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Full text of "Reise durch Montenegro nebst Bemerkungen über Land und Leute"

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LIBRARY 

UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 

RIVERSIDE 


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REISE 


DURCH 


Montenegro. 


REISE 


Montenegro 


NEDST 


BEMERKUNGEN  ÜBER  LAND  UND  LEUTE. 


Dr    KURT  HASSERT. 


MIT  30  ABBILDUNGEN  NACH  DEN  AUFNAHMEN  DES  VERFASSERS 
UND  EINER  KARTE. 


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WIEN,  PEST.  LEIPZIG. 

A.    H  A  R  T  L  EB  E  n's    Y  ER  L  A  G. 
1893. 

Alle    Rechte  vorbehalten. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien 


V 


Vorwort. 


Zwar    ist    Vollkommenheit    ein    Ziel,    das 

stets  entweicht, 
Doch    soll    es    auch    erstrebt    nur    werden, 

nicht  erreicht. 
F.  Rückert,   Die  Weisheit  des  Brahmanen.  III,  34. 

Es  möchte  vielleicht  überflüssig  erscheinen,  mit  einem  neuen 
Werke  über  Montenegro  hervorzutreten,  da  die  geographische  Literatur 
über  die  Crnagora  neben  einer  Anzahl  älterer  Arbeiten  zv/ei  umfang- 
reiche neuere  Bücher  —  B.  Schwarz,  Montenegro  (1883)  und  P.  Rovinski, 
Cernogorija  va  eja  proslom  i  nastojastem  (Montenegro  in  der  Ver- 
gangenheit und  Gegenwart  (1888)  —  besitzt.  Das  eine  derselben  ent- 
hält ausser  einer  allgemeinen  geographischen  Uebersicht  die  lebendige 
Schilderung  einer  etwa  einmonatlichen  Reise  durch  die  Schwarzen 
Berge,  das  zweite,  die  Frucht  eines  langjährigen  Aufenthaltes  und  von 
dem  besten  Kenner  Montenegros  verfasst,  gibt  eine  sehr  ausführliche 
Darstellung  der  physikalischen  Geographie  und  Geschichte  des  Landes. 
Die  Umstände  jedoch,  dass  Schwarz  nur  den  kleinsten  Theil  der 
Crnagora  kennen  lernte,  dass  zwei  neuere  Reisende,  Dr.  O.  Baumann 
und  Dr.  A.  Baldacci,  bisher  wenig  über  ihre  Streifzüge  veröffentlichten, 
und  dass  Rovinski's  Werk  in  russischer  Sprache  geschrieben,  also  nicht 
Jedermann  zugänglich  ist,  bewogen  mich  zur  Herausgabe  dieses  Buches, 
das  meine  Erlebnisse  auf  einer  nahezu  fünfmonatlichen  Fussw^anderung 
durch  Montenegro  schildern  und  vielmehr  ein  unterhaltendes  als  wissen- 
schaftliches Buch  sein  soll,  ohne  jedoch  des  wissenschaftlichen  Charakters 
gänzlich  zu  entbehren.  Die  beigegebene  Karte  dient  einzig  und  allein 
zur  Veranschaulichung  meiner  Routen  und  kann  schon  aus  dem  Grunde 
nicht  genau  sein,  weil  das  kartographische  Material  über  jene  Gebiete 
der  Balkan-Halbinsel,  soweit  es  nicht  geheim  gehalten  wird,  ziemlich 
mangelhaft  und  stellenweise  falsch  ist.  Wenn  an  der  Darstellung  etwas 
auszusetzen  ist,  so  möge  als  Entschuldigung  dienen,  dass  mich  andere 
Arbeiten  und  die  Vorbereitungen  zu  einer  zweiten  Reise  nach  Monte- 
negro sehr  in  Anspruch  nahmen,  und  dass  ich  den  letzten  Theil  des 
Manuscriptes  erst  in  Montenegro  selbst  fertig  stellen  konnte. 


VI 

Um  einige  allgemeine  Bemerkungen  hinzuzufügen,  so  hebe  ich 
von  meiner  Ausrüstung  hervor:  ein  halbes  Dutzend  Thermometer,  zwei 
Kappeler'sche  Minimum  -  Thermometer  mit  Schutzvorrichtung,  zwei 
Kompasse,  drei  Aneroide,  einen  photographischen  Apparat  und  einen 
Apparat  zu  Tiefenlothungen  (Tiefenloth  nach  den  Angaben  von  Herrn 
Professor  Dr.  E.  Richter,  Apparat  nach  dem  Muster  des  Ule"schen 
Loth-Apparates),  dessen  iA.nschaffung  mir  durch  das  gütige  Entgegen- 
kommen des  Vereins  für  Erdkunde  zu  Leipzig  ermöglicht  w^urde.  Erbs- 
wurst, Suppenconserven  und  Cacao  leisteten  mir  mehrmals  gute  Dienste, 
und  zwei  warme  Schlafdecken  waren  mir  in  den  oft  sehr  primitiven 
Nachtquartieren  nicht  minder  unentbehrlich.  Als  Waffe  trug  ich  einen 
Revolver,  doch  habe  ich  denselben  nie  gebraucht  und  Hess  ihn  meist 
meinen  Diener  tragen. 

Endlich  wurde  mir  durch  die  Güte  der  Kaiserlich  Russischen 
Botschaft  zu  Berlin  ein  Empfehlungsschreiben  an  den  Kaiserlich 
Russischen  Minister-Residenten  in  Cetinje  und  durch  Vermittlung  der 
Deutschen  Botschaft  in  \\'ien  ein  \"orschreiben  an  die  k.  und  k.  Diplo- 
matische Mission  in  Cetinje  zu  theil ;  vom  Fürstlich  Montenegrinischen 
Ministerium  des  Aeusseren  erhielt  ich  einen  offenen  Brief  an  die  Landes- 
behörden, und  ich  kann  es  nicht  unterlassen,  Allen,  die  mich  bereit- 
willigst mit  Rath  und  That  unterstützten,  meinen  ergebensten  Dank 
auszusprechen. 

Kolasin,  den    15(3).  Juli    1S92. 

Der  Verfasser. 
Zur  Aussprache: 

c  =  dscb,  c  =^  tscli,  c  ^  c  (da  das  Serbische  ein  k  besitzt),  l  =  ss,  z  =  französisch 
(joli),  ä  =  seh,  v  =  \v. 

Häufig  vorkommende    Bezeichnungen    und 
Voda  =    Wasser 

Rijeka  =    FIuss 

Jezero  =    See 

Biato  ^    Sumpf 

Gora,  Planina   =    Gebirge 


Vrh 

= 

Berg 

Gornji 

= 

Ober 

Pod,  Dolnji 

= 

Unter 

Veliki 

= 

Gross 

Mali 

= 

Klein 

Zelen 

== 

Grün 

Bio 

=^ 

Weiss 

und  geographische    Namen 

Crni 

= 

Schwarz 

Dobar 

= 

Gut 

Sveti 

^ 

Heilig 

Polje 

^ 

Ebene 

Do 

= 

Thal 

Zdrijelo 

= 

Engpass 

Grad 

= 

Stadt 

Selo 

= 

Dorf 

Kula 

^ 

Blockhaus 

Crkva 

= 

Kirche 

Locanda 

= 

besseres   Gasthaus 

Han 

= 

Gasthaus 

REISE 


Montenegro 


I.   Capitel. 

Nach  Cetinje. 


Unter  den  Ländern  Europas  war  von  jeher  eines  der  eigenartigsten 
und  geheimnissvollsten  die  Balkan-Halbinsel.  Ein  Volk,  fremd  nach 
Stammeszugehörigkeit  und  Religion,  ein  Volk  mit  anderen  Sitten  und 
anderer  Denkungsart  hatte  sich  in  den  gesegneten  Gefilden  festgesetzt, 
und  erstarrend  in  den  Vorschriften  des  Koran  sank  es  von  Stufe  zu 
Stufe.  Auch  die  unterworfenen  Staaten  blieben  von  diesen  Nachwirkungen 
nicht  verschont,  und  erst  der  russisch-türkische  Krieg  von  1877/78  brachte 
für  die  meisten  derselben  die  völlige  Erlösung  aus  Knechtschaft  und 
Unbekanntheit.  Nur  e  i  n  Land  konnte  der  Islam  trotz  Jahrhunderte  langer 
Kämpfe  nie  dauernd  bezwingen,  und  seine  tapferen  Bewohner  behaupteten 
allein  ihre  Selbstständigkeit.  Das  war  Montenegro.  Und  doch!  Wie 
falsche  Ansichten  herrschen  noch  heute  über  die  als  Krieger  bewun- 
derten, als  Bürger  und  Menschen  gering  geachteten  Crnogorcen!  Niemand 
erinnerte  sich  der  Reisen  eines  Viaila  de  Sommieres,  Wilkinson,  Stieglitz 
oder  Ebel,  und  erst  im  letzten  Jahrzehnt  haben  die  Forschungen  von 
E.  Tietze,  B.  Schwarz,  O.  Baumann,  J.  Wünsch,  P.  Rovinski,  L.  und  A. 
Baldacci  das  halb  verschollene  Land  wieder  der  Vergessenheit  entrissen. 

Während  ich  mich  mit  der  Literatur  über  die  Schwarzen  Berge 
beschäftigte,  konnte  ich  ebenfalls  die  Zweifel  zwischen  Wahrem  und 
Uebertriebenem  nicht  überwinden,  und  obwohl  ich  mir  klar  wurde, 
dass  die  Söhne  der  Crnagora  weit  besser  seien  als  ihr  Ruf,  so  fiel  es 
mir  schwer,  Alles  zu  glauben,  was  ältere  und  neuere  Schriftsteller  über 
sie  berichtet  haben.  Diese  Widersprüche  bestärkten  mich  in  meinen 
lange  gehegten  Reiseplänen  noch  mehr,  und  im  Jahre  1891  war  die 
Zeit  gekommen,  die  mich  dem   ersehnten   Ziele  zuführte. 

Hassert.  Reise  durch  Montenegro,  » 


2  Nach   Cetinje. 

Am  31.  März  sagte  ich  der  Heimat  Lebewohl,  nicht  ohne  vor  der 
vermeintHchen  Unsicherheit  in  jenen  Gebieten  Europas  dringend  gewarnt 
worden  zu  sein.  Ein  vorbereitender  Ausflug  im  Anschluss  an  den  Wiener 
Geographentag  bot  mir  die  erwünschte  Gelegenheit,  unter  fachmännischer 
Leitung  den  Karst  kennen  zu  lernen,  ein  zweiter  Besuch  galt  dem  Neu- 
siedler See,  der  in  vielen  Beziehungen  dem  Scutari-See  gleicht,  und  nach 
sechswöchentlichem  Aufenthalte  kehrte  ich  der  schönen  Kaiserstadt  an 
der  Donau  den  Rücken,  Am  Morgen  des  20.  Mai  betrat  ich  in  Triest 
den  Lloyddampfer,  und  klopfenden  Herzens  sah  ich  das  Schiff  sich  in 
Bewegung  setzen,  das  mich  an  den  Fuss  der  Schwarzen  Berge  bringen 
sollte. 

Langsam  verschwand  das  amphitheatralisch  aufgebaute  Häuser- 
gewirr des  wichtigen  Handelsplatzes,  und  die  Ostküste  der  Adria  ent- 
faltete ihre  malerischen  Schönheiten.  Hoch  oben  wölbt  sich  der  unend- 
liche Himmel,  unten  fluthet  das  blaue  Meer,  in  dem  muntere  Delphine 
ihr  lustiges  Spiel  treiben  und  Fischerbarken  mit  breiten,,  weissen  Segeln 
auf-  und  niederschaukeln.  Die  nackten  Steilwände  des  istrischen  und 
dalmatinischen  Karstes  heben  sich  scharf  vom  tiefblauen  Firmamente  ab, 
und  freundliche  Ortschaften,  dunkle  Wälder  oder  grünende  Aecker  um- 
kränzen abwechselnd  die  unteren  Gehänge.  Anfangs  kann  man  die  Reize 
der  südlichen  Landschaft,  das  Labyrinth  der  zahllosen  Inseln,  den  an- 
muthigen  Ufersaum  und  die  drohenden  Gebirgsmauern  nicht  genug 
bewundern,  bis  sie  schliesslich  doch  ihre  Zauberkraft  verlieren.  Umso- 
mehr  wendet  man  sich  der  Reisegesellschaft  zu;  Bekanntschaften  sind 
bald  geschlossen,  und  in  angenehmer  Unterhaltung  verfliegt  die  Zeit. 

Das  Schiff  landet  in  Pola,  dem  Kriegshafen  der  österreichischen 
Marine,  es  hält  in  Dalmatiens  politischer  Hauptstadt  Zara,  und  am 
Nachmittage  des  zweiten  Tages  ist  Spalato,  die  Residenz  Kaiser  Diocle- 
tians  und  heute  der  volkreichste  Ort  Dalmatiens,  erreicht.  Jedesmal 
bietet  ein  mehrstündiger  Aufenthalt  Zeit  genug,  um  die  originellen  Städte 
und  ihre  Alterthümer  kennen  zu  lernen.  Buntmützige  Morlaken  in  ihrer 
ebenso  malerischen  als  schmutzigen  Tracht  warten  am  Hafen  auf  den 
Reisenden,  um  sich  unter  Schreien  und  Zanken  seines  Gepäckes  zu 
bemächtigen;  zerlumpte  Bummler  sonnen  sich  träge  auf  den  breiten 
Steinfliesen  und  halten,  zum  Reden  zu  faul,  dem  Fremden  mit  einer 
bezeichnenden  Geberde  die  Hand  entgegen.  Kaum  hat  dieser  die  engen, 
winkligen  Gassen  betreten,  so  läuft  ihm  schon  eine  Schaar  von  Bettlern 
aller  Altersclassen  und  Geschlechter  nach,  bleibt  er  irgendwo  stehen, 
gleich  sind  andere  Aufdringliche  bei  der  Hand,  und  sucht  er  in  einem 
Gasthause  Zuflucht,  so  folgen  ^ihm  die  Unverschämtesten  dorthin  nach. 


Nach  Cetinje. 

Doch  die  Dampfpfeife  mahnt  zur  Eile;  die  Xacht  breitet  rasch 
ihren  Schleier  aus,  das  Stampfen  der  Maschine  und  die  an  die  Schiffs- 
vvand  schlagenden  Wellen  wiegen  uns  in  festen  Schlaf,  und  der 
frühe  Morgen  findet  uns  neu  gestärkt  in  einer  liebHchen  Bucht.  Cypressen- 
und  Pinienhaine,  Feigen  und  Aloes,  der  Lorbeer  und  andere  immer- 
grüne Laubhölzer  verhüllen  schmeichelnd  den  nackten  Kalk,  stattliche 
Häuser  schauen  aus  dem  Gebüsch  hervor,  und  stolze  Forts  grüssen  von 
den  steilen  Höhen  herab.  Wir  waren  in  Gravosa,  dem  trefflichen  Hafen 
der  alten  Handelsstadt  Ragusa,  die  ich  einige  Monate  später  als  unfrei- 
williger Wanderer  zum  zweiten  Male  betreten  sollte. 

Nun  wird  der  Gebirgswall  zusehends  wilder,  er  scheint  an  Höhe 
und  Steilheit  zu  gewinnen,  und  nach  Mittag  biegt  unser  Fahrzeug  um 
die  berüchtigte  Punta  d"Ostro.  Mit  einem  Schlage  hat  sich  die  Scenerie 
verwandelt.  Die  noch  eben  bewegte  See  kräuselt  sich  in  leichten  Wellen, 
schauerliche  Kalkmauern  stürzen  fast  unvermittelt  in  die  blauen  Fluthen 
und  kommen  sich  zuweilen  so  nahe,  dass  sie  blos  einen  schmalen 
Canal  übrig  lassen.  Das  sind  die  Bocche  di  Cattaro,  die  so  vielfach 
an  den  Vierwaldstätter  See  erinnern  und  zu  den  berühmtesten,  oe- 
räumigsten  und  sichersten  Häfen  der  Welt  gehören.  An  der  Einfahrt 
thürmt  sich  der  riesige  Orjen  auf,  im  Hintergrunde  winken  die  nackten 
Felszüge  der  Crnagora,  und  als  weithin  sichtbares  Wahrzeichen  grüsst 
ein  Berg  herüber,  dessen  sargdeckelartigen  Kamm  grauweisse  Schnee- 
flecken zieren.  Das  ist  der  Lovcen,  der  heilige  Berg  der  Montenegriner, 
an  dem  der  uralte  Saumpfad  und  die  neue  Fahrstrasse  in  zahllosen 
Zickzacken  emporklimmen.  Fieberhafte  Thätigkeit  herrscht  auf  dem 
Schiffe.  Das  Gepäck  wird  heraufgewunden,  die  Fahrgäste  drängen  sich 
auf  dem  Verdeck  zusammen,  und  Cattaros  weisse  Häusermasse  kommt 
rasch  näher.  Schon  sind  die  Gestalten  der  neugierigen  Zuschauer  zu 
erkennen,  und  vernehmbar  klingt  das  Gezeter  der  Lastträger  herüber, 
die  sich  um  die  besten  Plätze  streiten.  Jetzt  hält  das  Schiff,  die  Landungs- 
brücke wird  aufgerichtet,  und  im  nächsten  Augenblicke  stürzen  die 
Facchini,  einer  losgelassenen  Meute  gleich,  an  Bord. 

Vier  der  rohen  Gesellen  fielen  über  meine  beiden  Reisekörbe  her 
und  schleppten  sie  durch  das  schmale  Thor  der  Festungsmauer  in  die 
Zollstätte.  Nachdem  die  Durchsicht  des  Gepäckes  zu  beiderseitiger 
Zufriedenheit  beendet  war,  konnte  ich  das  Hotel  aufsuchen;  draussen  aber 
warteten  schon  die  zweifelhaften  Helfer,  um  für  ihre  Dienste  einen 
unverschämten  Preis  zu  verlangen.  Ich  nahm  einen  derselben  bei  Seite, 
theilte  ihm  mit,  dass  ich  am  nächsten  Tage  nach  Cetinje  wollte,  und 
fragte    ihn,    ob    er    mir    einen    Mann    mit   einem    Tragthier    verschaffen 


A  Nach  Cetinje. 

könnte.  Bald  hatte  er  das  Gewünschte  gefunden,  der  x\ufbruch  wurde  auf 
VgS  Uhr  Morgens  festgesetzt,  und  nun  konnte  ich  mit  einiger  Ruhe 
den  kommenden  Ereignissen  entgegensehen.  Ein  Rundgang  durch 
Cattaro  bot  nicht  viel  Neues,  da  dieses  genau  den  übrigen  Städten 
Dalmatiens  gleicht.  Ich  kehrte  deshalb  ins  Hotel  zurück;  kaum  aber 
war  ich  eingetreten,  als  mich  ein  Herr  in  fliessendem  Französisch  an- 
redete und  sich  als  türkischen  i^Iajor  vorstellte.  Er  war  gekommen,  um 
ein  Mitglied  der  türkischen  Gesandtschaft  abzuholen  und  nach  Cetinje 
zu  geleiten;  und  mit  dem  Letzteren,  einem  fein  gebildeten,  des  Deutschen 
und  Französischen  gleich  mächtigen  jungen  Manne  vornehmer  türkischer 
Abkunft,  hatte  ich  bereits  auf  dem  Schiffe  einige  genussreiche  Stunden 
verbracht.  Inzwischen  war  es  dunkel  geworden,  und  die  wunderbar 
milde  Luft  lud  nach  des  Tages  Hitze  doppelt  zu  einem  Spaziergange 
am  Strande  ein.  Am  Himmel  glänzten  zahllose  Sterne,  und  das  silberne 
Licht  des  Mondes  beleuchtete  gespensterhaft  den  Scheitel  der  maje- 
stätischen Gebirgsmauer.  Dort  oben  nahm  Montenegro  seinen  Anfang, 
und  dort  oben  weilten  meine  Gedanken.   — 

*    . 
Pünktlich  erschien    mein  Begleiter    und   trug  das  Gepäck  vor   das 

Thor,  da  Pferde  das  Innere  der  Stadt  nicht  betreten  dürfen.  Der  Be- 
sitzer des  Maulesels  war  ebenfalls  zur  Stelle;  die  schwere  Last  wurde 
dem  geduldigen  Thiere  aufgebürdet,  und  hinauf  ging  es,  den  Schwarzen 
Bergen  zu,  während  über  Cattaro  noch  die  friedliche  Morgenruhe  lagerte. 
Die  1879  vollendete  Fahrstrasse  läuft  zunächst  in  einer  Einsenkung, 
verlässt  dann  den  nach  Budua  führenden  Strassenzug,  und  es  beginnt 
eine  Unzahl  grosser  Krümmungen,  die  durch  kümmerliche  Pfade  abge- 
schnitten werden.  Mehrmals  überspannen  Steinbrücken  die  in  den 
schroffen  Berghang  eingerissenen  Schluchten;  aber  nur  in  den  wenigsten 
derselben  floss  noch  Wasser,  das  von  dem  schneebedeckten  Lovcen 
herabrieselte  und  wenige  Wochen  später  gänzlich  versiegt  war. 

Mit  wachsender  Höhe  des  Aufstieges  erweitert  sich  der  Ausblick 
zusehends,  und  es  entrollt  sich  —  wer  könnte  ein  solches  Bild  be- 
schreiben —  das  unendliche  Meer,  um  in  unbestimmter  Ferne  mit  dem 
Horizonte  zu  verschwimmen.  Vor  uns  liegen  die  Bocche  mit  ihren 
steilen  Gebirgsmauern,  ihren  anmuthigen  Ufern  und  schmucken  Häusern, 
die  von  der  Höhe  wie  die  winzig  kleinen  Häuschen  eines  Kinderspiel- 
zeuges aussehen.  Noch  einige  Schritte,  dann  zieht  sich  eine  Reihe  ein- 
gelegter Steine  schräg  über  die  Strasse;  sie  zeigt  die  Grenze  (924  Meter) 
zwischen  hüben  und  drüben  an,  und  ich  überschritt  sie  mit  einem  kräf- 
tigen  >  Hurrah,  Crnagora!« 


Nach  Cetinje.  ej 

Nun  ist  der  vielgenannte  Krstac-Sattel  (984  Meter),  der  dem  Strassen- 
bau  die  meisten  Schwierigkeiten  entgegenstellte,  nicht  mehr  weit,  und 
eine  andere  Landschaft  nimmt  uns  auf.  Wüstes  Steingeröll  verhüllt 
eine  grau  in  grau  gehüllte  Hochebene,  die  von  schmalen  Erhebungen 
regellos  zergliedert  und  von  rundlichen  Trichtern,  den  Dohnen,  sieb- 
artig durchlöchert  ist.  Kein  starker  Baum  ziert  die  trostlosen  Einöden; 
niedere  Büsche  oder  Stämmchen  fristen  zwischen  den  Felsen  ein 
neidloses  Dasein  und  beugen  sich  ächzend  unter  dem  Eiseshauche  der 
Bora.  Noch  hat  der  Frühling  die  Macht  des  Winters  nicht  ganz  be- 
zwungen, und  schüchtern  entfaltet  sich  erst  das  junge  Grün,  das  unten 
bereits  üppig  entwickelt  war.  Aber  rührend  ist  es  zu  sehen,  wie  der 
als  Tagedieb  verschrieene  Montenegriner  mit  peinlicher  Sorgfalt  jedes 
verfügbare  Fleckchen  Erde  zu  einem  kleinen  Felde  ausgenutzt  hat,  das 
oft  mehr  Steine  als  feine  Krume  aufweist.  Noch  ein  kurzes  Stück  müssen 
wir  wandern,  dann  nimmt  uns  die  erste  wohlbebaute  Oase  dieser  Karst- 
wüste, die  Ebene  von  Njegus  (885  Meter),  auf. 

Unter  Njegus  versteht  man  das  massig  grosse  Kesselthal,  an  dessen 
Rändern  sieben  Weiler  und  Dörfchen  —  Herakovici,  Rajcevici,  Dugi  Do, 
Vrba,  Velji  Kraj,  Radonici,  Petrovici  —  zerstreut  sind  und  aus  deren 
letztem  Montenegros  Herrscherhaus  stammt.  In  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts flüchtete  nämlich  die  hercegovinische  Familie  der  Petrovici 
vor  der  türkischen  Gewaltherrschaft  in  die  Schwarzen  Berge  und  sie- 
delte sich  im  Njegusko  Polje  an.  Mit  schroffen,  spärlich  bewaldeten 
Lehnen  fällt  der  Lovcen  zum  Becken  ab,  und  seinen  windumbrausten 
Gipfel  krönt  die  einfache  Capelle,  welche  das  dankbare  Volk  dem 
Gedächtnisse  seines  grossen  Dichters  und  Staatsmannes,  des  Fürsten 
Peter  IL,  weihte. 

In  einem  sehr  bescheidenen  Han  verweilten  wir  zwei  Stunden,  um 
den  knurrenden  Magen  zu  befriedigen  und  dem  Tragthiere  einige  Ruhe 
zu  gönnen.  Der  beschwerlichste  Theil  des  Weges,  der  Aufstieg,  war 
überwunden,  und  mit  frischer  Kraft  klommen  wir  am  Golo  Brdo  an, 
auf  dessen  Rücken  die  Strasse  ihre  bedeutendste  Meereserhebung  (1274 
Meter)  erreicht.  Noch  schweift  der  Blick  über  eine  langweilige,  trau- 
rige Steinwüste  und  über  trümmererfüllte  Dohnen,  da  senkt  sich  plötz- 
lich der  Weg,  und  unwillkürlich  bleiben  wir  stehen,  um  das  neue  Pano- 
rama zu  bewundern,  das  an  Lieblichkeit  und  grossartiger  Romantik 
seinesgleichen  sucht.  Eine  blaue,  dunstbedeckte  Fläche  glänzt  aus  Süd- 
ost herauf,  umgeben  von  einem  breiten,  grünen  Streifen:  das  ist  der 
Scutari-See  mit  seinen  weiten  Niederungen.  Hier  umgrenzt  ihn  das  maje- 
stätische Küstengebirge  mit  den  schneeweissen  Zinnen  der  Rumija  und 


f.  Nach  Cetinje. 

dem  tiefen  Einschnitte  des  Sutorman-Passes;  dort  thürmt  sich  in  über- 
wältigender Schönheit  und  Wildheit  die  schneebedeckte  Kette  der  Al- 
banesischen  Alpen  auf,  und  an  sie  schliesst  sich  die  vielzackige  Mauer 
des  Kuci-Landes,  die  ebenfalls  noch  in  der  reinen  Hülle  des  Winter- 
schnees leuchtet.  Doch  bald  verschwindet  das  wechselvolle  Bild  zwi- 
schen dem  ßlockwerk  und  den  nackten  Hügeln  des  Karstes,  und  erst  nach 
langer  eintöniger  Wanderung  ändert  sich  die  Scenerie  wieder.  Die  Ge- 
birgswände  senken  sich  zu  einem  geräumigen  Becken  mit  grünen  Fel- 
dern, und  an  seinem  Ostende  liegt  eine  kleine  Häuseransammlung.  Ein- 
ladend winken  die  weissgetünchten  Wände  und  die  rothen  Ziegeldächer, 
am  Berghang  erhebt  sich  ein  Kloster,  und  eine  breite  Strasse  durch- 
schneidet den  ganzen  Ort.  »Evo  ti  Cetinje!«  (Hier  ist  Cetinje)  ruft 
mein  Begleiter  aus.  Und  wirklich  da  fand  ich  AlleS;,  was  ich  aus  Be- 
schreibungen schon  kannte.  Das  einfach-schöne  Palais,  das  Pulver- 
magazin, das  Hospital  und  unweit  des  Klosters  die  berüchtigte  Kula, 
einen  Thurm,  auf  dem  noch  zur  Zeit  von  Ebel,  Stieglitz  und  Wilkinson 
die  Köpfe  der  getödteten  Türken  aufgespiesst  waren,  während  jetzt  eine 
eherne  Glocke  deren  Stelle  ziert. 

Die  Nähe  des  Zieles  verdoppelt  unsere  Schritte,  und  die  vielen 
Curven,  welche  die  Strasse  beschreibt,  um  die  Ebene  zu  gewinnen, 
kürzen  wir  auf  geröllbesäeten  Steigen  ab.  Bald  stehen  wir  unten  am 
Beckenrande  in  Bajce  und  langen  eine  halbe  Stunde  später  in  dem 
behaglich  eingerichteten  Hotel  (673  Meter)  an. 

Das  oft  beschriebene  Cetinje,  der  politische  Mittelpunkt  Montene- 
gros, erweckt  in  dem  Ankömmling  die  gemischtesten  Gefühle.  Trotz 
seines  Charakters  als  Residenz  und  als  Sitz  von  sechs  fremden  Gesandt- 
schaften gleicht  es  eher  einem  Dorfe  als  selbst  einer  kleinen  Stadt,  zu- 
mal die  Gesammtbevölkerung  der  Niederung  kaum  mehr  als  1200  Seelen 
zählen  mag.  Ursprünglich  bestand  es  aus  einem  Kloster,  das  1485  ge- 
gründet ward  und  um  welches  sich  die  anderen  Häuschen  nach  und 
nach  zu  einer  breiten  Hauptstrasse  mit  mehreren  kurzen  Nebenstrassen 
und  grossen  Plätzen  aneinanderreihten.  Die  Hauptstrasse  schliesst  mit 
dem  Hotel  und  dem  Mädcheninstitut  ab,  eine  Nebenstrasse  mündet  auf 
den  Platz  aus,  den  die  stattliche  Lesehalle  ziert,  eine  zweite  endet  einer- 
seits auf  dem  Markte,  andererseits  am  Palais  und  an  einem  langen, 
festungsartigen  Gebäude,  in  welchem  die  verschiedenen  Ministerien  und 
das  Gymnasium  untergebracht  sind.  Nach  der  uralten  Ulme,  unter  deren 
schattenspendenden  Zweigen  der  Fürst  Recht  spricht,  ist  das  kleine,  be- 
scheidene Gefängniss  jedenfalls  am  originellsten,  dessen  Sträflinge  meist 
fessellos  umherlaufen.  Sehr  selten  hört  man  von  einem  Fluchtversuche, 


Nach  Cetinje.  n 

da  sich  ein  solcher  mit  dem  Ehrgefühl  des  Crnogorcen  nicht  verträgt, 
und  überdies  werden  hier  nur  die  wegen  leichterer  Verbrechen  Ver- 
urtheilten  in  Haft  behalten;  das  wohlverwahrte  Staatsgefängniss  für  schwere 
Verbrecher  befindet  sich  auf  der  Inselklippe  Grmo/ur  im  Scutari-See. 
Cetinje  macht  mit  seinen  ebenerdigen  oder  einstöckigen  Häusern,  den 
bescheidenen  Läden  und  Werkstätten,  den  reinlichen,  mit  Laternen  ver- 
sehenen Strassen  einen  recht  freundlichen  Eindruck:  hinter  dem  Städt- 
chen ist  neuerdings  ein  Park    angelegt    worden,    und    eine    im    October 


Cetinje,  vom  Hospital  aus. 


1891  eröffnete  Wasserleitung  liefert  gutes  Trinkwasser,  das  dem  Obso- 
vica-Berge  entstammt.  Die  Cisternen  sind  daneben  noch  immer  im  Ge- 
brauch, und  allabendlich  schöpfen  dort  die  Frauen  ihre  Kübel  voll  oder 
tränken  die  Heerden. 

Die  Montenegriner  gehören  zu  den  Südslaven,  erinnern  aber  in 
ihrem  Typus  und  in  ihren  ausdrucksvollen,  scharfen  Zügen  auffallend  an 
die  edel  gestalteten  Albanesen.  Ueberhaupt  scheint  es  sehr  fraglich,  ob  sich 
bei  ihnen  die  serbische  Rasse  rein  erhalten  hat,  denn  abgesehen  davon, 
dass  die  einwandernden  Serben  in  jenen  Gegenden  bereits  die  Abkömm- 


§  Nach  Cetinje. 

linge  eines  jedenfalls  albanesischen  und  mit  Griechen  und  Römern  stark 
vermischten  Urvolkes  vorfanden,  trug  die  beständige  Berührung  mit 
Türken,  Arnauten,  Italienern  und  Hercegovinern  nothwendig  zu  gegen- 
seitigen Vermischungen  bei.  Der  Crnogorce  ist  breitschulterig,  von  mittel- 
grossen, ebenmässigen  Körperformen  und  erfreut  sich  bis  ins  späte  Alter 
einer  unnachahmlichen  Gewandtheit  und  Geschmeidigkeit.  Wohlbeleibte 
Personen  sind  selten,  vielmehr  begegnet  man  hageren,  sehnigen  Männern, 
denen  die  lebhaften  blitzenden  Augen  und  der  martialische  Schnurrbart 
ein  imponirendes,  kriegerisches  Aussehen  verleihen. 

