begriffe
nach können dienen die nur durch die beſondere Be⸗
ſtimmung des 8 9 Abf. 1 der Behandlung nach 87
Abſ. 2 daſelbſt entzogenen Inventur- und Saiſonaus⸗
verkäufe, „Konkursmaſſenausverkäufe“ (5 8 des Geſetzes)
und nach der Begründung zum Geſetzentwurfe (S. 17)
„trügerifche Konkursverkäufe“ und „Ausverkäufe außer-
halb der ordentlichen Betriebsräume nach Art eines
Warenlagers“. (Urt. des V. StS. vom 16. Juni 1911,
5 D 261/11).
2386
— — = gn.
III.
Kann prozeßordnuungswidriges Verhalten des Staats⸗
anwalts die Reviſion begründen? Wie aus dem Sitzungs⸗
protokoll zu entnehmen iſt, hat der Staatsanwalt in
ſeinen Ausführungen zur Schuldfrage aus einem im
Vorverfahren aufgenommenen Protokoll die Ausſagen
des Mitangeklagten B. (im ganzen 18 Zeilen) ver—
leſen. Als möglich iſt bezeichnet, daß dies auch ge—
ſchehen ſei mit einem 9 Wörter enthaltenden Satze aus
den Ausſagen des Angeklagten L. ſowie einem Satze von
5 Zeilen und einem Satze von 6 Zeilen aus den Aus-
ſagen des Angeklagten D. Hierin findet die Reviſion
der Angeklagten eine Verletzung der geſetzlichen Be⸗
ſtimmungen über die Beweisaufnahme im Straf⸗
prozeß. die zur Aufhebung des Urteils führen müſſe.
Die Rüge iſt nicht begründet. Wie der Inhalt der
oben angeführten Stellen zeigt, iſt ihre Bekanntgabe
durch den Staatsanwalt in der Weiſe erfolgt, daß ſie
den in der Hauptverhandlung gemachten Erklärungen
der Angeklagten gegenübergeſtellt wurden, um hier⸗
durch darzutun, daß im Vorverfahren Ausſagen ge⸗
macht wurden, aus denen Schlüſſe auf die Schuld der
Angeklagten gezogen werden konnten. Zuzugeben iſt,
daß zu dieſem Zweck die früheren Einräumungen zum
Gegenſtand der Beweiserhebung in der Hauptverhand⸗
lung und zwar gemäß 8 237 StPO. durch den Bor:
ſitzenden hätten gemacht werden müſſen, daß, ſoweit
es ſich um Erklärungen der Angeklagten handelte,
eine Verleſung nur unter den Vorausſetzungen des
5 253 StPO. ſtattfinden durfte und daß dem Staats»
anwalt das Recht zur Vorführung von Beweiſen in
ſeinem Vortrag zur Schuldfrage nicht zuſtand. Denn
in dieſem Fall würde dem Angeklagten das ihm nach
8 256 StPO. zuſtehende Recht, zu jedem einzelnen
Beweisvorgang durch Abgabe einer Erklärung Stel«
lung zu nehmen, entzogen. Allein trotzdem kann der
vorliegende Verſtoß nicht zur Aufhebung des Urteils
führen. Denn nur mit denjenigen Geſetzes verletzungen
iſt dieſe Folge verknüpft, auf denen das Urteil beruht.
Dies trifft aber hier nicht zu. Wie nämlich das Pro⸗
tokoll weiter dartut, hat der Vorſitzende den Staats-
anwalt, nachdem er die oben erwähnten Stellen bes
kannt gegeben hatte, auf das Unzuläſſige ſeines Ver⸗
fahrens hingewieſen. Indem er in dieſer Weiſe ein»
ſchritt, hat er der ihm nach 8 237 StPO. obliegenden
Pflicht zur Leitung der Verhandlung Genüge getan.
Nur dann aber kann einer dem Staatsanwalt zur
Laſt fallenden Verletzung einer Verfahrensvorſchrift
ein Reviſionsgrund entnommen werden, wenn aus
dem Verhalten des Vorſitzenden ſich ergeben würde,
daß er aus Rechtsirrtum von den ihm als Leiter der
Verhandlung zuſtehenden Befugniſſen keinen Gebrauch
macht und dadurch bewirken würde, daß ein an ſich
gegen die Vorſchriften der Strafprozeßordnung ver—
ſtoßendes Verhalten des Staatsanwalts als recht—
mäßig und dem Geſetz entſprechend erſcheinen würde
(RGRſpr. 3, 96 lam Schluß]). Dadurch aber, daß
der Vorſitzende dem Staatsanwalt entgegentrat, iſt
nicht nur jede Verletzung einer Rechtsnorm durch das
Gericht verhütet worden, ſondern es wurde auch für
die Geſchworenen in erkennbarer Weiſe zum Ausdruck
gebracht, daß die vom Staatsanwalt durch die Ver—
leſung der angeführten Stellen verſuchte Belaſtung
der Angeklagten dem Geſetz nicht entſprach. Hiermit
iſt ihnen in genügender Deutlichkeit vor Augen ge—
führt, daß dieſen Ausführungen des Staatsanwalts
nicht die Bedeutung einer dem Geſetz entſprechenden
Beweisführung, die ſie bei Abgabe ihres Wahrſpruchs
zu berückſichtigen hatten, zukomme. Es iſt damit
vom Vorſitzenden diejenige Maßregel ergriffen worden,
die nötig war um die Folgen eines nicht vom Gericht
ſelbſt ausgehenden, unzuläſſigen Verfahrens zu be—
ſeitigen und es kann uneröͤrtert bleiben, ob der Bor:
ſitzende auch den weiter ihm zu Gebot ſtehenden Weg
in der Rechtsbelehrung das Erforderliche den Ge—
ſchworenen zu bemerken benutzt hat. (Urt. des I. StS.
vom 19. Juni 1911, I D 4991911). E.
285
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Abſ. 2 des § 1 der Unfallijürjorgeverordnung vom
13. November 1902 iſt auf den mit einem Ruhegehalt ent:
laſſenen Beamten nicht anwendbar. Zuſtändigkeit a) der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
VBerwaltungsbehör den zur Entſcheidung über die dauernde
Dienſtunfähigteit nach Abſ. 1 4. 4. O., b) det Gerichte
zur Eutſcheidung darüber, ob ein Ereignis als Betriebe:
unfall zu betrachten und Urſache der Beſchädigung iſt.
Klageänderung, wenn der Anſpruch anf die Unfallfürſorge
nachträglich auf einen anderen Unfall geſtützt wird.
(3PO. 8 268). Keine Erholung eines beantragten
„Odergutachteus“, wenn das Gericht durch die ber:
nommenen Sachverſtändigen genügend ene iſt
(ZPO. 88 286,412). Der Kläger W. erlitt als Lokomotiv⸗
führer im Betriebe der Bayeriſchen Staatseiſenbahnver⸗
waltung zwei Unfälle. Den einen am 18. April 1905, den
anderen am 13. Februar 1906. Die beiden Unfälle
hatten nur eine vorübergehende Dienſtunfähigkeit zur
Folge. Durch die Verfügung der Eiſenbahndirektion
vom 9. April 1908 wurde der Kläger vom 1. Mai
1908 ab mit einer jährlichen Penſion von 810 M in
den Ruheſtand verſetzt. Sein Antrag, ihm die Unfall⸗
fürſorgepenſion zu gewähren, wurde durch die Ent⸗
ee des StM. für Verkehrsangelegenheiten vom
Juni 1908 abgewieſen. In der Entſchließung iſt
ausgeführt, W. ſei bei der augenärztlichen Unter⸗
ſuchung vom 12. November 1907 wegen eines nicht
beſſerungsfähigen Augenleidens als untauglich für
den Lokomotioführerdienſt befunden worden. Er habe
infolgedeſſen ſofort ſeines Dienſtes enthoben und,
da ſich keine Gelegenheit zu einer anderen Ber-
wendung ergeben habe, dauernd penſioniert werden
müſſen. Nach den ärztlichen Gutachten könne das
Augenleiden nicht auf einen der beiden Unfälle
zurückgeführt werden. Zuzugeben ſei, daß das gegen⸗
wärtige Nervenleiden des W. mit dem Unfalle vom
13. Februar 1906 zuſammenhänge und daß dieſes
Leiden zurzeit die Tauglichkeit des W. für den
Lokomotivführerdienſt ungünſtig beeinfluſſen würde,
falls ſie nicht ſchon durch das Augenleiden aufgehoben
wäre. W. habe aber ſeinen Dienſt bis zu dem Zeit⸗
punkt, an dem er des Dienſtes wegen des Augenleidens
enthoben wurde, unbeanſtandet verſehen. Die Dienſt⸗
unfähigkeit ſei alſo ausſchließlich durch die Augen⸗
erkrankung und nicht durch das erſt ſpäter hervor⸗
getretene Nervenleiden herbeigeführt worden. Auch
ſei W. nur wegen feiner durch das Augenleiden herbei⸗
geführten Dienſtunfähigkeit penſioniert worden. Dem⸗
nach ſei W. nicht infolge eines Betriebsunfalles dauernd
dienſtunfähig und auch nicht wegen einer durch einen
Betriebsunfall herbeigeführten Dienſtunfähigkeit pen⸗
ſioniert worden. Daher könne ihm eine Unfallfürſorge⸗
penſion nach 8 1 Abſ. 1 BO. vom 13. November 1902
nicht zugebilligt werden. Dagegen werde anerkannt,
daß die Staatseiſenbahnverwaltung ihm nach 8 1
Abſ. 6 a. a. O. die Heilungskoſten zu erſetzen hat, die
ihm aus dem Unfalle vom 13. Februar 1906 nach dem
Wegfalle ſeines Dienſteinkommens entſtanden ſind und
noch entſtehen. Der Kläger verlangt, daß ihm der be⸗
klagte Eiſenbahnfiskus vom 1. Mai 1908 ab außer der
angewieſenen Penſion von 810 M noch eine weitere
in monatlichen Raten vorauszahlbare Jahresrente von
570 M zahle. Die Penſionierung des Klägers ſei eine
Folge des Unfalles vom 13. Februar 1906, dem Kläger
komme daher nach S 1 VO. vom 13. November 1902
eine Unfallfürſorgepenſion in der Höhe von 66 ½
ſeines Geſamtdienſteinkommens von 2070 M, fohin
von 1380 M u ſtatt der ihm gewährten Normalpenſion
von 810 M zu. Der Klager habe ſich bei dieſem Unfall
ein Rückenmarksleiden zugezogen. Daraus habe ſich
ein ſchweres Nervenleiden entwickelt, das in der Folge
ein bei dem Kläger ſchon vorhandenes, feine Dienſt—
fähigkeit aber in keiner Weiſe beeinträchtigendes Augen—
leiden derart verſchlimmert habe, daß der Kläger in
den dauernden Ruheſtand habe verſetzt werden müſſen.
Wäre das Nervenleiden nicht eingetreten, ſo hätte der
Kläger mindeſtens noch zehn Jahre Dienſt machen
konnen. Auch wenn angenommen werden könnte, daß
die Penſionierung nicht durch den Unfall verurſacht
worden ſei, ſei der Klageanſpruch gleichwohl nach
81 Abſ. 2 VO. vom 13. November 1902 begründet,
denn es werde unter Beweis geſtellt, daß das Nerven⸗
leiden des Klägers deſſen vollſtändige Erwerbsunfähig⸗
keit verurſacht habe und auf den Unfall zurückzuführen
ſei. Der Beklagte trat dem Klaganſpruch im weſent⸗
lichen aus den Gründen der Entſchließung vom 7. Juli
1908 entgegen. Das LG. wies die Klage ab. Die
Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Ob.
wies ſeine Reviſion als unbegründet zurück.
Aus den Gründen: Ungerechtfertigt iſt die
Rüge, daß das Berufungsgericht den §1 VO. vom
13. November 1902 verletzt habe. Da dieſe Vorſchrift
wie die übrigen Beſtimmungen der VO., um die nach
dem $ 14 RUnfFürſc3. vom 18. Juni 1901 er⸗
forderliche Gleichwertigkeit der landesgeſetzlichen Für⸗
ſorge mit der reichsgeſetzlichen zu gewähren, ihrem
Inhalte nach den Vorſchriften des Reichsgeſetzes nach⸗
gebildet iſt, geht das LG. bei deren Auslegung mit
Recht auf die Entſtehungsgeſchichte des § 1 des dem
Geſetze von 18. Juni 1901 zugrunde liegenden RG.
vom 15. März 1886 zurück. Aus dieſer ergibt ſich,
daß nach der Regierungsvorlage nur für den Fall
der dauernden Dienſtunfähigkeit die Gewährung einer
Penſion beabſichtigt war (51 Abf. 1 des Geſ.). Dieſe
Maßnahme wurde in der Kommiſſion des Reichstags
von verſchiedenen Geſichtspunkten aus für unzuläng⸗
lich erklärt. Insbeſondere wurde als eine Lücke
empfunden, daß nach der Vorlage nichtpenſions⸗
berechtigte Beamte, die durch den Betriebsunfall nicht
dauernd dienſtunfähig, dagegen in ihrer Erwerbs⸗
fähigkeit beſchränkt und früher oder ſpäter nach dem
Unfall entlaſſen würden, eine Penſion oder eine Rente
nicht beanſpruchen könnten, während ihnen bei der
Anwendung des UnfVerſ. ein Anſpruch auf eine
dem Grade der Erwerbsunfähigkeit entſprechende Rente
zukäme. Dieſem Bedenken wurde ſchließlich eine aus⸗
ſchlaggebende Bedeutung beigemeſſen und zur Aus:
füllung der Lücke der Abſ. 2 in den $ 1 aufgenommen.
Dabei war, wie der Kommiſſionsbericht ausdrücklich
hervorhebt (RTVhdl. II Seſſ. 1885/86 Bd. 4 S. 452),
die Kommiſſion darin einig, daß, da auch penſions⸗
berechtigte Beamte ohne Ruhegehalt entlaſſen werden
können, lediglich die tatſächliche Frage, ob der von
einem Betriebsunfalle betroffene, aber nicht in dauernde
Dienſtunfähigkeit verſetzte Beamte ſpäter ohne Penſion
entlaſſen werde, darüber entſcheidend ſei, ob, in welcher
Höhe und für welche Dauer der durch den Unfall in
ſeiner Erwerbsfähigkeit beſchränkte Beamte eine Penſion
zu beziehen habe. In dem gleichen Sinne äußerte
ſich, ohne von irgend einer Seite Widerſpruch zu
erfahren, der Berichterſtatter der Kommiſſion in der
Voll verſammlung des Reichstags (a. a. O. Bd. 2 S. 874).
Demnach und da auch der Wortſinn der Vorſchrift
damit übereinſtimmt, entſpricht es dem Willen des
Geſetzes, den Fall des Abſ. 2 nur dann als gegeben
anzunehmen, wenn der Beamte ohne eine Penſion
entlaſſen wird. Bei dieſer Auslegung kann — das
iſt der Reviſion zuzugeben — der Fall eintreten, daß
ein Beamter, der wegen einer ſtrafbaren Handlung
entlaſſen wird, günſtiger geſtellt iſt als ein Beamter,
der in Ehren ſeinen Ruheſtand erhält. Derartige
Ungleichheiten und Härten find aber bei einem Penſions-
und Fürſorgegeſetze, bei deſſen Schaffung für die ein:
zelnen Beſtimmungen von Fall zu Fall einerſeits die
Bedürfnis⸗ und andererſeits die Koſtenfrage in Be—
tracht zu ziehen iſt, eine unvermeidbare Begleiter—
ſcheinung und auch bei der Beratung des Geſetzes
nicht unbekannt, wenn auch unberückſichtigt geblieben.
Sie können daher den Richter nicht berechtigen, nach
einer Ausgleichung zu ſuchen und zu dieſem Zwecke
die an ſich klare Geſetzesvorſchrift umzudeuten. Mit
Recht hat es deshalb das Berufungsgericht abgelehnt,
die Vorſchrift des 81 Abſ. 2 VO. vom 13. Noyember
1902 zur Anwendung zu bringen; denn unbeſtritten
t
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u Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
ſteht feſt, daß der Kläger nicht ohne Ruhegehalt ent-
laſſen, ſondern mit einem Ruhegehalt in den Ruhe⸗
ſtand verſetzt worden iſt. Mit Recht hat das OLG.
ferner die Vorausſetzungen des Abſ. 1 verneint. Auch
die Auslegung dieſer Beſtimmung wird durch die
Entſtehungsgeſchichte des ihm zugrunde liegenden
Reichsgeſezes geklärt. Aus der Begründung der
Regierungsvorlage ergibt ſich, daß der Eintritt der
Dienſtunfähigkeit nur eine Vorausſetzung des in dem
Abſ. 1 gewährten Fürſorgeanſpruches bildet und daß
hierüber in dem
durch die Penſionsgeſetze vorge⸗
ſchriebenen Verfahren zu entſcheiden iſt (a. a. O. Bd. 4
S. 54 Bemerkung zu 81 und S. 55 Bemerkung zu
86 des Entwurfs). Dieſe von den Bundesregierungen
als maßgebend erachteten Geſichtspunkte haben durch
die Aufnahme des Abſ. 2 eine Aenderung nicht erfahren
(RGZ. 44, 40) und rechtfertigen die Folgerung, daß
die Frage, ob das körperliche oder geiſtige Gebrechen
des von dem Unfalle betroffenen Beamten ihn zur
Erfüllung ſeiner Amtspflicht dauernd unfähig macht,
der Entſcheidung der Verwaltungsbehörde unterliegt.
Nur die Frage, ob das Gebrechen auf ein beſtimmtes
Ereignis zurückzuführen und dieſes als ein Betriebs-
unfall anzuſehen iſt, iſt der Entſcheidung im ordent⸗
lichen Rechtswege durch den Richter vorbehalten (Bolze,
Pr. 13, S. 338 Nr. 602; RG. 74, 102 ff.; RG. Urt.
vom 15. Februar 1907, mitgeteilt in Kamptz und Delius,
Rſpr. des RG. und des KG. auf den Gebieten des
öffentlichen Rechts 2, 877). Wie die Verweiſungen
in 810 UnfFürſv O. entnehmen laſſen und auch in
der Begründung des Entwurfs eines Beamtengeſetzes
(AbgK hdl. 1907/08 Beil Bd. 3 S. 122 Bemerkung
zu Art. 176) anerkannt wird, iſt die UnfFürſ BO. von
dem gleichen Geſichtspunkte ausgegangen. Da uns
beſtritten feſtſteht, daß der Kläger von der vorgeſetzten
Behörde nicht wegen des Nervenleidens, ſondern
wegen des Augenleidens in den Ruheſtand verſetzt
worden iſt, kann das Nervenleiden zur Begründung
eines Rechtsanſpruches aus dem Abſ. 1 nicht geltend
gemacht werden. Die gegenteiligen Ausfuhrungen
der Reviſion ſind der Entſtehungsgeſchichte gegenüber
hinfällig. Der Kläger kann den Anſpruch aus Abſ. 1
nur auf die Behauptung ſtützen, daß ſein Augenleiden
die Folge eines von ihm im Dienſte erlittenen Be—
triebsunfalls iſt. Dieſe Behauptung iſt von dem Kläger
aufgeſtellt, aber nicht dargetan worden. Soweit er
ſie in der Berufungsinſtanz mit dem Unfalle vom
18. April 1905 belegen wollte, hat das OL. zutreffend
ausgeführt, daß hierin eine unzuläſſige Klageänderung
liegt. Von einer Verletzung des 8 268 ZPO. kann
nicht die Rede ſein. Denn nach den Beſtimmungen der
ss 1, 9 UnfFürſ oO. iſt der Betriebsunfall der we⸗
ſentliche Beſtandteil des Anſpruchs- und Klage—
grundes (3 253 Abſ. 2 Nr. 2 ZPO.). Ohne Ber:
letzung des § 286 a. a. O. hat ferner das OSG. es
abgelehnt, noch ein Obergutachten über die Frage zu
erholen, ob das Nervenleiden das Augenleiden ver—
ſchlimmert habe. Es hat den Anſpruch des Klägers
nicht zurückgewieſen, weil für den Zuſammenhang
des Unfalls mit dem Augenleiden nur eine Möglich—
lichkeit ſpreche und dieſe zu einer Verurteilung nicht
genüge, ſondern weil es unter einwandfreier Würdi—
gung des Ergebniſſes des Sachverſtändigenbeweiſes
die Wahrſcheinlichkeit des Zuſammenhangs verneinte.
Auch hat es die Erholung eines weiteren Gutachtens
nur aus dem Grund abgelehnt, weil ſeine auf die
Gutachten mehrerer Sachverſtändigen geſtützte Ueber—
zeugung auch dann nicht geändert werden könnte, wenn
ein weiterer Sachverſtändiger die gegenteilige Auf—
faſſung vertreten würde. Das Berufungsgericht hat
ſohin die vorliegenden Gutachten zur Aufklärung der
Sache für genügend befunden, es hatte daher auch
keinen Anlaß, nach § 412 ZPO. eine neue Begutachtung
anzuordnen (JW. 1910 S. 48225). Daß in der Ent⸗
ſchließung vom 7. Juni 1908 bei der Zuſicherung des
9
410
Erſatzes der Heilungskoſten auf den $ 1 Abſ.6 UnfyürfBoD.
Bezug genommen wurde, war nicht folgerichtig, kann
aber die unmittelbar vorausgegangene ausdrückliche
Ablehnung des Klageanſpruchs nicht entkräften. (Urt.
des I. ZS. vom 16. Juni 1911. Reg. I 56/1911). W.
2481
II
Welches Gericht hat den Streit eines preußiſchen
und eines bayerifchen Amtsgerichts über die Ver:
pflichtung zur Uebernahme einer bei dem prengzziſchen
Amtsgericht auhängigen Vormundſchaft zu entſcheiden?
(GF Ss 199, 46 in der Faſſung des RG. vom
22. Mai 1910). Aus den Gründen: Das Bayer⸗
iſche Oberſte Landesgericht iſt nicht zuſtändig. Nach
8 46 856. entſcheidet das gemeinſchaftliche obere
Gericht, wenn ſich die Gerichte nicht einigen. Ge⸗
meinſchaftliches oberes Gericht iſt das Oberſte
Landesgericht nach 8 199 GG. nur für bahyeri⸗
ſche Gerichte.
Bundesſtaaten und nicht im Sprengel desſelben Ober⸗
landesgerichts liegen, iſt an ſich das Reichsgericht
das gemeinſchaftliche obere Gericht. Für dieſen Fall
hat nach der Faſſung, die der 8 46 durch den Art. VI
des Geſ. vom 22. Mai 1910, betr. die Zuſtändigkeit
des Reichsgerichts, erhalten hat, das Oberlandes—
gericht zu entſcheiden, zu deſſen Bezirke das Gericht
gehört, an welches die Vormundſchaft abgegeben
werden ſoll. Dieſe Zuſtändigkeit iſt für Bayern
nirgends dem Oberſten Landesgericht übertragen.
(Beſchluß des Fer ZS. vom 7. September 1911, Reg.
IV, 791911). W.
2382
III.
Firmenwahrheit: Art ihrer Feſtſtellung; maßgeben⸗
der Zeitpunkt für die Beurteilung; Beanſtandung der
Bezeichnung eines Geſchäſtes als Möbelhaus (HGB.
818; FGG. 812 mit 88 125 - 158). Der Kaufmann
Martin M. in N. meldete bei dem Regiſtergerichte zur
Eintragung in das Handelsregiſter an, daß er in N.
unter der Firma „N. .. heimer Möbelhaus Martin
M. .. ein Möbelgeſchäft betreibe. Zur Begründung
der Bezeichnung „N. . . heimer Möbelhaus“ fügte er
nähere Angaben über die Art und den Umſang ſeines
Geſchäftsbetriebes bei. Das Regiſtergericht wies nach
einer Beſichtigung der Geſchäfts- und Lagerräume des
M. die Anmeldung der Firma zurück und lehnte ihre
Eintragung in das Handelsregiſter ab, weil nach den
gegebenen Verhältniſſen die Eintragung des Zuſatzes
„N. . . heimer Möbelhaus“ eine Täuſchung über den
Umfang des Geſchäfts herbeizuführen geeignet und das
her nach 8 18 Abſ. 2 HGB. nicht zuläſſig ſei. Nach
Anhörung der Handelskammer, die ſich gegen die Zus
läſſigkeit des Zuſatzes ausſprach, wies das LG. die
Beſchwerde des M. zurück. Das Oberſte LG. hat auch
die weitere Beſchwerde des M. aus folgenden Grün—
den zurückgewieſen.
Das HGB. verbietet im Abſ. 2 des § 18 der Firma
einen Zuſatz beizufügen, der geeignet iſt eine Täuſchung
über die Art oder den Umfang des Geſchäfts oder die
Verhältniſſe des Geſchäftsinhabers herbeizuführen. In
der Denkſchrift zu dem Entwurfe des HGB. iſt aus-
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
—— — ——I Zy —— —
Für die Gerichte, die in verſchiedenen
— ß —ä—ͤ—ͤ —e ͤ äKg31—4—2—— ä —
geführt: „Die Klagen, daß die Firmenzuſätze vielfach
marktſchreieriſche Anpreiſungen und tatſächlich falſche, |
zur Täuſchung geeignete Angaben enthielten, find all»
gemein und wenngleich bereits das Geſetz zur Be—
kämpfung des unlauteren Wettbewerbs dieſem Miß—
brauch entgegentritt, erſcheint es doch zweckmäßig in
dem HGB. noch beſonders alle Firmenzuſätze zu ver—
bieten, die geeignet find eine Tauſchung . . . herbei—
zuführen? (Hahn, Mat. 6, 217; Lehmann, Lehrb. des
Handelsrechts S. 155). Die Folge des Verbots iſt,
daß der Regiſterrichter eine Firma, die einen derartigen
Zuſatz enthält, nicht in das Handelsregiſter eintragen
darf und ihre Anmeldung zurückweiſen muß ($ 64
Abſ. 2, 8 67 IJMBek. vom 24. Dezember 1899, die Füh⸗
rung des Handelsregiſters betr., JMBl. 1899, S. 846/847).
Das Regiſtergericht und das Beſchwerdegericht haben
feſtgeſtellt, daß das Geſchäft des M. nach der Größe
und dem Umfange des Lagers und der hiedurch be⸗
dingten Möglichkeit einer Auswahl, nach der Anzahl
des beſchäftigten Perſonals und nach der Größe des
Umſatzes, wenn auch nicht zu den ganz kleinen Möbel⸗
geſchäften, ſo doch nicht zu den bedeutenderen Unter⸗
nehmungen dieſer Art gehört. Hiebei haben die Vor⸗
inſtanzen mit Recht den gegenwärtigen Zuſtand und
Umfang des Geſchäfts für maßgebend erachtet; die Be:
zeichnung muß zur Zeit der Eintragung der Sachlage
entſprechen (Staub, HG. [8.] 9 8 Note 11; Jahrb.
des Deutſchen R. 2. Jahrg. Bd. 2 S. 25 zu 8 18 HG.
Ziffer 8D. Nach 8 12 JGGᷓ., deſſen allgemeine Vor⸗
ſchriften auch auf die in den 88 125 - 158 a. a. O. er⸗
wähnten Handelsſachen Anwendung finden (Rausnitz,
FGG. § 125 N. 2; O G. 21, 53), hatte das Gericht zur
Feſtſtellung der in Betracht kommenden Tatſachen von
Amts wegen die geeignet erſcheinenden Beweiſe aufzu⸗
nehmen. Dabei war es nicht an die Anträge der Be⸗
teiligten gebunden und nicht verpflichtet, jedem Beweis⸗
antrage ſtattzugeben. Es durfte ſich mit dem Ergeb⸗
niſſe der veranſtalteten Ermittelungen begnügen, wenn
ihm der Sachverhalt ſo vollſtändig aufgeklärt erſchien,
daß von weiteren Ermittelungen ein die Entſcheidung
beeinfluſſendes Ergebnis nicht zu erwarten war (Neue
Samml. v. Entſch. d. OLS. Bd. 8 S. 199, 372, Bd. 10
S. 278; Rausnitz, FGG. 812 N. 17, 18). Ueber das
Ergebnis der Ermittelungen hatte es nach freier Ueber⸗
zeugung zu entſcheiden; eine Verletzung des § 12 des
angeführten Geſetzes liegt daher in Anſehung der aus⸗
reichend begründeten tatſächlichen Feſtſtellungen über
den Umfang des Geſchäfts des Beſchwerdeführers nicht
vor. Das Beſchwerdegericht hat im Anſchluß an das
Gutachten der Handelskammer die Bezeichnung „N...
heimer Möbelhaus“ dahin ausgelegt, daß darunter nach
der Auffaſſung des Durchſchnittspublikums ein Unter—
nehmen verſtanden werde, das nach der ganzen Aus⸗
geſtaltung ſeines Geſchäftsbetriebes einen Umfang er⸗
reicht, der den der gewöhnlichen Ladengeſchäfte dieſer
Brunche übertrifft und zu den großen Möbelgeſchäften
in N. zu rechnen iſt. Gegen dieſe Auslegung beſteht
kein Bedenken. Da das Unternehmen des Beſchwerde⸗
führers nach ſeinem jetzigen Umfange nicht der Vor⸗
ſtellung entſpricht, die ſich das Publikum von einem
„N. . heimer Möbelhaus? macht, der beabſichtigte Zu—
ſatz alſo mit den tatſächlichen Verhältniſſen im Wider⸗
ſpruche ſteht, iſt auch die Annahme des Beſchwerde—
gerichts, daß der Zuſatz geeignet iſt eine Täuſchung
über den Umfang des Geſchäfts herbeizuführen nicht
zu beanſtanden. Daß eine Täuſchung beabſichtigt wird,
iſt nicht erforderlich; es genügt, daß der Zuſatz ge-
eignet iſt fie herbeizuführen (Makower, HGB. [13.]
S. 104, Kaufmann, Handelsrechtliche Rechtſprechung
Bd. 8 S. 22). (Beſchl. des I. 35. vom 23. Juni 1911,
Reg. III 46/1911). f W.
223
B. Strafſachen.
Der Verkauf von Zigarren und Zigaretten in
Gaſthäuſern an Sonn- und Feſttagen. An einem
Sonntag kam der Kaufmann X. nachmittags mit Hut
und Ueverzieher bekleidet in das Hofbräuhaus und
verlangte an dem dortigen Verkaufsſtande für Zigarren
und Zigaretten 20 Zigaretten, die er ſofort erhielt.
ohne daß die mit dem Verkaufe betraute Frau ihn be—
fragte, ob er in den Wirtſchaftsräumen bleibe. An
demſelben Nachmittage ging X. in das „Reltaurant
zum Auguſtiner“, in dem er als Stammgaſt bekannt
war. Er verlangte am Büffet eine Schachtel mit
10 Zigaretten und erhielt fie unbeanſtandet, ins-
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
beſondere ohne die Frage, ob er ſich in den Gaſt⸗
räumen als Gaſt befinde oder zu bleiben beabſichtige.
Am gleichen Tage begab ſich X. in das Reſidenz⸗
automatenreſtaurant, wo er insbeſondere dem Zigarren⸗
verkäufer als ein haufiger Gaſt perſönlich bekannt
war. Er verlangte und erhielt von dem mit dem
Zigarrenverkaufe betrauten Angeſtellten 20 Zigaretten.
In allen drei Fällen hat X. ſich alsbald nach dem
Kaufe aus der Wirtſchaft entfernt, ohne die Zigaretten
geraucht zu haben. Gegen die Inhaber der Bafthäufer
wurde wegen eines Vergehens nach §§ 41 a, 105 b
Abſ. 2, 105 e Abſ. 1, 146 a GewO. und 8 3 der Bek.
der Regierung von Oberbayern vom 2. Mai 1910,
die Regelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe
zu München nach 8 105 e Abſ. 1 Gew. betr., ein
Strafverfahren eingeleitet. Das Ber. ſprach fie frei.
Die Reviſion des Staatsanwalts wurde verworfen.
Aus den Gründen: 1. Nach 8 105 b Abſ. 2 GewO.
dürfen im Handelsgewerbe Gehilfen, Lehrlinge und
Arbeiter an Sonn⸗ und Feſttagen nicht länger als
fünf Stunden beſchäftigt werden. Nach 8 105 e Abſ. 1
können für Gewerbe, deren vollſtändige oder teilweiſe
Ausübung an Sonn» und Feſttagen zur Befriedigung
täglicher oder an dieſen Tagen beſonders hervor⸗
tretender Bedürfniſſe der Bevölkerung erforderlich iſt,
durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde
Ausnahmen von den im 8 105 b getroffenen Be⸗
ſtimmungen zugelaſſen werden. Beſtraft wird, wer
den 88 105b bis 105g oder den auf Grund des
8 105 b Abſ. 2 erlaſſenen ſtatutariſchen Beſtimmungen
zuwiderhandelt. Nach 8 41 a darf, ſoweit nach den
Beſtimmungen der 88 105b bis 105h Gehilfen,
Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe an Sonn⸗
und Feſttagen nicht beſchäftigt werden dürfen, in
offenen Verkaufsſtellen ein Gewerbebetrieb an dieſen
Tagen nicht ſtattfinden. Die 88 105 b bis 105 finden
nach 8 105 i auf das Gaſt⸗ und Schankwirtſchaftsgewerbe
keine Anwendung. Die oben erwähnte Bek. der Re⸗
gierung von Oberbayern vom 2. Mai 1910 beſtimmt
in 83: „Soweit in Gaſt⸗ und Schankwirtſchaften der
Verkauf begünſtigter Waren (z. B. von Zigarren und
Charkutierwaren) an Sonn- und Feſttagen außer den
für den Handel mit dieſen Waren offenen Stunden
gemäß 8 1051 der Gewerbeordnung als Teil des
Wirtſchaftsbetriebs zuläſſig iſt, darf der Verkauf (die
Abgabe) bei Meidung der Straffälligkeit aus 8 146 a
der Gewerbeordnung. . . nur an die Gäſte der
Wirtſchaft und zwar nur in ſolchen, bzw. ſo geringen
Mengen (Herrliches Amtsdeutſch! Die Red.) erfolgen,
daß Genuß auf der Stelle vermutet werden kann“.
2. Wie der Senat ſchon in dem Urteile vom
21. März 1911) dargelegt hat, hat der Geſetzgeber,
indem er im SS 105i Abſ. 1 GewO. die Anwendung
der 88 105 b bis 105g auf das Gaſt⸗ und Schank⸗
wirtſchaftsgewerbe ausſchloß, den Betrieb der Gaſt⸗
und Schankwirtſchaft nicht nur inſoweit von der
Sonntagsruhe ausgenommen, als die notwendigen
Erſcheinungsformen dieſes Gewerbes, die Verabfolgung
von Speiſen und Getränken mit oder ohne Be-
herbergung der Gäſte in Betracht kommen, ſondern
er wollte den Betrieb beider Gewerbe an den Sonn—
und Feſttagen ohne Einſchränkung fortdauern laſſen.
Der Betrieb des Wirtsgewerbes erſchöpft ſich ſeit
langem nicht mehr darin, daß der Gaſtwirt Unter—
kunft und Verpflegung, der Schankwirt Getränke dar:
bietet; das Publikum fordert die Bereitſtellung von
Genußmitteln verſchiedener Art, es will namentlich
den Genuß des Rauchens nicht entbehren. Dieſen
Anforderungen kann ſich der Wirt nicht verſchließen,
wenn er nicht im Wettbewerb zurückbleiben will.
Mit dieſen Verhältniſſen wurde gerechnet, als im
Jahre 1891 der 8 105i GewO. geſchaffen wurde.
Demgemäß entſpricht auch heutzutage der Verſchleiß
1) S. Nr. 11 dieſes Jahrgangs der Zeitſchrift S. 246.
— —— — — — —
— ———— T b [⏑w—ͤůͤůͤöX3ßÜQ9⅛iü ] dü¾]JirNNAEff...8(ä(kͤͤ2!!örk . ñ3ñꝗ32.i!,ö!k.. ̃ñ„„r5vul!ññ —— —ꝛ2ꝛ— ——Ü—Ü«kkk'—ũ7 ⁴—xꝛx8—Ä—V2v˖;ß? — — —— — nn
411
von Zigarren und Zigaretten in Gaſt⸗ und Schank⸗
wirtſchaften der allgemeinen Verkehrsauffaſſung. Hier⸗
aus ergibt ſich, daß der Verkauf von Zigarren und
Zigaretten zurzeit zum Betriebe der Gaſt⸗ und Schank⸗
wirtſchaft gehört und deshalb mit dieſem die Ver⸗
günſtigung des 8 1051 GewO. genießt, alſo auch
während der Sonntagsruhe ſtattfinden darf. Da es
ſich aber bei der Abgabe von Zigarren und Zigaretten
nicht um eines der begrifflich notwendigen oder Grund⸗
geſchäfte des Wirtes handelt, ſondern nur um ein
Nebengeſchäft, das nur im Rahmen des Wirts⸗
gewerbes begünſtigt iſt, ſo iſt ſtrenge darauf zu ſehen,
daß die Abgabe nur an Gäſte der Wirtſchaft und
auch an ſie nicht in Mengen erfolgt, die einen An⸗
kauf auf Vorrat vermuten laſſen und das zur Be⸗
friedigung des augenblicklichen Bedürfniſſes erforder⸗
liche Maß überſteigen.
3. Mit dieſen Sätzen ſtimmen die Erwägungen
überein, von denen ſich die Strafkammer hat leiten
laſſen. Nicht irrtümlich ſind auch ihre Ausführungen
über die Frage, ob die Angeklagten oder ihre Ange⸗
ſtellten ſich nicht etwa wegen der Zahl der an K.
verkauften Zigaretten verfehlt haben. Es muß der
Strafkammer darin beigepflichtet werden, daß es bei
großen Betrieben häufig unmöglich iſt in jedem Falle
genau zu prüfen, ob die von einem Gaſte verlangte
Zahl von Zigaretten zur Deckung feines Bedarfs er-
forderlich iſt. (Wird weiter ausgeführt). (Urt. vom
30. Mai 1911, Rev.⸗Reg. 206/11). Ed.
2392
Oberlandesgericht München.
Urheberrecht an Grabdenkmälern; keine Geſetzes⸗
rückwirkung. (Beſchluß nach 8 170 StPO.). Bei den
hier ſtreitigen Grabdenkmälern handelt es ſich nach dem
Gutachten der Sachverſtändigenkammer um reine
Architekturformen (Portikus), die ohne Zweifel in das
Gebiet der Baukunſt fallen. Nach dem Urheberrechts⸗
geſetz vom 9. Januar 1876 waren ſolche Werke nicht
geſchützt, dagegen wurde ein folder Schutz eingeführt
durch das am 1. Juli 1907 in Kraft getretene RG.
vom 9. Januar 1907 betr. das Urheberrecht an Werken
der bildenden Künſte und der Photographie. Geht
man von der anerkannten Regel aus, daß neue Geſetze
beim Fehlen einer gegenteiligen, ausdrücklichen Be⸗
ſtimmung keine rückwirkende Kraft haben, ſo kann es,
da das neue Geſetz keine ſolche Beſtimmung enthält,
keinem Zweifel unterliegen, daß das im Jahre 1906
durch den Antragſteller angefertigte Grabdenkmal den
Schutz des neuen Geſetzes nicht genießt. Der OStA.
hat mit Recht hervorgehoben, daß das Kunſtſchußgeſetz
vom Jahre 1907 auch keine dem $ 62 Satz 1 LitUrh RG.
vom 19. Juni 1901 entſprechende Beſtimmung enthält.
Es iſt deshalb der oben angegebenen, auch von Allfeld,
UrhR. an Werken der bildenden Künſte S. 229, und
von E. Riezler, Deutſches Urheber- und Erfinderrecht,
1. Abt. S. 405, vertretenen Anſchauung beizupflichten.
(Beſchl. vom 19. Mai 1911, Reg.⸗Nr. 30/11.)
2208 X.
Literatur.
Kränßlich, Dr., Landrichter in Düſſeldorf, Gerichts-
verfaſſungs⸗ und Strafprozeß⸗Novelle
oder umfaſſende Juſtizreform? 79 S. Hannover
Helwingſche Verlagsbuchhandlung. Preis Mk. 1.50.
Der Verfaſſer lehnt die Novelle ab und tritt leb—
haft für eine umfaſſende Reform ein. Er beſchränkt
ſich im weſentlichen auf die Neugeſtaltung der Ge—
richts verfaſſung: zu den bekannten Vorſchlägen nimmt
er ſelbſtändig Stellung. In erſter Inſtanz will er
Berufseinzelrichter wirken laſſen und weiſt ihnen an
412
„Friedensgerichten“, (die den heutigen Amtsgerichten
entſprechen), die freiwillige Gerichtsbarkeit, Bagatell⸗
ſachen und einige Zivilprozeſſe zu, während ſie an
„Spruchgerichten“, (deren Zahl gegenüber der der
heutigen Landgerichte zu vermehren wäre), über die
übrigen Zivilprozeſſe zu entſcheiden hätten. Spruch⸗
richter ſoll nur werden können, wer — regelmäßig —
6 Jahre Friedensrichter war. Laien ſollen nur in
der erſten Inſtanz und zwar in kleinen, mittleren und
großen Schöffengerichten an der Strafrechtspflege mit⸗
wirken. Die Mitglieder der über der erſten Inſtanz
aufgebauten — mit 3 bis 7 Richtern beſetzten — Be⸗
rufungsgerichte werden den Spruchrichtern an Rang
und Gehalt gleichgeſtellt. Weiter werden Vorſchläge
zur Vermeidung unnötiger Prozeſſe, zur Beſchleuni⸗
gung der Rechtſprechung, zur Stärkung der Autorität
der von nicht richterlicher Arbeit zu entlaſtenden
Richter und zur Herbeiführung beſſerer Beziehungen
zwiſchen ihnen, Staats- und Rechtsanwälten gemacht.
Das Notariat ſoll aufgehoben werden. Die gedanken⸗
reiche Abhandlung geht von der richterlichen Praxis
aus und trägt ihr Teil dazu bei, der großen Reform
den Charakter der Utopiſchen zu nehmen.
München. Amtsrichter Sauerländer.
Bauer, Dr. jur. Otto, Amtsrichter a. D., Das Pol»
lard⸗Syſtem und feine Einführung in Deutſch—
land. Eine Studie zur kriminalpolitiſchen Behand»
lung der Trinker. Vortrag gehalten auf dem
VII. Deutſchen Abſtinententage in Augsburg am
30. September 1910. 47. S. Reutligen 1911, Mimir⸗
hl, m deutſche Kultur und ſoziale Hygiene.
Ausgehend von dem Grundſatze, daß das Straf—
recht nicht ſo ſehr der Vergeltung, als dem Schutze
der Geſellſchaft zu dienen habe, hat der Polizeirichter
Pollard in St. Louis (Miſſouri) ein Syſtem der
Strafausſetzung für den Fall eingeführt, daß der Ber:
urteilte ſich freiwillig dem Gerichte gegenüber auf be=
ſtimmte Zeit zur Enthaltung von geiſtigen Getränken
verpflichtet. Damit hängt die Frage der Einführung
einer Schutzaufſicht eng zuſammen. Auch in anderen
Staaten, beſonders in England, haben dieſe Ideen
Verwirklichung gefunden. Der ſehr leſenswerte, mit
zahlreichen Quellenangaben verſehene Vortrag ſchil—
dert dieſe Beſtrebungen in anſchaulicher Weiſe und
befürwortet mit beachtlichen Gründen ihre Einführung
in Deutſchland gelegentlich der Reform des Straf—
rechts. Vgl. auch die Bek. des Heſſiſchen Juſtizmin.
vom 4. September 1911, betr. die Handhabung des
bedingten Strafaufſchubs (Heſſ. JIMin Bl. 1911 Nr. 12).
H.
Winter, Dr. jur. Paul, Oberlandesgerichtsrat in
Stettin. Konkursordnung und Anfechtungs—
geſetz in der Faſſung der Bekanntmachung des
Reichskanzlers vom 20. Mai 1898. Textausgabe
mit Erläuterungen, Nebengeſetzen und Sachregiſter.
X, 348 S. Leipzig 1911, C. L. Hirſchfeld. Gebd.
Mk. 2.90.
Die nicht gerade tiefgehenden aber ausreichenden
Anmerkungen machen die Ausgabe für den Hand—
gebrauch geeignet. Zweckmäßig iſt es, daß zu den
einzelnen Vorſchriften die darin angeführten Beſtim—
mungen anderer Geſetze abgedruckt ſind, was bei einem
Geſetze von verhältnismäßig kleinem Umfang — wie
es die KO. iſt — geſchehen konnte, ohne daß die Aus—
gabe unhandlich wurde. Im Anhang, der Auszüge
aus Nebengeſetzen bringt, ſind auch einige landes—
rechtliche Vorſchriſten abgedruckt.
Eigentum von J. Schwei der Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 20.
Notizen.
Die bayeriſche Juſtizſtatiſtik far 1910 iſt ſoeben im
Verlage von Chr. Kaiſer in München erſchienen. Be⸗
ſonders bemerkenswert ſind diesmal die Ergebniſſe
der Zivilprozeßſtatiſtik, weil ſie die Wirkungen der
Zivilprozeß⸗Novelle von 1909 auf den Geſchäftsanfall
bei den Amtsgerichten und den Landgerichten erſehen
laſſen, wobei allerdings zu beachten iſt, daß die Novelle
nur während eines Zeitraums von neun Monaten (vom
1. April 1910 an) in Geltung war; erſt auf Grund
der Ergebniſſe für 1911 werden ſich die Verſchiebungen
genau nachweiſen laſſen. Immerhin waren ſie ſchon
im Jahre 1910 nicht unbedeutend. Die Abſicht der
Novelle das Mahnverfahren wieder beliebter zu machen,
iſt offenſichtlich erreicht worden. Im Jahre 1910
wurden um 19979 mehr Zahlungsbefehle erlaſſen
als 1909 (213076). Die Mahnſachen machten 1910
49,2% der vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus,
1909 nur 46,7%. Gewöhnliche Prozeſſe fielen bei
den Amtsgerichten 182062 an (gegenüber 173976 im
Vorjahre), Urkunden⸗ und Wechſelprozeſſe 18 527;
darunter waren 20001 gewöhnliche Prozeſſe und 2655
Urkunden⸗ und Wechſelprozeſſe mit einem Streitwerte
von mehr als 300 M. Bei den Landgerichten find
die gewöhnlichen Prozeſſe um 7086, die Wechſelpro⸗
zeſſe um 2276, die anderen Urkundenprozeſſe um 133
zurückgegangen. Dem ſteht eine Mehrung der Be⸗
rufungsſachen gegenüber, die 1910 allerdings noch
nicht ſehr bedeutend war (789 Berufungen in gewöhn⸗
lichen Prozeſſen mehr als im Vorjahre). Bei den
Oberlandesgerichten hat die Novelle im Jahre 1910
natürlich noch wenig gewirkt.
Die für 1909 auf Grund der Reichskriminalſtatiſtik
hergeſtellte Ueberſicht der Verbrechen und Vergehen
gegen Reichsgeſetze zeigt ein gar nicht unbedeutendes
Sinken der Kriminalität (2229 Verurteilte weniger),
insbeſondere auch der Kriminalität der Jugendlichen
(1127 Verurteilte weniger). Etwas zugenommen haben
die Uebertretungen, wogegen ſich bei den Verurtei⸗
lungen in Forſtſtrafſachen ein ganz bedeutender Rück⸗
gang zeigt (40511 gegen 51004).
Neu iſt die Alkoholſtatiſtik. 8864 Perſonen ſind
1910 wegen Verbrechen oder Vergehen gegen Reichs⸗
geſetze verurteilt worden, die ſtrafbare Handlungen
im Zuſtande der Trunkenheit oder offenſichtlich infolge
gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuſſes begangen hatten.
Die Zahl ihrer ſtrafbaren Handlungen betrug 10 042,
beinahe die Hälfte davon (5006) waren gefährliche Körpers
verletzungen. Man muß dabei beachten, daß die Statiſtik
den mittelbaren Alkoholeinfluß nicht erfaſſen konnte,
z. B. nicht die Fälle, in denen der übermäßige Alkohol⸗
genuß zur Vermögenszerrüttung und damit zu Unters
ſchlagungen, Betrug uſw führte. Auch konnten natür—
lich nur die Fälle berückſichtigt werden, in denen das
Strafverfahren ausreichende Anhaltspunkte für den
Einfluß des Alkoholgenuſſes auf die Tat geliefert hatte.
Bei dieſer unvermeidlichen Beſchränkung der Statiſtik
kann die Zahl 8864, die auf den erſten Blick nicht ſehr
bedeutend zu ſein ſcheint, als ziemlich hoch bezeichnet
werden. Häufiger, als zu erwarten war, kamen auch
Fälle vor, in denen keine Beſtrafung eintreten konnte,
weil der Täter bei Begehung der Tat ſinnlos be—
trunken war (150).
2400
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 21. München, den 1. November 1911. 7. Jahrg.
Zeitschrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
Eh. vonder Dferbten in Bay EIN ra 10
Staats miniſtertum der Iuflz- München und Berlin.
g eee er: See e e ( Lee , , Panel
mfange von min . e . e ; e
Ak. 8—. e eſtelungen übernimmt ede Buchhanblang und u * oder deren Bel Wiederholungen Kabalt .
20 fa. nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. 413
5 f Ko. für Ob [ d R b
Eine Frage aus dem bayeriſchen Fiſchereirecht. 4 1 8 1 8
Von Richard Berolzheimer, Rechtsanwalt in München. | Es iſt jüngft bei der Erhebung eine Anklage
I wegen Uebertretung des 8 6 der KrD. für Ober:
5 " bayern, nämlich wegen verbotswidrigen Ablaſſens
Auf der geſetzlichen Grundlage des Art. 72 eines Mühlbachs zum Zweck des Fiſchfangs, die
des Fiſchereigeſetzes für das Königreich Bayern — gemäß Art. 10, 15 PStGB. von Amts
vom 15. Auguft 1908 (GVBl. S. 527) wurde, wegen zu prüfende — Frage aufgetaucht, ob ſich
durch 9 62 Abſ. I der Bek. vom 19. März 1909, der 8 6 der KröO. im Rahmen des 8 10 Abſ. I
den 1 des . 1 es 9 280. hält.
reich Bayern vom 15. Auguſt 1908 betr. 5% 850;
S. 252), angekündigt, die Bek. vom 23. März 1 0 Ablass. von .
88 6 . betr., erlaſſen ſchränken. In den genannten Kr O. wurde
e . aber das Ablaſſen nicht beſchränkt, ſondern ver⸗
Die LO. gibt es in § 10 Abſ. I den Re- boten. Es bedarf daher der Unterſuchung, ob
gierungen, Kammern des Innern anheim, „durch unter die zuläſſigen Beſchränkungen auch ein
oberpolizeiliche Vorſchrift beſchränkende Ber völliges Verbot fällt.
ſtimmungen in bezug auf das Abdämmen, Ab⸗ |
ſperren mittels Schleuſen, Abzapfen oder Ablaſſen II.
nicht geſchloſſener Fiſchgewäſſer zum Zweck des
Fiſchfangs zu erlaſſen.“ Die Strafſanktion findet 1. Die Entſtehungsgeſchichte der in $ 10 Abſ. I
ſich in § 101 Ziff. 4 FG. Dieſe Vorſchrift wendet LFO. getroffenen Vorſchrift zeigt, daß fie zurück⸗
ſich an den Fiſchereiberechtigten, den es in gewiſſen geht auf $ 14 LFO. vom 4. Oktober 1884, die
Arten des Fiſchfanges beſchränkt, während Art. 77 lautet: „Den königlichen Kreisregierungen, Kam⸗
FG., was in der Praxis manchmal überſehen mern des Innern, bleibt anheim gegeben, durch
wird, den Schutz des Fiſchereirechts durch Ent⸗ oberpolizeiliche Vorſchriften beſchränkende Be⸗
leerung des Fiſchwaſſers zu andern Zwecken als ſtimmungen in bezug auf das Abdämmen, Ab⸗
zum Zweck des Fiſchfanges verbietet. zapfen oder Ablaſſen nicht geſchloſſener Fiſchwaſſer
Von der Ermächtigung des § 10 Abſ. 1 LFO. zum Zweck des Fiſchſangs zu erlaſſen.“ Während
haben bereits mehrere Kreisregierungen Gebrauch alſo auch dieſe LFO. nur von „Beſchränkung
gemacht. So heißt es in der Kr O. für Ober: | Ipricht, find ſchon damals in mehreren Kreis⸗
bayern vom 15. Dezember 1910 8 6 (Kr Bl. fiſchereiordnungen völlige Verbote ausgeſprochen
S. 233): „Das Abdämmen, Abſperren mittels worden (vgl. Kr O. für Oberbayern vom 21. Of:
Schleuſen, Abzapfen oder Ablaſſen nicht ge: tober 1885 Ziff. III, für Niederbayern vom
ſchloſſener Fiſchwaſſer zum Zweck des Fiſchfanges | 22. Dezember 1885 Ziff. III. für Unterfranken
iſt verboten.“ Das gleiche Verbot findet ſich vom 4. Februar 1886 Ziff. II). Vorſichtiger
z. B. in der Kr O. für Oberfranken vom 31. März wurde die Regelung getroffen in der Kr§ O. für
1910 8 9 (KrABl. S. 61), KrFO. für Mittel⸗ Oberfranken vom 27. Januar 1886 Ziff. V. für
franken vom 4. Mai 1910 Nr. 2 (Kr Bl. S. 49), Mittelfranken vom 29. Mai 1889 Ziff. IV, für
ea und Dr Be Mai 1890
BE TEE Ziff. IV. Die Kreisregierungen der Regierungs⸗
nen, — Aae dockaia. bezirke Pfalz (Kr O. vom 31. Januar 1890), fo:
KryO. Kreisfiſchereiordnung. wie Schwaben und Neuburg (Kr O. vom 14. Of:
414 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
tober 1885) haben keinerlei Beſchraänkung ein⸗ laſſens zuzulaſſen. Der Wille des Geſetzgebers
treten laſſen. entſcheidet aber nur über den Geſetzestext, hat er
Der Kommentator der früheren bayerifchen dieſen einmal rechtsgültig veröffentlicht, jo kann
Fiſchereiordnungen, Staudinger, ſpricht ſich in er über den Inhalt feiner Erklärung nicht mehr
ſeiner Landesfiſchereiordnung für das Königreich bindend entſcheiden (Staudinger⸗Loewenfeld, Komm.
Bayern S. 122 dahin aus: „Damit (seil. durch z. BGB., Einleitung VI, Rechtsanwendung Abſ. J).
§ 14 Abſ. 1) find Verbote fraglicher Art wenigſtens Uebrigens ergibt der Sprachgebrauch des Ge⸗
im allgemeinen durch eine Zuläſſigkeitserklärung ſetzgebers ſelbſt, daß er zwiſchen Verbot und Be⸗
derſelben vorgeſehen. Nach ſeiner Anſchauung ſchränkung unterſcheidet. Denn nach $ 11 LO.
fallen unter den Begriff „Beſchränkungen“ alſo kann durch Anordnung der Regierungen die An⸗
auch völlige Verbote. wiendüng von Legangeln „verboten oder beſchränkt
Die dem Regierungsentwurf zum Fiſcherei⸗ werden“. In $ 11 Abſ. II LFO. ſpricht das
geſetze beigegebene Begründung ſowie die Kammer: Geſetz von „weiteren Beſchränkungen“ des Ein⸗
verhandlungen gelegentlich der Beratung des neuen | laſſens von Enten, in Abſ. I dagegen ift von
Fiſchereigeſetzes (in den Ausſchüſſen und im Plenum einem Verbote die Rede. Dieſes Verbot iſt
der beiden Häuſer des Landtags) gewähren keinerlei aber lediglich ein zeitliches, und als weiterer Fall
Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage. iſt in Abſ. II das räumliche aufgeführt. Derartige
In den Kommentaren zum Fiſchereigeſetz (Bleyer Teilverbote fallen unzweifelhaft unter den Begriff
S. 240, von Malſen⸗Hofer S. 591) finden ſich Beſchränkung.
Erörterungen über die Zuläſſigkeit von Verboten Auch in $ 10 Abſ. I und $ 14 Abſ. II L§ O.
nicht, wenn auch von Malſen⸗Hofer, 8 10 ad 1, vom 4. Oktober 1884 war zwiſchen Verbot und
ihre Rechtsgültigkeit ſtillſchweigend vorauszuſetzen Beſchränkung unterſchieden.
ſcheinen. | Unſere Geſetze ſprechen in den Fällen, wo eine
2. Bei der Auslegung geſetzlicher Vorſchriften Behörde ſowohl zu einem völligen Verbot als
müſſen wir vor allem den Wortlaut des Geſetzes- auch zu einer bloßen Beſchränkung ermächtigt
textes im Auge behalten. Wie ſchon das BER. wird, davon, die Behörde könne Verbote er:
Tl. 1 cap. 1 8 9 vorſchreibt, ſoll man deutliche laſſen oder Anordnungen treffen. Würde man
Geſetze und Ordnungen nicht auszulegen ſuchen, unter dem Ausdruck Beſchränkungen auch Verbote
ſondern die Worte bei ihrer gewöhnlichen und verſtehen wollen, ſo fände man ſchwer ein Wort,
landläufigen Bedeutung ohne Verdrehung belaſſen, das nur die Beſchränkungen im engeren Sinn
Die Bedeutung des Wortes „Beſchränkung“ unter Ausſchluß der Verbote in ſich ſchlöſſe.
in der deutſchen Sprache iſt aber eine andere als | 4. Dan fann bier die Gleihfegung von Be-
die eines Verbotes. Beſchränkung bildet den | ſchränkung und Verbot auch nicht mit der Be⸗
Gegenſatz zu Schrankenloſigkeit. Es weiſt auf Bunt:
gründung rechtfertigen, jedes Geſetz habe die
eine Begrenzung, auf eine Einengung hin, nicht Vermutung der Vernünftigkeit und Zweckmäßig⸗
|
|
|
aber auf eine gaͤnzliche Beſeitigung. Es wird keit für ſich, eine bloße Beſchränkung d 5
| ES. g des Ab
etwas mit Schranken umgeben und dadurch eine laſſens von Fiſchwaſſern genüge nicht, der Geſetz⸗
5 . 5 ber könne hier, wenn er ſeinen Zweck erreichen
„beichräntt wird im verſchiedenſten Sinn gebraucht. wollt, nur die 1 fig Ver
ſowohl in ſeiner wörtlichen Bedeutung als im botes im Auge gehabt haben. Iſt es ſchon ftets
. a ;
übertragenen Sinn. Wir reden von räumlicher bedenklich, bei Auslegung von Geſetzen über den
|
ſchrankenloſe Ausdehnung verhindert. Das Wort
Beſchränkung, nicht um das Vorhandenſein eines Wortlaut hinaus — di
; . zugehen, — die Gefahr der Ge⸗
Ham ch Ten, Jen dm Br Fan d e
a 8 I ſo gilt dies um jo mehr bei den mi raf⸗
ui e ae en Gr ar ere e a c Selm
fähig ift, ſondern derjenige, deſſen geiſtige Funk: | > 5 ge 1 er 1 "
tionen herabgeſetzt find. Wer ſich wirſſchaſtlich | Ob 118 15 . en ni fal
einſchränken muß, darf nur nicht mehr die gleichen | ee nn A un erp 825
Ausgaben machen als bisher, nicht aber muß er zeigen, ſind auch Beſchränkungen in einzelnen Be⸗
ſich jeder Ausgabe enthalten. Und wenn ein ziehungen möglich, z. B. Ablaſſen bis zur Hälfte.
Geſetz in gewiſſer Beziehung Beſchränkungen der Daneben wären auch namentlich zeitliche Beſchrän⸗
Willensbetätigung zuläßt, jo geſtattet es damit kungen denkbar, vielleicht auch Beſchränkungen je
nicht die Willensbetätigung in dieſer Richtung nach Art der im Gewäſſer vorhandenen Fiſche.
ganz auszuſchließen, ſondern nur fie mit Schranken III
Sonach dürften die ſich angeblich auf 8 10
zu umgeben, ſie einzuengen, ſei es zeitlich, räumlich,
gegenſtändlich oder in anderer Weiſe.
3. Es kann fein, daß der Wille des Geſetz- | Abi. I LFO. ſtützende Verbote des Abdaͤmmens,
Abſperrens mittels Schleufen, Abzapfens oder Ab⸗
laſſens nicht geſchloſſener Fiſchwaſſer zum Zweck
—
gebers (hier alſo des Miniſteriums) dahin ging,
durch § 10 Abſ. 1 LIFO. auch Verbote des Ab—
des Fiſchfangs der ſachlichen Gültigkeit entbehren,
ähnlich wie die oberpolizeilichen Vorſchrif
nicht für beſtimmte Arten von Ausverkäufen 8 7
Abſ. II UnlWGG.) ſondern für Ausverkäufe irgend:
welcher Art zur Anzeigeerſtattung und Einreichung
eines Verzeichniſſes der auszuverkaufenden Gegen⸗
ſtände verpflichten (ſ. Nr. 20 dieſes Jahrg. der
Zeitſchrift S. 407).
Die LO. kann — die Vertreter der Staat
regierung haben ſich bei den Landtagsverhand⸗
lungen übereinſtimmend gegen eine Regelung der
betreffenden Materien im Geſetze ſelbſt ausge⸗
ſprochen — durch Miniſterialbekanntmachung jeder⸗
zeit geändert werden. Es iſt wünſchenswert, daß,
falls im Intereſſe der Fiſchereiwirtſchaft Verbote
des Abdämmens uſw. notwendig ſein ſollten, die
erheblichen Zweifel an der Gültigkeit der erlaſſenen
Kreisfiſchereiordnungen durch eine entſprechende
Aenderung der LJ O. möglichſt bald beſeitigt werden.
— 0 — —
Di ſtaatliche Obſorge für entlaſſene
Gefangene in Bayern.
Von Richard Degen, Landgerichtsrat in München.
Mit Beginn des Jahres 1909 wurde die Haupt⸗
ſtelle für Gefangenenobſorge in Nürnberg errichtet.
Ihr Vorſtand, der Direktor des Zellengefängniſſes
Oberregierungsrat Michal in Nürnberg, hat ſich
damals in dieſer Zeitſchrift über den Zweck und
die Ziele dieſer neuen Einrichtung ausgeſprochen
und die Grundſätze erörtert, nach denen ſie ihre
Tätigkeit zu geſtalten hatte (1909 S. 77). Seit⸗
dem ſind nahezu drei Jahre verfloſſen, ein Zeit⸗
raum groß genug, um an der Hand eines kurzen
Ueberblicks über das bisherige Wirken der Haupt⸗
ſtelle beurteilen zu können, ob ſie die an ihre
Errichtung geknüpften Erwartungen erfüllt und
ſich als lebens⸗ und ausbaufähig erwieſen hat.
Die Tätigkeit der Hauptſtelle war von vorn⸗
herein begrenzt durch die Mittel, die ihr zur Ver⸗
fügung geſtellt werden konnten. Im Etat des
Juſtizminiſteriums waren bisher jährlich 25000 Mk.
für ihre Zwecke eingeſetzt. Davon hatte ſie 5000 Mk.
an die Zentralſtelle der bayeriſchen Obſorgevereine
in München abzugeben. Es blieben ihr alſo nur
20 000 Mk., ein Betrag, mit dem trotz ſtrengſter
Ausleſe der Hilfeſuchenden nach Dürftigkeit und
Würdigkeit und trotz Beſchränkung der Beihilfen
auf das notwendigſte Maß nur die dringendſten
Bedürfniſſe befriedigt werden konnten.
Die Art und die Form der Obſorge muß ſich,
wenn ſie wirkſam ſein ſoll, den jeweiligen Ver⸗
hältniſſen des Obſorgebedürftigen anpaſſen; es
find demnach die mannigfachſten Formen der Ob—
ſorge denkbar. Doch bewegt ſich die Tätigkeit der
Hauptſtelle hauptſächlich in zwei Formen: in der
Zuweiſung von Unterſtützungen und in der Arbeits—
vermittlung.
ZBebitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 214
415
werden nicht nur den ent⸗
Rauch Ya:
milienangehörige find davon nicht ausgeſchloſſen.
Gerade ſie leiden oft ſchuldlos unter der Straf⸗
vollſtreckung gegen das Familienhaupt am härtejten,
und dem Entlaſſenen wird die Rückkehr zu einem
geordneten Leben doppelt ſchwer gemacht, wenn
er ſeine Angehörigen in Not und Elend antrifft.
Im Jahre 1910 wurden 89 Familien von Ge⸗
fangenen mit ſolchen Unterſtützungen bedacht.
Unterſtützungen an Bargeld wurden 287 Ge⸗
fangenen gewährt. Zuwendungen dieſer Art, die
der Linderung einer augenblicklichen Notlage dienen
ſollen, erfolgen in der Regel nur an verheiratete
Perſonen, die Gewähr dafür bieten, daß ſie das
Geld auch wirklich ſeinem Zwecke entſprechend ver⸗
wenden. In geeigneten Fällen tritt an die Stelle
ſolcher Unterſtützungen in Bargeld die Unter:
bringung in Fürſorgeheimen, in Miſſionsheimen
und ähnlichen Anſtalten, die bei 63 Gefangenen
zur Anwendung kam. Ferner kann entlaſſenen
Gefangenen auch dadurch an die Hand gegangen
werden, daß ihnen die Mittel zur Einlöſung von
Verbindlichkeiten, z. B. zur Zahlung rückſtaͤndigen
Mietzinſes, von Lagerſpeſen u. dgl. gewährt oder
daß verſetzte Gegenjtände, in erſter Linie Hausrat
und Handwerkszeug, wieder eingelöſt werden. Auf
dieſe Weiſe hat die Hauptſtelle im Jahre 1910
in 34 Fällen eingegriffen.
Mit Kleidern und Schuhen wurden 496 Per⸗
ſonen verſehen. Mit Handwerkszeug und Arbeits⸗
material konnten 43 Perſonen aus den verſchiedenſten
Berufskreiſen unterſtützt werden. Dabei wurden
in einzelnen Fällen nicht unerhebliche Aufwen⸗
dungen gemacht. So wurden z. B. Nähmaſchinen,
Strickmaſchinen, Ladeneinrichtungen, eine Wäſcherei⸗
einrichtung, ein Stukkaturrüſtzeug, eine Drehbank
angeſchafft. Das Eigentum an derartigen wert⸗
volleren Gegenſtänden wird in der Regel zunäͤchſt
einem Obſorgeverein übertragen.
Auch Reiſeunterſtützungen werden gewährt. Der
Entlaſſene erhält eine Anweiſung auf eine Fahr⸗
karte und das nötige Zehrgeld. 410 Perſonen
wurden in dieſer Weile unterjtüßt.
Erhebliche Mittel wurden aufgewendet, um
Gefangenen die Auswanderung in überſeeiſche
Länder zu ermöglichen. Die Hauptſtelle hatte
ſich dabei der talkraͤftigen Unterſtützung der Zentral⸗
ſtelle der Obſorgevereine in München, die auf
dieſem Gebiete bereits hervorragende Erſolge er:
zielt hat, und des Deutſchen Hilfsvereins in
Hamburg zu erfreuen. In den Jahren 1909
und 1910 wurden 35 Gefangenen die Mittel
zur Auswanderung gewährt; der Koſtenaufwand
betrug über 8000 .
Neben dieſer Zuweiſung von Unterſtützungen
Unterſtützungen
umfaßt die Tätigkeit der Hauptſtelle ein weiteres
großes und wichtiges Gebiet, das der Arbeits—
vermittlung. Die Hauptſtelle hat ſich zu dieſem
416
Zwecke mit den weiteſten Streifen der Arbeitgeber
und mit den in Betracht kommenden kaufmänniſchen
und landwirtſchaftlichen Verbänden, ferner mit den
Arbeitsnachweiſen in Verbindung geſetzt und es
iſt ihr in den meiſten Fällen gelungen, Stellen⸗
ſuchende unterzubringen. Daß dabei ſelbſt mit
ehemaligen Zuchthausgefangenen, die langjährige
Strafen hinter ſich hatten, gute Erfolge erzielt
worden find, verdient beſonders hervorgehoben zu
werden. Auf beſondere Schwierigkeiten ſtößt die
Arbeitsvermittlung bei Gefangenen, die nicht im⸗
ſtande ſind ihr Brot durch körperliche Arbeit
zu verdienen. Kaufleuten, ehemaligen Beamten,
Lehrern ꝛc. unmittelbar nach der Entlaſſung aus
dem Gefängniſſe eine Stelle zu verſchaffen gelingt
in den ſeltenſten. Fallen. Um auch ſolchen Ber:
ſonen Gelegenheit zu bieten ſich wieder empor
zu arbeiten, wurde von der Hauptſtelle mit Ge⸗
nehmigung des Staatsminiſteriums der Juſtiz und
im Zuſammenwirken mit dem Verein für innere
Miſſion in Nürnberg eine Schreibſtube gegründet,
in der Schreibarbeiten und kaufmänniſche Arbeiten
aller Art gefertigt werden. In ihr fanden bis
Ende 1910 68 entlaſſene Gefangene mit den ent⸗
ſprechenden Vorkenntniſſen bei freier Wohnung
und Verpflegung Aufnahme. Von ihnen konnten
42 nach durchſchnittlich mehrmonatigem Aufenthalt
in der Schreibſtube in Stellen untergebracht werden,
in denen ihr weiteres Fortkommen geſichert iſt.
Die Hauptſtelle hat ein weſentliches Intereſſe
daran, beſonders da, wo ſie größere Aufwendungen
gemacht hat, den Erfolg ihrer Tätigkeit zu be⸗
obachten und feſtzuſtellen. Sie kann gerade in
dieſen Fallen mit Befriedigung auf nur günſtige
Ergebniſſe zurückblicken.
Bei der Löſung der ihr geſtellten Aufgabe
hatte ſich die Hauptſtelle der regen Mitwirkung
der privaten Obſorgevereine zu erfreuen. Mit
der Errichtung einer ſtaatlichen Obſorgeſtelle ſollten
ja dieſe Vereine keineswegs ausgeſchaltet werden,
ſie ſollten vielmehr einen Mittelpunkt erhalten,
der ihre Tätigkeit in einheitliche Bahnen leiten
und anregend und fördernd auf ſie wirken konnte.
Der privaten Obſorgetätigkeit bleibt deshalb neben
der ſtaatlichen der weiteſte Spielraum; es iſt
Grundſatz, daß die ſtaatliche Obſorge nur dann
eingreift, wenn die private verſagt. Soweit es
ihre Mittel geſtatten, läßt die Hauptſtelle den
Obſorgevereinen auch Zuſchüſſe zukommen. Der
aneifernde Einfluß der Hauptſtelle auf die Tätig—
keit vieler Obſorgevereine, die bisher nahezu brach
lag, hat ſchon gute Früchte getragen; es ſteht
zu erwarten, daß dieſe Vereine, wenn erſt
die ſehr wünſchenswerte Organiſation des Privat—
obſorgeweſens nach einheitlichen Grundjägen durch:
geführt iſt, noch weit Erſprießlicheres wirken werden,
als ſie ſchon bisher in höchſt dankenswerter Weiſe
getan haben.
Die Tatigkeit der Hauptſtelle mag nach dem
Bilde, das hier nur in ganz groben Zügen von
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
HAB . — —ͤ4 — — . ̃ ͤ——— p p w ——p —ę— — = EEE —
—ͤ——ů— ᷑ — — — — (Ä—
ihr gegeben werden kann, auf den erſten Blick
vielleicht nur beſcheiden erſcheinen. Aber die kleinen
Ziffern, mit denen ſie ihr Wirken ſtatiſtiſch nach⸗
weiſen kann, wiegen ſchwer. Hinter ihnen birgt
ſich eine Fülle ſegensreicher Tatigkeit im Dienſte
der Allgemeinheit; ſie bedeuten die erſten Erfolge
und Fortſchritte auf einem Gebiete, das bisher
der ſtaatlichen Fürſorge noch nicht erſchloſſen war.
Wenn es je eines Beweiſes bedurft hätte, daß die
Errichtung einer ſtaatlichen Obſorgeſtelle ein Bedürf⸗
nis war, ſo iſt dieſer Beweis durch die rege und ſich
ſtetig ſteigernde Inanſpruchnahme der Hauptſtelle er⸗
bracht. Und wenn vielleicht Zweifel darüber hätten
beſtehen können, ob die Obforge für entlaſſene Ge⸗
fangene nicht zweckmäßiger dem Wirkungskreiſe
einer Verwaltungsbehörde zugeteilt worden wäre,
jo hatte die Hauptſtelle durch ihr bisheriges er⸗
folgreiches Wirken dieſe Zweifel zerſtreut. Warum
ſollte es der Juſtiz verwehrt ſein die Wunden,
die fie als Hüterin der Majeſtät des Rechts not:
gedrungen ſchlagen muß, nach Möglichkeit zu lindern
und zu heilen? Es war auch keine ihr ganz fremde
Aufgabe, vor die ſich die der Verwaltung des
Zellengefängnifjes angegliederte Hauptſtelle geſtellt
lab. Sit doch eigentlich der ganze Strafvollzug,
ſoweit er vom Beſſerungszweck beherrſcht wird, ſchon
Obſorgetätigkeit; alle die zahlreichen Vorſchriften
der Hausordnungen, die darauf hinzielen den Ge⸗
fangenen wieder zu einem nützlichen Gliede der
menſchlichen Geſellſchaft zu machen, dienen dieſem
Zwecke. So find Straſvollzug und Obſorgetätigkeit
eng verbunden, und wenn eine amtliche Stelle mit
der Ausübung der ſtaatlichen Obſorge für ent⸗
laſſene Gefangene betraut werden ſollte, ſo konnte
es nur eine Stelle ſein, die mit dem Weſen und
den Einrichtungen der Strafvollfirefung genau
vertraut iſt.
Die Erfahrung hat gezeigt, daß die der Haupt⸗
ſtelle bisher zur Verfügung geſtellten Mittel den
Anforderungen, die an ſie geſtellt werden, nicht
mehr genügen. Die Juſtizverwaltung hat deshalb
das Poſtulat für dieſe Stelle in dem Etat, der
dem Landtage gegenwärtig vorliegt, auf 35000 M
erhöht. Jeder Betrag, der aus Staatsmitteln
für das Obſorgewerk aufgewendet und jeder Pfennig,
der aus Privatmitteln dazu geſpendet wird, ver⸗
ſpricht reichliche Zinſen zu tragen; je mehr es ge:
lingt das ideale Ziel der Gefangenenobſorge praktiſch
zu verwirklichen, deſto mehr werden die immer
höher anſchwellenden Koſten der öffentlichen Armen:,
Kranken- und Irrenpflege ſich wieder vermindern.
Daneben aber bleibt für alle, die ſich an dem
Obſorgewerk beteiligen, der ethiſche Gewinn eines
uneigennützigen Wirkens im Dienſte der Nächiten:
liebe, ein Gewinn, der nach dem Worte Herders
der ſchönſte und der größte iſt: Menſchenſeelen
gerettet zu haben, die ſchon verloren waren.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
die rafbare Verletzung der Unterhaltspflicht.
Von Amtsrichter Dr. Bretzfeld in Nürnberg.
Nach 8 361 Nr. 10 StGB. wird mit Haft
oder mit Geldſtrafe bis zu 150 M beſtraft:
„Wer, obſchon er in der Lage iſt, diejenigen,
zu deren Ernährung er verpflichtet iſt, zu unter⸗
halten, ſich der Unterhaltspflicht trotz der Auf⸗
forderung der zuſtändigen Behörde derart ent⸗
zieht, daß durch Vermittelung der Behörde
105 Hilfe in Anſpruch genommen werden
muß“.
Danach iſt zur Erfüllung des Tatbeſtands
erforderlich:
I. Das Beſtehen einer Unterhalts⸗(Ernährungs⸗)
II.
III.
Pflicht.
Leiſtungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.
Aufforderung der zuftändigen Behörde an den
Unterhaltspflichtigen ſeiner Pflicht nachzu⸗
zukommen.
IV. Vorſozlich Nichterfüllung der Unterhalts⸗
pflicht.
V. Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und
Inanſpruchnahme fremder Hilfe durch Ver⸗
mittelung der Behörde infolge der Nicht⸗
erfüllung der Unterhaltspflicht.
I. Ob eine Unterhaltspflicht beſteht, iſt
nach bürgerlichem Recht zu beurteilen. Art. 14 ff.
EG. BGB. beſtimmen, inwieweit deutſches Recht,
Art. 199 ff. EG. BGB., inwieweit die Vorſchriften
des BGB. anzuwenden ſind.
Das BGB. enthält Vorſchriften über Unter:
haltspflicht
A. auf familienrechtlicher Grundlage in
§§ 1601 ff. (Verwandte);
SS 1708 ff. (unehelicher Vater);
SS 1345, 1346, 1351, 1360, 1361, 1578 ff.,
1586 (Ehegatten);
8 1739 (ehelich erklärte Kinder);
§ 1703 (Kinder aus nichtigen Ehen);
§ 1766 (angenommene Kinder);
B. Sonſtige Beſtimmungen:
8 528 (Schenker);
§§ 843, 844 (unerlaubte Handlungen);
§ 1936 (Mutter des noch nicht geborenen Kindes);
§ 1969 (Familienangehörige des Erblaſſers);
§ 2141 (noch nicht geborener Nacherbe).
Für die Anwendung des $ 361 Nr. 10 StGB.
kommt nur die Verletzung der auf familienrecht—
licher Grundlage beruhenden Unterhaltspflicht in
Frage. Das Geſetz wollte allerdings in erſter
Linie die Armenpflege vor mißbräuchlicher In—
anſpruchnahme ſchützen. (Begründung des Ent—
wurfes). Allein es ſollte keineswegs jede Nicht—
leiſtung der Unterſtützungspflichtigen getroffen
werden; ſondern nur die ſchuldhafte Pflichtver—
nachläſſigung der zufolge des Familienbandes
Verpflichteten. Der Entwurf führt aus: „Nach
417
den Beſtimmungen in den Artikeln 11 bis 14 des
preuß. Geſetzes .. . . vom 21. Mai 1885 (PrGeſS.
S. 311) hatte die Verwaltungsbehörde das Recht
Wohnungsertrotzer und arbeitsſcheue Perſonen,
ſowie pflichtvergeſſene Familienväter unter gewiſſen
Vorausſetzungen in ein Arbeitshaus unterzubringen.
Es erſchien nicht empfehlenswert, der Verwaltungs⸗
behörde dieſe Befugnis wiederum beizulegen ohne
zugleich eine Rechtskontrolle zu ſchaffen. Der Ent⸗
wurf hat daher, in Ergänzung des StGB. eine
Strafbeſtimmung vorgeſehen, welche die Entſcheidung
über das ſchuldhafte Verhalten der betreffenden
Perſonen in die Hand des Richters legt“.
Daraus dürſte die Abſicht des Geſetzgebers erhellen
die Pflichten gegenüber der Familie zu ſchützen.
(Gl. Anſ. Binding, Lehrbuch 1, 235; BayObLG.
7, 82; Fuld in SeuffBl. 71, 146).
Dem entſpricht auch der Wortlaut der Geſetzes⸗
ſtelle. Es wird hier neben die „Unterhaltspflicht“
die „Ernährungspflicht“ geſtellt. Ueber die Be⸗
deutung der Faſſung herrſcht Streit. M. E. iſt
es nicht richtig nur einen bedeutungsloſen Wechſel
im Ausdruck anzunehmen, wie dies Spahn und
Eckſtein tun. (Vgl. Eckſtein, „Die ſtrafbare Ver⸗
letzung der Unterhaltspflicht“; Heft 45 der ſtraf⸗
rechtl. Abhandlungen, herausgegeben von Beling,
1903 Seite 15). Es geht aber auch zu weit,
anzunehmen, 8 361 Nr. 10 StGB. ſtrafe nur
die Verletzung der Ernahrungspflicht im engeren
Sinn. (Vgl. Kammergericht in Goltd Arch. 52,
96). Mit Recht macht Eckſtein dagegen geltend,
daß der Nachdruck auf den Worten „ ſich der
Unterhaltspflicht entzieht" . . . liegt. Der
Wechſel im Ausdruck läßt vielmehr erſehen, daß
nur ſolche Unterhaltspflichten getroffen werden
ſollten, die einer Ernährungspflicht gleichkommen.
Dabei wird man mit dem BayObLG. davon
ausgehen müſſen, daß unter Ernaͤhrungspflicht
zu verſtehen iſt die Verpflichtung zur Gewährung
der geſamten Lebensbedürfniſſe, zur Gewährung
desjenigen, was zum Leben erforderlich iſt (Bay.:
ObLG. 7, 80); d. i. Obdach, Kleidung, Kranken⸗
pflege, Erziehung und Vorbildung zum Berufe.
(Vgl. Eckſtein S. 24).!) Danach ſcheiden die
nicht auf familienrechtlicher Grundlage beruhenden
Unterhaltsleiſtungen aus. (Ebenſo BayObLG. 7,
82; Eckſtein S. 37, vgl. auch Planck, BGB.
Anm. 3a zu Art. 103 des EG.). Ebenſo ſcheiden
die nicht auf geſetzlicher, ſondern anderer (z. B.
nur vertraglicher) Grundlage beruhenden Unter—
haltspflichten aus den gleichen Gründen aus. (And.
Anf. Fuld, SeuffBl. 71, 145).
Insbeſondere dürfte ein Urteil des Zivilrichters
den Strafrichter nicht binden. Dieſer muß viel—
mehr ſelbſtändig prüfen, ob tatſächlich eine Unter—
haltspflicht vorliegt. Man denke an folgenden
Fall: Ein Minderjähriger wird als unehelicher
1) Vgl OLG. Jena, ThürBl. 57,
Koſten der Fürſorgeerziehung).
157 (Nicht:
Vater in Anſpruch genommen. Sein Vormund
führt den Rechtsſtreit und erkennt den eingeklagten
Anſpruch an. Es ergeht Anerkenntnisurteil. Der
Verurteilte weigert ſich nach erreichter Volljährig⸗
keit den Unterhalt für das Kind zu leiſten, da
das Anerkenntnis des Vormunds zu Unrecht er⸗
folgt ſei. Er wird nun gemäß § 361 Nr. 10
StGB. angezeigt. In der Hauptverhandlung
ergibt ſich, daß der Angeklagte tatſächlich nicht
der Vater des Kindes iſt. Soll nun gleichwohl
das Urteil des Zivilrichters maßgebend ſein? Doch
wohl nicht:
Andererſeits iſt auch nicht notwendig, daß
der Unterhaltspflichtige ſchon zivilgerichtlich ver⸗
urteilt oder ſeine Unterhaltspflicht beim Vormund⸗
ſchaftsgerichte anerkannt iſt. (Vgl. OLG. Colmar,
ElſLoth 3. 33, 268).
II. Ueber die Unterhaltspflichten, die hiernach in
5 kommen, beſtimmt das BGB. im weſent⸗
ichen:
1. Die Unterhaltspflicht der Verwandten:
Die Unterhaltspflicht ſetzt im allgemeinen
Leiſtungsfähigkeit des Verpflichteten und Bedürftig⸗
keit des Berechtigten voraus. (S8 1602, 1603
BGB.). Als leiſtungsfähig gilt in der Regel
nur, wer bei Berückſichtigung ſeiner ſonſtigen Ver⸗
pflichtungen noch imſtande iſt, ſeinen ſtandes⸗
mäßigen Lebensunterhalt zu beſtreiten. Aus⸗
nahmen beſtehen zugunſten der unverheirateten,
minderjährigen Kinder. (SS 1602 Abſ. II, 1603
Abſ. II BGB.). Unterhaltspflichtig ſind nur die
Verwandten auf: und abſteigender Linie, nicht
auch Geſchwiſter. (Vgl. $ 1601 BGB.).
Bei allgemeiner Gütergemeinſchaft werden die
Verſchwägerten mittelbar herangezogen, inſoferne
das Geſamtgut zur Beſtreitung der Unterhalts—
pflichten beider Ehegatten dient. 83 1604 Ab}. II,
1459, 1530, 1534 BGB. Die näheren Ber:
wandten haften vor den entfernteren, die Ab—
kömmlinge vor den Verwandten aufſteigender Linie,
der Ehegatte vor den Verwandten, der Vater
vor der Mutter. Gleich nahe Verwandte auf—
ſteigender Linie haften zu gleichen Teilen; mehrere
Abkömmlinge nach der Größe der Erbteile.
(Ss 1606, 1624 BGB.; OLG. Dresden 1901,
Sächſ Arch. 11, 248).
Regel in der Form einer Geldrente zu gewähren.
(Vgl. aber $ 1612 Ab}. II BGB.).
Das Maß des zu gewährenden Unterhalts iſt
für die Strafbeſtimmung ohne Bedeutung, da nur
die Nichtgewährung des notdürftigen Unterhalts
ſtrafbar machen kann.
Der Unterhalt wird nur dem Berechtigten
ſelbſt, nicht auch ſeiner Familie geſchuldet.
2. Die Unterhaltspflicht gegenüber dem un—
ehelichen Kinde.
Für die Gewährung des regelmäßigen
Unterhalts, d. i. bis zum vollendeten 16. Lebens—
jahr ($ 1708 BGB.) iſt die Bedürftigkeit des
HZeitſchrift fü für Rechtspflege
Der Unterhalt iſt in der
ul Nr. 21.
in Bayern.
| Kindes oder die Leiſtungsfähigkeit des Vaters
ohne Bedeutung. Die Gewährung des außer⸗
| ordentlichen Unterhalts ($ 1709 "et. II BGB.)
iſt dagegen von der Bedürftigkeit des Berechtigten
et der Leiſtungsfähigkeit des Verpflichteten ab:
aͤngig.
Der uneheliche Vater haftet vor der Mutter.
|
|
Der Unterhalt ift in der Form einer Geld:
rente zu gewaͤhren. Daraus kann aber nicht, wie
es das Kammergericht tut (Goltd Arch. 52, 96),
geſchloſſen werden, daß ſich die Pflicht des unehe⸗
lichen Vaters in der Leiſtung der Geldrente er⸗
ſchöpfe, daher keine Unterhalts- oder Ernährungs:
pflicht beſtehe und ſohin 8 361 Nr. 10 auf den
unehelichen Vater nicht anwendbar ſei. Ein näheres
Eingehen auf dieſe viel behandelte Frage iſt nicht
nötig. Es genügt, hervorzuheben, daß die über⸗
wiegende Meinung für die Anwendbarkeit dieſer
Vorſchrift auf den unehelichen Vater iſt. (Vgl.
BayObLG. 7, 80, 235, und dort Angef.; OLG.
Colmar, Elſvoth 3. 33, 268; OLG. Dresden,
Sächſ Arch. 1907, 504; OCG. Cöln, Rhein Arch.
26, 146, Fuld in Seuff Bl. 71, 145; Toöpffer
in DIz3. 11, 1148 u. a.).
3. Die Unterhaltspflicht der Ehegatten.
Für die Unterhaltspflicht des Mannes iſt
ſeine Leiſtungsfähigkeit, nicht aber die Bedürftig⸗
keit der Frau maßgebend; der Mann iſt ferner
nicht, wie im Falle des $ 1603 BGB., berechtigt
ſeinen ſtandesmäßigen Unterhalt vorwegzunehmen.
Der Unterhalt iſt in der durch die eheliche Gemein⸗
ſchaft gebotenen Weiſe zu gewähren, es ſei denn,
daß die Vorausſetzungen des $ 1361 BGB. vor:
liegen. Iſt das nicht der Fall, ſo kann die Frau
Rentenzahlung nicht verlangen. (Ebenſo Eckſtein
a. a. O.). Dies gilt aber nicht, wenn die Ehe⸗
gatten im gegenſeitigen Einverſtaͤndnis getrennt
leben oder wenn die Frau wegen Krankheit —
3. B. ſie iſt von der Behörde in einer Irrenanſtalt
untergebracht — nicht die Ehegemeinſchaft des
Mannes teilen kann. (Vgl. Rechtſpr. d. OLG. 2,
75, 331, 385; JW. 1902 Beil. S. 215).
