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OCT 2 4 1899
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REISE
DURCH DA* INNERE
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EUROPÄISCHEN TÜRKEI
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HEINRICH BARTH.
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BERLIN.
VERLAG TOS DIETRICH REIMEK.
1804.
REISE
DURCH DAS INNERE
DER
EUROPÄISCHEN TÜRKEI
VON
RUSTCHÜK ÜBER PHILIPPOPEL, RILO (MONASTIR),
BITOLIA UND DEN THESSALISCHEN OLYMP
NACH SALONIKI
IM HERBST ISO«
VON
HEINRICH BARTH.
KIT 2 KARTEN, 4 LITHOGRAPHffiTEN ANSICHTEN UND 8 HOLZSCHNITTEN.
DER YBRPAS8BR BEHÄLT SICH DAS RBCHT DER ÜBERSETZUNG VOR.
BERLIN.
VERLAG VON DIETRICH REIMER.
1864.
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Inhalts - Verzeichniis.
Seite
Erster Abschnitt: Berg und Thal; Haemas and Rhodope . . 1—58
Einleitung 1 — 2
Rustchuk und das Bulgarische Tiefland 3—10
Die Vorkette des Balkan und ihre Klöster 10. 11
Trnowa, die Bulgarische Metropole und der Durchbruch der Yantra 12 — 15
Ga*brova und der Tchipka- Balkan 17—23
Das reiche „Becken" und Klzanlyk; die Rosenau 24 — 28
„Das Land jenseit des Gebirges * 29
Vulkanische Kräfte; Banya und Lüdja 30
Das „Mittelgebirge oder Kara-dagh 26
Kalifer und die heiligen Klöster an den Quellströmen .... 33 — 37
Kara-topnSk, der einförmige schwarze Thalboden 42
Filibe-Trimontium und seine historische Bedeutung . . . 43 — 48. 52
Ausflug nach dem Dost- Bat und eine Raubgeschichte. . . . 49 — 51
Bazardjik, sein Mudir und sein Minaret 55 — 58
Zweiter Abschnitt: Hoch- Bulgarien oder Alt -Päonien ... 59—140
Eintritt in'* Hochgebirge und die Wachtposten 62
Quellgebiet des Hebros und die Bergschluchten 64
Wieder ein Banya 65
Das Schulterblatt des RHostocks und seine Hochkuppen . . . 67 — 69
Samakov, sein Mudir und seine Eisenwerke 70 — 74
Der Isker und das romantische Hochthal des Klo 75 — 80
Altklassische Bedeutung des Rüostocks 78. 79
Kloster Rilo, sein stattlicher Bau und seine grofsartige Lage . 81 — 83
Die Bergfahrt aufs Hochplateau und ihre Ausbeute .... 84 — 89
Thal der Rilska und Seitenweg nach Dübnitsa 92 — 94
Das grofsartige Gebirgspanorama 95
Djumaa, „die moslemische Gemeinde" im Seitenthal .... 96 — 98
Der Strymon-Karasü und seine Engpässe 94. 100
Der Perlm und der Yel-tepe*, ihre Culmination und ihre Sagen 87. 95. 105. 106
Gäbrova- und Madesh- Balkan mit ihren Waldschluchten und
ihren Weilern 101—104
Be^ova, eine frühere terra incognita 105. 106
Der lange Gems- Felsen -Pafs 107—110
Radovitch und sein Mudir 111—113
Zickzackmarsch nach Kontcha und längs des Schluchtgehänges 114 — 118
Das Thal des Vardar und sein Gebirgspanorama 119 — 121
Ktffadär, der Vorort von Tikvesh 112. 123
IV Inhalts - Verzeichnifs.
Seite
Demlr-kapü, das Felsthor des Vardar und ein vereiteltes Banya 126 — 130
Romantische Gebirgspassage ; BUdobfl und Kdziak 132—135
Prflip und seine Umgebung 136. 137
Das reiche Thalbecken von Bitolia-Mdnastlr und der Erigon-
Kä*rasü ■ 138—140
Dritter Abschnitt: Makedonien, Thessalien und die Heimkehr 141—232
Mdnastir, seine Lage und seine politisch -militärische Bedeutung 141 — 143
Ungünstige Besteigung der Peristeri 144 — 147
Das reichgegliederte Thalgehänge der Lvnkos 148 — 151
Die acht Bergsporne und die fyohe VUch . . ....... 152
Fldrina und sein Kastell . . ' . .' .'.'." 152-154
Der Waldpafs der Lynkestis 155
Eordaea mit seinen Seebecken und seinen neuen Kavalieren . 156 — 159
Kailar, seine Pässe und seine Thalebene 160 — 162
Kozä*ne, sein Christenthum und sein Glockenthurm 163
Grofsartige Ansicht des Olymp 164
Thal des HaliakmOfi und «eine Kalk fei sen* 166
Selvidje, sein Kastell und seine PhäVanga 167 — 169
Die Cambunischen Berge und der Volustana-Pafs 170. 171
Saraiidopdro, die „vierzigfurtige" Felsschlacht . - . . . . . 172. 173
Die Perrhäbißche oder Pierische Tripolis I ?4. 180
Elassöna, sein Mudlr und sein Kloster 175_178
Das alte Pythion und Hellis . . ... . . . . . . . 180. 181
Kdkkinoplö und die Bergbesteigung . 182. 183
Die erste Olympische Felsschlucht und ihr Baum wuchs ... 184
Die grasreichen Olympischen Matten und das Nachtlager ... 185
Die grimmen Felsklüfte und die steilen Hochkuppen . . . . 186. 187
Das cxoXslov und die klassische Fernsicht 188. 189
Grofsartigstes Felsamphitheater und die »Porta" . . . . . . 190
Die Eliaskuppen und die Wetterscheide 191. 196
Höhe der Hochkuppen; der Olymp keine Schneeregion . . . 193. 194
Schwieriger Abstieg in die Waldschlucht des VIthos . . . . 197. 198
Kloster des heiligen Dionysios und Letdkhori . . . . . . 199 — 201
Rossi's Marsch um den Nordflufs des Olymp 202 -~204
Eilritt nach Saloniki und eintägiger Aufenthalt daselbst . . . 205 — 213
Der Olymp als Göttersitz 210
Klassische Küstenfahrt .............. 216
Die Magnesische Halbinsel und ihre Wohnstätten 217 — 220
Amaliüpolis und Königin Amalie 221
Stylfda und La'mia . . . .' 222. 223
Chalkis und der Euripos 224
AU -Athen und seine Ruinen; Neu -Athen und seine Revolution 225—232
Aufser kleineren Ungenauigkeiten bittet der Verfasser folgende Versehen zu
verbessern:
Viquesnel anstatt Visquenel überall, S. 60, 62, 73 und sonst; Eri-
gon anstatt Strymon S. 125 Z. 20; und auf der Karte westl. Blatt am
Olymp: Mikro Gurna und Makro Gurna anstatt M. Gora.
Erster Abschnitt.
Berg und Thal; Haemus und RMdope.
Einleitung. — Rustchuk and das Bulgarische Tiefland. — Die Vorkette des Bal-
kan und ihre Klöster. — Trnowa, die Bulgarische Metropole und der Durchbrach
der Yantra. — Ga*brova und der Tchipka- Balkan. — Das reiche „Becken** und
Klzanlyk; die Rosenau. — „Das Land jenseit des Gebirges". — Vulkanische
Kräfte; Banja und Lüdja. — Das „Mittelgebirge". — Kalif er und die heiligen
Klöster an den Quellströmen. — Kara-topräk, der einförmige schwarze Thalbo-
den. — Filibe-Trimontium und seine historische Bedeutung. — Ausflug nach
dem Dost -Bat und eine Raubgeschichte. — Bazardjik, sein Mudir und sein
Minaret.
_A.uf meiner Reise durch die Küstenländer des Mittelmeeres in den
Jahren 1845 — 1847, die sich von Westen nach Osten an jenen Ge-
staden hinumzog, war ich nach langsamer und vielfach gewundener
Durchwanderung des Klein-Asiatischen Vorlandes erst ganz zum Schmus
an die Griechisch-Türkische Halbinsel gelangt und hatte von ihrer brei-
teren Basis, ihrem eigentlichen Wurzelstock, nur eben die Perle, die
Orientalische Welthauptstadt Stambül selbst kennen gelernt; auch auf
meinem Ausfluge nach Klein-Asien im Herbste 1 858 hatte ich jene sud-
östliche Europäische Halbinsel nur gestreift, da ich in bequemer Thal-
Fahrt der mächtigen Ost - Europäischen Wasserader folgend nur auf
einem interessanten Ausfluge von der Hauptstadt der Wallachei aus
das Ufer jenes gewaltigen Stromes mit dem Kamme des sein weites
Frucht -Thal auf der Nordseite umschliefsenden Transsylvanischen Ge-
birges in Verbindung setzte. So beschlofs ich denn im vorigen Jahre
(August 1862) eine kurze Rundreise durch eben jenes südöstliche Glied
des Europäischen Festlandes zu machen und dasselbe durch lebendige
Erkenntnüs seiner inneren Gliederung, so wie durch einen Einblick in
das Leben seiner Bewohner in das gewonnene Bild der Nachbarlän-
der einzureihen. Ich folgte also dem an die centralen Gebirgsgruppen
1
2 Reise durch die Europäische turkei.
Deutschlands sich anschliefsenden und dieselben mit dem Gebirgsge-
rippe jener südöstlichen Europäischen Halbinsel vermittelnden, von
Nord -West nach Süd -Ost gestreckten Gebirgszuge, indem bei meinen
zuerst in die weite Ferne gerichteten Reisen selbst das so nahe gelegene
Riesengebirge früher von mir unbesucht geblieben war. Nachdem ich
dann unter dem gastlichen Dache eines befreundeten Bewohners des
fernsten Grenzbezirkes Preufsisch - Schlesien^, ohne einen einzigen Blick
in die nahe gelegene Gebirgswelt, ein andauerndes gewaltiges Regen-
wetter abgehalten, besuchte ich, vom herrlichsten Wetter begünstigt,
den in seinem Gesammtbilde , wie er als fast vereinzelte Gruppe aus
flacher Thalebene aufsteigt, überaus hehren und grofsartigen ' ) Cen-
tral -Karpathischen Knoten des Tatra, zuerst an der Nordseite von Za-
kopana und KoscieHsko aas und auf dem unübertrefflich grofsartigen
Wege durch das Sieben-Seenthal, dann über den nicht unbeschwerlichen
Scheidekamm des Sabrat in das Fünf-Seeenthal und aus ihm nach dem
Fisch-See-Thal und Javorino; später auf der Südseite von der lieblichen
Wasserheilanstalt Schmeks aus mit einer Besteigung der Lomnitzer Spitze
am 21. August bei leider von Nebeln etwas getrübter Aussicht. Durch
das Ungarische Erzgebirge, Shemnits, Pesth und Grofs- Wardein wandte
ich mich dann nach Siebenbürgen und umkreiste auf der West- und Süd-
seite den Gebirgsrand dieses in mehrfacher Beziehung so interessanten,
frucht- und erzreichen südöstlichen Vorlandes Deutscher Kultur, von
Klausenburg über Abrudbanya und das Hatzeger Thal nach Hermanns-
stadt 3 ) und dem in so reich gegliedertem und geschmückten Thalwinkel
gelegenen Kronstadt, worauf ich auf dem malerischen Tomöser Pafs das
Gebirge durchschnitt, an dessen frischen südlichen Thaleinschnitten ich
mich schon früher ergötzt hatte. In Bukaresht weilte ich nur so lange,
als es die zur Zeit dort überaus strengen, schnellen Verkehr höchst
störenden Pafsreglements erheischten und eilte dann der Donau zu.
Am Sonnabend den 1 3. September passirte ich nach langem War-
ten den Flufs in kleinem Wallachischen Fährschiff von Djürdjevo
nach Rustchuk hinüber, zuerst am Wallachischen Ufer, mit den in
dem Kanal sich erfrischenden Büffeln an der Leine entlang gezo-
gen, dann mit Hülfe des Segels durch den Strom hinüberschneidend
und am jenseitigen Hochufer entlang, unterhalb der Festung mit den
*) Ich habe selten ein Gebirge gesehen, das ein so majestätisches Bild ge-
währt, wie die Centralkarpathen auf der Strafse von der Sobornie nach Neumarkt.
2 ) In Hermannstadt konnte ich zu grofsem Nutzen unter der freundlichen Lei-
tung des Herrn Neugebohren und des Herrn Finanzkommissärs Bielz, wenn auch
nur flüchtig, die schöne und für Siebenbürgen selbst so reiche mineralogische Samm-
lung inspiciren ; daneben auch die von Herrn Binder am oberen Nil gemachte reiche
ethnographische Sammlung. In Gesellschaft des Herrn Bielz besuchte ich auch den
Rothen Thurm-PaTs.
Uftgttrn und Siebenbürgen; Rnstchuk. 3
stinkenden Resten des zahlreich hier geschlachteten Viehes abwärts
treibend. Um 11 Uhr landeten wir und die Türkischen Zollbeamten
machten sich einen Spaß daraus, mein in ungewöhnlicher Form ge-
packtes und manches Ungewöhnliche enthaltende Reisegepäck recht
durch und durch zu wühlen. Aß ich dann den steilen Pfad in die
Stadt hinaufgestiegen, wandte ich mich, anstatt in die vor einiger Zeit
etablirte Italiänische Lokanda, von der ich wenig Rühmens hörte, be-
sonders nicht in Bezug auf Reinlichkeit, nach einem Privathaus, ge-
nannt Casa Angelciu, und miethete hier ein kleines, allerdings sehr
unansehnliches Zimmer. Nachdem ich hier mein Gepäck deponirt
hatte, liefs ich mich sogleich zum Preußischen Konsul, Herrn Kaiisch
fuhren, der in Folge seines vieljährigen Aufenthaltes in dieser Stadt
eine angesehene Stellung und einen ansehnlichen Einfluß auf die je-
desmalige Regierung sich erworben hat. Da er gerade abwesend war,
hatte ich einige Zeit zu warten, bis er kam ; dann aber ging es gleich
zur Sache, er verhiefs mir sofort einen Buyurdi zu besorgen und aus-
gedehnte Reisepläne wurden geschmiedet. Da ich nun aber aufser ei-
nem zuverlässigen und der verschiedenen Sprachen kundigen Diener
und vier Pferden auch eine kleine Eskorte während der ganzen Reise
zu bezahlen hatte, stellte sich sogleich heraus, dafs der Rest meines
Reisegeldes nicht reichen würde und ich beschlofs auf der Stelle zu
schreiben, um mir weitere Mittel nach Selanlk, dem Endpunkte mei-
ner projektirten Landreise, nachsenden zu lassen. Ich miethete nun
für die Dauer der ganzen Reise einen SürudjT mit vier Pferden, um
nicht auf Post- oder Miethspferde während derselben angewiesen und
so wegen zu wählender Seitenstrafsen abhängig zu sein. Auch war
ich so glücklich, an Rossi einen des Landes und seiner verschiedenen
Sprachen kundigen und in Beziehung auf seinen Charakter verläfslichen
Dragoman und Begleiter zu erlangen. Aus Aenos gebürtig, war er län-
gere Zeit Dragoman des früheren Pascha Ismail gewesen und hatte
dann als Agent eines Seidenhändlers mehrere Reisen gemacht; sein
Hauptfehler bestand darin, dafs er das Türkische zwar fließend spre-
chen, aber weder schreiben noch lesen konnte, was für die genaue
Wiedergebung der Namen der Orte der zu durchreisenden Landschaf-
ten mir einen nicht unbedeutenden Nachtheil brachte.
Nachdem so Alles mit größter Schnelligkeit betrieben und die
Abreise auf den folgenden Tag festgesetzt war, machte ich einen Spa-
ziergang durch die Stadt und erfreute mich ihres äußerlich bei schö-
nem Wetter recht netten Anblickes. In der That machte sie jetzt, wo
alle ihre Pfade trocken waren, einen ganz behaglichen Eindruck mit
ihren vielen kleinen Gärten, ihren an den Kreuzwegen hübsch und
hervorragend gelegenen Moscheen und den gelegentlichen Blicken in
1*
ß Reise durch die Europäische Türkei.
Um 4 Uhr 30 Minuten passirten wir das Dorf Batink oder Batintsa,
nnd liefsen in einiger Entfernung dahinter Usowska. Hier wird die
Landschaft, die bisher einen der Walachischen Tief- Ebene vorwiegend
ähnlichen, obgleich mehr hügeligen, Charakter bewahrt hatte, ungleich
anmuthiger und fruchtbarer. Die Felder waren belebt von zerstreut
stehenden wilden Birnbäumen (achlat), die hier eine ausschüefsliche
Herrschaft üben und dem Landmann besonders lieb und werthvoll sind,
weil ihre Früchte auch ein treffliches Compot liefern. Der ansehnli-
chere Verkehr bethätigte sich in zahlreichen Büffelkarren. Nach Sü-
den, wohin man einen weiten Blick hat, lagern sich mehre kleine fla-
che Höhenrücken vor. Wir erreichten dann die beiden Monastir ge-
nannten Dörfer: das eine, als das untere, mit dem Beinamen asäka
das andere, als das obere, yukari zubenannt, oben rechs hinter dem
Walde, vor dem sich tumuli erhoben, die ersten jener zahlreichen Rei-
henfolge dieser eigentümlichen Denkmäler der Vorzeit, welche Bulga-
rien charakterisiren. Die Stätte war notorisch geworden, weil hier vor
nicht langer Zeit von Bulgarischen Räubern ein Mord verübt worden.
Links von der Strafse liefsen wir das Dorf Kabe-Banya, wahrschein-
lich mit einem warmen Bad.
Wir hatten nun die Kante der Wasserscheide zwischen dem kleine-
ren Becken des Löm und dem gröfseren der Yantra erreicht und fingen
um 5 Uhr an, nach letzterem Flusse abwärts zu steigen, den man in
Windungen die Thalebene durchziehn sieht. Der Abhang ist ansehn-
lich steil und selbst jetzt nach dem doch nicht eben reichlichen Regen
auf dem Lehmboden sehr schwierig für die Pferde, denen der Wagen
auf den Fersen nachglitt; oft ist er für Fuhrwerke, mit Ausnahme der
allen Hemmnissen trotzenden einheimischen Landkarren, gar nicht pas-
sirbar.
So erreichten wir um 6 Uhr Abends das Städtchen Biala oder
B&la, wie der Name von den Bulgaren gesprochen zu werden scheint,
das diesen Namen „die Weifee" wol erhalten hat, weil an dieser Stelle,
im Gegensatz zum braunen Lehmboden des Gehänges, etwas Kalk und
Mergel zu Tage tritt. Da in diesem Städtchen kein leidlicher Khan
ist, wandten wir uns direkt nach dem Konäk und fanden freundliche
Aufnahme bei dem Mudlr Mehmed Bey. In der That schien er
trotz der Nähe der Donau nicht zu häufig von Europäischen Reisen-
den incommodirt zu werden und war auch Europäern geneigt. So begün-
stigte er jetzt einen Franzosen, der hier eine Korndampfmühle errichtet
hatte und sprach den Wunsch aus, dafs zahlreichere Europäische An-
siedler das so spärlich bevölkerte Land, dessen eigene Bewohner nur
so wenig gewerblichen Trieb hätten, bevölkern möchten. Die Osmanlü
seien in allen Zweigen des Lebens gewaltig zurück und in Nichtsthun
Fruchtbare Landschaft; Biala. 7
und Indolenz versanken; so geschähe besonders gar nichts für die Stra-
fften, wodurch der natürliche Reichthum des Landes gleich im Keim
erstickt würde, da man die Produkte nicht verwerthen könne. Er kam
dann auf Preufeen zu sprechen, von dem er genug gehört hatte, um zu
wissen, dafo es sich durch sein Militär, besonders gute Artillerie, und seine
Gelehrten auszeichne. Erstaunt war er aber doch, dafs man in jetzi-
ger Zeit, wo die ganze Welt so bewegt sei, von Preufsen so gut
wie gar nichts höre und er schien zweifelhaft, ob er dies zum Vortheil,
wie bei Frauen, bei denen gänzliches Stillleben und Unbesprochensein
die höchste Tugend sei, oder zum Nachtheil deuten solle. Wir ver-
zehrten dann gemeinsam ein sehr gemischtes, reiches aber nicht eben
durch geschmackvolle Zubereitung ausgezeichnetes Abendessen, bei dem
sieh nur eine Fischsuppe durch ihren reinen Geschmack hervorthat.
Dann überliefe er mir seinen Konak zur nächtlichen Ruhe, indem
er sich in seine Privatwohnung zurückzog. Biala enthält ungefähr 600
Häuser, von denen 500 von Bulgaren bewohnt werden. Unterhalb Biala
wurden mir als Hauptorte, die an der Yantra liegen, ehe sie ihre Was-
ser mit denen der Donau vereint, Norät und Kerimlü angegeben, die
ich auf keiner Karte finde; Bilenna soll westlich an der Einmün-
dung liegen. Kerimlü möchte mit Kriwena oder Kriwine der Karten
identisch sein, aber meine Leute aus dem benachbarten Rustchuk we-
nigstens kannten letzteren Namen nicht.
Am folgenden Morgen (den 15. September) hatte sich das Wetter
leider nicht aufgeklärt und sah regnerisch aus, wie am vorhergehenden
Tage. Da ich dringend wünschte, frühzeitig nach Trnowa zu kommen,
trieb ich zum Aufbruch, ohne unseren Zabti£ abzuwarten, der sich an-
derswo einquartirt hatte. Auch gab ich den Besuch des französischen
„ molin o" auf, zu dessen Besichtigung der Pascha mich besonders drin-
gend aufgefordert hatte, der mich aber natürlich keineswegs hervorragend
interessirte. So verlie&en wir um 5£ Uhr unser Quartier auf dem gera-
desten Wege, während die Bulgarenmädchen des Ortes gerade das Vieh
austrieben. Sonst aber bot das Städtchen mit seinen überall umher lie-
genden und den Verkehr völlig unterbrechenden ungeheuren Misthaufen
eben keinen sehr anziehenden Anblick dar, und es schien, als wenn Meh-
med Bey selbst wenig Anstrengungen mache, um wenigstens persönlich
der vortrefflichen Einsicht, die er in dem Gespräch mit mir entwickelt
hatte, gemäfs zu handeln. Wir folgten jedoch nicht dem grofsen Weg,
der bald hinter Biala die Yantra passirt, sondern auch dies Mal dem
näheren Sommerweg längs der rechten Seite des Flusses, den wir erst
später passirten. Im Winter ist dieser Weg der Ueberschwemmungen
des Flusses wegen nicht zu passiren. Zuerst stiegen wir nach SSO.
aus der Thalsenkung hinaus, dann wandten wir uns nach W. hinum,
g Reise durch die Europäische Türkei.
die nackten Hagel hinauf, deren Rand wir bald nach 6 Uhr . erreieh-
ten. Hier zeigte sich vollständiger Mangel aller Kultur und dichte«
Untergebüsch bedeckte die ganze Oberfläche, so weit man sah. Da nun
der Weg — denn von Straube, wobei man immer an eine gewisse Pfla-
sterung denkt, kann man nicht sprechen — ein in diesem buschbedeck-
ten Hügelboden tief eingeschnittener Hohlweg ist, steht diese Gegend
in dem Verruf ansehnlicher Unsicherheit und ängstlich sahen sich Mu-
stafa und Rossi nach unserem noch immer ausbleibenden berittenen
Beschützer um. Jedoch hielt dieser Charakter der Landschaft nicht
lange an und bald ging es abwärts auf freies, mit etwas Eichengebüsch
bestandenes Feld hinab, das weiterhin trefflichen Ackerboden aufwies.
Wir liefsen um 6 Uhr 30 Minuten das Dorf Kössowa mit etwa 200,
fast ausschließlich Bulgarischen, Familien hinter den Hügeln nahe zur
Rechten und freuten uns, indem wir nun in das Thal hinein rückten,
des herrlichsten, mit achlat bestandenen Ackerbodens, während Rinder-
Schaaf- und Ziegenheerden die umliegenden grasreichen Stellen beleb-
ten. Zur Linken liegt hinter den nahen Hügeln das Dorf Earimda.
Um 7 Uhr 10 Minuten hatten wir einen Quellbrunnen hart zur Linken
am Fufse der Hügel, zur Rechten den Längendurchschnitt des Thaies.
Wir passirten dann um 7 Uhr 20 Minuten zwischen zwei tumuli durch,
von denen der zur Linken, den ich erstieg, auf seinem Gipfel einen
grofsen Quaderblock trug. Während dessen passirte uns ein ansehnli-
cher Zug einheimischer Büffelwagen mit Holzwaaren aus Ossowo. Wir
hatten dann gleich darauf, als wir unsern Marsch fortsetzten, einen klei-
nen Arm des Flusses hart zur Rechten, weiterhin einen gröberen und
hart zur Linken Hügel. Auf ihnen lag um 7 Uhr 40 Minuten das Dorf
Kafamsäl (Karäntscha d. E.), während der Flufs sich wieder abwärts
wandte ; um 7 Uhr 50 Minuten vereinigten sich die beiden Flufsarme
an einer von schönen Eichen belebten Stelle. Bald dahinter kommt
der Telegraph heran. Wir stiegen nun etwas aufwärts in hügeligem
Terrain, der Anbau hörte auf und Unterholz schlofs in immer dichte-
rem Bestände die Strafse ein, so dafs auch hier wieder Unsicherheit
eintritt und militärischer Schutz erwünscht wird. Jedoch war das,
Radanne beklemesi genannte, Wachthaus an dem Knotenpunkt die-
ses Weges mit dem von Rasgrad, der Alt -Bulgarischen Metropole, zur
Linken herzukommenden, augenblicklich verfallen und verödet Unser
Zabtie hatte uns jetzt endlich eingeholt.
Indem wir dann um die Hügel hinumbogen, traten wir wieder
hinaus in die offene Thalebene, die hier von einer Menge Hörn- und
Klein -Vieh belebt war, während sich drüben am Flufs die beiden Dör-
fer Trembes und Kössowa zeigten. Hier zogen wir nun entlang, bis
wir um 8 Uhr 40 Minuten dem Dorfe Radau gegenüber den Flufs pas-
Der Löm und die Yantra; die tamtüi. 9
sirten. Mit einer Breite von etwa 100 Schritt und einer Tiefe von 2
bis 3 Fnfs Riefst die Yantra hier zwischen 8 Fafs hohen , im Konglo-
merat eingerissenen, Ufern. Das Dorf ist ansehnlich und umfafst etwa
200 Hütten; sie sind aber im höchsten Grade armselig und weit ent-
fernt, einen vorteilhaften Eindruck von Fleifs und Ordnung ihrer Be-
wohner zu machen. Hier belebte sich der sonst so schwache Verkehr
dieses Landes durch einen grofsen, in einiger Entfernung zur Rechten auf
der Strafse nach Schistowa (Sfistov) sich langsam bewegenden Wagen-
zug, während die vor uns aufsteigenden Vorhöhen des Balkan uns bald
mehr Abwechselung der Landschaft versprachen. Die schöne Thalebene
war stellenweise mit Labiaten und Cruciferen geziert und wies schöne
Gruppen von Birnbäumen auf, an anderen Stellen aber war sie schon
jetzt sumpfig und deshalb konnten wir nur langsam vom Flecke kom-
men. Weiterhin stiegen die Hügel zu gröfserer Höhe an. Um 9 Uhr
30 Minuten liefsen wir das Dorf Senevsa rechts an der Hügelkette
und nach Norden daneben ein anderes, Owänsa genanntes Dorf. Hier
betraten wir festen Weideboden und fingen an , rüstig vom Fleck zu
kommen, aber mein Sürudji Mustafa zog es vor, hier (9 Uhr 40 Mi-
nuten) im Khan von Odall einen kleinen Halt zu machen. Das Dorf,
meist von Türken bewohnt, Hegt zur Linken des Weges in grasigem
Plan zur Seite kleiner Gärten, drüben zur Rechten jenseits des Grab-
hofes liegen an der Hügellehne kleine Weingärten. Zum Frühstück
genofs ich von ihren Trauben und fand sie recht gut; sie sind meist
weiis, aber es giebt auch rothe.
Um 10 Uhr 45 Minuten setzten wir unsere Fahrt fort durch die
grasige, aber auch hier zum Theil sumpfige Ebene, und ging es nun
(mit S. 1 5 W.) gerade auf den Pafs in den Balkan- Vorhöhen zu. Es
wird hier viel darf oder kichert gebaut, woraus büza bereitet wird.
Indem wir nun den grösseren Weg zur Linken liefsen, passirten wir
um 1 1 Uhr das uns rechts bleibende Dorf Kütchina, wo wir viele Zie-
geleien bemerkten. Dann stiegen wir in frischer Weide an und liefsen
auf dieser sehr schönen Neige drei ganz regelmäfsige tumuli zur Rech-
ten und auf der Höhe des Rückens wiederum zwei, wie ich denn
durchgängig bemerkt habe, dafs diese Denkmale einer unbekannten
Vorzeit vorzugsweise auf solchen kleinen Kammrücken oder an ande-
ren, besonders weit sichtbaren, Oertlichkeiten errichtet sind. Dann hat
man zur Rechten die Stoppelfelder des Dorfes Armudlu, das zur Linken
höher an der prächtigen Neige hinaufliegt. Von dieser Höhe herab
sahen wir, dafs hinter uns ein gewaltiges Regenwetter sich entfaltet
hatte. Wir passirten dann eine Fruchtsenkung und hatten um 1 1 Uhr
40 Minuten die schönen Weingärten von Borüsch hart zur Linken,
während das Dorf selbst gleich dahinter in hübscher Lage in der Sen-
10 Reise durch die Europäische Türkei.
kung bleibt. Hier befindet sich ein grofser Qnellborn nahe am Bach,
der nach Soden hinabfliefst.
Um 12 Uhr passiren wir auf der Scbwellinie der Neige wieder
zwischen zwei grofsen, regelmäßigen tumuli hindurch, auf denen zur
Linken wiederum ein grofser Quaderblock liegt und steigen dann von die-
sem freien Umsichtspunkt abwärts (immer mit 8. 1 5 W.) auf den Pafs
zu, worauf wir am Fufs dieser südlichen Neige den nach meinen Leuten
von Trozan- (öder Troyan-) Monas tir herkommenden Russi-tschai pas-
siren, der nach dem gröfseren Orte Niküb, an dem er vorbeifliefst, von
einigen Reisenden und danach von Kiepert selbst Nikop genannt wird.
Jedoch erblickte ich von unserem, allerdings von der Hauptstrafse abge-
henden, Wege ans diesen Ort nicht; er mufs also etwas entfernter liegen,
als er auf den Karten angesetzt wird. Das Flfifschen, das sich hier
zeitweilig in zwei Arme theilt, erwiefs sich als hübsch ansehnlich und
reichte bis an die Achse unseres Wagens. Links in der Thalebene
liegt das Dorf Mugraschlü. Auf dieser Seite des leichten Kamm-
rückens hatte es, wie der Boden bewies, entschieden weniger geregnet,
als auf seiner Nordseite und um so rüstiger konnte unser schwerer
Wagen die Ebene durchschneiden. So erreichten wir um 1 Uhr das
Dorf Polykratsia (so, nicht Pblykraista mir genannt), dessen 300 Hän-
ser ausschliefslich von Bulgaren bewohnt werden und zur Zeit vom
zartesten frischesten Laube umgeben waren. Weit hinab an der sanf-
ten Lehne ziehen sich die Weinberge. So rückten wir an die nördli-
chen Vorhöhen hinan und erreichten um f Uhr 15 Minuten den Khan
von Sewiz-koei (so mir genannt), wo wir zu meiner grofsen Befriedi-
gung einen kleinen Halt machten. Denn das Dorf zur Rechten des
Weges liegt, von Wallnufs- und Maulbeer-Pflanzungen umgeben, an der
Vereinigung • eines kleinen Flüfschens mit der Yantra, hart vor dem
Eingang des Passes, und eröffnet einen höchst malerischen Blick auf
denselben, von dem die auf der beifolgenden Tafel getreu nach mei-
ner Skizze ausgeführte Ansicht, „die nördlichen Vorhöhen des Balkan
und Sfeti Troiza", eine schwache Vorstellung geben kann. Beson-
ders anmuthig nimmt sich das eben genannte Kloster, in reizendster
Lage hoch oben am Fufs der steilen Felswände aus den dichten Laub-
massen hervorguckend* — Auf der anderen Seite der dem Engpafs
enteilenden und in die Ebene eintretenden Yantra liegt ein anderes
Dorf, das mir Mustafa Temlz-koei benannte, das aber wol mit dem,
nicht ganz am richtigen Flecke angesetzten, Temnitza der Karten
identisch ist, während Sewiz-koei wohl dasselbe ist mit dem Tergewitza
derselben.
Nachdem ich meine Skizze vollendet und mich mit Genufs ein
Die nördlichen Vorhöhen des Balkan. 11
wenig umgesehen hatte, brachen wir um 2 Uhr 15 Minuten auf, in-
dem wir zuerst den von West herzufliefsenden Bach an der verfallenen
Brücke und dann, steil aufwärts uns windend, die Yantra selbst in ihrem
Felsbett hart zur Linken hatten, wo sie eine°Muhle treibt. Auf dem an-
steigenden Bergpfad, den man durch einen höchst holprigen Knüppel-
damm zu verbessern gesucht hat, gingen wir zu Fufs und ich hatte so
volle Mufse, mich umzusehn. In früheren Zeiten beherrschte ein Ka-
stell, auf halber Höhe des westlichen Spornes errichtet, diesen Pafs;
jetzt liegt es in Trümmern. Wie wir dann die herrliche Laubpartie
erreichten, welche den obern Theil dieses Passes schmückt, verliefs ich
die Strafse und stieg rechts anwärts nach dem Kloster Prevezena zu, das
in gleich malerischer Lage, wie das gegenüber liegende Troiza, unter stei-
len Felsklippen aus dem Laube hervorschaut. Jedoch widerstand ich aus
Rücksicht auf Zeitverlust der Versuchung, dasselbe zu besuchen und be-
gnügte mich, eine Skizze desselben aus der Entfernung zu machen, die
hier, um die Anzahl der Illustrationen nicht zu sehr zu vermehren,
fortgelassen ist. Dieses Kloster, das etwas gröfser ist, als das gegen-
überliegende, soll auch von einer gröfseren Zahl Mönche bewohnt sein,
als letzteres, jedoch konnte ich die Zahl derselben nicht genau erfahren.
Sfeti Troiza hat deren im Sommer, wo viele Mönche sich auf Reisen be-
finden, 30, im Winter, wo sie so ziemlich alle zu Hause sind, etwa 50.
Nach halbstündigem Aufenthalt in dieser reizenden Lokalitat setzten wir
unseren Marsch fort, indem wir jetzt erst in die reichste Laubpracht ein-
traten. Die Strafse, nachdem sie, anstatt sich zuerst an dem Flüfs-
cben entlang zu halten, steil über den Sporn hinauf gestiegen ist, steigt
dann wieder abwärts, fast zum Niveau des Flüfschen's. Hier tränkten
wir (um 2 Uhr 30 Minuten) die Pferde.
Wieder steil ansteigend tritt man nun bald aus der romantischen
Waldpartie hinaus in eine kahle wilde Gebirgslandschaft und erblickt
zuerst von dem in so merkwürdiger Lage eingekeilten Trnowa oder
Turnow die alte Griechische, jetzt Moslemische Kirche (N. ? auf dem,
dem Kartenblatt beigefügten Plan) oben im höchsten Stadttheil, am
Fufse des Alles dominirenden Hügels. Um 4 Uhr erreichten wir den
Anfang der Stadt selbst und waren, der Hauptstrafoe folgend, bald
im Neuen Khan, Yeni Khan (N. 5 des Plans) angelangt. Auch dies Ge-
bäude ist höchst charakteristisch für die ganze Lage der Stadt. Es
liegt nämlich hart an dem steilen, die Yantra im Osten einschliefsenden
Felsabhang und so steigt man von Aufsen gleich in den zweiten Stock
hinein, aus dem die Pferde auf Treppen in ihren nach der Flufsseite
zu gelegenen Stall hinabsteigen müssen. Der Khan war erst vor 2 Jah-
ren gebaut und meist aus reinlichem Holzwerk nett, aber nicht eben
12 Reise durch die Europäische Türkei.
dauerhaft, hergerichtet. Auch die Bewirtschaftung war nicht fibersicht-
lich und daher trotz eines zahlreichen Diener -Personals höchst man-
gelhaft. Ich erhielt jedoch eine leidliche Kammer mit guter Aussicht.
Alsobald, nachdem das 'Quartier geordnet war, machte ich mich
auf, um mir einen ersten Ueberblick über diese merkwürdige Stadt zu
verschaffen. Zuerst stattete ich dem Pascha, Hassan TaksTm Pascha,
der gerade Medjilis hielt, einen kurzen Besuch im Konäk ab, um bis
zum Mittag des folgenden Tages einen bis Filibe reichenden Büjurdi
und einen Zabtie für mich bereit zu halten; dann stieg ich hinauf in
den höheren Stadttheil über den höchst eigenthümlichen natürlichen
Felsrücken (N. 11 auf dem Plan), welcher kaum 13Fufs breit und
nach beiden Seiten wohl 50 Fufs steil abfallend, die beiden Stadttheile
verbindet, mit seinen, die Felsstrafse engura schliefsenden, starken Mauern
ein Hauptbefestigungspunkt der Stadt. Hierauf wandte ich mich über
die jetzt gerade in Reparatur befindliche und deshalb leider unzugäng-
liche alte Metropolitankirche und den höher hinauf gelegenen, armse-
ligen Gräberhof nach dem mammellenartigen Hügel Tchan-tepesi (N. 1
auf dem Plane) anwärts. Dieser Hügel, der früher den Glockenthurm
trug und daher seinen Namen erhalten hat, gewährt einen wundervollen
Umblick über die ganze Oertlichkeit, und ich bestimmte ihn daher so-
gleich zum Mittelpunkt einer Aufnahme der Stadt, da mir zur Zeit von
Moltke's kleiner, seiner Beschreibung des Russisch-Türkischen Feldzu-
ges beigefügter, Plan unbekannt geblieben war. Auch wird man sich
überzeugen, dafs es ganz gut war, dafs ich that, als wäre noch gar
nichts geschehn, da ich manche neue topographische Züge angeben
konnte, während ich sonst die ganze Aufnahme wohl unterlassen haben
würde. Das Unsichere bei dieser Aufnahme sind die Entfernungen der
verschiedenen Gegenstände, da hier bei dem wunderbar zerschnittenen
Terrain an ein Abschreiten gar nicht zu denken ist; aber die vielen
Winkel, die ich genommen, kontroliren sich auch in der Entfernung wie-
der etwas und verleihen so gröfsere Sicherheit. So kann denn mein Plan,
in Gemeinschaft mit meiner, am nächsten Tage von Arnautkoei aus
skizzirten Ansicht, in der man die einzelnen Gegenstände leicht mit den
entsprechenden Zahlen auf dem Plan identificiren wird, eine recht ge-
naue und lebendige Vorstellung von dieser höchst eigenthümlichen Stadt-
lage geben. Vergleichen dürfen wir wol diesen merkwürdigen, schlan-
gengewundenen Durchbruch der Yantra durch die Kalkvorhöhen des
Balkan mit den Windungen der Elbe um Königstein und Lilienstein
und denken wir uns diese beiden Felshöhen als Mittelpunkte einer und
derselben Stadt, so erhalten wir ein ungefähres Ebenbild von Trnowa.
Und wol scheint diese Stadt zu verdienen, etwas besser gekannt zu
werden, als es bisher der Fall war, selbst bei kenntnifsreichen Geogra-
Trnowa, die Bulgarische Metropole. 13
phen und Orientalisten. Trnowa, von dem aus schon bei früherer Gele-
genheit (a. D. 976) der Aufstand der Bulgaren gegen den Herrscher in
Byzanz ausgegangen war, war lange Zeit (seit a. 1 1 86) die hochgeehrte
Bischofsstätte (tj äyiwidn] (AijiQÖnoXtg Togvoßog), und zugleich die Re-
sidenz eines mächtigen Königs oder Zaren der Bulgaren (rä ßagiXsta
*<ov Bovkydgoov), der von dieser, von Natur und durch Kunst gesicher-
ten Feste aus seine Heereszüge weit und breit ausdehnte. Auch sind
die Bulgaren, obgleich sie seit Jahrhunderten eine politisch erdrückte
Nationalität bilden, doch in ihrer fast 5 Millionen erreichenden Anzahl
und als Hauptbestand theil der Bevölkerung der Europäischen Türkei
selbst zur Zeit noch nicht geringer Beachtung werth. Auch jetzt noch
residirt hier einer der ersten Bischöfe dieser Nationalität und die Stadt
ist nicht allein in ihrer, noch nicht ganz erloschenen Gewerbthätigkeit,
die allerdings vor 80 Jahren eine ganz andere Blüthe aufwies, wie sie
denn damals allein 2000 Webstühle gehabt haben soll, sondern als po-
litische Gemeinde bedeutend genug, dafs hier mehrere Mächte einen
Vertreter halten, wie gerade in jenen Tagen zu einem Französischen
und Oesterreichischen Konsul auch ein Russischer hinzugekommen war.
Denn eben für die Absichten der Russen und Franzosen mit dem Orient
bilden die Bulgaren ja ein Hauptobjekt politischer Machination, als eine,
der Zukunft vorbehaltene Volksgruppe von nationaler Selbständigkeit
Leider hatte ich bei der Kürze meines Aufenthaltes, die noch dazu ans-
schliefslich der Topographie gewidmet war, keine Mufse, mich um das
innere Leben der Gemeinde zu bekümmern, zumal da mir das
Bulgarische gänzlich fremd ist und mein Dragoman mir zu meinen
persönlichen Beziehungen gar nichts nutzte, da hier so mancher kleine
Reisebedarf zu beschaffen war und ich ihm daher die kurze Zeit zu
diesem Zwecke' ausschliefslich anheimstellen mufste.
Der ganze, eigentlich alte, Stadttheil ' ) ist noch jetzt, mit geringen
Ausnahmen, ausschliefslich von Christen bewohnt, obgleich zahlreichere
Moscheen und selbst die Kürshumlü djämesi genannte Hauptmoschee
sich hier befindet. Dagegen ist der an der südöstlichen Berglehne sich
hinanziehende Stadttheil, so wie derjenige auf der niedrigen gegenüber«
liegenden Halbinsel (fast?) ausschliefslich von Mösmelin bewohnt. Nur
der. Pascha hat, offenbar des leichten Verkehrs halber, seinen Konak
in dem alten Stadttheil und zwar hat er sich einen , wie beim Os*
■)• Die Lage der Stadt ist vortrefflich beschrieben in den wenigen Worten des
Choniata: 6 ToQvoßos (die Byzantiner gebrauchen neben dieser Namensform auch
noch die Formen TtQvoßos und Tqivoßos) iqvfivoraTrjj afia xai 7t^o^eQsararij
109V xara rbv Alfiov ariaacuv noXecov ' reißenl re Xa^v^olg neQißeßXrjfifidvri
xai gevpaTi n ora/uiio BieiXrjfifidvr] xai uQovg ax(>(avv%lq Tteitoltir-
fjiävrj.
14 Reise durch die EniepSitthe Türkei.
manlü gewöhnlich, ganz behaglichen Platz ausgesucht and bückt man
von der, dem Flusse zugewandten, Facade seines Palastes auf die sebfr-
nen Waldgehänge des von der, mit einem neueren, aber augenblicklich
leer stehenden, Fort gekrönten gröfsten Höhe des ganzen städtischen
Weichbildes (N. 1 2 des Plans) herabsteigenden Bergspornes. Allerdings
ist das südöstliche muselmannische Quartier umfangreich, aber keines-
wegs dicht bewohnt, da die meisten Wohnungen am Gehänge mitten
' in Gärten stehn. So liegt denn das eigentlich Bulgarische Quartier
auf dem meist schmalen Hochrücken zwischen den Schlangenwindun-
gen des Stromes, von dem es sich an der Nordwestecke des nackten
Abhanges der hier das Thalgebäude fiberragenden Höhe hinaufzieht;
nur ein schmales Quartier liegt jetzt am SO.-Fufs der von Natur so stark
befestigten, mitten im Flusse eingekeilten, Felsinsel (N. 3 des Planes)
und steht mit dem, am NW.-Fufse des Kastellberges gelegenen, gleich-
falls langgestreckten, schmalen Quartier vermittelst der Bischofsbrücke,
Vladika köprüsi (N. 4), im Zusammenhange. Diese Brücke hat ihren
Namen vom bischöflichen Palast, der hier am Fufse des Kastellberges
mit der alten Metropolitankirche liegt und wahrscheinlich auch während
der Blüthezeit der Stadt immer gelegen hat.
Diese Bemerkungen wollte ich hier zusammenfassen, obgleich
sie sich mir meist erst am folgenden Tage aufdrangen. Da machte
ich mich nämlich mit der ersten Morgenfrühe daran, den Platz ge-
nauer aufzunehmen und es traf sich, dafs gerade im Augenblicke,
als ich zum Khan hinaustrat, der hier stationirte Amerikanische Mis-
sionar mir einen Besuch zudachte und, obgleich er am selben Nach-
mittag abreisen wollte, begleitete er mich doch eine Zeit lang auf mei-
nem Spaziergang durch die Stadt und besonders bei einem Besuche
jener mitten im Kessel gelegenen, auf drei Seiten von den Schlan-
genwindungen des Flusses umgebenen, felsigen Halbinsel, die einst
die Hauptstärke der Stadt ausmachte. Ich überzeugte mich jedoch, dafs
hier von der Befestigung nur wenig erhalten ist, eben nur an dem
nach NNO. gekehrten spitzigen Ende; ja vielleicht war die Halbinsel
zu keiner Zeit ringsum mit Mauern versehn, da die wol 100 F. hohe
Felswand zur Verteidigung steil genug ist. Dann wandte ich mich nach
dem Tschan -tepesi selbst hinauf, wo mich der Missionar bald verliefs,
während ich hier längere Zeit mit Winkelnehmen beschäftigt war. In-
teressant ist es, dafs hier oben ganz vor Kurzem ein sehr schöner mit
Widderköpfen geschmückter, aber (auf den 3 sichtbaren Seiten wenig-
stens) mit Inschrift nicht gekennzeichneter Grabstein gefunden wor-
den ist; allerdings könnte er hierher transportirt worden sein, um als
Material oder zu besondrem Schmucke zu dienen, aber wahrscheinlich
lag an dieser so bedeutenden und den ganzen Verkehr zwischen der Do-
Die eigenthümliche Lage von Truowa. 15
nau und dem Inneren beherrschenden Stätte auch im Alterthum ein fester
Platz, vielleicht das kleine Nicopolis ad Haemnm. Nachdem ich dann
alle bedeutenden Punkte abgewinkelt und skizzirt hatte, stieg ich den
ganzen Hügel nach Norden hinab, wo er nach einer sanfteren, durch den
Schutt verfallener Gebäude geschaffenen, jetzt aber bebauten Neige, mit
steiler Felskante zum Flusse abfällt. Hier zeigte der Kalkfels die
schönste Marmorbildung. Dann stieg ich wieder zur Vlädika koprusi
hinab, hielt mich aber nun an der anderen Seite vom Strome aufwärts,
bis ich aus dem schmalen Ufer-Quartier hiuaustretend den NNO. nach
Arnaut-koei führenden Pfad betrat, der sich bald in einer zum Kessel
hinabsteigenden, von den Gewässern ausgefressenenen Schlucht hinan-
zieht. Hier sprudelten zwei kleine Quellen, deren frisches Wasser bei
der grofsen, von dem Kalkterrain schonungslos zurückgestrahlten Son-
nenwärme keineswegs unwillkommen war. Sehr hübsch machen sich
hier die röthlichen, steil abfallenden Felsbänder über dem von dem
Quellwasser genährten frischen Laube. Nachdem ich so die Plateauhöhe
erreicht, stieg ich von Arnaut-koei wieder etwas nach S. hinab an den
Weingärten entlang und machte mich hier daran, trotz des starken
Sonnenscheins eine Skizze der so merkwürdig gelegenen Stadt zu ent-
werfen und so meinen Plan zu vervollständigen. Sie ist mit gröfster
Treue auf der angehefteten lithographirten Tafel wiedergegeben und
scheint wohl geeignet, den Leser lebendig in die Eigentümlichkeit der
Stadtlage hinein zu versetzen. Zu dieser klaren Vergegenwärtigung des
merkwürdigen Terrains trägt besonders bei, dafs man in dieser Skizze den
Durchbruch des Flusses durch den Felspafs oberhalb der Stadt, jenseit
des Türkischen Heerlagers, deutlich erkennen wird. Uebel ist es nur,
dafs keine einzige höhere Balkänkuppe von hier aus zu sehn ist, indem die
Vorhöhen den ohnehin wenig ausgezeichneten Hauptkamm vollkommen
decken, so dafs vielmehr der negative Charakter des Gebirgszuges, näm-
lich seine geringe Höhe in diesem seinem Abschnitt, klar hervortritt.
Nachdem ich diese Skizze vollendet, wandte ich mich durch die
Schlucht wieder hinunter, verfolgte auch wieder meinen früheren Weg
bis zur Vlädika-Brücke, wandte mich aber von hier auf kleinstem Pfade,
am östlichen Fufse des Kastellhügels, längs der Biegung des Flusses
hinum und betrat so die langgestreckte, am südöstlichen Fufs des Ka-
. Stellhügels vorgelagerte flache Halbin3el. Auffallend ist hier das unbe-
baut gebliebene grüne Ende dieser eigenthümlichen Landzunge, die der
Flufs im anmuthigst geschwungenen Längskreisschnitt umfliefst, auf der
SO.-Seite von einem bis 500 Fufs ansteigenden , höchst romantischen
Felsamphitheater umschlossen, während nach der S.-Seite hin das an
der Lehne aufsteigende, mit reichen Baumgruppen geschmückte Mosle-
mische Quartier einen sehr wohlgefälligen Eindruck macht. Ich folgte
16 Reise durch die Europäische Türkei.
dann der schmalen Strafse unter dem nach dieser Seite steilen Fels-
absturz des Tschan -tepesi, wo kein Ranm zu Häusern ist und weiterhin,
an schmutzigen Gerbereien vorbei, nach dem stattlichen Gbäzi Ferusb
Bey köprüsi, wo der Flufs eine recht hübsche Breite hat. An dem
Westende der Brücke liegt zur Rechten ein kleines Kaffe, das anmuthig
den Flufs überragt, aber wenigstens in den Mittagsstunden ausschliess-
lich von Soldaten besucht war. Hier schlürfte ich eine Tasse Kaffe,
stieg dann durch dies Quartier etwas hinan und wandte mich darauf
nach Hause. Denn es war 1 Uhr Nachmittags, eigentlich die schon
zur Abreise festgesetzte Stunde. Glücklieber Weise traf ich im Khan
Alles zum Aufbruch vorbereitet, den Zabti£ eingetroffen. So nahm ich
schnell ein einfaches Mittagsmahl ein und fertig war ich zur Weiter-
reise.
Die genaue Aufnahme und Vergegenwärtigung der so eigentüm-
lich plastischen Züge der Stadtlage von Trnowa hatte mich selbst
wieder erst zum schaffenden Herrn meiner Reise gemacht. Denn bis
dahin hatte ich auf diesem Marsche mehr fremdem Material als Führer
getraut und mehr genossen, was mir geboten wurde, als selbstthätig
in die geographische Natur der Oertlichkeiten eingegriffen. Jetzt schuf
ich mir mein Terrain selbst und reproducirte mir im Kleinen, was ich im
Grofsen sah. So trat ich denn mit ungleich gröfserer Zufriedenheit, als
ich die Stadt betreten, meine Weiterreise von hier an ; war ich doch nun
auch wieder zu Pferde und konnte frei um mich schauen und mieh nach
Gefallen hierhin und dorthin bewegen. Natürlich kostete es übrigens
einige Mühe, das vorher im Wagen ohne Gleichtheilung nach Gutdün-
ken eingelegte Gepäck nun auf das eine Packpferd gleichmäfsig zu
vertheilen. Die drei übrigen Pferde wurden zu Reitpferden benutzt,
deren das eine mich, das zweite Rossi und das dritte meinen Surudji
trug. Den Wagen liefs Mustafa hier im Khan zurück und hatte sich
dafür zwei, allerdings etwas unbequeme Sättel eingetauscht. Schon
als ich von meinem langen Spaziergange nach Hause kam, ging das
Packen vor sich und um 2 Uhr Nachmittags ging es fort.
Gleich hinter der Stadt liefsen wir das Lager zur Linken, das ich
schon vom Stadthügel aus gesehen und gepeilt hatte. Es war augenblick-
lich in den ersten Nachmittagsstunden bei hübscher Wärme ganz still,
nur die Schildwachen patrouillirten ; es waren ungefähr 2000 Mann,
von der Türkischen Regierung vorsichtig zur Niederhaltung der Bulga-
rischen Nationalitätsbewegung zusammengezogen. Gleich dahinter liegt
das neue Dorf oder die Vorstadt Marianopoli mit ihren grofsen Spi-
ritus-Fabriken und Schnapsläden. Dann betraten wir den Engpafs,
durch den die schlangengewundene Yantra ihren Lauf nimmt, aber nicht
in schäumenden Gefällen und frischem Strom, sondern auffallender Weise
Aufbruch von. Tmowaf dfe .wirkUßhoi .Thore . Stambül's. 17
in- .Zola JTheü ganz stagnirendem langsamen Laufe eines in Folge dessen
höchst, schmutzigen Wassers; nur an einzelnen Stellen floft der Strom
in frischem Lauf zwischeu den Felsen dahin. Unzweifelhaft mufs er,
wenn er angeseh wollen ist, die Passage bedeutend erschweren, da kein
Weg zur Seite abgedämmt ist, sondern man den Strom selbst mehrere
Male kreuzen mufs. Jedenfalls ist dies eins der zahlreichen, militärisch so
wichtigen Eisen thore oder Demir-kapü, welche die wirklichen Thore
von Stambül, von der Landseite her, bilden. Zum Glück ist der Eng-
pafs kurz und durch steil eingefallene Schichten traten wir bald wieder
ins Freie hinaus, eine höchst fruchtbare, aber durch Aufstauung des
Flusses vor der Felsenenge der Versumpfung und Ueberschwemmung
sehr ausgesetzte Ebene mit hübschen Obstgärten zur Linken — offen-
bar ein altes Seebecken. Hier änderten wir unsere Riebtang und pas-
sirten den nun wieder breiteren und tieferen Flufs auf solider Brücke,
Ozün-tshan koprüsi genannt, und hatten dann zur Linken eine gut
aussehende Kohlpflanzung, worauf wir an einem kleinen, dem Flufs-
chen zuströmenden Bache in die, hier an die Kalk- sich anschlie-
fsende, Sandstein -Formation hinauf stiegen. Hier verfolgten wir wirk-
lich eine südliche Richtung, schlugen aber, sobald wir die Höhe er-
reicht hatten, eine ganz (magnetisch) westliche Richtung ein, die wir
mehr als eine Stunde beibehielten, worauf unser Weg eine südwestliche
und sudsüdwestliche Richtung annahm. Diese Richtung, die ich nicht
allein im Einzelnen durchgeführt, wie ich sie auf meiner Karte niederge-
legt habe, sondern auch noch durch einen 1 Stunde hinter Dranowa auf
Trnowa genommenen Winkel völlig sicher gestellt habe, zeigt die falsche
Darstellung dieser Strecke auf der Russischen Karte, und es ist klar,
dafs aus irgend einem Grunde der Offizier, von dem diese Aufnahme
herrührt, die genaue Niederlegung jener Strecke versäumt hat.
Indem wir uns übrigens hier aus der südlichen Richtung abwandten,
liefsen wir zur Linken die nach Kilifara fuhrende Strafse, eine Ortschaft,
die sich aufser Rakifabriken (es kam von dort gerade ein Zug mit
Spiritus beladener Büffelwagen uns entgegen) auch durch treffliche Sei-
denzucht auszeichnet, so dafs die dort verfertigten „galette" einen grofsen
Ruf haben; es soll deren jährlich an 1 5,000 Okken produciren. Zu ihm
gehört auch das Dorf Debu-Altsa, das wir nach einer Viertelstunde
passirten und dessen Umgebung von Eichen und blüthenr eichen Mimo-
sen belebt war. Maulbeerpflanzung auf der einen, Weidenbäume auf der
anderen Seite säumen dann den Weg, von dem sich eine andere Strafse
abzweigt, die, den Flufs passirend, nach Tscholak mahale hinführt, bis
wir frei hinaus traten ins Ackerland. Hier war noch Alles todt und noch
keine Vorbereitungen zum Winterkorn getroffen. Die Hügel zur Linken
waren mit Unterholz reich bekleidet, während der zur Rechten sich
2
18
hüwmwindende Frais mk vereinzelten Pappeln bestanden war. Das ist
die Dranowka, nur ein Ann der im Westen gebliebenen Yantra, die
wir erst dicht tot Gäbrowa wiedersehn sollten. Das Ende und Ziel
unserer westlichen Abbiegnng von der Hanptrkhtong war ein leichter
EngpaJs, in dem die abgerondeten Hagel den Flufe einschKefgen. In-
dem wir hier den Flufe passirten, wandten wir nns nach einer Fon-
taine vortrefflichen Wassers anf der östlichen Seite einer kleinen weide-
reichen Thalebene, die nach einer sie beschattenden Platane den Na-
men Kara-aghatsch techeschme fahrt. Von dieser Ebene erzählte ans
unser Geleitsmann, als ein Beispiel von Bulgarischem Patriotismus, dafe
der Besitzer, ein Bnlgar, eine jährliche Pacht von 500 Piaster ver-
schmähe und die ganze grasreiche Ebene dem reisenden Publikum zum
beliebigen Gebrauch überlasse. Solche Aufopferung und solcher Ge-
meinsinn ist immer der Aufzeichnung wohl werth. Die Gegend ist
übrigens wenig angebaut, nur die Weinberge des jenseit des rechtes
Hagelzages liegenden Yeni Mahale belebten etwas das Gehänge, und
doch konnte man den Flufe, den wir mehrere Male kreuzten, zweck-
mässig zu ihrem Anbau nutzen; an einigen Stellen freilich tritt der
Fels nackt zu Tage und bildet die FlaJsufer mit eingestürzten Schich-
ten. Mehr Anbau zeigte sich bei den Dörfern Muskar koei und Ka-
trändjL Uebrigens ist das letztere eigentlich kein Dorf, koei, sondern
eine Dorfschaft, kufcba, indem seine etwa zweihundert Häuser in Grup-
pen von 20 — 25 weit auseinander liegen. Hier zeigte sich neben den
schon bestellten schönen Aeckern ausgedehnter Weinbau. Nachdem
wir dann links in der fruchtbaren Thalsohle des Flusses das Dorf Saye
gelassen, stiegen wir selbst von diesem Hügellande hinab und betraten,
den Flufe hart zur Linken, das Städtchen Diänowa oder Drenowa bei
schon eingetretener Dämmerung und weit hatten wir die Stadt zu durch-
gehen, ehe wir den Khan erreichten. Er war wenigstens reinlich; denn
er war wirklich ganz nagelneu und entsprach so jetzt noch seinem Na-
men Yeni Khan ; diese Holzbauten sind eben ganz ertraglich, so lange
sie neu sind, während, wenn sie altern, bei der fast principiellen Nicht-
anwendung jedes flüssigen Elementes zur Reinigung der Schmutz, Un-
rath and Verfall bald jedes Gefühl von Behaglichkeit ausschliefst. Nur
etwas kühl war es, da die Fensteröffnungen noch keine Laden oder
vielmehr mit Oelpapier gefüllte Rahmen hatten. Dranowa liegt in
einer, von der Dranowka im Bogen umzogenen Niederung, hat etwa
500 Häuser and treibt etwas Seidenhandel.
Als wir am nächsten Morgen auf dem schlechten Pflaster wieder die
ganze Stadt durchzogen, waren die auffaltenden und oben am vorsprin-
genden Balken befestigten schweren Laden der kleinen Qewerbe schon
geöffnet. Die Häuser sind insgesammt mit. 2 — 3 Zoll dicken gewaltigen
Dr&iowa und die Dnmdwka. J9
Schiefertafeln gedeckt, die eine solide Dachconstruction voraussetzen.
Aufsen vor der Stadt trafen wir wieder auf den Flufs, der sich in Schlan-
genbogen binumgezogen undpassirten ihn in leichter Fürth ; zum Winter-
bedarf bei geschwollenem Strom ist weiterhin eine neue Brücke gebaut.
Dann ging es durch die Gärten anwärts im Thal, indem über die
Weingärten die von den Höhen aufstehenden Kalkriffe herüberragen.
Zur Rechten hatten wir einen kleinen Bach mit einem in den Lehm-
boden tief eingeschnittenen Bett. Hier zeugten Flachsbleichen von eini-
ger Industrie, und alle Frauen, denen wir auf der Strafse begegneten,
spönnen im Gehen, wie man das im Orient so oft sieht. Auf dem
Gipfel der Hügelung, 1 Stunde nach unserem Aufbruch vom Khan, war
es, wo ich Trnowa in O. 40 N. peilte und so das Resultat meiner Ein-
zelwinkel völlig bestätigt fand. Von diesem Hügelkamm stiegen wir
in die Fruchtg&rten und Felder der Dörfer Rumäne und Döbrale hinab,
deren Hecken meist von wilden Pflaumenbüschen gebildet werden. Wir
kreuzten dann noch ein Mal den Flufs, wo er zur Linken aus einer
Waldschlucht hervorkommt, zwei oder drei Mühlen treibt und dann zur
Rechten in einer von hohen Kalkfelsen eingeschlossenen Schlucht sich
verliert. Der Verkehr wird bezeugt durch einen Khan und leidliche
Brücke. Nachdem wir dann einen kleinen Bach mit Thonschiefer-
wänden passirt hatten, erstiegen wir einen baumlosen, aber ziemlich
gut bebauten Rücken, wo ein Wachtposten oder bekleme zur Sicherung
des Verkehrs errichtet ist, mit dem Beinamen Laghut-kur sü(?); eine
engl. Meile weiter folgt ein anderer mit dem Beinamen Wurbüscbta be-
klemesi. Hier umher zeigen sich abgerundete, meist kahle Kuppen,
aber doch auch schöne Baumgruppen in den Senkungen, besonders
hohe, schlankgewachsene Eichen und Buchen. Auch Rinder, Schaafe und
Ziegen belebten die Landschaft und weiterhin gewahrte man sorgliche
Vorsicht für die Viehfütterung, indem der schöne Eichenbestand abge-
laubt und das Laub haufenweise in den Zweigen der Bäume aufbe-
wahrt war. Dafs wir allmählich höher gestiegen waren, erkannte man
besonders an dem Farnkraut, das den Lauf eines Baches umgürtete.
Nachdem wir so einen kleinen Kamm überschritten hatten, stiegen wir
wieder hinab nach dem Dorf Haratcheri, das in der Aufnahme dieser
Gegend einige Berücksichtigung verdient, weil es sich in der Form Ge-
ratenen auf der Russischen Karte findet, allerdings nur seitwärts des von
dem Offizier zur Recognoscirung der Umgegend von Gabrowa einge-
schlagenen, wunderbar gewundenen Weges. Das Dorf mit seinen zwei-
stöckigen Häusern und schönen ausgedehnten Obstgärten macht einen
wohlbäbigen Eindruck und auch die Erscheinung der Frauen, insge-
sammt mit einer Arbeit zur Hand und mit einer 8 bis 10 Zoll grofsen
kupfernen oder silbernen Agraffe vorn an ihrem Leibgurt machte einen
2 #
20} Reise durch die Europäische Türkei.
vortheilhaften Eindruck. Meist werden Quitten gebaut, Wallnafebäume
sah man nur vereinzelt. Schöner aber noch, als diese Gärten waren
diejenigen des Dorfes Köbtchelet, die gleichfalls am sudlichen Ge-
hänge eines anderen kleinen Hügelkammes liegen und einen bezau-
bernden Eindruck selbst jetzt in ihrem herbstlichen Gewände machten.
Denn besonders weil hier vorwiegend Pflaumen schon geerntet waren,
mutete die ganze Pflanzung viel lichter erscheinen, obgleich hier auch
Wallnüsse und Birnen in hübscher Menge gezogen werden. Sie ha-
ben auch wilde Aepfel in Menge,, aus denen sie Spiritus machen. Un-
ser Pfad durchschnitt Dorf und Gärten in der Mitte, was ich mit Be-
zug auf die Russische Karte ausdrücklich betonen mufs. Indem wir
dann einem kleinen, jetzt nur spärlich fliefsenden Bache folgten, hat-
ten wir wieder mehrere Beispiele, welcher Pflege die fremdländischen,
fast vorweltlich aussehenden Büffel in diesem trockenen fluisarmen
Lande bedürfen; denn überall waren Gruben ausgehöhlt, in denen
Knaben beschäftigt waren, die armen, an trockene Hitze nicht gewohn-
ten Thiere abzuwaschen; über einigen dieser Wassergruben hatte man
sogar ein kleines Schattendach errichtet, um diese zu den Gespannen
der unbehülflichen Landkarren unentbehrlichen Thiere während der
Operation ganz ungestört von der Sonne die Erfrischung geniefsen zu
lassen.
Erst kurz vor Gabrowa erreichten wir wieder die Yantra, die
mittlerweile eine weite westliche Ausbiegung gemacht hatte, hier aber,
obgleich so viel näher ihrer Quelle , doch ein ganz respektables Aus-
sehn hatte, da sie aufgestaut war. So betraten wir an den zum Theil
mit Mais bestellten Feldern und Gärten entlang die Stadt, die von
dem Flusse durchströmt und mit 6 Brücken überbrückt, worunter vier
von Stein sind, sich im Thale entlang zieht, mit 1000 — 11 00 Häusern,
insgesammt von Bulgaren bewohnt, abgesehen von einer Besatzung
von 120 Mann. Die Stadt hat ihrer Lage halber, in einem Winkel,
wo mehrere Strafsen zusammen kommen, viel Verkehr und in Folge
dessen einen leidlichen Bazar, besonders stark vertreten in den zur
Reise nöthigen Gegenständen, wie zumal Strick- und Riemen -Werk;
auch hier werden die Läden alle in der Weise geöffnet, wie in Drd-
nowa, sind aber alle schräg in die Strafse hinausgebaut, die sie auf
diese Weise bedeutend einengen. Die Strafsen waren auch jetzt bei
trockenem Wetter schmutzig.
Um wo möglich eine Uebersicht über die Umgebung zu gewinnen,
erstieg ich nach eingeholter Erlaubnifs vom Kaimakam Izzed Bey den
Glockenthurm; aber theils hatte er oben keine freie Terrasse, so dafs
man nur stückweise eine kleine Aussicht gewinnen konnte, theils war
er nicht hoch genug, um die die Stadt einschliefsenden Thalwände zu
Gabrowa; der Anstieg auf den Balkan. 21
überschauen; jedoch überzeugte ich mich, dafs die Stadt genau von
(magnetisch) N. — S. orientirt ist, also ganz anders, als es die Rus-
sische Karte angiebt
Nach dreistündiger Rast setzten wir unseren Marsch fort mit einem
neuen Zabtie. Gleich südlich an der Stadt nimmt die Yantra, die man
auf einer alten Steinbrücke passirt, einen kleinen Nebenarm aus einem
südöstlichen Seitenthal auf, in dem ein Bergpfad nach dem Kloster
Sakol fuhrt, oder wie es gewöhnlich nach seinem heiligen Namen ge-
nannt wird Bogoroditsa, d.h. „Gottes -Mutter". Dieses Kloster hatte
ich eigentlich beabsichtigt zu besuchen, erkannte aber später aus seiner
Lage, dafs es wahrscheinlich mir keine schönen Bergpartieen eröffnet
haben würde. Die Strafse macht nun mit dem Thale eine allmählige
Wendung nach SSW., indem der FluJfe sie hart zur Linken einschliefst
mit hübschem Waldgehänge jenseit; an einem von ihm genährten Müh-
lengraben zeigte sich eine Zigeunerschmiede, während auf der anderen,
offneren Seite einfache Heuschober, theils freistehend, theils in den
Bäumen errichtet, die Landschaft belebten. Nach £ Meilen theilt sich
das Thal in zwei Arme, von malerischen Kalkfelsen eingeschlossen,
und auf einer Tschöbän köprü genannten Brücke passirten wir den
Flufs wiederum und liefsen ihn nun im SW. zur Seite, uns jetzt an
einem südöstlichen Seitenbach aufwärts haltend, während die Gegend
wilder wurde. Eine Kalkbrennerei vergegenwärtigte die innere Struktur,
ein uns mit Lerchenholz aus dem Gebirge entgegenkommender Zug
Maulthiere die äufsere Bekleidung der Gegend, während eine uns fol-
gende kleine Karawane mit ungegerbten Fellen einen Theil der schwach
vertretenen Landes -Industrie darstellte. Als wir dann bei einem Khan
auch diesen im Thal entlang nach Yechelädje fuhrenden Weg ver-
liefsen, um in das Gebirge nach Ost hinaufzusteigen, erreichte uns die
während unseres Aufenthalts in Gabrowa angekommene, mit ansehn*
liehen Geldsummen beladene und gut eskortirte, reitende Post von Wi-
dio und wir schlössen uns , unseren gewöhnlichen Schritt beschleuni-
gend, ihr an, da eines Theils Gesellschaft in dieser von Räubern zur
Zeit ziemlich stark gefährdeten Berggegend nicht unangenehm war, an-
derenteils die Nothwendigkeit noch zur Nacht Tschipka zu erreichen,
mich zur Eile zwang. Sonst würde ich gern diese hübsche, wenn
auch keineswegs grofsartige, Gebirgspassage mit mehr Mufse gemacht
haben.
Der Abhang nach dieser Seite, der aus Kalk und rothem Thon
besteht, ist mit reichem Pflanzenwuchs bestanden. Rasch ansteigend
erreichten wir die erste Stufe in einer halben Stunde und hatten nun
einen auffallenden Unterschied des Blickes nach den beiden Seiten,
nach der einen, im SW., ein frisches Bergland, nach der anderen
22 Reise durch die Europäische Türkei.
östlichen, trockene Thalsenkungen, aber von so zahlreichen Pfaden
durchschnitten, dafs man eine bezuglich starke Bevölkerung annehmen
mufste. Dafs im selben Verhältnifs, wie die Unsicherheit vieler Ge-
genden dieses von so verschiedenen, nach Unabhängigkeit strebenden,
Nationalitäten bewohnten Landes zugenommen hat, auch die Regierung
beflissen ist, das Ihrige zu thun, um eine gewisse Sicherheit der Haupt-
strafsen herzustellen, bezeugte die Errichtung eines neuen Wachtpostens
oder bekleme in beherrschender Lage, etwa zweitausend Schritt wei-
terhin auf dieser Bergterrasse. Hier waltete Schiefer vor mit oft steil
eingestürzten Schichten; aber dazwischen zeigte sich schöner Mar-
morkalk. Mittwegs zwischen diesem Wachtposten und dem „Mittel-
posten" oder Orta bekleme gewann ich von einer kleinen Anhöhe zur
Seite des Weges einen leichten Ueberblick über das in der Tiefe zur Lin-
ken liegende Kloster Bogoroditsa. Es ist ziemlich ausgedehnt, hat aber
eine still zurückgezogene und keineswegs eine imponirende Lage. Der
Rücken, auf dem wir hier fortzogen, beherrscht die ganze Landschaft
dermafsen, dafs ich von Orta bekleme aus, wo wir um 4 Uhr anka-
men, Dranowa peilen konnte; es zeigte sich in N. 30 O. Hier an die-
sem bekleme, dessen Wächter zugleich ein kleines Kaffe halten, erfrisch-
ten wir uns mit einer Tasse dieses herrlichen Getränkes. Hier schien
die ganze Formation aus Kalk zu bestehen. Dann windet man sich nm
eine schön frische Waldschlucht, die von dem Scheidekamm, mit den
schönsten Eichen und Buchen bestanden, nach Norden hinabsteigt, wäh-
rend zur Rechten, der Sicherheit halber, die Bäume gelichtet sind. Dar-
auf folgt der höchste Anstieg, eben über den Scheidekamm selbst. Hier
konnten unsere Thiere mit der eiliger angetriebenen Reitpost nicht
mehr Schritt halten und wir mufsten zurückbleiben. Mit um so mehr
Mufse konnte ich den schönen Rückblick geniefsen. So erreichten wir
in einer Höhe von etwa 4600 Fufs den eigentlichen Kamm dieses Bal-
kans, der aus den Kriegszeiten her, aufser den zum Schutz der Rei-
senden errichteten Wachtposten, dem bäsch bekleme auf dieser nörd-
lichen, und dem Kezanly bekleme auf der Südseite, noch mit drei Forts
oder Bastionen versehen ist. Zwischen den, mit diesen Vertheidigungs-
werken gekrönten Anhöhen breiteten sich die frischesten Matten aus.
Der Kamm ist übrigens nur schmal, etwa 2500 Schritt breit, und kaum
hat man dem nördlichen Tief lande Lebewohl gesagt, so schaut man
auch schon in die Tiefe nach Süden hinab, in das Land der Za-göra
Jenseit des Gebirges", hier eine weit ausgedehnte, reichste Thalebene,
von deren scharfen Umrissen mir die Karten kaum eine Ahnung ge-
geben hatten. Leider war bei der herannahenden Abenddämmerung,
vermehrt durch ein im Süden aufsteigendes Gewitter, das Einzelne der
Höhen drüben, besonders da mir Alles neu war, nicht zu unterschei-
Der Tchipka Balkan, Tcbipka and die Zagtfra. 23
den; aber trotzdem, dafs wir grofse Eile hatten, widerstanden wir doch
nicht der freundlichen Einladung des Kaffewirthes des letzten bek lerne,
eine Tasse dieses erfrischenden Getränkes bei ihm einzunehmen, und
bei schönem Wetter ist es wohl der Mühe werth, hier einen Augenblick
zu verweilen, da die leichte Hütte, die er sich errichtet hat, hart an
dem grünen Muldenanfang der längs der westlichen Seite des Spornes
in's Hauptthal hinabsteigenden breiten Schlucht liegt. Dann ging es
um eine kleine, diese von der östlich daran stofsenden noch gröfseren
Schlucht trennende Kalkhöhe hinum, abwärts eben auf jenem, den Ab-
stieg vermittelnden Sporne. Diese, den hinabziehenden Sporn schatzende
Anhöhe ist offenbar der Grund der gerade an diese Stelle des Gebir-
ges hingezogenen Passage, aber doch ist der Abstieg bei starkem Winde
und besonders bei Schneesturm nicht ganz ohne Gefahr. Nachdem wir
diese windige Kuppe umgangen hatten, hielten wir uns bei unserem
Abstieg zuerst mehr zur Seite der Schlucht zur Rechten, dann kreuz-
ten wir den Sporn und folgten der zur Linken sich hinabziehenden
breiteren waldreichen Schlucht, über die von drüben die ansehnliche
und auch durch ihre Namen, Stara Plene bei den Bulgaren, in Bezug
vielleicht auf eine heilige Tradition der Vorzeit, und Büyük dagh bei
den Türken, so ausgezeichnete Kuppe herüberragte, während uns nicht
allein die einbrechende Dunkelheit, sondern auch der beginnende Re-
gen zur Eile antrieb. Glücklicher Weise erreichten wir, indem wir, un-
ten angelangt, mit Mühe uns einer Zollwache entzogen, den Khan in
Tschipka (wahrscheinlich so benannt nach dem Pafs, tchipka „die Spitze,
die Kante") noch eben zar rechten Zeit (6£ Uhr), ehe der Regen hefti-
ger wurde, aber er dauerte nicht lange, und auf das Gewitter folgte
eine ganz sternenklare Nacht. Solche Wechsel sind in dieser Gebirgs-
gegend besonders häufig. Unser Quartier war bei mäfsigen Ansprü-
chen leidlich. Der kleine Ort ist fast ausschliefslich von Bulgaren be-
wohnt (angeblich neben 1000 Bulgarischen nur 10 Türkische Häuser)
und hier zuerst überzeugte ich mich durch Augenschein von der ab-
schreckend schmutzigen Art der Mästung der Schweine, die allein hin-
reichen mufs, dieses Thier nicht allein, sondern auch die dasselbe züch-
tenden und sein Fleisch verzehrenden Christen in den Augen der Mosle-
min unrein und verabscheuungs würdig zu machen; man macht diesem
Thiere nämlich absichtlich Gänge unter dem Abtritt und kaum hat der
Mensch sein Bedürmifs verrichtet, so stellt sich schon ein Schwein ein,
sich mit seinen Excrementen gütlich zu thun.
Am anderen Morgen erfreute ich mich des herrlichen Anblickes
der reichen Ebene in der schönsten Beleuchtung. Hier bei Tschipka
ist sie ganz frei und ohne jede Vorhügel und so zieht sich der Abhang
nach West hinum bis zum tief eingeschnittenen Ketschi-dere; dahinter
24 Reise durch die Eoropüseke Tirkei.
aber ziehen sich Vorhügel bis nahe am Kezanlyk heran. Nach letz-
terer Stadt sollte ich, obgleich aufserhalb meiner Richtung gelegen,
meinen Weg nehmen, um meinen Soldaten zn wechseln und der Um-
weg gerente mich in der Folge keineswegs. Denn eine schönere, frucht-
barere Ebene sieht man selten, ja vielleicht nie, in der Türkei, und so
zeichnen sie denn auch die Türkischen Bewohner als „teJmet" oder
Becken in's Besondere vor anderen übrigen Thalebenen ihres Reiches
ans. Und doch ist dies gewifs nicht die günstigste Jahreszeit, ihre
Reize völlig zu wardigen; unzweifelhaft den schönsten Eindruck mofs
sie machen, wenn, während oben auf den höheren Theilen des Gebir-
ges der Schnee noch liegen bleibt, hier unten die Rosengärten ihre
volle Pracht entfalten, die Fruchtbäume in Blüthe stehen und die reiche
Ackerkrume sich mit der jungen Saat des weltberühmten zarten Wai-
zens schmückt. Aber nicht allein Rosen- und Obstgarten, besonders
Wallnufsbäume von gewaltiger Kronen pracht, zeichnen diese schöne
Thalebene aus, sondern auch anmuthige, gruppenweise vertheilte Wald-
partien, besondere Platanen, geben ihr Abwechselung und Reiz; jede
dieser kleinen Waldgruppen hat ihren besondern Namen. Aber auch
die Vorzeit hat in den zahlreich über die Ebene ausgestreuten tumuli
Denkmale ihrer freilich mehr geahnten, als gekannten Geschichte zu-
rückgelassen.
Der Weg hält sich von Tschipka aud nicht gerade auf Ke-
zanlyk zu, sondern nimmt einen ansehnlichen- Umweg, indem er zu-
erst dem Gebirgsabhang zur Linken folgt. Während wir zwischen
den Rosenstocken und Wallnufsbäumen hinpassirten , fiel mir eine
Gruppe von tumuli zur Rechten als besonders bemerkenswerth auf,
indem hier um einen gröfsten und einen zweiten, nur wenig kleineren,
Erdbügel drei kleinste sich herumgruppirten. Die Rosenkultur übrigens
soll früher viel ausgedehnter gewesen sein, da die hohen Abgaben (ff öl
%aghi heifst diese besondere Abgabe vom Rosenöl) sie ruinirt haben.
Denn leider wird den schlichten Bewohnern . des Balkan der Gewinn,
welchen sie aus dem Verkauf, dieses in ganz Europa verbreiteten Fabri-
kates, das ausschliefsiich von hier kommt, ziehen könnten, durch die
habsüchtigen Armenier verkümmert, die sich auch in diesem Handels-
zweige das Monopol angemafst . haben. Am schönsten entfaltete sich
diese reiche Gartenlandschaft bei dem reizend üppig gelegenen Orte
Chas-koei, den wir nahe zur Linken liefsen. Hier nahmen nicht allein
die Rosengärten eine gewaltige Ausdehnung ein, und bildeten eine
wahre Rosenau, sondern die herrlichsten Wallnufsbäume von einer
Gröfse. wie ich sie selbst in Klein -Asien kaum gesehn zu haben mich
erinnerte, bildeten einen wahren Wald. Die Nüsse wurden gerade ge-
erntet. Die gewöhnliche Wallnufsernte im ganzen Kaza von Kezan-
Die romantische Fruchtbarkeit des tekne*; Ke'zanlyk. 25
lyk wird zum Wertbe von 3 Mill. Piaster oder 600,000 Fr. geschätzt.
Daneben nehmen Pflaumenbäume die zweite Stelle ein und aus den
Pflaumen wird hier der pastil genannte berühmte Pflaumenkuchen ge-
macht, der sich Jahre lang halten soll. Kurz, Chas-koei ist ein wah-
res Paradies für die gemüthlichen, still zurückgezogenen Türken und
so ist es auch ausschliefslich von Moslemin bewohnt. Als wir dann
aas dieser Pflanzung wieder frei hinaus traten, erfreute das Auge der
Anblick der, • neben dem trockenen, der Ernte entgegenharrenden Mais,
frisch aufschiefsenden jungen Gerste. In diesem ganzen Kaza folgt
der Menge der Production gemäfs dem Waizen (zum Durchschnitts-
wertbe von etwa 1,200,000 Fr.) zuerst die Ernte von Roggen (auf
dem hochgelegenen Terrain) und Türkischem Waizen (kökorutch), dann
erst kommt die Gerste. Weiterhin mengte sich etwas Tabakskultur
unter den kökorutch. So erreichten wir mit einem Ritt von 2 Stun-
den 10 Minuten von Tchipka das Nordwestliche Quartier von Kezanlyk
und quartierten uns hier in einem kleinen Khan ein.
Da ich mich hier vergebens nach einem Punkte umsah, von wo aus
ich freie Umsicht gewinnen könnte, führte mich der höchst zuvorkom-
mende Chändjl nach dem über sein niedriges Dach stolz und vornehm
herüberragenden Nachbarhaufe, das einem wohlhabenden Bulgaren,
Namens Dimitro Papas -oghlü gehörte, der hier mit seiner Schwie-
germutter, Namens Neda, der Mutter seiner Frau, Stephanki, wohnte.
Er selbst war abwesend, aber Mutter und Tochter empfingen mich mit
grofser Zuvorkommenheit, führten mich in das in Türkischem Geschmack
eingerichtete Gallazimmer im grofsartigsten Stambuler Stil von gewal-
tiger Höhe und mit weiter Aussicht nach allen Seiten. Alle Dächer
des Ortes bestehen aus Ziegeldächern und sieht man nicht eine einzige
Terrasse. Nachdem ich hier einige Winkel genommen und eine Tasse
Kaffe geschlürft, mit der mich die Besitzerinnen gastlich bewirtheten,
und mich mit Dank verabschiedet, wandte ich mich, um meine Win-
kel noch zu vervollständigen, zuerst nach dem unfern dieses Nord-
westlichen Stadtquartiers gelegenen Tülbe-bair, dem Hügel des Grab-
mals, der einst wahrscheinlich den befestigten Mittelpunkt der Stadt
bildete und von wo aus sich eine sehr interessante Rundsicht über das
ganze Tekne darbietet, vom Höhensporn gegen Kalifer zu durch die
ganze Thalebene und vom Gebirgsknoten des Karadjä bis wieder hinum
nach Tchipka; doch war es mit Bezug auf die im Einzelnen noch gar
nicht erforschte, ja kaum dem Namen nach bekannte, zuletzt genannte
Gebirgsgruppe, die auch ich erst allmählich im Fortschritt meines Mar-
sches kennen lernte, ein Uebelstand, dafs ich die von hier aus gepeil-
ten Kuppen im östlichen Theile derselben nicht noch einmal von einem
anderen Punkte aus festlegen konnte, so dafs ich ihre Entfernung mehr
26 Bei»« durch die Europäische Türkei.
nach anderen Daten schätzen mutete. Uebrigens hatte ich in Be-
zog auf diese Peilungen in der Folge mehrfache Gelegenheit, über
den wunderbar und ganz ungewöhnlich scharfen Ortssinn meines
Ehandji im höchsten Grade zu erstaunen; indem er mir die Richtung
einiger von hier aus nicht sichtbarer Oertlichkeiten so genau angab,
dafs sie mit meiner durch genaue Verfolgung der Einzelwinkel später
erlangten Position völlig stimmten. Aehnlich war es auch mit der
Lage der Stadt Trnowa selbst, die er sich wohl in ihrer Beziehung
zur oben erwähnten Kuppe Stära plene oder Buyuk Dagh, einer der
höchsten Kuppen dieses Theiles des Balkans gemerkt hatte, da an ihr
nahe vorüber der kürzere Weg fuhrt, der von Ketchi Dere aus das Ge-
birge nach jener alten Bulgarenhauptstadt hin übersteigt. Dieses letz-
tere Thal mit einem gleichnamigen, etwa 250 fast ausschliefslich Bal-
garische Häuser umfassenden Dorfe scheint sehr romantisch und schön
zu sein und hat seinen Namen wohl von der häufig vorkommenden
Gemse erhalten. Von dem Tülbe-bair aus konnte ich den dahin fah-
renden Pfad eine Strecke weit überschauen ; er fuhrt längs des das Tür-
kenquartier durchschneidenden mit vier Brücken überbrückten und ge-
legentlich wild angeschwollenen Baches aufwärts. Seiner ganzen an-
muthigen und centralen Lage halber wäre Kezanlyk gar kein übler
Punkt zu längerem Aufenthalt, um von hier aus Excursionen in die
noch so wenig gekannte und durchforschte, zumal in geologischer Hin-
sicht zum Theil überaus interessante Umgebung zu machen, besonders
nach den näher gelegenen und zugänglicheren Theilen jenes Karidjä
Dagh, den ich zuerst in seinen allgemeinen Umrissen angegeben habe
und der, wenn nicht grofsartig romantische, so doch sehr schöne, von
NO. nach SW. ziemlich parallel streichende Längsthaler umschliefsen
mufs '). So wäre es z. B. sehr verdienstlich, von hier aus über
das Dorf Sünetler und an dem gleichnamigen Berge vorbei das Tür-
kische mitten im Gebirge gelegene Dorf Enischer zu besuchen; aller-
dings bedürfte es dazu einiger Vorsicht, da das Gebirge bei den Um-
wohnern in dem Ruf grofser Unsicherheit steht. Uebrigens scheint
') Der Priester Konstantin, der Verfasser des weiter unten noch mehrfach zu
erwähnenden iyxetoiSiov (jcbqI ttjs 6na(>%las <PilmTCovjtbl&coz — vno — Kcjv-
ararrivov lege'cog <piXi7i7tovnoXiTOv 1819) giebt ihm nnr den Griechischen Namen
doqxadoe oQog und nennt als Hauptort Xaraa^rj mit 800 Häusern. Wenn er es
einen ßovvos jutxobs nennt, so scheint das nur im Vergleich zur Rhodope und Bal-
kan gesagt zu sein, obgleich der Name ßovvos für dieses Kettengebirge mit meh-
reren (anscheinend 8) Längsthälern sehr unpassend ist. Mit mehr geographischem
Sinne benennen andere Eingeborene diese Gebirgsgruppe als das östliche Mittel- oder
vielmehr Hinter-Gebirge Sred oder Srednia Gora (jiicov oqos) in ihrer natürlichen
Beziehung zur nördlichen Kette, dem von uns so genannten Balkan auf der einen
und der Rhodope auf der anderen Seite.
Charakter und Umgebung von Kezanlyk. 27
der westliche Theil dieses Gebirgsknotens entschieden der höhere zu
sein, sowohl dem gesammten Charakter nach, als auch in Betreff ein-
zelner Koppen.
Die Bewohner von Kezanlyk selbst ziehen in der heifsen Jahres-
zeit nach mehreren beliebten Jailaplätzen; so gehen die Bewohner des
Quartiers Kule mahalesi ') vorzugsweise nach einem Bergdorfe Na-
mens Aratsikesh-koei, das ich leider nicht peilen und daher auch nicht
eintragen konnte, das sich aber durch sein frisches Bergwasser aus-
zeichnen soll; die der anderen Quartiere gehen besonders nach Kai-
nardjelik, einem Orte an den Vorhügeln nach der anderen Seite hin,
wo sich ein Konak befindet. Die Veränderung der Luft, besonders
mit Umzug in eine höher gelegene Gegend mit frischerem, noch ge-
sunderen Wasser, obgleich das Wasser auch in Kezanlyk selbst sehr
gut ist, mag den Leuten im Sommer erwünscht sein 3 ); im Uebri-
gen liegt die Ortschaft selbst schon sehr ländlich und breitet sich weit
aus mit fast ganz getrennten Quartieren und zwischenliegenden Gärten
und unterscheidet sich in dieser Beziehung ganz und gar von der Nach-
barstadt Eski Zaghra, der eigentlichen und älteren Vertreterin der Land-
schaft Zagöra, das („böle, böle tf wie sich mein Begleiter ausdrückte),
„dicht" und „eng" zusammengebaut sei ohne Baumschmuck im Innern,
obgleich nach Aufsen von reicher Pflanzung umgeben und mit seinen
angeblich 6000 Häusern 3 ) bedeutender als Kezanlyk. Das letztere
besteht aus- 4 Quartieren 4 ) oder mahalle, nämlich dem nach dem sei-
nes festen Baues und seiner früheren Bedeutung halber als Küleh (Ka-
stell) angesehenen Glockenturm, der nahe südlich von dem Tülbe-bair
') Obgleich ich im Text und auf der Karte der Grammatik gemäfs, mahale
schreibe, wird in ganz Balgarien dieses Wort doch wie mahle gesprochen.
") Zur Pflege ihrer Gesundheit haben sie auch in der geringen Entfernung einer
Stunde ein warmes Bad Ltidja, das sie viel besuchen.
3 ) Nach dem Dr. Poyet, description du Caza de Eski Zaghra im Bulletin der
Pariser Geographischen Gesellschaft, seYie IV, törae 18, 1859, p. 153 hat die Stadt
nur 2650 Häuser mit 8576 männlichen Bewohnern; die Frauen werden bekanntlich
in der Türkei nicht registrirt.
4 ) Ich gebe meine eigenen Erkundigungen, die aber, im Durchfluge gemacht, un-
vollständig oder unrichtig sein mögen. Sehr verschieden wenigstens sind die Angaben
Poyet's im Bulletin 1. c. p. 185, wonach die Stadt 14 Quartiere hat, von denen 6 von
Türken, 5 von Christen, 1 von Juden und 2 von Zigeunern bewohnt seien. Er giebt
2000 Häuser an, wovon 1100 von Moslemin, 800 von Bulgaren, 50 von Israeliten
und 50 von Zigeunern bewohnt werden. Die ganze Bevölkerung der Stadt giebt er
auf 15 — 17,000 an mit überwiegender Anzahl des weiblichen Geschlechtes, wie 8 : 6.
Das ganze Kazä schätzt er auf 50,000 Einwohner. Nach Poyet stehen die Frauen
von Klzanlyk, wenigstens die Bulgarischen, in sehr schlechtem Rufe und merkwürdig
und lesenswertb ist sein Urtheil über die comparative Sittlichkeit der Muselmänni-
schen und der Bulgarischen Frauen, 1. c. p. 191 f.
26 Reise durch die Europäische Türkei.
liegt, genannten Kuleh mahalesi, dem ostlich an das erstere, am Fufse
jenes Hügels sich an schliefsenden and des hier am dichtesten stehenden,
vom Bache des Ketschl dere genährten, Baumwuchses (Kis) halber ge-
nannten Eis mahalesi, dem Yeni mahale (dem neuen Quartier) und end-
lich dem Kalpaktshi mahalesi, wo die schwarzen bulgarischen Filzmützen
gemacht werden. An der Nordostecke, also an Kis mahalesi sich
zunächst annähernd, liegt das eigentlich noch zur Stadt gehörige Ye-
mishler-koei, das unzweifelhaft von seinen Aprikosen so benannt ist.
Die Stadt wird gemeinsam von Bulgaren und Türken bewohnt,
die sich jedoch der Lokalität nach ziemlich gesondert halten, indem im
Allgemeinen die Ersteren westlich, die Letzteren östlich vom Glocken-
turme wohnen, und zwar zumal in dem ihrem Naturell am meisten zu-
sagenden baumreicheren zweitgenannten Quartiere. Trotz der, wie ge-
wöhnlich in den Städten dieses von fremden Eroberern unterjochten
Landes, bei Weitem gröfseren Zahl von muselmännischen Kultus-
stätten (10 gegen 4 christliche Kirchen) überwiegt doch die Zahl der
nicht unirten Christen bedeutend; so sollen von den etwa 2500 Häu-
sern oder Familien des Ortes 1 600 Bulgarisch ' und nur 700 Türkisch
oder Moslemisch sein, neben etwa 100 Fremden und eben so vielen
Juden; obendrein sollen die Bulgarischen Familien viel fruchtbarer und
gliederreicher als die Türkischen sein. Die Juden scheinen woblhäbig
und patriotisch zu sein ; sie besitzen zwei Landgüter oder tschiftlik, auf
denen sie ihre Armen beschäftigen. Nach der Südseite wird die Stadt
von den schönsten Obstgärten umgeben, aber vorzüglich wiegen Wall-
nufs- und Kastanienbäume vor und sind die letzteren sehr geschätzt,
da die Kastanien dreimal so theuer sind, als die Wallnüsse. Daneben
wird auch einiges Rosenöl fabricirt, jedoch jetzt (1862) aus den an-
gegebenen Gründen nur in unbedeutender Menge; wenigstens gab mir
mein verständiger Führer die jährliche Production dieses Artikels auf
einen ganz unglaublich scheinenden geringfügigen Werth an '). Von
diesem geschätzten Stoff erhielt ich selbst eine Probe, indem eine mir
völlig unbekannte Person, Emin Effendi, Schwager von Hadji Mehmed
Agha, mir ein Fläschchen davon zum Geschenk sandte. Einen so lie-
benswürdigen Charakter entwickelten gegen mich eiligst durchflie-
genden Zugvogel die Einwohner dieses hübsch gelegenen Ortes. Auch
der Mudlr Halil Ibrahim Bey willfahrte sogleich meinem Gesuch nach
einem andren Geleitsreiter, so dafs ich nach wohlbenutztem etwa fünf-
stündigen Aufenthalt und einfachem Frühstück schon gerade um Mit-
tag meine Reise fortsetzen konnte.
•) Dr. Poyet schätzt (1859) die Production von Rosenöl im Kazä von Kezan-
lyk auf 199,000 Mi4käl zu einem Werth von 597,000 Fr. 1. c. p. 188.
Aufbrach von Kesanlyk; die Tundja; Kastellminen. 29
Obgleich nun mein nächstes Ziel Filibe war, also meine Reise;
nach SW. ging, so gab ihr doch eben jener, in dieser Richtung vorla-
gernde unwirthliche Karädjä Dagh, der mit dem das Thal im N. be-
grenzenden Abhang des Balkan, der Tundja ihren Lauf anweist, eine
ganz westliche Richtung sogar mit geringer nördlicher Abweichung,
selbst nach Abzug der magnetischen Dcclination. Nach dieser Seite
hin öffnet eine sehr breite Strafse den Zugang in die Mitte der Stadt,
die allerdings nach dem gestrigen Regen nicht eben schön und wohl»
geordnet aussah. Wo man aus ihr ins Freie hinaustritt, wurde gerade
ein neues Frauenkloster gebaut, das zur Aufnahme von 20 Jungfrauen
bestimmt war. Die dazu nöthigen Gelder waren durch Sammlungen
und Geschenke zusammengebracht und die Russische Regierung, die
consequent ihren Plan zur Gewinnung dieser Gegenden verfolgt, hatte
6000 Piaster dazu beigetragen. Gerade da, wo (| St. hinter der Stadt)
die Strafse nach Harman-koei abgeht, liegen über dem klaren, der Tundja:
zueilenden Bach, vier niedrige Gebäude einer Garnfabrik, wo jedoch
augenblicklich nicht gearbeitet wurde. Dann nahmen Weingärten ih-
ren Anfang, machten aber bald hinter einem kleinen Tschiftlik dem
Haupterzeugnifs Slavischen Ackerbaues, dem Kokorutch Platz, um
dessen Felder sich einige Wallnufsbäume lagerten. Dann bekleideten
sich die kleinen Hügelabhänge zur Rechten mit Eichen. Diese Vor-
hügel verdeckten hier die höheren Balkänabhänge auf dieser Seite, die
dem ganzen Marsch ansehnliches Interesse zu geben versprachen, und
bedauerte ich es deshalb sehr, dafs schwere Gewitterwolken heranzo-
gen, die sowohl die Aussicht als auch den Genufs und die Ausbeute
des Marsches zu verringern drohten. Zwar zogen sie glücklicher Weise
mit einer leichten Entladung vorüber, hinderten mich jedoch, nachdem
wir die Tundja auf einer Brücke ') überschritten, die auf den ansehn-
lichen Kalkhöhen zur Linken über einem kleinen daraus hervorströmen-
den Zuflufs liegende Ruine eines Kastells zu besichtigen, das mein Be-
gleiter natürlich, als aus unbekannter Vorzeit stammend, den Djenovis
beilegte; es könnte möglicher Weise Römischen Ursprungs sein, da
auch Reste einer alten Römerstrafse hier gefunden worden sein sollen.
Nach diesen Kastellruinen wird die Brücke über diesen Zuflufs Ga-
len (Kaien) köprüsi genannt. Hier hatten wir die sich hinwindende
Tundja, die etwas unterhalb Kezanlyk für ganz kleine Fahrzeuge schiff-
bar wird, hart zur Rechten, während die Thalebene dahinter sich
nun bis an den Fufs der Berge abflachte. Letztere, nun schon wieder
1 ) Diese Brücke nannte mein Geleitsmann Roprinka köprüsi, doch ist der
entere Name, der wieder mit köprü „Brücke" zusammenzuhängen scheint, etwas
verdächtig.
30 Reise durch die Europäische Türkei.
von der Sonne beschienen, nahmen an der Schlncht, auf die der un-
sern Weg schneidende und bei dem Dorf Sarhanne vorbeifahrende
Pfad zuführte, recht malerische Formen an. Dahinter durchbrach der
Flufs eine Schieferpartie mit schräg einfallenden Schichten, die hier die
Ealkformation durchsetzte. Während wir hinter dieser Felspartie eine
grofse Ausbiegung machten, streiften wir die Rosengärten des kleinen
Dorfes Karaghikly, die letzten, die ich selbst auf diesem Wege beob-
achtete; denn nun folgte zur Rechten offenes Weide- und Ackerland
bis an den Fufs der Berge. So erreichten wir mit einem etwas we-
niger als dreistündigen Ritt das Bad Lüdja, eines jener vielen ther-
malen Ausbrüche dieser an Spuren vulkanischer Hebungskraft reichen
Südseite des Balkan, deren gegenwärtiger Name von dem Griechischen
Worte XovtQa abgeleitet ist, während fast eben so viele andere den
vom Römischen balnea abgeleiteten Namen Banya fuhren — zwei Na-
men, die durch so viele Jahrhunderte des Völkergewirres und der Völ-
kervernichtung bewahrt, für sich allein schon eine ganze Geschichte
erzählen. Dieses Lüdja übrigens ist wirklich nichts weiter als ein
Bad, und defshalb heifst es auch nicht Lüdja -koi „Baden -Weiler*,
sondern einfach Lüdja „Baden". Es giebt hier nämlich nicht ein ein-
ziges Wohnbaus, sondern nur zwei solid in Stein aufgeführte und mit
Kuppeln versehene Baderäume, eins für Männer, das andere für Frauen,
und beide waren augenblicklich ziemlich besucht. So dauerte es einige
Zeit, bis ich zu dem weiblichen Bade Zutritt erhalten konnte: in die-
sem fand ich, allerdings mit einem gewöhnlichen Thermometer (Glas-
röhre) das Wasser der Quelle selbst 40 • R., das Bassin 39* anzeigen,
während in dem männlichen Bade der erreichbare Quellstrom — in
einiger Entfernung von der Quelle — nur 34° anzeigte ■). Die Frauen
waren aus ziemlicher Entfernung herbeigekommen und hatten einen
dicht mit Wolldecken bepackten Landwagen bei sich, wie sie hier
üblich sind. Die Lage des Ortes ist frei und gesund und gewährt
einen hübschen Anblick der Balk ankette mit dem tiefen Einschnitt des
Büyük-kurü-dere, des „grofsen Trockenthaies" (von kurü „trocken*,
weil es für gewöhnlich von keinem Bache fliefsenden Wassers belebt
wird), das den gleichnamigen Engpafs oder bogäz bildet, in N. 15 0.
(magnetisch); der noch charakteristischeren höchst romantischen Klo-
sterschlucht, die ich in der Folge besuchte, in W. 40 N., und einer an-
') Dr. Poyet in seinem Bericht über Ke'zanlyk 1. c. p. 194 gibt den 3 schwe-
felhaltigen Thermalquellen in der Nähe jenes Ortes, unter denen diese offenbar mit
einbegriffen ist, eine durchschnittliche Wärme von etwa 80° C. An gewissen Ta-
gen sollten sie nach den Angaben der Eingeborenen gröfsere Temperatur und mehr
Schwefelgeruch haben. Er spricht nicht als Augenzeuge. Der Schwefelgehalt ist
sehr gering.
Das warme Schwefelbad Lüdja; Kudderelsi. 31
deren Schlucht, wahrscheinlich das Kütschük-kuru-dere, inmitten zwi-
schen beiden» Sehr interessant auch nimmt sich hei dieser Berggruppe,
die doch in den höheren Theilen bis 4000 Fufs über die Thalebene auf-
steigt, die deutlich erkennbare verschiedene Schichtung der höheren
Partieen aus '). Hübsche Gruppen von Platanen stehen an der west-
lichen Seite des kleinen, den Thermen entrinnenden Baches und ge-
währen den Badegästen eine schattige Ruhestätte. Auch fehlt es nicht
an dem unentbehrlichen Kaffe, den ein Kavedjl aus einem benachbar-
ten Dorfe hier schenkt.
