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Full text of "Reisebilder aus Liberia : Resultate geographischer, naturwissenschaftlicher und ethnographischer untersuchungen während der jahre 1879-1882 und 1886-1887"

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LIBERIA. 


RESULTATE GEOGRAPHISCHER,, NATURWISSENSCHAFTLICHER UND 
ETHNOGRAPHISCHER UNTERSUCHUNGEN WÄHREND DER 
JAHRE 1879—1882 und 1886 — 1887. 


VON 


J BUTTIKOFER, 


CONSERVATOR AM ZOOLOGISCHEN REICHSMUSEUM IN LEIDEN. 


MIT KARTEN, LICHTDRUCK- UND CHROMOLITHOGRAPHISCHEN TAFELN, 
NEBST ZAHLREICHEN TEXTILLUSTRATIONEN. 


nn 


I. BAND 
REISE- UND CHARAKTERBILDER. 


LEIDEN. — E. J. BRILL. 
1890. 


SEINER EXCELLENZ, 


In BE I. W. JOHNSON, 


DEM PRÄSIDENTEN DER REPUBLIK LIBERIA 


HOCHACHTUNGSVOLL GEWIDMET 


vo 


VERFASSER, 


VORWORT. 


Mit fieberhaftem. Eifer und einer auf dem Gebiete geographischer 
Forschung bisher ungekannten Energie wird seit zwei Jahrzehnten 
an der Erforschung des schwarzen Welttheils gearbeitet. So viele 
der muthigen Pioniere auch fallen mögen, sofort ist man von 
allen Seiten wie um die Wette bereit, die entstandenen Lücken 
wieder auszufüllen. Ein epochemachendes Ereigniss verdrängt 
das andere; in rascher Folge, Schlag auf Schlag werden uns neue 
Ueberraschungen zu Theil. Und doch, wie viel bleibt noch zu 
thun übrig, bis der Schleier, der diesen Continent so lange 
verhüllte, gänzlich gelüftet sein wird! 

Freilich ist es keine grosse Entdeckungsreise, keine der bald 
zum Sport werdenden Durchquerungen des grossen Erdtheils, 
worüber ich in den nachfolgenden Zeilen zu berichten gedenke; 
denn zoologische Untersuchungen bildeten den Hauptzweck meiner 
Reisen. Da aber auch Liberia zu den Gebieten gehört, in denen 
so gut wie unbekanntes Terrain bis hart an die Küste herantritt, 
und ich bei dem oft langen Aufenthalte in festen Standquartieren 
ausgezeichnete Gelegenheit fand, Land und Leute gründlich kennen 
zu lernen, so mögen die nachfolgenden Mittheilungen immerhin 
einige Beachtung verdienen. Ueberdies beansprucht ja gerade 
Liberia dadurch ein besonderes Interesse, dass es die einzige 
Negerrepublik des ganzen Continentes ist, eine Republik, auf 
welche einst die Augen der ganzen gebildeten Welt gerichtet 
waren. Inwieweit dieselbe die hohe philanthropische Aufgabe 
gelöst, die man ihr bei der Gründung zugedacht, werden die 
besondern Capitel lehren, welche deren Geschichte gewidmet sind. 

Lediglich der Wunsch, einen wenn auch noch so bescheidenen 
Beitrag zur genauern Erforschung Afrika’s zu liefern, hat mich 
veranlasst, meine Erlebnisse sowohl als die Beobachtungen über 
Land und Leute mitzutheilen. Mögen dieselben eine wohlwollende 
Aufnahme finden! 


DER VERFASSER. 


. Weitere Schicksale. Röcke nach se 

. Aufenthalt im Distrikte von Grand Cape Mount bis zu alane S ; Tod, 
. Eine Jagdreise ins Innere. 3 3 

. Weitere Erlebnisse. Rückreise Mech Europa . 3 

. Zweite Reise nach Liberia und Besuch in Grand Cape Mount 

. Reise nach Schieffelinsville, unserer Station am Junk River und 
. 301 
. 325 
. 351 


. Aufenthalt am Du Queah River 


INHALT DES ERSTEN BANDES. 


Einleitung . L 
Literaturverzeichniss . 


. Reise nach Monrovia. 

. Monrovia h s 

. Allgemeiner hanalaher des Thendles Ä 

. Reise nach Mühlenburg Mission und Rena hei Mr. Dar 
. Die Pflanzenwelt 

. Reise nach Bavia und ee menali el . 

. Auf Kundschaft. Verlegung unserer Station. Soforeh° Place 

. Eine Lebensmittel-Razzia nach dem Westen. Reise nach Monrovia. 


Streifzüge. 


erster Aufenthalt daselbst 


. Reise nach Monrovia und den Fällen des Di Qual 


. Weitere Erlebnisse 
. Nach den Hafenplätzen des östlichen bern, irielkleehn meh h Buropa 


ILLUSTRATIONEN. 


ad. TAFELN. 


. St. Paul’s River. Jagdstation in Bavia (Titelbild) ‘ 
. Monrovia. Ashmun Street mit Methodistenkirche . s 
. Monrovia. Messurado River, Perseverance Island und Stock- 


ton Creek. 


. Im Mangrovesumpf. Tan jecheit, am Socken ask 
. Im Pandanuswald. Landschaft am Stockton Creek. ; 
. Grand Cape Mount. Gruppe von a in Carpenter’s 


Settlement am Mahfa River . 


. Du Queah River. Ankunft des ale: in Ei Mom 


. 101 
‚129 


. 149 
‚173 


189 


 21R 
. 245 
. 273 


. 381 
399 


Pag. 


III 


VIII. Du Queah River. Flusspartie zwischen Gokwokong und 


Schekwo . 

IX. Du Queah River. u ass Wasserlall 

X. Grand Bassa. Wollbaum vor der WOoERMANN’schen aktorei 
in Fishtown 

XI. Grand Bassa. Derselbe erman aus der Nähe ehe 


XII. Little Culloh. König Tom Wis mit Gefolge 


XII. River Cess. Negerhütten im Hofraume der hollandigchen 


Faktorei 


XIV. River Cess. Auf-der insel ‚et odten 
XV. River Cess. King Davis’ Town. 


XVI. Sinoe. Landschaft mit dem Negerdorfe ah 1 
XVI. Sinoe. Haus des Häuptlings JAck Danpy in Bloobarra. 
XVIlI. Cape Palmas. Aeusserster Vorsprung des Vorgebirges 


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b. TEXTILLUSTRATIONEN. 


. Landungsboot in der Brandung. 

. Auf dem Messurado River. 

. Haus in Krootown bei Monrovia 

. Felsige Küste mit Brandung 

. Messurado River mit Perseverance Island 


Mr. und Mrs. Day 


. Oelpalmen in der Savane . 

. Ein Steppenbrand 

. Stromschnelle bei Bavia 

. Primitive Brücke. 

. Unsere Präparirkiste . 

. St. Paul’s River bei Alin . 

. Das Kreuzen eines Waldbaches. 

. Häusergruppe in Bojeh 

. Station bei Soforeh Place . 

. Holländische Faktorei in oben 
. Jagdstation in Hokhi£. : 
EOS DAUA . 

. Eingeborne in bee 

. Teufelsfest (devil-dances) in Tosso 

. Kindergruppe in Goree 

. Der grosse Markt in Dakar 

. Jagdstation in Schieffelinsville . 

. Erosionsbuchten und Flussmündungen ee) 
. Erosionsbucht bei Bloobarra (Sinoe) . 

. Landung bei Mr. Warnkr’s Place 

. Geschossenes Flusspferd im Waldsumpf . 


101 
104 
109 
129 
149 
152 
173 
189 
199 
215 
217 
245 
273 
284 
301 
308 
309 
313 


IC = 
328 


28. 
29. 
30. 
31. 
32. 
33. 
34. 
39. 
36. 
37. 


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IV 


Mein Wohnhaus in Hill Town . 

Palaverhaus und Fetischhaus in Hill Town 
Mangrovelandschaft am Messurado River. 

Du Queah River. Versperrte Passage 

Du Queah River. An den Stromschnellen 

Der Häuptling CLARK. } 
Menschengruppe in Hill Town. 3 
WOoERMANN’sche Faktorei in Upper Euch 
Der Little Culloh River 

Dr. NAcHTıGAr’s Grab 


RYAFRITCHEN: 


Uebersichtskarte, mit Cartons von Grand Cape Mount und dem 
Flussgebiete des Junk- und Messurado River. 

Grand Bassa. 

River Cess 

Singer re : - \ \ : ; Ä 5 2 

Cape Palmas. 


HENEEIETUNG. 


Es war im Jahre 1879, als bei meinem frühern Chef, dem 
seither verstorbenen Professor Dr. HERMANN SCHLEGEL, Direktor 
des zoologischen Reichsmuseums in Leiden, der lange geheste 
Plan zur Reife kam, eine Expedition zum Zwecke zoologischer 
Untersuchungen in Westafrika zu organisiren. Die Zeitdauer 
dieser Expedition wurde, günstige Verhältnisse vorausgesetzt, 
auf sechs Jahre berechnet, und während dieser Zeit sollten ver- 
schiedene der interessantesten Landstriche des Tropengebietes 
von Westafrika zoologisch untersucht werden. Aus verschiedenen 
Gründen wurde als erstes Arbeitsfeld der Negerstaat Liberia, 
an der vormaligen Pfefferküste, in Aussicht genommen. Auf 
dieser Küste hat nämlich die Firma HenDrRIK MÜLLER & Co. in 
Rotterdam eine bedeutende Anzahl Handelsfaktoreien, die als 
Basis für Excursionen ins Innere sehr geeignet schienen; man 
hatte dabei eine erwünschte, direkte Verbindung mit Holland 
durch die regelmässig hin- und herlaufenden Schiffe der genannten 
Firma, und überdies war gerade diese Gegend eine der am wenigsten 
untersuchten der ganzen Westküste. Nach einem Aufenthalte von 
ungefähr zwei Jahren in Liberia und eventuell an der angren- 
zenden Elfenbeinküste sollte dann ein Jahr auf das bergige Innere 
der Goldküste, mit den Basler Missionsstationen als Basis, ver- 
wendet werden, das vierte Jahr auf die Gegend am Kamerun, 
das fünfte auf das Gabungebiet — speziell zur Erbeutung von 
Gorillas — und das sechste auf das Flussgebiet des Quanza in 
Angola. 

Die Reisenden sollten jedoch keineswegs verpflichtet sein, sich 
streng an diesen nur in rohen Umrissen entworfenen Plan zu 
halten, sondern je nach Umständen beliebig davon abweichen 
können. Professor SCHLEGEL, der ohne finanzielle Unterstützung 
von Seiten des Staates das Risiko für die Ausrüstung und Unter- 
haltung der Expedition selbst übernahm und die nöthigen Gelder 


VI 


zur Verfügung stellte, betraute mich mit der Leitung der Unter- 
nehmung. Als Reisegefährte wurde mir CARL FRIEDRICH SALA 
beigegeben, ein leidenschaftlicher Jäger und Fischer, der früher 
eine Reihe von Jahren in Java als Soldat und später als Sammler 
in portugiesisch Westafrika zugebracht hatte. 

Unsere Aufgabe war, die zu bereisenden Gegenden so gut 
wie möglich zoologisch zu untersuchen, keine Thierklasse ganz 
zu vernachlässigen, und möglichst grosse und vollständige Samm- 
lungen anzulegen. Unser Hauptaugenmerk sollte aber stets auf 
die Wirbelthiere, und unter diesen besonders auf Säugethiere 
und Vögel, gerichtet sein. Alle andern Untersuchungen sollten 
diesem Hauptzwecke stets untergeordnet bleiben, und Prof. 
SCHLEGEL, der meine Vorliebe für Botanik kannte, fand es sogar 
nothwendig, mir in unserm Contrakt ausdrücklich zu verbieten , 
mich während der Reise mit diesem Zweige der Naturgeschichte 
zu beschäftigen. Unsere Kräfte blieben somit ausschliesslich auf 
zoologische Arbeiten concentrirt, und was im Laufe der folgenden 
Capitel über andere Wissenszweige gesagt wird, gründet sich 
deshalb auf Eindrücke und Beobachtungen, die sich mir gelegent- 
lich wie von selbst aufdränsten. 

Die reichen Erfahrungen Prof. SCHLEGEL’s, der schon so ha 
derartige Expedition in die Welt man sah und zum Theil 
selbst aussandte, ermöglichten uns, für eine äusserst zweck- 
mässige Ausrüstung zu sorgen. Die holländische Regierung ge- 
währte mir Urlaub auf unbestimmte Zeit und versah uns mit 
den nöthigen Empfehlungsbriefen an ihre Consulate nicht nur in 
Liberia, sondern auch in den englischen, französischen , spanischen 
und portugiesischen Besitzungen auf der Westküste Afrika’s und 
den anliegenden «lnseln. Herr HENDRIK MÜLLER, der Inhaber der 
bereits genannten Firma, gewährte nebst andern Begünstigungen 
kostenfreien Transport unserer Bagage und Sammlungen auf allen 
seinen Schiffen. Die liberianische Regierung, die uns sehr wohl- 
wollend die Erlaubniss zum freien Reisen und Sammeln in ihrem 
ganzen Territorium ertheilte, gewährte uns ausserdem vollständige 
Zollfreiheit, eine Vergünstigung, die um so höher zu schätzen 
ist, als nicht einmal die dortigen fremden Missionsanstalten diesen 
Vorzug unbeschränkt geniessen. 


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Unsere Aussichten schienen also in jeder Hinsicht günstig zu 
sein, und mit Lust und Eifer machten wir uns denn auch an 
unsere Aufgabe, in der an Ueberzeugung grenzenden Hoffnung, 
dass ihre Lösung gelingen werde. Doch sagt schon der deutsche 
Ornithologe Dr. REICHEnow, der in den Jahren 1872 und 1873 
zum Zwecke zoologischer Untersuchungen die Goldküste, sowie 
die Kamerun- und Gabungegend besuchte und am Kamerun seinen 
Freund und Reisegefährten Dr. LÜHDEr verlor: „Afrika ist nicht 
‘das Land, in welchem man sagen kann: Ich will; vielmehr heisst 
es dort: Du musst.” )) 

Dieses Wort, das ohne Zweifel jedem, der tropisch Westafrika 
bereist hat, aus der Seele gesprochen ist, hat sich auch an uns 
bewahrheitet. Widerwärtigkeiten aller Art, besonders die Tücke 
des Klima’s, Unzuverlässiekeit und Trägheit der Eingebornen, 
Krankheit und Tod meines Reisegefährten — alles das war nicht 
geeignet, mich dem vorgesteckten Ziele näher zu bringen. Und 
als ich schliesslich im Frühling 1832, durch anhaltendes Fieber 
sänzlich erschöpft, in Europa Wiederherstellung meiner Gesund- 
heit suchte, waren noch nicht einmal die zoologischen Unter- 
suchungen in Liberia zu einem befriedigenden Abschlusse 
gelangt. Damals dachte ich, dass ein halbes Jahr zu meiner 
Herstellung genügen werde und liess meine ganze Ausrüstung in 
Monrovia zurück. Es stellte sich aber sehr bald heraus, dass 
ich mich darin verrechnet hatte. Meine Genesung förderte nur 
langsam, und als ich mich zwei Jahre nach Jer Rückkehr noch 
nicht kräftig genug fühlte, um den Mühsalen und Entbehrungen, 
die das Leben eines Jägers in den Wildnissen Afrika’s mit sich 
bringt, zu trotzen, sandte ich auf mein eigenes Risiko meinen 
Landsmann und alten Jagdfreund F. X. StamprLı nach Liberia, 
um das angefangene Werk so gut wie möglich fortzusetzen. 
Dieser, ein vortrefflicher, leidenschaftlicher Jäger, hatte sich 
unter meiner Leitung während eines halben Jahres auf seine 
Aufgabe vorbereitet, und da die Aerzte mir von einer Rückkehr 
nach Afrika entschieden abriethen, so beschloss ich zu bleiben. 


') Siehe seinen Bericht über die zoologische Ausbeute der Reise, Journal 
für Ornithologie, 1874, p. 354. 


VII 


Im Mai 1884 trat STAMPFLI, unter denselben günstigen Bedin- 
sungen von Seiten Herrn MÜLLER’s und der liberianischen Regie- 
rung, seine Reise an und hat mir nachher bedeutende zoologische 
Sammlungen zugesandt, worunter verschiedene neue Arten und 
nebstdem noch manches, das ich während meines ersten dortigen 
Aufenthalts nicht gefunden. Aber auch seine Gesundheit hat 
dabei so stark gelitten, dass er im Frühling 1886, nach einem 
Aufenthalt von kaum zwei Jahren, zur Rückkehr gezwungen wurde. 

Obwohl noch lange nicht am Ziele meiner Wünsche angelangt, 
glaubte ich dennoch der Wissenschaft gegenüber verpflichtet zu 
‚sein, die Resultate unserer bisherigen Untersuchungen zu publ- 
ciren. Daher nahm ich die freundliche Einladung. des hollän- 
dischen Geographen Prof. VETH gerne an, der mir zu diesem 
Zwecke namens der niederländischen Geographischen Gesellschaft 
. ein Ergänzungsheft ihrer Zeitschrift !) zur Verfügung stellte. So 
entstanden meine „Mededeelingen over Liberia, welche, 
begleitet von einer Karte unseres Jagdgebietes, zu Ende 1883 
in Bijjblad N®. 12 der genannten Zeitschrift erschienen sind. 

Da jedoch dieser Reisebericht, weil in holländischer Sprache 
geschrieben, nur einem verhältnissmässig kleinen Leserkreise 
zugänglich ist, wurde ich bald von verschiedenen Seiten aufge- 
fordert, denselben auch in deutscher Sprache herauszugeben. 
Lange Zeit zögerte ick damit, in der stillen Hoffnung, meine 
abgebrochenen Untersuchungen noch einmal persönlich fortsetzen 
zu können, und dies gelang mir endlich, indem ich im Sommer 
1886 von der holländischen Regierung einen siebenmonatlichen 
Urlaub erhielt. 

Zu Anfang November 1886 trat ich, zusammen mit Freund 
STAMPFLI, der sich inzwischen wieder erholt hatte, die Reise 
nach Liberia zum zweiten Male an und hatte das Glück, in der 
verhältnissmässig kurzen Frist bedeutende naturwissenschaftliche 
Sammlungen zusammenzubringen und unser Wissen über die 
Fauna von Liberia nicht allein, sondern auch über seine Geographie 
und Geschichte, sowie über die Sitten und Gebräuche seiner 
Bewohner zu erweitern. 


ı) Tijdschrift van het Aardrijkskundig Genootschap te Amsterdam. 


IX 


Die nachfolgenden Zeilen dürfen daher keineswegs als eine blosse 
Uebersetzung meiner Mededeelingen betrachtet werden. Die 
Vertheilung des Stoffes ist theilweise eine andere, und die 
Reiseerlebnisse, dort nur bruchstückweise erzählt, sind hier weit 
weniger stiefmütterlich behandelt. Unsere Art des Reisens, be- 
sonders das lange Verbleiben auf den verschiedenen Jagdsta- 
tionen, liess es aber nicht wünschenswerth erscheinen, die Tage- 
buchform beizubehalten. Das Leben auf den Stationen gestaltete 
sich oft recht eintönig, so dass man wirklich mit Leib und 
Seele Naturfreund sein musste, um sich nicht manchmal es 
sründlich zu langweilen. Ich habe deshalb vorgezogen, hie und 
da ein Bild unserer Thätigkeit zu geben und daneben nur die 
interessantern Erlebnisse und Beobachtungen zu schildern, so 
dass sich der Leser dennoch eine treue Vorstellung unseres 
Lebens und Treibens machen kann. Ebenso schien es mir ange- 
zeigt zu Sein. eine allgemeine Uebersicht der geographischen 
Verhältnisse des Landes und ein Bild der Pflanzenwelt in besondern 
Capiteln in den Reisebericht einzufügen, während das reichhaltige 
Material über die Bevölkerung und die Thierwelt Liberia’s im 
zweiten Bande behandelt werden wird. Diese Vertheilung des 
Stoffes bietet den doppelten Vortheil, dass einerseits fortwäh- 
rende Wiederholungen vermieden werden und der Leser ein klares 
Bild des Landes, seiner Erzeugnisse und seiner Bewohner bekommt, 
andererseits aber, dass der Fachgelehrte, welcher gewöhnlich auf 
das Lesen von Reiseerlebnissen wenig Zeit verwenden kann ‚ohne 
langes, zeitraubendes Nachblättern gleich finden kann., was ihm 
auf seinem Gebiete zu wissen nöthig ist. 

Die beigefügte Uebersichtskarte von Liberia macht, soweit sie 
das Innere des Landes betrifft, durchaus keinen Anspruch auf 
mathematische Genauigkeit, doch dürfte sie immerhin dem Leser 
gute Dienste leisten. Auf meinen vielfachen Streifzügen war ich 
stets bemüht, in Ermangelung geodätischer Instrumente durch 
möglichst genaue Distanzenschätzungen und Compasspeilungen 
ein richtiges Bild der genannten Gegend zu construiren. Es ist 
eben kein Leichtes, auf Märschen durch die alle Uebersicht 
hemmenden Waldgebiete des Innern, auf schmalen, halbver- 
wachsenen, alle möglichen Krümmungen beschreibenden Fuss- 


X 


pfaden, gebunden an eine kaum zu regierende, unaufhaltsam 
forteilende Trägerkarawane, ein zuverlässiges Itinerarium anzu- 
legen. Wer diesen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen weiss, 
wird gelegentliche, später nothwendig sich herausstellende Unge- 
nauigkeiten gerne entschuldigen, und die Karte wird trotz dieser 
letztern als der erste Versuch einer graphischen Darstellung des 
bereisten Gebietes ein gewisses Interesse beanspruchen können. 

Als Basis für die Anlage derselben diente mir die geographisch 
bestimmte Küstenlinie, wie sie in den Karten der englischen 
Marine dargestellt ist. Auch die angegebenen Tiefenpeilungen 
sind denselben entnommen. Unsere bedeutendern Jagd- und 
Reiserouten sind mit rothen Linien angedeutet. Verschiedene 
dieser Routen habe ich wiederholt begangen oder gelegentlich 
sekreuzt und mich stets bemüht, die früher gemachten Aufzeich- 
' nungen zu verbessern und anzufüllen. So ist denn auch meine 
erste, den mehrgenannten Mededeelingen beigefügte Karte 
nicht ohne Kritik bei der Zusammenstellung der jetzigen -ver- 
wendet worden. 

Infolge einer Fahrt auf dem Mahfa River während meiner 
zweiten Reise, hat sich z. B. herausgestellt, dass ich, auf der 
ersten Fahrt nach Cobolia durch die Nacht an genauem Beobachten 
verhindert, die Abstände reichlich gross angegeben hatte, und dass 
demzufolge Cobolia in Wirklichkeit näher der Küste liegen muss. 
Auch die Gebiete am obern St. Paul war ich genöthigt, auf einen 
etwas kleinern Maasstab zu reduciren. 

Die officielle, durch den liberianischen Minister des Innern 
sanktionirte Karte des liberianischen Reisenden ANDERSON ist 
wenig mehr als eine Zusammenstellung des bereits aus frühern 
Karten bekannten Materials und kann durchaus nicht als Muster 
von Genauigkeit und sorgfältiger Bearbeitung gelten. So z.B. sind 
die darin vorkommenden geradlinigen Andeutungen der verschie- 
denen Gebietserwerbungen sehr problematisch, da die einzelnen, 
von den betreffenden Negerfürsten erworbenen Gebiete keines- 
wegs durch imaginäre, gerade Linien begrenzt waren. 

Ich glaube nicht ganz mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, 
dass Colonel WAUWERMANS meine ursprüngliche Karte, soweit 
sie das Gebiet von Grand Cape Mount betrifft, in seinem Buche 


XI 


über Liberia (siehe Literaturverzeichniss) von seinem Standpunkte 
aus verbessert oder, um der Wahrheit näher zu kommen, ver- 
schlimmbessert hat. 

Trotz der Sorge, mit der WAUWERMANS sein Material ver- 
werthete, haben sich in seinem Buche allerlei Ungenauigkeiten 
und unrichtige Anschauungen eingeschlichen, die jedoch darin 
ihre Entschuldigung finden, dass der Autor nicht selbst in Liberia 
sewesen ist). Das Buch ist übrigens von bleibendem Werthe, da 
dasselbe eine Fülle von authentischen, geschichtlichen Daten, die 
Republik betreffend, enthält, die ich vielfach benutzt habe, ebenso 
wie die vortreffliche Abhandlung des französischen Missionärs, 
Pater BourzeEix, welcher während seines langen Aufenthaltes in 
Monrovia reichlich Gelegenheit fand, die Geschichte und das innere 
Leben der Liberianer gründlich kennen zu lernen. 

Das grössere meiner beiden Cartons umfasst das bisher noch nie 
in Karte gebrachte Gebiet des Junk-, Du Queah- und Farmington 
River. Die Aufnahme der beiden erstgenannten Flüsse, sowie 
auch des Messurado River ist auf eigene, möglichst genaue Ab- 
standsschätzungen und Compassablesungen basirt und auf ein 
Viertel der Grösse meines ursprünglichen Itinerars reducirt. Die 
Darstellung des Farminston River verdanke ich der Hauptsache 
nach den Aufzeichnungen meines Reisegefährten STAMPFLI, welcher 
nach meiner Heimkehr einige Monate lang an genanntem Flusse 
zugebracht hat. 

Die Illustrationen sind grössentheils nach eigenen photographi- 
schen Aufnahmen, theils auch nach Tagebuchskizzen hergestellt, 
während für diejenigen aus dem Gebiete der Ethnographie und 
Zoologie Gegenstände aus unsern Sammlungen als Vorlage dienten. 

Die Literatur über Liberia ist, wie das beigegebene Verzeich- 
niss beweist, keineswegs so arm, wie man wohl glauben möchte, 
doch beschränkt sie sich zum grossen Theil auf die Geschichte 
der Entstehung und Entwicklung der Republik. Das genannte 
Verzeichniss macht übrigens keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. 

Schliesslieh erfülle ich eine angenehme Pflicht, indem ich aller 


!) Siehe meine Bemerkungen zu WAUWERMAN’S Liberia, in: Tijdschrift van 
het Aardrijjkskundig Genootschap te Amsterdam, 1886, p. 450. 


XI 


Derjenigen dankbar gedenke, die unsere Unternehmung auf 
uneigennützige Weise gefördert und unterstützt und mir zu 
diesen Reisebildern auch nach meiner Rückkehr noch mancherlei 
werthvolles Material geliefert haben. Vor allem bleibt mir in 
dankbarer Erinnerung mein unvergesslicher Lehrer und Chef, 
der bald nach der Rückkehr von meiner ersten Reise verstorbene 
Professor HERMANN SCHLEGEL, der die Expedition aus rein wissen- 
schaftlichem Interesse ins Leben rief. Seinem Nachfolger, Herrn 
Dr. JENTINK, meinen Dank für die Bereitwilligkeit, mit der er 
den Urlaub für die zweite Reise erwirkte und der Unternehmung 
seine thatkräftige Unterstützung verlieh. 

Der liberianischen Regierung habe ich bereits erwähnt, ebenso 
der fortwährenden. uneigennützigen Dienste von Seiten des Herrn 
HENDRIK MÜLLER in Rotterdam. Es bleibt mir daher nur noch 
übrig, ein Wort des Dankes an die Hauptagenten und Ange- 
stellten der holländischen, deutschen und belgischen Faktoreien 
in Liberia zu richten, sowie an die amerikanischen und fran- 
zösischen Missionäre, mit denen wir während unseres dortigen 
Aufenthaltes in Berührung kamen. Es sind ihrer zu viele, als 
dass ich sie hier mit Namen erwähnen könnte, und gar mancher 
derselben ist leider entweder schon in Liberia, während der 
Rückreise oder kurz nach derselben den Tücken des Klima’s 
zum Opfer gefallen, mancher für immer nach der Heimat zurück- 
sekehrt. Sie alle haben uns, wo und wie sie nur konnten, mit 
Rath und That unterstützt und bildeten in kritischen Verhält- 
nissen eine Stütze, auf die wir uns jederzeit verlassen durften. 
Ich werde sie alle, wo immer sie auch bleiben mögen, stets in 
lebendigem, dankbarem Andenken bewahren ! 


LEIDen, im Sommer 1889. J. BÜTTIKOFER. 


LITERATURVERZEICHNISS. 


Dr. O0. Darper, Naukeurige Beschryvinge der Afrikaansche Gewesten, Am- 
sterdam 1668. Folio, mit Holzschnitten. (1671 in deutscher 
Uebersetzung erschienen). 
Capt. Berr’s Berichte an die Amerikanische Colonisationsgesellschaft. Siehe 
auch Monatsberichte der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, 
2. Jahrgang, 1841 (p. 129— 140). 

W. J. HooKEr, Niger Flora. London 1849. (Siehe p. 96 dieses Bandes.) 

Rev. R. GURLEY, Report on the Condition of Liberia, with map, 1850. 
(Eingeliefert an den Präsidenten der Nordamerikanischen Republik). 

Africa redeemed by the Growth and Prospects of Liberia. 12°. London 

1851. (Eine wichtige Quelle für die Entstehungsgeschichte Liberia’s). 

CARL RITTER, Begründung und gegenwärtige Zustände der Negerrepublik 
Liberia. Mit Karte. Zeitschrift für Erdkunde I. 1852 (p. 5-49, Karte 
nach derjenigen von Gurley). 

S. W. KoELLE, Vei Grammar and Vocabulary. 8°. London, Church Missionary 

House, 1853. 
= — Polyglotta Africana, Comparative Vocabulary of more than 
100 distinct African Languages. London 1854. 

Capt. Ta. CanorT, Adventures of an African Slave Trader. London 1854. 

— = Revelations of an African Slave Trader. London 1854. 
Beide Bände ursprünglich in französischer Sprache, später auch in 
‚holländischer Uebersetzung erschienen). 

PH. SCHÖNLEIN, The Cape Palmas Settlement of liberated Negroes. Proceed. 
R. Geogr. Soc. London 1856 (p. 98— 100). 

F. KLorzsch, Philipp Schönlein’s botanischer Nachlass auf Cap Palmas. 
Physikalische Abhandlungen der Königl. Academie der Wissen- 
schaften. Berlin 1857 (p. 221—242, mit 4 lith. Tafeln). 

GRUNDEMANN, Allgemeiner Missionsatlas. Afrika, Bl. 4 mit Text. Gotha 1867. 

B. ANnDERSon, Narrative of a Journey to Musardu, with map. New York 1870. 

R. OBERLÄNDER, Westafrika vom Senegal bis Benguella. Leipzig 1874. 

Le Marquis DE CoMPIEGNE, l’Afrigue &equatoriale. Paris 1875. (pp. 56—61.) 

H. Soyaux, Aus Westafrika. Leipzig 1879. (pp. 41-51, 210— 212). 


IV 


J. Bürtıkorer, Reisen am St. Paul. Tijdschrift van het Aardrijkskundig 
Genootschap te Amsterdam, 1881, p. 9. 
— _ Politische und sociale Zustände der Negerrepublik Liberia. 
Jahresbericht der Geogr. Gesellsch. in Bern, 1883. (p. 75-122). 
— — Mededeelingen over Liberia. Tijdschr. van het Aardrijkskundig 
Genootschap te Amsterdam 1883. (Bijblad 12, met kaart). 
= = Eenige opmerkingen over Colonel WAUWERMAN’S Liberia. 
In derselben Zeitschrift, 1886, Afdeeling meer uitgebreide 
artikelen, p. 450. | 
_ Einiges über die Eingebornen von Liberia. Internationales 
ne für Ethnographie. Leiden, Trap, 1888. (p. 3-48, 77—91. 
(Mit 2 Tafeln in Farbendruck). 
H. R. W. Jomnson, The Independence of Liberia; an oration, delivered in 
Monrovia at the thirty-Afth celebration of Liberian Independence, 
on July 26th. 1882. Monrovia, Observer Printing Establishment, 1882. 
G. W. WıLLıams, History of the Mes Race in America from 1619 — 1880. 
New Ta C. P. Putnam’s Sons, 1883. 
ST. VON een. Berichte aus sein, Petermann’s - Mittheilungen. 
Gotha 1883, p. 366. 
ROBERT NEEDHAM Cvst, A sketch of the modern Languages of Africa, accom- 
panied by a Language-map. 2 Vols. London 1883. 
Jotmn M. HaArrıs, Annexations to Sierra Leone and their influence on British 
Trade with West Africa. London, G. BERRIDGE & C°. 1883. (8°, 66 
pp. with map). (Siehe auch Petermann’s Mittheilungen, 1883, 
p. 430 (mit Karte). 
R. MoNNErR Sans, Liberia. Apuntes histöricos, geographicos y estadisticos. 
Barcelona, Libreria de Juan Llordachs, 1884. (32 pp.). 
H. ZöLLER, Die Negerrepublik Liberia. Kölnische Zeitung 1884. (30. Nov. — 
is#Dee,. 
Hans PETERSEN, Reisen an der Westküste Afrika’s. Illustrirte Zeitung. 
Leipzig 1885. 
Col. WAUWERMANS, Liberia. Histoire de la fondation d’un &tat negre libre. 
Bruxelles 1885 (avec 2 cartes). 
Dr. E. W. BLiSpEn, Christianity, Islam and Negro Race, introduced by Sam. 
Lewis. Whittingham, London, 1887. 
Le Rev. PERE PIERRE BOURZEIX, La Republique de Liberia. Paris, Typographie 
de la Revue diplomatique , 1887. (88 pp. avec carte). 
H. HARTERT, Einiges aus der Republik Liberia. Deutsche Blätter, heraus- 
gegeben von der Geogr. Gesellsch. BREMEN, 1887 (p. 134—148). 
G. LEeıpoLpt, Die Leiden des Europäers im afrikanischen Tropenklima und 
die Mittel zu deren Abwehr. Leipzig, Duncker & Humblot, 1887. 
OscaAR BAUMANN, Die Wai-Neger. Globus 1887, p. 239, 240. 
Dr. BERNHARD SCHWARZ, Die Neger-Republik Liberia. Das Ausland 1888, 
p. 94—98, 114—117, 184—137, 157 —159, 174—178. 


xV 


H. HARrTERT, Die Veys. Globus 1888, p. 236, 237. 

Sehr wichtig sind auch zahlreiche Mittheilungen in den Jahrgängen des 
African Repository, published quarterly by the American Colonisation 
Society, Washington, ferner die jährlich in Monrovia erscheinenden Reports 
of the Secretary of the Treasury, War and Navy of the Republic of Liberia, 
und die Reports of the Missionary Bishop of Cape Palmas, 23 Bible House, New 
York, nebst den verschiedenen Consularberichten und andern den Freistaat 
betreffenden Bescheiden. Ausserdem finden sich zahlreiche kürzere Mitthei- 
lungen über Liberia in den verschiedensten Berichten von Missionsgesell- 
schaften und geographischen Zeitschriften. 


Reise nach Monrovia. 


Abschied. — Ein- 
schiffung. — Auf 
der Rhede von Maas- 
sluis. — In See. — 
Im Kanal. — Der 
letzte Schnee — 
Auf dem Ocean. — 
Delphine und Papa- 
gaitaucher. — Meeresleuchten. — Zwei 
Tage Sturm. — Schwarze Passagiere. — 
Madeira in Sicht. — Eine Wasserhose. — 
Thierleben zwischen den Wendekreisen. — 
Der Nordostpassat. — Haifischfang. — 
Dicke Luft und grosse Hitze. — Oestlicher 
Kurs. — Land in Sicht. — Auf der Rhede 
von Monrovia. — Landung. 


Das Zusammenstellen und Ver- 
packen unserer voluminösen Aus- 
rüstung und die Sorge, damit bis 
zum Tage der Abreise nicht fertig 

Landungsboot in der Brandung. zu werden, hatte uns während den 

letzten Wochen vor der Abreise in 
einer steten nervösen Aufregung 
erhalten, so dass wir tief aufathmeten, als zur festgesetzten 
Zeit die ganze Bagage nach Rotterdam abgegangen war. Am 


14ten November 1879, einem nasskalten, nebligen, echt holländi- 
BÜTTIKOFFER I, F 


Re 


schen Wintertage nahmen wir, mein Reisegefährte SAaLa und 
ich, im Museum der Naturgeschichte zu Leiden Abschied von 
meinem greisen Lehrer und väterlichen Freunde, Herrn Professor 
SCHLEGEL, sowie von den übrigen Beamten des Museums, die 
mich, jeder auf seine Weise, bei meinen Vorbereitungen auf’s 
Kräftigste unterstützt hatten. 

Der Abschied erschien mir nun schwerer, als ich mir früher 
gedacht; ich fühlte die volle Schwere der Verantwortlichkeit, 
die ich als Leiter der Unternehmung auf mich geladen. Was ist 
in sechs langen Jahren alles möglich? Sollten wir uns alle wieder- 
sehen ? Sollte es uns Scheidenden möglich werden, den an uns 
gestellten Anforderungen zu genügen, sollte ich wirklich hinläng- 
lich vorbereitet und befähigt sein, die Tragweite unserer Aufgabe 
richtig zu erfassen, den Zweck derselben unter allen Umständen 
im Auge zu behalten? Fast zweifelte ich daran, doch bald gewann 
das Vertrauen in die Zukunft wieder die Oberhand. Mit dem festen. 
Vorsatz, unser Möglichstes zum Gelingen der Unternehmung 
aufzubieten, stiegen wir, begleitet von den Segenswünschen der 
Zurückbleibenden, in den Wagen, und bald darauf war das 
Museum, war Leiden unsern Blicken entschwunden. 

Direkt nach unserer Ankunft in Rotterdam ordnete ich einige 
Angelegenheiten mit Herrn MÜLLER, der uns an Bord seiner 
Brigg Libra, Kapitän BARKER, Passage nach Monrovia zugesagt 
hatte. Dann besuchten wir die im Leuvehaven liegende Libra, 
wo man mit besonderer Rührigkeit beschäftigt war, die letzten 
Räume mit Waaren und Provisionen zu füllen. Ein in Ladung 
liegendes Schiff sieht nie sehr verlockend aus, bei schlechtem 
Wetter aber gleicht das Verdeck und selbst der Boden der Kajüte 
infolge der schmutzigen Strassen einem Sumpf, durch den man 
kaum zu gehen wagt. Dazu das Gedränge der an- und abgehenden 
Arbeiter, das Stimmengewirr der sich zurufenden Leute, das 
Poltern von Kisten und Fässern, das Rasseln der Krahnen, welche 
die Ladung Stück für Stück in den nimmersatten Bauch des 
Schiffes hinunterbefördern — das Alles macht auf den dieses 
Treibens Ungewohnten einen eigenthümlichen Eindruck. Wir 
entfernten uns daher, sobald wir unsere Kojen besichtigt, das 
Handgepäck geborgen und von dem Kapitän, dem wir uns vor- 


Bee 


gestellt, vernommen hatten, dass wir unfehlbar am andern 
Morgen Rotterdam verlassen würden. 

Nach einem geselligen, in fröhlichem Freundeskreise zugebrach- 
ten Abend verliessen wir zur festgesetzten Zeit die schmutzigen 
Strassen Rotterdams und begaben uns an Bord, wo man bereits 
emsigs mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt war. 
Gegen Mittag wurde die Brigg durch einen Schleppdampfer aus 
dem Hafen geholt und die Maas hinunter nach Maassluis gebracht, 
wo wir vor Anker giengen, um günstigen Wind zum Auslaufen 
abzuwarten. 

Nach einigen Tagen langweiligen Wartens hatte sich die Maas 
allmälig stromauf- und abwärts mit einer ganzen Flotille von 
Segelschiffen bedeckt, die alle wie wir auf das Umdrehen des 
Windes warteten. Unsere Mannschaft — ausser dem Kapitän 
zwei Steuerleute, ein Bootsmann und sechs Matrosen, wovon 
der Eine als Koch und Hofmeister fungirte — war inzwischen 
nicht unthätig geblieben. Kaum war man seines Lebens sicher 
vor all dem Plätschern und Scheuern, nirgends war mehr ein 
Zufluchtsort zu finden, und an Land gehen konnten wir nicht. 
Wer aber das Schiff in Rotterdam verlassen hätte und hier 
wieder an Bord gekommen wäre, der hätte dasselbe kaum wie- 
der erkannt. Die gründliche Reinigungsprozedur hatte den unan- 
sehnlichen schwarzen Kästen in ein schmuckes Fahrzeug ver- 
wandelt; Alles stand nun an seinem Platze und die Segel lagen 
klar zum Afhissen. 

Erst den 19ten November erhob sich ein günstiger Ostwind; 
der Lootse kam an Bord, die Anker wurden gelichtet, und 
gegen Abend wurden wir durch einen Schleppdampfer in See 
gebracht. Die Raen wurden gebrasst, Segel beigesetzt, dem 
zurückkehrenden Lootsen die letzten Abschiedsbriefe an die 
zurückgelassenen Lieben mitgegeben, und bald darauf war der 
letzte Schimmer der durch die Abendsonne beleuchteten niedri- 
gen Stranddünen Hollands unsern Blicken entschwunden — wir 
fuhren mit geblähten Segeln vor frischem Ostwinde westwärts, 
in die inzwischen angebrochene Nacht hinein. Bald aber beleuch- 
teten zahlreiche vlämische und englische Fischerboote unsern 
Weg, und in der Frühe des folgenden Morgens hatten wir be- 


Ale) ER 


reits die Leuchtfeuer von South-Foreland in Sicht und segelten 
im Laufe des Tages unter den Kreidefelsen der englischen Küste 
hin. An diesem Tage begegnete uns die Elise Suzanna, eine 
ebenfalls Herrn MÜLLER gehörende Brigg, die mit voller Ladung 
von der Westküste Afrika’s zurückkehrte. Am Morgen war das 
Schiff mit Schnee bedeckt, dem letzten, den wir auf Jahre 
hinaus — nach unserer Rechnung — sehen sollten, und ein 
scharfer, nasskalter Nordost, der uns den Aufenthalt an Deck 
sehr unangenehm machte, trieb uns rasch und unaufhaltsam 
westwärts, dem Ocean entgegen. Infolgedessen hatten wir nach 
zwei Tagen den englischen Kanal hinter uns und setzten Kurs 
nach Südwesten, um den fast immer stürmischen Golf von Bis- 
caya so weit wie möglich zu umgehen. 

Schon bevor wir offene See erreichten, hatte eine auffallende 
Veränderung in der Farbe des Wassers stattgefunden. Das trübe 
Graugrün war verschwunden und hatte einem schönen Meergrün . 
Platz gemacht, das sich allmälig, je weiter wir südwärts kamen, 
in ein herrliches Lasurblau verwandelte. Der Nordost blieb uns 
treu und trieb uns bei ziemlich hochgehender See trotz der 
wenigen stehen gelassenen Segel in unserem Kurse rasch vor- 
wärts. Am Morgen des 25sten Novembers zeigte sich, etwa auf 
halbem Wege zwischen Ouessant und Cap Finisterre eine Schaar 
von wohl fünfzig Delphinen, wie in munterm Spiel in den Wogen 
auf- und niedertauchend oder mit der hohen Rückenflosse die 
Wasserfläche durchschneidend. Längere Zeit blieben sie in der 
Nähe des Schiffes, oft unter dasselbe eintauchend und auf der 
andern Seite wieder zum Vorschein kommend. Kleine Trupps 
Papagaitaucher (Mormon fratercula), zeigten sich in der Nähe 
des Schiffes, und ein besonders dreistes altes Exemplar flat- 
terte halb laufend auf so kurzen Abstand dem sSteuerbord 
entlang, dass man seinen hohen, orangegelb und schwarz ge- 
streiften Schnabel deutlich unterscheiden konnte. Die Möven, 
die bisher unsere treuen Begleiter waren, hatten uns bis auf 
wenige Exemplare verlassen, dagegen umflog eine vom Winde 
verschlagene, müde Singdrossel das Schiff und setzte sich wie- 
derholt in das Takelwerk, um auszuruhen. 

In der Nacht beobachteten wir zum ersten Male das imposante 


Rh 


Schauspiel des Meeresleuchtens. Die Schaumkronen der hinter 
uns anrollenden Wogen und der Gischt am Bug funkelten wie 
glühender Phosphor, und das Kielwasser glänzte von tausend 
und abertausend glühenden Punkten, viel heller und intensiver, 
als ein ganzes Heer von Johanniswürmchen. Die Matrosen be- 
haupteten, dass dieses Leuchten von Salpeter (!) herrühre, der 
im Seewasser enthalten sei und durch Reibung diese Eigenschaft 
erhalte. Ursache dieser Erscheinung ist aber hauptsächlich eine 
Art mikroskopisch kleiner Thierchen aus der Klasse der Rhizo- 
poden oder Wurzelfüsser: Noctiluca miliaris, die millionenweise 
zugleich auftreten und unter gewissen chemischen und mechani- 
schen Einflüssen, besonders durch Reibung des Seewassers, ein 
phosphorisches Licht ausstrahlen. 

‘Während der zwei folgenden Tage (26. und 27. Nov.) war der 
stets heftiger wehende Nordost zu einem richtigen Sturme an- 
gewachsen. Die Segel wurden nach und nach bis auf vier, später 
sogar bis auf drei eingeholt, und dennoch kamen wir, vor dem 
Winde treibend, sehr rasch vorwärts, indem wir per Tag (24 
Stunden) durchschnittlich 45 geogr. Meilen oder 60 Wegstunden 
zurücklegten. Laut heulte und pfiff der Sturm durch die Raen, 
ächzend und stöhnend legte sich das alte, etwas schwer gebaute 
Fahrzeug von einer Seite auf die andere, so dass das Gehen an 
Deck und in der Kajüte beinahe zur Unmöglichkeit ward. Gleich 
Sturmböcken donnerten die Wogen Schlag auf Schlag auf den 
Rumpf des Schiffes an, Sturzsee folgte auf Sturzsee, rauschend, 
hochaufspritzend und auf das Verdeck herniederprasselnd. Der 
Mann, der die Wache am Steuerruder hatte!), musste sich am 
Steuerrade festbinden lassen, um nicht über Bord geschlagen zu 
werden. 

Am schlimmsten war unser Koch daran. Dieser war gezwun- 
gen, seine mit Schraubendeckeln versehenen Töpfe vermittelst 
einer Kette auf dem Herde festzubinden, ja man dachte bereits 
daran, das Kochen als unmöglich einzustellen, als glücklicher- 
weise wieder besseres Wetter eintrat. Da die Küche vorn auf 


') Die Steuerleute (erster und zweiter Steuermann) steuern nie selbst, 
sondern überlassen diese Aufgabe der wachthabenden Mannschaft. 


en 


dem Schiffe, die Kajüte unter dem Hinterdeck lag, musste der 
Koch alles über Deck nach hinten tragen, wobei es trotz seiner 
Vorsicht nicht selten geschah, dass er mitten auf dem Wege 
von einer Sturzsee überschüttet wurde und wir uns dann mit 
kalter Kost behelfen mussten. In der Kajüte sah es ebenfalls 
traurig aus. Die Thüre war aus den Angeln geschlagen, und 
der Wind, glücklicherweise nun nicht mehr so kalt wie auf 
der Nordsee, hatte Tag und Nacht freien Zutritt. Tisch und 
Stühle waren auf den Boden festgeschraubt, alles aber, was 
nicht niet- und nagelfest oder sonst gut geborgen war, wurde 
unaufhörlich hin und her geworfen. Wollte man sich von seinem 
Platze begeben und versäumte den günstigen Augenblick, so 
wurde man unsanft gegen die Wand geworfen. Eine unange- 
nehme Scene, die jedoch auch ihre komische Seite hatte, spielte 
sich den 26sten November am Mittagstische ab. Da die Suppe 
schon auf der Treppe nach der Kajüte verunglückt war, be- 
sannen wir uns eben an Pöckelfleisch und Kartoffeln gütlich zu 
thun, als wir alle — Kapitän, erster Steuermann und wir bei- 
den Passagiere — infolge eines unerwarteten heftigen Stosses 
plötzlich auf einem Haufen mitten in der Kajüte lagen, während 
unsere Speisen, Schüsseln und Teller, Sauce, Essig und Oel, 
Pfeffer und Senf über uns nachstürzte. Als wir uns mühsam 
aus dem Wirrwar von Scherben wieder erhoben hatten, war 
kein Stück Geschirr mehr auf dem Tische zu sehen. Kurz darauf 
erschien der Koch mit dem Theekessel, doch glitt, sobald er mit 
seiner freien Hand die Wand losgelassen, auf einer breitgetre- 
tenen Kartoffel aus und warf Kessel sammt Inhalt über die 
andere Brühe hin. Missmuthig sahen wir auf die Reste unserer 
Mahlzeit nieder, bis der Steuermann durch eine Partie geräu- 
cherter Bücklinge das Gleichgewicht in unserm Innern wieder 
herstellte und uns dann, nachdem wir unsere Thonpfeifen ange- 
zündet, eine seiner alten, uns schon mehrmals vorgerauchten 
Schnurren zum Besten gab. 

So sehr auch Kapitän und Steuermann sich darauf gefreut 
hatten, uns seekrank zu sehen und diese Hoffnung auch bei 
jeder Gelegenheit an den Tag legten, zeigte sich weder bei SALA 
nach bei mir auch nur die geringste Spur dieser lästigen Er- 


Braun. 


scheinung, wie denn überhaupt während der ganzen Reise nie- 
mand an Bord darunter zu leiden hatte. Ich muss bei dieser 
Gelegenheit noch beifügen, dass wir Beide nicht die einzigen 
Passagiere waren. Wir hatten nämlich noch einige Neger von 
der Goldküste an Bord, die in niederländisch indischem Militär- 
dienste gestanden hatten und nun auf Regierungskosten nach 
ihrer Heimat zurückspedirt wurden. Bevor die Goldküste durch 
Holland an England abgetreten wurde (1871), liessen sich näm- 
lich viele Neger für die indische Armee anwerben und waren 
dort als unerschrockene, ausdauernde und genügsame Soldaten 
sehr gesucht. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit wurden sie kostenfrei 
um das Cap der guten Hoffnung, später, nach der Eröffnung 
des Suezkanals, über Europa nach ihrer Heimat zurückgebracht. 
Viele liessen sich auch, oft zu wiederholten Malen, für eine 
neue Dienstperiode anwerben, und so kommt es, dass noch stets 
afrikanische Soldaten in der indischen Armee gefunden werden, 
obschon das Anwerben von neuen Soldaten seit dem Uebergang 
der Goldküste an England aufgehört hat. Alle unsere Neger 
waren mit Verdienstmedaillen geschmückt, die sie fleissig polir- 
ten und mit Wonhlgefallen wieder auf die Brust reihten. Der 
Eine, ein Stelzfuss, hatte 250 Gulden jährliche Pension, ein 
anderer, mit einem etwas steifen Arm, der ihn jedoch nicht an 
der Arbeit hinderte, 75 Gulden. Die Pensionen werden gewis- 
senhaft durch den holländischen consulären Agenten in Elmina 
ausbezahlt. Wir hatten viel Vergnügen an diesen strammen 
Schwarzen, die uns für etwas Tabak oder eine Cigarre allerlei 
kleine Dienste leisteten, und waren oft empört über die rohe 
Behandlung, die sie von Seiten des Kapitäns erdulden mussten. 
Dieser Letztere hatte seine ganze Liebenswürdigkeit in Rotterdam 
zurückgelassen und war während der ganzen Reise ein sehr 
unangenehmer Patron. Da dies seine erste Reise als Kapitän an 
Bord eines Kauffahrers war, so that er sich nicht wenig darauf 
zu Gute und liess seine Autorität nicht nur die Mannschaft, 
sondern auch uns Passagiere auf die empörendste Weise fühlen. 
Doch verfolgen wir unsere Reise weiter. 

Um 6 Uhr abends (26. November) blieb das Barometer, auf 
hoher See ein unendlich viel zuverlässigerer Wetterprophet als 


EN 


am Lande, nach längerm Sinken endlich stehen. Der Sturm aber 
wüthete fort, bis er nach 12 Uhr in der Nacht seinen höchsten 
Grad erreichte und allmälig in Nordwind übergieng. Die See 
tobte jedoch nach wie vor in ungezähmter Wildheit, da sie ge- 
wöhnlich mehrere Tage braucht, um wieder zur Ruhe zu kom- 
men. Selbstverständlich konnte unter den gegebenen Umständen 
von Nachtruhe kaum die Rede sein. Unaufhörlich wurde man 
in seiner Koje hin und hergerollt, wie in einer Tonne, so sehr 
man sich auch Mühe gab, um mit ausgespreizten Gliedern sich 
auf die Matratze festzuschmiegen. Um zwei Uhr in der Nacht 
machten die Wogen abermals einen verzweifelten Angriff, den 
stärksten, den ich je erlebt. Deutlich hörte ich — von Schlaf 
war keine Rede — die dumpfen Wellenschläge an der Schiffs- 
wand und konnte ohne Mühe Fuss für Fuss das Emporkriechen 
- des gurgelnden und rauschenden Elementes verfolgen. Auf einmal 
ward es still — eine kurze, bange Pause, und-auf das Deck 
hernieder prasselte eine Sturzsee, als ob der Blitz das ganze 
Schiff in Splitter schlüge. Hätte der Mann am Ruder nicht die 
bereits erwähnte Vorsichtsmassregel angewandt, dann wäre er 
jedenfalls auf Nimmerwiedersehen vom Deck verschwunden ge- 
wesen. Kurz darauf grosser Rumor in der neben meiner Koje 
liegenden und an die Kajüte grenzenden Speisekammer. Ein paar 
Dutzend kugelrunder Edammerkäse wurden von ihren Plätzen 
heruntergeworfen, schlugen die Thüre der Kammer auf und roll- 
ten nun unaufhörlich, hoch an die Wände aufspringend, durch 
die Kajüte hin, bis sie, nicht ohne grosse Anstrengung, wieder 
eingefangen und in sichere Verwahrung gebracht waren. Es bil- 
dete diese Jagd in der schaukelnden Kajüte, obwohl nicht ganz 
ungefährlich, doch eine ungemein ergötzliche Scene, bei der wir 
uns des Lachens nicht enthalten konnten. Inzwischen war noch 
ein Segel heruntergeholt und die Wache wurde verstärkt, denn 
dem Kapitän schien bei der Sache nicht mehr ganz wohl zu sein. 

Schon früh am nächsten Morgen begaben wir uns an Deck. 
Die aufgeregte, tobende See bot einen imposanten Anblick-dar, 
einen Anblick, wie ich ihn mir früher mit meiner Kühnsten 
Phantasie nicht zu träumen gewagt hätte und den ich nie ver- 
sessen werde Wie klein fühlt man sich da, wie auf einer 


EN en 


Nussschale treibend inmitten des tobenden, fessellosen Elemen- 
tes! Beschreiben lässt sich dieser Anblick nicht, man kann nur 
sehen und staunen! Wer die hehren Eisfirnen der Alpen nicht 
geschaut, wer nie die verschwenderische Natur der Tropen be- 
wundert und nie bei Sturm auf weitem Ocean geschwommen, 
der hat die Welt nicht kennen gelernt! Was muss man mehr 
bewundern, die himmelanstrebenden Schneegebirge, den in 
seinen Tiefen aufgewühlten, empörten Ocean — oder den Muth 
des Menschen, der den Kampf mit den trügerischen Wogen auf- 
nimmt und ihnen Gut und Leben anvertraut? 

Das herrliche Lasurblau, das bei stillem Wetter so angenehm 
das Auge fesselt, hat einem tiefen, unheimlichen Schieferschwarz 
Platz gemacht. Die aufgeregte See erinnert unwillkürlich an 
eine holländische Dünenlandschaft. Nicht lange Wälle sind es, 
die sich hinter einander aufthürmen, es ist vielmehr ein weites 
Hügelmeer, aus vereinzelten, bald kürzern, bald längern Wellen- 
hügeln bestehend. Ihre Höhe ist sehr ungleich, je nachdem sie 
sich in grössern oder kleinern Abständen folgen und tiefe Thäler 
zwischen sich lassen oder mit ihrer breiten Basis dieselben aus- 
füllen, doch schätzte ich dieselbe auf 20 bis 40 Fuss. Gewöhn- 
lich geschieht es, dass drei bis vier aussergewöhnlich hohe 
einander folgen, worauf dann eine kleine Pause eintritt, als ob 
die See wieder Kräfte zu einem neuen Anlauf sammeln wollte. 
Oft kommen sie angerollt mit breiten Rücken (Roller) und 
nehmen dann eine Breite bis zu hundert Schritten ein, oft aber, 
wenn zwei dicht hinter einander herkommen, überstürzen sie 
sich auf ihrer grössten Höhe, d. h. die zweite wälzt sich über 
die erste her und stürzt, nachdem sie deren Gipfel erreicht hat, 
mit Donnergebrüll, in Schaum und Gischt sich zerschlagend, 
einem Wasserfalle gleich über die ersten hin (Brecher). Diese 
Letztern sind den Schiffen weit gefährlicher als die ziemlich 
unschuldigen Roller, weil sie höher sind als diese und scharfe 
Kämme bilden, in denen ein Schiff bei etwas ungeschickter Steue- 
rung leicht umschlagen kann. Alle aber sind mit kleinen Run- 
zeln bedeckt, verursacht durch den über sie hersausenden Sturm. 

Haushoch kommen die Wellenberge hinter dem Schiffe angerollt 
und benehmen auf einmal alle Aussicht auf das weite, schaum- 


2 le 


bedeckte Wogenmeer. Mühelos dränst ihr Fuss sich unter das 
Schiff, das sich hinten hoch aufbäumt und seinen Bugspriet 
vorn in ein tiefes Wellenthal taucht, als sollte es kopfüber zur 
Tiefe gehen. Im nächsten Augenblicke aber sitzt es schon oben 
auf dem Rücken der bleiernen Woge, und man sieht hinter sich 
tief hinunter in ein weites Thal, hinter welchem sich auf’s Neue 
drohende Wellenberge aufthürmen. Doch ehe man sich’s recht 
versieht, hat sich schon der Koloss, der eben noch das Fahrzeug 
auf seinem Rücken getragen, unter demselben durchgedrängst und 
schlägt brüllend an seinen Flanken empor, dass der Gischt hoch 
in die Raen hinaufspritzt. Zugleich beginnt der Bug sich zu 
heben, während der Stern tief im nachfolgenden Wellenthale 
steht und von einem nachstürzenden Brecher für einen Moment 
begraben wird. Diese Brecher gewähren einen wundervollen 
Anblick, nicht allein durch ihre Grossartigkeit und wilde Kraft, 
sondern auch durch ihre Farbenpracht, indem die schaumgekrönten, 
durchsichtigen Wasserwände das prächtigste Seegrün zeigen. 

Obwohl mit dem Morgen des 28. November der Sturm sich 
gelegt hatte, wollte das Barometer noch nichts von Steigen 
wissen und blieb hartnäckig auf seinem niedrigen Standpunkte 
stehen. Im Laufe des Vormittags hatte sich der Wind völlig 
gedreht ugd wehte nun aus W. N. W., während der Himmel 
den niedrigen Stand des Barometers zu rechtfertigen schien. In 
der Höhe zeigte er zwar das schönste Blau, doch der westliche 
Horizont war mit kleinen grauen Wolken umzogen, die nichts 
Gutes prophezeiten. Den Tag über folgte auch ein Gewitter- 
sturm dem andern. Wir segelten nun mit halbem Winde, d.h. 
dieser fiel im rechten Winkel zu unserm Kurse ein, doch kamen 
wir nicht rasch vorwärts, da man es bei der schwachen Beman- 
nung des Schiffes nicht wagen durfte, mehr Segel beizusetzen. 
Die heftigen, unerwartet ankommenden Ruckwinde (Böen, holl, 
buien) sind nämlich dem Schiffer weit gefährlicher, als schwerer, 
aber anhaltender Wind. 

Merkwürdig war das Schauspiel, das nun die See darbot. Bis 
in bedeutende Tiefen !) aufgewühlt, konnte sie nur langsam zur 


I) Man hat berechnet, dass die Wogen nach der Tiefe hin das 350fache 
ihrer Höhe betragen sollen, 


ER 


Ruhe kommen, ja die Wogen nahmen, nachdem der Sturm sich 
gelegt hatte, längere Zeit noch an Grösse zu., Wohl begann 
nach und nach der Westwind auf die Oberfläche seinen Einfluss 
geltend zu machen, aber in der Tiefe wälzten sich nach wie vor 
die Wogen westwärts. Die Erschütterung, die das Schiff durch 
das Aufeinanderprallen derselben erlitt, glich heftigen elektri- 
schen Schlägen und machte es in seinen Grundfesten erzittern. 

Trotz der von heftigem Regen begleiteten Gewitterstürme, 
die uns Sturzsee auf Sturzsee über Deck sandten, begann wäh- 
rend der Nacht das Barometer merklich zu steigen, und am 
nächsten Tage, dem 29. November, hatte sich das Wetter be- 
deutend aufgehellt. Die See beruhigte sich weit schneller als wir 
erwarten durften, da wenigstens an der Oberfläche die Kraft der 
von Osten anrollenden Wellen durch den Westwind etwas ge- 
brochen wurde. Dessenungeachtet fühlte man noch tagelang die 
heftigen unterseeischen Stösse von Osten her an die Schiffswand 
schlagen. Wir hatten nun die Höhe von Lissabon einerseits und 
der Azoren anderseits erreicht, und die Luft war bedeutend mil- 
der geworden. Während beim Auslaufen aus dem Kanal zahl- 
reiche Schiffe in Sicht kamen, worunter mir ein kolossales eng- 
lisches Segelschiff mit 4 Masten besonders imponirte, hatten 
wir in den letzten Tagen nur eine oesterreichische Barke!) gese- 
hen, die, mit uns gleichen Kurs haltend, uns bald überholt hatte. 

Am 30. November um die Mittagszeit, auf 19°%19 w.L. und 
35°51’n.Br. von Greenwich, kam eine gewöhnliche Ohreule (Otus 
vulgaris) an Bord geflogen. Sie schien nicht besonders ermüdet zu 
sein, machte ab und zu eine kleine Tour um das Schiff und setzte 
sich dann wieder für eine Weile in die Takelage. Es war dies 
eine eigenthümliche Erscheinung, denn unser damaliger Abstand 
von Madeira betrug 45, derjenige von der portugiesischen Küste 
100 geographische Meilen. Am Abend flog die Eule weg, ohne 
wiederzukehren. 

Am Morgen des ersten Dezembers kam im Osten, auf etwa 13 
geographische Meilen Abstand, die Insel Madeira in Sicht, doch 


ı) Ein Schiff mit 3 Masten, wovon nur die zwei vordern mit Raen 
(Querstangen) versehen sind, 


Rn oe 


liessen sich infolge der trüben Luft nur die gröbsten Umrisse 
des langgestreckten, hohen Inselgebirges erkennen. Es kamen an 
diesem Tage zahlreiche Schiffe in Sicht, denn Madeira ist nicht 
nur ein Punkt, wo viele Fahrzeuge anlegen, sondern dem auch 
manche in diesen Gewässern segelnde Schiffe sich nähern, um 
ihre Längen- und Breitenbestimmungen zu controliren. Hier sah 
ich auch die ersten Sturmvögel (Thalassidroma pelagica). Der 
Zufall wollte, dass am Nachmittage ein richtiger Sturm aus 
S. W. eintrat, der uns zwang, von unserm Kurse bedeutend 
abzuweichen. Welch ein Contrast gegenüber dem gewöhnlichen 
Wetter unter diesen Breiten! Laue Luft, eine klarblaue, spie- 
gelglatte See, Schaaren von fliegenden Fischen, langsam dahin- 
treibende Schildkröten, gefrässige Haie und spielende Delphine, 
das ist das Schauspiel, das diese Gewässer gewöhnlich bieten, 
und nun? — Trübe Luft, rollende, bleigraue Wogen und Sturm- 
geheul! | 

Von hier ab hatten wir eine ganze Woche mit Regenstürmen 
und Gegenwind zu kämpfen, und was man an einem Tage ge- 
wonnen, gieng am andern wieder verloren. Am 6. Dezember 
wurde ich schon um drei Uhr morgens an Deck gerufen, um 
nochmals Madeira zu sehen. Etwa eine geogr. Meile östlich von 
uns zeigte sich die Insel, deren Schmalseite uns zugekehrt war, 
so deutlich, dass man alle Contouren, ja selbst die mit Wald 
bedeckten Abhänge genau unterscheiden konnte. Der mit gerin- 
sen Unterbrechungen wehende Südwest liess uns nur äusserst 
langsam vorwärts kommen. Besser gieng es jedoch mit einem 
ziemlich constanten Südostwinde, der am 12ten Dezember ein- 
setzte und uns ziemlich rasch an den canarischen Inseln vor- 
überbrachte, ohne dass wir dieselben in Sicht bekamen. 

Am 16. Dezember früh hatten wir das grossartige Schauspiel 
einer riesigen Wasserhose, die mit erstaunlicher Schnelligkeit 
von der Backbordseite auf das Schiff ankam, glücklicherweise 
aber auf etwa 50 Schritte Abstand ihre Richtung veränderte 
und direkt hinter uns durchpassirte. Hätte sie uns erreicht, 
dann wäre jedenfalls die Takelage, ja vielleicht das ganze Schiff 
verloren gewesen, denn die Zeit war zu kurz, um auch nur 
die geringsten Vorsichtsmassregeln zu nehmen, die Segel einzu- 


ran. 


holen und das Schiff in den Wind zu drehen. Das Wasser wurde 
auf einer Fläche von mindestens 20 Schritten Durchmesser mit 
unglaublicher Schnelle und Kraft schraubenartig in die Höhe 
gezogen; die Wassersäule ward mit zunehmender Höhe dünner 
und dünner, bis sie in einer Höhe von 40-50 Fuss wieder an 
Dicke zunahm und sich auf etwa 80 Fuss Höhe in eine grosse 
schwarze Wolke verbreitete, die über der Säule herflog. Das ganze 
Schauspiel war in weniger als fünf Minuten nach seinem Er- 
scheinen wieder am Horizonte verschwunden. 

Die bereits erwähnten Sturmvögel umflogen nun anhaltend 
das Schiff und hielten sich besonders an das bewegte Kielwasser, 
wo sie jedenfalls an den kleinen pelagischen Crustaceen reich- 
liche Nahrung fanden und ohne Scheu halb fliegend, halb mit 
ihren zartgebauten Schwimmfüsschen auf dem Wasser trippelnd, 
bis unter den Stern des Schiffes herankamen. An diesem Tage 
passirten wir den Wendekreis des Krebses. Die Luft war mild, 
der Himmel und die See waren vom prachtvollsten Blau, das 
man sich nur denken kann. Auch die Thierwelt liess uns den 
Eintritt in wärmere Regionen erkennen. Während der folgenden 
Tage trieben wiederholt Schildkröten — Chelonia viridis, welche 
die trefflliche Schildkrötensuppe liefert —, sowie einige Medusen 
an uns vorbei, und am 21. Dezember, auf 21° n. B., zogen einige 
Finnfische — warscheinlich Balaenoptera longimana — deren Länge 
ich auf wenigstens 20 M. schätzte, ganz in unserer Nähe dem 
warmen Süden zu. Sie schwammen in einer langen Linie direkt 
hinter einander her, mit ihrer schmalen Rückenflosse ab und zu 
die Oberfläche des Wassers schneidend und in ziemlich kurzen 
Intervallen beinahe den ganzen Kopf aus dem Wasser empor- 
hebend, so dass die weisse Farbe der Unterhälfte deutlich sichtbar 
wurde. Dabei bliesen sie als echte Wale pustend eine Masse 
Wasserdampf durch die oben auf dem Kopfe liegenden Spritzlöcher 
aus oder warfen, wenn sie beim Ausathmen den Kopf noch 
‘ unter der Oberfläche hatten, einen Wasserstrahl von ansehn- 
licher Höhe bogenartig in die Luft. 

Ueberhaupt wurde nun die Thierwelt mit jedem Tage interes- 
santer. Schaaren von muntern Delphinen tummelten sich tagelang 
um das Schiff herum, mit ihren gewölbten Rücken in zierlichen 


RU 


Wellenlinien auf- und untertauchend, so dass sie mit Recht mit 
einer Herde davonrennender Schweine verglichen werden können. 
Daher denn auch der deutsche Name Meerschwein, aus dem 
offenbar der französische Name marsowin entstanden ist, während 
die holländischen Seeleute jeden Trupp dieser stets gesellig lebenden 
Thiere als Einheit auffassen und ihn „de boer met zijn varkens” 
(der Bauer mit seinen Schweinen) nennen. Spielend und einander 
neckend kamen sie bis unter den Bugspriet heran und schlugen 
die possierlichsten Purzelbäume, indem sie sich bis zwei Meter 
hoch über das Wasser emporschnellten und kopfüber oder auf 
die Seite wieder in dasselbe zurückfielen. Gewaltige Haie wurden 
unsere täglichen Begleiter, ebenso auch zwei Arten Thunfische 
von bedeutender Grösse: der „Bonito” (Thynnus pelamys L.) und 
der „Albocor” (Thynnus albacora Lowe), die mit erstaunlicher 
Beharrlichkeit dicht vor und neben dem Schiffe herschwammen, 
obschon gelegentlich einer an die Angel kam und uns, unter 
convulsivischem Zittern an Deck liegend, durch sein herrliches 
Farbenspiel erfreute. Fliegende Fische schnurrten bei Tausenden 
gleich Heuschreckenschwärmen an uns vorüber, wobei sie sich 
bis zu 6 M. über das Wasser erhoben und nach kurzem Fluge 
wieder einfielen. Einmal begann plötzlich neben uns das Was- 
ser zu brodeln und zu kochen, als ob in der Tiefe der See 
ein vulkanischer Ausbruch stattgefunden hätte. Ein träger Hai 
hatte sich nämlich zwischen eine Schaar von Fischen hineinge- 
schlichen und happte und würgte nun rechts und links, dass 
die armen Opfer sich nicht zu retten wussten, in panischem 
Schrecken wie toll durcheinanderrannten, hoch aufsprangen und 
das Wasser zu Schaum peitschten. Sehr interessant war mir 
auch der Ruf der Sturmvögel, der viel an das kreischende 
Geschwätz unseres grossen Rohrsängers (Acrocephalus twrdoides) 
erinnert und der jeweilen in der Abenddämmerung gehört wurde. 
Diese Vögel schaarten sich gegen Abend alle (”—10 Exemplare) 
dicht zusammen, wahrscheinlich, um in Gesellschaft auf dem 
Wasser sitzend die Nacht durchzubringen. 

Nach langem Kreuzen erreichten wir am 23. Dezember endlich 
den langersehnten Nordostpassat, der uns nun rascher und gleich- 
mässiger vorwärtsbringen sollte. Dieser Wind weht mit ziem- 


Eee 


licher Regelmässigkeit das ganze Jahr durch, doch ist er abhängig 
von dem Stande der Sonne und daher von den Jahreszeiten. 
Während er im Sommer, wenn die Sonne auf dem Wendekreise 
des Krebses steht, schon bei Madeira beginnt, kann man ihn 
zur Zeit des kürzesten Tages erst in der Nähe der capverdi- 
schen Inseln erwarten. Infolgedessen sind denn auch die Reisen 
nach dem Süden mit Segelschiff im Sommer bedeutend kürzer, 
als im Winter, da dieser Wind, soweit er seinen Einfluss geltend 
macht, ein sicheres Vorwärtskommen ermöglicht. Dieser Passat 
ist auch die Ursache, dass die Segelschiffe auf ihrer Rückreise 
nicht dieselbe kürzeste Route einschlagen können, sondern 
diese Region umgehen müssen, wodurch die Reisezeit bedeutend 
verlängert wird. Die Rückreise von Monrovia wird durchschnitt- 
lich auf 60 Tage, die Hinreise dagegen bloss auf 42 Tage be- 
rechnet. Die schnellste Hinreise, die ein Schiff der Firma Müller 
je gemacht, erforderte bloss 27, die schnellste Rückreise 42 Tage, 
während die WoERMmAnNschen Dampfboote den Abstand zwischen 
Hamburg und Monrovia in 20 Tagen zurücklegen. 

Während der immer länger werdenden milden Nächte leuchtete 
die See wieder in ihrer ganzen Pracht, und an dem sich allmälig 
verändernden Sternenhimmel erblickten wir am Vorabende vor 
Weihnachten zum ersten Male das Sternbild des südlichen Kreuzes. 

Am Weihnachtstage fuhren wir zwischen dem grünen Vorge- 
birge, dem westlichsten Vorsprunge des afrikanischen Festlandes, 
und den capverdischen Inseln durch, ohne Land zu sehen. Das 
Wetter war prachtvoll und die Luft so lau, dass wir die halben 
Nächte an Deck zubrachten, weil uns die Luft in den Kojen 
allzu drückend wurde. Auf dieser Breite blieben die Sturmvögel 
zurück, aber trotzdem hatten wir keinen Mangel an der ver- 
schiedenartigsten Gesellschaft. Delphine, Haie und Lootsenfische 
begleiteten uns nach wie vor, und während der schon anmerklich 
länger gewordenen Nächte konzertirten aus Leibeskräften zwei 
Heimchen, die durch die Sommerwärme aus ihrem Winterschlafe 
geweckt worden waren. Tagelang sassen wir am Buge des Schiffes, 
um die wie in tollem Uebermuth sich herumtummelnden Delphine 
zu harpuniren, was uns indessen nicht gelingen wollte. Glücklicher 
waren wir mit dem Fangen von Haien , obschon der Kapitän, wenn 


| 


er es unbemerkt thun konnte, unsere langen, hinter dem Schiffe 
herschleppenden Angelleinen durchschnitt. Das eine nicht sehr 
srosse Exemplar fingen wir, nachdem wir vergeblich bemüht 
waren, ein Stück Speck oder »alzfleisch zu bekommen, an einem 
Lappen. von einem rothen, wollenen Matrosenhemd, in dem die 
schwere Angel verborgen war. Obschon dieses Thier nicht über 
6’ lang war, hatten wir einige Mühe, um es an Deck zu holen. 
Es schlug ganz fürchterlich um sich, legte sich auf den Rücken 
und zeigte seine weisse Unterseite und das quer unter dem 
Kopfe liegende Maul — in dieser Lage war es auch an den 
Köder gegangen —, verschwand plötzlich in der Tiefe und kam 
nach einer Weile wieder zum Vorschein, so dass es nur nach 
anhaltendem Nachlassen und Wiederanholen der Leine gelang, 
dasselbe schliesslich ganz ermüdet heraufzuziehen. Kopf und 
Schwanz abhacken, Ausweiden und in grosse Scheiben zer- 
schneiden war das Werk eines Augenblicks, und bald darauf 
standen die Scheiben gebacken und herrlich duftend auf un- 
serem Tische. Wir fanden das Fleisch zart und schmackhaft, 
ja es war, nach dem langen, beinahe abwechslungslosen Einerlei 
von Stockfisch und Pöckelfleisch, geradezu delikat zu nennen, 
was man jedoch von alten Exemplaren nicht sagen kann, und 
dabei hatte es noch den Vorzug, keine Gräte zu besitzen. 

Die Luft war jetzt schwül und drückend geworden, und das 
Thermometer in der Kajüte stand auf 31° Celsius. Die Sonne 
zeigte sich des Morgens erst nach 9 Uhr hoch über dem Horizonte 
als ein grosser, dunkelrother, russiger Feuerball und gieng gegen 
3 Uhr auf dieselbe Weise wieder unter. Als Ursache dieser 
eigenthümlichen Erscheinung muss der sogennannte Passat- 
staub angesehen werden, der durch die von dem nahen Fest- 
lande aufsteigenden, erwärmten Luftströme mitgenommen und 
durch den Passat herübergebracht wird !). Die Luft war derge- 
stalt mit Sand und Staub erfüllt, dass die Sonne, so lange sie 
niedrig über dem Horizonte stand, dieselbe nicht zu durchdringen 


I) EHRENBERG ist geneigt, den sog. Passatstaub als eine Welt von frei in 
der Atmosphäre lebenden mikroskopischen Organismen anzunehmen. (Siehe 
Monatsberichte der Berliner Akademie, 1871, p. 3). 


a 


vermochte und die frisch mit weisser Oelfarbe angsestrichenen 
Schiffswände und Brustwehren sich in kurzer Zeit mit einer 
rothgrauen Steinfarbe bedeckten. 

Am Neujahrstage befanden wir uns, einem mehr östlichen 
Kurse folgend, auf der Höhe von Sierra Leone. Von hier an 
näherten wir uns allmälig, bald bei trägem Winde, bald in 
eänzlicher Stille treibend, unserm nicht mehr weit entfernten 
‚Reiseziele. Mittlerweile waren wir so nahe unter die Küste ge- 
kommen, dass des Nachts der Landwind — der Passat hatte uns 
wieder verlassen — unsere Segel blähte; doch verhinderte uns 
die dicke Luft, irgendwo Land zu sehen. 

Am 8. Januar 1880 aber hob sich, nach wiederholten Täu- 
schungen, dem spähenden Auge eine erst undeutliche, bald aber 
schärfer und schärfer werdende Linie von dem grauen Horizonte 
ab, die allmälig eine Zickzackform annahm. Noch ein Augen- 
blick, und durch das ganze Schiff erscholl der Ruf: „Land in 
Sicht”. Es war das Gebirge von Grand Cape Mount, das wir 
jedoch, obschon aus grosser Nähe, nur in seinen Umrissen 
unterscheiden konnten, und niemand ahnte damals, dass auf 
dem westlichen Vorsprunge dieses Gebirges mein armer Reise- 
sefährte Sara seine letzte Ruhestätte finden sollte. 

Noch etwas weiter, und wir sahen auch. den Strand, ein 
weisser Streifen, von dem die grauen, eintönigen Mangrove- 
büsche, schlanke Palmen und Wollbäume von riesenhaften 
Dimensionen sich scharf abhoben. Weisse Schaummassen zeigten 
sich dem Strande entlang, und bald hörte man auch das Tosen 
der Brandung, das uns wie süsse Musik in die Ohren klang. 
Wir segelten nun einige Stunden, beständig das Senkloth 
gebrauchend, auf 100 bis 70 Faden Tiefe der Küste entlang, 
ohne viel landschaftliches Detail unterscheiden zu können. 

Bald aber erhob sich gerade vor uns eine hohe, dunkle Masse 
aus der blauen Fluth: das Cap Messurado, auf dessen Rücken 
die Stadt Monrovia liegt. Steil fallen seine grünen Hänge in 
die See ab, und auf seinem äussersten, mit Buschwald bestan- 
denen Vorsprung erblickten wir den weisschimmernden Leucht- 
thurm. Das Wasser war stellenweise mit langen Streifen von 


zusammengeschobenem Schaum und Pflanzenresten bedeckt, 
LIBERIA, |. 2 


an 


welche die Nähe von Flussmündungen verriethen, und saukelnde 
Schmetterlinge, metallglänzende Käfer, zarte Libellen und sum- 
mende Bienen brachten uns die ersten Grüsse von dem lang 
ersehnten, nahen Festlande. 

Doch dichter und dichter trieben uns Strömung und Wind 
der Rhede zu. Die ganze Küstenlinie, soeben kaum in groben 
Umrissen sichtbar, zeigte sich jetzt im denkbar üppigsten Grün. 
Schlanke, fiederblättrige Palmen, fremdartige Baumgestalten 
mit schirmförmigen Kronen (Tamarinden), und hie und da ein 
weissrindiger, kahler Bombax (Wollbaum), der eben erst sein 
altes Blätterkleid abgeworfen, nebst tausend andern Merkwür- 
digkeiten hielten unsere Neugierde wach. Zu unserer Linken, 
im Norden, erblickten wir hinter einer langen, kahlen Sandbank 
die weite Mündung des mächtigen St. Paul, hinter einer andern, 
mitten in der malerischen, durch das Vorgebirge gebildeten 
Bucht, die Mündung des Messurado Rivers, und rechts von uns. 
peitschten mit Donnergetöse die Wogen den weit vorspringenden, 
mit riesigen Felstrümmern besäeten Fuss des schon genannten 
Vorgebirges. 

Von der Rhede her kamen in ihren kleinen Canoes sechs 
Kruneger gerudert, und bald darauf kletterten sie mit Affen- 
behendigkeit die Schiffswand empor und sprangen über die 
Brustwehr an Deck, dem Kapitän ihre Dienste anzubieten. Es 
ist ein wahrer Genuss, diese kräftig gebauten, nackten Gestalten 
mit ihren offenen, lachenden Gesichtern zu sehen, und man 
weiss kaum, was man an ihnen mehr bewundern soll, ob die 
Kraft und Elasticität, die jede ihrer Bewegungen zum Ausdruck 
bringt, oder die Geschicklichkeit, mit der sie ihre schmalen. 
aus einem einzigen Baumstamm zierlich ausgehöhlten Canoes 
pfeilschnell über die bewegte Wasserfläche dahinjagen. Gar 
manches Vorurtheil, das der Europäer gegen die schwarze Rasse 
hegt, wird durch solch eine erste Begegnung wankend gemacht, 
man fühlt ein warmes Interesse für diese bronzebraunen Natur- 
menschen, die Kraft, Intelligenz und freundliches Benehmen in 
sich zu vereinigen scheinen. Schade nur, dass dieser erste günstige 
Eindruck bei späterer, genauerer Bekanntschaft nur gar zu oft 
einem weniger günstigen Urtheile weichen muss! 


Se 


Gegen Abend rasselten wieder, nach beinahe acht langen Wochen, 
unter den monotonen Gesängen der Matrosen die schweren Anker- 
ketten; das Schiff legte sich vor dem Anker in den Wind — wir 
waren auf der Rhede von Monrovia. 

Erst am andern Morgen kam Herr Wıcman, damaliger Chef 
der holländischen Faktorei und stellvertretender Consul, in einem 
der schweren Brandungsboote an Bord, um uns abzuholen. Obschon 
die Brandung bei Monrovia eine der wenigst gefährlichen der 
sanzen liberianischen Küste ist, so zieht man doch als Neuling 
unwillkürlich den Hut tiefer in die Augen und klemmt sich an 
die Sitzbank fest, wenn das Boot in die Brandung kommt und 
wie eine Nusschale auf und nieder geworfen wird. Da die See 
tiefer in der Bucht ziemlich seicht ist, müssen die Schiffe auf 
eine halbe bis eine ganze Meile von der Küste ankern, um auch 
bei niedrigem Wasserstande flott zu bleiben. Parallel mit der 
flachen Küste ziehen sich Untiefen hin, die eine bedeutende 
Brandung verursachen. Ueberdies liegt quer vor dem Messurado 
River eine lange Sandbank (bar) mit einer verhältnissmässig sehr 
schmalen Oeffnung, dem sogenannten barmouth, die man passiren 
muss, um in den Fluss hinein und so zum Landungsplatze der 
Faktoreien zu gelangen. Obschon nun, wie gesagt, die Brandung 
bei Monrovia nicht gerade gefährlich ist, so kostet sie doch fast 
alljährlich einige der schweren in Europa besonders zu diesem 
Zwecke gebauten Kielboote. Es wurde uns daher gerathen, 
unsere Bagage nicht einem einzigen Boote anzuvertrauen, sondern 
diese auf eine Reihe von Fahrten zu vertheilen, damit ein 
etwaiges Unglück weniger fühlbar werde. Unser Landungsboot 
war mit sieben jungen, kräftigen Krunegern bemannt, die mit 
stählernen Muskeln ihre schweren Riemen handhabten, während 
ihr Chef (headman) am Steuer sass. Erst gieng alles gut, da wir 
durch die immer näher heranrückende Landschaft so gefesselt 
wurden, dass wir das durch den immer kürzer werdenden 
Wellenschlag verursachte Schaukeln kaum bemerkten. Doch ehe 
man sich’s recht versah, sass man in der Brandung. Das Boot 
wurde heftig auf und niedergeworfen und richtete sich vorn hoch 
auf, während sein Hintertheil sich in ein tiefes Wellenthal senkte. 
„Full on, boys, pull on!” rief unser weisser Begleiter den schweiss 


ee 


triefenden, bei jedem Zuge ächzenden Ruderern zu; aber bereits 
kam eine Sturzsee über das Hintertheil hergestürzt, so dass wir 
froh sein durften, mit durchnässten Kleidern davonzukommen. Mit 
übermenschlichen Kräften arbeiteten die wackern boys, um einer 
zweiten heranstürzenden Woge zu entgehen, und bald schaukelte 
das Boot innerhalb der Barre auf der stillen Wasserfläche des 
Flusses. Unter den monotonen Gesängen der Ruderer wurde der 
kurze Weg flussaufwärts bis zur Faktorei zurückgelegt, und so 
betraten wir denn am Morgen des 9. Januar 1880, das Herz voll 
Freude und kühner Erwartungen, die Küste von Afrika. 


Mr. 


Monrovia. 


Empfang in den Faktoreien. — 
Lage und Aussehen der Stadt. — 
Oeffentliche Gebäude. — Privat- 
wohnungen. — Verfallene Häuser. 
— Grasbewachsene Strassen. — 
Eine merkwürdige Subscriptions- 
liste. — Primitive Verhältnisse. — 
Festlicher Abend. — Mein erstes 
. Sammelobjekt.— Audienz bei den 

schwarzen Landesvätern — Neue 
Bekanntschaften. — Erkundigun- 
. gen über das Innere. — Art des 
. Reisens. — Reizende Landschaft. 
— Der Begräbnissplatz. — Am 
Strande. — Ein Gang zum Leucht- 
thurm. — Krootown. — Veytown 
s und König VEY-JoHn. — Unsere 
„ ersten Bedienten. — Ausflug auf 
dem Messurado River. — Sendung 


Auf dem Messurado River. e nach Mr=DAr. 


Am Eingange der unmittelbar am Flussufer liegenden hollän- 
dischen Faktorei empfing uns Herr VELDKAMP, damals ausser Herrn 
WısmAn der einzige holländische Angestellte in Monrovia. Er 
war nur einige Monate vor uns als Neuling aus Europa ange- 
kommen und hatte gerade die ersten Fieberanfälle hinter sich. 
Wenig dachte ich damals, dass diese kurze erste Bekanntschaft 


99 


sich später bei unserm zufällig gleichzeitigen, langen Aufenthalte 
in Robertsport zu einer dauernden Freundschaft gestalten würde. 
Nachdem wir unsere nassen Kleider gewechselt und uns durch 
einen opulenten /unch gestärkt, besahen wir uns vorläufig die 
Faktorei, über die ich bei einer spätern Gelegenheit sprechen 
werde. Dann machten wir in Begleitung von Herrn WIGMAN 
einen Besuch in der nebenan, ebenfalls am Flussufer, gelegenen 
Woermann’schen (Hamburger) Faktorei, wo wir den damaligen 
Agenten, Herrn RomAHn, kennen lernten. Dieser, obwohl noch 
jung, hatte sich ganz in die afrikanischen Verhältnisse eingewöhnt, 
da er schon seit vielen Jahren sich an verschiedenen Plätzen der 
Westküste aufgehalten hatte. Die Woermann’schen Handelsagenten 
wohnen nicht, wie die Holländer, in der Faktorei selbst, wo es 
wegen der niedrigen Lage und der unmittelbaren Nähe des mit 
Sumpfwasser gefüllten Flusses ziemlich ungesund - ist, sondern 
haben ein sehr freundliches, für dortige Verhältnisse bequem 
eingerichtetes Wohnhaus oben in der Stadt, wo es unter dem 
Einflusse der erfrischenden Seebrise bedeutend gesunder ist. 

Da draussen in der Sonne eine versengende Hitze herrschte, 
blieben wir auf Anrathen unserer neuen Freunde in den kühlen 
Räumen der Faktorei und giengen erst gegen Abend aus, min 
Begleitung von Herrn WıqGman einen ersten Gang durch die 
Stadt zu machen und unser Logis — man hatte in der Faktorei, 
die gerade umgebaut wurde, keinen Platz für uns — kennen 
zu lernen. 

Monrovia, die Hauptstadt Liberia’s, mit etwa 3000 Einwohnern, 
liegt in einer Einsattlung des Vorgebirges Messurado, sowie an 
dessen Nordabhang, und ist sehr weitläufig und auf echt ameri- 
kanische Weise angelegt. Breite und geradlinige, parallel in der 
Richtung des Hügelrückens laufende Längsstrassen werden von 
zahlreichen Querstrassen rechtwinklig gekreuzt. In den so ent- 
standenen, grosse Rechtecke bildenden Parzellen aber steht nur 
hie und da ein vereinzeltes Haus oder eine Hütte, gewöhnlich 
von einem mit üppig wucherndem Gestrüpp und Unkraut bedeckten 
yard (einer Art verwildertem Garten) umgeben, aus dem nur 
selten einige Kokospalmen, häufiger aber prachtvolle Mangobäume 
emporragen. Je das fünfte oder sechste Haus ist eine Ruine, 


9 _ 


denn Liberia ist das Land der Ameisen und Termiten par 
esccellence, denen besonders Häuser, die einige Zeit nicht bewohnt 
sind, unglaublich rasch zum Opfer fallen !. Aus diesem Grunde 
machte die Stadt, so reizend sie mir auch von der Rhede aus 
mit ihren im Grün halb verborgenen Häusern erschienen war, 
durchaus keinen angenehmen Eindruck, als wir aus der Faktorei 
den steilen, holprigen Weg hinaufgiengen. Da es in Monrovia, 
wie überhaupt in ganz Liberia, weder Wagen noch Pferde giebt, 
sind alle Strassen, insofern nicht kahle Blöcke von badeschwamm- 
artig durchlöchertem Laterit aus dem Boden hervorragen, dicht 
mit Gras, stellenweise sogar mit Gestrüpp bewachsen, und dienen 
einigen schöngebauten Kühen, kurzbeinigen Ziegen, glatthaarigen 
Schafen und zahlreichen schwarzen Schweinen als Weidegrund. 
Nur die Trottoirs zu beiden Seiten der Strassen werden für den 
Verkehr benutzt und stellenweise etwas von Unkraut freigehalten. 
Das Traurige dieses verwahrlosten, verfallenen Aussehens wird 
jedoch zum grossen Theil aufgewogen durch den malerischen 
Eindruck, den gerade die am ruinenhaftesten aussehenden Gebäude 
"inmitten ihrer grünen Umgebung auf den Neuling machen. - Viele 
der grössern, theils aus Bruchstein, theils aus Backstein aufge- 
führten Gebäude, und die kleinen Holzhäuschen fast sämmtlich, 
sind zwischen Gruppen von dichtkronigen, schattenspendenden 
Mangobäumen halb verborgen. Kokospalmen, Guaven-, Limonen- 
und Orangenbäume stehen vereinzelt oder in Gruppen auf den 
verwilderten Gartenplätzen, und aus den Fensterlöchern und 
Mauerspalten eingestürzter und dem Einsturze naher Häuser 
wächst üppiges Gestrüpp wie in einer Burgruine. 

In diesem obern, verhältnissmässig gesunden Stadttheile liegen 
sämmtliche öffentlichen Gebäude und die Privatwohnungen der 
besser situirten Bürger. Unter den erstern sind die folgenden 
besonderer Erwähnung werth: Die sogenannte Governments- oder 


!) Eigenthümlich ist, dass sämmtliche Gebäude auf dem sandigen Ufersaume 
des Flusses vollständig von den Termiten verschont werden. Die Ursache ist 
wahrscheinlich der Salzgehalt des durch die See und das Brackwasser des 
Flusses angeschwemmten Sandbodens. Desto mehr hat man aber hier des 
Nachts von den Mosquiten zu leiden, die dagegen in dem obern, dem Winde 
ausgesetzten Stadttheile fast gänzlich fehlen. 


ION 


Representative Hall!) an der Broad Street, ein einfaches, steinernes: 
Gebäude, hinter dem sich ein sehr grosser, mit einigen Kokos- 
palmen und Mangobäumen besetzter Platz, das sogenannte Govern- 
ments Square, ausdehnt. Mitten auf diesem Platze steht ein 
Denkmal zur Erinnerung an Rev. ELmAH JoHnson, den Vater 
des gegenwärtigen Präsidenten, den begeisterten Patrioten und 
Gründer der Niederlassung (siehe das Titelbild dieses Capitels). 
Das grosse, ehemalige Postgebäude an der Ashmum Street ist jetzt 
in das schöne und comfortable, auf Staatsrechnung eingerichtete 
und möblirte Mansion House, die Wohnung des Präsidenten der 
Republik, verwandelt, während das neue Postgebäude jetzt nahe 
der Küste, zwischen Monrovia und Krootown, steht. An derselben 
Strasse befindet sich ein anderes öffentliches Gebäude, in dessen 
untern Räumen die Senatssitzungen gehalten werden, während 
die obern für den monatlichen und dreimonatlichen Gerichtshof 
(monthly und quarterly court) eingerichtet sind. Im zweiten Stock 
befindet sich das Vereinslokal der Freimaurerloge. Hinter diesem 
Gebäude liegt das Gefängniss (Jail House). 

Unter den verschiedenen Kirchen zeichnen sich besonders die 
der Methodisten, Baptisten und Episcopalen — letztere vor 
mehreren Jahren abgebrannt und jetzt neu gebaut — aus. Erwäh- 
nenswerth ist auch die in 1884 dort gegründete katholische 
Missionsstation, die erste derartige im Lande. Sie steht unter 
der Leitung von französischen Missionären der „Congregation du 
St. Esprit et du Saint-Coeur-de-Marie” ?). Etwas abseits von der 
Stadt, auf einer Terrasse, welche einen freien Ausblick auf die weite 
See gewährt, steht das sogenannte College, eine höhere Unter- 
richtsanstalt, von der später die Rede sein wird. In der obern 
Stadt findet man auch das deutsche, das holländische, das ame- 
rikanische, das belgische und das schwedische Consulat. Bei einem 
Gang durch die Strassen ist man erstaunt über die Grösse vieler 
Privatwohnungen, die sich äusserlich , eine fast nie fehlende plazza 
(Veranda) ausgenommen, kaum von Häusern wohlhabender Leute 


ı) Dieses Gebäude enthält das Versammlungslokal für das Repräsentan- 
tenhaus, sowie die Bureaux der verschiedenen Ministerien. 
®, Im Sommer 1888 wieder aufgehoben. 


Monrovia, 


ASHMUN STREET MIT METHODISTENKIRCHE, 
im Hintererunde der Leuchtthurm. 


Il. 


in Europa unterscheiden. Im Innern findet man nicht selten 
grosse, kühle Säle, deren Möblirung jedoch gar oft viel zu 
wünschen übrig lässt. Fast alle diese Gebäude datiren aus der 
Blüthezeit Monrovia’s, als durch die Einwanderung von zahlreichen 
schwarzen, aus Amerika herübergekommenen Kolonisten viel Geld 
in’s Land gebracht wurde. 

Seitdem in den letzten Jahren die Einwanderung stark abge- 
. nommen hat, ist es in Monrovia still geworden, und die schönen, 
grossen Häuser, deren kostbarer Unterhalt meist die Kräfte ihrer 
jetzigen Bewohner übersteigt, gehen meistentheils rasch ihrem 
Verfalle entgegen. 

Sämmtliche Gebäude der europäischen, sowie auch der liberia- 
nischen Kaufleute, liegen der bequemen Zufahrt wegen am nörd- 
lichen Fusse des Vorgebirges, am linken Ufer (der sogenannten 
waterside) des Messuradoflusses, kurz bevor dieser, eine lange, 
vorgelagerte Sandbank (bar) durchbrechend, sich in die durch 
das Vorgebirge gebildete Meeresbucht ergiesst. Dort wickelt sich 
alltäglich der Tauschhandel mit den eingebornen und liberianischen 
Pflanzern ab, die zu Wasser in ihren Canoes aus dem Innern 
herabkommen, um ihre Landesprodukte gegen Importartikel ein- 
zutauschen. Jeden Sonnabend wird in diesem stets sehr belebten 
Stadttheile ein kleiner Gemüse- und Fischmarkt abgehalten, und 
darum ist auch der Verkehr an diesem Tage am lebhaftesten , 
so dass man in den Faktoreien kaum im Stande ist, alle die 
unschlüssigen, feilschenden und marktenden Neger möglichst rasch 
zu bedienen. 

Gleich am ersten Tage unseres Aufenthalts wurde meine Auf- 
merksamkeit auf eine eigenthümliche Subscriptionsliste gelenkt, 
die durch den boy (Bedienten) eines Einwohners von Monrovia in 
der Faktorei zur Einzeichnung angeboten wurde Der Mann 
beabsichtigte nämlich, bei genügender Betheiligung auf den Sonntag 
ein Rind zu schlachten und wählte dabei das in ganz Liberia 
allgemein übliche Verfahren, das Fleisch des noch lebenden 
Thieres auf dem Subscriptionswege zu verkaufen. Der Preis 
betrug per engl. Pfund 124 Dollarcents, und da die Gelegenheit, 
um frisches Fleisch zu bekommen, ziemlich selten ist, so zeichnete 
Herr Wıscman gleich auf ein ganzes Viertel ein, und ebenso 


STB 


that Herr RomAaHn, obschon er damals, bei Abwesenheit des 
Hauptagenten und Consuls, Herrn KÖNIGSDÖRFER, der einzige 
Weisse in der deutschen Faktorei war. Dass in einem warmen 
Klina wie dort, und besonders bei dem geringen Viehstande, kein 
Schlachthaus besteht und nicht zu geregelten Zeiten geschlachtet 
wird, kann man begreifen, doch staunte ich nicht wenig, als 
ich hörte, das auch keine Bäckerei bestehe und jede Familie, 
wenn sie Brod haben wolle, dasselbe in einem eisernen Topfe 
selbst backen müsse. Ueberhaupt ist das Leben in der liberiani- 
schen Hauptstadt äusserst primitiv. Ein eigentliches Hötel besteht 
nicht, doch halten einige Privatleute Zimmer zur Verfügung für 
Besucher Monrovia’s, besonders für die Mitglieder des Senats 
und Repräsentantenhauses, die alljährlich im November zu ihren 
Sitzungen in Monrovia zusammenkommen. Ausser diesen letztern 
kommen sehr selten Besucher an, die von diesen Gelegenheiten 
Gebrauch machen, da die meisten Europäer, besonders die Deutschen, 
durch ihre Landsleute gastfreundlich aufgenommen werden. Da, 
wie gesagt, wegen baulicher Veränderungen für uns kein Platz 
in der Faktorei war, wurden wir bei Herrn Axznmey, einem 
Holländer, der schon eine lange Reihe von Jahren im Orte wohnt, 
einquartirt. Herr ArnMmey ist gegenwärtig, seit dem Tode des 
französischen Kaffeepflanzers VERDIER in Cape Palmas, der einzige 
in Liberia niedergelassene Weisse, der nicht im Dienste einer 
Mission oder der einen oder andern europäischen Handelsunter- 
nehmung steht. Er hält in seinem Hause einen kleinen Victua- 
lienladen und macht bedeutende Geschäfte in Liberiakaffee und 
allerlei amerikanischen Commissionsartikelen. Seine Frau, eine 
sehr sanfte, freundliche Mulattin von gelber, beinahe weisser 
Hautfarbe, hat eine Kaffeeplantage am St. Paulsflusse. Wir 
fanden in diesem Hause ein ganz annehmbares Unterkommen 
gegen einen Dollar per Tag für uns beide mit Inbegriff von 
Frühstück, und als ich später längere Zeit daselbst wohnte, 
bezahlte ich für Wohnung und volle Kost per Woche 8 Dollars. 

Für den ersten Abend in Monrovia hatte uns Herr RoMAHN 
zu sich in seine Wohnung eingeladen, und Herr VELDKAMP war 
so freundlich, uns dorthin zu begleiten. Nie kann ich an diesen 
fröhlichen Abend zurückdenken, ohne mich an den Schrecken und 


a 


die Heiterkeit zu erinnern, die ich damals unabsichtlich durch 
meinen Sammeleifer verursachte. Auf dem Wege nach dem 
deutschen Consulate sah ich — die Nacht war bereits hereinge- 
brochen — auf dem Trottoir an der Broadstreet etwas Dunkles 
über den Weg kriechen. Getreu meinem Vornehmen, um keinen 
Tag vorbeigehen zu lassen, ohne unsere Sammlung durch einen 
oder andern Gegenstand zu bereichern, wollte ich diese Gelegenheit 
nicht entgehen lassen, um gleich am ersten Tage den Grund zu 
unsern spätern Sammlungen zu legen, und wirklich erhaschte 
ich nach kurzer Mühe das Thier — wie sich später herausstellte, 
ein schönes, grosses Exemplar der dort sehr gemeinen Panther- 
kröte. Ein echter Naturfreund weiss sich immer zu helfen, und 
so wickelte ich denn das Thier, aus Mangel an etwas Besserem, 
zum grossen Entsetzen unseres Freundes VELDKAMP in mein 
Taschentuch. 

Bei Herrn RomAHn gieng es sehr gemüthlich, und später am 
Abend sogar sehr lebhaft her. Wir machten hier die Bekannt- 
schaft des damaligen amerikanischen Consuls SmYTH, eines echten 
Vollblutnegers von wahrhaft herkulischer Gestalt. Er ist jedenfalls 
einer der schönsten Negertypen, die ich je gesehen habe, dabei 
sehr jovial und gebildet, und in seinem ganzen Auftreten vom 
Scheitel .bis zur Zehe ein Gentleman. Während sonst bei jedem 
Präsidentenwechsel in Amerika auch die Consulate Personalver- 
änderungen erfahren, hat er sich mit einer kurzen Unterbrechung 
bereits jahrelang auf seinem Posten zu halten gewusst, der 
ihm jährlich an festem Gehalt und Emolumenten gegen 6000 
Dollars einbringt. Er zeigte grosses Interresse für unsere Unter- 
nehmung und hatte nicht wenig Lust, sich uns für einige Zeit 
anzuschliessen. Ausser diesem Herrn trafen wir auch einige 
liberianische Abgeordnete an, so dass wir zusammen eine sehr 
bunte Gesellschaft bildeten. 

Die Unterhaltung war sehr lebhaft. Es wurde viel gesungen 
und tapfer auf das Wohl aller durch die Anwesenden vertretenen 
Nationen getrunken. Erst trank man Bier, ein ganz angenehmes 
Hamburger Export, nachher Wein. Trotz der geöffneten Fenster 
war es im Zimmer warm geworden, und nicht weniger in unsern 
Köpfen. Zur Abkühlung wurde Brandy (Cognac) und Wasser — 


Be 


ein in allen Tropengegenden sehr beliebtes, die Körpertemperatur | 
herabsetzendes Getränk — angeboten. Ich hatte gerade einen 
auf unsere Unternehmung ausgebrachten Toast beantwortet und 
wollte mein Taschentuch auf dieselbe Weise gebrauchen, wie 
dies in Europa gewöhnlich nur in den Hundstagen geschieht, 
als zu meinem und aller Andern Entsetzen der Erstling meiner 
Sammelthätigkeit auf die unverschämteste Weise auf die Tafel 
sprang. 

Unter wahrhaft homerischem Gelächter einer- und Blicken 
tiefer Abscheu andererseits wurde jedoch das Thier in eine auf 
meine Bitte herbeigeholte Conservebüchse geborgen, und die 
gesellige Unterhaltung hatte wieder ihren Fortgang, bis wir 
endlich spät in der Nacht von unserm gastfreundlichen Wirthe 
Abschied nahmen. 

Gestützt auf unsere Empfehlungen von Seiten der holländischen 
Regierung hatte Herr Wıcnman, als stellvertretender holländischer 
Consul, gleich am Tage unserer Ankunft die Regierung von unserer 
Absicht benachrichtigt und für uns um eine Audienz ersucht. 
Nach erhaltener freundlicher Einladung besuchten wir in Beglei- 
tung Herrn Wıcmans am nächsten Tage den Minister der - 
auswärtigen Angelegenheiten (Secretary of States), Herrn G. W. 
GIBson, einen frühern Geistlichen, auf seinem Arbeitszimmer in 
Governments Hall, und fanden bei ihm den Minister des Innern, 
Herrn Dr. Bıypen, einen gelehrten Schwarzen !), der als ausser- 
ordentlicher Botschafter von Liberia an verschiedenen Höfen 
Europa’s gewesen war und wahrscheinlich der einzige Liberianer 
ist, der geläufig französisch spricht. Dieser freundliche Herr, 
über dessen Patriotismus die Ansichten seiner Mitbürger in den 
letzten Jahren sehr getheilt sind, gab mir, nachdem ich meine 
vorläufigen Reisepläne entwickelt, eine in arabischer Sprache 
geschriebene Empfehlung an den König von Boporo, einer Stadt 
an der untern Grenze der Mandingo-Hochebene, die ich später zu 
besuchen gedachte. Ueberhaupt wurden wir durch die liberiani- 
schen schwarzen Landesväter ?2) sehr liebenswürdig empfangen. 


ı) Professor am Liberia College. 
®) Präsident GARDNER Konnte uns wegen Unwohlsein nicht empfangen. 


ng 


Sie schienen an unserer Expedition grossen Antheil zu nehmen, 
denn es wurde uns nicht nur die Erlaubniss ertheilt, nach freier 
Wahl jede beliebige Gegend des Innern zu bereisen, sondern 
man versprach uns auch allen möglichen Beistand für den Fall 
von Differenzen mit den Eingebornen innerhalb der Grenzen 
Liberia’s, sowie zollfreie Ein- und Ausfuhr unserer gesammten 
Ausrüstung, Vorräthe und Sammlungen. Herr Wıcman bemerkte 
. freilich später, dass wir besser thun würden, uns nicht allzusehr 
auf den Schutz der liberianischen Regierung zu verlassen, und 
spätere eigene Erfahrungen haben diese Warnung vollkommen 
gerechtfertigt. 

Während der nächsten Tage machten und empfingen wir 
verschiedene Besuche, wobei es in der Regel sehr formell zugieng 
und die Etikette zu meiner Verwunderung auch nicht einen 
Augenblick ausser acht gelassen wurde, so dass man, wenn man die 
Augen schloss, sich in einem europäischen Salon wähnen konnte. 
Bei diesen Besuchen lernten wir unter andern den liberianischen 
Generalpostmeister Wıres und den Friedensrichter Kına kennen, 
den gegenwärtigen Mayor (Bürgermeister) von Monrovia, sowie 
einen weissen amerikanischen Missionär, Rev. KELLose. Dieser, 
ein wie mir schien sehr beschränkter Kopf, war mit der fixen 
Idee behaftet, dass man im Innern Schätze von Gold finden 
müsse und empfahl uns dringend, doch ja den Flussand fleissig 
zu untersuchen. Ich suchte ihm jedoch auseinanderzusetzen , 
dass wir die Fauna des Landes als unsere Goldgrube betrachten 
und die Hebung der mineralogischen Schätze gerne einem Andern 
überlassen wollten. Auch machten wir Bekanntschaft mit Herrn 
Davıs, dem Advokaten der holländischen und deutschen Fak- 
torei, einem Ehrenmanne, den ich erst später schätzen gelernt 
habe, und der unter dem jetzigen Präsidenten, Dr.H.R. W.JoHnson, 
Staatsminister geworden ist. Sehr willkommen war mir der Besuch 
des Herrn ANDERSON, eines stämmigen Vollblutnegers, der zu den 
wenigen Liberianern gehört, die das Innere ihres Landes theilweise 
durch eigene Anschauung nicht nur kennen gelernt, sondern ihre 
Reiseerlebnisse auch publizirt haben. Von seinen beiden grössern 
Reisen nach Musardu, einer Stadt etwa 50 geogr. Meilen 
von der Küste auf der Mandingo-Hochebene, hat er die erstere 


Sr 


beschrieben in seinem Buche „Narrative of a Journey to Musardu.” 
Obschon er mir über das Innere, soweit ihm dasselbe bekannt 
war, bereitwilligst Auskunft gab, so konnte er mir über das 
Gebiet der Golah, die das Innere längs des St. Paul bewohnen, 
wenig sagen, da er dasselbe nicht aus eigener Anschauung zu 
kennen schien.- Sehr werthvoll waren mir dagegen seine Mit- 
theilungen über die Art des Reisens im Innern und über die 
vortheilhafteste Weise unserer Verproviantirung. | 

Schon gleich nach unserer Landung that ich mein Möglichstes, 
um über das Innere des Landes am St. Paulsflusse genaue 
Erkundigungen einzuziehen. Es stellte sich aber bald heraus, 
dass die Gegend nur so weit genauer bekannt war, als sie von 
liberianischen Ansiedlern bewohnt wird, und dass die ganze 
-dahinterliegende Urwaldregion eine terra incognita sei. Wir wurden 
denn auch von verschiedenen Seiten ernstlich vor der „tollkühnen 
Unternehmung” gewarnt, Hab und Gut, ja vielleicht selbst unser 
Leben unter den räuberischen Eingebornen auf’s Spiel zu setzen. 
Ich aber wollte um jeden Preis jene geheimnissvollen Gebiete 
untersuchen und kennen lernen, und da die trockene Jahreszeit 
schon bedeutend vorgerückt war, so entschloss ich mich, den 
Rest dieser für die Jagd in den Urwäldern einzig günstigen 
Zeit nicht unbenutzt verstreichen zu lassen . und bereitete 
darum alles, so rasch es gieng, zu einem möglichst baldigen 
Aufbruch vor. I 

Wir hatten .aus Europa vorsichtshalber eine doppelte Aus- 
rüstung mitgebracht, die wir nun zum grossen Theile in Monrovia 
zurücklassen mussten. Mit dem grössten Eifer giengen wir nun 
an das Umpacken derselben und an das Zusammenstellen einer 
Ausrüstung, wie wir sie für unsern ersten, vorläufig auf drei 
Monate berechneten Jagdzug in das Innere nöthig erachteten. 

Lebensmittel und Tauschartikel wurden uns durch die hollän- 
dische Faktorei geliefert, und Herr WıGMmAn sorgte so gut 
wie möglich für gangbare Sachen, wobei uns seine langjährige 
Erfahrung ausgezeichnet zu statten kam. 

Unsere Art des Reisens musste nothwendigerweise eine andere 
sein, als diejenige geographischer Forschungsreisender, die den 
Schwerpunkt ihrer Thätigkeit gewöhnlich darein verlegen, auf 


ee 


anhaltenden Tagemärschen mit wenig Zeitverlust möglichst weit 
in das Innere unbekannter Gebiete vorzudringen. Auf derartigen 
Reisen, bei denen grosse Karawanen von Trägern nöthig sind, 
fällt gewöhnlich für den Zoologen sehr wenig ab, da bei dem 
unvermeidlichen Lärm und Halloh der Trägerkolonne alle Thiere 
sich scheu zurückziehen und ausserdem die Zeit zum Sammeln 
und Zubereiten gänzlich fehlt. Dies ist denn auch der Hauptgrund, 


-. wesswegen so manche geographische Forschungsreise in Afrika 


auf zoologischem Gebiete erstaunlich wenig Positives geleistet hat. 

Von selbst ergab sich uns somit die Aufgabe, grosse Stationen 
von einer bis mehreren Tagereisen Entfernung zu machen, d.h. 
auf einem zu Jagdausflügen besonders geeigneten Platze für 
längere Zeit unser Zelt aufzuschlagen oder eine Hütte von Palm- 
wedeln zu bauen und uns dort möglichst bequem und zweck- 
mässig einzurichten. Der Transport unserer, zu längerm Aufenthalte 
im Innern nöthigen Ausrüstung erforderte jeweilen 30 — 40 schwarze 
Träger, die wir dann nach der Ankunft auf dem schon im Vor- 
aus gewählten Platze wieder entliessen, um nur unsere ständige 
Dienerschaft zurückzubehalten. | 

So viel wie möglich suchten wir zwar die Wasserstrassen zu 
benutzen, doch dies war gewöhnlich nur auf kurze Strecken 
möglich, da, wie später ausführlicher erwähnt werden wird, der 
Unterlauf der Flüsse verhältnissmässig nur kurz, der Mittellauf 
aber von Felsbänken durchsetzt ist, die jedes Vordringen zu 
Wasser, selbst in den dort gebräuchlichen Canoes, unmöglich 
machen. Im St. Paul beginnen z. B. die Stromschnellen schon 
bei 20 Meilen!) Abstand von der Küste, während wir schon 12 
Meilen stromaufwärts zahlreiche unpassirbare Stromschnellen 
hinter uns hatten. 

Trotz unserer Anstrengung, um baldmöglichst zum Aufbruch 


ı) Ich bediene mich fernerhin bei allen Abstandsangaben der in Liberia 
allgemein gebräuchlichen englischen Seemeile, die sich annähernd zu unsern 
Längenmaassen verhält wie folgt: 

1 Meile = 1 Gradminute; 
3 Meilen = 1 Wegstunde; 
4 , = 1 deutsche geographische Meile; 

BON Grad! 


ud 


in’s Innere bereit zu sein, machten wir doch beinahe alle Morgen 
kleine Spaziergänge in die nächste Umgebung der Stadt, der man 
einen hohen landschaftlichen Reiz nicht absprechen kann. Besonders 
lohnend fand ich einen Gang in südöstlicher Richtung, wo die 
Stadt buchstäblich allmälig in den Hochwald übergeht. Je weiter 
man sich von dem Centrum der Stadt mit seinen stattlichen 
Häusern entfernt, je seltener und ärmlicher die menschlichen 
Wohnungen werden, desto üppiger, desto überwältigender wird 
das malerische Chaos von Busch und Baum, die ihre Aeste bis 
unter die Dächer, ja selbst durch die fensterlosen Lichtöffnungen 
strecken und die halb verfallenen Hütten der hier wohnenden, 
weniger begüterten Klassen in ein Meer von Grün beinahe 
versinken lassen. Ueberall herrscht der zwangloseste Wechsel 
‚aller Schattirungen, aller Abstufungen von den hellsten bis zu 
den dunkelsten Farbentönen. Herrliche Kokospalmen, umrankt 
von in voller Blüthe stehenden Caprifolien, ragen mit ihren . 
Büscheln von 6-15 Fuss langen Wedeln hoch in die mit Wohl- 
serüchen geschwängerte Morgenluft hinein. Zahlreiche Orangen-, 
Limonen- und Guavenbäume mit ihren goldenen Früchten, 
Kaffeebäume, schöne Akazien mit zarten Fiedern, zahlreiche 
Bananenstauden mit ihren hellgrünen, über 10 Fuss langen 
Blättern und schweren Fruchttrauben geben dieser Landschaft 
einen eigenthümlichen Reiz und ein wohlthuendes COolorit, das 
noch gehoben wird durch die prachtvolle Selaginella scandens , 
die das von allen Seiten hereindringende Gebüsch mit einem 
moosgrünen Teppich überzieht und wie Guirlanden von den 
Aesten herunterhängt. Seltsame Blumen von den prachtvollsten 
Farben und theilweise wunderlichsten Formen, umschwärmt von 
farbenreichen Schmetterlingen und metallglänzenden, kolibriartigen 
Nectarinien, erhöhen noch den landschaftlichen Reiz. Nur riechen 
viele dieser Blumen — gerade die interessantesten — nicht, und 
den genannten Vögeln, den farbenprächtigsten Afrika’s, fehlt 
erossentheils die Gabe des Gesanges. 

Kaum hat man jedoch die letzte Hütte, den letzten verfallenen 
Steinwall, der den verwahrlosten Hausplatz von seiner Umgebung 
abschliessen soll, hinter sich, dann tritt man gleich auf schmalem 
Pfade, über dem sich undurchdringliches Buschwerk zusammen- 


Dr >= N 


wölbt, wie durch das dunkle Thor einer Festung in den Wald 
hinein. Aber nur auf den durch jahrelangen Gebrauch tief aus- 
getretenen, vielfach verschlungenen Fusspfaden ist es möglich, 
vorwärts zu dringen. Alles Uebrige ist ein grosses Gewirre 
von hochstämmigen Bäumen, üppig wucherndem Unterholz und 
alles zu einem grossen Gewebe vereinigenden Schlingpflanzen. 

Während der Nordabhang des Vorgebirges ziemlich steil zum 
Flussufer abfällt, ist der südliche Abhang annähernd eine englische 
Meile breit und senkt sich fast unmerkbar allmälig zum Strande 
ab. Auf diesem breiten Südabhang befindet sich der sehr ausgedehnte 
Begräbnissplatz (grave-yard) Monrovia’s, mit vielem Buschwerk 
und nicht sehr grossen, einzelstehenden Bäumen, zwischen denen 
man ab und zu bedeutende Gruppen von Gräbern, theils mit 
kostbaren Grabmälern von Stein und Eisen antrifft. Die meisten 
Gräber sehen sehr verwahrlost aus, viele aus Eisen construirte 
Kreuze und Einfriedigungen sind dem Rost erlegen, und nur die 
steinernen Grabmäler sind verhältnissmässig gut erhalten. Wie 
mancher Weisse, der jung und strotzend von Kraft hieherkam, 
den Kopf voll hochfliegender Pläne, hat da schon seine letzte 
Ruhestätte gefunden! 

Weiter hinab, an dem durch die Termiten zerfressenen, dem 
Einsturze nahen Galgen vorüber, schlängelt sich der Fusspfad, 
bald über Grasflächen, bald durch dichtes Gebüsch, dessen Zweige 
Einem beim Passiren in’s Gesicht schlagen, hinab ’zum Strande, 
der wie ein breiter, hellgrauer Gürtel das Vorgebirge umzieht. 
Hie und da wird er durch Haufen vorgeschobener, kolossaler 
Felsmassen unterbrochen, gepeitscht durch die tosende Brandung, 
die sich an ihnen zu Schaum und Staub zerschlägt, in dem 
herrliche Regenbogen spielen. | 

Bedeutend höher als die Stadt, 240 Fuss über dem Meeres- 
spiegel, steht auf dem westlichsten Vorsprunge des Vorgebirges 
der ziemlich primitive Leuchtthurm, der aber so wenig Licht 
verbreitet, dass die zufällig in der Nacht passirenden Dampfboote 
häufig die Rhede nicht finden und unbewusst vorbeifahren, bis 
sie dann in der Morgendämmeruns sich nach der Configuration der 
Küste orientiren können. Ein Gang von der Stadt aus zu diesem 


Leuchtthurme hinauf ist in der Morgenfrische sehr angenehm, in 
LIBERIA, 1, 3 


Bons 


den heissen Tagesstunden aber geradezu eine Marter, da durch 
den beinahe schattenlosen Weg und die Ausstrahlung der 
warm gewordenen, im Wege liegenden Felsblöcke und grossen 
Platten die durch das Steigen hervorgerufene Körperwärme noch 
unendlich erhöht wird, so dass man herzlich froh ist, wenn 
Einem, oben angekommen, die kühlende Seebrise entgegenweht. 
Die Aussicht da oben, besonders in der kühlen Morgenfrische 
oder bei untergehender Sonne, ist sehr schön, da der Stand- 
punkt ganz frei ist und von keiner andern Anhöhe überragt 
wird. Im Süden und Westen dehnt sich die weite, tiefblaue See 
aus, deren scheinbare Ruhe mit dem deutlich vernehmbaren 
Tosen der Brandung am Fusse des Hügels nicht recht überein- 
stimmt. Im Norden hat man gerade zu seinen Füssen die 
. malerische Bucht von Monrovia, einzelne ausgedehnte Partien 
des Messuradoflusses, den sich durch Mangrovewälder hinschlän- 
selnden Stockton Creek, eine Art natürlichen Kanals, der den - 
Unterlauf des Messurado mit dem des St. Paul verbindet, und 
darüber hin das Hinterland, das, obwohl durch zahlreiche liberia- 
nische Ansiedler bewohnt, aus der Ferne wie ein grosser Wald 
aussieht, zu dem die unsichern Umrisse der weit landeinwärts 
liegenden blauen Berge einen gut abschliessenden Hintergrund 
bilden. Unmittelbar zu seinen Füssen aber, kaum 100 Fuss 
tiefer, überblickt der Beschauer die Hauptstadt Liberia’s, die 
mit ihrer malerischen Staffage von grotesken Baumgruppen und 
verwildertem Gebüsch einen ungemein reizenden Eindruck macht, 
besonders in früher Morgenstunde, wenn die aufgehende Sonne 
die kraftstrotzende, thautriefende Natur mit ihren erwärmenden, 
soldigen Strahlen zu neuem Leben weckt. Die tropische Natur 
muss man, soll sie voll und ganz genossen werden, am Morgen 
nach Sonnenaufsang oder abends vor Sonnenuntergang sehen. 
Von morgens acht bis abends vier Uhr ist die Luft infolge 
der Hitze in beständiger, zitternder Bewegung. Alles ist wie in 
Dunst gehüllt, und die senkrechten Sonnenstrahlen machen es 
geradezu unmöglich, etwas in richtiger Beleuchtung zu sehen. 
Von Aussicht auf das Binnenland kann den Tag über nicht die 
tede sein, da selbst auf kurzen Abstand schon die Landschaft 
sich in einen undurchdringlichen, grauen Schleier hüllt. 


ey. L. 


Die Umgebung des Leuchtthurms, dessen Feuer Dr. ZÖLLER, 
der humoristische und talentvolle Berichterstatter der Kölnischen 
Zeitung, scherzweise mit der brennenden (igarre eines Liberianers 
verglichen hat, bietet nicht viel Interessantes, und ebensowenig 
einige nebenan in einer alten Batterie lose auf dem Boden liegende 
eiserne Feldschlangen, mit denen die Liberianer gelegentlich die 
Salutschüsse fremder Kriegschiffe erwidern. 

Durch eine grosse, früher sehr gut unterhaltene, jetzt fast 
gänzlich von Strauchwerk überwucherte Kaffeeplantage gelangt 
man auf einem sehr holprigen Wege den nördlichen Abhang 
hinunter an die Bucht von Monrovia und, dieser landeinwärts 
folgend, an ein nahe der Stadt gelegenes Dorf, das einzig und 
allein von Krunegern bewohnt wird. Dieses Dorf, die sogenannte 
Krootown, bietet dem Neuling so viel Eigenartiges, noch nie 
Gesehenes, dass er sich im ersten Moment in eine andere Welt 
versetzt wähnt. Schon von ferne tönt dem Besucher ein wirres 
Summen, als wie von Menschenstimmen entgegen, ein Durchein- 
änder von unverständlichen Lauten, das in demselben Grade 
zunimmt, als bei dem Nahen der Stadt die See mit dem Rauschen 
der Brandung zurückbleibt. Das dichte Buschwerk hält den Ort 
noch einen Augenblick verborgen, aber noch eine Biegung um 
eine Ecke herum, und wir stehen auf einmal in einem Gewirr 
von kleinen, eigenartig aussehenden Häuschen, zwischen denen 
wir, auf den mit peinlicher Sorgfält rein gehaltenen freien Plätzen, 
halbnackte schwarze Männer und Frauen finden, erstere in süssem 
Nichtsthun den Tag verschlafend oder ihre kurzgestielte Thon- 
pfeife rauchend, letztere ihre Aufmerksamkeit dem im Freien 
über dem Feuer stehenden Kochtopf widmend Oder in hölzernen 
Mörsern Reis stampfend, während eine Schaar nackter Kinder 
sich spielend die Zeit vertreibt und beim Nähertreten des Weissen 
entweder Reissaus nimmt oder ihn auf einigen Abstand mit 
srossen, neugierigen Augen mustert. Dieses Dorf ist der Wohn- 
platz der sogenannten Kruneger, von denen später eingehender 
die Rede sein wird. Die Männer — unter dem Namen Krooboys 
an der ganzen Küste sehr wohl bekannt — sind meist Arbeiter 
und Bootsleute im Dienste der europäischen Faktoreien. Es ist 
Sonntag, und ein liberianischer Sonntag wird eben so streng 


NER 


gehalten, wie in England oder Amerika. Warum sollte er auch 
nicht, in einem Lande, wo die Natur selbst schon einschläfernd 
auf den Organismus wirkt und wo man ziemlich allgemein dem 
Worte: „Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht” eine dem trägen 
Sinn der Bevölkerung entsprechende Deutung zu geben pflegt? 
Alle Faktoreien sind geschlossen, alle Geschäfte stehen still, der 
civilisirte Liberianer steckt sich in seinen Sonntagsschmuck und 
seht zur Kirche oder verträumt den Tag zu Hause. Auch der 
Krooman ist an diesem Tage frei und pflegt, obschon er sich 
mit seinem Fetischdienste dem Christenthum gegenüber bis jetzt 
„kühl ‚bis an’s Herz hinan” verhalten hat, der Sonntagsruhe 
mit einem Wohlbehagen und einer Würde, die einem guten 
Gläubigen alle Ehre machen würde. | 
Einer der anwesenden Männer kommt auf mich zu und reicht 
mir die Hand, mich in dem diesen Leuten eigenthümlichen 
Englisch einladend, in sein Haus zu treten ‚und etwas auszu- 
ruhen. Ich bin über dieses etwas zudringliche Entgegenkommen 
des hosenlosen Gentleman nicht wenig erstaunt, da ich mich 
nicht erinnere, ihn je zuvor gesehen zu haben. Es stellt sich 
aber heraus, dass es Jack after supper, der Hauptmann (headman) 
des Bootes ist, mit den uns Herr WıcmAan von Bord holte. Wer 
sollte aber von einem Neulinge verlangen, dass er gleich ein 
Negergesicht von dem andern unterscheidet? Das ist geradezu 
unmöglich, und man hat auch später, nachdem man sich schon 
etwas gewöhnt hat, Verschiedenheit in den erst ganz gleich 
aussehenden Gesichtern zu finden, noch oft genug seine liebe 
Noth, ein einmal gesehenes, wenn auch noch so markantes 
Gesicht zwischen den vielen andern gleich wieder herauszufinden. 
Alle haben sie ja die gleiche Farbe, das gleiche platte, fettglän- 
zende Gesicht, das gleiche von den Stirnhaaren bis auf die Nase 
reichende, dunkel blaugrüne Stammeszeichen, und an den Kleidern, 
d.h. an dem um die Hüften geschlagenen Taschentuche, den 
zahlreichen Elfenbein- und Kupferringen an den nackten Armen 
und Beinen und den Strumpfbändern, zu welchen regelmässig 
die Strümpfe fehlen, sind sie ebensowenig leicht zu erkennen. 
Mit diesem meinem Cicerone also sah ich das Innere seiner 
Hütte genauer an. Alle diese Häuschen sind ungefähr nach 


demselben Modell gebaut, nur das eine etwas grösser und 
comfortabler von Innen, das andere kleiner und ärmlicher. Alle 
haben eine rechteckige Form; das Dach, ähnlich wie unsere 
Strohdächer, aber aus Palmblättern hergestellt, ruht auf einem 
einfachen Gerüste von in den Grund gerammten Pfählen, und 
die vier Wände bestehen aus einem mattenartigen, sehr soliden 
Flechtwerke von der Rinde der grossen Palmblattschäfte. Eine 
nicht sehr hohe Thüröffnung, die des Nachts durch eine von 
innen vorschiebbare, starke Matte verschlossen werden kann, 
dient als Thüre und ist oft die einzige Oefinung, die zugleich 
als Thüre, Fenster und Schornstein dienen muss. Besser einge- 
richtete Hütten besitzen freilich auch eine oder zwei, wenn auch 
noch so kleine, Fensteröffnungen, und in diese Kategorie gehörte 
auch diejenige, welche ich nun zu betreten die Ehre hatte. Sie war 
‘von innen vertheilt in einen Wohnraum und ein Schlafkabinet. 
In dem grossen Wohnraume sah es kahl genug aus. Keine Matte 
bedeckte den aus festgestampftem Lehm bestehenden Fussboden, 
und ausser einigen halben Stücken Rundholz, die den Tag über 
als Stühle, des Nachts als Kopfkissen dienen, war kaum etwas 
zu sehen, als ein Häufchen Asche mitten im Raume, das die bei 
Regen immer, bei schönem Wetter nur des Nachts benutzte 
Feuerstätte andeutete. Im Schlafraume, der jedoch nur durch 
den Herrn des Hauses mit einer seiner Gemahlinnen benutzt 
wird, herrschte jedoch ein für die Verhältnisse dieser Leute ganz 
bedeutender Comfort. Ein ungemein zierlich aus Palmwedelstielen 
konstruirtes Bettgestell, mit saubern Matten und inländischen, 
schweren Baumwollstoffen bedeckt, wurde mir als Ruhebank 
angewiesen. An den Wänden standen einige sorefältig ver- 
schlossene Kisten und Koffer, die Vorräthe und Schätze des 
Hausherrn enthaltend, und im Lichte der zierlich eingefassten 
Fensteröffnung fand ich, dass der Mann auf kunstsinnige Weise 
seine vier Wände mit Bilderbogen aller Art bekleidet hatte, 
wobei mir eine stark ausgesprochene Vorliebe für schöne, etwas 
tief decolletirte weisse, Damen nicht entgehen konnte. Der gute 
Mann, wer könnte ihm diese Marotte übel nehmen? Doch auch 
diese Dekoration ist seither (1883) in einem grossen Brande, 
der die ganze Krootown in Asche legte, zu Grunde gegangen. 


rag 


Die ganze Stadt hat jetzt ein anderes Aussehen. Die Häuschen 
sind schöner und solider wieder aufgebaut, aber nicht mehr 
in der frühern malerischen Unordnung, sondern nach einem 
bestimmten Plane in langen, geraden Reihen, zwischen denen 
sich breite Gassen hinziehen. So ist die Krootown nun wirklich 
ein Städtchen geworden, das durch den Neubau viel gewonnen 
hat; aber ein gewisser Zauber, der malerische Reiz, hat darunter 
sar sehr gelitten, obschon die Leute dieselben geblieben sind 
und nach wie vor ein Leben voll paradiesischer Unschuld zu 
führen scheinen, 


Haus in Krootown bei Monrovia. 


Ein ähnliches Krudorf, das ich an einem der folgenden Tage 
zu besichtigen die Gelegenheit hatte, liegt gegenüber Monrovia 
am andern Ufer des Messuradoflusses, wo auch das WOERMANN- 
sche Kohlenmagazin sich befindet. Während die Krootown bei 
Monrovia die holländische Faktorei mit Arbeitern und Boots- 
leuten versieht, bezieht die WorRMAnN’sche die ihrigen fast 
ausschliesslich aus der andern, die darum auch wohl die deutsche 


Ahr \ 0 


Krootown genannt wird. Sie ist jedoch weniger gross und jetzt 
ebenfalls neu gebaut, da sie mit dem dazu gehörigen Grund und 
Boden — sie lag ganz nahe an der Mündung des Flusses, auf dem 
sogenannten Kroo-point — vor ein paar Jahren durch eine Sturm- 
fluth, welche die Barre vor der Flussmündung durchbrochen, wegge- 
schlagen wurde. Nahe bei diesem zweiten Krudorfe, etwas mehr 
landeinwärts bei der Mündung des Stockton Creek, liegt Veytown, 
die Residenz des einflussreichen Königs VEy-JoHn (sein englischer 
Name ist JoHn GRAY). Dieses Dorf macht jedoch durchaus nicht 
den Eindruck einer fürstlichen Residenz, sondern ist ein recht 
armseliges Nest von einigen kleinen, meist kreisrunden und 
ovalen Hütten, deren Wände entweder aus Palmblattschäften 
oder mit Thon beschmiertem Flechtwerk (sogenanntem Wickelwerk) 
bestehen, auf denen das konische, aus Palmblättern construirte 
Dach sitzt. Da die Bauart und innere Einrichtung der Häuser des 
Veystammes im ethnographischen Theile ausführlicher behandelt 
werden wird, so unterlasse ich an dieser Stelle eine eingehende 
Schilderung. König Vey-JoHn, den wir bereits früher in Monrovia 
kennen gelernt hatten, ist ein grosser, starker Mann von mitt- 
lerem Alter, der trotz seinem süsslich einfältigen, nichtssagenden 
Gesichte ein sehr geriebener Schlaukopf ist, den man sich 
seines bedeutenden Einflusses wegen (er ist ein Glied der später 
zu erwähnenden, grossen Familie Gray) gern zum Freunde hält. 
Er trug als Zeichen seiner Würde einen rothen Fez, wie sie in 
den Faktoreien verkauft werden, und über seine Schultern ein 
talarartig bis zu den Knieen herabhängendes, ärmelloses Hemd 
von inländischem, gestreiftem Baumwollzeug, den sogenannten 
Country-gown, und nahm schmunzelnd die zwei Flaschen Bier 
in Empfang, die ich ihm als Geschenk aus der Faktorei mitge- 
bracht. Seine Kleidung ausgenommen, zeichnete er sich äusserlich 
in nichts vor seinen halbnackten Unterthanen aus, und auch 
sein Palast stach nicht von den ihn umgebenden, armseligen 
Hütten ab. Sein Reichthum und sein Stolz sind seine zahlreichen 
Frauen und Kinder, von denen erstere im ganzen Gebiete des 
Veystammes zerstreut sind und ab und zu auf einer Rundreise 
besucht werden. Von ihm hatte Herr Wıscman drei seiner Söhne, 
grosse, starke Kerle von 18—24 Jahren, von denen der eine 


ea 
schon zwei, der andere sogar drei Frauen sein eigen nannte, 
für uns als ständige Bediente gemiethet, jeden für sechs Dollars 
nebst Kost per Monat. Der eine, PETER, sollte uns als Koch und 
Hausjunge, die zwei andern, FRAnk und THomaAs, als Jagdbur- 
schen dienen. Die Besoldung wurde regelmässig alle Monate durch 
den Vater auf der holländischen Faktorei in Empfang genommen. 
Vey-Joun macht auf diese Weise ein ganz bedeutendes Geschäft, 
da er nicht nur seine eigenen Söhne und Sklaven, sondern auch 
Söhne und Töchter seiner Unterthanen als Bediente und Arbeiter 
an Weisse und Liberianer vermiethet und dabei ganz bedeutende 
Prozente der bedingten Löhnung als Provision in seine eigene 
Tasche steckt)). | 

An einem der letzten Tage machten wir mit unsern neuen 
boys — in Liberia allgemein üblicher Name für Bediente jeden 
Alters, also nicht mit „Knabe’” zu übersetzen — eine Flussfahrt 
den Messurado hinauf?) nach der etwa 12 miles flussaufwärts. 
gelegenen liberianischen Niederlassung Paynesville. Es kostete erst 
einige Mühe, um in dem schmalen, aus einem Baumstamme 
sehöhlten Canoe das Gleichgewicht zu bewahren, doch gewöhnten 
wir uns sehr rasch daran. Es machte den boys offenbar viel 
Vergnügen, uns durch ihre Kraft und Gewandtheit im Rudern 
zu imponiren, und so flog denn das leichte Fahrzeug unter den 
taktmässigen Schlägen der tief eingesetzten, schaufelförmigen 
Ruder wie eine Windsbraut über die glatte Wasserfläche hin. 
Bald lag Monrovia einerseits und das buschbedeckte Perseverance 
Island — eine kleine, als erster Wohnplatz der Gründer Liberia’s 
historisch gewordene Insel mitten im Flusse — andererseits, hinter 
uns. Der stellenweise wohl 1 mile breite Fluss hat kein merk- 
bares Gefälle und zieht sich, zahlreiche Windungen bildend, in 
ostwestlicher Richtung dem Fusse des dem Westende zu stets höher 
werdenden Vorgebirges gleichen Namens entlang. Die Fluth der 
See ist flussaufwärts bis an den Ursprung bemerkbar, und demzu- 


ı) Die grössten Gewinne hat er jedenfalls mit der Lieferung von boys an 
die Panamakanal-Gesellschaft erzielt, welche wiederholt ihre Agenten zur 
Anwerbung von eingebornen Arbeitern nach Liberia sandte. Auch in Grand 
Cape Mount wurden zahlreiche Veyneger zu diesem Zwecke angeworben. 

?) Siehe die Textillustration am Anfange dieses Capitels, 


Monrovıa, 


MESSURADO RIVER, PERSEVERANCE ISLAND 
‚, UND S'TOCKTON CREEK. 


el 


folge sind seine Ufer, besonders das flachere linke, stellenweise 
mit Pandanus (P. candalabrum), hauptsächlich aber mit dichtem 
Mangrovewald bestanden, dessen weit über das Wasser hinaus- 
reichende Aeste mit den dicken, Tauen gleich in das Wasser 
herabhängenden Luftwurzeln jede Landung unmöglich machen. 
Das thierische Leben war nicht gerade reich zu nennen, denn 
ausser einigen Schwalben — unsere gewöhnlichen Rauchschwalben 
. (Hirundo rustica), die ihre Winterquartiere hier bezogen hatten — 
ein paar Seeadlern und schönen Eisvögeln, welche letztere hier 
sehr unverdienterweise diesen Namen tragen, war nichts Nennens- 
werthes zu sehen. Man hatte uns freilich versichert, dass Krokodile 
dem Flusse entlang häufig gesehen würden, aber trotz scharfen 
Auslugens war keines dieser gefürchteten Thiere zu erblicken. 
Gegen Mittag legten wir in Paynesville an und erfrischten uns 
an einer Kürbisschale voll frischen Palmweins, der uns vortrefflich 
mundete. Hierauf wurden wir durch einen neben dem Lan- 
dungsplatze wohnenden Pflanzer freundlich aufgenommen und 
in seinem ländlich einfach eingerichteten Hause gastfreundlich 
bewirthet, wobei wir zum erstenmale mit einem dort sehr 
beliebten inländischen Gerichte, Tomboy genannt, Bekannt- 
schaft machten. Nachdem wir ein paar Stunden, während der 
srössten Mittagshitze, ausgeruht und uns die durch zahlreiche 
liberianische Farmersfamilien bewohnte, savanenartige Umgebung 
etwas angesehen, kehrten wir wieder zur Stadt zurück, wo wir 
gegen Dunkelwerden wohlbehalten anlangten. 

Wir waren nun allmälig mit unsern Vorbereitungen zu dem 
geplanten Jagdzuge zu Ende gekommen. Um für diesen einen 
direktern Ausgangspunkt zu gewinnen, hatten wir auf Anrathen 
des Herrn Wıcman beschlossen, mit unserer Bagage vorläufig 
zu Wasser nach der Mühlenburg-Missionsstation am rechten Ufer 
des St. Paul, in der Nähe der ersten Wasserfälle, zu ziehen, 
wo Rev. D. A. Day als Missionär einer amerikanisch-lutherischen 
Gesellschaft residirt. Um genannten Herrn von unserer Ankunft 
zu benachrichtigen und ihn um freundliche Unterstützung unserer 
Unternehmung zu bitten, hatten wir zwei unserer boys per Canoe 
an ihn abgesandt und sahen nun mit Verlangen ihrer Rückkunft 
entgegen. 


I  O 


Bevor ich jedoch meine freundlichen Leser bitte, uns auf unserm 
ersten Jagdzuge in’s Innere zu begleiten, dürfte es erwünscht 
sein, etwas vorzugreifen und eine allgemeine Uebersicht über 
oro- und hydrographische, geologische, klimatologische und ge- 
sundheitliche Verhältnisse des Landes zu geben, wodurch das 
Verständniss der nachfolgenden Reiseskizzen erleichtert und 
allzuhäufiges Abschweifen von meinem Thema am leichtesten 
vermieden werden kann. 


INA 


Allgemeiner Charakter des Landes. 


Bodengestaltung: Geo- 
graphische Lage. — Küstenlinie 
und Vorgebirge. — Sumpfgürtel 
und Grassteppen. — Hügelland. 
— Die Hochebene. — Das Kong- 
gebirge. — Geologisches: 
Eisenhaltiger Thon. — Felsfor- 
mationen. — Laterit. — Wasch- 

Felsige Küste mit Brandung. sold. - Kupfer. — Bewässe- 

rung: Ursprung und Lauf der 

Flüsse. — Ihr Nutzen als Verkehrswege. — Die O'reeks. — Das Canoe als Trans- 
portmittel.— Jahreszeiten: Allgemeines. — Die Trockenzeit (Winter). — Ueber- 
sang zur Regenzeit (Frühling). — Die Regenzeit (Sommer). — Uebergang zur 
Trockenzeit (Herbst). Klima und Gesundheitszustand: Die Temperatur 
und ihr Einfluss auf die Gesundheit der Weissen — Ueber Akklimatisation. — 
Verdauungsstörungen. — Gallenfieber und Gelbsucht. — Dysenterie. — Sonnen- 
stich. — Die Sumpffieber (Malaria). — Degeneration des Blutes. — Hydrops. — 
Hautwunden und Geschwüre. — Die prickly heat. — Mosquiten. — Der Sandfloh. 


Liberia bildet, wie ein flüchtiger Blick auf die Karte zeigt, 
einen Theil der Westküste des tropischen Afrika, speziell von 
Oberguinea, wie die Küstenstrecke von Sierra Leone bis zum 


En a ie 


Kamerun hinunter genannt wird. Früher, vor der Gründung 
der Republik, war das Land jedoch allgemein unter dem Namen 
Pfefferküste bekannt, nach dem dort wachsenden sogenannten 
Guineapfeffer (Amomum granum paradisi Afzel.). Im Nordwesten 
srenzt das Land an die englische Colonie Sierra Leone, im 
Südosten an die Elfenbein- oder Zahnküste, während gegen das 
Innere hin seine Grenzen wohl auf der Karte, in Wirklichkeit 
aber nichts weniger als genau bestimmt sind. 

Die in nordwest-südöstlicher Richtung laufende, ziemlich gerade 
Küstenlinie ist durchgehends ein nur wenige Meter über die See 
erhabener, sandiger Strand, hinter dem sich eine meist sehr 
niedrige, oft felsige Bodenerhebung hinzieht. Diese Küstenlinie 
wird unterbrochen durch die vielen aus dem Innern kommenden 
Flüsse, sowie durch mehrere in Form und Beschaffenheit einander 
sehr ähnliche Vorgebirge, die alle in westlicher oder nordwestlicher 
Richtung in die See hinausragen und hinter ihrem Nordabhange 
mehr oder weniger bedeutende Meerbusen bilden, welche den 
einlaufenden Schiffen gute Ankerplätze bieten. Die bedeutend- 
sten dieser Vorgebirge haben steile Süd- und Westabhänge 
mit vorgeschobenen Felsköpfen, an denen sich die schwere 
Brandung tosend. bricht. In jeder dieser durch die Vorgebirge 
gebildeten Buchten finden sich regelmässig mehrere (meist drei) 
Flussmündungen zusammengsedrängt ): 

Direkt hinter dem erwähnten Strandwalle liest ein breiter 
Sumpfgürtel, der hie und da mit Grassteppen von oft bedeu- 
tender Ausdehnung abwechselt. Diese Sumpfregion, gar nicht 
oder kaum höher als die See gelegen und vor dieser nur durch 
den Strandwall geschützt, ist ausser den Flussläufen kreuz und 
quer durchzogen von tiefen und oft sehr breiten, stillen, schwarzen 
Wasserstrassen, den sogenannten Oreeks, die sich oft zu bedeu- 
tenden Wasserflächen erweitern. Zur Zeit der Fluth stehen sie 
zum grossen Theile, und während der Regenzeit anhaltend, unter 
Wasser; sie sind mit dichtem Mangrovegebüsch bedeckt, das 
durch die von den Aesten niederhängenden Luftwurzeln das 


ı) Ein Versuch, diese Eigenthümlichkeit zu erklären, findet sich im 
14. Oapitel. 