Liegen die Vorausſetzungen des $ 1361 BGB.
vor, ſo iſt der Unterhalt in der Form einer Geld—
rente zu gewähren. Hierzu iſt zu bemerken:
§ 1361 BGB. ſetzt voraus, daß die Ehegatten
getrennt leben, daß der eine der Ehegatten die
Wiederherſtellung des ehelichen Lebens verweigern
darf ($ 1353 BGB.), und ſie auch tatſaͤchlich
verweigert. Ein Ehegatte iſt insbeſondere auch
dann berechtigt die Wiederherſtellung des ehe⸗
lichen Lebens zu verweigern, wenn der andere
Teil ihm nicht entſprechende Wohnung bieten kann
(Rechtſpr. d. OLG. 3, 101), und wenn der andere
Teil ſelbſt nicht den ernſtlichen Willen hat,
die Gemeinſchaft wiederherzuſtellen, ſondern dies
nur zur Umgehung der Rentenzahlung anbietet.
(Vgl. DJI3. 1902 S. 310.
Der leiſtungsfähige Ehemann haftet vor den
- —T—-Tt¾ — ee —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
— —— ———— ã u Fä— 2 . RX
Verwandten (8 1608 BGB.); bei mehreren Unter⸗
haltspflichtigen ſteht die Frau den minderjährigen
unverheirateten Kindern gleich.
Für die Unterhaltspflicht der Frau iſt die
Bedürftigkeit und Stellung des Mannes, ſowie
die Leiſtungsfähigkeit der Frau maßgebend.
Nach Scheidung der Ehe: und ebenſo in
den Fallen der 88 1345, 1346, 1351, 1586
BGB. iſt für die Unterhaltspflicht die Bedürf⸗
tigkeit des Berechtigten — und nach Maßgabe
von 88 1579 ff. BGB. die Leiſtungsfähigkeit —
des Verpflichteten von Einfluß.
Zu beachten iſt, daß nach Wegfall des in
erſter Linie Verpflichteten — z. B. wegen ſeiner
Leiſtungsunfähigkeit — der in zweiter Linie Unter⸗
0 ſelbſtoerſtandlich auch ſtrafrechtlich
aftet.
II. Die Leiſtungsfähigkeit des Ber:
pflichteten.
Wie die Ausführungen unter I erjehen laſſen,
iſt die Leiſtungsfähigkeit zum Teil Vorausſetzung
der Unterhaltspflicht überhaupt. Soferne hier
nicht eine Leiſtungsfähigkeit und zwar in dem
nach dem bürgerlichen Rechte zu bemeſſenden
Umfange — z. B. Ueberſchuß über den ſtandes⸗
mäßigen Unterhalt — vorhanden iſt, beſteht über:
haupt keine Unterhaltspflicht; die Strafbeſtimmung
kann daher hier ſchon aus dieſem Grunde nicht
Platz haben.
die Fälle, in denen eine Unterhaltspflicht dann
entfällt, wenn der Betreffende nicht leiſtungsfähig
iſt und ein anderer leiſtungsfähiger Verwandter
vorhanden iſt; z. B. 88 1603 Abſ. II, 1608 BGB.
Soweit das bürgerliche Recht für das Be⸗
ſtehen der Unterhaltspflicht die Leiſtungsfähigkeit
des Pflichtigen nicht vorausſetzt, hat ſie der Straf⸗
richter im Hinblick auf die Worte: „Wer, obſchon
er in der Lage iſt . ..“ beſonders zu prüfen.
Eine nähere Umſchreibung dieſes Begriffes gibt
das Strafrecht nicht. Es iſt alſo, wie auch Eck⸗
ſtein annimmt, die Leiſtungsfähiakeit durch den
Strafrichter nach billigem Ermeſſen auf Grund
ſeiner durch das Beweisergebnis zu bildenden
freien Ueberzeugung feſtzuſtellen. (A. a. O. S. 39ff.).
In der Regel wird dabei folgendes anzu⸗
nehmen ſein:
1. Es entſcheidet die wirtſchaftliche, nicht
die augenblickliche, rein tatſächliche Möglichkeit
den Unterhalt zu leiſten. Es werden daher auch
die ſonſtigen Verpflichtungen des Pflichtigen zu
berückſichtigen ſein. Es wird ihm ferner die
Möglichkeit nicht unterbunden werden dürfen ſeine
wirtſchaftliche Lage zu feſtigen und zu verbeſſern.
Es würde in der Regel wohl zu weit gehen zu
verlangen, daß z. B. der Pflichtige ſeine Lebens-
verſicherung verfallen läßt, — die möglicherweiſe
gerade die Zukunft des Unterhaltsberechtigten
ſichern ſoll, — und die nach Beſtreitung der
T. ͤ—..! TTT. ] TTT. ... — — — —— . ZU ——ä——
Beſonders zu beachten find hier
419
notwendigen Lebensbedürfniſſe verbleibenden,
gerade zur Prämienzahlung ausreichenden Mittel
zu den Unterhaltsleiſtungen verwendet.
2. Die Beſtimmungen des bürgerlichen Rechtes
find bei der Frage nach der Leiſtungsfähigkeit im
einzelnen Falle entſprechend zu berückſichtigen.
(Vgl. 8 1603 Abſ. II BGB.).
3. Leiſtungsfähig iſt nicht nur, wer in der
Lage iſt, aus dem Stamm oder den Einkünften
ſeines Vermögens die erforderlichen Mittel auf⸗
zubringen, oder wer aus dem Ertrag ſeiner
Arbeit das Nötige gewinnt, ſondern auch, wer
nach ſeinen körperlichen oder geiſtigen Fähigkeiten
in der Lage wäre bei gutem Willen die nötigen
Mittel ſich zu verſchaffen, dies aber ſchuldhaft
unterläßt. (Vgl. Bay Obe G. 7, 83 ff., 235 ff.;
Eckſtein S. 39 ff.; OLG. Celle vom 9 Juli 1898;
Goltd Arch. 46, 381; Reger 20, 91).
4. Zur Annahme der Leiſtungsfaͤhigkeit iſt
nicht erforderlich, daß der Pflichtige bei gutem
Willen den ganzen Unterhalt beſtreiten könnte;
es genügt die Möglichkeit einen Teil des Unter⸗
halts zu leiſten. (Vgl. BayObLG. 7, 84; Braun⸗
ſchweig DIZ. 12, 432).
5. Leiſtungsunfaͤhigkeit liegt nicht ſchon vor,
wenn der Pflichtige außerſtande iſt die Mittel
durch Tätigkeit innerhalb ſeines eigentlichen Be⸗
rufs aufzubringen. (Vgl. KG. vom 1. Dezember
1908, DIZ. 14, 662).
Die Möglichkeit ſich durch Arbeit außerhalb
des eigentlichen Berufs die nötigen Mittel zu
verſchaffen, dürfte indes nur infoweit in Betracht
zu ziehen ſein, als eine ſolche Arbeit dem Pflich⸗
tigen nach billigem Ermeſſen auch zugemutet
werden kann. Es wäre wohl zu weitgehend, zu
verlangen, daß z. B. ein beſchäftigungsloſer Arzt
ſich durch Arbeit als Taglöhner die nötigen Mittel
verſchafft.
III. Die Aufforderung der zuſtändigen
Behörde.
1. Zuſtändig iſt in Bayern der Armenpfleg⸗
ſchaftsrat der Gemeinde, die, — wenn auch nur
vorübergehend —, unterſtützungspflichtig iſt. (MBek.
vom 27. März 1894 MABl. S. 156; Reger
28, 125).
2. Die Aufforderung an den Pflichtigen muß
dahin gehen, daß er künftig der Unterhaltspflicht
genügen ſolle. Ein Hinweis auf die Straf—
beſtimmung iſt zweckmäßig, aber nicht erforderlich.
Die Aufforderung für die in der Vergangenheit
gemachten Aufwendungen Erſatz zu leiſten genügt
nicht, es ſei denn, daß zugleich der Wille erſicht—
lich iſt auch zur künftigen Leiſtung aufzufordern.
(Vgl. BayObLG. 7, 238).
3. Die Aufforderung braucht nicht von der
zuſtändigen Armenpflege unmittelbar an den
Pflichtigen zu ergehen. Es kann auch eine andere
Behörde um Uebermittelung der Aufforderung
420
erſucht werden. (BayObLG. 7, 84). Hingegen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
|
ift erforderlich, daß die Aufforderung dem Pflich⸗ |
tigen auch tatſächlich zur Kenntnis kommt.
Eine Erſatzzuſtellung oder öffentliche Zuſtellung
im Sinne der Zivilprozeßordnung genügt nicht.
Iſt z. B. dem Vermieter die Aufforderung zu⸗
geſtellt, und dieſer hat ſie nicht an den Pflich⸗
tigen weitergegeben, ſo iſt dem geſetzlichen Er⸗
fordernis nicht genügt. (Vgl. BayObLG. in
Seuff Bl. 72, 744; OLG. Frankfurt vom 8. Juni
1896, Reger 17, 210).
5
0
8 1612 Abſ. II Satz 2 BGB.: Wenn der
Vater den Unterhalt nicht ſo leiſtet, wie es das
Vormundſchaftsgericht angeordnet hat, ſo findet
die Strafbeſtimmung Anwendung; vgl. OLG.
Dresden vom 16. Februar 1905; SächſArch. 1,
160). Der Unterhaltspflicht entzieht ſich ferner,
wer zum Scheine Unterhaltsleiſtung in Natur an⸗
bietet, um ſo eine Rentenzahlung zu umgehen.
(Dal. BayObLG. 7, 236).
3. Der Unterhaltspflicht entzieht ſich nur,
wer nach Empfang der Aufforderungen die gegen⸗
4. Die Aufforderung muß wiederholt werden, wärtigen und künftigen Unterhaltsleiſtungen ver⸗
wenn nach der erſten Aufforderung der. Säumige '
verurteilt wurde und er nach der Verurteilung
wieder zur Verantwortung gezogen werden ſoll.
(Vgl. Eckſtein S. 44; OLG. Colmar. ElſLothz.
33, 486). Ebenſo muß ſie wiederholt werden,
wenn der Pflichtige nach der erſten Aufforderung
ſeiner Unterhaltspflicht nachgekommen iſt. Das
iſt nun allerdings noch nicht der Fall, wenn der
weigert, nicht aber, wer nur für die Vergangen⸗
heit keinen Erſatz der Aufwendungen gewährt.
(Vgl. OLG. Dresden im SaͤchſArch. 1, 160;
Goltd Arch. 45, 294; BayObL®. 7, 238).
4. Ein Irrtum über das Beſtehen einer
Unterhaltspflicht iſt kein Irrtum über das Straf⸗
Pflichtige vorübergehend einzelne Zahlungen oder
Beiträge geleiſtet hat; denn dadurch iſt der vom
Geſetze mißbilligte Zuſtand nicht gehoben. Da:
gegen beſeitigt eine länger dauernde, die Wirkung
des bisherigen Zuſtandes aufhebende Unterhalts⸗
erfüllung die Wirkſamkeit der früheren Auf:
forderung.
den Säumigen nur über ſeine Pflicht aufklären,
ſondern auch ihn vor der Strafeinſchreitung verwarnen.
Es würde dem Sinne des Geſetzes widerſprechen,
wenn man die einmalige frühere Aufforderung
zur Verhängung einer Strafe auch dann genügen
ließe, wenn der Pflichtige nach dieſer Aufforderung
Jahre hindurch ſeiner Unterhaltspflicht pünktlich
nachgekommen war.
Nicht erforderlich iſt, daß die Aufforderung
innerhalb der letzten drei Monate erfolgt iſt.
Für die Frage der Verjährung (s. unten!) iſt
nur die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht, nicht
aber der Zeitpunkt der Aufforderung maßgebend.
IV. Die Nichterfüllung der Unterhalts⸗
pflicht.
1. Wie die Faſſung des Geſetzes: „Wer
ſich .. . der Unterhaltspflicht .. . entzieht . . .“
ergibt, kommt nur die wiſſentliche und gewollte,
ſchuldhafte Nichterfüllung der Unterhaltspflicht in
Betracht. (Vgl. BayObe G. vom 23. Mai 1907,
Seuff Bl. 72, 744; Goltd Arch. 48, 372; 51,
379). Fahrlaͤſſigkeit genügt nicht, wohl aber
eventueller Vorſatz. (OLG. Frankfurt, Frankf.
Rundſch. 41, 31).
2. Der Unterhaltspflicht entzieht ſich auch
derjenige, der ſeiner Unterhaltspflicht nur zum Teil
genügt, oder in unzuläſſiger Weiſe den Unterhalt
nicht in der geſetzlichen Form erfüllt.“) (Vgl.
2) Die Strafbeſtimmung findet natürlich auch hier
nur Anwendung, wenn auch der übrige Tatbeſtand
Denn dieſe Aufforderung ſoll nicht
geſez. § 59 StGB. findet daher hier An⸗
wendung. (Ebenſo Eckſtein a. a. O.). Die Auf⸗
forderung der Armenpflege ſchließt einen ſolchen
Irrtum nicht notwendig aus.
5. Mit Rückſicht auf die Beſtimmungen über
Verjährung muß ſich die ſchuldhafte Nicht:
erfüllung der Unterhaltspflicht bis in die letzten
drei Monate hinein erſtreckt haben. Die Ber:
fehlung iſt zwar Dauerdelikt. Zu beachten iſt
aber, daß der ſtrafbare Zuſtand nicht nur dadurch
endigen kann, daß der Pflichtige die Unterhalts⸗
pflicht erfüllt. Der ſtrafbare Zuſtand kann auch
dadurch endigen, daß der Pflichtige aufhört
leiſtungsfähig zu ſein, oder daß die fremde Hilfe
nicht weiter gewährt wird, oder daß die Unter⸗
haltspflicht entfällt. In all dieſen Fällen beginnt
mit dem Aufhören des ſtrafbaren Zuſtandes die
Verjährungsfriſt zu laufen. Es kann alſo trotz
der Fortdauer der Nichtgewährung des Unterhalts
die Verjährung beginnen und ſich vollenden.
V. Bedürftigkeit und fremde Hilfe.
1. Es iſt notwendig, daß der Unterhalts⸗
berechtigte tatſächlich fremder Hilfe bedarf.) Die
Tatſache, daß ſolche gewährt wird, genügt nicht;
bin. die Unterſtützung kann auch erſchwindelt
ein.
2. Fremd iſt jede Hilfe, die nicht vom Unter⸗
ſtützungspflichtigen (oder ſeinen Vertretern) gewährt
wird. Jusbeſondere iſt auch die von der ver:
mittelnden Behörde ſelbſt geleiſtete Hilfe als fremde
Hilfe e (Vgl. OLG. Dresden, Sächſ OLG.
33, 290).
3. Der Täter muß die Inanſpruchnahme
fremder Hilfe geſchehen laſſen. (BayObLG. in
Seuff Bl. 72, 744).
erfüllt iſt; es muß alſo die teilweiſe Nichtleiſtung oder
die ungehörige Leiſtung zu der Notwendigkeit geführt
haben fremde Hilfe in Anſpruch zu nehmen.
) Die Anſicht des Pflichtigen iſt nicht maßgebend.
KG. vom 1. Dez. 1908 (Reger 30, 120).
VI Der Tatort.
Die Tat iſt da begangen, wo der Unterhalts⸗
pflichtige feiner Pflicht hätte genügen müſſen, aljo
bei der Gewährung von Geldrenten in der Regel
am Wohnſitz des Unterhaltsberechtigten, bei
Leiſtung in Natur in der Regel am Wohnort
des Unterhaltspflichtigen.
Mitteilungen aus der eure
Die Ermittelung anonymer Brieſſchreiber. Wie
die Bekanntmachung des K. Staatsminiſteriums des
an vom 14. April 1911 (vgl. IMBl. 1911
S. 226 ff.) ausführt, hat ſich das Fingerabdruckver⸗
fahren bei der Ermittelung von Perſonen, denen
ſtrafbare Handlungen zur Laſt gelegt werden, als
ſehr zweckmäßig und zuverläſſig erwieſen. Es ſind
deshalb die bisher nur bei der K. Polizeidirektion
München und einer geringen Anzahl größerer Ge⸗
meinden eingerichteten Aufnahmeſtellen nicht nur auf
die kreisunmittelbaren Städte und die übrigen Ge⸗
meinden von mehr als 10000 Einwohnern ausgedehnt
worden, ſondern es iſt zur Vervollſtändigung des
Netzes der Aufnahmeſtellen die Einführung des
Fingerabdruckverfahrens bei den Gendarmeriehaupt⸗
ſtationen und den Gendarmerieſtationen am Sitze der
Amtsgerichte angeordnet worden.
Dieſe Ausbreitung der Aufnahmeſtellen dürfte
Veranlaſſung geben, das Fingerabdruckverfahren auch
in Straffällen anzuwenden, in denen bisher die Feſt⸗
ſtellung der Täter anderen Hilfsmitteln der Straf⸗
rechtspflege vorbehalten war, ſei es, daß das Finger⸗
abdruckverfahren allein oder in Verbindung mit den
bisherigen Hilfsmitteln die Ueberführung des Täters
ermöglicht.
Es iſt Erfahrungstatſache, daß ſich häufig Spuren
von Fingerabdrücken finden, von deren Zurücklaſſen
der Urheber der Abdrücke nicht die geringſte Ahnung
hat. Dies gilt insbeſondere von Fingerabdrücken auf
Schriftſtücken.
Die meiſten Briefſchreiber werden nicht daran
denken, daß ſie beim Anfaſſen des Briefbogens, ſei
es z. B. nur um das Blatt umzuwenden, oft den
ſchönſten Daumenabdruck in der unteren Ecke des
Bogens zurücklaſſen, und daß während des Abfaſſens
eines Schriftſtückes die Finger der linken Hand zum
Feſthalten des Papiers verwendet werden, wobei nicht
ſelten die Abdrücke mehrerer Finger zurückbleiben.
Mag nun auch der Schreiber ſeine Schriftzüge
verſtellen und alle Vorkehrungen getroffen haben um
die Urheberſchaft beſtreiten zu können, ſo wird ihm
doch alle Vorſicht nichts nützen, wenn es gelingt, einen
Fingerabdruck des Verfaſſers auf dem Schriftſtück zu
entdecken und feſtzuhalten; dies gilt beſonders für
anonyme Briefſchreiber, Verfertiger von Droh- und
Brandbriefen und ähnliche.
Bisher war es meiſt nur möglich dieſen Per—
ſonen mit Hilfe der Graphologie die Urheberſchaft
nachzuweiſen; mögen nun auch die Schrifterperten
ſowohl auf dem Gebiet der handſchriftlichen Expertiſe
wie dem der Maſchinenſchrift manches gute Ergebnis
erzielt haben, ſo hat andererſeits die Erfahrung in
einer Reihe von Prozeſſen gelehrt, daß ein durchaus
verläſſiges, einwandfreies Ergebnis aus der Grapho—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayer in Bayern. 1911.
Nr. 21. 421
logie allein — ohne Unterſtützung durch andere Be⸗
weismittel — nicht erzielt werden kann, zumal nicht
ſelten die Gutachten der Schriftexperten ſelbſt ſehr
weit auseinandergehen.
Für dieſe Fälle iſt der Graphologie in dem
Fingerabdruckverfahren ein guter Gehilfe entſtanden,
und es handelt ſich nur darum dieſes Hilfsmittel
entſprechend zu verwerten.
Hierbei ſind beſonders zwei Punkte im Auge zu
behalten; einerſeits müſſen die auf den Schriftſtücken
ſich findenden Fingerabdrücke möglichſt raſch der zu⸗
ſtändigen Stelle zur Feſtſtellung und Feſthaltung
übermittelt, andererſeits muß dafür geſorgt werden,
daß Fingerabdrücke von Perſonen, die mit dem Schrift⸗
ſtück zu tun haben, vermieden werden, damit nicht
Spuren verwiſcht und unkenntlich gemacht oder gar
unrichtige Spuren dem Schriftſtück aufgedruckt werden.
Es empfiehlt ſich deshalb die fraglichen Schrift⸗
ſtücke ſofort, nachdem man ſie erhalten hat, und wenn
möglich unberührt der Erkennungsſtelle zu über⸗
mitteln, was um ſo leichter geſchehen kann, wenn
Schriftſtücke der bezeichneten Art, wie dies bei ano⸗
nymen Briefſchreibereien öfter der Fall iſt, ſich wieder⸗
holen, ſodaß ſchon aus der äußeren Beſchaffenheit,
dem Gebrauch beſtimmter Schriftzeichen, wie z. B.
typographiſcher Buchſtaben, ſich erkennen läßt, daß
der Täter wieder an der Arbeit war.
Es dürfte ſich für die bayeriſchen Behörden
empfehlen als Erkennungsſtelle die K. Polizeidirektion
München zu wählen, die in der erwähnten Miniſte⸗
rialbekanntmachung als Sammel- und Auskunftsſtelle
beſtimmt iſt.
Gelingt es der Erkennungsſtelle auf den über⸗
mittelten Schriftſtücken Fingerabdrücke feſtzuſtellen, ſo
können durch das nun beſtehende Netz von Aufnahme⸗
ſtellen die zur Vergleichung erforderlichen Finger⸗
abdrücke verdächtiger Perſonen leicht beſchafft werden;
dieſe Vergleichung wird dann die Entſcheidung der
Frage ermöglichen, ob unter den Verdächtigen der
„Täter zu ſuchen iſt oder nicht. Selbſt wenn die Ent⸗
ſcheidung nach der negativen Seite ausfällt, iſt immer
ſchon ein Gewinn vorhanden, weil falſche Verdachts⸗
ſpuren ausſcheiden und Unbeteiligte von unbegrün⸗
detem Verdacht befreit ſind.
II. Staatsanwalt Sotier in München.
Ueber das Recht aus dem Meiſtgebot. Das ZwVG.
erwähnt in $ 81 nur zwei Möglichkeiten eine Aende⸗
rung in der Perſon des Meiſtgebotsberechtigten her-
beizuführen, nämlich die Abtretung der Rechte aus
dem Meiſtgebot und die Erklärung, daß man für
einen anderen geboten habe. Nun iſt aber das Recht
aus dem Meiſtgebot ein Vermögensrecht (Steiner,
2. Aufl. S. 212, Anm. 2 „ein Recht mit ſelbſtändigem
Vermögenswert“). Es kann daher ſowohl durch Ge—
ſamtrechtsnachfolge wie durch Einzelrechtsnachfolge,
durch Rechtsgeſchäſt und durch Zwangsvollſtreckung
auf einen anderen übergehen. So kann es kommen,
daß der Zuſchlag einem anderen erteilt werden muß,
als dem, der das Meiſtgebot gelegt hat.
J. Die Kommentare find uneinig bei der Beant—
wortung der Frage, wie ſich der Verſteigerungsbeamte
zu verhalten hat, wenn der Meiſtgebotsberechtigte
422
nach dem Schluſſe der Verſteigerung aber vor der
Erteilung des Zuſchlags ſtirbt.
1. Die aktenmäßige Feſtſtellung der Erben wird
in der kurzen Friſt, die in der Regel zwiſchen dem
Verſteigerungstermin und dem Zuſchlagstermin liegt
(S 87 1 ZwVG.), nicht möglich fein. Von der Pfordten
(S. 228 Abſ. 3) und Fiſcher⸗Schäfer (2. Aufl. S. 297
Abſ. 1) nehmen an, daß der Verſteigerungsbeamte
das Ableben des Berechtigten nicht zu berückſich⸗
tigen brauche und dem Toten den Zuſchlag erteilen
könne. Der Zuſchlag an den Toten iſt jedoch ein ju⸗
riſtiſches Unding; der Tote kann nicht im Zuſchlags⸗
beſchluß als natürliche Perſon erſcheinen, der Tote
nicht auf Grund des Zuſchlags Eigentum erwerben
und im Grundbuch als Eigentümer der Grundſtücks
eingetragen werden.
Der Zuſchlag an die unbekannten Erben, den
Steiner (2. Aufl. S. 213 Abſ. 2) für zuläſſig hält, iſt
auch nicht zweckmäßig. Die richtige Beantwortung
der Frage ergibt ſich meines Erachtens aus den Vor⸗
fhriften der ZPO.; das ZwWG. iſt ja ein Teil
der ZPO. ö
Die Verfahrensvorſchriften der ZPO., im bes
ſonderen die Vorſchriften über das Verfahren vor
den Amtsgerichten, ſind auch für das Zwangs⸗
verſteigerungsverfahren maßgebend. Allerdings wird
in vielen Fällen nur ihre entſprechende Anwendung
möglich ſein, da ſich ja vor dem Verſteigerungs⸗
beamten kein Parteiprozeß abwickelt.
Im amtsgerichtlichen Verfahren finden nun die
Vorſchriften der ZPO. über die Unterbrechung An⸗
wendung (8 239 ff. ZPO.). Das Verfahren wird hier⸗
nach durch den Tod einer Partei ſolange unterbrochen,
bis nach 88 243, 241 ZPO. der nach 8 1960 BGB.
aufgeſtellte Nachlaßpfleger das Verfahren aufnimmt.
Die entſprechende Anwendung dieſer Beſtimmungen
auf unſeren Fall ergibt Folgendes:
Durch den Tod des Meiſtgebotsberechtigten wird
auch das Zwangsverſteigerungsverfahren unterbrochen.
Der Verſteigerungsbeamte hat ſonach einen Beſchluß
zu erlaſſen, der feſtſtellt, daß das Verfahren wegen
des Ablebens des Meiſtgebotsberechtigten unterbrochen
iſt und daß die Erteilung des Zuſchlags vorläufig
ausgeſetzt bleibt. Gleichzeitig hat er — und das iſt
ein Ausfluß ſeiner eigenartigen Stellung — das Nach⸗
laßgericht um die Aufſtellung eines Pflegers gemäß
§ 1960 BGB. zu erſuchen. Nach der Mitteilung des
Nachlaßgerichts von der Aufſtellung des Pflegers ſetzt
er das Verfahren von Amts wegen fort, indem er
einen Termin zur Verkündung des Zuſchlags an—
beraumt. Den Zuſchlag erteilt er den unbekannten
Erben, vertreten durch den Nachlaßpfleger; der
Zuſchlagsbeſchluß wird dem Nachlaßvpfleger zuge—
ſtellt. Dieſe Löſung iſt praktiſcher als der Zuſchlag
an die unbekannten unvertretenen Erben, weil der
Pfleger nach $ 1960 BGB. in der Regel bälder auf:
geſtellt werden wird, wenn der Verſteigerungsbeamte
die Aufſtellung anregt, als wenn es den Beteiligten
überlaſſen bleibt fie beim Nachlaßgerichte zu bean—
tragen. Es wird ſonach auch die Zuſtellung des Zu—
ſchlagsbeſchluſſes bälder möglich fein und die Rechts-
kraft wird früher eintreten. Zu einem ähnlichen Er—
gebniſſe kommt ohne nähere Begründung Reinhard
S. 413 Ziff. 6: (a. M. Jäckel, 3. Aufl. S. 320, 2 b).
2. In den vorſtehenden Ausführungen iſt ange—
nommen, daß dem Verſteigerungsbeamten eine Feſt—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
—
u nm nn
ſtellung der Erben durch das Nachlaßgericht noch
1911. Nr. 21.
nicht vorliegt. Bei einfacher Sachlage iſt es aber
denkbar, daß in dem Zeitraum zwiſchen dem Ver⸗
ſteigerungs⸗ und dem Zuſchlagstermin die amtliche
Erbenermittlung nach Art. 3 ff. des Geſetzes, betr. das
Nachlaßweſen durchgeführt iſt, ohne daß jedoch ein
Erbſchein erteilt wurde.
Kann nun den aktenmäßig feſtgeſtellten Erben
der Zuſchlag erteilt werden?
Es liegt nahe die Vorſchrift des 8 81 ZwVG.
über den Nachweis der Einzelrechtsnachfolge durch
öffentlich beglaubigte Urkunden entſprechend auf die
Geſamtrechtsnachfolge anzuwenden. In der amtlichen
Erbenfeſtſtellung in den Nachlaßakten liegt ja ohne
Zweifel eine öffentliche Urkunde vor.
Indeſſen beſtehen doch gegen die Erteilung des
Zuſchlags auf Grund dieſer Erbenfeſtſtellung gewich⸗
tige Bedenken, und zwar im Hinblick auf 8 36 GBO.
Hiernach kann dem Grundbuchamt gegenüber der
Nachweis der geſetzlichen Beerbung nur durch Erb⸗
ſchein geführt werden. Jeder andere Nachweis iſt
ungenügend. Bei gewillkürter Erbfolge iſt neben dem
Erbſchein auch der Nachweis durch Vorlegung der
Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen
Urkunde enthalten ſein muß, und des Eröffnungs⸗
protokolls zugelaſſen. Nur wenn einer dieſer beiden
Nachweiſe vorliegt, ſieht die GBO. die nötige Gewähr
für die Richtigkeit der Eintragung als gegeben an.
Nun iſt aber die Eintragung der Beerbung im
Grundbuch kein rechtsbegründender Vorgang, ſie bleibt
daher unmittelbar abhängig vom Schickſal der Ein⸗
tragungsunterlagen. Solange nicht der gute Glaube
des Grundbuchs Heilung geſchaffen hat, kann durch
die Kraftloserklärung, die Einziehung des Erbſcheins
oder durch die Anfechtung einer letztwilligen Ver⸗
fügung der Eintragung die Grundlage entzogen werden.
Anders iſt es, wenn die Eintragung auf Grund
eines Zuſchlagsbeſchluſſes erfolgte. Hier ſchiebt ſich
zwiſchen die Eintragung im Grundbuch und den Nach⸗
weis der Erbfolge der rechtskräftige Zuſchlagsbeſchluß
ein. Der Zuſchlagsbeſchluß iſt eine rechtsbegründende
Entſcheidung. Deshalb kann die Unrichtigkeit der
Grundlagen, auf denen er etwa beruht, nach dem
Eintritte der Rechtskraft in keiner Weiſe mehr geltend
gemacht werden. (Siehe die intereſſante Entſcheidung
des ObL G. vom 2. Oktober 1908, Bay ZfR. 1909 S. 289.
Der Erſteher bleibt Eigentümer des ihm zugeſchlagenen
Grundſtücks, auch wenn ſich nachträglich herausſtellen
ſollte, daß er gar nicht Erbe des Meiſtgebotsberech⸗
tigten war.
Aus dieſer rechtlichen Eigenart des Zuſchlags—
beſchluſſes ergibt ſich aber, daß die Unterlagen des
Zuſchlagsbeſchluſſes ganz ſicher ſein müſſen, die Erben⸗
feſtſtellung ganz fehlerlos ſein muß. Das iſt nur der
Fall, wenn ein Erbſchein vorgelegt wird, da das ſeiner
Erteilung vorausgehende Verfahren einen Irrtum
nahezu ausſchließt. Es wird alſo der Verſteigerungs—
beamte vor Erteilung des Zuſchlags die Beteiligten
veranlaſſen müſſen, daß ſie die Erteilung eines Erb—
ſcheins beantragen.
IT. Beſonders intereſſante Möglichkeiten der Eins
zelrechtsnachfſolge ergeben ſich, wenn mehrere Per—
fonen, die in einer Gemeinschaft zur geſamten Hand
ſtehen, die Meiſtgebotsberechtigten geblieben ſind.
1. Nicht ſelten iſt der Fall, daß eine Geſellſchaft
des Bürgerlichen Rechts das Meiſtgebot gelegt hat,
etwa eine Anzahl von leidtragenden Baulieferanten,
die ihre Forderungen retten wollen. Nun möchte
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
einer dieſer Geſellſchafter aus der Geſellſchaft aus⸗
treten, weil die gehoffte Veräußerung des Meiſt⸗
gebotsrechts durch die Geſellſchaft auf Schwierigkeiten
ſtößt oder weil er ſich wenig Gewinn von der ganzen
Aktion verſpricht. In der Regel wird nun der Ge⸗
ſellſchaftsvertrag überhaupt nicht ſchriftlich feſtgelegt
ſein. Es finden alſo die geſetzlichen Beſtimmungen
Anwendung (85 705 ff. BGB.). Dann iſt aber die
Ausſcheidung der Geſellſchafter durch Kündigung
nicht möglich. Es ergibt ſich nämlich ohne weiteres
aus dem Zwecke der Gründung, daß die Geſellſchaft
für beſtimmte Zeit gegründet iſt. Dieſe beſtimmte
Zeit dauert mindeſtens bis zur Erwerbung des An⸗
weſens durch Zuſchlag. Es iſt ſonach nach 8 723
BGB. die Kündigung des Geſellſchafters in der Zeit
zwiſchen Verſteigerungstermin und Zuſchlagstermin
unzuläſſig. Eine Abtretung des Anteils am Geſell⸗
ſchaftsvermögen iſt nach 8 719 BGB. rechtlich un⸗
möglich.
Es iſt ſonach in dieſem Falle der Geſellſchafter,
der ausſcheiden will, auf die Zuſtimmung der übrigen
Geſellſchafter angewieſen. Wollten nun die übrigen
Geſellſchafter etwa ohne den ausgeſchiedenen oder
mit einem neueintretenden Geſellſchafter wieder als Ge⸗
ſellſchaft des Bürgerlichen Rechts meiſtgebotsberech⸗
tigt bleiben, ſo kann das nur in der folgenden Weiſe
geſchehen. Die bisherigen Geſellſchafter beſchließen
die Auflöſung der Gefellſchaft, ſetzen ſich auseinander,
der ausſcheidende Geſellſchafter tritt dann den auf
ihn treffenden Bruchteil der Meiſtgebotsberechtigung
an den Dritten ab oder an die übrigen ehemaligen
Geſellſchafter zu gleichen Teilen. Dann wird eine
neue Geſellſchaft gegründet.
Iſt aber nach dem Geſellſchaftsvertrag die Kündi⸗
gung jederzeit möglich und eine Beſtimmung nach
8 736 BGB. getroffen, fo wächſt das Geſellſchafts⸗
vermögen durch die Kündigung des ausgeſchiedenen
Geſellſchafters den verbleibenden Geſellſchaftern an,
die Geſellſchaft bleibt beſtehen; ihr iſt der Zuſchlag
zu erteilen.
Natürlich müſſen in allen dieſen Fällen dem Ver⸗
ſteigerungsbeamten die geſamten Unterlagen, wie die
Beſtimmung gemäß 8 736 BGB. im Geſellſchafts⸗
vertrag, die Kündigung, die Auseinanderſetzung, die
Gründung der neuen Geſellſchaft, durch öffentlich be⸗
glaubigte Urkunden nachgewieſen werden. Außerdem
wird eine etwa als Geſellſchafter neueintretende Perſon
ebenfalls zu öffentlich beglaubigter Urkunde die Ver⸗
pflichtung aus dem Meiſtgebot übernehmen müſſen
(S 81 II BIO.) a
Der ausgeſchiedene Geſellſchafter haftet, da
er einmal mit Erſteher war, nach 8 81 Iv 396.
neben den verbleibenden oder neuen Geſellſchaftern
für die Verpflichtungen aus dem Meiſtgebot als Ge⸗
ſamtſchuldner.
2. Keine beſonderen Schwierigkeiten bieten die
Fälle, in denen eine Erbengemeinſchaft Meiſtgebots⸗
berechtigte iſt oder ein Ehepaar in Gütergemeinſchaft
meiſtgebotsberechtigt blieb. Die Erben können ſich
in der Zeit bis zum Zuſchlag auseinanderſetzen, das
Recht aus dem Meiſtgebot einem oder mehreren Mits
erben zuweiſen; die Ehegatten können die Güter—
gemeinſchaft aufheben, ſich auseinanderſetzen, das
Recht aus dem Meiſtgebot einem der Ehegatten zu—
teilen. In all dieſen Fällen iſt auf Grund des
ordnungsmäßigen Nachweiſes dieſer Rechtsvorgänge
dem hiernach noch Berechtigten der Zuſchlag zu er—
— ———————————————————— ͤ öÜ[üͤ ——. ((—- — ę—ä— ö. —ä— . ͥ - U P.äſ — —— —
vorgeht, iſt höchſt ungünſtig.
423
teilen unter Mithaftung der ausgeſchiedenen Perſonen.
3. Die Stellung des Gläubigers, der mit der
Zwangsvollſtreckung gegen den Meiſtgebotsberechtigten
Er kann zwar das
Recht ſeines Schuldners aus dem Meiſtgebot pfänden
und die Veräußerung des Rechtes vom Vollſtreckungs⸗
gericht anordnen laſſen (Steiner Anm. 1 zu 8 81
Zw.). Der Erwerber des Meiſtgebotsrechts müßte
übrigens auch alle Verpflichtungen aus dem Meiſt⸗
gebot übernehmen. Es ſteht dem Gläubiger aber
nur die kurze Zeit zwiſchen dem Verſteigerungstermin
und dem Zuſchlagstermin zur Verfügung. Gelingt
ihm in dieſer kurzen Friſt die Veräußerung des Meiſt⸗
gebots nicht, ſo erliſcht das Pfandrecht am Meiſtgebot.
Der Verſteigerungsbeamte erteilt dem Berechtigten
den Zuſchlag ohne Rückſicht auf den Pfandgläubiger.
Das Recht des Meiſtgebotsberechtigten wird zwar
durch den Zuſchlag zum Recht an einem Grundſtück,
zu Eigentum, das Pfandrecht des Pfändungsgläu⸗
bigers macht aber keine ähnliche Wandelung durch.
Denn die Formen der Grundſtücksverpfändung ſind
im Sachenrecht des BGB. zwingend feſtgelegt. Es
muß ſonach der Gläubiger mit ſeinem Vollſtreckungs⸗
titel gegen den Schuldner von neuem vorgehen, der
nunmehr Eigentümer des Grundſtücks geworden iſt.
Ein günſtigeres Bild ergibt ſich für den Gläu⸗
biger, wenn er den Anteil gepfändet hat, der ſeinem
Schuldner als Miterben an einer meiſtgebotsberech⸗
tigten Erbengemeinſchaft oder als Geſellſchafter einer
meiſtgebotsberechtigten Geſellſchaft des Bürgerlichen
Rechts zuſteht (8 859 J, II ZPO.).
Zunächſt kann der Gläubiger trotz S 723 BGB.
nach 8 725 BGB. die Geſellſchaft durch Kündigung
auflöſen. Jedoch läuft er auch dann wieder Gefahr, die
Frucht ſeiner Vollſtreckungshandlung einzubüßen, wenn
der Geſellſchaftsvertrag eine Beſtimmung nach 8 736
BGB. enthält. Dann wächſt der Anteil, der ges
pfändet wurde, den übrigen Geſellſchaftern an, der
Geſellſchafter hat keinen Anteil mehr am Geſellſchafts⸗
vermögen, alſo iſt auch für das Pfandrecht am Ge⸗
ſellſchaftsvermögen kein Raum mehr. Allerdings wird
das Pfandrecht an den Anſprüchen des Geſellſchafters
gegen die Geſellſchaft nach $ 738 BGB. fortbeſtehen,
wenn nicht, wie es nach Staudinger Komm. 3. BGB.
5./6. Aufl. S. 1336 III zuläſſig iſt, vertragsmäßig bei der
Geſellſchaftsgründung ein Anſpruch des ausſcheidenden
Geſellſchafters gegen die Geſellſchaft ausgeſchloſſen
wurde. Liegt aber eine Vereinbarung nach 8 736
BGB. nicht vor, ſo wird durch die Kündigung des
Pfandgläubigers die Geſellſchaft aufgelöſt; es iſt ſo⸗
dann den bisherigen Geſellſchaftern der Zuſchlag wohl
zu gleichen Bruchteilen zu erteilen, wenn nicht irgend
eine andere Auseinanderſetzung der Geſellſchafter nach—
gewieſen wird.
Der Gläubiger, der den Anteil eines Miterben
am Nachlaß gepfändet hat, zu dem das Meiſtgebots—
recht gehört, kann die Auseinanderſetzung betreiben,
wenn ſein Schuldtitel nicht nur vorläufig vollſtreckbar
iſt (F GG. 86/ II; 2042 / II; 2044 / J Satz 2; 751/II BGB.).
In der Regel wird wegen der Kürze der Zeit
eine weitere Vollſtreckungshandlung als die Pfändung
ſelbſt nicht vorgenommen fein: der Anteil des Mit-
erben am Nachlaß, des Geſellſchafters am Geſell—
ſchaftsvermögen, iſt im Zuſchlagstermin noch mit dem
Pfandrecht belaſtet. Der Zuſchlag wird auch in dieſen
Fällen ohne Rückſicht auf den Pfandgläubiger an die
Geſellſchaft, an die Erbengemeinſchaft erteilt. Aber
424
nun ergibt ſich ein intereſſanter Unterſchied zwiſchen
der Wirkung der Pfändung des Meiſtgebots ſelbſt
und der Pfändung des Anteils eines ſolchen Geſamt⸗
händers am Geſamthandsvermögen. Gepfändet iſt
ja nicht das Meiſtgebot, ſondern der Anteil des Mit⸗
erben am ganzen Nachlaß, der Anteil des Geſell⸗
ſchafters am ganzen Geſellſchaftsvermögen. Daß das
Recht aus dem Meiſtgebot in vielen Fällen das ein⸗
zige Vermögensſtück der Geſellſchaft bilden wird, iſt
ohne Belang. Das Geſellſchaftsvermögen, der Nach⸗
laß bleibt gepfändet, auch wenn das Recht aus dem
Meiſtgebot zum Eigentum am Verſteigerungsobjekt
wird.
In dem früher behandelten Fall erloſch das
Pfandrecht des Gläubigers durch den Zuſchlag, er
mußte nochmals mit Zwangsvollſtreckung vorgehen.
Hier hat das Pfandrecht Wirkung über den Zuſchlag
hinaus. Der Gläubiger kann auf Grund der Pfän⸗
dung des Geſellſchaftsanteils, des Anteils des Mit⸗
erben am Nachlaß, einer Pfändung, die mittelbar das
Recht aus dem Meiſtgebot ergriff, nun die Berichti⸗
gung des Grundbuchs durch Eintragung einer Ver⸗
fügungsbeſchränkung in der II. Abteilung des Grund⸗
buchblattes des von der Geſamthand eingeſteigerten
Anweſens verlangen (Blätter f. RA. 1907 S. 456).
Dieſe für die Erbengemeinſchaft ergangene Entſchei⸗
dung iſt auf die Geſellſchaft des Bürgerlichen Rechts
ohne weiteres anzuwenden.
Notariatspraktikant Gabel in München.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Darf der Arzt an einem Minderjährigen ohne die
Einwilligung des geſetzlichen Vertreters eine Operation
vornehmen? Aus den Gründen: Der Beklagte
hat an der Klägerin, die noch nicht 17 Jahre alt war,
ohne Einwilligung ihres Vaters in der Chloroform»
narkoſe eine Operation vorgenommen, und zwar hat
er ihr in die nur kümmerlich entwickelte rechte Brufts
ſeite Paraffin eingeſpritzt. Der Zweck der Operation
war in der Hauptſache der, der Bruſt die normale
Form zu geben, nebenbei vielleicht auch der, hyſteriſche
Beſchwerden der Klägerin durch die pſychiſche Ein—
wirkung des Erfolges der Operation zu beſeitigen.
Der Beklagte hat bei der Operation kein Verſehen be—
gangen. Gleichwohl haben ſich für die Klägerin nach—
teilige Folgen herausgeſtellt. Die Klägerin hat wegen
des Schadens vom Beklagten Erſatz gefordert. Ihre
Klage hat das LG. abgewieſen, da der Beklagte ohne
Verſchulden die Zuſtimmung des Vaters der Klägerin
zur Vornahme der Operation habe als erteilt anſehen
können. Das Berufungsgericht hat dagegen den Klage—
anſpruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Es nimmt an, daß der Beklagte durch die ohne Ein—
willigung des geſetzlichen Vertreters der minderjährigen
Klägerin vorgenommene Operation objektiv rechts—
widrig gehandelt habe und daß er auch nicht ohne
Verſchulden habe annehmen können, daß der Vater
der Klägerin ſeine Zuſtimmung erteilt habe oder er—
teilen würde, ja daß der Beklagte ſich um die Ein—
willigung des Vaters der Klägerin überhaupt nicht
gekümmert, alſo nicht nur fahrlaäſſig, ſondern mit
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
Vorſatz die widerrechtliche Körperverletzung ausge⸗
führt habe.
Mit Recht hat das Berufungsgericht die Vor⸗
nahme der Operation mangels der Zuſtimmung des
geſetzlichen Vertreters der Klägerin für eine rechts⸗
widrige Körperverletzung erachtet. Gegenüber ab⸗
weichenden, u. a. auch in dem Kommentar zum BG.
von Reichsgerichtsräten Anm. 2 zu 8 106 BGB. vers
tretenen Meinungen Hält der erkennende Senat an der
bereits in dem Urteil vom 21. Juni 1907 III 465/06
— JW. 1907 S. 505 Nr. 2 und Gruchots Beitr. Bd. 51
S. 923 — ausgeſprochenen Auffaſſung feſt, daß die
Berechtigung eines Arztes zur Vornahme einer Ope⸗
ration an einem Minderjährigen grundſätzlich durch
die Zuſtimmung des geſetzlichen Vertreters des Min⸗
derjährigen bedingt iſt. Daß die perſönliche Zuſtim⸗
mung des Minderjährigen, auch wenn er eine gewiſſe
Verſtandesreife erlangt hat, nicht genügt, die Rechts⸗
widrigkeit des Eingriffes zu beſeitigen, kann keinem
Zweifel unterliegen, wenn dieſe Einwilligung als ein
Rechtsgeſchaft aufzufaſſen, 8 107 BGB. alſo unmittel⸗
bar anzuwenden iſt (Mot. zu 8 706 Entw. I Bd. II
S. 730, Zitelmann, Ausſchluß der Widerrechtlichkeit
im Arch. f. d. ziv. Pr. Bd. 99 S. 51 ff.; Oertmann,
Anm. 7d zu 8 823 BGB. u. a.). Aber auch wenn
man in einer ſolchen Einwilligung nicht eine recht⸗
liche Willenserklärung, ſondern nur eine rein tatſäch⸗
liche Erklärung erblickt (ſo Keßler, die Einwilligung
des Verletzten in ihrer ſtrafrechtlichen Bedeutung
S. 19 ff. und S. 102 ff.; Linckelmann, Schadenserſatz⸗
pflicht aus unerlaubten Handlungen S. 80 ff.; vgl.
auch die Prott. 2. Leſung zu 8 706 Entw. I Gutten⸗
tagſche Ausg. Bd. II S. 578), ſo wird man bei der
ſchwerwiegenden Bedeutung einer ſolchen Einwilligung
und mit Rückſicht auf das mit der elterlichen Gewalt
wie mit dem Amte des Vormundes verbundene Recht
der Sorge für die Perſon des Kindes oder Mündels
gleichfalls zu dem Ergebnis kommen müſſen, daß die
Operation ohne Einwilligung des geſetzlichen Vertreters
der objektiven Rechtmäßigkeit entbehrt, mag auch der
Minderjährige ſelbſt ihr zugeſtimmt haben. In dem
Urteil des Reichsgerichts vom 27. Mai 1908 VI
484/07, (RGZ. Bd. 68 S. 431), auf welches ſich die
Reviſion bezieht, iſt keineswegs eine gegenteilige
Meinung ausgeſprochen. Ob bei beſonders gearteter Sad)»
lage, insbeſondere in Fällen, in denen eine ſchleunige
Vornahme der Operation zur Vermeidung unwider⸗
bringlicher Nachteile für die Geſundheit des Minder⸗
jährigen geboten iſt und die Verweigerung der Ein-
willigung ein Mißbrauch der elterlichen Gewalt oder
der vormundſchaftlichen Befugniſſe ſein würde, die
Vornahme der Operation trotz fehlender Einwilligung
des geſetzlichen Vertreters, ja ſogar gegen deſſen aus-
drückliches Verbot objektiv gerechtfertigt ſein kann,
bedarf der Entſcheidung hier nicht. Denn der Be⸗
klagte hat die Operation an der Klägerin vorge—
nommen, ohne daß eine dringliche Veranlaſſung dazu
vorlag, und obwohl er ſich in kürzeſter Friſt Gewiß⸗
heit darüber verſchaffen konnte, ob der Vater damit
einverſtanden war. (Urt. des III. 35. vom 30. Juni
1911. III 472/10).
2104
— — — u.
II.
Welche Nutzungen hat ſich der Känſer eines Grund:
ſtücks abziehen zu laſſen, der das Grundſtück zurüd:
gibt und ſeine Anzahlung jurückfordert, weil der Kan
die geſetzlich notwendige Genehmigung eines Dritten
nicht erhalten hat? Wie berechnet ſich der dem Käufer
zuruckzuerſtattende Betrag unter Berückſichtigung der
Zinſen der Anzahlung einerſeits und der Nutzungen
anderſeits? Aus den Gründen: Der Berufungss
richter hat unter Ablehnung aller weitergehenden
Anſprüche des beklagten Verkäufers dieſem nur den
Anſpruch auf Erſatz der entzogenen Nutzungen zu—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
gebilligt. Für das erſte Jahr, wo die Verhand⸗
lungen wegen Genehmigung des am 5. Juli 1905 ges
ſchloſſenen Kaufvertrages noch ſchwebten, hat er nur
die tatſächlich von der Klägerin gezogenen Nutzungen
gemäß 8 818 BGB., nämlich den von dem Pächter
gezahlten Pachtzins (5% des Kaufpreiſes) im Betrage
von 1384,34 M Bu Für die beiden folgen-
den Jahre (Juli 1906/08), wo die Nichterteilung
der Genehmigung feſtſtand, hat er gemäß 88 819,
92, 990 BGB. die Klägerin, und zwar wegen des
ihr zur Laſt fallenden Rückgabeverzuges ohne Rück⸗
ſicht darauf, ob ſie ein Verſchulden traf oder nicht
(88 990 Abf. 2, 286 ff. a. a. O.), für verpflichtet er»
klärt, den vollen Ertrag der Nutzungen, auch der⸗
jenigen, die ſie hätte ziehen können, aber zu ziehen
unterlaſſen hat, ſich kürzen zu laſſen (88 990 Abf. 1,
987 Abſ. 2 BGB.). Den Reinertrag hat er für das
Wirtſchaftsjahr 1906/07 auf 1833,85 M, für 1907/08
auf 4023,78 M berechnet. Außerdem hat der Be⸗
rufungsrichter aus dem Wirtſchaftsjahr 1908/09 dem
Beklagten noch 192,50 M als Vergütung für 2¼ Morgen
Kartoffelacker zugebilligt, den der Pächter der Klägerin
im Frühjahr 1908 anderweit verpachtet und die Un⸗
terpächter im Herbſt 1908 abgeerntet hatten. Anderer⸗
ſeits hat er zugunſten der Klägerin für die beiden
Jahre vom Juli 1906 bis dahin 1908 4% Zinſen
der um den 4. Juli 1906 geleiſteten Anzahlung von
25 008,50 M im Betrage von je 1000,34 M angeſetzt
und iſt ſo zu der von ihm ermittelten Summe von
19 574,71 M nebſt 4% Zinſen ſeit dem 6. Juli 1908
gelangt. Die Reviſion hat zunächſt gerügt, daß der
Berufungsrichter im erſten Jahr als Nutzung nur den
Pachtzins und nicht den Ertrag angeſetzt habe, den
die Klägerin hätte ziehen können. Denn die Klägerin
habe gewußt, daß der Kaufvertrag der ſtaatlichen Ge⸗
nehmigung bedürfe und daß fie daher das Grundſtück
einſtweilen ohne rechtlichen Grund beſitze. Dabei hat
jedoch die Reviſion überſehen, daß die ſtrengere Haf⸗
tung, die 8 820 Abſ. 1 BGB. für folche Fälle vor⸗
ſchreibt (vgl. Prot. der 2. Komm. 2, 711, Planck zu
$ 820 BGB.), nach der Ausnahmevorſchrift des Abſ. 2
a. a. O. für Nutzungen nicht Platz greift, hier viel⸗
mehr die gewöhnliche Haftung des 8 818 BGB. fo
lange eintritt, als nicht der Empfänger Kenntnis von
dem endgültigen Wegfall des Grundes erlangt, der
für den Empfang beſtimmend war und deſſen Ein⸗
tritt vorausgeſetzt wurde (8 819 BGB. und Planck
a. a. O.). Begründet war dagegen die letzte Rüge
der Reviſion, daß der Berufungsrichter die Zinsberech⸗
nung nicht richtig vorgenommen habe. Es ſeien, ſo
hat die Reviſion geltend gemacht, die zu erſetzenden
Nutzungen nach 8 389 BGB. in jedem Jahr mit den
Gegenanſprüchen zu verrechnen und nur der Reſt der
Anzahlung ſei zu verzinſen geweſen. Zieht man dem⸗
gemäß den Pachtzins des Jahres 1905/06 von der
Anzahlung vom 4. Juli 1906 ab, ſo würden nur
23 624,16 M bleiben, die zu 4% nur 944,96 M, alſo
55,38 M weniger als die angeſetzten 1000,34 M er-
geben. In gleicher Weiſe würden nach Ablauf des
zweiten Jahres, wenn man den Reinertrag von
1833,85 M abzieht und die Zinſen von 944,96 M
hinzurechnet, von der Anzahlung nur 22 735,27 M
bleiben, die zu 4% nicht 1000,34 M, ſondern nur
909,41 M, alſo 90,93 M weniger abwerfen. Zugunſten
des Beklagten würde hiernach ein Unterſchied von
55,38 + 90,93 — 146,31 M ich ergeben. Bei Bereiche—
rungsanſprüchen, wie ſie hier nach Wegfall des Ver—
trages in Frage ſtehen, kommen allerdings Aufrech—
nungsgrundſätze (SS 387 ff. BGB.) nicht zur Anwen—
dung. Aber die nach 8819 BGB. vom zweiten Wirt-
ſchaftsjahre ab anzuwendenden SS 291 f. BGB. führen
zu demſelben Ergebnis. Die Klägerin hatte vom Be—
ginn des zweiten Wirtſchaftsjahres ab den Pachtzins
des erſten Jahres im Betrage von 1384,34 M mit
4% zu verzinſen, was am Schluſſe des zweiten Wirt—
1
\
425
ſchaftsjahres 55,38 M ergab. Vom Beginn des dritten
Wirtſchaftsjahres hatte fie neben den 1384,34 M noch
den Ertrag des zweiten Jahres, alfo 1833,85 M +
55,38 M, zuſammen alſo 3273,57 M zinsbar anzu⸗
legen oder zu verzinſen. Die Zinſen davon im Be⸗
trage von 130,94 M zuſammen mit jenen 55,38 M
ergeben 186,32 M, die zugunſten des Beklagten hätten
angeſetzt werden müſſen. Andererſeits hatte der Be⸗
klagte neben den Zinſen der Anzahlung im Betrage
von je 1000,34 M, die ihm für das zweite und dritte
Wirtſchaftsjahr zur Laſt geſchrieben worden ſind, im
dritten Wirtſchaftsjahr auch noch Zinſen der aus dem
zweiten Wirtſchafts jahr ihm zugefloſſenen Bereicherung
von 1000,34 M zu vergüten, fo daß zu feinen Laſten
am Schluſſe des dritten Wirtſchaftsjahres noch 40,01 M
hinzukommen. Zieht man dieſen Betrag von den
obigen 186,32 M ab, ſo ergeben ſich 146,31 M. (Urt.
des V. 35. vom 15. Mai 1911, V 468/1910). E.
2372
III.
Verletzung eines Wirtshausgaſtes infolge eines
ficherheitsgefährlichen Zuſtandes in der Wirtſchaft:
Haftung des Wirtes trotz Anbringung einer warnenden
Aufſchrift; Teilung des Schadens wegen Mitverſchuldens
des Verletzten; Rechtsgrund der Haftung; Anſpruch anf
Schmerzensgeld. Aus den Gründen: Der Kläger
hat auf dem Gang zur Wirtſchaftsſtube, wo er als
Gaſt einkehren wollte, den Abort aufgeſucht, die im
Hausflur befindliche Kellertüre geöffnet in der irr⸗
tümlichen Annahme, daß ſie zum Abort führe, und
iſt die unmittelbar hinter der Türe beginnende Keller⸗
treppe hinabgeſtürzt. Der Hausflur war durch zwei
ſchwache, von der Türe ziemlich weit 5 Pe⸗
troleumlampen nur mangelhaft beleuchtet, ſo daß die
auf der Türe mit Kreide geſchriebene Aufſchrift:
„Keller“ leicht überſehbar war, während andererſeits
die über dem Eingang zum Abortraum ſtehende
größere Aufſchrift: „Abort“ vom Lichtſchein gar nicht
erreicht wurde. Unter ſolchen Umſtänden waren die
Türen leicht zu verwechſeln, was auch daraus hervor⸗
geht, daß ſchon vor dem Unfall des Klägers mehrere
andere Perſonen aus der gleichen Urſache in den Keller
gefallen ſind. Weiterhin war die Kellertüre nicht ver⸗
ſchloſſen, nur eingeklinkt; ſie war ſehr ſchwer und
öffnete ſich nach innen, ſo daß ſie den Oeffnenden
gleichſam mit ſich in den Keller fortriß; unmittelbar
hinter der Türe begann aber die im Dunkeln befind⸗
liche Treppe, deren Stufen ſtark ausgetreten waren
und die kein Geländer hatte. Es bot ſomit die Ein⸗
richtung der Türe in Verbindung mit der geringen
Beleuchtung für die im Hausflur verkehrenden Per⸗
ſonen, insbeſondere die Wirtſchaftsgäſte des Beklagten
nicht das Maß von Sicherheit, das auch in Anbetracht
der ländlichen Verhältniſſe erwartet werden durfte.
In der Belaſſung dieſes Zuſtandes nach Kenntnis des
vorausgegangenen letzten Unfalls iſt ohne Rechts⸗
verſtoß ein Verſchulden des Beklagten erblickt worden.
Wenn die Reviſion ein ſolches wegen der Erkenn⸗
barkeit der Kreideaufſchrift verneinen will, ſo ſtehen
dem die tatſächlichen Feſtſtellungen entgegen. Ebenſo⸗
wenig iſt es rechtsirrtümlich, wenn das Berufungs—
gericht auch ein Verſchulden des Klägers bejaht hat,
inſoferne er bei dem Oeffnen der Türe und bei dem
Ueberſchreiten der Türſchwelle die angeſichts der
mangelhaften Beleuchtung und ſeiner Ortsunkenntnis
gebotene Sorgfalt außer acht gelaſſen hat. Durch die
Verteilung des Schadens nach Hälfteanteilen iſt der
Beklagte nach Lage der Umſtände nicht beſchwert. Der
Rechtsgrund der Haftung des Beklagten iſt aus dem
zwiſchen den Parteien beſtehenden Gaſtwirtſchafts—
vertrage abzuleiten, da der Kläger nach der Feſt—
ſtellung als Gaſt im Gebäude war; daß er zuerſt den
Abort aufſuchte, ſteht der Annahme eines dem Unfall
vorausgegangenen Vertragsſchluſſes nicht entgegen.
426
Neben dieſer vertragsmäßigen Haftung geht aber auch
eine ſolche aus unerlaubter Handlung einher (8 823
BGB.). Letzteres wäre nur dann ausgeſchloſſen, wenn
der Hausflur ausſchließlich für den Gebrauch der
Wirtſchaftsgäſte oder ſonſtiger Vertragsgegner des
Beklagten beſtimmt geweſen wäre. Dies war aber
nicht der Fall. Vielmehr bildete der Hausflur den
Zugang nicht bloß zu den Wirtſchaftslokalitäten,
ſondern auch zu einem Magazin und zur Treppe in
die oberen Räumlichkeiten. Es beſteht hiernach kein
Zweifel, daß er dem Publikum zugänglich gemacht
war. Liegt aber unerlaubte Handlung vor, ſo iſt
auch der Schmerzensgeldanſpruch dem Grunde nach
gerechtfertigt. (Urt. des III. 35. vom 24. Mai 1911,
III 412/1910). E.
2358
IV.
Zahlung einer Geldrente als Eutſchädigung für den
durch einen Unfall verlorenen Verdienſt: kaun der dan
Verurteilte nach § 323 380. anf Abänderung des Mr:
teils klagen, wenn der Verunglückte anderweitigen Ber:
dienſt erlangt oder einen nenen feine Arbeitsfähigkeit
beeinträchtiaenden Unfall erlitten hat? Aus den Grün⸗
den: Das Verlangen des Klägers ſtützt ſich auf einen
doppelten Grund. Einmal behauptet er, daß der Bes
klagte aus dem von ihm betriebenen Flaſchenbier⸗
handel allmählich ein Einkommen erzielt habe, das
ſeinem früheren Verdienſt als Bergmann mindeſtens
nleihgefommen ſei. Dieſer Umſtand würde jedoch die
Vorausſetzungen des § 323 ZPO. nicht herſtellen. Der
Beklagte hatte den Unfall, für deſſen Folgen der
Kläger nach dem Urteile vom 3. März 1908 zur
Hälfte aufkommen ſollte, als Bergmann erlitten, und
es war feſtgeſtellt worden, daß die Körper⸗ und Ge⸗
ſundheits verletzung, die der Beklagte davon getragen
hatte, ſeine Brauchbarkeit als Bergmann ausſchließe.
Deswegen wurde im Vorprozeſſe, und zwar ſchon in
dem rechtskräftig gewordenen Berufungsurteil über
den Grund des Anſpruches vom 20. November 1906,
ſein ganzer bisheriger Jahresverdienſt als Berg⸗
mann ermittelt und dieſer als Grundlage für die
Berechnung ſeines Schadens angeſehen. Darauf, daß
er von nun an vielleicht ſtatt deſſen ſeine frei werdende
Zeit zu einem andern Erwerbe werde ausnutzen können,
wurde damals gar keine Rückſicht genommen. Das
mag möglicherweiſe unrichtig geweſen ſein; aber in
den Verhältniſſen, die für die Verurteilung zur Ent-
richtung der Leiſtungen maßgebend waren, würde da—
durch keine Anderung eingetreten fein, wenn der Bes
klagte durch einen andern Gewerbebetrieb den Ausfall
feines Bergmannsverdienſtes erſetzt haben ſollte; denn
das Urteil des Vorprozeſſes ging nicht etwa davon
aus, daß er dazu nicht imſtande ſein würde, ſondern
zog dieſe Frage überhaupt nicht in Erwägung. Ferner
hat ſich der Kläger darauf berufen, daß der Beklagte
am 17. Dezember 1908 einen neuen Unfall erlitten
habe und zwar durch das Scheuen des vor ſeinen
Flaſchenbierwagen gefpannten Pferdes auf der Fahr—
ſtraße vor einem Automobil oder durch ſeine vergeb—
lichen Bemühungen das Pferd wieder in ſeine Gewalt
zu bekommen und daß durch die dadurch bewirkte
Körperverletzung ſeine Arbeitsfähigkeit in demſelben
Grade vermindert ſein würde, wie durch jenen früheren
Unfall, wenn dieſer nicht eben ſchon vorhergegangen
wäre. Es iſt zuzugeben, daß nach der Rechtſprechung
des RG. durch Solche Vorkommniſſe, wenn fie außer:
halb jedes urſächlichen Zuſammenhanges mit dem frü—
heren Unfalle ſtehen, die Vorausſetzungen der Umwand—
lungsklage des 8 323 3PO. gegeben fein können; in-
ſofern in dem früheren Urteile, wenn man damals
ſchon gewußt hätte, daß ſpäter doch jedenfalls eine
andere Begebenheit denſelben Schaden verurſachen
würde, die Rente nur bis zu dieſer Begebenheit zuer—
kannt worden wäre (Entſch. 68. 352 ff.). Auch liegt
l
der dort erwähnte Ausnahmefall, daß die Urſache des
ſpätern Schadensfalles von einem Dritten zu vertreten
wäre, hier nicht vor. Aber es muß eben, wie das OLE.
mit vollem Recht angenommen hat, erſt be wieſen
werden, daß die neue Schadensurſache auch dann ein⸗
getreten wäre, wenn der frühere Unfall ſich nicht er⸗
eignet hätte, und ein ſolcher Beweis iſt hier nicht
geführt. Man hat keinen Grund anzunehmen, daß
der Beklagte, wenn er Bergmann geblieben wäre, in
dieſer Weiſe mit einem Wagen umherfahrend Flaſchen⸗
bierhandel getrieben hätte, und man kann auch nicht
wiſſen, ob er, wenn er nicht durch den früheren Unfall
an Körperkraft eingebüßt hätte, nicht imſtande geweſen
wäre, das ſcheu gewordene Pferd ohne eignen Körper⸗
ſchaden zu bewältigen. (Urt. des VI. 3S. vom 18. Mai
1911, VI 396/1910). E.
2318
B. Strafſachen.
I.
Wie iſt die Eutwendung eines eingefangenen, aber
herreulos gebliebenen jagdbaren Tieres ſtrafrechtlich zu
beurteilen? Die Gründe, welche das LG. zu der Annahme
geführt haben, daß S. an dem eingefangenen Reh Eigen⸗
tum nicht erworben habe, daß das Reh vielmehr herrenlos
geblieben ſei, ſind frei von Rechtsirrtum. Hiernach kann
ein vollendeter ſchwerer Diebſtahl — 88 242, 2435,
47 StB. —, wie ihn der Eröffnungsbeſchluß den
Angeklagten zur Laſt legt, nicht in Frage kommen. Da⸗
gegen gibt die weitere Annahme des LG., die beiden An⸗
geklaaten hätten dadurch, daß fie das herrenloſe Reh,
alſo Wild, dem Gewahrſam des S. entzogen haben, die
Jagd i. S. des § 292 StGB. ausgeübt, zur rechtlichen Be⸗
anſtandung Anlaß. Der Begriff der Jagdausübung
erfordert nach gleichmäßiger Rechtſprechung des RG.
objektiv eine auf Erlangung des innerhalb eines
fremden Jagdgebietes befindlichen Wildes gerichtete
Handlung und ſubjektiv den bewußten Willen des
Täters durch eine ſolche Handlung in ein fremdes Jagd⸗
recht einzugreifen, vgl. z. B. RG. 5, 277, 281; 6,
375 ff.; 13, 84. Er wird einerſeits ſchon dadurch
erfüllt, daß dem Wilde bloß nachgeſtellt wird, kann
andererſeits aber unter Umſtänden allein durch die
unmittelbare Beſitznahme des Wildes erfüllt werden,
vgl. RG. 13, 85. Ob weiter. wie das RG. in dem
Urt. vom 3. Okt. 1901 (JW. 1902 S. 298 Ziff. 19)
angenommen hat, erforderlich iſt, daß das Wild,
welchem zum Zwecke der Beſitzergreifung nachgeſtellt
wird oder das in Beſitz genommen wird, noch
unmittelbar in Beſitz genommen werden kann, kann
im vorliegenden Falle dahingeſtellt bleiben. Denn
das LG. war nach dem von ihm für erwieſen er⸗
achteten Sachverhalt veranlaßt ſich des näheren
darüber auszulaſſen, ob dem Beſchwerdeführer bei der
Wegnahme des Rehes aus dem Stalle des S. bewußt war,
daß fremdes Jagdgebiet in Frage kam, und daß er
durch ſeine Handlung in fremdes Jagdrecht eingreife.
Dies tft nicht geſchehen. Das Urteil war ſonach aufzu-
heben. Bei der neuen Verhandlung wird die Frage zu
prüfen ſein, ob die Angeklagten glaubten, das Reh
ſtehe im Eigentume eines anderen. Bejahendenfalls
würde Diebſtahlsverſuch in Frage kommen, Ra.
39, 427 ff. (Urt. des V. StS. vom 30. Mai 1911,
VD. 298/1911). E.
2374
II.
Wann beainnt die „Ausführung einer Feſtnahme“?
Aus den Gründen: In den Urteilsgründen iſt
ausdrücklich ausgeſprochen, daß bei beiden Vorfällen
„mit der Ausführung der Feſtnahme noch nicht be—
nonnen war“. Allein dieſer Ausſpruch iſt nirgends
naͤher begründet. Mit Rückſicht auf die feſtgeſtellten
427
Umſtände läßt ſich der Gedanke nicht abweiſen, daß
der Erſtrichter davon ausgegangen iſt, von einem Be⸗
ginn der Ausführung der Feſtnahme könne i. S. des
5 114 St. erſt die Rede fein, wenn an den Feſt⸗
zunehmenden Hand angelegt ſei. Dieſe Annahme
aber iſt irrig. Des Handanlegens bedarf es bei der
Ausführung der vorläufigen Feſtnahme und zu deren
Beginn ebenſowenig wie bei der Ausführung der Ver⸗
haftung. Die Ausführung kann ſchon darin liegen,
daß der Beamte zum erkennbaren Zwecke der Feſt⸗
nahme ſich in die Nähe des Feſtzunehmenden begibt
und dadurch die Möglichkeit erhält, ſofort Hand an⸗
zulegen oder die Flucht zu verhindern, die Ausführung
kann insbeſondere auch darin liegen, daß der Beamte
den Raum betritt, in dem ſich der Feſtzunehmende
befindet, und ſie kann ſich dadurch kundgeben, daß der
Beamte den Feſtzunehmenden den Zweck ſeines Er⸗
ſcheinens erklart, ihm die Feſtnahme ankündigt. All
dies hat möchlicherweiſe der Erſtrichter außer acht ge⸗
laſſen. (Urt. des V. StS. vom 30. Juni 1911, V D
451/11).
2385
— — — .
III.
„Verkauf“ und „Verſchweigen“ i. S. des 3 10
MS. Aus den Gründen: Der Angeklagte hat
dem Kaufmann Pl. 23 Kiſten Büchſenfleiſch über⸗
laſſen. Das Fleiſch befand ſich in Blechdoſen, von
denen ein Teil durch Entwickelung von Gaſen ges
trieben hatte, ein Teil an⸗ oder ſogar durchgeroſtet
war und eine ſtark übelriechende Flüſſigkeit heraus⸗
treten ließ. Es iſt feſtgeſtellt, daß das Fleiſch in den
Doſen, welche dieſe Erſcheinungen zeigten, verdorben
war und daß der Angeklagte dies wußte. Nicht ein⸗
wandfrei iſt aber die Feſtſtellung der Tatbeſtands⸗
merkmale des Verkaufes und des Verſchweigens des
Verdorbenſeins. Ueber den Inhalt der Vereinba⸗
rungen des Angeklagten mit dem Kaufmann Pl. iſt
mehr nicht mitgeteilt, als daß die Ueberlaſſung des
Büchſenfleiſches geſchah, damit es bei einer dem Pl.
unmittelbar drohenden Zwangsvollſtreckung zuſammen
mit deſſen Warenbeſtand gepfändet und verſteigert
werden ſollte, und ferner, daß das Büchſenfleiſch vor⸗
behaltlich ſpäterer Berechnung als von dem Ange⸗
klagten an Pl. verkauft gelten ſollte. Ob das Rechts⸗
geſchäft ein Kauf geweſen iſt, iſt hiernach nicht zweifels⸗
frei. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob der Begriff
des Verkaufens in 8 10 Nr. 2 NM. der gewöhnliche
bürgerlich⸗-rechtliche iſt oder darüber hinausgehend
jede entgeltliche Ueberlaſſung einer Sache zu Eigen⸗
tum begreift. Denn die Urteilsbegründung läßt nicht
nur einen ſicheren Anhalt dafür vermiſſen, ob ein
beſtimmter oder beſtimmbarer Preis vereinbart war,
was zur Annahme eines bürgerlich⸗-rechtlichen Kauf:
vertrags erforderlich ſein würde, ſondern ſie iſt auch
geeignet Bedenken in der Richtung zu erwecken, ob
ernſtlich ein Uebergang des Eigentums an dem
Büchſenfleiſch auf Pl. gewollt geweſen iſt und nicht
bloß durch Uebertragung des Beſitzes zum Zwecke des
Verkaufs an Dritte in dem pfändenden Gerichtsvoll⸗—
zieher der irrige Glaube hat erweckt werden ſollen,
daß das Fleiſch dem Pl. gehöre. Sodann geben die
Urteilsgründe die Taiſachen nicht an, aus denen der.
Vorderrichter geſchloſſen hat, daß der Angeklagte das
Verdorbenſein eines Teiles des Büchſenfleiſches dem
Pl. verſchwiegen habe, und ermöglichen deshalb nicht
die Nachprüfung, ob hierbei von einer richtigen Auf—
faſſung des Begriffes des Verſchweigens ausgegangen
worden iſt. Nach der in den Urteilsgründen gege—
benen Beſchreibung der Doſen gewinnt es den An—
ſchein, als ſei ihr Zuſtand ein derartiger geweſen,
daß das Verdorbenſein des Fleiſches zum mindeſten
für jeden Sachverſtändigen offenſichtlich war. Als
Kolonialwarenhändler, der insbeſondere auch Büchſen—
fleiſch führte, kann Pl. recht wohl die erforderliche
. Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
— — — — — — —ä(——ᷣ—ũͥ C3 —ñ—un . —
Sachkunde beſeſſen haben. Rechnete aber der Ange⸗
klagte damit, daß Pl. den verdorbenen Zuſtand des
Fleiſches ſelbſt erkennen werde, fo würde ein Ver⸗
ſchweigen nicht ſchon darin gefunden werden können,
daß er dem Pl. darüber keine Mitteilung machte.
Denn wenn $ 10 Ziff. 2 NMG. auch nicht erfordert,
daß das Verkaufen verdorbener Nahrungsmittel wie
das ihm im übrigen gleichgeſtellte Feilhalten unter
einer zur Täuſchung geeigneten Bezeichnung erfolgt
oder daß ſonſtige Veranſtaltungen getroffen werden
um zu verhüten, daß der Käufer die wahre Be⸗
ſchaffenheit der Nahrungsmittel entdeckt, ſo erfordert
er doch den Vorſatz der Täuſchung des Käufers über
das Verdorbenſein der Ware. Es genügt aber
Eventualdolus, der vorhanden iſt, wenn der Ver⸗
käufer mit der Möglichkeit rechnet, daß dem Käufer
das Verdorbenſein entgeht. (Urt. des V. StS. vom
4. Juli 1911, V D 269/11). — gn.
2387
Oberſtes Landesgericht.
A. Zlvilſachen.
L
Gehört der einem unehelichen Kinde vom Vater
zu gewährende Unterhalt zu den „künftigen Nechten“
einer Leibesfrucht nach $ 1912 B68. Iſt der Vater,
deſſen Antrag auf Beſtellung eines Pflegers für die
Leibesfrucht einer Tochter abgewieſen wurde, beſchwerde⸗
berechtigt? (866. 8 57 Abſ. 1 Nr. 3). Roſine D.,
Tochter des Ackerers Johann D., hat eidesſtattlich ver⸗
ſichert, daß der Fabrikarbeiter H. Vater des von ihr
zu erwartenden Kindes ſei und daß er ihr erklärt
habe, er werde ſich totſchießen oder nach Amerika
gehen. Der Vater hat die Beſtellung eines Pflegers
für das zu erwartende Kind beantragt und vorgebracht,
wegen der Drohung des H. mit Auswanderung be⸗
ſtehe die Gefahr, daß das Kind um ſeinen Unterhalt
gebracht werde, es ſolle ein Arreſt zugunſten des
Kindes erwirkt werden (8 1912 BGB.). Das AG.
hat den Antrag abgelehnt, weil 8 1912 BGB. unter
„künftigen Rechten“ des Ungeborenen nur die vor
der Geburt möglichen, durch die Geburt nur betagt
oder aufſchiebend bedingten Rechte (3. B. jene aus
8 844 Abſ. 2 oder aus den 88 1924, 2141 BGB.) ver⸗
ſtehe. Die Beſchwerde bekämpft dieſe Begründung.
Das LG. hat ſie zurückgewieſen. Das Oberſte Landes-
gericht hat auch die weitere Beſchwerde zurückgewieſen.
Gründe: Die Beſchwerde iſt zuläſſig, da Johann
D. als Großvater unter Umſtänden unterhaltspflichtig
und daher an der Erwirkung des Arreſtes vermögens⸗
rechtlich ſelbſt intereſſiert, der Fall des 8 57 Nr. 3
FGG. alſo in feiner Perſon gegeben iſt; die Beſchwerde
iſt aber ſachlich unbegründet. Die Vorinſtanzen
nehmen zutreffend an, daß 8 1912 mit den „künftigen
Rechten des Leibesfrucht“ nur beſtimmte, an anderen
Stellen des BGB. und ſonſtiger Geſetze ausdrücklich
anerkannte Rechte im Auge hat und daß hierzu der
Unterhaltsanſpruch des 5 1708 nicht gehört, weil er
erſt mit der Geburt entſteht. Dieſe Annahme ſtützt
ſich auf die einhellige Anſicht der Kommentare
(Staudinger Anm. 1 zu 8 1912, Anm. 5, a zu 8 1708;
Planck Anm. 2, b zu 8 1912) und auf den eingehend
begründeten Kammergerichtsbeſchluß vom 20. Mai
1901 (RJ A. Bd. 2 S. 116). Keinen Widerſpruch mit
dieſer Annahme enthält es, daß die Kommentare bei
$ 1714 BG. die Möglichkeit einer Vereinbarung
zwiſchen der Schwangern und dem Schwängerer über
die Unterhaltspflicht und über eine Abfindung zugeben;
denn in § 1714 handelt es ſich regelmäßig um einen
Vergleich, alſo um Beſeitigung einer Rechtsungewiß—
heit (Komm. von Reichsgerichtsräten Bem.3 zu 8 1714).
428
Könnte aber aus $ 1714 ſogar mehr als das Recht
der Schwangern zum Vertrag über den künftigen
Unterhalt des Kindes gefolgert werden, nämlich ein
Recht zur ſelbſtändigen Verfolgung der Unterhalts⸗
anſprüche im Arreſtwege, ſo wäre damit das Be⸗
dürfnis einer Pflegſchaft zu dieſem Zweck eher wider⸗
legt als begründet; der Text des 8 1714 ſpricht
übrigens nicht von einem noch ungebornen Kinde.
Der Beſchwerdeführer will dem 8 1912 ſolche
„künftige Rechte“ des Ungeborenen unterſtellen, die
nur von deſſen Geburt abhängen, alſo bis dahin auf⸗
löſend bedingt oder aufſchiebend befriſtet ſind, m. a.
W. alle denkbaren Rechte; er vermißt einen inneren
Grund für eine engere Auslegung. Ein ſolcher innerer
Grund liegt jedoch in der vom bisherigen Rechte ver⸗
ſchiedenen Behandlung des nascitarus im B88. Es
enthält nicht, wie das Römiſche Recht, allgemeine
Rechtsvorbehalte zugunſten des Ungeborenen. Für
den Ungeborenen können nur mehr die Vorbehalte in
Einzelvorſchriften des Geſetzes einen Rechtsſchutz⸗
anſpruch ſchon vor der Geburt begründen; das
künftige — richtiger nur mögliche — Recht auf Unter⸗
a gegenüber dem Erzeuger iſt aber für den Unge⸗
ornen nur in der durch 8 1716 gegebenen Begrenzung
anerkannt, und der Wahrnehmung durch die Mutter
ſelbſt überlaſſen, womit die Notwendigkeit der Für⸗
ſorge durch einen Pfleger im Sinne des 8 1912 aus⸗
geſchloſſen iſt. Mit dem Kammergerichte iſt aber auch
zu verneinen, daß die Vergünſtigung des $ 1716 ers
weiterungsfähig, d. h. auf Sicherung des Unterhalts
für mehr als drei Monate nach der Geburt erſtreckbar
wäre. Das folgt ſchon aus dem ſingulären Charakter
dieſer erſt nachträglich in das BGB. eingefügten Be⸗
ſtimmung. (Beſchluß des Fer ZS. vom 10. Auguſt
1911, R. III 55/1911). W.
2384
IL
Unterhaltsaniprühe auf Grund eines unter der
errſchaft der Fränkiſchen Landgerichtsordnung abge:
ſchloſſenen Einkindſchafsvertrags. Können nach dem 1. Ja:
nuar 1900 geborene Kinder ſolche Anfprüce gegen die
Stiefmutter ihres eingekindſchafteten Vaters erheben?
(BGB. SS 1601 ff., EG. BGB. Art. 203 und 209,
UeG. Art. 72 Abſ. 2, Fränk. LGO. Tit. 118 8 1 und
Tit. 119 81). Aus den Gründen: Wenn
auch das Inſtitut der Einkindſchaft dem BOB. fremd
iſt (Mot. 4, 486 bis 491), eine Einkindſchaftung alſo
nicht mehr vorgenommen werden kann, ſo ſind doch
die vor dem Inkrafitreten des BGB. geſchloſſenen
Einkindſchaftsverträge durch dieſes nicht entkräftet
worden. Es iſt unbeſtritten, daß die vermögenss
rechtlichen Wirkungen des Einkindſchaftsvertrags
beſtehen bleiben; von der durch den Einkindſchafts⸗
vertrag begründeten Unterhaltspflicht aber ſagen
ſchon die Mot. des EG. S. 288, daß „gewichtige
Gründe für deren fernere Aufrechterhaltung ſprechen“.
Es geht alſo wohl an, die Unterhaltsberechtigung
der unter der Herrſchaft des BGB. geborenen Kläger
mit der ſeinerzeitigen Einkindſchaftung ihres Vaters
in Zuſammenhang zu bringen. Soweit die Beklagte
den Art. 72 Abſ. 2 UeG. und den Art. 209 EG. als
verletzt bezeichnet, beharrt das Obe G. bei der in den
Entſch. vom 27. Juni 1900 und 31. Oktober 1901,
(n. S. 1, 340; 2, 674) entwickelten Rechtanſchauung.
Danach iſt angeſichts der ganz allgemeinen Faſſung
des Art. 209, der eine Beſchränkung auf beſtimmte
Arten oder Formen der Annahme an Kindes Statt in
keiner Weiſe auch nur andeutet, unter dem „an
Kindes Statt angenommenen? Kinde auch das nach
der Fränkiſchen Landgerichtsordnung (abgekürzt: F.
LO.) vereinkindſchaftete Kind zu verſtehen. Die
F. LGO. gehört zu den Rechten, die die Einkindſchaft
zugleich unter dem Geſichtspunkte der Annahme an
Kindes Statt aufgefaßt, ſie als eine beſondere Art der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
—
—
Rauch den 8 1 des Titels 118 nicht verletzt:
Adoption behandelt haben. Zu fordern, daß die An⸗
nahme an Kindes Statt i. S. des Art. 209 ſich mit der
in den 88 1741 ff. BGB. getroffenen Regelung voll⸗
ſtändig decke, geht nicht an. Es trifft auch auf das
„ Kind zu, daß ſich nach den bisherigen
Geſetzen beſtimmt, wieweit es die rechtliche Stellung
eines ehelichen hat und wieweit der Vater und die
Mutter die Pflichten und Rechte ehelicher Eltern
haben. Daraus zieht Planck BGB. Anm. 2 Abſ. 6 zu
Art. 209 zutreffend die Folge, daß die bisherigen Geſetze
auch dafür maßgebend ſind, wieweit die Abkömmlinge
des angenommenen hier des eingekindſchafteten Kindes
von deſſen Annahme betroffen werden. Allerdings find
es hier überall nur die Wirkungen der vor dem In⸗
krafttreten des BGB. erfolgten Annahme oder Einkind⸗
chaftung, die nach dem bisherigen Rechte zu bemeſſen
nd; der Inhalt der dem Vater und der Mutter nach
dem bisherigen Rechte zuſtehenden 1 und Pflichten
ehelicher Eltern beſtimmt ſich nach Art. 203 &8. vom
Inkrafttreten des BGB. an nach deſſen Vorſchriften.
Nach den Vorſchriften des BGB. richtet ſich dann
auch die rechtliche Stellung des Abkömmlings des
Angenommenen zu dem Annehmenden und namentlich
ſeine Unterhaltsberechtigung dieſem gegenüber, ſo⸗
ferne der Abkömmling nach dem bisherigen Rechte
von den Wirkungen der Annahme, wenn auch nur
mittelbar, betroffen wird (Planck a. a. O. Vorbem.
Nr. 2 vor 8 1616; Anm. 1 Satz 2 und Anm. 2 zu
Art. 203, Anm. 2 Abſ. 6 Satz 2 zu Art. 209). Ob
daneben auch die Verweiſung auf Art. 72 Abſ. 2 Ue®.
deſſen Beſtimmung ſich freilich nicht auf die perſön⸗
liche, ſondern nur auf die vermögensrechtliche Stellung
der eingekindſchafteten Kinder bezieht (n. S. 1, 340),
in gewiſſem Sinne ihre Berechtigung hatte, kann
dahingeſtellt bleiben; denn die — von der Beklagten
verneinte — Einwirkung des bisherigen Rechtes ergibt
ih ſchon aus den vorſtehenden Erörterungen. Un⸗
begründet iſt die Rüge, das Berufungsgericht habe,
indem es aus den Beſtimmungen der F. LG O. im
Tit. 118 8 2 und im Tit. 119 8 1 die Unterhalts-
berechtigung der Kläger ihrer Stiefgroßmutter gegen⸗
über ableitete, das Geſetz verletzt Richtig iſt, daß
die Frage, auf welche Perſonen ſich die Einkindſchaft
erſtreckt, zunächſt aus dem Tit. 119 8 1 zu entſcheiden
iſt. Gegen dieſe Beſtimmung hat aber der Berufungs-
richter nicht verſtoßen, wenn er den Einkindſchafts⸗
vertrag auf den Vater der Kläger bezieht. Er hat
Die Ein⸗
kindſchaft bewirkt, daß die angenommenen Kinder
gegenuber den eingeſetzten Eltern „in Erbgerechtigkeiten
und allen anderen Stücken“ dermaßen geachtet und
gehalten werden, als wenn die Kinder ihre rechten
natürlichen Kinder und fie der Kinder rechte natür⸗
liche Eltern wären. Daraus ſchließt der Berufungss
richter mit Recht, daß auch die Abkömmlinge des an⸗
genommenen Kindes in gewiſſer Hinſicht ſo zu be⸗
trachten ſind, wie wenn ſie Abkömmlinge eines
rechten natürlichen Kindes, mithin rechte natürliche
Enkel des eingeſetzten Elternteils wären. Zu dieſer
Folgerung haben ſich für das Gemeine Recht (die
F. LGO. enthält hierüber im Tit. 77 8 1, Tit. 80
SS 1—3 ausdrückliche Beſtimmungen) in Anſehung des
Erbrechts der Abkömmlinge eines vereinkindſchafteten
Kindes Obere und Oberſte Gerichte Deutſchlands
wiederholt bekannt, fo das OAppGer. Celle (Seuff A. 10
Nr. 180), das App. Celle (Seuff A. 33 Nr. 235), der
Paydb Gerd. in dem Erk. vom 16. Okt. 1876 (Seuff A.
32 Nr. 250; BlfRA. 42, 14), wo es heißt: „Die
Hauptwirkung der Einkindſchaft beſteht darin, daß die
eingefindichafteten Kinder auch gegenüber dem Stief—
parens bezüglich der Anſprüche an deſſen Nachlaß in
das Verhaltnis leiblicher Kinder eintreten und ſonach
bezüglich der Erbfolge in das Vermögen beider Ehe—
gatten der neuen Ehe den aus dieſer Ehe hervor—
gehenden oder zu erwartenden Kindern gleichſtehen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 21.