Nach einstündigem Aufenthalt setzten wir unseren Marsch westlich
fort auf die in der Ferne sich verengende Oeffnung zwischen dem Ka-
radjä Dagh und dem Balkan zu, indem wir nach zehn Minuten auf die
andere südliche Seite der Tundja hinüber passirten, ohne Brücke freilich,
aber doch mit gehöriger sorgfältiger Auswahl der Furtstelle, da der Flufs
reifoend und selbst da, wo wir ihn passirten, 2 — 2 \ Fufs tief war.
Hier hatten wir zur Linken eine Gruppe offener Gebäude zur Rosen-
ölbereitung, während ansehnliche Heerden von Rindern, Büffeln und
Pferden der Landschaft einen recht wohlhäbigen Anstrich gaben. Dieser
Pfad jedoch ist keine Hauptstrafse und hatte ich ihn eben nur eingeschla-
gen, um Lüdja zu besuchen. Der direkte Weg von Tschipka geht über
Albashä, das ich weiterhin etwa \ Stunde zur Rechten liegen liefs. Zur
Linken traten dann die Vorberge des Kar ad ja näher heran und zeigten
auf einem ihrer Gehänge das Dorf Melemes; erst weiterhin hörten sie auf
und eröffneten einen Blick auf die Hauptmasse des Gebirgsstockes in an-
scheinend etwa \ Stunden Entfernung. Hier wandten wir uns nörd-
licher ab, indem wir unsern frühern Plan, in Ak-tsheli zu übernachten,
aufgaben und unser Nachtquartier in Eudderesi oder Khudr Elias zu
nehmen beschlossen. Eine sehr anmuthige, augenblicklich in schönstem
frischesten Grün prangende, Lehne zieht sich nach dem Gebirgsabhang
hinan und gewährte in der herrlichen Abendbeleuchtung einen beleben-
den Blick über die reiche schöne Thalebene. Umgeben von den von
der Weide heimkehrenden Rindern betraten wir so das Dorf, das, in
Gärten auseinander gelegen, von den reichsten Wallnufs bäumen beschat-
tet wurde. Das Haus oder Khan freilich, wo wir übernachten sollten,
versprach keineswegs ein behagliches Quartier. Denn erstlich machte
der ihn umgebende kothige Hof mit seinen grofsen Misthaufen keines-
wegs einen erfreulichen Eindruck; dann wurden wir gleich bei un-
serem Eintritt mit der Nachricht empfangen : karabulük tshok „viel Ein-
quartierung". Jedoch hatten wir nun keine Lust mehr, noch anderswo
Quartier zu suchen, und nach einiger Auseinandersetzung ward für
, ) Ick machte von dieser Ansicht eine leichte Skizze, die jedoch hier nicht
mitgetheilt ist
32 Reise durch die Europäische Türkei.
uns Platz gemacht in dem eigenen Wohnzimmer des Besitzers? die
Frauen versprachen für uns zu kochen. Während dessen- machte ich
einen Spaziergang durch das Dorf, und wenn mir gleich beim Eintritt
die schöne Belaubung aufgefallen war, so überzeugte ich mich nun,
dafs die WallnuDsbäume hier eine ganz ungewöhnliche Oröfse erreich-
ten; ja ich glaubte, nie etwas Aehnliches von gewaltigem Wüchse ge-
sehen zu haben. Die beiden gröfsten schienen über 80 Fufs Höhe ff»
erreichen, mit einem Umfang der Krone von wenigstens demselben
Durchmesser. Solche Bäume erklären es allerdings, dafs Europäische
Handelsleute, wie ich deren einen in Kalifer traf, hier im Lande her-
umreisen, um diese Bäume zum Fällen zur Tischlerarbeit anzukaufen;
aber diese herrlichen Exemplare werden hoffentlich nicht sobald einer
solchen Spekulation zum Opfer fallen. Als ich dann zum Dorf nach
der Bergseite zu hinaustrat, hatte ich eine höchst imposante Ansicht
der tiefen, hier ins Gebirge sich hineinziehenden Schlucht und beechlofs
ihr am nächsten Morgen vor meinem Weitermarsch einen Besuch ab-
zustatten. Am Abend entspann sich eine sehr gemüthliche und be-
hagliche Scene in unserem Familienkreise, bei der es auch nicht an
leiblicher Pflege fehlte; denn das Abendessen war vortrefflich zube-
reitet, besonders ein ausgezeichneter Milchreis. Eine zahlreiche Fa-
milie wohnte hier beisammen, Vater und Sohn; die Schwiegertochter
spielte die Hauptrolle in der Wirthschaft. Jedoch war das Haus von
Unglück nicht verschont geblieben, indem Räuber, die von dem Wohl-
stande des Besitzers Nachricht gehabt, vor wenigen Jahren in der
Nacht die leichte Wand seines Hauses unterminirt hatten, eingedrungen
waren und ihn mit halbabgeschnittener Kehle in seinem ausgeplün-
derten Hause für todt zurückgelassen hatten; er hatte sich mittlerweile
aber wieder ziemlich erholt Der Mann klagte bitterlich über die hohen
Taxen, die ihnen die Türken abnähmen; eine Norm herrscht in die-
sen Taxen bekanntlich nicht, sondern sie hangen von der Willkür
des einzelnen Vorgesetzten ab. So mufsten sie hier für jede 1-J- Okken
Wallnüsse 1 Piaster Abgabe zahlen, und hatten ihre Weintranben
gar nicht geerntet, da die Regierung 20 Para oder £ Piaster von der
Okka erheben wollte, während ihr wirklicher Werth viel weniger be-
trägt. Und Weintrauben, mufs man bedenken, sind in dieser Gegend
kein Luxusartikel, sondern bilden die gewöhnliche alltägliche Nahrung
des gemeinen Mannes. So haben sie nun beschlossen, die Weinkultur
ganz aufzugeben.
Am folgenden Morgen (den 19. September) liefs ich nun meine Leute
zurück und schlug mit meinem Zabtte allein den Weg nach jener Mönastir
deresi genannten Schlucht ein; denn leider gab mir mein Geleitsmann
nicht den Wink, dafs wir besser thäten, unsere Leute gleich mitzunehmen .
Hohe Taxen; Büyük Obä; die Klosterschlucht 33
oder uns nachkommen zu lassen. Wir wandten uns zuerst nach dem
Dorfe Büyük Obä, dessen schöner schlanker Minaret gerade von den er-
sten Strahlen der hinter den Bergen auftauchenden Sonne beleuchtet
wurde. Während wir so ganz gemach die Thallehne hinanstiegen, ent-
wickelte sich immer schöner die diesen östlichen Ausgang der Schlucht
begrenzende Kuppe, deren Namen ich in der Form Koiemdjakara auf-
schrieb, die aber wohl eine kleine Aenderung zu erleiden hat; jedenfalls
aber hat der Name nichts mit kuyun „Schaf" zu thun. An ihrem Fufse
wurde in früherer Zeit Steinsalz gewonnen. So am Bach ans hinaufhal-
tend, erreichten wir das schöne reiche Dorf, aus dem gerade das Vieh
ausgetrieben wurde; auch eine Heerde schnatternder Gänse fehlte dabei
nicht. Dies ist ein vorwiegend moslemisches Dorf und an äufserer Net-
tigkeit übertraf es offenbar das christliche Ehudr Elias. Auch Rosen-
gärten giebt es hier hart am Fufs des Bergabfalles, dessen Schneelager
im Frühling gegen die Rosenblüthe unten einen höchst malerischen
Kontrast gewähren mufs. Diese Gebirgsschluchten sind übrigens so
unsicher und so verrufen, dafs mein Zabtte nicht allein mit mir sich
in die nun vor uns aufklaffende Felsspalte wagen wollte, sondern noch
erst einen Mann aus dem Dorfe requirirte. Jedoch ist es mehr als wahr-
scheinlich, dafs hier in alter Zeit ein direkter Pfad nach Lovtcha oder Lo-
vats führte, während jetzt aller Verkehr in dieser Richtung abgeschnitten
ist. Die Entfernung schätzte mein Begleiter auf 10 Stunden; 6 Stunden
bis Yeni-koei, das, wie er sagte, eine ähnliche Lage wie Käufer habe, also
wohl in einer Schlucht eingekeilt, dann 4 Stunden bis Lovtcha, dessen
Lage derjenigen von Kezanlyk gleiche. Trojan erwähnte er nicht. Mitt-
lerweile wandten wir uns auf rauhem Pfad voll Stein getrümmer, unter
denen auch Basaltstücke nicht fehlten, wie denn in dieser Balkangruppe
vulkanische Thätigkeit sich vielfältig betbätigt, am rauschenden Bache
hinauf und passirten ihn dann mehrere Male, bis wir die Schlucht er-
reichten. Die eigentliche Kluff ist ansehnlich breit, wird aber durch
eine, von überwachsenen Felstrümmern gebildete, in der Mitte vor-
springende Zunge eingeengt, so dafs an dem westlichen steilen Fels-
rand nur eben ein enger wilder Durchgang für den schäumenden
Bach bleibt. Am Fufse der Zunge liegen die höchst soliden Grund-
mauern eines viereckigen Gebäudes, das der Schlucht den Namen
Mönastir deresi verschafft hat, das mir aber eher ein Fort zur Ver-
teidigung des Passes, als ein Koster gewesen zu sein scheint, obgleich
es möglicher Weise beide Charaktere in sich vereint hat. Jedenfalls
aber stammt das Gebäude aus Römischer oder vielmehr Byzantinischer
Zeit, wie das Bauwerk der 4 — 5 Fufs dicken Mauern aus abwechseln-
den, mit ausgezeichnetem Cement verbundenen Lagen, regelmäfsig be-
hauener Feldsteine und Backsteine deutlich beweist; auch die aus-
3
34 Beiae durch die Europäische Türkei.
gezeichnet soliden Gewölbe bezeugen diesen Ursprang. Damit hangen
auch die von Dr. Poyet in der Nachbarschaft bemerkten Reste einer
Römerstrafse zusammen. Von dem Gipfel der Zunge hat. man einen
höchst wilden Einblick in die von steilen rauhesten Felswänden eng
eingeklemmte Schlucht, die wirklich etwas Tartarus -ähnlichen Cha-
rakter hat, wie es mir denn scheinen will, dafs, da dies Gewässer
seiner Menge nach entschieden als Hauptarm der Tundja anzusehen
ist, dieser Charakter ihm den Namen Tartaros verschafft hat, wie die
griechisch gebildeten Bulgaren ihn zuweilen nennen. Jedenfalls ist es
verkehrt, wie das geschehen ist, diesem Theil des Gebirges wenigstens,
tiefe Schluchtenbildung abzusprechen. Hier erst erkannte ich, dafs hinter
den Vorhügeln, die sich von der Westseite des Baches vor der Hauptge-
birgsgruppe lagern, eine Art Thal westlich führte gerade in der Richtung
des hinter Käufer gelegenen Klosters, das ich zu besuchen gedachte ; aber
mein Begleiter versicherte mich, dafs da allerdings ein Pfad gehe, wie
ich auch einen Mann zu Esel dort seine Schritte hinlenken sah, dafs er
aber für Pferde fast unpassirbar sei. Es ist jedenfalls also möglich,
dafs hier an dieser Stätte der Vorgänger jenes neueren westlicheren
Klosters lag, worüber die Mönche des letzteren mir allerdings keinen
Aufschlufs gaben. Die kleine Excursion hatte mir daneben auch: eine
klarere Uebersicht des Karadjä Dagh verschafft, von dessen ganzem
Charakter ich bisher nur eine sehr schwache Vorstellung gehabt hatte.
Es lag mir viel daran, ein möglichst klares Bild von ihm Zu . geben,
weil er bisher auf den Karten der Türkei ganz unbekannt geblieben
war. Wir wandten uns also auf anderem Pfad nach Büyük Obä zu-
rück und trafen dann 1 auch bald bei den Unsrigen in Kuddereschi
wieder ein, mit denen wir nun unseren Marsch fortsetzten. Hier, wie
immer bei solchen Einquartierungen, traf ich die Vorkehrung, mir :Von
dem Hauseigentümer eine Rechnung der einzelnen Auslagen ; geben
zu lassen, wo ich dann für die gehabte Mühe und Zimmer je nach
Umstanden eine entsprechende Entschädigung hinzufügte.
Mittlerweile war es 9| Uhr geworden und leider hatten die schon
lange auf der höchsten Bergkuppe sich sammelnden Wolken auch heute
wieder eine. Verfinsterung der Aussicht und Regen angezeigt und dieser
fing an, sich zu entladen, gerade als wir nach zweistündigem Marsch,
nach Ueberschreitung des von den Vorhügeln des Balkan in die
hier übrigens sehr unterbrochene Thalebene vorgeschobenen kleinen
Spornes, wo ein Wachtposten zur Sicherung des Verkehrs steht, plötz-
lich und ganz unerwartet unsere Richtung und das Hauptbai verliefsen
und in eine kleine nördliche Seitenschlucht einbogen. Hiervon hatte
ich gar keine Ahnung gehabt, da in Folge des Mangels genauer topo-
graphischer Angaben die Karten in der Wiedergabe dieser Landschaft
Die tiefe Kluft; Tarteroe; Stadt Kilifer. 35
bisher höchst mangelhaft waren. Glücklicher Weise hatte noch eben
ein letzter Sonnenblick die von Rosengärten neben schon geerntetem
Mais geschmückte Umgegend der Dorfer Doimüschler and Oktshülär
beleuchtet. Aach waren wir nun gleich im Orte; denn das gegen
Erwartung bedeutende Kalifer füllt fast das ganze kleine Seitenthal,
den Kilifer boghäz, aus dem ein Arm der Tundja hervorkommt,
der gewöhnlich als der Quellarm angesehen wird, obgleich der oben
bezeichnete Arm eine bedeutendere Wassermenge hat. Die die Schlucht
nach O. überragende Kuppe führt den Namen Yäghmurdjä, doch war
ich einen Augenblick wegen ihrer genauen Lokalisirung etwas zweifel-
haft; die Stadter selbst scheinen sie Golemägila zu nennen. Auf beiden
Seiten des Baches in tiefem Einschnitt zieht sich lang und schmal das
Städtchen hin, das 2500 — 3000 Häuser enthalten soll, also sich fast
ganz von seinem Rain, von dem der Priester Konstantin spricht
— es hatte damals (1819) nur 500 Häuser — wieder erholt hat, und
die vielen von dem Bach getriebenen Mühlen machten einen sehr vor-
theilbaften Eindruck von dem Gewerbfleifs der Bewohner; alles Garn-
fabriken. Aber natürlich liefs der Regen und die in Wolken gehüllten
Berge die ganze Landschaft zur Zeit nicht eben in vorteilhafter Be-
leuchtung erscheinen. So beschlofs ich, hier Quartier zu nehmen und am
Nachmittag dem benachbarten Kloster einen nur kurzen Besuch abzustat-
ten; sonst bei günstigem Wetter würde ich, ohne in Kalif er Halt zu ma-
chen, direkt nach jenem Kloster mich hingewandt und von dort aus eine
kleine Bergpartie nach dem wahrscheinlich vulkanischen Mora Gedük
gemacht haben. Das Haus oder der Kbän, wo wir abstiegen, gehörte
einem Bulgaren, der auch einen kleinen Kramladen für alle möglichen
Bedürfnisse hatte, Efs- und Trinkwaaren, wie Eisen- und Holzgeräthe,
dessen Lokal aber bei dem feuchtkalten Wetter Manches zu wünschen
übrig liefs.
Nach eingenommenem leichten Mittagsmahl machte ich mich, noch
bei andauerndem Regen, mit Zurücklassung meines Gepäcks, mit dem
Zabtie und Rossi auf den Weg nach dem Kloster, zuerst die kleine
Schlacht hinauf, von der ein Arm nach N. O. abbiegt mit einem für
40 — 50 Mädchen bestimmten Nonnenkloster, dann unseren morgenden
Weg auf der Hohe des Passes zur Linken lassend, mit nordöstlicher
Biegung hinab in das Thal der Abdere, der einem anderen Stromge-
biete angehört, obgleich er allerdings auch einen Zuflufs der Maritsa bildet.
Kleine Weinberge, die aber zum grofsen Theil für dies Jahr vernichtet
waren, zogen sich längs der Strafse hin. Hier nun bethätigte sich gleich
die Nachricht, die ich schon erhalten hatte, dafs morgen grofses Fest der
Panagia im Kloster sei; denn nicht allein fromme Wallfahrer belebten die
Strafse, sondern auch eine Bande von fünf Musikanten, die mir gegen
3 #
3g Reifte durch die Europäische Türkei.
Bezahlung während des Marsches in glänzender Landesweise aufspiel-
ten. Nachdem wir so absteigend die Sohle des Flüfschens selbst er-
reicht hatten, stiegen wir jetzt an seiner linken Seite wieder anw&rts,
bis wir ihn nach 2o Minuten auf einer Brücke passirfen. Wir beschrit-
ten hier die wohl markirte Linie des ansehnlich steilen Hauptabfallee
des Gebirgsstockes, vor dem sich die Höhen, in denen Kalifer liegt, nur
als gesonderte Vorhöhen vorgelagert haben. Besonders zur Linken
ist dieser Charakter des Gebirges sehr bestimmt, während nach Osten
hin , also nach der Seite der tief eingeschnittenen östlichen Kloster-
schlucht, sich keine wirkliche Thalöffnung zeigte. Wir stiegen dann
wieder ein wenig anwärts und erreichten bald darauf das kleine, in
einem grünen Kessel gelegene Kloster, das freilich die ganze Eigen-
tümlichkeit und den romantischen Charakter seiner Lage nur zur
Hälfte entwickeln konnte, da die gröfseren Höhen in Wolken gehallt
waren.
Das Kloster besteht aus drei getrennten Theilen, die sieb' von
West nach Ost der Länge des Gebäudes nach an einander reihen,
zuerst ein sehr grofser viereckiger grüner Hofplatz von Holzhallen
mit Gemächern in zwei Stockwerken umgeben, ganz in der Weise
eines Türkischen Khans, daran rechts ein ähnlich, aber besser einge-
richteter Raum für die vornehmeren Gäste und dahinter wieder das
eigentliche Kloster mit Kirche, jenes an der Nord-, dieses an der Süd-
seite. Im Kloster, das von vornherein eben nicht auf grofsem Fufse ein-
gerichtet ist, wohnten zur Zeit nur 6 Mönche ; die Kirche, ist ebenfalle
ganz klein mit 2 Reihen von je 5 Säulen und in der Bekleidung von ein-
fach weifser Tünche ; das Hochamt von vergoldetem Holz enthält 8 Bilder
von Heiligen und heiligen Scenen und zur Rechten das verehrteste Bild
der Panagia, dem zur Linken ein anderes entspricht. Natürlich spiel-
ten heute die Kerzen , von . denen jeder Besucher eine Anzahl kaufte
und darinnen anzündete, eine grofse Rolle. Aufserdem wurden auch
direkte Geldgeschenke am Eingang der Kirche gespendet und genau
registrirt. Auch ich gab eine Kleinigkeit; ich hätte sonst wohl kaum
mit Anstand die Kirche betreten können. Schon hatte sich eine an-
sehnliche Menge Gäste zum morgenden Feste der Panagia zu Fufs
und zu Wagen oder Karren — alle mit Büffeln bespannt — einge-
funden und bunte Gruppen hatten sich theils innerhalb der Gehöfte,
theils aufsen auf dem freien Weideplatz gelagert, und die bunte Tracht
der Frauen belebte das Ganze außerordentlich , trotz des Mangels an
Sonnenschein. Gewifs hätte man hier mit Umsicht die mannichfachste
Kunde über das Land und seine Zustände einziehen können, aber daau
gehörte eine genaue Kenntnifs des Bulgarischen, 1 die mir leider abging,
Und «o war mir dieses bewegte Leben hier aufser dem allgemeinem
Käufer und da* festliche Bulgarenkloster am Quellstrom. 37
Interesse eher störend zur ruhigen Erforschung der topographischen:
Verhältnisse der Umgegend, und da man nun nicht wissen konnte, ob
sich morgen das Gewölk von den Höhen verzogen haben würde, wider-
stand ich der höchst dringenden Einladung der Mönche, hier zu bleiben.
Späteren Reisenden aber, die diesen noch fast ganz unbekannten Theil
des Landes erforschen wollen, empfehle ich dringend dieses Kloster
als ein gutes Quartier, das aber natürlich, wenn man mehr Leute und
Pferde mitbringt, kein eben billiger Aufenthalt ist. Die Ausbeute einer
genauen Erforschung des dahinter aufsteigenden Gebirges verspricht
besonders in geologischer Beziehung grofs zu sein. Schon Dr. Poyet
erkannte aus der Ferne den Morägedük, dessen Lage er nur allgemein
angiebt, als eine vulkanische Kuppe, und in allen von dieser Erhebung
herkommenden Thalschluchten findet man Bruchstücke von Basalt.
Augenblicklich war bei dem ungünstigen Wetter wenig oder nichts zu
machen; jedoch bestieg ich in Begleitung eines bewaffneten Kloster-
dieners die nächsten Höhen, um mich ein wenig zu orientiren; natür-
lich war aber die Aus- und Umsicht äufserst beschrankt. Alle Unter-
höhen sind dicht mit Haseln ufsstauden besetzt. Auf den höheren
Spitzen gewahrt man mehrere Kreuze als Andachtsstätten frommer
Pilger, vielleicht noch Reste aus der Heidenzeit. Der Kloster-Diener
nannte sich Christo Buzuk und legte gro&es Interesse an dem Lande
an den Tag, so dafs ich glaube, ihn künftigen Reisenden als Führer
in das Gebirge empfehlen zu können.
Als ich dann meinen Rückweg nach der Stadt antrat, war der
ganze Weg mit Fufsgängern und Büffelwagen gefüllt, was bei der
Enge desselben nicht eben angenehm war. Um keine Zeit zu verlie-
ren, schickte ich sogleich bei meiner Rückkehr Rossi nach dem Ko-
nak, um mir auf morgen früh einen anderen Zabtie bis Filibe zu be-
stellen, erhielt jedoch zum Bescheid, dafs ich den früheren nur behalten
möge. Es war nämlich gerade so eben ein neuer Mudir angekommen,
der sich noch nicht heimisch fühlte, nachdem der alte auf dringendes
Verlangen der Gemeinde abgesetzt worden war. Man sieht also doch,
dafs in einigen Fällen die den Eingeborenen gemachten neuen Conces-
sionen der Regierung dieses Landes ihre Früchte tragen.
Am folgenden Morgen, als ich die Stadt verliefs, schien sich das
Wetter etwas aufgeklärt zu haben, was mir sehr erfreulich war, um
die topographischen Verhältnisse des verwickelten Terrains klarer zu
übersehn. Langsam aus der Schlucht von Kalif er hinansteigend, lie-
foen wir nach zehn Minuten unseren Klosterweg von gestern zur Rech-
ten und hatten nun zur Linken den Absturz dieser Vorhügel, die sich
aber weiterhin noch wieder zu gröfserer Hügelgruppe gipfelten. Dann
stiegen wir auf ausgewittertem Scbieferthon in grofeen Windungen
38 Reise durch die Europäische Türkei.
hinab zur Thalschlucbt des Ab-dere, das wir hart zur Recbten anter
ans hatten. Leider aber fingen mittlerweile Nebel and Wolken wie-
der an, die Berge zu bedecken und fast schien es, als sollten wir
einen anderen Regentag haben. Am Fufs des Absturzes, wo den Flufs
hinauf eine direkte Strafse nach dem Kloster abzweigt, erhebt sich auf
einem Felssporn ein hobes W achthaus mit Eaffeschenke, das also,
wie oft bei diesen Einriebtungen der Fall ist, Schutz gegen Rauban-
fälle und Stärkung und Erfrischung zugleich gewährt. Man passirt
dann auf solider Brücke den Ab-dere und betritt nun hart an seiner
Rechten einen leichten Engpafs. Hier am Strom zeigten sich wieder ab-
gerundete Basaltstücke und die ganze Vorhügelgruppe macht den Ein-
druck einer vulkanischen Schuttmasse. Da, wo der Engpafs sich öffnet,
zieht sich rechts an den Hügeln ein Weg nach Kariowa hin, einer
ansehnlichen Stadt, die früher ganz unbekannt war und zuerst von
Lejean angegeben wurde. Der Abfall des höheren Gebirgsknotens zur
Rechten scheint etwa eine Stunde entfernt zu sein und zieht sich sehr
regelmäfsig hin, von schön markirten Schluchten gegliedert, während
sich vor uns eine recht anmuthige Ebene öffnete, mit Korn- und Ko-
korutscbfeldern bedeckt, die von wilden Birnbäumen belebt and unter-
brochen wurden ; darauf folgten Weingärten mit Wallnufsbäumen. Das
dicke drohende Gewölk in unserem Rücken diente vor der Hand nur
dazu, die Beleuchtung im Vordergründe zu heben, während die jenseit
der Ebene aufsteigende, von den Türken nach dem nahe liegenden
Dorfe Kösiler-bair genannte Kuppe meinen Peilungen als Leitstern
diente. Eigentümlich machte sich daneben der inmitten der flachen
Ebene aufsteigende, in der Mitte zwischen zwei Höckern eingesattelte
und eben von diesem Umstände wie so viele gleichnamige Höhen be-
nannte Tschatal-tepe. Der Mehrzahl der eingeborenen Bulgaren schei-
nen die ganz abgesonderten Höhen des Kösiler-bair sich mit der viel
bedeutenderen Gruppe des Karädjä Dagh zu einer Höhengruppe in
vereinigen, und sie nennen dieselbe, offenbar wegen der Lage zu den
beiden höheren Gebirgsabhängen des Haemus und der Rhodope, das
Mittel- oder Hinter-Gebirge, Sred- oder Srednia Gora, während Andere
allerdings, wie z.B. der Verfasser der mehrfach erwähnten Beschrei-
bung von Philippopel, diesen Namen dem Kgsilär bair vorzugsweise
vorzubehalten und die andere mit dem besonderen Namen Karadjfi
Dagh zu bezeichnen scheinen. Mehrere Dörfer zeigten sich aus größe-
rer oder geringerer Entfernung in der Ebene, während ein ausgedehn-
ter Grabbof sich längs der Strafse hinzieht und vereinzelte Tumuli zur
Rechten weiter in die Vorzeit zurückgreifen; ja, wir passirten sogar
das Trümmerfeld einer ganzen Ortschaft aus dem Alterthum, aber ohne
Inschrift. Ueber dem Hauptgebirge kam jetzt der Moragedög mit sei*
ner leider in Wolken gehüllten Kuppe hervor.
Der Pitfs des Ab-dere*. - Krfrlowa. 3g
Wie wir so allmälich in die sich mehr ausbreitende Ebene hinein-
rückten, gewährte das hart am Fuise des Gebirges nahe vor einer das-
selbe tief einschneidenden Thalschlucht gelegene Eärlowa mit fünf
oder sechs schlanken Minarets (angeblich bat die Stadt fünf gröfsere
und zwei kleinere Moscheen und ist ein vorwiegend Moslemischer
Wohnsitz mit £ Mosleminen und { Christen) und einem reichen Baum-
schmuck in wärmster Sonnenbeleuchtung einen sehr schönen Anblick
und ich konnte es nach mehreren Winkeln genau eintragen. Nach
ihr wird diese ganze Ebene, wenigstens von den türkischen Landes-
herren, mit dem Namen Kariowa altschän öwasi bezeichnet, als „die
Thalebene unterhalb Kariowa". Auch das grofse gewerbthätige Dorf
Aktche Kalesi, das hinter und über der Stadt am Rande der Schlucht
liegt, war sichtbar. Die Schlucht, die selbst Sü-tchurüm deresi genannt
wird, eröffnet einem bedeutenden Gebirgswasser den Ausgang, scheint
sich aber etwas weiter aufwärts sehr zu verengen, so dafs der Bach
entweder wirklich unterirdisch oder wenigstens in engster Felsspalte
sich durchwinden mufs. Wenigstens erzählen die Eingeborenen Wunder
davon. Jedenfalls wird ein Besuch dieser Lokalität für einen künftigen
Reisenden sehr lohnend sein, besonders wenn er von hier nach Torjan
(richtiger als Trojan) durchdringt. Erst hier, in der Nähe des Dorfes
Menteschele war es auch, wo ich den wirklichen Charakter der Gruppe
des Karadjä Dagh völlig klar und deutlich übersah, indem wir nun gerade
seitwärts zur Längsachse derselben standen und die Streichung des gan-
zen Gebirgszuges mit scheinbar wirklich acht Längsthälern, ganz wie die
Türken es mir angegeben, klar übersahen. Das mit schönem Baumwuchs
gezierte Dorf Menteshele übrigens hat seinen Namen von einem gewis-
sen Mentesche, dem nach der Tradition der volksbeliebte Sultan
Murad II. dieses Dorf mitsammt den umliegenden zum erblichen Ge-
schenk machte, wefshalb dieses Besitz thum heut zu Tage, in 27 Por-
tionen getheilt, noch immer den Nachkommen jenes glücklichen Sterb-
lichen gehört. Besonders zur Linken entfaltete sich ein recht maleri-
sches Landschaftsbild. Aber der kleine Rücken mit aufspringenden
Felsen, der sich zur Rechten auf der Linie des Tschatal-tepe hin-
zog, schien die Ebene in zwei verschiedene Naturgebiete zu trennen;
denn , während vorher Alles ausgeackertes Nutz - und Ackerland ge-
wesen, war jenseit dieser Linie Alles mit Eichengebüsch bedeckt. So
erreichten wir die Ecke eines kleinen Granitzuges, an dessen Südfufs
in der Entfernung einer kleinen halben Stunde ein anderes warmes
Bad oder Lüdja liegt. Diese Lokalität hatte ich eigentlich besuchen
wollen, liefe mich jetzt aber davon abhalten und wandte mich direkt
nach dem von eben jenem Bad genannten, aber 20 M. — ••$■ Stunde davon
entfernten Türkischen Dorfe Lüdja koei, mit 80 Häusern und einem Mi*
naret. In Lüdja selbst nämlich wohnt Niemand; doch scheint aufser
40 Reise durch die Europäische Türkei.
den Qaellen auch das Badgebäude einiges Interesse zu verdienen,
da es aus Byzantinischer Zeit stammen solL Jedoch war es mir
unendlich lieb, dafs ich wenigstens darüber einen Besuch des Dor-
fes nicht versäumt hatte; denn der so eben fertige und in seinem neuen
Holzbau sehr saubere und schmucke, noch unbewohnte Khan gewährte
mir eine belohnende Aussicht nach mehreren Seiten und setzte mich
in den Stand, mein Winkelnetz sehr zu vervollständigen. Besonders
nahm sich Kariowa mit seinen aus dem Baumrahmen emporragen-
den Minarets auch von hier sehr schön aus; die von dorther kom-
mende gröfsere Strafte hatte sich mit der unsrigen an jener Granitecke
vereint.
Als wir von hier nach eingenommenem Kaffe unseren Marsch
fortsetzten und gleich hinter dem Dorf einen kleinen, unbedeutenderen
Bach passirt hatten, erreichten wir nach zehn Minuten den schönen
und reifsenden Gök-sü „Blauwasser a von etwa 20 Schritt Breite bei
10 Zoll Tiefe, der unzweifelhaft der tiefen Schlucht Sü-tchurum-deresi
von Kariowa enteilt und sich nach SO. der Maritch zuwendet; er ist
wohl sicherlich identisch mit der Rashka anderer Angaben. Die hier
rechts sich abzweigende Strafse nach Kösiler und Isar-lüdja scheint
geradeswegs nach Bazardjik zu führen; Kösiler hat, wie schon oben
angegeben, der höchsten Kuppe des von den Bulgaren eigentlich so-
genannten Mittelgebirges den Namen Kösiler bairi verschafft. Von
diesem Gebirge sah ich selbst allerdings nur wenig, eben nur die öst-
liche schmale Seite, und kann defshalb nicht über seine Ausdehnung
richtig urtheilen; jedoch bin ich überzeugt, dafs der Priester Konstan-
tin ihm zu grofse Bedeutung beilegt, indem er es zweimal so grofs
macht als den Karädjä Dagh, mit dem er doch, so weit ich urtheilen
kann, an Höhe gar nicht zu vergleichen ist. Wenn er es von Kopris-
titsa sich bis zum Hebros erstrecken läfst, so schliefst er offenbar
andere Hugelpartieen, wie den Ghazi bäba bairi mit in diese Er-
hebungslinie ein. Die zweiseitige Kultur des Landes vergegenwärtigte
sich uns hier; Birnen aus einem der Mohammedanischen Dörfer zogen in
unserer Richtung, Rakf aus einem christlichen Dorf kam uns entgegen.
Wir überstiegen jetzt einen kleinen Schieferrücken, der den Gök-sü
von einem, dem Mittelgebirge entquellenden, viel sanfteren und unbe-
deutenderen Bache trennt, in dessen kleiner Senkung in einiger Ent-
fernung zur Rechten das Dorf Mualle lag; steil eingefallene Felsriffe
durchsetzen dasselbe. Der diese Senkung nach Westen begrenzende
Rücken bot eine Ansicht der entfernteren Kette des Bogdän Balkan,
aber leider waren die höheren Kuppen wieder in Wolken gehüllt, also
für Peilungen nichts zu machen ; von ihm stiegen wir dann in ein aus-
gerissenes Terrain hinab, eine Art von Pafsverengung zwischen den
Die Ebene von Kariowa. — Der Pafs von Tchükurlö. 41
von beiden Seiten hier convergirenden Hügelketten zu, an deren Fufe
je ein Bach herunterßiefst, wo sich dann beide vor der Verengung zu
einem gemeinsamen Gewässer vereinen. Der Pafs wird zur Linken von
einer ziemlich hoch ansteigenden Kuppe Pes-ncpol tepe überragt; an
der rechten Hügelseite liegt, hart hinter seiner Oeffnung nach SW. 5
das bulgarische Dorf Tchükurlö von 60 Häusern. Hier machten wir
Mittagsrast. Wäre das Wetter ganz klar gewesen, so hätte ich zur Er-
reichung meines Hauptzweckes nichts Wichtigeres zu thun gehabt, als
jene kleine Kuppe zu besteigen, die ihrer mittleren Lage wegen eine sehr
umfassende Aussicht nach allen Seiten eröffnet; auch so noch wäre
es der Mühe werth gewesen, aber ich liefe mich durch die von un-
serem Reiter übertriebene Entfernung unseres Nachtquartiers davon
abhalten. Oben sollen sich die Ruinen eines aus Feldsteinen gebauten
Kastelies befinden, das von den Anwohnern natürlich den Djenowlz
beigelegt wird; seine Lage hier erklärt sich von selbst.
Um 1 Uhr 20 Minuten setzten wir unseren Marsch fort durch die
sich wieder ausbauchende und leicht ansteigende Thalebene, an deren
Rändern, nach den Hügeln zu, Rosenpflanzungen sich hinzogen, wäh-
rend links in einer kleinen Seitenöffnung das Dorf Dare-obä lag.
Eine Viertelstunde von Tchükurlö liegt auf den Hügeln zur Rechten
ein zerstörtes Kastell, genannt Islar-kalesi ')* an das sich die Sage
von zwei Königskindern knüpft, von denen das eine hier, das andere
in Philippopel residirte und die sich über die Grenzen ihres Herr-
schaftsbezirkes zankten. Wohl war hier in alter ugrischer Bulgarenzeit
ein Hauptsitz und stehen damit die Hügelgräber auf den Kanten der
beiden Hügelreihen gegen die grofse Ebene, drei zur Linken nnd drei
ztur Rechten, in Verbindung; auch nach SW. ragten zwei sehr grofse
Tumuli aus der Ebene empor.
Jetzt öffnet sich die Ebene ; zur Linken zieht sich der bisher nahe
Steilabfall des Karadjä Dagh stets weiter zurück, zur Rechten sieht
man noch einige Dörfer, unter ihnen auch das „ Räuberdorf a Hai-
düd mahalesi, das an die Fährlichkeiten früherer Zeiten erinnert,
wo dieses westliche Mittelgebirge für den Verkehr eben so gefahrlich
war, wie das östliche, der Karadjä Dagh, es noch gegenwärtig ist.
Der Pfad spaltet sich eine Weile; wir folgten dem westlichen Arm
deaeelben nnd passirten den „ Mühlbach tt auf der Westseite des weit
') In der Nähe, wahrscheinlich in einer Thalsenkung am östlichen Fufse die-
ser Hohe, liegt wol das vorhin erwähnte Islär Lüdja\ das identisch mit dem Litsalslr
des Priesters von Philippopel zu sein scheint, der es (1819) als einen grofsen Badeort
mit stattlichen Baderäumen, wahrscheinlich aus Justinian's Zeit stammend, beschreibt,
4 Stunden von Kopristitsa nach Philippopel zu. Dahin führt auch die demselben
auf seiner Kartenskizze angewiesene Lage am östlichen Fufs des fidaov oqoq.
42 Reise durch die Europäische Türkei
aus einander liegenden „ Mühlendorfes tt Dilmen mabalesi. Nachdem wir
hier einen kurzen Halt gemacht und die Pferde getränkt hatten, setz-
ten wir unseren Marsch fort; die Landschaft wird hier Öde and trocken,
wird aber nach einer halben Stande hügeliger, wo ein zwischen zwei
kleinen Erdhügeln gelegenes Wachthaas dem Verkehr Sicherheit ge-
währt Jenseit desselben tritt die „schwarze Dammerde" auf, die dem
Dorfe Kara-topräk den Namen gegeben hat, wo wir bald eintrafen.
Sehr enttäuscht war ich, als ich zu so früher Stunde das Nachtquar-
tier erreichte, das noch dazu in so unerfreulicher, einförmiger Gegend
lag. In der That ward ich lebhaft an meinen Afrikanischen Firkiboden
erinnert, der auch ganz wie dieser je nach der Jahreszeit bald in tiefen
Spalten aufklafft, bald einen fast unpassirbaren Morast bildet. Und
nun kam noch dazu, dafs der Chändjf gar nicht anwesend war und
wir sehr lange warten mufsten. Im Uebrigen war der Khan erträglich
und öffnete sich mit weiter Holzhalle auf den geräumigen Plata, der
Kirche gegenüber, der übrigens auch, wie deutlich zu erkennen, nach
heftigen Regengüssen einen einzigen grofsen Sumpf bilden mufs. Um
mir die Zeit zu vertreiben , stattete ich der Kirche einen Besuch ab.
Von Säulenhallen umgeben liegt sie in einem von Mauern umschlos-
senen gröfseren Hofraum, wo auch der Priester eine ganz anständige
Wohnung hat. Auch das Innere der Kirche ist ganz nett, mit nach
Korinthischer Ordnung bemalten Säulen; es war gerade Messe, und
obgleich nur ein einziger Zuhörer zugegen war, gingen die beiden
Geistlichen durch alle Faxereien des Griechischen Ritus, die mir hier
in dieser kleinen Gemeinde mehr auffielen als je. Dafs übrigens nicht
mehr Andächtige sich eingefunden, wirft eben keinen Vorwurf religiöser
Gleichgiltigkeit auf die Gemeinde; der Grund war die frühe Vormitttags
stunde, wo Jeder noch seinem Geschäft nachging. Das Dorf hat
wohl 200 Wohnungen und die Bewohner haben neben ausgedehntem
Kornbau einen ansehnlichen Besitzstand von Vieh. Sie scheinen wohl-
habend zu sein und benahmen sich höchst unabhängig und selbststän-
dig; ja man konnte wahrnehmen, dafs etwas unter ihnen gährte. Es
waren insgesammt völlig asiatische Gestalten, kurz und gedrungen,
mit breiten und geistlosen, fast mongolischen Physiognomien; nichts
von slavischen] Blut. Sehr erwünscht war es mir, dafs sich, nachdem
es schon am Nachmittage etwas geregnet hatte, gegen Abend ein hef-
tiger Regen entlud, da er schon die beiden letzten Tage in der Luft
gehangen und mir die Fernsicht nach den höheren Bergkuppen ver-
dorben hatte.
Nachdem wir schon sehr früh zu Gange gewesen, aber wohl ge-
warnt waren, nicht vor Tageshelle aufzubrechen, verliefsen wir unser
Quartier um 5 Uhr. Der jetzt vom letzten Regen in eben nur vortheilhaf-
Die Schwarz-Ebene, Kara-toprik. — Großartiger Anblick ton Philippopel. 43
ter Weise angefeuchtete schwarze Boden ward nach halbstündigem
Marsch etwas heller. Bald hat man deutlich die aus dieser kahlen Ebene
aufsteigende alte Macedonische Zwingburg Tbraciens, das Römische Tri-
montium vor sich, und wir hielten uns ziemlich gerade auf den scheinba-
ren Sattel zwischen den beiden höheren Granitkuppen zu, indem wir meh-
rere Dörfer zu den Seiten liefsen. So erreichten wir nach drittehalbstün-
digem Marsch die Kumln-dere ') genannte flachsandige und zur Zeit
trockene Sohle und machten dann eine kurze viertelstündige Kafferast im
Khan an der SW.-Ecke des lang hingestreckten Dorfes Tchir-polü, wo mir
wiederum, wie in den meisten dieser Dörfer, die grofse Menge der kale-
kutschen Hühner auffiel. Von hier aus nun entwickelte sich immer mehr
die herrliche Lage der an die Felshügel angelehnten Pbilippstadt, und
„von fern her leuchtete sie in ihrer Schönheit 44 '). Denn noch immer war
sie fern. Eine gute Marschstunde, nachdem wir wieder aufgebrochen, ver-
änderte sich der Charakter der Landschaft; sie ward sumpfig und bildete
den berühmten Reisboden von Füibe und Bazardjik, der dieser Ebene au-
fser anderen Vortheilen eine grofse Bedeutung verleiht. Ein als Bewässe-
rungskanal benutzter Bach flofs uns zur Linken. So erreichten wir, einige
Erdhügel zur Seite lassend, von denen der eine Mauerwerk trug, endlich
um 9 Uhr 20 Minuten die Vorstadt von Philippopel, die sich auf der Nord-
seite der Maritch vor der eigentlichen Stadt vorlagert. So ist sie aller-
dings von Natur ein Pera, d.h. niqav Jenseit 44 des Wassers gelegen
(von der Binnenstadt aus betrachtet) 3 ), heifst aber in Wirklichkeit
nicht, wie auf den Karten angegeben, Pera, sondern Käshiak; ob dieser
Name mit dem Bulgarischen käs he "Brei 44 zusammenhängt, kann ich
nicht sagen, jedenfalls aber waren die Strafsen schon jetzt nach dem
wenigen gefallenen Regen mit so breiartigem tiefen Koth erfüllt, dafs
dieser Umstand im Winter wohl Anlafs zu einem derartigen Na-
men geben könnte. Hier war es, wo ich zum ersten Mal den altbe-
') Es ist entschieden das auf Kiepert's Karte Kam- sfi- der e genannte Wasser.
a ) n6$$cj&ev ovv anolafiTCsi rb xdXXog sagt Hermes von ihr in dem Dialog 8oa-
nercu des Lukian, dessen ganze auf sie bezügliche interessante Stelle ich hierher setzen
will b^ars — Svo piv oqrj us'ytara xai xaXkiara b^cov anarrcov, Alp.bg iaxt
rb pei£ov, ij xaravrix^v 8i PoBonrj, neSiov Si v7t07ie7trafievov nafttpoQov, anb
rärr itQonoSoov exaregmv (von den Vorhügeln der beiden im N. nnd S. die Ebene
umschließenden Bergketten) sv&vg aq^apevov xai tivag 'kixpQvg rpeie naw xaiovg
aveoiTjxoTae ovx ctfioopove ttjv r^axvrrjra (ein dem klassischen Alterthmne, mit
Ausnahme vielleicht des Sophokles, sehr fremdes feines GeftLhl für Naturschönhei-
ten) olov axoonbXtis nokXag rrje vnoxetfidvfjg noXe&fg — worauf Hermes sagt
„bei Gott" fuyunrj xai xaXkioxr] anaaäv nofätofrev ovv anolapnei rb xaXXos
xai rig xai norcLfiog fieyurrog naQapeißerai, navv &*> XQ<P xpavmv avrijg.
*) So z. B. drückt sich der Verfasser des iy^siolStov aus, S. 27 rb niqav
rov norafiov xslfierov rrjg noXesog pspoe, und für ihn ist es ganz natürlich, dafs
er nieht 4en angriechiscneo tfamen Reshiak; auffuhrt.
44 Reise durch die Europäische Türkei. ■ ' '
rühmten Hebros kennen lernte, und da ich ihn mir hier nicht so be-
deutend gedacht hatte, machte er, während ich die lange Holzbrücke
passirte, mit seinen ansehnlichen Kornflöfsen einen tiefen Eindruck
auf mich, und wirklich könnte dieser Strom dem reichen Lande einen
ungeheuren Vortheil gewähren, wenn für seine Schi ff bar machung auch
nur das Geringste geschähe und wenn der unglückliche Hafen von
Aenos, wo er ausmundet, nicht gänzlicher Versandung, eben dieser
Ausmündung halber, entgegenginge. Ueber letzteren Punkt konnte mir
mein eben aus diesem Aenos stammender Dragoman Rossi die belste
Auskunft geben. Allerdings ist der Lauf dieses Flusses etwas gewun*
den und nicht eben die geradeste kürzeste Verbindung des Binnenlandes
mit dem Meere, dafür aber verbindet er auch die beiden gewerbreich«-
sten und bedeutendsten Städte Philoppopel und Adrianopel. Das Hin-
abflöfsen des Getreides von hier bis Aenos kostet per Kim (60 Okken)
35 Piaster, ein sehr hoher Preis. Man hat wiederholt von einer Dampf-
schifffahrtsverbindung gesprochen, aber bis jetzt ist es noch bei dem
Vorhaben geblieben.
Wir betraten nun die eigentliche Stadt, die nicht eben ansehnliches
Leben zeigte, weil der gröfste Theil der gewerbthätigen Einwohner mhV
sammt dem Pascha selbst zur grofsartigen Jahresmesse bei Osnndja
Owä, halbwegs zwischen den beiden grofsen Emporien sich entfernt
hatten; aber um so gröfser war die Zahl des mit Bezug auf die Er-
eignisse in Servien hier einquartirten Militärs und den besten Khan
fanden wir ganz von der Kavallerie in Anspruch genommen, so da£s
wir uns nach einem weniger guten zur Seite der grofsen Moschee bege-
ben mufsten, der freilich geräumig war, aber nicht eben behagliche Käm-
mern enthielt Da ich von dem Amerikanischen Missionar in Trnowa
wufste, dafs hier eine Amerikanische Mission war und sogar einen Brief
zur Beförderung von ihm erhalten hatte, da ich aufserdem von diesen
Herren auf meiner früheren Reise in Tökat grofse Freundlichkeit er-
fahren, machte ich das, nachdem ich mich angekleidet, zu meinem
ersten Gang; aber ich war hier nicht begünstigt. Mr. Trowbridge, an
den der Brief adressirt war, war mit dem früher hier residirenden
Englischen Vice -Konsul (Mr. Blunt) nach Adrianopel übergesiedelt und
der gegenwärtige Missionar, Mr. Clerk hielt gerade Gottesdienst. Auch
war der trübe Eindruck des vor 3 Monaten auf der Reise nach Adria-
nopel bei Charmanly von einer Räuberbande ermordeten Hauptes der
Mission Mr. Meriam natürlich noch frisch in der Erinnerung. Ich
wandte mich also um einige Auskunft an den Oesterreichischen Kon-
sul, einen Italiäner, fand hier aber vollkommenes Pantoffelregiment
der Frau Konsulin und gar keine Information, noch weniger Zuvor-
kommenheit. Ich folgte also meinem eigenen Instinkt und gelangte längs
Der Hebros. — Amerikanische Mission. — Die alte Zwingburg. 45
dieser, von der Moschee gemach ansteigenden and mit meist stattlichen
Gebäuden, die zum Theil von hübschen kleinen Gärten umgeben waren,
besetzten Strafse, nach dem höchsten und ältesten Stadttheil, dem eigent-
lichen „Grad", auf einer der drei Granitkuppen aufgebaut, die hier auf
der Ostseite die Stadt abschliefsen und ihr, wie im Alterthum den be-
deutsamen Namen Trimontium verschafften, so überhaupt ihre eigentliche
Städtische Bedeutung verliehen. Hier oben tritt man ganz frei aus den
Baulichkeiten hinaus auf die Kante der Klippe, die steil mit wohl hun-
dert Fufs in die sumpfige Ebene nahe über dem Flufs abfällt und einen
weiten Blick nach N. und NO. gewährt, jedoch nur bis zu den näch-
sten, die Thalebene umsäumenden, Hügelrändern. In früherer Zeit war
dies jedenfalls der festeste Punkt der Zwingburg; jetzt ist die Stadt
auf allen Seiten offen und dieser hochliegende Stadttheil wird besonders
von den Vornehmen und Reichen gesucht, weil er aufserdem, dafs er
Prachtbauten auf grofse Entfernung sichtbar macht, auch in Betreff der
Gesundheit bevorzugt ist; der tiefer liegende Stadttheil kann schon
der umgebenden Reisfelder wegen nicht sehr gesund sein. Da ich nun
aber von hier aus keinen so umfassenden Blick erlangte, wie ich
wünschte, beschlofs ich, den Glockenturm zu besteigen, den ich schon
von unserem Khan aus beobachtet hatte. Dieser Glockenthurm steht
auf einer anderen, aber viel geringeren und unregelmäfsigeren Granit-
erhebung in der Mitte der Südseite der Stadt, die sich jedoch auf bei-
den Seiten desselben noch etwas ausbaucht.
Da ich schon wiederholt von diesen einzelnen Granitkuppen ge-
sprochen habe, so ist hier wol eben der geeignete Platz, von der Anzahl
jener Kuppen überhaupt, die der Stadt ihr eigentliches Gepräge geben,
zu sprechen. Ich selbst habe ganz bestimmt nur fünf Kuppen unter-
scheiden können; 1) die eben vorher beschriebene, 2) eine andere, hart
im Süden an jene sich anreihende und von nur schmalem Einschnitt
getrennte, die im Ganzen wol noch regelmäfsiger ist und zu derselben
Höhe ansteigt mit Längendurchmesser von N. nach S., während jene
mehr von WNW. nach OSO. streicht; diese zweite Kuppe aber ist bis
an den Rand so bebaut, dafs sie von der oberen Strafse keinen Um-
blick zu gewähren scheint, während die längs der Kante gebauten Häu-
ser allerdings einen prächtigen Blick auf die Rhodope gewähren müs-
sen. Diese beiden eben erwähnten, die Stadt östlich begränzenden Gra-
nithügel bildeten meiner Ansicht nach mit der kleinen Kuppe, die von
dem darauf errichteten Glockenthurm den Italiänischen Namen Cam-
pana erhalten hat, das so natürlich und plastisch genannte Trimontium,
auf das sich die alte Stadt beschränkte, während das neue Philippo-
pel nach W. weit über diesen Campanahügei hinübergreift und noch
auf den nördlichen Fufe der nördlicheren der beiden ungleich gröfseren
46 Reise durch die Europäische Türkei.
und höheren Granitkuppen hinansteigt, die sich im SW. der Stadt vor-
lagern. Diese Kuppe kann man nach einer weiterhin zu erwähnenden
Inschrift den Herakleshügel nennen.
Dies ist meine, durch einen allerdings etwas flüchtigen Besuch ge-
wonnene, jedoch klare Uebersicht dieses Stadtterrains. Damit aber kann
ich nun die erst nach meiner Rückkehr erkannte und leider nicht an Ort
und Fleck controlirte Beschreibung des Priesters von Philippopel ' ) nicht
in Einklang bringen. Dieser Mann spricht nämlich in allerdings sehr an-
klarer Weise von sieben Hügeln; erstlich von einer Gruppe von drei
Hügeln, von denen er den südsüdöstlichsten, offenbar den in meiner
Beschreibung zweiten, Tsampas tepesi oder Xoyog ttop a%onroßajG)f
nennt, weil hier die Seiltänzer ihre Künste zu machen pflegten; dann
den mittleren nach N. sich daran schließenden, der inmitten der Stadt
liege, Nempet tepesi, von der hier bei den Moslemischen Festfeiern
Statt findenden Musik, und endlich den dritten, der nach W. Hege,
Taksim tepesi nennt, weil von hier aus in früherer Zeit die von Mar-
koba hergeleiteten Quellwasser der Rhodope durch unterirdische Röh-
renleitungen, die später bei der Einnahme der Stadt zerstört 'wurden,
in die verschiedenen Quartiere vertbeilt worden seien. — Aufs er die-
sen Gruppen von drei Hügeln, die nach seiner Ansicht wol das alte
Trimontium gebildet haben, spricht er nun noch von vier Hügeln, erstr
lieh dem oben erwähnten Campairahügel, den ich in das alte Trimon-
tium einschliefee, zweitens einen von einer lebendigen Quelle Kgtjng
oder Bunardjik genannten Hügel, dann einen dritten, den er nach dem
in Fels gearbeiteten Grab des Kral Markos Xocpog rov Kgadij M&qhw
nennt, und endlich den vierten, den er als den gröfsten dieser vier Hü-
gel bezeichnet und als durch seine pyramidale Gestalt (nvQafioeidijv) aus-
gezeichnet beschreibt und auf Griechisch Xoyog teaf ÖQvddwp Nvfupmt,
auf Türkisch Tsinten tepesi nennt. Da nun von dieser zweiten Gruppe
von 4 Hügeln jetzt zwei bewohnt seien, nämlich die Campana und die
Krenis, so sei die Stadt zur Zeit vielmehr eine fünf hügelige zu nen-
nen 3 ). Diese Beschreibung ist nur so zu erklären, dafs sich von der,
bei mir in zweiter Stelle beschriebenen, Granitkuppe, die ich allerdings
nicht genau untersucht habe, eine westliche Gliederung abtrennt and
dann auch der nach Norden nach dem Flufs zu wieder etwas anstei-
gende Fufs der Herakleskuppe als besonderer Hügel angesehen wird.
Einen entschiedenen Fehler aber begeht der Priester, wenn er die
letzteren vier Hügel im Allgemeinen als kleiner bezeichnet, während
1 ) fyx e H?tö lOV ntdfi *V S &itaQ%ias <PiXmrtovn6Xecoe — vno — Kcovaravrl-
vov leos'cog <PtXi7i7tov7toXiTOv. 1819.
2 ) Kai 8<mv t}8tj tj itbXvt a>e %inelv nevraXopoe.
Die Anzahl der Granithügel. — - Historische Bedeutung Philippopels. -47
das nur die zwei zuletzt beschriebenen betrifft, da die beiden an-
deren im Gegentheil selbst die gröfsten der zuerst beschriebenen Kup-
pen fast um das Dreifache an Höhe und Umfang übertreffen.
. . Vergegenwärtigen wir uns nun die Gründung und eigentliche Be-
deutung dieser Stadt. Es war ein grofser Schritt des Makedonischen
Philipp, hier im Thrakischen Binnenlande, in der weiten Ebene des
Hebrps eine durch eigene Lage geschützte feste Stadt anzulegen und
schlofs sie sich unzweifelhaft eng an die Gründung von Philippoi im
unteren Thale des Nestos, nahe den militärisch so wichtigen Sapäi-
schen Pässen der Küstenebene an. Natürlich konnte der Aufenthalt
in einem so unter die feindlichen Barbaren vorgeschobenen, stets be-
drohten militärischen Posten kein eben sehr angenehmer sein und
ward er wahrscheinlich auch besonders zur Verbannung und als Straf-
anstalt benutzt und erhielt daher den Beinamen JJov^QonoXig. Später
schwang sie sich als Haupt des Römischen Thraciens zu einer sehr
bedeutenden Stadt auf und stand noch selbst nach grausamster Ver-
nichtung durch die Gothen im höchsten Glanz (noXig öavpaait) aya.v
nennt sie Akropolita) , als der Bulgarenkönig Joannes Romaioktonos
sie abermals zerstörte.
Nach diesen Bemerkungen kehren wir zum Glockenthurm zurück,
der sich vereinzelt auf dem niedrigeren Granithügel erhebt, auf den
die von Keschiak herkommende Hauptstrafse ziemlich gerade zufuhrt
und dann an seinem östlichen Fufse ausbiegt. Schon von dem Fufs
des Thurmes aus gewann ich nicht allein einen sehr klaren Blick über
das ganze Stadtterrain, sondern auch über die Ebene im Süden und
die schönen Abhänge der Rhodope. Da ich nun geraume Zeit auf
den Thurm Wächter warten mufste, vergnügte ich mich mittlerweile an
dem ländlichen Tanz einer Anzahl Arbeiterinnen, die bei dem am süd-
westlichen Fufs der südöstlichen Granitkuppe (Psampäs tepesi) abge-
sondert liegenden vorstädtischen Quartier Yeni mahale von ihrer Ernte-
arbeit rasteten und trotz der keineswegs geringen Mittagswärme mit
unermüdlichem Eifer ihrem Tanzvergnügen im Freien oblagen ; es be-
stand übrigens in einer von Gesang begleiteten regelmäfsigen Vorwärts-
und Rückwärtsbewegung der beiden Flügel der Tänzerreihen. Nur
selten wird der Reisende Zeuge, solcher einfachen Volksbelustigungen
unter Türkischer Herrschaft. Endlich kam der Thurmwächter mit dem
Schlüssel und wir stiegen oder kletterten hinauf; leider aber bat der
Thurm oben gar keinen freien Austritt, sondern ich mufste in höchst
') Sehr plastisch und richtig nennt der Priester dies eine dtaotpdg. Auch seine
allgemeine Beschreibung der so scharf gesonderten Ausläufer der Rhodope ist vor-
trefflich ivjbvfrev ri 'Po86nrj a^via* exxQovstv atoei ttladovs rtvag ffjigo-
fiivovi xai %a>ipQnUvovi vno %tma$(i<av xai noxafubv.
48 Reite durch die Earopäische Türkei.
unbequemer Stellung meine Winkel nehmen, die sich vom östlichen
scheinbaren Anfang der Rhodope über den tiefen Einschnitt *) des auch
geschichtlich im Volksleben dieses Landes höchst interessanten Thaies
Stenemaka (die herrliche Kojfjoxoh*; von Philippopel, wie der Priester
Konstantin sie nennt) und Märkowa bis Dirmen-dere erstreckten und die
von hier scheinbar höchste Kuppe Timresch (in S. 35 W.) einschlofsen.
Die Gehänge machten aus der Ferne einen so frischen malerischen Ein-
druck, dafs ich beschlofs, einen kleinen Ausflug dorthin zu machen.
Der Glockenturm hügel bildet, wie gesagt, den natürlichen Abseht u& der
heutigen Stadt an der Mitte ihrer Sudseite und zwischen ihm und dem
O^tflufe der höheren Herakleskuppe breitet sich der (moslemische?)
Grabhof aus. Ich erstieg von hier aus den Abfall der sehr rauhen und
schön gezeichneten Kuppe und war nicht wenig erstaunt, ihn ganz in
sorgsam aus Quadern aufgebauten kunstlichen Terrassen und Gängen
ausgelegt zu finden, auf denen, wie mir der mich begleitende ChSndjI
erzählte, die Bewohner der Stadt sich an Feiertagen behaglich und
beschaulich niederlassen. Auffallend ist es, dafs der klare, aber etwas
wortkarge Priester ihrer nicht erwähnt Selbst heute, am Nachmittage,
safsen hier einige Partien in stiller Beschaulichkeit. Der Charakter
der Bevölkerung von Philippopel scheint überhaupt ein sehr löblicher
und trefflicher zu sein, und scheinen die Christen, obgleich nur in be-
deutender Minderheit, etwa T 3 y zu -f— neben -j\ Juden und Zigeunern,
sich mit den Moslemin gut zu vertragen und von ihnen geachtet zu
sein. Uebrigens sind die hiesigen Christen keineswegs insgesammt
Bulgaren, sondern die Zin zarischen Griechen sollen fast eben so zahl-
reich sein, wefshalh auch in allen Schulen Griechisch gelehrt wird.
Das Vergnügen dieses Luftbades mufs sich übrigens fast ausschliesslich
auf die Ansicht der schönen Gebirgsformen und der Stadt selbst be-
schränken und besonders macht sich der Mangel an Schatten fühlbar.
Auf dieser der Wetter -Seite ist diese Kuppe übrigens äufserst rauh
und kantig, während sie auf der Westseite mit Rasenteppich bis last
auf den Gipfel bedeckt einen ungleich gemacheren Anstieg gewährt;
Um den Herrn Clerk vor dem Abendgottesdienst zu sprechen, setzte
ich dies Mal meinen Spaziergang nicht weiter fort, sondern kehrte in
die Stadt zurück. Es ist eine eigentümliche Erscheinung, diese Ame-
rikanischen Missionare in den Städten des Orients; selbst jetzt noch,
wo doch daheim bei ihnen Alles aus den Fugen zu sein scheint, halten
sie diese kostspieligen Institute aufrecht in Ländern, wo doch eine
bestimmte Staats- und Religionsform herrscht, um ihre reinere An-
schauung geltend zu machen. Clerk war nicht gerade ein Weltmann, wio
sein früherer College in Tokat, aber auch keineswegs ein blofser Frömm-
ler 5 über Land und Volk allerdings konnte er nicht viel Auskunft
Aussicht vom Glockenturm. — «. Stillleben. — Ausflug in die Rhodope. 49
geben,, 4a er ganz ohne Kenntnifs der Bulgarischen Sprache vor drei
Jahren hergekommen war und sich erst hier in dieselbe hineingear-
beitet hatte. Was höchst lobenswerth und allerdings wesentlich bei
diesen, einem fremden Lande zum Muster hingestellten Missionaren
ist, man findet bei ihnen stets ein behagliches Familienleben. Wir
verabredeten einen Ausritt ins Gebirge zu morgen und ich blieb zum
Thee.
Nachdem ich also in der Frühe des folgenden Morgens einige
Briefe beendet, die ich von dieser gröfseren Poststation nach Hause
zu senden wünschte, begab ich mich wieder in die Mission, fand Herrn
Clerk jedoch noch bei der Morgenübung, worauf auch das kleine Kaffe-
frühstück mit einem unendlich langen Gebet eingeleitet wurde, da»
mir eben defshalb unpassend schien. Bald nach 8 Uhr stiegen wir
zu Pferde; Herr Clerk hatte zwei recht gute Apfelschimmel, die er
auch als Wagenpferde benutzte und mit denen er in einem Tage von
hier nach Eski Zaghra gefahren war, was auf den nicht eben chaus-
sirten Wegen allerdings etwas sagen will. Auch machten wir bald genug
Gebrauch von der Kraft und Schnelligkeit der Thiere und erreichten
so, die beiden Granithöhen auf der Ostseite umgehend, das „Mühlen-
thal* Dirmen-deresi, dessen Eingang ich vom Glockenthurm aus ge-
peilt hatte. Es ist kahl und ohne Baumschmuck und seine schmale
Sohle das nasse schmutzige Bett des ungeregelten Bergstromes. Auch
das gleichnamige Dorf ' ), das sich bald hinter dem Thaleingang lang und
schmal zu beiden Seiten hinzieht, machte eben keinen freundlichen Ein-
druck und wir ritten ohne Aufenthalt hindurch, um einen wohlhabenden
Bulgaren zu besuchen, der hier in der Erweiterung des Thaies hinter
dem Dorfe ein kleines Gut oder Tschiftlik besitzt. Eigentlich jedoch ist
es blofg ein recht behaglich und nett eingerichtetes Landhaus mit Gär-
ten und Brennerei. Der Besitzer war ein. höchst liebenswürdiger alter
Herr, sauber und wohlhäbig angethan mit pelzgefüttertem Kaftan, der
uns mit Freundlichkeit empfing und sich in seinem Blumengarten zu uns
setzte. Sein Leben und seine Verhältnisse geben ein lebhaftes Bild des
Landes. Vor vier Jahren nämlich tödteten die Raubbanden der Umge-:
gend seinen einzigen Sohn 3 ) und da er in der Verzweiflung eines ver-
waisten Vaters, dem nur noch die Schwiegertochter mit 2 Enkeln übrig
blieb, Alles in Bewegung setzte, um die Thfiter zur Strafe zu ziehen und
1 ) Die Eingeborenen scheinen zwei Dörfer zu unterscheiden, zuerst dieses in
der Thalsohle liegende und dann ein zweites, das auf der westlichen Höhe liegt..
Dem letzteren allein scheint der Name Der&rji-koei zuzukommen.
9 ) Das ist ein schlagendes Beispiel unter vielen, dafs im Allgemeinen diese
Banden kein nationales Ziel verfolgen, indem sie nur dem herrschenden fremden
Stamme zu schaden suchten, sondern es allein auf Baub und Plünderung absehen, 1
4
50 Reise durch die Europäische Türkei.
ihm dies auch zum Theil gelang, schwuren diese Banden auch ihm selbst
Verderben, und ist sein Leben in Folge dessen dermafsen bedroht, dafe
er kaum sein Gehöft, auf dem er mehrere stets bewaffnete Kauassen hält,
zu verlassen im Stande ist; so hatten sie aus Rache an ihm denn auch
vor kurzer Zeit einer Karawane aufgelauert, mit der ein sehr schönes
und äufserst theures Rofs für ihn von Stambul kam und hatten sich
desselben bemeistert. Auch die verwittwete Schwiegertochter, eine gut-
aussehende junge Frau, stellte sich ein und begrüfste uns ; Alles machte
den angenehmsten Eindruck eines im Innern vollkommenen, nur durch
äufseres tragisches Loos zerrissenen Familienglücks. In jüngeren Jah-
ren hatte er viele Reisen von hier ins Gebirge hinein gemacht und
hätte in längerem Verkehr viel Aufklärung und allgemeine Berichtigung
über die noch so ungenügend bekannten Gruppen und Thäler der Rho-
dope geben können ; kurz jedoch wie unser Besuch war, lernte ich von
ihm die Namen mehrerer gröfserer Gebirgsdistrikte oder kadhä; so nannte
er von hier in der Richtung nach Kauala, eben jener wichtigen Küsten-
stadt, in der Nähe des alten Philippi, und Geburtsstadt des Egyptiscben
Napoleon (Mohammed c Ali), die folgenden drei Distrikte: zuerst Rubtchus,
das den ganzen nördlichen Abfall dieses Gebirgsabschnittes bis östlich
nach Stenemäka zu begreifen scheint, dann Akhir-Tschelebi, dann Yeni
Djak, von wo man den Distrikt von Kauala betritt. Er liefe uns
dann in seinem Weingarten herumfuhren und mulsten wir von den
Trauben kosten, die übrigens keineswegs einen sehr feinen Geschmack
hatten, sondern mehr wässerig waren. Darauf wurden wir in die gröfete
Merkwürdigkeit dieses Etablissements gefuhrt, — die Fabrika. Schon
lange vorher hatte ich von dieser „Fabrika" gehört und mir darunter
alles Mögliche gedacht, aber am wahrscheinlichsten hielt ich es für
eine Fabrik nach der Bedeutung, die wir damit verbinden. Für den
christlichen Bulgaren und Griechen aber, für den das höchste aller irdi-
schen und überirdischen Genüsse sein Raki ist, bezeichnet diese Fabrik
nur i^oxtjp eine Branntweinbrennerei. Jedenfalls aber war das Gebäude
eines Besuches werth und zeigte, wessen diese Leute fähig sind, wenn
ihr Augenmerk erst auf höhere Dinge gerichtet würde. Es war ein
sehr zweckmässig eingerichtetes und sauber gehaltenes geräumiges Lo-
kal mit Kessel und Allem in befster Anordnung. Ueber die technische
Einrichtung habe ich kein Urtheil, erstaunen aber that ich über ein
kolossales Fafs, das nach der Angabe des uns herumführenden Kauas
16,000 Okken fafst; noch gröfser aber war der offene Behälter daneben
und für 70,000 Okken Branntwein eingerichtet. Natürlich mutsten wir
von dem Produkt der besseren Qualität kosten ; es war sehr guter Mas-
tico, in dessen Erzeugung die Bulgaren und Griechen dieser Länder
überhaupt sich auszeichnen.
Geschichte eines vornehmen Bulgaren. — Dorf Izvor. 51
Nachdem wir dann herzlichen Abschied von unserem freundlich
melancholischen Alten genommen, setzten wir unseren Ritt fort. Zu-
erst verfolgten wir noch eine Weile das Thal aufwärts nach S. 30 W.
längs der linken Thal wand, wo sich der wohlbetretene Pfad ins Gebirge
hineinzieht; dann verliefsen wir dieses Haupthai und wandten uns, mit
S. 30 O., ein zuerst offenes, aber rauhes und unwirthlicbes, von kleinem
Bach durchflossenes Seitenthal, nach Ost hinein und stiegen an dessen
Ende, wo es sich sehr verengt, nach S.O. hinaus steil auf die vom
letztnächtlichen Regen schlüpfrigen Höhen. Uebrigens war dies, allem
Anschein nach, der erste Herbstregen gewesen, denn das ganze ent-
schiedene Schieferterrain hatte einen höchst trockenen Anstrich und
stand noch völlig im dürren Sommerkleide, indem einförmiges Unter-
holz das Ganze bekleidete. Indem wir bald auf-, bald abstiegen, er-
reichten wir das Dorf Izvor. Izvor, izvor a beifst auf Bulgarisch „die
Quelle" und liegt das Dorf anmuthig zerstreut in stark gewelltem, mit
Fruchtbäumen, besonders Kirsch- und Wallnufsbäumen, besetzten Hü-
gellande, etwa 1200 Fufs über dem Thalboden von Filibe, am Fufse des
bis etwa 3000 Fufs höher ansteigenden Berggehänges. Ich beabsich-
tigte eben nichts weiter, als einen leichten Einblick in dieses Terrain,
und da es viel später geworden, als ich gewähnt, machten wir uns
ohne Aufenthalt auf den geraden Rückweg. Die Bewohner des Dor-
fes, von dem neuen Aufschwung, der die Hauptbevölkerung des Landes
ergriffen, erfafet, haben eine neue Fahrstrafse angelegt, die sich im
grofsen Kreise nach Osten herumwindend auf der Höhe bleibt und
dann nur einmal absteigt. Der Fufs- und Reitweg aber, den wir ein-
schlugen, fuhrt in ziemlich gerader Linie zuerst wieder abwärts, schnei-
det die obere, enge Verlängerung jener Seitenschlucht, wo sehr ver-
witterte bläuliebe Mergelschichten anstehen, und steigt dann in tief in
den Fels eingetretenem steilen Pfad über den dermafsen abgesonderten
ansehnlichen Gebirgssporn in die grofse Thalebene hinab. Auf der
Höhe derselben und auf dem Hinabstieg nach der anderen Seite hat
man eine weite Aussicht bis nach den vereinzelt aufsteigenden hö-
heren Balkankuppen, aber leider hatten wir gar keinen Führer bei
uns und drängte die Zeit zur Eile, so dafs ich nur die anscheinend
höchste Kuppe peilte (N. 35 O.); vielleicht waren es zwei Kuppen, die
sich deckten, nämlich die eine vom Karädjä Dagh mit der Koiemdja-
kara der Hauptkette oder mit einer anderen in der Nähe. So stiegen
wir nach dem so hübsch zur Seite einer kleinen, nach N. hinabge-
senkten Schlucht, in schönem Baumschmuck gelegenen und von schlan-
kem Minaret überragten Märkowa hinunter, das den Bewohnern von
Philippopel oft das Ziel eines kürzeren Ausfluges oder eines längeren
Sommeraufenthaltes gewährt, wie Mr. Clerk selbst im verflossenen
4*
52 Reise durch die Europäische Türkei.
Sommer dort mit seiner Familie zwei Monate gewohnt hatte. Zar
Zeit des Glanzes von Philippopel versorgte Märkowa diese Stadt auch
vermittelst eines grofsen Aquäduktes mft frischem Trinkwasser. Reste
davon übrigens sah ich nicht. Sonst sieht man im Dorfe einige ganz
wohnliche Gebäude, worin sich schon hausen läfst, und man überzeugt
sich, wie man hier ganz gut existiren kann, wenn man sich einzu-"
richten weifs und wenn die Geldmittel nicht fehlen.
Als wir dann an der nun gemacher absteigenden, mit Wein bewach-
senen Lehne die Thalfläche wieder erreicht hatten, durcheilten wir letztere
im fast unausgesetzten Galopp bis an den westlichen Fufs der nördliche-
ren Granitkuppe. Denn mein Begleiter wünschte mir eine Griechische
Inschrift zu zeigen, die sich auf dem Gipfel dieser Kuppe befindet
Wir stiegen also gemach hinauf, zuerst reitend — denn, wie gesagt,
bildet die Kuppe auf dieser Seite einen weit gemacheren Abhang,
als auf der anderen, der Stadt zugekehrten Seite — dann unsere Thiere
am Zügel führend. Die bisher völlig unbekannte Inschrift befindet sich
auf der höchsten Platte des Muttergesteins, und es ist auffallend, dafs
selbst der Priester von Philippopel in der oft angeführten Beschreibung
seiner Vaterstadt ihrer nicht gedenkt, um so mehr, da er ausdrück-
lich von Erinnerungen an den Herakles spricht, dem die Inschrift
offenbar gewidmet war; so erwähnt er sogar ein ganzes Marmor -Re-
lief im Kloster rmv ayimv uävaQyvQwv bei Küklaina, das den Herakles
im Kampfe mit dem Löwen darstellte ') und das vielleicht noch an
Ort und Stelle vorhanden ist. Der Herakles war ja bekanntlich, in Folge
macedonisch-griechischer Colonisirung, besonders nach dem Zeugnifs der
Münzen, auf das Engste mit den religiösen Anschauungen dieser Ge-
genden im Alterthum verbunden. Leider übrigens ist diese Inschrift
sehr verlöscht, und nur mit Mühe konnte ich ein kleines Bruchstück
en trat h sein. So unbedeutend aber die Inschrift an sich ist, so macht
sie doch die Lage hier oben auf felsiger Anhöhe im weitesten Gebirgs-
panorama dem in dem erhebenden Zauber des Alterthumsstudiums Er-
zogenen zu einem höchst anziehenden Reste jener nur schwach beleuch-
teten Vorzeit dieser Grenzlandschaft klassischer Bildung und der Bar-
barei, — denn Griechische Bildung wenigstens drang wohl kaum
hier im Binnenlande viel nördlicher, abgesehen von der Wasserlinie
der Donau, die früh zu einem ungemein interessanten Verkehr der
Griechischen Kolonisten an den Küsten zu beiden Seiten, der Pon-
tischen auf der einen , der Adriatischen auf der anderen Seite , An-
lafs gab.
Wir ritten dann in die Stadt zurück , wo ich meine Leute schon
') evgfaxovrat Se anavicos xaC riva fia^fia^a $%ovta yXvnrov rov'ff^a"
xXijr pera Xdovrog nakaiovxa.
Die Felsinschrift des Herakles. — Weiterreise. 53
in voller Zurüstung zur Weiterreise fand. Dann eilte ich nach ein-
fachem Mittagsmahl meine Briefe zur Besorgung auf das Oesterreichi-
sche Konsulat zu bringen, und um 3 Uhr Nachmittags ging es weiter.
Mein auf kurzen Zeitabschnitt angelegter weiter Reiseplan erlaubte eben
durchaus keinen Zeitverlust. Allerdings hatte mich nun eine Weile
die Durcbreisung des Gebirgsknotens der Rhodope besonders angezo-
gen ; da mich aber der Weg durch dies Gebirge sehr bald an die Küste
des Aegäi sehen Meeres geführt haben würde, die schon so oft durch-
reist und beschrieben worden ist, und da ich weiter westlich ausholen
wollte, gab ich es auf und wandte mich, zuerst allerdings auf bekann-
tem und ziemlich gut niedergelegtem Wege nach Bazardjik, dann aber
einem neuen, fast unerforschten Gebiete zu. Eben defshalb hatte ich
wenigstens jenen kleinen Ausflug nach den Abhängen der Rhodope
gemacht, um einen vorläufigen Einblick in dieselbe mir zu verschaffen.
Wir verliefsen also Filibe wieder auf demselben Wege, auf dem wir
die Stadt betreten hatten. Links oder westlich von der Brücke liegt un-
weit des südlichen Ufers der Maritch und mit voller Aussicht auf ihre
bewaldeten Inseln der geräumige Konak, dessen Bewohner aber, wie
schon angegeben, zur Zeit abwesend war. Nachdem wir die lange Holz-
brücke überschritten und die Vorstadt passirt, hielten wir uns zuerst
in geringer Entfernung vom Ufer des Flusses, indem wir mehrere Dör-
fer, wie sie auf der Karte nach allerdings nur ungefährer Bestimmung
eingetragen sind, zur Seite liefsen. Das Berggehänge der Rhodope mit
seinen tiefen Schluchten und Thaleinschnitten gewährte nach S. einen
sehr schönen Abschlufs der Ebene, dessen Vordergrund der oft mit busch-
reichen Inseln besetzte Strom bildete, und zog meine Aufmerksamkeit
eine scheinbare Kraterbildung östlich hinter dem Kloster (Beletse?)
besonders auf sich. Wirklich prächtig war dabei der Rückblick auf
die Dreihügelstadt, die wir verlassen und die sich von hier, wo man
gerade die sich an den Felsen hinaufziehenden Quartiere en face hat,
entschieden am schönsten, stolzesten und malerischsten ausnimmt.
Durch dergleichen Eindrücke gewinnen auch solche Landschaften ein
klassisches Interesse, Da wir diesen Abend vor Dunkelwerden in regel-
mäfsigem Reiseschritt, wie ich seiner zu meinen Aufnahmen bedurfte,
Bazardjik nicht mehr erreichen konnten und uns nach Nachtquartier
unterwegs umsehen mufsten, verliefsen wir um 4 Uhr 55 Minuten die
gerade Richtung, überschritten auf einer Brücke einen kleinen Flufsarm
oder vielmehr Bewässerungskanal und schlugen eine nordöstliche, dann
fast nördliche Richtung ein. Mehrere Gruppen alter Grabhügel be-
sprenkeln die Ebene, deren frisches Grün mir nach der trockenen Be-
kleidung des am Morgen " besuchten Gebirges sehr auffiel. So er-
; reichten wir um 5 Uhr 25 Minuten Köste-köi und verschafften uns nrit
54 Reise durch die Europäische Türkei.
einiger Mühe Quartier in einem in höchst charakteristischer Unordnung
gemüthlichen Gehöfte, wo mir selbst eine kleine, einzeln stehende, mit
Maisrohr gedeckte Thonhütte angewiesen wurde. Zuerst entbehrte ich
viel, besonders den unschätzbaren Kaffe, der unter den Gläubigen, selbst
unbestellt, den Reisenden sogleich bei seiner Ankunft erfrischt, wäh-
rend es bei diesen Christen nichts in Bereitschaft giebt, als den ewigen
Schnaps; jedoch erwies sich allmählich das Quartier bei bescheidenen
Ansprüchen als ganz behaglich und das Abendessen als bürgerlich
•solide und trefflich. Die Bewohner dieses Dorfes, wie auch die der
benachbarten, leben zum grofsen Theil vom Käsehandel, der sehr an-
sehnlich zu sein scheint; denn schon unterwegs waren uns viele mit
Büffeln bespannte Karren, ausschliefslich mit diesen Büffelkäsen bela-
den, begegnet. Von den Wirthsleuten, die wie gewöhnlich nach nähe-
rer Bekanntschaft ganz mittheilend wurden, erhielt ich einige Verbes-
serungen der Namen umliegender Dörfer.
Dienstag, den 23. September. Schon gestern Nachmittag war
die Luft recht empfindlich kühl gewesen, diesen Morgen aber war es
ernstlich kalt und bei einem sehr rauhen Winde machte die unreine At-
mosphäre einen ganz winterlichen Eindruck, als wolle es schneien. Doch
zeigte das Thermometer um 5 Uhr noch 8° R. Leider waren die hö-
heren Tbeile der Rbodope ganz umhüllt, sonst hätte ich aus diesen
gröfseren Entfernungen manche neue Kuppe zu Gesicht bekommen kön-
nen. So konnte ich diesen Morgen nur den tiefen Einschnitt des
Krischna- oder Kristna- Thaies peilen (7 U. 7 M. im S. 20 W.) und
demgemäfs eintragen. Auch konnte ich die Yorhügel unterscheiden, die
sich weiterhin dem eigentlichen Gebirgsabfall vorlagern. Es war 5f Uhr,
als wir aufbrachen, jetzt wieder allmählich in eine Westrichtung einbie-
gend. Die grofse Bedeutung dieser Gegend auch bei der alteingebo-
renen Völkerschaft wird hinreichend bezeugt durch die Menge der Hü-
nengräber, von denen fünf auf einer regelmäfsigen , der Richtung des
Thaies parallel streifenden Linie sich erheben. So erreichten wir am
6£ Uhr das Dorf Solapitsa, dessen gewaltige Grofse mit 500 weit aus-
gebreiteten Gehöften mich im höchsten Grade überraschte, um so mehr,
als die sorgsame Kiepert'sche Karte, die ich bei mir fahrte, nicht ein-
mal den Namen enthält. Es sind insgesammt Christen, aber in scharf
geschiedener äufserer Spaltung, unirte und nicht unirte, jede Abtheilung
mit ihrer besonderen Kirche. Leider vergafs ich, mich zu erkundigen, wo-
von diese grofse Landgemeinde lebt, wahrscheinlich auch, zum Theil
wenigstens, von Käsebereitung. Mein diesmaliger Geleits -Reiter war
ein ebenso eingebildeter, wie unausstehlicher Herr, obgleich oder viel-
leicht mehr weil kein gewöhnlicher Zabtie, sondern ein Sergeant, „Me-
lfizem", oder noch etwas höheres; schon seit der Morgenfrühe voll
Käsebereitung im Großen. — Solapits*. — Reisbau. 55
Schnaps fand er sein einziges Vergnügen darin, sein dazu abgerich-
tetes Pferd andere Thiere oder Menschen beifsen zu lassen und ritt
sonst in sich versunken weit voraus. So lernte ich sehr wenig. Die
Namen der umliegenden Dörfer sind übrigens zum Theil nur durch
kleine Beisatze von einander unterschieden. So haben wir zum Un-
terschiede von Koru-köi, das wir auf anderer Strafse zur Rechten
tieften, ein Dowan koru-köi, ein in ächter Bulgarenweise weit aus-
gebreitetes Dorf mit grofsen Gehöften, das wieder von einem nicht
fern gelegenen, durch Moskee als moslemisch ausgezeichneten Dowan-köi
unterschieden ist. Die Strafse war hier durch einige Bataillone auf dem
Marsche befindlicher Truppen in guter Conditio n belebt ; sonst war der
Verkehr schwach. Mich hatte gewundert, dafs wir auf dieser ganzen
Strecke nichts von Reisbau gesehen hatten, der doch diese Landschaft
so sehr auszeichnet; endlich nach 3£ stündigem Marsche, nachdem wir
das auf der nördlichen, direkt von Kezanlyk und Kalifer herkommen-
den Strafse gelegene Kora-Eslik in einiger Entfernung zur Rechten
gelassen und einen Bach überschritten hatten, erreichten wir einen
der Ueberschwemmung sehr ausgesetzten Theil der Ebene und hier nun
auch die von vielen Bewässerungskanälen durchzogenen Reisfelder, die
Bazardjlk einen seiner bedeutendsten Lebenszweige verschaffen. Denn
der Reis von Bazardjlk hat einen viel gröfseren Ruf, als selbst der des
benachbarten Filibe. Eben in dieser Jahreszeit beginnt sein Bau und in
2£ Monaten reift die Saat Der jährliche Ertrag derselben wird auf
100,000 bis 150,000 Kil£ (jedes zu 10 Okkas) geschätzt. Bemerken
will ich hier, dafs diese Kultur aus Egypten zuerst nach dem Dorfe
Karä Reizi, l£ Stunde östlich von Stenemaka, verpflanzt worden sein
soll. Um 10 Uhr betraten wir die Stadt. Sie hat ganz falschlich in
fast allen Büchern und auf allen Karten den Namen Tatar Bazardjlk
erhalten, während ihr jener Zusatz gar nicht zukommt, da hier nie-
mals Tataren gewohnt haben; es ist eben eine blofse Verwechselung
mit dem Bazardjlk bei Varna, das durch diesen Zusatz zu seinem Na-
men von dieser gleichnamigen westlichen Stadt unterschieden wird.
Den mit soliden Budenreihen besetzten Markt, der eine lebendige
Erklärung des Stadtnamens „ Marktstadt a abzugeben schien ')> durchzie-
hend betraten wir zur Mittagsrast den Kurshumlü Khan; denn ich ge-
dachte keineswegs mich hier lange aufzuhalten und sandte defshalb, nach-
dem ich ein Mittagsessen beordert, Rossi sogleich zum Mudir, um mir
einerseits einen neuen Zabtie zu verschaffen, andererseits die Erlaubnifs,
*) Ganz der Wahrheit getreu nennt der Priester Konstantin es ein iprtOQior
ixavbv navrbi etdove nqaypaxtuav , fiaXuna $i xwv (uxXkfrow vfaopaxmr
56 * r üteia* durch die Europäisch« Türkei. " ,
einen der höchsten Thürme der Stadt besteigen zu dürfen; denn hier,
wo sich die Ebene in einen Winkel zusammenzieht zwischen den Ge-
hängen der Rhodope im & and den vorgeschobenen Spornen de» Bul-
garischen Mittelgebirges, konnte ich mit Recht hoffen, von einem hoch-
gelegenen Punkte aus viele bedeutende Winkel nehmen zu können.
Während dessen besah ich mir den Khan und den Marktplatz und
wohl verdient ersterer eine Besichtigung und vielleicht eine genauere, als
ich ihm in der kurzen Zeit widmen konnte. Denn er enthält Reste
eines meisterhaften Bauwerkes aus der ersten und besten Zeit der Tür-
kischen Herrschaft in diesen Gegenden, wie denn ganz natürlich den
.Bedurfnissen einer schon in ihrem Namen als „Marktstadt" bezeichneten
QertUchkeit ein tüchtiges Karawanserai entsprechen mufste. Aufser dem
.Wochenmarkt wird hier eine grofse jährliche Panegyris Namens Marasia
-gehalten, die den ganzen Juli und die erste Hälfte des August dauert
Der Khan scheint aber bei späterer, mir unbekannter Gelegenheit absicht-
lich zerstört worden zu sein und der jetzige Khan besteht grofsenthefls
aus leichtem Holzbau , der an jene großartigen Mauerreste angelehnt
ist. Auf dem Markt war augenblicklich wenigstens kein besonderes
Leben und nichts zog meine Aufmerksamkeit an, als einige schlanke
iiMinarets, zu denen ich begierig hinanblickte. Da kam Rossi und brachte
- mir die Einladung des Mudirs, ihm selbst aufzuwarten und ich folgte
• bereitwillig.. Naturlich mufs es jedem Reisenden, der das Land ken-
:«en. lernen will, höchst erwünscht und angenehm sein, die Bekannt-
schaft der jede Provinz regierenden Mudire zu machen, sofern es ein-
sichtsvolle und mittheilende Leute sind; aber eben um das zu er-
, fahren und sich keiner Unannehmlichkeit oder vielleicht selbst Beleidi-
gung von einigen roheren und rücksichtsloseren Individuen dieser Klasse
>&ttszusetzen, bändelt, er gut, Niemandem so ohne Weiteres sich auf-
zudrängen. So ward ich nun mit aufserordentlicher Freundlichkeil vom
Jdudir empfangen, der mich auch zu seinem Frühstück einlud, was ich
jedoch abschlug, da mir die Früchte, aus denen es meist bestand, so früh
am .Tage ohne solidere Unterlage nicht bekommen sein würden. Aber
wir hatten : ein langes lebhaftes Gespräch zusammen, wozu ich leider,
-da. ich das Türkische nur sehr gebrochen und unzulänglich spreche,
.mich meist der Vermitteln ng meines Dragomans bedienen mufste. Die
Stadt scheint zu $ von, Moslemln, zu j von Christen bewohnt zu sein l )
und bat 18 Moskeen und 5 Kirchen. Ein des Landes kündiger Zabtie
>l?» " : - ■» ■' ■• ■•
J ) Damit stimmt so ziemlich die Angabe Konstantin 's, der die Bewohner der
s 4Q0O-*-6000 Heuser ?a J als Türken, zu 7 . als Christen angibt. Dagegen stellt das
bekannte, von Eedoroyitch übersetzte Buch Cyprien Rotert's „die Slaven der Türkei"
Bizardjik als ausschliefslich von Bulgaren bewohnt dar. Was dies aper für eiaeXfom-
Bazardjik, seih Markt und sein Glockrtthurm. 57
war schon bestellt ; zur bestimmten Stunde sich bei mir einzufinden
und auch wegen des Thurmes waren schon Erkundigungen eingezogen.
Da ergab sich denn , dafs der christliche Glockenthurm , den es sonst
von anderen Gesichtspunkten aus weniger verfänglich gewesen wäre
zu besteigen, schadhaft öder nicht wol zugänglich war, und es ward
also bestimmt, dafs ich den Minaret der so ziemlich in der Mitte der
Stadt nahe am Markt gelegenen Hauptmoschee Tcharse djameh be-
steigen solle. Dazu erhielt ich einen Kauassen zur Begleitung und
begab mich sogleich dorthin, von dem Mudir mich empfehlend. Es
' war eine wirklich herrliche Rundsicht, die sich von dem Umgang dieses
schlanken Nadelthurms eröffnete, allerdings nur ein Rundgang, nicht
mit einem ununterbrochenen und umfassenden Ueberblick, wie ihn ein
christlicher Glockenthurm gewähren würde, wenn er oben eine freie
Terrasse hätte ; aber eine solche fand ich im Verlauf dieser Reise ein-
zig und allein auf dem ganz neuen und für dies Land wirklich sehr
schön und stattlich gebauten Glockenthurm von Közena; sonst mufste
ich mich überall, wie in Gabrowa, Prelepe, Filibe u. s. w. in höchst
unbequemer und zum Theil unsicherer Lage oben zur Luke hinaus-
beugen, um meine Peilungen vorzunehmen. Hier nun konnte ich Alles
mit Mufse und höchst sicher und bequem ablesen und der mich beglei-
tende Kauäs gab mir jede erwünschte Auskunft. Wie viel läfst sich
noch mit so einfachen Vorkehrungen in diesem so unzulänglich ge-
kannten Lande thun! Am reichsten war meine Ausbeute nach dem
ao charakteristisch ausgeprägten und nicht zu entfernten Zuge der
Rhodojte ', deren Formen gerade jetzt in warmer schöner Beleuch-
tung sich abzeichneten und deren Hauptzüge ich von einem hinrei-
chend entfernten Punkte, dem Glockenthurm von Filibe, schon einmal
abgewinkelt hatte; viel ärmer dagegen fiel die Landschaft im Norden
ans und sehr natürlich aus zwei Gründen, einmal, weil ich der nahen,
die Aussicht abschneidenden Höhen des ersten Zuges jenes Mittelge-
birges halber, dorthin weder von jener anderen Position, noch von irgend
einem Punkte meiner Strafse von Kalifer, einen Fernblick gehabt hatte
und zweitens, weil mein hiesiger Standpunkt zu niedrig war, um über
die ersten niedrigen Vorhügel hrnwegzusehn. So bleibt denn schon die
auf meiner Karte eingetragene Hügelgruppe Ghäzi bäba bairi, als nur
auf einem Winkel ausgezogen, in ihren Entfernungen von hier sehr
Position ist, kann man schon daran erkennen, dafs es die beschriebene Ebene zwi-
schen Fflibe und Bazardjik eine wahre Tatarische Steppe nennt, wo keine mensch-
liche Wohnung zu finden sei!
■) Hier bleiben nur die entfernteren Kuppen etwas unsicher, wie zumal die
hier in S. 3 W. gesehene Hochkuppe des Dost Balkan , die mitten zwischen den
Thalpässen von Plentere und Yeni-köi aus der Ferne herüberragte.
58 Heise fareh die Europiische Türkei.
unsicher. Auch konnte ich eine 15* nördlich (in W. 25 N.) vom Ichti-
man boghäzsi erscheinende höhere Berggruppe, die mein Begleiter Is-
läde Balkan nannte, nicht näher in ihrem genauen Verhältnifs zu jenem
Pafs angehen.
Höchst befriedigt von meiner topographischen Ausbeute stieg ich
von dem Minaret herunter, hatte aber, ehe ich mich an meinem mitt-
lerweile bereiteten einfachen Mittagsmahle stärken konnte, noch erst
eine langwierige Auseinandersetzung auf dem Pafsbüreau durchzuma-
chen. Während nämlich in Europa die Pafsschererei endlich ihr Ende
genommen, hat sie in diesen Uebergangs- und Grenzstaaten occiden-
talischer Civilisation und orientalischer Urwüchsigkeit angefangen, sich
breit zu machen und erstreckt sich selbst auf den Europäischen Durch-
reisenden. Wie lächerlich diese Einrichtung hier ist, sieht man dar-
aus, dafs, nachdem ich vermittelst meines Büjurdi vom Mudir schon
einen neuen Geleitsreiter auf dem einmal eingeschlagenen Wege er-
langt hatte, ich jetzt noch auf dem von seinem Ressort ganz getrennten
Passbüreau eine Menge Schwierigkeiten hatte, weil die Punkte, die ich
auf meiner Reise berühren wollte, nicht ganz in derselben Reihenfolge
in der Tiskra, d. b. dem Türkißchen, vom Büjurdi wiederum ganz ge-
trennten und ihm zur Seite wesentlichen, Polizei -Passe eingetr a gen
waren. Die einzige Entschädigung für diesen Aufenthalt gewährte
mir, dafs ich dadurch Zeuge war, wie eine Anzahl kräftiger Gebirgs-
bewohner der Rhodope gleichzeitig polizeilich nach den nahe gelege-
nen Orten einregistrirt wurde. Eine weitere Schererei hatte ich noch
mit meinem vornehmen Sergeanten aus Filibe, der hier nicht allein
in wahrhaft Fallstaffscher Weise und in höchst zwitterartiger, christlich-
mohammedanischer Genufssucht in Kaffe und Schnaps zugleich ge-
schwelgt hatte — seine Rechnung hier wies nämlich, als während die-
ses kaum dreistündigen Haltes verschlungen auf, 12 Tassen Raffe und
6 Pfund Schnaps (er wird hier nämlich gewogen) — sondern , anstatt
mit der ihm gegebenen Geldvergütigung zufrieden zu sein, auch außer-
dem eine ganz unverhältnifsmäfsige Summe forderte. Ich wies ihn je-
doch bald in die gehörigen Schranken und vorwärts ging es.
Hier, mit dem Betreten von Hoch-Bulgarien, finde ich einen pas-
senden Abschnitt in meiner Erzählung und breche vorläufig ab.
Zweiter Abschnitt.
Hoch -Bulgarien.
Eintritt ms Hochgebirge. — Quellgebiet des Hebros. — Wieder ein Banya. —
Da« Schulterblatt des Rilostocks. — Sämakov mit seinen Eisenwerken. — Das
romantische Hochthal des Rflo. — Kloster Rilo. — Die Bergfahrt mit ihrer Aus-
beute. — Altklassische Bedeutung des Büo. — Ausflug nach Ddbnitsa. — Dju-
maa, — Der Karasü-Strymon. — Das grofsariige Gebirgspanorama. — Der Pe-
rim und Yel-tepe*. — Gabrova- und Madesh- Balkan. — Be'djova. — Der lange
Felspafs. — Ridovitch. — Zickzackmarsch. — Das Thal des Wardar. — Krffa-
dar. — Das Felsthor des Wardar. — Romantische Gebirgspassage. — Prflip. —
Der reiche Thalkessel von Bitolia-Mönastlr.
loh war froh bewegt, als ich wieder zu Pferde safs und Bäzardjik
verlief s, um mich nun den centralen Gebirgsmassen dieser Halbinsel
und einem noch sehr wenig erforschten Gebiet zuzuwenden. Es war
2 Uhr 20 Min. Nachmittags. Nahe am westlichen Rande der Stadt liegt
eine neue, recht hübsch und schmuck aussehende Kirche, von Gärten
umgeben an einem hier sich mit der Maritch vereinigenden kleinen
nördlichen Zuflufs; diesen überschritten wir zuerst, dann auf weifsge-
förbter Brücke die hier in nordsüdlicher Biegung die Westseite der
Stadt umgürtende Maritch selbst '). Sie verfolgt jedoch gleich wieder
ihre Hauptricbtung von W. nach O. und wir hatten sie wiederum nahe zur
Rechten, während drüben nach N. sich eine Menge Dörfer zeigten, die
in ihrer Lage annähernd auf der Karte eingetragen sind. Zur Linken
dagegen zeigten sich mehrere Hügelgräber, die unzweifelhaft dem da-
hinter gelegenen Dorfe den Namen Karamän tepeler gegeben haben.
') Die Darstellung der froheren Karten, welche die Strafse auf der nördlichen
Flnfsseite angeben, ist unrichtig. — Der Zuflufs scheint das Hannan-derS-sfi zu
tön*
60 Reise durch die Europäische Türkei.
Sonst war die Ebene hier recht einförmig ohne blühenden Anbau, was
zum Theil an der Jahrezeit liegen mochte, und ohne frischen Baum-
wuchs. Etwas ausgezeichnet war der Anblick eines Dorfes mit recht
netten sauberen Häuschen, das wir bald jenseit des Dorfes Tschar-
ganlü am gleichnamigen Bache, wo wir unsere Pferde tränkten, in
geringer Entfernung zur Linken hatten, dessen Namen ich aber nicht
erfuhr. Uebrigens blieb mir auch das genaue Verhältnifs der einzelnen
Bäche, die wir hier kreuzten, zu den Ausmündungen der Thalschluch-
ten einigermaßen zweifelhaft; so scheint dieses Tschärganlü - sü nur ein
Arm des Yeli-dere-sü zu sein. Nach den Bergen zu zeigten sich viele
Dörfer, deren Bewohner wohl meist vom Reisbau leben; wenigstens
hatten wir grofse Felder dieses Kulturzweiges zur Seite. Darauf folgte
frischgrünes Weideland, ein deutliches Zeichen, dafs hier schon frühzeiti-
ger die Herbstregen eingetreten waren, als in der von mir so eben ver-
lassenen Landschaft. Um 4 Uhr 25 Min. überschritten wir einen Haupt-
arm des Yeli-dere-.sü, der von Slakutcha Khane herkommen soll, und
betraten unmittelbar darauf das Dorf Demirdjiler, wo wir zu über-
nachten beschlossen. Der Name des Dorfes bedeutet „Eisenarbeiter"
and begründet sich auf den Thatbestand; denn die Bewohner leben
zum grofsen Theil von der Verarbeitung des in dem westlichen Qe-
birgsknoten gewonnenen Eisens, und grofse Eisenbarren waren das
Erste, was meinem Auge hier begegnete. Die Bewohner sind ein Ber-
ber, kräftiger Schlag Menschen, zum gröfseren Theil Christen, da nnr
5 — 8 Familien sich als Pomaken dem Christenthum entfremdet haben;
das Dorf hat übrigens nur 30 Häuser oder Gehöfte. Dasjenige, in
welchem wir uns einquartierten, gewährte in der malerischen Un-
ordnung, in der sich kleine Magazine, Hühnerhäuser, Balken, Sparren,
Lastwagen (in der Art des bei Visquenel Atlas pl. 21 fg. 7 abgebilde-
ten chariot Bulgare) durch einander gruppirten, mit den herüberragen-
den Berghöhen der Rhodope im Hintergrunde ein so gemüthliches
Genrebild aus dem Leben dieses Landes, dafs ich mir vorbehalte, die
von der, der eigentlichen Wohnung vorgebauten, Holzveranda aus da-
von gemachte Skizze anderswo mitzutheilen. Auch war ich bald häus-
lich und behaglich aufgehoben, unvergleichlich besser, als im städti-
schen Khan. Wenn nun noch überdies ein Reisender der .Landes-
sprache völlig mächtig ist, wie kann . er sich da in diesen Dorfquartie-
ren in das ganze Leben des Landes einleben. Denn diese Bulgaren,
so roh, unwissend und abergläubisch sie sind, haben doch viel häusli-
chen Sinn und gewähren meist einen sehr erfreulichen Einblick in das
Familienleben. Nichts bedauere ich mehr, als dafs diese Kenntnifs der
Bulgarischen Sprache mir abging; des Neu -Griechischen sind die l$nd-
Die verschiedenen Arme des Yeti -der«. — „Die Eisenarbeiter". gl*
liehen Bulgaren nur wenig Meister. Doch konnte ich mit Hülfe des
aufgeweckten Rossi manche Erkundigungen zur Berichtigung der Topo-
graphie der Gebirgsthäler der Rhodope einziehn, die ich mit den spä-
ter in Samakövo-Banyasi gesammelten zusammenstellen werde. Meine
Rechnung am folgenden Morgen für Alles, was ich und meine Leute
gehabt hatten, abgerechnet das Futter für die Pferde, betrug 26 Piaster,
wozu ich dann noch einige Piaster als Entschädigung für Benutzung
des Quartiers selbst hinzufügte, und die Leute waren äufserst zufrieden.
Wie unendlich beruhigender ist solche Weise der Einquartierung, als
wo man gegen den Willen und zum Schaden des Wirthes dessen Gast
sein mufs, wie das im Türkischen Orient so oft der Fall ist.