Aussehen eines auf Millionen von Stelzen stehenden Waldes 
erhält. 

Grosse Landzungen und Inseln von höhergelegenem Land sind 
jedoch in dieser Sumpfregion nicht selten, und diese sind ent- 
weder das ganze Jahr hindurch oder wenigstens während der 
Trockenzeit von Eingebornen bewohnt, die dort ihren Reis 
bauen, Palmöl bereiten und dem Fischfang obliegen. 

Mit dem landeinwärts allmälig steigenden Boden verschwinden 
Sumpf und Grassteppe und machen einem fertilen Ackergrunde 
Platz, welcher der Hauptsache nach aus einem stark eisenhal- 
tigen Thon besteht, der ganz besonders dem Kaffeebaum zuzu- 
sagen pflegt. Dieser Landstrich, gegen die Küste hin flach 
auslaufend, wird landeinwärts immer hügeliger und hat selbst 
Erhebungen aufzuweisen, die mit vollem Rechte das Prädikat 
eines Berges oder Bergzuges verdienen. Dieses Gebiet ist ziemlich 
dicht durch Eingeborne und, wenn auch nur den Wasserstrassen 
entlang, durch aus Amerika herübergekommene, schwarze Ansiedler 
bewohnt, welche Letztere hier ihre Kaffee- und Zuckerpflan- 
zungen angelegt haben. 

Die mehr bergige Gegend nach dem Innern hin ist verhältniss- 
mässig nur schwach bevölkert und der weite Urwald nur stellen- 
weise etwas gelichtet, um einem ärmlich aussehenden Dorfe von 
Eingebornen mit seinen umliegenden Reis- und Maniokfeldern 
Platz zu machen. 

Hinter diesem mehrere Tagereisen breiten, waldbedeckten 
und wohlbewässerten Hügellande beginnt eine weite, weide- 
reiche Hochebene, die sogenannte Mandingofläche. Diese 
letztere ist jedoch nicht aufzufassen als eine unabsehbare Gras- 
steppe, sondern eher als eine wohlundulirte, selbst mit hohen 
Hügeln durchsetzte Hochebene, aus der sich 10—20 Tagereisen 
weit im Innern die langen, querdurchbrochenen Züge des soge- 
nannten Konggebirges !) erheben um die Hochebene und somit 
die Quelländer der liberianischen Flüsse von dem ausgedehnten 
Stromgebiete des Niger zu scheiden. 


ı) Eigentlich ein Pleonasmus, da in der Sprache der Mandingo „Kong” 
gleichbedeutend ist mit Berg. 


EN 


Ueber die geologischen Verhältnisse des Landes weiss ich nur 
wenig mitzutheilen, da die zoologischen Untersuchungen meine 
volle Zeit in Anspruch nahmen und ich mich nicht in dem Maasse 
mit geologischen Studien beschäftigen konnte, wie ich wohl gerne 
sewollt hätte. 

Wie bereits angedeutet, besteht der Boden des ganzen höher- 
gelegenen Gebietes aus einem stark eisenhaltigen, rothen Thon. 
Dieser enthält in bedeutender Menge Gerölle von Erbsen- bis 
Wallnussgrösse, die in Form und Gewicht durchaus den Eindruck 
von Bohnerz machen. Selbst die höchsten Hügel sind mit dieser 
Thonerde bedeckt, die ohne Zweifel als das Verwitterungsprodukt 
der Gesteinsmassen betrachtet werden muss, welche den Kern 
dieser Hügel bilden. Ein flüchtiger Blick, den ich auf meiner 
Heimreise bei einem Besuche in Sierra Leone auf die dortigen 
geologischen Verhältnisse werfen konnte, hat mir dasselbe Bild 
gezeigt. Auch dort sehen die Strassen infolge des eisenhaltigen 
Thones ganz roth aus. 

Eigenthümlich ist auch die in beinahe allen Tropengegenden 
vorkommende, unter dem Namen Laterit bekannte Gesteinsart, 
die als eine dicke, poröse Kruste die zu Tage tretenden Fels- 
partien bedeckt und jedenfalls ihre Entstehung einer Umwand- 
lung des unterliegenden Gesteins durch meteorologische und 
chemische Einflüsse zu danken hat. 

Mit Rücksicht auf die bisherige gänzliche Unbekanntheit der 
geologischen Verhältnisse Liberia’s dürfte es am Platze sein, 
meine mitgebrachten Gesteinsproben, soweit dieselben makros- 
kopisch bestimmt werden konnten, hier anzuführen , und zwar 
in einer Reihenfolge, die im Westen beginnt und nach Osten 
hin fortschreitet. 

1. Gabbro, aus einem Steinbruch am Nordabhang des Cape 
Mount-Gebirges, bei meiner Jagdstation in Robertsport. 

2. Quarzitgerölle, reich an weissem Glimmer, aus einem 
Bergbache desselben Gebirges. 

3. Amphibolit, von den Stromschnellen der St. Paul "bei 
meiner Jagdstation Bavia. 

4. Gerölle von wasserhellem Quarz, von derselben 
Lokalität. 


rg u 


5. Grünstein, aus einem Steinbruch am Nordabhang (nahe 
dem Rücken) des Vorgebirges Messurado !). 

(N.B. Dr. Lenz (Verh. der. k. k. Reichsanstalt, 1878, p. 2, 
will in Monrovia Gabbro angetroffen haben). 

6. Felsstück, worin eine Druse mit vielem Kupfer 
auf Kalkspath, aufgelesen auf dem Rücken des nämlichen 
Vorgebirges, nahe dem Fundorte von N? 5. 

7. Schwammartig durchlöcherter Laterit, vom Rücken 
des Vorgebirges Messurado. 

8. Magneteisenerz in kleinen Krystallen, aus dem 
Hinterlande des Junk Rivers. 

9. Grobkörniger Glimmerschiefer, aus dem Pessy-Lande, 
mit grossen Blättern von hellem Kaliglimmer. 

10. Glimmerreicher Flussand, aus dem Du Queah River. 

11. Grauer Gneiss aus einer felsigen Waldschlucht bei Hill 
Town am Du Queah River, in nackten, Cascaden bildenden 
Querriegeln, die von SW. nach NO. streichen und nach SO. fallen. 

12. Conglomerat, bestehend aus glimmerreichen, abgerollten 
Knollen, die in einer eisenharten, ebenfalls glimmerreichen Cement- 
masse eingebacken sind, vom Du Queah River oberhalb Bapua’s 
Town, wo er hohe Steilufer bildet. Die Abstammung dieses Gesteins 
ist nicht festzustellen. 

13. a) Schieferiger Quarzit, b) grobkörniger Quarzit, 
in Thon, wahrscheinlich dem Verwitterungsprodukt von Gneiss, 
eingebettet, vom nordöstlichen Fusse des sogenannten Saddle Hill 
am Du Queah River. 

14. Grauer Gneiss von den Stromschnellen und dem ersten 
Wasserfall des Du Queah. Die Schichten streichen WNW. OSO., 
fallen SSW. und sind ziemlich steil aufgerichtet. 

15. Grauer Gneiss mit rothen Granaten, von Felsen 
hinter Fishtown (Grand Bassa). 


ı) Dr. BERNHARD SCHWARZ, der seiner Zeit auf der Durchreise Monrovia 
besuchte und nachher im „Ausland” an der Hand eigener Beobachtungen 
und meiner „Mededeelingen over Liberia” eine Reihe von Artikeln über 
Liberia veröffentlichte, will am Fusse des Vorgebirges Messurado „schwarze 
Basaltblöcke” (!) gesehen haben, (Ausland 1888, p. 9). 


IS SRN 


16. Hornblendereicher Gneiss, von den in die See 
vorspringenden Felsen bei Bassa Cove, Fishtown. 

N.B. Herr G. GörIcH in Breslau!) will in Grand Bassa, wo 
er Gelegenheit hatte, Bootsballast zu untersuchen, Olivin-Diabas 
gefunden haben. Da zwischen diesem Platze und River Cess, von 
woher ich selbst Diabas mitbrachte, ein reger Bootverkehr besteht, 
möchte genannter Ballast wohl von letzterem Platze abkünftig sein. 

17. Grauer Gneiss, von der zweiten Stromschnelle des St John. 

18. Glimmerarmer Gneiss (feinkörniges Aggregat von Feld- 
spath und Quarz mit wenig Magnesiaglimmer, deutlich sn 
Tom Wırr’s Town, Little Culloh. 

IIKSornAEer Bean (Diabas?), von den Felsen der 
Küste bei River Cess. 

20. Gneiss, zum Theil sehr grobkörnig, vom ersten Wasserfalle 
des Sinoe Eiras. 

Es findet sich also hier eine archäische Formation von vorherr- 
schend grauen Gneissen, zum Theil mit Granaten, mit einge- 
lagerten, grobkörnigen und schieferigen Quarziten, untergeordnet 
Glimmerschiefer und schieferige Amphibolite. Daneben kommen 
Eruptivgesteine vor, vermuthlich Diabas und Gabbro. Ob die 
Eruptivgesteine (Grünsteine) die Gneissformation , deren Schichten 
überall stark (am Cap Palmas sogar senkrecht) aufgerichtet sind, 
durchbrochen haben, oder ob sie ihr als Lager eingeschaltet sind, 
lässt sich nicht entscheiden. Als Verwitterungsprodukte aller 
dieser Eruptivgesteine kommen weit verbreitet Laterite vor. Das 
Kupfererz mit Kalkspath (N? 6) dürfte aus einem in Diabas 
aufsetzenden Gange abkünftig sein. Da die an den Fällen ver- 
schiedener Flüsse gesammelten Gesteine fast ausschliesslich 
Gneisse sind, so darf mit einiger Sicherheit angenommen werden, 
dass auf einen gewissen Abstand von der Küste, und mehr 
oder weniger parallel mit dieser Letztern, Gneissbarrieren sich 
hinziehen, über welche die Flüsse sich hinunterstürzen. 

Mit Ausnahme von Eisen‘) wird in Liberia kein Mineral 


ı) Beiträge zur Geologie von Westafrika, Zeitschrift der deutschen Geolo- 
gischen Gesellschaft, 1887, p. 116. | 
°, Näheres über dessen Gewinnung und Verarbeitung später. 


sewonnen. Das Gold, welches nach den Angaben des liberianischen 
Reisenden AnDERSon auf der Mandingoebene, in Buley und an 
andern Orten, gefunden wird !), gelangt nicht mehr wie früher 
nach Monrovia, sondern geht schon seit Jahren die westliche 
Handelsstrasse nach Sierra Leone. Das Muttergestein dieses Metalls, 
wie vielleicht auch dasjenige des Kupfers, dürfte ein alter Quarzit 
sein, dessen Vorkommen ich an verschiedenen Lokalitäten con- 
statiren konnte. 

Petrefactenführende Gesteine habe ich nirgends angetroffen. 

Der ganzen Bodengestaltung entsprechend ist die Erscheinung 
der Wasserläufe. Eine bedeutende Zahl der liberianischen Flüsse, 
selbst solcher von ansehnlicher Breite, entspringt in der wald- 
bedeckten Hügelregion, wird durch zahllose, klare Waldbäche 
senährt und durchschleicht in trägem Laufe, grosse Krüm- 
mungen bildend, den Sumpfgürtel, um hinter grossen Sandbänken 
(Barren) eine verhältnissmässig geringe Wassermasse dem Meere 
zuzuführen. Die Mehrzahl dieser Gewässer führt nur während der 
Regenzeit eine bedeutende Wassermenge in das Meer ab; in der 
Trockenzeit versandet gewöhnlich ihre Mündung gänzlich, so dass 
man trockenen Fusses dem Strande entlang von einem Ufer zum 
andern gelangen kann. Andere Flüsse, ebenfalls nicht in geringer 
Zahl, kommen aus der Hochebene, einige, wie der St. Paul, 
St. John und der Cavally River, wahrscheinlich sogar aus den 
Thälern des Konggebirges herunter. In raschem, vielfach durch 
Wasserfälle und Stromschnellen unterbrochenem Laufe durcheilen 
sie das Hügelland und treten dann als breite, ansehnliche Ströme 
in das flache Tiefland hinaus, um in langsamem Laufe, der durch 
die weit hinauf bemerkbaren Gezeiten bedeutend beeinflusst wird, 
dem Meere zuzuströmen. In den Sumpfgürtel eingetreten, erweitern . 
sie sich oft zu grossen Wasserbecken und stehen vielfach durch 
die das Sumpfgebiet durchziehenden Creeks in gegenseitiger 
direkter oder indirekter Verbindung, so dass man oft zu Wasser 
aus einem Flusse in den andern gelangen kann, ohne den Umweg 
zur See, der infolge der schweren Brandung stets einigermassen 
gefährlich ist, machen zu müssen. 


!) AnDERSoN, Journey to Musardu, p. 101. 
LIBERIA, 1. 4 


Ba 


Alle liberianischen Flüsse bilden bis mehr oder weniger weit 
in die Hügelregion hinein gute Wasserstrassen für Ruderboote, 
und würden selbst für kleinere Dampfboote mit nicht allzu 
bedeutendem Tiefsange auch in der Trockenzeit passirbar sein. 
Das gewöhnlichste und beliebteste Fahrzeug der Liberianer ist 
das Canoe (Einbaum), in dem man jeweilen bis an den Fuss 
der ersten Stromschnellen gelangen kann. Die Länge des Unter- 
laufes der liberanischen Flüsse ist sehr verschieden. Während 
im st. Paul die ersten, oder besser gesagt, die letzten Strom- 
schnellen nur 20 Meilen von der Küste entfernt sind, können 
andere viel weiter hinauf, der Cavally River sogar bei 60 Meilen, 
in Canoes befahren werden. Da diese Wasserstrassen in Liberia 
zugleich die einzigen Verkehrswege sind, so haben die aus 
Amerika eingewanderten farbigen Ansiedler (Liberianer) nament- 
lich die Ufergegenden an den fahrbaren Unterläufen in Besitz 
genommen, den Wald ausgerodet und Niederlassungen gegründet. 

Wie alle Tropenländer hat auch Liberia seine Trocken- und 
seine Regenzeit. Die Trockenzeit fällt zusammen mit dem nor- 
dischen Winter, die Regenzeit mit unsern Sommermonaten. Da 
die schweren tropischen Regen stets dem höchsten Stande der 
Sonne folgen, so hat die Gegend unter dem Aequator und in 
dessen unmittelbarer Nähe jährlich zwei Regenzeiten, nämlich 
jeweilen zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche im Frühling und 
Herbst, und demgemäss auch zwei Trockenzeiten, von denen die 
eine mitten in unsern Winter, die andere mitten in unsern 
Sommer fällt. Unter den beiden Wendekreisen dagegen, wo die 
Sonne je einmal im Jahre senkrecht steht, hat man dement- 
sprechend auch nur eine Regen- und eine Trockenzeit. Unter 
dem Wendekreise des Krebses (234° N. B.) fällt somit die Regenzeit 
mit dem Sommersolstitium (unserm längsten Tage) zusammen und 
ist sie ziemlich kurz, während die grössere andere Hälfte des 
Jahres die Trockenzeit bildet. Selbstverständlich findet unter 
dem Wendekreise des Steinbocks gerade das Umgekehrte statt 
und fällt dort die Regenzeit in unsern Winter, die grosse Trock- 
enzeit aber in unsern Sommer. 

Nun erreicht die Sonne in Liberia, infolge der geographischen 
Lage des Landes zwischen 4°20’ und 7° N.B., ihren höchsten Stand 


EN = 


ungefähr um Mitte April und gegen Ende August, in zwei einander 
so naheliegenden Zeitpunkten, dass die zweite Regenzeit, mit der 
Rückkehr der Sonne vom nördlichen Wendekreise, bereits einsetzt, 
bevor die erste noch ganz zu Ende ist. Man spricht daher in 
Liberia nur von einer Regen- und einer Trockenzeit, obschon 
die Regenzeit gewöhnlich durch eine Reihe von schönen Tagen, die 
man die kleine Trockenzeit nennen könnte, unterbrochen wird. 
Man darf aber die grosse, in unsern Winter fallende Trocken- 
zeit nicht als völlig regenlos auffassen, da dieselbe ebensogut 
ihre Regengüsse, wie die Regenzeit, auch abgesehen von der 
kleinen Trockenzeit, ihre trockenen Tage hat. Beide Jahreszeiten 
sind getrennt durch kurze, gewitterreiche Uebergangsperioden , 
die Zeit der Tornados!) genannt, welche unserm Frühling und 
Herbst entsprechen. Obschon also eigentlich zwischen den beiden 
Jahreszeiten keine scharfen Grenzen bestehen, so wird doch 
allgemein angenommen, dass die Trockenzeit um Mitte November 
oder Anfang Dezember beginne und mit Ende April abschliesse. 
Dieselbe würde somit fünf, die Regenzeit aber sieben Monate 
des Jahres in Anspruch nehmen. 

Während der ersten Hälfte der Trockenzeit weht ein Alles 
austrocknender, besonders während der Nacht und des Morgens 
für dieses Klima empfindlich kalter Landwind, der sogenannte 
Harmattan, mit bedeutender Heftigkeit, und es fällt während 
dieser Zeit so gut wie kein Regen. Wohl aber ist die Luft mit 
feinen Sand- und Staubtheilchen erfüllt, die aus den nördlicher 
gelegenen Hochflächen herübergeweht werden. Unter dem Ein- 
flusse des Harmattan trocknen die Sümpfe theilweise aus, die 
Creeks und Waldbäche werden kleiner, die ausgetretenen Flüsse 
ziehen sich in ihr Bett zurück und das Wasser derselben, in 
der Regenzeit trübe und gelb, wird hell und klar. Die nasse 
Erde giebt eine erstaunliche Menge von Wasserdampf ab, der 
sich in den kalten Nächten als Nebel und Thau niederschlägt, 
so dass der Jäger jeden Morgen, nach kurzem Marsche durch 
Gras und Busch, wie von Regen triefend nach seiner Hütte 
zurückkehrt. 


!) In Liberia hat das Wort Tornado allgemein die Bedeutung von Gewitter. 


na: 


Nur die Monate Januar und Februar bleiben so zu sagen 
sänzlich regenfrei. Während dieser Zeit schlagen Eingeborne und 
Ansiedler die für ihre Farmen nöthigen Stücke Wald nieder. 
Nach einigen Tagen ist das Astwerk trocken und wird es wegge- 
brannt, während die gefällten Baumstämme und die oft 10 und 
mehr Fuss hohen Baumstümpfe — so hoch werden manchmal 
die Baumstämme abgehackt — halb verkohlt zurückbleiben. 

Schon gegen Ende Februar bedeckt sich der Himmel wieder 
mit Wolken, und dumpfer Donner kündigt erst vereinzelt, bald 
aber fast täglich einen Tornado an, obwohl lange Zeit kein 
Regen fallen zu können scheint. Endlich aber gelangt ein Tornado, 
angekündigt durch furchtbaren Sturm, zum Durchbruch — der 
erste Regen fällt. Von diesem Zeitpunkte an werden die Gewit- 
ter immer häufiger, bis sie gegen Ende März und noch mehr im 
April beinahe alltägliche Erscheinungen sind. Die Pflanzenwelt, 
die während der heissen Monate, Januar und Februar, in ein 
Stadium von Sommerschlaf getreten, wobei manche Bäume und 
Sträucher ihren Blätterschmuck abwerfen, erwacht unter dem 
mächtigen Einflusse der wieder eintretenden Regengüsse zu neuem 
Leben, kleidet sich in frisches Grün und entfaltet die ganze 
Pracht und Fülle einer grossartig üppigen Tropennatur. 

Dies ist die günstigste Zeit zur Bestellung der Felder. Reis 
und Mais werden zwischen die wirr über- und durcheinander- 
liegenden, angebrannten Stämme und Aeste hineingesäet und 
nachher oberflächlich in den Boden eingekratzt, wobei sich die 
Holzasche mit der Erde vermengt. Die immer häufiger werdenden 
Regengüsse bringen die Körner in dem durchwärmten und derart 
sedüngten Boden bald zum Keimen; die junge Saat schiesst 
unter Thau und Regen üppig auf und steht nach zwei Monaten 
in voller Blüthe. 

Mit dem Monat Mai machen die Gewitter mehr und mehr 
einem allgemeinen Landregen — der eigentlichen Regenzeit — 
Platz. Der Himmel ist fast beständig bewölkt, und es regnet, 
wie man zu sagen pflegt, um jede Kleinigkeit. Regenfreie Tage 
werden bald eine grosse Seltenheit. Dabei wird die Luft schwül 
und dampfig, denn die Tornados erschüttern und reinigen sie 
nicht mehr, und die vor und nach dem längsten Tage senkrecht 


A > 


über der Erde stehende Sonne macht, obschon sie selten den 
schweren Dunst- und Wolkenschleier zu durchdringen vermag, 
die Hitze von Tag zu Tag unerträglicher. 

So wohlthätig dieser Zustand auch auf die Vegetation wirken 
mag, aufden Menschen, den Eingebornen selbst nicht ausgenommen, 
übt er einen höchst erschlaffenden Einfluss aus. Die mit Wasser- 
dampf geschwängerte Luft ist nicht im Stande, die Produkte der 
erhöhten Ausdünstung des menschlichen Körpers aufzunehmen. 
So macht sich denn ein mühsam zu beschreibendes Gefühl von 
Aufgeblasenheit und Beengtheit seiner Meister, das höchst nach- 
theilig auf Verdauung, Respiration und Nervensystem wirkt und 
dadurch einen schädlichen Einfluss auf die ganze Constitution 
ausübt, welche durch die Trübseligkeit des Wetters noch gestei- 
gert wird. Die gewöhnlichen, lästigen Leberleiden treten während 
dieser Zeit in ihren schlimmsten Stadien auf; überall hört man 
Klagen über gestörte Verdauung; biliöse Fieber sind an der 
Tagesordnung und reduciren die menschlichen Kräfte in merk- 
würdig kurzer Zeit auf ganz bedenkliche Weise. 

Gegen Mitte Juli lichtet sich der Wolkenschleier. Die Sonne, 
die man während und kurz nach ihrem höchsten Stande oft 
tagelang gar nicht zu sehen bekam, bricht, jetzt von Norden 
her, wieder durch, und die zweite Hälfte dieses Monats bietet 
ein äusserst willkommenes Intermezzo von sonnigen, trockenen 
Tagen mit dunstfreier Luft und tiefblauem Himmel mitten in 
der trostlosen Regenzeit. Unterdessen ist der Reis in den Farmen 
zur Reife gelangt, und der Eingeborne beeilt sich, ihn trocken 
einzubringen, da die nun folgende zweite Hälfte der Regenzeit 
ihm dies nicht erlauben würde. 

Nur gar zu bald sind diese schönen Tage, deren Zahl übrigens 
in verschiedenen Jahren 'sehr varlirt, wieder vorbei, und es be- 
sinnen die Regen mit verdoppelter Kraft wieder einzusetzen. 
Es regnet nicht mehr: es giesst in Strömen nieder, Tage und 
Nächte, oft eine Woche lang ohne Unterbrechung. Die in der 
Trockenzeit krystallhell über Felsen und Rollsteine dahinrieseln- 
den Waldbäche werden zu Strömen, die stillen Waldsümpfe zu 
Seen, aus denen Buschwerk und Hochwald traurig emporragen. 
Die Flüsse setzen, wo sie nur ihre Ufer überschreiten können, 


grosse Waldstrecken unter Wasser, stauen alle ihre Zuflüsse 
gewaltsam auf und machen dadurch die Waldwege unpassirbar. 
Gelb und trübe wälzen sie ihre Fluten dahin, das sonst so 
klare Wasser wird ungeniessbar, was jedoch Niemanden hindert, 
da der Himmel Trinkwasser in Strömen niedersendet. Viele Ver- 
bindungen zwischen den verschiedenen Ansiedlungen und Neger- 
dörfern sind dann wegen des abscheulichen Wetters und der 
unpassirbaren Waldpfade unterbrochen. Ganze Tage lang liegt 
der Neger unthätig in seiner Hütte und lebt mit seiner Familie 
von dem Ertrage seiner Reis- und Maisernte, die er oben im 
Dache aufgespeichert, und von einigen Cassaven, die seine Weiber 
unfern seiner Hütte gepflanzt, und lässt sich von dem Geräusch 
des gleichmässig niederprasselnden Regens in Schlaf lullen. So 
streichen unter beinahe anhaltendem Regen die Tage von August 
und September träge dahin, und man glaubt beinahe zu träu- 
men, wenn endlich der schwere Wolkenschleier sich lüftet und 
die liebe alte Sonne, erst scheu und verstohlen, dann aber voll 
und klar auf die nach ihrem Lichte schmachtende Erde niederblickt. 

In October beginnt wieder die Zeit der Tornados. Wilde Ge- 
witterstürme zerreissen den dichten Wolkenschleier mehr und 
mehr; schwere Blitze durchzucken die mit Elektrizität geschwän- 
gerte Atmosphäre; dumpfer Donner rollt über die finstern Wäl- 
der hin, dass die Erde zittert, und prasselnd, wolkenbruchartig 
stürzt der Regen nieder. Im November werden die Regengüsse 
jedoch immer seltener, und bei dem gegen Ende dieses Monats 
wieder einsetzenden Harmattan ist der Donner gänzlich verstummt; 
die Regengüsse bleiben weg. und von den Tornados iSt nichts 
mehr übrig, als ein dann und wann am Abend- und Nachthimmel 
müde aufflackerndes Wetterleuchten — ein sicherer Vorbote der 
anbrechenden Trockenzeit. 

Den Breitegraden entsprechend, unter denen das Land liegt, 
ist das Klima Liberia’s ein rein tropisches, wird jedoch durch 
die oben genannten oro- und hydrographischen, und namentlich 
durch die Witterungsverhältnisse bedeutend beeinflusst. Unter 
der unerträglichen Hitze des Tages und der ebenso empfindlichen 
Kälte zur Nachtzeit, die das ‘Leben in manchen subtropischen 
Ländern so unangenehm machen, hat man in diesem Lande wenig 


EN 


zu leiden. Die mittlere Temperatur bei Tage ist kaum höher, als 
die eines heissen Sommertages im nördlichen Europa. Nur zeit- 
weise wird die Hitze so lästig, dass man sie unerträglich zu 
nennen pflegt; nicht selten aber findet man die Temperatur bei 
der leichten Kleidung, die man dort zu tragen pflegt, selbst 
kühl. Unsere Thermometer zeigten durchschnittlich um 6 Uhr 
morgens 25°, um 1 Uhr mittags 30°, und um 6 Uhr abends 29° 
Celsius. Des Nachts fällt das Thermometer selten unter 24° und 
steigt während der heissesten Tageszeit (um ein Uhr) kaum über 
31° C. Ausnahmsweise steigt freilich das Thermometer auch höher. 
So hatten wir in Schieffelinsville während der ersten Hälfte des 
März täglich 32° C. und darüber (im Schatten, mittags ein Uhr), 
am 15. und 16. März sogar 33°, worauf ein plötzlicher Sturm- 
wind vom Innern her am letztern Tage schon nachmittags um 
4 Uhr die Temperatur auf 26° C. herunterbrachte. Den grössten 
Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur findet man 
während der Trockenzeit, wenn nachts der kalte Harmattan weht, 
und den geringsten während der Regenzeit bei bewölktem Himmel. 
Ueberdies sind die Nächte in den waldbedeckten Niederungen 
weniger kalt, als auf den offenen Hochflächen des Innern. Die 
höchste Temperatur in der Sonne, d. h. auf freier Grassteppe, 
die ich jemals konstatirte (22 Februar 1881) betrug 45,2° Celsius, 
eine Hitze, die sich freilich ohne Nachtheil nicht lange ertragen 
lässt. Auf Märschen durch offenes Terrain in der glühenden 
Sonnenhitze, die wir übrigens so viel als thunlich vermieden, 
suchten wir uns gewöhnlich dadurch zu schützen, dass wir ab und 
zu ein frisches Bananenblatt in den Hut legten, und auf Canoe- 
fahrten tauchten wir fleissig den aufgespannten Sonnenschirm 
in’s Wasser, um uns durch Verdunstungskälte einige Kühlung 
zu verschaffen. 

Es ist wohl nicht schwer zu begreifen, dass eine fortwährende 
Hochsommertemperatur mit all’ ihren Nebenerscheinungen er- 
schlaffend auf den Organismus des Europäers wirken muss, dass 
dieser einen bedeutenden Theil seiner angeborenen Widerstands- 
fähigkeit einbüsst und durch Einflüsse selbst untergeordneten 
Ranges, denen er in Europa mit Leichtigkeit Trotz bieten würde, 
in hohem Grade alterirt werden kann. 


ee 


Schon lange hat man die Akklimatisationsfrage nach allen 
Richtungen hin erörtert, ohne bis dahin zu einem einheitlichen 
Resultate gekommen zu sein.!) Auf kompetenter Seite ist man 
jedoch gegenwärtig so ziemlich darüber einig, dass für den Euro- 
päer, besonders den Angehörigen der blonden Rasse, von einer 
eigentlichen Akklimatisation keine Rede sein kann, ja dass es 
sogar sehr fraglich ist, ob eine zweite oder dritte Generation 
von in jenen Gegenden geborenen Weissen sich dem dortigen 
Klima hinreichend anpassen könnte. In Holländisch-Indien wenig- 
stens hat man nachgewiesen, dass die dort ansässigen Nord- 
europäer bereits in der dritten Generation aussterben und 
stets durch neue Ankömmlinge ersetzt werden müssen. Dieser 
Umstand ist selbstverständlich ein höchst fatales Hinderniss, an 
dem die ganze COolonisationsfrage für das tropische Afrika, die 
gerade gegenwärtig die Gemüther mehr als je bewegt, zu schei- 
tern droht. Gesetzt aber, dass der Europäer wirklich mit der 
Zeit seine Transpirationsorgane, sowie Leber und Milz, die dabei 
hauptsächlich in Mitleidenschaft gezogen werden, einigermassen 
den höhern Anforderungen des Tropenklima’s akkomodiren könnte 
— der dort hausenden Malaria wird er wohl niemals entgehen, 
denn eine Immunität gegen diese lässt sich auch durch die. 
seregeltste Lebensweise und langen Aufenthalt nicht erwerben. 
Das beweisen wohl am deutlichsten die aus Amerika eingewan- 
derten Neger (gewesene Sklaven) und Mulatten. Obschon theils 
in Afrika selbst geboren, theils in Amerika geborene Abkömm- 
linge von solchen, sind sie selbst nach langjährigem Aufenthalte 
in Liberia keineswegs fieberfrei, und auch ihre in Liberia gebo- 
renen Nachkömmlinge werden durch die Malaria nicht verschont. 

Schon lange gilt daher auch dort die auf der ganzen West- 
küste des tropischen Afrika allgemein angenommene Norm, dass 
der Weisse je nach drei Jahren Aufenthalt für wenigstens ein 
halbes Jahr nach Europa, resp. nach Amerika, zurückzukehren 
habe, um dort seine geschwächte Gesundheit wieder zu stärken. 


I) Siehe unter andern Gustav LEIPoLDT, die Leiden des Europäers im 
afrikanischen Tropenklima und die Mittel zu deren Abwehr. a 1887 , 
Verlag von DUNKLER und HUMBLOT. 


Sämmtliche Handelsfirmen und Missionen an der Küste Liberia’s 
haben dies zum festen System gemacht; wem es aber die Mittel 
und Umstände erlauben, der wird nur zwei aufeinanderfolgende 
Jahre an der Küste verweilen. Freilich giebt es ausnahmsweise 
auch Leute, die es viel länger ohne diese Erholung aushalten, 
doch darf dies keineswegs als absoluter Beweis einer bessern 
Akklimatisationsfähigkeit angenommen werden, da das lange Hin- 
ausschieben einer Erholungskur sich in den meisten Fällen bitter 
rächt, ja oft sogar mit dem Leben bezahlt werden muss. So starb 
vor zwei Jahren der Franzose VERDIER, der etwa zehn Jahre 
ununterbrochen auf seiner Kaffeeplantage am Cap Palmas gelebt 
hatte, unmittelbar nach der Ankunft in seiner Heimat, wohin er 
sich zur Herstellung seiner angegriffenen Gesundheit begeben hatte. 
Solcher Beispiele giebt es ausserdem noch mehr als genug. 
Wenn nun auch das Klima von Liberia kein gesundes genannt 
werden darf, so verdient es doch immerhin, wie ich glaube, den 
Vorzug vor demjenigen von Lagos, des Nigerdelta’s, der Küste 
von Calabar und der Kamerun-Niederungen. Das Sumpffieber, 
das in jenen Gegenden seine Geissel schwingt und in unglaub- 
lich kurzer Zeit den Tod herbeiführen kann, tritt hier, wenn 
auch oft sehr hochgradig, doch niemals so pernieiös auf, wie 
dort, und es ist mir von den zahlreichen Sterbefällen unter 
Weissen in Liberia kein einziger bekannt, in dem der Kranke 
dem ersten besten heftigen Anfalle erlegen wäre. Das Sumpffieber 
in Liberia ist vielmehr mit dem steten Tropfen zu vergleichen , 
das endlich den Stein aushöhlt, es sei denn, dass irgend ein or- 
sanischer Fehler, den der Betreffende aus Europa mit an die 
Küste brachte und dem er wahrscheinlich auch zu Hause früher 
oder später erlegen wäre, unter dem Einflusse des Tropenklimas 
und der veränderten Lebensweise sich rasch hochgradig ent- 
wickelt, die Widerstandskraft herabsetzt und dem verderblichen 
Einflusse des Fiebers zu Hülfe kommt. Andererseits aber ver- 
schwindet dort die Disposition zu verschiedenen Leiden, wie 
Lungenschwindsucht und andere Krankheiten der Luftwege, die 
in Europa mit Recht zu den gefährlichsten gerechnet werden und 
alljährlich Tausende von Opfern im besten Alter fordern. Ueberdies 
sind in diesen Gebieten viele Uebel, die in Europa endemisch 


ee 


oder epidemisch auftreten, wie Typhus, Cholera, verschiedene 
der sogenannten Kinderkrankheiten, Pocken u. s. w. gänzlich 
unbekannt, so dass bei gsenauerer Betrachtung der Prozentsatz der 
Sterbefälle unter Weissen in Liberia, nach Abzug der durch eigene 
Unvorsichtigkeit verschuldeten Todesfälle, kein so ausserordent- 
lich hoher genannt werden kann, wie man gewöhnlich anzu- 
nehmen pflegt. | 

Ein anderer Umstand trägt ebenfalls nicht wenig dazu bei, 
Liberia vor andern Küstengebieten Westafrika’s günstig zu unter- 
scheiden, nämlich das seltene Vorkommen der Dysenterie oder 
der eigentlichen Blutdiarrhoe. Man hat daselbst im Allgemeinen 
mehr unter Obstruktionen als unter Diarrhoea zu leiden, wie 
wohl am besten die Massen von Abführmitteln beweisen, die dort 
verkauft werden, während man stopfende Mittel kaum dem 
Namen nach kennt. Diarrhoe ist jedoch, wo und in welcher 
Form sie ‚sich auch zeigt, stets bei Zeiten zu bekämpfen, da 
sie leicht einen chronischen Charakter annimmt und selbst den 
Tod des Patienten herbeiführen kann oder eine Kräfteabnahme 
nach sich zieht, infolge welcher der Patient eine andere, zufällig 
hinzugetretene Krankheit nicht mehr zu überstehen vermag. 
Auch Sonnenstich scheint in Liberia selten tödlich zu sein, doch 
soll der deutsche Botaniker SCHÖNLEIN, der im Januar 1856 nach 
wenigen Monaten Aufenthalts am Cap Palmas starb, den Folgen 
eines solchen erlegen sein. 

Sehr verbreitet ist der Glaube, dass das Klima nur im Küsten- 
gebiete ungesund sei und dass man in den höhergelegenen und 
sumpffreien Gegenden weiter im Innern von den lästigen Fiebern 
wenig oder nichts zu fürchten habe. Unser monatelanger Aufenthalt 
in den ziemlich hochgelegenen, waäaldbedeckten Hügelregionen des 
Innern, bis zu 70 Meilen von der Küste entfernt, hat uns jedoch 
das Gegentheil bewiesen. Die obenerwähnte Behauptung mag wohl 
zutreffen, insofern man dabei die Sumpffieber im Auge hat. 
Freilich sind wir auch im Innern nicht gänzlich von diesen 
verschont geblieben, doch ist es wahrscheinlich, dass wir das 
Malariagift aus den sumpfigen Küstengebieten mitgebracht hatten — 
ist es ja bekannt, dass die Sumpffieber oft lange nach erfolgter 
Rückkehr nach Europa noch sporadisch ausbrechen. 


In den allermeisten Fällen hatten jedoch diese Fieber mit der 
Malaria wohl nichts zu thun, sondern waren eher allzugrosser 
Ermüdung durch anstrengende Märsche,dem Einflusse der sengenden 
Sonnenhitze, übermässigem Durst und unpassender Ernährung mit 
den diese begleitenden Verdauungsstörungen zuzuschreiben. Man 
sollte überhaupt wohl zwischen den hier genannten, meist auf 
Verdauungsstörungen (Gallenfieber , Gelbsucht) beruhenden Fieber- 
erscheinungen und dem eigentlichen, durch Malaria hervorgerufe- 
nen Sumpffieber unterscheiden. Oft ist es sehr schwer, wenn nicht 
geradezu unmöglich, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten,, 
d.h. zu bestimmen, ob organische Störungen Ursache des Fiebers 
sind, oder umgekehrt. In solchen zweifelhaften Fällen leistet 
Chinin als Reagens durch seine specifische Wirkung gute Dienste, 
denn wenn Malaria die Ursache des Fiebers gewesen ist, so 
wird dieses letztere bald nach dem Einnehmen genügender Dosen 
wegbleiben oder deutlicher seinen wahren Charakter herauskehren, 
. während rein gastrische Fieber durch Chinin nicht gehoben werden. 
Die Symptome des Sumpffiebers selbst sind ausserordentlich 
. verschieden, offenbaren sie sich doch selbst als Zahnschmerz, 
Gliederreissen und andere rheumatische Krankheitserscheinungen, 
in denen nur der durch lange Erfahrung Geübte ein verkapptes 
Malariafieber erkennen wird. Eine Probe mit hinreichenden Dosen 
Chinin wird denn auch in neun von zehn Fällen zeigen, dass 
das Leiden darauf reagirt und daher einfach in die Rubrik der 
Sumpffieber eingeordnet werden muss. 

Eine sehr gewöhnliche Erscheinung, die auch oft bei Liberianern 
beobachtet wird, ist das sogenannte inward fever (inwendiges 
Fieber). Es ist dies ein anhaltender Zustand allgemeinen Unbe- 
hagens, ein nicht zum Durchbruch kommendes Fieber, das aber 
eben so sicher, nur langsam und unmerklich, unter Begleitung 
von Appetitlosigkeit, nervöser Gereiztheit, Eingenommenheit des 
Kopfes, unruhigem Schlaf mit schweren Träumen oder gänzlicher 
Schlaflosigkeit mit Phantasiren bei offenen Augen die Kräfte 
zerstört. 

Wohl am häufigsten tritt aber die Malariainfektion in der 
Gestalt unserer Wechselfieber auf. Auch bei dieser Form, mit 
den drei ausgesprochenen Stadien von Frost, Hitze und Schweiss, 


sind viele Variationen möglich. Gewöhnlich sind die ersten 
Symptome derart, dass sie eher von Andern als vom Patienten 
selbst bemerkt werden. Der Fiebercandidat wird erst ohne alle 
äussern Ursachen einsilbig; er verliert die Theilnahme an der 
laufenden Unterhaltung; sein Gesicht scheint schmäler und länger 
zu werden, die Nasenflügel fallen ein, die Hautfarbe wird fahl. 
Das Blut zieht sich aus den peripherischen Gefässen zurück, die 
Haut wird schlaf und bedeckt sich mit kaltem Schweiss, die 
Nägel der Finger werden weiss, dann die Fingerspitzen, nach 
und nach auch Hände, Nase und Ohren. An Armen und Beinen 
bekommt man Gänsehaut, ein intensives Kältegefühl überläuft 
den Rücken; man bekommt den Eindruck, als ob einem die _ 
Haare zu Berge ständen, und wenn man mit der Hand dar- 
überstreicht, ist es, als ob aus jedem Haar ein elektrischer 
Funke spränge. Ein unwiderstehliches Gähnen und ein Recken, 
als ob der ganze Körper aus den Fugen gehen müsste, bemächtigt 
sich des Patienten; die Stimme wird unsicher und zitternd; die 
Zähne klappern; den ganzen Körper befällt ein krampfhaftes 
Zittern; der Appetit ist gänzlich verschwunden — das erste 
Fieberstadium, der Schüttelfrost, ist eingeleitet. 

In der Regel folgen alle die genannten Erscheinungen so rasch 
auf emander, dass zum Durchlaufen der ganzen Reihe kaum 
eine halbe Stunde nöthig ist. Gewöhnlich legt man sich dann 
zu Bette, lässt sich, da man vor Kälte. — bei einer Lufttempe- 
ratur von 30° Celsius — am ganzen Leibe zittert, möglichst 
warm zudecken und trinkt heissen Thee von Guaveblättern u. 
dgl.. bis sich allmälig das Frostgefühl verliert und näch etwa 
1—2 Stunden das zweite Stadium, die Hitze, sich geltend 
macht. Während dieses Stadiums, das ebenfalls eine Stunde 
oder länger dauern kann, stellen sich brennender Durst und 
heftige Kopfschmerzen ein; die Haut ist stark geröthet, glühend 
und trocken. Die Fiebertemperatur steigt in schwerern Fällen 
bis auf 42° 0% eine Hitze, die in Europa bei schwerem Typhus 
erreicht wird und für das Leben des Kranken fürchten lässt. 
Nach und nach nimmt die Trockenheit der Zunge und des 
Gaumens ab, die Athmung wird freier, die Haut feucht, und 
es beginnt das dritte und letzte Stadium, der Schweiss. 


Kt 


Während dieses letztern lassen die Kopfschmerzen nach, und 
ein Gefühl des Wohlbehagens kehrt ein, dem bald unter reich- 
licher Schweissabsonderung ein erquickender Schlaf zu Hülfe kommt. 

Nachdem der Anfall auf diese Weise seinen Abschluss gefunden 
hat, steht. man, obgleich gewöhnlich wie gerädert, wieder auf, 
seht seiner Beschäftigung nach und sucht durch angemessenen 
Chiningebrauch zu verhindern, dass die Anfälle täglich oder je 
um den andern oder dritten Tag um dieselbe Stunde wieder- 
kehren. Die täglich sich wiederholenden Anfälle sind die gewöhn- 
lichsten und werden allgemein für leichter gehalten als diejenigen, 
die einen oder zwei Tage überspringen. 

Bei grosser Schwäche, namentlich nach langjährigem Aufent- 
halte in diesen Gegenden, kommt es mitunter vor, dass der 
Betreffende, der sich eben noch, ohne Ahnung von einem im 
Anzug befindlichen Fieberanfall, lebhaft an der Unterhaltung 
betheiligt hatte, plötzlich ganz konfuse Antworten giebt, nach 
und nach allerlei wirres Zeug schwatzt und endlich, sitzen 
bleibend und mit offenen Augen, zu deliriren anfängt, worauf 
man ihn dann entfernt und zu Bette bringt. 

Es wäre nicht unmöglich, dass das blosse Lesen dieser Aus- 
einandersetzungen bei einem zartbesaiteten Gemüthe eine leichte 
Anwandlung von Schüttelfrost verursachen könnte. So schlimm 
ist aber die Sache nicht. Wohl hatten wir mehr als genug dieser 
stark ausgesprochenen Fälle zu bestehen, doch allein direkt nach 
anstrengenden Märschen oder Canoefahrten durch Sumpfgebiet 
während der heissen Tageszeit. Bei mehr geregelter Lebensweise 
in unsern Jagdstationen und weniger Gelegenheit zu übergrosser 
Anstrengung verliefen die Anfälle, wiewohl nicht geringer an 
Zahl, leichter und ohne bedeutende Störung und plötzlichen 
Kräfteverlust. Wir legten uns eben hin, liessen den ersten 
Anfall vorübergehen, nahmen dann unsere Arbeit wieder auf 
und griffen, um weitern Anfällen möglichst vorzubeugen, zu 
dem Universal-, wenn auch nicht, wie Manche glauben, Radikal- 
fiebermittel, Chinin. 

Nach dem bisher Gesagten braucht es durchaus nicht aufzu- 
fallen, dass sich das Blut nach und nach verschlechtert und 
endlich ganz wässerig und so gut wie unbrauchbar wird. So 


N 


hört man z.B. oft von Weissen, die lange Zeit dort zugebracht — 
und ich habe die gleiche Erfahrung auch an mir selbst gemacht — 
dass bei Nadelstichen und andern leichten Verwundungen vor 
dem Blute erst ein Tropfen Wasser (Serum) zum Vorschein kommt. 

Besonders viel wird denn auch in Liberia, von Weissen sowohl 
als von den farbigen Ansiedlern, über geschwollene Beine und 
Füsse (Hautwassersucht) geklagt, eine Plage, unter der sowohl 
mein Besleiter Sara als ich sehr viel zu leiden hatten. Am 
häufigsten beobachtet man diese lästige Erscheinung während 
der Regenzeit, wenn die Hautausdünstung in der, mit Wasser- 
dampf geschwängerten Luft nicht gut vor sich gehen‘ kann, 
Eigentliche Wassersucht (Hydrops) in ihren verschiedenen Formen 
ist eine besonders bei den liberianischen Ansiedlern sehr bekannte 
und gefürchtete Krankheit, und auch die Weissen werden nicht 
von ihr verschont. i | 

Die Hautwassersucht ist sehr oft der Vorläufer einer Krank- 
heitserscheinung, die sowohl für Weisse als Liberianer eine 
wahre Landplage bildet. Es entstehen nämlich ohne alle äussere 
Ursache sehr häufig an Beinen und Füssen, besonders rund um 
die Knöchel und auf dem Schienbein, flache Hautwunden, die 
sar bald in lästige Geschwüre ausarten, welche nur sehr mühsam, 
oft erst nach Jahren oder gar nicht geheilt werden können. Sie 
beginnen gewöhnlich mit kleinen, entzündlichen Hitzbläschen , 
vergrössern sich sehr rasch und erreichen oft eine bedenkliche 
Ausdehnung. Ihre Heilung wird ganz besonders durch die grosse 
Wärme und den stets hineinkommenden Schweiss erschwert, 
und da sie ein Anziehungspunkt für Fliegen und — des Nachts — 
für Kakerlaken (Blatta americana) und Ameisen sind, so werden 
sie für den damit Behafteten eine wahre Plage. Ich habe selbst 
unsäglich unter diesen Geschwüren gelitten, die mir während 
meines erstmaligen Aufenthaltes in Liberia für Reihen von Mona- 
ten alles Reisen und Jagen unmöglich gemacht, mir das Leben 
verbittert und mich endlich gezwungen haben, die Küste zu 
verlassen und in Europa Heilung zu suchen. 

Eine zeitweise sehr lästige Plage dieser Tropengegenden, der 
kaum ein Europäer entgeht, ist der sogenannte „rothe Hund”, 
englisch prickly heat (juckende Hitze), in Liberia kurzweg heat 


a 


genannt. Es ist dies eine entzündliche Schwellung der Schweiss- 
drüsen, infolge deren die Haut, besonders an den durch Kleider 
geschützten Stellen, wie mit rothen Punkten besäet erscheint. 
Das Lästige daran ist, dass dieser Zustand von einem ungemein 
intensiven Jucken begleitet ist, welches infolge des unvermeid- 
lichen Kratzens eher zu- als abnimmt. Obschon man gegen dieses 
Uebel bisdahin noch kein Radikalmittel gefunden hat, so glaube 
ich doch, dass durch rationellere Kleidung, d.h. durch das Tragen 
von leichten baumwollenen Stoffen von weicher, durchlässiger 
Beschaffenheit, wie sie der Afrikareisende Dr. FALKENSTEIN }) 
anstatt des Flanells zum Tragen auf der blossen Haut empfohlen 
hat, dieser Plage bedeutend vorgebeugt werden könnte. 

Um das Bild des sanitären Zustandes in Liberia einigermassen 
zu vervollständigen, muss ich zum Schlusse noch der Insekten 
gedenken, die dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, 
nämlich der Mosquiten und des Sandfloh’s. Erstere können in 
den Niederungen des Küstengebietes, besonders in der Nähe der 
Flussufer und der Mangrovesümpfe, recht lästig werden und durch 
die Störung der so nöthigen Nachtruhe die nervöse Gereiztheit 
des Menschen bedeutend erhöhen, wodurch das Allgemeinbefinden 
in hohem Maasse geschädigt wird. Die höhergelegenen, der Seebrise 
ausgesetzten Plätze, wie Monrovia, werden von dieser Plage nur 
in geringem Grade heimgesucht, so dass dort die Mosquitonetze 
an den Betten nur selten oder gar nicht benützt werden. In den 
Waldregionen des Innern haben wir die Mosquiten überhaupt 
gar nicht kennen gelernt. 

Sehr viel hat man aber unter den Anfällen des Sandflohs 
(Rhynchoprion penetrans), dort chigre genannt, zu leiden, dessen 
Weibchen sich in die Fussohlen, noch mehr aber unter die Nägel 
der Zehen einbohrt, um dort seine Eier zur Reife zu entwickeln. 
Bei der Kleinheit dieser Thierchen — sie sind kaum halb so 
gross wie ein gewöhnlicher Floh — werden dieselben erst gar 
nicht beachtet, doch bald verursacht das Thier mit dem sich zu 
der Grösse einer Erbse entwickelnden Eierstock ein juckendes, 


ı) Dr. FALKENSTEIN in „Die Loango-Expedition,” II. Abth. p. 169-183 
(Leipzig, Verlag von PAUL FROHBERG, 1879). 


N 


bohrendes Gefühl, worauf der Eindringling entfernt werden muss. 
Das Schlimmste bei der Sache ist, dass diese Schmarotzer leicht 
gefährliche Wunden verursachen, die sich infolge von eindrin- 
gendem Schmutz und Staub entzünden und Eiterherde bilden, 
die wegen ihrer Lage an den Füssen doppelt lästig sind. Bekannt- 
lich sind diese Thiere brasilianischen Ursprunges und wurden zuerst 
im Jahre 1872 durch die Mannschaft des Schiffes „Thomas Mitchel” 
nach den portugiesischen Besitzungen in Angola verschleppt, von 
wo sie sich seither längs der ganzen Küste bis Liberia verbreitet 
haben. In letzterm Lande sind sie durch die Krooboys eingeführt, 
die als Arbeiter alle Schiffe der ganzen Westküste entlang 
begleiten. Bei unserer ersten Ankunft in Monrovia kannte man 
. dort diese Plage noch nicht und behauptete auch allgemein, dass 
der steinige Boden diesen Thieren nicht zusage und man daher 
von ihnen verschont bleiben würde. Jetzt aber wimmelt es dort,‘ 
wie überhaupt an allen liberianischen Küstenplätzen — selbst 
in dem noch westlicher gelegenen Grand Cape Mount, wo sie 
durch Missionskinder vom Cap Palmas eingeschleppt sind — 
von diesen Plagegeistern, so dass man bei einem Gange durch 
die Strassen Monrovia’s unter hundert Personen wohl zwanzig 
begegnet, die mit verbundenen Füssen einherhinken und sogar 
solchen, die eine oder mehrere, wenn nicht sämmtliche Zehen 
verloren haben. Ein bedeutender Prozentsatz dieser Fussleiden 
ist freilich auf Rechnung der oben erwähnten Hautwunden zu 
schreiben. Niemand bleibt von dieser Landplage verschont, und 
wenn der Weisse nicht so viel darunter zu leiden hat, wie der 
Farbige, so verdankt er dies nur der grössern Reinlichkeit und 
besserm Schutze durch gute Fussbekleidung. 


EN: 


Reise nach Mühlenburg Mission!) und 
Aufenthalt bei Mr. Day. 


ent 


Fl 


Abschied von Monrovia.— 
Der Stockton Creek. — Die 
Gesandten des Königs Sıssy. 
— Clay Ashland. — Fahrt auf 
dem St. Paul. — Ankunft in 
Millsburg.— Bergung unserer 
Bagage. — Empfang durch Mr. 
und Mrs. DAY. — Ein Sonntag 
auf der Mission. — Civilisato- 
rischer Einfluss der Mission 
auf die Eingebornen. — Be- 
sprechung unserer Reise- 
pläne. — Das Anwerben von 
Trägern. — Die Missions-sta- 
tion und ihre Umgebung. 


Nachdem wir uns mit 
allem Nöthigen zum 
Jagen und Sammeln, 
sowie mit Lebensmitteln und Tauschwaaren auf zwei Monate 


Messurado River mit Perseverance Island. 


') Gegründet im Jahre 1860 durch die Lutherische Missionsgesellschaft in 
den: Vereinigten Staaten und so benannt zu Ehren des Rev. Dr. MÜHLEN- 
BURG, des Gründers der Lutherischen Kirche in Nordamerika. 

LIBERIA , 1, ) 


ausgerüstet hatten, traten wir, neun Tage nach unserer Ankunft 
in Monrovia, und begleitet von den Glückwünschen der hollän- 
dischen und deutschen Handelsagenten, unsere Reise in’s Innere 
an. Die Agenten der holländischen Firma hatten uns während 
unseres Aufenthaltes in Monrovia mit Freundschaftsbeweisen 
überhäuft, und ihrer fortwährenden Fürsorge hatten wir es haupt- 
sächlich zu danken, dass wir in verhältnissmässig kurzer Zeit 
zum Aufbruch nach dem Innern bereit waren. Herr WIGMAN 
krönte nun alle jene Dienste noch, indem er uns ein mit neun 
kräftigen Krunegern bemanntes Ruderboot für die Fahrt nach 
der besagten Missionsstation zur Verfügung stellte. Wie bereits 
erwähnt, hatten wir Tags zuvor in einem Canoe zwei unserer 
boys mit einem Briefe an Mr. Day gesandt, um denselben von 
- unserer Ankunft zu benachrichtigen und ihn mit unserm Reiseplane 
bekannt zu machen. Wir fuhren dann am Sonnabend, 17. Januar, 
morgens 8 Uhr von dem Landungsplatze der Faktorei ab, durch- 
kreuzten unterhalb Perseverance Island den Messurado River und 
bogen in den ungefähr acht miles langen Stockton Creek ei 
der innerhalb der Küstenlinie den Messurado- mit dem St. en: 
River verbindet. | 
Der Stockton Creek ist eine stille, 20—50 Schritt breite 
Wasserstrasse, die sich hie und da beckenartig erweitert und 
von üppig wucherndem, mit Pandanus durchsetztem Mangrove- 
sebüsch umrahmt wird. Hin und wieder lichten sich diese 
verschlungenen und monotonen, doch für den Neuling zugleich 
so interessanten Buschpartien, und es zeigt sich unter einem 
riesigen Bombax oder einer breitkronigen Tamarinde die ärmliche 
Hütte eines Eingebornen, der hier während der trockenen Jahres- 
zeit auf einem urbar gemachten Grundstück eine Reis- oder 
Cassavepflanzung angelegt hat und nebenbei dem Fischfange 
obliest. Ueppige Palmen und Bananenbüsche geben diesem Land- 
schaftsbilde, das sich in der schwarzen Wasserfläche spiegelt, 
einen eigenthümlichen, malerischen Reiz, der durch den halb 
an’s Ufer gezogenen Einbaum, das einzige Verkehrsmittel in 
diesen beinahe bodenlosen Sumpfgebieten, noch erhöht wird. 
Unter den eintönigen, stets denselben Refrain wiederholenden 
Gesängen der schwarzen Ruderer zogen wir die stille Wasser- 


a 


strasse entlang. Die gesammte Natur schien in Schlaf versunken. 
Nur selten hörten wir das schrille Kreischen eines Eisvogels 
oder sahen in der Ferne ein Krokodil von einer Schlammbank 
langsam sich in’s Wasser zurückziehen. Halbwegs im Creek 
begegneten wir unsern boys, die einen freundlichen Brief von 
Mr. Day überbrachten, in welchem uns derselbe auf seiner 
Station herzlich willkommen hiess. Wir nahmen die beiden boys 
in unser Boot auf und sandten dann das leere Canoe mit einem 
unserer Kruneger nach Monrovia zurück. Etwas später begegnete 
uns Mr. Day selbst, der nach Monrovia fuhr, um dort einige 
Geschäfte zu erledigen. In seinem von neun boys geruderten, 
langen, schmalen und mit einem Sonnenzelt versehenen Canoe 
gelangte er so schnell vorwärts, dass er uns auf seiner Rück- 
fahrt schon lange vor Abend auf dem St. Paul überholte. 

Um 11 Uhr morgens, nach dreistündigem Rudern, wurden 
wir durch den grossartigen Anblick des St. Paul’sflusses über- 
rascht, in den wir nun einfuhren. Ich schätzte seine Breite an 
dieser Stelle auf #4 englische Meile. Bei der trüben, zitternden 
Luft war es kaum möglich, etwas am andern Ufer mit Sicherheit 
zu unterscheiden. 

Bis jetzt hatte ich einiger schwarzer Passagiere zu erwähnen 
vergessen, die wir von Monrovia mitgebracht. Schon bei unserer 
Ankunft daselbst wurde uns von einer Gesandtschaft des 
Königs Sıssy, eines mächtigen Negerfürsten aus der Mandingo- 
ebene erzählt, der in Freundschaftsbeziehungen zu dem Präsi- 
denten von Liberia zu treten wünsche. Der eigentliche Botschafter 
war ein langer, hagerer Mann in mittlerem Alter mit einem 
verschmitzten Gesichte. Er sprach ebensowenig Englisch wie sein 
Begleiter, so dass die Verhandlungen mit der Regierung in 
arabischer Sprache geführt werden mussten. Ausser einigen 
Dienern hatte er einen schöngebauten, kräftigen Jüngling bei 
sich, den er als den Sohn des Königs von Boporo ausgab. Sein 
ganzes Benehmen in Monrovia erregte Argwohn, und Viele 
glaubten, man habe es einfach mit einem Betrüger zu thun, der 
nach den fürstlichen Geschenken lüstern sei, die man solchen 
Gesandten an ihre Auftraggeber mitzugeben pflegt; ja man 
behauptete sogar, dass der Mann des Englischen mächtig sei, sich 


aber stelle, als ob er diese Sprache nicht verstehe. Trotz dieses 
Verdachtes hielt man es indessen für gerathener , ihm die üblichen 
Geschenke für seinen Herrn mitzugeben, um denselben für die 
anzuknüpfenden Handelsbeziehungen geneigt zu machen. Man 
dürfte nun wohl fragen, warum wir die Gelegenheit nicht benutzt, 
uns diesen Leuten anzuschliessen, um unter ihrer Führung ohne 
Mühe bis tief in’s Innere zu gelangen. Das wäre jedoch leichter 
gesagt als ausgeführt. Abgesehen davon, dass man dem soi-disant 
Gesandten nicht recht traute, würde eine mehrtägige Fussreise 
mit grosser Bagage, selbst in dem Falle, dass wir eine hinrei- 
chende Anzahl Träger wirklich hätten auftreiben können, eine 
sehr kostspielige Unternehmung gewesen sein; überdies aber ist 
solches Reisen sehr zeitraubend und unsicher, da man von jedem 
 Negerfürsten, durch dessen Land man zieht, im Voraus die 
Erlaubniss durch reiche Geschenke erkaufen muss, worüber oft 
Wochen, ja Monate vergehen können. Wären nun geographische - 
Untersuchungen unser Ziel gewesen, so hätte ich mich wahr- 
scheinlich doch in jenem Sinn entschieden; zum Zwecke zoolo- 
seischer Untersuchungen aber fand ich einen solchen Zug nicht 
wünschenswerth. Auf die Bitte des liberianischen Staatsministers 
hatte ich dem Gesandten mit seinem Gefolge Passage in unserm 
Boote gewährt, und wir mussten nun an das andere Flussufer 
fahren, um die Leute bei dem Dorfe Virginia abzusetzen, von wo 
aus sie dann den Landweg nach Boporo einzuschlagen hatten. 

Von Virginia gieng es dicht am rechten Ufer entlang nach 
der liberianischen Ansiedlung Clay Ashland. Das Wasser des 
Flusses war zu dieser Jahreszeit ziemlich hell und hatte bis in 
die Nähe der Stromschnellen von Millsburg nur geringes Gefälle; 
wohl aber trieben wir, da wir gerade die günstigste Tageszeit 
setroffen hatten, mit der eindringenden Meeresfluth mächtig 
stromaufwärts. 

Etwas nach 12 Uhr erreichten wir Clay Ashland und giengen 
an’s Land, um unsere boys ihren Reis kochen zu lassen. Inzwi- 
schen sahen wir uns in dem saubern Pflanzerdörfchen mit seinem 
einfachen Kirchlein und den zerstreut stehenden Farmerhäuschen 
etwas um, besuchten die sehr gut unterhaltene, in der Nähe 
gelegene Kaffeeplantage von Mrs. JoHnson und traten dann, 


gr 


- Kühlung suchend, unter die Piazza (Veranda), der dazugehörigen 
hübschen, aus Backsteinen gebauten und weissgetünchten Far- 
merwohnung‘). Die anwesende Besitzerin, eine liebenswürdige 
Mulattin, erfrischte uns mit Limonade ?) und fühlte sich sehr 
seschmeichelt, als ich mich voll Lobes über die für dortige 
Verhältnisse reiche Ausstattung der Räume und die grosse Rein- 
lichkeit und Nettheit äusserte, die bei einem Gange durch das 
Haus überall zu finden war. 

Nach einstündigem Aufenthalte verliessen wir Olay Ashland, 
neben dessen Landungsplatze ein auf der Seite liegendes, halb 
verrostetes, kleines Dampfboot an die gute alte Zeit erinnerte, 
in der es noch den Verkehr zwischen Monrovia und den Ansied- 
lungen am St. Paul vermittelte ®). Die Fahrt stromaufwärts war 
äusserst interessant, trotz der Sonne, die ihre glühenden Strahlen 
unbarmherzig auf uns Ankömmlinge niedersandte. Weit hinauf 
behält der Strom dieselbe Breite und wird von einfachen, aber 
malerischen Uferlandschaften eingerahmt. Eine Kaffeeplantage 
reiht sich hier an die andere, und von den sanften Anhöhen 
herunter, welche den Fluss zu beiden Seiten flankiren, schauen 
freundliche, weissgetünchte Farmerhäuschen herab. Unsere Fahrt 
verlangsamte sich in dem Maasse, wie die Stauung des Wassers 
durch das Zurücktreten der Meeresfluth sich verringerte und das 
natürliche Gefälle des Flusses auf diese Weise wieder zunahm, 
und als gar die Fluth gänzlich nachgelassen hatte und das Gefälle 
durch den Eintritt der Ebbe also doppelt wirksam wurde, 
erforderte es meine ganze Ueberredungsgabe und ein in stets 
kürzern Pausen wiederholtes Kreisen des Branntweinbechers, um 
die Ruderer zu erneuter Thätigkeit anzufeuern. Mr. Dar hatte 
uns mit seinem schnellfahrenden Canoe schon längst eingeholt 


I) Mrs. JoHNnson wird jedem Weissen, welcher Monrovia besucht und Gele- 
genheit findet, einen Ausflug nach dem St. Paul’s River zu machen, durch 
ihre Liebenswürdigkeit und unbeschränkte Gastfreiheit in angenehmer 
Erinnerung .bleiben. 

?) Zuckerwasser, in das der Saft der dort wachsenden Limone gepresst wird. 

3) In neuester Zeit ist durch einen Liberianer ein neues Dampfboot für 
diesen Verkehr gebaut worden, zu welchem Mr. Day die Dampfmaschine 
geliefert hat. 


Io 


und war uns, als wir mit Einbruch der Nacht auf unserm Lan- 
dungsplatze bei Millsburg endlich anlangten, nach der Mission 
bereits vorangeeilt. Sofort liessen wir unsere Bagage aus dem 
Boot in ein nahegelegenes, einem liberianischen Ansiedler gehö- 
riges Farmerhäuschen bringen. Der Parlor dieser Behausung war 
zu einem Öffentlichen Betlokale eingerichtet. Eine alte, gesprungene 
Schiffsslocke in der baufälligen Piazza hatte die Aufgabe, die 
frommen Christen der Umgebung zur Andacht zusammenzurufen. 
Unter solchen Umständen erachteten wir unsere Habe, die in 
derselben Nacht ohnehin nicht mehr nach der eine Stunde 
weiter flussaufwärts gelegenen Missionsstation geschafft werden 
konnte, als dort wohl geborgen, zumal Mr. Day selbst uns 
jenen Platz empfohlen hatte. Darauf entliessen wir unsere 
Ruderer, die bei dem niedrigen Wasserstande das Boot doch 
nicht weiter flussaufwärts gebracht haben würden, und kamen 
zu Fusse, geführt von unsern stämmigen Bedienten, erst spät 
nach Einbruch der Nacht auf der Mission an, wo wir von 
Mr. Day und seiner Frau, einer liebenswürdigen, weissen Ameri- 
kanerin, herzlich aufgenommen wurden. 

Nachdem wir uns etwas erfrischt und am gutbesetzten Abend- 
tische gestärkt hatten, sassen wir, mit vollen Zügen die tropische 
Nachtluft einathmend, noch lange mit unserm Gastherrn und 
seiner Gemahlin auf der geräumigen Piazza des Wohnhauses 
zusammen und sprachen über unsere weitern Reisepläne und 
die geheimnissvollen Waldgebiete des Innern, an deren Schwelle 
wir nun angekommen waren. bis sich endlich denn die müden 
Augenlider senkten und wir uns zur Ruhe begaben. Dieser erste 
Abend, den wir bei unsern neuen Freunden zubrachten, machte 
auf mich einen sehr wohlthuenden Eindruck. Eine angenehme 
Ruhe und Stille herrschte rings umher; fast war es, als ob ein 
Engel des Friedens durch die Räume schwebe. Ueberall, im 
Speisezimmer wie in den einfach und doch bequem eingerichteten 
Wohn- und Schlafräumen fühlte man das stille Walten der 
sorgsamen Hausfrau, welches allein einem Hauswesen jenen 
eigenthümlichen Zauber verleiht, den man in den Junggesellen- 
wirthschaften der Weissen an der Küste entbehrt. Das volle 
Vertrauen, mit dem unsere Gastfreunde uns Wildfremden ent- 


N Ne 


gegenkamen, das lebhafte Interesse, das sie an unserer Unter- 
nehmuns zeigten, der ungezwungene, herzliche Ton, der vom 
ersten Augenblick an unsere Unterhaltung beherrschte und sie 
so gemüthlich machte — das Alles liess mich ganz vergessen, 
dass wir uns an diesem Tage zum erstenmale sahen; ja es war 
mir, als sässen wir bei lieben Freunden, die wir nach langen 
Jahren der Trennung endlich wiedergefunden. 

Der nächste Morgen lockte uns schon früh in’s Freie. Es war 
ein wunderschöner Sonntagmorgen. Die rings umher herrschende 
Ruhe, die Reinlichkeit auf den zwischen den Gebäuden der 
Mission liegenden Plätzen, die muntern, krausköpfigen Neger- 
kinder, welche in ihren saubern, leichten Sonntagskleidern in 
kleinen Gruppen umherstanden, uns beim Herankommen freund- 
lich guten Morgen wünschten und mit ihren schönen, grossen 
Augen in den offenen Gesichtern uns verwundert anschauten — 
Alles dies schien dazu beizutragen, jenem Morgen einen feier- 
lichen Charakter zu verleihen. In den thautriefenden Mango- 
und Melonenbäumen hörte man aus vielerlei Vogelstimmen das 
fröhliche £schi-tschiga des drosselartigen Pycenonotus barbatus heraus, 
und in den vor dem Wohnhause des Missionärs stehenden drei 
Kokospalmen, deren lange Fiederblätter sich unter der Last 
der an ihnen befestigten beutelartigen Vogelnester niederbogen , 
begann mit dem ersten Sonnenstrahl das ohrbetäubende Gezeter 
der darin gesellig lebenden Webervögel (Ploceus cucullatus), das 
man am besten mit dem Geschrei einer sich zankenden Spatzen- 
bande vergleichen könnte. 

Tief unten im Thal, aus dem das dumpfe Rauschen des St. Paul 
heraufdrang, wogte ein weites Nebelmeer. Grosse Nebelmassen 
lösten sich allmälig ab, ballten sich zusammen und zerflossen 
endlich, an den mit Kaffee- und Limonenbäumen, Bananenbü- 
schen und Strauchwerk bedeckten Abhängen höher und höher 
emporsteigend, in eine feine Dunstmasse, die im blauen Aether 
sich verlor. Inzwischen war unser freundlicher Gastherr zu uns 
herangetreten und führte uns in seinen hübschen Garten, wo, 
unter der sorgfältigen Pflege von Mrs. Day aufgewachsen, allerlei 
einheimische und fremde Zierpflanzen unser Auge erfreuten. 
Bald darauf rief uns die Glocke zur Frühstückstafel, welche mich 


a Oo 


durch ihre dem Abendtische kaum nachstehende Reichhaltigkeit 
überzeugte, dass die Missionäre auch in culinarischer Hinsicht 
dem Leben in der afrikanischen Einsamkeit seine gute Seite 
abzugewinnen wissen. Erst später freilich lernte ich begreifen, 
dass eine reichliche Ernährung, und namentlich auch eine gewisse 
Variation in den verschiedenen Mahlzeiten und Gerichten, zu den 
Hauptbedingungen gehören, um in diesem Lande auf längere 
Zeit hinaus gesund und bei Kräften zu bleiben. Gute, reichliche 
Kost kann auch dort geradezu Wunder thun, und ich bin 
überzeugt, dass wir selbst bei besserer Ernährung es länger in 
jenem Lande ausgehalten hätten, als dies wirklich der Fall war. 


Mr. und Mrs. Day. 


Um neun Uhr begleiteten wir Mr. und Mrs. Day zum Gottes- 
dienste in das mit einem Glockenthürmchen versehene Schul- 
haus, das zugleich auch als Kirche diente. Ich war nicht wenig 
erstaunt, dort ganze Reihen rationell construirter, zweiplätziger 
Schulpulte zu finden, die Mr. Day aus Amerika erhalten hatte. 
Der Gottesdienst war eine Art Kinderlehre mit ordentlich einge- 
richtetem Kirchengesang, den Mr. Day auf einem Harmonium 
begleitete. Das sämmtliche Personal der Mission, sogar die alte 
Köchin, war dabei zugegen. Die ganze Versammlung befand sich 
in einer feierlich ernsten Stimmung, da Mr. Day es vortrefflich 
verstand, seinen Vortrag dem beschränkten Fassungsvermögen 


> 


des schwarzen Auditoriums anzupassen und seine Erörterungen 
durch greifbare Beispiele zu erläutern. 

Nach dem Gottesdienste begann die Schule. Die etwa 60 
Schüler und Schülerinnen in einem Alter von 6—12 oder mehr 
Jahren waren in verschiedene Klassen eingetheilt, deren jede 
einem etwas ältern, mehr entwickelten Zöglinge unterstellt war, 
während Mr. und Mrs. Day persönlich die Oberaufsicht führten. 
Alle diese Kinder waren hinlänglich mit dem nöthigen Schul- 
material versehen. Ueber das in der Woche Behandelte wurde 
eine Art Repetitorium gehalten. Es war überhaupt eine Freude, 
wahrzunehmen, wie die Kinder ihre englischen Buchstabir- und 
Lesestücke!) zu entziffern suchten, mit ihren magern Händchen 
einen Buchstaben nach dem andern auf Schiefertafel und Papier 
malten oder sich in den Rechenkünsten der vier Species übten. 
Einzelne hatten es mit ihren Kenntnissen schon recht weit 
gebracht, und ihre grossen Augen glänzten ordentlich vor Freude, 
wenn man ihrem Eifer durch ein anerkennendes Wort Gerech- 
tigkeit widerfahren liess. 

Unter den Missionskindern fand ich zu meinem nicht geringen 
Erstaunen zwei Albinos mit röthlich blondem Haar, hellgelber 
Hautfarbe und licht brauner, fast röthlicher Iris. Mrs. Day er- 
zählte mir, dass dieselben, wie alle Uebrigen, Kinder von 
schwarzen Eingebornen seien und das Auftreten von Albinos 
unter diesen nicht als grosse Seltenheit zu betrachten sei. 

Nach dem zweiten Frühstück (lunch) machten SAaLa und ich 
in Begleitung unserer drei boys einen Spaziergang in die nächste 
Umgegend, welche theils mit den Pflanzungen der Mission und 
liberianischer Ansiedler, theils mit Buschwald bedeckt ist. Aber 
die Sonne brannte so furchtbar heiss, und die glühende Erde 
strahlte so viel Wärme aus, dass man die Luft in beständiger 
Wellenbewegung erzittern sah und die ganze Natur wie ausge- 
storben erschien. Alle höher entwickelten Thiere hatten sich zur 
Siesta in ihre kühlsten und verborgensten Schlupfwinkel zurück- 
gezogen, sodass mit Ausnahme einiger Springheuschrecken und 


ı) Es wird in keiner liberianischen Missionsanstalt in einem der Neger- 
idiome, sondern überall nur in englischer Sprache Unterricht ertheilt. 


Bel, 


zahlreicher Ameisen kaum ein lebendes Wesen zu erblicken und 
kein Laut zu hören war. Wir kamen denn auch nach einigen 
Stunden ganz abgemattet zur Mission zurück und liessen uns 
die durch Mrs. Day kredenzte Limonade köstlich schmecken. 
Den Rest des Tages verbrachte ich, da ich meinen Gastherrn 
an diesem Tage der Ruhe nicht allzusehr in Anspruch nehmen 
wollte, mit dem Aufzeichnen meiner Tagebuchnotizen und der 
Erledigung einiger Correspondenzen, wozu ich in Monrovia nicht 
Zeit gefunden. Mr. Day hatte mir zu diesem Zwecke sein kühles 
Arbeitszimmer eingeräumt. Ich war höchst angenehm überrascht, 
daselbst in seinem reich besetzten Bücherschranke eine Sammlung 
der vorzüglichsten Werke über Afrikareisen vorzufinden. Unsere 
Gastfreunde zeigten sich überhaupt als Leute von mehr als alltäg- 
licher Erziehung, die sich trotz ihrer Abgeschiedenheit von der 
gebildeten Welt auf dem Laufenden zu erhalten _wussten und, 
‘wie die Conversation ergab, auf den verschiedensten Gebieten zu 
Hause waren. Mr. Day, dem seine Gattin ebenbürtig zur’ Seite 
steht, hat seine Aufgabe meiner Ansicht nach sehr richtig erfasst 
und versteht es wie nur Wenige, derselben in jeder Art gerecht 
zu werden. Er vereinigt mit seiner allgemeinen Bildung einen 
durch reiche, langjährige Erfahrung!) geübten, praktischen Blick 
und scheint in seiner philantropischen Thätigkeit ganz und gar 
aufzugehen. Die Hauptsache ist bei ihm nicht, dem Neger um 
jeden Preis das Christenthum aufzudrängen, auch nicht, aus 
seinen Zöglingen Gelehrte zu machen, sondern dieselben zu gere- 
gelter Arbeit anzuhalten, sie aus ihrem angebornen Faullenzer- 
thum herauszureissen und zu nützlicher, lohnender Thätigkeit 
anzuregen. Seine ganze Station bietet das Bild eines glücklichen, 
in jeder Hinsicht wohlgeordneten Familienlebens, einer Muster- 
wirthschaft, deren wohlthätiger,, sittlicher Einfluss sich viel weiter 
als nur in der nächsten Umgebung fühlbar macht. Um seine 
Zöglinge — Kinder von Eingebornen, meist aus dem Stamme 
der Golah — nützlich zu beschäftigen, hat Mr. Day auf dem 
grossen, ihm von der liberianischen Regierung abgetretenen Areal 


ı) Mr. und Mrs. Day befinden sich seit 1874 auf dieser Station, gehen 
aber, wenn ihre Gesundheit es erfordert, von Zeit zu Zeit nach Amerika. 


We 


ausser den Reis-, Maniok- und Batatenfeldern u. s. w., welche die 
Lebensmittel für den eigenen Bedarf der Mission liefern, eine 
Kaffeepflanzung angelegt, die nach und nach zu einer der schönsten 
im ganzen Lande angewachsen ist. Durch eine umsichtige Leitung 
hat er es sogar so weit gebracht, dass der Ertrag der Pflan- 
zungen nicht allein die Unterhaltungskosten der Station deckt, 
sondern es zugleich ermöglicht, ab und zu Reisen nach dem 
Innern zu unternehmen und weniger günstig situirte Schwester- 
missionen zu unterstützen. Jetzt, acht Jahre nach unserm ersten 
Besuche, hat Mr. Day ein so grosses Arbeiterpersonal herange- 
bildet, dass er, um es lohnend beschäftigen zu können, eine 
grosse Zuckerplantage angelegt und zum Zwecke einer rationellen 
Verarbeitung des Rohproduktes die nöthigen Maschinen mit 
Dampfbetrieb aus Amerika bezogen hat. Der Reingewinn wird 
nach Verhältniss der Leistungen unter die Arbeiter vertheilt. Bis 
weit in’s Innere hinein ist Mr. Day wohlbekannt, und die Einge- 
bornen nennen ihn mit einer gewissen Ehrfurcht, da er es verstan- 
den hat, ihnen sowohl durch energisches Auftreten und strenge 
Rechtlichkeit zu imponiren, als durch herzgewinnende Freund- 
lichkeit ihr Vertrauen zu erwerben. Ueberdies trägt seine Stellung 
als Missionär sehr viel dazu bei, selbst den heidnischen Einge- 
bornen Respekt einzuflössen. Man betrachtet ihn eben als Diener 
eines Gottes, den man für mächtiger hält, als die Götter der 
Fetischpriester, und als solcher geniesst er die Achtung der Ein- 
gebornen in hohem Grade). | 

Um der angebornen, grossen Trägheit der Eingebornen nicht 
. Vorschub zu leisten, giebt er prinzipiell kein Almosen, doch 
Jeder, der durch Mangel getrieben zur Mission kommt, findet dort 
Gelegenheit, sein Brod durch Arbeit zu verdienen. Nach all dem 
Gesagten brauche ich wohl kaum mehr zu erwähnen, dass wir 
von Mr. und Mrs. Day manche nützliche Verhaltungsmassregel 
mit auf den Weg nahmen, die uns später oft sehr wohl zu 
statten kam. 

Am Abend wurde das Gespräch auf die Thierwelt dieser 


ı) „For him be- God-man”’, wie sie sich in ihrem corrumpirten Englisch 
auszudrücken pflegen (wörtlich: „denn er sein Mann Gottes”). 


ee 

Gegenden gelenkt, da ich von Begierde brannte, etwas Näheres 
darüber. zu vernehmen. Zu meiner Freude erfuhren wir denn, 
dass manche der von uns am meisten gesuchten Thiere, wie das 
kleine liberianische Flusspferd, das Pinselschwein, eine Art 
Fischotter, der Lamentin und Chimpanse hier allerdings, wenn 
auch nicht gerade häufig, angetroffen werden. Die Lamentine 
(Manati) leben, wie Mr. Day uns als Augenzeuge versichern 
konnte, rudelweise im St. Paul’s River unterhalb der ersten 
Stromschnellen, gehen nicht über letztere hinauf und werden 
daher im Mittellaufe des Flusses nicht mehr angetroffen. Sie 
sollen sich oft spielend im Wasser umhertummeln und unter 
Umständen durch ihr plötzliches Auftauchen den passirenden 
Canoes gefährlich werden. Ein junger Chimpanse wurde vor 
einigen Jahren auf der Mission gehalten, aber leider nicht gross- 
gebracht. Mrs. Day beschrieb ihn mir sammt all seinen drolligen 
Geberden und seinem melancholisch ernsten Mienenspiel mit 
srösster Genauigkeit. „Das arme Geschöpf!” fügte sie hinzu, 
„es ist in meinen Armen gestorben.’ Durch Eingeborne soll 
dasselbe weit aus dem Innern dorthin gebracht worden sein. 
Einige Neger versicherten mir, das im Innern der baboon, ein 
mannsgrosser schwanzloser Affe, lebe, der, wenn erzürnt, auf 
zwei Beinen einherschreite und unter lautem Gebrüll mit den 
Fäusten auf der Brust trommle. Da der Gorilla, dem Du CHAILLU 
die nämlichen Eigenthümlichkeiten zuschreibt, in diesen Gegenden 
nicht gesucht werden kann, so sind dieselben wohl nur auf den 
Chimpansen zu beziehen. 

Am folgenden Tage, Montag 19. Januar, liessen wir durch eine 
Anzahl uns durch Mr. Day zur Verfügung gestellter Arbeiter 
unsere Bagage aus dem Häuschen des bereits erwähnten Liberia- 
ners zur Mission hinaufschaffen, was uns schon einen kleinen 
Vorgeschmack von all den unendlichen Sorgen und Mühen gab, 
die der Transport von Gütern durch schwarze Träger verursacht. 
Die unterhalb der Mission gelegene erste Stromschnelle kann 
flussaufwärts nur durch leicht beladene Canoes, durch Boote 
aber gar nicht überwunden werden, so dass man gezwungen 
ist, die Lasten von Millsburg. ab durch Träger nach der höher- 
gelegenen Mission zu bringen. 


Da mir die Umgebung der Mission wegen des Mangels an 
Hochwald wenig Aussicht auf genügende zoologische Ausbeute 
zu eröffnen schien, so handelte es sich nun vor Allem darum, 
einen geeigneten Platz zur Errichtung unserer ersten Jagdstation 
zu wählen. Auf den Rath Mr. Dar’s entschied ich mich für 
Bavia, die etwa 12 miles flussaufwärts gelegene Residenz des 
Golah-Häuptlings Zoru DusBAH. Da Mr. Day den Platz schon 
früher besucht hatte, so hielten wir es für überflüssig, denselben 
vor unserer Uebersiedlung noch selbst zu besichtigen. Unter 
Zuratheziehung des erfahrenen Missionärs fasste ich den Plan, 
vor Ende der Trockenzeit bis Boporo, einer bereits durch 
ÄNDERSON und sonstige Liberianer auf anderm Wege besuchten 
Stadt am untern Rande der Hochebene vorzudringen, daselbst 
die zum Jagen in der Waldregion ungeeignete Regenzeit zuzu- 
bringen und dann, wenn möglich, in einigen weitern Etappen 
auf dem Wege nach Grand Cape Mount zur Küste zurückzu- 
kehren. Den Weg nach Boporo hoffte ich in drei verschiedenen 
Vorstössen mit Einhaltung von zwei dazwischenliegenden Stationen 
zu machen. Proviant glaubten wir nur bis zur Ankunft auf der 
Hochfläche nöthig zu haben, da ich dort nach den Mittheilungen 
des bereits genannten Reisenden Lebensmittel genug zu finden 
hoffte, um unter Hinzunahme unserer Jagdbeute uns und unser 
Dienstpersonal hinlänglich zu ernähren. In der grösstentheils offenen 
Umgebung von Boporo, an dessen König ich, wie bereits erwähnt, 
eine Empfehlung von Dr. BLyYDEn in Monrovia besass, hoffte ich 
eine sehr interessante zoologische Ausbeute machen zu können 
und durch den Regen nicht in dem Maasse vom Jagen abge- 
halten zu werden, wie dies in der Waldregion nothwendiger- 
weise der Fall gewesen wäre. Im weitern Verlaufe wird meine 
Erzählung darthun, wie wir an der Ausführung dieses an sich 
gut durchdachten Planes durch unvorhergesehene Umstände ver- 

hindert wurden. 

Für die Wahl des nahegelegenen Platzes Bavia als erste 
Station entschied namentlich der Umstand, dass wir, bis wir 
uns einigermassen in unsere neuen Verhältnisse eingewöhnt 
haben würden, in regem Verkehr mit der Mission«bleiben und 
nöthigenfalls die Hülfe Mr. Day’s anrufen oder uns dorthin 


za 


zurückziehen konnten. Wie schon gesagt, war es nicht möglich , 
zu Wasser weiter landeinwärts zu gelangen, und wir waren 
daher genöthigt, in der Umgebung wohnende Eingeborne als 
Träger anzuwerben, um unsere Bagage nach Bavia hinaufzu- 
schaffen. Mit der grössten Bereitwilligkeit unterzog sich Mr. Day 
dieser Aufgabe. Es war nicht leicht, die nöthigen 386 Mann für 
einen und denselben Tag aufzutreiben, da die Arbeit in den 
Pflanzungen alle Kräfte in Anspruch nahm und Mr. Dar seine 
eigenen Arbeiter nicht entbehren konnte. Er sandte daher einige 
seiner Leute in benachbarte Negerdörfer, um die erforderliche 
Mannschaft für Mittwoch, den festgesetzten Tag unserer Abreise, 
zu beschaffen. 

Die Zwischenzeit füllten wir mit einigen kleinen Ausflügen in 
die nächste Umgebung aus, die uns sofort überzeugten, dass die 
Mission, weil zu weit vom Hochwalde entfernt, kein geeigneter 
Platz für eine Jagdstation gewesen wäre. Die Missionsgebäude 
selbst liegen auf dem Rücken eines sonnigen Hügels, 220° über 
dem Flusse, der dessen östlichen Fuss bespült und etwa 10 
Minuten weiter unten die erste Stromschnelle bildet. Dieser 
Hügel würde vermöge seiner freien Lage eine ausgezeichnete 
Fernsicht gewähren, wenn die mit Dunst gefüllte Luft sie nicht 
unmöglich machte. Die Gebäude der Mission bestehender Haupt- 
sache nach aus dem Wohnhause des Missionärs, einem weitläufig 
angelegten Hause für die Zöglinge und das Dienstpersonal, dem 
bereits genannten Schulhause, einem Gebäude zum Trocknen 
des Kaffees und einigen zu verschiedenen Zwecken verwandten 
Dependenzen. Sämmtliche Gebäude sind aus Holz construirt, 
d.h. sie bestehen nach Art der liberianischen Holzhäuser aus 
einem Gerippe von Balken mit Wänden von schuppenartig sich 
deckenden Planken und einem Dache von Holzschindeln. Die 
Hauptgebäude stehen nicht direkt auf dem Boden, sondern auf 
zahlreichen, 2—3 Fuss hohen, in den Boden eingerammten Pfählen , 
die unter dem Fussboden eine freie Lufteirkulation ermöglichen. 
Einige kunstlose, steinerne Stufen führen von dem stets reinge- 
haltenen Platze zu der luftigen Piazza hinauf, die den Tag über 
angenehmen Schatten spendet und es am Abend erlaubt, draussen 
zu sitzen, ohne dass man von dem reichlich fallenden Thau 


a 


durchnässt wird. Da diese sogenannte Piazza sich beinahe rund 
um das ganze Wohnhaus herumzieht, so steht den ganzen Tag 
über ein schattiges Plätzchen zur Verfügung. Im Erdgeschoss 
befinden sich die Wohnräume, das Arbeitszimmer des Missionärs, 
sowie sein Comptoir und Waarenmagazin, während im ersten 
Stocke die Schlafräume nebst einem reservirten Zimmer für 
etwaige Gäste liegen. 

Auf einem gut unterhaltenen Fusspfade längs zahlreichen 
Limonenbäumen mit blassgelben, kleinen Orangen gleichenden 
Früchten gelangt man in kaum 10 Minuten an den Fluss hinab. 
Hier wird man durch ein wahrhaft reizendes Landschaftsbild 
überrascht. Der Fluss bildet nämlich, aufgestaut durch die etwas 
unterhalb sich befindende Felshank, eine spiegelglatte, seeartige 
Fläche, aus welcher infolge des niedrigen Wasserstandes zahl- 
reiche Steinblöcke emporragen. Die hier überall zu Tage tretende 
Felsformation scheint aus einem ähnlichen, granitartigen Gestein 
zu bestehen, wie ich es schon in Monrovia beobachtet hatte und 
auch später noch weiter im Innern überall wiederfand. Der Fluss 
nimmt hier einen ziemlich geraden Lauf nach Süden. Dicht auf 
seinem linken (östlichen) Ufer erhebt sich ein waldbedeckter 
Höhenzug, der ihn auf eine weite Strecke hin zu flankiren 
scheint. Während wir in einem kleinen Canoe auf der glatten, 
krystallenen Fläche zum andern Ufer hinüberfuhren, fand 
einer unserer zurückgelassenen Bedienten im Ufersande eine 
Anzahl Schildkröteneier, die wahrscheinlich der dort lebenden 
Sumpfschildkröte (Sternotheres derbyanus) angehörten. Sie waren 
kugelrund, hatten etwa 3 cM. Durchmesser und waren nicht, 
wie die Eier der meisten Schildkröten, mit einer pergament- 
artigen Haut, sondern von einer harten, kalkartigen Schale 
umschlossen. 

Wie im Osten durch den St. Paul, so wird im Süden das 
Grundgebiet der Mission durch einen kleinen, ein enges Thälchen 
durchrauschenden Bach abgegrenzt, der sich weiter östlich in 
den Fluss ergiesst. 

Ein grosser Theil des zur Mission gehörenden Gebietes ist mit 
Kaffeebäumen bepflanzt, von denen die ältesten, am südlichen 
Abhang des Hügels stehenden besonders üppig aussehen, da sie 


eure 


gegen 20 Fuss hoch und mit Früchten in allen Stadien der Ent- 
wicklung geradezu überladen sind. Der Rest des bebauten Bodens 
ist mit allerlei Erdfrüchten, Gemüsen, Pisang- und Bananen- 
büschen, Melonen-, Mango-, Orangen-, Limonen- und Brodbäumen 
bepflanzt. Die ganze Gegend um die Mission herum ist ein 
weites Hügelgebiet, in dem die ursprünglichen Wälder durch 
die Kaffee- und Zuckerplantagen der immer weiter vordringenden 
liberianischen Colonisten allmälig zurückgedrängt wurden. 

Gerade in jener Zeit hatte sich eine ganze Colonie von aus 
Amerika angekommenen schwarzen Einwanderern eine kleine 
Stunde hinterhalb der Mission festgesetzt, in grossartigem Maas- 
stabe die Wälder ausgerodet und ausgedehnte Pflanzungen an- 
gelegt. Diese umfangreiche Niederlassung trägt den Namen Ar- 
thington und hat eine eigene Gemeindeverwaltung. 

Die Umgebung der Mission giebt im Allgemeinen ein ziemlich 
treues Bild des landschaftlichen Gesammtcharakters der bebauten 
Ufergebiete am untern St. Paul. Diese Landschaft trägt durchaus 
nicht den Stempel des Grossartigen, Ueberwältigenden und 
Schrankenlosen, der in jeder Hinsicht dem tropischen Urwald 
aufgedrückt ist. Und doch. fehlt ihr nicht ein eigenthümlicher 
Reiz, ein gewisser poetischer Duft, den man im erdrückenden, 
beängstigenden Hochwalde nirgends findet, so dass man ihr auf 
die Dauer doch den Vorzug giebt. Wie wohl wird dem Wanderer 
und wie tief athmet er auf, wenn er aus den dunkeln, tunnel- 
artigen Laubgängen in die freie Luft hinaustritt! So hat denn 
eben jede Landschaft ihre eigenen Reize, die gerade durch ihre 
oft schroffen Gegensätze noch mehr zur Geltung kommen und 
zu einem allgemeinen Bilde sich zusammenfügen, das vor dem- 
jenigen anderer nicht zurückzustehen braucht. Ein solches Cha- 
rakterbild der liberianischen Landschaft zu entrollen, wird die 
Aufeabe des nachfolgenden Capitels sein. 


V. 


Die Pflanzenwelt. 


Strandflora: Dorn- 
gebüsch. — Ipomoed. — 
Zwerghafte Dattelpal- 
men. — Sumpfflora: 
Die Rhizophorenwäl- 
der, ihre Bedeutung 
und ihre Bewohner. — 

. Die Grassteppe: 
Steppenbrände. — Cha- 
rakteristische Step- 

penbäume. — Buschwald. — Ur- 
sprung der Steppe. — Uebergang 
zum Hochwald. — Palmen: Oel- 
palme. — Weinpalme. — Kokos- 
palme. — Der Urwald: Erster 

Eindruck. — Riesenbäume. — 

Bäume zweiten Ranges. — Unter- 

holz, Lianen und Schmarotzer- 
pflanzen. — In den Waldsümpfen. 

— Thierwelt des Hochwaldes. — 

Die Hochfläche: Weiden. — 

Landbau. — Holzarmuth.— Eigen- 

thümlichkeiten der Flora: 

Blätterschmuck. — Blattwechsel. 


Die Flora Liberia’s ist 
bisher so gut wie unerforscht 
geblieben und würde ohne 

Zweifel ein äusserst lohnen- 
des Untersuchungsfeld bie- 
ten. So viel ich weiss, ist 
speziell in Liberia nur einmal ein Anlauf zu botanischen Unter- 
suchungen gemacht worden, und zwar durch den jungen Botaniker 


PHILIPP SCHÖNLEIN, Sohn des berühmten Berliner Arztes, der zu 
LIBERIA, 1. 6 


Oelpalmen in der Savane. 


ra. 


Anfang September 1855 am Cap Palmas seine Thätigkeit begann, 
aber schon am 8. Januar 1856 den Folgen eines Sonnenstichs 
erlag. In dem von F. Kıorzsch (siehe Literaturverzeichniss) 
bearbeiteten, zusammen 14 verschiedene Arten enthaltenden 
botanischen Nachlasse SCHÖNLEIN’S — seine übrigen Sammlungen 
haben Europa nicht erreicht — befanden sich nicht weniger als 
fünf neue Arten (lxora odoratissima, Heinsia pubescens, Phyllo- 
cosmus africanus, Acrolobus Schoenleiniüi und Gomphia Schoen- 
leiniana). Die Flora scheint übrigens theils mit derjenigen von 
Sierra Leone, theils mit derjenigen der östlicher gelegenen 
Gebiete verwandt zu sein, so dass zu deren Studium HookEr’s 
„Niger Flora” !) mit vielem Vortheil benutzt werden kann. Der 
Botaniker der englischen Niger-Expedition, Dr. THEODOR VOGEL, 
welcher am 17. December 1841 auf der Insel Fernando Po der 
Dysenterie erlag, besuchte im Sommer des nämlichen Jahres auf 
der Hinreise die liberianischen Küstenplätze Monrovia,. Grand 
Bassa und Cape Palmas, woselbst er, soweit der kurze Aufenthalt 
es erlaubte, Sammlungen anlegte. Manche interessante Mitthei- 
lung bringt das in genannter Schrift enthaltene Tagebuch Vockr’s, 
während sein im zehnten Bande der Zeitschrift Linnaea erschie- 
nener und einige seiner Briefe enthaltender Nekrolog interessante 
Mittheilungen über die Kruneger giebt. 

Liberia besitzt, wie von einem so reich bewässerten Tropen- 
lande kaum anders erwartet werden kann, einen ungemein 
üppigen Pfianzenwuchs, bei dem selbst der Rücken der niedrigen 
Stranddüne und besonders deren innerer, dem Lande zugekehrter 
Rand nicht leer ausgeht. Dieser Letztere ist gewöhnlich mit 
dornigsem Gestrüpp bewachsen, .das viel an unsern Schwarzdorn 
erinnert, während auf freiern Stellen Ipomoea pes caprae SW., 
eine in die Familie der Convolvulaceen gehörende Pflanze mit 
üppigen, dunkelgrünen Blättern und grossen, violettrothen Blu- 
mentrichtern, über den Boden hinkriecht und denselben netzartig 
bedeckt. Eine andere charakteristische Pflanze dieses Küsten- 
saumes ist eine strauchartige, stammlose und an der Basis 
dornige, kaum über 1 M. hoch werdende Fiederpalme, Phoenix 


I) London 1849, with 2 views, map and 50 plates. 


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LANDSCHAFT AM STOCKTON CREEK. 


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spinosa Schum. & Thonn., welche auch wohl die wilde Dattel- 
palme genannt wird. Am häufigsten findet man dieselbe am 
Fusse der Vorgebirge und andern felsigen Küstenplätzen, wo 
sie sogar kleine Bestände von Gestrüpp bildet). Ihre harten 
und kurzen, graugrünen Fiederblätter werden von den Einge- 
bornen zu allerlei Flechtarbeiten, besonders zu Hüten, ver- 
wandt. Ausser den Strandwällen und einigen kleinen, sandigen 
Grasflächen dicht hinter denselben ist mir kein einziger Fundort 
dieser Palme bekannt geworden. 

Die Sumpfgebiete des Küstenstriches und die sumpfigen Fluss- 
ufer sind, soweit die Meeresfluth eindringt und das Flusswasser 
brackig macht, mit undurchdringlichem Mangrovewald bedeckt, der 
dieser Gegend auf den ersten Blick einen eigenthümlich mono- 
tonen Charakter verleiht. Schon von weitem, besonders von 
einer Höhe aus gesehen, machen diese niedrigen, mattgraugrünen, 
endlosen Mangrovewälder einen sehr melancholischen Eindruck. 
Dieser verliert sich jedoch, sobald man auf.einem jener schwarzen, 
einsamen Creeks in die Mangrove hineinfährt und sich dieselbe 
genauer ansieht. „Ein Wald auf Stelzen!” ruft der Uneingeweihte 
verwundert aus, und er hat dabei in vollem Maasse Recht. — 
Auf einem unentwirrbaren Labyrinth von zweig- und blattlosen, 
fingerdicken Bogen entwickelt sich, 6-8 über dem Wasser 
oder besser gesagt, über dem Schlamm, ein Buschwald von wirr 
durcheinander gewachsenen, knorrigen Aesten mit ganzrandigen , 
lederartigen, mattgrünen Blättern, über dem sich nur hie und 
da ein baumartiges, verkrüppeltes Gebilde höher in die Luft 
erhebt. Die genannten Stelzen und Bogen sind nichts Anderes 
als Luftwurzeln, die, niederhangenden Tauen gleich, von den 
Aesten abwärts wachsen, bis sie sich dicht über dem Wasser 
plötzlich in drei oder vier Theile gabeln und dann, sich in das 
Wasser einsenkend, Büschel von fadenförmigen Wurzeln treiben. 
Diese graurindigen, sehr markreichen Gerten erstarken sehr bald 


ı) Die mir persönlich bekannten Fundorte dieser Palme sind Grand Cape 
Mount, Cape Messurado, Bassa Cove, Bloobarra Point bei Sinoe, von wo ich 
lebende Exemplare mitbrachte, welche nun im botanischen Garten in 
Leiden vortrefflich gedeihen, und Cape Palmas, wo auch Dr. VoGEL sie ge- 
funden hat. 


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und treiben ihrerseits oben in der Astregion neue Zweige, die 
sich über das Wasser hinauswölben, um dann wiederum ihre 
Luftwurzeln hinabzusenden. Zwischen diesen im Wasser wur- 
zelnden Schösslingen nun setzt sich nach und nach Schlamm 
an, der sich mit der Zeit immer mehr consolidirt, endlich Sumpf- 
gebiet bildet und, je mehr die Mangrovebildung an der Wasser- 
seite fortschreitet, allmälig zu festem Lande wird. 

Erst nachdem der auf diese Weise dem Wasser abgewonnene 
Boden eine gewisse Festigkeit erlangt hat und grössere Lasten 
tragen kann, fangen die Aeste an, zu erstarken und baumartig 
bis zu einer Höhe von 20-30’ emporzuwachsen. Unter der 
erhöhten Last des Oberholzes beugen sich dann die elastischen, 
ursprünglich senkrechten Stützen und bilden das erwähnte Bogen- 
labyrinth. 

Es ist ausser aller Frage, dass die Mangrove einen bedeutenden 
Faktor bei der Bildung von neuem Lande ausmacht, namentlich 
in den Mündungsgebieten der Flüsse, die viel Schlamm mit sich 
führen, welcher durch die Fluth in das Wurzelgewirr hineinge- 
drängt und dort durch die Ebbe zurückgelassen wird. Diese den 
Verhältnissen vorzüglich angepassten Pflanzen können, zusammen 
mit dem Pandanus, mit Recht als die Amphibien der Pflanzen- 
welt bezeichnet werden, da sie abwechselnd bald bis an die 
Aeste hinauf im Wasser stehen, bald mit dem ganzen Wurzel- 
labyrinth über Wasser und Schlamm emporragen. 

Eine besonders merkwürdige Erscheinung dieser Rhizophoren }) 
ist die, dass die Saatkeime sich entwickeln, bevor die Frucht 
von der Mutterpflanze abfällt. Die junge Pflanze zeigt sich am 
Ende der ziemlich kleinen Frucht erst als ein zapfenartiger 


 Obschon ich keine Beweise beibringen kann, glaube ich doch sicher 
zu sein, dass in den von mir besuchten Gegenden wenigstens zwei VeT- 
schiedene Rhizophoren-Arten vorkommen. Die zweite Art wächst weiter oben 
an den Flüssen und bildet ziemlich hohe Bäume mit starken bis 50° hohen 
Stämmen und gut entwickelten Kronen, aus welchen die schlanken Luft- 
wurzeln gleich langen Tauen ins Wasser herabhangen. Auch diese Bäume 
stehen auf einem weitverästeten Wurzelgerüst. — Die in den Sümpfen des 
Küstengebietes von Grand Bassa angetroffenen Mangrove-Arten hält Dr. VOGEL 
(Niger Flora, p. 35 und 341) für Rhizophora mangle L. und Rh. racemosa 
Meyer, welche Arten auch in Amerika einheimisch sind, 


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AM STOCKTON CREEK. 


LANDSCHAFT 


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Auswuchs, welcher, abwärts gerichtet, sich bald keulenförmig 
in die Länge entwickelt, die nach und nach zwei Fuss und mehr 
betragen kann. Am untern Ende dieser grünen Keule zeigen 
sich zahlreiche rothe, warzenartige Erhebungen, die, sobald die 
Keule abfällt und sich in den Schlamm einbohrt, Büschel von 
Wurzelfasern aussenden. 

Obgleich die Mangrove in diesen Sumpfgebieten die Haupt- 
rolle spielt, darf sie doch nicht als die ausschliessliche Bewoh- 
nerin desselben betrachtet werden. Unter ihren Genossen ver- 
dient besondere Erwähnung der ebenfalls auf hohen Luftwurzeln 
ruhende Pandanus (Pandanus candelabrum) der seiner grotes- 
ken Formen und der kopfgrossen, stacheligen Früchte wegen 
überall die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und, ebenso wie die 
Weinpalme, besonders an den Ufern der Flüsse und Creeks 
sefunden wird. Weiter landeinwärts, wo die Mangrove ihre 
Existenzbedingungen nicht mehr findet und nach und nach ganz 
verschwindet, erscheint dann die Oelpalme und verschiedenartiges 
Strauchwerk als Uebergang zu der Festlandstflora. 

Nicht mit Unrecht werden die Mangrovesümpfe als die haupt- 
sächlichsten Herde der verderblichen Sumpffieber angesehen und 
daher mit ängstlicher Scheu gemieden. Führt Einen aber zufällig 
einmal die Jagd, z.B. beim Aufsuchen eines angeschossenen 
Wildes, in die Bogengänge eines solchen Labyrinthes hinein, 
dann mag er zusehen, wie er wieder herauskommt. Ohne hie 
und da bis auf Brusthöhe in eine trügerisch mit blau irisirendem 
Schleim überzogene Wasser- oder vielmehr Morastlache einzu- 
sinken, kommt man selten weg, so sehr man auch bemüht sein 
mag, durch das Astwerk zu klettern oder die langen, hollunder- 
artigen Wurzelbogen niederzutreten, um nur irgend etwas unter 
die Füsse zu bekommen. Ist man aber erst einmal trotz des 
Taschenkompasses durch bodenlose Stellen von der eingeschla- 
genen Richtung abgebracht und in die Irre gerathen, so wird 
man von einer an Wahnsinn grenzenden Verzweiflung befallen, 
bis man diese pestathmenden, von faulenden Substanzen stin- 
kenden und bei jedem Schritt aufbrodelnden Moräste glücklich 
wieder hinter sich hat, zumal, wenn in dieser bleiernen, von 
jedem kühlenden Windhauch abgeschlossenen Atmosphäre die 


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glühende Mittagssonne den Scheitel versengst oder die Fluthzeit 
serade eingetreten ist. 

Wer würde unter solchen Umständen in diesen Pestsümpfen 
ein reiches Thierleben für möglich halten? Und doch fehlt es 
daran nicht, so still und todt dieselben auch auf den ersten 
Blick erscheinen mögen. Der aufmerksame Beobachter, der im 
leichten Canoe durch die Mangrove hingleitet und sich dann 
irgendwo auf die Lauer legt, ist geradezu erstaunt, welch reicher 
Fülle thierischen Lebens diese öden Sumpfwildnisse zum Tummel- 
platze dienen. Der schwarze Schlamm lebt stellenweise förmlich 
von den Schaaren von Mosquiten- und andern Insektenlarven, 
und darüber hin spazieren, grossen Spinnen gleich, bald vor-, 
bald seit-, bald rückwärts, geschäftige Krabben, worunter am 
. häufigsten die verschiedenen Arten der Gattungen Sesarma und 
Gelasimus. Auf freien, schlammigen Stellen sonnen sich Schaaren 
von gesellig lebenden Springfischen (Periophthalmus koelreuteri), 
bei den Liberianern „jumping fishes” und „big eye bompies’” ge- 
nannt, die eine amphibienartige Lebensweise führen, sehr selten 
untertauchen, beim leichtesten Geräusche den dicken Kopf mit 
den blutrothen, stark hervortretenden Glotzaugen in die Höhe 
heben und auf ihren fusstummelähnlichen Brustflossen hastig 
- davonhumpeln. Zahllose, überaus zudringliche Stechfliegen machen 
den Aufenthalt daselbst zur Qual, und wehe dem Jäger, der sich 
draussen verspätet hat und zur Nachtzeit durch die Mangrove 
nach Hause fahren muss: er wird von den summenden Mosqui- 
tenschwärmen fast zu Tode gemartert und hat am andern Morgen 
meist einen derart geschwollenen Kopf, dass ihm kaum ein Hut 
mehr passen will. An den Wasserschösslingen der Mangrove 
hangen stellenweise, nur von der Fluth bespült, ganze Colonien 
von grossen, essbaren Austern, die besonders im Beginn der 
trockenen Jahreszeit wegen ihrer Schmackhaftigkeit von Einge- 
bornen und Liberianern gleich sehr gesucht werden und die 
armselige Speisekarte des weissen Jägers um eine angenehme 
Nummer reicher machen. — Oben auf den Büschen sitzen zahl- 
reiche, zum Theil riesenhafte und schönfarbige Eisvögel, wie in 
stilles Hinbrüten versunken, bis sie sich plötzlich kopfüber ins 
Wasser stürzen und, auf ihren Sitz zurückgekehrt, ein erbeutetes 


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Fischchen hinunterwürgen. Hier suchen Sumpfschnepfen (Tringa 
hypoleucos)- und Wasserläufer (Totanus camescens) auf trockenlie- 
senden Schlammbänken emsig nach Futter ; weiter drinnen schlüpft 
ein Zwergreiher durch das Dickicht hin; dort spaziert gemessenen 
Schrittes ein weissköpfiger, schwarzer Storch (Ciconia episcopus), 
ein Silberreiher oder ein grünschillernder Ibis auf und ab oder 
steht fischend im seichten Wasser; drüben im Gezweige hat eine 
Colonie von schieferfarbigen Reihern (Ardea atricapilla) ihre primi- 
tiven, durchsichtigen Reisignester sich gebaut, deren Besitzer, 
mit ihren Zehen die Wurzelbogen umklammernd, bedächtig auf 
und nieder klettern. Cormorane und Schlangenhalsvögel sitzen 
träge, mit S-förmig eingezogenen Halse, auf. den Aesten in der 
Nähe des Wassers; ein Flug Wildenten, gestört durch ein nahen- 
des Canoe, schwirrt pfeifend auf, Schwärme von fruchtfressenden,, 
srünen Papagaitauben fallen ein, an den grünen Samenknospen 
der Mangrove ihr Mahl zu halten, und hoch über Allem erhaben 
ziehen gabelschwänzige, braune Milane (Milwus aegyptius) und 
schwarzweisse Seeadler (@ypohierax amgolensis) ihre Kreise. Und 
damit es auch an grösserem Gethier nicht gänzlich fehle, durch- 
wühlt weiter rückwärts in der Mangrove das Pinselschwein 
(Sus penicillatus) den Sumpf, während draussen am Wasser, 
einem knorrigen, halbverfaulten Baumstamm gleich, in träger 
Ruhe ein Krokodil sich sonnt und auf eine arme Antilope oder 
ein Moschusthier lauert, die das Unglück hier zur Tränke führt. 

Den Uebergang von den Mangrovesümpfen zu der Waldregion 
bilden gewöhnlich sandige Grassteppen (Savanen), die sich 
jedoch stellenweise, den Sumpf vertretend, bis an die Küste 
erstrecken und vielfach durch Gebüsch, kleine Gehölze und 
Palmengruppen (Oelpalmen) unterbrochen werden. Das Gras dieser 
Steppen wächst oft bis zu Mannshöhe auf, wird aber alle Jahre 
zu Ende der Trockenzeit von den Eingebornen weggebrannt. 
Diese grossen Steppenbrände gewähren einen ungemein impo- 
santen Anblick. Das Feuer wälzt sich mit grosser Schnelligkeit 
über die weite Fläche hin, alles thierische Leben, das die Steppe 
das ganze Jahr beherbergte, in wilder Flucht vor sich her jagend. 
Nur wenig entgeht dem vernichtenden Elemente, denn das Step- 
pengras ist immerhin nicht hoch genug, um grösseren Säuge- 


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thieren sichere Zufluchtsorte darzubieten, die kleinern aber, sowie 
auch die weniger schnellen Reptilien und Amphibien werden auf 
ihrer Flucht zum guten Theil die Beute zahlreicher Raubvögel 
oder sie werden durch das Feuer ereilt und bleiben halb ver- 
kohlt auf der schwarzen Fläche liegen. Die ohnehin stets zahl- 
reichen Milane (Milvus aegyptius) schaaren sich bei solchen Step- 
penbränden zu Dutzenden zusammen und stürzen sich im Verein 
mit den ebenfalls durch das Feuer angelockten Weihen (Circus 
macrourus) mitten durch die dichten Rauchwolken auf die empor- 
gescheuchten, rathlosen Schlachtopfer nieder, so dass ihnen kaum 


Ein Steppenbrand. 


etwas entrinnt, was nicht dem verheerenden Elemente zum Opfer 
fällt. Gleich nach den ersten Regengüssen bedeckt sich dann der 
schwarzgebrannte, kahle Steppenboden mit frischem Grün, das 
aus der solcherart gedüngten Erde ausserordentlich üppig hervor- 
sprosst. Unglücklicherweise leidet bei diesen Steppenbränden 
auch der Holzwuchs ungemein, und die angebrannten Palmen 
und andern Baumstämme können sich während der Regenzeit 
nur schwer oder gar nicht erholen. Nur das frisch aufgewachsene 
Gras ist als Weide geeignet und wird denn auch häufig, besonders 


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zur Nachtzeit, von Antilopen und wilden Büffeln besucht. Das 
alte Gras ist jedoch viel zu hart und kieselreich, um als Futter 
dienen zu können. Der Charakterbaum dieser Steppen ist Anona 
senegalensis, von den Liberianern wild peach-tree (wilder Pfirsich- 
baum) genannt, ein niedriger, krüppelhaft verwachsener Baum 
von kaum über vier Meter Höhe, mit halbverdorrt erschei- 
nenden, graugrünen Blättern und pfirsichartig aussehenden 
‘ Früchten von ungemein herbem Geschmack, während ihr Geruch 
täuschend an Ananasse oder Erdbeeren erinnert. Die Rinde, 
besonders diejenige der Wurzel dieses Baumes, liefert einen stark 
adstringirenden Thee, der gerade wegen dieser Eigenschaft von 
vielen Liberianern als Fiebermittel gebraucht wird. Die abge- 
fallenen reifen „wilden Pfirsiche” sind eine Lieblingsspeise der 
Pinselschweine, gerade so wie die bittern Eicheln bei unseren 
Schweinen beliebt sind; der Anstand auf diese Thiere liefert 
jedoch selten ein Resultat, da die Bäume überall zerstreut stehen 
und nur der blosse Zufall ein Thier unter Schuss bringt. 

Ob diese Grassteppen von je her das waren, was sie jetzt sind, 
oder ob sie die stelle früherer Wälder einnehmen, ist schwer 
zu sagen. Nach der Beschaffenheit des Bodens sollte man jedoch 
eher vermuthen, dass sie an die Stelle früherer, nach und nach 
versandeter Seebecken getreten seien. So viel ist sicher, dass 
sie stets Grassteppen bleiben werden, denn aus verschiedenen 
Gründen ist es dem Walde nicht möglich, hier festen Fuss zu 
fassen. Dasselbe ist auch weiter im Innern der Fall, wo man, 
wie im Flussgebiet des Mahfa River, hie und da mitten in der 
Waldregion bedeutende Grassteppen antrifft. Diese Letzteren sind 
früher unstreitig Waldboden gewesen, doch wird die gegenwärtige, 
nun einmal vorhandene Grassteppe ohne künstliche Aufforstung 
kaum jemals wieder in Hochwald zurückverwandelt werden können. 

Der Uebergang von der Grassteppe zum eigentlichen Urwald 
ist bei Weitem nicht so unmittelbar, wie man wohl annehmen 
möchte. In der Regel liegt zwischen beiden ein von Eingebornen 
bewohnter Landstrich, der aus theils frisch angelegten, theils wieder 
dem Naturzustande überlassenen, theils sogar wieder zu Hochwald 
gewordenen Pflanzungen besteht. Diese gemischte Vegetation 
bietet ein äusserst abwechslungsreiches Bild dar und ist auch zur 


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Jagd weit besser geeignet, als der finstere Urwald, die halbver- 
dorrte Grassteppe oder gar die ausgedehnten, bodenlosen Mangro- 
vesümpfe. Wie später ausführlicher dargelegt werden soll, befolgen 
die Eingebornen bei ihrer Bodenkultur eine Art Raubwirthschaft, 
indem sie den einmal urbar gemachten Waldboden nur während 
einer kleinen Reihe von Jahren benutzen und ihn dann wieder 
sich selbst überlassen. Eine solche verlassene Farm ist schon 
nach ein paar Jahren wieder mit dem üppigsten Buschwald 
bedeckt, der nach einigen weitern Jahren zu stattlichem Hoch- 
wald herangewachsen ist. Dieser Buschwald und die Säume des 
Hochwaldes haben mich oft an den Zauberwald vom Dornröschen 
erinnert. Es ist buchstäblich eine Unmöglichkeit, ohne Hack- 
messer in solch einen, wie von einer Pflanzenmauer umschlos- 
. senen Buschwald einzudringen. Das sparrige Astwerk ist wie 
ineinander verfilzt und dabei von einer üppig wuchernden Sela- 
sinelle (Selaginella scandens Spring.) durchwachsen, die hoch durch 
alle Büsche hinaufkriecht und diese mit einer moosgrünen 
Decke überzieht. Etwas freiere Plätze sind mit schönen Lyco- 
podien (Zycopodium scandens Swartz) bedeckt, und auch der 
Guru- oder Kolanussbaum (Sterculia acuminata Beauv.), welcher die 
vielbegehrte Kolanuss liefert, wird hier, wenn auch weniger oft 
als im Innern, angetroffen. 

Häufiger noch als auf der Grassteppe findet man in diesen 
Uebergangsgebieten herrliche Palmen, worunter die Oelpalme 
(Elaeis gwineensis) den ersten Rang einnimmt. Sie ist die höchste 
und schlankste unter allen Palmen Liberia’s, nimmt mit beinahe 
jedem Boden vorlieb und wird daher überall, aufsonnigen Hügeln, 
in der Steppe und oft sogar im Sumpfe angetroffen ;.am häufigsten 
aber findet sie sich in offenen Gegenden, gemischt mit anderm 
Gehölz, selten in reinen Palmenbeständen, niemals aber im 
eigentlichen Urwalde, so dass man, wenn irgendwo im Hoch- 
walde diese Palme auftritt, mit vollem Recht vermuthen darf, 
dass solch ein Wald jüngern Ursprungs ist. Sehr häufig erscheinen 
sie dagegen in den untern Gegenden der Mandingo-Ebene, wo der 
Urwald sich lichtet und kleine Gehölze wieder mit Grassteppen 
abwechseln. Weiter im Innern dieser Ebene verschwindet mit 
sämmtlichem Holzwuchs auch die Oelpalme. 


Wie immer auch und unter welchen Umständen man dieselbe 
antrifft, überall macht sie durch das Zierliche in ihrem ganzen 
Habitus einen wohlthuenden, angenehmen Eindruck. Auf dem 
kaum mannsdicken, meist kerzengeraden , bis 20 M. hohen Stamme 
wiegt sich die stattliche, nicht allzuschwere Fiederkrone graziös. 
im Winde hin und her. Ist die Palme sich selbst überlassen, 
so erhält der Stamm durch die sitzenbleibenden Wedelstümpfe 
' ein verwildertes, struppiges Aussehen und ist dann gewöhnlich 
bekleidet mit in den Blattachseln sich ansiedelnden, epiphytischen 
Farnen, Selaginellen und Schlingpflanzen, die oft in bis zur Erde 
niederhangenden, natürlichen Festons ganze Baumgruppen ver- 
binden. In der Regel aber werden die Stämme von den Einge- 
bornen der Blattstümpfe entledigt, um sie erklimmen und die 
Fruchtstände herunterholen zu können, und dann bilden die tiefen 
Narben der Fiederschäfte auf der Rinde eine zierliche, regelmäs- 
sige Zeichnung. Die Fruchtstände, meist drei bis vier zugleich, 
sitzen auf kurzen Stielen in den Blattwinkeln der Wedelkrone. 
Sie sind, was ihre Gestalt anbetrifft, am besten mit einer Ananas 
zu vergleichen, werden bis 50 Cm. lang und über 30 Cm. dick 
und haben dann ein Gewicht von 10-50 Kg. Die Früchte sitzen 
einzeln, aber dichtgedrängt und nur durch die vorstehenden, 
stacheligen Deckblätter von einander getrennt, um die Achse 
des Fruchtstandes herum, wie die Schuppen an einem Tann- 
zapfen. Sie, haben die Grösse und Form einer mittelgrossen 
Pflaume, sind etwas kantig und gegen die Basis hin verjüngt. 
Unter der fettglänzenden, mennigrothen, lederartigen Oberhaut 
der Frucht (Palmnuss) liest das gleichfarbige, sehr ölhaltige 
Fleisch, das seinerseits wieder den Stein umschliesst. Dieser 
Letztere enthält schliesslich den ebenfalls stark ölhaltigen Kern. 

Nach der .Oelpalme ist die Weinpalme (Raphia vinifera) ®), 
die hervorragendste Palmenart. Diese liebt entschieden sumpfigen 
Boden, fehlt an trockenen Stellen gänzlich und entwickelt ihre 
volle Ueppigkeit und Pracht an den Ufern der Flüsse und 


)) Ich glaube mit Sicherheit, zwei. verschiedene Arten von Raphia ange- 
troffen zu haben, und zwar nicht etwa je eine Art auf einem gewissen 
Standplatze, sondern beide neben einander vorkommend. Die Eine zeichnet 
sich durch graugrüne, die Andere durch rothgelbe Fiederschäfte aus. 


2.9 


Creeks, die sie mit ihren 10-12 Meter langen Wedeln stellen- 
weise förmlich überdacht, indem sie oft auf lange Strecken jede 
andere Vegetation gänzlich unmöglich macht. Sie hat keinen 
eigentlichen Stamm und wird daher bei Weitem nicht so hoch 
und schlank, wie ihre schon genannte Schwester, dagegen aber 
ıimponirt die Krone durch ihren bedeutenden Umfang und die 
ausserordentliche Grösse der Fiederblätter. 

Einige andere einheimische, echte Palmenarten können, da sie 
von keinem praktischen Nutzen sind und in nur geringer Verbrei- 
tung sich finden, hier kaum in Betracht kommen, und es bleibt 
daher, um das Bild dieser Kinder der Tropen zu vervollständigen, 
nur noch die Kokospalme (Üocos nucifera) zu erwähnen. Diese 
ist schon seit langer Zeit nach Westafrika verpflanzt und wurde 
. allmälig über die ganze Küste verbreitet, scheint jedoch nirgends 
in verwildertem Zustande vorzukommen, ohne Zweifel weil die 
Kokosnüsse zu gross sind, um durch Thiere verschleppt zu 
werden. Man findet diese schöne Palme nur auf Niederlassungen 
von Americo-Liberianern, und zwar bis jetzt bloss in der Nähe 
der Küste Am Cap Palmas ist sie ziemlich häufig, an den 
übrigen Küstenplätzen findet man sie jedoch nur vereinzelt und 
allem Anschein nach mehr zur Zierde als direkt ihres Nutzens 
wegen angepflanzt. Sie gedeiht jedoch in Liberia ganz gut und 
würde, wenn die Liberianer etwas mehr Unternehmungsgeist 
besässen, bei ihrem raschen Wachsthum und der ‚frühen Trag- 
fähigkeit — schon im siebenten Jahre — wohl massenhafter 
angepflanzt werden, da ihr Fruchtfleisch ein feines Oel abgiebt 
und, ohne an Ort und Stelle gepresst zu werden, getrocknet 
den unter dem Namen Copra bekannten, werthvollen Handels- 
artikel liefert. 

Ein ganz anderes Bild, durchaus verschieden von Mangrove- 
sumpf, Grassteppe, Buschwerk und Palmenhain bietet der weite, 
majestätische Urwald, in den wir nun eintreten. Wie anders 
sieht es da aus, als in unsern finsteren Tannenwäldern, wo aus 
hellsrünem Moosteppich Stamm an Stamm kerzengerade gen 
Himmel ragt, oder im lichten Buchenwald, wo über glatten, 
weissrindigen Stämmen das hellgrüne, luftige Blätterdach sich 
wölbt, oder endlich selbst in jenen dunkelgrünen Eichenwäl- 


dern, wo reckenhafte Riesenstämme die weitästigen, gewaltigen 
Kronen tragen, deren Rauschen dem Besucher Ehrfurcht ein- 
flösst ! 

Der tropische Urwald ist mit keinem der genannten Wälder 
zu vergleichen, da er bei all seiner Grossartigkeit mehr den 
Charakter einer gemischten Waldung hat. Eine dumpfe, dampf- 
reiche Warmhausluft schlägt uns schon beim ersten Schritt 
entgegen, ein Geruch von vermoderndem Holze, von abgestor- 
benen Blättern und andern der Verwesung preisgegebenen Stoffen. 
In geheimnissvollem Dämmerlichte steht eine Scenerie vor uns, 
so grossartig, wie wir sie vorher nie zu sehen bekamen: ein 
wildes Chaos von Riesenstämmen, kleineren Bäumen und dichtem 
Unterholze, durchflochten von an Stämmen emporkletternden, 
aus den Aesten niederhangenden, über die Erde hinkriechenden, 
oft spiralig gewundenen Lianen von Bindfaden- bis Manns- 
dicke, — daneben niedergestürzte, halbvermoderte Stämme von 
mammuthartigen Dimensionen, worüber wieder andere, die, am 
Niederstürzen verhindert, angelehnt stehen blieben, — hie und 
da auch ein Riesenrohr von netzartig durcheinandergewachsenen 
Lianen, die sich oben in den Aesten festklammern und den 
Platz bezeichnen, wo ein Baumstamm unter ihren Umarmungen 
erstickt und, selbst im Tode nicht losgelassen, in aufrechter 
Stellung vermodert ist. Und über das Alles hin spannt sich in 
schwindelnder Höhe ein Blätterdach so dicht, dass selten oder 
nie das Licht der Sonne bis auf den Boden durchdrinst. 

Das ist der tropische Urwald, wie er sich auf den ersten Blick 
dem Besucher darbietet. Wer möchte sich dabei sofort für Ein- 
zelheiten interessiren? In stummer Bewunderung bleibt man wie 
angewurzelt stehen, und man könnte sich stundenlang in diesen 
Anblick vertiefen, um den gewaltigen Eindruck voll und ganz 
in sich aufzunehmen. Doch ebenso wie an eine imposante Hoch- 
alpen-Scenerie, gewöhnt man sich mit der Zeit auch an den 
Urwald, und dann erst beginnt man denselben näher anzusehen, 
ich möchte sagen, zu studiren. Was uns jedoch stets aufs Neue 
Bewunderung einflösste, das waren die Riesenbäume. Wir haben 
unter diesen Titanen der Pflanzenwelt Stämme gemessen, die 
auf Brusthöhe 30—40’ Umfang hatten und, bis auf eine Höhe 


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von 80 und mehr Fuss gleich dick, dann erst ihre gewaltige 
Krone ausbreiteten mit Aesten, die, nach europäischen Begriffen , 
gewaltigen Stämmen an Dicke gleichkamen. 

Unter dem Blätterdache dieses grossartigen Hochwaldes, in 
dessen Kronen die Thiere meist vor einem gewöhnlichen Schrot- 
schusse sicher sind, steht ein Hochwald zweiten Ranges — ein 
Wald im Walde! Dieser Letztere lässt sich etwa mit einem 
mächtigen Eichwalde vergleichen. Auch diese Bäume wölben ihre 
Kronen zusammen, doch sind dieselben, weil unaufhaltsam dem 
Lichte zustrebend, nicht so massig und weniger abgerundet. 
Einige dieser Bäume zweiten Ranges erinnern lebhaft an die 
Rhizophoren, insofern ihr Stamm, statt direkt auf dem Boden, 
auf einem bis über Mannshöhe sich erhebenden Gewirr von Wurzeln 
. steht oder, wenn er wirklich auf dem Boden ruht, bis auf jene 
Höhe ringsum Luftwurzeln aussendet, um mehr Halt zu gewinnen. 
Auch die Riesenbäume vermehren den Halt, den sie bereits in 
den Wurzeln besitzen, durch nach Art einer T-Schiene gebildete 
Strebepfeiler, die sich vom Boden aus, wo sie am weitesten 
abstehen, den Stamm hinauf allgemach verjüngen, und deren 
Zwischenräume tiefe Nischen bilden. Unter diesen Waldriesen 
ist der Bombax oder Wollbaum (Eriodendron anfractuosum) 
schon von Weitem an seiner gewaltigen Dicke und an seiner 
weissen, glatten Rinde kenntlich !). Er wird gerne zum Bau der 
srossen Canoes verwandt, die wegen des weichen, schwammigen 
Holzes zwar leicht anzufertigen, aber aus demselben Grunde nur 
von kurzer Dauer sind. Die Wollbäume werden bei vielen Neger- 
dörfern einzelnstehend angetroffen, da die für Naturschönheiten 
im Allgemeinen ziemlich gefühllosen Neger vor ihnen immerhin 
einen gewissen Respekt zu haben scheinen und sie bei der 
Ausrodung des Waldes stehen lassen. 

Zwischen den Stämmen des Hochwaldes nun hat sich ein 
undurchdringliches Gewirre von Unterholz entwickelt, durch- 
schlungen und zusammengehalten von starken Lianen und 


ı) Junge Bäume dagegen sind mit einer solchen Menge von stacheligen 
Auswüchsen bedeckt, dass man sie eher für alles Andere, als für Woll- 
bäume ansehen würde. 


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Rotangpalmen (Calamus secundiflorus?)*!), die dem Menschen jede 
freie Bewegung dort unmöglich machen. Alles wächst in wilder 
Ördnunsslosigkeit hier durcheinander, und nur selten ist ein 
serades Stämmchen zu finden, das für einen Flaggenstock oder 
einen Bootsmast geeignet wäre Nur mit dem Hackmesser in 
der Hand ist man im Stande, sich durch solch ein Labyrinth 
seinen Weg zu bahnen, doch lässt sich an den umgeknickten 
Zweigen und den durch Abhacken eines Stücks Rinde kenntlich 
gemachten Baumstämmen der Rückweg meist ziemlich leicht 
finden. 

Auch unter den niedrigeren Pflanzenarten trägt Alles den 
Charakter fesselloser Ueppigkeit. Kräuter, die in unserm Klima 
kaum die Länge einer Hand überschreiten, haben dort ihre 
mannshohen Vertreter. Die Blätter erreichen oft eine für unser 
Auge übernatürliche Grösse und prangen in den überraschendsten 
Farbennüancen vom lichtesten Grün bis zu den dunkelsten 
Schatten, wobei jedoch die dunkeln Farbentöne entschieden 
das Uebergewicht haben. Vergeblich sucht das Auge nach dem 
wohlthuenden Grün unserer Wiesen — überall stösst es auf 
glänzende, wie lackirt aussehende, lederartige Blätter, die mit 
wenigen Ausnahmen allein im Stande zu sein scheinen, den 
heissen Strahlen der Tropensonne den nöthigen Widerstand 
zu bieten. 

Viele Pflanzen scheinen gänzlich von der Luft, wieder andere 
allein von Wasser leben zu können. Auf den in den wunder- 
lichsten Krümmungen verlaufenden Stämmen und Aesten hat 
sich ein Heer von parasitischen Pflanzen, namentlich von zier- 


!) Diese nützliche Schlingpalme kann, bei der Dicke eines Handgelenkes, 
eine Länge von über 100 M. erreichen, klettert in die höchsten Baumkronen 
hinauf, windet sich guirlandenartig von Baum zu Baum und breitet, wenn 
sie irgendwo Luft und Licht erreicht, ihre prachtvollen, bis an die Basis 
befiederten Wedel aus. Sie blüht in der Trockenzeit und trägt gegen das 
Ende derselben kolossale Fruchttrauben, die kleine, mennigrothe, beeren- 
artige Früchte haben. Oft bilden sich auch am Waldesboden ganze Dickichte 
von Rotangpalmen (vielleicht eine besondere Art), unter denen sich gerne 
wilde Schweine (Sus penicillatus) aufhalten. Diese Dickichte sind aber wegen ° 
der nadelscharfen Widerhaken, die unter dem gemeinschaftlichen Blattstiele 
sich befinden, beinahe undurchdringlich. 


oe 


lichen Farnen und Orchideen, angesiedelt, sowie von andern 
Schmarotzern mit nicht selten farbenprächtigen Blüthen. Eine 
besonders häufige und auffällige Schmarotzerpflanze ist ein wun- 
derlich gebautes, grosses Platycerium (P. stemmaria?), das aus 
einem Büschel schaufelförmiger, direkt auf Stämmen und Aesten 
der Waldbäume wuchernder Blätter besteht. Diese sind in der 
Jusend glänzend grün, werden aber später roth und bleiben 
selbst noch in abgestorbenem Zustande festsitzen, so dass man 
sie oft für riesige Vogelnester oder stillsitzende, rothe Colobus- 
affen ansieht. Ein mitgebrachtes Exemplar gedeiht jetzt vortrefflich 
im Orchideenhause des botanischen Gartens in Leiden. Von meinen 
zahlreichen ebendaselbst deponirten, mitgebrachten Orchideen haben 
es bis jetzt nur zwei Arten zum Blühen gebracht. Die eine ist 
_ Bolbophylium cocoinum Bat., die andere aber eine vermuthlich neue 
Art, der Gattung Megaclinium angehörend. In den Waldsümpfen 
und an sumpfigen Flussufern wuchern mannshohe Aroideen, eine 
Art von Amorphophallus mit riesigen, zwei Fuss langen, aussen 
srünen, innen braun getigerten Kelchen und armlangen Pfeil- 
blättern auf starken, dornigen, oft über mannshohen Stielen, 
Pflanzen, die unsere in Töpfen gezogene (alla aethiopica in 
Bezug auf Grösse weit in den Schatten.stellen !). Die schwarzen, 
stillen Waldcreeks und Wassertümpel sind stellenweise bedeckt 
mit lilienartigen Wasserpflanzen, welche Blumen vom zartesten 
Weiss und dem herrlichsten Wohlgeruche tragen. Schöne weisse 
Wasserrosen, gleich unserer Nymphaea alba, aber mit ausge- 
randeten Blättern, und eine Teichrose in Miniatur, mit Blättern 
nicht grösser als die von unserm Froschbiss (Hydrocharis morsus 
rande) erfreuen das Auge des Reisenden, der auf morscher. 
halbverfallener Gabelstockbrücke primitivster Art über diese 
elesisch stillen Waldsümpfe hinbalancirt. 

uch dieses verschiedene Tagereisen breite Waldgebiet beher- 
berst eine vielgestaltige Thierwelt, ebenso eigenthümlich in ihrer 
Art, nur unendlich reicher, als diejenige in den Mangrovewäl- 
dern. Das regste Thierleben findet sich in den Waldsäumen und 


) Eine rankenartig an Sträuchern im Walde emporkletternde Aroidee, 


eine Holzpflanze, habe ich häufig in den Wäldern am Junk River gefunden. 


ER, 017 DA 


längs der Flüsse, denn Luft und Licht scheinen für dasselbe ein 
entschiedenes Bedürfniss zu sein, gerade so gut, wie sie dies im 
Allgemeinen für die Pflanzen sind. Das Innere der ausgedehnten 
Waldungen ist verhältnissmässig arm an Thieren, und diese 
selbst sind auf gewisse Formen beschränkt. 

Wie die oberen Schichten des weiten Oceans durch Schaaren 
spielender Delphine, so wird die Region der hohen Baumkronen 
von zahlreichen Truppen gesellig lebender, possirlicher Affen 
durchstreift, von denen einige Arten ihr ganzes Leben in ihren 
luftisen Revieren zubringen, ohne jemals auf den Boden herun- 
terzukommen, während der Chimpanse den Boden fast niemals 
verlässt. Ferner findet man in den Bäumen zahlreiche Eich- 
hörnchen verschiedener Arten, ebenso fliegende Eichhörnchen , 
fliegende Hunde (fruchtfressende Fledermäuse), und als Selten- 
heit ab und zu ein Baumschuppenthier. Weit zahlreicher sind 
die Vögel vertreten, die durch lautes Geschrei, Geschwätz oder 
Gesang und theils auch durch ihre Farbenpracht die obern 
Regionen beleben. Unter diesen verdienen die lärmenden Nashorn- 
vögel besondere Erwähnung, ferner die Colonien geschwätziger 
Graupapageien, hämmernde Spechte, dummdreiste Bartvögel, die 
prachtvollen Pisangfresser, zahlreiche Tauben verschiedener Art, 
farbenprächtige Wald-Eisvögel und allerlei Singvögel die, jeder auf 
seine Art, ihre Stimme hören lassen und dadurch nicht wenig 
zur Belebung der Waldeinsamkeit beitragen. 

Aber auch die untern Regionen haben ihre besondere Thierwelt. 
Hier hausen, und zwar mit Vorliebe in den Randgebieten,, wilde 
Büffel und verschiedene Arten von Antilopen, das kleine liberianische 
Flusspferd, sowie als Seltenheit ein vereinzelter, einsiedlerisch 
lebender Elephant. An den Tränkeplätzen lauert der Leopard und 
die Tigerkatze; in einem verlassenen Termitenbau hat das Riesen- 
schuppenthier seine unterirdische Höhle angelegt, während zahl- 
reiche Waldmäuse, sowie die grosse Hamsterratte (Oricetomys 
gambensis) als Vertreter der Nager erscheinen und ihrerseits 
wieder den zahlreichen Zibethkatzen zur Beute fallen. Auch 
die gefiederte Welt hat unter den Bodenbewohnern ihre Vertreter. 
Häufig genug findet man, besonders an Waldpfaden, Scharrplätze 


von wilden Perlhühnern und Frankolinen, wogegen es nur höchst 
LIBERIA, 1. 7 


Age 


selten gelingt, der scheuen Vögel selbst ansichtig zu werden. Im 
dichtesten Unterholze trippeln niedliche Erdtauben umher, undin 
den stillen Waldsümpfen haust das seltene, rothbeinige Sumpf- 
huhn und brüllt, im Dickicht wohlverborgen, die menschen- 
scheue, weisshäubige Rohrdommel. Auch an Reptilien fehlt es 
dem Urwalde nicht. Da schleppt sich die schwergepanzerte Land- 
schildkröte unter dichtem Buschwerk hin; die mehr als armdicke, 
10—20’ lange Pythonschlange liegt in träger Ruhe der Verdauung 
ihrer Beute ob, verschiedenartige grüne Baumschlangen hangen 
wie Lianen aus den Aesten herab und lassen sich gelegentlich 
vor dem unbeweglich auf dem Anstand stehenden Jäger auf die 
Erde fallen, während zahllose, meist an der Unterseite der 
Blätter sich festsaugende Laubfrösche ihre hellen Glockentöne 
erschallen lassen. 

Emsige wilde Bienen tragen Honig und Wachs nach ihren in 
Baumhöhlen angelegten Nestern. Ueberall findet man die interes- 
santen Hochbauten der Termiten (Termes mordax und T. belli- 
cosus); zahllose Ameisen rennen in geschäftiger Eile hin und her, 
und gegen Mittag leitet das schrille Zirpen der grossen, an 
Baumstämmen sitzenden Cicaden die allgemeine Ruhe ein. Dann 
scheint der ganze weite Wald wie ausgestorben; kein Flügel 
reckt sich, keine Stimme wird laut, selbst die Pflanzenwelt ist 
wie in Schlaf versunken und die zierlichen Akazien haben auch 
wirklich während der Hitze des Tages ihre Fiederblättchen zu- 
sammengeklappt, ganz so wie bei uns zur Nachtzeit. 

Man denke sich nun diese ausgedehnten Wälder in allen Rich- 
tungen von engen, durch jahrelangen Gebrauch tief ausgetretenen 
Fusspfaden durchkreuzt, und in einem der Letzteren, wie Gänse 
hinter einander, eine Karawane von lärmenden Negern, die des 
weissen Jägers Bagage von Station zu Station schaffen, hie und 
da auch einen offenen Fleck mit einer kleinen Negerfarm, wo 
zwischen wild. durcheinander liegenden, halbverkohlten Baum- 
stämmen und Aesten Reis und Kassaven wachsen, oder ein 
Dörfchen mit armseligen Lehm- und Palmblatthütten, zwischen 
denen nackte Kinder spielen und leichtgeschürzte Männer und 
Frauen ihrer Beschäftigung obliegen — man denke sich die Thäler 
dieser waldbedeckten Berglandschaft durchströmt von murmelnden 


und rauschenden Waldbächen, und das Ganze wiederum durch- 
schnitten von einem gewaltigen Strome voller Barren und Fels- 
inseln, die zur Regenzeit unter einer gelben, dicken Wassermasse 
verschwinden: dann hat man ein in groben Umrissen gezeichnetes 
Bild von den Waldgebieten, die für längere Zeit unsere Jagd- 
sründe werden sollten. 

An ihrem innern Rande geht die breite Hochwaldzone ganz 
allmälis in die weite Mandingo-Hochebene über. Hier hat der 
Wald nicht mehr das Uebergewicht und wird sogar weiter land- 
einwärts so selten, dass die Mandingo in Ermangelung des Holzes 
als Brennmaterial Kuh- und Pferdemist und zum Bau ihrer 
Häuser und Festungswerke Thon gebrauchen müssen. Nach den 
Angaben des liberianischen Reisenden ANDERSONn wechseln hier 
ausgedehnte Grasflächen mit hügeligem Terrain und reichen 
Feldern ab, worauf von den fleissigen Mandingo Reis und Mais, 
Maniok und Bataten in Ueberfluss angebaut werden, wo — 
für Liberianer jedenfalls ein fremdartiger Anblick — Kühe und 
Pferde, Ziegen und "glatthaarige Schafe . weiden und selbst 
der Elephant, im Küstengebiete so gut wie ausgerottet, noch in 
sanzen Trupps zusammen angetroffen wird. 

Der Gesammteindruck der liberianischen Pflanzenwelt lässt 
sich nicht leicht in wenigen Worten ausdrücken. Im Allge- 
meinen trägt dieselbe mehr den Charakter des Grossartigen als 
des Zierlichen; sie überrascht und überwältigt mehr, als dass sie 
anspricht. Das Auge erfreut sich hier mehr an den reichen 
Nüancen im Grün der Blätter, als an dem Schmuck der Blüthen, 
wie wir ihn auf unsern anmuthig grünen Wiesen und hohen 
Alpenweiden zu sehen gewohnt sind. Kaum irgendwo herrscht 
ein richtiges Ebenmaass; nur selten findet sich eine Blume, die 
nach unseren europäischen Begriffen gut zu ihrer Umgebung passt, 
und die zartesten, farbenprächtigsten Gebilde von den bizarrsten 
Formen blühen ungesehen unter undurchdringlichem Gestrüpp 
auf modernden Wurzelknorren und Baumstümpfen, oder leben 
epiphytisch auf Bäumen. Die schönsten Blumen duften entweder gar 
nicht oder sind von betäubendem Wohlgeruche — kurz, Alles 
was man sieht, interessirt mehr durch Fremdartigskeit und Neu- 
heit, als dass es anmuthet durch Lieblichkeit und Harmonie, 


— 100 — 


Ebenso interessant als verschiedenartig ist der Laubwechsel 
an Bäumen und Sträuchern. Manche Bäume wechseln ihre 
Blätter alljährlich einmal zu bestimmter Zeit, andere jedes zweite 
Jahr. Einige verlieren alle ihre Blätter zugleich, und zwar 
meist in der Trockenzeit, wie der Wollbaum, der zu Anfang der 
Letzteren, also im Dezember, kein einziges Blatt mehr hat, 
dafür aber mit prachtvollen, rothen Tulpen gleichenden Blüthen 
bedeckt ist. Andere Bäume wiederum verlieren und erneuern 
ihre Blätter in dem einen Jahre an der einen, im folgenden an 
der andern Stelle, wie der Mangobaum, der auch nie an allen 
Aesten zugleich Früchte trägst. Wieder bei andern vollzieht 
sich der Blattwechsel unmerklich, ohne Unterbrechung, indem 
ein Blatt nach dem andern abfällt und sofort wieder durch ein 
neues ersetzt wird, so dass man glauben könnte, es finde gar 
kein Wechsel statt, weil diese Bäume immer grün bleiben. 

Mit den vorstehenden Zeilen hoffe ich den Zweck dieses Capitels 
erreicht zu haben und behalte mir nur noch vor, sowohl die 
wildwachsenden als die cultivirten Nutzpflanzen bei einer 
spätern Gelegenheit eingehend zu behandeln. 


v1. 


Reise nach Bavia, und Aufenthalt daselbst. 