429
Gleichwie nun die Deſzendenten eines leiblichen, vor
ſeinem Vater oder ſeiner Mutter verſtorbenen Kindes
als Erben des Großvaters oder der Großmutter
geſetzlich berufen werden, ſo muß auch den De⸗
ſzendenten des unierten Kindes das Recht zuſtehen im
Falle des Vorablebens ihres Parens vor deſſen Stief⸗
parens als Erben des Stiefparens einzutreten. Das
Gegenteil würde dem Geiſte des Inſtituts der Ein⸗
kindſchaft widerſprechen .... Alſo nicht deshalb,
weil die Einkindſchaft ohne weiteres auf die Ab⸗
kömmlinge des eingekindſchafteten Kindes ſich erſtrecken
würde, iſt den Abkömmlingen das bezeichnete Erb⸗
recht zugeſtanden, ſondern weil die durch die Einkind⸗
ſchaftung bezweckte und bewirkte Gleichſtellung des
eingekindſchafteten Kindes mit den leiblichen Kindern
der eingeſetzten Eltern es fordert und mit ſich bringt,
daß auch die Abkömmlinge des angenommenen Kindes
ſo behandelt werden wie jene der leiblichen Kinder.
Da nun nach dem Tit. 118 8 1 die Wirkung der
Einkindſchaft nicht nur „in Erbgerechtigkeiten“, ſondern
auch „in allen anderen Stücken“ ſich äußert, ſo folgt
wegen der Gleichheit des Grundes, daß im Streitfalle
die Frage, wieweit infolge der Einkindſchaftung das
angenommene Kind die rechtliche Stellung eines ehe⸗
lichen Kindes hat und wieweit der Vater und die
Mutter die Pflichten ehelicher Eltern haben, nach der
F. LED. dahin zu een iſt, daß nicht minder
in Anſehung des Unterhalts das angenommene Kind
dem leiblichen dergeſtalt völlig gleichgeſtellt ſein ſoll,
daß auch ſeine Abkömmlinge in gleicher Weiſe wie
die eines rechten natürlichen Kindes unterhaltsberech⸗
tigt ſind. Dafür ſpricht noch die Erwägung: Bei der
nach dem Würzburger LR. beſtehenden Einkindſchaft
„repräjentieren die Eltern die ganze juriſtiſche Perſön⸗
lichkeit der unierten Geſamtfamilie und ſind dieſelben
die uneingeſchränkten und ausſchließlichen Beſitzer
alles Vermögens. Beim Ableben eines der Eltern
treten nicht die vorhandenen Kinder an deſſen Stelle,
ſondern bleibt der überlebende Ehegatte ungeteilt in
allen Gütern ſitzen“ (F. LED. Tit. 90 8 1; BlfRA.
14, 258; 27, 173; 42, 272). Der überlebende Stief-
elternteil hat mithin unter Umſtänden ein Vermögen
in Händen, das, wäre er nicht der eingeſetzte Parens,
beim Ableben ſeines Ehegatten deſſen rechtem Kinde
angefallen wäre und es möglicherweiſe inſtand geſetzt
hätte, ſeiner Unterhaltspflicht den eigenen Kindern
gegenüber nachzukommen. Eine Entſcheidung in obigem
Sinne entſpricht demnach ebenſo dem Geiſte des Ge⸗
ſetzes wie der Billigkeit. Unbegründet iſt die Bean⸗
ſtandung, daß das Berufungsgericht die Unterhalts-
pflicht der Beklagten ſogar in dem Falle für gegeben
erachtet habe, wo der Vater der Kläger noch am
Leben fei. Iſt die Unterhaltspflicht und die Unter-
haltsberechtigung als ſolche auf Grund der Einkind⸗
ſchaft und nach Maßgabe der §8 1601 ff. vorhanden,
dann kommt es abgeſehen von dem aus dem $ 1609
Ads. 1 ſich ergebenden Abmaße nicht darauf an, daß
die Unterhaltspflicht auch noch einem näheren Bes
dürftigen gegenüber begründet iſt und dieſer den An-
ſpruch auf den ihm gebührenden Unterhalt erheben
darf (Planck a. a. O. Anm. 1 Abſ. 5 c zu § 1610 a. E.:
„Den Kindern des Bedürftigen ſteht ein Unterhalts—
anſpruch kraft eigenen Rechtes gegen die Voreltern
zu“). (Urteil des II. ZS. vom 26. Juni 1911, Reg. I
64/1911). W.
2350
B. Strafſachen.
Macht ſich ein Bader durch die Abgabe und An⸗
wendung von Heftpflaſter oder anderer dem Handel
freigegebener Heilmittel ſtrafbar? S., ſeit 1891 appro⸗
bierter Bader, war angeklagt, im letzten Vierteljahr
1909 wiederholt zur Ausübung der Heilkunde Heft—
pflaſter benützt zu haben, deren Anwendung den
|
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— —— — — 4 Rn ..
Badern ohne ärztliche Ordination verboten ſei. Das
Schöffengericht ſprach ihn von der Anklage wegen
einer Uebertretung nach 8 367 Nr. 3 StGB. frei. Das
LG. verurteilte ihn wegen einer Uebertretung nach
8 367 Nr. 5 StGB. Das Obs G. hob das Urteil auf.
Aus den Gründen: I Nach Ziff. 10 des Ver:
zeichniſſes A der Kaiſerl. BO. vom 22. Okt. 1901 ge⸗
hört das Heftpflaſter zu den dem Handel freigegebenen
Apothekerwaren. Es kann alſo jedenfalls nicht nach
§ 367 Nr. 3 StGB. beſtraft werden, wer ein Heft⸗
pflafter außerhalb einer Apotheke gewerbsmäßig zu⸗
bereitet, feilhält, verkauft. Nach § 367 Nr. 5 StGB.
iſt ſtrafbar, wer bei Ausübung der Befugnis zur Zu⸗
bereitung oder Feilhaltung der Arzneien die deshalb
ergangenen Verordnungen nicht befolgt. Man muß
annehmen, daß 8 367 Nr. 5 Verordnungen im Auge
hat, die ſich auf die dem Apothekenzwang unter⸗
worfenen Arzneien beziehen (KG. Jahrb. 136% 7,
225, 226). Zwiſchen der Vorfchrift des § 367 Nr. 3
und der des § 367 Nr. 5 beſteht, wie wohl nicht zu
verkennen iſt, ein innerer Zuſammenhang. Beide Vor⸗
ſchriften beruhen auf Erwägungen der Geſundheits⸗
polizei. Durch 8 367 Nr. 3 ſollen insbeſondere gegen
geſchäftsſtörende Eingriffe Unbefugter diejenigen ge⸗
ſchützt werden, welche mit polizeilicher Erlaubnis die
dem freien Verkehre nicht überlaſſenen Arzneien zu⸗
bereiten, feilhalten, verkaufen, und der § 367 Nr. 5
verfolgt den beſonderen Zweck, daß diejenigen, welche
mit polizeilicher Erlaubnis die dem freien Verkehre
nicht überlaſſenen Arzneien zubereiten, feilhalten und
verkaufen, bei der Ausübung der Befugnis zur Zu—
bereitung oder Feilhaltung die ihnen durch Verord—
nungen auferlegten Berufspflichten erfüllen und die
ihnen zuſtehenden Befugniſſe nicht überſchreiten. Es
iſt daher die Annahme zurückzuweiſen, daß der 8 367
Nr. 5 mit den Worten „Ausübung der Befugnis zur
Zubereitung oder Feilhaltung“ auch die nach 8 1
Abſ. 1 GewO. jedermann zuſtehende Befugnis zur
gewerbsmäßigen Zubereitung oder Feilhaltung der
dem freien Verkehr überlaſſenen Arzneien treffen wollte
und gemeint hat.
II. Was nun die Frage betrifft, wer mit polizei⸗
licher Erlaubnis Arzneimittel, die dem Apotheken-
zwang unterworfen find, zubereiten oder feil halten
dürfe, ſo bemißt ſie ſich in Bayern nach der im Hin⸗
blick auf den 8 367 Nr. 3 und 5 StGB. erlaſſenen VO.
vom 29. Dez. 1900, die Zubereitung und Feilhaltung
der Arzneien in den Apotheken betr. (GVBl. S. 1225)
und nach der von dieſer VO. ($ 38) nur zum Teil
aufgehobenen Apothekenordnung vom 27. Januar 1842
(Reg Bl. S. 257), vgl. Landmann, GewO. [6] Note 15
zu § 6. Bei der Regelung dieſer Frage war die
bayeriſche Landesgeſetzgebung innerhalb des ihr durch
§ 6 Abſ. 1 GewO. geſteckten Rahmens zur Regelung
„der Ausübung der Heilkunde“ auch berechtigt zu be⸗
ſtimmen, inwieweit das „ärztliche Perſonal“ und das
„niederärztliche Perſonal“ bei der Ausübung der
Praxis nach Maßgabe der ihm zuſtehenden Ordinations⸗
befugniſſe befugt ſein ſoll, „Arzneimittel abzugeben
oder anzuwenden“; ſie konnte bei der Regelung der
Ausübung der Heilkunde nach ihrem Ermeſſen be⸗
ſtimmen, welche Befugniſſe zur Ausübung der
Heilkunde insbeſondere dem fog. „niederärztlichen
Perſonale“ — den Badern und Hebammen — zuſtehen
und inwieweit namentlich die Bader bei der ihnen
zuſtehenden Ausübung der Heilkunde zur
Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln befugt
ſein ſollen. Die Landesgeſetzgebung konnte alſo vor—
ſchreiben, daß die Bader bei der Ausübung
ihrer Befugniſſe nur gewiſſe, dem freien Ver—
kehr entzogene oder nur gewiſſe dem freien Verkehr
überlaſſene Arzneimittel abgeben und anwenden dürfen.
Dagegen kann keine Landesgeſetzgebung verbieten, daß
ein Bader neben dem Baderberufe die dem
freien Verkehr überlaſſenen Arzneimittel in einem
430
ſelbſtändigen Betriebe gewerbsmäßig feilhält oder
verkauft, gleichwie das beiſpielsweiſe Drogiſten, Friſeure
und ähnliche Gewerbetreibende auf Grund der Gew.
zu tun berechtigt find und tun (Obs. 7, 150). Für
das „niederärztliche Perſonal — Bader und Hebammen“
— gelten nach 8 35 Abf. 3 der VO. vom 29. Dez. 1900
„bie dazu erlaſſenen beſonderen Beſtimmungen“. Dieſe
ſind, was die Bader betrifft, enthalten in der VO. vom
31. März 1899, die Verhältniſſe der Bader betr. (GBl.
S. 111) und in der Bek. des StM. des Innern vom
4. April 1899 (GBl. S. 121). a) Die Befugniſſe der
Bader zur Ausübung der Heilkunde werden durch die
§§ 2 bis 5 der BD. feſtgeſtellt; nach $ 4 Ziff. 1 fällt
in die ſelbſtändige Befugnis der Bader „die Behand⸗
lung einfacher Wunden, Abſzeſſe und Geſchwüre“.
b) Nach 8 7 der VO. wird jeweils durch das StM.
des Innern beſtimmt, inwieweit die Bader zur „Ab⸗
gabe und Anwendung von Arzneimitteln befugt ſind“
und „welche Verbände und Verbandſtoffe denſelben
anzuwenden geſtattet iſt“. Die zum Vollzuge des $ 7
erlaſſene MBek. vom 4. April 1899 beſtimmt ins⸗
befondere: „Ziff. 2. Von Arzneimitteln dürfen die
approbierten Bader Heftpflaſter ..., Teeaufgüſſe .
bei Ausübung ihrer Befugniſſe anwenden. Ziff. 3. Andere
Arzneimittel ohne ärztliche Ordination anzuwenden
oder abzugeben iſt den Badern verboten. Ziff. 4. Die
Bader müſſen die Arzneimittel, deren Abgabe oder
Anwendung ihnen zuſteht, aus einer Apotheke be⸗
ziehen.“ c) Die Arzneimittel, deren Abgabe und An⸗
wendung den Badern nach der Beſtimmung der MBek.
Zeitſchrift für Rechtspflege in
vom 4. April 1899 zuſteht, gehören zum größeren
Teile zu den dem freien Verkehr überlaſſenen Arznei⸗
mitteln; es befinden ſich darunter auch Aufgüſſe,
Löſungen, die dem freien Verkehr entzogen ſind
(Handb. der Medizinalgeſetzgebung im Königreich
Bayern v. Dr. Becker [1900] Heft IV S. 61 Note 43).
III. Das Berufungsgericht nahm an, daß der An⸗
geflagte das Heftpflaſter lediglich bei feinen Patienten
zum Verkleben der Wunden und Geſchwüre anwendete;
es erblickte in dieſer Anwendung, zu der der An⸗
geklagte befugt geweſen ſei, eine „Feilhaltung“ des
Heftpflaſters und hielt ihn nach 8 367 Nr. 5 StGB.
für ſtrafbar, weil er bei der Ausübung der Befugnis
zur Feil haltung des Heftpflaſters die Vorſchrift nicht
befolgt habe, daß er die Arzneimittel, zu deren Ab⸗
gabe und Anwendung er befugt iſt, aus einer Apotheke
beziehen müſſe. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob die
feſtgeſtellte Art der Abgabe und Anwendung des Heft⸗
pflaſters durch den Angeklagten das Merkmal der
„Feil haltung“ an ſich trägt, jedenfalls iſt die An⸗
wendung des 8 367 Nr. 5 StGB. aus einem andern
Grund unſtatthaft. Wendet der Bader bei der Aus»
übung ſeiner Befugniſſe als Bader ein dem Apotheken⸗
zwang unterworfenes Arzneimittel an, deſſen Abgabe
und Anwendung ihm zuſteht, ſo ſoll er ſich allerdings
nur eines aus einer Apotheke bezogenen Arzneimittels
bedienen. Die Frage, ob der Bader, der ein dem
Apothekenzwang unterworfenes, aber nicht aus einer
Apotheke bezogenes Arzneimittel anwendet, nach $ 367
Nr. 5 ſtrafbar iſt, iſt verſchieden zu beantworten, je
nachdem man unter „Abgabe und Anwendung' eine
Feilhaltung erblicken zu können glaubt. Die Frage
kann hier jedoch unerörtert bleiben, da der Angeklagte
ein dem freien Verkehr über laſſenes
Arzneimittel angewendet hat und der 8 367
Nr. 5 StGB. eine Strafe nur für den Fall der Wicht:
befolgung der Verordnungen androht, die ſich auf die
Ausübung der Befugnis zur Zubereitung der dem
Apothekenzwang unterworfenen Arzneimittel beziehen.
IV. Auch das bayeriſche Landesſtrafrecht enthält
eine Beſtimmung des Inhalts nicht, daß der Bader
ſtrafbar iſt, der bei der Ausübung der Heilkunde
ein nicht aus einer Apotheke bezogenes Heftpflaſter
abgibt und anwendet. Die Landesgeſetzgebung iſt be—
rechtigt, den Umfang der Befugnis der approbierten,
Bayern. 1911. Nr. 21.
werden.
Bader zur Ausübung der Heilkunde feſtzuſetzen, ihnen
Beſchränkungen bezüglich der Befugnis zur Abgabe
und Anwendung von Arzneimitteln — ohne Rückſicht
ob dieſe dem freien Verkehre reichsgeſetzlich überlaſſen
ſind oder nicht — aufzuerlegen und ihnen vorzu⸗
ſchreiben, daß ſie die Arzneimittel, deren Abgabe und
Anwendung ihnen zuſteht, aus einer Apotheke zu be⸗
ziehen haben (Landmann a. a. O. Note 14 zu 8 6
S. 96). Sie iſt darum auch für befugt zu halten
eine Strafe den Badern für den Fall anzudrohen,
daß ſie ihre Befugniſſe überſchreiten oder gewiſſen
ihnen auferlegten Verpflichtungen zuwiderhandeln.
Der Bader handelt gegen eine ihm nach 87 der BO.
vom 31. März 1899 und Ziff. 4 der MBek. vom
4. April 1899 obliegende Verpflichtung, wenn er bei
der Ausübung der Heilkunde ein ihm geſtattetes
Arzneimittel anwendet, das er nicht aus einer Apotheke
bezogen hat; allein das P StGB. enthält keine Be⸗
ſtimmung des Inhalts, daß der Bader wegen der
Verletzung dieſer Berufsverpflichtung ſtrafbar iſt.
Daher kann auch die Frage auf ſich beruhen, ob das
Landesrecht überhaupt befugt wäre, dem Bader eine
Strafe für den Fall anzudrohen, daß er ein reichs⸗
geſetzlich dem freien Verkehr überlaſſenes
Arzneimittel anwendet, das er nicht aus einer Apotheke
bezogen hatte (KG. Jahrb. Bd. 20 0 Nr. 37 S. 91).
Der Bader, der bei der Ausübung der Heilkunde ein
nicht aus einer Apotheke bezogenes Heftpflaſter abgibt
und anwendet, kann auch nicht in Anwendung des
Art. 72 a PStGB. (Geſetz vom 22. Juni 1900) beſtraft
Der Art. 72a iſt zur Ergänzung des 8 367
Nr. 5 StGB. geſchaffen worden (ſ. die Begründung
in AbgKVerh. 1899/1900 Beil. Bd. 2 S. 462). Nach
ihm wird — außer dem Falle des 8 367 Nr. 5 StB. —
beſtraft, wer den Verordnungen in bezug auf den
Verkehr mit Arznei» oder Geheimmitteln .... zuwider⸗
handelt. Auf Grund des Art. 72 a erging am 15. März
1901 die VO., betr. den Verkehr mit Arzneimitteln
außerhalb der Apotheken (GVBl. S. 157); ſie bezieht
ſich — §1 — auf das gewerbsmäßige Feilhalten oder
Verkaufen von Arzneimitteln, die dem freien Verkehr
überlaſſen find. Die Landesgeſetzgebung war nach § 6
Abſ. 1 GewO. zur Schaffung des Art. 72 a und zur
Erlaſſung der VO. vom 15. März 1901 berechtigt;
ſelbſtverſtändlich konnte fie im Hinblick auf $ 1 Abſ. 1
GewO. nicht beſtimmen, daß diejenigen die Arznei⸗
mittel aus einer Apotheke beziehen müſſen, welche
Arzneimittel, die reichsgeſetzlich dem freien Verkehr
überlaſſen find, gewerbsmäßig feilhalten oder ver⸗
kaufen — z. B. Drogiſten, Bader, die neben der
Ausübung der Heilkunde ſich mit dem Feilhalten be⸗
faſſen. Daß die VO. vom 15. März 1901 nur ge⸗
werbsmäßige Betriebe der in ihrem § 1 ausdrücklich
bezeichneten Art im Auge hat, ergibt ſich aus ihren
ſämtlichen Beſtimmungen ($$ 2 bis 11 einſchl.); fie
nimmt nirgends auf die beſondere, den Badern be⸗
züglich des Bezugs von Arzneimitteln aus einer
Apotheke auferlegte Berufspflicht Bezug. Man
kann daher mit gutem Grund bezweifeln, daß ſich die
VO. vom 15. März 1901 auf dieſe Berufspflicht be⸗
zieht und daß auf Grund ihrer den Verkehr mit Arznei⸗
mitteln außerhalb der Apotheken regelnden, das ge⸗
werbsmäßige Feilhalten von Arzneimitteln be»
treffenden Beſtimmungen nach Art. 72a der Bader
geſtraft werden kann, der unter Nichtbeobachtung
feiner Berufspflicht bei der Ausübung feiner Heil⸗
befugniſſe ein dem freien Verkehr überlaſſenes, nicht
aus einer Apotheke bezogenes Arzneimittel abgibt
oder anwendet. (Urt. vom 13. Mai 1911, Rev.⸗Reg.
Nr, 129/1911). Ed.
2349
Oberlandesgericht München.
Zu 5 600 350. Entſcheidung über die Berufung
im Wechſelprozeſſe nach rechtskräftiger Erledigung des
Nachverfahrens. Durch vorläufig vollſtreckbares Urteil
im Wechſelprozeß vom 21. September 1910 wurde der
Beklagte ſchuldig erkannt, an den Kläger 9450 M
Wechſelſumme nebſt Zinſen und Wechſelunkoſten zu
bezahlen ſowie die Koſten des Rechtsſtreites zu tragen;
jedoch wurde ihm die Abwendung der Zwangsvoll⸗
ſtreckung durch Sicherheitsleiſtung geſtattet und die
Ausführung der Rechte vorbehalten. Hiergegen legte
der Beklagte am 25. Oktober 1910 Berufung ein. Der
Verhandlungstermin wurde mehrmals vertagt. In⸗
zwiſchen hatte der Beklagte den Kläger auch im
ordentlichen Verfahren vor das Prozeßgericht erſter
Inſtanz laden laſſen, wo am 4. Februar 1911 Ver⸗
handlung mit dem Ergebnis weiterer Vertagung ſtatt⸗
fand. Mit einem Schriftſatz vom 15. März 1911 erw
klärte dort jedoch der Anwalt des Klägers, daß er
auf Grund Vergleichs mit der A.⸗G. N.⸗Werke — die
dem Beklagten in zweiter Inſtanz zur Unterſtützung
beigetreten war — die Klage zurücknehme. Da der
Beklagte aber nicht in dieſe Zurücknahme willigte,
erging im Nachverfahren erſter Inſtanz am 13. Mai
1911 Verſäumnisurteil dahin, daß das Wechſelurteil
vom 21. September 1910 aufgehoben und die Klage
abgewieſen werde, ſowie daß der Kläger alle Koſten
des Rechtsſtreites zu tragen und zu erſtatten habe.
Dieſes Verſäumnisurteil wurde rechtskräftig. Mit
Rückſicht hierauf, und weil für. den Kläger niemand
im nächſten Termine zur Verhandlung über die
Wechſelberufung erſchienen war, beantragte der Bes
klagte (Berufungskläger) durch Verſäumnisurteil aus⸗
zuſprechen, daß die Koſten der Berufungsinſtanz dem
Kläger und Berufungsbeklagten auferlegt werden.
Dem Antrag wurde ſtattgegeben.
Aus den Gründen: Die Berufung iſt an ſich
zuläſſig. Dadurch aber, daß das LG. im Nachver⸗
fahren auf Grund der Verſäumnis des Klägers die
Klage abwies und das die Klage abweiſende Urteil
rechtskräftig geworden iſt, hat der Rechtsſtreit ſelbſt
ſein Ende erreicht. Damit iſt aber auch der in der
Berufungsinſtanz noch anhängige Wechſelprozeß er⸗
ledigt, die Rechtsmittelinſtanz in der Hauptſache gegen⸗
ſtandslos geworden (Gaupp⸗Stein, ZPO. 8./9. Aufl.
Bd. II S. 199; Beſchl. des Kammer. vom 18. April
1903 in OL GR. Bd. 7 S. 299). Dur das landge⸗
richtliche Verſäumnisurteil find ſchon gemäß 8 600
Abſ. 2 und 3 und $ 302 Abſ. 4 Satz 2 im Zuſammen⸗
halte mit §§ 330 und 91 ZPO. unter Aufhebung des
früheren Urteils vom 21. September 1910 die Koſten
des Rechtsſtreites erſter Inſtanz dem Kläger über⸗
bürdet. Für die Berufungsinſtanz war nach Lage
der Sache die Koſtenentſcheidung gleichfalls zuun⸗
gunſten des Klägers zu treffen; denn da rechtskräftig
u daß fein Anſpruch unbegründet war (88 600
Abſ. 2, 302 Abſ. 4 ZPO.), können die Koſten des vom
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. in Bayern. 1911.
|
Beklagten im Wechſelprozeß eingelegten Rechtsmittels
nur dem unterlegenen Gegner auferlegt werden (8 91
ZPO). Dieſe Entſcheidung war, da der Berufungs-
beklagte nicht erſchienen iſt, gemäß § 542 ZPO. durch
. zu erlaffen. Im Hinblick auf § 101
Abſ. 1 ZPO. waren ferner dem Kläger und Bes
rufungsbeklagten auch die Koſten aufzuerlegen, die
durch die Nebenintervention verurſacht worden nn
(Urt. vom 12. Juni 1911, M 1028/10.) N,
2316
Oberlandesgericht Nürnberg.
Ueber die Befugnis des Fideikommißſtifters zum
Widerruf oder zur Abänderung des Fideikommiſſes
(8 94 der VII. Beil. z. Verf.). Aus den Gründen:
Der 8 34 FidE. geſtattet dem Stifter den Widerruf
Nr. 21. 431
oder die Abänderung eines Fideikommiſſes auch 8
der gerichtlichen Beſtätigung, ſolange noch nieman
durch die Uebergabe oder durch Vertrag ein Recht
daran erworben hat. Dieſe Beſchränkung will den
Widerruf oder die Abänderung des Fideikommiſſes
nicht etwa nur in der meiſt ganz kurzen und nach
außen gar nicht zutage tretenden Zeitſpanne zwiſchen
der gerichtlichen Beſtätigung und der Eintragung in
die Fideikommißmatrikel zulaſſen. Unter Uebergabe
iſt auch nicht der Uebergang des Fideikommiß vermögens
aus der allodialen Eigenſchaft in den fideikommiß⸗
rechtlichen Verband (8 42 ide.) zu verſtehen, denn
dieſer Uebergang vollzieht ſich bei einem Fideikommiſſe,
das, wie hier, durch einen einſeitigen Akt des Stifters
und erſten Beſitzers unter Lebenden errichtet worden
iſt, nicht durch eine Uebergabe im bürgerlichrechtlichen
Sinne, ſondern nach 8 22 FidE. durch die gerichtliche
Beſtätigung und durch die Eintragung in die Matrikel.
Der Widerruf oder die Abänderung durch den Sti 55
ſelbſt, auch im Wege letztwilliger Verfügungen, iſt v
mehr unbeſchränkt zuläſſig, ſolange weder eine 85
tragsmäßige Errichtung ſamt Uebergabe an den Dritten
ſtattgefunden hat noch ein anderer als der widerrufs⸗
berechtigte Stifter in den Genuß des Gutes gekommen
iſt (Stobbe⸗Lehmann, en rue: [3.] II®,
532; vgl. auch ObL®. ä. S. XIV, 115; n. F. 9, 167).
Das Miteigentum der N iſt vorerſt nur wider⸗
ruflich, ſolange bis a Fideikommißſtiftung unwider⸗
ruflich geworden iſt, d. h. der Stifter keine Abände⸗
rung verfügt hat (Becher, LZivR. I S. 948 Anm. 4).
Dieſe Tragweite der Vorſchrift des 8 94 FidE. fene
aus dem Geſetze ſelbſt: Im 6. Tit. des FideE.,
„von der Auflöſung der Fideikommiſſe und den 5
lichen Ben derſelben“ handelt, beſtimmt der 8 93
Nr. 2, „das Fideikommiß im ganzen wird durch den
Widerruf des Konſtituenten (§ 94) aufgelöſt'. Von
der Auflöſung eines Fideikommiſſes 125 egrifflich
nur die Rede ſein, wenn ein rechtswirkſam geſchaffenes,
alſo ein gerichtlich beſtätigtes und in die Matrikel
eingetragenes Fideikommiß vorhanden iſt; nach 88 93
Nr. 2 und 94 FidéE. iſt alfo der Widerruf oder die
Abänderung eines Fideikommiſſes durch eine unter
Lebenden oder von Todes wegen erlaſſene Verfügung
des Stifters auch nach der Eintragung in die Matrikel
zuläſſig. Diefes Recht hat ſich der Stifter nach 8 XIV
der Beſtätigungsurkunde auch ausdrücklich vorbehalten.
(Boſchl. des Fer S. vom 9. September 1911). Br.
Literatur.
Grauer, Dr. jur. et phil. Anton, Das katholiſche
Ordensweſen 1 bayeriſchem Staats⸗
kirchenrecht. 8°, 132 S. Kempten 1910, 3.
9 Buchh.
Das Recht der religiöſen Orden und Kongregationen,
das das Reichsrecht faſt vollkommen der Landesgeſetz⸗
ebung überläßt, geht in Bayern zum Teil auf die
Zeit des Uebergangs vom Polizeiſtaat zum Ver⸗
faſſungsſtaat zurück und iſt größtenteils ſehr unüber⸗
ſichtlich. Es iſt ein Verdienſt des Verf., daß er eine
gründliche, ſoviel ich ſehen kann, den ganzen Stoff
verarbeitende Darſtellung gibt, die durchweg auf die
Quellen zurückgeht. Er behandelt den Gegenſtand
lediglich vom Geſichtspunkte des ſtaatlichen Rechtes
aus, und zwar mit der Begrenzung, daß er die
Bruderſchaften und Tertiarier als nicht zu den „geiſt⸗
lichen Geſellſchaften“ des bayeriſchen Staatsrechts ge⸗
hörig ausſcheidet. Dementſprechend wird der Begriff
des „Ordens“ unter Berückſichtigung der hierüber
beſtehenden Meinungsverſchiedenheiten erörtert; fos
dann wird das öffentliche und private Recht der
Ordensniederlaſſungen eingehend unter Anführung
432 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 2ꝶ1. für Rechtspflege
der Berordnungen und e
vorgetragen, und in einem dritten Kapitel
Recht der Ordensmitglieder nach der öffentlich
rechtlichen und privatrechtlichen Seite entwickelt. Der
Verf. endet mit dem Wunſche, es möchten die öffent⸗
lichrechtlichen Verhältniſſe der Ordensgeſellſchaften
durch Geſetz geregelt werden, damit dadurch dem
gegenwärtigen, im weſentlichen auf Verordnungen
und Verwaltungsvorſchriften beruhenden, vielfach un⸗
klaren Zuſtande ein Ende gemacht würde. — Es iſt
ſelbſtverſtändlich, daß hier und dort Ausſetzungen und
Wünſche vorgebracht werden könnten, allein im ganzen
ſcheint mir die Arbeit des Verf. eine Bereicherung
ſowohl für die Lehre, als vor allem für die Rechts⸗
anwendung zu ſein.
e Profeſſor Rothenbücher.
Schramm, Dr. Erich, Bor der Entſcheidung.
Der deutſche Anwalt und die Forderung der Zeit.
Ein Beitrag zur Frage einer Reform der anwalt⸗
ſchaftlichen Standesverfaſſung. 35 S. Hannover 1911.
Helwingſche Verlagsbuchhandlung.
Dieſe anregend geſchriebene kleine Arbeit kann
leider erſt „nach der Entſcheidung“ beſprochen werden,
die inzwiſchen auf dem Würzburger Anwaltstag gegen
jede weitere Beſchränkung der Zulaſſung zur Rechts⸗
anwaltſchaft mit impoſanter Mehrheit gefallen iſt.
Die Schrift von Schramm ſchildert die Notlage des
Anwaltsſtandes und tritt für die Einführung des
numerus clausus verbunden mit einer zweijährigen
Nachpraxis ein. Für die Beſetzung der Stellen ſoll,
wenn die Zahl der Geſuche die feſtgeſetzte Höchſtzahl
überſteigt, die Prüfungsnote maßgebend ſein. Da⸗
durch glaubt der Verfaſſer allen Bedenken, die gegen
das Syſtem des numerus elausus erhoben wurden, die
Spitze abzubrechen. Zur Widerlegung dieſes Irrtums
genügt es auf die Vorarbeiten zum Würzburger An⸗
waltstag und auf das Landsbergſche Referat hinzu⸗
weiſen, welche ſich auch bereits mit den oben erwähnten,
ſchon früher von Benario angedeuteten Gedanken ein⸗
gehend beſchäftigt haben. — —i— —
Sammlung von Steuergeſetzen für Bayern mit den Voll⸗
zugsvorſchriften. Textausgabe mit alphabetiſchem
Sachregiſter. XIII, 860 S. München und Berlin
nr J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Gebd.
Dieſe ſehr praktiſche Sammlung enthält außer
den bayeriſcher Geſetzen mit ihren Vollzugs vorſchriften
u. a. das Reichserbſchaftsſteuergeſez und das Zu—
wachsſteuergeſetz ſamt den Ausführungsbeſtimmungen
ſowie Auszüge aus dem BGB., dem EG. und dem AG.
dazu, der ZPO. und der StPO. uſw., vereinigt alſo
auf kleinem Raume das geſamte Material.
von Staudinger, Dr. Julins, K. Geheimer Rat, Se⸗
natspräſident a. D. in München, Strafgeſetzbuch
für das Deuſche 97 10. Aufl. bearbeitet von
ermaun Schmitt, K. b. Oberſtlandesgerichtsrat im
taatsminiſterium der Juſtiz. XII. 276 S. München
1911. C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung, Oskar
Beck. Gebd. Mk. 1.20.
Dieſe Ausgabe hat ſich bei der Auswahl der
Zitate aus der Rechtſprechung im Gegenſatze zu an—
deren eine weitgehende Beſchränkung auferlegt. Da—
bei war wohl der Gedanke maßgebend, daß der An⸗
fänger — für den das Büchlein in erſter Reihe be⸗
ſtimmt iſt — nicht durch ein Uebermaß von Einzel—
heiten verwirrt werden ſoll. Dagegen iſt — insbe—
ſondere im allgemeinen Teile — der Verſuch gemacht,
die Hauptgrundzüge der der ſtrafrechtlichen Dogmatik in
in Bayern. 1911. Nr. 21.
|
gedrängte Anmerkungen zu bringen (man vgl. z. B.
die Ausführungen über Vorſatz, Abſicht, Fahrläſftgkeit
zu 8 59). Dieſes nicht ganz einfache Problem jft
glücklich gelöſt. Die Ausgabe iſt deshalb zum Ge⸗
brauch in der Vorleſung und im Praktikum trefflich
geeignet. Im Anhang ſind die wichtigſten Vor⸗
ſchriften der Nebengeſetze abgedruckt.
5
Braun, Friedrich Edler von, Oberregierungsrat. Das
Bayeriſche Geſetz über die Güterzertrüm⸗
merung vom 13. Auguſt 1910 mit Erläuterungen.
=: Be Münden 1911, J. Schweitzer Verlag.
Wird von A Erläuterung eines kleinen Spezial⸗
geſetzes innerhalb eines Zeitraumes von 10 Monaten
eine 2. Auflage notwendig, ſo bedarf das Werk keiner
beſonderen Empfehlung mehr. Die neuen Anmerkun⸗
gen über die rechtliche Wirkung des Vorkaufsrechts
und des Rücktrittsrechts und deren Einfluß auf den
Grundbuchverkehr verdienen nicht nur für die Anwen⸗
dung des bayeriſchen Landesgeſetzes, ſondern auch für
das allgemeine bürgerliche Recht Beachtung. Der An⸗
merkung 15 auf Seite 68 über Schmuſerlöhne in der
jeßigen Faſſung trete ich bei.
München. Oberamtsrichter Dr. Haberſtumpf.
Notizen.
Die Vorbedingungen für den höheren ſtaatlichen
Archivdienſt ſind neu geregelt worden durch eine
K. Verordnung vom 3. Okt. d. Is. (GVBl. 1061 ff.).
Die Fähigkeit zu einem höheren Amte des ſtaatlichen
Archivdienſtes erlangt, wer die Staatsprüfung für den
höheren Archivdienſt mit Erfolg abgelegt hat. Die
Zulaſſung zur Staatsprüfung ſetzt die Ableiſtung
eines Vorbereitungsdienſtes voraus. Zum Vor⸗
bereitungsdienſte werden nach wie vor auch Rechts⸗
kandidaten zugelaſſen, die die Univerſitätsſchlußprüfung
beſtanden haben. Dagegen genügt die Erlangung der
Würde eines Doktors der Rechte im Gegenſatze zu den
bisherigen Vorſchriften nicht mehr zur Zulaſſung.
Die Zulaſſung erfolgt nach Bedarf. Der Vorbereitungs⸗
Dienst dauert wie bisher drei Jahre. Nach 8 12 der
alten Beſtimmungen (VO. vom 3. März 1882, GB Bl. 73)
konnte die Praxis bei einem Gericht, einer Verwaltungs⸗
behörde oder bei einem Rechtsanwalt bis zu einem
Jahre und, wenn der Rechtspraktikant die Staats⸗
prüfung beſtanden hatte, bis zu zwei Jahren auf die
Archivpraxis angerechnet werden. Die neuen Vor⸗
ſchriften enthalten keine derartige Beſtimmung. Die
Anrechnung könnte höchſtens auf Grund des § 27
Abſ. 2 der neuen Verordnung erfolgen, der die
Staatsminiſterien des K. Hauſes und des Aeußern
ſowie des Innern ermächtigt in einzelnen Fällen aus
wichtigen Gründen Abweichungen von der VO. zuzu⸗
laſſen. — Die Staatsprüfung iſt wie bisher ſchriftlich
und mündlich. Die geprüften Archivpraktikanten, die
ſich um Anſtellung im höheren Archivdienſte bewerben,
haben nach Anordnung der zuſtändigen Staats⸗
miniſterien den Dienſt fortzuſetzen. Sie führen die
Bezeichnung Archivakzeſſiſten, wenn fie die Staats-
prüfung mit der Note I oder II beſtanden haben.
2403
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſteriumd. Juſtis.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ar. 22. Münden, den 15. November 1911. 7. Jahrg.
Jeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von erlag von
| Bühern .
Staate miniſterium der Inſtiz München und Berlin.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats . . Redaktion und Expedition: München, Jenbachplatz 1.
im Umfange von min 8 2 Bogen. Preis viertel jährlich : 24 . 80 Big. für die balbgeſpaltene Betitzeile
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und \-! oder deren Raum. Bel Wiederholungen Rabatt. Stellena
Boftanftalt, 20 bf. Beilagen nach Uebereinkuuft.
Nachdruck verboten. 433
— die fi lehrrei alle beziehen. Das
uſtitnte für Kriminaliſtit und Rechts Arne hut in ftandiger uta, mit den Grein,
anwendung. . 1 8 Lebens, hauptſächlich an den
; großen kaufmänniſchen Unternehmungen und mit
e ne nen men Bankinſtituten zu fliehen, um auf dieſe Weile fort:
ı gelegt in Geſtalt von Urkunden und Mitteilung
Bei der Tagung der Geſellſchaft für Hochſchul⸗ von Vorfällen, die Anlaß zu rechtlichen Meinungs:
pädagogik, die vom 18. bis 20. Oktober 1911 verſchiedenheiten gegeben haben, Stoff für die
in München ſtattgefunden hat, find eine Reihe praktiſche Rechtsanwendung zu erhalten.
von Vorſchlägen zur Verbeſſerung des juriſtiſchen Die Gründung eines ſolchen Inſtituts ſoll dem:
Studiums gemacht worden. Für den, der die | mächft erfolgen, da das ö ſterreichiſche Unterrichtz⸗
Literatur über die Reform der juriſtiſchen Aus⸗ miniſterium bereits die Mittel bewilligt hat und
bildung verfolgt hatte, wurde Neues eigentlich nicht Perſonen des Handels und der Bankunternehmungen
vorgebracht. Alle Redner waren ſich darüber einig, ihre Unterſtützung in der bereitwilligſten Weiſe zu⸗
daß man den Studierenden die Schwierigkeiten geſagt haben. Dagegen iſt die Errichtung eines
erleichtern muß, die für ſie in dem Vortrag ab⸗ kriminaliſtiſchen Univerſitätsinſtituts erſt geplant.
ſtrakter Rechtsſätze liegen. Von den Verhandlungen Ich habe mich in den letzten Jahren ſchon
dürften von allgemeinem Intereſſe die Vorträge ſein, wiederholt über die brennende Frage der Ver⸗
CCC
tätsinſtitute“ und „Univerſitätsinſtitute für Rechts⸗ tiſchen Ausbildung der jungen Juriſten in kleineren
2 beteiligten Kreiſen ausgeſprochen und hierbei die
anwendung“ gehalten haben. Nach dieſen Vorträgen ER oc
ſoll der Gedanke, die juriſtiſche Univerſitätsaus⸗ Notwendigkeit von beſonderen Einrichtungen betont,
bild fenen Grundl Kup in fol: die den Studenten und den Rechtspraktikanten mit
der W Seel bes age ene Br m To: dem wirklichen Leben mehr in Fühlung bringen
e eiſe greifbare Formen erhalten. und ihm eine ſachgemäßere Ausbildung zu teil
Für die Ausbildung des Juriſten iſt neben werden laſſen. Die erwähnten Vorträge haben mir
den Vorleſungen aus dem Gebiete des Straf und den Anſtoß gegeben, meine Anſchauungen über die
Strafprozeßrechtes ein Inſtitut für Kriminaliſtik Errichtung und die Organiſation von juriſtiſchen
zu ſchaffen. Es hat zu beſtehen aus einer größeren Ausbildungsinſtituten auch weiteren Kreiſen zu:
Anzahl von Abteilungen, in denen Kriminal änglich zu machen.
pſychologie, die Gaunerſprache, Daktyloſkopie, Die Gründung eines Univerſitätsiuſtituts für
Kriminalſtatiſtik u. dgl. geleſen wird. Außerdem Kriminaliſtik halte ich für bedenklich, jedenfalls
ſind in dem Inſtitut ein Kriminalmuſeum und nicht für geboten. Der Student wird zur Zeit
eine umfaſſende Kriminalbibliothek zu errichten. des Univerſitätsſtudiums. das ihn in reichſtem
2 Das Univerſitätsinſtitut für Rechtsanwendung | Maße mit Stoff belaftet, nicht noch mehr mit
hat ebenfalls aus einer Reihe von Abteilungen | Vorleſungen und Ablenkungen bedacht werden können.
zu beſtehen. In dieſen Abteilungen ſind enthalten Er wird regelmäßig in ſeinen Studentenjahren auch
Sammlungen von Urkunden jeglicher Art, Ur- für die Gebiete des kriminaliſtiſchen Inſtituts noch
kunden des Privatrechtes, insbeſondere ſolche des nicht das erforderliche Verſtändnis und Intereſſe
Handels-, Immobiliar-, Familien- und Erbrechts. | haben.
Aufzunehmen ſind Auszüge aus dem Grundbuch Kriminaliſtiſche Studien ſetzen voraus, daß
und den verſchiedenen Regiſtern. Eine Abteilung | man das Strafrecht und wohl auch den Straf:
enthält auch eine Sammlung von Prozeßakten, prozeß in ihrer praktiſchen Bedeutung kennen ge:
—
434 ABeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
— ———— — —
lernt hat. Die Gebiete, die in dem Kriminal- rechtspflege liegt. Das bayeriſche Juſtizminiſterium
inſtitut zu behandeln ſind, werden erſt dann von | hat in früheren Jahren tatſächlich ſchon Vorleſungen
Bedeutung, wenn der Juriſt mit der Praxis un⸗ über Gefängnisweſen für die Richter und Staats⸗
mittelbar Fühlung und damit das Verſtändnis anwälte halten laſſen Leider wurde jpäter davon
für die Kriminaliſtik erlangt hat. Umgang genommen. Nur nebenbei bemerken möchte
So überflüſſig nun ein Inſtitut für Krimis ich. daß auch Bedürfnis beſtehen dürfte, das Aus⸗
naliſtik an der Univerfität ift, fo notwendig lieferungsverfahren in materieller und formeller
iſt es geworden als ſelbſtaͤndiges Inſtitut zur | Beziehung näher kennen zu lernen.
weiteren Aus: und Fortbildung des Praktikers. Es würde über den Zweck dieſer Abhand⸗
Der Zug der Zeit drängt immer mehr dazu, lungen hinausgehen, Einzelheiten über die räum⸗
daß auch in der Rechtswiſſenſchaft der Praktiker liche Anlage und die Organiſation dieſes Inſtituts
Spezialiſt wird. Es gilt dies vornehmlich für das vorzutragen. Ich beabfichtige, mich hierüber ein
Gebiet des Strafrechts. Kenntniſſe aus den er⸗ anderes Mal in eingehender Weiſe zu äußern.
wähnten Gebieten der Kriminaliſtik find unum⸗ Ich denke mir im allgemeinen die Sache fo, daß
gänglich notwendig für den Richter, den Staats⸗ zunäaͤchſt ein derartiges Inſtitut geſchaffen wird.
anwalt und die Sicherheitsorgane. Es wird wohl Als Lehrkräfte kommen vornehmlich nur Praktiker
nicht mehr länger davon Umgang genommen in Betracht. Selbſtverſtändlich ſolche, welche die
werden können, daß man mit der Uebung bricht, Gebiete aus jahrelanger Erfahrung kennen und
die Richter ausnahmslos abwechslungsweiſe in der ſich auch ſonſt als Lehrer eignen.
Zivil⸗ und der Strafrechtspflege zu beſchäftigen, Der Beſuch iſt teils ein freiwilliger, teils er⸗
und die Verleihung von Staatsanwaltsſtellen nur folgt er auf Grund Zuteilung, militäriſch aus⸗
als Durchgangspoſten zu höheren Stellen zu be- gedrückt Abkommandierung. Das Inſtitut unter:
trachten. Es wird auch notwendig ſein, daß man ſteht der Leitung des Juſtizminiſteriums. Der
in den größeren Städten, insbeſondere in der Beſuch iſt auch den Rechtspraktikanten geſtattet.
Haupt⸗ und Reſidenzſtadt, Kriminalabteilungen Ich komme nun zu den Univerfitätsinftituten
ſchafft, die mit Beamten beſetzt ſind, welche eine für Rechtsanwendung. Ich kann zwar grund⸗
gediegene theoretiſche und praktiſche Ausbildung ſätzlich die auf der erwähnten Tagung vorgebrachte
als Kriminaliſt erhalten haben und ſich ſelbſtver⸗ Behauptung, daß es im Gegenſatz zur Mediziniſchen
ſtändlich auch zu ihrem immer ſchwieriger werdenden Fakultät an Material für die praktiſche Rechts⸗
Beruf eignen und dieſe Befähigung regelmäßig auch anwendung mangle, nicht für zutreffend erachten.
durch längere Tätigkeit als Staatsanwalt und Ich bin vielmehr der Anſicht, daß gerade bei der
Unterſuchungsrichter bewieſen haben. Daß der Vor⸗ Rechtswiſſenſchaft die Möglichkeit, das wirkliche
ſtand einer Staatsanwaltſchaft eine derartige Aus⸗ Leben bei dem Unterricht zu berückſichtigen, mehr
bildung haben ſollte, iſt jo ſelbſtverſtändlich, daß als bei jedem anderen Lehrgebiet beſteht. Man
es einer weiteren Begründung nicht bedarf. Auch kann ſicher jede Rechtsmaterie durch geſchickt ge⸗
für den Richter wird das Bedürfnis nach Kennt: wählte Beiſpiele aus dem täglichen Leben an:
niſſen aus den erwahnten Gebieten immer vor: ſchaulich machen und dadurch weſentlich zum Ber:
dringlicher. Die Zahl derer, die als Beteiligte ſtändnis beitragen. Allerdings wird es viel auf die
in Frage kommen wird vermehrt durch die Vor- Eigenart des Lehrers ankommen, wie ja überhaupt
ſtände und Verwaltungsbeamten der Gefangenen-⸗ jeder Unterricht von der Perſönlichkeit des Lehrers
anſtalten, der bei der Militärſtrafrechtspflege be: getragen wird.
teiligten Perſonen, Gerichtsherren, Gerichtsoffiziere Immerhin haben die während der theoretiſchen
und Militärrichter und die Rechtspraktikanten, die Vorleſungen gebrachten Beiſpiele nicht den Lehr⸗
aus beſonderer Neigung den Beruf des Krimi- erfolg, wie die praktiſchen Uebungen. Weiter iſt
naliſten anſtreben. es auch eigentlich nicht möglich, das Prozeßrecht
Ich glaube daher, daß die Schaffung eines durch Beiſpiele in wirkungsvoller Weiſe zu ver⸗
Kriminaliſtiſchen Inſtituts notwendig geworden iſt. anſchaulichen. Endlich gibt es eine Reihe von
In dieſem Inſtitut wäre auch das Gebiet der Materien, von denen der Student erfahrungs—
Strafvollſtreckung und der Gefängniskunde als gemäß nur wenig Kenntniſſe von der Hochſchule
Lehrſtoff in den Lehrplan aufzunehmen. Dieſe mit in die Praxis bringt. Ich denke hierbei z. B.
Gebiete gewinnen immer mehr an praktiſcher Be: an das Gebiet der Mobiliar- und Immobiliar—
deutung und erfordern für eine ganz erhebliche zwangsvollſtreckung.
Zahl von Beteiligten Spezialkenntniſſe, die ſie Um all dieſe Lücken auszufüllen, müßten
ſich immer erſt, wenn Not an Mann iſt, nicht Univerſitätsinſtitute geſchaffen werden. Diele
zum Beſten des Geſchäſtsgangs verſchaffen müſſen. denke ich mir nun zum Teil anders als Profeſſor
Für die Richter, die nicht Staatsanwälte waren, Dr. Sperl. Ich will auch in dieſer Richtung
iſt das Gebiet der Strafvollſtreckung und des Ge- lediglich den Rahmen einer Skizze einhalten, da
fängnisweſens ohnehin faſt ausnahmslos unbe- ich beabſichtige, demnächſt in der Zeitſchrift für
ackertes Gebiet, eine Tatſache, die nach meinen Hochſchulpädagogik mich eingehender über dieſe
Erfahrungen nicht immer im Intereſſe der Straf: Einrichtungen zu äußern.
1 — — — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 435
Inzwiſchen hatte die 1. Gruppe die Klage
entworfen, über die dann von der 3. Gruppe
verhandelt wurde. Ich ſelbſt hatte die Ober⸗
leitung und ſtellte auch während dieſer Verhand⸗
lung der drei Gruppen durch unvorhergeſehene
Umgeſtaltung des Prozeßſtoffes, insbeſondere durch
die Bekanntgabe von neuen Tatſachen und des
Ergebniſſes der Beweiserhebung vor die Not:
wendigkeit raſcher Entſchlüſſe. Am Schluſſe habe
ich nach Art einer militäriſchen Kritik bei einem
Manöver die juriſtiſche Uebung unter Würdigung
der Fehler eingehend beſprochen. Die jungen
Kollegen hatten offenſichtlich große Freude an
dieſem juriſtiſchen Kampfe.
Ich denke mir alſo, daß die in dem Inſtitut
vorhandene Aktenſammlung, die durch Abgabe
geeigneter Prozeßakten von den Amts-, Land- und
Oberlandesgerichten ftändig auf dem Laufenden
gehalten werden müßte — durch einen Regiſtratur⸗
vermerk könnte ja der Verbleib der Akten feſt⸗
geſtellt werden — in dieſer Weiſe benützt werden ſoll.
Material könnte auch dadurch beſchafft werden.
daß man in dieſem Inſtitut eine Rechtsauskunfts⸗
ſtelle für unbemittelte Perſonen einrichtet. Es
ſchwebt mir hier als Vorbild die unentgeltliche
Behandlung unbemittelter Perſonen in den Uni⸗
verſitätskliniken vor. Eine Beeinträchtigung des
An den von Profeſſor Dr. Sperl vorgeſchlagenen
Urkunden⸗ und Aktenſammlungen kann grund:
ſätzlich feſtgehalten werden. Allein, wenn in das
Inſtitut ein friſches Leben hineinkommen, wenn
es die praktiſche Rechtsanwendung ſördern und
den Uebergang von der Theorie zur Praxis er⸗
leichtern ſoll, ſo müſſen auch noch andere Vor⸗ |
kehrungen getroffen werden. |
Jeder Praktiker weiß, wie wenig lebendig der
Prozeßſtoff iſt, wenn man mit Urkunden arbeiten
muß. Ich glaube wohl behaupten zu dürfen,
daß jeder Praktiker an Prozeßſtoff, der ſich im
weſentlichen aus Urkundenmaterial zuſammenſetzt,
mit einer gewiſſen Abneigung herantritt. Man
denke an umfangreichen Schriftwechſel in Handels⸗
ſachen, an lange, ſchablonenmäßige Notariats⸗
urkunden und unüberſichtliche Grundbuchsauszüge.
Noch viel weniger Geſchmack wird der junge
Student den Urkundenſammlungen abgewinnen,
wenn auch ihre Bedeutung für Lehrzwecke nicht
verkannt werden ſoll.
Der junge Juriſt muß anregenderes Material
haben. Wie in der Univerſitätsklinik und in dem
anatomiſchen Inſtitut dem Mediziner das wirk⸗
liche Leben vorgeführt wird, ſo muß auch in dem |
Inſtitut für Rechtsanwendung der Student in
anregender Weiſe mit dem Rechtsleben be⸗ |
ſchäftigt werden. ohnehin nicht roſig gebetteten Anwaltſtandes wäre
Die bayeriſche Juſtizverwaltung, die in aner⸗ wohl dadurch nicht gegeben. Es würden höchſt⸗
kennenswerter Weiſe ſich fortgeſetzt mit der Frage | wahrſcheinlich nur ſolche Perſonen von dieſer Ein-
beſchäftigt, wie der Nachwuchs der Juriſten entſpre⸗ richtung Gebrauch machen, die ohnehin im
chend ausgebildet werden kann, hat in den neuen Bor: Armenrecht ſtreiten oder in der Regel bei Winkel⸗
ſchriften für die Ausbildung der Rechtspraktikanten advokaten, Auskunfteien u. dgl. Rat ſuchen und
einen wertvollen Wegweiſer gegeben. Sie hat an- hier erfahrungsgemäß ſchlecht, häufig falſch be⸗
geordnet, daß in den Pflichtkurſen für Rechts⸗ raten und überdies übervorteilt werden.
praktikanten der Werdegang eines Prozeſſes praf: Die Einrichtung dieſer Auskunftſtellen denke
tiſch dargeſtellt werden ſoll. Ich habe ſeinerzeit | ich mir im weſentlichen jo, daß der Rechtſuchende
um dieſer Vorſchrift zu genügen mir ein Kriegs- fein Anliegen dem Leiter der Rechtsauskunfts—
ſpiel zum Muſter genommen. Die Kursteil: | ftele in Gegenwart der Schüler vorträgt und
nehmer wurden in 3 Gruppen geteilt. 2 Gruppen hierbei dieſen Gelegenheit geboten wird, die Sach—
bildeten je eine Anwaltskanzlei. Die 3. Gruppe lage rechtlich zu beurteilen und unter Kontrolle
hatte die Rolle des Gerichts und der dabei be: des Leiters den gewünſchten Rat zu erteilen.
teiligten Perſonen zu ſpielen. Die räumliche Endlich müßte in dieſem Inſtitut den Stu:
Trennung der 3 Gruppen war möglich. Bei der | denten ſchon bald, nachdem die Vorleſungen über
1. Gruppe habe ich mich als Partei eingefunden | Zivil⸗ und Strafprozeß begonnen haben, was
und den Sachverhalt eines intereſſanteren und wohl richtigerweiſe erſt dann geſchehen ſoll,
ſchwierigeren Rechtsſtreits aus meiner Kammer | wenn fie gründliche Vorkenntniſſe im materiellen
für Handelsſachen unter abſichtlicher Weglaſſung Rechte haben, Gelegenheit geboten werden, durch
von weſentlichen Punkten und Beifügung von un- fortgeſetzte Teilnahme als Zuhörer an Verhand—
weſentlichen Dingen vorgetragen, was erfahrungs- lungen auf Grund des unmittelbaren Eindrucks
gemäß die Parteien unabſichtlich immer tun. der praktiſchen Geſetzesanwendung ihre Kenntniſſe
Ich habe dann um Rechtsauskunft gebeten und zu befeſtigen und zu vergrößern. Gerade für das
den Auftrag gegeben, gegebenen Falles Klage zu Gebiet des Prozeßrechtes iſt ja die praktiſche Vor—
ſtellen. Es kam hierbei zu äußerſt anregenden führung von hervorragender Wichtigkeit. Die
Auseinanderſetzungen. Projektion genügt hier nicht. Wie die Durch—
Alsdann habe ich mich in die Rolle der führung dieſes Gedankens in räumlicher Beziehung
Gegenpartei zu der 2. Gruppe begeben und habe zu geſtalten wäre, iſt verhältnismäßig von unter:
mein Anliegen, abſichtlich unklar, vorgetragen und geordneter Bedeutung. Es könnte daran gedacht.
um Rechtsauskunft über das Schickſal der zu | werden, in den Räumen des Univerſitätsinſtituts
gewärtigenden Klage gebeten. einen Sitzungsſaal des Amtsgerichts und zwei
436
— —— — nn no
des Landgerichts unterzubringen und dem Amts⸗
richter und den Kammern Prozeßſachen mit Auswahl
zuzuweiſen. Das wäre wohl das Ideal, wenn man
auch noch die entſprechenden
würde. Es ſchwebt mir hier der Gedanke von
Muſterſitzungen vor, lehrreich durch die Materie
und die Prozeßführung.
Immerhin laͤßt ſich der angeſtrebte Zweck auch
dadurch erreichen, daß die im Gerichtsgebäude be⸗
findlichen Sitzungsſäle benützt werden und die
Richter zuteilen
— geitſchrift far Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
— — — — ! ô —
Fühlung mit den Rechtspraktikanten ſteht, dafür
aber auch wirklich in ſeinen Berufsgeſchäſten ent:
laſtet wird, dann werden die Klagen über die
mangelhafte Ausbildung der Juriſten immer mehr
verſtummen.
Es iſt zu wünſchen, daß die bayeriſche Juſtiz⸗
verwaltung, die großzügig und dem Geiſte der
Neuzeit entſprechend arbeitet, auch auf dem Gebiete
der Schaffung eines kriminaliſtiſchen Inſtituts
bahnbrechend wirkt und daß ſie die Notwendigkeit
Möglichkeit beſteht, daß das Inſtitut von beſonders der Schaffung von Univerſitätsinſtituten für Rechts⸗
geeigneten Fällen ſtändig Kenntnis erlangen kann.
Endlich wären in dem Inſtitut auch Vor⸗
leſungen und praktiſche Uebungen aus dem Gebiet
der Mobiliar⸗ und Immobiliarzwangsvollſtreckung,
dem formellen Grundbuch- und Regiſterrecht, mit
Einſicht der Regiſter verbunden, und aus dem
Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu halten.
All dieſe Gebiete werden erfahrungsgemäß auf der
Hochſchule nur ſtiefmütterlich behandelt. In der
Praxis ſoll ſie der Jünger des Rechts lernen.
Er findet jedoch hierzu nicht immer eine aus⸗
reichende Gelegenheit.
Dem Inſtitut wird die erforderliche Anzahl
von Lehrern zugeteilt. Sie ſind aus der Praxis
zu entnehmen und ſollen der Praxis nicht voll⸗
ſtändig entzogen werden. An die Spitze müßte
ebenfalls ein Praktiker treten, der padagogiſches
Geſchick und ausreichende wiſſenſchaftliche Befähi⸗
gung hat.
— — — —— ͤ ääf
— ———— —
Vorausgeſetzt, daß die Lehrer im
weſentlichen der Praxis angehören und daß ſie als
Kollegium bei der Leitung des Inſtituts einen
maßgebenden Einfluß haben, kann die Leitung
wohl unbedenklich auch einem Theoretiker über:
tragen werden.
Dem Leiter wäre Gelegenheit zu geben, in
Zwiſchenräumen die Lehreinrichtungen anderer
Staaten des In- und Auslandes auf Grund eigener
Anſchauung kennen zu lernen, damit das Inſtitut
großzügig geleitet werden kann und immer auf
der Höhe der Zeit ſteht.
Zweifeln kann man darüber, mit welcher Zeit
der Beſuch des Inſtituts beginnen ſoll. Zu einer
endgültigen Anſicht bin ich bis jetzt noch nicht ge:
kommen. Ich glaube, man ſollte mit dem 4. Jahre
beginnen und noch ein weiteres 5. Jahr für den
ausſchließlichen Beſuch des Inſtituts hinzugeben,
dafür aber die Vorbereitungspraxis, die ohnedies
nicht richtig ausgenützt wird, um ein Jahr kürzen.
Gibt man dann in der Praxis dem jungen
Juriſten noch Gelegenheit ſich bei der Staats—
anwaltſchaft, bei dem Oberlandesgericht und bei
der Kreisregierung zu beſchäftigen!) und ſchafft
man bei den Gerichten die Einrichtung des ſog.
Reſpiziententums ab und legt die Ausbildung der
Rechtspraktikanten in die Hände eines erfahrenen
Richters mit pädagogiſchem Geſchick, der in ſtändiger
anwendung an der maßgebenden Stelle mit Nach⸗
druck betont.
Etrafrechtliche Fragen
auf dem VII. Internationalen Kongreß
für Kriminalanthropologie.
Von Landgerichtsrat Dr. Kühlewein in München.
Der Internationale Kongreß für Kriminal⸗
anthropologie tritt alle 5 Jahre zuſammen. Mit
ſeiner 7. Tagung, die in der Zeit vom 9. bis
13. Oktober in Köln a. Rh. ſtattfand, kam er
zum erſten Mal nach Deutſchland. Die große
Bedeutung dieſes Kongreſſes kam ſchon äußerlich
dadurch zum Ausdruck, daß nicht weniger als
17 Miniſterien und 22 wiſſenſchaftliche Verbände
offizielle Vertreter entſandt hatten.
Durch die großen Umwälzungen auf ſtrafrecht⸗
lichem Gebiete, die in Deutſchland, Oeſterreich und
der Schweiz durch die Entwürfe für eine neue
— — p —
|
}
1
Strafgeſetzgebung bereits eingeleitet ſind und in
Schweden und Dänemark vorbereitet werden,
wurden die Verhandlungen des Kongreſſes natür:
lich ſtark beeinflußt.
Bereits in der erſten Sitzung erſtattete Enrico
Ferri, Profeſſor des Strafrechtes in Rom, einen
glänzenden Bericht über die Vorentwürfe des
Strafgeſetzbuches in Deutſchland, Oeſterreich und
der Schweiz vom kriminalanthropologiſchen und
kriminalſoziologiſchen Standpunkte aus. Seine
Ausführungen gipfelten in dem Nachweis, daß
dieſe Entwürfe ein Uebergangsſtadium von dem
alten Syſtem des klaſſiſchen Strafrechtes zu dem
entgegengeſetzten Syſtem der kriminalanthro—
pologiſchen und kriminalſoziologiſchen Schule dar—
ſtellen; er rühmte die Entwürfe als bemerkens—
werte Beiſpiele geſetzgeberiſcher Klugheit und
Kühnheit.
Nach lebhafter Diskuſſion nahm auch der
Kongreß eine Reſolution an, in der anerkannt
wurde, daß dieſe geſetzgeberiſchen Leiſtungen „be:
) Ich habe dieſe Forderung ſchon früher aufgejtellt |
(fe dieſe Zeitſchriſt Jahrgang 1910 S. 1655 ff.).
0
I
merkenswerte Verſuche einer ſyſtematiſchen An—
wendung von Sätzen darſtellen, welche die Kriminal—
Anthropologie und Kriminal-Soziologie für die
ſoziale Abwehr des Verbrechertums aufgeſtellt hat“
Zeitſchrift für Rechtspfiege in Bayern. 1911. Nr. 22.
437
—— — — — — —— nn
Den wichtigſten Teil der Kongreßverhandlungen
bildeten wohl die mit Spannung erwarteten Ver⸗
handlungen über die
unbeſtimmte Verurteilung,
für die der Referent, Profeſſor Dr. Graf Gleis⸗
pach⸗Prag, mit Begeiſterung eintrat. Graf
Gleispach verficht dieſe Reformidee ſeit vielen
Jahren mit großem Nachdruck und wohl auf ſein
entſchiedenes Eintreten für dieſes Problem iſt es
zurückzuführen, daß der VIII. internationale Ge⸗
ſängniskongreß, der im Jahre 1910 in Waſhing⸗
ton ſtattfand und ſich fünf Tage lang mit dieſer
Frage beſchäftigte, ſich als erſter Kongreß für die
unbeſtimmte Verurteilung ausſprach.!) Vorher
hatten ſich die Internationale kriminaliſtiſche Ver⸗
einigung und der 28. Deutſche Juriſtentag gegen
ſie ausgeſprochen.
Referent gab zunächſt eine Definition des viel⸗
fach nicht richtig erkannten Begriffes der unbe⸗
ſtimmten Verurteilung: Sie iſt nicht eine Ver⸗
urteilung, die in ihrem Beſtande unbeſtimmt iſt,
ſondern eine Verurteilung zu etwas Unbeſtimmten,
eine Verurteilung zu einer Freiheitsſtrafe von
unbeſtimmter Dauer, oder beſſer: eine unbeſtimmte
Strafe als ein beſonderer Fall aus der großen
Gruppe der zeitlich unbeſtimmten Freiheitsent⸗
ziehungen, die zum Schutze der Geſellſchaft gegen
gefährliche Menſchen angewendet werden. Solche
Freiheitsentziehungen unbeſtimmter Dauer, die es
ſchon in den früheren Geſetzgebungen gab, ſeien
im geltenden Recht und vor allem in den neueren
Entwürfen vielfach anzutreffen, jo bei den Jugend:
lichen, den geiſtig Minderwertigen, den Arbeit3-
ſcheuen und den Trunkſüchtigen; auch bei den
Gewohnheitsverbrechern kenne man, beſonders in
England und Amerika, die Sicherungshaft von
unbeſtiuumter Dauer zum Schutze der Geſellſchaft.
Redner wirft nun die Frage auf, wie man ſich
in dieſer Hinſicht gegen „normale“ Verbrecher
zu verhalten habe, d. h. gegen Verbrecher, die
in keine der genannten Gruppen gehören. Unſere
Geſetzgebungen kennen hier nur die beſtimmte Ver⸗
urteilung im Gegenſatz zu Nordamerika, deſſen
Verſahren Redner ſchildert. Die „unbeſtimmte
Strafe“, die im Gegenſatz zu Sicherungsmaßregeln
von unbeſtimmter Dauer bei uns noch um ihre
Anerkennung zu ringen habe, ſei auch gegen nor—
male Verbrecher der richtige Weg. Doch müſſe
man zwiſchen ihr und Sicherungsmitteln unbe—
ſtimmter Dauer unterſcheiden; die Sicherungs—
maßregel ſehe weniger auf den Rechtsbruch, durch
den Schuldſpruch aber werde der Zuſammenhang
zwiſchen Schuld und Sühne energiſch betont; die
Strafe ſei eine ſozialethiſche Mißbilligung, die
) Siehe „Das Problem der unbeſtimmten Verur—
teilung auf dem VIII. internationalen Gefängniskongreß“
von Dr. Graf Gleispach in der Monatsſchrift für
Kriminalpſychologie und Strafrechtsreform, 8. Jahrgang
S. 346 ff.
ö
namens des Staats gegen den Schuldigen aus⸗
geſprochen werde. Die unbeſtimmte Strafe ſei nun
im Beſſerungsſyſtem der wichtigſte Beſtandteil, nicht
nur, weil ſie die verderblichen kurzzeitigen Frei⸗
heitsſtrafen verdränge, ſondern auch weil ſie eine
Reihe wirkſamer Beſſerungsfaktoren ſchaffe und
dem Verbrecher fein weiteres Schickſal gewiſſer⸗
maßen in ſeine eigene Hand gebe; die beſtimmte
Strafe dagegen eigne ſich nicht als Beſſerungs⸗
ſtrafe, weil man im Augenblick der Verurteilung
unmöglich vorausſehen könne, wie lange der Ver⸗
urteilte brauche ſich anzupaſſen, und weil man
durch die abſolute Feſtſetzung der Strafzeit ſich
des wichtigſten Grundes zur Herbeiführung der
Anpaſſung begebe. Man wolle heute nicht mehr,
daß die Strafe der Ausdruck der Vergeltung der
Schwere der Tat ſei, man wolle, daß die indivi⸗
duellen Momente, m. a. W. der Charakter des
Täters für die Strafe entſcheidend ſein ſolle. Die
unbeſtimmte Strafe bedeute keine Erſchütterung,
ſondern eine Verſtärkung der Wirkſamkeit des
Strafrechts. Die Freiheitsrechte des Verurteilten
ſeien durch allgemeine Höchſtmaße und durch die
Organiſation des Strafvollzugs in Verbindung
mit der Entlaſſungsbehörde zu ſichern.
Weſentlich gemäßigter trat der Korreferent,
Dr. Thyrén, Profeſſor des Strafrechts in Lund,
an die Frage heran. „Ich bin gegen die un⸗
beſtimmte Verurteilung bei dem normalen Ver⸗
brecher, im übrigen mag ſie gut ſein“ bemerkte
er am Schluſſe ſeiner Ausführungen, die von
folgenden Gedanken getragen waren:
Der Gedanke, daß die Reaktion gegen die
Sozialgefährlichkeit analog mit der Krankenpflege
zu löſen ſei und demnach die Individualiſierung
bei jener ebenſoweit zu treiben ſei, wie ſie bei
dieſer zu erſtreben ſei, überſieht vor allem die
ganz eigenartige Bedeutung der Strafe, die jeden
Vergleich mit einer mediziniſchen Kur ausſchließt.
Wollte man die Entſcheidung, ob eine Strafe zu
verhängen iſt, an beſtimmten Verbrechenstat—
beſtänden gebunden laſſen, und nur die Frage,
wie zu beſtrafen iſt, einer freien Individuali⸗
ſierung unterwerfen, ſo würde die Gefahr ent⸗
ſtehen, daß in einigen Fällen die Strafe über⸗
mäßig ausgedehnt und dadurch das Gefühl der
Rechtsſicherheit verletzt würde, während ſie in
anderen Fällen ungehörig beſchränkt würde, wo—
durch nicht nur die Individual-, ſondern auch die
Generalprävention beeinträchtigt würde. Soll ein
Unſchädlichmachen auf unbeſtimmte Zeit vor—
kommen, ſo darf dies nur in beſonderen, vom
Geſetze genau bezeichneten Ausnahmefällen ge—
ſchehen, in denen ſich die zeitlich beſtimmte Strafe
wiederholt als wertlos erwieſen hat und man bei
der Urteilsfällung mit Sicherheit annehmen kann,
daß man es mit einem kaum mehr zu beſſernden
Individuum zu tun hat.
Aus der überaus lebhaften Diskuſſion ſei
Folgendes hervorgehoben:
438
Dr. Friedmann⸗Budapeſt vertrat folgende
Theſen:
Das Prinzip der Unbeſtimmtheit der Urteile
iſt eine Haupteigenſchaft jener Form der ſtaatlichen
Repreſſion, die auf dem Schutz der Geſamtheits⸗
intereſſen aufgebaut iſt und aueſchließlich die Be⸗
kämpfung der ſozialen Mängel in der Perſon des
Täters zur Aufgabe hat.
Die Form der ſtaatlichen Repreſſion ſteht zu
jeder Zeit im engſten Zuſammenhang mit der
Entwicklungsphaſe der ſtaatlichen, geſellſchaftlichen,
wirtſchaftlichen und rechtlichen Einrichtungen eines
jeden Landes.
Der Begriff der Strafe von beſtimmter Dauer
kann nicht preisgegeben werden, bis die geſamten
Einrichtungen eines Landes auf individualiſtiſcher
Baſis beruhen.
Vom Prinzip der Unbeſtimmtheit der Urteile
d. h. vom Syſtem der Präventionsmaßregeln kann
deſto mehr verwirklicht werden, je mehr in das
geſamte Rechtsſyſtem eines Landes ſoziale Elemente
aufgenommen werden.
Als Endziel der Entwicklung iſt die vollſtändige
Verwirklichung des Prinzips der unbeſtimmten
Urteile anzuſehen.
Bis dahin muß an der Regel feſtgehalten
werden: Beſtimmte Strafe und unbeſtimmte Maß⸗
nahmen.
Profeſſor Ferri⸗Rom trat entſchieden für
die unbeſtimmte Verurteilung ein; er führte aus,
daß die Abmeſſung der Strafe ohne genaue Be⸗
rückſichligung ihrer Wirkung im einzelnen Fall
der ſchematiſchen Verabreichung eines einzigen ſtets
gleichen Heilmittels ohne Rückſicht auf die ein⸗
tretende Wirkung gleiche.
Proſeſſor Dr. Landsberg -⸗Bonn, ein Ber:
treter der klaſſiſchen Schule, vertrat unter Ab:
lehnung der unbeſtimmten Verurteilung mit Nach—
druck den Gedanken der Proportionalität zwiſchen
Verbrechen und Strafe. Wenn auch die meta—
phyſiſche Vergeltungstheorie ſich überlebt habe, ſo
ſei doch die ſog. ſozialethiſche Verurteilung nur
eine Nuance der Vergeltungsidee. Die unbegrenzte
Verurteilung ſei eine Verwechslung von Irrenhaus
und Zuchthaus, von Medizin und Strafmaßregeln.
Profeſſor Dr. Aſchaſſenburg-Köln hält
die unbeſtimmte Verurteilung geboten bei Er—
wachſenen, bei denen die antiſoziale Geſinnung
ſich mit einem ſtarkem Willen paare und die Ge—
meingefährlichkeit außer Frage ſtehe; dieſe gehören
in Sicherungshaft, bis ſie ihre antiſozialen Triebe
verloren haben, alſo unter Umſtänden zeitlebens.
Desgleichen vertrat Oberſtaatsanwalt von Heſſert—
Darmſtadt den Standpunkt, daß die unbeſtimmte
Verurteilung für gewerbs- und berufsmäßige Ver:
brecher am Plaͤtze ſei.
. Zeicchrift für Rechtspflege in Bayern. 191
E
heit für ſolange zu entziehen, als ihre Gemein⸗
gefährlichkeit dauert. Die Entlaſſung iſt eine
bedingte.
2. Bei Verbrechern, deren Verbrechen auf
Mangel an ſozialer Anpaſſungsfähigkeit beruhen,
iſt die abſolut beſtimmte Strafe durch eine un⸗
beſtimmte zu erſetzen, die nach dem Progreſſiv⸗
Syſteme zu vollziehen iſt.
Zum Schutze der Freiheit des Verbrechers
dienen:
1. Höchſtmaße der Strafe, die von der Ge⸗
fährlichkeit der Tat nicht unabhängig ſein müſſen.
2. Die Zuſammenſetzung der Entlaſſungsbe⸗
hörde, in der unabhängige Richter die Mehrzahl
bilden müſſen.
Die wenigen Gegner der unbeſtimmten Ver⸗
urteilung hatten gegenüber der erdrückenden Majori⸗
tät der Freunde einen ſchweren Stand. Man
wird aber zum mindeſten der Warnung des
Profeſſors van Hamel -Amſterdam, eines An⸗
hängers der unbeſtimmten Verurteilung, vor einem
zu ſchnellen Vorgehen beipflichten müſſen; van
Hamel hält es vorerſt für erforderlich, die An⸗
ſchauungen und Ergebniſſe der wiſſenſchaftlichen
Forſchung im Volke zu verbreiten und eine Aende⸗
rung der allgemeinen Rechtsanſchauungen zu er⸗
zielen. Allein dieſe Forſchungen können wir wohl
kaum ſchon als vollkommen anſehen. In der
Begründung des Vorentwurfs zu einem deutſchen
Strafgeſetzbuch (S. 89 ff.) find die gegen die un⸗
beſtimmte Verurteilung ſprechenden Gründe in einer
wiſſenſchaſtlich ſo gründlichen und überzeugenden
Weiſe dargelegt, daß ihre Wucht durch die Ver⸗
handlungen des Kongreſſes nicht als erſchüttert
angeſehen werden kann. Auch den in Amerika
gemachten Erfahrungen darf ein berechtigtes Miß⸗
trauen entgegengeſetzt werden; in Amerika gibt
es keine Statiſtik über die Führung der entlaſſenen
Verbrecher und Landgerichtspräſident Dr. Enge⸗
len-Zutphen (Holland) konnte in der Diskuſſion
auf Grund feiner eingehenden Studien mitteilen,
daß ſich in Amerika der Erfolg der unbeſtimmten
Verurteilung vielſach als ſehr ſchlecht erwieſen habe.
Ein weites Feld hatte der Kongreß ferner dem
Schutze der jugendlichen Verbrecher
eingeräumt. Das Referat hatte der Generaldirektor
im belgiſchen Juſtizminiſterium Dr. J. Maus
übernommen. Da er verhindert war am Kon-
greſſe zu erſcheinen, wurde ſein Referat verleſen.
Dr. Maus beſaßte ſich zunächſt mit der Be—
trachtung der Straftaten Jugendlicher. Die durch
Kinder begangenen Geſetzesverletzungen unterſcheiden
ſich von denjenigen der Erwachſenen:
Am Schluſſe wurde folgende Reſolution an:
genommen:
1. Vielfach rückfaͤlligen und gewerbsmäßigen
ſchwer gemeingefährlichen Verbrechern iſt die Frei—
a) durch die materielle und objektive Grund—
lage des Verbrechens: die Tragweite der Tat iſt
weniger wichtig als die Gefahr, ein Kind Gewohn—
heits- oder Berufsverbrecher werden zu ſehen. Die
begangene Tat iſt in der Hauptſache das Merkmal
— {nr
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22. 439
einer Situation und für das Geſetz die Veran⸗ Die nichtimbezillen Psychopathen find der
laſſung zum Eingreifen; N Hauptſache nach Degenerierte. Hyſterie iſt auch
b) durch die moraliſche und ſubjektive Grund: beim weiblichen Geſchlecht ſelten. Organiſche Er:
lage des Verbrechens: die perſönliche Verantwort⸗ krankungen des Nervenſyſtems (Fälle von Kinder⸗
lichkeit des Kindes iſt weit geringer, als die Be⸗ lähmungen) und Geiſteskrankheiten finden ſich
einfluſſung durch das Milieu. höchſtens in //.
‚Dr. Maus will die Frage nach dem Unter: Zur Ermittelung der Pſychopathen find er-
ſcheidungsvermögen ausgeſchieden wiſſen; fie jet eine forderlich:
philoſophiſche Frage, die die Aufmerkſamkeit von a) genaue neurologiſch⸗pſychiatriſche Unter⸗
den Tatumſtänden und den geeigneten, dem Kinde ſuchung bei der Aufnahme,
angepaßten Maßnahmen abwende. b) ſyſtematiſche weitere Unterſuchungen in be⸗
Dr. Maus erklärt die gewöhnliche Gefängnis: ſtimmten Zwiſchenräumen,
ſtrafe für entwürdigend und bei Kindern für ver⸗ c) pſychiatriſch geleitete Beobachtungsſtationen
derblich. Wenn es ſich um Kinder handelt, lautet für die bei einfacher Unterſuchung nicht auf⸗
ſein Antrag, ſollen die Zwangsmaßregeln die Form zuklärenden Fälle.
erzieheriſcher Maßnahmen annehmen. Er verlangt Die Behandlung der Pſychopathen iſt ſo zu
dabei, daß die verbrecheriſchen Kinder, die dem ver⸗ regeln, daß die Leichtimbezillen und Degenerierten
derblichen Milieu entzogen werden ſollen, zuerſt eine | ohne unangenehme Charaktereigenſchaften in der
beſtimmte Zeit in einer Beobachtungsanſtalt unter: Fürſorgeerziehung unter Berückſichtigung ihrer
gebracht werden, bevor ſie, je nach ihrer Eigenart, Eigenart bleiben und vor der Entlaſſung, wenn
in beſondere Anſtalten kommen; es ſoll jedoch jo: irgend möglich, entmündigt werden.
weit als möglich der Familienerziehung der Vorzug Die Pſychopathen (Imbezille und Degenerierte)
vor der Internierung gegeben werden. mit unangenehmen Charaktereigenſchaften müſſen
Referent entwickelte ſodann die Anforderungen, in beſonderen Heil und Erziehungsanſtalten für
die er an ein Jugendgericht ſtellt; fie deckten ſich | nicht geiſteskranke, aber pſy bopathiſche Fürſorge⸗
mit den Einrichtungen des Jugendgerichts, wie es be: zöglinge untergebracht werden, in denen der Arzt
reits ſeit Jahren in Bayern beſteht. Von den Be: einen vorherrſchenden Einfluß haben muß.
ſtimmungen, die in Belgien eben zur Ausführung Die geiſteskranken Fürſorgezöglinge find in
kommen, iſt bemerkenswert, daß bei Uebertretungen Irrenanſtalten unterzubringen.
gegen ein Kind weder Gefängnis- noch Gelb: Pſychopathie bei Fürſorgezöglingen ſchließt deren
ſtrafen ausgeſprochen werden dürfen, und daß bei Millitärdienſtfähigkeit aus.
Vergehen die Gefängsnisſtrafe durch Unterbringung Frau Dr. Lombroſo⸗Fererro, die Tochter
in einer Erziehungsanſtalt erſetzt werden kann, Lombroſos, ſprach über das Probationeſyſtem auf
wenn das Kind in unzurechnungsfähigem Zuſtand Grund ihrer in Amerika gemachten Beobachtungen.
gehandelt hat, während anderen Falles dieſe Inter⸗ Sie kam zu dem Er gebnis, daß es bei Jugendlichen
nierung der Gefängnisſtrafe folgt. Die Erziehungs- ſehr gut wirke, daß es aber bei der Ueberwachung
anſtalten tragen den Namen Wohltätigkeitsſchule. der Erwachſenen zu denſelben Mißſtänden führe,
In der regen Diskuſſion wurde beſonders wie die Polizeiaufſicht in Deutſchland.
von den Profeſſoren Ferri und van Hamel, (Schluß folgt.)
ſowie dem Vater des preußiſchen Fürſorgegeſetzes
Geheimrat Dr. Krohne die große Aufgabe be:
ſprochen, das „verbrecheriſche“ Kind und die ver⸗
wilderte Jugend, ſoweit nur immer möglich, dem
Strafgericht und dem Gefängniſſe fernzuhalten. Gefangene der bayeriſchen Gerichtsgefäng⸗
Oberlandesgerichtspräſident Holtgreven-Hamm | gi ; ' iche
beſprach die zahlreichen Urſachen der Zunahme liſſe als land und forſtwirtſchaftliche
des Verbrechertums in Deutſchland und 5 Arbeiter.
vor allem eine energiſche Bekämpfung des Ver⸗ A
brechertums der Jugend; als ſehr geeignet empfahl er PP
die Einrichtung beſonderer Jugendfürſorgeausſchüſſe. I. Der Staat beſchäftigt die Gefangenen aus
Hierauf ſprach Geheimer Medizinalrat Profeſſor einem anderen Grund als der private Unter⸗
nehmer die freien Arbeiter. Dieſer ſtrebt in der
Dr. Cramer⸗Göttingen über die Eigenart und
Behandlung der Fürſorgezöglinge. Bei der Be- Hauptſache nach einem möͤglichſt großen Gewinn,
denkt alſo zunächſt an ſich. Jener verfolgt mit
deutung ſeiner Ausführungen für die freiwillige
Gerichtsbarkeit und das Jugendgerichtsverfahren [der Beſchäftigung hauptſächlich die Zwecke der
ſei das Ergebnis ſeiner ſyſtematiſchen Unterſuchungen [Erziehung und der Beſſerung der Gefangenen und
der Fernehaltung der nachteiligen Folgen, die der
angefügt: 5
Von den Fürſorgezöglingen ſind weit über Müßiggang auch für Gefangene mit ſich bringt.
Dieſer Unterſchied iſt ſchuld daran, daß in den
50 % pſychopathiſch. g
Der größte Teil dieſer Pſychopathen iſt imbezill. Gefängniſſen kein beſonderer Wert darauf gelegt
— —
— — — — —— ⁴ äUä
440
wird, daß möglichſt intenſiv und möglichſt wirt:
ſchaftlich gearbeitet wird. Auf die Einführung
techniſcher Neuerungen wird oft bewußt verzichtet;
die Hauptſache iſt ja, daß überhaupt gearbeitet
wird. Und dem iſt gut ſo! Denn der Staat
ſchafft dadurch der privaten Arbeit keine größere
Konkurrenz als er ihr im Intereſſe ſeiner Ge⸗
fangenen notgedrungen ſchaffen muß.
Wenn dieſe Grundſätze bei der Beſchäftigung
der Gefangenen in den bayeriſchen Gerichtsgefäng⸗
niſſen auch ſtets beobachtet wurden, ſo legten doch
Beſchwerden, die von Handwerkern und Gewerbe⸗
treibenden allerdings nur ganz vereinzelt einge⸗
reicht wurden, in Verbindung mit den lebhaften
Klagen über die Leutenot in der Landwirtſchaft
der Juſtizverwaltung den Gedanken nahe, Ge⸗
fangene der Gerichtsgefängniſſe auf privatem Be⸗
ſitze!) mit land» und forſtwirtſchaftlichen Arbeiten
zu beſchäftigen. Allein die Ausfuͤhrung des Ge⸗
dankens ſtieß auf große Schwierigkeiten.
Zunächſt fehlte es bei den meiſten Gefängniſſen
an einer paſſenden Arbeitsgelegenheit,
namlich an dem Vorhandenſein eines in der Nähe
liegenden größeren Gutes, deſſen Beſitzer imſtande
und geneigt war, Gefangene als Arbeiter aufzu:
nehmen und ihnen längere Zeit hindurch Arbeit
zu bieten. Die Gefangenen müſſen nämlich von
freien Arbeitern getrennt gehalten und bei der
Arbeit gleichzeitig und ſtändig überwacht werden
8 91 Abi. I, 8 95 Abſ. IV HO.). Es geht des:
halb nicht an, ſie an einzelne kleine Landwirte zu
verteilen; dieſen wäre übrigens auch nichts damit
gedient, wenn ſie warten müßten, bis ſie nach⸗
einander an die Reihe kommen. Das Verhältnis
zwiſchen Staat und Arbeitgeber muß durch Ver—
trag nach verſchiedenen Richtungen (Arbeitszeit,
Lohn, Verpflegung, Unfallfürſorge [Geſetz vom
30. Juni 1900] uſw.) ſorgfältig geregelt ſein.
Die Schließung ſolcher Verträge lohnt ſich nicht,
wenn die Beſchaftigung der Gefangenen bei einem
kleinen Landwirt nur einen Tag oder einige Tage
dauert. Die kleinen Landwirte ſind auch gar nicht
geneigt dazu!
Zu dem Mangel an Arbeitsgelegenheit kam
der Mangel an geeignetem Arbeiter material.
Als man darnach ſuchte, zeigte es ſich erſt, daß
ſelbſt in größeren Gefängniſſen oft nur eine ganz
geringe Zahl von Gefangenen vorhanden war, die
ſich zu land- und forſtwirtſchaftlichen Arbeiten
eigneten. Die Unterſuchungsgefangenen ſcheiden
bei dieſen gemeinſchaftlichen Arbeiten von ſelbſt
aus (5 92 Abſ. III HO.). In der Zeit, in der
die Gefangenen den Arbeitgebern zur Verfügung
1) In den Geſängniſſen, in denen der Regiebetrieb
eingeführt iſt (München⸗Stadelheim, Nürnberg, Regens—
burg) werden die zur Zubereitung der Gefangenenkoſt
erforderlichen Gartenfrüchte (Kartoffeln, Kraut, Rüben
uſw.) in den zu den Gefängniſſen gehörenden Gärten
in einem Umfang gebaut, daß der Bedarf in der Regel
in vollem Umfang gedeckt iſt.
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Zeitſchrift Für Rechtspflege in für Rechtspflege in Bayern.! in Bayern. 1911. Nr. 22.
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geſtellt werden ſollen, ſind in der Regel nur
wenige Gefangene aus der land: und forſtwirt⸗
ſchaftlichen Bevölkerung eingezogen, weil in dieſer
Zeit Geſuchen um Strafaufſchub aus baͤuerlichen
Kreiſen ſoweit als möglich entſprochen zu werden
pflegt. Von den Gefangenen, die geeignet wären,
ſcheidet wieder eine ganze Reihe aus: die einen,
weil ſie der Flucht oder der Anbahnung eines
Verkehrs mit Fremden verdächtig find (8 93
Abſ. III HO.); die anderen, weil ſie ſich mit den
Genoſſen nicht vertragen; die anderen, weil ſie arbeits⸗
ſcheu ſind und ſich zur Teilnahme entweder nicht
melden ($ 92 HO.; zur Beſchäftigung außerhalb
des Gefängniſſes iſt bei Gefängnisſträflingen ihre
Zuſtimmung nötig), oder weil ſie ſich nach einer
Beteiligung wieder zu befreien wiſſen. Den Guts⸗
beſitzern kann deshalb für beſtimmte Tage eine
beſtimmte Anzahl von Gefangenen nie garantiert
werden. Sie können dadurch in unangenehme
Situationen kommen, wenn ſie z. B. wegen der
Miete einer Dampfdreſchmaſchine an beſtimmten
Tagen auf eine beſtimmte Zahl von Gefangenen
angewieſen ſind. Gegenüber den freien Arbeitern,
die im eigenen Intereſſe arbeiten, ſteht die Arbeits⸗
leiſtung von Gefangenen in der Regel an Quanti⸗
tät und Qualität zurück; der Arbeitgeber überlegt
ſich ihr Engagement deshalb auch dann, wenn er
für ſie einen geringeren Lohn zu zahlen braucht
als für freie Arbeiter.