In  dieser  Beziehung  kommt  ihnen  auch  die  einheitliche,  kleidsame 
Nationaltracht  zu  Hilfe.  Eine  scharlachrothe,  mit  Aermeln  besetzte  oder 
ärmellose  Weste  (Camadan),  die  je  nach  dem  Grade  oder  dem  Reich- 
thum  ihres  Besitzers  mit  schwarzen  oder  goldenen  Stickereien  besetzt 
ist,  umschliesst  die  Brust.  Um  den  Leib  schlingt  sich  eine  breite,  bunte 
Schärpe  (Pas),  und  von  ihr  wird  der  eigentliche  Waffengürtel  (Kolan) 
verborgen.  Die  faltige,  blaue  Hose  reicht  bis  zum  Knie,  die  muskulösen 
Waden  schützen  die  Tokolenice,  gamaschenartige,  durch  zahllose  Haftel 
zusammengehaltene  Strümpfe,  und  der  Fuss  steckt  in  kurzen  Socken 
(Carape),  über  welche  die  Opanken,  Schuhe  oder  Stiefeletten  gezogen 
werden.  Wohlhabendere  tragen  über  dem  Camadan  einen  bis  zum  Knie 
fallenden  weissen  oder  grünen,  vorn  offenen  Rock  (Gunj  oder  Dolama) 
und-  darüber  nicht  selten  noch  eine  zweite  reich  verzierte  Weste  (Jelek). 
Als  Ueberwurf  dient  ein  grobwollenes,  gefranstes  Plaid  (Struka)  oder 
ein  aus  grobem  Stoff  verfertigter,  mit  einer  Kapuze  versehener  Mantel 
(Kapanica).  Das  Haupt  endlich  ziert  die  Kapa,  deren  symbolische  Far- 
ben —  der  schwarze  Atlasrand,  der  blutrothe  Deckel  und  der  goldene 
Regenbogen  mit  einem  Stern  oder  dem  Namenszuge  des  Fürsten  — 
die  Trauer  um  die  auf  dem  Amselfelde  verlorene  Freiheit  des  grossen 
Serbenreiches,  das  Türkenblut,  welches  der  Kampf  um  sie  kostete,  und 
die  Hoffnung  auf  ihre  dereinstige  Wiedererlangung  andeuten  sollen.  Auf 
ihr  sind  auch  die  Metallschilder  angebracht,  die  statt  besonderer  Uni- 
formen die  einzelnen  Beamtenclassen  kennzeichnen. 

Wie  ganz  anders  erscheint  das  montenegrinische  Weib  dem  stolzen 
Manne  gegenüber,  hinter  dem  es  an  Schönheit  und  Körpergrösse  weit 
zurücksteht.  Ausnahmen  gibt  es  natürlich  ebenfalls,  doch  vermisst  man 
bei  der  Mehrzahl  die  regelmässigen  Gesichtszüge  und  die  ebenmässigen 
Formen;  überdies  lässt  die  angestrengte  Arbeit  im  Kampfe  ums  Dasein 
die  Frauen  rasch  altern  und  macht  sie  runzelig  und  knochig,  so  dass 
sie  in  keiner  Weise  die  Bezeichnung  schönes,  zartes  oder  schwaches 
Geschlecht  verdienen. 


Nach  Cetinje  g 

Schmucklos  und  düster  ist  auch  ihr  Alltagsgewand,  denn  es  besteht 
aus  einem  dunklen  Rock  und  einem  ärmellosen,  bis  zum  Knie  fallenden 
Ueberkleide  (Köret).  Entsprechend  dem  Gunj  der  Männer  ist  es  vorn 
offen  und  lässt  die  vom  Hemd  verhüllte  Brust  frei.  Das  Haupt  der 
Verheirateten  ziert  ein  schlichtes,  schwarzes  Kopftuch,  das  der  Mädchen 
die  landesübliche  Kapa,  die  einfache  Goldstickereien  enthält  und 
öfters  einen  kurzen  Schleier  trägt.  Bei  festlichen  Gelegenheiten 
wird  statt  des  gewöhnlichen  ein  weisser,  verzierter  Köret  angezogen, 
und  die  Frauen,  nicht  aber  die  Mädchen,  schmücken  sich  mit  einem 
breiten,  aus  Silber  oder  geringwerthigem  Metall  getriebenen  Gürtel 
(Pojas). 

Zunächst  galt  es,  die  Empfehlungen  abzugeben  und  für  die  bevor- 
stehende Wanderung  einen  des  Italienischen  mächtigen  Eingeborenen 
zu  suchen,  da  ich  damals  noch  sehr  wenig  von  der  serbischen  Sprache 
verstand.  Ein  solcher,  Arso  Popovic,  hatte  sich  bald  gemeldet,  doch 
war  er  dem  Trünke  so  ergeben,  dass  ich  ihn  schliesslich  in  Foca 
Knall  und  Fall  entlassen  musste.  Das  Zweite  war  der  x\nkauf  eines 
Gebirgspferdes  zum  Transporte  unseres  Gepäckes;  und  auch  dieses,  ein 
kleines,  kräftiges  Thier  mit  dem  Namen  Kulas,  war  binnen  kurzem 
beschafft.  Bei  den  nothwendigen  Besuchen  und  der  Abgabe  meiner  Em- 
pfehlungen lernte  ich  in  dem  Geschäftsträger  der  k.  und  k.  diplomatischen 
Mission,  Herrn  Van  Zell  d'Arlon,  einen  liebenswürdigen  Beamten  kennen, 
der  mir  in  jeder  Weise  beistand.  Der  russische  Minister-Resident  Herr 
Argiropulos  war  nicht  minder  zuvorkommend,  und  der  montenegrinische 
Minister  des  Aeussern,  V^ojvoda  Gavro  Vukovic,  stellte  mir  bereitwilligst 
ein  offenes  Schreiben  an  die  Landesbehörden  aus.  Endlich  traf  ich  mit 
Herrn  Rovinski,  dem  besten  Kenner  und  eifrigsten  Freunde  des  kleinen 
Fürstenthums,  zusammen  und  erhielt  von  ihm  eine  Fülle  von  Beleh- 
rungen. Allen  diesen  Herren  sei  an  dieser  Stelle  mein  aufrichtigster 
Dank  dargebracht. 


lO  Ueber  Rijeka  nach  Podgorica. 


2.    Capitel. 

Ueber  Rijeka  nach  Podgorica. 


Die  vier  Tage  meines  Aufenthaltes  schwanden  schnell  dahin, 
und  am  Morgen  des  28.  Mai  wurde  der  Marsch  ins  Innere  ange- 
treten. Munter  scharrte  Kulas  vor  dem  Eingange  des  Hotels,  stark 
bewaffnet  mit  Revolver,  ^^'erndl-Gewehr  und  langem  Messer  lud  ihm 
Arso  die  Reisekörbe  auf,  und  wohlgemuth  verliessen  wir  Cetinje.  Bis 
Podgorica  konnten  wir  die  neue  Fahrstrasse  benutzen,  und  daher  war 
die  Wanderung  nicht  zu  anstrengend,  obwohl  sie,  die  Rast  abgerechnet, 
über  elf  Stunden  beanspruchte. 

Zunächst  stiegen  wir  am  Nordrande  des  Cetinjsko  Polje  bis  zum 
Belvedere  an,  der  entzückender  fast  als  der  Golo  Brdo  die  Fernsicht 
auf  den  Scutari-See  und  seine  Bergketten  wiedergibt,  und  verloren 
uns  in  dem  wilden  Rarste,  den  die  charakteristischen  Gewächse  des 
steinigen  Montenegro  überwucherten.  Da  grünten  die  Eiche,  Esche, 
der  Ahorn,  Zwerghollunder  oder  Attich,  verschiedene  Buchenarten,  der 
Wachholder,  der  nimmer  fehlende  Zürgelbaum  und  von  Rräutern 
der  wohlriechende  Salbei  in  ungeheurer  Menge.  Je  mehr  sich  der 
W^eg  nach  dem  tief  gelegenen  Rijeka  senkte,  um  so  häufiger  wurden 
Sumach,  Feige,  Maulbeerbaum,  Quitte,  Granate,  Olive  und  die  anderen 
Rinder  des  Südens.  Nicht  selten  lag  am  Grunde  der  grösseren  Einsturz- 
trichter ein  wohlummauertes  Feld,  in  dem  die  Rartoffel  eben  erst  ihre 
jungen  Triebe  ansetzte.  Wie  wichtig  ist  diese  Pflanze  für  viele  monte- 
negrinische Haushaltungen,  und  wie  rasch  hat  sie  sich  über  das  ganze  Land 
verbreitet,  nachdem  sie  erst  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  Fürst 
Petar  II.  eingeführt  hatte!  Fleissige  Landleute  zogen  mit  Aufbietung 
ihrer  und  ihrer  Rühe  Rraft  den  primitiven  Pflug  durch  den  dürftigen 
Acker,  und  andere  schafften  auf  ihren  Saumthieren  oder  auf  dem  Rücken 
der  Frauen  ihre  \'erkaufsgegenstände  nach  Cetinje. 

Im  Gegensatze  zu  den  früheren  und  späteren  Wegstrecken  besitzt 
der  Abschnitt  Cetinje — Rijeka  verhältnissmässig  viele  Quellen  und  feine 
Wasseradern,  von  denen  im  August  allerdings  ein  guter  Theil  versiegt 
war.  Eine  Reihe  staffeiförmig  abfallender  Mulden,  die  schon  von  Njegus 


Ueber  Rijeka  nach  Podgorica.  1 1 

an  beginnen,  aber  erst  von  Cetinje  an  auffallend  hervortreten,  nehmen 
das  Wasser  auf,  dessen  x\bfluss  durch  das  Einfallen  der  Schichten  nach 
diesen  Becken  hin  noch  begünstigt  wird.  In  Folge  dessen  sind  sie 
gut  bebaut  und  beherbergen  die  stattlichen  Dörfer  Dobrsko  Selo,  Stru- 
gari  und  Ceklin. 

Jetzt  beschreibt  die  Strasse  grosse  Curven,  denn  der  Höhen- 
unterschied zwischen  Cetinje  und  Rijeka  (22  Meter)  beträgt  650  Meter, 
wovon  auf  den  letzten  Kilometer,  etwa  von  dem  Kirchlein  Na  Yrh 
Koseele  (268  Meter)  an,  250  M<*ter  kommen.  Im  Thale  empfängt  uns 
eine  andere  Xatur.  Die  Felsen  verschwinden  stellenweise  unter  einem 
üppigen  Mantel  südlicher  Baumgruppen,  saftiger  Wiesen  oder  biegsamer 
Reben,  und  die  silbernen  Windungen  eines  Karstflusses  erfreuen  das 
Auge.  Der  nahe  Scutari-See  mildert  die  Sommerhitze  und  die  Winter- 
kälte, und  der  kaum  fusshohe  Schnee  hält  sich  nur  kurze  Zeit,  während 
er  in  Cetinje  nicht  selten  die  niedrigen  Häuser  überragt.  Daher  hat  sich 
der  Fürst  hier  einen  kleinen  Palast  bauen  lassen,  in  dem  er  sammt 
seiner  Familie  vor  der  grimmigen  Kälte  Schutz  sucht. 

Rijeka  selbst,  eine  türkische  Gründung,  ist  ein  schmuckes  Städtchen 
von  etwa  hundert  Gebäuden,  die,  eine  breite  Strasse  mit  einigen  engen 
Xebengässchen  bildend,  längs  des  gleichnamigen  Flusses  hinlaufen  und 
an  den  umgebenden  Kalkwänden  ein  Stück  hinanklimmen.  Die  ein- 
oder  zweistöckigen  Häuser  erinnern  mit  ihren  grünen  Läden,  Erkern. 
Galerien  und  vorspringenden  Dächern  an  die  italienisch -dalmatinische 
Bauart:  in  den  offenen  Läden  des  Untergeschosses  bieten  arbeitsame 
Albanesen  ihre  Waaren  feil,  und  die  alten  Maulbeerbäume  einer  breiten 
Promenade  spenden  eine  wohlthätige  Kühle. 

Die  Rijeka,  noch  eben  ein  schäumender  Karstbach,  der  mit  mäch- 
tiger Wassermasse  aus  einer  weiten,  dunklen  Höhle  hervorsprudelt  und    -  •' 
die  verborgenen  Gewässer    bis    hinauf  zum  Lovcen    in    sich    aufnimmt.  .    ^ 

dieselbe  Rijeka,  die  noch  eben  einige  Sägemühlen  getrieben  und  die  ^»^-^-^^  ■ 
Maschinen  der  Pulverfabrik  in  Bewegung  gesetzt  hat,  gleicht  hier  ^vx-t^  . 
bereits  einem  träge  dahingleitenden,  fast  stillstehenden  Strome.  Denn 
nunmehr  ist  sie  nichts  anderes  als  ein  10  Kilometer  langer  Arm  des 
Scutari-Sees,  der  genau  den  Eindruck  eines  überschwemmten  Thaies 
macht.  So  dicht  ist  der  Wasserspiegel  mit  Nymphäen,  Wassernüssen 
und  anderen  Sumpfpflanzen  bedeckt,  dass  nur  eine  schmale  Fahrbahn 
offen  bleibt.  Das  feuchte  Element  beherbergt  zahllose  Fische,  und 
Möven,  Reiher,  W^asserhühner  und  andere  Wasservögel  gehen  schaaren- 
weise  ihrer  Nahrung  nach.  Allerdings  sucht  die  Rijeka  in  den  heissen 
Sommermonaten  die  Stadt    und    ihre    Umgebung    mit    lästigen    Fiebern 


j2  Ueber  Rijeka  nach    Podgorica. 

heim,  aber  dafür  ist  sie  als  einziger  Strom  Montenegros  das  ganze  Jahr 
hindurch  für  kleine  Dampfer  zugänglich. 

Kaum  war  ich  den  kleinen  Ort  eingebogen,  als  mich  ein  europäisch 
gekleideter  Mann  mit  einem  kräftigen  »Guten  Tag!«  willkommen  hiess. 
Es  war  ein  Deutsch-Böhme,  der  seit  vielen  Jahren  als  Hof-Maschinist 
das  Commando  über  den  fürstlichen  Dampfer  führte.  Beim  dunkelrothen 
Crmnica-Wein  verplauderten  wir  einige  Stunden,  und  unter  allgemeinem 
Zulauf  der  Crnogorcen  machte  ich  eine  photographische  Aufnahme  des 
belebten  Bazars. 

Um  I  Uhr  mussten  wir  wieder  an  den  Aufbruch  denken,  da  uns 
noch  ein  weiter  Weg  bevorstand;  die  heisse  Sonnengluth  und  der  fühl- 
bare Wassermangel  gestalteten  diesen  Theil  des  Marsches  nicht  gerade 
zu  einem  angenehmen.  Die  schon  von  ferne  als  schmaler,  heller  Streifen 
kenntliche  Strasse  ist  öfters  tief  in  die  Bergwand  eingesprengt  und  hat 
die  mit  einer  grau-schwarzen  Verwitterungsrinde  überzogenen,  von  Rissen 
und  Spalten  durchsetzten  Gesteinsschichten  gut  aufgeschlossen.  Bei  den 
letzten  Häusern  von  Rijeka  bemerkt  man  eine  wenig  mächtige  Kalk- 
einlagerung zwischen  den  dünnbankigen  Kreidekalken;  sie  hat  ein 
krystallinisches  Aussehen  und  dürfte  vielleicht  ein  tertiärer  Süsswasser- 
kalk  sein.  Die  Vegetation  ist  im  grossen  Ganzen  erträglich,  und  in  den 
Dohnen  sind  stattliche  Bäume  versteckt,  die  sich  bei  Drusici  und  Parci 
sogar  zu  ausgedehnten  Beständen  anhäufen.  Gleichwohl  können  sie 
den  traurigen  Karstcharakter  nicht  verwischen,  und  so  eigenartig  die 
Landschaft  anfangs  erscheint,  so  schnell  ermüdet  sie  durch  die  geringe 
Abwechselung  ihrer  Formen.  Sehr  selten  unterbricht  ein  anmuthiger 
Ausblick  das  unfreundliche  Bild.  Von  Sindjon  (ii8  Meter)  aus  sind  der 
kahle  Doppelkegel  von  Vranina  und  die  Festung  Zabljak  sichtbar, 
und  später  grüssen  die  fernen  Gebirge  von  Kuci  und  Albanien  herüber. 

So  gelangen  wir  nach  Ueberschreitung  eines  niederen  Querriegels  in 
die  Ljesanska  Nahija,  die  dem  Herzen  Alt- Montenegros,  der  Katunska 
Nahija,  an  Wüstenhaftigkeit  nichts  nachgibt  und  aus  einer  Anzahl  grosser 
Becken  zusammengesetzt  ist,  in  denen  Tausende  kleiner  Trichter  und 
Karrenfelder  wirr  durcheinander  gewürfelt  sind.  Der  blaugrüne,  von 
einem  dichten  Pflanzenteppich  umrahmte  Dolinensee  Gornje  Blato  und 
der  Scutari-See  bringen  vorübergehend  Leben  in  die  starre  Natur,  und 
mit  Freude  begrüssen  wir  die  auf  steilem  Hügel  errichtete  Kirche  von 
Gornji  Kokot  (214  Meter),  da  sie  das  Ende  der  langweiligen  Karst- 
wanderung  anzeigt. 

Die  erblassenden  Strahlen  der  scheidenden  Sonne  beleuchteten 
eine    weite,    mit    wogenden  Mais-    und  Tabaksfeldern    erfüllte    und    von 


Ueber  Riieka  nach  Podgorica. 


13 


wasserreichen  Flüssen  zerschnittene  Ebene,  die  im  äussersten  Süden 
der  Scutari-See  begrenzte  und  die  auf  den  anderen  Seiten  von  hohen 
Bergen  umschlossen  ward.  Aus  den  zerstreuten  Dörfchen  klang  das 
melodische  Geläute  der  Abendglocken  bis  zu  unserem  erhabenen  Stand- 
punkte hinauf,  und  am  Fusse  eines  langgestreckten  Hügels  ragten 
aus  dunklen  Hainen  schlanke  Minarets  und  weissgetünchte  Mauern 
empor.  Podgorica,  die  ausgedehnteste  und  volkreichste  Stadt  der  Crnagora, 
entrollte  sich  vor  uns.    Doch  noch  immer  mussten  wir  mehrere  Stunden 


Rijeka,   von  der  Brücke  aus 


rüstig  zuschreiten,  bis  die  schier  endlose  Ebene  durchmessen  war  und 
unbestimmte  Häuserumrisse  die  unmittelbare  Nachbarschaft  unseres  Zieles 
verriethen.  Die  Schatten  der  Nacht  waren  längst  heraufgezogen,  als  wir 
nach  9  Uhr  Abends  auf  dem  Marktplatze  vor  einem  kleinen,  eben- 
erdigen Gasthause  hielten,  dessen  Wirth  ein  Deutsch-Böhme  namens 
Johann  Kaiser  war,  nur  dass  er  seinen  guten  deutschen  Namen  in  den 
entsprechenden  serbischen  Ivo  Carevic  umgeändert  hatte.  Noch  mehr 
war  ich  überrascht,  als  mich  ein  Anderer  im  gemüthlichsten  Tone 
fragte:  »Sie  sind  doch  aus  Sachsen?«  Also  auch  in  diesem  abgelegenen 
Erdenwinkel     gab    es    noch    Reichsdeutsche;     denn    ein     thüringischer 


j  ,  Ueber   Rijeka  nach  Podgorica. 

Landsmann,  seines  Zeichens  ein  ehrsamer,  wanderlustiger  Uhrmacher, 
war  es,  der  mich  anredete  und  der  an  meiner  Aussprache  sofort 
erkannte,    aus    welchem    Theile    des  grossen  Vaterlandes    ich    stammte. 

Die  folgenden  Tage  waren  der  Besichtigung  der  Stadt  und  den 
letzten  Vorbereitungen  für  die  Reise  ins  Innere  gewidmet,  weil  dieser 
lebhafte  Handelsplatz  selbst  in  Kleinigkeiten  eine  grosse  x\uswahl  bietet. 
Zugleich  versorgte  ich  mich  mit  einem  genügenden  Vorrathe  an  kleinem 
Gelde,  da  die  Hirten  im  Gebirge  nicht  einmal  einen  Gulden  mehr 
wechseln  können. 

Podgorica  erfreut  sich  einer  ausserordentlich  günstigen  Lage.  Mehrere 
Flüsse  —  Zeta,  Sitnica,  Ribnica  —  münden  in  oder  bei  der  Stadt  in 
die  Moraea,  so  dass  an  Wassermangel  nie  zu  denken  ist.  Bequeme 
vStrassen  führen  von  dieser  Eingangspforte  ins  Zeta-Thal,  nach  Cetinje, 
Albanien  und  an  den  Scutari-See,  und  ist  erst  die  Eisenbahnlinie  Niksic 
— Podgorica — (Plavnica — )Andrijevica  vollendet,  so  wird  sie  an  Bedeutung 
noch  mehr  gewinnen.  Welch'  reges  Leben  herrscht  schon  jetzt!  In 
einer  luftigen  Halle  an  der  Ribnica  haben  die  Fleischer  ihre  Stände 
aufgeschlagen,  und  vor  der  Stadt  hämmern  die  fleissigen  Schmiede,  die  in 
Montenegro  eine  etwas  verachtete  Stellung  einnehmen,  weil  das  Schmiede- 
handwerk die  Hauptbeschäftigung  der  gering  geschätzten  Zigeuner  ist. 
An  der  Brücke  und  auf  dem  grossen  Platze  zwischen  der  alten  und 
neuen  Stadt  verkaufen  Frauen  Milch,  Käse,  Eier  und  je  nach  der 
Jahreszeit  Feigen,  Kirschen,  Melonen  oder  Trauben  zu  erstaunlich  billigen 
Preisen.  In  der  Hauptstrasse  endlich  und  am  Markte  haben  die  Kauf- 
leute, Schuhmacher,  Waffenschmiede,  Klempner,  Bäcker,  Sattler  u.  s.  w. 
ihre  Läden  und  Werkstätten.  Wegen  der  vielfachen  engen  Beziehungen 
zum  Nachbarstaate  gibt  es  in  Podgorica  ein  türkisches  Consulat,  und 
auch  sonst  besteht  der  grösste  Theil  seiner  Einwohner  aus  Türken  und 
x\lbanesen,  die  Handel  und  Industrie  völlig  in  ihrer  Hand  haben.  Die 
Montenegriner  dagegen  konnten  sich  bisher  nur  wenig  von  ihren  alt- 
hergebrachten Beschäftigungen,  Viehzucht  und  Ackerbau,  trennen,  wenn- 
gleich nicht  zu  leugnen  ist,  dass  auch  bei  ihnen  das  Handwerk 
immer  mehr  in  Ansehen  kommt.  So  gab  es  einige  tüchtige  monte- 
negrinische Schuhmacher,  Packsattelverfertiger  und  Weber;  und  bei 
einem  der  letzteren  arbeiteten  ein  paar  albanesische  Gehilfen,  die 
vor  dem  Fanatismus  ihrer  muhamedanischen  Stammesgenossen  aus 
Gusinje  geflohen  waren.  Leider  war  auch  hier  die  Bettelei,  die  nach 
den  Berichten  vieler  Schriftsteller  in  Montenegro  unbekannt  sein  sollte, 
die    mich    aber    schon    auf   der  Strasse  von  Cattaro  nach  Cetinje  über- 


üeber  Rijeka  nach  PooTOrica. 


15 


raschte,  so  unverschämt,  dass  die  zudringlichen  Individuen  sich  trotz 
aller  Mittel  kaum  verscheuchen  Hessen. 

Militärisch  war  Podgorica  ein  nicht  minder  wichtiger  Stützpunkt, 
der  durch  Feldschanzen  auf  den  benachbarten  Hügeln  Gorica  (i6g  Meter) 
und  Ljubovic  (131  Meter)  geschützt  wurde  und  noch  immer  von  den 
türkischen  Forts  jenseits  der  Grenze  beherrscht  wird.  Verfallene  Block- 
häuser bewachten  die  wichtige  Brücke  Vezirov  Most,  und  ein  jetzt  völlig 
in  Trümmern  liegendes  Castell  beherbergte  die  starke  türkische  Be- 
satzung. Eine  ununterbrochene  Festungskette  bewerkstelligte  die  Ver- 
bindung mit  Spuz,  und  von  den  Forts  der  umrandenden  Kalkrücken 
konnte  das  Zeta-Thal    und  die  ganze  Moraca-Ebene   bestrichen  werden. 

Die  Ereignisse  von  Podgorica  gaben  Montenegro  einen  erwünschten 
Anlass  zum  Kriege  gegen  die  Türkei  und  zur  offenen  Unterstützung 
der  aufständischen  Hercegoviner.  Im  October  1874  erschoss  ein  türkischer 
Unterthan  einen  angesehenen  Kaufmann,  und  gleich  fiel  der  Pöbel  über 
alle  in  der  Stadt  anwesenden  Crnogorcen  her,  weil  das  Gerücht  umlief, 
einer  \on  ihnen  sei  der  Mörder  gewesen.  \\'ohl  ein  Dutzend  der  Un- 
glücklichen wurde  aufs  grausamste  hingemordet,  ohne  dass  die  Garnison 
dem  Blutvergiessen  Einhalt  gethan  hätte;  und  ebenso  trat  Niemand  dem 
zügellosen  \^olke  entgegen,  als  es  am  nächsten  Morgen  in  der  Umgebung 
von  Podgorica  noch  zwanzig  Montenegriner  niedermachte.  Auf  ener- 
gisches Einschreiten  der  montenegrinischen  Regierung  wurden  die  Mörder 
zwar  verhaftet  und  zum  Tode  verurtheilt;  aber  so  ernst  nahmen  es  die 
türkischen  Behörden  mit  jenen  Greueln,  dass  sie  die  Schuldigen  ent- 
kommen Hessen.  —  Der  Ausgang  des  mit  grausamer  Erbitterung  ge- 
führten Krieges  ist  bekannt.  Montenegro  erhielt  im  Berliner  Congress 
die  lange  gewünschte  Stadt  sammt  ihren  fruchtbaren  Niederungen  und 
begann  sofort  die  schweren  \\'unden,  welche  die  jahrelangen  Unruhen 
und  Kämpfe  geschlagen,  nach  Kräften  zu  heilen. 

Im  Laufe  der  Zeit  ist  ein  ganz  neues  Viertel  entstanden,  das  sich 
vortheilhaft  von  der  alten  Türkenstadt  abhebt.  Wohnliche  Häuser  sind 
im  Untergeschosse  von  Läden  oder  Schänken  eingenommen  und 
schliessen  sich  zu  breiten  Strassen  zusammen,  die  auf  einem  mit  Bäumen 
bepflanzten  Marktplatze  zusammenlaufen  und  von  blank  geputzten 
Petroleumlaternen  geziert  sind.  Wir  gehen  über  einen  zweiten  Platz 
und  über  eine  Steinbrücke,  welche  die  schroffen  Conglomeratwände  der 
tief  eingerissenen  Ribnica  überspannt,  und  alsbald  stehen  wir  in  einer 
traurigen  Stätte  des  \'erfalls,  die  nach  der  Auswanderung  vieler  Muha- 
medaner  noch  öder  geworden  ist.  Krumme,  winkelige  Gassen  kreuzen 
sich    regellos,    und  hohe  Mauern    sperren    die    altersgrauen,    zum  Theil 


jg  Ueber  Rijeka  nach  Podgorica. 

eingestürzten  Häuser  ab,  die  mit  ihren  kleinen  vergitterten  Fenstern 
wie  Gefängnisse  aussehen.  Ein  ehrwürdiger  Uhrthurm,  die  Sahat  Kula, 
der  nach  türkischer  Zeitrechnung  die  Zeit  angibt,  und  die  spitzen  Minarets 
von  fünf  Moscheen  schauen  auf  das  Chaos  herab,  in  dessen  Trümmern 
Feigenbäume,  Sträucher  und  Unkraut  üppig  gedeihen,  zierhche  Eidechsen 
spielen  oder  träge  Schildkröten  schwerfällig  dahinkriechen.  Ein  betrüben- 
des Zeugniss  des  Verfalls  legen  auch  die  mauerlosen  türkischen  Fried- 
höfe ab,  die  sich  beiderseits  der  Strasse  nach  Plavnica  hinziehen  und 
stimmungsvoll  zu  der  steinigen,  baumarmen  Umgebung  pa'ssen.  Aber 
an  der  schäumenden  Ribnica,  unweit  der  spärlichen  Reste  der  türkischen 
Zwingburg,  bildet  ein  stattliches  viereckiges  Gebäude  in  abendländischem 
Stile  eine  wohlthuende  Ausnahme.  Es  enthält  Schule,  Gericht,  Post-  und 
Telegraphenarat,  und  jenseits  der  Moraca  grüsst  das  neu  erbaute  Lust- 
haus des  Fürsten  herüber. 

Trotz  aller  Veränderungen  hat  die  eigenartige  Stadt  ihr  orientali- 
sches Gepräge  nicht  verloren.  Zwar  will  es  einem  sonderbar  erschei- 
nen, wenn  der  Muezzin  seine  klagende  Stimme  vom  Kranze  des  Minarets 
erschallen  lässt  und  gleich  darauf  die  Glocken  der  orthodoxen  oder 
katholischen  Kirche  zum  Gebet  rufen  ;  jedoch  der  Mensch  selbst  erinnert 
sofort  wieder  an  das  Morgenland,  und  der  wöchentlich  zweimal  statt- 
findende Bazar  bietet  die  beste  Gelegenheit,  um  die  charakteristischen 
Eigenthümlichkeiten  der  einzelnen  Nationen  kennen  zu  lernen.  Neben 
dem  reich  gekleideten  albanesischen  Kaufmanne  steht  der  finster  blickende 
Gebirgs-Albanese  in  seiner  eng  anliegenden,  aus  grobem  Stoff  verfer- 
tigten Tracht  und  dem  schmutzigen,  um  Stirn  und  Fez  geschlungenen 
Shawi.  An  dem  stolzen  Montenegriner  eilen  geschäftige  Türken  in 
weissen,  wallenden  Gewändern  vorüber;  ein  weisser  oder  rother  Fez 
bedeckt  das  glatt  rasierte  Haupt,  das  nur  am  Hinterkopfe  einen 
struppigen,  Haarbüschel  trägt,  und  die  Füsse  stecken  in  schwarzen 
oder  safrangelben  Schuhen.  Nie  sieht  man  die  Gläubigen. zusammen 
mit  ihren  Frauen,  die  dicht  verschleiert  über  die  Strasse  huschen  und 
sich  bei  der  Annäherung  eines  Mannes  fester  in  ihre  hässliche  Ver- 
mummung hüllen.  Das  hindert  sie  indessen  nicht,  sich  verstohlen  nach 
diesem  umzuschauen  ;  und  mitunter  haben  sie,  vielleicht  absichtlich  oder 
ohne  es  zu  wollen,  ihr  Gesicht  so  nachlässig  verhüllt,  dass  man  die 
schönen,  regelm.ässigen  Züge  sehen  kann.  Die  Unverheirateten  sind 
vom  Schleiertragen  noch  befreit  und  zeichnen  sich  durch  ihre  prun- 
kende Tracht,  den  reichen  Schmuck  und  ihre  ebenmässigen  Körper- 
formen vortheilhaft  vor  den  untersetzten  Montenegrinerinnen  und  den 
nicht  minder  knochigen  Albanesinnen  aus. 


lieber  Rijeka  nach  Podgorica. 


17 


Mit  unserem  Hoflieferanten  Nicolö  Gugga,  einem  aus  Scutari 
gebürtigen  Albanesen,  schlössen  wir  bald  gute  Freundschaft.  Er  war 
ein  sehr  gewandter  Mann,  der  albanesisch,  serbisch  und  italienisch 
gleich  fliessend  sprach  und  wie  alle  seine  Landsleute  im  Handeln 
und  Feilschen  eine  beneidenswerthe  Geschicklichkeit  entfaltete.  Nach 
orientalischem  Brauche  beehrte  er  mich  mit  schwarzem  Kaffee  und 
duftenden  Cigarretten;  und  während  er  mich  in  seinem  Magazin  herum- 
führte,   wurde  er  nicht  müde,    mit  beredter  Zunge  seine  Waaren  anzu^ 


Podgorica,  vom  Ljubovic  aus. 

preisen,  die  unnöthigsten  Dinge  als  unentbehrlich  für  uns  anzurathen 
und  mit  herzgewinnendem  Lächeln  stets  eine  solche  Summe  zu  ver- 
langen, dass  ohne  erhebliche  Verminderung  derselben  überhaupt  kein 
Kauf  zu  Stande  kam.  Das  Erste  war  die  Ergänzung  unseres  Koch- 
geschirres durch  blecherne  Teller  und  Porzellantassen,  die,  wie  die 
meisten  derartigen  Gegenstände,  aus  Wien  und  Paris  eingeführt  waren. 
Dann  erhielt  Kulas  einen  neuen  Packsattel,  denn  der,  welchen  wir  aus 
Cetinje  mitgenommen  hatten,  war  von  höchst  fragwürdiger  Beschaffen- 
heit. Ferner  verlangten  die  Hufe  des  graubraunen  Rössleins  dringend 
nach  einem  neuen  Beschläge;  und  kaum  hatte  der  gewandte  albanesische 

Ilassert.  Reise  durch  Montenegro.  2 


jg  Ueber  Rijekn    a  Podgorica. 