Et Reisefertig. — Unsere Trä- 
“= gerkarawane. — Traglasten; 
“ Art und Weise des Tragens. — 
Abschied. — Arthington. — 
Letzte Spuren der Civilisation. 
 — Im Urwald. — Primitive 
&& Brücken. — Ankunft in Bavia. 
— Bekanntschaft mit dessen 
» Häuptling. — Unser Lagerplatz. 
— Entlassung der Träger. — 
Austausch der Geschenke. — 
Improvisirtes Nachtlager. — 
; == Unsere Jagdhütte. — Bavia. — 
“  ZORU DUBBAH und sein Einfluss. 
— Allgemeine Armuth.— Zahl- 
reiche Besuche. — Bettelei. — 
Des Häuptlings Vorliebe für 
starke Getränke. — Unzuverlässige Bediente. — Unser Jagdgebiet. — Nach den 
Flussinseln. — Das erste Fieber. — Begegnung mit einer Riesenschlange. — 
Jagdbeute.—Fisch- und Garneelenfang.— Witterung. — Trockenheit. — Schwerer 
Thau. — Das Fallen des Flusses. — Der erste Regen. — Plötzliches Steigen des 
Flusses. — Kühne Schiffer. 


Am Morgen des 21. Januar war endlich, nach einem Aufent- 
halte von drei Tagen auf der Mission, alles zum Abzug nach 


— 192 — 


dem Innern bereit, und die Karawane, bestehend aus unsern 
3 boys und 28 inländischen Trägern, harrte auf das Zeichen zum 
Aufbruch. Es hatte Mr. Day grosse Mühe gekostet, auf einen 
einzigen Tag so viele Leute zusammenzubringen, da, wie früher 
schon gesagt, alle Hände mit dem Anlegen der neuen Pflan- 
zungen beschäftigt waren. Freilich war diese Zahl zum Transport 
unserer Bagage nicht ausreichend, und hatten wir auch auf 36 
Mann gerechnet; Mr. Day versprach uns jedoch, den Rest unserer 
Sachen in kürzester Frist nachzusenden. 

Gewöhnlich wird eine Traglast auf 40 Kg. bemessen, doch 
ist das Gewicht allein dabei nicht massgebend; es kommen 
vielmehr auch noch die Kraft des Trägers und vor Allem Volumen 
und Form der Colli in Betracht. Kleinere Colli dürfen schwerer 
. sein als grosse, da die Bequemlichkeit, mit der sie in allen 
Lagen sich behandeln lassen, das grössere Gewicht weniger 
fühlbar macht. Umfangreichere Colli, namentlich solche, die. 
breiter als des Trägers Rücken sind, oder auch zu hohe, die 
beim Durchkriechen unter umgestürzten Baumstämmen hangen 
bleiben, dürfen das genannte Gewicht nicht erreichen. Auch muss 
man so viel wie möglich dafür sorgen, dass alles Gepäck in 
Einzellasten vertheilt wird und nur in Ausnahmefällen Doppel- 
lasten gestatten, die von zwei Mann gemeinschaftlich an einem 
langen, auf den Schultern ruhenden Stocke getragen werden. 
Bei der Regelung des Gewichtes kommt der nach Nummern 
eingesackte Hagelschrot sehr wohl zu Statten, indem sich für 
zu leichte Kisten durch Hinzufügung eines oder mehrerer Beutel 
Schrot leicht der gewünschte Ausgleich schaffen lässt. 

Eine Kiste, die man in dem schwer passirbaren Urwalde ohne 
Hinderniss durch Dick und Dünn tragen lassen will, sollte das 
Normalmass von 75 Cm. Länge, 40 Cm. Breite und 30 Cm. Höhe 
nicht überschreiten. Es sind mir Fälle bekannt, in denen mir 
ein Mann 70-80 Kg. in passender Verpackung stundenlang ge- 
tragen hat, ohne dass er unterwegs Miene machte, um auszuruhen. 
Selbstverständlich sind viele Stücke unter den Traglasten derart 
beschaffen, dass bei ihnen entweder das Normalmaass oder das 
Normalgewicht, oft auch das Eine wie das Andere, nicht berück- 
sichtigt werden kann. Bei solchen Gepäckstücken thut man 


— 103 — 


am besten, dieselben zwei Trägern zu überlassen, die beim 
Passiren schwieriger Stellen einander durchhelfen können. 

Ein interessantes Schauspiel gewährte die Vertheilung der in 
langer Reihe im Hofraume stehenden Colli. Beim Antreten stürzten 
sich die Träger auf die kleinsten und augenscheinlich bequemsten 
Kisten, eine Erscheinung, die ich übrigens schon in Monrovia 
beobachtet hatte. Dort hatte ich mir den Scherz erlaubt, in 
einer sehr kleinen, starken Kiste all unsern Schrot und unsere 
Kugeln anzuhäufen. Ein baumstarker Kruneger warf sich auch 
wirklich, alle seine schwächern Kameraden verdrängend, auf das 
Kistchen. Das lange, dumme Gesicht des Gefoppten und das 
Hohngelächter seiner Genossen und aller Umstehenden, das nun 
losbrach, als beim ersten Anpacken die Kiste wie auf dem Boden 
festgewurzelt stehen blieb, würde jeder Beschreibung spotten. 
Auch diesmal hatten sofort die Stärkern von den bequemsten 
Colli Besitz ergriffen, so dass wir .genöthigt wurden, alle Lasten 
nach unserm eigenen Ermessen aufs Neue zu vertheilen, um 
die Schwächern nicht zum Davonlaufen zu veranlassen. 

Nach langem Parlamentiren und Widerlegen der unter den 
fürchterlichsten Gestikulationen und überwältigendem Wort- 
schwall gemachten Einwendungen wurden die Gemüther schliess- 
lich doch besänftigt, und der Zug setzte sich unter der Führung 
eines vertrauten und des Weges kundigen Mannes, den Mr. Day 
uns mitgegeben, in Bewegung. Unsere liebenswürdigen Gast- 
freunde gaben uns die Versicherung mit auf den Weg, dass sie 
auch fernerhin zu jeder Hülfeleistung gerne bereit seien, und 
wir mussten ihnen versprechen, im Falle von Krankheit von 
ihrer Gastfreiheit unumschränkten Gebrauch machen zu wollen. Mit 
einem warmen Händedruck und einem letzten g00d bye nahmen wir 
Abschied und waren im nächsten Augenblicke, unsern voraus- 
geeilten Trägern folgend, bei einer Biegung des Weges im Gebüsch 
verschwunden. | 

Unsere Träger hatten sich auf verschiedene Weise mit ihren 
Lasten beladen. Einige trugen dieselben auf dem Kopfe, andere 
auf den Schultern, die Meisten aber in schnell aus Palmblättern 
geflochtenen Tragkörben — den später zu beschreibenden king-jars — 
auf dem Rücken. Diejenigen aber, die zu Zweien eine grössere 


— 104 — 


Kiste trugen, hatten diese mit Lianen oder Rotangleinen an einen 
starken, auf ihren Schultern ruhenden Pfahl gebunden. 

So gieng es denn vorwärts, stets in halbem Trabe hügelauf, 
hügelab, erst durch die damals noch kleine liberianische Nieder- 
lassung Arthington, nachher durch halbkultivirtes Gebiet, 
wo einsame Kaflee- und Zuckerplantagen mit dichtem Buschwald 
— alten, verwahrlosten Farmen — abwechselten, dann, nach steilem 
Abstieg in eine enge, kühle Waldschlucht, auf einem nassen, 
schlüpfrigen Baumstamm über einen reissenden Waldbach hin, 
und endlich in den weiten, finstern Urwald hinein. 


Primitive Brücke. 


Meist war die ganze Karawane, die der schmalen Pfade wegen 
im Gänsemarsch gehen musste, zerstreut und in eine lange Kette 
aufgelöst. Nur ein einziges Mal, an einem stillen, sumpfigen 
Waldcreek, wo der eingestürzten Brücke wegen Halt gemacht 
werden musste, fand sich die ganze Truppe wieder zusammen. 
Bald führte der Weg der Länge nach durch ein tiefes Bachbett 
hin, dann gieng es wieder treppenweise bergauf, über bohnerz- 
artige Knollen von Laterit, knorrige Wurzeln und schlüpfrige 


— 105 — 


Steine. Hier mussten wir unter einem quer über den Weg 
gestürzten Baumstamm durchkriechen, dort auf einer Art impro- 
visirter Leiter über einen andern hinklettern. Ueberall, vor und 
hinter, über und unter uns hörten wir das Rufen und Schreien 
der zerstreut gehenden Träger, denen selbst unter den schwersten 
Lasten und bei dem steilsten Anstieg der Athem nicht ausgieng, 
obschon der Schweiss in Strömen über ihre braune, otterglänzende 
. Haut herunterrieselte. 

Als der Letzte des langen Zuges an den genannten, etwa 30 
Schritte breiten Creek gekommen, fand ich die Mehrzahl unserer 
Leute am Ufer gelagert, während die Andern bereits eifrig 
beschäftigt waren, eine Passage herzustellen. Während der Regen- 
zeit war nämlich der vermoderte Baumstamm, der früher das 
Wasser überbrückte, durchgebrochen, und seither hatte man 
sich einfach damit beholfen, den Creek zu durchwaten. Nun 
aber stellte sich bald heraus, dass die Träger mit den schweren 
Lasten im Schlamme stecken blieben. Einige energische Leute 
waren denn auch bereits beschäftigt, einen am Ufer stehenden 
hohen Baum so anzuhacken, dass derselbe quer über den Creek 
fallen musste, um auf diese Weise ohne viel Zeitverlust eine 
provisorische Passage herzustellen. Dies war mit Hülfe unserer 
beiden Aexte in erstaunlich kurzer Zeit gethan. Mit dröhnendem 
Krachen stürzte der Stamm so über den Creek, dass dessen 
Krone auf dem gegenüberliegenden Ufer aufschlug. Mit einigen 
weitern Axt- und Säbelhieben wurden die am meisten im Wege 
stehenden Aeste herausgehackt und über dem Stamme von Ufer 
zu Ufer eine starke Liane gespannt, die eine, wenn auch etwas 
unsichere, Lehne bildete. Darauf setzte sich der Zug, durch 
eine passende Herzstärkung in eine heitere Stimmung gebracht, 
wieder in Bewegung. Da ich auf dem ganzen Wege noch kein 
einziges Thier erblickt hatte, stellte ich mich nun, begleitet von 
dem des Weges kundigen Führer, an die Spitze des Zuges, in 
der Erwartung, irgend ein Stück Wild unter Schuss zu bekommen. 
Ganz besonders war ich auf die erste Begegnung mit Affen 
gespannt, von welchen es nach den Aussagen unserer Leute in 
diesen Wäldern wimmeln sollte. Das Glück war mir aber nicht 
günstig. Der genossene Branntwein hatte nämlich die Träger 


— 100. — 


dermassen aufgeregt, dass sie unter gewaltigem Lärm im Sturm- 
schritt vorrückten und mich so energisch vorwärts drängten, 
dass ich halb rennend meine ganze Aufmerksamkeit dem holp- 
rigen Fusspfade widmen musste, um nicht zu straucheln und 
der dicht hinter mir hereilenden Karawane nicht unter die Füsse 
zu gerathen. | 

Ein erneuter Aufenthalt, verursacht durch einen ausgedehnten 
Sumpf, der auf einem äusserst primitiven, 'tief in den Schlamm 
getretenen Knüppeldamm durchwatet werden musste, bot mir 
endlich eine erwünschte Gelegenheit, etwas vorauszueilen. Nach 
wenigen Minuten erreichte ich in einer weiten Lichtung, halb 
verborgen in einem Dickicht von Bananenbüschen, einige elende 
Hütten von so armselig primitiver Bauart, wie ich sie bisher 
noch nicht gesehen hatte. Sie waren alle leer. Vergeblich 
suchten wir nach ihren Bewohnern, vergeblich nach einigen 
erfrischenden Bananen. Der Platz war, wie man mir später 
sagte, eine zu Bavia gehörende sogenannte halftown, ein Name, 
der sich am besten mit dem Ausdruck Gehöft übersetzen 
lässt. In der nächsten Umgebung waren einige verwaährloste 
Maniokpflanzungen, überragt durch zahlreiche, zerstreutstehende 
Oelpalmen. Die zerzausten Wedelkronen der meisten dieser Palmen 
waren über und über mit hängenden Beutelnestern von Weber- 
vögeln (Ploceus ceucullatus und P. castaneofuscus) bedeckt, so dass sie 
in der Ferne aussahen, als ob sie voll riesiger Früchte hingen. Um 
meinem schwarzen Cicerone ein Vergnügen zu machen, schoss 
ich gleich nach dem Betreten der Lichtung einen Seeadler (G@ypo- 
hierax angolensis), der über uns kreiste, und den nün mein 
Führer im Triumphe vor sich hertrug.: Von hier ab hatten wir 
steten Wechsel von Hoch- und Buschwald, doch gelangten wir 
bald an eine zweite grössere Lichtung und bemerkten an dem 
Tosen eines Wasserfalles zu unserer Rechten, dass wir uns 
wieder dem St. Paul genähert hatten. Noch einige Schritte 
weiter, und vor uns lag, nach siebenstündigem Marsche, auf 
dem wir einen geradlinigen Abstand von kaum mehr als vier 
Wesstunden zurückgelegt hatten, der Ort unserer Bestimmung: 
die Stadt Bavia am rechten Ufer des Flusses. 

Die Bewohner von Bavia, von unserer Ankunft nicht zum 


— 1 — 


Voraus unterrichtet, waren durch unser plötzliches Erscheinen 
in grosses Staunen versetzt und begafften uns von allen Seiten, 
zumal jeder von uns ein Gewehr trug und mein Führer den 
seschossenen Vogel zeigte und meine Fertigkeit im Schiessen 
pries. Bald waren wir mit dem Häuptling bekannt ge- 
macht, worauf ich, durch die gaffende Menge mich hindrängend, 
an das nahe Flussufer hinuntereilte, um dort einen günstigen 
Lagerplatz aufzusuchen. Da man des dichten Unterholzes wegen 
dem Ufer entlang nicht vorwärts kommt, sprang ich in ein 
bereitliegendes Canoe und liess mich durch meinen boy auf den 
Fluss hinausrudern, um von dort aus einen günstigen Platz am 
Ufer ausfindig zu- machen. Bald war dieser gefunden. Das kleine 
Terrain wurde mit Hülfe von Säbeln und Buschmessern noth- 
dürftig vom Unterholz gesäubert und ein Ausgang zu dem von 
der Stadt an den Fluss führenden Wege gebahnt. Mittlerweile 
waren die Träger der Reihe nach angekommen und setzten ihre 
Colli in der Runde nieder. Jeder erhielt einen Schnaps und einige 
Blätter Tabak als dash (Geschenk). Dann zogen sie ab, um oben 
in der Stadt ihren mitgebrachten Reis zu kochen und die Nacht 
zuzubringen. Mr. Day hatte gütigst die Ablöhnung derselben 
nach ihrer Rückkehr auf sich genommen. 

Wir aber schlugen, um gleich die erste Nacht unsere Einrich- 
tung zu erproben, ein provisorisches Gerüst auf, hingen unser 
grosses Zelttuch darüber, liessen einige Kisten hereinschaffen 
und richteten sie zu Schlafplätzen ein. Bald prasselte vor dem 
improvisirten Zelt ein lustiges Feuer, die Küchenkiste wurde 
ausgepackt, und eine Stunde später sassen wir an unserm 
frugalen Mittagsmahle, eine grosse Kiste als Tisch und einige 
kleinere als Stühle benutzend. Der chief (Häuptling) hatte uns 
das gewöhnliche Geschenk eines Negerfürsten, ein Huhn, ge- 
bracht und erhielt als Gegengeschenk eine Flasche Branntwein 
und eine bar (etwa 14 Pfund) Blättertabak. Kurz nach 6 Uhr 
wurde es dunkel und schon lange vor 7 Uhr hatten wir finstere 
Nacht. Der‘ Abend brachte wenig Besonderes, denn müde wie 
wir waren, verlangten wir herzlich nach Ruhe. So legte sich 
denn Freund Sara, gut in seine wollene Decke gerollt, auf 
einige an einander gereihte Kisten und lag im nächsten Augen- 


ee 


blicke schon in tiefer Ruhe, während ich, da ich doch nicht 
sleich hätte einschlafen können, mich zwischen unsere auf den 
Boden hingestreckten boys ans Feuer setzte und für die erste 
Hälfte der Nacht die Wache übernahm. Noch einmal liess ich 
die tiefen Eindrücke der letzten Tage und besonders des heutigen 
Marsches an mir vorübergleiten und malte mir in phantastischen 
Farben aus, was uns die nächste Zukunft bringen würde. 

Aus dem nahen Bavia tönte Stimmengewirr, lautes Lachen 
und Gesang zu mir herüber, — die dumpfen , monotonen Klänge des 
Tamtams (Negertrommel) riefen die Bewohner der Stadt und die 
bei ihnen kampirenden Träger zum Tanz, der bis spät in die 
Nacht hinein dauerte. Endlich aber machte auch bei diesen 
unverwüstlichen Kindern der Natur der Schlaf seine Rechte 
geltend. stille wurde es in der stadt, und still die ganze 
Umgebung. Ich aber starrte noch lange halb träumend in das 
allmälig verglimmende Feuer, lauschte dem Murmeln des ge- 
schäftig dahineilenden Stromes zu meinen Füssen und dem ein- 
tönigen Rauschen des nahen Wasserfalls, bis endlich auch bei 
mir der Schlaf sich einstellte und ich meinen Begleiter zur 
Ablösung der Wache rief. 

Die erstfolgenden Tage verwandten wir auf den Bau einer 
Jagdhütte, die wir auf unserm ersten Lagerplatze zu errichten 
beschlossen. Zu diesem Zwecke: wurde der schon von Natur 
etwas freie Platz durch Weghacken des Unterholzes und einiger 
im Wege stehender Bäume erweitert, während wir die grössern, 
herrlichen Schatten spendenden Bäume wohlweislich stehen liessen. 
Das Flussufer wurde durch einen nicht sehr steilen” Abhang 
gebildet; das Uferwasser aber war seicht und schlammig, so dass 
man Mühe hatte, um, ohne erst durch den Schlamm zu waten, 
das frische, fliessende Wasser zu erreichen. Um diesem Uebel- 
stande abzuhelfen, bauten wir hart dem fliessenden Wasser 
entlang eine drei Fuss hoch über dieses emporragende, starke 
Wand von Pfählen und Faschinenwerk, legten durch Abgraben 
des Hügelrandes einen ebenen Platz für die Hütte an und füllten 
mit der so gewonnenen Erde — meist Flussand — den sumpfigen 
Raum hinter der Faschinenwand aus. Dadurch entstand ein ge- 
räumiger, terrassenartiger Vorplatz, der uns späterhin vortrefllich 


— 109 — 


zu statten kam. Zugleich hatten wir auf diese Weise die Miasmen 
vertrieben, die selbstverständlich aus solchem Sumpfterrain hervor- 
sehen, und konnten am Rande der Terrasse das herrlichste, 
klare Trinkwasser direkt aus dem Flusse schöpfen und ein Bad 
nehmen, ohne uns die Füsse schmutzig zu machen. 

Mancher meiner verehrten Leser wird mir vielleicht einwenden, 
es wäre viel einfacher 
gewesen, irgendwo 
im Walde. umser 
Quartier aufzuschla- 
sen, oder in Bavia 
eine Hütte zu mie- 
‚then. Bei einer Be- 
schäftigung wie die 
unsrige, bei der es 
der Art der Sache 
nach meist nicht allzu 
säuberlich hergeht, 
ist jedoch Wasser 


oz 2% 7 


Unsere Präparirkiste. 


a. Fach für Werg. — b. Fach für Baumwolle. — eines der ersten Be- 
c. Büchse mit Sägemehl. — d. Büchse mit ar- dürfnisse, und man 
senigsaurem Natron. — e, f. Topf mit Arsenik- würde nothgedrun- 


seife und Flasche mit Arseniklösung; unter : He 5 
denselben zwei Büchsen mit Cyankalium und gen die Reinlichkeit 


Strychnin zum Vergiften von Köder. — 9, h,i. etwas vernachlässi- 
Je ein Fach für Oelbüchse, Oel- und Arsenik- -ch 
pinsel. — %k. Schachtel mit unterliegendem Fach an we Ezus 

für Nähzeug und andere Utensilien. — 1. Grosses Seine Gesundheit be- 
Fach für allerlei Handwerkzeug. — m. Schub- einträchtigen, wenn 


ladenfach für feinere Instrumente. — n. Büchse f 
mit Gyps. — o. Büchse mit Alaun. — p. Schieb- Ber | Sa Was 
latte zum Stützen des geöffneten Deckels. ser eimerweise eiNe 

i Strecke weit holen 


müsste und demzufolge sparsam damit umgienge.. Ueberdies ist 
es in der Nähe eines schnellströmenden Flusses stets kühler und 
viel gesunder als in der dumpfen Atmosphäre des Urwaldes oder 
in einer finstern, engen Negerhütte, wo man obendrein stets 
durch neugierige Zuschauer belästigt wird. 

Anstatt eine regelrechte Hütte zu bauen, errichteten wir der 
Einfachheit und Zeitersparniss wegen nur eine Art Schuppen 


— 110 — 


(siehe das Titelbild dieses Bandes), etwa 5 M. lang, 3 M. breit, 
an der dem Flusse zugekehrten Längsseite etwa 21 M. und an 
der gegenüberliegenden hintern Seite 13 M. hoch. Die höhere 
Längsseite liessen wir des reichlichern Lichtes wegen gänzlich 
offen, während die übrigen drei Seiten Wände von vertikalen, 
dicht aneinander gereihten Palmblattstielen bekamen. Als Dach 
diente unser zu diesem Zwecke mitgebrachtes Segeltuch. Der 
Fussboden bestand aus gestampftem und plattgetretenem Thon. 
Allen drei Wänden entlang standen auf einem über dem Boden 
erhabenen, zum Schutze gegen die Termiten errichteten Gestelle 
‘ unsere Kisten. Die Arbeits- oder Präparirkiste und die Bücherkiste 
aber, deren übergeschlagene Deckel uns fortan als Tische dienen 
sollten, setzten wir mitten in den freien Raum, jede auf eine 
andere Kiste, um eine passende Tischhöhe zu bekommen. Ein 
paar kleine, leichte Kistchen wurden zu Stühlen benutzt. 

An den Seitenwänden beider genannter Kisten befanden sich 
ausziehbare Latten, auf denen der übergeschlagene Deckel ruhte. 
Dabei hatte man den Vortheil, dass man sich bequem hinsetzen 
konnte, ohne mit den Knieen anzustossen, ferner dass man in 
der Kiste alles Nöthige beieinander hatte und jeden Augenblick 
alles wieder hineinlegen und abschliessen konnte. Die Bücherkiste 
diente mir zugleich als Schreibtisch. Auf der Innenseite des 
Deckels befand sich eine einschiebbare Schreibmappe mit aufge- 
klebtem Wandkalender, die mir, wenn der Deckel aufgeschlagen 
war, als Schreibunterlage diente. Alle Schreibutensilien hatten 
ihren festen Platz, besonders das Tintenfass, das in einer rechts 
an den Deckel stossenden Ecke derart festgemacht war, dass 
man es nie herauszunehmen brauchte und also auch keine Gefahr 
lief, es umzustossen. Ebenso war sämmtlichen Sammellisten ein 
bestimmter Platz angewiesen, und bald hatte ich mich dergestalt 
an eine gewisse Ordnung gewöhnt, dass ich jedes gewünschte 
Buch auch im Dunkeln zu finden wusste. Es mag dies Manchem 
etwas kleinlich vorkommen, und doch ist es der einzig richtige 
Weg, um nicht nur auf die Dauer sehr viel Zeit zu ersparen, 
sondern auch um seine Notizen gewissenhaft und regelmässig 
einzutragen. Und wie viel gerade von diesem Letztern abhängt, 
das weiss nur derjenige zu würdigen, der nach seiner Rückkehr 


— 111 — 


sich in der Lage befindet, seine Notizen ausarbeiten zu müssen. 
Wenn man nicht in jedem gegebenen Augenblick alles Nöthige bei- 
sammen hat, wenn man nicht gleich Feder oder Bleistift finden 
kann oder erst einen Stapel Bücher auspacken muss, um dieses oder 
jenes Notizbuch zu finden oder gar die Sachen erst aus verschie- 
denen Kisten zusammenzusuchen hat, dann verschiebt man nur 
sar zu gern seine Aufzeichnungen auf einen günstigern Moment, 
vergisst inzwischen manches Werthvolle oder hat später keine 
Zeit mehr dazu. 

Auch unsere Präparirkiste war, wie später die Erfahrung zeigte, 
sehr praktisch eingerichtet. Sie war nicht tief, ebensowenig als 
die Bücherkiste, aber dafür so lang und breit, dass der aufge- 
schlagene Deckel einen bequemen Tisch bildete. Die beistehende 
Skizze (p. 109) wird deren innere Einrichtung am besten veran- 
schaulichen und dürfte besonders für einen zukünftigen Sammel- 
reisenden von Interesse sein. 

Die ganze Fächereinrichtung sass nicht an den Wänden der 
Kiste fest, sondern konnte herausgehoben werden, was bei einer 
gelegentlichen Reinigung sehr wohl zu statten kam. Auch jede 
einzelne Büchse konnte bequem in dem für sie bestimmten Fach 
ein- und ausgeschoben werden. Dies verschafite den Vortheil, 
dass man, da die Kiste bei ihrer bedeutenden Grösse für einen 
Träger zu schwer gewesen wäre, für den Transport einige der 
schwersten Sachen herausnehmen und in einer andern bergen 
konnte, die sonst unter dem Normalgewicht geblieben wäre. Jede 
der beiden Kisten war 75 Cm. lang, 45 Cm. breit und 26 Cm. tief. 

Zwischen den zwei einander gegenüberstehenden Wänden der 
Hütte baumelten unsere Hängematten, die uns fortan als nächt- 
liche Ruhestätte dienen mussten, und worin wir, nachdem wir 
uns einmal eingewöhnt hatten, mit den Kleidern am Leibe und 
in eine wollene Decke eingerollt, vortrefflich ausruhten. Den Tag 
über wurden die Hängematten, um mehr Raum in der Hütte 
zu gewinnen, in der Mitte an die Dachsparren aufgehängt. Von 
der Decke herunter hing eine solide Schiffslaterne, die uns am 
Abend bei unsern Arbeiten genügendes Licht spendete. Dies war 
ungefähr der einzige Comfort, den wir uns in unserer Jagdhütte 
erlauben durften; die Hütte selbst aber konnte uns wohl vor 


le 


Regen, Thau und Zugluft, nicht aber vor dem dichten, nächt- 
lichen Nebel und vor Dieben schützen. | 

Zur Linken unseres Vorplatzes, unter einem auf vier rohen 
Pfählen ruhenden kleinen Dache, brannte Tag und Nacht das 
Herdfeuer, wo unser Kochkünstler Peter seine kulinarischen 
Meisterstücke produzirte. Die rechte Seite des Vorplatzes wurde 
durch einen grossen Käfig abgeschlossen, den unsere Bedienten 
aus starkem Flechtwerk construirt hatten, um gelegentlich ein 
lebendes, wildes Thier darin aufzunehmen. An diesen Käfig lehnten 
einige Angelruthen, die stets bereitgehalten wurden, um einen 
verlorenen Augenblick angenehm und nützlich zu verwerthen. 
Denkt man sich dabei noch das kleine vom Häuptling geliehene. 
Canoe, das vor unserer Terrasse an einer Kette festgelegt wurde, 
so kann man sich eine ungefähre Vorstellung von der Einrichtung 
unserer Jagdhütte machen, die auf allen unsern Stationen so 
ziemlich dieselbe blieb, obwohl die Anlage auf jedem der verschie- 
denen Plätze sich nach der betreffenden Lokalität zu richten hatte. 

Die Aussicht über den Fluss, der hier auf eine kurze Strecke 
seine nord-südliche Richtung verlässt und eine kleine Biegung 
nach Westen macht, bot ein ungemein reizendes Landschafts- 
bild. Die etwa 4 mile breite Wasserfläche war durch eine grosse 
Zahl nackter Felsbänke und kleiner Inseln unterbrochen und 
flussabwärts durch den hochaufspritzenden, weissen Gischt einer 
tosenden Stromschnelle abgegrenzt !). Das jenseitige (linke) 
Ufer stieg ziemlich steil an und gipfelte in einen Hügelrücken 
aus, der gegen 200° über dass Flussbett emporragte. Die Abhänge 
dieses Hügels waren mit dichtem Hochwald bedeckt, und die 
terrassenartig sich übereinander aufthürmenden Baumkronen in 
all ihren verschiedenen Farbentönen vom dunkelsten Grün bis 
in Gelb und Roth gewährten einen geradezu überraschend schönen 
Anblick. 

Das rechte Ufergebiet des Flusses ist ziemlich eben, da es 
durch eine etwa 20’ über dem Flusse liegende Terrasse gebildet 
wird. Hart am Rande dieser Letztern, inmitten von schlecht. 
unterhaltenen Reis- und Maniokfarmen, lag Bavia, das wie die 


I) Siehe die Vignette zu Anfang dieses Capitels. 


— 113 — 


meisten derartigen Negerplätze den stolzen Namen von town 
(Stadt) keineswegs verdiente. Bavia war damals ein kleiner 
Platz von zwölf bis fünfzehn theils kreisrunden, theils ovalen 
Lehmhütten mit dichtschuppigen Dächern von Baumblättern. 
Mitten auf dem kleinen, Öffentlichen Platze befand sich, be- 
schattet von einem Rothholzbaum, auf drei nebeneinander in 
den Grund gerammten Pfählen, der Stadtfetisch, ein gewaltiger 
'Felsblock, der als Schutzheiligthum der Stadt angesehen wurde. 
Gleich neben diesem Heilisthum befand sich unter einem ver- 
wahrlosten Schutzdache von Palmblättern das Grab des frühern 
Häuptlingss. Auf der andern Seite stand das sogenannte Pala- 
verhaus, ein ovaler, etwas über dem Erdboden erhabener, aus 
zusammengestampftem Thon bestehender und durch ein auf 
Pfählen ruhendes Dach beschützter Platz, woselbst der Häupt- 
ling, in einer Hängematte sitzend oder liegend, die Öffentlichen 
Verhandlungen leitete )). 

ZORU DUBBAH, So hiess dieser Häuptling, war ein alter Graukopf 
mit verschmitzt aussehendem Gesicht, das durch den schwachen, 
kurzgeschorenen Schnurrbart und ein kleines, sorgfältig gepflegtes 
Kinnbärtchen, sowie durch ein Paar stechende Augen und eine 
kleine Habichtsnase mit stark herabgezogener Spitze einen nicht 
serade vertrauenerweckenden Ausdruck erhielt. Er sprach ziemlich 
geläufig Englisch, pflegte sich selbst stets König zu nennen und 
konnte nie müde werden, uns von seiner hohen Abkunft, von 
seiner Macht und seinem Einflusse zu überzeugen, wobei er stets 
mit der stereotypen Redensart schloss: „All this country belongs 
to me!’ 2) ZoRU DUBBAH hatte in seiner Jugend bei einem damals 
in Monrovia sich aufhaltenden Franzosen etwas Französisch 
gelernt und that sich nicht wenig darauf zu Gute, uns in 
Gegenwart seines Hofstaates dann und wann einige Proben von 
übriggebliebenen französischen Brocken zum Besten zu geben. 
Wie er uns mit grossem Selbstbewusstsein erzählte, war er in 


) Nach kürzlich von Mr. Day eingelaufenen Berichten ist seither der 
damalige Häuptling gestorben, die Bevölkerung hat sich zerstreut und die 
Stadt hat das Schicksal fast aller derartiger Plätze ereilt: Sie ist bis auf 
einige wenige elende Hütten vom Schauplatze verschwunden. 

‘) Diese ganze Gegend gehört mir. 

LIBERIA, 1], 8 


— 114 — 


Monrovia stets von einem oder zwei Bedienten begleitet und 
scheint er dort überhaupt als der Prinz aus einflussreichem Hause 
aufgetreten zu sein. Seither waren aber augenscheinlich auch 
bei ihm die Zeiten schlechter geworden, denn wie wir später 
sehen werden, war seine Macht zur Zeit unseres Aufenthaltes 
in seiner Residenz auf Null zusammengeschrumpft. In einem 
alten, abgegriffenen Ledertäschchen bewahrte er nebst einigen 
andern Papieren ein Dokument, laut welchem er sein Land der 
liberianischen Regierung abgetreten und dafür von Letzterer als 
chief anerkannt und beauftragt war, in seinem Gebiete die 
Ordnung zu handhaben, Freundschaft mit den Liberianern zu 
pflegen und etwaige Steuern für die Regierung gewissenhaft 
einzuziehen. Viel Mühe hat ihm diese letztere Aufsabe nie 
verursacht, denn was sollte er einziehen, er, der selbst nichts BR 
hatte, von seinen Unterthanen, die wenn möglich noch ärmer 
waren ? Be 

Diese Leute besitzen auch wirklich nichts, als was sie jeden 
Tag zum Essen herbeischaffen. Auf ausgebrannten Waldstellen 
bauen sie etwas Maniok und Bataten; sie pflanzen rund um ihre 
Hütten einige Bananen, holen sich aus den nahen Wäldern 
einige Büschel Palmnüsse, welche Letztere, in heisser Asche ge- 
backen, ein süsses, wohlschmeckendes Fruchtfleisch liefern , 
fangen in Reusen Flussfische und Garneelen und wissen im 
Nothfalle eben so gut zu hungern, wie sie zur Zeit des Ueber- 
flusses ruchlos mit ihren Mundvorräthen umgehen. 

Obschon wir absichtlich unser Feldlager nicht in der Stadt 
selbst aufgeschlagen, herrschte doch auf unserer Station bei- 
nahe fortwährend ein bewegtes, unruhiges Leben. Stundenlang 
sassen oft ganze Gruppen von diesen genügsamen, schwarzen 
Müssiggängern auf die Fersen niedergekauert, die Hände zwischen 
den Oberschenkeln, mit apathischer Trägheit unsern Arbeiten 
zuzusehen oder sich — und unter ihnen besonders die Frauen — 
kichernd und schwatzend über uns lustig zu machen. Der früher 
weiter unten gelegene Landungsplatz für die Flussfähre wurde 
bald nach unserer Station verlegt, was den Zudrang der Leute 
noch vermehrte. Die meisten Gäste hatten wir stets während 
unserer Mahlzeiten, welche die Leute sich bald gemerkt hatten, 


— 115 — 


und nicht nur aus der nahen Stadt und deren Umgebung, sondern 
sogar per Canoe kamen sie vom gegenüberliegenden Flussufer 
herüber, um uns essen zu sehen und einige Ueberreste von unserer 
Mahlzeit zu erbetteln. 

Der grösste unter allen Bettlern war aber der König selbst. 
Schon früh am Morgen gieng er in den nahen Wald hinaus, um 
Palmwein zu trinken und kam nachher in die Station herunter, 
um sich sein Morgenschnäpschen zu erbetteln. Gewöhnlich begnügte 
er sich, wenn sein Wunsch nicht gleich befriedigt wurde, eine 
Zeitlang stillesitzend unsern Arbeiten zuzusehen. Dauerte ihm 
dies endlich zu lange, so stand er auf, trippelte hin und her, 
setzte sich hin, stand wieder auf, räusperte sich und sagte: 
„ZI live for go”). Thaten wir dann, als ob wir seinen Wunsch 
nicht merkten, und sagten: „All right”, so wurde er etwas 
deutlicher und sagte, indem er mit der Hand eine Bewegung 
machte, als ob er ein Gläschen hineinstürzte: „I am going’”?) oder: 
„make me strong” °). Erhielt er aber sein Gläschen früher, dann 
blieb die Wirkung selten aus, denn Branntwein direkt auf 
Palmwein getrunken, kann selbst ein Negermagen nicht unge- 
straft ertragen. Er wurde dann ausserordentlich heiter und 
aufgeräumt und führte auf dem Platze vor unserer Hütte allerlei 
Solotänze aus. War aber der Spiritus einmal verflogen, so 
wurde der königliche Tänzer bald müde, legte sich auf eine 
unserer Kisten nieder und fiel für mehrere Stunden in einen 
tiefen Schlaf. Da jedoch unsere Rationen ziemlich spärlich 
ausfielen und seine ausgesprochene Vorliebe für Spirituosen 
nicht immer befriedigt werden konnte, so schleppte er uns bald 
diesen, bald jenen Gegenstand, gleichviel auf welche Weise er 
erworben war, herbei, um denselben in Branntwein umzusetzen. 
Mitunter brachte er sogar, wohl unter seiner langen Toga von 
inländischem Tuche verborgen, ein Huhn, das er uns, um 
unliebsamen Auseinandersetzungen mit seinen Unterthanen vor- 
zubeugen, unter der strikten Bedingung verkaufte, dasselbe 
sofort abwürgen und pflücken zu lassen. 


') Wörtlich: „Ich lebe um zu gehen,” d.h. „ich bin bereit hinzugehen.” 
°) „Ich gehe.” 
») „Mache mich stark.” 


— 116 — 


Unser Aufenthalt in Bavia dauerte etwas über zwei Monate 
und war nicht gerade reich an interessanten Abenteuern. Sobald 
wir uns einigermassen häuslich eingerichtet hatten, giengen wir 
jeden Morgen auf die Jagd und verwandten den Nachmittag auf 
das Präpariren und Conserviren der Beute. Dass es bei dieser 
geregelten Thätigkeit unmöglich war, jeden Tag etwas besonders 
Interessantes zu erleben, liegt auf der Hand, und ich werde 
desshalb fortan von der streng chronologischen Darstellung unserer 
Erlebnisse abweichen und nur einige der interessantern Episoden 
aus unserm Leben in der Wildniss herausgreifen. 

Im Anfang, als unsere drei mitgebrachten Diener sich unter 
den Golahs noch fremd fühlten, konnten wir im höchsten Grade 
mit ihnen zufrieden sein und ihnen auch ruhig unsere Habe 
anvertrauen. Dies dauerte aber nur so lange, bis sie sich an 
die neue Umgebung gewöhnt hatten und mit den Bewohnern 
von Bavia unter einer Decke steckten. Nur gar zu bald mussten 
wir einsehen, dass wir ihnen nicht mehr unbedingt vertrauen 
konnten, und kleinere Diebstähle, erst an Lebensmitteln, dann 
auch an andern Sachen, nöthigten uns, abwechselnd in der 
Hütte regelmässig Wache zu halten, so dass jeweilen nur 
Einer von uns auf die Jagd gehen konnte. Ueberhaupt hatten 
wir unter der Unzuverlässigkeit, Unverschämtheit und Trägheit, 
unserer eigenen Bedienten fast noch mehr zu leiden, als unter 
der Zudringlichkeit und Bettelei der Eingebornen und waren nur 
zu bald gezwungen, dieselben wegzujagen und durch neue zu 
ersetzen, wodurch der Zustand leider nicht verbessert wurde. 

Unter solchen Umständen war die Jagd weniger ergiebig, als 
sie es hätte sein können. Wir mussten uns erst mit der Gegend 
vertraut machen, bevor wir die Jagd systematisch betreiben 
konnten. Einmal so weit gekommen, befiel uns Einen nach dem 
Andern das Fieber, und nach den ersten sehr heftigen Anfällen 
musste bald der Eine, bald der Andere, nicht selten auch Beide 
zugleich, wegen Unwohlsein und Schwäche zu Hause bleiben. 

Unser Jagdgebiet bestand in ziemlich undulirtem Terrain mit 
zwischen Hügeln eingebetteten Sumpfthälern und war von zahl- 
reichen, theils rieselnden, theils stagnirenden Waldbächen durch- 
zogen. Ueberall war Wasser in Hülle und Fülle vorhanden. 


— 117 - 


Hügel und Thäler waren fast ohne Ausnahme mit dichtem, 
hohem Urwald bedeckt und die Vegetation infolge der vorzüg- 
lichen Bewässerung ungemein üppig. 

Je besser wir uns auf den vielfach verschlungenen Waldpfaden 
zurechtfanden, desto weiter dehnten wir auch unsere Excursionen 
aus, desto mannigfaltiger und reicher wurde unsere Jagdbeute. 
Wir durchstreiften nicht nur die Gegend am rechten Ufer des 
Flusses, sondern besuchten auch die mehr hügeligen Waldgebiete 
am linken Ufer, obwohl die Bewohner von Bavia uns wiederholt 
die Pessy-Neger, denen das linke Ufergebiet gehört, als verräthe- 
rische, lügnerische und raubsüchtige Leute schilderten. Auch 
suchte ich auf zahlreichen Wasserfahrten im Canoe, das ich 
von ZOoRU DuBBAH für die Dauer unseres dortigen Aufenthalts 
gemiethet hatte, mit unsäglicher Mühe, wenn auch vergeblich, 
das Labyrinth von waldbedeckten Fels- und Schwemminseln unter- 
halb des nächsten Wasserfalls nach Flusspferden (Hippopotamus 
liberiensis) und Lamentinen (Manatus senegalensis) ab. 

Bei der ersten dieser mühsamen Fahrten unterhalb des mehr- 
senannten Wasserfalls zog ich mir das erste Fieber zu. Ich 
hatte schon früher mehrmals die meist kahlen, theils auch mit 
etwas Gesträuch bewachsenen Felseninseln oberhalb des Wasser- 
falls, gerade gegenüber unserer Station, abgesucht, die von 
zahlreichen Giarolen — der sehr seltenen Glareola megapoda Gray 
— bewohnt wurden. Man hatte uns erzählt, dass das kleine libe- 
rianische Flusspferd in dieser Gegend angetroffen werde, ohne 
dass es uns bisher gelungen wäre, auch nur dessen Spuren 
aufzufinden. Da nun die dichte, verfilzte und weit über das Wasser 
hinaushängende Ufervegetation dem Jäger nur selten gestattet, 
vom Ufer aus den Fluss zu übersehen, so entschloss ich mich, 
wenn möglich den Wasserfall hinunter an dessen Fuss zu gelangen 
und dann die stromabwärts liegenden Inseln nach Flusspferden 
abzusuchen. Weil’ aber das verfügbare Canoe sehr klein war, 
konnte ich nur einen einzigen boy als Ruderer mitnehmen. Einige 
Stangen, eine lange, starke Liane als Leine und ein schweres, 
in Lianen eingeflochtenes Felsstück als Anker sollten uns bei 
diesem Versuche behülflich sein. Es schien jedoch wegen der raschen 
Strömung nicht gerathen, zu nahe an den Rand des Falles hinun- 


le 


terzufahren, wesshalb wir uns dicht an daslinke Ufer hielten und 
ohne grosse Mühe eine Stelle erreichten, an welcher infolge 
der etwas höher gelegenen Felsbänke fast kein Wasser nieder- 
strömte. Hier banden wir nun das kleine Fahrzeug an die Leine 
fest und liessen dasselbe den Wasserfall hinuntergleiten, worauf 
erst mein boy den glatten, abgewaschenen Felsen hinunterrutschte, 
das Canoe in Empfang nahm und leerschöpfte, während ich an 
der Liane erst das Gewehr und andere lästig zu transportirende 
Sachen hinunterliess und dann selbst nachglitt. Wir befanden uns 
nun auf einer trockenen Geröllbank, hatten zu beiden Seiten 
tobendes und schäumendes Wasser und konnten unter dem Rau- 
schen des Falles kaum unser eigenes Wort verstehen. Der langen 
Bank, auf der wir uns befanden, folgend und das Canoeim Was- 
ser hinter uns nachziehend, kamen wir bald in ruhigeres Wasser, 
und ich konnte nun aus einiger Entfernung den Wasserfall von 
unten besehen. Obschon er einen grossartigen Eindruck machte, 
namentlich durch seine Breite, so fand ich ihn doch lange nicht 
so hoch und furchtbar, wie ihn die Eingebornen uns geschildert 
hatten. Er mochte durchschnittlich 3—4 M. hoch sein und war 
durch. verschiedene höhergelegene Felspartieen, die nun bei dem 
niedrigsten Wasserstande blosslagen, in eine bedeutende Zahl 
kleinerer und grösserer Fälle vertheilt. Was ich aber bisher 
gänzlich übersehen hatte, das war eine sehr breite Stelle am 
rechten Ufer, wo die Felsbarre gar nicht bestand und das Wasser, 
wie mir aus der Ferne schien, verhältnissmässig ruhig hinunter- 
strömte. Da nun eine Rückkehr an der Stelle unseres Abstieges 
nicht möglich war, so entschloss ich mich gleich, die Rückfahrt 
später an jener offenen Stelle zu versuchen. 

Rund um uns her lag nun ein weites Gebiet von grössern und 
kleinern Sand- und Geröllbänken, wir durcheinanderliegenden 
Felstrümmern und horizontalen Felsplatten, die oft bedeutende 
Inseln bildeten. Ueberall wurden wirr von Wasser umrauscht 
und gelangten, unser leichtes Canoe bald rudernd, bald zie- 
hend und schiebend, bald über Bänke und Felsgräte hintragend, 
weit hinunter an die mit dichtem Baumwuchs bedeckten Fluss- 
inseln, die wir nun eine nach der andern durchstöberten. Unsere 
Mühe war jedoch ohne Erfolg. Nirgends, weder in dem feinen 


— 119 — 


Schwemmsande auf den langen Bänken, noch auf den mit beinahe 
undurchdringlichem Dickicht bestandenen Inseln fand sich auch 
nur eine Spur, die auf die Anwesenheit von Flusspferden schliessen 
liess. Die Sonne war inzwischen in das Zenith gestiegen, und 
wir mussten endlich die schwierigere Hälfte unseres eigenartigen 
Ausfluges, die Rückreise, antreten, ohne auch nur einen Schuss 
gethan zu haben. Auch auf dem Rückwege fanden wir in den 
‘nun trockenen Felsen zahlreiche, theils sehr tiefe Strudellöcher , 
in denen sich noch der rundgeriebene Stein befand, der nach 
und nach unter dem drehenden Einflusse des Wassers das Loch 
gebildet hatte und jeweilen zur Regenzeit an der Austiefung 
und Erweiterung desselben weiter zu arbeiten bestimmt war. 
Einige dieser Löcher waren mit einem gröberen oder feineren 
Kieselsande gefüllt, der zahlreiche, elliptisch abgeschliffene und 
sehr durchsichtige Quarzkrystalle enthielt‘). Die ausgedehnten 
schwarzgrauen Felsplatten waren unter dem Einflusse der Sonne 
so warm geworden, dass trotz meiner schweren Schuhe die 
Wärme kaum zu ertragen war und mein armer boy seine dick- 
schwieligen Füsse so oft wie möglich in das kühle Wasser steckte 
und sich, so gut es nur angieng, an die vom Flusse bespülten 
Ränder hielt. Ganz abgemattet durch die schwere Arbeit und 
die brennende Hitze erreichten wir endlich wieder offenes Wasser 
und kamen, das Canoe den Felsrändern entlang an der Leine 
hinter uns nachschleppend, an die Stelle, wo die grosse Felsbarre 
eine schwach sich senkende, schiefe Ebene bildete und einem 
bedeutenden Theile der grossen Wassermasse Durchlass gewährte. 
Hier schifften wir uns wieder ein und ruderten mit aller Kraft 
stromaufwärts der Stelle zu, um uns dann an dem überhängenden 
Gebüsch, welches das steile Ufer bedeckte, hinaufzuarbeiten. 
Nach vielem Rückwärtsgleiten und stets erneuten Anstrengungen 
gelang es uns endlich, ganz erschöpft das Flussufer zu erreichen 
und uns an den überhängenden Aesten festzuhalten, worauf wir 
schliesslich, von Ast zu Ast, von Busch zu Busch uns weiter 
arbeitend, das ruhigere Wasser oberhalb des Falles erreichten. 


!) Dergleichen Krystalle wurden früher oft durch Eingeborne an die Küste 
gebracht und dort von leichtgläubigen weissen Kaufleuten als Diamanten 
ınit hohen Preisen bezahlt. 


— 120 — 


Mehr todt als lebend, und zerbissen von aus den Aesten ins 
Canoe heruntergefallenen rothen Baumameisen, langten wir end- 
lich wieder auf der Station an, wo SALA uns, etwas besorgt 
wegen des langen Ausbleibens, erwartete. 

Die Folgen dieser anstrengenden Fahrt konnten selbstverständlich 
nicht lange ausbleiben. Schon in der darauffolgenden Nacht fühlte 
ich einen dumpfen Schmerz im Hinterkopfe, der den angebrachten 
kalten Kompressen nicht weichen wollte und bald in ein heftiges 
Fieber mit Deliriren übergieng. Nach den Aussagen SALA’S muss 
ich während zweier Tage eine Temperatur von 42° Celsius gehabt 
haben. Da ich fortwährend um mich schlug und stets aus der 
Hängematte rollte, legte mich Sara auf die Gewehrkiste, die 
der Länge nach an einer Wand stand, und da diese zu kurz 
war, erhielt ich eine etwas höhere Kiste als Kopfkissen. Am 
vordern Rande wurden einige Pfähle in den Boden gerammt, 
um mich am KHerunterfallen zu hindern. So lag ich, meist 
halb bewusstlos, oft phantasirend, eine ganze Woche lang ohne 
eigentlich gut zu wissen, was um mich her vorgieng. Als endlich 
das volle Bewusstsein wiederkehrte, war ich sehr erstaunt zu 
hören, dass ich schon so lange gelegen hatte. Mein Jagdjunge 
FRANK war unablässig beschäftigt, kalte Umschläge von mit 
Limonensaft versetztem Salzwasser um Hals, Hand- und Fuss- 
gelenke und oben auf den Kopf zu legen, wodurch nach und 
nach die Temperatur auf den Normalstand heruntergebracht 
wurde. In dieser kurzen Zeit war ich aber so schwach geworden, 
dass ich selbst bei hellem Tage und offenen Augen die gräss- 
lichsten Spukgestalten an der gegenüberliesenden Wand auf- 
und abtanzen sah, die oft plötzlich verschwanden und einer 
lieblichen Orgelmusik Platz machten. Merkwürdig genug war es 
stets dieselbe Melodie, die ich zu hören wähnte und die ich 
auch bei späterer Fieberschwäche immer wieder vernahm, so dass 
ich sie, obschon ich mich jetzt noch nicht erinnere, dieselbe 
früher jemals gehört zu haben, sehr bald auswendig kannte und 
sogar heute noch Ton für Ton im Gedächtniss behalten habe. 
Nachdem das Fieber einmal gewichen war, kehrten meine Kräfte 
viel rascher zurück, als ich erwarten durfte, und obwohl mich 
der Schmerz im Hinterkopfe noch lange nicht gänzlich verlassen 


— 121 — 


wollte, so konnte ich mich doch bald mit leichtern präparatorischen 
Arbeiten beschäftigen. 

Noch war ich nicht wieder auf die Jagd gegangen, als eines 
Tages ein Eingeborner athemlos auf der Station erschien und mir 
unter lebhaften Gestikulationen mittheilte, dass er draussen im 
Walde eine riesenhafte Schlange gefunden habe, dass sein Kamerad 
dort geblieben sei, um das Thier nicht aus dem Auge zu ver- 
lieren und ich (SALA war nicht zu Hause) schnell kommen müsse, 
um dasselbe todtzuschiessen. 

Nun war auf einmal alle Müdigkeit bei mir wie weggewischt, 
und ich machte mich bereit, dem Manne zu folgen. Zu unserer 
Ausrüstung gehörte eine eigenthümliche, stählerne Zange, die ich 
speziell für den Schlangenfang hatte anfertigen lassen. In ihrer 
Anlage einer grossen Papierscheere ähnlich, hatte sie 50 Cm. lange 
Greifarme, die, am Gelenke ziemlich dünn, nach dem vorderen 
Ende hin sich allmälig verbreiterten. Die Innenfläche der Arme 
war nahe an der Spitze raspelartig rauh gemacht, um die einmal 
gepackte Schlange nicht entgleiten zu lassen. Am obern Ende 
der Greifarme, beim Gelenk, sass ein ziemlich starker, stählerner 
Ring, der bei geöffneter Zange sitzen blieb, aber sofort von 
selbst nach vorn rutschte, wenn dieselbe mit abwärts gerichteten 
Spitzen geschlossen wurde. War nun eine Schlange gepackt, 
was am vortheilhaftesten im Genick oder wenigstens so dicht 
wie möglich hinter dem Kopfe geschah, so konnte man die Zange 
ruhig auf den Boden werfen, da das Thier doch nicht im Stande 
war, sich damit in gerader Richtung fortzubewegen und bald 
genug so müde wurde, dass man sich ohne Gefahr desselben 
bemächtigen konnte. 

Da ich bisher noch nicht in der Lage gewesen war, die Zange 
zu verwenden, so nahm ich dieselbe mit, nebst einer weithal- 
sigen Cyankaliumflasche, um die Schlange vergiften und so 
unbeschädigt unserer Sammlung einverleiben zu können. Nachdem 
wir — beinahe die ganze männliche Bevölkerung von Bavia hatte 
sich uns angeschlossen — etwa eine halbe Stunde durch den 
Wald gegangen waren, kamen wir, vom Pfade abweichend, an 
eine Lichtung und fanden dort den zurückgebliebenen Neger, der 
uns sagte, die Schlange habe sich entfernt und sei in der Nähe 


— 122 


unter einen umgestürzten, halbverfaulten Baumstamm gekrochen. 
Der Platz, an dem dieselbe zuerst gesehen wurde, war deutlich 
zu erkennen und sah aus, als ob ein Baumstämmchen im Grase 
gelegen hätte. Ich war nun überzeugt, dass der Neger nicht 
übertrieben hatte und überlegte einen Augenblick, ob ich es 
wohl ohne Schusswaffe wagen dürfe, das Thier aus seinem Schlupf- 
winkel hervorzutreiben. Nach der Grösse des Eindruckes im Grase 
zu urtheilen, konnte die Schlange unmöglich zu den giftigen 
gehören, da dieselben niemals: so gross werden, sondern sie 
musste unzweifelhaft eine der in Westafrika vorkommenden 
und dem Geschlechte der Pythons angehörenden Riesenschlangen 
sein. Dieser Umstand ermuthigte mich, auch ohne Gewehr den 
Angriff zu wagen. Neben der Lagerstätte der Schlange lagen im 
Grase in zwei grossen Klumpen etwa 70 orangengrosse Eier, die 
das Thier jedenfalls vor Kurzem gelegt hatte. Dieselben hatten 
eine weisse, pergamentartige Haut und waren fest aneinander- 
geklebt und so zusammengepresst, dass jedes einzelne Ei nicht 
mehr rund war, sondern lauter sechseckige Flächen zeigte. 

An den genannten Baumstamm gekommen, sah ich gleich, 
dass die Schlange an dem einen Ende hineingekrochen war und 
sich in der Höhlung unmöglich umdrehen konnte. Es war dies 
offenbar ihr Schlupfwinkel, mit zwei Oeffnungen, um an dem 
einen Ende hinein und am andern wieder herauszukriechen. 
Nachdem ich die Ausgangsöffnung gefunden, hielt ich, daneben 
niederknieend, die Zange geöffnet davor, worauf meine zahlreichen 
Begleiter, alle bis an die Zähne bewaffnet, mit ihren langen 
Schwertern unter ohrzerreissendem Gebrüll, als wollten sie sich 
auf diese Weise Muth einflössen, am hintern Ende in den Stamm 
zu stochern begannen. Plötzlich hörte ich neben mir ein heftiges 
Pfauchen und Zischen; eine lange Gabelzunge zeigte sich in der 
Oeffnung, und mit einem gewaltigen Rucke schnellte der dicke 
Kopf des geplagten Thieres aus dem Loche hervor. Im näm- 
lichen Augenblick stoben auch meine sämmtlichen todesmuthigen 
Gehülfen nach allen Richtungen auseinander und kamen erst 
auf respektable Entfernung wieder zum Stehen, von-wo aus sie 
angstvoll der Dinge harrten, die da kommen sollten. Ich aber 
hatte, sobald die Schlange den Kopf hervorstreckte, ihr Genick 


— 123 — 


in die Zange eingeklemmt, schob den Ring mit aller Kraft an 
und kniete dann mit dem vollen Gewichte meines Körpers auf 
das starke Instrument, um das Thier vorerst am weitern Hervor- 
kriechen zu verhindern. Dieses arbeitete mit wahrer Riesenkraft, 
so dass ihm der Schaum vor dem Maule stand, doch vergeblich. 
Nun ergriff ich das neben mir stehende Cyankaliumglas und 
schob dasselbe der Schlange über die Schnauze, um sie durch 
das verdunstende Gift zu tödten oder wenigstens zu betäuben. 
Allmälig wurde sie ruhiger und lag da wie todt. Einige Neger, 
die sich von ihrem Schrecken wieder erholt hatten, kamen nun 
mit einer langen Liane herbei und legten der Schlange eine 
solide Schlinge um den Hals. Unterdessen war das Thier wieder 
zum Bewusstsein gekommen, und ehe ich noch die Zange 
losmachen konnte, arbeitete es sich mit einigen gewaltigen 
Bogenstössen aus der Höhle heraus. Aber aller Widerstand 
war nun zu spät. Im Umsehen war der Strick fest angezogen ; 
einige der Leute hatten sich als Vorspann an die Liane gemacht 
und rannten nun in fliegender Eile den schmalen Waldpfad 
entlang nach unserer Station, so dass der Schlange keine Zeit 
gelassen wurde, sich aufzurollen oder irgendwo sich festzuklam- 
mern. Die übrigen Neger rannten schreiend neben- und hintenher 
und hieben mit ihren Säbeln dergestalt auf das wehrlose Thier 
ein, dass dasselbe, als ich selbst eine Weile nach dem Zuge 
ermattet auf der Station eintraf, ganz zerschunden und zerhauen 
aussah und nur durch einige Zuckungen verrieth, dass das zähe 
Leben noch nicht gänzlich erloschen war. 

Wie ich vermuthet hatte, war es Python sebae, aber von 
einer Grösse, wie ich sie nachher nie wieder angetroffen. Sie 
war volle 14’ lang und stark #’ dick. Da das Thier in diesem 
traurigen Zustande für unsere Sammlung keinen Werth hatte, 
so überliess ich es den mich begleitenden Negern, die es sofort 
in grosse Scheiben zerschnitten und diese, nachdem ich ein schönes 
Stück für unsere Tafel ausgewählt, nach Hause trugen. Das 
zarte, weisse Fleisch der Schlange, die in Liberia fälschlich 
Boa constrictor genannt wird, gilt nämlich bei den Eingebornen 
allgemein als grosser ‘Leckerbissen, und die Probe, die wir mit 
meinem Antheil machten, hat jene Meinung vollkommen bestätigt, 


— 124 — 


einen schwachen Moschusgeruch ausgenommen, der auch, wie es 
uns vorkam, durch das Braten nicht vollständig entfernt werden 
konnte. — Glücklicherweise hatte dieser unerwartete Zwischenfall, 
der meine noch schwachen Kräfte etwas über Gebühr in Anspruch 
genommen, keine schädlichen Folgen für meine Gesundheit, und 
die alte Jagdlust liess mir fortan keine Ruhe mehr zu Hause, 
so dass ich sehr bald meine gewöhnlichen Ausflüge wieder fort- 
setzte. 

Im Allgemeinen befriediste uns die zoologische Ausbeute in 
Bavia keineswegs. Der weite Urwald war verhältnissmässig 
arm an Thieren, denen überdies des dichten, von Lianen durch- 
zogenen Unterholzes wegen nur mühsam beizukommen war. In 
Waldsäumen, Buschwald und alten, halbverwilderten Pflanzungen 
dagegen zeigte sich die Jagd ergiebiger, obschon sie auch hier 
durchaus nicht leicht war, da eine alles Strauchwerk überzie- 
hende, von Busch zu Busch Guirlanden bildende Grasart uns bei 
der leisesten Berührung mit ihren scharfen Blatträndern die Haut 
zerschnitt. Fragten wir gelegentlich einen Englisch sprechenden 
Eingebornen nach dieser oder jener Thierart, so erhielten wir 
stets die stereotype Antwort: „Yes, daddy, him live here, plenty 
of them be in this country, too much!’ \). Unsere Erfahrungen 
lehrten uns jedoch gewöhnlich das Gegentheil. Sehr viel Freude 
machte mir unter allen erbeuteten Säugethieren eine schöne graue 
Tigerkatze, die in einer in der Hecke einer Reisfarm angebrachten 
Prügelfalle gefangen wurde. Von Affen trafen wir in Bavia nur 
einige der gewöhnlicheren Arten an, daneben aber auch eine 
neue Art, Cercopithecus büttikoferi Jent., die übrigens auch bei 
allen späteren Stationen erbeutet wurde. Die Ausbeute an Vögeln 
bot manches Interessante, doch liess sie sich nicht mit derjenigen 
unserer zweiten Station vergleichen, woselbst wir unsere selten- 
sten Arten sammelten. Auch unter Reptilien und Amphibien 
bot sich manches Wünschenswerthe, besonders an Schlangen, 
worunter sehr viele giftige. Von Schmetterlingen wurden mehrere 
hundert Exemplare gesammelt. 

Unser Fischfang beschränkte sich fast ausschliesslich auf Angel- 


ı) Ja, Herr, sie ist hier, es sind viele in dieser Gegend, nur zu viele! 


— 125 — 


fischerei. Die schönen, aus Europa herübergebrachten Netze konnten 
wir auf dem felsigen Boden des St. Paul nicht festsetzen, und in 
den verschiedenen Waldcreeks wagten wir nicht, sie stehen zu 
lassen, aus Furcht, dass sie durch die Eingebornen weggenommen 
werden möchten. Ueberhaupt wurde es von den Bewohnern von 
Bavia nicht gerne gesehen, dass wir ihnen den Fischfang in den 
Creeks schmälerten. Wir unterliessen es darum auch bald, mit 
selbstgeflochtenen Reusen zu fischen oder sogar nach der Weise 
der Eingebornen die Creeks zum Zwecke des Fischfanges ver- 
mittelst Schilfwänden abzusperren. 

Wohl .aber fingen wir zur Nachtzeit viele Exemplare einer 
sehr grossen Art Süsswassergarneele (Palaemon macrobrachion). 
Zu diesem Zwecke spiessten wir in dem seichten Uferwasser des 
Flusses vor Einbruch der Nacht auf verschiedenen zugänglich 
semachten Stellen Fleischabfälle auf den Boden fest, auf welche 
nach eingetretener Dunkelheit die Garneelen abgiengen,, um daran 
ihr Mahl zu halten. Auch hatten wir eine Art Laterne construirt, 
bestehend aus einem viereckigen Kästchen ohne Boden, in das 
wir ein kleines Lämpchen hingen. Auf diese Weise konnte die 
Laterne, dicht über der Erde getragen, ihr Licht nur nach unten 
abgeben und nur einen kleinen Fleck beleuchten, während alles 
Andere in Dunkel gehüllt blieb. Mit dieser Laterne in der linken 
und einem Wassereimer in der rechten Hand, traten wir an 
die Stellen, wo wir die Lockspeisen hingelegt hatten und fanden 
dann gewöhnlich eine bedeutende Anzahl Garneelen, die von 
allen Seiten an dem Fleische zerrten, ohne es wegschleppen zu 
können. Mit einigen bedächtigen Griffen fassten wir nun die 
durch den plötzlichen Lichtschein überraschten Thiere, die in 
ihrem ersten Schreck gar keinen Fluchtversuch machten, und 
warfen sie in den Eimer, oft 12—20 Stück auf einer einzigen 
Stelle. Darauf giengen wir an eine andere Stelle, und wenn wir 

alle Beizeplätze abgesucht hatten, konnten wir nach Belieben 
_ wieder von vorn anfangen. Die Futterzeit dieser Garneelen schien 
sich nur auf den Vorabend zu beschränken, denn die Thiere 
zeigten sich erst lange nach Eintritt der Dunkelheit und wurden 
nach neun Uhr nur noch selten, nach zehn Uhr nie mehr auf 
den Lockplätzen angetroffen. Den Tag über halten sie sich in Ufer- 


— 126 — 


löchern und unter Wurzeln und Steinen verborgen. Dieser Garnee- 
lenfang verschaffte uns manchen angenehmen Abend ; nur schade, 
dass wir bald so unter diesen Thieren aufgeräumt hatten, dass 
der Fang in der Nähe der Station nicht mehr lohnend wurde 
und eine Zeitlang eingestellt werden musste. Eine nächtliche 
Garneelenmahlzeit, von der Glut des Herdfeuers phantastisch 
beleuchtet, hatte immer etwas Romantisches. Kam Einer von 
uns mit vollem Eimer zur Hütte zurück, so fand er gewöhnlich 
den Andern rauchend in seiner Hängematte, insofern derselbe 
nicht gerade mit irgend einer Arbeit beschäftigt war, die boys 
aber auf ihre Fersen niedergekauert am wohlgeschürten Feuer, 
auf dem die Bratpfanne mit heissem Palmöl schon bereit war, 
um die Beute aufzunehmen. Im Umsehen waren die noch 
lebenden Thiere des Kopfes und Brustpanzers beraubt, wurden 
dann in einer Schüssel mit Mehl und Salz etwas hin- und herge- 
rollt und wanderten ohne weitere Umstände in die Pfanne, um 
einen Augenblick später als Delikatesse gebacken auf unserm 
Tische (sage Bücherkiste) zu erscheinen, während der Löwen- 
antheil gewöhnlich unsern boys zufiel. 

Im Laufe des Monats Februar sank das Wasser im St. Paul 
um mindestens zwei Fuss, so dass viele der früher unsichtbaren 
Felsbänke zu Tage traten und die bereits vorhandenen Inseln 
von Tag zu Tag an Grösse zunahmen. Das klare Wasser des 
Flusses zeigte während dieser Zeit am Morgen eine Temperatur 
von 25° O., am Abend sogar 31° O., während die Temperatur 
der Luft zur nämlichen Zeit morgens 6 Uhr 25°, mittags 12 
Uhr 30°, um ein Uhr 31° und abends 6 Uhr 29° im Schatten 
zeigte. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass im Fluss- 
thale, wo diese Ablesungen vorgenommen wurden, den Tag über 
stets ein kühlerer Luftzug wehte. Die hohe Temperatur des Wassers 
mag grossentheils der enormen Wärmeabgabe der den Tag über 
stark erwärmten Felseninseln zuzuschreiben sein. Wir pflegten 
am Abend, nach Eintritt der Dunkelheit, nach einer dieser Inseln 
hinzuschwimmen und fanden den Felsen so warm, dass wir uns 
nur auf die etwas unter Wasser liesenden Theile derselben 
setzen konnten. Um unser Trinkwasser einigermassen kühl zu 
erhalten, füllten wir jeden Abend zwei Eimer mit Flusswasser 


— 127 — 


und liessen dieses die Nacht über abkühlen. Seit unserer Ankunft 
in Bavia war noch kein Tropfen Regen gefallen. Dafür fiel aber 
zur Nachtzeit der Thau so reichlich, dass wir am Morgen beim 
Betreten der schmalen Waldpfade schon nach den ersten Schritten 
sänzlich durchnässt waren und die Bäume tropften, wie nach 
einem heftigen Regengusse. Die Vegetation hatte also unter der 
lang andauernden Trockenheit durchaus nicht zu leiden. 

Schon in den letzten Tagen des Februars hatten wir einige 
schwere Gewitter mit heftigen Sturzregen. Am Morgen nach der 
ersten Gewitternacht war zu unserm grossen Erstaunen der Fluss 
um zwei Fuss gestiegen, ein Zeichen, dass es weiter im Innern 
viel mehr geregnet haben musste, als bei uns. Mit Anfang März 
waren die Gewitter schon beinahe alltägliche Erscheinungen 
geworden, und der schwere Donner rollte oft tagelang ohne 
Aufhören über die finstern Wälder hin. 

Die Felsinseln im Flusse verschwanden allmälig wie sie aufge- 
taucht waren, und das Wasser wurde zusehends trüber und 
reissender, so dass wir unsere Schwimmtouren bald auf ein 
Minimum beschränken mussten. Nichtsdestoweniger hatten wir 
eines Tages das höchst interessante Schauspiel einer Wasserfahrt 
stromabwärts, ausgeführt durch eine Gesellschaft von Eingebornen 
in roh gezimmerten Canoes. Da diese Leute an unserm Landungs- 
platze anlesten, um etwas auszuruhen, wohl auch, um ihre 
Neugierde zu befriedigen, die unsere sonderbare Jagdhütte in 
ihnen rege gemacht haben mochte, so konnten wir von ihnen 
interessante Mittheilungen über den Lauf des Flusses erhalten, 
soweit wir ihn nicht selbst kennen zu lernen Gelegenheit hatten. 
Keiner von ihnen sprach zwar ein Wort Englisch, so dass wir 
uns unseres Golah-boy’s als Dolmetscher bedienen mussten. Die 
Leute kamen von der Inselstadt Alin, die etwa 12 miles fluss- 
aufwärts im St. Paul liegt. Alle waren athletische Gestalten, 
und ohne eine Spur von Kleidung. Ihre grossen Canoes, die sie 
während der Trockenzeit für den Verkauf anfertigen, höhlen sie 
nur ganz roh aus, damit sie die harten Stösse und Schürfungen 
an den vielen scharfen Felskanten im Flusse besser ertragen 
können. Wenn dann der Fluss derart gestiegen ist, das die 
_ kleinern Stromschnellen verschwinden und infolgedessen die Thal- 
+ 


— 128 — 


fahrt bequemer wird, fahren sie denselben hinab nach Millsburg 
am Fusse der letzten Fälle. Dort arbeiten sie die auf der Reise 
arg zerschundenen Canoes sauber ab und verkaufen sie an die 
liberianischen Farmer längs des untern St. Paul. Da geeignete 
Bäume für grosse Canoes dort unten sehr selten geworden sind, 
so können diese Canoebauer und waghalsigen Flösser ein schönes 
Stück Geld verdienen. Die Zeit, die sie auf das Fällen der 
Bäume und das Zimmern der Canoes verwenden, wird von ihnen 
kaum in Anschlag gebracht. Der gewöhnliche Preis für ein Canoe 
von Hartholz varürt je nach der Grösse zwischen 5 und 30 Dollars. 
Auf der Flussfahrt befinden sich in jedem Canoe zwei Ruderer, 
jeder von ihnen mit einem kurzen, schaufelförmigen paddie (Kuder) 
versehen, womit sie das plumpe, schwere Fahrzeug mit bewun- 
derungswürdiger Geschicklichkeit zwischen den Felsblöcken im 
Flusse durchsteuern. Kommen sie auf ihrer abenteuerlichen Fahrt 
an eine bedeutende Stromschnelle oder einen Wasserfall, der an 
dem aufspritzenden Gischt gewöhnlich schon von weitem zu 
erkennen ist, so helfen die Schiffer einander, die Canoes an 
langen, zu diesem Zwecke mitgeführten Rotangleinen hinunter- 
zulassen, um gleich darauf ihre aufregende Fahrt unter wildem 
Geschrei und Gesang wieder fortzusetzen. 

Nach den Aussagen dieser Leute, die beinahe alljährlich die 
Flussreise aus ihren Urwaldgebieten nach Millsburg machen, 
enthält der Fluss auf dem von ihnen befahrenen Wege bedeu- 
tende Wasserfälle nebst unzähligen Stromschnellen, welche Letztere 
bei etwas hohem Wasserstande der Thalfahrt keine erheblichen 
Schwierigkeiten entgegensetzen. Die Rückreise muss natürlich zu 
Land gemacht werden. 


Vak 


Auf Kundschaft. Verlegung unserer ‚Station. 
Soforeh Place. 


St. Paul’s River bei Alin. 


Vorbereitungen. — Nach Alin. 
— Die Flussfähre. — Empfang in 
Alin. — Palaver.— Nachtlager. — 
Ein Insellabyrinth. — Fort- 
setzung der Reise. — ZORU DUuB- 
BAH bekommt Bauchschmerzen. 
Ankunft in Soforeh Place. — Eine 
vielversprechende Gegend und 
ihr noch mehr versprechen- 
der König. — JALLAH der Jäger 
und sein Doppelgänger. — Aus- 
flug in die Umgegend. — Rück- 
reise. — Mühsame Beschaffung 
von Trägern. — ZORU DUBBAH’S 
Machtlosigkeit. — Abreise. — 
Schlechte Waldpfade.— Elephan- 
tenspuren.— Soforeh Place. — Er- 
ster Aufenthalt. — Krankheit. — 
Bau einer Jagdhütte. — Die neue 
Station und deren Umgebung. — 
Armuth. — Jagdtouren. 


Die immer häufiger werdenden Gewitter sowie das Wachsen 
des Flusses und der Waldbäche mahnten uns endlich, an die 


LIBERIA, 1, 


9 


z— 


— 130 — 


Verlegung unserer Station, weiter ins Innere hinein, zu denken, 
wenn wir überhaupt unserem Plane, die Regenzeit am Rande der 
Hochebene zuzubringen, nicht untreu werden wollten. ZORU 
DuBBAH hatte mir früher viel von seiner Vaterstadt Geweh 
erzählt, die zwei Tagereisen weiter landeinwärts am St. Paul 
liege, und von wo aus man in anderthalb Tagen Boporo, die 
Hauptstadt des Boatswain-Stammes, erreichen könne Auch 
hatte er mir versprochen, mich einmal auf einer Reise dorthin - 
zu begleiten, und da ich begierig war, einen geeigneten Platz 
für unsere neue Station aufzusuchen, so war ich sofort bereit, 
von seinem Anerbieten Gebrauch zu machen. ZoRu verspürte 
jedoch keine grosse Lust, um uns so leichten Kaufes aus seiner 
Nähe wegziehen zu lassen; daher verschob er die Abreise von 
Woche zu Woche, bis ich ihm schliesslich erklärte dass, wenn 
er binnen einer Woche nicht mitgehe, ich auch ohne ihn den 
Weg finden werde. So wurde denn schliesslich der Tag unserer 
Abreise zum sovielten Male definitiv, und zwar auf Sonnabend 
den 20. März, festgesetzt. 

Der Vorabend dieses Tages brachte für mich einen äusserst 
unangenehmen Zwischenfall, der mich längere Zeit so gut wie 
arbeitsunfähig machte. Unser Koch war nämlich noch lange 
nach Einbruch der Nacht beschäftigt, Palmöl auszuschmelzen, 
um dasselbe als Speiseöl geeignet zu machen. Infolge einer 
Unvorsichtigkeit fasste dasselbe Feuer, worauf mir der boy, der 
im ersten Schreck den Kopf verlor, durch eine ungeschickte 
Bewegung das brennende Oel über die rechte Hand heruntergoss. 

Obschon mich der Schmerz, den die bedeutenden Brandwunden 
verursachten, die ganze Nacht kein Auge schliessen liess, trat 
ich doch am andern Morgen die Reise an. ZORU DUBBAH hatte 
zwei Bediente mitgenommen, da es, wie er sagte, für einen 
König nicht passe, ohne Dienerschaft zu reisen. Um ihm nicht 
in Rang nachzustehen, that ich ein Gleiches, und so traten wir 
denn, obwohl das Wetter nichts weniger als einladend war, 
des Morgens gegen 8 Uhr unsere Reise an. Die Verabredung 
war zwar gewesen, um mit dem ersten Hahnenruf aufzubrechen, 
doch wer einmal mit Negern gereist hat, der weiss, wie lange 
es dauert, bis dieselben reisefertig sind, und dass man oft froh 


— 131 — 


sein muss, statt bei Nacht und Nebel, endlich abreisen zu 
können, wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht. 
Meinem fürstlichen Begleiter war bald dies, bald jenes nicht 
recht, und als ich ihn endlich bereit wähnte, kam er auf den 
Einfall, eine seiner Frauen mitzunehmen, die nun ihrerseits 
auch noch ihr bischen Bagage zusammenpacken musste. Mein 
Jagdbursche trug Gewehr und Zubehör, der andere Bediente 
eine king-jar (Tragkorb) mit meiner Reisedecke, einigen Lebens- 
mitteln, allerlei Tauschwaaren und einigen Geschenken für die 
Negerfürsten, mit denen wir auf unserem Wege in Berührung 
kommen sollten. Meine Hand, die mich noch immer sehr schmerzte, 
hatte ich derart in ein Tuch gewickelt, dass ich den Zeigefinger, 
welcher zufällig am wenigsten gelitten hatte, zum Abdrücken 
des Gewehres frei behielt. Durch stetes Nasshalten des Verbandes 
suchte ich den Schmerz so erträglich wie möglich zu machen. 
Es hatte in der Nacht viel geregnet, und demzufolge war der 
thonige Boden durchweicht und schlüpfrig; die Waldwasser waren 
bedeutend angeschwollen, und auf Schritt und Tritt schlugen 
einem die nassen Aeste des dichten Unterholzes ins Gesicht, so 
dass ich gleich nach Antritt des Marsches schon ganz durchnässt 
war. Zwei kurz aufeinanderfolgende, heftige Regengüsse machten 
den an und für sich schon beschwerlichen Marsch noch mühe- 
voller. Unser nächstes Reiseziel war die bereits erwähnte Insel- 
stadt Alin, die ich bei dieser Gelegenheit kennen lernen wollte. 
Da es aber eine Unmöglichkeit ist, den Fluss entlang vorwärts 
zu kommen, so folgten wir längere Zeit einem Waldpfade, der 
in der Richtung nach Soforeh Place und Geweh führt, und bogen 
dann, einen dicht bewaldeten Höhenzug überschreitend, rechts 
ab, um wieder an den Fluss zu gelangen. Der erste Theil des 
Weges führte uns durch mir wohlbekannte Gebiete, und gar 
manche Waldpartie, manch merkwürdig gestalteter Baum stellte 
sich als alter Bekannter heraus, den ich auf meinen mannigfachen 
Kreuz- und Querzügen früher schon angetroffen hatte. Die ganze 
Gegend war äusserst reich bewässert, so dass ich während der 
ersten zwei Stunden 16 verschiedene, bedeutendere Waldbäche und 
Sumpf-Creeks zählte, die wir theils durchwaten, theils auf oft sehr 
sonderbaren und gebrechlichen Brückenanlagen passiren mussten, 


u 


ee 


— 132 — 


Nachdem wir schliesslich einen hohen, nord-südlich laufenden 
Hügelzug überschritten, erreichten wir das rechte Ufer des St. Paul, 
den wir seit unserer Abreise aus Bavia nicht mehr zu sehen 
bekommen hatten. Ueber und unter uns hörten wir das Tosen 
von Stromschnellen, und uns gegenüber lag auf einem 40-50’ 
hohen Hügel im Flusse, nur durch einen beträchtlich schmalen 
Arm vom rechten Ufer getrennt, die kleine Stadt Alin. Sobald 
man uns bemerkte, kam ein Neger in einem kaum zehn Fuss 
langen und noch keine anderthalb Fuss Durchmesser haltenden 
Canoe angerudert, um uns, Einen nach dem Andern, hinüber- 
zuholen. Ich habe mir aus Wasserfahrten in Canoes nie viel 
gemacht, als aber die Reihe der Ueberfahrt an mich kam und 
es sich herausstellte, dass ich, obschon halb seitlich in das enge 
Ding hineingezwängt und auf dem Boden des Fahrzeuges sitzend, 
dennoch das Gleichgewicht nicht behalten konnte, beschlich mich 
zum ersten Male eine gewisse Bangigkeit, welche selbst. mein 
nackter Charon mit mir zu theilen schien. Um mit meinem 
langen Oberkörper das Gleichgewicht nicht zu stören, legte ich 
mich schliesslich der Länge nach ins Canoe, das ich beinahe 
anfüllte, hinein und wurde dank dieser Massregel wohlbehalten 
hinüberbefördert. 

Mit Ausnahme der früher erwähnten Flussargonauten hatte 
wohl in Alin noch Niemand einen Weissen gesehen, und schon 
bevor ich den Boden dieser natürlichen Festung betrat, hatte 
sich ihre ganze Einwohnerschaft am Ufer versammelt und gaffte 
mich nun voll Neugierde an. Die kühnen Flusschiffer hatten 
nach ihrer Rückkehr von Millsburg von uns und unserer Station 
in Bavia erzählt, und gleich bei meiner Ankunft drängten sich 
zwei derselben aus der Menge hervor und begrüssten mich unter 
dem üblichen Händereichen und Fingerschnalzen als alten Be- 
kannten. Nach dieser ersten flüchtigen Begrüssung wurden wir 
in die Stadt hinaufbegleitet und dort im grossen Palaverhause 
dem verschmitzt aussehenden Häuptling und seinem Hofstaate 
vorgestellt. Eine längere Unterhaltung war mir jedoch in meinem 
Zustande weniger erwünscht, und so wurde denn auf mein 
Verlangen durch zwei Sklaven sofort ein grosses Feuer angelegt, 
worauf ich mich, so gut es angieng, meiner nassen Kleider 


-- 133 — 


entledigte und den Rest am Leibe trocknete. Während dessen 
wurde ich von einer grossen Zahl von Leuten umlagert, welche 
Tabak zu haben wünschten und die Hütte derart anfüllten, dass 
ich mich kaum mehr bewegen konnte. Ich wurde vorläufig mit 
einigen im Feuer gerösteten Kassaven bewirthet und bald nach- 
her, als meine Kleider wieder einigermassen getrocknet waren, 
nach dem Hause des Häuptlings geholt. Dort wurde mir durch 
eine seiner Frauen ein hölzerner, rauchgeschwärzter Napf mit 
Reis und Palaversauce!) vorgesetzt. In Ermangelung eines Löffels 
war ich genöthigt, mit den Händen zuzugreifen. 

Nach Einbruch der Nacht wurde Rath gehalten, und sowohl 
der Häuptling von Alin als sein Vetter ZoRU DUBBAH, der als 
Dolmetscher auftrat, suchten mich zu bewegen, diesen Platz zur 
Anlage unserer künftigen Jagdstation zu wählen. „Plenty meat 
live in this country, ah! too much”), wurde mir immer und 
immer wiederholt, und die Umgebung von Alin als das 
Eldorado der Jäger angepriesen. Aus einigen in der Golahsprache 
gewechselten Worten, die ich mehr errathen als verstehen konnte, 
und aus ihrem ganzen geheimnissvollen Thun glaubte ich jedoch 
schliessen zu müssen, dass man mich auf die eine oder andere 
Weise in eine Falle locken wolle, um mich nachher besser 
ausbeuten zu können. Darum erklärte ich, am nächsten Morgen 
die Gegend selbst besichtigen zu wollen, bevor ich einen Beschluss 
fasse. In einer nicht sehr geräumigen Hütte wurde mir nun 
durch den Häuptling eigenhändig das Nachtlager bereitet, d. h. 
auf dem harten Thonboden ein grosses inländisches Tuch ausge- 
breitet und ein anderes bereit gelest, um mich damit zuzudecken. 
Ein halbrunder Holzklotz diente als Kopfkissen. Hinter der Thüre, 
d. h. einer in der Thüröffnung hängenden Matte, die von innen 
durch einen Querstock befestigt werden konnte, lagerten sich 
meine zwei boys. Das Bewusstsein, dass jeder unerwünschte 
Besucher diese beiden schlafenden Cerberusse beim ersten Schritt 
wach treten musste, verlieh mir ein solch wohlthuendes Gefühl 


!) Siehe hinten: die Speisen und ihre Bereitung. 

?) Viel Fleisch (alles essbare Wild — und was wäre bei diesen Leuten 
nicht essbar? — wird hier kurzweg Fleisch genannt) lebt in dieser 
Gegend, ah! zu viel! 


— 134 


persönlicher Sicherheit inmitten dieser etwas verdächtigen Umge- 
bung, dass ich mich ohne jede weitere Vorsichtsmaassregel zur 
Ruhe begab. Aber eine geraume Weile dauerte es, bis das 
gewaltige Rauschen des Wassers rundum, das sich nun in der 
nächtlichen Stille doppelt bemerkbar machte, mich den erst 
vergeblich gesuchten, erquickenden Schlummer finden liess. Was 
sollte ich am nächsten Tage erleben? wo die folgende Nacht 
zubringen? Wahrscheinlich in dem ebenfalls flussumbrausten 
Geweh, der Geburtsstadt meines fürstlichen Begleiters. Und dann 
nur noch eine grosse Tagereise von der Stadt Boporo, an dessen 
König Momoru ich durch Mr. BLypen in Monrovia empfohlen war! 
Mein Herz klopfte rascher, als ich mir jene noch nie gesehene 
Gegend in Gedanken ausmalte, und Bilder auf Bilder zogen in 
buntem Wechsel an meinem geistigen Auge vorüber, bis endlich 
die Müdigkeit sieste und das Weasserrauschen almake wie in 
weiter Ferne verschwand. 

Am andern Morgen (Sonntag 21. März) war ich schon unge 
Tagesanbruch draussen und durchstreifte die grosse, ziemlich 
sanft nach Osten abfallende Insel. Ich fand sie ziemlich felsig, 
und theils mit Hochwald, theils mit angebauten Lichtungen 
bedeckt, doch schien sie mir nicht besonders reich mit Thieren 
bevölkert zu sein. Nach einigen Minuten Gehens in östlicher 
Richtung, wobei ich aus einer hohen Baumkrone, die einige 
Negerhütten beschattete, zum grossen Gaudium meiner Begleiter 
einen Affen herunterschoss, erreichte ich wieder den Fluss, 
dessen Lauf hier eine nord-südliche Richtung hat. Vor mir lag 
nun ein ganzer Archipel von kleinern Inseln und Inselchen, die 
theils aus Felsmasse, theils aus Schwemmsand bestanden und 
von denen einige bewohnt waren. Durch diese Inseln wurde der 
Fluss in ein grosses Labyrinth von rauschenden Bächen zertheilt, 
die sich bald trennten, bald wieder vereinigten, hier Sand 
abtragend, dort wieder anschwemmend, so dass Form und Grösse 
der Eilande, besonders nach Gewitterregen, fortwährenden Ver- 
änderungen unterworfen sind. Viele dieser Flussarme konnte ich 
durchwaten, durch andere wurde ich von einem meiner baum- 
starken Begleiter getragen, wieder über andere in einem am. 
Ufer liegenden Canoe gebracht. Da wir oft lange nach einer 


— 15 — 


passenden Uebergangsstelle suchen mussten, wurde es schliesslich 
so spät, dass ich zurückzukehren beschloss, ohne das andere 
(östliche oder linke) Ufer dieses hier wohl über eine halbe Stunde 
breiten Stromes auch nur erblickt zu haben. Wo man in diesem 
Inselchaos seinen Fuss auch hinsetzt, überall hört man das 
Tosen und Brausen des Wassers, das sich bald durch enge 
Schluchten hindurchzwängt, bald über Felsbarren !) hinunter- 
‚stürzt und unzählige Stromschnellen und gefährliche Strudel bildet. 

Wiewohl man mich zu überreden suchte, Alin als Platz für 
unsere nächste Station zu wählen und als schlagenden Beweis 
für den Wildreichthum auf den geschossenen Affen — den sehr 
gewöhnlichen Cercopithecus Campbellii — wies, bewogen mich 
doch verschiedene Gründe, davon abzusehen. Erstens schien 
mir die Lage der ganzen Gegend als Jagdterrain nicht besonders 
geeignet, denn abgesehen davon, dass die Inselgruppe bei Hoch- 
wasser schwer zugänglich war, fand ich auch ‘das rechte Ufer, 
bestehend aus einer mühsam zu erklimmenden Berglehne, für eine 
ergiebige und bequeme Jagd nicht dienlich. Dann schienen mir 
der Häuptling sowohl als seine zahlreichen erwachsenen Söhne 
viel zu zudringlich und so frech, dass ich sie selbst zu Schlim- 
merem als nur zu gewöhnlicher Bettelei fähig hielt, und ZoRU 
DusBAH’s beruhigende Versicherung, dass diese Leute zu seinen 
nächsten Verwandten gehören, vermehrte eher mein Misstrauen , 
statt dasselbe zu beseitigen. Ueberdies hätte ich schon meinem 
bereits entwickelten Plane zu liebe mich nicht hier niederlassen 
können, denn wir mussten unbedingt vor Beginn der eigentlichen 
Regenzeit, während welcher die Jagd im Urwalde so gut wie 
unmöglich ist, letzteren hinter dem Rücken haben, und eine 
Uebersiedlung von Bavia nach Alin würde ebensoviel gekostet 
haben als eine ganze Tagereise weiter ins Innere hinein, wo wir 
überdies bei den mehr Ackerbau treibenden Stämmen uns bequemer 
mit Lebensmitteln versehen konnten. 

So entschloss ich mich denn, auf die vereinigten Vorschläge 
meines Gastherrn und meines Führers nicht einzugehen und 
die Kundschaftsreise weiter landeinwärts fortzusetzen. Nur 


!) Siehe die Vignette am Anfang dieses Capitels. 


— 136 — 


mit Widerstreben konnte Zoru sich endlich entschliessen, die 
Weiterreise anzutreten. Nachdem ich mehr als die Hälfte meiner 
mitgebrachten und zu Geschenken bestimmten Tauschwaaren 
unserm habgierigen und unverschämten Gastherrn aufgeopfert 
hatte, traten wir um 10 Uhr die Weiterreise an, wobei uns 
der Häuptling von Alin noch eine lange Strecke Weges begleitete. 
Gegen drei Uhr kamen wir, nachdem wir verschiedene Hügel- 
rücken überschritten und nur einmal eine Lichtung mit einigen 
bewohnten Hütten angetroffen hatten, an das Negerdorf Soforeh 
Place, woselbst wir durch den Häuptling SıckLy freundlich 
empfangen und in einer kleinen, leerstehenden Hütte einquartirt 
wurden. 

Schon unterwegs hatte Zoru heftige Bauchschmerzen, die ich 
ihm, dank meiner Bekanntheit mit seiner Constitution, jedesmal 
durch einen Becher Rum lindern konnte. Als aber nach der An- 
kunft in Soforeh Place mein kleiner Vorrath an Rum erschöpft 
war, verlor der Patient alle Lust, sich weiter in der Gegend 
umzusehen, legte sich, nachdem ihm die vorgesetzte Mahlzeit 
vortrefflich geschmeckt hatte, in eine Hängematte und liess sich 
weder durch Bitten noch Versprechungen in seiner Ruhe stören. 

Gerne wäre ich sofort noch weiter gegangen, um am andern 
Tage Geweh früher zu erreichen. Der Häuptling Sıckıy, der auf 
seinen eigenen Vortheil bedacht war und mich lieber bei sich 
behalten hätte, schützte jedoch vor, keinen des Weges kundigen 
Mann zur Verfügung zu haben, und meine beiden boys, GUEH 
und BoA, kannten die Wege ebensowenig wie ich selbst. 

So war ich denn gezwungen zu bleiben und benutzte den Rest 
des Tages, um unter Begleitung des Jägers JALLAH, den wir 
schon auf der Herreise im Walde angetroffen und der uns 
den nächsten Weg zum Dorfe gezeigt hatte, die Umgebung des 
Platzes etwas anzusehen. JALLAH machte sich dabei sehr nützlich, 
indem er, ein untersetzter, starker Mann, mit seinem Buschmesser 
die im Wege stehenden Zweige abhackte oder zur Seite bog und 
mit seinen nackten Füssen niedertrat. Er hatte ein altes Stein- 
schlossgewehr bei sich, dass er wie eine Hacke, den Laufin der 
Hand nach vorn und der Kolben nach hinten gekehrt, auf der 
Schulter trug. An seiner Seite hing ein einfacher Schnappsack, 


— 137 — 


mit einer kleinen Kalebasse als Pulverhorn, einem überzähligen 
Feuerstein, einigen Eisenstücken als Schrot, ein paar Tuchlappen 
als Pfropfen — Papier ist in diesen Gegenden unbekannt — ‚einigen 
Blättern Tabak, einem kleinen, hölzernen Tabaksmörser und 
einem Ziegenhorn als Schnupftabaksdose Eine Mütze, aus 
inländischem Tuche verfertigt, diente ihm als Kopfbedeckung, 
und seine Lenden waren mit einer aus eben solchem Zeuge 
bestehenden Art Badehose bedeckt. Ein lederner Ring um den 
linken Oberarm und ein Strumpfband am linken Bein mit einer 
daran befestigten Kaurimuschel vervollständigten seinen Anzug. 
Der Mann sprach zwar keine zwanzig Worte Englisch, doch 
konnten wir uns mit Hülfe eines meiner boys hinlänglich ver- 
stehen. 

Die Gegend um Soforeh Place war ziemlich offen und reich 
bewässert, ohne dass letzterer Umstand, selbst in der Regenzeit, 
besonders lästig zu fallen schien. Das Dorf war etwa 20 Minuten 
vom Flusse entfernt, der hier sehr rasch in südlicher Richtung 
dahinfloss und sein Bett mit steilen Uferwänden wohl 10—20’ 
tief in das thonige Plateau eingegraben hatte. Im Allgemeinen 
bekam ich von der Gegend einen günstigen Eindruck, so dass 
ich grosse Lust verspürte, unsere Station vorläufig hieher zu 
verlegen. Der Häuptling SıckLy war damit sehr zufrieden und 
versprach mir, uns später weiter landeinwärts zu befördern. Mit 
einem überzeugenden Redefluss — er sprach für einen Einge- 
bornen ein sehr verdienstliches Englisch — pries er mir seinen 
Reichthum an Lebensmitteln, besonders an Reis und Kassaven, 
sowie den unerschöpflichen Wildreichthum seiner Wälder und 
versprach, auf einem von mir anzuweisenden Platze uns eine 
Jagdhütte zu bauen. Schon bevor wir Soforeh Place erreichten, 
hatte ich das Vergnügen, einen sehr seltenen und bisher ver- 
seblich gesuchten Nashornvogel (Buceros camurus Cass.) zu 
schiessen; auch fanden wir verschiedene Antilopenfährten und 
‘ kaum über eine halbe Stunde vom Dorfe entfernt die frischen , 
tief in den humusreichen Boden eingedrückten Fusstapfen eines 
Elephanten. Kein Wunder also, dass ich mir von dieser Gegend 
viel Schönes versprach, und diese gute Meinung wuchs noch mehr, 
als ich am Abend einen prachtvollen Bärenaffen (Colobus ursinus Og.) 


— 138 —- 


den wir bisher nicht angetroffen hatten, herbeitragen sah und 
mir die Leute sagten, dass dieselben hier sehr zahlreich seien und 
noch viel schönere, unter Andern auch der baboon (Chimpanse) 
hier in den Wäldern zu Hause seien. Auch das kleine liberiani- 
sche Flusspferd (Hippopotamus liberiensis Mort.), eines unserer wich- 
tigsten Desiderate, sollte hier häufig sein.. „Fresh meat never leave 
we; never sun be set, some meat live in we kitchen!’*) Diese und 
ähnliche Redensarten begleiteten mich auf Schritt und Tritt, und 
hätte ich nicht gewusst, dass mir für den nächsten Tag ein 
tüchtiger Marsch bevorstände und meine noch stets schmerzende 
Hand Schonung und Ruhe verlangte, dann hätte mich nichts in 
der Welt verhindert, noch am nämlichen Abend einige Stunden 
mein Glück auf dem Anstande zu versuchen. 

Am nächsten Morgen sollte ich, durch JALLAH begleitet, die 
Gegend in anderer Richtung durchstreifen, und ich hatte ihm für 
diesen Dienst eine Handvoll Schiesspulver versprochen. Schon 
ziemlich früh liess ich mir meinen Schlafplatz anweisen und 
wurde in eine niedrige, enge Hütte gebracht, die mehr Aehn- 
lichkeit mit einem Schafstall als mit einer menschlichen Wohnung 
hatte. Hier wurde der harte Thonboden etwas rein gemacht, in 
die hinterste Ecke liess ich eine Matte bringen, da der Raum zum 
Aufhängen einer Hängematte zu klein war, und vor dieser, 
mitten in der Hütte, wurde ein Feuer angelegt. In meine 
Wolldecke gerollt, legte ich mich auf die Matte zum Schlafen 
hin, und die beiden Bedienten nahmen wie gewöhnlich ihre 
Plätze auf der andern Seite des Feuers, hinter der Thüre, ein. 

Ich mochte wohl einige Stunden geschlafen haben, als ich 
durch eine Stimme vor der Thüre wachgerufen wurde Auf 
meine etwas mürrische Frage, was diese Störung zu bedeuten 
habe, gab sich der Mann draussen als der Jäger JALLAH zu 
erkennen und sagte, er möchte morgen vor Tagesanbruch auf 
die Jagd gehen, um mir vor unserm gemeinschaftlichen Ausfluge 
ein „meat heimzubringen , doch habe er kein Körnchen Pulver 
mehr und erbitte sich daher das ihm versprochene Pulver schon 


I) Frisches Fleisch verlässt uns nie, nie geht die Sonne unter, ohne dass 
einiges Wildpret in unserer Küche liegt. 


— 139 — 


jetzt, anstatt erst morgen. Um diesen werthvollen Führer nicht 
ungünstig zu stimmen, ergriff ich durch den halbgeöffneten 
Thürvorhang die hingehaltene Kürbisflasche, goss den ganzen 
Inhalt eines Pulverhorns hinein und legte mich wieder zur 
Ruhe hin. Am folgenden Morgen wurde ich schon frühzeitig 
durch JALLAH geweckt, um unsern Ausflug in die Umgegend 
anzutreten. Auf meine Frage, ob er etwas geschossen habe, 
erwiderte er, dass er noch nicht draussen gewesen sei, und nach 
einigen Erörterungen stellte es sich heraus, dass er in der Nacht 
sar nicht an meiner Thüre gewesen war und ich daher das 
Pulver einem Andern gegeben hatte. Noch am gleichen Tage 
wurde durch einen Zufall der listige Doppelgänger JALLAH’s in 
der Person des Häuptlings SıckLy entdeckt. Dieser hatte gehört, 
dass ich an JaLLaH für den nächsten Tag Pulver versprochen 
hatte und kam auf den Einfall, sich desselbe im Dunkel der 
Nacht selbst anzueignen. Ein solcher Betrug war denn doch etwas 
stark. Ich erklärte ihm, dass sich die schändliche Verletzung 
seiner Gastfreundschaft an ihm selbst bitter rächen würde und 
traf alle Anstalten zur sofortigen Abreise. Dies war ihm jedoch 
nicht angenehm; darum bat er mich, ihm den Scherz, denn 
weiter sei es nichts gewesen, zu verzeihen, und gab sogleich 
Kalebasse mit Schiesspulver dem erbosten JALLAH, um sein Ver- 
gehen wieder gut zu machen. Obschon mir die Freiheit, die mein 
Gastherr mir gegenüber sich erlaubte, etwas bedenklich vorkam, 
machte ich doch gute Miene zum bösen Spiel und begab mich 
mit JALLAH auf den Weg. Das landeinwärts von Soforeh Place 
gelegene, waldbedeckte Hügelgebiet schien mir als zeitweiliges 
Jagdterrain besonders günstig zu sein, und ich entschloss mich 
deshalb, einen günstig gelegenen Platz hart am Flussufer, etwa 
2 miles von der Stadt entfernt, zur Anlage unserer neuen Station 
zu wählen. Auf diese Weise hoffte ich der lästigen Besuche aus der 
Stadt mehr enthoben zu sein, als dies in Bavia der Fall gewesen 
war, und ausserdem meinem Reiseziele etwas näher zu sein. 
SICKLY war sehr froh, uns in seine Nähe zu bekommen und 
versprach mir, sofort mit dem Bau einer Jagdhütte auf dem 
angewiesenen Platze, nach meinen ihm gemachten Angaben, 
zu beginnen. Gegen 10 Uhr trat ich mit ZorU DuBBAH und 


— 140 — 


Gefolge den Rückweg an, und kurz nach Einbruch der Nacht 
kamen wir auf einem etwas nähern Wege, ohne Alin zu berühren, 
wieder auf unserer Station in Bavia an. 

Hier trafen wir sofort die nöthigen Anstalten zu unserer 
Uebersiedlung nach Soforeh Place. Wir hatten nun während 
mehr als zwei Monaten die Umgebung von Bavia und ihre Fauna 
kennen gelernt und durften daher wohl einen Vorstoss wagen. 
Die Uebersiedlung bereitete uns jedoch viel mehr Sorge, als wir 
erwartet hatten. ZoRU DUBBAH, der bis dahin immer mit seiner 
Macht geprahlt, übernahm gegen eine Entschädigung von 17 Dol- 
lars den Transport unserer sämmtlichen Equipage. Als jedoch an 
dem zur Abreise festgesetzten Tage, Freitag 26. März, Alles 
eingepackt und reisefertig dastand, waren statt der nöthigen 34 
Mann noch keine zehn erschienen und wir mussten bleiben, da 
ich auf den Vorschlag Zorv’s, unsere Sachen in einigen Abthei- 
lungen nach Soforeh Place zu bringen, nicht eingehen wollte. 
Der Häuptling war nun gezwungen, Leute nach Soforeh Place 
zu senden, um von dorther Träger kommen zu lassen. Das war 
ein recht demüthigender Verlauf für den grossprecherischen 
König, der bisher stets mit der bombastischen Redensart „all 
this country belongs to me’ geprahlt hatte. Um ihm zu zeigen, dass 
es uns mit der Sache Ernst sei, liessen wir Alles eingepackt, 
bis auf die Küchenkiste, und giengen nicht mehr auf die Jagd. 
So verstrich der ganze Rest dieses Monats unter langweiligem 
Warten. Inzwischen erhielten wir noch ein sehr eigenthümliches 
und seltenes Nagethier, das etwa zwischen Hamster und Stachel- 
schwein die Mitte hält, Aulacodus swindernianus, in Liberia 
ground hog (Erdschwein) genannt. 

Am Abend des 31. März kamen endlich die sehnlich erwarteten _ 
Träger aus Soforeh Place an, und an ihrer Spitze der Jäger 
JALLAH. Die Abreise wurde nun auf den folgenden Morgen, den 
1. April, festgesetzt. Es war dazu auch die höchste Zeit, denn 
unsere Vorräthe an Lebensmitteln waren beinahe erschöpft, und 
sehnlich verlangten wir nach den vollen Fleischtöpfen von 
Soforeh Place. 

Am frühen Morgen des 1. April waren aber einige Träger ZoRu’s 
im letzten Momente vor dem Aufbruch spurlos verschwunden, 


— 141 — 


Wie konnten wir nun noch weigern, die Reise auch ohne diese 
Leute zu machen? Wären wir nicht gegangen, so hätten die 
Träger aus Soforeh Place. den Rückzug angetreten und wären 
nicht zum zweiten Male wiedergekommen. Ueberdies versprach 
mir Zoruv, noch am nämlichen Tage durch weitere Träger die 
übrigen Kisten senden zu wollen. Auf dieses Versprechen ver- 
trauend, marschirten wir ab und liessen unsere Bücherkiste, 
die auch sämmtliche Schreibutensilien und Notizbücher enthielt, 
sammt zwei andern Kisten und unserem grossen Segeldach unter 
Bewahrung Zoru’s zurück. 

Unser Zug nach Soforeh Place glich viel demjenigen von der 
Mission nach Bavia, nur mit dem Unterschiede, dass uns auf 
dem langen Gänsemarsche unaufhörlich nasse Aeste ins Gesicht 
schlugen, dass wir kurz nach unserer Abreise von einem ge- 
waltigen Sturzregen bis auf die Haut durchnässt wurden und 
dass es uns manchmal grosse Mühe kostete, hoch ange-' 
schwollene Waldbäche zu passiren. Die runden Baumstämme, 
welche über die zahlreichen Waldwasser führten, waren nass 
und schlüpfrig geworden, so dass einige ungeschickte Träger mit 
ihren Kisten ins Wasser fielen. Nur ein einziges Mal öffnete 
sich der Wald etwas, und zwar bei der schon früher erwähnten, 
bewohnten Lichtung, die wir um 12 Uhr erreichten. Ich hatte 
diese Stelle schon zum Voraus durch das Versprechen eines 
kleinen Labetrunkes als Sammelplatz für die Karawane bestimmt. 
Nach gehaltenem Appel und Revision der 'Traglasten während 
der kurzen Rast giengs wieder in den Wald hinein, erst in ein 
enges Thälchen hinunter und dann über den Rücken und am 
Abhange eines Hügels hin, der sich über eine Stunde lang 
parallel mit dem Flusse in nord-südlicher Richtung hinzog. Am 
nördlichen Fusse dieses Hügels angelangt, erblickten wir zu 
unserer Rechten zum ersten Male wieder den St. Paul, der hier, 
obwohl durch eine lange, waldbedeckte Insel getheilt, einen noch 
immer imposanten Eindruck macht. Auch diesmal fanden wir 
die schon erwähnten Elephantenspuren, die unsern Pfad kreuzten 
und in den Fluss hineinführten. Dieselben sollten einem gewaltigen, 
alten Exemplare angehören, dem einzigen, das sich in der 
Gegend aufhalte und das sein Hauptquartier in den theilweise 


— 12 — 


unzugänglichen Waldsümpfen der grossen Flussinsel habe. Dieses 
Thier soll sich nach der Aussage der Eingebornen schon jahrelang 
dort herumtreiben und sich allen Nachstellungen von Seite der 
einheimischen Jäger zu entziehen wissen. Nach etwa einer Stunde 
weitern Gehens in ebener Gegend lichtete sich der Wald und 
wir erblickten kurz vor Sonnenuntergang unser Reiseziel, das 
wir nach mühsamen Marsche über einen halsbrecherischen, durch 
einen breiten Sumpf führenden Knüppeldamm erreichten. 

Der Häuptling SıckLy war kurz vor unserer Ankunft 
nach der Küste, nahe der Mündung des Little Cape Mount 
River, gereist, um sich dort für einige Monate der Bereitung 
von Seesalz zu widmen, und sein ältester Sohn Duwrı hatte 
mit dem Bau der Jagdhütte noch nicht begonnen. Ich miethete 
daher gleich bei unserer Ankunft von JALLaHu eine Hütte, 
die uns bis zur Einrichtung der Station als Wohnung dienen 
musste. Das in Bavia zurückgelassene Segeltuch langte noch am 
gleichen Abend an, die Kisten aber blieben aus und kamen, 
wie wir später sehen werden, erst nach vieler Mühe und wochen- 
langem Warten in unsern Besitz. Es fehlten uns ausserdem noch 
zwei Kisten, die in dem bewussten Halteplatze niedergesetzt 
worden waren. Einige der Träger glaubten nämlich auf jenem 
Platze mehr Branntwein erpressen zu können durch die Drohung, 
ihre Kisten nicht weiter tragen zu wollen. Ich blieb jedoch 
standhaft und weigerte entschieden, auf diese in brutalem Tone 
gemachte Zumuthung einzugehen. Während aber die meisten 
Träger ihre Lasten wieder aufnahmen, liefen ein paar andere 
unter Zurücklassung ihrer Kisten davon. Ich gab diese den 
Bewohnern einer Hütte in Bewahrung und sagte, dass sie andern 
Tages nachgeholt werden würden, was denn auch geschah. 

Soforeh Place, eine Ansiedlung neuern Datums, ist nach 
seinem Gründer SOFOREH benannt, der aber, selbst ein leiden- 
schaftlicher Elephantenjäger, die Hoheitsrechte über diesen Platz 
seinem Bruder SıckLy übertragen hat. SOFOREH, den wir erst 
viel später kennen lernten, war ein schlanker aber dennoch 
stark gebauter Mann von etwa 50 Jahren, sehr einfach und in 
seinem ganzen Benehmen Vertrauen einflössend. SICKLY mochte 
ungefähr gleichviel Jahre zählen; er war gedrungener, Kleiner 


— 143 — 


und hatte in seinem Benehmen etwas Pfiffiges, das mich manchmal 
an Zoru DussanH erinnerte. Ich habe während unseres Aufent- 
haltes in jener Gegend Manches bei SOFOREH durchgesetzt, das 
mir von Sıckıy einfach verweigert worden war. Nur schade, 
dass SoFoREH fast nie zu Hause war, so dass wir ihn manch- 
mal ein paar Monate lang nicht zu sehen bekamen. Beide waren 
die Brüder des mächtigen Golahfürsten Fän Q@QUEHQUER )), der 
seine Residenz in Sublum, einer stark befestigten Stadt im 
Flussgebiete des Little Cape Mount River, aufgeschlagen hatte. 
Ein armseliges Dörfchen von 34 Negerhütten von der mehr- 
erwähnten inländischen Bauart, bietet Soforeh Place nichts Nennens- 
werthes, als dass es ein Halteplatz für durchreisende Neger ist, 
die auf ihrem Wege aus dem Lande des Pessystammes nach 
Bojeh und Sublum hier den St. Paul’s River kreuzen müssen. Der 
inländische (Golah) Name des Platzes ist Bie Soforeh, d.h. 
„Wald SOoFoREH’s,” im englischen Sprachgebrauch wird er aber 
stets Soforeh Place genannt. 

Während der ersten Zeit unseres Aufenthaltes an dem neuen 
Platze wurde ich durch heftige Fieber so sehr geschwächt, dass 
ich lange bewusstlos in meiner Hängematte lag und Sara mich 
mehrmals für todt hielt. In unserer Hütte stand eine Art primi- 
tiver Bettstelle, in die ich hie und da zur Abwechslung gelest 
wurde, nachdem ich zu schwach geworden war, um gerade ausge- 
streckt in der Hängematte liegen zu können. Diese Bettstelle war ein 
auf vier Pfählen stehender, horizontaler Schragen, bestehend aus 
in die Quere nebeneinander gelegten und auf die Längsbalken 
festgebundenen Knüppeln, welche mit einer inländischen Matte 
bedeckt waren. Wenn aber einmal zufällig kein trockenes Brenn- 
holz vorräthig war, so wurde einfach hie und da ein Knüppel 
aus meinem Lager unter mir weggezogen und verbrannt, so 
dass schliesslich grosse Lücken entstanden und ich mir vorkam, 
als ob ich aufs Rad geflochten wäre SALA gieng inzwischen 
ziemlich regelmässig auf die Jagd, doch da er sich erst orientiren 
musste, so war die Beute im Verhältniss zu seinen Änstren- 


ı) Fän QUEHQUEH ist vor einigen Jahren gestorben; sein Tod wurde aber, 
wie dies bei inländischen Fürsten mehr vorkommt, aus politischen Rück- 
sichten lange vor dem Volke geheim gehalten. 


— 144 — 


sungen sehr gering. Sobald ich wieder etwas auf meinen Füssen 
stehen konnte, schleppte ich mich an einem sonnigen Nachmittage 
an den nahen Bach, der plätschernd unter hohen Bäumen vor- 
überströmte. Wie ich mich aber zum Trinken vornüberbeuste, 
wurde ich schwindlig und fiel ohnmächtig am Ufer nieder, woselbst 
ich später durch wasserholende Frauen gefunden und dann nach 
Hause zurückgebracht wurde. Doch nahmen meine Kräfte täglich 
zu, und ich konnte endlich die nöthigen Anstalten treffen, 
um mit dem Bau einer Jagdhütte zu beginnen. Der Bau förderte 
aber sehr langsam, und sobald ich glaubte, den zwei miles 
langen Weg zurücklegen zu können, machte ich mich auf, um 
durch meine persönliche Anwesenheit die Arbeit zu beschleu- 
nigen, da mein Reisegefährte zu wenig Englisch verstand, 
um sich mit den Leuten, sei es auch bloss mit Hülfe des 
Dolmetschers, verständigen zu können. Etwas unterhalb des 
Dorfes führte der Weg auf einem oben etwas plattgehauenen 
Baumstamm über den obenerwähnten Bach. Ich war allein und 
noch so schwach, dass ich den Stamm kaum zu betreten wagte. 
Endlich wagte ich es, doch kaum war ich mitten über dem 
Bache, so wurde ich schwindlig und stürzte bewusstlos in den 
Bach hinunter. Wieder zur Besinnung gekommen, lag ich am 
jenseitigen Ufer, und neben mir knieten einige Neger, die sehr 
erfreut waren, dass ich endlich die Augen aufschlug. Sie hatten 
mich, zufällig des Weges kommend, im Bache auf trockenem 
Schwemmsand liegend gefunden und mich eine Weile für todt 
gehalten; die inzwischen aus dem Dorfe herbeigeeilten Neger 
aber sagten, dass ich immer wieder auflebe, sobald ich nur 
selbst wolle, ich sei ja schon mehr todt gewesen und stets 
wieder lebend geworden. Da ich nun einmal auf dem Wege 
war, gieng ich, gestützt auf den starken Arm eines Negers, 
weiter und erreichte endlich nach vielen Ruhepausen den Platz 
unserer Jagdhütte. Zu meinem Verdrusse fand ich, dass kaum 
noch das Gerippe der Hütte fertig und überdies ganz unrichtig 
aufgestellt war. 

Alles musste nun verändert werden, doch da die nöthigen 
Pfähle, Gabelstöcke und Sparren, sowie die nöthigen Lianen, 
um Alles zusammenzubinden, in genügender Zahl bei einander 


— 145 — 


waren, förderte die Arbeit rasch. Das stete Nachsehen und 
Befehlen war aber so ermüdend, dass es mich plötzlich wieder 
kalt und heiss überlief und ich kaum mehr aufrecht zu stehen 
vermochte. Es wurde nun gegen Abend eine Hängematte geholt, 
in der man mich nach der Stadt zurücktrug. 

Die Jagdhütte sah ich erst etwa eine Woche später wieder, 
als wir aus der Stadt dahin übersiedelten. In der Stadt selbst 
‘war es geradezu unmöglich, regelrecht zu arbeiten, denn es 
befand sich dort kein einziges Haus, das gross genug war, um 
auch nur unsere allernöthigsten Sachen auszupacken und uns 
zweckmässig einzurichten. Ueberdies wurden wir unaufhörlich 
durch neugierige Zuschauer belästigt, die von allen Seiten 
herbeiströmten, um die weissen Männer und alle ihre sonder- 
baren Sachen zu sehen, die sie mitgebracht. Mit Ausnahme 
oanz weniger Leute, die einmal die Station von Mr. Day 
besucht, war Niemand hier, der jemals vorher einen Weis- 
sen. gesehen hatte. Alle zeigten erst stumme Verwunderung; 
später, nachdem der Reiz der Neuheit gewichen war und sie 
sich an unser Thun und Treiben gewöhnt hatten, wurden sie 
zutraulich, und noch später Viele zudringlich und unverschämt. 


Wir waren daher herzlich froh, als endlich die neue Jagdhütte 


soweit vollendet war, dass wir sie beziehen konnten. Nach 
unsern schon in Bavia gemachten Erfahrungen schien mir eines 
der ersten Bedürfnisse einer Station zu sein, in mässiger Ent- 
fernung von bewohnten Plätzen zu liegen. Nur dadurch hat man 
einige Garantie, ruhig arbeiten zu können, sowie vor Diebstahl 
und der ewigen Bettelei besser gesichert zu sein. Dieser Beweg- 
srund nebst der unmittelbaren Nähe des Flusses hatte denn 
auch bei der Wahl des Platzes bestimmend eingewirkt. 

Die Uebersiedlung gieng ohne Unfall von statten. Die Station 
lag mitten im Hochwalde am Fusse eines in den Fluss abfal- 
lenden Hügelzuges, wo durch Abgraben der schiefen Ebene und 
_ Aufschütten der gewonnenen Erde eine ziemlich breite Terrasse 
entstand, auf die ich unsere Jagdhütte niedersetzen liess. Da 
ich darauf rechnete, hier bis zu der kleinen Trockenzeit im Monat 
Juli zu bleiben, so hatte ich Sorge getragen, diesen Platz über 
der Hochwassermarke, etwa 20° über dem damaligen Wasser- 

LIBERIA, 1, 10 


— 146 — 


stande, anzulegen. Die Hochwassermarke deutete sich von selbst 
an, da alle Baumstämme und Sträucher bis auf ein gewisses 
Niveau mit gelbem Thon und vertrocknetem Schlamm über- 
zogen waren. 

Unsere Jagdhütte war ähnlich eingerichtet wie diejenige in 
Bavia, mit der einen offenen Längsseite dem Flusse zugekehrt. 
Im Hinblick auf die bereits angebrochene Regenzeit war jedoch 
das ganze Gerüst viel solider, und das Dach, das aus demselben 
Grunde viel steiler gemacht werden musste, hatte eine hohe 
Firste mit zwei ziemlich steil abfallenden Seiten. Ein tiefer . 
Graben, der sich hinter der Hütte herumzog, war bestimmt, 
das von der Bergeshalde herabströmende Wasser von der Hütte 
abzuhalten und nach dem Flusse hin wegzuleiten. Das Dach und 
die Wände wurden aus den Wedeln einer im Walde ab und zu 
vorkommenden, stammlosen Fiederpalme hergestellt, die mit 
erosser Mühe, theils aus beträchtlicher Ferne, hergeholt werden 
mussten. Das Innere der Hütte richteten wir ganz Ähnlich ein 
wie in Bavia. Nach dem Flussufer hinunter legten wir eine Art 
Treppe an, und auf einem nur wenig über dem Flussniveau 
erhabenen Platze bauten wir einen kleinen Schuppen, der uns 
als Küche dienen sollte. | 

Ein Floss, das wir mit Hülfe unserer boys aus fünf mässig 
dicken, leichten Baumstämmen zusammenzimmerten, ersetzte 
eine Erdaufschüttung am schlammigen Ufer und leistete uns 
beim Wasserholen, Waschen und Fischen vorzügliche Dienste. 
Da weit und breit kein Canoe aufzutreiben war, so benutzten 
wir das Floss später, um an das gegenüberliegende Flussufer oder 
auf eine der zahlreichen, waldbedeckten Inseln hinüberzufahren , 
von denen die schon erwähnte lange Insel, ebenfalls Alin geheis- 
sen, die grösste ist. 

Zahlreiche Felsbarren durchsetzen auch hier den Fluss, der 
bei rein südlicher Richtung infolge der vielen Inseln nahezu eine 
halbe Stunde breit ist und viele rauschende Stromschnellen bildet. 
Eine solche befand sich dicht oberhalb, eine andere unterhalb 
unserer Station, und eine dritte uns gerade gegenüber, gebildet 
durch einen Flussarm, der, selbst wieder mehrfach zertheilt, 
Alin in schräger Richtung durchschneidet, Der westlichste, nächste 


ir 2 


Flussarm, der uns von dem grossen Eiland trennte, war 200 
Schritte breit. Die grösste Breite der sehr langen Insel, die nur 
in ihrer oberen Hälfte zugänglich ist, beträgt eine Viertelstunde, 
und der östliche Flussarm dürfte wohl 10 Minuten breit sein. 

Auch hier war die Gegend von zahlreichen, zum Theil sehr 
hohen Hügeln durchzogen. Diese sowohl, als auch die Thäler 
waren mit dichtem Urwald bedeckt, in den nur auf wenigen 
Plätzen die Bewohner von sSoforeh Place Breschen geschlagen , 
um Raum für ihre Reis- und Kassavenfelder zu gewinnen. Die 
Thäler bildeten hie und da unpassirbare Sümpfe, in denen zahl- 
reiche ‘Waldbäche sich sammelten und dann, über Felsblöcke 
niederplätschernd, dem Flusse zueilten. Merkwürdiger Weise waren 
weit und breit keine Oelpalmen anzutreffen, und auf meine Fragen 
darüber erhielt ich die sonderbare Antwort, die Ansiedlung sei 
noch jung und man habe es bisher unterlassen, Oelpalmen 
anzupflanzen ?). 

Statt des Reichthums der Gegend an Lebensmitteln, den man 
mir bei meinem ersten Besuche vorgespiegelt hatte, fanden wir 
bei unserer Ankunft allgemeinen Mangel selbst am Allernöthig- 
sten, denn die Kassavepflanzungen waren noch zu jung, und der 
letzte Reis war als Saatreis zur Bestellung der ausgedehnten 
Pflanzungen verwendet worden. Der Häuptling allein hatte noch 
einen bedeutenden Vorrath. Da wir es bei der Aussicht auf den 
vermeintlichen Ueberfluss an Lebensmitteln unterlassen hatten, 
uns vor unserer Ankunft aufs Neue zu verproviantiren, so waren 
unsere wenigen mitgebrachten Vorräthe rasch aufgebraucht, und 
wir wurden nun gezwungen, das Nöthige bei den Negern zu 
übermässig hohen Preisen einzukaufen. Vergeblich suchten wir 
Jemanden nach Monrovia zu senden, um neuen Proviant zu 
holen. Niemand wollte gehen, denn die Leute hatten uns nun in 
ihrer Macht und konnten ihre geringen Vorräthe zu jedem be- 
liebigen Preise an den Mann bringen. 

Nachdem unsere häusliche Einrichtung einigermassen vollendet 


) Bekanntlich wachsen die Oelpalmen sonst in den Wäldern wild und 
werden selbst viel weiter im Innern, wo freilich die Wälder nicht mehr so 
mächtig sind, massenhaft angetroffen. 


— us — 


war, machten wir abwechslungsweise kleinere und grössere Jagd- 
ausflüge, doch dauerte es bei dem hügeligen Terrain und dem 
sänzlichen Mangel an Aussicht auf den dicht bewaldeten Hügel- 
rücken sehr lange, bis wir uns etwas orientirt hatten. Eigentlich 
war die Gegend, weil zu wenig offen, nicht in dem Grade für 
die Jagd geeignet, wie ich erst erwartet hatte, doch fanden wir 
viele interessante Thiere, so dass Bie Soforeh, wenn auch nicht 
quantitativ, so doch qualitativ sehr ergiebig gewesen ist und als 
einer unserer vorzüglichsten Fundorte für seltene und neue Sachen 
betrachtet werden kann. 

Leider hatten wir, obschon hinreichend mit Tauschmaterial zu 
Einkäufen versehen, anhaltend mit Nahrungssorgen zu kämpfen, 
so dass wir unsere zwei boys tagelang zu nichts Anderm ver- 
wenden konnten, als in oft sehr abgelegenen Negerplätzen einige 
Lebensmittel einzukaufen. Bei unserer Uebersiedlung nach Soforeh 
Place war der Eine der von ZoRU DUBBAH gemietheten boys nicht 
mitsekommen, der Andere, WıLLIam, hatte uns bald nach 
unserem Umzuge bestohlen und sich dann nach Bavia zurücksge- 
zogen. Wir nahmen nun zwei boys aus Soforeh Place in Dienst, 
nämlich SoguooI, einen Sohn des Häuptlings SIcKLy, und BEREH, 
den Sohn des Jägers JALLAH. Beide waren schlanke Bürschchen 
von 13-15 Jahren, die kein Wort Englisch verstanden, so dass 
wir gezwungen waren, so schnell wie möglich uns der Golah- 
sprache bedienen zu lernen. Gerne hätte ich JArLar selbst als 
Jäger in unsern Dienst genommen, doch wollte er sich dazu 
nicht verstehen, da er vollauf mit dem Anlegen seiner Reisfar- 
men beschäftigt war. 


WELL, 


Eine Lebensmittel-Razzia nach dem Westen. 
Reise nach Monrovia. Streifzüge. 


Duwr1 und sein Fetisch. — Nach 
Bojeh.— Erkundigungen. — Nach 
Baputu. — Hungrige Eingeborne. 
— Baputu. — Das kleine Fluss- 
pferd. — Ein Abend in Gueh- 
penneh. — Erkundigungen über 

denWeg nach Grand Cape Mount. 
— Einkäufe. — Rückreise. — 

Krankheit. — Neue Entbehrun- 
„gen. — Differenzen mit ZoRU 

' DusBaHm und Reise nach Mr. 

DAY. — Palaver. — Nach Monro- 

via. — Aufenthalt daselbst. — 

Rückreise. — Aufenthalt bei Mr. 


BAyı Eine Parioree-Tour. — 
. Eine Nacht im Urwalde. —- An- 
Das Kreuzen eines Waldbaches. kunft auf: unserer Station. — 


Reise nach Geweh und dem 
Busy-Lande. — Jagdbeute. — Ankunft der letzten Kisten. — Aberglaube. 


Da in grossem Umkreise keine Lebensmittel mehr zu haben 
waren, so entschloss ich mich, durch die Noth gedrängt, eine 
grössere Excursion in die westlich von Soforeh Place gelegenen 


— 150 — 


Gegenden zu machen, um Reis und Palmöl einzukaufen. Zu 
diesem Zwecke bat ich Duwrı, den ältesten Sohn des Häupt- 
lings, mich zu begleiten, denn in jener Gegend war keiner von 
unsern boys des Weges kundig. Duwrı zeigte sich zu diesem 
Ausflug gerne bereit, wollte aber vorher seinen Hausfetisch noch 
befragen und bat mich daher, mit ihm in seine Hütte zu kommen. 
Nachdem wir uns dort in seinem Schlafraume hingesetzt, holte 
er aus einem alten Kistchen ein Taschentuch hervor, das er sorg- 
fältig auseinander rollte, wobei eine fusslange, aus alten Lappen 
verfertigte, hässliche Puppe zum Vorschein kam. Diese begann 
er nun zu fragen, ob er mich auf meiner Reise begleiten dürfe. 
Einige mitten durchgespaltene Palmkerne als Würfel gebrauchend, 
fand er nach ein paar Würfen heraus, dass ihm erlaubt sei, mit- 
zugehen. Die Puppe wurde dann wieder eingewickelt und einige 
Male von links nach rechts und von rechts nach "links gedreht, 
darauf nochmals herausgenommen, um nach einem für die Reise 
sünstigen Tage gefragt zu werden. Diesmal aber fielen die Würfel 
ungünstig, denn nach den die Rückseite nach oben kehrenden 
Palmkernen hätten wir erst in fünf Tagen aufbrechen dürfen. 
Duwrı liess sich jedoch nicht abschrecken. Er sagte, dass sein 
Grigri etwas störrisch sei, nahm einige der unglücklich gefallenen 
Palmkerne, zerkaute dieselben und spuckte sie dem Fetisch ins 
Gesicht. Darauf wickelte er ihn von Neuem ein, drehte ihn 
wieder einige Male herum und befragte ihn dann abermals. Wieder 
fielen die Würfel nicht nach Wunsch, wieder gab es dieselben 
Ceremonien, bis endlich nach drei- oder viermaligem Versuche 
der widerspenstige Grigri mürbe geworden war und uns erlaubte, 
am nächsten Tage schon die Reise anzutreten. 

Der Weg führte erst durch eine sumpfige Gegend, über Knüppel- 
dämme, Gabelstockbrücken (sogenannte Affenbrücken) und über- 
einander gestürzte Baumstämme, und dannin westlicher Richtung 
durch den weiten Urwald hin. Wir marschirten ungemein schnell, 
wie es eben die Eingebornen gewöhnt sind, wenn sie keine Lasten 
zu tragen haben, und legten wohl vier englische Meilen in einer 
Zeitstunde zurück. Obschon ich wieder gut zu Kräften gekommen 
war, vermochte ich doch nicht, mit meinen Begleitern gleichen 
Schritt zu halten, und erst bei gelegentlichen Ruhepausen war es 


— 151 — 
mir möglich, meine im Gehen gemachten Compass-Ablesıungen 
einzutragen. Duwrı hatte, wie Negerhäupter stets zu thun 
pflegen, zwei Diener (Sklaven) mitgenommen, ich aber meinen 
Jagdburschen BEREH, der immer traben musste, um nicht zurück- 
zubleiben. Nachdem wir auf etwa halbem Wege eine sogenannte 
halftown — so werden dort die zu einer Stadt gehörenden, abseits 
gelegenen Gehöfte genannt — passirt hatten, erreichten wir um 
11 Uhr die Stadt Bojeh in einer ziemlich ebenen, offenen Gegend. 

Bojeh ist ein Ort von ungefähr zwanzig theils ovalen, theils 
kreisrunden, soliden Lehmhäusern mit so dicken Mauern, wie 
ich sie noch nirgends zuvor gesehen hatte. Die Mauern am Hause 
des Häuptlings, in dem wir etwas ausruhten, waren ein Meter 
dick und die Kühle im Innern sehr angenehm. Das kreisrunde 
Haus hatte eine saubere Vorhalle, die durch eine aus Thon 
errichtete Querwand von den dahinter liegenden Schlafräumen 
getrennt war, und eine prachtvolle, solide Hängematte, in der 
ich sofort die Arbeit der Mandingo erkannte, lud zum Nieder- 
sitzen ein. Die Aussenwand dieser als Empfangsraum dienenden 
Vorhalle bestand links und rechts vom Eingange aus starkem 
Palissadenwerk, das trotz der fehlenden Fensteröffnungen genügend 
Luft und Licht hereinliess. 

Während unserer kurzen Rast kaufte ich von. einem aus der 
Gegend von Boporo hergekommenen Mandingoneger fünf Gallonen 
Palmöl (1 Gall. = 4 Liter), das ich mit Tabak und weissem 
Baumwollenzeug bezahlte und, nachdem ich es in eine mitge- 
brachte, verschliessbare Blechkiste gefüllt, dem Häuptling von 
Bojeh bis zu meiner Rückkehr zur Aufbewahrung übergab. 

Bojeh liest an dem grossen Verkehrswege, der von Boporo, 
der grossen Hauptstadt des Boatswainlandes, nach Vanswah )) 


!) Merkwürdiger Weise ist Vanswah, und nicht das nahe dabei gelegene 
Monrovia, der Hauptstapelplatz für den Tauschhandel in dem an der Küste 
bereiteten Seesalz und den im Innern verfertigten Baumwollgeweben, während 
sich in Monrovia verhältnissmässig selten ein Mandingokaufmann sehen lässt. 
Dies mag zum Theil im zähen Festhalten an einem einmal gewählten Platze 
seinen Grund haben, weit mehr aber wohl noch in der Abneigung, die viele 
Eingeborne aus dem Innern gegen die liberianische Regierung und über- 
haupt gegen Alles, was von Monrovia kommt, haben. 


in der Nähe der Mündung des St. Paul’s River führt (siehe 
Karte). Einige hundert Schritte westlich von dieser Stadt kreuzen 
sich zwei bedeutende, gut unterhaltene Wege, wie ich sie bisher 
im Innern nirgends angetroffen. Der bessere derselben führt, von 
Vanswah kommend, in nordwestlicher Richtung nach Boporo, 
das man über Bombommo, eine ansehnliche und zugleich die 
letzte Golahstadt, in anderthalb Tagen auf meist guten, durch 
offene Gegend führenden Wegen erreicht. Diese bedeutende Handels- 
strasse wird durch die an dem Transithandel betheiligten Neger- 
fürsten einem alten Vertrage gemäss in einer Breite von 2 M. 


Häusergruppe in Bojeh. 


offen gehalten und gereinigt. Der andere Weg führt in südwest- 
licher Richtung über Baputu und Bommo nach Sublum und von 
dort nach Grand Cape Mount. 

Diesem letzteren, weniger gut unterhaltenen, aber immerhin 
sehr wohl passirbaren Wege folgend, kamen wir durch kleine 
Waldgebiete in eine weite, offene Gegend, die früher augen- 
scheinlich stark bevölkert, nun aber durch Krieg gänzlich ver- 
wüstet war, so dass sich an der Stelle einer ehemaligen Stadt 


— 153 — 


nur noch einige elende Hütten befanden. Auch hier war der 
Hunger eingezogen. Die grossen Reispflanzungen waren bereits 
wieder verwildert und die zahlreichen Oelpalmen allesammt zur 
Gewinnung von Palmkohl ihrer Kronen beraubt, so dass sie einen 
traurigen Eindruck machten. Unter einem elenden Schuppen 
fanden wir ein Häuflein abgemagerter Leute um ein Feuer nieder- 
sekauert, auf dem ein eiserner Kochtopf mit terra (Batatenblättern) 
stand. Auf meine Frage, ob sie nichts Anderes zu essen hätten, 
wiesen die Leute auf ihre eingefallenen, dünnen Bäuche, Klappten 
die mageren Hände zusammen, was einer verneinenden Antwort 
sleichkam, und schauten mich mit trübseligen Gesichtern an. Es 
war mir nicht möglich, das traurige Bild lange zu betrachten, 
und da ich den armen Menschen nicht helfen konnte, so wandte 
ich mich um und gieng meines Weges. 

Nach einer Stunde weitern Marsches erreichten wir Baputu, 
eine andere Golahstadt mit etwa 15 ärmlich aussehenden Hütten. 
Hier waren sämmtliche Einwohner beschäftigt, das Fleisch eines 
liberianischen Flusspferdes zu räuchern, das ein glücklicher Jäger 
den Tag zuvor getödtet hatte. Es war für mich ein betrübender 
Anblick, das seltene Thier zerstückelt auf den Rauchhürden 
dieser Leute zu finden. Von dem ganzen Exemplare war für 
mich nichts mehr zu retten. Ohne das Thier zuvor abzuhäuten, 
hatte man esin Streifen zerschnitten, und was nicht sofort aufge- 
gessen wurde, auf fünf oder sechs über grossen Feuern hangende 
Holzgitter zum Trocknen hingelest. Sogar die Markknochen hatte 
man zerschlagen, und den Kopf der Länge und Quere nach in 
vier Theile gespalten, um sich des Gehirns zu bemächtigen, sowie 
den Knochen durch Abkochen den letzten Gehalt an Nahrung 
zu entziehen. Des sehr interessanten Gebisses wegen kaufte ich 
den Leuten die eine noch erhältliche Vorderhälfte des Oberkiefers 
ab und liess sie bis zu meiner Rückkunft für mich aufbewahren, 
um sie alsdann gegen Bezahlung in Empfang zu nehmen. Auch 
an diesem Orte hatte der Hunger Einkehr gehalten, und ich 
konnte weder etwas von dem halbgedörrten Fleische, noch irgend- 
welche andere Lebensmittel bekommen, so dass wir nach kurzer 
Rast die Reise wieder fortsetzten. 

Nach abermals anderthalb Stunden Marschirens durch eine wald- 


bedeckte Gegend erreichten wir Bommo, eine auf einem Hügel 
liegende, alte Stadt mit einem stark vernachlässigten, etwa 10’ 
hohen Staketenzaune, der ihr als Befestigung diente. Bommo 
zählte etwa 40 Häuser, alle mit ungewöhnlich dicken Lehm- 
wänden und auf einem 3—4’ hohen Fundamente von zusammen- 
sestampftem Thone gebaut, so dass man nur auf einer Treppein 
das Innere der Häuser gelangen konnte. Mit Ausnahme des viel 
höheren Fundamentes glichen diese Häuser sehr viel denjenigen 
von Bojeh, während sie mit den elenden Hütten von Baputu, 
deren Wände meist aus Palmblattstielen bestanden, weiter nichts 
als die äussere Form gemein hatten. Ich wurde dem Häuptling, 
einem alten, sehr gebrechlichen Manne, der in seinen besseren 
Jahren ein sehr gefürchteter Kriegsmann gewesen sein soll, 
vorgestellt und erzählte ihm auf Englisch, das sofort durch 
Duwrı übersetzt wurde, dass ich aus „big ’Merica” käme), von 
wo ein mächtiger König und Herrscher über 100,000 Soldaten 
mich ausgesandt hätte, um die schwarzen Leute und ihr Land 
kennen zu lernen und ihm über Alle. die mich gut behandeln 
würden (who do me good), Bericht zu erstatten. Da er jedoch 
fast taub und stumpfsinnig war und wenig Interesse für seinen 
weissen Gast zeigte, so war die Audienz von nur kurzer Dauer. 
Ich schenkte ihm eine Handvoll Tabaksblätter und empfahl mich 
dann. Auch hier waren keine Lebensmittel zu bekommen, wes- 
halb wir unsern Aufenthalt möglichst abkürzten. 

Den Hügel hinab sieng es nun wieder in den finstern Urwald 
hinein, der erst um 5 Uhr in Yenneh, einer sehr arm ausse- 
henden Stadt, nach mehr als einer Stunde angestrengten Marsches 
auf bedenklich schlechten Pfaden wieder verlassen wurde. Hier 
war es mir möglich, zu hohem Preise eine Traglast Kassaven 
einzukaufen, die ich dem Häuptling bis zu meiner Rückkunft 
in Bewahrung gab. Da der Tag bereits zur Neige gieng, setzten 
wir ohne langen Aufenthalt unsern Marsch fort und kamen bald 
an einen breiten, tiefen Waldbach, wahrscheinlich einen der 


ı) Für diese Leute besteht ausser dem ihrigen kein anderes Land als 
Amerika, das, weil alle Weissen als von dorther kommend angesehen 
werden, als sehr gross (big) vorgestellt wird. 


— 155 — 


östlichen Zuflüsse des Little Cape Mount River, worin den 
Leuten das Wasser bis an die Schultern reichte. Um mit Aus- 
und Ankleiden keine Zeit zu verlieren, liess ich mich durch 
zwei starke Männer auf erhobenen Armen hinübertragen (siehe 
das Bild am Anfange dieses Capitels), was ohne irgend welchen 
Zwischenfall von statten gieng. Kaum waren wir aber wohlbe- 
halten am jenseitigen Ufer angelangt, als uns ein Gewitter mit 
heftigem Sturzregen überfiel, so dass ich nach Anbruch der Nacht 
triefend nass auf einer abgelegenen , einsamen Kassavefarm ankam, 
von wo man uns, da wir hier nicht bleiben konnten, mit Fackeln 
den Weg nach der nahen Stadt Guehpenneh, unserm nächsten 
Reiseziele, zeigte. 

Guehpenneh ist eine kleine Ansiedlung von einigen zwanzig 
meist solide gebauten Lehmhäusern. Ich nahm meine Wohnung 
im Hause des Häuptlings UELLEH, wo ich, soweit es der Anstand 
erlaubte, mich meiner Kleider entledigte, die ich meinem Diener 
BEREH zum Trocknen übergab. Wie oft beneidete ich diese Neger, 
die ungehindert durch Dick und Dünn gehen können, ohne dabei 
der Gefahr ausgesetzt zu sein, sich durch nassgewordene Kleider 
Erkältungen oder Fieberanfälle zuzuziehen ! 

Am lodernden Feuer hielt ich mein Mittagsmahl, bestehend 
. aus fomboy (gekochten und gestampften Kassaven mit Palmöl 
und inländischem Pfeffer), einem Gericht von solcher Schärfe, dass 
es Erfrorene wieder aufthauen könnte. Als Nachtisch brachte mir 
UELLEH später eigenhändig etwas gekochten Reis mit einem 
Stück Rippe von Hippopotamus, das man meinem Jungen in 
Baputu geschenkt hatte. Es schmeckte herrlich aus dem rauchge- 
schwärzten Holznapfe mit dem grossen hölzernen Löffel, gewürzt 
durch einen kühlen Trunk aus der danebenstehenden, halbkuge- 
ligen Wasserschale, und königlich schlief ich nach dem opulenten 
Mahle auf dem mit einer Matte bedeckten Lager von hartem 
Thon, wobei der übliche Holzklotz als Kopfkissen diente. 

Auch hier, wie überall, wohin mich diese Reise führte, lief 
die ganze Bevölkerung der Stadt zusammen, um den weissen 
Mann zu sehen. Als ob die guten Leute am blossen Schauen 
noch nicht genug gehabt hätten, betasteten mir einige neugierige 
Frauen Gesicht und Hände, strichen mir über mein glattes Haar, 


— 156 — 


das ihnen ebenfalls Aeusserungen grossen Staunens entlockte und 
würden mich, wenn ich es geduldet hätte, gewiss halb ausgezogen 
haben, nur um sich zu überzeugen, dass ich denn nirgends schwarz, 
und wirklich ein „echter”” Weisser sei. 

Nachdem ich es mir in einer Hängematte neben dem Feuer 
bequem gemacht, brachte mir UELLEH eine Kalebasse frischen 
Palmweins, während auf dem in der Eile gesäuberten Platze vor 
der Hütte dumpfe Trommelschläge und das Klappern der Castag- 
netten zum Tanze riefen. Bald wogten die jungen Leute, deren 
nackte Leiber der rothe Flammenschein phantastisch beleuchtete, 
wild durcheinander. Immer energischer wurde die Trommel gerührt, 
immer lauter klapperten die Oastagnetten, und stets fröhlicher 
schallten die monotonen, aber streng rhythmischen Gesänge der 
Tänzer und Zuschauer durch die stille Nacht. In den Pausen 
produzirte ein Feuerfresser seine Künste, ein Mann, der seine 
sämmtlichen Fachgenossen auf den europäischen Jahrmärkten in 
den Schatten gestellt haben würde, und rief durch seine oft nicht 
allzu decenten Bewegungen selbst bei den schweisstriefenden, 
schwarzen Schönen ein wieherndes Gelächter hervor. So gern 
ich den Tänzen und Spielen dieser Naturmenschen sonst auch 
zusehe, war ich dieses Mal doch herzlich froh, als UELLEH, 
meine Müdigkeit bemerkend, mir in einem abgesonderten Raume, 
in dem ein Feuer brannte, endlich meine Schlafstätte anwies. 

Am nächsten Morgen kaufte ich in Guehpenneh in Ermangelung 
von Reis drei Traglasten Kassaven und Bananen ein. Duwkri 
verliess uns hier, um seinen königlichen Oheim Fän QUEHQUEH in 
Sublum !) und sodann seinen Vater zu besuchen, der sich zum 
Zwecke der Salzbereitung noch immer an der Küste aufhielt. 
Wie ich in .Guehpenneh gehört habe, liest die Residenz Fän 
QUEHQUEHS am Wege nach Grand Cape Mount, ungefähr eine 
halbe Tagereise von Guehpenneh. Von dort soll man in einer 
Tagereise Duar Bereh’s. Place ?) erreichen und in der zweiten 
nach Cape Mount gelangen. Gerne hätte ich bei dieser Gelegen- 


') Die liberianische Schreibweise ist „Subloonh.” 
®) Die Stadt Madina zwischen Fisherman Lake und Little Cape Mount River 
und Residenz des Häuptlings DUAR BEREH. 


— 157 — 


heit Sublum und den gefürchteten Golahfürsten Fän QUEHQUEH 
besucht, doch ich hatte hier mehr eingekauft, als ich wegtragen 
lassen konnte. Ueberdies fehlte es auf unserer Station an Lebens- 
mitteln und ich wusste, dass mich Sara sehnsüchtig zurücker- 
wartete. Daher trat ich nach Erledigung meiner Geschäfte unver- 
züglich den Rückweg an. 