Dazu kommen noch weitere Schwierigkeiten:
Wird die Beſchäftigung der Gefangenen mit land⸗
und forſtwirtſchaftlichen Arbeiten zu weit aus:
gedehnt, ſo leiden darunter die im Gefängnis ein⸗
geführten Arbeiten. Das ſollte aber unter allen
Umſtänden vermieden werden, weil dieſe Arbeiten
doch die wichtigeren ſind und weil es ſonſt ein⸗
treten kann, daß nach Ablauf der Erntezeit die
Beſchäftigung der Gefangenen im Gefängnis große
Schwierigkeiten bietet.
Die Notwendigkeit der Beaufſichtigung der
Gefangenen entzieht dem Gefängnisdienſt eine
Arbeitskraft oder macht gar die Aufſtellung eines
Hilfsauſſehers nötig, wodurch erhebliche Koſten ent⸗
ſtehen, die ſich nicht immer von dem Ertrag der
Arbeit decken laſſen.
Werden die Gefangenen im Freien verpflegt,
ſo erwächſt dadurch eine große Arbeitslaſt. Denn
die Verpflegung muß, wenn auch wegen der Schwere
der Arbeit Vergünſtigungen gewährt werden, doch
den Vorſchriften der Koſtordnung nach Maßgabe
des §8 80 HO. entſprechen. Es müſſen alſo ent:
weder die fertigen Speiſen vom Gefängnis an den
Arbeitsplatz verbracht oder es müſſen die Speiſen
vom Gefängnis in rohem Zuſtand mitgenommen
und an Ort und Stelle zubereitet werden. Kehren
die Gefangenen zur Mahlzeit in das Gefängnis
zurück, ſo entſteht ein großer Zeitverluſt.
Viele Gefangene müſſen beſonders gekleidet
werden, weil ſie die Strafen in Sonntagskleidern
antreten.
II. Trotz dieſer Schwierigkeiten iſt es gelungen,
bei ſechs Gerichtsgefängniſſen dauernd und bei
zwei Gerichtsgefängniſſen vorübergehend Gefangene
auf privatem Beſitze mit land- und forſtwirt⸗
ſchaftlichen Arbeiten zu beſchäftigen. Der Anfang
wurde im Jahre 1907 auf Anregung des StM.
der Juſtiz bei dem Gerichtsgefängnis in Eichſtätt
gemacht. Es folgten die Gefängniſſe in Neu⸗
burg a. D. (1908), Ansbach (1909), Weiden
(1909), Regensburg (1909), Landshut (1909),
Paſſau (1910) und Traunſtein (1910). Bei den
Gefängniſſen in Neuburg a. D. und Landshut
mußten die Arbeiten vom Jahre 1910 an wieder
eingeſtellt werden, weil ſich keine Arbeitsgelegenheit
mehr bot. Bei den anderen Gefängniſſen werden
die Arbeiten mit gutem Erfolge fortgeführt. Bei
dieſen Gefängniſſen waren im Jahre 1911 an
etwa 600 Tagen etwa 3200) Gefangene beſchäftiat.
Der Arbeitsertrag beläuft ſich auf etwa 3000 N.
Für jeden Gefangenen werden von dem Arbeit⸗
geber durchſchnittlich 90 J bis 1 . pro Tag ge⸗
zahlt; davon erhalt der Gefangene etwa 20 bis
25 J, der Reſt fließt in die Arbeitsverdienſtkaſſe.
Unzuträglichkeiten haben ſich nicht ergeben; auch
wurden keine Klagen von ſolchen Landwirten laut,
die auf ihrem Beſitze Gefangene nicht beſchäftigten.
Unfall hat ſich einer ereignet, für den der Arbeit⸗
geber der Staatskaſſe jene Auslagen erſetzen muß,
die ihr auf Grund des Geſetzes betr. die Unſall⸗
fürſorge für Gefangene erwachſen (weil die Ge⸗
fangenen keine freien Arbeiter ſind, fallen ſie nicht
unter das Geſetz betr. die land- und forſtwirt⸗
ſchaftliche Unfallverſicherung). Der Arbeitgeber
iſt ſelbſt durch Privatverſicherung gedeckt.
Soweit die Einführung der Arbeiten dank dem
Pflichteifer der Gefängnisvorſtände und des Ge—
fängnisperſonals geglückt iſt, wird die Fortführung
der Arbeiten von den Gefängnisvorſtaͤnden und
den Oberſtaatsanwälten befürwortet, weil die Ar: -
beiten für die Gefangenen von dem größten Nutzen
ſind und der Geſichtspunkt der Konkurrenz der
Gefängnisarbeit mit der freien Arbeit mehr als
bei allen anderen Arbeiten ausſcheidet. Dieſer
Standpunkt iſt nur zu billigen. Nach § 91 HO.
können die Oberſtaatsanwälte die Verwendung von
Gefangenen zu land- und forſtwirtſchaſtlichen Ar⸗
beiten geſtatten. Es wäre ſehr zu begrüßen, wenn
ſie trotz der geſchilderten Schwierigkeiten in die
Lage kämen, dieſe Erlaubnis bei den oben ge—
nannten Gefängniſſen noch in recht vielen Jahren
und außerdem bei vielen neuen Gefängniſſen zu
erteilen.
i) Bei dieſer Zahl iſt jeder Gefangene jo oft mit⸗
gezählt, als er an verſchiedenen Tagen zur Arbeit an—
getreten iſt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
|
441
Mitteilungen aus der Praxis.
Zum Auffſichtsrechte des Vorſtandes der Anwalts:
kammer. Nach 8 49 Ziff. 1 RAO. hat der Vorſtand
der Anwaltskammer „die Aufſicht über die Erfüllung
der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten
zu üben und die ehrengerichtliche Strafgewalt zu hand⸗
haben“. Die letztere Tätigkeit regelt ausführlich der
4. Abſchnitt des Geſetzes, der erſteren gedenkt das
Geſetz nur noch im 8 58 und in dem zugebörigen 8 97
Abſ. 1. Der erwähnte 8 58 gibt dem AKV. gewiſſe
Handhaben, um die nötigen Unterlagen für die Aus⸗
übung des Auſſichtsrechts zu gewinnen, dagegen ſchweigt
das Geſetz völlig über die Art und Weiſe der materiellen
Betätigung des Aufſichtsrechts. Daß ſie in der Rüge
oder Mißbilligung mangelnder Pflichterfüllung be⸗
ſtehen kann, iſt zwar immer noch nicht ganz unbe⸗
ſtritten,) aber doch faſt allgemein anerkannt.“ Weiter⸗
gehende Maßnahmen ſtehen dem AKV. dagegen nach
geltendem Rechte kraft des Aufſichtsrechtes nicht zu,
wenn auch die Mißachtung ergangener Rügen zum
ehrengerichtlichen Einſchreiten führen kann.
Dieſe Rechtslage wird in der Praxis mit Grund
als abänderungsbedürftig empfunden. Es iſt nicht zu
verkennen, daß der Ausſpruch von Rügen oder Miß⸗
billigungen nur ſelten geeignet iſt, auf das Pflicht⸗
bewußtſein der Kammermitglieder in genügend nach⸗
drücklicher Weiſe zu wirken. Von einem ehrengericht⸗
lichen Verfahren läßt ſich ferner ein Erfolg meiſt nur
dann verſprechen, wenn mehrfach die im Aufſichtswege
erlaſſenen Beſchlüſſe nicht beachtet wurden.
Auch vom Standpunkte der Mitglieder aus iſt
die Ausgeſtaltung des Aufſichtsrechts des AKV. nicht
bedenkenfrei. Die RAO. gewährleiſtet den Mitgliedern
kein Recht auf Gehör und verſagt ihnen“) jede materielle
Anſechtung des Mißbilligungsbeſchluſſes. Das iſt in
der Praxis ſchon oft ſchwer empfunden worden und
bedeutet eine Härte, die um ſo ungerechter iſt, als es
ſich doch hier gerade um die leichteſten Verfehlungen
handelt.
Erwägt man, welche neuen Machtmittel dem AKV.
zur Verfügung zu ſtellen ſind, ſo dürfte neben der
geſetzlich zu ſanktionierenden Mißbilligung die Geld⸗
ſtrafe am beſten zur Verwendung geeignet ſein. Sie
hat ſchon jetzt in der RAO. neben der Funktion als
ehrengerichtliche Strafe diejenige eines Zwangsmittels
(8 58) und zwar auch bei Ausübung des Aufſichtsrechts.
Wird der AKV. ermächtigt, kraft des Auſſichtsrechts,
auch abgeſehen von den Fällen des 8 58, eine Geld⸗
ſtrafe feſtzuſetzen, ſo iſt das nur eine ſachgemäße Aus⸗
geſtaltung ſeiner Befugniſſe. Die Geldſtrafe mag zum
Unterſchiede von den ehrengerichtlichen Strafen als
Ordnungsſtrafe bezeichnet werden. Ihr Höchſtmaß
könnte man im Einklang mit § 58 Abſ. 2 RAD. auf
300 M bemeſſen.
Zum Schutze der Kammermitglieder empfiehlt ſich
die Beſtimmung, daß der AKV. vor dem Ausſpruch
einer Mißbilligung oder der Verhängung einer Ord-
nungsſtrafe dem Mitgliede Gelegenheit zur Aeußerung
zu geben hat. Für die Anfechtung der Aufſichtsmaß—
regeln kommt entweder eine Beſchwerde oder das Recht
1) Vgl. AKJahr B. 11, 7 (Beſchluß des OLG. Ham⸗
burg aus dem Jahre 1909).
2) Friedländer, RAO. Anm. 11 zu § 49.
) Vgl. Friedländer, RAO. Anm. 12 zu 8 49.
442
auf Einleitung des ehrengerichtlichen Verfahrens in
Frage.
Das letztgedachte Recht den Mitgliedern zu geben
halte ich nicht für empfehlenswert. Sollte das ehren⸗
gerichtliche Verfahren nur dazu beſtimmt ſein nach⸗
zuprüfen, ob eine Aufſichtsmaßregel angezeigt iſt, ſo
träte zu den beiden Formen des ehrengerichtlichen Ver⸗
fahrens, welche die RAO. bereits kennt, nämlich zu
dem ehrengerichtlichen Strafverfahren und dem ehren⸗
gerichtlichen Zulaſſungsverfahren, eine dritte Form,
das ehrengerichtliche Aufſichtsverfahren. Das wäre
an ſich nicht wünſchenswert, und jedenfalls wäre für
den erſtrebten Zweck der Apparat zu umſtändlich. Be⸗
ſchränkte man das ehrengerichtliche Verfahren nicht
in der gedachten Weiſe, ſo müßte dem Ehrengerichte
ſowohl das Recht zuſtehen, eine Aufſichtsmaßregel als
genügend anzuſehen, als auch die Macht gegeben ſein,
den Vorfall für ehrengerichtlich ſtrafbar zu erachten
und demgemäß eine ehrengerichtliche Strafe zu ver⸗
hängen. Damit hätten wir entgegen den Grundſätzen
des geltenden Rechts ein ehrengerichtliches Straf⸗
verfahren ohne Klage der Staatsanwaltſchaft. Es
würde ſich weiter dann wohl nicht vermeiden laſſen,
dem Beſchluſſe des AK., der eine Aufſichtsmaßregel
verhängt, konſumierende Wirkung hinſichtlich des von
ihm betroffenen Vorfalls auch inſoweit einzuräumen,
als dieſer eine ehrengerichtliche Ahndung ermöglicht.
Hierbei einen Unterſchied zu machen, ob der AKV.
auf Ordnungsſtrafe oder auf Mißbilligung erkannt
hat. wäre ſchwerlich gerechtfertigt. Jene konſumierende
Wirkung den Auſſichtsmaßregeln einzuräumen, er⸗
ſcheint aber doch höchſt bedenklich, vielmehr verdient
die Verneinung ſolcher Wirkung im geltenden Rechte
und die in ihm durchgeführte reinliche Scheidung von
Aufſichts⸗ und ehrengerichtlicher Tätigkeit“) unbedingt
aufrechterhalten zu werden. Befürworten läßt ſich
lediglich die Beſtimmung, daß. wenn der Vorfall,
wegen deſſen eine Aufſichtsmaßregel ergangen iſt,
ſpäter Gegenſtand eines ehrengerichtlichen Strafver—
fahrens wird, in dieſem auf die erlaſſene Auſſichts⸗
maßregel bei Bemeſſung der Strafe Rückſicht zu
nehmen iſt.
; |
Wohl geeignet als Mittel zur Anfechtung der richtskoſten gezahlt hat; denn auch wenn dies nicht
Aufſichtsmaßregeln iſt dagegen eine Beſchwerde. Schon
der 10. deutſche Anwaltstag hatte die Gewährung
einer ſolchen befürwortet und als Beſchwerdeinſtanz
den EGH. in Vorſchlag gebracht.“) Dem iſt durchaus
beizutreten. Dieſe Beſchwerde an eine Friſt, etwa an
eine ſolche von zwei Wochen ſeit der Bekanntmachung
des Beſchluſſes, zu binden, entſpricht wohl dem Intereſſe
an wirkſamer Handhabung des Auſſichtsrechts. Nach
den Beſchlüſſen des 10. deutſchen Anwaltstages ſollte
der EGH. ſtets auf Grund mündlicher Verhandlung
entſcheiden.) Es dürfte indeſſen genügen, dem Be:
ſchwerdeführer das Recht auf Gehör zu geben und
nur für den Fall, daß der EGH. davon abſieht das
Mitglied ſich mündlich äußern zu laſſen, dafür zu
ſorgen, daß dieſes vor ſeiner Anbörung über den ge—
ſamten Akteninhalt unterrichtet iſt.
Es würde ſich nach dem Geſagten die Einſügung
etwa folgender Beſtimmungen empfehlen:
——
in Bayern.
— — e—— — —
— — . [—:—ͤ— ———ů—ů—ß̃·ĩ ͥͤa—.——ß—ß5r¼XQꝗ; ]ſ!ç]ᷣꝑᷓ—ü2—ͤ—ͤñß3ßö5ð—8— — . iͤÄFALññꝛ———'
1911. Nr. 22.
8 49a. Auf Grund des Aufſichtsrechts (8 49
Abſ. 1 Ziff. 1) kann der Vorſtand den Kammer⸗
mitgliedern ſeine Mißbilligung ausſprechen, auch
gegen ſie Ordnungsſtrafen von einer bis zu drei⸗
hundert Mark feſtſetzen. Dem Mitgliede iſt vor⸗
her Gelegenheit zur Aeußerung zu geben.
Gegen den Ausſpruch der Mißbilligung oder
die Verhängung der Ordnungsſtrafe ſteht dem Mit⸗
aliede binnen zwei Wochen von der Mitteilung des
Beſchluſſes die Beſchwerde zu.
Ueber die Beſchwerde entſcheidet der Ehren⸗
gerichtshof nach Anhörung des Beſchwerdeführers.
Wird dieſem nicht Gelegenheit zur mündlichen Aeuß⸗⸗
rung gegeben, ſo ſind ihm vor ſeiner Anhörung die
Akten des Vorſtandes der Anwaltskammer zur Ein-
ſicht offen zu legen. Das gleiche gilt von den durch
die Ermittelungen des Ehrengerichtshofs entitan-
denen Schriftſtücken.
Bildet ein Vorfall, wegen deſſen rechtskräftig
auf eine Mißbilligung oder auf eine Ordnungs⸗
ſtrafe erkannt iſt, den Gegenſtand eines ehrengericht⸗
lichen Verfahrens, ſo iſt bei Bemeſſung der Straſe
auf die Aufſichtsmaßregel Rückſicht zu nehmen.
Im 8 97 Abſ. 1 wäre hinter 63 zu ſetzen: ‚49a.
Landgerichtsrat Dr. Friedländer in Limburg a. L.
ſtoſtenurteil bei Zurücknahme der Klage. Ein eigen:
artiges Problem, das bis jetzt weder in der Theorie
noch in der Praxis erörtert wurde, das aber von
weittragender Bedeutung it, birgt der 8 271 Ill
ZPO. Nach dieſer Beſtimmung iſt der die Klage
zurücknehmende Kläger auf Antrag des Beklagten in
die Koſten des Verfahrens zu verurteilen. Sind jedoch
bereits die Koſten bezahlt, ſo ſteht dem Beklagten
dieſes Recht nicht zu. Denn die Verpflichtung des
Klägers iſt gemäß $ 362 BGB. erloſchen, und ein
ſolches Koſtenurteil würde bewußt etwas Falſches aus⸗
ſprechen: Der Kläger iſt nicht, ſondern er war ver:
pflichtet, die Koſten des Rechtsſtreits zu tragen. —
Unerheblich iſt hierbei, ob der Kläger bereits die Ge—
der Fall iſt, ſo hat der Beklagte doch keinerlei In⸗
tereſſe daran, daß dieſe Verpflichtung des Klägers
durch Urteil ausgeſprochen wird, zumal da der Ge:
richtsſchreiber auch ohne Urteil auf Grund der bloßen
Zurücknahme der Klage die Koſten beizutreiben befugt
iſt. Die Beſtimmung, daß der Beklagte berechtigt iſt,
die Verpflichtung des Klägers urteilsmäßig ausſprechen
zu laſſen, iſt lediglich im Intereſſe des Beklagten ge—
geben, um ihm einen vollſtreckbaren Titel zu verſchaffen,
dieſes Intereſſe fallt aber weg, wenn die Koſten ge⸗
zahlt ſind. !
Auf dieſem Standpunkt ſteht jetzt faſt einhellig die
Praxis (vgl. RG. in Gruchots Beitr. 44, 1189: Rſpr. 17,
) Friedländer. RAO. Anm. 9 zu § 49 und neuer
dings EH. 13, 90 (16. 11. 07).
1) Friedländer, RAO. Anm. 7 zu $ 63.
) JW. 87, 307.
Ja. a. O.
149; 13, 113; 19, 97, 98: 20, 316: Collard in Bay 3fR.
J, 290). Wenn demgegenüber Gaupp-Stein (Bem. zu
8 271: vgl. auch Oegg in Bay ZR. J, 280) unter Be:
rufung auf die Reichsgerichtsentſcheidung in JW.
1) Anders in der Berufungs- und Reviſionsinſtanz,
da hier der Beklagte den Gegner durch Urteil des
Rechtsmittels für verluſtig erklären laſſen kann; hier
muß demnach eine Koſtenentſcheidung getroffen werden.
(SS 515 III, 566 3 O.)
— —— m nn k—
— — . ———— ———
1893, 19 aus Rſpr. 17, 148 der Meinung iſt daß der
Beklagte in jedem Falle das Roitenurteil verlangen
könne, ſo überſieht er, daß dadurch der Kläger in eine
ſehr ſchwierige Lage gebracht wird. Denn der Be⸗
klagte könnte dann auf Grund des Urteils die Feſt⸗
ſetzung der Koſten betreiben, ohne daß im Koſten⸗
feſtſetzungsverfahren der Einwand der Zahlung zu⸗
läſſig wäre (Gaupp⸗Stein Bem. III, 7 zu 8 105) und
auf Grund des Feſiſetzungsbeſchluſſes die Zwangs⸗
vollſtreckung betreiben. Auf 8 767 ZPO. könnte der
Kläger eine Einwandsklage nicht ſtützen, da die Tat⸗
ſache der Zahlung vor dem Schluß der mündlichen
Verhandlung liegt, und es käme höchſtens eine analoge
Anwendung der Beſtimmung inſofern in Frage, als
der Einwand an ſich zwar vor dem maßgebenden
Zeitpunkt entſtanden war, aber (aus formell prozeſſu⸗
alen Gründen) nicht geltend gemacht werden konnte.
Aber auch dann wäre der Kläger in auffälliger Weiſe
benachteiligt, da er auf dieſe Weiſe mit ſeiner Forde⸗
rung in das Nachverfahren verwieſen wird, was dem
Grundſatz des 8 278 I 3 8. widerſpräche. Die
Koſtenpflicht iſt nicht in dem Sinne abſtrakt, daß ſie
ohne Rückſicht auf die Tilgung der Koſtenforderung
in jedem Falle auf Antrag des Beklagten durch Urteil
u werden müßte.
Der ſo gewonnene Grundſatz muß in gleicher
Weiſe Anwendung finden, wenn die Koſtenforderung
nicht bar ſondern durch Aufrechnung getilgt wird;
denn Aufrechnung wirkt unterſchiedslos wie Zahlung
(S 389 BGB.). Die materiellen Vorausſetzungen müſſen
freilich gegeben ſein, werden jedoch auch in der Regel
vorliegen. So muß insbeſondere die Koſtenforderung
enſtanden, und — wenn auch nicht fällig — ſo doch
tilgbar ſein (S 387). Die durch Erlaß des Koſten⸗
urteils ſelbſt entſtehende Forderung des Prozeßbevoll⸗
mächtigten des Beklagten an dieſen und ſomit des Be⸗
klagten an den Kläger kann natürlich nicht in Frage
kommen, da die Notwendigkeit dieſes Urteils wegfällt,
wenn die vor der mündlichen Verhandlung entſtan—
‚denen Koſten getilgt find. Verlangt dann der Be⸗
klagte trotzdem das Koſtenurteil, fo müßte dieſer An⸗
trag zurückgewieſen werden und der Beklagte zur
Tragung der durch dieſe Entſcheidung entſtandenen
Koſten verurteilt werden, eben weil ſein Begehren
ungerechtfertigt war. Man wende dagegen nicht ein,
daß ja auch in einem Verfahren, das einem in der
Hauptſache entſcheidenden Urteil vorausgeht, der Kläger
oder der Beklagte erklären könnte, daß er den Gegner
hinſichtlich ſeines etwaigen Koſtenanſpruchs befriedigt
habe. Denn hier entſteht der Koſtenanſpruch erſt mit
Erlaſſung des Urteils und kann alſo auch nicht vorher
getilgt werden, und weiter iſt nach $ 308 II über den
Koſtenpunkt von Amts wegen zu erkennen.
Wie iſt nun aber zu verfahren, wenn der Beklagte
die Tilgung — ſei es Zahlung, ſei es Aufrechnung —
der Koſtenſchuld beſtreitet? Dieſe Frage iſt in der
Rechtſprechung bisher noch nicht erörtert worden, viel—
mehr betreffen die hierüber ergangenen Entſcheidungen
(ſ. o.) nur den Fall, daß die Höhe der Koſten beſtritten
war, während es ſich hier um die Koſtenpflicht ſelbſt,
alſo gewiſſermaßen den Grund des Anſpruchs, handelt.
Muß in einem ſolchen Falle das Gericht im 9
verfahren die Berechtigung der von dem Vella
gegen die Tilgung vorgebrachten Einwendungen nach—
prüfen? Gegen die Annahme einer ſolchen Prüfungs—
Zeitſchrift für me won in Bayern. 1911. ma 73 44 1911. Nr. 22.
443
der Prozeß auf die Koſtenfrage beſchränken und das
Gericht nicht genötigt ſein ſoll, in langwierige Be⸗
weisaufnahmen einzutreten; dies um jo mehr, als das
ganze „Nachverfahren“ von dem Willen des Beklagten
getragen wird, auf deſſen Antrag erſt die Verhand⸗
lung ſtattfindet. Dieſer Gedanke hat aber nirgends
geſetzliche Sanktion gefunden; auch würde eine ſolche
Abſchneidung der Einwendungen des Klägers mit dem
Grundſatz des 8 278 I 3PO. in auffälliger Weiſe in
Widerſpruch ſtehen, und der Richter würde bewußt
ein möglicherweiſe falſches Urteil ausſprechen, obwohl
er die Klärung des Sachverhaltes in der Hand hätte.
Es kommt noch hinzu, daß der Beklagte trotz tatſäch⸗
licher Tilgung durch ein kategoriſches: „ich beſtreite“
in frivoler Weiſe ein Koſtenurteil erzielen könnte!
Nimmt man aber demnach an, daß die Frage der
Koſtentilgung vom Gericht entſchieden werden muß, ſo
iſt es andererſeits ein Gebot der Konſequenz, dem
Kläger auch zu geſtatten, ſich auf die Aufrechnung der
Koſtenforderung mit der Klageforderung ſelbſt zu be⸗
rufen. Denn da die Wirkung der Rechtshängigkeit durch
die Zurücknahme der Klage mit Wirkung ex tune er-
loſchen iſt, ſo muß ſie für das noch ſchwebende Pro⸗
zeßverfahren für ebenſo fremd angeſehen werden wie
jede andere beliebige Forderung, mit der — wie wir
ſahen — dem Kläger aufzurechnen geſtattet iſt. Daß
die Forderung vielleicht anderweit anhängig gemacht
worden iſt, hindert nicht die Zuläſſigkeit der Aufrech⸗
nung, da die Einrede der Rechtshängigkeit keine Ein⸗
rede im Sinne des 8 390 BGB. iſt.
Da nun der Beklagte regelmäßig das Beſtehen
der zur Aufrechnung geſtellten Forderung beſtreiten
wird, ſo iſt der Richter genötigt, ihr Beſtehen zu
prüfen; es wird alſo der ganze Prozeß aufgerollt,
deſſen Verhandlung durch die Zurücknahme der Klage
vermieden werden ſollte. Dieſes Ergebnis erſcheint
auf den erſten Augenblick befremdlich. Jedoch iſt zu
beachten, daß ja die Verhandlung des Rechtsſtreits
unter einem ganz anderen Geſichtspunkt ſtattfindet
und daß in dem ähnlich liegenden Fall der „Erledi⸗
gung des Rechtsſtreits in der Hauptſache“ ebenfalls
der erledigte Streit der Parteien des Koſtenpunktes
wegen entſchieden werden muß.
Wenn nun — und dadurch wird die Frage weiter
verwickelt — der Kläger, der beiſpielsweiſe bei dem
unzuſtändigen Gericht geklagt hat, bei dem zu⸗
ſtändigen Gericht den Anſpruch klageweiſe geltend
macht, ſo beſteht allerdings die Möglichkeit, daß über
den Anſpruch zweimal entſchieden wird. Hier aber
wird man dem Gericht, bei dem die Forderung auf—
rechnungsweiſe geltend gemacht wird, die Befugnis zu—
ſprechen müſſen, das Verfahren bis zur Erledigung
des anderen Prozeſſes gemäß 8 148 ZPO. auszu⸗
ſetzen. Zwar hat das Reichsgericht mehrfach (JW.
1896, 355; Seuff Arch. 49 Nr. 203; IW. 1894,
61) ausgeſprochen, daß die zur Anwendbarkeit des
8148 ZPO erforderliche „Präjudizialität“ nicht gegeben
ſei, wenn eine aufgerechnete Forderung anderweit an—
hängig gemacht werde. Mit Recht weiſen jedoch dem-
gegenüber Gaupp⸗Stein und Seuffert darauf hin, daß
in einem ſolchen Falle Identität der Anſprüche vor—
liegt und daß dann erſt recht die Ausſetzungsbefugnis
gegeben fein muß (vgl. auch OLG. Hamburg in
Seuff Arch. 50, 220; Dresden in Sächs OLG.
23, 545). Denn Zweck der Beſtimmung des 8 148
pflicht ſpricht allerdings die prozeßökonomiſche Er— | ift es, widerſprechende Entſcheidungen nach Möglich—
wägung, daß ſich nach der Zurücknahme der Klage | keit zu vermeiden.
Auf dieſe Weiſe wird auch das
444
——
unbillig erſcheinende Ergebnis vermieden, daß über
denſelben Gegenſtand zweimal ver handelt wird, und
es iſt nicht nötig, näher darauf einzugehen, inwieweit
vom Standpunkt der gegenteiligen Auffaſſung aus die
eine Entſcheidung auf die andere die Wirkungen der
materiellen Rechtskraft ausübt.
Gerichtsaſſeſſor Dr. Pfeiffer in Breslau.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I
Voransſetzungen für die Rehtmähigteit der Hinter:
leaung (8 372 BGB.). Zum Begriffe der Auslobung (8 657
BGB.). Aus den Gründen: Die Beklagte gab in
vierteljährlichen Abſchnitten Verzeichniſſe ihrer verkaufs⸗
fertigen Grundſtücke heraus, auf denen bemerkt war, daß
ſie Agenten, durch deren Vermittlung Kaufverträge über
ſolche Grundſtücke zuſtandekämen, unter gewiſſen Be—
dingungen nach Auflaſſung der Grundſtücke eine Pro—
viſion von 1% des Kaufpreiſes gewähre. Eines dieſer
Grundſtücke wurde am 25. Juni 1909 um 2500 000 M
verkauft und am 26. Juni 1909 aufgelaſſen. Als Ver:
mittler hatten ſich um den Verkauf anfangs der Kauf—
mann M., ſpäter der Kaufmann F. bemüht. Der letztere
hatte ſeinen Proviſionsanſpruch ſchon am 23. April
1909 an die Klägerin abgetreten. Da ſowohl M. als
die Klägerin 1% Proviſion verlangten, hinterlegte
die Beklagte 25000 M (d. h. 1% des Kaufpreiſes) unter
Verzicht auf das Recht zur Rücknahme und mit der
Begründung, daß ſie ſich gegen eine Doppelzahlung
ſchützen wolle. Die Klägerin beſtreitet die Rechtmäßig—
keit der Hinterlegung und verlangt Zahlung. Das
OLG. verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 25 000 M
nebſt 5% Zinfen vom 8. Juli 1909 gegen Einwilligung
der Klägerin in die Herausgabe der hinterlegten Summe.
Das Berufungsgericht führt aus, die Beklagte wäre
zur Hinterlegung nur dann berechtigt geweſen, wenn
ſie die Proviſion von 1% nur einmal zu bezahlen
gehabt hätte, und verneint die Rechtmäßigkeit der
Hinterlegung, weil M. und F. ſelbſtändige Aufträge
zur Vermittlung erhalten, ihre Tätigkeit auch unab—
hängig voneinander ausgeübt hätten und infolge—
deſſen auch in ihren Proviſionsanſprüchen voneinander
unabhängig ſeien. Ein Rechtsirrtum iſt darin nicht
zu finden. Soll der Schuldner durch die Hinterlegung
von ſeiner Verbindlichkeit nach 8 378 BGB. befreit
werden, ſo muß die Hinterlegung berechtigt geweſen
fein. Nach § 372 Satz 2 BGB. kann der Schuldner
u. a. hinterlegen, wenn er infolge einer nicht auf
Fahrläſſigkeit beruhenden Ungewißheit über die Perſon
des Gläubigers ſeine Verbindlichkeit nicht oder nicht
mit Sicherheit erfüllen kann. Vorausgeſetzt iſt alſo,
daß es ſich um eine und dieſelbe Forderung handelt
und nur über die Perſon des Gläubigers Ungewißheit
beſteht. Dies iſt aber hier nicht der Fall. Um eine
Auslobung nach 8 657 BGB. handelt es ſich nicht.
Sie würde eine öffentliche Bekanntmachung und den
Willen vorausſetzen, ſich ſchon durch die Bekannt—
machung jedem zu verpflichten, der die Bedingungen
erfüllt. Daß eine öffentliche Bekanntmachung erfolgt
ſei, war weder behauptet noch auch nur angedeutet
worden. Ferner iſt auch nicht anzunehmen, daß die
Beklagte Schon mit der Bekanntgabe ihrer Bedingungen
ſich binden wollte. Die Bedingungen konnten daher
nur als Grundlage für den Abſchluß von Mäkler—
verträgen nach 8 652 ff. BGB. dienen, und ein ſolcher
iſt zwiſchen der Beklagten und F., wenn nicht ſchon
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
durch die Ueberreichung des Grundſtücksverzeichniſſes,
ſo doch mindeſtens dadurch geſchloſſen worden, daß
F. auf Grund der ihm bekanntgegebenen Bedingungen
als Vermittler tätig wurde und die Beklagte dieſe
Vermittlertätigkeit entgegennahm. Dem OL. iſt aber
auch darin beizuſtimmen, daß die Proviſionsanſprüche
des M. und des F. voneinander unabhängig ſind. Ein
Abhängigkeitsverhältnis könnte nur beſtehen, wenn
die beiden einen Vermittlungsauftrag gemeinſchaftlich
übernommen oder gemeinſchaftlich ausgeführt hätten.
Das OLG. ſtellt aber feſt, daß M. und F. Ver mitt⸗
lungsaufträge ſelbſtändig entgegengenommen und felb-
ſtändig ausgeführt haben. Da die vermittelnde Tätig⸗
keit des F. zum Zuſtandekommen des Kaufvertrags
mitgewirkt hat, ſo hatte F. die Proviſion von 1%
für ſich ohne Rückſicht darauf zu beanſpruchen, ob
etwa daneben auch M. einen Proviſionsanſpruch hatte.
Handelt es ſich aber um zwei ſelbſtändige Forderungen.
— —— — — —— — — —
— K . —— —
nicht um eine und dieſelbe Forderung, ſo war der
Beklagte zur Hinterlegung nach 8 372 BGB. auch
dann nicht berechtigt, wenn er irrtümlich und ohne
Fahrläſſigkeit der Meinung war, er brauche nur ein»
mal die Proviſion zu bezahlen. (Urt. des III. 33.
vom 8. Juli 1911, III 462/10). — — —ı.
2417
II.
Verpflichtung des Gläubigers zur Erteilung einer
Dnittung. Kaum er nach der Zahlung die Erteilung
deshalb verweigern, weil er noch andere Fates de.
hat, die auf dem nämlichen rechtlichen Berhältniſſe be:
ruhen? Aus den Gründen: Der Kläger hat von
der Beklagten ein Gaſtwirtſchaftsgrundſtück gekauft
und ſich verpflichtet, ſeinen Bierbedarf von der Be—
klagten zu übernehmen. Im Dezember 1906 kündigte
die Beklagte dem Kläger eine Hypothekenſorderung
von 13000 M, die dieſer bei dem Kaufe des Grund—
ſtücks übernommen hatte; ſie klagte die Forderung
ein und erlangte die Verurteilung des Klägers zur
Zahlung von 13000 M. Der Kläger bot der Be:
klagten die Zahlung der Urteilsſumme an, die Be
klagte weigerte ſich aber, die vom Kläger geforderte
Bewilligung zur Löſchung der Hypothek zu erteilen,
wenn der Kläger ihr nicht zugleich den Schaden er—
ſetze, der ihr infolge des Verzuges des Klägers mit
der Rückzahlung des Hyvpothekenkapitals durch die
Notwendigkeit entſtanden ſei, dieſe Summe anderweit
gegen höhere Zinſen zu entleihen, und er ferner die
von ihr erhobenen Anſprüche wegen Zuwiderhandelns
gegen die Bierbezugspflicht und eine weitere aus dem
Vertragsverhältnis ihr angeblich erwachſene N
befriedige. Da der Kläger ſich weigerte, führte die
Beklagte die Einleitung des Zwangsverſteigerungs—
verfahrens herbei. Der Kläger hinterlegte nun die
13000 M nebſt Zinſen und einem Koſtenbetrage, und
erhob Klage mit dem Antrage, die Zwangsvollſtreckung
für unzuläſſig zu erklären und die Beklagte zu ver—
urteilen, daß ſie die Löſchung der Hypothek bewillige
und ihm den Schaden erſetze, der ihm durch die Ver—
weigerung der Annahme der 13000 M und durch die
Beſchlagnahme ſeines Grundſtücks entſtanden iſt. Das
LG. hat die Beklagte verurteilt, das OLG. die Be—
rufung zurückgewieſen. Das OLG. nimmt an, daß der
Kläger berechtigt geweſen ſei, gegen Zahlung der Hy—
pothefenihuld eine Quittung darüber zu fordern,
und zwar gemäß § 368 Satz 2 BGB. in einer Form,
welche die Löſchung der Hyvothek ermöglichte, und
daß die Beklagte die Erteilung einer ſolchen Quittung
auch nicht wegen des etwaigen Beſtehens ihrer anderen
Forderungen habe verweigern dürfen. Insbeſondere
ſtehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht wegen dieſer
Forderungen an der vom Kläger verlangten Löſchungs—
bewilligung nicht zu. Die Verpflichtung der Beklagten
zur Erteilung dieſer Löſchungsbewilligung entſpringe
aus der durch die Tilgung der Pfandſchuld ver—
urſachten Unrichtigkeit des Grundbuchs und der damit
verbundenen Beeinträchtigung des Eigentums am
Pfandgrundſtück, während die angeblichen Anſprüche
auf Schadenserſatz wegen verzögerter Erfüllung des
Darlehens vertrages und auf Vertragsſtrafe wegen Zus
widerhandlung gegen den Bierbezugvertrag aus dem
Vertrage vom 14. Dezember 1906 hergeleitet würden.
Hiernach ſei die vom 8 273 BGB. geforderte Einheit⸗
lichkeit des Verhältniſſes zwiſchen der Verpflichtung
der Beklagten zur Erteilung der Löſchungsbewilligung
und ihren ſonſtigen Forderungen nicht gegeben. Der
Kläger handele auch nicht wider Treu und Glauben,
wenn er ohne Rückſicht auf ſeine Verpflichtungen
gegenüber der Beklagten aus dem Darlehens⸗ und
Bierbezugsvertrage von dieſer die Einwilligung in
die Löſchung der Hypothek verlange. Die Beklagte
ſei daher durch die Weigerung der Quittungsleiſtung
gegenüber der angebotenen Zahlung in Verzug ge⸗
raten. Die Reviſion wendet ſich gegen dieſe Aus-
führungen. Sie rügt die Verletzung der 88 273 und 368
BGB. Wenn auch der Anſpruch auf Quittungserteilung
erſt mit der Zahlung entſtehe, habe er doch ſeine
Grundlage in dem urſprünglichen Schuldverhältniſſe,
hier alſo in den Verträgen, auf denen auch die Gegen:
anſprüche auf Schadenserſatz und Vertragsſtrafe be⸗
ruhen, die Vorausſetzungen des 8 273 BGB. ſeien
alſo gegeben.
Dieſe Rüge iſt nicht begründet. Die Verpflichtung
des Gläubigers, Quittung über die empfangene Zah—
lung zu leiſten, entſteht erſt mit der Zahlung. Die
Zahlung, nicht ſchon der Vertrag, auf dem die ge—
zahlte Forderung beruht, begründet das Schuldver⸗
hältnis, durch das der Gläubiger zur Quittungs—
leiſtung verpflichtet wird. Aus dieſem Schuldverhältnis
aber ergibt ſich, daß dem Gläubiger ein Recht die
Quittungsleiſtung um anderer Forderungen willen
zurückzuhalten auch dann nicht gegeben iſt, wenn dieſe
andern Forderungen mit der gezahlten „aus dem—
ſelben rechtlichen Verhältnis“ entſprungen find. Das
Geſetz gibt dem Schuldner das Recht die Leiſtung
zurückzuhalten, wenn der Gläubiger die Quittung ver—
weigert, weil dieſe Berweigerung gegen Treu und
Glauben verſtößt. Dieſes Zurückbehaltungsrecht des
Schuldners kann der Gläubiger nicht durch die Geltend—
machung anderer Forderungen vereiteln. Der Schuldner
iſt zwar nicht berechtigt, eine einheitliche Schuld in
Teilen zu tilgen; wohl aber, die verſchiedenen Forde—
rungen des Gläubigers, auch wenn ſie aus demſelben
rechtlichen Verhältnis ſtammen, geſondert zu befrie—
digen; er hat die Befugnis, die Schuld zu beſtimmen,
welche er tilgen will, und die Zahlung jeder einzelnen
Schuld gibt ihm das Recht auf die Quittung hierüber
(vgl. 8 366 BGB.). Dieſes Verlangen der Quittungs—
leiſtung verſtößt auch nicht gegen Treu und Glauben,
vielmehr umgekehrt die Weigerung des Gläubigers
dieſe Quittung zu erteilen.
Hieran ändert auch der Umſtand nichts, daß der
Schuldner nach 8 368 Satz 2 BGB. die Quittungs-
leiſtung in einer Form fordern kann, daß ſie ihm
ermöglicht die für die getilgte Forderung beſtellte Hy—
pothek zu löſchen, ſo daß alſo die Quittungsleiſtung
zugleich die Aufgabe des Hypothekenrechtes in ſich
ſchließt. Die Beſtimmung des 368 Satz 2 BBB.
iſt auch in dieſer Beziehung hier maßgebend, weil es
ſich nicht um die dingliche Wirkung der Hppothek,
ſondern um die obligatoriſchen Beziehungen zwiſchen
Hypothekgläubiger und Schuldner handelt. Es ſtehen
dieſer Auffaſſung aber auch die dinglichen Beſtimmungen
des Hypothekenrechts nicht entgegen. Die Anerken-
nung des von der Beklagten in Anſpruch genommenen
Zurückbehaltungrechtes an der Löſchungsbewilligung
für die Hypothek würde vielmehr eine unzuläſſige
Einſchränkung des dem Hyvpothekenrechte zu Grunde
liegenden Satzes der Spezialiät der Hypothek bedeuten.
Urt. des III. 35. vom 7. Juli 1911, III 267/10).
2.118 II.
— — <. .n
Zeitſchrift für Rechtspflege in Wapern. 1911. Mr. 22.
III.
Wer erfährt, daß ſich auf einem Wechſel feine
gefälſchte Unterſchrift befindet, iſt nicht unter allen
Umſtänden verpflichtet, den Wechſelgläubiger auf die
Fälſchung aufmerkſam zu machen, der ihn von der Er:
werbung des Wechſels benachrichtigt hat. Die Klägerin
hat von dem Bauunternehmer BB. zwei von ihm ausgeſtellte,
mit dem Akzept des Beklagten verſehene Wechſel ge—
kauft und hiervon den Beklagten ſofort brieflich benachrich—
tigt. Die Annahmeerklärungen auf den Wechſeln waren
von B. gefälſcht. Der Beklagte und B. haben Schweſtern
zu Frauen. Der Beklagte hat die Mitteilung von dem
Ankauf des erſten Wechſels über 2500 M erhalten,
beſtreitet aber, die zweite Mitteilung erhalten zu haben.
Geantwortet hat er der Klägerin nicht. Die Wechſel
wurden nicht eingelöſt, die Wechſelklagen der Klägerin
gegen den Beklagten abgewieſen. B. iſt in Konkurs
geraten und wegen Wechſelfälſchnng beſtraft worden.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus 8 826 BGB.
auf Erſatz der Wechſelſummen, der Wechſel⸗- und der
Wechſelprozeßkoſten in Anſpruch, iſt aber von beiden
Vorinſtanzen abgewieſen worden. Zu der Frage, ob
der Beklagte durch ſein Schweigen auf die Mitteilung
gegen die guten Sitten verſtoßen habe, führt das RG.
aus: „Es gibt Handlungen und Unterlaſſungen, die
ohne weiteres den guten Sitten widerſtreiten. Dazu
gehört jedoch nicht das Schweigen auf eine Mitteilung,
wie ſie dem Beklagten zugegangen iſt. Niemandem
kann es verübelt werden, geſchweige zum ſittlichen
Tadel gereichen, wenn er einen andern wegen des
Mißbrauchs ſeiner Unterſchrift nicht dem Strafrichter
ausliefern und dadurch ſich ſelbſt Verdrießlichkeiten,
mindeſtens Unbequemlichkeiten zuziehen will. Er kann
auch, wenn es ſich um eine Wechſelfälſchung handelt,
ſehr wohl des Glaubens ſein, daß der Fälſcher den
Wechſel einlöſen könne und werde, oder daß nichts
von ihm zu holen ſei, dem Wechſel inhaber alſo auch
eine Benachrichtigung von der Fälſchung nichts helfe.
Von einer Sittenwidrigkeit durch das Unterlaſſen
ſolcher Benachrichtigung wird daher — unter geeigne—
ten Umſtänden — nur dann die Rede ſein können,
wenn ſich damit der Vorſatz der Schädigung im Sinne
des 8 826, mindeſtens alſo das Bewußtſein des ſchäd⸗
lichen Erfolgs verbindet. Dies hat das Berufungs-
gericht verkannt; denn es verneint, wie erwähnt, daß
die Schädigung durch den zweiten Wechſel von dem
Beklagten vorſätzlich begangen worden ſei, und läßt
auch hinſichtlich der Schädigung durch den erſten
Wechſel dahingeſtellt, ob der Beklagte das Bewußtſein
gehabt habe, daß ſein Schweigen es der Klägerin
unmöglich machen werde, noch ſchnell und erfolgreich
gegen B. vorzugehen. (Urt. des VI. ZS. vom 6. Juli
1911, VI 430/10).
2414
———ı
IV.
Unfall beim Nodelſport. Zuläſſige Fahrgeſchwindig⸗
keit des Nodlerd. „Leuker“ und „Bremſer“. Kann die
Stadtgemeinde haftbar gemacht werden, weil ſie das
Rodeln in einer belebten Straße nicht verboten hat?
Kann ſich die Haftung aus der Pflicht zur Unterhaltung
der Straße oder aus unzulänglicher Handhabung der
Polizeigewalt ergeben? Aus den Gründen: 1. Be⸗
züglich der Fahrgeſchwindigkeit hat die Reviſion darauf
hingewieſen, daß der Zweck von Schlittenfahrten eben
in der Erreichung der größtmöglichen Geſchwindigkeit
beſtehe und daß, wenn an der Unfallſtelle überhaupt
der Rodelſport ausgeübt werden durfte, auch ſo ſchnell
als möglich gefahren werden durfte. Dieſe Einwen—
dung wird dem Sinn und Zuſammenhang der Ur—
teilsbegründung nicht völlig gerecht. Das OLG. ſagt
nicht, der Sportfahrer dürfe nicht und niemals ſo
raſch fahren, daß er nicht jederzeit den Schlitten
anhalten und beiſeite führen könne. Vielmehr geht
das OLG. davon aus, daß der Beklagte ſich einer
446
größeren Zuſchauermenge gegenüberſah, die die Fahr⸗
bahn ſäumte und, wie er ſelbſt ſah, ſich ungeſchickt
und unachtſam benahm, und daß er nach den im ein⸗
zelnen angeführten Umſtänden (Unebenheiten, Gefahr
des „Schlenferns ꝛc.“) habe fürchten müſſen, auch bei
geringer Abweichung von der Bahn Perſonen anzu—
jahren. Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
hierauf ſeine Annahme eines Verſchuldens des Be⸗
klagten H. gegründet.
weiteres aber auch aus der Feſtſtellung der über⸗
mäßigen Fahrgeſchwindigkeit in Verbindung mit der
Ein ſolches ergibt ſich ohne
Tatſache, daß die Fahrt ſich bis in den bewohnten
Ortsteil hinein erſtreckt hat. Darnach iſt der Beklagte
einer Uebertretung, und zwar einer mindeſtens fahr—
läſſigen Uebertretung des 8 366 Nr. 2 StGB. ſchuldig
und haftet für den dadurch verurſachten Schaden auf
Grund des 8 823 Abſ. 2 BGB. Ohne Rechtsirrtum
hat auch das Berufungsgericht angenommen, daß der
Beklagte H. als Lenker des Schlittens für die ganze
Fahrt verantwortlich ſei. Für unzulängliches Bremſen
kann auch der Bremſer (ein Mitfahrer) verantwortlich
ſein, aber nach der feſtgeſtellten Sachlage nur neben
dem Beklagten, der ſeine Verantwortlichkeit nicht auf
jenen abwälzen kann. Daß etwa eine vom Beklagten
erteilte Weiſung zum Bremſen nicht befolgt worden
wäre oder dgl., iſt nicht behauptet worden. Auf
den Beweis dafür, daß den Bremſer H. die Schuld am
Unfall treffe, konnte es daher nicht ankommen, weil
nicht mehr behauptet und unter Beweis geſtellt iſt, als
daß, was unſtreitig geblieben iſt, H. nicht gebremſt
hat: dieſer Umſtand allein kann den Lenker der Fahrt
nicht entlaſten.
2. Die Reviſion der beklagten Stadtgemeinde iſt
begründet. Deren verantwortliche Organe hätten nach
Anſicht des Berufungsgerichts, weil die Stadtgemeinde
für die Verkehrsſicherheit ihrer Straßen zu ſorgen
Verkehrenden erſtreckt werden, ſoweit damit eine Ge⸗
fährdung des übrigen Verkehrs verbunden iſt. Ein
Einſchreiten gegen derartige Verkehrsgefährdungen kann
nicht mehr aus der Verpflichtung zur Unterhaltung
des Weges oder der Straße gefolgert werden. bei der
doch im weſentlichen an die Erhaltung des Straßen⸗
körpers in verkehrsſicherem Zuſtand gedacht iſt. Gegen
das verkehrsgefährliche Verhalten einzelner Perſonen
auf öffentlicher Straße einzuſchreiten, iſt vielmehr
Sache der Polizei, die inſoweit mit den Mitteln obrig:
keitlicher Zwangsgewalt die öffentliche Ordnung auf:
rechtzuerhalten berufen iſt. Nach Lage der Sache kann
es nun zweifelhaft fein, ob nicht mit dem Klagvor⸗
bringen richtig verſtanden der Stadtgemeinde, der die
Verwaltung der Ortspolizei übertragen ift, eine un:
habe, nicht dulden dürfen, daß die Schlittenfahrten ſich,
wie geſchehen, in einen mindeſtens teilweiſe bebauten
und dem Verkehr freigegebenen Teil der Stadt er—
ſtreckten: man habe damit rechnen müſſen, daß ſich
mindeſtens an Sonntagnachmittagen bei derartigen
Gelegenheiten in der Unfallgegend ein ſolcher Verkehr
und eine ſolche Menſchenanſammlung entwickeln werde,
daß leicht Unfälle vorkommen könnten, und die ge—
botene Sorgfalt hätte erfordert, daß die zur Verhütung
derartiger Unfälle geeigneten Maßnahmen getroffen
worden wären, wie ſie in der Folge in der Tat ge—
troffen worden ſeien. Die Reviſion beſtreitet, daß die
angenommene Haftung der Stadtgemeinde auf dieſe
Erwägungen gegründet werden könne: nicht ein ver—
kehrswidriger Zuſtand der Straße habe den Unfall
verſchuldet, ſondern das Treiben der Schlittenfahrenden
auf der Straße. Nur in jener, nicht auch in dieſer
Richtung könne der Stadtgemeinde als der zur Unter—
haltung der Straßen Verpflichteten eine Verletzung ihr
obliegender Rechtspflichten zur Laſt gelegt werden, die
zudem nur gegenüber verkehrenden Perſonen, nicht
gegenüber den Zuſchauern einer Sportübung beitanden
hätten. Soweit die Ausführungen des OLG. erkennen
lajien, will es die Haftung der Stadigemeinde auf den
in der Rechtſprechung des Reichsgerichts vielfach an—
erkannten Satz ſtützen, daß, wer auf einem Grundſtück
einen Verkehr für Menſchen in mehr oder weniger
allgemeiner Art eröffnet, auch für die Verkehrsſicher—
heit zu ſorgen hat, ſo die Gemeinde für die Verkehrs—
ſicherheit der Ortsſtraßen Dieſe Verkehrsſicherungs—
pflicht umfaßt nach der Rechtſprechung im einzelnen
die Inſtandhaltung des Pflaſters oder ſonſtigen Be—
lags, die Anbringung von Geländern oder ſonſtigen
Verwahrungen an Brücken und Abhängen, Beleuchtung
bei Dunkelheit, Beſtreuung bei Glätte, auch die An—
ordnung von Sicherungsmaßregeln bei
öffentlicher Arbeiten auf den Straßen. Dagegen kann
dieſe Verkehrspflicht der Gemeinde nicht ohne weiteres
auch auf das Tun und Treiben der auf der Straße
zulängliche Handhabung der Polizeigewalt insbeſondere
um deswillen zum Vorwurf gemacht wird, weil ſie es
unterlaſſen habe, die in der Folge ergangenen Polizei⸗
vorſchriften gegen das Rodeln früher zu erlaſſen. Auch
unter dieſem Geſichtspunkte würde ſich eine Schadens⸗
haftung der Stadtgemeinde ergeben können, weil für
Schädigung Dritter durch Ausübung oder Nichtaus⸗
übung öffentlicher Gewalt durch die damit betrauten
Beamten die im BGB. beſtimmte Verantwortung an
Stelle des Beamten die Gemeinde trifft. In den hier⸗
nach ſich ergebenden Richtungen hat das Berufungs⸗
gericht keine Erwägungen angeſtellt, weder über die
landesgeſetzlichen Vorausſetzungen dieſer Haftung noch
auch über die des 8 839 BGB., insbeſondere die darnach
zu beachtende Subſidiarität dieſer Haftung. Es war
daher geboten, die Sache zur erneuten Prüfung unter
dieſem anderen rechtlichen Geſichtspunkt an das Be:
rufungsgericht zurückzuverweiſen. (Urt. des VI. 38.
vom 6. Juli 1911, VI 326/10). — — — n.
2413
V
Hat das Vormundſchaftsgericht bei der Ermittelung
des Erjeugers eines unehelichen Kindes mitzuwirken!
Das Dienſtmädchen St. hat am 22. April 1910 außer
der Ehe Zwillinge geboren. Als den Erzeuger be-
zeichnet ſie einen Mann, den ſie in Geſellſchaft eines
ſeiner Freunde an ihrem damaligen Wohnorte in D.
kennen gelernt haben will und der ſich ihr gegenüber
für einen „Kommis O. B.“ ausgegeben haben ſoll.
Die Ermittelungen haben ergeben, daß es einen Mann
Vornahme
dieſes Namens nicht gibt. Als der Freund, der von
dem fortgeſetzten Verkehr der Mündelmutter mit dem
Erzeuger Kenntnis haben ſoll, wurde jedoch der Poſt—
aſſiſtent E. B. in D. ſeſtgeſtellt. Alle weiteren Nach⸗
forſchungen, insbeſondere auch die Bemühungen eines
damit beauftragten Deteftivs ſchlugen fehl. Auf An»
trag des Vormundes hat hierauf die Vormundſchafts—
behörde in H. an das Amtsgericht in D. das Erſuchen
gerichtet, den B. als Zeugen darüber zu vernehmen,
wer Erzeuger der Kinder St ſei. Das Amtsgericht
in D. ließ B. auf das Gericht beſtellen. Er wurde
von einem Gerichtsſchreiber vernommen, erklärte jedoch.
daß er nicht imſtande fei, den Vater der Kinder zu
nennen. Auf weiteren Antrag des Vormundes wieder⸗
holte die Vormundſchaftsbehörde das Erſuchen um
Zeugenvernehmung und verlangte zugleich die Bes
eidigung des B. Das Amtsgericht hat dieſes Erſuchen
abgelehnt. Die Vormundſchaftsbehörde trug auf Ent—
ſcheidung des OLG. an. Dieſes hat die Ablehnung
für begründet erklärt. Hiergegen hat die Vormund—
ſchaftsbehörde Beſchwerde an das Reichsgericht erhoben.
Die Beſchwerde wurde nach SS 2, 194 Abſ. 1850.
i. V. mit 8 160 GWG. für zuläſſig erklärt, aber ver—
worfen.
Gründe: Allerdings hat das Vormundſchaſts—
gericht den Vormund nicht nur zu beaufſichtigen,
ſondern ihn auch auf fein Anſuchen in feiner Täligkeit
zu unterſtutzen. Die Machtmittel des Staates ſtehen
ihm jedoch nur inſoweit zur Verfügung, als es ſich um
eine unmittelbar zu feinem eigenen Geſchäftskreiſe ge⸗
hörende Angelegenheit handelt. Die Ermittelung des
Erzeugers bevormundeter unehelicher Kinder iſt nicht
Sache des Gerichts, ſondern eine dem Vormunde zu⸗
fallende Aufgabe. Kommt der Vormundſchaftsrichter
auf Bitten des Vormundes dieſem zu Hilfe, ſo iſt dies
zwar an ſich zuläſſig, und wenn die Selbſtändigkeit des
Vormundes gewahrt bleibt, unterliegt es auch nur
dem eigenen pflichtmäßigen Ermeſſen des Richters,
wie weit er im Geſchäftsbereiche des Vormundes mit
ſeiner Unterſtützung zu gehen hat. Die Unterſtützung
darf jedoch in ihrer Art nicht darauf hinauskommen,
daß mittelbar die ſtaatshoheitliche Gewalt dem Vor⸗
munde zur Handhabe für eine bürgerliche Geſchäfts⸗
tätigkeit dient. Damit verbietet ſich die Anwendung
des Zeugniszwanges bei bloßen Vorermittelungen, die
dazu beſtimmt ſind einen außerehelichen Geſchlechts⸗
verkehr zwiſchen der Mündelmutter und einem einſt⸗
weilen unbekannten Manne feſtzuſtellen und einen
Anhalt zur Erhebung von Anſprüchen der Kinder
gegen ihn darzubieten. Zu derartigen Maßregeln iſt
das Vormundſchaftsgericht gemäß 83 12, 15 GG. nur
aus Anlaß ſolcher Feſtſtellungen und Entſcheidungen
befugt, die dem gerichtlichen Zuſtändigkeitsbereich aus⸗
ſchließlich angehören. Das Amtsgericht in D. hat
hiernach mit Recht dem Erſuchen der Vormundſchafts-
behörde in H. nur inſoweit entſprochen, als es den
Poſtaſſiſtenten B. über ſeine Wiſſenſchaft befragen
ließ. Eine eigentliche Zeugenvernehmung und die Be—
eidigung des B. war dagegen im Hinblick auf den Zweck
der Ermittelung ſowohl der Vormundſchaftsbehörde
ſelbſt als auch dem erſuchten Gerichte verboten. Die
Ablehnung des darauf gerichteten Erſuchens entſprach
dem 5 159 Abſ. 2 GVG. (Beil. des IV. 3S. vom
29. Juni 1911, IV B 3/11).
2421
-—— n.
VI.
Als Zurücknahme des Rechtsmittels i. S. des 5 46
SRG. kann auch eine Erklärung der Partei gelten, die
nicht den Vorſchriften der 3D. entſpricht. Aus den
Gründen: In dem Verhandlungstermin am 4. Mai
1910 find die Parteien nicht erſchienen. Der Prozeß⸗
bevollmächtigte der Klägerin hat in der Eingabe vom
18. Februar 1910 erklärt, daß er in dem Termin nicht
auftrete. Nach Mitteilung der Gerichtskaſſe zu A.
hat die Reviſionsklägerin der Gerichtskaſſe gegenüber
erklärt, daß ſie ihren Anwalt beauftragt habe die Re⸗
viſion zurückzunehmen. Ferner hat die Gerichtskaſſe ein
an ſie gerichtetes Schreiben des Prozeßbevollmächtigten
der Reviſionsklägerin 1. Inſtanz überſendet, worin
angezeigt wird, daß Rechtsanwalt Sch. feinen Ver-
treter vor dem Reichsgericht angewieſen habe, die Re⸗
viſion zurückzunehmen. Darnach hat die Reviſions⸗
klägerin nicht nur ſeit längerer Zeit den Willen gehabt
die Nevifivn zurückzunehmen, ſondern dieſen Willen
auch dem Reichsgerichte gegenüber jetzt genügend aus⸗
gedrückt.
3 PO. die Reviſion bei der mündlichen Verhandlung
oder durch Zuſtellung eines Schriftſatzes zurückge—
nommen. Jedoch regeln dieſe Vorſchriften nur das
Rechtsverhälinis der Parteien untereinander. Nach
81 G. ſollen die Gebühren und Auslagen der Ge—
richte „nach Maßgabe dieſes Geſetzes“ erhoven werden,
und im 8 46 Abſ. 1 GKG. iſt nicht beſtimmt, daß
dieſe Gebührenvorſchrift bei der Zurücknahme eines
Rechtsmittels nur dann anzuwenden ſei, wenn die
nach der ZPO. erforderlichen formellen Voraus—
ſetzungen für die Zurücknahme erfüllt ſeien. Daher
ZBeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
1
Allerdings wird nach 88 515 Apſ. 2, 566
genügt zur Anwendung des 8 46 Abſ. 1 GKG. für |
das Verhältnis des Rechtsmittelklägers zur Staats—
kaſſe eine jede dem Rechtsmittelgerichte gegenüber ab—
447
B. Strafſachen.
I.
Iſt das Gericht an die Ausſage einer beeidigten
Zeugin gebunden, daß fie die Verlobte des Angeklagten
ſei? Wie das Protokoll über die Hauptverhandlung
dartut, hat die Zeugin Z. bei Beginn ihrer Vernehmung
erklärt, daß fie zu dem Angeklagten in keinerlei Be⸗
ziehungen ſtehe. Als ſie ſodann beeidigt war, gab ſie bei
der Ermittelung ihrer perſönlichen Verhältniſſe an, ſie
betrachte ſich als die Verlobte des Angeklagten, laſſe
ſich aber vernehmen. Das Gericht iſt auf Grund der
über dieſe Behauptung beſonders angeordneten Bes
weisaufnahme zu der Annahme gelangt, daß nur ein
Liebesverhältnis beſtehe. Daraufhin iſt ihre eidliche
Vernehmung erfolgt, wobei fie gemäß 8 54 StPO.
belehrt wurde, letzteres, wie zu unterſtellen iſt, aus
dem Grund, weil die von ihr zu erwartenden Ausſagen
ihre ſtrafgerichtliche Verfolgung wegen Uebertretung
des & 361 Ziff. 6 StGB. nach ſich ziehen konnten.
Dieſes Verfahren iſt rechtlich nicht zu beanſtanden.
Insbeſondere ſind die Bemängelungen des Verteidigers
unzutreffend, das Gericht ſei, was den Beſtand des
Verlöbniſſes betreffe, im Hinblick auf 8 55 StPO. an
die eidliche Ausſage der Z. gebunden geweſen. Denn
eine beſondere eidliche Verſicherung i. S. dieſes Para⸗
graphen, die zu dem ausſchließlichen Zweck abgenommen
wurde, um das Zeugnisverweigerungsrecht glaubhaft
zu machen, wurde von der Z. nicht verlangt. Sie hat
den allgemeinen Zeugeneid geleiſtet und das Gericht
war deshalb nicht gehindert, auf Grund des Ergeb—
niſſes der Beweiserhebung darüber zu entſcheiden, ob
ein Verlöbnis vorlag. In ſeinen Erwägungen, die
zur Verneinung dieſer Frage führten, tritt ein Rechts⸗
irrtum nicht zutage. Lag aber ein Verlöbnis nicht
vor, ſo entfiel die Befugnis der Zeugin die Auskunft
auf Fragen zu verweigern, deren Beantwortung dem
Angeklagten als ihrem angeblichen Verlobten die
Gefahr ſtrafgerichtlicher Verfolgung hätte zuziehen
können. Außerdem iſt die Behauptung der Verteidigung
unzutreffend, daß auch über das im 8 54 StPO. ge⸗
währte Recht ſich der Zeugnispflicht in beſtimmten
Punkten zu entziehen eine Belehrung hätte ſtattfinden
müſſen. Eine ſolche iſt nur für die Fälle des 8 51
StPO. vorgeſchrieben. (Urt. des I. StS. vom 12. Juni
1911, 1D 502/1911). E.
2364
II.
1. Berleſung von Briefen in der Hauptverhand⸗
lung; Feſtſtellung des Zwecks der Verleſung im Pro⸗
totoll? Begründung einer auf die Unzuläſſigkeit einer
Berleſung ſich ſtützenden Reviſion. 2. Schwurgericht⸗
liche Frageſtellung: Bezeichnung des Tatorts. 1. Daß
Briefe als Urkunden nach $ 248 StPO. zum Beweiſe
der Tatſache ihres Vorhandenſeins und ihres Inhalts
verleſen werden dürfen, wird von der Reviſion nicht
beſtritten. Sie behauptet aber, die Verleſung der
Briefe ſei in der Hauptverhandlung unter Verletzung
des 3 249 SPD. erfolgt, weil durch fie die Ver⸗
nehmung von Perſonen, deren Wahrnehmungen die
Briefe enthalten hätten, habe erſetzt werden ſollen.
Näheres wird in dieſer Richtung nicht angegeben;
die Reviſion meint vielmehr nur, die Richtigkeit ihrer
Behauptung folge aus der Bezeichnung der Briefe
als Beweismittel und aus dem Mangel einer Feſt—
ſtellung im Sitzungsprotokoll, daß die Verleſung nur
zum Nachweis des Vorhandenſeins der Urkunden er—
folgt ſei. Die Haltloſigkeit dieſer Schlußfolgerung
liegt auf der Hand. Da Briefe prozeßrechtlich Be—
weismittel ſein können, ſo können ſie auch als Be—
gegebene Erklärung des Rechtsmittelklägers, aus der
erhellt, daß die Rechtsmittelinſtanz beendet fein ſoll.
(Beſchl. des V. ZS. vom 12. Juli 1911, V 384.09).
2420 — — == n.
weismittel bezeichnet werden, ohne daß daraus ein
Schluß im Sinne der Reviſion zu ziehen iſt. Den
Zweck der Verleſung von Briefen im Sitzungsproto—
kolle feſtzuſtellen, iſt prozeßrechtlich nicht unbedingt
448
geboten, wie der II. StS. des RG. in feinem Urteil
vom 15. Dezember 1905 (Entſch. 38, 254) unter teil⸗
weiſem Aufgeben feiner früheren Anſicht (Entſch. 31,
407) nachgewieſen hat. Mangels einer ſolchen Ver⸗
pflichtung muß beim Fehlen gegenteiliger Anhalts—
punkte davon ausgegangen werden, daß vorſchrifts⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911.
|
t
l
mäßig verfahren worden und die Verlefung der Briefe
nur zu dem prozeßrechtlich zuläſſigen Zwecke erfolgt
ift.
einzelnen Beziehungen die Briefe zu dem von ihr be-
haupteten Zwecke verleſen ſein ſollen. Das iſt unter⸗
blieben und inſofern hat die Reviſion auch der Vor⸗
ſchrift des § 384 Abſ. 2 Schlußſatz StPO. nicht genügt
(Entſch. 33, 356). 2. Bei der Frageſtellung nach 8 293
StPO. liegt es im Ermeſſen des Vorſitzenden und des
Gerichts, über die Bezeichnung der Umſtände zu be⸗
finden, die zur Unterſcheidung der Tat erforderlich
ſind. Die Nichtbezeichnung des Tatorts könnte nur
dann mit Grund beanſtandet werden, wenn dadurch
die ſtrafrechtliche Verfolgbarkeit der Tat in Zweifel
geſtellt würde. Das iſt aber im vorliegenden Falle
ausgeſchloſſen, da es nach 8 4 Abſ. 2 Nr. 1 StGB.
für die ſtrafrechtliche Verfolgbarkeit von Münzver—
brechen gleichgültig iſt, ob ſie im Inland oder im
Ausland, von Inländern oder von Ausländern be—
gangen find. (Urt. des I. StS. vom 18. Mai 1911,
1 D 432/1911). E.
2366
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Wie weit darf das Fideikommißgericht den Fidei⸗
kommißbeſitzer in der Befugnis zur Empfangnahme und
Anlegung des Kauſpreiſes für veräußerte Beſtandteile
des Fideikommißgutes beſchräuken? (VII. Verf.⸗Beil.
85 44, 70, 71, 72). Graf von IJ. hat als Beſitzer des J'ſchen
Familienfideikommiſſes laut notarieller Urkunde vom
8. März 1911 zum Fideikommiſſe gehörende Grundſtücke
um 6400 M an S. verkauft. Der Kaufpreis wurde
ſofort gezahlt. Durch die Urkunden vom 11. Mai 1911
verkaufte der Fideikommißbeſitzer zwei zum Fideikommiſſe
gehörende Grundſtücke um 4357 M 50 Pf und um
32000 M an die Stadtgemeinde A. Vereinbarungs—
gemäß ſollen die Kaufpreiſe gezahlt werden, ſobald
die Grundſtücke hypotheken- und laſtenfrei im Grund—
buch umgeſchrieben ſind. Das OLG. ſtellte am
31. Mai die fideikommißgerichtliche Genehmigung des
Vertrags vom 8. März in Ausſicht, verlangte jedoch,
daß vorher „der Nachweis über die Einzahlung des
Kaufpreiſes zu 6400 M bei der Hauptbank Nürnberg
erbracht werde“. Durch eine Entſchließung vom
21. Juni verſagte das Fideikommißgericht dem Ver—
trage die Genehmigung, weil der Fideikommißbeſitzer
entgegen der Anordnung vom 31. Mai und unter Ver—
letzung des § 49 FidE. über den in den Fideikommiß—
verband getretenen Kaufpreis verfügt habe. Ferner
wurde ausgeſprochen, daß die Kaufverträge vom
11. Mai nur dann genehmigt werden, wenn durch
Nachtragsurkunden vereinbart wird, daß die Zahlung
an die Hauptbank Nürnberg zu dem Fideikommiß—
depot erfolgt. Der Fideikommißbeſitzer legte Beſchwerde
ein und brachte u. a. vor, daß er die 6400 1 bei einer
Volksbank angelegt und hiervon dem R. gegen die
zugeſicherte hypothekariſche Sicherung 3000 M geliehen
habe. Das Oberſte Landesgericht hob die Entſchließung
vom 21. Juni auf und wies das Ox. an die drei
Verträge zu genehmigen.
Gründe: Unrichtig iſt die Auffaſſung, daß der
Käuſer eines zum Fideikommiſſe gehörenden Grund—
ſtücks noch vor der fideikommißgerichtlichen Geneh—
Es wäre Sache der Reviſion geweſen, beſtimmte
tatſächliche Angaben darüber zu machen, in welchen
r. 22.
— — — — —
—— ——
migung die Erfüllung des Vertrags im Prozeßwege
beanſpruchen kann. Ein ſolcher Vertrag iſt ohne die
Genehmigung des Fideikommißgerichts nichtig und
unwirkſam. Ferner iſt es nicht zuläſſig, daß der
Fideikommißbeſitzer bei der Veräußerung eines Fidei⸗
kommißgrundſtücks den ihm ausgehändigten Kaufpreis
als ſein Eigentum betrachtet und behandelt und ihn
auf ſein eigenes Kontokorrent anlegt. Der Fidei⸗
kommißbefitzer empfängt den Kaufpreis nicht für ſich,
ſondern als Beſitzer des Fideikommiſſes und für dieſes.
Der Kaufpreis geht in das Vermögen des FJidei⸗
kommiſſes über, wie auch nach der Anlegung des
Geldes die Schuldbriefe gemäß § 43 Nr. 2 Fidc. auf
den Namen des Fideikommiſſes als Gläubiger geſtellt
werden. Dafür, daß der dem Fideikommißbeſitzer aus⸗
gehändigte Kaufpreis nach 8 68 FidE. zum Beſten des
Fideikommiſſes verwendet wird, iſt der Fideikommiß⸗
beſitzer ſtraf⸗ und zivilrechtlich verantwortlich. Leiht
der Fideikommißbeſitzer einen eingezogenen Kaufpreis
auf Hypothek aus, ohne daß das Fideikommißgericht
dieſe Anlegung genehmigt hat, ſo handelt er auf
eigene Wag und Gefahr. Findet das Fideikommiß—
gericht, daß die von dem Fideikommißbeſitzer einſeitig
vorgenommene Anlegung des Geldes nicht die genügende
Sicherheit bietet, dann hat es nach §S 70 Zwangs⸗
maßnahmen anzuwenden, z. B. die Zinſen aus den
gerichtlich hinterlegten Wertpapieren einzubehalten.
Das Fideikommißgericht wird aber, von den Fällen
abgeſehen, in denen der Käufer und der Fideikommiß⸗
beſitzer zum Nachteile des Fideikommiſſes zuſammen⸗
wirken, in der Regel keine Veranlaſſung haben, dem
Kaufvertrage nur deshalb die Genehmigung zu ver:
ſagen, weil der Fideikommißbefitzer den ihm gut⸗
gläubig ausgehändigten Kaufpreis nicht angemeſſen
verwendet. Die Verweigerung der Genehmigung des
Vertrags vom 8. März iſt daher um ſo weniger
gerechtfertigt, als die von dem Fideikommißgerichte
gerügte Verfügung über den Kaufpreis ſchon vor der
fideikommißgerichtlichen Anordnung vom 31. Mai
erfolgt iſt und das Fideikommißgericht dieſes Ver⸗
fahren während eines längeren Zeitraums nicht be—
anſtandet hatte. Ebenſowenig kann gebilligt werden,
daß das Fideikommißgericht die Erteilung der Ge—
nehmigung zu den Kaufverträgen vom 11. Mai davon
abhängig macht, daß in einer Nachtragsurkunde eine
Beſtimmung vereinbart wird, wonach die Zahlung
des Kaufpreiſes an die Hauptbank Nürnberg zu er—
folgen hat. Dem Fideikommißbeſitzer gebührt nach
8 44 des FidéE. die Verwaltung und damit auch die
Vertretung des Fideikommiſſes. Es ſteht ihm daher
die Befugnis zu für das Fideikommiß einen Kauf—
preis in Empfang zu nehmen. Nur wenn dem Fidei—
kommißbeſitzer eine dem Fideikommiſſe verderbliche
Wirtſchaft nachzuweiſen iſt oder wenn er feinen Ber:
pflichtungen nicht mehr nachkommt, kann ihm nach
85 71, 72 des Fidck. und $ 15 Nr. 5 der VO. vom
3. März 1857, die Inſtr. über die Behandlung der
Fideikommiſſe betr., die Verwaltung entzogen und
eine Adminiſtration eingeleitet werden. Dieſe Maß—
nahme hat aber das Fideikommißgericht ſelbſt noch
nicht für notwendig erachtet. Auch haben ſich die
Anwärter, die doch nach 88 43, 71 des Edikts in erſter
Linie berufen ſind, dem Fideikommißbeſitzer gegenüber
die Intereſſen des Fideikommiſſes wahrzunehmen, bisher
noch nicht veranlaßt geſehen, gegen die Wirtſchafts—
führung des Fideikommißbeſitzers Einſpruch zu tun,
ſondern ſich für die Genehmigung der Verträge aus—
geſprochen. Demnach beſteht kein Grund, den auch
von dem Fideikommmißgericht als für das Fidei—
kommiß vorteilhaft erachteten Verträgen die Geneh—
migung zu verſagen. Das Ov. wird aber erwägen,
ob es nicht den Fideikommißbeſitzer zu veranlaſſen
hat, daß er ſowohl den von dem Käufer empfangenen
Kaufpreis, ſoweit er nicht ſchon an R. hinausgegeben
iſt, als auch die noch einzuziehenden Kaufpreiſe auf
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 22.
den Namen des Fideikommiſſes wenn auch nicht gerade d. h. am Orte der Vergebung. Eine Schankwirtſchaft
bei der Hauptbank in Nürnberg, ſo doch in einer volle
Sicherheit bietenden Art vorläufig anlegt, den Nach⸗
weis hierüber vorlegt und für die endgültige Ver⸗
wendung der Kaufpreiſe die fideikommißgerichtliche
Genehmigung erwirkt. (Beſchluß des Fer ZS. vo
20. Juli 1911, Reg. III 48 1911). W.
2383
B. Strafſachen.
1
Gewerbsunzucht: Weſen der Gewerbsmäßigkeit; Ver:
wertung von ſtrafloſen len. Ausden Gründen:
Der 8 361 Nr. 6 StGB. bedroht in feiner 2. Alter⸗
native mit Strafe eine Weibsperſon, die ohne einer poli⸗
zeilichen Aufſicht unterſtellt zu ſein, gewerbsmäßig Un⸗
zucht treibt. Das Weſen der Gewerbsmäßigkeit beſteht
darin, daß nicht jede einzelne Handlung, ſondern eine
Reihe verbotener Handlungen, die Ausfluß der gleichen
Lebensrichtung ſind, zu einer Einheit verbunden werden
und als geſetzliche Einheit zuſammen nur eine ſtraf⸗
bare Zuwiderhandlung bilden. Dieſe Einheit bringt
es mit ſich, daß das Gericht nicht auf die einer recht-
lichen Selbſtändigkeit entbehrenden einzelnen Sand»
lungen beſchränkt iſt, die in einem Strafbefehl oder
Eröffnungsbeſchluß aufgeführt ſind, ſondern berechtigt
und verpflichtet iſt auch ſolche ebendort nicht ent⸗
haltene, aber im Zuſammenhange mit ihnen ſtehende
Handlungen zum einheitlichen Gegenſtande der Vers
handlung und Aburteilung zu machen, in denen die
gewerbsmäßige Tätigkeit des Beſchuldigten gefunden
werden kann. Zur Feſtſtellung der gewerbsmäßigen
Verübung einer Tat dürfen aber um die aus der
Mehrheit der Begehungsfälle ſich ergebende Charakter-
beſchaffenheit des Täters feſtzuſtellen Einzelhandlungen
berückſichtigt werden, die an ſich ſtraflos wären, weil
ſie z. B. im Auslande verübt und dort nicht ſtrafbar
ſind, oder weil ſie verjährt ſind. Gleiches gilt auch
für Einzel handlungen eines gewerbsmäßigen Tuns,
die ein Beſchuldigter vor Erreichung der vollen Straf—
mündigkeit ohne die nach dem $ 56 StGB. erforderliche
Einſicht vollbracht hat. Wenn daher der am 1. No—
vember 1891 gebornen Angeklagten auch bei den vor
dem 1. November 1909 liegenden Einzelfällen die
Einſicht gefehlt hätte, die zur Erkenntnis der Straf—
barkeit erforderlich iſt, ſo ſteht doch nichts im Wege
zur Beurteilung des von der Angeklagten nach voll—
endetem achtzehnten Lebensjahre fortgeſetzten unzüch—
tigen Treibens auch die früher liegenden aus der—
ſelben Lebensrichtung hervorgegangenen Einzelfälle
mitzuverwerten. Muß das zur Annahme der Ge—
werbsmäßigkeit führen, ſo iſt deren Verurteilung
wegen einer Uebertretung nach dem 8 361 Nr. 6 StGB.
nicht um deswillen unſtatthaft, weil etwa die in die
Zeit der Strafmündigkeit fallenden Einzelhandlungen
der Unzucht für ſich allein den Begriff der Gewerbs—
mäßigkeit nicht erfüllen. Verfehlt iſt daher das Ver—
langen der Reviſion ſtreng zu ſcheiden zwiſchen der
Zeit vor dem 1. November 1909, die wegen der man—
gelnden Einſicht der Angeklagten ganz außer Betracht
zu bleiben habe, und der Zeit danach, für die ſich
nach dem Verhalten der Angeklagten die Gewerbs—
mäßigkeit nicht feſtſtellen laſſe. (Urt. vom 27. Juni
1911, RevReg. 296/11). Ed.
2389
II.
Begriff einer Schankwirtſchaft, eines Kleinhandels
mit Bier und eines Anskochgeſchäftes. Aus den
Gründen: Wer eine Schankwirtſchaft betreiben will,
bedarf nach 8 33 GewO. der polizeilichen Erlaubnis.
Unter Schankwirtiſchaft verſteht man den gewerbsmäßi—
gen Ausſchank von Getränken zum Genuß auf der Stelle,
EEE — T..... ̃ —%—ꝙ., ... el ̃7ĩ7 ˙œm— rn ler — — —— (—
iſt nicht denkbar ohne Schankſtätte; zudem muß irgend⸗
eine Oertlichkeit, an der die abgegebenen Getränke ge⸗
noſſen werden, zur Ausübung des Wirtſchaftsgewerbes
beſtimmt und dem Perſonenkreiſe zugänglich ſein, deſſen
Bedürfniſſen es dienen ſoll, ſei dieſer nun unbeſchränkt
oder beſchränkt. Die Stätte, wo die Gäſte des Wirtes
ſich aufhalten und die Getränke verzehren können, muß
in einem räumlichen Zuſammenhange mit der Aus:
ſchankſtelle ſtehen und kann von ihr nicht weit entlegen
ſein. Bei einer Entfernung von 180 m liegt ein ſolcher
räumlicher Zuſammenhang nicht mehr vor. Hier fehlt
es alſo an einem Wirtſchaftsraum oder einer ſonſtigen
Oertlichkeit oder Stelle, die mit dem Geſchäftsraume
zuſammenhinge und zur Befriedigung des Trinkbedürf⸗
niſſes aufgeſucht werden könnte. Der Geſchäftsraum
des Angeklagten dient nur der Vorbereitung des Ge—
nuſſes der Getränke und Speiſen, nicht aber dem Ge⸗
nuſſe ſelbſt. Die einzelnen Arbeiter verzehren viel⸗
mehr die ihnen gelieferten Genußmittel da, wo es
ihnen beliebt. Bei der Abgabe von Getränken er-
ſchöpft ſich die Tätigkeit des Angeklagten darin, daß
er das von den Arbeitern im voraus beſtellte Bier
in Flaſchen oder in Krügen in die Fabrik liefert, wo
es von ihnen in Empfang genommen wird. Zum
Genuß iſt ihnen weder von der Fabrikleitung noch
vom Angeklagten ein geſonderter Raum zur Ver—
fügung geſtellt. Wenn deshalb die Arbeiter irgendwo
in einem zur Fabrik gehörigen Gebäude, an ihrer
Arbeitsſtelle oder in einem Hofe die Getränke genießen,
ſo läßt ſich nicht eine Oertlichkeit bezeichnen, die zur
Ausübung eines Wirtſchaftsbetriebs beſtimmt wäre.
Der Gewerbebetrieb des Angeklagten iſt demzufolge
nicht der Betrieb einer Schankwirtſchaft, ſondern ein
Kleinhandel mit Bier i. S. des § 35 Abſ. 4 Gew.,
der ja ſowohl den Vertrieb von Flaſchenbier als auch
den Verkauf von Bier vom Faß in kleinen Mengen
umfaßt. Der Angeklagte betreibt auch nicht einmal
eine Gaſſenſchänke im eigentlichen Sinne des Wortes,
denn eine ſolche ſetzt ein Geſchäftslokal voraus, in
dem der Abnehmer den Gewerbetreibenden aufſucht,
um die Getränke bei ihm zu kaufen und zum Genuß
nach Hauſe zu bringen. Hier werden dagegen die
vorher beſtellten Getränke über die Straße an den
Aufenthaltsort der Abnehmer gebracht, dort übergeben
und genoſſen. Es liegt darum der Betrieb eines
Handelsgewerbes, ein kaufmänniſcher Betrieb vor, der
ſich von dem Schankgewerbe unterſcheidet; ein ſolcher
Betrieb bedarf keiner polizeilichen Zulaſſung. Der
Betrieb einer Speiſewirſchaft, d. h. der Verkauf zu—
bereiteter Speiſen zum Genuß auf der Stelle, und die
Abgabe von zubereiteten Speiſen aus einer ſolchen
Speiſewirtſchaft gehören zum Gewerbe der Köche (Aus—
kochgeſchäft) und bedürfen als ſolche keiner Genehmi—
gung. Da weder der Kleinhandel mit Bier noch der
Betrieb eines Auskochgeſchäfts genehmigungspflichtig
iſt, gilt dasſelbe auch von dem Geſchäfte des Ange—
klagten, das beide Gewerbe vereinigt. (Urt. vom 1. Juli
1911, Reeg. 271/11). Ed.
2408
II.
Anheiten von Plakaten: Sinn und Tragweite des
Art. 12 AS. StPO. X. hatte an einem 2 m von der
Straße entfernten frei zugänglichen Hauſe ein Reklame—
plakat geſchäftlichen Inhalts ohne polizeiliche Er—
laubnis angeheftet. X. wurde von den Vorinſtanzen
wegen einer Uebertretung nach Art. 12 AG. StPO.
verurteilt. Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach Art. 12 AG. StPO.
vom 18. Auguſt 1879 iſt ſtrafbar, wer ohne polizeiliche
Erlaubnis auf Straßen oder öffentlichen Plätzen Be—
kanntmachungen, Plakate oder Aufrufe anſchlägt, an—
heftet, ausſtellt oder öffentlich unentgeltlich verteilt,
desgleichen, wer ohne ſolche Erlaubnis eine der ans
450
geführten Handlungen vornehmen läßt. Aus der
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes ergibt ſich, daß der
Art. 12 nicht ſtraßen⸗ oder verkehrs polizeilichen Zwecken
dient. Das Verbot des Art. 12 hat nicht ſeinen Grund
darin, daß eine Störung des Verkehrs verhindert
werden ſoll, die dadurch entſtehen kann, daß die Leute
vor einem Plakat auf der Straße ſtehen bleiben oder
ſich dort anſammeln und ſo den Straßenverkehr
hemmen. Die Vorſchrift des Art. 12 iſt vielmehr
preßpolizeilicher Natur, hat die Wirkung des öffent-
lichen Anſchlagens von Plakaten auf das Publikum im
Auge. Das Verbot will Schädigungen des Gemein—
wohls vorbeugen, die durch das Leſen von Plakaten
gewiſſer Art hervorgerufen werden können. Von
dieſem Geſichtspunkt aus iſt zu beurteilen, in welchem
Sinne der Begriff des Anſchlagens und Anheftens
von Plakaten auf Straßen und öffentlichen Plätzen zu
verſtehen iſt. Lieſer Begriff des öffentlichen An⸗
ſchlagens iſt nicht gleichbedeutend mit Anſchlagen von
Plakaten an öffentlichen Orten, zu denen auch Gaſt⸗
häuſer, Theater, Bahnhöfe und andere dem Publikum
zugängliche Räume zu zählen ſind. Das Verbot des
Art. 12 iſt daher auf Straßen und öffentliche Plätze
in und außerhalb von Ortſchaften zu beſchränken.
Auch ein von der Straße oder einem öffentlichen
Platze auch ſichtbarer Anſchlag, der ſich innerhalb
eines Gebäudes befindet, z. B. das Anheften eines
Plakats im Innern eines Ladens an dem Schauſenſter,
fällt nicht unter das Verbot des Art. 12, da das Geſetz
nur ein Anſchlagen von Plakaten auf Straßen und
Plätzen unter freiem Himmel betreffen will. Der
Zeitſchrift für Rechtspflege
— — — — ———— ͥꝓ y
Art. 12 will das Anſchlagen von Plakaten nur da
durch das Erfordernis polizeilicher Erlaubnis be—
ſchränken, wo die Oeffentlichkeit in weiteſtem Umfange
gegeben iſt. Daß im einzelnen Falle das Plakat nur
an einer Stelle an der Straße angeſchlagen wird,
ſchließt jedoch die Anwendbarkeit des Art. 12 nicht
aus. Da das Geſetz verhindern will, daß mittels
Plakaten, die polizeilicher Kontrolle nicht unterſtellt
wurden, auf das Straßenpublikum eingewirkt werde,
begründet es keinen Unterſchied, ob die Plakate auf
der Straße ſelbſt, z. B. an einer Anſchlagſäule, oder
an der Außenſeite eines unmittelbar und hart an der
Straße ſiehenden Gebäudes oder einige Schritte von
dieſer entfernt, aber immer noch in ſolcher Nähe an—
geſchlagen werden, daß das Plakat von der Straße
aus auffällt und entweder ſchon von dieſer aus geleſen
werden kann oder doch von dort aus allgemein zu—
gänglich iſt. Die Anwendung des Art. 12 hängt auch
duvon nicht ab, daß die Straßen oder Plätze öffent—
lich im privat- oder verwaltungsrechtlichen Sinne
ſind. Es iſt auch ohne Belang, ob der Raum unter
freiem Himmel, wo ſich das Plakat befindet, im
Privateigentum ſteht und an ſich der Eigentümer die
Straße oder den Platz für den Verkehr durch das
Publitum abſperren konnte. Solange tatſächlich der
Verkehr freigegeben iſt. dem Publikum die Stellen,
an denen ſich die Plakate befinden, frei zugänglich
ſind, tritt auch das Verbot des Art. 12 in Kraft.