Schmied  seine  Arbeit  vollendet,  ais  einer  seiner  dienstbaren  Geister  davon- 
eilte, um  gleich  darauf  mit  kleinen  Schälchen  dampfenden  Moccas  zurück- 
zukehren. Denn  es  ist  im  Morgenlande  üblich,  nach  Abschluss  eines 
Geschäftes  dem   Käufer  einen   Kaffee  anzubieten. 

^^'ir  besuchten  auch  eine  Moschee,  nachdem  wir  mehr  der  Form 
halber  einige  weissbärtige  Türken  um  Erlaubniss  gebeten  hatten,  die 
uns  ohne  Zögern  gewährt  wurde.  Mit  sichtlicher  Befriedigung  bemerkten 
die  frommen  Moslims,  wie  wir  unsere  Fussbekleidung  ablegten  und 
entblössten  Hauptes  den  Betsaal  betraten.  Der  niedere  Raum,  den  in 
Manneshöhe  eine  kleine  Gallerie  umgab,  war  sehr  einfach  und  nüchtern 
ausgestattet.  Stühle  und  Bänke  fehlten  gänzlich:  vielmehr  bedeckte  ein 
grosser  Teppich  in  der  Farbe  des  Propheten  den  Boden,  kleine,  eben- 
falls grüne  Teppiche  hingen  von  den  Wänden  herab,  und  schmale  Fenster 
dämpften  das  einfallende  Licht.  Stumm  sassen  die  Andächtigen  mit 
gekreuzten  Beinen  da,  nachdem  sie  ihre  Schuhe  auf  die  dazu  bestimmten 
Gestelle  am  Eingange  gesetzt  hatten;  und  Bildsäulen  gleich  lauschten 
sie  den  eintönigen,  schwermüthigen  Weisen,  die  ein  Knabe  mit  dünner, 
näselnder  Stimme  aus  dem  Koran  vortrug.  Als  der  Hodza  in  himmel- 
blauem Mantel  und  weissem  Turban  zum  Altare  schritt  und,  ohne  seine 
Stiefeln  auszuziehen,  den  Gesang  fortsetzte,  verliess  ich  das  Gotteshaus, 
von  dessen  fremdem   Cult  ich   nichts  verstand. 

Am  nächsten  Tage  machte  ich  durch  einen  merkwürdigen  Zufall 
eine  angenehme  Bekanntschaft.  Ich  hatte  mich  an  der  malerischen 
Ribnica-Schlucht  ergangen,  war  in  der  Schule  über  die  vortrefflichen 
Wandkarten  und  Bildertafeln  erstaunt,  welche  zur  Belebung  des  geo- 
graphischen und  naturwissenschaftlichen  Unterrichtes  dienten,  und  wollte 
eben  auf  den  Ljubovic  gehen,  als  uns  ein  Montenegriner  eilends  nach- 
lief und  fragte,  wer  ich  sei  und  was  ich  untersuchte.  Mein  misstrauischer 
Diener  schickte  ihn  mit  einer  ausweichenden  Antwort  wieder  fort. 
Wenige  Minuten  später  kam  uns  ein  Herr  in  abendländischer  Tracht, 
die  montenegrinische  Kapa  auf  dem  Haupte,  entgegen,  und  jetzt  löste 
sich  das  Räthsel.  Auch  er  war  ein  Deutsdhböhme  Namens  Wimmer 
und  Leiter  der  fürstlichen  Musikcapelle,  und  der  vermeintliche  Polizist 
gehörte  zu  seinen  Untergebenen.  Er  zeigte  mir  das  Heim  seiner  Leute, 
ein  weitläufiges,  türkisches  Haus;  und  diese,  lauter  kräftige,  jugendliche 
Eingeborene,  erklärten  sich  mit  Freuden  zu  einer  photographischen 
Aufnahme  bereit. 

Mit  Freund  Gugga  besuchte  ich  noch  die  Ruinen  von  Dioklea, 
wo  einst  die  Wiesfe  des  römischen  Kaisers  Diokletian  stand  und  wo  die 


Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog.  ig 

Ausgrabungen  des  Herrn  Rovinski  bereits  eine  erhebliche  Anzahl  alter 
Strassen,  Plätze  und  Bauten  blossgelegt  haben.  Doch  nun  waren  die 
schönen  Tage  von  Podgorica  zu  Ende,  und  am  i.  Juni  drang  ich  mit 
gespannten  Erwartungen  ins   Herz  Montenegros    ein. 


Capitel. 


Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster 

Ostrog. 


Vom  Scutari-See  bis  zum  Gacko  Polje  verläuft  eine  deutlich  aus- 
gesprochene Einsenkung,  die  jetzt  ganz  zu  Montenegro  gehört  und  die 
beiden  Hälften  des  Fürstenthums,  die  Crnagora  und  Brda,  von  einan- 
der scheidet.  Commerciell  wie  militärisch  ist  sie  als  kürzeste  Durch- 
zugslinie von  Albanien  nach  der  Hercegovina  hochwichtig;  und  von 
ihren  drei  Abschnitten,  dem  Zeta-Thale,  dem  Niksicko  Polje  und  den  Duga- 
Pässen,  war  der  erstere  Jahrhunderte  lang  der  Lebensnerv  der  armen, 
unfruchtbaren  Crnagora,  weil  seine  wohlbewässerte  und  bis  zu  8  Kilo- 
meter breite  Sohle  einen  ergiebigen  Ackerbau  gestattete.  Aber  zugleich 
galt  er  als  die  verwundbarste  Stelle  der  sonst  schwer  zugänglichen 
Schwarzen  Berge,  und  deshalb  benutzten  ihn  die  Türken  mit  Vorliebe 
als  Operationsbasis.  Von  ihr  aus  unternahm  1714  Kjöprili  Pascha  seinen 
furchtbaren  Rachezug,  auf  welchem  auch  die  Landeshauptstadt  zerstört 
wurde;  die  Pläne  Omer  Paschas  waren  1862  ebenfalls  von  Erfolg  be- 
gleitet, und  er  drang  bis  zum  Belvedere  bei  Cetinje  vor.  Wäre  §  5  des 
Vertrages  von  Scutari,  der  den  Türken  die  Anlegung  einer  befestigten 
Heerstrasse  von  Spuz  nach  NikSic  zugestand,  wirklich  ausgeführt  worden, 
so  schien  die  Existenzmöglichkeit  Montenegros  ernstlich  bedroht.  Den 
berühmtesten  Durchzug  erzwang  sich  1S77  Suleiman  Pascha.  Nach 
harten  Kämpfen  gelang  es  ihm,  seine  Gegner  aus  ihren  festen  Stel- 
lungen in  den  Duga-Pässen  zu  vertreiben,  worauf  er  ungehindert  die 
dort  errichteten  Forts  und  Niksic  verproviantiren  konnte.  Nun  begann 
für  den  ehrgeizigen  General  der  schwerste  Theil  seiner  Aufgabe,  ins 
Zeta-Thal  einzudringen,  sich  mit  den  Garnisonen    von    Spuz    und    Pod- 


20 


Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovcrrad  und  Kloster  Ostro^. 


gorica  zu  vereinigen  und  dann  mit  Uebermacht  gegen  Cetinje  vorzu- 
rücken. Das  Fussvolk  marschirte  auf  den  linksseitigen  Berghöhen,  der 
Train  in  der  Ebene;  die  verzweifelt  kämpfenden  Eingeborenen  leisteten 
jedoch  so  mannhaften  Widerstand ,  dass  die  Türken  in  acht  Tagen 
kaum  14  Kilometer  zurücklegten  und  nicht  auf  Feindesland,  wie  Sulei- 
man  Pascha  wollte,  sondern  auf  albanesischem  Boden  bei  Spuz  ihre 
Vereinigung  mit  den  dortigen  Grenzbesatzungen  bewerkstelligten.  Sie 
hatten  so  schwere  Verluste  erlitten,  dass  von  einem  Vorstoss  nach 
Cetinje  keine  Rede  mehr  sein  konnte;  aber  auch  die  montenegrinische 
Kriegsmacht  war  bedeutend  geschwächt,  und  man  hatte  sich  in  Cetinje 
schon  auf  das  Schlimmste  vorbereitet.  Fasst  man  die  Ergebnisse  dieser 
vom  3.  bis  zum  24.  Juni  dauernden  Kämpfe  zusammen,  so  muss  man 
zugeben,  dass  sich  Türken  und  Montenegriner  mit  gleicher  Tapferkeit 
geschlagen  haben.  Allerdings  war  der  Hauptzweck  Suleiman  Pascha's 
nicht  erreicht;  ebenso  konnten  jedoch  die  Crnogorcen  die  Verprovianti- 
rung  der  Duga-Forts  und  von  Niksic  nicht  aufhalten.  Nun  hört  man 
vielfach,  der  pomphaft  angekündigte  Rachezug  des  türkischen  Ge- 
nerals wolle  nicht  viel  bedeuten,  weil  die  Entfernung  zwischen  Spuz  und 
Niköic  nur  32  Kilometer  betrage  und  weil  überdies  den  zusammen 
40.000  Türken  höchstens  halb  soviel  Feinde  gegenüberstanden.  Indessen 
ist  nicht  zu  vergessen,  dass  Suleiman  Pascha  allein  blos  über  10.000 
Mann  gebot,  dass  er  erst  die  47  Kilometer  langen  Duga-Pässe  erobern 
musste  und  einen  schwerfälligen  Tross  mit  sich  führte,  während  in  den 
heimatlichen  Bergen  die  Montenegriner  den  Vortheil  wesentlich  auf 
ihrer  Seite  hatten. 

Die  Niederung  der  Zeta-Moraca  erfreut  sich  einer  bequemen  Fahr- 
strasse, deren  Bau  in  der  Mitte  der  achtziger  Jahre  begonnen  wurde 
und  jetzt  bis  Bogetic  fortgeschritten  ist.  Von  der  alten  türkischen  Brücke 
Vezirov  Most  (Vezir-Brücke)  an  bleibt  sie  beständig  auf  der  rechten  Thal- 
seite und  klimmt  erst  hinter  Danilovgrad  langsam  am  Gebirgsrande 
empor.  Bis  Spuz  hat  sich  der  Fluss  tief  in  die  Conglomeratmassen  und 
Kalke  seiner  Umgebung  eingewühlt,  und  die  eben  genannte  Brücke 
überspannt  ihn  mit  einem  mächtigen  Bogen.  Ein  kleines  Blockhaus 
und  andere  zerfallene  Festungsanlagen  auf  der  Gorica  beherrschten  zur 
Türkenzeit  den  Uebergang,  der  auch  heute  noch  die  einzige  Verbindung 
zwischen  den  beiden  Hälften  darstellt,  in  welche  der  steilwandige  Strom 
die  weite  Zenta-Ebene  theilt.  Bald  hatten  wir  die  Gorica  hinter  uns, 
und  die  dünnbankigen  Kalkzüge  rückten  näher  zusammen.  Ihren  un- 
teren Rand  umsäumte  in  breiten  Windungen  die  blaugrüne  Moraca  und 
vermischte   kurz  unterhalb  einer  zweiten  Brücke    ihr    Wasser    mit    dem 


Durch  das  ZetaThal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog.  21 

der  Zeta,  worauf  beide  die  ehrwürdigen  Ruinen  von  Dioklea  umschlossen. 
Wir  betraten  eine  finstere  Enge,  welche  die  Zeta  einst  durchbrochen 
hat.  Sie  war  so  schmal,  dass  die  Strasse  in  den  Fels  gesprengt  werden 
musste  und  dass  der  Durchgang  durch  zahlreiche  Forts  auf  dem  Velje 
Brdo  und  der  Trebjes,  sowie  durch  vier  Kulas  in  der  Thalschlucht  völlig 
gesperrt  werden  konnte.  Manche  ernste  und  heitere  Erzählung  hat 
sich  bei  den  Eingeborenen  über  die  erbitterten  Grenzstreitigkeiten  mit 
den  Türken  erhalten;  denn  vor  1877  war  hier  die  politische  Grenze  ein 
blosser  Begriff,  und  die  wahre  Grenze  endete  bald  hier,  bald  dort,  je 
nachdem  die  eine  oder  andere  Partei  stärker  war.  Um  den  ewigen 
Reibereien  Einhalt  zu  thun  und  die  zw^eifelhaften  Besitzansprüche  ein 
für  alle  Male  zu  regeln,  verkaufte  nach  der  Darstellung  des  Volkes  ein 
montenegrinischer  Minister  den  Velje  Brdo  an  den  Sultan.  Die  Crno- 
gorcen  trieben  aber  nichtsdestoweniger  ihre  Heerden  auf  den  Berg 
und  erklärten  den  Türken,  die  ihnen  darüber  Vorstellungen  machten, 
sie  hätten  w'ohl  den  Berg,  aber  nicht  das  auf  ihm  wachsende  Gras  und 
Buschholz  verhauft  und  könnten  deshalb  ihr  Vieh  ruhig  auf  die  Weide 
treiben,  die  nach  wie  vor  ihr  Eigenthum  sei.  Die  blutigen  Schar- 
mützel begannen  von  neuem  und  dauerten  so  lange  fort,  bis  der  Sultan 
den  Velje  Brdo  zum  zweiten  Male  kaufte  und  durch  eine  stattliche 
Reihe  von  Befestigungen  sichern  Hess. 

Im  Allgemeinen  haben  die  w'eissgrauen,  mit  niederem  Wald  be- 
deckten Kalkberge  des  Zeta-Thales  ein  unfreundliches  Aussehen.  Dagegen 
w^echseln  auf  dem  humusreichen  Grunde  üppige  Kartoffel-  und  Getreide- 
felder mit  saftigen  Wiesen,  Weingärten  und  hochstämmigem  Laubwalde  ab 
und  bilden  einen  anmuthigen  Gegensatz  zu  dem  einförmigen  Gebirge. 
Noch  einmal  tritt  dieses  beiderseits  nahe  an  die  Zeta  heran  und  scheidet 
zwei  grössere  Ausweitungen,  die  Ebenen  von  Spuz-Danilovgrad  und 
Kujava,  von  einander.  Jedenfalls  waren  beide  Becken  vor  Zeiten  voll- 
ständig getrennt  und  von  Seen  erfüllt,  bis  das  Wasser  durch  die  ver- 
einten Wirkungen  der  ober-  und  unterirdischen  Erosion  sich  einen  Aus- 
weg erzwang  und  mit  Zurücklassung  seiner  feinen  Sinkstoffe  abfloss. 
Die  Zeta  und  ihre  am  Bergfuss  sich  hinziehenden  Nebenflüsse  sind 
wegen  ihres  unbestimmten  mäandrischen  Laufes  die  Reste  jener  alten 
Wasseransammlungen;  und  endlich  theilten  niedere  Hügelketten,  die 
sich  in  zahlreichen  Ueberbleibseln,  z.  B.  den  Bergen  von  Spuz,  erhalten 
haben,  die  grossen  Polje  in  eine  Menge  kleiner  Kessel. 

Eben  hatten  wir  die  Enge  von  Dioklea  passirt,  als  unser  Pferd  —  es 
war  ein  heisser  Tag,  und  lästige  Fliegen  setzten  dem  armen  Thiere  sehr 
zu  —  das  Gepäck  abwarf,    sich    auf   dem  Boden  herumwälzte  und  uns 


22  Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog. 

durch  das  Wiederbelasten  einen  unliebsamen  Aufenthalt  verursachte. 
Mehrere  Montenegriner  gingen  vorüber,  ohne  uns  zu  helfen ;  vielmehr 
bestürmten  sie  uns  mit  neugierigen  Fragen,  obwohl  wir  wenig  Zeit  und 
Lust  zum  Antworten  hatten,  und  nur  ein  altes  Mütterchen  leistete  uns 
getreulich  Beistand, 

Plötzlich  entrollte  sich  eine  ausgedehnte  Niederung,  die  von  der 
akazienumsäumten  Strasse  durchschnitten  ward.  Ein  drohender  Kegel 
ragte  über  die  anheimelnden  Fluren,  und  ein  malerisches  Kastell  krönte 
seinen  Scheitel :  es  war  die  verhasste  Türkenfeste  Spuz.  Im  letzten 
Kriege  hatte  sie  den  Crnogorcen  Stand  gehalten ;  aber  der  Berliner 
Congress  sprach  sie  ihnen  zu,  und  unter  der  neuen  Herrschaft  verwan- 
delte sich  das  brach  liegende,  verwilderte  Ackerland  in  einen  blühenden 
Garten.  Spuz  ist  ein  erbärmlicher  Ort,  zu  dem  man  über  eine  grosse 
Holzbrücke  und  durch  ein  Thor  des  halb  eingestürzten  Walles  (50  Meter) 
gelangt.  Zwischen  dem  Flusse  und  dem  Felszacken  gelegen,  bietet  er 
mit  seinen  zwei  Moscheen,  seinen  zweihundert  türkischen  Häusern  und 
seinen  türkischen  Friedhöfen  nichts  Bemerkenswerthes  dar,  man  müsste 
denn  die  neue  Gewehrrepariranstalt  ausnehmen.  In  einem  wenig  ein- 
ladenden Han  kehrten  wir  ein;  aber  die  Gastfreundschaft  seines  Eigen- 
thümers  ersetzte  tausendfach  das,  was  ihm  an  äusserem  Schmuck  abging. 
Kaum  war  unsere  Ankunft  bekannt  geworden,  als  das  Volk  herbeieilte,  um 
den  Fremden  wie  ein  wunderbares  Geschöpf  anzustaunen  und  erst  ver- 
stohlen, dann  immer  offener  meinen  Diener  über  mich  auszuhorchen. 
Bald  begrüsste  mich  der  Commandant,  ein  Artillerieofficier,  und  nach 
einem  Trünke  guten,  schwarzen  Kaffees  stiegen  wir  zur  Besichtigung 
der  Festung  den  steilen  Berghang  hinan  (195  Meter).  Ein  schnell  herauf- 
ziehendes Gewitter  mahnte  uns  zur  Eile,  und  kaum  hatte  der  Wächter 
das  knarrende  Thor  geöffnet,  als  unter  Blitz  und  Donner  ein  er- 
quickender Platzregen  niederrauschte. 

Die  sehr  starken  und  noch  gut  erhaltenen  Festungswerke  beherr- 
schen das  ganze  Zeta-Thal,  werden  ihrerseits  aber  von  dem  höheren 
Gebirgsrande  beherrscht.  Leider  thun  die  Montenegriner  sehr  wenig, 
um  sie  vor  dem  Verfalle  zu  bewahren,  da  ihre  Berge  ihnen  vollauf  Schutz 
gewähren ;  bloss  die  Pulvermagazine  werden  durch  Blitzableiter  und  ge- 
legentliche Ausbesserungen  vor  der  Zerstörung  gesichert.  Unsere  Unter- 
haltung betraf  —  wie  konnte  das  anders  sein  —  in  erster  Linie  die 
blutigen  Türkenkriege  und  Suleiman  Paschas  kühnen  Zug.  Wie  blitzten 
die  Augen  meiner  Begleiter,  als  sie  mir  die  Stelle  wiesen,  wo  das  er- 
schöpfte und  entsetzlich  zugerichtete  Heer  des  gefürchteten  Feldherrn 
lagerte;  und  fast  mechanisch  fuhr  die  Hand    nach    dem    Revolver    oder 


Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog.  2^ 

dem  Handzar,  einem  breiten,  hirschfängerartigen  Messer,  als  wir  das 
Abschneiden  der  Köpfe  berührten. 

Unter  solchen  Gesprächen  erreichten  wir  unser  Quartier  wieder, 
wo  inzwischen  ein  kräftiges  Essen  nach  montenegrinischer  Art  zube- 
reitet war.  Grosse  Stücke  goldgelben  Maisbrotes,  das  eben  erst  gebacken 
war  und  noch  dampfte,  lagen  auf  einem  Blechteller,  in  einer  scharfen, 
kräftigen  Brühe  schwamm  eine  prächtige  Zeta-Forelle,  und  grüner  Salat, 
Eier,  Käse  und  junge  Zwiebeln  (Luka)  bildeten  den  Beschluss. 

Doch  nun  drängte  die  Zeit,  denn  es  war  schon  6  Uhr  Abends 
vorüber,  und  ich  wollte  noch  bis  Danilovgrad,  obwohl  die  guten  Leute 
mich  dringend  baten,  heute  bei  ihnen  zu  bleiben.  Unter  warmem  Hände- 
druck trennten  wir  uns,  und  hurtig  schritten  wir  auf  der  neuen  Strasse 
aus.  Da  ich  wegen  der  Eile  und  zunehmenden  Dunkelheit  wenig  Ge- 
legenheit zum  Beobachten  fand,  so  verkürzten  wir  uns  die  Stunden  mit 
allerlei  Erzählungen.  Selbstverständlich  drehten  sie  sich  wesentlich  um 
Krieg  und  Kopfabschneiden,  und  mein  Diener  redete  sich  so  ins  Feuer, 
dass  er  ausrief:  »Eher  verliere  ich  meinen  Kopf  als  Du  Deinen  in 
Montenegro;  wenn  wir  aber  nach  Albanien  gehen,  so  werde  erst  ich 
und  dann  wirst  Du  den  Kopf  verlieren!«  Uebrigens  zeigte  die  Land- 
schaft keine  grosse  Abwechslung.  Untermischt  mit  Häusern  und  Baum- 
gruppen, reihte  sich  Feld  an  Feld,  Wiese  an  Wiese,  und  so  verlor 
die  Niederung  trotz  ihrer  anmuthenden  Fruchtbarkeit  und  ausgiebigen 
Bebauung  an  Interesse,  Jenseits  der  Susica-Brücke  stellte  sich  ein 
ausgedehnter  Eichenwald  ein;  und  nachdem  wir  ihn  durchwandert 
hatten,  war  Danilovgrad  nicht  mehr  weit.  Noch  verbarg  es  ein  vor- 
gelagerter Hügelzug,  und  als  wir  gegen  9  Uhr  bei  völliger  Finsterniss 
um  ihn  bogen,  erhoben  sich  unmittelbar  vor  uns  die  hell  erleuchteten 
Häuser.  In  der  sauberen,  bescheidenen  Locanda  gingen  wir  bald  zur 
Ruhe,  weil  wir  den  nächsten  Tag  ohnehin  hier  verbringen  wollten. 

Danilovgrad  (Danilos  Stadt),  wie  es  zu  Ehren  des  Fürsten  Danilo 
genannt  wurde,  ist  ein  noch  jugendliches  Städtchen  von  etwa  sechshundert 
Einwohnern,  dem  man  sofort  die  Neugründung  anmerkt.  Auf  halbem 
Wege  zwischen  Podgorica  und  Niksic  gelegen,  wurde  es  dort  errichtet, 
wo  ein  Ausläufer  des  massigen  Garae-Gebirges  bis  zum  Flusse  vor- 
dringt (55  Meter),  und  sollte  ein  Gegengewicht  gegen  die  türkischen 
Festungen  sein,  die  bis  zum  letzten  Kriege  den  montenegrinischen  An- 
theil  der  Zeta-Ebene  bedrohten.  Die  regelmässig  sich  durchkreuzenden 
Strassen  sind  nach  einem  bestimmten  Plane  angelegt,  und  die  nüchter- 
nen, schmucklosen  Häuser  gleichen  am  ehesten  den  Häusern  unserer 
Dörfer  und  Landstädte.  Danilovgrad  besitzt  ein  Post-  und  Telegraphen- 


2A  Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog. 

amt,  das  mit  der  Schule  in  einem  geräumigen,  unfreundlichen  Gebäude 
untergebracht  ist.  Ziemlich  am  Ende  des  Ortes  steht  die  kleine  Kirche,  und 
in  ihrer  Nähe  war  ein  Steinbruch  aufgeschlossen,  der  das  Material  für  die 
Steinbrücke  lieferte,  die  an  Stelle  der  baufälligen  alten  über  die  Zeta 
geschlagen  wurde.  Drei  Kalköfen  waren  Tag  und  Nacht  in  Thätigkeit, 
und  unter  schmetternden  Trompetensignalen  lösten  sich  die  Arbeiter  ab. 
Die  Kalke  der  Mauern  und  jene  des  Steinbruches  wimmeln  von  Rudisten, 
so  dass  ihre  Zugehörigkeit  zur  Kreide  unzweifelhaft  ist,  und  ebenso 
gibt  es  überall  im  Umkreise  eine  rostbraune  Bildung,  die  an  der  Luft 
rasch  erhärtet  und  theils  als  Terra  Rossa  (Rothe  Erde)  ein  Verwitterungs- 
rückstand des  Kalkes,  theils  ein  Raseneisenstein  ist,  der  sich  auf  den 
feuchten  Thalgrund,  also  das  ehemalige  Seebecken,  beschränkt.  Aehn- 
liches  wiederholte  sich  an  der  Trebjeska  Gora  bei  Niksic,  an  deren  Fusse 
dieselben  Bildungen  zum  Vorschein  kamen  und  durch  einen  Graben  an- 
geschnitten wurde,  der  schon  bei  i  Meter  Tiefe  das  Grundwasser  be- 
rührte. 

Den  Nachmittag  benutzte  ich  zu  einer  Besteigung  des  Taras,  der 
gegenüber  Danilovgrad  in  nackten  Wänden  aufragt  und  ein  wüstes 
Karrenfeld  darstellt.  Die  drückende  Hitze  benahm  uns  indess  bald  die 
Lust  zum  Klettern,  das  einen  unangenehmen  Vorgeschmack  für  die  Be- 
schwerden der  nächsten  Tage  gab;  und  da  wir  überdies  den  Pfad 
verfehlt  hatten  und  auf  den  übermässig  steilen  Gehängen  kaum  vorwärts 
kamen,  so  machten  wir  etwa  50  Meter  unter  dem  Gipfel  Halt. 

Gegen  Abend  besuchten  uns  die  Honoratioren  des  Städtchens, 
wobei  ich  im  Post-  und  Telegraphenvorstande  einen  trefflichen  Ein- 
geborenen kennen  lernte;  und  unter  fröhlicher  Unterhaltung  kam  die 
Nacht  heran. 

Ich  hatte  mir  vorgenommen,  am  nächsten  Morgen  den  Garac  zu 
besteigen,  und  der  Sohn  eines  Untermajors  bot  sich  uns  als  Führer  an. 
Ein  dichter  Nebel  jedoch,  der  den  Vormittag  über  die  Gipfel  verhüllte, 
vereitelte  meine  Absichten,  und  so  hielt  ich  es  für  das  Beste,  unver- 
weilt  nach  Kloster  Ostrog  zu  wandern.  Der  hohe  Rang  seines  Vaters 
hinderte  den  Herrn  Majorssohn  nicht,  meinem  Diener  beim  Beladen 
des  Pferdes  zu  helfen  und  dafür  ein  Trinkgeld  in  Empfang  zu  nehmen. 
In  Montenegro  herrschen  eben  andere  militärische  Anschauungen  als 
bei  uns,  und  das  Verhältniss  zwischen  Vorgesetztem  und  Untergebenem 
weicht  von  unseren  Einrichtungen  gänzlich  ab.  Denn  im  Frieden  liegt 
der  gemeine  Mann  denselben  Beschäftigungen  ob  wie  der  Officier  und 
ist  nicht  selten  wohlhabender  als  dieser.  Jährlich  werden  einige  Male 
die  vom  Staate  gelieferten  Gewehre   —    Hinterlader  nach  dem  Werndl-, 


Durch  das  Zeta-Thal  nach   Danilovgrad   und  Kloster  Ostrog.  25 

Krnka-  und  Peabody-System  —  geprüft  und  Musterungen  abgehalten: 
sonst  giebt  es  kein  stehendes  Heer  und  keine  regelmässigen  üebungen, 
und  nur  zu  Kriegszeiten  erfolgt  ein  allgemeines  Aufgebot  der  waffen- 
fähigen Mannschaft  vom  i6.  bis  zum  6g.  Jahre.  Die  einzigen  Vertreter 
des  stehenden  Heeres  sind  die  Perjaniken  oder  Federbuschträger,  welche 
den  Dienst  der  fürstlichen  Leibwache  versehen;  und  eine  nicht  zu  grosse 
Anzahl  von  Gendarmen  sorgt  für  die  öffentliche  Sicherheit. 

Hinter  Danilovgrad  verschmälert  sich  die  Niederung  wieder,  und 
der  isolirte  Rücken  von  Vrutak  und  Kujava,  der  einst  mit  den  beider- 
seitigen Gebirgswänden  zusammenhing,  engt  sie  noch  mehr  ein.  \'or 
Orjaluka  wird  ein  neuer  Xebenfluss  der  Zeta  überbrückt,  und  bei  der 
rudistenreichen  Hügelkuppe  des  kleinen  Ortes  verlassen  wir  die  Strasse, 
um  das  Thal  zu  durchqueren.  Dichte  Zäune  aus  Schlehen,  Brombeer- 
und  Himbeersträuchern,  aus  Heckenrosen,  Weissdorn  und  wildem  Wein 
grenzen  die  Aecker  oder  die  blumendurchwirkten  Matten  ab,  manns- 
hohe Farnkräuter  wuchern  im  Schatten  silbergrauer  Weiden  oder  viel- 
ästiger Feigenbäume,  und  umfangreiche  Eichenhaine  verwandeln  die 
Gegend  in  eine  heitere  Parklandschaft.  Bunte  Schmetterlinge  spielen 
in  der  klaren  Luft,  schillernde  Eidechsen  verschwinden  blitzschnell  im 
Grase,  und  schwerfällige,  bis  zu  V2  Meter  lange  Schildkröten  kriechen 
über  den  sonnigen  Boden.  Sandsteme  oder  Sandsteinschiefer  liegen  längs 
des  Bergfusses  in  grossen,  dünnen  Tafeln  herum  und  sind  nach  Tietze 
wohl  eine  flyschartige  Facies  der  Kreide,  da  sie  durch  ihre  Höhenlage 
und  ihr  äusseres  Aussehen  von  dem  typischen  Flysch  an  der  Meeres- 
küste gänzlich  abweichen. 

So  kommen  wir  nach  einer  genussreichen  Wanderung  und  immer 
begleitet  von  jenen  merkwürdigen,  leicht  verwitterbaren  Gebilden  an 
die  trägen  Fluthen  der  Zeta,  die  sich  mehrere  Meter  tief  in  das  Schwemm- 
land eingewühlt  haben,  ohne  dass  die  unterlagernden  Gesteinsschichten 
blossgelegt  wären.  Der  Eichenwald  verbarg  unter  seinem  grünen  Dache 
ein  einsames  Kirchlein,  und  gleich  vielen  seiner  Landsleute  versäumte 
Arso  nicht,  hier  wie  vor  jedem  Gotteshause  Kreuze  zu  schlagen,  Ver- 
beugungen zu  machen  und  ein  kurzes  Gebet  zu  murmeln;  leider  har- 
monirten  jedoch  seine  anderen  Eigenschaften  nicht  sonderlich  mit  seiner 
Frömmigkeit.  An  einer  sanften  Uferstelle  winkte  die  Fähre  (57  Meter); 
eine  Schaar  Türken  belagerte  sie  mit  ihren  schwer  bepackten  Saum- 
thieren ,  und  Jeder  wollte  beim  Uebersetzen  der  Erste  sein.  Das 
ging  sehr  langsam  von  statten,  und  meinem  Diener  riss  bald  die  Ge- 
duld. »Platz  gemacht,  ihr  Türken,«  rief  er,  »dieser  Herr  ist  ein  Russe, 
und    ich    bin    ein   Crnogorce,    und  wir    haben    das  Recht,    eher    an    die 


oß  Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog. 

Reihe  zu  kommen  als  ihr!«  Ein  erbittertes  Hin-  und  Herzanken  folgte 
den  nicht  gerade  freundlichen  Worten;  aber  wir  erreichten  unseren 
Zweck  und  betraten  um  ^4  ^  Uhr  den  steil  zum  linken  Flussufer  ab- 
fallenden Bergzug.  Aus  der  nackten  Wand  sprudelte  eine  mächtige 
Quelle  (-[-14'' C),  die  sofort  eine  Mühle  trieb  und  ihrer  Umgebung  den 
Namen  Dobro  Polje  (Gutes  Feld)  verlieh. 