Da ich aber ausser meinem Jungen und dem Feuerfresser 
keine Träger bekommen konnte, so erbot sich Letzterer, ein 
untersetzter, breitschultriger Mann von aussergewöhnlicher Mus- 
kelkraft, gegen doppelte Bezahlung zwei Lasten zu tragen, auf 
welchen Vorschlag ich natürlich gern eingieng. An den schon 
erwähnten Waldbach gekommen, trug mich der schwarze Herkules 
auf erhobenen Armen, nachdem er zuvor seine Traglast hinüber- 
gebracht hatte, für ein Taschentuch hindurch. In Yenneh ange- 
kommen, konnte ich einen Träger bis Bojeh miethen, der nur die 
am vorhergehenden Tage gekauften Kassaven trug und zugleich 
die Last meines Jungen BEREH etwas erleichterte. Dies ärgerte 
jedoch den Feuerfresser, der ebenfalls gern ein wenig von seiner 
wirklich schweren Last losgeworden wäre, und es waren recht 
derbe Auseinandersetzungen nöthig, bis er den Tragkorb, der 
zum Bersten voll war, wieder auf den Rücken nahm. Schon 
bald nach unserm endlich erfolgten Abmarsche fand ich, als der 
Letzte im Zuge, in geringen Abständen von einander mehrere 
grosse Kassaven am Wege liegen. Dadurch aufmerksam gemacht, 
bemerkte ich nicht lange nachher, wie der Schelm beim Gehen 
eine Kassave nach der andern herausklaubte und wegwarf, um 
auf diese Weise seine Last unbemerkt zu erleichtern. Nachdem 
er sich an der fortgesetzten Ausübung dieses Kunstgriffs verhindert 
sah, begann er furchtbar zu klagen, dass es ihm unmöglich sei, 
sich unter seiner Last weiter fortzuschleppen, und setzte sich 
jeden Augenblick nieder, um auszuruhen oder etwas an seinem 
Tragkorbe zu verändern. Aber auch dies half ihm nicht, worauf 
er plötzlich seine Last mit so gewaltigem Rucke von sich abwarf, 
dass der Korb zersprang und der Inhalt nach allen Richtungen 
auseinanderrollte Bemerkend, dass er davonrennen wollte, zog 
ich rasch meinen Revolver, that einen Schuss in die leere 
Luft und rief ihm zu dass ich ihn niederschiessen würde, wenn 


— 158 — 


er nicht augenblicklich stillstände. Die Last wurde nun aufs 
Neue in den Tragkorb gebunden, ihm auf den Rücken gehänst 
und der Marsch dann fortgesetzt. Noch zweimal versuchte er, 
auf dem Wege auszureissen, doch hlieb er jedesmal beim Anblick 
meines Revolvers stehen und bat mich fussfälligs und mit rührenden 
Worten um Gnade und Verzeihung. Ich wusste überhaupt auf 
der ganzen Reise nie recht, ob ich es mit einem Narren oder 
einem Spassmacher zu thun hätte, denn auf seine flehentlichsten 
Bitten um Erleichterung seiner Last und auf die heiligsten 
Betheuerungen, dass er diese keinen Schritt mehr weiter trage, 
folgte oft urplötzlich ein roher Scherz, der sowohl ihm selbst 
als seinen Begleitern ein lautes Gelächter entlockte. Sein Lenden- 
tuch trug er während des ganzen Marsches zusammengefaltet 
auf dem Rücken, wo es ihm, um den Druck des Tragkorbes zu 
mildern, als Kissen diente; doch pflückte er beim Passiren eines 
bewohnten Ortes jedesmal einige grosse Baumblätter, womit er 
wie mit einem Fächer seine Blösse bedeckte. | 

In Baputu wieder angelangt, fand ich das Schnauzenstück des 
Flusspferdes nicht mehr vor; man hatte dasselbe mittlerweile 
zerschlagen, um die Zähne als Schmuckgegenstände zu verwenden. 
Bei eintretender Dunkelheit erreichten wir Bojeh, wo ich meinen 
widerspenstigen Riesen mit einigen am Feuer gerösteten Cassaven 
in einen Schlafraum des erwähnten Hauses einsperrte und erst 
am andern Morgen bei der Weiterreise wieder herausliess. Ich 
leste mich in der Vorhalle des Hauses zum Schlafen hin, doch da 
keine Decke zu bekommen war, so begann es mich bald zu frieren 
und ich war genöthigt, mich in den Wohnraum des Hauses zu- 
rückzuziehen, wo mir für den Rest der Nacht der harte Thonbo- 
den neben dem glimmenden Herdfeuer als Lagerstätte diente. Da 
der Träger aus Yenneh nicht zu überreden war, weiter mit- 
zugehen, so deponirte ich auch seine Last mit dem Palmöl bei 
dem Häuptling von Bojeh. Auch dieser konnte mir keine Träger 
liefern, da alle seine Leute auf den Reisfarmen beschäftigt waren. 
Ohne weitere Abenteuer kamen wir gegen Mittag wieder auf 
unserer Station an, woselbst der Riese den nicht vorausbezahlten 
Rest seines Lohnes erhielt. Er hatte sich während der Nacht in 
seinem Kerker offenbar bekehrt, denn auf dem Wege nach Hause 


— 159 — 


bat er mich wiederholt, ihn in meine Dienste zu nehmen, er sei 
zufrieden, wenn er auch nur die Kost verdiene. Der Mann hatte 
aber während der Reise einen so beneidenswerthen Appetit gezeigt, 
dass mir schon bei dem blossen Gedanken an solch einen Kost- 
gänger angst und bange wurde. Als wir indessen eben auf der 
Station angekommen waren und ich ihm etwas zu essen reichen 
lassen wollte, war und blieb er verschwunden; er hatte nicht 
einmal das Taschenmesser mitgenommen, welches ich ihm als 
Extrazulage zu seinem Lohne gegeben hatte. 

Schon am andern Tage musste sowohl Sara als ich wegen 
Fieber zu Hause bleiben, und da dasselbe dem Chinin nicht 
weichen wollte und die nachfolgende Schwäche uns das Ausgehen 
unmöglich machte, so lebten wir allein von Kassaven und Palmöl. 
Auch wurde ab und zu eine meiner mitgebrachten Bananen 
reif, die dann als Leckerei verspeist wurde. Unsere boys, die 
während dieser Zeit keine feste Beschäftigung hatten, trieben 
sich mit Tauschartikeln in der Gegend umher, um irgendwo ein 
Hühnchen oder sonst etwas Geniessbares dafür aufzutreiben, doch 
es war nichts zu bekommen. Eines schönen Tages aber hatten 
sie ein Nest mit wilden Bienen entdeckt und giengen nun aus, 
dieselben ihres Honigs zu berauben, zu welchem Zwecke sie 
einige lange Fackeln aus gespaltenen Palmblattrippen mitnahmen. 
Der Eine kletterte dann den Stamm hinauf, in dessen ziemlich 
hoch gelegener Höhlung sich das Nest befand, und wurde bei 
dieser Arbeit von den ausschwärmenden Bienen wüthend ange- 
fallen. Er führte jedoch zu seinem Schutze in der Linken eine 
brennende Fackel mit, die er kaltblütig vor die Oefinung hielt, 
während sein Kamerad den Baumstamm mit einem derben Knüppel 
bearbeitete. Schliesslich war der ganze Schwerm theils hinge- 
mordet, theils durch den Rauch betäubt. Der Honig wurde mit 
den Zellen und der jungen Brut, welche Letztere für die dortigen 
Neger ein Leckerbissen ist, herausgeholt und in einem Eimer 
nach Hause gebracht. Eine ähnliche Plünderung wurde am näch- 
sten Tage auf einer andern Stelle vorgenommen, so dass wir nun 
einen ganzen Eimer voll ausgepressten Honig hatten. Um den- 
selben vor den zahllosen Ameisen zu schützen, hingen wir ihn 
mittelst einer Hundekette, die wir vorher mit einem in Petroleum 


— 160 — 


setränkten Lappen umwickelten, an den Dachsparren auf. Bei 
früheren Gelegenheiten war uns Honig eine willkommene Zugabe 
zu Brod und Butter gewesen, oder wir verwendeten ihn beim 
Backen von Honigkuchen. Nun aber waren unsere Vorräthe 
srossentheils erschöpft, so dass wir uns damit begnügen mussten, 
denselben mit Reis zu essen. Nachdem endlich auch der Letztere 
aufgebraucht war, wussten wir mit unserem grossen Honigvor- 
rath kaum mehr etwas zu beginnen. 

Die Nahrungssorgen hatten allmälig einen bedenklichen Grad 
erreicht, so dass wir als letzte Rettung zu den grauen Erbsen 
sreifen mussten, die wir als Munition für unsere Blaserohre mit 
uns führten, ein Beginnen, das den Vögeln des Waldes wie unseren 
knurrenden Mägen gleich gut zu statten kam. 

Da wir des Schacherns mit den Eingebornen bald überdrüssig 
waren und ZoRU DUBBAH die in Bavia zurückgelassenen Kisten 
nicht ausliefern wollte, so entschloss ich mich, nach Monrovia 
zu gehen, um uns dort neu zu verproviantiren und auf der 
Reise dahin zugleich auch den König von Bavia zu besuchen. 
Am 30. April machte ich mich in voller Jagdrüstung auf den 
Weg, begleitet von BEREH, der in einer kleinen Blechkiste die 
mitgenommene, in Spiritus aufbewahrte Fischsammlung trug. Wir 
waren nun schon einen ganzen Monat in Soforeh Place, und 
noch immer hatten wir die in Bavia zurückgelassenen Kisten 
nicht erhalten, trotz häufiger Reklamationen und des Absendens 
von Boten, die sie in Empfang nehmen sollten. Auch wurden 
wir unaufhörlich von den Leuten aus Soforeh Place gedrängt, 
ihnen die Löhnung für den Transport unserer Bagage nach diesem 
Platze auszuzahlen. Zorv DussaH hatte ihnen nämlich erklärt, 
es sei das Geld, das wir ihm gegeben, nur für ihn allein gewesen 
und wir hätten uns verpflichtet, sie für ihre geleisteten Dienste 
selbst zu entschädigen. Bei meiner Ankunft sagte er mir nun, 
dass er nie geweigert habe, meine Kisten auszuliefern, hielt 
aber daran fest, dass die bezahlten 15 Dollars ihm allein gehörten 
und die Träger aus Soforeh Place ihn nichts angiengen. Ich sah 
bald ein, dass unser Palaver auf diese Weise zu keinem Ende 
führen würde und forderte ihn daher auf, zur Ordnung der 
Angelegenheit mit mir zu Mr. Day zu gehen, worauf er sich 


— 161 — 


nach einigem Zögern auch einliess. Hierauf machte ich mich an 
die Revision unserer Kisten. Alle drei waren aufgebrochen, durch- 
wühlt und verschiedener Gegenstände beraubt. Eine volle Flasche 
Branntwein war auf schlaue Weise durch eine zerbrochene ersetzt, 
so dass man hätte glauben sollen, der Branntwein sei heraus- 
selaufen. Natürlich wurde der Diebstahl von Zoru entschieden 
in Abrede gestellt. Die in der zweiten Kiste befindlichen Häute 
waren verschimmelt und hatten durch die Feuchtigkeit stark 
gelitten. Der Inhalt der Bücherkiste aber war, obschon durch- 
einandergewühlt, gänzlich unversehrt. Da sich nun eine gute 
Gelegenheit zum Transporte darbot und es viel bequemer war , die 
Säugethierhäute mit nach Monrovia zu nehmen, als sie noch 
weiter landeinwärts schleppen zu lassen, so miethete ich von 
Zoru einen Sklaven, der die Kiste nach der Mission bringen 
sollte. Dann besuchte ich unsern alten Lagerplatz unten am 
Flussufer. Das Gerippe der Hütte stand noch da, aber der Vor- 
platz sammt der Küche lag bereits unter Wasser. Die vielen 
reizenden Felsinseln waren sämmtlich unter der um 4—5’ gestie- 
senen Fluth verborgen, und nur hie und da ragte ein einsamer 
Strauch, der sich mit den Wurzeln zwischen Felsspalten festge- 
klammert haben mochte, über das Wasser empor, so dass der 
Fluss mit seinem fast lautlos, aber schnell dahinströmenden 
Wasser jetzt einen viel grossartigern Eindruck als früher machte. 
Nach einem erfrischenden Bade zog ich mich mit meinem Jungen 
in die mir zur Verfügung gestellte Hütte zurück und gieng dann 
zur Ruhe, um am andern Morgen in aller Frühe marschbereit 
zu sein. 

Mitten in der Nacht rief mir BErEH, der sich hinter dem als 
Thür dienenden Mattenverschlusse zum Schlafen hingelegt hatte, 
mit einem Male zu, dass Diebe an der Thür seien und versucht 
hätten, dieselbe zu Öffnen, und im nämlichen Augenblicke sah , 
ich denn auch wirklich einen Schatten an der kleinen, ziemlich 
hoch angebrachten Fensteröffnung vorübergleiten. Ohne Zögern 
ergriff ich die neben mir liegende Doppelflinte und machte die 
Runde um die Hütte. Nirgends war etwas Verdächtiges zu 
bemerken. Es war zwei Uhr. Der Mond schien so hell, dass 


ich ohne Licht die Zeitung hätte lesen können. Da es nun 
LIBERIA, |. 1l 


— 162 — 


mit dem Schlaf gänzlich vorbei war, so würde ich am liebsten 
sofort aufgebrochen sein, um mich zur Mission zu begeben. Ich 
sieng also hin, um ZoRrU zu wecken, und rief ihm zu, es sei 
schon lichter Tag und wir müssten uns beeilen. Lange dauerte 
es, bis er zum Vorschein kam, und als er sich endlich zeigte, 
sagte er, es sei noch viel zu früh, und der Mond müsse bei 
Tagesanbruch viel tiefer stehen. All mein Zureden, dennoch 
aufzubrechen, erwiess sich als fruchtlos; er zog sich in seine 
Hütte zurück. Ich aber begab mich zu einer nahen Farm auf 
den Anstand, um eine Antilope oder etwas Derartiges zu schies- 
sen. Vergebens — kein Thier zeigte sich, und so gieng ich 
denn noch vor Tagesanbruch zurück, um ZoRru wieder zu wecken. 
Dieser war aber nicht bei guter Laune und wollte erst in den 
Wald hinaus, um Palmwein zu trinken. Wie gerne hätte ich 
ihm einen Schluck Branntwein gegeben, um ihn nur zum sofor- 
tigen Abmarsch zu bestimmen! Doch unser Vorrath war schon 
längst erschöpft, und ich wusste nichts Besseres zu thun, als 
den Alten zu begleiten, aus blosser Furcht, dass er mir durch- 
brennen möchte. Dann machten wir uns endlich auf den Weg 
zur Mühlenburg Mission, wo wir ganz unerwartet die stille 
Sonntagsruhe störten. Wahrscheinlich hatten wir uns in Soforeh 
Place „während meiner Krankheit um zwei Tage verrechnet, 
denn nach meiner Absicht wollte ich dort am Freitag ankommen, 
um am Sonnabend das allwöchentlich einmal nach Monrovia 
abgehende Canoe zu benutzen. 

Unser Palaver war sehr hartnäckiger Art und dauerte lange, 
endigte aber, wie zu erwarten stand, zu meinen Gunsten, und 
danach musste Zoru versprechen, schon am anderen Tage die 
beiden noch in Bavia stehenden Kisten nach Soforeh Place zu 
senden. Von einem in Millsburg gemietheten Canoe am nächsten 
Tage nach Monrovia gebracht, belud ich BEREH mit einem Quantum 
Reis nebst Verschiedenem aus Herrn Wıaman’s Proviantvorrath 
und sandte ihn mit dem heimkehrenden Canoe zur Mission, wo 
er übernachten sollte, um am andern Morgen in aller Frühe die 
Reise nach Soforeh Place fortzusetzen und Sara vorläufig mit 
Lebensmitteln zu versehen. 

Nach viertägigem Aufenthalte hatte ich meine Geschäfte erledigt, 


— 163 — 


einen bedeutenden Vorrath von Lebensmitteln und Tauschwaaren 
eingekauft und verpackt, die Säugethierhäute getrocknet und ein 
Quantum Spiritus nebst andern Sachen in Empfang genommen , 
die inzwischen aus Holland eingetroffen ‚waren. Ein unterneh- 
mungslustiger Mann in Monrovia hatte zu jener Zeit ein kleines 
Boot, das wie ein Raddampfer mit zwei Schaufelrädern versehen 
war, die aber, statt durch Dampf, durch Handbetrieb in Be- 
wegung gesetzt wurden. Da dieses Boot meine ganze Bagage 
bequem fassen konnte, miethete ich dasselbe und liess mich 
damit den St. Paul hinauf nach Millsburg bringen. Statt am 
frühen Morgen, wie wir verabredet, war das Boot jedoch erst 
gesen Mittag reisefertig, und die Folge davon war, dass wir 
erst zur Ebbezeit aus dem Stockton Creek in den St. Paul 
einfuhren und daher während der ganzen Flussreise gegen das 
starke Gefälle ankämpfen mussten. Auch diesmal legten wir 
in Clay Ashland an, denn ich wollte dort einen jungen Liberianer, 
der früher bei dem Stettiner Reisenden SCHWEITZER in Dienst 
sestanden und das Präpariren von Naturalien erlernt hatte — 
HorLLınsßyY hiess er — mitnehmen, erfuhr aber, dass er mittler- 
weile durch einen andern Liberianer im Streit erschlagen worden 
sei. Die Fahrt gieng sehr langsam von statten, denn die Maschi- 
nerie war so eingerichtet, dass nicht mehr als zwei Mann an 
den Kurbeln drehen konnten, und überdies gieng viel Kraft 
infolge der schlechten Transmission durch Reibung verloren. Die 
Fahrt wurde bis tief in die Nacht hinein fortgesetzt, doch end- 
lich wussten wir gar nicht mehr, wo wir uns befanden und ob 
wir vor- oder rückwärts giengen, denn es war stockfinstere 
Nacht. Wir nahmen deshalb unsern Curs auf das naheliegende 
linke Ufer und landeten endlich mit grosser Mühe in der Nähe 
der Kaffeefarm des Mr. JAcKson, eines Liberianers, der, durch 
unsere Rufe aufmerksam gemacht, bei seinem Landungsplatze 
ein Feuer angezündet hatte, um uns den Weg zu zeigen. Mr. 
JACKSON war ein ungemein freundlicher Mann; er beherbergte 
sowohl mich als auch die Bootsleute und nöthigte mich sogar, 
in seinem Bette zu schlafen, während er selbst sich zur Fort- 
setzung seiner Nachtruhe auf eine Bank hinstreckte. 

Am andern Morgen nahmen wir früh Abschied von unserem 


— 164 — 


freundlichen Wirthe und fuhren stromaufwärts bis nach New 
York Settlement, einer der grössten Zuckerplantagen am 
St. Paul, die einem liberianischen Mulatten, Mr. Ds CAurszy gehört. 
Dieser Gentleman, den ich von früher her kannte, empfing mich 
sehr freundlich und machte mit mir einen Gang durch sein für 
liberianische Verhältnisse grossartig eingerichtetes Etablissement, 
bestehend in einer Zuckermühle, Zuckersiederei, Raffinerie und 
Rumbrennerei, welche letztere wohl nicht den neuesten Anfor- 
derungen entsprechen mochte. Ich kaufte hier etwas Rum und eine 
srosse Korbflasche voll Zuckermelasse Für erstern musste ich 
den etwas hohen Preis von einem Dollar per Flasche bezahlen. 

Erst um zwei Uhr kam ich bei Mr. Day an, der mir die aus 
14 Colli bestehende Bagage sofort von Millsburg heraufholen liess. 
Er selbst hatte keine boys zur Stelle, da denselben gerade an 
jenem Tage Erlaubniss gegeben war, einer liberianischen Truppen- 
inspektion in dem weiter unten am St. Paul gelegenen Dorfe 
Caldwell beizuwohnen. 

Mr. Day traf nun Anstalten, aus der Umgegend Träger anzu- 
werben, die meine Kisten nach Soforeh Place bringen sollten. 
Darüber giengen wieder zwei lange Tage hin. Jetzt erst dachte 
man daran, mir zu sagen, dass das Kistchen, das BEREH aus 
Monrovia mitgebracht hatte, noch da sei. In einem BEREH mit- 
gegebenen Briefchen hatte ich nämlich’ Mr. Day gebeten, den 
. Jungen über Nacht auf der Mission zu behalten und ihn am 
andern Morgen mit dem Kistchen an SALA weiterzusenden. BEREH 
jedoch, des Lasttragens müde, hatte sich schon in aller Frühe 
auf und davon gemacht und war ohne alle Nachricht von mir 
bei Sara angekommen. Ein an Letztern adressirter Brief war 
dem Inhalt des Kistchens beigefügt. 

Ich hatte nun keine Ruhe mehr und war sofort entschlossen , 
auf gut Glück abzureisen, um SALa so rasch wie möglich aus 
seiner peinlichen Lage zu befreien. Da ich Niemanden finden 
konnte, der den direkten Weg von der Mission nach Soforeh 
Place kannte, so war ich genöthigt, den mir bekannten Weg 
(freilich einen Umweg) über Bavia einzuschlagen. Ich füllte nun 
meine Reisetasche mit Reis, belud mich ausserdem mit einigen 
Büchsen Fleisch etc, und Mr. Day versprach mir, um jeden 


— 165 


Preis am andern Tage mehr Proviant und später, so bald wie 
thunlich, alles Uebrige nachzusenden. 

Gerade als ich Abschied nehmen wollte, kamen Duwrı und 
unser boy BEREH mit einem Briefe von Sara an, worin 
derselbe schrieb, dass er seit meiner Abreise krank sei und 
“nichts mehr ‘zu essen habe, und dass er, wenn diese Zeilen 
mich nicht fänden, am nächsten Tage die Station verlassen und 
zurükkehren müsse. Ich liess den beiden Boten etwas Essen 
verabreichen und packte inzwischen ein Kistchen voll Lebens- 
mittel als Traglast für Duwrı, den ich für seine Trägerdienste 
gut zu belohnen versprach. Dann marschirten wir ab, in der 
Hoffnung, auf einem Parforcemarsche noch am gleichen Tage, 
Bavia recht sliegen lassend, die schon mehr genannte einsame 
Farm auf dem Wege nach Soforeh Place zu erreichen. 

Aber schon hinter der Niederlassung Arthinston, bevor wir 
noch den grossen Urwald betreten hatten, erklärte Duwrı, heute 
nicht weiter gehen zu wollen, da wir die oben genannte Farm 
vor Einbruch der Nacht — es mochte etwa 2 Uhr Mittags sein — 
doch nicht mehr erreichen könnten. Nach langem, fruchtlosem 
Hin- und Herreden beschloss ich endlich, mit BrreH allein zu 
gehen, als Duwrı versprochen hatte, am andern Morgen mit 
seinem Kistehen nachzukommen. Um bequemer gehen zu Kön- 
nen, übergab ich BEREH meine volle Reisetasche und miethete 
in der Pflanzung, auf der wir uns gerade befanden, einen Mann, 
der am andern Tage das Kistchen Berem’s ec hlirinech ln. 
Dann begaben wir uns auf den Wes. 

Bis zu der genannten Negerfarm ist die ganze Strecke ein 
einziger, ununterbrochener Urwald ohne irgendwelche menschliche 
Ansiedlung. Mit raschen Schritten eilten wir unaufhaltsam vor- 
wärts, nicht Schwierigkeiten noch Hindernisse achtend. Keine 
Anstrengung wurde gespart, um mit Einbruch der Nacht die 
Farm zu erreichen und am nächsten Morgen möglichst früh auf 
unserer Jagdstation anzukommen. Vergeblich! Die Wege waren 
infolge des vielen Regens schlecht und gar oft durch umgestürzte 
Baumstämme, die gewöhnlich in ihrem Sturze ein ganzes Stück 
Wald mit sich niederreissen, verlegt, so dass wir bei der bereits 
eingetretenen Dämmerung, um nur vorwärts zu kommen, mit- 


— (I — 


unter über und durch das Astwerk eines solchen umsestürzten 
Waldcomplexes kriechen mussten. Es wurde dunkler und dunkler, 
doch wir merkten es kaum. Die Nacht brach ein. Tastend giengen 
wir weiter, verirrten uns, fanden uns wieder zurecht, und aufs 
Neue gieng es vorwärts, bis wir endlich so tief ins Dickicht 
hineingeriethen, dass uns nichts übrig blieb, als den Platz, wo 
wir gerade waren, zur Lagerstätte zu wählen. 

Der Boden war feucht und mit knorrigen Wurzeln bedeckt. 
Zum Ueberflusse begann es noch zu regnen. Trockenes Brenn- 
material war in der Finsterniss nicht zu finden, und um uns 
vor Regen und Kälte zu schützen, rollte sich mein boy zu einer 
Kugel zusammen und ich schmiegte mich, so gut.ich konnte, 
um ihn hin. Mein armer Junge., dessen nackter Leib kaum mehr 
von Kälte zu leiden hatte, als ich in meinen durchnässten 
Kleidern, war infolge grosser Ermüdung bald eingeschlafen. Ich 
aber horchte noch lange mit gespanntem Ohr auf das unheimliche 
Treiben der Nachtthiere, das laute Quaken der fliegenden Hunde 
(fruchtfressenden Fledermäuse), das Zwitschern der Flughörnchen 
und Nachtaffen und die Mark und Bein durchdringenden, schaurig- 
melancholischen Klagetöne der Zibethkatzen, bis auch mich endlich 
die Müdigkeit völlig übermannte. Ich konnte noch nicht lange 
geschlafen haben, als ich durch das Gefühl eines milden, warmen 
Regens wieder geweckt wurde. Wie erschrack ich aber, als ich, 
zum vollen Bewusstsein gekommen, einen warmen Wasserstrahl 
auf mein Gesicht niederkommen fühlte! Wir hatten uns im 
Schlafe unbewusst auseinandergerollt und BEREH, durch die sich 
fühlbar machende Kälte geweckt, war zu einem gewissen Zwecke 
aufgestanden und hatte in der Finsterniss mein Kopfende für 
das Fussende gehalten. Trotz meines Aergers konnte ich dem 
sonst gutherzigen Jungen nicht böse sein. Das Schlimmste bei 
der Sache war, dass ich kein Wasser in der Nähe wusste, um 
mich zu waschen. Mit meinem Schlafe war es natürlich vorbei, 
und sehnsüchtig erwartete ich, immerfort an meinen hungernden 
Reisegefährten denkend, den Morgen. Wie freute ich mich, als 
es oben in den höchsten Baumwipfeln licht zu werden anfing und 
das Trompeten der Nashornvögel und das Flöten und Schwatzen 
der Graupapageien den anbrechenden Tag verkündete! 


— 167 — 


Noch halb im Dunkeln tastend, suchten wir unsere Sachen 
zusammen und fanden denn auch bald den verlorenen Fusspfad 
wieder. Nachdem ich mich mit Hülfe meines Taschenkompasses 
vergewissert hatte, in welcher Richtung wir dem Pfade folgen 
mussten, gieng es, zunächst noch mit vor Kälte steifen Gliedern 
und gelähmten Füssen, wieder weiter. Nach einer kleinen Stunde 
passirten wir, von dem Marsche durch den nassen Wald und 
dem Waten durch angeschwollene Waldbäche triefend, die einsame 
Farm, und gegen 10 Uhr langten wir endlich auf der Station 
bei Freund Sara an. Die Thränen standen ihm in den Augen, 
alser mich wiedersah, denn da BEREH leer und ohne jede schriftliche 
Nachricht von mir zurückgekehrt war, und er den Burschen, der 
nur Golah sprach, nicht verstehen konnte, so hatte Sara aus 
meinem langen Ausbleiben geschlossen, das mir ein Unglück 
zugestossen sei. Obschon er noch elend aussah, war er doch 
wieder auf dem Wege der Besserung. Immerhin hatte mein 
Reisegefährte schwere Tage durchgemacht, da er keine Lebens- 
mittel kaufen konnte. Die Jagd verschaffte ihm auch nicht viel, 
denn aus Furcht vor Diebstahl durfte er nicht wagen, sich weit 
von der Jagdhütte zu entfernen, und so waren denn gekochte 
Batatenblätter mit Palmöl seine ausschliessliche Kost gewesen. 
Sofort wurde eine gute Portion Reis gekocht, und zwei Eich- 
hörnchen, die ich unterwegs geschossen, wanderten ungesäumt 
in die Bratpfanne, so dass wir uns nach kurzer Zeit an einem 
willkommenen, frugalen Mahle gütlich thun konnten. Gegen 
Abend kam auch Duwrı mit dem gemietheten Träger an, so 
dass wir nun wenigstens wieder mit Reis versehen waren, bis 
Mr. Day Gelegenheit fand, uns das Uebrige nachzusenden. 

Dass mir nach diesem Marsche das Fieber wieder stark zusetzte, 
braucht wohl kaum gesagt zu werden. Wir waren jedoch an 
Fieberanfälle bereits so sehr gewöhnt, dass wir sie jedesmal mit 
grossem Gleichmuthe hinnahmen und schon sehr zufrieden waren, 
wenn nachher durch gute Nahrung die verlorenen Kräfte wieder 
gehoben werden konnten. Dies war nach erneuerter Verprovianti- 
rung auch jetzt wohl möglich, und bald giengen wir Beide wieder 
abwechselnd auf die Jagd und dehnten unsere Excursionen, um 
unsere Kenntniss von Land und Leuten zu erweitern und neue 


— 168 — 


zoologische Fundplätze zu entdecken, oft auf grosse Distanzen aus. 

So kam ich auf einem mehrtägigen Jagdzuge, bei dem ich mich, 
trotz aller Warnungen der Golah, an einige durchreisende 
Leute aus dem Busy-Stamme anschloss, über die bereits erwähnte 
Stadt Geweh hinaus zwei Tagereisen weit landeinwärts, in das 
Grundgebiet dieses Stammes. Hier verlässt der St. Paul, der auch 
da noch immer ein mächtiger Strom ist, seine ost-westliche 
Richtung und wendet sich südwärts dem Meere zu. Statt des 
grossen Ortes, als welchen mir ZoRU DUBBAH jenes Geweh stets 
gepriesen hatte, fand ich ein Häufchen halb verfallener und zum 
srössten Theil verlassener Hütten. Dies war ein neuer Beweis 
für das grossprecherische Wesen Zoru’s, der seiner Angabe 
nach dem erlauchten Fürstenhause von Geweh entsprossen war 
und daher immer in der ruhmredigsten Weise von dieser seiner 
Ahnenstadt gesprochen hatte. Auch hier sah ich, wie bei Alin 
und Soforeh Place, einen ganzen Archipel von Flussinseln, und 
das Flussbett war infolge dessen stark erweitert und voller 
Strudel und Stromschnellen. Die durchreiste Gegend zeigte nicht 
mehr den geschlossenen Hochwald, und sie muss ihrem ganzen 
Aussehen nach vor nicht gar langer Zeit stark bevölkert gewesen 
sein. Ich fand jedoch auf dieser Reise keinen einzigen Platz von 
einiger Bedeutung, wohl aber grosse Strecken Landes, die mit 
üppig wucherndem Gestrüpp und jungem Wald bedeckt waren. 
Die fortwährenden Feindseligkeiten zwischen den Busy- und 
Pessy-Stämmen haben diese, dem erstern Stamme gehörigen Grenz- 
distrikte offenbar fast ganz entvölkert. So viele kleinere und 
grössere Waldwasser ich auch auf dieser Reise zu passiren hatte, 
so habe ich doch keinen einzigen bedeutenden, westlichen Zufluss 
des St. Paul angetroffen. 

Etwa 4 Weestunden über Geweh hinaus hatte ich in einer 
anscheinend sehr günstigen Gegend einen Platz für unsere neue 
Station bestimmt, und dessen Häuptling versprach, uns eine 
Hütte zu bauen und durch seine Leute uns hinaufbringen zu 
lassen. Später aber wurden wir durch verschiedene Umstände, 
namentlich durch die Nachricht von wieder ausgebrochenen Unruhen 
im Innern, sowie durch die raffinirte Habsucht des Häuptlings 
SIckLy und die ausserordentlich heftig auftretende Regenzeit an 


— 169 — 


der Verwirklichung unseres Planes verhindert. Dieses Missge- 
schick verdross mich ungemein, denn auf der neuen Station 
hätten wir uns mit Leichtigkeit die nöthigen Lebensmittel ver- 
schaffen können, da der Platz nur eine kleine Tagereise von dem 
westlicher gelegenen Boporo und noch weniger weit von einigen 
bedeutenden Marktplätzen der Busy entfernt war. Auch hätten 
wir unzweifelhaft wieder andere Thierformen angetroffen ; zeigte 
‘doch schon die Gegend von Soforeh Place eine ganze Reihe von 
Arten, die wir weder vorher in Bavia noch nachher auf allen 
unsern Reisen in den Küstengebieten jemals angetroffen. 

Obschon wir wegen des stets frecher werdenden Diebsgesindels 
nie Beide zugleich auf die Jagd gehen konnten und uns nur gar 
zu oft schwere Fieber und tagelang anhaltender heftiger Regen 
an die Hütte bannten, so vergrösserte sich unsere Sammlung 
dennoch zusehends, und manches seltene, langersehnte Thier fiel 
nach und nach in unsere Hände. 

Mit Hülfe des Flosses besuchten wir oft die der Station ge- 
senüberliegende grosse Insel und setzten von dort über den 
breiten, jenseitigen Flussarm nach dem linken Ufer über. Die 
Insel beherbergte viele schöne Stummelaffen, darunter den schon 
erwähnten, seltenen Bärenaffen, von welchem wir Prachtexem- 
plare im Gewichte von 40 Kg. erbeuteten,, sowie zahllose Grau- 
papageien (Psittacus timneh), die dort ihre Schlafquartiere und 
sehr wahrscheinlich auch ihre Brutcolonien hatten. Ebenso fanden 
wir auf jener Insel den schönen, damals noch fast unbekannten 
Zwergpapagei (Agapornis swinderniana) sowie Columba wunicincta , 
eine Taubenart, von der wir nur ein einziges Exemplar erbeu- 
teten, das erste, das seit DucHAILLu’s Entdeckung dieser Art ge- 
funden wurde. 

Einige Male versuchten wir auch, den schon genannten 
Elephanten aufzuspüren, dessen tief in das weiche Erdreich 
eingedrückte Fusstapfen wir nicht selten antrafen, doch konnten 
wir trotz aller Mühe, die wir uns gaben, das Thier nie zu 
Gesicht bekommen. Einmal hatte ich auf der Insel frische Anti- 
lopenspuren gefunden und stellte mich im Dickicht auf die Lauer. 
Lange hatte ich zusammengekauert in meinem Hinterhalte gesessen, 
als auf einmal schwere Tritte nahten. Ganz in meiner Nähe 


— 170 — 


hielten dieselben. an, und nun hörte ich ein Schütteln und 
Rauschen von Baumästen, als ob sich ein Trupp Affen darin 
herumtummle. Leider war ich von jener Stelle durch undurch- 
dringliches Unterholz getrennt, so dass es mir nicht möglich 
war, ohne Geräusch näher heranzuschleichen, und ich wusste 
daher nicht recht, ob ich es mit einem Büffel oder einem 
Elephanten zu thun hätte. Obwohl ich nur eine gewöhnliche 
Doppelflinte bei mir führte, trieb mich doch die Neugierde, das 
Thier wenigstens zu sehen. Auf weitem Umwege umgieng ich 
mit BEREH die dichteste Buschpartie, doch als wir uns endlich 
nach einer guten halben Stunde dem Platze wieder nähern 
konnten, war das Thier, das uns wahrscheinlich gewittert hatte, 
verschwunden. Ganz frische Spuren und ziemlich hoch hangende, 
zerbrochene Aeste überzeugten mich jedoch sofort, dass das 
Geräusch von dem KElephanten hergerührt haben müsse Den 
Fährten des Thieres zu folgen, durfte ich bei meiner ungenü- 
senden Bewaffnung nicht wagen; darum zog ich mich zurück, 
um das Jagdglück auf andere Weise zu versuchen. 

Einige Stunden später wurde unsere Aufmerksamkeit auf ein 
“ lautes Plätschern gelenkt, das unzweifelhaft von badenden Thieren 
verursacht werden musste. Da ich mich nicht erinnern konnte, 
dass ein Bach in der Nähe war — wir befanden uns im Waldes- 
dickicht mitten auf der Insel —, so konnte ich mir das Vorhan- 
densein von Wasser nicht erklären und schlich mich in der ange- 
wiesenen Richtung behutsam vorwärts. Aber lange bevor wir 
uns auf Schussweite genähert hatten, sahen wir in einer klei- 
nen, durch die letzten Regengüsse gebildeten Wasserlache ein 
altes Pinselschwein (Sus penicillatus) mit 7—8S Frischlingen sich 
fröhlich herumwälzen und den Schlamm durchwühlen. Bevor wir 
uns jedoch gut niederducken konnten, hatte die Bache uns be- 
merkt, und in sausendem Galoppe rannte der ganze Trupp Hals 
über Kopf in gegenüberliegender Richtung dem Dickicht zu. Das 
verdross mich, und wir beschlossen, ihren Fährten zu folgen. 
BEREH bahnte einigermassen den Weg, doch was half es? Ich 
konnte ja nicht geräuschlos vorwärts kommen, denn wenn ich 
nicht mit den Kleidern oder dem Gewehre hangen blieb, so trat 
ich zufällig auf einen dürren Ast, den ich bei meinem eifrigen 


— .171 — 


Ausspähen nicht bemerkt hatte. Wie gewöhnlich, so war auch 
diesmal das Nachschleichen erfolglos, und unnöthiger Weise hatte 
ich mich erhitzt und ermüdet. Inzwischen war es Abend ge- 
worden und wir mussten daran denken, unser Floss wieder zu 
erreichen. Unterwegs kamen wir unter eine Gruppe von Grau- 
papageien, die, nach den vielen Excrementen zu urtheilen, hier 
ihre Schlafplätze hatten. Da es schon stark zu dunkeln begann, 
kamen stets neue Flüge an, so dass sie endlich in dichten 
Reihen auf den Aesten der hohen Bäume sassen. Wer den 
sanzen Tag noch keinen Schuss abgefeuert hat, will doch gerne 
wenigstens etwas mit nach Hause bringen. Auf einen Schuss 
fielen zwei Exemplare herunter, während ein drittes, ebenfalls 
setroffen, sich mit einem Fusse an einen Ast festkrallte und 
hangen blieb. Die am Boden liegenden waren noch nicht todt — 
Papageien haben ein sehr zähes Leben — und bissen wüthend 
um sich, als wir sie ergreifen wollten, während oben in den 
Aesten ein geradezu höllischer Lärm entstand, so dass uns von 
dem Gekreische die Ohren gellten. Als ich nach Hause kam, 
hatte Sara von der Hütte aus einen Bärenaffen geschossen, der 
wahrscheinlich aus Neugier herangekommen war, um sich unsere 
Station. einmal näher anzusehen. So ist es uns übrigens oft er- 
gangen, und mehr als einmal erbeuteten wir ganz in der Nähe 
der Station ein Thier, das. uns auf all unsern eigentlichen Jagd- 
zügen nicht zu Gesichte kam. 

Wir brauchten jedoch nicht immer nach der Insel hinüberzu- 

fahren, um seltene Thiere zu erbeuten; auch die Wälder um 
die Station herum bargen Schätze, die unseren Sammeleifer 
trotz ungünstiger Verhältnisse immer wieder neu belebten. 
- Säammtliche später zu erwähnende acht Arten von Nashorn- 
vögeln haben wir auf dieser Station gesammelt, während wir 
in Bavia den selteneren Arten dieser hochinterresanten Gruppe 
nie begegnet sind. Auch die seltene Antilope doria, über welche 
später mehr gesagt werden wird, haben wir hier erbeutet, und 
zwar nur in einem Exemplare, das jetzt im Leidener Museum 
steht und bis zu meiner zweiten Reise nach Liberia das einzige 
Exemplar war, das überhaupt in einer Sammlung existirte. 

Aus Mangel an Trägern konnte uns Mr. Day die letzten der 


— 


bei ihm deponirten Kisten erst zu Anfang Juni nachsenden, 
diejenigen aus Bavia erhielten wir jedoch noch später, und die 
letzte, die Bücher- und Schreibkiste, sogar erst zu Anfang 
August. Diese kam nur durch Zufall wieder in unsere Hände. 
Die Träger, die ZoRU DUBBAH mit deren Transport betraut hatte, 
liessen dieselbe- nämlich auf der mehrerwähnten Farm stehen 
und liefen davon, und erst viel später erzählte mir ein durch- 
reisender Neger, dass er dort eine Kiste gleich den unsrigen, 
in einer Hütte stehend, gesehen habe. Boten, die wir in Folge 
dessen hinsandten, brachten dieselbe mit, aufgebrochen zwar, 
doch merkwürdiger Weise nicht geplündert. Auf meine Frage, 
wie das kömmen möge, antwortete man mir ganz naiv, es 
hätte Niemand den Inhalt anzurühren gewagt, da dies viel zu 
sefährlich sei: „for white Daddy him book all be big medecine” 
(denn des weissen Vaters (Herrn) Bücher sind sämmtlich grosse 
Zaubermitte)). 


IR: 


Weitere Schicksale. Rückzug nach Monrovia. 


Krankheit. — ImWalde 
verlassen. — Besserung. 
— Diebereien der Einge- 
bornen.— Dietrockenen 
Tage des Juli. — Neuer 
Regen. — Verfeindung 
mit SıckLy. — Mass- 
regeln gegen nächt- 
liche Ueberfälle. — 
Magere Kost. — Zwei 
Monate anhaltenden 
Regens. — Wassers- 
noth. — Gesundheitszu- 
stand. — Von der Aus- 


Station bei Soforeh Place. senwelt abgeschlossen. 
— Anbruch derTrocken- 
zeit. — Vorbereitungen zum Rückzug. — Abschied von der Station. — In 


Soforeh Place. — Rückzug nach der Mission. — Auf dem Wege bestohlen. — 
Ankunft auf der Mission. — Ankunft Saua’s. — Vor den Friedensrichter eitirt. — 
Salomonischer Urtheilsspruch. — Der letzte Abend bei Mr, Day. — Rückreise 
nach Monrovia. 


In der ersten Hälfte des Juni wurde erst SALA, einige Tage 
später auch ich, von schwerer Kolik heimgesucht, und wir 


— 1174 — 


dachten mehrmals, dass keiner von uns je die Küste wiedersehen 
werde. Lebensmittel hatten wir nun genug, aber der Appetit 
fehlte, und die Speisen blieben unangerührt. Nachdem dieser 
Zustand etwa eine Woche gedauert hatte, wurde es mit SALA 
wieder besser, bei mir aber wurden die Anfälle von Tag zu Tag 
schwerer. Ich konnte zuletzt weder stehen noch sitzen noch 
liegen: Dabei bemächtigte sich meiner eine peinliche Angst 
und Beklemmung auf der Brust, die mich fast des Athems be- 
raubte und mir Tag und Nacht keine Ruhe liess. Die Leute 
aus der Stadt kamen jeden Morgen, um zu sehen, ob ich noch 
nicht gestorben sei, und ich selbst glaubte nicht, dass ich diesen 
Platz je lebend verlassen werde. In der Verzweiflung trank 
ich, um mir wenigstens einige Betäubung zu verschaffen, eine 
sanze Menge Spiritus, in dem unsere Fische ‚und Reptilien lagen; 
doch Alles war umsonst. Nachdem dieser Zustand etwa 14 Tage 
angehalten hatte, kamen endlich die vier längst bestellten „Träger 
aus Soforeh Place, um mich nach Mühlenburg Mission zu trans- 
portiren. Mit ihnen erschien auch der Häuptling SıckLy und sein 
Bruder SoroReH. Nach langem Hin- und Herreden wurde ich 
endlich, behutsam in eine wollene Decke gerollt, in meine Hän- 
sematte gelegt und mit dieser an einen langen Stock gebunden, 
den zwei Männer über ihre Schultern legten. Darauf setzte sich 
der Zug in Bewegung. Kaum aber hatte derselbe einige hundert 
‚Schritte in den Wald hinein gemacht, als einer der Träger klagte, 
dass ich ihm zu schwer sei, und schliesslich legten sie mich, 
kaum eine englische Meile von der Station entfernt, in den nassen 
Waldpfad, hülflos und an den Stock festgebunden, wie ich war, 
nieder und liefen davon. Ein Pessy-Neger, der zufällig des Weges 
kam, fand mich bewusstlos liegen, nahm sich, da er mich von 
einer frühern Gelegenheit her kannte, meiner an und trug mich 
auf seinem Rücken nach der Station zurück, wo man mittler- 
weile von dem Vorfall schon unterrichtet war. Es stellte sich 
nun bald heraus, dass das Weglaufen der Träger schon vorher 
geplant war, um uns zu berauben, und die beiden edlen Mohren- 
fürsten thaten denn auch ihr Möglichstes, Sara zu bewegen, die 
Hütte zu verlassen und nach mir zu sehen, was er aber, irgend 
einen Schurkenstreich vermuthend, glücklicherweise abschlug. 


— 175 — 


Das Beste bei der Sache war, dass auf dieses Ereigniss eine 
günstige Wendung in meinem Zustande folgte und die Krampf- 
anfälle aufhörten, so dass ich in verhältnissmässig Kurzer Zeit 
wieder ziemlich hergestellt war. 

Je weiter der Sommer vorrückte, desto unangenehmer wurde 
die Regenzeit. Der Fluss stieg täglich höher und trat über seine 
Ufer. An grössere Jagdausflüge war unter solchen Umständen 
nicht mehr zu denken, und die Jagd wurde deshalb auch von 
Tag zu Tag unergiebiger. Daneben waren wir immer grösseren 
Diebereien ausgesetzt und konnten nicht genug auf unserer Hut 
sein. Wenn man diese Gauner reden hörte, dann hätte man 
glauben sollen, dass sie die ehrlichsten Menschen von der Welt 
wären. „Golah people don’t thieve’’ sagten sie mit der unschul- 
digsten Miene, „thieving p’laver bad p’laver ; me tell you, if me 
want something, but Pessy People there up the riwer like thieve 
plenty, too much!”’*) Im selben Augenblicke aber verstanden sie 
irgend einen naheliegenden Gegenstand auf eine Weise zu eska- 
motiren, die selbst der Fingerfertigkeit eines Londoner „pick- 
pocket” alle Ehre gemacht haben würde. „Dash me, daddy’” (be- 
schenke mich, Herr) hiess es bei jeder Gelegenheit. „Do me good’ 
(thue mir Gutes), sagten sie, wenn sie uns etwas verkauft und 
ihr Geld dafür erhalten hatten, und während sie die eine Hand 
zum Empfang der Gabe uns entgegenstreckten, schnitten sie 
hinter ihrem Rücken mit der andern die Angeln von unsern 
an der Wand hangenden Fischleinen ab. Gerade die Grossen des 
Reiches stahlen am allermeisten, und da wir ihnen anfangs das 
vollste Vertrauen schenkten, mussten wir gerade an ihnen die 
traurigsten Erfahrungen machen. 

Durch Schaden klug geworden, vertrauten wir am Ende keinem 
Menschen mehr, und wenn der König kam, hörten wir gerade 
so gut auf zu arbeiten, verschlossen unsere Kisten und liessen 
Alles, was nicht niet- und nagelfest war, hinten in die Hütte 
bringen, als wenn ein Vagabund erschien, um für ein gestohlenes 


!) Golahleute „dieben” nicht, Diebsgeschichten schlechte Geschichten, wir 
sagen’s lieber, wenn wir etwas nöthig haben, aber das Pessyvolk dort oben 
am Flusse liebt das Stehlen nur allzusehr, 


— 176 — 


Huhn oder einige Eier etwas Tabak zu erhandeln. Es war uns 
leider nicht möglich, Alles einzuschliessen, und wir wohnten 
überdies, wie schon gesagt, in einer Hütte, deren eine Längs- 
seite offen, und die daher Tag und Nacht für Jedermann zugäng- 
lich war. Ein Neger konnte sich zur Nachtzeit leicht einschleichen, 
ohne gesehen oder gehört zu werden, und alles, was er sich den 
Tag zuvor bei einem Besuche gemerkt hatte, ohne Mühe weg- 
holen. Solch ein nackter Neger schleicht dahin wie eine Katze; 
er stösst nirgends an, bleibt nirgends hangen, kurz, er ist 
geradezu wie zum Dieb geschaffen. 

Den einen Bedienten nach dem andern mussten wir wegen 
Diebstahls entlassen und erhielten dann vom Häuptling, dem 
Einzigen, der uns Bediente liefern durfte, andere, meist mit 
dem bestimmten Auftrag, uns bei Gelegenheit dieses oder jenes, 
das geschenksweise nicht zu bekommen war, zu stehlen. Es 
würde mich zu weit führen, alle die traurigen Erfahrungen, die 
wir während unseres Aufenthaltes unter dem Golahstamme 
machten, hier mitzutheilen; nur soviel sei gesagt, dass, wenn 
diese Leute kühner gewesen wären und sich weniger vor unseren 
Feuerwaffen gefürchtet hätten, wir kaum mit heiler Haut aus 
diesen Urwäldern herausgekommen sein würden. 

Die zweite Hälfte des Juli brachte eine Reihe von schönen, 
sonnigen Tagen, die uns vortrefflich zu statten kamen, um die 
halbverschimmelten Sammlungen zu lüften und zu trocknen. Da 
bald darauf auch das Wasser etwas fiel, so dehnten wir unsere 
Jagdexcursionen wieder weiter aus, obschon wlr wegen geschwol- 
lener Füsse und zahlreicher flacher Hautgeschwüre an den Unter- 
schenkeln keine grössere Reise machen konnten. An eine Ueber- 
siedlung nach einer neuen Station flussaufwärts, wozu jetzt die 
sünstigste Zeit gewesen wäre, war jedoch nicht zu denken, 
denn SIıckLy war nicht gesonnen, uns die dazu nöthigen Träger 
zu liefern; er hätte sie auch wahrscheinlich, da Jedermann mit 
der Reisernte beschäftigt war, nicht zusammengebracht. Es wurde 
uns nun von allen Seiten Reis zum Kaufe angeboten, und wir 
versäumten nicht, einen so grossen Vorrath davon anzulegen, 
wie der leere Raum in unsern Kisten und andern Gefässen nur 
gestatten wollte, 


— 177 — 


Mit Anfang August setzten die Regen wieder ein. Der Fluss 
stieg zusehends höher und höher. Gegen Ende des Monats stand 
unsere Küche bereits bis an den Dachgiebel unter Wasser, 
so dass wir mit dem Floss darüber hinwesfahren konnten. Es 
blieb nun nichts weiter übrig, als in unserer Hütte zu kochen, 
wo wir Tag und Nacht das Feuer nicht ausgehen liessen. An 
Jagen war bei diesem traurigen Wetter kaum mehr zu denken. 

Unsern letzten Bedienten,, SoquooI, einen Sohn des Häuptlings 
SICKLY, mussten wir wegen Diebstahls entlassen. Er gieng und 
klagte, dass wir ihn misshandelt hätten. Sein Vater, der gerade 
von einem Kriegszuge aus Sublum zurückgekehrt war, verfügte 
sich zornig, unter Begleitung von etwa zwanzig mit Säbeln 
bewaffneten Leuten, nach unserer Station und stiess uns gegen- 
über Drohungen aus, wobei seine Begleiter kampfesmuthig die 
Säbel schwangen. Sara lag krank in seiner Hängematte, und 
als die Leute sahen, dass ich auf mich allein angewiesen war, 
dachten sie jedenfalls, mit mir leichtes Spiel zu haben oder mich 
wenigstens einschüchtern zu können. Ich aber griff, nichts Gutes 
ahnend, nach meinem Revolver und zog mich nach der Wand 
zurück, um Sara zu beschützen und im Bereiche unserer stets 
geladenen Gewehre zu sein. Mein Reisegefährte jedoch, der durch 
das Netzwerk der Hängematte dem Treiben zugesehen hatte, 
zog in der Stille seinen Revolver hervor und stand mit einem 
gewaltigen Sprunge an meiner Seite. Wie auf ein verabredetes 
Zeichen drangen wir nun auf die in der Luft herumfuchtelnde 
Bande, die unsere Hütte füllte, ein und jagten sie, ohne auch 
nur einen Schuss abfeuern zu müssen, aus einander. 

Von .dieser Zeit an war unser Verhältniss zu dem Häuptling 
ein gespanntes. Ich hatte ihm bei seinem drohenden Auftreten 
zwar gesagt, dass wir, wenn er allein käme, gerne mit ihm 
unterhandeln würden und unser Palaver nicht lange dauern 
sollte, dass wir aber der Gewalt auch Gewalt entgegensetzen 
würden; er erschien indessen nie mehr, um unsere Differenzen 
auszugleichen. Wohl aber verbot er sämmtlichen Leuten auf das 
strengste, uns Lebensmittel irgend welcher Art zu verkaufen, 
und Niemand durfte in unsere Dienste treten oder eine Botschaft 
für uns nach der Küste bringen. 

LIBERIA, 1. 12 


— 178 — 


Unter solchen Umständen mussten wir uns auf Alles gefasst 
machen und trafen denn auch unsere Anstalten, um gegen einen 
eventuellen Ueberfall gewaffnet zu sein. Bei Tage hatten wir 
keine Sorge, angefallen zu werden, denn die Leute wussten gar 
wohl, dass wir bereit sein würden, sie gebührend zu empfangen 
und dass wir unseres Schusses sicher wären. Desto mehr aber 
fürchteten wir einen Angriff zur Nachtzeit, zumal. solche Ueber- 
fälle der dortigen Kriegsführung eigenthümlich sind. Wir hielten 
deshalb abwechselnd strenge Wache und hatten unsere Samm- 
lungen in Kisten bereit stehen, ebenso auch Waffen, Munition 
und Instrumente, um davon eventuell so viel wie möglich auf 
unser Floss schaffen zu können. Letzteres wurde auseinander 
geschlagen, ganz neu und solide wieder zusammengezimmert, 
durch einige Stämme verbreitert und dazu mit einer starken 
Verschanzung versehen, um derbe Püffe und Stösse aushalten 
zu können. Tag und Nacht lag es, mit Steuer und Stangen, 
sowie mit einer Rolle von Rotang und einem daran befestigten, 
als Anker dienenden Stein versehen, an unserer Hütte — denn 
so hoch war mittlerweile das Wasser des Flusses gestiegen — 
festgebunden. | 

Es war zwar immerhin ein tollkühner Plan, im Nothfalle auf. 
einem flachen Flosse den Fluss voller Stromschnellen und Wasser- 
fälle hinabtreiben zu wollen; indessen trösteten wir uns mit dem 
Gedanken, dass flussabwärts bis auf ziemlich weite Entfernung 
von unserer Station kein hoher Wasserfall vorhanden war, und 
dass der um 15 Fuss angeschwollene Strom alle die gefährlichen 
Barren, die in der Trockenzeit eine Passage unmöglich machen, 
nun in seinen Tiefen verborgen hielt und unser schweres Floss 
sicher darüber wegfahren werde. Jedenfalls wollten wir diesen 
einzigen Weg der Rettung (Vertheidisung am Lande wäre Wahn- 
sinn gewesen) so zuverlässig wie möglich machen. Einmal unseren 
Feinden entronnen, hätten wir irgendwo eine Landung versucht 
und uns dann je nach Umständen weiter fortgeholfen. 

Der Häuptling von Soforeh Place wollte es jedoch, wie es schien, 
nicht auf einen Kampf mit uns ankommen lassen, sondern ergriff 
das weit bequemere und unschuldigere Mittel, uns auszuhungern, 
da er dachte, dass wir, wenn wir einmal von allen Lebensmitteln 


— 179 — 


entblösst sein würden, die Station, natürlich unter Zurücklassung 
unserer Bagage, von selbst verlassen müssten. In dieser Hinsicht 
hatte er sich aber verrechnet. Wohl waren inzwischen alle Lebens- 
mittel bis auf den Reis ausgegangen, aber gerade von diesem 
hatten wir einen weit grösseren Vorrath aufgekauft, als man in 
Soforeh Place zu vermuthen schien, und wir lachten heimlich, 
wenn wir unsere, jeden nur irgendwie verfügbaren Raum füllenden 
_Reisvorräthe überblickten,, die überdies, weil wir jetzt keine Be- 
dienten mehr zu ernähren hatten, kaum merklich kleiner wurden. 

Von den ersten Tagen des August bis Ende September hatten 
wir beinahe keinen trockenen Tag, und die Sonne kam während 
dieser ganzen Zeit kaum zum Vorschein. Regen und immer 
wieder Regen, Tag und Nacht! Alle Waldbäche waren über ihre 
Ufer getreten; grosse Strecken Waldes standen unter Wasser, 
und gleich Donnerschlägen hallte Tag und Nacht das Krachen 
der umstürzenden, von Wasserströmen unterwühlten, uralten 
Baumriesen und der Aeste von Baumstammsdicke durch die 
‘Wälder hin, während andere, durch kräftige Lianen in der Schwebe 
sehalten, wie drohende Damoklesschwerter über den Waldpfaden 
herabhingen. 

In unserer Hütte drang das Grundwasser aus dem Boden 
empor, und das Dach, so wasserdicht es anfänglich auch 
war, konnte den anhaltend niederprasselnden Regengüssen nicht 
mehr Trotz bieten, da die Palmblätter von Termiten zerfressen 
waren. Es regnete auf unsere Kisten, beim Essen auf Schüsseln 
und Teller und des Nachts in die Hängematten, so dass wir 
oft stundenlang unter aufgespannten Regenschirmen auf unseren 
zusammengefalteten Wolldecken sassen, um .wenigstens diese 
trocken zu erhalten. Lederwerk und Kleider verschimmelten in 
den Kisten, alles Eisenwerk verrostete. Unsere Säugethier- 
und Vogelbälge mussten wir mit grosser Mühe über dem Feuer 
trocknen, und hatten wir sie endlich im den Kisten geborgen, 
dann waren sie am anderen Morgen wieder feucht, so dass wir 
beständig in der Furcht lebten, die Resultate vieler Mühe und 
Arbeit unter unseren Händen zu Grunde gehen zu sehen. 

Unser Gesundheitszustand war gerade während dieser traurigen 
Tage günstiger als zuvor, was wohl dem Umstand beigemessen 


— 180. — 


werden muss, dass wir uns nicht durch beschwerliche Jagdtouren 
oder sonstige Strapazen überanstrengten. Nur litten wir fast 
fortwährend angeschwollenen Beinen, und die lästigen Geschwüre 
an meinen Füssen wurden trotz der grössten Reinlichkeit und 
sorgfältigen Pflege immer grösser. Jedenfalls war an diesem 
Zustande der nasse Boden in der Hütte nicht wenig Schuld. 
Um uns dagegen einigermassen zu schützen, verfertisten wir 
während der Abendwachen solide Holzschuhe mit dicken Sohlen. 

Anfänglich erhielten wir noch ab und zu Besuch 'aus der 
nahen Stadt, und zwar meist zur Essenszeit. Als die Leute 
aber sahen, dass wir genug zu leben hatten, wurden sie es bei 
den fast unbegehbaren Wegen allgemach müde, uns ferner zu 
besuchen, und so sahen wir denn oft eine ganze Woche lang 
keinen Menschen und brauchten somit auch nicht zu fürchten 
bestohlen zu werden. Während der genannten zwei Monate 
waren durch die Verfügungen SıckLy's sowohl als durch den 
hohen Wasserstand alle unsere Verbindungen mit der Aussenwelt 
abgebrochen, so dass man an der Küste anfing, ernstlich für uns 
besorgt zu sein. | 

Der October fing eben so schön an, wie der September 
regnerisch geendet hatte. Der Fluss begann rasch zu fallen, 
und infolgedessen verlief auch das Wasser in den Wäldern 
schneller, als wir hätten ahnen können. 

Durch einen Pessy-Neger, der auf seinem Wege nach Monrovia 
unsere Station berührte, gelang es mir endlich, nebst unseren 
Postsachen einen Brief an Mr. Day durchzuschmusgeln, worin ich 
diesem unsere Nothlage mit kurzen Worten schilderte und ihn 
dringend bat, uns so bald wie möglich Träger zu senden, um 
dem unfreiwilligen Aufenthalt ein Ende machen zu können. Mit 
dem zurückkehrenden Manne trafen zugleich zwei Boten von 
Mr. Day ein, die uns allerlei Lebensmittel überbrachten, sowie 
einen Brief, worin der gute Missionär versprach, möglichst bald 
eine genügende Zahl von Trägern zu senden, um uns auf einmal 
fortzuholen. Einige Tage, nachdem wir die beiden Boten mit 
zwei Kisten zurückgesandt hatten, kamen dieselben aufs Neue 
mit sechs andern Leuten an, um einen weiteren Theil unserer 
Habe mitzunehmen. 


— 181 — 


Als nun der Häuptling sah, dass wir auch ohne ihn abziehen 
konnten, eilte er zu Mr. Day und sagte, er habe uns während 
unseres Aufenthaltes bei ihm so viel Gutes gethan, dass es 
nicht billig sei, wenn wir ihn, der doch Leute genug zur 
Verfügung habe, bei dem geplanten Rückzuge nicht auch etwas 
verdienen liessen. Mr. Day, der grosse Mühe hatte, so viele 
Leute zusammenzubringen, fand dies Ansinnen nicht ungerecht- 
fertigt und machte mit SıckLy sofort einen Contrakt, nach dem 
derselbe so viele Träger liefern sollte, als Mr. Day zu wenig 
haben würde, um den Rest unserer Bagage auf einmal wegzu- 
bringen, Auch übernahm der Missionär die Ausbezahlung von 
SıckLy’s Trägern. Dieser Contrakt wurde mir durch einen Boten 
zugestellt. Obschon wir den Häuptling durchschauten, giengen 
wir nothgedrungen auf die Verabredung ein. Mr. Day hatte aufs 
Neue 12 Träger gesandt und der Häuptling sollte den Rest 
stellen. Da die Füsse der von der Mission gekommenen Träger 
auf den ausgewaschenen Pfaden sehr gelitten hatten, gaben wir 
ihnen einen Tag Rast und versorgten sie hinlänglich mit Lebens- 
mitteln. Zugleich giengen wir eifrig ans Einpacken, um am 
andern Tage früh unsern Rückzug antreten zu können. Noch an 
demselben Tage aber wurden wir durch SıckLy und seine Leute 
zur Stadt gebracht, um in der Frühe des nächsten Morgens zum 
Aufbruch bereit zu sein. Alles, was den Transport nicht werth 
war, wurde zurückgelassen oder verschenkt. 

Ein hitziges Handgemenge, ein Reissen, Stossen und Schlagen, 
ein Rufen und Schreien um die verschiedenen Bekleidungsfrag- 
mente und Gegenstände aller Art, sowie um die leichtesten Kisten 
bildete den Schlussakt unseres Aufenthaltes auf dieser Station. 
Diejenigen, die so glücklich waren, ein Stück aus unserer preis- 
gegebenen Garderobe zu erkämpfen, begannen sofort, sich damit 
bestmöglich aufzuputzen. Hier stolzirte Einer auf einem Paar 
Holzschuhen umher, die er verkehrt, den linken am rechten 
und den rechten am linken Fusse, angezogen hatte und verbiss 
heroisch den Schmerz den ihm dieselben verursachten. Dort sah 
man ihrer zwei, von denen Jeder mit der Hälfte einer Hose 
bekleidet war, in die sie sich in wüthendem Kampfe getheilt 
hatten, und ein Dritter hatte den Oberkörper in eine abgetragene 


— 132 — 


Weste gesteckt, während ein Strumpfband seine ganze übrige 
Garderobe ausmachte. 

In Soforeh Place angekommen, liessen wir alle unsere Kisten 
unter einem Schuppen aufstapeln, befestigten unsere Hängematten 
daneben und verbrachten dort, indem wir abwechselnd Wache 
hielten, die kalte, regnerische Nacht. Diese, sowie auch die folgende 
Nacht gieng es in der Stadt sehr stürmisch her. Lärmende Kriegs- 
gesänge wurden angestimmt und wilde Tänze aufgeführt. SICKLY 
beabsichtete nämlich, seinem Bruder Fän QUEHQUER gegen die sich 
empörenden Deh-Neger zu Hülfe zu ziehen. Unter dem Wirbeln 
der Trommeln fanden festliche Umzüge statt, der Häuptling wurde 
mit einer Serenade beehrt und stellte sich, nachdem er in langer, 
begeisterter Ansprache die Gemüther noch mehr entflammt, an 
die Spitze des Zuges, dessen Nachhut durch eine Schaar tanzender 
und singender Weiber gebildet wurde, die bald den einen, bald 
den andern von uns in ihre Mitte nahmen und ihn, er mochte 
wollen oder nicht, mit in das Gedränge zogen. Erst nach Mitter- 
nacht zogen sich die Männer zurück, während die Weiber noch 
lange im Gänsemarsch umherzogen nt unsere Ohren mit Ihren 
kreischenden, eintönigen Gesängen misshandelten. 

Am nahen. Morgen früh kam der Häuptling zu uns und 
erklärte, dass er für die sieben von ihm zu stellenden Träger 
Vorausbezahlung haben wolle, woraufich jedoch unter Verweisung 
auf seinen Contrakt mit Mr. Day nicht einsieng. Nun hielt er 
aber seine sieben Mann zurück und wusste auch die Träger aus 
der Mission zu bereden, ihre Abreise um einen Tag zu ver- 
schieben. Am folgenden Morgen marschirten Letztere jedoch ab 
und nahmen einen Brief an Mr. Day mit, worin ich denselben 
um sofortige Zusendung weiterer sieben Träger bat. Da der 
Häuptling davon hörte war er sofort erbötig, seine sieben Mann 
zu geben. Als aber schon alles zum Abmarsche hergerichtet 
war, vernahm ich, dass einer der Träger aus der Mission krank 
sei und ein anderer bei ihm zurückbleibe, um ihn zu pflegen. 
Der Häuptling hatte aber keine weiteren Träger zur Verfügung, 
so dass wir nun zwei Mann zu wenig hatten, weshalb eine 
grosse Kiste, zufällig unsere Arbeitskiste, liegen bleiben musste. 
Da wir dem Häuptling nicht trauten, so blieb Sara bei der 


— 183 — 


Kiste zurück, um mit den fehlenden Trägern derselben anderen 
Tages nachzufolgen. 

Die sieben Träger aus der Stadt hatten sämmtlich diejenigen 
von Mr. Day weit vorausgehen lassen. Damit mir keiner derselben 
zurückbleiben könne, war ich der Letzte des Zuges, welcher 
sich in langer Kette über den Waldpfad ausdehnte. Als aber 
der letzte Träger, der ein Kistchen von unbedeutendem Werthe 
trug, unter allerlei Vorwänden ungebührlich weit hinter den 
anderen zurückblieb, ahnte ich den Grund seines Zögerns und 
eilte vorwärts, um wo möglich die anderen sechs einzuholen. Aber 
wie sehr ich auch rannte und rief, ich erhielt keine Antwort 
und Niemand war zu finden. Als ich endlich beinahe ausser 
Athem auf der mehrgenannten Farm ankam und dort nur die 
zwölf Träger aus der Mission fand, hatte ich die traurige Ge- 
wissheit, dass. ich schändlich betrogen und bestohlen war. Das 
schon erwähnte Zurückbleiben des Letzten von der Bande war 
nur ein vorher verabredetes und geschickt ausgeführtes Manöver, 
um mich fernzuhalten und den Uebrigen dadurch Zeit zu geben, 
sich unbemerkt seitwärts in die Büsche zu schlagen, wo sie 
mich dann in aller Stille vorbeipassiren lassen konnten. Eine 
halbe Stunde nach mir kamen, einer nach dem andern, die sieben 
Träger an, und ein flüchtiger Blick auf die Kisten zeigte mir 
sofort, dass dieselben erbrochen waren. Um nun die Diebe nicht 
zum Davonlaufen zu veranlassen und wenigstens die Kisten zur 
Mission gelangen zu sehen, that ich so, alsob ich gar nichts 
semerkt hätte und liess alle Träger zusammen frühstücken. 
Nach einer Stunde Rast brachen wir wieder auf und marschirten 
durch eine erst flache, dann aber mehr hügelige Gegend, die 
beide mit dichtem Urwald bedeckt und von zahllosen Creeks 
durchzogen waren, welche alle dem St. Paul zuflossen und oft 
eine ansehnliche Breite zeigten. 

In den ausgewaschenen Pfaden an den Abhängen der Hügel 
hatte man vielfach grosse Mühe, auf dem abrollenden, bohnerz- 
artigen Gestein vorwärts zu kommen. Die Waldbäche sowie viele 
zu anderer Zeit trockene Einsenkungen des Bodens waren mit 
Wasser angefüllt, so dass selbst die als Stege dienenden, quer 
über die Waldbache gefällten Baumstämme, die in der Trockenzeit 


— 184 — 


oft ziemlich hoch über das Wasser führen, nun stellenweise 
unsichtbar geworden waren. Selbst die Träger, die eine erstaunliche 
. Geschicklichkeit besitzen, sich mit ihren beweglichen Zehen an die 
schlüpfrigen Stämme festzuklammern und kaum jemals das Gleich- 
gewicht verlieren, vermochten unter der Last ihrer Kisten gewisse 
Stellen nur mit Mühe zu passiren. Der letzte Theil der Reise war 
ein stetes Bergauf- und -absteigen, unterbrochen vom Durchwaten 
von Creeks, Wasserlachen und Morästen, in welchen man oft 
Gefahr lief, stecken zu bleiben. Erst am Abend hatten wir den 
finstern Hochwald hinter uns, und lange nach Dunkelwerden. 
erreichten wir endlich die Mission, wo ich von Mr. Day mit der 
gewohnten Liebenswürdigkeit aufgenommen wurde. 

„Es freut mich sehr,” sagte mein gütiger Wirth, als wir bald 
nachher zu Tische sassen, „Sie lebend wieder hier zu sehen, 
denn letzten Sommer hielt ich Sie für todt. Es kam nämlich 
ein Eingeborner hier vorbei und erzählte, dass Sie drinnen in 
Soforeh Place gestorben seien. Ihr letzter Wunsch sei gewesen, 
auf der Mission begraben zu werden, und nun sei man im 
Begriffe, Ihre Leiche in einer Hängematte hieherzubringen. Ich 
wollte es — so fuhr er fort — zuerst nicht glauben, doch an 
demselben Tage erhielt ich die Mittheilung auch noch von einer 
andern Seite. Da es gerade Sonntag war, so erwähnte ich Ihrer 
in der Predigt als eines lieben Bekannten der Mission und war 
eben im Begriffe, den holländischen Consul in Monrovia zu benach- 
richtigen, als glücklicherweise ein Bote Ihr Briefchen brachte, 
worin »ie mir über Ihre Krankheit und den misslückten Ueber- 
siedlungsversuch berichteten und zugleich die Mittheilung machten, 
dass Die sich wieder auf dem Wege der Besserung befänden. Dies 
war. glauben Sie "mir, der liebste "Brief, den 'Sie mrsgezee: 
schrieben haben.” 

Am nächsten Morgen sah ich mit Mr. Day das Gepäck nach und 
fand beinahe alle die von den sieben Trägern gebrachten Kisten 
aufgebrochen. Einige waren jedoch, da sie für jene Leute nicht 
viel Brauchbares enthielten, nur weniger Gegenstände beraubt; 
die Kiste mit unseren Tauschwaaren war dagegen beinahe leerge- 
plündert. Als wir nach deren Träger fragten, sagte man uns, 
derselbe sei schon lange vor Tagesanbruch wieder umgekehrt und 


— 15 — 


habe nicht auf die Auszahlung warten wollen. Während wir noch 
dastanden und berathschlagten, was in der Sache, ohne SALA zu 
gefährden, gethan werden könne, kam dieser zu unserm grossen 
Erstaunen selbst an. Er erzählte, dass kurz nach meiner Abreise 
der Häuptling mit einem grossen Gefolge von Kriegern, Trägern 
und Weibern unter Trommelschlag und Hörnerklang nach Sublum 
aufgebrochen sei. Der als krank zurückgelassene Träger aus der 
Mission sei nun auf einmal wieder gesund geworden und habe 
sich mit dem zu seiner Pflege zurückgebliebenen Gefährten dem 
Kriegerzuge angeschlossen. Da somit keine Aussicht mehr bestand, 
die zurückgelassene Kiste zu Mr. Day zu schaffen, so hatte SALA, 
indem er in Ermangelung eines Mannes eine Frau als Wegweiser 
mit sich nahm, einige Stunden nach mir Soforeh Place verlassen 
und lange nach Einbruch der Nacht das Ende des Urwaldes 
erreicht, wo er in einer kleinen Farmerhütte übernachtete und 
früh am nächsten Morgen seinen Weg zu uns fortsetzte. 

Wir entliessen nun die Träger, ohne sie abzulöhnen, und 
Mr. Day sandte sofort Leute nach Soforeh Place, um die Arbeits- 
kiste zu holen und die gestohlenen Waaren zurückzufordern. 
Diese Leute waren so glücklich, dem Hauptdiebe einen guten 
Theil der gestohlenen Sachen abzujagen, fanden aber die Arbeits- 
kiste erbrochen und leergeplündert. Sämmtliche Instrumente und 
Materialien zum Präpariren, dabei eine Menge feiner Werkzeuge 
sowie alle unsere Medicamente und Chemikalien, worunter auch 
ein bedeutendes Quantum Arsenik, Strychnin, Cyankalium und 
Schwefelsäure (letztere wahrscheinlich der schönen, mit Glas- 
stöpseln versehenen Fläschchen wegen) waren und blieben ver- 
schwunden. 

Mitten unter den Vorbereitungen für unsere Weiterreise nach 
Monrovia überbrachte mir ein zerlumpter, mit einem langen 
Knüppelstocke versehener Constabel eine schriftliche Vorladung, 
in Gemässheit deren ich anderen Tages vor dem Maeistrat 
auf der hinter der Mission liegenden liberianischen Ansiedlung 
Arthington zu erscheinen habe, um über einen Betrag von 33 
Dollars, die ich ZorRU DuBBAH seiner Aussage nach schuldig sein 
sollte, vernommen zu werden. Der König von Bavia, der uns 
schon so oft das Leben sauer gemacht und der nun von unserm 


— 186 


Abzuge gehört haben musste, klagte mich nämlich an, dass ich 
mich geweigert habe, ihm diesen angeblich schuldigen Betrag zu 
bezahlen. So mussten wir denn am andern Morgen, statt nach 
Monrovia zu fahren, nach der 14 Stunden entfernten Farm des 
Friedensrichters Mr. Moorz pilgern, um mit dem grauen Schurken 
von Bavia Palaver zu halten. 

Glücklicherweise war ich allein angeklast und konnte dien 
SALA als Zeugen nehmen. Mr. Day war so freundlich, uns zu 
begleiten, um nöthigenfalls auch als Zeuge aufzutreten. ZORU 
DuBBAH, der mit einem grossen Gefolge von Männern und 
Weibern erschienen war, stellte fünf Zeugen und schwur mit 
ihnen, indem sie die Hand an die vorgehaltene, schmutzige Bibel 
legten und dieselbe küssten, dass sie Alle die reine Wahrheit 
sagen wollten. | 

Nun begann Zoru seine Forderungen zu begründen. Mit schur- 
kenhafter Frechheit und Unverfrorenheit, und nicht ohne die 
seltsamsten Zuthaten, erzählte er von unserm Aufenthalt in 
Bavia und all dem Guten, womit er uns angeblich fort und fort 
überhäuft, sowie auch von unserm Wegzuge nach Soforeh Place. 
Dann behauptete er, dass ich ihm für zwei uns gelieferte Bediente 
eine rückständige Löhnung von zusammen 54 Dollars noch nicht 
bezahlt habe, ferner, dass ich ihm für die aus Soforeh Place 
berufenen Träger 12 Dollars versprochen und noch schulde, 
während ich ihm von dem für seine eigenen Träger zugesagten 
Lohne nur zehn Dollars bezahlt habe und acht noch schuldig sei ; 
ausserdem berechnete er noch einige andere kleinere Posten. 

An der Hand meiner Bücher und mit Sara als beeidistem 
Zeugen erklärte ich meinerseits, dass ich mit Zoru einen Vertrag 
geschlossen, nach welchem er unsere gesammte Bagage für 17 
Dollars nach Soforeh Place zu schaffen übernommen, und dass ich 
daher nichts mit den von dort bezogenen Trägern zu thun habe, 
dass ich ferner die restirende. Löhnung für den einen Bedienten 
ihm bezahlt habe, für den andern aber nichts schulde, da mich 
derselbe erst bestohlen und dann verlassen. Mr. Day gab dann 
seinerseits die eidliche Erklärung ab, dass Zoru und ich in einem 
früheren Palaver in seiner Gegenwart diese Trägerfrage endeültig 
erledigt hätten und dass ich für Träger nichts mehr schuldig sei, 


— 187 — 


Zoru vielmehr für die lange Vorenthaltung meiner Kisten rechtlich 
belangen könne. 

Höchst interessant war das Verhör der schwarzen Zeugen, 
von denen nur zwei, unsere früheren boys, etwas Englisch ver- 
standen. Eigenthümlich für solche Verhöre ist die Art und 
Weise, wie man sich bei angeblichen Augenzeugen von der 
Wahrheit der gemachten Aussagen zu überzeugen sucht. „You 
look it?” (habt ihr es gesehen?) fragte der Richter die genannten 
boys, indem er sie streng ansah und dabei mit dem Zeigefinger 
das untere rechte Augenlid weit herabzog, worauf die von ZORU 
sut instruirten Zeugen unter Wiederholung derselben Manipu- 
lation erklärten: „Yes, Daddy, me looky !’ 

Der Richter, ein schwarzer Pflanzer und direkter Nachbar 
der Eingebornen, führte die Verhandlungen mit einer gewissen 
Würde, obschon seine Stellung eine ziemlich schwierige war. 
Er mochte wohl einsehen, dass ich Recht hatte, und überdies 
waren meine Bücher als beweiskräftig anerkannt. Aber er musste 
mit diesen gefährlichen Eingebornen gute Nachbarschaft zu halten 
suchen, und dazu waren wir Weisse und hatten Geld. Um 
deshalb beiden Theilen nach Möglichkeit gerecht zu werden, fällte 
er, und wie er sich ausdrückte, nach reiflicher Ueberlegung, 
folgenden weisen Urtheilsspruch: 

ZORU DUBBAH, Chief von Bavia, hat seine Forderung an Trägerlohn 
fallen zu lassen. Mr. BUTTERCOFFER aber hat ihm zu bezahlen: 


Besoldung für den früheren Bedienten WirLiıam. . $ 4.50 
desgleichen für den anderen Bedienten GuzeH . . . „1.-— 
Fowde saminliche Gerichtskosten ... . . 5". 2. 2.50 

So 


Dies unerwartete Urtheil empörte mich einerseits, während 
mir anderseits die Weisheit des Richters ein Lächeln abnöthigte. 
Ich hätte nun zwar an den guarterly court in Monrovia apelliren 
können, doch war mir die Zeit zu Gerichtsverhandlungen viel 
zu kostbar. So.nahm ich denn, wenn auch gegen den Willen 
meines ob solcher Schmach ergrimmten Freundes Sara, das 
Urtheil an, legte die $2.50 Gerichtskosten auf denselben Tisch, 
auf den die obige Rechnung in Ermangelung eines andern Proto- 


— 18 — 


kolls niedergeschrieben war, und liess dem alten Schurken seine 
$ 5.50 durch Mr. Day in Waaren zustellen. 

Den Abend dieses Tages verlebten wir im Kreise der ganzen 
srossen Missionsfamilie. Wieder liess Freund SALA, wie vor 
neun Monaten, so verfallen und hohläugig er auch diesmal 
aussah, auf seiner geliebten Harmonika die gewohnten, fröhlichen 
Melodien und alten indischen Cavalleriemärsche ertönen, zur 
grossen Freude der 60 Missionskinder, die sich um uns herge- 
schaart hatten. Auch wir waren beide in fröhlicher Stimmung, 
obschon sich die Hoffnungen, die wir uns beim Antritt dieses 
Zuges gemacht, in mancher Hinsicht nicht erfüllt hatten und 
daher unserer Freude immerhin noch einige Bitterkeit beige- 
mischt blieb. | 

Am andern Morgen, den 20. October früh, nahmen wir Abschied 
von unserm unvergesslichen Wirthe, der uns so viele unschätz- 
bare Dienste geleistet, und ohne dessen wiederholtes, kräftiges 
Eingreifen vielleicht Keiner von uns wieder an die Küste zurück- 
gelangt wäre. Der Abschied, bei welchem leider die liebenswürdige 
Mrs. Day, die zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit nach Amerika 
zurückgekehrt war, fehlte, war ebenso herzlich, wie gerade neun 
Monate früher der Empfang gewesen war. 

Die Fahrt stromabwärts mit all unserer Bagage in einem 
riesigen, mit elf von Mr. Day’s Ruderern bemannten Canoe, 
sieng mit rasender Schnelligkeit von statten. Vergnügt liess ich 
die reizende Uferlandschaft zu beiden Seiten des breiten Stromes 
und des stillen, malerischen Stockton Creeks an meinen Blicken 
vorübergleiten, bis wir nach kaum vierstündiger Fahrt bei der 
holländischen Faktorei in Monrovia anlegten, wo uns durch den 
holländischen Consul, Herrn MopDpErMAN, und die übrigen Weissen 
ein herzlicher Empfang bereitet wurde. 


R. 


Aufenthalt im Distrikte von Grand Cape Mount 
bis zu Sala’s Tod. 


-  Seereise.— Robertsport und 
‚, dessen Umgebung. — Alte und 
neue Bekanntschaften. — Con- 
trakt mit König BARLAH. — 
Nach Bendoo. — Anlage der 
Station. — Bendoo und Umge- 
gend. — Verlegung der Station 
nach Hokhie-Buluma. — Un- 
sere Jagderfolge. — Buluma.— 
Unsere Art des Jagens. — Fahr- 
ten auf dem Fisherman Lake. 
— Ausflug nach Johny und 
Jondoo. — JAMES PAYNE, der 
junge Leopard und das weisse 
Holländische Faktorei in Robertsport. Huhn. - Nach Cobvlia. — Lan- 
dung in Caba. — Nächtliche . 
Flussfahrt.— Ankunft in Cobolia. — Ein Leopardenbraten. — Audienz bei König 
MARANA SANDOo.— Meine Wohnung. — Prinz DAvInDA. — Cobolia und seine Fe- 
stungswerke. — Nächtliche Runde. — Das grosse Palaverhaus. — Die Umgegend. — 
Verwüstungen durch Krieg. — Rückreise. — Reise nach Monrovia.— Gestrandet. 
— Der Little Cape Mount River. — Ueber Land zurück nach Hokhie.— Rückzug 
nach Robertsport. — Sara stirbt. — Begräbniss 


Nachdem wir in Monrovia die Sammlungen geordnet, verpackt 
und abgesandt und uns aufs Neue ausgerüstet hatten, fuhren 


— 190 — 


wir am 15. November in einem Kutter, den uns Herr MODDERMAN 
zur Verfügung stellte, nach Robertsport, einem 45 miles nord- 
westlich von Monrovia gelegenen Küstenplatze, den wir zum 
Ausgangspunkte für unsere Streifzüge durch die dortige Gegend 
ausersehen hatten !). Infolge ungünstigen Windes kamen wir erst 
nach zweitägiger Seereise daselbst an und wurden von Herrn 
VELDKAMP, dem Agenten der dortigen holländischen Faktorei, den 
wir schon bei unserer ersten Ankunft in Monrovia kennen gelernt 
hatten, aufs wohlwollendste empfangen. Um uns vorläufig etwas 
zu orientiren, hielten wir uns zwei Tage in dieser liberianischen 
Niederlassung auf, die als einziger Hafenplatz zugleich auch das 
Handelscentrum des ganzen Cape Mount-Distrikts bildet. 

Robertsport, sehr günstig am Nord- und Westabhange des 
Cape Mount-Gebirges und der von letzterem gebildeten Meeres- 
bucht gelegen, ist ein Platz von zahlreichen, über ein weites 
Areal zerstreuten und meist aus Holz gebauten Farmerwohnungen, 
die grösstentheils auf Pfählen oder steinernen Pfeilern stehen. 
ES ist der westlichste der sechs von liberianischen Colonisten 
bewohnten Küstenplätze, wurde in den fünfziger Jahren gegründet 
und nach dem ersten Präsidenten der Republik benannt, welcher 
dieses grosse Gebiet am 26. December 1850 durch Kauf von den 
Eingebornen für die Republik erworben. hatte. Die Ansiedlung ist 
der Sitz eines Superintendenten der Regierung, hat zwei Kirchen, 
eine für Baptisten und eine für Methodisten, und am Ufer des 
dort ausmündenden Cape Mount River befinden sich die hollän- 
dische und die deutsche Faktorei *). Hoch über der Ansiedlung 
stehen auf einem Vorsprunge des Gebirges, inmitten der dazu 
gehörigen Kaffeepflanzungen, die Gebäude der amerikanischen, 
protestantisch-bischöflichen Mission, damals der Sitz des Bischofs 
von Cape Palmas, welcher über die vielen in Liberia gegründeten 
Stationen dieser Missionsgesellschaft die Oberaufsicht führt. 

Jene Terrasse, in Robertsport unter dem Namen Mission-Hill 


ı) Wir hatten von Holland eine doppelte Ausrüstung mitgenommen, so dass 
wir durch die erlittene Beraubung nicht in Verlegenheit geriethen. 

®) Im Jahre 1882 wurde die zweiterwähnte Faktorei infolge des Krieges 
aufgehoben. 


— 191 — 


bekannt und ohne Zweifel einer der reizendsten Plätze des ganzen 
Landes, bietet eine prachtvolle Aussicht auf das weite Meer, 
sowie auf das sumpfige, grösstentheils mit Mangrove, Wein- 
und Oelpalmen bedeckte und von zahlreichen Creeks durchzogene 
Mündungssgebiet des Sugary-, Mahfa- und Cape Mount-Flusses. 
Auch erblickt man noch einen grossen Theil des diesen Letztern 
speisenden Fisherman Lake und die weiten Urwälder des ziemlich 
hügelreichen Innern, zu dem in blauer Ferne einige Gruppen 
waldbedeckter Berge einen malerischen Hintergrund bilden. Wendet 
man sich aber rückwärts, so trifft das Auge auf die steil zur 
Mission- abfallenden, mit dichtem Urwald bedeckten Hänge der 
„Mountain”, wie das Cape Mount-Gebirge dort kurzweg genannt 
wird, wo in reizender Staffage Baumkrone über Baumkrone sich 
hürmt und die herrlichsten Nüancen in der Farbe des us 
schmuckes sich zeigen. 

Wer sollte glauben, dass an diesem wunderschönsten aller Orte, 
die ich je gesehen, zu dessen Füssen eine paradiesische Land- 
schaft ausgebreitet liegt, an einem Orte, wo man tagüber beständig 
durch die frische Seebrise erquickt wird, das Sumpffieber sich 
einnisten könnte? Und doch ist es so und gilt dies in noch 
höherm Masse für den in der Tiefe liegenden Theil der Ansiedlung. 
Hinter der etwas erhabenen Strandlinie liest nämlich ein schmaler 
Sumpfstrich, der sich eng an den westlichen Fuss des Vorgebirges 
anlehnt, und dessen Ausdünstung am Tage durch die von morgens 
10 Uhr an wehende Seebrise gerade in die Niederlassung hinein- 
getragen wird, während der zur Nachtzeit wehende und von den 
Ausdünstungen der weiten Mangrovesümpfe des Hinterlandes 
geschwängerte Landwind einen eben so schädlichen, wenn nicht 
gar noch schlimmern Einfluss ausübt. 

Eine der herrlichsten Zierden der Umgebung von Robertsport 
ist der schöne, grosse Fisherman Lake. Er ist ungefähr 10 
miles (34 Stunden) lang, und seine grösste Breite mag etwas 
über 3 miles erreichen. In fast genau ost-westlicher Richtung 
sich ausdehnend, verengert er sich eine kleine Stunde östlich 
ven Robertsport, wo er einen Archipel von kleinen, mit Mangrove 
bedeckten Inseln bildet, allmälig in den breiten Cape Mount 
River. Sein klares, blaues Wasser ist zur Regenzeit, in Folge der 


— 192 — 


grossen, allseitig andringenden Regenmassen, süss, wird aber 
in der Trockenzeit salzig und nimmt dann so sehr ab, dass 
es an vielen Stellen, besonders in der untern Partie, nur noch 
für Canoes fahrbar bleibt. Einige Hügelvorsprünge an der Nord- 
seite abgerechnet, sind die Ufer des Sees, sowie auch sein ganzer 
Boden, sandig und flach. Er hat keinen bedeutenden Nebenfluss, 
wird aber von zahlreichen Creeks gespeist, die ringsum , namentlich 
von der Nordseite her, in ihn einmünden. Unter diesen sind 
besonders zwei von grösserer Bedeutung: der Johny Creek am 
oberen Ende und der sogenannte Morfi River, der sich in einen 
nördlichen Arm des Sees ergiesst. 

Das zwischen diesen beiden Zuflüssen liegende Gebiet wird 
von Hügelreihen mit schattigen Thälern und rieselnden Quell- 
bächen durchzogen und verflacht sich gegen den See hin allmälig 
zu ausgedehnten Grassteppen (Savanen) und waldbedecktem Sumpf- 
land mit stillen, schwarzen, von hohen Baumkronen überwölbten 
Wassertümpeln, die mit prächtigen Nymphaeen und Irideen 
bedeckt sind. Verdächtig aussehende Fussbrücken der zweifel- 
haftesten Art, sogenannte monkey-bridges (Affenbrücken), gestützt 
durch meist halbvermoderte Gabeln von je zwei kreuzweise zusam- 
mengebundenen Stöcken, führen oft auf weite Ausdehnung über 
und durch diese Sümpfe hin, und es gehört meist schon eine 
akrobatische Ader dazu, um diese schwankenden, dem Einsturze 
nahen Anlagen passiren zu können. 

Mehr landeinwärts wird die Gegend immer hügeliger und 
erinnert dann sehr an die Waldgebiete am mittlern St. Paul, 
doch ist sie viel dichter bevölkert‘). Obschon das Land durch 
jahrelang dauernde Kriege verarmt ist, sehen die in verhältniss- 
mässig kurzen Abständen von einander liegenden ‚Dörfer immerhin 
noch viel besser aus, als diejenigen am St. Paul. Viele derselben 
waren zur Zeit meines Aufenthaltes stark befestigt und mit zwei, 
drei, ja selbst mit 4 starken Palissadenzäunen umgeben. Die 
meisten solcherart befestigten Plätze sind auf Anhöhen erbaut 
und stimmen, was die innere Einrichtung und den Bau der 
Häuser betrifft, mit denen der Golah ziemlich überein. 


)) Sämmtliche eingebornen Bewohner der Gegend von Cape Mount gehören 
dem Vey-Stamme an. 


— 193 — 


Am obern, östlichen Ende des Sees dehnt sich eine weite 
Ebene aus, die sich ostwärts bis an den Little Cape Mount 
River erstreckt, und auf welcher weite Grasflächen mit Hochwald 
und kleinen Gehölzen abwechseln. Alle diese Flächen sind reiner 
Sandboden, und stellenweise angetroffene Conchylienreste beweisen, 
dass die Gegend vor verhältnissmässig noch nicht sehr langer 
Zeit einen grossen Landsee oder eine Lagune gebildet haben muss, 
das heisst, dass der jetzige Fisherman Lake früher eine viel bedeu- 
tendere Ausdehnung hatte, als eben jetzt. Der obere, östliche 
Theil des Sees ist denn auch ungemein seicht, so dass man in 
der Trockenzeit sogar mit leichten Canoes jeden Augenblick auf 
Sandbänken und andern Untiefen festsitzt und beim Landen schon 
eine Strecke weit vom Ufer aussteigen und durch Untiefen watend 
das Canoe hinter sich nachziehen muss. Zur Regenzeit aber tritt 
der See über seine flachen Ufer und setzt einen guten Theil der 
Grassteppen unter Wasser; die Sümpfe werden voll und die 
Wälder unpassirbar. 

Im Süden des Sees erhebt sich, durch einen Gürtel von Sumpf 
und Grassteppe von ihm geschieden, das Cape Mount-Gebirge, 
dort schlechtweg mountain genannt, dessen Südabhang ziemlich 
steil ins Meer abfällt. Dieses Gebirge ist eine durchaus isolirte 
Erhebung, die keinen Zusammenhang mit den weiter landeinwärts 
gelegenen Hügelzügen aufweist. Die verschiedenen Bergzüge, aus 
denen es besteht, erheben sich an ihrem höchsten Punkte 1030’ 
hoch über den Meeresspiegel und gehen alle, wie die Finger einer 
Hand, von einem am westlichen Ende vorhandenen Centrum, 
einer Art Sattel, aus, an dessen Westabhang die Niederlassung 
Robertsport liegt. Sowohl die Rücken und Abhänge, als auch 
die meist sehr tiefen Thäler sind mit dichtem Urwald überzogen. 
Die am häufigsten auftretende Felsart ist ein Eruptivgestein 
(Gabbro), das in kolossalen Felstrümmern Rücken, Abhänge 
und den Fuss des Gebirges bedeckt. Längs des Letzteren, sowie 
auch in den Thälern, bildet dies in eisenhaltigen Thon einge- 
bettete Gestein grosse Schuttkegel ). Der südlichste und zugleich 


!) Es kommen jedoch unzweifelhaft auch Gneisse und deren Verwitte- 
rungsprodukte vor. 
LIBERIA, ], 13 


— 194 — 


längste Bergrücken fällt ziemlich steil zum Meere ab, am Fusse 
eine gegen 200° hohe Terrasse bildend, die an den tief einge- 
fressenen Ufern der Sturzbäche die mächtigen, in wilder Unordnung 
über einander gethürmten Felstrümmer zu Tage ausgehen lässt. 

Auch hier sind die schon erwähnten Schuttkegel sichtbar, 
bestehen aber nur aus pittoresk über einander gehäuften Fels- 
massen, ausgewaschen von der ewig nagenden See, deren Brandung 
sich donnernd an ihnen bricht, und in deren hoch aufspritzendem 
Gischt prächtige Regenbogen spielen. Ebenso findet man im Lake, 
nahe bei der Mündung des Morfi River, sowie bei Bendoo und 
Buluma, also mitten in der Ebene, nicht nur lose Blöcke, sondern 
ganze Inseln von geschichteten (archaeischen) Gesteinsmassen, die 
übrigens auch an verschiedenen Stellen des Mahfa River und in 
den Hügeln des Binnenlandes zu Tage treten. / 

Die ganze Erhebung der Mountain ist gegen 3 Stunden lang 
und wird nach Osten hin allmälig niedriger. Ihre Längsthäler 
werden von Quellbächen mit herrlichem, kaltem, zum Trinken 
sehr geeignetem Wasser durchzogen, die sich in einem Sumpf- 
sürtel verlieren. Dieser Letztere schliesst sich eng an die Contouren 
der verschiedenen Bergzüge an und wird im Norden durch ein 
schmales Steppenband von Lake und Cape Mount River geschieden. 
Sogar aus den kurzen, aber tiefen Runsen des Nord- und Westab- 
hanges stürzen sich kleine Bäche über waldbeschattete Felsblöcke 
hinab und versehen die Niederlassung selbst in der Trockenzeit 
mit dem vorzüglichsten Trinkwasser aller Küstenplätze Liberia’s. 
Welch ein Gegensatz zu dem Vorgebirge Messurado, dessen 
entholztes, westliches Ende kaum eine einzige gute Quelle besitzt, 
so dass die Bewohner Monrovia’s in der Trockenzeit das Trink- 
wasser vielfach aus offenen und verschlammten, der Sonnenglut 
ausgesetzten Tümpeln schöpfen, ja oft sogar gezwungen sind 
dasselbe zu kaufen, falls sie nicht vorziehen, es selbst von weit 
abgelegenen Orten herbeizuschaffen ! 

Grand Cape Mount mit seiner durch das Vorgebirge beschützten 
Bucht erinnert sofort an das Cap Messurado und ist auch wirk- 
lich fast nichts Anderes als eine beinahe bis in die Details 
getreue Wiederholung desselben. Nur ist die Erhebung, die 
das Cap hier bildet, viel höher, zerrissener, complieirter und 


— 195 — 


gänzlich isolirt, während sie in Monrovia nur aus einem einzigen 
Hügelzuge besteht, der als eine Fortsetzung des felsigen Küsten- 
sürtels betrachtet werden muss und nach Westen in einen etwas 
höhern Felskopf ausläuft. Auch die Betten der in diese beiden 
Buchten einmündenden Flüsse bieten grosse Aehnlichkeit. Dort 
der Messurado River, von Osten her aus einem grossen Steppen- 
und Sumpfgebiete kommend, hier der Grand Cape Mount River 
aus dem Fisherman Lake, beide in Richtung und an Wasser- 
sehalt ungefähr gleich. Der tief aus dem Innern kommende 
St. Paul entspricht dem Mahfa River, und der Digby- oder Pobah 
River dort dem Sugary River hier. Alle drei genannten Wasser- 
läufe vereinigen sich hinter einer langen, von Robertsport aus in 
nördlicher Richtung verlaufenden Sandhank (bar) gleich derjenigen 
von Monrovia, und münden durch einen gemeinschaftlichen Ausgang 
(bar-mouth) in die See). 

Der Mahfa River ist, obwohl viel kleiner als der St. Paul, 
immerhin ein bedeutender Fluss. Ein breiter Creek, ähnlich dem 
Stockton Creek bei Monrovia, verbindet ihn mit dem unteren 
Ende des Fisherman Lake, und es entspricht das auf diese Weise 
abgeschnittene Stück Land — die Insel Gambia — durchaus der 
Bushrod-Insel bei Monrovia. Der Fluss bildet, da er weit hinauf 
für Canoes befahrbar ist, eine sehr frequentirte Handelsstrasse 
nach dem Innern. Ausser einer Menge, von beiden Seiten kommender, 
kleinerer Creeks erhält er einen bedeutenden Zufluss in dem rechts 
einmündenden, grossen Glima Creek, welcher breiter und tiefer 
ist, als der Fluss selbst, aber kein merkliches Gefälle hat. Der 
Mahfa ist bis nach Weahjah an den ersten Wasserfällen befahrbar 
und bildet den Schlüssel zu einer der reichsten Gegenden von 
ganz Liberia. Schade, dass dieselbe immer aufs Neue von den 
Räuberhorden der Gallinas-Stämme verwüstet und unsicher ge- 
macht wird. 

Der Sugary River ist, gleich dem Digby- oder Pobah River 
westlich vom St. Paul, eher ein grossartig angelegter Creek, als ein 
Fluss zu nennen. Er empfängt all sein Wasser aus kleinen Seiten- 


') Nähere Auseinandersetzungen über diese und ähnliche Erscheinungen 
folgen im vierzehnten Capitel. 


— 196 — 


creeks, die sich in den Waldsümpfen verlieren. Seine Ufer sind 
sumpfig und beinahe unbewohnt, und wegen der dichten Einfassung 
von Mangrovewald selbst für den Jäger unzugänglich. 

Weiter im Westen mündet der Manna River, welcher gegen- 
wärtig die Nordwestgrenze Liberia’s bildet, und noch mehr 
westlich der breite Solyman- oder Sulymah River. Beide 
Flüsse können ebenfalls ziemlich weit landeinwärts mit Canoes 
befahren werden. 

Leider habe ich jene Gegenden, in denen damals anhaltende 
Kriege wütheten, nicht besuchen können und kenne sie nur aus 
den Erzählungen meines Jägers JACKSON DEMERY, welcher mir 
stets mit der höchsten Begeisterung von ihren herrlichen Jagd- 
sründen sprach und darin über 20 Jahre ein wildes Waidmanns- 
leben geführt hatte, bis ihn der Ausbruch des Krieges EN 
nach Grand Cape Mount zurückzukehren. 

Während unseres. zweitägigen Aufenthaltes in Robertsport 
lernten wir zwei Weisse, den amerikanischen Missionär Rev. 
0. GRUBB und seine Frau, kennen. Beide waren sehr anspruchslose, 
freundliche Leute, die wir gleich bei unserem ersten Besuche lieb 
gewannen, und die uns auch später, besonders während der 
Krankheit meines Begleiters Sara, alle möglichen Freundschafts- 
dienste erwiesen. Ebenso wurden wir dem Superintendenten von 
Robertsport, Herrn R. J. B. Warson, vorgestellt, einem sehr 
semüthlichen, schwarzen Liberianer, der sich ausnahmsweise vom 
armen Zwischenhändler zu seiner gegenwärtigen, angesehenen 
Stellung emporgearbeitet und ein grosses Vermögen erworben 
hat. Herr VELDKAMP that während der beiden Tage, die wir 
unter seinem Dache zubrachten, trotz seiner sehr beschränkten 
Zeit alles Mögliche, um uns einen Einblick in die dortigen 
Verhältnisse zu verschaffen, und auch unser nachheriges, langes 
Zusammenleben in Robertsport war so voll von Freundschafts- 
beweisen seinerseits, dass mir dasselbe stets in angenehmer 
Erinnerung bleiben wird. 

Auf Anrathen unserer neuen Bekannten beschloss ich, während 
der nun angebrochenen Trockenzeit die Gegend am oberen Fisher- 
man Lake zu exploriren, woselbst wir überdies nicht zu fürchten 
brauchten, durch den Krieg, der westlich vom Mahfa River 


— 197 — 


ausgebrochen war, belästigt zu werden. Mit dem Könige BARLAH, 
der über die Gegend am Fisherman Lake regierte und the King 
of the Lake genannt wurde), schlossen wir Freundschaft, indem 
wir ihm ein Geschenk von 4 Dollars überreichten und dafür in 
Gegenwart von Herrn VELDKRAMP, Mr. Watson und Rev. GRUBB 
die Erklärung erhielten, dass wir in dem ganzen, unter seiner 
Jurisdiction stehenden Gebiete ungefährdet reisen und jagen 
dürften, dass er für jeden an uns verübten Diebstahl verant- 
wortlich sei und alle Feindseligkeiten von Seiten seiner Unter- 
thanen strenge bestrafen werde Zu seiner Ehre sei denn hier 
gleich gesagt, dass wir wirklich im ganzen Gebiete König 
BARLAH’s nie über Diebstähle oder feindseliges Auftreten von 
Seiten der Eingebornen Klage zu führen hatten. 

Am 19. November 1880 fuhren wir, begleitet von Rev. GRUBB, 
mit allen unseren Habseligkeiten in einem von Mr. WAarson’s 
srossen Segelbooten nach Bendoo, einer Stadt am nördlichen 
Ufer des Fisherman Lake, ungefähr mitten zwischen den Mün- 
dungen des Johny Creek und des Morfi River gelegen, wo wir am 
Abend anlangten. Der uns begleitende Abgeordnete von King 
BARLAH wies uns ein geräumiges, viereckiges Haus als Wohnung 
an. Die eine Hälfte des Hauses bildete eine vorn ganz offene 
Halle, in der man sich den Tag über aufhielt, die andere aber 
war geschlossen und als Schlafraum eingerichtet. 

Die Stadt, welche nicht besser aussah als alle schon früher 
besuchten Negerplätze, war von einem beinahe kreisrunden, 
hohen Staketzaun umgeben. Um diese Einfriedigung zog sich 
in geringem Abstande eine zweite, die aus einer doppelten Reihe 
von lebenden, dicht neben einander gepflanzten Akazien mit 
künstlich in einander verflochtenen Kronen bestand. Eine solche 
lebende Ringmauer kann im Nothfall ohne viel Mühe und Zeit- 
verlust sehr stark befestigt werden. 

Die nächste Umgebung von Bendoo zeigte sich für die Jagd 
weit weniger geeignet, als wir erwartet hatten, denn die vielen 
Sümpfe hinderten uns überall am Weiterkommen, und die trockenen 


!) Dieser bedeutende Häuptling ist während meiner zweiten Liberia-Reise 
gestorben. 


— ei — 


Gegenden waren mit Buschwald (früheren Pflanzungen) bedeckt, 
in welchem das Meiste, was wir schossen, verloren gieng. In der 
Stadt aber wurden wir fortwährend von lärmenden und bettelnden 
Negern belagert und vielfach an unserer Arbeit gestört, weshalb 
wir uns entschlossen, einen mehr abgelegenen und günstiger 
situirten Ort für unsere Station aufzusuchen. 
Im December siedelten wir in einem Canoe nach dem weiter 
oben am See gelegenen Platze Hokhiö, in der Nähe des Neger- 
dorfes Buluma, über, wo ich ein dem König Vzy Jo:En in 
Monrovia gehörendes, sehr grosses, leerstehendes Haus für einige 
Monate gemiethet hatte. Dasselbe war für unsere Zwecke wie 
geschaffen und sehr günstig situirt, denn es stand nahe am 
Ufer des Lake und war eine englische Meile von dem grossen, 
landeinwärts gelegenen Dorfe Buluma entfernt, in einer Gegend, 
wo kleine Grassteppen mit Hoch- und Buschwald und Sumpfgebiet 
abwechseln. | 
Hokhi6, ein sehr alter, wohlbekannter Platz, hatte das Schicksal 
der meisten Negerdörfer getheilt: es war, da nach und nach die 
sanze Umgegend abgeholzt und urbar gemacht worden war, von 
seinen frühern Bewohnern verlassen worden und hatte bei unserer 
Ankunft nur das eine Haus, in welchem wir unsere Station 
einrichteten. Dieses war noch ziemlich neu und, wie neben- 
stehende Abbildung mit Grundriss zeigt, äusserst praktisch einge- 
richtet. Es stand auf einer zu diesem Zwecke hergestellten, 
etwa 3’ hohen Terrasse von Thon, mit der Rückseite dem nahen 
Lake zugekehrt. Unter einem riesigen Bombax, dem der Blitz 
die obere Hälfte der mächtigen Krone zerschmettert hatte, war 
der Landungsplatz nicht nur für unsere Canoes, sondern auch 
für diejenigen der Bewohner des weiter landeinwärts gelegenen 
grossen Dorfes Buluma, die zum grossen Theil aus Fischern 
bestanden. Die umliegenden frühern Pflanzungen waren zum 
grössten Theil wieder mit Buschwald, einige sogar mit Hochwald 
bedeckt. Schon während unseres Aufenthalts daselbst siedelten 
sich wieder Leute um unser Haus herum an und verwandelten 
einen Theil des Waldes wieder in Pflanzungen, und als ich auf 
meiner zweiten Liberiareise den Platz abermals besuchte, war 
zu meiner nicht geringen Ueberraschung unser früher so einsamer 


— 199° — 


Wohnplatz, Dank seiner günstigen Lage, wieder ein ansehnliches 
Dorf geworden. 
Obschon wir auch dort von den lästigen Sumpffiebern keineswegs 


Jagdstation in Hokhie. 


I Pe EEE NLNEGERIERT 

H 

3 

£ 

| 

! 

£ 

3 

= zu Bruns 
5 

a 

Ri 

er : 


a. Veranda, b. Küche, c. Wohn- und Arbeitsraum, 
d. Magazin und Trockenraum. 


verschont blieben, so konnten wir unsere Sammlungen auf jener 
Station doch ganz bedeutend vergrössern und erhielten Manches, 
nach dem wir früher mit Aufbietung aller Kräfte vergeblich 


— =) = 


gesucht hatten, wie unter vielem Andern den kleinen liberia- 
nischen Hippopotamus, einen grossen Lamentin, das Wasser- 
Moschusthier, eine lang gesuchte Raubvogelart (Baza cuculoides) 
und eine Anzahl seltener und für die Wissenschaft theilweise 
neuer Reptilien und Fische. 

Der See selbst bot für die Jagd nicht viel, da wir mit Ausnahme 
der grossen Spornflügelgans (Plectropterus gambensis) und einiger 
Seeschwalben, nie Schwimmvögel auf ihm antrafen. Wohl beher- 
bergten seine flachen und sandigen, theilweise mit Binsenbeständen 
und Mangrove besetzten Ufer eine Menge Reiher-Arten und Wasser- 
schnepfen, doch waren diese für unsere Sammlungen von unter- 
geordneter Bedeutung. Dennoch besuchten wir seine Ufer häufig 
und betrachteten dieselben gewissermaassen als unsere Vorraths- 
kammer, da wir an ihnen, wenn wir ohne essbares Wild von 
der Jagd zurückkehrten, schnell ein Eichhörnchen, ein paar 
Turteltauben, einen Brachvogel oder einen Uferläufer schiessen 
konnten. 

Aus dem nahen Buluma wurden uns Bananen, Orangen und 
Limonen zum Kaufe angeboten, gelegentlich auch wohl ein Huhn 
oder einige Eier, freilich Alles zu hohen Preisen, und da wir den 
See als Wasserstrasse nach Robertsport benutzen konnten, SO 
waren wir stets im Stande, uns genügend mit Lebensmitteln 
zu versehen. Auch hatten wir, und besonders in finstern Nächten, 
oft Gelegenheit, von dem Fischervolke Buluma’s frische Fische 
zu kaufen, soweit wir uns nicht selbst damit zu versehen ver- 
mochten. } 

Gewöhnlich giengen wir schon vor Tagesanbruch auf die Jagd, 
begleitet von einem eigens zu diesem Zwecke geschulten Jagd- 
burschen, der wie ein Spürhund die Thierfährten fast im Dunkeln 
finden konnte, und dessen scharfem Gehör und Gesicht das leiseste 
Geräusch, die geringste Bewegung nicht entgieng. Nach abgege- 
benem Schuss rannte er sofort auf. die Beute los um ihr, wenn 
sie nicht gleich todt war, keine Zeit zum Entrinnen zu lassen, 
und hielt sie dann bis zur Heimkehr bei sich. Gegen 10 Uhr, 
wenn die Sonne heisser zu brennen anfing, die Thiere zur Ver- 
dauung ihrer Morgenmahlzeit sich zurückzogen und es im Walde 
stille wurde, traten wir unsern Rückweg an. Nach dem Frühstück 


— 201 — 


präparirten wir unsere Jagdbeute und giengen dann um 4 Uhr, 
wenn die Sonne sich neigte und es allmälig kühler wurde, 
manchmal aufs Neue aus, um die Thiere bei ihrer Abendmahlzeit 
anzutreffen, bis endlich das Zirpen der Cicaden und die zuneh- 
mende Dunkelheit zur Heimkehr mahnten. 

In mondhellen Nächten begaben wir uns auch wohl auf den 
Anstand, um Büffel und Antilopen zu schiessen. Zu diesem 
Zwecke setzten wir uns an einer vorher in einer Pflanzung 
ausgewählten Stelle auf einen hohen Termitenhügel oder im Walde 
in ein sogenanntes Nest (einige quer in eine Baumgabel hineinge- 
bundene Knüppel) und harrten dann in zusammengekauerter 
Stellung, das Gewehr schussbereit auf den Knieen, der Dinge, 
die da kommen sollten. Ich muss hier jedoch gleich hinzufügen , 
‚dass diese nächtliche Jagd keineswegs grosse Resultate lieferte 
und weit entfernt war, die Opfer an der so nöthigen Nachtruhe 
und die gesundheitsschädlichen Folgen auch nur einigermaassen 
aufzuwiegen. In anderer Hinsicht ist ein solcher nächtlicher 
Anstand jedoch äusserst interessant und wirkt durch alle die 
fremdartigen Laute der Nachtthiere, besonders durch die schau- 
rigen Klagetöne der Zibethkatzen ungemein spannend auf die 
erregte Phantasie des lautlos dasitzenden Jägers. 

Manchmal machten wir in unserem Canoe grössere Excursionen 
nach andern Gegenden am Lake, z. B. nach dem südlichen und 
östlichen Ufer in die verschiedenen, in denselben mündenden 
Creeks. Auf diese Weise lernten wir nach und nach die Dörfer 
Dahti&, Fali und Mendo am südlichen Ufer kennen und knüpften 
mit deren Bewohnern Beziehungen an. In Mendo machte ich 
die Bekanntschaft des dortigen Häuptlings THomAs GRAY, eines 
sehr intelligenten Mannes von mittlerem Alter, dessen Vater vor 
etwa 40 Jahren die Schriftsprache der Vey erfunden und einge- 
führt hat. Ich lernte ferner in der Cape Mount-Gegend viele Mit- 
glieder der grossen und angesehenen Familie Gray kennen, der 
die meisten Häuptlinge der Dörfer um den Lake angehören. Alle 
sprachen ziemlich geläufig Englisch, da sehr viele in der Jugend 
eine Zeit lang in den Missionsschulen oder im Dienste des einen 
oder andern Liberianers gewesen waren. Alle diese Leute konnten 
die Vey-Sprache nicht nur geläufig lesen und schreiben, sondern 


— 202 — 


machten davon auch häufig in ihrem brieflichen Verkehr Gebrauch. 
Wir haben sehr oft Väter ihren Söhnen — die Frauen scheinen 
diese Gunst nicht zu geniessen — Unterricht im Lesen und 
Schreiben ertheilen sehen, wobei, ebenso wie bei den Mandigo 
ein weisses, hölzernes Brett den Dienst einer Schiefertafel versah, 
und die Nachfrage nach Schreibpapier und Bleistiften, ja selbst 
nach Federn und Tinte war auffallend gross. Oft sieht man auch mit 
Indigo und mit als Federn zugeschnittenen Schilfhalmen schreiben. 

Auf einer der genannten Excursionen fuhr ich einmal durch 
den sogenannten Johny Creek, zwischen grossen Mangrove- 
wäldern hindurch, nach dem neu angelegten, saubern Städtchen 
Johny, von wo ich das Canoe zurücksandte und zu Fuss, nur 
von meinem Jagdburschen begleitet, nach Jondoo gieng. Jondoo 
ist eine ziemlich grosse, alte Stadt mit theilweise sehr grossen 
Thonhäusern und bildet, wie das noch weiter landeinwärts gelegene 
Madinat), das Centrum für den Palmöl- und Palmkernhandel am 
obern Fisherman Lake. In Abwesenheit des Häuptlings wurde 
ich von dessen Sohn empfangen, der mich aber aus Mangel an 
Lebensmitteln nicht bewirthen konnte, und sogar mit mir noch 
meine Abendmahlzeit theilte, die aus einigen gebratenen Eich- 
hörnchen und einem mitgebrachten, geräucherten Affenschlägel 
bestand. Das einzige Zeichen der Gastfreundschaft, welches mir der 
freundliche Junge geben konnte, bestand darin, dass er mir seine 
eigene Hütte als Schlafplatz für die Nacht anbot. Am andern 
Morgen brach ich früh auf und kehrte auf einem beschwerlichen 
Marsche zu Land durch eine hügelige, von vielen Waldcreeks 
durchzogene Gegend, in der ich unter Anderm eine 270 Schritte 
lange monkey-bridge passirte, nach unserer Station in Hokhie 
zurück. 

In den ersten Tagen des Jahres 1881 besuchte uns ein sehr 
intelligent aussehender, aber höchst verschmitzter Eingeborner, 
der sich JAMES Payne nännte?) und als ein Neffe und zugleich 


) Siehe achtes Capitel, p. 156, Note 2. 

‘) Eingeborne pflegen sich, wenn sie in der Jugend unter Liberianern 
gedient hatten oder von diesen erzogen wurden, später deren Namen bei- 
zulegen. 


— 208 — 


als Botschafter des Königs MoRAnA Sanpo von Cobolia vorstellte. 
Er überbrachte uns Grüsse von seinem Onkel und Auftraggeber, 
sammt einer Einladung, denselben bald zu besuchen, da er mir einen 
jungen, lebenden Leoparden zu verkaufen wünsche. Zugleich 
bat er, zum Beweise, dass er sich seines Auftrages gewis- 
senhaft entledigt, um einige Blätter Tabak für seinen königlichen 
Oheim. Da uns Aehnliches schon öfter vorgekommen war, so 
verhielten wir uns ziemlich zurückhaltend. Einige Tage später 
aber kam der Mann wieder und brachte uns als Gegengeschenk 
für unsern Tabak einen Tragkorb voll Kassaven und ein weisses 
Huhn. Zugleich sagte er uns, dass sein Onkel betrübt sei (wörtlich: 
a fala mah sa „sein Herz liegt nicht,”) weil ich ihm nicht 
recht zu trauen scheine, und er sende mir daher dieses weisse 
Huhn als Zeichen, dass sein Herz gegenüber uns eben so 
weiss und fleckenlos sei, wie dieses. Ausserdem brachte er, 
wie er sagte, den jüngsten und liebsten Sohn seines königlichen 
Oheims mit, einen hübschen, kleinen Jungen mit wohlgeformtem - 
Gesicht und schönen, grossen Augen, und erbot sich, mich in 
der Frühe des folgenden Tages in seinem Canoe abzuholen und 
nach Cobolia zu bringen. Da ich den vielgepriesenen Mahfa River 
schon längst gerne besucht hätte, so versprach ich, am nächsten 
Morgen bereit zu sein und die drei stärksten meiner Bassa-Leute, 
sut bewafinet, als Begleitung mitzunehmen. Sodann übergab 
ich ihm ein Gegengeschenk für seinen Oheim, welches ungefähr 
.den Werth des seinigen hatte und noch am selben Tage durch 
einen Diener mit der Botschaft nach Colobia gebracht werden 
sollte, dass wir andern Tages selbst kommen würden. Unser 
JAMES PAYNE zog dann mit dem Jungen ab, um sich am nächsten 
Morgen früh mit dem Canoe wieder bei uns einzufinden. Wir 
haben ihn jedoch nie wiedergesehen. 

Einige Wochen später erhielt ich von Herrn RomAHn, dem 
damaligen Hauptagenten der Firma WOoERMANN, der sich gerade 
in Robertsport befand, einen Brief mit der Mittheilung, dass 
sich in einem der dort gebräuchlichen, grossen Schleppnetze ein 
Lamentin (Manatus senegalensis) gefangen habe, und dass es ihm, 
dem Schreiber, gelungen sei, denselben zum Preise von dreissig 
Dollars für mich zu kaufen. Da das Thier, welches ausgeweidet 


— 204 — 


noch 590 englische Pfund wog, zu gross war, um bequem nach 
Hokhi& hinaufgeschafft zu werden, so blieb mir nichts Anderes 
übrig, als so rasch wie möglich nach Robertsport hinunterzufahren, 
um dasselbe dort für unsere Sammlung zu präpariren. Die Gele- 
genheit, ein solches Thier unbeschädigt in Besitz zu bekommen, 
bietet sich nur äusserst selten; ich machte daher von derselben 
gern Gebrauch, um unsere Sammlung mit einem solchen Pracht- 
stück zu bereichern und traf sofort die nöthigen Anstalten zur 
Abreise. Es war am 22. Januar (einem Samstag) abends 10 Uhr 
als die fünf Krooboys mit dem Briefe ankamen. Nachdem wir 
denselben eine Mahlzeit vorgesetzt, liessen wir sie etwas schlafen 
und machten inzwischen Alles zur Abreise bereit. Um zwei Uhr 
nachts trat ich mit den boys und meinem Leibdiener PETER die 
Fahrt den See hinunter an. Es war eine herrliche Mondnacht, und 
da es etwas kühl geworden war — denn 25° ©. ist für.einen 
nackten Neger eine unangenehm niedrige Temperatur — wurde sehr 
kräftig gerudert, so dass wir, trotz häufigen Festfahrens auf ausge- 
dehnten Untiefen, schon am Morgen um 7 Uhr bei der deutschen 
Faktorei in Robertsport ankamen. Obwohl der Sonntag in allen 
christlich-liberianischen Niederlassungen sehr streng gehalten wird, 
so machte ich mich doch sofort an die Arbeit, die mit Hülfe 
meines Bedienten und einiger Eingebornen (Liberianer wären nicht 
dazu bereit gewesen) rasch gefördert wurde. Wohl hundert 
Menschen drängten sich in einem fort um uns her, und zwar 
vorgeblich, um Fleisch zu kaufen, in Wirklichkeit aber, um 
dasselbe geschenkt zu erhalten. Obwohl Herr Romann das Thier 
aus Vorsicht schon am Abend hatte ausweiden lassen und es 
in Folge dessen noch ganz frisch war, so hatte sich doch durch 
das Hin- und Herschleppen die haarlose Oberhaut an manchen 
Stellen losgelöst, und es musste daher die grösste Vorsicht 
beobachtet werden, um dieselbe einigermaassen in gutem Zustande 
zu erhalten. 

Das Thier, ein wahres Prachtexemplar, war ein altes Männchen 
von neun Fuss Länge. An der vordern Hälfte war es sehr dick, 
wurde nach hinten dann allmälig dünner, und hatte zwei flossen- 
artige Vorder- und zwei in eine Art abgerundeter, horizontaler 
Schwanzflosse vereinigte Hinterfüsse. Der Hals war kurz und 


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dick, der Kopf rund, die Ohren nur durch zwei Oeffnungen ohne 
Ohrmuscheln vertreten, die Augen klein, die Schnauze hoch und 
breit, kuhmaulartig, und die verschliessbaren Nasengruben nach 
oben gerichtet. Die Hautfarbe war oben und an den Seiten 
glänzend blauschwarz und gieng am Bauche in einen gelblichen 
Ton über. Unter der ausserordentlich dicken und haarlosen 
Haut befand sich eine dicke Lage von schwammigem Zellgewebe 
und Speck. Das dunkelrothe Fleisch schmeckte ungefähr wie 
frisches Schweinefleisch. Von Thrangeschmack war Nichts zu 
bemerken, was seinen Grund darin hat, dass diese Thiere bloss 
von Uferpflanzen leben. Am Abend hatte ich die Haut conservirt, 
und während der ersten Hälfte des folgenden Tages wurde auch 
das Skelet so weit fertig, dass ich Alles zusammen meinem 
Gefährten Sara nach Hokhi& hinaufsenden konnte. Mir selbst 
bot sich inzwischen die Gelegenheit, den Mahfa River hinauf 
nach der bereits erwähnten Stadt Cobolia zu fahren. Da wir 
nun ohnehin beabsichtigten, unsere Station von Hokhie-Buluma 
anderswohin zu verlegen, so machte ich gern von der Gelegenheit 
Gebrauch, um mir den Mahfa River und das vielbesprochene Cobolia 
mit seiner Umgebung einmal anzusehen. 

Den 24. Januar in der Mittagsstunde verliess ich Robertsport 
und fuhr in einem mit sechs Negern bemannten Canoe nach 
der Mündung des Mahfa River hinüber und dann diesen Letztern 
aufwärts. Der Fluss hat, bevor er sich in seine beiden Mün- 
dungsarme theilt, eine Breite von etwa 100 Meter. Seine Ufer 
wurden, sobald wir die Mangrovewälder des Mündungsdelta’s 
hinter uns hatten, steil und hoch), die Landschaft aber blieb weit 
hinauf flach; sie zeigte einen Wechsel von Grassteppe, kleinem 
Gehölz und Sumpfgebüsch und war mit zerstreut stehenden 
Oelpalmen besetzt. 


ı) Der Umstand, dass der Fluss sein Bett tief in den flachen Thonboden 
eingegraben hat, weiter oben aber durch Anhöhen flankirt wird, so dass -er 
selbst in der Regenzeit nicht über seine Ufer hinaustritt, hat ihm seinen 
Namen verschafft (mah = nicht, fa = voll). Meine frühere Schreibweise 
„Marfa” in „Tijdschrift van het Aardrijkskundig Genootschap te Amsterdam” 
ist also unrichtig, etwas besser die Schreibweise Maff«, die in den englisch- 
liberianischen Unterhandlungen über die Grenzregelungsfrage vorkommt, 


— 206 — 


In Caba, einer ärmlichen Stadt am linken Ufer, wurde angelest, 
und die Ruderer kochten ihr Abendessen. Es war freilich dazu 
noch viel zu früh, aber die Leute hatten keine Ruhe, bis sie 
einen für mich werthlosen Affen, den ich auf der Fahrt von 
einer am Ufer stehenden Oelpalme heruntergeschossen, geschlachtet 
und verspeist hatten. Bei diesen Negern, die alles, was nur 
einigermaassen auf den Namen Thier Anspruch machen kann, in 
die Pfanne stecken, bevor es noch gut die Augen geschlossen hat, 
war eine solche Hast begreiflich, und da ich zudem ihre ganz 
besondere Vorliebe für Affenfleisch kannte, so entsprach ich diesem 
Wunsche doppelt gern. Die Zubereitung war äusserst einfach. 
Während die Einen den Topf mit Wasser aufs Feuer setzten, 
sengten die Uebrigen dem Affen über dem Feuer die Haare ab, 
schnitten ihn dann in Stücke und warfen diese in das bereits 
brodelnde Wasser. Nach weniger als einer Stunde schon präsen- 
tirte mir der headman (Steuermann) der glücklichen Ruderer eine 
gargekochte Schulter nebst einer Schale voll Palmwein, von dem 
er mehrere Kalebassen voll gegen die Eingeweide des Affen einge- 
tauscht hatte. 

Gegen Abend fuhren wir wieder ab, und unter lautem Gesang, 
Lachen und Scherzen ruderten die Neger die ganze, mondhelle 
Nacht tüchtig flussaufwärts. Die Ufer wurden, je weiter wir 
kamen, immer höher, die Uferlandschaft stets romantischer. 
Bei Anbruch der Nacht passirten wir, kurz oberhalb des Neger- 
dorfes Gongocoro, den von Westen her einmündenden, breiten 
und schwarzen Glima Creek. Mit einem Silberlichte, wie es nur 
den schönen Tropennächten eigen ist, beleuchtete die volle Mond- 
scheibe Fluss und Ufergelände, dessen breitkronige, überhängende 
Bäume phantastische Schlagschatten auf die unter den taktmässigen 
Ruderschlägen zitternde Wasserfläche zauberten, und von den 
hohen Ufern sahen wir die gespensterhaften, dunkeln Umrisse 
der stark befestigten Städte Johny und Djarduby hernieder- 
schauen. | 

Gegen den andern Morgen fanden wir den Fluss enger und die. 
hohen Uferwände näher zusammengerückt. Ueber das Wasser 
hinaussestürzte Baumstämme versperrten dann und wann dem 
schlanken Canoe den Weg; herrlich blaue Eisvögel huschten über 


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das Wasser hin; hochbeinige Spornflügelkibitze (Lobivanellus 
albiceps) mit langen, von den Wangen herabhängenden Haut- 
lappen, spazierten auf dem Rande der grossen, in den Biegungen 
des Flusses angeschwemmten Sandbänke auf und ab, und ein 
Schlangenhalsvogel starrte, auf einem niedergestürzten Baum- 
stamme sitzend und den scharfen Schnabel zum tödtlichen 
Stosse bereit, unverwandt in das vorbeifliessende Wasser. Jeden 
Augenblick sassen wir auf einem unter Wasser verborgenen 
Baumstamm, einem Felsen oder einer Sandbank fest, und mussten 
die Ruderer dann ins Wasser springen, um das Canoe wieder 
flott zu machen — ein gewöhnliches Hinderniss bei derartigen 
Flussfahrten während der Trockenzeit. 

Um acht Uhr morgens kamen wir endlich am Landungsplatze 
von Cobolia an. Auf der grossen Sandbank, wo die Canoes 
anlegen, waren viele Frauen und Mädchen in Eva’s Kostüm 
mit dem Waschen ihrer primitiven Toilette beschäftigt. Alle 
betrachteten mich mit der grössten Neugierde, denn sie hatten 
wohl viele liberianische Mulatten, aber noch kaum jemals einen 
Weissen gesehen. Ich liess die Ruderer meine Sachen nach der 
Stadt tragen, die etwas abseits auf einer kleinen Anhöhe am 
rechten Ufer lag. Dort angekommen, wurde ich von einem 
zufällig anwesenden, liberianischen Zwischenhändler (frader) aus 
Robertsport nach dem königlichen Palaverhause begleitet, wo 
ich die Ehre hatte, ohne langes Antichambriren der schwarzen 
Majestät vorgestellt zu werden. 

König MoRANA SAanDo (sein englischer Name ist SANDFISH) war 
ein mittelgrosser, aber stark gebauter, etwas korpulenter Mann 
mit greisem Haupthaar und eben solchem, kurzgeschorenem 
‚Schnurrbärtchen. Er trug nach dortiger Sitte ein weites Gewand 
von inländischem Baumwollzeug (country cloth) in schönem 
Faltenwurfe über die linke Schulter und um den Leib geschlungen , 
und auf dem Kopfe eine kleine Mütze von Löwenfell, die er 
wohl von einem Mandingo erhalten haben mochte. Seine ganze 
Erscheinung machte einen sehr angenehmen Eindruck, welcher 
durch das herzliche Lachen, zu dem sich gelegentlich das intelligente 
Gesicht verzog und dann zwei Reihen untadelhafter Zähne zeiste, 
noch erhöht wurde. 


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Nach einigen freundlichen Worten des Empfanges in englischer 
Sprache liess MoRAnA mich in ein benachbartes Haus bringen 
und mir durch eine seiner Frauen etwas Reis mit frischem Wild- 
braten vorsetzen. Da ich soeben im Palaverhause ein ganz frisches 
Leopardenfell zum Trocknen aufgespannt gesehen hatte, so fraste 
ich meine freundliche Wirthin, ob vielleicht der vor mir stehende 
Braten in einiger Beziehung zu jenem Leopardenfell stehe, worauf 
sie lachend den Kopf zurückschnellte, was so viel bedeutete als: 
„Du hast gut gerathen, weisser Fremdling.’ 

Nachdem ich auf einer neben dem Feuer liegenden Bambu- 
matte!) etwas geruht hatte, wurde ich nach dem Palaverhause 
gebracht, wo mich der König zur Audienz erwartete. Er lag 
neben dem Feuer in einer grossen Hängematte behaglich ausge- 
streckt, und in respektvoller Entfernung sassen auf der Erde, 
wie mir schien, seine Grosswürdenträger und hatten ihr Gesicht 
in feierliche Falten gelegt, was zu dem selbstzufriedenen Lächeln, 
das den Mund seiner Majestät umspielte, in eigenthümlicher Weise 
contrastirte. Sofort nach dem Eintritt wurde mir ein Stuhl zum 
Sitzen angeboten, während mein Dolmetscher, der schon erwähnte 
liberianische Händler, neben mir stehen blieb. 

Obschon MORANA mit Englisch sprach, liess er sich doch, 
wahrscheinlich weil die Etikette an seinem Hofe dies forderte, 
während der ganzen Audienz alles, was ich ihm in englischer 
Sprache erzählte, durch einen Dolmetscher in die Vey-Sprache 
übersetzen. Dies geschah Alles in ganz in kurzen Wortreihen, 
ohne Rücksicht auf den logischen Zusammenhang, was natür- 
licher Weise das Verständniss des Gesagten bedeutend stören 
musste. Ich sagte ihm nun, dass ich gekommen sei, um seine 
Bekanntschaft zu machen, dass ich mich einige Tage in Cobolia 
aufzuhalten und die Gegend zu durchstreifen gedenke und während 
dieser Zeit sein Fremdling (Gast) zu sein wünsche. Dann erzählte 


ı) Aus der sehr spaltbaren Rinde von Palmblattstielen geflochten. Bambu-trree 
heisst in Liberia die Weinpalme, Bambu aber nennt man deren schlanke 
Fiederschäfte, und Bambu-wine den aus dieser Palme gewonnenen Wein, zum 
Unterschiede von dem Wein der Oelpalme. Der echte Bambus (Bambusa) 
kommt nur sporadisch vor und spielt deshalb in der Industrie der dortigen 
Neger durchaus nicht eine so wichtige Rolle, wie diesin Ostindien der Fall ist, 


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ich ihm auch von dem langen James PAyneE, dem weissen Huhn 
und dem jungen Leoparden. Da ich bemüht war, der ganzen 
Erzählung einen komischen Anstrich zu geben, so entstand ein 
fröhliches Gelächter, worauf MorAnA erklärte, dass er diesen 
James PAyYnE gar nicht kenne, von der Sendung eines weissen 
Huhns nichts wisse und leider auch keinen jungen Leoparden 
habe, dass ich ihm aber nichtsdestoweniger als sein Fremdling 
herzlich willkommen sei und dass er hoffe, mich recht lange in 
seiner Stadt beherbergen zu können. 

Ich unterhielt mich nun ferner mit ihm über Jagd und Wild- 
reichthum jener Gegend, und da ihm meine dabei geäusserte 
Absicht, in der Nähe von Cobolia unter seinem Schutze eine Jagd- 
station zu gründen, sehr wohl gefiel, so versäumte er nicht, die 
Vortheile, welche mir die Ausführung dieses Planes bieten würde, 
gebührend hervorzuheben und mir sein Land als die wildreichste 
Gegend von ganz Liberia anzupreisen. Der Grund dafür liess 
sich freilich leicht herausfinden. MorAnA führte damals gerade 
Krieg mit den benachbarten Stämmen der Gallinas, welche durch 
die gemietheten Räuberhorden der Kosso sein Land verwüsten 
und seine Residenz Cobolia bedrohen liessen. Erst vor Kurzem 
hatte die Stadt eine lange Belagerung glücklich bestanden, aber 
man hatte alle Aussicht auf einen erneuten feindlichen Anfall. 
‘Wären wir aber seine „Fremdlinge” gewesen, dann hätten wir 
vorkommenden Falls nothgedrungen für ihn Partei nehmen müssen. 
Nun schien er sich, jedenfalls nicht ganz ohne Grund, sehr viel 
von unserr „unfehlbaren” Feuerwaffen und unserer Munition zu 
versprechen und wahrscheinlich noch weit mehr von dem intel- 
lektuellen Einflusse, den zwei weisse Jäger in den Reihen seiner 
Krieger sowohl auf diese als auch auf die Feinde ausüben müssten. 
So versprach mir denn MoraAnaA alles Mögliche, um mich zur 
Ausführung dieses Planes zu bewegen. Er übernahm es, mir auf 
einem selbst zu wählenden Platze ein Jagdhaus zu bauen und 
zwei seiner eigenen Söhne als Bediente und Führer mitzugeben,, 
und noch viel Anderes mehr. Ich wollte jedoch erst sehen und 
mich von der Tauglichkeit dieser Gegend selbst überzeugen, 


deshalb machte ich während der Dauer meines Aufenthaltes, 
LIBERIA, 1. 14 


u 


=.210 = 


begleitet von zwei königlichen Prinzen und zahlreichen andern 
Leuten, verschiedene Jagdausflüge in die Umgegend. Dabei schoss 
ich gelegentlich für den König einige -Turteltauben und Graupa- 
pageien, einmal auch einen Affen, den er jedoch nicht annahm, 
da seiner Mutter, und somit auch ihm, Affenfleisch ‚zu essen 
verboten sei. 

Als Wohnung hatte man mir das schönste Haus der ganzen 
Stadt angewiesen. Es war ein rechteckiges, auf einer 3’ hohen 
Terrasse errichtetes Gebäude mit weissgetünchten Lehmwänden, 
braun gestrichenen Thüren und Fensterläden, zwei kühlen, saubern 
Wohnräumen und einer guten, mit Matten und weichen Tüchern 
wohl versehenen Lagerstätte. In der schmalen Veranda des Hauses 
lag eine kleine, geladene Alarmkanone, deren mit: Schiesspulver 
sefülltes Zündloch mit einem trockenen Baumblatt bedeckt war, 
und an der weissen Mauer des Hauses ap in grosser Antiqua 
die Aufschrift: „PRINCE DAVINDA OF COBOLIA.” 

Ich kann Ale Namen nicht nennen, ohne über die Per 
selbst einige Worte zu sagen. Prinz De einer der zahl- 
reichen Söhne des Königs MoRANA, trachtete in seinem ganzen 
Benehmen den Gentleman herauszukehren. Er eieng in Hemd 
und Hose gekleidet und trug darüber einen bis fast auf die Füsse 
reichenden Talar von leichtem, blauem Baumwollzeug. Lang und 
fast schmächtig gebaut, hatte er ein sehr intelligentes Gesicht, 
aus dem zwei lebhafte, schwarze Augen hervorblickten. Seine 
Erziehung war besser als diejenige der meisten jungen Leute seines 
Standes, da er als Jüngling mehrere Jahre bei dem englischen 
Kaufmann Harrıs an der Gallinasküste zugebracht und diesen 
sogar auf einer Reise nach England begleitet hatte. Während 
der Belagerung von Cobolia durch die Kosso soll DAvınpA sich 
bei der Zurückwerfung eines nächtlichen Angriffs durch grosse 
Tapferkeit ausgezeichnet und sogar durch Muth und Entschlos- 
senheit die Stadt gerettet haben, indem er einige Feinde, die 
bereits über die Barrikaden geklettert waren und eines der Thore 
von innen geöffnet hatten, niedersäbelte und den Zugang wieder 
verrammelte. Er zeigte mir mit grossem Selbstbewusstsein einen 
schweren, eben erst vernarbten Säbelhieb über die Schulter, den 
er bei jenem Anlass erhalten hatte. Das Misslingen dieser Ueber- 


— 211 — 


rumpelung soll auch der Hauptgrund gewesen sein, weswegen 
die Feinde die Belagerung aufzuheben beschlossen. 

Cobolia war damals ohne Zweifel die weitaus bedeutendste 
Stadt am ganzen Mahfa River. Weiter im Innern, über das ich 
leider nicht als Augenzeuge berichten kann, sollen einige noch 
bedeutend grössere und besser befestigte Städte liegen , als Cobolia. 
Dieses Letztere ist durch den Einfluss MorAnA’s zu grosser Blüthe 
gelangt. Es hatte bei meinem Besuche etwa 100—120 theils 
kreisrunde, theils rechteckige Häuser und war von einem vier- 
fachen, beinahe kreisrunden Staketzaun von eigenthümlicher, 
später zu beschreibender Bauart umgeben. Die Stadt machte von 
aussen, wo man nur die über einander hereinragenden Dornen- 
krönungen der verschiedenen Palissadenzäune sehen konnte, einen 
ungemein düstern, unheimlichen Eindruck. Enge und niedrige, 
aus einem Holzblock geschnittene Thore, gerade gross genug, 
um einem einzelnen Manne Durchlass zu gewähren, führten durch 
die finstern Barrikaden, und die drei verschiedenen Durchgänge 
waren Tag und Nacht mit Wachen besetzt. Mit Einbruch der 
Nacht wurden alle Thore von innen mit schweren Balken ver- 
rammelt und wurde Niemand mehr eingelassen, weil es hie und 
da vorkommt, dass der Feind durch List unter dem einen oder 
andern Vorwande sich einzuschleichen sucht. Die Wachen waren 
jedoch während meines Aufenthalts in Cobolia nicht sehr zuver- 
lässig, denn auf einer nächtlichen Runde, die ich mit dem head- 
warrior (Kriegshauptmann) der Stadt, einem langen, martialisch 
dreinschauenden Manne mit spitzgefeilten Schneidezähnen, durch 
die Barrikaden machte, fanden wir von 24 Mann 4 in ihren 
Hängematten an den Wachtfeuern fest eingeschlafen. Sie wurden 
am andern Morgen zur Strafe sämmtlich ausgepeitscht und an 
den Block gelegt. 

Das grosse, kreisrunde Palaverhaus des Königs, etwa 60’ im 
Durchmesser haltend, hatte ringsum eine Einfassung von halb 
in den Boden eingegrabenen, vierkantigen Branntweinflaschen , 
ebenso das auf einem grossen, freien Platze befindliche Grab von 
Morana’s Vater. Die Häuser waren in solch bunter Unordnung 
hingestellt und sahen einander so ähnlich, dass man sich auf 
einem Gange durch die Stadt ohne Hülfe der Einwohner kaum 


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zurechtfinden konnte. Ein weisses, glatthaariges Schaf lief als 
heiliges Thier frei in der Stadt herum und wurde selbst in der 
srossen Hungersnoth während der letzten Belagerung sorgfältig 
gefüttert. 

Cobolia ist der Mittelpunkt für den Palmöl- und Palmkern- 
handel der ganzen Gegend. Verschiedene liberianische Zwischen- 
händler hatten dort kleine Magazine mit allerlei Tauschwaaren 
und einem Schuppen, worin die eingetauschten Landesprodukte 
bis zum Weitertransport nach der Küste geborgen werden konnten. . 
Die meisten dieser Händler waren dem Trunke ergeben und 
konsumirten den Branntwein, den sie zum Eintauschen von 
Palmkernen mitbrachten, zum grössten Theile selbst. 

Die nächste Umgebung der Stadt bestand aus Ackerland, und 
daran anschliessend folgte abwechselnd Wald, Grassteppe und 
Sumpf. Auf meinen Streifzügen fand ich die ganze Umgegend durch 
die feindlichen Räuberhorden verwüstet, Oelpalmen und Bananen- 
büsche niedergehackt und die umliegenden Dörfer verbrannt und 
verlassen. An einem tiefen Waldbache, etwa eine englische Meile 
von der Stadt entfernt, lagen auf einer Sandbank acht mensch- 
liche Skelette mit abgehackten Schädeln, Händen und Füssen, 
welche letztere in die Bauchhöhle gesteckt waren. Sie sollen Leuten 
aus Cobolia angehört haben, die, nachdem der Feind die Bela- 
serung aufgegeben zu haben schien, nach ihren Farmen gehen 
wollten, um Lebensmittel zu holen. Sie wurden von den lauernden 
Feinden überfallen und, da sie sich zur Wehre setzten, nieder- 
gemacht und schändlich verstümmelt. Jedermann glaubte, dass 
die Feinde zur Zeit der Reisernte wieder zurückkämen; nur der 
König war bemüht, mich, obschon er wohl der Sache selbst nicht 
traute, vom Gegentheil zu überzeugen. Da die ganze Gegend 
verwüstet war und mir bei der bevorstehenden Regenzeit ohnehin 
nicht für Jagdexcursionen geeignet erschien, so hatte ich Grund 
senug, von meinem Plane, wenigstens für die nächste Zukunft, 
abzusehen, und die kurz nachher erfolgte abermalige Verheerung 
des Landes durch die Feinde zeigte mir, dass ich mich keineswegs 
geirrt hatte. 

Nach dreitägigem Aufenthalte in Cobolia nahm ich Abschied 
von MoRANA, der mir persönlich bis vor das äusserste Thor das 


— 213 — 


Geleite gab, und schiffte mich zur Rückkehr nach Robertsport 
ein. Um 10 Uhr morgens fuhren wir ab. Mit Windesschnelle eilte 
das Canoe flussabwärts, so dass es mir nicht möglich war, durch 
Kompassbeobachtungen denjenigen Theil des Flusses kartographisch 
festzulegen, der sich bei der Hinreise im Dunkel der Nacht 
meiner Beobachtung entzogen hatte. Ich schoss während der 
Fahrt zahlreiche Vögel, unter andern drei der schon genannten 
Lappenkibitze, die ich ausser auf der erwähnten Sandbank und an 
einer Stelle im St. Paul bei Soforeh Place nirgends angetroffen. Ein 
Krokodil, das ich angeschossen, sprang, wie dies in solchen Fällen 
gewöhnlich geschieht, in den Fluss und verschwand. Die Ruderer 
machten mehrere Stationen, um Palmwein zu trinken, was uns 
derart aufhielt, dass wir erst abends 7 Uhr an der holländischen 
Faktorei in Robertsport anlangten. Am folgenden Morgen früh fuhr 
ich in einem andern Canoe nach unserer Station Hokhi& zurück. 

Eine Seereise, die ich im März von Robertsport nach Monrovia 
machte, um unsere bedeutend angewachsenen Sammlungen zu 
verschiffen, bot nicht viel Nennenswerthes. Auf der Rückreise 
benutzte ich eine zufällig sich bietende Gelegenheit, mit einem 
kleinen Segelboote nach dem Little Cape Mount River zu fahren, 
der ungefähr mitten zwischen Monrovia und Grand Cape Mount 
ins Meer ausmündet. Die Brandung, die dort zu allen Zeiten eine 
Landung gefährlich macht, war damals so stark, dass wir nicht 
wagen durften, in die Mündung des Flusses einzufahren. Es wurde 
daher beschlossen, das starkgebaute Boot aufden Strand zu setzen, 
um wenigstens Aussicht zu haben, unser Leben zu retten. In 
die Nähe des Strandes gekommen, wurde das Boot von einer 
gewaltigen Sturzwelle ereilt und schlug um, doch wurden wir 
Alle durch die nachstürzenden Wogen auf den Strand getrieben. 
Stundenlang blieb das Boot ein’ Spielball der Brandung, und 
nur der grössten Anstrengung der schwarzen Mannschaft war 
es zu danken, dass dasselbe, da es keinen erheblichen Schaden 
bekommen hatte, wieder aufgerichtet und dem Strande entlang 
in die Flussmündung hineingezogen werden konnte, von wo aus 
wir dann bei Einbruch der Nacht unsere Fahrt stromaufwärts 
fortsetzten. 