(Urt. vom 17. Juni 1911, Revb.-Reg. 251,11). El.
2383
Aus der Praxis des bayer. Verwaltungs:
gerichtshofs.
1
Errichtung von Badeanlagen. Zuſtändigkeiisaus⸗
ſcheidung. Eine Stadtgemeinde nahm für fi das
Recht in Anſpruch, bei einer Badeanlage einen Fuß—
boden in einen der Stadtgemeinde gehörigen Privat—
fluß einzuhängen. Triebwerksbeſitzer traten dieſem
Anſpruch mit der Behauptung entgegen, daß durch den
Fußboden eine ſchadliche Stauung verurſacht werde.
— —— [—ää—ã — . —— ͤ -jä6äͤ —
in Bayern. 1911. Nr. 22.
— EEE ERREGER EEE — — —— - —
Hiernach beſtand Streit über eine „beſondere Nutzung“
an einem „im Eigentum dritter Perſonen“ ſtehenden
Privatfluſſe, ſo daß der VGH. zur Entſcheidung im
letzten Rechtszuge zuſtändig war (Art. 47 mit Art. 177 b
WG.). Die bei Errichtung von Budeunlagen nach
Art. 47 und 45 WG. in Frage kommenden Verhält⸗
niſſe find ver waltungsrechtlicher Natur. Nach
Art. 76 WG. kann zu prüfen ſein, ob eine Bade⸗
anlage in ihrer Geſamtheit deshalb genehmigungs⸗
pflichtig iſt, weil fie innerhalb der feſigeſetzten Grenzen
des Ueberſchwemmungsgebietes errichtet werden ſoll.
Hier handelt es ſich um eine waſſerpolizeiliche
Würdigung, der VG. hat keine Zuſtändigkeit, weil
der Art. 76 im Art. 177 WG. nicht genannt iſt. Der
Gebrauch des Waſſers zum Baden gehört nach Art. 26
WG. zu dem für jeden freien „Gemeingebrauche“; auch
die hierbei in Betracht kommenden Verhältniſſe (Art. 26
bis 28 WG.) find nicht verwaltungsrechtlicher Natur,
ſondern Gegenſtand der Waſſerpolizei. Auch in
baupolizeilicher Hinſicht hat der 86. keine Zu⸗
ſtändigkeit. Die Bezugnahme der Gegner der Stadt:
gemeinde auf Art. 44 WG. war verfehlt, weil die Fluß⸗
ſtrecke nicht im „Eigentum der Ufereigentümer“, ſondern
im „Eigentum Dritter“, nämlich der Stadtgemeinde
N. ſteht. Der VGH. unterläßt es aber nicht, auch noch
darauf hinzuweiſen, daß es ſich bei den in Art. 41
bezeichneten „Rechten der übrigen Ufereigentümer und
der ſonſtigen Waſſerberechtigten“ um bürgerlich⸗
rechtliche Angelegenheiten handelt, die gemäß Art. 13
VG. ausſcheiden. Die vom öffentlichen Intereſſe
gebotenen Beſchränkungen der Waſſernutzung bei den
im Eigentum der „Ufereigentümer“ und „dritter“ Per:
ſonen ſtehenden Privatflüſſen ſind dagegen in Art. 45
und 47 WG. behandelt, verwaltungsrechtlicher Natur
und unterſtehen der endgültigen Entſcheidung des Ver⸗
waltungsgerichtshofs gemäß Art. 177 b WG. (Entſch.
des II. Sen. vom 17. Mai 1911, Sammlung Bd. 32
S. 123 ff.). M.
II.
Pflicht zur Teilnahme am konfeſſionellen Religions:
unterricht. Neligiöſe Kindererziehung bei ungemiſchter
Che. Grete A., Tochter der iſraelitiſchen Eheleute
Max und Eliſe A. in M., beſucht die Volksſchule, wird
jedoch ſeit Beginn des Schul beſuchs nicht in den
iſraelitiſchen Religionsunterricht, ſondern in den Moral—
unterricht geſchickt, den die freireligiöſe Gemeinde in
M. für die ſchulpflichtigen Kinder freireligiöſer Eltern
abhalten läßt. Zunächſt führt der VGH. aus, daß
Streitfragen bei der religiöſen Erziehung nicht nur
in den Fällen von Abſchnitt 1 Kap. III der 11. Verf Beil.,
ſondern auch dann unter die Ziff. 4 des Art. 8 VGG.
fallen, wenn die Kinder aus ungemiſchter Ehe ſtammen.
Auch in ſolchen Streitfragen ſind die geiſtlichen Oberen
antrags- und beſchwerdeberechtigt, insbeſondere kann
der örtlich zuſtändige Rabbiner angeſichts der nach
SS 24, 30 des Judenedikts und nach Ziff. 4, 5 der
Normativentſchließung vom 25. Juni 1863 (Kult Min Bl.
1865 S. 218) innerhalb der iſraelitiſchen Religions-
geſellſchaft ihm zukommenden Stellung zur Wahrung
der rechtlichen Intereſſen ſeiner Religionsgeſellſchaft
Anträge ſtellen und Beſchwerde führen. Die religtöſe
Erziehung von Kindern aus ungemiſchter Ehe beſtimmt
ſich nach dem bürgerlichen Recht. Die in ungemiſchter
Ehe lebenden Eltern haben hinſichtlich ihres Kindes
das freie religiöſe Beſtimmungsrecht. Von dem freien
—
Religionsbeſtimmungsrechte haben die Eltern der Grete
A. jedoch bisher keinen Gebrauch gemacht. Sie haben
vielmehr ausdrücklich zugegeben, daß ihre Tochter der
iſraelitiſchen Glaubensgenoſſenſchaft angehöre und daß
ſie ihr Kind aus dieſer gar nicht austreten laſſen
wollen. Dieſe Willensbekundung der Eltern iſt ge—
nügend um das Kind, das der Rabbiner unter Bezug
auf das innerkirchliche Recht ſchon infolge der Geburt
aus einer jüdiſchen Mutter als Jüdin in Anſpruch
nimmt, auch ſtaatsrechtlich als Angehörige der ifraeli-
tiſchen Glaubensgenoſſenſchaft zu betrachten. Im Wider⸗
ſpruche mit der von ihnen ſelbſt zugegebenen und ge⸗
wollten Zugehörigkeit ihrer Tochter zur iſraelitiſchen
Religlonsgenoſſenſchaft wollen die Eltern, daß das
Kind nicht in den Lehren ſeiner Religionsgenoſſen⸗
ſchaft, ſondern nach den Grundfäßen der 5
Gemeinde erzogen werden fol. Unter Berufung auf
ſeine ſtändige Rechtſprechung führt der VGH. aus, daß
die religiöfe Erziehung ein Beſtandteil der Erziehung
überhaupt iſt und daß die Erziehung im Sinne des
8 1631 BGB. die Sorge für die geiſtige, körperliche
und insbeſondere auch ſittliche Ausbildung des Kindes,
ſomit auch die religiöſe Erziehung umfaßt. Dieſe Er⸗
ziehung iſt der Ausfluß der dem Vater als Träger
der elterlichen Gewalt und neben ihm der Mutter ob⸗
liegenden Sorge für die Perſon des Kindes und nicht
nur ein Recht Per auch eine Pflicht der Genannten
(88 1627, 1631, 1634 BGB.). Die Richtung aber, in
der ſich die dem Erziehungsberechtigten obliegende,
nach der Rechtſprechung des VGH. auch die Anteils
nahme am Religionsunterricht umfaſſende religiöſe
Erziehung ihres Kindes jedenfalls bis zur Beendigung
der Schulpflicht zu bewegen hat, ergibt ſich aus der
Konfeſſion, der das Kind angehört. Dazu kommt,
daß der Staat den Unterricht in der Glaubens- und
Sittenlehre unter die Gegenſtände des Volksſchul⸗
unterrichts aufgenommen und den Unterrichtszwang
hierauf ausgedehnt hat und daß dies auch für den
iſraelitiſchen Religionsunterricht gilt. Vom ſtaats⸗
rechtlichen Standpunkt aus hat deshalb Grete A. den
iſraelitiſchen Unterricht zu beſuchen. (Entſcheidung des
II. Sen. vom 10. Mai 1911, Samml. Bd. 32 S. 1
2411
Literatur.
Kretzſchmar, Dr. F., OL GRat in Dresden, Die
Zwangsverſteigerung und die Zwangs⸗
verwaltung. 12° (Sammlung Göſchen Bd. 523.)
110 Seiten. Leipzig 1911, G. J. Göſchenſche Ver⸗
lagsbuchhandlung. Geb. Mk. 80.—.
Das Büchlein, ein gemeinverſtändliches, ſich im
Rahmen der Göſchenſchen Sammlung haltendes Ex⸗
zerpt aus des Verfaſſers größerer ſyſtematiſchen Dar⸗
ſtellung des Reichsgeſetzes über die Zwangsverſteigerung
und die Zwangsverwaltung, iſt zur Einführung in
den ſchwierigen Rechtsſtoff durchaus geeignet D.
J. v. Standingers Kommentar zum Bürgerlichen Ge:
ſetzbuch und dem Einführungsgeſetze herausgegeben
von Dr. Theodor Loewenfeld, Philipp Mayring, Dr.
Karl Kober, Dr. Felix Herzfelder, br. Erwin Niezler,
Dr. Ludwig Fuhlenbed, Dr. 9 Engelmann
und Joſeph Wagner. 5./6. neubearbeite Auflage.
22. Lieferung. München und Berlin 1911. J.
Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Die Schlußlieferung bringt die Erläuterungen der
Art. 125 — 218 des EG. BGB. durch Kuhlenbeck und
das alphabetiſche Sachregiſter zu Bd. 6, bearbeitet von
Keidel, ſowie als Bd. 7 ein alphabetiſches Geſamt—
regiſter zu Bd. 1—6, bearbeitet von Keidel. Die
Kommentierung des EG. BGB. iſt ſchwieriger und un—
dankbarer als die des BGB. Auch
451
—— — — — ———— ſðK—¾—ãc u—2—
Sache der einzelnen Bundesſtaaten, ſelbſt eine er⸗
|
|
|
|
Staudingers |
EG. BGB. bietet in 5./6. Auflage noch nicht das, was
wir brauchen. Wir müſſen endlich einmal einen Kom—
mentar zum EG. BGB. bekommen, der erſchöpfend je—
weils bei den einzelnen Artikeln die ſämtlichen landes—
rechtlichen Normen aufführt, die noch in Geltung ſind.
Eine ſolche Aufgabe kann einer allein freilich nicht
leiſten. Er wird dazu aus jedem Bundesſtaat einen
Mitarbeiter nehmen müſſen. Eigentlich wäre es aber
man die deutſche Hafenbehörde abgeben.
ſchöpfende Aufzählung aller durch EG. BGB. aufrecht
erhaltenen landesrechtlichen Normen zu beſchaffen.
Was bisher alle großen Kommentare an Verweiſungen
auf das Landesrecht bieten, iſt unzulänglich. Meiſt
wird nur auf das AG. BGB. verwieſen, alſo auf Be⸗
ſtimmungen, die ſich jeder ſelbſt bequem zuſammen⸗
ſuchen kann.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Gaß, W., ſtädtiſcher Oberſekretär in Kaiſerslautern,
Tabellen zur Umrechnung der Steuer⸗
anſätze zur Umlagen verteilung (Art. 25
Abſ. IV des Bayer. Umlagengeſetzes vom 14. Aug.
1910). 8°. 23 Seiten. München 1910, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Mk. 1.50.
Ein brauchbares Hilfsmittel für die mit der Um⸗
lagenberechnung befaßten Behörden, Gemeindever⸗
waltungen, Rentämter ꝛc. D.
Sulb, Dr. Heinr., Die igentümerhypothek im
Konkurs (Würzburger Abhandlungen zum deut⸗
2 75 und ausländ. Prozeßrecht, Heft 4). 8°. VIII,
83 S. Leipzig 1911, C. L. Hirſchfeld. Mk. 2.—.
Die ſich an das Thema knüpfenden Fragen werden
eingehend erörtert und zum Teil abweichend von der
herrſchenden Meinung beantwortet. D.
Notizen.
Die Feſtnahme flüchtiger Verbrecher auf dentſchen
Handelsſchiffen. Auf eine wichtige Neuerung macht
die Bekanntmachung vom 13. Oktober 1911 (JM Bl.
S. 330) aufmerkſam: Befindet ſich ein flüchtiger Ver⸗
brecher an Bord eines deutſchen Handelsſchiffes, das
mit einer Funkentelegraphenſtation ausgerüſtet iſt, ſo
kann der Kapitän des Schiffes durch Funkſpruch erſucht
werden, ihn auf Grund eines Haftbefehls feſtzunehmen
und bis zum Eintreffen des Schiffes in dem deutſchen
Beſtimmungshafen in ſicherem Gewahrſam zu halten.
Zum Verſtändniſſe der Rechtslage ſind folgende
Fingerzeige nötig: Auf hoher See befindliche
Handelsſchiffe gelten allgemein als ein Teil ihres
Heimatſtaates; ſie ſind nur der heimatlichen Staats⸗
gewalt unterworfen und von jeder fremden Gerichts⸗
barkeit und Polizeigewalt befreit (ſ. König, Handbuch
des deutſchen Konſularweſens, 6. Ausgabe, S. 331;
Liszt, Völkerrecht, 3. Aufl., S. 86). N
Wer hat aber dann auf ſolchen Schiffen die heimiſche
Staatsgewalt auszuüben? Die Reichsgeſetzgebung (I.
die Seemannsordnung vom 2. Juni 1902) gibt darauf
keine erſchöpfende Antwort. Soweit die Schiffsreiſen⸗
den in Betracht kommen, muß man auf die gewohn—
heitsrechtliche Uebung, den Seegebrauch zurückgreifen.
Auf hoher See iſt darnach der Kapitän Vertreter
der deutſchen Staatsgewalt über das deutſche
Schiff (f. Zorn, Staatsrecht des deutſchen Reiches
2. Bd., 2. Aufl., S. 856 f.). Nur dadurch kann, wie
Zorn im Vorworte S. IX a. a. O. mit Recht hervor⸗
hebt, die herkömmliche, anerkannte Ausübung von
Staatshoheitsrechten durch den Schiffsführer auf hoher
See eine genügende rechtliche Erklärung finden. Es
iſt z. B., ſoviel bekannt, niemals als unzuläſſig an⸗
gefochten worden, daß die Kapitäne deutſcher Handels—
ſchiffe Verbrecher, die an Deutſchland ausgeliefert
werden, in dem Hafen des ausliefernden oder durch—
liefernden ausländiſchen Staates in Empfang nehmen,
auf dem Schiffe als Gefangene verwahren und dann
Hierzu ſind
ſie aber nur berechtigt, wenn man ihnen polizeiliche
Befugniſſe über die an Bord befindlichen Perſonen
zuſpricht und wenn fie den gefangen gehaltenen Per-
Zeitſchrift für Rechtspflege
ſonen als Vertreter der Staatsgewalt (Beamte im
weiteren Sinne) gegenüberſtehen.
Auf der gleichen rechtlichen Grundlage vollzieht
ſich die Feſtnahme eines flüchtigen Verbrechers an
Bord des Schiffes. Bei der Feſtnahme handelt der
Kapitän nicht als Privatperſon, ſondern als Beamter.
Als Privatperſon könnte er nur Verbrecher feſtnehmen,
die auf friſcher Tat betroffen oder verfolgt werden
(ſ. $ 127 Abſ. 1 StPO.). Als Vertreter der Staats⸗
gewalt hat er weitergehende Befugniſſe. Er darf
vorläufig feſtnehmen, wenn die Vorausſetzungen eines
Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug iſt (I.
§ 127 Abſ. 2 StPO.) Er iſt ferner berechtigt, auf
das Erſuchen der Strafverfolgungs- oder Strafvoll⸗
in Bayern. 1911. Nr. 22.
ſtreckungsbehörde einen Haftbefehl zu vollziehen. Eine
öffentlichrechtliche Verpflichtung dazu hat er aller⸗
dings nicht. Die inländiſche Behörde kann den Kapitän
um ſeine Mitwirkung erſuchen, aber es ſteht in ſeinem
Ermeſſen, ob er die erbetene Hilfe leiſtet. Das
iſt auch nicht anders möglich, denn die inländiſche
Behörde kann nicht entſcheiden, ob der Kapitän nach
den Verhältniſſen an Bord des Schiffes überhaupt in
der Lage iſt, dem Erſuchen zu entſprechen, ob er z. B.
ein zur Verwahrung des Gefangenen geeignetes Lokal
hat, ob er ihn bewachen laſſen kann u. dgl. Die in⸗
ländiſche Behörde wird ferner in vielen Fällen nicht
wiſſen, ob die telegraphiſche Nachricht das Schiff noch
auf hoher See oder erſt in einem ausländiſchen Küſten⸗
gewäſſer erreicht. Wenn die Bekanntmachung vom
13. Oktober 1911 zwiſchen dieſen letzteren Fällen nicht
unterſcheidet, ſo will ſie damit nicht zum Ausdrucke
bringen, daß es gleichgültig iſt, wo ſich das Handels⸗
fchiff befindet; fie vermeidet es mit Recht, zu der völker⸗
rechtlichen Streitfrage Stellung zu nehmen, wieweit
das Handelsſchiff im fremden Küſtengewäſſer
der Staatsgewalt des fremden Staates unterworfen
iſt (ſ. dazu König a. a. O. S. 331 f., Liszt a. a. O.
S. 80 f., Harburger, Gerichtsſaal Bd. 76 S. 127f.).
Auf die Streitfrage ſoll hier nicht eingegangen
werden. Jedenfalls dürfte es völkerrechtlich unbedenk⸗
lich ſein, daß Perſonen, die auf hoher See feſtgenommen
wurden, auf dem Schiffe auch feſtgehalten werden,
ſolange es in fremdem Küſtengewäſſer iſt — unter der
Vorausſetzung, daß die fremde Landesbehörde den
Gefangenen nicht für ſich beanſprucht. Dagegen wird
wohl die Feſtnahme des Verfolgten während des
Aufenthalts des Schiffes im fremden Küſtengewäſſer
zur Vermeidung von Streitigkeiten mit dem ausländi—
ſchen Staate in der Regel unterbleiben, auch wenn
man ſie für völkerrechtlich zuläſſig hält. Daraus er—
gibt ſich für die verfolgende Behörde unter Umſtänden
die Notwendigkeit, dafür zu ſorgen, daß der Flüchtling,
wenn er in dem fremden Hafen das Schiff frei ver—
laſſen ſollte, ſofort von der Landesbehörde feſtge—
nommen und in Auslieferungshaft genommen wird.
Zur Erläuterung ein Beiſpiel aus der neueſten Zeit:
Der wegen Untreue flüchtig gegangene Kaufmann
N. war nach längerem Aufenthalt in den Vereinigten
Staaten von Amerika von der Einwanderungsbehörde
auf Grund des amerikaniſchen Einwanderungsgeſetzes
von 1907 aus dem Gebiete der Vereinigten Staaten
nachtraͤglich zurückgewieſen worden und mußte infolge—
deſſen die Rückreiſe nach Europa (auf einem deutſchen
Schiff mit deutſchem Beſtimmungsort) antreten. Die
deutſche Konſularbehörde erhielt davon Kenntnis und
ließ die Staatsanwaltſchaft telegraphiſch benach—
richtigen Als die Nachricht dort ankam, ſchwamm
das Schiff noch auf hoher See, es ſollte aber am
nächſten Tage einen engliſchen und einen franzöſiſchen
Hafen anlaufen. War N. bis zur Landung nicht feſt—
genommen, ſo verließ er vermutlich in England oder
in Frankreich das Schiff, um der Feſtnahme im deutſchen
Beſtimmungsorte zu entgehen. Der Staatsanwalt
erſuchte deshalb durch Funkſpruch den Kapitän des
Schiffes um Feſtnahme des N. auf hoher See, zugleich
beantragte er aber bei den in Betracht kommenden
deutſchen Konſularbehörden die Erwirkung der vor⸗
läufigen Feſtnahme des N. in dem engliſchen (fran⸗
zöſiſchen) Hafen zum Zwecke der Auslieferung. Auf
dieſe Weiſe war für alle Fälle vorgeſorgt. Da der
Funkſpruch das Schiff noch auf hoher See erreichte
und der Kapitän dem Erſuchen ſofort nachkam, war
ein Auslieferungsantrag überflüſſig. N. wurde, ſobald
W Boden erreicht war, der Polizeibehörde über⸗
geben.
Die kataſtermäßige Behandlung von Grundſtücken
und Miteigentumsanteilen. Das Staatsminiſterium
der Finanzen hat am 2. Juli 1911 eine Bekannt⸗
machung, die kataſtermäßige Beſchreibung von Grund⸗
ſtücken und Miteigentumsverhältniſſen betr. (J Ml.
S. 490), erlaſſen, welche die früher üblichen, auf das
Beſtehen von Grunddienſtbarkeiten oder Benützungs⸗
rechten hinweiſenden Zuſatze aus der fataftermäßigen
Beſchreibung der Grundſtücke und Miteigentums ver⸗
hältniſſe entfernt. Nur der Inhalt von Vereinbarungen
im Sinne des $ 1010 BGB. wird auch jetzt noch in den
Meſſungsverzeichniſſen erſichtlich gemacht, aber nur in
Form einer dem Abſchluſſe des bisherigen und des
nunmehrigen Beſitzſtandes folgenden Anmerkung. Dieſe
Vorſchrift findet entſprechende Anwendung, wenn ein
unter der Herrſchaft des früheren Rechtes begründetes
Stockwerkseigentum in einem Meſſungsverzeichniſſe
vorzutragen iſt. Die Bekanntmachung des Staats⸗
miniſteriums der Finanzen wird durch eine Bekannt-
machung des Staatsminiſteriums der Juſtiz vom
16. Oktober 1911, die Führung des Grundbuchs, hier
die kataſtermäßige Beſchreibung von Grundſtücken und
Miteigentumsanteilen betr. (JMBl. S. 345) den Juſtiz⸗
behörden zur Kenntnis gebracht. Hierzu wird bemerkt:
1. Bei der Umlegung von Grundbuchblättern und bei
der Neuherſtellung von Sachregiſtern ſind aus der
kataſtermäßigen Beſchreibung der Grundſtücke die auf
das Beſtehen von Grunddienſtbarkeiten hinweiſenden
Zuſätze wegzulaſſen; dem Rentamt iſt die Weglaſſung
mitzuteilen. Dagegen ſind die in der Beſchreibung der
belaſteten Grundjtude vorgetragenen Grunddienſtbar—
keiten, ſoferne ſie noch zu Recht beſtehen, bei der Um⸗
legung des Grundbuchblatts der belaſteten Grundſtücke
in die zweite Abteilung einzutragen und, wenn ſie
überdies in der kataſtermäßigen Beſchreibung der be⸗
rechtigten Grundſtücke erwähnt ſind, auch im Titel der
Blätter der berechtigten Grundſtücke zu vermerken.
Die im Flurbereinigungsverfahren beſtellten Grund—
dienſtbarkeiten werden im Flurbereinigungsoperate
kunftig in der für Bemerkungen beſtimmten Spalte ſowie
im Laſtenverzeichnis auf der rechten Seite am Schluſſe
der Beſitzvorträge dargeſtellt. Sie ſind, ohne daß es
eines beſonderen Antrags oder einer Eintragungs—
bewilligung bedarf, beim Vollzuge des Operats in die
zweite Abteilung der Blätter der belafteten Grund—
ſtücke einzutragen und im Titel der Blätter der be—
rechtigten Grundſtücke zu vermerken. 2. Vereinbarungen
gemäß 8 1010 BGB. find auf Antrag der Beteiligten,
allenfalls unter Bezugnahme auf die Eintragungs—
bewilligung, in die zweite Abteilung der für das Grund—
ſtück als Ganzes und der für die Miteigentumsanteile
beſtehenden Blätter einzutragen. Die Notare haben
die Beteiligten darüber zu belehren, daß die Verein:
barung dritten Perſonen gegenüber nur dann wirkt,
wenn ſie in das Grundbuch eingetragen wird.
2410
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
Ur. 23. München, den 1. Dezember 1911. 7. Jahrg.
eitfhrift für Rechtspflege
Herausgegeben von es Berlag von
Re ill Büttner
Staate miniterium der Jul München und Perlin.
Nachdruck verboten. 453
Das Weſen des „Nodernismus“.“) Als ich dieſe Stelle aus dem achten Brief
Friedrich Schillers über die äfthetiihe Er⸗
Von Oberlandesgerichtsrat Dr. J. Gmelin in Stuttgart. ziehung des Menſchen dieſer Tage las, war es
| mir klar, daß dieſer Satz wohl geeignet ift, an der
„Nicht genug, daß alle Aufklärung des Ver: Spitze dieſer Ausführungen zu ſtehen, welche den
ſtandes nur inſoferne Achtung verdient, als ſie auf Zweck haben, die neuere Bewegung in der Rechts⸗
den Charakter zurückfließt, ſie geht auch gewiſſer⸗ wiſſenſchaft, wie ſie vorzüglich der Begründung
maßen von dem Charakter aus, weil der Weg zu | des Vereins „Recht und Wirtſchaft“ als
dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden. Baſis dient, kurz zu ſchildern.
Ausbildung des Empfindungsvermögens iſt alſo In der Tat kann die Gegenſätzlichkeit gegen
das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß den heute bei uns vorherrſchenden formaliſtiſchen
weil ſie ein Mittel wird, die verbeſſerte Einſicht Geiſt der Rechtſprechung im letzten Grunde als
für das Leben wirkſam zu machen, ſondern ſelbſt 8 1 werden. Wir
Pu, weil fie zu Verbeſſerung der Einfiht | empfinden, daß nicht das abſtrakte Wiſſen, nicht
erweckt die gelehrte Formel die Hauptſache iſt, ſondern das
9 An 115 d es Herausgebers. Die Beſtrebungen Rechtsgefühl Mund der durch mitſchwingende
zur Förderung zeitgemäßer Rechtspflege haben bisher Gefühlstöne beitimmte Charakter. Der „Mo:
bei den bayeriſchen Praktikern nur wenig Anklang ges | dernismus“ bezweijelt daher die Richtigkeit der
1 19 7 ift Ge = ee eine Anſicht und bekämpft die Anſicht, daß die Recht:
zelner Heißſporne hatten manchen ſtutzig gemacht; man f 5 f
fürchtete, es ſei auf einen Umſturz alles Beſtehenden e e 7 0 u ich ber 1
abgeſehen und es werde eine ſchrankenloſe Freiheit des egriff ubung er chöpfe. an verſucht viel⸗
Richters gegenüber dem Geſetze gepredigt. Durch die mehr die richterliche Aufgabe ſich vorzuſtellen
. des Vereins re und 1 iſt 5 als eine ordnende Tätigkeit, welche zwar
ie Bewegung in neue Bahnen gelenkt worden. An ; 17 f
die Stelle des Läſterns auf „Pandektologie“ und „Kon⸗ m. 1 ar nen 177 125 115
ſtruktionsjurisprudenz“ fol ernſte ſachliche Unterſuchung findet, iſinerha ; ieſer Schranke aber möglich]
frei ſich bewegt,) beherrſcht weniger von dem
treten. Kein Praktiker wird es unterlaſſen dürfen, die d. 8
Entwicklung zu verfolgen und ſich über ihre Ziele zu Gedanken, die Ereigniſſe des menſchlichen Rechts⸗
unterrichten. Gegenüber großen Zeitfragen iſt nichts ; N
weniger angebracht als vorſchnell abſprechendes Urteil lebens unter die Geſetzeswerte und Geſetzesbegriffe
oder mißtrauiſches Abſeitsſtehen. Der Aufklärung ſoll Zu preſſen, als von dem Bedürfnis, in erſter Linie
auch die hier veröffentlichte Abhandlung dienen. | durch praktiſche und verſtändliche Entwirrung der
1 110 18 Se 10 die u 5 19 8 durcheinander geratenen Fäden gegenſätzlicher
irtſcha ingewieſen, die ſeit dem Oktober unter :
der Leitung von Proſeſſor Dr. Hans Reichel in Zürich. Strebungen zum Ende zu ent und 90 der
Oberamtsrichter Franz Riß in München und Landrichter Aburteilung der einzelnen treitſache nicht eine
Dr. Max Rumpf in Oldenburg im Verlage von Carl Verſtandesleiſtung, nach Art eines juriſtiſchen
en in a (Preis für Nichtmitglieder =
10 jährlich). Es fehlt uns hier an Raum, um auf f b .
den vielgeſtaltigen Inhalt der beiden erſten Hefte näher e) Vgl. Schneider, „Die urſprünglichſte
einzugehen. Als deſonders beachtenswert heben wir Grundlage des richterlichen Urteils, das
hervor die Abhandlungen von Profeſſor Dr. Reichel Rechts gefühl“ in Z. f. ZP. Bd. 41 S. 297.
(Der deutſche Richterbund), von Profeſſor Dr. Hein s— 2) Dieſer Satz iſt von mir (Quousque?, Hannover,
heimer (Rechtsſtudium und Lebenskunde), von Pro- Hellwig 1910 S. 67—09) als poſitives Ergebnis der
feſſor Dr. Hellwig (Gläubigernot', von Oberlandes- Ernſt Fuchsſchen Schriften (namentlich: Die Gemein⸗
gerichtsrat Dr. Gmelin (Ueber ſtaatsbürgerliche Er⸗ gefährlichkeit der konſtruktiven Jurisprudenz, Karlsruhe,
ziehung), von Reichsgerichtsrat Dr. Düringer (Zum Braun 1909) herausgehoben und von Hedemann im
Methodenſtreit). Jur. Literaturblatt Bd. 22 S. 81 gebilligt worden.
a — — — —
N
454
Praktikums, als Aufgabe zu betrachten, ſondern
Geſetzes oder auf den eigentlichen Willen der
vielmehr das Erfaſſen und Behandeln des Rechts⸗
falls als eines lebensvollen Ereigniſſes
des Geſellſchaftslebens.“)
Das bisherige Auge des Juriſten und Richters
war im Grunde weſentlich darauf eingeſtellt, in den
rechtlichen Geſchehniſſen die Verwirklichung geſetz⸗
licher Tatbeſtände zu finden. Man ſuchte daher mit
aller Anſtrengung die geſetzlichen Beſtimmungen auf⸗
zufinden, welche, wie man glaubte, in dem jeweils
— —r—1—4
vorliegenden Tatſachenſtoff lebendig geworden waren,
und man war gewiſſermaßen unglücklich, wenn
t
die tatſächlichen Ereigniſſe einer Anpaſſung an
die vorhandenen Geſetzesbeſtimmungen Trotz zu
auch von manchen, die — wie im Namens- oder
bieten ſchienen.
Der jetzt verlangte neue Weg führt in um:
gekehrter Richtung. In den Vordergrund geſtellt
wird das tatſächliche Ereignis, welches das richter⸗
liche Eingreifen erforderlich macht. In jedem
Prozeß muß vor allem anderen der Tat:
ſachenſtoff in feiner wirtſchaftlichen Be:
deutung erforſcht werden.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
Geht man aber auf den tieferen Sinn des
Parteien bei ihren Willenserklärungen ein, ſo
muß man überall auf Beweggründe ſtoßen. Dieſe
ſind zu unterſuchen, zu ſichten, zu wägen. So
tritt die richterliche Tätigkeit in das Gebiet der
Pſychologie ein.“) Die Abſichten der Parteien,
die inneren „Motive“ des Geſetzes bilden den
Schlüſſel für den wahren Sinn der Parteiwillens⸗
erklärung wie der Rechtsnorm. Die Beweggründe
aber erſcheinen im menſchlichen Leben überall als
bedingt durch reale Zwecke, Zwecke der Er⸗
reichung oder des Schutzes von Lebensgütern,
hauptſächlich von ſolchen materieller Natur, aber
Familienrecht — von ideellem Charakter find.
Die Pſpychologie iſt es alſo, welche zur Inter⸗
eſſenjurisprudenz hinüberführt. Indem näm⸗
lich als letzte Triebfeder des Handelns das Inter⸗
eſſe aufgefunden iſt, zeigt ſich für den Richter
die Notwendigkeit, von dem vorliegenden Faktum
Die Unterſuchung einer Reihe rechtlicher Tat⸗
beſtände führt ſodann zu der Erkenntnis, wie was hat den Handelnden zu ihr geführt, und
es ſich im letzten Grunde ſtets wieder darum
handelt, daß gewiſſe Lebensintereſſen und volks⸗
wirtſchaftliche Güter zum Gegenſtand des Streites
unter mehreren Beteiligten werden. Die unüber⸗
ſehbare Mannigfaltigkeit der hieraus entſtehenden
Verflechtungen bringt es mit ſich, daß ſich alsbald
zeigt, wie die typiſche Regelung der Rechtsver⸗
hältniſſe durch das Geſetz immer nur den kleinſten
Teil des überhaupt Möglichen umfaſſen kann.
Es entſtehen eigenartige Durchkreuzungen ver—
ſchiedener Rechtsſätze, die eine beſondere, durch das
Geſetz nicht vorgeſehene Regelung im einzelnen
Fall notwendig machen. Oder es treten durch
die Kraft des Verkehrslebens neue Verkehrsmittel
oder Verkehrsgeſtaltungen in die Erſcheinung, welche
den Richter zur Bildung von Entſcheidungen führen,
die durch poſitive Geſetzesbeſtimmungen nicht un—
mittelbar begründet werden können. Wenn es
ſich um die Auslegung des Geſetzes handelt, zeigt
ſich oft, daß der eigentliche geſetzgeberiſche Gedanke
in den Geſetzesworten den adäquaten Ausdruck
nicht gefunden hat. Denn auch das ſcheinbar
klare Wort iſt oft trügeriſch; es mag ſich hinter
ihm eine Bedeutung, eine Tragweite verbergen,
die erſt durch Eingehen auf die inneren Zu—
ſammenhänge erſchloſſen werden muß. Die Aus—
legung des Geſetzes ſteht dabei in gleicher Weiſe
unter dem Erfordernis des guten Glaubens, wie
die Auslegung der Rechtsgeſchäfte: nur was ver—
nünftig und gerecht iſt, hat der Geſetzgeber gewollt;
er hat das Vertrauen zu dem Richter, daß dieſer
das Geſetz nicht zum Schaden der Rechtsſuchenden
ausſchlagen laſſe.
) Weshalb der Ausdruck: „ſoziologiſche We
thode“ nicht verworfen werden ſollte.
|
aus rückwaͤrts den Weg zu machen zu dieſem
Intereſſe. Wenn er die Tat ſieht, wird er fragen:
weiter: welche Zwecke, welche Intereſſen ſtanden
dabei im Hintergrund? Zeigt ſich ſchließlich, wie
im Einzelfall gegenſätzliche Intereſſen aufeinander⸗
ſtoßen, dann trifft der Richter, indem er dem
einen Teil recht gibt, den Beſcheid, daß das eine
Intereſſe das beſſere, das andere dasjenige iſt,
welches dieſem beſſeren Intereſſe weichen muß —
weichen muß, wenn nicht das ſtrikte Geſetz ein
anderes befiehlt und dem Richter verbietet, die
nach ſeinem Sinn gerechte Entſcheidung zu
fällen. — Erwägt man aber, daß das Geſetz eben⸗
falls nichts anderes iſt als Intereſſenregelung, ſo
muß auch bei der Geſetzesauslegung von den
Intereſſen ausgegangen werden und das Geſetz von
dem Standpunkt aus erklärt werden, daß es die
Intereſſen vernünſtig und ſachgemäß ausgleichen
wollte. Und verſagt das Geſetz, ſo trifft der
Richter die Entſcheidung nach der Regel, die er
als Geſetzgeber aufſtellen wurde ), wobei wiederum
nichts anderes als gerechter Intereſſenausgleich
maßgebend ſein kann.
Wer aber über Intereſſen urteilen
will, der muß nicht nur das Geſetz,
der muß die Intereſſen ſelbſt kennen.
Daher die Forderung, daß der Richter ſich mit
den ökonomiſchen Lebensverhältniſſen, die ihn
umgeben, befaſſe, ſie verſtehen lerne und in ſie
eindringe. Es iſt ja ſo leicht, dieſe Forderung
lächerlich zu machen. Der mit gelehrtem Rechts—
) An die Wichtigkeit der Ausſagenpſychologie
(darüber neueſtens: Stöhr in der Sammlung „Das
Recht“, Berlin, Putikammer & Mühlbrecht Bd. IX. X,
1911) mag hier erinnert werden.
) Wie dies in dem berühmten Abſ. 2 des Art. 1
des Schweizer. Zivilgeſetzbuchs als ewig unbeſtreitbare
Norm ausdrücklich beſtimmt iſt.
ſtoff überladene Jünger wird jagen, man könne
ihn doch nicht zum Schuſter, zum Schneider, ins
Bauhandwerk, in die Bank, in die Fabrik und
in alle ſonſtigen Berufe ſchicken, um in ihnen
ſachverſtandig zu ſein!
Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß im Königs⸗
hauſe der Hohenzollern jeder Prinz ein Handwerk
erlernen muß. Die Beſchaͤftigung mit einem Hand:
werk erſchließt viele Eigenheiten, die allen Handwerken
gemeinſam find. Und ſo iſt es auch ſonſt: wer
das Bankweſen kennt, weiß ein Stück vom Handel
überhaupt, wer in einer Fabrik zu Hauſe iſt,
verſteht das Weſen der Fabrikation oder hat doch
einen Begriff davon.
Es iſt ein großes Beſtreben, das durch die
heutige Bewegung geht: die Liebe zu der ſie
umgebenden Tatſachenwelt ſoll in den
Juriſten geweckt werden. Denn die Tat⸗
ſachen, die realen Werte, die Intereſſen
ſind das Leben, nicht die Rechts ſätze.
Dieſe find nur adminikulierend, find nur das
Inſtrument, das dazu dient, daß das Rechtsleben
richtig und gleichmaͤßig geordnet wird. Deshalb
hinaus in das Leben! Man lerne verſtehen, um
was das Leben ſich dreht, man ſammle Er⸗
fahrung, gewinne Ueberſicht und große Geſichts⸗
punkte. Nur wer verſteht, kann ordnen und
heilen. Und dann noch eines: wer richtig im
Leben und in ſeinen Kämpfen ſteht, wird erzogen.
Solche Erziehung bewirkt Charakterbildung.
Charakter heißt Sicherheit des Handelns, Herrſchaft
über das eigene Fühlen, Unbeeinflußbarkeit durch
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
— .
ſubjektive Regungen. Charakter, nicht totes
Wiſſen, iſt die erſte Eigenſchaft, die
vom Richter zu verlangen iſt.
halb wollen wir, daß der Richter ſich nicht ver⸗
ſchließe gegen das Leben, daß er hinausgehe zu
anderen und mitarbeite mit anderen an den ſozialen
und politiſchen Aufgaben ſeiner Zeit, daß er in
aktiver Mitarbeit ſich hingebe der ihn umgebenden
Welt mit ihrem Schaffen und Ringen, daß warmes
Intereſſe in ihm lebe für die Fortſchritte feiner
Zeit auf allen Gebieten wie für die geiſtigen
Strömungen, die ſich in Kunſt und Literatur
wiederſpiegeln. Und darum muß ſchon von der
Jugenderziehung verlangt werden, daß ſie
den Knaben mit dem, was um ihn webt und lebt,
den Jüngling mit den Inſtitutionen ſeiner Zeit
bekannt mache und ſo die Liebe für die Mitwelt
und für die reale Umgebung in ihm wecke und
großziehe und zugleich ihn erfülle mit dem Ge:
danken der ſozialen Zuſammengehörigkeit und mit
ſtaatsbürgerlichem Sinn.“)
Iſt dann zugleich mit der durch die aktive
Mitarbeit gewonnenen inneren Sicherheit (die in
dem mit Rechtsdingen Beſchäftigten zum intuitiven
Rechtsgefühl ſich ausbilden wird) die Einſicht
e) S. Gmelin, über ſtaatsbürgerl. Erziehung, in
„Recht und Wirtſchaft“ Jahrgang 1 Heſt 1 und 2.
Des⸗
|
455
— —..
in das Leben und die Lebensverhältniſſe gewonnen,
dann wird der Richter auch in ganz anderer Weiſe
an ſeine Aufgabe herantreten. Nicht Geſetzes⸗
paragraphen, nicht wiſſenſchaſtliche Konſtruktionen
werden für ihn im Vordergrund ſtehen. Er wird
vielmehr mit ſicherem Auge das „id quod agitur“
erkennen, mit ſcharfem Griff dasjenige faſſen, was
den realen Kern des ihm vorgelegten Tatbeſtandes
bildet. Geleitet durch ſein Rechtsgefühl findet er
das Geſetz, das ihm geſtattet, vernünftig zu
entſcheiden.
Als Strafrichter aber blickt er mit⸗
fühlend in das menſchliche Herz. Er kennt das
menſchliche Elend, die menſchliche Unvollkommen⸗
heit. Er unterſcheidet die Bosheit von der Schwach⸗
heit, erkennt in der Unbegreiflichkeit die Krankheit,
ſieht in dem Verbeſſerungsbedürftigen den Beſſe⸗
rungsfähigen, ſtraft, um zu beſſern, zertrümmert
nicht, wo er wiederaufrichten kann.
Will man dies alles „Modernismus“
nennen, wohlan, ſo gebe man zu, daß ſeine
Ziele — und ſie ſind im weſentlichen diejenigen
von „Recht und Wirtſchaft“ — keine tadelns⸗
werten find.
Di Etrafvorfchriften der Neichsverſicherungs⸗
ordnung.
Von Amtsrichter Dr. Dürr in München.
Die RVO. baut einerſeits die Arbeiterver⸗
ſicherung aus. Sie erweitert den Kreis der Ver⸗
ſicherungspflichtigen und Verſicherungsberechtigten
und fügt der Kranken-, Unfall: und Invaliden⸗
verſicherung die Hinterbliebenenverſicherung hinzu.
Auf der anderen Seite ſchafft ſie in den Verſiche⸗
rungsämtern, den Oberverſicherungsaͤmtern und
dem Reichsverſicherungsamt, an deſſen Stelle in
gewiſſem Umfange Landesverſicherungsämter treten
können, gemeinſame Verſicherungsbehörden für alle
Verſicherungszweige. Im übrigen beſchränkt ſie
ſich auf die Beſeitigung einzelner Lücken und
Mängel. Dagegen läßt fie die Grundlagen der
drei Verſicherungszweige unberührt. In enger
Anlehnung an die geltenden Verſicherungsgeſetze
werden die Krankenverſicherung (Buch 2), die Un⸗
fallverſicherung (Buch 3) und zwar die Gewerbe⸗
unfallverſicherung (Teil 1), die landwirtſchaftliche
Unfallverſicherung (Teil 2), die Seeunfallverſiche⸗
rung (Teil 3) ſowie unter Verſchmelzung mit der
Hinterbliebenenverſicherung die Invalidenverſiche⸗
rung (Buch 4) geregelt. Soweit als möglich ſind
die Vorſchriften der geltenden Geſetze, ja ſogar
deren Anordnung des Stoffes übernommen. Nur
wenige Fragen ſind in den Büchern 1 und 6 für
alle oder doch für mehrere Verſicherungszweige
456
gemeinſam behandelt. Wiederholungen werden
vielfach durch Verweiſungen vermieden.
Dieſe Behandlung des Stoffes erleichtert das
Einleben in das umfangreiche Geſetzgebungswerk,
hat aber natürlich zur Folge, daß verwandte Vor⸗
ſchriften auseinander geriſſen werden. Vor allem
gilt dies für die Straſvorſchriften. Sie finden
ſich teils unter den gemeinſamen Vorſchriften teils
unter den Vorſchriften für die einzelnen Verſiche⸗
rungszweige und hier wieder wie in den geltenden
Verſicherungsgeſetzen teilweiſe in beſonderen Ab⸗
ſchnitten, im übrigen aber bei den Vorſchriften,
zu deren Schutze ſie beſtimmt ſind. Ein Ueber⸗
blick über den ſtrafrechtlichen Inhalt der RVO.
iſt ohne deren eingehenderes Studium nicht zu ge⸗
winnen. Deshalb wird eine Zuſammenſtellung
der Strafvorſchriften nicht unerwünſcht fein. Ihr
Vergleich mit den Vorſchriften der geltenden Ver⸗
ſicherungsgeſetze wird zeigen, daß die RVO. auf
dieſem Gebiete keine großen Aenderungen bringt.
Für die Zuwiderhandlungen gegen die Straf⸗
vorſchriften ſind entſprechend dem derzeitigen Rechts⸗
zuſtande nur teilweiſe die Gerichte zuſtändig.“)
Soweit es der Fall iſt, finden die allgemeinen
Vorſchriften des Strafgeſetzbuchs und die Vor⸗
ſchriſten der Strafprozeßordnung Anwendung. Im
übrigen werden die Strafen von den Organen
der Verſicherungsträger und den Verſicherungs—
behörden feſtgeſetzt. Es handelt fi) dabei aus:
ſchließlich um Geldſtrafen. Sie fließen grundſätzlich
in die Kaſſe des beteiligten Verſicherungstragers
(S 146 Abſ. 1; Ausnahmen 88 59 Abſ. 3, 80
Abſ. 4, 104 Abi. 2, 108 Abſ. 2, 914, 1045,
1224), werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben
(8 146 Abſ. 2 mit $ 28) und können nicht in
Freiheitsſtrafen umgewandelt werden; Anſprüche
auf Leiſtungen der Verſicherungsträger dürfen nach
Maßgabe der $3 223 Abſ. 2 und 3, 499 Abſ. 1
622, 955, 1117, 1324 und 1372 gegen ſie auf—
gerechnet werden. Die Verjährung der Zuwider—
handlungen, für welche die Gerichte nicht zuſtändig
ſind, und der ihretwegen verhängten Geldſtrafen
iſt in den SS 147 und 148 geregelt. Bisher
mußten darauf die Vorſchriſten des StGB. analog
angewendet werden.
Die Strafvorſchriften der RVO. zerfallen in
folgende Gruppen:
J. Strafvorſchriften, welche ſich auf die Tätig—
keit der Organe der Verſicherungsträger und der
Verſicherungsbehörden beziehen.
1. Die RO. ſtellt Verletzungen der Pflicht
wie des Rechtes zur Annahme und Führung von
Ehrenämtern unter Strafe.
a) Das geltende Recht ſieht in § 43 Abſ.
GewllVerſG., 8 14 Baull VerſG., § 45 Abſ. 3
LwllVerſG., 8 43 Abſ. 3 Seell VerſG. und 8 90
Ab}. 2 Inv Verſch die Moͤglichkeit der Beſtrafung vor,
1) Dieſe Zuwiderhandlungen ſind im folgenden durch
fetten Druck der Paragraphenziifer hervorgehoben.
ZBeitſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
wenn zu Ehrenämtern gewählte Perſonen die Wahl
ohne zuläſſigen Grund ablehnen oder der Aus⸗
übung ihres Amtes ohne hinreichende Entſchuldigung
ſich entziehen. Nach der RVO. können beſtraft werden:
a) Arbeitgeber, welche die Wahl zum Mit⸗
glied eines Organs eines Verſicherungsträgers
(S 18) oder Krankenkaſſenverbands (8 408) oder
die nach § 1031 erfolgte Berufung zur Beratung
und Beſchlußfaſſung über Unfallverhütungsvor⸗
ſchriften,
) alle, welche die Wahl oder Berufung zum
Verſicherungsvertreter bei einem Verſicherungs⸗
amt ($ 51), zum Beiſitzer eines Oberverſicherungs ⸗
amts (§ 76) oder zum nichtſtändigen Mitgliede
des Reichsverſicherungsamts ($ 95) oder eines
Landesverſicherungsamts (8 107) ohne zuläffigen
Grund ablehnen.
Wenn ſie ſich der Erfüllung ihrer Pflichten
entziehen, machen ſich ſtrafbar
nach § 19 Mitglieder des Vorſtandes eines Ver⸗
ſicherungsträgers,
nach $ 408 Mitglieder des Vorſtandes eines
Krankenkaſſenverbandes,
nach § 53 Abſ. 2 Verſicherungsvertreter bei einem
Verſicherungsamt,
nach 3 76 Beiſitzer eines Oberverſicherungsamts,
nach §§ 95 und 107 nichtſtändige Mitglieder des
Reichoverſicherungsamts oder eines Landes:
verſicherungsamts,
nach $ 1031 Vertreter der Arbeitgeber, die nach
dieſer Vorſchrift zur Beratung und Beſchluß⸗
faſſung über Unfallverhütungsvorſchriften zu⸗
gezogen ſind,
nach $ 1205 Abſ. 2 Vertreter der Verſicherten,
die vom Vorſtand der Seeberufsgenoſſen⸗
ſchaft zur Beratung und Beſchlußfaſſung über
Unfallverhütungsvorſchriften berufen ſind.
b) Die beſtehenden Vorſchriften, welche den
Arbeitgebern, Mitreedern, Schiffsführern und ihren
Angeſtellten bei Strafe verbieten, die Verſicherten
in der Uebernahme oder Ausübung eines Ehren—
amts zu beſchränken (GewluVerſ. 8 141,
Baull VerſG. §45, LwlluVerſG. § 152, SeellVerſG.
8139, InvVerſG. § 180), find in 8 140 mit
Sd 139 und 1225 auf die Krankenverſicherung
ausgedehnt und dahin erweitert, daß jene ‘Per:
ſonen auch beſtraft werden, wenn fie die Ver—
ſicherten wegen der Uebernahme oder der Art der
Ausübung eines Ehrenamts benachteiligen.
2. Der Beſtrafung wegen Untreue (KrankVerſc.
§ 12 Abi. 3, GewllVerſG. $ 45, BaullVerſG.
§ 14, KwlBeriß. § 47. SellBeri®. § 45,
InvVerſG. § 93 mit $ 266 StGB.) unterliegen
fortan die Mitglieder der Organe der Verſiche—
rungsträger (8 23 Ubi. 2) und der Kranken⸗
kaſſeuverbände (8 408 Abſ. 2) ſowie die geſchäfts⸗
leitenden Beamten und Angeſtellten der Kranken—
kaſſen und Krankenkaſſenverbände und bei den
— —
Betriebskrankenkaſſen die Arbeitgeber nebſt den
von ihnen Ei Geſchäftsführung beftellten Per⸗
ſonen ($ 535).
3. Eine erhebliche Erweiterung erfährt der
ſtrafrechtliche Schutz gegen Verletzung von Ge⸗
heimniſſen.
a) Die geltenden Verſicherungsgeſetze und zwar
das GewUBerj®. (88 150, 151), das Baull VerſG.
(S 45), das LmUBeri®. (83 160, 161) und das
InvVerſG. (88 185, 186) enthalten nur Stra]:
vorſchriften gegen den Verrat und die Nach⸗
ahmung von Betriebsgeheimniſſen. Die RVO.
übernimmt dieſe Vorſchriften, dehnt ſie aber auf
die geſamte Reichsverſicherung aus. Fortan werden
beſtraft Mitglieder eines Organs und Angeſtellte
eines Verſicherungsträgers, Mitglieder und Ange⸗
ſtellte einer Verſicherungsbehörde, Verſicherungs⸗
vertreter und Beiſitzer bei einer Verſicherungs⸗
behörde, die beſonderen Sachverſtändigen, denen
auf Verlangen eines Unternehmers an Stelle der
Genoſſenſchaftsbeamten die Beſichtigung ſeines
Betriebs übertragen wird, und die Mitglieder
der Ausſchüſſe der landwirtſchaftlichen Berufs⸗
genoſſenſchaften,
a) wenn ſie unbefugt Geſchäfts⸗ oder Betriebs⸗
geheimniſſe offenbaren, die ihnen in amtlicher
Eigenſchaft bekannt geworden find ($ 142),
5) wenn fie Geſchäfts⸗ oder Betriebsgeheimniſſe
unbefugt verwerten, um den Unternehmer zu
ſchädigen oder ſich oder anderen einen Vermögens⸗
vorteil zu verſchaffen ($ 143).
Für Beamte, welche der Dienſtgewalt einer
ſtaatlichen oder gemeindlichen Behörde unterſtehen,
bewendet es aber an Stelle der 88 142 und 143
bei den für fie geltenden Vorſchriften ($ 145).
Der Tatbeſtand des Verrats von Betriebs⸗
geheimniſſen hat keine weſentlichen Aenderungen
erfahren. Dagegen iſt der Tatbeſtand der Nach⸗
ahmung von Betriebsgeheimniſſen nach drei Rich⸗
tungen hin erweitert: Der Begriff der Nach⸗
ahmung iſt durch den der unbefugten Verwertung
erſetzt. Der Abſicht, den Unternehmer zu ſchädigen,
iſt die Abſicht gleichgeſtellt, ſich oder anderen einen
Vermögensvorteil zu verſchaffen, welche nach gelten:
dem Rechte nur einen Straferhöhungsgrund bildet.
Endlich iſt im Gegenſatz zum geltenden Rechte
und zum Tatbeſtande des Verrats von Betriebs—
geheimniſſen nach $ 142 RWO. nicht Voraus:
ſetzung der Beſtrafung aus $ 143, daß die un—
befugt verwerteten Geſchäfts⸗ oder Betriebsgeheim—
niſſe dem Täter in amtlicher Eigenſchaft bekannt
geworden ſind. Aus der Begründung der Re—
gierungsvorlage (S. 72f.) ergibt ſich zwar nicht,
daß dieſe Aenderung beabſichtigt wurde. Die
Verſchiedenheit der Faſſung des 8 143 RVO.
gegenüber dem $ 142 RVO. einerſeits und gegen:
über $ 151 GewuVerſG., 8 161 LwllVerſG.,
$ 186 Inv VerſG. andererſeits läßt aber darüber
kaum einen Zweiſel.
|
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 457
b) Eine wiederholt unangenehm zutage ge⸗
tretene Lücke füllt $ 141 aus. Danach wird
beſtraft, wer unbefugt offenbart, was ihm in amt⸗
licher Eigenſchaft als Mitglied eines Organs oder
Angeſtelltem eines Verſicherungsträgers, Mitglied
oder Angeſtelltem einer Verſicherungsbehörde, Ver⸗
ſicherungsvertreter oder Beiſitzer bei einer Ver⸗
ſicherungsbehörde über Krankheiten und andere
Gebrechen Verſicherter oder anderer Perſonen, für
welche die RVO. eine Leiſtung eines Verſicherungs⸗
träger3 vorſieht, oder über die Urſachen der Krank⸗
heiten und Gebrechen bekannt geworden iſt. Auch
8 141 findet nach $ 145 auf Beamte, die der
Dienſtgewalt einer ſtaatlichen oder gemeindlichen
Behörde unterſtehen, keine Anwendung.
4. Für die Angeſtellten der Krankenkaſſen und
Berufsgenoſſenſchaften, die nicht ſtaatliche oder
gemeindliche Beamte ſind oder wenigſtens deren
Rechte und Pflichten haben ($ 359 Ab. 4), können
in den Dienſtordnungen Strafen vorgeſehen werden
(88 351, 352, 354 Abſ. 5, 690, 699, 978, 1147).
II. Straſvorſchriften, die Verletzungen der
Pflicht zu Meldungen, Erklärungen, Mitteilungen
und Nachweiſen zum Gegenſtand haben.
1. Vorſchriften für die Krankenverſicherung.
a) Nach $ 190 kann die Satzung einer Kranken⸗
kaſſe die Mitglieder für den Fall, daß fie Kranken⸗
geld oder die Erſatzleiſtungen dafür beanſpruchen,
verpflichten, dem Vorſtande die Höhe der Bezüge
mitzuteilen, die ſie gleichzeitig aus einer anderen
Krankenverfſicherung erhalten. Die Unterlaſſung
dieſer Mitteilung und der Meldungen, die Kranken
nach den künftig für jede Krankenkaſſe zu er⸗
laſſenden Krankenordnungen ($ 347) obliegt, kann
nach § 529 beſtraft werden. Eine ähnliche Vor⸗
ſchrift enthält 8 26a Abſ. 2 Ziff. 2a KrankVerſc.
b) Die Arbeitgeber haben nach 88 317—319
jeden von ihnen Beſchäftigten, der zur Mitglied⸗
ſchaft bei einer Orts⸗, Land⸗ oder Innungskranken⸗
kaſſe verpflichtet iſt, binnen 3 Tagen nach Beginn
und Ende der Beſchäftigung zu melden und in
der Anmeldung auch die in der Satzung zur Be⸗
rechnung der Beiträge vorgeſchriebenen Angaben
zu machen; Aenderungen des Beſchäftigungsver⸗
haͤltniſſes, welche die Verſicherungspflicht, und Aen⸗
derungen, welche die zur Berechnung der Beiträge
gemachten Angaben berühren, haben ſie ebenfalls
binnen drei Tagen zu melden. In gleicher Weiſe
haben nach $ 468 Ab}. 2 Hausgewerbtreibende,
welche abgeſehen von den zur Familie gehörenden
Hausgenoſſen regelmäßig wenigſtens 2 hausgewerb⸗
liche Verſicherungspflichtige beſchaftigen, ſich und
alle Beſchäftigten an- und abzumelden. Die Auf⸗
traggeber von Hausgewerbtreibenden haben nach
§ 473 in der erſten Woche jedes Monats eine
Liſte der im abgelaufenen Monate beſchäftigten
Hausgewerbtreibenden mit dem in § 474 bezeich⸗
neten Inhalte einzureichen.
Wer dieſen Vorſchriften zuwider Verſicherungs⸗
pflichtige nicht anmeldet oder die Liſten über be⸗
458
ſchäftigte Hausgewerbtreibende nicht einreicht, kann,
je nachdem er vorſatzlich oder fahrläſſig handelt,
nach den verſchiedenen Strafrahmen des 8 530
Abſ. 1 beſtraft werden. Sonſtige Verletzungen
der Vorſchriften unterliegen der Beſtrafung aus
8 530 Abſ. 2. Die Strafen verhängt das Ver⸗
ſicherungsamt.
Dieſe Regelung weicht von §881 Krank VerſG. ab.
Danach iſt ſtrafbar, wer der ihm obliegenden Ver⸗
pflichtung zur An⸗ oder Abmeldung nicht nach⸗
kommt. Der Strafrahmen iſt nicht abgeſtuft.
Zuſtändig find die Gerichte.
c) Für Verſicherungspflichtige, die Mitglieder
eines nach 88 503 ff. als Erſatzkaſſe zugelaſſenen
Verſicherungsvereins auf Gegenſeitigkeit find, ruhen
auf ihren Antrag die eigenen Rechte und Pflichten
als Mitglieder der Krankenkaſſe, in die fie gehören
($ 517 Abſ. 1). Der Bundesrat kann einer
Erſatzkaſſe die Stellung dieſes Antrags für ihre
Mitglieder übertragen (5 519 Abſ. 2). Die Erſatz⸗
kaſſen haben ferner nach 8 521 den Austritt und
Ausſchluß eines verſicherungspflichtigen Mitglieds,
das vom Rechte des $ 517 Abſ. 1 Gebrauch ge:
macht hat, ſowie den Uebertritt eines ſolchen Mit⸗
glieds zu einer anderen Mitgliederkaſſe, die das
Erlöſchen jenes Rechtes zur Folge hat, der Kranken⸗
kaſſe des Mitglieds anzuzeigen. Werden die An⸗
träge oder Anzeigen von den nach der Satzung
dazu verpflichteten Organen oder Angeſtellten einer
Erſatzkaſſe verſäumt, jo kann nach 8 530 Abſ. 3
Beſtrafung erfolgen.
Die Vorſchrift entſpricht teilweiſe dem § 81
mit 8 49a KrankVer GG., wonach die Verletzung
der Anzeigepflicht, die 8 49 a KrankVerſG. ähnlich
wie $ 521 RVO. den Hilfskaſſen auferlegt, Be
ſtrafung nach ſich zieht.
2. Vorſchriften für die Unfallverſicherung:
a) Nach 83 908, 1043, 1220, 1581, 1679
Abſ. 2, 1701, 1736 Abſ. 3, 1740 Abſ. 3, 1771
und 1789 können Unternehmer, Mitreeder, Reede⸗
reileiter, Bevollmächtigte und Schiffsführer beſtraſt
werden, wenn Nachweiſe, Erklärungen oder Aus:
künfte, die ſie für die Berechnung der Beiträge
oder Prämien, die Veranlagung zu den Gefahr—
klaſſen oder die Feſtſetzung der Unfallentſchädi⸗
gung geben müſſen, ferner die vorgeſchriebenen
Anzeigen über die Eröffnung eines Betriebs, den
Beginn ſeiner Verſicherungspflicht, einen Wechſel
des Unternehmers, Aenderungen oder die Ein—
ſtellung des Betriebs tatſächliche Angaben ent—
halten, deren Unrichtigkeit die Unternehmer kannten
oder den Umſtänden nach kennen mußten. Ihr Vor—
bild haben dieſe Vorſchriften in $ 146 Gewll Vers.,
845 Abſ. 2 Baull VerſG., § 156 Lwl Ber. und
§ 143 Seell VerſG. Allein nach den Unfallverſiche⸗
rungsgeſetzen iſt der Unternehmer ſtrafbar, wenn
N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
|
— En
Ä
ihm die Unrichtigkeit der Angaben bekannt war
oder bei Anwendung angemeſſener Sorgfalt nicht
entgehen konnte, d. h. wenn er vorſätzlich oder
|
— —— oo.
geſetze, 3. Aufl. S. 1082 Anm. zu 8 146
GewllVerſG.). Dagegen macht die RVO. die
Strafbarkeit des Unternehmers davon abhängig,
daß er die Unrichtigkeit kannte oder den Umſtänden
nach kennen mußte. Die zweite Alternative ent⸗
ſpricht der zweiten Alternative des 8 259 StGB.
(Hehlerei) und des 8 175 InvVerſG. und iſt dann
gegeben, wenn der Unternehmer Umſtände kannte,
welche ihm die Annahme der Unrichtigkeit auf⸗
nötigten, woraus dann zu ſchließen iſt, daß ihm
die Unrichtigkeit nicht unbekannt blieb (Stenglein
a. a. O. S. 1069 Anm. 3 zu $ 175 InvVerſG.;
RGSt. Bd. 39 S. 6).
b) Strafbar ſind auch Unternehmer, Mitreeder,
Reedereileiter, Bevollmächtigte und Schiffsführer,
wenn ſie ihren Pflichten zur Anmeldung der Be⸗
triebe, Betriebsänderungen, Betriebseinſtellungen
ſowie eines Wechſels des Unternehmers, zur An⸗
zeige eines Unfalls, zur Einreichung von Gehalts⸗
und Lohnnachweiſen, anderen Nachweiſen, Er⸗
klärungen und Auskünften, im Bereiche der See⸗
unfallverſicherung außerdem, wenn ſie ihren
Pflichten zur Mitteilung der Namen und des
Wechſels von Bevollmächtigten nicht rechtzeitig
nachkommen ($3 909, 1007, 1044, 1221, 1556,
1581, 1679 Abſ. 2, 1701, 1736 Abſ. 3, 1740
Abſ. 3, 1771, 1789). Aehnliche Vorſchriften finden
ſich in 8147 Gew Beri®., 845 Abſ. 2 Baull VerſG.,
§ 157 LwllVerſG. und § 144 SeelBeri®.
c) Die Krankenkaſſen haben jede Krankheit,
die ein entſchaͤdigungspflichtiger Unfall herbeige⸗
führt hat, ſobald genügender Anhalt dafür vor⸗
liegt, daß die Erwerbsfähigkeit infolge des Unfalls
über die dreizehnte Woche hinaus beſchränkt ſein
wird, auf alle Fälle aber, wenn der Erkrankte
drei Wochen nach dem Unfall noch nicht wieder⸗
hergeſtellt iſt, dem Träger der Unfallverſicherung
anzuzeigen. Unterbleibt die Anzeige, ſo können
die dafür verantwortlichen Perſonen beſtraft werden
(3 1512). Die Vorſchrift entſpricht dem 8 76 b
KrankVerſG.; doch iſt die Anzeigepflicht anders
geregelt.
3. Vorſchriften für die Invalidenverſicherung.
a) Wie nach 8175 Inv VerſG. können nach $ 1487
RVO. Arbeitgeber beſtraft werden, wenn fie in
die Nachweiſe oder Anzeigen, die ſie nach den Vor⸗
ſchriften des Geſetzes oder den Beſtimmungen der
Verſicherungsanſtalt aufzuſtellen haben, Eintra⸗
gungen aufnehmen, deren Unrichtigkeit ſie kannten
oder den Umſtänden nach kennen mußten. 8 1487
RVO. geht aber über $ 175 Inv VerſG. hinaus; er
droht auch für den Fall Strafe an, daß Arbeit:
geber die vorgeſchriebenen Eintragungen ganz oder
teilweiſe unterlaſſen.
b) § 1447 ſieht wie $ 148 Inv VerſG. die Mög:
lichkeit vor, daß Krankenkaſſen, Knappſchaftsvereine
oder Knappſchaftskaſſen, andere Stellen oder ört—
liche Hebeſtellen der Verſicherungsanſtalten für
deren Rechnung die Beiträge der Verſicherungs—
fahrläſſig handelte (Stenglein, ſtrafrechtliche Neben- pflichtigen einziehen, und daß für dieſen Fall die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
Pflicht zur Meldung der Verſicherten geregelt wird.
Zuwiderhandlungen gegen dieſe Pflicht ſind in
81489 RVO. wie in 8 179 Inv VerſG. unter Strafe
geſtellt. 8 1489 RVO. überweiſt aber im Gegen:
lag zu $ 179 InvVerſG., der die Zuſtändigkeit der
Gerichte vorſieht, die Strafbefugnis dem Verſiche⸗
rungsamt und unterſcheidet zwiſchen vorſaͤtzlichem
und fahrläſſigem Handeln, während 179 InvVerſG.
nur einen Strafrahmen hat.“ (Schluß folgt).
Strafrechtliche Fragen
auf dem MI. Internationalen Kongreß
für Kriminalauthropologie.
Von Landgerichtsrat Dr. Kühlewein in München.
(Schluß.)
Mit großer Gründlichkeit wurde ferner von
glänzenden und hochbedeutenden Rednern das
Problem der
Behandlung der ſog. vermindert Zu:
rechnungsfähigen
erörtert.
Der erſte Referent, Landgerichtspräſident Dr. D.
O. Engelen⸗Zutphen (Holland) umgrenzte zu:
nächſt den Begriff der verminderten Zurechnungs⸗
fähigkeit in der Weile, daß er neben die durch
angeborene oder erworbene Mängel minderwertig
gewordenen Menſchen noch eine weitere Klaſſe der
Menſchen ſtellte, die durch Einflüſſe aus ihrer
Umgebung amoraliſch geworden find; dieſe Menſchen
leiden nicht an moral insanity, ſondern an morali⸗
ſcher Anäſtheſie. Dr. Engelen hält zwar die
Pflicht des Staates für gegeben, ſich mit den
vermindert Zurechnungsfaͤhigen als ſolchen zu
befaſſen, hält es jedoch nicht für richtig in das
Strafgeſetz eine Begriffsbeſtimmung der verminder⸗
ten Zurechnungsfähigkeit auſzunehmen; es ſolle
vielmehr der Richter nach ſeinem freien Ermeſſen,
je nachdem es der Geiſteszuſtand des Beſchuldigten
erfordere, entweder auf Strafe, oder auf ſichernde
Maßnahmen, oder auf beides erkennen können.
Durch das Geſetz ſeien die ſichernden Maßnahmen
näher zu beſtimmen, auch ſolle in den Fallen, in
denen nach der Verurteilung ſich Anhaltspunkte
dafür ergeben, daß die Tat auf verminderter Zu:
rechnungsfähigkeit beruht habe, mit Rückſicht auf
die ſichernden Maßnahmen eine Wiederaufnahme
des Verfahrens erfolgen.
Der zweite Referent, Geheimrat Profeſſor
D. Dr. jur. et med. Kahl: Berlin, Mitglied
der Strafrechtskommiſſion, brachte folgende Aus:
führungen:
1. Der Gang der Strafrechtsentwicklung in
den europäiſchen Staaten bringt den Beweis, daß
die geſetzliche Anerkennung der verminderten Zu—
rechnungsfähigkeit eine durch Gerechtigkeit und
459
Zweckmäßigkeit begründete Notwendigkeit iſt. Auch
wo ſie, wie z. B. in Frankreich, noch nicht geſetzliche
Einrichtung iſt. hat das Problem doch das höchſte
Intereſſe der mediziniſchen und juriſtiſchen Wiſſen⸗
ſchaft auf ſich gelenkt. Sie iſt bereits Beſtand⸗
teil des geltenden Rechts in den meiſten Kantonen
der Schweiz, in Italien, Griechenland, Rußland,
Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark. Sie
iſt aufgenommen in die neueren Strafgeſetzentwürfe
der Schweiz, Oeſterreichs und des Deutſchen Reichs.
Hier hat ſie ſchon eine in das 16. Jahrhundert
zurückreichende Geſchichte und im Partikularſtraf⸗
recht des 19. Jahrhunderts legislativ und wiſſen⸗
ſchaftlich eine ungemein reiche Ausbildung erfahren.
Es ſteht jetzt ſchon feſt, daß ſie dem künftigen
Deutſchen Strafgeſetzbuch nicht fehlen wird.
2. Soll die Aufnahme der verminderten Zu⸗
rechnungsfähigkeit in das Strafrecht praktiſch ver⸗
wendbar und auch für den Laienrichter verſtändlich
ſein, ſo bedarf es der Aufſtellung eines genauen
geſetzlichen Begriffes. Es empfiehlt ſich, dieſen
nicht nach der rein biologiſchen, ſondern nach der
ſogenannten gemiſchten, biologiſch⸗pſychologiſchen
Methode zu bilden. Als juriſtiſch⸗pſychologiſches
Merkmal iſt nicht die verminderte Freiheit der
Willensbeſtimmung, ſondern der Mangel des
Intellekts für die ſozialrechtliche Ordnung und der
Widerſtandskraft gegen verbrecheriſche Triebe an⸗
zunehmen.
3. Vermindert zurechnungsfähige Verbrecher
ſind zu beſtrafen, da ſie vor dem Geſetze ſchuldig
ſind und die Strafe auch an ihnen ihre normale
Funktion erfüllen kann. Ob ſie milder zu beſtrafen
ſeien, iſt am beſten nicht durch ein geſetzliches
Prinzip generell feſtzulegen, ſondern nach einem
im Strafgeſetzbuch beſtimmten Rahmen im Einzel⸗
fall der Freiheit des richterlichen Ermeſſens zu
überlaſſen. Außer Todes⸗ und lebenslänglicher
Freiheitsſtrafe ſind alle anderen Strafmittel auch
für vermindert Zurechnungsfähige geeignet. Ihre
Beſtrafung iſt aber überhaupt nicht die Hauptſache
in der Löſung des Problems, ſondern vielmehr
ein zweckentſprechender Strafvollzug und wirkſame
Maßregeln der Sicherung.
In der Diskuſſion wurde allgemein die Exiſtenz
einer verminderten Zurechnungsfähigkeit anerkannt;
die Mehrzahl der Redner befürwortete auch die
Annahme eines Strafmilderungsgrundes der ver⸗
minderten Zurechnungsfähigkeit und trat dem
Kahlſchen Standpunkt bei, daß es möglich und
notwendig ſei, einen ſcharf beſtimmten geſetzlichen
Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit
aufzuſtellen.
Zum Schluſſe ſei noch eines ſehr beachtens—
werten Vortrages des Pſychiaters, Profeſſor Dr.
Dannemann⸗Gießen gedacht, der
die Entmündigung echroniſch Krimineller
als Mittel ſozialer Hygiene
empfahl. Dr. Dannemann ſieht zwar in dem
460
Zieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23
8 65 des Entwurfes für ein Deutſches Reichsſtraf⸗
geſetzbuch eine wertvolle Handhabe zur Eindämmung
der Kriminalität pſychopathiſch oder neurotiſch ver⸗
anlagter oder an der Grenze der Imbezillität
ſtehender Minderwertiger, hält jedoch, da un⸗
möglich alle pſychiſch Defekten nach Konflikten mit
dem Strafgeſetz in Anſtalten verwahrt werden
können, noch weitere Vorbeugemaßregeln für er⸗
forderlich. Für alle dieſe Perſonen, die infolge
ihrer halb krankhaften Veranlagung zu chroniſcher
Kriminalität neigen, oder infolge ihres auf allge⸗
meiner Urteilsſchwäche baſierenden Mangels an
ſozialem Pflichtgefühl oder wegen ihrer Unfähigkeit
aus erlittenen Strafen die Nutzanwendung zu
ziehen, beſtändig der Rechtspflege Schwierigkeiten
bereiten, empfiehlt er auf dem Wege der Vor⸗
mundſchaft eine ſoziale Stütze zu ſchaffen. In
dem Verhalten dieſer Perſonen komme ein Grad
von geiſtiger Schwäche zum Ausdruck, der bei
— 722070
normen, werden einmal als „Geſetz“, ein anderes Mal als
„Ordnung“ bezeichnet; bei, Ausführungsgeſetzen“, „Aus⸗
führungsbeſtimmungen“, „Vollzugsvorſchriften“ uſw. iſt
es oft erſt nach Kenntnis des Inhalts möglich zu beurteilen,
ob es ſich um Normen des Reichs oder der einzelnen
Bundesſtaaten handelt. Während z. B. das bayeriſche
Geſetz über das Gewerbeweſen vom Jahre 1868 den
Titel „Gewerbegeſetz“ führte, erhielt das an ſeine
Stelle getretene Reichsgeſetz vom Jahre 1869 die
Bezeichnung „Gewerbeordnung“; die zur Stunde noch
geltenden Sozialgeſetze beißen ganz richtig „Kranken-,
Unfalls und Invaliden⸗Verſicherungsgeſetz“, während
das im Jahre 1912 an ihre Stelle tretende Geſetz ohne
erſichtlichen Grund „Reichsverſicherungs ordnung“
einer etwas weitherzigeren Auslegung des Ent⸗
mündigungsparagraphen wohl berechtige, ihre Ent:
mündigung zu betreiben, obwohl kein Grund vor⸗
liege, ihre ſtrafrechtliche Verantwortlichkeit zu ver⸗
neinen. Wenn ſich durch dieſes Verfahren der
Rückfall auch nicht in allen Fällen verhüten laſſe,
ſo würde es doch gewiß die ſoziale Hygiene weſent⸗
lich fördern und zum mindeſten Garantien für die
Beaufſichtigung chroniſch Krimineller nach ihrer
Rückkehr in die Oeffentlichkeit geben.
Der Kongreß bot weiter eine große Fülle
auch für den praktiſchen Juriſten hochintereſſanten
Materials. Erwähnt ſeien hier nur noch die
Referate und Vorträge über den Stand und die
Aufgaben der Kriminalpſychologie, über geiſtes⸗
kranke Verbrecher und verbrecheriſche Geiſteskranke,
über die Behandlung geiſteskranker Verbrecher,
über den Zuſammenhang zwiſchen Raſſe und Ver⸗
brechen, über Perſönlichkeit und Sekundärcharakter
in foro, über Impotenz und ſexuelle Neuraſthenie
in ihren Beziehungen zum Verbrechen und über
die Erfahrungen bei Steriliſation Krimineller
als Mittel der ſozialen Hygiene. Eine Behand—
lung auch dieſer Themata würde jedoch über den
Rahmen dieſer Zeitſchrift hinausgehen.
Mitteilnngen aus der Praxis.
Die Bejeichnung der Geiche und Verordnungen.
benannt wurde. Es war auch nicht richtig, die Reichs⸗
geſetze über Straf⸗ und Zivilprozeß „Ordnungen“ zu
nennen, wenn es ſich hierbei auch um formelles. nicht
materielles Recht handelte. Der Laie legt dieſem
Ausdruck unwillkürlich die Bedeutung einer „Ver⸗
ordnung“ unter, d. h. einer von dem Landesherrn
ohne Mitwirkung der Volksvertretung zuſtande ge⸗
kommenen Rechtsnorm. Oft kann man die Frage
hören, ob denn dieſe „Ordnungen“ wirkliche Geſetze
Rund nicht bloß Verordnungen ſeien. Dem Juriſten,
— — — — —
— — — nn
Die notwendige Fülle der Geſetzgebung ſeit dem Be=
ſtehen des Deutſchen Reiches hat es mit ſich gebracht,
daß nicht nur für den einfachen Bürger, ſondern auch
für die mit den Geſetzen vertrauteren Kreiſe der Be—
völkerung der Ueberblick über ihren Stand große
Schwierigkeiten bereitet. Zu dieſen Schwierigkeiten
trägt die jetzige Syſtemloſigkeit in der äußeren Be—
nennung der einzelnen Geſetze, Verordnungen, Aus—
führungsanweiſungen uſw. nicht wenig bei. Geſetze, d. h.
unter Mitwirkung der Volksvertretung erlaſſene Rechts—
ſtrenge durchzuführen.
Beamten, gewandten Kaufmann uſw. mag dieſe Frage
naiv erſcheinen: ſie iſt es aber keineswegs, ſondern
entſpricht einem recht geſunden Volksempfinden.
Um derartige Zweifel auszuſchließen, würde es
ſich in Zukunft ſowohl bei neuen Geſetzen als bei
Aenderung älterer empfehlen, folgende Unterſcheidung
Die unter Mitwirkung der
Volsvertretung zuſtande kommenden Rechtsnormen
führen die Bezeichnung „Reichsgeſetz“ oder („Baye⸗
riſches“ uſw.) „Landesgeſetz“; die vom Kaiſer und
den einzelnen Bundesfürſten aufgeſtellten Vorſchriften
heißen: „Kaiſerliche, königliche, herzogliche uſw. Ver⸗
ordnung“; die vom Bundesrat zur Ausführung eines
Geſetzes allgemein gegebenen Normen „Ausführungs⸗
beſtimmungen“ und die hierzu erlaſſenen, weiteren
Vorſchriften der einzelnen Bundesſtaaten ‚Vollzugs—
vorſchriften“; endlich wären die nur zu einzelnen
Geſetzesſtoffen erlaſſenen Beſtimmungen als „Ord—
nungen“ zu betiteln. So wäre ſchon aus der Be—
zeichnung zu erſehen, aus welcher Cuelle die Rechts—
norm ſtammt.
Teilweiſe iſt dieſe Scheidung ſchon in der Zoll—
und Steuergeſetzgebung durchgeführt; dem „Vereins-
zollgeſetz“, „Branntweinſteuergeſetz“ uſw. ſtehen die
„Ausführungsbeſtimmungen“ des Reiches und die
„Vollzugsvorſchriften“ Bayerns, ſowie die „Poſtzoll⸗
ordnung“, „Niederlageordnung“, „Brennereiordnung“,
„Befreiungsordnung“ uſw. gegenüber. So würde man
auch in Zukunft von einem (Reichs-) Gewerbegeſetz,
Verſicherungsgeſetz, Konkurs-, Wechſel-Geſetz, von Ge⸗
bührengeſetzen für Rechtsanwälte, Gerichtsvollzieher.
Zeugen, von einem Zivil- und einem Strafprozeß—
geſetze ſprechen, wobei wir noch hoffen, daß uns
„Verdeutſchungen“ wie „Rechtsſtreitsverfahrensgeſetz“
und ähnliche erſpart bleiben möchten. Hingegen wäre
von einer „Vereins- und Güterrechtsregiſterordnung“,
einer „Gebührenfreiheitsordnung“, einer „Sonntags—
ruheordnung“ uſw. die Rede. Selbſtverſtändlich wäre
in jenen Fallen, in welchen auch zu Ausführungs—
und Vollzugsanweiſungen die Mitwirkung der Volks-
vertretung notwendig tt, die Bezeichnung „Aus—
führungs“- oder „Vollzugsgeſetz“ zu wäblen.
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23. 461
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Schließlich wäre noch zu wünſchen, daß beim
Titel eines jeden Geſetzes deſſen amtliche Abkürzung
(z. B. Reichsverſicherungsgeſetz RVG.) vermerkt
würde, um Unterſchiede zu vermeiden, die leicht zu
Mißverſtändniſſen führen.
Zollinſpektor Wenig in München.
Aus der Praxis des Nonkursrechts. I. Der Klägerin
ſtand gegen N., über deſſen Vermögen am 14. Juni 1910
Konkurs eröffnet worden iſt, auf Grund eines am
gleichen Tag wenige Stunden vorher ergangenen Ver⸗
ſäumnisurteils eine Forderung von 2000 M Wechſel⸗
ſumme und 39,35 M Unkoſten zu; ſie rührte aus zwei
Wechſeln her, die zur Deckung des Kaufpreiſes für
geliefertes Holz angenommen und am 19. und 20. März
1910 fällig geworden waren. Die Forderung wurde
zum Konkursverfahren angemeldet und feſtgeſtellt, je⸗
doch ohne das beanſpruchte „Abſonderungsrecht“. Der
Gemeinſchuldner hatte nämlich als Unterakkordant
von B. & G. Parkettbodenarbeiten für die Stadt⸗
gemeinde N. ausgeführt, und an der ihm an ſich zu⸗
kommenden Akkordſumme war zur Deckung für et⸗
waige Nacharbeiten ein Betrag von 1700 M zurück⸗
behalten worden. Die Forderung auf Auszahlung
dieſes Betrages oder des nach Vornahme etwaiger
Nacharbeiten ihm noch zukommenden Reſtbetrages
hatte N. zur teilweiſen Tilgung der Wechſelforderung
am 22. März 1910 der Klägerin abgetreten. Das
von ihr an der abgetretenen Forderung beanſpruchte
Vorrecht beſtritten ſowohl der Gemeinſchuldner ſelbſt
als ſein Konkursverwalter. Beide wurden verklagt
mit dem Antrag: Sie ſeien beide ſchuldig anzuer⸗
kennen, daß der Klägerin für ihre Konkursforderung
das Recht auf abgeſonderte Befriedigung an dem von
B. & G. dem Gemeinſchuldner geſchuldeten Betrag
von 1700 M zuſtehe. Verleſen wurde dagegen nur
der Antrag zu erkennen, daß der Gemeinſchuldner
und der Konkursverwalter ſchuldig ſeien einzuwilligen,
daß B. & G. der Klägerin die dem Gemeinſchuldner
geſchuldete und von ihm zur Sicherung der Klägerin
übertragene Forderung von 1700 M auszahlen, ſoweit
fie noch zu Recht beſtehe. Der Antrag erhielt fchließ-
lich in der Schlußverhandlung folgende Faſſung: Der
Gemeinſchuldner und der Konkursverwalter ſeien
ſchuldig einzuwilligen, daß von der Sicherheit zu
1700 M, die B. & G. gegenüber dem Gemeinſchuldner
zurückbehalten hätten und die dieſer an die Klägerin
abgetreten habe, der Betrag von 938,30 M an die
Klägerin ausbezahlt werde. Die Beklagten beantragten
Abweiſung der Klage; der Konkursverwalter erhob
außerdem Widerklage dahin, daß die Klägerin das
Eigentum des Gemeinſchuldners an der von B. & G.
zurückbehaltenen Sicherheit von 1700 M anzuerkennen
habe.
II. Das LG. gab dem in der Schlußverhandlung
geſtellten ermäßigten Klagantrag ſtatt und wies die
Widerklage ab mit folgender Begründung: „Von dem
Betrag von 1700 M, welcher aus der dem Gemein—
ſchuldner zukommenden Werklohnforderung als Sicher—
heit für etwaige Nacharbeiten zurückbehalten wurde
und den der Stadtmagiſtrat N. nachträglich ganz an
B. & G. ausgezahlt hat, iſt der Betrag von 938,30 M,
auf den jetzt die Klage ermäßigt iſt, nur noch zwiſchen
den Streitsteilen ſtreitig; dieſen Betrag würden B.
— . — —— — — . . — —
& G. an die Klägerin auszahlen, wenn nicht der
Widerſpruch der Beklagten vorläge. Durch den Ab⸗
tretungsvertrag vom 22. März 1910 ſchied die Forde⸗
rung auf 1700 M aus dem Vermögen des Gemein⸗
ſchuldners aus; an ſeine Stelle trat als neue Gläu⸗
bigerin die Klägerin. Es beſtand demnach zur Zeit
der Konkurseröffnung — 14. Juni 1910 — keine
Forderung des Gemeinſchuldners mehr; fie konnte
alſo auch nicht mehr Beſtandteil der Konkursmaſſe
werden ($ 398 BGB., 1 KO.). Damit rechtfertigt es
ſich, daß die Klage auch gegen den Gemeinſchuldner
erhoben wurde: die Klage gegen den Konkursverwalter
war notwendig bei dem rechtlichen Standpunkt, den
dieſer ſchon vor der Erhebung der Widerklage ein⸗
genommen hatte. Der Klägerin iſt es auch nicht ver⸗
wehrt die ihr übertragene Forderung nur zu einem
Teilbetrage geltend zu machen. Beſteht der Vertrag
vom 22. März 1910 zu Recht, ſo iſt für den von An⸗
ſprüchen aus Nacharbeiten unſtreitig freien Betrag
von 938,30 M die Klägerin Gläubigerin, fie hat in⸗
ſoweit kein bloßes Abſonderungsrecht ſondern ein
Ausſonderungsrecht. Es kann dahin geſtellt bleiben,
ob die Klage, die jedenfalls keine Klage aus $ 146 KO.
iſt, eine Feſtſtellungsklage nach 8 256 ZPO. oder
eine Leiſtungsklage iſt: zweifellos iſt das Feſtſtellungs⸗
intereſſe des $ 256 ZPO. gegeben und das genügt.
Der Wirkſamkeit der Abtretung ſtand nicht der
Umſtand entgegen, daß die ſog. Kaution am 22. März
1910 noch nicht ausgezahlt war. Denn N. hatte gegen
die Stadtgemeinde N. überhaupt keinen Anſpruch auf
Rückzahlung der von ihr einbehaltenen 1700 M,
er hat einen ſolchen Anſpruch auch nicht abgetreten.
Vielmehr ſtand nur B. & G. die Forderung gegen
die Stadtgemeinde N. zu und es beſtand zwiſchen
ihr und N. keine Vertragsbeziehung; N. hatte nur
gegen B. & G. eine Forderung auf die Summe, die
von dem durch den Stadtmagiſtrat zurückbehaltenen
Betrag von 1700 M nach der Vollendung der Nach⸗
arbeiten noch übrig blieb; er konnte vernünftiger
Weiſe nur dieſe Forderung gegen B. & G.abtreten wollen.
Dieſe Forderung ging mit allen ihr anhaftenden Ein⸗
wendungen ſo über, wie ſie dem bisherigen Gläubiger
zuſtand. Die Klägerin war zur Zeit der Eingehung
des fiduziariſchen Vertrags am 22. März 1910 be⸗
rechtigt die am 19. und 20. März 1910 fällig ge⸗
wordenen Wechſelbeträge mit je 1000 M zu fordern,
ſie hat gegen die Forderungsabtretung Stundung be⸗
willigt, aber, wie die Beweisaufnahme ergeben hat,
angenommen, daß die abgetretene Forderung bald ein⸗
gehen werde. Weil das nicht der Fall war, hat die
Klägerin um einen Vollſtreckungstitel zu bekommen
die Wechſel eingeklagt ohne damit die Sicherheit auf:
geben zu wollen, welche die Forderungsübertragung bot“.