Während  das  malerische  Felsenkloster  Ober-Ostrog  von  der  Ebene 
aus  beständig  sichtbar  war,  verschwand  es  beim  Aufstiege  hinter  dem 
Walde.  Zugleich  ging  der  bequeme  Steig  in  einen  kümmerlichen  Pfad 
über,  und  den  Berghang  zerfurchte  ein  endloses  Karrenfeld.  Die 
bekannte  Karstvegetation  verhüllte  dürftig  das  Gestein  ,  das 
wiederum  Ueberfluss  an  Rudisten  hatte  und  in  seinen  Klüften  die 
charakteristische  Terra  Rossa  barg.  x\m  Bache  Smokovac  (Feigenbach) 
betrat  ich  den  neuen  Reitweg,  den  der  Fürst  vor  einigen  Jahren  hat 
anlegen  lassen  und  der  bis  über  Dubrave  fertig  ist.  Zwischen  hoch- 
stämmigen Eichen,  denen  das  ganze  Gebiet  seinen  Namen  Dubrave 
verdankt,  führten  uns  die  Zickzacke  steil  in  die  Höhe.  Pflaumenbäume 
und  Feigen,  Felder  und  Weingärten,  die  sämmtlich  Eigenthum  des 
Klosters  waren,  lösten  sich  mit  einander  ab,  und  an  den  Lehnen  traten 
viele  Quellen  aus,  deren  Wassertemperatur  bei  Dubrave  -j-ig'^C,  beim 
Kloster  -|-io'^  C.  betrug.  Ein  Bächlein,  das  uns  getreulich  begleitete, 
sprang  unweit  der  Kirche  (200  Meter)  jenes  Dorfes  als  starke  Quelle 
aus  dem  Kalke  und  trieb  ebenfalls  gleich  eine  Mühle.  Ferner  fanden 
wir  ein  feinkörniges,  oolithisches  Kalkconglomerat,  das  unterhalb  des 
Klosters  noch  mehrmals  anstand. 

Nun  wurde  der  Weg  ganz  schlecht;  erst  vor  Kurzem  in  Angriff 
genommen,  war  er  mit  scharfkantigen  Steinen  so  überschüttet,  dass 
man  in  dem  trockenen  Bette  eines  Wildbaches  zu  wandern  meinte.  Wie 
bedauerte  ich  den  armen  Kulas,  der  keuchend  seine  Last  schleppte; 
aber  ich  konnte  ihm  nicht  helfen  und  konnte  ihm  nicht  tröstend  zu 
verstehen  geben,  dass  er  die  nächsten  Tage  Ruhe  haben  würde.  Endlich 
schlug  die  Erlösungsstunde.  Das  Eichendickicht  lichtete  sich,  und  wir 
standen  unmittelbar  vor  dem  stattlichen  Kloster  Unter-Ostrog  (647  Meter). 
\'on  Suleiman  Pascha  zerstört,  ist  es  schöner  denn  zuvor  aus  der  Asche 
wieder  erstanden;  schmucke,  zweistöckige  Gebäude  und  eine  grosse 
Kirche  umschlossen  einen  breiten,  gepflasterten  Hof,  und  etwas  abseits 
lag  der  einfache  Han,  ein  langes,  schmales  Haus  mit  hölzerner  Gallerie 
und  vorspringendem  Dach. 

Nachdem  wir  i  '/o  Stunden  geruht  und  unseren  Hunger  gestillt 
hatten,    brachen    wir    zu    unserem    eigentlichen    Quartier,    dem    oberen 


Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog.  27 

Monasterium,  auf.  Ein  Eingeborener  erklärte  sich  bereit,  mit  uns  am 
anderen  Tage  den  Ostrog-Gipfel  zu  besteigen,  und  nach  Zurücklassung 
des  Pferdes,  Gepäckes  und  unseres  Geldes  klommen  wir  auf  einem 
erträglichen  Pfade  zu  dem  berühmten  Höhlenkloster  hinan.  Ein  Gewölbe, 
welches  die  unermüdlichen  Naturkräfte  in  die  senkrechte  Felsmauer 
gegraben  hatten,  beherbergte  die  niedrigen  Gebäude,  und  von  ihnen 
liefen  etwa  50  Stufen  auf  eine  schmale  Terrasse  herab.  Am  oberen 
Ende  der  sorgsam  gearbeiteten  Treppe  sass  ein  ehrwürdiger  alter  Mann 
mit  schneeweissem  Bart  und  schneeweissem  Haar:  es  war  Vater  Kristifor, 
der  Priester  des  heiligen  Basilius  (Sveti  Vasili),  Er  stammte,  wenn  ich 
recht  berichtet  bin,  aus  Mostar  und  betrieb  dort  das  Fleischerhandwerk, 
bis  ihn  eine  schwere  Krankheit  ergriff.  Im  Traume  verkündete  ihm  eine 
Stimme,  dass  er  genesen  würde,  wenn  er  dem  Fleischgenusse  für  immer 
entsagte  und  sein  Leben  dem  Heiligen  von  Ostrog  weihe.  Beides  hat 
er  treu  gehalten  und  erfreut  sich  jetzt  einer  solchen  Verehrung,  dass 
er  schon  in  den  Geruch  eines  Heiligen  gekommen  ist.  Mit  bestrickender 
Herzlichkeit  nahm  er  uns  auf  und  führte  uns  zuerst  in  die  enge  Capelle, 
die  auf  zwei  Seiten  von  dem  überhängenden  Fels  eingenomm.en  wurde 
und  in  einem  reich  verzierten  Sarge  den  einbalsamirten  Leichnam  des 
Heiligen  enthielt.  Mein  Diener  wurde  nicht  mehr  fertig,  den  Fussboden 
oder  die  Wandbilder  zu  küssen,  Kreuze  zu  schlagen  und  Gebete  her- 
zusagen, und  Vater  Kristifor  ruhte  nicht  eher,  als  bis  auch  ich  die 
vertrocknete  Hand  seines  Schutzpatrons  mit  meinen  Lippen  berührt 
hatte. 

Nebenan  war  eine  kleine  Vertiefung ,  in  der  sich  das  Sicker- 
wasser der  Kalke  zu  einem  nie  versiegenden  Brunnen  sammelte.  Dann 
kamen  wir  in  ein  dunkles,  feuchtes  Gewölbe,  in  welchem  der  Diener 
des  alten  Kaludjer  (Mönch)  hauste.  Ich  hätte  nimmer  geglaubt,  dass 
dieser  äusserlich  so  harmlose  Mensch  einen  Kirchendiebstahl  versuchen 
konnte,  der  ihm  einige  Wochen  später  den  Verlust  seiner  Stellung  und 
obendrein  die  schimpfliche  Prügelstrafe  einbrachte.  Gingen  wir  eine 
hölzerne  Stiege  hinauf,  so  gelangten  wir  in  das  schlichte  Zimmerchen 
des  Priesters  und  in  eine  für  Fremde  eingerichtete  Kammer,  die  eben- 
falls in  die   Kalkwand  eingelassen  waren. 

Von  der  luftigen  Höhe  entrollte  sich  ein  grossartiger  Blick  auf 
das  Zeta-Thal,  so  anheimelnd  und  lieblich,  wie  man  ihn  in  der  wilden 
Crnagora  kaum  erwartete.  Lange  betrachteten  wir  schweigend  die  herr- 
liche Landschaft,  die,  von  den  Strahlen  der  untergehenden  Sonne  be- 
leuchtet, sich  in  nebliger  Ferne  verlor.  Das  war  so  recht  der  Ort,  der 
ein  frommes  Gemüth    dem   Himmel    nähern  konnte.     Dort  oben  wollte 


23  Durch  das  Zeta-Thal  nach  Danilovgrad  und  Kloster  Ostrog. 

der  Einsiedler  stei-ben;  und  sein  Grab,  das  er  sich  bereits  errichtet 
hatte,  contrastirte  seltsam  mit  dem  Absteigehäuschen  des  Fürsten.  Der 
freundliche  Mönch  führte  mich  in  den  Klostergarten,  den  er  noch  mit 
eigener  Hand  bebaute.  Dort  grünten  verschiedene  Arten  von  Gemüse- 
pflanzen im  Schatten  kräftiger  Feigen-  und  Maulbeerbäume,  und  edle 
Weinreben  rankten  sich  um  die  festen  Stämme  oder  krochen  schlangen- 
gleich am   Boden  hin. 

Doch  nun  mussten  wir  uns  erfrischen.  Der  dienstbare  Geist  brachte 
eine  Flasche  Feigenbranntwein,  und  zu  Ehren  der  Dreieinigkeit  tranken 
wir  drei  Schnäpse.  Eine  eigenartige  Unterhaltung  begann.  Eisen- 
bahn, Dampfschiff  und  Luftballon  waren  dem  geistlichen  Herrn  unbe- 
kannte Dinge,  und  voller  Erstaunen  bekreuzte  er  sich,  als  ich  ihm  von 
diesen  Errungenschaften  der  Civilisation  erzählte  und  ihm  die  schnell- 
schiessenden  Magazingewehre  erklärte;  als  er  mich  aber  fragte,  ob  Gott 
immer  helfe  und  ob  die  Thiere  Gott  lobten,  da  war  die  Verlegenheit 
auf  meiner  Seite.  Plötzlich  wurde  unser  Gespräch  durch  lautes  Klopfen 
und  Rufen  gestört,  und  \'ater  Kristifor  sagte  mit  feinem  Lächeln:  »Es 
ist  ein  Türke,  den  ein  körperliches  Leiden  hierher  getrieben  hat  und  der 
den  Heiligen  um  Hilfe  anfleht.«  Einige  Tage  später  kam  ein  anderer 
Muselman  an,  der  aus  denselben  Gründen  den  weiten  Weg  von  Bitolia 
(Macedonien)  bis  Ostrog  nicht  gescheut  hatte.  Eines  solchen  Rufes  er- 
freute sich  also  Sveti  Vasili;  und  wirklich  traf  ich  bei  unserem  Marsche 
nach  Niksic  den  ersten  Türken  munter  und  gesund  wieder;  der  Heilige, 
noch  mehr  jedoch  der  Arzt  in  Nikisic,  hatte  seine  Wunderkraft  aufs 
glänzendste  bewiesen. 

Zu  Pfingsten,  am  Festtage  des  heiligen  Basilius,  ist  das  Kloster 
von  Wallfahrern  überfüllt,  und  der  Alte  erwähnte  mit  gewisser  Genug- 
thuung,  dass  sich  unter  ihnen  viele  Muhamedaner  befänden.  Denn  so 
oft  die  Türken  das  untere  Kloster  zerstört  haben,  so  gelang  es  ihnen 
bloss  einmal,  sich  des  oberen  Klosters  zu  bemächtigen;  und  die  rauch- 
geschwärzten \\'ände,  die  Schiessscharten  in  den  Mauern  und  die  Kugel- 
spuren im  Gestein  zeigen  deutlich,  wie  viele  Kämpfe  um  jene  fast 
uneinnehmbare  Festung  geführt  worden  sind.  1853  hielten  es  22  Mon- 
tenegriner neun  Tage  lang  mit  Erfolg  gegen  10.000  Feinde,  1877  liess 
es  Suleiman  Pascha  vom  unteren  Kloster  aus  vergebens  mit  Kanonen 
beschiessen,  und  nur  im  Unglücksjahre  1862  wurde  das  Felsennest 
vorübergehend  von  den  Feinden  besetzt. 


Durch  das  Gebircrsgebiet  des  Ostrom  und  der  Prekornica. 


29 


4.  Capitel. 

Durch  das  Gebirgsgebiet  des  Ostrog  und  der 

Prekornica. 


Das  Gebirgsgebiet  zwischen  der  Zeta,  Moraca  und  Gracanica  stellt 
ein  breites  Hochplateau  dar,  dem  beiderseits  kleinere  Kämme  aufgesetzt 
sind,  während  die  Prekornica-Kette  die  Mitte  einnimmt.  Die  Gebirgszüge 
fallen  schroff,  ja  senkrecht  zu  Thal,  sind  aber  meist  von  terrassenartigen 
Absätzen  unterbrochen,  auf  denen  die  Ortschaften  liegen.  Ausser  diesen 
Hauptformen  lassen  sich  bestimmte  andere  schwer  unterscheiden;  das 
Ganze  ist  vielmehr  ein  unentwirrbares  Durcheinander  von  Dolinen  und 
Karrenfeldern,  welche  jene  Hochebene  zu  einer  der  entsetzlichst  ver- 
karsteten Gegenden  Montenegros  stempeln.  Der  Urwald  des  Inneren 
ist  dünn  und  bloss  zur  W'eidezeit  bewohnt,  und  die  dauernd  be- 
siedelten Dörfer  nehmen  ausnahmslos  die  äusseren  Ränder  ein.  Die 
Wasserlosigkeit  des  Innern,  die  durch  das  Vorhandensein  des  Schnees 
kaum  ausgeglichen  wird,  und  der  Quellenreichthum  der  Abhänge  sind 
hierbei  das  ausschlaggebende  Moment.  — 

Kurz  nach  4  Uhr  weckte  mich  der  durchdringende  Ton  der  Kloster- 
glocken aus  dem  Schlummer,  und  rasch  eilte  ich  aus  der  dumpfen 
Kammer  in  die  Morgenkühle  hinaus.  Der  alte  Mönch  hatte  bereits  sein 
Frühgebet  verrichtet,  und  auch  unser  Führer  aus  dem  Han  liess  nicht 
lange  mehr  auf  sich  warten.  Vater  Kristifor  hielt  uns  indessen  noch  einige 
Stunden  fest,  und  erst  gegen  7  Uhr  konnten  wir  an  den  Aufbruch  denken. 
Gleich  hinter  dem  Kloster  war  nur  ein  halsbrechericher  Steig  vor- 
handen. Auf  der  einen  Seite  thürmte  sich  der  schroffe  Fels  auf,  und 
zur  Linken  gähnte  ein  tiefer  Abgrund.  Oft  mussten  wir  uns  mit 
Händen  und  Füssen  auf  dem  glatten  Gestein  des  abschüssigen, 
Pfades  fortarbeiten,  und  die  Anstrengungen  wurden  für  mich  um  so 
grösser,  als  ich  der  montenegrinischen  Wege  noch  ungewohnt  war  und 
zugleich  mit  Compass  und  Notizbuch  eine  topographische  Aufnahme 
des  wenig  bekannten  Gebietes  versuchte,  die  mir  den  freien  Gebrauch 
der  Hände  sehr  einschränkte.    Keuchend  und  nur  schrittweise  kam  ich 


jQ  Durch   das  Gebirgsgebiet  des  Ostrog  und  der  Prekornica. 

vorwärts;  meine  Begleiter  dagegen  eilten  mit  beneidenswerther  Behen- 
digkeit voraus  und  wurden  nicht  müde,  in  beredter  Sprache  von  ihren 
Heldenthaten  zu  erzählen.  Der  überaus  steile  Anstieg  beanspruchte  unsere 
ganze  Kraft,  und  ausserdem  mussten  wir  ängstlich  darauf  bedacht  sein, 
keinen  Fehltritt  zu  thun,  der  uns  rettungslos  in  eine  grausige  Tiefe 
geschleudert  hätte.  Hunderte  von  Türken  ereilte  hier  im  letzten  Kriege 
ein  schrecklicher  Tod;  und  zahllose  verrostete  Patronen,  untermischt 
mit  gebleichten  Gebeinen,  sind  die  letzten  stummen  Zeugen  des  furcht- 
baren Entscheidungskampfes.  Endlich  hob  sich  das  trigonometrische 
Signal  der  russischen  Landesaufnahme  scharf  vom  blauen  Himmel  ab; 
und  nach  zweistündigem,  hartem  Klettern  war  der  den  Hauptgipfel  des 
Ostrog  krönende  Steinmann  (1161  Meter)  und  mit  ihm  das  Plateau 
erreicht. 

Eine  umfassende  Rundschau  eröffnete  sich  dem  überraschten  Auge. 
Während  das  Niksicko  Polje  bloss  theilweise  sichtbar  war,  schw^eifte  der 
Blick  ungehindert  über  die  anmuthige  Zeta-Ebene,  die  erst  der  ferne 
Scutari-See  begrenzte.  Rings  im  Umkreise  thürmten  sich  die  abstossenden 
Kalkgebirge  auf.  Die  charakteristischen  Formen  des  Garac,  Pusti  Lisac, 
Vojnik,  Lovcen,  Zurim  und  der  Rumija  waren  unverkennbar,  im 
dunstigen  Hintergrunde  verschwanden  die  zersägten  Kämme  des  Dur- 
mitor  und  Orjen,  und  das  Plateau  selbst  durchquerte  die  einsame 
Prekornica-Mauer.  Zahllose  Schneeflecken  bedeckten  die  höheren 
Gipfel,  und  kaum  verbarg  niederes  Eichen-  oder  Buchengestrüpp  das 
eintönige  Grau  des  Gesteins;  in  geschützten  Mulden  standen  kräftige, 
alte  Bäume,  aber  auch  sie  vermochten  nicht,  den  trostlosen  Eindruck 
jener  verlorenen  Landstriche  zu  verwischen,  deren  zerrissene  Oberfläche 
einem  im  wüthendsten  Sturme  erstarrten  Meere  glich. 

Da  vom  Ostrog  kein  Weg  nach  der  Gracanica  führte,  so  begann 
für  uns  beide  —  unseren  Führer  hatten  wir  bereits  entlassen  —  eine 
mühselige  Wanderung  über  das  wild  verkarstete  Plateau.  Dolinenauf 
ging  es  und  dolinenab,  bald  über  schmale  Grate,  bald  zwischen  kantig 
ausgearbeiteten  Rinnen,  und  der  unaufhörliche  Wechsel  zwischen  Kamm 
und  blindem  Thal  erschwerte  die  Orientirung  ungemein.  Zunächst 
stiegen  wir  in  einen  tiefen,  schroffen  Kessel  hinab  (1037  Meter),  der 
etwas  dürftiges  Ackerland  und  einige  Kolibas  (Sennhütten)  enthielt.  Ein 
brennender  Durst  quälte  uns,  und  wir  hofften,  dort  unten  Wasser  zu 
finden.  Allein  es  war  kein  Tröpfchen  zu  entdecken,  und  mit  trockenem 
Gaumen  mussten  wir  die  aufreibende  Kletterei  wieder  aufnehmen. 
Das  Buschholz  gewährte  vor  den  sengenden  Sonnenstrahlen  wenig 
Schutz,  und  Tausende  dickblätteriger  Zwiebelgewächse,  gelber  Himmel- 


Durch  das  Gebiresgebiet  des  Ostro£r  und  der  Prekornica. 


31 


Schlüssel  und  anderer  Blumen  verbreiteten  einen  starken,  würzisjen 
Duft.  Wilde  Bienen  umschwärmten  die  Blüthen,  goldgrüne  Käfer 
krochen  im  Grase,  und  zierliche  Eidechsen  schlüpften  in  ein  sicheres 
Versteck;  sonst  störte  kein  Ton  die  Einsamkeit,  und  nur  einmal  flog 
ein  erschrecktes  Rebhuhn  in  die  Höhe.  Unabsehbar  war  in  den  dünn- 
bankigen,  wenig  geneigten  Kalken  des  Gewirr  der  Karsttrichter,  die 
theils  durch  chemische  Auslaugung,  theils  durch  mechanischen  Ein- 
sturz oder  durch  die  vereinte  Wirkung  beider  Kräfte  entstanden  waren. 
Mit  peinlichster  Sorgfalt  spähten  wir  nach  kleinen  Spalten  im  Gestein, 
ob  sie  vielleicht  natürliche  \\'asserbehälter,  sogenannte  Kamenice,  seien; 
aber  immer  blieb  unsere  Mühe  unbelohnt,  und  w'er  beschreibt  daher 
unsere  Freude,  als  wir  V42  Uhr  abermals  auf  einige  Hütten  stiessen 
(1059  ]\Ieter).  Zwei  Hunde,  die  wie  alle  einheimischen  Hunde  sehr 
bösartige  Thiere  waren  und  sich  von  ihren  Stammesverwandten, 
den  Wölfen,  nicht  allzusehr  unterschieden,  schlugen  w'üthend  an; 
Menschen  waren  also  in  der  Nähe.  Erwartungsvoll  krochen  wir  in  den 
elenden  Bretterbau,  und  wirklich,  in  einer  Ecke  stand  ein  Trog  ^■oll 
Schnee.  Ohne  uns  um  die  lärmenden  Hunde  zu  bekümmern,  tranken 
wir  gierig  das  kalte,  schmutzige  Schmelzwasser,  fachten  das  glimmende  ^ 
Feuer  an  und  bereiteten  uns  eine  wohlschmeckende  Erbssuppe,  Wir 
Sassen  noch  beim  Essen,  als  der  Eigenthümer  der  Hütte  athemlos 
herbeieilte  und  uns  mit  harten  Worten  anfuhr.  Er  glaubte,  dass  wir  uns 
an  seinen  Milch-  und  Käsevorräthen  gütlich  thun  wollten  und  Hess  sich 
sch\A"er  überzeugen,  dass  wir  nichts  weiter  als  etwas  Wasser  genommen 
hatten.  Um  ihn  ganz  zu  besänftigen,  bot  ich  ihm  eine  Tasse  Cacao  an, 
und  nun  war  Petko  —  so  hiess  der  Hirt  —  w'ie  umgewandelt.  Er  forderte 
uns  auf,  die  Xacht  bei  ihm  zu  bleiben;  doch  mussten  wir  ihm  seinen 
Wunsch  abschlagen,  und  so  begleitete  er  uns  ein  gutes  Stück,  bis 
wir  auf  einen  schmalen  Pfad  stiessen. 

Der  Karst  blieb  gleich  wild.  In  geschützten  Dolinen  lagerten 
noch  die  letzten  Reste  des  Winterschnees,  und  die  Bäume  schlössen 
sich  zu  einem  schattigen  Dache  zusammen;  ihre  abgefallenen  Blätter 
verhüllten  den  rauhen  Boden,  ohne  jedoch  die  Spuren  der  starken  Ver- 
karstung irgendwie  aufzuheben.  Nach  i^!^  Stunden  entdeckten  wir  eine 
kleine  Quelle  (1056  Meter),  die  erste  und  einzige  während  unserer  drei- 
tägigen Wanderung  auf  der  Höhe.  Zugleich  entrollte  sich  vor  uns, 
eine  freundliche  Oase  in  der  Steinwüste,  die  ausgedehnte  Mulde  Buhavica. 
Buchengruppen,  unter  die  sich  später  Birken  mischten,  waren  auf  dem 
grünen  Grasteppich  zerstreut,  und  die  Beine  gingen  auf  dem  weichen 
Grunde  von  selbst.   Leider  verschwand  mit  dem  Aufstieg  am  jenseitigen 

'1 


32 


Durch  das  Gebirgseebiet  des  Ostroa:  und  der  Prekornica. 


Hange  der  erträgliche  Pfad  wieder;  der  zerrissene  Kalk  verlangte  unsere 
ungetheilte  Aufmerksamkeit,  und  wir  konnten  nur  einen  flüchtigen  Blick  auf 
den  finsteren  Ostrog  und  die  Ebene  von  Niksic  mit  ihren  im  Abend- 
sonnenschein leuchtenden  Flüssen  und  Karstseen  werfen.  Wir  gelangten 
auf  einen  zweiten  Wiesenplan  mit  schmalen,  sumpfigen  Wasseräderchen 
und  einer  Viehtränke  (1141  Meter).  Ihm  gegenüber  winkten  die  Anhöhen 
und  Umfassungsmauern  des  rechten  Gracanica-Ufers,  und  schon  wollten 
wir  erleichtert  aufathmen,  als  wir  plötzlich  erschrocken  zurückprallten. 
Jählings  stürzte  das  Gebirge  zu  dem  350  Meter  tieferen  Thale  ab,  ein 
noch  nicht  fussbreiter  Steig  lief  auf  dem  lockeren  Gestein  in  den  fast 
Schwindel  erregenden  Abgrund,  und  erschöpft,  wie  wir  waren,  mussten 
wir  zu  guterletzt  noch  dieses  Hinderniss  bezwingen.  Die  Nacht  zog 
herauf,  und  schliesslich  tasteten  wir  uns  in  völliger  Finsterniss  vorwärts, 
bald  über  vorstossende  Steine  oder  zahllose  Kalktrümmer  stolpernd,  bald 
auf  dem  schlüpfrigen,  von  Quellen  aufgeweichten  Erdreich  ausrutschend. 
Was  sollte  ich  sagen,  wenn  sogar  mein  Führer  betheuerte,  diesen  Weg 
in  seinem  Leben  nie  wieder  zu  gehen?  Endlich  blitzten  Feuer  auf  und 
leiteten  uns  querfeldein  zu  einem  Dorfe.  Die  guten  Leute  brachten 
sauere  Milch  und  gaben  uns  einen  Knaben  als  Führer  zu  dem  noch 
^/j  Stunde  entfernten  Kloster  des  heiligen  Lucas  (Sveti  Luka)  mit.  Um 
g  Uhr  standen  wir  vor  seinem  Thore.  Der  Iguman  (Abt)  Teofan  Djokovic, 
der  sich  bereits  niedergelegt  hatte,  warf  sich  sogleich  in  seine  Kleider 
und  Hess  ein  stärkendes  Mahl  auftragen.  Dann  aber  übermannte  mich 
die  Müdigkeit,  und  ich  fiel  auf  dem  bequemen  Bett  in  einen  festen  Schlaf, 
Die  Gracanica  durchschneidet  in  einem  schmalen  Thale  das  Plateau- 
massiv Mittel-Montenegros,  um  in  der  Ebene  von  Niksic  senkrechten 
Laufes  der  Zeta  zuzueilen.  Als  echtes  Karstgewässer  entspringt  sie 
aus  zahlreichen  Quellen,  die  in  der  sumpfigen  Mulde  Ponikvice  zu- 
sammensickern und  sich  in  verborgenen  Canälen  zur  Gracanica  ver- 
einigen. Schon  im  Spätfrühling  verschwindet  ihr  klares  Wasser  zwischen 
den  hoch  aufgehäuften  Gerollen,  unter  denen  die  flyschartigen  Sand- 
steinschiefer von  Kujava  und  Bruchstücke  eines  irgendwo  im  Thal- 
hintergrunde aufgeschlossenen  Diabases  nicht  selten  sind.  .Im  Unter- 
laufe hält  es  sich  einige  Wochen  länger,  und  auch  dort  war  es  versiegt, 
als  ich  Anfang  Juli  das  Niksicko  Polje  zum  zweiten  Male  besuchte. 
Zwar  gedeiht  in  diesem  Bezirke,  der  Zupa  \iksicka,  die  Feige  nicht 
mehr;  aber  Aepfel-,  Birnen-,  Kirschen-  und  Pflaumenbäume  geben  gute 
Erträge,  grüne  Matten  zieren  die  unteren  Berghänge,  und  der  Grund 
wird  von  ergiebigen  Getreidefeldern  eingenommen.  Stellenweise  hat  man 
sogar    den    metertief    eingerissenen   Ufern    ein    Stück  Land    abgerungen 


Durch  das  Gebirgsgebiet  des  Ostrog  und  der  Prekornica.  oo 

und  es  für  den  Ackerbau  nutzbar  gemacht.  Das  Kloster  (780  Meter) 
liegt  am  Ende  der  fruchtbaren  Niederung  und  wird  von  mehreren 
Dörfern  umgeben;  es  ist  erst  vor  wenigen  Jahren  erbaut  und  besteht 
aus  einer  kleinen  Kirche,  einer  Schule  und  der  Wohnung  des  Igumans. 

Um  10  Uhr  sagten  wir  unserem  gastlichen  Wirthe  Lebewohl  und 
wanderten  flussaufwärts  zum  Orte  Staro  Selo  (altes  Dorf),  der  eine  feste 
Steinbrücke  (800  Meter)  über  die  Gracanica  und  ein  altes,  geräumiges 
Blockhaus,  ein  Werk  der  Montenegriner,  besitzt.  Mühelos  wurde  die 
Imke  Thalseite  erklommen,  die  auf  eine  gut  bebaute  Terrasse  führte 
(943  Meter).  Um  uns  nach  dem  Wege  zu  erkundigen,  traten  wir  in 
eine  der  Sennhütten;  hurtig  sprangen  die  Insassinnen,  lauter  junge 
Mädchen,  auf  und  wollten  uns  die  Hand  küssen.  Wir  verzichteten  jedoch 
auf  diese  Ehre  und  setzten  uns  unter  die  fröhliche  Schaar,  die  beim 
Abschied  unseren  Feldkessel  noch  mit  Milch  füllte. 

Nach  wenigen  Minuten  befanden  wir  uns  wieder  im  trostlosesten 
Karste,  und  nur  ein  schmaler,  brauner  Streifen  deutete  auf  dem  von 
Karren  und  Dolinen  durchsetzten  Gestein  den  Weg  an.  Mehr  springend 
als  gehend  und  beständig  die  überhängenden  Zweige  des  Buschholzes 
auseinanderbiegend,  gönnten  wir  uns  nicht  eher  Ruhe,  als  bis  wir  in 
eine  flache  Grasmulde  gelangten.  Noch  eine  ganze  Reihe  dieser  buchen- 
bestandenen Kessel,  die  auch  einige  Kolibas  enthielten,  hatten  wir  zu 
durchwandern,  und  in  einem  derselben  entdeckten  wir  eine  ansehnliche 
Ablagerung  typischen  Bohnerzes.  Ueberall  trat  das  rostbraune,  mit  erbs- 
artigen Kügelchen  besetzte  Gestein  zu  Tage  und  verlor  sich  erst  an 
einer  steilwandigen  Doline,  die  in  einen  kurzen,  trockenen  Wasserriss 
überging.  Ob  sich  der  Abbau  lohnt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden; 
jedenfalls  möchte  er  in  diesen  schwer  zugänglichen  Gegenden  mit  grossen 
Schwierigkeiten  verbunden  sein. 

Nun  stieg  der  Hang  rascher  an,  und  der  landschaftliche  Charakter 
wurde  ein  anderer.  Die  Buchen  gewannen  an  Höhe  und  Dicke,  und 
schlanke  Fichten  gesellten  sich  zu  ihnen.  Ein  grossartiger  Urwald,  dessen 
feierliche  Stille  zuweilen  der  Ruf  des  Kuckucks  störte,  nahm  uns 
auf,  aber  trotzdem  hatte  er  die  Verkarstung  nicht  im  mindesten  beein- 
flusst;  im  Gegentheil,  allerorts  schaute  der  wild  zerrissene  Kalk  aus  der 
weichen  Blätter-  und  Nadelhülle  hervor,  und  nirgends  war  das  Rauschen 
einer  Quelle  vernehmbar.  Ja  diese  beispiellos  traurigen  Einöden  würden 
ganz  verlassen  sein,  wenn  sich  in  schattigen  Trichtern  der  Schnee  nicht 
den  Sommer  über  hielte!  Unmittelbar  vor  uns  thürmte  sich  die  zackige 
Prekornica  auf;  langgestreckte  Firnbänder  erfüllten  ihre  Klüfte,  und 
ihre  nackten  Wände  strebten  drohend  gen   Himmel. 

Hassen.  Reise  durch  Montenegro.  5 


•JA  Durch  das  Gebirgsgebiet  des  Ostrog  und  der  Prekornica. 