Der Little Cape Mount River ist, wie die meisten west- 


— 214 — 


afrikanischen Flüsse, an seiner Mündung sehr breit. Obwohl 
die vor der Mündung liegende lange, von Westen nach Osten 
sich hinziehende Sandbank!) dem Wasser nur eine kleine Oeff- 
nung im Osten zum Abfluss lässt, steigt die Flut dennoch in 
den Fluss hinauf und macht sein Wasser brackig. Die beiden 
Ufer sind mit Mangrovewald bedeckt, welcher der ganzen, flachen 
Gegend einen monotonen Anstrich giebt. In der Breite hält dieser 
Fluss ungefähr die Mitte zwischen dem St. Paul und dem Mahfa 
River, doch dürfte seine Wassermenge kaum die des Letztern 
übertreffen. Wie beim St. Paul, so sind auch hier die ersten 
Wasserfälle nur etwa 20 miles von der Mündung entfernt. Die 
Ufergebiete sind beinahe unbewohnt; die wenigen Anwohner 
gehören dem Deh-Stamme an. 

Nach vielfachem Aufenthalt infolge Festfahrens auf den zahl- 
reichen Sandbänken erreichten wir erst gegen Mitternacht Bombo’s 
Town, unser nächstes Reiseziel, und in der ersten Hütte, die ich 
anirat, legte ich mich zur Bike hin. 

Früh am andern Morgen marschirte ich ab, um eleichen Tages 
unsere Station in Hokhi& zu erreichen. Da ich keinen Bedienten 
mitgenommen hatte und in der kleinen Residenz des Häuptlings 
Boumso kein Träger aufzutreiben war, so sah ich mich genöthigt, 
meinen Handkoffer selbst zu tragen, denn der Mann, an den 
ich mich anzuschliessen Gelegenheit hatte, war mit eigener Bagage 
überbürdet. Die ganze Gegend bis an den Fisherman Lake ist 
flach, und abwechselnd mit Hoch- und Buschwald, Pflanzungen 
und Grassteppen bedeckt, welche Letztere nach dem Fisherman 
Lake hin immer mehr überhand nehmen. Auf unserem Wege 
passirten wir einige Vey-Dörfer, das Eine noch armseliger als das 
Andere, und es war uns auf der ganzen Reise nicht möglich, 
irgendwo auch nur eine Handvoll Reis, eine Cassave oder ein 
Hühnchen zum Frühstück zu bekommen. In dem Vey-Dorfe 
Mambu, dessen Häuptling ich kannte, bekam ich endlich ein 
Mädchen, welches mir gegen Bezahlung von zwei Taschen- 
tüchern den Handkoffer bis nach unserer Station zu tragen 


ı) Uebereinstimmend mit derjenigen des Sugary- und des Digby- oder 
Pobah River, 


— 215 — 


übernahm. Unter ihrem Geleite erreichte ich den Lake schon früh 
am Nachmittage und kam eine Stunde später auf unserer Station 
in Hokhie an. 

Hier fand ich Freund SALA in einem traurigen Zustande. Eine 
chronische Ruhr, an der er schon lange gelitten, hatte ihn sehr 
geschwächt; dabei war er ganz mit Eiterbeulen bedeckt und 
hatte beinahe sein Gehör verloren. Durch Einspritzen einer 
leichten Alaunlösung hatte ich ihn bald von letztgenanntem Leiden 
befreit, doch im Uebrigen wurde sein Zustand eher schlimmer, 
statt besser. Um ihm nun etwas 
mehr Bequemlichkeit und vor 
allem bessere Kost und Pflege zu 
verschaffen, entschloss ich mich, 
nach Robertsport überzusiedeln. 
Zu dieser Uebersiedlung war es 
ohnehin schon Zeit geworden, 
denn es füllten sich die Sümpfe 
rundum Buluma infolge der wie- 
derkehrenden Regen wiederum 
mit Wasser und erschwerten die 
Jagd täglich mehr. Den 20. April 
verliessen wir unsere Station und 
fuhren in einem grossen Ruder- 
boote-nach Robertsport hinunter, 
woselbst ich einige Tage zuvor 

C. F. Sara. von Mr. Warson ein neues, höl- 
zernes Haus, am Abhange des 
Hügels, auf welchem die Missionsstation liegt, gemiethet hatte. 

SALA wurde nach unserem Einzuge in die neue Wohnung mit 
jedem Tage schwächer und konnte bald das Haus nicht mehr 
verlassen. Sowohl Herr VELDKAMP, der für ihn ein Bett herbei- 
schaffen liess, als auch der damalige Vorsteher der Hamburger 
Faktorei, Herr R. ScHhmipr, und der Missionär Rev. GruBB mit 
seiner Frau thaten ihr Möglichstes, um den Zustand meines armen 
Gefährten erträglicher zu machen. Da es aber mit ihm immer 
schlimmer wurde, so entschloss ich mich, ihn mit der längst 
in Cape Mount erwarteten, holländischen Brigg „Elise Susanna” 


— 216 — 


nach Monrovia zu bringen, hoffend, dass die Seereise eine Besserung 
in seinem Zustande bewirken würde. Von Monrovia aus hätte 
er dann mit der ersten Gelegenheit nach Europa zurückkehren 
können. | 

Am 3. Juni lief das sehnlichst erwartete Schiff endlich ein, und 
Kapitän van Duyn erklärte sich sogleich bereit, meinem Wunsche 
zu entsprechen. Während der neun Tage, die das Schiff vor Anker 
blieb, verschlimmerte sich aber der Zustand des Kranken über- 
raschend schnell, eine besorgnisserregende Apathie stellte sich 
bei ihm ein, und am Vorabend des für die Abfahrt festgesetzten 
Tages, den 10. Juni, als bereits Alles für die Reise bereit war, 
wurde er durch den Tod von seinen Leiden erlöst. 

Die freundlichen Missionäre erboten sich sofort, dem todten 
Freunde auf ihrem Begräbnissplatze eine Ruhestätte zu gewähren 
und trafen dazu die nöthigen Anstalten. Von der Brigg herüber, 
sowie von den europäischen Faktoreien, die den ganzen Tag über 
geschlossen blieben, wehte die holländische und die deutsche 
Flagge halbmast. Sämmtliche Weisse in Robertsport, sowie 
Kapitän van Duyn und zwei mit dem Schiffe eben erst an die 
Küste gekommene Holländer, die Herren Verrauıs und HAMSTRA 
(dieser Letztere starb 14 Tage später in Grand Bassa) nahmen 
an dem Leichengeleite Theil. Auf der Missionsstation ange- 
kommen, wurde der Sarg in die Kirche getragen. Die Missionäre 
GruBB und Mc. NApB hielten das Todtenamt und die Missions- 
kinder sangen Trauerlieder. Einige Augenblicke später schloss 
sich das Grab über meinem armen Reisegefährten, der für 
unsere Unternehmung so viel gelitten, so manches Traurige 
miterlebt. 


xl. 


Eine Jagdreise ins Innere. 


Nach Cambama.— Der 
Morfi River. — Landung 
in Toöcoro. — Der Ja- 
paca Creek. — Neger- 
gesang. — Ankunft in 
Cambama.— Mein Jäger 
JACKSON. — Fussreise 
nach Gonon. — Aufent- 
halt in Gonon. — König 
JoHN. — Die Baboons 
(Chimpansen). — Abste- 
cher nach Bandacoro. — 
Nach Fali.— Samalima. 
— Die Stadt Fali. — Wie 
ich mit König PETER 
Freundschaft schloss. — 
Ausflug nach Tongo- 
coro. — Affenjagd. — 
Reise nach Mr. Brown’s 
Place. — Ein Palaver 
in Canga. — Rückreise. 
— Eine gefährliche 
Brücke. — Japaca. — 
Empfang durch Kö- 
nigin SANDIMANY. 


TREE) Und 
Ka 


‘ Eingeborne in Cambama. 


‚Um mich aus der gedrückten Stimmung herauszureissen , die 
mich während der letzten traurigen Tage beschlichen hatte, 


= all) — 


beschloss ich kurz nach dem Tode meines Gefährten, einen schon 
früher geplanten Jagdzug nach dem Hinterlande des Fisherman 
Lake zu unternehmen. Schon in Buluma hatten wir nämlich 
aus dem Innern zahlreiche Berichte über das Vorkommen von 
seltenen Thieren erhalten, die wir früher lange vergeblich gesucht. 
Auch hatte ich vernommen, dass in letzter Zeit dort zahlreiche 
baboons (Chimpansen) sich aufhalten sollten. 

Als ich jedoch kaum einige Tage im Inlande war, stellte sich 
Fieber bei mir ein und mahnte zur Vorsicht, und der viele 
Regen und hohe Wasserstand trugen das Ihrige dazu bei, diesen 
Jagdzug über alles Erwarten unergiebig zu machen. 

Den 16. Juni trat ich, auf 14 Tage mit allem Nöthigen 
ausgerüstet, und begleitet von dem Liberianer Dr. J.J. RoBERTS, 
meinem rothbärtigen Jäger Jackson DEMERY und einigen Bedienten, 
die Reise an. Wir fuhren in einem 30’ langen, 4’ breiten und 
3’ tiefen, aus einem riesigen Bombaxstamme gehöhlten und mit 
zwei Masten versehenen Canoe den Pissu (Fisherman Lake) bis 
nahe an unsere vormalige Station Bendoo hinauf und bogen dann 
in den weiten, nördlichen Seebusen ein. Mit vollen Segeln scharf 
vor dem Winde haltend, erreichten wir schon früh das obere 
Ende dieser breiten, inselreichen Bucht und fuhren in den hier 
ausmündenden, sehr tiefen, aber kaum 50 Schritte breiten Morfi 
River hinein. Ungefähr eine mile flussaufwärts landeten wir am 
linken Ufer und besuchten den kleinen, mit einem doppelten 
Palissadenzaun umzogenen Negerplatz Toöcoro, der zwischen 
Wald und Bananenbüschen halb verborgen, auf dem Rande des 
Hügelrückens lag, welcher das bei Bendoo in den See hinaus- 
ragende Vorgebirge bildet. Toöcoro ist eine sogenannte Sklaven- 
stadt (Dschong-sandscha), die einem halbeivilisirten, eingebornen 
Häuptling, Mr. CoL£, gehört. Sämmtliche Einwohner dieser „Stadt” 
sind Sklaven und liegen unter Aufsicht eines von Mr. Coue’s freien 
Unterthanen dem Landbau und der Produktion von Palmöl ob. 

Nach kurzem Aufenthalte fuhren wir weiter flussaufwärts. Die 
Uferlandschaft bestand zunächst grösstentheils aus hohen und 
dichten Mangrovewäldern. Diese Letztern machten weiter hinauf 
herrlichen Weinpalmen Platz, welche, obschon fast stammlos, ihre 
bis 30’ langen, beinahe aus der Erde emporgeschossenen, langge- 


— 219 — 


fiederten Blätter schattenspendend weit über das Wasser hinaus- 
wölbten. Hinter diesem dichtbewäachsenen Ufersaume bildeten 
srosse Wälder von Oelpalmen, abwechselnd mit ausgedehnten 
Reisfarmen, zu beiden Seiten die Landschaft. Noch nie zuvor 
hatte ich solch grosse Palmenbestände angetroffen, und der Anblick 
dieser in Massen vereinigten Kinder der Tropen bot einen über- 
raschend schönen Anblick dar. Obwohl ich schon vorher Palmen 
genug gesehen, fand ich sie doch stets vereinzelt und als geringen 
Bestandtheil der gemischten Wälder dieser Gegenden vor. Der 
Anblick ausgedehnter Palmenwälder aber mit den schuppigen, 
schlanken, bis 100 Fuss langen, überall gleich dicken Stämmen 
und den oben drauf sitzenden Federbusch-ähnlichen Wedelkronen, 
meist ohne alle Beimischung von andern Bäumen, stellenweise 
sogar ganz frei von allem Unterholz: dieser Anblick war mir 
neu, und es kam mir vor, als ob ich in einen riesigen, gothischen 
Dom hineinblicke, wo Pfeiler an Pfeiler sich reiht, überwölbt 
von Spitzbogen und kühn geschwungenen Kuppeln. An den 
Ufern sah man hie und da, einem alten, knorrigen Baumstamm 
ähnlich, ein Krokodil halb aus dem Wasser emporragen, das 
jedoch bei unserer Annäherung langsam, fast unmerklich und 
lautlos ins Wasser zurückglitt. In den Kronen der Palmen trom- 
peteten mit lauten Nasentönen zwei Arten grosser Nashorn- 
vögel, Buceros atratus und B. elatus, und auf vom Ufer über das 
Wasser hinausgestürzten Baumstämmen sassen in träger Stel- 
lung, auf Fische lauernd, farbenprächtige Eisvögel, Mangrove- 
reiher (Ardea gularis), Comorane und Schlangenhalsvögel mit 
S-förmig eingezogenem Halse. 

Nachdem wir gegen 6 miles, meist in nördlicher Richtung, 
flussaufwärts gefahren, bogen wir Östlich in ein Nebenflüsschen 
des Morfi River, den sogenannten Japaca Creek ab. Dieser 
stellenweise sehr enge und raschfliessende Waldbach führte durch 
gemischte Wälder hin, deren weitästige Baumkronen sich über 
dem Wasser zusammenwölbten und vor den sengenden Strahlen 
der senkrecht über uns stehenden Sonne vortrefflichen Schutz 
gewährten. Die Segel waren schon längst heruntergeholt, und 
neun stämmige Schwarze liessen nun unter kräftigen Ruder- 
schlägen ihre monotonen Gesänge ertönen. Der Chef (headman) 


— 220 — 


einer solchen Bemannung, der sich gern Captain tituliren lässt 
und zugleich als Steuermann fungirt, ist der Vorsänger und 
behandelt ein beliebiges Thema aus dem Stegreif, und zwar meist 
auf eine Weise, dass man vielen dieser Leute, wenn man etwas 
von ihrer Sprache versteht, eine gewisse po&tische Begabung nicht 
absprechen kann. So sang mein „Captain”, als wir uns Cambama, 
der Endstation des ersten Tages, näherten, nach einer der belieb- 
testen Melodien ungefähr folgende Worte rein aus dem Stegreif, 
wobei die Ruderer mit einer bewunderungswürdigen Taktsicherheit 
einsetzten und den Refrain sangen: 

„Passt auf, ihr Bewohner Cambama’s, und hört, was ich sage! 
Kommt herunter zur Wasserseite, kommt herunter, kommt 
herunter; Alles, was gehen kann, komme. — Der weisse Mann 
ist hier von gross Amerika!). Ihr kennt ihn Alle, den Mann, 
der zu uns gekommen ist von Du Coro (Monrovia), den weissen 
Jäger von Bendoo und Buluma. Wer sollte nicht schon von 
ihm gehört haben und von seinem Flanding bu (Doppelflinte), der 
stets geladen ist, immer schiesst und nie aufhört? Ihr Leute 
von Cambama, freuet euch! Aufhören wird nun der arglistige 
Feind, euern Reis zu schneiden, und Frauen und Kinder wird 
er nicht mehr wegführen. In Frieden könnt Ihr euern Palmwein 
trinken und euch des süssen Oeles genug bereiten. Der weisse 
Mann ist stark und behend, wie Keiner! Dem Büffel, dem unge- 
stümen, geht er nicht aus dem Weg, den grimmigen Leoparden 
sucht er im Lager auf, und das Krokodil, das am Ufer lauert, 
erwürgt er und wirft es ins Wasser. — Der weisse Mann ist 
freundlich und gut, er giebt uns zu trinken und macht uns 
stark ?). Er setzt sich zu euch ans Küchenfeuer und hört gern 
eure Erzählungen an. Er kommt und ist eures Königs Gast. — 
Kommt her, wir bringen ihn, ihn und den rothen Jacky). 


ı) Nach der Ansicht dieser Leute kommen alle Weissen von „big ’Merica” 
(Vey: Puru bah); dass es auch einen Welttheil Europa giebt, liegt ihnen zu fern. 

?) Die Eingebornen sagen, dass Branntwein stark mache; daher auch der 
viel gehörte Ausdruck: make me strong (mache mich stark) statt einer Bitte 
um Branntwein. 

3) Unter diesem Namen war mein Jäger JACKson in der ganzen Gegend 
bekannt. 


— 221 — 


Kommt, kommt herunter, Alles was gehen kann ; kommt herunter 
zur Wasserseite, wir sind gekommen und legen an!” 

Es war mitten am Nachmittage, als wir am Landungsplatze 
von Cambama anlegten, wo wir die ganze Bevölkerung des 
Platzes am Ufer stehend antrafen. Ich war selbstverständlich 
sofort der Gegenstand der allgemeinen Neugierde. In Abwesenheit 
des Häuptlings wurde ich durch seine head-woman (erste Frau), 
ein altes hässliches, aber sehr gutherziges, englisch sprechendes 
Mütterchen, empfangen. Einige der anwesenden Männer, die 
uns schon früher in Bendoo und Buluma besucht hatten, traten 
nun zu mir heran. Sie waren ungeheuer geschmeichelt, als sie sahen, 
dass ich sie noch kannte und ihren Gruss mit dem üblichen 
Händeschnalzen erwiderte. Mit einem gewissen Stolze erklärten 
sie ihren Gefährten die Manipulationen des Ladens und Schiessens 
an dem Lefaucheux-Gewehre, das über meinem Rücken hing. Unter- 
dessen hatten sich Frauen und Töchter an mich herangemacht 
und beguckten mich von allen Seiten, betasteten mir unter Aus- 
drücken grössten Staunens Gesicht, Hals und Hände, unterhielten 
sich über die helle Farbe und die Feinheit meiner Haut, streiften 
mir die Hemdärmel auf und hätten mich am liebsten. ganz ausge- 
kleidet, nur um sich zu überzeugen, ob ich auch wirklich ein 
echter Weisser sei. Dann und wann kam auch eines der kleinen, 
nackten Kinder, um mich aus der Nähe zu betrachten, eilte aber, 
sobald ich es anblickte, zu seiner Mutter, verbarg sich hinter ihr 
und sah mich dann zwischen ihren Beinen durch verstohlen an. 
Ein kleines, nacktes Mädchen, das sich etwas nahe an mich heran- 
gewagt hatte, schrie und strampelte furchtbar, als ich es ergriff 
und auf meine Arme nahm. Einige englische Biscuits, die ich 
zu solchem Zwecke in meiner Tasche mitzunehmen pflegte, 
beruhigten es jedoch bald, und als ich es wieder auf den Boden 
setzte, eilte es mit freudestrahlendem Gesichte zu seinen Kame- 
raden, die nun bald ohne Scheu alle zu mir herankamen um 
ebenfalls beschenkt zu werden. Auf diese Weise hatte ich mir 
ohne Mühe die Frauen und durch diese auch die Männer günstig 
gestimmt. Hierauf wurde ich nach der Stadt geführt, wo mir 
old mammy Nono, wie JACKSON die Regentin nannte, eine Hütte 
zum Aufenthalt anwies. 


— 222 — 


Cambama verdient, wie die meisten dieser Negerresidenzen , 
keineswegs den landesüblichen Namen town (Stadt), und man würde 
überhaupt besser thun, alle diese Orte Dörfer zu nennen. Wie 
die meisten der auf dieser Reise gesehenen Plätze, ist Cambama 
ein armseliges Nest von halb verfallenen, kreisrunden, ovalen und 
viereckigen Hütten mit Lehmwänden und Dächern von Palm- 
blättern. Einen angenehmen Contrast zu den traurig aussehenden 
Wohnungen bildeten die stets sauber gehaltenen freien Plätze 
zwischen den Häusern, sowie die beinahe peinliche Sauberkeit, 
die in diesen letztern selbst herrschte. 

Ich fand viel Elend in diesem Dorfe; die Leute litten Hunger 
und Manche, unter Andern auch der Häuptling GEORGE GRAY, ein 
Mann, der lange auf französischen Fahrzeugen gedient hatte und 
daher etwas Französisch sprach, hatten sich aus Furcht vor feind- 
lichen Ueberfällen geflüchtet. Der Krieg, oder besser gesagt, die 
seit langen Jahren fast regelmässig sich wiederholenden Einfälle 
räuberischer Nachbarstämme, hatten diese schöne Gegend ruinirt, 
und Armuth, Hunger und gänzliche Muthlosigkeit herrschten 
nun unter den Bewohnern dieser von der Natur so reich geseg- 
neten Landschaft. | 

Die ersten zwei Tage nach unserer Ankunft wurden uns durch 
anhaltenden Regen verdorben. Da es nicht in meiner Absicht 
lag, schon in Cambama einen längern Aufenthalt zu machen, 
so warteten wir den ersten trockenen Tag ab, um unsere Reise 
landeinwärts, und zwar diesmal zu Fusse, fortzusetzen. Einige 
meiner Bedienten, begleitet von einem Führer aus Cambama, 
trugen in ihren Tragkörben Bagage und Proviant; ich und 
mein rother Jäger marschirten hintendrein. Bevor ich jedoch zu 
der Beschreibung dieses ereignissarmen Zuges übergehe, möchte 
ich meinem liberianischen Jäger, der mich nach dem Tode SAaLa’s 
auf allen grössern Jagdzügen begleitete und mir als getreuer 
Eckhard zur Seite stand, einige Worte der Erinnerung widmen. 

JACKSON DEMERY, in der ganzen Gegend kurzweg the red JACKSON 
(der rothe Jackson) genannt, wurde in Nord-Carolina, einem 
der Sklavenstaaten Amerika’s, geboren. Seine Mutter war eine 
Mulattin, während sein Vater ein rothbärtiger Irländer gewesen 
sein soll. Für die Echtheit dieses Stammbaums zeugten denn 


— 223 — 


auch seine helle Hautfarbe, sein blondes, weiches Haar und sein 
rother Bart. Mit einer Anzahl farbiger Ansiedler nach Liberia 
ausgewandert, erwarb er sich dort durch jahrelanges Reisen als 
Händler für verschiedene Faktoreien, sowie durch seine vielen 
Jagdzüge eine erstaunliche Kenntniss verschiedener Theile des 
Inlandes, seiner Bewohner und von deren Sprachen und Sitten. Er 
hatte grosse Routine in der Manier, die Eingebornen zu behandeln 
und war unerschöpflich in derben Spässen und Witzen, wie sie 
eben den Eingebornen zusagen. Kamen wir nach irgend einem 
Negerdorfe, und war es auch noch so abgelegen, so hiess es 
gleich: „Eh, Jacky, bist du da? Wir haben dich lange nicht 
gesehen, u.s.w.” Wo auch Jackson sich unter den Eingebornen 
zeigte, da entstand Leben und Fröhlichkeit; die Weiber wurden 
nicht müde, sich mit ihm herumzureissen, und auf seinen rothen 
Bart wurden sogar Lieder gedichtet. Als Jäger und Begleiter 
war mir JAcKson unbezahlbar. Wo der weisse Jäger nicht mehr 
weiter kam, da wusste er Rath. Er jagte stets barfuss und 
trug überhaupt nur Schuhe in den Küstenplätzen, in der country 
nie. Seine Bewaffnung bestand aus einem alten Vorlader- 
Infanteriegewehr, und statt Schrot, Posten oder Kugeln lud er 
gewöhnlich, nach der Weise der Eingebornen, Stücke von zerschla- 
genen eisernen Kochtöpfen. Diese Stücke, sagte er scherzend, 
wenn ich darüber lachte, schneiden viel schöner ins Fleisch, als 
all Ihre Posten und Kugeln. Ein Jagd- d.h. Fleischermesser an 
der Seite und ein leinener Schnappsack vervollständigten seine 
Ausrüstung. Wir giengen nicht immer zusammen aus; jeder gieng 
meist seine eigenen Wege, und dann geschah es bisweilen, dass 
ich ihn einen ganzen Tag, ja zwei Tage lang nicht sah, da er 
sich um nichts kümmerte und seine Jagdzüge über grosse Gebiete 
ausdehnte. Trotzdem nahm er nie Proviant mit: einige Blätter 
Tabak zum Kauen und einige Kolanüsse, die er im Walde fand, 
waren Alles, was er nöthig hatte, und für eine gelegentliche 
Herzstärkung hätte er eine ganze Mahlzeit hingegeben. Er konnte 
überhaupt einen guten Tropfen vertragen, doch habe ich ihn nie 
betrunken gesehen. Im Finden von Thierfährten war er ein 
wahrer Indianer, und zudem hatte er eine bewunderungswürdige 
Orientirungsgabe. Stiess er auf irgend eine Fährte, z.B. diejenige 


— 224 — 


des Pinselschweins, dann folgte er ihr unverzüglich durch Dick 
und Dünn. Führte ihn diese in einen Sumpf: „never mind,’ sagte 
er, zog sich splitternackt aus, band seine Kleider zu einem 
Bündel zusammen und dieses auf seinen Kopf, hielt Gewehr und 
Jagdtasche über sich und gieng hindurch. Nur selten verlor er 
die Spur, es sei denn, dass das verfolgte Stück Wild durch 
Wasser schwimmend zu entkommen wusste. Im Jagen sieng 
sein ganzes Thun und Denken auf. So lange ich in Cape Mount 
war, hat er nie ein anderes Werkzeug als ‚sein Gewehr in 
Händen gehabt. Hacke und Spaten waren ihm stets ein Greuel. 
Tag ein Tag aus trieb er sich im Walde herum, und dass ihm 
bei der dortigen verhältnissmässigen Wildarmuth und der spär- 
lichen Beute — er jagte stets nur auf grosses Wild — die Geduld 
nicht ausgieng, kann nur derjenige begreifen, der längere Zeit 
die Leiden und Freuden eines ungebundenen Jägerlebens gekostet 
hat. Liess ich ihm am Abend sagen: „Morgen früh machen wir 
einen Jagdzug nach dem Inlande”, dann war ich sicher, dass er 
schon lang vor Tagesanbruch vor meiner Thüre stand, um mich 
aus dem Schlafe zu trommeln. Auf solchen Zügen fungirte er 
sewöhnlich als Proviantmeister, und wenn in der verborgensten 
Ecke eines Negerdorfes noch ein mageres Hühnchen sich seines 
Daseins freute, mein JACKSON wusste es aufzuspüren und mit 
einem unwiderstehlichen Schwall von Beredtsamkeit für wenig 
Geld in meine Pfanne zu spielen. 

Mit diesem meinem Leibjäger also beschloss ich den Zug durch 
den weiten, düstern Urwald, den wir vor unserer Ankunft in 
Gonon, unserem vorläufigen Reiseziele, nicht mehr verlassen 
sollten. An Unterhaltung war kaum zu denken, denn Einer 
musste hinter dem Andern her marschiren, da die schmalen, tief 
ausgetretenen Waldpfade für zwei Mann neben einander zu enge 
waren. Da die Neger auf solchen Märschen sehr schnell gehen, 
hat man Mühe, mit ihnen gleichen Schritt zu halten und muss 
sich sehr in Acht nehmen, dass man nicht in Löchern und 
Wassertümpeln stecken oder an knorrigen Wurzeln und vor- 
springenden Felsstücken hängen bleibt. Der W-eg führte uns 
durch hügeliges Terrain, bergauf, bergab, und nicht selten durch 
vollgelaufene Sümpfe, die man auf vor sich hingeworfenen 


— 225 — 


Knüppeln und abgeschnittenen Baumästen, von denen man aber 
nicht selten abglitt, durchwaten musste. Manches Hinderniss 
boten auch die zahlreichen, vom Regen angeschwollenen Bergbäche, 
deren Bett meist von wild durch einander liegenden Felstrümmern 
gebildet wurde. Auf dem ganzen, langen Wege durch diese regen- 
triefenden, endlosen Wälder von hochstämmigen Baumriesen, 
üppig wucherndem Unterholze und wirr durch einander geschlun- 
genen Lianen und Rotang war auch nicht ein Stück Wild zu 
sehen. Nur die schon erwähnten Nashornvögel trompeteten lustig 
drauf los, und auf bedeutenden Abstand hörten wir einige Male 
das Grunzen und Quacken von Stummelaffen. 

Wir waren am Morgen um acht Uhr von Cambama aufge- 
brochen und erreichten, ohne irgendwo auch nur einen Augen- 
blick Halt zu machen, gegen 12 Uhr einen auf dem Rande 
eines Hügelrückens gelegenen, offenen Platz mit einigen verlas- 
senen Negerhütten, wo etwa eine halbe Stunde gerastet wurde 
und die zerstreute Karawane sich sammelte. Von hier ab war 
der Weg, obschon stets noch hügelige Gegend durchschneidend, 
weniger beschwerlich, und gegen drei Uhr erreichten wir, nachdem 
der bei Cambama verlassene und hier sehr schmale Japaca Creek 
zweimal durchwatet worden war, unser vorläufiges Reiseziel 
Gonon!), wo wir von dem residirenden Häuptling JoHx freundlich 
empfangen wurden. Auch dieser kannte JAckson, und Letzterer 
schwatzte und log ihm so viel Interessantes und Abenteuerliches 
über meine Person vor, dass ich dabei fast die Augen niederschlug 
und mir ohne viel Markten meinerseits das beste und bequemste 
Haus der ganzen Stadt eingeräumt wurde. Dieses war insofern 
von allen früher gesehenen abweichend gebaut, als es aus zwei 
Wohnräumen bestand, die durch eine das Haus quer durch- 
laufende Gallerie getrennt waren. In dieser Gallerie wurde 
gekocht; den einen Wohnraum trat ich meinem Jäger JACKSON 
und den Bedienten ab, und den andern bezog ich selbst. Derselbe 
bildete ein recht hübsches Appartement mit verschliessbarer Thür- 
und Fensteröffnung, sowie einem guten, wenn auch etwas harten 


') Wird auf französische Weise ausgesprochen und bedeutet soviel als 
Barrikade. 
LIBERIA, ], 15 


— 220 


Bett von Bambusmatten mit Wänden und Baldachin von dem- 
selben Material. Von dem Betthimmel herunter baumelte ein 
Talisman, bestehend aus einem kalligraphischen Kunststück, 
nämlich von in sehr sinnreicher Weise in arabischer Sprache auf 
ein Stück Pergament geschriebenen Koransprüchen. Diese meist 
sehr schön gearbeiteten Talismans, welche in verschiedenen, sich 
dem Mohammedanismus zuneigenden Stämmen den weit plumpern 
Grigris der Fetischpriester den Rang ablaufen, bilden für die das 
sanze Land durchziehenden Mandingo-Derwische einen einträg- 
lichen Absatzartikel. 

Nach kurzer Ruhe besichtigte ich die Stadt, die jedoch wenig 
Sehenswerthes bot. Sie ist auf einem breiten Hügelrücken erbaut, 
der von einem kleinen Bache, welcher später den Japaca Creek 
bildet, umflossen wird und also eine ziemlich grosse Insel formt. 
Die Stadt bestand aus etwa 50 einfachen Lehmhäusern und war 
allem Anscheine nach sehr alt. Nach den Ueberresten früherer 
Barrikaden zu urtheilen, muss dieselbe einst viel grösser gewesen 
sein, und man behauptete, dass sie während der Regierung 
von JoHun’s Vater mehr als doppelt so viele Einwohner gehabt 
hätte, als gegenwärtig. Wiederholte feindliche Einfälle und die 
Unterdrückung der Sklavenausfuhr sollen die Bevölkerung jedoch 
auf die gegenwärtige, geringe Zahl reducirt haben. 

Während meiner Anwesenheit wurden zwei grosse Palaver 
verschiedener benachbarter Häuptlinge gehalten, worin die Frage 
der Wiederbefestigung Gonon’s besprochen wurde. Nach meiner 
Rückkehr soll Gonon wirklich wieder eine stark befestigte Stadt 
geworden sein; doch sind seither, nach dem Friedensschlusse mit 
den Kosso, die Barrikaden wieder abgebrochen worden. Ausserhalb 
der Stadt, am Wege nach Fali, befanden sich die Gräber der 
früheren Häuptlinge von Gonon, jedes mit einem Schutzdache 
von Palmblättern versehen. Auf einem der Gräber stand eine roh 
aus einem Holzklotz geschnitzte, menschliche Figur. Joun’s Vater 
hatte jedoch ein grosses Grab mitten in der Stadt und Joan versah 
dasselbe jeden Abend eigenhändig mit etwas Speise und frischem 
Wasser. In der Nähe der Gräber ausserhalb der Stadt befand 
sich der medicine- oder devil-bush mit vielen uralten Camwood- 
(Rothholz-) Bäumen, und nahe dabei, auf der Höhe des Hügels, 


— 227 — 


ein kolossaler Bambusbusch, (Bambusa gigantea?) einer der wenigen, 
den ich in Liberia zu sehen bekam !). 

Gonon soll in frühern Zeiten als inländische Station für die 
in Grand Cape Mount residirenden, spanischen Sklavenhändler 
eine gewisse Blüthezeit gehabt haben. Es liegt nämlich an der 
srossen Landroute von Robertsport, woselbst sich ein spanisches 
Sklavendepöt befand, nach dem Innern, d.h. nach der Golah-, 
Boatswain- und Busy-Country, und man erzählte mir, dass dort 
beinahe täglich ganze Züge jener Unglücklichen angelangt seien, 
um nach Cape Mount weiterspedirt zu werden. Jetzt hat freilich, 
obschon die inländische Sklaverei als eine unumstössliche Institution 
noch stets in voller Blüthe steht, die Ausfuhr von Sklaven längst 
aufgehört. Die früher so berüchtigte Route wird jetzt von fried- 
lichen, liberianischen Zwischenhändlern bereist, um für die Fakto- 
reien an der, Küste Palmöl und Palmkerne einzukaufen, Produkte, 
die meist gegen Tabak, Branntwein und Baumwollzeuge einge- 
tauscht werden. 

Der Häuptling JoHn war ein noch junger Mann, zwar etwas 
trocken und wortkarg, aber gutmüthig. Er trug nichts, das ihn 
von seinen Unterthanen hätte unterscheiden können. Ein Taschen- 
tuch bildete sein Unterkleid, und das Oberkleid bestand gewöhnlich 
aus einem Stück inländischem Zeug, das er um seinen Leib und 
über die linke Schulter schlug. Er sprach ganz gut Englisch, da 
er seine Knabenjahre in der Faktorei eines liberianischen Kaufmanns 
in Monrovia zugebracht hatte, wo er sich ganz nach europäischer 
Weise kleidete. Später aber sagte unser JoHn der Civilisation 
Valet, gieng nach Hause, legte seinen nach der Mode geschnittenen 
Anzug. ab, kleidete sich wieder nach inländischem Brauch und 
wurde nach dem Tode seines Vaters zu dessen Nachfolger ausge- 
rufen. Er hatte zur Zeit meines Besuches eine grosse Menge von 
Sklaven und war, da die Eingebornen ein Vermögen nach der 
Zahl von Sklaven und Weibern zu schätzen pflegen, in ihren 
Augen ein reicher Mann. Sein Vater hinterliess ihm bei seinem 


') Ein anderer steht bei der Stadt Buluma, und ein dritter, sehr grosser, 
mit beinahe schenkeldicken und bis 80° hohen Halmen, oberhalb Hartford 
am St. John’s River. 


— 228 = 


Tode 20 Weiber und über 100 Sklaven, und da Jomn damals 
selbst schon acht Frauen hatte, so durfte er in dieser Hinsicht 
wohl zufrieden sein. 

Die Sklaven wurden hier, wie fast überall, wo ich hinkam, 
beinahe als Familienglieder behandelt und auch, so lange sie 
sich gut betrugen, nur in seltenen Ausnahmefällen verkauft. 
Solche jedoch, die sich eines Diebstahls oder eines Uebergriffs in 
gewisse Rechte ihres Herrn schuldig machen, werden oft fürch- 
terlich durchgepeitscht, erhalten eine schwere Kette um den Hals 
und werden mit dem linken Fusse an einen dicken Holzklotz 
(stick) geschmiedet, an welchem auch die Kette befestigt ist. Auf 
solche Weise fesselt man auch neu angekaufte Sklaven, wie 
man sagt, um sie an ihren neuen Herrn zu gewöhnen und sie 
während der ersten Zeit am Weglaufen zu verhindern. Am 23. 
Juni kam der Häuptling der schon früher erwähnten Stadt Jondoo 
mit einem Sklaven an, den er, wahrscheinlich wegen irgend 
eines schweren Vergehens, verkaufen wollte. In Gonon konnte 
er aber keinen Abnehmer finden. Der trotzig aussehende Sklave 
trug einen Strick um den Hals, und seine rechte Hand war 
straff an die linke Schulter aufgebunden. 

In Gonon befand sich eine Schule, in der ein Mandingo-Derwisch 
die Kinder im Lesen und Schreiben der Mandingo-Sprache, im 
Singen und Beten unterwies und die religiösen Uebungen der 
zahlreichen zum Islam übergetretenen Einwohner leitete. Schon 
früh am Morgen rief das Muezzin die Gläubigen zum Gebet nach 
der als Moschee dienenden Negerhütte zusammen, und ertönte 
dann das kräftig gesungene Allah il Allah wie klagend :aus dieser 
Hütte herüber. Mit Tagesanbruch waren auch die Kinder ver- 
sammelt und liessen unter Leitung ihres diensteifrigen Lehrers 
ihre klagenden Gesänge hören, recitirten ihre Koranverse und 
schrieben dann auf den geweissten Holztafeln neu diktirte Verse 
auf, um dieselben für die folgende Lection auswendig zu lernen. 
Der schwarze Hafiz hatte in seinem weissen Talar, dem rothen 
Fez und seinem in feierliche Falten gelegten Gesichte ein recht 
würdiges Aussehen, das durch die schön geschnitzten, hölzernen 
Sandalen, auf denen er mühsam einherwatschelte, freilich eher 
verlor, als gewann. Ich hatte leider keine Gelegenheit, den 


— 229 — 


Mann näher kennen zu lernen, doch der Eifer, mit dem er sich 
seiner Aufgabe widmete, verrieth, dass es ihm damit Ernst 
sei, und diese Ueberzeugungstreue stellte ihn in meiner Achtung 
ebenso hoch, wie meine Freunde, die christlichen Missionäre. 

Die Umgegend von Gonon schien auf den ersten Anblick sehr 
geeignet, einen reichen Bestand an Jagdwild zu beherbergen. Das 
Terrain war hügelig, mit schönem, freilich viel zu dichtem 
Hochwald bedeckt und von zahlreichen, murmelnden Quellbächen 
durchzogen. Wir giengen denn auch schon am ersten Abend hinaus, 
um uns für den nächsten Morgen einige gute Posten auszusuchen. 
Das Jagdglück war uns jedoch nicht hold, denn unter dem 
wenigen Wild, das wir während unseres Aufenthaltes in Gonon 
antrafen, war auch nicht ein Stück, das mir besondere Freude 
gemacht hätte. Es waren namentlich Chimpansen und einige 
sehr seltene Arten von Stummelaffen, die mich in diese Gegend 
gelockt hatten, und ich erkundigte mich denn auch aufs Ange- 
legentlichste nach all diesen gewünschten Thieren. Die Antwort 
auf meine Nachfrage war aber überall dieselbe, die mir noch 
aus dem Golah-Lande her in den Ohren klang: „Oh Daddy , plenty 
live in this country, too much!’ Den Chimpansen schien man 
jedoch in der ganzen Gegend sehr gut zu kennen, und es ist 
zu eigenthümlich, was dieser in der Meinung der naiven Einge- 
bornen für eine Rolle spielt, als dass ich mit Stillschweigen 
darüber hinweggehen könnte. 

Der baboon — so wird in ganz Liberia der Chimpanse genannt — 
wird allgemein für ein über den andern Thieren stehendes Wesen 
gehalten. Wohl erlest man ihn hie und da, doch wird — und 
das bedeutet bei diesen Omnivoren von Eingebornen viel — sein 
Fleisch nicht, wie das aller andern Affenarten, gegessen; denn 
der baboon ist, wie sich die Leute ausdrücken, t00o much like man, 
d.h. zu sehr dem Menschen gleich. 

In letzterer Beziehung haben diese Leute, die Vergleichung auf 
sich selbst bezogen, nicht ganz Unrecht, denn der Chimpanse 
hat wirklich, auf grossen Abstand gesehen, einige Aehnlichkeit 
mit einem alten Buschnigger, und mehr als einmal hätte ich 
im Waldesdunkel aus Versehen beinahe einen dieser nackten 
Neger niedergeschossen. Man erzählt unter anderm vom baboon , 


— 230 — 


dass er auf zwei Beinen gehe, wie der Mensch, dass alte 
Exemplare nicht klettern, sich aber mit einem Prügelin der Hand 
gegen Angriffe zur Wehre setzen, mit geballten Fäusten auf der 
breiten Brust trommeln uud brüllen, dass man es meilenweit 
in der Runde hören könne). 

Wie sehr die Eingebornen darauf halten, diesen Affen dem 
Menschen nahe zu stellen, mag folgende Anekdote beweisen, 
welche mir ein alter Mann erzählte, der in seinen bessern Jahren 
mit Hund und Speer das Wild zu verfolgen pflegte: 

„Du hast gewiss,” so begann er, „auf deinen Jagden schon 
jene auffallenden, reingehaltenen, freien Stellen im Walde ange- 
troffen, über die man sich gewöhnlich keine Rechenschaft geben 
kann. Das sind des baboons Feuerstätten. Die baboons haben 
nämlich die Gewohnheit, in allen möglichen Dingen den Menschen 
nachzuahmen. Auf diesen Plätzen nun tragen sie trockenes Holz 
zusammen und schichten es zu einem grossen Stosse auf. Hierauf 
thut Einer der Bande, als ob er das Holz in Brand steckte, 
worauf dann alle zusammen das vermeintliche Feuer erst vor- 
sichtig, nach und nach immer stärker anblasen, bis ihnen 
zuletzt fast die Zunge aus der Kehle hängt. Hierauf kauern sie 
rund um den Holzstoss nieder, setzen die Ellenbogen auf die 
Kniee und breiten, gleichsam um sich zu wärmen, die Hände 
aus. So kann man sie bei nassem Wetter halbe Tage lang 
geduldig neben dem eingebildeten Feuer sitzen sehen.’ 

Auch in Gonon wurden wir arg vom Regen heimgesucht. 
Die nasse Witterung, besonders aber die häufige Ueberraschung 
durch heftige Platzregen auf der Jagd, verfehlte nicht, nachtheilig 
auf meine Gesundheit zu wirken. Gar bald befielen mich Schüttel- 
fröste, gefolgt von heftigem Fieber. Obschon an und für sich 
nicht gerade gefährlich, ist das Fieber sehr lästig, indem es den 
Menschen momentan zu aller und jeder Anstrengung unfähig 
macht und, was unendlich mehr bedeutet, die Kräfte nach und 
nach gänzlich erschöpft. | 

Den ersten, heftigen Anfall während dieser Reise bekam ich 
auf einem Abstecher nach Bandacoro, einem unbedeutenden 


ı) Also ganz das nämliche, was uns über den Gorilla berichtet wird. 


— 231 — 


Negerdorfe etwa 3 Stunden östlich von Gonon, wo uns ein 
eingeborner Jäger, den ich schon von früher her kannte, zur 
Jagd erwartete. Schon beim Abmarsche von Gonon sass mir das 
Fieber bleischwer in allen Gliedern; doch wer könnte zu Hause 
bleiben, wenn ihm an der Hand eines kundigen Führers eine 
Begegnung mit Chimpansen in Aussicht steht? Uebrigens hoffte 
ich, das herannahende Fieber durch rechtzeitigen Chiningebrauch 
vertreiben zu können. Vergebliche Mühe! Kaum waren wir 
etwa eine Stunde unterwegs, so öÖfinete der Himmel seine 
Schleusen, und nachdem wir waldbedeckte Hügel überschritten, 
ausgetretene Waldbäche durchwätet und durch nasses Unterholz 
uns den Weg gebahnt, kamen wir endlich regentriefend in 
Bandacoro an. In der ersten besten kitchen (schuppenartiges 
Gebäude) legte ich mich in eine Hängematte und liess neben 
mir ein grosses Feuer anlegen, um möglichst schnell trocken 
und warm zu werden. Ein heftiger Schüttelfrost hatte mich 
schon lange vor der Ankunft ergriffen, und bald stellte sich nun 
heisses Fieber ein. An Jagen war somit für mich nicht mehr 
zu denken; JAcKson aber, so nass er auch war, gieng trotz des 
anhaltenden Regens mit dem erwähnten Jäger aus, doch kam, 
wie übrigens zu erwarten war, ohne Beute zurück. Gegen Abend 
klärte sich das Wetter etwas auf, und da ich in dem armen 
Dörfchen nicht die Nacht zubringen wollte, so traten wir sofort 
den Rückweg nach Gonon an, wo wir nach Einbruch der Nacht 
eintrafen. Während der nächsten Tage hatte ich trotz sofortigen 
Chiningebrauchs noch einige heftige Fieberanfälle zu bestehen, 
die meine Kräfte beinahe auf Null reducirten. Schon dachte ich 
daran, nach Robertsport zurückzukehren, als ein Mann aus der 
weiter landeinwärts gelegenen Stadt Fali mir berichtete, dass 
er vor einigen Wochen in den Wäldern hinter Fali eine Begeg- 
nung mit Chimpansen gehabt, aber aus Schreck vergessen habe, 
auf dieselben Feuer zu geben. Da mir der Mann versprach, die 
Stelle zu zeigen, wo er die baboons gesehen, so hatte ich 
wenigstens einen wenn auch schwachen Anhaltspunkt; der Jagd- 
eifer besiegte meine Schwäche, und ich beschloss, sofort nach Fali 
überzusiedeln, um dort mein Jagdglück aufs Neue zu versuchen. 

Auf halbem Wege dahin passirten wir Samalima, einen 


2a 


auf einem Hügel gelegenen Ort von einigen zwanzig Häusern. 
Dieser Platz trug, wie Gonon, die Spuren von starken, hölzernen 
Barrikaden. Ihr Häuptling muss nach den Aussagen meiner 
Begleiter früher ein gefürchteter Kriegsoberster gewesen sein, 
der viele seiner Kriegsgefangenen eigenhändig lanssam zu Tode 
seprügelt haben soll. Er war kaum 60 Jahre alt, ein Mann von 
herkulischer Gestalt, aber unter der Gicht gebeugt und unfähig, 
irgend eine Waffe zu führen. Da dieser bisdahin der einzige 
von mir gesehene Neger war, der ein derartiges Gebrechen 
hatte, so fiel mir dies natürlich sofort auf; man erzählte mir 
jedoch sogleich, dass dasselbe eine Strafe für seine früher 
verübten Gräuelthaten sei. 

Am Eingange des Dorfes sah ich zwei Neger, zusammen an 
eine schwere Halskette gefesselt und den linken Fuss an den 
Block (stick) geschmiedet, arbeiten. Den sehr schweren Klotz 
trugen sie beim Vorwärtsschreiten an eine Leine gebunden in 
der Hand. In einem Schuppen sassen eine männliche und eine 
weibliche Person, ebenfalls auf vorgenannte Weise gefesselt, und 
zwar mit einem Fusse je an das eine Ende des Klotzes festge- 
schmiedet, so dass sie, obwohl sehr nahe beisammen, einander 
doch nicht erreichen konnten. Wie man mir erzählte, war es 
Eine der Frauen des Häuptlings mit einem ihrer Sklaven, die 
zusammen allzu intim geworden waren. Jeden Morgen früh 
erhielt nun das auf so eigenthümliche Weise vereinte Päärchen 
eine Anzahl Peitschenhiebe aufgezählt und musste dann den 
Tag über unter Aufsicht eines Wächters Palmnüsse aufklopfen. 

Die Zahl der Ziegen und glatthaarigen Schafe in diesem Platze 
war auffallend gross, doch wusste man mir den Grund davon 
nicht anzugeben. Von da bis Fali führte uns der Weg auf dem 
langen Rücken eines Hügels hin, auf dem man den Wald nieder- 
gehackt, die sehr zahlreich darin zerstreut stehenden Oelpalmen 
aber stehen gelassen hatte, so dass das Ganze das Ansehen eines 


') Die Peitsche besteht bei allen Eingebornen ohne Unterschied aus fünf 
dünnen, geflochtenen und an den Enden meist mit Knoten versehenen 
Lederriemen, die zusammen an einem hölzernen, zierlich mit Leder beklei- 
deten Handgriff befestigt sind. (Siehe die Abbildung im zweiten Band). 


— 233 — 


sehr stark gelichteten Oelpalmenwaldes bekam, in dessen Schatten 
die. dortigen Knollenfrüchte (Kassaven, Bataten und eddoes) gebaut 
wurden. Auf dem Ende des Hügelrückens angelangt, erblickten 
wir nahe vor uns auf einem andern Hügel die finstern Barri- 
kaden der Stadt Fali, welche wir nach dem Durchschreiten eines 
reizenden, von einem klaren Quellbache durchflossenen Thälchens 
erreichten. 

Fali, eine finster aussehende Stadt von etwa 60—70 nicht 
besonders gut erhaltenen Häusern, war der bestbefestigte Platz, 
den ich auf dieser Reise antraf, denn er war als ein strategisch 
besonders wichtiger Punkt mit 4 gut unterhaltenen, hohen 
Barrikaden umzogen und, weil auf einem Hügel gelegen und 
sehr gedrängt gebaut, verhältnissmässig leicht zu vertheidigen. 
Die drei Thore, wenn man die niedrigen, engen Thüröffnungen 
so nennen darf, waren besonders stark befestigt. Die Bürger dieser 
Stadt wohnten, wie dies bei den Eingebornen meist der Fall 
ist, in zerstreut liegenden Farmen und halftowns und betrach- 
teten die Stadt als eine Festung, wohin sie sich in Kriegszeiten 
mit ihren Lebensmitteln zurückziehen konnten. Daher standen 
bei meiner Ankunft auch viele Häuser leer. Fali ist ein bedeu- 
tender Stapelplatz für den Palmöl- und Palmkernhandel und wird 
von zahlreichen liberianischen Zwischenhändlern besucht. Der 
Häuptling von Fali, PETER), ein noch junger Mann, sass bei 
unserem Eintritt auf einem neuen Grabe, das mit einer Einfassung 
von Holzschwellen versehen war, und nähte an einem Shawl von 
inländischem Zeuge, welches er nach der Gewohnheit der Neger 
mit den Zehen des linken Fusses festhielt. Er würdigte meine 
Person, als Jackson mich vorstellte, kaum eines Blickes und stand 
nicht auf, als ich ihm die Hand zum Grusse reichte. Nach der 
gebräuchlichen Begrüssung gab er mir auf etwas mürrische Weise 
die Erlaubniss, in seiner Stadt wohnen und in deren Umgebung 

Jagen zu dürfen. Dann liess er mir durch einen seiner Leute 
eine Hütte als Wohnung anweisen. Diese nun, ein kleines, rundes 
Nest von kaum 10’ im Durchmesser, war im Nothfalle brauchbar 
als Schlafraum, als Arbeitslokal aber durchaus untauglich. Ich 


') Sein inländischer (Vey-) Name ist Waı Sına. 


— 234 — 

war daher mit dieser Wahl durchaus nicht einverstanden und 
liess durch meinen Führer den Häuptling herbeirufen. Das Gepäck 
hatte ich vor der Hütte aufstapeln lassen und mich selbst, 
anscheinend voll Unmuth den Blick auf die Erde geheftet, auf 
eine der Kisten niedergelassen. So erwartete ich den Häuptling. 
Als dieser, wahrscheinlich neugierig, wasich ihm als Gastgeschenk 
mitgebracht habe, nach langem Warten endlich erschien, stellte 
ich mich stolz, so lang ich war, vor ihn hin und redete ihn 
ungefähr mit folgenden Worten an: 

„König PETER, ich habe dich rufen lassen! Sieh mir einmal 
dieses Haus an. Ist es wirklich dein Ernst, mich in diesem 
finstern Loche ohne Fenster wohnen zu lassen? Wenn du mich 
beleidigen willst, warum dann nicht noch eine schlechtere Ecke 
für mich ausgesucht? Ich bin hieher gekommen von weit weg 
an der Küste. Ich bin gekommen, um dich zu sehen und deine 
Stadt, denn ich habe viel von dir erzählen hören. Ich bin zu 
dir gekommen und habe mich zu deinem Fremdling gemacht. 
Du hast mich angenommen und meinen Jacky, den du ja schon 
lange kennst. Wir sind nun deine Fremdlinge (Gäste). Schämst 
du dich nun nicht, mich in dieses Loch zu stecken? Ich bin 
schon weit herum gewesen, bei den Golah, Busy und den kriege- 
rischen Pessy; ich habe die Mandingo besucht. Aber überall, 
wo ich auch hinkam, wurde ich freundlich empfangen; das beste 
Haus in der Stadt wurde mir eingeräumt. Man gab mir zu 
essen; das Beste, das man hatte, brachte man mir. Alle jene 
Leute sind meine lieben Freunde geworden. Was muss aber diese 
Handelsweise bedeuten? Hat dir König JoHn nicht einen Boten 
gesandt, um dir zu sagen, dass der weisse Jäger kommt? Hast du 
mich nicht selbst kommen sehen, und haben wir nicht zusammen 
am Thore geschnalzt‘!)? Ich bin solche Behandlung nicht gewohnt! 
Machen wir darum die Sache kurz. Entweder giebst du mir ein 
gutes, helles Haus und schickst mir etwas zu essen, oder Ich 
lasse noch diesen Augenblick meine Sachen aufpacken und gehe 
weiter nach Canga, wo ich weiss, dass ich mehr Gastfreundschaft 


I) Ueber das Schnalzen mit den Fingern beim Händedruck siehe den 
Abschnitt über die Eingebornen im zweiten Band. 


— 235 — 


finden werde, und dort werde ich dem Könige DAUwWANA sagen, 
wie man hier in Fali die Gesetze des Landes!) zu handhaben 
versteht!” 

Darauf erwiederte der Häuptling in ziemlich gutem Englisch: 
„Weisser Mann, sei nicht böse auf mich! Sei mir nicht böse, 
wenn meine Sinne mich verlassen haben! Mein Herz liegt nicht 
gut, mein Kopf ist müde und meine Augen sehen trübe. — Hast 
_ du nicht gesehen, wo ich sass, als du durch das Thor tratest? 
Das ist das Grab meiner Mutter. Seit meine Mutter todt ist, 
habe ich nur halbe Gedanken. O, sie war so gut, so gut!” Da 
ich wusste, wie sehr die Neger, und zwar nicht nur Kinder, 
sondern auch Erwachsene, an ihren Müttern hängen, hütete ich 
mich wohl, ihn zu unterbrechen, und nach einer kleinen Pause 
fuhr er fort: „Glaube du aber nicht, dass ich dich nicht gerne 
als Fremdling "bei mir sehe, oder dass ich die Gesetze der 
Gastfreundschaft nicht kenne oder nicht handhaben will. Ich 
habe dich gekannt, lange bevor ich dich sah, denn Aller Mund 
ist voll von dir! Ich habe dich aber nachlässig behandelt, ich 
habe dir nicht selbst ein Haus gesucht. Komm nun mit; ich 
gehe mit dir, und das Haus, das dir am Besten gefällt, das sollst 
du haben!” Hiemit setzte er sich in Bewegung, und wir machten 
einen Gang durch die Stadt. Plötzlich blieb ich stehen, und auf 
ein Haus mit geräumiger Veranda und verschliessbaren Fenster- 
läden und Thüren weisend, sagte ich: „Dieses Haus passt für 
mich, das möchte-ich haben.” — „Es ist das Haus meiner Mutter,” 
entgegnete er, „seit ihrem Tode hat noch niemand darin gewohnt. 
Du aber bist der grösste Fremdling, den ich je in meiner Stadt 
begrüsst, und der erste weisse Mann von gross Amerika, den 
ich hier gesehen; du hast geglaubt, ich sei dein Gastfreund nicht: 
du sollst es haben !” 

Beim Weggehen warf er einen langen, verliebten Blick auf 
mein Gepäck, das eben herbeigeschafft wurde, und worunter 
ein rothes Kistchen ?) seine besondere Aufmerksamkeit zu fesseln 
schien. Ich verstand diesen Blick noch von Bavia her, liess das 


!) Ueberlieferungen, die Gastfreundschaft betreffend. 
°) Alle holländischen Branntweinkisten sind roth gefärbt. 


— 286 — 


Kistchen öffnen und holte eine vierkantige Flasche Branntwein 
hervor, ohne den man unter dieser Bevölkerung schwerlich 
reisen kann. „Lass uns den Freundschaftstrunk trinken ,” sagte 
ich lächelnd zu ihm, füllte meinen zinnernen Becher voll, nippte 
nach Landessitte eben daran, zum Zeichen, dass es nicht Gift 
sei, und hielt ihm dann denselben hin zum Friedens- und Freund- 
schaftsschluss. — Ich brauche hier nur noch beizufügen, dass 
in meinem Hause von nun an jeden Tag der Friede aufs Neue 
zwischen uns besiegelt wurde, bis wir zuletzt die besten Freunde 
waren! 

Noch am nämlichen Tage begleitete mich PETER nach der etwa 
eine Stunde entfernten Halftown Tongocoro, um mich mit der 
Gegend etwas bekannt zu machen. Wir fanden überall grosse 
Strecken Waldes ausgerodet und in Farmen verwandelt, wo 
Maniok und Reis gebaut wurde. Eine von PrrEr’s zahlreichen 
Frauen führte in dieser Halftown das Regiment. — Am nächsten 
Morgen gieng ich mit Jackson, begleitet von dem bereits erwähnten 
Manne nebst einigen Andern, hinaus, um mir die Stelle zeigen 
zu lassen, an der man die Chimpansen gesehen hatte. Wie zu 
erwarten war, fanden wir keine Spur von diesen Thieren, denn 
die Bäume, die ihnen damals in einer Art wilder Feigen das 
Futter geliefert hatten, waren längst aller Früchte beraubt. 

Wir bewesten uns bei diesem Marsche in bergigem Terrain mit 
Thälern, die von schönen Quellbächen durchrieselt wurden. JACKSON 
hatte sich, einer Antilopenfährte folgend, von uns Andern getrennt; 
wir aber hatten das Glück, einen Trupp rother Stummelaffen 
(Colobus ferrugineus) zu beschleichen, der sich unter grossem Lärm 
in den Kronen riesiger Waldbäume herumtrieb. Von ihnen 
ungesehen, hatte ich Zeit genug, die klugen Thiere mit Hülfe 
meines Feldstechers in aller Ruhe zu beobachten. Welch eine 
unglaubliche Elastieität und Behendigkeit, welche Boshaftigkeit 
und Verschlagenheit solch ein munteres Affenvolk in diesen 
hohen, luftigen Regionen zur Schau stellt! Welch eine ernste 
Würde in der Haltung dieses Einen, der, ohne sich in den Streit 
der Andern zu mengen, abseits auf einem Aste sitzt, und welche 
Grimassen dagegen und Capriolen jener Fechtenden und Verfolgten, 
wenn sie dem Verfolger durch irgend eine List entrinnen Können! 


— 237 — 


Doch der Jäger lebt nicht vom Beobachten allein, und da mir 
diese Affenart für meine Sammlungen sehr willkommen war, 
so suchte ich ein besonders stattliches Exemplar aus und sandte 
ihm aus meiner grossen Affenflinte — Lefaucheux-Doppelflinten 
tragen nicht so weit — eine Ladung Fuchsschrot zum Morgen- 
grusse hin. Der Rauch liess mich über die Wirkung des Schusses 
im Unsichern, doch meine Führer versicherten einstimmig, dass 
ich gut getroffen habe und wollten auch nicht dulden, dass 
ich nochmals schiesse. Ich wartete wohl 10 Minuten. Alle 
übrigen Affen hatten auf meinen Schuss das Weite gesucht, 
und noch lange hörte ich sie in der Ferne bellend und kreischend 
in wilder Flucht durch die Baumkronen dahinrasen. Der Getroffene 
aber sass noch immer unbeweglich auf einem Baumast, mit dem 
einen Arm den Stamm umklammernd und den Kopf auf die 
Brust niedergebeugt, als ob er schliefe. Ich kannte jedoch diese 
List; giebt es ja doch auch Füchse und selbst Käfer, die sich 
todt stellen, um sich im ersten unbewachten Momente auf und 
davon zu machen. Ein zweiter Krach, und der langhaarige Akrobat 
rutschte ein langes Ende den Stamm hinunter. Meine Begleiter 
machten Luftsprünge, doch zu voreilig. Auf einmal erreichte er 
einen neuen Stützpunkt, wo er sitzen blieb. Ein dritter Schuss, 
diesmal aus meiner Doppelflinte, warf ihn auch von diesem Platze 
herunter, er stürzte und stürzte, um sich plötzlich in einigen 
Aesten, die er passirte, mit einer seiner Vorderhände wieder 
festzuhalten und so zu verenden. Er hatte sich, wie viele Affen 
thun, im Todeskrampfe während des Falles an den Ast festge- 
klammert, und wir mussten nun das Vorübergehen der Todten- 
starre abwarten, um ihn herunterfallen zu sehen. Das beredte, 
tief traurige Mienenspiel eines sterbenden Affen, sein vorwurfs- 
voller und doch bittender Blick haben jedesmal einen tiefen 
Eindruck auf mich gemacht, einen Eindruck, den ich heute noch 
nicht vergessen habe, so dass ich während meiner zweiten Reise, 
mit Ausnahme einiger seltener Exemplare, keinen einzigen Affen 
schoss, so oft ich auch dazu Gelegenheit gehabt hätte. — Ich 
war daher froh, den Todeskampf des armen Schlachtopfers der 
Wissenschaft nicht mit ansehen zu müssen und wartete ruhig den 
Moment ab, in dem er von selbst herunterfallen musste, Nach 


aa 


beinahe einer Stunde Wartens hörte man’s denn oben in den Aesten 
krachen. und mit einem schweren Plumps, als ob er in den 
Erdboden hineinschlagen müsste, lag er vor unsern Füssen. Es 
war ein Prachtkerl von 40 Pfund Gewicht, mit dem dieser Art 
eigenthümlichen, fratzenhaften, kohlschwarzen Gesicht, tief unter 
vorstehenden Jochbogen liegenden Augen, kleiner, eingedrückter 
Nase, kräftigem Gebiss und vorstehendem Kinn. Den Affen 
durch einen meiner boys tragen lassend, trat ich nunmehr den 
Rückzug nach Fali an. Vor dem äussersten Thore angekommen, 
bedeutete mir einer der Stadtältesten, dass nach einem alten 
Gesetze (country-law) Affen, als unreine Thiere, nicht in die Stadt 
hineingebracht werden dürften. Da mir Aehnliches an andern Orten 
auch schon vorgekommen war und ich die Strenge solcher Gesetze 
kannte, so dachte ich nicht einmal daran, die Intervention des 
Häuptlings einzurufen, legte den Affen ausserhalb der Barrikaden 
auf einen Holzstoss und häutete ihn mit meinem Jagdmesser 
ab. Den Cadaver schnitt ich in Stücke und konnte nachher Haut 
und Fleisch unbehelligt in die Stadt bringen lassen. Hier präparirte 
ich die Haut für meine Sammlung, liess ein schönes Stück Fleisch 
für mich braten, einige andere räuchern, und den Rest vertheilte 
ich unter meine Begleiter, während JAckson von einem Einge- 
bornen für die Eingeweide ein Quantum Reis eintauschte Auch 
in Fali wurde von vielen Leuten Affenfleisch als ein grosser 
Leckerbissen betrachtet. Ich selbst huldige freilich, wenigstens 
segsenwärtig, dieser Ansicht nicht, obwohl ich nicht verhehlen 
kann, dass es eine Zeit gab, in der ich beinahe täglich Affen- 
fleisch ass und dasselbe sogar vortrefflich fand. 

Während einiger ziemlich unergiebiger und ereignissloser Jagdtage 
besuchte ich auch die Golah-Stadt Canga und deren stotternden 
Häuptling DauwAnaA, den ich bereits in Gonon kennen gelernt 
hatte. Canga liegt etwa anderthalb Stunden nördlich von Fali in 
ebener Gegend und übertrifft letztere Stadt bedeutend an Grösse. 
Mit König DaAuwAna hatte ich in Gonon aufeigenthümliche Weise 
Bekanntschaft gemacht. Aufseiner Durchreise hatte er nämlich von 
meiner Anwesenheit gehört und vom Häuptling Jomn vernommen, 
dass ich im Besitze von Branntwein sei. Er unterliess darum als 
srosser Verehrer einer Herzstärkung nicht, mich zu besuchen und 


— 239 — 


einzuladen, nach Canga zu kommen, um einige Zeit sein „Fremd- 
ling’ zu sein. Ein gewöhnliches Trinkglas voll Dschi kimali 
(wörtlich kaltes Wasser ')), das ich ihm anbot, leerte er zur 
Hälfte in einem Zuge und bot die andere Hälfte den vier oder 
fünf Männern an, welche sein Gefolge bildeten. Darauf wünschte 
er eine Flasche dieses Getränkes, das ihm so gut mundete, zu 
kaufen und bot mir dafür vier Hühner an, von denen er Eines, 
das er zufällig mitführte, als Abschlagszahlung übergab und die 
drei fehlenden am nächsten Tage zu senden versprach. Es sei 
gleich hier bemerkt, dass mir seine fürstliche Durchlaucht dieselben 
bis zum heutigen Tage schuldig geblieben ist. 

Dauwana empfing mich bei unserer Ankunft mit der grössten 
Liebenswürdigkeit, war aber durchaus nicht zufrieden, als ich 
ihm sagte, dass ich am gleichen Tage nach Mr. Brown’s Place, 
einem eine halbe Tagreise landeinwärts gelegenen Golah-Dorfe wei- 
terreisen werde. DAUWANA ist in seiner Art ein wahres Original, 
ein langer, dürrer Fünfziger, einäugig und in hohem Grade 
stotternd. Sein rechtes Auge hat er, wie man mir sagte, in 
einem Kriege gegen den Vey-König BArRLAH durch einen Schuss 
verloren. Weit und breit ist er geachtet wegen seinen Gerech- 
tigkeit, gefeiert als muthiger Krieger und gefürchtet wegen seiner 
Strenge, mit der er selbst kleine Vergehen zu strafen pflegt. Er 
scheint sich von Jugend an planmässig abgehärtet zu haben, und 
nie hat man ihn das bei Häuptlingen übliche Umschlagtuch, ein 
Hemd oder auch nur eine Mütze tragen sehen. Ein einfaches, nach 
Negerart um die Lenden geschlungenes Taschentuch ist stets seine 
einzige Kleidung geblieben, und er scheint auf diese Einfachheit 
in der Kleidung nicht wenig stolz zu sein. Gegen seine Unter- 
gebenen ist er sehr gerecht und lässt sich nie herbei, wegge- 
laufene Sklaven, die bei ihm ihre Zuflucht suchen, wieder auszu- 
liefern, wenn sie sich bei ihm gut aufführen. Er versäumt jedoch 
' nicht, nach allgemeinem Gebrauch einen zugelaufenen Sklaven 
an den Block zu legen, bis dessen Herr kommt, um ihn zurück- 
zufordern. Kommt dann der Eigenthümer, um seinen Sklaven 


') Ebenso wie wir in Europa, pflegen auch die Neger den Branntwein 
mit irgend einem Spitznamen, wie Kaffee, Medizin u. dgl. zu benennen, 


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zu holen, so sagt er zu ihm: „Hier ist er; ich habe ihn gefangen 
und an die Kette gelegt. Du kannst ihn zurück haben, doch 
muss er freiwillig mitkommen, denn aus meiner Stadt geht 
niemand gebunden weg. Wenn er nicht freiwillig kommt, so wird 
er dafür seine Gründe haben und bleibt er bei mir.” Da DAUwAnA 
seine Sklaven, so lange ihre Aufführung nichts zu wünschen 
übrig lässt, sehr gut behandelt, so besitzt er eine grosse Anzahl 
solcher zugelaufener Leute, die für ihn arbeiten. 

Ich erreichte Canga gegen 11 Uhr vormittags, während DAUWANA 
ein grosses Palaver hielt, das ich seiner Originalität halber nicht 
unterlassen kann, hier mitzutheilen. 

Einer von Dauwana’s Sklaven hatte eine Palme angezapft, 
um sich den täglichen Bedarf an Palmwein zu verschaffen. 
Eines Tages, als der Mann den Palmwein abzapfen wollte, fand 
er den Sklaven eines Andern auf der Palme beschäftigt, den 
Palmwein, der sich die Nacht über in dem untergehängten Gefässe 
angesammelt hatte, zu stehlen. Seine Warnung wurde mit Hohn 
und Scheltworten beantwortet, worauf Beide handgemein wurden 
und der Sklave Dauwana’s den Andern mit einem Knüppel nieder- 
schlug. Wuthentbrannt kam Jener kurz nachher mit einem 
srossen Schwert bewaffnet nach Canga, um an seinem Gegner 
Rache zu nehmen, wurde aber von DAUwAnA, dem man das bei 
der Palme stattgefundene Ereigniss mitgetheilt hatte, in Ketten 
gelegt. Einige Tage später erschien der Herr des gefangenen 
Sklaven, um diesen zurückzuverlangen, worauf man ein grosses 
Palaver veranstaltete, um die Sache zu erledigen. Da es allgemein 
Sitte ist, dass beide Parteien die Gerichtskosten zum Voraus 
bezahlen, brachte der Sklave Dauwana’s als die eine Partei einen 
Kupferkessel und ein inländisches Tuch herbei, und der Herr des 
andern Sklaven that dasselbe. Hierauf erschien DAUWANA, sah 
sich die Sachen von oben herab an und sagte: „Wo bleibt der 
Reis und das Palmöl?” Eine Flasche Palmöl und zwei Körbe voll 
Reis wurden von jeder Partei herbeigeschafft und der letztere 
auf eine Matte ausgeschüttet. Dann verlangte DAuwAnA von 
jeder Partei ein weisses Huhn. Auch dieser Forderung wurde 
nach langem Suchen Genüge geleistet. Nun fragte mich der 
fürstliche Richter, nachdem er mir durch Jackson die Sachlage 


— 241 — 


hatte erklären lassen, was man bei unsin Europa in einem solchen 
Falle zu thun pflege. Ich erwiederte, dass man den Dieb das 
Gestohlene zurückvergüten lasse und ihm ausserdem eine Strafe 
auferlege. „Was würdest du in diesem Falle verlangen ?” fragte er. 
Ich antwortete, dass er selbst den Werth des gestohlenen Palmweins 
besser beurtheilen könne als ich, doch dass ich glaube, ein paar 
Dollar würden in diesem Falle eine genügende Entschädigung sein. 
Hierauf liess DAUwAnA die auf der Matte deponirten Sachen nach 
seinem Hause bringen und verurtheilte den gegnerischen Sklaven 
zu einer Busse von fünf Dollars, mit der Drohung, ihn zu ver- 
kaufen, wenn er nicht gleich bezahlen könne. Vergeblich bat 
dessen Herr um eine niedrigere Busse. DauwAnA war unerbittlich; 
und als die Vorstellungen und Bitten kein Ende nehmen wollten, 
wandte er sich voll Entrüstung an den Herrn des verurtheilten 
Sklaven und sagte: „Hast du DauwanA jemals eine Mütze tragen 
sehen? Sieh her! Das erste Mal, dass du eine Mütze zwischen 
mir und Gott — und dabei wies er in die Höhe — sehen wirst, 
soll dir die Strafe erlassen sein!” Hierauf bezahlte der Mann, 
und das Palaver war abgelaufen. Nach einem frugalen Mahle, 
für welchen Beweis von Gastfreundschaft ich dem Häuptling als. 
Gastgeschenk eine Flasche Branntwein und etwas Tabak über- 
händigte, reisten wir weiter nach Mr. Brown’s Place, welchen 
Ort wir kurz nach Einbruch der Nacht erreichten. Dieser Platz soll 
zur Zeit des Sklavenhandels, wie auch Gonon, eine von einem 
Mr. Brown gegründete, grosse Sklavenstation gewesen sein, ist 
aber gegenwärtig ein ärmliches Negerdorf, das fast ausschliesslich 
von Golah-Leuten bewohnt wird. Die Grenze zwischen dem 
Gebiete der Vey und Golah liegt übrigens gleich hinter Gonon, 
und in diesem letztern Platze selbst, noch mehr aber in Fali 
wird, infolge der Vermischung der beiden Stämme auf der 
Grenzlinie, schon recht viel Golah gesprochen. 

Infolge anhaltenden Regens, der wieder mit all seiner Macht 
einzusetzen begann, konnte ich nichts ausrichten und erneute 
Fieberanfälle suchten mich heim. Ich schickte mich darum schon 
nach zwei Tagen zum Rückzuge nach Fali an, das wir, ohne 
Canga zu berühren, am Abend des 28. Juni erreichten. Am 


folgenden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, marschirten wir 
LIBERIA, 1, 16 


— 242 — 


ab und passirten Gonon, ohne uns aufzuhalten. Da es den 
ganzen Tag in einem fort regnete, wählten wir, statt nach 
Cambama zurückzugehen, den etwas kürzern Weg nach Japaca, 
oberhalb Cambama am Japaca Creek gelegen, woselbst wir nach 
einem überaus anstrengenden Marsche spät in der Nacht ankamen. 
Auf der ganzen Route konnten wir uns keinen Augenblick 
Ruhe gönnen. Die Bergbäche waren ausserordentlich hoch ange- 
schwollen und die Sümpfe vollgelaufen, so dass ich, ohnehin 
von dem anhaltenden Regen und dem nassen Unterholze, das 
Einem in den engen Waldpfaden fortwährend in’s Gesicht peitschte, 
völlig durchnässt, den ganzen Tag in meinen Wasserstiefeln voll 
Wasser marschiren musste. | 
Unmittelbar vor einbrechender Nacht wurde ich durch die 
Geistesgegenwart JACKSonN’S vor einem Unglück bewahrt. Ich war 
zufällig für einige Zeit der Erste in der fünfgliedrigen Karawane — 
Dr. RoBERTS war schon früher nach Robertsport zurückgekehrt — 
und eilte, so rasch meine Kräfte und der .mühsame Weg es 
erlaubten, vorwärts, um womöglich noch vor gänzlichem Dunkel- 
werden Japaca zu erreichen, das nach den Aussagen meiner 
Leute nicht mehr allzufern von uns liegen sollte. Da sah ich 
zufällig nahe vor mir in einem niedrigen Baume eine dunkle 
Masse sich bewegen, und weil ich mich während dieser ganzen 
Reise in Gedanken mit Chimpansen beschäftigt hatte, so war nichts 
natürlicher, als dass ich diese Masse für einen Chimpansen hielt, 
der sich, wie mir vorkam, an den Baumstamm drückte , um unsere 
Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Voller Erregung über 
das unerwartete Jagdglück riss ich die Büchse von der Schulter, 
schlug an, zielte und — im Momente des Losdrückens fiel ein 
wuchtiger Schlag auf meinen Gewehrlauf, so dass der Schuss 
ein paar Schritte vor mir in den Boden fuhr. Jackson nämlich, 
der auf kurzem Abstand hinter mir marschirte, hatte mit seinem 
seübten Auge in dem dunkeln Gegenstande gleich einen Neger 
erkannt und im äussersten Augenblicke durch den Schlag meinem 
Schusse, den er nicht mehr verhindern konnte, eine andere 
Richtung gegeben. Es stellte sich nun gleich heraus, dass der 
bewusste Neger aus Japaca kam und beschäftigt war, Rotang 
zu schneiden, den er zum Bau seiner Hütte nöthig hatte. Unter 


— 243 — 


der Führung meines Pseudo-Chimpansen, der sich bald von 
seinem Schrecken erholt hatte, setzte unser Zug sich nach kurzem 
Aufenthalte wieder in Bewegung. 

Dicht hinter Japaca hatten wir eine jener mehrerwähnten , 
gebrechlichen Gabelstockbrücken (monkey-bridges) von 200 Schritt 
Länge zu passiren, die über einen breiten, von einem tiefen Creek 
durchzogenen Morast führte. Die Nacht war bereits hereingebrochen, 
als wir die Brücke betraten, und als wir tastend und suchend 
etwa die Mitte erreicht hatten, stürzte sie an einer morschen 
Stelle ein, so dass wir, einige Nachzügler abgerechnet, tief in 
den schwarzen Schlamm einsanken. . Auf unsere Hülferufe 
erschienen bald aus dem an der andern Seite des Sumpfes 
liegenden Japaca zahlreiche Männer mit Feuerbränden. Nachdem 
sie unsere Lage übersehen, holte man schnell einige bambu-sticks 
(die langen Blattrippen der Weinpalme), hielt uns dieselben zum 
Greifen hin und zog uns so aus dem Schlamme, worin wir ohne 
diese rasche Hülfe sehr wahrscheinlich elend umgekommen wären. 

In der Stadt wies mir die wohlbeleibte Königin SANDIMANY, 
die dort, ein seltenes Beispiel von Frauenherrschaft, schon seit 
Jahren mit straffer Hand das Scepter führt, ihr bestes Haus 
zur Wohnung an, mit einem Zimmer, das auffälliger Weise mit 
Tisch, Stühlen und einem ordentlichen Bett versehen war. Ich 
liess darin sofort ein gutes Feuer anlegen, entledigte mich der 
schlammgefüllten Kleider und hüllte den ganzen Körper, nach- 
dem mein Diener ihn tüchtig frottirt und in Ermangelung 
von Rum mit Gin (Kornbranntwein) eingerieben hatte, in einen 
grossen, VON SANDIMANY geliehenen Negershawl. Am andern 
Morgen, dem 30sten Juni, machte ich, obschon die Beine bei- 
nahe ihren Dienst versagten, einen Rundgang durch die Stadt. 
Diese mochte etwa 40 grösstentheils sehr gut erhaltene Häuser 
zählen; sie besass keine Festungwerke. 

Unter grossen, schuppenartigen Gebäuden, sogenannten kitchens, 
waren zahlreiche Sklaven beschäftigt, Palmöl zu bereiten und 
Palmnüsse aufzuklopfen. Auch hier sah ich wieder einige Sklaven 
mit schweren Ketten um den Hals und die Füsse im Block. 
SANDIMANY ist in der ganzen Gegend als strenge Herrscherin 
bekannt und lässt nicht mit sich scherzen. Der treffendste Beweis 


— 244 — 


dafür ist übrigens der, dass sie nach dem Tode ihres Mannes 
es verstanden hat, die Herrschaft an sich zu reissen. Sie spricht 
nicht Englisch, wohl aber thun dies ihre Söhne, die auf der 
Missionsstation in Robertsport eine gute Erziehung erhalten haben. 
Momo, der jüngste dieser Söhne hat, dank der Fürsorge von 
Bischof PENIck, seine Schulbildung in Amerika vollendet und 
studirt gegenwärtig dort Medicin. Sehr gerne würde ich, der 
Einladung SAanpımany's folgend, einen mehrtägigen Aufenthalt 
in Japaca genommen haben, doch da das Wetter keine günstige 
Wendung zu nehmen schien, so zog ich vor, unverzüglich nach 
der Küste zurückzukehren. Ich miethete daher ein grosses Canoe, 
und unter strömendem Regen fuhren wir, ohne in Cambama 
anzulegen, den Japaca Creek, Morfi River und Fisherman Lake 
hinunter nach Robertsport, wo wir gegen Abend, vor Kälte 
am ganzen Leibe zitternd, ankamen. 


Xur. 


Weitere Erlebnisse. Rückreise nach Europa. 


Krieg zwischen den 
Vey und Gallinas: 
Unterhandlungen in 
Robertsport. — Die Kos- 
Teufelsfest (devil-dances) in Tosso. so. — Belagerung von 
Cobolia. — Besseh und 
Glima erobert. — Belagerung von Glima. — Ueberfall von Weahjah. — Roberts- 
portin Belagerungszustand.— Weitere Jagdtouren: Station in Kissicoro.— 
Im Walde verirrt. — Station in Caba. — Das Bauen von Barrikaden. — Fieber. — 
Nach Robertsport zurückgebracht. — Kleinere Ausflüge. — Die Teufels- 
feste in Tosso: Teufelstänze. — Mitgetanzt. — Grosses Festmahl. — 
JACKSon’s Abenteuer mit Chimpansen. — Traveller’s Rest. — Riesenschild- 
kröten. — Hungersnoth. — Friedensunterhandlungen. — Ausflug nach 
Passaro. — Landung in Solymah. — Ein verlassenes Heiligthum. — Abschied 
von Robertsport. — Krankheit in Monrovia. — Rückreise nach Europa. 


Während des ganzen regnerischen Sommers wurde die durch 
den Volksstamm der Vey bewohnte Gegend von Grand Cape 
Mount wiederholt von den Räuberhorden der Kosso heimgesucht. 
Diese Letztern, ein kriegerischer Stamm aus den Hinterländern des 


— 246 — 


Gallinasgebietes, wurden durch die mit den Vey verfeindeten 
Gallinas gemiethet, um das unter liberianische Oberhoheit gehö- 
rende Vey-Gebiet zu verwüsten und dessen Bewohner so viel wie 
möglich zu dezimiren. Dass bei der grossen Unsicherheit Handel 
und Wandel im Innern furchtbar litt, ist selbstverständlich. 
Mr. Warson, der liberianische Superintendent in Robertsport, 
that zwar sein Möglichstes, um auf parlamentärem Wege Ruhe 
und Ordnung wieder herzustellen, doch bei dem dort üblichen, 
schleppenden Gange der Unterhandlungen war für lange Zeit an 
keine Besserung der Verhältnisse zu denken. Eine durch Mr. 
Warson nach Robertsport zusammenberufene Friedensconferenz, 
an der sowohl Abgeordnete der Gallinas als auch die Vey-Fürsten 
MORANA, DUAMBA CumpBo!) und BARLAH sich betheiligten und die 
mehrere Tage dauerte, verlief ohne Resultat. Als MoRANA SANDO, 
segen den der Krieg hauptsächlich gerichtet war, wieder nach 
Cobolia zurückkehren wollte, fand er einige Städte am Mahfa 
River durch den Feind besetzt und den Rückweg nach Cobolia 
abgeschnitten. Die Gallinas hatten einen hohen Preis auf seinen 
Kopf gesetzt, und die Kosso thaten daher ihr Möglichstes, um 
MorAnA lebendig oder todt in ihre Hände zu bekommen. Ein 
volles Jahr (vom Sommer 1881 bis Sommer 1882) musste er im 
Exil zubringen und wohnte während dieser Zeit mit seinem 
Gefolge von Würdenträgern und etwa 20 Weibern meist in der 
Krootown bei Robertsport. Ich kann jedoch nicht behaupten, 
dass ihn diese Schicksalstücke allzusehr niederbeugte. Er trug 
vielmehr sein Unglück mit der grössten Gelassenheit; hatte er 
ja doch Frauen und Diener genug bei sich, um sich das Wenige 
zu verschaffen, das er zum Leben nöthig hatte. Er beehrte mich 
während dieser Zeit öfter mit seinem Besuche und hatte 
sewöhnlich ein zahlreiches Gefolge bei sich, so dass meine Vor- 
räthe an Branntwein und Tabak arg mitgenommen wurden, da 
ich ihm doch, nachdem er mich früher in Cobolia als Gastherr 
so nobel behandelt, in Bezug auf Gastfreundschaft nicht wohl 
nachstehen konnte. Seine Residenz Cobolia wurde indessen durch 
seinen Sohn DAavınpa und den mehr genannten Kriegsobersten 


!) Allgemeiner bekannt unter dem englischen Namen FREEMAN. 


— 247 — 


(head-warrior) erfolgreich gegen die wiederholten Anfälle der Kosso 
vertheidigt. 

Inzwischen hatten die Kosso die beiden im Tehwah-Gebiete 
gelegenen, stark befestigten Städte Besseh und Glima erobert und 
deren Bewohner, soweit dieselben nicht rechtzeitig die Flucht 
ergreifen konnten, als Sklaven weggeführt. Beide Städte wurden 
durch weitere Palissadenwerke nach dortigen Begriffen unein- 
nehmbar gemacht und dienten fortan den Kosso als Operations- 
basis für ihre Raubzüge, mit welchen sie nach und nach das 
ganze Gebiet des Vey-Stammes unsicher machten. Sogar bis an den 
Fisherman Lake drangen sie vor, plünderten und verbrannten 
in nächtlichen Ueberfällen schutzlose Negerdörfer und schleppten 
deren Bewohner gefangen nach Besseh, von wo aus sie dieselben 
dann bei erster Gelegenheit nach Westen in die Sklaverei sandten. 
Eine Zeitlang sah man fast allnächtlich den Himmel vom Feuer 
brennender Dörfer geröthet. Schaaren hungernder und obdach- 
loser Flüchtlinge, die bei den feindlichen Ueberfällen nur das 
nackte Leben gerettet, kamen nach Robertsport und machten 
dort den Mangel an Lebensmitteln immer fühlbarer. Die meisten 
Städte am Mahfa River waren in Feindeshand; der ganze Fluss 
war blockirt, und Robertsport selbst vom Feinde bedroht. Der 
sonst so blühende Handel mit dem Innern lag gänzlich darnieder. 
Eine Belagerung von Glima durch liberianische Truppen mit 
einer Kanone und einem Mörser endete infolge eines wüthenden, 
nächtlichen Ausfalles der Belagerten mit einer Niederlage und 
schmählicher Flucht der Liberianer, unter Zurücklassung ihres 
Belagerungsgeschützes. 

Die durch diese Belagerung erbitterten Kosso benutzten fortan 
jede Gelegenheit, um an den Liberianern Rache zu nehmen. 
Gegen Mitte October, als im Kriegslärm eine kleine Pause einge- 
treten war und das Gerücht gieng, die Feinde hätten sich zurück- 
gezogen, wagten es drei liberianische Zwischenhändler, nach 
Weahjah, einer befestigten Stadt oberhalb Cobolia, an den ersten 
Wasserfällen des Mahfa River, zu fahren, wo grosse Mengen von 
Palmkernen zum Verkaufe bereit liegen sollten. Von diesen Leuten 
wurde der Eine erschlagen, der Andere gefangen weggeführt. 
Der Dritte konnte mit genauer Noth sein Leben retten und kam 


— 248 — 


einige Tage später nach Robertsport zurück, wo er über den 
traurigen Vorfall folgende Einzelheiten mittheilte: „Ich (ALBERT 
MırLs) lag in Weahjah mit meinen Gefährten JoHnson und 
Mc. CrıtTTyY, jeder in seinem besondern Hause, als ziemlich spät 
in der Nacht jemand vor dem Thore der Stadt die Wache anrief 
und Einlass begehrte. Auf die Frage, wer er sei, sab. der 
draussen Stehende zur Antwort, dass er mit einigen Kameraden 
viel Palmöl und Palmkerne bringe. Dies erschien um so glaub- 
würdiger, als wir Händler in der Stadt waren, um diese 
Waaren aufzukaufen. Nach einiger Berathung wurde denn auch 
das Thor geöffnet und die Leute eingelassen. Ihre Tragkörbe 
waren aber nur zum. Schein gefüllt, und kaum waren die Ersten 
eingelassen, als ihnen ein ganzer Schwarm Bewaäffneter nach- 
folgte. Sofort wurde nach uns drei Liberianern gefragt. Ich und 
Me. Crırty konnten uns im Gedränge aus der Stadt in die 
nahen Wälder flüchten, wo wir uns verbargen. Mc. CrıtrTy hielt 
sich ganz nahe bei mir verborgen, und wir hörten sehr wohl, 
dass nach uns gesucht wurde. Als Alles still geworden war, gieng 
mein Gefährte auf den nahen Waldpfad hinaus, um sich etwas um- 
zusehen. Sogleich packte ihn aber eine feste Hand, und eine Stimme ° 
rief: „„Komm mit, du bist mein Gefangener.’”’” Mc. CRırry setzte 
sich, obwohl er unbewaffnet war, zur Wehre, und dies erzürnte 
seinen Gegner derart, dass er ihm mit seinem Buschmesser das 
Gesicht entzweihieb, worauf Mc. Crırry niederstürzte und nach 
einigem Stöhnen den Geist aufgab. 

Ich selbst hielt mich zwei Tage lang im Walde in der Nähe 
der Stadt verborgen, ohne alle Lebensmittel, bis ich mich endlich, 
ganz erschöpft, einem Eingebornen anvertraute, den ich von 
früher her kannte. Dieser holte etwas zu essen und erzählte mir 
dann, dass die Feinde unsere drei Häuser geplündert hätten und 
dann abgezogen wären, JoHNsSoN gefangen mit sich führend. Ich 
wünschte nun, den erschlagenen Mc. Crırty zu sehen. Wir 
fanden ihn auf demselben Platze liegen, an dem er gefallen war. 
Seine Eingeweide waren aus der Bauchhöhle herausgeholt und 
statt deren die abgeschnittenen Hände und Füsse hineingesteckt. 
Da ich noch immer fürchtete, von herumschleichenden, feindlichen 
Spionen gesehen zu werden, liess ich mich von dem Eingebornen 


— 249 — 


durch die Wälder nach einem Dorfe weiter unten am Flusse 
führen, von wo mich einige Leute zur Nachtzeit in einem Canoe 
nach Cape Mount herunter brachten.” 

JOHNSON blieb lange in Gefangenschaft, während ihm unter 
Hunger und Peitschenhieben täglich mit einem martervollen Tode 
gedroht wurde !). Die Meinungen der Kosso über sein Loos waren 
getheilt. Die Einen wollten ihn tödten, die Andern als Geisel für 
vorkommende Fälle in Sklaverei behalten. Inzwischen wurde er 
durch den englischen Kaufmann Mr. Harrıs in Solymah, in 
dessen Diensten er früher gestanden hatte, losgekauft und nach 
Cape Mount zurückgesandt. 

Kurz nach diesem Ereignisse durchschwärmten die Feinde aufs 
Neue die Gegend zwischen Mahfa River und Fisherman Lake. 
Da nun für die liberianische Niederlassung Robertsport das 
Schlimmste zu fürchten war, so wurde dort der Belagerungs- 
zustand proklamirt, und es bildeten sich zwei Compagnieen Bürger- 
wehr, von welchen je eine einen ganzen Monat unter den Waffen 
stand und des Nachts die weit vorgeschobenen Vorposten besetzte. 
Dieser Wachsamkeit allein war es zu danken, dass Robertsport 
von feindlichen Ueberfällen verschont blieb. Während dieser 
unruhigen Zeit machte ich verschiedene, grössere Jagdausflüge, 
wobei Jackson stets mein Begleiter war. Bald hier, bald dort 
errichtete ich für kurze Dauer Stationen, wie z. B. in Caba und 
Sauwira am Mahfa River, sowie in der Nähe von Maima am 
Südabhange des Cape Mount Gebirges. Schon früher hatte ich, 
ebenfalls mit Jackson, eine zeitweilige Jagdstation in Kissicoro, 
einer verlassenen und durch die Kosso geplünderten Stadt, eine 
Stunde. westlich von Sauwira gelegen, errichtet. Diese Stadt war 
früher der Wohnsitz eines älteren Bruders von König MorAnA, der 
sich vor den Kosso flüchten musste und sich nun auf der Insel 
Gambia, gegenüber Robertsport, angesiedelt hatte. Bei der Ver- 
wüstung der Stadt war eine Gruppe von etwa sechs Hütten 
stehen geblieben, und in die beste derselben hielt ich mit Jackson 


) Die Neger dieser Gegenden verstehen sich vorzüglich darauf, ihre 
Gefangenen durch Bangemachen und anhaltende Ungewissheit über ihr 
endliches Loos noch ganz besonders zu martern. 


— 250 — 


und zwei boys meinen Einzug. Eine Frau aus dieser Stadt, die 
sich bei dem Ueberfall in den Wald geflüchtet hatte und nach dem 
Abzuge des Feindes zurückgekehrt war, machte mit uns die 
ganze Bewohnerschaft des Platzes aus. Ein niedriger Hügelrücken 
trennte die Stadt von den Sumpfgebieten des Sugary River. Die 
sanze Gegend war dicht bewaldet und auch diesseits der genannten 
Erhebung von zahlreichen Sümpfen durchzogen. Da wir wussten, 
dass die Kosso ganz in der Nähe sich aufhielten, so war es nicht 
rathsam, unsere Jagdausflüge allzuweit auszudehnen. Ich fürch- 
tete zwar für mich wenig, auch nicht für Jackson, desto mehr 
aber für die in der Station befindliche Ausrüstung und den 
wachehaltenden, schwarzen Diener, den wir übrigens gut be- 
waffnet hatten. Wie leicht hätte eine herumschwärmende, feind- 
liche Bande die Station während unserer Abwesenheit aufheben 
und den Bedienten als Sklaven wegschleppen können! Und doch 
wollte der Zufall, dass ich schon am Tage nach’ unserer Ankunft 
mich weiter von der Station entfernte als mir lieb war. Ich 
hatte schon in aller Frühe mit Jackson einen Ausflug nach dem 
waldbedeckten Hügelrücken gemacht, um mich etwas zu orientiren. 
Sehr bald fand mein Begleiter frische Spuren von Pinselschweinen, 
denen er zu folgen beschloss, so dass er sich darum von mir trennte. 
Da es nun noch früh am Tage war, so versuchte ich mit meinem 
Burschen das Jagdglück auf eigene Faust. Unbekannt, wie wir Beide 
mit der Gegend waren, verirrten wir uns aber bald, und zwar 
. derart, dass ich zuletzt keinen andern Rath wusste, als mit Hülfe 
meines Taschenkommpasses stets östlich zu halten, um auf diese 
Weise irgendwo den von Norden nach Süden fliessenden Mahfa 
River zu erreichen. Nach langem Umherirren , wobei wir immerfort 
durch Sümpfe gezwungen wurden, die Richtung wieder zu verän- 
dern, erreichten wir endlich bei Einbruch der Nacht die hohen Ufer 
des Mahfa River, gerade gegenüber der schon früher erwähnten 
Stadt Caba, und riefen einigen am Ufer stehenden Leuten zu, 
uns herüber zu holen. Dies geschah, und da ich um jeden Preis 
noch am gleichen Abend nach Kissicoro zurückkehren wollte, so 
miethete ich vom Häuptling von Caba ein Canoe mit zwei 
Ruderern, um nach Sauwira hinunter zu fahren, wofür ich 
ihm einen Gutschein für zwanzig Blätter Tabak ausstellen musste. 


— 251 — 


Auf der kurzen Fahrt flussabwärts überfiel uns ein furchtbares 
Gewitter mit gewaltigem Sturzregen, so dass wir, um nicht zu 
sinken, anhaltend Wasser ausschöpfen mussten. In finsterer 
Nacht kamen wir dann in Sauwira an und traten in die erste beste 
Hütte ein, wo wir aufs gastfreundlichste aufgenommen wurden. 
Sofort entledigte ich mich sämmtlicher Kleider und erhielt von der 
Dame des Hauses ihr blaues Umschlagetuch , um meinen vor Frost 
‘ zitternden Körper einzuhüllen. Hierauf zogen sich die Insassen 
des Hauses in ein Nachbarhaus zurück und liessen mich mit 
meinem Diener allein. Bei dem anhaltenden Regen wäre es 
unmöglich gewesen, in der Nacht den ‘Weg nach Kissicoro zu 
finden, und daher waren wir genöthigt zu bleiben. Ich liess 
mir nun durch meinen boy mit einem alten Fischnetze, das 
zufällig in der Hütte hing, den ganzen Körper kräftig frottiren, 
hüllte mich darauf wieder in den geliehenen Shawl, und nun 
begannen wir mit dem Trocknen der Kleidungsstücke. 

Der Morgen dämmerte schon, als wir Alles leidlich trocken 
hatten, und mit Wohlbehagen schlüpfte ich wieder in meine 
Kleider, worauf wir den Weg durch den regentriefenden Wald 
nach unserer Station antraten. Es lag mir nämlich viel daran, 
Kissicoro zu erreichen, bevor JACKSON ausgegangen sei, da ich 
sehr wohl begriff, dass er um uns besorgt sein würde. Und so 
war es auch. Wir trafen ihn nicht mehr an, und der wache- 
haltende Diener Henrı, ein handfester Bassa-Bursche, erzählte 
mir, derselbe sei schon mit Tagesanbruch weggegangen, um uns 
zu suchen. Als Jackson uns am vorhergehenden Abend nicht 
zurückkommen sah, gieng er sofort aus, um uns aufzuspüren. 
Auf verschiedenen Stellen feuerte er Gewehrschüsse ab, doch 
vergeblich. Das Gewitter trieb ihn nach Hause, und nun war 
er, nach einer schlaflosen Nacht, schon früh ausgegangen, 
um womöglich unsere Fusspuren zu finden. Diese führten ihn 
längs all unsern Irrwegen nach Caba, wo er vernahm, dass 
wir am vorigen Abend schon nach Sauwira gefahren und wahr- 
scheinlich dort geblieben seien. Nach dem Frühstück kam er 
wieder in Kissicoro an und freute sich herzlich, mich gesund 
vor sich zu sehen. 


Einige Tage später erhielten wir durch mehrere aus Besseh 


— 252 — 


seflüchtete Vey-Leute Bericht, dass die Kosso einen Vorstoss 
nach dem Mahfa River vorbereiteten und wahrscheinlich die Plätze 
Caba und Sauwira anfallen würden. Führten die Kosso diesen 
Plan wirklich aus, dann war uns der Rückweg nach Robertsport 
abgeschnitten. Darum beschloss ich mit JAckson, Kissicoro schleu- 
nigst zu verlassen und nach Robertsport zurückzukehren. Es war 
die höchste Zeit, denn Tags darauf wurde Johny belagert 
und kurz nachher durch Kriegslist genommen und verbrannt. 
Caba, dessen Bewohner rechtzeitig nach Gonnama entflohen 
waren, wurde geplündert, worauf sich der Feind wieder nach 
Besseh zurückzog. 

Einige Wochen später, zu Anfang August, nachdem die Be- 
wohner von Caba, oder wenigstens dessen wehrbare Männer, 
zurückgekehrt waren, entschloss ich mich, meine Station für 
einige Zeit dorthin zu verlegen. Bei unserer Ankunft war man 
gerade beschäftigt, starke Barrikaden zu bauen, und auf zwei 
miles im Umkreise hallten die Wälder von den Axthieben und 
dem Geschrei der Leute wieder, die mit fieberhafter Eile das 
Material zum Barrikadenbau herbeischleppten, während Andere 
die schweren Palissaden in den Boden einpflanzten und durch 
Dornen, Rotang und Lianen zu einem soliden Ganzen verbanden. 
Die sämmtlichen Arbeiten wurden durch einen Kriegsobersten des 
Königs MoraAnA geleitet, der, ohne sich nur einen Augenblick 
Ruhe zu gönnen, von einem Punkte zum andern eilte und 
gelegentlich selbst mit Hand anlegte. Er war ein grosser, starker 
Mann, ein wahrer Eisenfresser mit finster dreinschauendem Gesichte, 
das durch die zwei Reihen spitzgefeilter Schneidezähne und die 
unheimlich blickenden Augen einen beinahe thierisch wilden 
Ausdruck gewann. Seine Kleidung bestand aus einem um die 
Hüften gebundenen Taschentuch und einem regenschirmgrossen 
Hute von Grasgeflecht, und in seiner Rechten trug er ein gewal- 
tiges Kriegsschwert. 

Sämmtliche Frauen und Kinder, sowie kampfunfähige Leute 
sollten bis zur Vollendung der Palissadenwerke in Gonnama 
bleiben. Der Häuptling wies mir eine leerstehende Hütte, die 
aber für einen Viehstall beinahe zu schlecht gewesen wäre, als 
Wohnung an. Als ich ihn darüber zur Rede stellte, liess er mich, 


= 259 — 


wie früher König PrTER in Fali, selbst wählen. Da die Wahl 
aber auf eine bewohnte Hütte fiel, liess er deren Bewohner ohne 
viel Federlesen’s auf die Gasse setzen und meine Bagage hinüber- 
schaffen. Der Platzkommandant schien gar keine Ruhe nöthig 
zu haben, denn so sehr er sich auch den Tag über an den 
Barrikaden abgemüht hatte, erschien er doch wohl 5—6 Mal 
während der Nacht in der Thüre jeder Hütte, um die Schläfer 
zu wecken und zur Wachsamkeit anzuspornen. 

Eines Tages wurde ich auf der Jagd von einem heftigen 
Fieberanfall überrascht, und konnte mich mit Aufbietung aller 
Energie nur bis an einen Creek schleppen, an dem ich bewusstlos 
liegen blieb. Unglücklicherweise war ich damals allein, da ich 
meinen Jagdburschen mit einer geschossenen Antilope auf einem 
kürzern Wege nach der Station zurückgesandt hatte. 

Ein des Weges kommender Mann fand mich und brachte mich 
in einem herbeigeholten Canoe nach Caba zurück. Dort erwachte 
ich unter JAckson’s Sorge wieder, bekam aber noch am gleichen 
Abend einen zweiten Anfall und blieb darauf zwei Tage lang 
bewusstlos liegen. Jackson packte nun, da ich nicht mehr zu 
erwachen schien, alle Sachen zusammen und brachte mich im 
Canoe nach KRobertsport zurück, wo ich wieder zur Besin- 
nung kam und nach meinem Hause geschafft wurde. Dies war 
in der zweiten Hälfte des Juli, während der mehrerwähnten, 
kleinen Trockenzeit. Meine Kräfte waren nun vollständig erschöpft, 
und es dauerte einige Wochen, bis ich mich wieder etwas 
erholt hatte. 

Während dieser Zeit war der Feind aufs Neue an den Mahfa 
River vorgerückt, belagerte, obwohl vergeblich, das mittlerweile 
stark befestigte Caba und plünderte und verbrannte das Dorf 
Sauwira, ohne dass es der sofort anrückenden, liberianischen 
Compagnie aus Robertsport gelang, den Feind zum Stehen zu 
. bringen. Die Bewohner des Platzes konnten sich noch rechtzeitig 
nach Robertsport retten. 

Grössere Ausflüge in die vom Feinde besetzten Gegenden zu 
mächen, war nun nicht mehr rathsam , und so wartete ich denn 
mit Verlangen auf den Anbruch der Trockenzeit und den auf 
diese Letztere prophezeiten Friedensschluss. Die Trockenzeit kam, 


— 254 — 


fand mich aber wegen vieler an meinen Füssen ausgebrochener 
Geschwüre unfähig, grössere Excursionen zu machen. Ueberdies 
zerschlugen sich die Friedensunterhandlungen von neuem und 
liessen die langweilige Streitfrage ungelöst, obschon die Anstifter 
des Krieges, die Gallinas, zum Frieden geneigt waren, weil sie 
nun, da das Land der Vey kahlgeraubt war, von ihren befreun- 
deten Räuberbanden, den Kosso, selbst arg mitgenommen wurden. 

Schon vor und während dieser Zeit unternahm ich verschiedene 
kleine Streifzüge im Canoe mit Herrn AHrens, dem Agenten der 
dortigen Woermann’schen Faktorei, dem bei der gänzlichen Ge- 
schäftsstockung Zeit genug für solche Fahrten zur Verfügung stand. 
Wir besuchten zusammen den zwischen Sümpfen hinfliessenden 
Sugary River, fuhren jagend weit in den Mahfa River und Glima 
Creek hinauf und machten gelegentlich Touren nach verschiedenen 
Punkten am Fisherman Lake und Morfi River. Ich habe Herrn 
AHRENS, der ein ebenso guter Schütze als eifriger Naturfreund 
war und keinen Strapazen aus dem Wege gieng, manches inte- 
ressante Objekt meiner Sammlungen zu verdanken. 

Eines grossen, zwei Wochen dauernden Volksfestes, das durch 
die Eingebornen in Tosso, einer am untern Ende des Fisherman 
Lake liegenden Vey-Stadt, gefeiert wurde, darf ich nicht zu 
erwähnen vergessen, weil es eine Illustration zu den Sitten 
und Gebräuchen der Eingebornen liefert. Ich besuchte Tosso 
mit den Herren VELDKAMP und AHRENS und Rev. Mc.NABB 
am Schlusstage dieser sogenannten Teufelstänze (devil-dances), 
den 1. November 1881. Die Stadt war mit "Theilnehmern 
von Nah und Fern, sowie mit Zuschauern aus dem nahen 
Robertsport überfüllt. Es herrschte eine unbändige, zügellose 
Fröhlichkeit, und das tolle Leben und Treiben erinnerte mich 
lebhaft an ein ländliches Kirchweihfest. Schon auf grossen Abstand 
hörten wir den wilden Lärm, bis endlich, als wir auf unserer 
Wasserfahrt um eine Ecke gekommen waren, der Festplatz auf 
einmal vor uns lag. Wirres Durcheinanderlaufen in den Pausen, 
srosse Umzüge durch die reinlichen, krummen Strassen der 
Stadt, deren in tropischer Ueppigkeit prangende Umgebung jede 
künstliche Decoration entbehrlich machte, wilde Tänze und 
Reisen von Männern und Frauen, die sich in ihren reichsten 


— 255 — 


Festschmuck gesteckt hatten, eine betäubende Musik von inlän- 
dischen Trommeln, Cymbaln und Castagnetten, vielfach übertönt 
von den meist im Recitativ erschallenden Gesängen der im Tanze 
Arme und Beine verrenkenden, schweisstriefenden Schwarzen: das 
Alles wurde uns als Augen- und Ohrenweide zugleich geboten. 
Als ich aber, mit vielen dieser Leute persönlich bekannt, mich 
zwischen eine Gruppe von Tänzern und Tänzerinnen mengte und 
einen ihrer wilden Tänze mitmachen half, da wollte der Jubel kein 
Ende nehmen. Mit verdoppeltem Eifer wurden die Musikinstru- 
mente bearbeitet, und einen Augenblick war die ganze festfeiernde 
Menge zu einem Knäuel zusammengedrängt so dass man mich im 
Freudentaumel fast erdrückte. Ein solcher Schwank, im rechten 
Momente angebracht, gewinnt bei einem gutmüthigen, fröhlichen 
Völckchen wie die Vey mehr Herzen, als grosse Geschenke, und 
ich bin überzeugt, dass die feueräugigen Negerinnen noch lange 
von dem weissen Manne sprechen werden, der damals in Tosso 
ihre Tänze mitgetanzt. Bei den stolzen, finstern Golah hätte ich 
so etwas nie zu thun gewagt. 

Der „Festteufel” zeigt sich nur am Abend und während der 
Nacht — diese Feste dauern freilich Tag und Nacht ununterbrochen 
fort — und erscheint den Tag über, während welcher Zeit er in 
einer Hütte zurückgezogen verweilt, nur sehr ungern. Einer Flasche 
Branntwein, die ich ihm anbieten liess, konnte er jedoch nicht 
widerstehen. Er erschien, vom Kinn bis auf den Boden mit 
an Schnüre gereihten, trockenen Fiederblättern der Weinpalme 
behangen, so dass man nicht gewusst hätte, was vorn oder 
hinten wäre, hätte er nicht auf dem Kopfe eine schwarze, hölzerne 
Maske, das sogenannte devil’s head, mit hässlichem Fratzengesicht, 
getragen. Diese Gestalt machte beim Vortreten allseitig plumpe 
Verbeugungen, spazierte bedächtig auf dem freien Platze hin und 
her, drehte sich auf einmal wie ein Wirbelwind im Kreise herum, 
schüttelte sein rauschendes Blätterkleid und war nach einigen 
Bocksprüngen wieder in der Hütte verschwunden. 

Gegen Abend wurde zum Schlusse des Festes eine allgemeine 
Mahlzeit veranstaltet, an der alle anwesenden Männer Theil 
nahmen und für die in verschiedenen Hütten der Stadt den ganzen 
Tag über gekocht worden war. Auf 45 grossen , hölzernen Schüsseln 


— 256 — 


prangte, hoch aufgehäuft und schön abgerundet, der duftende, 
inländische Reis. Dieser war bedeckt mit einer dicken Schicht 
von Palaversauce!), auf der, symmetrisch geordnet, Wildpret, 
Schaf- und Ziegenfleisch und etwas Fisch lag. Auch einige Schüsseln 
Dessert fehlten nicht, d.i. eine Art Pudding aus geriebenem 
Reis und Mais, in zierliche Formen gepresst. Man muss überhaupt 
den guten Geschmack bewundern, mit dem diese „Wilden” ihre 
Speisen zu garniren verstehen. Um jede Schüssel herum setzten 
sich durchschnittlich 10 Personen, so dass also für über 400 
Gäste der Tisch, oder, um nicht im Bilde zu sprechen, der 
Erdboden gedeckt war. Löffel, Gabeln und Messer sind für diese 
Leute entbehrlicher Luxus, denn jeder greift der Reihe nach 
mit den Händen zu, und währenddem cirkulirt die hölzerne 
Trinkschale mit Wasser. Dass dabei auch dem Palmwein und, 
soweit die Mittel reichen, dem Branntwein fleissig A 
wird, braucht kaum hm zu werden. 

ame wären wir noch eine Weile bei diesem fröhlichen Yöllcchen 
geblieben, aber schwere Gewitterwolken packten sich im Osten 
über dem Lake zusammen und kündeten einen Tornado an, wie 
dies im Uebergang von der Regen- zur Trockenzeit nicht selten 
vorkommt. Wir beeilten uns daher, den Schauplatz ungebun- 
dener Fröhlichkeit zu verlassen und in unserm Segelboot nach 
Robertsport zurückzukehren. 

Obschon ich Alles aufbot und keine Anstrengung scheute, um 
einmal eine ganze Chimpansenfamilie im Walde zu beobachten 
oder wenigstens einen ganz alten Chimpansen zu sehen, so ist 
mir dies doch während meines ersten Aufenthalts in Liberia nie 
selungen. Alle die von den verschiedensten Stämmen der Einge- 
bornen erhaltenen Aussagen aber stimmten darin überein, dass 
sanz alte, männliche Chimpansen, die, nebenbei gesagt, in zoolo- 
sischen Sammlungen noch kaum bestehen, eine Grösse und Stärke 
erreichen müssen, die kaum weit hinter derjenigen des Gorilla zu- 
rückbleiben dürfte. Einen neuen Grund zu dieser Annahme lieferte 
mir eine Begegnung, die JACKSon mit einer grossen Chimpansen- 
familie hatte, während ich zu Hause am Fieber darniederlag. 


ı, Ein mit Palmöl gekochtes, spinatartiges Gemüse. 


— 257 — 


Ich habe schon früher gelegentlich erwähnt, dass die Chimpansen 
ein uustätes Wanderleben führen und fast ebenso schnell, wie 
sie an einem Orte erscheinen, auch wieder verschwinden. 

Gegen Ende November wurde in einer Nacht von den Bewohnern 
von Robertsport in den Wäldern des Cape Mount Gebirges ein 
fürchterliches Gebrüll gehört, so dass Jedermann glaubte, der 
Feind habe die Wachen umgangen, den Cape Mount River über- 
schritten und sei nun von der Bergseite-her im Anmarsche, um 
die Ansiedlung im Rücken anzufallen. Die ganze Niederlassung 
war dadurch in Allarm gerathen. Es stellte sich jedoch gleich 
heraus, dass der vermeintliche Kriegslärm von einem Trupp 
Chimpansen herrührte, den wahrscheinlich die herabgefallenen 
Früchte der wilden Pflaumenbäume in den Wäldern des Gebirges 
angelockt hatten. Jackson, der eine so günstige Gelegenheit 
nicht unbenutzt vorbeigehen lassen konnte, begab sich in der 
nächsten Nacht auf den Anstand, doch vergeblich. Schon 
wollte er, als er die ganze mondhelle Nacht hindurch gewartet 
hatte, am Morgen nach Hause zurückkehren, als ein ganzer 
Trupp Chimpansen zugleich angeschlichen kam und sich daran 
machte, ganze Hände voll der massenhaft herumliegenden, 
wilden Pflaumen zusammenzuballen und in das weitgeöffnete 
Maul zu schieben. „Ich suchte mir,’ so erzählte mir JACKSON 
einige Stunden später, „den stämmigsten und behäbigsten von 
allen aus und gab Feuer. Das Thier stürzte und blieb, auf den 
Bauch hingestreckt, liegen, während die übrigen entsetzt davon- 
liefen. Hoch erfreut sprang ich von dem bug-a-bug pie (Termiten- 
haufen), auf dem ich auf der Lauer gelegen hatte, herunter, um 
den geschossenen Affen in Augenschein zu nehmen und dachte 
gar nicht daran, mein Gewehr erst wieder zu laden. Wie mich 
aber seine weggelaufenen Kameraden erblickten (sie hatten sich 
nur auf kurzen Abstand entfernt und dann aus einem Versteck 
zurückgesehen), kamen alle bis auf zwei kleine auf mich zu, 
stellten sich vor mir auf die Hinterfüsse, fletschten mit den 
Zähnen, schlugen mit geballten Fäusten auf die breite Brust 
und stimmten ein so furchtbares Wuthgebrüll an, dass ich mein 
Gewehr liegen liess und die Flucht ergriff. Sie wissen am besten, 


dass mir nicht leicht bange wird; ist es ja nicht das erste Mal, 
LIBERIA, 1. 17 


— 258 — 


dass ich boboons schiesse, aber diese Kerle trieben’s doch gar zu 
toll. Als ich mich von meinem ersten Schrecken etwas erholt 
hatte und zurückgieng, um mein Gewehr und den todten Affen zu 
holen, war dieser Letztere mit seinen Kameraden verschwunden.” 

So schwach ich mich auch fühlte, hatte ich doch zu Hause 
keine Ruhe mehr, bis ich Jackson nach dem Platze seines Aben- 
teuers begleitet hatte. Wir fanden noch deutliche Spuren von der 
Anwesenheit der Chimpansen, und an einigen Ballen von zusammen- 
gepressten Früchten konnte man sehen, wie eilig sie die Flucht 
ergriffen hatten. Die Baumblätter am Boden, wo der gefallene 
Affe gelegen hatte, waren mit Blut bedeckt, doch trotz aller 
Mühe konnten wir keine weitern Blutspuren entdecken. 

Der Boden in der ganzen Umgegend war mit herabgefallenen, 
wilden Pflaumen bedeckt, und wir durften daher wohl erwarten, 
dass die Chimpansen in den nächsten Nächten wieder in diese 
Gegend zurückkehren würden. Da wir überdies am nämlichen 
Tage noch die Spuren eines Hippopotamus fanden, so entschloss 
ich mich, ohne Zögern in der Nähe eine provisorische Jagd- 
station einzurichten. Schon am folgenden Tage wurde das 
srosse Zelt und alles zu einem mehrtägigen Aufenthalt Nöthige 
hingeschafft. Der Platz war am Südabhange des Gebirges etwa 
1!) Stunden von Robertsport gelegen, am Ufer eines kleinen, 
in vielen Wasserfällen zur See herabstürzenden Wildbaches, 
mitten im Urwalde Weil viele Eingeborne aus dem östlich 
gelegenen Küstenplatze Maima auf ihrem Wege nach Robertsport 
die neben unserer Station befindliche, durch über einanderge- 
stürzte Felsblöcke gebildete Brücke passirten und dann bei uns 
Halt machten, so nannte JAckson die Station Traveller’s 
Rest. ÖObschon wir nun unser Mösglichstes thaten und ganze 
Nächte hindurch auf dem Anstande sassen: die Chimpansen 
bekamen wir nicht zu sehen, sie waren und blieben aus dem 
Gebirge verschwunden. Erneute Fieberanfälle zwangen mich 
leider auch diesmal, das interessante Jagdterrain nach 10 Tagen 
Aufenthalt zu verlassen und nach Robertsport zurückzukehren. 

Inzwischen hatte uns dieses einfache „Köhlerleben” in der 
Waldeinsamheit manche angenehme oder wenigstens interessante 
Stunde bereitet. Besonders der krystallhelle, über bemooste 


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Terrassen und Felsblöcke niederplätschernde Bergbach trug viel 
dazu bei, den landschaftlichen Reiz unserer Station zu erhöhen. 
Gerade vor derselben hatte der Bach im Laufe der Zeiten durch 
seinen jähen Fall ein tiefes und weites Becken ausgewaschen , 
in dem sich nebst zahlreichen Süsswassergarneelen Schaaren von 
kaum fingerlangen, weissen Fischchen mit je drei schwarzen 
runden Flecken auf jeder Seite tummelten. Mit Hülfe von zwei 
an Nähfaden befestigten Miniaturangeln, woran wir eine kleine 
Pille von Kassaveteig befestigten, fing ich einst in einer halben 
Stunde 56 dieser Fischchen, die uns, insofern ich dieselben nicht 
für meine Sammlung gebrauchen konnte, in Palmöl gebacken 
ein vortreffliches Gericht lieferten. Wie diese Süsswasserfische , 
einer Barbus-Art angehörend, der ich weder früher noch später 
jemals begegnet bin, in diesen Bergbach hineingerathen sind, 
ist mir stets ein Räthsel geblieben. Da der Bach von der steilen 
Berghalde in rasch auf einander folgenden, oft hohen Abstürzen 
der den Fuss des Berges peitschenden See zueilte, ist meiner Ansicht 
nach keine Möglichkeit, dass dieselben aus der See so hoch ins 
Gebirge heraufgekommen sind, abgesehen davon, dass ein echter 
Seefisch nicht in reinem Süsswasser leben kann. Von einer direkten 
Verbindung mit anderm Süsswasser war dieser Bach von vorne- 
herein ausgeschlossen. Freilich steht dieser Fall in der Thier- 
geographie durchaus nicht vereinzelt da, verdient aber immerhin 
als Merkwürdigkeit, als naturhistorisches Fragezeichen verzeichnet 
zu werden. 

Da mein Zelt zu klein war, um mich, Jackson und die zwei 
mitgebrachten Diener zugleich aufzunehmen, verwandte ich die 
ganze Leinwand, um ein grosses Dach zu machen, wobei wir 
einige junge Baumstämme stehen liessen und als Stützpfeiler 
benutzten. Beim Reinmachen des Platzes fanden wir eine kleine, 
grüne Giftschlange (Vipera chloroechis), die sich, als ich sie greifen 
wollte, in halber Höhe aufrichtete und mit zornfunkelnden Augen 
und weitgeöffnetem Rachen, den breiten, dreieckigen Kopf weit 
nach hinten zum Stosse ausgeholt, bereit war, mir bei der leise- 
sten Bewegung die langen, aufgerichteten Giftzähne ins Fleisch 
zu schlagen. 


Unter dem luftigen Zeltdache wurden die Hängematten aufge- 


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hängt, die uns als Schlafstätte dienen mussten, und neben der 
Hütte errichteten wir einen kleinen Schuppen von Palmwedeln, 
in dem Tag und Nacht ein grosses Feuer brannte und unser 
Koch die einfachen Speisen bereitete. Das Säubern des Platzes 
und das Aufschlagen unesres Lagers hatte kaum mehr als zwei 
Stunden in Anspruch genommen, und gleich darauf zogen wir 
aus, um vor Dunkelwerden einige geeignete Plätze als Stände für 
die Nacht aufzusuchen. Ich wählte nach einigem Suchen einen 
hohen Termitenhügel, links vom Bache, JAcKson aber auf der 
rechten Seite einen gegabelten Baumstamm, wo er etwa 10' 
hoch drei Knüppel in der Quere festband, um darauf sitzen 
zu können. Mit Dunkelwerden besetzten wir unsere Posten und 
hofften auf die Gunst des Vollmondes, der aber nur zeitweise 
zwischen den Wolken durch den Wald beleuchtete, wobei dann 
die Baumkronen gespensterhafte Schatten auf die Waldlichtung 
zu meinen Füssen warfen. In meine Wolldecke gehüllt, blieb 
ich bis zum Untergange des Mondes ruhig auf einigen hingelegten 
Knüppeln sitzen. Durch die dichten, aus dem Boden aufstei- 
senden Nebel wurde die Decke ganz nass, und an allen Gliedern 
steif, verliess ich gegen Morgen meinen Posten und tastete mich 
im Dunkeln, zahlreichen, zu diesem Zwecke niedergebrochenen 
Zweigen entlang den Weg suchend, nach der Station zurück. 
Schliesslich verirrte ich mich doch und schoss meine Flinte ab, 
um die boys auf mich aufmerksam zu machen. Auf ihr Rufen 
arbeitete ich mich weiter durch das Unterholz hin, bis ich auf 
einmal dicht vor mir das Feuer unserer Station sah. Im näm- 
lichen Augenblicke aber verlor ich den Boden unter meinen 
Füssen und stürzte, durch zahlreiche Aeste und Lianen etwas 
aufgehalten, vom hohen Uferrande in den zu meinen Füssen 
fliessenden Bach hinunter, der mich noch von der Hütte getrennt 
hatte. Glücklicherweise war ich nicht verletzt und kam mit 
nassen Kleidern davon. Bald darauf erschien auch Jackson auf 
der Station, da er glaubte, ich habe eine interessante Beute 
semacht. Auch er hatte kein Jagdglück gehabt, obschon eine 
Antilope in seiner Nähe vorbei kam, um an den wie Regen- 
tropfen niederfallenden, wilden Pflaumen ihre Aesung zu suchen. 
Nachdem wir uns durch eine Tasse heissen Kaffee etwas erwärmt, 


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lesten wir uns noch für einige Augenblicke zur Ruhe nieder. 

Obwohl nicht sehr lohnend und noch weniger gesund, ist es 
doch interessant, eine Nacht auf dem Anstand im Walde zuzu- 
bringen. Zu unserer Seite hörten wir das unermüdliche Rauschen 
des Waldbaches, der sich in geringer Entfernung durch grosse 
Felstrümmer hin zur See hinunterstürzte, und unter uns das 
Tosen des Oceans, der an den granitnen Felsköpfen seine hoch 
sich aufbäumenden und über einander herstürzenden Wogen mit 
wuchtigen Schlägen zu Schaum zerpeitschte. Ist schon dieses ewige 
Rauschen, dieser immerfort sich wiederholende Wogenschlag allein 
im Stande, bei dem stille dasitzenden Jäger Eindruck zu machen, 
das Rascheln eines vorbeihuschendes Thieres, das weithinschal- 
lende Quacken von riesigen, fruchtfressenden Fledermäusen 
(Epomophorus monstrosus), das schrille, oft hinter einander sich 
wiederholende Zwitschern der fliegenden Eichhörnchen in den 
Bäumen und die langgezogenen, unheimlicher Klagetöne der 
Zibethkatze auf dem Boden tragen ebenfalls das Ihrige bei, um 
diesen Eindruck noch in erhöhtem Maasse zur Geltung zu bringen. 

So einfach und ärmlich dieses Leben in der Waldeinsamkeit 
auch sein mochte, hatte es doch für uns alle, so lange wir gesund 
waren, einen eigenthümlichen Reiz. Alltäglich kam GEORGE GRAY, 
der Häuptling von Maima, mit einer seiner Töchter an, um mir 
eine Portion heissen fomboy, eines der später zu beschreibenden 
Negergerichte, zu bringen und mir gelegentlich seine Tochter als 
Haushälterin anzuempfehlen. Nun wäre die junge, schlanke Miss 
UAnGA sehr wohl geeignet gewesen, um unserem Zigeunerleben 
etwas mehr Reiz zu verleihen, und das Zeug zu einer richtigen 
Buschprinzessin hätte ihr keineswegs gefehlt. Damals fand ich 
mich jedoch aus verschiedenen Gründen veranlasst, das wohlge- 
meinte, väterliche Anerbieten auf höfliche Weise abzulehnen. 
Wo hätte ich sie unterbringen können? Und hätte ich sie später 
mit nach Robertsport gebracht, was würde meine gute alte, 
ledergelbe Haushälterin Mary Kennepy dazu gesagt haben? Die 
gute Mary, sie weilt schon längst nicht mehr unter den Lebenden, 
und doch kann ich mir jeden Augenblick ihre Züge ins Gedächtniss 
zurückrufen. Mit wahrhaft rührender Sorge hat sie meinen kranken 
Reisegefährten gepflegt und auch bei mir in gesunden und kranken 


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Tagen treu ausgeharrt. Mit Hülfe eines ihr untergeordneten boys 
besorgte sie das ganze Hauswesen, kochte, backte vorzügliches 
Brod, besorgte die Wäsche, reparirte die Kleider und fertigte mir 
sogar neue an, holte geschickt mit einer Stecknadel die chigres 
(Sandflöhe) aus meinen Füssen und backte mir, wenn sie einmal 
besonders gut auf mich zu sprechen war, Pflaumenkuchen und 
Austerpastetchen, wie sie mein Lebtag nie vorzüglicher über 
meine Lippen gekommen sind. Wer hätte bei all diesen Kardinal- 
tugenden einer guten Hauswirthin nicht ein Auge zugedrückt, 
wenn sie sich ihrem Herrn gegenüber oft allzugrosse Freiheiten 
herausnahm und dem Silber des Redens vor dem Golde des 
Schweigens den Vorzug gab, oder wenn sie eine Pfeife schmau- 
chend und nach Art der Männer ausspuckend am Kochtopf sass? 
Doch nach dieser Abschweifung wieder sur Sache. 

Auf unsern Jagden kamen wir gelegentlich hoch ins Gebirge 
hinauf, doch so sehr wir auch suchten, wir fanden nirgends, selbst 
nicht auf seinem höchsten Grate, 1090’ über dem Meere, einen 
freien Punkt, der uns einige Fernsicht oder auch nur eine Ueber- 
sicht über den Aufbau des Gebirges geliefert hätte. Obwohl 
im ganzen Gebiete keine Menschenseele wohnt, finden sich doch 
manchmal primitive Fusspfade, die aber meist, nachdem man 
ihnen einige Zeit gefolgt hat, sich im Dickicht verlieren. Sie 
‘ verdanken ihren Ursprung meist Holzhackern aus Robertsport 
und Umgebung, die da oben Bäume fällen, welche entweder 
ausgehöhlt und zu Canoes verwendet, oder auch auf äusserst 
primitive Weise zu Brettern gesägt werden, die der Holzhacker 
dann durch eingeborne Bediente auf dem Kopf nach Robertsport 
hinuntertragen lässt, um sie dort zu verkaufen. Die Canoes 
werden nur roh ausgehöhlt, und dann spannen sich zahlreiche 
Leute vor, um dieselben durch Gebirg und Wald an den Fluss 
hinunter zu schleppen, eine Arbeit, die oft ungeheure Schwierig- 
keiten verursacht. Dort erst werden die zerschundenen Canoes 
sauber abgearbeitet und verkauft. 

Nach etwa acht Tagen hatten wir einen Weg über das Gebirge 
nach der Mission und meiner Station in Robertsport durchge- 
brochen, d.h. durch Niederbrechen von Zweigen und Anhacken von 
Baumstämmen die Passage bezeichnet, um den langen Umweg die 


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Küste entlang abzukürzen. Eines Tages sah ich weit draussen 
auf dem Meere ein von Monrovia kommendes, holländisches Segel- 
schiff. Da mir dasselbe Ausrüstungsgegenstände und Munition 
bringen sollte und ich auch Briefe erwartete, so eilte ich, einen 
unserer Bedienten mitnehmend, nach Robertsport, wo ich zugleich 
mit dem Schiff ankam. 

Nachdem ich dort meine Geschäfte erledigt, trat ich mit dem 
boy und einem gemietheten Träger, welche beide ich mit Lebens- 
mitteln beladen hatte, den Rückweg durch das Gebirge an. Dieses 
steigt von der Terrasse, auf der die Mission steht, sehr steil zu 
bedeutender Höhe an, von wo aus man dann nach beträcht- 
lichen Steigungen und Senkungen des Pfades den südlichsten, 
parallel mit dem Meere verlaufenden Bergrücken erreicht. Nachdem 
man diesem längere Zeit bis oberhalb Traveller’s Rest gefolgt 
hat, führt dann ein steiler Absturz nach obgenannter Station 
hinunter. Nun war ich etwas spät von Robertsport aufgebrochen 
und wurde überdies noch im Missionshause länger als ich wünschte 
aufgehalten. Nichtsdestoweniger hoffte ich, da ich mich des 
Weges sicher wähnte, in einem guten Marsche noch vor Einbruch 
der Nacht Traveller’s Rest erreichen zu können. Oben im Gebirge 
angekommen , wurde ich aber plötzlich von einem heftigen Schüt- 
telfrost überfallen, so dass ich mich kaum weiterschleppen und 
auch nicht mehr auf den Pfad achten konnte. Es dauerte nicht 
lange, so hatten wir denselben verloren, und während wir in 
verschiedenen Richtungen ausgiengen, um uns wieder zurecht- 
zufinden, wurde ich dermassen vom Fieber ergriffen, dass ich. 
mich niederlegen musste. Endlich fand einer der boys einen guten 
Pfad, und willenlos folgte ich nun demselben bergauf und -ab, 
bis wir schliesslich, erst nach Einbruch der Nacht, in New 
Robertsport, etwas oberhalb JaAckson’s Wohnhaus, aus dem Walde 
herauskamen. Obwohl nur eine Viertelstunde von meiner Station 
in Robertsport entfernt, war es mir doch nicht mehr möglich , diese 
zu erreichen, und ich zog mich daher in ein nahes, leerstehendes 
Haus zurück, wo ich mich in einer alten Bettstelle ohne Bett zum 
Schlafen niederlegte. Inzwischen gieng mein Diener zu JACKSoN’s 
Frau hinunter, um dieselbe von meinem Zustande zu benach- 
richtigen. Es dauerte nicht lange, so kam dieselbe mit ihrer 


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Tochter Mary und brachte mir einen Topf heissen Thee von 
Guaveblättern, ein Getränk, welches das Stadium des Schüttel- 
frostes sowie auch des heissen Fiebers verkürzen und dadurch 
dasjenige des Schweisses rascher herbeiführen soll. Dem Andringen 
von Frau Demery nachgebend, liess ich mich nun nach ihrem 
Hause hinuntertragen, woselbst man mir ein Bett zurechtmachte. 

Am nächsten Morgen wurde ich schon beim ersten Hahnenruf 
wach, nnd da ich mich wieder wohl fühlte und überall durch 
die Ritzen in den dünnen Holzwänden Licht eindrang, so stand 
ich auf und trat aus dem Hause. Der abnehmende Mond beleuchtete 
die Landschaft fast tageshell, und ich beschloss deshalb, nach 
Traveller’s Rest aufzubrechen. Leise weckte ich meine boys, die 
in der Küche schliefen, liess aufpacken und marschirte ab, ohne 
dass jemand im Hause auch nur eine Ahnung davon hatte. Erst 
siengen wir eine lange Strecke dem Strande entlang und schlugen 
dann, an den äussersten Vorsprung des Vorgebirges gekommen, 
den guten, breiten Weg nach der Congo Town ein, die sich auf 
einem Vorsprunge des Gebirges befand. Dort lag noch Alles in 
tiefer Ruhe, nur ein paar kleine, rothe Negerhunde folgten uns 
bellend, während wir das kleine Dorf durchschritten. 

Dieser Platz wird, wie auch Tala am nördlichen Ufer des 
Fisherman Lake und einige Dörfer auf den Grassteppen am obern 
Ende des Messurado River, durch wirkliche Congoneger bewohnt, 
die durch nordamerikanische Kreuzer nahe der Küste von Florida 
auf zwei gekaperten Sklavenschiffen gefunden und nach Liberia 
gebracht wurden. Sie haben bis heutzutage noch ihre ursprüng- 
liche Sprache und auch theilweise ihre Sitten beibehalten, sind 
aber zum grossen Theil Christen geworden und betrachten sich 
selbst als civilisirte Liberianer, während diese Letztern sie nicht 
als Ihresgleichen anerkennen. 

Hinter Congo Town führt der Weg erst durch Kassavefelder und 
dann durch niedriges Gebüsch, und da er die vielen kurzen, von 
'Wildbächen durchflossenen Thälchen, die sich vom Fusse des 
höchsten Bergkammes nach der See hinunter erstrecken, recht- 
winklig schneidet, so ist er sehr uneben und oft schwer zu 
finden. Schliesslich traten wir in den Hochwald ein, gerade als 
der Mond sich hinter eine dichte Wolkenwand zurückzog. Eine 


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Weile tasteten wir uns, jeden Augenblick über Lianen und 
knorrige Wurzeln stolpernd, weiter, doch schliesslich mussten 
wir alles weitere Vorrücken aufgeben und legten uns nieder, 
um den Anbruch des Tages abzuwarten. Wir mochten eine gute 
Weile geschlafen haben, als ich durch eine schwere Baumfrucht 
aufgeschreckt wurde, die auf meinen Bauch herunterfiel. Als 
ich aufschaute, bemerkte ich, dass oben in den Kronen das 
erste Morgengrauen sich zeigte und sah zugleich eine bedeu- 
tende Anzahl Affen, die wahrscheinlich in dem Baum über- 
nachtet hatten, auf den Aesten hin- und herlaufen. Die boys links 
und rechts schnarchten noch tüchtig drauf los, als ich nach der 
neben mir liegenden Flinte griff. Der Schuss krachte, und während 
meine Leute entsetzt aufsprangen, stürzte das getroffene Thier 
dicht neben uns zur Erde nieder. Es war ein junger Weissna- 
senaffe (Cercopithecus büttikoferi), eine neue Art, die wir früher 
bereits am St. Paul entdeckten und die auch in dieser Gegend 
ziemlich häufig war. Da die Morgen- wie auch die Abenddäm- 
merung in den Tropen bekanntlich sehr kurz ist, so waren wir 
auch bald im Stande, unsern Weg wieder zu verfolgen, so dass 
wir kurz nach Tagesanbruch auf der Station ankamen, wo 
JACKSON uns mit Ungeduld erwartete. 

Obgleich mir nun vorerst hinlänglich mit Lebensmitteln versehen 
waren, wurde doch der Affe, nachdem er abgehäutet war, für das 
Frühstück zubereitet. Ich liess das Fleisch erst etwas abkochen , 
wodurch es den widerlichen Affengeruch verlor, und dann die 
schönsten Stücke in Palmöl braten, während der Rest zu einer Art 
Hasenpfefier, einem unserer Lieblingsgerichte, verwendet wurde. 

Noch am nämlichen Tage erhielt ich Bericht, dass in der Nähe 
von Robertsport zwei grosse Schildkröten gefangen worden seien 
und ich kommen müsse, um dieselben zu kaufen. So machte 
ich mich denn auf den Weg durch das Gebirge, wobei JACKSON 
mich begleitete. Unterwegs schoss ich einen grossen, rothen 
Stummelaffen, zufällig gerade als er auf bedeutenden Abstand 
aus einem Baum in den andern hinübersprang. Dieser glückliche 
Schuss imponirte Jackson ausserordentlich, so dass er, kaum in 
Robertsport angekommen, nichts Eiligeres zu thun wusste, als 
Jedem davon zu erzählen, der es nur hören wollte. Wir kamen 


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für den Ankauf der Schildkröten zu spät, sie waren bereits ge- 
schlachtet und zum grössten Theil aufgegessen. Nur den Brust- 
und Rückenpanzer der Einen konnte ich noch bekommen, und dies 
war auch hinreichend, um die Art festzustellen, der sie ange- 
hörten. Es war Öhelonia midas, die sogenannte grüne Schild- 
kröte, welche die berühmte Schildkrötensuppe liefert, und die 
um jene Jahreszeit aus der See an die Küste kommt, um ihre 
Eier in den Sand der Stranddüne einzuscharren. Das erhaltene 
Rückenschild war ungefähr 1 M. lang und 75 Cm. breit. 

Jackson begab sich wieder auf den Weg nach unserer Wald- 
station, während ich beschloss, die Nacht über in Robertsport 
zu bleiben und einmal meine Sammlungen nachzusehen. Kaum 
hatte ich mit dem Abhäuten des Affen begonnen, als ich wieder 
von Fieberfrost geschüttelt wurde die Arbeit aufgeben und mich 
niederlegen musste. 

Am nächsten Tage fühlte ich mich zwar wieder wohl und 
kehrte nach der Waldstation zurück, doch kaum dort ange- 
kommen, bekam ich wieder Fieber, so dass wir beschlossen, die 
Station aufzuheben. Den 10. December kehrten wir, nachdem 
wir erst noch in Maima einen Abschiedsbesuch gemacht, mit 
unserer ganzen Bagage nach Robertsport zurück. 

Schon vor Errichtung der zeitweiligen Jagdstation Traveller’s 
Rest hatte ich das Glück, meine stets zunehmenden Sammlungen 
mit einem ungemein interessanten und werthvollen Objekte 
zu bereichern. In der Nacht vom 24. November gab es in 
Robertsport grossen Allarm. Auf der den Strand entlang bis an 
die Mündung des Mahfa River reichenden Vorpostenlinie fielen 
gegen 10 Uhr kurz hinter einander sechs Gewehrschüsse — alles 
Schiessen zwischen sechs Uhr Abends und sechs Uhr Morgens 
war damals des Belagerungszustandes wegen streng verboten — 
und gleich darauf hörte man dergestalt durch einander rufen und 
schreien, dass wir in Robertsport glaubten, der Feind habe die 
Vorposten angefallen und sei in vollem Anmarsche begriffen. 
Bald aber löste sich das Räthsel. Einer der wachehaltenden Vor- 
posten hatte auf einmal dicht vor sich eine gewaltige Seeschild- 
kröte aus dem Wasser auftauchen und auf den Strand klettern 
sehen. Der Wehrmann, in der Freude, das Thier erbeuten zu 


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können, dachte nicht an die erlassene Verordnung und gab ihm aus 
unmittelbarer Nähe einen Schuss in den Rücken, der den Panzer 
durchbohrte. Durch diesen Schuss aufmerksam gemacht, erschienen 
die nächsten Posten ebenfalls und schossen auf das Thier, das 
trotz seiner Riesenkraft bald der Uebermacht erliegen musste. Es 
war eine alte Lederschildkröte, Dermotochelys (Sphargis) coriaced , 
jedenfalls gegen 400 Kilo schwer. Augenblicklich fuhr ich in einem 
'Canoe den Fluss hinunter nach der Stätte, wo bereits zahlreiche 
Kruneger das Thier umstanden, welches nun hoch oben am 
Strande auf dem Rücken lag. Dasselbe war schon seines Kopfes 
und seiner vier Füsse beraubt, und ein Kruneger war beschäftigt, 
mit wuchtigen Axthieben den Brustpanzer in lange Streifen zu 
zerspalten. Ich war zu spät gekommen und konnte von dem 
ganzen Prachtexemplare nichts mehr gebrauchen, als das grosse 
Rückenschild, welches ich denn auch für meine Sammlung erwarb. 

Schon drei Tage später gelang es mir indessen, ein prachtvolles, 
beinahe unbeschädigtes Exemplar derselben Art zu kaufen. Etwa 
um Mitternacht wurde ich aus dem Schlafe getrommelt durch 
ÄARCHEY DENMERY, den Sohn JAckson’s, der mir den Bericht brachte, 
dass die Wachtposten am Meere eine zweite Schildkröte erbeutet 
hätten. Sofort eilte ich mit Archzey an den Fluss hinunter 
und fuhr zum Strande — auf der Landzunge, die sich von 
Robertsport in nördlicher Richtung bis zur Mündung der Mahfa 
River erstreckt — wo zahlreiche Soldaten und auch bereits viele 
Neugierige das erlegte Thier umstanden. Wie das erste Mal, 
so hatte auch diesen Abend eine Schildwache das Thier aus dem 
Wasser kommen sehen, und da aufs Neue strenge Ordre gegeben 
war, keinen unnöthigen Allarm zu machen, so eilte der Mann 
auf den Koloss zu, der sich rasch wieder ins Meer zurückzu- 
ziehen suchte. Bevor jedoch das Thier das Wasser erreichte, spiesste 
der Soldat dasselbe mit seinem Bayonnet durch den Hals, gerade 
vor dem Rückenpanzer, an den Boden, worauf es durch die 
rasch herbeigeeilten Soldaten der nächsten Posten mit grosser 
Mühe auf den Rücken geworfen wurde. Die Schildkröte lebte 
noch, als ich ankam, und schlug ihre kolossalen, platten und 
sensenförmigen Vorderpranken wüthend über das Brustschild 
zusammen, so dass es weithin klatschte und es gefährlich war, 


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in deren Bereich zu kommen. Der Stich schien die Carotis 
getroffen zu haben, denn der sandige Boden war mit Blut 
getränkt, und nach einer halben Stunde hauchte das Ungethüm 
röchelnd den letzten Athem aus. Es war von derselben Grösse 
wie das erste Exemplar. Sein Rückenschild war etwas über 6’ 
lang, bei 4’ breit und mit fünf kammartig erhabenen Längs- 
leisten versehen, die sich an dem in eine Spitze auslaufenden 
hintern Ende einander näherten. Die beiden Vorderpranken 
hatten eine Länge von 4’; sie waren sehr platt und ihre grösste 
Breite mochte wohl einen Fuss betragen. Ich kaufte die Schild- 
kröte auf dem Platze an unter der Bedingung, dass sie mir 
unbeschädigt nach der Station geliefert werde, denn momentan 
hatte ich nicht die geringste Idee, auf welche Weise das Thier 
dorthin geschafft werden müsse. Das Fleisch bedangen sich die 
Leute für sich selbst aus. Am nächsten Morgen, es war Sonntag, 
wurde mir die Schildkröte in aller Frühe hergebracht. Man hatte 
sie auf einem Canoe über die Sandbank hinweg in den Fluss 
hineingeschleppt, dann das Canoe vorgespannt und sie im Schlepp- 
tau nach Mr. Warson’s Landungsplatz gebracht. Dort band man 
das Thier wieder auf das Canoe, etwa 30 Mann spannten sich 
an einer langen Leine vor und schleppten es, während es von 
links und rechts nebenhergehenden Männern aufrecht gehalten 
wurde, den steilen Abhang hinauf vor mein Haus. 

Da der Sonntag im Lande streng gefeiert wird, so war kein 
einziger Liberianer zu finden, der mir bei der nun folgenden 
grossen Arbeit des Ausschlachtens und Präparirens helfen wollte, 
doch die Hülfe meiner boys und einiger Eingebornen förderte die 
mühsame Arbeit rascher als ich erwarten durfte, nachdem ich 
einmal mit vieler Mühe das Brustschild vom Rückenpanzer 
getrennt hatte. Das Fleisch sah unappetitlich dunkelroth aus, 
und das grünliche Fett sass, ganz anders als bei Säugethieren, 
in grössern und kleinern, kugeligen Klumpen zwischen dem 
Zellgewebe und in der Bauchhöhle Es war nahezu flüssig und 
schmolz zum Theil unter den Häuden weg. Sobald die hauptsäch- 
lichsten Fleischpartieen und die Eingeweide mit hunderten von 
halb und ganz entwickelten Eiern herausgeschnitten und abge- 
liefert waren, entfernte sich die neugierige Menge, während 


— 269 — 


ich mit meinen Leuten unverdrossen den ganzen Tag hindurch 
arbeitete. Das ganze Thier wurde so behandelt, dass sowohl der 
Panzer und der Rest des Skelets als auch die Haut unversehrt 
blieben, was die Arbeit natürlich bedeutend verlängerte und 
erschwerte, und wohl eine Woche fortwährender Mühe und Sorge 
sieng hin, bevor ich so weit war, dass nichts mehr verderben 
konnte. Das Exemplar steht gegenwärtig in Museum in Brüssel. 
Das Fleisch, obschon etwas zähe und thranig, schmeckte besser, 
als es aussah und lieferte eine leidliche Suppe, die aber der von 
Chelonia midas an Güte bei Weitem nicht gleichkam. Bedeutend 
besser mundeten die grossen Eier, obwohl auch diese nicht frei 
von Thrangeschmack waren. 