Das Wetter hatte sich' mittlerweile wieder völlig aufgeklärt und der
Morgen war herrlich. Aber, obgleich das Thermometer um 5 Uhr 10° R.
gezeigt hatte, fanden wir es bald sehr kühl, da wir nun allmählich in
den Golf der von allen Seiten zusammenschliefsenden Berge hinein rück*
ten. So erreichten wir in 15 Minuten einen anderen Bergstrom, den
wir auf einer Brücke überschritten und 10 Minuten weiterhin einen
zweiten, ebenfalls auf einer Brücke, die erst vor zwei Jahren gebaut
war. Beide Ströme nannte mein, dieser Gegend sehr kundiger, Ge-
leitsreiter Yeli-dere-sü und bezeichnete sie als Arme eines und dessel-
ben Gebirgsstromes , und es ist allerdings möglich, dafs man selbst
künstlich, zur umfassenderen Bewässerung der Ebene, den Strom nach
seinem Hervorkommen aus der Bergschlucht in mehrere Arme getheilt
hat. Ist dies der Fall, so mufs er eine recht hübsche Wassermasse haben;
freilich mochte gerade in den letzten Tagen im Gebirge ziemlich starker
Regen gefallen sein. Die nahe Gebirgsfrische nährte hier in einem
Dorfe, das wir zur Rechten liefoen, eine sehr schöne Wallnufspflan-
zung. Dabei ward uns aber allmählich so frisch, dafs wir sehr froh waren,
in dem ganz moslemischen Dorfe Sarambeg uns eine halbe Stunde zu
erwärmen; das hiesige Kaffe war voll von Besuchern, anständig ge-
kleideten Moslemin, wie auch das ganze Dorf einen sehr netten An-
strich hatte. So war die Spitze des Minarets, wie das hier zu Lande
allerdings oft zu geschehen pflegt, prunkvoll verziert und leuchtete in
ihrem schneeweifsen Blech glänz weithin. Aeufserlich haben die
moslemischen Dörfer entschieden den Vorzug der Net-
tigkeit; im Innern aber mag das Bulgarische Familienle-
ben im Allgemeinen wol eben so entschieden im Vorrang
sein, denn übermäfsiger Genufe des Branntweins scheint selten
vorzukommen. Auch schien dieses Dorf sich einer besonderen Blüthe
zu erfreuen als Wohnort eines wohlhabenden Türken, Namens Ah-
med Bey, der zur Seite des Dorfes ein festes burgartiges Landhaus
$2 R**** doreh die Bnropliiefae Türkei
besitzt, wie im beiliegenden Holzschnitt dargestellt,
zu dem ein ansehnliches Tschifttik gehört
Um 7 Uhr setzten wir unseren Marsch fort
Feuchtigkeit und Kühle begünstigen hier den Gemüse-
bau, und Kohl war in grofser Menge angepflanzt. Das
Thal verengt sich immer mehr; kleine Gebirgsbäehe
1 rieseln zwischen frischem Gebüsch und schöne Wall-
nufsbäume und Weingärten lagern sich zu beiden Seiten. Es war eben
die fröhliche Zeit der Weinernte, und auf einem von Büffeln gezogenen
Karren fuhr gerade eine ganze Familie, Mann, Weib und Kind mit ihrem
geräumigen Fafs hinaas. Aber bald ward die Landschaft rauher; das mit
Steingeröll gefüllte Rinnsal der Maritch selbst zieht hart zur Rechten,
worauf es dann längs des Steilabfalles des Spornes, der diesen Thalein-
schnitt von demjenigen von Ikhtiman trennt, abzieht. Um 8 Uhr 10 Min.
liefsen wir die Trümmer eines geräumigen Khän's zur Rechten, der in
früheren geordneten Zeiten dem Reisenden hier am Eingang des Pas-
ses l ) sicheres Quartier verschaffte; jetzt ist die ganze Landschaft im
höchsten Grade ansicher und nur darch nahe sich ablösende Wacht-
posten wird es möglich, den Verkehr einigermafsen zu sichern. Die
Hauptwache oder Karaghül auf einer Anhöhe, welche die hier neben
dem Strom nur wenige Fufs breite Thalsohle vollkommen beherrscht,
liegt 5 Minuten hinter jenem Khan und wir mufsten mit unseren Pfer-
den hinauf klettern, um unsere Tiskren visiren zu lassen; eine so
strenge Sicherheitspolizei wird hier jetzt geübt. Das ist nun, wie es
einmal ist, vielleicht nicht übel; aber mit etwas mehr Gerechtigkeits-
pflege, wodurch man das Anschwellen jener, alle Oebirgsdistrikte jetzt
aufs Aeufserste gefährdenden, Raubbanden verhindern würde, könnte
man diese Sicherheitsmafsregeln jedenfalls sehr vereinfachen. Wie ge-
wöhnlich, ist mit solcher Wache eine kleine Kaffeschenke verbanden,
wo sich die wachthabenden Soldaten von den Reisenden ein Paar Pari
verdienen; auch wir verabsäumten diesen Genufs nicht, wie man das
im Orient selten thnt. Auch mufsten wir hier zu unserem Reiter noch
zwei Fufssoldaten mitnehmen, wodurch unser Schritt jetzt etwa* lang-
samer wurde. Schon nach 15 Min. erreichten wir den zweiten Wacht-
posten, einen blofsen bekleme. Uebrigens ist der Engpafs keineswegs
eng und steil, sondern steigt gemach in leichten Windungen an und
ist meist so breit, dafs ein schmaler Ackerstreif sich neben dem im
Felsrand eingeklemmten Strombette und der Strafse hinzieht. Jedoch
wird die Gegend allmählich etwas wilder. Die Maritch schäumt wüd
') Dieser Anfang des Passes hat nach Visquenel ungefähr 400 Bf. absoluter
Höhe.
Eintritt int Hochgebirge. — Türkische Wachtposten. 63
über ihr Felsenbett ans Granit und Glimmerschiefer und auf stattlicher
Spitzbogenbrücke überschritten wir einen malerisch wilden, aus den
Gehangen der Rhodope herkommenden Seitenstrom. So fortziehend
nnd bei dem nächsten Wachtposten abermals um einen Bewaffneten
verstärkt, erreichten wir um 9 Uhr 30 Min. das aus etwa 30 ärmlichen,
von kleinen Gärtchen umgebenen Wohnungen aufser einem Khan be-
stehende Kiz-köi; jedoch hielten wir uns nicht auf, da es uns noch zu
frühzeitig zum Frühstück war, und wir dagegen in Gäbrowa etwas zu
bekommen hofften. Die meisten Reisenden jedoch machen in Kiz-köi
Halt und, wie wir uns später überzeugten, mit Recht.
An dieser Stelle hat sich, wie so oft der Fall ist, ein Kalklager
zwischen Granit und Glimmerschiefer hervorgehoben mit steil nach
Westen einfallenden Schichten; der Strom rauscht hart unter der
Strafee, aber drüben ist Raum für etwas Acker und eine Gruppe von
Fruchtbäumen. Leider hat man hier gar keine Uebersicht der grösse-
ren Gebirgshöhen, und erst 20 Min. hinter Kiz-köi gewannen wir eine
solche Ansicht; es war der Köstendje bairi, d. h. die nach dem wei-
terhin zu erwähnenden Dorfe genannte Kuppe (bairi wird hier ohne
Unterscheidung für den kleinsten Hügel und für sehr bedeutende Kup-
pen gebraucht), und dann entfaltete sich der ganze Gebirgscharakter
etwas mehr, aber ohne, dafs ich über seine Hauptzüge ganz klar wurde.
Jedoch scheint es ein blumenartig gegliederter Gebirgsknoten zu sein,
indem mehrere Joche, von tiefen Schluchtenthälern gespalten, sich
sowohl nach NNO. als nach W. rosettenartig ausbreiten und mit ho-
hen Kuppen heruntersteigen. Der Blick nach den Kuppen war eben
immer nur zeitweilig, indem auf längere Strecken der Pajs von engen
Wänden ohne Fernblick umschlossen war. In solcher, abermals von
einem Wachtposten geschützten Enge überschritten wir um 10 Uhr
25 Min. auf einer Brücke einen schönen , wilden Waldbach , einer jä-
hen Kalkfelsmasse gegenüber, die weiterhin mit einer röthlichen mar-
morartigen Partie aufhört. Gleich darauf folgte ein anderer Posten
zum Schutz des hier sich mit dem Pafs von Süden her vereinigenden
Kusterwa- Thaies. Die Maritch ist hier schon sehr klein und unbe-
deutend. Kalk tritt auch weiterhin wieder auf mit steileren und hö-
heren Felsmassen, während die gegenüberliegende Uferwand von Schie-
fer gebildet wird. Fünf Minuten hinter dem von der Linken ein sn fin-
denden Thalbach mit dem über Dobru waya (und Sesterma?) nach
dem 2 Stunden entfernten Dorf Köstendje gehenden Wege erreichten
wir Gabrowa. Dieser Name, der so vielfach in slawischen Gebirgsl an-
dern wiederkehrt, bedeutet wol einen in einem Thale eingeklemmten
Ort Uebrigens ist dieses Gabrowa kaum ein Dorf zu nennen; denn
es besteht aus nichts als einem Khan und 4 oder 5 halb verfallenen
64 Reue dwch die Europäische TülkeL
Häusern, deren Bewohner in grofsem Elend leben , ein armseliges
Bettel volk ohne jeglichen Besitz; nichts war zu haben, weder Brod,
noch Heu, noch sonst etwas. Glücklicher Weise hatten wir etwas
Brod, Käse, Granaten und Birnen bei uns, so dafs ich im Freien, im
Schatten einer Platane ein einfaches Frühstück halten konnte. Wäh-
rend dessen kam eine kleine Ziegeun er gesell seh aft vorbei; unter ihr be-
fand sich eine recht schöne, üppig gebaute junge Frau, der meine Be-
gleiter sofort allerlei Anträge machten und die sich auch keineswegs
dadurch beleidigt zeigte. Ich habe sonst wenig hübsche Zigeunerinnen
auf dieser meiner Reise gesehen.
Bald nach 1 Uhr Nachm. setzten wir unseren Marsch fort. Wir
hatten uns bisher immer längs des rechten, südlichen Ufers der Maritch
gehalten; kaum aber hatten wir jetzt das hohe Wachthaus von Ga-
browa zur Seite gelassen, so überschritten wir zuerst auf solider Brücke
einen Seitenbach, dann nach 12 Min. auf anderer Brücke den hier eng
eingeklemmten Hauptarm der Maritch selbst, der sich bald hernach
zur Linken wendete. Die letztere Brücke ward mir mit dem besonderen
Namen Koste ndje köprüsi bezeichnet, obgleich längs ihr kein Weg,
des rauhen Felsterrains halber, nach dem Dorfe Köstendje zu fuhren
scheint, sondern nur längs jenes ersteren Armes. Und, obgleich der
Name Maritch ') an jenem Arme vorzugsweise oder ausschliesslich zu
haften -scheint, schien mir doch der noch auf unserer Rechten übrig
bleibende Wasserarm der wasserreichere zu sein, und das scheint auch
der Name anzuzeigen, den er, oder vielmehr das Thal, in dem er fiielst,
führt, Sulü-dere, das „ wasserreiche Thal". Den Flufslauf selbst aber
nannten die Jjeute bald Isker, was entweder ein allgemeiner Name
oder ein Versehn ist, da dieser Flufs mit dem Isker von Samaköwo
nichts zu thun hat, oder Banya-sü, weil er an ßanya vorbeiströmt. Das
Thal übrigens nimmt hier einen ungleich freundlicheren Charakter an, von
Schafen, Rindern und Pferden belebt und mit guten Ackerlehnen zu
beiden Seiten über den steileren Wänden; nackter Fels tritt hier gar
nicht mehr auf. Zur Linken hatten wir mit Eichen und Haselbüschen
bewaldete Hügelrücken, die uns eben den Anblick der eigentlichen
Maritch entzogen. Bald hernach bildet die gegenüberliegende Hügel-
reihe einen leichten Sattelpafs, den mir meine Begleiter als Sulü derbend
deresi bezeichneten; zu beiden Seiten gruppirt liegt ein kleines Dorf,
Sulü-köi genannt. Uebrigens scheint den Hauptpafs über diesen niedri-
gen Höhenkamm die andere Einsattelung jenseit des kleinen Weilers
Wasilitsa zu bilden, wo eine, selbst für Karren fahrbare, Strafee nach
*) Das Bett der Maritch bei Banya liegt nach Boae > 651, nach Visqnenel
596 M. hoch.
Quellgebiet des Hebros, — Wieder ein Banya. 65
Eapudjl and Ikhtiman hinüberfuhrt. An seiner Seite liegt eine kleine
Eisengrube DemTr-maden, und früher war der Verkehr hier sogar durch
ein Karaghül oder Wachthaus gesichert. Was die Oberfläche des Tha-
ies anbelangt, so wird sie anscheinend von einer Mergelformation, die
in Sand übergeht, gebildet. Je einförmiger der Blick nach dieser ge-
genüberliegenden Thaleinfassung war, um so reicher und malerischer
war die gelegentliche Ansicht, welche die hohe Berggruppe zu unserer
Linken bot und von der ich gar gern mehr gesehen hätte. Besonders
romantisch nahm sich das auf einem vereinzelt aufsteigenden grünen
Hügel, vor der Ausmündung einer tiefen, von mehreren hinter einander
sich hinauflagernden Seitenschluchten gegliederten, Bergspalte gelegene
Dorf Koste ndje. Nach ihm bezeichneten meine Soldaten die ganze Berg*
gruppe im Allgemeinen als Eöstendje Balkan. Visquenel hat keinen Ge-
sammtnamen für sie. Aber nicht allein auf ihre Höben erhielt ich zuwei-
len einen höchst anziehenden Blick, sondern auch auf die höchsten Kup-
pen der südöstlich hinter uns gelassenen Rhodope und hier peilte ich
genau die hohe tafelförmige Eurshüm tepe (S. 5 O.), die mit dem sonst
Euschanlar Dagh genannten Berg identisch zu sein scheint und die
höchste Euppe des Dospat oder, wie die Türken meist zu sprechen
scheinen, Dost -Bat (S. 30 O.), an die sich nahe östlich der Earlük Dagh
anzuschliefsen scheint. Leid that es mir, dafs ich bei der Gabelung des
Sulü dere nicht darauf achtete, welcher der beiden Flufsarme der bedeu-
tendere sei; doch war hier das Terrain nicht ganz offen und der nörd-
liche Arm zu weit entfernt; der letztere ist, wie es mir scheinen wollte,
der bedeutendere. Nun an dem südlichen Arm hinziehend, erreichten
wir in -} Stunde den Anfang von Banya und zwar das eigentliche Ba-
nya oder den „Badeort 44 . Uebrigens ist dieser ganze Theil der Euro-
paischen Türkei so unendlich reich an heifsen Quellen und in Folge
dessen auch an Orten, die im Anschlufs an das Römische balneum
mit dem Namen Banya bezeichnet werden, dafs wir Ausländer, um
Verwirrung zu vermeiden, nun keinesfalls unterlassen können, jedem
derselben seinen bezeichnenden und unterscheidenden Beinamen zu ge-
ben, was schon die Eingeborenen kaum je unterlassen. So ist denn
dies Banya das Samaköwo Bänyasi oder zu Deutsch „das Bad von
Samaköwo. Auch hier, wie gewöhnlich, sind zwei Baderäume, beides
geräumige und solide Enppelgebäude, das eine für Männer, das an-
dere für Frauen. Leider aber waren zur Zeit beide von Frauen in
Beschlag genommen, so dafs ich keinen Zutritt zu ihnen hatte und
den Quellsprudel nicht an dem Punkte seines Hervorbrechens messen
konnte. Sie scheint eine der heifsesten aller Quellen dieser Gegend
zu sein. Draufsen in der mit Steinen verdeckten Leitung, wo ich mit
Vorsicht das Thermometer durch eine Spalte zwischen den Quader*
5
66 ' Reise durch die Europäische Türkei.
platten durchziehn mufste, mafs ich 45* R. Die wirkliehe Quelle wird
also wohl wenigstens 47* haben.
Diese Badestelle übrigens liegt wol 5 Min. aufserhalb des eigentli-
chen Ortes, obgleich letzterer dermafsen ans einander liegt, dafs es schwer
ist, zu sagen, wo sein Anfang und wo sein Ende ist. Nachdem man
nämlich den Gräberhof passirt hat, der sich hart an das Bad anschliefst,
betritt man alsbald einen von Bächen auf das Reichste berieselten, zwi-
schen hohen Gartenmauern sich hinziehenden Knüppeldamm, der nach
etwa 1 Min. auf einen freien, rings von grofeen, prächtigen Baumgrup-
pen umgebenen Platz führt, wo der Khan sich befindet Letzterer
ist klein, und da das einzige vorhandene Gemach schon besetzt war,
hatte ich wenig Lust mit ganz fremden Menschen dasselbe zu theilen.
Sehr froh war ich daher, als ich vernahm, dafs auf der anderen Seite
des Platzes ein neuer Khan im Entstehen sei und ich fand, dafs er,
obgleich noch nicht ganz vollendet, doch schon wohnbar sei; denn in
diesen, ganz aus Holz errichteten Bauten hat man von einem Neubau
nur den Gewinn der Sauberkeit und Nettigkeit, während von schlech-
tem Einflufs der Ausdünstung nichts zu furchten ist. Hier also rich-
tete ich mich, nachdem ich die zum Trocknen ausgelegten Pflaumen
und Aepfel hatte forträumen lassen, mit meiner ziemlich zahlreichen Be-
gleitung ein, da ich aufser Surudji, Zabtie und Rossi noch drei Sol-
daten bei mir hatte, die ich hier verpflegen mufste, ehe ich sie zu-
rückschickte. Kalt übrigens war es in jetziger Jahreszeit in dieser
Gebirgsgegend bei fast 2000 Fufs Höhe in einem luftigen Holzbau, der
nur leichte Papierfenster hatte und dem jeder Kamin fehlte.
Nachdem ein Abendessen angeordnet war, sandte ich sogleich Rossi
aus, um mir die Erlaubnifs auszuwirken, den schlanken Minaret zu
besteigen, den ich sogleich bei meiner Ankunft aus der grünen Laub-
umgebung emporsteigen gesehn hatte. Der Ort ist nämlich ziemlich
zu gleichen Theilen von Christen und Moslemin bewohnt, indem von
den 170 oder 180 Häusern 80 der letzteren Klasse angehören. Um zu
der Moschee zu gelangen, mufste ich übrigens den ganzen Quellweg
wieder zurückgehn und die Aussicht war nicht so umfassend, wie ich
gehofft hatte, da nach Süden die Gebirgshöhen zu nahe waren, um eine
Fernsicht zu gestatten, während im N. schon die nächste Uebersicht
durch den mächtigen Baumwuchs ausgeschlossen war. Jedoch konnte
ich von W. 18 S. bis O. 40 S. mehrere Kuppen abpeilen, bei denen zur
genauen Eintragung vermittelst anderer Winkel nachher nur die grofse
Schwierigkeit der Identification der verschiedenen Kuppen störend ein-
griff. So blieb Einiges unsicher, und ich kann selbst die genaue Lage
der beiden Hochkuppen Siwri Täsch und Kurtowa tepesi nicht mit vol-
ler Bestimmtheit verbürgen, wie ich auch über die ganze Gruppirung
Charakter v. ßanya. — Verhalte; des Köstendje Balkin rast Bflo u. Bhodope. 67
des Gebirges von hier aas nicht klar wurde. Visquenel's theures Kar-
tenwerk in seinem so grofsartig angelegten und vielleicht nie zu been-
denden „Voyage dans la Turquie (TEurope* ist leider in Darstellung der
grofsen chorographischen Zuge so ungenau, dafs dessen Gebrauch für
den Geographen höchst mifslich wird. Besonders sind die Gehänge
und die äufseren Böschungen der Gebirge in solcher Weise entstellt,
dafs sie nicht ein entfernt richtiges Bild gewähren; man vergleiche nur
seine Darstellung der Schluchtenbildung zwischen Stenemaka, wo er
doch selbst gewesen ist und Dermen-dere mit der meinigen. Aller-
dings mache ich bei meinem kurzen Besuch des Landes keinen An-
spruch darauf, über das Bereich meiner Marschlinie hinüber zu grei-
fen, aber doch mufste ich mir selbst auf dieser beschränkten Linie die
Gesammtzüge der Terrainbildung vor Allem angelegen sein lassen.
Dagegen will ich hier nun zusammenstellen, was ich theils in die-
sem Banya von einem meiner drei Soldaten, dem Karaghöl Ahmed,
theils auf anderen Punkten dieser Strafse, wie besonders in Demir-
djiler über die Topographie der nach Süd sich in dieses VerbindungSr
glied zwischen RIlo und Rhodope, gleichsam das Schulterblatt des er-
steren, hineinziehenden Thäler erkundete. Ich gehe also zuerst aus
von der nach eigenen Kreuzpeilungen niedergelegten Ausmündung des
YeH-dere.
Von dieser Thalöffnung ist Deredji-köi 1^ St. entfernt; dieses
Dorf aber ist mit dem von dem Phlippopolitaniscben Priester in der
Nähe des Dermen-dere angegebenen und S. 49 N. 1 erwähnten gleich-
namigen Dorfe nicht zu verwechseln, wie auch der Name „Thalweiler"
eine so allgemeine Bedeutung hat, dafs er sich unter ähnlichen Ver-
hältnissen öfters wiederholen kann und mufs. Von jenem Deredji-köi
nun im Yeli-dere aufwärts nannte man mir folgende Dörfer mit aller-
dings sehr unsicheren Entfernungsangaben, da der Begriff einer Stunde
für diese Leute natürlicher Weise sehr unbestimmter Natur war.
Tcherintsa, von Tchepina 3 St. entfernt; dann Patelentsa; dann
Batkün — dieses Batkün war einst ein bedeutender Ort und Vorort der
ganzen Provinz, jetzt aber ein kleines Dorf — alle höber an den Gehän-
gen hinauf und das letztere offenbar näher an den östlich daran gren-
zenden Thaleinschnitt gelegen, an dessen Ausgang das Batkün. Mona-
stir liegt; das Dorf Yeli-dere weiter unten; Warwara auf den Hügeln;
Saidlüauch oberhalb am Gebirge; dann Semtchina. Weiter, tiefer gele-
gen als letzteres, Kütchuk Belowa und noch weiter Büyuk Belowa (von
') Jedoch habe ich zu bemerken, dafs nach meinen Informanten die Oeffnung
der Thalschlucht selbst, wol ihres wilden Charakters wegen, keinen Weg ins Gebirge
eröffnet, sondern dafs dieser letztere oben Aber das auf dem östlichen Gehinge an-
gegebene Kloster gehe
5 #
68 . . . R«ae durch die Europäuche Türkei.
Bou6 besacht) ein ausschlielslich von Bulgaren bewohntes Dorf von
200 Häusern, in der Entfernung von 2 — 2£ St. von Tchipina; von hier
1 St. nach dem oben erwähnten Kiz-köi auf meinem Wege.
Den Weg von Kiz-köi Ober Büyük Belowa, Kamenitsa (auf einem
Berge gelegen) und Yaküriit-kalesi nach Räelog gab man mir -ähnlich
an, wie er von Boue und Visquenel dargestellt ist R$slog übrigens
ist ein, 30 — 40 Weiler enthaltender Thaldistrikt, nicht eine einzelne
Ortschaft.
Von dem, von mir selbst nach zwei Winkeln eingetragenen Dorfje
Köstendje liegt das Dorf Sesterma, das das vorige an Grölise über-
trifft, 1 St entfernt Dieses Sesterma, das auch Dobru waya von
den Bulgaren genannt zu werden scheint, wird auf dem längs des, eben
unterhalb Oäbrowa in die Maritch einmündenden Baches nach Köstendje
führenden Wege (S. 63) berührt, kann also nicht ganz da liegen,
wo Visquenel es in der Form Sestrima ansetzt. Von hier aus ist Ya-
kürut 1^ St entfernt. — 1 St von Sesterma, aber leider unbekannt, in
welcher Entfernung von Yakürüt, liegt ein Dorf Badowitch (nicht das
weiter unten zu erwähnende?) mit Eisenminen.
Das oben als 2£ St. von Büyii'k Belowa entfernt angegebene Tsche-
pina ist von Batkün Monasür, das 5 St. von Bazardjik entfernt ist,
etwa 2 St., von dem oben angegebenen Tcberintsa im Yeli-dere 3 St —
Bei diesem Tcb^pina liegt ein anderes Banya, Tchepina Banyasi ge-
nannt, mit zwei Badehäusern (wie gewöhnlich) und etwa 200 Häusern.
In der Nähe davon Dürkowa mit 40 Häusern, dann. Orta-köi mit
50 Häusern, dann weiterhin Rakitöwa ostwärts mit 100 Häusern, worun-
ter 30 Raja. Ein anderes Dorf Ludjana -koi gleichfalls mit warmem
Bad und das in der Nähe von Kamenitsa gelegene Eurowa sind auf
Visquenel's Karte angegeben. Ich erhielt noch manche andere Anga-
ben über die in dem Gebirgsknoten zwischen Peshtera, Förtsova, Dö-
len, Nipli, BarutTn und Earabulak liegenden f ausschliefslich von Os-
manli bewohnten und fast ganz auf Viehzucht augewiesenen Weiler;
aber sie sind zu topograpiscber Benutzung nicht bestimmt genug. Hier
will ich nur angeben, dafs das Thal am Fufs des Earluk Dagh, Damlü-
der6 und der Gipfel jenes Berges selbst Djenerra heifsen soll.
Nach gutem Nachtlager verliefsen wir früh 5-J- Uhr den quellrei-
chen, höchst malerisch, aber vielleicht weniger gesund gelegenen Ort,
während die Spitzen des Balkans eben von den Strahlen der aufge-
henden Sonne beleuchtet wurden. Der Morgen war frisch und um
5 Uhr hatte das Thermometer nur 5° angezeigt. Während nahe zur
Rechten Hügelreihen das Thal und die Aussicht schlössen, öffneten
sich zur Linken bald die Vorhügel des Gebirges und erschlossen einen
Blick nach dem an der Mündung einer sehr breiten Thalscjüncht
Der gewundene Bergpafs. ■— Der falsche und der wahre Isker. 69
ähnlich wie Kostend) e gelegenen Radowitch oder RadoH, aufser dafs
es nicht auf gesondertem Hügel davor, sondern am Ostgehänge selbst
liegt, VQn hoher Kuppe überragt. Ich würde also, wenn Banya
um ein wenig weiter westlich läge, von seinem Minaret wahrschein-
lich eine viel umfassendere und lehrreichere Aussicht gehabt ha-
ben. Uebrigens haben diese nordwestlichen Berggehänge ganz den
Charakter von Schutthalden. Jedoch war die Aussicht auch nach
dieser Seite nur momentan frei; denn die Thalbildung, in der wir
in westnord westlich er Richtung unseren Weg verfolgten, war sehr un-
regelmäfsig umgürtet und reich bebuscht, wild und unsicher, augen-
blicklich nur von einer zahlreichen Schaf heerde belebt, durch die wir
uns mit Mühe einen Weg bahnten. Klein und winzig war hier der
Bach, der der Maritch immerhin einen Haupttheil ihrer Wassermenge
zuführt, er mag nun heifsen wie er will; auffallend war es mir, dafs
auch mein neuer Reiter aus Banya ihn Isker nannte. Isker, dem alten
Oskios oder Oiskos entsprechend, mufs also wol ein in diesem Ge-
birgsknoten alteinheimischer allgemeiner Thracischer Name für Berg-
strom sein. Wir überschritten ihn um 6 Uhr auf einer Holzbrücke,
hatten ihn dann noch einmal zu kreuzen und verloren ihn um 6 Uhr
20 Min. aus dem Gesichte, wo er von SW. herzog; ein kleinerer
Seitenarm jedoch flofs uns in schmalem Seitenthalchen noch entgegen.
Eine halbe Stunde hinter dem kleinen Dorfe Gutsa, das wir in einiger
Entfernung zur Rechten liefsen, hatten wir dann in allmählichem An-
stieg eine wilde, enge Waldschlucht erreicht, in der wir mit 20 Min.
steilsten Ansteigens die freie Höhe erreichten, leider aber nicht hoch
und frei genug, um einen ganz klaren Ueberblick über das Gebirge zu
gewinnen; jedoch schien es, als wenn es einen Mittelkamm zwischen
zwei etwas weniger hohen Kämmen bildete, als nach NÖ. vortretendes
Schulterblatt der höheren Rilo- Gruppe im SW. Die eigentliche Kamm-
höhe, die wir nach weiteren 10 Minuten erreichten, bot allerdings eine
weite' Umsicht , aber Alles warf und schob sich ohne Gliederung zu-
sammen. Zur Sicherung des Verkehrs ist es immer eine wichtige Oert-
lichkeit, und so ward hier denn gerade ein neues Wachthaus gebaut,
Uebrigens umgeht eine gröfsere, auch für Karren fahrbare Strafse mit
einem fast zweistündigen Umweg diese Gebirgspassage. Jedoch fanden
wir, als wir durch eine von einem kleinen Bache durchflossene Thal-
schlucht von diesem Kamm westwärts hinabstiegen, eine Familie in rei-
zender Gemüthlichkeit bei ihrem Karren gelagert, so dafs wenigstens vom
Westen her Karren so weit vordringen können; wahrscheinlich waren
diese Leute von dem Dorfe Tchiposch gekommen, um hier im Gebirge
ihren Karren mit Holz oder sonst etwas Anderem zu beladen. In dieser
kleinen Waldschlucht sprudelt etwas weiter abwärts ein sehr schöner
70 Reise durch die Europäische Türkei.
Quellborn Baghdäd tcheschmesi, angeblich nach einem Beisenden ans
Baghdäd benannt; aber sein Wasser gilt als im Sommer zu kalt und
defshalb weniger gesund. Gleich hinter dieser Quelle stieg ich, indem
ich das erwähnte Dorf in der westlichen Verlängerung der Schlucht lieb,
nach NW. am Seitenbach hinaus. Hier zuerst machte sich das eisen-
haltige Terrain bemerkbar, das Samakov seinen Namen („Eisenberg-
werk") gegeben hat, indem in der vom Regenstrom ausgewaschenen
Rinne als Niederschlag der schwersten Bestandteile Häufchen der
„rüda" genannten kohlschwarzen Magnet- Eisenerde lagen, deren Bear-
beitung ich nun bald bezeugen sollte. Neben dem Glimmerschiefer
übrigens, der diese Magneteisenerde enthält, steht hier auch Kalk an.
Eine kleine einmündende Seitenschlucht mit Bächlein zur Rechten
lassend, ging es nun steil an den Schutthalden hinan, die von Gneis-
adern durchzogen waren, alle in gleichmäßigen Streifen nach NW.
einfallend. Das Gehänge ward immer zerrissener, bis wir um 8 D.
55 Min. endlich oben waren mit freier Ansicht wenigstens der Kuppe
des Siwri Täsch, in dessen Felsschluchten ich mit meinem Fernrohr
deutlich kleine Schneeflecken erkennen konnte, wonach ich ihn ent-
schieden auf etwa 8000 Fufs schätze. Wir stiegen nun hinab, auf die,
über den zur Linken in die Thalmündung vortretenden runden mamel-
lenartigen Hügel sichtbar werdenden Thürme von Samakov zu, während
jetzt, wie wir uns in gröfserer Tiefe befanden, die höheren Partieen des
Gebirges zur Linken sich malerisch abgliederten. Diese östliche Zweig-
ebene mündet dann ein in die hier von S. nach N. ziehende offene
Thalebene des Isker, von Rindern und Büffeln belebt und nach N. von
dem breit und flach sich vorlagernden Tschamurlü Dagh ') fiberragt
and scheinbar abgeschlossen. Da betraten wir am Grabhof entlang
die ansehnliche Stadt (9 Uhr 40 Min.), deren Strafeen von vielen Was-
serrinnen berieselt waren. Wie das gewöhnlich und sehr natürlich der
Fäll ist, dafs die Khane in Städten, die nicht eben an der grofsen
Strafse liegen, behaglicher und wohnlicher sind, so traf ich auch hier
einen durchaus leidlichen Khan, in dem ich ganz gut einen Tag hätte
aushalten können, wenn nicht meine kurze Zeit mich rastlos vorwärts
getrieben hätte.
Nachdem die nöthigen Anordnungen getroffen waren, ging ich
daher sogleich mit Rossi zum Madir, traf ihn jedoch nicht, da er ge-
rade im Bade war und streifte defshalb in der Stadt umher. Die
.') Hier bezeichnete mir mein Führer als hinter diesem Berge liegend und von
inm verdeckt und defshalb nicht sichtbar, einen OrtValkarelta, von dem ich nach-
her nichts wieder gehört habe. — Visquenel kennt nur ein Dorf TchAmorlfE, keinen
Lage and Charakter von Samakov oder Samakövo. 7]
Hauptstraßen sind mit grofsen Steinen leidlich gepflastert und haben
sogar, gleich wie in Filibe, Seitentrottoirs mit von Zeit zn Zeit von einer
Seite auf die andere quergelegten grofsen Steinen, wie man das schon
in Pompeji sieht. Eine solche Vorkehr ist bei der Menge der Was-
sersäle und des so erzeugten Eothes allerdings sehr wesentlich. Der
Verkehr war aufser auf dem Markte sehr schwach, wurde aber in einem
Quartier von einer Hochzeitsfeier belebt, wozu eine Menge Frauen, z. Th.
in gewöhnlichen Türkischen Eierwagen, ausruckten; natürlich störte ich
durch mein Erscheinen ihren Zug und sie gafften mich lange durch ihre
Masken an. Selten kommt hierher ein Europäischer Reisender, da
Samakov an keiner Hauptstrafse liegt und so durchaus den Charakter
einer ruhigen abgelegenen Landstadt hat. Die östlichen und mittleren
Quartiere sind mehr von Moslemin bewohnt, die westlichen mehr oder
ausschliefslich von Christen ; letztere haben 6 — 7 Kirchen, erstere 12 Mo-
scheen. Nach diesen Zahlen der Gotteshäuser kann man aber nie das
Verhältnifs der beiden Bestandteile der Bevölkerung berechnen; im
Gegentheil sollen von den 4000 Familien der Stadt nur etwa 1 500 mos-
lemisch sein; ein Verhältnifs, das mich hier allerdings erstaunte, aber
vom Mudir selbst bestätigt wurde. Da der Mudlr noch immer nicht
heimgekehrt war, stieg ich jetzt, um meine Zeit zu benutzen, auf den
ansehnlichsten der im OSO. die Stadt ganz aus der Nähe überragen-
den, völlig brustartig abgerundeten Vorhügel, die vielleicht 200 Fufs
relativer Höhe haben und nahm von hier aus mehrere nicht unwichtige
Winkel, besonders nach dem Vltosh ' ) zu, obgleich um diese Tageszeit,
noch etwas vor Mittag, die östliche Balkängruppe schlecht beleuchtet
war; am Nachmittag würde ich nach dieser Seite hin unzweifelhaft
eine bessere Aussicht gehabt haben.
Als ich von diesen Hügeln wieder herunterstieg, hatte ich die fast
einzige unangenehme Berührung mit den Eingeborenen, die mir auf
der ganzen Reise widerfuhr. Es hatten mich nämlich zwei Gläubige
von unten beobachtet, wie ich oben mit meinem Azimuth operirte, nnd,
sobald ich den Fufs des Hügels erreichte, fafsten sie mich ab mit den
entschiedensten Drohungen, weil ich ihr Land ausspionire ; sie wollten
mich sogleich zum Mudlr bringen. Ich lachte sie natürlich aus und sagte
ihnen, dafs eben dahin mein Weg gehe und dafs sie nur mitkommen soll-
ten. Alles deutete darauf hin, dafs die Leute nur selten Europäer gesehn
hatten. Endlich war der Mudlr zurückgekehrt. Sein Haus oder Eonäk
') In meiner Karte hatte ich zuerst den Fehler begangen, die vor dem Vltosh
sich vorlagernde Berggruppe Tchämurlü zu nennen. Dieser Fehler jedoch konnte
noch eben zeitig berichtigt werden. Diese Berggrnppe ist offenbar identisch mit
Visquenel's Vlrela oder vielmehr der anderen Kappe von 2201 Meter, die südlich vor
dem Vltosh liegt, bei Visqaenel, Atlas de la Turquie tPMurope pl. 8 flg. 1 n. 2.
72 Reise durch die Europäische Türkei
ist in leidlichem Stande. Er war sehr freundlich und zuvorkommend, ja
fast ganz Europäisch gesinnt und sprach den Tadel mit seiner Regie-
rung auf die allerunverholenste Weise aus; sie verderbe Alles, thue
nichts, weder für den Strafsen verkehr noch sonst etwas für das Wohl
des Landes ; was würde das für ein Land sein, wenn es in den Hän-
den der Europäer sich befände u. s. w. Der Hauptgrund dieses Klage-
liedes aber war, dafs die Regierung für unseren Freund Hadji Salih —
so hiefs er — persönlich nichts gethan und ihn de facto zurückgesetzt
hatte. Er hatte nämlich früher einen besseren, einträglicheren Posten
bekleidet und betrachtete Samakov wie eine Art Verbannung. Außer-
dem macht die Regierung wol grofse Ansprüche an ihn wegen der Berg-
werke, ohne ihm die nöthigen Mittel zur Verbesserung zuzuwenden.
Er bot mir nun gleich an, mich zu einigen der Eisenhämmer führen
zu lassen, was ich natürlich mit Freuden annahm. Vorher jedoch be-
sprachen wir noch die vor mir liegende Reiseroute. Es ist sehr unange-
nehm, sich auf solcher Reise genau an die Oerter zu binden, wohin man
gerade gehn will, da die Ausführung von so vielen Umständen abhängig
ist: So war meine Tiskra dies Mal nach Dübnitsa ausgestellt und ich war
polizeilich gebunden, dahin zu gehn und sie da weiter visiren zu las-
seh. Sonst hatte ich grofse Lust, von hier durch die höchsten Gebirgs-
partien mich nach Räslog zu wenden, obgleich der Mudir dies als der
Räuber wegen als höchst gefährlich auf der einen und der rauhen un-
wirthtichen Gebirgsnatur halber als onerspriefslich auf der anderen Seife
darstellte. Dagegen hatte er die fixe Idee, ich müsse durchaus den
Vitosh besuchen; den Wunsch hegte er aber nur defshalb, weil er
hoffite, ich würde ihm, den ihm von einem Europäischen Ingenieur
vor einiger Zeit gemachten Erwartungen gemäfs, in jenem Gebirge
reiche Goldminen eröffnen. Allerdings ist der Vitosh, dessen höchste
Kuppe ich von verschiedenen Punkten aus erblickte, für die ganze Geo-
graphie dieses Landes interessant, wie er denn im Verein mit dem RÜo
als Hauptquellknoten dieser Halbinsel grofse Bedeutung hat und auch
demzufolge von manchem Geographen für den Skomios der Alten gehal-
ten wird. Alle Umstände in Erwägung gezogen, beschlofs ich jedoch,
mich von hier direkt nach dem Kloster Rilo zu wenden, wie denn
der RIlo gleich von Anfang an als Hauptziel und Mittelpunkt meiner
ganzen Reise mir vorgeschwebt hatte und von dort aus Dübnitsa auf
einem Seitenabstecher mitnehmend, meinen Marsch nach SW. quer
durch die so unbekannte Landschaft des Malesch Balkan fortzusetzen.
Dazu versprach mir der Mudir zwei gute Zabties zum Nachmittag
bereit zu halten.
Zuerst also wandte ich mich nach den Eisenwerken. Wir gingen
demnach zur Stadt hinaus, die, wie ich erst jetzt sah, auf der ganzen
Der Mudir und die Eisenhammer und Hohöfen von Samakov. 73
Westseite vom Isker bespult und begrenzt wird. Eine lange Holzbrücke,
auf der Stadtseite von einem kleinen Brückenkopf geschlossen, fuhrt über
den hier sich ausbreitenden, schon ansehnlichen Strom, der sich zwischen
Fels- und Sandbänken in mehrere Rinnen theilt und so den Zwecken
der Gerberei dient; es wird nämlich vermittelst kleiner Räder die Strö-
mung in jenen Armen verstärkt und in diesen Strömungen werden die
Felle gewaschen. Dies bildet neben den Eisenwerken die hauptsäch-
lichste Lokalindustrie von Samakov, über die ich im Uebrigen, meines
so schleunigen Durchmarsches wegen, keine Auskunft geben kann. Wir
besuchten nun zuerst den sogenannten Yeni Maden „den neuen Hoh-
öfen a , dessen Name bei manchem Leser wol die Erwartung eines nach
allen neuen Anforderungen eingerichteten Eisenwerkes erregt, das aber
ziemlich ursprünglich war und auf mich einen um so barbarischeren Ein-
druck machte, da ich gerade vor Kurzem die schön eingerichteten Werke
im Ungarischen Erzgebirge besucht hatte ■). Uebrigens war dieser
Eisenhammer augenblicklich nicht in voller Thätigkeit, indem von den
drei rohen Baumstämmenhammern nur einer arbeitete. Das rohe Mag-
neteisengrus, das — wie oben angegeben — aus den natürlichen Was-
serrinnen des Gebirges aufgesammelt wird, wird zuerst auf hölzernen
Sieben ausgewaschen; der leichte minerallose Schutt fällt dabei durch
und heifst „rikh u , der schwerere bleibt zurück und heifst „rüda". So
wird es dreimal angefeuchtet oder gewaschen, und dreimal der Gluth
des Feuers ausgesetzt So entsteht die rohe ausgekochte Masse des us-
geria. Dann wird es gehämmert. Der Abfall (die Schlacken) heifst
demfr bokü. Die aus dem so bearbeiteten rüda gehämmerten Eisen-
barren heifsen „d3 tf oder „koltche demiri".
Da nun Alles mit Holz geheitzt wird, das mühsam auf schweren
Gebirgswegen herbeigeschafft und verfahren werden mufs, so kann
man denken, dafs der Gewinn höchst gering ist, wenn überhaupt von
Gewinn die Rede sein kann. Die Regierung nimmt als ihr Recht
2400 Eantar (d. h. den Eantar zu 60, nicht wie in anderen Beziehun-
gen zu 45 Okken gerechnet) Eisenbarren in Beschlag; da das als ein
Achtel des ganzen Ertrages angesehn wird, so ergiebt das einen Ge-
sammtertrag von etwa 20,000 Kantar. Der Eantar kostet am Orte 110
bis 120 Piaster. Das Eisen geht ausschliefsüch nach Bazardjik. Das ist
die Ausbeute von 18 oder vielmehr 16 Maden, da in zweien nicht ge-
arbeitet wird; jedes der 16 arbeitet im Durchschnitt mit zehn Mann.
83e gehören verschiedenen Eigentümern. Aufserdem gibt es 58 „vfne tt ,
„Hammerwerke", die mit 4 — 5 Mann arbeiten mit Ausschlufs von zweien,
") Eine Ansicht dieser Hohöflea von Samakov findet man in Visquenel's Adas
pl. 21 flg. 2 „haut* fourneaux et forg* prb d* Stimahtf*.
74 Base durch die Eropäiach« TmktL
die Tuben. Von diesen vine besuchte ich eine, die mördtien von der
Brocke Legt and Tchamasir Ase Emina heilst; hier ward aber rar
Zeit nicht gearbeitet. Die anderen lagen weiter entfernt, mehrere auf
dem von mir einzuschlagenden Wege nach Sirpköi; ein Besuch der-
selben aber war der vorgerückten Tageszeit halber aoch nicht mehr
möglich.
Nachdem ich so meinen nur sechsstündigen Aufenthalt in Sama-
kor wohl ausgenützt hatte, vertiefe ich etwas tot 4£ Chr mein Quar-
tier. Fast that es mir leid, dafe ich nicht fibernachtete; der Wirth, ein
braver Türke, hatte darauf gerechnet und einige Vorbereitungen ge-
macht, die ich ihm allerdings vergüten konnte. Wir mufeten unsere
Pferde antreiben, denn der Abend war nah. Die Korse der Tage
ist der üebelstand des Septemberreisens selbst in diesen etwas süd-
licheren Breiten. Als wir die Brücke überschritten hatten nnd uns
dem Laufe des Isker parallel in einiger Entfernung vom Teni Maden
nach SSW hielten, kam uns auf der rechten Hand der ans der nach
Dubnitsa führenden Sause oder Klissüra henrorströmende Bach entge-
gen. Wie wir so der Pafeverengung der Thalebene entgegenrück-
ten, gaben mir meine beiden Soldaten mehrere Namen der umliegen-
den Höhen an, die ich nicht alle auf der Karte eintragen konnte;
so, westlich an der weiterhin zu erwähnenden Pasinitsa und westlich von
unserem Pafs Kukulitcha, dann auf der anderen Seite Varnik; den
Wald am oberen Berggehänge nannten sie Tchamkori und weiter eine
andere Gruppe Tcheotchik. Ich gebe diese nicht kontrolirten Namen
eben als das, was sie sind. Am Eingang des Passes hat die gelegent-
lich gewife höchst angeschwollene Wassermasse eine Menge Sterotrüm-
mer aufgehäuft, die den Reisenden auf den ersten Blick glauben machen
könnte, dafe hier einst ein grofeer Ort gelegen. Hier, wo wir die Palsenge
betraten, hatten wir den Isker hart zur Linken, überschritten ihn aber
nach 10 Min. auf einer soliden Steinbrücke, einem engen felsenumschlos-
senen südlichen Seitenpafe gegenüber, ans dem der Denrir-kapü-sü
„der £isenthorbach a ■) ihm aufliefet — ein Pafs, wie sie grofee Beize
auf den Forscher ausüben; gern wäre ich ihm gefolgt. Das Thal ist
hier etwa 100 Schritt breit und auf der nördlichen Seite des Isker he-
gen mehrere Eisenwerke, zuerst Tchetiler Maden, dann Etrovitaa nnd
weiterhin noch ein anderes, dessen Name ich nicht erfuhr. Omen vor-
beieilend auf der südlichen Flufeseite und dann auf den nun im S.
sich öffnenden Pafe zu etwas abbiegend, erreichten wir das Dorf Sirp-
') Viaquenel nennt ihn Bei Iskra oder Ak Iakar, d. h. „Weif »er Isker*, aber
gibt ihm einen ganz falschen Lauf, wie diese Karte überhaupt nach meiner genauen
Kontrole im Einzelnen nicht aehr znverllaaig ist.
Engpafs des Isker. - Demir-kapü. — Dai Sieben -Seen -Thal. 75
köi um 5 U. 45 Min. In mäfsigem Schritt wird die Entfernung von
Samakov auf 2\ St. gerechnet. In diesem , nur aus etwa 30 Häusern
bestehenden Dorfe mufsten wir uns begnügen, fünf Mann hoch, wie
wir waren, uns in einem kleinen Zimmer mit den Kindern der Fa-
milie und allem möglichen Hausrath einzuquartieren; aber für unser
leibliches Wohl ward auch hier in seiner Art glänzend gesorgt. Ich
kaufte nämlich einen tüchtigen jungen Kapaun, woran es in den mei-
sten der Dörfer hier zu Lande nicht fehlt, dazu gab es Reis und Milch,
so dafs ein trefflicher Milchreis gekocht werden konnte, den ich sehr
liebe, und endlich backte die Hausfrau den gewöhnlichen Familienku-
chen, den bögatche, noch etwas gröfser, damit auch wir etwas davon be-
kommen könnten. So ward also nach Herzenslust geschmaust und
dann versucht zu .schlafen.
Mit dem ersten Tagesgrauen (Sept26) war ich wieder draufsen.
Sirpköi liegt auf dem Fufse eines zwischen zwei tief eingeschnittenen
südlichen Armen des Isker aus dem Hochgebirge sich herabsenkenden
Spornes. Das eine dieser Schluchtthäler ist das angegebene Demir-kapü ;
das andere mündet wenige hundert Schritt westlich von Sirpköi in das
Hauptthal und helfet Yedi-göler „die sieben Seen", Das Hauptthal
aber zieht sich in ziemlich gerader Richtung, nur in einiger Entfer-
nung von ganz niedriger Wand durchsetzt, noch fast eine Meile weit
nach W. 7 S. , wo es sich nach S. zu biegen schien ; seiden obersten
Anfang im Hochgebirge des Rtlostocks werden wir bei Besteigung
desselben wiederfinden. Etwa 10 M. oberhalb Sirpköi liegt an seiner
linken oder nördlichen Thalwand der kleine Bergwerksweiler Dost Fey
mahalesi; zwischen beiden Dörfern kommt ein kleiner Bach herzu,
offenbar von der Kammscheide zwischen diesem Pafsthale und der
nach Dübnitsa fuhrenden Klissüra.
Der Himmel war am Morgen bedeckt, bei 7* R., versprach aber
einen gunstigen Tag. Um 6 Uhr 30 Min. brachen wir endlich auf.
Allerdings war es die Engscblucht der Yedi Göler, die uns dieses
Knotengebirge des RTlo aufschliefsen sollte, aber in ihrem Ausgang
ins Hauptthal ist sie so eng und wild eingekerbt, dafs hier kein Pfad
entlang fuhrt; sondern der Pfad erklimmt von Sirpköi aus in Windun-
gen die grasbewachsenen Halden des Spornes, erreicht so gerade an
der östlichen Felswand der Engschlucht, eine Höhe von 2 — 300 Fufs
und steigt erst dann wieder zum Bach hinab. Schon Samakov und
Sirpköi liegen so hoch, das erste 991, letzteres 11 92 Meter nach Vis-
quenel '), dafs man sich sogleich im Bereich des Knieholzes befindet.
') TJebrigens hat man hier ein Beispiel, irie unbestimmt noch im Einzelnen
diese Höhenangaben sind, indem Bone* Samakov an nur 685 m. angibt; also ein
76 Reise durch die Europäische Türkei.
So wandten wir ans hart oben an dem steil abgeschnittetifen Abhang
der Felsschlucht hinam, während die höchst malerisch und wild ab-
gerissene und durchbrochene und an den geschützten Stellen mit ein*
zelnen Nufsbäumen und Kiefern geschmückte Felswand von Pasinitea
uns von der anderen Seite entgegenstarrte, die höchsten Zinken von den
Morgenstrahlen beleuchtet. Mein Pferd einem unserer Soldaten überge-
bend und langsam zu Fufs weiter steigend, genofs ich ganz das Schau-
spiel dieser wilden Scenerie. Wir hatten nun (6 Uhr 50 Min,) den
eigentlichen Engpafs erreicht, zwischen den über diesem Trümmersporn
sich steil und zackig erhebenden Felsmassen und stiegen am Ge*
hänge der östlichen, weniger hohen und zackigen Wand auf sehr rau-
hem und engen Felspfad zum Wildbach wieder hinab. Die Schlucht
hier oben mag 1000 — 1500 Fufs breit sein, unten gewährt sie eben
nur dem Bache Abflufs. Nach einer Viertelstunde waren wir am
Rande des schäumenden Wildbaches, von den wol 2000 Fufs hohen
Felswänden eng umschlossen. Hier schien mir unsere Seitenwand aus
Gneis zu bestehen und lag sie stellenweise in steilen Stürzen machtiger
Blöcke zertrümmert und zerrissen da; die gegenüberliegend« Wand
bestand allem Anschein nach aus Schiefer von Granit unterbrochen;
Farrn waren spärlich, einzelne Nufsbäume kletterten kühn hoch an
den zackigen Felsmassen hinauf. Wie wir nun mit dem '.Bache wie-
der gemach anwärts stiegen, und stellenweise auf die untere Lehne
des Steilabfalles hinaufrückten, nahmen die zuerst spärlichen Weifetan-
nen allmählich an Zahl zu. Hier wurde die linke Steilwand von einem
Wasserfalle belebt, der weit auseinander stäubend über die Felstrüm-
mer herunter stürzte. Um 8 Uhr 1 5 Min. , wo wir den Bach wieder
hart neben uns hatten, waltete der Granit vor in sehr schöner kri-
stallinischer Mischung. Acht Minuten weiterhin erweiterte sich die Eng-
schlucht ein wenig zu einer Art kleinen grasreichen Kessels, indem
hier der eine der sieben Seearme von S. her sich mit dem Hauptarm
vereinigte. Der aus ihm hervorkommende Bach, den wir zuerst kreuz-
ten, übertraf den änderen, dem wir weiterhin zu folgen hatten, entschie-
den an Wasser menge; aber obgleich die Schlucht höchst malerisch duroh
drei oder vier links in sie vortretende Seitensporne gegliedert, kaum
einen rauheren Charakter entwickelte, als die vor uns liegende, scheint
sie keine Yerkehrsstrafse zu bilden, aufser dafs das Thal von den Koh-
lenbrennern besucht wird; es wird aber sehr malerische Partieen ent-
halten. Wahrscheinlich liegt das Quellgebiet aller dieser Seitenschluch-
ten sehr eng zusammen am Fufse der von mir unter 42* N. Br. und
Unterschied von £ des Gesammtwerthes. Uebrigens ist Visquenel's Beobachtung von
dar Wahrheit wol wenig entfernt. ■■: ,i; .
Die wilden QueUschloobten Die schöne Atye. — Der hohe Sattelpafs. 77
21 * 1 5 ' O. L. eingetragenen Knppe. Wir folgten nun mit immer gröfse*
rer westlicher Abbiegang dem westlichen Arm der Engschlacht, über-
schritten den Bach and hielten ans an seiner linken Seite aufwärts. Hier
ward der Pfad zum grofsen Verdrufs meiner an solche Passagen wenig
gewöhnten and für dergleichen Bergscenerien wenig eingenommenen
Soldaten immer rauher und wilder. Grofse Massen Granittrümmer
hemmten die Schlacht ein; aber viel schlimmer für die Pferde waren
die ganz glatten Felsplatten, die wir zu überschreiten oder vielmehr
zu überklettern hatten. Der Bach bildete mehrere sehr schöne Felsstürze
and Wasserfalle. Die Felsmassen waren dicht mit Wachholdersträu-
chern durchwachsen, während die Felswand aar Linken jetzt fast ganz
nackt war; die gemacher ansteigenden Gehänge der Scheidewand zur
Linken waren noch bebaumt. — Angegriffen wie die Pferde waren, wa-
ren wir froh, am 9 Uhr 40 Min. eine offene grasreiche Sattelöffnung zu
erreichen, wo ein anderer breiter Arm von S. her sich mit unserer
Schlucht verband und einen sehr geschützten prächtigen Hochkessel
'bildete, den ich Reisenden , die im Sommer diese überaus malerische
und wahrhaft herrliche Gebirgslandschaft etwa besuchen wollen, als La-
gerplatz sehr empfehlen kann. Denn von hier aas ist dieser ganze cen-
trale Gebirgsknoten der Europäischen Türkei mit ungleich gröf serer
Leichtigkeit zu erforschen, als vom Kloster aus, da man hier schon
nahe an 6000 Fufe hoch ist und nur noch 2000—2500 Fuis zu den
höchsten Kuppen hat, während jenes, in dem tief eingeschnittenen Thal
eingeklemmt, eine ziemlich mühselige Ersteigung nöthig macht. Natür-
lich mufs man sich im Kloster erst bekannt machen und es als Rück-
halt zur Terproviantirung und für schlechtes Wetter benutzen. Aach
mufs man eine gute Bedeckung bei sich haben, da es hier auf dieser rei-
chen Alpentrifft keineswegs so ganz sicher ist Was uns betraf, so be-
schlossen wir hier nur eine kurze Frühstücksrast zu halten und machten
an dem nunmehr ganz winzig zusammengeschrumpften Bach ein kleines
Feuer zum Kaffe an. Während dessen erkletterte ich die uns im N.
überragenden Gehänge and entdeckte zu meinem nicht geringen Er-
staunen, dafe hier eine ganze Anzahl Pferde weidete; eine andere
Heerde befand sich weiter unten in der breiten Seitenschlucht. Ueber
diesen Halden jedoch erhob sich eine ganz regelmäfsig senkrecht ge-
spaltene und abgeschnittene Felswand und zog sich mit einzelnen Kup-
penbildungen längs des Sattels nach W. — der Steilabfall des RHo- Pla-
teaus.
Als wir gegen 11 Uhr unseren Marsch fortsetzten, gingen wir
sogleich auf die rechte Seite des kleinen Baches über und hielten uns,
um dem sumpfigen Quellboden der Sattel -Niederung auszuweichen,
etwas oben an die Gehänge. Hier auf dieser Seite sind die Formen
78 B«te duck die Enropftüche Turkti
ganz zahm and abgerundet mit einer Einrenkung am Fofe zweier mitt-
lerer Kuppen, wo der Quellbach entspringt. So stiegfn wir nun ge-
mach auf dem breiten offenen Sattel an, der immer grasreicher, aber
auch sumpfiger wurde, wahrend nur vereinzelt aufstehende Granit-
blöcke den felsigen Untergrund verriethen. Um 1 1 Uhr 1 8 Min. be-
zeichnete ein Grenzstein die Grenze der Mudirie von Samakov gegen
Dubnitsa, aber der eigentliche Kamm des Sattels ist erst 2 M. weiterhin
(in der bedeutenden Höhe von 2184 m. nach Visquenel). Sobald wir von
hier abzusteigen anfingen, hatten wir auch sogleich einen von der höher
ansteigenden Granitkuppe zur Rechten herkommenden und in dieser
Richtung abfliefsenden Bach, waren also aus dem Bereiche der Donau
wieder in das Wassergebiet des Aegaischen Meeres, und zwar im en-
geren Sinne in dasjenige des Strymon eingetreten. Diese für den ganzen
binnenländischen Verkehr durch diese Gebirgsgegenden so überaas wich-
tige Einschiebung des Isker zwischen die Maritch (Hebros) auf der einen
und die beiden Kärasü (Strymon und Nestos) auf der anderen Seite,
war schon den Griechen seit den Zeiten des Peloponnesischen Krieget
höchst merkwürdig und gab diesem Gebirgsknoten eine so grofee Be-
deutung in ihren Augen, dafs dieser Punkt des Landes für die Iden-
tification der altgeographischen Namen entscheidend sein mufs *).
Von hier zog sich der ziemlich steile Abstieg, nur um 11 Uhr. 45
') Die entscheidende, wahrhaft klassische Stelle für die Identification dieser
Gegenden der alten Geographie ist die Beschreibung des Feldzuges des Odryserkft-
nigs Sitalkes bei Thukydides 1. II c. 96, die ich ihrer auf Autopsie begründeten
klarsten Angaben halber ganz hierher stelle: fie'xpi ya$ r^aauov ^AyQutv£av\ tuü
Acuaicav Jlaiovcov xai iov JSxqvfiovog Ttorafiov, 09 ix rov JBxouiov (aliis JSxo/t-
ßoov) OQOVi Bia rqaaüov xai AaaUov $el, co^ero rj apxv ra npbg üalovat
avrovofiovi %8r], d. h. nach Westen, nach dem Gebiete der Paiooer tu begriff des
Odryses Herrschaft noch denjenigen Theil der Landschaft der Grauer und Laler
(selbst schon Unterabtheilungen der Paioner), welcher östlich vom Strymon lag*
(Der andere wohl bedeutendere Theil, der westlich vom Strymon lag, mag wohl
wirklich noch eine Erinnerung des Namens des hier hausenden Volksstammes in
dem noch jetzt üblichen Namen Egri-der^, Egri-Palanka u. s. w. bewahrt haben.)
ra 8i itqbg TgtßaXAovg, xai rovrovg avrovofiovg, Tqtjqss Sqi^ov xai Ttht-
raloi ' oixovoi ovxoi nqbg ßoqdav rov JSxofiiov oqovg xai naqrjxovGi nqbe
rjXiov dvaiv fie'xqt rov *Ogxiov noTapov (den Isker). gel 8* ovros in ?•*
oqovg ofrevneQ xai 6 Neaxog xai o"Eß(>oe (die Maritch). $a*i 8i 4ff}-
fiov ro 0Q09 fiai fie'ya, i%6fiBvov Trjg t Po8o7ttjg, Die letztere Stelle ist
völlig entscheidend. Sie heißt „Nach der Seite der Triballer aber, die gleichfalls
ihre Selbstständigkeit noch gewahrt hatten, begrenzten sein Reich die Trerer and
Tilataier, die auf der Nordseite des Skombros (oder Skomions) wohnen und sich
westwärts bis an den Isker erstrecken, der eben fast im geraden Süd-Nordlauf dem
Gebirgsknoten des Rilo enteilt, eben jenem Gebirge, woher auch der Nesta Kamst
(nach S.) und die Maritch (nach 0.) entfliefsen. Dies Gebirge (der Rilostock) ist
eine öde und grofsartige Gebirgsmasse und schliefst sich eng an die Rhodope an".
Hier müssen wir zuerst festhalten, dafs der Schriftsteller, indem er den Oberlauf
des Strymon und Isker so ziemlich auf einer Nord -Südlinie verlaufen läfst und als
westliche Grenze des Odryserreiehes aufstellt, nicht den nordwestlichsten, dam Vltosh
Vierfache Stromscheid» des Bflo. — Der Alpeasee. — Das Rüothal. 79
Min. durch kürze Terrassenhildang unterbrochen, und am 12 Uhr durch
hübschen, von den kahlen Höhen zur Rechten herabstürzenden Was-
serfall belebt, bis zum kleinen, auf einer L&ngsspalte sich aasbreiten-
den , Alpensee E'dere ' ) hinab , den wir am 1 2 Uhr 1 Minuten er-
reichten. Die bläulichen Wasser dieses kleinen stillen Sees, die ich
schon vom Sattel aus hatte mir entgegenleuchten sehn, machten auf
mich einen tiefen Eindruck; auf der Nordseite steigen steile nackte
Felshöhen auf, auf der Südseite, über die ein selbst jetzt, in der fast
trockensten Jahreszeit, hübscher Wasserfall herabstürzte, ist die weni-
ger steile Neige dicht mit schönen Fichten bestanden; an der West-
seite dieser Hochthalspalte lagert sich eine gleichfalls wild romantisch
bestandene kleine Kuppe vor und sperrt den Gewässern den Ausgang
in das auf der anderen Seite über 2000 Fufs tief eingesenkte Waldthal
von Rüo. Die Kuppe ist mit einem Kreuze geziert Ein Mönch ruht
den ewigen Schlaf hier, ein Einsiedler, der sich diesen Platz als Lieb-
lingsstätte seines still beschaulichen Lebens ausgesucht hatte, wozu er
mehr denn irgend ein anderer angethan ist, auf diesem Sattelhöcker des
und Egrisu entquellenden Arm, der, durch den Engpafs von Bdboshe völlig abge-
schlossen, den Griechen, damaliger Zeit wenigstens, wohl ganz unbekannt blieb, be-
rücksichtigte. So müssen wir denn wohl annehmen , dafs Thukydides alle vier ge-
nannten Flusse auf dasselbe Quellgebiet zurückführte, und auf denselben Gebirgs-
knoten, eben den Rilo, wenn er sich auch etwas deutlicher hätte ausdrücken kön-
nen wegen der Identität des Berges, indem er anstatt ix rov oqovg, ix rovrov
rov oqovg gesagt hätte. Aristoteles wenigstens, dem doch diese Gregenden gleich-
falls ziemlich bekannt sein mufsten, leitet ganz deutlich drei jener Flüsse aus dem
Skoinbrus her in der bekannten Stelle Meteorol. 1. I c. 13 6 Se JSr^vfianf xal
Nearos xal 6 "Eßqog anavres rgeig ovreg ix rov JBxbpßQov, wo sich sehr ein-
fach erklärt, warum der Stagirite nur die drei nach S. aus jenem Gebirgskno-
ten entspringenden Flüsse aufzählt und den nach N. so recht der Mitte desselben
entquellenden Isker ganz unberücksichtigt läfst. Zu bemerken ist noch, dafs Thuky-
dides an einer folgenden Stelle 1. II c. 98 noch eine andere Gebirgsgruppe westlich
vom Skomion unterscheidet, nämlich die Kerkine, auf der Grenze der Sinten und
Päonen: iitOQsvexo inl zr\v MaxeSovlav n^anov fiiv 8ut ttjs avrov OfT/fig,
Sneita 8ut KeQxivqg i^rj/iov oqovg o iari fiefrogiov JIwzcjv xal Haiovatv. —
to Si oqos i£ ^OS^vacov ouovreg (süd westwärts) iv &e£tq fiev el%ov Ilaiovat, iv
aoicrzefq 8i Uivrovs xal Matöovg' SisX&ovrsg 8i avro apfcorro ig JoßrjQov
xrjv Ilawrixr^. Diese Umstände sind ganz entscheidend für eine im Allgemeinen
richtige Identification der Kerkine mit dem Schluchten- und waldreichen Malesch
Balkan. Unzweifelhaft nämlich marschirte Odrvses mit seinem zahlreichen Heeres-
trofs Über Samakov, Dubnitsa, dann thalabwärts und verliefe das Thal des Strymoü
zuerst auf meinem Wege über den Malesch, dann östlicher gerade auf Doberos (Dni«
rin) zu. Sehr zu bedauern aber ist es, dafs der so klare und bestimmte Thukydides
keinen Anlafs in seinen militärischen Angaben hatte, auch den Orbelos zu erwäh-
nen, damit wir sehn könnten, wie er dessen Verhältnifs zu den anderen Berggrup-
pen angeben würde; aber die Stelle des Adrian I, 1, 6 p. 11 ed. Borheek läfst
über seine allgemeine Lage keinen Zweifel. Auf den Orbelos komme ich im Ver-
laufe meines Berichtes zurück.
f ) Visquenel erwähnt den See, „petit lac 4 *, hat aber keinen Namen fttr ihn.
80 Reise dwe* die Europifcehe TOfkeL
oben öden and des unteren unbeschreiblich malerischen wilden Thaies,
hart über den stillen Wassern des kleinen Alpen-Sees. Aach ich bestieg
die kleine Kappe, mutete jedoch schnell meinen Leuten nacheilen, die
an diesem räuberischen Pafs nichts von meinen Natargenüssen hören
wollten. Der See hat, wie gesagt, keinen Abflute, wenigstens keinen
oberflächlich sichtbaren, während nicht zu zweifeln ist, dafe die Wasser
auf unteren Schichten durch- and ins Thal hinabfliefeen. Allerdings
hatte er augenblicklich einen sehr niedrigen Stand, kaum 20 Fute an
der tiefsten Stelle tief, aber Alles deutete an, date er auch bei höch-
stem Stande keinen oberen Abflute hat, so auffallend das ist bei dem sei-
geren Abfall des Passes gleich unterhalb. Hier nämlich steigt man um
den wilden Sporn, der zwischen diesem Hochpate und der an 2000 Fufs
tieferen, herrlich wilden Waldschlucht der Bilska vortritt, sogleich steil
hinab und in Schlangenwindungen geht es abwärts unter schlanken
Fichten, die hier von allen Seiten geschützt, in dicht gedrängten Reiben
zu prächtiger Höhe emporschieteen und ungestört von barbarischer
Hand die malerischen Gehänge beleben. Unendlich gern hätte ich hier
gezögert, aber meine Soldaten trieben vorwärts. Es ist einer der ro-
mantischsten Punkte, die man sich denken kann. Besonders der Ein-
blick in die von der regelmäteig geformten groteartigen Kegelkappe
des Demlr-kapü überragten Waldschlucht der Rilska nach SO. ist un-
vergleichlich schön. Hier kann ich jedem Reisenden die schönsten
Naturgenüsse verheifsen, aber sichere Begleitung mute er mitbringen.
Erst bei diesem südwestlichen Abstieg in der wärmsten Mittags-
beleuchtung wurden mir meine Winterkleider lästig; wir muteten unsere
Pferde am Zaume fuhren. Dann aber, wie wir den Sporn umgangen
hatten, und uns am nördlichen Gehänge der Hauptschlucht entlang
hielten, ward der Abstieg gemacher. Hier fingen Erlen und Eschen
an, mit der Fichte abzuwechseln. Um 12 Uhr 45 Minuten liefe sich
das stattliche Kloster zuerst erblicken, die Waldschlucht in der Ferne
in W. 20 S., absperrend; um so munterer ging es vorwärts. Der
Wald ward immer dichter und nur selten öffnete sich ein lichter Blick
in die Thalsohle, deren Niveau wir uns stets mehr näherten, ländlich
um 1 Uhr 40 Minuten erreichten wir den Quellborn (tcheshme), den
Anfang der Klosterkultur und nun ward das Thal lichter, im schön-
sten Grün prangend in einer Breite von etwa 1200 Schritt. Zehn Mi-
nuten weiteihin erblickten wir einige hundert Fute über uns aas dem
mit Fichten stellenweise bestandenen steilen Felsgehänge zur Rechten
ein Gebäude hervorragen; es ist das kleine und älteste Kloster in die-
sem Thal, das noch ausschlietelich den Namen des Heiligen trägt, dem
die Gründung der ganzen Klosterstiftung eigentlich galt, des heiligen
Johannes, 6 ayiog 7a>a?rj^'. Um 2 Uhr hatten wir dann zur Rechten
Abstieg in die tiefe Waldschlucht — Kloster Rflo. * gl
auf der grünen Lehne, hart am Fafs der Felswand, das gröfsere, gani
freistehende Kloster Bosnits oder nach seinem Heiligen 6 ayiog Aovxug
genannt; es enthielt zur Zeit etwa 30 Mönche. Ermüdet von dem lan-
gen Gehirgsmarsche hatten wir nicht übel Lost, hier Obdach zu suchen,
aber wie trat dieser einfache Bau zurück gegen das schlofsartige Haupt-
kloeter, das wir nun bald vor uns hatten. Jedoch, ehe wir sein Thor
erreichten, mnfsten wir noch eine Reihe hölzerner Baracken passiren,
wo die zum Kloster gehörigen Arbeiter wohnen.
Nicht wenig erstaunt war ich, als ich durch das vom wohlbewaff-
neten Pförtner geöffnete breite Tbor in den Klosterhof einritt. Ein so
grofsartiges Gebäude hatte ich hier wahrlich nicht erwartet, mit drei
und selbst vier massiven Säulenhallen über einander und einer schmucken
Kirche in -der Mitte. Alsbald wurde ich in das recht stattliche, hohe und
sehr geräumige Fremdenzimmer im zweiten Stock geführt und war wie
angefesselt von der Grofsartigkeit der Aussicht, die sich hier eröffnete.
Es schaute nämlich thal aufwärts nach dem hohen Sattelpafs, über den
wir gekommen und über das ganze Thal hinweg, rechts von den präch-
tigen Waldabhängen des Britche Bor, links von dem hohen, schauerlich
zackigen Felsendamm des Helleni vrakhos beherrscht. Kaum konnte ich
vor Entzücken die Etiquette bewahren, da der Oekonömos mir einen
Besuch abstattete, und gern überliefs ich Rossi dabei die Hauptrolle.
Jedoch war ich trotz dieses geistigen Genusses nicht geistig genug
gestimmt, um nicht nach dem tüchtigen und beschwerlichen Gebirgs-
marsch zu beklagen, dafs wir zu einem guten und zeitigen Mittags-
essen zu spät gekommen waren. Jedenfalls bat ich um Kaffe anstatt
des bei diesen griechischen Christen unausbleiblichen, mir aber wenig
zusagenden Raki. Nach dieser kleinen Stärkung besichtigte ich das
Kloster.
Das höchst stattliche Gebäude bildet ein sehr unregelmäfsiges
Sechseck, oder vielmehr ein Viereck mit einem an der Nordostecke
vorspringenden Winkel, in dem sich das östliche Eingangsportal befin-
det. Das Kloster nimmt so ziemlich die ganze Breite des Thaies ein
and schliefist sich besonders nach NW. mit seiner längsten, in den in-
neren Räumen etwa 120 Schritt langen, von S. 35 W. nach N. 35 O.
laufenden Seite hart an den Fufe der Vorhügel an. An diese schliefst
sich die andere, nächstlange Seite ziemlich rechtwinklig an, mit Richtung
von N. 38 W. nach S. 38 O., im Ganzen 91 Schritt lang, aber bei
34 Sehritt von einer Mauer mit Thordurchgang geschieden und das
westliche Portal enthaltend. Hieran stöfst die dritte Seite, die im
Allgemeinen mit der ersten ziemlich parallel läuft, aber doch allmäh-
lich von der Parallellinie abweicht, SW. nach NO., und nicht ganz so
lang. An diese Seite schliefet sich nun eine vierte Reihe an, ziemlich
6
82 Beta durch die Europ&tohe Tirkfit
parallel mit der zweiten, aber nur etwa | so lang, and an ßie schliefet
sich die fünfte, von S. 12 0. nach N. 12 W. laufend und sich der er-
sten natürlich immer mehr nähernd, jedoch ohne mit ihr in spitzem
Winkel zusammenzulaufen, sondern vielmehr einer sechsten kurzen
Quermauer Platz lassend. Alle diese Umschlulsseiten dea Gebäudes
nun bilden nach Aufeen einfache solide Wände von etwa 60 JFüfs Höhe,
mit Fensteröffnungen; nach Innen aber öffnen sie sich in drei und
dier Stockwerken mit Säulenhallen von sehr schönem Granit, aulser
vafs die vierte Wand von unregelmäßigen, nicht in Säulenstellungen
gegliederten, Dienstwohnungen eingenommen wird. Auch wird die Be-
gelmäfsigkeit des Baues dadurch unterbrochen, dafs eine und dieselbe
Seite drei und vier Gallerien aufweist, wie das bei der ersten Seite
der Fall ist, die eigentlich aus zwei ganz getrennten Theilen besteht,
indem die längere östliche, etwa 80 Schritt lange, mit 1 9 Bögen in drei,
die westliche, halb so kurze, in vier Säulenstellungen gebaut ist. Vier
Säulenstellungen wiegen im Ganzen vor und diese Ordnung wird an
der zweiten und dritten Seite ausschliefen ch vertreten. .Drei Säulen-
stellungen aber erscheinen an der fünften Seite, sowie an der sech-
sten ganz kurzen, und dieser Winkel mit dem östlichen Theil der er-
sten Wand bildet doch den stolzesten Theil des ganzen Gebäudes. Hier
eben, in der fünften Wand, ziemlich über dem Portale, befand sich
auch das mir selbst angewiesene Zimmer mit der herrlichen, unbe-
schreiblich großartigen Aussicht. Die umfangreichsten Räume aber
zur Aufnahme der zu Zeiten massenhaft herbeiströmenden einheimischen
Fremden befinden sich in dem westlichen Theile der ersten Seite.
Auf dem dermafsen, freilich unregelmäfsig, aber doch sehr statt-
lich umschlossenen, wohlgepflasterten Hofraume erhebt sich nun ziem-
lich in der Mitte die Byzantinische Kirche mit zwei Seiten von W* 6 N.
nach O. 6 S., mit den beiden anderen von W. 28 N. — O. 28 S. gerich-
tet und ein nicht grofses, aber stattliches, im reichsten bildlichen Far-
benschmuck prangendes, Griechisches Kreuz mit erhöhetem Säulenum-
gang nach Anisen bildend und mit drei Kuppeln überdacht Hart neben
ihr, aber ganz ohne Beziehung zu ihr und leider alle Linien und/ Ver-
hältnisse des Ganzen störend, nahe dem stumpfen Winkel, der von
der Vereinigung der vierten und fünften Seite der UmschluXsmaner
gebildet wird , erhebt sich zu einer Höhe von etwas über 60 Fuls ein
alter massiver, viereckiger Thurm, der älteste Bestandteil des ganzen
Klosters. So bedeutend nun die Kirche für den ganzen Charakter die-
ser klösterlichen Zufluchtstätte ist, so wichtig schien mir für meine be-
sonderen Zwecke dieser häfsliche Thurm, aber seine Baufölligkeit, we-
nigstens im obersten Theil, war eben der Grund, wefshalb die Mönche
mir zuerst sein Besteigen verweigern wollten; da ich jedoch, hoffte,
Die Aussicht vom Kloster. *- Nächtlicher Aufbrach ab'fs Rüoplatean. gg
oben eine gute Aus- und Umsicht au erhalten, setzte ich meinen Wil-
len durch. Der Thurm ist sehr stark, mit gewaltigen, unten bis 10 Fufs
dicken Mauern, hat aber dadurch gelitten, dafs man bei dem Bau des
hart an ihn stofsenden neuen Flügels die ursprünglich an der Aufsen«
seite zu ihm hinaufführende Treppe abbrach, so dafs man jetzt die
erste Strecke auf einer Leiter ersteigen mufs. Die Zinnen treten vor
und haben Giefeöffnungen zur Verteidigung. Die Aussicht auf dem
schon sehr morschen Dache war aber nicht so gut, wie ich gehofft,
da der Thurm sich nicht ganz frei über die Umfassungsmauer erhebt
and an den meisten Seiten eingehemmt wird; nur nach Tchareforie
bin gewann ich neue Winkel. An den eben genannten Berg knüpft
sich eine vielleicht sehr interessante Tradition vom Bulgarenkönig Pe-
ter, der hierher gekommen sein soll, die ich leider nur halb hörte und
zum kleinsten Theil verstand.
Ich machte dann einen Umgang durch das übrige Klöster und
fand, dafs die Aussicht am schönsten sei von der oberen Gallerie des
neuen Flügels, weil man von da die grofsen Berghohen des Rflo am
besten übersieht, und eben von dort aus ist auch die auf der beigefügten
Tafel lifhographirte Skizze gemacht, die leider aus Mangel der zu
sorgfältiger Ausführung nöthigen Zeit das ausserordentlich liebliche und
unbeschreiblich grofsartige Bild nur sehr schwach wiedergibt. In der
That gehören diese Ansichten bei Rilo zu dem Großartigsten, was sich
meinem, doch leidlich geübten Gedächtnils eingeprägt hat. Das Bild
gewährt eine wunderbare Mischung des Wilden und Lieblichen : neben
den jähesten, grausenerregensten Felsabstürzen lieblich grüne Gehänge,
wie vor. Allem die inmitten der Höhen von Sütchal und Ravenisti völlig
regelmäfeig in schönster konischer Form aufsteigende und mit reich-
stem Pflanzenwuchs bekleidete Kuppe Drushlovitsa einen so äufserst
lieblichen Anblick gewährt. Die letzten Strahlen der scheidenden Sonne,
nachdem sie sich den jähen Felsabhang hinaufgezogen und lange das
in wahrhaft mysteriöser Lage die grausen Abgründe beherrschende,
hochverehrte Kreuz auf Heilem vrakhos beschienen hatte, beleuchtete
zum Abschied eine weiter einwärts gelegene Felsplatte, die ich dem*
nach als die höchste Erhebung des (von hier sichtbaren) Gebirges eis
kannte und sofort zu ersteigen beschlofs. Den Mönchen dagegen gilt
der Absturz von Helleni vrakhos selbst für den höchsten Punkt und
wohl war es ein grofsartiger Gedanke des Mönchs, der jenen seigeren
Felsabsturz erkletterte und dort sein Kreuz aufpflanzte. Wäre ich ein
Einsiedler von Rilo, dieses Kreuz würde der Hauptpunkt meiner Ver-
ehrung sein. Doch wir werden es bald näher kennen lernen.
Sobald ich von meinem Umgang durch das Klostergebäude in
mein Gemach zurückgekehrt war, berieth ich nun, wie der Berg, oder
6*
84 Beta durch die Europäisch« Türkei
vielmehr das Plateau dieses grofsartigen centralen Gebirgsstockes ca
ersteigen sei, und sofort nach eingenommenem Abendessen ward Alles
bestimmt und festgesetzt, in der Nacht um 3 Uhr aufzubrechen. Dazu
sollte vor Allem ein als Jäger in jenen Hochebenen erfahrener Arnaut,
ein Papas, der auch schon oben gewesen sein wollte und ein Kloster-
bruder zum Tragen der Provisionen mich begleiten; ja, aufser Rosei
wollte , durch das Romantische der Lage und das Ungewöhnliche des
Unternehmens angezogen, sogar mein gut moslemischer, schwerfalliger
und untersetzter Surudji Mustafa mitgehen. Es schien also eine ganz
heitere Partie werden zu sollen. Nur meine Zabties blieben von dem
Enthusiasmus unberührt; der Sekt des Klosters hielt sie gefangen,
auch hatten sie gestern von Felspartien schon genug gehabt.
Schon lange vor bestimmter Stunde waren wir zu Gange und zogen,
unsere Laterne voran, bei nächtlichem Dunkel zu den heiligen Kloster-
mauern hinaus — es war Sonnabend den 27. September — und bald ging
es an den waldigen Gehängen von Drushlovitsa in Windungen aufwärts«
Jedoch nur zu bald zeigte sich die Schwerfälligkeit und Unzuverläesigkeit
unserer Gesellschaft; besonders der als zur Besteigung der Berghöhe
ganz wesentlich dargestellte Papas blieb jeden Augenblick zurück, klagte
bald über Dies, bald über Jenes und verursachte uns vielfache Verzöge-
rung. Allerdings war die Laterne nicht unnütz in der dunkelen Nacht,
aber sie fehlte meist an den wichtigsten Punkten und liefs uns vor
dem ersten Morgengrauen im Stich. So hatten wir noch nicht den
Gipfel dieser Spitzkuppe erstiegen, als der Tag graute, und da zog ich
es denn vor, mich nicht mehr um meine Gefährten zu kümmern, son*
dem liefs sie zurück, versäumte es nur aber leider, etwas Mundvor-
rath einzustecken. Der Gipfel ist hier sehr steil und es war gut, dafs
das lange, jetzt durch die anhaltende Sommerdürre völlig ausgetrocknete
und geglättete Gras, womit der Abhang bewachsen ist, während es im
Allgemeinen allerdings das Ansteigen sehr erschwerte, indem man bei
jedem Schritt fast um zwei Drittel des beschrittenen Raumes wieder
zurückglitt, doch an den schwierigsten steilsten Stellen einen gewissen
Halt bietet, sich hinaufzuziehn. So erreichte ich denn endlich den Sat-
tel zwischen Drushlovitsa und Sütchal und blieb, ohne mich zu setzen,
einen Augenblick stehn, um die mir sich darbietende Umsicht zu über-
schauen; denn eine Rundschau war es noch nicht, da nach N. höhe-
res Terrain meinen Blick hemmte, auch die Kette des Perlm erst an fing,
sich zu entfalten ; dagegen aber konnte ich hier mehrere hervorragende
Kuppen des Haemus-Balkän peilen, die ich nachher nicht so bestimmt
abgegrenzt sah. Indem ich mich nicht weiter um meine Leute küm-
merte, von denen gar nichts zu sehn war, setzte ich den Anstieg fort
auf der nur wenig abgesonderten und wenig über den nächsten Rand
Das Hochplateau des Rflostocks und sein Panorama. — Die Iskerquellen. g5
sich erhebenden, aber felsigen Höhe Sütcbal. Ich mufste hier etwas
vorsichtig sein, weil von hier eine steile Schlucht hinabsteigt, die ich
am Rande umgehen mufste, und wahrend ich zögernd und meinen Pfad
berechnend die Felsklippe hinanstieg, erreichte mich der Arnaut und
gab mir, was mir sehr lieb war, etwas frischen Käse und Brod. Wir
setzten nun unsern Weg zusammen fort und standen bald auf der
Plateauhöhe, indem Sütcbal sich nach dieser Seite nur wenig senkt
Es war eine schöne Almentrift, auf der wir bald in einiger Entfernung
zur Linken einen Rudel Rehe weiden sahen am Rande einer grünen
nach Norden sich hinabsenkenden Schlucht. Naturlich wollte mein Be-
gleiter das Wild nicht ungeschoren lassen und bat mich, niederzuhocken,
bis er zum Schufs käme. So verzögerte ich mich etwas; die Thiere
aber merkten die Gefahr, und entfernten sich eins nach dem anderen,
und ein Schute, den der Arnaut noch versuchte, ging fehl. Ich durch-
schritt jetzt die leichte Einsenkung und stieg nach O. wieder gemach an.
Hier trat der Glimmerschiefer mit reichsten Glimmer- Lamellen stellen-
weise zu Tage und glitzerte mächtig in der schönen Sonnenbeleuchtung.
Ich wandte mich jetzt nördlich ab, um zuerst den höchsten Punkt zu er-
reichen, der auch von den Eingeborenen als solcher durch einen Stein-
haufen ausgezeichnet ist; es war gegen 9 Uhr, als ich hier ankam.
Es ist ein Höcker der Hochebene, der nach NO. völlig isolirt wird
durch eine tief einschneidende, steil abstürzende Felsschlucht, die sich
in zwei Arme theilt, die eine anfänglich nur wenig unter dem Niveau
der Hochebene liegende, aber allmälich nach Ost sich absenkende Fels-
insel umschliefsen. Der Hauptarm senkt sich nach N. 40 O. mit einer
Breite von etwa 200 Schritt, verfolgt diese Richtung eine Strecke weit und
macht dann an der Nordostecke der Felsinsel, wo er den anderen Arm
aufnimmt, mit dem sich jene westliche Seitenschlucht vereint, eine
schaffe Biegung nach O., verfolgt diese Richtung auf längere Strecke,
bis er (in O. 18 N.) mit ganz scharfem Knie durch einen Engpafs nach
N. hinaustritt und sich so offenbar mit dem Thale von Sirpköi in Ver-
bindung setzt. Allerdings kann ich nicht behaupten, dafs hier gerade
die Hauptquelle des Isker sei, aber eine seiner am wenigsten unter-
brochenen und wichtigsten Quellen ist hier jedenfalls; denn der, hinter
diesem Felshöcker des Rüo, auf dem ich stand, in OSO. gebildete
Kessel enthielt selbst jetzt noch (Ende September) neben zwei klei-
nen Alpenseen eine ansehnliche Menge Schnee. Nur konnte ich leider
das Thal von Sirpköi nicht verfolgen, da die Linien dort zu gleichmä-
fsig waren und sich zusammenschlössen; dagegen erkannte ich deutlich
Samakövo mit demjenigen seiner Minarets, der nahe am Glockenthurme
liegt, zwischen diesen Höhen und den runden Vorhöhen eingeklemmt
(in O. 38 N.). Nach N. folgte dann (N. 10 O. - N. 8 W.) die Gruppe
gß Reise durch die Europäische Türkei
des vor dem Vitosch liegenden Gebirgsstockes; dann (in N.) die mitt-
leren Erhebungen einer entfernten Berggruppe und weiter westlich eine
se.hr entfernte Kuppe (in N. 30 W.), hart westlich wohinter eine noch
entferntere auftauchte. Sehr eigentümlich und höchst verschieden von
der nach früheren Angaben und Darstellungen mir gemachten Vorstel-
lung war dann das nun folgende Kreissegment mit dem Ueberblick
über die Gebirgspruppe selbst, an deren Ostende ich stand. Anstatt einer
vereinzelt gegliederten, centralen Kuppenerhebung dehnte sich hier ein
breites, welliges Plateau aus, mit einer Durchschnittshöhe von ungefähr
8000 Fufs (Kloster Rilo in 3500 F. -+- wenigstens vierstündigem Steigen
nach Abrechnung jedes Aufenthaltes = 4500 Fufs), von dem, aufser einer
mäfsigen, 1000 Fufs rel. H. wol nicht übersteigenden, sattelartigen An-
schwellung in der Mitte, besonders drei Randkuppen sich erhoben,
wenigstens zu eben der Höhe, auf der ich stand, die ich zu 8500 Fuis
schätze. Diese drei Kuppen sind, wie ich nachher durch andere Win-
kel fand, die beiden nach der Seite von Dubnitsa so stolz und mir
lerisch abfallenden Kuppen und die Rilo selo oder Rilo köi überra-
gende, nach jener Seite so höchst grofsartig zerklüftete Kuppe Lövnitsa.
Aus der, im Süden eng an das Rilo -Gebirge sich anschließenden und
mit ihm scheinbar in Zusammenhang stehenden, auch in Wirklichkeit
nur, durch den Einschnitt des Rilska- Thaies gespaltenen Höhenmasse,
tibaten sich zwei Kuppen durch ihre Höhe hervor, beide in SW. skji
fleckend, von denen ich die erste, den Waldberg Tchareforie im SO.
überragende, nicht ganz sicher mit Yolowetu, die hintere später n$
Arishwanitsa ') identificirte; es möchte auch eine Kuppe des langoa
Zuges. Plaschkavitsa sein. Hieran reihte sich nun nach Süd hin, doitio
die breite Thaleinsenkung von Räslog geschieden, der langgestreckt^
majestätische Höhendamm des Perim, die Krone des ganzen Büfkfe
wefshalb ich auch diese Seite wenigstens durch eine Skizze mir selbst
zu verlebendigen und zugleich dem Leser die Beschreibung einigere
mafeen zu veranschaulichen gesucht habe.
Ganz offen hatte ich hier die breite, nach NW. schauende Seite
dieses selbst heute noch nur in ganz allgemeinen Zügen auf den Karten
angegebenen Gebirgszuges vor mir, und möchte glauben, dafs dessen
höchste Erhebung den Vorrang der Culminationshöhe dieser Griechisch-
Türkischen Halbinsel dem Olymp einigermafsen streitig macht; wenig-
stens schätze ich sie nicht unter 9000 Fufs; von einer Absonderung
des Yel-tepe konnte ich hier nichts entdecken, und alle Eingeborenen
haben mir immer diese Kuppe als im engsten Zusammenhang mit der
') Ich will gleich hier angeben, dafs Visquenel die Kuppe Arishwanitsa mit der
ihr vorliegenden Yolowitu oder einer anderen verwechselt zu haben scheint
Der Calminationsgipfel des Permi. — Ansicht des Bergzages.
87
ganzen Gruppe des Perim angegeben. Vom Tbale von Raslog, das
sich «wischen jenem Zuge und der Bergkuppe der Arishwanit6a hinla-
gert, «teigt von ihren, gegen das Thal vorgeschobenen Vorhöhen, die, von
hier aus gesehen, von S. 8 0. — S. 25 W. gestreckte Wand des Zuges steil
auf, besonders im centralen Theile, wo sie jähe Abstürze bildet, die
offenbar eine tiefe Schlucht umschliefsen, nicht unähnlich der Bildung
des Oljmp, obgleich dem Perim im Allgemeinen jene tiefen Spal
teo zu fehlen scheinen, die der Gipfelung des Griechischen Götterber-
ges einen so eigentümlichen Charakter verleihen ; die mir zugewandte
Spitze der sargförmigen höchsten Kuppe peilte ich in S. 5 W.
Nach Ost zu, wo die Kette des Perim nach höherer Endkuppe
sieh senkte, und einem Gewirre niederer Höhen Platz machte, fessel-
ten dann mein Auge und meinen Kompafs zwei hohe Piks des Dospad
Balkan and ergaben sich als in S. 33 O. und S. 40 O. ; nahe an sie
-schlofs sich eine hohe, schöne und regelmäfsige Kuppe an, wahrscheinlich
der Demir-kapü tepesi und dahinter folgte eine Anzahl näherer und
fernerer Kuppen, die ich auf der Karte möglichst gut mit meinen übri-
gen Winkeln in Uebereinstimmung zu bringen suchte, wobei aber Man-
ches zweifelhaft blieb.
So hatte ich denn nun eine reiche topographische Ausbeute von
meiner Bergbesteigung gewonnen und hätte es dabei bewenden lassen
8g Reise durch die Europäische Türkei.
können. Ich konnte aber der Versuchung nicht widerstehn, jenes zan-
berhaft romantische Kreuz Helleni vräkbos zu besuchen und machte
mich dahin auf, gemach nach SO. etwas abwärts steigend. Bald er-
reichte ich den Rand des in's Thal hinabstürzenden grausigen Steil-
abfalles, von dem ein ganz schmales, in grofsen Blöcken zerrissenes
und zerklüftetes Klippenriff vorspringt; längs des letzteren, am Bande
des hier wol 2000 Fufe tiefen Steilabfalles hatte ich nicht ohne Muhe
und Gefahr zu klettern, bis ich endlich jenen Punkt erreichte. Es ist
in der That in gewisser Hinsicht eine eines Eremiten würdige Stätte,
diese über dem jähen Abgrund vorspringende Kuppe, Tod und Leben
in drastischster Gestalt vor Augen, den tiefen grünen Thaleinschnitt mit
dem Kloster zu Füfsen und die hohe Gebirgslandschaft rund umher
weit ausgebreitet; aber ohne Zweifel ist es nicht eben eine demüthige,
sondern vielmehr eine höchst anspruchsvolle Stätte, da schon eine leid-
liche Portion persönlichen Muthes dazu gehört, hier herauf zu klettern,
und es ist in der That, als ob der Mönch den unerreichbarsten Platz
ausgesucht hätte, um sein Kreuz zu pflanzen; aber ich glaube, der
Hauptzweck war, die oben (S. 83) beschriebene grofsartige Aussicht
vom Kloster durch dieses hoch auf der schroffen Felsklippe aufgepflanzte
Kreuz in gottesfurchtiger frommer Weise zu schmücken, wie denn eben
die dem Kloster zugekehrten, von den Strahlen der untergehenden
Sonne beleuchteten Metallplatten, womit die Arme des Kreuzes ge-
schmückt sind, weithin einen hellen Schein werfen.
Nach halbstündiger Buhe im Genuis der grofsartigen Aassicht
handelte es sich jetzt um die Bückkehr — ich hatte keine Lust, das
beschwerliche Riff zurückzuklettern. Keiner meiner Begleiter, selbst
der Arnaut nicht, war mir gefolgt, und so beschlofs ich, gleich an der
von der westlichen Seite des Klippenriffs sich in die Tiefe hinabziehenden
Schlucht hinabzusteigen. Allerdings war es ein seigerer Absturz, aber,
da ich nicht an Schwindel leide, konnte ich es wagen und sah, dafs ich
die Schlucht quer durchschneidend und dabei allmählich tiefer steigend
die grünen unteren Gehänge erreichen würde, wo ich einen schmalen
Gaisweg sah. Zuerst also kletterte ich an dem vorspringenden Felsriff
steiler hinab, dann frei im Rinnsal der Schlucht, wo die Blöcke und
das lange Gras, das sich bis oben hinaufzieht, einigen Halt gewährten.
So erhielt ich nun einen Einblick in die Natur dieser Glimmerschiefer-
massen, indem die von den gelegentlich hier hinabrauschenden Was-
serströmen blosgelegten und geglätteten Platten die 6 Zoll dicken Adern
des mit Lamellen dicht durchsetzten Quarzes zeigten, die von N. 20 O.
nach S. hindurchsetzten. Wie ich nun hier so einsam auf ungebahntem
Wege hinunterkletterte, erblickte ich meine Leute über mir, mit Stau-
nen und Zeichen des Schreckens mein Unternehmen verfolgend — ich
H&kni vrakhos. — Der Abstieg vom Rflo. Q0
aber gab ihnen ein Zeichen, mir von ihrem Platz aus längs eines leich-
ten Einschnittes nachzusteigen. Herrlich war das Panorama zu mei-
nen Fü&en und mit stummem Entzücken schwelgte ich in dem Anblick.
Leider aber sollte das Vergnügen des Abstiegs mir etwas verdorben
werden; denn gerade da, wo ich die Hauptschwierigkeit beendet glaubte,
fing sie erst an, auf jenem schmalen Gaispfade nfimlich längs der
grünen Unterhöhen in etwa 6000 Fufs Höhe. Das lange Gras war
nach der Sommerdürre so entsetzlich glatt geworden, dafs wir kaum
einen Schritt vorwärts thun konnten, und dabei war zur Linken
doch noch ein über 2000 Fufs hoher Abhang uns zur Seite. Etwas
Unterhaltung und Zerstreuung bei der Ueberwindung dieser Schwie-
rigkeiten gewährte die Geselligkeit, da nun meine Leute, Einer nach
dem Andern bei mir eintrafen, allerdings unter grofsem Stöhnen und
Aechzen und in dem komischsten Aufzuge. Aber es wurde mir selbst
doch auch schwerer, als ich geglaubt, besonders als es nun an dem
eigentlichen jähen Abstieg ging und ich konnte mir nur helfen; indöm
ich auf dem Grase hinabrutschte, wobei ich nicht allein meine Beinklei-
der völlig zerstörte, sondern auch meine oben gesammelten Steinprd-
ben fast sämmtlich einbüfste. Wir hätten wol besser gethan, gleich
längs der ersten Schlucht, an deren oberem Theil ich hinabgestiegen
war, weiter abwärts zu klettern 1 , nach dem alten Kloster Johannes zu;
vielleicht ist es nicht möglich, genug, der Albanese wollte es nicht. So
wandten, wir uns denn an dem Abhang des Sütehal herum und dann
längs der Seiten Schlucht Kriwa-r6ka. Sehr froh war ich, als wir endlich
die Thalstrafse wieder erreichten und rastete hier' einen Augenblick.
Erst um 3 Uhr Nachmittags traf ich wieder im Kloster ein. Die
Besteigung- des Rflo ist so aufserordentlich lohnend, dafs ich sie gu-
ten Bergsteigern, die in dies herrlich romantische Thal kommen soll-
ten, dringend empfehle. Der Abhang ist allerdings steil, aber die Haupt-
schwierigkeit ist das lange trockene Gras, und diese Schwierigkeit
würde im Frühjahr gar nicht oder nur in sehr geringem Grade vor-
handen, sein. Ich hatte nicht einmal einen Alpenstock.
Nachdem ich mich durch ein leidliches Mittagsmahl gestärkt hatte,
machte ich dem mittlerweile angekommenen Higümenos 'Namens Ncö-
phytos einen Besuch. Er gab mir einige weitere« allerdings spärliche
Aufschlüsse über das Kloster. RHo ist nur die vulgäre Form, die kor-
rekte ist RHa und auf Griechisch nennen sie das Kloster fwiacifetor
zrJQ'PiXag. Die Mönche waren der festen Ueberzeugung, dafs ihr Ge-
birge der alte Orbelos sei, Und,, obgleich diese Ansicht eine entschieden
irrige ist, mufs sie doch wohl auf einer älteren Tradition beruhen. Ich
komme auf diese Frage an anderer Stelle zurück. Das ältere Kloster
ist im Anfang des XV. Jahrh. gegründet, aber den genauen. Ursprung
90 Reise durch die Europäische Türkei.
and Charakter seines Gründers, des heiligen Johannes, anzugeben bin
ich nicht im Stande. Neben dem Higümenos waren folgende vier die
Hauptpersonen: der Epitropos Namens Arsenios, der Kartsieres David,
dann Seraphin und Hayi Nikiphoros als Mitglieder des Ratheft. Im
Ganzen hatte das Kloster i 20 Mönche und 30 Diener. Die jährlichen
Ausgaben desselben, vielleicht abgesehen von den vorhandenen Natu-
ralien, gab man mir zu der geringen Summe von 50,000 Piaster an,
und müssen diese zum Theil durch die Geldgeschenke der Besucher ge-
deckt werden. In gröfserer Anzahl stellen sich diese nur zum Fest der
Panagia ein, wo die Mönche auf 500 bis 1000 Gäste rechnen, die im
Durchschnitt 15 Piaster zahlen oder schenken, wofür sie jedoch ver-
pflegt werden. Sie klagten übrigens, dafe seit der Zeit des Krimkrie-
ges sich eine bedeutende Abnahme in der Anzahl der Besuchenden ge-
zeigt habe. Die sehr geistige Natur der Klosterpflege kann man daraus
ermessen, dafs jährlich im Durchschnitt 5000 Okka Raki und 10,000 Okka
Wein verbraucht werden, die Okka zu 2y Pf. Ich erkundigte mich ge-
nau nach den, von Boue und Visquenel den beiden Bächen gegebenen
Namen, Kalenska und Jambaeska; sie waren hier aber ganz unbe-
kannt; der Higümenos nannte den Hauptbach Heiina rieka, gewöhnlich
wird er Rilska genannt. — Ich schrieb dann noch einen Theil der alt-
bulgarischen Inschrift an dem oben beschriebenen Thurme ab, deren ein
Theil aber seiner Stellung halber sehr schwer zu entziffern ist, und be-
schlofs hiermit meine kurze Anwesenheit in Rilo, die mir ewig unver-
gefslich sein wird.
Gern hätte ich in diesem prächtigen Thale bei so gutem Quartier
einen, längeren Aufenthalt gemacht, aber mein Plan gestattete es nicht
So verliefe ich das Kloster am Sonntag Morgen (den 22. Sept. 6 Uhr
25 Min.), nachdem ich alle Ansprüche befriedigt hatte. Mit Einschluß
der Trinkgelder und Geschenke gab ich dem Kloster etwa 1 5 Thaler,
was gewifs nicht zu viel war, wenn man bedenkt, dafs ich 6 Pferde
und 5 Leute bei mir hatte. Aus Rücksicht der unvergleichlich roman-
tischen Lage dieses merkwürdigen Klosters hätte ich gern ein gröfserefi
Geschenk gemacht, aber ich kann nur mit gewisser Oekonomie meine
Reisen ausführen.
Wie das Klostergebäude die ganze Breite des Thaies einnimmt,
so zieht der Weg, wie er zum westlichen Thor hinaustritt, längs der
nordlichen Thalwand entlang, indem er manche kleine Zuströme durch-
schneidet, die sich auf dieser Seite mit dem Hauptbach vereinigen. Schone
Waldung bedeckt die Abhänge. Um 7 Uhr, nachdem ich noch einen
Abschiedsblick auf das romantische Hochkreuz Helleni vrakhos gewor-
fen und es noch einmal mit meiner Marschlinie verbunden hatte, ver-
lieben wir die frühere, südwestliche Hauptrichtung des Thaies, indem
Oekonomie des Klosters. — Abschied. — Die Rilaka. — Rilo-selo. £1
wir HAB mehr nach N. hinum wandten; hier nämlich vereinigt sich mit
ihm ein Seitenthal, das man nach diesem Charakterzug vielleicht als
Hauptarm ansehn sollte, von SO. her ') and gibt dem ganzen Thale
eine nordwestliche Richtung. Eine solide Steinbrücke Ornitsi mos (mos
heifst auf Bulgarisch „Brücke") führt hier über den Bach, der Reshnitfea
genannt wird. Fünf Minuten weiterhin liegt das Tschiftlik des Klo-
sters, und sollte ich hier eigentlich noch einen Raffe trinken, hatte
jedoch keine Neigung, schon so früh am Morgen meine Zeit zu verlieren.