Fünf  Uhr  war  vorüber,  als  wir  in  einer  roh  ausgearbeiten  Scharte 
den  Prekornica-Kamm  überschritten.  Die  Buchen  begannen  wieder  vor- 
zuherrschen,  und  abgestorbene  Stämme  von  i  bis  2  Meter  Durchmesser 
verfaulten  unbenutzt  am  Boden.  Auf  die  Nachbarschaft  von  bewohnten 
Kolibas  war  kaum  zu  rechnen,  und  zwei  Eingeborene  bestätigten  unsere 
Annahme.  Sie  gaben  uns  wenigstens  die  Gewissheit,  dass  die  leeren 
Hütten  von  Stitavica  nahe  seien,  und  so  beschlossen  wir,  dort  unser 
Nachtquartier  aufzuschlagen.  Die  dünnbankigen  Kalke  glichen  durch 
die  Art  ihrer  \'erwitterung  unvollkommenen  Treppenstufen,  die  zu  einer 
ziemHch  ebenen  Fläche  hinaufführten.  \\"as  war  das  für  eine  Wüste! 
In  mächtige  Kalkplatten  hatte  der  Verkarrungsprocess  als  erste  Spuren 
seiner  Wirkung  tiefe,  rechtwinklig  sich  kreuzende  Furchen  gegraben.  Kaum 
ein  Erdenstäubchen  oder  ein  Grashälmchen  barg  sich  in  den  Ritzen,  und 
meterhohe  Schneemassen  waren  in  die  Dohnen  eingebettet.  Den  Hinter- 
grund bildete  wieder  die  Prekornica  mit  ihren  Firnstreifen  und  düsteren 
Fichten ;  und  an  ihrem  Fusse  waren  die  niedrigen,  mit  Balken  gedeckten 
Hütten  der  Sennerei  Stitavica  (1384  Meter)  errichtet.  Hölzerne  Tröge, 
die  um  das  Dach  liefen,  dienten  zum  Auffangen  des  Regenwassers,  und 
die  Innenseite  der  roh  aus  Steinen  aufgeführten  \\'ände  nahmen  ein- 
fache Gestelle  ein,  auf  denen  die  Milchkübel  und  Käsevorräthe  Platz 
finden  sollten.  Im  festgetretenen  Boden  war  eine  Vertiefung  für  das 
Feuer,  und  der  Rauch  zog  durch  die  schmale  Thüröffnung  oder  durch 
die  Fugen  zwischen  den  Mauern  ab,  da  es  Fenster  oder  Luken  nicht 
gab.  Die  Hirten  hatten  die  abgelegenen  Kolibas  noch  nicht  aufgesucht, 
aber  zahlreiche  Spuren  deuteten  darauf  hin,  dass  sie  kürzlich  dagewesen 
waren,  um  Alles  für  eine  baldige  Besiedelung  vorzubereiten.  Unter  diesen 
Umständen  waren  uns  die  Conserven  zum  zweiten  Male  hochwillkommen. 
Die  trockenen  Aeste  wurden  gesammelt,  und  bald  hing  der  Feldkessel 
über  dem  lodernden  Herdfeuer.  Nochmals  lasen  wir  beim  Monden- 
schein, der  die  abstossende  Landschaft  geisterhaft  erhellte,  neue  Holz- 
vorräthe  zusammen;  denn  kaum  war  die  Sonne  untergegangen,  als  die 
Kühle  empfindlich  fühlbar  ward.  Aus  dürrem  Fichtenreisig  wurde  ein 
Lager  aufgeschichtet,  der  Lodenmantel  diente  als  Unterlage,  die  Reise- 
decke als  Oberbett  und  der  Rucksack  als  Kopfkissen.  Aber  noch  lange 
waren  wir  wach  und  lauschten  dem  unheimlichen  Rufe  des  Uhu.  dem 
hellen  Tone  des  Waldhuhns,  dem  fernen  Brummen  des  Bären  und  dem 
Heulen  der  Wölfe.  Mehrmals  am  Tage  hatten  wir  die  Spuren  der  letzteren 
bemerkt,  und  am  anderen  Morgen  erzählten  uns  die  Senner  von  Topo- 
lovo  mit  betrübten  Mienen,  dass  in  der  Nacht  ein  Rudel  der  gefrässigen  Raub- 
thiere  in  ihre  Heerden  eingefallen  sei  und  mehrere  Schafe  zerrissen  habe. 


Duich  das  Gebir^s^ebiet  des  Ostrog  und  der  Prekornica. 


35 


Wohlgemuth  kehrten  wir  dem  wenig  einladenden  Orte  den  Rücken 
und  wanderten  im  schweigenden  Urwalde  fort,  unter  den  sich  zuweilen 
dichte  Birke_nbestände  mischten.  Oefters  war  der  braune  Streifen,  der 
den  knappen  Steig  darstellte,  so  verblasst  oder  unter  dem  welken  Laube 
verborgen,  dass  wir  ihn  verfehlten.  Zwei  Montenegrinerinnen,  die  singend 
und  emsig  den  Spinnrocken  führend  vorübereilten,  konnten  wir  nicht 
mehr  um  Auskunft  fragen;  aber  ihre  Anwesenheit  war  ein  neuer  Beweis 
für  die  Sicherheit,  die  gegen  Jedermann  und  besonders  gegen  die  Frauen 
in  der  Crnagora  herrscht.  Nach  einem  mehrstündigen  Marsche,  der  an 
tiefen  Schneelöchern  und  zwei  Hütten  vorbeiführte,  senkte  sich  die  Höhe. 
Der  Prekornica-Kamm  war  überstiegen,  und  schon  zeigten  sich  die  rechts- 
seitigen Plateaus  des  Zeta-Thales,  während  unmittelbar  unter  uns  der 
Kessel  Topolovo  lag.  Seine  Wiesen,  seine  kleinen  Kartoffelfelder  und 
ein  Katun  (Sennereidorf)  grüssten  einladend  herauf,  so  dass  wir  es  uns 
nicht  versagen  konnten,  bis  zum  Mittage  dort  zu  rasten. 

Topolovo  (987  Meter)  gehört  zu  einer  Schnur  giösserer  wasserloser 
Becken.  Stark  verkarstete,  siebartig  durchlöcherte  Rücken  trennen  die 
einzelnen  Mulden;  und  es  kann  den  ermüdeten  Wanderer  zur  \'er- 
zweiflung  bringen,  wenn  er,  das  erlösende  Ziel  vor  Augen,  ein  schier 
endloses  Gewirr  von  Trichtern  und  Graten  auf  den  denkbar  schlechtesten 
\\'egen  überwinden  muss  und  dabei  kaum  vom  Fleck  zu  kommen  scheint. 
Nach  und  nach  wurde  der  Wald  dünner,  und  balsamisch  duftendes  Nadel- 
holzgewann  stellenweise  die  Oberhand.  Die  Zahl  der  Kolibas  nahm  zu,  die 
der  Schneetrichter  ab,  und  immer  freier  entrollte  sich  das  Zeta-Thal 
bis  zum  blauen  Scutari-See.  Ein  erbärmlicher  Pfad  rieb  meine  Kraft 
vollends  auf,  und  ganz  erschöpft  warf  ich  mich  um  4  Uhr  an  der  Quelle 
Stubica  {486  Meter)  nieder,  deren  klares  Wasser  (-{-  12*^'  C.)  aus  einer 
breiten  Felswand  hervorschoss.  Nun  war,  gottlob,  das  Dorf  Jovanovici 
nicht  mehr  weit,  und  im  Popenhause  wartete  unserer  der  beste  Empfang. 
Ehrfurchtsvoll  küssten  die  Frauen  uns  und  einem  zufällig  eintretenden 
halbwüchsigen  Jungen  die  Hand;  ein  Ceremoniell,  das  uns  noch  öfters 
begegnete  und  die  unterthänige  Stellung  des  weiblichen  Geschlechtes 
erkennen  lässt. 

Wenn  auch  die  starke  oder  sehr  starke  Verkarstung  den  Weg  noch 
anstrengend  genug  machte,  so  stand  er  doch  in  keinem  \'erhältniss  zu 
dem  der  verflossenen  Tage.  Quellen  belebten  den  waldigen  Hang,  überall 
grünten  kleine  Felder,  und  mehrere  Dörfer  waren  auf  einer  Terrasse  hoch 
über  der  Zeta  vertheilt.  Am  7.  Juni  wurde  ohne  sonderliche  Eile  der 
vierte  Tagemarsch  angetreten.  In  Sobajici  (441  Meter)  kehrten  wir 
beim  Popen    ein,    und    der    würdige   Geistliche   war  sehr  erstaunt,    dass 


oß  Nach  Nikäic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko. 

ich  aus  Deutschland  sei.  Er  wollte  wissen,  wo  dieses  ihm  völlig  un- 
bekannte Kaiserreich  läge,  wie  gross  es  sei  und  ob  es  auch  Berge 
besässe  wie  seine  Heimat.  Er  begleitete  uns  noch  ein  Stück,  und  einige 
Frauen  schlössen  sich  uns  an.  Sie  trugen  eine  schwere  Last,  die  sie 
auf  dem  Bazar  zu  NikSic  verkaufen  wollten;  und  wenn  man  bedenkt, 
dass  sie  dafür  günstigenfalls  zwei  Gulden  herausschlagen  konnten  und 
dabei  einen  Hin-  und  Rückweg  von  40  Kilometern  zurückzulegen  hatten, 
so  muss  uns  die  Montenegrinerin  doppeltes  Mitleid,  zugleich  aber  auch 
doppelte  Achtung  einflössen.  Am  gefassten  Brunnen  von  Kupinovo 
(542  Meter)  wollten  wir  uns  erfrischen.  Im  Nu  drängten  sich  über 
20  Männer  und  Weiber  mit  den  üblichen  Fragen:  »Okle  ste  vi?  Sto 
radite?  (Wo  seid  Ihr  her?  Was  arbeitet  Ihr?)«  um  uns  herum,  und  ich 
hatte  Mühe,  die  grossen  Kinder  zu  befriedigen.  Nachmittags  '/j  4  ^'^^^ 
waren  wir  in  Unter-Ostrog  angelangt,  besuchten  nochmals  Vater  Kristifor 
in  seiner  Klause,  und  den  Abend  verplauderte  ich  mit  dem  gebildeten 
Iguman,  einem  Zöglinge  der  Belgrader  Hochschule. 


Capitel. 


Nach  Niksic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach 

Gacko. 


Noch  beschäftigte  mich  am  anderen  Morgen  das  Packen  der  Reise- 
körbe, als  auf  der  Treppe  Stimmen  laut  wurden.  Zwei  Fremde,  der 
russische  Consul  Herr  von  Bakunin  aus  Sarajevo  und  ein  Petersburger 
Professor,  kamen  herauf,  und  wir  hatten  bald  gute  Freundschaft  ge- 
schlossen. Leider  reisten  beide  in  entgegengesetzter  Richtung  weiter, 
aber  Herrn  von  Bakunin  traf  ich  vier  Tage  später  in  Niksic  wieder  und 
verlebte  mit  ihm  noch  einige  angenehme  Stunden. 

Der  Weg,  den  wir  einschlugen,  setzte  den  gestrigen  fort;  doch 
strengte  er  viel  weniger  an,  da  schon  hinter  dem  Weiler  Povija  leicht 
verwitterbare  mergelig^e  Schiefea:  anstanden,  die  nicht  mehr  mit  scharfen 
Zacken  den  Fuss  verwundeten.  Sehr  oft  wurden  sie  von  Kalktrümmern 
überlagert,  die  von  dem  senkrecht  aufsteigenden  Ostrog  herabgerollt 
und    zu    einem    festen    Conglomerat    verkittet    waren.     Ueberall    traten. 


Nach  Niksic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko.  ay 

Quellen  und  kleine  Bäche  aus,  und  statt  der  schroffen  Mauern  und 
Schluchten  herrschten  abgerundete  Hügel  und  sanft  abgeböschte 
Rinnen  vor. 

Die  Thalwände  rückten  näher  zusammen,  und  als  sie  sich  die 
Hand  reichten,  liefen  die  Telegraphenstangen  der  nach  Niksic  führenden 
Leitung  zu  uns  herauf.  Der  Planinica-Rücken  trennt  die  Zeta-Ebene 
vom  Niksicko  Polje  und  verbaut  dem  Flusse  seinen  Weg,  so  dass  er 
am  jenseitigen  Hange  grollend  in  einem  Schlünde,  einem  Ponor,  ver- 
schwindet und  diesseits  als  neugeborener  Strom  wieder  ans  Tageslicht 
tritt.  Zwischen  kleinen  Feldern  gelangen  wir  auf  die  kahle  Höhe 
(831  Meter),  und  alsbald  fesselt  ein  neues  Bild  unsere  Aufmerksamkeit. 
Hinter  uns  liegt  die  Zeta-Niederung  und  vor  uns  der  grüne  Plan  von 
Niksic,  der  mit  48  Quadratkilometern  Fläche  das  grösste  Kesselthal  Mon- 
tenegros darstellt.  Zum  Ostrog  gesellen  sich  die  finstere  Prekornica  und 
der  dreigipfelige  \'ojnik,  und  im  \\'esten  wird  das  äusserste  Stück  des 
glockenförmigen  Pusti  Lisac  sichtbar.  Wiesen  und  Aecker  nehmen  das 
Polje  ein,  Wasserläufe  oder  trockene  Geröllbetten  umkreisen  die  Kalk- 
hügel, und  vorspringende  Plateau-Ausläufer  sondern  die  Ebene  in  mehrere 
Hauptabschnitte.  Einst  war  sie  von  einem  See  erfüllt,  der  sich  noch  in 
dürftigen  Resten  erhalten  hat.  Am  östlichen  Rande  sind  nämlich  zwei 
kleine  Seen,  der  Slano-  und  Krupac  -  Jezero,  eingebettet,  die  nur  vom 
Herbst  bis  zum  Frühling  eine  zusammenhängende  Wasserfläche  besitzen, 
sonst  aber  zu  einem  ungesunden  Sumpflande  zusammenschrumpfen. 
Ein  letzter  Rest  ist  ferner  das  wirr  verzweigte  Flussnetz,  das  im  Sommer 
meist  versiegt  und  zur  Regenzeit  die  Ebene  überschwemmt.  Steigen 
wir  auf  steilen  Zickzacken  zu  ihr  hinab,  so  werden  die  merkwürdigen 
hydrographischen  Verhältnisse  noch  klarer.  Die  Flüsse  und  Bäche,  die 
eben  ein  Mühlenrad  in  Bewegung  setzten,  verlieren  sich  plötzlich  im 
Boden,  tauchen  zwischen  Gerollen  wieder  hervor  und  vereinigen  sich 
zur  Zeta,  die  abermals  im  Erdboden  verschwindet.  Leider  habe  ich  ihre 
Ponors,  die  B.  Schwarz  als  ein  grossartiges  Naturwunder  beschreibt, 
nicht  in  der  Nähe  gesehen. 

Noch  andere  Merkmale  sprechen  für  eine  ehemalige  Wasser- 
bedeckung. Unter  einer  spärlichen  Humusschicht  oder  einem  feinen, 
staubartigen  Sande  lagern  meist  unverbundene  Rollsteine,  und  man 
braucht  kaum  einen  Meter  zu  graben,  um  auf  Grundwasser  zu  stossen. 
Gleich  vielen  Karstseen  entstand  der  Niksicko  Jezero,  indem  die 
Herbst-  und  Frühlingsregen  die  Abzugslöcher  verstopften  und  sich  zu 
einem  jährlich  wachsenden  Binnensee  aufstauten.  Slano-  und  Krupac- 
Sumpf  zeigen  diese  Erscheinung  noch  immer,    denn   sonst  könnten  sie 


oß  Nach  Nikäic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko. 

die  trockenen  Monate  nicht  überdauern.  Ihre  Regulirung  würde  nicht 
bloss  die  Luft  von  schädlichen  Dünsten  reinigen,  sondern  auch  eine 
umfangreiche  Fläche  für  den  Ackerbau  geeignet  machen.  Zu  irgend 
einer  Zeit  zerstörte  die  Erosionskraft  des  Wassers  die  leicht  angreifbaren 
Kreidekalke,  und  es  blieben  nur  die  isolirten  Hügel  übrig,  die  als  Festungs- 
berg von  Niksie,  als  Trebjeska  Gora  u.  s.  w.  im  Kessel  zerstreut  sind  und 
in  ihren  Wäldern  noch  vereinzelte  Wölfe  beherbergen.  Schliesslich 
reinigten  die  Fluthen  die  bereits  vorhandenen  Abzugscanäle  oder  er- 
zwangen sich  neue  und  verschwanden  ebenso  geheimnissvoll  wie  sie 
gekommen. 

Die  Ebene  ist  nicht  allzu  sehr  bebaut;  zur  Hälfte  dient  sie 
noch  als  W'eideland,  und  kaum  verbirgt  das  kurze  Gras  die  abgerundeten 
Kalktrümmer.  Der  Grund  liegt  in  erster  Linie  an  der  Unfruchtbarkeit 
der  mageren  Erdkrume,  der  ausserordentlichen  Durchlässigkeit  des 
lockeren  Untergrundes  und  der  grossen  Sommerdürre;  schon  im  Spät- 
frühling sind  die  meisten  Flüsse  zu  unbedeutenden  Tümpeln  eingetrocknet, 
und  der  wirthschaftliche  Werth  der  Niederung  würde  sehr  in  Frage 
kommen,  wenn  nicht  das  Grundwasser  einen  Ersatz  darböte.  Daher 
gedeihen  auf  den  Wiesen  vor  Allem  Gewächse,  die  den  trockenen  Boden 
lieben,  z.  B.  das  blaue  Eryngium  amethystinum,  das  weisse  Teucrium 
poljium,  die  nimmer  fehlende  Salvia  officinalis,  der  genügsame  Plantago 
maritima,  der  üppig  wuchernde  Strauch  Ostrya  carpinifolia  und  viele 
andere. 

Nach  dreistündiger  Wanderung,  die  sich  Kulas  wieder  einmal 
durch  das  Abwerfen  seiner  Last  zu  erleichtern  sucht,  haben  wir  Niksie 
erreicht  und  kehren  in  der  Locanda  des  Goldschmiedes  Vaso  ein. 

Niksie  (670  Meter),  mit  etwa  2000  Einwohnern  der  drittgrösste  Ort 
des  Fürstenthums,  war  bis  zum  Kriege  1877/78  ein  stark  befestigter  Stütz- 
punkt der  Türken,  da  es  im  Verein  mit  Spuz  die  Crnagora  einschnürte 
und  durch  die  wichtige  Zugangslinie  der  Duga-Pässe  gedeckt  wurde.  Als 
daher  die  Montenegriner  angriffsweise  vorgingen,  sammelten  sie  hier 
ihre  Hauptmacht,  erstürmten  die  dominirende  Trebjeska  Gora  und 
eröffneten  ein  verheerendes  Feuer  auf  Festung  und  Stadt.  Dem  war 
der  tapfere  Commandant  Iskender  Bey  auf  die  Dauer  nicht  gewachsen, 
und  die  Garnison  ergab  sich  nach  zehnwöchentlicher  Belagerung  be- 
dingungslos dem  Feinde,  der  ihr  freien  Abzug  gestattete.  Die  Einwohner 
bestanden  der  Mehrzahl  nach  aus  Türken  oder  vielmehr  aus  Serben, 
die  nach  der  unglücklichen  Schlacht  auf  dem  Amselfelde  den  muha- 
medanischen  Glauben  annahmen  und  wie  alle  Renegaten  fanatischer 
waren  als  die  anderen  Bekenner  des  Islam.  Sie  sind  zum  grössten  Theile 


Nach  Niksic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko.  og 

ausgewandert,  so  dass  Niksic  gegenüber  den  wesentlich  muhamedani- 
schen  Städten  Podgorica,  Antivari  und  Dulcigno  die  grösste  monte- 
negrische  Stadt  ist. 

Wie  in  Podgorica,  so  blühte  auch  in  XikJic  ein  europäisch  ange- 
legter Stadttheil  auf.  Von  einem  breiten  Marktplatze  zweigen  sich 
regelmässige  Strassen  ab,  die  mit  ihren  Petroleumlaternen  und  Baum- 
anpflanzungen einen  gefälligen  Eindruck  machen.  Das  alte  Militär- 
Lazareth  hat  verschiedentliche  Verbesserungen  erfahren,  ein  Schul-  und 
Gerichtsgebäude  ist  in  seiner  Nachbarschaft  errichtet  worden,  und  dem- 
nächst sollen  die  zerschossenen  oder  verfallenen  Türkenhäuser  gänzlich 
beseitigt  werden.  Das  Sonderbarste  sind  jedenfalls  die  tragbaren  Käuser, 
die  aus  biegsamen  Aesten  geflochtenen  Körben  gleichen  und  auf  hölzernen 
Balken  ruhen.  Sie  können  von  einem  Orte  zum  andern  gebracht  werden 
und  dienen  meist  als  Werkstätten  für  die  Schmiede.  Vor  der  Stadt 
liegt  der  Kuhstall  der  fürstlichen  Sennerei,  neben  ihr  am  Fusse  eines 
mit  Anlagen  gezierten  Hügels  die  bescheidene  \'illencolonie  des  Landes- 
herrn, und  an  sie  schliesst  sich  ein  grosses,  im  Bau  begriffenes  Kloster 
an,  zu  dessen  Herstellungskosten  Russland  einen  erheblichen  Theil  bei- 
getragen hat.  Der  Aufseher  der  fürstlichen  Villa,  ein  biederer  Officier 
namens  Nikola  Kruska,  war  unser  Führer;  er  hatte  an  der  Belagerung 
von  Niksic  theilgenommen  und  konnte  uns  in  seiner  schlichten,  fesseln- 
den Weise  nicht  genug  von  jener  grossen  Zeit  erzählen. 

Mit  frischen  Kräften  nahmen  wir  am  12.  Juni  unsern  Marsch  wieder 
auf  und  kamen  rasch  ins  Gornje  Polje  (Oberes  Feld),  das  mit  der  Ebene 
von  Nikäic  in  einem  engen  ursächlichen  Zusammenhange  steht.  Eine 
feste  Steinbrücke  (655  Meter)  führt  über  die  Zeta,  und  an  ihr  endet  die 
Fahrstrasse,  um  sich  als  bequemer  Saumweg  fortzusetzen.  Den  feinen 
Sand,  den  mageren  Boden  und  die  hydrographischen  Eigenthümlich- 
keiten  des  NikSicer  Feldes  vermissen  wir  hier  ebenfalls  nicht,  und  sie 
sprechen  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  auch  das  Gornje 
Polje  ein  ausgetrocknetes  Seebecken  ist.  Noch  waren  die  Flüsse  ziemlich 
wasserreich,  und  zweimal  musste  mich  Arso  durch  ihr  Bett  tragen;  im 
übrigen  hatte  die  Gegend  ein  freundliches  Aussehen.  Nach  i  Uhr  hatten 
wir  das  Obere  Feld  durchmessen,  und  vor  uns  spannte  sich  die  Brücke 
von  Vir  über  die  Zeta  (68g  Meter).  Eine  Kula  schützte  die  hochwichtige 
Position,  die  den  Schlüssel  zu  den  Duga-Pässen  bildete;  die  Brücke 
aber  war  so  morsch,  dass  sie  der  Fussgänger  nur  mit  Vorsicht  betreten 
durfte,  während  die  Pferde  auf  einer  Furt  das  seichte  Gewässer  durch- 
waten  mussten. 


40  Nach  Nik§ic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko. 

Die  berüchtigten,  viel  umstrittenen  Duga-Pässe  öffneten  sich  vor  uns. 
Sie  sind  als  eine  sanft  ansteigende  und  in  der  Hälfte  ihrer  Erstreckung. 
hinter  Nozdre,  langsam  wieder  abfallende  Einsattelung  im  Kalkgebirge 
aufzufassen  und  haben  zwei  Vortheile.  Ihr  Untergrund  besteht  aus 
leicht  verwitterbaren  Schiefern,  die  einen  erträglichen  Saumpfad  dar- 
bieten und  eine  Anzahl  Quellen  austreten  lassen.  Gleich  beim 
Blockhause  Vir  sprudelte  eine  solche  in  mächtiger  Breite  aus  dem  zer- 
klüfteten Gestein,  um  als  kurzer,  blaugrüner  Bach  in  die  Zeta  einzu- 
münden. Dunkelbraune,  blätterige  Oolithe,  die  bei  der  Verwitterung  eine 
helle  Oberflächenfarbe  annahmen,  gingen  bald  wieder  in  gewöhnliche 
Kreidekalke  über.  Ueppiges_Buchen-  und  Eichengestrüpp,  Haselnuss- 
büsche,  Schlehen,  Farnkraut  und  Dornensträucher  umgaben  den  Weg 
mit  einem  lebenden  Zaun,  und  lichter  Wald  bedeckte  die  Randberge 
bis  zum  Scheitel.  Je  mehr  wir  in  der  roh  ausgearbeiteten  Mulde  empor- 
klommen, um  so  wahrscheinlicher  wurde  es,  dass  ihre  Richtung  und 
Anordnung  einem  unterirdischen  Flusslaufe  entsprach,  dessen  oberirdische 
Fortsetzung  der  bei  Kula  Vir  austretende  Bach  war.  So  erreichen  wir 
das  zweite  Bollwerk  der  Duga-Pässe,  das  Blockhaus  Sijenokosi,  und 
auf  einmal  wird  die  Fallrichtung  der  Kalke  eine  vollkommen  horizontale. 
Doch  was  ist  das?  Sind  wir  in  die  Zeiten  des  Ritterthums  zurück- 
versetzt oder  ist  es  Wirklichkeit?  Auf  steilem  Berggipfel  thront  eine 
stolze  Burg;  kleine  Fenster  und  schmale  Schiessscharten  sind  in  die 
runde  Mauer  und  ihre  vorspringenden  Thürme  eingeschnitten:  das  ist 
Presjeka,  das  dritte  Glied  der  Festungskette,  welche  in  dem  unsicheren 
Passe  die  Heer-  und  Handelsstrasse  zu  überwachen  hatte. 

Während  die  Rudisten  führenden  Kalke  die  oberen  Hänge  be- 
haupteten, gewannen  die  hell-  bis  dunkelbraunen  Kreideschiefer  im  Thale 
die  Oberhand  und  entsandten  aus  einem  klaffenden  Spalt  eine  ergiebige 
Quelle  (872  Meter).  Menschliche  Ansiedelungen  gruppirten  sich  um  sie 
und  um  die  malerische  Festungskuppe,  und  in  dem  elenden  Hause  des 
Kula -Wächters  (901  Meter)  —  nach  unseren  Begriffen  würde  es  ein 
Stall  sein  —  fanden  wir  eine  gute  Aufnahme.  Die  Luftwärme,  die  am 
Mktag  4-23^0.  betrug,  war  am  Spätnachmittage  bereits  auf  -f-  11^' C. 
gesühTerircias  hinderte  aber  kleine,  kaum  des  Laufens  kundige"  Km  der 
nicht,  bloss  mit  einem  dünnen  Hemdchen  bekleidet,  im  Freien  zu  spielen. 
Wahrlich,  in  vielen  Beziehungen  gleichen  die  Crnogorcen  den  alten  Spar- 
tanern! Von  Jugend  auf  haben  sie  mit  Entbehrungen  zu  kämpfen,  die 
Kranke  und  Schwache  einem  frühen  Tode  überliefern  und  nur  ein  kraft- 
volles Geschlecht  heranwachsen  lassen.  Gegen  Abend  kam  eine  verwandte 
Familie  an,  und  ein  minutenlanges  Küssen  und  Händedrücken  begleitete 


Nach  Niksic  und  durch  die  Dusfa-Pässe  nach  Gacko. 


41 


die  Begrüssungsfragen.  Endlich  war  das  kärgliche  Abendessen  fertig, 
wir  nahmen  rings  um  das  Feuer  Platz  und  langten  tüchtig  zu.  Dann 
wurde  für  mich  auf  einem  bettartigen  Gestell  ein  Arm  voll  Schilf  aus- 
gebreitet, meine  Decken  mussten  das  Bettzeug  ergänzen,  und  erst  der 
durchs  Dach  fallende  Regen  weckte  mich  gegen  Morgen  aus  meinem 
festen  Schlafe. 

Ein  mühevoller  Tag  begann  für  mich.  Der  Druck  des  Bergschuhes 
hatte  mir  am  rechten  Fusse   eine  Entzündung    verursacht,    so  dass  ich 


Kula  Presjeka  (Duga-Pässe). 

keinen  Stiefel  mehr  anziehen  konnte  und  in  Strümpfen  gehen  musste: 
Aussichten,  die  bei  den  zweifelhaften  Wegverhältnissen  nicht  gerade 
ermuthigten.  Allerdings  hatte  der  kurze  Tagemarsch  meine  Sohlen  für 
die  Opanken  gut  vorbereitet;  dafür  konnte  ich  aber  in  Folge  der  un- 
gewohnten Anstrengung  nach  der  Ankunft  in  unserem  Quartiere  kaum 
noch  stehen. 

Der  erste  Besuch  galt  der  imposanten  Kula,  zu  der  uns  der  Sohn 
des  Aufsehers  durch  lichtes  Buschholz  hinaufführte:  den  Hochwald 
hatten  die  Türken  niedergelegt,  um  jeder  feindlichen  Annäherung  vor- 
zubeueren.     \'om    Fort    nahmen  sich  die  Pässe    wie    ein    breites    Hoch- 


42  Nach  Nik§ic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko. 

thal  aus,  und  der  Blick  schweifte  bis  zu  den  Kulas  Hod?ina  Poljana 
und  Smederevo,  die  eine  Verbindung  mit  Zlostup  und  durch  dieses  mit 
dem  Krstac  herstellten.  Leider  geht  Presjeka  (966  Meter)  mit  Riesen- 
schritten dem  Verfalle  entgegen.  Schon  weist  das  Dach  bedenkliche 
Löcher  auf,  die  Sparren  und  Dielen  sind  verfault,  der  Brunnen  des 
inneren  Hofes  ist  verschüttet  oder  mit  Unkraut  erfüllt,  und  von  der  im 
Schussbereich  liegenden  Cisterne  gilt  das  Gleiche.  Möchte  doch  Prinz 
Arnulf  von  Bayern,  dem  der  Fürst  die  wunderbare  Veste  geschenkt  hat, 
für  ihre  Erhaltung   eintreten! 

So  schnell  als  es  mir  möglich  war,  wanderte  ich  über  die  fein- 
blätterigen Schiefer,  die  Dank  ihrer  Verwitterung  den  Fuss  nicht  vor- 
zeitig ermüdeten  und  bis  Xozdre  anhielten.  Obwohl  also  der  Weg  einen 
wohlthuenden  Gegensatz  zu  den  Pfaden  im  spitzen,  harten  Kalke 
bildete,  zog  mich  die  schmerzhafte  Empfindung  sehr  von  der  Xatur- 
umgebung  ab.  Allerdings  war  dieselbe  etwas  einförmig,  da  sie,  wie 
alle  Karstgebiete,  keine  neuen  Formen  enthüllte;  und  so  stiegen  wir 
zwischen  Hütten  und  Baumgruppen  an,  bis  hinter  dem  Kessel  Hod- 
zina  Poljana  (1135  Meter)  das  Thal  weniger  steil  wurde.  Um  11  Uhr 
hielten  wir  in  einer  tief  eingesenkten  Mulde  an  einer  Quelle  (1167  Meter). 
Ihr  gegenüber  erhoben  sich  die  Ruinen  der  völlig  zerstörten  Burg 
Nozdre,  die  vordem  eine  wirkliche  Thalsperre  war,  während  auf  der 
Höhe  das  Fort  Smederevo  die  weitere  Umgebung  sicherte  und  zugleich 
Zlostup  schützte. 

Die  Pässe  senkten  sich  langsam,  der  Schiefer  unterteufte  die 
rudistenreichen  Kalke,  und  wir  beobachteten  öfter  schroffwandige  Natur- 
schächte, die  Jamas.  In  einer  ärmlichen  Koliba  ruhte  ich  eine  Stunde 
und  bewunderte  das  Trümmerwerk  von  Nozdre,  das  an  Romantik  der 
berühmten  Rudelsburg  in  Thüringen  kaum  nachsteht.  Hier  herrschte 
einst  ein  reges  Leben,  als  Läden,  Kaffeehäuser  und  fliegende  Ansiede- 
lungen die  Festung  umgaben,  die  wie  jede  der  anderen  ein  kriegsstarkes 
Bataillon  aufnehmen  konnte.  Nachdem  sich  aber  die  Forts  den  Monte- 
negrinern ergeben  hatten,  verschwanden  die  Handelsleute,  und  die  Stille 
der  Einsamkeit  waltet  jetzt  über  den  traurigen  Stätten  der  Verwüstung. 

Der  Weg  führte  durch  einen  weichen  Wiesengrund,  der  von  Quer- 
riegeln unterbrochen  ward  und  in  eine  schmale  Schlucht  einmündete, 
deren  linke  Höhe  die  malerischen  Mauerreste  der  Zwingburg  Zlostup 
einnahmen.  Auch  hier  haben  die  Gehänge  ihren  Wald  hergeben  müssen, 
und  die  Stämme  liegen  überall  herum.  Die  Schlucht  öffnet  sich  zu 
dem  weiten  Becken  von  Golija  (998  Meter),  das  so  wasserarm  ist,  dass 
ihre    Bewohner    den    Schnee    vom    Gebirge    holen    müssen.    Jedenfalls 


Nach  Nikäic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko. 


43 


deutet  die  ganze  Thalanlage  wiederum  einen  verborgenen  Fluss  an, 
und  die  schroffen  Umfassungswände  gleichen  aufs  Haar  den  Steilufern 
eines  solchen. 

Ein  Saumweg,  wie  ihn  nur  die  Kalke  der  Dinarischen  Alpen  be- 
sitzen, spielte  meinem  Fusse  hart  mit,  und  ich  war  noch  sehr  zurück, 
als  mein  Diener  vor  einem  Hause  am  waldigen  Zlostup-Rücken  hielt. 
Aeusserlich  stellte  es  sich  als  ein  wohnliches  Gebäude  dar,  die  innere 
Einrichtung  war  jedoch  sehr  bescheiden,  und  eine  Steinbank  musste 
mir  als  Lager  genügen.  Der  tagsüber  wehende  Nordsturm  hatte  die 
Luftwärme  so  erniedrigt,  dass  sich  die  Pässe  während  der  Nacht  mit 
einer  dünnen  Schneedecke  überzogen  und  dass  wir  am  andern  Morgen 
'  o  7  Uhr  bei  nur  -f-y'-C.  weitermarschirten. 