Die Niederlassung Robertsport wurde, da der Krieg noch stets 
fortdauerte, mehr und mehr mit Flüchtlingen aus der weitern 
Umgebung überfüllt, und selbst gewöhnliche Lebensmittel, wie 
Kassaven, Bataten, Fisch etc. waren sogar für Geld kaum mehr 
erhältlich. Das ganze Land war ausgehungert, und fortwährend 
liefen Berichte ein, dass da oder dort Eingeborne vor Hunger 
gestorben seien. Auf Anregung der amerikanischen Missionäre!) 
wurden durch Comites in England und Amerika mehrere hundert 
Säcke Reis, sowie Salzfleisch und Speck nach Robertsport gesandt, 
um unter die nothleidenden Eingebornen. vertheilt zu werden. 
In den meisten Fällen aber nahmen die verschiedenen Neger- 
fürsten den Reis in Empfang und vertheilten denselben unter 
diejenigen, die ihn bezahlen konnten, so dass gerade die Hülfs- 
bedürftigsten leer ausgiengen. 

Da ich sah, dass die Friedensunterhandlungen , welche man aufs 
Neue begonnen hatte, doch zu keinem günstigen Abschlusse führten 
und das Land zu sehr ausgehungert war, als dass man es, selbst 
im Falle eines baldigen Friedensschlusses, mit Erfolg hätte bereisen 
können, so entschloss ich mich gegen Ende 1881, mit der ersten 
Schiffsgelegenheit nach Grand Bassa, einer Gegend etwa 60 
miles südöstlich von Monrovia, überzusiedeln. Dort würde sich mir 


) Mr. und Mrs. GruUBB waren Schon am 10. September nach Amerika 
zurückgekehrt, nachdem bereits früher, am 29. Juli, Bischof Pexıck mit 
seiner Frau und einer Missionärin, Miss DABnEey, angekommen war, 


— 270 — 


von selbst Gelegenheit geboten haben, um an dem ziemlich weit 
landeinwärts fahrbaren St. Johns River oder einem seiner bedeu- 
tenden Nebenflüsse ein günstiges Jagdterrain zu finden. 

Am Neujahrstage 1882 machte ich, zusammen mit Herrn 
VELDKAMP, eine Canoefahrt nach der befestigten Stadt Passaro 
am Japaca Creek. Wir hatten ein sehr grosses Canoe mit sieben 
Ruderern und waren reichlich mit Proviant versehen. Auch unsere 
boys waren nicht vergessen. Das Wasser im Fisherman Lake war 
infolge der eingetretenen Trockenzeit schon wieder stark gesunken 
und an seinem Abflusse zwischen den zahlreichen Inseln so untief, 
dass die boys oft aussteigen und das so erleichterte Canoe lange 
Strecken durch das Wasser ziehen mussten. An dem Congodorfe 
Tala vorbei gekommen, landeten wir, unterhalb der Einfahrt in 
den Morfi River, an dem Veydorfe Solymah. Ich hatte dasselbe 
schon einmal besucht, und zwar am 16. October, aufder Rückkehr 
von einer Fahrt mit Herrn AnHrens nach Japaca. Damals waren 
wir kurz nach dem Verlassen des Morfi River von einem Tornado 
überfallen und genöthigt worden, Solymah anzulaufen, da wir 
hinter der dort vorspringenden Landzunge Schutz zu finden 
hofften. Unser Canoe gerieth jedoch zwischen die in den See 
hinausragenden Klippen und schlug um, so dass wir genöthigt 
waren, die Gastfreundschaft der Leute von Solymah in Anspruch 
zu nehmen, um unsere Kleider zu trocknen und das Vorbeigehen 
des Gewittersturmes abzuwarten. Damals war es noch ein blühendes 
Dorf mit siner zahlreichen, friedlichen Bevölkerung, jetzt sollten 
wir an dessen Stelle nur eine kahle Brandstätte wiederfinden. 
Vor einigen Tagen nämlich war Solymah durch den Feind in 
einen Schutthaufen verwandelt und waren alle Bewohner bis auf 
einen Mann, der in den See sprang und entkam, und eine Frau, 
die ermordet wurde, gefangen weggeführt worden. Die kleinen 
Kassave- und Batatenpflanzungen in der Umgebung gediehen 
ruhig weiter, die Bananenbüsche waren stehen geblieben und die 
Oransen- und Limonenbäume liessen ihre goldgelben Früchte 
unbenutzt zur Erde fallen. Kein einziges Haus im ganzen Dorfe 
war verschont geblieben; nur einige Lehmmauern standen noch 
theilweise aufrecht, und neben einer derselben fanden wir den 
abgeschlagenen Kopf der armen Frau, die sich unglücklicherweise 


— 271 — 


gegen einen der Eindringer zur Wehre gesetzt hatte. Auf dem 
öffentlichen Platze stand zu meiner Verwunderung der Dorfgötze 
noch unversehrt, und über ihm hing noch der traditionelle 
Tuchfetzen als Flagge von einer hohen Stange herunter. Die 
Figur, welche schon bei dem ersten Besuche meine Aufmerk- 
samkeit erregt hatte, bestand aus einem etwa 2’ tief in den 
Boden gerammten Pfahl, dessen oberes Ende einigermaassen zu 
einem Kopf geformt war, der ein roh gearbeitetes, menschliches 
Gesicht zeigte. Arme und Beine waren nicht vorhanden, wohl 
aber wnrde der Nabel durch einen natürlichen, knotenartigen 
Auswuchs des rohen Stammes dargestellt. Da sich eine Gelegenheit 
zur Erwerbung derartiger Heiligthümer nur selten bietet, liess 
ich dasselbe aus dem Boden heben, was meine boys jedoch erst 
zu thun weigerten, bis sie sahen, dass mir nichts geschah, als 
ich selbst kräftig Hand anlegte. Der Fetisch wurde hierauf nach 
dem Canoe gebracht und in Bananenblätter verpackt, um den 
Götterraub vor den Leuten in Passaro geheim zu halten. Derselbe 
befindet sich gegenwärtig nebst zahlreichen andern Gegenständen 
aus meinen liberianischen Sammlungen im ethnographischen 
Reichsmuseum zu Leiden. 

Die Fahrt den Morfi River und den Japaca Creek hinauf habe 
ich bereits bei einer frühern Gelegenheit beschrieben und über 
Passaro selbst, das halbwegs zwischen Japaca und Cambama am 
linken Ufer des Japaca Creeks liegt, lässt sich wenig sagen. Es 
war ein Ort wie so viele andere der bereits beschriebenen, hatte 
damals etwa 50-60 sehr dicht an einander gebaute Häuser und 
war mit einem doppelten Palissadengürtel umgeben. Schon früh 
am Nachmittag traten wir die Rückreise’an, die ohne besonderes 
Ereigniss von statten gieng. Es war dies der letzte Ausflug, den 
ich von Robertsport aus machten konnte; denn kurz nachher 
traten die schon früher erwähnten Geschwüre an den Füssen so 
zahlreich auf, dass ich beinahe vollständig an meine Hängematte 
_ gebunden war. | 

Da das gegen Ende 1881 erwartete holländische Schiff auch 
im Januar 1832 noch nicht kam, stellte mir Herr MoDDERMAN 
seinen Küstenkutter zur Verfügung, denselben, der uns mehr 
als ein Jahr früher von Monrovia hergebracht hatte. Während 


der Seereise befiel mich ein heftiges Fieber, und als ich zwei 
Tage später auf der Rhede von Monrovia vor Anker sieng, um 
einige dort deponirte Kisten nach Grand Bassa mitzunehmen, 
war ich so schwach, dass ich vom Canoe, welches mich an den 
Strand brachte, von einem Krooboy nach der holländischen 
Faktorei ee an werden musste. 

Hier brach das Fieber von Neuem und zwar so heftig aus, 
dass an eine baldige Weiterreise nicht zu denken war. Der 
draussen auf der Rhede vor Anker liegende Kutter wurde herein- 
geholt und die Ladung für mich geborgen. Wohl gieng das Fieber 
wieder vorüber, doch sahen die viel zahlreicher und grösser 
sewordenen, karbunkelartigen Geschwüre an meinen Füssen so 
schlecht aus und schmerzten mich so sehr, dass ich von jener 
Zeit an zwei Monate lang weder stehen noch gehen konnte. 
Zudem hatte meine Gesundheit dermassen gelitten, dass von einer 
'Wiederherstellung an der Küste keine Rede mehr sein konnte 
und alle Freunde mir dringend riethen, ohne Zögern nach Europa 
zurückzukehren. Vier volle Wochen wartete ich auf eine Gele- 
senheit zur Heimfahrt, bis endlich am 24. April 1882 der englische 
Postdampfer Ambriz einlie. An Bord dieses Bootes kam ich, 
meine ganze Ausrüstung in Monrovia zurücklassend, nach einer 
Seereise über Sierra Leone, die Loss Inseln, Gran Canaria, Tene- 
riffa, Palma und Madeira in Liverpool und einige Tage später 
in Holland an. 


BEER? 


Zweite Reise nach Liberia und Besuch 
in Grand Cape Mount. 


Abfahrt von Ham- 
burg. — Porto Santo 
_ und Madeira. — Te- 
neriffa. — Gran Ca- 
naria.— Aufenthalt 
in Goree und Da- 
kar. — Ankunft 
in Monrovia und 
kurzer Aufenthalt 
daselbst. — Nach 
Grand Cape Mount. 
— Ankunft in Ro- 
bertsport. — Nach 
Bendoo Mission am 
Fisherman Lake. — 
Nach Tala Mission. 
— Ausflug nach 
Cambama und Ja- 
paca. — Besuch meiner frühern Stationen Bendoo und Hokhiö. — Buluma. — 
Fahrt nach Sauwira, Caba und Carpenter’s Settlement. — Rückreise nach 
Monrovia. 


Nach einer angenehmen und erfrischenden Seereise an Bord 


des Amsterdamer Dampfbootes Elve war ich am 30. October 
LIBERIA, ], 18 


— 274 — 


1836 in Hamburg angekommen. Einige Tage später traf auch 
mein Reisegefährte, Herr StAnprLı (siehe Einleitung) ein, der 
sich während der Sommermonate in der Schweiz hinläneglich von 
den schädlichen Einflüssen seiner ersten Liberiareise erholt hatte. 
Nachdem wir unsere Ausrüstung allseitig vervollständigt, traten 
wir Sonnabend den 6. November an Bord der Anna Woermann, 
Capt. JARK, die Reise an. | 
Während der ersten Tage war die Witterung nasskalt und 
die See unruhig, so dass das ohnehin schon nicht festliegende 
Schiff viel Wasser auf Deck bekam. Aber schon eine Woche 
später hatten wir jede Spur von Winter weit hinter uns zurück- 
gelassen, und rund um uns her war tiefblaue See, laue Luft und 
lachender Sonnenschein. Am 12. November mittags 12 Uhr tauchte 
vor uns die Gebirgsinsel Porto Santo aus dem Meere auf. 
Erst waren es nur einige niedrige Buckel, die sich fern am Hori- 
zonte über dem Meerespiegel zeigten. Aber nach und nach nahmen 
diese Buckel an Höhe und Umfang zu und wurden durch nied- 
rigere Bergrücken vereinigt, während immer neue Spitzen, erst 
vereinzelt und dann ebenfalls an das Massiv sich anschliessend, 
erschienen. Je später am Nachmittage, desto schöner wurde das 
reizende Bild. Rechts daneben erhob sich mit steilen Wänden der 
isolirte Sail-Rock, und gegen Abend erblickten wir zu unserer 
Linken die unfruchtbare, ebenfalls Telsige Isola Deserta, 
während vor uns am Hintergrunde die Höhenzüge Madeira’s 
sich vom Horizonte abhoben. Inzwischen fuhren wir, bei unter- 
gehender Sonne, dicht unter der Ostküste von Porto Santo hin. 
Welch reizenden Anblick gewährte diese herrliche Perle im Schoosse 
Thalatta’s! Wie herrlich die Insel dalag mit all ihren Berg- 
rücken, ihren wein- und maisbedeckten,, theils freilich auch kahlen 
Hängen, ihren steilen, von der nagenden Fluth unterwaschenen 
Klippen, ihren Thälern und einspringenden Buchten und der Haupt- 
stadt gleichen Namen’s mit grossen Kirchen und stattlichem 
Kloster, die sich um den tiefen und sichern Hafen schmiegt! 
Nur allzurasch lag dieses reizende Bild weit hinter uns und tauchte, 
als wie durch Zauberspruch, wieder unter in die blauen Fluthen 
des Oceans, während vor uns Isola Deserta links und Madeira 
rechts sich immer höher und massiger in die Luft erhoben, bis 


— 275 — 


sie, in Dämmerung und Nacht gehüllt, als dunkle Massen zum 
sternenbesäeten Firmament emporragten. Gegen acht Uhr bogen 
wir um die mit einem Leuchtthurme versehene Ostecke der Insel 
herum und giengen um 9 Uhr auf der Rhede von Funchal, 
inmitten von zahlreichen andern Fahrzeugen, worunter die drei 
deutschen Kriegsschiffe „Moltke,” „Prinz Adalbert” und „von 
Stein,” vor Anker. Würziger Duft wehte vom nahen Lande 
herüber, und gerade vor uns erkannten wir an einer Masse von 
Lichtern das von der Rhede bis weit an die Berglehne hinauf 
sich ausbreitende Funchal, die Hauptstadt der Insel. 

Schon mit Sonnenaufgang waren wir am andern Morgen an 
Deck, um das herrliche Panorama zu geniessen, das sich vor 
unsern Blicken ausbreitete. Welch ein paradiesisches Stück Erde, 
diese Bucht von Funchal mit der in dem tiefblauen Ocean sich 
badenden und terrassenartig an die Berghalden sich anlehnende 
Stadt, den von Gebirgsvorsprüngen und Felsbuckeln herunter- 
schauenden, weisschimmernden Villen und Landhäuschen, ihren 
Festungswerken, Klöstern und Kirchen! Unmittelbar zu ihrer 
Rechten (von der Rhede aus links) tritt eine schroff abfallende 
Felsterrasse dicht ans Meer heran , und etwas vom Strande entfernt 
erhebt sich, rundum von der Brandung bespült, ein hoher, mit 
einer Festung gekrönter Fels mit senkrechten Wänden, der male- 
rische Lolo Rock. Ein vielfacher Contrast von Grün trifft unser 
Auge; denn mit einem einzigen Blick erfasst man das matte Grün 
der Reben und Edelkastanien, das glänzende Dunkelgrün des edlen 
Lorbeers und das mit einem gelblichen Ton überhauchte Saftgrün 
der Mais- und Zuckerrohrfelder und üppiger Bananenbüsche. Theil- 
weise sind die mannigfach von Runsen und thalartigen Einschnitten 
durchfurchten Abhänge mit Wald bedeckt, theils zeigen sie auch 
kahle, rothe Flächen und Buckel, und die höchste Kuppe des im 
Hintergrunde 1845 M. über das Meer aufragenden Pico Ruivo ist 
mit frischem, während der letzten Nacht gefallenem Schnee bedeckt. 

Um 10 Uhr fuhren wir in einer der zahlreichen, das Schiff 
umlagernden Jollen, gerudert von einem hell bronzefarbigen 
Portugiesen, an Land. Im Umsehen waren wir von zahlreichen 
schreienden und drängenden Führern, Lastträgern, Schlitten- 
führern und Bettlern umringt. Da wir nur bis 2 Uhr fortbleiben 


— 276 — 


durften, miethete ich gleich einen Führer, welcher uns in kurzer 
Zeit möglichst viel sehen lassen und zugleich mit einem derben 
Knüppel die von allen Seiten auf uns eindringenden, ihre 
Dienste anbietenden und bettelnden Wegelagerer vom Leibe halten 
konnte. Dicht am Strande stand eine ganze Reihe von eigen- 
thümlich gebauten Ochsenschlitten, mit je zwei magern, breithu- 
figen, rothen Ochsen bespannt. Da die Fahrwege durch die Insel, 
ja selbst in der Stadt, zu steil sind, um mit Wagen befahren 
zu werden, so ist der Ochsenschlitten das einzige Transport- 
mittel, bei welchem Zugthiere gebraucht werden. 

Die Strassen der Stadt sind sehr steil und ziemlich eng, und 
das aus runden, durch die Schlittensohlen geglättenen Rollsteinen 
construirte Pflaster lässt den unvorsichtig Gehenden jeden Augen- 
blick ausgleiten. Die Häuser sind meist aus Stein, ältere auch 
aus Holz gebaut und tragen ein eigenthümliches Gepräge. In 
zahlreichen Kaufläden, wo alle möglichen Artikel zugleich verkauft 
werden, wird man zur Besichtigung der Waaren eingeladen, 
und alte Weiber der allerhässlichsten Sorte, durch ihre Tracht 
und die eigenthümliche Weise, in der sie ihr schmutziges Kopftuch 
tragen, noch älter gemacht als sie wirklich sind, begegnen Einem 
auf Schritt und Tritt, stehen an Strassenecken und Kirchthüren;; 
ja selbst am Schalter des Postbureaus wurden wir durch ein 
krüppelhaftes Geschöpf belästigt, das mit den schmutzigen, dürren 
Fingern die entzündeten, halb verklebten Augenlider auseinan- 
derriss, um uns durch den ekelhaften Anblick mildthätiger zu 
stimmen. Wir besuchten unter Anderm den hübschen botanischen 
Garten, woselbst die verschiedensten tropischen und subtropi- 
schen Pflanzen aller Welttheile in freier Luft vortrefflich gedeihen. 
Besonders interessant war ein Gang über den grossen, wohlein- 
gerichteten und reich besetzten Fisch- und Gemüsemarkt. Auf 
dem Erstern waren die mannigfaltigsten frutti di mare vertreten, 
denn die Umgebung Madeira’s ist ausserordentlich reich an 
verschiedenartigen Seefischen, Krebsen u.dgl., und überall standen 
kleine Gruppen von Männern, die sich an einer Art Muschel, 
mit Limonensaft befeuchtet, gütlich thaten. Auf dem Obst- und 
Gemüsemarkt fanden wir Massen von Aepfeln und Birnen, und 
gleich daneben Orangen, Citronen, Limonen, grosse Trauben 


— 201 — 


Bananen, ganze Körbe voll Kastanien, Feigen, Melonen, Gurken, 
Ananasse, Bataten, Mais, Bohnen, Kohl etc. Es war während 
der Mittagsstunden sehr warm, und dies mag der Grund gewesen 
sein, weshalb wir fast keinem der dort stets zahlreichen Kurgäste 
begegneten. In einer schattigen Rebenlaube, wohin wir uns zurück- 
zogen, um bei einem Glase echten (?) Madeira’s etwas auszuruhen, 
sahen wir einen wilden Kanarienvogel. Diese ausgezeichneten 
Sänger kommen bekanntlich hier und auf den kanarischen Inseln 
wild vor, werden aber auch gezüchtet und in schönen Käfigen aus 
Weidengeflecht überall zum Kaufe angeboten. An Bord zurück- 
gekommen, sahen wir mit Vergnügen nach den zahlreichen 
halbnackten Jungen, welche um die Wette den von uns in die 
See geworfenen, kleinen Silberstücken nachsprangen und dieselben 
tauchend oft aus bedeutender Tiefe heraufholten. 

Erst um fünf Uhr abends verliessen wir die Rhede, und bald 
war das herrliche Zauberbild von Madeira unter dem Horizonte 
verschwunden, langsam, wie es am Abend vorher vor unsern 
entzückten Blicken aufgetaucht. 

Der folgende Morgen (16 November) brachte uns ein schwaches 
Gewitter, wobei der Wind aus S.W. nach N.O. umschlug und 
uns als Nordostpassat bis zu unserer Ankunft an der afrikani- 
schen Küste treu blieb 4. Dabei wurde die Luft dunstig und 
trübe, so dass, als wir etwas nach 12 Uhr endlich den Pic von 
Teneriffa erblickten, derselbe sammt dem ganzen Gebirgsmassiv 
dieser Insel schon hoch über den Horizont aufgetaucht war. Dieser 
Bergriese ist 3716 M. hoch und kann daher bei ganz klarem 
Wetter schon auf einen Abstand von 200 Kilometer (circa 120 
englische Meilen) gesehen werden. Erst gegen Abend kamen wir 
der Insel endlich so nahe, dass wir allerlei Details unterscheiden 
konnten; doch als wir die Rhede von Santa Cruz de Teneriffa 
erreichten, war es bereits zu dunkel geworden, um noch vor 
Anker gehen zu können, so dass wir die Nacht hindurch ange- 
sichts der zahlreichen Lichter von Santa Cruz auf- und nieder- 
kreuzen mussten. 


ı) Auf meiner ersten Hinreise erreichten wir den Passat am 23. December 
auf 19° nördlicher Breite. 


al 


Am andern Morgen hatten wir beim Einfahren auf die Rhede 
den Genuss, bei hellem Wetter das mit grotesken, vielzacki- 
sen Kämmen gekrönte Gebirgsmassiv der Insel und den im 
Hintergrunde am Südwestende der Letztern sich aufthürmenden 
Pic von Teneriffa (Pico de Teyde) in ihrer ganzen Herrlichkeit zu 
bewundern. Der Letztere bot einen besonders schönen , grossar- 
tigen Anblick dar. Seine höchste Kuppe, ein auf breiten, massigen 
Schultern ruhender Kegel, war mit frisch gefallenem Schnee 
bedeckt, der sich in langen, nach unten schmäler werdenden 
Streifen bis tief in die Schluchten der Abhänge hinunterzog. Die 
Besteigung dieses Berges wird in der Regel von Orotawa aus, 
einem Kurort auf der andern Seite der Insel, unternommen und 
soll 48 Stunden in Anspruch nehmen. Alexander von Humboldt, 
der den Pic erstiegen, soll, auf dem Rande des Gipfelkraters 
angekommen, durch die nen des Riesenpanorama’s zu 
Thränen gerührt gewesen sein. 

Leider konnten wir den herrlichen Anblick nicht lange geniessen, 
denn kaum hatte die Sonne eine Stunde am Horizont gestanden, 
als sich erst die höchsten Gipfel, später sogar auch die niedrigen 
Bergrücken in einen dichten Wolkenschleier hüllten. Dafür genossen 
wir nun mit unvertheilter Aufmerksamkeit die Aussicht auf das 
liebliche Panorama, das sich in der Nähe vor unsern Blicken 
ausbreitete. Da lag gerade vor uns an einer tiefen, von hohen 
Bergen umrahmten Bucht das malerische, wie an den Abhang 
und Fuss des Berges hingegossene Santa Cruz, die Hauptstadt 
der Insel. Das reizende Landschaftsbild wurde von der goldigen 
Morgensonne und einem eigenthümlichen, durch die im Hochge- 
birge hangenden Nebel bewirkten Lichtreflex zauberhaft beleuchtet. 
Santa Cruz de Teneriffa zeigt schon von der Rhede aus gesehen 
einen eigenthümlichen, spanischen Charakter, der ihm besonders 
durch die weissgetünchten Häuser mit den flachen Dächern auf- 
seprägt wird. 

Nach dem Frühstück fuhren wir an Land und legten hinter 
dem langen, mit einem Leuchtthurme versehenen Molo (Hafen- 
damm) an. Dort fanden wir unter einem grossen Güterschuppen 
eine Menge Auswanderer, die, von den verschiedensten Inseln 
der kanarischen Gruppe zusammengekommen, auf das bereits 


— 279 — 


fällige, spanische Boot warteten, um nach Savannah überzusiedeln. 
Die Stadt selbst gefiel uns viel besser als Funchal, denn die 
Häuser sahen im Allgemeinen besser aus; auch wurden wir nicht 
durch Führer und bettelnde Weiber belästigt, wie in dem portu- 
siesischen Madeira, denn dazu scheint der Spanier zu stolz sein. 
Zweirädrige Wagen, mit je zwei feurigen, Kleinen Pferden bespannt, 
sprengten in voller Carriere durch die gut gepflasterten, etwas 
undulirten Strassen, und schöne Bäuerinnen ritten auf schwer- 
beladenen Packeseln und Maulthieren einher und trugen nicht 
wenig dazu bei, dem Strassenleben ein eigenthümliches Gepräge 
aufzudrücken. Auch unter den Bauern trafen wir viele ritterliche 
Gestalten, denen die weisswollenen, spanischen Mäntel gar nicht 
übel standen und die mit einer gewissen Grandezza einherschritten. 
Wie in Funchal, so fanden wir auch hier Kaufläden für Allerlei, 
wobei nirgends geistige Getränke und Weine fehlten; auch 
wurden überall Kanarienvögel, einer gelben, dort gezüchteten 
Rasse angehörend, zum Kaufe angeboten. Wie bereits erwähnt, 
wird auch hier der Kanarienvogel in wildem Zustande angetroffen. 
Das Männchen ist gelblich grün, das Weibchen mehr graugrün. 
Die verschiedene Färbung der Geschlechter, sowie der schlankere 
Bau und die schwärzliche Farbe der Füsse lassen den Stamm- 
vater deutlich von allen unsern gezüchteten Kanarienvögeln unter- 
scheiden. 

Auch hier hatten wir nicht viel Zeit zur Verfügung und be- 
schränkten unsern Besuch auf einen Gang durch die Stadt, wobei 
wir nicht vergassen, uns in ein kühles Trinklokal zurückzu- 
ziehen und uns durch eine schwarzäugige Spanierin einen edlen 
Malvasier (sogenannten Kanariensekt) vorsetzen zu lassen. 

Was mir bei diesem Besuche in Santa Cruz besonders auffiel , 
war das mechanische Glockenspiel (Carillon) aufeinem der Thürme 
der Stadt, ganz wie man dasselbe in beinahe allen holländischen 
Städten zu hören gewohnt ist. Ob dasselbe durch die spanische 
Invasion nach Holland gebracht wurde, oder ob die Spanier es 
von den Holländern entlehnt haben, ist mir jedoch unbekannt. 

Schon um drei Uhr nachmittags fuhren wir weiter, um am 
Abend noch Las Palmas, die Hauptstadt der Insel Gran Canaria, 
zu erreichen. Obschon wir direkt nach dem Verlassen der Rhede 


— 280 — 


von Santa Cruz die Bergmassen von Gran Canaria im Osten vor 
uns sich erheben sahen, erreichten wir doch Las Palmas erst nach 
zehn Uhr abends, denn ein wüthender Gewittersturm liess uns 
längere Zeit kaum vorwärts kommen. Einige spanische Passa- 
siere giengen noch in der Nacht an Land, wir aber blieben bis 
zum nächsten Morgen und fuhren dann nach dem Landungsplatze 
von Las Palmas, der sich etwa eine Stunde von der Stadt am 
Fusse der bergigen Halbinsel Isleta befindet. Diese Halbinsel ist 
ein mit einem Kloster und einem Leuchtthurme gekrönter, hoher 
Berg, jedenfalls wie die ganzen kanarischen Inseln vulkanischen 
Ursprungs; sie ist nur durch eine sehr schmale und niedrige 
Landzunge, eine Art Sandbank, mit der Insel Gran Canaria 
verbunden. Am Landungsplatze nahmen wir ein leichtes Cabriolet, 
mit zwei kleinen, magern Pferden bespannt, um rascher nach 
Las Palmas zu kommen, welche Stadt sich an derselben grossen 

Meeresbucht befindet. Wie eine Windsbraut flogen die feurigen 
Renner dahin, in einem grossen Bogen der gut unterhaltenen 
Fahrstrasse den Strand entlang und durch die breiten, gepfla- 
sterten Strassen von Las Palmas zum Hötel de l’Europe, wo wir 
abstiegen. Die beiden Pferde waren mit Schaum bedeckt, den 
der Kutscher nun schweigend und ohne sich weiter um uns zu 
kümmern mit einem langen Messer von seinen Thieren herun- 
terschabte. Von hier aus besuchten wir die Kathedrale und 
stiegen auf den hohen Thurm derselben, von dessen Plattform 
aus wir einen prachtvollen Ausblick auf die rundum zu unsern 
Füssen liegende, grosse Stadt mit ihren flachen Cementdächern, 
das hinter der Stadt allmälig ansteigende, baum- und vegetations- 
arme Gebirge, die Halbinsel Isleta und die grosse Bucht von 
Las Palmas hatten. Die Aussicht war so reizend, dass ich durch 
unsern Führer den im Hötel zurückgelassenen photographischen 
Apparat heraufholen liess und zwei wohlgelungene Aufnahmen 
machte. Nach dem Frühstück besuchten wir das schöne Rath- 
haus mit seinen prachtvollen Säälen und dem antiquarischen , 
ethnographischen und zoologischen Museum im obersten Stock- 
werke. Die antiquarisch-archäologische Abtheilung ist besonders 
darum sehenswerth, weil sie grosse Mengen Ausgrabungsmaterial 
aus der Zeit der Ureinwohner der kanarischen Inseln, der’ vor 


— 281 — 


etwa 400 Jahren durch die Spanier ausgerotten Guanchen, 
enthält, unter Anderm an die 400 Steinbeile und 75 gut erhaltene, 
aus Holz geschnitzte Stempel, wie sie beim Färben von Stoffen 
gebraucht wurden, nebst zahlreichen Urnen. Auch sind zahlreiche 
Mumien und ganze Stapel von Schädeln und andern Scelettheilen 
der alten Guanchen vorhanden. Das zoologische Museum, in dem 
mich der freundliche Director Dr. GREGORIO CHIL Y NARANJO 
herumführte, ist insofern höchst interessant, als es die eigen- 
thümliche Fauna der kanarischen Inseln so gut wie vollständig 
repräsentirt. Säugethiere waren ursprünglich nicht vorhanden; 
jetzt kommen nebst den verschiedenen Hausthieren Ratten und 
Mäuse vor. Dagegen sind zahlreiche Vögel einheimisch, worunter 
der schon erwähnte Kanarienvogel; auch werden verschiedene 
europäische Vogelarten gefunden, die entweder hier den Winter 
zubringen oder durch Stürme hieher verschlagen werden. Unter 
den Reptilien sind die Skinken am zahlreichsten vertreten. Einige 
derselben leben in unterirdischen Höhlen, an denen diese vulka- 
nischen Inseln äusserst reich sein sollen. Schlangen hingegen 
werden nicht angetroffen, ebensowenig als Süsswasserfische. Viele 
Insekten sind für diese Inseln eigenthümlich. 

Andere stattliche, öffentliche Gebäude sind der Bischofspalast, 
der, zusammen mit der Kathedrale und dem Rathhaus, die grosse 
Place de la Cathedrale von drei Seiten einschliesst, sowie das 
schöne und grosse, damals noch nicht ganz vollendete Theater, 
welches durch einen Architekten aus Madrid nach dem Muster des 
Pariser Opernhauses gebaut wurde. Auch die Wasserleitung ist 
erwähnenswerth. Im Allgemeinen macht die Stadt einen sehr 
günstigen Eindruck, obschon die schweren, weissgetünchten 
Mauern der meist einstöckigen Häuser nach der Strasse hin 
wenige und nur kleine Fenster haben. Von den die Stadt beherr- 
schenden Anhöhen schauen einige Festungswerke herunter. 

Die nächste Umgebung der Stadt ist ziemlich fruchtbar. Man 
findet hier zahlreiche Dattel- und Kokospalmen und schöne Drachen- 
bäume (Dracaena draco), Olivenbäume, Cypressen und baumartige 
Euphorbien. Bananen, Zuckerrohr, Guaven und Anonen werden 
häufig angebaut, ebenso die stachlige Opuntia zum Zwecke der 
Cochenillekultur. Diese letztere, die früher mit grossem Erfolge 


280 — 


betrieben wurde, ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, 
da man das prachtvolle Roth viel billiger auf chemischem Wege 
darstellen kann. Den Wegen entlang findet man zahlreiche, wilde 
(verwilderte?) Agaven, und stellenweise sind beide Strassenränder 
ausserhalb der Stadt mit Cypressen bedeckt. Kaum hat man aber 
die Umgebung der Stadt verlassen, so hört beinahe jeglicher 
Pflanzenwuchs auf, und längs der Strasse nach der Halbinsel 
Isleta hin ist die ganze Gegend, selbst bis an die Abhänge der 
Berge hinauf, mit gelbweissem Flugsand bedeckt. 

Um drei Uhr nachmittags waren wir wieder an Bord. Wir 
fuhren nun der Ostküste der Insel entlang südwärts, und erst 
spät in der Nacht blieb auch die Südspitze dieser grössten der 
kanarischen Inseln hinter uns zurück. | 

Im Laufe des folgenden Tages passirten wir den Wendekreis 
und sahen zahlreiche Haifische. Die Luft war trübe, doch konnten 
wir zeitweise die vegetationslose Stranddüne der afrikanischen 
Küste sehen, unter der wir auf geringen Abstand entlang fuhren. 
Einen Tag später passirten wir Cap Blanco, und zahlreiche Raub- 
vögel (Haliaetus vocifer) umschwärmten das Boot. Am frühen 
Morgen des 22. November fuhren wir dicht unter dem grünen 
Vorgebirge hin und kurz nachher die tafelförmigen, kahlen und 
steil aus der See aufsteigenden Magdaleneninseln entlang. Um 
sieben Uhr bogen wir um das nach S.W. vorspringende und die 
Bucht von Goree einschliessende Cap Manoäl und giengen gegen- 
über der in dieser Bucht liegenden Felsinsel Gore&e, mit der 
Stadt und dem Freihafen gleichen Namens, vor Anker. Zahlreiche 
Fahrzeuge, worunter einige französische Kriegsschiffe, lagen in 
unserer Nähe, und direkt vor uns erhob sich die Insel Goree, 
deren ganze Oberfläche, einen im Süden liegenden, mit einem 
Fort gekrönten Hügel ausgenommen, durch die Stadt mit ihren 
zahlreichen Öffentlichen Gebäuden und dem grossen Marktplatze 
eingenommen wird. Auch auf dem nördlichen Ende der Insel steht 
ein Fort, von dessen Zinnen alte Feldschlangen wohl mehr drohend 
als wirklich gefährlich herunterschauen. Vorbei Goree, am nahen 
Festlande im Westen der Bucht, liegt Dakar, ebenfalls ein franzö- 
sischer Hafenplatz, und im Osten, an derselben riesigen Bucht, 
der Hafenplatz Rufisque. Nachdem die Gesundheits- und Douane- 


polizei ihre Pflicht erfüllt hatte, kamen zahlreiche, grosse Kutter 
langsseit des Schiffes, um Ladung für die drei verschiedenen 
Hafenplätze in Empfang zu nehmen. 

Nach dem Frühstück fuhren wir nach Goree hinüber und 
mietheten dort ein Segelboot, das uns nach Dakar beförderte. 
Auch hier ist, wie in Goree, ein Gouverneurspalast und ein 
riesiger Marktplatz, auf dem zahlreiche zum Stamme der Fullah 
gehörige Neger in langen, talarartigen, weissen Mänteln und 
beinahe ganz in Tücher gehüllte Frauen allerlei Landesprodukte 
zum Kaufe anboten. Die Eingebornen des Platzes selbst gehören 
zum Stamme der Wolof und sind weniger gut gekleidet. Im 
Allgemeinen sehen diese Neger intelligent aus, sind sehr dienst- 
fertig und sprechen meist etwas Französisch, das hier die offi- 
cielle Sprache ist. Die erste Begegnung, die wir mit Weissen 
hatten, war ein Leichenzug! Ein weisser Kaufmann wurde durch 
seine Freunde zu Grabe geleitet. Dakar ist ein bedeutender 
Handelsplatz und der Ausgangspunkt einer schmalspurigen Eisen- 
bahn, die nach St. Louis am Senegal führt‘). Der Platz ist sehr 
weitläufig gebaut. Die Umgebung ist nicht sehr fruchtbar und 
besteht in der Nähe des Strandes aus Dünengebiet, dessen Thal- 
sohlen allein einige Vegetation besitzen. Hier weideten zahlreiche 
Heerden von Buckelochsen und glatthaarigen Schafen, zwischen 
denen Hunderte von gelben Bachstelzen (Motacilla flava) herum- 
trippelten. Die grössern Dünenthäler sind sumpfig, und zahlreiche 
Krabben glotzten uns mit ihren beweglichen, gestielten Augen 
von allen Seiten entgegen. Dieses Gebiet ist das Land der Dornen, 
und es dauerte nicht lange, bis uns auf dem kleinen Jagdaus- 
fluge — wir hatten unsere Gewehre mitgenommen — das Blut 
in das Schuhzeug hinunterfloss. Leider war es viel zu heiss, um 
mit Erfolg jagen zu können, doch lernten wir auf diesem Ausfluge, 
der uns der Bahnlinie entlang bis in die Nähe von Rufisque 
hinüberführte, den Charakter der Gegend wenigstens einiger- 
 maassen kennen. Nach Dakar zurückgekehrt, machte ich mit 


ı) Diese Bahnlinie ist an die 165 englischen Meilen lang. Sie ist die erste, 
die in Afrika angelegt wurde. Eine andere Linie von ungefähr 335 englischen 
Meilen soll später St. Louis, die Hauptstadt des französischen Senegalge- 
bietes, mit Bamaku am obern Niger verbinden. 


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grosser Mühe auf dem genannten Marktplatze eine photographische 
Aufnahme; doch war es mir nicht möglich, eine Gruppe von 
Eingebornen aus dem fernen Innern, die ich gerne gehabt hätte, 
zusammenzubringen. Bei Einbruch der Nacht kehrten wir an 
Bord zurück. 

Den folgenden Morgen machten wir einen Ausflug nach Goree, 
woselbst es mir durch List gelang, auf dem Marktplatze eine 
grosse Gruppe von Wolofs, Männer und viele Knaben von allen 
Grössen, leider aber keine Frauen und Mädchen, zusammenzu- 
bringen und zu photographiren. In Hamburg hatte ich nämlich 


Der grosse Markt in Dakar. 


nebst vielem Andern auch eine kleine Drehorgel (Clariophon) 
gekauft und mit nach Goree gebracht. Mein Freund STAMPFLI 
setzte sich nun hin und lockte durch sein Spiel eine Menge 
Leute herbei, während ich meinen Apparat in Bereitschaft hielt 
und, einen günstigen Augenblick benutzend, rasch eine Auf- 
nahme machte. Eine andere Gruppe, in der einige Mädchen 
vorkamen, wurde mir verdorben, indem gerade im Momente des 
Exponirens die Mutter eines der Kinder erschien, mir einen 
vernichtenden Blick zuwarf, auf die Kinder zustürzte und die- 
selben mit einem gewaltigen Rucke aus der Gruppe fortriss. 


— 285 — 


Gegen Mittag dampften wir weiter und erreichten, ohne fernerhin 
irgendwo Land anzulaufen, drei Tage später, Freitag den 26. 
November, die Rhede von Monrovia, von wo wir sofort durch 
einige alte Freunde, die von unserer Ankunft unterrichtet 
waren, in einem grossen Boote an Land geholt wurden. 

In der Müller’schen Faktorei, wohin wir zuerst unsere Schritte 
lenkten, fand ich meinen alten Freund A. VELDKAMP !) und 
nebenan in der Woermann’schen Faktorei Herrn JÄGER, gegen- 
wärtig Hauptagent dieser Firma und deutscher Consul. 

Nachdem die grösste Tageshitze vorbei war, begleitete uns 
Herr VELDKAMP!) in die obere Stadt hinauf zu Frau MODDERMAN, 
die uns freundlichst aufnahm und bewirthete. Obschon sie bereits 
einige Jahre in Monrovia zugebracht hatte, schien sie nicht unter 
dem Einflusse des Klimas zu leiden und sah sehr gesund aus. 

Die Stadt Monrovia fand ich seit 1882 nicht wesentlich, doch 
immerhin zu ihrem Vortheil, verändert. Wohl sah man längs 
der schnurgeraden Strassen noch zahlreiche ruinenhafte Gebäude 
und verwilderte Gärten, doch hatte sich das allgemeine Aussehen 
merklich gebessert. Zahlreiche, früher ärmliche Gebäude hatten 
inzwischen ein stattliches Aussehen bekommen. Das früher halb 
verfallene, dem Einsturz nahe Seminar war restaurirt und beher- 
bergte eine Missionsschule unter der Leitung von Miss SHARP, 
einer weissen, amerikanischen Dame; das grosse Postgebäude war 
Mansion des Präsidenten der Republik geworden, und an der 
waterside, nahe bei Krootown, hatte man ein neues Postgebäude 
errichtet. Viele Strassen waren bedeutend verbessert, und die 
vornehmsten derselben sogar mit Laternen versehen. Auch das 
Liberia College, abseits von der Stadt am Südwestabhange des 
Vorgebirges, war mit Hülfe von amerikanischen Geldmitteln 
renovirt und sah nun sehr stattlich aus. Ueberhaupt machte 
alles, was ich am Tage unserer Ankunft sah, den Eindruck, 
als ob sich während meiner mehr .als vierjährigen Abwesenheit 
Manches verbessert habe und im Allgemeinen mehr Wohlstand 
in Monrovia herrsche als früher. 


!) Seit der Rückkehr von Herrn MoppermAn nach Holland Hauptagent 
für die Firma H. MÜLLER & Co. und holländischer Consul geworden, 


— 286 — 


Auch unter den Liberianern traf ich an diesem ersten Tage 
schon zahlreiche alte Bekannte und wurde von allen Seiten 
herzlich bewillkommt. 

Da die Trockenzeit bereits angebrochen war, so hatten wir 
keine Zeit zu verlieren und trafen schon am ersten Tage die 
nöthigen Maassregeln, um unverweilt unsere Thätigkeit beginnen 
zu können. Als erstes Jagd- und Untersuchungsterrain hatten 
wir das Gebiet des Junk River und seiner Nebenflüsse, wo 
Freund STAMPFLI schon während seiner ersten Reise eine Zeit lang 
thätig gewesen war, ausersehen. Derselbe sollte nun so rasch 
wie möglich über Land nach dem Junk River reisen und dort 
an einer geeigneten Stelle ein Haus zu miethen suchen oder 
anderweitige Maassregeln treffen, um uns in möglichst kurzer 
Zeit eine passende Wohnung zu beschaffen. Inzwischen wollte 
ich selbst noch einmal meine alten Jagdgebiete und Freunde in 
Grand Cape Mount wiedersehen und persönlich meinen alten 
Jäger Jackson, der mir schon brieflich seine Dienste zugesagt 
hatte, sowie einige durch Mr. WArson für mich gemiethete, junge 
Vey-Leute nach unsern neuen Jagdgründen herüberholen. 

Schon am folgenden Tage bot sich mir die Gelegenheit, mit 
einem nach Robertsport gehenden Boote der deutschen Faktorei 
mitzufahren. Frau MOoppERMAn war So liebenswürdig, mich für 
die kurze Seereise reichlich mit Proviant zu versehen, und Herr 
Urrıchs, Angestellter der Woermann’schen Faktorei, richtete 
mir das Hintertheil des Bootes so bequem wie möglich ein und 
liess es mit einem aus Matten construirten Schutzdache gegen 
Sonne und etwaigen Regen versehen. 

Am 27. November, mittags gegen 12 Uhr, fuhren wir ak. 
Die lange Sandbank, die, bei Monrovia beginnend und in nörd- 
licher Richtung verlaufend, früher sich dem Messurado River 
vorgelagert und denselben gezwungen hatte, in einem weiten, 
nördlichen Bogen seinen Ausgang in die See zu suchen, war 
nun verschwunden, und wir konnten beinahe ohne Umweg ins 
Meer gelangen. Vor einigen Jahren nämlich hatte der Fluss 
die während der Regenzeit seinen Ablauf hindernde Sandbank 
durchbrochen, und der plötzliche Abfluss seiner aufgestauten 
Wassermassen war so gross, dass die starke Strömung eine 


98 — 


bedeutende Strecke seines rechten Ufers mitriss, die dort liegende 
deutsche Krootown — so genannt, weil die Kruleute im Dienste 
der deutschen Faktorei dort wohnten — vernichtete und deren 
Bewohner zwang, sich weiter nordwärts an der Bucht anzusiedeln. 

Mit einer angenehmen Seebrise segelnd, kamen wir während 
der ersten Stunden rasch vorwärts und hofften bereits, noch am 
Abend des nämlichen Tages Robertsport zu erreichen, als ange- 
sichts des nahen Cape Mount Gebirges gegen Abend der Wind 
sich legte und eine drückende Schwüle einen Tornado befürchten 
liess. Dieser blieb nicht lange aus. Mit Einbruch der Nacht 
erhob sich auf der Landseite mit wunderbarar Schnelle eine 
schwarze Wand, und kaum fünf Minuten später war der Himmel 
auf dieser Seite mit einer schwarzen Wolkenmasse bedeckt. 
Durch einige schwere Ruckwinde angekündigt, brach ein wüthender 
Sturm los, der das leichte Schutzdach vom Boot herunterriss und 
uns vor dem Anker, den wir inzwischen ausgeworfen hatten, 
furchtbar hin- und herwarf, so dass wir das Aergste fürchten 
mussten. Dabei prasselte ein gewaltiger Platzregen auf uns nieder, 
füllte das Boot halb mit Wasser und durchnässte uns bis auf die 
Haut. Hierauf hatten wir absolute Windstille, und nass wie 
wir waren, fühlten wir uns so kalt, dass die sieben Krooboys, 
welche die Bemannung des Bootes bildeten, genöthigt waren, 
die Ruder zu ergreifen, um sich ein wenig erwärmen zu können, 
denn selbstverständlich war durch den Regen auch das Feuer 
in der grossen Sandkiste, das auf einer solchen Reise nie fehlt, 
ausgegangen. 

Erst um 10 Uhr am andern Morgen, einem Sonntag, kamen 
wir in -Robertsport an, wo merkwürdiger Weise die früher 
sehr lange Sandbank vor der Mündung des Cape Mount River 
ebenfalls infolge eines Durchbruchs gänzlich verschwunden war. 
Hier landeten wir vor dem Hause des Superintendenten, meines 
‚alten Bekannten Mr. Watson, der mich aufs freundlichste em- 
pfing. Darauf begab ich mich nach der holländischen Faktorei 
und wurde dort von deren Chef, Herrn HeruminGA, herzlich 
willkommen geheissen. 

Durch ArcHey °DEMmERY, Jackson’s Sohn, welcher bei der 
Landung zugegen war, erfuhr ich, dass sein Vater nicht mehr 


— 288 — 


in Robertsport wohne, sondern in einer amerikanischen, bapti- 
stischen Missionsstation bei Bendoo am Fisherman Lake. Mein 
Erstes war nun, so rasch wie möglich dorthin zu fahren, und 
Herr HrmuminaA erklärte sich bereit, mich zu begleiten. Während 
nun ARrcHEY die durch Mr. WaArson für mich in Dienst genom- 
menen boys zusammenrief und das OCanoe ausrüstete, wechselte 
ich meine Kleider und machte mich zur Weiterreise bereit. Um 
ein Uhr, in der grössten Sonnenhitze, fuhren wir ab. Wie kam 
mir Alles wieder so bekannt und heimisch vor! Jeden Busch 
kannte ich noch, als wir den schönen Cape Mount River hinauf- 
fuhren. Auf demselben Platze wie früher nistete noch jetzt eine 
Colonie von schwarzköpfigen Reihern; das Ufer war nach wie 
vor von monsterartigen Krabben durchlöchert. Und als wir in 
das untere Ende des schönen Fisherman Lake einfuhren, zwischen 
den zahlreichen, mir so wohlbekannten Mangrove-Inseln dahin- 
glitten und an dem langen, quer im untern Ende des Sees liegenden 
Eilande Massatin, der Insel Massagh des alten Dapper (siehe 
Literaturverzeichniss) vorbeikamen, da war es, als hätte ich erst 
gestern dieselbe Reise zum letzten Male gemacht. Ohne irgendwo 
anzulegen, fuhren wir bis Solymah, welchen Platz ich am Neu- 
jahrstage 18852 als öde Brandstätte angetroffen und der nun 
wieder, freilich durch andere Leute, neu aufgebaut und bewohnt 
war. Nach einem Aufenthalte von einigen Minuten fuhren wir 
weiter und kamen schon vor vier Uhr auf Bendoo Mission an, 
wo ich durch meinen alten Jäger und seine Frau mit offenen 
Armen aufgenommen wurde. 

Um Jackson Zeit zu gönnen, Alles für seine Abreise be 
zu machen, beschloss ich zu bleiben, und Herr HEmmInGA fuhr 
mit den boys allein nach Robertsport zurück. JAcKson hatte 
sich recht gut eingerichtet. Wie schon gesagt, wohnte er hier 
mit seiner Frau und einigen angenommenen Kindern — ein paar 
Kinder mehr oder weniger am Tische bringt keine Veränderung 
in das Budget eines liberianischen Haushaltes — aufeiner hübschen, 
seit meiner Abreise errichteten. Missionsstation als Hüter des Hauses. 
Die gute Frau DEemEerY gab sich ausserordentlich viel Mühe, um 
meine culinarischen Bedürfnisse zu befriedigen, die freilich viel 
geringer waren, als sie vorausgesetzt haben mochte. Bendoo 


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Mission, ein einfaches Holzhaus für die damals abwesenden Missio- 
näre und ein paar Negerhütten für deren eingeborne Dienerschaft, 
liest entschieden auf dem reizendsten Fleck am ganzen See, dem 
westlichen, weit vorspringenden Ende des Hügelzuges von Bendoo, 
etwa 50’ über dem Wasserspiegel. Dieser Punkt gewährt eine 
prachtvolle Aussicht über den herrlich blauen, weiten See, im 
Süden auf das dicht bewaldete Cape Mount-Gebirge, im Westen 
auf das untere Ende des Sees mit den zahlreichen Inseln und 
darüber hinaus bis nach Robertsport hinunter. Sieben Jahre 
früher, als ich mich mit Sara in der Stadt Bendoo einquartirt 
hatte, führten mich meine Jagdausflüge oft auf diesen Punkt, 
der damals mit dichtem Buschwald bewachsen war, und manchmal 
wünschte ich, an einer so schönen Stelle wohnen zu können. 
Und nun sass ich da auf der schattigen Piazza (Laube) vor der 
Thüre im rosigen Scheine der untergehenden Sonne, und neben 
mir mein guter Barbarossa und seine wackere Hausfrau, und 
wir erzählten uns, eine Cigarre schmauchend, von unsern Erleb- 
nissen und den mannigfaltigen Veränderungen, die seit meiner 
Abreise stattgefunden. Beinahe rührend war es, als Beide mich 
nach dem Befinden meiner Eltern und Geschwister fragten und 
nicht müde werden konnten, mir immer aufs Neue wieder ins 
Gesicht zu sehen und ihre Freude auszudrücken, dass ich nach 
so langer Trennung wieder zurückgekommen sei. Wie ein leichter 
Schatten zog es über mich, als sie meiner guten, alten Haus- 
hälterin Mary Kennepy gedachten, die seit meiner Abreise bei 
ihnen gewohnt hatte und vor ein.paar Jahren gestorben war. 
Gar Vieles hatte sich übrigens seither geändert. Neben meinem 
Freunde Sara lagen vier Weisse in die Erde gebettet, nämlich 
vAN Es, der Agent der Müller’schen Faktorei, zwei Matrosen und 
der amerikanische Missionär Rev. MEEX, von Geburt ebenfalls 
Holländer. König BarraH, the King of the Lake, mit dem ich 
vor sechs Jahren für einige Dollars Freundschaft geschlossen, 
war kurze Zeit vor meiner Ankunft gestorben; auch der Häupt- 
ling von Maima, der mich damals so gerne zu seinem Schwieger- 
sohne gemacht hätte, weilte seit geraumer Zeit nicht mehr unter 
den Lebenden. Wie war die Zeit hingeflogen! Als wie in ein 


Nichts weggesunken kam sie mir vor, als eine unmessbar 
LIBERIA, 1, 19 


— 290 — 


kleine Spanne, nun ich mich wieder hier befand, in dem Lande 
meiner Träume, unter lieben, alten Bekannten. Es war inzwi- 
schen dunkel geworden; die zahlreich durcheinander schwärmen- 
den, in der kurzen Dämmerung mit geschickten Schwenkungen 
nach Fliegen und Mücken jagenden, breitschnäbeligen Mandelkrähen 
(Eurystomus afer,, in Liberia day-bats genannt) hatten sich zurück- 
gezogen, ein Flug Graupapageien kam kreischend, schwatzend, 
flötend und singend über den See geflogen, um im nahen Walde 
seine Schlafquartiere zu beziehen ; eine einsame Fledermaus huschte 
ab und zu in lautlosem Zickzackfluge unter dem Dache der 
Piazza dahin, und wie Irrlichter schwankten Hunderte von Leucht- 
käferchen auf und ab, während noch zahlreichere gleich leuch- 
tenden Thautropfen an den Grasspitzen hingen. Nacht war es 
nun und stille ringsum. Nur aus den nahen Dependenzge- 
bäuden schallte ab und zu helles, fröhliches Lachen herüber; 
denn dort sass ArcHEY und scherzte mit den um das Herdfeuer 
niedergekauerten Eingebornen, worunter ein hübsches Mädchen, 
das ihm, wie mir schien, den Kopf etwas warm gemacht hatte. 
Ich aber schwelgte im Hochgenusse dieser tropischen Abendstunde, 
alle Sorgen um Vergangenheit und Zukunft weit hinter mich 
werfend. Jetzt durfte ich sie noch geniessen, voll und ganz, diese 
schönen Augenblicke, die mir vielleicht nur gar zu bald durch 
Krankheit und Widerwärtigkeiten vergällt werden konnten ; denn 
wo Sorge uns Abends zum Lager begleitet und am Morgen beim 
Erwachen fragend am Bette steht oder sogar stundenlang den 
Schlaf verscheucht, da findet die Poesie keinen Platz, um unsere 
Erlebnisse mit rosigem Dufte zu umweben. F 
Indessen hatte JAcKkson den Schatz seiner Neuigkeiten noch 
nicht erschöpft. Er erzählte mir vom Friedensschlusse mit 
den Gallinas und der dabei festgestellten und streng nachgekom- 
menen Bedingung, dass, nun der Friede für alle Zeiten geschlos- 
sen sei, alle Palissaden- und andere Befestigungswerke um die 
verschiedenen Vey-Städte abgetragen werden mussten. Ich bedau- 
erte diese Maassregel sehr, sowohl im Interesse der guten Vey- 
Leute, da ich doch nicht an eine Beständigkeit des Friedens 
glaubte, als auch um meinetwillen, da ich mir bestimmt vorge- 
nommen hatte, einige musterhaft angelegte Werke photogra- 


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phisch aufzunehmen. Und wie leicht hätte ich dazu Gelegenheit 
gehabt! Ganz in der Nähe lag das Negerdorf Bendoo, früher 
durch einen Gürtel von lebenden Akazien umspannt, neben an 
die Städte Toöcoro und Passaro, beide ehemals stark befestigte 
Plätze, und noch etwas weiter oben das Modell eines frühern, 
vielfachen und soliden Festungsgürtels, die grosse Stadt Gonnama 
am Morfi River. Auch in politischer Beziehung hatte sich Man- 
ches geändert. König MoRANA SAannpo hatte den Friedensschluss 
nicht lange überlebt; mit seiner Macht nach Aussen schien auch 
seine innere Kraft gebrochen zu sein. Er fühlte keine Lust 
mehr, um länger in Coholia zu wohnen, baute das verfallene 
Sugary, die Stadt seiner Väter am Flusse gleichen Namens 
wieder auf und zog sich mit seinem ganzen, grossen Haushalt 
dorthin zurück, wo er auch bald daraufstarb. Seine Leiche wurde 
mit all den beim Vey-Stamme üblichen Festlichkeiten und Cere- 
monien, die einem grossen Könige zukommen, bestattet. Ein grosses, 
mehrtägiges Fest (big play) wurde veranstaltet, wobei ausseror- 
dentlich viel geschossen wurde, wo man Trauergesänge sang, 
wo zahlreiche Frauen, sogenannte Thränenweiber, klagen und 
weinen mussten und das in einem grossartiger Schmause nebst 
. Trinkgelage seinen Abschluss fand. 

Eigenthümlicher Weise wurde nicht MorAnaA’s ältester Sohn 
DAvınpa zum Nachfolger ernannt, sondern sein grösster Neben- 
buhler, König FREEMAN!) von Madina am Glima Creek, ein 
schlauer Intrigant, der schon zu Lebzeiten MoranaA’s Macht zu 
untergraben suchte, bei den verschiedenen Häuptlingen der Vey 
sich einzuschmeicheln wusste, das Vertrauen und die Unter- 
stützung der liberianischen Regierung zu gewinnen verstand und 
nach meiner festen Ueberzeugung bei den Einfällen der Kosso 
nicht ganz unbetheiligst war. Madina war damit Reichshauptstadt 
des Vey.Gebietes geworden, und Cobolia, die einst so blühende 
Metropole am Mahfa River, geht jetzt rasch ihrem Verfall entgegen, 
umsomehr, da der Palmöl- und Palmkernhandel sich weiter fluss- 


ı) Auch FREEMAN ist seither nach sehr kurzer Regierung zu Seinen 
Vätern versammalt worden, und an seiner Statt wurde ein jüngerer Bruder 
MorAnA’s zum Könige gewählt. 


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aufwärts nach Weahjah gezogen hat. Das ist eben das Loos der 
meisten dieser Negerresidenzen: sie vergehen eben so rasch, wie 
sie entstehen, und schliesslich, wenn der unaufhaltsam vor- 
dringende Buschwald die letzte Spur, die letzte Ruine eines 
solchen, einst berühmten Platzes verschlungen hat, ist es nur 
noch der Name, der an die einstigen Wohnstätten von Tau- 
senden erinnert. 

Da ich, bevor mir eine Gelegenheit geboten wurde, nach 
Monrovia zurückzukehren, noch einige Tage zur Verfügung hatte, 
so verabredete ich noch am gleichen Abend mit JACKSON 
einen Ausflug nach Cambama und Japäaca, sowie nach Bendoo 
und Buluma; denn ich verlangte sehr danach, zu sehen, was 
seit meiner langen Abwesenheit aus den frühern Stätten meines 
Aufenthalts geworden sei. Erst wollte ich jedoch die baptistische 
Missionsstation in Tala, Baptist Missisippi Vey Station genannt, 
besuchen, um Jackson’s Tochter Mary, meine frühere Insekten- 
und Conchyliensammlerin, zu begrüssen, die nun auf dieser Station 
Haushälterin geworden war. Meine kleine Mary war inzwischen 
eine stattliche, junge Dame geworden, die sich über meine 
Ankunft ungemein freute und uns vortrefllich bewirthete. Der 
Missionär B. K. Mc. Kınney, ein sehr intelligenter, amerikanischer . 
Neger von so zu sagen unverwüstlicher Gesundheit und herku- 
lischer Gestalt, glaubte allen Gefahren des Klima’s ungestraft 
trotzen zu können und erklärte, seit seiner Ankunft in Liberia 
1879 kein Fieber gehabt zu haben. Zwei Monate nach dieser 
Begegnung war er todt. Der erste Fieberanfall hatte den Unver- 
wüstlichen hingerafft. 

Am folgenden Tage fuhren wir schon früh den nahen Morfi 
River hinauf nach Cambama. Der Morfi River mit seiner herr- 
lichen Scenerie von über das Wasser hereinhängenden Pandanus- 
büschen, Mangroven, Wein- und Rotangpalmen und umgefallenen 
Bäumen verfehlte auch diesmal nicht, seinen bezaubernden Einfluss 
geltend zu machen. Wie gerne hätte ich einige der reizendsten 
Punkte photographirt! Doch nirgends war ein offenes Fleckchen 
zu finden, von dem aus mir eine Aufnahme möglich gewesen 
wäre, und das Canoe war viel zu klein und lag nicht fest genug, 
um von diesem aus einen Versuch zu wagen. Schliesslich erklet- 


— 293 — 


terten wir mit vieler Mühe einen überhängenden Baumstamm , 
und unter steter Gefahr, den Apparat zu verlieren, wurde mein 
Versuch mit Erfolg gekrönt. Leider ist, nebst vielen andern, 
diese Platte während der Reise nach Europa zerbrochen, und 
nur ein kleines Stück davon konnte noch gerettet werden. Auch 
der Japaca Creek mit seinem hellen, rasch dahinströmenden 
Wasser und seinen prachtvollen, schattigen Laubtunneln ent- 
zückte mich aufs Neue. Leider war es mir aus dem schon 
genannten Grunde auch hier nicht möglich, eine Aufnahme zu 
machen. 

In Cambama wurden wir auch diesmal, ‚wie im Juni 1884, 
von old mammy Noxo mit grosser Herzlichkeit empfangen. Die 
sute Frau war inzwischen recht alt und kränklich geworden und 
lebte augenblicklich in ärmlichen Verhältnissen. Das Dorf war 
jetzt etwas grösser und zählte etwa 25 Häuser. 

Während unserer Rast kam ein Neger von Passaro an, der 
nach Canga oberhalb Fali reiste. Ich übergab ihm Grüsse an 
König PETER und beauftragte ihn, dem Häuptling DAUwANnA 
von Canga zu sagen, derselbe möchte mir die drei Hühner 
senden, die er mir von meinem frühern Besuche vor 5ı Jahren 
her noch schulde, widrigenfalls ich ihm einen Constabel auf den 
Hals schicken werde. Die Drohung hat natürlich nichts gefruchtet , 
wohl aber kam König PETER einige Tage später selbst nach 
Robertsport, um mich wiederzusehen und brachte mir ein schön 
montirtes Kriegshorn als Geschenk mit. 

Nachdem ich eine Aufnahme von einer Häuser- und Menschen- 
gruppe gemacht, fuhren wir weiter und kamen, ohne unterwegs 
in Passaro anzulegen, gegen Mittag nach Japaca, wo mich Königin 
SANDIMANY durch ihren Sohn VARrNnEY freundlich empfangen liess. 

Japaca fand ich seit meinem letzten Besuche wenig verändert. 
Noch immer zeugten die saubern, solide gebauten Negerhütten 
von einem gewissen Wohlstande, denn SanpımAanY lässt ihre 
Leute nicht müssig gehen und führt nach wie vor ein strenges 
Regiment. In einer sogenannten kitchen sahen wir drei Sklaven 
in Halseisen, alle drei an einer schweren Kette vereinigt, und 
obendrein jeden einzeln mit einem Holzklotze am linken Bein, 
um sie am Weglaufen zu verhindern. 


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SANDIMANY, die nun 40 bis 45 Jahre zählen mochte, war seit 
unserer letzten Begegnung etwas korpulent geworden, aber 
trotz ihrer Körperfülle, die bis an die Lenden hinunter unver- 
hüllt zu Tage trat, war sie noch immer eine stattliche Frau zu 
nennen, was man von Negerinnen ihres Alters nur selten sagen 
kann. Vor meiner Abreise wusste ich sie zu überreden, sich, 
mit zahlreichen silbernen und andern Kleinodien geschmückt, 
zusammen mit ihrem Sohne VARNEY und SIATI, einem Söhnchen 
ihrer Tochter, photographiren zu lassen. Leider ist mir auch 
diese Platte zerbrochen, sowie eine andere, mit der Aufnahme 
der langen, früher so baufälligen, jetzt aber neu hergestellten 
Affenbrücke über den nahen Sumpf. | 

Schon früh am Nachmittage traten wir unsern Rückweg an 
und fuhren ungemein rasch den schnellströmenden Japaca Creek 
hinunter in den Morfi River. Hier schoss ich vom Canoe aus 
einen sehr seltenen Stummelaffen (Colobus verus), den ich während 
meiner ganzen ersten Reise in Liberia vergeblich gesucht hatte. 
Erst auf den vierten Schuss war das arme Thier so verletzt, 
dass es, wiewohl noch lebend, aus dem Baum herunter geholt 
werden konnte. Die ganze Scene, die über eine halbe Stunde 
dauerte, berührte mich selbst so peinlich, dass ich sie hier lie- 
ber nicht beschreiben will und mir damals gelobte, ohne triftigen 
Grund nie mehr auf einen Affen zu schiessen. Diesem Vorsatz 
bin ich denn auch während meiner ganzen zweiten Reise stets 
treu geblieben. 

Am folgenden Tage (1. December) machten wir, ebenfalls im 
Canoe, einen Ausflug nach Bendoo und Buluma. Der Häuptling 
von Bendoo, Dapu GrAY, empfing uns sehr wohlwollend, und 
seine head-woman, die mich gleich wieder erkannte, schlug die 
Hände zusammen, als sie mich sah, stürzte auf mich zu und 
schloss mich in Gegenwart ihres Herrn und Gebieters in die 
Arme. Von allen Seiten kamen die Leute herbei, um mich zu 
sehen. Nach alter Gewohnheit schritt ich auf mir bekanntem 
Wege nach dem Hause, das ich einst bewohnt hatte. Dasselbe stand 
noch da und war sogar merkbar besser geworden, wie denn 
überhaupt die Häuser nicht nur in Bendoo, sondern beinahe in 
allen Plätzen, die ich im Vey-Lande zu besuchen Gelegenheit 


— 295 — 


hatte, seit dem Friedensschlusse weit besser aussahen und einen 
gewissen Wohlstand verriethen, den sie früher in den meisten 
Fällen nicht kannten. Ueberall wurde jetzt Reis gebaut, und 
die letzte Ernte hatte so viel eingebracht, dass manche Leute 
nicht Raum genug hatten, um jenen zu bergen und ihn darum 
zu allen möglichen Preisen loszuschlagen suchten. DADU GRAY 
hatte eine reizende Tochter, auf die er besonders viel zu halten 
schien. Ich fragte ihn scherzweise, wie viel ihm dieselbe wohl 
einbringen müsse, worauf er mir allen Ernstes erwiederte, für 
20 Dollars in baarem Gelde würde er sie mir überlassen, weil 
er mich gerne habe — for me like you plenty — aber nur unter 
der Bedingung, dass ich bei ihm wohnen bleibe, denn seine 
Frau lasse die Tochter nicht wegziehen. 

Nach einer Stunde Aufenthalts fuhren wir weiter nach Hokhi6, 
dessen Landungsplatz man schon aus weiter Ferne an einem kolos- 
salen, durch den Blitz der obern Hälfte seiner Krone beraubten 
Wollbaum erkennen konnte. Früher, als ich in Hokhi6 stationirt 
war, stand dort nebst unserm grossen Hause nur noch eine 
runde Lehmhütte, die durch einen Sohn des Häuptlings Very 
JoHN in Monrovia bewohnt wurde. Jetzt aber schien die einstige, 
vom Erdboden verschwundene Königsstadt verjüngt wieder aufer- 
standen zu sein. Am Platze des grossen, nun abgetragenen 
Hauses, das ich früher bewohnte, standen jetzt acht stattliche 
Lehmhütten, und rund herum hatten die Leute grosse Maniok- 
und Reispflanzungen angelegt. Ohne uns lange aufzuhalten, 
giengen wir weiter nach Buluma, wo der Häuptling Kay GrAY 
mich, alle Etikette vergessend, umarmte, und einige seiner 
Weiber in der ersten Freude mir weinend an den Hals sprangen. 
Ehe ich mich dessen versah, stand ich mitten in einem dichten 
Knäuel von Menschen, die sich von allen Seiten herandrängten, 
um mir die Hand zu drücken. Auch ich war angesichts dieser 
ungekünstelten Freude des Wiedersehens so bewegt, dass es 
mich einige Mühe kostete, meine eigenen Thränen zurückzuhalten. 
Was hatte ich denn eigentlich früher gethan, dass mir alle 
diese Leute eine solche Anhänglichkeit bewahrt hatten? Eigent- 
lich weiss ich es selbst nicht zu sagen. Ich war freundlich mit 
ihnen, weil ich die meisten davon gerne leiden mochte; ich 


— 296 — 


lachte und scherzte mit ihnen, wenn sie fröhlich waren, be- 
suchte ihre Feste und Tänze, doch blieb ich auch im Unglück 
nicht fern und suchte zu trösten und zu helfen, soweit es mir 
möglich war. Sehr selten gab ich Geschenke, aber für einige 
Käfer, einen Frosch oder eine Schlange konnten sie jeder- 
zeit allerlei Kleinigkeiten, wie Taschenmesser, Perlen u. Ss. w. 
erhalten, und nur mit einigen alten, hülflosen Leuten nahm 
ich es weniger genau und gab ihnen gelegentlich ein Blatt 
Tabak, wenn. sie an- mein Feuer kamen, um ihrenZleerene 
schwarzgeräucherten Pfeifenstummel mit einer glühenden Holz- 
kohle zu füllenn. Den guten Kay Gray aber, der sich mir gegenüber 
stets wohlwollend und dienstfertig erwies, suchte ich ab und 
zu durch eine kleine, unschuldige Herzstärkung mir gewogen 
zu erhalten. | 

Alle diese Leute waren fest überzeugt, dass ich nun für 
längere Zeit dort bleiben werde, und ich hatte grosse Mühe, ihnen 
begreiflich zu machen, dass ich nur hergekommen sei, um sie 
alle und meine früheren Wohnstätten noch einmal zu sehen und 
nach kurzer Begrüssung für immer Abschied zu nehmen. 

Derweil wir während der heissen Mittagsstunden Rast hielten, 
liess Kay uns eine Mahlzeit bereiten, bestehend aus einem mir 
erst lebend überreichten und dann geschlachteten Huhn, einer 
Schüssel voll selbstgepflanztem Reis mit Palaversauce, einer 
Kalebasse Palmwein und einigen Orangen als Nachtisch; auch 
sah er selbst zu, dass ich gut bedient wurde. 

Ich hatte ihm als Geschenk eine Flasche gin, einige Büschel 
Tabaksblätter und eine Büchse Schiesspulver mitgebracht, und 
da er in der kurzen Zeit kein besseres Gegengeschenk zu geben 
wusste, so holte er vom Dachboden seines Hauses ein grosses 
und schönes, inländisches Tuch, das er mir mit einigen freund- 
lichen Worten überreichte Zur steten Erinnerung an das liebe 
Völkchen in Buluma machte ich eine Photographie des Öffent- 
lichen Platzes mitten in der Stadt, auf dem sich ein grosser 
Theil der Bevölkerung zu einer malerischen Gruppe vereinigt 
hatte. Leider ist mir auch diese Platte, eine der interessantesten 
und für mich werthvollsten, auf dem Transport nach Europa, 
wohin ich sie vorausgesandt hatte, gänzlich verunglückt. 


— 297 — 


Nur zu bald war die Stunde der Trennung gekommen. Kay 
GrAaY!) und sein Bruder Henry nebst vielen Anderen begleiteten 
mich bis zum Ufer des Sees, wo ich herzlichen Abschied nahm. 
Zahlreiche Leute aber, und darunter selbst Frauen, wateten, 
das Canoe, in dem ich sass, durch das seichte Uferwasser schiebend, 
mit, bis die zunehmende Tiefe sie nöthigte, nach einem letzten 
Händedruck zurückzukehren. Der herzliche Empfang bei diesen 
einfachen Naturmenschen, sowie die kurze Dauer des Wieder- 
sehens hatte mich weich gestimmt. „Doch fort muss er wieder, 
muss weiter noch zieh’n”, klang es in mir, und ohne nochmals 
umzusehen trieb ich meine boys zur Eile an, so dass wir schon 
vor Einbruch der Nacht, das Canoe vollgeladen mit Orangen und 
Ananassen, die man uns in Buluma von allen Seiten geschenkt 
hatte, wieder auf Bendoo Mission anlangten. 

Frau DemEerY hatte während dieser Tage alles Nöthige für 
ihren Mann bereit gemacht, und nach rührendem Abschied fuhren 
wir am andern Morgen nach Tala Mission, um MAry Lebewohl 
zu sagen und den Schädel eines alten Chimpansen mitzunehmen, 
welchen letztern Jackson einige Monate vorher geschossen hatte. 
Gegen Abend kamen wir wohlbehalten in Robertsport an. 

Hier hörte ich von dem belgischen Agenten, Herrn HARTERT, 
dass das belgische Ruderboot aus Monrovia, mit dem ich dorthin 
zurückzukehren hoffte, angekommen sei, aber zugleich die Weisung 
habe, auf den bereits fälligen Woermann’schen Dampfer zu warten, 
um beim Landen der Waaren und dem Verschiffen von Landes- 
produkten behülflich zu sein. Diese Nachricht freute mich, denn 
nun hatte ich Aussicht, mit dem Dampfer nach Monrovia zu 
kommen, was weit angenehmer war, als in offenem Boote allen 
Unbilden eines allfälligen Tornado’s preisgegeben zu sein. 

Nachdem ich einige Tage vergeblich auf den Dampfer gewartet 
hatte und demzufolge nur kleine Ausflüge in die Umgegend machen 
konnte, kam die Elise Susanna, ein Segelschiff der holländischen 
Firma, an, und mit demselben Herr VeLpkAaur. Es war ein eigen- 
thümlicher Zufall, dass wir beide hier in Robertsport wieder zusam- 


!) Dieser ist seither an der Stelle des verstorbenen BARLAH König des 
Gebietes am See (king of the lake) geworden. 


— 298 — 


mentreffen mussten, wo wir früher so lange Lieb und Leid redlich 
getheilt hatten. Herr VELDKAMP brachte den unangenehmen Be- 
richt, dass der deutsche Dampfer sich verspätet habe und 
daher Cape Mount nicht habe anlaufen können; Kapitän van 
GIJZELEN ertheilte mir indessen bereitwilligst die Erlaubniss, die 
Reise nach Monrovia mit ihm zu machen. Da nun das Schiff 
zum-Löschen und Laden einige Tage bleiben musste, so fuhr ich 
mit JACKSON und meinen neuen boys in einem von Mr. WATSoN’s 
Canoes den Mahfa River hinauf, erst nach Sauwira, das, nach 
der Zerstörung durch die Kosso, von seinen ursprünglichen Be- 
wohnern grösser und schöner wieder aufgebaut war, und dann 
gleich weiter, an dem nun unbefestigten, von hohem Uferwalle 
herunterschauenden Caba vorbei nach Maquengbwe oder Carpenter’s 
Settlement, wo einige liberianische Farmer sich niedergelassen 
hatten und, Jeder mit einer eingebornen Frau in ihrer National- 
tracht, d.h. mit dem obligaten Taschentuch um die Lenden, ein 
echtes Hinterwäldlerleben führten. 

In Sauwira hörten wir von dessen Häuptling WALKER, einem 
guten alten Bekannten, dass Kissicoro, der Platz meiner frühern,, 
zeitweiligen Station, wieder aufgebaut und ein stattliches Dort 
geworden sei. Während der Reise flussaufwärts suchte ich durch 
Compassablesungen meine frühere Aufnahme des Mahfa Rivers 
zu controliren, da ich den letztern eine lange Strecke nur zur Nacht- 
zeit befahren hatte. Die daraus resultirenden Verbesserungen 
sind in der beigefügten Karte verwerthet worden. Leider 
wurden wir während der Fahrt durch ein Gewitter überfallen, 
konnten demzufolge nur langsam vorwärts kommen und erreichten 
Mr. Dieses’ Place, wie die erwähnte Niederlassung nach ihrem 
Gründer, dem frühern Superintendenten von Cape Mount, genannt 
wird, erst zwei Stunden nach Anbruch der Nacht. Die Lücke 
in den Flussaufnahmen hatte ich auf der Rückreise auszufüllen 
Gelegenheit. Durch die beiden Farmer, die Brüder GEORGE und 
HEnRkYy CRuMP, wurden wir, obwohl wir uns nun beim Fackel- 
licht zum erstenmale sahen, gastfreundlich aufgenommen. GEORGE 
wies mir sofort seine Hütte als Wohnung an, und ich beeilte mich, 
bei einem grossen Feuer den Körper zu wärmen und in trockene 
Kleider zu stecken, während GEORGE, ein vortreflicher Koch, 


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GRUPPE VON VEYNEGERN IN CARPENTER’S SEITLEMENT 


AM MAHFA RIVER. 


— 299 — 


ein Stück von einer grossen Flusschildkröte (Trionyx nilotieus) , 
die ein paar Stunden früher gefangen worden war, für uns 
zubereitete und vorsetzte. 

Am folgenden Morgen machte ich mich mit JAckson schon 
früh auf, um unter Führung von BarA oder NATHANAEL DIGGS, 
einem Eingebornen, der durch Mr. Dises erzogen worden war 
und nach gewöhnlichem Gebrauche dessen Vor- und Familiennamen 
angenommen hatte, auf die Jagd zu gehen. Kaum hatten wir 
aber im Walde unsere Posten bezogen, als es zu regnen anfing 
und wir schliesslich, ohne auch nur das geringste Stück Wild 
gesehen zu haben, zur Rückkehr gezwungen wurden. Im Laufe 
des Nachmittags hellte zwar das Wetter wieder auf, doch wagten 
wir nicht, unsere Rückreise noch länger aufzuschieben, aus 
Furcht, das Schiff zu verfehlen. Ich machte vor meinem Abschiede 
noch ein wohlgelungenes und gut erhaltenes Gruppenbild von 
unsern Gastherren, ihren Frauen und Kindern und BArA mit 
den Seinigen, und dann fuhren wir wieder flussabwärts, wobei 
wir bei dem starken Gefälle und unter den kräftigen Ruder- 
schlägen der boys so rasch vorwärts kamen, dass es mir fast 
nicht möglich war, mit Hülfe von Kompassablesungen und 
Abstandsschätzungen das gestern zur Nachtzeit passirte Gebiet 
in Karte zu bringen. An einigen mir wohlbekannten Plätzen 
legten wir an, unter anderm in Toöcoro am linken Ufer, einer 
Stadt von Krunegern aus Robertsport, die sich hier angesiedelt 
und dem Seemannsleben Valet gesagt haben. Ich kannte den 
Häuptling NAssy noch von frühern Zeiten her, doch war er 
etwas mürrisch, weil ich für ihn kein Geschenk mitgebracht 
hatte und selbst unser Branntwein alle war. Als Curiosum 
zeigte man mir ein etwa halbjähriges Albino-Mädchen mit gelb- 
weisser Haut und röthlichem Haar. Die Mutter des Kindes war 
eine gewöhnliche Negerin, und man versicherte mich, dass der Vater 
ebenfalls ein echter Neger sei. Auf meine Frage, wie es komme, 
dass das Mädchen so weiss sei, erwiderte man mir, Gott habe 
es so gemächt (God make him so). 

In Robertsport zurückgekommen, hörten wir zu meinem 
Bedauern, dass das Schiff noch nicht segelfertig sei. Wieder brachte 
ich einige Tage mit kleinern Excursionen, theils auch mit photo- 


— 800 — 


graphischen Aufnahmen zu. Auf der Mission in Robertsport, 
jetzt unter Direktion von Rev. Gisson, früherem Staatsmi- 
nister in Monrovia, lernte ich eine weisse, amerikanische Dame, 
Mrs. BRIERLEY kennen, die sich dort der Kindererziehung widmet. 
Auch sah ich einen jungen Mann, dessen eines Bein von einem 
umfallenden Baumstamme zerschmettert und lange nachher durch 
den Missionsarzt Dr. PERRY mit gutem Erfolg amputirt worden 
war. Der Mann ist jedenfalls bis jetzt der einzige Liberianer, der 
mit einem hölzernen Bein herumläuft. 

Erst in der Nacht des 14. December fuhren wir an Bord der 
Elise Susanna von Robertsport ab, doch kam der Landwind 
nicht recht auf und lagen wir am folgenden Morgen noch gegen- 
über dem hohen Cape Mount-Gebirge. Jackson mit meinen boys 
war in einem holländischen Segelboot schon etwas früher abge- 
fahren. Auch am Sonntag und Montag kamen wir schlecht vor- 
wärts und hatten dabei infolge der Windstille eine drückende 
Hitze. Das Thermometer zeigte an Deck 30-31, in der Kajüte 
Ss08417 33.0. 

Erst am 14. December kamen wir in Monrovia an, Wo JACKSON 
mit den boys mich bereits erwartete. Diesen und den folgenden 
Tag hatte ich die ersten Anfälle von Wechselfieber, die ich aber 
gleich mit starken Dosen Chinin zu unterdrücken vermochte. 
Am folgenden Tage sandte ich Jackson in einem belgischen 
Segelboot, das mir Herr KıourtH, der stellvertretende belgische 
Handelsagent, freundlichst zur Benutzung angeboten, mit einem 
bedeutenden Theile unserer Bagage:. nach Marshall, an der Mün- 
dung des Junk River, voraus, während ich alles bereit machte, 
um an andern Morgen mit dem Rest meiner Habseligkeiten in 
einem deutschen Boote nachzukommen. Von STAMPFLI war inzwi- 
schen Bericht eingetroffen, dass er in Schieffelinsville am untern 
Junk River ein Haus gemiethet habe und meiner Ankunft mit 
Verlangen entgegensehe. 


ZLN. 


Reise nach Schieffelinsville, unserer Station am 
Junk River, und erster Aufenthalt daselbst. 


"a Reise nach dem 
> Junk River. — Die 
Küstenboote und 
deren Bemannung. 
— Marshall. — 
Eigenthümliche 
hydrographische 
Erscheinungen. — 
Mündungscentren 
und Erosionsbuch- 
ten. — Flussfahrt 
nach Schieffelins- 
Fville. — PowELL’s 
Place. — EineNacht 
auf dem Junk Ri- 
ver. — Unsere Jagd- 
station und Umge- 
bung. — Schieffe- 
Jagdstation in Schieffelinsville. linsville und seine 
Bewohner. — Aus- 
flug nach dem Blow Creek. — Erste Bekanntschaft mit dem Häuptling CLARK. — 
Vorbereitungen zur Uebersiedlung nach Hill Town. 


Am 16. December gegen Mittag fuhr ich mit dem Woermann’schen 
Segelboot, dasin Marshall am Junk River Landesprodukte abzuholen 


— 302 — 


hatte, von Monrovia ab. Nebst der aus sieben kräftigen Krunegern 
bestehenden Bemannung des Bootes fuhren zwei meiner von 
Robertsport mitgebrachten Diener mit, und ausserdem war 
das Boot mit Kisten und Fässern schwer beladen. Beim Ausfahren 
kaufte ich von Fischerleuten für drei Dollars eine grosse, grüne 
Schildkröte (Chelonia viridis), die man gerade gefangen hatte, 
und nahm dieselbe mit, um der Mannschaft die Kost etwas zu ver- 
bessern. Nur langsam kamen wir um das Cap Messurado herum, 
und da ich früher zur See nie östlicher als bis Monrovia gelangt 
war, so machte es mir besonderes Vergnügen, das Vorgebirge mit 
seinen sanft nach Südwesten abfallenden, von der Abendsonne 
beschienenen Abhängen und vorspringenden Felsköpfen mit Musse 
betrachten zu können. Gegen Dunkelwerden hielten wir etwas 
mehr von der Küste ab, doch nirgends so weit, dass wir das 
Tosen der Brandung nicht mehr hätten hören können. In der 
Nacht überfiel uns ein Tornado mit furchtbarem Sturzregen, 
so dass wir vor Anker gehen mussten, um nicht entweder an 
die Küste geworfen oder auf die hohe See hinausgetrieben zu 
werden. Nachher aber stellte sich der in der Regel von abends 
elf bis morgens 10 Uhr wehende Landwind ein, der uns ziem- 
lich rasch dem Ziele näher brachte. Von erquickendem Schlafe 
konnte natürlich keine Rede sein, denn die neben und über 
einander gesetzten Kisten, auf die ich mich auszustrecken ver- 
suchte, waren nass und ebenso die mitgenommenen Tücher. 
Den Befehl über das Boot führt stets ein Kruneger, der es 
durch seine nautischen Kenntnisse, soweit sie auf dergleichen 
Fahrten erforderlich sind, sowie durch seine genaue Vertrautheit 
mit Küste, Vorgebirgen, Flussmündungen, Untiefen und unter 
Wasser verborgenen Klippen so weit gebracht hat, dass ihm die 
Führung eines Küstenbootes anvertraut wird. Solch ein Befehlshaber 
hat den Titel „headman’” (Hauptmann), doch an Bord selbst thut 
man ihm den Gefallen, ihn mit captain anzureden. In kritischen 
Fällen, besonders beim Passiren der zeitweise sehr gefährlichen 
Brandung, sitzt der headman stets selbst am Steuer und ver- 
traut dasselbe seinen Untergebenen nur an, wenn durchaus keine 
Gefahr zu befürchten ist. Solch ein headman trägt eine sehr grosse 
Verantwortlichkeit nicht nur für das ihm anvertraute Boot, 


— 303 — 


welches, wenn in gutem Zustande, einen Werth von 400 —500 
Dollars repräsentirt, sowie für die Fracht, sondern auch für das 
Leben seiner Mannschaft. Die grössten Gefahren bei solchen 
Bootreisen bieten die besonders im Früh- und Spätjahr häufigen 
Tornados (Drehstürme), welche, wenn sie ein unter Segel ste- 
hendes Boot überraschen, dasselbe in den meisten Fällen um- 
werfen, sowie die Brandung, die an gewissen Küstenplätzen 
geradezu berüchtigt geworden ist, und die oft dermaassen 
wüthet, dass selbst der gewiegteste headman oft tagelang es 
nicht wagt, mit seinem Boote hindurchzugehen. Ein richtiger 
headman ist stolz auf die glücklichen Fahrten, die er gemacht, 
und es ist schon vorgekommen, dass ein solcher, der nach jahre- 
langen glücklichen Fahrten einmal in der Brandung ein Boot 
verlor, aus Gram sofort sein Amt niederlegte und wieder als 
sewöhnlicher Krumann fahren wollte. Fast jeder Dampfer, jedes 
Segelschiff bringt neue Boote aus Europa mit, und dessenun- 
geachtet ist die Nachfrage fast immer grösser als das Angebot, 
weil dieselben, so stark sie auch sein mögen, unglaublich viel 
zu leiden haben und gar oft gänzlich zu Grunde gehen. Unter 
einem zufälligen Zusammentreffen von ungünstigen Umständen 
kann die Brandung vor jedem Küstenplatze gefährlich werden, 
besonders in der Regenzeit; doch sind die Barren von Robertsport 
und Monrovia als die unschuldigsten, diejenigen von Little Cape 
Mount, Junk, St. John und der meisten Küstenplätze unterhalb 
Grand Bassa als mehr oder weniger gefährlich bekannt. 

Bleibt es längere Zeit windstill, so wird wohl auch gerudert, 
und zwar mit langen, schweren Riemen, doch ist dies bei den 
grossen Abständen, die solch ein Boot meist zurückzulegen hat, eine 
recht mühsame, langweilige und zudem wenig fördernde Arbeit, 
der sich die Bemannung (boats-crew) nur mit Widerwillen unter- 
zieht. In einem offenen Segelboote lange still zu liegen, ist höchst 
unangenehm; aber eine wahre Marter wird es, wenn die heisse 
Mittagssonne am Himmel steht, kein Wölkchen einigen Schatten 
spendet, auch nicht der leiseste Windhauch Erquickung bringt 
und nur eine schwache Dünung das Boot langsam auf- und 
niederschaukeln lässt. Doppelt angenehm ist daher die Reise, 
wenn ein günstiger Wind das grosse Segel bläht, so dass das 


— 304 — 


Wasser anhaltend am Bug aufplätschert und das Kielwasser wie 
ein langgezogenes Band noch auf grossen Abstand hinter dem 
Boote sichtbar ist. 

Auf einer Kiste voll Sand am Boden des Bootes brennt Tag 
und Nacht ein Holzfeuer, über welchem der Reis, der nebst 
sgesalzenen Makrelen gewöhnlich die ausschliessliche Kost der 
Bemannung bildet, gekocht wird. Ein eiserner Kochtopf, aus 
dem in den meisten Fällen auch gegessen wird, und, wenn es 
gut geht, ein eiserner oder hölzerner Löffel für den Chef sind 
die einzigen Küchen- und Tischgeräthe, die man in einem solchen 
Boote antrifft. Die Mannschaft, die sich beim Essen rund um 
den Topf hinsetzt, greift mit den Händen zu, und dabei ceirkulirt 
eine alte Oonservebüchse als Trinkgefäss, das an dem mitgenom- 
menen Wasserfasse stets wieder gefüllt wird. Als Passagier hat 
man natürlich seinen eigenen Proviant bei sich, bestehend in Con- 
serven, sowie auch eine besondere Korbflasche oder einen Stein- 
krug mit gutem Trinkwasser. Eine Flasche Branntwein darf 
man nicht mitzunehmen vergessen, denn dieses Getränk ist das 
einzige wirksame Mittel, womit man den Widerwillen der Neger 
gegen etwaiges Rudern einigermassen überwinden kann. 

Nachdem wir in der zweiten Hälfte der Nacht gut vorwärts 
sekommen, befanden wir uns bei Tagesanbruch vor der Mündung 
des Junk River. Die Brandung war aber zufällig sehr schlecht, 
so dass wir bis 10 Uhr vor dem Eingange in den Fluss lagen 
und einen günstigen Augenblick abwarteten, bis es uns gelang, 
mit dem schwerbeladenen Boote unter verzweifelter Kraftanstren- 
gung von Seiten der Ruderer durch die hohen, über einander hinstür- 
zenden Wogenwände in den Fluss hinein zu gelangen. Hoch athmete 
ich auf, als wir den letzten Brecher hinter uns hatten und 
wieder in ruhigem Fahrwasser lagen; denn wenn das Boot ge- 
kentert wäre, wäre zugleich unsere ganze Unternehmung ins 
Wasser gefallen, da wir uns so rasch nicht aufs Neue hätten 
ausrüsten können. Einige Augenblicke später legten wir in 
Marshall, einer kleinen liberianischen Niederlassung auf dem 
wohl fünf Meter hohen, rechten Ufer des Junk River, an. Hier 
fanden wir das belgische Boot, das einen Tag früher unter dem 
Geleite von Jackson von Monrovia abgegangen und am vorigen 


— 305 — 


Abend hier eingelaufen war. Durch Mr. CooPpEr, einen farbigen 
Liberianer, welcher der hier errichteten deutschen Faktorei 
vorstand, wurden wir, dank eines Empfehlungsschreibens von 
Herrn UrrıcHs in Monrovia, gastfreundlich aufgenommen. Wie 
bereits erwähnt, ist diese Faktorei nur eine Filiale derjenigen in 
Monrovia. Marshall gehört zwar zu den für den Handel mit der 
Aussenwelt geöffneten Küstenplätzen, doch trotzdem es sehr 
sünstig an der Mündung des vereinigten Junk- und Farmington 
River gelegen ist, hat es nie vermocht, sich zu einem Handels- 
platze von einiger Bedeutung aufzuschwingen. Die aus dem 
Innern kommenden Landesprodukte gehen alle mit Segelböten 
nach Monrovia, so dass niemals ein Seeschiff dort vor Anker 
kommt. Die Ursache dieses Zurückbleibens ist zumeist in der 
grossen Nähe von Monrovia zu suchen, das durch seine zahl- 
reichen, grossen Faktoreien und allerlei andere Vorzüge vor dem 
ärmlichen Marshall die Eingebornen anzieht und letztere die 
Unannehmlichkeiten einer etwas längern Reise leicht überwinden 
lässt, zumal der bedeutendere Zeitaufwand selten oder nie in 
Rechnung gezogen wird. Wir fanden hier auch eine belgische 
Faktorei, ebenfalls unter der Aufsicht eines farbigen Liberianers, 
doch schien mir auch diese keine glänzenden Geschäfte zu machen. 
Beide genannten Faktoreien sind denn seither auch wieder aufge- 
hoben worden. 

Marshall ist allgemein unter dem Namen Junk bekannt. Dieser 
letztere und jedenfalls ältere Name rührt sehr wahrscheinlich 
von seiner Lage direkt unterhalb der Vereinigung zweier be- 
deutender Flüsse, des Junk River und Farmington River, her. 
Der Erstere kommt von Westen, fliesst ziemlich parallel mit 
der Küste und biegt dann etwa fünf Minuten oberhalb Marshall 
nach Süden ab, nimmt direkt unterhalb dieser Biegung den weit 
aus dem Innern von Nordosten herkommenden, ebenso breiten 
Farmington River und vor dem Ausfluss in die See, 
gegenüber Marshall, den von Südosten einfallenden Barguay 
River auf. 

Da der Junk River im Verein mit dem Farmington River ein 
Gebiet von wenigstens 50 geographischen Quadratmeilen ent- 


wässert, das fast gänzlich mit. Wald und Sumpf bedeckt ist, so 
LIBERIA , 1]. 20 


— 306 — 


führt er dem Meere bedeutende Wassermassen zu; beide Flüsse 
sind oberhalb ihrer Vereinigung gegen 800° breit. Der Barguay 
River ist ein wenn auch breiter, doch unbedeutender Küstenfluss 
und wird nur durch einen schmalen, sandigen und mit Strauch- 
werk bewachsenen Landstreifen vom Meere getrennt. 

Dieses System der Küstenflüsse findet man übrigens beinahe 
in ganz Liberia, welches Land zahlreiche Mündungscentren auf 
weist‘, in denen sowohl von Westen als von Osten herkommende, 
direkt mit der Küste parallel verlaufende Flüsse sich vereinigen 
und meist bei ihrer Vereinigung noch einen dritten, gewöhnlich 
den grössten, Fluss aufnehmen, der fast regelmässig weit aus 
dem Innern kommt und dessen Rolle hier der Farmington River 
übernommen hat. Ein sehr deutlich ausgesprochenes Beispiel 
für ein solches Mündungscentrum haben wir in Grand Bassa, 
wo der weit aus dem Innern kommende St. John kurz vor seiner 
Mündung den von Westen einfliessenden Mechlin- und von Osten 
her den Benson River aufnimmt. Auch der Cestos River zeigt 
etwas Aehnliches, ebenso der Sinoe River. Bei diesem Letztern 
sind es der Lexington- und Bloobarra Creek, welche die Rollen 
der beidseitigen Küstenflüsse erfüllen. | 

Dasselbe ist unzweifelhaft früher auch mit dem St. Paul’s River 
und dem Mahfa River sammt ihren beiden respectiven Neben- 
flüssen der Fall gewesen, welche nun je in einer grossen Bucht, 
die eine durch das Vorgebirge Messurado, die andere durch das 
Cape Mount Gebirge bedingt, ausfliessen. Diese Buchten sind 
jedoch wahrscheinlich erst im Laufe der Zeiten entstanden, und 
ausgewaschen durch die starke, von Westen kommende Meeres- 
strömung, welche beinahe jahraus und -ein an der liberianischen 
Küste nagt und diese überall zurückdrängt, wo sie nicht durch 
Vorgebirge oder vorgelagerte Felsmassen geschützt ist. In frühern 
Zeiten hat sich wahrscheinlich der von Osten kommende Messu- 
rado River, der sich jetzt einzeln in die grosse Bucht von Mon- 
rovia ergiesst, innerhalb der Küstenlinie mit dem St. Paul, viel- 
leicht durch den jetzigen Stockton Creek, vereinigt, bevor ihm 
durch das Entstehen der Bucht ein direkter Ausweg ins Meer 
eröffnet wurde. Der Digby- oder Pobah River ist der westliche 
Küstenfluss, der sich früher wahrscheinlich direkt hinter der 


— 307 — 


Mündung in den St. Paul ergoss, jetzt aber ebenfalls seinen eigenen 
Abfluss hat. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich bei Grand 
Cape Mount, wo die tiefe Bucht von Robertsport durch anhalten- 
des Vordringen landeinwärts den Cape Mount- und Sugary River 
zu selbständig in die See abfliessenden Wasserläufen gemacht 
hat, während sie früher zweifellos nur der östliche und westliche 
Nebenfluss des Mahfa River gewesen sind. Die von den Vorge- 
birgen aus in nördlicher Richtung verlaufende und sich oft bis 
an die Mündung des grössten der drei zusammengehörigen 
Flüsse erstreckende Sandbank, die zeitweise für alle drei Flüsse 
nur eine gemeinschaftliche Öffnung, den sogenannten barmoutn, 
enthält, scheint die Wahrheit dieser Hypothese zu bestätigen. 

Die Buchten bilden sich überall, wo die Küste durch westlich 
. vorspringende Berge oder Felsmassen geschützt wird. Sie sind 
im Kleinen, was die Bucht von Guinea im Grossen ist, und 
auch die zahlreichen, an der Küste des östlichen Liberia in 
einiger Entfernung vom Strande aus der See aufragenden Felsen, 
wie der Devil Rock bei Tobaccannee und die Russwurm-Insel 
am Cap Palmas stimmen in Hinsicht auf ihre Entstehung und 
jetzige Isolirung mit der Insel Fernando Po und ihren Schwe- 
stern überein. 

Ob sich das Land im Laufe der Zeiten gehoben oder gesenkt 
hat und ob eine Niveauveränderung gegenwärtig stattfindet, ist 
nicht leicht zu ermitteln. Nach den grossen Sandflächen mit 
Muschelresten, die man am obern Fisherman Lake über dem 
Meeresspiegel findet, und den ausgedehnten Sümpfen in den 
Flussgebieten zu urtheilen, kann jedoch an einer Hebung wohl 
kaum gezweifelt werden, einer Hebung, die vielleicht gegenwärtig 
noch vor sich geht. 

Die Meereserosion in Verband mit der starken Strömung erklärt 
die Buchtenbildung vollkommen, ebenso die Isolirung von Fels- 
massen, ohne die Hypothese einer Senkung erforderlich zu 
machen. Die Hebung würde in diesem Falle zu schwach sein, 
um die erodirende Wirkung der Meeresströmung an der Küste 
wirkungslos zu machen, aber doch stark genug, um das Abfliessen 
der Lagunen zu befördern, d. h. diese nach und nach in Sümpfe 
zu verwandeln an Stellen, wo vom Innern her genug Schlamm 


— 808 — 


deponirt wird, in Grassteppen oder Savanen aber da, wo dies nicht 
der Fall ist und das frühere Wasserbecken reinen Sandboden 
hatte. So würde mit der Zeit der Fisherman Lake, der eigentlich 
nur eine sehr grosse Lagune ist, zur Savane werden, das weite 
Becken des Messurado River hingegen, das früher sehr wahr- 
scheinlich noch viel grösser gewesen ist, zum Mangrovesumpf. 
Auch die grosse Lagune östlich von Cape Palmas, die früher 
jedenfalls mit dem in die dortige Bucht ausmündenden Hoffmann 
River in Verbindung gestanden hat, jetzt aber gänzlich isolirt 
ist, weiss ich mir nicht anders als durch Hebung zu erklären. 
Dass aber eine soiche Hebung, falls dieselbe wirklich stattfindet, 
nur sehr geringe Fortschritte macht, beweist wohl am besten 
der Umstand, dass schon DAPrPpEr in seinem 1668 erschienenen 
Buche der Insel Massagh, des heutigen Massatin im untern Ende 
des Fisherman Lake, erwähnt, einer Insel, .die auch heute noch 
kaum einige Fuss über den Wasserspiegel erhaben ist. 

Diese Eigenthümlichkeiten würden sich schematisch ungefähr 
wie folgt darstellen lassen : | 


Erosionsbuchten und Flussmündungen. 


Der Pfeil deutet die Richtung der herrschenden Meeresströ- 
mung an, die punktirte Linie a b die vermuthliche ursprüngliche 
Küstenlinie, ce d das gegenwärtige, durch Buchten charakterisirte 
Ufer. Bei A haben wir eine gemeinschaftliche Mündung dreier 
Flüsse, die sich noch innerhalb der landeinwärts vordringenden 
Strandlinie vereinigen, weil sie durch einen felsigen Küstensaum 
geschützt sind, wie dies bei der Mündung des Junk- und auch 


— 309 — 


des St. John’s River der Fall ist. Bei BD ist die Bucht bereits bis 
zum Vereinigungspunkte der drei Flussläufe vorgedrungen, wie 
die Bucht von Robertsport zeigt, und bei © endlich ist durch 
das Vordringen der Bucht eine vollständige Trennung der früher 
vereinigten Flüsse entstanden. Als Beispiel für diesen letztern 
Fall kann die grosse Bucht von Monrovia dienen. 

Selbstverständlich ist dieses Drillingssystem auch früher nicht 
überall vorhanden gewesen; doch sein häufiges Vorkommen lässt 
sich leicht dadurch erklären, dass das Wasser von Innen an 
dem vielfach felsigen Küstensaum Widerstand gefunden und sich 
naturgemäss von allen Seiten dahin zusammengezogen hat, wo 
das Fehlen dieses Hindernisses einen leichtern Durchbruch ge- 
stattete. Aber auch die diagonal zur Küstenlinie stehende Meeres- 
strömung ist gerade hier im Stande gewesen, ihre erodirende Kraft 
zur vollen Geltung zu bringen, daher das gemeinschaftliche Auf- 
treten von Buchten und Flussmündungen. 


Erosionsbucht bei Bloobarra (Sinoe). 


Mit Ausnahme des niedrigen, felsigen Landrückens, der als 
Verlängerung des Vorgebirges Messurado betrachtet werden kann, 
ist das ganze Mündungsgebiet der drei sich bei Marshall vereini- 
genden Flussläufe mit Mangrove bedeckt und bietet einen mono- 
tonen Anblick dar, der nur durch die breiten Wasserstrassen 
etwas Leben gewinnt. In nordnordöstlicher Richtung erblickt 
man von hier aus in bedeutender Ferne zwei blaue, abgerundete 


— 810 — 


Bergkuppen, die durch einen tiefen Sattel mit einander verbun- 
den erscheinen. Es ist dies vermuthlich der Saddle Hill der 
Seefahrer, doch wurde mir derselbe auf meine Frage nach dem 
Namen als Gallilee Mountain bezeichnet. 

Mr. Cooper erlaubte mir nicht nur aufs Bereitwilligste, von 
dem Boote sammt der Mannschaft zu unserer Weiterreise den 
Junk River hinauf Gebrauch zu machen, sondern erbot sich sogar, 
mich selbst nach Schieffelinsville zu begleiten. Da wir nun in 
seschütztem Wasser fahren konnten, so liess ich die ganze 
Fracht aus dem belgischen Boote in das unsrige überladen, 
demzufolge dieses Letztere sehr tief gieng und nur langsam 
vorwärts kam. Um ein Uhr mittags fuhren wir ab und kamen, 
so lange die hereindringende Fluth uns günstig war, ziemlich 
rasch vorwärts. Der Fluss hatte durchweg eine ansehnliche 
Breite und erweiterte sich stellenweise zu seeartigen Becken 
voller Bänke und Untiefen, die uns nach dem Eintritt der Ebbe 
viel zu schaffen machten. Diese Erweiterungen des Flussbettes, 
die oft zahlreiche, mit Mangrove bedeckte Inseln enthalten, 
werden hier stretches genannt. Erst wird der Fluss durch breite 
Mangrovesümpfe flankirt, in denen zur Ebbezeit ein ausgiebiger 
Baumausternfang betrieben wird, und erst weiter oben treten 
die Hügel nahe, oft sogar hart an die Flussufer heran. Zahlreiche 
Negerdörfchen schauen lauschig aus Palmen und Waldesserün 
auf den breiten Fluss herunter oder liegen auch wohl so verbor- 
sen, dass nur ein sogenannter wharf oder Anlegeplatz und ein 
von diesem den Abhang hinaufführender Fusspfad das Vorhan- 
densein menschlicher Wohnungen verräth. Das linke Ufer wird 
von Leuten aus dem Bassa-Stamme bewohnt, das rechte von 
sogenannten Congonegern und einigen liberianischen Pflanzern. 
Der bedeutendste unter diesen Letztern ist ein Mr. POWELL, 
dessen Niederlassung auf dem hohen, rechten Ufer für sich allein 
einem kleinen Dörfchen gleicht. Mr. PowELL ist ein intelligenter, 
wohlhabender Mann, der hier wie ein Patriarch schaltet und 
waltet, bedeutende Kaffee- und Zuckerpflanzungen besitzt und 
über ein beträchtliches Arbeiterpersonal verfügt. Er ist ein echter 
Vollblutneger aus dem Bassa-Stamme und wurde in einem der 
Negerdörfer gegenüber seiner jetzigen Niederlassung geboren, 


— 31l — 


woselbst sein Vater jetzt noch nach altem Brauche und von der 
Civilisation noch beinahe gänzlich unbeeinflusst lebt. Als Kind 
kam er in die Familie eines Liberianers, dessen Namen er nach 
dortiger Landessitte erhielt. Dort lernte er lesen, schreiben und 
rechnen und nahm das Christenthum an. Später widmete er 
sich dem Zimmermanns- und Schreinerberuf, den er auch mit 
Hülfe von einigen eingebornen Gesellen jetzt noch ausübt, liess 
sich nachher gegenüber seinem Geburtsorte nieder und wurde 
Farmer. Durch Fleiss und Ausdauer hat er sich, was übrigens 
wohl jedem Liberianer möglich wäre, ein hübsches Vermögen 
erworben, ist gegenwärtig Mitglied des liberianischen Senats und 
Kapitän der liberianischen Schützen von Junk und Little Bassa. 
Auf seiner Niederlassung, die ungemein hübsch und sauber 
aussieht, hat er eine Kirche erbaut, die zugleich als Schullokal 
dient und wo er selbst als freiwilliger Prediger und Lehrer auftritt, 
insofern er nicht vorgerücktern Schülern das Lehramt überlässt. Es 
macht einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man in seinem Hause, 
wo alle Bewohner anständig gekleidet sind, auf einmal eine seiner 
am andern Flussufer wohnenden Schwestern erscheinen sieht, deren 
einziges Kleidungsstück ein blaues, den ganzen Oberkörper freilas- 
sendes und kaum an die Kniee reichendes Lendentuch bildet. 

. Nach kurzem Aufenthalt auf Mr. PoweLr’s Farm, wo wir mit 
in Feuer zum Klaffen gebrachten Austern und Palmwein be- 
wirthet wurden, fuhren wir weiter. Die Fahrt wurde jedoch 
infolge der eintretenden Ebbe stets langsamer, so dass ich mit 
Hülfe von Distanzenschätzungen und Compasspeilungen den 
Flusslauf bequem feststellen konnte, bis die Nacht auch diese 
Beschäftigung unmöglich machte. Da wir nun in der Finsterniss 
die Mitte des Wassers halten mussten, wo natürlich das Gefälle 
am stärksten war, kamen wir trotz angestrengten Ruderns nur 
mühsam vorwärts und konnten nicht verhindern, dass wir 
mehrmals auf einer Schlammbank längere Zeit festsassen. Der 
Platz in Schieffelinsville, wo STAMPFLI für unsere Station ein 
Haus gemiethet, sollte auf dem rechten Ufer gegenüber der Ein- 
mündung des Du Queah River sein, und SrtAmPprLı hatte mir 
versprochen, den Landungsplatz auch des Nachts auf irgend 
eine Weise kenntlich zu machen. Uebrigens sollte dort ein grosser , 


— 312 — 


durch seine Form ins Auge fallender Bombax stehen. Nun sahen 
wir gegen neun Uhr wohl einen solchen Baum, konnten aber 
in der Finsterniss auch nicht die Spur eines Landungsplatzes 
entdecken, und keine Stimme wurde laut, so sehr wir uns auch 
bemühten, durch Schiessen, Trommeln und Blasen auf dem 
grossen Kriegshorn, das mir König PETER von Fali geschenkt 
hatte, Lärm zu machen. 

So fuhren wir denn weiter in der Voraussetzung, den Platz 
noch nicht erreicht zu haben. Bald darauf sah ich zu unserer 
Rechten einen, wie mir schien, schmalen, unbedeutenden Creek, 
und da ich wusste, dass der Du Queah ebensobreit sein musste, 
als der Junk, fuhren wir auch hier vorbei. Bis gegen 12 Uhr 
nachts setzten wir nun die Reise flussaufwärts fort, doch sahen 
zu beiden Seiten nur noch niedrigen Wald, der, nach der com- 
pakten Masse zu urtheilen, aus Mangrove zu bestehen schien. 
Ich war nun zu der festen Ueberzeugung gekommen, dass wir. 
unbewusst Schieffelinsville vorbeigefahren sein mussten und liess 
mitten im Flusse den Anker auswerfen. Hierauf hüllten wir uns, 
so gut es in der Dunkelheit möglich war, in einige Tücher und 
legten uns auf den aufgestapelten Kisten zur Ruhe nieder, die 
wir jedoch der vielen Mosquitos wegen lange nicht finden konn- 
ten. Ein intensiver Wohlgeruch, wie ihn nur die Blüthen lilien- 
artiger Gewächse verbreiten können, hatte schon während der 
Fahrt meine Aufmerksamkeit erregt, und nun wir stille lagen, 
kam derselbe noch mehr zur Geltung. 

Auf die harten Kisten gebettet, konnte ich nur wenig schlafen 
und horchte nach dem lauten Quaken der riesigen Flughunde, 
die sich in der nahen Mangrove herumtummelten. Schon beim 
ersten Morgengrauen rief ich meine Leute wach und gönnte uns 
allen einen erwärmenden Schluck Branntwein, worauf wir uns 
ein wenig zu orientiren suchten. Wie ich mir schon in der Nacht 
gedacht, sassen wir mitten zwischen ausgedehnten Mangrove-, 
Pandanus- und Weinpalmenwäldern, die den Fluss wie mit einer - 
lebenden Mauer einschlossen, und rund um uns her war das 
Wasser mit den rein weissen, grossen Blüten einer lilienartigen , 
schmalblättrigen Wasserpflanze bedeckt, die den bereits erwähn- 
ten Wohlgeruch verbreiteten, 


— 8313 — 


Da wir nun Zeit genug vor uns hatten, wollte ich, um sicher 


Landung bei Mr. WARMERr’S Place. 


zu gehen, noch eine Strecke weiter flussaufwärts fahren und 
dann, falls der gesuchte Platz nicht zu finden war, wieder 


— .314 — 


zurückkehren. Nun entstand aber die wichtige Frage, in welcher 
Richtung wir fahren sollten. In der Nacht hatte sich nämlich 
mit wiedereintretender Fluth das Boot vor dem Anker gedreht 
und der Captain behauptete nun, dadurch getäuscht, steif und 
fest, dass das, was ich für flussaufwärts hielt, flussabwärts 
sei, und es dauerte, trotzdem man die Brandung der See deut- 
lich hörte und trotzdem ich ihm erklärte, dass mein Compass 
nicht lügen könne, eine geraume Weile, bis ich ihn von der Rich- 
tigkeit meiner Ansicht überzeugen konnte. Nachdem wir noch 
etwa eine halbe Stunde weiter flussaufwärts gerudert hatten, 
ohne aus der Mangrove herauszukommen, kehrten wir endlich 
um, und ich war nicht wenig erstaunt, als wir etwas nach 
acht Uhr in dem während der letzten Nacht passirten, ver- 
meintlich schmalen Creek den breiten Du Queah erkannten! Die 
überhängenden, hohen Bäume hatten den Fluss bis auf einen 
schmalen Streifen in der Mitte in Dunkel gehüllt und uns dadurch 
in eine verzeihliche Täuschung versetzt. Nun erkannten wir auch 
etwas weiter unten den grossen Wollbaum und lesten unter 
seinem weit über den Fluss sich ausspannenden Blätterdache an. 

Mr. WARNER, Sohn des früheren Präsidenten der Republik und 
hier wohnhaft,. erzählte mir nun, man habe uns letzte Nacht 
wohl gehört, aber uns für Mr. PowELL und seine Leute gehalten, 
der die Gewohnheit hätte, auf seiner Reise nach Monrovia während 
der Nacht den Junk River hinaufzufahren, und dessen Ruderer 
stets ein grosses Kriegshorn mitnähmen und viel Lärm machten. 
Auch hörte ich hier, dass mein Freund STAMPFLI, der mich schon 
seit einigen Tagen erwartet hatte, am Fieber darnieder liege. So 
rasch wie möglich sorgte ich nun dafür, dass der Inhalt des 
Bootes nach unserem ziemlich weit entfernten Hause geschafft 
wurde und eilte voraus, um zu meinem kranken Freunde zu 
kommen. Dieser war durch heftige Fieberanfälle sehr geschwächt, 
doch erholte er sich bei guter Kost ziemlich rasch. 

Nachdem die gesammte Bagage angekommen war und wir uns 
alle an einem guten Frühstück regalirt hatten, das der Hauptsache 
nach aus dem Fleische meiner in Monrovia gekauften Schildkröte 
und Reis bestand, beschenkte ich die Mannschaft des Bootes, 
worauf sie mit dem freundlichen Mr, Cooper die Rückreise antrat. 


— 315 — 


Die beiden folgenden Tage, 19. und 20. December, verwandten 
wir auf die Einrichtung unserer Station. Diese bestand aus einem 
hölzernen Aufbau, der auf einem etwa sieben Fuss hohen, zu 
ebener Erde liegenden, gemauerten Keller ruhte. Eine baufällige 
Treppe führte vorn zu der schattigen Piazza, eine andere in den 
Hinterraum des Hauses, den back-shed, hinauf. Der Oberraum 
war in einen sogenannten parlor, ein kleineres Seitenzimmer und 
den back-shed eingetheilt. 

Auch der Dachboden war durch eine Bretterwand in zwei 
verschiedene Räume getrennt und musste uns als Magazin und 
Schlafzimmer dienen. Hinter dem Hause, auf einem grossen, 
freien Platze, befand sich ein von sechs Pfählen getragenes 
Palmblattdach, unter dem unser Koch sein Regiment zu führen 
hatte. Das Ganze war eine liberianische Farmerswohnung, wie 
man sie in dieser Gegend überall antrifft, und von meinem Rei- 
segefährten für ein halbes Jahr zum Preise von 25 Dollars ge- 
miethet worden. Während der beiden ersten Tage hatten wir das 
Haus voll Besucher, nicht nur Liberianer aus Schieffelinsville, 
sondern auch Eingeborne aus den benachbarten Negerdörfern. 

Die Umgebung unserer Station war sehr hügelig, und besonders 
Einer dieser Hügel, dessen Kuppe abgeholzt war und zwei libe- 
rianische Farmerswohnungen trug, war mir von besonderem 
Interesse, da er bei einer Erhebung von etwa 200’ über dem 
Flusspiegel eine ziemlich unbeschränkte Aussicht auf die Höhen- 
punkte des Innern und nach Nordwesten bis auf die Hügel von 
Clay Ashland am St. Paul’s River darbot. Da die meisten dieser 
Hügel dicht bewaldet waren und keine Aussicht gestatteten, 
musste mir dieser Eine als Orientirungspunkt doppelt werthvoll 
erscheinen. 

Die Niederlassung Schieffelinsville ist über ein grosses Areal 
ausgebreitet und liest auf dem Rücken und am Nordabhang 
des Höhenzuges, der sich vom Vorgebirge Messurado die Küste 
entlang bis Marshall erstreckt. Der Abstand vom Junk River 
bis zum Meere beträgt hier in der Luftlinie etwa zwei englische 
Meilen, doch hat man auf den vielfache Windungen beschrei- 
benden Pfaden wohl anderthalb Stunden zu gehen, um die Küste 
zu erreichen. Die Brandung ist sogar während der Nacht, beim 


— 816 — 


Wehen des Landwindes, deutlich hörbar und klingt wie ferne 
Donnerschläge und Kanonenschüsse herüber. 

Jeder liberianische Ansiedler hat ein grosses Grundstück, das 
mit einem Zaun von Holzpflöcken und dornigem, galvanisirtem 
Drahtgeflecht (fence-wire) umzogen ist, und auf diesem Grund- 
stück steht seine Wohnung, meist ein Holzhaus mit Planken- 
wänden und Schindeldach. Dies ist der Grund, warum die Nie- 
derlassung sehr weitläufig angelegt ist. Das ganze Gebiet der 
Gemeinde ist geometrisch eingetheilt, und die, wo es möglich 
ist, geradlinigen und breiten Wege sind ziemlich gut unterhalten. 
Es befinden sich daselbst zwei Kirchen, die eine für die Baptisten, 
die andere für die Methodisten, und einfache Farmer treten dort 
an Sonn- und Festtagen als Geistliche auf. Auch eine Schule hat 
diese Gemeinde, mit einem gut geschulten Eingebornen als Lehrer. 

Kaffeebau ist, neben dem Anbau von Lebensmitteln, vorzüg- 
lich Kassaven und Bataten, der einzige Kulturzweig, dem die 
Ansiedler obliegen. Das hügelige Terrain ist dazu ganz besonders 
geeignet, doch dürften im Allgemeinen die Pflanzungen mit etwas 
mehr Sorgfalt unterhalten werden. 

Der Junk River ist die einzige Verkehrsstrasse, die Schieffelins- 
ville mit der Aussenwelt, d.h. mit Marshall einer- und Monrovia 
andererseits, verbindet. Letzteres kann bequem in einem Tage 
erreicht werden, indem man den Junk River bis an eine breite 
Grassteppe oder Savane hinauffährt, die diesen Fluss vom Mes- 
surado River trennt. Die etwa anderthalb Stunden breite Fläche, 
das sogenannte Oldfield, überschreitend, gelangt man an das 
obere Ende des Messurado River, woselbst man für ein oder 
zwei Shilling den Tag ein Canoe miethen kann, um diesen 
letztern Fluss hinunter nach Monrovia zu fahren. 

Wenn man gute Ruderer hat und die Fahrt so einrichtet, 
dass man mit voller Fluth, die sich bis Oldfield hinauf merkbar 
macht, den Junk hinauf- und bei eintretender Ebbe den Messurado 
River BE nthenhe kann man den ganzen Weg in 6—7 Stunden 
zurücklegen. 

Das ganze, weite Ufergebiet des Junk- und auch des etwa 
200 Schritte oberhalb unserer Station mit ihm sich vereinigenden 
untern Du Queah River ist sumpfig und von zahlreichen Creeks 


— 317 — 


durchzogen, von denen jedoch nur wenige fahrbar sind. Aus 
diesem ausgedehnten Sumpfgebiet erheben sich aber einzelne, zum 
Theil bis 300° hohe Hügelrücken, z. B. der sogenannte Sharp’s 
Hill, etwas unterhalb Schieffelinsville am rechten Flussufer. 
Diese Hügel sind dicht bewaldet und beherbergen zahlreiche 
Antilopen, Büffel und Wildschweine. 

Unser Haus war durch einen schmalen Streifen von Mangro- 
vesumpf vom Flusse getrennt, der uns jede Aussicht auf den 
letztern benahm. Ein kleiner, durch diesen Gürtel führender 
Creek, der sich beinahe bis an unser Haus erstreckte, bildete 
zur Fluthzeit einen geeigneten Zugang zum Flusse, war aber 
zur Ebbezeit eine schwarze Schlammasse, auf der zahlreiche 
Krabben (Gelasimus perlatus und Sesarma büttikoferi) herum- 
spazierten. Dass unter solchen Umständen unsere Station eine 
ungesunde Lage hatte, ist selbstverständlich. Glücklicherweise 
hatten wir jedoch in einer Schlucht des Höhenzuges vorzügliches 
Quellwasser. 

Die Niederlassung wurde durch den frühern, sehr verdienst- 
lichen Präsidenten der Republik, Mr. WARNER, gegründet und 
hiess erst Warnersville. Noch jetzt wohnen zwei Söhne des 
Gründers hier, 

Vor etwa 10 Jahren bot ein amerikanischer Liberianerfreund, 
Mr. Henry M. H. MoUNSELL SCHIEFFELIN in New York, der schon 
früher bedeutende Opfer zur Hebung liberianischer Zustände 
gebracht und unter anderm auch die Mittel zu ANDERSon’s erster 
Reise nach Mussardu hergegeben hatte, einer beliebigen libe- 
rianischen Gemeinde, die sich nach ihm nennen wolle, seine 
Unterstützung an. Dazu meldete sich Warnersville, und der Ort 
hat es seither nie zu bereuen gehabt. Mr. SCHIEFFELIN verschaffte 
dieser’ Gemeinde erst die Mittel, um brauchbare Wege anzulegen, 
liess eine Kirche bauen, sandte eine Kirchenglocke und vor ein 
paar Jahren sogar eine Orgel, die, weil Niemand dort die Kunst 
des Orgelspiels versteht, noch immer in Monrovia auf den 
Transport nach ihrem Bestimmungsorte wartet. Jeder Farmer 
erhielt genügende Mengen von galvanisirtem Eisendraht (fence-wire) 
um sein Gehöft einzufriedigen, sowie Aexte und Landbaugeräthe, 
um die Pflanzungen unterhalten und erweitern zu können. Sogar 


— 318 — 


ein riesiges Fischnetz im Werthe von 90 Dollars sandte derselbe 
seiner Gevattergemeinde, um auch die Schätze des Junk River 
ausbeuten zu können, so dass diese Gemeinde Vergünstigungen 
geniesst, deren keine andere im ganzen Lande sich rühmen 
kann. Leider sind alle diese Vortheile keineswegs geeignet, die 
Energie der dortigen Ansiedler zu heben; denn wahrer Wohlstand 
wird nur von innen heraus, durch eigenes Schaffen erworben, 
und Unterstützungen von aussen können in den meisten Fällen, 
wenigstens in Liberia, höchstens als eine Prämie auf die Trägheit 
der Menschen betrachtet werden. 

Der Bürgermeister der Gemeinde ist einer der bereits genann- 
ten Brüder WARNER. Er hat eine gute Erziehung genossen, ist 
sehr intelligent und steht als Friedensrichter auch unter den 
‘ Eingebornen der Umgebung in einigem Ansehen. Seit dem Tode 
seiner liberianischen Frau hat er sich aber den Sitten der Einge- 
bornen zugewandt, auf dem Erbe seines als Präsident ungemein 
populär gewesenen Vaters eine sogenannte country-town errich- 
tet und hält sich dort einen Harem von mehreren eingebornen 
Frauen, mit welchen er in den einfachen Lehm- und Palmblatt- 
hütten ganz nach Art der Eingebornen lebt. Schade, dass Mr. 
D. B. WARNER mehr als ihm gut thut, Liebhaber von starken 
Getränken ist. Durch einen unglücklichen Schuss hat er in seiner 
Jugend den linken Arm verloren. Sein jüngerer Bruder, J.B.W ARNER, 
war bei uns als Koch und Waschmann in Dienst, eine Beschäfti- 
sung, die ihm besser als das Farmerleben zuzusagen schien. 

Unser Hausherr, Mr. Lett, den wir im Ganzen sehr wenig zu 
sehen bekamen, war ein früherer Diener des Stettiner Naturalien- 
sammlers SCHWEIZER, welcher sich einige Zeit auf diesem Platze 
zu Sammelzwecken aufgehalten und hier ein eigenes Haus beses- 
sen hatte. Er konnte ganz gut präpariren, doch machte er 
so hohe Ansprüche an meine Kasse, dass ich von seinen Dien- 
sten als Jäger und Präparator absehen musste. Es stellten sich 
jedoch bald einige junge Leute ein, die mit von uns geliehenen 
Gewehren auf die Jagd giengen und uns zu festgestellten Preisen 
ihre Beute verkauften. 

Auch einer Insektensammlerin darf ich nicht zu erwähnen ver- 
gessen, da sie einen bedeutenden Theil unserer Insektensammlung 


— 319 — 


geliefert hat. Mrs. Lucınpa war die junge Frau des Polizeidie- 
ners von Schieffelinsville, welcher Letztere so arm war, dass 
sie sich selbst ihren Lebensunterhalt verdienen musste. 

Im Allgemeinen war unser Jagdschloss als solches nicht sehr 
sünstig gelegen, denn beinahe die ganze Umgebung war von 
Hochwald entblösst, und die Wälder, soweit sie vorhanden 
waren, der vielen Sümpfe wegen so gut als unzugänglich. Rundum 
fanden wir nichts als Farm und Buschwald, welche beide 
freilich interessante Beute an Vögeln, Reptilien und Insekten, 
nicht aber an Antilopen, Flusspferden, Pinselschweinen und 
ähnlichem Hochwild liefern, auf das wir in allererster Linie Jagd 
zu machen beabsichtigten. 

Um die solche Thiere beherbergenden, grossen Waldgebiete zu 
‚erreichen, mussten wir stets bedeutende Strecken im Canoe 
den Du Queah River hinauffahren, wobei viel Zeit verloren 
sieng. Wir kauften denn auch gleich in den ersten Tagen zwei 
von Eingebornen verfertigte Canoes: ein grösseres, für weitere 
Jagdausflüge und zum Transportiren von Waaren, und ein 
kleineres, für höchstens einen Weissen und zwei Ruderer, zu 
kürzern Ausflügen in die Umgegend. 

Den 23. December fühlte sich Freund STAMPFLI soweit herge- 
stellt, dass er mit JACKSon und einigen unserer Diener den Du 
Queah hinauf auf die Jagd gehen konnte. Sie fanden wohl zahl- 
reiche Spuren von Antilopen, doch wurde nichts geschossen. 
Am Abend desselben Tages kam STAnuPrLı mit den boys zurück, 
während JAckson in Upper Blow Town, einem kleinen Neger- 
dorfe an einem Nebenflusse des Du Queah, etwa acht miles 
oberhalb unserer Station, übernacht blieb, um in der Frühe des 
andern Morgens auch mich mit den dortigen ausgedehnten Wäl- 
dern bekannt zu machen. 

Schon früh um 3 Uhr am andern Morgen fuhr ich mit zwei 
boys von unserem Landungsplatze ab, nachdem mir STAMPFLI 
genaue Instruktionen betreffs des einzuschlagenden Weges gege- 
ben hatte, welchen übrigens auch meine boys von gestern her 
kannten. Es. war finstere Nacht, und so sehr ich auch begierig 
war, den Du Queah mit seiner Uferlandschaft kennen zu lernen, 
vermochte ich doch in der Finsterniss höchstens die Contouren des 


— 320 — 


Ufergehölzes einigermassen zu erkennen, jedoch ohne Pandanus, 
Mangrove und Weinpalmendickicht von einander unterscheiden 
zu können. Da wir die Fahrt mit eintretender Fluth begannen 
und die beiden kräftigen Diener BoßB und PETER in der Morgen- 
frische energisch ruderten, so kamen wir rasch vorwärts, was 
übrigens nöthig war, weil Jackson mich vor Tagesanbruch in 
Upper Blow Town erwartete. : 

An einigen Stellen sah ich während der Fahrt riesige Flug- 
hunde (Epomophorus monstrosus) herumschwärmen, welche weithin 
hörbare, quackende Töne erschallen liessen. Da sie sich jedoch 
stets über dem Dickicht hielten und sich nicht auf das Wasser 
hinauswagten, uns aber zum Stilleliegen die Zeit fehlte, liess ich 
sie in Ruhe, denn man hätte sie, wenn geschossen, bei Nacht 
in dem unzugänglichen Ufergebüsch doch nicht finden können. 
Ohne Schwierigkeiten erreichten wir beim ersten Morgengrauen 
den sogenannten Blow Creek und gelangten, in diesen einbiegend 
und zwischen waldbewachsenen, hohen Uferbänken durchfahrend, 
eine halbe Stunde später an unser Reiseziel, wo JACKsSon schon 
am Landungsplatze bereit stand. 

In dem kleinen Dorfe lag noch Alles in tiefer Ruhe Nur 
die Hühner, die sich zum Schutze vor Raubthieren auf die 
Dächer der Wohnungen zurückgezogen hatten, reckten die 
Flügel, und die Hähne krähten, als wir stillschweigend zwischen 
den ärmlichen Lehmhütten dahingiengen und durch die thautrie- 
fenden, hohen Kassavepflanzungen unsere Schritte dem nahen 
Hochwalde zulenkten. Inzwischen war es Tag geworden, und: 
wir konnten ohne viel Mühe den durch eingeknickte Zweige be- 
zeichneten Weg finden, den JAcKson am vorigen Tage mit STAMPFLI 
gegangen war. Das Terrain war ziemlich hügelig, die tiefergele- 
senen Stellen noch voll Wasser oder eine beinahe unzugängliche 
Schlammasse, und die Wälder nebst allerlei lästigem Unter- 
holze reich an Rotangpalmen, an deren mit scharfen Widerhaken 
versehenen Blättern man jeden Augenblick hängen blieb. Nach 
langem Suchen bezogen wir unsere Posten, doch wollte sich 
kein Wild zeigen, obwohl wir zahlreiche Spuren von Büffeln, 
srossen Antilopen und Pinselschweinen fanden. Ohne einen Schuss 
gethan zu haben, kehrten wir gegen Mittag nach Blow Town 


— 321 — 


zurück, wo man uns mit tomboy, einem Brei von gestampften 
Kassaven, und einer Suppe von schmackhaften, während der 
letzten Nacht bei Fackelschein gefangenen Fischen (Notopterus 
afer) bewirthete. Nachdem wir etwas ausgeruht, fuhr ich mit 
meinen boys den Blow Creek weiter hinauf. Derselbe behält 
ein paar miles weit, mancherlee Krümmungen beschreibend, 
dieselbe Breite (durchschnittlich etwa 10 — 20 Schritt) und ver- 
liert sich schliesslich in ein weites Sumpfgebiet, das zur Regenzeit 
höchst wahrscheinlich ein grosses Wasserbecken bildet. Da ich 
nun gerne mir den Du Queah bei Tage genauer ansehen wollte, 
so traten wir schon früh am Nachmittage bei abfliessendem 
Wasser die Rückreise an, welche ich hier mit Stillschweigen 
übergehe, weil ich den Unterlauf des Flusses bei einer andern 
‚Gelegenheit zu beschreiben gedenke. 

Am folgenden Tage war Weihnachten, und schon früh kamen 
Kinder und grosse Leute, uns zu beglückwünschen und nach 
liberianischem Landesbrauche um eine Weihnachtsgabe (Christmas- 
gift) zu bitten. Auch der zweite Weihnachtstag wird in Liberia 
als Feiertag betrachtet, so dass wir auch an diesem Tage nichts 
ausrichten konnten. Jede Arbeit, also auch die Jagd, wird von 
den Gemeindebehörden mit Busse belegt, von welcher auch wir 
nicht ausgeschlossen worden wären. 

Während dieser Tage lernte ich einen eingebornen Häuptling 
kennen, dessen Bekanntschaft mir später von höchster Bedeu- 
tung werden sollte. Er war ein verschmitzt aber intelligent 
aussehender Mann aus dem Queah-Stamme, weit oben am Du 
Queah, der nach schieffelinsville gekommen war, um als guter 
Christ hier Weihnachten zu feiern, d.h. während dieser Tage 
dem Gottesdienste beizuwohnen. Sein inländischer Name war 
UeLLE, sein christlicher Name HenkyY CALVIN CLARK, und 
unter diesem letztern war er allgemein bekannt. Er sprach ein 
vorzügliches Englisch und war auf europäische Weise gekleidet, 
mit weissem Hemd ohne Kragen, aber vorn mit einer grossen 
Damenbrustnadel versehen, die ihm Mrs. Day geschenkt hatte, 
ferner mit einer karrirten Tuchhose, schwarzer Tuchjacke, einem 
schwarzen Filzhut und guten Lederschuhen. Er hatte kurzge- 


schnittenes, graues Haupthaar und ebensolchen Bart und mochte 
LIBERIA, 1. 21 


= .922 — 


etwa 65 Jahre alt sein. Von ihm kaufte ich mein grösseres Canoe 
zum billigen Preise von fünf Dollars; doch als ich ihm den Betrag 
bezahlen wollte, erwiederte er, dass er augenblicklich nur eine 
Kleinigkeit nöthig habe und den Rest bis auf Weiteres stehen 
lassen wolle. Ein solches Benehmen, in Verband mit einer Art 
sentleman-artigem Auftreten, hatte ich bisher bei Eingebornen 
nur selten angetroffen und suchte daher den Mann näher kennen 
zu lernen. Es stellte sich bald heraus, dass er längere Zeit als 
Koch auf einem engiischen Boote gedient und schon viele Gegen- 
den der Westküste, besonders Sierra Leone und die Gegend 
vom Gambia bis zum Senegal hinauf, besucht hatte. Die genaue 
Kenntniss jener Gegenden verdankte er seiner Betheiligung an 
dem bis vor dreissig Jahren lebhaft betriebenen Sklavenhandel, 
aus dem er mir manche interessante Episode zu erzählen wusste. 
Mit der Gegend von Sherbro bis Cape Mount hinunter war er 
besonders gut vertraut und sprach Vey ebensogut wie Bassa und 
Queah, seine Muttersprache !). Später scheint er sich auch in der 
Gegend am St. Paul herumgetrieben zu haben und wurde in den 
sechsziger Jahren auf der Mühlenburg Mission zum Anlegen der 
dortigen Plantagen engagirt. Er war sichtlich hoch erfreut, als 
er hörte, dass Mr. Day ein guter Freund von mir sei, und bald 
stellte. sich heraus, dass ich auch zwei seiner Kinder, einen 
Sohn und eine Tochter, kannte, die er während meines Aufent- 
halts auf Mühlenburg Mission dort auf der Schule hatte. CLARK 
hielt ausserordentlich viel von Mr. und Mrs. Day, die er oft 
besuchte, und der Umstand, dass auch ich mit grosser Hoch- 
achtung von Beiden sprach, war mehr als alles Andere geeignet, 
mir seine besondere Zuneigung zu erwerben. 

Mr. CLARK war einer von der Leuten, die es sich zur Ehre 
rechnen, mit Weissen auf freundschaftlichem Fusse zu stehen 
und darüber gerne auch den höchstgestellten Liberianer vernach- 
lässigen. Er blieb auch nach den Feiertagen noch in Schieffelins- 
ville, und da Freund StamprLı mit JACKSON und einigen boys 
einen mehrtägigen Jagdausflug machten, hatte ich in meinem 

ı) Er schien übrigens ein ausserordentliches Talent im Erlernen von 
Sprachen zu besitzen, denn ausser den genannten Negersprachen sprach er 
noch die Kru-, Kosso-, Mandingo-, Golah- und Pessy-Sprache. 


— 323 — 


Hause Platz genug, um ihm auch Nachtquartier zu gewähren. 
Er wollte dies erst nicht annehmen und stimmte erst zu, als 
ich ihm sagte, dass er als der Freund meines Freundes auch 
mein Freund sei und es bei mir nicht schlechter haben müsse, 
als bei Mr. Day. Dieses Argument imponirte ihm offenbar, und 
er lud mich nun dringend ein, von hier, wo die Jagd doch 
unergiebig sei, zu ihm an den Du Queah River hinaufzukommen 
und dort sein Fremdling (Gast) zu sein. Als ich ihm die aus 
Europa mitgebrachten, colorirten Abbildungen der seltenen, von 
uns gesuchten Thiere zeigte, erkannte er sofort eine Anzahl 
derselben und erklärte zu meiner grossen Freude, dass u. A. die 
vielgesuchte Doria-Antilope, das kleine Flusspferd, sowie der 
Chimpanse dort nicht selten seien und dass er alle Jäger seiner 
Gegend aufrufen werde, um für mich zu jagen. Obschon ich 
ihm noch keineswegs vertraute und stets, wenn er auf mein 
Haus zukam, alle Kisten verschloss und Sachen von Werth 
ausserhalb seines Bereiches hielt, liess ich ihn dies nicht merken 
und behandelte ihn ganz als Gentleman, zum grossen Aerger 
der Liberianer, die sich dadurch zurückgesetzt glaubten. Selbst- 
verständlich brannte ich vor Begierde, um möglichst bald jene 
Waldgebiete besuchen und wieder ganz unter Naturmenschen 
leben zu können, denn unter den liberianischen Hinterwäldlern 
zu wohnen, die doch stets einigermaassen Karrikaturen von 
Kulturmenschen bleiben, konnte mir nie auf längere Zeit behagen. 
Um mich zu bewegen, zu ihm überzusiedeln, bot mir CLARK 
das beste Haus in seiner Stadt an und versprach auch, mich 
durch seine eigenen Leute abholen zu lassen. Etwas zögernd 
scheinbar, aber innerlich mit grossem Vergnügen, gab ich endlich 
seinem Drängen nach und versprach, am dritten Januar für 
einige Wochen zu ihm zu kommen. Darauf reiste er ab, um 
zu Hause alles zu meinem Empfange bereit zu machen. Den 
restirenden Betrag für das mir verkaufte Canoe nahm er in 
Tabak, Schiesspulver- und Kattunstoffen mit, um an die ver- 
schiedenen Häuptlinge der Umgegend Geschenke zu senden und 
sie aufzufordern, sofort nach meiner Ankunft mit mir in Ver- 
bindung zu treten. Ich suchte nun alles Nöthige zu einem längern 
Aufenthalte in Clark’s Town oder Hill Town, wie CLARK sie 


— 324 — 


nannte, zusammen um am festgesetzten Tage die Uebersiedlung 
bewerkstelligen zu können. 

Am Sylvesterabend kamen STAMPFLI und JACKSON von ihrem 
Jagdausfluge zurück, ohne etwas Nennenswerthes erbeutet zu 
haben. Die Jagd in den liberianischen Wäldern ist für den Euro- 
päer äusserst schwierig, selbst für den Jäger von Beruf, und 
das einzige Mittel, um bedeutende Sammlungen von grossen 
Thieren zu machen, ist, eingeborne Jäger auszusenden. Diese 
sind in den Wäldern gross geworden und kennen, jeder in 
seinem verhältnissmässig kleinen Gebiete, Weg und Steg, wissen 
genau, wo sich jede Thierart mit Vorliebe aufhält, verstehen 
es, aus allen möglichen Umständen Vortheil zu ziehen und ver- 
mögen, da sie meist nackt auf die Jagd gehen, leise aufzu- 
treten, bleiben nirgends hängen und können sich dank ihrer 
dunkeln Hautfarbe nahe an das Wild heranschleichen, ohne von 
diesem bemerkt zu werden. Fast gleichzeitig mit STAMPFLI und 
Jackson kam auch Mr. Lertr mit zwei jungen Liberianern von 
einem mehrtägigen Ausfluge zurück, ebenfalls ohne erhebliche 
Beute, und auch ich hatte auf einigen Excursionen in die nahe 
Umsebung nichts als kleine Vögel schiessen können. 

Das Neujahr feierte ich zusammen mit meinem Freunde 
Stampruı, und am folgenden Tage kam ein grosses Canoe von 
Mr. CLARK, um mich sammt Jackson, den boys und unserer 
Bagage abzuholen. So war denn am Abend des zweiten Januar 
alles bereit, um in der Frühe des nächsten Morgens die Reise 
den Du Queah River hinauf antreten zu können. 


XV. 


Aufenthalt am Du Queah River, 


Nach Hill Town. — 
Schwierigkeiten bei 
Flussaufnahmen- — 
Jably. — Schlingen- 
bildungen des Fluss- 
laufes. — Do Gwong. 
— Ankunft und Em- 
pfang in Hill Town. 
— Mein Wohnhaus. 
— Die Stadt und ihre 
Umgebung. — Stadt- 
fetische.— CLARKals 
Richter. — Nächtli- 
ches Fest. — JAssA, 
meine Haushälterin. 
— Streifzüge. — Ver- 
bindung mit inlän- 
dischen Jägern. — 
‚Eingangszoll auf 
Jagdwild. — Fahrt 
nach Schieffelins- 
ville. — Fischfang 
bei Upper Blow 
Town. — Meine Jagd- 
flinte verloren. — 
Rückkehr nach Hill 
Town. — In @o 
Town übernachtet. 
— Das erste Fluss- 
pferd. — Reise nach 
Bo Wong. — Das 
Geschossenes Flusspferd im Waldsumpf. zweite Flusspferd. 


Am dritten Januar morgens um 10 Uhr trat ich mit CLARR’s 
Canoe und einem der unsrigen die Reise nach Hill Town an. 


— 326 — 


Der Häuptling CLARK war so vorsorglich gewesen, mir einen 
intelligenten jungen Vey-Mann, Jın genannt, als Führer zu senden. 
Dieser konnte sich nicht nur mit meinen Vey-Leuten, die weder 
der Bassa- noch der Queahsprache !) mächtig waren, sondern auch 
mit mir unterhalten, da er ausser seiner Muttersprache auch 
ziemlich gut Englisch verstand. Ich beganr. sofort , mit Hülfe meiner 
Bussole und Distanzenschätzung während der Fahrt den Flusslauf 
in Karte zu bringen, eine Beschäftigung, die bei den zahlreichen 
Krümmungen und Schlingen , welche derselbe macht, meine ganze 
Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch nahm. Man dürfte sich 
vielleicht verwundern, dass ich zur Berechnung des zurückge- 
legten Abstandes nicht die Zeit der Fahrt in Rechnung z08. 
Dies ist aber auf dergleichen Wasserfahrten, die man nicht 
speciell zum Zwecke einer kartographischen Aufnahme unter- 
nimmt, so gut wie unausführbar, da die Schnelligkeit der Fahrt, 
selbst bei gleichmässigem Rudern, durch verschiedene Umstände 
in wechselnder Weise beeinflusst wird. Die ersten und eingrei- 
fendsten dieser Faktoren sind Ebbe und Fluth, die, wie schon 
früher gesagt, sich sehr weit hinauf fühlbar machen. Tritt man 
nun die Fahrt zur Fluthzeit an, so wird man, so lange die Fluth 
ihre volle Kraft besitzt, sehr rasch vorwärts kommen. Nach 
‚ und nach nimmt sie aber ab, bis schliesslich, nach einem Still- 
stande von vielleicht einer halben Stunde Zeit, die Ebbe sich 
seltend macht und die soeben noch günstigen Strömungsverhält- 
nisse sich in ungünstige verwandeln, während die Kräfte der 
Ruderer sich gleich bleiben. Ein anderer Faktor ist der, dass 
auch da, wo die Fluth nicht mehr eindringt, das Gefälle nicht 
überall dasselbe ist und man übrigens da und dort langsamer 
fahren, sogar halten oder zurückfahren lässt, wenn irgend etwas 
ein besonderes Interesse erregt. Uebrigens rudern die Neger 
selten lange gleichmässig durch, sondern strengen oft ihre Kräfte 
übermässig an, um im folgenden Augenblicke sich einem gewissen 
Schlendrian hinzugeben. Nach zahlreichen Berechnungen darf ich 
annehmen, dass unter normalen Verhältnissen ein Canoe bequem 
eine Wegstunde, also 3 miles, in der Zeitstunde zurücklegen 


!) Diese letztere ist ein nur wenig abweichender Dialekt der ersteren. 


— 327 — 


kann. Der Abstand kann aber unter sehr günstigen Verhält- 
nissen und bei besonderer Kraftanstrengung der Ruderer, die, 
wenn guter Laune, Wunderbares zu leisten vermögen, auch das 
Doppelte, also 6 miles und sogar noch mehr, per Stunde betragen. 