Wir setzten also unseren Marsch fort in nordwestlicher Hauptrichtung,
den Windungen des Baches in der engen Thalschlucht folgend. Stel-
lenweise war hier schönes Waldgehänge mit Erlen, Eschen, Eichen
und Flieder, dann aber war es auch wieder wilde Felspartie von Gneia-
und Glimmerschiefer, und interessant war es bei der Ausmündung
eines kleinen Seitenbaches von der Rechten, wo das Wasser die Schich-
ten biosgelegt hatte, zu beobachten, wie 6 Zoll dicke Gneis- und Glim-
mergange alle 7 bis 8 Fufs den Schiefer gangweise durchsetzten« Da-
gegen trat JOM» weiterhin, wo ein anderer Bach aus halbverdeckter
Felsschlucht herzuströmte, sehr schöner Granit auf in grofsen Blöcken ;
dann folgte wieder anderes Gestein. Anders wieder war das Aussehn
hei dem kleinen Weiler Pashtera, „die Höhle", der zu beiden Seiten dös
Baches liegt, von einigen kleinen Tabaksfeldern umgeben und überragt
nach S.. von der Kuppe, der meine Begleiter den auffallenden Namen
Diävolo Vodenitsa gaben. Eine halbe Stunde dahinter mufsten wir wie-
der auf das andere Ufer übergehn, das mit schönen Fruchtbäumen, be-
sonders Quitten, in erfreulichster Weise geschmückt war, während drü-
ben steile Felswände bis hart an den Bach herantraten. Weiterhin trat
Conglomerat auf, zuerst vereinzelt, dann aber in grofsen, wild über ein-
ander gestürzten Massen, wie aus einem Hohofen hervorgeschüttet;
diesen wilden Trümmermassen entschlüpfte um 10 Uhr in enger Fels-
spalte ein kleines Rinnsal. Es ist die schön zerklüftete Koppe Lövnitsa,
eine der ansehnlichsten Hochkuppen dieses Thracisch- Bulgarischen
Centralstockes, von der, wie ich erst später sah, diese wilde Schlucht
herabsteigt; letztere selbst wird, wie es scheint, Kallini genannt Zehn
Minuten dahinter öffnen sich die Massen und man sieht das Dorf Rilo,
Rilo-selo im Gegensatz zu Rilo Mönastir, mit seinen Wein- und
Obstgärten; in weiteren 10 Min. waren wir da, angegafft von den
heute von ihrer Arbeit ruhenden Bewohnern und Bewohnerinnen in
sauberem Sonntagsschmuck. Die bedeutende Tabakskultur fiel mir auf,
') Meine Begleiter behaupteten, dafs hier kein Weg ins Gebirge hinauf führe.
Vrequenel aber mufft doch hier entlang eich der Bergkuppe genähert haben , öle
er irrthumlich Arishwanitsa zu nennen scheint.
02 Reise durch die Europäische Türke*. • ■■••■■:•
da den Mönchen von Rflo der Tabak verboten ist; denn aüe änfeeren
-Wände der Häuser waren dicht bedeckt mit an Schnüren horizontal
öder perpendikulär zum Trocknen aufgehängten Tabaksblättent. Wir
überschritten nun die hier schon viel ansehnlichere Rilska anf breiter
'Hölzbrücke und stiegen in dem Filial des Klosters ab — eigentlich und
in Wirklichkeit ein grofser Schnapsladen, im Verein mit einer Destil-
lation. Allerdings gab es hier drei Bruder, aber geistige Angelegen-
heiten aufser ihren regelmäfsigen Gebeten schienen sie nicht sonderlich
sn beschäftigen. Sie empfingen mich jedoch sehr freundlich and ga-
ben mir ein recht gutes Mittagsessen und waren mittheilend; so lenk-
ten sie anoh meine Aufmerksamkeit auf einige im Dorf« befindliche
Griechische Inschriften. Ich kopirte deren zwei, eine nicht umnteres-
«ante, aber leider verstümmelte, die Weihnng eines Altars betreffend,
-ain der Terrasse, worauf die Dorfkirche steht (auf der Ostseite des Ba-
ches), die andere eine Grabschrift auf einem Grabstein, aar Seite der-
selben Kirche.
' Ich hatte mich mit Widerstreben entschieden, da meine Tiskra ein-
mal dieses Visum trug, Dabnitsa zu berühren, obgleich es ein grofser Ab-
stecher von meiner Richtung war nnd' ich in der' Folge den gröfseren
Theil des Weges wieder zurück machen mufste. Ich hatte also die west-
lichen Vorhöhen des Gebirges nördlich zu umgehn und mufste die unter-
halb Rilo-s3lo sich im Dreieck erweiternde schöne Thalsohle 1 verlassen.
Denn, so wie man itam Dorfe hinaustritt, steigt man gemach' an den
Lehmgebängen an und tritt nach einer Viertelstunde aus den 'Vorhfr
hen des Gebirges oder, wie man hier spricht, des Balkans — denn
dem Rnmelischen Türken ist jedes Gebirge ein Balkan, mag' es grofs
oder klein, eine Längskette oder ein Centralknoten sein, und keines-
wegs, wie man gewöhnlich meint, fuhrt der Haemus allein diesen Na-
men — ins Freie hinaus und hat ein sehr schönes Panorama vor sich.
Auch hier gewahrte ich, wie der Rflo, in Uebereinstimmung mit dem oben
auf der Höhe gewonnenen Bilde und im Gegensafe gegen Visquenefs,
Überhaupt leider etwas ungenaue und unplastische Darstellung, eine
völlig kompakte Bergmasse bildet, deren malerisches und freieres; nur
^JuTch kleine Wasserabzüge eingeschnittenes, südwestliches Gehänge ich
nun vor mir 1 hatte — ich war nämlich schon mehrere hundert Fufs
tiefer hinabgestiegen — ; besonders aber zog mein Augenmerk anf sich
die Doppelkuppe Lövnitsa, die von hier gesehen ganz das Aussehn
eines eingestürzten Vulkans hatte, und denselben Eindruck machte' sie
auch von anderen Punkten aus — ich spreche hier nur von ihrer scheinbar
äufseren Form, die innere Struktur kenne ich nicht. Erst viel weiter-
hin (um 4 Uhr 12 Min.) gewann ich einen Blick anf die schon von
Abstecher Bach Dübmtea. •— Der Kinn (3trymon). 93
der Höhe des Plateaus aas gepeilte, aber von hier aas ganz vereinzelt
scheinende Mittelkappe des Gebirges. Weniger anziehend, als dieser
gelegentliche Blick, war die Landschaft selbst, die wir durchzogen/,
trockene angeschwemmte Formation, dürre Lehmgehänge, in denen
wir auf* und abstiegen, bis wir endlich die Thalsohle des Wassers von
Dubnitsa erreichten; von dem Kära-sü, dem alten Strymon, sahen
wir von hier nur die enge Einmündung bei Böboshe. Nor die gegenüber«
liegenden Gehänge mit mehreren Weilern und Dörfern boten etwas
Abwechselang dar. Da die Dunkelheit nahete and ich noch heate Alles
zar Weiterreise ordnen wollte, trieben wir unsere Thiere an and er*
reichten so am 4 Uhr 35 Min. den Anfang der Stadt Dubnitsa.
Däbnitsa ist derma fsen in die Windung des Thaies eingeklemmt,
dafs man zuerst nur einen kleinen Theil der nicht unansehnlichen Stadt
erblickt; aber der ist aasgezeichnet, einmal durch eine uralte Platane, wie
man sie hier zu Lande äufserst selten sieht, andererseits durch eines
moslemischen Heiligenschrein, den der Islam hier wol absichtlich dem
im benachbarten Rilotbal stark vertretenen Christenthum entgegenstellen
wollte, wie wir solche schroffe Gegenüberstellung hier zu Lande häufig
finden. Dann erscheint das südliche, von dem BIlo-Gebirgsstock her-
abkommende und von einem kleinen frischen Rinnsal durchflossene Ne-
benthal mit einem anderen Stadttheil, and die Stadt erweitert sich nun,
hart an den westlichen Hügeln von dem Flüfschen umzogen. Wir
geleiteten zuerst Rossi zum Konak, am alles zar Weiterreise Nöthige
in Ordnung zu bringen, nnd wandten ans erst dann nach dem Khan,
einem von dem prächtigen Kloster Rilo sehr verschiedenen Quartier, and
so schmatzig and abscheulich wie das Quartier selbst, so schlecht und
widerlich war das Abendessen. Mittlerweile sah ich mich noch etwas
in der Stadt um, aber es war zu spät, um noch jenes Seitenthal, das
von Visquenel Samoran deresi benannt wird, zu betreten ; das bedauerte
ich in der Folge, da ich wol von dort aus noch einen oder den anderen
nützlichen Bergwinkel hätte nehmen können, besonders da es gerade
von einer der höchsten Kappen herkommt. Aach am nächsten Mor-
gen unterliefs ich leider seinen Besuch. Die Stadt ist nicht ganz un-
ansehnlich, obgleich ohne Bedeutung und ohne viel Verkehr. Sie hat
12 Quartiere oder mahalle mit je einer djameh; daneben gibt es zwei
christliche Kirchen. Vielleicht stehen eine Menge Häuser unbewohnt«
sonst ist mir die grofse Abweichung der Angaben von 1 500 und 3000
Häusern, die mir beide gemacht wurden, fast unerklärlich; erstere Zahl
ist das Wahrscheinlichere. Aufgefallen war es mir, dafe wir nahe vor
der Stadt einem Zuge von 100 mit Korn beladenen Pferden und Maul«
thieren begegnet waren, als deren Ziel uns Radovkch angegeben wurde,
94 Reif*. durch die Europäische Türkeis i
Das Korn mols hier also ungleich hilliger sein, alt dort. Sonst schien
der Hauptverkehr auf den Strafsen augenblicklich in Holz, Kohlen,
Weintrauben und sehr grofsen und schönen Quitten zu bestehen.
Das wenig erfreuliche Quartier war Schuld, dafe ich schon um
2 Uhr Morgens weckte und zum Aufbruch trieb — ich pflegte jedes
Morgen zwei Stunden vor Aufbruch zu wecken — ; jedoch kamen wir
erst um 5£ Uhr fort und zu meinem Verdrufs wieder mit zwei Zabtifc,
obgleich einer dies Mal hinreichend war. Die Hauptstraße schwamm an
einer Stelle ganz in Blut von den hier frei und offen getödteten Zie-
gen und Schafen. Wir kehrten nun die erste Strecke auf demsel-
ben Wege zurück, auf dem wir gestern Dubnitsa erreicht hatten,
nur mit besserer Beleuchtung, so dafs ich doch manches Neue sah. Die
westliche Thalwand ist in der Nähe der Stadt mit Weinbergen be-
pflanzt; im Allgemeinen ist sie sehr entwaldet, und hat die Landschaft
daher einen vorzugsweise trockenen Charakter; nicht so soll es um
die Bergpartieen bei Eöstendje stehn. Gerade in zwei Stunden legten
wir die bekannte Strecke zurück, indem hier unser Weg von gestern
einmündete. Eine halbe Stunde weiterhin kommt der Karasn herzu,
und nun nimmt die ganze Landschaft einen frischeren Charakter an;
besonders viel Tabak wird hier gebaut; grüne Weide und etwas Baum-
wuchs trat an die Stelle der bisherigen Dürre; selbst die Luft erhielt
durch die reichlichere Wassermenge zur Seite eine merklich gröbere
Frische. Der Bngpafs, durch den der altberühmte Strymon herausftiefet,
scheint recht bedeutend, und in ihm, wol längs der Strafse, liegt eines
der drei ganz getrennten Quartiere der Ortschaft ; die beiden anderen,
durch niedrige Hügel von einander geschieden, liegen vor demselben.
Ueber der .Stadt zeigten die Hohen ein ganz rothes Erdreich. Auch
die Gehänge des Kilo- Stockes zur Linken gliederten sich hier viel
reicher und mannichfaltiger und das Dorf Murselli, das wir dort tun
8 Uhr 25 Min. zur Seite liefsen, war umgeben von schönem Ackerland,
das die Neige der Vorhügel bedeckte und, gerade vom Pflug durchar-
beitet, eine reiche Krume offen legte. Stellenweise aber erweiterte
sich das steinige Strombett des Eärasü zu grofser Beeinträchtigung des
Fruchtbodens , indem dann auch durch das gelegentliche Hinantreten
der Fluthen des Stromes an den Fufs der Hügel, letztere steil ab-
gerissen waren. Wir gewannen hier von diesem Hochufer eine sehr
schöne Gebirgsansicht auf die in S. sich in das Kilo- Gebirge an-
schliefsenden Kuppen, besonders aber auf die beiden Endkuppen des
Perlm — so ergab es sich wenigstens später durch die Eintragung der
Winkel. Vereinzelt liegt hier der Khan Hadji Daudu in gutem äufser-
lichen Zustande, aber sonst mit materiellen Bedürfnissen schlecht ge-
nug ausgestattet. Raki natürlich gab es genug, sonst aber nichts, nicht
Großartige Bergscenerie. — • Tftbakrfbaä im Thmk der Bilska. OS
einmal Käse; dennoch verloren meine Leute hier eine halbe Stund«;
Der eigentliche RTlo war hier durch die Vorhöhen verdeckt gewesen
und entwickelte sich erst wieder, als wir nun vom Khan aus, der am
Bande der Thalsohle liegt, auf den Sporn hinaufstiegen, der das Thai
des Rilo -Wassers von demjenigen des Kära-sü absondert. Aber nicht
allein die Ostgehänge jener Berggruppe entfalteten sich hier in schön-
ster Pracht, sondern ein rund umher sich ausbreitendes, reich geglie*
dertes Panorama von heerster Majestät breitete sich nach allen Seiten
aus, indem hart an die Klause oder den Boghäz, durch den der Kära-sü
im 8. (S. 8 O.) abzog, eine von hier aus gesehen ganz vereinzelte
grofsartigste Kuppe sich anschlofs, die von mächtiger Basis terrassen-
förmig aufsteigend und sich zu einem Spitzkegel gipfelnd, die Au»*
sieht nach Ost absperrte und sich nahe an die Vorhöhen des Rflo
anlehnte, aus dem nun ganz im Vordergrunde das herrlich grüne Thal
der Rilska mit mehreren Dörfern belebt herabzog. Selbst mein Halb-
grieche Bossi war ganz in Ekstase über den grofsartigen Anblick.
Aber in dem überwältigenden Eindruck des Augenblicks versäumte ich
es, mich über einzelne Punkte zu vergewissern. Augenblicklich hielt
ich jenen grofsartigen Kegel für die Hauptgruppe des Peiim selbst; das
war er nun bestimmt nicht, wie ich nachher sah, und ich identificirte
ihn mit Arishvanitsa. Visquenel dagegen, wie schon (S. 86 N. 1 ) ange-
geben, nennt so die gleich hart über dem südlichen Seitenthal der Rilska
aufsteigende Kuppe. Yel-tepe, der von Visquenel vom Perim ganz ge-
sondert wird, ward mir bestimmt stets als Hauptkuppe dieses Gebirges
selbst angegeben, und so hatte ich in der Folge besonders von demGäbrova
Balkan ans Gelegenheit, die Bergmasse einzutragen. Ueberhaupt scheint
es Visquenel, der dem Lauf des Kära-sü folgte, hier an einem hoben
Punkt zur Uebersicht des Ganzen gefehlt zu haben, wie denn seine
Karten im Allgemeinen die charakteristischen Hauptzüge des gesamm-
ten, von ihm dargestellten Berglandes nicht anschaulich wiedergeben;
es fehlt da an jeder natürlichen Gliederung.
Wir stiegen nun hinab in das grüne Thal, an dessen nordwest-
lichen Gehängen mit ihren frischen Tabaksfeldern, das Dorf Kötchario
mit seinem Minaret uns nahe zur Linken aus schönen Baumgruppen
hervortrat, während über die gegenüberliegende Seite der majestätische
Pik aufstieg, und auch die dem Rilo zunächst gegenüberliegende Berg-
wand sich auf das Mannichfachste gliederte und belebte.
Der Thalboden der Rilska erwies sich bald als von sehr sumpfi-
ger Natur. Ein recht rauher Steindamm fuhrt durch diese Sumpfebene
hindurch und wird in der regnerischen Jahreszeit wahrscheinlich zu
beiden Seiten von grofsen Wasserflächen umgeben. Zur Rechten nach
der Ausmündung in das Hauptthal des Kara-sü, wo der Bergabschlufe
96 Beise farcli die Europäische Türkei
in* der Nabe die Aassicht hemmte, bemerkten wir etwas Reisbau, wäh-
rend zur Linken in dieser Jahreszeit gutes Wiesenland sich ausbreitet
Aus dieser flachen grünen Sohle erheben sich zwei sehr bemerken»-
werthe tumuli, auf deren einem ein kleines Schilderhaus errichtet ist,
wahrscheinlich zur Bewachung der Felder; jedenfalls gewährt es einen
sehr eigenthümlichen Anblick und ich wufste zuerst gar nicht was es
war. Dann ging es durch einen kleineren Arm der Rilska und darauf
auf längerer Holzbrücke über den Hauptarm des Flusses, der zu Zei-
ten, wenn heftiger Regen im Gebirge fällt oder im Frühjahr, wenn
die während des Winters auf den bedeutenden Hochflächen angesammel-
ten Schneemassen sich auflösen, gewifs eine recht ansehnliche Wasser-
masse fuhrt. Wie wir nun aus der Thalsohle das Mittelufer der Ostum-
randung erstiegen und so die schöne grüne Einsenkung überschauen
konnten, bemerkte ich, dafs die gröfseren Blätter der Tabakspflanzen
gerade auch hier geerndtet wurden, wie wir schon in RHo-selo das
Trocknen derselben beobachtet hatten. Merkwürdig ist in Bezug auf die-
sen, Alles überwiegenden Tabaksbau in diesem Klosterthal der erwähnte
Umstand, dafs die Mönche von Kilo nicht rauchen dürfen, „RakI nach
Belieben, aber keinen Tabak". Auf dem Mittelufer des Thaies liegt das
Dorf Bairakly, das wir hart zur Rechten umgingen, und weiter nach
der Mündung sahen wir ein anderes Dorf, dessen Namen ich je-
doch nicht erfuhr. Dann erst stiegen wir auf das eigentliche Hoch-
ufer und gewannen hier (um 10 Uhr 35 Min.) einen sehr schönen, um*
fassenden Umblick, der mir die Peilung mehrerer wichtiger Winkel
gestattete; auch war es erst hier, dafs ich die höchst markirte Natur
des Abfalles der Kuppe Lövnitsa mit ihren drei tief eingekerbten Ab-
stürzen klar erkannte, und empfehle ich diese Partie des Rllostockes
ins Besondere Geologen zu genauerer Untersuchung, indem ich von
ihr bedeutenden Aufschlufs über seinen eigentlichen Charakter erwarte.
Das zuerst dürre Uferland gliederte sich nun allmählich zu einem
fruchtbaren Hügelland, das von leichter Einsenkung unterbrochen, selbst
da, wo es rauher und zerrissener wurde, zum Tabaksbau benutzt war.
Hier stand verschiedenes Gestein an, in dem ich Glimmerschiefer mit
Quarz- und Gneisgängen erkannte. So durchschnitten wir den Sporn
und stiegen nach dem Seitenthälchen von Djumaa hinab, das uns von
mergelig sandigen Unterhöhen umgeben, aus der Tiefe entgegenleuchtete,
und dessen Weingärten sich bis zu halber Höhe an dieser westlichen
Lehne hinanzogen. Ein frischgrüner, allmählich sich ausbreitender Kul-
turstreif zog sich aus der tief eingeschnittenen Schlucht in das Thal des
Karasü hinaus, gehoben im lebendigsten Gegensatze durch die von
heifeer Mittagssonne beschienenen, nackten Unterhöhen; einen zweiten
Gegensatz von Leben und Tod bildete der zwischen ihm und dem west-
Djumaa „die moslemische Gemeinde* im Seitenthal, und ihr Mudir. 97
liehen Abhänge, an dem wir hinabstiegen, sich hinziehende Grabhof;
einen dritten, in der Natur dieser mann ich fach gegliederten und an Ge-
gensätzen reichen Landschaft begründeten Gegensatz bildete die mit
.zwei Badehäusern versehene Thermalquelle, zu einem kleinen frischen
Bergsprudel, den wir dicht vorher zur Seite gelassen. So betraten wir
den sich am Hauptbach hinziehenden Ort von der Nordseite und stiegen,
mehrere winklige Gassen durchschneidend, in einem Khan hart am Thal-
bache ab, wo eine nach demselben sich öffnende Veranda mich gastlich
einlud. Diese ganze eigentümliche Lage des von Reisenden doch mehr-
fach schon berührten Ortes in diesem Seitenthale war früher gar nicht
beachtet und dargestellt.
Ueberhaupt ist Djumaa ein Ort, der wol die Beachtung Desjenigen,
der das natürliche und menschliche Leben dieser Landschaften stu-
dirt, verdient. Während im RIlo-Thale überall seigere Felsmassen in
reichstem Baumwuchs die oben steil emporstarrenden Massen stützen,
öffnet sich dieses jener Gruppe im S. sich anschliefsende Seitenthal
mit nackten kahlen Sandmergelwänden; während dort das beschau-
liche Christenthum in einem grofsen stattlichen Kloster fest begrün-
det das Ganze beherrscht und die einzige Pulsader menschlicher Thä-
tigkeit ist, hat sich hier der eindringende Islam mit einer „moslemischen
Gemeinde" (das bedeutet der Name, im Prinzip ganz gleich der Djumaa
der erobernden fanatischen Fulbe im fernen Innern Central -Afrika's)
am südlichen Gebirgsabhang jenem christlichen Mittelpunkt gegenüber
gestellt. Wie ich nun solche Betrachtungen anstellte, erregte es mein
lebhaftestes Interesse, dafs einer der im Kaffe anwesenden Gäste mich
aufforderte, ich solle doch den Bach aufwärts verfolgen und mein Gut-
achten darüber abgeben, ob es nicht möglich sei, den auf dem Scheide-
kamm des Gebirges nahe liegenden anderen Bach, der zum Klosterthal
hinabflösse, in dieses Thal von Djumaa zu leiten ; er selbst habe sich an-
heischig gemacht, dies für 4000 Piaster auszuführen. Zugleich war mir
dies kein ganz gewöhnliches Beispiel moslemischer Spekulation und Un-
ternehmungsgeistes, obgleich Erschliefsung neuer Wasseradern fast zum
religiösen Glaubensbekenntnis dieser so vielfach verkannten grofsen
Glaubenssekte gehört, und nichts für ein grösseres Verdienst gilt, als
einen neuen Quellborn zu eröffnen. Freilich wäre die Wahl peinlich
für mich gewesen, entweder diesen Herren entgegenzutreten, oder den
guten Christen dort im Thal einen Theil ihres Quellwassers zu entzie-
hen. Interessant aber schien immerhin der Gegenstand, weil er ge-
eignet war, mir einen neuen Theil dieser Gebirgsmassen aufzuschliefsen
und das gewonnene Bild derselben um ein Bedeutendes zu vervoll-
ständigen.
Der Ort schien also einen kleinen Aufenthalt zu verdienen und
98 Bei»« durch die Europäische Türkei
ich besehlofs, heute hier zu bleiben. Es kam nun aber darauf an,
welchen Rückhalt ich an der Ortsbehörde finden würde. Dies war
um so notwendiger, als sich ein gewisser Fanatismus bei der Bevöl-
kerung bemerklich machte, wie denn gleich bei meinem Eintritt die
Stadtjugend ihren Unwillen über den fremden Christen ausgelassen hatte
— obgleich dieses vorwiegend moslemische Element nicht verhinderte,
dafs in diesem, freilich von einem Bulgaren gehaltenen, Khan der christ-
liche Raki Alles überwog und anstatt bei der Ankunft sofort mit einer
Tasse Kaffe regalirt zu werden, lange Zeit auf solchen, als erst be-
sonders zu präpariren, gewartet werden mufste. Nachdem ich also
ein kleines Frühstück zu mir genommen hatte, machte ich mich sofort
auf, um dem sogenannten Mudir einen Besuch abzustatten, da ich hoffte,
gar Manches von ihm zu lernen. Gerade hier aber hatte ich so recht
Anlafs, zu bereuen, dafs ich von meinem sonst befolgten Grundsatz, erst
einen Fühler auszustrecken und Rossi allein hinzuschicken, abgewichen
war; denn, anstatt eines Mudirs, fand ich einen Sklaven, und anstatt
eines einsichtsvollen Menschen, einen Esel. Ein schmucker Tschauseh
beherrschte den ganzen Konak und behandelte mich mit &uXserster
Kälte und Hochmuth; wäre ich von hier das Thal des Kära-su ge-
raden Weges thalabwärts gegangen nach Seres und Selanlk, so würde
ich hier vielleicht aus Rücksicht auf höher Gestellte, bei denen mein
Lob oder Tadel der hier empfangenen Aufnahme einigen Einflufs üben
konnte, mehr Beachtung gefunden haben ; da ich aber auf kaum betretenen
Seitenwegen ganz von der Hauptstrafse ab mich nach (Bitolia) Mönastir
wenden wollte, so konnte man mich ungestraft abweisen. Alle meine
Fragen und Wünsche wurden also mit hochmüthigstem Lachein unbe-
rücksichtigt gelassen, ja kaum einer Antwort gewürdigt, und das Einzige,
was zu erhalten war, bestand in der Anweisung eines Reiters, der mich
direkt nach Bedjowa bringen sollte. So mufste ich denn abtrollen und an
einen Besuch des höheren Gebirges war nicht zu denken. Bei näherer
Erkundigung, die mein Diener eigentlich schon vorher hätte anstellen
sollen, vernahm ich nun, dafs der Mudir sehr unbeliebt, dafs er
eine ganz niedrige Person sei und eine demgemäfs entsprechende Be-
soldung beziehe und zwar nur 200 Piaster monatlich, während der
Tschauseh 300 beziehe — ein fast unglaubliches Verhältnifs. Hier ab-
gewiesen, unternahm ich also nur einen Spaziergang in die das Thal
auf der Ostseite umgürtenden Höhen, um wenigstens die nächsten Um-
gebungen des Städtchens etwas besser kennen zu lernen.
Eine überdeckte und mit Buden an den Seiten versehene, solide Holz-
brücke führt hart unterhalb des Khans von dem Hauptstadttheil, der auf
der Nordwestseite des Baches liegt, auf die andere Seite hinüber, wo
ganz abgesondert das kleine Rajaquartier sich hinzieht Hier stieg ich mit
Umgebung von Djtanaa; seine Thermen. 99
einiger Mühe längs ärmlicher Weinberge über mehrere Hecken die san-
digen Schotthfigel hinauf, fand aber oben das Terrain eben in Folge sei*
ner ansoliden Natur so gewaltig zerrissen, dafs ich bald an die Rückkehr
denken mnfste, ohne einen umfassenden Umblick zu gewinnen; nur eine
hohe Kuppe konnte ich in N. 32 O. peilen. Dann stieg ich eine von SO.
nach NW. gestreckte Seitenschlucht, die hier etwas oberhalb des Städt-
chens in das von NO. — SW. gerichtete Hauptthal — das sich jedoch
weiter oben nach O. 20 — 25 N. hinumwendet — einmundet, wieder
hinab, überschritt hier bei einer Mühle auf leichtem Steg den jetzt nicht
eben bedeutenden Bach und wandte mich nach dem Bade, das auch
hier den Namen Banya fuhrt, aber nicht bedeutend genug ist, den re-
ligiös politischen Namen der ganzen Ortschaft umzubilden; denn es
wird hier weniger gebadet, als gewaschen. Djumaa hat nämlich einige
Leinwand -Industrie, wie denn schon am Ufer des Baches, unserem
Khan gegenüber, eine Spinnerei und Bleicherei ron nicht unbeträcht-
licher Ausdehnung sich befand. So benutzt man denn diese warmen
Quellen vorzugsweise zum Waschen des Flachses sowohl, als der an-
gefertigten Leinwand, und eines der beiden Gebäude hier war keines-
wegs ein Bad, sondern ein grofses, eigens dazu eingerichtetes Wasch-
hans, wo wol dreifsig Weiber mit Waschen beschäftigt waren. Diese
wannen Quellen übrigens entspringen, wie ich jetzt sah, nicht eigentlich
am Rande des Hauptthaies, sondern in einer kleinen, nordwestlichen Sei-
tenschlucht desselben, die dem Hauptthale parallel läuft. Von den beiden
Quellen fand ich die eine zu 40*, die andere zu 41* R. In dem eigent-
lichen Badehause befindet sich auch eine anscheinend bedeutende Grie-
chische Inschrift, aber leider in dem eigentlichen Becken unter Wasser,
so dafs ich, da ich die Ableitung desselben nicht veranlassen konnte,
keine Gelegenheit hatte, sie zu untersuchen. Dieses Bad hier wird übri-
gens nur von Aermeren benutzt, oder Solchen, die einen höheren Wärme-
grad wünschen; das eigentlich städtische Bad befindet sich im Orte
selbst weiter unterhalb; da fand ich die Wärme der Quelle jedoch nur zu
36*. Letzteres Bad besuchte ich später am Nachmittag, als ich mit mei-
nem Zabtie aus Dubnitsa einen Ritt durch die ganze Pflanzung, das sich
erweiternde Thal weiter abwärts, machte. Der Anbau besteht fast aus-
schliefslich in Tabak, der die ganze Thalsohle einnimmt, nur von einzel-
nen Baumgruppen unterbrochen ; nur wenig Weinbau zieht sich an den
Seitengehängen entlang und wenig Weideland breitet sich daneben aus.
Jedoch bemerkte ich gar kein Vieh und horte, dafs die Viehseuche hier
besonders stark gewüthet habe. Auch die Stadt selbst in ihrer gan-
zen Bauart gibt ein lebendiges Zeugnifs dafür, dafs Tabak den Haupt-
stapel des Lebensunterhaltes bildet; denn alle 700 — 800 Häuser, aus de-
nen Djumaa besteht, obgleich, wie alle diese Städte, nur aus mit Thon
7 #
100 Bdiie durch die Swop&itche Tttrkfi.
leicht ausgefülltem Fachwerk erbaut, haben doch weit vorspringende
Ziegeldächer, um in deren Schutze an den äufseren Wänden den Ta-
bak zu trocknen ; ja, selbst alle Gartenmauern sind eigens zu demselben
Zweck errichtet und fast alle Mauern waren bedeckt mit au Schnuren
aufgereihten Tabaksblättern, die oberen in perpendikulären, die unte-
ren in horizontalen Gehängen. Auch diese Industrie wird, wie alles
eigene individuelle Leben des Landes, von der Regierung möglichst
unterdruckt. So zahlte zur Zeit die Okka Tabak den sehr hohen Gum-
ruk von 7 — 8 Piastern, und eine Erhöhung desselben ward allgemein
befurchtet. Dafs diese Stadt hier oben in der engen Thalschlncht erst
von den erobernden Türken gebaut ist, dafür zeugt auch eine ansehn-
liche Ruinenstätte weiter ab im Thale zwischen dem Weideland; je-
doch fand ich unter dem ansehnlichen Haufen von Feldsteinen mit
deutlichen Spuren der Grundmauern nicht einen einzigen Quader.
Nach einem leidlichen Nachtquartier setzte ich am nächsten Morgen
am bj Uhr (bei 10° Wärme) meinen Marsch fort, um nun eine wahre
terra incognita zu betreten, wo selbst die gröfsten Ortschaften bisher den
Europäern unbekannt geblieben waren. Wie wir so in südwestlicher
Richtung zum Seitenthal hinaustraten, erhob sich gleich wieder zur
Linken über die vorderen niedrigeren Bergketten die majestätische
Kuppe der Ariswanitsa, aber leider jetzt nicht in günstiger Beleuch-
tung. Schön und anmuthig dagegen und in allen ihren Schluchten und
Einrissen von der Morgenbeleuchtung biosgelegt, leuchtete uns die wol
bis 2000 Fuf8 r. H. ansteigende, südwestliche Thalwand des Kara-sü ent-
gegen und blinkte dort besonders ein weifses Gebäude von einem Shtansa
genannten Bergdorf herunter. Auffallend war es mir, dals ich,, wäh-
rend ich bisher den Tabak fast überall in reifem Zustande gefunden
hatte, ihn hier im offenen und niedriger gelegenen Thal erst in Blüthe
fand; vielleicht rührt es daher, dafs die Pflanze hier den aus dem Hoch-
gebirge herpfeifenden kalten Winden mehr ausgesetzt ist. So in die
Thalsohle vorwärts rückend, überschritten wir um 6 Uhr 13 Min. einen
kleineren östlichen Arm des hier schon ansehnlichen Kara-sü, des alt-
berühmten Strymon, und fünf Minuten weiterhin den Hauptarm auf lan-
ger Holzbrücke; beide Arme vereinigen sich bald unterhalb dieser
Stelle und verlieren* sich weiterhin in der Klause, in der der Flufs
die sich hier eng zusammenschliefeenden Höhen durchbricht; stolz ragte
wiederum über jenem südlichen Abschlufs des Thaies die heere, schon
oft genannte Kuppe herüber, aber ihr höchster Gipfel hatte sich mitt-
lerweile mit einer Wolken kappe behaubt. Gemach nun an der an-
deren Seite des Flusses in derselben südwestlichen Richtung anwärts
steigend, erreichten wir an dem Ausgang einer mit Bäumen hübsch
geschmückten Schlucht dieses Westgehänges einen Khan Namens Bur-
Tabakskultur. — Aufbrach v. Djumaa. — Oestl. Randgebirge des Strymon. 101
kurnik (Khane), der bei der längeren, schwierigen Bergpassage, besonders
bei schlechtem Wetter, sehr wesentlich ist Wir hatten jedoch keinen
Grund zum Aufenthalt und fingen sofort an, die Schlucht hinanzustei-
gen, während ein sehr kuhler Wind uns entgegenblies und meine vorher
in Bezug auf die späte Reife des Tabaks bei Djumaa gemachte Ver-
muthung bestätigte. Grofse Blöcke Glimmerschiefer und Quarz mit
Lamellen starrten auch hier überall aus dem von dem Wasser ausge-
witterten Bergschutt hervor, während mächtige Eichen das Rinnsal des
Baches anmuthig halb versteckten und Eichengebüsch die Höhen be-
kleidete. Dann auch wieder wand sich der aufsteigende Pfad stellen-
weise durch Conglomeratmassen, aus ganz kleinem Gestein zusammen-
gebacken. So folgten wir bis 7 Uhr dem Rinnsal, überschritten es dann
und gewannen mit rauhem Anstieg die Höhen zur Rechten. Auf die-
sem Erhebungskamm waren die Schichten steil nach verschiedenen
Richtungen eingestürzt, jedoch vorwiegend nach NW., und legten an
mehreren Stellen vollkommen speckähnliche Schichten blos. Noch ging
es anwärt» und wir überschritten den Bach zu mehreren Malen. Hier
ward es empfindlich kalt und wir waren froh, als wir aus der Schlucht
hinausstiegen auf die den Sonnenstrahlen ausgesetzten Gehänge, wo
mit sehr schönem, reichen Boden bald Ackerland anfing und gerade
unter der Hand des Landmannes das Winterkorn aufnahm ; wie wir
dann nach W. in die gegenseitige Thalsenkung hinabstiegen, uns an
ihrer linken oder südlichen Seite haltend, bekleideten sich die Aecker
mit wilden Birnbäumen, dem hier zu Lande seines guten Holzes und
mäfsigen, nicht schädlichen Schattens halber so beliebten Schmuck der
Felder.
Dies ist das Thal von Padeshet, das sich von NO. nach SW. in durch-
schnittlicher Breite von etwa 1000 Schritt hinzieht, von abgerundeten
Gehängen umschlossen, die, obgleich zur Zeit sehr dürr, doch treffliche
Schafweide abgeben, was die Hauptsubsistenz der Bewohner bildet
Denn dieses Gebirge hat den eingeborenen älteren Bewohnern offen-
bar eine Zuflucht gewährt, und abgesperrt von grofsem Verkehr woh-
nen sie hier weitzerstreut in kleinen Weilern, kuliba, von denen meh-
rere zusammen eine Ortschaft bilden; von Dörfern, köi, ist in diesen
Gebirgslandschaften gar keine Rede. So besteht Padeshet aus etwa
200 Häusern, die in mehreren, ganz gesonderten Gruppen sich lang im
Thale hinziehn. Es ist eine acht idyllische Einsamkeit dieser Cyril-
lisch-Bulgarischen Christen. Kein einziger Moslim wohnt hier. Wenn
ich sagte, die Gehänge waren augenblicklich dürr, so schliefst das doch
nicht aus, dafs neben den trockenen Rinnsalen von Zeit zu Zeit auch
ein kleines Bächlein noch mühsam seinen Weg ins Thal fand, und unten
schlich ein gröfserer Bach langsam dahin, der seinen Abflufs am
J02 Beifle durch die Europäische Türkei.
NW.- Ende des Thaies hatte. Den Untergrand dieser bewachsenen Ge-
hänge zeigten von Zeit zu Zeit hervorbrechende, schöne grofse Quarz-
blöcke an. Die Stille und Abgelegenheit des Thaies bewies cur Ge-
nüge ein ganz verschlossener menschenleerer Khan, wo wir gern eine
Tasse Kaffe getrunken hätten, dessen Besitzer aber offenbar, zu dieser
Tageszeit wenigstens, keine Beisenden erwartete. Dicht dahinter be-
zeichnen zwei hohe Pappeln die Stelle eines Brunnens. Das Thal
verengte sich allmählich und theilte sich dann (9 Uhr 35 Min.) in zwei
Arme, an deren Kniepunkt eine jetzt wegen Mangels an Wasser uu-
thätige Mühle stand. Wir folgten dem Arme zur Rechten, wo rother
Sandstein im Verein mit Gneis und Glimmerschiefer auftritt, und stie-
gen dann an dem zwischen beiden vorspringenden Sporn allmählich
anwärts in schöner Eichen waldung, die weiter hinauf mit wilden
Aepfelbäumen gemischt war. Besonders schön waren die dicht be-
waldeten Schluchten zur Linken, von etwas Ackerland hier und da
unterbrochen, das den zerstreuten Weilern oder Kuliba gehörte; weni-
ger bewaldet war das Thal zur Rechten, erhielt aber eine anmuthige
Folie durch die von dem Höhensporn dahinter aufsteigende Kuppe,
die aus der Ferne ganz ähnliches rothes Erdreich aufwies, wie die
Höhen hinter Böboshe. Eine anmuthige Unterbrechung in dem allge-
mein vorherrschenden Waldcharakter dieser Höhen bildete ein kleines
Tabaksfeld, das in einem völlig amphitheatralischen Högelausscbnitt
derselben mit regelmäßigen Gängen gleich den Perizomen eines alten
Theaters angepflanzt war. Dicht dahinter lagerten wir auf freier Höhe
dieses schmalen Kammes bei einer der Kullben der Ortschaft Gabrowa,
die nur der eigentümlichen Natur dieses gewellten und zerrissenen Hö-
henlandes halber leider keinen weiteren Blick in grofse Ferne ge-
stattete. Es war ein herrliches Plätzchen dieser noch auf keiner Karte
eingetragenen Gebirgslandschaft, ein völliges Netz schmaler reichbestan-
dener Waldrücken, daher wol eben der Name Kerkine bei Thukydides;
daneben eine dem grofsen Verkehr völlig entzogene unverdorbene Be-
völkerung, deren weiblicher Theil kaum je einen Europäischen Reisen-
den gesehn hatte. So war es höchst drollig zu sehn, wie zwei Frauen,
denen ich einen Granatapfel geschenkt hatte, mit dieser ihnen bis da-
hin völlig unbekannten Frucht ihre erste Bekanntschaft machten und
besonders das innere Kerngehäuse anstaunten und einzeln auslasen.
Hier war ein rein Slavischer Typus und keines jener breiten groben
Nord -Asiatischen Physiognomien liefe sich sehn, die im eigentlichen,
von uns so genannten Balkan den Hauptkern der Bevölkerung zu bil-
den schien. Auffallend schien es mir, dafs man auch in dieser abge-
legenen Gegend Schiffswerg verfertigte; doch vielleicht benutzt man
Charakter der Gebirgslandschaft. — Padeahet — - Gabrowa. — Madesh. 103
diesen Stoff zu Matratzen. In der reinen Bergluft mundete trefflich
ein kaltes Huhn zum Frühstück mit frischem Janrd und Käse.
Um iH Uhr setzten wir unseren Marsch fort, stets anf dem schma-
len, von waldigen Schluchten umgurteten Kamm aufwärtssteigend, einem
hoch oben von der Gipfelhöhe uns stolz entgegenleuchtenden Baum-
paare zu, das ich schon um 7 Uhr 35 Min. auf dem ersten Kammrücken,
von dem wir in das Thal von Padeshet hinabstiegen, visirt hatte.
Alles waren abgerundete, romantisch zerschluchtete und mit Wald be-
deckte Rücken, nirgends zeigte sich eine zu Tage tretende Felsparthie
und doch ist auch dies ein Balkan bei den Anwohnern und figurirt
als die besondere Gruppe Gabrowa Balkan, der sich nach SSW. an
den Madesh oder Malesh Balkan anschliefst. Balkan heifst hier näm-
lich jedes Gebirge ganz ohne Rücksicht auf seine felsig rauhe Natur.
Allmählich nahm der Baumwuchs einen anderen Charakter an, und
während in den geschützten Schluchten sich noch einige Wallnufs-
bäume zeigten, fing oben auf dem Kamm die Region der Kiefer an —
eine Höhe von etwa 4000 Fufs anzeigend — bis dann nach 23 Minuten
(12 Uhr 8 Min.) weiteren Anstieges sich Alles mit Farrngeeträuch Pte-
ria Aquilina bedeckte. Erst um 12 Uhr 30 Min. erreichten wir die bei-
den, gebieterisch das Land überschauenden und seinen Verkehr leiten-
den und regelnden Platanen, die aber zugleich auch, wie so viele ähn-
liche Baum -Paare, die mir an bezeichnenden Stätten dieses Landes auf-
gefallen waren, ganz, wie ich das bei den Afrikanischen Naturvölkern
gefunden, den entschiedenen Eindruck einer religiösen Bedeutung ma-
chen und wol aus den Zeiten des Heidenthums herstammen. Diese
beiden Platanen jedoch stehen keineswegs auf der gröfsten Kammhöhe,
wo sie von den Stürmen nicht verschont worden wären, sondern am
Fufse einer schönen, sehr regelmäfsigen Kuppe, die nach W. direkt
in eine Thalebene, die Piantsa Owasi, abfällt ' und mit unverkennbaren
Spuren alter Baulichkeiten in der heidnischen Vorzeit des Landes wol
eine Kulturstätte bildete. Doch hat man schon von den Bäumen aus
eine grofsartige Rundsicht, wenn auch nicht hoch genug, um von dem
Verhältnifs der Hochgebirgsgruppen unter einander eine klare A4
schauung zu gewinnen. Das ganze centrale Gebirge, von dem, von
den nächsten vom Kara-sü durchbrochenen Höhen übrigens ziemlich
verdeckten Thale von Räslog bis nach Dübnitsa zeigt sich von hier
ans als eine von N. 35 O. — O. sich erstreckende zusammenhängende
Masse, in der das RHotbal den Haupteinschnitt bildet, und so bezeich-
nete es auch mein Reiter als eine besondere Gebirgsgruppe mit dem
Namen Djumaa Balkan. Der sich nach NW. mit breiter Fronte öffnende
Perim war leider von der Masse der sich zunächst hier anreihenden
J04 Reise durch die Europäische Türkei.
niederen Höhen so verdeckt, dafs ich nur die höchste Kappe zu peilen
im Stande war, diese aber zeigte sich recht klar und schön, von vier
tiefen, vom Gipfel hinabsteigenden Schluchten zerrissen und gegliedert
Selbst von dem Gipfel der kleinen Kuppe aus gewann man nach dieser
Seite wenig, sondern nach allen Seiten zeigte sich Alles wie ein Meer
von Höhen mit kleinen Einschnitten ohne charakteristische Gruppirung,
wogegen nach W. sich aus unbestimmt gelassener Ferne zwei hohe Berg-
züge zeigten, der eine von W. — W. 25 S., der andere dahinter nervo*«
guckend und bis W. ION. fortsetzend.
Der Pfad zieht sich am östlichen Fufs der Kuppe herum und folgt
dem Kammrücken, den eigentlichen Kern des Madeach, aber ohne
charakteristische Formen, nach O. lassend, nach W. den von mehreren
Schluchten zerrissenen, in die Thalebene ziemlich steil abstürzenden
Abfall. Dann stiegen wir an der tief eingerissenen Schlucht von Pan-
scher mit einem Quellborn des reinsten Bergwassers auf gewundenem
Pfade hinab, streiften unten im Thalwinkel den wirklieb armseligen
gleichbenannten Weiler und hielten uns dann längs des östlichen Fufees
des von mehreren tiefen Schluchten zerrissenen Abfalles des Madefth,
in deren jeder im Durchschnitt ein kleiner Weiler lag. Der stark ge-
hügelte, zum Theil sehr schöne Ackerboden war vom Regen schon
reichlich befruchtet; dagegen mufs im Sommer diese Landschaft über-
aus heif8 und trocken sein. So, fast in südlicher Richtung fortziehend
erreichten wir um 3 Uhr 1 Min. das Städtchen Tchernik and durchs
zogen dasselbe der Länge nach von W.— O., den Thaleinschnitt * in
dem es eingeklemmt ist, aufwärts, um an die andere Lehne zu gelang
gen. Der Ort ist ausschliefslich von Tataren bewohnt — Bnlngbäschi
wurden - sie von meinen Begleitern genannt — deren Frauen insgesammt
in schwarze Tücher eingehüllt gingen. Tchernik gehört zur Provinz
von Kosten dil.
Von hier ging es zuerst über Lehmboden, dann über mit Eichen-
und Nadelgebüsch bekleidetes unbebautes Hochland, bis wir nach
Durchschneidung einer grünen Senkung über den zweiten Sporn nach
Bedjowa hinabstiegen. Das so genannte Städtchen war mir aus der
Entfernung seiner Lage halber sehr unbedeutend vorgekommen , er-
wies sich jetzt aber als etwas ansehnlicher, denn erwartet, mit mehreren
ganz wohnlichen Häusern. Am Konak vorbei folgten wir der natür-
lichen Absenkung des Thaies nach W. und nahmen unser Quartier in
dem hart an der Südseite des Baches gelegenen neuen Khan, Yeni
Khan, der, obgleich noch nicht ganz vollendet und noch ohne Fenster-
verschlufs, doch schon einige, eben in ihrem Neubau recht saubere
Holzgemächer darbot. Der ganze untere Raum bildete einen sehr
grofsen Schnapsladen mit Holzbänken rund umher an den Wänden.
Ueberpicht von der ftöpße. "- Tchemfk. — Blajova und sein Kaza. 105
Ich jedoch zog es vor, mich draalsen auf der Bank hart am rauschen-
den Bache hinzusetzen, wo ich eine anendlich lange Weile auf eine
Tasse KafFe zu warten hatte. 80 sehr überwiegt hier der Raki, ob-
gleich von den 380 Häusern, die den Ort bilden, nur 80 von christ-
lichen Bulgaren bewohnt sind. Dann streifte ich noch etwas durch
den Ort umher bis zur oben gelegenen Hauptmoschee hinauf, neben
der ein Glockenturm sich erhebt. Aufserdem gibt es noch zwei Mo-
scheen. Ich bemerkte im ganzen Ort nicht ein einziges verfallenes
Haas. Während dessen hatte Rössi im Konak meine Aufträge besorgt.
Zar Zeit gab es im Orte keinen Mudir, sondern nur einen Stellver-
treter, Namens Li man Effendi, der mich am Abend mit dem Hakim
oder Arzt Namens Ahmed Effendi besuchte und mir manche Belehrung
gab. Auf der anderen 8eite war auch meine Erscheinung ihnen interes-
sant, als ich der erste Europäische Reisende war, der je den Ort be-
sucht hatte. Bedjowa oder Petchowa ist Mittelpunkt eines Kazä's (nach
der vorherrschenden Gebirgsgrüppe Madesh oder Malesh kazä genannt),
das von Uesknb. (jetzt mit Bascha Ahmed Djewid Bey) abhängig ist
and folgende Dörfer mit einer Gesammtzahl von 1 500 — 2000 Häusern
begreift; die mit Ausnahme des Hauptortes, wo die Mohammedaner,
wie angegeben, fast 4 der Bevölkerung bilden, ausschliefslich Raja
sind: Kasaba, Negrewaz oder Negrova (40 Häuser), Humina oder Hum-
lena (150H.), Budinash oder Budinärtsa (150 H.), Mftrashin (150 H.),
Mitraahin» tchiftHk, Berrowa (in der Entfernung von 1{-»-2St. von
B&ijova, 5 8t von unserer Strafse, sehr ansehnlicher Ort mit 400 Häu-
sern), FVatowa (30 bis 40 H.), Tchiftlik (so genannt, 30 H.), Matchowa
(50 -H.), Ladomfr oder Ladimmi (130 H.), Russin (50— 60 H.), Smoi-
nrir(100H.)' Die Bewohner dieser Dörfer bauen Gerste, Waizen und
Roggen, and war die Ernte heuer gut ausgefallen. In früheren Zeiten
hatten sie auch Baumwolle gewaschen, diese Industrie war aber in
Folge der hohen Preise eingestellt. Der heuer gut ausgefallenen Ernte
schweben die mich besuchenden Herren den Umstand zu, dafs die Um-
gegend von Bedjowa dieses Jahr ziemlich frei von Räuberei sei; da-
gegen sei voriges Jahr bei schlechter Ernte die Unsicherheit, selbst
bis in die gröfste Nähe der Stadt, so grofs : gewesen, dafs sie ihre Todten
nur in stärker Begleitung hätten nach dem Grabhof hinaus geleiten
können« Hier erfuhr ich nun auch den höchst interessanten, mir und
wol überhaupt früher unbekannten Umstand, dafs der Yel-tepe ein
selbst noch moslemischer Wallfahrtsort sei. Offenbar knüpfen sich
alte, aus der üeidenzeit stammende Traditionen an diese allbeherr-
schende Bergkuppe der ganzen Griechisch -Türkischen Halbinsel, den
alten Orbelos, und wird seine, alle übrigen Berghöhen — mit Einschlufs
desR3o*r~ überragende Natur genugsam schon durch die volksthumliche
106 Beil« durah die Europäische Türkei.
Angabe bezeichnet, dafs da oben im Mattergestein rieh ein Bing befinde,
an dem die Arche Noab's befestigt gewesen. Nun ist Petchowa gär kein
übler Ausgangspunkt zu solcher Bergfahrt, aber hierzu war, da die Entfer-
nung nicht unbedeutend und das Ganze drei bis vier Tage erfordert, man
also die Benutzung eines gunstigen Tages nicht berechnen kann, die
Jahreszeit, die oft schon gewaltige Nebel und die ersten Herbatregen
brachte, zu weit vorgeschritten. Wenn man nun von hier ans zum
Yel-tepe gebt, erreicht man in 6 St. das Dorf Presnitsa (im Thal des
Kara-sü?), von wo aus man noch 4 St bis zum Fufse des Gebirges
gebraucht, und der Anstieg von da bis zum Gipfel wird wol 6 weitere
St. in Anspruch nehmen. Am nordöstlichen Fufse des Berges ist der
schon von Visquenel angegebene See. Eine Besteigung dieses Berges
von einem tüchtigen Geognosten, oder wenigstens Topographen wäre
für die Eenntnifs dieses ganzen Theiles der Türkei von gröfster Be-
deutung, und hoffe ich, dafs vielleicht die Mannschaft des an der Thra-
kischen Küste aufnehmenden Englischen Schiffes unter dem hochver-
dienten Capitän Spratt oder seinem Stellvertreter Lieutenannt Wilkin-
son den Versuch machen wird. Viequenel's kartographische Darstel-
lung des Yel-tepe und Perim scheint nach allen meinen Erkundigun-
gen über diesen Gebirgsknoten völlig ungenügend.
Die Erforschung dieses höchst interessanten Gebirges Anderen über-
lassend, machte ich mich (5 Uhr 45 Min.) am folgenden Morgen mit zwei
neuen Albanesischen Geleitsreitern auf den Weitermarsch. Zuerst ging
es längs der südlichen Seite des Ortes nach W. hinaus in das baumlose,
ganz offene Thal mit gutem Weideland, das nur in der muldenartigen
Senkung vor dem Tschiftlik genannten Dorfe, das wir um 6 Uhr 1& Min.
zur Rechten liefsen , von Ackerland unterbrochen wurde. Zur Linkes
vereinten sich mehrere Einschnitte und an dem so gebildeten Sporn
lag das Dorf Smoimir mit etwas Baumwuchs geschmückt und mit einer,
bis in die Ebene hinein sich erstreckenden Reihe von Heusehobern.
Aus dem dahinter folgenden Einschnitt mit Steilufer floJb ein grösserer
Bach hervor, dem Hauptbache zuflielsend, der von S. her aus ungegliedert
zusammengewürfelten Höhen kam. Dies ist die Bregalnitsa, die von 8.
nach N. sich hinziehend, die Madesh Owasi genannte Thalebene durch-
fliefst und dann, nach W. sich wendend, dem Wardar ihr Wasser zu-
sendet. Um 7 Uhr 10 Min. erreichten wir die eigentliche Thalsohle,
aber nicht mit einem zusammenhängenden, sondern in mehrere Rinn-
sale und Müblbäche getheilten Gewässer, deren Gesammtmasse jedoch
eine ganz ansehnliche Wassermenge enthielt. Von hier gemach anstei-
gend und dann eine Schlucht betretend, erreichten wir nach 25 Min.
das Dorf Ladimmi, das an der Vereinigung mehrerer kleiner und enger
Schluchten zu einer grösseren und offeneren gelegen von dem so an-
Interessante Nachrichten aber den Yel-tepe*. — Ladimmi — Felsterrain. 107
gesammelten Bache durchflössen wird. Das Dorf schien für diese Ge-
gend recht wohlhäbig und die 130 Häuser, aus denen es besteht, mach-
ten den Eindruck solider und guter Bauart, besonders die Magazine,
und ein auf vorspringendem Felssporn stattlich gelegenes Schulhaas
zeugte von tüchtigem Gemeinsinn ; in der freien Veranda ward gerade
Schule gehalten. Dennoch klagten die Dorfbewohner, dafs sie aus-
schliefslich auf Korn bau angewiesen seien , und dafs sie selbst zu die-
sem einseitigen Eulturzweig nicht genug Grund und Boden besäfsen,
die Berge in ihrem Rücken gehörten nicht ihnen und so hätten sie
keine Schafgänge. In dieser, gänzlichem MiXswachs in Folge gelegent-
licher Dürre ausgesetzten Landschaft ist es allerdings sehr ungünstig,
auf eine einzige Kultur ausschliefslich angewiesen zu sein und jeden-
falls scheinen die Bewohner von Ladimmi viel mehr leisten und gewin-
nen zu können, als ihr beschränktes Gebiet ihnen erlaubt.
Als wir nach kurzem Aufenthalt unseren Marsch fortsetzten, be-
traten wir Sandhügel mit Unterlage von Glimmerschiefer und Grün-
stein und aufser von Schafheerden auch von einzelnen Gruppen von
Eichbäumen stellenweise belebt. Der sehr gewundene Pfad durch-
schnitt mehrere, nach verschiedenen Seiten abziehende, felsige Schluch-
ten, die jedoch bei hier noch nicht eingetretenem Regen noch ohne
Biesel waren, und das war denn der Grund, dafs ich nicht ganz klar
wurde, wohin diese zahlreichen Schluchten ihr Gefälle hatten, obgleich
eine . gröfsere Längsschlucht alle die kleineren aufzunehmen schien.
Eicbengebüsch bildete die gewöhnliche Bekleidung der Höhen, doch
zeigte sich auf den höchsten Partieen auch Farrn kraut, während Ha-
selnüsse zum grofsen Theil die Gehänge bekleidete. Granit wechselte
nun mit Glimmerschiefer. Man kann sich kaum ein wilderes, öderes
und zum Räuberhandwerk geeigneteres Terrain denken, als dieses« Der
Pfad ist in den engen Felsspalten dermalen eingeklemmt, dafs es fast
unmöglich für sich einander begegnende Reisegesellschaften ist, sich
auf den steilen und rauhen Ab» und Anstiegen auszuweichen. Glück-
licher Weise war der Verkehr nicht stark und wird auch wol nie sehr
belebt . sein. Dabei war das Terrain so ermüdend für die Pferde, dafs
wir, ohne mit einem Imbifs versehen zu sein, einen Halt machen mufs-
ten; so rasteten wir denn auf dem Hauptkamm oberhalb einer kleinen,
dicht mit Wald eingehüllten Schlucht, die nach SO. hinabstieg und et-
was Wasser enthielt, von 10 Uhr 55 Min. bis 11 Uhr 45 Min. Wir
hatten nun die kleinen, in seitlicher Verzweigung unbestimmteren Ge-
fälle hinter uns und stiegen von hier mit einem ununterbrochenen Ge-
fälle nach SW.. hinab ; ein Abstieg von 20 Min. brachte uns auf den
Boden der Schlucht, jedoch erhielt sie ihren schöpferischen und cha-
rakteristischen Zug, das Wasser, das offenbar in der Vorzeit diesen
108 Bei** durch die Europliache Türkei.
schmalen stollenähnlichen Einschnitt als Aasmündung and Verkehrsweg
in diesem rauhen Feisterram geschaffen hat, erst von einer nördli-
chen Seitenschlucht, wie denn auch nach einer halben Stande aas an-
derer Schlacht auf dieser selben Seite ein zweiter klarer Qnellbach
herzukam und dem Hauptbach gröfsere Bedeutung verlieh. So würde
schon dies ein deutlicher Beweis sein, dafs hier im N. bedeutende Koppen
in fruchtspendender Gruppirung liegen, wenn ich sie auch nicht von ein-
zelnen gunstigen Punkten aus im Allgemeinen erkannt hätte; denn zu
genaueren Beobachtungen war hier leider keine Gelegenheit, and so
interessant an sich, und stellenweise sogar wild romantisch der lange
Felsweg, den wir nun betraten, war, so gänzlich unergiebig erwies er
sich auf der anderen Seite für eine umfassendere Erkundigung und Auf-
nahme der Landschaft. Auf der ganzen linken oder südöstlichen Seite,
und zwar so ziemlich in der Mitte des fast 3 Meilen langen Engpasses,
bemerkte ich nur eine einzige, allerdings bedeutende deitenschlacht. Die-
ser längste aller Pässe, die ich auf dieser kurzen, aber so viele Gebirgs-
züge quer durchschneidenden Reise kennen gelernt habe — abgesehn
von der nur nach dem Kloster RTlo führenden abgelegenen Felsschlucht
des Isker — heifst bezeichnend für diese Waldgegend Ketchi kaya der-
bend „Pafs der Chamois- Felsen", denn manche Partieen desselben
eignen sich allerdings eher für eine Gemse als für Pferde, wenn auch
ein an Alpengegenden gewöhnter Fufsgänger mit gröfster Leichtigkeit
die kleinen Schwierigkeiten der Passage überwindet Eben seiner
Länge wegen würde dieser Engpafs den Verkehr aufserordentlich gefähr-
den, wenn nicht ein bedeutender Wachtposten ihm einige Sicherheit
verlieh; diesen erreichten wir nach einstündigem Marsche längs der
Waldschlucht, aber nur eine Viertelstunde hinter dem Anfang des
eigentlichen Engpasses, wo er in einer kleinen, kesselartigen Erweite-
rung desselben liegt; es ist ein festes, burgartiges Steingebäude and
heifst als solches Karagüle kulesi. Man würde kaum begreifen, wie
in solcher Wildnifs ein wol 10 Mann starker Posten sich halten kann,
wenn nicht etwas weiterhin, oberhalb einer anderen von NW. herab-
steigenden Seitenkluft ein Dorf Namens Smilän läge. Dort sollte ein
Reisender, der jene noch ganz unbekannte Gebirgspartie erforschen
wollte, übernachten. Uebrigens liefs man mich, da ich schon zwei be-
rittene Soldaten bei mir hatte, ungeschoren weiterziehn. Jenseit des
Wachthauses wird der Paus besonders schwierig and der schmale Fel-
senpfad windet sich hoch oben an der nordwestlichen Felswand über
dem unten im Waldesdunkel schäumenden Sturzbach. Endlich nach
höchst schwieriger Passage, gerade eine Stunde hinter dem Wachtposten
(2 Uhr), erreichte der Pfad wieder das Niveau des Baches und zog
sich nun hart an ihm entlang, ihn in der engen Schlucht gelegentlich
Der lange G«ins<i Felsen «•Pafc -i- Dorf Podareshe. 109
kreuzend. Wie wir weiter abwärts kamen, zeigte er sich voll Schling-
pflanzen. Jetzt aber näherten wir uns dem Ausgang des Engpasses und
liefsen am 2 Uhr 35 Min. die erste Mühle zar Seite mit etwas Acker-
land und mit einer kleinen Heerde von Schafen, Ziegen and Rindern ;
in kurzen Abständen folgten nun einander drei andere Mühlen; die Fels-
wände nahmen allmählich an Höhe ab and der Boden erweiterte and
verflachte sich; am 3 Uhr traten grofoe Massen Quarz auf; 10 Min. da-
hinter öffnete sich auf derselben Nordwestseite eine etwas weitere Sei-
tenschlucht mit kleinem Rinnsal, die ins Gebirge hinauffuhrt zu Berg-
lagerst&tten Yüruk mahaleri. Hier gewann das Thal einen höchst an-
ziehenden Charakter und entwickelte, anstatt nackter unfruchtbarer Wild-
heit, aaf kleinstem Räume die gröfste Mannichfaltigkeit von Produkten,
unter und neben einem Baumschmuck von Pappeln, Weiden — beide,
wie immer, besonders als Einfassung der Bewässerungsrinnen — und
breitkronigen Wallnufsbäumen , Mais, Reis und Hanf. Der Mais war
gerade reif und stand sehr schön und die Anwohner waren eben dabei,
ihn zu ernten, wozu das drohende Regenwetter sie besonders veranlas-
sen mochte. Reis kommt in Hochbulgarien nur eben in den tiefsten
Einsenkungen fort. Auch die Hügel zur Rechten waren hier schon an-
gebaut. Daneben war es mir sehr interessant, hier wieder Büffelge-
spanne zu Behn, die ich seit langer Zeit in der gebirgigen Landschaft
ganz aus den Augen verloren.
Nach der vierten Mühle hatten wir noch ein Mal einen kleinen Fels-
sporn zu übersteigen und erreichten dann um 3 Uhr 35 Min. das in
der Erweiterung und Ausmündung dieser wilden Thalschlucht in das
ansehnlich weite Thal der Strumnitsa, des hauptsächlichsten westlichen
Zuflusses des Strymon, gelegene Bulgarische Dorf Podareshe, und hier
quartierte ich mich auf einem in seiner Art recht wohlhäbigen Gehöft
in einem langen niedrigen, seiner ganzen Länge nach mit einer Holz-
veranda versehenen Wohngebäude ein.
Während das Abendessen bereitet wurde, machte ich mich auf,
eine kleine Anhöhe an der nördlichen Thalecke zu besteigen, um mir
irgend eine Uebersicht, besonders über die Landschaft nach SO., zu
verschaffen, da mein Weg nach Radowitch mich nach NW. und aus
jener Richtung ganz abwärts fuhren sollte. Nun gewann ich freilich eine
B^ihe von Winkeln auf eine Anzahl jenseit des Thaies sich vorlagernder
Ketten und Höhen, besonders auf die größere Gruppe des Tchengel
Dagh (einer sehr hervorragenden hohen Kuppe in S. 32 O.), aber ohne
die geringste Unterscheidung der Entfernung, und gleich nach Ost
schlofs alle Aussicht eine hoch über dem Dorf aufsteigende Kuppe.
Diese Kuppe also, schlofs ich, mutete mir eine glänzende Umsicht
eröffnen, und so hörte ich denn auch, als ich mich nach ihr erkun-
HO BelM durch die Raropiiseh* Türkei.
digte, dafs das in musnehmender Weise der Fall sei; ja, die Leute be-
haupteten, dafs man von dort nicht allein Seres, sondern selbst S&a»
nik bei ganz klarem Wetter erblicken könne. Ich beschlofo also so-
gleich, wenn das Wetter es erlauben sollte, mit einem meiner beiden
Zährte* und einem Fuhrer um 3 Uhr in der Nacht aufzubrechen und so
mich mit dem ersten Sonnenblicke der belehrenden Aussicht so er-
freuen — aber leider sollte dieser Plan zu höchst bedeutendem Nach-
theil dieses Theils meiner Arbeit vereitelt werden; denn nur tu wahr
erfüllten ihre Drohung die schwarzen, regenschwangeren Wolken, und
ein vollkommener Regentag folgte. So kann ich denn nichts Besseres
thun, als zukünftigen Forschern dieses Landes, die ja noch immer eine
so reiche Ausbeute vor sich haben, anf diese so leicht zu besteigende,
wol 1500 Fufs ober das Thal sich erhebende Kuppe aufmerksam zu
machen. Sie helfet Kush-kul6 and soll vier Dörfer enthalten, eines oben,
ziemlich nahe dem Gipfel und denselben Namen führend wie die Kuppe,
drei andere weiter abwärts, nämlich Asarly, Djime-mahalesi und Kush-
kule- Papel, das untere Kueh-kull.
Durch die verschiedenen hier eingezogenen Nachrichten verstrich
der Abend ganz gemfithlich und auch an leiblicher Pflege fehlte es nickt,
obgleich die Leute, wie immer, klagten und wohl mit Recht, da sie 40,000
Piaster Abgaben zu zahlen haben, 1 Piaster per Okka Korn, nach
dem Durchschnittsertrag ermessen. Die geschäftige Hausfrau brachte
ein für einfache Ansprüche ganz vortreffliches Abendessen zu Stande,
dessen Beschlufs wieder der am Abend allerdings etwas schwere,
aber doch meinem unverwöhnten Geschmacksorgan ganz wohlgefällige
Bulgarische Hauskuchen, der Bögatche bildete. Dann legte ich mich
früh nieder, um früh wieder aufzustehn; aber schon bald nach Mitter-
nacht fing es an zu regnen und an Besteigung der Kuppe war nicht
mehr zu denken. Ja, kaum die nächste Umgrenzung des Thaies er-
kannte man deutlich, als wir, nach angebrochener Tageshelle, in un-
sere Regenmäntel gehüllt, längs der nordöstlichen Seite des \~i Meile
breiten Thaies von Strumnitsa unsern Marsch nach Radowitch fort^
setzten. So war es denn fast ein Glück zu nennen, dafs es auf diesem
Wege überhaupt nicht viel zu sehn gab. Aehnlich wie Podar&he, aber
in viel schönerem Ackerland, liegt das Dorf Oreovitsa, von angeblich
etwa 150 Häusern und ausschließlich von Bulgaren bewohnt, die aber
durch einen hohen Glockenturm den christlichen Charakter ihres Dor-
fes bestimmter ausgeprägt haben, als ihre südöstlichen Nachbaren.
Von hier an bis nach Radowitch ist das Gehänge zu Weinbergen
bestellt, aber die Ernte versprach für dieses Jahr keinen eben sehr gün-
stigen Ertrag; denn, nachdem sie unter zu lang anhaltender Dürre des
Sommers halb verbrannt war, war nun ganz zur Unzeit bei 'dem völlig
Einbuße der Kapp« Kosh-kall mit weiter Anflicht — ftfdcmtch. Hl
reifen Zustand der Trauben Regenwetter eingetreten. Uebrigens ist
aller Wein, der hier gebaut wird, ausschliefslich rother. Der Boden
in der Thalebene bestand zum grofsen Theil aus rothem Lehm und
die dortigen Aecker waren nur spärlich mit wilden Birnbäumen be-
setzt N*he hinter dem kleinen Dorf Raklisch, das wir zur Linken
liefsen, vereinte sich die von der andern Thalseite, von Strümnitsa her-
kommende Hauptstrafse mit der unsrigen und wir ruckten nun hart
auf Radowitch los, das am Ausgange eines von NW. einmundenden
Thaies dicht am Fufse des westlich mit steil abgerissenen Lehmwän-
den vortretenden Spornes liegt, von kleinem, jetzt etwas angeschwolle-
nen Bach in breitem Bett durchzogen. Um 7£ Uhr trafen wir ein. Es
ist ein leidlicher Ort, machte aber bei dem trüben Regenwetter eben
keinen freundlichen Eindruck, und beschlofs ich hier nur kurze Mittags-
rast Zu halten. Der Khan, in dem ich mich demzufolge einquartierte,
war geräumig, wenigstens der Tiefe nach, aber in schmutzigem wider-
wärtigen Zustande, wie die meisten dieser Bretterhäuser, sobald sie ein
gewisses Alter erreichen, und das Essen, welches ich hier zu Mittag ge-
liefert erhielt, übertraf nach der Unsauberkeit seiner Bereitung und der
angewissen Natur seiner Bestandteile noch die mittlere Schlechtigkeit
des gewöhnlichen Khänessens. Jedoch verweilte ich nicht lange in
diesem Schmutzwinkel und machte mich sofort auf, dem Mudir einen Be-
such abzustatten. Denn die Richtung des von mir nun einzuschlagenden
Weges war bei der bisherigen. Unkenntnifs, in der diese Gegend ein-
gehüllt war, so gänzlich unbestimmt, und Alles in so furchtbarer Confu-
sion, dafs gar kein äufserer Anhalt zu direkter Erkundigung da war und
ich genauer und specieller Auskunft bedurfte. Glücklicher Weise traf ich
einen vernünftigen, mit dem Lande, das er zu regieren hatte, wohl be-
kannten, wenn auch meinem Vorhaben gegenüber etwas zu vorsichtigen
und zu sicher gehenden Beamten Namens Hussen. Auch machte ich hier
einmal wirklich die Erfahrung, wie man, während man einerseits durch
einen solchen persönlichen Besuch beim Mudir sich allerdings mancher
Unannehmlichkeit aussetzt, auch andererseits gelegentlich in kurzer Zeit
sehr viel lernen kann. Denn kaum hatte ich die erste Begrüfeung mit
dem Mudir ausgetauscht, als der Kadi eintrat, ein alter ehrwürdiger
und höchst freundlicher Türke, dessen Achtung ich mir sogleich durch
meine Bekanntschaft mit dem Arabischen erwarb, das er leidlich zu
beherrschen schien, während die Kenntnifs dieser Sprache im Allge-
meinen hier zu Lande überaus vernachlässigt wird. Während wir
uns nun unterhielten, versammelten sich die übrigen Mitglieder des
Medjeles und eine ganz interessante und lehrreiche Gerichtsverhandlung
fand Statt, indem ein reicher Griechischer Viehhändler die Rückerstat-
tung des ihm von Leuten der beiden Zollpächter im Derbend abge-
112 Reise durch die Europäische Türkei,
nominellen Geldes reklamirte, sogar bis auf ein Bischlik oder Fünf-
piasterstück. Dabei bediente er sich so heftiger Ausdrucke, dafs man
hier wirklich Dicht von sklavischer Unterdrückung sprechen konnte.
Auch gewann der Kläger mit seiner Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit
ohne Gleichen sein Recht gegen die beiden Zollpächter. Noch wäh-
rend dieser Verhandlung gesellte sich nun der Gesellschaft noch eine
ganz andere hochwichtige Person hinzu und zwar nur ganz zufällig,
nämlich der Ylädika Charitios, der früher in Saloniki, jetzt aber im be-
nachbarten Strumnitsa seinen Sitz hat und der so eben seine Diöcese
besucht hatte, zu der auch Malesch gehört Es war ein freundlicher
und allem Anschein nach einsichtsvoller Mann, aber erst so kurz an
seinem Posten, dafs er, wie er selbst erklärte, noch gar keine Kennt-
nifs von seiner Diöcese hatte; sonst wäre er der Mann gewesen« mir
manche neue geographische Auskunft zu geben und hatte ich ihm des-
halb schon einen Besuch zugedacht. Nach Abschluß der gerichtlichen
Verhandlung handelte es sich nun aber um meine eigene Sache. Ich
beabsichtigte nämlich von hier direkt nach Graditska oder vielmehr Gra-
dets am Wardar zu gehn und von da längs des Erigon-Karaaü nach
Mönastir. Die Ausführung des letzteren Vorhabens erklärte man nun
seh nurgerade für unmöglich und es handelte sich nur noch darum,
ob ich von hier mit einer guten Eskorte direkt nach Gradets gehen
könne. Dies erklärten einige der Unterbeamten für möglich, der Mu-
dir selbst aber verweigerte entschieden, die Verantwortlichkeit dafür iu
übernehmen und bestand darauf, mich erst zum Mudir von Kafadär
zu schicken, der mich dann, wenn er wolle, mit seinen Leuten nach
Gradets schicken könne. Darin mufsten wir ihm endlich nachgeben;
noch vorsichtiger aber ging er darin zu Werke, dafs er nicht einmal
gestatten wollte, dafs ich den geraden Weg nach Kafadär einschlüge,
sondern ich sollte durchaus den grofseu Umweg über Kontcha machen
und dort neue Leute zu meiner Begleitung hinzunehmen. Offenbar
hielt er, und wie wir sehen werden, nicht ohne Grund, die Gegend
für so unsicher, dafs er jede Unbill, die mir möglicher Weise zustofsen
könnte, von sich ab und auf Andere wälzen wollte. Solche Zustande
rauben dem Reisenden oft den gröfseren und schöneren Theil seiner
Ausbeute, obgleich in diesem speciellen Falle der grofse Winkel, den
ich nun über Kontcha machen mufste, mir eben Gelegenheit gab, nach
verschiedenen Seiten hin die geographischen Züge des Landes zu be-
richtigen; denn wer ein Land, zumal ein Gebirgsland, wirklich kennen
lernen und besonders für Andere erforschen will, sollte immer mög-
lichst im Zickzack reisen.
So hatte sich mir also während meines etwa nur einstündigen Be-
suches beim Mudir eine ganze Fülle von Lokalkenntnifs erschlossen, und
Interessante Gerichtsverhandlung. — Ein vorsichtiger Ifudir. — Taxen. 113
höchst befriedigt entfernte ich mich, am noch einen Gang durch die
Stadt zu machen. Jedoch kann ich kaum anparteiisch über den Charak-
ter derselben artheilen; denn es war nicht allein das dunkle Regenwetter,
was sie in ungünstigem und unfreundlichem Lichte erscheinen liefe,
wozu nicht wenig die weit vortretenden Ziegeldächer beitrugen, son-
dern noch ein anderer, allerdings eben mit diesem wiederum zusammen-
hangender Umstand, den ich schon oben angedeutet habe. Dieser be-
stand nfimlich darin, dafs des eingetretenen Regenwetters wegen alle
Welt in die Weinberge eilte, nm von der Traubenernte noch zu ret-
ten, was su retten war. Alles das geht aber hier zu Lande nicht so
schnell, als man denkt; denn der eigene Besitz ist hier durch den von
oben geübten schändlichsten und rücksichtslosesten Despotismus höchst
beschränkter Natur geworden. So war erst heute Morgen die auf
die Weintrauben gesetzte diesjährige Taxe hier verkündet worden, und
anstatt nun sofort ans Werk gehen zu können, mufsten die armen
Leute erst ihre Tiskren durch Entrichtung der Bezahlung sich einlösen,
und so drängte sich denn Alles an die beiden hierzu eröffneten Kassen,
davon die eine sich in unsrem Khan befand, der von mir in Beschlag
genommenen Kammer gegenüber. So war denn der Bazar fast gans
leer und die meisten Buden geschlossen. Diese schändliche Art der
Erhebung der Taxe ist, wie ich das schon mehre Male auch in meiner
Klein -Asiatischen Reise zu zeigen Gelegenheit gehabt habe, eine der
in den individuellen Wohlstand des Einzelnen ') eingreifendsten Ursa-
chen des inneren Ruins dieser Länder.
Jedenfalls hatte ich meine Paar Stunden in Radowitch gut benutzt.
Um Mittag safs ich schon wieder zu Pferde, einen gesetzten Geleits-
reiter vorauf. Wir hatten keine Zeit zu verlieren, da wir noch in
Kontcha übernachten wollten. Glücklicher Weise hatte das Wetter
') Folgende Liste der zu Ridovitch gehörenden Dörfer erhielt ich in Kontcha:
Dädina SO H. Balg.; Rakitsa, Islam, Kontcha, 2 Dörfer, das eine Isl., das andere
Balg. ; Asbagha Lfpowik, Isl. wenig Bulg. ; Tukan Lfpowik 40 H. ; Negrenötsa 7 H.
Balg.; Papaanitsa 10 H. Balg.; Kalageritsa 60 H. Isl. Balg.; Dukitina 35 H. Balg.;
Badftcheva SO H. Isl. Balg.; Slewa 60 — 70 H. Ist Balg.; Pokreitchewa Tschiftlik
11 H. Balg.; Targalitsa 60 H. Isl. Balg.; Podereshe 60 H. Isl. Balg.; Orawitsa 60 H.
Isl. Bulg. [oben S. 509 mit 150 H.]; Raklishta 80 H. Balg.; Säri-göl, Bergkappe,
wahrscheinlich mit Snmpf oder Teich, „ gelber See* genannt, mit 30 Yürükfamilien,
nieht cm verwechseln mit dem gleichnamigen Siri-göl bei Kailar; Htldawerdi ma-
hilerf 20 Y.; Papina 20 Y.; Kiisholi 6—7 H.; Kulageslft mamüetf oberhalb Siri-göl
50 Y.; Karäl Owasf 15 Y.; Drayantsa 15 Y.; Tcheshme mahalesf 30 Y.; Shturowa
25 Y.; 8upttrg6 mahalesi 15 Y.; Turnarlfi mahalesf 25 Y.; Hfnova 70 H. Bulg.;
Pagalewa 6Y.; Ytfkari (ki) Vitfsnitsa 20 Y.; Aabä (ki) Vrasnitsa 20 Y.; Oarwaa
80 H. Bulg.; gagortsa 30 H. Bulg.; Skorusha 40 H. Bulg.; Lubnitsa 60 H. Ist
Bulg.; Radesh Tschiftlik 6 H. Bulg.; Trlskavlts am Fufse des Ilantepe' 19 H. Bulg.;
Gabresh 85 H. Bulg.; Smilin, das Dorf oben westlich über dem Ketchi kaya derbend
40 H.f JUdnmto 20 H. Bulg.
8
1{4 Rei»e dunsh die Europäische Tttrkai.
wieder angefangen, sich aufzuklären. Oleich draulsen beim Grabhof,
an der Ecke des abgerissenen Lehmspornes trennte sich die nach Iakab
oder Ueskub ') fuhrende Strafee von der onsrigen; jene verfolgt hier
in ziemlich westlicher Richtung das verengte Thal aufwärts, die onsrige
schnitt das Thal in ziemlich sudlicher Richtung quer hindurch, und .wir
stiegen gemach in die Sohle der fruchtbaren, aber fast baumlosen
Thalebene hinab, die in der Entfernung nach WNW. von der hohen
Kuppe bei Damiän abgeschlossen war. Interessant war es rar ganzen
Charakteristik dieses Thaies, dafs keins der beiden Rinnsale, die sieh
längs der Thalsohle nach SO. senkten, selbst jetzt nach dem nicht na*
ansehnlichen Regen Wasser enthielt; man sieht also deutlich, dais,
wenn man das Thal als Wasserabzug betrachtet, dies nicht als Oberlauf
des Quellflusses, sondern nur als ein untergeordneter Arm angesehen
werden kann, besonders im Verhältnifs zu dem, dem Ketcto-kaya-derbend
enteilenden bedeutenden Bache. Ehe wir nun den Fufs der gegenüber-
liegenden Höhenreihe erreichten, überschritten wir die von Ueakub and
Istib über Strumnitsa nach Seres fuhrende StraJfoe, dann erst (12 Uhr
45 Min.) fingen wir an anzusteigen. Rechts in geringer Entfernung
liefsen wir ein Dorf, dessen Namen ich als Hinowa verstand, den
Herr Kiepert aber für l'nova hält und auf dort vielleicht befindliehe
Höhlen zurückführt, obgleich die Beschaffenheit des auf der Ober-
fläche wenigstens mehr lehmartigen, mit Eichenlaub bekleideten Bodens
solche Ableitung nicht zu begünstigen scheint. Der Anstieg war leicht,
und schnell kamen wir vorwärts; schon um 1 Uhr 20 Minuten hatten
wir den, aus der Ferne durch weifse Sanddünen bezeichneten Pafs er-
reicht Jetzt folgte wieder eine mit Eichenwald bekleidete Einsenkong
zur Linken, während Acker und Weinland die Hügel belebten. Um 1 Uhr
40 Min. erfolgte dann der eigentliche Abstieg in hübsch bebautem Hü-
gelland , worauf wir nach 5 Minuten den Weiler Gedina erreichten.
Gedina mit 60 — 70 Rajafamilien liegt am Anfang einer ansehnlich ein-
geschnittenen, in Windungen nach SW. in das Thal des Vardar hinab-
steigenden Schlucht, und wir würden sie ganz zu Ende verfolgt ha-
ben, wenn wir uns direkt nach Gabran oder Garwan gewandt hatten,
da sie allem Anschein nach gerade in der Richtung des erwähntes
Dorfes hin sich öffnet; so dagegen, da Kontcha in SSW. unser Ziel
war, verfolgten wir den Engpafs nur eine kleine Weile; seine, von
einem Berggewässer abgeschnittenen Wände legen steil eingestürzte
Schichten von Schieferthon blos. Dann traten wir aus dem tief zur
Rechten hinabstürzenden Engpafs links hinaus und überschatteten vom
freien Kamm aus die romantisch wild zerrissene und gegliederte Thal-
') Ueskttb ist von Ittdowitch 20, (Istib 6), Kardtowa 14 und 8<rumaitea 6 St
Dm Tbl der StrAmnitML _ Konten*. H*>
ebene mit dem gegenüberliegenden zerklüfteten Gebfinge. Hierauf
stiegen wir das von Sehlachten zerrissene and mit Eichengebüsch be-
wachsene Gehänge hinab, den uns entgegenleuchtenden Minaret von
Konteha als Landmarke drüben, und vor ans in der Ebene ein mit
grofsem Gehöft and ansehnlichen Wohngeb&adeu and Kuppel stattliches
Moslemisches Hospitalstift bei dem Grabe eines Heiligen, daher Ghäai
Evrenos tülbesi genannt — (anstatt türbe borte ich gewöhnlich hier zu
Lande tülbe aassprechen). Nachdem wir also das am unteren Ge-
hänge gelegene Dorf Ratitsa etwa 20 Min. zur Linken gelassen, hatten
wir jenes, mit ansehnlichem Grundbesitz aasgestattete and gegenwärtig
von vier Familien bewohnte Stift in einiger Entfernung zur Rechten
und erreichten, in schnellerem Schritt, des anfangenden Regens halber,
an kleipen Hügeln ans hinhaltend und mehrere Bäche passirend, um
3 Uhr 45 Min« Konteha, d. b. das moslemische Quartier dieses Ortes,
das ganz getrennt vom Bulgarischen Viertel liegt. Denn dieses Ge-
hänge ist derartig von Qnellbächen in tiefen Schluchten eingerissen,
dafs jeder Weiler seine eigene Kluft für sich hat Im Allgemeinen
sind diese Schluchten nur eng, und werden gewöhnlich dicht hinter ihrer
Mündung wild and rauh ; aber mehr östlich von Konteha öffnet sich eine
viel bedeutendere, stärker markirte Schlucht, die sowohl den Hauptbach
ins Thal entsendet, als auch dem Verkehr einen leichteren Weg nach
S. and mit mäfoigem Gebirgspafe ins Thal des Vardar eröffnet nach
dem von hier nur 4 Stunden entfernten Gradets, einen Weg, den ich
leider, wie erwähnt, in Folge des räuberischen Zustandes der Land-
schaft nicht nehmen durfte. Wäre der Zustand des Landes ein gesicher-
ter, so würde des nahen Verkehrs mit Saloniki wegen diese Ortschaft
eine ganz andere Bedeutung haben, während jetzt hier gar kein regel-
mässiger Verkehr Statt findet Uebrigens blieben wir nicht zur Nacht
in diesem mohammedanischen Konteha, das etwa 150 Wohnungen um-
fafot, sondern liefsen uns nur einen Unterbeamten geben, um uns im
Balgarischen gleichnamigen Weiler einzuquartieren. Letzterer liegt in
der westlich nächsten Schlucht, etwa 1200 Schritt entfernt, ist aber
viel kleiner und umfafet nur 15 Häuser. Hier wurde ich zu grofser
Befriedigung in einem Hause am Bergabhang einquartiert, dessen
grofee hölzerne Veranda eine weite Aussicht in's Thal darbot. Aller-
dings fehlte es an Beleuchtung, und Regenwolken lagen auf den Hö-
hen, aber doch war die Uebersicht des Thaies nicht ohne Inte-
resse. Meine Aufmerksamkeit zog aber besonders die Ruine eines im
Orte selbst belegenen Klosters auf sich und ich machte mich alsbald
dorthin auf. Auch hier, wie in Rilo, bildete ursprünglich ein sehr
solid befestigter Thurm den kriegerischen Rückhalt der christlichen
Klostergemeinde, den feindlichen Eroberern gegenüber; jedoch zeigt er
8 #
Hg Beto durch die Etoopiisehe Ttrkei.
zwischen den Steinschichten schon eingelegte Lager von Balken. Er
bildete hier die eine Ecke des ganzen Gebäudes; die übrige Um-
fangsmauer ist zum grofsen Theil zerstört und theilweise von einer
leichten Mauer ersetzt. In der Mitte des grofsen, von der Mauer
umschlossenen, von Gras bewachsenen Raumes steht die Kirche, dem
Sveti Späs gewidmet; ihr eigentlicher Kern, der ein kurzes Grie-
chisches Kreuz bildet, stammt aus bezüglich früher Zeit. In einiger
Entfernung vor der in neuerer Zeit angebauten Vorhalle steht die an-
tike Basis einer Säule, einem Grabstein ähnlich, aber ohne Inschrift.
Ich habe schon erwähnt, dafs die Umfassungsmauer cum grofsen Theil
in neuerer Zeit wieder hergestellt ist, und habe ich hier in Sonder-
heit noch hervorzuheben, dafs man an der Ostseite dieser Hofmaoer
eine grofse, hohe Halle gebaut hat mit 8 oder 9 Gemächern, mit Pen-
stern nach der Strafse sich öffnend. Diese, zu einer Stiftung bestimm-
ten Räume wurden gerade wohnlich eingerichtet und zeugten wohl von
tüchtiger Gesinnung der so beschränkten Bulgarischen Gemeinde —
das Werk der fökara „der Armen", wie mir die Leute sagten.
Wie ich so noch den kurzen Augenblick |der Tageshelle nützlich
verbracht hatte, so verstrich auch der Abend höchst angenehm und
lehrreich. Das Erste, was ich jetzt erfuhr, war, dafs der Wirth des
Hauses, wo ich einquartiert war, wegen angeblichen Einverständnisses
mit einer Räuberbande, die diese Gebirgsgruppe früher äufserst unsicher
machte, ein Jahr lang im Gefängnifs geschmachtet hatte; auch hatte
er allerdings zu solcher Beschuldigung wirklichen Anlafs gegeben, da
er, wie er selbst gestand, sich gezwungen gesehn hatte, den Räubern
zu essen zu geben. Auch lag sein Haus in diesem kleinen Weiler so
hart an den Bergen, dafs er sich 'ganz in den Händen einer solchen
Bande befinden mufste; die Hinterthür unseres Zimmers ging unmit-
telbar auf das Gehänge hinaus. Die Bände war nachher von den Be-
wohnern von Lipowitch aufgehoben worden, wobei vier Räuber ge-
tödtet, die übrigen theils gefangen wurden, theils sich zerstreuten.
Erst dann war ihm die Freiheit wiedergegeben worden, aber sein frü-
herer Wohlstand war mittlerweile ruinirt.
Dieses Lipovitch, eigentlich eine Gruppe von zwei Dörfern, eins
halbe Stunde auseinander gelegen, von denen das untere (Lipowitch
ashä) von 50 Türkischen, das obere (L. yiikari) von 30 — 40 Bulgari-
schen Familien bewohnt ist, liegt 1 Stunde Marsch von der Türbe des
Evrenos im Gebirge, auf der Ostseite der Strafse nach Selanik. Von
Lipovitch geht man in 8 St. nach Strumia oder Strumnitsa über Ko-
strüm, das b St. von ersterem Orte entfernt liegt; zwischen Kostrum
und Lipovitch wiederum liegen halbwegs zwei Weiler, beide TchiftUk
genannt, indem sie ursprünglich Pachthöfe waren, in der Entfernung
Erkundigungen in Konten*. — Das Thalgehänge mit seinen Schlachten. 1 \ 7
von x St östlich von der Strafse. Das, auf den Karten bisher in fal-
scher. Lage angesetzte Dolani liegt in der entgegengesetzten Richtung
7 St von der Türbe, 2 St. von Istib.
Bedentender aber, als diese, kleine topographische Verbesserung,
war für mich die bestimmte Nachricht, die ich hier zuerst über Demir-
kapü einzog, das ich selbst bis dahin noch für eine Stadt gehalten.
Hier nun lernte ich zu meiner groben Verwunderung, dafs Demir-kapü,
was übrigens eigentlich der Name schon genugsam hätte anzeigen sol-
len, keine Stadt, ja nicht einmal ein Flecken, sondern die blos to-
pographische Bezeichnung einer engen Felsklause des Vardar sei;
allerdings befinde sich bei derselben die Ruine eines Kastells und sei
auch früher an der Passage selbst ein Wachtposten oder bekleme ge-
wesen, aber auch der sei jetzt aufgegeben. Die so benannte Felspas-
sage befinde sich i St von Banya oder, wie es auch genannt werde,
Hammäm-tchiftlik. Gradets bezeichnete man mir als einen kleinen
unbedeutenden, nur durch seine Granaten ausgezeichneten Weiler im
engen Bergthal; l£ — 2 St von da liege TcheshdeVan, 3 St. von Doiran,
1 St vojp Vardar entfernt, also wol in der Nähe des ersten Khans
von Gradets aus gelegen. Auf dem Wege von Strumia nach Doiran,
2 St von ersterem Orte liegt das Dorf Welüüs und dicht daran eine
Berggruppe Namens Ilinitsa Planina. Andere Erkundigungen, die ich
hier von meinen mittheilenden Wirthen erhielt, habe ich anderswo ein-
geflochten. Die Meghlen oder Möghlena genannte Berggruppe auf dem
Wege vom Vardar längs der Tcherna Rieka stellte man mir gänz-
licher Unsicherheit halber als so gut wie unzugänglich vor. Auch die
Plashkavitsa Planina wird von der Türkischen Bevölkerung als Balkan
angesehen und P. Balkäni genannt
Freitag den 3. October verliefs ich nun in ganz kriegerischer
Ausrüstung den kleinen Ort; vier, mit Musketen bewaffnete Fufsgänger
waren meinem Geleitsreiter zugesellt, und etwas langsamer als gewöhn-
lich ging es vorwärts. Es war 5|Uhr, als wir unseren Marsch in
nordwestlicher Richtung (N. 35 W.) längs der zerrissenen und zer-
schluchteten Gehänge antraten. Es war ein interessanter Marsch. Die
etwa 400 — 500 Fufs ansteigenden, leidlich mit Eichen und Eichenge-
büsch bewaldeten Höhen zur Linken waren fast jede tausend Schritt von
einer mehr oder weniger breit und tief eingekerbten Schlucht, dem
Abflüsse eines Rinnsales, eingeschnitten und boten ein merkwürdig regel-
mäßiges Profil dar. Schon nach zehn Minuten folgte die erste Kluft mit
dein, von kleinen Rinnsälen durchzogenen Dorfe Lubnitsa, dessen Häuser
sich tief in die weiter aufklaffende Schlucht hineinziehen. Ich erkannte
hier, wie hoch wir allmählich aus der eigentlichen, sehr gewellten Thal-
ebene uns wieder erhoben hatten und erfreute mich des hübschen
\\Q Reise durch die Europäische Türkei
Ueberblickes über den höchst mannichfach gestalteten und bekleideten
Boden in der Tiefe mit dem anmnthigsten Wechsel von Feld, Acker,
Weingärten, Wiese und Baum wuchs. Ueber die erste umschfiefsende,
an mehreren Stellen eingesenkte Höhenkette der anderen Seite ragt
die Kette von Radovitch und Kush-kule* herüber und ober die nörd-
liche Oeffnung des Thaies eine ansehnlich hohe und breite Kuppe, die
nach dem am Fufse liegenden Dorfe Damiän, Damiän Yailaef „Berg-
frische von DämiSn" genannt wird, zu deren Seiten aus gröfserer
Entfernung höhere Kuppen des Bergzuges von Karatowa herfiberrag-
ten, über die mir meine Begleiter leider keine Auskunft zu geben im
Stande waren. Hier im ersten Theile war der Weg mit auffallender
Sorgfalt gehalten, war in regelmäßigen Distanzen mit Bäumen bepflanzt
und glich fast einer Allee. Unsere Strafse würde die geradeste Rich-
tung verfolgt haben, wenn nicht eben die tief eingerissenen Schluchten
uns zu häufigen Abbiegungen gezwungen hätten; diese Rücksicht hat
mich zu bedeutenden Reductionen in der Eintragung der Entfernung die-
ser Strecke gezwungen, indem der, bei dem Abstieg von der östlichen
Thalseite auf Garwan genommene Winkel zur trefflichsten Kontrole
diente. Unten in der Thalwelle zeigten sich nun mehrere Dörfer Oroscha,
Zagurtsa, Treskawets, ja auch drüben an der Kette; an unserem Gehänge
dagegen war Lübnitsa das letzte Dorf. Jedoch diente Hundegebell in
den Höhen zum Zeugnifs, dafs hier Hirten ihren Aufenthalt hatten. Auch
soll die Schafzucht hier ausgezeichnet sein; die Schafe liefern nämlich
die Kibesdjlk genannte Wolle von guter Qualität, aus der die Peni-
schen Mützen und anderes Pelzwerk gefertigt wird. Indessen überzeugte
ich mich weiterhin durch den Augenschein, mit wie aufserordentlicher
Nachlässigkeit die Schafe hier geschoren werden, und ihr wie abge-
kratztes Fell bot einen wahrhaft abschreckenden Anblick dar. Im
Durchschnitt ist die Hälfte der Schafe von schwarzer Farbe. Weiter-
hin bemerkte ich grofse Ziegenheerden, die nach beendeter Weinernte
sich in den zur Seite des Pfades ins Thal hinabziehenden Weing&rten
gütlich thaten.
So verstrich die Zeit schnell, und nach gerade zweistündigem Marsch
ragte zur Linken über die niedrigeren Vorhügel die in schöner Regel-
mäfsigkeit abgerundete Kuppe Promet herüber, die den Abschlufs un-
serer nordwestlichen Abbiegung verkündete. Hier aber hatten wir erst
noch zwei, bis zu 1 50 Fufs Tiefe und zu sehr grofser Breite in den rothen
Lehmboden des Gehänges eingeschnittene Schluchten zu passiren, welche
den von Promet herabsteigenden Höhensporn umschliefsen. An der nord-
westlichen Kante der zweiten Schlucht liegt das kleine Dorf Garwan oder
Gabran, das wir hart zur Seite liefsen, das uns unser Reiter jedoch
möglichst zu meiden gebot, wol wegen des nicht eben wohlberüchtig-
Charakter des Thaies. — Anderer Bücken. — Grofsartigei Panorama. 119
ten Charakters seiner Bewohner; wäre das Land in irgend geregeltem
Zustande, so würden wir gestern geradeswegs durch das Thal hier
herübergeschnitten und die vorhergehende Nacht hier zugebracht haben.
Hier nun fingen wir an, in ganz entgegengesetzter, sudwestlicher Rich-
tung (W. 35 — 30 S.), hart am Nordrande der tiefen, stets sich veren-
genden Schlucht in kurzen Windungen steil anw&rts zu steigen, und
zwar mufeten wir unsere Pferde fuhren, da der Pfad oft kaum 5 Zoll
breit jählings in die Schlucht abstürzte; das anstehende Gestein be-
stand ans Thonschiefer und Gneis. Aeufserst betrübend war es aber,
dals, während wir nun so einen immer gröfseren Umblick gewannen,
der Himmel, der nach dem gestrigen Regen mit klarer Morgenbeleuch-
tung, die allerdings stets unsicher ist, begonnen hatte, sich zu bewölken
anfing, so dafs schon jetzt die ferneren Kuppen nicht mehr sichtbar
waren. Dies wurde in der Folge abermals ein unersetzlicher Verlust für
meine topographische Ausbeute, da gerade heute der grandioseste Ge-
birgsüberblick sich vor mir entfalten sollte. Das ist der Uebelstand der
Herbstreisen in diesen, durch Herbstregen charakterisirten, Küsten-Län-
dern des Mittelmeeres, während es sonst dem Geographen ausserordent-
liche Vortheile darbietet, zumal eines umfassenderen Gesammtüberblicks
und auch der leichteren Fütterung der Thiere halber. Nach halbstündiger
rauher Felspassage hatten wir so ziemlich die Höhe des Passes erreicht
und hatten die schöne Kuppe Promet wenige hundert Schritt zur Linken.
Wenige Minuten danach zeigte sich auch das gleichnamige Dorf 1 ), schon
an der südwestlichen Lehne unterhalb der Kuppe, von schönem, wenn
auch beschränktem Ackerland umgeben, theils mit frischer Aussaat des
Winterkorns, theils mit reifendem Mais und mit kleinen Weingärten.
Dieses südwestliche Gehänge der Schlufskuppe Promet steigt in eine
breite, höchst malerische, in selbiger Richtung sich erstreckende Schlucht
hinab, an deren vielfach gegliederten, wol 1000 Fufs hohen Ostgehängen
in halber Höhe sich das Dorf Kallia zeigte, während wir auf einem
nach W. lang auslaufenden, nach derselben Schlucht steiler abfallenden
Sporn uns hinzogen. Jetzt begann eine wahrhaft grofsartige Bergansicht
sich vor uns im SW. zu entwickeln, aber leider verhinderte der mit
Wolken umhüllte Horizont die klare Unterscheidung im Einzelnen, und
keiner meiner 5 Geleiter konnte mir Aufschlufs über die einzelnen
Ketten und Kuppen geben, die sich im wilden grofsartigsten Chaos hin-
ter den kleineren, das Thal des Yardar im West begrenzenden Höhen
durch and über einander schoben *)• Allein schon dieses großartigen
') Ich sah nur ein Dorf, es gibt aber deren zwei, ein unteres und ein oberes
Fromet
') Ich gebe hier einige Hauptwinkel, die ich ohne klare Identiflcation nahm:
120 ****** dttrch die Europäifche Türkei.
Panoramas wegen ist besonders solchen Reisenden, die för die Geogra-
phie des Landes etwas zu thun wünschen, dieser Weg zu empfehlen.
Wir hatten hier die Provinz Tikwesh erreicht, deren Name in der
Geographie dieses Landes einige Verwirrung verursacht hat, da man
ihn für den Namen einer Stadt hielt; nun hat allerdings auch der frü-
here Vorort dieser Landschaft denselben Namen geführt, dieser Ge-
brauch ist aber dermafsen veraltet, dafs kein Mensch, den wir fragten,
uns bestimmte Auskunft geben konnte, wo dieser Ort liege oder ge-
legen habe ' ). Alles zusammen genommen scheint mir das Wahrschein-
lichste, dafs Negotin früher diesen Titel führte. Promet ist eben
das erste Dorf von Tikwesh. Der lang hingegossene Sporn, auf dem wir
uns allmählich hinabzogen, hatte ein eigentümlich wildes Aussehn; Gon-
glomerat trat überall zu Tage. Gerade bevor der Hauptabstieg anfängt,
erhebt sich auf seinem Rücken noch eine kleine Kuppe oder ein Höcker
in ganz analoger Weise, wie auf dem nach Tchipka hinabführenden
Sporn des Haemus- Balkan. Hier entliefs ich meine vier Leute aus
Eontcha mit entsprechender Bezahlung. Zur Rechten nach N. hatten
wir ein wahres Meer von kleineren Höhen, das jedoch von mehreren
tief eingeschnittenen Schluchten zerrissen war — in einer derselben
liegt das Dorf Pepeto. Wie wir so steil hinabstiegen, gewannen wir
allmählich einen Blick das Vardarthal aufwärts, wo es im S. von den
beiderseits zusammentretenden Felsmassen völlig geschlossen schien.
Die das Demfr-kapü bildende, steil abgeschuittene Felswand zeigte sich
(10 Uhr 20 Min.) in S. 20 W.; das nackte, nur mit sehr vereinzelten
Baumgruppen bekleidete breite Thal mit den grofsen Windungen des
Flusses machte einen eigenthümlichen Eindruck. Bald darauf (nach
gerade fünfstündigem Marsch von Kontcha) erreichten wir Ackerboden
und zogen nun mit zwei kleinen, sich zu einem Stromlauf vereinigen-
den Thälchen noch immer stark abwärts dem Hauptthale zu. Nun
folgten kleine, schon abgeerntete und etwas kümmerlich aussehende
Weingärten, und jetzt schneller dahinreitend erreichten wir um 11 Uhr
5 Min. eine Quelle , wo wir einen kleinen Halt machten und ein mit-
genommenes einfaches Frühstück verzehrten. Danach streifte ich um-
uin 8 Uhr 45 Min. die höchste Gruppe der Koshü Yailasi S. 25 W., eine fpitie
hochaufragende Kuppe S. 35 W.; die höchste Gruppe eines anderen Gebirges W. 25 S.