III. Das OLG. verwarf die Berufung aus fol-
genden Gründen: „Der Vertrag vom 22. März 1910
hatte den Inhalt, daß N. feine Forderung zu 1700 M
gegen B. X G. an die Klägerin abtrat und zwar
zahlungshalber; der Betrag, den die Firma B. & G.
an die Klägerin bezahlen würde, ſollte an der Wechſel—
forderung zu 2000 M abgehen. Dagegen ſtundete die Klä—
gerin ihre Wechſelforderung zu 2000 47. Dabei ging man
von der Anſicht aus, daß die 1700 M kurz nach Oſtern
bezahlt würden. Durch dieſen Vertrag iſt die Forde—
rung zu 1700 M aus dem Vermögen des Geſamt—
ſchuldners in das Vermögen der Klägerin überge—
gangen. Als der Konkurs über das Vermögen des
N. eröffnet wurde, war die Forderung nicht mehr
462
— —— —ꝑ—.—
Beſtandteil ſeines Vermögens und wurde von dem
Konkursverfahren nicht ergriffen (8 1 KO.). Die Bes
klagten meinen, der Vertrag vom 22. März 1910 ſei
durch ein ſtillſchweigendes Uebereinkommen der Klä⸗
gerin und des N. wieder aufgelöſt worden. Allein
ein ſolches Uebereinkommen liegt nicht vor. Wenn
die Klägerin ſtundete, ſo ſtundete ſie nicht auf unbe⸗
ſtimmte Zeit, ſondern unter der von beiden Teilen
gehegten Annahme, daß bald nach Oſtern 1700 M
gezahlt würden. Traf dieſe Annahme nicht zu, ſo
war damit die Sicherheit, die die Klägerin durch den
Vertrag vom 22. März 1910 erhalten hatte, nicht
hinfällig, die Klägerin war nur nicht mehr an die
Zuſage der Stundung gebunden. Ein Gläubiger, der
ſtundet und dafür Sicherheit erhält, will nicht die
Sicherheit aufgeben, wenn die Stundungsfriſt abge⸗
laufen iſt, und dem Schuldner fällt es nicht ein dem
Gläubiger ſolches zuzumuten. Wäre die Anſicht der
Beklagten richtig, ſo hätte der Gläubiger, weil er
wartete und ſtundete, nach dem Ablaufe der Friſt
keinen Vorteil in Händen, ſondern müßte den für die
Stundung gewährten Vorteil wieder aufgeben. Die
von den Beklagten angeführte Entſcheidung Seuff Arch.
64 Nr. 107 ſagt nur, daß der Gläubiger bei Ver⸗
ſchlechterung der Verhältniſſe des Schuldners nicht
mehr an die Stundung gebunden iſt, aber nicht, daß
8 5 keinen Anſpruch mehr auf die gewährte Sicher⸗
eit hat.
Die Klage iſt keine Feſtſtellungs⸗ ſondern eine
Leiſtungsklage auf Abgabe einer Willenserklärung.
Die Klägerin hätte auch gegen B. & G. klagen können,
das ſchließt aber nicht aus, daß ſie gegen die Be⸗
klagten auf Zuſtimmung zur Auszahlung klagte und
dieſer Weg war geboten, da B. & G. der Klägerin
erklärten, ſie machten die Auszahlung von der Zu⸗
ſtimmung der Beklagten abhängig.
Da die Forderung von dem Konkursverfahren
nicht ergriffen wurde, der Gemeinſchuldner aber der
Auszahlung an die Klägerin widerſprach, iſt die
Klage mit Recht gegen ihn gerichtet worden; ander⸗
ſeits nimmt der Konkursverwalter die Forderung für
die Maſſe in Anſpruch und darum war auch gegen
ihn Klage zu erheben.“
IV. Wer dieſen Rechtsfall und ſeine Löſung prüft,
dem werden die darin aufgeſtellten Rechtſätze wohl
der Betrachtung nicht unwert erſcheinen.
1. Klagen gegen einen Konkursverwalter find all⸗
tägliche Vorkommniſſe, nicht dagegen ſolche gegen ihn
und den Gemeinſchuldner ſelbſt; noch weniger häufig
iſt es, daß beiden die Paſſivlegitimation in Abſonde⸗
rungs- und Ausſonderungsſtreitigkeiten zuerkannt
wird. Die Berufungsführer verwieſen hierwegen
auf die Entſcheidung des Oberſten Landesgerichts in
Seuff Arch. Bd. 55 Nr. 139 und auf Jaeger (KO. 8 43
Anm. 56, 8 47 Anm. 9); dort wird angenommen,
daß der Gemeinſchuldner erſt nach der Freigabe aus
der Konkursmaſſe zu einem Rechtsſtreit ermächtigt
ſei. Dieſer Umſtand ſoll nach der Meinung des
OLG. unweſentlich ſein, wenn der Gegenſtand über—
haupt nicht Beſtandteil der Konkursmaſſe geworden
iſt. Allein wenn er dieſe Eigenſchaft hätte würde
nach 8 6 KO. der Gemeinſchuldner bis zur Frei—
gabe aus dem Konkursverband das Verwaltungs—
und Verfügungsrecht verlieren! Folgt nicht aus dem
S 6 KO., daß nur zwiſchen der Konkursverwaltung
und dem die Abſonderung Beanſpruchenden darüber
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
— —
teil der Maſſe iſt, nicht aber zwiſchen dem Abſonde⸗
rungsberechtigten und dem Gemeinſchuldner ſelbſt, ſo⸗
lange der Konkursverwalter nicht freigegeben hat?
2. Auch die rechtliche Natur des Anſpruchs gibt
Anlaß zu einer genaueren Betrachtung. Im Ver⸗
laufe des Rechtsſtreits wurden die verſchiedenſten
Möglichkeiten erwogen, bis endlich entſchieden wurde:
Die Klägerin beanſprucht die Abgabe einer Willens⸗
erklärung von den Beklagten, alſo auch vom Gemein⸗
ſchuldner ſelbſt. Allein dieſer hat, wie ſchon dar⸗
gelegt wurde, nach 8 6 KO. für die Dauer des Kon⸗
kursverfahrens rechtlich gar keinen Willen. Welche
geſetzliche Vorſchrift legt ihm die Verpflichtung zu der
Leiſtung auf, die in der Abgabe dieſer Willens
erklärung liegt? Es wird in den Urteilsgründen zu⸗
gegeben, daß ohnehin B. & G. unmittelbar hätten
verklagt werden können; damit ſei jedoch nicht der
klagbare Anſpruch gegen den Gemeinſchuldner auf
Abgabe einer Willenserklärung ausgeſchloſſen. Dieſe
Willenserklärung braucht aber nach der Annahme des
Gerichts nicht den ganzen Betrag von 1700 M zu um⸗
ſaſſen, ſondern kann von der Klägerin beliebig be⸗
grenzt werden. Die Beklagten können danach nicht
erſehen, wer nun das Recht auf den Betrag über
dieſe Grenze hinaus hat; wenn die Beklagte, kann ſie
dann etwa die Klägerin auf den von B. & G. nach
ſeiner Meinung zu Unrecht beſtrittenen Teil ver⸗
weiſen und für ſich den unbeſtrittenen Teil bean⸗
ſpruchen? Mit welchem Betrag ſoll ferner die Klä⸗
gerin an der Schlußverteilung im Konkursverfahren
beteiligt ſein? Angenommen weiter den Fall, daß
die Klägerin ſofort gegen B. & G. Klage erhoben
und geſiegt hätte, inzwiſchen aber deren Verhältniſſe
ſich ungünſtiger geſtaltet hätten, welchen Einfluß hat
dann ein Ausfall der Klägerin für die Berechnung
des Betrages, für den ſie eine Konkursdividende be⸗
anſpruchen kann? Um alle dieſe Schwierigkeiten zu
beſeitigen hatten die Berufungsführer behauptet, in
der Ermäßigung liege ein nach 8 64 KO. unzuläſſiger
teilweiſer Verzicht auf ein Abſonderungsrecht, es
könne nur ganz oder gar nicht verzichtet werden.
Dieſe Behauptung bezeichnen die Urteilsgründe ohne
weiteres als „unerfindlich“.
3. Endlich möge noch das Augenmerk auf die
weitgehende Anerkennung der fiduziariſchen Forde⸗
rungsübertragung gelenkt werden.
Am 13. Mai 1910 hatte die Klägerin an den
Gemeinſchuldner geſchrieben: „Mache Sie hiermit
darauf aufmerkſam, daß ich jetzt auf Regelung der
beiden Akzepte vom 19. und 20. März l. J. mit je
1000 M beſtehe. Sie haben mir zwar die Sicherbeit
von 1700 M gegeben, doch find nach Ausſage des G.
von dieſem Betrage noch 500 M ſtrittig und die
reſtigen 1200 M müſſen bis Oktober ſtehen bleiben.
Ich kann ſelbſtredend ſo lange nicht warten und
wollen Sie mir Nachricht geben, wie Sie die Sache
regeln wollen. Sollten Sie die Angelegenheit binnen
8 Tagen nicht geregelt haben, dann müßte ich die
beiden Akzepte einklagen.“ Dazu bemerkt das OL G.:
„Es bedarf nach den Erfahrungen des täglichen
Lebens keiner weiteren Erörterung, daß die Sicher—
heit, wenn ſie auch ſpäter als Oſtern fällig wurde,
nicht hinfällig wurde, ſondern nur die Stundungs—
zuſage des Klageteils“.
Soll nun wirklich der Wille zur Sicherungsüber—
eignung bei dem Schuldner noch vorhanden ſein, ſo—
entſchieden werden kann, ob der Gegenſtand Beſtand- bald der Gegenwert weggefallen iſt, den der andere
Vertragsteil gewährt, nämlich die Vereinbarung über
die Stundung? Der einheitliche Vertrag, in dem
der Gläubiger gegen Gewährung einer Sicherheit
durch Abtretung einer Forderung Stundung gewährte,
konnte doch nur durch übereinſtimmende Willens⸗
erklärungen beider Teile aufgehoben werden. Es
würde gegen Treu und Glauben im Verkehr ver⸗
ſtoßen, wenn der Gläubiger die Stundungszuſage
zurückziehen, die Gegenleiſtung aber behalten wollte.
Rechtsanwalt Landau in Nürnberg.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Zu § 31 868. Der Verein haftet für die zum
Schadenseriake verpflichtende Handlung nicht allein; der
Vorſtand haftet neben ihm. Aus den Gründen:
Die Reviſion rügt die Verletzung des 8 31 BGB. Sie
beſtreitet, daß der Beklagte N. aus dem gegen 8 826
BGB. verſtoßenden Verhalten auch perſönlich in An⸗
ſpruch genommen werden könne. N. habe ausſchließ⸗
lich als Vorſtand, als geſetzlicher Vertreter der Be⸗
klagten B. gehandelt und es könne deshalb höchſtens
eine Haftung der Beklagten B. nach S 31, nicht aber
zugleich auch eine ſolche des Beklagten N. in Frage
kommen. Dieſer Einwand iſt unbegründet. Allerdings
iſt nach § 31 ein Verein für den Schaden verantwort⸗
lich, den ſein Vorſtand durch eine in Ausführung der
ihm zuſtehenden Verrichtungen begangene, zum Schadens⸗
erſatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt,
und dieſe Vorſchrift gilt auch für die auf Grund be⸗
ſonderer Reichsgeſetze geſchaffenen juriſtiſchen Perſonen,
insbeſondere auch für Aktiengeſellſchaften. Der 8 31
hat aber nicht etwa die Bedeutung, daß bei einer
Tätigkeit der Vereinsorgane für den Verein als Täter
nur der Verein zu gelten habe; Täter iſt die phyſiſche
Perſon des Vorſtands, die durch die unerlaubte Hand⸗
lung Schaden geſtiftet hat, ſie haftet daher aus ihrer
eigenen unerlaubten Handlung und nur neben ihr
haftet auch noch der Verein. Selbſt wenn hiernach
die Beklagte B. aus dem Verſtoße des Beklagten N.
gegen den 8 826 haftbar war, fo wurde hierdurch
doch die perſönliche Haftung des Beklagten N. nicht
ausgeſchloſſen. (Urt. des V. ZS. vom 20. September
1911, V, 613 / 10).
2430
— — —ı.
II.
1. * welcher Form werden die Rechte aus einer
Vormerkung übertragen, die den Auſpruch auf Auf⸗
laſſung ſichern foll 7 ü
2. Iſt eine Vereinbarung ungültig, wenn beide
Teile in dem Irrtume befangen find, ſie fei in die Ver⸗
tragsurkunde aufgenommen?
In einer notariellen Urkunde vom 1. Juni 1906
hatte der Zimmermeiſter H. gegenüber der offenen
Handelsgeſellſchaft R., die dabei durch den Geſell—
ſchafter Hermann Bl. vertreten wurde, die Verpflich—
tung übernommen, ihr oder einem von ihr zu be—
zeichnenden Dritten ſeine Grundſtücke unter beſtimmten
Bedingungen zu verkaufen. Zur Sicherung des An—
ſpruchs auf Auflaſſung hatte er die Eintragung einer
Vormerkung für die Handelsgeſellſchaft bewilligt, die
am 21. Juni 1906 eingetragen wurde. Am 6. Juni
1907 ließ H. zugunſten feiner Frau eine Darlehns—
forderung von 21300 M eintragen. Dieſe Hypothek
erwarb ſpäter der Beklagte. Am 17. März 1909 hatte
die Firma R. auf Grund einer von H. ihr erteilten
Vollmacht die für die Hypothek verhafteten Grund⸗
ſtücke der Klägerin verkauft und aufgelaſſen. Der
Beklagte ging nun im Juli 1909 gegen die der
Klägerin übereigneten Grundſtücke mit Zwangsver⸗
waltung vor. Die Klägerin hat, geſtützt auf die Auf⸗
laſſungsvormerkung gegen den Beklagten Klage er⸗
hoben mit dem Antrag, ihn zur Löſchung der Hypo⸗
thek von 21300 M zu verurteilen und die Zwangs⸗
verwaltung für unzuläſſig zu erklären. Das LG. hat
die Klage abgewieſen, weil die Auflaſſungsvormerkung
nur zugunſten der Firma R., nicht aber zugunſten der
Klägerin eingetragen ſei. In der Berufungsinſtanz
hat darauf die Klägerin geltend gemacht, der Ueber⸗
gang der Rechte aus der Vormerkung ſei auch bei
Abſchluß des Kaufvertrages vom 17. März 1909 aus⸗
drücklich mündlich vereinbart und deshalb nicht beur⸗
kundet worden, weil er für ſelbſtverſtändlich gehalten
worden ſei. Das OLG. hat nach den Anträgen der
Klägerin erkannt. Die Reviſion hatte Erfolg.
Aus den Gründen: 1. Die nachträgliche Ein⸗
tragung der Hypothek der Frau H. beeinträchtigte das
durch die Auflaſſungsvormerkung geſicherte Recht der
Firma R. (8 883 Abſ. 2 BGB.), die Zuläſſigkeit der
auf 8 888 BGB., 88 767, 795 ZPO. gegründeten
Klage konnte daher keinem Bedenken unterliegen, ſo⸗
fern ſich die Uebertragung der der Firma zuſtehenden
Rechte auf die Klägerin rechtsverbindlich vollzogen
hatte. Gegen die Annahme einer ſolchen Ueber⸗
tragung hat die Reviſion zunächſt geltend gemacht,
daß die von dem Berufungsrichter für erwieſen er⸗
achtete mündliche Abtretung nicht ausreiche, daß es
vielmehr nach 8 873 Abſ. 1 und 8 883 Abſ. 1 BGB.
der Eintragung im Grundbuch bedurft hätte. Dabei
hat jedoch die Reviſion überſehen, daß die Vormerkung
nach der herrſchenden Anſicht kein dingliches Recht
begründet, ſondern daß ſie nur eine dingliche Siche⸗
rung eines obligatoriſchen Rechts iſt und zugleich mit
dieſem übertragen wird (Protokolle Bd. 3 S. 751).
Die Formvorſchriften des 8 873 BGB. finden daher
keine Anwendung, vielmehr genügt die für die Ueber⸗
tragung des perſönlichen Rechts ausreichende münd⸗
liche Form (vgl. Planck, Anm. 4 zu 8 883 BGB.).
2. Sodann hat die Reviſion die Nichtbeachtung
einer von dem Beklagten in der Berufungsinſtanz
aufgeſtellten Behauptung gerügt. Danach ſoll in Be⸗
ziehung auf die notarielle Urkunde vom 1. Juni 1906
zwiſchen H. und der Firma R. vereinbart worden
ſein, daß die Firma ihre Rechte aus dem Akte, ins⸗
beſondere aus der Vormerkung, niemandem abtreten
dürfe, daß dieſe Rechte vielmehr rein perſönlicher
Natur ſein ſollten und daß auch die Grundſtücke weder
einzeln noch insgeſamt einem Dritten veräußert
werden dürften, bevor H. ſeine Genehmigung erteilt
habe. Auch ſollen der Notar und die Gegenpartei H.
damals erklärt haben, daß in dieſem Sinne der Ver⸗
trag auch abgefaßt ſei. Aus dem letzten Teil dieſer
Behauptung hat der Berufungsrichter den Schluß ge—
zogen, es handle ſich nicht um eine Vereinbarung, die
neben dem Inhalt der Urkunde habe gelten ſollen,
ſondern um einen Irrtum des H. über den Inhalt
des Beurkundeten und dieſer Irrtum ſei mangels
rechtzeitiger Anfechtung nicht zu beachten. Der Reviſion
war jedoch zuzugeben, daß dieſe Begründung nicht
haltbar iſt, denn die Geltung einer Vereinbarung
wird nicht dadurch ausgeſchloſſen, daß die Vertrag—
ſchließenden irrtümlich von der Anſicht ausgehen, die
Vereinbarung ſei in die Urkunde aufgenommen. Aus
dem Umſtande, daß die Urkunde von einer ſolchen
Vereinbarung nichts, ſondern eher das Gegenteil ent—
hält, hätte vielleicht ein Beweisgrund gegen die Richtig—
keit des ganzen Vorbringens entnommen werden
können. Da dies aber nicht geſchehen iſt, ſo muß von
der Richtigkeit der Vereinbarung ausgegangen werden.
(Urt. des V. 35. vom 14. Juni 1911, V 542/10).
2429 an
—̃ —
464
III.
a Feſtſtellungsklage gegen den Soufuräper:
walter, der Schadenserſatzanſprüche für die Maſſe geltend
gemacht hat. Kaun die Klage gegen den Konkursver⸗
walter noch verfolgt werden, wenn dieſer den Auſpruch
freigegeben hat ? Eintritt des Gemeinſchuldners in den
Nechtsſtreit. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe
in ſeiner Eigenſchaft als Verwalter im Konkurſe über
das Vermögen des B. eine Forderung auf Schadens⸗
erſatz in Höhe von mindeſtens 5000 M gegen den
Kläger für ſich in Anſpruch genommen, die dem Ge⸗
meinſchuldner nach 8 826 BGB. daraus erwachſen
wäre, daß der Kläger durch unlautere Machenſchaften
die Konkurseröffnung gegen B. zu Unrecht herbeige⸗
führt habe. Er hat auf Feſtſtellung des Nichtbeſtehens
eines ſolchen Anſpruches geklagt mit dem Antrage:
feſtzuſtellen, daß dem Beklagten gegen ihn kein An⸗
ſpruch aus unerlaubter Handlung zuſtehe. Das LG.
hat die Klage abgewieſen und zugleich die Erklärung
t
|
— — . Een
des Gemeinſchuldners, daß er den Rechtsſtreit aufs |
nehme, für unbeachtlich erklärt. Das OLG. hat die
Berufung des Klägers zurückgewieſen. Die Reviſion
blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Im Verfahren erſter Inſtanz
hat der Konkursverwalter und damalige Beklagte er».
klärt, daß er die etwa gegen den Kläger beſtehenden
Schadenserſatzanſprüche aus der Konkursmaſſe freigebe,
fo daß dem Gemeinſchuldner nunmehr das freie Vers
fügungsrecht zuſtehe. Er hat mit Rückſicht hierauf
gebeten, ihn aus dem Rechtsſtreite zu entlaſſen und
erklärt, daß er in der Sache ſelbſt keinen Antrag
ſtelle, aber bereit ſei, die bis dahin dem Kläger er-
wachſenen Koſten zu erſtatten. Darauf hat der damals
für den Gemeinſchuldner erſchienene Rechtsanwalt er:
klärt, daß der Gemeinſchuldner „den Rechtsſtreit auf—
nehme“, und den Antrag geſtellt die Klage abzuweiſen.
Der Kläger hinwieder erklärte, daß er mit dieſem Ein⸗
tritte des Gemeinſchuldners nicht einverſtanden ſei,
und beantragte Verſäumnisurteil gegen den Beklagten
zu erlaſſen. Das LG. hat die Klage abgewieſen,
weil zufolge der Freigabeerklärung des Konkursver—
walters dieſer die Prozeßfähigkeit hinſichtlich des
Schadenanſpruches verloren habe und weil bei dieſer
Rechtslage dem Klagantrage, den der Kläger trotzdem
gegen den Konkursverwalter aufrecht halte, nicht ent=
ſprochen werden könne, andererſeits der Kläger zur
Stellung eines Antrages gegen den Gemeinſchuldner,
mit dem er den Prozeß nicht führen wolle, auch nicht
genötigt werden könne. In der Berufungsinſtanz hat
der Kläger den Standpunkt vertreten, es handle ſich
garnicht um die angebliche Schadenforderung, über—
haupt nicht um eine Forderung des Verwalters,
ſondern um eine Verbindlichkeit und zwar des Kon—
kursverwalters ſelbſt, die dadurch entſtanden ſei, daß
er ſelbſt ſich zu Unrecht einer Forderung gegen den
Kläger berühmt habe. Der Anſpruch des Klägers auf
Feſiſtellung, daß dem beklagten Verwalter die von
ihm behauptete Forderung nicht zuſtehe, ergebe ſich
aus jener Handlung des Konkursverwalters, ſei daher
eine Maſſeſchuld gemäß 8 59 Abſ. 1 KO., und
dieſe Schuld könne der Verwalter nicht auf den Ge—
meinſchuldner abwälzen. Das Berufungsgericht ver—
wirft dieſe Auffaſſung als unzutreffend.
Das Berufungsgericht hat zunächſt darin Recht,
daß bei der hier erhobenen negativen Feſtſtellungs—
klage nicht eine Maſſeſchuld im Sinne von 8 59
Nr. 1 KO. in Frage ſtand, ſondern eine angebliche
Aktivforderung der Konkursmaſſe, die der Kläger ver—
neint wiſſen wollte. Dieſe Forderung hat für den
Fall, daß ſie zu Recht beſtände, der Konkursverwalter
durch Erklärung gegenüber dem Gemeinſchuldner aus
der Maſſe rechtsförmlich freigegeben, wozu er auch
beſu t war (val. Jaeger, Komm. z. KO. 86 Anm. 43, 44
3. Aufl. S. 98). Durch die Freigabeerklärung, die
zweifellos einen dauernden, unwiderruflichen Verzicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
auf die Maſſezugehörigkeit bedeutet, hat die Forderung,
wenn ſie beſteht, rechtlich aufgehört Beſtandteil der
Maſſe zu ſein. Es iſt damit der Gemeinſchuldner,
der an ſich Rechtsſubjekt der Forderung war und
blieb, nun auch allein verfügungsberechtigter Inhaber
der Forderung geworden. Die Feſtſtellungsklage iſt,
ſoweit ſie gegen den Konkursverwalter gerichtet war
und den Ausſpruch begehrte, daß dieſem eine ſolche
Forderung als Maſſeforderung nicht zuſtehe, durch
die Freigabe gegenſtandslos geworden. Mochte darin
ein Anerkenntnis des Feſtſtellungsanſpruches, eine Be⸗
friedigung nicht zu finden ſein, ſo ſtand doch feſt, daß
die behauptete Forderung für die Maſſe nicht mehr
beanſprucht werden konnte. Andererſeits war der be⸗
klagte Konkursverwalter hinſichtlich des konkursfreien
Vermögensobjektes nicht mehr legitimiert den Rechts⸗
ſtreit (zur Hauptſache) fortzuführen. Er hatte ſelbſt⸗
verſtändlich nicht für ſeine Perſon „ſich des Anſpruches
berühmt“. Dieſe Rechtsfolgen der veränderten Sach⸗
lage mußte ſich der Kläger gefallen laſſen; er konnte
nicht trotzdem den Konkursverwalter als Prozeßgegner
feſthalten. Seinem Antrage dieſem gegenüber die be⸗
gehrte Feſtſtellung zu treffen, konnte das Gericht
keinesfalls ſtattgeben. Hierzu hätte auch eine Analogie
der Maſſeſchuld nicht führen können, an die man etwa
denken möchte. Es iſt insbeſondere richtig, daß ein
rechtliches Intereſſe des Klägers an der beantragten
Feſtſtellung gegenüber dem Konkursverwalter nun⸗
mehr entfallen war. Nun wäre allerdings der Kläger
wohl in der Lage geweſen die Klage gegenüber dem
Gemeinſchuldner perſönlich zu verfolgen. Aber er
hat dies nicht gewollt und nicht getan, ſeinem Ein⸗
treten ausdrücklich widerſprochen. Uebrigens hat er
auch nicht geltend gemacht, daß der Gemeinſchuldner
ſelbſt ſich des fraglichen Schadenserſatzanſpruches be⸗
rühmt habe, was daraus noch nicht ohne weiteres
hervorgegangen wäre, daß dieſer den Prozeß aufzu⸗
nehmen erklärte und Klagabweiſung beantragte. (Urt.
des VI. 35. vom 24. Juni 1911, VI 394,10).
2415
— — — .
IV.
Nichtigkeit eines Vertrags, der gegen die Borfchriften
des § 108 des Geſetzes über die privaten Berſicherungs⸗
unternehmungen verftöht. Aus den Gründen: Der
Kläger beanſprucht die Proviſion für die Vermittelung
eines Vertrags, durch den ſich der beklagte Verein
fünf engliſchen, zum Geſchäftsbetrieb in Deutſchland
nicht zugelaſſenen Feuerverſicherungsgeſellſchaften gegen-
über gegen Proviſion verpflichtet hat, den Abſchluß
von Verſicherungsverträgen zwiſchen feinen Mitgliedern
und dieſen Geſellſchaften zu vermitteln. Der Border:
richter hat die Klage abgewieſen, weil der vermittelte
Vertrag auf ſeiten beider Vertragsparteien gegen die
Strafbeſtimmungen des § 108 des RG. über die privaten
Verſicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 vers
ſtoße und daher nach 8 134 BGB. nichtig ſei. Die
Reviſion iſt unbegründet. Der Kläger fordert nicht
eine Vergütung für eine durch den Beklagten als
Hauptvermittler und den Kläger als Untervermittler
erfolgte Vermittelung eines Vertrags zwiſchen dritten
Vertragsparteien, ſondern er beanſprucht den Mäkler—
lohn für die Vermittelung eines von dem Beklagten
ſelbſt abgeſchloſſenen Vertrags. Mit Recht bezeichnet
daher der Vorderrichter die Gültigkeit dieſes Vertrags
als Vorausſetzung des Klageanſpruchs (BGB. 8 652).
Ihm iſt ferner auch darin beizuſtimmen, daß der Ver—
trag wegen Verſtoßes gegen die Strafvorſchriften des
§ 108 a. a. O. nichtig iſt. Dabei kann es dahingeſtellt
bleiben, ob ſonſtige Zuwiderhandlungen gegen die
Vorſchriften dieſes Geſetzes die Rechtsungültigkeit der
dagegen verſtoßenden Rechtsgeſchäfte zur Folge haben,
ob namentlich ein Verſicherungsvertrag nichtig iſt, den
eine nicht zum Geſchäftsbetriebe zugelaſſene auslän—
diſche Verſicherungsgeſellſchaft im Inlande durch Vers
treter oder Vermittler ſchließt; auch wenn man dies
mit Könige (Privatverſicherungsgeſetz 2. Aufl. 8 5
Anm. 6, 8 67 Anm. 4, 8 85 Anm. 4) gegen Manes⸗
Hagen (Kommentar zu dieſem Geſetze 2. Aufl. S. 58f.
Anm. 9 zu 8 4) verneint, iſt dem Vertrage die Gültig⸗
keit abzuſprechen und der Proviſionsanſpruch des Klägers
abzuweiſen. Der Vorderrichter ſtellt feſt, daß beide
Vertragsparteien, nicht nur die engliſchen Verſicherungs⸗
geſellſchaften, ſondern auch die Vertreter des verklagten
Vereins, gegen den § 108 verſtoßen haben, daß die
letzteren wußten, die engliſchen Geſellſchaften ſeien zum
Geſchäftsbetrieb in Deutſchland nicht zugelaſſen und
der Betrieb des Verſicherungsgeſchäfts im Inlande ſei
ohne ſolche Zulaſſung bei Strafe verboten, und trotz⸗
dem es in dem von dem Kläger vermittelten Vertrag
übernahmen, dauernd und gegen Entgelt Verſicherungs⸗
verträge der Vereinsmitglieder mit jenen Geſellſchaften
zu vermikteln. Dieſe Feſtſtellung rechtfertigt die Ent⸗
ſcheidung, daß der Vertrag auf Grund der 88 134,
138 BGB. nichtig iſt. Durch die Ausführung dieſes
Vertrags würde der Zweck des Geſetzes vom 12. Mai
1901, die zum Schutze der Verſicherungsnehmer für
erforderlich erachtete ſtaatliche Aufſicht über die in
Deutſchland ihre Geſchäfte betreibenden Verſicherungs⸗
unternehmungen, vereitelt und deſſen waren ſich beide
Teile bei dem Vertragsſchluſſe bewußt. Der verklagte
Verein ließ ſich durch den Vertrag eine Vergütung für
eine, wie er wußte, im öffentlichen Intereſſe verbotene,
durch den 8 108 Abſ. 2 mit Strafe bedrohte Tätigkeit
verſprechen und verſtieß damit nicht minder als die
engliſchen Geſellſchaften gegen ein Verbotsgeſetz und
zugleich gegen die guten Sitten. Aus dem gleichen
Grunde iſt auch der Vertrag zwiſchen den Prozeß⸗
parteien, auf den der Kläger feinen Anſpruch ſtützt,
nichtig, denn auch der Kläger hat durch die Vermitte⸗
lung jenes Vertrags Beihilfe zu einer verbotenen,
ſtrafbaren Handlung geleiſtet und ſich für dieſe Tätig⸗
keit die eingeklagte Vergütung verſprechen laſſen. Bei
dieſem Sachverhalt iſt es für die Entſcheidung ohne
Bedeutung, ob den Vertretern des Beklagten bei der
Abgabe des Proviſionsverſprechens die Nichtigkeit des
von dem Kläger vermittelten Abkommens bekannt war
oder nicht. (Urt. des III. 35. vom 20. Juni 1911,
III 230/10). 5
2419
B. Straffaden.
I
Nachſchieben von Waren beim Ausverkauf. Aus
den Gründen: Es iſt richtig, daß unter der Herr⸗
ſchaft des Geſetzes vom 27. Mai 1896 nach der reichs⸗
gerichtlichen Rechtſprechung bei Ausverkäufen ein Nach⸗
ſchieben von Waren in gewiſſen engen Grenzen für
zuläſſig erachtet wurde, dann nämlich, wenn das Nach⸗
ſchieben nur dazu beſtimmt war, die Zwecke des Aus⸗
verkaufs inſofern zu fördern, als einzelne Warenbe—
ſtände, die infolge Fehlens einzelner Warenſtücke nicht
oder nur ſchwer verkäuflich waren, durch ſolche Er—
gänzung verkäuflich gemacht werden ſollten. Hierbei
war die Erwägung maßgebend, daß ein ſolches Nach—
ſchieben mit dem Weſen eines Ausverkaufs nicht in
Widerſpruch ſtehe und daher mangels einer Vorſchrift
geſetzlich nicht verboten ſei. Das Geſetz vom 7. Juni
1909 hat aber gerade in dieſem Punkte den bisherigen
Rechtszuſtand geändert. Die Rechtsauffaſſung des
Reichsgerichts war bei Gerichten und den beteiligten
Geſchäftskreiſen vielfach mißverſtanden worden. Das
hatte die Folge gehabt, daß das Nachſchieben von
Waren bei Ausverkäufen wieder zunahm. Die ſeit—
herigen Beſtimmungen erſchienen daher dem Geſetgeber
unzulänglich. Deshalb wurde in dem 8 8 des Gef.
das Vor- und Nachſchieben von Waren unbedingt und
ſchlechthin verboten ohne Rückſicht darauf, ob es im
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
465
Einzelfalle mit dem Weſen des Ausverkaufs noch ver⸗
einbar iſt und den Ausverkauf ſchneller beendet. Der
Beranftalter eines Ausverkaufs kann danach nicht mit
der Behauptung gehört werden, er habe ſeine ge⸗
ſchäftlichen Maßnahmen ſo getroffen, daß trotz des
Vor⸗ oder Nachſchiebens die Ausverkaufsmaſſe nicht
vermehrt oder vergrößert, ſondern im ſchließlichen Er⸗
gebniſſe verringert und der Ausverkauf ſeinem Ende
näher geführt wurde: das Vor⸗ und Nachſchieben, ſo⸗
fern es den in 8 8 hervorgehobenen Merkmalen ent-
ſprach, war und blieb verboten, auch wenn im Zu⸗
ſammenhange damit die ſonſtigen Maßnahmen des
Veranſtalters dieſen Erfolg erzielen ſollten und er⸗
zielten. Der Sinn des Geſetzes geht dahin, daß einem
Ausverkaufe, möge er das ganze Geſchäft oder einen
Teil betreffen, in keinem Falle eine höhere Leiſtungsfäh⸗
igkeit verliehen werden ſolle, als ihm nach dem Maße
der zum Ausverkauf Anlaß gebenden Warenvorräte
zukommt, weil eine durch Herbeiſchaffung anderer
Warenvorräte künſtlich geſteigerte Leiſtungsfähigkeit
ſtärker auf die Konkurrenz nachteilig einwirken könnte,
als die natürliche Leiſtungsfähigkeit.
Hiernach begründet es vom Standpunkte des 88
aus keinen Unterſchied, ob die getroffenen geſchäftlichen
Maßnahmen des Angeklagten in einem Tauſchgeſchäft
oder in einem Kreditkauf mit Inzahlungsgabe von
Waren beſtanden, ob alſo B. dem Angeklagten auf
Verlangen die Waren aus ſeinem Geſchäfte lieferte,
die ſich unter den Ausverkaufsvorräten nicht befanden,
von dem den Ausverkauf beſuchenden Publikum aber
begehrt wurden, während ihm der Angeklagte aus
ſeinem Ausverkaufsvorrat Waren zu demſelben Werte
tauſchweiſe übereignete, oder ob der Angeklagte ſolche
vom Publikum begehrte Waren bei B. auf Kredit
kaufte gegen die Verpflichtung des B., für den ab⸗
gemachten Preis von dem Angeklagten Ausverfaufs-
waren in Zahlung zu nehmen. In jedem der beiden
Fälle hätte der Angeklagte die von B. gelieferten Waren
nur für die Zwecke ſeines Ausverkaufs herbeigeſchafft.
Die Herbeiſchaffung wäre mithin unter allen Umſtän⸗
den eine verbotswidrige Nachſchiebung i. S. von 88.
(Urt. des V. StS. vom 23. September 1911, V D
543/11).
2440
„
II.
Untreue des Agenten, der nach außen hin im eigenen
Namen handelt. Aus den Gründen: Allerdings
war der Angeklagte nach den Feſtſtellungen der Straf⸗
kammer auf Grund der Verträge bei Veräußerung
ſeines Geſchäfts mit der Firma an den Kaufmann L.
deſſen Handelsagent geworden und hatte nach 88 87,
55 HGB. und nach Vereinbarung Vertretungsvoll—
macht zur Einziehung der Kaufpreiſe aus den von
ihm geſchloſſenen Verkäufen. Wie aber weiter feſt⸗
geſtellt wird, war es dem Angeklagten auf ſeine Bitten
geſtattet worden, nach außen hin unter ſeiner alten
Firma zu reiſen und aufzutreten und, entgegen der
urſprünglichen Abſicht, auch die eingehenden Beträge
ſowie den Kaufpreis aus den von ihm vermittelten
Geſchäften „einzukaſſieren“. Die Strafkammer rechnet
auch mit der Möglichkeit, daß der Angeklagte von
dieſer Erlaubnis Gebrauch gemacht hat, iſt aber der
Auffaſſung, daß dies für die rechtliche Beurteilung
des Tatbeſtandes der Untreue keinen Unterſchied be—
gründe. Hierin liegt ein Rechtsirrtum. Wenn der
Angeklagte bei den Geſchäftsabſchlüſſen im eigenen
Namen gehandelt, ſich insbeſondere ſelbſt als den Ge—
ſchäftsinhaber ausgegeben und verhalten hat, auch
von den Geſchäftskunden und Vertragsſchließenden
dafür gehalten wurde, ſo begründete er, ſoweit ſeine
Vertragsſeite in Betracht kommt, an und für ſich Rechte
und Pflichten ausſchließlich in ſeiner Perſon. Denn
aldann kam ein Vertretungsverhältnis bei dem Aus—
tauſche der Willenserklärungen überhaupt nicht zur
Erſcheinung: weder erfolgten die Erklärungen des
466
. —. — —n. .. ñ̃ñ̃ SramER EEE Tegernsee
Angeklagten ausdrücklich im Namen eines Vertretenen,
noch ergaben die Umſtände, daß ſte im Namen eines
ſolchen erfolgen ſollten. Solche Umſtände würden ſich
aus der Tatſache nicht entnehmen laſſen, daß die
„Firma“, deren ſich der Angeklagte bei den Abſchlüſſen
bedient haben mag, in Wahrheit nicht mehr ihm,
ſondern dem Kaufmann L. zuſtand. Denn die Firma
iſt als ſolche nicht ſelbſtändig Träger von Rechten
und Pflichten, vielmehr nur der Name, unter dem
der Kaufmann, als rechtliche Perſönlichkeit, ſeine Ge⸗
ſchäfte treibt. Dieſen kaufmänniſchen Namen hatte ſich
der Angeklagte ſelbſt beigelegt a nur u Perſon
damit bezeichnet. Die in § 164 Abſ. 1 BGB. be⸗
ſtimmten Rechtswirkungen konnten daher in der Perſon
des Kaufmanns L. als angeblich Vertretenen nicht
eintreten. Andererſeits war der etwaige innere Wille
des Angeklagten, für L. zu handeln, für die rechtlichen
8 8 10455 des Dritten zu L. nach den Grundſätzen
der 88 164 Abſ. 2, 116 BGB. ohne Bedeutung. Waren
hiernach die Forderungen des Angeklagten eigene, ſo
erwarb er auch die zu deren Tilgung gezahlten Geld⸗
beträge ohne weiteres für ſich zu eigen. Es würde
1 an einem geeigneten Beocnfanbe der Untreue
ehlen
Eine andere Beurteilung hätte nur einzutreten,
wenn nachzuweiſen wäre, daß die in der Perſon des
Angeklagten begründeten Forderungen durch Ab⸗
tretung auf L. übergegangen waren. Hierzu be⸗
dürfte es nicht notwendig des Nachweiſes einer Ab⸗
tretungserklärung mit Bezug auf jede einzelne Forde⸗
rung. Wie das Reichsgericht wiederholt ausgeſprochen
hat, können vielmehr auch noch nicht entſtandene
Forderungen durch vorausgehende, ſie zuſammenfaſſend
bezeichnende Erklärung abgetreten werden. Die Ab⸗
tretung vollzieht ſich alsdann mit der Begründung der
Forderungen. Es kommt nur darauf an, daß die
5 nach Art und Gegenſtand im Voraus
inreichend klar beſtimmt worden find, eine Voraus⸗
ſetzung, die hier gegeben ſein würde. Die Möglichkeit
eines ſolchen Nachweiſes iſt gegenüber dem Urteils⸗
inhalte nicht ausgeſchloſſen. Erbracht iſt der Nach⸗
weis noch nicht. Allerdings heißt es im Urteile, das
Rechtsverhältnis zwiſchen dem Angeklagten und ſeinem
Geſchäftsherrn ſei klar und feſt dahin geregelt, daß
die Forderung aus den von ihm vermittelten Verkäufen
allein dem Geſchäftsherrn zuſtand, daß der Angeklagte
alſo nicht Kommiſſionär, ſondern, wie der Vertrag
ausdrücklich hervorhebt, Handelsagent war. Hieraus
iſt aber nicht eine tatſächliche Feſtſtellung dahin zu
entnehmen, daß nach dem Zuſammenhange der zwiſchen
beiden Vertragsſchließenden getroffenen Abmachungen
die durch den Angeklagten im eigenen Namen für ſich
zu begründenden Forderungen ſofort an den Geſchäfs—
herrn abgetreten ſein ſollten, daß m. a. W. der beider⸗
ſeitige Geſchäftswille auf eine Uebertragung im Wege
der Abtretung gerichtet war. Vielmehr tritt darin
nur ein Verkennen der Rechtsgrundſätze über die offene
und die ſtille Stellvertretung hervor.
Läßt ſich der Uebergang der Forderungen an L.
feſtſtellen, dann hat ſich der Angeklagte von dem grund—
ſätzlich zutreffenden Rechtsſtandpunkte der Strafkammer
aus der Untreue an den Forderungen ſchuldig gemacht,
ſoweit er die Schuldbeträge mit der Abſicht einzog
oder entgegennahm, ſie für ſich zu verwenden. Hierbei
würde es keinen Unterſchied begründen, ob er die
Geldbeträge bei den Kunden perſönlich erhob, oder
ob er fie von dieſen durch Poſtſendung übermittelt
erhielt. Hatte er dieſe Abſicht bei der Einziehung
oder Entgegennahme noch nicht, ging damals ſein
Wille vielmehr dahin, die Geldbeträge an feinen Ge—
ſchäftsherrn pflichtmäßig abzuführen, ſo würde eine
Untreue an der Forderung nicht in Frage kommen
können. Anderſeits wäre danach aber auch Untreue
an den Geldbeträgen noch nicht nachgewieſen, ſelbſt
wenn er ſie auf Grund eines ſpäteren Entſchluſſes
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
|
nicht abgeführt, ſondern für ſich verbraucht hätte.
Denn aus den im Eingange dargelegten Rechtsgründen
wäre anzunehmen, daß er Eigentümer der Geldbeträge ge⸗
worden war: mangels Hervortretens jedes Vertretungs⸗
verhältniſſes, ſei es beim Vertragsſchluſſe, ſei es bei
der Geldzahlung und ⸗erhebung, bliebe auf ſeiten des
Zahlenden kein Raum für einen anderen Willen, als
den, dem Angeklagten als dem allein früher in Frage
kommenden Gläubiger, Zahlung zu leiſten, ihm alſo
das Eigentum an den gezahlten Geldern zu übertragen.
Selbſt wenn es ſtatthaft wäre, mit der Strafkammer
das ausſchlaggebende Gewicht darauf zu legen, daß
die Zahlenden nur den Zweck der Schuldentilgung im
Auge hätten, würde hieraus nicht mit rechtlicher Not⸗
wendigkeit geſchloſſen werden können, daß ſie gegebenen⸗
falls an den wirklichen Firmeninhaber, als wahren
Gläubiger, haben zahlen wollen. Denn da fie, wie
unterſtellt iſt, jedenfalls von dem abtretungsweiſen
Uebergange der Forderung des Angeklagten auf einen
neuen Gläubiger nichts wußten, zahlten ſie mit voller
Rechtswirkung, d. h. mit dem Erfolge der Schulden⸗
tilgung, auch an den Angeklagten (8 407 BGB.), fo
daß die Erwägung der Strafkammer die Annahme
eines anders gerichteten Zahlungswillens rechtlich in
keiner Weiſe nahe legen könnte.
Gleichwohl wäre nach Lage der Verhältniſſe die
Möglichkeit auch einer ſpäteren Untreue an den ein⸗
genommenen Geldern nicht ausgeſchloſſen. Der Eigen⸗
tumsübergang hinſichtlich der Gelder von dem An⸗
geklagten auf L. als Geſchäftsherrn könnte ſich durch
Willenserklärung ohne körperliche Uebergabe vollzogen
haben (8 930 BGB.). Wie das Reichsgericht ſchon für
das frühere gemeine Recht anerkannt hat, iſt es rechtlich
möglich, daß vermöge im voraus gewechſelter Er⸗
klärungen der Beteiligten Sachen, die der künftige
„Konſtituent“ erwirbt, mit der Erwerbshandlung ohne
weiteres in das Eigentum des von ihm Vertretenen
fallen. Es kommt dann darauf an, daß der ſtille
Stellvertreter als Erwerber bei der Uebergabe der
Sachen erweislich mit dem Willen handelt, Beſitz und
Eigentum durch den zunächſt für ihn ſelbſt ſich voll⸗
ziehenden Erwerb ſogleich für den Geſchäftsherrn zu
erwerben. Dieſe rechtlichen Geſichtspunkte gelten auch
für das Recht des BOB. Es würde alſo des Nach⸗
weiſes bedürfen, daß nach den Vereinbarungen zwiſchen
dem Angeklagten und ſeinem Geſchäftsherrn ein Rechts⸗
verhältnis beſtehen ſollte, vermöge deſſen der Angeklagte
den mittelbaren Beſitz an den von ihm für den Ge
fhäftsheren zu erwerbenden Sachen erlangte. Als
ſolches würde das Verhältnis vom Geſchäftsherrn
zum Handelsagenten, auch im Gegenſatze zu dem eines
Kommiſſionärs, an ſich in Betracht kommen können.
Außerdem wäre der Nachweis erforderlich, daß nach
ausdrücklicher oder den Umſtänden zu entnehmender,
alſo ſtillſchweigender Vereinbarung der Wille der Be⸗
teiligten ſchon damals darauf gerichtet war, daß der
Angeklagte auch die eingehenden Gelder mit dem Zeit⸗
punkte des Eingangs, alſo ſeines Beſitzerwerbes,
vermöge des zwiſchen ihm und ſeinen Geſchäftsherrn
begründeten Rechtsverhältniſſes für dieſen beſitzen ſolle.
Die vorauszuſetzende Willensrichtung des Angeklagten
beim Erwerbe der Geldbeträge durch Zahlung an ihn,
nämlich ſein Wille mit der Erhebung und mit dem
Empfange die vorbezeichnete, die Beſitzübertragung
betreffende Vereinbarung zu erfüllen, könnte alsdann
daraus gefolgert werden, daß er, ohne über die
Forderung ſelbſt rechtswidrig verfügen zu wollen, die
Gelder in der Abſicht erhoben oder empfangen habe,
ſie pflichtgemäß zu verwalten und als ſolche an ſeinen
Geſchäftsherrn abzuführen. (Urteil des V. StS. vom
19. September 1911, V D 247/11).
2441
— — n.
— —— — —
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
1
‚Sit der Antrag auf Zuſchreibung eines Grundſtücks
„bei“ einem anderen Grundſtücke gi bedeutend mit dem
Antrag anf Zuſchreibung des Grundftäds „zu“ einem
anderen Erundſtücke? Kann ein Grundſtück mehreren
andern als Beſtandteil dad derte werden 7 Liegt in
dem Antrag ein Brunditüd mehreren anderen auf einem
gemeinſchaftlichen Blatte eingetragenen Grundſtücken zu:
zuſchreiben zugleich der Antrag anf Bereinigung dieſer
Grundſtücke? (B68. 8 890; GO. 8 4). Laut nos
tarieller Urkunde vertauſchten die Eheleute O. ihr An⸗
weſen Hs.⸗Nr. 46 in H. (Pl.⸗Nr. 59 und Pl.⸗Nr. 121)
an die Eheleute S. gegen deren Anweſen Hs.⸗Nr. 27
in H. (Pl.⸗Nr. 109, Pl.⸗Nr. 110* und Pl.⸗Nr. 113). Die
Anweſen ſollen hypothekenfrei auf die Erwerber über⸗
gehen. Die Nr. Il des Vertrages enthält die Beſtim⸗
mung: „Die Eheleute O. bewilligen und beantragen
die Zuſchreibung der oben erworbenen Pl.⸗Nr. 109,
110% 113 im Grundbuche für H. bei den Grundſtücken
Pl.⸗Nr. 859, 4175, 4176, 1876“. Da die Grundſtücke
Pl.⸗Nr. 109, 110% 113 hypothekenfrei, die anderen
Grundſtücke aber mit einer Hypothek belaſtet find, ver⸗
langte das GBA. im Hinblick auf 5219 Abſ. 2 DAG BAe.,
daß die Eheleute O. auch die zuzuſchreibenden Hypo»
„ Grundſtücke unter den Pfand verband ſtellen.
Das Notariat erachtete das für überflüſſig, weil eine
Zuſchreibung i. S. des 8 890 Abſ. 2 BGB. beantragt
ſei und fi) die Hypothek nach $ 1131 ohne weiteres
auf die zugeſchriebenen Grundſtücke erſtrecke. Das GBA.
lehnte den Vollzug des Zuſchreibungsantrags ab. Auf
die Beſchwerde der Eheleute O. hat das LG. die Ver⸗
fügung des GBA. aufgehoben und dieſes angewieſen,
anders zu entſcheiden. Es führt aus, der Antrag auf
Zuſchreivbung könne ſich auf § 890 Abſ. 2 BGB. ſtützen.
Da aber die zuzuſchreibenden Grundſtücke nur Beſtand⸗
teile eines Hauptgrundſtücks werden könnten, ſetze ihre
Zuſchreibung voraus, daß die Pl.⸗Nr. 859, 4175, 4176,
1876 ein einheitliches Grundſtück bilden. Das GBA.
habe noch auf Grund der Einträge im Grundbuch im
Zuſammenhalte mit der Hypothekenbeſtellungsurkunde
und dem Eintragungsantrage zu prüfen, ob die vier
Grundſtücke nach dem Willen der Eigentümer ein ein-
heitliches Grundſtück bilden ſollten. Auf Grund der
landgerichtlichen Entſcheidung hat das GBA. den An⸗
trag der Eheleute O. nochmals zurückgewieſen. Es
ſtellte feſt, daß trotz der Zuſammenſchreibung jedes
der vier Grundſtucke ſeine Selbſtändigkeit bewahrt hat,
daß daher eine Zuſchreibung i. S. des § 890 Abſ. 2
BGB. ausgeſchloſſen ſei. Die Eheleute O. legten wei⸗
tere Beſchwerde gegen die Entſcheidung des LG. ein,
durch die das GBA. angewieſen worden war, anders
zu entſcheiden; ſie beantragten dem Zuſchreibungs⸗
antrage ſtattzugeben. Die weitere Beſchwerde wurde
zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Auf Grund der angefoch—
tenen Entſcheidung iſt eine neue Verfügung des GBA.
ergangen, die den Zuſchreibungsantrag zurückgewieſen
hat. Da aber die Verfügung auf der Entſcheidung
des LG. beruhte, iſt dieſe allein maßgebend und an—
fehtvar (Güthe, GBO. 2. Aufl. § 78 Anm. 6 Abſ. 1,
5 71 Anm. 16 Abſ. 2). Sachlich iſt die Beſchwerde uns
begründet. Das LG. hat mit Recht gerügt, daß der
Zuſchreibungsantrag in der Vertragsurkunde undeut—
lich iſt. Seiner Anſchauung, der Inhalt der Urkunde
biete genügende Anhaltspunkte dafür, daß durch den
Antrag eine Zuſchreibung i. S. des 8 890 Abſ. 2 BGB.
erſtrebt werde, kann nicht beigetreten werden. Der
Umſtand, daß der Antrag in der Nr. II der Urkunde
im Anſchluß an die Beſtimmungen über die Regelung
der Hypothekenverhältniſſe des Anweſens Hs.-Nr. 46
geſtellt iſt und nicht in der Nr. VI neben der Auf—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
— ä—̃ —ꝗ—C4—é—ẽ——... — — — — —
467
laſſung, der Eintragungsbewilligung und dem Ein⸗
tragungsantrage, bietet dafür keinen Anhalt. Selbſt
wenn dadurch die Vermutung nahegelegt wird, daß
der Zuſchreibungsantrag mit der Regelung der Hypo⸗
thekenverhältniſſe zuſammenhängt, ſo wird dadurch
noch nicht die Annahme begründet, daß dieſe Rege⸗
lung eine Zuſchreibung nach $ 890 Abſ. 2 erforderlich
machte. Der Inhalt der Urkunde weiſt im Gegenteile
darauf hin, daß das von dem Beſchwerdeführer ein⸗
getauſchte, auf Pl.⸗Nr. 109 ſtehende Wohngebäude
Hs.⸗Nr. 27 in H. den Mittelpunkt des landwirtſchaft⸗
lichen Betriebes der Beſchwerdeführer bildet und mit
den Pl.⸗Nrn. 110“, 113 und den Pl.⸗Nrn. 859, 4175,
4176, 1876 ein einheitliches wirtſchaftliches Ganze bil⸗
den ſoll. Dieſer Sachlage wird die Verbindung der
Grundſtücke nach 84 EBD. oder 5 890 Abſ. 1 BGB.
mehr entſprechen als die Zuſchreibung des Wohnhauſes
zu Wieſen⸗ oder Ackerland. Dem Gebrauche des Aus⸗
drucks „Zuſchreibung“ kann keine entſcheidende Bedeu⸗
tung zukommen. Mit Recht macht das GBA. geltend,
daß der Ausdruck „Zuſchreibung bei einem Grundſtück“
und „ein Grundſtück einem anderen zuſchreiben“ nicht
gleichbedeutend find. Im Falle des § 890 Abſ. 2
handelt es ſich nicht um die „Zuſchreibung eines Grund⸗
ſtücks bei einem anderen Grundſtücke“, ſondern um die
„Zuſchreibung eines Grundſtücks zu einem anderen
Grundſtück“ (vgl. Art. 119 Nr. 3 EG. BGB.). Daß ein
Antrag in dieſer Richtung nicht geſtellt werden ſollte,
geht auch daraus hervor, daß die Grundſtücke Pl.⸗
Nr. 109, 1105, 113 nicht, wie es die Vorſchrift des
8 890 Abſ. 2 fordern würde, einem Grundſtücke, ſon⸗
dern einer Mehrzahl von Grundſtücken zugeſchrieben
werden ſollen. Wie ſich nämlich aus der Faſſung:
„Zuſchreibung der Pl.⸗Nr. 109, 110“ und 113 im Grund»
buche für H. bei den Grundſtücken Pl.⸗Nr. 859, 4175,
4176, 1876“ offenſichtlich ergibt, ging man davon aus,
daß die Pl.⸗Nrn. 859, 4175, 4176, 1876 nicht ein ein⸗
heitliches Grundſtück, ſondern mehrere Grundſtücke bil⸗
den, und daß die Grundſtücke Pl.⸗Nr. 109, 110, 113
bei dieſen mehreren Grundſtücken zugeſchrieben werden
ſollten. Es kann daher auch nicht der Zuſchreibungs⸗
antrag dahin ausgelegt werden, daß die vier Grund⸗
ſtücke vereinigt und als ein Grundſtück behandelt
werden ſollten (vgl. Obs G. Bd. 8 S. 528). Demnach
hat das GBA. mit Recht die Zuſchreibung zurückge⸗
wieſen; auch das LG. hätte die Beſchwerde ohne wei⸗
teres zurückweiſen ſollen. Da aber das LG. zugunſten
der Beſchwerdeführer einen Antrag i. S. des 8 890
Abf. 2 für gegeben erachtete, hat es mit Recht die Er⸗
gänzung der Feſtſtellungen und der Nachprüfung an⸗
geordnet. Die Anſicht der Beſchwerdeführer, daß die
auf einem Blatte des Hypothekenbuches eingetragenen
Grundſtücke ohne weiteres eine Grundſtückseinheit i. S.
des Grundbuchrechts ſeien, iſt unhaltbar (vgl. Henle⸗
Schmitt, Grundbuchweſen S. 155 Anm. 2). Die Zurück⸗
verweiſung an das GBA. beſchwerte ſonach die Ehe⸗
leute O. nicht. (Beſchl. des Fer ZS. vom 7. September
1911, Reg. III 61/1911). fi
2406
II.
„Wichtige Gründe“ für die Uebernahme einer Zwangs⸗
erziehungsſache durch ein anderes Bormundſchaftsgericht.
(8 46 GG.; $ 12 ZwéG.). Johann W. wurde am
24. Juni 1894 in S. als unehelicher Sohn der Fabrit—
arbeiterin Eva W. geboren. Eva W. verheiratete ſich
1898 mit dem in W. bedienſteten Hilfsheizer Johann H.
Der Knabe wurde durch den notariellen Vertrag nach
den Beſtimmungen des Fränkiſchen LR. eingekind—
ſchaftet. Durch die Beſchlüſſe vom 26. August 1905 und
23. Februar 1906 ordnete das Amtsgericht N. die vor⸗
läufige und ſodann die endgültige Unterbringung des
W. zum Zwecke der Zwangserziehung an, worauf das
Bezirksamt am 4. Oktober 1905 die Unterbringung
und am 1. April 1906 die Belaſſung des W. im
468
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
— — -
Rettungshauſe verfügte; am 28. September 1908 ließ es
den W. in die Erziehungsanſtalt R. überführen. Am
1. Oktober 1905 hatte ſich Johann H. wieder nach W.
verſetzen laſſen und dort ſeinen . .
Auf die Mitteilung des Bezirksamt N., daß H.
W. auch die Heimat erworben habe, erſuchte das 8
gericht N. am 16. September 1911 das Amtsgericht
W. die Sache zu übernehmen. Das Amtsgericht W.
lehnte ab. Das Oberſte Landesgericht ordnete an,
daß das Amtsgericht W. die Sache zu übernehmen habe.
Gründe: Nach Art. 12 Abi. 1 Zwé. find für
die Zuſtändigkeit und das Verfahren in Angelegenheiten
der Zwangserziehung die allgemeinen geſetzlichen Vor⸗
ſchriften maßgebend, insbeſondere die Vorſchriften für
die Zuſtändigkeit und das Verfahren der Gerichte in
Vormundſchaſtsſachen. Deshalb find auch die Be⸗
ſtimmungen des 8 46 GGG. über die Abgabe der
Vormundſchaft im Zwangserziehungs verfahren ent⸗
ſprechend anzuwenden. „Wichtige Gründe“ für die
Abgabe ſind anzunehmen, wenn durch die Abgabe ein
Zuſtand geſchaffen wird, der eine zweckmäßigere und
leichtere Führung der Vormundſchaft ermöglicht. Sie
werden regelmäßig dann gegeben ſein, wenn die be⸗
teiligten Perſonen im Bezirke des Gerichts wohnen,
an das die Vormundſchaft abgegeben werden ſoll.
Letzteres trifft hier zu. Sowohl die natürliche Mutter
des Zwangszöglings als auch der Stiefvater, dem
auf Grund der Einkindſchaftung auch jetzt noch die
elterliche Gewalt zuſteht, haben am Sitze des Amts»
gerichts W. ihren Wohnſitz, und das gibt den Aus:
ſchlag. Der perſönliche Verkehr der Eltern mit dieſem
Gerichte iſt einfacher und zweckmäßiger als die ſchrifliche
Verſtändigung mit dem auswärtigen Gerichte. Daß
die Tätigkeit des Vormundſchaftsgerichts ſich voraus:
ſichtlich auf Ermittelungen beſchränken wird, die auch
das Amtsgericht N. vornehmen könnte, ſchließt die Ab⸗
gabe nicht aus. (Beſchluß des II. ZS. vom 3. l
1911, Reg. IV 82/1911).
2442
B. Straffaden.
I,
Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 des PEIGB. Die Be:
kämpfung des Traubenwicklers (Heu- oder Sauerwurms).
Der Gutsbeſitzer T. zu N. in der Pfalz iſt der Auf—
forderung nicht nachgekommen, bis zum 1. April 1911
ſeine in der Gemarkung M. und in der Schutzzone
der Gemarkung S. liegenden Weinberge abzureiben.
Das Sch. verurteilte den X. wegen einer Ueber—
tretung der nach dem Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 PStGB.
erlaſſenen oberpolizeilichen Vorſchriften und ſprach in
Anwendung des Art. 20 Abſ. 4 PStGB. aus, daß &.
die durch den Zwangsvollzug entſtandenen Koſten zu
erſtatten habe. Die Berufung wurde verworfen. Die
Reviſion erblickt eine Verletzung des Art. 20 Abſ. 4
und des Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 PStGB. darin, daß
vor der Erlaſſung der oberpolizeilichen Vorſchriften
entgegen der Vorſchrift im Art. 120 Abſ. 2 PStGB.
der bayeriſche Landwirtſchaftsrat und der landwirt—
ſchaftliche Kreisausſchuß nicht gehört worden ſeien,
und daß nach der für die zwangsweiſe Durchführung,
der Abreibung allein maßgebenden Beſtimmung im
S 4 oberpol. Vorſchr. vom 1. Februar 1909 nicht ge-
prüft wurde,
und ob insbeſondere eine mündliche Aufforderung
eines Gendarmen genüge.
keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die Kreisregierung hat
auf Grund der Art. 7, 20 Abſ. +, 120 Abſ. 1 Nr. 2
P StGB. oberpolizeiliche Vorſchriften erlaſſen und
nach Art. 11 durch das Kreisamtsblatt der Pfalz
verkündet, und zwar nach Vernehmung des land—
ob eine fruchtloſe Mahnung erfolgt jei
Die Reviſion des X. hatte
wirtſchaftlichen Kreisausſchuſſes und von Sachverſtan⸗
digen. Der Vorſchrift in Art. 120 Abſ. 2 PStGB.,
daß vor Erlaſſung der in Nr. 2 Abſ. 1 des Art. 120
bezeichneten oberpolizeilichen Vorſchriften die zur Ver⸗
tretung der landwirtſchaftlichen Intereſſen berufenen
Organe oder Sachverſtändige zu vernehmen find, iſt
demnach genügt; die oberpolizeilichen Vorſchriften ſind
rechtsgültig. Die oberpolizeilichen Vorſchriften lauten
jetzt: „§ 3 Nr. 2. Alljährlich nach der Leſe muß in
allen Rebenpflanzungen das alte Rebholz ſorgfältig
abgerieben oder abgebürſtet werden, wenn und ſoweit
es nicht durch angehäufelte Erde vollſtändig bedeckt
iſt. Das Anhäufeln muß bis 1. Januar, das Ab⸗
reiben oder Abbürſten vor dem erſten Graben der
Weinberge längftens aber bis 1. April beendet fein.
Die angehäufelte Erde darf vor dem 1. März nicht
beſeitigt werden. Mit dem Abreiben oder Abbürſten
der Reben iſt ſo rechtzeitig zu beginnen, daß dieſe
Arbeiten bis zum 1. April beendet fein können. 8 4.
Wird den in 8 3 aufgeführten Verpflichtungen nicht
oder nicht in genügendem Maße oder nicht zur rechten
Zeit Folge geleiſtet, fo iſt das Bürgermeiſteramt be-
fugt und auf bezirksamtliche Aufforderung verpflichtet,
die erforderlichen Arbeiten auf Koſten der Säumigen
nach fruchtloſer Mahnung ausführen zu laſſen.“ Nach
dem klaren Wortlaute dieſer Beſtimmungen, von denen
die unter 8 4 Abſ. 2 nur die Strafbeſtimmung des
Art. 120 Abſ. 1 Nr. 2 PSIGB. wiedergiebt, iſt die
Strafe verwirkt mit dem fruchtloſen Ablaufe der Friſt
(alſo am 1. April), ohne daß es einer Mahnung be⸗
darf; dagegen muß der zwangsweiſen Durchführung
des Abreibens oder Abbürſtens eine „fruchtloſe
Mahnung“ vorausgehen, auch dann, wenn eine Friſt
ſchon in der oberpolizeilichen Vorſchrift geſetzt iſt.
Eine beſondere Form für die Mahnung iſt nicht vor⸗
geſchrieben; ſie konnte mündlich erfolgen entweder
durch die Polizeibehörde ſelbſt oder durch eines ihrer
Organe d. i. den Gendarmen. Daß fruchtlos gemahnt
wurde, haben die Vorinſtanzen genügend durch die
von ihnen gewählte Ausdrucksweiſe feſtgeſtellt, daß
der Angeklagte trotz Aufforderung ſich geweigert habe,
die Reben abzureiben. (Urt. vom 23. September 1911,
RevReg. 388/11). Ed.
24.38
II.
Zeugengebühren eines Volksſchullehrers. Aus
den Gründen: Hauptlehrer X. wurde in einer
Strafſache als Zeuge vernommen. Er beanſpruchte
u. a. eine Entſchädigung von 9 M für 1½½ Tage Zeit⸗
verſäumnis, weil er nach einem Beſchluſſe der Gemeinde⸗
verwaltung V. vom 6. Juli 1901 berechtigt ſei, bei
einem auswärtigen Dienſtgeſchäft ein Tagegeld von
6 Mü zu berechnen, und weil er auch in dienſtlicher
Eigenſchaft vernommen worden ſei. Der Beſchluß der
Gemeindeverwaltung vom 6. Juli 1901 mag für die
rechtlichen Beziehungen zwiſchen der Gemeinde und
dem Beſchwerdeſuhrer maßgebend fein, aber es kann
ihm nicht die Tragweite beigemeſſen werden, daß die
Staatskaſſe verpflichtet fein fol, dem Beſchwerde—
führer ein Tagegeld überhaupt oder in der von der
Gemeinde feſtgeſezten Höhe zu zahlen. Nach 8 70
StPO. hat der Zeuge an die Staatskaſſe einen An
ſpruch auf Entſchädigung nach der Gebührenordnung.
Nach 8 14 3 SGeb DO. erhalten öffentliche Beamte Tage:
gelder und Erſtattung von Reiſekoſten nach den Vor—
ſchriften für Dienſtreiſen. Darüber, welche öffentlichen
Beamten in Bayern gegen die Staatskaſſe Anſpruch
auf Gewährung von Tagegeldern haben, enthält die
VO. vom 11. Februar 1875 die näheren Beſtimmungen.
Die VO. bezieht ſich auf „auswärtige Dienſtgeſchäfte“
von Volksſchullehrern überhaupt nicht; fie kann nicht
durch den Beſchluß einer Gemeindeverwaltung mit
der Wirkung ergänzt werden, daß er Norm gäbe für
den Anſpruch eines Volksſchullehrers gegenüber der
Staatskaſſe. Aus dem Geſagten ergibt ſich, das der
Beſchwerdeführer auf Grund des Beſchluſſes vom
Zeitſchrift für Rechtspflege
in Bayern. 1911. Nr. 23.
469
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6. Juli 1901 von der Staatskaſſe eine Entſchädigung
für Zeitverſäumnis überhaupt nicht zu beanſpruchen
hat. Da der Beſchwerdeführer „nach den Vorſchriften
des 8 14 3SGebO.“ Tagegelder und Reiſekoſten nicht
gewährt erhält (S 14 Abſ. 2), fo bemißt ſich fein An⸗
ſpruch auf Entſchaͤdigung nach den 88 5, 6, 7, 8, Y ff.
3SGebO. Hiernach kann der Beſchwerdeführer keine
Entſchädigung für Zeitverſäumnis beanſpruchen, da
er keinen Erwerb verſäumt hat, er hat dagegen
nach 8 8 Anſpruch auf Entſchädigung für den Auf⸗
wand außerhalb des Aufenthaltsorts und für die durch
das Uebernachten entſtandene oh (Beſchl. vom
29. September 1911, Beſchw.⸗Reg. 689/11). Ed.
2437
III.
Zuläſſigkeit der Beranſtaltung einer Lotterie der
Nabattſparvereine unter ihren Mitgliedern (8 286 Abſ. 1
StGB.). Die Mitglieder des „eingetragenen Rabatt⸗
ſparvereins E. und Umgebung“ — die ſelbſtändigen
Ladeninhaber und Gewerbetreibenden — find vers
pflichtet an jeden Käufer ihrer Waren der Höhe des
Kaufpreiſes entſprechende Rabattmarken — das Stück
im Nennwert von 20 Pfg. — abzugeben und je 1000
in das ſogenannte Sparbuch eingeklebte Marken gegen
Zahlung von 10 M einzulöſen. Zur Ausführung eines
von dem Verein gefaßten Beſchluſſes, wonach ein Teil
der Zinſenüberſchüſſe „den markenſammelnden Kon⸗
ſumenten“ in Form einer Verloſung zugute kommen
ſollte, erließen im Auftrage des Vereins die Vorſtands⸗
mitglieder O. und B. in einer Tageszeitung fol⸗
gende Bekanntmachung: „Die Gewinne, die zur Ver⸗
loſung kommen, haben für dieſes Jahr eine Geſamt⸗
höhe von 1500 M. Um an dieſer Verloſung teil»
nehmen zu können, iſt es erforderlich, daß die Samm⸗
ler nach Einlöſung eines mit unſeren Marken ord⸗
nungsgemäß vollgeklebten Sparbuches von 10 M außer:
ordentliche Mitglieder unſeres Vereins werden. Die
Anmeldung hat nach Einlöſung eines Buches bei
unſeren Vorſtandsmitgliedern zu erfolgen. Außer einer
Schreibgebühr von 25 Pfg. als Jahresbeitrag ent⸗
ſtehen den außerordentlichen Mitgliedern keine weiteren
Koſten oder ſonſtige Verbindlichkeiten gegen unſeren
Verein. Die Nummer der Mitgliederkarte gilt zu⸗
gleich als Losnummer; für jedes weitere in dieſem
Jahre eingelöſte Sparbuch erfolgt die Abgabe einer
Losnummer gratis.“ In den Jahren 1908, 1909 und
1910 fand eine Verloſung um die Zeit von Weih⸗
nachten ſtatt; ausgeloſt wurden jedesmal 1500 M;
der Höchſtgewinn betrug 50 M; mit der Verloſung
hörte die außerordentliche Mitgliedſchaft auf, konnte
aber für jedes Jahr nach Erfüllung der oben bezeich—
neten Bedingungen erneuert werden. Das Sch. ver-
urteilte O. und B. wegen eines Vergehens nach $ 286
StGB.; ihre Berufungen wurden verworſen. Die Straf:
kammer ging u. a. von folgenden Erwägungen aus:
Die Lotterie war öffentlich. Die Spieler waren aller-
dings ſog. außerordentliche Mitglieder; die Mitglieds
ſchaft aber wurde nur erworben und gewährt zur
Teilnahme an der Lotterie und erloſch von ſelbſt all—
jährlich mit der Ausloſung der Gewinne. Nach der
an die breiteſte Oeffentlichkeit gerichteten Aufforderung
zur Anteilnahme an der Verloſung konnte jedermann
die außerordentliche Mitgliedſchaft erwerben. Die Be—
teiligung an der Lotterie war ſonach nicht auf einen
individuell beſtimmten Perſonenkreis beſchränkt, ſon—
dern ſtand einer Mehrzahl unbeſtimmter Perſonen
offen. Die Angeklagten wurden von dem Reviſions—
gerichte freigeſprochen.
Gründe: Eine Lotterie iſt öffentlich, ſobald nach
der Abſicht des Veranſtalters die Loſe nicht bloß
einem durch beſondere individuelle Beziehungen zu
ihm begrenzten geſchloſſenen Perſonenkreiſe, ſondern
einer Mehrzahl beliebiger, unbeſtimmter Perſonen zu—
gänglich gemacht und auf dieſe die Beteiligung von
— 4 l.ů— —
|
dem Unternehmer erftredt werden ſoll. Die beſonderen
Beziehungen, die zwiſchen dem Veranſtalter und den
Spielern beſtehen müfjen, können verſchiedene Grund⸗
lagen haben, fie können beſonders freundfchaftlicher,
verwandtſchaftlicher, geſellſchaftlicher, auch gefchäftlicher
Natur ſein. Ein Geſchäftsmann wird durch den 8 286
StGB. nicht gehindert werden können, feinen Kunden
gewiſſe Vorteile durch Veranſtaltung einer Lotterie
zuzuwenden, wenn nur der Kundenkreis äußerlich er⸗
kennbar beſtimmt und abgegrenzt iſt und ſich nicht in
die Allgemeinheit verliert. Dieſe Vorausſetzungen
treffen hier zu. Der Rabattſparverein E. und Um⸗
gebung hat ſich nicht mit einer Ginladung zur Teil⸗
nahme an die Lotterie „an die breiteſte Oeffentlichkeit“
gewendet, ſondern „an die markenſammelnden Kon⸗
ſumenten“. Iſt ſchon hierdurch der Kreis der Perſonen
von der Allgemeinheit ausgeſchieden und engbegrenzt
worden, ſo wurde er noch weiter dadurch einge⸗
ſchränkt, daß er auf die Geſchäftskunden eingeengt wurde,
welche ſich durch ein mit 1000 Marken vollgeklebtes Spar⸗
buch und Bezahlung von 25 Pfg. ſog. Einſchreibgebühr
ausgewieſen haben. Der Verein trat ſonach ausſchließlich
mit vor ausbeſtimmten, erkennbaren Geſchäftskunden
in Verbindung und ermöglichte nur dieſem individuell
begrenzten Kundenkreiſe die Teilnahme an der Lotterie.
Ob unter ſolchen Verhältniſſen der Verein jedem In⸗
haber eines mit 1000 Marken beklebten Sparbuchs den
ihn treffenden Bruchteil der Verteilungsſumme zahlte
oder es dem Zufall überließ, ob der eine mehr oder
weniger oder nichts erhielt, d. i. eine Lotterie ver⸗
anſtaltete, iſt gleichgültig; er konnte erſteres ebenſo
ſtraflos unternehmen als letzteres. Die Verleihung
der außerordentlichen Mitgliedſchaft war allerdings
eine bedeutungsloſe Form, aber in dem Sinne, daß
es dieſer Form gar nicht bedurft hätte, um den
Charakter des individuell beſtimmten Kundenkreiſes
zu wahren. (Urt. vom 10. Juni 1911, Nevfeg.
250/11). | Ed.
2303
Oberlandesgericht München.
Anwendbarkeit des Art. 2 AG. z. 3p O. anf s Feſt⸗
ſtellungeklagen. Befriedigung des Klaganſpruchs durch
den Fiskus iſt nicht gleichbedentend mit der Einlaffung
auf die Klage. Im Jahr 1903 trat der Güterhändler
W. an den Fabrikanten G. eine Forderung von 1000 M
gegen den Ingenieur K. ab. Dieſer leiſtete zunächſt
an den gemeinſamen Anwalt des W. und G. Teil⸗
zahlungen; als dieſe ausblieben, erwirkte G. am
27. März 1909 auf den Reſt von 700 M Urteil, ent⸗
ſprechend dem Einwand des Beklagten jedoch nur
„gegen Aushändigung der Abtretungsurkunde“. Da
G. eine ſolche Urkunde nicht vorfand und der Zedent
W. bereits im Jahre 1907 verſtorben war, wandte ſich
G. an den Bayeriſchen Fiskus als deſſen Alleinerben
um nachträgliche Anerkennung der Abtretung und
verklagte, als die Urkunde nur mit allerlei Vorbehalten
ausgeſtellt wurde, den Fiskus auf Feſtſtellung ſeiner
Nichtberechtigung an der ſtreitigen Forderung. Der
Fiskus ließ zunächſt ſchriftlich Klagabweiſung be—
antragen, ſtellte jedoch vor dem erſten Verhandlungs-
termin die verlangte ſchriftliche Erklärung vorbehalts—
los aus. Im Termine bezeichneten die beiderſeitigen
Vertreter den Rechtsſtreit als in der Hauptſache er-
ledigt, beantragten aber Koſtenüberbürdung auf die
Gegenpartei. Der Beklagte begründete dies damit,
daß der Kläger der Vorſchrift des Art. 2 AG. z. ZPO.
bisher nicht genügt habe, der Rechtsweg ſohin unzu—
läſſig geweſen ſei. Der Kläger machte geltend, auf
negative Feſtſtellungsklagen ſei Art. 2 überhaupt nicht
anwendbar und jedenfalls liege ein Verzicht der Re—
gierungsfinanzkammer auf deſſen Vorſchriften in der
Befriedigung des Klaganſpruchs; Art. 2 mache übri⸗
470
gens den Rechtsweg nicht unzuläſſig. Der Fiskus
habe durch ſein Zögern auch die Klage im Sinne
des 8 93 3 5O. veranlaßt.
erfolglos.
Aus den Gründen: Art. 2 AG. z. ZPO. hat
nach dem ausgeſprochenen Willen des Geſetzgebers den
Zweck, die Staatskaſſe vor unnützen Prozeßkoſten durch
ungeeignetes Verhalten der Unterbehörden zu be⸗
wahren und verſchließt deshalb bis zur erfolgloſen
Angehung der Oberbehörde, hier des Finanzminiſte⸗
riums, vorläufig den Rechtsweg (n. S. Bd. 10 S. 472).
Daraus ergibt ſich zwingend die Anwendbarkeit auf
Feſtſtellungsklagen aller Art, ſowie die weitere Folge,
daß auch eine Befriedigung des Klaganſpruchs vor
Erledigung der Vorbeſchwerde den Fiskus nicht koſten⸗
pflichtig machen kann. Denn beim Mangel dieſer Er⸗
ledigung wäre die Klage ohne Rückſicht auf ihre ſach⸗
liche Berechtigung von Amts wegen abzuweiſen ge⸗
weſen (8 274 Z356O.), die Klägerin ſohin im Sinne
des 8 91 3POO. unterlegen. Befriedigung des Klag⸗
anſpruchs ſteht der prozeſſualen Einlaſſung nicht gleich
und ein Verzicht auf die Vorſchrift des Art. 2 AG.
könnte nur von der Behörde ausgehen, deren Rechte
durch die Vorbeſchwerde gewahrt werden ſollen, hier
alſo von dem Staatsminiſterium der Finanzen. Hiernach
bedarf es keiner Erörterung, ob auch 8 93 ZBO. zus
trifft. (Beſchl. vom 20. September 1911; Beſchw.⸗Reg.
Nr. 404/11). N.
2109
Oberlandesgericht Nürnberg.
Schadenserſatzpflicht des Glänbigerd einer Ban:
gelderhypsthek bei unrichtiger Angabe ihrer Höhe (8 826
BGB.). Aus den Gründen: Der Beklagte bes
willigte dem Eigentümer und Bauherrn ein Baudars
lehen von 46000 ; in dieſes waren rund 19000 M
andere Forderungen des Beklagten gegen den Bau—
herrn eingerechnet, obwohl ſie mit dem Baue nichts
zu tun hatten. Gleichwohl ließ man es bei der Be⸗
zeichnung „Baudarlehen“, um den Anſchein zu ers
wecken, als ob dem Bauherrn die Summe von 46000 M
zum Bau zur Verfügung ſtände. Tatſächlich hat auch
der Bauherr den Bauhandwerkern gegenüber erklärt,
er habe 46000 M Baukredit erhalten. Der in Bau⸗
krediiſachen ſehr erfahrene Beklagte wußte, daß die
Bauhandwerker bei Uebernahme von Lieferungen die
Höhe des Baukredits erfragen und bei dem Avoſchluß
von Werkverträgen die Höhe dieſes Kredits berück-
ſichtigen, ſo daß ſie nur dann Verträge ſchließen, wenn
ihnen der Baukredit zu genügen ſcheint. Durch die
vertragsmäßige Einrechnung anderer Forderungen des
Beklagten gegen den Bauherrn unter das Baudarlehen
wurde ſeine Höhe verſchleiert. Das muß geſchehen
ſein, um die Bauhandwerker über die Höhe zu täuſchen
und zu Verträgen zu beſtimmen und um in der Folge
den Wert des Hauſes durch den allmählichen Ausbau
zu erhöhen. Der Beklagte hat auch keine Erklärung
dafür gegeben, warum das Baudarlehen auf 46000 M
angegeben und nicht in ein Baudarlehen von 27000 M
und eine weitere Forderung von 19000 M geſchieden
wurde. Der Beklagte erreichte auch wirklich, daß der
Wert des Grundſtucks um den Wert der Arbeiten der
Bauhandwerker erhöht wurde. Dieſes Verhalten ver—
ſtößt wider die guten Sitten; denn es bezweckte und
erreichte die Erhöhung der Sicherheit des Pfandes auf
Koſten der zum Bau liefernden Handwerker, deren un—
gedeckte Forderungen bei der unzureichenden Sicher—
heit des Grundſtucks und bei dem Mangel eines weis
teren Vermögens des Bauherrn verloren gehen muß—
ten. Der Kläger, ein Malermeiſter, iſt bei der Zwangs—
verſteigerung mit ſeiner Forderung durchgefallen und
bisher nicht befriedigt worden. Für ihn waren er—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 23.
wieſenermaßen die Angaben über die Höhe des Bau⸗
kredits beſtimmend.
. Das Erſtgericht über⸗
bürdete die Koſten dem Kläger; die Beſchwerde blieb
Der Beklagte 5 ſohin dem
Kläger gegen die guten Sitten verſtoßend vorfäßli
Schaden zugefügt und iſt ihm zum Erſatz nach 8 826
BGB. verbunden. (Urt. des I. 38S. vom 28. Oktober
1910, B. 98/1910). Br.
2481
Landgericht Kempten.
Aus der Praxis des Biehgewährſchaftsrechts.
1
. 1. Der nachträgliche Wegfall des zur Zeit des Geſahr⸗
übergangs vorhandenen Mangels bewirkt nicht den Ber:
luſt des Wandelungs rechtes.
2. Mit der e des Tieres nach der
Erhebung der Wandelungsklage erliſcht der Wandelungs⸗
auſpruch, wenn feine Geltendmachung gegen Treu und
Glauben im Verkehr verſtoßen würde.
Aus den Bründen: 1. Hat das Tier, wie das
Gericht annimmt, ſchon zur Zeit der Uebergabe den
dem Käufer allerdings damals nicht bekannten Fehler
des Huſtens gehabt, ſo war es entgegen der vertrags⸗
mäßigen Zuſicherung damals eben nicht „geſund“,
mag der Fehler auf Tuberkuloſe oder auf eine andere
Urſache zurückzuführen geweſen ſein; gleichgültig iſt,
ob es ſpäter den Fehler verloren hat oder nicht; denn
derjenige, der ſich für völlige Geſundheit Gewähr
leiſten läßt, braucht nicht die Gefahr zu übernehmen,
ob ein die Geſundheit ausſchließender Fehler ſpäter ſich
heben oder verſchlimmern werde. Der Kläger konnte
alfo Wandelung gemäß 88 492, 487 BGB. verlangen.
2. Nach 8 492 BGB. in Verbindung mit 8 487 II
hat der Käufer, wenn er auf Wandelung beſteht, ob⸗
wohl er das Tier nicht mehr zurückgeben kann, den
Wert zu vergüten. Nun hat ſich aber der Geſund⸗
heitsfehler des Tieres, der den Käufer zur Wandelung
berechtigte, nach dem Gutachten des Bezirkstierarztes
nicht nur gehoben, ſondern es hat ſich der Schumpen
ſogar auffallend gut entwickelt. Es hat ſich ins⸗
bejondere die Gefahr, er möchte tuberkulos fein, nicht
verwirklicht; der Schumpen hat ſich zufriedenſtellend
zu einem Rinde entwickelt. Es leuchtet ohne weiteres
ein, daß dadurch ſein Wert bedeutend geſtiegen iſt und
daß das auch dem Kläger bei der Bemeſſung des Kauf⸗
preiſes für das Anweſen zugute gekommen ſein mußte,
als deſſen Inventarſtück er nach der Erhebung der
Wandelungsklage den Schumpen mitverkaufte. Hätte
der Kläger ihn bei dieſem Verkaufe zurückgehalten,
ſo würde dieſe Wertſteigerung des Tieres dem Be⸗
klagten bei der Zurückgabe an ihn zugefallen ſein.
Macht der Kaͤufer die Wandelung geltend, und hat
ſich ausnahmsweiſe der Fall ereignet, das ſich der
Zuſtand des Tieres nach dieſem Zeitpunkte weſentlich
verbeſſert hat, ſo kann der Käufer ſich dieſen Umſtand
nicht dadurch zunutze machen, daß er das Tier zu
feinem erhöhten Werte veräußert und dem Vertrags-
gegner nur den zur Zeit des Wandelungsbegehrens
gegebenen Wert in der Weiſe zukommen laſſen will,
daß er ſeinerſeits auf Ruckgabe des von ihm hin—
gegebenen Kaufſchillings verzichtet. Der Unterſchied
zwiſchen letzterem und der eingetretenen Wertserhöhung
würde ſonſt als ungerechtfertigte Bereicherung dem
Käufer zufließen, der u. a. auch die täglichen Futter⸗
foiten erſetzt verlangt. In einem ſolchen Berfuche
ſich auf Koſten des Gegners zu bereichern, könnte nur
ein Verſtoß gegen Treu und Glauben erblickt werden;
wollte ſich Kaufer aber nicht ungerechtfertigt bereichern,
fo konnte dies nur durch Verzicht auf den Wandelungs⸗
anſpruch geſchehen. In beiden Fällen iſt das Wande⸗
lungsbegehren aber nicht mehr gerechtfertigt. (gl.
hierzu Stoͤlzle, Viehkauf 4. Aufl. § 487 S. 197 fl.
Ferner LG. Neuburg vom 30. März 1909, BerfNteg. Nr.
F 55/08, abgedr. bei: „Stölzle, Gerichtliche Entſchei⸗
dungen des erſten Jahrzehnts des BGB. über den
Viehkauf“, Mainz 1910 S. 96—98). (Urt. vom
= Juni 1911, BerReg. F 108/10).
01
II.
In einem Biehgewährſchaftsprozeſſe find in der
Regel die Koſten eines Vorprozeſſes zu erſtatten. Aus
den Gründen: Für die Koſten des Vorprozeſſes
haftet der Beklagte nicht aus dem Rechtsgrunde der
Schadenserſatzpflicht . Verſchuldens. Richtig iſt,
daß 8 488 BGB. die Koſten des Vorprozeſſes nicht
unter den dem Käufer zu erſetzenden Koſten aufführt.
Die Erſtattungspflicht des Beklagten für die Koſten
des Vorprozeſſes ergibt ſich aber aus dem Weſen der
Wandelung, wonach die Parteien ſich in den Stand
zurückverſetzen müſſen, wie wenn der Kaufvertrag nicht
geſchloſſen wäre. (Planck, Komm. z. BGB. § 467 Anm. b
und e, Gruchot Bd. 48 S. 503 ff.). Da der Kläger
gegenüber dem Beklagten durch Mängelanzeige und
Streitverkündung erklärt hat, daß er den Kaufvertrag
für gelöſt erachten wolle, der Beklagte aber nicht frei⸗
willig in die Auflöſung willigte, hat der Kläger den
Vorprozeß außerdem für den Beklagten geführt für
den Fall, daß ſich ſein Wandelungsbegehren als
berechtigt erweiſt. Die Pflicht zur Erſtattung der
Koſten des Vorprozeſſes ergibt ſich daher auch aus dem
Rechtsgrunde der Geſchäftsführung ohne Auftrag nach
85 677, 583 BGB. Auch kann angenommen werden,
daß dann, wenn zwiſchen den Vertragsteilen die Ge⸗
währleiſtung für zugeſicherte Eigenſchaften vereinbart
iſt, zwiſchen ihnen auch eine ſtillſchweigende Verein⸗
barung darüber zuſtande gekommen iſt, daß der Ver⸗
käufer dem Käufer die Koſten eines notwendigen Vor⸗
prozeſſes erſetzt. (Urt. vom 9. Juni 1911, F 53/11).
2402 Mitgeteilt von Rechtanwalt Dr. Stölzle in Kempten.
Landgericht Schweinfurt.