Bei seiner Vereinigung mit dem Junk ist der Du Queah etwa 
100 Meter breit und behält diese Breite so weit aufwärts, als er 
sich durch Mangrovesumpf hinwindet. Längere Zeit trifft man 
nichts an als trostlosen Mangrovewald, und erst etwas weiter 
oben finden sich, ebenfalls noch im Sumpfgebiet, ausgedehnte, 
undurchdringliche Weinpalmenbestände, deren riesige Blattwedel 
weit über das Wasser hineinragen und den Ufersaum völlig 
verhüllen. Nur selten findet man einen einzelnen Pandanus, 
während der Junk River bei der Einmündung des Du Queah 
durch ganze, dichte Bestände dieses eigenartigen Baumes wie _ 
durch eine geschlossene Wand flankirt wird. Hie und da trifft 
man am Ufer eine Gruppe der schon früher erwähnten, eigen- 
thümlichen Aroideen mit den grossen, grasgrünen und braun 
getigerten Blumentrichtern an. Zahlreiche, halb mit Gebüsch ver- 
wachsene Creeks münden links und rechts in den Fluss, ohne ihm 
Jedoch, wenigstens in der trockenen Jahreszeit, viel Wasser zuzu- 
führen. Weiter oben werden die Ufer höher und sind dann mit Hoch- 
wald, zum Theil aber auch mit ausgedehnten Maniokfarmen bedeckt. 

Nach etwas mehr als anderthalb Stunden Fahrens erreichten 
wir das Negerdorf Jably, allgemeiner unter dem Namen Blow 
Town bekannt und so genannt nach dem hier residirenden Häupt- 
ling BLow. Dieser Ort liest auf dem engsten Theile einer bedeu- 
tenden Schlinge, die der Fluss hier in südöstlicher Richtung von 
jenem macht, und hat demnach zwei verschiedene Landungsplätze, 
d.i. einen untern und einen obern. Die innerhalb der hufeisenför- 
migen Schlinge gelegene Halbinsel ist an ihrer Basis etwa 150 
Schritte breit, und bei spätern Flussfahrten benutzte ich meist 
diese Landenge, um am ersten Landungsplatze auszusteigen und 
zu Fusse durch das Dörfchen Jably nach dem zweiten zu gehen, 
wo ich dann das inzwischen um die Halbinsel herumfahrende 
Canoe erwartete. Diesmal aber fuhr ich selbst mit, um in meine 
Eintragungen keine Unterbrechung zu bringen, worauf wir am 
obern Landungsplatze anlegten und eine Viertelstunde auf den 


926 — 


Besuch von Jably verwendeten. Dieses Dörfchen bestand aus 
etwa 20 einfachen Hütten, deren Wände grösstentheils, wie bei 
den Häusern der Kruneger, aus solidem Mattengeflecht construirt 
waren. Manche dieser Hütten waren äusserst klein und enthielten 
nichts anderes als eine Schlafstätte für höchstens zwei Personen. 

Die Umgebung des Dorfes war zum grössten Theil abgeholzt und 
in Maniokpflanzungen umgewandelt, woselbst sich bei unserer 
Ankunft die meisten Leute befanden, so dass wir nur ein paar 
alte Weiber und einige Kinder antrafen, welche Letztere bei 
meinem Anblicke entsetzt die Flucht ergriffen. Die Bewohner 
dieses Ortes gehören dem Queah-Stamme an, welcher die ganze 
Bevölkerung des Du Queah-Gebietes umfasst. Obschon die heisse 
Mittagssonne uns glühend auf die Köpfe brannte, fuhren wir 
doch bald weiter und erreichten, zwischen zwei bis drei Meter 
hohen, senkrechten Uferwänden von hartem Thon durchfahrend,, 
nach einer halben Stunde, um 124 Uhr, den bereits erwähnten 
Blow Creek, einen südlichen Zufluss des Du Queah. Die beiden 
Wasserläufe sind hier etwa 40 Meter breit, strömen geradlinig 
von ®üden und Norden her auf einander ein und wenden sich 
dann gemeinschaftlich nach Westen um. 

Weiter flussaufwärts wird die Landschaft immer reizender. 
Farmen und Hochwald wechseln mit einander ab, und grotesk 
geformte, oft halb unterwaschene Baumriesen hängen weit über 
das enger gewordene Flussbett hinaus. 

Die waldigen Ufergegenden haben ein ganz besonders male- 
risches Gepräge. Die Weinpalmen sind hier fast gänzlich ver- 
schwunden, und auch die Oelpalme trifft man nur noch vereinzelt 
an. Wohl aber sind die Ufergebüsche und selbst grosse Bäume 
stellenweise durch Schlingpflanzen wie mit einer undurchdring- 
lichen, grünen Wand bedeckt und zahlreiche natürliche Guirlanden 
hangen selbst aus den Kronen hoher Bäume in den Fluss her- 
unter, während die zierlichen Fiederbüschel der Rotangpalme aus 
dem auf die verschiedenste Weise nüancirten Grün hervorstreben 
und zahlreiche Orchideen, Platycerien, Farne und andere Epi- 
phyten die schweren, über das Wasser herausragenden Stämme 
und Aeste bedecken. Prachtvolle Eisvögel oder Königsfischer 
sitzen auf überhängenden Zweigen, um auf ein Fischchen zu 


— 329 — 


lauern und erheben sich erst, wenn man sie beinahe mit dem 
Ruder erreichen kann, und auf einigen aus dem Wasser empor- 
ragenden, kahlen Baumstümpfen sitzen paarweise die niedlichen , 
stahlblauen Flusschwalben (Waldenia nigrita) und graue, eben- 
falls stets an die Flussläufe sich haltende Fliegenschnäpper (Mus- 
cicapa lugens). Sonst hat sich alles thierische Leben zur Siesta 
zurückgezogen, mit Ausnahme eines Krokodils, das sich auf einen 
aus dem Wasser emporragenden Baumstumpf in die Sonne hin- 
gelegt hat, und zahlreicher grosser, länglicher Fliegen, die 
täuschend unsern Pferdefliegen gleichen und jedem Canoefahrer 
den Tag über zur wahren Marter werden. 

Eine gute Stunde, nachdem der Blow Creek passirt war, 
erreichten wir, immerfort zwischen hohen Steilufern hinfahrend , 
das Queah-Dorf Go Town, etwas abseits vom rechten Ufer 
gelegen, doch fuhren wir daran vorbei, ohne anzulegen. 

Schon unterhalb Go Town hatten wir zahlreiche, quer in und 
über das Wasser gestürzte Bäume angetroffen, doch an einer 
Stelle dicht oberhalb dieses Platzes befand sich ein solches Wirrwar 
von durcheinandergefallenen Stämmen, dass es eine Unmöglich- 
keit gewesen wäre, dieselben des Nachts mit heiler Haut zu 
passiren. Immer näher rückten nun die Flussufer zusammen 
und erweiterten sich nur gelegentlich in einer der zahlreichen, 
scharfen Biegungen, um einen kleinen Seitenarm, einen sack- 
artigen sogenannten inlet, aufzunehmen. Diese inlets sind in 
vielen Fällen, wie auch Marrın in seinem Buche über Surinam 
(II p. 176) !) nachweist, als alte Reste des buchten- und schlingen- 
reichen Flusslaufes aufzufassen, der immerfort bestrebt ist, das 
Ufer auf der äussern Seite einer Bucht abzuwaschen und das 
Material an der Innenseite einer andern anzuspülen. Auf diese 
Weise wird eine Bucht zuletzt zur Schlinge, die, wenn über- 
mässig stark geworden, zur Regenzeit in einem gegebenen 
Moment dem gewaltigen Andrange des Wassers nicht mehr 
genügt, so dass dieses sich über die zuletzt sehr schmal gewor- 
dene Landenge hinwälzt und so ein neues Bett gräbt, das die 


ı) K. Marrtın, Bericht über eine Reise nach Niederländisch Westindien 
und darauf gegründete Studien. Leiden, E.J. BrıLL, 1888, 


— 330 — 


die grosse Schlinge gänzlich abschneidet und sie der allmäligen 
Versandung und Versumpfung preisgiebt. Auf meinen Jagden, 
auch in andern Gegenden Liberia’s, hatte ich häufig Gelegenheit, 
dergleichen Sumpfstreifen im Walde wahrzunehmen und in ihnen 
ohne Mühe Stücke alter Flussbetten zu constatiren. Die fort- 
währende Verschiebung der Flussbetten steht unzweifelhaft fest 
und lässt sich übrigens durch den hohen Wasserstand während 
der Regenzeit, der denjenigen der Trockenzeit um 10—15 Fuss 
übertrifft, leicht erklären. 

Gegen 21); Uhr erreichten wir Do Gwong, wie Jably ein aut 
einer bedeutenden Schlinge gelegener Ort mit zwei verschiedenen 
Landungsplätzen. Do Gwong soll sehr alten Datums und früher 
sehr gross gewesen sein. Es hat aber das Loos der meisten 
dieser Negerdörfer getneilt und besteht jetzt nur noch aus einigen 
elenden Hütten, deren Bewohner, ebenfalls den Queah angehörend, 
uns nichts anbieten konnten, so dass wir ohne Aufenthalt 
weiterfuhren. Etwas oberhalb Do Gwong ist der Fluss sehr tief, 
aber nur noch 20 Meter breit.-. Die hohen Baumkronen wölben 
sich stellenweise fast über dem Wasser zusammen, und gelegent- 
lich deuten in den Aesten hängen gebliebene Stücke von Baum- 
stämmen an, welche Höhe der Fluss in der Regenzeit erreicht, 
eine Höhe, die das Niveau der beiden Uferbänke beträchtlich 
übersteigt, so dass ausgedehnte Waldgebiete zeitweise unter 
Wasser gesetzt werden. Auch hier fand ich auf Stellen, an denen 
die Ufer nicht so senkrecht aus dem Wasser emporstiegen, noch 
die mehrerwähnte riesige Aroidee, und zwar in ebenso üppigen 
Exemplaren, als weiter unten in der Mangrovegegend. Auch die 
lilienartigen Gewächse, die im Junk und untern Du Queah das 
Wasser die Ufer entlang mit ihren wohlriechenden, weissen 
Blumen bedecken, kommen hier noch vor und erinnern, was 
ihre schmalen, im Wasser fluthenden und dicht sedrängt stehenden 
Blätter betrifft, sehr an den Igelkolben (Sparganium natans) 
unserer Sumpfsräben. An einer solchen Stelle schoss ich einen 
eigenthümlichen, auf diesem Flusse nicht selten vorkommenden 
Vogel, Podica senegalensis, über welchen andern Ortes näheres 
sesagt werden wird. 

Nach einigen weitern starken Biegungen des Flusses, die 


— 331 — 


immer neue und überraschende Scenen darboten, trafen wir 
mitten in dem sich noch mehr verengenden Flusslaufe einige 
von Strudeln umzogene Felsmassen, und kurz nachher, um halb 
vier Uhr, bogen wir links in einen von hohen Baumkronen 
überschatteten Creek ab und legten an dessen Ufer, dem Lan- 
dungsplatze von Hill Town, an. 

Hill Town liegt eine englische Meile vom Flusse landein- 
wärts, und obschön der genannte Creek von dorther kommt, 
ist man wegen seiner Wasserarmuth und zahlreicher anderer 
Hindernisse genöthigt, den Weg zu Fusse zurückzulegen. 

Nachdem die Canoes ausgeladen waren, setzten die Ruderer 
die Colli auf ihre Köpfe, und unter der Führung Jın’s bewegte 
sich der Zug einen für meine Ankunft besonders ausgehauenen 
Waldpfad entlang nach Hill Town, wo mir Mr. CLARk am Eingang 
entgegenkam und mich in seiner Stadt willkommen hiess. 

Sofort wurde ich nun nach CLArk’s eigenem Wohnhause, dem 
besten im ganzen Orte, gebracht, das er selbst verlassen und für 
mich hergerichtet hatte. Während ich die Kisten hineinschaffen 
liess und begann, mich häuslich einzurichten, wurde mir im 
Namen CLrark’s ein Huhn als Geschenk gebracht und gleich 
darauf geschlachtet und gekocht, so dass in einem Minimum 
von Zeit ein vorzüglich schmeckendes Mittagessen aufgetischt 
werden konnte. Ich sage absichtlich aufgetischt, denn zu meiner 
grossen Verwunderung fand ich im Vorderraume des Hauses 
einen harthölzernen, freilich etwas wackligen, Tisch und ein 
paar Mattenstühle, ja selbst ein wenn auch einfaches, doch 
praktisch eingerichtetes Schreibpult mit Papier, Federn, Bleistift 
und Tinte. Auch ein amerikanischer Rohrstuhl fand sich vor, ein 
Geschenk Mr. Day’s, sowie irdene Schüsseln, Teller und ein 
Wasserkrug, ferner zwei krystallene Trinkgläser, ebenfalls von 
Mr. Day herrührend. Die Lehmwände des Parlors, der nur durch 
die kleine Thüröffnung etwas Licht empfing, waren mit amerika- 
nischen Missionszeitungen tapezirt. 

Das einfache Essen mundete mir nach der langen Fahrt und 
dem kurzen Marsche vorzüglich, und auch meine Ruderer, die 
sich während der Fahrt vorzüglich gehalten hatten, schmausten 
herrlich von den Holzschüsseln voll Reis und den drei schwarz- 


— 332 — 


köpfigen Reihern, die ich während der Flussfahrt für sie aus 
einem Baum heruntergeschossen hatte. 


TU I pe Ye 


PR 


Mein Wohnhaus in Hill Town. 


Nach dem Essen 
Wohnung sammt der 
näher an, welche Letz- 
von meiner Ankunft 
beigeeillt kamen, um 
ihre hoch gespannte 
digen. 

Das Haus war ein 


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sah ich mir die neue 
Stadt und den Leuten 
tere auf die Nachricht 
aus ihren Farmen her- 


_ mich zu begrüssen und 


Neugierde zu befrie- 


kreisrundes Gebäude 


von etwa 25’ Durchmesser, mit dicker Lehmwand und einem auf 
derselben ruhenden, konischen Dache von Palmblättern. Es war 
innen durch zwei Lehmwände in drei Räume vertheilt: den 


m. 380 


Parlor oder Empfangs-, Ess- und Arbeitsraum (4A), den Schlaf- 
raum (B) mit einer aus Holz construirten, geräumigen Bettstelle, 
und das Magazin (C), in welchem Mr. CLARK seine Schätze von 
eisernen Töpfen, Kupferkesseln, irdenen Schüsseln, Tellern und 
Kannen, Schiesspulver, Tabak und Baumwollstoffen bewahrte, 
sowie seine zahlreichen, grösstentheils leeren Koffer europäischen 
und amerikanischen Fabrikats. Diese Koffersammlung, die unter 
andern einige recht schöne Stücke enthielt, war CLARK’s Freude 
und Stolz, und er machte sich auch an mich heran, um ihm 


Palaverhaus und Fetischhaus in Hill Town. 


dieselbe bereichern zu helfen. Der Haupteingang führte von dem 
öffentlichen Platze in den Parlor und konnte mit einer aus einem 
Stück Holz geschnittenen Thür, die sich in hölzernen Angeln 
drehte, geschlossen werden. Ueber der Thür baumelte an einer 
Schnur ein zierlich mit arabischen Charakteren vollgeschriebenes 
Stück Papier, und hinter der Schwelle lag eine mit einem zum 
Fetisch gemachten Stück Holz beschwerte Matte, alles um bösen 
Einflüssen oder Zauber den Eingang zu wehren. Im Parlor befand 
sich ausser dem schon genannten Hausrath ein grosser, hölzerner 


— 334 — 


Trog. Auch hatte ich hier meine Präparirkiste und die Sammel- 
kisten hingesetzt, um bei dem durch die niedrige Thür herein- 
fallenden Licht arbeiten zu können. Meine sämmtlichen Vorräthe 
an Tauschwaaren, Kleider, Provisionen, Gewehre und sonstige 
Dinge von Werth barg ich im Schlafraum, der durch eine enge, 
verschliessbare Thüröffnung mit dem Wohnraum verbunden war, 
während eine andere Thür hinter das Haus ins Freie führte. 
Das Magazin hatte keinen besondern Eingang von aussen, stand 
aber mit Wohn- und Schlafraum durch je eine Thür in Verbin- 
dung. Fensteröffnungen waren im ganzen Hause nicht zu finden. 
Einige auf den Wänden ruhende Balken mit darauf festgebun- 
denen, dicht neben einander gelegten Palmblattstielen bildeten 
den Dachboden. Das hohe, konische Dach bestand aus Palmblät- 
tern, der Fussboden aus hartem, zusammengetretenem Lehm. 
Eine kleinere, viereckige Hütte zur Linken des Hauses war für 
Jackson und meine Dienerschaft eingeräumt, und ein ‚rundes 
Häuschen zur Rechten wurde von meiner Haushälterin JAssA 
bewohnt. 

Hill Town, verdient seinen von CLARk erhaltenen Namen voll- 
kommen, da es auf dem abgeflachten Gipfel eines Hügels liegt, der 
sich etwa 150’ über den Flusspiegel erhebt. Der südliche Abhang 
dieses Hügels ist mit einer Mr. CLARK gehörigen Kaffeepflanzung 
bedeckt, die übrigen drei sind mit Buschwald bewachsen. Die 
Umgebung ist hügelig, besonders im Norden und Osten, und 
ein aus waldiger Thalschlucht hervorbrechender, über Felsbarren 
und gigantische Trümmerhaufen niederrauschender Wildbach 
umfliest ostwärts in grossem Bogen den Hügel und liefert dem 
Orte köstliches Trinkwasser. 

Die Residenz CLARK’s war nicht gross, denn sie zählte zusam- 
men nur etwa 15 Häuser, welche um einen in der Mitte der 
„Stadt liegenden, rechteckigen, grossen Platz gruppirt waren. 
Das grösste Gebäude war die kitchen oder das Palaverhaus, 
worin Versammlungen und Gerichtsverhandlungen gehalten wer- 
den; auch kommt man dort zusammen, um zu plaudern, oder 
man hält auf den mit Matten bekleideten Bänken von Thon 
sein Mittagschläfchen, wenn man nicht vorzieht, mit irgend 
einem Unterhaltungsspiele die Zeit zuzubringen. Das ziemlich 


— 335 — 


erosse Gebäude enthielt nur einen einzigen Raum, der auf drei 
Seiten von Wänden umschlossen, an der dem öffentlichen Platze 
zugekehrten Längsseite aber offen war. 

Mitten auf dem grossen Platze stand das Medizin- oder Fetisch- 
haus, eine kreisrunde Negerhütte in kleinem Maasstabe, von 
etwa 6 Fuss im Durchmesser und konischem Dache. Es hatte 
einen Eingang, durch den ein kleines Kind nicht einmal durch- 
schlüpfen könnte; der Zauberer, den OLARK hatte kommen lassen , 
um dasselbe zu bauen und einzuweihen, ein sogenannter murry- 
man (Mandingo-Derwisch), soll drei Tage und Nächte ohne alle 
Nahrungsmittel darin zugebracht und mit seiner Schilffeder 100 
Bogen Papier mit Zauberworten, wahrscheinlich arabischen Koran- 
sprüchen, vollgeschrieben haben. Nachher sei der Derwisch auf 
einmal mitten unter den Leuten erschienen, obwohl ihn niemand 
habe herauskriechen sehen. Darauf wurde das Häuschen einge- 
segnet und der Eingang mit einer Matte verhängt. 

Das Fetischhaus stand unter der schattigen Krone eines Feigen- 
baumes, und um den Baum herum waren zahlreiche Steine 
aufgehäuft, die wie ersterer durch den Zauberer zu Fetischen 
gemacht worden waren. Ganz in der Nähe dieses Baumes, auf 
demselben Öffentlichen Platze, stand ein grosser Busch von 
Sträuchern und kleinern Pflanzen, denen allerlei Heilkräfte zuge- 
schrieben wurden. | 

Die übrigen Gebäude waren theils viereckig, theils kreisrund, 
trugen auf dicken Lehmmauern Dächer von Palmblättern und 
sahen im Allgemeinen recht ärmlich aus. Ueberhaupt war die. 
town keineswegs geeignet, von der Macht ihres Häuptlings eine 
hohe Meinung einzuflössen. Ich erfuhr jedoch bald, dass in der 
Nähe noch einige dazu gehörige halftowns lagen. Die Leute aus 
diesen letzteren mitgerechnet, mochte die Bevölkerung von Hill 
Town etwa 80 Seelen zählen. Mr. CLArk’s Jurisdiction erstreckte 
sich freilich nicht nur über diese handvoll Leute, sondern auch 
über die Bewohner von zahlreichen umliegenden Dörfern. 

Da nun die Eingebornen selbst geringfügiger Streitigkeiten 
wegen ein Palaver veranstalten, so hatte CLArk fast täglich 
Gelegenheit, sein juridisches Talent zur vollen Geltung zu bringen. 
Er hatte einen scharfen Blick und wusste sich mit grosser Ge- 


— 336 — 


wandtheit durch das Gewirr von Anklage und Vertheidigung 
hindurchzuarbeiten um entweder den Nagel auf den Kopf zu 
treffen oder auf salomonische Weise den Knoten durchzuhacken, 
so dass selbst Häuptlinge aus der Ferne herkamen um sich bei 
etwaigen Differenzen seinem Urtheilsspruch zu unterwerfen. Er 
erhob in der Regel Gebühren sowohl von der verlierenden als 
der gewinnenden Partei und hielt sich obendrein das bereits 
erwähnte Magazin mit den zum Rang von Münze erhobenen 
Handelsartikeln. Hatte nun, um einen Betrag zu nennen, die 
verlierende Partei der gewinnenden drei kupferne Kessel zu 
bezahlen, so musste sie anstandshalber dieselben von CLARK 
kaufen; doch da auch die gewinnende Partei ihren Antheil 
an die Gerichtskosten zu bezahlen hatte, so gieng z. B. einer 
der Kessel wieder in das Magazin zurück. Mr. OLARK erzählte 
mir, dass verschiedene dieser Artikel wohl dreissig Mal schon 
ihren Besitzer gewechselt hätten, ohne aus seinen Händen ge- 
kommen zu sein, und dass er an den abgehenden ebenfalls 
schönes Geld verdiene. Ich machte dabei die Bemerkung, dass 
bei uns in Europa nur die verlierende Partei Gerichtskosten 
bezahlen müsse, worauf er lakonisch erwiderte, dass, wer Lust 
habe, Palaver zu machen, d.h. Prozesse zu führen, auch bezahlen 
müsse, denn sonst würde er gar keinen freien Augenblick mehr 
haben. Wer weiss, ob nicht auch bei uns dieses Prinzip vielerorts 
gute Früchte tragen würde! 

Am Abend des ersten Tages sieng es in Hill Town ungemein 
lebhaft her. Zahlreiche Leute waren aus der Umgegend herge- 
kommen, um mit dem weissen Manne, ausser Mr. Day dem 
Ersten, den sie hier zu sehen bekamen, Bekanntschaft zu machen. 
So wimmelte es denn in dem kleinen Platze geradezu von Leuten 
jeden Alters und Geschlechts, und ich hatte fast nicht Hände 
genug, um ihre Grüsse zu erwiedern. Auch einige Jäger aus 
andern Orten hatten sich eingefunden, und diese sowohl als 
die verschiedenen Dorfoberhäupter erhielten Jeder ein Schlückchen 
Branntwein oder etwas Tabak. Nach Einbruch der Nacht begann 
ein grosses Fest, zu dem ich eine grosse Flasche Branntwein 
spendete. Es wurde viel gesungen und nach dem Takte der 
srossen Kriegstrommel und einer kleinern, die ich selbst von 


— 337 — 


Cape Mount mitgebracht, getanzt. Mr. CLARK hatte sich bereit 
erklärt, mir eine Haushälterin zu geben, ein Anerbieten, das 
ich, ohne unhöflich zu sein, nicht wohl abschlagen konnte. Er 
liess mir die Wahl zwischen seiner Tochter Torro und der 
jüngsten seiner in Hill Town anwesenden Frauen. Da die Tochter 
einen beinahe zweijährigen Säugling hatte, der ein fürchterlicher 
Schreihals war, so wählte ich zum grossen Vergnügen JACKSOoN’S 
und meiner boys die kinderlose Jassa, die eben erwähnte Frau 
CLARK’Ss, und füge gerne gleich hier bei, dass ich später diese 
Wahl nie zu bereuen gehabt habe. Jassa mochte gegen 25 Jahre 
alt sein und war also keine blühende Schönheit mehr, doch 
bemühte sie sich gleich vom ersten Tage an so sehr, um es mir, 
soweit es in ihren Kräften stand, an nichts fehlen zu lassen, 
dass ich wirklich kaum eine bessere Wahl hätte treffen können. 
Sie war eine Vey-Negerin aus der Nähe von Robertsport und freute 
sich daher ungemein, als sie Jackson, den sie von früher her 
noch kannte, auf einmal vor sich sah. Wie sie sagte, fiel es ihr 
sehr schwer, sich in die neuen Verhältnisse einzugewöhnen, und 
die Queah-Sprache hatte sie wohl verstehen, aber noch nicht 
sprechen gelernt, weil nicht nur ÜULARK selbst, sondern auch 
seine head-woman (älteste Frau und Gebieterin über den Haus- 
stand), letztere ebenfalls eine geborene Vey-Negerin, sich mit ihr 
in der Vey-Sprache unterhielten. Sie schloss sich daher mit 
srossem Vergnügen an meine Vey-Leute an, kochte für mich 
und gieng des Abends an den bereits genannten Waldbach 
hinunter, um für mich von jenen grossen Garneelen (Palaemon 
macrobrachion) zu fangen, die mir noch vom St. Paulsflusse her 
in angenehmer Erinnerung geblieben waren. 

Die Vergrösserung meines Hausstandes durch Jassa war ebenfalls 
ein Ereigniss, welches bei diesem Abendfeste nach Gebühr gefeiert 
werden musste, und einen andern Anlass gaben die Geschenke, 
die ich für CLARK und seine head-woman mitgebracht. Selbstver- 
ständlich gieng auch meine Haushälterin nicht leer aus und war 
denn auch durch all das Glück, das heute bei ihr eingekehrt, 
sehr fröhlich gestimmt, so dass sie den ganzen Abend sang 
und tanzte, wie eine jugendliche Bajadere. So gerne ich auch 


dergleichen Festen sonst beiwohnte, zog ich mich doch verhält- 
LIBERIA, 1. 22 


— 338 — 


nissmässig früh zurück und begab mich zur Ruhe, doch konnte 
ich bei dem fürchterlichen Lärm lange keinen Schlaf finden. Mitter- 
nacht war längst vorüber, als JAckson hereintrat und mich 
bat, noch auf einen Augenblick herauszukommen. Es war nämlich 
ein grosser Kriegstanz arrangirt, der von ohrbetäubendem Trom- 
mellärm begleitet wurde. Eigentlich war derselbe mehr eine 
theatralische Vorstellung als ein Tanz zu nennen, wobei die 
eine Partei die andere erst mit höhnischen Worten und Gebärden 
zum Kampfe herausforderte. Darauf folgte ein haarsträubendes 
Spiegelgefecht mit blanken Schwertern und Dolchen, dessen 
Wirkung auf den Zuschauer durch den düsterrothen Schein 
des auffllackernden Feuers noch erhöht wurde. Nachdem dieses 
Gefecht eine Weile gedauert hatte, erschien der alte CLARK auf 
dem Kampfplatze, auf dem horizontal nach vorn gebogenen 
Rücken eines Mannes sitzend, der seine Arme um die Lenden 
eines andern, aufrecht vor ihm gehenden Mannes geschlungen 
hatte. Obschon es auf mich einen unsäglich komischen Eindruck 
machte, imponirte offenbar das Reiterkunststück, das CLARK SO 
geschickt in Scene setzte, ungemein, zumal unter allen Anwe- 
senden wohl niemand anders als er selbst jemals einen wirklichen 
Reiter zu Pferde gesehen haben möchte. Der Vormann hatte eine 
Rotangleine als Zügel im Munde, und der alte Rosselenker, der 
im Galopp angesprengt kam, ritt auf die Menge ein, fuchtelte 
mit seinem Schwerte furchtbar in der Luft herum und brachte 
endlich mit gewaltiger Stentorstimme die scheinbar erbittert 
Fechtenden zum Stillstand, worauf das Fest auf meinen Wunsch 
als beendet erklärt wurde. 
Während der nächstfolgenden Tage gieng ich alle Morgen mit 
JACKSoN, begleitet von einem der Leute CLArk’s, aus, mehr 
um die Umgegend genau kennen zu lernen, als um ernstlich 
der Jagd obzuliegen. Die Gegend war nur schwach bevölkert 
und daher fast gänzlich mit dichtem Wald bedeckt. Nur fluss- 
abwärts machte sie eine Ausnahme, denn dort befanden sich 
einige Queah-Dörfer, die ich später manchmal zu besuchen Gele- 
senheit hatte. Den Nachmittag über blieb ich meist zu Hause, 
um unsere Jagdbeute zu präpariren und empfing Leute, die oft 
aus bedeutender Ferne herkamen, um mich zu sehen. Mr. CLARK 


— 339 — 


war ein ausserordentlich liebenswürdiger Gastherr und versah 
mich und den ganzen Haushalt mit Lebensmitteln, d.h. mich 
und Jackson mit Reis, die Diener mit Kassaven; für den Rest 
hatte ich selbst zu sorgen. Wie bereits gesagt, war er vom 
ersten Augenblick an eifrig bemüht gewesen, alle Jäger der 
Umgegend, selbst bis auf weite Entfernung, zu bewegen, um 
für mich zu jagen, in erster Linie aber mit mir Bekanntschaft 
zu machen und zu hören, welche Thiere ich zu haben wünsche, 
Es war nämlich nicht so leicht wie auf meiner ersten Reise, 
durch eigenes Jagen grosse Sammlungen zusammenzubringen , 
da ich mir vorgenommen hatte, diesmal nur nach seltenen und 
unbekannten Thieren zu fahnden und nicht an früher bereits zur 
Genüge Gesammeltem meine kurze, kostbare Zeit zu verschwenden. 
Ich versprach daher den Jägern, die sich zahlreich einstellten, 
für die verschiedenen seltenen Thiere, von deren Vorkommen in 
dieser Gegend ich mich bald überzeugt hatte, sehr hohe Preise. 
Es dauerte denn auch nicht gar zu lange, bis die Leute mit 
allerlei Jagdbeute ankamen, und schliesslich erhielt ich so viel, 
dass es mir kaum mehr möglich war, selbst dem edlen Waid- 
werk nachzugehen. Da unserer zoologischen Ausbeute ein beson- 
derer Abschnitt gewidmet werden wird, so brauche ich hier 
nicht speciell auf die Besprechung derselben einzugehen. 

Ich war nun genöthigt, alle Nachmittage zu Hause zu bleiben ; 
denn jeden Augenblick konnte das eine oder andere seltene Thier 
erwartet werden. Da CLARrk auch fast immer zu Hause war, 
so trat er als Dolmetscher auf, wenn ein Jäger mit Beute 
ankam, und nachdem der Kauf abgeschlossen war, holte ich 
meine Branntweinflasche und kredenzte dem Bringer in einem 
kleinen zinnernen Becher den Jägertrunk. Auch CLArk, der 
ein grosser Verehrer von starken Getränken war, erhielt bei 
solchen Gelegenheiten seinen redlich verdienten Antheil und war 
aus Dankbarkeit stets bemüht, die Thiere so billig wie möglich 
für mich einzukaufen. Um seinen Eifer nicht erkalten zu lassen, 
sondern womöglich noch zu vergrössern, sagte ich zu ihm, als 
er mir eines Tages ein Quantum Reis brachte: „Es ist sehr 
liebenswürdig von dir, dass du mich mit meinen Leuten gastfrei 
hältst, und dies wird dir einigermaassen vergütet durch das viele 


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Fleisch, das infolge meiner Anwesenheit in deine Stadt gebracht 
wird und euch Allen zu gute kommt. Du hast aber auch viel 
Mühe, um jeden Augenblick zwischen mir und den Jägern als 
Vermittler aufzutreten. Ist es nun billig, dass diese Jäger, die 
dich doch weiter nichts angehen, viel Geld verdienen, während 
deine eigenen Bemühungen unbezahlt bleiben? In meinem Lande 
geht es ganz anders. Dort legt jede grössere Stadt einen kleinen 
Zoll auf alles, was von Aussen hereingebracht wird, und dafür 
bestreitet sie den Unterhalt der Wege und andere Ausgaben. 
So musst du mit dem meat (Wild) thun, das mir die Leute 
bringen. Ich schlage die darum vor, das Wild zu einem Preise 
zu kaufen, der denjenigen, den ich dir nenne, nicht übersteigt, 
und nachher erhältst du von mir von je zehn Dollars Einkaufs- 
preis einen Dollar Eingangszoll. Ich könnte dir zwar einen festen 
Preis für jedes Stück Wild bezahlen und dir dann überlassen, 
das Thier möglichst billig vom Jäger zu erhandeln, aber .damit 
würdest du wahrscheinlich machen, dass die Leute bald nichts 
mehr brächten und dadurch nicht nur mir, sondern auch dir 
selbst Schaden zufügen.’ Mein Vorschlag fiel selbstverständlich 
auf sehr empfänglichen Boden, und wir gewannen dabei alle 
Beide, ohne dass die Jäger Schaden litten, da ich selbst die Steuer 
bezahlte, aber auch desto mehr Thiere erhielt. 

Meine Sammlungen waren in kurzer Frist derart angewachsen, 
dass ich sie nicht mehr bergen konnte; auch war mein Tausch- 
material beinahe aufgebraucht. Ich beschloss daher am 13. Januar, 
nach Schieffelinsville hinunterzufahren, um die Sammlungen 
unterzubringen und neue Vorräthe zu holen. Allerlei Geschäfte 
verzögerten die Abreise bis zwei Uhr nachmittags. An den 
mehrgenannten Blow Creek gekommen, fuhr ich diesen hinauf 
nach Upper Blow Town, um einige früher dort zurückgelassene 
Gegenstände mitzunehmen. Im ganzen Dörfchen war nur eine 
Frau anzutreffen, die uns, da weder ich noch meine Vey-Leute 
sie verstehen konnten, nach einem Sumpfcreek in der Nähe 
brachte, wo Alt und Jung mit Fischfang beschäftigt war. Die 
Verbindung mit dem Blow Creek war durch eine Wand von 
dicht nebeneinandergebundenen Palmblattrippen unterbrochen, 
so dass die Fische, die einmal drinnen waren, sich nicht nach 


— 341 -- 


dem Flusse zurückziehen konnten, während das Wasser abfloss. 
Es war gerade Ebbezeit und demzufolge der Wasserstand in der 
Lache sehr niedrig. Es bot sich mir nun ein interessanter Anblick 
dar. Eine unbändige Fröhlichkeit herrschte unter den zahlreichen 
Anwesenden, bald hervorgerufen durch einen glücklichen Fang, 
bald aber auch durch das Gegentheil oder gar durch den Fall 
eines der Betheiligten in den tiefen, schwarzen Schlamm. Auch 
diesmal fiel mir die an Ausgelassenheit grenzende Fröhlichkeit 
und Lachlust der Frauen, namentlich der jüngern, auf. Fast 
alle Anwesenden waren ganz oder beinahe nackt, wenn man 
wenigstens nicht geneigt ist, eine um die Lenden gebundene 
Schnur, die unter gewöhnlichen Umständen das als Anzug 
figurirende Taschentuch festzuhalten bestimmt ist, als Klei- 
dungsstück anzusehen. Die Frauen wateten mit den anderwärts 
zu beschreibenden ovalen Netzen knietief, oft selbst bis an die 
Hüften, im Wasser und schöpften emsig im aufbrodelnden 
Schlamme, sobald sie nur etwas sich darin bewegen sahen. Es 
waren vorzüglich Siluriden (catfish), die von den fröhlichen Fische- 
rinnen herausgeschöpft wurden, während die Mänrer und Knaben 
bei den tiefern Stellen am Ufer standen und auf jeden Fisch, 
auch den kleinsten, der sich im Wasser zeigte, mit einem etwa 
meterlangen Bogen Pfeile von beinahe doppelter Länge abschossen. 
Auch diese Pfeile sollen später eingehender beschrieben werden. 
Die Fische, welche auf diese Weise erbeutet wurden — Fehl- 
schüsse sah ich fast nie — waren meist sogenannte sword-fishes 
(Notopterus afer) von !!a—2: Fuss Länge. 

Leider wurde ich durch diese fröhliche Scene so lange aufge- 
halten, dass wir erst gegen Einbruch der Nacht am obern 
Landungsplatze von Jably, dem Negerdorfe auf der grossen Fluss- 
schlinge, anlegten. Ich liess sofort das Canoe um die Halbinsel 
herumfahren und gieng über Land nach dem untern Landungs- 
platze, wo ich lange vor dem Canoe ankam. In Jably hatte ich 
für einige Blätter Tabak einen Topf voll Kassaven gekauft, die 
eine Frau zu ihrem Abendessen gekocht hatte, stillte davon 
meinen Hunger und überliess den Löwenantheil meinen Ruderern, 
die nach einer Weile ebenfalls ankamen. Darauf fuhren wir 
sofort weiter, um vor gänzlichem Dunkelwerden noch einige 


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gefährliche, unter der Oberfläche des Wassers liegende Baum- 
stämme passiren zu können. Inzwischen war die Fluth eingetreten, 
und es erforderte bedeutende Kraftanstrengung von Seiten meiner 
Leute, um das schwerbeladene Canoe vorwärts zu bringen. Kurz 
nach Einbruch der Nacht hörte ich, wie auf der ersten Fahrt 
nach Blow Town, das laute Quacken der grossen Flughunde 
und war diesmal so glücklich, einen derselben, der sich zufällig 
auf das Wasser heraus in meinen Bereich wagte, herunterzu- 
schiessen und in Besitz zu bekommen. Dies war der letzte 
Schuss aus meiner schönen Doppelflinte. Kaum eine Viertel- 
stunde später — finstere Gewitterwolken hatten sich indessen 
zusammengezogen und uns in rabenschwarze Nacht gehüllt — 
stiess unser Canoe auf einen schräg aus dem Wasser empor- 
ragenden Baumast und drohte umzuschlagen. Durch rasches 
Lehnen auf die andere Seite konnte ich zwar das Kentern ver- 
hindern, doch liess unglücklicherweise. das Gewehr los, welches 
quer über meinen Knieen lag, und dieses schlug bei der plötzlichen 
schaukelnden Bewegung über Bord und verschwand in der Tiefe. 
Sofort schaute ich nach dem nahen Ufer und glaubte die Stelle, 
ohne sie mit einem Zeichen zu versehen, an einigen sonderbar 
seformten Baumkronen später leicht erkennen und das Gewehr 
bei Tage wieder auffischen zu können. An das beinahe unzu- 
sängliche Ufer zu fahren, wäre Thorheit gewesen, da die Gefahr 
des Kenterns dann noch grösser gewesen wäre. Zudem fing es 
stark zu regnen an, so dass wir so rasch wie möglich die 
Fahrt fortsetzten. Ich war durch diesen plötzlichen Verlust 
meiner besten Waffe ganz niedergeschlagen und die Sorge, ob 
ich den Platz auch wiederfinden könne, wollte keinen Augenblick 
von mir weichen, als ich später noch mehrere Stellen am Ufer 
sah, die derjenigen, welche ich mir gemerkt hatte, sehr ähnlich 
waren. Die Fahrt, welche übrigens bei der wachsenden Fluth 
. auch sehr langsam förderte, schien kein Ende nehmen zu wollen, 
und erst um 10 Uhr abends kamen wir, bis auf die Haut durch- 
nässt, an unsere Station in Schieffelinsville, wo Alles bereits in 
tiefer Ruhe lag. 

Freund Stauprrı hatte wieder heftige Anfälle von Malaria gehabt 
und war ganz entkräftet, doch gieng es ihm bereits wieder etwas 


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besser. Da ich vor meiner Abreise nach Hill Town hohe Preise 
auf das Einbringen von allerlei Fledermäusen ausgesetzt hatte, 
war er während meiner Abwesenheit in den Besitz verschiedener 
sehr werthvoller Exemplare gelangt; unter diesen befand sich 
auch der schon genannte Epomophorus monstrosus. 

Am folgenden Morgen waren wir schon früh beschäftigt, unsere 
Sammlungen nachzusehen und neue Vorräthe einzupacken, da ich 
so rasch wie möglich nach Hill Town zurückreisen und unterwegs 
nach dem verlorenen Gewehre fischen wollte. Um 12 Uhr mittags 
fuhr ich ab, begleitet von Mr. SmitH, einem Liberianer aus Schief- 
felinsville, der schon mehrmals gesunkene Gewehre aufgefischt 
hatte. Bei rasch zunehmender Ebbe fuhren wir langsam fluss- 
aufwärts; doch wie sah jetzt die Uferlandschaft anders aus als 
während der Nacht! So sehr ich mich auch anstrengte, um die 
geringfügigsten Einzelheiten ins Gedächtniss zurückzurufen, war es 
mir doch geradezu unmöglich, mit Sicherheit die gewünschte Stelle 
anzugeben, da ich keine einzige fand, die mit der mir eingeprägten 
völlig übereinstimmte. Schliesslich glaubte ich dieselbe gefunden 
zu haben, und Mr. SumitH begann sofort mit einem grossen, mit 
Blei beschwerten Haken nach dem Gewehr zu fischen, jedoch 
vergeblich, so dass ich die Hoffnung aufgeben und die Fahrt 
ohne dasselbe fortsetzen musste. Bei unserer Ankunft in Jably 
sieng bereits die Sonne unter, und als wir den Blow Creek 
passirten, war die Nacht hereingebrochen. Man hatte mich zwar 
in Jably vor einer nächtlichen Flussfahrt gewarnt, doch hatte ich 
gehofft, noch vor Einbruch gänzlicher Finsterniss wenigstens Go 
Town zu erreichen, um am nächsten Morgen unserm Ziele etwas 
näher zu sein. Da ich den Flusslauf während der ersten Fahrt 
in mein Taschenbuch eingetragen hatte, so konnte ich jedesmal, 
wenn wir an eine grosse Biegung kamen, beim Lichte von Streich- 
hölzern ablesen, wo wir uns befanden, sowie auch die ebenfalls 
eingetragenen Stellen finden, wo die Fahrt durch im Wasser 
liegende Baumstämme unsicher war. Die Fluth, welche bis 
ziemlich weit oberhalb Hill Town noch bemerkbar ist, war 
uns jedoch günstig und kamen wir gut vorwärts; zudem trugen 
meine braven Ruderer, die mir sehr ergeben waren, ihr Möglich- 
stes zu einem raschen Vorwärtskommen bei. Das grösste Hin- 


— 344 — 


derniss war ein Baum, der, wahrscheinlich während des Gewitters 
in der letzten Nacht, mit seiner gewaltigen Krone quer in den 
Fluss gefallen war und in welche wir mitten hineinfuhren. Erst 
glaubte ich, dass ich nicht gut Ausschau gehalten hätte und 
wir im Ufergebüsch festsässen, doch hatte ich mich durch 
Licht bald vom wahren Sachverhalt überzeugt. Wohl eine halbe 
Stunde dauerte es, bis wir uns aus dem Labyrinth von Aesten 
wieder herausgearbeitet und eine enge Passage am andern Ufer 
entdeckt hatten, wo es endlich gelang, uns hindurchzuzwängen. 
Noch eine Biegung, und dann mussten wir in der Nähe von Go 
Town sein, deren Lage ich mir früher genau gemerkt hatte. Ich 
suchte darum meinen todmüden Ruderern Muth einzuflössen, indem 
ich ihnen eine reichliche Abendmahlzeit in Go Town versprach. 
Endlich hatten wir die Biegung erreicht, und bald darauf zeigten 
sich auch am linken Ufer die gigantischen Gestalten der Woll- 
bäume, hinter welchen das gesuchte Dorf liegen musste. Da wir 
in der Finsterniss unter den überhängenden Bäumen den Lan- 
dungsplatz nicht finden konnten — der Fluss war infolge des 
sestrigen Gewitters wenigstens um zwei Fuss gestiegen — schoss 
ich mein Gewehr ab, und die beiden boys riefen aus Leibeskräften, 
während sie sich mit den Händen an den überhängenden Zweigen 
festhielten. Es dauerte nicht lange, bis wir Antwort erhielten, 
und bald darauf kamen einige Männer aus dem Dorfe mit Feuer- 
 bränden an und halfen uns die Landung bewerkstelligen, woraut 
das Canoe festgebunden und wir selbst mit unserer Habe nach 
Go Town gebracht wurden. Hier wies mir der Häuptling Go 
seine Hütte als Schlafplatz an. Das Feuer in derselben wurde 
aufgeschürt, und meine wackern Leute erhielten einige rohe 
Kassaven, die wir uns, nachdem dieselben im Feuer geröstet 
waren, trefflich schmecken liessen. Obwohl Mitternacht nicht 
mehr fern war, kam doch die ganze Bevölkerung des kleinen 
Dorfes in und vor der Hütte zusammen, um den späten, weissen 
Gast anzustaunen. Der Häuptling sprach ziemlich gewandt Englisch 
und konnte sich mit meinen boys auch in der Vey-Sprache unter- 
halten, da er früher längere Zeit in der Nähe von Robertsport 
gelebt hatte. Als schliesslich die Leute keine Miene machen 
wollten, sich zurückzuziehen, erklärte ich dem Häuptling, dass 


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ich müde sei und schlafen wolle, worauf er sie sofort Alle weg- 
schickte und sich selbst in eine benachbarte Hütte zurückzog. 
Der Eine meiner boys leste sich nun auf die aneinandergereihten 
Kisten, der Andere hinter der Thüre auf die Erde zur Ruhe 
nieder, umd ich selbst streckte mich auf das harte Bett des Häupt- 
lings aus und fiel, müde wie ich war, bald in tiefen Schlaf, 
aus dem ich leider wiederholt durch ein weithinschallendes ka-ka- 
karrr, den Paarungsruf von Francolinus lathami, einem rebhuhn- 
artigen Vogel, geweckt wurde. 

Schon ziemlich früh am nächsten Morgen setzten wir nüchtern 
unsere Reise fort und kamen ohne weitere Abenteuer gegen 
acht Uhr in Hill Town an. 

Hier hörte man mit grosser Theilnahme von dem Verlust des 
schönen, vielbewunderten Gewehres, dessen sämmtliche Eisen- 
theile, mit Ausnahme der Läufe, vernickelt waren und die man 
daher stets für Silber gehalten hatte. Sofort erklärte Mr. UOLARK, 
gleich am nächsten Tage mit zwei Canoes und einigen guten 
Tauchern den Fluss hinunterfahren zu wollen, um unter meiner 
Leitung das Gewehr aufzusuchen. Da ich dessen Verlust noch 
immer nicht verschmerzen konnte, so willigte ich gerne ein, 
und so fuhren wir denn am Sonntag (16. Januar) mit zahlreichen 
Leuten in zwei Canoes ab. In dem einen derselben sass CLARK 
mit acht, im andern ich selbst mit fünf Ruderern. Es entspann 
sich sofort ein heisser Wettkampf, in welchem CLARK’S etwas 
schadhaftes Canoe, obschon besser bemannt, bald weit zurückblieb. 
Ich liess an drei verschiedenen Stellen, wo das Gewehr nach 
meiner Vermuthung liegen konnte, tauchen und half selbst 
getreulich mit, indem ich mit einem schweren, an einer langen 
Leine befestigten Stein den Boden des Flusses sondirte. Aber 
alles war vergeblich. An der einen Stelle war das Wasser 17, 
an der zweiten 20 und an der dritten sogar 23—24 Fuss tief, 
und obwohl die Taucher ihr Möglichstes thaten und aus dieser 
Tiefe noch Baumäste und Hände voll Schlamm mit herauf- 
brachten — das Gewehr fanden sie nicht. Inzwischen war es 
Abend geworden, und die Leute, die bekanntlich das Sprichwort 
fime is money noch nicht kennen, waren nicht zu bewegen, 
weiter als bis Jably zu fahren. Dort blieben wir während der 


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Nacht und kehrten am Montag wieder nach Hill Town zurück. 

Am Abend des 18. Januar wurde mir ein halb erwachsenes 
liberianisches Flusspferd gebracht, das ein eingeborner Jäger in 
der Nähe der Stadt geschossen hatte, und von einem andern 
Jäger kaufte ich gleichzeitig ein schönes, altes Moschusthier. 
Diese beiden interessanten Thiere freuten mich sehr, und nachdem 
ich den Kauf abgeschlossen und die Leute bezahlt hatte, machte 
ich mich eifrig an die Arbeit des Präparirens. Sämmtliche 
Bewohner von Hill Town und der benachbarten Dörfer erhielten 
Fleisch in Ueberfluss. Mr. CLArk hatte sich, wie gewohnt, die 
Eingeweide ausgebeten, die bei diesen Leuten als grosser Lecker- 
bissen gelten. Das Filet des Flusspferdes wurde, während ich 
an der Arbeit sass, am Spiess gebraten, eine Art der Zuberei- 
tung, die mir stets sehr gut gefiel. Das Fleisch des freilich noch 
jungen Thieres erinnerte etwas an Wildschweinefleisch und 
schmeckte köstlich. Zu Ehren der reichen Beute veranstalteten 
die Leute für den Abend ein grosses Fest. Ich wurde stets von 
einer grossen Menschengruppe umstanden,, die meinen Arbeiten 
zusah, jedoch ohne mich zu stören. JAcKSoN und die boys halfen 
emsig mit, bis ich endlich ungefähr um 5 Uhr morgens Häute 
und Skelette beider Thiere fertig hatte. 

Kaum hatte ich ein paar Stunden geschlafen, als ich Bericht 
erhielt, dass in der Nähe von Bo Wong, einer weiter land- 
einwärts gelegenen Stadt, ein grosses Flusspferd geschossen 
worden sei und ich sofort herkommen möchte, um dasselbe an 
Ort und Stelle zu zerlegen, da es viel zu schwer sei, um es 
unzerlegt hieherzubringen. Da man uns erzählte, dass der genannte 
Ort nicht weit entfernt sei, so brach ich, begleitet von JACKSON, 
zweien meiner Diener, Mr. CLARK und dem Manne, der den Bericht 
brachte, auf, ohne erst zu frühstücken. In schnellem Marsch folgten 
wir unserm Führer auf schmalen Waldpfaden über Berg und 
Thal, erst durch mir bekannte Gegenden, dann aber durch unbe- 
kanntes Gebiet, nach einem in einer Lichtung gelegenen Neger- 
dorfe, einer sogenannten halftown von Bo Wong, woselbst ich 
hörte, dass das Ziel unseres Marsches nur noch etwa 10 Minuten 
Gehens entfernt sei. Ohne uns lange aufzuhalten, zogen wir 
weiter und traten bald in offenes Land hinaus, das im Hinter- 


— 341 — 


srunde von einem bewaldeten, in nordwest-südöstlicher Richtung 
streichenden Bergrücken begrenzt wurde. In dem hinter diesem 
Bergrücken liegenden Thale sollte die Stadt Weflah liegen, deren 
Häuptling mit CLARK verwandt war. 

Unmittelbar vor uns lag Bo Wong, die grösste Queah-Stadt, 
die ich bis jetzt betreten hatte. Sie war ganz nach Art der 
alten, soliden Golah-Städte gebaut und erinnerte mich in mancher 
Hinsicht an Bojeh und Bommo. Die meisten Gebäude standen 
auf einer hohen Basis von hartem Thon, so dass ich z.B. vier 
hohe Stufen hinaufsteigen musste, um in das grosse, kreis- 
runde Haus des Häuptlings zu gelangen. Auch das Palaverhaus 
und das Fetischhäuschen waren auf dieselbe Art gebaut, und 
das gute Aussehen auch der gewöhnlichen Wohnhäuser liess auf 
einen gewissen Wohlstand der Bewohner schliessen. 

Hier hörten wir nun, dass das Flusspferd schon am vorigen 
Abend geschossen worden sei und noch auf dem Platze, an dem es 
gefallen, in einem kleinen Waldsumpfe „ganz in der Nähe” liege. 
Wieder zogen wir weiter, diesmal begleitet vom Häuptling des 
Ortes selbst, dem glücklichen Schützen und etwa zwanzig andern 
Männern. Ganz nahe hinter dem Dorfe passirten wir auf einem 
gefällten Baumstamme, etwa 20’ über dem Wasser, den Bo 
Creek. Dieser war jetzt beinahe trocken, doch soll er in der 
Regenzeit als Verkehrsstrasse von der mehrerwähnten Stadt 
Careysburg nach dem Du Queah dienen, weshalb er auch unter 
dem Namen Careysburg Creek bekannt ist. Nachdem wir wohl 
eine Stunde lang auf Umwegen durch dichten Wald marschirt 
waren, erreichten wir endlich die Stelle, an der das Thier lag. 
Es war ein ganz ausgewaächsenes, weibliches Exemplar, das, 
tödlich getroffen, in eine grosse Wasserlache hineingerannt und 
dort verendet war. Durch die starke Gasentwicklung wie eine 
Trommel aufgeblasen, hatte es sich aus dem Schlamme, in dem 
es erst stack, herausgehoben und schwamm nun, den grünlich 
grauen Bauch, in welchem die vier kurzen, dicken Beine wie 
eingesteckt erschienen, nach oben gerichtet, auf der Wasser- 
lache). Es bestand keine Möglichkeit, das Thier, so wie es war, 


I) Siehe das Titelbild dieses Capitels. 


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herauszuheben, ja nicht einmal, sich ihm zu nähern, ohne in 
eine bodenlose Schlammasse zu versinken. Ich liess daher durch 
die Leute Faschinen aus Baumästen machen, die neben dem 
Thier in den Schlamm getreten wurden und auf welchen dasselbe 
endlich erreicht werden konnte. Mit vieler Mühe wurde es nun 
herausgeschleppt, worauf ich die nöthigen Maasse nahm und 
dann, mit Hülfe von Jackson und einem Diener, mit dem 
Abhäuten begann. Nach etwa zwei Stunden war die Arbeit so 
weit gediehen, dass der ausgeweidete Rumpf entfernt werden 
konnte. Den Kopf und die vier Extremitäten liess ich vorläufig 
in der Haut und rollte diese Letztere zu einem grossen Ballen 
zusammen, worauf sie an einen langen Pfahl gebunden und nur 
mit Mühe von zwei starken Männern weggetragen wurde. Mit 
dem Kadaver geschah ein Gleiches. Selbst die Eingeweide waren 
so schwer, dass ein einziger Mann sie nicht zu tragen vermochte; 
sie wurden deshalb ihres Inhaltes entledigt und dann. ebenfalls 
weggebracht. Ich schätzte das Gewicht des ganzen Thieres, von 
dem die dicke Haut sowohl als das auffällig dickknochige Skelet 
ausserordentlich schwer waren, auf wenigstens 800 Pfund. Auf 
einem andern, etwas kürzern Wege kehrten wir nun nach Bo 
Wong zurück, von wo aus wir, da noch kein Frühstück für 
uns bereit war und ich bange sein musste, dass bei längerm 
Aufenthalt die Haut des Thieres verderben würde, sofort die 
Rückreise antraten. Vor dem Abmarsche kamen indessen der 
Häuptling von Weflah und einige seiner Leute mit einer schönen 
Doria-Antilope an, die sie am Morgen geschossen hatten. Der 
Häuptling war auf dem Wege nach Hill Town, um mir die 
Antilope zu bringen und mich zugleich nach Weflah mitzu- 
nehmen, da ich ihm früher bereits einen Besuch versprochen 
hatte. Ich erklärte ihm jedoch, dass vorläufig nichts, daraus 
werden könne, da ich nun viel zu viel Arbeit habe und auch 
erst nach Monrovia gehen müsse, um neue Tauschwaaren zu 
holen. Er gab mir nun, etwas enttäuscht, seine Leute sammt der 
schönen Antilope mit, und so reisten wir ab. Es waren zahl- 
reiche Leute aus Bo Wong mitgekommen, um die Lasten tragen 
zu helfen, hauptsächlich aber wohl, um so viel Fleisch wie nur 
immer erhältlich nach Hause zurückzubringen, da ich, um das 


"NMOL TIIH NI SYHAUHAISSATA SYHA LANNNNV, 


‚aanıyf HV4 am) nd 


IIA 


— 349 — 


Thier zu bekommen, von vorne herein erklären musste, das 
Fleisch nicht behalten zu wollen. Für Haut und Skelet, frei 
nach Hill Town geliefert, versprach ich 20 Dollars zu bezahlen. 
In der genannten halftown wurde nur ein kurzer Augenblick 
gerastet, und ich ass, als ob es aus Scherz wäre, mit einer 
Negerin einen hölzernen Napf voll gekochter Maniokknollen leer, 
denn in Wirklichkeit hatte ich grossen Hunger. Der Häuptling 
‚dieses Ortes hatte viele schöne Mähnenschafe und prachtvolle, 
starke Ziegen, die er mir jedoch nicht verkaufen wollte Zum 
Andenken an unsere kurze Bekanntschaft schenkte er mir ein 
aus einer Kalebasse verfertigtes, hübsches Pulverhorn. 

In raschem Schritte giengs nun, unter fürchterlichem Halloh 
und Hornblasen, waldeinwärts. Grössere Kraftleistungen als auf 
diesem Marsche habe ich kaum jemals gesehen. Es war, als ob 
die wilde Jagd durch den finstern Urwald raste. Die Träger, je 
zwei an jedem der beiden Pfähle, rannten auf den oft steilen, 
krummen Pfaden so rasch bergauf und -ab, dass ’ich, JACKSON 
und der alte CLARk, obwohl wir nichts zu tragen hatten, 
kaum mit ihnen Schritt zu halten vermochten und keinen Augen- 
blick stillstehen durften aus Furcht, die unaufhaltsam vorwärts- 
eilende Karawane nicht mehr einholen zu können. 

Etwas nach 5 Uhr nachmittags kamen wir in Hill Town an. 
Hier bewirthete ich den glücklichen Jäger, der das Flusspferd 
geschossen, ebenso die Träger, die es gebracht. Es waren ihrer 
viele, da in kurzen Zwischenräumen gewechselt wurde, ohne 
dass der Zug nur einen Augenblick stillstand, indem die neuen 
Träger während des Gehens ihre Schultern unter den Pfahl 
schoben, worauf die Andern zur Seite traten. Dann bezahlte ich 
den bedungenen Preis für das Thier aus und gab sowohl dem 
Jäger als den Trägern die ihnen zukommenden Geschenke. Da 
es manchen meiner Leser interessiren dürfte, zu erfahren, welche 
Waaren man bei diesen Leuten an Geldesstatt anbringen kann, 
möge hier das Verzeichniss der ausbezahlten Gegenstände folgen: 
20 Yards Calico (weisser Baumwollenstoff), 12 grosse Taschen- 
tücher, 1 Paar schwer vergoldete Ohrringe, 1 Taschenmesser, 
3 Fässchen Schiesspulver, 4 Feuersteingewehre, 6 Pfund Tabak, 
1 seidenes Foulard, 1 Kiste Gin (Branntwein). Für einen ge- 


— 350 — 


ringern Betrag hätte ich einen Sklaven oder eine Frau kaufen 
können! Ausserdem erhielt der Jäger noch als Geschenk zwei 
Pfund Tabak und eine Flasche Branntwein, so dass mich die 
Haut und das Skelet dieses Thieres, die Abgabe an CLARK mit- 
serechnet, auf ungefähr 25 Dollars zu stehen kam. 

Da die Träger auf das Fleisch des Thieres warten mussten, 
konnten sie am selben Tage nicht mehr abreisen und blieben in 
Hill Town über Nacht. Hier führten sie wilde Kriegstänze auf, 
und die ganze Stadt, die nun reichlich mit Fleisch versehen war, 
da ich es mit dem Verabreichen an die Träger nicht allzu genau 
nahm, feierte mit. Ich selbst aber war mit JAckson und meinen 
Dienern vollauf beschäftigt, Kopf und Füsse des Thieres aus der 
Haut zu präpariren, letztere zu conserviren und das Skelet 
abzufleischen. Nachher kam die Antilope an die Reihe, und 
wieder brach beinahe der Tag an, als ich mich auf einige Augen. 
blicke zur Ruhe niederleste. 

Inzwischen war von STtAMmPFrLı Bericht gekommen, dass er 
ernstlich erkrankt sei. Ich beeilte mich daher, nach Schieffe- 
linsville hinunter zu fahren, um nach ihm zu sehen und zugleich 
meine Jagdbeute unterzubringen. Schon um acht Uhr morgens 
(20. Januar) reiste ich ab und kam um ein Uhr bei STAMPFLI 
an, der zwar elend aussah, aber bereits wieder das Bett ver- 
lassen konnte. Sofort wurden nun unsere Sammlungen nachge- 
sehen und geborgen, was auch den ganzen folgenden Tag noch 
in Anspruch nahm. Allerlei kleinere Gegenstände derselben 
wurden verpackt, um sie nach Monrovia mitzunehmen und mit 
einem gerade dort anwesenden Schiffe nach Holland zu senden; 
auch wurde alles für die am folgenden Tage anzutretende Reise 
bereit gemacht. Ich freute mich sehr auf dieselbe, weil ich hoffte, 
bei dieser Gelegenheit den ganzen Lauf des obern Junk River, 
sowie die Grasfläche, welche diesen vom Messurado River trennen 
sollte, kennen zu lernen und wo möglich in Karte zu bringen. 


NL. 


Reise nach Monrovia und den Fällen 
des Du Queah. 


az 


Der Junk River. — Uferland- 
. schaft. — Der Cut-off Creek. — 
Old Field. — Paynesville und 
die Öongoneger. — Mrs. Thomas’ 
Place. — Der Messurado River. — 
Ankunft in Monrovia. — Rück- 
reise nach Schieffelinsville. — 
Nach Hill Town. — Das erste 
Fieber. — Nach den Wasserfäl- 
len. — Barrikaden im Flusse. — 
Hoher und niedriger Wasser- 
stand. — Kassavepflanzungen. — 
Nachtruhe in Bassuiby. — An- 
kunft in Jeh. — Abstecher nach 
& Weflah.— Fortsetzung der Fluss- 

reise. — Elephantenspuren. — Der 
hohe Berg. — Mittagsrast. — 
Nachtlager im Walde. — Das Ge- 
biet der Stromschnellen. — Die 
Wasserfälle. — Rückreise nach 
Weflah. — Der alte Chimpanse. — 
Nach Hill Town zurück. — Etwas 
über Mr. CLARK. — Nach Schief- 
felinsville. 


0% 


Mangrovelandschaft am Messurado River. 


Am Sonnabend 22. Januar um 7 Uhr früh sass ich wieder im 
Canoe, um die Reise nach Monrovia über Oldfield anzutreten. 
Im Gegensatz zum Du Queah fand ich den Junk River, den wir 
nun hinauffuhren, mit wenigen Ausnahmen sehr gerade, ungefähr 
parallel mit der Küste verlaufend, oft sogar sich derselben noch 


Zen 


mehr nähernd, als dies bei Schieffelinsville der Fall war, so dass 
wir während unserer Fahrt stellenweise die Brandung deutlich 
hören konnten. Die mit geringen Ausnahmen sumpfigen Fluss- 
ufer waren erst mit dichtem Pandanuswald bewachsen. Röthliche, 
seradlinige und überall gleich dicke, mit warzenartigen Stacheln 
besetzte Stützwurzeln trugen den auf einer Höhe von 3—8’ über 
dem Wasser beginnenden Stamm, und dieser wieder die sparrig 
abstehenden, mit je einem Blätterbüschel versehenen Aeste, von 
welchen letztern schwere, melonenartige und mit dornigen Höckern 
besetzte, grasgrüne Früchte herunterhingen. Der Pandanus ist 
ein Charakterbaum der sumpfigen Flussufer Liberia’s, welcher nicht 
nur dem Neuling, sondern auch demjenigen, der sich allmälig 
an eine derartige Landschaft gewöhnt hat, stets neues Interesse 
einflösst. Uebrigens kommt der Pandanus, wie wir noch in 
diesem Capitel und auch später sehen werden, nicht nur am 
Unterlaufe der Flüsse vor, sondern selbst oberhalb der Strom- 
schnellen, wo das Wasser niemals brackig wird. Weiter fluss- 
aufwärts wird der Pandanus durch Mangrovewald ersetzt, der 
jedoch häufig mit Weinpalmenbeständen abwechselt, deren grün 
und röthlich geschäftete, lange Fieder über das stellenweise ganz 
mit den mehrgenannten weissen Blumen bedeckte Uferwasser 
hereinhängen. Obschon wir in der angenehmen Morgenfrische 
rasch vorwärts kamen, hatten wir doch über eine Stunde, stets 
in ungefähr westlicher Richtung fahrend, im Canoe gesessen, 
als wir endlich den ersten Landungsplatz am Ufer antrafen. 
Ein schmaler Fusspfad führt von diesem einen kleinen Abhang 
hinauf zu der Niederlassung eines Liberianers, Mr. RUNDALL, 
der hier ein etwas einsiedlerisches Dasein fristet. Dieser Platz 
liegt am Abhang eines niedrigen Höhenzuges, welcher, wahr- 
scheinlich aus dem Innern kommend, hier am Flusse sein Ende 
erreicht. 

Oberhalb Mr. Rundall’s Place beschreibt der Fluss eine gewal- 
tige Schlinge, und die dadurch gebildete Halbinsel ist mit 
mächtigen Bäumen bedeckt. Ein schmaler Waldcreek, der nur 
zur Fluthzeit und auch dann nur mit Canoes passirt werden 
kann, schneidet die grosse Schlinge an der Basis ab und gewährt 
demjenigen, welcher zur günstigen Zeit ankommt, wohl eine halbe 


— 353 — 


Stunde Zeitersparniss. Auch wir machten von diesem Creek, 
der seiner Eigenschaft wegen der cut-o/f genannt wird, Gebrauch. 
Zahlreiche Felstrümmer — die einzigen am ganzen Junk River — 
die am Eingange des Creeks liegen und auch den Boden des 
Wassers bedecken, lassen auf eine felsige Unterlage des hier 
auslaufenden Hügels schliessen. Ich kann mir nichts anderes 
denken, als dass dieser Creek ein Ueberrest des einstigen Fluss- 
bettes ist und wahrscheinlich auch bald wieder zu seinem vollen 
Rechte kommen wird. Bald hatten wir den breiten Fluss wieder 
erreicht, und weiter gieng es in gerader, nun etwas nordwestlicher 
Richtung, ohne dass die einförmige Landschaft sich merklich 
änderte. Nur die Bäume wurden etwas höher und stämmiger, 
und ab und zu zeigte sich ein kleiner Inlet. Wieder hatten wir 
etwa eine Stunde gefahren, als sich bei einer starken nördlichen 
Biesung des etwa 60 M. breiten Flusses ein bedeutender, nörd- 
licher Nebenfluss zeigte, der sogenannte Careysburg Creek, der 
in der Regenzeit bis beinahe nach Careysburg hinauf fahrbar sein 
soll. Wie mir vorkommt, ist dieser Oreek als der eigentliche 
Hauptarm des Junk aufzufassen, denn bald darauf wird der 
andere, dem wir nun folgten, sehr schmal und unbedeutend und 
ist eigentlich mehr ein Quellbach als ein Fluss zu nennen. .Von 
hier ab ist die Uferlandschaft gänzlich verändert und geradezu 
ein Idyll geworden. Ein ganzer Wald von hochstämmigen , grossen 
Mangrovebäumen und eben solchen Pandanus, die ihre Kronen 
über das fast plötzlich schmal gewordene Fahrwasser zusammen- 
wölben, verbreiten angenehme Kühle. Das Wasser ist hier oben, 
obschon es zur Fluthzeit bedeutend aufgestaut wird, stets trinkbar 
und hell wie Krystall; es beherbergt zahlreiche, brunnenkressen- 
artige Pflanzen, die oft unter dem Wasser grosse Teppiche bilden 
und ihrerseits wieder zahlreichen Fischen Nahrung und Zuflucht 
bieten. Der letzte schmale Wasserarm verzweigt sich am wald- 
bedeckten Rande der grossen Grassteppe, die den Junk- vom 
Messurado River trennt, in zahlreiche Quellbäche, und einem 
derselben folgend, wobei man oft das Canoe zwischen überhän- 
gsendem Gebüsch durchschieben musste, erreichten wir etwas 
nach 10 Uhr die Grassteppe. Dort zogen wir unsere beiden Canoes 


auf das Ufer, verbargen Ruder und Sitzbänke im Gebüsch und 
LIBERIA, 1. 23 


— 84 — 


dann den Weg über Land nach dem Messurado River an. Die 
ganze Grasfläche, Old Field (altes Feld) !) genannt, ist eine nur 
schwach undulirte Ebene, die als echte Savane häufig durch 
kleine Gehölze unterbrochen wird, aus denen zahlreiche Oelpalmen 
emporragen und der Gegend einen malerischen Anstrich geben. 
Der Boden besteht aus weissgelbem Sand und ist mit etwa 1-3 
hohem, halbverdorrtem Gras bedeckt, welches bei vorgerückterer 
Trockenzeit abgebrannt wird, so dass nachher der Boden ganz 
schwarz aussieht, bis die wiederkehrenden Regen demselben frisches 
Grün entlocken. Auch hier findet man über die Grasfläche zerstreut 
Anona senegalensis, jenen verkrüppelten, strauchartigen Baum, 
den ich in den Savanen um den Fisherman Lake so häufig antraf 
und der dieser Landschaft einen eigenthümlichen Charakter ver- 
leiht. Dem breiten, sandigen Fusspfade folgend, schritten wir bei 
glühender Sonnenhitze in westnordwestlicher Richtung weiter, bis 
wir endlich nach etwa fünf Viertelstunden Gehens bei dem weit- 
läufigen Dorfe Paynesville den östlichsten Arm des Messurado 
River erreichten. 

Paynesville, so genannt nach Mr. PAyne, dem früheren 
Präsidenten der Republik, ist eine bedeutende Niederlassung von 
Congonegern, die sich selbst als Liberianer betrachten, aber 
bis dahin sich nur wenig mit Letztern vermischt, auch noch 
immer viele Nationaleigenthümlichkeiten bewahrt haben. Sie 
sind alle Christen geworden und haben in Paynesville, auch wohl 
schlechtweg Oldfield genannt, zwei Kirchen, eine für Baptisten, 
die andere für Methodisten. 

Früher hatte ich immer geglaubt, dass Oldfield ziemlich weit 
von der Küste entfernt liege und der Junk River einen mehr nörd- 
lichen Ursprung hätte. Ich war daher nicht wenig erstaunt, dort 
sehr deutlich das Tosen der Brandung zu hören und vernahm denn 
auch auf meine Frage, dass die Küste in gerader Linie nicht 
mehr als zwei bis drei miles weit entfernt sei. Die Grassteppe 
soll sich in südlicher Richtung bis beinahe zur Meeresküste, nörd- 
lich aber ziemlich weit landeinwärts ausdehnen; sie ist jedenfalls 
die grösste Savane, die ich in Liberia kennen gelernt habe. 


') Nicht wörtlich, in der Bedeutung von früherm Ackerland, aufzufassen. 


— 3855 — 


Einen eigenthümlichen Anblick bietet der Messurado River, der 
hier seinen Ursprung hat. Derselbe erhält nämlich seine Wasser- 
zufuhr durch verschiedene, wie die gespreizten Finger einer Hand 
zusammenlaufende Creeks, welche durch sandige Bodenerhebungen 
von einander getrennt sind und von zahlreichen Quellen genährt 
werden. Den Paynesville Creek, einen dieser Arme, auf 
einem Kunstdamme überschreitend und die westlich davon gelegene 
niedrige Bodenerhebung kreuzend, kamen wir gegen 12 Uhr an 
einen andern Flussarm, den sogenannten Head River, und 
kehrten dort im Hause einer Mrs. THomAs, wo STAMPFLI während 
seiner ersten Reise eine Zeit lang stationirt war, ein. Mrs. THOMAS, 
eine herzensgute alte Frau, und Mrs. WARE, ihre Tochter, em- 
pfingen mich sehr zuvorkommend. Da Erstere an die vom Junk 
River kommenden Leute Fahrzeuge vermiethet, um nach Monrovia 
zu fahren, so bestellte ich ihr grösstes Canoe und ruhte, während 
meine Leute dasselbe bereit machten, in der Veranda ihres 
Hauses etwas aus, denn der Marsch über das Grasfeld in der 
glühenden, durch den weissen Sand kräftig zurückgestrahlten 
Sonne hatte mich etwas ermüdet. Nach den Angaben von Mrs. 
THomAs construirte ich ein Schema des Messurado River mit 
dessen Zuflüssen und ihren Namen, um auf der Fahrt nach Mon- 
rovia einige Anhaltspunkte für die Anlage meiner Flusskarte 
zu haben. 

Es war gerade Ebbe und daher der niedrigste Wasserstand, 
als ich an den Fluss hinunterkam, um in das inzwischen bereit- 
gemachte Canoe zu steigen. Der ganze breite, Head River genannte 
Flussarm, der etwas weiter oben sackartig beginnt, ohne einen 
eigentlichen Zufluss aufzunehmen, war jetzt nichts als eine schwarze 
Schlammasse, in deren Mitte ein schmaler, unbedeutender Was- 
serstreif' das kaum brauchbare Fahrwasser andeutete. Dieses 
gänzliche Fehlen bedeutender Wasserzufuhr aus dem Innern — 
die übrigen Arme des Flusses endigen auf dieselbe Weise — 
bestärkte mich in der bereits früher begründeten Ansicht, dass 
der Messurado River mit seinen Ufergebieten als eine Lagune aufzu- 
fassen sei, welche infolge leichter Hebung des Bodens theilweise 
abgelaufen ist. Eine specifische Mangrove-Atmosphäre umgab uns, 
sobald wir das Flussufer erreicht hatten, und das Vorgefühl von 


-- 356 — 


nahendem Fieber kam über mich, als ich zum Canoe hingetra- 
gen wurde, welches draussen im Fahrwasser lag. 

Das Canoe war nun mit acht Ruderern bemannt, worunter 
drei Leute von CLARK und die zwei Personen von Weflah, welche 
mir die Antilope gebracht hatten und die gerne einmal Monrovia 
und das Meer sehen wollten. Das Fahrwasser durchschnitt in 
zahlreichen Windungen die riesige Schlammfläche, so dass es 
uns fast nicht möglich war, den richtigen Weg zu finden. Ueberall 
starrten uns trostlose, nun im halb abgetrockneten Schlamm 
noch trauriger aussehende Mangrovebüsche entgegen. Der Unter- 
schied zwischen diesem niedrigsten Wasserstande und dem höchsten 
zur Fluthzeit, dessen Grenzlinie man deutlich an den hohen 
Wurzelbögen der Mangrove ablesen konnte, beträgt etwas über 
zwei Meter. 

Sehr bald sahen wir zu unserer Linken den bereits erwähnten 
Paynesville Creek einmünden, der seinerseits schon früher den 
sogenannten Flat Creek aufgenommen hatte, und kurz darauf 
vereinigte sich mit dem breiter gewordenen Fahrwasser der 
ebenfalls links einmündende Cooper’s Creek. Von hier ab 
verfolgt der Fluss in zahlreichen, zum Theil sehr scharfen Krüm- 
mungen längere Zeit eine nordwestliche Richtung, wobei er erst 
zur Rechten den George Carey’s Creek und upmmer 
darauf den Congo Town Creek aufnimmt. Obschon wir gegen 
die mit Macht einströmende Fluth anzukämpfen hatten, kamen 
wir doch, dank der Anstrengungen meiner Ruderer, rasch 
vorwärts und erreichten innerhalb einer Stunde eine seeartige 
Wasserfläche, in welche von rechts her der Witherspoon 
Creek einmündet. Dieser ist beinahe ebenso breit als der Hauptarm 
des Flusses und wird schon oberhalb seiner Einmündung durch 
einen Quer-Creek mit diesem verbunden. Hier sahen wir zum 
ersten Male, gerade vor uns im Westen, den Leuchtthurm von 
Monrovia. Der Fluss wurde nun merkbar breiter. Um eine scharfe 
Ecke herum nach Süden äbbiegend, wurden wir von einem 
reizenden Landschaftsbilde überrascht. Ein Ausläufer des Höhen- 
zuges, der das Vorgebirge Messurado bildet, drängte sich mit 
steiler Uferwand dicht an den Fluss heran, und unter schönen 
Mangobäumen und Kokospalmen zeigte sich das weissgetünchte 


— 3517 — 


Landhaus von Mrs. RoBERTS, der Wittwe des ersten Präsidenten 
von Liberia. Etwas später zweigt sich links ein breiter Creek ab, 
welcher mitten durch ausgedehnte Mangrovesümpfe hin nach New 
Georgia am Stockton Creek führt und so die kürzeste Weasser- 
strasse von Oldfield nach dem St. Paul’s River bildet. | 

Von hier nimmt der Messurado River eine westliche Richtung 
an und erreicht stellenweise eine seeartige Breite, so dass bei 
den oft plötzlich entstehenden Tornados die Fahrt per Canoe sehr 
gefährlich werden kann. Der Mangrovewald, der von Cooper’s 
Creek bis zum Witherspoon Creek sehr hoch ist und mit den 
aus seinen Aesten ins Wasser herunterhängenden, tauartigen 
Luftwurzeln !) einen interessanten Anblick gewährt, wird nun 
sehr niedrig und monoton, begleitet aber den Fluss beiderseitig 
bis nach Monrovia hinunter, woselbst wir um halb drei Uhr unter 
furchtbaren Kraftanstrengungen und lautem Gesange der Ruderer 
unsern Einzug hielten. Die Compassaufnahme des Messurado 
River datirt erst von verschiedenen spätern Fahrten, denn kaum 
hatten wir Mrs. THomaAs’ Place verlassen, als mich in der dumpfen 
Mangroveluft. in der auch nicht der leiseste Windhauch Kühlung 
brachte, der Schlaf dergestalt übermannte, dass ich nicht einmal 
im Stande war, den Compass abzulesen und, wenn mir dies 
gelang, ich die Richtung schon wieder vergessen hatte, bevor 
sie noch zu Papier gebracht war. 

Da am Sonntag alle Waarenhäuser (stores) geschlossen sind, 
erledigte ich sofort nach der Ankunft meine Geschäfte und besorgte 
die nöthigen Einkäufe, worauf ich den Abend zusammen mit 
den holländischen und deutschen Handelsagenten zubrachte. Fast 
jedesmal, wenn man nach längerm Aufenthalt im Innern wieder 
an die Küste zurückkommt, findet man Veränderungen im 
Personal der weissen Kaufleute. So auch diesmal. Mein alter Freund 
VAN DER MEULEN war etwa acht Tage vor meiner Ankunft mit 
zerrütteter Gesundheit nach Holland abgereist, woselbst er seither 
auch gestorben ist, und HARTERT, der frühere Vertreter der 
belgischen Firma in Robertsport, lag gefährlich krank in Monrovia 
und wartete auf die erste Gelegenheit, um nach Deutschland 


') Siehe das Titelbild dieses Capitels. 


— 358 — 


zurückzukehren. Am folgenden Morgen hatte ich so starkes Nasen- 
bluten, dass ich davon ganz schwach und schwindlig wurde 
und infolgedessen erst gegen Abend die Rückfahrt nach Paynes- 
ville anzutreten wagte. Ohne Unfall kamen wir, bei hohem 
Wasserstande, erst lange nach Dunkelwerden in Mrs. Tuomas’ 
Place an, wo ich die Nacht über zu bleiben beschloss. 

Am Montag früh reisten wir weiter. Die Ruderer waren schwer 
mit Lasten beladen. Am Junk River angekommen, fanden wir 
unsere zwei Canoes unversehrt vor und fuhren mit fallendem 
Wasser nach Schieffelinsville hinunter, wo wir um 12 Uhr mittags 
anlangten. Schon um 2 Uhr, sobald das Wasser wieder zu steigen 
begann, setzte ich mit den beiden Canoes die Reise nach Hill 
Town fort, kam denselben Abend noch bis Go Town und erreichte 
erst am adorn Tage um 9 Uhr morgens die Station, wo mich 
sofort ein heftiges Fieber aufs Bett warf. 

Glücklicherweise gelang es mir, durch starke Dosen Chinin 
weitern Fieberanfällen an doch war ich die ganze 
Woche unwohl, so dass ich mich mit dem Sammeln von Insekten 
in der nächsten Umgebung der Station begnügen musste. 

Da in kürzester Frist ein Schiff nach Holland abgehen sollte, 
so fuhr ich am Sonnabend wieder nach Schieffelinsville hinunter, 
um einen weitern Theil der Sammlungen zur Versendung bereit 
zu machen. Meinen Jäger Jackson liess ich zur Bewachung der 
Station in Hill Town zurück. Ich selbst blieb in Schieffelinsville, 
um die Rückkehr StTAmPprLi’s abzuwarten, der am Sonntag abreiste, 
um die zur Versendung bereit liegenden Naturalien nach Monrovia 
zu. schaffen. 

Schon früher hatte ich die Absicht, einmal nach den Wasser- 
fällen des Du Queah, von welchen man mir in Hill Town oft 
erzählte, zu reisen und bei dieser Gelegenheit den Fluss, von 
dessen Oberlauf mit Ausnahme der Eingebornen Niemand etwas 
Genaues wusste, kennen zu lernen und in Karte zu bringen. In 
Hill Town kannten: die Eingebornen den Fluss nur bis zu 
dem mehrgenannten Orte Weflah hinauf, indessen machen sie 
die Reise dorthin stets zu Fusse, da diese nur einige Stunden 
dauert, während die Flussreise mindestens einen ganzen Tag in 
Anspruch nimmt. Ich musste daraus schliessen, dass der Fluss 


— 859 — 


zwischen beiden genannten Orten entweder zahlreiche Schlingen 
machen oder einen grossen Bogen beschreibe, was mein Verlangen, 
denselben kennen zu lernen, noch vergrösserte. Ich wurde frei- 
lich von allen Seiten vor dieser Unternehmung gewarnt, da der 
Fluss an vielen Stellen durch hineingestürzte Bäume versperrt 
und zu dieser Jahreszeit, beim niedrigsten Weasserstande, 
eine Reise im Canoe mit den grössten Hindernissen verbunden, 
wenn nicht geradezu unmöglich sei. Auch konnte man nicht be- 
sreifen, ja man fand es geradezu lächerlich, dass ich darauf 
bestand, die mühevolle Reise zu Wasser zu machen, während 
man doch die Wasserfälle in viel kürzerer Zeit und bequemer 
zu Fusse erreichen könne. Der Fluss hat bei diesen Leuten eben 
nur die Bedeutung einer Wasserstrasse; dass es mich aber inte- 
ressirte, seinen Lauf kennen zu lernen, nur um ihn „aufschreiben” 
zu können, lag ihnen zu fern. 

Am Dienstag 1. Februar kam StanmprLı aus Monrovia zurück, 
worauf ich sofort die Reise nach Hill Town antrat. Noch am 
nämlichen Abend kam ich dort an. CLARK, der mir versprochen 
hatte, mich auf der Fahrt nach den Fällen zu begleiten, war 
für einige Tage verreist, sehr wahrscheinlich um nicht mitgehen 
zu müssen, doch war er vor der Abreise so vorsorglich gewesen, 
einen jungen Mann, der etwas Englisch sprach und den Flusslauf 
zu kennen vorgab, zu meiner Verfügung zu stellen. 

Am folgenden Morgen, 2. Februar, waren wir schon früh reise- 
fertig. Die Gesellschaft bestand ausser mir aus JACKSON, meinen 
Dienern Boß und JoHn und dem Führer und Dolmetscher PETER, 
welcher das Canoe zu steuern hatte. Da wir voraussichtlich das 
Fahrzeug oft über Baumstämme hinzuschleppen , vielleicht stellen- 
weise sogar zu tragen hatten, fand ich es rathsam, das kleine 
Canoe zu wählen, das, weil neu, etwaige derbe Stösse leichter 
ertragen konnte. Meine Bagage war auf das Allernöthigste be- 
schränkt. In einen kleinen Koffer hatte ich Kleider und Wäsche, 
Geschenke für Häuptlinge, Tauschwaaren zur Bezahlung von Dienst- 
leistungen, Lebensmitteln und etwaigen Naturalien, die nöthigen 
Instrumente und Chemikalien zum Präpariren und Conserviren 
von Thieren, sowie allerlei Reiseutensilien verpackt. Eine andere 
kleine Kiste enthielt die Sammelbüchse mit einem Quantum 


— 360 — 


Spiritus zur Aufnahme von Naturalien, eine dritte meinen photo- 
graphischen Apparat. Auch eine Kugelbüchse und ein paar Jagd- 
gewehre nebst der nöthigen Munition führten wir mit. 

Die erste Fahrt auf einem Flusse, den man weder aus eigener 
Anschauung, noch aus Karten und Beschreibungen kennt, über 
den selbst die Eingebornen nur dunkle oder oberflächliche Mit- 
theilungen zu machen vermögen, ist stets ein Stück Entdeckungs- 
reise und daher sehr interessant und spannend. Jeden Augenblick 
ertappt man sich selbst bei falschen Vorstellungen, die man sich 
zum Voraus gemacht hat; stets bieten sich wieder andere Ufer- 
partieen, überraschende Biegungen, durch hereingestürzte Bäume 
verursachte, malerische Barrikaden, die für denjenigen, der sie 
im Canoe passiren muss, ebensoviele Fragezeichen sind! Auf 
dem leeren Millimeterpapier des Notizbuches projiciren sich nach 
und nach zahlreiche, oft nahezu geschlossene Schlingen, die man 
ohne eine genaue Combination von Compassablesungen und Ab- 
standsgissungen kaum ahnen würde, denn nur diese beiden liefern 
den Beweis, dass man, beinahe im Kreise herumfahrend, wieder 
an unsefähr derselben Stelle ankommt, die man vor vielleicht 
einer halben Stunde schon passirt hat. 

Mit freudig gehobener Stimmung setzte ich mich daher, als 
alles in Ordnung gebracht war, in das schwanke Fahrzeug, 
während hinter mir JAckson, meine Ruderer und PETER der Steuer- 
mann Platz nahmen. Im Anfang zeigte der Fluss dasselbe Bild wie 
unterhalb Hill Town; er war 30—50’ breit und hatte, da gerade 
Ebbe war, bedeutendes Gefälle Unsere Hauptrichtung blieb ein 
paar Stunden lang die südöstliche, wurde später beinahe rein 
östlich und nachher sogar nordöstlich. Hohe, senkrechte Ufer 
engsten den Fluss zu beiden Seiten ein, und gar bald kamen wir 
an ein Labyrinth von durcheinander gestürzten Bäumen, zwischen 
welchen wir nur mit einiger Mühe das Canoe hindurchzwängen 
konnten. Nach kaum einer halben Stunde erreichten wir den 
am linken Ufer liegenden Landungsplatz des Queahdorfes Blutuby, 
bis wohin noch die Flut der See hineindringt, worauf wir links 
abbogen und durch zwei grosse Schlingen eine halbe Stunde später 
am obern Landungsplatze desselben Dorfes ankamen. Ohne uns 
aufzuhalten, passirten wir nach und nach die Dörfer Sommai, 


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— 361 — 


Boiwaiu, beide am linken Ufer, und darauf Blanwy und 
Bapua’s Town auf dem rechten Ufer, Bald darauf bogen wir 
nach Nordosten ab und behielten, zahlreiche Krümmungen abge- 
rechnet, diese Richtung bis zum Abend bei. Um halb zwölf pas- 
sirten wir Cawan’s Town am rechten Ufer und kamen gegen 
12 Uhr, nachdem wir eine sehr enge Schlinge befahren, an 
den felsigen Landungsplatz von Gokwokong, einem Neger- 
dorfe, das etwa fünf Minuten vom rechten Ufer landeinwärts 
inmitten grosser Kassavepflanzungen lag. Hier dachte ich irgend 
einen gefälligen Häuptling zu finden, der uns für Geld und gute 
Worte eine Mahlzeit vorsetzen würde, doch war in dem kleinen, 
armseligen Neste fast niemand zu Hauze, und da auch der 
Häuptling sowohl als seine head-woman abwesend waren, mussten 
wir uns mit einigen gerösteten Kassaven begnügen, die eine 
sutmüthige alte Frau mir schenkte und welche letztere ich 
dafür zu ihrer grossen Freude mit einigen Blättern Tabak und 
eine Thonpfeife belohnte. Auch hier wurden wir vor einem weitern 
Vordringen zu Wasser gewarnt, ja man erklärte dies sogar- als 
eine Unmöglichkeit und sagte, dass alle Hindernisse, denen wir 
bisher begegnet, nicht der Rede werth seien gegenüber dem, was 
uns noch bevorstehe. Selbst mein Führer und Dolmetscher rieth 
mir, zurückzukehren oder den weitern und viel kürzern Weg nach 
Weflah über Land zurückzulegen. Doch vergeblich. Wie ich nach 
Weflah kam, war mir Nebensache, den Flusslauf aber wollte 
ich, soweit es gieng, um jeden Preis kennen lernen. So fuhren 
wir denn gegen ein Uhr weiter und kamen nach Ueberwindung 
zahlreicher Hindernisse eine halbe Stunde später an die Stelle, 
wo sich der Bo- oder Careysburg Creek, den ich schon bei Bo 
Wong kennen gelernt hatte, durch eine Felsschlucht in den 
Fluss ergiesst. Derselbe hatte aber, obschon ziemlich breit, so 
wenig Wasser, dass man unmöglich mit einem Canoe hätte 
hineinfahren können. Bei hohem Wasserstande, also in der 
Regenzeit, soll er freilich eine brauchbare Wasserstrasse nach 
Careysburg bilden. 

Nach allerlei Schwemmaterial zu urtheilen , das in den Aesten der 
überhängenden Bäume angetroffen wurde, musste der damalige nied- 
rigste Wasserstand wenigstens 15’ niedriger sein als der höchste 


— 964 — 


in der Regenzeit. Das Flussbett war nun sehr eng, höchstens 
20— 30’ breit, das Gefälle, welches hier durch keine eindringende 
Fluth mehr beeinflusst wird, also sehr stark. Das benachbarte 
Land schien ziemlich flach zu sein und war mit Hochwald und 
Kassavepflanzungen bedeckt. Reis wird in diesen Gegenden nicht 
gebaut. Ueberhaupt habe ich im ganzen Lande keine Gegend 
angetroffen, in welcher die Eingebornen sich so ausschliesslich 


Du Queah River. Versperrte Passage. 


von Kassaven nährten, als dies beim Queahstamme der Fall ist. 
Die fast überall senkrechten Uferwände hatten hier eine Höhe 
von 15° und bestanden nicht mehr ausschliesslich aus Thon, 
sondern sehr häufig aus einem nagelfluh-artigen, harten Conglo- 
merat von durch eine eisenharte Cementmasse verbundenen, 
abgerundeten Kieseln, wahrscheinlich altem Gerölle, das von 
einer zähen Bindemasse verkittet worden ist. Eine derartige, 


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— 363 — 


etwa 10' hohe Felsmasse befand sich etwas weiter oben mitten 
im Flusse und verlängerte sich unten in eine flussabwärts gekehrte 
Bank von Schwemmsand und Thon. Darauf folgte wieder ein 
wüstes Chaos von durcheinander gestürzten Bäumen, das uns, 
wie schon früher mehrmals, nöthigte auszusteigen, das Canoe 
auszuladen und es mit unsäglicher Mühe theils durch, theils 
über das Labyrinth hinzuschleppen (siehe nebenstehende Abbildung). 

Etwas weiter oben kamen wir an das Negerdorf Schekwo 
(rechtes Ufer) und dann in scharfem Bogen nach einem Dörfchen 
hoch auf dem linken Ufer, dessen Bewohner sämmtlich abwesend 
waren .und wo ich so viele zahme Hühner antraf, wie sonst 
noch nirgends. Bei einem noch weiter flussaufwärts gelegenen 
Orte, ebenfalls auf dem linken Ufer, dessen Namen ich zu 
notiren vergessen habe, giengen wir wieder an Land, und die 
dort wohnenden Leute versicherten uns, dass wir die Stadt Jeh, 
den Anlegeplatz für das weiter landeinwärts gelegene Weflah, 
der vielen Hindernisse wegen vor Einbruch der Nacht nicht mehr 
erreichen könnten. Obschon es noch nicht sehr spät war, begab 
ich mich unter Geleite von einigen Eingebornen und JACKSON 
zu Fusse nach der mehr flussaufwärts auf einem 250’ hohen 
Hügel gelegenen Stadt Bassuiby und liess das Canoe bis an 
den dortigen Landungsplatz durchfahren, was der vielen Hinder- 
nisse wegen sehr viel Zeit kostete. Die Abhänge dieses hohen 
Hügelrückens waren mit Kassavepflanzungen bedeckt. In Bassuiby 
angekommen, wurde ich vom Häuptling Zorv, einem guten Freunde 
CLARK’Ss, empfangen, der mir sofort sein eigenes Haus zur Ver- 
fügung stellte, in dessen Vorraum ich die Diener unterbringen 
konnte, während ich mit Jackson den innern, mit zwei harten 
Betten versehenen Raum in Beschlag nahm. Von Zoru erhielt 
ich ein Huhn zum Geschenk, das Bog für mein Mittagsmahl zube- 
reitete. Die Stadt zählte etwa 20 meist ärmlich aussehende Hütten, 
und da sie ganz oben auf dem Rücken des abgeholzten Hügels 
lag, bot sie eine freie Aussicht auf die hügelige und fast gänzlich 
mit Wald bedeckte Umgebung. Infolge der bereits eingebrochenen 
Dunkelheit war die Aussicht jedoch sehr beschränkt, und am 
nächsten Morgen bedeckte ein dichter Nebel Berg und Thal, so 
dass man kaum fünfzig Schritte weit sehen konnte. Im Nord- 


— 8364 — 


nordosten vom Hügel von Bassuiby liest, parallel mit diesem 
und von ihm durch ein tiefes Thal getrennt, ein ganz bewaldeter 
Bergrücken, dessen Höhe ich auf 400’ schätzte. 

Die Bewohner von Bassuiby, besonders die Frauen, interes- 
sirten sich sehr für ihren weissen Gast, und der Häuptling, ein 
sehr bescheidener, anständiger Mann, suchte mich zu überreden, 
für längere Zeit bei ihm zu bleiben, eine Vorschlag, auf den 
ich natürlich nicht eingehen konnte. Am Abend war grosses 
Fest, bei dem ich mich jedoch nur einen Augenblick zeigte, da 
ich er müde war und mich nach dem Niederschreiben der noth- 
wendigsten Notizen zur Ruhe leste. 

Schon in aller Frühe am nächsten Morgen machten wir uns 
reisefertig. Einige am vorigen Abend vom Häuptling erbetene 
Kassaven wurden im Feuer geröstet und bildeten ein willkom- 
menes, warmes Frühstück; denn es war empfindlich kalt, und 
der dichte, feuchte Morgennebel drang mir durch die dünnen 
Kleider bis auf die Haut. Nachdem ich den Häuptling mit etwas 
Tabak, und seine head-woman mit einem Taschentuche beschenkt, 
marschirten wir den Hügel hinunter, wobei die hohen, thau- 
triefenden Kassavepflanzen uns bis auf die Haut durchnässten. 
Die Hauptrichtung des Flusses war nun Nordnordost-Südsüdwest, 
und das Gefälle sehr bedeutend. Wieder hatten wir zahlreiche Hin- 
dernisse, verursacht durch versperrte Passage, zu überwinden, 
so dass ich, wie übrigens schon am vorigen Tage, manchmal 
selbst mit Hand anlegen musste, um das Canoe über Baum- 
stämme hinbugsiren zu helfen. 

Um 7°, Uhr kamen wir an den Landungsplatz von Jeh am 
rechten Ufer und stiegen aus, um zu Fusse nach dem etwas 
abseits gelegenen Weflah zu gelangen. Jeh ist ein jedenfalls 
sehr alter Ort von etwa 10 ärmlichen Hütten, ebenfalls durch 
Queahleute bewohnt, und liegt auf einem steil zum Flusse abfal- 
lenden, 250°’ hohen Hügel. Es kostete mich, obwohl des Kletterns 
sonst gewohnt, bedeutende Mühe, den steilen, durch Regen 
ausgewaschenen Pfad hinanzuklimmen. Oben angekommen, ver- 
nahm ich, dass Weflah noch eine gute Stunde Gehens weiter 
Tsamelehenn liege. 

Der Hügel, auf welchem Jeh liegt, ist der äusserste Vorsprung 


— 365 — 


eines langen Bergrückens, der sich aus dem Innern in nordwest- ” 
südöstlicher Richtung bis an den Fluss hinzieht, und als dessen 
Fortsetzung höchst wahrscheinlich der Bergrücken zu betrachten 
ist, den ich von Bassuiby aus gesehen hatte. Wahrscheinlich 
verläuft er parallel mit dem Bergzuge, den ich in Bo Wong sah 
und an dessen südwestlichem Fusse sich der Bo- oder Careysburg 
Creek entlang zieht. Diese beiden parallelen Bergzüge schliessen 
das schmale, waldbedeckte Thal ein, in welchem die Stadt Weflah 
liegt, die ich nun zu besuchen beabsichtigte. Im Nordnordwesten 
von Jeh erhob sich ein noch viel höherer, zweikuppiger Berg- 
rücken, von welchem später noch die Rede sein wird. 

Der Häuptling von Jeh war nicht zu Hause, ebenso wenig 
als seine head-woman, doch erhielt ich von einer andern Frau für 
mich und meine Leute ein Frühstück, bestehend aus gestampften 
und stark mit spanischem Pfeffer gewürzten Kassaven. In der 
kleinen Dorfschmiede war ein Mann eifrig beschäftigt, einige 
Buschmesser, sogenannte billhooks, zu repariren, wobei er sich 
eines Steins als Ambos, eines eisernen Hammers und einer sehr 
primitiven hölzernen Klammer als Zange bediente. 

Auch hier wurde uns sofort erklärt, dass die Fahrt weiter 
flussaufwärts unmöglich sei, doch dass man zu Lande die Wasserfälle 
in einem halben Tage erreichen könne. Dieselben seien aber um 
diese Jahreszeit infolge der geringen Wassermenge nicht bedeutend, 
in der Regenzeit jedoch so stark, dass man deren Rauschen auf 
srossen Abstand hören könne. Alle diese Versicherungen konnten 
jedoch meinen Entschluss, den Fluss soweit möglich zu befahren , 
nicht erschüttern. Nach kurzer Rast setzten wir zu Lande die 
Reise nach Weflah fort; denn ich hatte dessen Häuptling ver- 
sprochen, seine Stadt auf jeden Fall besuchen zu wollen. 

Der Weg führte uns wieder hügelabwärts in eine waldbedeckte 
Thalsohle und dann in der Ebene erst in westlicher, dann aber 
nördlicher Richtung nach Weflah, wo wir um 9 Uhr ankamen. 
Hier hörte ich, dass der Häuptling in einer benachbarten Stadt einem 
Palaver beiwohne. Einer der wenigen Männer, die zu Hause 
waren, nahm nun die grosse Kriegstrommel, setzte diese aut 
einen freien Platz mitten in der Stadt und schlug darauf allerlei 
verschieden combinirte Zeichen, um dem Häuptling in der Nach- 


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barstadt zu melden, dass sein weisser Gast angekommen sei 
und auf ihn warte. Bald kam eine auf die nämliche Weise 
gegebene Mittheilung, wir möchten ein wenig Geduld haben, 
der Häuptling würde bald selbst erscheinen. Es war dies das 
erste Mal, dass ich die Trommel als Fernsprecher verwenden sah. 
In südlichern Gegenden der Westküste Afrika’s, und ganz besonders 
am Kamerun, ist das Fernsprechen mit Hülfe der Trommel 
allgemein gebräuchlich. 

In Erwartung des Häuptlingss sah ich mir Weflah, nach 
dessen Gründer auch Sick Town genannt, etwas näher an. Wie 
mir schien, war der Ort noch ziemlich neu. Er zählte nicht mehr 
als zwölf Häuser und einige kleine, nur als Schlafstätten benutzte 
Hütten. Ausser einigen Frauen und Kindern war beinahe niemand 
zu Hause, und ich entschloss mich daher, selbst nach der benach- 
barten Stadt zu gehen, wo das grosse Palaver abgehalten wurde, 
da ich sicher war, dort zahlreiche Leute und darunter vielleicht 
ausser dem Häuptling auch noch andere Bekannte zu finden. 
JACKSON und ein Mann aus Weflah begleiteten mich. Nach einem 
Marsche von ungefähr einer halben Stunde erreichten wir die 
Stadt, woselbst das Palaver noch stets in vollem Gange war. 
Indessen machte ich Bekanntschaft mit einigen Leuten aus der 
Umgegend und kaufte sechs prachtvolle, lebende Latham-Frankoline 
und zwei junge, sogenannte bush-cats (Nandinia binotata). Nach 
Schluss des Palavers kehrten wir, vom Häuptling begleitet, nach 
Weflah zurück. 

Unser Gastherr war, wie JACKSON sich ausdrückte, ein echter 
Buschnigger und daher nicht gewohnt, Fremde zu empfangen und 
denselben das Leben bei sich angenehm zu machen. Wohl aber 
nahm er schmunzelnd den schönen, unzerbrechlichen Spiegel und 
die Flasche Branntwein an, die ich ihm als Geschenk mitbrachte; 
doch damit noch nicht zufrieden, suchte er mir alle möglichen, 
selbst die unentbehrlichsten Sachen abzubetteln, während er selbst 
uns am Nothwendigsten Mangel leiden liess. In der Nacht wurde 
bei Mondschein ein grosser Kriegstanz aufgeführt, an dem sich 
alle jungen Leute aus der ganzen Umgegend betheilisten. Auch 
hier wurde mir von einer Reise zu Wasser weiter flussaufwärts 
ernsthaft abgerathen ; doch da meine Leute sich bereit erklärten, 


— 867 — 


mitzugehen, so wurde die Abreise auf den folgenden Morgen 
festgesetzt. 

Am Freitag 4. Februar marschirten wir in aller Frühe ab und 
kamen eine Stunde später nach Jeh, woselbst wir von der freund- 
lichen, stark beleibten Frau des dortigen Häuptlings ein kleines 
Frühstück, sowie zehn Kassaven und ebenso viele Bananen mit 
auf den Weg bekamen, wofür ich ihr einige Blätter Tabak schenkte. 
Hierauf stiegen wir den steilen, stellenweise beinahe senkrechten 
Pfad zum Flusse hinunter und traten um 7° Uhr die Reise 
nach den Fällen an. 

Die Gegend war anfangs nicht verschieden von derjenigen unter- 
halb Jeh, und die Richtung der Fahrt erst N.N.O., dann aber 
N. W.; auch waren die Krümmungen des Flusses bei weitem nicht 
mehr so zahlreich und stark wie weiter unten. Wohl aber wurde 
der Fluss stellenweise noch enger, die beiderseitigen Steilufer 
höher, das Gefälle stärker. Hie und da war noch etwas gelich- 
teter Wald anzutreffen, doch während die Gegend unterhalb Jeh 
noch bevölkert ist, fanden wir oberhalb des Ortes keine lebende 
Seele mehr, was für uns um so unangenehmer war, als ich in 
der Hoffnung, ab und zu einen bewohnten Platz anzutreffen , 
ausser den in Jeh zufällig erhaltenen Kassaven und Bananen 
keinen Proviant mitgenommen hatte. 

Weiter oben fanden wir ganz frische Elephantenspuren und 
stiegen aus, um uns dieselben näher anzusehen. Sie gehörten 
einem alten und einem jungen Elephanten, wahrscheinlich einer 
Mutter mit ihrem Jungen, an und waren wohl drei Fuss tief in 
den Uferschlamm eingedrückt. Weiter waldeinwärts waren sie 
weniger tief, und die grösste derselben führte durch dichtes, 
etwa mannshohes Gestrüpp, dem man keineswegs ansah, dass 
ein Elephant hindurchgegangen, in den Wald hinein. Um der 
Spur folgen zu können, musste ich unter dem Gebüsch am 
Boden entlang kriechen. Wie aber kam- der Elephant hindurch? 
Ich stand unwillkürlich still, um darüber nachzudenken und 
kam zu dem Schlusse, dass der Koloss über die niedrigeren Par- 
tieen hinschreite, während er sich, den Rüssel als Keil gebrau- 
chend, durch das höhere, mit Lianen verwachsene Gebüsch hin- 
zwänge, wozu eben zwei Dinge nöthig sind: die Riesenkraft und 


— 368 — 


der dicke Hautpanzer eines Elephanten. Weiter drinnen im eigent- 
lichen Walde fand ich abgedrehte, starke Baumäste mit noch 
ganz frischen Blättern. Leider wollte sich keiner der Gesellen 
zeigen; überdies fehlte es auch an Zeit, um uns auf eine Begeg- 
nung mit diesen Thieren einzulassen. 

Kurz nach der Weiterfahrt schoss ich einen europäischen Ufer- 
läufer (Actitis hypoleuecos) und sah die ersten Wittwen-Bachstelzen 
(Motacilla vidua). Etwas weiter oben trafen wir wiederum einen 
hohen Felsen mitten im Flusse an, worauf der letztere eine 
fast ausschliesslich norwest-südöstliche Richtung annahm. 

Eine grosse und ziemlich scharfe Biegung nach W.S. W. 
machend, sahen wir ganz unerwartet auf geringen Abstand vor 
uns einen hohen Berg, dessen Abhang ungeheuer steil, stellen- 
weise fast senkrecht, in den Fluss abfiel. Ich schätzte seine 
Höhe auf wenigstens 1000. Seine Hänge sowohl als der Gipfel 
waren dicht mit Hochwald bedeckt, dessen über einander sich 
aufthürmende Kronen mit den sonderbarsten Farbennüancen vom 
dunkelsten Loorbeergrün bis in Roth und Gelb einen wunder- 
vollen Eindruck machten, so selbst, dass meine Ruderer,, welchen 
schon früher die herrliche, an den überraschendsten Efiekten 
überreiche Uferlandschaft sichtlich imponirt hatte, in laute Bewun- 
derung ausbrachen, ein gewiss starker Beweis für die treffende 
Schönheit der Scenerie, wenn man bedenkt, dass gewöhnliche 
Naturschönheiten diese Leute meist gänzlich kalt lassen. Es 
war wirklich, als ob uns der Weg plötzlich durch eine unge- 
heure, grüne Mauer versperrt würde, ja als ob der Fluss mitten 
aus dem Berge auf einmal ans Tageslicht träte. Näher herange- 
kommen, sahen wir ihn plötzlich den Fuss des Berges entlang 
nach N. W. abbiegen. Haushoch hingen, gleich riesigen Tauen, 
die Ranken aus den Baumkronen ins Wasser herunter, und 
ausgedehnte Partieen waren laubenartig mit dichtem Grün bedeckt. 
Unwillkürlich schaute ich nach rechts, wo ich einen ebenfalls 
steil abfallenden Höhenzug vermuthete, denn ich Konnte mir 
im Augenblicke nichts anderes denken, als dass wir ein enges, 
durch Erosion gebildetes Thor passirten, und dass sich hinter 
dem durchbrochenen Bergrücken ein grosses Querthal befinden 
müsse. Doch sah ich nichts als das gewöhnliche hohe Steilufer, 


— 369 — 


von dem riesige Bäume ihre Aeste hoch über das Wasser aus- 
breiteten. Hätte nicht der Fluss selbst uns vergönnt, den Berg 
auf einigen Abstand direkt vor uns zu sehen, dann wären wir 
wahrscheinlich ganz ahnungslos an demselben vorbeigefahren. 
Dies war zweifelsohne derselbe Berg, den ich schon von Jeh 
aus gesehen hatte, und die nachherige Zusammenstellung der Karte 
scheint mir zur Genüge zu beweisen, dass es derselbe Berg 
ist, den ich von dem hohen Hügel bei Schieffelinsville im 
ÖOstnordosten, von Marshall aus im Nordosten (Gallilee Mountain) 
wahrgenommen hatte und der in den Seekarten als Saddle- 
Hill verzeichnet ist. | 

Bald nachher hielten wir auf einer breiten Geröllbank am 
Fusse des Berges Mittagsrast, denn bei dem starken Gefälle war 
das Rudern sehr mühsam geworden, und überdies waren nur 
sar zu oft unsere vereinten Kraftanstrengungen erforderlich ge- 
wesen, um das Canoe bald durch, bald unter oder über die immer 
häufiger werdenden Hindernisse wegzuschleppen oder hinzu- 
schieben. Gar oft lagen dicke Stämme ganz horizontal und 
zwar so dicht über dem Wasserspiegel, dass das Fahrzeug 
nicht unter ihnen durchpassiren konnte, während wir bei der 
srossen Tiefe des Wassers und den senkrecht abfallenden Ufern 
keinen Stützpunkt hatten, um demselben über den Stamm 
hinzuhelfen. Wir setzten in einem solchen Falle die ganze 
Ladung auf den dicken Baumstamm, liessen dann, um den Tief- 
gang zu erhöhen, so viel Wasser in das Canoe laufen, als es 
fassen konnte, ohne zu sinken, und schoben es unter dem 
Stamme durch, worauf es wieder leergeschöpft und beladen 
wurde, um, oft nach kurzer Frist, eine andere lästige Procedur 
zu untergehen. So mussten wir z. B. einmal mit Rudern und 
Händen eine Sandbank durchgraben um dem Wasser eine andere 
Richtung zu geben und das Canoe durch diesen künstlichen Kanal 
hinaufzuziehen. 

Aus Weflah hatten wir einen etwa kindskopfgrossen, eisernen 
Kochtopf mitgenommen, und in diesem wurde nun die Hälfte der 
in Jeh erhaltenen Kassaven gekocht. Inzwischen nahm ich ein 
erfrischendes Bad in dem krystallhell über Sand und Kiesel 


hinströmenden Flusse und sammelte einige Gesteinsproben (Quarzit) 
LIBERIA, 1. 24 


— 370 — 


von im Thonboden des Abhanges steckenden Felsblöcken. Aut 
der ausgedehnten Kieselbank fand ich ein niedliches, zwerghaftes 
Liliengewächs, welches das Geröll stellenweise rasenartig be- 
deckte. Es hatte ein zierliches, gelbes Blümchen und eine kleine 
Zwiebel, und ich vermuthe, dass dasselbe nicht ursprünglich 
dort zu Hause, sondern durch den Fluss dorthin verschleppt 
worden ist. Leider ist mir dasselbe auf der Rückreise verloren 
gegangen, zugleich mit einer wunderschönen, epiphytischen Or- 
chidee, die ich von den Fällen mitgebracht. 

Um zwei Uhr setzten wir die Reise fort und fanden bald 
wieder viele Elephantenspuren, doch gönnten wir uns auch jetzt 
nicht die Zeit, denselben zu folgen, umsoweniger, als ich mir 
fest vorgenommen hatte, hier oben irgendwo aufeinem günstigen, 
auch zu Fusse erreichbaren Platze eine Jagdstation anzulegen. 
Wieder etwas weiter, fortwährend mit neuen Hindernissen 
kämpfend, erreichten wir eine kleine Stromschnelle mit felsigem 
Untergrund, durch die wir das Canoe mit vereinten Kräften 
an der Leine hinaufzogen. Hierauf wurde der Fluss wieder etwas 
breiter, doch überstieg er kaum die Breite von 50 Fuss. Dann 
kamen wir an ein nahezu unentwirrbares Labyrinth von haufen- 
weise über einander hingestürzten Baumstämmen, in dem wir 
lange herumkletterten, bevor wir endlich ein Mittel fanden, 
um, freilich mit ungeheurer Mühe und viel Zeitverlust, auch 
dieses Hinderniss zu überwinden. Nachher wurde das Fahrwasser 
wieder freier, bis wir schliesslich um halb sechs Uhr Abends die 
zweite Stromschnelle erreichten, durch welche das Canoe nicht 
mehr hinaufbefördert werden konnte. Das Rauschen des Wassers 
war so stark, dass man einander schon auf geringen Abstand 
nicht mehr hören konnte, und doch war die Schnelle keineswegs 
von nennenswerther Höhe. 

Unter den Bäumen einer etwas über dem Ufer erhabenen 
Terrasse beschlossen wir unser Nachtlager aufzuschlagen ; denn 
die ganze Gegend schien unbewohnt zu sein, wie wir denn über- 
haupt seit unserer Abreise von Jeh auch nicht die geringsten 
Spuren von Menschen angetroffen hatten. Während unsere boys 
unter dem Läaubdache überhängender Bäume einen geeigneten 
Lagerplatz zurechtmachten, Brennholz herbeischleppten und ein 


— 371 — 


Feuer anlesten, umgiengich mit Jackson die Schnelle und erblickte 
nun oberhalb derselben ein ziemlich weites Thalgelände, das ganz 
durch den Fluss eingenommen war, welcher mit zahllosen Armen 
kleinere und grössere Inseln umspannte. Viele der Inselchen 
waren dicht mit einer Art üppig wuchernder, stark riechender 
Mentha, andere mit Gebüsch bewachsen, wieder andere gänzlich 
kahl. An nackten Felsen, grossen Trümmerhaufen und langen, 
den Fluss schräg durchsetzenden Bänken war überhaupt kein 
Mangel. Die Bänke streichen W. N. W.—-0O.S. O. und fallen 
S.S. W. unter einem Winkel von ungefähr 50 Grad. Die ganze 
Landschaft zeigte im Kleinen, was diejenige von Alin am 
St. Paul im Grossen war. Hier wie dort überall Rauschen, 
Schäumen, Tosen. Nirgends war ein Flussarm, breit und gerade 
genug, um das Canoe hindurch zu schleppen, gesetzt auch, 
dass es möglich gewesen wäre, dasselbe so weit hinaufzuschaffen. 

JACKSON hatte sich indessen vergeblich bemüht, irgend ein 
Wildpret zu erbeuten. Bald brach die Nacht herein, und wir 
zogen uns an das hell lodernde Feuer zurück, assen jeder zwei 
rohe Bananen, den Rest unserer Kassaven für ein erwärmendes 
Frühstück sparend, und zündeten dann eine Pfeife an. Mein 
Lager war aus frischen, auf dem gesäuberten Boden aufgehäuften 
Baumzweigen und Blättern hergerichtet und darüber ein grosses 
Negershawl, das Geschenk des Häuptlings von Buluma, aus- 
gebreitet. Rund um das Feuer sitzend und liegend, verbrachten 
wir den Abend in der angenehmsten Weise, denn der Gedanke, 
trotz aller Warnungen die Reise gewagt, trotz aller Hindernisse 
unser Ziel so gut wie erreicht zu haben, verlieh selbst meinen 
schwarzen Dienern ein gewisses Selbstbewusstsein, eine inner- 
liche Befriedigung, welche durch die überraschend schönen, 
stets wechselnden Landschaftscenerien noch erhöht wurde. Es 
war denn auch Keiner unter uns, der über Müdigkeit klagte, 
und Keiner murrte über die Unzulänglichkeit unserer einfachen, 
kalten Abendmahlzeit; sahen doch die boys, dass ich den gerin- 
sen Vorräth redlich mit ihnen theilte und dabei fröhlich und 
zufrieden war. Jeder der Leute erhielt ein Blatt Tabak, von 
dem ich eine bedeutendes Quantum als Tauschmaterial mitge- 
nommen hatte, und rauchte nach Herzenslust. Jackson aber 


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Du Queah River. An den Stromschnellen. 


— 3793 — 


gab aus seinem reichen Repertorium allerlei haarsträubende, 
amerikanische Räuber- und Mördergeschichten zum besten, bis 
endlich die Müdigkeit Einem nach dem Andern die Augen schloss 
und auch ich mich, die beiden Gewehre schussbereit neben mir, 
zur Ruhe leste. 

Die Nacht war bedenklich kühl, so dass bald dieser, bald jener 
von uns an das vergelimmende Feuer herankroch und dasselbe 
wieder zur lodernden Flamme anschürte. Schon lange vor Tages- 
anbruch kauerten wir wieder alle um das Feuer, um die halb 
erstarrten Glieder zu erwärmen. Ein dichter, kalter Nebel hatte 
sich über den Fluss gelagert und füllte, alles durchnässend, das 
sanze Thal. Um uns etwas zu erwärmen, trank ich mit JACKSON 
den kleinen Rest Brandy, welcher noch übrig geblieben war, 
worauf der Führer PETER die letzten Tropfen, mit Wasser 
verdünnt, leerte, Bos den Kork ableckte und Jomn wehmüthig 
an der ausgespülten Flasche roch und dann bedächtig mit der 
Hand über den ‚Bauch strich, als ob er sagen wollte: „Wohl 
bekomm’s, JoHnY.” 

Zum Frühstück kochte Joan die übriggebliebenen fünf Kassaven, 
welche uns wieder etwas erwärmten. Dann wurden die nöthigen 
Vorbereitungen getroffen, um die Reise zu Fusse fortzusetzen. 
Da wir nun die Bagage auf das Allernöthigste beschränken mussten, 
so liess ich die Kiste, in welcher der photographische Apparat mit 
Zubehör verpackt war, zurück und nahm nur den Apparat selbst, 
in ein inländisches Tuch gebunden, mit. Alles, was wir nicht 
nöthig hatten, wurde unter einem überhängenden Felsen im 
Walde verborgen, das Canoe höher ans Ufer gezogen und dann 
der Marsch flussaufwärts durch den Wald angetreten. Nur hie 
und da kam ich an den Fluss hinunter, um mit Hülfe des 
Compasses dessen Richtung festzustellen. Endlich wurde es möglich, 
in dem halb ausgetrockneten Bette selbst vorwärts zu kommen. 
Wir sahen hier zahlreiche Exemplare von Glareola megapoda und 
Motacilla vidua, beides Vögel, die ich in Liberia nirgends anders 
als in der Region der Wasserfälle angetroffen habe. Von Felsbank 
zu Felsbank weiterschreitend, erreichten wir endlich zu meinem 
grossen Erstaunen einen hochstämmigen Pandanuswald, der eine 
ziemlich grosse, flache Schwemminsel derart bedeckte, dass wir 


— 374 — 


stellenweise hoch über dem Boden, durch die mit Dornen besetzten 
Stützwurzeln hin, uns den Weg bahnen mussten. Schliesslich 
kamen wir an einen tiefen Flussarm und mussten zurückkehren, 
um weiter unten, bis an die Brust heran durch das krystallhelle 
Wasser watend, das rechte Flussufer zu erreichen und den 
Abhang eines dicht bewaldeten Höhenzuges entlang weiter vor- 
zurücken. Schon längst hörten wir das Tosen des Falles und 
eilten daher mit fieberhafter Eile vorwärts, bis wir denselben 
schliesslich um 8 Uhr erreichten. Von einer etwas freien Stelle 
am Ufer aus machte ich eine photographische Aufnahme, worauf 
wir auf Umwegen an den obern Rand des Falles zu gelangen 
suchten. Hier presst sich der Fluss nahe am rechten Ufer durch 
die tiefe Spalte einer grossen, kahlgewaschenen Felsbarre, welche 
das Thal quer durchsetzt, und stürzt sich tosend in die Tiefe. 
Ein anderer Arm zieht sich am linken Ufer hin und bahnt sich 
durch eine Waldschlucht hinunter den Weg. Der grösste, mittlere 
Theil der Barre bildete einen kahlgewaschenen, runden Buckel 
und war bei dem damaligen niedrigsten Wasserstande des gan- 
zen Jahres vollständig trocken. Die Höhe der Felsbank über 
dem an ihrem Fusse seeartig sich erweiternden Flussbett schätzte 
ich auf 30’. Ein ähnliches seeartiges Becken befindet sich auch 
oberhalb der Falles,.und nachdem wir, weit oben den Bergeshang 
entlang kletternd, dasselbe umgangen hatten, kamen wir an 
einen zweiten Fall, der noch schöner war, als der erste, so 
dass ich bereute, den Apparat unterhalb des ersten Falles 
zurückgelassen zu haben. Oberhalb des zweiten Falles ist das 
Flussbett ebenfalls beckenartig erweitert und das Wasser so glatt 
und ruhig wie in einem Landsee. Wir verfolgten nun den Fluss- 
lauf nur noch eine kurze Strecke weiter, und ich bin überzeugt, 
dass derselbe von hier ab längere Zeit keine erheblichen Hinder- 
nisse für eine Canoefahrt bieten würde; doch ist es, auch bei 
der grössten Anstrengung und bedeutendem Zeitverlust, nicht 
möglich, von unten ein Canoe hier heraufzubringen. Da wir 
auch jetzt keine Spur von Menschen antrafen, durften wir nicht 
hoffen, uns Lebensmittel verschaffen zu können und waren also 
zu rascher Rückkehr gezwungen, um vor Einbruch der Nacht 
wieder nach Jeh hinunter zu kommen. Um elf Uhr erreichten 


Pu QUEAH Rıver. 


DER ERSTE WASSERFALL. 


N 
PAR 
vor 


en 


— 375 — 


wir, auf etwa 50’ Höhe den bewaldeten Bergabhang entlang 
kletternd, unsern Lagerplatz und traten um 12 Uhr im Canoe 
den Rückweg an. 

Die Thalfahrt kostete selbstverständlich viel weniger Mühe, 
denn wir kannten jetzt die günstigsten Passagen in den Barri- 
kaden von Baumstämmen, und unter den kräftigen Ruderschlägen 
der boys, unterstützt durch das starke Gefälle, flog das Canoe 
pfeilschnell flussabwärts. Kaum hatte ich Zeit, noch einmal die 
prachtvolle Landschaft zu bewundern, denn meine ganze Auf- 
merksamkeit war getheilt durch die Controlirung der auf der 
Hinreise gemachten graphischen Darstellung des Flusslaufes und 
dem Auslugen nach unter dem Wasser verborgenen Hindernis- 
sen. Ueber Stämme, die nur wenig unter Wasser waren, jagten 
wir das Canoe mit gewaltigem Anlaufe hin, auf andere, die 
etwas über die Oberfläche emporragten, rannten wir mit solcher 
Wucht auf, dass das Canoe sich mit seinem ungeladenen Vorder- 
theil hoch auf dieselben hinaufschob, worauf wir dann rasch 
nach vorn eilten, um das Uebergewicht dorthin zu verlegen, so 
dass das Fahrzeug dann gewöhnlich ohne viel Mühe vollends hin- 
über geschoben werden konnte Beim Aufrennen auf einen 
ausserordentlich dicken Stamm geschah es einmal, dass das Hin- 
tertheil des Canoes sank und sich bis zu meinem mit einem Stroh- 
kissen bedeckten Sitze heran mit Wasser füllte. Glücklicherweise 
sprang ich rasch genug auf den Baumstamm und hielt das bereits 
sinkende Canoe mit aller Kraft fest, während die Ruderer über 
Bord sprangen und dasselbe schwimmend so lange stützten, bis 
JACKSON mit einem Ruder das Wasser herausgeschöpft hatte. 
Merkwürdig genug gieng nichts dabei verloren, doch quetschte 
ich mir beim Hinüberbugsiren des Canoes die linke Hand derart, 
dass mir der Schmerz den Rest des Tages gänzlich vergällte, 
und das nasse Strohkissen, auf dem ich unvorsichtiger Weise 
wieder Platz nahm, spielte mir, wie wir später sehen werden, 
einen noch viel schlimmern Streich. Die unterste Stromschnelle 
hinunter gieng es mit voller Kraft, wobei freilich Jo#rn und der 
Steuermann PETER durch einen schräg aus dem Wasser empor- 
ragenden Baumast, dem wir Andern rechtzeitig ausgebogen hat- 
ten, aus dem Canoe gerissen wurden, während dasselbe wie ein 


— 3876 — 


Pfeil dahinschoss. Erst durch die Hülferufe der beiden uns nach- 
schwimmenden Leute wurden wir darauf aufmerksam gemacht. 
An der Stelle unserer Mittagsrast vom vorigen Tage nahm ich 
die bereitgelegten Gesteinsproben mit. Unterhalb des hohen Ber- 
ges angekommen, liess ich einen Augenblick halten und bewun- 
derte nochmals die imposante Staffage, worauf wir weiterfuhren 
und um fünf Uhr schon ohne weitere Unfälle den Landungsplatz 
von Jeh erreichten. Müde und hungrig erkletterten wir den steilen 
Abhang, erhielten in Jeh von der Frau des Häuptlings einige 
Bananen und marschirten dann, da sonst nichts erhältlich war, 
unverweilt weiter, so dass wir schon um sechs Uhr in Weflah 
anlangten. 

Wie in Jeh, so waren auch hier die Leute verwundert, dass 
wir die Fälle wirklich zu Wasser erreicht hatten. Der Häuptling 
liess uns einen tomboy (Kassavebrei) sammt einer stark gepfef- 
ferten Suppe von geräuchertem Wildschweinefleisch vorsetzen, das 
man sich irgendwie zu verschaffen gewusst hatte, ein Gericht, 
das uns allen vortrefflich mundete. Hierauf machte ich mich bei 
hellem Mondlicht mit Hülfe von Jackson und Bog daran, eine 
schöne Doria-Antilope, die schon den ganzen Tag in der Hütte 
gehangen hatte, abzuhäuten und zu skelettiren, wobei wir nicht 
vergassen, sofort ein grosses Stück Fleisch zu braten und dadurch 
dem frugalen Mittagsmahle etwas nachzuhelfen. Nachdem diese 
Arbeit, soweit sie nicht mehr auf den folgenden Tag verschoben 
werden durfte, beendigt war, begaben wir uns zur Ruhe. Die 
Hand schmerzte mich aber so sehr, dass ich trotz der Müdig- 
keit die ganze Nacht kein Auge schliessen konnte. 

Am folgenden Tage, Sonntag 6. Februar, gerade als wir im 
Begriffe standen, abzureisen, kam Bericht, dass in der Nähe ein 
grosser Chimpanse geschossen worden sei und nun nach Weflah 
gebracht werde. Erst um 4 Uhr nachmittags kam derselbe, von 
zwei starken Männem an einem langen Stocke getragen, an. Es 
war ein stattlicher, alter Bursche mit langem, seidenschwarzem 
Haar und graubraunem Rücken. Da er nicht mehr frisch war, 
musste er sofort abgehäutet werden, um ihn nicht gänzlich 
verderben zu lassen. Beim Mondschein wurde das sSkelet des 
Thieres gemacht und ein Stück Fleisch gebraten. Dasselbe war 


— 877 — 


jedoch zähe und nicht besonders schmackhaft. Das ganze Thier 
kostete mich 10 Dollars, nachdem der Häuptling sein möglich- 
stes gethan hatte, um mir wenigstens das Doppelte abzupressen. 
Vor dem Abhäuten machte ich von dem todten Thiere, das 
ich in sitzender Stellung an einen Baumstamm gelehnt hatte, 
eine photographische Aufnahme und liess, um die Grösse besser 
beurtheilen zu können, den glücklichen Jäger daneben Platz 
nehmen. 

Nachdem wir am folgenden Morgen wieder zur Abreise bereit 
waren, wurde mir durch einen Eilboten gemeldet, dass weit oben 
am Du Queah ein Flusspferd erlest worden sei. Da ich keine 
Lust hatte, mit meinem Canoe wieder den Fluss hinaufzufahren, 
das Thier aber, ohne erst zerlegt zu werden, weder im Canoe 
heruntergebracht, noch zu Lande transportirt werden konnte, So 
rieth ich, dasselbe in den Fluss hineinzuwälzen und nach Jeh 
hinunterzuflössen, wo ich es dann kaufen werde, um davon 
das Skelet zu conserviren. Nach der Ankunft in Jeh sollte mir 
dann der Bote sofort Bericht bringen. Nachdem ich nun den 
sanzen Tag vergeblich auf Nachricht gewartet hatte, wurde am 
Abend ein Bursche hingesandt, um Erkundigungen einzuziehen. 
Dieser kam aber bereits zu spät und konnte nur constatiren, 
dass man das Thier sofort nach dessen Ankunft in Jeh geschlachtet 
habe und unter allerlei Festlichkeiten beschäftigt sei, das Fleisch 
auf grossen Hürden über dem Feuer zu trocknen. 

Am andern Morgen in aller Frühe verliessen wir Weflah, 
sehr wenig erbaut über die selbstsüchtige Behandlung, die der 
Häuptling uns als Gastherr zu Theil werden liess. Um den durch 
sein Benehmen auf uns gemachten ungünstigen Eindruck etwas 
zu verwischen, übergab er mir ein Huhn als Geschenk. In Jeh 
gelang es mir zufällig, den unverletzten Kopf des geschlachteten 
Flusspferdes zu einem mässigen Preise zu erwerben. Es war 
auch die höchste Zeit, dass ich ankam, denn der Mann, wel- 
chem dieser Kopf als Beuteantheil zugefallen war, hatte ihn 
bereits, in einen grossen Tragkorb verpackt, auf dem Rücken 
und war gerade im Begriffe, die Stadt zu verlassen. Noch immer 
waren zahlreiche Leute eifrig beschäftigt, Fleisch zu räuchern, 
und es herrschte deher in der sonst stillen Stadt eine besondere 


— 318 — 


Rührigkeit und fröhliches Leben. Die Frau des Häuptlings, die 
von meiner Ankunft gehört hatte, liess uns ein reichliches Früh- 
stück mit Hippopotamusfleisch vorsetzen. Letzteres war äaber 
furchtbar zähe und geschmacklos, so dass ich mit ebensoviel 
Vergnügen ein Stück Kautschuk gekaut hätte. Leider bekam. ich 
die gute Frau selbst nicht zu sehen, denn sie war während der 
letzten Nacht Mutter geworden und durfte sich nach dortiger 
Landessitte während der ersten Tage vor keinem Männerauge 
sehen lassen. Ein ganz mit weissem Thon bestrichenes Mädchen 
hielt an der Thüre Wache. Diesem übergab ich für die Frau ein 
schwarzseidenes Foulard als Gastgeschenk, worauf Letztere mir 
hoch erfreut aus der Hütte thanky, thanky zurief. Die Reise 
flussabwärts verlief sehr rasch und ohne nennenswerthe Beson- 
derheiten, so dass wir schon um 6 Uhr abends wohlbehalten 
in Hill Town ankamen. Auch der Häuptling CLARK war inzwi- 
schen zurückgekehrt und bereitete mir einen angenehmen Empfang 
mit obligatem. nächtlichem Kriegstanz, dem ich jedoch nur kurze 
Zeit zusah; denn ermüdet durch das lange Krummsitzen im 
Canoe, verlangte ich nach Ruhe und zog mich früh in meine 
Hütte zurück. Ä 

Am Morgen des 9. Februar erledigte ich allerlei Geschäfte und 
rechnete mit CLARK ab, um dann nach Schieffelinsville hinunter 
zu fahren und Freund STAMmPFLI abzulösen, der für einige Zeit 
meine Stelle in Hill Town einnehmen sollte. Man sah mich 
nur ungern wegziehen, denn Viele fürchteten, dass ich nicht 
mehr zurückkehren würde. Besonders JAssA, meine gute Haus- 
hälterin, war über diesen Wegzug untröstlich. Sie hatte sich 
in Hill Town nie gut heimisch gefühlt und war, wie es mir 
schien, von OLARK stets roh behandelt und stark vernachlässigt 
worden, so dass sie mich denn auch flehentlich bat, nach Schief- 
felinsville mitkommen zu dürfen, eine Bitte, welche ich ihr 
jedoch abschlagen zu müssen glaubte. 

Mein Verhältniss zu CLARK selbst war stets ein sehr angenehmes 
geblieben, und wenn ich an die reichen Sammlungen dachte, 
die ich zum grossen Theil seiner Initiative zu danken hatte, so 
durfte ich herzlich froh sein, diesen Monat bei ihm zugebracht 
zu haben. Hätte ich den Warnungen der Leute, besonders der 


— 379 — 


Liberianer, Gehör geschenkt, dann wäre ich jedenfalls nie nach 
Hill Town gekommen. Ueberall wurde mir nämlich CLARk als 
der grösste Gaudieb dargestellt, dem es nur darum zu thun sei, 
mich nach Hill Town zu locken, um mich so lange wie möglich 
aussaugen und schliesslich plündern zu können. Es wurden 
überhaupt wunderbare Dinge von ihm erzählt, so z. B., dass er 
die Kunst kenne, um Jemanden in todähnlichen Schlaf zu versetzen, 
und diese Kunst anwende, um sein Schlachtopfer desto sicherer 
bestehlen zu können, oder dass er dasselbe durch Helfershelfer 
plündern lasse, während er auf Reisen sei, um auf diese Weise 
jeden Schein von Verantwortlichkeit von sich abschütteln zu 
können. Auch fürchtete man, dass er mir irgend einen Fallstrick 
legen werde, um mich in allerlei Verlegenheiten zu bringen, 
aus welchen niemand besser als er selbst, unter dem Scheine 
treuer Freundschaft, Kapital zu schlagen verstehe. Ueberall, 
sagte man, sitze er tief in Schulden und dürfe nicht mehr nach 
Monrovia kommen, ohne gefangen genommen zu werden. Die 
beste Charakterzeichnung von ihm gab mir aber der mehrerwähnte 
Mr. WARNER, Bürgermeister von Schieffelinsville, der ihn genau 
kannte und sich gedrungen fühlte, mir am Abend vor meiner 
Uebersiedlung nach Hill Town brieflich einige wohlgemeinte 
Rathschläge zu ertheilen. Die betreffenden Stellen in seinem 
Briefe lauten in der Uebersetzung wie folgt: 

„Alles was ich Ihnen zu sagen habe ist: Seien Sie sehr vor- 
sichtig und schauen Sie überall scharf zu, denn ich bin mit dem 
Herrn gut bekannt. Er weiss sich sehr gut überall anzupassen, 
ist in hohem Grade gesellis und freundlich und rechnet es sich 
zur besondern Ehre, mit Weissen auf freundschaftlichem Fusse 
zu stehen. Andererseits aber ist er ungemein listig und verschmitzt, 
und voll Ränke, aber nicht immer voll Wahrheit. Er wird 
trachten, aus Ihnen möglichst viel herauszupressen. Besonders 
warne ich Sie, den Eingebornen, die unter ihm stehen, Keine 
Gewehre zu leihen, denn dieselben möchten, wenn später zurück- 
verlangt, .spurlos verschwunden sein. Das ist alles, was ich 
Ihnen hierüber zu sagen habe, während Sie noch unter uns 
weilen. Sie kennen übrigens den Charakter der Eingebornen aus 
langer Erfahrung und wissen, so viel ich gemerkt habe, sehr 


— 380° — 


gut mit ihnen umzuspringen. Behalten Sie, bitte, diese War- 
nungen für sich, da ich mit CLArk gut befreundet bin.” 


Ihr ergebener 
D. B. WARNER. 


Keep a bright look-out! Diese Warnung schwebte mir stets 
vor Augen; hatten mich doch schon die Erlebnisse am St. Paul 
gelehrt, wie nöthig dies auch unter den gutmüthigsten Einge- 
bornen sei, und dieses Auf-der-Hut-sein, ohne viel davon merken 
zu lassen, war jedenfalls mit die Ursache, dass mein freundschaft- 
liches Verhältniss mit CLARKk während unseres Zusammenseins 
nie in die Brüche gegangen ist. 

Beinahe die halbe Stadt begleitete mich zum Fluss hinunter, 
während Jackson zurückblieb, um auf der Station Wache zu 
halten und nachher, nach der Ankunft Srtamprrur's, denselben 
mit Land und Leuten, die er nun genügend kennen gelernt 
hatte, bekannt zu machen. Um ein Uhr fuhren wir nach herzlichem 
Abschied fort und kamen kurz nach Einbruch der Nacht in 
Schieffelinsville an. 


Sale 


Weitere Erlebnisse. 


Der Häuptling OLARK. 


Unsere Menagerie. — Von 
Wanderameisen heimgesucht. — 
Mein Affe Jack. — Reise nach 
Monrovia und Krankheit da- 
selbst. — Rückreise. — Der Wi- 
therspoon Creek. — JACKSON wird 
entlassen. — Ausflug nach Mar- 
shall. — Weiser Richterspruch. — 
Ueber Malaria und ihre Behand- 
lung. — Heisse Tage. — CLARK 
als leuf-doctor. — Rückkehr nach 
Hill Town und zweiter Aufent- 
halt daselbst. — CLARR’S head- ' 


% woman. — Der bekehrte Onkel. — 


Der Zauberer von Hill Town. — 
Der alte murry-man. — Abschied. 
— Nach Schieffellinsville und 


° Monrovia. 


Wenn ich in diesem Ca- 
pitel meine Erlebnisse so 
erzählen wollte, wie die- 


selben im Tagebuche verzeichnet sind, würde ich ohne Zweifel 
die Geduld meiner Leser über Gebühr in Anspruch nehmen. Ich 
hätte dann von einer beinahe ununterbrocbenen Leidensgeschichte 
zu berichten, in welcher verhältnissmässig nur wenige Lichtpunkte 


— 332 — 


mich dem Leben auf der sogenannten „grossen Station” eine 
angenehme seite abgewinnen liessen. Es möge daher genügen, 
diese Lichtseiten hervorzuheben, ohne die Schattenseiten gänzlich 
mit stillschweigen zu übergehen, welche mir im Laufe des 
nun zu besprechenden Zeitabschnittes in reichem Maasse be- 
schieden waren. | 

Es war von jeher einer meiner Lieblingswünsche gewesen, 
eine Menagerie von lebenden Thieren zu halten, und da nun 
Schieffelinsville für einige Wochen mein Hauptquartier werden 
sollte, so hofite ich, während dieser Zeit mich mehr als bisher 
in dieser Richtung beschäftigen zu können. Die Thiere, welche 
ich lebend den Du Queah River herunterbrachte mitgerechnet, 
besass ich nun eine Callithriche (Öercopithecus callithrichus),, einen 
Affen, den ich von Grand Cape Mount mitgebracht hatte, ferner 
eine niedliche Wühlmanguste (Orossarchus obscurus), eine Baum- 
genette (Genetta pardina), zwei gefleckte Palmenmarder (Nandinia 
binotata), zwei Baumdachse (Dendrohyrax dorsalis), ein sehr schönes 
und zahmes, junges Moschusthier (HZyaemoschus aquaticus) , einige 
frei im Hause herumlaufende, zahme Hamsterratten (Cricetomys 
gambensis), einen prachtvollen, sehr seltenen Raubvogel (Dryo- 
triorchis spectabilis), eine junge, beinahe rein weisse Ohreule (Bubo 
leucostictus), einen jungen, liberianischen Graupapagei (Psittacus 
tinneh), zwei Nashornvögel (Buceros elatus und Tockus semifas- 
ciatus), einen kahlköpfigen, schwarzen Storch (Ciconia episcopus) , 
einige Frankoline (Francolinus lathami), eine junge Hornviper 
(Vipera rhinoceros), zahlreiche, zum Theil sehr grosse Landschild- 
kröten (Cinixys erosa), zwei Krokodile (Crocodilus vulgaris und 
Ö. frontatus) und ausserdem noch Bello, einen jungen Hühnerhund. 

Bisher war es in unserer Menagerie sehr roh hergegangen. ES 
war ein fortwährendes Kommen und Gehen; denn während 
immerfort Neues ankam, starb Vieles aus Mangel an passender 
Verpflegung. Wieder andere Thiere entflohen, und nur eine sehr 
seringe Zahl derjenigen, die wir in Liberia längere Zeit besassen, 
haben später Europa lebend erreicht. Es wäre mir kaum möglich, 
alle Arten aufzuzählen, die im Laufe der Zeit, oft für sehr hohe 
Preise, in unsern Besitz gelangten. 

Am 10. Februar reiste StamprLı mit einigen boys nach Hill 


— 883 -- 


Town ab, um die dortige sehr einträgliche Station zu übernehmen, 
während ich in Schieffelinsville blieb, um die daselbst deponirten 
Sammlungen durchzusehen und zur Versendung nach Europa 
bereit zu machen. Ueberdies durchstreifte ich jeden Morgen die 
Umgegend, um mich etwas mehr dem Beobachten und Sammeln 
von Vögeln zu widmen, einem Zweige unserer Thätigkeit, der 
leider bis dahin durch die überwiegende Beschäftigung mit Säuge- 
thieren viel zu sehr in den Hintergrund gedrängt worden war. 
Ich hatte mich dabei recht schöner Resultate zu erfreuen, obwohl 
mir manchmal auch Enttäuschungen nicht erspart blieben. So 
hatte ich eines Morgens die Brutkolonie einer Art gesellig lebender, 
schwarzer Webervögel (Ploceus nigerrimus) entdeckt, von deren 
Vorkommen in Liberia ich früher keine Ahnung gehabt hatte. 
Ich schoss drei Exemplare davon, die ich am Nachmittage 
präparirte. In der Nacht wurde aber die Station von Wander- 
ameisen (drivers) überfallen, welche mir diese Vögel nebst andern 
frisch präparirten Sachen vernichteten und sogar verschiedene 
lebende Thiere, welche die Käfige nicht verlassen konnten, 
tödteten oder so übel zurichteten, dass sie den Folgen dieses 
Ueberfalles später erlagen. | 

Ein andermal befand sich unter meiner Beute ein kleiner 
Vogel (Chloropeta), den ich früher noch nie gesehen und von dem 
ich auch nirgends eine Beschreibung finden konnte. Um der 
Behandlung dieses wahrscheinlich einer neuen Art angehörenden 
Vogels nachher die nöthige Sorge widmen zu können, sparte ich 
ihn für zuletzt und präparirte erst die Bälge der Uebrigen, die 
ich dann in der Piazza des Hauses zum Trocknen aufhing. 
Während der Arbeit flogen einige Federn zur Thüre herein, und 
als ich aufsah, erblickte ich den vorn erwähnten Affen, welcher 
sich einen prachtvollen, eben präparirten Honigvogel (Nectarinea) 
von der Stange heruntergeholt hatte und nun mit einem Ernste, 
der einer bessern Sache würdig gewesen wäre, Feder um Feder 
auszupfte, als ob er wie Gretchen in Goethes Faust dabei sagen 
wollte: „Er liebt mich, er liebt mich nicht.” Sobald er mich 
nach einem Stocke greifen sah, schnitt er hämische Gesichter 
und kletterte auf das Dach, so dass ich ihn weder an die Kette 
legen noch anderweitig strafen konnte. Kaum hatte ich den mir 


— 384 — 


unbekannten Vogel ebenfalls fertig, als ich für einen Augenblick 
das Zimmer verlassen musste. Als ich später wiederkam, war 
dieser Vogel aus dem Zimmer, wo ich ihn vorsichtshalber auf 
den Tisch niedergelegt hatte, verschwunden. Nach einigem 
Suchen fanden wir den Affen mit dem Hund zusammen hinter 
dem Schuppen sitzend, den wir als Küche eingerichtet hatten. 
Der Hund würgte einen sichtlich für ihn sehr unbequemen 
Bissen hinunter, und neben ihm lagen die leicht kenntlichen 
srünen Federn meines vermissten Vogels. Der Affe war offenbar 
durch das Fenster geschlichen, hatte den Vogel vom Arbeitstische 
weggeholt und denselben seinem geliebten Schützling Bello gebracht, 
der nichts besseres damit anzufangen wusste, als ihn aufzufressen, 
während der Missethäter Jack vergnügt zusah. Glücklicherweise 
konnte der Hund, bei dem sich sehr bald die Wirkungen des 
Arseniks, mit dem der Vogel behandelt war, geltend machten, 
denselben nach fürchterlichen Schmerzen wieder ausbrechen und 
kam schliesslich zu meiner grossen Verwunderung mit dem 
Leben davon. 