Der  erbärmliche  Weg  wand  sich  durch  die  dolinenbesäete,  dicht 
bewachsene  Mulde,  und  erst  am  Krstac  stellte  sich  wieder  Schiefer 
ein.  Hurtig  eilte  ich  den  Berg  hinauf,  und  wenige  Minuten  später  standen 
wir  in  dem  kleinen  Weiler  gleichen  Namens,  den  jener  Rücken  (i  137  Meter) 
bisher  verborgen  hatte.  Ein  neues  Thal  setzt  ein;  vielfach  ähnelt  es 
der  Strecke  Nozdre — Zlostup,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  durch  die 
Anwesenheit  von  Dörfern  und  Quellen.  Die  letzteren  vereinigen  sich 
zu  dürftigen  \\'asserläufen,  welche  die  Raseneisensteinbildungen  des 
aufgeweichten,  sumpfigen  Untergrundes  durchschneiden  und  zum  Gacko 
Polje  eilen.  Im  Hintergrunde  endlich  erhebt  sich  ein  Kegel,  der  ein 
Fort  trägt,  es  ist  der  Gat,  einer  der  Grenzberge  der  österreichischen 
Hercegovina. 

Jetzt  war  aller  Unmuth  vorüber.  Im  Han  (1087  Meter)  kaufte  ich 
mir  ein  Paar  Opanken  und  fand  sie  so  bequem  und  praktisch,  dass 
ich  fortan  stets  in  ihnen  ging  und  die  schweren  benagelten  Schuhe  nur 
gelegentlich  benutzte.  Nach  einer  guten  Stunde  überschritten  wir  die 
Grenze  (940  Meter)  und  stiegen  zum  Wachthause  Kazanci  hinauf 
(1077  Meter),  das  die  in  ihrer  grössten  Ausdehnung  erst  hier  endenden 
Duga-Pässe  bis  zur  Kirche  von  Krstac  beherrscht.  Jeder  Reisende  hat 
beim  Betreten  und  Verlassen  der  Grenze  dort  oben  seinen  Pass  vorzu- 
weisen, und  der  commandirende  Oberlieutenant,  Herr  Bratanic,  lud  mich 
aufs  liebenswürdigste  zu  einem  Glase  Wein  ein.  Gleich  seinen  Kameraden 
musste  er  Monate  lang  auf  dem  einsamen  Posten  ausharren  und  war 
sehr  froh,  wieder  einen  Fremden  zu  sehen,  wie  auch  mir  die  Unter- 
haltung mit  ihm  einen  hohen  Genuss  bereitete. 

Selten  kann  es  wohl  eine  traurigere  Karstlandschaft  geben 
als  die  Ebene,  welche  wir  jetzt  durchmassen.  Zwar  entbehren  ihre 
Randgebirge  der  wilden  Formen,    und    auch  die  höchsten  Gipfel,    z.  B. 


44 


Nach   Niksic   und  durch  die   Duga-Pässe  nach   Gacko. 


die  breitrückige  Dobrelica,  der  zackige  Troglav  und  die  massige  Baba 
sind  nicht  gar  zu  abstossend;  aber  das  Polje  als  solches  ist  von  einer 
unerwarteten  Öde  und  Trostlosigkeit.  Kaum  ziert  ein  Strauch  die  fahlen, 
vertrockneten  Grasmatten,  und  unter  dem  spärlichen  Humus  wird  der 
graue  Kalk  sichtbar;  niedere  Kalkrücken  und  flache  Dohnen,  die  vom 
Gat  aus  gesehen  einem  versteinerten  Meere  gleichen,  werfen  die  Ober- 
fläche in  unregelmässige  Wellen,  und    eine  tiefe  Stille  lagert  über  dem 


Gacko,  Altstadt. 


weiten  Reiche  des  Todes.  Eine  einzige  Quelle  erquickt  uns  auf  unserem 
Marsche,  und  selten  schaut  das  Auge  in  dieser  Wüste  ein  armseliges 
Dörfchen  oder  ein  einsames  Kirchlein.  Dafür  erblickt  es  drohende 
Blockhäuser  auf  den  Höhen,  vor  uns  erhebt  sich  die  umfangreiche 
festungsartige  Kaserne  von  Avtovac,  und  links  von  ihr  glänzen  im  Abend- 
sonnenschein die  Dächer  von  Gacko. 

Trotz  ihrer  Quellenarmuth  ist  die  Niederung  reich  an  Flüssen,  die 
auf  verborgenen  Wegen  kommen  und  gehen  und  im  Verein  mit  tertiären 
Süsswasserbilduntren  eine  ehemalige  Seebedeckung  unzweifelhaft  machen. 


Nach  Niksic  und  durch  die  Ducra-Pässe  nach  Gacko. 


45 


Jedes  Frühjahr  überschwemmen  sie  das  umhegende  Land,  weil  dann 
die  Abzugscanäle  die  Wassermassen  nicht  mehr  bewältigen  können. 
Deshalb  hat  Oesterreich  geeignete  Regulirungsarbeiten  in  Angriff  ge- 
nommen, um  durch  Entwässerungsanlagen  die  Aecker  vor  übergrosser 
Feuchtierkeit  zu  bewahren. 


Mein  Diener  Arso  Popovic  und  mein  Tragpferd  Kula5. 


Mit  Einbruch  der  Dunkelheit  passirten  wir  die  Musica-Brücke  und 
zogen  in  Avtovac  ein.  Mein  Diener  blieb  mit  dem  ermüdeten  Pferde  in 
einem  elenden  Han  des  elenden  Dorfes  zurück,  und  ich  eilte  auf  der 
vortrefflichen  Kunststrasse  noch  nach  Gacko  (g6o  Meter),  wo  ich  um  8  Uhr 
Abends  eintraf.  Wie  mundete  im  Hotel  der  edle  Gerstensaft,  den  ich 
seit  Cetinje  nicht  mehr  getrunken,    wie   die  Butter,    die  ich  seit  meiner 


46 


Nach  Niksic   und  durch  die   Duga-Pässe  nach   Gacko. 


Abreise  von  Wien  vermisst  hatte!  Mit  offenen  Armen  empfingen  mich 
die  österreichischen  Verwaltungsbeamten,  im  frohen  Chor  erklangen 
deutsche  Weisen,  und  eher  wähnte  ich  mich  in  der  Heimat  als  in 
einem  wilden  Lande  der  Balkan-Halbinsel. 

Gacko,  auch  Metokia  oder  Metohija  genannt,  zerfällt  in  die  alte 
und  neue  Stadt,  die  sich  von  einander  unterscheiden  wie  Tag  und  Nacht. 
Vor  der  Occupation  war  es  ein  unansehnlicher  Ort,  der  auch  heute 
seinen  nüchternen  Anstrich  nicht  verloren  hat.  Ueberden  alten,  gefängniss- 
artigen Türkenhäusern  thront  eine  Kaserne,  die  früher  einer  Abtheilung 
des  gefürchteten  Streifkorps  zum  Aufenthalt  diente  und  zur  Zeit  von 
einer  Compagnie  Infanterie  besetzt  ist.  Einen  viel  freundlicheren  Ein- 
druck machen  die  europäischen  Häuser,  das  Hotel,  die  Schule,  das 
Bezirksamt,  die  landwirthschaftliche  Versuchsanstalt  u.  s.  w.  Sie  zeigen 
so  recht  den  Fortschritt  der  abendländischen  Cultur,  während  das  Türken- 
viertel den  starren  Stillstand  und  den  unaufhaltsamen  Rückschritt  des 
Islam  widerspiegelt. 

Um  einen  Hauptmann  zu  besuchen,  den  ich  auf  dem  Schiffe  kennen 
gelernt,  unternahm  ich  einen  Ausflug  nach  dem  Grenzposten  Cemerno. 
Auf  gut  erhaltenem  Reitwege  ging  es  stundenlang  durch  unfruchtbares,  lang- 
weiliges Karstland,  das  nur  zweimal  längs  der  Strasse  eine  Quelle  entsandte. 
Gewaltige  Schneemassen  verhüllen  zur  Winterszeit  die  schutzlose  Hoch- 
ebene und  verbergen  unter  ihrem  Mantel  nicht  selten  die  Steinpyramiden, 
die  in  gewissen  Abständen  am  vielgewundenen  Wege  aufgeschichtet 
sind  und  ihn  markiren  sollen.  Endlich  bemerken  wir  die  malerische 
Festung,  und  mit  einem  Schlage  verändert  sich  die  Landschaft.  Am 
grasigen  Cemerno-Sattel  ('1373  Meter),  der  einen  wichtigen  Passübergang 
nach  Foca  und  zugleich  eine  Wasserscheide  zwischen  dem  Strom.gebiet 
der  Adria  und  des  Schwarzen  Meeres  bildet,  stellen  sich  Buchenhaine, 
Wiesen  und  Bäche  ein,  die  von  einem  überwältigenden  Hochgebirge 
begrenzt  werden.  Im  Nordosten  versperrt  der  riesige  \'olujak  die  Aus- 
sicht, und  ernster  Nadelwald  bekleidet  die  untere  Hälfte  seiner  schauerlichen 
Felsen,  die  vollkommen  senkrecht  zur  finsteren  Suceska-Klamm  ab- 
stürzen. Die  kühnen  Formen  der  Vlasulja  verbinden  sich  mit  dem  lang- 
gestreckten Lebersnik,  dessen  zerrissene,  schneeerfüllte  Mauern  in  einem 
breiten,  mit  Matten  und  Sennhütten  bedeckten  Plateau  endigen.  Für- 
wahr, ein  Naturschauspiel,  wie  es  diese  wilde  Alpenwelt  gewährt,  wäre 
ein  lohnendes  Ziel  für  den  Touristen! 

Mit  dem  Hauptmann  und  dem  Regimentsarzte  besuchte  ich  am 
Nachmittag  die  Dramesina-Höhle.  Unser  Weg  lief  an  der  Südwand  des 
Lebersnik  hin,  der  von  dieser  Seite  aus  leicht  erstiegen  werden  kann,  und 


Nach  Nikäic  und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko.  An 

nach  zwei  Stunden  standen  wir  vor  der  langen,  schmalen  Spalte,  in 
der  Schaaren  wilder  Tauben  nisteten.  Nicht  ohne  Mühe  kletterten  wir 
zum  Grunde  hinab,  wo  aus  einem  finsteren  Canal  ein  grünes,  klares 
Gewässer  in  ein  kleines  Felsbecken  schoss,  um  dann  lustig  weiter  zu 
hüpfen.  Am  nächsten  Tage  bewunderte  ich  die  wildromantische  Suceska- 
Enge  und  kehrte  am  Abend  nach  Gacko  zurück.  Doch  davon  ein 
ander  Mal ! 

Leider  verfloss  die  Zeit  der  Ruhe  und  Erholung  gar  zu  schnell, 
und  am  ig.  Juni,  fünf  Tage  nach  unserer  Ankunft,  musste  ich  mich 
zur  Rückkehr  nach  Montenegro  entschliessen.  Schon  gestern  war  ein 
heftiges  Gewitter  niedergegangen,  und  heute  regnete  es  so  oft,  dass  wir 
froh  waren,  als  wir  das  gastliche  Kazanci  erreichten.  Hier  gerieth  ich 
mit  meinem  Diener  in  ernstliche  Zerwürfnisse.  In  Podgorica,  Danilov- 
grad,  Ostrog,  Niksic,  Gacko  und  Cemerno  war  er  an  jedem  Tage  unseres 
Aufenthaltes  mehr  oder  minder  betrunken  gewesen,  in  Niksic  vergeudete 
er  an  einem  Tage  zehn  Gulden  für  Schnaps,  und  auf  Cemerno  hatten 
ihn  \\'ein  und  Branntwein  so  berauscht,  dass  er  auf  dem  völlig  durch- 
nässten  Grase  zusammengesunken  war.  Natürlich  zog  ich  das  Geld, 
welches  er  auf  diese  nichtswürdige  Weise  verschwendete,  von  dem  aus- 
bedungenen Lohne  ab,  und  nun  ant\\ortete  mir  der  unverschämte  Mensch, 
sein  Trinken  ginge  mich  gar  nichts  an,  da  er  ja  Alles  bezahlen  müsse. 
Uebrigens  hätte  er  geschlafen  und  gegessen  wie  ein  Hund  und  würde 
mir  bei  unserer  Ankunft  in  Niksic  sofort  kündigen.  Ich  kehrte  dem  ge- 
treuen Knechte  den  Rücken  und  suchte  das  Stübchen  des  Oberiieutenants 
auf.  Dort  traf  ich  auch  den  Befehlshaber  des  Blockhauses  auf  dem 
benachbarten  Berge  Stepen,  Herrn  Oberlieutenant  Bednar,  der  mich 
alsbald  zu  einem  Besuche  seines  Postens  einlud.  Als  ich  die  peinliche 
Scene  erzählte,  wollten  mir  Beide  sofort  einen  neuen  Diener  besorgen  und 
meinen  Montenegriner  über  die  Grenze  bringen  lassen.  Ueber  unserer 
Unterhaltung  ging  Mitternacht  vorüber,  und  erst  beim  Morgengrauen 
machten  wir  uns  in  Begleitung  eines  Gendarmerie-Postenführers  zum 
Stepen  Vrh  auf.  Am  Nachmittag  wanderte  ich  hinüber  zur  Festung 
Gat,  und  der  andere  Morgen  sah  mich  zum  zweiten  Male  auf  dem  Stepen. 
Ich  war  kaum  angelangt,  als  —  mein  Diener  Arso  erschien,  ihm  auf 
den  Fersen  zwei  Gendarmen,  die  ihn  über  die  Grenze  schaffen  sollten. 
Demüthig  küsste  er  mir  Hand  und  Fuss  und  bat  mich  kniefällig  um 
\'erzeihung  für  seine  Vermessenheit.  Ich  solle  ihn  um  Gotteswillen 
behalten,  denn  wenn  er  ohne  seinen  Herrn  nach  Cetinje  käme,  bliebe 
ihm  nichts  übrig,  als  sich  zu  erschiessen.  Ich  würdigte  ihn  anfangs 
keines  Blickes,  Hess  mich  aber  durch  sein  i^ehentliches  Bitten  schliesslich 


^3  Die  Banjani. 

doch  bewegen,  ihn  wieder  in  Gnaden  anzunehmen.  Der  Obeiiieutenant 
widerrieth  mir  diesen  Schritt  dringend,  und  er  hatte  nur  zu  recht,  denn 
wenn  auch  Arso  Popovic  für  die  nächste  Zeit  einige  Besserung  zeigte, 
so  musste  ich  ihn  schon  vier  Wochen  später  mit  Schimpf  und  Schande 
fortjagen. 


6.  Capitel. 

Die  Banjani. 


Wie  die  Erinnerung  an  das  Schöne  bleibt  und  die  trüben  Stunden 
in  den  Hintergrund  drängt,  so  hatte  auch  ich  die  Aergernisse  der  letzten 
Tage  vergessen,  als  ich  am  22.  Juni  das  gastliche  Kazanci  verliess  und 
auf  bekannten  Wegen  zum  Krstac  zurückkehrte.  Der  kleine  Han  bot 
uns  eine  bescheidene  Unterkunft,  und  am  nächsten  Morgen  lenkten  wir 
unsere  Schritte  zu  einem  der  ödesten  Theile  Montenegros,  den  Banjani.  Sie 
stellen  ein  flachwelliges  Hügel-  und  Dolinenplateau  mit  aufgesetzten  Ketten- 
gebirgen dar.  Unter  letzteren  ist  der  langgestreckte  Rücken  der  Somina-, 
Utes-  und  Njegos-Planina  am  bemerkenswerthesten,  der  ewigen  Schnee 
in  seinen  Klüften  birgt,  nach  den  Duga-Pässen  steil,  nach  den  Banjani 
langsamer  abfällt  und  im  Südwesten  durch  die  vorgelagerte  Koplje  ver- 
deckt wird.  Sonst  sind  scharf  ausgearbeitete  Bergformen  nicht  allzu 
häufig;  nur  die  ausdrucksvollen  Formen  des  Planik  und  der  Straziste 
sind  jederzeit  in  dem  unbestimmten  Chaos  erkennbar.  Unvermittelt 
stürzt  das  Plateau  300  Meter  tief  zur  Trebinjcica-Schlucht  ab,  und  am  rechten 
Ufer  steigt  der  waldige  Plateaurand  eben  so  steil  an,  wodurch  zwischen 
hüben  und  drüben    eine  natürliche  Grenze  gebildet  wird. 

Die  Pfade  sind  schlecht,  ohne  jedoch  dem  an  montenegrinische 
Wegverhältnisse  gewöhnten  Wanderer  erhebliche  Schwierigkeiten  zu  be- 
reiten. Die  Gebirge  überragen  nämlich  ihren  Sockel  nicht  sehr  bedeu- 
tend, und  im  Gegensatze  zu  den  schroffwandigen  Trichtern  der  Prekor- 
nica  stellen  die  Dohnen  der  Banjani  meist  sanft  geneigte  Mulden  dar. 
Dort  beherbergten  sie  einen  dichten  Wald,  hier  sind  sie  viel  häufiger 
mit  kurzem  Grase  überzogen  oder  mit  Buschholz  bedeckt,  so  dass  land- 
schaftlich und  floristisch  ein  grosser  Unterschied  in  der  Physiognomie 
der  Dohnen  zu  machen  ist.  Die  Verkarstung  hält  sich  mit  Ausnahme 
der  stark  verkarsteten  Gebirge  und  gewisser  Gegenden    der  Hochebene 


Die  Banjani.  ^g 

in  massigen  Grenzen.  Trotzdem  hat  das  ganze  Gebiet  ein  wüstenhaftes 
Aussehen,  das  selbst  da  nicht  verwischt  wird,  wo  sich  alte  kräftige  Bäume 
zu  Gruppen  oder  Wäldern  zusammenschliessen.  So  selten  ist  eine 
Quelle,  dass  sie  meist  vom  Schimmer  der  Sage  umwoben  wird  und  in 
der  früheren  gesetzlosen  Zeit  der  Schauplatz  blutiger  Kämpfe  war.  Von 
Goslici  bis  Kosijerevo  fand  ich  nur  eine  kleine  Quelle,  während  an  den 
unteren  Gehängen  des  Trebinjcica-Thales  das  kostbare  Nass  in  zahl- 
reichen silberhellen  Fäden  austrat.  Der  Schnee,  der  im  Winter  bis  zum 
Dache  der  niedrigen  Häuser  reicht  und  den  Sommer  über  im  Gebirge 
ausdauert,  muss  auch  hier  den  Bedarf  liefern,  und  wo  er  frühzeitig  ver- 
schwindet, sind  Cisternen  angelegt,  um  den  Regen  aufzufangen.  Ihr 
trübes,  zweifelhaftes  Wasser  wird  von  Sumpfpflanzen  überwuchert  und 
bietet  den  Fröschen  einen  beliebten  Tummelplatz  dar;  in  regenarmen 
Sommern  kann  es  gänzlich  austrocknen,  und  dann  hat  man  stundenweit 
nach  ihm  zu  gehen.  Unter  solchen  Umständen  ist  es  leicht  erklärlich, 
dass  die  Eingeborenen  einem  Fremden  ungern  Wasser  geben- 
müssen  doch  —  um  ein  Beispiel  anzuführen  —  die  Bewohner  von 
Velimje  das  seltene  Gut  mitunter  aus  der  ii  Kilometer  entfernten  Tre- 
binjcica  heraufschaffen.  Wenn  es  daher  sonderbar  klingen  sollte,  dass 
wir  im  Verlaufe  unserer  Darstellung  so  oft  die  Brunnen  und  Cisternen 
erwähnen,  so  ist  zu  berücksichtigen,  dass  sie  in  einem  wasserarmen  Lande, 
wie  in  Montenegro,  für  die  wirthschaftlichen  und  Siedelungsverhältnisse 
doppelt  wichtig  sind.  Von  ihnen  hängt  die  Existenzmöglichkeit  des 
Menschen  ab,  und  aus  diesem  Grunde  rechtfertigt  sich  die  Aufzählung 
der  Brunnen,  Viehtränken,  Quellen  u.  s.  w.  von  selbst. 

Wir  zogen  an  der  rechten  Seite  der  Mulde  Golija  hin  und  betraten  nach 
1V2  Stunden  einen  von  hohen  Rücken  umgebenen  Kessel,  in  dem  Wiesen, 
Felder  und  die  wenigen  Häuser  des  kleinen  Dorfes  Goslici  (883  Meter) 
zerstreut  waren.  Nachdem  uns  der  Kapetan  (Ortsvorstand)  mit 
einem  schwarzen  Kaffe  bewirthet  hatte,  stiegen  wir  zwischen  schütterem 
Walde  zu  einer  Stufe  an,  die  wie  die  Abhänge  mit  Dohnen  gespickt 
war  und  auf  eine  zweite  Terrasse  führte.  Zur  Rechten  lief  ein  tief  ein- 
gerissenes Dolinenthal  zum  klüftigen  Utes,  und  auf  der  anderen  Seite 
des  Weges  waren  in  einer  Grasmulde  einige  Hütten  verborgen,  die  letzten, 
denen  wir  bis  zu  den  Banjani  begegneten.  Die  Aussicht  war  nach  allen 
Seiten  beschränkt  und  bot  nichts  Neues ;  darum  nahmen  wir  ohne 
Zögern  den  letzten  und  beschwerlichsten  Theil  des  steilen  xA.ufstieges  in 
Angriff,  der  uns  über  eine  weiche  Graslehne  zwischen  hochstäm- 
migen Eichen ,  Birken ,  Buchen ,  Ahorn  -  und  Kirschbäumen  auf 
den     schmalen    Kamm     des     schroffen     Njegos    (1269    Meter)     brachte. 

H  asser  t.   Reise  durch  Montenegro.  4 


50 


Die  Baniani. 


Waren  die  Kalke  bisher  ziemlich  stark  aufgerichtet,  so  wurde  ihr  Ein- 
fallswinkel von  jetzt  an  geringer.  Noch  versperrten  zwei  Kuppen  beider- 
seits der  Passeinsattelung  den  Ausblick;  aber  auf  einmal  entrollte  sich 
ein  Bild,  wie  es  abschreckender  kaum  gedacht  werden  konnte.  Nichts 
anderes  entdeckte  das  Auge  als  nackte  Kalkwellen ;  und  wenn  ihnen 
auch  scharfe  Zacken  oder  jähe  Abgründe  fehlten,  so  thaten  sie  es  nur, 
um  Karrenfeldern  und  Dohnen  Platz  zu  machen.  Verschwunden  war 
der  dichte  Wald,  und  lichtes  Buschholz,  kurze  Grashälmchen  oder  küm- 
merliches Erdreich  verhüllten  kaum  das  verwitterte  Gestein,  dessen  helle 
Farbe  im  auffallenden  Sonnenlichte  noch  greller  ward.  In  vielen  Curven 
lief  der  erbärmliche  Pfad  die  steilen  Hänge  hinab  und  durchschnitt  in 
Schlangenwindungen  die  trostlose  Ebene,  in  der  uns  bis  Grahovo  fünf 
langweilige  Tagemärsche  bevorstanden.  Das  war  der  frostige  Willkom- 
mengruss,  mit  dem  uns  die  Banjani  empfingen! 

Wir  rasteten  in  einer  Koliba  (1183  Meter),  in  der  zwei  häss- 
liche,  alte  Frauen  zurückgeblieben  waren ,  während  die  Männer 
auf  dem  Gebirge  das  Vieh  weideten.  Sie  labten  uns  mit  Schneewasser 
und  saurer  Milch  und  sträubten  sich  mit  aller  Entschiedenheit,  ein 
kleines  Geldgeschenk  anzunehmen.  Ohne  einem  Menschen  zu  begegnen 
—  denn  die  drei  Hütten,  an  denen  wir  vorbeikamen,  waren  leer  — ■ 
wanderten  wir  in  der  Einöde  fort,  die  durch  niedere  Hügelreihen  zur 
Rechten  und  durch  die  Koplje-Kette  zur  Linken  einige  Abwechslung  er- 
hielt. Endlich  öffnete  sich  eine  flache  Mulde,  die  bereits  zum  Bezirke 
des  häuser-  und  cisternenreichen  Crnikuk^ehörte.  Auf  einer  niedrigen 
Bodenschwelle  war  eine  Anzahl  schmuckloser  Gräber  errichtet;  Monte- 
negriner, die  in  der  ruhmreichen  Schlacht  gegen  Mukthar  Pascha  1876 
bei  Vuci  Do  gefallen  waren,  hatten  dort  ihre  letzte  Ruhe  gefunden.  Am 
unteren  Rande  war  ein  Wasserbehälter  in  den  dünnblätterigen,  schiefer- 
artigen Kalk  eingemauert;  doch  hatte  sein  dürftiger  Inhalt  ein  zweifel- 
haftes Aussehen.  Die  nächste  Umgebung  erfreut  sich  noch  mehrerer 
Cisternen  und  Viehtränken  und  spielt  deshalb  im  wirthschaftlichen  Leben 
der  Eingeborenen  eine  hochwichtige  Rolle. 

Hinter  dem  Kessel  Milagora  verloren  sich  die  Trichter  in 
einem    sorgsam    bebauten    Dolinenthale,    das    rasch    in    die  einer   Oase 


vergleichbare  Mulde  Dubocki  Do  überging.  Zwischen  kleinen  Hainen 
tauchten  HäuscBoi  auf;  Wiesen  und  Kartqffeljand,  Getreide-  und 
Tabakfelder  bedeckten  die  weiche  Humusschicht,  und  Yj?  Uhr 
hielten  wir  vor  zwei  steinernen  Gebäuden  (1093  Meter),  um  bei  ihren 
Besitzern,  die  gerade  mit  ihren  Bienenstöcken  beschäftigt  waren  und 
bei    unserer     Ankunft     neugierig     herbei  eilten,    ein    Nachtquartier    zu 


Die  Banjani.  -- 

suchen.  Als  sie  aber  unseren  Wunsch  hörten,  machten  sie  allerlei 
Ausflüchte:  sie  wollten  kein  kleines  Geld  haben,  um  mir  beim  Bezahlen 
zu  wechseln,  für  das  Pferd  sollte  kein  Futter  vorhanden  sein  u,  s.  w. 
Zufällig  hörte  ich,  dass  sie  \^erwandte  des  Hospitalarztes  in  Cetinje, 
Dr.  Miljanic,  seien,  den  ich  später  kennen  lernte,  und  auf  dessen  Namen 
ich  mich  berief.  Das  wirkte.  Sofort  waren  die  Crnogorcen  wie  um°-e- 
wandelt,  und  ich  konnte  sie  nur  schwer  davon  abbringen,  einen  Hammel 
zu  schlachten.    Obwohl  sie  nach  montenegrinischen  Begriffen  zur  wohl- 


Die  Koplje  (Banjani)- 

habenden  Classe  gehörten,  war  ihre  Häuslichkeit  sehr  einfach  aus- 
gestattet, und  mein  hartes  Lager  bestand  aus  einer  Schütte  Stroh,  die 
auf  den  Steinfliessen  neben  dem  Feuer  ausgebreitet  wurde. 

Die  vielgerühmte  montenegrinische  Gastfreundschaft  ist  in  Wirk- 
lichkeit doch  etwas  anders  als  in  den  einschlägigen  Büchern  zu  lesen 
steht.  Man  kann  es  ja  Niemandem  verdenken,  wenn  er  bei  seinen 
eigenen  beschränkten  Verhältnissen  einen  fremden  Reisenden  nicht  gleich 
aufnimmt,  weil  er  meint,  dass  dieser  Bequemlichkeiten  beansprucht,  die 
er  ihm  nicht  bieten  kann.  Zwar  erhält  man  in  den  meisten  Fällen 
keine    ablehnende    Antwort,    aber    der    Wirt    rechnet    bestimmt    auf    ein 

4'" 


52 


Die  Eaniani. 


Geldgeschenk  und  das  um  so  mehr,  als  der  grösste  Theil  der  Montene- 
griner sehr  arm  ist.  Andererseits  kann  ich  nicht  verschweigen,  dass  ich 
bei  den  Kapetanen,  bei  den  Geistlichen  und  in  den  Klöstern  das  herz- 
lichste und  uneigennützigste  Entgegenkommen  gefunden  habe,  und  dank- 
bar gedenke  ich  jener  .Männer,  die  mit  hingebender  Freundschaft  für 
den  Wanderer  sorgten,  den  sie  vielleicht  nie  wiedersehen  werden. 

Auf  unserem  Wege  bis  Milagora  zurückgehend,  gelangten  wir 
in  die  grüne  Flur  von  Zanuglina.  Stattliche  Gruppen  von  Ahorn, 
Weissbuchen  und  Eschen  verwandeln  sie  in  eine  anmuthige  Parkland- 
schaft, und  unter  den  schattenspendenden  Bäumen  sind  die  der  ärm- 
lichen Wohnstätten  zerstreut.  Im  Popenhause*  (1157  Meter)  wurden 
wir  aufs  beste  empfangen ,  und  ungern  trennte  ich  mich  von  den 
guten  Leuten,  die  keinen  Kreuzer  Bezahlung  annahmen.  Als  wir  die 
Höhe  oberhalb  des  Dorfes  erreichten,  standen  wir  wieder  im  traurigen 
Karste.,  Kräftige,  aber  gleichwohl  verkümmerte  Laubbäume  breiteten 
ihre  kurzen  Zweige  über  Gräser  und  Zwiebelgewächse,  die  zwischen  den 
karrenartig  zugeschärften  Kalkrippen  wucherten.  Die  Bergzüge  schlössen 
eine  sehr  sanft  geneigte  Thalmulde  ein,  die,  allmählich  wilder  und  un- 
deutlicher werdend,  bis  Crkvice  lief.  Wir  durchquerten  sie  bis  zum 
Weiler  Somina  (1163  Meter)  und  blieben  am  rechten  Hange,  bis  wir 
plötzlich  merkten,  dass  wir  vom  richtigen  Wege  abgewichen  waren  und 
auf  einem  kümmerlichen  Pfade  in  der  Senke  fortgingen.  Der  Wald 
wurde  stärker,  das  Unterholz  dichter,  und  durch  eine  ununterbrochene 
Flucht  steilwandiger  Dohnen  kamen  wir,  vorüber  an  den  zerstreuten  An- 
siedlungen  des  Travni  Do,  zu  der  grossen  Petrova  Dolina,  die  einige 
Hütten  und  eine  ergiebige  Cisterne  (11 10  Meter)  enthielt.  Ein  halb- 
wüchsiger Bursche  tränkte  dort  seine  Heerden,  aber  er  wusste  in  der 
Umgebung  keinen  Bescheid,  und  so  hatten  wir  uns  bald  vollständig  ver- 
irrt. Nach  erfolglosen  Kreuz-  und  Querzügen  entdeckten  wir  einen  er- 
müdenden Steig,  den  das  Pferd  nicht  ohne  Mühe  passieren  konnte.  Gegen 
5  Uhr  eilte  er  rasch  abwärts,  der  Wald  wurde  lichter,  und  die  formlose, 
in  der  Höhe  dünn  mit  Bäumen  bestandene  Kapavica  trat  in  den  Vor- 
dergrund. Bald  blickten  wir  in  ein  aussichtsloses  Hochthal,  und  von 
grünem  Plane  hob  sich  —  ein  liebliches  Idyll  —  das  weisse  Kirchlein 
von  Crkvice  (1078  Meter)  ab.  Neben  ihm  stand  ein  einstöckiges  Haus,  und 
auf  der  kleinen  Matte  waren  noch  einige  andere  Hütten  vertheilt.  Kulas 
wurde  von  seiner  Last  befreit  und  mochte  sich  sein  Futter  suchen,  wo  er 
wollte,  während  wir  uns  ein  wenig  ausruhten  und  dann  das  versteckte 
Polje  musterten. 


Die  Banjani. 


53 


Die  Kirche,  welche  der  Gegend  ihren  Namen  gegeben  hat,  gleicht 
genau  den  anderen  Gotteshäusern  Montenegros.  Einen  Thurm  besitzt 
sie  nicht,  sondern  die  Glocken  hängen  in  einem  steinernen  Oberbau 
über  dem  Eingang:  nicht  selten  sind  sie  auch  in  einem  besonderen 
Gestell  neben  der  Kirche  untergebracht.  Eine  durchbrochene  Holzwand, 
die  Heiligenbilder  und  Leuchter  zieren,  trennt  das  Heilige  vom  Aufent- 
haltsraume  der  Menge.  Stühle  oder  Bänke  gibt  es  eben  so  wenig  wie 
eine  Orgel;    überhaupt  ist  die  ganze  Einrichtung  sehr  einfach.    Unsere 


Montenegriner  aus  Zanuglina  (Banjani). 