— Um 9 — 9 Uhr 5 Min. eine hohe weifse über den Kamm zur Rechten hervorragende
Kuppe N. 25 0., scharf abgeschnittene höchst hervorragende Kuppe in weiter Ferne
W. 30 N., wol sicher der Shär Dagh. (Die davor liegende Kette nannte mein Reiter
wol sehr uneigentlich Babüna Derwenti [Derbend].) Ferner die höchste Kuppe eines
langen Zuges W. 20 S.
*) Nach Einigen lag er bei Brnschan (vergl. Hahn, Beise von Belgrad u. s. w.
S. 176, III) auf der Strafse nach Prelepe ; jedoch konnte ich an Ort and Stellt
nichts Näheres darüber boren.
Tikwesh. — Abstieg in d« Ebene des Vardar. — Negotin. 121
her und sammelte Gesteinsproben auf. Besonders merkwürdig darun-
ter waren: Hornblendestücke, die ich nirgends anstehend gesehen habe,
wahrscheinlich vom Schär-Dagh herstammend. Grünstein war vorwie-
gend und ich erinnere an die Ansicht Giesebrecht's , wonach es die
Grünsteine sind, welche den Thonscbiefer des Dukajin in Jaspis ver-
wandelten and zugleich die Ursache der Hebung des Bertiscus gewesen
sind. Der Oberlauf des Vardar kommt bekanntlich von jener Gebirgs-
wand her. •-— Die ausgezackte hohe Kuppe war von hier W. 30 S.
Als wir dann (1 2 Uhr 25 Min.) unseren Marsch fortsetzten , be-
traten wir die, in fast regelmässigem Halbkreisausschnitt von etwa einer
halben Stunde Weite in diese Gebirgswand eingreifende Tbalfläche des
Vardar, der auf der entgegengesetzten Seite ein fast gleicher Aus-
schnitt entspricht, was von oben gesehn, einen sonderbaren Eindruck
macht Schnell vorwärts rückend, hatten wir bald den Flufs selbst
nahe zur Rechten in seinem ansehnlich eingeschnittenen, scharfkantigen
Bett und streiften hier nahe an dem moslemischen Quartier von Pe-
parisbta oder Pepelishta vorüber; das andere christliche Quartier liegt
\ St. davon getrennt an der anderen Seite des Flusses, hart an seinem
Hochufer lang sich hinziehend. Hier hat die Thalebene einen beson-
ders trockenen, völlig baumlosen Charakter. Um 1 Uhr 5 Min. stan-
den wir am Ufer des Flusses, indem wir die beiden, sich mit ihrer
Oeffnnng zugekehrten Halbkreise ihrer Längsachse nach durchschnit-
ten hatten. Zur Rechten und Linken auf dieser Seite des Ufers hatten
wir kleine Baumgruppen; um so wüster war das Hochufer auf der
westlichen Seite. Am Flufoufer fand ich viele Basaltstücke. Hatte
ich- schon von der Quelle aus den Prometpafs durch einen Winkel
noch einmal festgelegt, so versäumte ich dasselbe auch von hier aus
nicht (0. 10. N.).
Der Vardar, der alte Axios, ist hier ein recht ansehnlicher Flufs
mit reibendem Strom in diesem Bogenaussohnitt dahinziehend ; er mag
etwa 500 Fufs breit sein und hatte selbst jetzt eine ansehnliche Tiefe ;
allerdings hatte es gestern wol in weiter Ausdehnung seines Stromge-
bietes ziemlich stark geregnet. Sein Wasser ist sehr unklar und trübe.
Ich mufste dem Fährmann 1 Piaster per Pferd bezahlen.
Bin schmaler Pfad windet sich auf der Westseite eine kleine Weile
am Hochufer herum und betritt dann die trockene Einsenkung von
Negotin mit schmaler frischerer Sohle zur Seite. Hier verfolgten wir
unsere. Hauptrichtung (W. 10 S.). So fortziehend liefsen wir nach ~ St
Negotin selbst nahe zur Linken. Ich hatte vorher viel von diesem Ort
gehört und war daher um so mehr betroffen von seinem trostlosen Aus-
sehen; nur. wenige kleine und armselige Gemüsegärten ohne einen ein-
zigen Baum vermögen die Dürre und Oede der umliegenden Landschaft
122 R*itt durch die Europäische Türkei
nicht su beleben; die H&user, von einer dem Boden selbst völlig iden-
tischen Farbe, sind in zwei Quartiere oder mahalle geschieden, das eine
durch seinen Glockenturm, das andere durch seine Moschee genug-
sam charakterisirt, beide mit einer, den hier in tiefem Einschnitt die
Sohle durchziehenden Bach überspannenden Steinbocke. Derselbe
dürre, ausgesengte Boden, jeder Spur von Erfrischung baar, setzte dann
fort, zu grofser Ermüdung in dieser Mittagsstunde; allem Anschein
nach hatte es hier gestern gar nicht, oder nur wenig geregnet Au-
genblicklich bot die Landschaft einen überaus abschreckenden Anblick
dar, gleich einem trockenen Kalkmeer, und doch ist Alles ein nach gehö-
riger Herbstdurchfeuchtung höchst ergiebiger Ackerboden. Nur etwa
| St. hinter NegotTn unterbrach eine kleine 8trecke von Weinbergen
nnd etwas Baumwuchs die abschreckende Einförmigkeit, wo kein Dorf,
kein Mensch sich sehen lief». Erst eine Weile weiter, nachdem wir
einen kleinen Sattelpafs in kahlen Kalkhöhen passirt hatten, zeigte
sich nahe zur Rechten ein Dorf und 20 M. entfernt ein Tschiftlik Na-
mens Sobbod, beide in leichter, flacher Einsenkung mit Baumgruppen
geschmückt, die sich von N. her im Halbkreis herumziehen. Hier war
mehr Regen gefallen und das Ackerland entwickelte einen ausgezeich-
net fruchtbaren Boden. So der Senkung folgend erreichten wir um
3 Uhr 10 Min. das aus elenden Barracken bestehende Dorf Marina an
der Ausmandung eines zur Zeit trockenen Rinnsales in das Haoptthal, das
jetzt hart zur Rechten blieb, indem wir mit nun fast südlicher Rich-
tung (S. 15 W.) seinem östlichen Rande folgten. Eine Viertelstunde
hinter Märina passirten wir ein Dorf ' ), das durch seinen Minaret als
Moslemisch bezeichnet wurde, und das sich durch den Charakter seiner
Häuser sowohl, wie auch durch die gröfeere Kultur seiner Umgebung
mit Gemüsebeeten, Tabacksfeldern und Maulbeerbäumen vorteilhaft
vor Marina auszeichnete. Hier verliefsen wir die, der au Zeiten ein-
tretenden Versumpfung dieser Thalebene halber, in üblich schlechter
Weise gepflasterte Strafse und rückten (mit S. 30 W.) durch das Acker-
land gerade auf Kafadär au.
Kafadär, der Vorort von Tikwesh (wenigstens seit längerer Zeit),
macht dennoch einen recht trüben, melancholischen Eindruck mit seinen
zahlreichen verfallenen Häusern, während, wie das bei dieser leichten
Bauart durchgängig der Fall ist, Alles noch weit verfallener aussieht,
als es in Wirklichkeit ist Ein wirklich schlechtes Unterkommen aber
boten die beiden Ehäne, und so liefs ich Rossi etwas Lärm ma-
chen, um mir ein besseres Quartier zu verschaffen, wo ich dann in
') Dieses Dorf, dessen Name ich nicht erfuhr, ist fast anzweifelhaft identisch
mit dem Giishitch bei Hahn, Reise von Belgrad nach Saloniki.
Kahle Gegend. — Kifadir and meine dortigen Beziehungen. f 23
der nett eingerichteten, sauberen Privatwohnung eines Manne« Namens
Nedo MikhaSl, ganz behaglich untergebracht wurde ■). Sehr ungünstig
für die Ausführung meiner weiteren Pläne war es nun, dafs erstlich vor
nur drei Wochen ein neuer Mudir angekommen, und zweitens dafs
selbst dieser neue Beamte nicht einmal an seinem Posten sich befand,
sondern zu seinem Oberen nach Monastir gereist war; auch war der
Stellvertreter eine Person ohne alles Ansehn, um die etwas schwie-
rige Aufgabe in Betreff meiner Weiterreise zu lösen. Der Herr von
Radovitcb nämlich hatte mich, wie oben auseinandergesetzt, hierher
gewiesen, hier die nöthige Unterstützung und Schutzmannschaft zu er-
halten, um zuerst den Vardar abwärts, dann die Tcherna oder den
Kütshük Karasü aufwärts durch das noch ganz unbekannte, höchst Un-
sichere Gebirge Monastir zu erreichen, und nun stellte sich heraus,
dafs hier gar keine competente Behörde zur Zeit existirte, um ein
solches Unternehmen irgendwie zu ermöglichen. Die Regierung von
Tikweeh erwies sich in der That im Verhältnis zu den Schwierigkei-
ten dieses Berglandes als über alle Mafsen schwach und erbärmlich,
und es machte mir grofse Noth, selbst nur den nöthigen Schutz zu er-
halten, um das Felsenthor des Vardar zu besuchen. Dazu wurden
dann endlich zwei reguläre Fufssoldaten bestimmt, mit denen ich in
einem Tage nach Demir-Kapü hin und zurückgehen sollte. Zu dem
Zweck ward also eine frühe 8tunde des folgenden Tages bestimmt,
aber ich hatte lange zu warten, ehe meine Geleitsmänner erschienen.
So wurde es 6 Uhr, ehe wir fortkamen.
Kafadar liegt in einer Art von Kessel, zu dem die von Marina
herziehende Thalebene sich erweitert und von dem kleine Pässe oder
Emsattelangen nach verschiedenen Seiten über die kahlen Höhen,
weiche den Kessel rings, besonders nach Ost und Süd umschliefsen,
hinausführen. So muteten wir nun auch auf unserem Wege nach De-
mir-kapü, sobald wir die Stadt hinter uns hatten, einen solchen Pafs
ersteigen und erreichten in 20 M. die erste Stufe, auf der es dann
wieder mit O. S. O. Richtung etwas abwärts ging mit einem Blicke
zuerst nach NW. auf Marina, weiterhin nach N. auf Negotin, während
zur Rechten der ganz flache, scharf auf allen Seiten abgerissene, an-
sehnliche Tafelberg Vitatch hervortrat und in seinem eigenthümlichen,
von den bisher gesehenen Gebirgen dieses Landes so verschiedenar-
tigen Charakter meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Es ist
dies eine Gebirgsformation, die wahrscheinlicher Weise auf das Engste
') Der Ort producta etwa« Seide, angeblich 5000 Okken, also etwa den zehn-
ten Theil des dieser Prodnction halber so berühmten Koprülü (600,000). Die Okka
reiner Seide hat hier einen Werth von 1800—1600 Piaster, wahrend man die Ko-
kons zu 85—40 per Okka kauft.
124 &ti** droh die Europäisch* Türkei.
mit dem Durchbrach des Axios - Vardar darch das Eisentbor and der
dadurch erfolgten Trockenlegung des oberhalb gelegenen froheren See-
beckens zusammenhängt. Der Name Vitatch übrigens ist wahrschein-
lich nur eine andere Form von Vitosh, so wie auch der Name des
im weiteren Verlauf dieser Reise zu erwähnenden hoch hervorragen-
den Piks Vitsh, und ward dieser hohen Tafelwarte in Folge seiner
weithin „sichtbaren tt Natur gegeben. Die tief eingerissenen Thon-
mergelgehänge seiner uns hier zugekehrten Nordwestseite waren mit
Wein bestellt, wie denn die an seinem Fufs gebildeten Schlachten recht
fruchtbar zu sein scheinen. So liegen an seinem Nordostende zwei Dör-
fer nahe beisammen, Orlef mit 150, Keshie mit einer etwas ge-
ringeren Anzahl von Häusern, und in der EinSenkung zwischen dem
Vitatch und dem kleineren, ihm nach NNO. nahe vorliegenden, gleich-
falls auf allen Seiten schroff abgeschnittenen Grädu *), Hegt da» mosle-
mische Dorf Disan mit 200 Häusern. Das Terrain an ihrem Nord-
fufse, auf dem der Pfad hinabsteigt, besteht aus wunderbar zerrissenem,
fast unpraktikablem Mergelboden mit oft 20 Fufs tiefen Einrissen, um
die und zwischen denen der Pfad sich immer neue Passagen suchen
mufs. Hier ragte aus der Ebene zur Linken eine vereinzelte Kappe
hervor, die sowohl in ihrer Vereinzelung als letzter Abschrais dieses
Terrains gegen das Flufsthal, als auch ihres auffälligen Namens Platönik
wegen einige Beachtung verdient Schon von hier aas (7 D. 20 M.)
zeigte sich der Felsdurchbruch des Flusses in der Ferne wie eine jiht
Scharte, eine wahre Rolandsbresche, am Fufs der Kuppe. Während
dessen stiegen wir mit ziemlich genauer Ostrichtung (O. 5 N.) in leich-
ter Senkung stets abwärts auf die höchste, schön gezackte Kappe der
entgegengesetzten felsigen Thalseite des Vardars zu, Hassan Tcheahme
tepesi oder Kiräs-tepe genannt (wenigstens glaube ich, dafs beide Namen
derselben Kuppe angehören), die in der ganzen Pracht schönster Son-
nenbeleuchtung uns entgegenstrahlte. Heute konnte ich kein schöneres
Wetter haben, ich hätte solches nur auch gestern gewünscht. Endlieh,
nach fast 2|stundigem Marsch (8 Uhr 25 Min.) hatten wir diese ver-
wickelte Passage hinter uns und erreichten an der Kreuzung dieser
Strafse mit dem von Negotin herkommenden Pfade das Dorf Kremme,
das halb von christlichen Bulgaren, halb von Möslemln bewohnt ist;
jedoch zog ich es vor, da meine Soldaten, die noch nicht gefrQbstüok;
hatten, einen kleinen Halt verlangten, um Zeit zu ersparen nicht ins
Dorf zu gehen, das uns hart zur Rechten blieb, sondern bei einer
Quelle, 10 Min. weiterhin, eine Viertelstunde zu rasten. Meine beiden
') Zu dieser Gruppe scheint auch als höchste Kuppenerhebung eine Goila ge-
nannte Höhe zu gehören, die ich nicht genauer eintragen konnte.
Der VitAtch und «• Tafdbetge. — Der Porto Dagfa. — Wfsheren. 125
Führer übrigens waren ganz gemüthliche Barsche und gaben mir eine
möglichst klare Besehreibang ihrer persönlichen Verhaltnisse. Der
Fufeftoldat erhält hier monatlich 100 Piaster und aufserdem per Tag
300 (?) Drammen Brod, der Reiter erhält 350 Piaster, aber kein Brod.
Da wird dem Soldaten die Erhaltung seiner Familie schon schwer;
der eine der beiden hatte fünf Bander.
Nach kleinem Inbifs setzten wir unseren Marsch fort und ruck*
ten nun weiter in die Thalebene hinein , wo wir nach 20 Min. in die
grofse Thalstrafee einfielen, die den Windungen des Flusses folgt
Das Thal ist hier etwa l£ — 1| ml. breit. Ueber die, einige hundert
Fufs cur Rechten entfernten und etwa 200 — 300 Fufs hohen Hügel
ragte aus weiter Ferne (in 8. 20 W.) der Kodzü oder Eoshü Balkan
mit breiter Kuppe hervor, der, wie ich glaube, mit dem nahe westlich
davon ebenfalls sichtbaren, in seinem interessanten halb Römischen
halb Tirkisehen Namen Porta Dägh wol sicherlich eine selbst historisch
merkwürdige Bergpassage darstellt; werden wir ja einer Römischen,
Porta als Lokalbe2eichnung eines solchen Bergpasses sogar auf dem
Hochjoch des Olymp begegnen; in diesem Falle bezeichnet es wahr-
scheinlich einen romantischen Felsdurchbruch des Kütchük Earasü,
des alten Su r jmün. &F7rij?a n^ .
Dem am Fnfse der höchsten Felskuppe der östlichen Thalwand ge-
legenen grofsen Dorfe Wisheren mit mehr als 200 Häusern , ziemlich
gerade gegenüber öffnete sich in der niedrigen Thalwand zu unserer
Rechten ein Pafs, der nach dem etwa \ St. von hier gelegenen Prish-
dowo fuhrt, das 3 — 4 St. von Kafadär entfernt liegt und dieser ganzen
Thalseite bis Banya den Namen Prishdovo Ulakasi verleiht, während die
Hügelkette selbst den Namen Kosh-bairi fahren soll. Diesen Weg, der
mir die ganze eigentümliche Gruppirung des Vitatsh von der andern
Seite gezeigt haben wurde, beabsichtigte ich auf dem Rückwege zu
nehmen, mufste es aber aufgeben, da ich mich zu lange in Banya
aufgehalten hatte. Die Höhen geben vortreffliche Triften ab für an-
sehnliche Schaf- und Ziegenheerden, während die in Stoppeln stehen-
den Maisfelder des Thaies gerade zur Aussaat des Winterkorns um-
geackert wurden und so eine doppelte Ernte zu liefern scheinen. Jetzt
ruckten wir hart an den Flufs heran und folgten seinen bedeutenden
Windungen, nachdem wir die Einmündung eines ansehnlichen Kanals,
der diese Seite bewässert, passirt hatten, und bald trat das Felsufer
selbst hart an den Rand des Flusses hinan. Von ihm stiegen wir dann
(um 10 Uhr 40 Min«) hinab in das dem Felsdurchbruch vorgelagerte,
von zahlreichen Quellströmen genährte Becken von Banya, das in
reichster Fülle prangte. Denn wunderbarer Weise war hier Alles in
dieser Jahreszeit noch frisch und. grün, im lebendigsten und eigenthüm-
126 Baise durch *• Europäische Türkei.
liebsten Gegensatz gegen die bisherige Dürre and Nacktheit nach abge-
schlossener Ernte. Dafs der Reis noch nicht geerntet war, war ganx
natürlich, so ganz ausnahmsweise auch, wie schon früher angegeben,
Reisbau überhaupt in Hochbalgarien möglich ist, aber auch der Mais
stand noch auf dem Felde (Ende September). Die Quellströme spen-
deten eine solche Wasserfülle, dals wir nur mit Mühe an einer Mühle
ans einen Durchgang verschaffen konnten. Indem wir hier um die
Felsecke bogen, erreichten wir den kleinen Khan and quartierten ans
an unserem kurzen Aufenthalte in einem dazu gehörigen, jetat vor der
Ernte noch leer stehenden, am 10 Fufs erhöheten offenen and kioskarti-
gen Kornschober ein. Ich selbst wenigstens verweilte nur so lange, als
nöthig war, ein frugales Frühstück au verzehren, an dem der Khan treff-
lichen Wein, aber ganz abscheuliche Melonen lieferte; dann machte
ich mich sofort mit zweien meiner drei Soldaten — ein dritter war
uns nachgekommen — auf, den uns gerade gegenüber sich öffnenden,
merkwürdigen Felspafo zu besuchen.
Das Becken hat hier eine Breite von etwa 1200 Schritt and schliefst
nach S. im Halbkreis ansehnlicher Hügelreihen vollständig ab. Von
allen Seiten her ziehen dem Flusse, ehe er sich in dem Felsenpafs ver-
liert, reiche Quellströme zu; aber bemerkenswerter Weise ist die py-
rogene Kraft, welche einst hier ein warmes Bad schaff zurückgetreten
oder hat sich abgekühlt, und Banya „Baden", wie es mit dem histo*
risch so merkwürdigen Namen (s. S. 330), oder Hammam Tchiftük
„Landgut Warmbad 44 , wie es auch sonst genannt wird, ist jetat ein
leerer Name ohne Bedeutung; denn nach Abkühlung der warmen
Quelle besteht hier kein Bad mehr. Eine ähnliche Erscheinung ist nichts
Ungewöhnliches; jedoch hier gehört sie offenbar einer bezüglich jun-
gen Zeit an, obgleich es mir nicht möglich wurde, die bestimmte Jah-
reszahl ausfindig zu machen.
Wir hatten nun vom Khan aus nach dem Pafs zu wieder eine
Menge kleiner Quellb&che zu passiren und dann ein jetzt trockenes
Bett des Hauptstromes voll von Basaltstücken, welche gleich denen
am Rande des Stromes bei Negotin gefundenen die vulkanische Natur
der Quellgegend des Vardar hinreichend beurkunden. Dann erst be-
traten wir den eigentlichen Boghäz. Das Eisenthor ist eine in der hier
von N. 20 W. nach S. 20 O. hingestreckten hohen Felswand, welche sich
auf der Ostseite gegen den Lauf des Flusses vorstemmt, steil einge-
schnittene Scharte, von etwa 800 — 1000 Fufs Breite, und nimmt der
Durchbruch zuerst eine Richtung von W. 5 S. — O. 5 N. in einer, der
grofsen Schlucht von Kellia völlig parallelen Richtung — ein für die
ganze innere Natur und Struktur des Gebirges gewifs nicht unwesentli-
cher Zug. Zu beiden Seiten ragen die Kalkwände mehrere hundert Fol*
Banya oder Hanun«* Tbhifttfk. — . .Der Fekdaichbrmah des Vardar. 127
steil empor, am höchsten auf der Nordseite, wo auf der Höhe der sieh
ausbreitenden Felskuppe seit den Zeiten des Alterthums ein Kastell
stand. Denn schon im Alterthum, and aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht erst zur Römischen Zeit fahrte hier durch die Engpässe des Axios
— *a yoS X\tv* atewd — eine grofee Verkehrsstrafse — hatte doch
schon Thnkjdides diese Gebirgsgegend aus eigener Anschauung ken-
nen gelernt Ja, eben hieraus möchte ich den Scblufs ziehn, dafs ge-
rade diese höchst bedeutende Verkehrs -Strafse, welche jene reichen
oberen Stromlaudschaftea mit dem unteren Makedonien in Verbindung
setzte, an denjenigen gehörte, welche gerade zur Zeit dieses Schriftstel-
lers, seit 413 a.Chr., und eben nach seinem Zeugnife ') der hochge-
bildete und energische Archelaos des Perdikkas Sohn, der überhaupt
Makedonien eigentlich erst zu einem Königreich erhob, anlegte.
Deutlich erkennt man noch, nicht allein die klassische Behandlung
des Strafgenbodens selbst, sondern sogar die unzweifelhafte Statte eines
kleinen, diesen wichtigen Pafs schutzenden Tempels, wenn nicht viel-
leicht einer Zollstatte, mit kleiner, am Boden geebneter Plattform und
den am Felsvorsprunge dahinter noch deutlich erhaltenen Linien des
Giebeldaches. Die alte Strafte hatte nach diesen Spuren eine Breite
von 9 Fufs engl, und gerade vor jenem Gebäude weist der Fels die
deutlichsten Spuren einer gelegentlichen regelmässigen Absperrung ver-
mittelst wol 8 Zoll dicker Holz- oder Eisenbarren auf. Viele Reste
der 'alten Strafse sind offenbar bei der Wiederherstellung derselben vor
(damals) zwei Jahren zerstört worden; — jedoch, anstatt Einzelnes ohne
Ordnung heraus zu nehmen, wollen wir den Zögen dieser interessan-
ten Lokalität Schritt för Schritt folgen.
Zuerst also tritt man gleich am Eingange des Passes, hart an der
rechten Seite des Flusses, der die ganze Breite der Klause bis an den
Fufs der nördlichen Felswand einnimmt, in einen modernen, d. h. jedoch
vielleicht schon 100 Jahre alten Wachtposten oder bekleme, der aber zur
Zeit nicht mehr besetzt, ist Die Strafse geht unter einem Thorweg
unter ihm durch. Dann tritt ein von der rechten Felswand herabge-
stürzter mächtiger Block in den Flafs vor, and eben zwischen ihm nnd
jener ist die alte Strafse am deutlichsten erhalten mit den Spuren der
Absperrang. Diese, von der Natur geschützteste Stelle, da man eben
um jenen, mehrere Fufs in das Flufsbett vorragenden Felsblock herum
den gleich tief absturzenden und mit Gewalt dahinrauschenden Strom
nicht wol passiren konnte, sich also nothgedrungen auf der künstlich
') Stridor uiqxiXaoQ 6 Ilcqdlxxov vws ßcurilsve ytvo/upoe ra vvv ovra
4v rrj %tb(>a (jetzv) <pxo86fit}ce xal bBovi tv&ilas frtfte xal roJla £<«-»
*Upn a * elc - Thok. L H c 100.
128
Heise durah die Bnropiisohe THiW.
ausgearbeiteten Strafse halten mufste, war augenscheinlich Mi geeig-
netsten zur Konirole des ganzen Verkehrs, und so sieht man denn eben
dicht vor dieser Verengung den Giebel and die Plattform. Fünf Mi-
nuten weiterhin fängt eine auf der FJufoseite neu aufgeführte, weüage-
tünchte, etwa 2 Fufs hohe Mauer an, die Strafse gegen die Ueberecbwem-
mung des Wassers zu schützen und diese Mauer verdeckt deutlich einen
grofsen Theil der alten Strafte. Da, wo nach einer Gesammt-Strecke
von etwa 2000 Schritt der eigentliche Pafs aufhört und die Scharte
sich zu einem breiteren Kessel mit gemach aufsteigenden, mit Eichen*
gebüsch dicht bewachsenen Gehfingen erweitert, sieht man dann deut-
liche Reste einer früheren Quermauer, die offenbar zur Verteidigung
dieses Passes von der Süd- und Meeresseite her gedient hat«
Von dieser Erweiterung des Passes aus, ein Paar hundert Sehritt
hinter der eben erwähnten Quermauer, nahm ich die beifolgende An-
sicht dieses merkwürdigen
Demlrkapü auf, dessen Be-
rühmtheit eben Veranlas-
sung gewesen ist, es bis
beutigen Tages als groise
Stadt in die Karten einzu-
tragen. Zu ihrer Erklärung
habe ich nichts hinzuzu-
fügen, als dal» die die An-
sicht im Hintergrunde zwi-
schen den beiden, das Fels-
thor, bildenden Felswänden
abschließende Kuppe, die
Banya überragende mamel-
lenartige Balia ist. Dann
verfolgte ich sehr gegen den
Willen meiner Soldaten die
Strafse noch weiter hinauf
und erklomm durch das
dichte Unterholz die nächste
Anhöhe, um den weiteren Verlauf des Thaies wenigstens auf eine gewisse
Entfernung zu überschauen, und hiernach eben, mit Benutzung der oben
angegebenen Entfernung von Gradets von Kontcha aus, ist der Verlauf
des Thaies bis zu jenem ersteren Orte in der Karte mit annähernder Rich-
tigkeit angegeben. Sfeti Nikola selbst, das schon hinter der Biegung
des Thaies aus einer Richtung von W. 25 S. - O. 25 N. in einer mehr
NW.-SO. Streichung liegt, habe ich natürlich nicht mehr gesehen, es
ist aber mit ziemlicher Sicherheit nach seiner Entfernung voni. Eng-
Anflicht det Demir~kopu. — Dm wilde Thal. — Die Klawenburg. 129
pafs aufd er einen (2— -2| St), and von Gradets auf der anderen Seite
(£ St.) eingetragen, and die Stätte ist merkwürdig, weil hier eine zweite
Verengang dieser wilden Bergschlacht Statt finden soll. Denn wirklich
im höchsten Grade wild and anheimlioh ist dieses Thal, rings mit dun-
kel nmhergelagerten BergmasBen, ohne ein einziges Zeichen von Kultur.
Im Kara Dagh aber, dessen dunkle Masse man von hier aus erblickt,
soll ein von 200 Moslemischen Familien bewohntes Dorf Namens
Kosherka liegen, in der Entfernung von etwa 2 St. vom Pafs.
Ich hatte darauf gerechnet, dafs hier in der Erweiterung der Kluft
irgend ein Mittel sich finden würde, auf die andere Seite des Flusses zu
kommen, um so die breite und seiger abgeschnittene, die Scharte auf
der Nordseite beherrschende Kuppe, die von ihren Kastellruinen noch
jetzt Gella (Kaleh) genannt wird, zu besteigen, aber es war nicht mög-
lich, da der Flufs sehr tief und reifsend ist, und ich bereuete so in
der Folge, mich zu weit im Thal abwärts haben fortreiüsen zu lassen,
weil ich, da ich durch den späten Aufbruch am Morgen Zeit eingebüfst,
nun nicht mehr Mufse genug hatte, jene Anhöhe von der anderen Seite
zu besteigen, was nur auf einem grofsen Umweg geschehen kann.
Als wir durch den Engpafs wieder zurückkehrten, mufste ich zur
Unterhaltung und Verwunderung meiner Begleiter einige scharfe Schusse
aus meinem Revolver in die Felsspalten hinein thun, und wir kehrten
nun nach dem Khan zurück, wo ich leider nun eben hörte, dafs, wenn
ich heute nach Kafadar zurück wollte, wie ich das mufste, keine Mög-
lichkeit sei, noch die Gella zu besteigen. Allerdings ist es möglich,
dafs es interessante Ruinen aus dem Alterthum sind und empfehle ich
dem nächsten Reisenden, der diese Lokalität besucht, hoffentlich in der
Absicht, den ganzen Flufslauf abwärts zu verfolgen, zuerst jener Kastell-
höhe einen Besuch zu machen, indem er, ehe er von Norden her nach
Banya kommt, die kleine Fähre zur Ueberfahrt über den Flufs benutzt
In den Ruinen soll eine gröfsere Inschrift sich finden, aber man
weifs, wie oft man mit solchen Angäben getäuscht wird. Das kastell-
artige Gebäude übrigens befindet sich, wie ich mit meinem Fernrohr
deutlich sah, nicht auf der höchsten Kuppe nach dem Engpafs zu, son-
dern weiter nach Nord, wo diese Felshöhe am leichtesten zugänglich
ist, eine künstliche Vertheidigung also auch am notwendigsten war.
Ehe ich nun dies zu einem leeren Namen gewordene, aber doch
höchst merkwürdige Banya verlasse, will ich noch einige Nachrichten
mittheilen, die ich hier über das stromabwärts gelegene Land einzog.
Da es meine ursprüngliche Absicht gewesen war, von hier durch das
Almopische Gebirge nach Mönastir zu gehn, so suchte ich über diesen
Weg Einiges zu erfahren; es war aber nur wenig. Es existirt hier
nämlich so gut wie gar kein Verkehr, und ich konnte Niemanden finden;
9
120 Rebe durch die Europäische Türkei.
Panoramas wegen ist besonders solchen Reisenden, die für die Geogra-
phie des Landes etwas in thun wünschen, dieser Weg zu empfehlen.
Wir hatten hier die Provinz Tikwesh erreicht, deren Name in der
Geographie dieses Landes einige Verwirrung verursacht hat, da man
ihn für den Namen einer Stadt hielt; nun hat allerdings auch der frü-
here Vorort dieser Landschaft denselben Namen gefuhrt, dieser Ge-
brauch ist aber dermafsen veraltet, dafs kein Mensch, den wir fragten,
uns bestimmte Auskunft geben konnte, wo dieser Ort liege oder ge-
legen habe '). Alles zusammen genommen scheint mir das Wahrschein-
lichste, dafs Negotln früher diesen Titel führte. Promet ist eben
das erste Dorf von Tikwesh. Der lang hingegossene Sporn, auf dem wir
uns allmählich hinabzogen, hatte ein eigentümlich wildes Aussehn; Gon-
glomerat trat überall zu Tage. Gerade bevor der Hauptabstieg anfangt,
erhebt sich auf seinem Rücken noch eine kleine Kuppe oder ein Höcker
in ganz analoger Weise, wie auf dem nach Tchipka hinabführenden
Sporn des Haemus- Balkan. Hier entliefs ich meine vier Leute aus
Kontcha mit entsprechender Bezahlung. Zur Rechten nach N. hatten
wir ein wahres Meer von kleineren Höhen, das jedoch von mehreren
tief eingeschnittenen Schluchten zerrissen war — in einer derselben
liegt das Dorf Pepeto. Wie wir so steil hinabstiegen, gewannen wir
allmählich einen Blick das Vardarthal aufwärts, wo es im S. von den
beiderseits zusammentretenden Felsmassen völlig geschlossen schien.
Die das Demir-kapü bildende, steil abgeschnittene Felswand zeigte sich
(10 Uhr 20 Min.) in S. 20 W.; das nackte, nur mit sehr vereinzelten
Baumgruppen bekleidete breite Thal mit den grofsen Windungen des
Flusses machte einen eigentümlichen Eindruck. Bald darauf (nach
gerade fünfstündigem Marsch von Kontcha) erreichten wir Ackerboden
und zogen nun mit zwei kleinen, sich zu einem Stromlauf vereinigen-
den Thälchen noch immer stark abwärts dem Hauptthale zu. Nun
folgten kleine, schon abgeerntete und etwas kümmerlich aussehende
Weingärten, und jetzt schneller dahinreitend erreichten wir um 11 Uhr
5 Min. eine Quelle , wo wir einen kleinen Halt machten und ein mit-
genommenes einfaches Frühstück verzehrten. Danach streifte ich um-
um 8 Uhr 45 Min. die höchste Gruppe der Koshü Yailasi S. 26 W., eine epit»
hochaufragende Kuppe S. 36 W.; die höchste Gruppe eines anderen Gebirges W. 26 8.
— Um 9 — 9 Uhr 5 Min. eine hohe weifse aber den Kamm zur Rechten hervorragende
Kuppe N. 25 0., scharf abgeschnittene höchst hervorragende Kuppe in weiter Ferne
W. 30 N., wol sicher der Shär Dagh. (Die davor liegende Kette nannte mein Reiter
wol sehr uneigentlich Babüna Derwenti [Derbend].) Ferner die höchste Kuppe eines
langen Zuges W. 20 S.
') Nach Einigen lag er bei Bruschan (vergl. Hahn, Reise von Belgrad u. s. w.
S. 176, III) auf der Strafse nach Prele'pe ; jedoch konnte ich an Ort und Stillt
nichts Näheres darüber hören.
Tikwesh. — Abstieg in die Ebene des Vardar. — NdgotTn. 121
her «nd sammelte Gestdnsproben auf. Besonders merkwürdig darun-
ter waren : Bornblendestücke, die ich nirgends anstehend gesehen habe,
wahrscheinlich Vom Schär-Dagh herstammend. Granstein war vorwie-
gend and ich erinnere an die Ansicht Giesebrecht's , wonach es die
Grüneteine sind, welche den Thonschiefer des Dukajin in Jaspis ver-
wandelten und zugleich die Ursache der Hebung des Bertiscus gewesen
sind. Der Oberlauf des Vardar kommt bekanntlich von jener Gebirgs-
wand her. -—- Die aasgezackte hohe Kappe war von hier W. 30 S.
Ate wir dann (12 Uhr 25 Min.) unseren Marsch fortsetzten, be-
traten wir die, in fast regelmässigem Halbkreisausschnitt von etwa einer
halben Stande Weite in diese Gebirgswand eingreifende Thalfläche des
Vardar, der auf der entgegengesetzten Seite ein fast gleicher Aus-
schnitt entspricht, was von oben gesehn, einen sonderbaren Eindruck
macht. Schnell vorwärts rückend, hatten wir bald den Flufs selbst
nahe zur Rechten in seinem ansehnlich eingeschnittenen, scharfkantigen
Bett and streiften hier nahe an dem moslemischen Quartier von Pe-
parisbta oder Pepelishta vorüber; das andere christliche Quartier liegt
| St davon getrennt an der anderen Seite des Flusses, hart an seinem
Hochufer lang sich hinziehend. Hier hat die Thalebene einen beson-
ders trockenen, völlig bäumlosen Charakter. Um 1 Uhr 5 Min. stan-
den wir am Ufer des Flusses, indem wir die beiden, sich mit ihrer
Oeffhong zugekehrten Halbkreise ihrer Längsachse nach durchschnit-
ten hatten. Zar Rechten und Linken auf dieser Seite des Ufers hatten
wir kleine Baumgruppen; um so wüster war das Hochufer auf der
westlichen Seite. Am Flufsufer fand ich viele Basaltstücke. Hatte
ich schon von der Quelle aus den Prometpafs durch einen Winkel
noch einmal festgelegt, so versäumte ich dasselbe auch von hier aus
nicht (0. 10. N.).
Der Vardar, der alte Axios, ist hier ein recht ansehnlicher Flufs
mit reüsendem Strom in diesem Bogenausschnitt dahinziehend ; er mag
etwa 500 Fufs breit sein und hatte selbst jetzt eine ansehnliche Tiefe ;
allerdings hatte es gestern wol in weiter Ausdehnung seines Stromge-
bietes ziemlich stark geregnet. Sein Wasser ist sehr unklar und trübe.
Ich mufste dem Fährmann 1 Piaster per Pferd bezahlen.
Ein schmaler Pfad windet sich auf der Westseite eine kleine Weile
am Hochufer herum und betritt dann die trockene Einsenkung von
Negotin mit schmaler frischerer Sohle zur Seite. Hier verfolgten wir
unsere Hauptrichtung (W. 10 S.). So fortziehend liefsen wir nach ? St.
Negotin selbst nahe zur Linken. Ich hatte vorher viel von diesem Ort
gehört und war daher um so mehr betroffen von seinem trostlosen Aus-
sehen ; nur wenige kleine und armselige Gemüsegärten ohne einen ein-
zigen Baum vermögen die Dürre and Oede der umliegenden Landschaft
122 R*i*e durch die Europäische Türkei
nicht zu beleben; die H&user, von einer dem Boden selbst völlig iden-
tischen Farbe, sind in zwei Quartiere oder mahalle geschieden, das eine
durch seinen Glockenturm, das andere durch seine Moschee genug-
sam charakterisirt, beide mit einer, den hier in tiefem Einschnitt die
Sohle durchziehenden Bach fiberspannenden Steinbrücke. Derselbe
dürre, ausgesengte Boden, jeder Spur von Erfrischung baar, setzte dann
fort, zu grofser Ermüdung in dieser Mittagsstunde; allem Anschein
nach hatte es hier gestern gar nicht, oder nur wenig geregnet Au«
genblicklich bot die Landschaft einen überaus abschreckenden Anblick
dar, gleich einem trockenen Kalkmeer, und doch ist Alles ein nach gehö-
riger Herbstdurchfeuchtung höchst ergiebiger Ackerboden. Nur etwa
\ St. hinter Negotln unterbrach eine kleine. Strecke von Weinbergen
und etwas Baumwuchs die abschreckende Einförmigkeit, wo kein Dorf,
kein Mensch sich sehen liefs. Erst eine Weile weiter, nachdem wir
einen kleinen Sattelpafe in kahlen Kalkhöhen passirt hatten, zeigte
sich nahe zur Rechten ein Dorf und 20 M. entfernt ein Tschiftlik Na-
mens Sobbod, beide in leichter, flacher Einsenkung mit Baumgruppen
geschmückt, die sich von N. her im Halbkreis herumziehen. Hier war
mehr Regen gefallen und das Ackerland entwickelte einen ausgezeich-
net fruchtbaren Boden. So der Senkung folgend erreichten wir um
3 Uhr 10 Min. das aus elenden Barracken bestehende Dorf Marina an
der Ausmundung eines zur Zeit trockenen Rinnsales in das Haoptthal, das
jetzt hart zur Rechten blieb, indem wir mit nun fast südlicher Rich-
tung (S. 15 W.) seinem östlichen Rande folgten. Eine Viertelstunde
hinter Märina passirten wir ein Dorf ' ), das durch seinen Mmaret als
Moslemisch bezeichnet wurde, und das sich durch den Charakter seiner
Häuser sowohl, wie auch durch die grössere Kultur seiner Umgebung
mit Gemüsebeeten, Tabacksfeldern und Maulbeerbäumen vortheilhaft
vor Märina auszeichnete. Hier vertieften wir die, der au Zeiten ein-
tretenden Versumpfung dieser Thalebene halber, in üblich schlechter
Weise gepflasterte Strafse und rückten (mit S. 30 W.) durch das Acker-
land gerade auf Käfadär zu.
Eäfadär, der Vorort von Tikwesh (wenigstens seit längerer Zeit),
macht dennoch einen recht trüben, melancholischen Eindruck mit seinen
zahlreichen verfallenen Häusern, während, wie das bei dieser leichten
Bauart durchgängig der Fall ist, Alles noch weit verfallener aussieht,
als es in Wirklichkeit ist. Ein wirklich schlechtes Unterkommen aber
boten die beiden Khane, und so liefs ich Rossi etwas Lärm ma-
chen, um mir ein besseres Quartier zu verschaffen, wo ich dann in
') Dieses Dorf, dessen Name ich nicht erfahr, ist fast unzweifelhaft identisch
mit dem Giiahitch bei Bahn, Reise von Belgrad nach Saloniki.
Kahle Gegend. *- KÜadär und meine dortigen Beziehungen. |23
der nett eingerichteten, sauberen Privatwohnung eines Mannes Namens
Nedo Mikhael, gans behaglieh untergebracht wurde •). Sehr ungünstig
tf3r die Ausfuhrung meiner weiteren Pläne war es nun, dafs erstlich vor
nur drei Wochen ein neuer Mudir angekommen, und zweitens dafs
selbst dieser neue Beamte nicht einmal an seinem Posten sich befand,
sondern an seinem Oberen nach Mönastir gereist war; auch war der
Stellvertreter eine Person ohne alles Ansehn, um die etwas schwie-
rige Aufgabe in Betreff meiner Weiterreise zu lösen. Der Herr von
Radovitch nämlich hatte mich, wie oben auseinandergesetzt, hierher
gewiesen, hier die nöthige Unterstützung und Schutzmannschaft zu er-
halten, um zuerst den Vardar abwärts, dann die Tcherna oder den
Kötshfik KAi-asü aufwärts durch das noch ganz unbekannte, höchst un-
sichere Gebirge Mönastir zu erreichen, und nun stellte sich heraus,
dafs hier gar keine competente Behörde zur Zeit existirte, um ein
solches Unternehmen irgendwie zu ermöglichen. Die Regierung von
Tikwesh erwies sich in der That im Verhältnifs zu den Schwierigkei-
ten dieses Berglandes als über alle Mafsen schwach und erbärmlich,
and es machte mir grofse Noth, selbst nur den nöthigen Schutz zu er-
balten, um das Felsenthor des Vardar zu besuchen. Dazu wurden
dann endlich zwei reguläre Fufssoldaten bestimmt, mit denen ich in
einem Tage nach Demir-Kapü hin und zurückgehen sollte. Zu dem
Zweck ward also eine frühe 8tunde des folgenden Tages bestimmt,
aber ich hatte lange zu warten, ehe meine Geleitsmänner erschienen.
So wurde es 6 Uhr, ehe wir fortkamen.
KAfadär liegt in einer Art von Kessel, zu dem die von Märina
herziehende Thalebene sich erweitert und von dem kleine Pässe oder
Einsattelongen nach verschiedenen Seiten über die kahlen Höhen,
welche den Kessel rings, besonders nach Ost und Süd umschliefsen,
hinausführen. So mufsten wir nun auch auf unserem Wege nach De-
mfr-kapü, sobald wir die Stadt hinter uns hatten, einen solchen Pafs
ersteigen und erreichten in 20 M. die erste Stufe, auf der es dann
wieder mit O. S. O. Richtung etwas abwärts ging mit einem Blicke
zuerst nach NW. auf Marina, weiterhin nach N. auf Negotin, während
zur Rechten der ganz flache, scharf auf allen Seiten abgerissene, an-
sehnliche Tafelberg Vitatch hervortrat und in seinem eigentümlichen,
von den bisher gesehenen Gebirgen dieses Landes so verschiedenar-
tigen Charakter meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Es ist
dies eine Gebirgsformation, die wahrscheinlicher Weise auf das Engste
! ) Der Ort producta etwas Seide, angeblich 5000 Okken, also etwa den zehn-
ten Theil des dieser Production halber so berühmten Koprttltt (600,000). Die Okka
reiner Seide hat hier einen Werth von 1800 — 1500 Piaster, während man die Ko-
kons an 85—40 per Okka kinft.
124 &ei** durch die Europäisch* Türkei
mit dem Durchbrach des Axios - Vardar durch das Eisentbor und der
dadurch erfolgten Trockenlegung des oberhalb gelegenen früheren See-
beckens zusammenhingt. Der Name Vitatch übrigens ist wahrschein-
lich nur eine andere Form von Vitosh, so wie auch der Name des
im weiteren Verlauf dieser Reise zu erwähnenden hoch hervorragen-
den Piks Vitsh, und ward dieser hohen Tafelwarte in Folge seiner
weithin „sichtbaren tt Natur gegeben. Die tief eingerissenen Thon-
mergelgehänge seiner uns hier zugekehrten Nordwestseite waren mit
Wein bestellt, wie denn die an seinem Fufs gebildeten Schluchten recht
fruchtbar zu sein scheinen. So liegen an seinem Nordostende zwei Dör-
fer nahe beisammen, Orlef mit 150, Keshie mit einer etwas ge-
ringeren Anzahl von Häusern, und in der Einsenkung zwischen dem
Vitatch und dem kleineren, ihm nach NNO. nahe vorliegenden, gleich-
falls auf allen Seiten schroff abgeschnittenen Gradu *), Hegt das mosle-
mische Dorf Disan mit 200 Hausern. Das Terrain an ihrem Nord-
fufse, auf dem der Pfad hinabsteigt, besteht aus wunderbar zerrissenem,
fast unpraktikablem Mergelboden mit oft 20 Fufs tiefen Einrissen, um
die und zwischen denen der Pfad sich immer neue Passagen Sachen
mufs. Hier ragte aus der Ebene zur Linken eine vereinzelte Kuppe
hervor, die sowohl in ihrer Vereinzelung als letzter Abschrais dieses
Terrains gegen das Flufsthal, als auch ihres auffälligen Namens Platönik
wegen einige Beachtung verdient. Schon von hier ans (7 D. 20 IL)
zeigte sich der Felsdurchbruch des Flusses in der Ferne wie eine jihs
Scharte, eine wahre Rolandsbresche, am Fufs der Kuppe« W&hrend
dessen stiegen wir mit ziemlich genauer Ostrichtung (O. 5 N.) in leich-
ter Senkung stets abwärts auf die höchste, schön gezackte Kuppe der
entgegengesetzten felsigen Thalseite des Vardars zu, Hassan Tcheahme'
tepesi oder Kiräs-tepe genannt (wenigstens glaube ich, dafs beide Namen
derselben Kuppe angehören), die in der ganzen Pracht schönster Son-
nenbeleuchtung uns entgegenstrahlte. Heute konnte ich kein schöneres
Wetter haben, ich hätte solches nur auch gestern gewünscht. Endlieh,
nach fast 2|stundigem Marsch (8 Uhr 25 Min.) hatten wir diese ver-
wickelte Passage hinter uns und erreichten an der Kreuzung dieser
Strafse mit dem von Negoän herkommenden Pfade das Dorf Kremmc,
das halb von christlichen Bulgaren, halb von Möslemin bewohnt ist;
jedoch zog ich es vor, da meine Soldaten, die noch nicht gefrühstfiok;
hatten, einen kleinen Halt verlangten, um Zeit zu ersparen nicht ins
Dorf zu gehen, das uns hart zur Rechten blieb, sondern bei einer
Quelle, 10 Min. weiterhin, eine Viertelstunde zu rasten. Meine beiden
') Zu dieser Gruppe scheint auch als höchste Kuppenerhebung eine Goüa ge-
nannte Höhe zu gehören, die ich nicht genauer eintragen konnte.
Der ViUtch und «• Tsfeiberge. — Der Porto Dagfc — Wfsheren. 125
Führer übrigens waren ganz gemüthliche Barsche und gaben mir eine
möglichst klare Beschreibung ihrer persönlichen Verhaltnisse. Der
Fuftftoldat erhält hier monatlich 100 Piaster und aufserdem per Tag
300 (?) Drammen Brod, der Reiter erhält 350 Piaster, aber kein Brod.
Da wird dem Soldaten die Erhaltung seiner Familie schon schwer;
der eine der beiden hatte fünf Kinder.
Nach kleinem Inbifs setzten wir unseren Marsch fort und ruck-
ten nun weiter in die Thalebene hinein , wo wir nach 20 Min. in die
grofse Thalstrafee einfielen, die den Windungen des Flusses folgt
Das Thal ist hier etwa 1| — 1| ml. breit. Ueber die, einige hundert
Fufs cur Rechten entfernten und etwa 200 — 300 Fufs hohen Hügel
ragte ans weiter Ferne (in S. 20 W.) der Kodzü oder Koshü Balkan
mit breiter Kuppe hervor, der, wie ich glaube, mit dem nahe westlich
davon ebenfalls sichtbaren, in seinem interessanten halb Römischen
halb Türkischen Namen Porta Dägh wol sicherlich eine selbst historisch
merkwürdige Bergpassage darstellt; werden wir ja einer Römischen,
Porta als Lokalbezeichnung eines solchen Bergpasses sogar auf dem
Hochjoch des Olymp begegnen; in diesem Falle bezeichnet es wahr-
scheinlich einen romantischen Felsdurchbruch des Eutchük Karasü,
des alten Strjwun. JrTirijia tu .
Dem am Fnfse der höchsten Felskuppe der östlichen Thalwand ge-
legenen grofsen Dorfs Wieheren mit mehr als 200 Häusern, ziemlich
gerade gegenüber öffnete sich in der niedrigen Thalwand zu unserer
Rechten ein Pafs, der nach dem etwa £ St. von hier gelegenen Prish-
dowo führt, das 3 — 4 St. von Kafadar entfernt liegt und dieser ganzen
Tbalseite bis Banya den Namen Prishdovo Ulakasi verleiht, während die
Hügelkette selbst den Namen Eosh-bairi fahren soll. Diesen Weg, der
mir die ganze eigentümliche Grappirung des Vitatsh von der andern
Seite gezeigt haben würde, beabsichtigte ich auf dem Rückwege zu
nehmen, mutete es aber aufgeben, da ich mich zu lange in Banya
aufgehalten hatte. Die Höhen geben vortreffliche Triften ab für an-
sehnliche Schaf- und Ziegenheerden, während die in Stoppeln stehen-
den Maisfelder des Thaies gerade zur Aussaat des Winterkorns um-
geackert wurden und so eine doppelte Ernte zu liefern scheinen. Jetzt
rückten wir hart an den Flufs heran und folgten seinen bedeutenden
Windungen, nachdem wir die Einmündung eines ansehnlichen Kanals,
der diese Seite bewässert, passirt hatten, und bald trat das Felsufer
selbst hart an den Rand des Flusses hinan. Von ihm stiegen wir dann
(um 10 Uhr 40 Min.) hinab in das dem Felsdurchbrach vorgelagerte,
von zahlreichen Quellströmen genährte Becken von Banya, das in
reichster Fülle prangte. Denn wunderbarer Weise war hier Alles in
dieser Jahreszeit noch frisch und grün, im lebendigsten und eigenthüm-
126 Baiie dnreh d» Europäische Tarka*.
liebsten Gegensatz gegen die bisherige Dürre und Nacktheit nach abge-
schlossener Ernte. Dafs der Reis noch nicht geerntet war, war ganz
naturlich, so ganz ausnahmsweise auch, wie schon früher angegeben,
Reisbau überhaupt in Hochbulgarien möglich ist, aber auch der Mail
stand noch auf dem Felde (Ende September). Die Quellströme spen-
deten eine solche Wasserfälle, dafs wir nur mit Mühe an einer Mühle
uns einen Durchgang verschaffen konnten. Indem wir hier um die
Felsecke bogen, erreichten wir den kleinen Khan und quartierten ans
zu unserem kurzen Aufenthalte in einem dazu gehörigen, jetzt tot der
Ernte noch leer stehenden, um 10 Fufs erhöheten offenen und kioskarti-
gen Kornschober ein. Ich selbst wenigstens verweilte nur so lange, als
nöthig war, ein frugales Frühstück zu verzehren, zu dem der Khan treff-
lichen Wein, aber ganz abscheuliche Melonen lieferte; dann machte
ich mich sofort mit zweien meiner drei Soldaten — ein dritter war
uns nachgekommen — auf, den uns gerade gegenüber sich öffnenden,
merkwürdigen Felspafo zu besuchen.
Das Becken hat hier eine Breite von etwa 1200 Schritt und schliefet
nach S. im Halbkreis ansehnlicher Hügelreihen vollständig ab. Von
allen Seiten her ziehen dem Flusse, ehe er sich in dem Felsenpafs ver-
liert, reiche Quellströme zu; aber bemerkenswerther Weise ist die py-
rogene Kraft, welche einst hier ein warmes Bad schaff zurückgetreten
oder hat sich abgekühlt, und Banya „Baden", wie es mit dem histo-
risch so merkwürdigen Namen (s. S. 330), oder Hammäm Tchifttik
„Landgut Warmbad 44 , wie es auch sonst genannt wird, ist jetzt ein
leerer Name ohne Bedeutung; denn nach Abkühlung der warmen
Quelle besteht hier kein Bad mehr. Eine ähnliche Erscheinung ist nichts
Ungewöhnliches; jedoch hier gehört sie offenbar einer bezüglich jun-
gen Zeit an, obgleich es mir nicht möglich wurde, die bestimmte Jah-
reszahl ausfindig zu machen.
Wir hatten nun vom Khan aus nach dem Pafs zu wieder eine
Menge kleiner Quellbache zu passiren und dann ein jetzt trockenes
Bett des Hauptstromes voll von Basaltstücken, welche gleich denen
am Rande des Stromes bei Negotin gefundenen die vulkanische Natur
der Quellgegend des Vardar hinreichend beurkunden. Dann erst be-
traten wir den eigentlichen Boghaz. Das Eisenthor ist eine in der hier
von N. 20 W. nach S. 20 O. hingestreckten hohen Felswand, welche sich
auf der Ostseite gegen den Lauf des Flusses vorstemmt, steil einge-
schnittene Scharte, von etwa 800 — 1 000 Fufs Breite, und nimmt der
Durchbruch zuerst eine Richtung von W. 5 S. — O. 5 N. in einer, der
grofsen Schlucht von Kellia völlig parallelen Richtung — ein für die
ganze innere Natur und Struktur des Gebirges gewifs nicht unwesentli-
cher Zug. Zu beiden Seiten ragen die Kalkwände mehrere hundert Fol*
Banya oder Hammin Tbhifttfk. — . Der Fekduichbraeh des Vardar. 127
steil empor* am höchsten auf der Nordseite, wo auf der Höhe der sieh
ausbreitenden Felskappe seit den Zeiten des Altertbums ein Kastell
stand. Denn schon im Altertham, and aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht erst zur Römischen Zeit führte hier durch die Engpässe des Axios
— tä toi ji\Um atewd — eine grofee Verkehrsstrafse — hatte doch
schon Thnkjdides diese Gebirgsgegend aus eigener Anschauung ken-
nen gelernt. Ja, eben hieraus möchte ich den Scblufs ziehn, dafs ge-
rade diese höchst bedeutende Verkehrs -Strafse, welche jene reichen
oberen Stromlandschaften mit dem unteren Makedonien in Verbindung
setzte, zu denjenigen gehörte, welche gerade zur Zeit dieses Schriftstel-
lers, seit 413 a. Chr., und eben nach seinem Zeugnifs ') der hochge-
bildete und energische Archelaos des Perdikkas Sohn, der überhaupt
Makedonien eigentlich erst zu einem Königreich erhob, anlegte.
Deutlich erkennt man noch, nicht allein die klassische Behandlung
des Strafgenbodens selbst, sondern sogar die unzweifelhafte Statte eines
kleinen, diesen wichtigen Pafo schutzenden Tempels, wenn nicht viel-
leicht einer Zollstätte, mit kleiner, am Boden geebneter Plattform und
den am Felsvorsprunge dahinter noch deutlich erhaltenen Linien des
Giebeldaches. Die alte Strafte hatte nach diesen Spuren eine Breite
von 9 Fufs engl, und gerade vor jenem Gebäude weist der Fels die
deutlichsten Spuren einer gelegentlichen regelmäfsigen Absperrung ver-
mittelst wol 8 Zoll dicker Holz- oder Eisen barren auf. Viele Reste
der alten Strafte sind offenbar bei der Wiederherstellung derselben vor
(damals) zwei Jahren zerstört worden; — jedoch, anstatt Einzelnes ohne
Ordnung heraus zu nehmen, wollen wir den Zügen dieser interessan-
ten Lokalität Schritt für Schritt folgen.
Zuerst also tritt man gleich am Eingange des Passes, hart an der
rechten Seite des Flusses, der die ganze Breite der Klause bis an den
Fufs der nördlichen Felswand einnimmt, in einen modernen, d. h. jedoch
vielleicht schon 100 Jahre alten Wachtposten oder bekleme, der aber zur
Zeit nicht mehr besetzt, ist. Die Strafse geht unter einem Thorweg
unter ihm durch. Dann tritt ein von der rechten Felswand herabge-
stürzter mächtiger Block in den Flufs vor, und eben zwischen ihm und
jener ist die alte Strafse am deutlichsten erhalten mit den Spuren der
Absperrung. Diese, von der Natur geschützteste Stelle, da man eben
um jenen, mehrere Fufs in das Flufsbett vorragenden Felsblock herum
den gleich tief abstürzenden und mit Gewalt dahinrauschenden Strom
nicht wol passiren konnte, sich also nothgedrungen auf der künstlich
') Stridor U^xeXaoe 6 Ueqdlxxov vibs ßcurtkeve ytvo/upoe ra vvv ovra
KOCpj?*« etc. Thnk. L II c 100
128
Heise durch die Boxopaiseat TiM.
ausgearbeiteten Strafte halten mufste, war augenscheinlich ans geeig-
netsten zur Konirole des ganzen Verkehrs, and so sieht man denn eben
dicht vor dieser Verengung den Giebel und die Plattform. Fünf Mi-
nuten weiterhin fängt eine auf der FJuftseite neu aufgeführte, weüage-
tünchte, etwa 2 Fufs hohe Mauer an, die Strafse gegen die Ueberschwem-
mung des Wassers zu schützen und diese Mauer verdeckt deutlich einen
grofsen Theil der alten Strafte. Da, wo nach einer Gesammt-Strecke
von etwa 2000 Schritt der eigentliche Pafs aufbort und die Scharte
sich zu einem breiteren Kessel mit gemach aufsteigenden, mit Eichen-
gebusch dicht bewachsenen Gehfingen erweitert, sieht man dann deut-
liche Reste einer früheren Quermauer, die offenbar zur Verteidigung
dieses Passes von der Süd- und Meeresseite her gedient hat.
Von dieser Erweiterung des Passes aus, ein Paar hundert Schritt
hinter der eben erwähnten Quermauer, nahm ich die -beifolgende An-
sicht dieses merkwürdigen
Demlr-kapü auf, dessen Be-
rühmtheit eben Veranlas-
sung gewesen ist, es bis
beutigen Tages als grobe
Stadt in die Karten einzu-
tragen. Zu ihrer Erklärung
habe ich nichts hinzuzu-
fügen, als dal* die die An-
sicht im Hintergründe zwi-
schen den beiden, das Fels-
thor bildenden Felswänden
abschliefsende Kuppe, die
Banya überragende mamel-
lenartige Balia ist. Dano
verfolgte ich sehr gegen den
Willen meiner Soldaten die
Strafse noch weiter hinauf
und erklomm durch das
dichte Unterholz die nächste
Anhöhe, um den weiteren Verlauf des Thaies wenigstens auf eine gewisse
Entfernung zu überschauen, und hiernach eben, mit Benutzung der oben
angegebenen Entfernung von Gradets von Kontcha aus, ist der Verlauf
des Thaies bis zu jenem ersteren Orte in der Karte mit annähernder Rich-
tigkeit angegeben. Sfeti Nikola selbst, das schon hinter der Biegung
des Thaies aus einer Richtung von W. 25 S. - O. 25 N. in einer mehr
NW.-SO. Streichung liegt, habe ich natürlich nicht mehr gesehen, es
ist aber mit ziemlicher Sicherheit nach seiner Entfernung vom. Eng-
Ansicht des Demir-kmpfi. — Dm wüde Thal. — Die Klausenburg. 129
pafe aufd er einen (2— 2| St), and von Gradets auf der anderen Seite
(| St.) eingetragen, nnd die Stätte ist merkwürdig, weil hier eine zweite
Verengeng dieser wilden Bergschlacht Statt finden soll. Denn wirklich
im höchsten Grade wild and anheimlich ist dieses Thal, rings mit dun-
kel nmhergelagerten Bergmassen, ohne ein einziges Zeichen von Kultur.
Im Kara Dagb aber, dessen dunkle Masse man von hier aas erblickt,
soll ein von 200 Moslemischen Familien bewohntes Dorf Namens
Kosherka liegen, in der Entfernung von etwa 2 St. vom Pafs.
Ich hatte darauf gerechnet, dafs hier in der Erweiterung der Kluft
irgend ein Mittel sich finden würde, auf die andere Seite des Flusses zu
kommen, um so die breite und seiger abgeschnittene, die Scharte auf
der Nordseite beherrschende Kuppe, die von ihren Kastellruinen noch
jetzt Gella (Kaleh) genannt wird, zu besteigen, aber es war nicht mög-
lich, da der Flufs sehr tief und reifsend ist, und ich bereuete so in
der Folge, mich zu weit im Thal abwärts haben fortreifeen zu lassen,
weil ich, da ich durch den späten Aufbruch am Morgen Zeit eingebüfst,
nun nicht mehr Mufse genug hatte, jene Anhöhe von der anderen Seite
zu besteigen, was nur auf einem grofsen Umweg geschehen kann.
Als wir durch den Engpafs wieder zurückkehrten, mufste ich zur
Unterhaltung und Verwunderung meiner Begleiter einige scharfe Schusse
aus meinem Revolver in die Felsspalten hinein thun, und wir kehrten
nun nach dem Khan zurück, wo ich leider nun eben hörte, dafs, wenn
ich heute nach Kafadir zurüek wollte, wie ich das mufste, keine Mög-
lichkeit sei, noch die Gella zu besteigen. Allerdings ist es möglich,
dafs es interessante Ruinen aus dem Alterthum sind und empfehle idh
dem nächsten Reisenden, der diese Lokalität besucht, hoffentlich in der
Absicht, den ganzen Flufslauf abwärts zu verfolgen, zuerst jener Kastell-
höhe einen Besuch zu machen, indem er, ehe er von Norden her nach
Banya kommt, die kleine Fähre zur Ueberfahrt über den Flufs benutzt
In den Ruinen soll eine gröfsere Inschrift sich finden, aber man
weifs, wie oft man mit solchen Angaben getäuscht wird. Das kastell-
artige Gebäude übrigens befindet sich, wie ich mit meinem Fernrohr
deutlich sah, nicht auf der höchsten Kuppe nach dem Engpafs zu, son-
dern weiter nach Nord, wo diese Felshöhe am leichtesten zugänglich
ist, eine kunstliche Verteidigung also auch am notwendigsten war.
Ehe ich nun dies zu einem leeren Namen gewordene, aber doch
höchst merkwürdige Banya verlasse, will ich noch einige Nachrichten
mittheilen, die ich hier über das stromabwärts gelegene Land einzog.
Da es meine ursprüngliche Absicht gewesen war, von hier durch das
Almopische Gebirge nach Mönastir zu gehn, so suchte ich über diesen
Weg Einiges zu erfahren; es war aber nur wenig. Es existirt hier
nämlich so gut wie gar kein Verkehr, und ich konnte Niemanden finden,
9
f 30 Bei* 6 dm * die Bvropiische Türfcöi« ...
der diesen gefährlichen Weg selbst zurückgelegt hatte. Man sagt mit
Recht, dafe die Regierung selbst den Schutz dieser Strafte aufgegeben
hat, sonst hätte sie nicht die Bewachung des bekleme von Demir-kapä
eingezogen. In Gradets allerdings bat ein Onbäshi seiue Station; das
geschieht aber mehr, um die unruhigen Bergvölker überhaupt etwas im
Zaume zu halten, als um den Verkehr zu sichern. Der am besten
kundige unter meinen Soldaten gab mir Folgendes an. Von Banya
nach Rösdene, einem von 40 Bulgarischen Familien bewohnten, schon
cum Regierungsbezirk von Prilip gehörigen Dorfe, sei ein Marsch von
10 Stunden (also wol von Gradets aus gerechnet 7 St.); von Rosdene
aus könne man Monastir in einem zweiten starken Tagemarsch errei-
chen, indem man den [Kütchük] Karasü bei einem Dorfe Namens
Tchebere, auf der nach demselben Tchebere köprüsi genannten Brücke,
2 St hinter Rosdene passire. Dagegen war es mir nicht möglich, von
einem Orte Namens Kepiuia irgend etwas zu erfahren and scheint mir
ein solcher eben so wenig zu existiren wie eine Stadt Demir-kapü.
Dafs man von der Stätte des alten Stobi hier nichts weids, versteht
sich von selbst; die Ruinen dieser im späteren Alterthume bedeuten-
den und des Straßennetzes halber sehr wichtigen Stadt jedoch, die
nur an einem sehr bedeutungsvollen und doch zugänglichen Punkte
liegen konnte, scheint Heuzey jetzt wirklich an der Einmündung des
Kara-sü in den Vardar aufgefunden zu haben. Erwähnen mufs ich hier
noch, dafs man mir in allerdings etwas unbestimmten Ausdrücken er-
zählte, dafs vor 5—6 Jahren ein Engländer von Saloniki aus den Flui«
bis zur Felsenge heraufgekommen sei, um die Schiff barkeit desselben
zu erkunden und hier wieder umgekehrt sei; jedoch hat sonst nichts
über eine solche Reise verlautet und ist es auch mir, weder in Mo-
nastir, noch in Saloniki gelungen, etwas Näheres darüber zn erfahren.
Ich kehrte also auf demselben Wege, auf dem ich gekommen, nach
Käfadär zurück, wo ich Abends 7 Uhr eintraf und ein von meinem
Wirth zubereitetes, recht gutes Abendessen *u mir nahm. Da ich in
diesem dürren Lande bisher nur sehr wenig Weinberge gesehen hatte,
war ich erstaunt, Trauben von vorzüglicher Güte hier zu erhalten, und
noch mehr erstaunt war ich, als ich erfuhr, dafs die Trauben in der
gesammten Jahresernte dieser Gegend eine Hauptrolle spielen. Dies
Jahr habe man 600,000 Okken gewonnen und betrachte das als eine
sehr arme Ernte, während eine reiche 1 — 2 Millionen Okken gäbe.
Allerdings habe ich in den Theilen von Tikwesh, die ich schon besacht,
noch nicht viel von ihrer Traubenzucht gesehen, aber ich solle nur warten
bis morgen, da werde ich mehr von ihren Weinbergen zu sehn be-
kommen; sowohl Trauben wie Kirschen hätten sie in Menge. In der
Folge erhielt ich in Prilip noch ausgezeichnetere Trauben, die eben
Bäckkehr naah Ksfedär. — SeWnei TttMiben. -^ Bergalisicht. (31
anch aus Tikwesb stammten, wie denn ja meist überall die besten BW
ceugnisse nicht an dem Ort der Herkunft gefunden werden. Ich. gebe
in der Note ein Verseichnils der Dörfer und Weiler der Provins, von
denen «wei verlassen sind 1 ). ■ - .
Sonntag den 5. October. Ich hatte wiederum meinen neuen
Zabtie, der mich von hier bis Prilip begleiten sollte, zu frühzeitiger
Stande beordert, weil ich einen langen Tagesmarsch vor mir hatte,
aber wiederum hatte ieh vergeblich zu warten, und nur mit aufserster
Noth gelang es Bossi , den ich nach dem Konak schickte , einen Bei«
ter dort wirklich zu erbalten, der aber leider von der ganzen Land*
schaft, die wir zu durchziehn hatten, so gut wie gar nichts wufete.
So war es nach 6 Uhr, als wir endlich auf dem Marsch waren. In-
dem wir hier nun zuerst eine im Ganzen westliche Richtung einschlu-
gen, hatten wir, im Oegentheil zu den nach SW. und nach SO. ans
dem Kessel von Kafadar hinaus führenden Strafsen, nach ganz leichter
Sattelang einen bedeutenden Abstieg vor ans, in einem mannichfach aus*
gerissenen nnd hügeligen, weifeen Mergelboden. Es war ein eigentüm-
lich intercoapirtee Terrain ; vor uns die grofse Berggruppe der Babüna
mit mehren da vorgelagerten , hoch aufragenden und zum Theil schön
konischen .Kuppen, besonders dem hohen Schar-tepesi, die die Senkung
vor ans augenscheinlich abschlössen und zum Engpafs absperrten, wäh-
rend, kleine Kuppen zu den Seiten aufragten. Gleich hier nun aller-
dings zeigte sich auch die Weinkultur in groiser Ausdehnung* indem
sich, die Weinberge an den Gebangen zu beiden Seiten des Weges
herabzogen. Nach einstündigem, zuerst langsameren, dann schnelle-
ren Abstieg traten aus dem gleichförmigen Mergelboden grofee Kalk*-
blocke zu Tage, und die bisher meist nackte Oberfläche bekleidete sich
mit etwas Graswuchs. Hier, wo die Hügelkuppen zur Linken gröfsere
Hohe erreichten, während sie zur Rechten zurückwichen, betraten wir
längs eines kleinen Rinnsales, in dessen steilen Seiten Raben ihre
Nester gebaut hatten, die Thalebene des (Kütchük) Karasü, des alten
Erigon, sollten aber das noch sehr in Dunkel gehüllte Strombett dieses
') Grade ts oder Gradftse, Kosharka, Ibirli, Kellewete, Kureehnik, Dublen, Bi-
stren, Wöshan, Lippa, Kellia oder Kallia, Brushnik, Prometi balia, Prometi zir,
Pestevnik, Pepelitea, Krfrolak, Kurftsar, Odawerdf, Dfmishwär, Islamkuri, Riv&rtcha,
Monartirtsa, Tirtenik, Shewetch, Musartcha, Ismölan, Zerista, Draina, Giwartaa, Shfsh-
kova, Dtibrotin, Pravenik, Brushen, BeVowa, Vatorsha, Moklista, D&nista, Koshäna,
DeVguzel, Gradfehta, Boyan-tchoshtS, Kuwanitch, Kolobshta, Bonarohte, Trakowa,
Barrowa, Kanyova, Böshowa, Tseme*rko, Bowöla, Radena, Stirmash, Dren, Dratcbe-
virta oalia, Dratchevitta air, Koprishtitsa, Tuluk, Budür Tchiftlfk, Bfelitsa, Prestewaj
Trevnik, Ddbrowa, Disäni balia, Disani zir, Weshie, Timnalfk, Negotin, Glisbik,
Marina* , Stopod, Lolzidör, Rakita. — Verlassen und unbewohnt sind Tanko und
Stiflik. — Nachträglich hier noch meine Meinung, dafs der Name Tikwesb aus
Antig-oneia entstanden ist.
132 B*>** durah die Europaisoh* Türkei.
Flusses nur eben berühren. Er entströmt hier nämlich rar Linken, im
S., in enger Thalschlacht oder Klause, dem Gebirge, das er in seinem
merkwürdig gewundenen Laufe im Kaimäktchilar deresi, im SO. von
Mönastlr, betreten bat und fliefst auch sofort wieder cur Rechten ab;
am sich unterhalb unserer Furthstelle bei Pepelishta mit dem Vardar
zu vereinen. An der östlichen Seite seines Austrittes aus der Klause
liegt ein Tchiftlik mit einer grofsen stattlichen Mühle, und etwas un-
terhalb der Thalweitung, wo der Karasü wieder in eine engere, aber
freilich wenig hohe Thalbildung eintritt, liegt an seinem westlichen
Ufer ein andres Landgut Namens Biza Tchiftlik; etwas weiter unter-
halb folgt dann das Dorf Rosoman ').
Gleich auf der Westseite der Tbalschlucht des Karasü, auf dem-
selben Bergzuge, den er hier durchbricht, folgen dann mehrere ma-
lerische Kuppen: im Vordergrund das Doppelhorn Tchatal Drenovs
nach dem, an seinem unteren Gehänge recht freundlich gelegenen Dorfe
Drenova benannt, dahinter die stattliche und breitere Grebovftaa Pla-
nina, die sich höchst wahrscheinlich an den RadobH anschliefst, ohne
dals mir von dieser Seite aus ein solches Verbältnifs klar wurde. Un-
ser Weg zog sich längs der mit Weinbergen geschmückten Vorhöhen
dieser, wol bis 3000 Fuls relativer Höhe aufsteigenden, Kuppe hin,
während zur Rechten das frische Rinnsal der Raitch in belebterer, leicht
bebaumter und mit Maisstoppeln bestandener Senkung in uns paralle-
lem Laufe daherflofa. Bald aber verwickelte und verengte sich das
Terrain ; wir liefsen einen Khäu hart zur Linken und hatten nun hart
zur Rechten das Flüfschen, mit dem wir gleich darauf in den von
nackten Kalkhöhen eingeschlossenen Derbend bin einrückten. Es war
ein abermaliges, freilich kleineres und weniger grofsartiges Demir-kapa
oder Bisenthor mit steil eingestürzten Schichten, in dem wir den Bach
mehrere Mal hinüber und herüber kreuzen muteten. Der Pafs wird ge-
bildet auf der Westseite von der hohen stattlichen Kuppe des Shär-te-
pesi, auf der Ostseite von einem schmalen und niedrigeren Zuge von
Kalkhöhen, deren höchste Kuppe den Namen Debrish führt* die aber
mein Reiter wol sehr uneigentlich zur Negotin Planina rechnete.
Schon nach 5 Min. (um 8 Uhr 5 Min.) traten wir von der rechten
Seite des Baches zwischen buschigen Hügeln aus dem eigentlichen Pafs
hinaus in ein von wilden unkultivirten Höben umgebenes Thalbecken
mit einigen Mühlen und kleinen Obstpflanzungen von Bim- und Wall-
nufsbäumen, wo andere hohe Kuppen sichtbar wurden, während vor
uns sich ein anderer Gebirgszug entfaltete, den mein Reiter Lator
■) Hierzu vergl. Hahn'* Erkundigung S. 176, III seiner Reise. Anstatt
schreibt er Bisef.
Der Kütchuk Karatö..«- Der Reiten u. seine Klauten. — Romant Thal. 1 33
Balkani nannte. Kleine Züge von Wein Erntenden begegneten uns
hier; sonst war wenig Verkehr zu sehn, wie denn Wildheit die ganze
Landschaft charakterisirt. Die Raitch ist in der That ein wilder Berg-
strom, und auf das erste Bisenthor folgte alsbald (8 Uhr 50 Min.) ein
«weites. Dieses aber ist so eng und wild, dafs es jeden Verkehr aus-
schliefst, and dafs somit der Weg ihm nach Norden ausbiegen mnfs
and vermittelst kleiner Seiteneinsenkungen in Konglomeratmassen und
eines nicht unbedeutenden Sattelpasses den oberen Lauf des Stromes
wieder gewinnt. Hier aber ist die Natur ganz verändert, grofsartiger
und schöner. Man hat eine höchst mannichfach abgewellte, nach SSW.
sich erweiternde und amphitheatralisch abgeschlossene Thalsenkung
vor sich, io reicher Pracht von Fels- und Laubpartien, und in schrof-
fem Gegensatz der gegenseitig die beiden Thalränder beherrschenden
Höhen. Denn, während nach W. der Radobil von zahlreichen, frisch
grünen und mit Dorfern ') besetzten Schluchten eingekerbt ein ebenso
liebliches wie grofsartiges Bild gewährt, bilden die nackten Kalkriffe des
eigentümlich gegliederten Köziak auf der Westseite einen höchst cha-
rakteristischen, wenn auch weniger freundlichen Prospeck Sehr schön
war in dem warmen Sonnenschein der grofse Farbenwechsel von den
schneeweifsen Kalkmassen des Köziak bis zu dem rothen und brau-
nen Erdreich andrer Stellen und vom frischsten Grün der Matten durch
das gelbe Laub der Eichen bis zum bräunlichen Roth des Laubes der
Birnbäume. Es war in der That ein mannichfaltiges Landschaftsbild,
aber sehr sicher ist die Gegend nicht und wir späheten nach allen Sei-
ten, vorsichtig um. Wie nun der Thalboden, wenn man überhaupt von
solchem sprechen kann, überaus rauh und zerrissen ist, so ist auch der
Pfad, obgleich er sich im Ganzen auf der Nordwestseite hält, ein sehr
unebener, und steigt auf und ab mit Durchschneidung mehrerer ansehn-
licher Seitenthälchen.
So erreichten wir um 1 1 Uhr 30 Min. den kleinen Weiler Troy
oder Troyak mit 30 armseligen Katen, theils an der Kante der
ganz steil und jäh bis auf eine Tiefe von 20 — 30 Fufs eingeschnittenen
Sohle des Stromes, theils innerhalb einer wilden felsigen Seitenschlucht
gelegen, die von einem westlichen Sporn der ausgerissenen Kalkkuppe
des Koziak herabsteigt. Hier machten wir in dem schlechten Khan
einen etwa zweistündigen Halt Der Verkehr war ziemlich belebt, und
') Die Kamen dieser Dörfer, die ich nicht alle topographisch genau in die
Karte eintragen konnte , gebe ich hier in der Note; zuerst die beiden Dörfer, naeh
denen die Kuppe selbst benannt worden ist, Bidobll und Kütchük Ridobil, weiter-
hin Tcharewik und Bolowoditsa, dann Drenda, insgesammt am Fufse des RidobÜ
dagh, auf dem Südgehtage des Thaies. Auf unserer Thalseite liegen Baklia mit
60, Farifl und Toplitsa auch mit etwa 60 Haasern.
134 Bei" droh die Europäische Türkei.
ein Schlächter, der ein Rind stuckweise verkaufte, schien- gnte Ge-
schäfte zu machen. Auch ein bekleme ist hier und eine genaue Be-
aufsichtigung dieser Strafse scheint im höchsten Grade noth wendig tu
sein bei der Natur des von tiefsten Felsschluchten aofserordentlich zer-
rissenen Terrains. Die Landschaft wird aber nun erst recht wild, wie
man Troy verläfst. Es war \~ Uhr, als wir unseren Marsch fortsetzten,
und nun ganz hart über der, gleich einem vulkanischen Spalt durch
die mannichfachst gegliederte Thalebene durchgeschnittenen Runse mit
steilster schärfster Kante uns nach W. wandten, allmählich ansteigend
und auf die freiere Lehne der Sattelwölbung uns emporhebend. W. 5 S.
war unsere Hauptrichtung, aber wir mufsten südlicher ausholen (bis
W. 35 S.), so dafs es eine Weile schien, als sollten wir das herrliche
Bergamphitheater von Bielawöda, dem nach seinem „ Weifswasser*, dem
Quellsprudel des Thalgewässers, genannten Dorfe ersteigen und von dort
aus diesem reichen und malerischen Felskessel hinaustreten. Mit jedef
Wendung bot sich demnach ein neuer anmuthiger Blick dar, und die
warme Sonnenbeleuchtung kleidete das Ganze in das schönste Ge-
wand. Den Kommentar zu der ganzen Gliederung dieser merkwür-
digen Landschaft liefert die offenbar durch den, von allen Seiten ge-
übten Druck aus dem Erdinnern hervorgeprefste, in ihren malerisch
gegliederten Jöchern wunderbar scharf gezeichnete Kuppe des Koziak,
von der ich beiliegende rohe Skizze machte ; am großartigsten war ihr
Anblick , als wir (2 Uhr 5 Min.) eine von ihr herabsteigende Schlucht
durchschnitten. Hier vereint sich das Gerüste dieser so ganz verschie-
den organisirten Kuppe mit dem Spaltenrifs der von Bielawöda herab-
steigenden Hauptschlucht, über der das reich bebaumte prächtige Am-
phitheater einen lebendigsten Gegensatz gegen das nackte, völlig vege-
tationslose Gerippe des Koziak bildete. Nur die tief eingerissenen
Schluchten zeigen hier in ihren unteren Theilen Pflanzenwuchs, und
sehr schön und ausgezeichnet war in dieser Hinsicht besonders eine
mit Eichen und gro&en Wallnufsbäumen bestandene Schlucht, von einer,
nackten Kalkplatte hart überragt. Hier traf die Kalkerhebung mit
Kalkkoppt des Kodak. — Sattelpafr von Flettwar. 135
von ihr durchbrochenen Glimmerschiefer und quarzreichen Gneis
zusammen, and der ganze, nun steiler ansteigende Abhang bestand aus
halb verWittertem Kalktuff. Hier ist eine Tcheshme mit augenblicklich
wenigstens überaas spärlicher Wassermenge. Zehn Minuten weiter
fahrten «ns auf die Höhe des Sattels (etwa 4000 Fufs) and eröffneten
ans eines Blick in das nach 6. lang hinabgestreckte, reiche und groß-
artige, aber fast baumlose Kesselthal von Prilip und Mönastlr. Auf
erstere Stadt mufs man von hier am Morgen einen sehr schönen Blick
gewinnen; jetzt blendete die uns im W. gegenüberstehende Sonne. Zur
linkes war das obere Gehinge des breiten Sattelpasses bewaldet, zur
Rechten waren die Höhen, in Uebereinstimmung mit ihrer prinzipiellen
Charakteristik, kahl; das nach W. geneigte Hauptgehänge aber war mit
irischem Graswuchs bedeckt und von Schafen belebt. Schon an die-
sem Gehänge, etwa 200 Fufs unterhalb der Pafshöhe, liegt der kleine
Weiler Plettwar, aus etwa 30 Häusern bestehend, deren höchst so-
lide und für dies Land großartige Bauart auffallen wurde, wenn nicht
eraestheils das schönste Material so reichlich zur Hand läge, anderer-
seits die ansehnliche Höhe guten Schutz für den Winter unbedingt
förderte.
Erst hier gewann ich über das, nach NO. sich hinabböschende, freie
aber bebaute Gehänge einen klaren Ueberblick auf den völlig isolirten,
höchst merkwürdigen Felsrücken oder Felsdamm von Dubnitsa oder
Dabnitsa, der von ONO. nach WSW. streichend, den Thalarm von
Prilip nach N. abschliefst Von seinem scharf gezeichneten, schmal-
kantigen Rücken erhebt sich zu gröfserer Höhe ein spitzer Kegel, an
dessen westlichem Fufse, oben auf dem Kamme, ein Bulgarisches Kloster
Hegt, dessen Namen man mir theils in der altnationalen Form Sveti
Treißka Bogoritsa gab, theils in der verschiedenen Form Treska Etsi
Bogäroi, und das die Türken Mariammana nennen sollen. Jedenfalls
war dies einst ein sehr fester Punkt und der berühmte Bulgarische
Fürst Marko Köli hatte hier, oder vielmehr nach dem mehr westlichen
Ende des Felsrückens zu, eine starke Festung, von der noch sehr be-
deutende Ueberreste vorhanden sind. Leider aber versäumte ich, wie
gleich su erzählen, den Besuch dieser in topographischer Hinsicht nicht
unwichtigen Lokalität
Wir fingen jetzt an hinabzusteigen, wobei wir, da der Abhang
ziemlich steil ist, von unseren Pferden absteigen muteten. Der Abhang
wird anfser Gneis besonders von Glimmerschiefer gebildet, der zum
feinsten Glimmersande verwittert und zerrieben ist Indem wir das
Dorf Sinisfä in einer Schlucht der Babona- Kette zur Linken Heißen,
betraten wir mm den Thalboden und gewannen die erste Ansicht der
über eine Wolkenschicht stolz hervorragenden Hochkuppe der PeristerL
136 Bei** durch dte Europäische Ttrktfc
Wir durchschnitten ein Paar kleine Rinnsäle, deren eins eine Mühle
trieb und mit Pappeln besetzt war, worauf dann in der Nähe der
Stadt etwas Tabakskultur folgte. Schnell fortreitend erreichten wir
um 4 Uhr 40 Min. den Anfang von Prilip, und hielten ans eine Weile
längs des südlichen Randes der Stadt, während auf der anderen Sehe
der Strafse ein wohlgeordneter grofser Grabbof sich ausdehnte. Dann
betraten wir die Stadt selbst und waren um 5 Uhr im Khan. Es war
gerade Sonntag und die Christen hatten ihre bessere Kleidang ange-
legt. Die Häuser machen im Ganzen einen guten, wohnlichen Bin-
druck, aber ein grofses Uebel ist der übelriechende, sehr schmutzige
Bach in diesem südlichen Quartier.
Da wegen der vorgerückten Abendstunde kein Augenblick an ver-
Heren war, eilte ich, den in gewöhnlichen Schmutz versunkenen Khan
zu verlassen, um noch den ansehnlich hohen, ziemlich in der Mitte der
Stadt gelegenen Glockenturm zu besteigen; dort hatte ich noch eine
recht schone Umsicht und konnte einige, für die ganze kartographische
Aufnahme dieses Landes höchst wichtige, Winkel nehmen. So peilte
ich denn von hier nicht allein die Hochkuppe der Peristeri (W. 40 S.),
sondern auch die hohe, weithin sichtbare Vitch, weit im Hintergrund
auf dem ausgeschlachteten südlichen Abschlufs dieses grofsen Lftngs-
thales (S. 18 W.), ferner die hohe Kuppe auf Dübnitsa, die nun so
durch zwei Winkel festgelegt, mir wieder zur Kontrole für weitere
Punkte diente, besonders zur Festlegung von Muyela auf dem Wege
nach Mönastlr. Ich übersah auch klar die nach Presba führende Thai-
schlucht im Kürshova Balkan, versäumte aber leider die Stadt Kdr-
showa selbst zu peilen, wenn ich sie überhaupt von hier sah. Sonach
beruht ihre Lage auf meiner Karte auf Distanzschätzung nnd nur einem
Winkel. Am SW.-Fufse des hohen Felskammes von Dübnitsa liegt
das grofse Dorf Varosh, ein sehr bezeichnender Name, da er auf Balga-
risch die offene Handelsstadt bezeichnet, in lebendigem Gegensatz gegen
den befestigten „Gräd u (wie in den Namen Bel-gräd, Ras-gräd u. 8. w.),
und sonach in enger Beziehung steht zu der erwähnten früheren Feste
auf dem Felskamm der Dübnitsa. Erst vom Glockenturm aus übersah
ich klar das Verhältnifs des kleinen, nach SO. der Dübnitsa selbst
vorgelagerten, gleichfalls völlig vereinzelt aufgetriebenen Felskammes,
ap dessen Ostkante die nach dem wichtigen Köprüiü oder Welesa füh-
rende Strafse hart entlang streift Noch klarer würde ich diese Ver-
hältnisse von jener hohen Felskuppe selbst übersehn haben können;
aber ich eilte leider zu sehr, nach Monastir zu kommen und bestellte
defshalb meine Soldaten zu früher Stunde am nächsten Morgen; ich
bedurfte ihrer nämlich mehrere, da gerade eine grofse Anzahl neu
ausgehobener Rekruten in die Gebirge geflüchtet war und sich den
Prflip und seia . Gta&tnwann» — Dnbpitt* »ad 'Marko Köli. 137
Raubbanden angeschlossen, hatte. So wartete ich am folgenden Mor-
gen, auf.aie and, obgleich sie sich erst spät einstellten, kam ich doch
nun. zu nichts weiter als einem Spaziergang durch die Stadt. Sonst
hätte ich . wenigstens noch die berühmten Ruinen des Marko Köti be-
suchen können, die allerdings manches för das Bulgarische Alterthum,
wenn nicht vielleicht noch für ältere Zeiten, sehr Interessante zu ent-
halten scheinen. Man übersieht aber von nahe Prilip aus die ganze
Befestigung und . erkennt deutlich einen Tburm in halber Höhe ; drei
Thürme und eine Brücke sollen noch leidlich erhalten sein ' ).
Die Stadt Prilip ist weitläufig gebaut und nimmt einen nach hie-
sigen Verhältnissen der Anzahl ihrer Bewohner keineswegs entspre-
chenden Raum ein; wenn es anders wahr ist, dafs sie wirklich nnr
2000 Häuser, umfafst. Sie liegt eigentlich in mehreren Gruppen aus
einander und bildet i) Quartiere mit eben so vielen Moskeen nnd einer
noch grösseren Anzahl von Kirchen. Ueber das genaue Verhältnifs
der christlichen zu der : moslemischen Bevölkerung jedoch bin ich nicht
im Stande, etwas zu sagen. Jedoch ward mir bestimmt versichert,
dafs die Bulgarische Bevölkerung 1 1 ,000 Köpfe zähle. Die Quartiere
heifeen (wenigstens bei den Türken) Medjid Bey, Debbe Khane, Vishne
mahale, Orta mahale, Tökat, Hak Medjid, Tcharshi mahalesi, Beiralyk
mahaksi, Trizl» mahalesi. Indem ich diesen Morgen zuerst den Grä-
berbof besuchte, wo man zwei alt -römische, sehr reich geschmückte
Grabsteine sieht und mich dann durch den kleinen Hain an der NO.-
Bcke der Stadt nach dem Bazar wandte, überzeugte, ich mich wieder,
dafs das, was- man in Prilip vor Allem vermifst, reines, fliefsendes
Wasser ist. Die Gräben und Rinnsäle, welche die sonst hübsche
and freundliche Stadt durchziehen, veranstalten und verunreinigen sie
gänzlich.
Als wir endlich fortkamen (7 Uhr 30 Min.), schlugen wir den west-
lichen Weg ein, der etwas länger, aber ebener ist, als der östliche. Der
letztere nämlich durchschneidet quer das der Baböna vorgelagerte, frei-
lich niedrige Hügelland. Ich hatte drei berittene Soldaten zu Begleitern,
aufgeweckte, mittheilsame und sanglustige Bursche, aber leider ritten
wir, da sie zugleich die Brieipost und Depeschen beförderten, zu schnell,
um genaue- Einzelbeobachtungen zu machen, und besonders war ich
nicht im Stande, die zahlreichen einzelnen Dörfer, die wir zur Seite
liefsen, nach genauen .Einzelwinkeln einzutragen, was immerhin wün-
sehenswerth, obgleich zur Gesammteharakteristik der von mir durch-
zogenen Strafte nicht eben wesentlich ist. Wichtig aber ist, dafs ich
um 8 Uhr bei der.tcheshme von Büvük Owa wenigstens einen guten
') Siehe «ine Beschreibung dieser Bulgarenfeste bei v. Hahn S. 108 f.
138 Mm durch die Europäische Türkei.
Winkel Ton der so höchst bedeutenden, noch vor wenigen Jahren in
Europa ganz unbekannten und doch fast 2000 Häuser enthaltenden und
eine interessante Lebenssphäre in diesem Lande vertretenden Stadt
Kürshow a erhielt (W. 25 S.)- Die Stadt liegt in einer relativen Höhe
von wol 1000 Fofs über der Thalsohle in ganz ähnlicher Lüge, wie das
später zu erwähnende Vlakho Livado und gleicht von fern ganz den
Felsmassen, an denen es angeklebt ist; es wird ausschließlich von
Christen bewohnt, die sich dorthin zurückgezogen haben und eine wohl-
habende gewerbthätige Gemeinde bilden sollen. Nach dieser Stadt
nennt wenigstens ein Theil der Bevölkerung die ganze Bergkette, die
das durch die Dübnitsa zweigeteilte Kesselthal von Prilip auf der
SW.- Seite begrenzt und in welche die oben erwähnte, nach Presba füh-
rende, Klause eingeschnitten ist, Kurshowa Balkan. Diese ganse Ge-
gend ist im Einzelnen noch völlig unbekannt und kann sieh mit ihrer
genauen Erforschung ein Reisender noch sehr verdient machen.
Unter den Dörfern, die wir hier zur Seite liefsen, fiel mir Ka-
diköi seiner höchst stattlichen Häuser wegen auf, und seheint es auch,
zum Theil wenigstens, mehr den Charakter eines herrschaftlichen Gu-
tes, als eines Dorfes zu haben, worauf schon der allerdings oft genug
vorkommende Name hinweist „Richterdorf. Bald hinter diesem Dorfe
trat auf dieser selben, der West -Seite, eine kleine Hügelkette auf, die
den Namen Derwinik Dägh führt und von ihrem Rücken ragt eine
weifsangetünchte, weithin sichtbare Kirche herab, die einem benach-
barten, aber mir nicht sichtbaren Dorfe Wersintshan gehören soll
Auch zur Linken treten hier die Hügel heran, und an ihnen Hegt das
Dorf Alintcha.
Zwischen dem südlichen Ende der ersteren Hügelreihe, wo eins
zum Dorfe Topötchan gehörige Kirche steht, und dem hier ans einer
NW. — SO. in eine NNO. — SSW. Richtung umbiegenden Hauptab-
fall des Kurshowa Balkan tritt nun das „Schwarzwasser* der Tcherna
Rieka (bulg.), oder Karasü (türk.), in das hier nun als grofse, in fast
regeLnäfsiger Meridianstreichung von N. — S. sich erstreckendes Längs-
thal ein und füllte dasselbe einst offenbar zu einem grofsen Seebecken
aus. Dennoch können wir den Namen „Ringbecken", den Grisebach
auf diese augenscheinlichen früheren Seebecken angewandt hat, von
diesem, weit in die Länge gestreckten, Längsthaie kaum gebrauchen,
da von einer ringförmigen Formation hier gar keine Spur ist. Schon
einmal hatte ich die Bekanntschaft dieses Kara-sü gemacht, da wo er
nach Durchbrechung des ganzen Massengebirges von Möghlena, an dem
„Thorberg" dem Porta Dägh vorbei, im Engpasse am Fufse des Tsha-
tal Drenova in die Unterhöben der Negotin Planina hinaus tritt, am
sich alsbald in den Vardar zu ergiefsen; nnd auch hier sollte ich seine
Dai ThälfaÄen^T^- Morias* tmd WÖra-rö. 18{}
Bfektftot&falH ttvü 'auf tftith Atig^rtblick machen/ kW nW diesMÄt
m 'setfifer xähöi»teti ChaniktferentSivickMuDg. Dentitr&ge und langsam
schleicht Wr Her durch die Ebene dahin und Ter Wandelt in der Regeh-
«üt F, ^«itö Strecken derselben : !ri ünpassirbare Sumpfurigen. Erst itf
ffetiesfef Zielt Wat min sein' Bett hier etwas zu regühren 1 und in feste
Giemen' W bannen angefangen, ja (mirabite di&to)\ die Türkische Re-
gierung' biet es iro weit' gebracht, eine kleine Strecke Chaussee längs
«öi#ftl'Üferi *ü Staride zu bringen: ; Ueber den Flufs selbst fuhrt eine
ziemlich lauge Hblzbrffcke. Wohl in' Folge der Aufstauung seines lang-
safaen Laufet erschien er mfr hiei 4 irh oberen Laufe ungleich gröfser, 1
als im unteren , wo ich ihn'- pässfrt hatte', und kaum "konnte ich mich
tifeerzerijßn; dafs es derselbe Flüfs sei.' Allerdings mochte es seitdem
bi& Gfä&rgti hiet geregnet haben. Es Ist aber auch möglich, dafs er einen
Theil seiner Wasser 1 bei- dem Durchbrach des Gebirges in unterirdischem
Lauf abgäbe. Zahlreiche Dörfer Hegen 1 hier ädf der Ostseite auf dem
reichen, an die Hügel sich anschliessenden Ackerboden, mit jugendlich
frisch aufgehendem Winterkorn, und konnte ich sie nur ihrer ungefäh-
ren Lage nach auf der Karte eintragen ; zwei der Namen Kanakler und
Enetler sind nicht ohne bezeichnungsvolle Bedeutung. Auch am Ge-
birgsabhang zur Rechten liegt ein Dorf. Bis 1 1 Uhr folgten wir der
grofsen Strafse — hier kann man wirklich einmal von einer „Strafse"
sprechen — ; da wurde es in dieser, von Bergen ringsum eingeschlos-
senen Thalebene ohne einen Windhauch recht warm und wir begehr-
ten uns zu erfrischen. Wir wandten uns also zur Linken von der
Strafse ab nach dem, zwischen zwei vereinzelten kleinen Hügelerhe-
bungen gelegenen, Dorfe Aktesheli zu, fanden aber ungastliche Auf-
nahme und hielten uns nun feldein über schön grünes Weideland,
wohin mehrere Rinnsäle abziehen, mit einem Blick auf viel Sumpf-
land zur Linken und mehrere Dörfer rechts am Gehänge, mit etwas
unsicherer Haltung, auf Müyela zu, wo ein bekannter Khan und Rast-
ort auf dieser Strafse ist. Die Sonnenhitze war trotz vorgerückter
Jahreszeit so bedeutend, wol in Verbindung mit schwüler, unreiner Luft
und im Vergleich mit der ungleich frischeren Bergluft, an die ich die
letzten Tage gewöhnt gewesen, dafs selbst ich mich etwas angegriffen
und zu Beobachtungen wenig aufgelegt fühlte. Ich war also froh, als
wir gegen 12£ Uhr im Khan von Müyela (oder Mola, wie es in vul-
gärer Aussprache lautet) anlangten. Jedoch hatte ich mich bald wie-
der erholt und kontrolirte nun meine etwas ungenügend aufgenommene
Route hierher durch zwei Winkel, einerseits nach der Dübnitsa-Kuppe,
andererseits nach der Peristeri, wodurch ich eine ganz feste Basis erhielt.
Müyela gerade gegenüber mündet ein breites hübsches Thal mit einem
kleinen Rinnsal in das grofse Längsthal aus, und man sieht dort
140 B«iM dareh di« Eureptischa TlUkflL
da* Dorf Tcheinowöka; weiterhin liegt am Hauptgehänge Popoxitsa. In
der Ferne, an der Biegung der Thalwand in die grofee Schlacht erblickt
man schwach die Stadt Mönasttr, überragt nach S. von den Höhen der
Suha Gora, nach W. von der himmelanstrebenden schonen »Fittig-
kuppe tt der Peristeri. Dieser althistorischen, topographisch wie mi-
litärisch gleich wichtigen Stätte ging es nnn im schnellen Marschachritt
zu, als wir um 2 Uhr wieder anfsafsen, nun immer näher an die Fels-
kante rockend, bis wir sie um 3 Uhr umbogen und einen Wachtthurm
auf dem Felsen hart cur Seite lassend, die Vorstadt betraten; dann
folgte die Hauptmoskee oder Buyük Djime, und um 3£ Uhr waren
wir im Neuen Khan, Yeni Khan angelangt
An diesem höchst bedeutenden Punkte, dem östlichen Thore Alba-
niens, mache ich wohl einen passenden Abschnitt in meinem Bericht,
ehe ich mich nun nach Südost, Makedonien und Thessalien und der
meeresbeherrschenden Thessalonike zuwende.
Dritter Abschnitt.
Makedonien, Thessalien ud die Heimkehr.
Politisch - Militärische Bedeutung von Mdnastiir. — Ungünstige Besteigung der
Perfeteri. — Das reichgegliederte Thalgehänge. — Flörina und sein Kastell. —
Die acht Bergsporne. — Der Waldpafs der Lynkestis. — Eordaea mit seinen
Seebecken. — Kaila'r und seine Pässe. — Kosine und sein Glockenturm. —
Qrofsartige Ansicht des Olymp. — Selridje und sein Kastell. — Der Volustana-
Paft. — Die »Yiertigfurtige* Felsschlucht, — Die Perrhäbisehe Tripolis. — Ek*-
sonn und sein Kloster. — Das alte Pythion. — Kokkinoplö. — Die erste Olym-
pische Felsschlucht — Die grasreichen Matten des Olymp. — Die Felsklüfte
und die Hochkuppen. — Das a^olalov. — Qrofeartigstes Felsamphitheater. — Die
Eliaskuppen. — Schwieriger Abstieg. — Kloster des heiligen Dionysios und Le-
tdkhori. — Eilritt nach Saloniki. — Küstenschiffahrt. — Magnetische Halb-
insel. — Chalkis und der Euripos. — Athen und seine Revolution.
Mein erster Gang in Mdnastir, nachdem ich mich umgekleidet,
war nach dem Englischen Konsulat gerichtet, um Nachrichten über
das Land einiuziebn. Die Entfernung desselben vom Ycni khän , wo
ich abgestiegen, ist betrachtlich, da das Konsulat nahe der südwestli-
chen Ecke der Stadt liegt, und da die su verfolgenden Strafsen in
grofsen Winkeln sich b inrieben. Es ist ein stattliches, neu angekauftes
Haus mit kleinem Garten; das Oesterreichische Konsulat liegt hart da-
neben. Aber der Englische Konsul war in England abwesend und
sein zeitweiliger Stellvertreter, sein Bruder, war eben ausgegangen.