Dies sind nur ein paar Beispiele von all dem Unfug, den der 
Affe anrichtete, von den schlimmen Streichen, die er verübte. 
Trotz alledem wusste er durch seine Possen und Grimassen, 
sowie durch unzweideutige Zeichen der treuesten Anhänglichkeit 
stets wieder unsere Gunst zu erwerben, und musste man in einem 
Augenblicke des höchsten Zornes an sich halten, um nicht nach 
dem Gewehr zu greifen und ihn niederzuschiessen, im andern 
überhäufte man ihn seines drolligen Wesens und seiner unglaub- 
lichen Anhänglichkeit wegen mit Zärtlichkeiten. Schlangen und 
andere Reptilien ausgenommen, war er mit allen unsern Thieren 
sut Freund, und den kleinen Bello hatte er in seinen besondern 
Schutz genommen. Jedem, der demselben etwas zu Leide zu 
thun drohte, wies er mit wüthenden Grimassen die Zähne, 
während er seinen Schützling mit einem Arme zärtlich umschlun- 
gen hielt. Jeden Augenblick wurde der Pelz des Hundes aufs 
sorgfältigste nach Parasiten untersucht, was jedoch nicht ausschloss, 
dass er letztern in Augenblicken tollen Uebermuths beim Schwanz 
packte und überall herumschleppte. Lag ich in der Hängematte, 
dann sass mir Jack zur Seite oder auf dem Leibe, um mein 


— 885 — 


Haar einer genauen Untersuchung zu unterwerfen. Oft erlaubte 
ich mir den Spass, den Athem eine Zeitlang einzuhalten und 
mich todt zu stellen, worauf er mich dann ängstlich von allen 
Seiten beschnupperte, mit seinen kalten Händen meine Augen- 
lider zu Öffnen suchte und in klägliches Gewimmer ausbrach. 
Diesen Lauten tiefster Betrübniss folgten die zärtlichsten Lieb- 
kosungen, sobald ich wieder Athem holte und die Augen öffnete. 
Frauen und namentlich kleine Mädchen waren vor Jack geradezu 
bange geworden, denn sobald sie sich unserem Hause näherten, 
stürzte er auf dieselben zu und biss sie wüthend in die Waden. 
Er war übrigens so zahm, dass er, wenn er nicht zur Strafe an 
der Kette lag, frei herumlief, die Nacht stets im nahen Walde 
zubrachte und am Morgen schon früh wieder auf der Station anwe- 
send war. Gieng ich aus, so begleitete er mich, meist zusammen 
mit dem Hunde und nach dessen Tode auch allein, ein Ende Weges 
oder bis zum Landungsplatze, wo er dann sitzen blieb, bis nichts 
mehr von uns zu sehen war. Während meines Aufenthalts in 
Liberia habe ich zahlreiche lebende Affen gehalten, und wenig- 
stens Einer war fast stets in meinem Besitze. Wenn ich aber 
einerseits all die Freuden schildern wollte, welche mir diese 
beinahe mit Menschenverstand begabten Thiere mit ihren komischen 
Sprüngen, ihren Schrullen und Possen, aber nicht weniger mit 
ihrer zärtlichen Anhänglichkeit verschafften, und andererseits 
die noch zahlreichern Unannehmlichkeiten, die sie mir durch 
ihre Schelmenstreiche, ihre Diebereien, Ungezogenheiten und 
Boshaftigkeiten zuzogen, dann wäre ich im Stande, allein damit 
ein Buch zu füllen. 

Während der ersten Hälfte Februars hatten wir bereits zahl- 
reiche, zum Theil heftige Gewitter mit starkem Regen, und bei 
mir meldete sich wiederholt das Fieber, welches ich jedoch mit Chinin 
stets rechtzeitig unterdrücken konnte. Auch meine Leber liess 
in diesen Tagen viel zu wünschen übrig, so dass ich mich manchmal 
ganz elend fühlte. 

Sonnabend 19. Februar reiste ich mit Herrn KLoUTH, einem 
belgischen Handelsagenten, der von Marshall kam, nach Monrovia. 
Die Aufsicht über die Station hatte ich für die Zeit meiner Abwe- 


senheit dem Chef-Boy Bo anvertraut. Um 12 Uhr verliessen 
LIBERIA, 1. 25 


— 8386. — 


wir Schieffelinsville und kamen, der bereits beschriebenen Wasser- 
strasse und dem bekannten Wege über Oldfield folgend, abends um 
7 Uhr in Monrovia an. Am folgenden Tage, den ich in Monrovia 
zuzubringen gedachte, hatte ich heftiges Fieber, welches mich 
nöthigte, das Bett zu hüten. In der. Nacht befiel mich eine 
starke Diarrhoe, die sehr bald in Dysenterie ausartete und mich 
in unglaublich kurzer Zeit aller Kräfte beraubte. Am Freitag 
25. Februar fühlte ich mich etwas besser, so dass ich die Rück- 
reise nach Schieffelinsville anzutreten beschloss. Man miethete 
drei Krooboys mit einem Canoe, um mich nach Oldfield hinauf- 
zubringen, wohin ich durch einen Ueberlandboten meine boys 
aus Schieffelinsville bestellt hatte. Um die grosse Hitze des 
Tages zu vermeiden, fuhren wir erst gegen Abend ab, und da 
ich zum Aufrechtsitzen im Canoe zu schwach war, die Ruderer 
aber erklärten, den Weg genau zu kennen, so legte ich mich auf 
eine vorn im Canoe ausgebreitete Matte zum Schlafen hin. Nun 
verfehlten aber die mit dem Flusslaufe schlecht bekannten boys 
den Weg und fuhren, ohne dass Jemand von uns eine Ahnung 
davon hatte, den früher genannten Witherspoon Creek, den 
srössten Nebenfluss des Messurado River, hinauf. Erst gegen 
Sonnenuntergang, als ich ausschaute, um mich zu orientiren, 
kam mir die Uferlandschaft fremd vor, doch liess ich weiter- 
fahren, in der Hoffnung, doch noch zurechtzukommen. Mit Einbruch 
der Nacht hatten wir aber das Fahrwasser gänzlich verloren und 
waren in ein Labyrinth von zwischen niedriger Mangrove sich 
durchschlängelnden Sumpf-Creeks hineingelangt, so dass ich es 
serathen fand, schleunigst denselben Weg, den wir gekommen 
waren, zurückzukehren. Glücklicherweise gelang uns dies über 
Erwarten gut, und beim Funkeln der Sterne fuhren wir nun wieder 
flussabwärts, bis wir endlich von einer Anhöhe herunter Licht 
schimmern sahen. In die Nähe gekommen, fanden wir einen 
bequemen Landungsplatz und befanden uns bald darauf — wie 
eisenthümlich! — in dem bescheidenen Farmerhause einer Schwester 
der beiden Brüder WARNER in Schieffelinsville. Selbstverständlich 
stellte mir die gute Frau sofort ihr Haus zur Verfügung, und 
durch die Angst, vielleicht im Canoe mitten in der Mangrove 
übernachten zu müssen, aber mehr noch durch das lange Sitzen 


— 388 — 


ganz erschöpft, nahm ich das freundliche Anerbieten doppelt 
dankbar an. In der Nacht kehrten die Anfälle von Dysenterie 
zurück, und was mir noch an Ruhe übrig blieb, wurde mir durch 
zahllose Mosquitos vergällt, die meinen ohnehin schon nervös 
sereizten Zustand noch verschlimmerten. Erst von der treu- 
herzigen Wirthin erfuhr ich nun, dass wir uns am Witherspoon 
Creek befanden und eine Stunde weit zurückzufahren hatten, 
um den Messurado River wieder zu erreichen. 

Obschon ich mich am andern Morgen ganz entkräftet fühlte 
und meine Wirthin mich bat, lieber bei ihr zu bleiben, als mich 
der heissen Sonne und den Miasmen des ausgedehnten Mangro- 
vegebietes auszusetzen, hatte ich doch keine Ruhe mehr und fuhr 
nach herzlichem Abschied wieder den Fluss hinunter. Sein rechtes 
(westliches) Ufer wurde von einem etwa 50 —70' hohen Höhenzuge 
’Slankirt, der zugleich den West- oder Nordwestrand des grossen 
Sumpfbeckens des Messurado River bildet. Das linke Ufer war 
ganz mit Mangrove bedeckt, und zahlreiche schmale, unpassir- 
bare Creeks zweigten sich nach Süden ab und verbanden diesen 
Flussarm mit dem Head River. An den Hauptfluss hinunter 
gelangt, wo wir wieder den Leuchtthurm von Monrovia zu sehen 
bekamen, fuhren wir in der Richtung von Oldfield flussaufwärts 
und kamen um 10 Uhr bei Mrs. THmomas an, woselbst die boys 
uns bereits erwarteten. Ein heftiges Fieber warf mich sofort dar- 
nieder und schwächte mich derart, dass ich in einem inländischen 
Tuche über die Savane von Old Field getragen werden musste. 
Mrs. JULIANE WARE, die Tochter der guten alten Mrs. THomas, 
begleitete mich bis an den Junk River, von wo ich im Canoe 
die Reise nach Schieffielinsville fortsetzen konnte. Um 6!) Uhr 
Abends kamen wir dort an, und da der Fieberfrost mich schon 
im Canoe aufs Neue zu schütteln begann, musste ich mich sofort 
ins Bett legen. 

Am folgenden Morgen zeigte sich, dass ich nicht vergeblich für 
meine lebenden Thiere gefürchtet hatte. Mein schönes, junges 
Moschusthier war todt, ebenso der schwarze Storch, der seltene 
Raubvogel und die beiden letzten noch übrig gebliebenen Fran- 
koline; ein Schuppenthier, das ich den Tag vor meiner Reise 
nach Monrovia erhalten, war davongelaufen. 


— 388 — 


Einen Tag später langte STAMPFLI mit einem alten Flusspferd 
an, das in der Nähe von Hill Town geschossen und ihm zum 
Kaufe angeboten worden war. JAcKSoNn, der in der letzten Zeit 
viel kränklich gewesen und mit SrtauPprLı den Fluss herunter- 
gekommen war, blieb nun bei mir, um mit nächster Gelegenheit 
nach Cape Mount zurückzukehren. 

Da mein Gesundheitszustand nicht besser wurde und das Ein- 
nehmen von Laudanum nichts fruchten wollte, machte ich eine Kur 
mit Calomel, ein Mittel freilich, das ich bei der grossen Schwäche 
nur ungern anwandte. Ich hatte jedoch die Genugthuung, dass 
mein Zustand sich einige Tage darauf bedeutend verbesserte und 
bei einer beinahe ausschliesslichen Ernährung mit Reisschleim 
wieder erträglich wurde. | 

Am 5. März kam STAmPrLı wieder aus Hill Town herunter, dies- 
mal, um für allerlei Einkäufe nach Monrovia zu fahren. JACKSON, 
der mich um seine Entlassung gebeten hatte, sowie einer der 
Veyleute, der ebenfalls nicht gesund war, giengen mit. Am 
7. März kehrte STAmPFLı aus Monrovia zurück, und da ich noch 
zu schwach war, um wieder nach Hill Town überzusiedeln, 
fuhr Ersterer am folgenden Morgen selbst wieder hin. 

An einem der nächstfolgenden Tage machte ich eine Fahrt nach 
Marshall hinunter, wobei ich die frühere Aufnahme .des Junk 
von Schieffelinsville bis zur Mündung controlirte und ergänzte. 
In der Zeit, die mir noch übrig blieb, fuhr ich eine lange Strecke 
in den Barguay River hinein, welcher unmittelbar hinter der 
Küste in den Junk ausmündet. Dieser Fluss ist eine Art 
Lagune, die nur durch eine sehr schmale Landzunge vom Meere 
getrennt wird, ähnlich wie dies beim Sugary River der Fall ist. 
Leider ermüdete mich diese Fahrt mehr als ich erwartet hatte, 
und kaum nach Schieffelinsville zurückgekehrt, stellte sich die 
Dysenterie von Neuem ein. Zudem hatte ich zum ersten Male 
seschwollene Beine, die ersten Kundgebungen von sich einstel- 
lender Wassersucht, welche mich desto mehr mit Besorgniss 
erfüllten, als ich von früher her noch recht gut wusste, dass 
nun bald genug die flachen Hautgeschwüre auftreten würden, 
die mir während der ersten Reise das Leben verbittert und mich 
schliesslich zur Rückkehr gezwungen hatten. 


— 389 — 


Am 14. März miethete ich einen Bassaneger, einen sehr starken 
Eingebornen von etwa 18 Jahren, PETER genannt, der ziemlich 
gut Englisch sprach und sich so wohl aufführte, dass er uns 
bald unentbehrlich wurde und auch nach meiner Rückkehr noch 
beinahe ein Jahr bei Freund STAMmPFLI geblieben ist. Den nämlichen 
Tag kam der alte CLARK an, dessen Leute Kaffee nach Monrovia 
brachten, während er selbst bis zu ihrer Rückkehr bei mir blieb. 
Er war nämlich von Mr. WARnER eingeladen worden, als Frie- 
densrichter in einem sogenannten woman-palaver aufzutreten, 
das derselbe mit einer seiner inländischen Frauen hatte. Auch 
hier zeigte CLARK wieder sein Talent, den Nagel auf den Kopf 
zu treffen und doch beiden Parteien einigermaassen gerecht zu 
werden. Es war nämlich Mr. WARNER, während er krank und . 
hülflos zu Bette lag, die genannte Frau, welche er früher nicht 
allzu wohlwollend zu behandeln pflegte, weggelaufen und weigerte 
nun, wieder zu ihm zurückzukehren. Mr. CLARK, der in Fragen 
über Eheverhältnisse sehr liberal zu sein scheint, fällte, nach- 
dem er beide Parteien sammt ihren Zeugen gehört, folgendes 
Urtheil: „Dass die Frau ihrem Manne wegläuft, wenn er sie 
schlecht behandelt, finde ich vollkommen gerechtfertigt, und da 
nach den Aussagen der Zeugen diese schlechte Behandlung 
nicht zu läugnen ist, so würde ich der Erste sein, das Benehmen 
der Frau zu billigen und sie freizusprechen. Dass sie aber von 
ihm wegläuft und ihn im Stiche lässt in einem Augenblicke, in 
dem er sich unmöglich selbst helfen kann, das beweist ein 
schwarzes Herz und verdient bestraft zu werden. Die Frau hat 
also ohne Umstände wieder zu ihrem Manne zurückzukehren !” 

Während dieser Tage, die sich durch eine sehr hohe Temperatur 
auszeichneten, fühlte ich mich äusserst elend. Ich vermochte 
mich, auf einen Stock gelehnt, kaum einige hundert Schritte 
vom Hause fortzuschleppen, um ein paar kleine Vögel zu schiessen, 
und musste mich dabei jeden Augenblick auf einen mitgenom- 
menen Feldstuhl niedersetzen. Zudem hatte ich eine Reihe von 
heftigen Fieberanfällen zu bestehen, die ich mit Chinin nicht 
sogleich zu bezwingen im Stande war. Bis dahin war es, da ich 
eine gewisse Gebrauchsmethode beim Einnehmen von Chinin 
befolgte, meist bei einem einzigen Anfalle geblieben. Diese 


— Wr 


Methode war auf die tägliche Wiederkehr der Anfälle, nur 
jeweilen eine Stunde früher als am vorigen Tage, berechnet. 
Ich liess dann gewöhnlich den ersten Anfall vorübergehen und 
sorgte dafür, dass ich fünf Stunden vor dem zu erwartenden 
zweiten Anfalle, und zwar innerhalb einer Stunde, zwei Gramm 
Ohinin eingenommen hatte. Jetzt aber wollte es mir einige Male 
nicht gelingen, das Chinin frühzeitig genug einzunehmen, indem 
das Fieber sich 4—5 Stunden früher einstellte, als ich erwartet 
hatte. Der erste Anfall, 14. Februar 11 Uhr morgens, war 
ziemlich leicht, ohne vorhergehenden Schüttelfrost, mit einer 
Körpertemperatur von 39.,9° C., der zweite am folgenden Morgen 
um 6 Uhr, mit den drei sehr deutlich ausgesprochenen Stadien 
Frost, Hitze und Schweiss und einer Temperatur von 41,2°, der 
dritte am Abend des nämlichen Tages, mit 41,6°. Um einem 
weitern Anfalle, von dem ich meiner grossen Schwäche wegen 
das Schlimmste fürchtete, vorzubeugen, nahm ich nach je zwei 
Stunden ein Gramm, das jedoch bald durch Erbrechen wieder 
entfernt wurde. Bessern Erfolg hatte ich mit einigen Dosen Liquor 
Fowleri, die das Fieber nicht mehr zum Ausbruch kommen 
liessen. Die Körpertemperatur war am folgenden Tage auf 38° 
sesunken und hatte bald wieder ihren normalen Stand erreicht. 
Die wieder ausgebrochene Diarrhoe reducirte meine Kräfte aber 
noch mehr, und die drückende Hitze war auch nicht geeignet, den 
Zustand zu verbessern. Zur Charakteristik der Temperaturverhält- 
nisse jener Tage lasse ich einige der im Tagebuche verzeichneten 
Thermometerablesungen hier folgen )): 
6 Uhr Morgens. 1 Uhr Mittags. 6. Uhr Abends. 


10 März 25,5° ©. 32,2° C. 29,4° C, 
Kindes = 32.2 29,2 
1a 25,3 32 29,5 
Laaeng 25,5 32,8 29,8 
I 25,7 32,6 29,3 
Vo = 33 29,8 
lot, = 33.2 95,8 
UmER, 24,8 32,2 es 


ı) Das Thermometer hatte ich in der schattigen Veranda an der Nordseite 
des Hauses aufgehängt. 


— 391 — 


Am 16. März erhob sich, nachdem die Temperatur bis 2 Uhr 
auf 33° geblieben und um drei Uhr noch kaum merklich gesunken 
war, um halb vier ein heftiger, kalter Wind aus Norden, der 
das Quecksilber sehr rasch auf 26° herunterbrachte. Der Wechsel 
war so rasch, dass ich mich — es wird bei unsern europäischen 
Temperaturverhältnissen Manchem sonderbar genug, ja selbst 
unglaublich vorkommen — in einen schweren Mantel hüllte, um 
die sich fühlbar machende „Kälte” besser ertragen zu können. 
Darauf folgte ein furchtbares Gewitter, das bis in die Nacht 
hinein dauerte und von einer Heftigkeit war, von der man sich 
in Europa kaum einen Begriff machen kann. Obschon fast jeder der 
folgenden Abende ein Gewitter brachte, stieg die Temperatur bei- 
nahe täglich auf 32° und sogar darüber, und erst gegen Ende März 
schwankte sie wieder zwischen 30 und 31°. 

Da mein Zustand trotz des gewichenen Fiebers dem alten CLARK 
noch immer bedenklich vorkam, gab ich endlich seinem Drängen 
nach und nahm einen Absud von Kräutern ein, die er zu diesem 
Zwecke gesammelt hatte. Beim Einnehmen befahl er mir, die 
Augen zu schliessen, da ich den Trank nicht sehen dürfe. Das 
sei, sagte er, eine Vorschrift, die zu dieser Medizin gehöre (a law 
upon that medecine). Mr. OLARK gab sich überhaupt viel Mühe, 
um mir als Arzt zu imponiren. Er sei leaf-doctor (Blätter-oder 
Kräuterdoktor), sagte er, und auf meine Frage, was dieser Name 
bedeute, erhielt ich zur Antwort, dass dies ein Ausdruck zum 
Unterschiede von American doctor sei. Schade, dass auch dieses 
Mittel nicht die gewünschte Wirkung hatte. Es lässtsich übrigens 
nicht läugnen, dass die Eingebornen, und besonders deren Aerzte 
und Zauberer, eine Menge vegetabilischer Heilmittel kennen und 
als Specifica gegen die eine oder andere Krankheit mit Erfolg 
in Anwendung bringen. Ich kenne sogar Beispiele, dass Weisse, 
die für gewisse Krankheiten, z.B. den sogenannten crow-crow, 
selbst bei europäischen Aerzten keine Heilung fanden, zu inlän- 
dischen Aerzten ihre Zuflucht nahmen und von diesen kurirt 
wurden. - Selbstverständlich sind die Heilmittel dieser Leute auf 
empirischem Wege gefunden. Aber ist dasselbe ursprünglich nicht 
auch mit dem Chinin und noch so vielen andern eminenten Heil- 
mitteln der Fall gewesen? Es wird wohl Niemanden befremden, 


— 392 — 


dass bei den Kuren dieser Leute allerlei Hokus Pokus mit 
unterläuft, ja dass häufig einer gewissen Zauberformel geradezu 
die Hauptwirkung zugeschrieben wird. 

Mein Zustand blieb bis gegen Ende März ungefähr derselbe 
wie zuvor. Bei strenger Diät und absoluter Ruhe wurde derselbe 
etwas besser, verschlimmerte sich jedoch, sobald ich mich etwas 
ermüdete, der heissen Sonne aussetzte oder von einem Gewit- 
terregen überfallen wurde. Je länger je mehr kam ich dabei zu 
der Ueberzeugung, dass in Schieffelinsville keine Genesung zu 
erwarten sei, und da ich mich früher in Hill Town fast aus- 
nahmslos sehr wohl befunden hatte, so verlangte ich wieder 
dorthin zurückzukehren. 

Auf meinen Wunsch kam am Sonnabend 26. März Sraupruı 
den Fluss herunter um mich abzulösen, und am Montag darauf 
kehrte ich nach Hill Town zurück. Der Fluss war infolge der. 
letzten Regengüsse wohl um 4’ gestiegen , so dass wir nun bequem 
über Baumstämme wegfuhren, unter welchen wir uns früher 
mit grosser Mühe durchdrängen mussten. Das Wasser war 
trübe und gelb und das Gefälle so stark, dass es die Ruderer 
ausserordentlich viel Mühe kostete, um bei der starken Strömung 
überhaupt noch vorwärts zu kommen. 

Der Empfang in Hill Town war überaus herzlich. Die Leute, 
welche durch CLARK von meinem traurigen Zustande unterrichtet 
worden waren, eilten mir bei der Ankunft entgegen; die Männer 
reichten mir die Hand; die head-woman CLARK’S schloss mich sogar 
in die Arme, und JassA, die etwas hysterischer Natur war, wurde 
durch mein elendes Aussehen einerseits und andererseits durch 
die Freude des Wiedersehens so gerührt, dass sie in einen Strom 
von Thränen ausbrach und in ihre Hütte eilte, um sich nach 
Herzenslust auszuweinen. 

Von allen Seiten trachtete man nun, mir das Leben so angenehm 
wie möglich zu machen. Meine Bedienten hielten sich musterhaft, 
und durch die Frauen der Stadt wurde ich halb zu Tode gefüttert. 
Die guten Leute wussten mir freilich wenig anderes anzubieten 
als tomboy, ihr Leibgericht, mit etwas Fleisch- oder Fischsuppe 
übergossen und mit einem Büschel spanischer Pfefferschoten 
verziert. Jassa aber hatte während meiner Abwesenheit einen 


— 3893 — 


kleinen Vorrath von inländischem Reis, geräuchertem Fleisch von 
Gott weiss welchen Thieren, die man StTAumPprLı von allen Seiten 
hergebracht hatte, und getrockneten Fischen angelegt und war 
jedesmal sehr erzürnt, wenn sie bei ihrer Heimkehr vom Felde 
sah, dass ihr eine Andere mit dem Bereiten einer Mahlzeit zuvor- 
gekommen war. Dass diese inländische Kost für mich sehr zuträg- 
lich gewesen sei, wäre freilich eine sehr gewagte Behauptung. 

Einige Tage nach Ankunft in Hill Town war ich, wahrschein- 
lich infolge der Flussfahrt, wieder sehr schwach, doch verbes- 
serte sich mein Appetit, und kräftige Suppen von frischem Anti- 
lopenfleisch mit Reis hoben meine Kräfte zusehends, so dass ich 
zu Anfang April wieder einige Schritte gehen konnte. Doch kaum 
regte sich wieder einige Hoffnung, dass nun alles gut gehen werde, 
kaum war mit CLARK verabredet, nach vierzehn Tagen unsere 
lang geplante Fussreise durch das Land der Pessy, Barline 
und Golah zu machen und auf dem Rückwege Mr. Day am 
St. Paul zu besuchen, als eine Reihe von schweren Fieberanfällen 
mich wieder gänzlich entkräftete. 

Am 8. April war ich schon nicht mehr im Stande, meine 
Hütte zu verlassen. Zudem litt ich seit einigen Tagen an einem 
Zahngeschwür, welches mir die Aufnahme von festen Speisen 
unmöglich und das Trinken äusserst beschwerlich machte. Wohl 
dachte ich nun ernstlich daran, baldmöglichst nach Monrovia 
überzusiedeln und mich unter Behandlung des französischen 
Missionärs, Pater StorLL, zu stellen oder eventuell nach Europa 
zurückzukehren; doch war ich viel zu schwach, um die beschwer- 
liche Reise wagen zu dürfen. Ueberdies that es mir in der 
Seele leid, schon von Hill Town und seinen einfachen Bewohnern 
Abschied zu nehmen. Je mehr ich mich an die Denkweise, das 
Thun und Treiben dieser Eingebornen gewöhnte, je mehr ich 
dieselben begreifen lernte, desto besser verstand ich ihre guten 
Seiten zu würdigen. Es gab in Hill Town ausser dem Häuptling 
CLARK noch verschiedene eigenthümliche, ja einzelne recht son- 
derbare Individuen, und ich bedaure sehr, kein besserer Charak- 
terzeichner zu sein, um wenigstens einige derselben mit scharfen 
Strichen skizziren zu können. Dessenungeachtet kann ich nicht 
umhin, einzelne dieser Leutchen meinen Lesern vorzustellen, 


— 394 — 


selbst auf die Gefahr hin, dabei Dinge zu erzählen, die eigentlich mehr 
in den später folgenden, ethnographischen Theil hineingehörten. 

In erster Linie nenne ich Torro, die Hauptfrau CLArk’s, die 
mit wahrhaft mütterlicher Sorge sich befliss, alle meine Lebens- 
bedürfnisse zu befriedigen. Sie war, wie JAssA, aus dem Veystamme 
gebürtig, bei welchem Crark früher längere Zeit zugebracht, 
doch hatte sie sich in die neuen Verhältnisse und die neue 
Umgebung gut eingewöhnt und auch die Queahsprache gründlich 
sprechen gelernt, etwas, das der geistig weniger entwickelten 
Jassa nie gelingen wollte. Als head-woman hatte sie dem ganzen 
Haushalt OLARR’s vorzustehen und auch in allen häuslichen 
Angelegenheiten ein gewichtiges Wort in die Wagschale zu legen. 
Mr. OLARK hielt äusserst viel von ihr und that nie etwas von einiger 
Bedeutung, ohne sie erst um ihre Meinung gefragt zu haben. 
Obschon dieser weibliche Majordomus für meinen Haushalt den 
Proviant lieferte, hat mich derselbe, so lange ich in Hill Town 
wohnte, niemals auch nicht um ein Blatt Tabak gebeten, und 
doch war ihm, wie den meisten Negerinnen, das Tabakrauchen 
ein wahrer Hochgenuss. Stets war die Frau bescheiden, dienstfertig 
und in hohem Grade dankbar für jede, auch die geringste Gabe, 
die sie gelegentlich von mir erhielt. Noch jetzt, nachdem ich 
weiss, dass ich sie nie wiedersehen werde, mache ich mir 
manchmal Vorwürfe, dass ich mich für alle mir bewiesenen 
Dienste nicht erkenntlicher gezeigt. Dabei war sie ehrlich und 
treu wie Gold, so dass ich ihr ruhig alle meine Habseligkeiten 
hätte anvertrauen dürfen, selbst manches, das ich in den Händen 
ÜLARK’S für nicht ganz sicher gehalten hätte. Obschon sie als 
die Gebieterin über den ganzen Haushalt angesehen werden 
musste und selbst in Verhältnissen CLARK’s mit seinen übrigen 
Weibern und deren Kindern ein entscheidendes Wort mitzuspre- 
chen hatte, war sie, wie überhaupt alle Negerinnen, sehr 
arbeitsam und half selbst bei den Feldarbeiten, die dort zum 
grossen Theil den Frauen überlassen sind, eifrig mit. Sie war 
kaum viel besser sekleidet als die übrigen Frauen, vor welchen 
sie sich in dieser Hinsicht nur durch einigen Silberschmuck in 
der Form von Fingerringen, Armspangen und einigen Beinringen 
unterschied. Besser aber als an diesem äussern Schmuck erkannte 


— 895 — 


man ihre höhere Stellung an dem ruhigen, taktvollen Auftreten 
in allen Angelegenheiten, bei welchen sie rathend oder handelnd 
einzugreifen hatte. 


= 


2 


Menschengruppe in Hill Town. 


Während meiner langen Abwesenheit von Hill Town hatte 
sich dort ein Onkel CLarkr’s niedergelassen, der auf mich trotz 
seiner Eigenheiten sofort einen günstigen Eindruck machte. Der- 
selbe war Häuptling eines weitabgelegenen Negerdorfes gewesen , 


— 3% — 


aber wie sein Neffe CLArk viel mit Christen in Berührung 
gekommen, ja er hatte sogar bei den Liberianern lesen gelernt. 
Das Christenthum schien ihm imponirt und dessen Lehren ihn 
viel beschäftigt zu haben, denn in seinen alten Tagen noch 
bekam er, nach der Weise der Methodisten, religiöse Erweckun- 
gen, d. h. er fühlte auf einmal die ganze Schwere seines bisherigen 
sündigen Lebens und zugleich den Ruf, in die Gemeinde der 
Christen aufgenommen zu werden. Er entliess nun seine sämmt- 
lichen Frauen bis auf seine head-woman, und die jüngste davon, 
Mary, wurde bald darauf von CLARK annectirt. Der gute, alte 
Onkel, der selbst wenig mehr arbeitete, las fast den ganzen 
Tag in seinem englischen Neuen Testamente, betete viel und 
trachtete auch die Leute von Hill Town zum Christenthum zu 
bekehren. Er war ein herzensguter, alter Mann, dem es mit seinem 
Christenthum wirklich Ernst war und der dessen Lehren von 
Ehrlichkeit und Nächstenliebe bei sich selbst strengin Anwendung 
brachte. | 

CLARK hatte in dieser Hinsicht ein viel weiteres Gewissen 
und wusste Vielweiberei und Fetischglauben treffllich mit dem 
Christenthum in Uebereinstimmung zu bringen. Auch er hielt 
an gewissen Abenden und manchmal am Sonntag eine Art 
Gottesdienst, wobei er die Bewohner von Hill Town um sich ver- 
sammelte, vor ihnen in der Queahsprache irgend einen Bibeltext 
erklärte und dann die Bibelstunde mit einem kurzen Gebete 
schloss. 

Trotz der christlichen Bestrebungen CLARK’s und seines Onkels 
beherbergte Hill Town zwei Männer, die in ganz anderer Rich- 
tung thätig waren. Der Eine war ein Zauberdoktor (greegree- 
man , medecine-man), der sich einbildete, Krankheiten mit der einen 
oder andern Zauberformel heilen, gestohlenes Eigenthum zurück- 
erlangen, überhaupt die wunderbarsten Sachen verrichten zu 
können. Dieser Mann, der übrigens mehr Zauberer als leaf-doctor 
war, hielt grosse Stücke auf sich selbst, trug stets eine schwarze, 
wollene Zipfelmütze, die er. bis über die Ohren und in den 
Nacken herunterzog, und darüber einen grauen Cylinderhut, den 
er auf irgend welche Weise in seinen Besitz zu bekommen 
gewusst hatte. Diese Kopfbedeckung, zusammen mit der übrigen, 


— 397 — 


sehr spärlichen Kleidung, die aus einer alten Weste und einem 
um die Lenden gewickelten Taschentuche bestand, sowie seine 
etwas affektirt würdige Haltung gaben dem Manne ein besonders 
komisches Aussehen. (Siehe vorstehende Abbildung). 

Das zweite Original war ein alter Mandingomann mitsilber- 
weissem Haar und Bart, von dem ich nie erfahren konnte, wie 
er dazu gekommen war, sich in dem armen Neste niederzulassen. 
Er war, wie die meisten Mandingo, Mohammedaner und hielt 
mit grosser Strenge an all den Formeln fest, die sein Glaube 
ihm vorschrieb. Schon früh vor Tagesanbruch konnte man ihn 
in seiner ärmlichen Hütte singen und seine ellenlangen Gebete 
hersagen hören, und kein Abend gieng vorbei, ohne dass er sich 
vor das bereits früher erwähnte kleine Häuschen auf dem öffent- 
lichen Platze hinstellte, mit einer fabelhaften Zungengeläufigkeit 
seine Gebete herunterplapperte und zum Schlusse, nachdem die 
Sonne unter den Horizont gesunken war, mit feierlicher Stimme 
sein Allah il Allah in die dunkle Nacht hinaussang. Obschon der 
gute Alte kein eigentlicher Derwisch war und sich auch keine 
Mühe gab, unter diesen Kafirs Anhänger für den Islam zu werben, 
wurde er doch scherzweise „der alte Murry,,” eine Abkürzung des 
Wortes murry-man (Derwisch) genannt. Niemand in der ganzen 
Stadt dachte daran, dem Manne seine etwas lauten Glaubensäus- 
serungen übel zu nehmen, am allerwenigsten der Häuptling CLARK 
selbst, welcher, obschon dem Christenthum zugethan, denselben 
doch gerne leiden mochte. Ueberhaupt ist Liberia das Land der 
unbeschränktesten Glaubens- und Gewissensfreiheit, und zur Ehre 
der Missionäre wie auch der christlichen Americo-Liberianer muss 
gesagt werden, dass ihnen religiöser Fanatismus und Hass gegen 
Andersgläubige stets fern geblieben ist und, wie ich hoffe, auch 
in Zukunft stets ferne bleiben wird. 

Am 11. April kam unser Diener PETER an, den STAMPFLI 
sandte, um nach meinem Befinden zu fragen, da in Schieffelins- 
ville ungünstige Berichte über meinen Zustand eingelaufen waren, 
und zugleich ein neues Jagdgewehr zu überbringen, das aus 
Holland angekommen war. Da ich mich wieder etwas stärker 
fühlte, so beschloss ich, unverweilt die Rückreise nach Schieffelins- 
ville anzutreten. Ich rechnete mit Mr. CLARK, der mir nun 


— 398 — 


infolge ab und zu erhaltener Vorschüsse etwa 18 Dollars schul- 
dete, ab, indem ich ihm diesen Betrag einfach quittirte. Konnte 
ich mir dies ja ruhig erlauben, da ich durch seine Vermittlung 
eine Reihe von seltenen und äusserst werthvollen Thieren in 
meine Hände bekommen, die ich vielleicht sonst nie erhalten hätte. 

Der Abschied wurde mir wirklich schwer, denn obwohl ich 
den Leuten versprach, vor meiner Abreise aus Liberia noch 
einmal herzukommen, machte doch das Aufheben der Station 
den Eindruck, als ob eher das Gegentheil der Fall sein würde. Am 
12. April früh reiste ich ab, nichts als meine Flagge zurück- 
lassend und der Obhut CLArk’s empfehlend, zum Zeichen, dass 
ich nochmals wiederzukommen gedenke. 

ULARK hatte mir, da mein Canoe nicht alles fassen konnte, 
das seinige mit den nöthigen Ruderern angeboten, und beinahe 
sämmtliche Bewohner des Ortes und der umliegenden Farmen 
gaben mir bis zum Flusse hinunter das Geleite. Um 12 Uhr 
kam ich bei Srauprıı an und machte gleich alles bereit, um am 
folgenden Tage nach Monrovia weiterzureisen. 


AMELE, 


Nach den Hafenplätzen des östlichen Liberia. 
Rückkehr nach Europa. 


Aufenthalt in Monrovia. - 
— Grand Bassa: Ansicht 
von der Rhede aus. — Die 
Bai von Bassa undiihre Ent- 
stehung. — Fishtown. — Up- 
per Buchanan. — Edina. — 
Hydrographische Verhält- 
nisse. — Fahrt auf dem 
St. John’s River. — Die 
Stromschnellen. — Nach 
a River Cess: Felsige Kü- 
= ste. — Tobaccannee undder 
Devil Rock. — Der Little 
Culloh River. — Besuch bei 
König Tom Wınr. — Timbo. 
— River Cess: Die hol- 
ländische und belgische 
Faktorei. — Die Insel der 
Todten. — Besuch beiKing 
Davıs. — Nach den Strom- 
schnellen. — Fahrt nach Si- 
noe. — Sinoe: Vorgebirge 
und Bucht. — Mündungsgebiet des Sinoe River. — Greenville. — Die Fakto- 
reien. — Nach den Wasserfällen. — Bloobarra und Jack Dandy’s Town. — 
Nach Cap Palmas. — Cap Palmas: Das Vorgebirge und die Russwurminsel. — 
Der Hoffmann River. — Harper und Latrobe. — Die Salzwasserlagune. — Dr. 
NAcHTIGAr’s Grab. — Rückreise nach Schieffelinsville. — Abschied von Hill 
Town. — Zurück nach Monrovia. — Abschied. — Rückreise nach Europa. 


WOoERMAnN’sche Faktorei in Upper Buchanan. 


In Monrovia genoss ich die Gastfreundschaft des holländischen 


— 400 — 


Consuls, Herrn MODDERMAN, und seiner Gemahlin, einer liebens- 
würdigen Holländerin, die in der obern Stadt an der Broadstreet 
ein schönes, geräumiges Haus bewohnten und sich auf europäische 
Weise eingerichtet hatten, soweit sich dies mit den dortigen 
Verhältnissen in Uebereinstimmung bringen liess. 

Herr MopperMmAn hatte, mit verschiedenen Unterbrechungen, 
schon seit der Gründung der holländischen Faktoreien, also 
nahezu zwanzig Jahre, in Liberia zugebracht‘). Er kannte Land 
und Leute wohl besser als sonst ein Europäer, und manche 
werthvolle Mittheilung politischer und wirthschaftlicher Art habe 
ich ihm zu danken. Seine Gemahlin, die übrigens noch nicht 
so lange an der Küste war, schien das liberianische Klima gut 
ertragen zu können und verstand es, dem dortigen Leben, das 
nicht gerade reich an Abwechslungen ist, eine angenehme San 
abzugewinnen. 

Sofort nach meiner Ankunft stellte ich mich ner Behandlung 
von Pater N. SroL, einem äusserst jovialen und liebenswürdigen 
Mann, der für einen Geistlichen bedeutende medizinische Kenntnisse 
besass und diese durch langjährige Erfahrungen über die den Tropen- 
ländern eigenthümlichen Krankheiten unterstützte. Er war früher 
als Missionär in China, in Südamerika und auch lange Jahre in Sierra 
Leone gewesen und stand nun als Superior an der Spitze der einzigen 
katholischen Mission in Liberia, die vor einigen Jahren durch eine 
französische Gesellschaft 2) gegründet worden war. 

Während der ersten Tage gieng es mit mir eher schlimmer, 
als besser; doch sehr bald stellten sich die wohlthätigen Folgen 
einer zweckmässigen Kost, Ruhe und guter Behandlung von 
Seiten des freundlichen Paters ein, so dass, nachdem einmal 
eine Wendung zum Guten eingetreten war, die Genesung rasche 
Fortschritte machte. Da mich Pater StoLL, der einen Rückschlag 
befürchtete, vor einer baldigen Rückkehr nach Schieffelinsville 
warnte, so entschloss ich mich, einen schon lange gehegten Plan 
auszuführen und einige Küstenplätze des östlichen Liberia und 
deren Umgebung zu besuchen, um mir einen klarern Begriff 


1) Seither ist er mit seiner Frau für immer nach Europa zurückgekehrt. 
°) Die Oongregation du Saint-Esprit et du Saint-Coeur-de-Marie. 


— 401 — 


über die dortigen Verhältnisse bilden zu können. Da gerade ein von 
Hamburg kommender WOoERMANnN’scher Dampfer fällig war, so bot 
sich mir dazu eine vortreffliche Gelegenheit, besonders da derselbe 
von Monrovia direkt nach Cap Palmas gehen sollte, von wo 
. aus ich dann, mit einem damals dort liegenden Segelschiffe der 
Firma MÜLLER & Co. der Küste entlang zurückfahrend, die vor- 
nehmsten Hafenplätze hätte besuchen können. 

Am 21. April Abends kam die „Ella Woermann”, Kapitän 
DITTmer, an. Um 10 Uhr gieng ich, begleitet von meinem Leib- 
diener Bog, an Bord, und um Mitternacht fuhren wir ab. Anstatt 
aber direkt nach Cap Palmas zu gehen, hatte der Kapitän Ordre | 
erhalten, um in Grand Bassa den deutschen Angestellten SA- 
wırzky an Land zu setzen, weshalb er, um die dadurch versäumte 
Zeit einzuholen, beschloss, Cap Palmas nun nicht anzulaufen. 
So gieng ich denn in Lower Buchanan oder Fishtown, dem 
Ankerplatze von Grand Bassa, wo wir am nächsten Morgen bei 
Tagesanbruch zur Rhede kamen, an Land und wurde von dem 
deutschen Hauptagenten, Herrn JAEGER, und dem Agenten in der 
dortigen deutschen Faktorei, Herrn WUNDERLICH, aufs freund- 
lichste aufgenommen und eingeladen, bei ihnen für die paar Tage 
meines Aufenthalts in Bassa Quartier zu nehmen. 

Schon der Blick von der Rhede aus auf das ausgedehnte 
Gebiet von Grand Bassa mit den zahlreichen, sich scharf am 
Horizont abzeichnenden blauen Bergen im Hintergrunde ist unge- 
mein interessant. 

Im N.N.W. erblickte ich die sogenannte Table Mountain, 
einen breiten und jedenfalls sehr hohen Bergrücken, der ent- 
weder mit einem Berge am linken Ufer des Farmingston River 
oder aber mit dem einen oder andern der von mir angetrof- 
fenen Höhenzüge am Du Queah identisch sein dürfte. Oestlich 
von dieser Table Mountain (Tafelberg), so genannt wegen seiner 
steil abfallenden Hänge und des gänzlich horizontalen Rückens, 
und etwas mehr in den Vordergrund gerückt, erheben sich die 
niedrigen, langen Bassa Hills, eine grosse Anzahl von isolirten 
Anhöhen, die von der See aus wie ein vielbuckliger Bergrücken 
aussehen. Im Osten wird die lange Kette von Berggipfeln durch 


eine bedeutend höhere und zudem mehr im Hintergrunde stehende 
LIBERIA, 1. 26 


— 402 — 


Erhebung abgeschlossen, die von der Rhede aus gesehen in 
nordnordöstlicher Richtung liegt und jedenfalls mit den Finley 
Mountains am obern St. John’s’ River identisch ist. Einige 
vorgelagerte, niedrigere Höhenzüge müssen als die Fortsetzung 
der Bassa Hills betrachtet werden, welche auf der Höhe der ersten 
und zweiten Stromschnelle den St. John’s River durchsetzen. 

Die Bucht von Bassa ist sehr weit, und ihre ganze Lage und 
. Form, die täuschend an die Buchten von Cape Mount und 
Monrovia erinnert, lässt keinem Zweifel darüber Raum, dass auch 
sie durch die mehrerwähnte Meereserosion entstanden sei. Diese 
Bucht wird, statt durch ein wirkliches Vorgebirge, durch eine 
Kette von Felshaufen gebildet, welche in nordwestlicher Richtung 
ins Meer vorspringen. Diese Felsen, die zum Theil bis 25’ über 
das Meeresniveau emporragen, theils aber als gefährliche Riffe 
sich unter Wasser weit in die See hinaus erstrecken, sind für 
die Schiffahrt sehr gefährlich. Dampfböte sowohl als Segelschiffe 
ankern denn auch sehr weit draussen; doch da die vorgescho- 
benen Felsmassen die schwere Brandung genügend zu brechen 
vermögen, ist die See in der Bucht hinter denselben sehr ruhig 
und die Landung für die Brandungsböte gänzlich gefahrlos. 
Ohne Zweifel sind die Felsmassen von Bassa Point, sowie 
die nahezu gänzlich isolirten Dhouar Rocks, das Yellow 
Will Reef und ein noch etwas weiter draussen liegendes, erst 
kürzlich mit einer verankerten Boje versehenes, unter Wasser 
liegsendes Riff als die Reste eines durch die schwere Brandung 
allmälig zertrümmerten, niedrigen Vorgebirges zu betrachten. 
Warum sollte es aber nicht ebensoviel Widerstand geboten 
haben, als z.B. das Cap Messurado? Erstens, weil es, nach den 
jetzigen Ueberresten zu urtheilen, bei Weitem nicht so massiv 
gewesen sein dürfte und zweitens, weil höchst wahrscheinlich 
der Gneiss, aus welchem es bestand, nicht so widerstands- 
fähig war, wie das aus Grünstein bestehende Vorgebirge Mes- 
surado. 

In frühern Zeiten waren die beiden Küstenplätze Edina und 
Buchanan, ersterer am rechten, letzterer am linken Ufer des 
St. John’sflusses gelegen, die Haupthandelsplätze von Grand Bassa, 
und Fishtown war, wie schon der Name andeutet, nichts als ein 


&) Krootowon 


AN 


GRAND BASSA 


1:100 000 
Declhnation 20°) 


\ 
Tobaccannee Point 
und Rocks = 


DevilRock® == 


— 4038 — 


von Eingebornen bewohntes Fischerdorf. Die Brandung vor der 
Mündung des St. John ist aber, besonders in der Regenzeit, ge- 
fährlich, ja hin und wieder geradezu unpassirbar, so dass die 
Böte der beiden englischen Dampferlinien schon sehr früh. be- 
sannen, die Mail (Post) in der viel ruhigern und jederzeit bequem 
erreichbaren Bucht von Fishtown, der Waterhouse Bay der See- 
karten, an Land zu setzen und abzuholen. Wie sich aber der 
Handel mit den zahlreichen Küstenplätzen südöstlich von Bassa 
zu immer grösserer Bedeutung aufschwang und in der Brandung 
von Edina-Buchanan ‚fortwährend viele Güter und Böte verloren 
siengen, wurden durch die Faktoreien dieser Plätze der sichern 
Landung wegen in Fishtown Depöts errichtet. Diese waren nichts 
weiter als Güterschuppen, in denen die von der untern Küste in 
kleinen Segelböten angebrachten Landesprodukte gegen Quittung 
in Empfang genommen und aufgestapelt wurden, bis sich eine 
Gelegenheit zur Verschiffung darbot. Ein liberianischer Clerk 
genügte, um einem solchen Depöt vorzustehen, und die Quittungen 
mussten auf der Hauptfaktorei in Edina oder Buchanan eingelöst 
werden. Allmälig aber, als die Geschäfte in den guten Jahren 
von 1882—-85 immer mehr aufzublühen begannen, wurden in 
Fishtown regelrechte Faktoreien mit grossen und schönen Gebäuden 
errichtet, die fortan durch weisse Agenten verwaltet wurden. 
Gegenwärtig ist in Fishtown, das allmälig den Namen Lower 
Buchanan erhalten hatte und wohin schon seit geraumer Zeit 
das Postbureau von Grand Bassa verlegt worden war, der Handel 
viel bedeutender als in den beiden frühern Emporien, und die 
grossen Geschäfte in den Letztern mit ihren schönen, sehr geräu- 
migen Gebäuden, die nun bloss noch auf den Tauschhandel mit 
dem Innern, namentlich längs der Wasserstrassen des St. John’s-, 
Mechlin- und Benson River angewiesen sind, haben viel von ihrer 
frühern Bedeutung verloren. 

Ich war in hohem Maasse verwundert, in Fishtown so schöne 
Faktoreien anzutreffen. Das deutsche Faktoreigebäude, das grösste 
von allen, die ich bisher in Liberia gesehen, ist ganz aus Wel- 
lenblech erbaut. Es enthält im Erdgeschoss ausgedehnte Waaren- 
räume und oben einen mehr als die Hälfte des ersten Stockes 
einnehmenden Store (Verkaufslokal) nebst geräumiger Wohnung 


— 404 — 


für den weissen Chef der Faktorei. Auf zwei Seiten des Hauses 
sind breite, luftige und schattige piazzas (Verandas) angebracht. 
In dem grossen, das Gebäude umschliessenden und mit einem 
Staketenzaun umzogenen yard (Hofraum) stehen allerlei schup- 
penartige, aus Holz erbaute Dependenzgebäude, wie Küche, Woh- 
nungen für Bediente und Palmölschuppen. | 

Auch das holländische Faktoreigebäude ist sehr gross, aber 
ganz aus Holz gebaut und aus Holland herübergebracht. Der 
Vorsteher des holländischen Geschäfts war Herr LEERSMA, dem ich 
in Begleitung des Herrn WUNDERLICH gegen Mittag einen Besuch 
abstattete. Ein anderes, sehr bedeutendes Geschäft gehört einem 
Mr. Arrıa, einem Marokkaner, der, obwohl kein. Neger, mit 
Rücksicht auf seine afrikanische Abstammung das liberianische 
Bürgerrecht zu erwerben wusste und infolgedessen auch aus den- 
jenigen Küstenplätzen Landesprodukte herholen kann, die den 
Europäern verschlossen sind. Mr. Artıa ist im Umgang ein sehr 
liebenswürdiger Mann, der sofort bereit war, mir in einem seiner 
der Küste entlang nach River Cess fahrenden Seegelböte Passage 
nach letzterm Platze zu gewähren. Auch eine französische Fak- 
torei befand sich in Fishtown mit einem Deutschen, Herrn MICHEL, 
als Chef und einem andern Deutschen und einem Russen als 
CGlerks, doch schien diese Faktorei keine bedeutenden Geschäfte 
zu machen. Diese unter dem Namen „the French store” bekannte 
Faktorei wurde im October 1886 gegründet und war damals die 
einzige, welche die Compagnie du Senegal, früher Firma VERMINCK 
in Marseille, in Liberia besass. Ausserdem sind noch verschiedene 
liberianische Kaufleute hier thätig, unter welchen ein Mr. CHEESEMAN 
jedenfalls der bedeutendste ist. 

Sämmtliche Faktoreigebäude, sowie auch das sehr primitive 
Postbureau, stehen in gerader Linie an einem Fusspfade, der 
parallel mit dem Strande läuft und etwa 60 Schritte von diesem 
entfernt ist. Auf dem schmalen, mit Gras und Unkraut bewach- 
senen Landstreifen, der den Fusspfad vom Strande trennt, stehen 
einige riesenhafte Wollbäume (Bombax), die von den Eingebornen 
für heilig gehalten werden und der flachen Küstenlandschaft zur 
ganz besonderen Zierde gereichen. 

Gegen Abend begab ich mich, zusammen mit Herrn JAEGER, 


PrRanD Passa. 


WOLLBAUM VOR DER WOERMANN’SCHEN FAKTOREI 
IN FISHTOWN. 


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— 405 — 


nach Buchanan, zur Unterscheidung von Lower Buchanan oder 
Fishtown auch wohl Upper Buchanan genannt. Jeder von uns 
wurde durch vier Mann von ungefähr gleicher Grösse in einer 
Hängematte getragen. Diese letztere hängt der Länge nach an 
einem langen Stock, der vorn und hinten aufeiner ziemlich breiten, 
jochartigen Querlatte festgebunden ist. Jede Querlatte ruht auf 
den Schultern oder dem Kopfe von zwei Trägern, so dass für 
‚jede Hängematte vier Träger nöthig sind. Einem wohlgebahnten, 
breiten Pfade folgend, brachten uns die Träger in beinahe anhal- 
tendem Trabe bald durch Wald, bald durch Grassteppe, und unter- 
wegs auf einer gut unterhaltenen Fussbrücke einen breiten Creek 
überschreitend, nach Upper Buchanan, woselbst wir nach einem 
Ritt von kaum einer Stunde in der deutschen Faktorei ankamen. 
Upper Buchanan liest auf einer schmalen Landzunge, die 
sich von Fishtown in nordwestlicher Richtung bis zu der Mün- 
dung des St. John’s River erstreckt und auf der einen Seite durch 
die See, auf der andern durch den Benson River flankirt wird. 
Unter der Regierung BUCHANAN’sS, des ersten amerikanischen Gou- 
verneurs (1839 —41), der hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen 
hatte und dem zu Ehren er diesen Namen trägt, gelangte dieser 
Ort zu grosser Blüthe, von welcher jetzt noch zahlreiche solide, 
steinerne Gebäude und einige auf dem ebenen Strandsaum liegende 
Kanonen beredte Zeugen sind. Jetzt aber, nachdem infolge gänz- 
licher Centralisation der regierenden und höchsten richterlichen 
Gewalten Monrovia deren alleiniger Sitz geworden ist, hat die 
Bedeutung dieser Handelsmetropole sichtlich abgenommen. Hier 
befindet sich auch das Grab BUCHANAN’s, sowie dasjenige GARDNER’S, 
des vorletzten Präsidenten der Republik, welcher sich nach 
seinem Rücktritt von der Regierung hieher zurückzog und bald 
darauf starb. Des Letztern Grab, auf einer kleinen Anhöhe am 
Ufer des Benson River, ziert ein einfaches, durch die Familie 
 GARDNER’s errichtetes Denkmal. Die Bewohner von Buchanan 
leben fast ausschliesslich von Tauschhandel mit den Eingebornen, 
doch ist derselbe, wie bereits erwähnt, in den letzten Jahren 
bedeutend zurückgegangen. 
Der Benson River, so genannt zu Ehren des zweiten, sehr 
energischen Präsidenten der Republik, ist ein ziemlich breiter, 


— 406 — 


meist durch sumpfiges Terrain fliessender und wahrscheinlich nicht 
sehr weit aus dem Innern kommender Fluss, der sich unmit- 
telbar hinter der Mündung des St. John’s River mit diesem Letztern 
vereinigt. Die Landungsplätze der verschiedenen Faktoreien in 
Upper Buchanan befinden sich an diesem Flusse. 

Gerade gegenüber seiner Mündung liest, auf dem ziemlich 
hohen und steilen rechten Ufer des St. John, der Küstenplatz 
Edina), welcher gegenwärtig, trotz der weniger günstigen 
Handelsverhältnisse, viel wohlhabender und blühender aussieht, 
als Upper Buchanan. 

Edina ist die älteste Niederlassung amerikanischer, farbiger 
Colonisten in Grand Bassa”); denn seine Gründung, unter der 
Aegide einer Gesellschaft in Edinburg, fällt in der Anfang der 
dreissiger Jahre. | 

Am nämlichen Abend noch begleitete mich Herr JAEGER in 
seiner Schaluppe nach Edina, um bei den holländischen Kaufleuten 
van Duyn und van BEUsERom einen Besuch abzustatten. Das 
dortige holländische Faktoreigebäude, gleich demjenigen in Fish- 
town aus Rotterdam herübergebracht, wurde erst vor einigen 
Jahren, als Edina mit Upper Buchanan noch das Handelsem- 
porium von Grand Bassa bildete, errichtet und enthält sehr grosse 
und luftige Magazine und Wohnräume. 

Die hydrographischen Verhältnisse von Grand Bassa haben 
srosse Aehnlichkeit mit denjenigen bei Junk, Monrovia und Grand 
Cape Mount. Wie dort, so vereinigen sich auch hier drei Fluss- 
läufe unmittelbar vor ihrer Einmündung in die See, indem der 
srosse, weit aus dem Innern kommende St. John’s River rechts 
oberhalb Edina, den von Nordwesten kommenden Mechlin 
River und etwas weiter unten, von Osten her, den schon 
senannten Benson River aufnimmt. Ein dritter, obwohl nur 
sehr unbedeutender Fluss, der Bissaw River, ergiesst sich 
dicht hinter Bassa Point in die Bucht von Fishtown. Bei ihrer 
Vereinigung mag der Mechlin River etwa 100, der St. John 600, 
der Benson River 200 Schritt breit sein. 


!) Sprich: Idaina. 
2) Letzterer ist der Collectivname für sämmtliche americo-liberianische 
Niederlassungen im Gebiete des St. John’s River. 


— 4 — 


Am 24. April, einem Sonntage, machte ich mit Herrn vAn 
BEUSEROMm in Herrn JAEGER’s Schaluppe eine Fahrt den St. John 
hinauf, soweit derselbe für unser Boot fahrbar war, wobei ich 
mir die grösstmögliche Mühe gab, denselben mit Hülfe des 
Compasses in Karte zu bringen. Bis zu der liberianischen Nieder- 
lassung Hartford hinauf ist der Fluss ziemlich gerade, ohne eine 
einzige bedeutende Krümmung. Auffallend war, dass wir während 
der Fahrt fast keine Mangrove antrafen und auch nicht viel 
Pandanus, wohl aber gemischten Wald, zahlreiche Oelpalmen, 
aber keine einzige Weinpalme, und viele von Americo-Liberianern 
bewohnte Pflanzungen. Weiter oben werden die Ufer durch 
niedrige Anhöhen flankirt, und der Fluss selbst enthält ver- 
schiedene kleinere und grössere Inseln, die den landschaftlichen 
Reiz noch bedeutend erhöhen. Die unterste dieser Inseln ist 
beinahe eine englische Meile lang. Gegenüber der obersten Insel, 
auf dem hohen, linken Ufer, liegt die liberianische Niederlassung 
Bexley, deren kleine Kirche malerisch auf den Fluss hinunter- 
schaut. Bei Hartford, welchen Ort wir bald darauf, um 
halb neun, erreichten, sind die Ufer bis fünfzig und mehr Fuss 
hoch. Hier fanden wir eine durch zahlreiche, kahle Felsblöcke 
und buschbedeckte Felsinseln gebildete Barre, früher wahrschein- 
lich einen Wasserfall, jetzt aber nur eine unbedeutende Strom- 
schnelle bildend, über welche die Ruderer uns ohne besondere 
Anstrengung hinweg brachten. An dieser Stelle verlässt der 
Fluss seine ost-westliche Richtung, um in südwestlicher Richtung 
das Meer zu erreichen. Nach Osten fuhren wir nun weiter, 
nachdem ich zu meiner Freude auf den eben passirten Felsblöcken 
das Vorkommen der mehrerwähnten Glareola megapoda hatte con- 
statiren können. Etwas weiter oben landeten wir am rechten Ufer, 
das sich bei 100’ Fuss hoch sehr steil aus dem Flusse erhebt, und 
besuchten den Liberianer Mr. ScoTT, einen der Abgeordneten für das 
Repräsentantenhaus, den ich schon während meiner ersten Reise 
in Monrovia kennen gelernt und der mich wiederholt eingeladen 
hatte, ihn zu besuchen und eventuell in seiner Nähe eine Jagd- 
station zu errichten. Mr. Scott ist ein grosser Jäger und hatte 
einige Monate vor unserer Ankunft ein Flusspferd erlegt, von 
dem er mir als Beweisstücke die als Trophäen bewahrten Hauer 


— 408 — 


vorleste. Er führte uns auf seinen ausgedehnten Kaffee- und 
Kassavepflanzungen herum, und bei unserer Rückkehr fanden 
wir in seinem Hause eine schmackhafte Mahlzeit, bestehend aus 
Antilopenfleisch und tomboy, dem mehrerwähnten, liberianischen 
Nationalgericht. In der Nähe seines Hauses steht der grösste 
Bambusbusch, den ich bisher in Liberia angetroffen hatte. Einer 
der gefällten Stämme, oder richtiger Halme, hatte eine Länge von 
90° bei einer Dicke von °®’. Auch dieser Busch schien, wie 
derjenige bei Buluma und der viel grössere bei Gonon, absichtlich 
gepflanzt zu sein, umsomehr, als ich dieses nützliche Gewächs 
nur in der Nähe bewohnter Plätze, nie aber in unbestreitbar 
wildem Zustande angetroffen habe. 

Nach einigem Aufenthalt fuhren wir nach der beinahe zwei 
miles weiter oben gelegenen zweiten Stromschnelle. Diese konnte 
mit unserer Schaluppe nicht passirt werden; für Canoes aber 
befindet sich in der Nähe des rechten Ufers eine Stelle, an der die 
Barre einen wenn auch etwas schwierigen Durchgang gewährt. 
Einmal oben, soll dann der Fluss meilenweit bis an die Finley 
Mountains hinauf ohne Schwierigkeit befahren werden können. 
Wir legten nun am Fusse der Schnelle auf dem linken Ufer an 
und umgiengen zu Lande die unpassirbare Stelle. Nach oberfläch- 
licher Schätzung mag die Höhe der Stromschnelle, die eine 
lange, vielfach durch Felsen unterbrochene, schiefe Ebene bildet, 
ungefähr zehn Fuss betragen. Sie wird durch eine den Fluss quer 
durchsetzende Reihe von zum Theil mit Gebüsch bedeckten 
Felsinseln und kolossalen Felsblöcken (Gneiss) gebildet, über 
die sich das Wasser des noch immer breiten Flusses mit grossem 
Getöse hinunterstürzt. Nachdem wir noch ein in der Nähe 
liegendes Negerdorf (Bassaneger) besucht hatten, fuhren wir 
wieder flussabwärts und langten kurz vor Sonnenuntergang in 
Edina an. 

Den ganzen nächsten Tag litt ich wieder an Diarrhoe, so dass 
ich es gerathen fand, den Tag über in der Faktorei zu bleiben 
und mich nicht in die Sonne hinauszuwagen. Auch während der 
folgenden Tage war ich genöthigt, während der heissen Tageszeit 
zu Hause zu bleiben, so gerne ich auch einige grössere Ausflüge 
den Mechlin- und Benson River hinauf gemacht hätte. Da keine 


— 409 — 


andere Gelegenheit zur Weiterreise in Aussicht war, entschloss 
ich mich, in einem Segelboote die Küste entlang nach River 
Cess zu fahren und später von dort mit einer ähnlichen Gele- 
genheit die Reise nach Sinve!) fortzusetzen. 

Leider wartete ich einige Tage vergeblich auf eine solche 
Gelegenheit, da weder Herr WUNDERLICH noch Mr. ArrıA ein 
Boot zur Verfügung hatten. Erst am 27. April traf ein solches 
ein, und am folgenden Tage 11 Uhr morgens nahm ich Abschied 
von meinem freundlichen Gastherrn WUNDERLICH und trat, von 
diesem wohl verproviantirt, die Reise an. 

Das Boot war mit acht Krunegern bemannt, die auch hier, 
wie überall an der Küste, das beinahe ausschliesslich seefahrende 
Element unter den Negern sind. Mit erstaunlicher Sicherheit 
steuerte der „Captain’” das schwere Boot zwischen den von der 
Brandung umtosten Klippen von Bassa Cove hindurch und um 
Bassa Point herum ins offene Meer hinaus. Inzwischen hatte 
sich eine frische Seebrise erhoben, und mit geblähtem Segel 
glitten wir, ziemlich dicht unter der Küste hin nach Südosten 
steuernd, unserem Ziele entgegen. 

Von Bassa Point abwärts?) ist die Küste Liberia’s mit geringen 
Ausnahmen sehr felsig, und der schmale Strand ist mit Felstrüm- 
mern besät, an denen das zu Schaum zerpeitschte Wasser oft 
haushoch aufspritzt. Einzelne Felsmassen sind sogar weit in die 
See vorgeschoben, und zahlreiche Klippen, theils unter Wasser, 
theils hoch über dasselbe emporragend, sind ebensoviele Beweise 
von dem Einflusse der ewig an den granitnen Wällen nagenden 
Brandung. Die ganze Küste zwischen Bassa und Cap Palmas steht 
denn auch bei den Seefahrern schlecht angeschrieben , und manches 
Wrack ist der stumme Zeuge irgend einer Katastrophe, manch stol- 
zes Dampfboot wurde nach unglücklichem Stoss auf eine unter Was- 
ser verborgene Klippe für immer auftiefem Meeresgrunde gebettet. 


)) Sprich Sainoh. 

?) Man spricht hier nie von hinüber, sondern hinauf oder hinunter, wobei 
man den nordwestlichsten Küstenplatz als den obersten, den südöstlichsten 
als den untersten betrachtet. So sagt man z.B. in Monrovia: „Nach Cape 
Mount hinauf, nach dem Senegal hinauf,” aber „nach Cape Palmas hinunter, 
nach dem Cap (der guten Hoffnung) hinunter,” 


— 410 — 


Die nicht sehr hohe Küste ist ziemlich einförmig und meist mit 
sparrigem Strauchwerk bedeckt, aus welchem stellenweise zahl- 
reiche, schlanke Oelpalmen emporragen. Gelegentlich sieht man 
auch einzelne oder gruppenweise beisammen stehende, breitkronige 
Wollbäume, die dem Seefahrer als Wahrzeichen dienen und, da 
sie sehr alt werden, in Ermangelung von bessern Kennzeichen 
selbst in die englischen Seekarten aufgenommen sind. Solche 
Bäume sind so gut wie unfehlbare Beweise von dem Vorhandensein 
eines Negerdorfes, und ohne auf andere Kennzeichen zu achten, 
weiss jeder Küstenfahrer schon von Weitem an der Gestalt des 
Baumes das darunter oder daneben liegende Negerdorf zu erkennen. 
Da diese Küstenfahrer dafür sorgen, dass sie das Land nicht aus 
den Augen verlieren, wissen sie sich auch ohne Compass, 
Sextant und Chronometer jederzeit zurechtzufinden. Eine tage- 
lange Fahrt in einem einfachen Segelboote rief mir stets die 
kühnen, karthagischen Argonauten ins Gedächtniss, die schon 
um 600 vor Christo mit ebenso geringen nautischen Hälfsmitteln 
diese Küste entlang fuhren und, ohne die genaue Lokalkennt- 
niss meiner schwarzen Mannschaft zu besitzen, ihre drei Jahre 
dauernde, abenteuerliche Reise rundum den schwarzen Welttheil 
ausführten. 

Etwa 5 englische Meilen unterhalb Bassa Point liegt Tobac- 
cannee!), ein grosses Dorf, in welchem die meisten der in den 
Faktoreien von Fishtown arbeitenden Kruneger ihren Wohnsitz 
haben. Wie Fishtown, so liegt auch dieser Platz an einer durch die 
Meeresströmung gebildeten Bucht, welche durch den ‚westlich 
vorspringenden, felsigen Tobaccannee Point und die diesem vor- 
gelagerten, rundum von der Brandung umspülten Tobaccannee 
Rocks beschützt wird. Dieser Ort wird unter demselben Namen 
(Tabe Kanee) schon von DAPPpER auf p. 426 seines Buches erwähnt: 

Südwestlich von diesem Vorsprung liegt weit draussen im 
Meere der sogenannte Devil Rock, ein riesiger, etwa 40 Schritt 
langer, etwa 10’ über das Wasser emporragender und von schwerer 
Brandung umtobter, schwarzer Felsbuckel, welcher bei den 
Küstenfahrern in schlechtem Rufe steht. Die Neger vermeiden 


!) Sprich Topäkkenih, mit starkem Accent auf äk. 


— 41 — 


es ängstlich, beim Vorbeifahren über diesen Felsen zu sprechen, 
da ihnen sonst, wie sie glauben, ein Unglück zustossen würde. 
‚Zwischen dem Devil Rock und der felsigen Küste, sehr nahe bei 
ersterm, durchfahrend, erreichten wir New Cess mit kleiner 
Flussmündung, etwas später das von Bassanegern bewohnte 
Dorf Trade Town!) Um 5 Uhr kamen wir an die etwa 60 
Schritt breite Mündung des Little Culloh River der Seekarten, 
hier aber „Little Colah” 
genannt. Die Flussmün- 
dung wird zu beiden 
Tom Will’s TR Seiten durch hohe Fels- 
° ä . 
] massen flankirt, und die 
Einfahrt ist der schweren 
Brandung wegen sehr 
gefährlich, zu gewissen 
Zeiten sogar unmöglich. 
Dank der Geschicklichkeit 
des „Captains’” und seiner 
Der Little Culloh River. Mannschaft passirten wir 
jedoch, nachdem der Er- 
stere zum Opfer etwas Branntwein in die hoch rollende Brandung 
gegossen, in einem günstigen Augenblicke den Engpass und befanden 
uns nun auf dem spiegelglatten, durch eine breite Sandbank 
beschützten Flusse, der unmittelbar hinter der Mündung nach 
Osten abbiegt. Etwa eine halbe Meile ostwärts biegt der Fluss, 
der hier ungefähr 100 Schritte breit ist, nach Norden ab oder 
kommt, richtiger gesagt, von Norden her. Er soll ziemlich weit 
landeinwärts fahrbar sein. Wir aber folgten , unsern östlichen Kurs 
fortsetzend, einem von Osten herkommenden, breiten Seitenarme 
dieses Flusses, bis derselbe, wie die beigefügte Skizze zeigt, etwa 


Y o alt, ui, ln. 
Zn Little Culi 
IT, 
IS, 9, 
IS n 


ı) Hier hatte zu Ende der dreissiger Jahre, während links und rechts die 
americo-liberianischen Niederlassungen Sinoe und Bassa schon längst bestanden, 
der in der Geschichte des Sklavenhandels wohlbekannte Kapitän CAnorT eine 
grosse Sklavenfaktorei, wahrscheinlich eine der letzten in Liberia. Dieselbe 
wurde, nachdem sie von englischen Kreuzern lange Zeit blokirt worden 
war, im Jahre 1841 aufgehoben. Siehe: Kapitein CAnoT, of twintig Jaren uit 
het leven van een Slavenhandelaar, tweede deel, hoofdstuk XII—-XVIIL 


eine halbe Meile weiter östlich sackartig endigt. Die ganze Gegend 
ist mit dichtem Mangrovewald bedeckt. | | 

Da wir gerade Ebbe hatten, so sass das Boot bald fest, und ich 
musste eine lange Strecke durch untiefes Wasser mit schlammigem 
Untergrunde getragen werden, bevor wir festen, trockenen Boden 
erreichten. Zahllose Krabben (Gelasimus perlatus und Sesarma 
africana) rannten bei unserer Ankunft auf dem schlammigen 
Grunde herum und zogen sich in ihre in den Boden gebohrten, 
runden Schlupfröhren zurück. Weiter landeinwärts war der Boden 
sandig, ganz flach und mit niedrigem Strauchwerk und Gras 
bedeckt; doch bald stiegen wir einen vom Regen ausgewaschenen 
Fusspfad hinan und befanden uns kurz darauf in der Stadt des 
reichen, aber dennoch den Faktoreien in Bassa schwer verschul- 
deten Häuptlings Tom WıLL. | 

Sofort wurde ich nach dem Fremdenhause gebracht, das mir 
Tom durch einen seiner Leute als Wohnung anweisen liess. 
Dieses Haus hatte einen halb inländischen, halb americo-liberi- 
anischen Baustyl. Es war ein rechteckiges Gebäude mit einer 
Art Veranda auf jeder Längsseite, die man von unten mittelst 
leiterartiger Treppen erreichte. Die grössere Hälfte des Hauses 
war als Wohnraum, die andere als Schlafraum eingerichtet, und 
beide waren von der Veranda aus durch verschliessbare Thüren 
zugänglich. Das Wohnzimmer war bequemer eingerichtet als 
dasjenige manches liberianischen Ansiedlers. An der hintern 
‘Wand standen auf einem Hängebrett allerlei Nippsachen, schöne 
Trinkgläser und zwei Photographien von weissen Kaufleuten in 
Grand Bassa, an jeder Längswand lange, bequeme, aus Weiden- 
seflecht construirte und mit inländischem Baumwollstoff über- 
zogene Ruhebänke, und vorn an der Fensteröffnung ein einfacher, 
hölzerner Tisch, worauf ein Ständer mit sechs Trinkgläsern und 
einem sogenannten water-cooler !), der sofort mit frischem Trink- 
wasser gefüllt wurde. An den aus Thon erbauten, weissgetünchten 
Mauern hingen einige Bilder in Rahmen, worunter eine Kreuz- 
abnahme, die sich wohl von einer Faktorei aus zu diesem Heiden 
verirrt haben mochte. 


ı) Ein weitbauchiger und enghalsiger, poröser Wasserkrug, dessen Inhalt 
infolge der fortwährenden Verdunstung an der Oberfläche kühl bleibt. 


— 413 — 


Einen Augenblick später erschien Tom Wut selbst, der schwerste, 
korpulenteste Eingeborne, der mir je zu Gesichte gekommen. Er 
trug eine kurze, blaue Hose, die bis kurz unter die Kniee 
reichte, und darüber niederhängend ein weisses Hemd von impor- 
tirtem Kattunzeug, das seinerseits wieder mit einem contry 
gown (Mandingo-Hemd) von schwerem, inländischem Baumwollstoff 
bedeckt war, dazu einen feinen, breitrandigen Panamahut, auf 
dessen Besitz er sich nicht wenig einzubilden schien. Sofort 
bewirthete er mich mit einigen Flaschen importirtem Ingwerbier, 
das er durch einen Diener aus seinem Hause holen liess und 
das mir nach der grossen Hitze, die ich den Tag über im Boote 
ausgestanden, vortreffllich schmeckte. Auch an einem modernen 
Korkzieher fehlte es nicht. In der Regel wissen sich die Einge- 
bornen auch ohne Korkzieher sehr gut zu helfen, indem sie 
zwei zähe, aus der Rinde von Palmblattstielen geschnittene 
Stäbchen zwischen Kork und Flaschenhals einschieben und diese 
so lange drehen, bis der Kork herauskommt. 

Nachher machte ich mit dem Häuptling einen Spaziergang 
durch die Stadt, welche auf einer kleinen Anhöhe liest und mit 
srossen Kassavepflanzungen umgeben ist. Nach oberflächlicher 
Zählung besass die Stadt gegen 100 meist gut unterhaltene, 
theils rechteckige, theils runde, mit Palmblattdächern versehene 
Thonhäuser;; sie war denn auch die grösste Wohnstätte von Einge- 
bornen, die ich bis dahin unter dem Bassastamme angetroffen hatte. 
Rund um die Stadt zog sich eine Barrikade von lebenden Akazien; 
die Abstände zwischen den letztern waren mit hohen Staketen- 
wänden angefüllt; doch war diese sogenannte /ence mehr eine 
gewöhnliche Einfriedigung, als eine Befestigung, da die Eingänge 
nicht mit Thoren versehen waren. 

Ein ähnlicher, aber etwas niedrigerer Zaun umgab auch die 
Wohngebäude des Häuptlings und ihre Dependenzen, die wir 
nun besuchten und die nichts von den Bequemlichkeiten besassen, 
mit denen er sein Fremdenhaus ausgestattet hatte. Es waren 
vielmehr niedrige, fensterlose Hütten, wie ich sie bisher bei den 
Bassa überall angetroffen, nur mit dem Unterschiede, dass sein 
eigenes Wohnhaus einen kleinen, offenen Vorraum besass, in 
dem zahlreiche Gegenstände standen, welche als Fetisch betrachtet 


— 414 — 


wurden. Die. zahlreichen Leute, die vor dem Hause standen, 
erschracken nickt wenig, als ich ein mit Kupfernägeln beschlagenes 
und mit einem Schürzchen von Ziegenfell umgürtetes, keulen- 
artiges Stück Holz anfasste; doch Tom Wırz liess mich lächelnd 
gewähren. Zum Mittagessen, das inzwischen bereitet war und 
nach meiner Wohnung gebracht wurde, erhielt ich frisches Ziegen- 
fleisch mit weissem Reis und Kassaven, alles schmackhaft zube- 
reitet und in weissem, irdenem Geschirr vorgesetzt. 

Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, photographirte. 
ich den Häuptling mit einigen seiner Leute, worauf ich Ersterem 
zum Abschied einen Becher Cognac anbot. Dieser aber erwiederte, 
dass ich meinen Cognac während der Seereise noch nöthig haben 
möchte, und liess eine Flasche Whisky holen, um mir einen 
Abschiedstrunk zu kredenzen. 

Obschon wir nicht, wie beim Einfahren, ein Sühnopfer in die 
Wogen gossen, gelangten wir um 8 Uhr doch mit heiler .Haut 
durch das Felsenthor der Flussmündung und die wüthende Bran- 
dung. Hierauf fuhren wir erst bei mässigem Landwind und 
nachher, nach etwa zweistündigem Stilleliegen, bei der nach und 
nach sich einstellenden Seebrise weiter nach River Cess. 

Die Küste war beinahe überall sehr felsig, doch fuhren wir dicht 
am Strande hin, so dass ich alle Einzelheiten derselben gut unter- 
scheiden konnte. Wir passirten der Reihe nach Grand Culloh 
(Colah), bestehend aus vier dicht bei einander liegenden Negerdörfern, 
und den kleinen Grand Culloh River, dann Quitison, und 
kamen um 12 Uhr an der durch hohe Felsen verdeckten Mün- 
dung des Tembo River!) vorbei nach Tembo®), woselbst wir 
hinter eine Reihe von in der See liegenden und eine Art Hafen 
(Erosionsbucht) bildenden Felsbuckeln vor Anker giengen, um 
einige für diesen Platz bestimmte Säcke Salz zu löschen. Die 
Bucht. war sehr untief, so dass die Säcke eine lange Strecke vom 
Boot bis zum Strande getragen werden mussten. Eine grosse 
Menge von Leuten sammelte sich am Ufer, und bald waren wir von 
nackten Männern und Knaben, sowie von einigen Frauen umringt, 


ı) Der Erick River auf Anderson’s Karte von Liberia. 
°) Sprich: Timbo. 


Frte FurroH. 


KÖNIG TOM WILL MIT GEFOLGE. 


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Ll. 


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— 415 — 


welche theils die Fracht wegtrugen, theils an Bord kletterten , 
um mich besser sehen zu können. Das Wasser war jedoch sehr 
unruhig, da eine hohe Sturzsee nach der andern zwischen und 
über die vorgelagerten, schwarzen und kahlen Felsriffe herein- 
schlug und über die schwerbeladenen Träger hinwegrollte. Selbst- 
verständlich kamen die Säcke triefend nass an der Küste an. 
Es scheint jedoch, dass das Salz, obschon in gewöhnliche Säcke 
verpackt, nur langsam schmilzt; denn man pflegt sehr roh damit 
umzugehen, und in etwas gebrechlichen, lecken Böten geschieht 
es nicht selten, dass Säcke Salz oft einen ganzen Tag im einge- 
drungenen Seewasser liegen bleiben. Es war eine aufregende 
Scene, die Leute auf einmal mit ihren Lasten unter einer hohen 
Woge verschwinden und wieder auftauchen zu sehen, während 
. die Uebrigen bald bis an die Hüften im Wasser standen, bald 
aber, durch eine hohe Welle gehoben, weit weggeworfen wurden. 
Ich selbst hatte unter diesen Umständen keine Lust, an Land 
zu gehen, umsoweniger, als ich fürchtete, während meiner Abwe- 
senheit vom Boote bestohlen zu werden; denn nach allem, was 
ich gehört hatte, sollen diese Küstenbewohner in Eigenthums- 
sachen ein sehr weites Gewissen haben. 

Beim Ausfahren hatten wir viel Mühe, um rudernd aus der 
Bucht zwischen den vorgelagerten Klippen hindurch die offene See 
wieder zu erreichen. Bei kräftiger Seebrise fuhren wir dann rasch 
weiter, passirten den kleinen Fen River, dann das grosse Neger- 
dorf Manna mit dem unterhalb desselben hinter gewaltigen Fels- 
massen einmündenden Manna River), und nachher das kleine 
Dorf Poposong nebst einigen andern Plätzen, deren Namen ich 
nicht erfahren konnte. 

In die grosse Erosionsbucht von River Cess (Cestos River) 
einfahrend, kamen wir über die Stelle, wo im Juli 1885 der 
englische Postdampfer Corisco sank. Ohne Schwierigkeit gelangten 
wir durch die Brandung in den Fluss hinein und landeten bald 
darauf, um eine weit nach Norden vorspringende Landzunge 
herumfahrend, an dem gänzlich geschützten Landungsplatze der 
holländischen Faktorei, deren Vorsteher, Herr EVvERTS, einer 


') Nicht zu verwechseln mit dem nordwestlichen Grenzflusse Liberia’s, 


— 416 — 


meiner alten Bekannten, mich freundlich willkommen hiess. Ein 
anderer: holländischer Agent, Herr Dorner, ebenfalls ein alter 
Bekannter von mir, lag hier krank und wartete auf die Ankunft 
des holländischen Segelschiffes, um mit diesem nach Europa 
zurückzukehren. Er kam wohl an Bord, doch Europa hat der 
Arme nicht mehr zu erreichen vermocht; er wurde in den weiten 
Ocean gebettet, in dem bereits so mancher Kranke, der zu spät 
die Küste verlassen, sein Grab gefunden. | 

Die MuzLrer’sche Faktorei hatte ein in Rotterdam construirtes, 
hölzernes Hauptgebäude und einige Dependenzen. Dieselbe war noch 
sehr jungen Datums, da sie erst 1882 errichtet wurde, nachdem 
River Cess, früher für fremde Kaufleute geschlossen, mit andern 
Küstenplätzen zugleich für den allgemeinen Handel geöffnet 
wurde). Das Terrain der Faktorei, welches von einem hohen 
Staketzaun mit verschliessbarem Eingangsthor umgeben war, 
lag. auf einer ebenen, sandigen Landzunge, die sich von der die 
grosse Bucht einschliessenden, felsigen Landspitze aus nordwärts 
erstreckt. Von der Piazza des Hauptgebäudes hatte man einen 
freien Ausblick auf die weite Bucht, in welche nebenan der 
breite River Cess, von den Spaniern Rio Cestos genannt, aus- 
mündet. Am Ende der Landzunge, nahe der Flussmündung, 
befindet sich eine Faktorei von Mr. S. Arrıa in Fishtown, 
bestehend aus einem Gebäude inländischer Construktion, mit 
Lehmwänden und Palmblattdach, und auf dem gegenüberlie- 
genden, rechten Flussufer eine belgische, deren Chef Herr KREMER, 
ein Deutscher, war‘). Neben der holländischen Faktorei, nach 
der südlichen Landspitze hin, lag unter riesigen Wollbäumen die 
Krootown, eine Ansiedlung von Krunegern, wie man sie überall 
in der Nähe von grossen Faktoreien findet. Wie nebenstehendes 
Kärtchen zeigt, wird die Landspitze, welche der Meereserosion 
bis jetzt Widerstand geleistet hat, nicht durch ein eigentliches 
Vorgebirge, sondern bloss durch einen niedrigen Felswall gebildet, 
der aber im Laufe der Zeiten, obwohl langsamer als das dahinter 
liegende, ungeschützte und niedrige Flachland, dem Zahne der 


ı) Dieselbe wurde zu Anfang 1889 wieder aufgehoben. 
°) Auch diese Faktorei wurde seither, zugleich mit allen andern der bel- 
gischen Compagnie, aufgehoben, 


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XIH. 


NEGERHÜTTEN IM HOFRAUME DER FAK'TORREI. 


— 47 — 


Brandung unterliegt und stets weiter zurückgedrängt wird. Als 
eine Verlängerung dieses parallel mit der Küste laufenden und 
an der Bucht endenden Felskammes muss ein weit draussen in 
dessen Fortsetzungslinie gelegenes Riff, die sogenannten Manna 
Rocks, betrachtet werden. Auf diesem Riff war sehr wahrschein- 
lich der bereits erwähnte, von Liverpool kommende Dampfer 
„Corisco” aufgestossen, bevor er. weiter drinnen in der Bucht 
sank. Das Schiff war so leck geworden, dass es dem Kapitän 
nicht gelang, dasselbe auf den Strand zu setzen. Die Mannschaft 
und sämmtliche Passagiere retteten sich in den Böten und fanden 
bei Herrn EveErTs freundliche Aufnahme und Pflege, bis sie von 
einem andern englischen Dampfer abgeholt wurden. 

Am River Cess befindet sich keine liberianische Niederlassung, 
und da dieser Hafenplatz nur von den holländischen Segelschiffen 
regelmässig, und bloss gelegentlich auch von einem englischen 
oder deutschen Dampfer besucht wird -— der übrige Verkehr 
wird durch zahlreiche von Bassa kommende Segelböte vermit- 
telt — ist er ein recht langweiliges Nest, in dem ein Weisser 
geradezu versimpeln könnte, wenn er nicht mit seinem Concur- 
renten am jenseitigen Flussufer einen freundschaftlichen Verkehr 
unterhielte. Ich war daher Herrn Everrts, der damals schon 
volle zwei Jahre auf der abgelegenen Station ausgehalten hatte, 
doppelt willkommen. 

Am andern Morgen, Sonntag 1. Mai, fuhren wir schon frühzeitig 
in einer Jolle nach der belgischen Faktorei hinüber, um deren 
Agenten, Herrn KREMER, einen Besuch abzustatten. Dieser empfing 
uns aufs liebenswürdigste und schenkte mir ein junges, lebendes 
Pinselschwein, das sehr zahm war und ihm wie ein Hund nachlief. 
Ich war später so glücklich, dasselbe lebend mit nach Holland 
zu bringen, wo es noch jetzt im zoologischen Garten in Amsterdam 
lebt. Herr KREMER war ein grosser Liebhaber von Thieren und 
besass nebst dem Pinselschwein auch einen sehr zahmen, lebenden 
- Chimpansen. Von ihm erfuhr ich, dass an diesem Flusse der 
liberianische Hippopotamus gut bekannt und der Chimpanse nicht 
selten sei. Die schöne Doria-Antilope hingegen schien hier Niemand 
zu kennen, und das Vorkommen des Lamentins konnte ich nicht 


mit Sicherheit constatiren. 
LIBERIA, 1. 27 


— 418 — 


Nach dem Frühstück fuhren wir nach Coffin Island, der 
Insel der Todten, hinüber, die nahe an der Vereinigung des 
Hauptflusses mit einem parallel mit der Küste laufenden, östli- 
chen Seitenarme liegt. Diese Insel ist ein kleiner, mit dichtem 
Buschwerk bedeckter Felshaufen, der nur von Eingeweihten be- 
treten werden darf. Hier liegen in dichtem Gebüsch die Särge 
der verstorbenen Häuptlinge (Könige) dieser Gegend, die über der 
Erde bewahrt werden. Für mich, der ich noch nie einen ‚solchen 
Bestattungsplatz gesehen hatte, war dies ein äusserst interessan- 
ter, eigenthümlicher Anblick, den ich nicht so leicht vergessen 
werde. Auf einem ebenen Platze ruhte, gestützt durch eigens zu 
diesem Zwecke hingelegte Steine, ein noch ziemlich frischer, mit 
Tuch bekleideter Sarg. Dieser bestand aus einer langen, viereckigen 
Kiste, deren flacher Deckel gänzlich mit irdenen Schüsseln, 
Tellern, Tassen, Flaschen, ja selbst mit einem- alten Häring- 
fässchen bedeckt war. Dieser Sarg barg die Leiche des frühern 
Königs Ban Fran !), des Bruders des gegenwärtigen Königs Davis. 
Der Seele des letztverstorbenen Königs wird nämlich hier eine 
Art von wohlwollender Vormundschaft über dessen noch lebenden 
Nachfolger zugeschrieben, die bis zu dem Tode des Letztern 
dauert. Das auf dem Sarge deponirte Tafelgeschirr muss als ein 
Symbol dieses während einer Generation dauernden Fortlebens 
nach dem Tode betrachtet werden. Stirbt einmal der jetzige « 
König Davıs, der auch schon ein alter, gebrechlicher Mann ist, 
so übernimmt dieser die Rolle seines Vorgängers. Der Sarg dieses 
Letztern wird dann, ohne jegliche Fürsorge, wo sich gerade Raum 
bietet, seitwärts ins Gebüsch geworfen; die Gefässe aber, die 
denselben bedeckten, werden zertrümmert. An seine Stelle 
kommt dann der Sarg von Davıs, der mit allerlei ähnliehen 
Gegenständen aus seinem eigenen Haushalt versehen wird. Wir 
fanden ausser dem Sarge Ban Fran’s noch zahlreiche andere, 
theils aufeinander gestapelt, theils vereinzelt im Busche liegend 2). 
Einige waren noch ganz gut erhalten, andere aber so zerstört, 
dass man die in Tücher gehüllten Skelette sehen konnte. Rundum 


') Mit französischem Nasalklang auszusprechen. 
?) Diehe die beigefügte Tafel. 


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AUF DER INSEL DER TODTEN. 
Fürstlicher Bestattungsplatz über der Erde, 


— 419 — 


war alles mit Topfscherben, kupfernen Kesseln, eisernen Töpfen , 
Flaschen, alten Conservebüchsen u. s. w. besät. 

Gegenüber dieser Insel, in einem Walde am Ufer, werden die 
Leichen der wegen Zaubers verurtheilten Leute (witch people) 
ohne einige Umhüllung hingelest. Die Ruderer waren trotz 
meines Zuredens nicht zu bewegen, uns dorthin zu bringen, und 
so mussten wir von unserm Vorhaben absehen und nach der 
holländischen Faktorei zurückkehren. 

Am folgenden Tage fuhren wir zusammen mit Herrn KREMER 
nach der Residenz von König Davıs hinauf, nachdem wir unter- 
wegs den Bestattungsplatz auf der Insel der Todten besucht und 
photographirt hatten. Der Bericht von dieser Frevelthat war 
uns schon vorausgeeilt. Davıs empfing uns denn auch sehr ungnädig 
und verlangte von Herrn Everrs eine Busse von 20 Dollars. 
Indessen liess er sich von dem zungenfertigen Holländer bald 
besänftigen und nahm schliesslich schmunzelnd die Flasche Brannt- 
wein an, die dieser ihm als Geschenk mitgebracht hatte. Davıs 
war, wie früher sein Vorgänger, Schutzherr (landlord) der hollän- 
dischen Faktorei und bezog dafür ein kleines Jahrgeld. Er war 
ein alter, lahmer Mann mit grauem Haar und Bart. Seine Resi- 
denz war nicht sehr gross, doch besass sie zahlreiche, solid 
gebaute Häuser. Sie lag an einem östlichen Arme des Hauptflusses, 
nicht weit von der Küste entfernt. 

Der nächste Tag wurde einer Fahrt nach den Stromschnellen 
gewidmet. Um acht Uhr morgens fuhren wir in der Jolle des 
Herrn EverTts flussaufwärts. Diese Flussreise war äusserst inte- 
ressant. Erst fuhren wir zwischen ausgedehnten Mangrovewäldern 
hin und passirten verschiedene, nach Osten führende Creeks, bis 
wir endlich, den nach Nordwesten abzweigenden Draw Creek 
links liegen lassend, nach Osten .abbogen. Hier blieb wie mit 
einem Zauberschlage die Mangrove zurück, die Ufer wurden 
hoch und steil, zahlreiche kahle, schwarze Felsbuckel von be- 
deutenden Dimensionen unterbrachen einigermaassen das lang- 
weilige Einerlei, und auf den theils mit Wald, theils mit 
Kassavepflanzungen bedeckten Uferterrassen zeigte sich hie und 
da ein kleines Negerdorf. Nach und nach nahm der Flusslauf 
eine nordöstliche Richtung an und bog bei Bar Quill’s Town, 


— 420 — 


die wir auf der Hinreise besuchten, gänzlich nach Norden ab. 
Der Häuptling Bar QuviırL begleitete uns weiter flussaufwärts 
bis zu der ersten Stromschnelle, die wir mit unserem Boote 
unmöglich passiren konnten. Ich bin jedoch überzeugt, dass ein 
mittelmässig grosses Canoe ohne viele Mühe über dieselbe hin- 
bugsirt werden könnte. Nicht weit oberhalb dieser Stelle soll 
sich der erste Wasserfall befinden. Da wir kein Canoe zur Ver- 
fügung hatten, kehrten wir um und kamen gegen Abend wieder 
auf der Faktorei an. Auch an dieser Stromschnelle, ja selbst 
weiter unten auf den Felsinseln und bei der Insel der Todten, 
trafen wir die mehrgenannte Glareola megapoda an. 

Am folgenden Tage fühlte ich mich sehr unwohl, und es begann 
sich wieder Dysenterie einzustellen, weshalb ich es gerathen 
fand, den ganzen Tag still zu liegen. Alle Nächte wurden wir 
furchtbar von Mosquitos geplagt, so dass wir kaum ein Auge 
schliessen konnten und am Morgen eben so müde wieder auf- 
standen, wie wir uns abends zuvor hingelegt hatten. 

Am 5. Mai gieng es schon wieder bedeutend besser und bereitete 
ich den Tag über alles Nöthige vor, um die Seereise nach Sinoe 
während der Nacht fortsetzen und dadurch der Hitze des Tages 
entgehen zu können; denn diese war in der letzten Zeit sehr 
drückend geworden. 

Um 10 Uhr abends nahm ich Abschied von meinem freund- 
lichen Gastherrn, der mir während des kurzen Besuches das 
Leben so angenehm wie möglich gemacht hatte, und trat, von 
ihm mit Bettzeug und Lebensmitteln wohl ausgerüstet, in einem 
Boote der Faktorei die Reise nach Sinoe an. Bei hellem Mond- 
. licht passirten wir die Brandung, welche trotz ihres schlechten 
Rufes auch diesmal äusserst ruhig war. Kaum hatten wir aber 
den Vorsprung der Küste passirt, als ein heftiger Gewitterregen 
losbrach und uns gänzlich durchnässte. 

Ein guter Landwind, der sich bald darauf erhob, brachte uns 
jedoch rasch vorwärts, so dass wir am andern Morgen um neun 
Uhr schon die hohen Felsen von Sinoe in Sicht bekamen. Obschon 
wir uns die Nacht durch ziemlich nahe der Küste gehalten hatten, 
war es mir doch nicht möglich gewesen, die Configuration derselben 
einigermaassen zu unterscheiden. Wir passirten der Reihe nach 


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— 421 — 


die Mündungen des Poah-, Pobamo-, Rock Cess-, New-, Broonee-, 
C00200-, Sangwin-, Baffoo-, Toba- und Grand Bootoo River, unter 
welchen der Sangwin River, welcher die Stammes- und Sprach- 
grenze zwischen den Bassa- und Krustämmen bildet, der einzige 
bedeutende sein soll. So viel ich am frühen Morgen sehen konnte, 
ist auch hier die Küste felsig und besitzt keine einzige Bucht, 
die sich mit derjenigen von River Cess oder Sinoe messen könnte. 
Wie bei Tobaccannee der Devil Rock, so tauchen hier ebenfalls 
zahlreiche Felsen ausserhalb der Küste aus dem Ocean auf und 
machen für Uneingeweihte die Schiffahrt gefährlich. 

Um :10 Uhr erhob sich ein heftiger Wind aus Süden, der 
uns trotz aller Anstrengungen, um rudernd vorwärts zu kommen, 
stundenlang auf derselben Stelle zurückhielt. Gegen Abend hatten 
wir kurz hinter einander zwei furchtbare Gewitter, wie ich sie 
schwerer kaum je erlebt, so dass wir zweimal vor Anker gehen 
mussten und stets fürchteten, von der Kette losgeschlagen 
zu werden. Ganz durchnässt kamen wir spät abends auf die 
Rhede von Sinoe, ebenfalls eine grosse Erosionsbucht, und fuhren 
um Mitternacht bei hellem Mondschein durch eine von Klippen 
eingeengte Passage in den Fluss hinein, worauf wir nach kurzer 
Fahrt die holländische Faktorei erreichten. Trotz meiner späten 
Ankunft und des traurigen Zustandes, in dem ich mich vorstel- 
len musste, wurde ich von den beiden holländischen Agenten 
BAKKER und AHLERS, denen sich noch der Agent der nebenan 
liegenden deutschen Faktorei, Herr GÜssErELD, zugesellte, aufs 
Herzlichste empfangen. 

Die Einfahrt von Sinoe ist äusserst malerisch. Zwei etwa 50’ 
hohe, schwarze Felsköpfe des in westlicher Richtung ins Meer 
hinausragenden Vorgebirges, Bloobarra Point und North 
Point, beherrschen die grosse Bucht von Sinoe. Vor letztge- 
nanntem Vorsprung befindet sich draussen im Meere eine Reihe 
von theils über die Wasserfläche emporragenden, theils unter 
derselben verborgenen Klippen, welche nur eine sehr enge Passage 
für die Einfahrt in den Fluss frei lassen. An der zwischen den 
beiden Felsköpfen liegenden, kleinen Bucht befinden sich zwei 
zusammenhängende Dörfer von Krunegern, Bloobarra und 
Jack Dandy’s Town. Das Letztere wird so genannt nach 


— 412 — 


einem dort residirenden Häuptlings, der über die zwischen dem 
Bloobarra- Creek und der Küste gelegenen Halbinsel herrscht. 
Der Eingang in den Fluss zwischen North Point und einer sich 
von Norden her vorschiebenden Sandbank ist sehr enge, so dass 
sich das Wasser des Flusses zur Ebbezeit mit aller Macht hinaus- 
drängt und die Einfahrt sehr erschwert. Innerhalb dieser engen 
Passage erweitert sich der Fluss zu einem weiten, seeartigen 
Becken, aus welchem sich verschiedene, schwarze Felsbuckel 
erheben, von denen nur die wenigsten mit etwas Strauchwerk 
bedeckt, die übrigen gänzlich kahl sind. Einige Delphine — es 
könnten auch Lamentine gewesen sein — tummelten sich hier 
herum und streiften ab und zu mit ihrem krummen Rücken die 
Wasserfläche. Am östlichen Ende dieses Beckens liest ein etwa 
60’ hoher, oben abgerundeter, gänzlich kahler, schwarzer Felsen, 
der sogenannte Bell Rock, über dessen eigenthümliche Gestalt 
und isolirte Lage ich mir keine Rechenschaft zu geben vermag. 
Derselbe steht mitten vor dem Bloobarra Creek, welcher hier in 
das erweiterte Bett des Sinoe River ausmündet. Der Bloobarra 
Creek soll innerhalb der Küste den Sinoe River mit dem weiter 
unten ins Meer fallenden Bloobah River vereinigen, und spielt 
also eine ähnliche Rolle, wie der Stockton Creek bei Monrovia. 
Das ganze Mündungsgehiet links vom Sinoe River scheint ein 
ausgedehntes Sumpfland zu sein, das durch eine niedrige aber 
felsige, mit dem Strande parallel laufende Bodenerhebung vom 
Meere getrennt wird. 

Unmittelbar oberhalb des vorgenannten Beckens liest auf einer 
plateauartigen Erhebung am rechten Ufer des Flusses die liberi- 
anische Niederlassung Greenville, ein sehr regelmässig ange- 
lester Ort mit breiten, rechtwinklig sich schneidenden Strassen. 
Die Häuser, theils aus Holz, theils auch aus Stein erbaut, 
zeugen von einem bedeutenden Wohlstand ihrer Bewohner, und 
die innere Einrichtung derjenigen, die ich zu betreten Gelegenheit 
hatte, war wohl im Stande, diesen günstigen Eindruck noch 
zu erhöhen. 

Die Stadt Greenville ist einer der bedeutendsten Handelsplätze 
des ganzen Landes. Sie wurde 1838 von freigewordenen Sklaven 
segründet, welche durch die amerikanische Missisippi-Colonisations- 


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— 423 — 


gesellschaft hiehergebracht wurden, und gelangte infolge seiner 
sünstigen Lage an der Mündung eines bedeutenden, weit aus 
dem Innern kommenden Flusses und einer vorzüglichen Rhede 
bald zu grosser Blüthe. Sie ist die Hauptstadt der Provinz 
Sinoe (Sinoe County), die im Nordwesten durch den Sangwin 
River von der Bassa County, im Südosten durch den Grand 
- Sesters River von Maryland getrennt wird. Das ganze Grund- 
sebiet der Sinoe County wird vom Krustamme bewohnt, der 
hier seine Heimat hat und dessen Angehörige von da aus die 
zahlreichen Niederlassungen in den verschiedensten Hafenplätzen 
Liberia’s, ja selbst über dessen Grenzen hinaus, gegründet haben. 

Weitaus die bedeutendsten Faktoreien von Greenville sind 
diejenigen der holländischen und deutschen Firma), doch giebt 
es neben diesen noch eine grosse Zahl liberianischer Firmen, 
welche ebenfalls bedeutende Geschäfte machen; ja man darf 
ruhig sagen, dass beinahe die ganze liberianische Niederlassung 
vom Tauschhandel mit den Eingebornen lebt. 

Die wichtigsten Landesprodukte sind auch hier Palmöl und 
Palmkerne, und an diese reihen sich, eine bloss untergeordnete 
Stellung einnehmend, Kautschuk, Rothholz, Elfenbein und etwas 
Kaffee. 

Den ersten Tag meines Aufenthaltes in Sinoe stellte sich das ° 
alte Uebel wieder ein und zwang mich zu absoluter Ruhe. 
Dessenungeachtet wurde verabredet, am folgenden Tage, Sonn- 
tag 8. Mai, mit meinen beiden Gastherren einen Ausflug nach 
den Wasserfällen des Sinoeflusses zu machen, weil der Sonntag 
der einzige Tag war, über welchen meine Freunde frei verfügen 
konnten. Herr GÜssErELD, der den deutschen Dampfer erwartete, 
konnte leider die Partie nicht mitmachen. 

Um acht Uhr morgens traten wir, mit Lebensmitteln und 
Getränken wohl versehen, in einer eleganten, mit acht Ruderern 
- bemannten Schaluppe die Reise an. Erst fanden wir die ganze 
Ufergegend mit Mangrove bedeckt, und einige Creeks zweigten 
sich nach Osten von dem Hauptflusse ab, aus dem zahlreiche 
kuppenartig abgerundete, schwarze Felsen emporragten und auf 


ı) Die Letztere ist in jüngster Zeit aufgehoben worden. 


— 424 — 


eigenthümliche Weise mit der sumpfigen Umgebung contrastirten. 
Nachdem wir den breiten, zu unserer Linken von Westen her 
einmündenden Lexington Creek passirt, bogen wir nach 
Osten ab, fuhren an ausgedehnten Pandanuswäldern vorüber 
und schlugen dann, dem Laufe des Hauptflusses folgend und erst 
viele Schlingen beschreibend, eine fast ausschliesslich nördliche 
Richtung ein. Die Ufer wurden bald steil und hoch, da der 
Fluss sein Bett hier tief in die Ebene eingegraben hat. Zahl- 
reiche Krudörfer mit weitläufigen Reis- und Maniokpflanzungen 
wechselten mit den Farmen liberianischer Ansiedler ab. Die 
bedeutendste unter diesen Letztern ist diejenige eines Mr. Brooks, 
der einigermaassen die Sitten und Gewohnheiten der Eingebornen 
angenommen hat, wie Mr. WARNzR in Schieffelinsville ein kleines 
Dörfehen von einfachen Lehmhütten besitzt und sich mit einem 
Harem von inländischen Frauen umgeben hat. u 
Weiter flussaufwärts wird die Landschaft hügeliger. Hohe 
Steilufer engen den Fluss, der bei Greenville noch 300 Schritte 
breit ist, bedeutend ein, und ein reizendes Landschaftsbild ver- 
drängt das andere, so dass man überall halten und durch eine 
photographische Aufnahme den Eindruck für immer festhalten 
möchte. Gegen 12 Uhr mittags erreichten wir, von der glühenden 
Sonne halb versengt, die erste Stromschnelle, die unser Boot 
nicht zu passiren vermochte. Im Schatten überhängender Bäume 
legten wir an und schritten durch hohen Wald flussaufwärts, 
bis wir weiter oben an einige in den Fluss vorspringende und 
von hohen Bäumen beschattete Felsen kamen. Hier setzten wir 
uns nieder, um Siesta zu halten und die grossartige Scenerie zu 
bewundern. Zu unsern Füssen hatten wir den tosenden, über 
Felsen niederrauschenden Fluss, welcher hier einen, wenn auch 
niedrigen, doch durch die grosse Wassermasse imposanten Was- 
serfall bildet. Oberhalb dieses Letztern ist der Fluss seeartig 
erweitert und von zahllosen, zum Theil mit Pandanus bewach- 
senen Inseln bedeckt, zwischen denen hindurch sich die rauschende 
Wassermasse auf abschüssiger Ebene den Weg zur Tiefe sucht. 
Das gegenüberliegende linke Ufer ist sehr steil, felsig und wohl 
100’ hoch. Seine Abhänge sind ganz mit einer in den verschie- 
densten Farbennüancen prangenden Vegetation bedeckt. Sehr gern 


— 425 — 


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— 426 — 


hätte ich den Weg noch weiter flussaufwärts verfolgt, da sich nicht 
sehr weit von dieser Stelle der erste grosse Wasserfall befinden 
soll, doch zeigten meine Freunde wenig Lust dazu und mahnten 
mich im Hinblick auf meinen Gesundheitszustand zur Vorsicht. 
So begnügte ich mich denn mit einigen photographischen Auf- 
nahmen, worauf wir Wyjah, ein aus drei kleinen Häusergruppen 
bestehendes, hoch oben auf dem linken Ufer liesendes Negerdort 
besuchten, von dem ich ebenfalls eine Aufnahme machte. 

Es wird im Sande dieses Flusses, besonders in der Nähe 
der Fälle, Gold gefunden, doch scheint dasselbe nicht in so 
grossen Quantitäten vorzukommen, dass das Goldwaschen eine 
lohnende Beschäftigung werden könnte. Auch spricht man in 
Sinoe viel von dem Vorkommen von Diamanten an denselben 
Lokalitäten, doch habe ich in Liberia so oft, selbst in den Händen 
von sehr verständigen Leuten, sogenannte Diamanten zu sehen 
bekommen, die sich schon bei oberflächlicher Besichtigung als 
Quarzkörner entpuppten, dass dergleichen Erzählungen mir kein 
Interesse mehr einflössen konnten !,, Wohl aber wird hie und 
da in Felsspalten Quecksilber gefunden, und zwar in solchen 
Quantitäten, dass es, wiewohl mehr als Curiosum, durch die 
Faktoreien gekauft und nach Europa gesandt wird. In der hollän- 
dischen Faktorei habe ich eine ganze Flasche voll dieses flüssigen 
Metalles in ziemlich reinem Zustande gesehen. Was das Gold 
betrifft, so wäre es meines Erachtens wohl der Mühe werth, die 
Frage von dessen Gewinnung an diesem Flusse zu untersuchen, 
zumal die geologischen Verhältnisse, auch von Liberia im Allge- 
meinen, das Vorkommen von goldführenden Schichten sehr wahr- 
scheinlich machen. Erst in der Kühle des Abends fuhren wir 
wieder den Fluss hinunter, wobei ich möglichst genau die am 
Morgen gemachten Kompassablesungen controlirte, und langten 
um 7 Uhr in Greenville an. 

Selbstverständlich war ich den ganzen folgenden Tag wieder 


ı) Dr. ZINTGRAFF, der auf der Hinreise nach dem Kamerun die Sammlung 
von Mr. RoBErts in Greenville zu sehen bekam, erzählte mir auf der Rück- 
reise nach Europa, dass die sogenannten Diamanten derselben nichts Anderes 
als Quarze gewesen seien, dass er aber von Mr. RoBerrs anthracit- und 
silberführende Gesteine erhalten habe. - 


xVl. 


LANDSCHAFT MIT DEM NEGERDORFE WYJAH. 
Links der erste Wasserfall. 


— 427 — 


krank. Am Dienstag aber fuhr ich mit Herrn AnHters nach Bloo- 
barra hinüber, wo ich einige interessante photographische Auf- 
nahmen machte. Der Häuptling (king) Jack Danpy war ein gut- 
müthiger, alter Mann, der mit unserem Besuche sehr eingenommen 
schien und uns einlud, in seinem Hause etwas auszuruhen. 
Dieses hatte eine eigenthümliche, von allen bis jetzt gesehenen 
abweichende Bauart. Das Dach desselben war nämlich durchbro- 
chen,und auf jeder Seite desselben hatte man eine von innen 
vermittelst einer Leiter zugängliche Schlafstelle gebaut. Die 
gelben Lehmwände eines Nachbarhauses waren von einem einge- 
bornen Künstler mit zwei wohlproportionirten, sehr korrekten 
Zeichnungen von unter vollen Segeln stehenden Dreimastern 
und einigen darum hin schwimmenden Haien und Delphinen 
bemalt). 

Auf dem mit grossen Felsblöcken besäten und von der Bran- 
dung umtobten Bloobarra Point und dem benachbarten North 
Point fanden wir eine sehr eigenthümliche Flora, in welcher eine 
strauchartige, stachelige, in Felsritzen wachsende und stellen- 
weise ganze Büsche bildende, wilde Dattelpalme (Phoenix spinosa) 
das Uebergewicht über alle andern Pflanzen hatte. Einige Exem- 
plare dieser eigenthümlichen Palme, die ich lebend nach Holland 
gebracht habe, sind jetzt dem botanischen Garten in Leiden ein- 
verleibt. 

Am folgenden Tage, Mittwoch 11. Mai, kam der schon seit 
einiger Zeit von Monrovia erwartete Dampfer „Erna Woermann ,” 
Kapitän JEnsEn, an und mit ihm Herr JAEGER, der deutsche 
Hauptagent. Da das Schiff nach kurzem Aufenthalt die Reise 
nach Cape Palmas fortsetzen sollte, so nahm ich Abschied von 
meinen Freunden und begab mich noch am nämlichen Tage mit 
Herrn JAEGER an Bord. 

Die Fahrt nach Cape Palmas verlief ohne nennenswerthes Ereig- 
niss, ausser dass wir für kurze Zeit vor dem Küstenplatze Nanna 
Kroo, wo sich eine Zweigstation der deutschen Faktorei unter der 
Aufsicht eines Liberianers befand, vor Anker giengen, um einige 
Waaren zu löschen. Wir blieben aber, da die Küste ihrer vielen 


ı) Siehe Tafel XVII. 


— 428 — 


Riffe wegen sehr gefährlich ist, auf grossen Abstand vom Lande, 
so dass sich wenig davon unterscheiden liess. 

Den 12. Mai nachmittags drei Uhr ankerten wir auf der Rhede 
von Cape Palmas, wo ich, kaum an Land gekommen, mich mit 
heftigem Fieber im Wohnhause des deutschen Agenten, Herrn 
WARNCKE, zu Bette legen musste. | 

Das Cap Palmas erinnert einigermaassen an das Cap Messu- 
rado, nur ist es viel schmäler, so dass man auf dem schmälsten 
Punkte seines Rückens beinahe mit einem Blick auf der einen 
Seite die weite Bai, auf der andern den Ocean sehen kann. Auch 
sind die Abhänge steiler, da das ganze schmale, 100° hohe Vor- 
gebirge aus vertikal aufgerichteten Gesteinsschichten !) besteht; 
sie bieten der Brandung hartnäckigen Widerstand. Dennoch 
lassen verschiedene Erscheinungen vermuthen, dass selbst diese 
Felsmauer im Laufe der Zeiten nicht intakt geblieben, sondern 
früher viel mächtiger gewesen sei. Das Vorgebirge schiebt sich, 
wie das beigefügte Kärtchen zeigt, nicht in nordwestlicher Rich- 
tung vor, wie dies sonst bei sämmtlichen liberianischen Vorge- 
birgen und vorspringenden Felsmassen der Fall ist, sondern eher 
nach Südwesten. Es ist der südlichste Punkt der ganzen libe- 
rianischen Küstenlinie, da diese Letztere im Osten des Vorgebirges, 
nach der Elfenbeinküste hin, wieder etwas nach Norden zurück- 
weicht. Die west-östliche Meeresströmung ist hier an der Süd- 
spitze Liberia’s so stark, dass von Westen herkommende segel- 
schiffe, die im Nebel oder aus Unvorsichtigkeit etwas zu weit 
von der Rhede abhalten und am Cap vorbeifahren, mitgeführt 
werden und nicht im Stande sind, gegen dieselbe hinauffahrend 
die Höhe des Vorgebirges und die Rhede wieder zu gewinnen. 
Es ist einmal sogar vorgekommen, dass ein holländisches Schiff 


1) Unglücklicherweise sind mir die von hier mitgenommenen Gesteins- 
proben verloren gegangen. Dr. VoGzL, der Botaniker der englischen Niger- 
Expedition, der hier auf der Hinreise einige Stunden zubrachte, sagt, dass 
das Vorgebirge aus Hornblende bestehe. (Siehe sein Tagebuch in HooKER, 
Niger Flora, p.. 36). Herman SovAvx, der Botaniker der Loango-Expedition, 
der auf der Hinreise das Cap Palmas besuchte und davon eine interessante 
Beschreibung giebt, nennt dieses Gestein Gneiss. (SoyAux, Aus West- 
afrika,” Leipzig, Brockhaus 1879, p. 48). 


HAUS DES HAEUPTLINGS JACK DANDY IN BLOOBARRA, 
mit auf das Dach gebauten Schlafstellen. 


— 429 — 


sechs Wochen Zeit nöthig hatte, um in einem grossen Bogen 
durch Süd nach West, Nord und Ost die im Nebel passirte Rhede 
von Cape Palmas wieder zu erreichen. 

Im Süden vom Cap Palmas, und von ihm durch einen schma- 
len, untiefen Kanal getrennt, erhebt sich aus dem Meere die 
felsige Russwurm-Insel, welche eigentlich mit zu den Felsen 
des Vorgebirges gerechnet werden muss. Sie ist stellenweise so 
niedrig, dass die Brandung über die nackten, schwarzen Fels- 
massen hinschlägt, und nur ein kleiner Theil derselben ist hoch 
genug, um etwas Strauchwerk, Gras und anderen niedrigen 
Pflanzen die Bedingungen zu einer kümmerlichen Existenz zu 
bieten '). Ausser dieser Felsinsel liegen in der Umgebung noch 
verschiedene Klippen, die, weil unter Wasser verborgen, für 
die Schiffahrt sehr gefährlich sind. Die deutlichsten Beweise 
dafür sind zwei in der Bucht von Cape Palmas liegende Wracks, 
das Eine von einem deutschen, eisernen Segelschiff, das am 
Fusse des Vorgebirges auf der Seite liegt, das Andere von dem 
englischen Postdampfer „Yoruba,”’ der im Juni 1873 auf einer 
der Klippen ein Leck gestossen hatte und dann full speed auf 
den Strand gesetzt wurde. Mannschaften und Passagiere dieses 
Dampfers kamen mit dem Leben davon, und die Fracht wurde 
auf Öffentlicher Auktion verkauft. Ein unternehmender Liberianer 
in Monrovia kaufte das gestrandete Boot und liess Taucher mit 
den nöthigen Apparaten aus Amerika kommen, um dasselbe 
wieder flott zu machen, was jedoch infolge der inzwischen ein- 
getretenen Regenzeit misslang. Ein anderes englisches Boot, dessen 
Namen ich vergessen habe, ist unmittelbar ausserhalb der Rhede 
von Cape Palmas gesunken. 

Auch östlich vom Cap Palmas ist die Küste sehr felsig, und 
zahlreiche ihr vorgelagerte Klippen sind für die Schiffahrt höchst 
gefährlich. Erst vorletztes Jahre (Juli 1887) ist etwas östlich 
vom Cavally River, bei Tabou Point, der englische Post- 
 dampfer „Senegal” auf der Rückreise nach Europa auf eine unter 
Wasser liegende Klippe gelaufen und verloren gegangen, nach- 


') Die Russwurm-Insel war früher der Begräbnissplatz für die eingebornen 
Fürsten von Cape Palmas, ähnlich dem Coffin Island im Cestos River, 


— 430 — 


dem er erst durch die zu Hunderten herbeigeströmten Eingebornen 
geplündert worden war. Glücklicherweise konnten Mannschaft 
und Passagiere, die ebenfalls beraubt wurden, von einem vorbei- 
fahrenden, englischen Dampfer aufgenommen werden. 

Die Bucht von Cape Palmas ist sehr gross und bildet eine 
sichere Rhede mit gutem Ankergrund; doch ist die Einfahrt 
einiger unter Wasser liegender Klippen wegen gefährlich, so 
dass die meisten Dampfböte es vorziehen, ausserhalb derselben 
auf offener See vor Anker zu gehen. Unmittelbar am Fusse des 
Vorgebirges mündet der breite Hoffmann River in die Bucht 
ein. Derselbe soll etwa sieben miles landeinwärts für Canoes 
fahrbar sein. Das Vorgebirge hat seinen Namen wahrscheinlich 
der vielen Oelpalmen wegen erhalten; später sind noch zahlreiche 
Kokospalmen dazu gekommen. I. 

Wie auf dem Rücken des Vorgebirges Messurado die Stadt ° 
Monrovia, so liegt hier auf dem schmalen Bergrücken die libe- 
rianische Niederlassung Harper, eine Stadt mit geradlinigen , 
rechtwinklig sich kreuzenden, grasbewachsenen Strassen; doch 
sind hier die Häuser im allgemeinen einfacher, obwohl vielfach 
aus Stein gebaut. Auf dem äussersten Vorsprunge, zugleich 
dem höchsten Punkte des Vorgebirges, steht der schwere, vier- 
eckige Leuchtthurm und daneben das Hauptgebäude der ameri- 
kanischen, protestantisch bischöflichen Mission, mit prachtvollem 
Ausblick auf das weite Meer, die Stadt Harper und das meist 
von einer grossen Dunstmasse verschleierte Hinterland. Ein grosses 
Terrain vor dem Garten der Mission, das sich bis zu dem senk- 
recht zur See abstürzenden, äussersten Rande des Vorgebirges 
sanft abdacht, ist mit kurzem Rasen bedeckt, und die steilen 
Hänge zu beiden Seiten desselben sind mit Strauchwerk und der 
mehrgenannten Zwerepalme bewachsen. Neben dem Hauptge- 
bäude der Mission steht das frühere Hospital derselben, ein 
grosses, steinernes Gebäude. 

Hinter diesem, am Südabhange des Vorgebirges, fand ich nach 
einigem Suchen mitten in einem Batatenfelde das Grab Dr. NAcH- 
TIGAL’S, der auf der Heimreise vom Kamerun den 20. April 1885 
an Bord des deutschen Kriegsschiffes „Möwe” dem Fieber erlag 
und dessen Leiche vorläufig hier beigesetzt wurde. Das ausge- 


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mauerte Grab war mit einem einfachen, weissgetünchten Staket- 
zaun umgeben. Bekanntlich ist seither seine Leiche von hier 
nach dem Kamerun gebracht und dort, in dem Lande, dessen 
erster Gouverneur er bis zu seinem Tode war, beigesetzt worden. 

Der vom Leuchtthurm in östlicher Richtung führenden Haupt- 
strasse der Stadt folgend, gelangt man in eine zweite Nieder- 
lassung von Americo-Liberianern, Latrobe genannt. Dieser Ort 
liest auf der schmalen, niedrigen Landenge zwischen dem Hoffmann 
River einer- und dem Meere (das heisst einer sich hinter der 
Küste hinziehenden Salzwasserlagune) andererseits. In Latrobe, 
am linken Ufer des Hoffmann River, befindet sich die schon 
seit Jahren etablirte holländische Faktorei mit einem neuen, 
praktisch eingerichteten Gebäude !). Die deutsche sowohl als die 
belgische Faktorei liegen weiter flussabwärts, am Fusse des Vor- 
gebirges, und gehören also in das Gebiet der Stadt Harper. 

Die Salzwasserlagune ist ein untiefer, höchstens für Canoes 
fahrbares Hinterwasser, das sich dicht hinter der Küste und 


parallel mit dieser ostwärts bis an das Negerdorf Grahway 


hinunterzieht und nur durch eine Grassteppe vom grossen Cavallo 
oder Cavally River, der weiter östlich ins Meer ausmündet, 
getrennt wird. 

Ab und zu ist die Lagune durch einen natürlichen Abfluss, 
der zeitweilig die schmale Stranddüne durchbricht, aber immer 
wieder versandet, mit dem Meere verbunden. Sie enthält fast 
ausschliesslich Seewasser, das bei hoher Fluth, besonders in der 
Regenzeit, gelegentlich über die niedrige Stranddüne hineinge- 
worfen wird. 

Da die schwere Brandung die Einfahrt in den Cavally River 
sehr gefährlich macht, so hat man sich schon lange mit dem 
Plane getragen, die genannte Lagune vermittelst eines durch 
die Grassteppe zu grabenden Kanals mit dem Hoffmann River 
einer- und dem Cavally River andererseits zu verbinden. Leider 
fehlten bisher zu einer solchen sehr kostspieligen und meiner 


ı) Diese Faktorei ist letzten Sommer infolge einer Uebereinkunft mit der 
Firma WOoERMAnNn aufgehoben worden. Auch die belgische Faktorei besteht 
nicht mehr, 


— 432 — 


Ansicht nach nicht rentabeln Unternehmung die erforderlichen 
Geldmittel)). 

Eine solche Verbindung innerhalb der Küste zwischen dem 
Hoffmann- und dem grossen Cavally River, der nach dem Libe- 
rianer ALEXANDER ÜRUMMEL 85 miles lJandeinwärts fahrbar ist, 
würde indessen unzweifelhaft viel zur Hebung des Handels an 
diesem Flusse beitragen. Seine Ufer sollen sehr fruchtbar und 
dicht bevölkert sein °). Die holländische Firma hatte damals in 
Cablica, an der Mündung des Cavally, eine unter der Aufsicht 
eines Weissen stehende Faktorei; seither wurde dieselbe auf- 
gehoben. 

Das Cap Palmas und seine Hinterländer sind das Hauptarbeitsfeld 
der amerikanischen, protestantisch bischöflichen Missionsthätigkeit. 
. Die Stationen dieser Missionen stehen gegenwärtig unter der 
Oberaufsicht eines Farbigen, Rev. S. D. Frrauson, der nach dem 
Rücktritt Penıck’s Bischof von Cape Palmas und Umgebung 
geworden ist. Die Missionsstationen dieser Gesellschaft waren 
früher am Cavally bis weit ins Innere vorgeschoben. Dieselben 
stellen sich, wie diejenige in Robertsport, welche der nämlichen 
Gesellschaft gehört, zur Aufgabe, die Kinder der Eingebornen 
(hier der Grebo) in den Elementarfächern, Lesen, Schreiben und 
Rechnen, und die Mädchen überdies in nützlichen Handarbeiten 
zu unterrichten und dieselben zu religiösen, humanen und brauch- 
baren Menschen heranzubilden. Eine andere Ähnliche, aber mit 
viel mehr Energie und bedeutenden Mitteln arbeitende Unter- 
nehmung war die des weissen Methodistenbischofs TAYLoR, welcher 
an den Ufern des Cavally River zahlreiche, sogenannte self- 
supporting Missions unter der Leitung von aus Amerika ver- 
schriebenen, verheiratheten, weissen Missionären errichtet hatte. 
Diese Missionen hatten den Zweck, durch Landbau sich nach und 
nach die Mittel zu einer unabhängigen Existenz zu verschaffen 
und den umwohnenden Eingebornen als Musterwirthschaften für 
den Landbau zu dienen. 


ı) Ein anderer Plan, der ebenfalls schon vielfach ventilirt wurde, möchte 
den obern Lauf des Hoffmann River, der sich sehr dem Cavally River nähert, 
durch einen Kanal mit dem letztern verbinden. 

°) Proceedings of the Royal Geographical Society, London, 1860, p. 185. 


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Obschon erst vor kurzem gegründet, zählte diese Reihe von 
Ansiedlungen, bald über 100 Weisse; infolge der kriegerischen 
Unruhen unter den Eingebornen scheinen aber sämmtliche Stationen 
seither wieder verlassen worden zu sein, so dass gegenwärtig die 
erst zu grossen Hoffnungen berechtigende Unternehmung als 
völlig gescheitert betrachtet werden mnss. 

Die Niederlassungen von aus Amerika eingewanderten, farbigen 
Colonisten am Cap Palmas datiren schon aus dem Jahre 1834 
und bildeten früher die selbständige, nach ähnlichen Principien wie 
Liberia eingerichtete Colonie Maryland, welche sich erst sehr 
spät, in 1856, der liberianischen Republik anschloss und seither 
eine Provinz (County) dieses Staates bildet. Die Eingebornen, 
vornehmlich dem Stamme der Grebo und seinen verschiedenen 
Verzweigungen angehörend, sollen sehr intelligent sein, eine Eigen- 
schaft übrigens, die meiner Ansicht nach auch den übrigen Eingebor- 
nen Liberia’s keineswegs abgeht. Früher, und auch in jüngster 
Zeit wieder, haben sie den Colonisten oft das Leben sauer gemacht, 
so dass sich Liberia wiederholt zur Intervention genöthigt sah. 

Am Abend nach meiner Ankunft kamen sämmtliche Europäer in 
der Wohnung des deutschen Agenten zusammen, doch war ich 
derart vom Fieber geschwächt, dass ich nur aufeinige Augenblicke 
das Bett verlassen und an der Unterhaltung Theil nehmen konnte. 

Für einen abgelegenen Platz wie Cape Palmas war damals eine 
bedeutende Zahl von Weissen beisammen, denn ausser den Herren 
JAEGER und WARNCKE war der belgische Agent, Herr ENGELMANN 
anwesend, sowie drei Holländer, nämlich der Chef der MUELLER’- 
schen Faktorei, Herr MEISER, dessen kürzlich angekommener 
Stellvertreter SNOEKEFELD und der Agent der Faktorei am Cavally 
River, Herr ERKELENS. 

Der Letztere lud mich ein, mit ihm über See nach seiner 
Faktorei zu kommen, um den Cavally River kennen zu lernen, 
dessen Schönheit ihm sehr imponirt zu haben schien. Leider 
durfte ich bei meinem elenden Zustande nicht daran denken, 
diese freundliche und unter andern Umständen äusserst willkom- 
mene Einladung anzunehmen, und überdies war die Zeit meines 
Urlaubs verstrichen und musste ich daher, so leid mir dies auch 


that, alles zur Rückkehr nach Holland vorbereiten. 
LIBERIA, |. 28 


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Am nächsten Morgen, 13. Mai, kündete schon beim ersten 
Morgengrauen ein Kanonenschuss die Ankunft des vom Congo 
kommenden Dampfers „Adolf Woermann,” Kapitän MEINERTz, an, 
und ich entschloss mich, obwohl mit schwerem Herzen, mit 
demselben nach Monrovia zurückzukehren. Wie gerne hätte ich 
noch den Cavally River gesehen, wie gerne, einmal dort, die 
östlichern Gegenden bis zur Elfenbeinküste hinunter besucht, 
um, wenn auch nur durch Erkundigungen, Material für die 
Feststellung des Gebietes zu sammeln, über welches die eigen- 
thümliche liberianische Fauna verbreitet ist! 

Obwohl noch sehr schwach, beeilte ich mich, von den wenigen 
Stunden, die mir noch zur Verfügung standen, den bestmöglichen 
Gebrauch zu machen. Erst begab ich mich nach der waterside 
hinunter in die deutsche Faktorei, um meinen Entschluss mitzu- 
theilen. Hier lernte ich die Wittwe des Franzosen VERDIER 
kennen, welcher Letztere gegen zwanzig Jahre am Cap Palmas 
gelebt und daselbst eine einträgliche Kaffeepflanzung angelegt 
hatte, aber vor Kurzem in der Normandie, wohin er sich zur 
Wiederherstellung seiner Gesundheit zurückgezogen hatte, ge- 
storben war. 

Von hier eilte ich auf einem strassenartigen, den Fuss des 
Vorgebirges entlang führenden Wege nach Läatrobe hinüber, um 
von den Holländern Abschied zu nehmen. Auf diesem Wege 
begegnete ich einigen mit Ochsen bespannten Karren, den ein- 
zigen Räderfuhrwerken, die in Liberia angetroffen werden. Der 
nördliche Abhang des Vorgebirges ist, sowohl von der Bai aus 
als in der Nähe gesehen, sehr malerisch. So steil er auch in 
die Bucht abfällt, ist er doch, den äussersten Vorsprung aus- 
senommen, ganz mit Buschwerk und tropischen Obstbäumen 
bewachsen, aus denen zahlreiche, zum Theil auf künstlich 
angelesten Terrassen stehende Wohnungen liberianischer Ansied- 
ler auf die schöne Bucht herunterschauen. Nach kurzem Aufent- 
halt bei den Holländern stieg ich durch die hübsche Ansiedlung 
Latrobe auf steilem Wege nach Harper hinauf, um die Mission 
und das Grab Dr. NacHrigar’s zu besuchen und womöglich 
einige photographische Aufnahmen zu machen, was mir auch 
selang. In der mitten über den Rücken des Vorgebirges entlang 


IIIAX 


"STYAULIHHUOA SHA HNNUISUOA HHLSAASSNHYV 


sywıwd aavr] 


— 4355 — 


führenden, mit Gras bewachsenen Hauptstrasse von Harper sieht 
man überall die scharfen Kämme der senkrechten, mit der 
Richtung des Vorgebirges parallel verlaufenden Felsschichten zu 
Tage treten. Theilweise sind dieselben an der Oberfläche durch 
athmosphärische Einflüsse in eine schwammartig poröse Laterit- 
kruste verwandelt. Vereinzelte Häuser, worunter viele sehr 
baufällige, flankiren die Strasse, und zahlreiche Kokospalmen, 
aus verwilderten Gärten mit Bananenbüschen, Orangen-, Limonen-, 
sour-sop-, Guave- und Brodbäumen emporragend, geben der Stadt 
ein äusserst malerisches Aussehen. 

Kaum hatte ich die Mission, das Grab NaAchricAr’s und die 
äusserste Spitze des Vorgebirges besucht und photographirt, als 
mich ein heftiger Schüttelfrost zu schleuniger Rückkehr zwang. 
Mit Mühe erreichte ich, unterstützt und stellenweise getragen 
_ von meinem treuen Diener Bog, den ich auf dieser Reise mitge- 
nommen, die deutsche Faktorei an der waterside. Gegen fünf Uhr 
abends fuhren wir, begleitet von Herrn JAEGER, ab und gelangten, 
nicht ohne Mühe gegen die schwere Brandung ankämpfend und 
von den überschlagenden Sturzwellen ganz durchnässt, an Bord 
des wohl zwei englische Meilen vom Strande entfernt liegenden 
Dampfers, wo ich mich sofort mit einer Fiebertemperatur von 
41° ins Bett legte. Bei westlichem Winde, wie wir ihn zufällig 
hatten, ist die Brandung auf der Rhede von Cape Palmas sehr 
schwer und zeitweise sogar gefährlich, während dagegen bei 
Süd- oder Ostwind die Rhede durch das weit vorspringende 
Vorgebirge vollständig geschützt wird. 

Am Morgen des folgenden Tages, Sonnabend 14. Mai, kamen 
wir auf die Rhede von Sinoe, wo Herr JAEGER, der mit mir 
nach Monrovia zurückfuhr, auf einige Stunden an Land gieng. 
Ich selbst war dazu viel zu schwach. Gegen Abend fuhren wir 
weiter, passirten in der Nacht River Cess und kamen am Sonntag 
Morgen auf der Rhede von Bassa vor Anker. Trotz starken 
Chiningebrauchs "hatte ich, kaum auf die Rhede von Sinoe ge- 
kommen, ‘wieder einen heftigen Fieberanfall, bei dem das Ther- 
mometer auf 41,9° Celsius stieg, und am Abend bei der Abfahrt 
kündete ein plötzlicher, starker Schüttelfrost einen erneuten Aus- 
bruch an, den ich bei der grossen Schwäche kaum zu überstehen 


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hoffen durfte. Da kein Arzt an Bord war, holte Herr JAEGER, 
der das Schlimmste befürchtete, seine Haushälterin Nancy herbei, 
eine Mulattin, die in Sinoe an Bord gekommen war und die in 
Monrovia bereits seit Jahren als vortreffliche Krankenwärterin 
eine gewisse Berühmtheit erworben hatte. Diese liess mich grosse 
Quantitäten heissen Wassers, stark mit Limonensaft versetzt, 
trinken, worauf der erlösende Zustand der Transpiration eintrat, 
bevor das Stadium des heissen Fiebers seinen Höhepunkt erreichen 
konnte. 

Da die liberianischen en. verbieten, an Feiertagen zu löschen 
und zu laden, so blieb das Boot den Sonntag über liegen und stellte 
sich erst am Montag mit der Küste in Verbindung. Obwohl ich 
nun von weitern Fieberanfällen verschont blieb, wagte ich es 
nicht, an Land zu gehen; doch liess ich mich an Bord der 
holländischen Barke „Aethiopia,” Kapitän van Duyx, bringen, die, 
ebenfalls nach Monrovia bestimmt, in unmittelbar Nähe vor 
Anker lag, und setzte mit diesem Schiffe die Reise nach Mon- 
rovia fort. Ich fand an Bord Herrn Dover, den Todeskandidaten 
vom River Cess, der mit diesem Schiffe nach Europa zurückkehren 
sollte, aber, wie schon früher gesagt, Holland nicht mehr erreichte. 
Auch das mir von Herrn KrEMER geschenkte, schöne Pinselschwein 
war an Bord, ebenso ein junger Chimpanse, den die holländischen 
Agenten in Edina für mich gekauft hatten. Während der Reise 
nach Monrovia, die wegen Mangel an Wind einen Tag länger 
dauerte, als man erwarten durfte, erholte ich mich so rasch, 
dass En am Morgen des 18. Mai Snrlich hergestellt in Monrovia 
an Land gehen konnte. 

Hier traf ich unverweilt die nöthigen Anstalten zur Abreise 
nach Schieffelinsville und zum Transport meiner Sammlungen 
nach Monrovia, um dann mit dem ersten von Süden kommenden 
Dampfer, der am 24. Mai fälligen „Gertrud Woermann,” Kapitän 
MELCHERTSEN, nach Europa zurückzukehren. 

Am gleichen Tage noch miethete ich von Mr. GRANT, einem 
liberianischen Kaufmann, ein Segelboot, das ich über See nach 
dem Junk River sandte, um die Sammlungen von Schieffelinsville 
abzuholen. Den Chimpansen und das Pinselschwein gab ich dem 
belgischen Hauptagenten, Herrn MANNHEIMER, in Bewahrung. Ein 


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am nämlichen Tage eingelaufener englischer Dampfer brachte die 
Nachricht vom Tode des Herrn ERKELENS, den ich in Cape Palmas 
angetroffen. Derselbe hatte zwei Tage nach meiner Abreise in 
einem Segelboote, zusammen mit Herrn SNOEKEVELD, trotz der 
schweren Brandung die Rückreise über See nach dem Cavally 
River angetreten. In der Brandung vor der Mündung dieses 
Flusses aber schlug das Boot um, wobei ERKELENS ertrank, 
während SNOEKEvELD von der Mannschaft gerettet wurde. Am 
Donnerstag, 19. Mai, kamen einige mir von STAMPFLI zugesandte 
Diener an, um mich abzuholen. Wir fuhren den nämlichen Abend 
noch bis Paynesville, woselbst ich bei Mrs. Tmomas übernachtete, 
und kamen am Freitag morgens um 10 Uhr nach Schieffelins- 
ville, wo ich schon längst von STANPFLI mit Verlangen erwartet 
_ worden war, an. 

Noch am -nämlichen Tage wurde alles Nöthige zusammenge- 
sucht und verpackt, und am Mittag des folgenden Tages (Sonn- 
abend), als das Boot aus Monrovia.ankam, waren wir soweit fertig, 
dass dasselbe sofort beladen und zurückgesandt werden konnte. 

Der „Captain” dieses Bootes, ein eingeborner Vollblutneger, 
dem ich beinahe sämmtliche Resultate unserer Sammelthätigkeit 
anvertraute, war ein äusserst vorsichtiger und geschickter Mann, 
der trotz der schweren Brandung, die während dieser Tage 
geradezu gefährlich geworden war, die kostbare Ladung unbe- 
schädigt nach Monrovia brachte. 

Am Abend übergab ich die Station mit dem ganzen Inventar 
meinem Begleiter STAMPFLI, der nach meiner Heimkehr für mich 
die Gegend am Farmington River zu exploriren übernahm )). 

Am folgenden Morgen, Sonntag 22. Mai, fuhr ich schon um 
drei Uhr den Du Queah hinauf, um meinen Bekannten in Hill 
Town Lebewohl zu sagen. Schon frühzeitig kam ich dort an und 
wurde mit 'wahrem Freudenjubel empfangen. Den Tag über 
erledigte ich noch einige Geschäfte und kaufte eine Anzahl 
ethnographischer Gegenstände. 

Schon früh am andern Tage nahm ich unter zahlreichen Umar- 


!) Auch erist nun, nach erfolgreichem, einjährigem Aufenthalt an genanntem 
Flusse, naclıı Europa zurückgekehrt. 


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mungen von Seiten fast sämmtlicher Frauen der Stadt Abschied. 
CLARK’S Onkel versprach mir, eine Anzahl seiner Leute nach 
Oldfield zu senden, um bei meiner Ankunft von Schieffelinsville 
die Bagage nach dem Messurado River tragen zu helfen, und 
CLARK selbst gab einige Ruderer mit, um mich bis Monrovia 
zu begleiten. Beinahe sämmtliche Bewohner der Stadt gaben 
mir das Geleite bis an der Fluss hinunter. Die gute Jassa 
verabschiedete sich schon bevor wir den Landungsplatz erreicht 
hatten, indem sie mir plötzlich mitten auf dem Wege an den 
Hals sprang, mich heftig erregt in ihre Arme schloss und dann, 
ohne sich nochmals umzusehen, laut weinend wegeilte und im 
Walde verschwand. Am Flusse angekommen, nahm ich unter 
herzlichem Händedruck und mit dem Versprechen, recht bald 
nach meiner Ankunft in Holland etwas von mir hören zu 
lassen, von meinem alten Gastherrn CLARK und seinen Leuten 
Abschied, und die mir nachgerufenen 9g00d Dbyes hallten noch 
in meinem Innern nach, als ich jenen schon länest aus den 
Augen entschwunden war. Auch mir gieng, ich will es ehrlich 
bekennen, der Abschied auf Nimmerwiedersehen von diesen ein- 
fachen Naturmenschen tief. zu Herzen, und während der ganzen 
Fahrt den schönen Fluss hinunter war ich nicht im Stande, die 
gedrückte Stimmung, welche sich meiner bemächtigt hatte, abzu- 
schütteln. 

Um 12 Uhr in Schieffelinsville angekommen, beluden wir sofort 
unsere beiden Canoes mit Allem, was ich nach Monrovia mitzu- 
nehmen hatte und wovon die zahlreichen Käfige mit lebenden 
Thieren den Hauptbestandtheil bildeten. STAMPFLI liess es sich 
nicht nehmen, mich nach Monrovia zu begleiten und hatte bereits 
einen vertrauten Liberianer beauftragt, bis zu seiner Rückkehr 
auf der Station Wache zu halten. Um drei Uhr fuhren wir ab, 
und unter furchtbaren Anstrengungen seitens unserer Ruderer , 
die stets einander vorbeizufahren strebten, kamen wir gegen 
Abend nach Oldfield, wo die Leute des Onkels in Hill Town, 
welche den Weg von dort zu Fusse zurückgelegt hatten, uns 
schon geraume Zeit erwarteten. Bald darauf setzte sich die lange 
Trägerkarawane in Bewegung, und spät nach Einbruch der Dun- 
kelheit kamen wir bei Mrs. THomAs an, wo wir übernachteten. 


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Am andern Morgen früh (24. Mai) setzten wir die Reise fort und 
kamen gegen 10 Uhr in Monrovia an. 

Inzwischen war mit einem englischen Dampfer die Nachricht 
sekommen, dass die „Gertrud Woermann’” einige Tage Verspätung 
habe, was mir sehr willkommen war, da das Boot mit unsern 
Sammlungen zu meiner grossen Besorgniss noch nicht eingelaufen 
war. Den 25., 26. und 27. Mai verwandten wir auf das Ordnen 
meines Gepäcks und zu verschiedenen Abschiedsbesuchen. Schliess- 
lich kam auch das Segelboot mit den Sammlungen wohlbehalten 
an. Die Brandung vor der Mündung des Junk hatte so drohend 
ausgesehen, dass der „Captain” es zwei Tage lang nicht wagen 
durfte, in See zu gehen; doch schliesslich kam er hindurch, ohne 
Schaden zu nehmen. Sehr gerne hätte ich vor der Heimreise 
noch meinen alten Freund Mr. Dayin Mühlenburg Mission besucht, 
‘doch durfte ich aus Furcht, den Dampfer zu verfehlen, solch einen 
grossen Ausflug nicht mehr wagen. 

Am 27. Mai jedoch fuhr ich mit Freund STAmPrLı, der den 
Stockton Creek und St. Paul’s River noch nicht gesehen hatte, 
nach Virginia, am rechten Ufer des Letztern, hinüber und gieng 
von dort zu Fusse nach der etwa anderthalb Stunden landeinwärts 
gelegenen Mandingostadtt Vanswah, von welcher später noch 
die Rede sein wird. Auf der Rückfahrt durch den Stockton 
Creek machte ich eine wohlgelungene Photographie von einem 
Mangrove- und eine andere von einem Pandanuswald. In der 
folgenden Nacht starb mein schöner Chimpanse, und der mit 
vieler Mühe grossgezogene, inländische Graupapagei (Psittacus 
tinneh) wurde in der nämlichen Nacht von Ratten getödtet. 

Am Abend des 28. Mai (Sonnabend) kam der langerwartete 
Dampfer an und blieb den Sonntag über liegen. Ein Ausflug nach 
Mr. Day, den ich nun noch hätte machen können, wurde durch 
anhaltende Regengüsse vereitelt. 

Am Sonntag kehrte STAmPprLı nach seiner Station zurück, 
die er nicht länger allein lassen durfte. Er wieder hinein in die 
Wildniss, aufs Neue sein Glück zu versuchen, aufs Neue den Tücken 
des herrlichen, aber eben so verrätherischen Klimas Trotz zu bieten, 
ich nach dem alten Europa zurück, um nach kurzem Freiheitstraum 
mein altes schablonenhaftes Leben wieder zu beginnen! 


440 


Am Morgen des 30. Mai machte ich noch einige photographische 
Aufnahmen in Monrovia, verabschiedete mich von zahlreichen 
Freunden und Bekannten und begab mich an Bord der „Gertrud 
Woermann’”, die um ein Uhr Anker lichtete und die Rhede ver- 
liess. Bald darauf war das schöne Cap Messurado und einige 
Stunden später auch das hohe, waldbedeckte Cape Mount-Gebirge, 
der letzte sichtbare Punkt Liberia’s, unter dem Horizonte ver- 
schwunden. Unter den zahlreichen Kajütenpassagieren, meist 
deutschen Kaufleuten, befand sich ein Kranker, Herr Braus, 
von Lagos kommend, der schon am zweiten Juni seinem Leiden 
erlag und ins Meer versenkt wurde. In Havre, wo wir am 
17. Juni ankamen, verliess ich die „Gertrud Woermann” und 
kam mit dem holländischen Dampfschiff „Othello”, Kapitän Hokk, 
den 20. Juni nach Rotterdam. 


Dr. NacHTieAr’s Grab. 


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