Kirche  verdankt  ihre  Gründung  der  Frömmigkeit  eines  begüterten 
Mannes  oder  vielmehr  eines  Sonderlings,  der  fern  vom  Getriebe  der 
Welt  in  einer  Höhle  auf  der  Kapavica  seine  Zeit  mit  Beten  und  Fasten 
hinbringt  und  bloss  von  Wasser,  Brot  und  Oel  leben  soll.  Auf  seine  Kosten 
entstand  auch  das  Haus,  das  im  Untergeschoss  einen  Laden  und  einen 
Schuppen,  im  Oberstock  zwei  Zimmer  enthält.  So  viel  versprechend  es 
aber  äusserlich  aussieht,  so  viel  lässt  es  im  Innern  zu  wünschen  übrig. 
Denn  Fensterscheiben  fehlen,  die  kahlen  Wände  entbehren  jedes 
Schmuckes,    Bänke,    Schemel    und    ein    wackeliger  Tisch    bilden    nebst 


qj^  Die  Banjani. 

einem  Bettgestell  das  einzige  Meublement,  und  den  Ofen  vertritt  eine  in 
den  Boden  eingelassene  Feuerstelle. 

Immerhin  sind  diese  Häuser  verhältnissmässig  selten;  zum  grössten 
Theile  bestehen  sie  aus  elenden  Hütten,  die  kaum  den  Namen  Haus 
verdienen.  Durch  eine  niedere  Thür  gelangt  man  in  einen  engen,  halb- 
dunklen Raum,  der  durch  lukenartige  Fensteröffnungen  und  ein  flackerndes 
Feuer  nothdürftig  erhellt  wird.  An  den  Seiten  des  festgetretenen  oder 
mit  Steinen  ausgelegten  Bodens  verlaufen  breite  Fliesen,  ein  primitives 
Gestell  beherbergt  das  wenige  Hausgeräth,  und  über  dem  Herd  hängt 
ein  berusster  Kessel.  Steinblöcke,  Holzklötze  oder  kleine  Schemel  ver- 
treten die  Stühle,  Platten  mit  kurzen  Füssen  den  Tisch,  und  die  rauch- 
geschwärzten Wände  zieren  Waffen,  Heiligenbilder  und  das  nie  fehlende 
Portrait  des  Landesfürsten  Nikolaus.  Betten  giebt  es  nur  in  den  wenigsten 
Fällen;  man  legt  sich  einfach  auf  den  Fussboden  oder  auf  ein  Bund 
Stroh,  und  doch  schläft  sichs  nach  anstrengendem  Tagewerke  auf 
diesem  harten  Lager  besser  als  im  weichen  Bett,  vorausgesetzt,  dass  die 
sechsfüssigen  Hausinsassen  sich  nicht  gar  zu  sehr  fühlbar  machen. 

Inzwischen  hatte  unser  Wirth  einen  fetten  Hammel  herbeigeholt 
und  mit  einem  Schnitte  den  Hals  des  zuckenden  Thieres  durchschnitten. 
Mit  erstaunlicher  Geschwindigkeit  ging  das  Abhäuten  vor  sich,  und  nach 
zwei  Stunden  sassen  wir  bei  einem  schmackhaften  Mahle.  Dann  wurde 
Stroh  und  Schilf  auf  ein  Bettgestell  gebreitet,  aber  das  Ungeziefer,  mit 
welchem  ich  hier  zum  ersten  Male  unliebsame  Bekanntschaft  machte, 
Hess  mich  erst  spät  einschlafen. 

Die  langweilige  Gegend  veränderte  sich  nicht  allzusehr,  als  wir 
von  Crkvice  aufbrachen.  Der  zweifelhafte  Weg  führte  uns  bis  Mrkovici 
durch  eine  zusammenhängende  Reihe  von  sieben  gut  ausgearbeiteten 
Kesseln,  eine  Erscheinung,  die  im  Rarste  nicht  überrascht.  Das  erste 
dieser  Becken  war  massig  verkarstet  und  besass  in  der  Nähe 
einiger  Hütten  eine  wasserreiche  Cisterne  (1056  Meter),  die  dem 
ganzen  Bezirke  den  Namen  Ubli  gegeben  hat.  Von  neuem  nahm 
uns  ein  Gebiet  wildester  Verkarstung  auf,  doch  es  würde  zu  sehr 
ermüden,  wollte  ich  immer  und  immer  wieder  eine  solche  Landschaft 
schildern.  Einmal,  am  Bratagos,  durchwanderten  wir  einen  hochstäm- 
migen Buchenwald,  und  da  wir  eine  Quelle  vergebens  suchten,  so  be- 
grüssten  wir  mit  Freude  das  Dörfchen  Zljeme  (1163  Meter).  Allein  unser 
Verlangen  nach  einem  Trünke  lehnten  die  Einwohner  anfänglich  ab, 
und  selbst  als  wir  ihnen  Bezahlung  anboten,  verstanden  sie  sich  nur 
zögernd  dazu,  uns  von  ihren  geringen  Wasservorräthen  etwas  abzulassen. 
Nun    erhielt    die    Thalfurche,     die    zuweilen     an    gut    auskrystallisirten 


Die  Banjani. 


55 


Kalkspathen  Ueberfluss  hatte,  bestimmtere  Gestalten  und  ein  freund- 
licheres Aussehen.  Wald  und  Wiesen,  Ackerland  und  Hütten  wurden 
häufiger,  die  Wege  besser,  und  als  wir  uns  der  Kirche  von  Mrkovici 
(105 1  Meter)  näherten,  waren  die  öden  Banjani  gar  nicht  mehr  wieder 
zu  erkennen.  Ungehindert  schweifte  der  Blick  zum  Njegos  und  bis  zu 
den  Gebirgsmauern  längs  der  Adria,  bis  wir  in  die  dünn  bebaute,  ein- 
förmige Mulde  von  Velimje  hinabstiegen,  die  ausser  einigen  Kirchen 
und  Brunnen  nichts  Bemerkenswerthes  besass.  Um   'V^ö  Uhr  hatten  wir 


Crkvice  (Banjani). 


den  gleichnamigen  Ort  (856  Meter)  erreicht.  Er  liegt  weithin  sichtbar 
auf  einem  kahlen  Plateau,  das  die  ganze  Niederung  beherrscht  und 
deshalb  zur  Türkenzeit  eine  Festung  trug.  Etwa  zehn  saubere  Häuser, 
darunter  die  Schule  und  eine  recht  wohnliche  Locanda,  in  der  man 
sogar  ein  kleines  Zimmerchen  erhält,  setzen  das  Dorf  zusammen,  das 
als  Kreuzungspunkt  der  Verkehrsstrassen  Bilek-Niksic  und  Risano-Gra- 
hovo-Bilek  nicht  unwichtig  ist.  Zufällig  war  der  Bezirks-Kapetan,  Cetko 
Pejovic,  anwesend,  um  einen  Gerichtstag  abzuhalten,  der  bei  dem  aus- 
geprägten Rednertalent  des  Crnogorcen  nicht  ohne  viel  Lärmen  und 
Zanken  verlief  und  sich  noch  bis  zum  nächsten  Mittag  fortsetzte. 


cg  Die  Banjani. 

Montenegro  zerfiel  vor  dem  Kriege  in  acht  Nahijen  (Kreise,  Pro- 
vinzen), diese  in  Plemena  (Stämme  oder  Zusammenhäufungen  von  Familien 
gleichen  Ursprungs),  diese  in  Bratstva  fBrüderschaften,  Familien,  Ge- 
meinden), so  dass  die  Familie  die  Grundlage  der  staatlichen  Organisation 
bildete  und  der  Fürst  zum  Staate  als  zu  einer  einzigen  grossen  Familie 
in  einem  patriarchalischen  Verhältnisse  stand.  Die  einzelnen  Kreise  be- 
sassen  eine  gewisse  Selbstständigkeit,  und  diese  Regierungsform  sagte 
den  an  Freiheit  und  Unabhängigkeit  gewöhnten  Crnogorcen  am  meisten 
zu.  Jetzt  hat  diese  Eintheilung  nur  mehr  eine  historische  Bedeutung, 
indem  die  einzelnen  Nahijen  in  83  Bezirke  (Kapetanien)  getheilt  worden 
sind.  Mit  der  Oberleitung  eines  jeden  dieser  Bezirke  ist  der  Kapetan 
betraut,  der  die  Civil-  und  Militärbehörde  darstellt  und  unmittelbar  der 
Regierung  und  den  iVIinisterien  untersteht. 

Der  Kapetan  von  Velimje,  ein  Montenegriner  von  altem  Schrot 
und  Korn,  hatte  sich  schon  unter  Fürst  Danilo  gegen  die  Türken  rühm- 
lichst ausgezeichnet,  und  seine  zahlreichen  Narben  bewiesen  mehr  als 
die  mit  Orden  über  und  über  geschmückte  Brust,  wie  viele  blutige 
Kämpfe  er  bestanden.  Unter  seinem  Gefolge  waren  zwei  alte  Hau- 
degen, die  sich  nicht  minder  hervorgethan  hatten  als  ihr  Gebieter, 
und  von  allen  Seiten  wurde  den  um  ihr  Vaterland  so  verdienten  Männern 
die  grösste  Hochachtung  entgegengebracht.  Ich  konnte  mich  nicht  ent- 
schliessen,  schon  am  folgenden  Tage  weiterziehen,  und  meine  Absicht  er- 
regte lebhaften  Beifall ,  da  die  Neugierigen  längst  meinen  photogra- 
phischen Apparat  bemerkt  hatten  und,  eitel  wie  sie  waren,  photographirt 
sein  wollten.  Geschäftig  ordnete  der  Lehrer,  zu  dessen  kriegerischer 
Tracht  die  Brille  gar  nicht  recht  passen  wollte,  die  Gruppe,  aber  es 
verging  eine  gute  Zeit,  bis  ich  die  Aufnahme  machen  konnte.  Dieser 
musste  erst  seinen  Revolver,  der  andere  seinen  Säbel  holen,  und  ein 
alter,  weissbärtiger  Held,  der  keine  \\'affen  bei  sich  hatte,  wusste  sich 
nicht  anders  zu  hefen,  als  dass  er  seine  schwieligen  Hände  über  die  Stelle 
des  Gürtels  legte,  wo  sonst  der  schussbereite  Revolver  zu  stecken  pflegte. 
Doch  auch  der  Erzieher  der  Jugend  wollte  mit  seiner  Schule  Ehre  ein- 
legen, und  ich  musste  ihn  mit  seinen  hoffnungsvollen  Sprösslingen 
ebenfalls  abconterfeien.  Da  war  die  Brille  verschwunden,  und  während 
die  eine  Hand  den  Revolver  umspannte,  hielt  die  andere  ein  dickleibiges 
Buch.  Bei  diesem  wichtigen  Geschäfte  benahmen  sich  die  biederen 
Eingeborenen  wie  Kinder;  sie  konnten  das  Bild  nicht  genug  anstaunen, 
welches  die  matte  Glasscheibe  der  Kamera  zeigte,,  und  waren  schliesslich 
etwas  betrübt,  dass  sie  ihre  Photographie  nicht  gleich  erhielten. 


Die  Banjani. 


57 


Nun  luden  sie  mich  zu  einem  Trünke  ein.  Dunkelrother  Dalmatiner- 
wein, Kaffee,  Slivovic  und  goldgelber  Meth,  wie  ich  ihn  in  gleicher  Güte 
nie  wieder  gefunden  habe,  wechselten  sich  unaufhörlich  ab,  so  dass  icÄ  froh 
war,  als  mich  der  Lehrer  in  die  Schule  führte.  Stracks  erhoben  sich  die 
Schüler,  als  ich  in  die  Classe  trat,  und  abermals  standen  sie  auf,  als 
ich  dieselbe  wieder  verliess.  Dann  musste  ich  dem  trefflichen  Kapetan 
Gesellschaft  leisten;  er  wollte  vielerlei  von  mir  wissen,  und  ich  hatte 
Mühe,    ihn    zufriedenzustellen.     Er    erkundigte    sich    nach  Deutschland, 


Montenegriner  aus  Velimje  (Banjani). 


Russland  und  —  eine  Frage,  die  sehr  oft  an  mich  gerichtet  wurde  — 
nach  unserem  grossen  Altreichskanzler  Fürst  Bismarck.  Er  fragte  auch, 
wie  wir  über  sein  Vaterland  dächten:  und  als  ich  ihm  die  falschen 
Vorurtheile  über  den  Charakter  der  Crnogorcen  und  über  die  vermeint- 
liche Unsicherheit  in  ihren  Bergen  darlegte,  da  rief  er  in  gerechter 
Entrüstung:  »Wahrlich,  ich  will  meinen  Kopf  verlieren,  wenn  bei  uns 
Jemand  einem  Fremden  ein  Haar  krümmt!« 

Am  27.  Juni  setzten  v.-ir  unsere  nicht  gerade  beschwerliche,  aber 
um  so  langweiligere  Wanderung  fort.  Wir  verloren  uns  in  den  Dolinen- 
reihen  des  sanft  gewellten  Plateaus  und  eilten  schnell  an  dem  Kirchlein 


rg  Die  Banjani. 

von  Tupanje  (805  Meter)  vorüber,  um  uns  die  fröhliche  Stimmung  nicht 
zu  verderben.  Auf  dem  kleinen  Friedhofe  wurde  nämlich  ein  Mädchen 
begr^en,  das  vor  einem  Tage  in  der  Viehtränke  Vrbica  ertrunken  war, 
und  nach  landesüblichem  Brauche  begleitete  eine  Schaar  von  Frauen 
den  traurigen  Act  mit  übermässig  lautem  Wehklagen  und  verzweifeltem 
Händeringen. 

Wir  kamen  an  die  eben  genannte  Viehtränke  (gio  Meter)  und  in  das 
zerstreute  Dorf  Drpe  (825  Meter).  In  der  Ferne  erhoben  sich  die  Berge  von 
Trebinje  und  Bilek;  und  wenn  wir  nicht  wussten,  dass  dort  die  Grenze 
zu  suchen  sei,  so  sagten  es  die  Forts,  die  von  den  dominirenden  Spitzen 
herablugten.  Vor  ihnen  stieg  der  charakteristische  Kegelstutz  des  Planik 
auf,  den  statt  der  finsteren  Burgen  eine  friedliche  Kirche  krönte.  Ihn 
verdeckten  theilweise  die  rundlichen  Gipfel  des  Vjeternik,  und  das  aus- 
drucksvolle Massiv  der  Straziste  vervollständigte  das  starre  Bild.  Die 
ausserordentlich  dünnbankigen  Kalke,  die  vielleicht  den  Plattenkalken 
der  oberen  Kreide  entsprechen,  lagen  in  flachgewellten,  wenig  gestörten 
Schichten  übereinander,  und  mageres  Gras  verhüllte  kaum  die  wild  ver- 
karsteten, stark  verwitterten  Gehänge.  Zwischen  Straziste  und  Vjeternik 
verlief  ein  Karstthal,  wie  ich  es  trostloser  selten  wieder  gesehen  habe. 
Nur  hier  und  dort  winkten,  von  schützenden  Mauern  umgeben,  kleine 
Kartoffelfelder,  und  die  Hitze  der  letzten  Wochen  hatte  den  steinigen 
Boden  so  ausgetrocknet,  dass  die  Leute  aus  den  benachbarten  Ortschaften 
Wasser  herbeischaffen  mussten,  um  die  verschmachtenden  Pflanzen  zu  be- 
giessen.  Wer  in  den  Montenegrinern  nichts  anderes  als  Hammeldiebe  und 
Faullenzer  sieht,  der  möge  die  Steinwüsten  der  Banjani  besuchen  oder  schon 
die  sorgsam  gepflegten  Felder  an  der  Strasse  von  Xjegus  nach  Cetinje  be- 
achten. Da  wird  er  bemerken,  wie  die  fleissigen  Leute  jedes  verfügbare 
Fleckchen  Erde  ausnutzen,  er  wird  nicht  begreifen  können,  warum  die 
Türken  Tausende  von  Menschen  opferten,  um  ein  so  armes  Volk  unter 
ihr  Joch  zu  zwingen,  und  zugleich  muss  er  zugeben,  dass  Montenegro 
im  Verhältniss  zu  seiner  Culturfläche  eines  der  bestbebauten  Länder 
Europas  ist. 

Hinter  dem  ausgedehnten  Kirchdorfe  Usputnica-Petrovici  verliert 
die  Gegend  ihre  Wildheit,  und  der  Weg  senkt  sich  zwischen  lichten 
Eichen-  und  Buchengruppen.  Noch  sind  die  langgestreckte  Straziste  und 
der  vulcanähnliche  Planik  nicht  verschvv^unden,  da  fällt  das  Karstthal, 
dessen  Anlage  ebenfalls  auf  einen  unterirdischen  Fluss  hinweist,  steil 
ab,  wir  biegen  in  die  schroffwandige  Schlucht  eines  trockenen  Baches 
ein,  und  aus  jäher  Tiefe  grüsst  die  silberne  Trebinjcica  herauf.  Grüne 
Wiesen  und  üppige  Buchenhaine  umgeben  einige  Häuser  und  eine  Kirche, 


Die  Banjani. 


59 


deren  Mauern  die  Verwüstungen  des  letzten  Krieges  noch  deutlich  er- 
kennen lassen.  Das  ist  unser  Quartier,  das  alte  Kloster  Kosijerevo,  und 
in  einer  halben  Stunde  sind  wir  auf  vielgewundenem  Pfade  vor  seinem 
Thore  (344  Meter)  angelangt.  Der  Iguman  Gerasion  Vujovic  und  sein 
getreuer  Mönch  Josef  Lekic  heissen  uns  herzlich  willkommen,  und  bald 
macht  der  nie  fehlende  Pflaumenschnaps  die  Runde.  Die  geistlichen 
Herren  nöthigten  mich  so  zum  Trinken,  dass  ich  für  die  Festigkeit 
meiner  Füsse  ernsthaft  zu  fürchten  begann    und  erleichtert  aufathmete, 


Die  Straziste  (Banjani). 


als  sie  mich  zu  einer  Besichtigung  ihres  Monasteriums  aufforderten. 
Zuerst  gingen  wir  in  die  Kirche,  dann  in  die  Schule,  und  mit  Stolz 
zeigte  mir  Freund  Lekic  eine  Karte  von  Europa,  die  einer  seiner  Schüler 
gezeichnet  hatte.  Lange  erfreuten  wir  uns  an  dem  lustigen  Spiele  der 
-Trebinjcica  und  an  den  murmelnden  Quellen,  die  an  dem  waldigen 
Abhänge  austreten  und  in  dem  an  Raseneisenstein  reichen  Thalgrunde 
weiter  rinnen.  Hier  konnte  ich  wieder  einmal  die  Geschicklichkeit  der 
Montenegriner  bewundern.  Der  Diener  des  Klosters  stellte  sich  auf  einen 
Stein  im  Flusse  und  durchbohrte  mit  sicherem  Kugelschuss  eine  muntere 
Forelle.    Uebrigens  ist  diese  Art  des  Fanges  sehr  gewöhnlich,   und  der 


^O  Nach  Grahovo  durch  die  Krivosije  und  zurück  nach  Nik§ic. 

Crnogorce  ist  ein  so  geübter  Schütze,,  dass  er  selten  sein  Ziel  verfehlt. 
Ein  reichliches  Mahl,  bei  dem  unsere  Wirthe  gleich  ihren  Landsleuten 
Finger  und  Zähne  besser  als  Messer  und  Gabel  zu  benutzen  verstanden, 
beschloss  den  Abend;  und  am  folgenden  Tage  verliessen  wir  die  Ban- 
jani,  um  in  das  nicht  minder  öde  Gebiet  von  Grahovo  einzudringen. 


7.  Capitel. 


Nach  Grahovo,   durch  die  Krivosije  und  zurück 

nach  Niksic. 


Heiss  schien  die  Sonne  vom  wolkenlosen  Himmel  herab,  als  wir 
um  II  Uhr  den  saueren  Aufstieg  begannen  und  bis  Petrovici  denselben 
Weg  wie  gestern  einschlugen.  Schon  nach  wenigen  Minuten  waren  wir 
in  Schweiss  gebadet,  aromatische  Pflanzen  betäubten  durch  ihren  Duft 
fast  die  Nerven,  und  eine  unerträgliche  Schwüle  machte  den  ohnehin 
unangenehmen  Pfad  zu  einem  wahren  Höllenpfade.  Eine  knappe  Stunde 
dauerte  es^  bis  wir  das  Plateau  erklommen  hatten.  Einige  Männer,  die  mit 
uns  gegangen  v^-aren,  hiessen  ihre  Frauen  Wasser  aus  den  benachbarten 
Hütten  herbeibringen,  und  in  vollen  Zügen  stürzten  wir  den  erfrischenden 
Trank  hinunter,  der  uns  trotz  seiner  zweifelhaften  Güte  vortrefflich 
mundete.  Doch  bald  mussten  wir  uns  vom  weichen  Grase  erheben,  in 
dem  wir  uns  behaglich  ausgestreckt  hatten,  denn  dunkles  Gewölk  ballte 
sich  über  der  Straziste  zusammen,  und  der  Donner  hallte  grollend  in 
ihren  Klüften  wider.  Unaufhörlich  folgten  sich  Blitz  und  Donnerschlag, 
aber  nur  ein  paar  Tröpflein  des  ersehnten  Regens  fielen  auf  den  aus- 
gedörrten Boden  nieder.  Wohl  hatten  schon  in  den  letzten  Tagen 
schwere  Gewitter  das  Firmament  umzogen,  d«ch  stets  zertheilten  sie 
sich  wieder,  und  die  drückende  Schwüle  steigerte  die  Hitze  dermassen, 
dass  das  Thermometer  im  Schatten  stundenlang  -[-30*'  C.  und  in  der 
Sonne  -|-6o*^  C.  zeigte.  Dazu  kam  die  intensive  Wärmeausstrahlung 
des  nackten  Kalkes,  so  dass  man  glauben  konnte,  in  einem  Backofen 
zu  wandeln;  und  zu  den  Beschwerden  der  erbärmlichen  Wege  gesellten 
sich  Tausende  lästiger  Fliegen,  die  Menschen  und  Thiere  fortwährend 
mit  ihrem  Gesumme  verfolg-ten. 


Nach  Grahovo,  durch  die  Krivosije  und  zurück  nach  Niksic.  6l 

Gleichgiltig  gegen  die  Umgebung  durchwanderten  wir  die  wild 
verkarsteten  Fluren  von  Brocanac  (824  Meter).  Kaum  beachtete  ich 
die  niederen  Eichengebüsche ,  welche  das  Gestein  zu  verhüllen 
strebten,  und  kaum  würdigte  ich  die  kümmerlichen  Aecker  eines  Blickes. 
Endlich  hat  die  Sonne  ihren  höchsten  Stand  überschritten.  Zugleich 
treten  erst  schüchtern,  dann  immer  zahlreicher  blumige  Wiesen  auf,  der 
Baumwuchs  wird  kräftiger,  und  Häuser  beleben  den  grünen  Plan.  Das 
stattliche  Dorf  Vilusi  (926  Meter),  das  schon  die  ersten  Anfänge  einer 
kleinen  Stadt  zeigt,  ist  erreicht.  An  der  Strasse  von  Niksic  nach  Trebinje 
gelegen,  weist  es  Kaufläden  und  sogar  einstöckige  Häuser  auf,  die  sich 
wenigstens  einmal  zu  einer  Strasse  aneinanderreihen.  Auch  ein  Kaffee- 
haus fehlt  nicht,  wenn  man  den  ungemüthlichen,  schuppenartigen  Raum, 
der  die  stolze  Ueberschrift  Kafana  trägt,  so  nennen  darf,  und  eilends 
treten  wir  an  den  Schanktisch,  um  uns  an  einem  Schälchen  Mocca  zu 
erquicken.  Es  war  Sonntag,  daher  ruhten  alle  Geschäfte,  und  die  Männer 
standen  plaudernd  herum  oder  huldigten  dem  beliebten  Nationalspiele 
Kamenje  ramenje  (Steinwurf).  Als  sie  uns  aber  bemerkt  hatten,  drängte 
sich  Alt  und  Jung  in  das  enge  Zimmer,  zudringlich  den  Fremden 
musternd  und  die  landläufigen  Fragen  nach  Wer,  Woher,  Wohin?  u.  s.  w. 
stellend.  Da  hielten  wir  es  allerdings  nicht  lange  aus  und  nahmen  unsere 
Wanderung  wieder  auf.  Die  schlechteste  Strecke  lag  hinter  uns,  denn 
der  Kalk,  der  bisher  hart  und  krystallinisch  gewesen  war  und  mit 
deshalb  zu  zackigen  Formen  verwitterte,  ward  dünnplattig  und 
fühlte  sich  zuckerkörnig  an.  Zahllose  Risse  und  Spältchen  durchsetzten 
seine  flachgewellten  Schichten,  die  den  erodirenden  Kräften  weniger 
Widerstand  leisteten,  und  bequeme,  fast  parkartige  Pfade,  unabsehbarer 
Laubwald  und  üppige  Felder  bezeichneten  äusserlich  diese  Veränderung. 
Um  den  unverkennbaren  Gegensatz  voll  zu  machen,  entsandte  der_thon; 
reiche  Kalk  auch  Quellen,  deren  ergiebigste  die  Quelle  Osjecenica  (1025 
Meter)  war.  In  armdicken  Strahlen  sprang  ihr  Wasser  aus  dem  Gestein, 
um  sofort  zu  einer  nimmer  versiegenden  Cisterne  und  Viehtränke  auf- 
gestaut zu  werden.  Wie  leicht  ging  sichs  jetzt,  wo  die  Sonne  schon 
nahe  am  Horizonte  stand,  wo  wir  in  eine  Natur  gelangt  waren,  die 
man  bei  Anlegung  eines  bescheidenen  Massstabes  als  schön  bezeichnen 
durfte,  und  wo  eine  Schar  Eingeborner  uns  die  Zeit  verkürzte!  Bereits 
legten  sich  die  Schatten  der  Dämmerung  auf  die  westlichen  Grenzberge, 
als  wir  an  der  kleinen  Ebene  Grahovac  vorüberzogen. 

Hinter  Za  Kurjaj  (S70  Meter)  fällt  das  bewaldete  Gelände  allmählich 
ab,  und  der  wilde  Lisac  von  Grahovo  kommt  näher.  Plötzlich 
endet  der  Plateau-Rand  in  der  tief  eingerissenen  Klamm  eines  trockenen 


ß2  Nach  Grahovo,  durch  die  Krivoäije  und  zurück  nach  Nikäic. 

Karstbaches,  und  am  Fusse  seiner  schmalen  Oeffnung  erstreckt  sich  eine 
rings  geschlossene  Ebene.  »Grahovo!«  riefen  unsere  Begleiter,  und  längst 
hatte  mich  die  Karte  belehrt,  dass  es  Grahovo  war,  das  vielumkämpfte. 
Entsetzlich  kahl  und  zerklüftet  waren  die  umgebenden  Gebirge,  deren 
eines  seinen  Namen  Bijela  Gora  (Weisses  Gebirge)  in  jeder  Beziehung 
rechtfertigte.  Aber  wie  ein  grüner  Edelstein  auf  hellem  Grunde  hob  sich 
von  diesem  Chaos  die  Beckensohle  ab,  die  in  ihrer  Mitte  und  an  ihren 
Rändern  schmucke  Dörfer  besass.  Niedere  Kalkhügel,  die  einst  Inseln 
waren,  als  noch  ein  Karstsee  den  Grund  bedeckte,  störten  die  vollkommene 
Horizontalität,  und  durch  die  Niederung  schlängelte  sich  der  helle  Streifen 
eines  wasserlosen  Flusses,  der  unvermittelt  erscheint  und  ebenso  plötzlich 
wieder  verschwindet.  In  der  stark  verkarsteten  Schlucht,  die  sich  als 
trockenes  Rinnsal  mit  jenem  Flusse  vereint,  arbeiteten  wir  uns  auf 
einem  aller  Beschreibung  spottenden  Pfade  über  vorspringende  Gesteine 
und  lockere  Gerolle,  durch  Brombeergesträuch  und  widerspenstiges 
Buschholz  abwärts,  und  auf  ebenem  Boden  weitergehend,  betraten  wir 
um  7  Uhr  Umac  (712  Meter),  die  grösste  Ansiedlung  des  Kesselthales. 
Gefolgt  wie  immer  von  einer  Menge  Unberufener  statteten  mir  die 
Honoratioren  sofort  ihren  Besuch  ab,  und  nach  dem  Abendessen  suchte 
ich  in   dem    bescheiden   Kämmerlein  das  Bett  auf. 

Hat  man  eins  der  montenegrinischen  Polje  durchstreift,  so  kann 
man  sich  auch  die  Beschaffenheit  der  andern  leicht  vorstellen.  Daher 
bot  das  Becken  von  Grahovo  nichts  Neues,  man  müsste  denn  die  zer- 
störte Türkenschanze  erwähnen,  die  den  Kalkhügel  von  Umac  krönt. 
Auch  hier  sind  unter  der  dünnen  Humusschicht  Massen  von  Rollsteinen 
verborgen,  die  den  spärlich  fallenden  Regen  rasch  aufsaugen  und  dem 
Grundwasser  zuführen,  Cisternen,  die  bis  auf  den  Spiegel  desselben  ein- 
gelassen sind,  liefern  allerdings  genug  Trinkwasser;  aber  für  die  Aecker 
und  für  das  Vieh  bleibt  der  Mangel  immerhin  bestehen,  sodass  mich 
die  Leute  mehrfach  um  Abhilfe  angingen. 

Eine  der  öfters  hervorgehobenen  Eigenthümlichkeiten  des  Karstes, 
die  perlenschnurartige  Aneinanderreihung  grösserer  und  kleinerer  Dohnen 
mit  staffeiförmiger  Unterlagerung,  ist  in  dem  zuletzt  durchwanderten 
Gebiete  deutlich  ausgesprochen,  und  unser  Polje  gehört  zu  einer  solchen 
Kette,  die  von  Crkvice  bis  zur  Adria  abfällt.  Allerdings  muss  hervor- 
gehoben werden,  dass  die  zahllosen  Karsttrichter  sich  auch  zu  andern 
Reihen  zusammenlegen  lassen,  weshalb  man  eben  so  gut  eine  Linie 
Grahovo-Niksic,  Niksic-Bilek,  Crnikuk-Grahovo-Risano  u.  s.  w.  heraus- 
finden kann. 


Nach   Grahovo,   durch   die  Krivoäije  und   zurück  nach  Nik§ic.  6^ 

Da  ich  einige  Briefe  zu  besorgen  hatte  und  Grahovo  bloss  ein  Tele- 
graphenamt besass,  so  erkundigte  ich  mich,  ob  in  dem  benachbarten 
Dragalj  ein  Gasthof  und  eine  österreichische  Poststation  sei.  Ich  erhielt 
eine  bejahende  Antwort  und  machte  mich  am  nächsten  Morgen  auf,  um 
jenseits  der  Grenze  meine  Geschäfte  zu  erledigen. 

Wieder  war  es  ein  heisser  Tag,  und  der  abstossend  nackte  Kalk- 
wall, der  die  Ebenen  von  Grahovo  und  Dragalj  trennte,  strahlte  eine 
drückende  Wärme  aus.  Doch  bedeutete  er  für  uns  kein  grosses  Hinder- 
niss,  und  in  den  leichten  Opanken^  die  man  kaum  an  den  Füssen  merkte, 
sprangen  wir  behend  über  das  Gestein.  Wie  seinerzeit  auf  dem  Krstac,  so 
musste  mein  Diener  hier  in  einem  Han  Revolver,  Dolch  uud  Gewehr 
zurücklassen,  da  im  österreichischen  Machtbereich  das  Waffentragen  ver- 
boten ist.  Bald  markirten  einige  Pyramiden  die  Grenze  zwischen  Monte- 
negro und  der  Krivosije,  wir  sahen  das  Heer  der  Festungen,  die  auf 
jedem  geeigneten  Berge  errichtet  waren,  und  schauten  nach  kurzer  Zeit 
in  das  Kesselthal  von  Dragalj  herab.  Aber  wie  hatte  ich  mich  in 
meinen  Erwartungen  getäuscht!  Ich  glaubte,  ein  blühendes  Stück  Cul- 
turland,  neue  Häuser  oder  gar  ein  kleines  Städtchen  anzutreffen;  und  was 
musste  ich  erblicken?  Weissschimmernde  Steinfelder  und  verdorrte  Gras- 
flächen nahmen  eine  Niederung  ein,  die  nur  im  Süden  ein  lichter  Eich- 
wald zierte.  Kaum  ein  Acker  hob  sich  von  der  mageren  Steppe  ab, 
und  ärmliche  Hütten  waren  um  den  Thalrand  gruppirt.  \'iele  von  ihnen 
lagen  in  Trümmern,  und  die  rauchgeschwärzten  Wände  einer  Kaserne 
vervollständigten  die  traurigen  Spuren  der  Verwüstung,  welche  der  letzte 
Aufstand  der  Krivosijaner  im  Jahre  1882  zurückgelassen  hatte.  Erst  nach 
Aufbietung  dreier  Armeecorps  gelang  es  Oesterreich,  der  kaum  1200 
Seelen  zählenden  Insurgenten  Herr  zu  werden,  die  in  ihren  pfadlosen 
Bergen  eine  natürliche  Festung  hatten,  aus  dem  Hinterhalte  die  über- 
raschten Feinde  überfielen  und  sogar  so  kühn  waren,  dass  sie  die  eben 
genannte  Kaserne  in  die  Luft  sprengten.  Jetzt  herrscht  vollkommene 
Ruhe  und  Sicherheit;  die  überall  errichteten  Forts  können  das  Land 
leicht  überwachen,  und  ein  Bataillon  genügt  zur  Niederhaltung  der  noch 
sehr  uncultivirten  Krivosijaner. 