Da Letzterer von seinem Spaziergang jedoch bald zurück erwartet
wurde, spazierte ich mittlerweile in dem benachbarten Quartier etwas
umher, trat nach SW. zur Stadt hinaus und erfreute mich des schönen
Anblickes des nahen Gebirgsgehanges, welches das Thal des Drahor
auf der Südseite einschliefst. Besonders ragt hier im WSW. eine in
sehr schön regelmäfeig konischer Gestalt aufsteigende Kuppe über die
Vorhügel empor und belebt durch ihr reiches Gehänge das ganze ThäU*
eben. Indem ich dann den Südrand der Stadt nach Ost hin verfolgte,
trat ich einen Augenblick in eines der hier liegenden und mit Sitzen
im Freien ausgestatteten Kaffes und verfolgte dann meinen Weg nach Ost
142 Reise durch die Europäische Türkei.
auf die für dieses Land angemein grofsartige Kaserne und das Artillerie-
Gebäude zu, die, am Fufse der Vorhügel gelegen und durch ein klei-
nes, auf letzteren angelegtes Fort vertheidigt, die grofse militärische Be-
deutung von MonastTr auf das Lebendigste veranschaulichen. In der
That mufste an dieser Thalöffnung, welche den einzigen leichtoffenen
Zugang nach Albanien aufscbliefejt und beherrscht, zu jeder Zeit ein
Hauptort des Landes gelegen sein, und so' lag hier denn auch unzweifel-
haft der alte ursprungliche Vorort der vom Axios (Vardar) nach West
verdrängten und später von den Pfionen, die aus ihren noch zu He-
rodot's Zeiten eingenommenen Sitzen am Strymon ebenfalls nach W.
zurückgedrängt* ,waren, wjrseaiongeue» FelagoftetU'taKl *Wer eben trat,
an dieser, als Herakleia von den Makedonischen Königen kolonisirten,
Stadt vorbei, die spätere von Epirus nach Thessalonike führende Vit
Egnatia aus dem Gebirgspafs heraus in die grofse, Thal -Ebene des
Erigon, in die früher L^ynkestis genannte Landschaft, Diese Anaetznag
von Herakleia scheint jetzt nach der gewonnenen TeirftJnkenntnUa des
Landes aufser Zweifel gestellt zu sei». Allerdings setzt die natürlich*
topographische Bedeutung der Lage des heutigen Fldrina, wie wir bald
sehen werden, dort an dem gleichfalls höchst wichtigen, ja sogar noch
viel engeren und regelmäfsigeren Engpafs, seit dem grauesten Alter-
thume dieser in einzelnen Kesselbecken angesiedelten Völkerschaften,
ganz unbedingt ebenfalls eine wichtige städtische Absiedlung vor-
aus. Auf diese Frage kommen wir bei Beschreibung der Lokalität
von Florina zurück. .-..-*
Von einem, mit wahrhaftem Staunen gemischten Ueberbhck aber die
grofsartigen Baulichkeiten der hier gelegenen Kaserne, im Verein mit der
Ordnung und Pünktlichkeit, die sich überall kund that, kehrte ieh- nun
mit Anbruch der Abenddämmerung nach dem Englischen Konsulat zu-
rück und war so glücklieb, dies* Mal Herrn Edmond Galvert, den -agir
renden Konsul, zu Hanse zu treffen. Er lud mich sogleich su Tisch
ein — die Engländer essen bekanntlich erst spät — und «machte es
mir dann auch zur Gewissenssache, mich in seinem Hause, einzuquar-
tieren. Dies hatte unzweifelhaft seine guten Seiten, nicht allein in
materieller Beziehung, sondern auch in. geistiger, wegen der beherr-
schenden Lage des Konsulats* aber es hatte auch »seine groben. Nach-
theile, da ich so durch weite Entfernung von meinen Leuten und mei-
nen Pferden getrennt wurde. Genug,. ich erhielt ein behagliches Zim-
mer mit grofsartigster Aussicht auf die Peristeri, und ich konnte, als
ich um nächsten Morgen erwachte und die Gitterladen öflnetey mich gar
nieht satt sehen an dieser reichen und man nichfaltigen Ansicht 1 ). Die
l ) Pm KooaaUt liegt •o.frti .und feooh, d*ö man von dam JUlkaac eaf : dMR
Mdnastir, seine bedeutende Lage; »eine Kaserne und Britisches Konsulat. 1 43
davon mitgetheilte ungekünstelte Zeichnung auf der beigefugten Tafel
vermag nur die materiellste Seite der ftufseren allgemeinen Umrisse
wieder zu geben, aber für ihre Treue in dieser Beziehung kann ich
bürgen; was vor Allem fehlt, ist die belebende Farbenpracht, wie
jetzt die Sonne, gerade im Osten über die Berghöhen von Möghlena
und die Babüua sich erhebend, ihre Strahlen mit voller Pracht und
Wärme auf das schöne Thal hinabschickte, bis zum Dorf Magharöwo
am nördlichen Fufs der Perist eri, und die Umrisse der dasselbe im We-
sten schliefsenden Hochkuppe scharf hinzeichnete. Besonders aber
nahm sich der Fufs dieses Bergspornes wunderbar schön aus, und man
erkannte klar an der scharf hingezogenen, durch keine Vorhöhen ver-
mittelten, Linie, wie diese Bergmasse sich später aus der Ebene em-
porgehoben und die vorhandene Horizontal fläche durchbrochen habe.
Was ferner meiner Ansicht fehlt, ist aufser der Wärme auch das ge-
nau richtige Verhältnifs der Entfernung und die Gliederung im Ein-
zelnen. Die Mannichfaltigkeit der Entwickelung des Tbalbodens in
den verschiedenen Entfernungen vermochte ich nicht in dem kleinen
Mafssiabe wieder zu geben.
So überliefe ich mich ganz dem Eindruck des schönen Bildes und
suchte es zu Papier zu bringen, aber eigentlich hätte ich bei meiner
eiligen Reise meinen Morgen besser benutzen sollen. Freilich war das
auch meine Absicht gewesen, aber ich hatte am vergangenen Abend den
Agenten zu so später Stunde gesprochen, dafs wenigstens angeblich nichts
zu thun war; ich war also auf den Lauf des heutigen Tages vertröstet
worden und der Geschäftstag hier brach spät an; Herr Calvert nämlich
war ein sehr später Aufeteher. Dazu kam nun unglücklicher Weise
für mich ein keineswegs freundliches Verhältnifs, das zwischen ihm
und dem wol etwas hochmüthigen Bascha bestand. Es wurden also,
als man endlich aufgestanden war, allerlei Schwierigkeiten gemacht.
Dann wiederum war der Mann nicht zu finden, der allein genaue Kennt-
nifs vom Berge hatte; genug, es verstrich der ganze sonnige Tag,
ohne dafs ich zu etwas kam, und dabei kündete die streifige Physio-
gnomie des Himmels ganz unzweideutig einen Wechsel im Wetter an,
so dafs ich selbst zuletzt fast unschlüssig wurde, ob ich die immerhin
mit manchen Kosten verbundene Besteigung des Berges unternehmen
solle oder nicht. Als nun aber endlich der Shausch sich einstellte,
mutete doch der Versuch gemacht werden; aber voll Müsmuth, ohne
die geringste Zuversicht, ging ich daran und so sollte ich auch wirklich
Kordseite bis zur grofsen Moschee und dem Gebirgssporn hinblickt, so dafs ich also
diett Paukte durch Winkel mit einander verbinden konnte, wahrend ich in der Folge
Jene Moschee wieder mit Dribowo- in Verbindung tetste.
144 Bei* durch die Europäische Türkei,
fast die ganze reiche kartographische Ausbeute, die mir die Bestei-
gung jener beherrschenden Kuppe gewähren konnte, einbüfsen.
Es war nach 3 Uhr Nachm. geworden, als wir endlich fortkamen,
und kaum hoffte ich, noch vor Einbruch der Dunkelheit unser Nacht-
quartier zu erreichen. Ich schätzte nämlich nach der früheren, höchst
ungenügenden, kartographischen Darstellung dieser so reich geglie-
derten, aber doch so ankerst vernachlässigten Landschaft die Entfer-
nung des Dorfes Djindjöpülo von Mönasfir viel höher, als sie sich in der
Folge erwies. Die Entfernung beträgt ungefähr ? Engl. Meilen, 5 Mei-
len bis zum bedeutenden Dorfe Drabowo und 2 weitere Meilen von
hier bis Djindjöpülo. Drabowo liegt (W. 5 8. von der grolsen Moschee)
an der Ausmündung des au8 S. 35 W. von der Kappe herabsteigenden
Seitenthaies in das von W. nach O. sich absenkende Thai des Drahor and
zieht sich in ansehnlicher Länge zu beiden Seiten des Baches hin; es
hat eine hübsche Industrie in einheimischen Zeugen, und der Hindureh-
reisende gewahrt fiberall in den Häusern die 1 Beweise reger Geschäf-
tigkeit. Uebrigens zweigt sich die dorthin führende Strafse, der wir
folgten, gleich dicht aufs erhalb der Stadt von der nach Magharowo
und Okrida fuhrenden Hauptstrafse ab und hält sich auf der rechten
oder sudlichen Seite des Flüfschens Drahor in ziemlicher Nähe des
Fufses der Vorhügel, indem man in einiger Entfernung von der Stadt
das Gut oder Tsehiftlik Ismail Pascha's znr Seite läfst.
Indem wir gut zuritten, erreichten wir in gemachem Anstieg
Djindjöpülo mit einbrechender Dunkelheit und wurden auf unsere
offizielle Empfehlung von dem Amtmann des Dorfes freundlich auf-
genommen, mufsten jedoch mit der offenen Holzhalle vorlieb nehmen,
was allerdings trotz der ansehnlich hohen Lage des Ortes (etwa 2500
Fufs) und der vorgerückten Jahreszeit nicht so viel zu sagen hatte,
da das Haus von anderen Nachbarhäusern geschützt lag und da es an
groben Teppichen, wie sie hier am Orte selbst in emsigster häuslicher
Gewerbthätigkeit producirt werden, nicht fehlte. Aach hatte ich mich
selbst mit warmer Kleidung versehen. An Proviant hatten wir Einiges
mitgebracht, Anderes erhielten wir hier von unseren Wirthen. Es wur-
den nun zwei Burschen als Föhrer engagirt und Alles in Bereitschaft
gesetzt, um vor Tagesanbruch aufzubrechen. Das Wetter verhiefs aller-
dings wenig Gutes, aber versucht mufste es nun einmal werden.
Wir brachen also um 3 Uhr am folgenden Morgen auf und stie-
gen an der linken nordlichen Seite des über Felstrümmer wild dahin-
sturzenden Bergstromes aufwärts, meist gemach und nur mit zeitwei-
ligem steileren Ansteigen. Die Richtung war zuerst noch dieselbe mit
der früheren, bis Drahowo eingehaltenen, S. 35 W. Einzelne Beobach-
tungen konnte ich beim Anstieg in der Dunkelheit nicht machen, holte
Besteigung der Peristeri. 145
es aber in der Folge beim Abstieg nach. Etwa i Engl. Meile ober-
halb Djindjopülo vereint sich Thal and Strom aus zwei Armen; in
grofrer, sehr schön und reich gegliedeter, Schlacht kommt der Hauptarm
brausend aus einer ziemlich südlichen Richtung (S. 20W.) von eben
der südlichsten Kuppe dieser Gebirgsgruppe daher, die in meiner An-
sicht der Peristeri nicht sichtbar ist und die ich mit c bezeichnen will.
Diese Schlucht liefsen wir zur Linken und folgten mit W. 32 S. dem
westlichen, minder bedeutenden Arm, der gerade von den beiden in
der Skizze dargestellten, westlichen Zwillingskuppen herkommt und sich,
aufwärts gerechnet, in schöner Biegung allmählig nach NW. hinum-
wendet. Hier bedeckte sich das gesammte Gehänge mit Pteris Aqui-
knm, und der Eindruck dieser gleichartigen, aus der Ferne anmuthigen,
aber auf die Lange höchst einförmigen und doch auch eigentlich unfrucht-
baren und nutzlosen Bekleidung war ein so bedeutender, dafs ich zur
Zeit völlig überzeugt war, diese federartige Pflanze habe die Veran-
lassung zu dem Namen des Berges Peristeri gegeben. Doch mag Gri-
sebach Recht haben , wenn er in seiner Reise durch Rumelien sagt
(I, S. 180), dafs der Berg seinen Namen davon habe: „dafs der
Grieche (oder gräcisirte Bulgare) die zu beiden Seiten der schna-
belförmig heraustretenden Spitze über den dankein Felsen schweben-
den Schneegefilde mit den Fittichen einer weifsen Taube vergleicht*,
obgleich von ewigen Schneegenlden hier natürlich keine Rede sein
kann, wie ich denn auf der höchsten, nach Grisebachs eigener Beob-
achtung 7237 (nach Visquenel 7500) Fufs nicht übersteigenden, Kuppe
auch nicht einen einzigen Schneeflecken sah; aber der Schnee bleibt
oben doch mehrere Monate liegen.
Leider waren, wie gefürchtet, die Umstände des Marsches nicht
eben ermuthigend. Das Wetter war unfreundlich und kalt, kein Son-
nenblick erfreute uns; trotzdem wollte ich das Meinige thun. Ich liefs
also Pferde und Zabtie unterhalb des kleinen Alpensees, wo schon
der Schiefer, der ungeföhr eben so weit zu reichen scheint, wie die
Farrnbekleidung , der Granitformation Platz gemacht hat, und erstieg
mit den beiden Burschen aus Djindjopülo über die grofsen losen Fels-
blöcke mit Leichtigkeit die nördlichste der beiden Schwesterkuppen,
die eben die Durchbrucbspunkte der hebenden Gebirgsart durch den
Schieier bezeichnen. Das Wetter war mittlerweile (7 Uhr Morgens)
immer schlechter geworden und der Nebel war oben so dicht, dafs ich
nicht einmal die keineswegs grofse Kuppe übersehen konnte, sondern
durch einen Umgang längs dem Rande derselben mich erst überzeu-
gen mufste, dafs ich wirklich oben war. Nichts konnte trostloser
sein. Nur , wenn die Nebelmassen sich gelegentlich verschoben, er-
hielt ich einen ganz beschränkten Blick in die bezaubernde Gebirgs»
10
|46 Reise dnrch die Europäische Türkei.
landschaft, die mir hart zu Füfsen lag und von der ich kaum etwas
ahnete, and nur ein einziges Mal sah ich ein kleines Stück vom See von
Presba. Ich zögerte oben, so lange es möglich war — es war dabei
anerfreulich kalt — and stieg dann wieder hinab zu meinen Leuten, mit
denen ich mit innerem Widerstreben nun den Abstieg gemeinsam fort-
setzte. Wir hatten so wieder eine Höhe von etwa 5000 Fufs erreicht,
als die Nebel anfingen, sich zu spalten und gröfsere Lichtblicke eröffne-
ten. Schnell war mein Entschlufs gefafet und in 5 Viertelstunden war
ich wieder oben — ich steige, wenn ich rastig fortsteige, 1800 — 1900
Fufs in der Stunde '). Leider jedoch ward mein Eifer nur wenig be-
lohnt. Etwas lichter als vorhin freilich waren die Nebel augenblick-
lich und so entschofs ich mich, länger oben zu bleiben, um mehr
Möglichkeit zu wenigstens einem kurzen Lichtblick zu erhalten. Des-
halb nahm ich nun meinen Weg über die zweitnächste Knppe, wo
wir noch einen an den Felsplatten hinkriechenden holzigen, fast einen
Zoll dicken Zwergwachholderstrauch fanden. Hier schneidet den Kamm
ein zweiter, allerdings etwas steiler, nur für die Eingeborenen gangbarer,
Saumpfad in das tiefe Becken von Presba hinüber; ein anderer windet
sich um die nordwestliche Kuppe hinum. Wir folgten nun dem Kamm
oben über der Schlucht hinum auf die dritte grofse Kuppe c zu, die
man allerdings nicht sah, die mein Führer aber trotz des Nebels sv
finden gedachte. Ich hoffte nämlich noch immer, dafs mittlerweile die
Nebel sich zerstreuen sollten. Es soll aber auch an dem Fufse dieser
Kuppe ein etwas gröfserer See oder ein Alpenbecken sich befinden, den
ich sehr zu besehen wünschte; von dort soll man dann hinabsteigen
können nach Saponjitsa und nach Derwishka. Jedoch wurden die Ne-
bel leider so dicht, dafs wir auf grofse Umwege und ganz ans der
Richtung geriethen. Doch erst, als wir den Hochkamm überstiegen
hatten und an dem obern Rande der anderen, anscheinend sehr bedeu-
tenden Schlucht eine Strecke weit über grofse Felsblöcke fort geklettert
waren, gaben wir es auf und kehrten um, indem wir nun durch Rufen
die Stelle ausfindig machten, wo unsere Leute auf uns warteten und
dann in gerader Richtung zu ihnen hinabstiegen.
Das war das höchst traurige Resultat meiner Bergfahrt, indem ich
auf diese Weise nicht allein um die herrliche Aussicht, besonders nach
Albanien zu, und um eine reiche Ausbeute von Winkeln gekommen
war, sondern sogar die klarere Erkenntnifs der Natur und Gruppirung
der Bergkuppe der Peristeri selbst eingebüfst hatte, besonders in ihrem
') So bin ich von Pontresina auf den Piz Linguard in 2 Stunden 40 Minuten
hinaufgestiegen, ruhiges Fortsteigen ohne hitzige Uebereilungi Grisebach rechnet
985 Fufs auf 40 Minuten, 2900 Fufs auf 2 Stunden. Das ist aber sehr gemächlich.
Vereitelang der RetaUate 4er Bergbesteigung in Folge dichter Nebel. 147
Verhlltnifo zur schluchtenreichen Bergkette der Sükha Gora. Denn dies
Vei$ältnifs ist jedenfalls ein eigentümliches, und bildet die Peristeri,
wenn man sich anf Grisebach's Beschreibung ') verlassen darf, viel-
mehr nur den Theil einer hervortretenden, kurz abgebrochenen und von
beiden Seiten in die Querthäler des Drahor tief absturzenden Seitenbrd-
stung, jenes von SO. — NW. gerichteten und von der Gegend von Fld-
rina und Kastoria anfangenden Bergzuges. Und Grisebach hatte wol
Gelegenheit, das richtige Verhältnis dieser Gebirgsmasse zu erkennen,
da er sich einer durch keine Wolken getrübten prachtvollen Aussicht
erfreute. Zu bedauern ist es nur und hat der Topo- und Kartographie
grofee Nachtheile gebracht, dafs dieser ausgezeichnete Botaniker von
seiner so höchst interessanten Reise so gut wie nichts Kartographi-
sches verfaJst hat, so dafs auch von dieser seiner Bergbesteigung die
bisherigen Karten nur sehr wenig Nutzen gehabt haben.
Ich setzte nun in Gesellschaft meiner Leute den Abstieg fort, der
uns bald aus dem, nur das höhere Gebirge bedeckenden Nebel hin-
ausfilhrte, so dafe ich weiter unten noch einen klaren Einblick in
die .grolse romantische Seitenschlucht gewann. Indem ich mich dann
nur einen, Augenblick in Djindjopülo aufhielt, traf ich noch frühzeitig
genug in Monastir wieder ein, um alles zu meiner Abreise am fol-
genden Tage Nötbige in Stand zu setzen. Die Stadt selbst ist oft genug
von Europaern besucht worden, dafe ich es nicht für nöthig halte, mich
in eine Beschreibung ihres sonstigen Charakters einzulassen. Genüge
daher die Bemerkung, dafs sie eine der bedeutendsten und gewerbtha-
tigstea Städte Rumelien's ist und wol eine Bevölkerung von 40,000
Einwohnern haben mag. Ihre Höhe betragt 1770 Fufs.
Wenn mich nun schon mein fast resultatloses Besteigen der Pe-
risteri, das mir nur wenige Hauptcharacterzüge dieses noch so wenig
bekannten Gebirgsknotens aufgeschlossen, tief betrübt hatte, so war das
lüfslingen um so niederschlagender, als nicht allein der vorhergegan-
gene, sondern auch der nachfolgende Tag, der 9. Oktober, vom schönsten
Wetter begünstigt war. Vielleicht hätte ich mich durch einen umfas-
senden Hinabbück in die westlichen Landschaften zu weit in jener
Richtung verlocken lassen, und hier sollte einmal der Wendepunkt
meiner Reise sein. Wenigstens hatte ich jetzt den Vortheil vom schö-
nen Wetteiy dafs ich am Morgen, ehe ich Monastir verliefs, noch ein-
mal: den prächtigen Anblick der sonnebeleuchteten Doppelkuppe mit
vollen Zügen geniefsen konnte. Stets ist es ungelegen, sich von sei-
nen Leuten zu trennen, und, wie ich schon defshalb so viel später
nach dem Berge aufgebrochen war, so verlor ich auch jetzt wieder
l ) Grisebach, Reise durch Rnmelien und nach Brosa. Th. II. S. 195.
10»
148 ReiM> darch dle Bnropüadie Türkei.
Zeit. Am frühesten von meinen Leuten stellten sieb die beiden
neuen Zabties ein and ich mufste einen derselben nach dem Khin
senden, am meine eigenen Leate cur Eile anzutreiben. Meinem freund-
lichen Wirth, Mr. Edmond Calvert, hatte ich schon gestern meinen
Dank abgestattet und hatte ihn am specielle Entschuldigung wegen
des frühen Aaf braches gebeten.
Um 7 Uhr 15 Min. ging es fort, sogleich hinaus cor Stadt, deren
südsüdöstlichem Ende das neue Englische Konsalat, wie gesagt, so
nahe liegt; dann ging es an der stattlichen Kaserne vorüber. Aaf
dem vor derselben sich ausbreitenden Platze fand gerade eine Artille-
rie -Uebung Statt. Auch hier noch wurde mir das geselligere sociale
Leben von Mönastlr vor Augen gefuhrt, durch das 'Abdi Pascha ge-
nannte Kaffe, das ganz nett eingerichtet in der Entfernung einiger
Minuten auf dieser Seite die städtischen Gebäude abschliefet. Hier
tritt man in die freie Landschaft hinaus, die durch Weinberge, die
sich zur Rechten an den Vorhügeln hinaufziehen, besonders belebt
wird; aber bald hören diese Vorhöhen auf, und die Gebfinge der Haupt-
bergmas8e selbst treten unbedeckt hervor. Da zeigt sich das Dorf
Bukova, das Tbule der gewöhnlichen Ausflüge von Mönastlr ans, durch
die aber die Kenntnifs dieser Berggruppe wenig gewonnen zu haben
scheint, da selbst dieses Terrain auf den bisherigen Karten ganz falsch
dargestellt wurde; die an diesem Dorf ins Gebirge hinauf steigende
Schlucht führt wahrscheinlich in sehr interessante Theile desselben,
ganz in die Nähe des gröfseren Seees und der südlicheren Hochkappe
hinauf. Ueber der Schlucht thront in höherer Lage das mit dem ge-
nerelleren Namen Keschisch hane (Mönchs -Behausung) bezeichnete
Kloster, eines der wenigen Gebäude dieser Art, die noch jetzt aas
der zahlreicheren Menge früherer Zeiten dieser Gegend übrig geblieben
sind, wo sie eben dieser Stadt, die sonst den Namen Bitolia oder Toti
führt, den Namen Mönastlr („Kloster") verliehen haben. Oanz im
Gegensatz zu dem sehr unfreiwillig, zu viel ungenauerer Aufnahme der
Gegend, in schnellerem Tempo zurückgelegten Ritt von Prilip nach
Mönastlr, waren wir beute sehr gemächlich ausgerückt und erreichten so
bedächtiglich den Theilungspunkt der Strafsen nach Florina und Banitsa.
Nun hatten mir die Unterbeamten des Konäks eigens zu wissen gethan,
dafs, da ich doch einmal nach Kailar und Seividje zu gehen beabsichtige,
ich besser thäte, direct nach Banitsa mich zu wenden und dort mein
erstes Nachtquartier zu nehmen, nicht in Florina; ich erwartete also
natürlicher Weise, dafs die beiden mir angewiesenen Reiter die Be-
stimmung hätten, mich nach Banitsa zu bringen und war nnn nicht
wenig erstaunt, als sie erklärten, mich zuerst nach Florina bringen iu
wollen, aber die beiden Orte lägen einander so nahe, dafs der Unter-
Aufbrach von Mtfnaitir. — Die Sükha Qora und ihre Schluchten. 149
schied sehr gering sei, auch sei auf dieser Thalseite mehr zu sehen,
als auf der entgegengesetzten. Da die Lage des bisher auf keiner
mir bekannten Karte verzeichneten Banitsa nicht zu kontroliren war,
ging ich auf den Vorschlag ein, ärgerte mich aber später, als ich sah,
dafs die beiden Leute nie daran gedacht hatten, nach Banitsa zu gehen,
da sie die Briefpost nach Florina besorgten, und dafs ich in Flörina
keine berittenen Geleitsmänner zu ihrem Ersatz erhalten konnte. Sonst
glaube ich wohl, dafs diese Thalseite unendlich viel schöner und man-
nichfaltiger gestaltet ist, als die gegenüberliegende, und obgleich die
Strafse mehrfach von Europäern bereist ist, sind die einzelnen Züge
dieses Berggehänges mit seinen zahlreichen, höchst malerischen Schluch-
ten doch bei Weitem nicht mit gehöriger Genauigkeit niedergelegt wor-
den; es würde sogar ein ganz belohnender Ausflug sein, diese ganze
Gebirgsgruppe mit ihren Tbälern und Schluchten im engen Zusamt
menhang mit der Peristeri zu durchwandern. Es scheint doch wirk-
lich, als wenn auch die Alten schon auf diese Gruppe aufmerksam
worden und ihr denselben Namen gaben, wie der südlichen und niedri-
geren Fortsetzung des Olymp, nämlich Oktölophos „die Achtkoppe tt ').
Die heutigen Türkischen Anwohner scheinen es Ostredj daghlari zu
nennen; die Bulgaren nennen es Sükha Gora „das trockene Gebirge",
ein bei dem Wasserreichthum der Quellströme, in gegenwärtiger Jah-
reszeit wenigstens, höchst auffallender Name. Die Sükha Gora, der
alte Lyn kos, nimmt übrigens einen sehr bedeutenden Rang ein im gan-
zen orographischen System der Europäischen Türkei, weil ihre nach
W. zum Dewol abfliefsenden Quellflüsse die grofee, vereinzelt merk-
würdige Gebirgsspalte des Grammos- Pindos -Systems bilden.
Jenseit Bükova ist die erste malerische Dorfschlucht dieser Art,
die Schlucht von Ehristohor mit dem darüber ragenden Kloster oder
Mönastir, und das aus dieser Schlucht hervorkommende Stromsaal ist
sogar bedeutend genug, um eine Ueberbrückung zu erfordern. Drei
Minuten dahinter folgt schon ein anderes, allerdings kleineres Strom-
saal, wo sich in geringer Entfernung von der Strafse der nach Ehri-
stohor genannte Sauerbrunnen befindet, von den Türken als Ehristohöre-
da eksi sü bezeichnet. Auch wir machten dahin einen kleinen Ab-
stecher, um sein Wasser zu kosten. Ein Wächter in einem Zelte hat
seinen Stand hier und hält Glaser bereit. Das Wasser soll viel von den
Eingebornen getrunken werden. Weinberge lagern sich ganz anmuthig
auf den Gehängen umher.
') Livius 1. XXXI c. 36 (Andere lesen weniger richtig Ortholophus). Bou4
schätzt die höchste Knppe der Sükha Gora in dem Profil No. 30 [Visqnenel pl. 22]
auf 2437 Meter. Die Knppe entspricht aber, nach der allgemeinen Winkelnng der
Ansicht, der Peristeri selbst.
150 &**** darch dl* Europäische TteM.
Von nan an vergehen keine 10 Minuten langsamen Marsches, ohne
dafs ein gröfseres oder geringeres Rinn- oder Stromsaal ans einer engeren
oder weiteren Schlucht dem Gebirge entströmt und den Weg kreuzt, und
dann ist der gewöhnliche Fall, dafs ein Dorf am Ausgang der Schlacht
an der Höhe, ein anderes unterhalb in der Ebene sein Lieben vom Ba-
che fristet * ). Dabei tragen dann die unteren Dörfer, wie Bistritea, Hö-
lovend durch ganz leidliche Baumgruppen, in deren Schatten sie sich
verstecken, viel zur Belebung der Landschaft bei. Sonst fehlt es auch
diesem Theile der grofsen Thalebene im Allgemeinen durchaus an Baum-
wuchs. Vorteilhaft aber war es für ein lebendigeres Landschafts-
bild, dafs einiger Regen gefallen war und das Erdreich befruchtet
hatte; denn überall wurde gepflügt. Wenn schon die Schlucht von
Hölovend einen sehr malerischen Einblick eröffnet hatte, so gewährte
diejenige von Veloshina die Ansicht einer in verschiedenen maleri-
schen Zweigarmen reich gegliederten und von ansehnlich hohen Kup-
pen von 3000 — 4000 Fufs Höhe überragten Schlucht, wobei nur zu be-
dauern war, dafs Wolken die höchsten Erhebungen verhüllten. Un-
zweifelhaft könnte man vom Dorfe oder vom etwas höher hinauf ge-
legenen Kloster aus recht hübsche Bergpartien machen. Ebenso war
der Einblick in die Schlucht von Gradeshvitsa bei der schönen Be-
leuchtung sehr malerisch und reizend, zumal den nordwestlichen Arm
aufwärts, der einen Blick bis auf die Berghöhen eröffnet. Das gesammte
Gebirgsgehänge bildet hinter dem Sporn bei Hölovend eine ansehnliche
Einbiegung und die Stromsäle haben hier, wenn sie die Strafse erreichen,
gewöhnlich schon den Felsschutt abgelagert. Dann tritt der Abhang
wieder näher heran, und die schöne aber nicht von einem Dorfe bezeich-
nete Schlucht inmitten zwischen denjenigen von Tiragosh und Vitosh»
zeigte wieder ein von Granitblöcken eingeengtes Strombett; auch Kalk
und Glimmer trat hier zu Tage. Die Schlucht von Vitosha, die bald
hinter dem Dorfe aufzusteigen scheint, war sehr auffallend bezeichnet
durch zwei zu einem Paar nahe zusammenstehende, grofse mächtige
Eichen, die unzweifelhaft einst ihre Bedeutung hatten. Uns mahnte
der durch sie gebotene Schatten nur daran, zu berathen, wo wir un-
ser Frühstück halten wollten und wir beschlossen, dazu das in einer
Schlacht etwas einwärts gelegene obere Kleschtin oder Kleshtina aus-
zusuchen. Von einem Minaret überragt, liegt das kleine, ganz von
Osmanlis bewohnte Dorf recht hübsch, am Fufse einer nach Süd aufstei-
') Wahrscheinlich war das schon der Charakter der Ansiedelung der alten Lyn-
kestis oder Lynkos, die eben von diesem Gebirgszug ihren Namen und ihre ganze
Bedeutung erhielt Ganz so liegen am Skardus nach Grisebach (II. S. 280) die
Bulgarischen Dörfer, immer an den Ausgangspunkten der Querthäler, „vielleicht, weil
von da die bequemeren Pfade zu den Bergwiesen des Gebirges führen, die dem
Beichthum an fruchtbarem Ackerlande noch einen der Viehzucht förderlichen Be-
sitz hinzufügen".
Charakter dar Schluchten des Lynkoe. — Kleshtina. 151
genden, schön bewaldeten Kuppe, das Kleschtina dagh, und wird von
einem hübschen Bach durchzogen, der andererseits den Verkehr doch
nicht hemmt, da er mehrfach überbrückt ist; die Häuser, etwa dreifsig
an der Zahl, sind für dies Land gut gebaut und geräumig. Der Khan
allerdings bot nichts Besonderes, war aber doch ein anspruchsloser
Rastort. Die Einwohner erzählten uns hier auf unsere Anfrage, dafs
ihr eigenes Vieh zwar von der Rinderpest verschont sei, dafs die be-
nachbarten Dorfer aber viel darunter zu leiden hätten. Auch erfuhr
ich von ihnen, dafs sie von je 100 Okken Trauben 15 Piaster als
Ashur zahlen müssen, eine immer ganz anständige Abgabe, aber doch
ungleich ertraglicher, als was meinen Freunden in anderen Orten Ru-
melien's aufgebürdet war. Worauf basirt sich eigentlich diese so ganz
principlose, ungleiche Vertheilung? Doch wol nur auf religiöse und po-
litische Bevorzugung.
Nachdem ich einen kleinen Imbifs genommen, streifte ich wäh-
rend der allerdings nicht unbedeutenden Mittagswärme umher und erstieg
die Höhen auf der Nordseite der Schlucht. Auf mittlerer Höhe liegen
hier auf einer Terrasse die Ruinen eines umfangreichen Gebäudes,
das wol vielmehr ein Kloster als ein Kastell war, da der Punkt von
den umliegenden Höhen völlig beherrscht wird. Der Fels springt hier
in groben mächtigen Platten basteiartig von dem trockenen, sehr zer-
rissenen Thalgehänge vor. An anderer Stelle ist der Porphyr mit
Glimmerschiefer gemischt. Auf dem Hügel erheben sich kleine ba-
saltartige Kegel.
Die Thalschlucht von Kleshtina zieht sich etwa eine halbe Stunde
in der Richtung von SSW. — NNO. hinein; dann zieht sich ein brei-
teres Längsthal vor, das wol mit den nördlicheren gröfseren Schluch-
ten in Verbindung steht, während in seinem südlichen Theile hinter
der oben erwähnten waldigen Kuppe das schon zu Mönastlr gehörige
Dorf Buff liegt, angeblich 1| Stunde von hier entfernt. Da ich von
oben die grofse Bergerhebung auf oder hinter der anderen Thalseite
abermals gepeilt hatte, knüpfte ich einige Erkundigungen daran, konnte
aber auch hier nichts von einem Namen Nidje hören, unter dem sie
in Folge von Grisebach's Beschreibung in die Karten eingeführt ist;
sondern allgemein bezeichnete man sie mit dem Namen Gornitchöwa,
ein Berg Namens Nidje ezistire gar nicht, sagte man mir. Letzterer
Name ist also wol nur in gewissen Kreisen bekannt, wenn er nicht viel-
leicht auf einem Mifsverständnifs beruht Daneben erzählte uns unser
Wirth von den Silbergruben bei Brota in der Thalschlucht von Tch&ina
und unfern von den Ufern des Karasü, die ich doch besuchen solle.
Als wir dann unseren Marsch wieder forsetzten, hielten wir uns
auf der anderen Seite des Baches längs des Fufses der Höhen zur
Schlacht hinaus und verfolgten nun die grofee Strafee nahe am Thal-
152 Bei** durch die Europäische Türkei.
rande. Aach hier zeigte sich etwas Weinbau und beim Dorfe Kitt-
dorö zogen wieder zwei uralte, am Wege stehende Eichen meine Auf-
merksamkeit auf sich. Kaubasitsa, nächst Kiladoro, das erste zu Florina
gehörige Dorf, zeichnet sich durch seine schönen Weinberge aus. Wäh-
rend links in der breiten Thalebene eine Menge Dörfer sichtbar wur-
den, einige allerdings nur durch das Schimmern ihres neu aufgeputzten
Glockenturmes, schlofs sich vor uns die Thalebene ab, indem das
Gebirge mit acht oder mehr Bergspornen ') in lebendigster Gliederung
und zum Theil mit hoch emporragenden Kuppen in die Ebene vortrat.
Hier schnitten wir den niedrigeren Theil der Thalwand zur Rech-
ten ab und wandten uns direkt nach dem westlichsten Quartier des die
stark markirte, aber ziemlich enge Thalschlucht ausfallenden Florina;
aber es war schwer, einen nur irgend ertraglichen Khan aufzufinden.
Gerade in dieser Jahreszeit sind diese schlechten Herbergen am schlech-
testen bestellt, weil sie noch nicht ihr Winterkleid angezogen haben;
denn, da es hier an Glasfenstern fehlt, klebt man die Fensterr&hme
mit Oelpapier zu, was aber erst immer einige Anstalt erfordert. So
mulsten wir, da es hier im Gebirge schon ganz ansehnlich kalt war,
unsere offenen Fenster mit verschiedenen Stoffen möglichst gut au ver-
hängen suchen.
Ich hatte dann zuerst, bei der Abwesenheit des Mudir, eine halb
gerichtliche Verhandlung mit meinen Zabtie's, die, nun einmal hier
angekommen, mich ohne Weiteres verlassen wollten, obgleich hier gar
keine berittene Soldaten zu haben waren, während der Gebirgspals vor
uns überaus unsicher sein sollte. Es hatte sich nämlich eine starke
Räuberbande in der Nähe der Vitch festgesetzt und hatte die Frechheit
so weit getrieben, die Köpfe einiger Ermordeten während der Nacht
in die Stadt zu werfen. Ja, sie hatten eben am verflossenen Tage
den Kadhi von Florina selbst im Deweska dagh, der sich östlich an
die Vitch anschliefst, angefallen und ihn zweier Pferde und seiner gan-
zen Habe beraubt. Nachdem ich meinen beiden Geleitsreitern, die sich
mit ihrem Postdienst entschuldigten, ihr unwahres Benehmen vorge-
worfen hatte, sah ich mich doch gezwungen, sie hier zu entlassen,
und mich für einen morgigen Weitermarsch mit zwei Fufssoldaten zu
begnügen. Wenigstens aber nahm ich mir sogleich einen Kauaasen,
um mit ihm, zum Ueberblick der Landschaft, eine benachbarte Höhe
zu besteigen. Wir wandten uns "also auf die nördliche Thalseite der
Schlucht und fingen an, das Gehänge hinaufzusteigen ; als ich aber die
') Könnte diese charakteristische Bildung Anlafs zum Namen Oktdlophos ge-
geben haben (s. oben S. 125)? Dann wäre der gleichnamige Pelagonische Ort, ange-
nommen, dafs es einen solchen gab (Livius 1. XXXI c. 36), was zweifelhaft scheint,
sicher mit Flörina zu identificiren.
Die acht Bergacfelucht«. — flörina und nte Bergkaitell. 153
auf diesem Sporn in S. 30 W. vom Mittelpunkt der Stadt sich erhe-
bende, sehr markirte konische Kuppe besteigen wollte, erklärte dies
mein Führer als ein Werk von mehreren Stunden, und bei der Steilheit
der Wände von nicht geringer Schwierigkeit. Auch fand ich die Be-
steigung, als ich mich dadurch nicht abschrecken liefe und mich wirk-
lich daran machte, während mein Begleiter unten blieb, gar kein leich-
tes Stuck Arbeit; denn die steilen Wände waren höher hinauf mit so
glattem Rasen bedeckt, dafs an ein gerades Ansteigen nicht zu denken
war. Defehalb war es vortheilhaft, dafs sich Anbau ziemlich hoch an
der Kuppe hinaufzog, so dafs ich in wenig mehr als einer halben
Stunde, allerdings schweifstriefend, oben war, noch gerade rechtzeitig
vor Sonnenuntergang, um einige sehr wichtige Winkel zu nehmen, be-
sonders auch, um eine der bedeutendsten Berghöhen dieser ganzen Ge-
gend, die mächtige Vitch oder Vitsi festzulegen, die ich schon vom
Glockenturm von Prilip aus zum ersten Mal gepeilt hatte, diese be-
herrschende Kuppe, auf der Pouqueville im Juni noch Schnee gesehen
hatte ')• Die Kuppe, die ich erstiegen, ist mit den Ruinen eines an-
sehnlichen festen Kastelies bedeckt, das sich auf dem unebenen Ter-
rain des schmalen Rückens lang hinzog und letzteren, der diese kei-
neswegs ganz vereinzelte Kuppe mit dem Bergzug dahinter verbindet
und die wichtige Strafse längs der langen und engen Thalschlucht zu
seinen Fufsen beherrscht, absperrte. Von dem einen Ecktburm des
Kasuelles steht noch ein ansehnliches Stück mit trefflichem Cement ver-
bundenen unregelmäfsigen Feldstein werkes *); im Uebrigen ist fast alles
Mauerwerk über der Erde wie fortrasirt. Noch eben vor völligem Dun-
kelwerden kam ich unten wieder an und eilte meinem schlechten Quar-
tiere zu, wo ich leider auch ein nicht allein einfaches, sondern sehr
schlecht zubereitetes Abendessen fand. Aber, was mich noch mehr
verwunderte und unangenehm berührte, war, dafs selbst die hier ge-
zogenen Trauben höchst indifferenter Qualität waren.
Florina hat wohl eine wichtige Lage an dieser engen Thalstrafse
') Pouqueville t. II. p. 868. Der Name bora, den sie führt, der aber im Al-
tertbum vor Allem der Gornitchöva- Gruppe angehört zu haben scheint (Livius 1. XLV
c. 29), soll im Albanesischen „Schnee" bedeuten, wie sowohl Pouqueville, ebenda
No. 1, als auch v. Hahn in dem, seinen Albanesischen Studien beigegebenen, Albanesi-
schen Wörterbuch besagt, v. ßfyia- — Ein klarer Beweis wie selbst die tüchtigsten
Erdkenner sich in Schätzung von Höhen täuschen können, allerdings aus gröfserer
Ferne und von hochgelegener Basis aus, ist, dafs Boue* in dem von Kastoria aufge-
nommenen Profil dieses Berges (Visquenel, Atlas pl. 22 n. 29), den Vitzi nur zu
950 Meter schätzt, während in Wahrheit seine Höhe mehr als das Doppelte beträgt
a ) Wahrscheinlich ist dies das in der Beschreibung des a. 1097 von den Ita-
liänischen Normannen ausgeführten Feldzuges, Gesta Francorum, cp. 4 erwähnte Ka-
stell: egressi de Castoria intravimw Pelagoniam in qua erat quoddam haereticorum
castrwm q*od undique aggrisri mmw.
154 Reto durch dit Buroplitehe Tlrkei.
aus dem weiten, reichen Lynkestischen Thalkessel des firigon-Karasu
nach Ka8toria (Celetrum) and nach dem Thalbecken des oberen Haliak-
mon mit der alten Orestis und Elimia, und anch im Alterthnme lag hier
wol unzweifelhaft ein Ort, der eben auch noch zu Pelagonia gehörte;
in der That, so unsicher auch, ohne einen Inschriftenfund, andere Punkte
der alten Topographie dieser Gegend vielleicht immer bleiben müs-
sen, unzweifelhaft ist, dafs das Pelagonische Kastell der unten angezo-
genen Stelle der Gesta Francorum eben in diesem, Kastoria zunächst
gelegenen, Engpafs von Florina lag, nicht bei Mönastir. Florina ist
immerhin ein Städtchen nicht unbedeutenden Ranges mit etwa 2000
Häusern, zum gröfseren Theile, zu etwa drei Viertel, von Möslemin
bewohnt mit 7 Moskeen und ist Sitz eines Mudlr, dessen Regierungs-
bezirk, Mudirlik oder Kazä, folgende 33 Dörfer umfafst:
Pisode>, Armenska, Nölan, Neret, Lägen, Neveska, ElöVa, Ddl-
kam£n, zwei Dörfer Kotöre (das eine als unteres oder kleines, ashä
oder kutchuk K. unterschieden), Mahalle, Kutchkoven, Leshowitea, Ne-
gowan, Leskovtsa, Labanitsa, Würtolö, Tseröva, Banitsa, Gornitchöva
am Fufse der gleichnamigen, von Grisebach Nidje genannten, Berg-
erhebung, Tchetina oder S&ina, zwei Dörfer Krisherat, Wosntarin,
Tsakulöwa, Newokäs, Asanöva, O'rtova, Rakhmange, zwei Dörfer
Kälenik, Kiladorob, Kibasnitza oder Kanbasitsa, zwei Dörfer Termia
und Butch (oder Buff?).
Den 10. October kam ich, da ich meine beiden neuen Geleits-
männer in meinem Quartier hatte schlafen lassen, wie ich das, wo nur
immer möglich, zu thun pflegte, ziemlich frühzeitig fort, etwas tot Son-
nenaufgang. Der Morgen war recht kalt, und dicker Nebel, so wie
starker Reif lag auf der Thalebene. Wir mufsten zuerst die ganze
Länge der Stadt in der Thalrichtung durchmessen und traten dann erst
ins Freie hinaus, indem wir das breite Hauptthal zu durchschneiden
anfingen. Zu unserer Rechten fand das Wasser der Schlucht von Flo-
rina seinen Abflufs der Hauptrinne entgegen, die aus den Abzögen
der verschiedenen, tief eingeschnittenen Schluchten zur Seite der Vitch
angesammelt, bei den Alten den Namen Osphagus (Livius 1. XXXI
c. 31) geführt zu haben scheint und den Hauptzuflufs des Erigon-Ka-
rasü bildet. Ihn erreichten wir gleich hinter dem halbverlassenen Dorf
Ladzeri, während Armenöd, besonders durch ein stattliches Gutsge-
bäude oder Tschiftlik kenntlich, sich zur Linken in einiger Entfernung
zeigte, und eine ansehnliche Viehheerde das umliegende Land belebte.
Auch die verschiedenen, so bestimmt und eigenthömlich ausgeprägten,
Gebirgssporne zur Rechten, zum Theil von ansehnlichen Kuppen über-
ragt, boten ein recht schönes und interessantes Profil und luden zu
einer näheren Betrachtung ein; aber diese Berglandschaft scheint wirk-
Thalgehiet Ton Elftina. — Pottttatioa Bamtsa. 155
lieh Augenblicklich in einem sehr wenig geordneten and sicheren Zu-
stande jd sein. Wir hielten uns mitten zwischen den beiden Ddrfern
Peshvichlitsa und Boroshnitsa hin, das erstere ein kleiner Ort, der halb
als Dorf, halb als Landgut anzusehen ist, das letztere von ansehnlicher
Gröfse, so dafs ich mich wunderte, dafs beide nicht in meiner oben
mitgetheilten Liste der Dörfer dieses Regierungsbezirks standen, wäh-
rend das doch mit dem entfernt am Gebirgsgehänge liegenden Bösh-
toran oder Wöshtarän der Fall ist. Je mehr wir uns dieser östlichen
Thal wand näherten, um so deutlicher erkannte ich, dafs die Höhen auf
dieser Seite keine zusammenhängende Kette, sondern seitwärts sich
neben einander lagernde Gruppen bilden.
Nach dreistündigem Marsch von Florina erreichten wir wieder eine
jener charakteristischen Gruppen von zwei Eichen, von denen ich schon
einige Mal gesprochen habe, und hier machte ich um so lieber einige
Minuten Halt, weil ich von hier aus eine hübsche Uebersicht hatte und
meine Peilungen kontroliren konnte. Die Strafse war im Gauzen we-
nig betreten, aber einige Ladungen von Kailar oder den diesseit lie-
genden Dörfern herkommender Weintrauben fielen mir auf. Bald da-
hinter" traten auf der Linken die Hügel heran, und man sieht dann immer
deutlicher das Dorf oder Städtchen Banitsa, wohin schon vorher ein
Seitenweg sich abzweigte. Es ist auffallend, dafs dieser Ort früher
ganz unbekannt geblieben war, da er von ansehnlicher Bedeutung zu
sein scheint, nicht allein wegen seiner 300 Häuser, sondern auch als
Poststation. Schon weither sichtbar, hatte uns der grofse Khan entge-
gengeschaut, wo ich wol sicher besseres Quartier gefunden haben wurde,
als in Florina. Aber, obgleich wir ihm bis auf 5 Minuten uns näherten,
und obgleich meine Fuhrer dort gar zu gern Frühstficksrast gemacht
haben wurden, erlaubte jetzt die Kurze meiner Zeit nicht mehr, die
versäumte Bekanntschaft mit diesem Orte nachzuholen. Wie es übri-
gens in dieser ganzen Thalebene fast gar keine Mohammedanische
Dörfer giebt, so ist auch Banitsa eben so wie das etwa eine Viertel-
stunde entlegene Zaburdero ausschliefslicb von Raya oder Bulgaren
bewohnt. Während Banitsa auf den Karten fehlt, weisen sie hier in
dieser Gegend, aber allerdings nicht an dieser selben Stelle einen Ort
auf, den es hier gar nicht gibt, nämlich ein Banya ! ).
Wir rückten nun mit der direkt von Mönastlr kommenden Strafse
auf den Pafs zu (die iaßoXq ttjg jjvyxov Thuc IV c. 38), zu dessen, aller-
dings wenig charakteristischer Verengung die Hügel sich von beiden Sei-
ten zusammenzogen. Es ist eben ein „ Waldpafs", kyr derbend, kein Fels-
') Dieses Banya beruht wahrscheinlich auf der Auctorität Pouqueville's , nicht
des berühmten Reisenden, sondern dessen Bruders, der seinen Bericht von dieser
Stttfnw den* Werke Jene* einverleibt hat t. II. p 4*7.
156 R«iM durch die Europitoeftie Türkei.
thor, und es ist interessant zu vergleichen, dafs auch im Altertlram dieser
nach Eordaea fuhrende Pafs nach Livius (I. XXX c 39) beredter Beschrei-
bung eben durch seineu Waldreichthum die meiste Schwierigkeit darbot
Allerdings sieht man jetzt kein eigentliches Walddickicht mehr, and die
Hügel zur Rechten sind nur mit Unterholz von Eichen bekleidet. Ziemlich
am Anfang des gewundenen Passes liegt ein mezir oder leere Grab-
kammer, deren Geschichte mir unbekannt ist. Wir durchschnitten
jetzt nicht gleich den ganzen Pafs, sondern wandten uns nach dem, in
einer von frischgrüner Saat prangenden Kesselerweiterung, seitwärts
vom Wege, liegenden Dorfe Tserowa, um hier eine kleine Rast zu
machen. Der Weiler hat nur 23 Häuser, aber wir fanden da einen
ganz geräumigen Khan mit grofser Stallung unten und niedriger, halb-
offener Halle und Wohnung oben. Während die Männer ihren ver-
schiedenen Beschäftigungen nachgingen, waren die Frauen unablässig
mit Wergmachen beschäftigt. Heimischen Käse findet man gewöhn-
lieh selbst im kleinsten Dorfe und meist auch Eier. *
Um Mittag setzten wir unseren Marsch fort, indem wir nnn auf
dem Seitenweg die Hauptstrafse wieder zu erreichen suchten, und bald
zur Linken einen direkt nach dem am See liegenden Dorfe Kotertska
fahrenden Pfad sich abzweigen liefsen. Hier wird der Pafs schon
ganz offen, aber die Landschaft hat einen öden und unheimlichen
Charakter, ein rauher sich zum Seebecken absenkender, schwer zu pa#-
sirender Kalkboden, dem vormaligen Bette eines Wassersturzes ans dem
höheren Thalbecken von Mönastfr in diese Kesselbildung auffallend
ähnlich. Schon hier ward die „Schau-Kuppe" oder die Göz-tepe* in
Wahrheit unser Markstein. Als wir so abwärts stiegen, öffnete sieh
plötzlich zur Linken zwischen den nackten Kalkmassen der blaue See
und zeigte an dieser Ecke auch einigen Pflanzenwuchs, indem schöne
Baumgruppen und kleine Weinberge sich nach dem Dorfe Kotertska
hinzogen, das von ansehnlich hohen und nackten Kuppen überragt
wird. Die Ausdehnung dieses Sees aber ist gering, obgleich er nicht
ganz so klein ist, als gewöhnlich angegeben; er heifst Pepertska-göl and
steht mit dem gröfseren See von O'strovo in keinem Zusammenhang.
Von drüben ragte der Minaret von Kotchena herüber. Bald darauf
entwickelte sich auch zur Rechten eine ganz interessante Ansieht, im
Vordergründe bei etwa 2 Meilen Entfernung das Dorf AdS-eksi-su,
benannt nach seinem Sauerbrunnen, vor einer niedrigen Bergkette ge-
legen, dahinter nach SW. der mit dem sprachlich, wie sprachgeschicht-
lich seiner weiten Verbreitung halber, so interessanten Namen Klis-
süra bezeichnete Pafs mit einem, an dem von Süden zur Pafsverengnng
vorspringenden Bergrücken liegenden, Kastell des Ortes — so schien
es wenigstens, jedoch konnte ich darüber keine klare Auskunft erhal-
ten. Durch diese Klissüra fuhrt die Strafse nach Grabene. Leider
Dar Pafs dar Lynkos. — Eintritt in Eordaea mit seinen Seebecken. 157
erhielt ich kein klares Bild, wie diese Höhen zur Rechten mit den, die
Thal -Ebene von Florina nach S. abschliefsenden Bergspornen, die doch
offenbar einen gemeinsamen Wurzelstock haben, in Zusammenhang
stehen. Sonst erhielt ich von dem unebenen Terrain aus manche be-
deutende Peilungen entfernter Kuppen, so auch, wie es schien, nach
einer der südlicheren Kuppen der Peristeri, wahrscheinlich der früher
von mir mit c bezeichneten, die aus weiter Ferne über die näheren
und niedrigeren Höhen herüber ragte.
Nachdem wir endlich das in verschiedensten Stellungen vor uns
und zu unserer Seite erscheinende Dorf Sörovitch, um das sich meine
schon ermattenden und nach Ruhe sich sehnenden Führer wie im Zau-
berkreise herumdreheten, zur Seite gelassen hatten, betraten wir das
eigentliche Weinland dieser Gegend, dessen Früchte uns schon früher
begegnet waren ; denn, so weit das Auge blickte, bis an einen leichten
Hügelzug, der sich zur Linken parallel hinzog, war Alles mit Wein
bedeckt, und gerade zogen, von Jung und Alt, Buben und Mädchen
bestiegene Karren zur Weinernte aus; aber die meisten Gärten waren
schon geplündert, und Pferd, Esel, Rind und Ziege schwelgten in den
frischen Blättern der Stocke.
So wie wir aber, nun allmählich ansteigend, den höchsten Punkt der
Ebene erreichten, hörte auch die Weinkultur auf und in Tuffkalk, dann
auf Sandboden, ging es abwärts auf das Dorf Elliwitch zu, das sich,
nur von Mosleminen bewohnt, in zwei ganz getrennten Quartieren* zu
beiden Seiten der Moskee lagert. Lange vorher, ehe wir dies Dorf er-
reichten, erschlofs sich zu unserer Linken der von ansehnlich hoben,
aber abschreckend kahlen Bergen eingeschlossene gröfsere lacus Be-
gorrites der Alten mit O'strovo und seiner wirklich „inselhaft" in den
See hinausragenden Moskee an seinem Nordufer, während zu gleicher
Zeit im hellen Sonnenglanze ein Tbeil des Sees von Kastoria in wei-
ter Ferne zur Rechten sichtbar wurde. Dorthin müssen also die Hö-
hen viel mehr unterbrochen sein, als die gewöhnlichen Karten ange-
ben. Als wir dann um 3j Uhr von diesem erhöbeten Terrain hinab-
stiegen, schimmerte uns auch schon, hinter kleiner Hügelung zur Rech-
ten hervor, der Minaret des Dorfes Tschaltchilär entgegen, wo wir
unser Quartier nehmen wollten, im Fall wir eine leidliche Aufnahme
finden sollten. Denn anhalten mufsten wir hier, da ich meine bei-
den Geleitsmänner zu wechseln hatte, deren Machtbereich hier auf-
hörte.
Wir wandten uns also zuerst nach dem Konak des kleinen Or-
tes, einem ganz vereinzelt zur Ueberwachung der Landschaft hoch em-
porragenden Gebäude, in dessen oberer offenen Halle wir den Macht-
haber dieses Ländebens und bei ihm freundlichste Aufnahme fanden. In
der Thal lad mich Emin Bey, so hiefs er»: mit solcher Freundlichkeit
]58 B*i»« Jure* die Europäische Türkei.
zu bleiben ein, mit dem Versprechen, mir diesen Konak selbst fBr die
Nacht zu überlassen, dafs ich ohne Widerstreben darauf einging, da loh
eines theils nicht gern im Dunkeln in Kailar ankommen, andererseits von
der Umgebung des Sees noch gar gern etwas Weiteres sehen wollte.
Und auch dazu bot der rüstige und lebendige Bey frwm dlichst «nd
zuvorkommend die Hand, indem er, da er gerade seine Amtsgescbifte
abgemacht hatte, sogleich mich aufforderte, mit ihm einen Spaziergang
nach dem See zu machen. Darauf ging ich bereitwillig ein, indem
ich meinen ermüdeten Leuten und Thieren gern Ruhe gewährte, und
auf machten wir uns, Emin, sein Diener mit seiner Jagdflinte und ich
im schnellsten Schritt dem See zu. Aber, obgleich ich ein- ganz leid-
licher Fufsgänger bin und gut ausschreite, hatte icb doch Muhe 1 , mit
meinem moslemischen Freunde Schritt zu halten, so rüstig und leicht
floh er dahin, den anmuthigen Pfad zwischen den Weingarten entlang.
Denn die ganze Ebene zwischen dem Dorf and dem See ist mit Wein-
bergen angefüllt. Mächtig wie wir dahin eilten, erforderte der Marsch
zum Seeufer nur zwanzig Minuten; aber es ist nur das schmale«*,' süd-
liche Ende des Sees, das sich vom Dorfe Neovrat an, das wir nahe
zur Linken gelassen hatten, zwischen ihm und den auf ' de* an d er en
Seite, am Ufer der nackten Berghöhen, gelegenen Dörfer Kdssilar und
Morovat weit hinein zieht. Die Höhe des Sees beträgt 1686 Fnfe
Mein Begleiter konnte nicht genug klagen über die trockene and
wasserarme Natur dieser Berge, die die Bewohner dieser Dörfer in der
trockenen Jahreszeit ganz allein auf das Wasser des Sees anweise.
Der in seinem nördlichen Theile recht tiefe See ist zwar fischreich, aber
der Fang ist sehr ungleich begünstigt, je nach Wind und Wattsr bald
an diesem, bald an jenem Ufer. Jedes der anliegenden Dörfer beafcst
mehrere Kähne; übrigens liegen die Dörfer an der Ostseite ansehnlich
von seinem Ufer zurück, wie ich ihre Lage von mehreren Funkten
aus peilte. Den Längsdurchschnitt des Seees mafs ich von S.25W.
bis N. 25 O., sah aber leider von hier nicht die Stadt O'strovo; jedoch
überzeugte ich mich durch meine Winkel , dafs der See keineswegs
so lang sein kann, wie er auf Kieperts (früherer} Karte erscheint
An dem westlichen Ufer der sackähnlichen südlichen Verengung des
Beckens breitet sich ein ansehnlicher Gräberhof aus, der mehreren Dör-
fern gemeinsam zu sein scheint, und hier liegt, hart am Seeufer, unter
anderen, weniger gut erhaltenen, antiken Trümmern eine Römische stahtm
togata. An alter Kultur fehlte es der Landschaft Eordaea am Lactu
Begorrites keineswegs, und mehrere Städte oder Städtchen lagen hier
umher, obgleich es schwer ist, den einzelnen ihren ganz bestimmten
Platz anzuweisen. Griechische oder Lateinische Inschriften fand ich
nicht. Dagegen gehen auch die Arabischen Grabschriften doch •
hinauf, als man gewöhnlich annimmt» bis über zwei Jahrhunderte.
TchalteaUir und muh Bey. — Laeua Beforrites. 159
Als ich mit meinem Begleiter von diesem Spaziergange nach dem
Städtchen zurückgekehrt war, lud er mich ein, mit ihm nach seinem
.Hanse zu kommen und an seiner Abendmahlzeit Theil zu nehmen,
und obgleich ich mir mit meinen Leuten schon ein ganz leidliches
Abendessen bestellt hatte, konnte ich seine Einladung doch nicht gut
abschlagen. So folgte ich ihm denn und mit uns ging ein ganzer Trofe
von Gasten. Er hatte ein kleines, aber wohlh&big und behaglich ein-
gerichtetes Wohnhaus oben im Dorfe, wo wir zu beiden Seiten eines
lodernden Kaminfeuers Platz nahmen und bald einem sehr reichen
Abendessen von neun Gängen volle Ehre erwiesen. Unter diesen
Gängen fiel es mir auf, data als fünfter ein Schöpsenbraten mit rohen
Trauben servirt wurde. Nach der Mahlzeit und nach dem Kafte ge-
leitete mich Emin Bey wieder nach meinem Quartier im offiziellen
Konak und trank noch Thee bei mir. So entsprach Emin Bey ganz
und gar den kleinen Herren vom militärischen Adel dieses Landes,
die gut und lustig leben, ohne viel an die Zukunft zu denken, wie
Poaqueville • ) von ihnen eine so lebendige Schilderung entworfen hat.
Das Dorf Tchaltohilar hat zwei Moscheeen und wird ausschliefs-
lich von Mohammedanern bewohnt in 1 50 — 200 Häusern. Zu seinem
Bezjrk geboren noch drei andere Dörfer, nämlich Kilartsa, Ukelemes
und das oben erwähnte Kössilar.
Da ich meine beiden neuen Führer, die mich übrigens nur den kur-
zen Weg bis Kailar begleiten sollten, wiederum in meinem Quartier schla-
fen liefs, kamen wir mit Tagesanbruch fort, und nun entwickelten sich
die vereinzelten Kuppen vor uns, von denen wir schon gestern ein-
zelne Blicke gewonnen hatten, immer deutlicher, besonders die so weit
sichtbare Kis-tepä oder Göz-tepe. Heute jedoch hielten wir uns öst-
licher, mehr auf die breite tafelförmige, aber an den Gehängen stark
eingerissene und ausgeschlachtete Kuppe Boghäz-tepe zu, die ihren Na-
men hat von dem an ihrem westlichen FuTs durch das Gebirge führenden
Engpafs, durch den ein Weg direkt über das, eben nach diesem Boghäz
genannte Boghäz- köi, nach Gräbene oder Grevena geht, ohne Shatista
zu berühren. In der tieferen Fläche kam die Gerste schon hervor; dann
aber stiegen wir höher anwärts auf eine meist unbebaute, kahle Hoch*
ebene. In diesem höheren Terrain bildet die, von einem Bache und von
mehreren anderen Dörfern belebte, Einsendung von Albänköi eine hüb-
sche Abwechselung, und auch hier wiederum stand die Gerste sehr schön.
Von hier stiegen wir wieder an und übersahen nun immer klarer die Stadt
') Pouqneville t. II p. 889 vergl. mit dem Bilde, das er p. 844 von den Bar-
darioten entwirft, der geistreichsten und aufgewecktesten Klasse der Bewohner Ma-
kedoniens. Vergl. zu dieser fremden Aristokratie Makedoniens von Hahn, Albane-
3. 810«
160 Bebe <Huth die JEaropÜsch« Tfcfcei.
Kailar mit ihren 4 M inarets, dem Anscheine nach nahe am Fufs der ho-
hen Kuppe gelegen, während darüber, von der Mitte der Höhe, an einer
von der Kuppe herabsteigenden Schlucht das gleichfalls durch einen
Minaret ausgezeichnete Dorf Hassan -koei herabschauete. Leider lag,
ungeachtet es ein sehr schöner Herbsttag war, oder vielmehr eben in
Folge davon, ein so dicker Nebel am Fürs der fernen Gebirge, dafe
ich die Gestaltung des an die Klissura sich anschliefsendeö Bergznges
keineswegs klar überschauen konnte.
Wir stiegen dann zu kurzem Aufenthalt in dem ganz an der Ecke
des Ortes gelegenen Kbän ab, und war ich hoch erfreut, von der offenen
Holzhalle aus eine weite Ueberschau der Landschaft und Gelegenheit
zu einer Menge Winkelpeilungen zu gewinnen , und hier war es zam
ersten Mal, dafs ich einen klaren Anblick des über alle Vorderhöhen
aus der Ferne herüberragenden Hochkammes des Olymp gewann.
Vom Khane aus zieht sich eine breite, aber ungepflaeterte Strafse
in den ländlich auseinander gelegenen und mit einigen Bäumen ge-
schmückten Ort hinein, der entschieden mehr das Aussehen eines Dor-
fes, als einer Stadt hat. Es war überaus still, und drei mit rothen Unter-
kleidern unter ihrem weifsen Ueberwnrf nett angethanene Mnselmännin-
nen waren fast Alles, was ich von irgend welchem Verkehr sah. Auch
war gar nichts zu haben, und alle Buden waren geschlossen. ' Diese
beschränken sich auf einen kleinen, eng zusammengebauten^ aber ge-
müthlichen Bazar, gerade unserem Khan gegenüber. Da entwickelt
sich denn am Mittwoch ein kleines Marktleben und dar müssen steh
die Leute für die ganze Woche verproviantiren. Üebrigens zerfallt
Kailar — das ist die richtige Namensform — in zwei vollständig ge-
trennte Quartiere, ein unteres, gröfseres Kailar asha (ashagha) mit drei
Moskeen und einem kleineren Kailar yükari mit nur einer einzigen
Moskee, und beide zusammen mögen 800 Häuser zählen, sämmtüch
von Mosleminen bewohnt; aber selbst das obere Quartier liegt vom
Fufse des Gebirges noch durch ansehnlichen Zwischenraum geschieden.
Der Ort, wie er eigentlich keine Stadt ist, hat auch keinen Mudiir, son-
dern nur einen Muläzim, Namens Beyzet Agha. Doch gehören 44 Dör-
fer unter seine Botmäfsigkeit mit Einschlufs der beiden Kailar ').
') Diese Dörfer sind: Albän-köi, Kürtlir, Kötschtik-kSl, Inelli, Trepitsa,
Kozelü-köi, Woiwodinaköi, Rangowitsa, Barak ly, Aslina, Trebina, Kumäna, Djuwaa,
Djerely, Haidarly, Karagltsch, Herdomuschlü, Karabunar, Durdjutlar, Hassan -koei,
S^lpowa, Emböria, Rädonüsh, Tchishan tschiftlfk, Ktfrdjowa, Demfrdjilar, Tarak-
tcbila>, Dedelar, Shainlar, Harn bar tchdkurü, Trawdain'tsa, Kodjamät, Kutschdk MaÜe
Menteschely, Trtisalar, Dienly, Kail-owa-sf und Bitsa. Mehrere dieser Namen bezeich-
nen Gewerke, wie z. B. Taräktchilar, das „Dorf der Kammmacher* bedeutet; Embörit
„Handelsplatz*? Der Name Kail-owa-sf „die Ebene von Kail* steht in Beziehung
zu der Singularform des Namens Kailar, „die beiden Kail*. — loh erkundigte rieh
Kailar und seine Thalebene. — Kein Seebecken. \Q{
Auffallend enttäuscht hatte mich der ganze Charakter des Ortes,
weil ich hier einen, wenn auch nicht ausgedehnten, so doch lebendigen
See erwartet hatte. Davon aber ist hier nicht die geringste Spur, und eine
ganz kleine Entenpfätze dicht vor unserem Khan war das einzige Was-
serbecken, was man hier augenblicklich gewahrte. Allerdings schwillt
der in der Sohle des Thaies dem See zufliefsende Indje-sü (Eordai-
cus) im Winter an und dann nur zu Boot passirt wird; auch mag ge-
legentlich ein kleines Sumpfbecken gebildet werden, besonders in der
weiterhin zu beschreibenden Kesselformation, aber an einen eigent-
lichen See ist nicht zu denken. Schon der treffliche Grisebach (II.
S. 152 ff.) hat mit Recht das Dasein eines besonderen kleinen Sees
bei Kaliari (Kailar) bezweifelt, da er vom Gipfel des Nidje (Gor-
nitchöva), nichts von einem solchen gesehen. Allerdings dehnt er nun
den lacus Begorrites viel zu sehr nach S. aus, fast bis nach Kailar ! ),
Um halb elf Uhr schon setzte ich mit meinem neuen, glücklicher-
weise berittenen Führer meinen Marsch fort, im Ganzen ziemlich auf
eine spitze Kuppe zu, die den von der Tafelkuppe des Boghäz-dagh
allmählich heranziehenden Höhenzug nach Ost abschliefst, oft aber mit
kleiner westlicher Abbiegung mehr auf die Göz-tepä zu. Die Land-
schaft hat einen eigentümlichen Charakter, eine Art unregelmäßiger
Thalebene von nackten, höchst trockenen und dürr aussehenden Berg-
massen umgeben: die Bergmasse, die in dem tafelförmigen Boghäz-dagh
culminirt, mit mehreren Spornen vortretend ; das Gebirge vor uns, meist
in vereinzelnen konischen Kuppen ansteigend, während im Gegensatze
zu jener Trockenheit der Boden selbst gerade in frischen, jungen Ger-
stenfeldern aufsprofste ; hier war sogar schon Waizen aufgekeimt Be-
sonders eigentümlich nimmt sich von hier der schmale, halbhufeisen-
förmige Streif der beiden Dörfer aus; vom oberen zieht sich ein Baum-
streif dem Gebirgsabfall zu.
Nach 40 Minuten rückten wir in einen grünen Hügelpafs ein, den
mein Führer Dud-lar bogäz-si nannte und der wol einst der Abflufs
eines kleinen Seebeckens gewesen sein mag, auch vielleicht zu Zeiten
nach dem Weg von hier nach dem ganz ausschliefslich von Christen in etwa 2500
Häusern bewohnten Sedjista oder Shitiata, einem Marsch von circa 10 St., der sich
folgendermaßen vertheilt, 8 St. bis Kürdjuwa, einem Orte von 70 — 80 Häusern,
1 St Kalbudjilar, { St. Taraktchilar, i St. Bagtche Lobawi, J St. Sarannar; dann
passirt man ganz nahe hinter einander die Dörfer Sheinlar, Dldettr und^Hambar-
tchdkurfi, worauf man einen vierstündigen Harsch bis Shätista ohne Dorf hat.
') Sonderbar jedenfalls ist die Bemerkung Leake's n the name Sarighioli is a
Twkitk word, meaning yellow lake; the common tue of which by the Qreehe m pre-
ference to their synonym kfivy xitoivrj shows that we here approach the limit of
general tue of the Greek language. Sarighioli comprehendi a large extent of levtl
cotmtry, tubject to mmdaUone one of which ie t* part permanent.
11
162 Rtt* e durch die Europiische Türkei.
selbst jetzt noch ist, da die Mergel -Schichten auf beiden Seiten einen
sehr übereinstimmenden Charakter haben; das grüne Becken hinter der
Verengung war auch zur Zeit stark sumpfig. Jedoch flofs gegenwär-
tig hier nur ein mäfsiger Bach entlang, an dem gerade eine Schaf heerde
getränkt wurde. Auf der anderen Seite desselben zog eine belebtere
Strafse, die sich weiter oben bei einer Brücke mit der unsrigen vereinte.
Allmählich verflachte sich wieder die Umgürtung dieses kleinen grü-
nen sumpfigen Beckens, und die Senkung des weiteren, von höheren
Bergmassen eingeschlossenen Thaies zog sich etwa 3 Stunden in die
Breite, wo dann mehrere Dörfer sich an dem entfernten Abhang zur Lin-
ken zeigten, unten auch das gröfsere Djumaa, wenn anders mein Füh-
rer nicht ihre Namen etwas unter einander verwirrte. Nur ein kleiner,
langgestreckter Hügelzug unterbrach den Thalboden und an ihm lag das
kleine Dorf Tschiftlik-koei. Fast drei Stunden dauerte es, ehe wir den
Fufs der, von den zur Rechten immer näher heranziehenden Höhen vor-
springenden, oben bezeichneten Kuppe erreicht hatten. Hier liegt das
Dorf Herdomuschlü in schönem Baumschmuck, der sonst so sehr der
Ebene fehlt, und neben dem Minaret, der das ausschliefslich von Osmanli
bewohnte Dorf bezeichnet, ragte ein recht stattliches Privathaus stolz
hervor. Auch die Ackerkrume war hier allem Anschein nach ausge-
zeichnet. Um den Sporn dieses Höhenzuges herum liegt ein anderes
Dorf Karagatch, ebenfalls mit schönem Baumschmuck, und von ihm
aus schnitt ein anderer Weg quer durch den unserigen hinüber nach
dem Winkelpafs der Tbalebene zur Linken, wo zwei Dörfer Eskakular
und Doertale am Fufse einer ausgezeichneten Kuppe liegen. Hier
trat der Olymp oder, wie ihn mein Führer nannte, der Katarina
Dagh, wie er die Kuppen im Vordergrunde überragte, deutlicher her-
vor, und die im beiliegenden Holzschnitte wiedergegebene, ohne Be-
nutzung des Fernrohres gemachte, Skizze mag wenigstens dazu dienen,
zu zeigen, wie eigentümlich sich hier (im Hintergrunde zur Linken) der
Einschnitt an den Hochkuppen darstellt, fast wie eine Rolandsbresche.
Hier ward auch unsere Strafse etwas belebter, indem wir eine
von Weisse herkommende, mit Fellen beladene Pferdekarawane ein-
holten. Ueber einen kleinen steinigen Nacken auf der Linie der
Göz-tepe und anderer ähnlicher Kuppen zur Linken, und schwarzer
Untergeordnete Gebirgsgheder. — Kostine und teto Glockenturm. 163
Kuppen zur Rechten verlie&en wir dann diese grofee Thalebene und
traten in ein kleines Seitenthal ein, über dessen südöstlichen Rand eine
kleine Kuppe, wahrscheinlich der, die Stadt Kozane im W. begrenzende,
heilige Ellas, herüberragt. Sehr bezeichnend ist es für die so eigen-
tümlich gemischten socialen Zustande dieser Landschaften, dafs das
in zwei getrennten Quartieren oder mahale, im Kesselabschnitt dieses
Thaies, auseinandergelegene Dorf, wie es in der That ausschließlich
von Mohammedanern bewohnt ist, so auch den Gegensatz gegen die,
gleich hart jenseit der schmalen Felsenscheide gelegene, grofse christ-
liche Gemeinde in seinem Namen I'slamly voranträgt. Gleichwie diese
ganze Landschaft, in dieser Jahreszeit wenigstens, an Dürre und Trok-
kenheit leidet, so war auch der Born oder tcheshme am Fufs des Felsen-
riffes, wo wir die Pferde tränken wollten, fast ganz ohne Wasser.
So wie man die Höhe des Kammes erreicht hat, steigt man auch
schon längs der Weinberge wieder abwärts, dem stolz emporragen-
den Glockenturm des christlichen Kozane oder Közena entgegen.
Dann betraten wir die belebte Stadt und freueten uns des wohlhäbi-
gen Ansehens der zum Theil von Gärten umgebenen stattlichen und
schmucken Häuser; denn sie sind meist geräumig und einige sind
wirklich schon zu nennen. So wandten wir uns über den gut und
reichlich ausgestatteten Markt nach dem Khan, wo ich doch ein leid-
liches Gemach fand. Jedoch hielt ich mich nicht lange darin auf, son-
dern machte sofort einen Spaziergang durch die Stadt und bemühete
mich besonders, den Glockenturm zu besteigen, der einen interes-
santen Ueberblick versprach. Dieser Thurm ist das schönste derartige
Gebäude, das ich in der Türkei gesehen, ist aber auch erst vor 2 Jah-
ren mit einem Aufwände von 90,000 Piastern erbaut worden und er-
hebt sich mit seinem sehr soliden Quaderwerk in frischem Farben-
schmuck zu einer Höhe von 46 Ellen; besonders schön und rühmens-
werth aber ist, dafs er wirklich oben eine ganz freie, höchst bequeme
und ungehinderte Umsicht bietet, während alle übrigen Glockentürme,
die ich bestieg, gar nicht zu solcher Rundschau bestimmt, sondern oben
bedeckt und spitz abgeschlossen sind. Aber wohl können die Griechen
von Kozane auf ihren Thurm nicht allein, sondern auch auf die Aus-
sicht, die er bietet, stolz sein, denn eine grofsartigere Ansicht vom Olymp,
wie er schroff über die recht hohe und prächtig eingeschluchtete süd-
östliche Felswand des Karasü-Thales und die Volustana, das eigentliche
Thor Thessaliens, herüberragt, kann man wohl nicht leicht von einem
anderen Punkte aus gewinnen, und theile ich defehalb hier die von
diesem Punkte aufgenommene, ungekünstelte, aber treue Skizze, die
freilich nur die materielle Seite dieser wahrhaft glorreichen Ansicht
darstellt, im Holzschnitt mit. Möge ein Künstler einst dieses prächtige,
11 *
164
Reis* durch die Europüsohe Türkei.
wahrhaft klassische Gemälde in aller seiner Farbenpracht ausführen,
wozu er dort oben auf der schönen Terrasse des stattlichen Glocken-
turmes die nöthige Ruhe und Bequemlichkeit findet.
Mehrere Schüler der Stadt waren mir auf den Thurm gefolgt, ga-
ben mir alle mögliche Auskunft über die betreffenden Punkte der Um-
sicht und freueten sich unaussprechlich, als sie mich die mir mitgetheilten
Namen auch Griechisch schreiben sahen. Leider waren von diesen Na-
men nur wenige zur bestimmten Identificirung der gepeilten Höhen zu
gebrauchen, da ich die wenigsten derselben auch noch von anderen
Punkten aus abwinkein konnte; auf dieser Unsicherheit eben beruht
das auf der Karte den Namen zugefügte Fragezeichen. Noch gröfser
ist die Unsicherheit wegen genauer Anwendung der klassischen Berg-
namen dieser Gegend, mit Einschlafe des Bermius. Schon, ehe ich
den Thurm bestieg, hatte ich mich in der an seinem Fufse liegenden
Schule umgesehen und über ihren Zustand Erkundigungen eingesogen.
Da hörte ich denn, dafs die jährlichen Mittel derselben 30 bis 50,000
Piaster betragen, wofür denn auch drei Lehrer des Hellenischen und
Lateinischen gehalten werden.
So war ich nun plötzlich eine ganz populäre Person im Orte ge-
worden, und kaum war ich vom Thurm herabgestiegen, als ich drin-
gend zum Metropoliten geladen wurde. Er bewohnt ein recht stattli-
ches und hübsch eingerichtetes Gebäude mit freier malerischer Aussicht
und empfing mich an der Treppe, und als ich nun in sein Prunkge-
mach eingetreten war, versammelte sich schnell eine ganze Gesellschaft,
die natürlich mit ihren Fragen etwas einförmig wurde, aber doch
auch wieder in ihrem Einklang eine angenehme Wirkung hervorbrachte;
denn Alle bemüheten sich, mir als Deutschem etwas Schmeichelhaftes
zu sagen (ein Kompliment, das uns in der Fremde nicht eben zu oft
gemacht wird), und ein Paar deutsche Worte zusammenzubringen ').
') Vergleiche hierzu die schon von Leake Travels in N. Greece I. p. SO 7 über
die Kenntnifs des Deutschen in Shätista und Umgegend gemachten trefflichen Be-
merkungen mit dem Schlafs „Germern is of course very gentrally *pokm m t
Grofsartige Ansicht des Olymp — Schuljugend u. Metropolit von Kozrfne. 1 65
Zum Theil beruht das allerdings darauf, dafs der Handel «wischen Eo-
zäne und Deutschland, besonders natürlich Wien, bedeutend ist, wenn
auch vielleicht nicht so bedeutend, wie der des benachbarten Shatista
und einiger anderer Städte der Umgegend. Das Geschäftsleben in der
Stadt ist sehr rege und jeden Montag, Donnerstag und Sonnabend
wird Markt gehalten; Sehr erfreut war ich nun auch, hier in der
Gesellschaft des Metropoliten bestimmte Auskunft über die Fahrten
des von Saloniki nach Athen gehenden Griechischen Dampfschiffes
erhalten zu können, eine Auskunft, um die ich in Mönastir, selbst beim
Griechischen Konsulat, vergeblich mich bemüht hatte, und so war ich
denn doch sicher, am 19ten ein Dampfschiff dort zu finden und konnte
demgemäfs meinen Reiseplan danach einrichten, am 18ten dort einzu-
treffen. Als ich mich nun vom Metropoliten, der 'Eßevnog heifst, empfoh-
len hatte, und in meinen Khan zurückgekehrt mein frugales Abendbrod
verzehrte, brachten zwei Diener des Ersteren mir als Gastgeschenk
zwei grofee mächtige Doppelflaschen sehr ausgegeichneten Weifswei-
nes, des berühmten bei Shatista wachsenden yXiovfuror, und eine Art
Torte. So konnte ich denn mit meiner Aufnahme bei der Griechischen
Bevölkerung dieser Stadt wohl zufrieden sein. Uebrigens ist der eigent-
liche Sitz dieses Metropoliten Servia, wo wir schon am Ende des
IX Jahrhunderts einen Bischof der Provinz von Thessalonike finden.
Früh am folgenden Morgen (Sonntag, den 12. Oktober) wa-
ren wir in Bewegung, da ich noch am Abend den Zährte* sammt sei-
nem Pferde zu mir in mein Quartier genommen hatte und um 5£ Uhr,
als es kaum hell war, ging es zur Stadt hinaus an den zum Theil mit
Wein bestellten Hügeln zur Linken entlang, derselben Kette, die sich
an den weitsichtbaren Göz-tepe anlehnt; auch treffliches Ackerland
liefe sich sehn. Von hier aus zeigte sich nun der Olymp mit seinen
verschiedenen Kuppen wirklich als ein Sitz des Göttercyclus, während
die Berggruppe zur Linken sich in vereinzelte Höhen gänzlich son-
derte und löste. Hier stiegen wir nach der ersten Marschstunde durch
eine im Kalktuff tief eingerissene Schlucht, die zwischen den beiden
Hauptkuppen herabsteigend, in gerader Linie sich in die rauhe Ebene
zur Rechten hinabzieht. Diese Schlucht führt den Namen Djirdjilar
dere-si nach dem benachbarten Dorfe Djirdjilar, das durch hübschen
Baumwuchs und einen Minaret ausgezeichnet und von Kuppen überall
überragt, in einer Einbiegung zwischen den Höhen liegt. Es ist so
recht ein Sitz für das behagliche zurückgezogene Leben des Osmanli, der
die ausschfyfsliche Bevölkerung des Dorfes bildet; Djirdjilar macht den
Anfang des Regierungsbezirks von S&vidje. Das, aus jenen Höhen
sich herziehende Terrain senkte sich zur Rechten in unregelmäfsiger
Lehne, aber es war augenblicklich wenigstens nicht angebaut, sondern
jgß Reise durch die Europäische Türkei,
nur mit verkrüppelten Birnbäumen spärlich bestanden, nnd Anbau
zeigte sich erst in der Nfihe eines anderen Einschnitte», der diese
Lehne quer durchzieht und durch seinen flachen Boden, der keines-
wegs auf eine grofse Wassergewalt schliefen l&fst, der es zu Zeiten
als Abzugskanal dienen mag, besonders auffallend ist Vielleicht ist
Grund davon die grofse Nähe der Höben, aus denen der Wasserstrahl
herkommt; allerdings ist das Rinnsal steinig genug und mag es doch
gelegentlich den Verkehr hemmen, da die Brücke, die früher denselben
erleichterte, zur Zeit zerstört ist Zur Rechten zieht sich hier eine,
in ziemlich paralleler Richtung gestreckte Hügelung, an deren SO.-
Fufo das Dorf Kötchilar mit glänzendem Minaret liegt Die Hüge-
lung scheint zum Weinbau ganz besonders geeignet, aber die Wein-
berge waren schlecht bestellt
So näherten wir uns schnell dem Thal des Haliakmon nnd dem steil
abschüssigen und zerrissenen Abhang seiner östlichen Felswand. Aber,
während sie gestern als scheinbare Basis des Olymp einen so grandiosen
Anblick gewährt hatte, war leider diesen Morgen von ihr so gut wie gar
nichts zu sehn, da sie von den Herbstnebeln, die mir überhaupt so manche
Fernsicht benahmen, verhüllt war; auch mufs sie natürlicher Weise
in der Morgenbeleuchtung weniger deutlich hervortreten, als am Nach-
mittage. Zur Linken trat dagegen nun, hinter den ersten, nur etwa bis
500 Fufs ansteigenden Hügeln, eine höhere, zackigere Höhenreihe her-
vor, die aus der Entfernung von etwa 3 Engl. Meilen allmählich näher
heranzieht und eine schöne Niederung umschliefst, in der mehrere,
ausschliefslich Moslemische Dörfer, jedes wieder in mehreren getrenn-
ten Quartieren behaglich ausgebreitet, bei einander liegen; so umfafst
das Dorf A'shiklü z. B. sechs getrennte Weiler oder Quartiere. Diese
Dörfer haben mit dem auf der anderen Seite liegenden Dorfe Hadjilar
einen grofsen Friedhof gemein, den wir um 8 Uhr hart an der Stralse
zur Seite liefsen. Hier fingen wir denn auch an, allmählich abzustei-
gen auf dem tief in dem Kalk eingetretenen Pfade, gerade auf die,
vor der eigentlichen Thalsohle des Eärasü quer vortretende ^Sckwarz-
na8e tt zu,, die allerdings nur ihres Krautwuchses halber dunkler, als die
z. Th. schneeweifsen Umgebungen erscheint; denn auch aie besteht
ganz aus Kalk. Der Kalkboden ward besonders bloßgelegt, indem hart
zur Linken eine bedeutendere Thalkluft herantrat, hinter der in einiger
Entfernung eine zweite diesen Kessel durchschnitt, der jedoch keines-
wegs steril ist, sondern vielmehr reichen Ertrag liefert. Gerade jetzt
wurden die Felder gedüngt und die Landschaft war hqjtttch durch
menschliche Thätigkeit belebt Ein Dorf zeigte sich hinter der zwei-
ten Schlucht an den Abhängen. Die beiden, tief eingeschnittenen und
ganz Mos gelegten Schluchten vereinigen sich, und interessant für die
Ausgerissenes Kalkterrain. — Thal des Hatiakmon. Jß7
ganze Natur des Kalkterrains war es, zu beobachten, dafs, während
hier die eine dieser beiden Schluchten Wasser hatte, eine kleine Strecke
weiterhin, eben am Sporn der Schwarznase, das vereinte Rinnsal ganz
trocken war. Hier stiegen wir in die, im Kalkboden eingesenkte Thal-
sohle des Inje Karasü, des alten Haliakmon, hinab und durchschnitten
den ziemlich breiten, aber hier nur 1 Fufs tiefen Flufs. Er nimmt hier
in seinen abgerissenen Kalkufern aus W. 40 S. seinen Lauf, entsprach
aber in seinem nackten und wilden Charakter keineswegs der freundli-
chen Vorstellung, die ich mir vom Haliakmon gebildet hatte. Beson-
ders fehlten dem Thale Spuren menschlicher Thätigkeit; nur das hoch
am Felsenabhang gelegene Kataph^gi am Fufse der berühmten Kuppe
Flamböro, schimmerte theilweise hervor.
Erst hier endlich fing der bis dahin fast ganz verhüllte Felsabfall
vor uns an, sich zu gliedern und zu sondern. Dann, als wir aus dem
Flufsbett etwas anwärts gestiegen waren, folgten wir einem kleinen
Stromsaal mit schönem Baumwuchs bekleidet. So stiegen wir gemach
an der unteren Neige anwärts, zum Theil durch schöne, frisch grünende
Felder, darunter auch Tabak, während der Felsabhang selbst scharf
markirte, malerische Formen annahm. So erreichten wir etwas nach
10 Uhr in 4 Stunden und 20 Minuten von Kozane den Khan am Markt-
plätze von Selvidje; denn diesen Namen verdient der heutige, fast aus-
sehlief&lich Moslemisch -Türkische Ort im Vorzug vor der christlichen
Namensform Servia. Dafs dieser Ort bei seiner hohen Lage am Fufse
der steil aufsteigenden Felswand nicht eben blühend sei, hatte ich schon
erfahren, aber wir fanden ihn in Folge der gerade vor sich gehenden
Feldarbeiten fast verödet, und im Khan war auch nicht ein einziges
lebendes Wesen zu finden, so dafs es eine ganze Weile dauerte, bis
wir Jemanden zu unserer Bewirthung auftreiben konnten. Hier zeigt
sich das Christenthum in dem Gegensatz des regsten, gewerbthätigen
und gewissermafsen auch geistigen Lebens beim vorwiegend christli-
chen Kozane im Vergleich zu der Oede und Stille dieser fast aus-
schliefelich moslemischen Stadt, die ungefähr 500 Häuser hat, wirk-
lich im vorteilhaftesten Lichte. Während ich selbst für materielle
Pflege sorgte, schickte ich Rossi sogleich zum Mudir '), Namens Has-
') Das Kazä Selwidje umfafst folgende Ortschaften: Karatpvyt, KnlSr, Veti-
viSni, Paleö Gratzfn (Gratzfano), Moakhokhöri (Matskokhöri) , Kastaniä, Lavanitsa,
Kato Orta koei, Epäno Orta-koei, Tchindjira sigü, Kreniki, Avl&, Gülis, Rimnes,
Isdeäni mit einem gleichnamigen Mönastlr, Lftcheskö, Räkhowo, Kaldädes, Delno,
Me'takßä, Mokron, Mavrokhöri, Pades, Lazarädes, Lyzani, Trano Valto, Mikro Valto,
Mziskö In der Nähe von Paleö Gratzm nimmt Heuzey p. 210 nach Ruinen die
Stätte von Phylakai an, die, wie er meint (p. 219), obgleich nicht am Eingang des
Engpasses selbst gelegen, doch hier [durch eine Entfernung von 2 — 3 Meilen von
ganz zerrissenem Terrain davon getrennt!] in der gehörigen Entfernung gelegen habe,
Jßg Reise durch die Europäische Türkei.
san Agha, um mir zwei neue Geleitsm&nner zu verschaffen, und ich
hatte kaum einen kleinen Inbifs genommen, als ich schon mit einem
derselben aufbrach, um die Ruinen des alten Schlosses auf der Höhe
zu erklimmen und von dort aus meine Aufnahme zu vervollständigen.
Denn sonderbarer Weise belehrte mich Reiner dieser beiden Leute, da&
unser Weg nach Elassöna ganz nahe an den Kastellruinen auf der
Höhe vorüber fahre und dafs ich besser thäte, von oben einen Seiten-
abstecher dorthin zu machen, anstatt erst wieder ganz bis an den Fufs
herabzusteigen.
Wir kletterten steil vom Orte hinauf, längs der Seitenschlucht,
welche die Kastellhöhe auf der Seite der Stadt von den übrigen Ab-
hängen absondert, was in der Mittagssonne nicht ohne Schweife und Er-
müdung abging. So erreichten wir in etwa 25 Minuten die höchste Höhe
des Kastellberges, d. h. einen vereinzelt stehn gebliebenen Thurm an der
NO.-Ecke des Vierecks. Dieses Kastell hatte eine sehr feste Lage und
beherrschte den von den Griechen wahrscheinlich Bolu Stent (2folov
orevd), „der Engpafs der Bolos" nach diesem Seitenarm des Haliakmon,
bei Livius (XLIV, 2 »iugum Cambuniorum montium [vergL, XLII c 53
saltus angustvs] Volustana ipsi eocant*) Yolustana genannten Pafe
der Cambunischen Bergkette. Die Einwohner bezeichnen das Kastell
als Djenovis und so war es auch längere Zeit entschieden in der Hand
der Franken und wurde als solches im Jahre 1259 vom Kaiser Kan-
takuzenos belagert Freilich scheinen die in dem Mauerwerk angewand-
ten Holzschichten dem Bau eher einen Orientalischen, als einen Byzan-
tinischen Ursprung anzuweisen. Nach meiner eigenen Ansicht nämlich
ist diese Befestigung aufgeführt vom Bulgarenkönig Samuel, der Ende
des X. Jahrhunderts von hier aus ganz Thessalien überschwemmte.
Allerdings mufs es später wieder aufgebaut worden sein, da Kaiser
Basilios Bulgaroktönos es nach der Einnahme vollständig zerstört ha-
ben soll a. 1012 '); &ber ältere Theile können doch stehn geblieben
sein. Sehr belehrend jedenfalls ist die eigene Beschreibung des Kan-
takuz^nos, der in deutlichster Weise von der Dreitheilung der damali-
gen Stadt spricht, jede mit ihrem eigenen Mauerumschlufs ; oben die
Cittadelle selbst, vom Befehlshaber Prealimbes vertheidigt, darunter,
von eigener Mauer umgeben und auf halber Höhe gelegen, die Mitttel-
stadt, offenbar das Kago-kiräl, wo er seine Serben postirt hatte, die
Geifseln der Bewohner zu bewahren ; dann endlich die untere Stadt, das
um den Paus zu vertheidigen. L'ancienne ville de Phylacae ne se tenait pcu, comme
Servia, ä Vtntrit mime du ddfile; mais eile etait situee ä une distance convenable pour
en aurvetller Vacces.
•) Cedrenua p. 475.
Serria oder S^lvidje mit «einen Burgruinen. 169
heutige Selvidje, abgesehen von den darunter sich anschliefeenden Vor-
städten ')• Diese drei Mauern, die hier in deutlichster Weise als die
Ummanerungen der verschiedenen Stadttheile beschrieben werden, haben
Herrn Heuzey offenbar verleitet, solche dreifache Ummauerung auf der
Cittadelle selbst zu suchen, wo wol kaum Jemand sie finden wird ; auch
möchte ich wissen, wo er die Ruinen von zwölf Kirchen oben gefun-
den haben will (le mont fOlympe ei fAcarnanie p. 209 f.). Nach meiner
eigenen entschiedenen Ueberzeugung lag nun hier auch im Alterthum
Phylakai und konnte eben nur hier der Wacht- und Vertheidigungs-
posten dieses so unendlich wichtigen Engpasses liegen, der ganz Thes-
salien beherrschte, Dafs keine Ruinen aus dem Alterthum, wenig-
stens in augenfälligen Positionen, erhalten sind, erklärt sich leicht aus
der mehrfachen Zerstörung der Stadt und aus ihrem jedesmaligen Wie-
deraufbau.
Von jenem Thurme aus, der vom Markte des Städtchens aus gesehen,
sich in S. 8 W. erhebt, nahm ich eine Anzahl bedeutender Peilungen vor,
vorwärts und rückwärts, die der Eintragung meiner einzelnen Wege-
winkel zur bedeutenden Kontrole dienten. Nur waren auch in diesem
Falle zur Identificirung der ferneren Bergkuppen die verschiedenen
Namen, die denselben, von den verschiedenen Völkerschaften des Lan-
des gegeben werden, sehr hinderlich, wie ich denn aus diesem Grunde
die von hier aus gepeilten, aus der Ferne herüberragenden beiden Kup-
pen Pente Alenna in W. 12 N. und Karen in W. 30 N. nicht mit völ-
liger Genauigkeit auftragen konnte. Auch den Namen der Kuppe Se-
ridjale konnte ich nicht genau identificiren.
Von der Oberburg stiegen wir dann gerade nach N. hinab und
gelangten so auf dem Hauptpfade an dem oberen, oder vielmehr mitt-
leren, Quartier vorbei wieder in die Unterstadt. Jenes Quartier, das von
den Eingeborenen Kago-kiräl genannt wird, wird jetzt nur noch von
wenigen eingefleischten Türken bewohnt; die Ruinen, die es neben der
ganz geräumigen Kirche, einst dem heiligen Theodoros geweiht, ent-
hält, werden als Palast der Kfz Kiräl „Fürstentochter" bezeichnet, die,
der Sage zufolge, nach dem Tode ihrer Eltern das Schlofe neiden mü-
thig gegen die Türken vertheidigte, bis sie, durch Verrath überwunden,
sich vom Felsen der jähen Pharanga hinabstürzte; denn einst soll
hier der Sitz eines Königs, wol eben jenes Bulgarenfürsten Samuel,
gewesen sein.
Gleich nach meiner Rückkehr in den Khan nun liefs ich packen
und wir brachen sofort auf mit dem anderen der beiden Geleitsmänner,
indem derjenige, der mich eben begleitet hatte, sich für weiteren Marsch
l ) Kantakuzenos 1. IV. c. 19.
168 Rebe durah ffl» - rttd.
san Agha, um nv ***' ,* ****** 8 ÄM denselben stei-
nalte kaum *^^ *»jj /,/eJten uns dann, nachdem wir
derselben ^ &£***[&* oben ^K 8 der Schlucht hinura,
tu erklir ' ^jfeSJ* ** !Tfirken den Namen Pharanga trägt
Denn s ^J*^t J *j£^^tfM* ir * n 8te '* aufsteigenden Wänden und
unser ■^j^^ffi^jS^'* e ra ' von denen e i ner f* 8 * das natur-
Höhe f^^fl***^ trt&i einen höchst imposanten und wilden
*b 8t *^ rf^J^^JJJiufr so bestimmt vorgestellt, dafe die Haupt-
heT w!^Ü* i!*fl* der » schon von fern erblickten Schlucht ent-
i****** a* *■- jtfBigsniÄfe den Besuch der Kastellruinen als ganz
1 Jp**^ »tt ^/lermarsch betrachtet, dafe ich höchst erstaunt war,
tß %S£"%i keineswegs der Fall war.
**L** d* 00 cr8t ' n ^ en w * e eingeschnittenen Schlund hin-
** \f^ §t ^pln zur Linken eine Seitenschlucht. Hier war ich er-
* —*** u«-« um S&vidje mit irischem Quellwasser zu
d^ ja/« man dabei war, längs der Felswand eine kleine
Z_i\ **£ anzulegen , um S&vidje mit irischem Quellwasser zu
yfts***^ £nf die Kalkmassen folgten hier ausgerissene Conglome-
****& gimdmassen , und in gröfseren Windungen uns hinziehend,
.^flrf ™ £•* JM *%.~* U«fc AW ^»-b «m«aJ **«hl«.svl tV«>«% 14 aIam «M^AtM« Y**M» 4**%«* l^f^fc J M il
t»** hatten wir den Bach zu wiederholten Malen, indem wir den längs
ä^rTjgcht nach Rahosün fuhrenden Pfad zur Rechten liefeen. Dann
^"j. 40 Min. — ging es in anderer Seitenschlucht zur Linken auf
-" —- ^ ,4 !•-_ -_ 1 Ä_J»~ !- T -U— ix 1 1
. pflasterstrafse an merkwürdig zerrissener Lehne mit schmalen
Schichten kleinen Gonglomerats in Windungen auf den Sattel hinauf,
die Hauptschlucht nahe zur Rechten. Das Terrain war hier derartig
ausgerissen, dafs wir (um 2 Uhr 18 Min.) einen, wie eine Art Brocke
fltehn gebliebenen, kaum 3 Schritt breiten und baldiger Zerstörung ent-
gegengehenden Rückgrat zwischen zwei tiefen Schluchten passirten.
pann aber folgte eine zum Anbau benutzte, sanftere Lehne, die jedoch
bald durch einen Felsriff, der ganz das Aussehen einer künstlichen Quer-
mauer hatte, abgeschnitten wurde. Hier hatten wir das Kastell schon
lange hinter uns und im Rückblick bildeten die vier stehn gebliebenen
Hauptthürme ein vollständiges Viereck.
Mit einem steilen Anstieg erreichten wir nun in wenigen weiteren
Minuten einen Quellborn köstlich kühlen Wassers, das jedoch wol man-
chen nach dem mühseligen Anstieg schwer erhitzten Wanderer zu un-
vorsichtigem Trinken verleiten und so oft eine mehr schädliche, als
nützliche Wirkung üben mag. Hier besteht das ganze, tief eingeris-
sene Gehänge aus einer weifsen Kalkmasse und ist mit kurzem Farn-
kraut bekleidet. Ich benutzte den kurzen Aufenthalt hier wiederum
dazu, einige Winkel zu peilen, worauf wir unser Ansteigen in wild-
romantischen Gehängen fortsetzten und in weiteren 23 Minuten von
der tcheshme den eigentlichen Sattelpafs erreichten. Hier gewann ich
Die Pharanga und der saltas angustus des Volnatana- Passes. 171
eine wunderschöne Ansicht des Olymp mit der wild zerklüfteten Masse
der Koppenerhebungen seines nördlichen Theiles, der OXvpnov ßa&vaxo-
nikw» aQrjtoveg iqv/avoi des Orphischen Dichters der Argonautika, and
wohl erhielt ich hier durch mein treffliches Fernrohr eine Vorahnung der
Schwierigkeit oder vielmehr Unmöglichkeit der Besteigung mehrerer
derselben ' ). Der Holzschnitt zeigt wenigstens im Allgemeinen die Um-
risse dieser Fernsicht, so weit sie die Bergkuppe selbst betreffen ; auch
sie aber verdient im höchsten Grade die durchgliederte und lebensvolle
Darstellung eines Künstlers in dem ganzen wechselvollen Spiel der
Farben. Der Sattel selbst hat eine ansehnliche Breite für das Auge,
wie er sich als eine so breite Einsattelung auch schon vom Kastell
aus gezeigt hatte, aber die tief eingeschnittenen Schluchten schränken
den zugänglichen Theil auf ein ganz schmales Maas ein. Rechts über-
ragt den Sattel der Rahosun-tepe\ dessen höchste Gipfelung mein Be-
gleiter Döbra nannte, während mehrere hundert Fufs höher an der
links überragenden Kuppe ein kleines Landgut, Tschiftlik Nehör
genannt, von schönem Baumwuchs umgeben, stolz herunterschaut. Hier
residift ein alter wohlbekannter Kämpe dieser Gegend im Vollgefühl
der Freiheit und reinster Bergluft.
Indem wir nach einigen Minuten von hier abwärts stiegen, erreich-
ten wir bald das erste bekleme oder Wachthaus und vertauschten un-
sere ff Geleitsmann gegen einen anderen, der eben im Gemüsefeld beschäf-
tigt gewesen war. So ging es rüstig weiter der Verengung des Sattel-
passes und der wilden Engschlucht entgegen, die wir am Sporn der
weither sichtbaren Kuppe des Matchkohör-tepesi betraten. Der zu-
erst nur mit Eichengebüsch bekleidete, vom Stromsal eingerissene Bo-
den von (Grauwacken) schiefer mit Quarz bedeckte sich bald mit dich-
') Diese kleine Skizze, so roh sie ist, bietet doch ein grofses Interesse, wenn
man sie mit Boue"s von Larissa aufgenommenem Profil des Olymp vergleicht (Vis-
qnenel, Atlas pl. 22 n/45). Hier nämlich verdeckt die Vordergruppe vollkommen
die' höchste Partie des Gebirges, das heifst die nach N. stehenden, dnrch die tiefen
Schlachten fast abgesonderten Hochkappen, und das merkwürdige Hörn, das
in meiner Skizze so charakteristisch von der Vordergruppe aufsteigt, schliefst dort
die Ansicht der ganzen Gebirgsgruppe ab. Boue* hat also den eigentlichen Olymp
von dort gar nicht gesehen.
172 RdM durch die BuropÜMhe Tttrkii.
tem reichstem Unterwald, and in groben Windungen ging es Torwarts.