Wann beginnt die ſechswöchige Verjährnungsfriſt
der SS 492, 490 BGB., wenn beim Verkauf einer Kuh
Trächtigkeit von einem beſtimmten Zeitpunkte an ge⸗
ee et wird? Am 21. Oktober 1910 verkaufte der
Beklagte dem Kläger eine Kuh um 380 M unter der
Zuſicherung, daß das Tier vom 15. Mai 1910 an trächtig
ſei; die Kuh wurde am gleichen Tag übergeben. Der Kauf⸗
preis wurde zum Teil ſofort, zum Teil etwas ſpäter
gezahlt. Am 6. März 1911 erhob der Käufer Wandlungs⸗
klage, weil die Kuh nicht trächtig war. Der Beklagte
machte den Einwand der Verjährung geltend. Das
Amtsgericht wies die Klage ab. Es erachtete den Ein⸗
wand für begründet, weil der Beweis für eine Hinaus⸗
ſchiebung des Beginnes der Verjährungsfriſt nicht er⸗
bracht ſei, dieſe daher mit der Uebergabe begonnen
habe. Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Gründen: In der Literatur ſind die
Meinungen darüber geteilt, welche Bedeutung der Zu—
ſicherung der Trächtigkeit für die Frage des Laufes
der Verjährungsfriſt zukommt. (S. Meisner S. 140
bis 143 und Stölzle S. 329, 339). Das Berufungs-
gericht ſtellt ſich in der Hauptſache auf den von Meisner
vertretenen Standpunkt und zwar aus folgenden
Gründen. Wenn der Verkäufer einer Kuh zuſichert,
daß die Kuh von einem beſtimmten Zeitpunkt an
trächtig iſt, d. h. in dieſem Zeitpunkt konzipiert hat,
ſo wird damit eine Eigenſchaft der Kuh gewährleiſtet:
der Käufer ſoll nach Umfluß einer beſtimmten Zeit
von dem gekauften Tier ein Junges zu erwarten haben.
Liegen nun der zugeſicherte Beginn der Trächtigkeit
und der Zeitpunkt der Uebergabe des Tieres zeitlich
ſo nahe zuſammen, daß das Junge erſt nach Ablauf
dieſer Verjährungsfriſt zur Welt kommen müßte, alſo
Zeitſchrift für Rechtspflege in
Bayern. 1911. Nr.“ 23. 471
erſt nach Ablauf der Verjährungsfriſt ſich entſcheidet,
ob die Kuh die zugeſicherte Eigenſchaft hat, ſo muß
angenommen werden, daß Verkäufer und Käufer auch
ohne weitere Abrede davon ausgehen, daß der Käufer
eine Rechte aus der Zuſicherung ſolle geltend machen
ürfen, wenn ſich die Frage entſchieden hat. Man
muß vorausſetzen, daß die Parteien redlich und ver⸗
nünftig handeln wollen. Damit wäre unvereinbar,
wenn dem Käufer eine Eigenſchaft zugeſichert würde,
die ſich erſt nach Ablauf der geſetzlichen Verjährungszeit
feſtſtellen läßt, andererſeits aber für den Käufer die
geſetzliche Verjährungszeit beginnen und er dadurch
ſeine Rechte verwirken müßte, bevor er ſie geltend
machen könnte. Der Ausweg, auf den Stölzle den
Kläger verweiſt — er ſolle vorſorglich innerhalb der
geſetzlichen Verjährungsfriſt aufs Geratewohl die
Wandelungsanſprüche erheben — iſt abzulehnen. Es
kann billigerweiſe keinem Käufer zugemutet werden
aufs Geratewohl eine in der Regel mit hohen Koſten
verknüpfte Wandelungsklage anzuſtrengen. Es iſt auch
ausgeſchloſſen, daß die Parteien bei der Vereinbarung
der Trächtigkeitszuſage eine ſolche Möglichkeit ins
Auge faſſen. Vielmehr werden in einem ſolchen Falle
beide Teile davon ausgehen, daß der Käufer ſolange
einen Rechtsverluſt durch Verjährung nicht ſolle be⸗
fürchten müſſen, als er das Fehlen der zugeſicherten
Eigenſchaft nicht wiſſen und nicht geltend machen kann,
m. a. W. daß der Beginn der Verjährung bis zu
dieſem Zeitpunkt hinausgerückt ſein ſolle. Daß eine
ſolche Hinausſchiebung durch Parteiabrede zuläſſig iſt,
ergibt ſich aus 8 477 Abſ. I Schlußſatz mit $ 490
Abſ. 1 BGB. Wie die Verjährungsfriſt durch Partei⸗
abrede geändert werden kann, ſo kann auch der Beginn
einer Verjährungsfriſt verſchoben werden (vgl. Komm.
von Reichsgerichtsräten Anm. 3 zu 8 477). Es erhebt
ſich noch die Frage, wie weit in einem ſolchen Falle
der Beginn der Verjährungsfriſt als hinausgeſchoben
zu gelten hat. Meisner meint, daß die höchſtmögliche
Trächtigkeitszeit zugrunde zu legen iſt. Das Be⸗
rufungsgericht hat keine Veranlaſſung zu dieſer Frage
Stellung zu nehmen, da auch bei Zugrundelegung
der normalen Trächtigkeitsdauer von 280 Tagen die
Klage rechtzeitig erhoben iſt. (Urt. vom 17. Oktober
1911, F 114/11). M.
2405
Literatur.
Maier, Dr. jur. Rudolf, Rechtsanwalt in München,
Das Verſicherungsvertragsrecht. Berlin
1911, Verlag von Puttkammer & Mühlbrecht. Gebd.
Mk. 10.—, geh. Mk. 8.60.
Der Verfaſſer iſt auf dem weiten Gebiete des Ver⸗
ſicherungsrechtes ſeit einer Reihe von Jahren praktiſch
tätig und hat fi ſchon bei Herausgabe des Laß—
Maierſchen Haftpflichtrechtes als Mitarbeiter in der
Literatur einen Namen gemacht. Im vorliegenden
Werke werden die Grundfragen des Verſicherungs—
rechtes, die Einteilung aller Verſicherung in Schadens—
und Perſonenverſicherung erörtert, dann, wer Ber:
ſicherer, wer Verſicherungsnehmer ſein kann; Beginn,
Ende, Verjährung der Verſicherung; weiterhin die
intereſſanten Rechtsverhältniſſe, die mit der Gefahr—
erhöhung und Anzeigepflicht zuſammenhängen; das
Prämien-, das Agentenrecht und ſchließlich die ein—
zelnen Verſicherungszweige, alſo vor allem die Feuer—
verſicherung, Haftpflichtverſicherung, Lebens- und Un⸗
fallverſicherung. Was der Verſicherungsfachmann als
Laie in Rechtsfragen vom Verſicherungsvertragsgeſetz
ohne Mühe beherrſchen kann, findet er in einer erſten
Abteilung erläutert. Die zweite Abteilung dagegen
bringt die Erörterung der ſchwierigeren Kapitel des
Geſetzes.
472
Das Werk iſt in allen feinen Teilen aufs ſorg⸗
fältigſte gearbeitet, der Stoff durch praktiſche Beiſpiele
erläutert, die Sprache flüſſig und klar. Angeſichts
der Gründlichkeit der Arbeit und der Zuverläſſigkeit der
Quellennachweiſe kann das Werk nicht nur den Ver⸗
ſicherungsgeſellſchaften und ihren Organen, ſondern
auch den Gerichten, Verwaltungsbehörden und Rechts⸗
anwälten aufs beſte empfohlen werden.
München. Oberlandesgerichtsrat Hausladen.
Weißer, Wilhelm, Weinkontrolleur in Kirchheimbolan⸗
den. Die Einfuhr ausländiſcher Weine und
deren Kontrolle in Deutſchland. 32 S. Kirch⸗
heimbolanden und Kaiſerslautern 1911, Thiemeſche
Druckereien G. m. b. H.
Der pfälziſche Weinkontrolleur hat ſein in Wein⸗
fachkreiſen viel beachtetes Referat vom Würzburger
Weinbaukongreß nunmehr als Broſchüre erſcheinen
laſſen. Er hat ſehr recht daran getan. Denn es kann
nicht oft genug darauf hingewieſen werden, welche
Gefahren dem inländiſchen Weinmarkte durch Ueber⸗
ſchwemmung mit ausländiſchen insbeſondere griechiſchen
Kunſtweinen drohen und wie wenig die Vorſchriften
der Weinzollordnung geeignet ſind uns dagegen zu
ſchützen. Geſtützt auf ſeine reiche Erfahrung und an
der Hand von Beiſpielen weiſt Weißer nach, daß man
Auslandsweinen gegenüber viel zu nachſichtig iſt und
daß eine viel ſchärfere Kontrolle bei der Weineinfuhr
nötig iſt, zumal die Einfuhr von Januar bis Juni
1911 bereits ſo hoch ſei wie das geſamte Wachstum
an deutſchen Weinen im Jahre 1910. Er beſpricht
weiter die Mißſtände, die ſich ergeben, wenn die Zoll—
behörde einen verdächtigen Wein mangels hinreichen—
den Beweiſes unbeanitandet einläßt, den dann der
Weinkontrolleur pflichtgemäß ſpäter beanſtanden muß.
Er bemängelt endlich den gegenwärtigen Inſtanzenzug
bei Beſchwerden wegen verweigerter Einfuhr und ver—
langt als letzte Inſtanz hierfür die Errichtung einer
auch früher ſchon bei Beratung des neuen Weinge—
ſetzes von ihm vorgeſchlagenen Weinkontrollzentrale
am Reichsgeſundheitsamt. Das Schriftchen kann allen,
denen das Wohl des einheimiſchen Winzerſtandes und
die Reinhaltung des Weinmarktes am Herzen liegt,
nur empfohlen werden.
Munchen.
Hellwig, Dr. Albert, Gerichtsaſſeſſor, Berlin — Frie⸗
denau. Feuerbeſtattung und Rechtspflege.
Leipzig 1911. Verlag von F. C. W. Vogel. 202 S.
4 Mk.
Man mag über die Feuerbeſtattung denken, wie
man will, man mag ihre hygieniſchen und volkswirt—
ſchaftlichen Vorzüge vor der Erdbeſtattung noch ſo
hoch anſchlagen, das eine läßt ſich kaum beſtreiten,
daß ſie, in größerem Umfange zugelaſſen oder gar
allgemein eingeführt, für die Straf- und Zivilrechts—
pflege wegen der raſchen und endgiltigen Vernichtung
eines oft wichtigen, u. U. des einzigen ſicheren Beweis—
mittels erhebliche Nachteile im Gefolge hätte, die wohl
durch eine ſtrengere Leichenſchau und gegebenenfalls
durch obligatoriſche Leichenöffnung gemildert, aber nie—
mals ganz beſeitigt werden könnten. Dieſer Erwägung
verdankt die vorliegende Schrift ihre Entſtehung, die
einen Sonderabdruck aus Groß, Archiv für Krimi—
nalanthropologie ꝛc. Bd. 44 S. 1 ff. bildet. Der Ver—
faſſer, der das gleiche Thema ſchon vorher in mehreren
Veröffentlichungen behandelt hat, ſucht hier unter Berück—
ſichtigung der neueſten preußiſchen Geſeßgebung ſeinen
ganzen Stoff nochmals zuſammenzufaſſen und zu ver—
arbeiten. Ich ſtimme den Ergebniſſen ſeiner gewiſſen—
haften Unterſuchung zu und teile insbeſondere ſeine
kriminaliſtiſchen Bedenken.
München. Staatsanwalt und Privatdozent Dr. Doerr.
Landgerichtsrat Zoeller.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 28.
Notizen.
Die Bortopfliht amtlicher Schreiben an Han
werker. Die Portoablöſung iſt nur zur Erleichterun
des amtlichen Verkehrs beſtimmt. Nach der Bek. vor
25. Dezember 1907 II J (GVBl. S. 1089) fol 8.
nicht dazu führen, daß auch Private zu Laſten dr
Staatskaſſe von Portokoſten befreit werden, die ihn:
im Falle der Normalfrankierung erwachſen würde:
In reinen Privatſachen find deshalb die Poſtgebühn:
den Privaten aufzurechnen. Zur Beſeitigung der Zweit!
welche bei der Anwendung dieſer Vorſchrift auf am
liche Schreiben an Handwerker entſtanden ſind, be
ſtimmt die Bekanntmachung der Zivilſtaatsminiſterie:
vom 20. Oktober ds. Js. (JMBl. S. 378), daß „rein
Privatſachen“ nur ſolche Angelegenheiten find, di
ausſchließlich private Intereſſen betreffen und ftant:
liche oder andere öffentliche Intereſſen auch nit:
nebenbei berühren; im Schriftwechſel der Behörde
mit Handwerkern ſoll dies in der Regel nur zutreffen
wenn die Behörden Handwerkern in deren ausſchliez
lichem Intereſſe eine erbetene Auskunft erteilen, z. 8.
auf ein geſchäftliches Angebot Antwort geben.
2430
Die Vertretung des Militärfiskus. Mit Allerh.
Entſchl. vom 15. Oktober 1911 wurden neue Beſtim—⸗
mungen über den Dienſtbereich und die Gliederung
des Kriegsminiſteriums genehmigt (Verordnungsblan
des Kriegsminiſteriums Nr. 34 S. 545 ff.). Hervorzu⸗
heben iſt hieraus, daß dem Kriegsminiſterium ein
⸗Militärfiskalat“ angegliedert ift, deſſen Aufgabe wie
folgt beſtimmt iſt: Prozeſſuale Vertretung des Militär—
ärars, der Militärfonds und der militäriſchen Sti—
tungen in allen Rechts angelegenheiten bei den Gerichten
und den ſonſtigen ſtaatlichen und öffentlichen Behörden;
Durchführung der Zwangsenteignungen ſowie (ir
beſonderen Fällen) der Erwerbung und Veräußerung
von Grundſtücken und Gebäuden. Vorſtand des Mili⸗
tärfiskalats iſt der Chef der „Abteilung für Rechts⸗
angelegenheiten“ des Kriegsminiſteriums, ſoweit nicht
Allerhöchſt anders beſtimmt wird. Der Vorſtand führt
in ‚Diejer Eigenſchaft den Titel: Militärfiskal.
2428
Sprachecke
des Allgemeinen Dentſchen Sprachvereins.
tätigen. Abſchlüſſe auf Lieferungen werden heute
oft nicht mehr „gemacht“, ſondern „getätigt“; ver⸗
mutlich erſcheint ein „getätigter“ Abſchluß beſſer als
ein gemachter. Vielleicht hat einmal ein findiger Ge—
ſchäftsreiſender, dem nur ein mäßiger Abſchluß geglückt
war, ſeinen Auftraggeber damit beſchwichtigt und ver⸗
blüfft, daß er ihm den Abſchluß als „getätigt“ vor—
ſtellte Unſere Handlungsreiſenden ſollten aber keinem
veralteten und häßlichen Kanzleideutſch weitere Ver⸗
breitung zu verſchaffen ſuchen. Denn nach Aktenſtaub
und Schreibſtubendunſt riecht dieſes Wort. Ein Be:
darf dafür liegt nicht vor, da es vollkommen genügt,
wenn „Abſchlüſſe gemacht“ oder „‚Lieferungsverträge
abgeſchloͤſſen“ werden, ebenſo wie man eine Wahl
nicht zu tätigen braucht, weil man ſie vollziehen kann,
wenn man nicht gar vorziehen wollte, ganz einfach
zu „wählen“. Auch weshalb ein notarieller Akt ge:
tätigt werden müßte, iſt nicht einzuſehen; genügte es
wirklich nicht, ihn zu vollziehen oder auszufertigen?
Drum meide man das Wort, denn es hat etwas Ge—
ſuchtes an ſich unter allen Umſtänden.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Druck von Dr. Fran; Paul Datterer & Cie., G. m. b. H., Freiſing.
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Ur. 4. 24.
Herausgegeben von
Ch. von der Pfordten
K. Landgerichtsrat, verw. im K. Bayer.
Staataminiſterium der Juſtiz.
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jeden Monats /.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich I:
0 . Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und N-
oſtan
Nachdruck verboten.
Viedergabe von Nechtsausführungen der
parteien im Tatbeitande,
Von Theodor von der Pfordten.
Es iſt bekannt, daß in den Tatbeſtänden der
Zivilurteile noch häufig die geſamten Rechtsaus⸗
führungen der Parteien oder ihrer Prozeßbevoll⸗
mächtigten wörtlich oder doch nahezu wörtlich
wiedergegeben werden, und man braucht wohl
kaum noch hervorzuheben, daß dieſes Verfahren
den geſetzlichen Vorſchriften zuwiderläuſt und den
Umfang der Urteile über Gebühr erweitert. Da⸗
gegen iſt es nicht ganz leicht die Frage zu löſen,
ob es nicht unter Umſtänden notwendig iſt, den
Rechtsſtandpunkt der Parteien mit wenigen zu⸗
ſammenfaſſenden Worten anzudeuten, wenn man
eine gedrängte aber erſchöpfende Darſtellung des
Sach⸗ und Streitſtandes liefern will, wie ſie der
§ 313 Nr. 3 350. fordert. Man könnte ſich
verſucht fühlen die Frage ſchlechthin zu verneinen,
indem man ſich auf den Standpunkt ſtellt: die
Rechtsfindung, die Anwendung der Geſetze auf die
feſtgeſtellten Tatſachen, iſt ausſchließlich Sache des
Gerichts, es iſt alſo ganz bedeutungslos, von
welchen rechtlichen Auffaſſungen die Parteien aus⸗
gegangen ſind. So einfach liegt die Sache in⸗
deſſen doch nicht.
Die herrſchende Meinung hält zwar daran
feſt, daß die Rechtsausführungen der Parteien
unverbindlich ſind, und nimmt infolgedeſſen an,
daß ſie in der Regel nicht in den Tatbeſtand
aufzunehmen ſind, aber ſie läßt Ausnahmen
zu. Nicht immer tritt jedoch klar hervor, wie
dieſe Ausnahmen beſchaffen ſein ſollen und wie
ſie ſich mit dem Grundſatze vereinigen laſſen,
daß der Richter alle Rechtsfragen von Amts wegen
zu unterſuchen hat und daß er ſich dabei nicht
von der Partei auf beſtimmte Wege weiſen laſſen
ſoll. Es verlohnt ſich deshalb die Anleitungen,
die wir in der Literatur finden oder aus der
Rechtſprechung entnehmen können, etwas genauer
München, den den 15. Dezember 1911.
7. Jahrg.
Irilſchrift für Rechtspflege
in
| Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Senier)
München und Berlin.
ae Veit kel
ktion und Expedition
gebübr 190 Pfg. für die 1555
. Stellenanzelgen
J oder deren Raum, e
20 Pfg. Bellagen nach Uebdere
473
ſollen die Fälle nicht weiter berückſichtigt werden,
in denen ſich der Rechtsſtreit ausſchließlich um
Rechtsfragen dreht. Man denke z. B. an einen
Prozeß, in dem nur darüber zu entſcheiden iſt,
ob ein eigenhändiges Teſtament der geſetzlichen
Form entſpricht, in dem bei der Angabe des
Ortes der Errichtung ein Vordruck benützt iſt.
Daß hier es zweckmäßig iſt, den Rechtsſtandpunkt der
Parteien im Tatbeſtand anzugeben — allerdings
unter Weglaſſung ihrer ſogenannten „Deduktionen“
im einzelnen — ergibt ſich wohl von ſelbſt, man
würde ſonſt nur ein Gerippe eines Tatbeſtands
erhalten. Bei Daubenſpeck „Referat, Votum und
Urteil“ wird ein ähnliches Beiſpiel angeführt, in
dem der Tatbeſtand unklar würde, wenn er nicht
den Rechtsſtandpunkt der Parteien „in allgemeinen
Umriſſen“ bezeichnete (vgl. die 11. Auflage, Ab⸗
ſchnitt VII unter 4 S. 309).
Sehr weitherzig will bei der Zulaſſung von
Rechtsausführungen Pfizer verfahren (ſ. Buſchs Z.
85d 16 S. 76). Er meint, in den Entſcheidungs⸗
gründen müſſe der Richter doch die Rechtsaus⸗
führungen der Parteien berückſichtigen, namentlich
ſchiefe Auffaſſungen zurückweiſen oder berichtigen.
„Und je ſchiefer dieſe ſind, um ſo mehr wird
der Richter das Bedürfnis fühlen, hervorzuheben,
daß die von ihm bekämpfte Auffaſſung von einer
Partei vorgetragen worden und daß nicht er auf
die Möglichkeit einer ſo verkehrten Begründung
eines Anſpruchs oder einer Einrede verfallen iſt.“
Deshalb ſollen die „ſchiefen“ Rechtsanſchauungen
auch im Tatbeſtand einen Platz finden. Waͤre
das richtig, ſo wäre es allerdings geraten, die
Schriftſätze auszuſchreiben und zwar um ſo aus⸗
giebiger, je weiter ihre Verfaſſer daneben geſchoſſen
haben. Es iſt aber nicht die Aufgabe des Urteils
die Parteien oder ihre Vertreter über ihre Rechts⸗
irrtümer zu belehren und jedes haltloſe Gerede
zu widerlegen. Schiefe Auffaſſungen hat der ju⸗
riſtiſche Schriftſteller zu „bekämpfen“, nicht der
Richter. Das von Pfizer empfohlene Verfahren
könnte häufig zu einer unangemeſſenen Polemik
anzuſehen und ihre Bedeutung feſtzuſtellen. Dabei gegen die Rechtsanwälte führen, die vielleicht in
474
der Berufungs- oder Reviſionsbegründung ein
nicht ſehr wohlklingendes Echo hervorrufen würde.
Sehr vorſichtig drückt ſich — mit Recht —
die Miniſterialbekanntmachung vom 9. September
1907, die Abfaſſung der Urteile in bürgerlichen
Rechtsſtreitigkeiten und in Straſſachen betreffend
(JM Bl. 1907 S. 242), aus. Sie beſchränkt ſich
auf folgende Anleitung: „Rechtsausführungen der
Parteien ſollen nur inſoweit erwähnt werden, als
es zum Verſtaändniſſe des Standpunkis der Partei
erforderlich iſt“. Sie deutet damit nur an, daß
ſich keine allgemeine Regel aufſtellen läßt.
Einige Schriftſteller wollen etwas weiter gehen.
Sie verlangen, daß die rechtlichen Gründe der
Anſprüche und der Einreden wenigſtens angedeutet
werden. In einer grundlegenden Abhandlung
von Streich (Gruchot, Beiträge Bd. 25 S. 237)
wird behauptet, daß der Tatbeſtand eines Zivil⸗
urteils den „Rechtsſtandpunkt der Partei und ihrer
einzelnen Behauptungen kennzeichnen beziehungs⸗
weile (112) verſtändlich machen, nicht aber auch
ſolchen durch Aufnahme von Rechtsausführungen
des naheren zu motivieren habe“ (a. a. O.
S. 243) ). Rocholl hat in einer Abhandlung
im Jahrgang 1883 der JW. S. 168 dieſer Theorie
folgende Faſſung gegeben: „Der Tatbeſtand darf
darüber nicht im Unklaren laſſen, wie der Kläger
ſeinen Anſpruch individualiſiert ()), auf welchen
Rechtsgrund er die Klagetatſachen bezogen hat (?),
um ſein Petitum (!) daraus herzuleiten — oder
welchen Rechtsgrund der Beklagte aus ſeinem
Gegenvorbringen abſtrahiert () hat, um den An⸗
ſpruch des Klägers zu eliminieren (1!)“.
Man wird nicht behaupten können, daß hier
die Gedanken einen glücklichen Ausdruck gefunden
hätten. Man wird auch nicht ſo ganz allgemein
fordern dürfen, daß jedes Parteivorbringen ſozu⸗
ſagen ein rechtliches Kennzeichen, eine juriſtiſche
Marke erhalten müſſe. In der Regel — nament⸗
lich im amtsgerichtlichen Prozeſſe, wenn Rechts⸗
anwälte nicht aufgetreten ſind — würde damit
nicht viel gewonnen ſein; denn es iſt ja unbe⸗
ſtritten, daß eine bloße juriftifche „Abſtraktion“
aus dem tatſächlichen Parteivorbringen weder die
Partei beſchränkt, noch den Richter der Pflicht
enthebt, die Rechtsfrage ſelbſtändig ohne Rückſicht
auf den Standpunkt der Partei zu prüfen. An⸗
deutungen über den rechtlichen Grund der An—
ſprüche braucht man auch dann nicht allgemein
zu fordern, wenn man ſich etwa der Anſchauung
anſchließt, daß unter dem „Klagegrunde“, dem
„. — — ...... —. —— — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
nur, daß zu den weſentlichen Erforderniſſen der
Klageſchrift nicht die Angabe aller rechtsbegrün⸗
denden Tatſachen gehört, was insbeſondere bei
Streitigkeiten über dingliche Rechtsverhältniſſe von
Bedeutung iſt (vgl. Seuffert, Bem. 4 zu 8 253
ZPO., S. 373 ff. der 11. Auflage). Ihre An:
hänger fordern keine beſtimmte „juriſtiſche Kenn⸗
zeichnung“ des Anſpruchs“); eine ſolche Forderung
wäre auch angeſichts der Vorſchrift im $ 268 Nr. 1
ZPO. nicht haltbar.
Auf den richtigen Weg wird man kommen,
wenn man die von Streich und Rocholl auf⸗
geſtellte Theorie einſchränkt. Der Rechtsſtandpunkt
der Parteien wird im Tatbeſtande anzuführen
ſein, wenn es zum Verſtändniſſe des tatſächlichen
Vorbringens notwendig iſt (ſ. Skonietzki⸗Gelpcke,
Bem. 8 zu $ 313 ZPO. S. 852; Dauben⸗
ſpeck, Referat, Votum und Urteil, 11. Aufl.
S. 189). Was auf den erſten Blick wie eine
rein rechtliche Darlegung ausfieht, kann unter
Umſtänden den tatſächlichen Streitſtoff erweitern
oder begrenzen. Beſonders haufig wird das vor⸗
kommen, wenn Anſprüche aus Schuldverhältniffen
den Streitgegenſtand bilden. Denn der „Rechts⸗
begriff“ (Kaufvertrag, Darlehen, Schenkung) iſt
hier häufig zugleich eine zuſammenfaſſende Be⸗
zeichnung beſtimmter tatſächlicher Vorgänge und
Zuſtände. Erklärt z. B. der Kläger, daß er den
Anſpruch nicht aus einer unerlaubten Handlung
des Beklagten herleiten will, ſo kann ſich daraus
ergeben, daß die Tatſachen nicht in den Rechts⸗
ſtreit eingeführt werden ſollen, deren der Richter
bedarf, um den Vorſatz oder die Fahrlaͤſſigkeit
des Beklagten feſtzuſtellen. Damit entfällt für
den Richter die Notwendigkeit beſtimmte Rechts⸗
vorſchriſten heranzuziehen, ohne daß deswegen der
Satz „iura novit curia“ aufgegeben würde.
In einem Urteile vom 16. März 1911 macht
ferner das Reichsgericht einen Unterſchied zwiſchen
bloßen Rechtsausführungen und „dispoſitiven
Willenserklärungen“ der Parteien, durch die ein
beſtimmtes Rechtsverhältnis „von der richterlichen
Würdigung und Entſcheidung ausgeſchloſſen wer den
ſoll“; es hält ſolche Willenserklaͤrungen für zu:
läſſig und wirkſam. Das Urteil, das trotz des
einfachen Sachverhalts recht bemerkenswert iſt, iſt
in der IW. 1911 Nr. 10 S. 457 unter 30 ab:
gedruckt. Die Klägerin hatte in erſter Inſtanz
die zur Begründung eines Darlehensanſpruchs er:
forderlichen Tatſachen vorgebracht und auch „dieſes
Rechtsverhältnis als exiſtent geworden bezeichnet.“
„Grunde des erhobenen Anſpruchs“ (3 253 Abſ. 1 Sie hatte aber auch erklärt, daß fie „den Dar:
Nr. 2 ZPO.) das „Rechtsverhältnis“ zu verſtehen
ſei. Aus dieſer Anſchauung ſolgt — von ihrer
lehensanſpruch nicht mehr geltend machen könne“,
anſcheinend deshalb, weil ſie glaubte, es ſtehe ihm
Bedeutung für die Beſtimmung des Umfangs der eine Einrede entgegen. Es ergab ſich die Frage,
Rechtskraft ſoll hier nicht geſprochen werden —
190
) Aehnlich Kunkel in dieſer Zeitſchrift, Jahrgang
7 S. 54.
9) Vgl. z. B. Schmidt, Lehrbuch des Zivilprozeſſes,
2. Aufl. S. 391: „Insbeſondere kommt es auf den ju—
riſtiſchen Geſichtspunkt, unter dem dieſer (der Rechts-
erfolg) gefordert wird, nicht an.“
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
ob ſie in der zweiten Inſtanz auf den Darlehens⸗
anſpruch unter Berufung auf die in der Klage
vorgebrachten Tatſachen zurückgreifen durfte. Das
Reichsgericht hielt an dem Grundſatze feſt, daß
die rechtliche Würdigung des tatſächlichen Vor⸗
bringens an ſich Aufgabe des Richters ſei, meinte
aber, die Erklärungen der Klägerin in erſter In⸗
ſtanz „enthielten etwas mehr als die bloße Kund⸗
gebung einer Rechtsauffaſſung.“ Wenn es der
Wille der Partei geweſen ſei, das Rechtsverhältnis
des Darlehens überhaupt als Prozeßgegenſtand
auszuſchließen, ſo ſei in ſeiner ſpaͤteren Geltend⸗
machung eine nach 8 529 Abſ. 2 ZPO. unzu⸗
läſſige Klagänderung zu erblicken. „Denn aller:
dings unterliegt es der Parteibeſtimmung, ob ein
einzelnes, aus den vorgebrachten Tatſachen her⸗
zuleitendes Rechtsverhältnis von der richterlichen
Würdigung und Entſcheidung ausgeſchloſſen ſein
ſoll. Ein Rechtsſchutz wird der Partei nicht ge⸗
währt, den ſie ſelbſt nicht will und nicht begehrt.“
Das Reichsgericht kommt dann aber durch Aus⸗
legung der Parteierklärungen zu dem Ergebniſſe,
daß die Klägerin nicht unbedingt auf die Er⸗
hebung des Darlehensanſpruchs in dem ſchweben⸗
den Rechtsſtreite verzichten wollte. i
Ganz unbedenklich iſt die Zulaſſung einer
ſolchen Einſchraͤnkung des Rechtsſchutzbegehrens
ohne Einſchränkung des tatſächlichen Streitſtoffs
wohl nicht. Sie durchlöchert den Grundſatz, daß
die Verfügungsgewalt der Partei ſich nur auf
Tatſachen bezieht, und würde unter Umſtaͤnden
dazu führen, daß die Tatſachen, über die in einem
Rechtsſtreite rechtskräftig entſchieden worden iſt,
ſpäter in einer neuen Klage in eine andere recht⸗
liche Beleuchtung gerückt der richterlichen Ent⸗
ſcheidung nochmals unterbreitet werden. Das
Reichsgericht ſcheint wenigſtens anzunehmen, daß
der Einwand der Rechtskraft einer ſolchen neuen
Klage nicht entgegenſtehen würde. Es iſt jedoch
hier nicht der Ort, die Richtigkeit der vom Reichs⸗
gericht vertretenen Auffaſſung genauer zu unter⸗
ſuchen. Denn jedenfalls muß man damit rechnen,
daß die Praxis dem Beiſpiele des Reichsgerichts
ſolgen und der Parteibeſtimmung auch bei der
Begrenzung des Streitſtoffs nach der rechtlichen
Seite weiteren Spielraum laſſen wird. Bei der
Abfaſſung des Tatbeſtands muß auf dieſe Mög⸗
lichkeit Rückſicht genommen werden.
Das Ergebnis wäre hiernach folgendes: Die
Rechtsausführungen müſſen im Tatbeſtande be⸗
rückſichtigt werden, wenn ſie ein tatſächliches Vor:
bringen oder eine Einſchränkung früheren tat⸗
ſächlichen Vorbringens enthalten oder wenn aus
ihnen auf eine Willenserklärung der Partei ge—
ſchloſſen werden kann, durch die ein beſtimmtes
Rechtsverhältnis aus dem Rechtsſtreit ausgeſchieden
werden ſoll.
475
— —
— —
Alkohol und Verbrechen in Bayern.
Von Dr. N. v. Valta, wiſſenſchaftlichem Hilfsarbeiter
des K. B. Statiſtiſchen Landesamts.
Für das Jahr 1910 wurden auf Anordnung
des Juſtizminiſteriums !) Erhebungen über den
Einfluß des Alkoholgenuſſes auf die Häufigkeit
und die Erſcheinungsformen des Verbrechens ge⸗
pflogen; damit iſt die bayeriſche Statiſtik als erſte
in Deutſchland und in vielen anderen Kultur⸗
ſtaaten an eine ſyſtematiſche Unterſuchung des
Zuſammenhangs zwiſchen Alkoholismus und Krimi⸗
nalität herangetreten. Die Ergebniſſe ſind ver⸗
öffentlicht in der Bayeriſchen Juſtizſtatiſtik für
1910 (München, Chr. Kaiſer, 1911, S. XXXIII
des Textes und Tabelle XXI) und im neu⸗
erſchienenen Statiſtiſchen Jahrbuch für das König:
reich Bayern 1911 (S. 390 /1).“)
Bei der Aufſtellung des Erhebungsplanes galt
es vor allem, die Statiſtik auf ſolche Fälle zu
beſchränken, bei denen der Einfluß des Alkohol⸗
genuſſes auf die Begehung der ſtrafbaren Hand⸗
lung unzweifelhaft zu erkeunen war. Denn nur
dann kann den Ergebniſſen Beweiskraft zugeſprochen
werden. Es wurden daher nur Verbrechen und
Vergehen gegen Reichsgeſetze (mit Ausſchluß der
Vorſchriften über die Erhebung öffentlicher Ab⸗
gaben und Gefälle) berückſichtigt, auf die Erfaſſung
der infolge Alkoholexzeſſes begangenen Ueber⸗
tretungen dagegen ganz verzichtet. Dies war deshalb
zweckmäßig, weil letztere meiſt durch Strafbefehle
erledigt werden und man daher auf die Anzeige
zurückgehen müßte. Dadurch würde man aber
auf den eigentlichen Beweis der Trunkenheit des
Täters verzichten und damit die Genauigkeit der
Erhebung beeinträchtigen. Ferner war darauf
Bedacht zu nehmen, daß den ohnedies ſtark be⸗
laſteten Gerichten und Staatsanwälten nicht all⸗
zuviel Schreibarbeit zugemutet werden durfte. In
die Zählkarte wurden daher nur die wichtigſten
Fragen aus dem ſeit 1881 für die Reichs⸗Kriminal⸗
ſtatiſtik verwendeten Formular übernommen und
zwei Zuſatzfragen angefügt, von denen die eine
die Urſache der Tat („im Zuſtande der Trunken⸗
heit begangen?“ — „auf gewohnheitsmäßigen Alko⸗
holgenuß zurückzuführen?“), die andere die außer⸗
bayeriſche Staatsangehörigkeit des Täters betrifft.
Die Zählkarten wurden an der Hand der
Urteile und ihrer Begründung ausgefüllt, haben
alſo den in der Hauptverhandlung erbrachten
Beweis als Grundlage. Zu zählen waren alle
Fälle, in denen nach den Feſtſtellungen des Ur⸗
teils die ſtrafbare Handlung im Zuſtand der
Trunkenheit begangen wurde oder offenſichtlich auf
gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuß des Täters
zurückzuführen war. In den ſehr ſeltenen Fällen,
) Vgl. IM Bl. 1909 S. 503 ff.
F vom K. Stat. Landesamt, Preis
1.50 M.
in denen wegen eines Vergehens ein Strafbefehl
erlaſſen werden kann, durfte der oben erwähnte
Grundſatz unbedenklich durchbrochen werden, da
hier auch dann, wenn es nicht zur mündlichen
Verhandlung kommt, in der Regel genaue Er⸗
mittlungen gepflogen werden, die verläſſig genug
find, um die Antwort auf die ſtatiſtiſchen Fragen
ſo gut wie ein Urteil zu ermöglichen.
Nach dem Ausgeführten hat die Erhebung
von vornherein auf die Beantwortung der Frage
verzichtet, in welchem Maße der Alkohol mittel⸗
bar auf die Verbrechens häufigkeit einwirkt. In
dieſen Fällen ſpielt meiſt eine Reihe von anderen
Urſachen herein, die den Verbrechensentſchluß
mit begünſtigen, jo daß es bedenklich wäre, den
Alkoholgenuß allein oder in höherem Maße für
den Erfolg verantwortlich zu machen. Auch hätte
man umfaſſende Ermittelungen (3. B. über die
erbliche Belaſtung des Täters infolge übermäßigen
Alkoholgenuſſes der Eltern) anordnen müſſen,
deren Ergebnis wohl oft unſicher geblieben wäre.
Anders liegt dagegen die Sache, wenn zwar nicht
die Tat im Zuſtand der Trunkenheit begangen,
wohl aber der Täter ein chroniſcher Alkoholiker
iſt. Denn wenn dieſer Umſtand im Urteil erwähnt
iſt, ſtüͤtzt ſich die Feſtſtellung in der Regel auf
ein zuverläſſiges Sachverſtändigengutachten.
Bei dieſer engen Begrenzung der für die Er—
hebung herangezogenen Fälle mußte man natür⸗
lich mit in Kauf nehmen, daß viele Verurteilungen
nicht mitgezählt wurden, bei denen der Alkohol⸗
genuß von Bedeutung war, aber entweder in der
Hauptverhandlung nicht zur Sprache kam oder
doch nicht genügend feſtgeſtellt werden konnte.
Dieſe Außerachtlaſſung ſchadet jedoch dem allge:
meinen Ergebnis keineswegs, da durch die Be—
rückſichtigung dieſer nicht ganz „glatten“ Fälle
das Bild nur verſchleiert werden würde. Selbſt—
verſtändlich konnte auch die große Zahl der ſtraf—
baren Handlungen nicht mit erfaßt werden, die über—
haupt nicht angezeigt und daher auch nicht ab—
geurteilt wurden.
Welches ſind die Hauptergebniſſe der
Erhebung?
Es wurden im Jahre 1910 8864 Perſonen
rechtskräftig verurteilt, bei denen die begangene
ſtrafbare Handlung mit Sicherheit auf den Alkohol—
genuß zurückzuführen war. Und zwar handelten
8674 bei der Tat im Zuſtand der Trunkenheit,
die übrigen 190 waren chroniſche Alkoholiker.
Nach der neueſten Veröffentlichung der Reichs—
Kriminalſtatiſtik wurden in Bayern im Jahre 1909
rund 63500 Perſonen wegen Verbrechen und Ber:
gehen gegen Reichsgeſetze insgeſamt verurteilt. Für
1910 iſt, da Bayern ſeit vier Jahren ſinkende
Kriminalitätsziffer auſweiſt, eine etwas niedrigere
Zahl zu erwarten. Die im Rauſch oder unter dem
Einfluß des chroniſchen Alkoholismus handelnden
Perſonen machen alſo zum mindeſten 14% aller
Zeitſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1911. in Bayern. 1911. Nr. 24
ö
Verurteilten aus. Um auf die Bedeutung dieſer
Ziffer näher einzugehen, wollen wir zunächſt den
Rang feſtſtellen, den Bayern zurzeit unter den
größeren deutſchen Bundesſtaaten hinſichtlich der
Haͤufigkeit des Verbrechens einnimmt:
Verurteilte 8 1909:
Auf 100000 der
Grundzahlen | ortsanweſenden
Bevölkerung
Preußens 346 925 863.8
Bayern 63 537 924,0
Sachſen 30 763 640,6
Württemberg 20 029 822,3
Deutſches Reich. 543 419 837,3
Bayern übertrifft alſo den Reichsdurchſchnitt
und die übrigen größeren Bundesſtaaten ganz er⸗
heblich an Kriminalität. Sollte daran etwa der
hohe Anteil der Trinkerdelikte an der Verbrechens⸗
ziffer ſchuld ſein? Sollte hierin eine volkswirt⸗
ſchaftlich ungünſtige Wirkung unſerer blühenden
bayeriſchen Bierinduſtrie zu erblicken fein? Die
Statiſtik kann vorerſt noch auf dieſe Frage keine
Antwort geben, da, wie erwähnt, Bayern zurzeit
der einzige Bundesſtaat iſt, der Erhebungen über
den Einfluß des Alkohols auf die Verbrechens⸗
häufigkeit anſtellt. Würden auch für andere
Staaten ähnliche Unterſuchungen vorliegen, ſo
könnte man die gewiß intereſſante Berechnung an⸗
ſtellen, wie ſich der Rang Bayerns verſchieben
würde, wenn es keine Trinkerdelikte gäbe.
Aber auch mittelbar, nämlich durch Heran⸗
ziehung der Herſtellungs⸗ und Verbrauchsſtatiſtik,
iſt die . nicht einwandfrei zu löſen.
Bieter zeugung) Bier verbrauch!)
taat ; u B
in in Lt. für den Kopf der Bevölkerung 1909
Brauſteuergebiet. 75 79
11 14 4 268 | 230
Württemberg... .. 146 146
Badten 150 146
Deutſches Zollgebiet. 101 100
1 Branntweinerzeugung
in Lt. fur den Kopf der Bes
Staat
völkerung 1899/10
Preußen 7,64
Baſſe n 2,68
Sachſennnnn 2220. 2,82
Württemberrnrg ... 2,16
Deutſches Reich hg.. 5,62
Dagegen 1909 verurteilte Zivilperſonen auf
100 000 der ortsanweſenden Bevölkerung:
Verbrechen Gefahrl. Leichte Be-
Staat u. Vergeben Körverver- Körperver- leidi—
ÜUberbaupt letzung letzung gung
Preußen.. 86,8 140.9 49,3 88,7
Bayern. 924,0 243,8 36,7 89,0
Sachſen . .. 610,6 48,3 9,2 75,1
Württemberg. 8223 146,3 23,6 103,9
Deutſches Reich! 837,3 143,5 39,6 91,9
) B81 Stat. Jahrbuch für Bayern 1911 S. 30.“
9 Vgl. Stat. Jahrbuch für Bayern 1911 S. 30.“
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 477
Wollte man dieſe Zahlen flüchtig beurteilen, ſo Von den ſtrafbaren Handlungen waren:
könnte man folgenden Schluß ziehen: In Bayern : Te
wird nahezu das 2 ½ fache des Reichsdurchſchnitts abfo- Lifte über⸗
für den Kopf der Bevölkerung an Bier verbraucht. | Verbrechen und Vergehen lut in /h fen solche
Es wird viel öfter als in andern Bundesſtaaten Ä e
das beſondere Trinkerdelikt der gefährlichen Körper⸗
ans nn a, häufig auch gend: Körperverletzung 9208 29 191
eichte Körperverletzung und Beleidigung begangen. Beleidigung ‚ X
Die gefährliche en allein macht 19 0% . an Nötigung u. dgl. 769 7½ 3,3
a . 1 gung J AT 72 3,0
aller Delikte aus. Bayern hat deshalb jeine hohe 5. Widerftand gegen die Staats⸗
Verbrechensziffer größtenteils dem Biergenuſſe zu gewalt 626 6,2 21
verdanken. 1 e 72 Br 5 ©
Dem muß ſofort entgegengehalten werden, daß 8. 9 Diebſtahl nn N 194 1,9 12,8
die Statiſtik der Branntweinerzeugung für den 9. Sittlichkeitsdelitte .| 176) 1.7 2,4
Vergleich Bayerns mit den andern Ländern das 11 8 un 77 1 85 08 14.5
umgekehrte Ergebnis liefert wie die Biererzeugung. fahl im Ruda! 71 07 23
Die Verhältniszahl der Branntweinerzeugung iſt 12. Verbrechen und Vergehen ö ö
in Bayern am zweitkleinſten unter den Vergleichs- wider die persönliche Freineit| 67 0,6 4,7
ländern. Nicht viel anders wird es vermutlich 13. Andere ſtrafbare Handlungen
Ä . | 5 | außer den folgenden 65 0,6 —
mit dem inländiſchen Verbrauche ſtehen, der ziffer 14. Fabeluige Körperverletzung 42 04 9
mäßig für die aus Branntwein hergeſtellten Ge⸗ 15. Schwere Körperverletzung. 37 0,4
weingenuß als ein die Verbrechenshäufigkeit ſtei⸗ 17. Religionsvergehen .. —
|
|
tränke nicht bekannt iſt. Daß aber der Brannt: 16. Unterſchlagung
gernder Umſtand vielleicht zehnmal ſo ſtark ins
[10042| 100,0
Gewicht fällt wie das Bier, zumal das im all⸗ Unter den 10 042 ſtrafbaren Handlungen, die
gemeinen leichte bayeriſche, dürfte außer Zweifel die 8864 rechtskräftig verurteilten Perſonen unter
ſtehen. Damit verliert Bayern von feinem Vor: der Einwirkung geiſtiger Getränke begingen, waren
ſprung, den es im Bierverbrauche hat, gegenüber 5006, alſo faſt genau die Hälfte, gefährliche Körper⸗
Preußen, Sachſen und dem Reichsdurchſchnitt ganz verletzungen. Hierin äußert ſich die charakteriſtiſche
weſentlich. Cette 5 in en 1
Aber auch in anderer Hinſicht iſt die Gegen⸗ eftigkeit der Leidenſchaſten, Zornmütigkeit, Roheit,
überſtellung nicht beweiskräftig. Man ſieht ben Mangel an Selbftbeherrihung, Willens ſchwäche,
Zahlen über inländischen Bierverbrauch nicht an, Gewiſſenloſigkeit und Zynismus.)
ob eine Perſon zehn Liter Bier auf einmal oder | 1909 waren in Bayern unter den Verbrechen
innerhalb eines Monats getrunken hat. Gerade und Vergehen, bei denen auf Verurteilung des
3 (N; Täters erkannt wurde, 14243 (= 19 % gefähr⸗
darauf kommt es aber beim Einfluß des Alkohols | -. g g i
auf die Kriminalität an. Es iſt leicht denkbar, liche Körperverletzungen. Es ift alſo jede Dritte
daß der größere Verbrauch zum Teil im beſſern 3 auf den Alkoholiemus
ee ‚er: zurückzuführen.
Arbeitsverdienſt, in den günſtigeren und billigeren In abſteigender Reihe folgt ſodann als nächſt
Verkehrsgelegenheiten, im Vordringen des Bier⸗ N er N
häufigſtes Trinkerdelikt die Beleidigung (1206 mal
genuſſes in dreitere Schichten ſeinen Grund hat, oder 12,1 0/0). Ihr reihten fich die Bedrohung, die
ohne daß damit gleichzeitig eine Verſchlechterung 188 f
der Kriminalitätsziffer notwendig verbunden ſein Sachbeſchädigung ber Widerſtand gegen die Staats⸗
müßte. Endlich kann die Statiſtik Biererzeugung gewalt, der Hausfriedensbruch und die einfache Kör⸗
und Verbrauch, ebenſo wie Branntweinerzeugung 7 e
5 5 . erfaſſen, über die wirklich die Prozentzahlen der feen Spalte laſſen er
er ar 05 25 N n u kennen, mit welcher Häufigkeit die einzelnen Delikte
a ee 2 if ſomit eine Degünftigung der in Bayern überhaupt vorkommen. Man ſieht
Verbrechenshäufigkeit durch den höheren Bierver⸗ .. y 5 " 1 8
brauch in Bayern wohl denkbar, zurzeit aber nicht hieraus, daß durch Einſchränkung der gefährlichen
ſtatiſtiſch beweisbar Körperverletzung wie überhaupt der Roheitsdelikte
j die geſamte bayerifche Kriminalitätsziffer ſehr
Es wurde bereits hervorgehoben, daß die ge: weſenklich verändert werden könnte.
fährliche Körperverletzung in Bayern beſonders Zur Beleuchtung dieſer Zahlen ſeien hier einige
häufig vorkommt. Dies führt zur Frage: Wie Daten erwähnt, die ſich aus der niederbayeriſchen
verteilen ſich die auf den Alkoholgenuß zurück. Schwurgerichtspraxis ergaben.“)
zuführenden Delikte nach der neuen Erhebung auf | — ——— -
die einzelnen Verbrechensarten? Welche Delikte 0 Wal ee des K. bayeriſchen Statiſtiſchen
ſind als beſondere Trinkerdelikte zu Landesamts 1910 S. 630 ff: Rechtsanwalt Hotter, Zehn
bezeichnen? Jahre niederbayeriſche Schwurgerichtspraxis.
478 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
Während der Jahre 1900 — 1909 wurden ſchaftlichen Dienſtboten, Bauern, Gütler und
vor dem Schwurgericht Straubing 207 Fälle von Söldner, jo ergibt ſich, daß nahezu / aller Ber:
Totſchlag und Körperverletzung mit Todesfolge urteilten der Landwirtſchaft angehörten. Die Fabrik⸗
abgeurteilt. Die nähere Unterfuchung ergab, daß arbeiter find verhältnismäßig ſehr ſchwach ver:
in mehr als / aller Fälle die Opfer von ſolchen treten, zumal da ihr Anteil an der Geſamt⸗
Perſonen erſchlagen wurden, die vorher ein Wirts⸗ bevölkerung ziemlich erheblich iſt. Der Grund
haus beſucht oder ſonſtwie dem Biergenuß ſich hierfür mag hauptſaͤchlich in dem Zuſammen⸗
ergeben hatten. Unter Zuſammenfaſſung aller drängen der Induſtrie auf größere Plaͤtze zu er⸗
an Sonn: und Feiertagen oder nach Biergenuß blicken fein, wo infolge ſtrengerer polizeilicher Ueber⸗
begangenen Taten ſteigert ſich ihr Anteil auf mehr wachung der Schankſtätten die Gelegenheit zum
als /10 (90,3 % ). Es wurde ferner der Verſuch Verbrechen nicht jo günſtig iſt als auf dem platten
gemacht, für ein einzelnes Jahr (1901) den Schau: Land. Ferner iſt der Fabrikarbeiter durch ſeinen
platz der Delikte zu erfaſſen. Von den 31 der das ganze Jahr hindurch gleichmäßigen und ſtreng
Beobachtung unterzogenen Fällen ſpielten ſich 13 | geregelten Beruf eher der Mäßigkeit und den
im Wirtshaus ſelbſt, im Hausgang oder in nächſter hierauf gerichteten Beſtrebungen zugänglich als
Nähe des Gaſthofes, weitere 13 auf dem Heimweg der landwirtſchaftliche Arbeiter. Die Berufe, bei
vom Wirtshaus ab. Aber auch bei den übrigen denen eine gerichtliche Beſtrafung beſonders ſchwere
5 Delikten war der Alkohol mit im Spiel. Die Folgen nach ſich zieht, wie Beamte, Studierende
Zeit der Tat — meiſt eine vorgerückte Stunde — uſw. find natürlich nur ſchwach vertreten. Die
weiſt ebenfalls darauf hin, daß häufig die Aus: Perſonen, welche berufsmäßig auf das Wirtshaus
ſchreitung im Biergenuß die unmittelbare Ver⸗ angewieſen find, in erſter Linie alſo Kellner,
anlaſſung zum Verbrechen war. Schenkkellner, Kellnerinnen, Hausburſchen — ver⸗
Welchem Beruf gehören die im Jahr 1910 mutlich ein großer Teil der an erſter Stelle ge:
gezählten 8864 Perſonen an? Hierüber gibt nach⸗ nannten Gewerbegehilfen —, ferner Haufierer,
ſtehende Ueberſicht Aufſchluß: Agenten, Unterhändler, Geſchäftsreiſende, Muſiker
ie 191 f treten im Verhältnis zu ihrem Anteil an der
—!. Berufsbevölkerung nicht unerheblich hervor.
nicht fehl gehen, daß der größte Teil in der Land- 1—2 Jahre, 236 auf Ye bis 1 Jahr, bei 328
wirtſchaft und bei Erdarbeiten beſchaͤftigt war. war die Dauer zwiſchen 3 und 6 Monaten; bei
Rechnet man zu dieſer Gruppe noch die landwirt— der Mehrzahl der Fälle (2812) wurde auf 1 Woche
ne ze . | Ueber die übrigen perſönlichen Verhältniffe ſei
Berufsgruppe int in % = folgendes erwähnt: En das we — Ge⸗
Gewerbegebilfn. 42494287 ſchlecht unter den Alkoholikerverbrechern nur
Taglöbner, e . 4.1350 15 2 äußerſt ſchwach vertreten iſt (im ganzen 28) liegt
Landwirtſchaftliche Dienſtboten . . 1330 15,0 in der Natur der Sache begründet. Dem Alters⸗
Akkordarbeiter, Transportarbeiter, Berg⸗ | aufbau der Verurteilten wurde bei der Material⸗
e VV 05 01 verarbeitung nur inſofern Rechnung getragen, als
Bauern J 558 6,3 die strafrechtlich bedeutſame Grenze von 18 Jahren
Selbſtändige Gewerbetreibende . . . . 547 6,2 ausgeſchieden wurde. Es wurden 166 Jugend⸗
Gütler, Söldner 284 3.2 liche — d. i. 1,9 ¾ aller Verurteilten — gezählt.
Dienſtboten (ohne landwirtſchaftliche). . | 133 1.5 Was den Familienſtand betrifft ſo waren
Hauſierer N ee 08 ı 5. en it i
Angehörige anderer Berufe außer den „ (5915) ledig, ½ (2925) verheiratet oder ver:
folgenden 61) 0,7 witwet und 24 geſchieden. Der hohe Prozentſatz
5 . > 95 der Ledigen deutet darauf hin, daß die meiſten
Artisten, Mufifer u. dgl.. 9 41 05 Trinkerverbrecher noch in jüngeren Jahren ſtehen.
Staats⸗ und Gemeindebeamte .. . 39 04 Der Staatsangehörigkeit nach waren
Selbitändige Kaufleute. . . 37 0% 95,9 % Bayern.
. e 19 0,2 Von beſonderem Intereſſe iſt die Schwere
ee e eee Ban 3 05. der infolge unmäßigen Alkoholgenuſſes begangenen
1886 100% Delikte. Einen kurzen Einblick hierin gewährt
Mehr als “ der Perſonen, die unter dem die Tatſache, daß 871 oder 9,8 %% der Täter vor
Einfluß des Alkohols ein Delikt begingen, ſind dem Land- oder Schwurgericht, die übrigen 7993
demnach Gewerbegehilfen. Mit dieſer Bezeichnung oder 90,2% vor dem Schöffengericht oder Amts:
wird allerdings mehr eine ſoziale Schichte inner- gericht abgeurteilt wurden. Genauere Details
halb der Berufsabteilung „Gewerbe“ als ein be- hierüber gibt die Ueberſicht der ausgeſprochenen
ſtimmter Beruf bezeichnet. Doch ließen die Ein- Strafen: Es wurden 17 Verweiſe, 6 Haftſtrafen
träge auf den Zählkarten eine weitere berufliche | und 3492 Geldſtrafen erteilt. Auf Zuchthaus:
Unterſcheidung nicht zu. Aehnlich iſt es bei der ſtrafe wurde 31 mal erkannt (München 1 8, Kaiſers⸗
zweiten Gruppe: Taglöhner und Gelegenheits- lautern 4, Nürnberg 4). Von den 5315 Ge:
arbeiter. Hier wird man aber mit der Annahme fängnisſtrafen lauteten 35 auf über 2, 103 auf
|
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
bis 3 Monate erkannt. 1801 mal betrug die Ge⸗
fängnisſtrafe bis zu 1 Woche.
Der § 51 StGB. (ein die freie Willens⸗
beſtimmung ausſchließender Zuſtand der Bewußt⸗
loſigkeit, alſo finnloje Trunkenheit) wurde in 150
Fällen angewendet. In der Hälfte dieſer Falle
wurde von der Anklagebehörde das Verfahren
eingeſtellt.
Wie geſtaltet ſich die geographiſche
Verteilung der Alkoholdelikte und der
bierwegen beſtraften Perſonen in Bayern?
Ueber dieſe Frage belehrt die dieſem Heft beige⸗
gebene kartographiſche Darſtellung und
nachſtehende Ueberſicht; erſtere iſt in der Weiſe
angelegt, daß für jeden Landgerichtsbezirk berechnet
wurde, wieviel ſtrafmündige Zivilperſonen (nach
dem Stand vom 1. Dezember 1910) auf einen
Verurteilten treffen. Sodann wurden die Bezirke
in Gruppen zuſammengefaßt, die im einzelnen
aus der der Karte beigedruckten Farbenſkala er⸗
ſichtlich ſind. Es iſt alſo ein Bezirk umſo gün⸗
ſtiger, je mehr Einwohner auf einen Verurteilten
entfallen.
5
8 2 Von den Ver⸗
E 2 se |e ur teilten
. 23 3 83 S „ wobnten
22 28 S328 E In Gemeinden
22 S8 3 88 32.
Gerichtsbezirk 3 58 8 2 S3 3 8 2885 28
S 3 G S 88 8 2
= 8 2 8 2 "= 12
„ (ES SE
2 | SE Einwohnern
= 05 14 0
38 2
|
OLG. München 2697 61 257200 1 | 82,9
davon
LG. München I | 516 8 58 458 8 256,2
LG. MünchenII ] 550 11 19 531 3,4 | 96,6
LG. Landshut 411 20 460 365 351] 6,3 93,7
OLG. Zweibrücken 1238 16 12301115 513 32,8 67,2
davon
LG. Landau 133 3 10 123 864 9,8 90,2
OLG. Bamberg 1256 40 1061150 753 26,2 73,8
davon
LG. Würzburg] 204 4 2 202 928 34,3 65,7
LG. Aſchaffenbd. 152 9 12 140 871 21,7 78,3
OLG. Nürnberg 2079 52 2861793 512 32,0 68,0
davon
LG. Nürnberg | 698 22 60 638 499 64,0 36,0
LG. Fürth 257 9 15 242 592 45,5 | 54,5
LG., Weiden 341 4 29 312 365 2,1 97,9
OLG. Augsburg 1594 21 99 1495| 494 16,4 83,6
davon |
LG. Augsburg | 439| 2 20 ie 538 40,8 59,2
LG. Neub a. D.] 405 3 21 384 352 — 100
Königreich J 8864190 8717998 550 24,0 76,0
Es fällt zunächſt auf, daß München, das wegen
ſeiner Bierinduſtrie nicht nur in unſerm engeren
Vaterland, ſondern weit über deſſen Grenzen
hinaus einen Ruf hat, ſich unter der zweitbeſten
Gruppe (900 - 1000 ſtrafmündige Zivilbewohner
auf 1 Verurteilten) befindet. Dies beſtaͤtigt die
bereits oben erwähnte Tatſache, daß mit den
Zahlen der Biererzeugung und des Verbrauchs
allein und mit der Kopfteilberechnung für die
479
Alkoholfrage und ihre Beziehung zur Kriminalität
nicht viel gewonnen iſt.
Als Urſache des günſtigen Standes des Bezirks
München I mag beſonders noch hervorgehoben
werden, daß der in⸗ und aualändiſche Bierverſand
hier eine große Rolle ſpielt und daß in der ver⸗
ſchiedenen Stärke des Bieres ein für die Krimi⸗
nalitätsziffer ſehr wichtiges Unterſcheidungsmerkmal
zu ſuchen iſt. Auch die teuere Lebenshaltung in
der Stadt im Vergleich zum Land wirkt auf den
übermäßigen Bierverbrauch einſchränkend ein.
Ferner mag hier der Umſtand mit hereinſpielen,
daß in der Großſtadt mehr wie auf dem flachen
Land Sport getrieben wird, der bekanntlich ein
wirkſames Bekämpfungsmittel gegen den Alkohol⸗
erzeß geworden iſt. Innerhalb des Bezirkes
Münden find die in der Stadt begangenen De:
likte verhältnismäßig weit zahlreicher als in den
umliegenden kleinen Orten.
Auch abgeſehen von München iſt ein Paral⸗
lelismus zwiſchen Standort der Erzeugung) und
den vom Alkohol verurſachten Verbrechen mit
einiger Regelmäßigkeit nicht zu erkennen. Da,
wo das meiſte Bier erzeugt wird, iſt keineswegs
immer die Zahl der wegen Trinkerdelikten Ver⸗
urteilten am höchſten. Es greift eben hier unſer
heutiges Güterverkehrsweſen ausgleichend ein. Wie
die Karte zeigt, wurde im Vergleich zur Bevölke⸗
rungsdichte am meiſten in den Landgerichtsbezirken
Landshut, Regensburg, Paſſau, Deggendorf, dann
auch in der Gegend von Neuburg a. D. und
Weiden in der Trunkenheit geſündigt. Die zweit⸗
größte Zahl von Verurteilten iſt im jüdlichen und
ſüdöſtlichen Teil von Oberbayern, dann in den Be⸗
zirken Memmingen, Bayreuth und Nürnberg und
im größten Teil der Pfalz zu ſuchen. Zwiſchen 500
und 600 Einwohner entfallen auf einen Ver⸗
urteilten im Bezirk Augsburg, Eichſtätt und Fürth.
Sehr günſtig ſind die für das nördlichſte Bayern
und die Nordweſtecke ſowie für den Bezirk Landau
(Pfalz) berechneten Verhältniszahlen. Am wenigſten
Verurteilungen kamen vor im Landgerichtsbezirk
Ansbach.
Was die Gliederung der beſtraften Perſonen
nach Stadt und Land betrifft, ſo läßt ſchon
die Ausſcheidung nach Gemeinden bis zu 10 000
und über 10 000 Einwohner erkennen, daß in
erſteren die Trinkerdelikte ungefähr 3 mal jo häufig
ſind wie in größeren Städten. Wollte man die
Scheidung ſchon bei Gemeinden mit 2000 Seelen
treffen, ſo wäre der 3 wahrſcheinlich noch
viel augenfälliger. In vorſtehender Ueberſicht ſind
die Vergleichsziffern nach dem Wohnort des Täters,
nicht nach dem Tatort aufgeſtellt worden, doch
1) Die Steuerſtatiſtik (Amtsbl. der Generaldirektion
der Zölle und indirekten Steuern) läßt nach Hauptzoll⸗
amtsbezirken nur die Erzeugung. nicht auch den Ver⸗
brauch an Ort und Stelle erkennen. Eine örtliche
Gliederung des Wein- und Schnapsverbrauchs iſt en
falls nicht möglich.
480
dürften dieſe beiden namentlich bei den hier in
Betracht kommenden Angaben in den meiſten
Fällen zufammenfallen. Die oben angeführte
Tatſache der überwiegenden ländlichen Kriminalität
verwandelt ſich in das Gegenteil in großen Städten
wie München und Nürnberg. Aber ſchon bei
Augsburg, Würzburg, Fürth uſw. ſchlägt die
Prozentziffer allmählich wieder in das erſtere Ver⸗
haͤltnis um. N
Wie die beſprochenen Ergebniſſe zeigen, iſt der
erſte Verſuch, den Einfluß des Alkohols auf die
Verbrechenshäufigkeit ſtatiſtiſch zu erfaſſen, als
wohl gelungen zu bezeichnen. Wenn auch den
Kennern der Verhältniffe, den Strafrichtern, die
Erhebung in manchen Punkten nur beſtätigte,
was ſie aus der Praxis bereits wußten, ſo waren
doch die wenigſten von ihnen imſtande, mit einiger
Sicherheit anzugeben, in welchem Grade, in welchem
Umfang dieſe oder jene Erſcheinung hervortritt.
Die Statiſtik hat alſo auch aus dieſem Geſichts⸗
punkt ihre Berechtigung. Abgeſehen hiervon haben
aber die Ermittelungen eine Reihe von über⸗
raſchenden Ergebniſſen zutage gefördert, die für
die kriminal⸗ und moralſtatiſtiſche Forſchung von
hoher Bedeutung ſind. Wir dürfen daher der
vom Juſtizminiſterium geplanten Fortſetzung der
Erhebung für die nächſten Jahre mit Spannung
entgegenſehen.
Die Strafvorſchriften der Keichsverſicherungs⸗
ordnung.
Von Amtsrichter Dr. Dürr in München.
(Schluß.)
III. Strafvorſchriften, die mit der Regelung
der Beitragsentrichtung zuſammenhängen.
1. Vorſchrifſten für die Krankenverſicherung.
a. Entſprechend dem 882 KrankVerſG. werden
nach $ 532 RO. Arbeitgeber beſtraft, die vor:
ſätzlich den Beſchaͤftigten höhere als die geſetzlich
zuläſſigen Beitragsteile vom Entgelt abziehen oder,
nachdem ſie ſich im Zwangsbeitreibungsverfahren
als zahlungsunfähig erwieſen haben, unterlaſſen
die vorgeſchriebenen Abzüge zu machen und binnen
drei Tagen an die berechtigte Kaſſe abzuführen.
Den Arbeitgebern ſind aber in § 532 die Auf:
traggeber von Hausgewerbtreibenden gleichgeſtellt,
ſoweit ſie auch die Beiträge der Hausgewerbe—
treibenden einzahlen (8 486). Ferner enthält
§ 532 zwei neue ſtrafrechtliche Tatbeſtaͤnde: Wenn
Arbeitgeber und im Falle des § 486 Auftrag—
geber mit Abführung der Beiträge rückſtändig ſind
und ſich in einem Zwangsbeitreibungsverfahren
als zahlungsunfaͤhig erwieſen haben, ſo kann das
Verſicherungsamt widerruflich anordnen, daß ſie
nur ihren Beitragsteil einzahlen ($ 398). Wenn
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
—̃ -— . —ͤ —
— 2.
dann doch Arbeitgeber oder Auſtraggeber den
Beſchaftigten Abzüge machen oder Arbeitgeber
unterlaſſen, die Anordnung durch dauernden Aus⸗
hang in den Arbeitsſtätten den Beſchaͤftigten
bekanntzumachen und dieſe bei jeder Lohnzahlung
darauf binzumeifen, daß ſie ihren Beitragsteil
ſelbſt einzahlen müſſen, ſo erfolgt auch Beſtrafung
aus $ 532.
b) Nach S 533 werden Arbeitgeber und Auf:
traggeber beitraft, wenn fie Beitragsteile, die fie
den Beſchäftigten einbehalten oder von ihnen er⸗
halten haben, der berechtigten Kaſſe vorſätzlich vor⸗
enthalten. Drei Erweiterungen weiſt § 533 gegen:
über ſeinem Vorbilde, dem 8 82 b KrankVerſG.,
auf: Einbezogen ſind auch die Auftraggeber. Ein⸗
bezogen iſt der Fall, daß die Arbeitgeber oder
Auftraggeber der berechtigten Kaffe Beitragsteile
vorenthalten, die fie von den Beſchäftigten er:
halten haben. Das vorſätzliche Handeln iſt ſtraf⸗
bar, auch wenn es nicht in der Abſicht geſchieht,
ſich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Ver⸗
mögensvorteil zu verſchaffen oder die berechtigte
Krankenkaſſe zu ſchädigen.
c) Neu iſt die Vorſchrift des 8 493. Sie
ermächtigt den Bundesrat, über die Heranziehung
inländiſcher Auftraggeber ausländiſcher Hausge⸗
werbtreibender zu Zahlungen für die hausgewerb—
liche Krankenverſicherung Beſtimmungen zu treffen
und Zuwiderhandlungen dagegen mit Strafe zu
bedrohen.
2. Vorſchriften für die Unfallverſicherung.
a) Die Unfallverſicherungsgeſetze drohen Unter⸗
nehmern und deren Angeſtellten, das SeellVerſG.
auch Mitreedern, Schiffsführern und deren Ange⸗
ſtellten Straſe an, wenn fie Beiträge zur Unfall:
verſicherung den Verſicherten auf den Lohn an⸗
rechnen oder eine ſolche Anrechnung wiſſentlich
bewirken. (GewllVerſG. 8 141 Abſ. 3, Baull⸗
VerſG. § 45 Abſ. 2, LwluVerſG. § 152 Abi. 3,
Seell VerſG. § 139 Abſ. 3). Die RO. über:
nimmt dieſe Vorſchriften in 8 911 mit SS 1045
und 1224, erſetzt nur das Wort „Lohn“ durch
den weitergehenden Ausdruck „Entgelt“ (Begriff
35 160 RVO.) und nennt neben den Beiträgen
die Prämien, die nach § 731 Abſ. 3 bei den
Zweiganſtalten für Bauarbeiten und bei den Zweig—
anſtalten oder Verſicherungsgenoſſenſchaften für
Halten von Reittieren oder Fahrzeugen ($ 629)
erhoben werden.
b) Wenn Unternehmer eines gewerblichen Bau—
betriebs mit Zahlung der Beiträge rückſtändig ge—
blieben find und ſich in einem Zwangsbeitreibungs—
verfahren als zahlungsunfähig erwieſen haben,
ſo kann das Verſicherungsamt widerruflich an—
ordnen, daß der Bauherr und der Zwiſchenunter—
nehmer für die Beiträge während eines Jahres
nach deren endgültiger Feſtſtellung inſoweit haften,
als ſie nach Erlaß der Anordnung erwachſen ſind
(5 765). Von der Anordnung hat der Unter:
nehmer dem Auftraggeber unverzüglich ſchriftlich
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24. 481
Anzeige zu machen. Uebernimmt er einen bau⸗
gewerblichen Auftrag, ſo hat er die Anzeige vorher
zu erſtatten. Zwiſchenunternehmer haben von der
Anzeige unverzüglich ihrem Auftraggeber ſchriftlich
Kenntnis zu geben (8 767 Abſ. 1). Vorſätzliche
und fahrläſſige Zuwiderhandlung gegen dieſe Vor⸗
ſchriften wird, wenn ſie zu einer Schädigung des
Auftraggebers führt, nach $ 767 Abſ. 2 beſtraft.
Die 88 765 und 767 gelten nach § 771
entſprechend für gewerbliche Fuhrwerks⸗, Binnen⸗
ſchiffahrts⸗ und Binnenfiſchereibetriebe. Dabei tritt
an die Stelle des Bauherrn und des Auftrag⸗
gebers der Eigentümer der Betriebsmittel.
Aehnliche Vorſchriften enthalten 8 104
GewlluVerſ. und 8 39 BaullVerG. Doch iſt
fel nur vorſätzliches Handeln unter Strafe ge⸗
tellt.
3. Vorſchriften für die Invaliden⸗ und Hinter⸗
bliebenenverſicherung.
a) Der 8 1488 ſieht ähnlich wie 8176 Inv Verſch.
die Möglichkeit der Beſtrafung vor, wenn Arbeit⸗
geber es unterlaſſen,
a) rechtzeitig für ihre verſicherungspflichtig
Beſchäftigten die richtigen Marken zu verwenden
oder die Beiträge abzuführen,
8) bei Beſchaftigung von Ausländern, die
nach $ 1233 Abſ. 1 verſicherungsfrei find, nach
Anordnung des Reichsverſicherungsamts ſo viel
an die Verſicherungsanſtalt zu zahlen, wie ſie
ſonſt aus eigenen Mitteln zahlen müßten.
Der Strafausſchließungsgrund des 8 176
Abſ. 1 Satz 2 InxVerſG. iſt nicht in § 1488
RVO. übernommen.
b) Arbeitgeber und Angeſtellte, die vorſätzlich
den Beſchäftigten höhere als die geſetzlich zuläſſigen
Beiträge vom Lohne abziehen, unterliegen der
Beſtrafung aus § 1490 Nr. 1 und 4. Nach 8 1490
Nr. 2 und 3 werden Arbeitgeber, gegen die das
Verſicherungsamt eine Anordnung nach 8 398 er:
laſſen hat (oben Nr. III 1 a), beſtraſt,
a) bei Entrichtung der Beiträge in Marken,
wenn ſie für eine Zeit Lohnabzüge machen, für
die ſie die geſchuldeten Beiträge nicht nachweislich
ſchon entrichtet haben.
5) beim Einzugsverfahren, wenn fie Lohn:
abzüge machen.
8 1490 Nr. 1—4 gibt in der Hauptſache den
Inhalt des $ 181 Nr. 1 und 2 Inv VerſG. wieder.
Eine Aenderung ohne große praktiſche Bedeutung
beſteht darin, daß die Nr. 1 und 4 des § 1490
RWO. vorſätzliches Handeln, dagegen die ent⸗
ſprechenden Vorſchriften des § 181 InvBerj®.
3 in rechtswidriger Abſicht unter Strafe
tellen.
c) Nach § 1492 werden Arbeitgeber beſtraft,
wenn ſie vorſätzlich Beitragsteile, die ſie den Be—
ſchäftigten vom Lohne abgezogen oder von ihnen
erhalten haben, nicht für die Verſicherung ver:
wenden. Der § 1492 füllt wie $ 533 (oben
Nr. III I b) eine Lücke des geltenden Rechtes
aus, indem er abweichend von $ 182 Abi. 1
InvVerſG., dem er fonſt entſpricht, auch die Fälle
berückſichtigt, in denen der Arbeitgeber Beitrags:
teile von den Beſchaͤftigten erhalten hat.
d) Verſickerte werden nach $ 1491 beſtraft,
wenn ſie vorſäaͤtzlich für ſelbſtentrichtete Beitrage
vom Arbeitgeber mehr als zuläſſig oder von
mehreren Arbeitgebern den vollen Beitragsteil für
dieſelbe Woche fordern oder den erhobenen Betrag
nicht zur Entrichtung der Beiträge verwenden oder
die Beitragsteile erheben, ohne daß von ihnen
die vollen Beiträge entrichtet ſind. § 1491 bringt
keine Aenderung ae dem geltenden Rechte
(InvVerſG. § 181 Nr. 3).
e) Die Ouittungslacten find Gegenſtand der
Strafvorſchriften in 8 1490 Nr. 5 und in $ 1495.
Nach 81490 Nr. 5 macht ſich wie nach $ 181
Nr. 4 InvVerſG. ſtrafbar, wer eine Quittungs⸗
karte dem Berechtigten widerrechtlich vorenthält.
Wer. Quittungskarten mit unzuläffigen Ein⸗
tragungen oder mit beſonderen Merkmalen ver⸗
ſieht, ferner wer in Quittungskarten den Vor⸗
druck fälſchlich ausfüllt oder die zur Ausfüllung
des Vordrucks eingetragenen Worte oder Zahlen
verfälſcht oder wiſſentlich eine ſolche Karte ge⸗
braucht, kann vom Verſicherungsamt beſtraft
werden ($ 1495 Abſ. 1 und 2). Die Zuſtändig⸗
keit der Gerichte tritt aber ein, wenn die Ein⸗
tragungen, Merkmale oder Fälſchungen in der
Abſicht gemacht werden, den Inhaber der Quittungs⸗
karte Arbeitgebern gegenüber kenntlich zu machen
(8 1495 Abſ. 3). Eine Verfolgung wegen Ur:
kundenfälſchung (StGB. §§ 267, 268) tritt nur
gegen Perſonen ein, welche die Faͤlſchung in der
Abſicht begangen haben, ſich oder anderen einen
Vermögensvorteil zu verſchaffen oder anderen einen
Schaden zuzufügen (8 1495 Abſ. 4). Dieſe Bor:
ſchriften ſtimmen ſachlich faſt vollſtändig mit denen
des 8 184 InvVerſG. überein. Eine Neuerung
iſt nur inſofern gegeben, als $ 1495 RVO. auch
das fälſchliche Ausfüllen des Vordrucks von Quit⸗
tungskarten unter Strafe ſtellt. Die Faſſung
des Abſ. 2 des 8 184 InvVerſG.: „Sind die
Eintragungen . . . . in der Abſicht gemacht worden,
den Inhaber der Quittungskarte anderen Ar⸗
beitgebern gegenüber zu kennzeichnen“, gab zu
Zweifeln Anlaß, ob die Vorſchriſt ſich nicht nur
gegen den Arbeitgeber richte, der die Quittungskarte
in rechtmäßigem Beſitze hat. Die Streichung des
Wortes „anderen“ beſeitigt dieſe Zweifel.
Hier iſt noch $ 1416 Abſ. 2 zu erwähnen.
Er ermächtigt wie $ 132 Abſ. 1 Satz 3 Inv VerſG.
den Bundesrat, für die Selbſtverſicherung und
ihre Fortſetzung beſondere Quittungskarten vor—
zuſchreiben und die unbefugte Verwendung anderer
mit Strafe zu bedrohen.
f) Dem Schutze der Verſicherungsmarken dienen
| die 83 1496 —1449 und § 1431 Satz 3.
Die 88 1496 und 1497 bedrohen mit Strafe,
482 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
a) wer Marken fälſchlich anfertigt oder ver⸗ verantwortlich erklärt wurden, für jede Nachläſſig⸗
fälſcht, um fie als echte zu verwenden, oder wer keit Strafen androhen. Dies deckt fi im all:
zu demſelben Zwecke falſche Marken ſich verſchafft, gemeinen mit dem geltenden Rechte (Gewll VerſG.
verwendet, feilhält oder in Verkehr bringt. 8 112, BaullVerſG. 8 40, LwlVerſG. § 120,
6) wer wiſſentlich bereits verwendete Marken SeellVerſG. 8 118). Eine Neuerung iſt nur,
wieder verwendet oder zur Wiederverwendung ſich daß auch im Bereiche der Seeunfallverficherung
verſchafft, feilhält oder in Verkehr bringt. die Verſicherten unter Strafe geſtellt werden können.
8 1498 ſchreibt für beide Fälle die Einziehung Doch iſt hier die beſondere Beſtimmung getroffen
der Marken vor. (S 1201 Satz 2), daß die Verſicherten ſtraſlos
8 1499 ſtellt Vorbereitungshandlungen zur bleiben, wenn fie den Unfallverhütungsvorſchriften
Fälſchung von Marken unter Strafe. Der Be: in Ausführung eines Befehls ihres Vorgeſetzten
ſtrafung daraus unterliegt, wer ohne ſchriftlichen zuwidergehandelt haben.
Auftrag einer Verſicherungsanſtalt oder einer Be⸗ 4. Erwachſen einer Berufsgenoſſenſchaft durch
hörde Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere | Pflichtverſäumnis eines Unternehmers bare Aus:
Formen, die zur Herſtellung von Marken dienen lagen für die Ueberwachung ſeines Betriebs oder
können, oder Abdrücke ſolcher Formen anfertigt, für die Prüfung ſeiner Bücher und Liſten, ſo kann
ſich verſchafft oder einem anderen als der Ber: ihn der Vorſtand hierwegen in Strafe nehmen
ſicherungsanſtalt oder der Behörde überläßt. (SS 887, 891, 1030, 1217). 8 124 Gew VerſG..
Von den entſprechenden Vorſchriften des 8 40 BaullVerſG., 8 130 LwllVerſG. und 8 126
InvVerſG. (SF 187 und 188) unterſcheiden fi) | SeellVerſG. geben den Vorſtänden der Berufs:
die 88 1496 — 1499 RVO. in der Hauptſache genoſſenſchaften die gleiche Befugnis.
nur dadurch, daß ſie die Begehungsformen zweck⸗ 5. Den Berufsgenoſſenſchaften wurde ſchon
mäßiger und erſchöpfender aufzählen. Ferner iſt bisher auf Grund des ihnen als öffentlich- rechtlichen
Vorausſetzung der Beſtrafung aus 8 1497 RVO., Körperſchaften verliehenen Selbſtverwaltungsrechts
daß der Täter die ſchon erfolgte Verwendung der das Recht zugeſtanden, durch die Satzung mäßige
Marken kennt. Darin liegt eine kleine Ein⸗ Geldſtrafen anzudrohen. Die 88 680, 973 und
ſchränkung des Tatbeſtandes gegenüber 8 187 | 1144 räumen nun den Berufsgenoſſenſchaften aus⸗
Abſ. 2 InvVerſ. Denn dieſer ſieht auch die drücklich das Recht ein, in der Satzung den Vor⸗
Möglichkeit vor, die Schuld des Täters dahin ſtand zu ermächtigen, daß er gegen Unternehmer,
feſtzuſtellen, daß er den Umſtänden nach annehmen die ihren ſatzungsmaͤßigen Pflichten zuwiderhandeln,
mußte, die Marken ſeien ſchon verwendet worden. Geldſtrafen bis zu 25 M verhängt.
Zuwiderhandlungen gegen die Vorſchriſten über 6. Eine Sondervorſchrift für die Seeunfall⸗
die Entwertung der Marken kann der Bundesrat verſicherung enthält in Uebereinſtimmung mit 8 144
mit Strafe bedrohen (8 1431 Satz 3, welcher Abi. 2 SeellVerſG. der 8 1767 RVO. Danach
dem § 141 Abſ. 3 und 4 Inv VerſG. entſpricht). kann beſtraft werden, wer die ihm nach 88 1746
IV. Strafvorſchriften verſchiedenen Inhalts. bis 1766 obliegende Pflicht verletzt, zur Feſt⸗
1. Nach § 140 mit 88 139, 479 Abſ. 2 und ſtellung von Unfällen und der Entſchädigungen
1225 werden Arbeitgeber, Auftraggeber, Mit: | dafür mitzuwirken.
reeder, Schiffsführer und ihre Angeſtellten be: 7. Die Beſtrafung von Zeugen und Sachver⸗
ſtraft, wenn fie durch Uebereinkunft oder Arbeits- ſtändigen, die ſich nicht einfinden oder ihre Aus:
ordnung die Anwendung der Vorſchriften der ſage oder die Eidesleiſtung ungerechtfertigt ver⸗
RVO. ganz oder teilweiſe zum Nachteile der weigern, richtet ſich, wenn um die Vernehmung
Verſicherten ausſchließen. Die Vorſchriſt iſt aus ein Richter erſucht iſt, nach den Vorſchriften der
dem geltenden Rechte übernommen (vgl. 88 80, 3 pO., im übrigen nach § 1577 (88 1574, 1617
82 Krank VerſG., $ 141 GewllVerſG., § 45 Abi. 2 | Abi. 1, 1626 Abſ. 1, 1628 Abſ. 2, 1652 Abſ. 3,
BaullVerſG.,§S 152 LwüUVerſG.,§ 139 Seell VerſG., | 1679 Abſ. 1, 1698 Abſ. 1, 1701 Abſ. 1, 1736
$ 180 InvVerſG.), aber auf die Auftraggeber Abſ. 3, 1740 Abſ. 3, 1771, 1789).
ausgedehnt. | 1
2. Verſicherte, welche die Krankenordnung oder Allgemein iſt noch zu bemerken:
die Anordnungen des behandelnden Arztes über— 1. Den gegen Unternehmer, Mitreeder und
treten, verfallen der Strafe des 8 529. Eine ſonſtige Arbeitgeber gerichteten Strafvorſchriften
entsprechende Vorſchrift enthält 8 26 a Abſ. 2 der RVO. unterliegen nach 8$ 536, 680, 912,
Nr. 2a KrankVerſG. 973, 1045, 1144, 1222, 1493 und 1581 Abſ. 4
3. Die Berufsgenoſſenſchaften dürfen nach in der Hauptſache auch
53 851, 891, 1030 und 1201 Zuwiderhandlungen a) die Mitglieder des Vorſtandes einer Aktien⸗
ihrer Mitglieder und der Verſicherten gegen ihre geſellſchaft, eines Verſicherungsvereins auf Gegen—
Unfallverhütungsvorſchriſten mit Geldſtrafen be- ſeitigkeit, einer eingetragenen Genoſſenſchaft, einer
drohen, die Seeberufsgenoſſenſchaft nach $ 1202 Innung oder einer anderen juriſtiſchen Perſon,
auch den Schiffsführern, wenn dieſe neben den b) die Geſchäftsführer einer Geſellſchaft mit
Reedern ſür die Befolgung der Vorſchriften beſchränkter Haftung,
Zeitſchrift für Rechtspflege
in Bayern. 1911. Nr. 24.
— .. bei
u nn nr gen mn an nm nommen — —
e) die perſönlich haftenden Geſellſchafter einer
Handelsgeſellſchaft, ſoweit ſie von der Vertretung
nicht ausgeſchloſſen ſind,
d) die geſetzlichen Vertreter geſchäſtsunfähiger
oder beſchränkt geſchäftsfähiger Arbeitgeber, ſowie
die Liquidatoren einer Handelsgeſellſchaft, eines
Verficherungsvereins auf Gegenſeitigkeit, einer ein⸗
getragenen Genoſſenſchaft, einer Innung oder einer
anderen juriſtiſchen Perſon.
2. Die Unternehmer und ſonſtigen Arbeitgeber
dürfen die Pflichten, die ihnen auf anderen Gebieten
als auf dem der Seeunfallverfiherung die RVO.
und die Satzungen auferlegen, Betriebsleitern und,
ſoweit es ſich nicht um Einrichtungen auf Grund von
Unfallverhütungsvorſchriften handelt, auch Aufſichts⸗
perſonen oder anderen Angeſtellten ihrer Betriebe
übertragen.
Handeln ſolche Stellvertreter den Pflichten zu⸗
wider, ſo trifft ſie die Strafe. Neben ihnen ſind
die Unternehmer oder ſonſtigen Arbeitgeber ſtraf⸗
bar, wenn
a) die Zuwiderhandlung mit ihrem Wiſſen
geſchehen iſt, |
b) fie bei der Auswahl oder Beaufſichtigung
der Stellvertreter nicht die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt beobachtet haben (88 534, 913, 1045,
7 vgl. auch $ 1556 Abſ. 2 und 8 1581
bſ. 4 |
3. Die Straſvorſchriften finden nach 88 894,
1033 und 1218 großenteils keine Anwendung,
wenn das Reich, ein Bundesſtaat, ein Gemeinde⸗
verband, eine Gemeinde oder eine andere öffent⸗
liche Körperſchaft Verſicherungsträger iſt.
Aus der Praxis der Gerichte.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Muß die Formvorſchrift des 8 313 BGB. be:
obachtet werden, wenn ſich jemand verpflichtet, für
einen anderen Grundſtücke nach außen hin im eigenen
Namen zu kaufen? Auſpruch auf Erſatz von Ber:
wendungen und Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem
Anſpruch auf Berichtigung des Grundbuchs. Die Mutter
der Kläger erwarb am 3. Auguſt 1900 ein Grundſtück
in H. und am 15. September 1905 zwei Grundſtücke
in R. Durch notariellen Vertrag vom 17. Januar 1908
übertrug ſie dieſen Grundbeſitz ihrem Sohn M. O., dem
Beklagten, und am 27. März 1908 ließ ſie ihm die Grund⸗
ſtücke auf. Sie iſt geſtorben. Ihre anderen Kinder
klagen mit dem Antrage, den Beklagten zu verurteilen,
in die Berichtigung des Grundbuchs dahin zu willigen,
daß als Eigentümer der drei Grundſtücke an ſeiner
Stelle die Erben eingetragen werden. Der Ueber—
laſſungsvertrag und die Auflaſſung vom 27. März 1908
ſeien nichtig, weil die Mutter ſich damals in einem
die freie Willensbeſtimmung ausſchließenden Zuſtande
krankhafter Störung der Geiſtestätigkeit befunden habe.
Der Beklagte wendete ein, er habe die Grundſtücke für
ſich gekauft und mit ſeinem Gelde bezahlt; er habe
damals zur See fahren wollen und deshalb mit ſeiner
Mutter ausgemacht, daß dieſe als Eigentümerin der
Grundſtücke eingetragen würde, ſie ſeien ſich aber einig
geweſen, daß er der Eigentümer ſein ſollte. Ferner
machte der Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht an dem
Grundſtück in H. wegen Aufwendungen geltend. Die
Vorinſtanzen gaben der Klage ſtatt. Die Reviſion
hatte Erfolg. f
Aus den Gründen: 1. Mit Unrecht verwirft
der Berufungsrichter den Einwand des Beklagten,
er habe mit ſeiner Mutter vereinbart, ſie ſolle ſich als
Eigentümerin der Grundſtücke eintragen laſſen, er aber
ſolle in Wirklichkeit der Eigentümer ſein, da er das
Geld zum Ankaufe hergegeben habe. Er hält den
Einwand für unerheblich, weil die Vereinbarung der
Form des 8 313 Satz 1 BGB. bedurft hätte. Gegen⸗
ſtand der Vereinbarung war aber nicht die Verpflich⸗
tung der Mutter zur Uebertragung des Eigentums
an den Grundſtücken, die ihr noch garnicht gehörten,
ſondern die Uebernahme einer Geſchäftsbeſorgung;
die Mutter ſollte die Grundſtücke zwar nach außen in
eigenem Namen kaufen, aber im Verhältnis zum Be⸗
klagten für dieſen. Die Erteilung und die Annahme
eines Auftrags zur Geſchäftsbeſorgung unterliegt der
Formvorſchrift des 8 313 Satz 1 BGB. auch dann
nicht, wenn die Geſchäftsbeſorgung für einen anderen
auf den Erwerb von Grundeigentum gerichtet iſt und
der Beauftragte das Grundeigentum zunächſt auf
ſeinen Namen erwerben und ſodann auf den Auftrag⸗
geber übertragen ſoll. Denn mit dieſer Uebertragung
wird nicht eine Pflicht zur Uebertragung von Eigen⸗
tum erfüllt, ſondern die aus der Geſchäftsbeſorgung
nach SS 667, 675 BGB. ſich ergebende Verpflichtung
zur Herausgabe des aus der Geſchäftsbeſorgung Er⸗
langten; und die Uebernahme einer Geſchaͤftsbeſor⸗
gung bedarf zu ihrer Wirkſamkeit keiner Form (RG.