In dieser wilden Umgebung kamen wir an der wohlgelegenen Stätte ei-
nes froheren bekleme vorbei, die offenbar nur aas Rücksicht aaf Bequem-
lichkeit aufgegeben ist. In dieser Umgebung war wieder Kalkstein
ganz and gar vorwiegend. Nachdem wir dann den Fufs der Koppe
umgangen, ward der Pafe immer wilder and waldiger zwischen den
hohen Kappen zur Rechten and zur Linken eingeklemmt, während der
Bach in hoch abgerissenen Lehm ufern sich dahin windet Besonders am
Fufs der linken Kuppe liegen grofse Felsblöcke Ober einander gewür-
felt and der Kalk hat hier ein ganz geschwärztes Aassehen. Unter
der Pflanzenwelt nehmen die Balaneae den ersten Platz ein, während
aus dieser dichten Masse von glänzend grünen stachlichen Blättern
blühender Flieder hervorschaute. So betraten wir am 4 Uhr 27 Min. den
engsten Theil des Defile's and hielten uns ziemlich hoch oben an der
linken Felsseite, den steil abstürzenden romantischen Einschnitt in dem
weifsen, mit Pflanzen bedeckten Kalkfelsen hart anter ans. Die Basalt-
stücke im Stromsal sind wol von den Kappen herangeführt Es ist eine
höchst interessante Passage, der nichts als das Sonnenlicht zur Belebung
der wilden Natur fehlt. Aber auch an geistiger Mufee fehlte es etwas, da
unser Führer zur Eile drängte, denn der Pafe ist nicht eben geheuer.
Und dies Gefühl der Unsicherheit ward stärker, als plötzlich, nachdem
wir wieder in die Wassersohle hinabgestiegen und den Bach, den #vier-
zigfurtigen", in mehrfachen Windungen aber- and abermals durchschnit-
ten hatten, ein Pfiff sich von oben hören liefs. Jedenfalls war es
nun gerathen, so schnell wie möglich voranzueiien, am an der Einaen-
kung der linken Felswand, wo ein Pfad aus dem Gebirge von Vigla her
herabsteigt, jedweder Begegnung zuvorzukommen. Mag nun der Alarm
ein blinder gewesen sein, genug, wir erreichten ungestört den Ausgang
der Hauptenge, vor welcher aber unter einem Baum drei wohlbewaff-
nete Wächter des nächsten bekleme gelagert waren. In sehn weiteren
Minuten waren wir am Khan, der nach dem Bache und Passe den
Namen Sarandoporo oder abgekürzt Sarandöpu führt, eben von den
vielen (40) Malen, die man den Bach zu passiren hat Im Alterthum
scheint letzterer den seiner wildeingekeilten Felsnatur gleichfalls ganz
passenden Namen Orcus geführt zu haben.
Der Khan, der zugleich Aufenthalt des bekleme ist, bildet einen
mit einer soliden, an einer Stelle allerdings schon halb eingefallenen
und leicht zu übersteigenden Mauer eingeschlossenen, sehr geräumigen
Hof mit einigen dunkeln, aber soliden Gemächern an der rechten Seite,
und einer sehr geräumigen und gut verwahrten Stallung an der Lang-
seite dem Eingang gegenüber. Aber das leidlich sichere Obdach war
aufser Feuerung, woran es bei dem nahen Walde nicht fehlen konnte,
auch Alles, was es bot, und obgleich ein gleichnamiges Tschiftlik ganz
Der »rieraigfartigi* 8trowpaft Sanndapdro und Khan. 173
in der Nähe liegt, halb von Tütken, halb von Griechen bewohnt, so
war doch nicht das Allergeringste m haben, selbst nicht einmal Reis
oder Eier, und wir hatten durchaus nichts rar Abendkost als das, was
wir mitgebracht, ein gebratenes Huhn, Brod und Kfise. Der Wirth
entschuldigte sich nun allerdings damit, dafe er kürzlich sehr zahlrei-
chen Besuch gehabt habe, der ihm Alles aufgezehrt, aber ich rathe
dem Reisenden, sich lieber nicht darauf zu verlassen, etwas hier zu
finden, und auch für seine eigene Sicherheit möchte ich ihm lieber rathen,
sich vielmehr auf seine eigene Wachsamkeit und seine eigenen Waffen
zu verlassen, als auf die keineswegs grofses Vertrauen einflößenden
Gestalten, die sich hier unter dem Titel von Wächtern herumtreiben.
So zog ich es denn vor, den Offizier durch Kaffe und ein kleines
Trinkgeld günstig zu stimmen, und in den Kauf gab er mir das in
der Note mitgetheilte Register benachbarter Ortschaften und Klöster,
worunter allerdings wenig Unbekanntes ist ').
Am folgenden Morgen mit dem ersten Tagesanbruch — bald nach
5 Uhr — • setzten wir unseren Marsch fort, indem wir jetzt die Land-
schaft des alten Perrhäbischen oder Pierischen Drei -Städte -Gebietes
betraten. Zuerst folgten wir einer ganz südlichen Richtung, dann mit
etwas östlicher Abweichung, indem wir alsbald das hier gemächlicher
dahinfliefsende Stromsal passirten und auf seiner Westseite längs der
buschigen Hügel dahinzogen. An ihnen liegt in der Entfernung von etwa
± Stunde Gligowa, die Hügel hören aber bald auf und öffnen nach die-
ser Seite einen weiteren Blick. Zur Linken zieht sich von der, den
Pafs bildenden Bergkuppe eine Höhenkette nach dem Olymp zu, aber
letztere großartige Berggruppe selbst (in Entfernung von etwa 6 engl.
Meilen) ist kaum von hier wiederzuerkennen ; so zahm und sanft sind
von hier aus gesehen ihre Umrisse, eine in größter Ruhe lang hinge-
streckte Masse ohne eine einzige aufspringende Kuppe und ohne die
leiseste Andeutung jedweden steilen Absturzes; man hat nämlich hier
eben die vdn der Häupterhebung des Olymp völlig abgesonderte, ihr süd-
lich anliegende, Vorgruppe in ihrer ganzen Breite vor sich. Die Land-
schaft zeigte im Ganzen wenig Spuren menschlicher Thätigkeit, und
nur der Anblick einiger schönen Wallnufsbäume, die ein westliches
Seitenthal des Sarandapöro- Baches schmückten, machte einen um so
') Dorf Gugowa, das ich Übrigens selbst niederlegen konnte, \ St. von hier
mit einem Kloster der yivaan irjg üavayÜKg] Taapurniä 2 St.; Buballa 2 St.;
Bnrba; Farmtki; Liködi; Elevtherokhöri [selbst niedergelegt]; Balanida; Kraniä;
Besherftsa; Dtyshkäte mit angeblich 1000 [400] Haasern etwas jenseits Izdniä, das
1±8L entfernt am grofsen Berge liegt; LirSdi 600 Hftnser; Kokkinopia 500 Häu-
ser [seibat besucht]; Ktölos (Selos?); Hagios Dimitrios; Petra Monastlr; Phteri;
Morna; Jajiko; Milä reich an Kastanien; Retini; Kundridtissa ; Brontus; Karitea;
Dtfklista mit Kloster, Bärakty, Bazarlides, DemirEdes mit Kloster des aytosÜvrco-
rtos; O'rmanl?; Skamniä mit Maulbeeren; Karagfile; Metchün, Mönasür Sparm64,Dhabä.
174 Bei«« durch die EuropÜßcho Tttrket
erfreulicheren Eindruck , und weiterhin gewährte ein kleines, reifes
Maisfeld einen schwachen Roheponkt für Auge and Gemüth. :Aach
diese Gegend übrigens hat, bei den tiefen Einschnitten, die sie durch-
ziehen, einen so räuberischen und unsicheren Charakter, dafe schon
in der Entfernung von 3 engl. Meilen vom Khan von Sarandapöro ea
anderer bek lerne folgt, der den Namen des Hadji Gögan trägt; jedoch
sah er so öde und verlassen aus, dafs ich, um nicht Zeit zu verlieren,
meinen Begleiter vom Khan überredete, uns bis Elassöna zu bringen.
Das ganze Terrain war so zerschnitten und doch dabei so wenig
gegliedert, dafs ich froh war, als wir endlich einmal wieder einen
höheren Punkt erreichten, von wo aus ich eine Menge bedeutender
Winkel nehmen konnte. Es ging dann überhaupt auf höherem Bo-
den fort, der allerdings nun einen um so rauheren und wüsteren Cha-
rakter hatte, und das einzig Belebende in der ganzen Landschaft be-
stand in einem Paar in Türkischen Diensten befindlicher Ungarischer
Reiter, die nach Monastlr zum Armeekorps zogen. Selbst von Schaf-
zucht war in dieser ganzen Landschaft nur sehr wenig zu sehen; kurz,
Nichts erinnerte an die Blüthe und Lieblichkeit, die nach .»den ent-
schiedensten Zeugnissen dieses Stromgebiet des vielbesungenen Ti-
taresios im Alterthum gehabt haben mufs. Nur an dem kleinen Strom-
sale fand sich hin und wieder etwas Wiesenboden, und in grosserer
Entfernung zeigten sich einzelne armselige Dörfer oder Weiler. Indem
wir dann das Kalkgebiet verliefsen, betraten wir Schiefennassen, und
nun ward der Boden noch zerrissener, mit steileren Einschnitten und
Kuppenerhebungen, jedoch fehlte es zur Belebung nicht an einigen
kleinen Stromsälen; an oder über ihnen liegen ein Paar arme Dörfer,
die Nachfolger blühenderer Gemeinden des regen und lebensvollen
Hellenenthums. Eine ganz neue, grofsartige Gestalt aber nahmen jetzt
die südlichen Unterhöhen des Olymp an. In der höchst auffallenden
Form eines mächtigen gekrümmten Hornes überragt die gesummte Land-
schaft die, aus diesen von den Alten mit dem charakteristischen Namen
Oktolophos bezeichneten Höhen, aufsteigende Kuppe, bald Ktiselli, bald
Kukuli mit dem Zusätze tije Jtdßag genannt; nur eine tief eingerissene,
wilde Schlucht trennte unseren, auf rauhen Schieferflächen sich hinwhv»
denden Pfad von dem Fufse dieser Kuppe. Eine kleine Stnecke anbau-
fähigen Hügellandes kündete die vom Kserias, dem alten Aenus durch-
strömte Thalsenkung an, in die wir dann an tief von den Wassern
eingeschnittenen Lehmhöhen hinabstiegen. Dies ist der Besitz des Klo-
sters von Elassöna, und die Mönche haben ihr kleines Geriet leidlich
benutzt, sowohl zu Ackerland, als auch zu einer Maulbeerpflanzung,
die mit ihrem herrlich frischen Grün einen wohlgefälligen Kontrast
gegen die kahlen Schieferwände umher bildet; auch Gemü$e — beson-
Wüßtes Gebiet der Pierischen Tripolis. — EUuöna mnd sein Mudir. \ 75
ders Zwiebel «Beete, von Pappeln umgürtet, mit einzelnen laubreichen
Wallnufsbäumen dazwischen, lehnen sich einer vom Bache getriebenen
Mühle an. Der Pfad sieht eich dann an der linken Felgseite hin und
betritt so die, die kleine Senkung abschliefsende, Felsverengung, die cur
Rechten von der, das Kloster tragenden, Höhe beherrscht wird, wäh-
rend sich zugleich vor ihrer Oeffhung das Stadtchen Elassöna entfaltet,
vom Flüfschen in zwei, an Gröfse, wie an Charakter der Bewohner, ver-
schiedene Quartiere getheilt, zur Linken das bei Weitem gröfsere Mos-
lemische, zur Rechten, an Stelle des alten Oloosson, das kleinere Chri-
stenquartier, am südlichen Fufse des Klosterhügels, der alten Akropolis.
So betraten wir auf holperigem Damm den Ort und durchzogen
den gerade ziemlich lebhaften, kleinen Marktplatz. Hier verlor ich
einige Zeit, indem ich beflissen war, mir einen solchen Khan auszu-
suchen, der mir freie Aussicht nach Süden eröffnete, da Elassöna der
südlichste Punkt meiner kleinen Reise sein sollte. Ich fand auch wirk-
lich einen solchen mit einer geräumigen, ganz offenen Holzhalle nach
Süden; indem ich aber mehrere Khane besuchte — es sind hier deren
drei oder vier — erregte ich die Aufmerksamkeit und den Argwohn
der hier stationirten Garnison, und sie setzten mir sehr zudringlich mit
Fragen zu, bis ich ihnen erklärte, ich würde sogleich in Person zum
Mudir gehen und ihm den Zweck meiner Anwesenheit auseinandersetzen.
Und das that ich sofort, nachdem ich ein kleines Frühstück zu mir ge-
nommen, und fand glücklicher Weise eine höchst freundliche Aufnahme.
Der Mudir nämlich, Namens Hassan Bei, interessirte sich in zwei ver-
schiedenen Beziehungen für mich; einerseits nämlich hatte der Bascha
von Monastir, dem meine Besteigung der Peristeri aufgefallen war,
seinem Kollegen, dem Bascha von Larissa, von mir Nachricht gegeben
und dieser wiederum hatte seinen Unterbeamten hierselbst instruirt;
andererseits hatte auffallender Weise Hassan Bei mich selbst vor vie-
len Jahren bei meinem Aufbruch von Tripoli nach Central -Afrika ge-
sehen, da er vier Jahre im Nord -Afrikanischen Tripoli gewesen war,
in Folge dessen er auch etwas Moghrebinisches Arabisch sprach. So
war er denn von ganzer Seele bereit, mein Vorhaben, den Olymp zu
besteigen , auf alle Weise zu fördern und empfahl mir zu dem Zweck
einen vor Zeiten aus der Maina eingewanderten Türken oder vielmehr
moslemischen Griechen, Namens 'Abdi Agha, der von den am Fufse
jener Berggruppe gelegenen Ortschaften den Tribut einzutreiben und an
den Gehängen des Berges selbst wiederholt zu jagen pflege. Er liefs
ihn auch sogleich rufen, und das offene noble Benehmen 'Abdi Agha's,
so wie sein stattliches Aeufsere fföfsten mir volles Zutrauen ein. Da er
jedoch erst morgen früh mich begleiten konnte, sah ich mich gezwun-
gen, einen halben Tag zu opfern; und das war ein sehr grofses
176 R*b* droh die Europäische Türke*.
Opfer, weil ich fürchtete, es könne mir ähnlich gehen, wie mit
der Peristeri, wo ich das schönste Wetter auf so trübselige Weise ver-
loren hatte; auch war leider, aufser dem Kloster, nichts von greiserem
Interesse in der Nfihe, da das froher so blühende und auf 2000 Häuser
angegebene Städtchen Tsertsanye oder Tsaritsena, in der Entfernung
von 2 Stunden, theils in Folge des Unglficksjahres 1854 ganz herunter-
gekommen, theils zu ersprießlichem Besuch auch wieder zu entlegen
war. Die in einem Durchmesser von etwa 3 Stunden sich im 8. von
Elassöna ausbreitende nördlichste Thessalische Thalebene hatte zur Zeit
einen sehr wenig einladenden Charakter und stach in ihrer Dürre ge-
gen die kleine Maulbeer-Pflanzung hart am Städtchen merkwürdig ab.
Um meine Zeit irgendwie zu benutzen, wandte ich mich alsbald
nach dem Kloster hinauf, das besonders seiner Griechischen Inschrif-
ten wegen merkwürdig ist; aber leider sind sie fast alle mehr oder
weniger verstümmelt, während andere in höchst unbequemer Lage, z. B.
an der Schwelle auf dem Kopf stehen, so dafs ihre Lesung ungewöhn-
lich grofse Anstrengung erfordert, und selbst dann noch lückenhaft
bleiben mufs. Dagegen sind zwei kleine, aber gerade die unbedeutend-
sten Inschrifttafeln wohl erhalten und leicht leserlich, je zur Seite des
Eingangs in der Aufsenseite der Mauer eingemauert *). Im Inneren der
') Eine andere kleine Grabinschrift, die ich nicht copirte, steht Ober einer Fa-
miliengruppe , die Eltern mit zwei Kindern zu Seiten eines weiblichen Brustbildes.
Diese Inschrift nebst den beiden folgenden soll aus Buballa (Vuvalla) stammen.
A0HNIQNKAI6Y06A TIMANAPA
KA6YTTATPANTHN0Y MENIOY
TAT6PAMNHMHC «">» klein« Gnbemnfenms
XAPIN
Darüber das Bildnifs eines Mädchens.
Die wichtigste Inschrift scheint diejenige zu sein, welche zum Thürgeeimse der Kirche
benutzt wurde, aber leider der Art, dafs man die Mitte heraussägte; dazu ist noch
das rechts vorhandene Ende der Zeilen sehr verlöscht. Von dem zur Linken er-
haltenen Anfang copirte ich folgendes Bruchstück, das ich mit allen Fehlarn gebe*
ATÖZENTOY . PYfYAPX
PI0YT0YAYT0PAYA0Y EYON
YMTOYANAPOMAXOYTOYEAZANO
PXAIP . ZTAZYNTEAEITAPZQTTA
OZAPYKTOYTTOXPQMATÖZ
HMQNTTOieiTATHNnAP
EKAITHHMEYEPAITTOAEITON
QZrAPTAKAIZYNTTAPP
TOYAHZ KAI<t>IAOEENIAZOY
TTPOZ THNTTOAINHMQNIA
YKPONAKOYTTONKAITOYZE
AYTQNAI
Griechische Trümmerreat© im Klotter voa Elassöna. 177
Klosterkirche aber ist eine kleine, jetzt grün gefärbte S&nle ganz be-
deckt mit einer überaas la igen Inschrift in vielen Zeilen, aber leider
in sehr verlöschtem Zustande, so dafs ich gar keinen Versuch machte,
besonders, da ich hörte, dafs selbst schon Abklatsche versucht worden
seien. Die kleine Barche oder eigentlich Kapelle ist überhaupt nicht
ganz ohne alles Interesse und besitzt einige recht alterthümliche Theile.
Sonst ist das Klösterchen sehr beschränkt, hat aber bei dieser Klein-
heit gute Dienstwohnungen. Von den beiden Mönchen, mit denen
ich etwas mehr verkehrte, schien der Eine ein ziemlich rohes Betra-
gen zu haben.
Ich erstieg dann noch den, das allerdings nicht eben hochge-
baute Kloster von Norden überragenden und schützenden, Gipfel des
die Stromschlucht des Kserias westlich beherrschenden Hügels und peilte
hier einige zur Kontrole meiner Aufnahme der letzten Wegstrecke nicht
unwesentliche Winkel. Der Hügel bildet ein kleines Plateau, das die
Türken im Jahre 1854, als die Griechische Freiwilligen-Legion in die-
ser Gegend so fürchterlich hauste, zu einem verschanzten Lager be-
nutzten, wovon man noch die Spuren sieht. Diese Stätte der alten
Akropolis hat überhaupt eine militärisch nicht unwichtige Lage.
Vom Kloster herabgestiegen wandte ich mich nach dem Grie-
chischen Quartier auf der rechten Seite des FlüTschens, fand es aber
überaus elend, und in äufsersten Schmutz und Verfall versunken. Die
neue Kirche, die von Weitem ganz imposant aussieht, hatte mich an-
gezogen, aber bald fand sich's, dafs es leere Wände waren. Eine wohl-
meinende, fromme Frau nämlich hatte bei ihrem Tode ein Legat von
40,000 Piastern zur Erbaung einer Kirche gemacht, man hatte letztere
aber so grofsartig angelegt, dafs die nackten Wände die ganze Summe
verschlungen hatten, so dafs nichts zur Herstellung des Inneren übrig
blieb. Uebrigens befindet sich auch in diesem Quartier eine Moschee,
so dafs Elassöna im Ganzen deren vier hat. Christliche Wohnungen
finden sich in diesem Stadttheil 40 — 50. Eine Steinbrücke im steilsten
Ans der auf dem Kopf stehenden Inschrift unter der Sehwelle erkannte ich nur das
wort EAEY0EPQMENOZ
Dann hat auch die Inschrift draufsen an der, der Stadt zugekehrten, Mauer der Kirche
eine offizielle Bedeutung; jedoch konnte ich in Ermangelung von Sonnenlicht nur
wenige kleine Bruchstacke erkennen, die ich nicht mittheilen will, da ich glaube,
dafs Le Bas in seinem Voyage archeologique diesen Inschriften von Elassöna beson-
dere Aufmerksamkeit zugewandt hat. — Ueber dieses Städtchen, besonders aber in
Betreff von Tsaritsena und der höchst interessanten Ruinenstätte (des alten Doliche?)
bei Vuvalla verweise ich meine Leser auf die Angaben Herrn Heuzey's VOlympe et
VAcarnanie p. 18 ff. Nur sind auch hier, wie überall in Heuzey's Bericht, die Choro-
graphie und die plastischen Züge der Landschaft sehr schwach vertreten, wie man
gleich bei Elassöna erkennt, das er ohne Weiteres auf das eine, das östliche, Ufer
des FlüTschens setzt, während die Quartiere zu beiden Seiten des letzteren liegen.
12
178 Reise durch die Europäische Türkei.
Türkischen Spitzbogenstyl verbindet dies Quartier mit dem moslemi-
schen am linken Flufsufer, das ungefähr 200 Häuser zahlt und, ob-
gleich es hier wenig Neubauten gibt, scheint doch die Mehrzahl leidlich
im Stande zu sein.
In der unten beigefugten Note ' ) gebe ich ein Verzeichnifs der zu
Elassöna gehörenden Ortschaften. Das eine Stunde von hier entfernte
Earadere, das sich durch das Geflecht seiner schönen grofsen Matten
auszeichnet, gehört schon zum Baschalik von Larissa.
Mittlerweile war mein Gepäck aus dem Kbän nach 'Abdi Agha's
Haus geschafft, in welchem mir ein grofses, neu eingerichtetes Gemach
eingeräumt wurde, wo vor Kurzem auch der Bascha von Larissa einquar-
tiert gewesen war. Hier speiste 'Abdi auch am Abend mit mir zusammen.
Er war ein wirklich feingebildeter Mann von grofsem Anstand and so-
gar Arabischer Belesenheit; aber, trotzdem dafs er strenger Moslim
war und die Griechen verachtete, hatte er ein entschieden Griechisches
Profil und stammte wol unzweifelhaft aus alter Griechischer Familie;
wie gesagt, war er mit seinen Brüdern zur Zeit des Griechischen Be-
freiungskampfes aus der Maina hierher übergesiedelt.
Um den Verlust des vorhergehenden Tages wieder einzubringen,
waren wir am folgenden Morgen (den 14. Oktober) in aller Frühe zu
Gange, aber mufsten doch warten, bis es wenigstens dämmerte, da
der Felspfad an dem Engpafs des Ksenas, den wir nun wieder zurück-
nehmen mufsten, im Dunkeln zu gefährlich war. Es fiel mir gleich
schmerzlich auf, dafs es nicht so kalt war, wie an den vorhergehenden
Morgen, obgleich wir etwas südlicher vorgerückt waren, und schlofs
ich daraus, dafs es mit dem guten Wetter bald vorbei sein würde;
auch war der Himmel nicht so rein. Als wir dann mit der ersten
Tagesdämmerung aufgebrochen, den Felspafs hinter uns hatten, war das
Erste, was uns begegnete, eine grofse Rakl-Earawane, und kaum hat-
ten wir die kleine Klosterdomäne hinter uns und waren aus der grü-
nen Mulde auf das rauhe Felsterrain hinaufgestiegen, als eine an-
dere ähnliche Karawane uns entgegen kam. So war denn das christ-
lich materielle Leben dieser Landschaft hinreichend bethätigt. Es
ging nun auf unserer früheren, nach beiden Richtungen gemeinsamen
') Das Kazä von Elassöna begreift folgende Ortschaften, wenn man aber S.
nach W. hinumgeht: Tcheritschen [jetzt Tsertsanye] mit 400 Häusern, Gurgiöva,
Zene mehalla, Orta mehalla, Tchirnldo, Amur, Trotdr, Magöla, Sh&ia, Ktfnetche,
Kephalöbris mit Quellen, die 4 Mahlen treiben, Balanida, Krana, Dishkäta (400
Häuser), Lutrö, Besherftsa, Yanotä, Klissüra, Vuvalla (ein anderes), Farm&ki, Tsa-
purniä, Glfgova, Burba, Liködi, Dranova, Levtherokhöri, Malesh, Dilnista, Demlr-
ade's, Tokhlista, Livadi (400— 500 Häuser), Phteri (150 Häuser), Morna, Jajako,
Karins, Milä, Kunduriötissa, Brontos, Kokkinoplö, Agio Dimitri, Shelos, Karaül, Mi-
tchün, Dalla, Argiropol, Barakly, Bazarly, Sadowa.
Der Emathische and Elimiotwch« Krensweg. 179
Strafte entlang, wo einst, noch unentschlossen ober den einzuschlagen-
den Weg zur Besiegung des Makedonischen Perses, der Römische Con-
sul Marcius Philippus zog l ), bis wir kurz vor Elevtherokhöri zur
Rechten abbogen und näher an den Olymp hinanzurücken anfingen,
indem wir nun das oben, auf halber Höhe der Felsterrasse des zwischen
dem Engpafs und den Pierischen Bergen sich hinziehenden Zuges,
hängende (Vlakho) Livado mit seinen 400 — 500 Häusern deutlich vor
uns hatten (in N. 5 O.)* Dort war es gewesen, wo zur Zeit des Krimm-
krieges das Raubheer der Griechischen Freiheitshelden sein Lager ge-
nommen und von hier aus die ganze Umgegend mit Feuer und Schwert
verwüstet hatte. Diese Verhältnisse waren mir in Folge meiner noch
in jene Zeit fallenden Afrikanischen Expedition so völlig unbekannt ge-
blieben, dafs es einige Zeit dauerte, bis ich die Angaben meiner Be-
gleiter darüber völlig verstehen konnte. Es war jedenfalls eine höchst
wichtige Position, die sie hier genommen hatten, um Thessalien für
sich zu gewinnen, und hätten sie Disciplin zu bewahren und ihr wirk-
liches nationales Interesse zu verfolgen gewufst, und hätte England
ihnen freie Hand gelassen, so hätte ihnen unter der grofsen damali-
gen Bedrängung der Türken ihr Plan gelingen können. Auch König
Otto selbst hatte jedenfalls die Hand im Spiel und sollte nun so nach
wenigen Jahren und gerade im gegenwärtigen Augenblick den An-
lafs geben, ihn des Hochverrats zu beschuldigen und zum Theil mit
auf diesen Vorwand hin seines Thrones zu berauben.
Hier hat das Land schönen Ackerboden und war auch von Zie-
genheerden belebt. Aber der Mangel an Baumwuchs ist auch hier
sehr fühlbar; um so stattlicher machte sich eine Gruppe von drei herr-
lichen Platanen, die wir um 7 Uhr erreichten.
Das erste Dorf, das wir auf diesem Wege zu Gesicht bekamen, war
O'rmanly oder Sadowa, das wir bald darauf (7 Uhr 10 Min.) nahe zur
Rechten liefsen ; aber es bot keineswegs ein sehr anziehendes, poetisches
Bild dar, so wenig wie die Gehänge dahinter. Nicht ein einziges, frisch
hinrauschendes Bergwasser, wie ich mir den Pierischen Eurotas oder
vielmehr Europus gedacht, Hefa sich hören oder sehen, und doch hatten
wir ein ausgedehntes Panorama vor uns und schatteten bis nach dem
Pierischen Kamm hinauf, ja Kokkino -plö selbst ward gleich darauf
sichtbar und erlaubte mir, unsere Richtung auf weite Entfernung fest-
zulegen. Dann folgten hart auf einander die beiden moslemischen
Dörfer Bazarly und Barakly, von denen das letztere in jenem schänd-
') Livius 1. XLIV c. 2 restabat aliquantum viae communis: itaque in id
tempus quo prope divortium itinerum [mter Azorum et Dolichen] castra posituri
erant, deliberatio eins rei differtur. — Die von der Natur selbst eröffneten Verkehrs-
strafsen konnten damals keine anderen sein, als heut zu Tage.
12*
180 Reise durch die Europäische Türkei.
liehen Raubkriege 1854 mit Feuer fast ganz vernichtet wurde, wobei
1 35 Personen auf das Grausamste verbrannten. Noch heute steht der
gröfsere Tbeil des Dorfes als abschreckende, vom Feuer verwüstete
Ruine da, während in dem südlicheren Quartier allmählich die übrig ge-
bliebenen Bewohner sich in neuen Wohnungen heimisch machen. Diesen
Ort, den Herr Heuzey als Barakades, aber an falscher Stelle erwähnt,
hatte ich, wie er eben hinter dem, ihn weiterhin nördlich deckenden
langgestreckten Hügel nach Westen hervorschaut, auf meiner Strafse
von Sarandopöro her genau gepeilt und gewann nun so hier wiederum,
wie schon so oft auf dieser Gebirgsreise, ein in sich völlig abgeschlos-
senes, sicheres mathematisches Dreieck, das mir um so wichtiger war,
als dicht hinter Barakly die Stätte eines alten Heiligthums lag. Aller-
dings ragen jetzt nur zwei schöne grofse Marmorpfeiler, von denen
der eine eine Inschrift trägt, aus dem Erdreich des Hügels hervor,
aber eine Ausgrabung würde hier wol mehr zu Tage liefern. Leider
steht selbst jener Inschrift -Pfeiler auf dem Kopf und die Inschrift
steckt zum gröfseren Theil in der Erde. Da nun das Wetter augen-
scheinlich einen Umschlag drohete und ich um keinen Preis den Olymp
einbüfsen wollte, wie ich die Peristeri eingebüfst hatte, suchte ich von
der Inschrift nur herauszubringen, so viel in 20 Minuten möglich war.
Es ist offenbar eine Inschrift aus Römischer Zeit, etwa aus dem zweiten
Jahrhundert, so wie die Marmorpfeiler selbst jener Periode anzugehören
scheinen; jedoch bezweifle ich, dafs auch dies, wie Heuzey sagt (p.36),
ein acte (Taffranchissement ist. Obgleich nun sonst nichts von alten Rui-
nen in der Umgegend zu sehen ist, hat man hier doch wohl die Stätte
des alten Pythion anzunehmen, das als Tempelstadt, in Gemeinschaft
mit Dolicbe und Azoros, eben die Pierische Tripolis bildete (Liv. 1. XLII
c. 53, Ptol. 1. III c 12 ed. Wilberg), eine für die weitere Umbildung des
Hellenischen Wesens aus den roheren, Grajischen oder Graikischen, Ele-
menten der centralen Gebirgsgruppen dieser Halbinsel, Skomios, Orbe-
los, Almopia, überaus wichtige und noch nicht genug gewürdigte Siede-
lung — die Mittelstation zwischen Thrakien undOodona, mit ihren drei-
getheilten bedeutungsvollen Europischen Siedelungen (Europus, Europa).
Für mich ins Besondere war diese Anhöhe zugleich vorzüglich gün-
stig gelegen, um einige sehr wichtige Winkel zu nehmen, zumal nach
dem Olymp selbst, da in höchst eigentümlicher Weise die Bergerhe-
bung, die GBfiva xlirvg 'Olvfinov (Euripides Bacchae v. 408), nach die-
ser Pierischen Seite sich auflöst und in scheinbar ganz getrennte Grup-
pen zerfällt. Sehr wichtig war es mir in dieser Beziehung besonders,
dafs ich sowohl die Kuppe des heiligen Antonios, als auch den Sattel-
pafs zwischen ihr und der grofsen westlichen Gruppe von hier ziem-
lich deutlich überschauen konnte. So konnten also alle Hauptzüge
Die gebirgige dreigetheilte Mittelstation der Hellenischen Siedelungen. 181
dieses Gebirges mit sehr grofser Annäherung an die Wahrheit aufge-
nommen werden.
Endlich, nachdem wir diese Statte verlassen hatten und nun in
Hügelland ansehnlicher anzusteigen anfingen, ward die Landschaft
etwas baumreicher und ein leidliches Baumsal trat zur Rechten heran ;
aber dagegen ward, wie der Tag vorruckte, die Dürre und Trocken-
heit nur auch um so fühlbarer. Dann trennt sich der Pfad und wir
wählten den östlicheren, der steiler und nur für Reiter und leicht be-
packte Saumthiere gangbar, aber näher, durch das mit Balaneen und
Eichen bewachsene Hügelland ansteigt, während der westlichere, die
grofse Pierische Pafsstrafse über Hagios Dimitrios und Petra, die seit
den ältesten Zeiten von zahlreichen Völker- und Heereszügen von Thes-
salien nach Emathien oder in umgekehrter Richtung beschritten wurde,
sich durch die baumreiche Thalebene zur Linken zieht, in deren Er-
weiterung nach Westen das seit jener Krieges noth von 1854 verlas-
sene und selbst aus dem offiziellen Kataster ausgemerzte Dükhandjl
oder Düklista liegt. So rückten wir auf eine vereinzelte, aber recht
regelmäfsige kleine bewaldete Kuppe zu, die wol das eigentliche Pie-
rion oros bildet, nach dem man in klassischer Nachahmung auch jetzt
wieder versucht hat, den ganzen nach dem Sarandopöro und den montes
Cambunii hinziehenden Höhenzug Pieria ore zu nennen, obgleich der
Theil zwischen Livado und Kataph^gi den besonderen neueren Namen
Shabka- Gebirge fuhrt; vielleicht ist auch jene abgeschlossene Kuppe
eher als der Titarios anzusehn, von dem der eigentliche Quellstrom des
einst so lieblichen Titaresios hergeleitet wurde, obgleich seine genaue
Ansctzung sehr unsicher ist. Endlich kreuzten wir ein kleines Stromsal,
das zwar mit lebendigem Wasser zur Linken abzog, aber doch im Gan-
zen wenig Einflufs auf den abschreckend dürren Charakter der dahinter
nach dem Amarbes sich hinziehenden kleinen Ebene hatte; am Fufs
jener Berghöhe soll ein anderes Tschiftlik des Klosters von Elassöna
liegen, vielleicht das oben erwähnte Vuvälla.
Die Eile, mit der ich dem Gebirge zustrebte, liefs es mich be-
dauern, dafs ich keine Zeit hatte, einen Felshügel zu besteigen, den
wir um 9 Uhr 30 Min. hart zur Linken streiften und an den sich noch
jetzt die Tradition knüpft, dafs er einst eine „Hellis" genannte Feste
auf seinem Rücken trug; Hellis ist bekanntlich ein Name, der an die-
sen ältesten Heimathssi tzen der Hellenen, im Gebirgsknoten von Hal-
mopia (Moghlena), am Olymp, wie um Dodona, in vielfachen Beziehungen
haftet, und ich halte es für sehr möglich, dafs eher auf diesem Hügel,
der den Weg vr öllig beherrscht, als an jener anderen Stätte, einst das
in religiöser, wie strategischer Hinsicht wohlbefestigte Heiligthum Py-
thion gelegen war. Ich hatte unter meiner Begleitung einen halben
182 Reise durch die Europäische Türkei.
neugriechischen Archäologen, der mir in mehrfacher Beziehung nützlich
zu werden versprach, Jusuf, Sohn des Papas von Kokkinoplo, den wir
am vorhergehenden Tage im kleinen Kloster von Elassöna getroffen
hatten und der gebeten hatte, sich mir bei meiner Tour auf den Olymp
anschliefsen zu dürfen. Der an diesem Hügel haftende Name Heilig
aber gewinnt um so mehr Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dafs
unweit dahinter das durch Ruinen bezeugte Dorf Sellos oder Seloe liegt,
und dafs schon in der alten Form dieser Namen S und H fortwährend
wechselten. Mit dem Bulgarischen stlo „Dorf, wie Heuzey meint, hat
letzterer Name jedenfalls nichts zu thun.
Die schön gepflegten Fruchtgfirten von Seilos füllen eine kleine
Thalöffnung hart am nördlichen Fufs jenes Kastellhügels, und an ihr
uns hinumwindend und auf solider Steinbrücke ein kleines, hübsch
bewachsenes Rinnsal kreuzend, erreichten wir das Dorf, das in einer
Oeffnung der Höhen zur Rechten mit seinen 30 Häusern recht anmu-
thig liegt und besonders im Frühjahr einen ganz malerischen Aufent-
haltsort gewähren mag, wenn man sich ein Zelt mitbringt oder sonst
leidliches Unterkommen verschafft. 'All Pascha hat diesen Ort wol
nicht gerade seiner reizenden Lage wegen ausgesucht, aber das grofse
leere Kastell, was am Dorfe hart zur Seite des Weges liegt, trügt die
Inschrift „1823, 'AH Pascha". Nachdem wir uns hier mit einem Trunk
kühlen Berg -Wassers erquickt hatten, setzten wir unseren Marsch
fort, indem wir nun Gelegenheit hatten, die schönen Schluchten
zu bewundern, in denen über dem Dorfe die verschiedenen Arme
des Stromsles herabstiegen. Denn es ging nun an dem ganz stei-
len Gehänge zwischen der Hauptkuppe des Olymp und dem Pierion
oder Titarios hinauf; Alles bis hoch hinauf mit balaneen bewachsen,
untersprengt mit dem stachlichten kleinen Atcfrof -Gebüsch; ein trocke-
nes Rinnsal zog sich zur Rechten herab, die Fortsetzung einer von
der Berghöhe herabsteigenden leichteren Schlucht Aber bald wurde der
Aufstieg waldig und felsig, und wir hatten den Ausgang der tief ein-
geklüfteten Spalte zu durchklettern, längs der ich in wenigen Stunden
in das Innere des Gebirges hineinsteigen sollte. Hier war die Struktur
des Berges aufgeschlossen, und Kalk- und Quarzschiefer stand zu Tage
mit wild zusammengebackenem Konglomerat dazwischen. Wir ge-
brauchten zehn Minuten zur Durchschreitung dieser Schlucht und waren
nun in einer Viertelstunde im Dorfe selbst, zu dem sich der grüne, aber
baumlose Abhang hinaufzieht. In der That macht Kokkinoplo mit
einer tcheshme nahe vor dem Dorfe ganz den Eindruck eines hoch-
gelegenen, recht winterlich kalten Bergdorfes und liegt wahrscheinlich
nicht unter 4500 Fufs Höhe. Die Häuser, etwa 500 an der Zahl, und
alle niedrig mit flacher Terrasse ziehen sich am Gehänge über ein-
ander hinauf und decken sich gegenseitig. Es hat seinen Namen von
Trennung in Kokkinoplö. — Anfang der Bergbesteigung. 183
der „rothen Erde* xoxxivov und nlo, einem Romäischen Worte, wie in
sehr lebensvoller Analogie die sudliche Fortsetzung des Olymp durch
ein Kokkino- petra „Roth-Fels" abgeschlossen wird. Das Dorf wird
ausschliefslich von christlichen Kutsovlachen bewohnt.
Da der Zabtie vorauf geritten war, wurden wir erwartet und so-
gleich in die Wohnung des Papas Joannes gefuhrt, des Vaters meines oben
erwähnten Begleiters, wo uns ein ganz behagliches Zimmer angewie-
sen wurde. Aber es war keineswegs meine Absicht, hier einen län-
geren Aufenthalt zu machen, und die Vorbereitungen zu unserem Wei-
termarsche gingen sogleich vor sich. Nun war verabredet worden, dafs
meine Pferde hier, begleitet von meinem Dragoman, dem Surudji, Zabtil
und dem Diener 'Abdi Agha's nordwestlich den Berg über Petra und Bron-
dos nach Letökhoro umgehen und mich dort erwarten sollten, während
ich mit 'Abdi Agha, Jusuf und 2 Führern den Olymp besteigen und
von dort über das Kloster des heiligen Dionysios ebenfalls in Letö-
khoro eintreffen sollte. Leider aber hatten mich die Leute glauben
machen, dafs Maulthiere ohne grofse Schwierigkeit den Gebirgskamm
überschreiten könnten und, da wir nun allerlei Sachen, besonders un-
sere Mäntel und Decken gebrauchten und überdies eine gute Quantität
Brennholz für unser Nachtlager auf dem Berge bedurften, liefe ich
mich überreden, aufser zwei sogenannten Führern auch zwei Maul-
thiere zu miethen, wie denn auch Yosuf sein eigenes Maulthier mit
sich nehmen wollte. Dies war ein sehr grofses, von mir aber unver-
schuldetes Versehen, das mir in der Folge gewaltige Noth verursachte,
zumal defshalb, weil wenigstens der Eine der sogenannten Führer
den Pfad gar nicht kannte, und höchstens Einer unter meinen vier
Begleitern je den Weg über den Kamm gemacht hatte. Das wufste
ich aber zur Zeit noch nicht, sondern glaubte vielmehr, dafs selbst
'Abdi Agha und Yusuf gut Bescheid wüfsten, wie sie mich wiederho-
lenden versichert hatten.
Nach einem sehr leichten Frühstück also — ich hätte ein recht kräf-
tiges zu Anfang einer solchen Bergtour entschieden vorgezogen — trenn-
ten wir uns nuu, und wir fünf, 'Abdi Agha, Yusuf, Nasios, Niköla und
ich machten uns mit unseren drei unglücklichen Maulthieren vom Dorfs
aus aufwärts den Abhang hinan. Da war nun gleich das langsame
Fortkommen der Thiere auf diesen steilsten felsigen Pfaden ein grofses
Hindernifs. Wir stiegen vorläufig aber nur über die Nase, die das Dorf
von der inneren Schlucht des grofsen lakkos trennt, und liefsen uns
dann nach 20 Minuten in die Schlucht selbst hinab. Gerade hier oben
am Rande gewähren die mit Bucbsbaum bekleideten marmorweifsen Kalk-
wände dieses tiefen und breiten Spaltes mit seiner am Boden mit Tan-
nen bewachsenen Sohle, die in grofsen Windungen dem Inneren des
Berges entstiegen, einen höchst malerischen Anblick, und wäre die
|g4 Reise durch die Europäische Türkei.
Pierische Berglandschaft, die sich vor der Oeffnung derselben lagert,
nicht gar so trocken und dürr zur Zeit gewesen, so hätte die Ansicht
noch eine ungleich schönere sein müssen; wie wir in den Spaltensack
hinabstiegen, zeigte sich auch das Dorf Sellös in seinem kleinen amphi-
theatralischen Halbkessel. Die Vegetation aber zeigte sich mannich-
faltiger, als sie von oben geschienen hatte und bestand aufeer balaneae,
aus juniperus oxycedrvs, xtÖQog, iXazog, mxQOVxaQta, ushtra und shin-
dämes (mit ausgezackten Blättern), und so mischte sich denn in rei-
cher Farbenpracht herbstliches Laub mit Immergrün. Der Tag war so
warm, dafs es mir in der Sonne in den für die Bergreise angelegten
Winterkleidern zu warm wurde, so dafs ich zufrieden war, als wir hinter
einer grofsen, von hohen kahlen Gipfeln zur Linken steil herabsteigen-
den Seitenschlucht in den Schatten traten. Da fingen allmählich Fich-
ten an, pevkos, Pinus Picea, vorzuwalten und die Stelle der Weifstanne
zu vertreten, und im weiteren Anstieg begann nach kleiner Lichtung
die herrlich reichste Weide den bis dahin mit Unterholz verdeckten
Boden der Schlucht, die sich allmählich zusammenzog, zu bedecken.
Dann hörte der Baum wuchs ganz auf, und die beiden Führer von Kökki-
noplö beluden das eine Maulthier mit einer guten Ladung von altem
Holze, da hier viele trockene Stämme umherlagen. Schon der treff-
liche Botaniker Grisebach hat bei Gelegenheit des Athos und Pindos
die Bemerkung gemacht, dafs die dortige niedrige Baumgrenze, weit
entfernt, anomal zu sein und etwa auf die Holzverwüstungen der alten
Griechen hinzudeuten, vielmehr sich genau an ein allgemeines Phäno-
men anschliefst, welches im ganzen Becken des Mittel meeres, am Kau-
kasus und in Teneriffa, sich wiederhole. Eine Krummholzregion fehlt
auch hier.
Während dessen stiegen wir drei Anderen voran, ans dem hier ganz
verengten lakkos hinaus, steil auf der mit langem Grase bedeckten süd-
lichen Schlucht-Wand, wo zwei verschieden einfallende Schichten des un-
tergelagerten Felsens zusammentreffen. Die schiefe Ebene wird vollstän-
dig von grünem Rasen und Alpentriften bedeckt und weder Gestranch
noch Farmkraut schmälern den Erwerb des Hirten, der hier während
der Sommermonate einer freigebig ihre Gaben spendenden Natur sich zu
erfreuen hat. So nach SSW. ansteigend, erreichten wir in 25 Minuten
eine in den Abhang des hier nackten Felsens, wie von Menschenhand
eingesenkte, runde, fast trichterförmige Aushöhlung, von vielleicht 100
Fufs Durchmesser, von den Eingebornen opsog genannt, aber anstatt,
wie uns versprochen war, in ihr Wasser zu finden, war sie zur Zeit
wenigstens ganz trocken. Das mag allerdings eine nicht ganz ge-
wöhnliche Erscheinung sein, da sie am Fufse hoch emporragender
Kuppen so gelegen ist, dafs sich gewöhnlich wol immer eine hinläng-
Aufstieg im Lakkos. — Nachtlager auf dem Olymp. 185
liebe Menge von Feuchtigkeit in ihr sammelt Aber für uns war es
der erste unangenehme Strich durch unsere Berechnung, da wir nur
wenig Wasser mitgenommen hatten und weiter aufwärts nun gleich-
falls nichts zu finden gefafst sein mufsten. Auch auf der anderen
Seite ist eine Höhlung, Paramikho genannt (vom alten fit^oV), und ge-
rade oberhalb des Punktes, wo wir den Boden des lakkos verlassen
hatten, eine andere Stelle, Rudi genannt, die stets Wasser haben soll.
Von hier wandten wir uns längs dem oberen Rande des lakkos,
der nun selbst steiler anstieg, in herrlicher Weide, die sich am Ab-
hang zur Rechten hinaufzog, und fast beim Gehen hemmte, nach SO.
und erreichten in einer halben Stunde einen schönen Weidekessel,
das Becken, aus dem der lakkos seinen eigentlichen Anfang nimmt
Eine spitze Kuppe ragte sehr 0. 25 S. herüber, während jenseit des Ein-
schnittes, dem Abhänge zu, eine grofse, breite Kuppenwölbung gemach
hinanstieg, gleichfalls mit schönster Weide bedeckt und von einem
Hirsche und zwei wilden Ziegen (ayoioyidaiv) belebt, die in schleuni-
ger Flucht sich meinen, ihr Verderben sinnenden Begleitern entzogen.
'Abdi Agha nämlich sollte ein sehr vortrefflicher Schütze sein, und er
sowohl, wie Yusuf, hatten sieh und mir Hoffnung gemacht, hier einen
Wildbraten zum Nachtessen zu erlegen; aber auch diese Hoffnung
sollte fehl schlagen, ein Verlust, der allerdings bei unserem Mangel
an Wasser, wie sich bald herausstellte, leichter zu verschmerzen und
sogar ein Glück zu nennen war. Mit tiefem Kummer dagegen er-
füllte mich die vollständige Ruhe und lauwarme, hier in diesen obe-
ren Regionen und in dieser Jahreszeit — Mitte Oktober — unna-
türliche Beschaffenheit der Luft, die mir zu den anderen, schon vorher
bemerkten Zeichen auch ohne Barometer einen nahe bevorstehenden
Wechsel des Wetters nur zu deutlich anzeigte. Diese, fast beunruhi-
gende, Ruhe machte sich besonders fühlbar in der kleinen nördlichen
Seiten schlucht, durch die wir dann den Kessel verliefsen und nun
wieder gemach anwärts stiegen, während Nasios, der uns hier nach-
kam, uns vergeblich zurückzurufen suchte, um nicht in zu exponirter
Lage die Nacht zuzubringen. Aber 'Abdi Agha hatte schon ein sich
erweiterndes Ende dieser Einsenkung, die gelegentliche Schlafstelle
eines Hirten , zu unserem Nachtquartier ausgespäht, und hier fafsten
wir nun Posto. Denn ohne den Schutz von einer kleinen Steinmauer
zur Seite wäre es unter gewöhnlichen Verhältnissen allerdings nicht
ratbsam gewesen, in solcher Berges -Höhe im Freien zu übernachten.
Selbst jetzt machte sich mit Sonnenuntergang allerdings eine ge-
wisse Kühle bemerkbar, und wir trafen sogleich Anstalten, unseren
Holzvorrath zu verwerthen und verzehrten dann unser einfaches mit-
gebrachtes Mahl von Huhn, Käse und Brod. Dann legten wir uns
186 Reise durch die Europäische Türkei.
nieder. Meine Begleiter nannten die Oertlichkeit Big ib axapvij. Ich
schätzte unsere Höhe auf 6500 — 6800 Fufs, da wir die Grenze der
letzten, vereinzelten Pinus Cembra schon um mehrere hundert Fufs
unter uns gelassen hatten.
Nun war eigentlich verabredet worden, dafs wir mit dem Mond-
schein unseren Marsch fortsetzen sollten, aber das erwies sich ans
verschiedenen Gründen als nicht thunlich, theils, weil es auf dem ver-
wickelten, von tiefen Schluchten zerrissenen Terrain, das nun vor uns
lag, kaum ohne Gefahr geschehen konnte, theils, weil ich dann den
Zweck meines Besuches des Berges , seine plastischen Züge möglichst
genau zu verzeichnen, verfehlt haben würde. Wir mnfsten also bis Ta-
gesanbruch warten, safsen aber schon um 2 Uhr beim Feuer zusammen.
Glücklicher Weise für meine Bergbesteigung hatte sich nun doch ge-
gen Morgen die Luft sehr abgekühlt, was die warme Bekleidung and
die Nähe des Feuers allerdings wünschenswerth machte; auch war ein
sehr starker Thau über Nacht gefallen, so dafs ich doch nun einige
Hoffnung schöpfte, das Wetter möchte sich diesen Tag wenigstens
noch halten.
Mit der ersten Tagesdammernng (um 5 Uhr) konnte ich endlich
meine Begleiter zum Ausmarsch bewegen, und wir fingen an, steil zur
Seite der Einsenkung nach O. 20 S. hinanzusteigen. So erreichten wir
in 15 Minuten den Band einer tiefen Kluft, Mikro Gurna genannt, eine
der vielen niv^q oder mvxai (IL XI, 77 ; H. ad Merc. v. 826), die den Göt-
terberg zu einem noXvntv%og machten (II. XX, 5). Die breite Klnft fallt v
mit 1000 bis 2000 Fufs hohen, fast steilen Kalkwänden ein and bildet un-
ten ein breites, wüstes Felsbett Ksero-laki genannt, das sich zuerst nach
N., weiterhin nach NO. hinzieht und augenscheinlich eine Oeffnnng an*
der Berggruppe gewährt, obgleich ich selbst bis zur Mündung keine
Uebersicht gewann ; aber meine Begleiter versicherten mich, dafs selbst
Karren von unten in diese Kluft; hinein kommen können Rossi's wei-
ter unten (S. 200) mitzuteilender Marschbericht bestätigt diese An-
gabe. Die Kluft selbst ist aber eine der charakteristischsten Züge des
ganzen Olymp und schneidet von dieser Westseite jeden Zugang zu den
höchsten Kuppen ab, welche diese Kluft eben völlig steil überragen and
daher auch nach W. hin jene angeheuren Abstürze (ffwutoff) zeigen,
wie sie mir vom Volustana aus erschienen waren. Die Oeffnnng die-
ser mächtigen Kluft ist es auch wol, die die Bresche in der oben S. 138
gegebenen Skizze bildet. Drei Kuppen ') sind es aber, die ans jener so
') Sollten es nicht diese drei, von Kozane aus so deutlichen, Hochkappen
sein, die in dem eigentümlich mystischen Liede vom Olymp (bei Heuzey, le Moni
Olympe p. 189) die drei Gipfel des Himmels ra xqUt axqa rov Ovqcivov
genannt werden?
Grofse Felskluft Ksero-laki mit Trani Gurna und Mikro Guma. \g^
angeschlossenen Masse emporragen, und ich habe sie ziemlich genau
niederlegen können, weil ich sie von verschiedenen Standpunkten aus
peilte, obwohl es auf diesem felsigen Terrain nicht eben leicht war,
die. jedesmal veränderte Distanz genau der Länge nach abzuschätzen.
Langsam, am Rande dieser wunderbaren Kluft fortschreitend , erreich-
ten wir in 20 Min. ihren oberen südöstlichen Winkel. Bis hierher hiel-
ten wir uns auf einem schmalen felsigen Hochkamm, der diese Mikro
Gurna genannte, in Wirklichkeit aber keineswegs kleine Kluft von einer
anderen Makro oder Trani Gurna genannten, und sogleich näher zu er-
wähnenden, scheidet Die letztere mufs, dem Namen nach zu schliefsen,
noch gröfser und bedeutender sein, ist aber jedenfalls so unregelmäßig,
dafs ich, besonders in der noch etwas schwachen Morgenbeleucbtung,
keinen vollen Ueberblick über sie erlangte. Von hier an aber setzt
längs des Steilabfalles nach Trani Gurna ein ganz schmaler Felsengrat,
eine Art Quermauer, hindurch, die den unteren Steilabfall der Kluft
von einem oberen, aus O. 35 S. her, sehr gemach geneigten und mit
dem besonderen Namen Odäs bezeichneten Theil desselben absondert.
Nun gewann ich einen Einblick in eine höchst sonderbare, kessel-
oder trichter-runde Einsenkung in der letzteren, die den besonderen Na-
men Dristela fuhrt und stets als naturliche Cisterne etwas Wasser ent-
halten soll — für uns war sie von hier fast unzugänglich, hätte uns
jedenfalls sehr viel Zeit gekostet, und dann war doch noch die Frage,
ob sie bei der diesjährigen allgemeinen Trockenheit Wasser enthielt.
An diesem Punkte angelangt, stellte es sich heraus, welch ein
Unsinn es war, die Maulthiere auf dieser Bergtour mitzunehmen ; denn
hier mufsten wir uns von ihnen trennen und, während wir uns links
jenseit jenes Grates abwandten, die Thiere mit einem der Führer quer
über Odas in die jenseitige grüne Senkung nach Bara hinabschicken.
Da erwies sich nun aber, dafs der Eine der beiden sogenannten Führer
aus Kökkinoplö, der mit den Maulthieren gehen sollte, den Pfad
zum Kloster hinab gar nicht kannte — leider wufste auch der An-
dere, Namens Nasios, wie die Folge bewies, ihn kaum besser.
Wir verfolgten also jetzt jenes schmale Felsgrat aus rauhestem
porenreichen Höhenkalk, dessen Flächen insgesammt nach SSW. ein-
fallen 'X und hielten uns fast genau auf eine der drei Kuppen zu, die
') Zur richtigen Würdigung der so eigenthonilichen Geotechnik des Olymp ver-
weise ich hier vorläufig auf die mir sehr wahrscheinliche Hypothese Grisebach's, dafs der
Athos oder Hagion Oros mit den Gebirgen des südlichen Thraciens und Makedoniens
gleichzeitig gehoben sei. Es ist hier ein Einsturz in Folge einer, anderen Ortes er-
folgten, vulkanischen Hebung Vollkommen deutlich oder vielmehr der Kampf zweier
in verschiedenen Richtungen sich kreuzenden und störenden Hebungssysteme, be-
zeugt durch den Serpentin an seinem Fufse. Daher die wunderbar anomalen For-
men, die tiefen Klüfte, die steil aufgerichteten Schichten. Man mag den Olymp
188 Reite durch die Europäische Türkei.
wahrscheinlich die höchste ist So fortkletternd erreichten wir in einer
halben Stande einen grofsen, amphitheatralischen Seitenkessel der Gurna,
der wegen seiner imposanten Breite und gröfseren Tiefe, da er plötz-
lich zu derselben Tiefe absteigt, wohin sich der Boden des südwest-
lichen Armes allmählich abgeneigt hat, den Namen Trani Gurna fuhrt,
„die grofse Gurna", indem dieser slawische Name im Verhältnifs zu Mikro
Gurna klar zeigt, wie wunderbar und eng in diesem Lande, selbst auf
seinem klassischsten Boden, Slavisches mit Griechischem vermischt ist
In diesem tiefen Kessel soll wiederum eine natürliche Cisterne mit
etwas Wasser sein , aber sie wäre von hier oben wol kaum zugäng-
lich gewesen, hätte uns aber jedenfalls mehrere Stunden Aufenthalt
verursacht. Wir umgingen also dieses grofsartige Felsamphitheater
oben an seinem Rande mit nördlicher Abweichung und erreichten
dann mit kleinem Abstieg durch eine leichte Einsattelung des Felsgra-
tes und dann wieder mit einem geringen Anstieg einen imposanten
Umsichtshügel. Es war das sogenannte ffgoAefo* ; so nannte es wenig-
stens Yusuf.
Der Ort selbst, sowie besonders der sich an ihn knüpfende Name
verdiente grofses Interesse. Denn, während wir bisher auf dem Grat in
einiger Entfernung zur Rechten die südliche Felsumsäumung von Odaa
gehabt hatten, die uns jede weitere Aussicht abschnitt, stand ich hier
auf einem beherrschenden Punkte, der mir eine wehe Aussieht eröffnete,
eine Aussicht, die wol das Herz Dessen, der für das alte Hellas,
seine Literatur und Kunst geschwärmt hat, mit Freude und Jubel zu
erfüllen im Stande war. Denn nach S. hatte man, östlich von der
beeren Magnesischen Halbinsel mit dem in seiner Vereinzelung, obgleich
wol mehr als 3000 Fufs niedriger als die Hochkuppe des Olymp, doch
immerbin grofsartigen Kissovo, dem alten Ossa (das Tempe-Thal natür-
lich als enge Schluchtspalte blieb versteckt), die höchste scharf ausge-
schnittene Berghöhe des eigentlichen Hellas, wahrscheinlich doch den
Parnafs, obgleich ich im Augenblick keinen Zweifel hegte, in der ent-
ferntesten Gebirgsscharte die hohe, Arkadien von Achaja trennende
Gruppe der Aroania und Kyllene zu erkennen. So grofsartig wie die
Aussiebt, so interessant war auch die Stätte selbst. Hier, in einer Höhe
von mehr als 7000 Fufs, hatte ein kleines quadrates Gebäude aus klassi-
scher Zeit gestanden. Was mochte es gewesen sein ? Ein kleines Wacht-
haus zum Schutz dieser Grenzscheide zwischen Thessalien und Makedo-
immerhin theoretisch zum sechsten Hebungssystem des Thüringer Waldes rechnen,
als gehoben vor dem Absatz der Trias- und vor dem Absatz der Juraformation,
aber an eine Hebungslinie von W. 40 N. — O. 40 S. ist jedenfalls nicht im Alier-
entferntesten zu denken.
Dm Scholeion mit seiner Fernsicht. — Grause Abstürze. 189
nien ? denn, dafs im Alterthum, wo die Gebirgsabhänge so bevölkert wa-
ren, dieser Kamm angleich häufiger überschritten wurde als jetzt, kann
wol nicht zweifelhaft sein. Oder, um über Schiffsbewegungen in dem Thes-
salischen Golfe Nachricht zu geben ? Ich kann darüber nichts gewisses
sagen. Allerdings der Name tf/oAtfo?, wol nur in der Tradition begrün-
det, deutet auf einen anderen Zweck hin und scheint es als Dichterschule
darstellen zu sollen. Aber, obgleich hier am Olymp, im klassischen,
von den beiden altberühmten Flüssen Haliakmon und Peneios um-
schlossenen, vielbesungenen Pierien sich die älteste Poesie der Helle-
nen entwickelt haben soll *), ist es gewifs verkehrt, an eine solche
Dichterschule zu denken, so poetisch und anziehend der Gedanke an
sich scheint. Dazu — alles Uebrige bei Seite gesetzt — war das dem
Anschein nach kaum 12 Fufs im Quadrat haltende Gebäude doch viel
zu klein. Eher konnte es eine Kapelle, ein Tempelchen gewesen sein,
obgleich gewifs nicht der berühmte Tempel des Jupiter. Jedenfalls
aber ist es wol die höchstgelegene Ruine aus dem klassischen Alter-
thume und so bewahre ich ein kleines Bruchstück eines der grofsen,
1 Fufs im Quadrat haltenden und etwa einen Zoll dicken entschieden
antiken Ziegel, aus denen es gebaut ist, mit Interesse auf.
An diesem so klassischen Punkte verweilte ich nur wenige Minu-
ten ; denn es trieb mich vorwärts nach der Kuppe zu, die ich so dicht
vor mir sah, und von der ich mit Recht eine viel grofsartigere Rund-
schau erwarten konnte. Hatte mir ' Abdi Agha doch Alles so nah darge-
stellt, dafs ich überzeugt war, in höchstens 2 Stunden würde ich oben auf
dem höchsten Gipfel sein. Ohne daher weitere Rücksprache mit meinen
Begleitern zu nehmen, die noch einen Augenblick zögerten, setzte ich
meinen Marsch fort und steuerte geradeswegs auf die erste Kuppe zu,
gemach an ihrem Abhänge anwärts steigend, der mit Trümmern, gleich
wie mit Schlacken, bedeckt war 2 ). Während ich so anwärts stieg,
fiel es mir auf, dafs 'Abdi Agha und Yusuf sich abwärts vom (tyoleio?
durch den Sattel wandten, den die Kuppe, auf die ich mich zuhielt,
mit der auf der anderen Seite einzeln stehenden Kuppe des heiligen
Antonios bildet, und bald holte mich Nasios ein und forderte mich
auf, selbst abwärts zu steigen, da ich in dieser Richtung nicht zum
Ziele käme. Wiewohl ungern, folgte ich ihm, da es mir leid that,
den dem keineswegs erfreulichen Gerolle abgewonnenen Anstieg wie-
') Siehe besonders die inhaltreiche Abhandlung des Herrn Prof. C. Petersen
Über das Alter der Hesiodeischen Poesie.
3 ) Unter diesen Stücken, die bei meinem Abstieg meist verloren gingen, hob
ich mir eins auf, das nach Herrn Dr. Roth Brauneisenstein oder wasserhaltiges
Eisenoxyd ist.
190
Reif« durch die Europliaetie Türkei.
der aufgeben zu müssen. So gelangte ich denn am nördlichen Saume
der von jenem Sattel am axoleiop sich abwärts ziehenden grasreichen
Senkung, die den religiösen Namen Stavroidia oder Stavropegia führt
entlang, und die beiden Kuppen a und b hart zur Seite lassend, in
50 Minuten plötzlich an den ganz jfihen Absturz einer Phtina (Phtera?)
genannten Kluft und schrak fast unwillkürlich zurück. Denn, schrecklich
wie jener Abgrund an sich schon war, wurde er doch für mich ins Beson-
dere noch viel schrecklicher. Aus der Tiefe nämlich, aus der das blaue
Meer um einzelne, inselhaft abgesonderte Vorgebirge nur noch wie zerris-
sene Fetzen hervorschauete, stiegen dicke massige Nebelwolken herauf,
die in einem Augenblick den ganzen Horizont und mich selbst einzuhül-
len droheten. Mein Begleiter war verschwunden und es dauerte eine
Weile, bis ich mich zurecht fand und sah, dafs ich zur Linken wie-
der etwas hinauf klettern mufste, um dann auf einer Seitenschlucht je-
nen fürchterlichen Abgrund zu umgehen. Dann kreuzten wir quer das
sehr lästige schlackenähnliche Gerolle des Abhanges der zweiten Kuppe
und standen nun oben am Rande eines fürchterlichen, aber grofsartigsten
Felsamphitheaters, das jedoch in einem Augenblick von den dichtesten
Nebeln umhüllt war. Hier verzagte 'Abdi Agha und legte sich jam-
mernd, dafs wir diesen selben fürchterlichen Weg zurück müfsten, auf
die Felsplatte nieder. Auch ich mufste mich einen Augenblick zu-
sammennehmen, um mich erst ganz in meine Lage hineinzufinden;
denn, nachdem ich gewähnt hatte, schon am Ziele zu sein, überzeugte
ich mich, dafs nun erst die Arbeit ihren Anfang nähme, und dazu nun
die Nebel, die mir den Preis meiner Anstrengung selbst, wie bei der
Peristeri, zu entreifsen droheten. Doch bald besann ich mich und be-
hutsam ging es vorwärts; denn Vorsicht ist hier allerdings in hohem
Grade nöthig. Wir hielten uns nämlich auf einer der höchsten, kaum
Grofsartiges Felsamphitheater im Nebelgewölk. — Kapelle des heil. Elias. 191
einige Zoll breiten Bänke jenes mehre tausend Fufs hohen Felsamphi-
theaters, hart zur Linken die 60 — 100 Fufs mit sägenartig eingezack-
ter Kante aufsteigenden, emporgerichteten Schichten desselben Quarz-
schiefers, der diese B&nke bildet. Eine Weile lang sahen wir von dem
fürchterlichen Abgrund unter nns gar nichts, und das war nicht so
übel, wenigstens für meinen dritten Begleiter Yusuf, der, als sich
nun jenes ganze ungeheure, wild romantische Panorama zu unseren
Füfsen wieder enthüllte mit der grimmen Schlucht, dem Unterlande
und dem Meere mit seinen Vorgebirgen und Inseln, niedersank und mich
beschwor, ihn zurück zu lassen, es sei sein Tod. Auch mich bat er
dringend, nicht weiter als höchstens bis zur Einsattelung der sogenann-
ten Porta zu gehen, und ich versprach ihm, zuerst das zu versuchen.
Ich setzte also mit Nasios allein meine gefährliche Wanderung fort;
die Stufen waren hier fast noch schmäler und mehr weggewittert, und
ich war in der That froh, als wir bei jener merkwürdigen Einsatte-
lung des Hochkammes angelangt waren. Aber leider, wie das bei
solchen Scharten und Gebirgsthoren gewöhnlich der Fall ist, wehete
hier ein eisigkalter Wind, der mir, warm wie ich war, nicht ganz die
Mufse gestattete, die ich gewünscht hätte, wenigstens gerade am west-
lichen Rande des Absturzes, wo sich eine merkwürdige Aussicht eröff-
nete. Hier ist nämlich eigentlich die Haupt- und Centralmasse des
Berges völlig steil abgeschnitten, und der ganze Rücken oder Sattel,
der die nach NO. vorgelagerten beiden Kuppen, von denen der Hagios
Elias den Abschlufs bildet, damit in Verbindung setzt, ist kaum 50 Fufs
breit, und auf der östlichen Seite jenes zackigen Grates der aufgerich-
teten Quarzschieferplatten steigt in dieser Richtnng eine ganz steile
Schlucht nach Westen hinunter, die einen Blick auf das gebirgige
Land gestattete, besonders markirt durch zwei hohe Kuppen, deren
eine, von Nasios Kisseli genannt, in W. 7 N., die andere in W. 23 N.
Doch leider verhinderte jene steil und ganz in der Nähe ansteigende,
obgleich an sich nicht hohe Wand zur Linken jeden Blick auf eine
der drei auf dem so abgesonderten Gebirgsknoten emporsteigenden Kup-
pen des Olymp selbst, die von hier aus ohne grofse Vorkehrungen
entschieden unzugänglich sind, wie auch mein Führer mir sagte, dafs ein
Russischer Archimandrit, der von der anderen Seite bis hierher gekom-
men sei, vermittelst Stricke vergeblich versucht habe, sie zu ersteigen*
Nach kurzem Aufenthalt setzte ich meinen Weg fort längs dieses
schmalen Nackens, der die halbinselartig vorgeschobene Kuppe des hei-
ligen Ellas mit der Hauptmasse des Berges verbindet, und, eine klei-
nere Kuppe zur Seite lassend, erreichte ich endlich, gegen 10^ Uhr, die
Kapelle des Heiligen. Das Häuschen ist aus rohen Steinen aufgeführt
und besteht aus zwei Kammern, deren hintere, die eigentliche Kapelle,
192 BeiM durch die Europäische Türkei.
den Altar, eine Metallplatte mit der Darstellung des Heiligen in Ge-
sellschaft eines Engels und des heiligen Dionysios, sowie einiges arme
Geräth enthält, aber leider kein Wasser. In Ermangelang 'dessen er-
frischte ich mich mit einem Apfel, den ich glucklicher Weise bei mir
führte und erfreute mich dabei von Herzen, dafs nun die Nebel sich
wieder zertheilt hatten und mir einen grofsartigen , mannichfaltigen
Blick eröffneten auf den Golf von Saloniki — die Stadt selbst sah ich
nicht — mit den so reich gegliederten Chalkidischen Halbinseln,
überragt vom hehren und klassischen, aber von hier winzig zusammen-
schrumpfenden Athos und der Insel Lemnos in der Ferne nach Osten,
Skyros im Sudosten. Jedoch war meine Zeit gemessen und Na-
sios drängte zur Eile; ich winkelte schnell verschiedene Oerter der
Ebene ab, wie Katarina, Karitsa, Brondos und Letökhoro, Winkel, die
in der Folge den gröfeten Einflufs auf die Eintragung dieser ganzen
Berggruppe üben mufsten. Am sudlichen Fufse der eigentlichen Kappe 1 )
des heiligen Ellas bildet der hier vorspringende Rücken eine unregel-
mäßige grasreiche Platte; aber sie ist Schafen nicht mehr zugänglich,
denn der einzige Zugang zu dieser Platte, aufser dem Pfade, den ich
gekommen war, bildet eine äußerst steile und beschwerliche Schlacht,
die von hier nach Brondos hinabsteigt, höchst wahrscheinlich der obere
Theil des Aräpo-lakos in Rossi's weiterhin folgendem Bericht
Um 1 1 Uhr verliefs ich Kuppe und Kapelle, die jedenfalls keinen so
ganz gemüthlichen Aufenthalt, wie die Kapelle auf dem Hajion Oros
gewährt, wo der eine der beiden Räume eine Cisterne, Holz und Kessel
zur leiblichen Pflege darbietet. Wie ich nun so meinen schwierigen,
jähen Rückweg längs dieses Olympischen schmalen Felswalles antrat,
genofs ich, da ich wenigstens ein Ziel erreicht hatte und also selbst
ruhiger war und, da auch der Himmel sich von den Nebeln fast ganz
geklärt hatte, mit noch volleren Zügen den wunderbaren Hinabblick in
das wahrhaft grofsartige und majestätische Panorama zu meinen Füfsen,
indem besonders die grofse, mit den herrlichsten Tannen bewaldete
wilde Felsschlacht, d. h. die nördlichste der drei tief eingeschnittenen
Wasserriilen dieses Ostgehänges der Olympischen Hochgruppe, die
sich erst weiter unterhalb mit den beiden anderen vereint, einen wan-
derbaren Gegensatz gegen die nackten Felsstufen bildete, die sie ein-
schlössen. So vorsichtig oben längs der Kante das Felsamphitheater
umkletternd, fanden wir Yusuf, den Jäger, noch immer an seinem
J ) Diese ganz abgesonderte Kuppe scheint sich zur Gesammtgruppe des Olymp
fast ganz so zu verhalten, wie Ljubatrin zur Schär-Kette; s. Grisebach an verschie-
denen Stellen seiner Reise durch Rumelien, bes. II. S. 309 „nur die Ljubatrin selbst
macht als isolirter Kegel von dieser Anordnung eine Ausnahme und ragt zuweilen über
den Einsattelungen (des Hauptkammes) wie der Schlußstein des Ganzen hervor".
Rückkehr. — Der Olymp keine Schneeregion. 193
Platze hockend; er war froh, data ich mein Unternehmen glücklich
ausgeführt hatte, and wir verfolgten den weiteren Rückweg gemein-
sam. Jedoch wollte er mir, ermüdet wie ich allmählich wurde, be-
schwerlicher vorkommen, als der Hinweg; auch hatten wir unsere frü-
here Kante verlassen und muteten auf sehr unerfreuliche Weise auf
den schmalen, völlig weggerissenen unteren Stufen auf- und nieder-
klettern, um den tiefen, vom gelegentlichen Wasserstrahl eingerissenen
Spalten auszuweichen. So erreichten wir glücklich den Punkt wieder,
wo wir 'Abdi Agha gelassen hatten; er hatte sich davon gemacht,
theils um etwas Wasser zu suchen, theils um den schwierigen Abstieg
ins Thal zu erspähen. Erst jetzt von diesem Sattelzugang zu diesem
wunderbar grofsartigen Natur- Amphitheater, so wie auch von dem wei-
terhin zu erwähnenden Punkte, überzeugte ich mich bei völlig klarer
Beleuchtung, dafs jene steile, nach Ost schauende Wand von der höch-
sten Kuppe durch wenigstens zwei tiefe Scharten getrennt ist. Es
sind offenbar die bei dem Einsturz der übrigen Massen aufwärts geho-
benen und emporgerichteten Platten, die wie Wälle stehn geblieben sind.
Wir verfolgten also unseren alten Pfad bis zum jähen Absturz
der Einsenkung von Stavroidia in die tief unten sich öffnende Felsen-
kluft Phtina, die den Anfang der mittleren Thalschluoht des Vithos
bildet; hier verliefsen wir unsere frühere Richtung und durchschnitten
-j^uer nach S. die Einsenkung. Denn ohne Wasser und ohne Mund-
vorrähte und ohne Schutz für die Nacht, wie wir waren, war an einen
weiteren Versuch, die Hauptkuppe zu ersteigen, nicht zu denken. War
es doch schon Nachmittag geworden und sah es mit unserer Errei-
chung des Klosters bei der Unkenntnifs unserer Führer ohnehin be-
denklich genug aus. Auch versicherte mich Nasios, dais man die Haupt-
kuppe doch nicht erreichen könne, da tiefere Schluchten sich davor-
zögen; dessen bin ich aber nicht gewiss und schlage einem späteren
Reisenden vor, von der Seitenschlucht hinter Stavroidia aus den Ver-
such zu machen; aber es ist jedenfalls ein mühseliges Werk, da der
ganze Abhang aus kleinem Gerolle besteht. Dafs aber selbst die
höchste Kuppe keinen Schnee zur Zeit hatte, also überhaupt nicht als
in die eigentliche Schneeregion hineinragend angesehen werden kann,
davon überzeugte ich mich von verschiedenen Punkten aus. Allerdings
nimmt man allgemein das Gegentheil an und findet diese Angabe in
allen Geographischen Handbüchern, auch in der neuesten Bursianschen
Geographie von Griechenland. Selbst Grisebach, der diese Frage, so
wie alle physiologischen, mit so viel Umsicht behandelt, gibt an, dafs
der Olymp einzelne Schneelager im Sommer nicht verlieren solle
(I. S.293; vgl. jedoch II. S. 32). Man wird natürlich nicht Schnee-
lager mit Schneelöchern zusammenstellen wollen; denn letztere -finden
13
jQ4 Reise durch die Europäische Türkei.
sich allerdings ; die sind aber sicherlich nicht maßgebend far die Schnee-
linie. Trotzdem konnte Homer mit vollem Recht dem Olymp die Epi-
theta äydrvtyog und nqioetg geben, da er den gröfsten Theil des Jah-
res, vielleicht auch unter gewöhnlichen Verhältnissen das ganze Jahr
hindurch, etwas Schnee hat; 1862 war allerdings ein ausnahmsweise
trockenes Jahr gewesen. Jedenfalls aber würde sonach kein ein-
ziger Berg der Griechischen Halbinsel in die Schneeregion reichen,
wie Pouqueville schon ganz richtig, wenigstens an einer Stelle, be-
hauptet hat *). Dennoch bin ich der Meinung, dafs Copeland's trigo-
nometrische Messung der Hochkuppe zu 9757 Fufs Englisch nicht über
die Wahrheit hinausgeht. Dagegen betrifft die andere, viel geringere
Angabe bei Fiedler von einer Höhe von 6738 Fufs gar nicht die Hoch-
kuppe oder überhaupt eine der Hochkuppen, sondern die um mehrere
tausend Fufs niedrigere, ganz abgelöste Vorkuppe des heiligen
Ellas. Einen entgegengesetzten und sehr bedeutenden Irrthum begeht
nun der Verfasser des „Mont Olynipe", indem er das Mafs der Hoch-
kuppe von 2972 Metres auf den kleinen Hagios Elias bezieht 1 ). Einem
*) Diese Aussage Pouquevilles findet sich tome II p. 242, womit anch p. 46
Übereinstimmt, wo er von dem Thatbestand der alljährlichen, selbst die höchsten
Gipfel betreffenden, Schneeschmelze spricht „lefait de la fönte totale des neige»,
qui a Heu chaque annee sur les sommets". Aber damit stimmt nicht seine mehr
poetische Angabe tome III p. 39 „les croupes du mont Olympe, dont les sommets st
dessinent majestueusement au dessus de la region des neig es.
a ) Ich stelle.hier alle, eigentlich topographischen Daten Herrn Heuzey's über den
oberen Theil des Olymp zusammen, zur Vergleichung mit meiner Beschreibung: (p. 132)
Descendus de nos mulets [ä Khristomilo'], il nous fallut alors gravir devaut uous, pm-
dant quatre grandes heures, une interminable pente, qu*on appelle Mavrolonggo (Je Boit-
Noir), ä cause des grands pins qui la couvrent du bas jusqu'en haut. (Test comme um
itroite arete, qui se conünue en montant toujours f entre deux ravins formte par les brat
du torrent. (p. 133) Le sol est une terre fine, qui siboule ä chaque instant sous Its
piedsy et que tapisse encore une herbe glissante. — Au sortir de ces bois t an toueke
ä la demiere limite de la Vegetation dans VOlympe: tout ce qui regne au dessus est
nu, couvert de pierres, auxquelles se mSlent ga et lä quelques touffee de gaeon br4-
lies par le vent. On se trouve ä Ventree dun vaste amphitheütre de grandes
roches coupees ä pic, qui s'ouvre en cet endroit de la montagne t et qui est forme par
les escarpements de ses plus hautes cimes. — (p. 134) Au fond de ce cercle immense,
se dresse une röche dun aspect remarquable, large, dechirie par le haut, tailUe en
forme de coquille. Cest le second des sommets de VOlympe r le plus ilevt
parmi ceux qui se groupeut au midi. On V appelle Kalogheros (le Moine), et la le-
gende rapporte qu'il sert de tombeau ä saint Dhionysios. Un peu plus loin, toujours
vers le midi t se montrent plusieurs cimes arrondies, groupies comme les nombreuses
coupoles dune basiliaue byzantine. Ce sont les cimes qui dominent Karya ei Sparmo
et tous les plateaux environnants. La plus elevee d entre elles est le troisieme
sommet de VOlympe: les habitants de Karya Vappellent Itchouma. (p. 135) Le
pium hrnui de tous* lern mansswseim de VOlympe, le pie eVUagiaa MTiHmst, se
dresse tout ä fait vers le nord. On met encore environ trois heures pour y arriver, en
suivant une espece de plate-forme qui regne sur les hauteurs. Ce sommet est
forme' lux- mime de deux pointes reunies par une crete; sur la plus Steve 1 e est
Höhe der Hochkappe. — Bara. 195
späteren Reisenden, der nun meine Arbeit vervollständigen wollte,
würde ich noch besonders rathen, die Kappe des heiligen Antonios zu
besteigen, von deren Spitze aus man unzweifelhaft gar Manches zur
Ergänzung meiner Mappirung nach der nicht von mir besuchten
Seite thun kann. Die Aussicht nach dem Griechischen Festlande hin,
wohin man vom heiligen Elias gar nichts sieht, mufs vom heiligen Anto-
nios aus prachtvoll sein, und ist diese Anhöhe offenbar dieselbe mit der
sonst bekannten und von Herrn Heuzey so genannten Kuppe Kalogeros.
Nachdem wir nun den tief eingeschnittenen Abzugskanal von Sta-
vroidia durchschritten hatten, stiegen wir ansehnlich auf den Buckel
des an die Kuppe des heiligen Antonios sich anlehnenden Rückens
hinan, und ich hatte von diesem Punkte, den wir gerade um 1 Uhr er-
reichten, eine wunderschöne Umsicht, die ich, während meine beiden
Begleiter sich behaglich ausruheten, zu neuer Abwinkelung und Kon-
trole meiner früheren Winkel benutzte. Von hier besonders stellte sich
der Hochkamm des steilen Grates bis zum zweiten Absturz als über-
aus zackig und zerrissen dar. Herrlich aber zumal war der Blick in
die Klosterschlucht des heiligen Dionysios mit ihren Tannen und Roth-
buchen, und ein Maler würde hier den schönsten Punkt zu einem wun-
dervollen und klassischen Gemälde finden. Glücklicher Weise ahnete
ich noch nicht , welche Beschwerde mir diese Schlucht noch verur-
sachen würde. Dahinter bildete das Meer und das reichst gegliederte
klassische Gestade, das jetzt ganz frei im schönsten subtropischen Son-
nenschein da lag, einen wahrhaft bezaubernden Hintergrund. Aber es
war wenig Mufse da zu stillem friedlichen Genufs; kaum war ich fertig
mit meiner Arbeit, so ging es weiter an dem dritten Felscircus oder
Felsamphitheater, oberhalb des südlichsten Armes der groJfeen Schlucht
Vithos, und abwärts steigend durchschnitten wir dann einen, jetzt, wie
alle Rinnen, trockenen, von einem breiten Sattel herziehenden Abzugs-
kanal, der hart zur Linken über tausend Fufs jählings hinunterstürzte.
Wie sollten wir selbst nun zu jener Tiefe hinabkommen? denn in jener
Schlucht führte unser Weg zum Kloster — und nun gar die unglück-
lichen Maulthiere. Diese fanden wir nun mit ihrem Führer Niköla in
einem schönen, grasreichen eingesenkten Hochplateau, Namens Bara,
constrmte une pauvre chapelle du prophete Elie, battue par les vents, si petite qu'on
peut ä peme iy tenir debout, et faxte avec des pierres brutes ramassees sur la place.
La hauteur du pic d'Hagios Hilias au-dessus du niveau de la mer est evaluie,
ä* apres les triangulations des carte* marines anglaises , ä 9,764p iedsj qui fönt
2,972 de nos mStres. Vergl. auch p. 138 Sur la cime la plus ardue t justement
ä Vendroit oü se trouve aujourdhui la petite chapelle d'Hagios Hilias , on dressa
plus tard au dieu un temple. Leider sind nun diese, auch auf Herrn Heuze/s
Karte eingetragenen, unrichtigen Angaben für alle neueren Bücher mafsgebend ge-
wesen und haben so weite Verbreitung gefunden.
13 #
296 Reise durch die Europäische Türkei.
v
in die wir von jenem Rücken an leichtem, mit Knotengras bedeckten
Gehänge hinabstiegen. Hier nun offenbarte sich auch mir der trau-
rige Thatbestand, dafs selbst Nasios keinen für die Maulthiere oder
überhaupt auch nur für Menschen von hier aus praktikabeln Pfad in
die Schlucht hinab wufste; guter Rath ward theuer. Wahrend dessen
beobachtete ich mit grofsem Interesse, obgleich mit nicht eben freu-
digen Gefühlen, dafs auf einer Kuppe jenseit der nach dem heiligen
Antonios benannten, und die gleich der nördlichen Schlufe- und Vor-
kuppe dieses merkwürdigen Gebirges nach dem heiligen Elias benannt
ist, entschiedene Regenwolken sich bildeten, und ich trieb um so mehr
vorwärts, es möge gehen, wie es wolle. Dieser heilige Ellas bildet
den westlichen Abschlufs der die Einsenkung von Bara im S. begren-
zenden Höhen, unter denen sich mehrere, besonders aber die Pnakia
genannte Kuppe, die ich von mehreren Punkten aus peilte, durch
kühne konische Gestalt auszeichnet. Es ist jedenfalls ein höchst
interessanter und erst den ganzen eigentlichen Charakter
der Berggruppe anschaulich darstellender Zug, dafs die bei-
den, nach den verschiedenen Seiten, nach N. and S. , vor-
geschobenen und fast abgelösten Kuppen den Namen dieses,
auf den Vorstellungen des heidnischen Alterthumes auf-
gepfropften Heiligen, des Erretters im Ungewitter, führen.
So setzten wir uns denn nach Ost mit etwas nördlicher Abwei-
chung in Bewegung, indem auch 'Abdi Agha sich wieder zu uns gefun-
den hatte. Nur langsam ging es vorwärts und endlich stockte unser
Zug ganz. Zuerst freuete ich mich des Aufenthaltes und genols den
merkwürdigen Rückblick auf die hohe Mauerwand, die ich umgangen,
so wie die wunderschöne Aussicht in die Schlucht vor uns. Dieser
oberste Arm führt den Namen Gölina, während der nächste nach Nor-
den, diesseit Phtina, Zilina heifst, aber beide sind ohne lebendiges, ewig
quellendes Wasser, und erst die dritte Schlucht, die den bezeichnenden
Namen Romäiko trägt, führt dem Vithos oder, wie Andere ihn nennen,
Skurtis seinen schönsten, lebendigsten Schmuck, den frischen Quell-
bach zu. Aber die Schlucht hatte neben ihrem w und erroman tischen
Aussehen doch für die praktische Rücksicht des Abstieges etwas gar
zu Ernsthaftes, um eben erheiternd zu wirken und, wenn es 'Abdi
Agha in der ganzen Zeit, dafs ich mich abgemüht hatte, nicht gelun-
gen war, einen Abstieg zu finden, wie sollten wir das jetzt, da es cur
Eile drängte. Endlich kam die Wahrheit an den Tag, und er rief mich
auf, während wir die Maulthiere mit unseren drei Gefährten oben
liefsen, mit ihm allein den Weg zum Kloster zu suchen und zwar
sollten wir den Abstieg in verschiedenen Richtungen erproben; ich
sollte den Rinnsal des Sturzbaches selbst versuchen , während er von
Die beiden Ellas-Kuppen. — Ungünstiger Abschlufs der Bergbesteigung. 1 97
Baum zu Baum kletterte ; wir hatten jetzt «Jen oberen Anfang der Baum-
zone erreicht, c. 5600 F. hoch. Zuerst that mein Freund einen derben Fall
und einer seiner Schuhe stürzte als warnendes Beispiel unrettbar eine
steile Schlucht hinunter; im Ganzen aber fuhr er besser als ich, da ich
anfing, ohne starkende Nahrung, wie ich den ganzen Tag geblieben
war, mich ermüdet zu fühlen, und da das Rinnsal sich als nichts,
als eine Reihen-Folge der fürchterlichsten Katarakten erwies. Glück-
lich jedoch kamen wir Beide diesen ersten steilen Abfall hinunter, und
nun ging es eine Zeit lang etwas besser, und wir begegneten uns meh-
rere Mal, er im Waide und ich längs des Abzugkanals, dann aber,
als ich ihm einige Zeit hoch durch den Wald gefolgt war und sah,
dafs wir in der Folge nur um so tiefer hinab steigen müfsten, liefs
ich mich verleiten, auf das Gerathewohl durch den Wald dem Rinnsal
nach abwärts zu steigen und folgte letzterem wieder. Das ging auch
eine Zeit lang gut; dann aber, wo der Kanal von steilen, mit Busch
dicht bekleideten Ufern eingegrenzt und kein nahes Ausweichen mög-
lich war, folgten zwei ganz steile Katarakten hart auf einander. An
der ersten liefs ich mich in halber Höhe, wo der Fufs versagte, los
und kam mit schwerem, aber doch glücklichen Fall unten an, sah
nun aber, dafs die zweite an dreifsig Fufs Höhe hatte und auch nicht
den geringsten Anhalt bot. Erschöpft wie ich war, mutete ich mich
also mit ungeheurer Anstrengung an den kleinen Gesträuchen wieder
hinaufziehen und fing dann an, im Walde hinaufzuklettern, fand mich
aber durch das abgefallene und getrocknete Nadellaub in meiner schon
verzweifelten Anstrengung sehr gehemmt, und obgleich endlich gefällte
Bäume mir anzeigten, dafs ich in dem Bereich menschlicher Thätig-
keit angelangt sei, war ich mit dem Eintritt der Dunkelheit doch so
völlig erschöpft und so kraftlos, dafs ich mich entschlofs , nach zwei
abgefeuerten Schüssen, meinen noch im Uebrigen geladenen Revolver,
der mir übrigens als Zugabe meines Gürtels meine Tageskletterei
nicht eben erleichtert hatte, zur Hand, mich unter den Tannen nie-
derzulegen, obgleich der mittlerweile pechschwarz überzogene Himmel
eine nicht eben trockene Nacht verbiete. Nachdem ich so etwa zwei
Stunden gelegen hatte, vernahm ich mit Freuden, dafs man mich mit
lautem Rufe im Walde suchte und da ich zu erschöpft war, um im
Finstern zwischen den Bäumen länger umher zu tappen, brachte ich
die Suchenden allmählich mit meinem steten Gegenruf herbei. Es
waren ihrer zwei Leute, von 'Abdi Agha, der mittlerweile, aller-
dings noch nicht das Kloster, aber doch die oberste Sägemühle des
Thaies erreicht hatte, ausgesandt, mich zu suchen und herbeizuführen ;
ich folgte ihnen mit geistiger Freudigkeit aber körperlich fast un-
freiwillig, und dieser Marsch im Finstern durch den Wald und dann
198 Reise durch die Europäische Türkei.
in dem wild ausgehöhlten Felsen- Abzügskanal voll kleiner unvollkom-
mener Bracken zum Holztransport, völlig verschmachtet, wie ich war,
da ich seit verflossener Nacht nicht einen Tropfen Wasser genossen
nnd, da mein Begleiter versäumt hatte, mir davon zu schicken, war
eben kein frohes Werk. Endlich um 9£ Uhr Abends erreichte ich die
erste Sägemühle oder Priöni, auch nach seinem Besitzer Khristo „Khristo-
milo" genannt, und konnte mich wenigstens an einem Trunk Wasser,
etwas Brod nnd Käse laben. Es war eine halboffene Holzbude, ohne
die geringste Bequemlichkeit , aber bei einem grofsen Feuer schlief ich
nach der Anstrengung vortrefflich.
So erwachte ich denn am folgenden Morgen (Donnerstag den
16. Oktober) gestärkt und erfrischt, und machte mich alsbald mit
meinem Begleiter auf den Weg nach dem Kloster, da hier unseres
Bleibens nicht sein konnte. Vorher jedoch schickten wir unseren wild
aussehenden und kräftigen, aber gutmüthigen Wirth auf das Plateau
hinauf, um unsere Leute und das Gepäck wo möglich herunter zu
schaffen.
Es hatte in der Nacht geregnet, und die sonst romantisch wilde,
prächtig bebaumte Schlucht war in schwarzes Gewölk gehüllt, und
feuchte Nebel hemmten die Aussicht, selbst auf geringe Entfernung.
Die ganze Sohle des lakkos — denn auch diese Waldschlucht ist dem
Anwohner ein lakkos — ist hier voll von Holzsägen „ priönia ft ,
die dem Kloster einen reichen Ertrag abwerfen, aber mit der Zeit,
wenn nicht ökonomisch gewirthschaftet wird, dem Waldreichthnm
sicherlich Eintrag thun möchten. Nach etwa zehn Minuten verläfst
der Pfad die Thalsohle und windet sich links auf die Thalwand hinauf.
Hier begegneten uns mehrere Züge Maulthiere, um Holz aus der obe-
ren Priöni abzuholen. Dies ist der wohlbetretene Pfad, der einerseits
geradesweges an die Skala des heiligen Theodöros, andererseits nach
Letökhori fahrt. Um aber zum Kloster des heiligen Dionysios zu ge-
langen, mufs man nach etwa einer halben Stunde. von diesem gröfse-
ren, stets ansteigenden und den ganzen Gebirgssporn des Thaies ab-
schneidenden Pfad auf schmalem Fufssteig wieder abwärts steigen, läfet
hier am Bache wieder eine Sägemühle zur Rechten und durchschneidet
dann einen dichten Wald von Wallnufsbäumen und Haselnuftsträu-
chern, jetzt schon in herbstlicher Bedeckung, bis man dann plötzlich
die hohen Mauern des Klosters emporragen sieht. Im Sommer mufs
dies ein köstlicher Aufenthalt sein, jetzt aber sah Alles feucht und kalt
aus und es fehlte besonders an warmer Beleuchtung. Aber der Zustand
des Klosters selbst machte mich fast frösteln. Denn der erste Hof war
seit der Beraubung und halben Zerstörung des Gebäudes im Jahre 1827
oder 1828, noch nicht wieder hergestellt und machte mit seiner halb
Die Sägemühle. — Das Kloster des heiligen Dionysios. 199
eingefallenen Eckmauer einen überaas öden und verfallenen Eindruck.
Der innere Klosterhof dagegen, mit seinen stattlichen Hallen umher,
sah auf den ersten Blick recht gut und wirthlich aus und die Kirche
war neu geweifst. Auch das Gastzimmer, in das wir gewiesen wur-
den, hatte wenigstens einen gewissen Comfort an Decken und Teppi-
chen und alsbald wurde Holz gebracht und ein lustiges Feuer ange-
facht; aber schon auf den Kaffe muteten wir lange, lange warten und
dafe hiermit für's Erste die Bewirthung erschöpft sei und dafs es vorläufig
gar nichts Anderes gäbe, hörte ich bald von dem Oekumenos, der uns
unter bitteren Klagen auseinandersetzte, wie in Folge eines lange an-
haltenden Streites zwischen den beiden Hegumenen die ganze Bewirth-
achaftung des Klosters trotz seiner jährlichen Einnahme von 150,000
Piastern, theils von den oben beschriebenen Sagemühlen und dem
Holzhandel, theils von seinem bis nach Rufsland hinein gelegenen
Grund ei gen th um, ruinirt sei. Wir müfsten uns also mehrere Stunden
gedulden, da er wegen der gewöhnlichsten Nahrungsartikel erst nach
der Metokhi geschickt habe; denn es fehle an Allem. Anstatt etwas
Substantiellen hatte ich mich also vorläufig mit dem Gastgeschenk
eines Blumenstraufses zu trösten, unter denen Meneksi und Vasilikö
die Hauptrolle spielten.
Jedenfalls konnten wir Beide aber froh sein, hier wenigstens unter
sicherem Obdach uns zu befinden; denn bald nach unserer Ankunft
brach ein heftiger Regen los und liefs uns mit Theilnahme an unsere
Gefährten und unsere Sachen hoch oben im Gebirge denken.
Um mir die Zeit zu vertreiben, machte ich dann einen Umgang
durch das Kloster, fand aber Alles in dem abscheulichsten Zustande
von Verwahrlosung und Schmutz; unter allen Gemächern war eben
das Gastzimmer das einzige, das leidlich in Ordnung war, alle übri-
gen standen verlassen und leer. Einige Zimmer jedoch haben sehr
grofsartige und prachtvolle Aussicht, aber zur Zeit genofs man davon
leider nichts , da alle Höhen bis tief herab in dickes Gewölk gehüllt
waren. Die Kirche, als vor drei Jahren ausgebessert, war eben noch
in leidlichem Zustande; auch das Dach war mit Blei gedeckt, mit Aus-
nahme einer einzigen der fünf Kuppeln, wo die Bleibedachung noch
fehlte. Im Inneren der Kirche interessirte mich allein das den Namens-
Heiligen des Klosters, den Hajios Dionysios selbst darstellende Ge-
mälde, das allem Anscheine nach älteren Datums ist '). Dieser Hei-
lige soll dem XII. Jahrhundert angehören und von den Meteöra, den
berühmten Klöstern am oberen Salambria, herstammen; es ist aber
nicht unwahrscheinlich, dafs an eben dieser Stelle im Alterthume ein
■) Vergl. darüber Heuzey p. 181.
200 Reise durch die Europäische Türkei.
Tempel des Dionysos oder Bacchus stand. Gewidmet ist das Kloster
eigentlich, gleich anderen Olympischen Klöstern, der Dreieinigkeit oder
Hajia Triadha.
. Endlich gegen Mittag erhielten wir ein bescheidenes Frühstück,
und schon eine halbe Stunde später erschienen, vom rüstigen Khristo
geführt, nicht allein unsere drei Begleiter, sondern zu unserem gröfs-
ten Erstaunen auch die Maulthiere, die ihnen freilich die unge-
heuerste Anstrengung gekostet hatten, den Abhang an der zugänglich-
sten, von der unsrigen ganz verschiedenen, Stelle herunter zu schaffen;
leider vergafs ich zur Zeit, genau zu erfragen , an welcher Stelle das
ihnen gelungen. Jedenfalls hat aber vor vielen Jahren ein Saumpfad
von Kökkinoplö und Skamniä her dort irgendwo bestanden und wäre
ein solcher ohne grofse Mühe auch wieder herzurichten, da man in Win-
dungen den Pfad bequem genug von Bara aus hinabfuhren könnte ').
Wir brachen nun also um 1£ Uhr Nachmittags mit wieder vollzäh-
ligem Trofs vom Kloster auf und stiegen zuerst steil den Abhang hin-
auf bis 2 Uhr, wo wir uns oben am waldigen, dicht mit Farnkraut
bestandenen Hochrande oberhalb der Thalschlucht hin wanden, leider
auch hier ohne die geringste Ahnung der malerischen Landschaft um
uns her, da Alles in dichteste Nebelmasse gehüllt war. Nach halber
Stunde, nachdem man sich etwas hinabgesenkt hat, überschreitet der
Pfad einen ganz schmalen Felsrücken, von dem auf der nördlichen
Seite wahrscheinlich eine tiefe malerische Schlucht hinabsteigt. Bald
dahinter trennt sich der Pfad und konnte ich mich hier — allerdings
etwas verspätet — noch an sehr schönem Wein laben, der erst jetzt
zu meiner Bewirthung aus der Metokhi herbeikam. Dann steigt man
bei einer Gruppe grofser mächtiger Platanen abwärts; aber hier war
der Lehmboden nach dem heftigen Regen über alle Mafsen schlüpfrig
und unerfreulich, und wir liefen oder glitten mehr, als dafs wir gingen.
So liefsen wir denn die am Abhänge liegende Metokhi in der Entfer-
nung von 20 Minuten zur Linken und überschritten das der Wald-
') Ich bemerke hier, dafs Herr Heuzey unzweifelhaft sich an den Aufttieg,
dessen gewaltige Steilheit und Schwierigkeit er genugsam cbarakterisirt (on ne peut
imaginer montee plus magnifique et en meme temps plus pdnible p. 183),
versucht hat, dafs er aber von der oberen Natur des Berges nur eine sehr unbe-
stimmte und verwirrte Beschreibung liefert, die durch seine kartographische Dantei-
lung nur vermehrt wird. Jedenfalls wird sich Jeder nach meiner Beschreibung und
Karte hinlänglich tiberzeugen können, dafs von einem eigentlichen Plateau oben
kaum die Rede sein kann. Die von Heuzey und Anderen Kaldgeros genannte Kuppe
ist, wie oben S. 195 angedeutet, wahrscheinlich identisch mit derjenigen des heiligen
Antonios. — Auch der Pfad vom Kloster Über die Mltokhi der Skala an die Küste
ist auf Heuzey's Karte falsch gezogen, da er bis zum Scheidewege der von 'mir selbst
zurückgelegte Weg ist, der sich oben am Thalrande entlang hält.
Kloster des heiligen Dionysios. — Let<5khoro. 201
Schlucht des VTthos entströmende, jetzt angeschwollene Flüfschen des
alten Enipeus auf kleinem Holzsteg, und ruckten, nach einem Ansteig
auf dem felsigen Steilufer, um 3 Uhr 30 Min. unter Freudenschüssen
und dem festlichen Empfange der Bevölkerung, die durch meine, ober
den Pafe von Petra vorausgesandten, und daselbst schon gestern Mor-
gen angekommenen Leute in Bewegung gesetzt, trotz des schlech-
ten Wetters herausgekommen war, um den fremden Bergbesteiger zu
empfangen, in den ganz ansehnlichen Ort ein, wo ich des wirkli-
chen Quartte res mich erfreute und treffliches, kräftiges Nachtessen vor-
fand, aber zugleich auch eine lange Rechnung zu berichtigen hatte.
Abgesehen von der Unwissenheit meiner Führer, besonders aber von
der Unvernunft, unter solchen Umständen noch Maulthiere mitzunehmen,
und abgesehen von der Veränderung des Wetters, hatte mein Quer-
zug über den Olymp mich im höchsten Mafse befriedigt. Denn er
hatte mir zum ersten Male die wahre Natur dieses, in der alten klas-
sischen Geographie so bedeutungsvoll hervorragenden Berges, mit Aus-
nahme des noch nicht sicher ermittelten Perlm mit seinem Y61-tepe*
unzweifelhaft des höchsten auf der ganzen Griechisch - Türkischen
Halbinsel, aufgeschlossen, und ich hätte nur zu gern seine Erfor-
schung von allen Seiten vervollständigt. Vor Allem hätte ich natürlich
auch gar gern einen Blick in das herrliche Tempe geworfen, obgleich
Neues dort weniger zu thun war. Aber es drängte mich, nach Saloniki
zu kommen, um endlich wieder Nachrichten von meiner Familie zu
erhalten; auch war die für solche Bergerforschungen geeignete Jah-
reszeit zu Ende. Augenblicklich war bei dem ungünstigen Wetter gar
nichts zu thun. Das nur betrübte mich besonders, dafs ich nicht noch
wenigstens diesen Rand des Gebirges klar überschauen sollte, was mir
noch manche Berichtigung meiner Aufnahme erlaubt haben würde. Ich
beschlofs nämlich, da ich meine vier Pferde doch einmal bis Saloniki
gemiethet hatte und da auch das Meer in dieser Jahreszeit keine so
sicher zu berechnende schnelle Ueberfahrt verhiefs, zu Lande den gro-
fsen Golf zu umkreisen.
Am Abend zog ich noch einige Erkundigungen ein. Der Ort
— Letökhoro „Ort der Leto", nicht Lithokhoro. „Steinbock* 4 —
hat an 500 Häuser, deren Bewohner sämmtlich Christen sind und sich
eines gewissen Wohlstandes erfreuen. Denn aufser dem Produkt des
Bodens, besonders Mais, wovon jährlich an 500,000 Kilo ausgeführt
werden, nebst dem aus den Gebirgsschluchten gewonnenen Holzbetrieb,
blüht hier auch noch eine kleine, besondere Industrie, nämlich die
Verfertigung der sogenannten oxond, d. h. der groben regendichten
Mätrosenmäntel, von denen jährlich 100 — 150 Stück verfertigt und
für je 850 — 1000 Piaster verkauft werden. Der Bach treibt auch
202 Reise durch die Europäische Türkei.
eine Kornmühle. Letökhoro sammt Leptokaria (60 Häuser), Pandele-
mona (ebenso), Skotina (ebenso) und dem kleinen (nur 16 Häuser),
aber seines stets von 25 Kanonieren bemannten ygovQiov wegen,
wichtigen Platamöna gehören zum Regierungsbezirk Katarina.