54, 75, 78; 62, 336; Gruchots Beitr. Bd. 52 S. 660).
Demnach wäre die Vereinbarung verbindlich. Aller⸗
dings nicht deswegen, weil durch die Auflaſſung
vom 27. März 1908 und die Eintragung des Be⸗
klagten als Eigentümer der Formmangel gemäß
8 313 Satz 2 BGB. geheilt worden wäre; denn,
da die Auflaſſung nach der Feſtſtellung des Berufungs⸗
richters nichtig war, konnte ſie die Vereinbarung
nicht heilen. Wohl aber wäre die Vereinbarung
bindend, weil ſie keiner Form bedurft hätte. Aus
ihr aber würde gemäß $ 667 BGB. folgen, daß
die Mutter der Parteien, nachdem ſie auf Grund der
Auflaſſungen der Verkäufer als Eigentümerin einge⸗
tragen worden war, die Grundſtücke an den Beklagten
herauszugeben und ihm das Eigentum daran zu ver—
ſchaffen gehabt hätte (RG. Z. 54, 78), und daß daher
die Kläger als Erben dem Beklagten, der bereits
im Beſitze der Grundſtücke iſt, nun noch rechts⸗
gültig Auflaſſung zu erteilen und ſeine Eintragung
als Eigentümer zu bewilligen hätten. Deshalb ſtünde
dem Anſpruche der Kläger auf Bewilligung der Ein⸗
tragung der Erbengemeinſchaft an Stelle des Beklagten
der Einwand der Argliſt entgegen, da fie vom Be⸗
klagten Verſchaffung des Bucheigentums verlangen,
während fie der Eintragung des Beklagten als Eigen-
tümer Wirkſamkeit zu verſchaffen hätten, ſo daß er
wirklicher Eigentümer würde. N
Das Recht zur Zurückbehaltung wegen des Erſatz⸗
anſpruches ergibt ſich aus S 273 Abſ. 2 BGB. Dieſe
Vorſchrift fordert zunächſt,daß gegen denjenigen, der ein
Zurückbehaltungsrecht geltend machen will, ein Anſpruch
„auf Herausgabe eines Gegenſtandes“ erhoben worden
iſt. Der Begriff des „Gegenſtandes“ iſt weiter als der
einer, Sache“. Nach 8 90 BGB. find Sachen nur körper-
liche“ Gegenſtände. Daraus folgt, daß auch Rechte im
Sinne des BGB. Gegenſtände, nämlich „ unkörperliche“
Gegenſtände, ſind, wenigſtens ſofern ſie Objekt von
Verfügungen und anderen Rechtsgeſchäften ſein können,
ſie alſo Vermögensrechte find (vgl. RG. 62, 321).
Ein ſolches Recht fol aber der Beklagte heraus.
484 Zeitſchrift für Rechtspflege
geben. Der Klaganſpruch auf Einwilligung in die
Grundbuchberichtigung hat nicht, wie der Berufungs-
richter meint, nur die Vornahme einer Handlung
zum Gegenſtande. Vielmehr hat dieſes Verlangen
nach dem damit in Verbindung zu ſetzenden Klage⸗
grunde zum Ziele, daß der Beklagte das im Grund⸗
buche für ihn gebuchte Eigentumsrecht zugunſten der
Erbengemeinſchaſt aufgeben, alſo dieſes Buchrecht an
die Erbengemeinſchaft herausgeben ſoll. Mithin iſt
ein Anſpruch auf „Herausgabe eines Gegenſtandes“
gegen den Beklagten geltend gemacht worden (vgl.
RG. 72, 66). Ferner iſt auch die Vorausſetzung
des 8 273 Abſ. 2 gegeben, daß Verwendungen „auf
den herausverlangten Gegenftand” gemacht worden
ſind. Das Eigentumsrecht läßt ſich von dem Gegen⸗
ſtande, den es ergreift, rechtlich nicht trennen.
Der Gegenſtand gibt dem Eigentumsrecht erſt ſeinen
eigentlichen Inhalt. Wird er erweitert, ſo hat auch
das Eigentumsrecht einen weiteren Umfang erlangt.
Daher ſind Verwendungen auf den Gegenſtand auch
Verwendungen zugunſten des Eigentumsrechtes. Ver⸗
wendungen auf das Grundſtück, auf deſſen Grundbuch⸗
blatt das Eigentum für den Beklagten gebucht iſt,
find alſo zugleich Verwendungen auf das Eigentums⸗
recht, das der Beklagte an die Erbengemeinſchaft
herausgeben ſoll.
Ferner iſt der Erſatzanſpruch des Beklagten nach
der ihm gegebenen Begründung auch fällig. Er findet
in 8 670 oder in 8 683 BGB. feine Rechtfertigung.
Die Vorſchrift des 8 1001 BGB., aus der der Bes
rufungsrichter das Fehlen der Fälligkeit folgert, iſt
ebenſowenig wie 8 1000 BGB. anwendbar. Vielmehr
iſt die Vorſchrift des 8 271 Abſ. 1 BGB. maßgebend.
wonach der Gläubiger die Leiſtung ſofort verlangen
kann, wenn eine Zeit für die Leiſtung weder beſtimmt
noch aus den Umſtänden zu entnehmen iſt. Danach
konnte der Beklagte Vergütung für ſeine Verwendungen
von der Mutter der Parteien ſofort verlangen, da
hierfür eine Zeit weder beſtimmt noch aus den Um—
ſtänden zu entnehmen war. Auch einer Mahnung
bedurfte es zur Herbeiführung der Fälligkeit i. S. des
8 273 Abſ. 2 BGB. nicht. Nur, um den Schuldner
in Verzug zu ſetzen, iſt nach 8284 BGB. eine Mahnung
erforderlich. Aber auch die Zurückbehaltungseinrede
wegen der Hyvothekenzinſen iſt gerechtfertigt, und
zwar nach 8 273 Abſ. 1 BGB. Der Berufungsricdter
verneint das, weil nicht dargelegt fei, daß der Ans
ſpruch auf Zinſen der Darlehenshypothek in irgend—
welchem rechtlichen Zuſammenhange mit dem Klage—
anſpruche ſtehe. Allein nach der ſtändigen Recht—
ſprechung des Reichsgerichts, von der abzugehen kein
Anlaß vorliegt, iſt das Erfordernis des 8273 Abſ. !
BGB., daß Anſpruch und Gegenanſpruch auf dem—
ſelben rechtlichen Verhältnis beruhen, nicht dahin auf—
zufaſſen, daß die Leiſtung und die Gegenleiſtung in
einem ſich gegenſeitig bedingenden Verhältniſſe zu—
einander ſtehen müſſen. Vielmehr kommt es darauf
an, daß eine natürliche, gewollte oder als gewollt
vorauszuſetzende Einheitlichkeit des Verhältniſſes und
ein hierdurch bewirkter natürlicher Zuſammenhang
der beiderſeitigen Anſprüche vorliegt, der es nicht
minder wie die rechtliche gegenſeitige Bedingtheit als
gegen Treu und Glauben verſtoßend erſcheinen läßt,
wenn der eine Teil von dem anderen die Leiſtung
verlangt, ſeine Gegenleiſtung aber nicht gewähren
will (RG. 57, 5; 59, 202; 68, 34; 72, 65; Gruchots-
Beitr. 51, 169). Ein ſolcher natürlicher Zuſammen—
hang beſteht zwiſchen dem Klaganſpruch und dem
Gegenanſoruch wegen der Hypothekenzinſen. Denn
die Kläger machen geltend, daß die von ihrer Mutter
dem Beklagten erteilte Auflaſſung des Grundſtücks in
H. nichtig ſei, und nehmen das für den Beklagten im
Grundbuch eingetragene Eigentum an dem Grundſtück
mit dem Verlangen auf Bewilligung der Grundbuch—
berichtigung zwar nicht für ſich allein, wohl aber als
in Bayern. 1911. Nr. 24.
————
Miterben der Mutter für die Erbengemeinſchaft in
Anſpruch. Der Gegenanſpruch des Beklagten gründet
ſich auf eine dasſelbe Grundſtück belaſtende Hypothek,
auf Grund deren die Mutter und jetzt Erbengemein⸗
ſchaft die rückſtändigen Zinſen an den Beklagten zu
entrichten haben. Demnach beſteht für den Beklagten
ein Zurückbehaltungsrecht nach 8 273 Abſ. 1 BGB.
auch wegen feiner Hypothekenzinsforderung. (Urt.
des V. 35. vom 12. Juli 1911, V 90/11).
2436 — — —ı.
II.
Wird gegenüber dem eingeklagten Teil einer For⸗
derung aufgerechnet, fo kann die Gegenforderung nicht
auf den Teil der Forderung verwieſen werden, der nicht
eingeklagt iſt. Aus den Gründen: Die Reviſiion
bekämpft als irrig, daß der Berufungsrichter die Ver⸗
weiſung der Gegenforderung auf den nicht einge⸗
klagten Teil der Reſtforderung des Klägers nicht
zuläßt; das iſt abzulehnen Die Aufrechnung iſt eine
dem Gläubiger vom Schuldner aufgezwungene Be:
friedigung; der Schuldner opfert feine Gegenforderung,
er verwendet ſie zur Befriedigung des Gläubigers und
befriedigt ſich gleichzeitig ſelbſt (vgl. Windſcheid⸗Kipp II
S. 433, 434, 435; Mot. z. BGB. II S. 107/108). Dieſer
Aufopferungs⸗ und Verwendungswille des Aufrech—
nenden entſcheidet alſo; eine andere Verwendung der
Gegenforderung, als ſie der Aufrechnende will, ent⸗
behrt jedes rechtlichen Grundes. Die Aufrechnung
gegen die Klageforderung will die Gegenforderung zu
dem Zwecke und nur zu dem Zwecke aufopfern, um
das klagweiſe Befriedigungsbegehren des Gläubigers
zu erfüllen. Die Verweiſung der Aufrechnung auf
den nicht eingeklagten Teil der Gläubigerforderung
widerſpricht offenſichtlich dem Willen des Aufrechnenden.
Eine ſolche Verweiſung iſt gerade ſo unſtatthaft, wie
eine Verrechnung der auf den Klagebetrag behufs Er—
füllung des Klagebegehrens geleiſteten Zahlung auf
den anderen, nicht eingeklagten Teil der Gläubiger:
forderung unſtatthaft ift (vgl. ROH. 15 S. 106/07).
Abzulehnen iſt ein Unterſchied zwiſchen Zahlung auf
die Klage und Aufrechnung gegen die Klage dahin,
daß beim Vorhandenſein eines nicht eingeklagten
Forderungsteiles das Klagebegehren zwar durch
Zahlung erledigt wird, durch Aufrechnung aber nicht:
ein ſolcher Unterſchied iſt um ſo weniger möglich, als
ohne Klage der Gläubiger gerade umgekehrt zwar
Teilzahlungen zurückweiſen darf (BGB. § 226), eine
Teilaufrechnung aber ſich gefallen laſſen muß (Mot.
zum BGB. II S. 108). Dieſe Rechtslage iſt nicht ge⸗
ändert durch die Widerklage der Beklagten. Die Be—
klagte will aufrechnen zunächſt gegen das Klage—
begehren und ſodann erſt will ſie feſtgeſtellt wiſſen,
daß auch der nicht eingeklagte Teil der Reſtforderung
durch ihre Gegenforderung erledigt ſei. (Urt. des III ZS.
vom 26. September 1911, 518/10).
2405
— — DL
III.
Inwieweit ſetzen Schadenserſatzanſprüche nach 53 907,
909 BB. ein Verfchulden voraus? Aus den Grün⸗
den: Daß zur Begründung des Schadenserſatzanſpruchs
aus § 907 BGB. regelmäßig die Behauptung eines Vers
ſchuldens des die Anlage Herſtellenden oder Haltenden
gehört, iſt nach Rechtſprechung und Wiſſenſchaft nahezu
außer Streit (vgl. RG. 58, 130). Nur dann, wenn
dem Grundſtückseigentümer ausnahmsweiſe durch ge—
ſetzliche Vorſchrift der Anſpruch auf Beſeitigung der
ſchädlichen Einwirkungen einer Anlage genommen iſt
(z. B. § 04 BGB., § 26 Gew.), ſteht ihm nach ſtän—
diger Rechtſprechung des Reichsgerichts der Schadens—
erſazanſpruch zu, auch ohne daß er ein Verſchulden
des Nachbars nachweiſt. Allein ſo liegt die Sache
hier nicht. Es beſteht keine geſetzliche Vorſchrift, durch
welche die Kläger gehindert geweſen wären durch
Klage oder Antrag auf einſtweilige Verfügung den
nachteiligen Einwirkungen des Kanalbaus auf ihr
Grundſtück ſich zu widerſetzen, z. B. unter Darlegung
der beſonderen gefahrſteigernden Umſtände zu ver⸗
langen, daß die Abſteifungen in der Baugrube von
vornherein mit der Vorſicht und in dem Umfange
vorgenommen würden, wie es nach Eintritt der Rohr⸗
brüche geſchehen iſt. Daß zur Erkennung der erhöhten
Gefahr Sachkunde erforderlich iſt, ſtand der Geltend⸗
machung des Widerſpruchs nicht entgegen. Die Kläger
mochten ſich ſachkundigen Beirats bedienen. Daß die
Erhebung des Widerſpruchs durch den Eintritt des
Schadens überholt werden kann, iſt ein Uebelſtand,
der in allen Verhältniſſen möglich iſt. Mochten die
Kläger aber auch tatſächlich an der Geltendmachung
des Anſpruchs auf Beſeitigung der Beeinträchtigung
behindert ſein, rechtlich ſtand er ihnen zu, und damit
entfällt der beſondere Grund, aus dem ihnen ein nicht
vom Verſchuldensnachweis abhängiger Schadenserſatz⸗
anſpruch zu geben geweſen ſein würde. Es müßte zu
unerträglichen Folgen führen, wollte man die tatſäch⸗
liche Behinderung an der Geltendmachung des Bes
ſeitigungsanſpruchs, wie die Reviſion will, dem geſetz⸗
lichen Ausſchluſſe dieſes Anſpruchs gleichſtellen. Die
Beklagte würde alſo aus § 907 BGB. auf Schadens:
erſatz nur dann zu haften haben, wenn ihr ein Ver⸗
ſchulden zur Laſt gefallen wäre. Sie hat nach der
bedenkenfreien Feſtſtellung des Berufungsgerichts zur
Schadensabwendung alles bei Anwendung der im
Verkehr erforderlichen Sorgfalt Nötige getan. Daß
der Schaden trotzdem infolge des nicht vorausſehbaren
Zuſammentreffens mehrerer gefahrbringender Umſtände
entſtanden iſt, das iſt ein Zufall, für den ſie nicht
haftet. Für den Tatbeſtand des 8 909 BGB. kommt
der Grund, aus dem im Falle des 8 907 unter Um⸗
ſtänden ein vom Erfordernis des Verſchuldensnach⸗
weiſes freier Schadenserſatzanſpruch gegeben wird,
nicht in Betracht. Es gibt keine Geſetzesvorſchrift, die
dem Nachbar geſtattet, ſein Grundſtück in der Weiſe
zu vertiefen, daß das andere Grundſtück die erforder⸗
liche Stütze verliert, und die ihm zugleich die Sorge
für eine genügende andere Befeſtigung erläßt. Der be⸗
drohte Nachbar hat alſo unter allen Umſtänden den An⸗
ſpruch auf Beſeitigung der Beeinträchtigung. Schadens⸗
erſatz kann er aber immer nur unter der Vorausſetzung
des Verſchuldensnachweiſes verlangen. (Urt. des V. 38.
yon 4. Juli 1911, III 233/10).
416
— — —ı.
IV.
Gegen das Wettbewerbsverbot des 8 60 HB.
verſtötzt nicht eine Tätigkeit, mit der der Haudlungs⸗
gehilfe für ſpätere Zeit einen ſelbſtändigen Gewerbe⸗
betrieb vorbereitet. Aus den Gründen: Die Ent⸗
ſcheidung über den Anſpruch auf Zahlung des Gehalts
hängt davon ab, ob die Beklagte den Kläger mit
Recht entlaſſen hat, weil er dem geſetzlichen Wett⸗
bewerbsverbote des 8 60 HGB. zuwidergehandelt hat.
Dies hat das Berufungsgericht zutreffend verneint.
Ihm iſt zwar nicht darin beizutreten, daß das Verbot
des 8 60 nur den Betrieb eines fertig eingerichteten
Handelsgewerbes treffen will, daß der Betrieb eines
Handelsgewerbes im Sinne des $ 60 hier erſt be⸗
ginnen konnte, nachdem die von dem Kläger geplante
G. m. b. H. begründet, die Fabrik errichtet und alle an—
deren Vorbedingungen für die Herſtellung und den
Verkauf von Waren geſchaffen waren. Aber auf dieſen
eee beruht die angefochtene Entſcheidung
nicht. Der Vorderrichter geht vielmehr zutreffend da—
von aus, daß der 8 60 dem Handlungsgehilfen nicht
verbietet, während der Dauer ſeines Dienſtverhältniſſes
einen nach deſſen Beendigung zu beginnenden ſelb—
ſtändigen Geſchäftsbetrieb vorzubereiten, vorausgeſetzt,
daß er dadurch ſeine ſonſtigen Vertragspflichten ver⸗
letzt. Dem z. B. in den 88 74, 75 HGB. ausgedrückten
Beitfchrift für ZBeitſchrift für Rechtspflege in Bay in Bayern. 1911. Nr. 24. 485
Gedanken des Geſetzgebers, eine unbillige Erſchwerung
des Fortkommens der Handlungsgehilfen nach Ablauf
ihres Dienſtverhältniſſes zu verhindern, würde es
nicht entſprechen, wenn man dem Handlungsgehilfen
unterſagen wollte, daß er vor ſeinem Austritte Vor⸗
bereitungen trifft, um ſofort danach das eigene Geſchäft
beginnen zu können. Die feſtgeſtellten Handlungen
des Klägers, die Beſchaffung des Kapitals für die ge⸗
plante G. m. b. H., eines Grundſtücks für die zu er⸗
bauende Fabrik und der für dieſe erforderlichen Ma⸗
ſchinen, Abreden über die Einrichtung des neuen Unter⸗
nehmens und über die Anſtellung des Klägers als
Geſchäftsführer ſowie eine auf die Vorbereitung dieſes
neuen Unternehmens hinweiſende Notiz in einer Fach⸗
zeitſchrift, ſind ſämtlich erlaubte Vorbereitungsgeſchäfte.
Daß der Kläger dieſe Tätigkeit in einem eigenen
Kontor entfaltet hat, iſt unerheblich, entſcheidend iſt
die Art ſeiner Tätigkeit. Daß der Kläger ſeine ganze
Arbeitskraft dem neuen Unternehmen gewidmet hat,
erklärt ſich, wie das Berufungsgericht mit Recht be⸗
merkt, daraus, daß die Beklagte ihn ſeit Anfang Juni
nicht mehr beſchäftigt, ſondern beurlaubt hat und ent⸗
hält deshalb keine Verletzung ſeiner ſonſtigen Dienſt⸗
pflichten gegen die Beklagte. (Urt. des III. ZS. vom
10. Oktober 1911, III 414/10). — — n.
2456
B. Strafſachen.
Ein Laſtkraftſahrzeng wird nicht dadurch zu einem
„der Beförderung von Perſonen dienenden Kraftfahr⸗
zeuge“, daß gelegentlich Perſonen mitfahren dürfen.
Ein Bierbrauer war angezeigt worden, weil ſein An⸗
geſtellter auf das ausſchließlich zur Beförderung von
Laſten im Brauereibetrieb beſtimmte Kraftfahrzeug
ohne das Wiſſen des Bierbrauers wiederholt eine
fußleidende Frau und ihre Tochter aus Gefälligkeit
hatte aufſitzen laſſen, obwohl ſie mit der Beförderung
nichts zu tun hatten. Die Strafkammer verneinte
eine Zuwiderhandlung gegen 8 53 RStemp®. vom
3. Juni 1906 und ſprach frei. Die Reviſion des
Staatsanwalts wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Beſteuerung von
Kraftfahrzeugen 8 N den Luxusgebrauch
treffen. (RTVhdl. 1905/06, Anl. 4 zu Druckſ. 10
S. 30-32, Druckſ. Nr. 359, S. 47; Sten B. S. 3028 ff.).
Deshalb unterliegen nach 8 53 des Geſetzes der Steuer⸗
pflicht nur „die der Beförderung von Perſonen
dienenden Kraftfahrzeuge“. Es ſcheiden alſo Kraft⸗
fahrzeuge aus, die nur zur Beförderung von Gütern
dienen. Ob ein Fahrzeug der einen oder der anderen
Art angehört, wird zunächſt nach äußeren Merkmalen
zu beurteilen ſein. „Der Beförderung von Perſonen“
dient ein Kraftfahrzeug in der Regel dann, wenn es
ſchon äußerlich nach ſeiner Bauart und ſeinen Ein⸗
richtungen zur Perſonenbeförderung beſtimmt iſt. Den
Gegenſatz bilden die ſchon nach ihrer äußeren Er⸗
ſcheinung nur zur Güterbeförderung beſtimmten Kraft⸗
fahrzeuge. Wenn in 8 112 Abſ. 1 und 5 VBRBorfchr.
vom 15. Juli 1906 (ZB... D. R. S. 979 ff., 1007,
1008) von „Perſonenkraftfahrzeugen“ und Laſttraft⸗
fahrzeugen“ und von Umwandlung des einen in das
andere geſprochen wird, ſo iſt dabei offenbar an die
äußere Erſcheinung und die daraus erkennbare Be—
ſtimmung der Fahrzeuge gedacht. Daß das Fahrzeug
des Angeklagten ſeiner äußeren Erſcheinung nach ein
e geweſen und geblieben iſt, ſteht
außer Zweifel.
Nun wird allerdings noch zu prüfen ſein, ob die
Eigenſchaft eines Fahrzeuges als eines „Perfonen:
kraftfahrzeuges“ oder eines „Laſtkraftfahrzeuges“ und
die Umwandlung in eine andere Art nur nach äußeren
Merkmalen zu beſtimmen iſt oder ob nicht auch innere
Gründe maßgebend fein können. Hier kann das un:
486
eniſchieden bleiben. Selbſt wenn man die Frage
bejahen wollte, würden doch die Vorausſetzungen für
eine Umwandlung fehlen. Zu ihnen würde gehören,
daß der Eigenbeſitzer oder ſein Stellvertreter das
Laſtkraftfahrzeug dazu beſtimmt haben, zur Perſonen⸗
beförderung zu dienen und daß dieſe Beſtimmung
auch im Gebrauch Ausdruck gefunden hat. Ein Ge⸗
brauch eines Laſtkraftfahrzeuges zur Beförderung von
Perſonen könnte aber nur angenommen werden, wenn
eine Fahrt nicht ausſchließlich zur Beförderung von
Laſten ſondern ganz oder teilweiſe zur Beförderung
von Perſonen unternommen und durchgeführt wird.
Es müßten hier die gleichen Vorausſetzungen zutreffen,
wie bei dem Unternehmen einer Probefahrt mit einem
Kraftfahrzeug, das nach ſeiner äußeren Erſcheinung
„der Beförderung von Perſonen“ dient. Die Recht⸗
ſprechung des Reichsgerichts hat anerkannt, daß ein
Fahrzeug nicht i. S. des Geſetzes „in Gebrauch ge⸗
nommen wird“, wenn es durch eine Fahrt nur
„erprobt“ werden fol, auch wenn dabei Perſonen
mitgenommen werden, die mit der Fahrt andere
Zwecke verfolgen und deren Mitwirkung bei der
Probe unnötig iſt. Wie hier der Zweck der Fahrt
entſcheidet, obſchon das Fahrzeug an ſich der Bes
förderung von Perſonen dienen ſoll, ſo müßte auch
nach dem Zwecke der Fahrt entſchieden werden, ob
ein Laſtkraftfahrzeug zur Beförderung von Perſonen
dient und hierzu in Gebrauch genommen worden iſt.
Mit dem Kraftfahrzeug des Angeklagten ſind nur
Laſtfahrten im Brauereibetrieb unternommen worden.
Die Beförderung der Frau und ihrer Tochter war
niemals der Zweck der Fahrt. Mit dem Auſſitzen der
Beiden trat zwar zu der Güterbeförderung eine Per⸗
ſonenbeförderung hinzu, aber der Zweck der Fahrt
blieb für den Angeklagten und ſeinen Bedienſteten
der gleiche. Auf das Weſen des Fahrzeuges als eines
Laſtkraftfahrzeuges und das Weſen der Fahrt als einer
Laſtenfahrt konnte dieſe gelegentliche Mitbenützung
keinesfalls Einfluß haben. (Urt. des J. StS. vom
28. September 1911, D 420/11).
2443 Mitgeteilt von Rechtsanwalt F. Oderländer in München
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Präfungsrecht des Grundbuchamts im Falle des
39 EBD. Welche Behörde if zuſtändig die für eine
Gebührenforderung der bayerifchen Staatskaſſe einge⸗
tragene Sicherungshyvsthek auf einen anderen zu über:
tragen ? (Art. 123 AG. z. BGB.: 8 25 der Formations⸗
verordnung von 1825). Im Grundbuche des Amts-
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
gerichts N. iſt auf den Grundſtücken Pl.⸗Nr. 45 ff. der
Eheleute Johann und Katharina J. in N. für eine
Gebührenforderung des Staatsärars von 236,67 M
eine Sicherungshypothek eingetragen. Laut einer von
dem Rentamtsvorſtand unterzeichneten ſchriftlichen Er—
klärung hat das Staatsärar, vertreten durch das
Rentamt, am 17. Juli 1911 die Hypothek in der Höhe
von
210,67 M wegen Barablöſung an den Bank-
agenten S. in N. abgetreten und die Eintragung der
Abtretung bewilligt und beantragt.
den Eintragungsantrag abgewieſen, weil das Rent—
amt zur Abtretungserklärung nicht zuſtändig geweſen
ſei. Die Beſchwerde iſt vom Landgerichte zurück—
gewieſen worden.
keinen Erfolg.
Gründe: Die Akten geben keinen Aufſchluß
darüber, auf welche Weiſe die Sicherungshypothek
des Staatsärars entſtanden iſt.
Das GBA. hat
Auch die weitere Beſchwerde hatte
finanzkammer zu.
Der Beſchwerdeführer
und die Vorinſtanzen nehmen offenbar übereinſtimmend
an, daß die Eheleute J. dem Staatsärare für Gerichts:
gebühren u. dgl. 236,67 M ſchuldig geworden find .
und daß das Rentamt zum Zwecke der Beitreibung
dieſer Forderung des Staates nach Art. 123 A. BGB.
die Eintragung der Sicherungshypothek erwirkt hat.
Von dieſer Annahme hat auch das für die Entſcheidung
der weiteren Beſchwerde zuſtändige Gericht auszugehen.
Nach 8 19 GBO. iſt die Uebertragung der Hypothek
des Staates auf den Beſchwerdeführer im Crundbuche
dann einzutragen, wenn derjenige ſie bewilligt, deſſen
Recht betroffen wird. Das GBA. darf nach 8 29 die
Eintragung nur bewirken, wenn die Eintragungs⸗
bewilligung vor ihm zu Protokoll erklärt oder durch
öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nach⸗
gewieſen wird. Das GBA. hat alſo zu prüfen, ob
derjenige, der die Eintragungsbewilligung erklärt hat,
zu der Erklärung befugt war. Nach 8 39 erfolgt in
den Fällen, in denen nach geſetzlicher Vorſchrift eine
Behörde befugt iſt, das GBA. um eine Eintragung
zu erſuchen, die Eintragung auf Grund des Erſuchens
der Behörde. Dadurch wird aber das GBA. nicht
ermächtigt, jede von einer Behörde beantragte Ein⸗
tragung ohne weiteres zu vollziehen, die Vorſchrift
macht den Vollzug von der Vorausſetzung abhängig,
daß die Behörde nach geſetzlicher Vorſchrift zu dem
Eintragungsantrage befugt iſt, und legt damit dem
GBA. die Pflicht auf, zu prüfen, ob der Behörde die
Befugnis zum Eintragungsantrage nach geſetzlicher
Vorſchrift zukommt.
Mit Recht ſind die Vorinſtanzen zu der Anſicht
gelangt, daß das Rentamt zur Abtretung nicht zu⸗
ſtändig war. Zwar kann der Anſchauung des LG.
nicht beigepflichtet werden, daß das Rentamt die Ent⸗
ſcheidung der Regierungsfinanzkammer deshalb hätte
einholen ſollen, weil es ſich um einen ſchwierigen
und zweifelhaften Fall handle. Allerdings iſt im
Art. 123 AG. BGB. nur die Staatskaſſe für berechtigt
erklärt, für ihre Anſprüche wegen fälliger Abgaben
und Koſten die Eintragung einer Sicherungshypothek
auf den Grundſtücken des Schuldners zu verlangen,
und daher mit Grund die Frage aufgeworfen worden,
ob auch einem Dritten das Recht auf Eintragung der
Sicherungs hypothek zuſteht, auf den der Anſpruch des
Staates übergegangen iſt. Allein hier handelt es
ſich nicht darum, daß dem Beſchwerdeführer erſt eine
Sicherungshypothek beſtellt werden ſoll, ſondern um
die Uebertragung der für den Staat eingetragenen
Hypothek und es kann kein Zweifel darüber beſtehen,
daß dieſer in der Verfügung über ſeine Sicherungs⸗
hypotheken nicht beſchränkt iſt, ſondern darüber ebenſo
wie jeder andere verfügen kann. Dagegen fehlt jede
Vorſchrift, aus der abgeleitet werden könnte, daß die
Rentämter befugt ſind, die Sicherungshypotheken
des Staats an andere abzutreten. Daraus, daß
nach Art. 123 Abſ. 2 AG. BGB. die Sicherungs⸗
hypothek auf das Erſuchen der Behörde eingetragen
wird, die für den Staat die geſchuldete Leiſtung bei⸗
zutreiben hat, folgt nicht, daß dieſe Behörde auch
über die eingetragene Sicherungshypothek verfügen
darf. Dieſes Recht läßt ſich auch nicht aus den Bek. des
Fin M. vom 25. Dezember 1899, die Inſtr. zum Voll⸗
auge des GKG. und des Geb. betr. (FMBl. S. 300),
und vom 27. Dezember 1899, die Vorſchriften über
die Beitreibung der Staatsgeſälle betr. (F MBl. S. 355),
folgern. Dadurch iſt den Rentämtern wie den übrigen
Finanzämtern nur die Zwangsvollſtreckung in die be—
weglichen körperlichen Sachen übertragen; wenn es
ſich um die Zwangsvollſtreckung in andere Vermögens—
gegenſtände handelt, ſteht nach §8 96 der Bek. vom
27. Dezember 1899 die Verfügung der Regierungs-
Man kann der Meinung des Be:
ſchwerdeführers nicht beitreten, daß das Recht der
Rentämter zur Vertretung des Staats bei Einwen—
dungen und Streitigkeiten im Verfahren über die
Zwangsvollſtreckung in bewegliche körperliche Sachen
auch die Befugnis umfaßt, eine zur Sicherung des
Staates für rückſtändige Gefälle eingetragene Hypothek
einem Dritten abzutreten, der die Rückſtände gezahlt
hat. Dazu bedürfte es einer ausdrücklichen Vorſchrift.
Um die Pfändung einer Hypothekenforderung oder um
die Löſchung eines Pfändungseintrags oder um die
Eintragung oder Löſchung einer Sicherungshypothek
handelt es ſich hier nicht. Es kann daher unerörtert
bleiben, ob die von der Kammer der Finanzen in den
Entſchließungen vom 6. April 1906 und 7. Auguſt 1911
ausgeſprochene Anſicht zutrifft, daß dieſe Fälle von
den Rentämtern ſelbſtändig behandelt werden können.
Maßgebend iſt allein die AllerhB O. vom 17. Dezember
1825, die Formation, den Wirkungskreis und den
Geſchäftsgang der oberſten Verwaltungsſtellen in den
Kreiſen betr. (RegBl. S. 1049), die die Finanzver⸗
waltung in den Streifen (8 87) den Kreisregierungen,
Kammern der Finanzen, zuweiſt. (Beſchl. des I. 38S.
vom 22. September 1911, Reg. III 65/6911). W.
2435
II
Erlanugt der Gläubiger durch die Pfändung des Be:
12 eines Beamten ein Necht, das von der Dienſtent⸗
ebung und Dienſteutlaſſung des Beamten nicht getroffen
wird? (SS 804, 832, 833, 850 ZPO.; Art. 34, 174 BG.)
Der vormalige Bahnverwalter S. war dem Kläger
3200 M ſchuldig geworden. Auf den Antrag des
Klägers wurden die Geldforderungen gepfändet, die
dem Schuldner gegen den Fiskus auf Zahlung von
Gehalt und Dienſtbezügen zuſtehen oder künftig zu⸗
ſtehen werden, unter Beſchränkung der Pfändung auf
5 des 1500 M jährlich überſteigenden Dienſtein⸗
kommens. Der Beſchluß wurde dem Fiskus am 21. Ok⸗
tober 1909 zugeſtellt. Der Gehalt des S. betrug
3900 M, der Fiskus zahlte als Drittſchuldner dem
Kläger monatlich en 212 — 66,66 M. Im Feb⸗
ruar 1910 wurde S. nach Art. 172 BG. ſeines Dienſtes
vorläufig enthoben; nach Art. 174 wurde ein ½ feines
Gehaltes eingezogen. Die Eiſenbahndirektion teilte
dies dem Kläger mit und fügte bei, daß S. vom
1. März 1910 ab nur mehr 2600 M Gehalt beziehe
und daß ſich hieraus für den Pfändungsbeſchluß ein
Abzug von 33,55 M monatlich berechne. Im Disziplinar⸗
ſtrafverfahren wurde S. ſpäter des Dienſtes entlaſſen;
der einbehaltene Teil ſeines Gehaltes wurde nach
Art. 175 BG. Wohlfahrtseinrichtungen zugewendet,
ſoweit er nicht zur Deckung der Koſten erforderlich
war. Der Kläger behauptete, die Einbehaltung könne
ſeine Rechte nicht ſchmälern; er klagte auf den Unter⸗
ſchied zwiſchen dem bei der Pfändung beſtehenden und
dem geminderten Monatsbetrage. Die Klage wurde ab—
gewieſen; die Berufung blieb erfolglos, die Reviſion auch.
Aus den Gründen: Das OLG. hat mit Recht
die öffentlichrechtliche Natur des Beamtengehaltes be—
tont; aus ihr folgt, daß deſſen Begriff und Umfang
ſich nur aus dem BG. beſtimmen. Allerdings hat der
Beamte auf Grund des Art. 176 BG. ein klagbares
Recht auf die pünktliche Auszahlung nach der Gehd.;
allein gerade in gewiſſen Fällen des Dienſtſtrafrechtes
werden die Bezüge gemindert und der Anſpruch auf
pünktliche Zahlung wird verwirkt (Art. 174); dem
vorläufig vom Dienſt enthobenen Beamten wird
während des Verfahrens / des Gehaltes einbehalten,
d. h. die Zahlung wird bis zu einem beſtimmten Zeit—
punkt und zu beſtimmten Zwecken aufgeſchoben. Dieſe
Maßregel ſoll die Staatskaſſe für die im Art. 175
bezeichneten Koſten ſichern, beruht aber auch auf der
Erwägung, daß der Beamte, der aus eigener Schuld
dem Staate keine Dienſte leiſten kann, während dieſer
Zeit auch nicht ſeine ganzen Bezüge erhalten ſoll. Der
Beamte kann daher während der Enthebung auf das
einbehaltene Drittel keinen Anſpruch machen. Der
endgültige Verluſt hängt zwar noch von dem Aus—
gange des Dienſtſtraſverfahrens ab, tritt aber mit
rückwirkender Kraft ein, wenn dieſes mit der Ent⸗
Zeeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
487
laſſung aus dem Dienfte endet. Nur wenn das Ber-
fahren nicht zum Verluſte des Amtes ſührt, iſt der
nicht zur Deckung der Koſten verbrauchte Teil dem
Beamten nachzuzahlen.
Nach §§ 832, 833 ZPO. ergreift die Pfändung
einer Gehaltsforderung den Gehaltsbezug als Ganzes,
alſo mit allen Veränderungen, die er erfährt. Von
ſolchen hebt der § 833 nur die Folgen der Verſetzung
in ein anderes Amt, der Uebertragung eines neuen
Amtes oder der Gehaltserhöhung hervor, alſo vor⸗—
wiegend die Fälle einer Gehaltsmehrung; das gleiche
gilt aber auch für die Minderungen des Gehaltes in⸗
folge von Penſionierung oder vorläufiger Dienſtent⸗
hebung. In allen Fällen hat der Pfändungsgläubiger
nur ſoviel Recht, wie der Gläubiger der gepfändeten
Forderung. Daraus ergibt ſich, daß der gepfändete
Gehaltsbetrag nicht der Höhe nach, ſondern nur ver⸗
hältnismäßig beſtimmt iſt. Der Hauptangriff der Re⸗
viſion ſtützt ſich darauf, daß der durch die Pfändung
einer Gehaltsforderung erworbene Anſpruch ein wohl:
erworbenes Recht des Gläubigers ſei, das durch die
ſpätere Einbehaltung von Gehaltsteilen nicht berührt
werde. Dieſe Anſicht verkennt den Begriff des Ge⸗
haltsanſpruchs. Von der Einbehaltung des Gehalts⸗
drittels an beſchränkt ſich der unbedingte Gehalts⸗
anſpruch des Beamten auf die übrigen zwei Drittel; der
Anſpruch auf das einbehaltene Drittel iſt nur mehr be⸗
dingt. Hier ſteht überdies feſt, daß infolge der Dienſtes⸗
entlaſſung des Schuldners der Nachzahlungsanſpruch
erloſchen, der Gehaltsbezug alfo endgültig mit rück⸗
wirkender Kraft auf ½ gemindert iſt. Von vorn:
herein aber war das Einbehaltungsrecht des Staates
auflöſend bedingt, d. h. es beſtand zunächſt unein⸗
geſchränkt und es hätte das Einbehalten nur dann
nachträglich gezahlt werden müſſen, wenn das Dienſt⸗
ſtrafverfahren nicht zum Amtsverluſte geführt hätte.
Da nicht eine Reihe einzelner Gehaltsraten, ſondern
das Bezugsrecht im ganzen gepfändet wird (Gaupp⸗
Stein zu 8 832 ZPO.), die Beſchränkung bei der
Dienſtesenthebung aber eben dieſes Bezugsrecht betrifft,
iſt auch der Anſpruch des Pfändungsgläubigers im
Falle des Art. 174 BG. auf den freien Gehaltsteil
befhränft. Mit der Möglichkeit dieſer Beſchränkung
iſt das Pfändungspfandrecht an Gehaltsforderungen
von ſeiner Entſtehung an behaftet.
Die weitere Beſchränkung der Pfändung nach 8 850
Abſ. 2 ZPO. gehört ebenfalls dem öffentlichen Recht an;
ſie ſoll den für ein ſtandesmäßiges Leben angemeſſenen
Notbedarferhalten. Daraus iſt zu erkennen, daß der pfän⸗
dungsfreie Teil ſich nach dem Stande der wirklichen Be⸗
züge richtet, nicht nach dem Betrage, den die Geh Ot ergibt,
der aber aus irgendeinem Grunde nicht ausgezahlt
wird. Der Berechnung iſt alſo, ſolange die Dienſt—
enthebung dauert, nur der wirklich auszahlbare Gehalt
zugrunde zu legen. Dieſe Beſchränkung iſt in dem
nach § 850 Abſ. 2 ZPO. ergangenen Pfändungs⸗
beſchluſſe ebenſo enthalten, wie die Beſchränkung auf
den entſprechenden Penſionsteil eines während der
Schuldtilgungsperiode in den Ruheſtand getretenen
Beamten. Bei dem vom Dienſte enthobenen Be—
amten wird das Einkommen nur durch den ihm
wirklich zufließenden, nicht durch jenen Gehalt gebildet,
der ihm gebührt, wenn die im Art. 175 BG. vor⸗
geſehenen Maßregeln nicht eintreten; es kann deshalb
auch das abgeleitete Recht des Pfändungsgläubigers
nur ebenſoweit reichen. Nach Art. 174 BG. trifft die
Verwaltungsbehörde, wenn ſie die Einbehaltung ver—
fügt, nicht eine Maßnahme ihres amtlichen Ermeſſens,
ſondern ſie vollzieht ein geſetzliches Gebot. Eine gegen
dieſen Vollzug gerichtete Klage braucht daher nicht erſt
durch eine Einrede des Fiskus bekämpft zu werden; ſie
iſt ohne weiteres abzuweiſen, da das tatſächliche Vor:
bringen den Klagantrag nicht rechtfertigt. (Urt. des
I. ZS. vom 27. Oktober 1911, Reg. I 109/11). W.
2446
488 a Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
B. Strafſachen.
I.
Bedeutung des gleichzeitigen Verdingens an mehrere
Herrſchaften (Art. 106 Abſ. 1 Ziff. 2 PSt& B.). Lud⸗
wig Z. verdang ſich im Dezember 1910 als landwirt⸗
ſchaftlicher Dienſtbote zu dem Bauer Georg L. für
die Zeit von Lichtmeß 1911 bis Lichtmeß 1912, trat
aber feinen Dienſt nicht an und verdang ſich am 3. Fe⸗
bruar 1911 an den Bauer E., bei dem er ſeitdem als
Dienſtknecht die landwirtſchaftlichen Arbeiten verrichtet.
Weil er den Dienſt bei Georg L. ohne genügenden
Grund nicht angetreten und ſich an mehrere Dienſt⸗
herrſchaften zugleich verdungen habe, wurde er nach
Art. 106 Abſ. 1 Ziff. 3 und 2 PStG. angeklagt. Das
Sh®. verurteilte ihn aber nur wegen einer Ueber⸗
tretung nach Ziff. 3 und ſprach 81 von der Anklage
wegen einer Uebertretung nach Ziff. 2 des Art. 106
Abſ. 1 frei. Die Berufung und die Reviſion des
Staatsanwalts wurden verworfen.
Aus den Gründen: Nach Art. 22 AG. BGB.
iſt das Dienſtverhältnis eines land wirtſchaftlichen
Dienſtboten im Zweifel als für ein Dienſtjahr ein⸗
gegangen anzuſehen und beginnt das Dienſtjahr am
1. Februar. Da es nicht leicht denkbar iſt, daß ein
Dienſtbote in einem und demſelben Augenblicke ſich
an mehrere Dienſtherrſchaften verdinge, iſt vor allem
feſtzuſtellen, was der Geſetzgeber im Auge hatte, als
er die Dienſtboten mit Strafe bedrohte, die ſich
an mehrere Dienſtherrſchaften „zugleich“ verdingen.
Nach Edel (PStGB. von 1861 S. 496) mit dem
von Riedel⸗ von Sutner (PStGB. von 1871, 7. Aufl.
S. 391 und Reger-Dames 3. Aufl. S. 286), über⸗
einſtimmen, iſt das Wort „zugleich“ nicht von der
Gleichzeitigkeit der Handlung, ſondern von dem Ver—
dingen auf eine und dieſelbe Dienſtzeit zu verſtehen.
Dieſer Auffaſſung iſt beizupflichten, weil nur durch
ſie dem Geſetze eine brauchbare Deutung gegeben werden
kann. Es iſt gebräuchlich, daß die Dienſtherrſchaften
ihre Dienſtboten und die Dienſtboten ihre Dienſtplätze
ſchon einige Zeit vor dem Beginne des Dienſtes ſuchen.
Angeſichts dieſer Gewohnheit iſt anzunehmen, daß der
Geſetzgeber bei dem Verbote der mehrfachen Verdin⸗
gung ſich vorgeſtellt hat, daß ſie ſchon vor dem Tage
erfolge, an dem der Dienſt anzutreten iſt. Nur unter
dieſer Vorausſetzung iſt eine mehrfache Verdingung
auf eine und dieſelbe Dienſtzeit denkbar, da ja eine
Verdingung nach dem Tage, für den zuerſt der Dienſt⸗
eintritt vereinbart war, ſich nur auf eine andere, min-
deſtens eine kürzere Zeit erſtrecken kann. Die Vor⸗
inſtanzen ſind deshalb mit Recht von der Auffaſſung
ausgegangen, daß Z. ſich nicht an mehrere Herrſchaften
„zugleich“, d. h. für eine und dieſelbe Dienſtzeit,
verdungen hat. Die ſpäter, nach dem Verſtreichen des
Tages für den Dienſtantritt bei L., erfolgte Annahme
des Dienſtes bei E. war nur eine natürliche Folge des
Nichtantritts der erſten Dienſtſtelle und iſt deshalb
durch die rechtskräftig hierfür auferlegte Strafe abge—
golten, zumal da es nicht der Abſicht des Geſetzgebers
entſprechen dürfte, daß ein Dienſtbote, der aus nicht—
ſtichhaltigen Gründen ſeinen Dienſt nicht angetreten
hat, gezwungen ſein ſoll, faſt ein ganzes Jahr zu
eiern.
Dagegen kann die Anſicht der Strafkammer nicht
gebilligt werden, daß mit der Nichteinhaltung des
Dienſtvertrags am Tage des Beginns der Dienſtzeit
und der dadurch begründeten ſtrafrechtlichen Verant—
wortlichkeit die ſtrafrechtliche Wirkung des zuerſt ge:
ſchloſſenen Dienſtvertrags erledigt ſei. Der Umſtand,
daß nach dem Abſ. 4 des Art. 106 P StGB. der Polizei⸗
behörde die Befugnis zuſteht Dienſtboten, die wider—
rechtlich den Antritt des Dienſtes verweigern, der
Dienſtherrſchaft auf deren Antrag zwangsweiſe vor—
zufuhren, und daß dieſe Vorführung erſt nach dem
Nichtantritte des Dienſtes in Frage kommen kann,
—— — •—¾—— — 3 —
beweiſt dies zur Genüge. Die Aufſtellung der Straf⸗
kammer, daß die zwangsweiſe Vorführung nur eine
zivilrechtliche Folge der Unterlaſſung des Dienſtan⸗
tritts ſei, wird A dadurch widerlegt, daß die Vor⸗
ſchrift nicht im Art. 17 AG. BGB., ſondern im Art. 106
PStGG B. enthalten iſt. (Urt. vom 10. Juni 1911, Rev. ⸗
Reg, 285/11). Ed.
II.
Art. 112 Ziff. 2 P Stg.: Eigentums verhältniſſe an
einer Grenzeinrichtung. Der Angeklagte hat eine Grenz⸗
hecke niedergelegt. Er wurde nach Art. 112 Ziff. 2
P StGB. verurteilt; feine Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Entſtehungsgeſchichte
und die bisherige Auslegung weiſen allerdings darauf
hin, daß Art. 112 P StGB. hauptſächlich leichtere Fälle
von Entwendungen oder Sachbeſchädigungen an land⸗
wirtſchaftlichen Bodenerzeugniſſen uſw. treffen ſollte:
während aber die Ziff. 1 des Art. 112, die nur von
Entwendung ſpricht, ſtets einen Eingriff in fremdes
Eigentum vorausſetzt, kann die in der Ziff. 2 beahndete
Verletzung ſich zunächſt gegen fremdes Eigentum als
Sachbeſchaͤdigung, aber auch gegen Miteigentum und
— dem Wortlaute des Geſetzes nach vgl. insbeſ. das
gemeinſame Merkmal „unbefugterweiſe“ — fogar gegen
eine bloße dingliche Berechtigung richten; das in den
Entſcheidungen des OLG. Bd. 4 S. 289 enthaltene
gegenteilige Erkenntnis betraf einen anders gelagerten
Fall. Zur Entſcheidung ſteht hier an erſter Stelle
eine Verletzung fremden Eigentums oder Miteigentums.
Seit der Einführung des BGB. findet an ſtehenden
Grenzanlagen i. S. der 88 921 ff. ein Miteigentum nicht
mehr ſtatt auch da, wo es nach älterem Rechte vorlag
(RGS. 53 307), und das in F. herrſchende gemeine Recht
kannte ein ſolches Miteigentum ebenfalls nicht, ließ viel⸗
mehr das Eigentum jedes Nachbarn räumlich bis zur
ideellen Grenzlinie des Beſitztumes als Sondereigentum
gelten. Hieraus würde ſchon folgen, daß die Beſeitigung
einer Grenzhecke, durch die ſich jene Grenzlinie in der
Längsrichtung hinzieht, in das Eigentum (Alleineigen⸗
tum) des Nachbars inſoweit übergreift, als die auf
deſſen Seite gelegene, alſo ihm gehörige Hälfte der
ganzen Heckenbreite von der Beſeitigung mit betroffen
wird. Hier iſt es aber möglich und ſogar wahrſcheinlich.
daß das Abkommen vom 10. Oktober 1854 mit der
Scheidung des „auf der Grenze ſich hinziehenden
lebendigen Zaunes“ in eine öſtliche und eine weſtliche
Hälfte nicht nur die Unterhaltungspflicht regeln, ſondern
auch die Eigentumsverhältniſſe feſtlegen wollte; ſolchen⸗
falls war wiederum jede Rodung oder Beſchädigung,
die der eine Nachbar an der Zaunhälfte des anderen
vornahm, ein Eingriff in fremdes Eigentum.
Neben den allgemeinen Eigentumsſchutz tritt nun
aber mit der Einführung der §8 921 und 922 BG.
noch der beſondere Schutz der Grenzeinrichtungen gegen
einſeitiges Vorgehen eines Beteiligten. Das Beſtehen
einer zum Vorteile beider Grundſtücke dienenden Ein—
richtung, die erſtere ſcheidet, begründet vorbehaltlich
eines hier nicht in Frage kommenden Gegenbeweiſes
die Vermutung eines gemeinſamen Benutzungsrechtes
der Grenznachbarn; ſolange einer der Nachbarn am
Fortbeſtande der Einrichtung ein Intereſſe hat, darf
ſie nicht ohne ſeine Zuſtimmung beſeitigt oder geändert
werden. Es iſt auch außer Zweifel, daß ein unbefugter
Eingriff letzterer Art, wenn er im Bewußtſein deſſen
erfolgt, daß er ſich gegen das Nachbarrecht richtet,
auch nach Art. 112 Ziff. 2 PSt h ſtrafbar iſt, wie
der bewußt unberechtigte Eingriff in fremdes Eigentum
nach dem Reichsſtrafrecht oder nach Art. 112 Ziff. 2
PStB. (Urt. vom 14. Juli 1911, Rev.⸗Reg. a)
2449 .
Oberlandesgericht München.
1
Streitwert einer Einwilligungsklage gegen Miterben.
Die Bäuerin B. als Vermächtnisnehmerin klagte gegen
die Sekretärsfrau R. auf Bewilligung der Umſchreibung
einer ihr aus dem Nachlaß zugewieſenen Hypothek mit
dem Beifügen, die übrigen Erben hätten freiwillig
zugeſtimmt. Der Rechtsſtreit wurde ſchließlich durch
Vergleich erledigt und der Streitwert auf die Hälfte
der Hypothekenſumme feſtgeſetzt, weil die Beklagte R.
Miterbin zur Hälfte war. Die Anwaltsbeſchwerde auf
Erhöhung bis zum ganzen Betrag der Hypothek blieb
erfolglos.
Aus den Gründen: Allerdings bezog ſich die
verlangte Einwilligung auf die ganze Hypothek inſo⸗
ferne, als die Klägerin zufolge der Geſamthandnatur
der Erbengemeinſchaft mit der Zuſtimmung eines Teils
der Miterben nicht etwa wenigſtens über einen ent⸗
ſprechenden Teil der Hypothek verfügen konnte. Richtig
iſt auch, daß der Streitwert ſich nach dem Intereſſe
der Klagepartei bemißt, die hier an der Erbengemein⸗
ſchaft keinen Anteil hat (vgl. ROL G. Bd. 15 S. 46).
Gleichwohl hat das Reichsgericht in ſtändiger Recht⸗
ſprechung für die ähnlich geſtaltete ungeteilte Erben⸗
gemeinſchaft des preußiſchen Rechts die Anteilsquote
der Beklagten als Streitwert auch in ſolchen Fällen
angenommen (JW. 1891 S. 551; 1899 S. 334; 1900
S. 47) und dieſem Ergebniſſe, das der Billigkeit ent⸗
ſpricht, iſt um ſo mehr beizutreten, als auch der
Klägerin die Einwilligung einzelner Streitgenoſſen
noch nicht die Verfügung über die ganze Hypothek er⸗
möglicht, wirtſchaftlich alſo nicht mit deren vollem
Wert gleichbedeutend fein kann (8 3 ZPO.) (Beſchl.
vom 3. Februar 1911; Beſchw.⸗Reg. Nr. 80/11). 8
2178 3
II
Zu 48 707, 719 ZPO. Durch kontradiktoriſches
Urteil der KfHS. in M. wurde die Holzhandlung D.
zur Zahlung von 1200 M für eine Holzlieferung an
die Holzhandlung W. verurteilt und das Urteil gegen
eine Sicherheit von 1300 M vorläufig vollſtreckbar er⸗
klärt. Die Sicherheit wurde erlegt und Vollſtreckung
verſucht, die aber nur zur Pfändung eines Sofas und
eines Schreibtiſches im Geſamtwert von 70 M führte. Die
Beklagte legte Berufung ein und beantragte Einſtellung
der Zwangsvollſtreckung und Aufhebung der Voll⸗
ſtreckungsmaßregeln gegen Sicherheit. Der Antrag
wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Da ein unerſetzlicher Nach⸗
teil nicht behauptet iſt, könnte die Einſtellung nur
gegen Sicherheit des Schuldners erfolgen. Ob das
vorliegende Sicherheitsangebot den vollen Urteilsbetrag
oder nur den geringen Schätzungswert der gepfän=
deten Möbelſtücke meint, iſt unklar; tatſächlich könnte
nur die erſtere Summe in Betracht kommen, da die
Vollſtreckung „aus dem Urteil“ eingeſtellt werden ſoll.
Dazu beſteht aber kein Anlaß, weil mangels der Be—
rufungsbegründung die Ausſichten des Rechtsmittels
nicht nachgeprüft werden können, die bloße Tatſache
der Berufungseinlegung aber um ſo weniger einen
Grund gibt, den Gläubiger in ſeinen geſetzlichen Rechten
(S8 710, 713 Abſ. 2 ZPO.) aus einem vorläufig voll-
ſtreckbaren Urteil zu beeinträchtigen, als der Schuldner
durch die Sicherheit des Gläubigers gedeckt iſt und
daraus für eine ihm vorläufig abgenötigte Zahlung
gemäß 8 717 3O. ſich Erſatz beſchaffen kann.“)
(Beſchl. vom 20. Januar 1911, L5öI/11 J). N.
2146
1) Für den Gläubiger iſt es keineswegs gleichgültig, ob er nach
Zurückweiſung des Rechtsmittels nur ſeine Sicherbeit nach § 715
ZO. zuruckzunebmen braucht, oder ob er ſich nach Erſtreitung eines
rechtskraftigen Urteils noch um Befriedigung aus einer Sicherheit
des Schuldners bemüben muß, deren Formen recht zweifelbaft ſind
(vgl. dieſe Zeitſchr. 1905 S. 110, 117 ff). Der Einſ.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
|
Ä
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489
Literatur.
Heusler, Dr. phil. Andreas, Das Strafrecht der
Jsländerſagas. Leipzig, Verlag von Duncker &
Humblot, 1911. 245 S.
Das altnordiſche Wort ſaga bedeutet die Geſchichte,
das Geſchehene“; als literariſcher Ausdruck bezeichnet
es jede größere, ſtattlichere Proſaerzählung. Die Is⸗
lendinga ſögur, d. h. Isländergeſchichten, auch islän⸗
diſche Familiengeſchichten oder Bauerngeſchichten ges
nannt, ſind ein Mittelding zwiſchen Chronik und Roman.
Sie bilden eine verhältnismäßig abgeſchloſſene Gruppe
in der reichverzweigten altisländiſchen Sagaliteratur.
Sie erzählen, wie Heusler in ſcharfer knapper Cha⸗
rakteriſierung bemerkt, die Denkwürdigkeiten, nament⸗
lich die Privathändel der Großbauern Islands und
Grönlands, teils in der Anlage eines Lebenslaufes
oder einer mehrgliedrigen Familienbiographie, teils
als weiterſpannende Bezirksgeſchichten oder endlich als
Novellen von ſtofflicher Einheit. Ihre Handlung be—
ginnt ein paarmal ſchon vor der Beſiedelung Islands
5 aber der Hauptmaſſe nach fällt ſie in die
undert Jahre von 930 - 1030; dieſen Zeitraum nennt
man denn auch kurzweg Sagazeit. Die Aufzeichnung
der Geſchichten ſtammt aus dem 13. Jahrhundert. Als
Quellen für das ältere germaniſche Strafrecht behan⸗
delt ſie trotz aller Vorarbeiten eingehend wohl als
erſter Heusler. Für das intereſſante und wertvolle
Werk gebührt ihm unſer Dank. In der Aufzählung
der benutzten Ausgaben fehlt begreiflicherweiſe die
(nebenbei bemerkt, A. Heusler gewidmete) Uebertra⸗
gung der Saga von Gisli dem Geäͤchteten, die Fried⸗
rich Ranke als Band 13 der „Statuen Deutſcher Kultur“
(Preis 1.60 Mk., Verlag C. H. Beck, München) heraus⸗
gegeben hat. Dieſes epiſche Meiſterſtück, das aller⸗
dings gegen Rechtsdinge geradezu auffällig ſtumpf
iſt (Heusler), gibt in der erwähnten Ausgabe jedem
Gelegenheit, ſich mit dem Stoffkreiſe einer derartigen
Saga bekannt zu machen.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Dr. Stier⸗Somlo, Profeſſor in Bonn. Jahrbuch
des Verwaltungsrechts. Unter Einſchluß des
Staatsverfaffungs:, Staatskirchen⸗ und Völkerrechts.
6. Jahrgang, 2. Hälfte. Berlin 1911, Verlag von
Franz Vahlen. 527 S.
Die ſoeben erſchienene zweite Hälfte des 6. Jahr⸗
ganges enthält den Bericht über die Rechtſprechung
und Geſetzgebung des Jahres 1910. Den breiteſten
Raum nehmen darin natürlich wieder die Entſcheidun⸗
gen des Preußiſchen Oberverwaltungsgerichts (S. 63
bis 178) und des Kammergerichts (S. 179 —218) ein.
Die Rechtſprechung und die Geſetzgebung Bayerns
find von Regierungsrat von Sutner auf S. 219— 224
und 399 — 422 mitgeteilt. |
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Heinsheimer, Dr. Karl, ordentl. Profeſſor an der Uni⸗
verſität Heidelberg. Typiſche Prozeſſe. Ein Zivil
prozeßpraktikum zum Gebrauch bei akade⸗
miſchen Uebungen und zum Selbſtſtudium.
Dritte, veränderte und durch einen zweiten Teil er—
weiterte Auflage. Berlin 1911. Verlag von Otto
Liebmann. 145 S. Preis gebunden Mk. 3.—
Die ſchnelle Aufeinanderfolge der Auflagen von
1906, 1908 und 1911 beweiſt, daß die Sammlung einem
Bedürfnis entgegenkommt. Das überraſcht nicht weiter;
hat Heinsheimer doch lange genug in der Praxis ge—
tanden. In der neuen Auflage ſind zu den bisherigen
2 (jetzt 33) Fällen in einem beſonderen zweiten Teil
noch 37 kürzere Aufgaben hinzugefügt, um ſo weiteren
Stoff zu mündlicher und ſchriftlicher Bearbeitung zu
geben.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
18
Hein, Dr., Amtsgerichtsrat, Hilfsrichter beim Ober⸗
landesgericht in Marienwerder, Handbuch der
Zwangsvollſtreckung. Unter Mitwirkung von
Rechtsanwalt Keup in Marienwerder und Gerichts⸗
aſſeſſor Dr. Krahn in Danzig. 8°. XVI, 605 S.
Hannover 1911. Hellwingſche Verlagsbuchhandlung.
Gebd. Mk. 8.—
Das Handbuch behandelt nur die Mobiliar⸗Zwangs⸗
vollſtreckung, das tägliche Brot des Praktikers, nament⸗
lich des Rechtsanwalts. Die Immobiliarzwangsvoll⸗
ſtreckung wurde mit Rückſicht auf die bereits vorliegen⸗
den vorzüglichen Bearbeitungen bei Seite gelaſſen.
Als ich den ſtattlichen Band empfing, dachte ich: „Wo⸗
zu eine ſo umfangreiche ſyſtematiſche Darſtellung? Bei
jeder ſchwierigen Frage holen wir uns doch bei den
Kommentaren mit ihrer Fülle von Kaſuiſtik Rat.“
Die nähere Prüfung des Werkes hat mich jedoch völlig
umgeſtimmt. Es iſt ein ganz hervorragendes Hilfs⸗
mittel, eine kaum verſagende Quelle der Belehrung
und Anregung. Der Umfang darf niemand abſchrecken.
Das Sachregiſter, vor allem aber das Inhaltsver⸗
zeichnis und im Text wieder die überſichtliche Anord⸗
nung, die Heraushebung der Gliederung durch Fett⸗
druck uſw., machen das Zurechtfinden ſehr leicht. Das
Handbuch verdient als ſtändiger Berater einen Platz
auf dem Schreibtiſch.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Nenkamp, Dr. Gruft, Reichsgerichtsrat. Handkom⸗
mentar zur Zivilprozeßordnung nebſt dem
Einführungsgeſetze. Unter Mitwirkung von
Landrichter Dr. Karl Becker in Düſſeldorf, Amts⸗
richter Walter Kuhbier in Karthaus (3. Zt. Hilfs⸗
richter beim Oberlandesgericht in Marienwerder)
und Landrichter Dr. Paul Strauß in Köln (3. Zt.
Hilfsrichter beim Oberlandesgericht daſelbſt). Zweite
umgearbeitete Auflage. Leipzig 1910 und 1911.
Verlag von C. L. Hirſchfeld.
Neukamp hat zur zweiten Auflage die im Titel
genannten Herren zur Mitarbeit herangezogen. Er
ſelbſt hat die Bearbeitung des dritten die Rechtsmittel
behandelnden Buches (88 511—577) übernommen.
Der Text des Geſetzes iſt in der durch die Novellen
vom 5. Juni 1905, 1. Juli 1909 und 22. Mai 1910
umgeſtalteten Faſſung wiedergegeben, ſo daß der
Kommentar dem jetzigen Stande der Geſetzgebung
entſpricht. Als Anhang iſt die Bekanntmachung des
Reichskanzlers vom 11. März 1910 (betr das Ver⸗
zeichnis der Orte, die im Sinne der 88 499, 604 ZPO.
Zeitſchrift far f Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
—— ——— ͤ ́WMVM— 4 —qbj.id —— — —— — —— — — ——
als ein Ort anzuſehen ſind) abgedruckt. Das Ziel
der zweiten Auflage iſt das gleiche geblieben: mög—
lichſt erſchöpfende und doch knappe Erläuterungen
nebſt ſyſtematiſch orientierenden Vorbemerkungen und
Literaturangaben unter weitgehender Berückſichtigung
der Rechtſprechung, insbeſondere des Reichsgerichts.
Der Kommentar ſtellt ſich nach dem Umfange wie auch
im Werte neben Struckmann-Koch. Er kann gleich
dieſem rückhaltlos empfohlen werden.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Büren.
Eckert E., II. Staatsanwalt, verwendet im K. b. Staats»
miniſterium der Juſtig, Die Vorbedingungen
für den höheren Juſtiz-, Verwaltungs
und Fin anzdienſt in Bayern. Eine Samm—
lung der Vorſchriften mit Anmerkungen, alphabeti—
ſchem Sachregiſter und Anhang. Vierte, umgearbeitete
und erweiterte Auflage der von J. Schiedermair her—
ausgegebenen Prüfungsvorſchriften. München 1911,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). Geb. Mk. 3,60.
Die einſchneidenden Aenderungen, welche die Vor—
ſchriften über die Vorbildung der Juriſten in Bayern
namentlich im verfloſſenen Jahre erfuhren, haben eine
neue Auflage der von J. Schiedermair herausgegebenen
Prüfungsvorſchriften notwendig gemacht. Die von
Eckert beſorgte vierte Auflage enthält nicht nur die
ſämtlichen neuen Beſtimmungen, an ihrer Spitze die
Verordnung vom 18. Oktober 1910 und die Miniſterial⸗
bekanntmachung vom 25. Oktober 1910, ſondern bringt
auch als Erweiterung des Hauptteils die im Jahre 1910
erlaſſenen Beſtimmungen über die Dienſtleiſtung der
Bewerber um Anſtellung im höheren Dienſte der
inneren Verwaltung ſowie die grundlegenden Vor⸗
ſchriften über die Vorbedingungen für den höheren
Finanz⸗, ſowie Zoll⸗ und Steuerdienſt aus den Jahren
1903 und 1908. Auch der Anhang iſt durch Aus⸗
ſcheidung veralteter und Einfügung neuer für den
Staatsdienſtaſpiranten bedeutungsvoller Vorſchriften
weſentlich umgeſtaltet worden. Den einzelnen Beſtim⸗
mungen find, ſoweit erforderlich, Anmerkungen bei⸗
gegeben. die neben Hinweiſungen auf andere Vor⸗
ſchriften nähere Erläuterungen über Zweck und In⸗
halt wie auch wertvolle Fingerzeige für die Aus⸗
legung und den Vollzug bieten. Dabei hat das neue
Beamtenrecht mit ſeinen auch für den Juſtizdienſt⸗
aſpiranten wichtigen Neuerungen Berückſichtigung ge⸗
funden. Das äußerlich gut ausgeſtattete Buch, deſſen
Benützung ein ausführliches Sachregiſter erleichtert,
kann allen jungen Juriſten nur auf das Beſte emp»
fohlen werden. Auch den mit der Ausbildung des juri⸗
ſtiſchen Nachwuchſes betrauten Stellen und den Prü⸗
fungsbehörden wird es ſchätzenswerte Dienſte leiſten.
Sch.
Foerſter, F. W., Schuld und Sühne. Einige
pſychologiſche und pädagogiſche Grundfragen des
Verbrecherproblems und der Jugendfürſorge. gr. 8°.
VIII, 216 S. München 1911, C. H. Beck'ſche Ber:
lagsbuchhandlung Oskar Beck. Mk. 3.50.
Verfaſſer will zwiſchen dem Geiſte der Ueber⸗
lieferung und den modernen Beſtrebungen vermitteln
und vom pſychologiſchen Standpunkt aus zeigen, wie⸗
viel unentbehrliche Wahrheit hinter ſcheinbar veralteten
Vorſtellungen verborgen iſt, daß aber auch die Ver⸗
treter des Alten in der Gegenwirkung gegen die
moderne Einſeitigkeit ſelber einer gewiſſen Einſeitigkeit
nicht entgangen ſind, indem ſie den berechtigten Kern
in den modernen Beſtrebungen verkannten. Es handelt
ſich alſo um den Streit der Strafrechtsſchulen d. h.
um den Gegenſatz zwiſchen den Vertretern des ſtraf—
rechtlichen Sühneprinzips und den Wortführern der
modernen Humanität, die an Stelle des Sühneprinzips
die bloße Erziehung oder Verwahrung des Delinquen⸗
ten ſetzen wollen. Die vorliegende Arbeit, die die
Streitfrage vom Standpunkte der pädagogiſchen Pſycho⸗
logie zu beantworten ſucht, will einen Bauſtein zu
einer künftigen Kriminalpädagogik liefern, iſt aber in
ihren grundlegenden Ausführungen auch für die Be—
handlung der normalen, d. h. nicht kriminellen, Jugend
von Intereſſe. Auf dem Gebiete der Jugendfürſorge
erleben wir zur Zeit ein Eindringen amerikaniſcher
Methoden, deren Weſen in der folgerichtigen Anwen—
dung des Grundſatzes der Individualiſierung beſteht.
Individualiſierung iſt jedoch nicht der einzige Grund—
ſatz der Erziehung. Erziehung iſt nicht nur Anpaſſung
des Erziehers an den Zögling, ſondern mindeſtens
ebenſoſehr Anpaſſung des Zöglings an den Erzieher.
Die Einſeitigkeit der europäiſchen Pädagogik hat bisher
darin beſtanden, daß man ſich zu wenig zum Zögling
herabgelaſſen hat; die Einſeitigkeit der amerikaniſchen
Erziehung beſteht darin, daß man dort vor lauter
Pſychologie nicht ſelten die Pädagogik vergißt, d. h.
vor lauter Herablaſſung nach unten das Heraufziehen
nach oben, vor lauter Eingehen auf das Subjektive
deſſen Korrektur durch das Objektive verſäumt. Ein
europäiſch-amerikaniſcher Austauſch wird nach Foerſter
erſt beginnen, wenn uns die großen Ueberlieferungen
unſerer europäiſchen Rechtskultur in ihrer pädagogi—
ſchen Bedeutung klar zum Bewußtſein kommen und
uns dadurch imitund ſetzen die Einſeitigkeiten des
individualiſierenden Humanitätsprinzips zu verbeſſern.
———ĩꝛ—ð — ¶ ũ U ⁰ 0ͤü ˙*»mĩNöE—; . . ˙ —.— —⏑⅞ꝛðj Ä . —v:;——8—..—— TK——— . — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
491
Ein ſolcher Austaufch wäre ein Symbol für den großen,
allgemeinen Ausgleich zwiſchen der notwendigen Rück⸗
ſicht der objektiven Ordnung auf das Individuum und
deſſen ebenſo notwendiger Einordnung in dieſe. —
Im einzelnen zerfällt das gedankenreiche Buch außer
einer Einleitung über die gegenwärtige Lage des
Kriminalproblems und die Pädagogik in fünf Ab⸗
ſchnitte: I. Der pſychologiſche und pädagogiſche Sinn
der Strafe (Bedeutung feſter objektiver Normen, Un⸗
erſetzlichkeit des Sühneprinzips), II. Das Recht des
Rechtsbrechers und der Streit der Strafrechtsſchulen
(Beſtrafung der Tat, nicht des Täters, ſichernde
Maßnahmen), III. Die Idee der Schuld und der
moderne Determinismus (Naturwiſſenſchaft und
Willensfreiheit, pädagogiſche Bedeutung des Schuld⸗
gefühls, Zurechnungsfähigkeit), IV. Zur Reform der
Strafe (größere Mannigfaltigkeit der Strafarten,
Humaniſierung des Strafvollzugs, Ausſcheidung alter
Strafarten), V. Die wichtigſten Erziehungsaufgaben
gegenüber jugendlicher Verwahrloſung. Ein Anhang
enthält einen Bericht über Selbſtregierung und Selbſt⸗
verwaltung in Beſſerungsanſtalten, der die pädagogi⸗
ſchen Grundſätze veranſchaulicht, die im vorliegenden
Werke begründet und empfohlen werden. Sich näher
mit dieſen auseinanderzuſetzen, iſt hier nicht der Platz.
Das Buch will geleſen und beachtet werden, und das
verdient es in hohem Maße. D.
Cuno, Oberbürgermeiſter in Hagen i. W., Zuwachs
ſteuergeſetz vom 14. Februar 1911 nebſt den
Ausführungsbeſtimmungen des Reichs und der
größeren Bundesſtaaten. Textausgabe mit Ein
leitung, Anmerkungen und Sachregiſter nebſt dan
Beſtimmungen des Reichsſtempelgeſetzes vom 15. Juli
1909 über den Grundſtücksumſatzſtempel in der Faſ⸗
ſung, die ſie durch das Zuwachsſteuergeſetz erhalten
an XVI, 322 S. München 1911, E. Rentſch
erlag. Gebd. Mk. 2.80.
Von dem im Frühjahr bei Eugen Rentſch Verlag,
G. m. b. H. in München, erſchienenen kleinen Kommentar
von Oberbürgermeiſter Cuno iſt nun im leihen Ver:
lage eine erweiterte Ausgabe erſchienen, die nebſt dem
Reichsgeſetz und einem Auszug aus dem Reichs⸗
ſtempelgeſetz auch die Ausführungsbeſtimmungen des
Reichs und der größeren Bundes ſtaaten — Preußens,
Bayerns, Sachſens, Württembergs, Badens, Braun⸗
ſchweigs, Heſſens, Oldenburgs — enthält. Den preußiſchen
Beſtimmungen hat der Verfaſſer einige Erläuterungen
beigefügt. Dieſe Ausgabe hat durch die Beigabe der
Ausführungsvorſchriften an Brauchbarkeit um ein Be-
deutendes gewonnen. In einem Nachtrage (S. XI ff.)
nimmt der Verfaſſer Stellung gegen die vom Reichs-
ſchatzamt beabſichtigte, der ganzen Konſtruktion des
Geſetzes aber nach ſeiner Meinung nicht entſprechende
Auslegung des 8 14 Ziff. 3 des Geſetzes. Darnach
wären Aufwendungen für Bauten und Verbeſſerungen
nur bis zu dem Werte anrechnungsfähig, den ſie
zur Zeit der Veräußerung noch haben. Die volle An⸗
rechnung der Aufwendungen ſetze alſo voraus, daß
die Gebäude und die Verbeſſerungen bis zur Ver⸗
äußerung keine Wertminderung erfahren haben.
Sohm, Nudolph, Profeſſor in Leipzig. Die Frän⸗
kiſche Reichs⸗ und Gerichts verfaſſung.
Unveränderter Nachdruck. 558 S. Leipzig, Verlag
von Duncker & Humblot, 1911.
Seit langem war das Werk vergriffen, das heute
noch grundlegend iſt. Mit Freude war darum die Ans
kündigung einer neuen Ausgabe zu begrüßen. Leider
kennzeichnet ſich dieſe aber ſchon auf dem Titel als
„unveränderter Neudruck“. Sie ſtimmt Seite für Seite
mit dem erſten Druck überein; nur drei Schreib- oder
Druckfehler ſind berichtigt. Sogar die Rechtſchreibung
iſt beibehalten. Die vorliegende Ausgabe iſt alſo volle
—— 2 nn 4 kl V4Jꝛww— —— — — .
— 4
40 Jahre alt und läßt alles unbeachtet, was in dieſen
vier Jahrzehnten eifrigen Schaffens auf dem Gebiete
der deutſchen Rechtsgeſchichte für die fränkiſche Zeit
zutage gefördert worden iſt. Was das bedeutet, ſagt
ſchon der Hinweis auf die inzwiſchen erſchienenen
beiden Bände von Brunners Rechtsgeſchichte. Wie die
Forſchung fortgeſchritten iſt, ergibt ein Vergleich der
2. Auflage des 1. Bandes von Brunners Rechtsgeſchichte
(1906) mit der 1. Auflage (1887). Sohm hätte ſich doch
wenigſtens mit den abweichenden Anſichten anderer,
z. B. Brunners, Schröders, Sickels, auseinanderſetzen
müſſen. Er hat aber nicht einmal da eine Aenderung
vorgenommen, wo er in der Zwiſchenzeit ſelbſt ſeine
Anſicht geändert hat, z. B. hinſichtlich der Stellung
des Gerichtsſchreibers in der fränkiſchen Gerichtsver⸗
faſſung (S. 528 ff.).
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Meifter, Dr. Edard, Die Veräußerung in Streit
befangener Sachen und Abtretung rechts⸗
Dans 5 Anſprüche nach § 265 ZPO. (Würz⸗
urger Abhandlungen zum deutſchen und ausländ.
Prozeßrecht, Heft 5). 8°. X, 120 S. Leipzig 1911,
C. L. Hirſchfeld. Mk. 2.40.
Die Schrift — offenbar eine Doktorarbeit — ent⸗
a eine gründliche Unterſuchung des in 8 265 ZBO.
ehandelten Problems. D.
Notizen.
Eine bemerkenswerte Bekanntmachung über die
Führung des Grundbuchs vom 30. Oktober 1911 enthält
das JIM Bl. in Nr. XIX S. 365 ff. Sie hebt zunächſt
hervor, daß trotz aller bei der Grundbuchanlegung
aufgewendeten Mühe und Sorgfalt die Eintragungen
im Grundbuche nicht allgemein mit der wirklichen
Rechtslage übereinſtimmen, und zeigt den Notaren,
Grundbuchämtern, Vormundſchafts⸗ und Nachlaßrichtern
die Wege, die ſie einſchlagen ſollen, um bei der Be⸗
ſeitigung dieſes Mißſtandes mitzuwirken. Bei jeder
Gelegenheit ſollen insbeſondere die Beteiligten darüber
belehrt werden, welchen Nachteilen ſie ſich ausſetzen,
wenn ſie die notarielle Beurkundung von Verträgen
über die Veräußerung von Grundſtücken u. dgl. unter⸗
laſſen oder verſchieben; die Grundbuchämter ſollen
durch Vermittelung der Bürgermeiſter oder gemein⸗
nütziger Vereine die ländliche Bevölkerung von Zeit
zu Zeit auf dieſe Nachteile aufmerkſam machen. Die
Notare ſollen ferner bei den Beurkundungen Vorſorge
dagegen treffen, daß die Vertragsteile die Plannummern
von Grundſtücken angeben, die nicht Gegenſtand des
Vertrags find. Wenn Grundſtücke im Grundbuch uns
richtig bezeichnet ſind, ſollen Notar und Grundbuch⸗
amt für die Berichtigung ſorgen (vgl. § 130 DA.).
Wir werden bei Gelegenheit auf die wichtige Bekannt⸗
machung nochmals zurückkommen.
Der Verkauf von Walderzengniſſen. Hierüber trifft
die K. Verordnung vom 25. November 1911 (GVBl.
S. 1153) auf Grund der Art. 106 bis 108 Forſt G.
Vorſchriften. Das ſtets wachſende Verlangen des
täglichen Lebens nach einem Schmucke der Wohnungen
mit Waldesgrün und beſonders das Chriſtbaumbe⸗
dürfnis der Weihnachtszeit hat vielfach, namentlich in
der Nähe größerer Orte, den Forſtbetrieb gefährdet
und einen Schutz des Waldes notwendig gemacht.
Die Verordnung tritt am 1. Dezember 1911 für 8 Jahre
in Kraft und hebt die bisher für einzelne Bezirke
geſondert erlaſſenen gleichartigen Verordnungen auf;
ſie erſtreckt ſich nach ihrer Beilage auf Bezirke in allen
Kreiſen mit Ausnahme von Niederbayern, Unterfranken
und der Pfalz und zwar teils auf das ganze Jahr,
492 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1911. Nr. 24.
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teils nur auf die Monate Oktober, November und
Dezember. Verboten iſt in dieſer örtlichen und zeit⸗
lichen Begrenzung der Verkauf und Wiederverkauf von
Nadelholz⸗Büſchen und ⸗Gipfeln, die aus Waldungen
ſtammen, ohne ein dem Art. 106 Forjt®. entſprechendes
Zeugnis über den rechtmäßigen Erwerb. Nicht unter
das Verbot fällt alſo der Berkauf von Laubholz und
von Nadelholz⸗Zweigen ſowie von Nadelholz⸗Büſchen
und ⸗Gipfeln, die nicht aus Waldungen, fondern z. B.
aus Gärtnereien ſtammen.
Das verbotswidrige Verkaufen, Wiederverkaufen
oder Anbieten zum Verkauf unterliegt einer vom
Amtsgericht auszuſprechenden Strafe von 1 M 80 Pf.
bis zu 9 M. Vorbehalten iſt die weitere Beſtrafung
wegen Forſtfrevels, wenn ſich ergibt, daß die Wald⸗
erzeugniſſe gefrevelt wurden. Die Verordnung enthält
auch Vorſchriften über die vorſorgliche Beſchlagnahme
der verbotswidrig in den Handel gebrachten Wald⸗
erzeugniſſe und über die dienſtſtrafrechtliche Verant⸗
wortlichkeit der Beamten, die bei der Ausſtellung der
9 nicht mit der notwendigen Sorgfalt ver⸗
fahren.
Die Vormerkung der Begnadigungen in den Straf⸗
regiſtern. Die Strafregiſterbehörden haben die Be⸗
gnadigungen vorzumerken, von denen fie durch die
Amtsanwälte und die Staatsanwälte Kenntnis er⸗
halten. Sie haben bei jeder Auskunft aus dem Straf⸗
regiſter mit der Verurteilung auch den Inhalt des
Vermerks über die Begnadigung mitzuteilen (Nr. 4
der Bek. vom 23. April 1907, IM Bl. S. 114). Durch
die Bek. vom 15. November 1911 (JMBl. S. 388)
wurden dieſe Vorſchriften auf die Fälle ausgedehnt,
in denen bayeriſche Militärbehörden oder außer⸗
bayeriſche Behörden den Regiſterbehörden Gnaden⸗
erweiſe mitteilen.
2468
Abgekürzte Auszüge aus den Perſonenſtandregiſtern.
Die Bek. des Staatsminiſteriums der Juſtiz vom
11. November 1911, die abgekürzten Auszüge aus den
Perſonenſtandsregiſtern betr. (JM Bl. S. 387), be⸗
deutet einen weiteren Schritt auf dem Wege, das
Schreibwerk bei den Standesämtern zu mindern. Durch
die Bek. vom 18. Mai 1905, 13. Juli 1906 und 25. Mai
1909 (JMBl. 1905 S. 725, 1906 S. 194 und 1909
S. 288) wurden in Bayern neben den vollſtändigen
Auszügen aus den Perſonenſtandsregiſtern abgekürzte,
die ſog. Geburts-, Toten» und Heiratsſcheine, einge⸗
führt. Die Miniſterien haben den ihnen unterſtellten
Behörden nahegelegt, ſich nach Möglichkeit mit den
abgekürzten Auszügen zu begnügen. Für die Juſtiz—
behörden iſt dies durch die Bek. vom 30. Juni 1909
(JMBl. S. 290) geſchehen.
. Die Bek. vom 11. November 1911 weiſt nun die
Staatsanwälte und Amtsanwälte an, im Strafver—
ſahren zur Feſtſtellung der perſönlichen Verhältniſſe
oder des Ablebens einer Perſon ſich nur abgekürzte
Auszüge aus den Perſonenſtandsregiſtern ausſtellen
zu laſſen, wenn nicht aus beſonderen Gründen voll—
ſtändige Auszüge nötig ſind. Letzteres kann z. B. der
Fall ſein, wenn von Bedeutung iſt, ob jemand ehelich
geboren oder durch nachfolgende Ehe legitimiert wurde,
oder wenn Zweifel an der Rechtswirkſamkeit einer
Legitimation beſtehen.
Formblätter ſieht die Bekanntmachung nicht vor.
Den Standesbeamten ſtehen die Formblätter für die
abgekürzten Auszüge zur Verfügung. Viele Staats—
anwälte und Amtsanwälte verwenden jetzt ſchon
wenigſtens zur Erholung von Geburtsregiſterauszügen
Formblätter. Soweit dieſe auch den Vordruck 1 die
Auszüge enthalten, empfiehlt ſich, ihn den für die ab⸗
gekürzten Auszüge vorgeſchriebenen Formblättern an⸗
zupaſſen.
59
Die Wirkung des Fingerabdruckverfahrens auf die
Verbrecherſeele. Ueber die Bedeutung des Finger⸗
abdruckverfahrens in der kriminaliſtiſchen Wiſſenſchaft
unſerer Zeit iſt in dieſer Zeitſchrift ſchon wieder⸗
holt geſprochen worden. Richter, Staatsanwälte
und Polizeibeamte haben täglich Gelegenheit, den
Wert dieſes einſachſten und zuverläſſigſten aller
Erkennungsmittel zu erproben und auch auf die
„maßgebenden Kreiſe“, auf die Verbrecher ſelbſt,
machen die Erfolge der Daktyloſkopie bereits tiefen
Eindruck. So wurde vor kurzem durch die Landes-
ſammel⸗ und ⸗Auskunftſtelle für Fingerabdrücke in
München ein Zigeuner identifiziert, der Grund hatte,
ſeinen richtigen Namen Joſeph R. zu verheimlichen.
Er war nämlich im Jahre 1900 wegen Diebſtahls zu
einer Gefängnisſtrafe von einem Jahre verurteilt
worden. Da er vom Stehlen nicht laſſen wollte, ließ
er ſich in Zukunft unter ſeinem richtigen Namen
nur wegen Uebertretungen abſtrafen, während er ſich
für Diebſtahl und Betrug den Namen Leopold Ro.
zulegte. Im Jahre 1910 befand er ſich unter dem
Namen Albert M. in Karlſtadt in Haft und wurde
im Bayeriſchen Zentralpolizeiblatt als unbekannter
Verhafteter ausgeſchrieben. Als auf Erſuchen der
Polizeidirektion München Fingerabdrücke von ihm vor⸗
genommen wurden, gab er an, er heiße Leopold Ro.
und ſei ungariſcher Staatsangehöriger; er wurde
unter dieſem Namen verurteilt und nach verbüßter
Strafe aus dem Königreiche Bayern ausgewieſen.
Aus Furcht vor Bannbruch- und Rückfallſtrafen wegen
Diebſtahls, die ihm unter dem Namen Leopold Ro.
drohten, nahm er nun wieder ſeinen richtigen Namen
Joſeſ R. an, unter dem er außer der für den Rückfall
nicht mehr in Betracht kommenden Strafe von 1900
nur Uebertretungsſtrafen erlitten hatte. Dabei wußte
er ſich aber durch falſche Angaben über Ort und Zeit
ſeiner Geburt und die Namen ſeiner Eltern vor der
Ermittlung ſeiner Vorſtrafen zu ſichern, zumal da er
von den Staatsanwaltſchaften in Ellwangen und
Hall wegen Bandendiebſtahls geſucht wurde. Im
November 1911 wurde er in Schongau feſtgenommen.
Die Münchener Zigeunerzentrale identifizierte ihn durch
ihre Akten als den geſuchten Joſeph R. und die Finger⸗
abdruckzentrale deckte dann durch die Fingerabdrücke
ſeine Beziehungen zu Leopold Ro. auf. Nachdem er
bei zweimaligem Verhör geleugnet hatte, bequemte er
ſich ſchließlich zu dem Geſtändnis mit dem aus⸗
gewieſenen, rückfälligen Diebe Leopold Ro. identiſch
zu ſein. An die K. Polizeidirektion München aber
richtete er vor feiner Ablieferung nach Ellwangen
folgende Poſtkarte:
„Titl. Polizeitirecktion München.
Schongau, 17. 11. 11.
Hochgeatete Herrn!
Nicht ohne Reſpeckt muß ich Ihnen zugeben, daß
ich durch Ihre verdamten Fingerabtrüfe entlarft bin.
Ich habe den Namen Ro. gefürt, bin aus Baiern
ausgewiſen. Werde in Zukunft beſſer auf der Hut
ſein und vor der Hand für einige Zeit dem lieben
Baiern Valet ſagen.
Hochachtungsvollſt
Re.“
2457
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. Landgerichtsrat, verw. im Staatsminiſterium d. Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. Franz Paul Datterer & Cie., Freiſing.
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Zur Statistik über den Einfluss des Alk
Verhältnismässige Häufigkeit der Verurteil
Es traf ein Verurteilter
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Alkoholgenusses auf die Kriminalität.
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