Zur Ergänzung meiner eigenen Aufnahme theile ich hier nun auch
den, keineswegs uninteressanten, Bericht meines leidlich gebildeten Dra-
gomans Rossi über den von ihm mittlerweile zurückgelegten Weg um
den Nordfufs des Berges mit. Ich hatte ihn besonders instruirt, auf
Alles zu achten und Alles zu Papier zu bringen, und man wird sehen,
dafs er meinen Auftrag, mit Ausnahme von Abwinkein, das er nicht
verstehen konnte, ganz gut gelost hat
Er brach also gegen 1 Uhr Mittags von Kokkino -plö auf und
marschirte wahrscheinlich gut, da er sowohl wie seine Begleiter zu
Pferde waren.
Beim Aufbruch vom Dorfe hatten sie zur Rechten die Hochkuppe
des Olymp, zur Linken eine tiefe Schlucht mit Rinnsal Der Abhang
war mit Baumwuchs der kopanisa reich bekleidet. Dann löst sich zur
Rechten ein Hügel kenntlich vom Berge ab mit einem [Weiden?]-
Baum (tsairia), links hat man vormals bebautes Terrain, während
die ganze Strafse mit kleinen Steinen bedeckt ist (also hier dasselbe
Geröll von den Hochkuppen, wie auf der anderen Seite). Von Bäu-
men zeigen sich besonders piksos und tsimtsiriä; auf dem Abhang
des Olymp aber wiederum grofse tsairia. Zur Linken, unten am Rinn-
sale, zieht sich die groffee Strafse nach dem Kloster Petra (auf der die
grofsen Heerzüge des Xerxes, Brasidas, Kassandros und anderer Heer-
führer Thessalien betraten, die wir aber schon vor Selos zur linken
gelassen hatten).
(Nachdem man bald hinter Kökkinoplö den Sattel überschritten,)
steigt man abwärts und kommt zu einer alten Wasserleitung kyngia,
aus grofsen Quadern erbaut und noch jetzt voll Üiefsenden Wassers.
Oben, weiter oberhalb des Weges, erhebt sieh eine grofse Koppe und
dann eine (ändere?) Namens Kranya. Nahe am Fufs derselben ist
ein Quellbrunnen von e Abdi Agha erbaut. (Dieser mein Begleiter hatte
nämlich, wie oben S. 175 angegeben, die Einkünfte dieses Bergdistrik-
tes einzusammeln.) — Bei weiterem Abstieg des Wegefe hat man in
der Entfernung von etwa 1 \ Stunde von Kökkinoplö eine grofse Fels-
masse zur Seite, Namens Komeni Petra, von Menschenhand mitten
durchspalten, um einen Weg zu bahnen» — Dies ist ein Soheidepunkt
der Strafse und scheint hoch und frei zu liegen, da man von hier
aus das Meer und Saloniki erblickt. Während bis hierher Buchsbaum
und grofse Bäume in dichter Menge reichen, treten jetzt grofse Bäume
nur vereinzelt auf, dagegen aber bedeckt sich der Boden mit Farrn-
kraut, und der Weg ist jetzt ohne Steine (oder Geröll).
Rossi's Bericht über seinen Marsch am den nördlichen Fnfs des Olymp. 203
Man überschreitet nun, abwärts steigend, einen Quellbach, Zinul ge-
nannt, von der überragenden Kuppe Kartik herabkommend, and bat dann
zur Reehten einen Hügel, Porös genannt, mit reichem Quellwasser,
das mehrere Sägemühlen treibt; ihrer sind im Ganzen fänf, von de-
nen man aber nur dreier ansichtig wird. Dann steigt man aus dieser
Einsenkung wieder an. Mittlerweile ist auf die „früher angebaute" Thal-
senkung zur Linken, daher Paleä-khörapha genannt, ein Hügelland
gefolgt mit alten Weinbergen (daher auch Paleampela genannt) und mit
Hütten, und weiterhin entfaltet sich auf dieser selben Seite hinter die-
sem Paleampela der Berg Shabka; dann eben da Skhöpaton mit altem
Quellbrunnen.
Von oben, auf der anderen Seite, den gemachten Anstieg wieder
abwärts steigend, erblickt man drüben (nach NW.) den Berg Milli
(Milia) mit gleichnamigem Dorf von 80 Häusern. Der Berg schliefst
sich an Paleampela an, während hinter dem Skhöpaton der Berg Kli-
vnkish (Phlamboro bei Heuzey?) mit 2 weifisen Kuppen hervorkommt.
Nun folgt in Rossi's Bericht eine höchst interessante Notiz über
den Kserolakos, welche diese, von mir S. ! 86 beschriebene, merkwürdige
Felskluft in ihrer Ausmündung mit diesem nördlichen Wege verbindet:
Er fährt nämlich so fort: Von hier steigt man nun in die tiefe
Felsschlucht Kserolakos hinab, deren steile Wände aus grofeen Fels-
massen mit Grottenbildung bestehen, von deren Höhe herab zwei
grofsartige Felskuppen wie zwei Hörner, Khavri genannt, her-
überragen. Der Boden dieser Felskluft besteht ans Sand und Stein
und hat auf der Oberfläche keinen Wasserstrahl, aber plötzlich unter-
halb bricht eine grofse Wassermasse, einer Quelle gleich, hervor. Am
Rande (wol nahe der Mündung) Hegt eine (dritte) vorspringende Kuppe
des Olymp, Namens KsenSbatos, woher Holz für das Kaiserlich Tür-
kische Arsenal kommt, und jenseit des lakos kreuzt ein anderer Weg
[wol eben der Holzweg zum Kserobatos] den Hauptweg. Von dem
Fufs dieser Kuppe nun betritt man eine baumreiche Ebene, Namens
Bara [„stagnum" verschieden von der gleichnamigen oben S. 195 an-
gegebenen Hochebene des Olymp], mit einer Quelle und einem stets
Wasser haltenden Teiche, der voll Blutegel ist. Von hier sieht
man zur Linken die Dörfer Baraza [Heuzey's Vraza] mit 30 — 40
Häusern , Retimia ' ) mit 80 Häusern , Burdan [ein mir sonst unbe-
') Es ist wahrscheinlich, dafs Retimia weiter östlich von den oberen Gehängen
der Pierischen Berge, bedeutend ferner als es auf Heuzey's Karte gezeichnet ist, liegt,
da der Weg von Petra nach Venia (dem alten Berrhoea) dieses Dorf berührt, mit
4 Standen von Petra und 4 anderen Stunden von dem von Heuzey besuchten Ko-
kova, mit dem 1 Stunde entfernten Kloster PnSdiomo am Indje Kara-sü. Es liegt
doch aber richtig bei Heuzey, angenommen, dafs der Weg Über die Höhen selbst
führt.
204 Reise durch die Europäische Türkei.
kanntes Dorf] und Drantsia [H. Dranista?] mit etwa B0 Häusern und
einem Kloster des Hagios Georgiern. Alle diese Dörfer liegen auf
den Hügeln, etwa je eine Stunde von einander entfernt; etwas unter-
halb Drantsia aber liegt Kulukür [sie, obgleich die Oertlichkeit offen-
bar mit dem „Mont Olveros" bei Heuzey zusammenfällt]. Zur Rech-
ten vom Flufschen [dem Mavro neri?] liegt das Dorf Lokova, dann
folgt das Dorf Petra mit einem Kloster, das vormals oben auf dem
Felsen lag und wovon man die Ruinen noch sieht, das später aber
(offenbar, als die Bedrückungen der Christen aufhörten) in das Dorf
verlegt ist Das Kloster [das verfallene Kloster Petra?] liegt wol zwei
Stunden entfernt oben am Gehänge. Im Thale führt die grolse Strafse
nach Katarini und an ihr liegt ein, einen Engpafs beherrschender und
nvQyog 2rav<io%ia genannter, jetzt aber verfallener, Thurm. [Vergleiche
zu dieser ganzen Beschreibung des Petra -Passes Heuzey p. 149.]
Rechts am Wege liegt nun Brondos [das also durch diese Ent-
fernungsangabe Rossi's und durch meinen Winkel (N. 25 0.) von
der Kapelle des heiligen Elias mit meiner Aufnahme in genaue Ver-
bindung gebracht wird, was um so wichtiger ist, da es auf Heuzey 's
Karte sehr unrichtig angesetzt ist]; es ist im Ganzen etwa 4\ Stunde
[= 14 — 15 Engl. Geogr. Meilen] von Kokkinoplö entfernt Das Dorf
hat 60 Häuser, insgesammt von Walachischen Griechen bewohnt, und
wird von einer Kuppe [Hagios Elias s. oben S. 183] überragt, von
welcher eine schwarzfinstere, von mächtigen Felsmassen eingeschlos-
sene enge Schlucht, Arapo-lakos genannt, mit einem tiefen Wasser-
strom herabsteigt. Der Strom jedoeh verliert sich eine Strecke weit
unter den Felsen, bis er wieder hervorkommt und mehre Sägemühlen,
acht an Zahl, treibt. (Hier in Brondos übernachteten meine Leute.)
Am folgenden Morgen setzte Rossi seinen Marsch fort, nicht auf
dem oberen, steinigen Wege am Gebirgsgehänge, sondern auf der un-
teren, ebneren und gröfseren Strafse und gelangte in etwa 1 j- Standen
zur Kornmühle Papütcb dirmeni. Hier ist Alles eben, reich an den
kokötchies genannten Bäumen und an Dorngesträucb ; aber der Weg
ist steinig. Die Landschaft fahrt den Namen Varko.
Zur Linken liegen die Dörfer Kondriötissa, Karitsa [von Heuzey
nicht erwähnt, von mir aber vom Hagios Ellas aus gesehen und ge-
peilt] und Maladria (das alte Dium).
Auf der Seite des Olymp fuhrt ein anderer Pfad ab nach der
[oben S. 176 erwähnten] M&okhi hin, während links nach dem die
Ebene durchziehenden Flufschen, dem Mavro-neri, hin ein dritter Pfad
nach Katarina führt. Jedoch gibt es an diesem Abhänge zwei Met-
okhi und kommt man eine halbe Stunde vor der zweiten [von mir ge-
sehenen] zu der ersten Metokhi mit dem Beinamen Hagia Paraskevi —
Lage von Brondos and Petra. — Aufbrach von Letdkhoro. 205
Etwa | Stunden, nachdem man den nach Hagios Theodöros führen-
den Pfad zor Seite gelassen, im Ganzen in etwa 3| Stunden von der
Papütch dirmeni genannten Mühle, erreicht man Letökhoro, indem
mau kurz vorher den Flufs auf einer Holzbrücke überschreitet".
Dieser ziemlich anschauliche Bericht meines nicht ungebildeten
Dragomans kann den Kartographen wohl in den Stand setzten, auch
den, von mir selbst nicht besuchten, Nordabhang des Berges in größe-
rem Mafsstabe mit manchem neuen Detail zu bereichern.
Da ich nun am Sonntag Mittag in Saloniki sein wollte und bis da-
hin eine im Ganzen bekannte Landschaft zn durchziehen hatte, brach ich
am folgenden Morgen (am Sonnabend) für diese Jahreszeit in aller Frühe,
um 4 Uhr 50 Min. (Berliner Zeit) auf, nachdem ich von 'Abdi Agha
einen herzlichen Abschied genommen. Wirklich erinnere ich mich
kaum je, unter diesen Türk-Griechen einen so feinen, anstandigen Men-
schen gesehen zu haben, und, obgleich er in Beziehung auf die Be-
steigung des Berges Manches schlecht angeordnet hatte, verzieh ich
ihm diese Fehler gern und stellte ihm in Griechischer Sprache ein,
meine völlige Zufriedenheit ausdrückendes, Zeugnifs aus. Ich machte
nun auf dem Weitermarsche, da wir sehr eilig ritten, blofse Distanz-
bemerkungen. Defshalb gab ich auch den Besuch der keineswegs
ganz uninteressanten Ruinen von Dium auf, über welche, mit Einschlufs
des interessanten Grabmales, wir Herrn Heuzey (p. 113 ff.) einen ge-
diegenen Bericht verdanken, und beschlofs den geradesten Weg zu
verfolgen. Indem wir eine halbe Stunde hinter Letökhoro den Vithos-
Enipeus auf einer Brücke überschritten, erreichten wir, als eben
die Sonne in feurig rothem Aufgang aus dem Meere aufgetaucht war
und in mir die vergebliche Hoffnung erweckt hatte, es möchte mir doch
noch beschieden sein, die Ostgehänge des altberühmten Berges in leid-
lich klaren Umrissen zu erkennen, um 6 Uhr 10 Min. die Kapelle des
heiligen Theodöros mit dem Gumruk und Ehän.
Von hier setzten wir nach viertelstündigem Aufenthalt unseren
Ritt fort und überschritten, durch sumpfiges, im Winter ganz unter
Wasser stehendes, Grasland fortrückend, nach wenigen Minuten auf
der Papas köprü genannten Brücke ein ansehnliches, etwas stagniren-
des Gewässer, das mein, des Landes wohl kundiger, neuer Geleitsreiter
Mavro-neri benannte '). Mittlerweile hatte das, nur von der Macht
der aufgehenden Sonne getheilte, Gewölk sich wieder zusammengezo-
gen und es fiel leichter Regen. Auch. gestern hatte es hier augen-
scheinlich tüchtig geregnet, so feucht war der Boden; um so merk-
würdiger und auffallender war es, als wir plötzlich um 7 Uhr 20 Min.
') Keiner dieser Umstände stimmt mit Henze/s Aufnahme dieser Gegend.
206 Reiae durch die Europäisch« Türkei.
bei einem kleinen, ganz flachen und jetzt trockenen Rinnsal in eine
völlig trockene und höchst staubige Ebene traten , wo auch nicht ein
Tropfen Regen gefallen war. Dieser Umstand scheint defshalb be-
achten swerth, weil dieser Punkt wol genau auf der Linie der so merk-
würdig von der Hauptgruppe des Olymp nach Norden vorspringenden
heiligen Eliaskuppe liegt, die als hehrer Sitz des „ Wolkensammlers 6
eine vollkommene Wetterscheide auf die ser Seite zu bilden scheint.
Auffallend aber ist es auch, dafs die Quellströme von Petra, die
(abgesehen vom kleineren Helikon, der nach Heuzey (p. 121), nach
zeitweiligem unterirdischen Lauf, als der Baphyras der Alten wieder
zum Vorschein kommen soll) den alten Aeson bildeten, nicht zu jeder
Jahreszeit das Meer erreichen, sondern sich im Boden zu verlieren
scheinen. Zur Zeit enthielt dieses kleine Rinnsal nicht einen Tropfen
Wasser. Heuzey gibt diesem Abzug den Namen Mavro-neri,' ein Name
der allerdings ganz gewöhnlich ist und sich unzählige Mal wiederholt,
aber der doch wol eigentlich einem solchen, blofs temporären Rinnsal
mit geringerem Rechte zukommt; eben seiner augenblicklichen Abge-
storbenheit und Trockenheit wegen vergab ich ganz, seinen Namen
zu erfragen.
An jener Stelle übrigens liegt eine kleine, zum Schutz der Strafse
errichtete Militärstation, wo ich zwei neue Wächter zunehmen mufste:
denn diese Gegend ist fast stets durch die Nähe der Bergschlachten
räuberischen Angriffen sehr ausgesetzt, und gerade zur Zeit fanden
noch dazu blutige Reibungen zwischen den Bewohnern der verschie-
denen Dörfer Statt. Von dieser Station hatten wir uns nur zehn Minuten
entfernt, als wir einer sehr stark eskortirten, nach Larissa bestimmten
offiziellen Geldsendung begegneten. Sie bestand aus zwei Millionen
Piastern, die auf fünfzig Maulthieren, zu je 45,000 Piaster, geladen
waren und war bis Saloniki zu Meer aus Konstantinopel gekommen.
Diese Summe war dazu bestimmt, den seit 5 Monaten rückständigen
Sold des in Larissa stationirten Truppenkorps zu bezahlen , and eine
derartige, in der Türkei eben nicht allzu häufige Erscheinung liefs
mich schon zur Zeit ahnen, dafs man wohl besonderen Grund habe,
jenes Armeekorps bei guter Laune und kampfbereit zu halten; auch
war es, wie ich hörte, ganz ansehnlich und zählte 4000 Reguläre and
5000 Irreguläre oder Bashi-Buzüks.
Die Ebene ist hier mit Farrn in dichten massigen Gruppen be-
kleidet, mit einzeln stehenden Bäumen dazwischen. Während das
höhere Gebirge von dicken Wolkenmassen umhüllt war und mir so
einen grofsen Theil meiner Arbeit raubte, erkannte man nur das Dorf
Kondriötissa zur Linken, in der Entfernung von etwa einer Meile, vor
der Mündung eines Bergpasses. Um 8 Uhr trat der Peleka zu unse-
Die Küstenströme des Ostgehänges. — Geld-Kafla. — Katarina. 207
rer Rechten in Windungen heran and wir überschritten dieses hübsche
Flüfschen, das durch seinen frisch dahin rieselnden Strom sich vor
dem sonst an Wassermenge wol grösseren, aber mehr stagnirenden
Vorgänger, meinem Mavro-neri, das zur Zeit gar kein Wasser hatte,
vortheilhaft auszeichnete und diesem Umstände wol auch seinen alten
Namen Levkos verdankt. Sein oberer Lauf, mit dichten Massen von
Qebüsch eingefafst, blieb uns dann noch eine Weile zur Linken und
wir hatten seinen Band kaum verlassen, als wir auch schon die er-
sten Wohnungen des weit aus einander gelegenen Katarina oder Ka-
terini erreichten, dessen Bewässerungsgräben und Pfützen auffallend
gegen den trockenen Boden umher abstachen.
Um keine Zeit zu verlieren geleitete ich auf der Stelle meinen
Dragoman zum Hause des Kaimakäm's, um sofort mir einen andern
Reiter zum Geleit bis Saloniki zu erbitten und begab mich dann selbst
zu einem kleinen Imbifs in den Khan, folgte dann aber einer Einladung
des Kaimakäms, ihm persönlich meinen Besuch zu machen. Es war ein
alter gesetzter Türke, Namens Hassan Bcy, der schon einige Jahre
auf seinem Posten war und demgemäfs das Land, das er regierte,
leidlich kannte; auch gab er mir mit Freuden alle erwünschte Aus-
kunft. In seiner Gesellschaft befand sich ein Europäisirter Grieche,
Namens Biso, der besonders wohlwollend mir begegnete und mich
ganz gegen meinen Willen nöthigte, mit ihm in seine fränkisch
schmutzige und keineswegs sehr behagliche Wohnung zu kommen und
ein Frühstück bei ihm einzunehmen.
So hatte ich fast zwei Stunden in Katarina verloren, war nun
aber auch für einen längeren Ritt vorbereitet, und zehn Minuten nach
10 Uhr setzten wir unseren Marsch rüstig fort. Die Ebene behielt
im Allgemeinen ihren Charakter bei, aber das Farrngesträuch wird
seltener und unter den Bäumen nehmen herrliche Platanen oder Ka-
ra-aghatch einen hervorragenden Platz ein. In der gegenwärtigen
Dürre mit nur vereinzelten, frischbelaubten Bäumen erinnerte mich die
Landschaft lebhaft an manche Afrikanische Gegend. Um 11 Uhr
zweigt sich ein Pfad nach Büyuk oder Megalo Ayäni ab, und gleich
darauf erblickt man das Dorf zur Linken in der schönen, aber fast
unbebauten Senkung. Diesseits von jenem Dorfe bemerkte ich kein
Rinnsal, wenn auch nur ein trockenes, obgleich Heuzey hier das Bett
des alten Mitys ansetzt, und erst zwölf Minuten jenseit kreuzten wir
das sandige, baumreiche Bett eines Rinnsales. Dann erstiegen wir höhe-
res Terrain und gewannen hier eine schöne Uebersicht über das Meer,
das leidlich klar und frei war, obgleich die gegenüber liegenden Ufer
nicht deutlich zu erkennen waren. Darauf ging es durch eine, dicht
mit Tchikovia-Gebüsch besetzte Gegend, wo vor drei Jahren die Post
208 Reise durch die Europäische Türkei.
angefallen und ausgeraubt worden war. Seitdem gibt es hier kleine
Wachtposten die jedoch nur zur Zeit der Messe oder an dem allwöchent-
lichen Posttage montirt werden. Um Mittag, wo die Sonne das Gewölk
zu zertheilen anfing, erreichten wir ein kleines trockenes Rinnsal and
verloren hier zehn Minuten. Das kleine oder Mikrö Ayäni, das Heuser
hart an der Strafse zeichnet, liegt so weit zurück, dafs man es gar nicht
sieht. Dann liefsen wir nach zehn Minuten die Ruinen einer Kirche
des heiligen Petros am Wege und erreichten um halb ein Uhr das
Dorf Eitros mit wenigen großen, weit auseinander gelegenen Häu-
sern. Hier weilten wir eine Viertelstunde und labten uns an einer
Tasse Kaffe, und ich fand, dafs der Khan ganz leidlich versehen
war, nicht allein mit dem ewigen Raki, sondern auch mit Hühnern
und Wein.
Das Dorf liegt hoch und frei, aber gleich dahinter steigt man
durch eine Senkung, in welcher der Brunnen liegt, aus dem sich die
Einwohner versorgen; dann geht es wieder aufwärts und so über hö-
heres Terrain fort, bis man (um 1 Uhr 10 Min.) einen tiefen, dicht be-
baumten lakkos oder Schlucht passirt, in der einst ein Ehodja erschla-
gen sein soll. Als wir dann wieder das mit Eichen- und Tchikovia-
Gebüsch dicht bewaldete Hügelland erstiegen, gewannen wir nun end-
lich in der heller gewordenen Beleuchtung eine Ansicht des in so
schöner Lage am Meerbusen gelegenen Saloniki, während das Dorf
Elevtherokhöri weit sichtbar auf der Hügelerhebung sich zeigte. Hier
war das Erdreich in Folge der Dürre von Rissen und Spalten durch-
zogen, aber gleich folgte wieder eine andere Waldschlucht, die von
einer schwarzen Euppenerhebung in der Entfernung von einer halben
• Stunde zur Linken herzuziehen scheint Es folgte dann (1 Uhr 45 Min.)
die dritte Schlucht, zu der ein kleinerer Arm von der Rechten sich
zugesellt; hier tränkten wir unsere Pferde an dem von Platanen be-
schatteten anmuthigen kleinen Strombett und stiegen dann auf weifsem
Kalkterrain anwärts auf das erwähnte Elevtherokhöri zu, das wir um
2 Uhr 10 Min. erreichten. Jene drei Waldschluchten bildeten wohl sicher
die Hauptvertheidigungslinie des Makedonischen Heeres in der Schlacht
bei Pydna, und die Stadt dieses Namens selbst lag in der Nähe von Ki-
tros oder Elevtherokhöri. Vor dem Dorfe sieht man einige kleine Wein-
gärten; aber ungleich interessanter waren mir drei kümmerliche Oel-
bäume. Es waren nämlich die ersten Exemplare dieses echt Griechischen
Baumes, die ich auf dieser ganzen Reise gesehen hatte; denn keines
der reicheren Produkte der gemässigten Zone der Mittelmeerküsten
eignet sich für das Land jenseit der Berge, Zagöra oder Hochbulga-
rien, weder Seide, noch Baumwolle, noch Reis, noch Oel. So erzählt
unter Anderem Leake, dafs ein vom Bischof von Shatista in sei-
Das Schlachtfeld von Pydaa mit seinen Waldachlachten. 209
oem Garten gepfianzter Oelbaom schon nach dem aweiten Jahre aus-
ging.
Das Dorf gelbst liegt etwa | Engl. Meile vom Meere entfernt, auf
einer beherrschenden Höhe, mit weiter Umsicht nach allen Seiten hin:
nach NW. aber das ganze Emathische Tiefland bis nach Yenidje hin und
nach SO. weit ober den schönen Golf hinaus. Besonders anschaulich fiber-
sieht man von hier das weit vorgeschobene Schnabel- Delta des Vardar.
Die Häuser, etwa dreüsig an Zahl, sind firmlich, aber die Kirche ist an-
sehnlich. Sehr auffallend waren mir die noch ganz unbearbeitet und trok-
ken daliegenden Stoppelfelder. Zehn Minuten hinter dem Dorf durch-
schnitten wir ein kleines, jetzt trockenes Rinnsal, dessen solide Steinbrücke
aber genugsam anzeigte, dafe es nicht stets ohne Wasser sei. Nach fünf
Minuten führt ein Seitenweg nordöstlich ab nach der Skala, und diesen
hätten wir besser gethan, einzuschlagen; ich hatte mich aber überreden
lassen, in Libanovo zu übernachten, und so verfolgten wir mit einiger
Unschlüssigkeit die grössere Straf se, allmählich von den Hügeln ab-
wärts steigend, bis wir (2 Uhr 40 Min.) ein tiefes Rinnsal kreuzten.
Dann wieder ansteigend hielten wir uns hart am Abfall der Hügel-
kette nach der vom Flusse angeschwemmten Alluvialebene, die hier
am Rande schön bewaldet ist Von hier aus sah ich zu nicht gerin-
ger Verwunderung, dafe auf der Skala von Elevtherokhöri eine An-
zahl ansehnlich grofeer Schiffe lagen. Um 3 Uhr 25 Min. überschritten
wir das jetzt trockene Rinnsal von Topolitsa (?), und uns nun west-
licher abwendend erreichten wir ( 3 Uhr 40 Min.) das auf einer fla-
chen Anhöhe gelegene libanovo. Die ganze Landschaft, die ich durch-
zogen, hatte (in dieser allerdings ungünstigsten Jahreszeit) den Ein-
druck grofser Dürre und Trockenheit gemacht, aber der Eindruck, den
dieser Ort machte, war wirklich abschreckend. Und dem entsprach
auch unser Empfang, als wir uns an den Papas wandten; denn, ob-
gleich derselbe ein sehr ausgedehntes Gehöft bewohnt, schützte er
doch Krankheit der Seinigen vor, um uns auf das Ungastlichste ab-
zuweisen.
So setzten wir nach 10 Minuten unseren Marsch fort, indem wir
nun mit N. 30 O. dem Kara-Indje-sü zueilten, um den wo möglich
noch heute zu überschreiten, da hier nur eine ganz kleine Fähre liegt,
bei der wir am Morgen mit unseren fünf Pferden viel Zeit verloren
haben würden. Hier, am Fufee der Hügel ist offenbar das altere Fluß-
bett des „salzreichen" Haliakmon, in Folge dessen der Boden mit Salz
geschwängert und mit Tamarixgebüsch bedeckt ist Dann aber folgt
guter Ackerboden und darauf freies schönes Weideland , von grofsen
Schafheerden belebt So erreicht man den Flufs in der Entfernung
von 2| Engl. Meilen von libanovo. Der Kara-Indje-Sä, der alte Ha-
14
210
Reise dnroh die Europäische Türkei
akmon, den ich zwieohen Korane und Seividje« ra bequemer Forth
durchschritten hatte (S. 167) war hier, vielleicht besonders in Felge
des letzten, im Gebirge gefallenen Regens, «reinem recht «stattlichen
Strome angeschwollen and hatte, bei einer Breite Wie etwa die Spree
bei Moabit, in der Mitte «wischen 8—10 Fufe Tiefe. WÄhrebd'«et dort
in das grofse Pieriscbe Thal, nach dem Ematbischen' Stammlahäe den
ältesten Anwuchs des Makedonischen Königreiches (Tfooe. 1. ü c. 99);
das, wie es aus verschiedenen natürlich getrennten' Beulten allmählich
zusammengesetzt worden, so auch wiederum leicht lösbar ~war $4m»
sui facilis Liv. L XLV c. 29), eintritt und so in einem, nach N. vor-
greifenden mächtigen Halbkreis die Vorberge de» Olymp omÄiefst, macht
er an dieser Stelle, wo er dem nahen Meere zueilt, eine Biegung *oa
W. 30 S. nach O. 30 N. ; diese, för den Strafeenverkehr so wichtige
Stelle verband ich nun mit meiner übrigen Aufnahme,' indem ich sie durch
einen Winkel (S. 30 W.) an die höchste Kuppe des Olymp anknöpfte.
War doch meine übrige Wegrichtung von Letökhoro bis fitarthevokberi,
selbst ohne Winkelnahme, durch- den Umrifs der stets nahen -Meeres-
küste hinreichend vorgezeiehnet. Der in seiner ganzen Lange sicht-
bare Olymp aber gewährte von diesem Punkte aas in der 'Abend-
beleuchtung einen wirklich ätherischen Anblick als ein die Wölken
überragender hehrer Sitz der Götter; denn so lagerte sich « der ganze
höhere Kamm, mit den 11 oder 12 hervorragenden und klar ao> unter-
scheidenden Höckern und Kuppen hoch eraporeteigeiid, ii> «tätlichster
Ruhe über der breiten, das ganze Gebirge quer durchschtieidenden
Wolkensohicht, ein Anblick, von dem beiliegender Hölzschnitt wenig-
stens eine schwache, in den äufseren Umrissen treue Vorstellung gibt
Denn, bis der Kahn vom jenseitigen Ufer herüberkam und dann allmäh-
lich unsere 5 Pferde eines nach dem anderen über die Fluthen des Ha-
liakmon hinübertrug, hatte ich Moföe genug* nicht allein des hehren An-
blickes sattsam mich zu freuen, sondern auch eine klein« Skizze davon
zu machen. Zu ihrem Verständnils und zur rechten Identificirung der
einseinen Kuppen bemerke ich nur, dafs man sich ja klar den Stand-
punkt, von dem aus sie genommen ist, vergegenwärtigen mufs (ich
hatte mich selbst darin einen Augenblick geirrt); daraas ersieht man
Der untere Haliakmcm: — Der Olymp ah Gottersitz. 211
denn, dafe die Schlafskuppe zur Rechten keineswegs, wie es auf den
ersten AnbMck scheinen möchte, der (nördliche) heilige Elias sein
kann* sondern die hart über Kokkinoplo* aufsteigende Kuppe sein mufft.
Die Einsenkong zwischen den beiden gleichmfifsigen Kappen am lin-
ken Fmh- der höchsten Gipfeking ist allem Anschein nach eben der
SatteJpals von 8tavrotdia, durch den ich den Kamm aberschritten.
Als wir nan so den ganz ansehnlichen Strom hinter ans hatten,
saften wir wieder auf nnd eilten dem Zabtte nach, den ich vorausge-
sandt, am ans Nachtquartier in! den nahe hinler dem Flosse in einer
Reihe liegenden Hätten zu Sachen. Nach einigen Umständen wurde
nns das gröfsere Gemach der einen Hütte von seinen Besitzern ein-
geräumt, nnd ich erhielt, wie das auf dem Lande aafserhalb der gre-
isen Städte auf dieser Reise gewöhnlich der Fall war, ein solides, gut
gekochtes Abendessen. Die Bewohner sind Walachische Kolonisten,
die -sich hier auf einem, einem in Saloniki angesessenen reichen Kauf-
mann, Namens d'Orlando, gehörigen Landbesitz gegen Pacht, wie es
scheint, angesiedelt haben. Die Hüttengruppe nennen sie nach dem
benachbarten Dorfe Klidi (dafs wir am andern Morgen nach einer hal-
ben Stande zur Linken liefsen) xliSt tu xalvßw, die Sommer-Hütten
von Klidi. Ich war mit meinem Quartier zufrieden and freute mich
so des guten Resultates der Ungastüchkeit des Papas von Libanovo.
Da wir -nun so diesen ersten Flufe hinter uns hatten, ward uns zu-
gleich der Vortheü, dafs wir am folgenden Morgen in aller Frühe un-
seren Marsch fortsetzen konnten. Wir brachen demgemäfs schon um
4^ Uhr (Berliner Zeit) auf und hatten nach einer Stunde den maleri-
scttenAnbück, wie die Morgenröthe unter dem Bogengewölbe der in der
Entfernung znr Rechten das alte Flofsbett des Rhoidias oder Lydias,
ded heutigen Galliko, überspannenden antiken Bracke, wie in einem
künstlichen Rahmen emgefafst, über das Meer herüber, uns entgegen-
leuchtete. Aach entsprach der Schönheit dieses Schauspiels später der
Sonnenaufgang selbst, als Helios hinter der herrlichen konischen Spitze
des Athos hervortrat nnd den Olymp als wahren Göttersitz mit seiner
Glorie umgofs. : Die Idee dieses Berges als Sitz der Götter konnte
überhaupt, meiner Ansicht nach, viel leichter von dieser Seite her, als
von irgend einer andern entspringen; hier nämlich erhält man ein ganz
klares Bild von den verschiedenen Kuppen, während von Westen her
der Obertheil stets mehr oder weniger verdeckt ist; denn der grofsar-
tige Anblick, wie er sich mir vom Glockenturm von Kozäne entfal-
tete, ward den Alten wol kaum zu Theil. Jenes alte Flufsbett übri-
gens, einer grofsen breiten Strafee vergleichbar, wo der Flufs noch
vor 30 Jahren seinen Lauf nahm, durchschnitten wir erst um 5| Uhr.
Der ganze, von Salz geschwängerte Boden ist auch hier dicht mit Ta-
14*
212 Heise durch die Europäische Türkei.
marixgebüsch bewachsen ; denn dieser häufige Wechsel des Flufsbettes
hat einen groisen Theil der sonst so fruchtbaren Alluyialebene des
Axios-Vardar dem Anbau entzogen. Erst um 6 Uhr 10 Mio. erreich-
ten wir das jetzige Bett des Flusses, und ich erfreute mich auch hier
einer alten Bekanntschaft, besonders da ich diesen, im alten Gra-
jerleben höchst bedeutungsvollen und schon von Homer besungenen
Strom in seinem oberen Laufe an seiner malerischsten Stelle kennen
gelernt hatte, da, wo er ein zweites, nördliches Tempe ') zum Schutz
der reichen, unteren Makedonischen Landschaften bildet, die. ich nun
so im Dreiviertelkreise durch alle Bergketten und Schlachten tunzo*
gen und von ihrer bedeutungsvollsten und für Geschichte und Geo-
graphie interessantesten Seite als na türlich % wie politisch, ursprunglich
ganz geschiedene Kessel- oder Ringbecken kennen gelernt hatte.
Hier war der Axios-Vardar nun zu einem wirklich in grQfeerem Mals-
stabe schiffbaren Strome angeschwollen, und eine ansehnliche Anzahl
von Kaiks benutzte ihn als Hafen. Fünf Minuten weiterhin erreichten
wir die Fähre, die grofs genug war, uns Alle und ausserdem noch
ein Büffelgespann zu fassen und, obgleich wir einen kleinen Aufenthalt
beim Landen hatten, da der unpraktische. Fährmann keinen Strick be-
safs, seine Fähre an das Land zu ziehen, konnten - wir doch schon um
6 Uhr 30 Min. unseren Marsch fortsetzen durch die hier wirklich trost-
lose Ebene, die in der Mittagswärme eines Sommertags noch uner-
freulicher sein mag. Aber ein herrliches und ethnographisch wunder-
bar interessantes Schauspiel mulste diese Ebene darbieten, als Xerxes
hier auf seinem Zuge nach Hellas sein ungeheures Völker -Heer mu-
sterte und die verschiedensten Nationen und Völkerschaften des .fernen
Ostens, in der bunten Mannich faltigkeit ihrer nationalen Trachten, jed-
wede in ihrer eigentümlichen Gruppe, frier sich aufstellen liefe. Um
7 Uhr liefsen wir zur Rechten das Dorf Ydndjavar, zur Linken Wal-
mädi, die sowie die fünf benachbarten Dörfer Griechische Bevöl-
kerung haben. Alle Häuser dieser Ebene sind bei dem gänzlichen
Mangel an Holz aus schwachem Gerüst gebaut, indem die leichten
Wände aus Rohrwerk bestehen, das mit Thon überschmiert ist. Wie
der Umkreis der Berge den Horizont der einförmigen Ebene wenig-
stens etwas belebte, so bildete einen erfreulichen Ruhepunkt für das
Auge das von der Sonne schön beleuchtete Yenidje auf dem entfern-
ten Gehänge im Nordwesten. Gleich darauf (8 Uhr 8 Min.) hatten wir
wieder ein, noch vor 2 Jahren von einem Arm des Flusses durchström-
•) Diesen Vergleich machte schon Strabo 1. VII fr. 4 p. 829 Csb.; 8i atv
6 *A£ibe (>imv dvosisßoXov noul trjv Maxedoviav ix riß üatoviat, ebg o ütj-
velog dta xmv Tapnav yeqopavos an 6 Tye dUddos nxtrijv iqvpvol.
Die Makedonische Ebene n. die Makedonischen Kesselbeeken. — Saloniki. 213
tea, jetzt aber trockenes und sandige« Rinnsal des Vardar zu passiren;
dann folgte wieder eine kleine Strecke wohlbestellten Ackerlandes,
an das sich bald das gröfsere Dorf Knlakiä schlofs mit über 200 Hau-
sern. ! Hier hatten wir die Absicht gehabt, eine kleine Frühstücksrast
zu machen, aber, da 'gerade Markt gehalten wurde, war das Nest so
Voll Menschen , dafs gar kein Plätzchen für uns übrig blieb. So zo-
gen wir langsam hindurch und weiter durch. die einst so reiche Amph-
aksitische Ebene dahin 1 , wo wir 1 eine halbe Stunde zur Linken das
Dorf Vardar liefsen, gar nicht klein, sondern mit etwa einhundert
Häusern, obgleich ein Dorf dieses Namens, so viel mir bewufst, frü-
her nicht bekannt war. Vor uns, etwas zur Linken, an den Mygdo-
nischen Bergen liefs sich das Dorf Dudülar sehen. Dann ging es wie-
der über ein anderes, früheres Bett des Flusses mit salzgesohwänger-
tem Boden, und unser Weg führte mitten zwischen den Dörfern La-
tra zur Linken und Tcbarly-Tchiftlik zur Rechten hindurch. Darauf
machten wir einen ganz* kurzen Halt in einem hübschen Gemüse-
garten.
Als wir dann um 9 Uhr wieder aufbrachen , durchschnitten wir
nach halber Stunde den jetzt trocknen Galliko potamö, den alten Eche-
däros, de*n „Gaben-Spender", der allerdings im Alterthume mehr Wasser
gehabt haben mufs als jetzt, der aber doch, wie Herodot berichtet,
der einzige unter den Flüssen dieser Ebene war, der bei der oben er-
wähnten Gelegenheit dem Bedarf der an ihm gelagerten Asiatischen
Trappenmasse nicht genügen konnte. Man schaut in den Engpafs hin-
ein, aus dem er hervorkommt und wo in spaterer Zeit das Kastell
Gallicum lag* das ihm seinen heutigen Namen gegeben hat. Kurze
Zeit, ehe wir die Stadtmauer von Saloniki erreichten, überschritten
wir noch ein anderes, flaches und trockenes Rinnsal; aber seine Um-
gebung war reich mit Pflanzen geschmückt, und hier sah ich zuerst
wieder Feigenbäume, diesen charakteristischen Baum der subtropischen
Mittelmeerzone, der dem bulgarischen Binnenlande völlig mangelt; den
Oelbaum hatte ich, wie gesagt, schon auf dem Herwege bei Kitros,
also in südlicherer Breite, aber freilich nur in höchst armseligen Exem-
plaren vertreten gesehen; hier war er ungleich schöner.
So rückte ich nun durch die, noch immer wohl erhaltene und
grofsartige Mauer in diese Stadt ein, die fast zwei und ein halbes Jahr-
tausend in ihrer Blüthe überdauert, und verlor hier erst in dem Stra-
fsenknäüel den schönen blauen Meeresgolf aus dem Gesicht, der ihr
diese langdauernde Bedeutung verliehen und immer verleihen wird. Wir
waren, den kurzen Aufenthalt abgerechnet, in 5| Stunden von unserem
Nachtquartier am Haliakmon hergeritten. ' Dieses westliche Quartier
von Saloniki übrigens ist sehr still, wie denn der eigentliche Haupt-
214 Reise durch die Europäische Türkei.
verkehr sich ganz ausschliefolieh in der Nühe des : Hafens ooneenrrir*.
Leider gerieth ich nun, da keiner meiner Leute hier Bescheid wufste,
in eine sehr unbedeutende, kaum reinlich au nenneride Locanda,
während das neue Hotel de l'Eoropö am Hafen recht gut sein soll.
Ich machte mich dann sofort dach den* Englischen Konsulat auf, wo
ich Briefe erwartete — der Englische Konsul hieraelbst vertritt auch
PreuXsen — , fand allerdings auch för meinen Kredit gesorgt sonst aber
nur eine telegraphiere Depesche aus der Heimath mit der Trauer-
botschaft des Tor wenigen Tagen erfolgten Todes meiner , schon vor
zwei Jahren vom Schlage gerührten und seitdem an das Schmerzen-
lager gefesselten Mutter.. Um so weniger konnte ich daran denken,
noch vielleicht einen kleinen Abstecher ; zu machen, sondern ward nur
noch mehr in meinem Entschlufs bestärkt, mit dem am folgenden Tage
erwarteten Dampfschiff über Athen zurückzukehren.
Der Konsul, Mr. Wilkinson, der früher in Albanien stationirt gewe-
sen, auch dort manche Reise unternommen hatte, aber ohne ein Tage-
buch zu fuhren, interessirte sich lebhaft für die von mir zurückgelegte
Reise und erzählte mir unter Anderem, wie er selbst schon sieh von
der grofeen Höhe des Perim Dagh überzeugt habe und beabsichtige,
diesem Gebirge bei erster Gelegenheit einen Besuch abzustatten» Ich
hatte nun, theils des zu erhebenden Geldes halber, theils um etwaige
Briefe zu suchen, in unerfreulichster Weise in der Stadt hin» und her-
zulaufen und dazu kam, dafs ich meinen Zweck nicht einmal erreichte,
da die übrigen Konsulate zur Zeit geschlossen waren; E* ist ei* grofetr
Uebelstand für den fremden Durchreisenden, wie ifch. ein eolcher war,
dafs es hier gar keine Post giebt, sondern dafs alle Briefe auf dem, Bu-
reau des Konsulates derjenigen Nation liegen bleiben, welcher das jedes-
malige Dampfschiff angehört, mit dem sie angekommen; man mufs also,
wenn man hier Briefe erwartet, das Griechische nicht weniger *!s> das
Französische und Oesterreichiache Konsulat belaufen, arid diese Herten
öffnen nur zur Zeit, wenn wiederum ein Dampfschiff da. ist. Ich er-
hielt also meine Briefe erst nach vielen vergeblichen Bemühungen am
folgenden Tage, gerade im Augenblick, meiner Abreise, theils vom
Oesterreichischen, theils vom Französischen Konsulat.
Mittlerweile machte ich einen langen Spaziergang durch die Stadt,
um theils seinen Hafen, theils seine Alterthümer zu besichtigen. Jedoch
will ich hierüber meine ganz flüchtigen Bemerkungen nicht miltheüen,
da die zahlreichen, zum Theil stattlichen Reste des Alterthums, Triumph-
bogen, Ballen und Inschriften schon vielfaoh umständlich besehrie-
ben worden sind, wiewohl mit Bezug, auf letztere noch gewife Man-
ches nachzuholen wäre.. Besonders widmete ich hente . meine Auf-
merksamkeit dem untere. n.:Theile der grofsartigen^ in ihren verrachie-
Eintägiger Aufenthalt in Saloniki. 215
denen Schichten von Back-, and Feldsteinen acht Bjsantinischen Hauern,
unter denen aber auch, älteres Makedonisches Quaderwerk deutlich su
erkennend ist*; trank dann . draufeen auf der Ostseite der Stadt im Freien
meinen Kaffe und liefs mich • auletst , an dem kolossalen Thurm der
3ä&-Obteckev wo die Mauer ohne Umgang hart an das Meer hinantritt,
nach der Skala» übersetzen. In. diesem .Sichtbarsten Theile der Befesti-
gung!, finden sieh besonders vide alte. Mauerreste* aber keine Inschrift.
8ehr anständige Hauser einiger jüdischer Kaufleute ragen hier über
die Mauer herüber. - '
• ; Ich entrichtete dann meinen beiden Leuten aus Rustchuk, Rossi
und Mustapha; ihre noch rückständige Forderung — • ich hatte Rossi
einen Maria -Tberesien- Thaler /per Tag während der Dauer meiner
Reise und 25 Maria -Theresien-Tbaler cur Rückkehr, Mustapha dage-
gen 75 Piaster für seine vier Pferde per Tag au bezahlen; die Reise
▼ob Rustchuk hatte 40 Tage gedauert Mustapha wollte mit seinen
Pferden zu Lande nach Jener ferngelegenen Stadt zurückkehren, wozu
ich ihm vom Herzen Glück wünschte, da manche Strecken nicht eben
ganz sicher waren; während Rossi zur See nach Konstantinopel gehen
su wollen schien. Meine Reiseeinrichtung machte ich ihnen zum Ge-
schenk.
• Cregen Abend ging ich dann mit einem Empfehlungsschreiben des
Englischen Konsuls an Bord des: diese Küste aufnehmenden Englischen
Schiffes und wurde hier mit grojser Freundlichkeit aufgenommen und
warn Mittagessen geladen. In Abwesenheit des wohlbekannten und
hochverdienten Kapitän Spratt, der als Nachfolger des Admiral Smyth
ao- hohes Verdienst um die Aufnahme der Gestade und Inseln des Aegäi-
sehen Meeres hat, und der zur Zeit wegen Unwohlseins nach England auf
Urlaub gegangen war, kommandirte Lieutenant Wilkinson — durch
Zufall fährte er denselben Namen, wie der gegenwärtige Konsul, ohne
im Entferntesten mit ihm verwandt zu sein ~* ein überaus liebens-
würdiger und einfach kindlicher Offizier, der gleichfalls die Frage we-
gen der Höhe des Perim mit lebendigstem Interesse berührte un4 we-
gen der verschiedenen Kuppen des Olymp von mir einige Auskunft
wünschte ')• Hätte ich Spratt selbst getroffen, so hätte ich unzweifel-
haft noch manches Weitere lernen können. Als ich dann spät am
Abend vom Lieutenant ans. Land gebracht wurde, hatte ich bei der
fufberst strengen Patrouillirung in den Straften meine Nota, mit dem
beständigen, lauten Ruf „Kaptan, Kaptan* als wäre auch ich ein
Schiffskapitän, mir freien Durchgang zu verschaffen.
') Leider gab ich ihm, wie ioh nachher mich tiberteugte, sieht ganz richtige
Angaben wegen der Namen der einzelnen Kuppen, da ich selbst die Richtung mei-
ner von Inaje-sfl aus gemachten Skizze im Augenblick nicht gehörig erwog.
216 He*** durch die Europäische Türkei.
Am nächsten Morgen — Sonntag den 19ten '— umkreiste ich
nun mit Tagesanbruch die gewaltige Mauer anf der Westseite and
stieg so allmählich auf die Hügelkette, die Unterhöhen des Khortiatsi,
auf die sich die Stadt hinansieht, hinauf; abgesehen von dem Ueber*
blick ober die gewaltige Mauer von Thessalonike selbst hoffte ieh auch
noch einen letzten Scheideblick von hier auf den Olymp an erhalten,
aber auch dies Mal war ich unglücklich; der Götterberg war ganz in
Gewölk gehüllt Aeufcerst kahl und rauh ist die Umgebung ^er Stadt
anf dieser Seite und mächtig ragt hier die Mauer der Oittadelle empor,
besonders der gewaltige Eckhurm. Eine schöne, ihren reichen Laub-
schatten weit ausbreitende Platane draufsen auf der Höhe vor dem
Thor ist die einzige Pflanzenzierde. Auch der Abstieg auf der Nerd-
seite draufsen längs der Mauer ist äufserst rauh. Weiter unterhalb
haben die reichen Juden einen Orabhof angelegt und schon mit eini-
gen stattlichen Gräbern geschmückt Auch beute, am Sonntag, zogen
sie hinaus, zu klagen. Sie sind meist aus Spanien eingewandert und
sprechen defshalb noch immer Spanisch.
So hatte ich mich auch mit dieser Stadt einigermafsen vertraut
gemacht. Sie ist eine geborene Hauptstadt, hat immer noch grofee Be-
deutung für ganz Rumelien und kann vielleicht, wenn einmal zur
Hauptstadt Bulgariens erhoben, binnen Kurzem mit Athen 'an Reich-
thum und wirklichem Ansehen, wenn nicht an klassischem Interesse,
wetteifern. Um 3 Uhr Nachmittags ging ich an Bord des* mittlerweile
von Syra angekommenen Griechischen Dampfschiffes Pänhellenion, das
trotz des ungeheuren Umweges mich am schnellsten: in die Heimath
befördern konnte und um 4| Uhr ging es fort Leider sah ich so nichts
mehr von den Umgebungen des Golfes; als ich am andern Morgen
um 5 Uhr aufs Deck ging, lag der Pelion schon hinter uns und wir
umkreisten das Kap Hagio Dimitri, während vor uns sich Skopetas
mit der scharfen SpitzKuppe „Delphi" (ein so häufig und bezeichnend
in Griechenland wiederkehrender Name) entfaltete, dann der einzelne
Kuppenfels von Hagios Elias und darauf die langgestreckten Chilidro-
mia mit rundem hohen Kuppenende, wie einer losgelösten, abgesonder-
ten. Insel, über deren Sattel von hinten her eine andere hohe Kuppe
herüberragt; dann links die anderen kleinen, klassischen Felsinseln.
Als wir dann um Skiathos selbst hinumbogen, traten die schönen,
scharfgeschnittenen Felshöhen von Delphi immer klarer hervor, darauf
zeigte sich auf vorspringender, halbzertrümmerter Felsklippe zuerst
das romantische Kaströ der Insel, in grofsem Umkreis umfahren wir
ihre Küste und um 7 Uhr warfen wir Anker vor der „Khöra", dem
Vororte, in schöner Hafenbucht, obgleich in ansehnlicher Entfernung
vom Ufer. Recht nett machte sich aus dieser Entfernung das Stadt-
Der PeguÜBche Golf. — Magnetische Halbinsel. 0(7
eben mit aeioen. weifsen Häusern, aber därinnerf mag es allerdingt
re<to> einförmig au leben «ein. Auch zeigte sieb der Verkehr Von sehr
geringer Ausdehnung uwd nur wenige Passagiere gesellten sieb hier
den alten zu; So' seteie' /sieh das v die Vereinigung des zerstückelten
Griechenlands prophetisch darstellende Pinhellenion um 8 Uhr wie-
der- in 'Bewegung, aber um bald wieder ans diesen Griechischen Ge-
wissera und ans dieser Griechischen Insel weh, die es hier erreicht
hatte, hinauszutreten , indem es sich dem herrlichen Basen zuwandte,
der als erster Ausgangspunkt Hellenischer Schifffahrt und als auch
aar Zeit fast äusschkefslich von rein Griechisch redenden — ich sage
absichtlich nicht, Griechischen — Dörfern und Städten umgeben, wol
eher als jedes, andere Gebiet zum neuen Königreich Griechenland hätte
geschlagen werden sollen, aber nun einen integrirenden Theil der Tür-
kei bildet Mannichfach sind hier die Prospekte, wie das Schiff in
deir Kanal von Trikheri hineinfahrt und besonders, wie man nun aus
ihm zwischen der zackigen gleichnamigen Halbinsel und dem Kreuz-
Kap (Stavrö) nach NW. hinum biegt. Um 9 Uhr hatten wir hoch oben
auf dem Kamm 'der ausgerissenen unregelmaTsigen und schmalen Fels-
zunge den Ort Trikheri selbst tot uns, nackt und kahl und allen Stür-
men ausgesetzt — eine in den Jahren des Griechischen Befreiungs-
kampfes von Blut getränkte Kampfst&tte.
< • Hinter den* diesem nach Nord wie einem umgeschlagenen Finger
scharf» eingebogenen Felsr&cken vorgelegenen Inseln entwickelt sich
dann "de* Kamm des nohen Magnesischen Halbinselrockens mit seinen
ssalerischen' Schluchten und den anf dieser Seite des Abhanges liegen-
den 42 Dörfern, und ich säumte nicht, mit meinem sehr guten Fern-
rohr alle einzelnen Zöge mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. Lange ge-
nossen wir diesen schönen Anblick, denn erst um Mittag langten wir
anf der Rhede von Vülo an, \ Engl. Meile östlich vom Türkischen Ka-
steit Da wir nun bis zur Frühe des nächsten Morgens hier liegen
bleiben sollten-,' hatte ich von vorn herein beschlossen , einen kleinen
Ausflog ins "Gebirge zu machen und begab mich alsobald ans Land,
sah mich aber in meiner Erwartung getauscht, hier sofort gesattelte
Maalthiere zo finden; so grofs ist der Verkehr nicht und der Hafen-
platz überhaupt sehr unbedeutend'; 'denn. das untere Völo ist ein sehr
unansehnlicher Ort, eigentlich nur eine Reihe von Magazinen. Endlich
gelang es mir, ein Maukhier aufzutreiben, aber nur mit gewöhnlichem
Packsattel, zu dem ich mir noch einen Teppich hinzu borgen mufste.
Ich wäre lieber zu Fufs gegangen, aber erstlich war der Abend nur
kurz, zweitens konnte ich nicht wohl ohne Fuhrer gehen.
, pas £ Meile breite Vorland, mit der Pflanzung von Fruchtbäumen
macht einen recht wohlhabigen Eindruck. Dann ging es die Höhen
218 B*i«* droh die Europäische Türkei.
hinauf, hart an der Nordseite des am unteren gemfifsigtenj etwa* terra*
sirten Abhänge hübsch gelegenen, eigentlichen V51o und dann, starker
ansteigend, zuerst in der Richtung anf das in seinem Griechisch -81a-
vischen Namen seine Geschichte bezeugende Makrinitsa zu* Jedoch er-
reichte ich nnr eben das Niveau der -untersten Hauser dieses jenaeit
einer, vom Gebirgskamm herabsteigenden, tief emgeschaitteneii, wenn
auch schmalen Schlucht, steil an den Höhen sich hinaufziehenden und
höchst pittoresk gelegenen Ortes und wandte mich dann südlich ab;
auch dieser Weg bietet höchst malerische Punkte mit Aussicht über
die unteren Geh&rige und über den ganzen breiten Golf. - An diesen
Abhängen, in schon über 1000 Fufe Höhe,, sind es besonders -die Oel-
baame, die vorwiegen, während die untere Obstpflanzung fast aus*
schliesslich aus Feigen und Wallnofsbäumen besteht. Die Wetntratoben
waren dies Jahr gänslich miferathen.
So betraten wir nach zweistündigem Anstieg..-*-' an einigen Stel-
len recht steil und beschwerlich, wenigstens für die Thiere*— m gro-
fser Windung von SO. hei 1 , den Ort Portaria, aneehnlch an Gröfee und
Ausdehnung, wie in der Stattlichkeit seiner Gebäude, und reizend, wenn
auch zum Verkehr äufeerst beschwerlich in seiner Lage an den künst-
lich aufgestützten Terrassen des steilen Gehänges in über 2000 Fufs
Meereshöhe, und offenbar an einem der hsuptsächbeheD Eammüber-
gänge nach den Dorfschaften des östlichen Gehänges ~ data* sein
Name, wiederum von dem in diesen, von Griechischer Bildiiag doch
so ganz durchdrungenen Gegenden schell so oft von uns-'Mgetrofö--
nen, Römischen Namen Porta „Thor, Thörl, Scharte?. Und wie in-
teressant, wie lebendig, und die natürlichen Verhältnisse der beiden
entgegengesetzten Berggehänge, so wie die gesäumte, hier vtar sieh
gegangene Völkervermischung klar vor Augen führend; ist nun der
Name des auf der Ostseite des schmalen Scheidekammes am Ufer des
Aegäischen Meeres gelegenen Hauptortes Zagora „jensehV der Berge*,
derselbe Name, dem wir als Hauptabtheilung des slavischen Bulgarien
schon vielfach begegneten und den wir in das höchste Slavisehe M-
terthum, im Conflict mit Griechen- und Römerthum y hinauf verfolgen
können '). — So hat das Slavische Element auch diese entfe rnt est e
und abgesperrteste Magnesische Halbinsel bis in ihre anferste Spitze
durchdrungen, und selbst unter der Hülle -rein Griechischer Sprach-
formen lagert der Kern dieses fremden Velksstammes, der seh alten
Zeiten von den Nordgestaden des Pontischen Meeres her bis in das
') Unzweifelhaft ist eben auf aolchen Slavischen Landschaftpnamen dar Per-
sonenname des Scythen, d.h. des Scythischen Slaven, Zacorns in den Argonau-
tk» (LVI v. 664) des Yalerlns Flaoci» rarftckzurafcnn* ■. • .
Die wohlhäbigen Magneaischen Bereitadto. .— Griechin - and Slaventhnm. 2 1 9
Her*:, dieser Thrakisen-IUyrischen: Halbinsel mit dem Griechisch • Pe-
lasgischen Stamme im Kampfe gelegen und seine Wanderungen süd-
wärts ganz torzugsweisei bedingt «i haben scheint
•.-. UaberaU bemerkte das Auge Wohlstand und Fleife, und wo man nur
iarafetf «apttiEänbück- in. das Innere der Hasser gewann, -in die Räume
«I ebener: Erde oder- iniehe oberen Stock werke, oberall gewahrte man
Mannet wie. Brauen tun Webestubh . Alles 1 bezeugte auf den ersten
Kiek, dafe ieh ein gaos anderes Land benreten hatte, eine in sich
abgeschlossen* kleine Gemeinde* -wo auf dieser «von Krieg, Verheerung
lind gewaltsamer. :Untei*dräckang so hart mitgenommenen Griechisch-
Türkischen Halbinsel, im Schntae einer natürlichen Bergfeste, nationale
Tüchtigkeit sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Gefärbte Tep-
piche, Papnbchen and ähnliche. Erzeugnisse bilden den Hauptzweig
der Betriebsamkeit Ein interessantes Gegenbild nun gegen solchen
Pfeife und solche ThSn'gkeis < bildete eine Gruppe sich ihres Reich-
ÜnifitB erfreuender Kaufmanosprinzeakft eifrigen Kartenspiel auf dem
kleinen, rings von Häusern: umschlossenen and nur von einer schönen
Platane, beschatteten winkligen Marktplatz Hier, safsen die wohlge-
nährten Herren, mit- mehr Slambhea als Griechischen Charakterzügen
und in Europaischer /Kleidung an zwei Tischen, hart vor einem
Kaffs, das die linke; Äefte »des Marktes begrenzt; Dies war das ein-
«%e Erfriasbungslokjil, das es hier gtebt* und das ist ziemlich natür-
lich* da: erstHch der Verkehr hier nicht grofii ist und zweitens, weil
jeder den östlichen Dörfern Angehörige, 'der hier dnrchpassirt und sich
aufhält, hier atich wol einen Freund 1 besitzt, bei dem er sich zu Gaste
ladet Idh hatte nun keinen solchen Gönner, und mein Anfang mit
mednem elenden Packthier war nicht eben der Art, um diesen Geld-
herrcn viel Zuvorkommenheit ru entlocken. lob mufstenrich also mit
einer Tasse Kaue begnügen. Sonst gab : es nur Aepfel und- Wallnüsse.
^Allerdings: war es nicht unumgänglich nothwendig, noch diesen Abend
wieder aa Bord au gehen, da ich am nächsten: Morgen tot Abfahrt
des Dampfschiffes' hätte zeitig eintreffen können;- es erschien nun aber
bei der für Fremdenverkehr so ungastlichen Natur des Städtchens wfln-
aeheasweTth, hier/ nicht au übernachten. So stieg ich denn nur noch
fetwas bis aber das Ende des Ortes hinauf and wandte mich dann- zur
Umkehr, ^während ich sonst wohl noch Zeit gehabt hätte, vor der Dun-
kdHsehV; den Kamm zu erreiche*. Den Pelion (Plessidhi) hatte ich
sehen, sowohl vem Meere, als auch vom mittleren Anstieg aus sein
Haupt . über t die sieralieh regelmässig sich hinziehende Kammböhe er-
nebeü sehen. Es ist* immerhin eine hübsche Berghöhe and mufste den
alten Griechen in ihrem. unmittelbaren Emporsteigen aus den Meeres-
fluthen durch den äufseren Anschein der Hohe um so mehr imponi-
220 R** 6 <*urcfa die Europäteehe Türkei.
reu, da es ihnen an genauen Instrumenten zur HÖheniriessung durch-
aus fehlte.
Ehe ich nun aber auf dein etwas bequemeren, endlichen Wege
Portaria verlief«, besuchte ich noch die neue Kirche. Diese ist wirk-
lich ein grofser Schmuck für den Ort, im reinsten Stil aar prächtigen
marmorartigen Material aufgeführt und in beherrschender freier Lage;
nach all dem grfifsliohen Farbenklex, den ich an den Kirchen der Bal-
garen gesehen, wo die Mauern innen and aufsen, von trriten bis oben,
in ein einziges buntestes Farben -Labyrinth von Höllenqualen and Him-
melsfreuden umgewandelt sind, war ich in der That ; im höchsten Grade
erstaunt und erfreut, als ich das Innere dieses Gebäudes betrat, den
edlen und reinen Glanz des schönen Gesteins nirgends verunstaltet zu
finden. Auffallend war es nur für mich, an diesem GeWade christ-
licher Entsagung neben Charon, dem unerbittlichen heidnischen Fähr-
mann in das Todtenreich, auch die das kurze Menschenleben erfreuende
Göttin der Schönheit im Giebelfeld dargestellt am finden. Vielleicht
war sie als Ursprung alles menschlichen Dasein» aufgefafot^ jedenfalls
aber zeugte ihre Darstellung an der Kirche von freisinniger An-
schauung des Lebens. Weiterhin fand «ich auch der Adler im (Kampfe
mit zwei Schlangen, wol als sinnbildliche Darstellung de« Lebens-
kampfes. Ich betrat dann noch das Scbulgeb&ude, das hart an die
Kirche stöfst, und als ich gerade in die vierte Klasse kam, trat der
Lehrer mir mit freundlichster Zuvorkommenheit entgegen and lad mich
hinein; es war eine grofse Klasse, wol mit 80 Schülern, e* wurde
Geometrie gelehrt und ein Schüler war dabei, an der Tafel seinen
Kommilitonen zu exponiren. Es ging fliefsend, und mein EHritritt ver-
wirrte den Vortragenden nicht im Geringsten. Da ich jedoch- keine Zeit
zu verlieren hatte, blieb ich nur einen Augenblick;. Die Sehale hat
fünf Klassen und zeigt von Tüchtigkeit, Fleifs und Ordnungssinn.
Ich verfolgte nun meinen Weg, mich dieser herrlichen Einsenkung
bei Portaria im Herzen erfreuend und über die eigentbamh'che Er-
scheinung dieser Gebirgsgemeinde nachdenkend. Die 24 Städte and
Dörfer dieser rings vom Meer umflossenen Berggemeinde zusammen
sollen an 10,000 Häuser enthalten und über eine Million Okken Oel
produciren. Oel ist der Hauptreichthum, die anderen Erzeugnisse sind
nur Nebensache. Um das Leben dieser Ortschaften recnfkennen zu
lernen , mufs man aber eigentlich Donnerstags herkommen and mais
überhaupt natürlich länger unter ihnen verweilen. Ich wolhe nur die
mir geschenkte Zeit benutzen und freue mich aufrichtig der hüb-
schen Erinnerung. Es ging jetzt hinab von dieser Terrasse nach der
freundlichen Fruchtplatte der „Unterstadt? Kato —"oder, wie der Name
gewöhnlich gesprochen wird, Kati-Khöri; Hatte ich schon bei den stei-
Küstenfahrt. — Das frohere. Amatiäpolu. — Veränderung der Zeiten. 221
leren Partien de» Anstiegs mein Maulthier nicht benutzt, so ging ich
beim Abstieg natürlich su Fafa. Der mannigfach gewundene Pfad war
nun belebt von Leuten, die von ihren Geschäften am Hafen in ihre be-
haglichen Bergbehausungen zur Nachtruhe heimkehrten. Leider war
die. Beleuchtung nicht gut. Der Himmel hatte sich bewölkt und um so
zeitiger trat die Dunkelheit ein. Um 6 Uhr Abends war ich wieder
am Bord, hoch erfreut über die Ausbeute meines kleinen Ausfluges.
Ajlm&hlich' zündeten sich die Feuer und Lichter an und belebten wie-
der, jn eigenthümlicher Weise die malerischen Gehänge des Plessidi;
nach NW. dagegen war Alles, Ebenen und Felshöhen dahinter, kahl
und leblos, mit Ausnahme von 3 Dorf hellen, wie denn diese Seite des
herrlichen Golfes überhaupt' fast ohne Interesse ist, obgleich sie die
schönsten Ackerflächen enthalten mag.
. Der folgende Morgen (21. October) brach wieder mit aller Pracht
eines südlichen Himmels an. Bald belebte sich auch das Dampfschiff,
da eine angesehene . Familie — der Griechische Konsul, der von Völo
nach Metelino versetzt wurde — sich hier eingeschifft hatte und nun
eine Menge Abschiedsbesuche erhielt. Es war H Uhr, als wir fortka-
men, und die von Baumwuchs und menschlichen Wohnungen belebten
Gehänge zeigten sich in grofoer Pracht, obgleich der Sonnenstand
ihnen nicht eben günstig war. So mufste denn dem so eben Liebge-
wonnenen schon wieder Lebewohl gesagt werden und wir entfernten
uns .schnell von dem malerischen Berggehänge, indem wir den Golf
in südwestlicher Richtung durchschnitten. Schon um 9 Uhr legte der
Dampfer bei ,Nea Mintsela an, dem nördlichsten Städtchen des Grie-
chischen Festlandes, das gerade im Begriffe stand, seinen zweiten Na-
men Amaliupolis durch eine Landesrevolution, die ihr die einst ge-
liebte Königin entriß, zu verlieren. Wie hatten sich die Zeiten ge-
ändert; seit den „Griechischen Königsreisen tt , wo Amalia eben hier
wie eine Göttin, deren Glanz den Schein des Helios überstrahlte, em-
pfangen worden war!
Schon hier munkelte etwas davon, dafs es in der Hauptstadt nicht
geheuer sei. Es lag hier nämlich ein Griechischer Regierungsdampfer,
auf den König Otto, wie es hiefe, sich im Nothfall flüchten wolle. Der
Ort war übrigens noch immer erst im Entstehen und hatte besonders für
mich, der ich von der alten Wohlhäbigkeit der Magnetischen Berghalb-
insel herkam, etwas recht Ungemüthliches; ganz vereinzelt hier und da
erhoben sich die kleinen neuen, allerdings an sich ordentlich aussehen-
den Steinhäuser; ihre Gesammtzahl betrug kaum mehr als 120. Der An-
bau aber war fleifsig, besonders an Oelbäumen; auch die kleine Insel
Hagios Nikölaos ist voll Oelpflanzung. Da nun die Lage des Städt-
ebens, mit einem Hafen auf jeder Seite, dem Handel günstig ist, so
222 Reisc dürch die Kvropiiiehe Türkei.
steht zu erwarten, dafs sie mit der Zeit an Gröfse und Bedeutung aü-
nehmen wird, angenommen dafs die politischen Verhältnisse' dieses
kleinen unselbständigen Königreiches es erlauben, and dafe die Greose
den natürlichen Erfordernissen gemäfe berichtigt wird. Für mich
als Passagier ward Nea Mintsela defshalb besonders interessant, -weil
sich hier ein aufgeweckter und wirklieh biederer Patriot einschiffte,
ein Mann, wie sie das junge Griechenland gebraucht, aber nicht 1 "eben
in grofser Menge aufzuweisen hat. Er hatte lebhaften Antheil am Be-
freiungskriege genommen und wüfste besonders '- viel : fori a> de*- Soldaeut
bei Trikheri zu erzählen. :■..,..«..
Mittlerweile setzten wir nach kurzem Anhalt unsere Kfistenfahrt
fort, indem wir uns nun durch die Enge hinaus gerade auf Euboia zu
hielten, deren Nordküste einen keineswegs sterilen, aber' doch ziem-
lich verwahrlosten Eindruck macht. So legten wir um Ai{ Uhr vor
Oreüs an, einem altberühmten Orte und selbst noch in späterer Zeit
als Ilauptschiffsstation der Römischen Flotten von grofser- Bedeutung,
der in einiger Entfernung von der Küste liegt; man 1 sieht 'seinen Rui-
nenbügel. Am Ufer befinden sich nur 2 — 3 armselige Bretterbuden, als
Anfang eines kleines Hafenortes. Das Dorf liegt etwas nach W. ab-
wärts von dem alten Stadthügel und weiter landeinwärts sieht man
das gröfsere Kserokhöri. Nach viertelstündigem Aufenthalt setzten w$r
die interessante, wahrhaft klassische Küstenfahrt fort; nun in die west-
liche Verengung des Kanals eintretend mit der hohen Bergumsäumung
des Othrys nach N.; besonders raarkirt ist die Hafeti bucht Vath^ mit
Aussicht auf die Lage der alten „am Gehänge schwebenden" Larissa
(kremastä), des Herrschersitzes des Achilleus. Zur Linken entwickelte
mittlerweile die Lithada, die nach flächer isthmueartiger* Unterbre-
chung massig aufsteigende, felsige nordwestliche Halbinsel de« heerden-
reichen Euboia stets neue Formen. So rückten wir sohneil in den
grofsen Golf von Zeitün, den Malischen Meerbusen 1 , hinein, anf der
Südseite, hinter dem kaum wahrnehmbaren Alluvialstreifen ;• tön den
so malerischen Vorhöhen des Oeta-Stockes eingeschlossen;
Um 2 Uhr warfen wir Anker vor Stylida, den*: Hafen von Lintia.
Gern hätte ich diese Stadt, den Hauptort, Vorort und Schlisselpunkt des
nordöstlichen Griechenlands, besucht, aber bei den kurzen Tagen war ihre
Entfernung zu grofs, obgleich wir erst am folgenden' Morgen unsere
Fahrt fortzusetzen hatten. Aber so ungünstig es schon ■ atr sieh ist,
dafs selbst ein Schiff von so mäßigem Tiefgang, wie das Pinhelle-
nion, nicht tiefer in den Golf eindringen kann-, um so nachtheiliger
ist es noch, dafs es selbst an dieser Stelle in der Entfernung von über
| D. Meile vom Ufer bleiben muk Wir gebrauchten eine halbe Stunde*
um ans Land zu rudern. Ich hatte mich hier der Familie des oben er-
StyKda and Lemia. — Das Euboleche Heer. 223
wannten Griechischen Konsuls aas Völo angeschlossen, Vater, Sohn und
Tochter, und besachte in ihrer Gesellschaft eine ihnen bekannte Familie
ia* Städtchen. Da der Ort nur etwa 200 Häuser enthalt, die weit aus-
einander liegen, so hatte auch dieses Haus, obgleich ziemlich weit vom
Ufer zurückgelegen, eine freie malerische Aussicht von seinem Balkon,
besonders auf den jenseitigem Kallidromos. Wir wurden freundlich
aufgenommen und mit dem gewöhnlichen Sherbet bewirthet, doch ward
mir der Besuch, weil ganz unbekannt mit den Verhältnissen der
Familie, auf die Länge etwas langweilig, obgleich die Dame des
Hauses , eine recht hübsche Oriechinn , sehr zuvorkommend war.
Wir»' spazierten dann im Orte umher; die Stimmung war sehr unruhig
and gfeheimnifsToll:< ein Bataillon Soldaten manövrirte hin und her
und; nur die Eingeweiheten wufsten, was es zu bedeuten hatte. Alles
zusammen genommen hat der ganze Ort noch ein recht wüstes Aus-
seben. An Abend kehrte ich an Bord zurück. Der Verkehr daselbst
war sehr stark, -indem hier nicht weniger als 250 Passagiere sich ein-
schifften* ein klarer Beweis, ein wie bedeutender Schlüsselpunkt für die
Eröffnung binnenländischen Lebens dies ist. Allerdings konnte freilich
die diesmalige Höhenzahl woi keinen durchaus richtigen und mafsgeb-
lkhen Aufsehlnfe über die Höhe des durchschnittlichen Verkehrs ge-
ben, sondern es war eben offenbar zum Theil die in- Athen bevorste-
hende Revöration, ' Was Alle» nach der Hauptstadt zog. Selbst die
Plätze der ersten Klasse waren schon hier insgeeammt in Beschlag
genommen' und wir hatten doch noch viele Stationen vor uns.
' Mit der ersten Morgenröthe , die den schwierigen, in grofsartigst
kanalartiger Bergkesselbildung vor uns liegenden Meerespfad beleuchtete,
verliefsen wir am nächsten Tage unsern Ankerplatz vor Stylida; leider
aber waren die den Golf im Westen hinter der Alluvialebene des Sper-
obeios abschliefsenden Höhen noch nicht hinlänglich beleuchtet, um in
allen ihren klassischen Zügen klar erkannt zu werden. Dagegen gewährte
jetzt das felsige Kap Lithada, von vorn gesehen, einen sehr grofsartigen
Aobhek^ indem sich die lange Höhenkette der Insel damit zusammen
gruppirte; wie man aber diese, in Form einer Giraffenhufe vorge-
streckte Halbinsel umfährt und sie nun allmählich von der Seite hat,
ist ihr Anblick weniger grofsartig. Dagegen ragt hier über ihren lan-
gen* tief eingesenkten Nacken von drüben Trikheri herüber mit der
alten Isthmia des Pagasäisehen Golfes. Für die Flotten der alten
Griechen waren diese rings von felsigen Küsten umschlossenen, see-
ähnlichen Kanalgewässer zu Seeschlachten hinreichend geräumig, und
so scheint es keineswegs nöthig, um den Schauplatz eines bekannten
Seetreffens des Altertimms zu verlegen, in der bezüglichen Stelle des
Schriftstellers den Namen Lachades, den damals die hier vor dem Kap
224 Beine durch die Europäische Türkei .
hingesprenkelten, Felsinseln trugen, in Stoichades, als den Inselarehi-
pel an der Mündung de» Achelöos bezeichnend, zu verändern. Die
ganze, auf allen Seilen seeartig abgeschlossene wilde: Gebirgs-Lan4-
schaft erinnert, lebhaft an Strabe's Angabe (I. c* 3* 20. p. 60 Ceb.) .von
dem gewaltigen Erdbeben, das «inst diesen ganzen Gebirgskessel er*
schütterte und neben anderen grofeen Veränderungen, upd Zerstörun-
gen auch den Untergang von mehreren der hier im näheren Alter-
thum vorhandenen Inseln zur Folge hatte. . < , .<
Um 8£ Uhr machten wir kurzen Halt auf der: Skala von Talaoti,
um einen oder zwei Epibaten (Passagiere) aufzunehmen. . Der kleine
Hafenort besteht aus etwa 20 Häusern, während die Stadt sieh im Hin-
tergrunde der Opuntischen Ebene, am Fufse der Höhen, ganz hübsch
ausnimmt und während zugleich aus der Ferne ober den 8attel her-
über die großartigen Felsformen der Liaküra sich zeigten, ein mir
überaus willkommener Anblick, da ich jene klassische Landschaft des
Parnassos nur eben aus der Ferne, vom Olymp herab, mit eigenen Augen
gesehen hatte. Sobald .wir nun, nach zehn Minuten Aufenthalt, diese
Station verliefsen, veränderte sich wieder völlig der Charakter der Um-
schau, indem wir nun an Nisi entlang quer durch, den Euböischen Golf
hindurchschnitten, die mächtige Höhenkette von Negroponte vor« uns,
obgleich ihr Culminationsgipfel, der Dirphe oder Delphi, von. hier ans
noch verdeckt war; denn auf dieser Strecke der. Insel tritt der hohe
Felsrand hart an das Meeresufer, so dafs das klejfee Lim ni gar keine
Uferebene besitzt. Die Mittelkette der Langinsel entwickelt sich: erst,
nachdem mit der mächtigen Kalkmasse vonKandili die Uferkette ihren
Abschlufs erhalten hat. Dann aber, hat man; vom Schiffe aus, dessen
Lauf nun die Mitte des Kanals verfolgt, einen, sehr interessanten und
lohnenden Üeberblick über die ganze centrale Erhebungsmasse der Insel,
und kann in so reicher Sonnenbeleuchtung, wie wir sie jetzt um die
Mittagszeit hatten, sogar genau die Richtung des Bergpfades verfolgen,
der über Steni zwischen der Hochkuppe selbst und dem abgerissenen
Steilabfall nach SO. den Kamm der Mittelerhebung dieser fenggeetreck-
ten reichen Insel überschreitet.
Gegen 1 Uhr Nachm. legten wir hart vor dem Euripossehlund in
Chalkis an, um erst am folgenden Morgen die Fahrt fortzusetzen, und
ich benutzte den Aufenthalt, um in Gesellschaft eines anderen Bei-
senden, eines recht gebildeten Italiäners, Stadt und Umgegend zu durch-
streifen* Die Stadt bildet einen zum Theil höchst unbehaglichen Ge-
gensatz zwischen verfallenem alten Gemäuer, ohne den Charakter grofs-
artiger Ruinen und neuen, ziemlich kleinlichen und schäbigen Gebäu-
den. Dabei lag der in Athen mittlerweile vor sich gehende politische
Umschwung, von dem ich noch immer nur erst eine leise Ahnung
Chalkit. — Ankauft im rerolrionäreii Athen. 225
hatte, unheimlich auf dem Städtchen; Reiter sprengten nach der Haupt*
stadt, and argwöhnisch folgte man den Schritten des Fremden ; so wollte
man uns nicht in das Fort Kara-baba auf der dem Inselübergange
gegenüberliegenden Höhe des Festlandes hinein lassen, von wo ans
ich einen weiteren Ueberblick gewonnen haben würde. Hier war eine
neae Fahrstrafse nach Athen angelegt, aber erst eine kurze Strecke
fortgeführt; wird sie vollendet, so werden Reisende den Landweg der
Seefahrt entschieden vorziehen. Hatte ich nicht auf dem direktesten
Wege ohne Aufenthalt der Heimath zueilen wollen, so würde ich selbst,
wenn sonst keine weitere Excursion in Griechenland, doch wenig-
stens diesen Weg eingeschlagen haben; aber bei dem gegenwärtigen
aufgeregten Zustande des Landes war es immerhin ganz gut, dafs ich
es nicht gethan hatte. Der einzig wirklich interessante Punkt im jetzi-
gen Ohalkis ist eben der fiuripos selbst und dahin kehrte ich immer
und immer wieder zurück. Allerdings hat er jetzt durch die neue
SeUensenbröcke einen recht modernen Charakter bekommen, aber das
schöne Quaderwerk seiner Einfassung schliefst sich doch dem alten
Veneaianerthurm in ausgleichendem Gegensatz an und bildet ein eigen-
tümliches Ganze. Mit stets neuem Interesse blickte ich auf den Um-
sehlag der Fluth welle; denn nirgend wol kann man ein lebendigeres
Bild dieses die ganze Erdoberfläche in so eigentümlichster Weise affi-
eirenden Phänomens beobachten, und ich hatte das Glück, dafs gerade
im Augenblick unserer Ankunft der erste Umschlag und am Abend der
«weite eintrat.
Als wir früh am anderen Morgen unsere Fahrt fortsetzten, ward
der Gennfs der klassischen Umschiffung Attikas mit dem weiten Blick
auf die Inselwelt des westlichen Theiles des Aegäischen Meeres leider
sehr gestört durch die Ueberfüllung des Schiffsdeckes , indem in Chal-
kia au den schon sehr stark besetzten Räumen noch zahlreiche Pas-
sagiere hinzugekommen waren, und, da nun ziemlich heftiger Wind
lins entgegen blies, war der gröfsere Theil, besonders der Frauen,
seekrank und rissen den Bewunderer der klassischen Stätten nur zu
oft unangenehme Schauspiele aus seinen Träumen und erinnerten ihn
an die Wirklichkeit mit ihren prosaischen Erscheinungen und den klei-
nen menschlichen Leiden.
Da der Wind die Fahrt sehr verzögert hatte, trafen wir erst gegen
4 Uhr Nachm. im Piraeeus ein. Hier nun waren wir urplötzlich mitten
in die kleinstädtische Griechische Revolution hineinversetzt. Da lag im
Hafen die Fregatte Amalia mit dem bei seiner Rückkehr von der Lust-
reise aus seinem Königreiche ausgeschlossenen unglücklichen Otto, dane-
ben ein Englisches Kriegsschiff. Ihm zum Hohn flaggte im Hafen Alles,
was Griechisch hiefs, während eine eigentümliche Unruhe Alles erfüllte
15
226 Rei8e dnrch die Europäische Türkei« .
and Schüsse unaufhörlich fielen; Auch dauerte es nicht lange,, so mn*
sehwärmten das Panhellenion die Ruder böte mit dem Rufe fiU»#a**ft,
ilsvöegia, navQicQTai, iyvj* ° ßaatXeis dir Gtkei *m oatsg^ercu ^Freiheit*
Freiheit, Landsleute, der König ist vertrieben und er soll nicht Barock*
kommen. a Während nun die übrigen Passagiere noch sieh verwun-
dernd und berathend sich zusaramenthaten und abwarteten, "übergab
ich mein Gepäck einem sich herbeidrängenden Bootsmann and 'folgte
ihm, ohne von einer Mauth oder Quarantaine geniri an sein, in-
dem ich mich entschiofs, während der kürten Zeit meines Aufenthal-
tes mich hier in der Hafenstadt einzulogiren. Ich wählte dazu ein ia
der Nähe des Französischen Konsulates und des Oesterreiebischen Lloyd
ganz isolirt auf der sudlichen Seite des Quais an dem . freien Plats
gelegenes Wirthshaus , wo ich ein Zimmer mit . lebensvoller Aussicht
auf den Hafen erhielt. Die Revolution hatte noch immer- einen dro-
henden Charakter, und Schaaren von Bewaffneten eilten fortwährend
vorüber. Einzelne Schüsse fielen ohne Unterlaß und zu weilen, lösten
sie sich in einem gemeinsamen Feuern auf. Ieh maekte dann einen
Spaziergang durch die Hafenstadt Allerdings hatte sie. sich» seit meinem
Besuche im J. 1847 bedeutend gehoben, hatte einen ungleich reelleren
Anstrich bekommen und war auf dem Wege, mit der Zeit ein kleines
nettes Städtchen zu werden. Dabei aber war der 'gegenwärtige Au-
genblick naturlich sebr angünstig, um zu einer gerechten Wnrdigeng
des hiesigen Verkehrslebens zu gelangen. Manche Läden, im Allgemei-
nen wahrscheinlich eben die besser versorgten, waren gann geschloe»
sen, und so erklärte es sich, dafs ich nicht einmal gutes Briefpapier
auftreiben konnte. Auf den Strafeen tiefs sich meist nur nngetran?
kenes Militär und unruhiges Volk sehen und das Schiefsen sollte gar
kein Ende nehmen. Einige Soldaten fiankirten sogar mit. gesogenen
Säbeln auf der Strafse herum mit den drohendsten Gebärden gegen
den König und seine Partei, wenn er es wagen sollte, eine Landung
zu versuchen. Jedenfalls mufste der Fremde sieh vorsehen, und ich
ging ruhig meiner Wege und verbrachte, nachdem ich im gefällten
Kaffehaus eine Tasse geschlürft, meinen Abend ruhig auf meinem Zim-
mer, beschlofs jedoch, Athen jedenfalls einen Besuch abzustatten.
Am folgenden Morgen, um 6 Uhr, machte ich mich also, da ich
keinen Wagen bekommen konnte, zu Fufs nach Athen auf. Es war
ein herrlicher Oktobertag, die Chaussee allerdings stark staubig* aber
doch bei so früher Stunde, wo noch gar kein. Verkehr sich zeigte, ganz
erträglich. Außer einigen stationirten Soldaten» die mich verwundert
ansahen, war ieh der einzige lebendige Gegenstand auf der wüsten
Verkehrsrinne. Die Zunahme des Anbaues seit meinem ersten Be-
suche im J. 1847 war sehr merklich und augenfällig; hesond#ra bauen
Spaziergang nach Athen. — Flüchtiges Repetitorium. 227
die Weingärten sieb sehr verschönert und aasgedehnt. Rüstig und
bezaubert schritt ich dahin. Bald war die Mittelstation erreicht und
nun ward der Prospekt grofsartiger, die Höhen ringsum zackiger und
klassischer, auch die Chaussee gemüthlicher in Folge der schon ge*
woneneaen Gröfse der sie einfassenden Baume. Ein gewaltiger Fort-
schritt machte sich hier besonders in den Vicinal wegen zur Seite be-
merklicb. 60 ruckte ich immer näher auf die herrliche Burgruine zu
mit ihrer Tempelhalle und hier welch' ein Kulturfortschritt gegen da-
mals. Eine grofsartige Strafse ging zur Rechten ab, die Akropole auf
der Südseite umgehend, und der öde Raum am Theseion war einem
zierlich angelegten Garten gewichen. Allerdings wunderte es mich,
dafe man nicht den Springbrunnen oben an der höchsten Kante der
Anpflanzung angelegt hatte, um ihn zur Bewässerung zu benutzen,
anstatt ihn zur Seite anzulegen und so das Ganze äußerster Trocken-
heit. Preis zu geben, wie gegenwärtig der Fall war.
Ick fing nun ein kurzes t mir selbst unbeschreiblich interessan-
tes, dem Leser mehr gleichgültiges, Repetitorium an. Das The-
seion selbst war leider geschlossen und die Wache wollte es mir
nicht öffnen; dafür aber musterte ich um so aufmerksamer die vor
dem : altersgrauen Tempel nunmehr aufgestellte Sammlung zum Theil
höchst charakteristischer Alterthümer, unter denen sonderbarer, hoffent-
lieh doch nicht unwissender, Weise auch der Grabstein eines Eng-
länders figurirt, „Tweddel, Nortumbria". Nach Betrachtung dieses
Museums im Freien wandte ich mich nun, anstatt vom Theseushügel
in die tiefer gelegene Stadt hinabzusteigen, gleich zur Rechten die
neue Strafse hinan, die neu verschönerte, malerische französische
Kirche auf der zackigen Felsbohe zur Rechten lassend, dann bei den
„Akropb^lakee" vorbei, d.h. dem Häuschen der Wächter der Akro-
polis, und von hier nach der Anweisung der Madame -Wächterin, die
mir diesen Weg als HukqiSQO* angab — denn die Kultur, die hier ein-
gedrungen, machte mich ganz verwirrt — , links die grofse moderne
Fahrstrafse zur alten Akropolis hinauf. Hier durch die Fensternische
der oberen Ringumfassung kriechend, stand ich in dem oberen Gürtel-
weg des jetzt bis auf den Boden ausgegrabenen Theaters des Atticus,
und es wurde mir schwer, mir den früheren Zustand desselben zu ver-
gegenwärtigen. Als ich dann die eigentliche Akropolis betrat, ward
ich an der stark besetzten Wache sofort angehalten und auf Grund
der Ermangelung einer direkten Erlaubnifs von Seiten des Komman-
danten, zurückgewiesen; da ich jedoch meinen, vom auswärtigen Mi-
nisterium in Berlin französisch ausgestellten, Pafs bei mir hatte, ge-
lang es mir nach einigen Gegenreden, in Begleitung eines Wächters
freien Eintritt zu erhalten. Hier nun erst war die Veränderung
15*
228 Reite durch die Europäische Türkei.
seit meinem froheren Besuche gewaltig grofs and ein ganz neuer
Anblick und geistiger Genufs bot sich mir, die Propyläen in ihrer
alten Pracht bis auf den Treppenaufgang bloßgelegt tu erschauen.
Erst jetzt, nach Hinwegräumung alles Schuttes, konnte man sich
überzeugen, welch grofser schöner Raum bei aller Beschränktheit
zu den festlichen Umzögen auf der Plattform der Akropolis sich dar-
bot. Hatte man nun doch auch von der Balustrade der hohen Fels-
terrasse aus einen freien Umblick auf die klassische Landschaft und
konnte mit Freuden hier am Rande verweilen; sogar behagliche, fast
zu moderne, Sitze hat man hier in der Ecke angebracht Aber trotz
aller sonstigen Aufräumungen und Klarlegungen, welche die Akropo-
lis betroffen, hat doch immer am meisten das Erechtheion gewonnen
mit seinen zahlreichen geheimnifsvollen , zu Schatzkammern bestimm-
ten unterirdischen Räumen und den bedeutenden Restaurationen zum
Zwecke der Erhaltung und Bewahrung des noch Stehenden. Auch
den kleinen Tempel der Nike überschaut man jetzt ganz anders, als
das früher möglich war und erst jetzt erkennt man völlig klar und
überzeugend, wie einst an der gegenüber liegenden Seite, an der
Stelle des den ganzen Bau mächtig unterbrechenden Venetianer Thur-
mes, eine dieser Seitenhalle entsprechende Flügel -Halle stand. Dann
besichtigte ich mit ungemeinem Interesse dos in der noch stehenden
Flügel -Halle der Propyläen aufgestellte, so inhaltreiche Lapidarien-
und Fragmentmuseum; am meisten aber interessirte mich als Laien die
Inschrift- und Orabscene auf dem Leichenstein des biederen Phry-
nichos.
Nachdem ich so in mehrstündigem Rundgang meine Besichtigung
der antiken Schätze der Akropolis beendet, wandte ich mich, der See-
seite folgend, nach dem vom Professor Strack vor Kursem ausgegra-
benen Theater des Dionysos und fand die Ausgrabungen über alle
Erwartung merkwürdig; zumal interessirte mich bei einigem Mangel
des Verständnisses der noch weniger klar vorliegenden Anordnung des
Pro8ceniums die vollständige Reihe der herrlichen steinernen Lehnsessel,
vor Allem aber der reich skulpirte mittlere in, wie mir schien, gutem
reinen Stil, und benutzte ich ihn mit grofsem Wohlgefallen, um mich von
meinem klassischen Spaziergang in behaglicher Weise auszuruhen. Die
übrigen Sessel allerdings scheinen erst aus bezüglich später Zeit sn stam-
men, wenigstens eine Umarbeitung und Umänderung des Inschrifts-
titels erfahren zu haben. Nur im Theater von Segeste und einigen
Klein -Asiatischen Theatern hatte ich ähnliche Lehnsessel noch erhal-
ten gefunden. Der Inschriften sind hier so viele, dafs wol manche in
Athen damals bestehende Priesterschaft erst aus diesen Dokumenten
bekannt geworden ist. Uebrigens hatten damals die Ausgrabungen
Alt -Athen mit seinen Ruinen; Neu -Athen mit seiner Anarchie. 229
noch viel übrig gelassen, und die Revolution und Anarchie schien fur's
Erste die Fortsetzung keineswegs begünstigen zu sollen, und merkwür-
dig, wenn auch nicht eben erfreulich, war es in dieser Beziehung zn
sehen, wie der Wächter gerade so eben einen harten Stand hatte ge-
gen Leute, die diesen anarchischen Zustand und den Hafs gegen die
Deutschen benutzen wollten, um „die alten Steine" zu neuen Bauwer-
ken fortzuschaffen. Selbst die von Sr. Majestät dem König bewilligten
500 Thaler waren noch nicht angekommen und werden nach solcher
Umwälzung vielleicht gar nicht mehr eingetroffen sein. Ich wandte mich
dann nach dem Olympieion mit seinen feenhaft stehen gebliebenen
einzelnen Säulen und schlurfte eine Tasse vortrefflichen Kaffe's in der
kleinen netten Schenke daneben, wobei ich mich in ein sehr langes
politisches Gespräch mit dem höchst patriotischen Wirth verwickelte,
dessen Resultat darin bestand, dafs ich mir völlig bewufst wurde, dafs
neben der in den letzten Jahren etwas unritterlich gewordenen Le-
bensweise Otto's doch seine 500,000 Drachmen Leibrente /der eigent-
liche Hauptdorn in den Augen der Griechen gewesen.
Ich verfolgte dann meinen Rundgang nach dem neuen Stadttheile
und dem Königlichen Palais zu. Wie schön hatten sich jetzt die Garten-
anlagen entwickelt, wie prächtig und stolz ragte die Palmengruppe empor,
die gerade zur Zeit meines ersten Besuches Königin Amalie pflanzte, nach-
dem sie dieselben mit grofsen Kosten und Mühe von Naxos hatte herüber
schaffen lassen. Die Palmen waren seitdem stolz aufgegangen, und die
Königin? — Amalie lag flüchtig und verstofsen mit ihrem königlichen Ehe-
gemahl im Hafen, um noch diesen Nachmittag dem Thron und Königreich
für ewig Lebewohl zu sagen. Das öde, von seinen rechtmäßigen Besitzern
verlassene und nur von Militär besetzte Palais zur Seite lassend, be-
trat ich dann den schmuckreichen Orangenplatz, wo ich mit Befriedi-
gung gewahrte, dais verständige Bürger dem Unwesen der Anarchie
doch zu steuern suchten. Dann pflegte ich meinen Leib im Hotel des
Etrangers, nahm darauf einen Platz auf dem Lloyd nach Triest und
setzte, so gestärkt und über meine Weiterreise beruhigt, meinen Spa-
ziergang durch Alt- und Neu -Athen fort, besonders auch als merk-
wördige Vertreterin des Mittelalters die alte prächtige kleine Metropo-
litankirche mitnehmend.
Als Episode der Revolution war mir folgende Scene nicht un-
interessant. Der zeitweilige Gouverneur, in Kalesche mit Eskorte
v*m vior Reitern, besuchte gerade die Universität, und in der Vor-
halle derselben wurden verschiedene Reden gehalten, und hier in
den Hallen der Wissenschaft schien wahrhafte ikev&eQia zu wal-
ten: Die Professoren und Studenten klagten mit Recht, der (Ttga-
tig nehme Alles, das sei keine wirkliche iaoropia. Man ging dann
230 Reise durch die Europäische Türkei.
in das Innere des Gebäudes zu weiterer Verhandlung; dorthin aber
wollte ich mich nicht nachdrängen. Während dessen- sah ich mir
den zum Akademiegebäude bestimmten Grundplan zur Seite- dar \sab-.
versität an und wanderte dann durch dies neue Stadtquartier wei*
ter. Hier hat die Stadt wirklich grofee Fortschritte gemacht und ver-
spricht mit der Zeit ein recht nettes Städtchen zu werden. Wenig*
stens von Aufsen haben die Neubauten ein gutes Ansehen- Di« vor-
läufigen Einzäunungen reichten besonders schon weit hinaus, ganz auf
den Fufs des Lykabettos hinauf, wie ja auch die eine Strafae schon
nach ihm den Namen führt 686g rtw udvxaßqrio». Dahin wandte
ich jetzt meine Schritte, nachdem ieh noch in einem anderen Xaffe
die neuesten Zeitungsnachrichten und Plakate von den vertriebenen
„blutigen Despoten tf gelesen. Leider wird der schonzackige Lyka*
bettos durch die Steingruben immer mehr entweiht, besonders sein
Östliches Ende. Höchlichst erstaunt aber war ich über die Nachläs-
sigkeit, in so anarchischer Zeit die so einsam oben gelegene Sapelle
nicht zu schliefsen, obgleich sie vielleicht als völlig nationales Eigen-
thum keiner grofsen Gefahr ausgesetzt war. Der Blick von oben war
augenblicklich nicht schön; jedenfalls aber konnte man von hier den
revolutionären Trubel unten sehr behaglich mit ansehen. Doch sollte ich
noch von ihm zu leiden haben, wenn auch in sehr beschränktem Mafse.
Denn, als ich nun von der Felsböhe wieder hinabgestiegen, mir auf der
Hermesstrafse, dem Athenischen Corso, einen Wagen zur Rückkehr nach
dem Piraeeus suchte, nahm mir die freche Soldateska jedes Mal, s#
wie ich einen Wagen gemiethet hatte, denselben gegen den ausdrückli-
chen Willen der Kutscher, denen Bezahlung natürlich ungleich Heber
war, als die Ehre militärischer Besetzung, mit Gewalt fort: ^ Bür-
gerpack könnte zu Fufs geben, die Soldaten müfsten fahren". So
hatte ich mich denn schon entschlossen, auch meine Rückkehr nach
der Hafenstadt wieder zu Fufs zu bewerkstelligen*, als es mir endlich
gelang, in Gemeinschaft mit vier Griechen, die aueh auf dem Fänhel-
lenion gekommen waren, einen Wagen zu miethen und in einer
Seitenstrafse glücklich zu besteigen. Er war nun voll; daa hinderte
aber nicht, dafs, nachdem uns schon mehrere Soldaten nachgelaufen,
sich unterwegs drei Soldaten mit äufserster Frechheit selbst gegen
ihre Landsleute, mit ihren Gewehren noch hineindrängten und unsere
Fahrt etwas ungemüthlich machten. Allerdings war einiger Anlafs für das
Militair da, nach dem Piraeeus zueilen; denn es hiefs eine. Weile, dal*
Otto doch noch den Versuch machen wolle, seinen Thron au retten.
Gerade in dem Augenblick jedoch, als ich die Hafenstadt wieder betrat,
fuhr der König, nachdem er die Griechische Fregatte Amalia ver-
lassen und ausgeliefert, auf dein Englischen Dampfschiff davon, au
Abfahrt des Exkönigs. — Fahrt nach Triest. 231
ungeheurem Jubel der Bevölkerung. Die Fregatte that Freuden-
schüsee und hifste die Flaggen, und unter Freudengeschrei wurden
die dort am Bord als Geifseln zurückgehaltenen Gefangenen ans Ufer
geholt. — Auch hier, wie überall, war somit Deutschland aus dem
Felde geschlagen.
Das Dampfschiff sollte erst am nächsten Nachmittag fortgehen,
doch blieb ich, aufser kleineren Spaziergängen, ruhig zu Hause und be-
nutzte meine Zeit zum Briefschreiben nach verschiedenen Platzen der
Mittelmeerländer. Als ich sie dann selbst auf die Post bringen wollte,
mufste ich lange suchen; in dieser nationalen Revolution wollte natür-
lich kein Mensch etwas anderes als Griechisch verstehen, und da ich
nun das sonst übliche Wort raivÖgo/Aior gebrauchte, so verstand auch
das zuletzt nur Einer aus den höchsten Bildungskreisen, da die Post
hier den sonderbaren Namen fuhrt nuviu y^dfifiata. Als ich dann
am Nachmittag an Bord ging, fand ich das ganze Schiff voll von
Deutschen Flüchtlingen und in gröfster Unordnung, jedoch machte ich
allmählich unter den Herren manche sehr angenehme und lehrreiche
Bekanntschaft, besonders mit dem Privatsekretär des Königs, Baron
von Windham, der mir eine sehr klare Beschreibung von Griechen-
lands Hülfsquellen machte, mit dem Herrn Ober- Stallmeister und dem
Kaplan der Königin. So versprach die Fahrt ganz interessant zu
werden. Die Nacht war rein und sternenklar und um 2 Uhr Mitter-
nachts trafen wir in Syra ein, wo wir bis Nachmittag bleiben sollten,
aber erst gegen Morgen des zweiten Tages fortkamen, da das Dampf-
boot aus Konstantinopel, in Folge der dichten Nebel im Bosporus, sich
um viele Stunden verspätet hatte. Mittlerweile benutzte ich meine
Zeit zu einem Besuch des hochgelegenen San Giovanni und einem län-
geren Spaziergang durch die blühende Insel, versäumte aber leider, die
Bekanntschaft des kundigen Oesterreichischen Konsuls Herrn v. Hahn zu
machen, mit dem ich auf Grund unserer beiderseitigen Reisen in der
Europäischen Türkei manche geistige Berührungspunkte gehabt hätte.
. Nach höchst langweiligem Warten traf das Dampfschiff aus Kon-
stantinopel erst um 1 Uhr nach Mitternacht ein und mufste nun die
Umschiffung der zahlreichen Familien zu nächtlicher Weile nicht ohne
Unannehmlichkeit Statt finden. Erst gegen 4| Uhr Morgens kamen
wir fort. Es war ein sehr schönes grofses Schiff, und die Fahrt um
die zackigen Kaps der so reich und malerisch gegliederten Pelopon-
nesischen Halbinsel so schön wie möglich — auch mancher Fortschritt
in der Ansiedelung an den Küsten zu bemerken — besonders herrlich
aber war am Dienstag die Fahrt durch den romantischen Kanal von
Ithaka mit dem klaren Ueberblick über die ganze Westseite dieses
klassischen Inselcbens.
232 Reise durch die Europäische Türkei.
Wie wir dann weiter in den Adria-Golf hineinrückten, ward es
etwas stürmisch und die Beleuchtung weniger klar, daher bei der
Entfernung der Küsten die Fahrt weniger unterhaltend. Ein in der
Ferne im Osten während der Abenddämmerung losbrechendes Gewitter
mit gewaltigen, schnell aufeinander folgenden Schlägen gewährte einige
Unterhaltung. Da wir bei schlechten Kohlen sehr langsam fuhren,
erreichten wir erst gegen Mitternacht des 30. Oktober den Hafen
von Triest; doch gelang es mir in Gesellschaft des Herrn von Wind-
ham noch ans Land zu kommen, so dals ich, da ich in aller Früh«
des folgenden Morgens bei fürchterlichem Regen meinen Paus glücklich
hatte visiren lassen, noch mit dem ersten Morgenauge meine Landreise
nach Berlin antreten konnte, wo ich am Morgen des 2. November
eintraf, nach glücklicher Beendigung einer kurzen, aber höchst: in-
teressanten und an inannichfachen Ergebnissen reichen Rundreise durch
das südöstliche Gebirgs- und Glieder- System Europas.
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