Ein  zeitweiHg  Wasser  enthaltender  Schlundfluss,  der  jedenfalls  den 
Fluss  von  Grahovo  fortsetzt,  durchschneidet  das  Dragalj  Polje,  das  wie  alle 
hochgelegenen  Karstthäler  unter  einem  übermässig  rauhen  W'inter  und 
emem  glühenden  Sommer  zu  leiden  hat.  An  ein  Gasthaus  oder  ein 
Postamt  war  in  dieser  verlorenen  Oede  nicht  zu  denken,  die  ausser 
einer  kleinen  Kirche  (61 8  Meter)  und  einer  Gendarmerie-Kaserne  kein 
nennenswerthes    Gebäude    aufwies.     Die    Leute    sfaben    uns    wenigstens 


54.  Nach  Grahovo,  durch  die  Krivosije  und  zurück  nach  Nikäic. 

die  tröstliche  Versicherung,  dass  wir  in  Grkovac  das  Gewünschte  finden 
würden^  und  unter  diesen  Voraussetzungen  entschloss  ich  mich,  unseren 
Marsch  zu  verlängern. 

Als  wir  auf  unangenehmen  Geröllmassen  den  letzten  Theil  der  un- 
wirtlichen Ebene  durchmessen  hatten ,  begrüsste  ich  mit  Freuden 
einen  neuen  Vorboten  der  Civilisation.  Ein  breiter,  gut  erhaltener 
Reitweg  lief  langsam  an  der  Bergwand  hinan  ,  und  man  muss 
dem  österreichischen  Kaiserstaate  zu  Dank  verpflichtet  sein,  dass 
er  diese  wilden  Gegenden  durch  derartige  Kunststrassen  —  denn  die 
Strassen  von  Risano  über  Grkovac  oder  Crkvice  nach  Dragalj  und  noch 
mehr  die  Strasse  auf  den  Veli  Vrh  verdienen  in  der  That  eine  solche 
Bezeichnung  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes  —  leichter  zugänglich  ge- 
macht hat.  Dolinen  und  Dolinenthäler,  wie  ich  sie  schauriger  und  tiefer 
nur  bei  Sanct  Kanzian-Matavun  im  österreichischen  Rarste  gesehen, 
zogen  sich  zu  unserer  Linken  hin ;  und  selten  bargen  sie  auf  ihrem 
nackten  Grunde  vereinzelte  Wohnstätten  der  abgehärteten,  bedürfnis- 
losen Eingeborenen,  die  in  ihrem  Lebensunterhalte  ganz  von  der  Vieh- 
zucht abhängen.  W^ir  erklommen  mühelos  die  Höhe,  und  als  wir  um 
eine  Felszunge  bogen,  die  eine  malerische  Festung  beherrschte,  lag 
Grkovac  vor  uns.  Eine  neue  Enttäuschung!  Vergeblich  suchte  ich  das 
kleine,  nach  italienischer  x\rt  gebaute  Städtchen,  das  meine  kühne  Phan- 
tasie hierhergezaubert  hatte.  Da  gab  es  bloss  ein  kleines  Dorf,  das 
durch  die  österreichischen  Kasernements  einen  gewissen  städtischen  An- 
strich erhielt.  Das  Hotel  ersetzte  eine  Militär-Cantine,  und  die  typische 
Gestalt  des  österreichischen  Finanzwächters  mit  der  unvermeidlichen 
Frage:  »Nichts  Verzollbares?«  rief  mich  vollends  in  die  Wirklich- 
keit zurück.  War  ich  einmal  in  Grkovac,  so  konnte  ich  die  zwei  oder 
drei  Stunden  noch  zugeben  und  bis  Risano  gehen.  Das  trostlose  Doli- 
nenfeld  von  Ledenice  (6io  Meter),  bekannt  unter  dem  bezeichnenden 
Namen  des  Steinernen  Meeres,  wurde  passirt,  und  ein  dunkelblauer 
Streifen  blitzte  am  Fusse  der  kahlen  Berge  auf,  neues  Leben  und  neue 
Hoffnungen  in  die  abstossende  Oede  bringend.  Es  ist  das  Meer,  das 
allgewaltige,  und  schnell  entrollt  es  sich  in  seiner  Pracht ,  bis  der 
Steilrand  des  Hochplateaus  600  Meter  tief  zu  den  romantischen  Bocche 
abstürzt.  Nunmehr  hatten  wir  Wasser,  das  wir  so  lange  vermissten, 
im  Ueberfluss.  Ueberall  sprudelten  aus  den  Gehängen  ergiebige  Quellen, 
und  später  machte  sich  beim  Baden  das  kalte,  unterirdisch  abfliessende 
Wasser  in  den  warmen  Bocche  unangenehm  fühlbar.  Aus  einem  lachen- 
den Garten  südlicher  Gewächse  grüsste  Risano  herauf,  in  zahllosen  Ser- 
pentinen führte  der  Weg  zu  seinen  Häusern,    und  am  Spätnachmittage 


Nach  Grahovo,   durch  die   Krivosije  und  zurück  nach  Niksic.  5^ 

^varen  wir  dort  angelangt.  Risano  ist  eben  so  gebaut  wie  Cattaro,  nur 
dass  es  glücklicherweise  der  beengenden  Festungsmauern  entbehrt.  Auch 
hier  herrscht  die  serbische  Sprache  vor,  und  man  liest  ebenfalls  mehr 
Aufschriften  in  slavischen  als  in  lateinischen  und  deutschen  Buchstaben. 
Wie  in  Gacko,  so  wurde  ich  von  den  Officieren  aufs  zuvorkommendste 
aufgenommen,  und  ungern  schied  ich  nach  dreitägigem  Aufenthalte  von 
ihnen,  um  über  die  Festung  Crkvice  in  die  Schwarzen  Berge  zurückzu- 
kehren. 

Die  Landschaft  blieb  gleich  abschreckend,  und  die  schier  uner- 
trägliche Hitze,  die  auch  heute  in  der  Sonne  über  -|-  50  "^  C.  stieg,  drohte 
mehrmals  unsere  Kraft  zu  erschöpfen,  da  wir  im  glühendsten  Sonnenschein 
beständig  bergauf  zu  wandern  hatten.  Hinter  dem  armseligen  Weiler 
Knezlac  (619  Meter),  in  dem  1862  durch  gegenseitiges  Uebereinkommen 
der  erste  Aufstand  der  unbotmässigen  Krivosijaner  beigelegt  wurde,  durch- 
zogen wir  einen  lichten  Wald.  Dann  mussten  \^ir  gänzlich  ungeschützt 
bis  Crkvice  (984  Meter)  emporklettern,  ehe  sich  der  trotz  seiner  Güte 
mühsame  Weg  senkte  und  bis  Dragalj  im  schattenspendenden  Laub- 
walde hinlief.  Ein  redegewandter  Albanese  aus  Scutari  hatte  in  Crkvice 
unter  dem  hochklingenden  Namen  »Hotel  Krivosije«  eine  Cantine  er- 
richtet, und  wie  Freund  Gugga  in  Podgorica  wurde  er  nicht  müde,  die 
\'orräthe  seines  Warenmagazins  nach  allen  Regeln  der  Kunst  anzu- 
preisen. 

Abermals  musste  ich  für  einige  Wochen  der  europäischen  Be- 
quemlichkeit entsagen  und  war  doch  froh,  als  ich  beim  Glänze  der 
Abendsonne  das  bescheidene  ümac  und  die  mir  trotz  aller  Entbeh- 
rungen lieb  gewordene  Crnagora  wieder  betrat.  Kulas,  der  so  lange  der 
Ruhe  gepflegt,  konnte  auch  den  nächsten  Tag  noch  rasten,  da  er  eine 
schwere  Last  zu  tragen  hatte  und  eine  Erholung  wohl  verdiente. 
Ich  war  noch  nicht  lange  im  Han  abgestiegen,  als  das  Volk  eilends 
zusammenlief.  Zwei  allen  Montenegrinern  bekannte  Personen,  Seine 
Excellenz  der  russische  Minister-Resident  Herr  Argiropulos  und  Herr 
Rovinski ,  kamen  an  und  nahmen  in  einem  Nachbarhause  Quartier. 
Sie  hatten  eine  mehrwöchentliche  Reise  durch  Montenegro  unternommen 
und  wollten  am  anderen  Tage  nach  Cetinje  zurückkehren.  Ich  stattete 
beiden  Herren  meinen  Besuch  ab,  und  unsere  in  französischer  Sprache 
geführte  Unterhaltung  betraf  wesentlich  unsere  Erlebnisse.  Am  4.  Juli 
schied  auch  ich  von  dem  gastlichen  Orte,  um  auf  einem  14-stündigen 
Marsche  nach  Niksic  zurückzuwandern.  Früh  um  5  Uhr  waren  wir 
reisefertig  und  stiegen  einige  Minuten  später  an  den  steilen  Um- 
fassungsbergen der  Ebene  empor.    Die    Höhe   des  Plateaus,  in  welches 

Hassen.  Reise  durch  Montenegro.  5 


g^  Nach  Grahovo,  durch  die  Krivo§ije  und  zurück  nach  Niksic. 

Grahovo  und  Niksicko  Polje  eingesenkt  sind,  erreicht   etwa  iioo  Meter 
und  gibt  an  Trostlosigkeit  den  Banjani  nichts  nach.  Nur  einmal  erfreute 
uns  eine  Quelle,  nur  einmal  —  in  der  Oase  Ziva  —  ein  weicher  Wiesen- 
grund, dann  kam  eine  Cisterne  (10S7  Meter;  und  das  Dörfchen  Jabuka 
(1006  Meter).     Erstere  liegt  am  Hange,   letzteres  an  der  Sohle  des  un- 
vollkommen   als    Kettengebirge    ausgebildeten    Razmuce    und    weist  mit 
seinem  Namen  auf  die  Anwesenheit  des  xA.pfelbaumes  hin.  Um   10  Uhr 
hielten  wir  vor  einigen  Steinhütten  (930  Meter) ;  vor  ihnen  öffnete  sich 
die  gut  bewaldete,    dolinenerfüllte  Mulde  Ljesevice  (790  Meter),  die  der 
scheinbar  nahe  Kirchberg  von  Rudine  abschloss.  Nun  wurde  der  ohnehin 
schlechte  Weg  geradezu    erbärmlich,    so    dass    selbst  mein  Diener  sich 
die  Bemerkung  nicht  versagen    konnte,    es    wäre    das  Werk    von    zwei 
Tagen,    wenn    ein    Bataillon    Soldaten    die   grössten  Steine  und  Zacken 
zerschlüge    und    so  den  Pfad  wenigstens    etwas    verbesserte.     In    einem 
solchen     Zustande     befindet     sich     also      die     vielbegangene    Handels- 
strasse von  Risano  über  Grahovo  nach  Niksic!  Auf  sehr  steiler  Lehne, 
die    von    Schluchten    zerrissen    und    mit    Kalktrümmern    übersäet    war, 
stiegen  wir  nicht  ohne  Beschwerden    in   jenes  Thal    hinab    und  kamen 
in    zwei    Stunden    nach    Rudine.     Die    drückende    Hitze,    -|-  28*^  C.  im 
Schatten,    hielt    noch   immer    an,    und  finstere  Wolken   lösten  sich  auf, 
ohne  das  ersehnte    Nass    auszuschütten.     Endlich  —  wir    waren    kaum 
in  den  engen,  verräucherten  Han  getreten  (891   Meter)  —  rauschte  ein 
kräftiger  Gewitterregen    nieder,    der    die    verschmachtende    Natur   wohl- 
thätig  erfrischte.     Im    Dorfe    wurde    gerade  Musterung   abgehalten,  und 
von  allen  Seiten  strömten  die  Männer  herbei.  Voran  trug  der  Barjaktar 
das  w^eiss-rothe  Banner,    und    an    der  Seite    des   ungeordneten  Haufens 
marschirten  die  Trompeter  und  Anführer.   Von  einer  einheitlichen  Uni- 
formirung    war    keine    Rede,    doch    gab    die  Nationaltracht    den  Leuten 
etwas  Gleichartiges.  Eben  hatten  sie  sich  in  Reih  und  Glied  aufgestellt, 
als  die  Wassermassen  des  Himmels  sie  jählings  auseinandertrieben.  Wir 
liessen  uns  etwas  zu  essen  geben;  und  nicht  genug,  dass  uns  der  Wirt 
dafür    einen    unverhältnismässig  hohen  Preis  abverlangte,    wir    mussten 
sogar  —  charakteristisch    für  jene  Gegenden  —  das  Wasser  bezahlen. 
Die  Sonne  strahlte  in  neuem  Glänze,  auf  den  Blättern  perlten  die 
Tropfen  in  den  Farben  des  Regenbogens,    und    der  Pfad  wurde  erträg- 
licher. Die  militärische   Uebung  und  unser  Marsch  nahmen  ihren  Fort- 
gang, und  binnen  kurzem  standen  wir  an  den  Trümmern  der  türkischen 
Kula  Trubjela  (908  Meter),  die  vor  1877  die  Grenze   bewachte  und  zu- 
gleich ins  Becken  von  Niksic  hinabblickte.  Eine  tief  eingerissene  Rinne, 
die  in  Uebereinstimmung  mit  früher  erwähnten    Beispielen    die    verhör- 


Nach  Grahovo,   durch   die  Krivosije  und  zurück  nach   Niksic. 


67 


genen  Wasser  des  Karstthaies  Ljesevice  in  den  Slano  Jezero  leitete, 
lief  zur  Ebene  hinab,  und  unser  Weg  folgte  ihr.  Am  wildverkarsteten 
Bergrande,  in  dessen  Spalten  die  reichlichen  Niederschläge  des  Mittags 
längst  versickert  waren,  zog  sich  der  vielgewundene  Steig  abwärts.  Ein 
breiter  Saum  weissen  Sandes  umgab  die  schmalen,  blauschwarzen 
Wasseradern  des  Slano-Sumpfes  (660  Meter),  die  in  mäandrischen  Krüm- 
mungen den  schlammigen  Boden  durchschnitten  und  theilweise  von 
einer    trügerischen    Pflanzendecke     verhüllt     waren.     Mit     verdoppelter 


Der  Slano  Jezero  (NikJicko  Polje). 


Schnelligkeit  durchschritten  wir  den  unfruchtbaren,  feinkörnigen  Sand, 
der  das  anstehende  Gestein  des  Untergrundes  verbarg.  Unmassen  ver- 
faulender Stoffe  verbreiteten  einen  üblen  Geruch,  und  nur  wenige  Dörf- 
chen lagen  in  der  Umgebung  dieses  Fieberherdes.  Nach  einer  Stunde 
war  dieser  traurigste  Theil  des  Niksicko  Polje  passirt,  den  ein  Berg- 
ausläufer mit  der  alten  Veste  Klacina  einigermassen  von  den  an- 
baufähigen Fluren  abschnürte.  Der  warme  Regen  hatte  Tausende  win- 
ziger Frösche  hervorgelockt,  und  gar  manches  der  kleinen  Geschöpfe 
musste  sein  Leben  lassen,  da  wir  ihnen  trotz  aller  Vorsicht  nicht  immer 

5* 


^g    "  Nach  Grahovo,  durch  die  Krivosije  und   zurück  nach  Nikäic. 

auszuweichen  vermochten.  Auf  zwei  noch  aus  der  Türkenzeit  stammen- 
den Steinbrücken  wurden  die  unansehnHchen  Karstflüsse  Mostanica 
(652  Meter)  und  Zeta  (661  Meter)  überschritten,  dann  umgingen  wir 
den  langgestreckten  Festungsrücken  und  kamen  um  8  Uhr  Abends  ziem- 
Hch  ermüdet  vor  der  Locanda  des  Vaso  Zlatar  an. 

Nicht  allein  an  der  übergrossen  Hitze,  die  während  der  nächsten 
Tage  anhielt,  merkte  man,  dass  der  Sommer  seine  Macht  entfaltet  hatte. 
Das  breite  Schneeband,  welches  bei  meinem  ersten  Aufenthalte  den 
Vojnik  zierte,  war  bis  auf  spärliche  Reste  verschwunden,  und  das  Ge- 
treide, das  auf  den  Plateaus  noch  grün  aussah,  färbte  sich  hier  bereits 
gelb.  Auch  die  Feigen  waren  reif  geworden,  und  Arso  überraschte 
mich  eines  Morgens  mit  einem  Teller  voll  dieser  köstlichen  Früchte, 
die  Eingeborene  aus  den  gesegneten  Gefilden  von  Bjelopavlic  zum 
Wochenmarkte  nach  Niksic  gebracht  hatten.  Da  wogte  ein  buntes 
Treiben  im  Städtchen,  denn  in  Montenegro  hat  jeder  Bazar  den 
Charakter  eines  Jahrmarktes,  und  aus  entfernten  Orten  strömen  die 
Leute  herbei,  um  Einkäufe  zu  machen,  Geschäfte  zu  besorgen  und 
die  Annehmlichkeiten  des  Stadtlebens  zu  geniessen.  Ein  alter  Vojvoda, 
Peko  Pavlovic,  der  viele  Kämpfe  durchgefochten  und  gar  manchen 
Türken  ins  Jenseits  befördert  hatte,  kam  mit  gemessenem  Gruss  in 
mein  Zimmer,  setzte  sich  ohne  weiteres  aufs  Bett  und  war  bald  fest  ein- 
geschlafen. Ich  gönnte  dem  weissbärtigen  Haudegen  die  Ruhe  und 
betrachtete  lange  seine  ehernen  Züge.  Ueberhaupt  bietet  ein 
solcher  Bazar  die  beste  Gelegenheit  zum  Studium  der  Volkssitte  und 
des  Volkscharakters.  Gute  Bekannte,  die  sich  lange  nicht  gesehen,  be- 
grüssen  sich  mit  einem  herzhaften  Kuss  und  erneuern  ihre  Freund- 
schaft durch  gegenseitiges  Bewirthen.  Aber  obwohl  Wein  und  Schnaps 
reichlich  fliessen,  so  begegnet  man  selten  einem  Betrunkenen;  denn 
Trunkenheit  gilt  als  eine  Schande,  und  deshalb  war  mein  Diener  in  Ce- 
tinje  nicht  sonderlich  geachtet. 

Bei  meinem  diesmaligen  dreitägigen  Aufenthalte  lernte  ich  den 
Hospitalarzt  Dr.  Kustudija,  einen  feingebildeten  Crnogorcen,  kennen, 
der  das  Gymnasium  zu  Zara  absolvirt,  in  Graz  und  Wien  studirt  hatte 
und  Italienisch  wie  Deutsch  gleich  vorzüglich  sprach.  Ich  verdankte 
ihm  eine  Fülle  von  Belehrung  und  verbrachte  in  seiner  Gesellschaft 
manche  angenehme  Stunde.  Er  zeigte  mir  die  Festung  und  das  Ho- 
spital, und  als  wir  dabei  die  Volksdichte  in  seinem  \'aterlande  erörterten;, 
theilte  er  die  Ansicht  von  Schwarz  nicht,  dass  Montenegro  bloss  160.000 
Einwohner  habe.  Mag  er  mit  seiner  Annahme  von  300.000  Seelen  viel- 
leicht    etwas     zu    hoch    geschätzt     haben,    so     glaube     ich    doch ,    die 


Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal. 


69 


Gesammtbevölkerung  auf  200.000  bis  250.000  veranschlagen  zu  dürfen. 
Bei  der  unstäten  Lebensweise  der  Eingeborenen  und  bei  den  grossen 
Entfernungen  zwischen  den  einzelnen  Ortschaften  ist  es  sehr  schwer, 
eine  genaue  Zahl  festzustellen;  immerhin  vermuthe  ich,  dass  zur  Be- 
rechnung der  Steuererträge  Volkszählungen  abgehalten  wurden,  und 
dass  die  Regierung  hinreichend  genaue  Angaben  besitzt.  Ueber  die 
waffenfähige  Mannschaft,  45.000  Mann,  werden  Listen  geführt.  Ebenso 
widersprach  Dr.  Kustudija  der  in  älteren  Werken  verbreiteten  Ansicht, 
dass  die  montenegrinischen  Frauen  nicht  fruchtbar  seien,  und  nach 
dem  Kindersegen  zu  urtheilen,  den  ich  übera  1  fand,  kann  ich  ihm  nur 
beistimmen. 


8.  Capitel. 

Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal. 


Orographisch  zerfällt  Montenegro  in  zwei  ganz  verschiedene  Theile, 
in  die  eigentliche  Crnagora  (Schwarze  Berge)  und  in  die  Brda  (Berge). 
Jene  war  eine  verkarstete  Hochebene  mit  regellos  angeordneten  Ober- 
flächenformen, diese  ist,  entsprechend  den  veränderten  Naturbedingungen, 
ein  scharf  markirtes  Plateauland  mit  anderem  Vegetations-  und  Land- 
schaftscharakter. Zwar  trägt  es  in  unvermeidlicher  Einförmigkeit  wie- 
derum kleinere  Plateaus,  die  sogenannten  Planinas,  aber  auch  ausdrucks- 
volle Kettengebirge  sind  ihm  aufgesetzt.  Wohl  nimmt  der  Karstkalk,  der 
den  Westen  vollkommen  beherrscht,  ebenfalls  weite  Flächen  des  Ostens 
ein,  doch  treten  in  der  südlichen  Hälfte  paläozoische  und  Werfener 
Schiefer  auf,  und  diese  undurchlässigen  Gesteinsschichten  schaffen  die 
Grundlage  zu  einer  reichlichen  und  gleichmässigen  Bewässerung.  Ein 
Blick  auf  die  Karte  zeigt,  wie  sich  die  Leben  spendenden  Wasseradern 
und  im.merhin  gut  entwickelten  Flusssysteme  auf  die  Brda  beschränken, 
so  dass  Lim,  Tara,  Piva  und  Moraca  im  westlichen  Landestheile  nur 
an  der  Rijeka  und  Crmnica  ein  würdiges  Gegenstück  finden.  Dort  sind 
die  Wasserscheiden  deutlich  ausgesprochen,  hier  fehlen  sie  wegen  der 
Beschaffenheit  des  Kalkes  gänzlich  oder  sind  sehr  verwischt;  kurz,  wie 


rjQ  Üeber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Tiial. 

die  Einsattelung  von  Podgorica  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko  eine 
auffallende  orographische  Trennungslinie  darstellt,  so  deuten  die  Flüsse 
Moraca  und  Piva  eine  ebenso  merkwürdige  hydrographische  Grenze  an. 

Der  Morgen  des  8.  Juli  sah  uns  in  der  Ebene  von  Niksic.  An 
der  langgestreckten  Trebjeska  Gora  und  dem  Ozrinici-Berge  dahinwan- 
dernd,  kamen  wir  zur  trockenen  Gracanica,  die  den  Xordfuss  des  letzt- 
genannten Rückens  getreulich  begleitet  und  in  schmalem  Thale  aus 
dem  Chaos  der  stark  verkarsteten  Kalkberge  hervorbricht.  Noch  liess 
sich  die  traurige  Gegend  nicht  darnach  an,  als  ob  sie  in  kurzem  besser 
werden  würde;  im  Gegentheil,  je  mehr  wir  in  den  quellenlosen  Karst 
eindrangen,  um  so  abstossender  wurde  sie.  Das  mit  Sand  und  Gerollen 
angefüllte  Flussbett  wurde  einige  Male  durchquert ;  denn  der  Weg  lief 
stellenweise  in  ihm  und  wurde  durch  die  Fussspuren  vieler  Menschen 
und  zahlreiche  Hufabdrücke  von  Ochsen  oder  Pferden  bezeichnet.  Die 
armen  Thiere  mussten  —  ein  sehr  urwüchsiges  Verfahren  —  mit  Auf- 
bietung aller  Kräfte  Bauholz  aus  den  Bergen  herabziehen.  Nun  stiegen 
wir  zwischen  lichtem  Niederwalde  langsam  an  und  befanden  uns  bald 
in  ziemlicher  Höhe  über  der  Gracanica,  die  langsam  nach  rechts  umbog 
und  unserem  Blicke  entschwand.  Zur  Regenzeit  steht  das  Thal  völlig 
unter  Wasser,  und  daher  führt  ein  zweiter  Saumpfad  gleich  am  Becken- 
rande auf  das  Plateau, 

Ein  junger  Montenegriner  schloss  sich  uns  bis  Dragovoljici  an, 
und  unsere  durstigen  Kehlen  hatten  den  dunkelrothen  Zeta-^^^ein  unserer 
bauchigen  Feldflasche  sehr  rasch  geleert,  zumal  die  Luftwärme  wieder 
-]-  24'^  C.  betrug.  Wir  begrüssten  das  Dorfkirchlein  (806  Meter)  auf 
einem  niedrigen  Kalkhügel  mit  Freude  und  wanderten  rasch  an  den 
zerstreuten  Häusern  vorüber.  Noch  betrachtete  ich  die  gut  bebaute 
Mulde  von  Dragovoljici  und  die  uns  gegenüber  aufgethürmte  Prekornica- 
Mauer,  als  unser  Begleiter  mit  einem  grossen  Kübel  Cisternenwasser 
zurückkehrte.  Nicht  zufrieden  mit  einem  solchen  Beweise  seiner  Er- 
kenntlichkeit, lud  er  uns  auch  in  seine  Hütte  ein;  aber  ich  konnte  und 
wollte  ihm  nicht  willfahren,  da  ich  baldmöglichst  aus  diesen  Einöden 
herauszukommen  wünschte. 

Die  Hochebene,  welche  von  der  Zupa  und  oberen  Moraca  begrenzt 
wird,  steigt  beiderseits  in  Terrassen  an.  Auf  unserem  Wege  konnten 
wir  deren  vier  unterscheiden,  und  jedes  Mal  wurden  sie  durch  mehr 
oder  minder  deutliche  Kesselthäler  charakterisirt.  Auf  der  ersten  liegt 
Dragovoljici,  auf  der  zweiten  das  waldige  Gornje  Polje  (950  Meter),  die 
dritte  ist  weniger  scharf  bestimmt,  und  auf  der  vierten  sind  die  Kolibas 
von    Dresnica   (1255   Meter)    vertheilt.     Den  Scheitel    bildet    die    ausge- 


lieber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal. 


71 


dehnte  Konjsko  Planina  (1471  Meter),  die  eng  mit  der  wasserreichen 
Lukavica  zusammenhängt  und  steil  zur  Mrtvica  abfällt.  Wie  im  Pre- 
kornica-Gebiete  und  auf  den  Ebenen  um  den  Durmitor,  so  ist  auch 
hier  bloss  der  Rand  dauernd  bewohnt,  und  die  ausgedehnten  Grasflächen 
des  Innern,  die  im  Sommer  Tausenden  von  Hirten  und  Heerden  zum 
Aufenthalte  dienen,  sind  während  des  strengen  Winters  sämmtlich 
verlassen. 

Oberhalb  der  Felder  und  Sennhütten  des  Gornje  Polje  verschwand 
der  Baumwuchs  fast  spurlos,  um  sich  bis  zu  unserem  Nachtquartier  nur 
noch  einmal  einzustellen.  Der  Kalk  wurde  schiefriger,  und  seine  schroffen 
Zacken  machten  einer  sanft  gewellten  Oberfläche  Platz.  Trotzdem  war 
die  Gegend  sehr  eintönig  und  entschädigte  höchstens  durch  die  umfassende 
Rundschau  einigermassen.  \'om  grünen  Plan  hoben  sich  die  Häuser 
von  Niksic  ab,  zur  Linken  leuchteten  die  Firnflecken  der  Prekornica, 
und  hinter  dem  Pusti  Lisac  ragte  der  heilige  Lovcen  gen  Himmel. 

Ein  trockener,  jäh  in  einer  Dolina  endender  Bachriss  brachte  uns 
zu  einer  Cisterne,  und  im  Schatten  einer  uralten  Buche  rasteten  wir 
ein  halbes  Stündchen,  um  unser  kärgliches  Mittagsmahl  in  Gestalt 
einiger  Kolacen  zu  verzehren.  Die  Kolace  (Kuchen)  stammt  aus  Triest 
und  ist  in  den  südslavischen  Landen  ein  beliebter  Handelsgegenstand. 
Aus  Mehl  und  Wasser  ohne  jede  andere  Zuthat  gebacken,  hält  sie  sich 
eine  unbegrenzte  Zeit  und  ist  so  hart,  dass  man  sie  vor  dem  Essen 
zerschlagen  oder  aufweichen  muss.  Man  gewöhnt  sich  leicht  an  ihren 
Geschmack,  der  dem  unserer  altbackenen  Semmeln  gleicht,  und  ich 
habe  stets  einige  dieser  Hartbrote  bei  mir  geführt.  —  Durch  einen 
zweiten  geröllreichen  Wasserriss  und  längs  einer  tief  ausgefurchten 
Rinne,  die  jedenfalls  nach  der  Gracanica  weist,  gelangten  wir  zu  einigen 
Sennhütten,  deren  Insassen  auf  der  Weide  waren.  In  der  Nähe  hatten 
die  Eingeborenen  einen  Heuschober  aufgeschichtet;  als  wir  jedoch  ge- 
nauer hinsahen,  bemerkten  wir,  dass  diese  schützende  Hülle  einen  mäch- 
tigen Schneehaufen  verbarg,  der  das  fehlende  Wasser  ersetzen  musste. 
Bis  zur  Cisterne  des  Katuns  Dresnica  ging  es  ziemlich  eben  fort,  aber 
dann  war  ein  entsetzlich  verkarsteter  Rücken  zu  überwinden,  dessen 
nackte,  horizontal  gelagerte  Kalke  eine  unerträgliche  Hitze  ausstrahlten. 
Zu  den  Qualen  der  Sonnengluth  gesellten  sich,  wie  immer,  Myriaden 
summender  Fliegen,  die  nicht  allein  dem  armen  Kulas  arg  zusetzten, 
sondern  uns  ebenfalls  in  dichten  Wolken  umschwärmten  und  auf  keine 
Weise  zu  verscheuchen  waren. 

Schon  öfters  hatte  ich  die  Leute  nach  unserem  Ziele,  dem  geheim- 
nisvollen Kapetanovo-See,  gefragt  und  darüber  die  abweichendsten  Ant- 


y2  Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal. 

Worten  erhalten.  In  Niksic  kannte  Niemand  den  kleinen  Weiher,  und 
auf  dem  Plateau  stiess  ich  auf  eine  solche  Unwissenheit,  dass  mir  nichts 
übrig  blieb,  als  aufs  Gerathewohl  fortzumarschiren. 

Alles  hat  ein  Ende,  und  so  lag  auch  der  abschreckende  Kalkzug 
glücklich  hinter  uns.  Kräftige  Buchen  zierten  die  Hänge,  und  vor  uns 
entrollte  sich  —  welch'  überraschender  Gegensatz  zu  den  verbrannten 
steppenhaften  Flächen  des  Westens  —  eine  unabsehbare  grüne  Wiese, 
Bunte  Blumen  durchwirkten  das  hohe  saftige  Gras,  und  unser  stets 
hungeriges  Pferd  wollte  gar  nich*  mehr  von  der  Stelle,  so  gut  schmeckten 
ihm  die  zarten  Halme.  Die  anheimelnde  Matte  erweiterte  sich  zu  einem 
welligen  Plateau,  und  auf  dem  weichen,  erdigen  Grunde  schritten 
wir  rüstig  aus.  Der  Himmel  hatte  sich  inzwischen  umwölkt,  und 
um  '/23  Uhr  entlud  sich  unter  Blitz  und  Donner  ein  strömender  Ge- 
witterregen. In  wenigen  Minuten  waren  wir  bis  auf  die  Haut  durch- 
nässt  und  irrten  rathlos  umher,  weil  uns  die  Karte  in  dieser  Gegend 
vollständig  im  Stich  Hess,  Endlich  trafen  wir  einen  Mann,  aber  der 
Aermste  war  stumm,  und  wir  verstanden  sein  Geberdenspiel  nicht.  Erst 
ein  anderer  vermochte  uns  Auskunft  zu  geben  und  bedeutete  uns,  dass 
der  dunkle  Gebirgswall  vor  uns  der  Borovnik  und  die  lachende  Gras- 
fläche die  Konjsko  Planina  sei.  Nach  einem  angestrengten  einstündigen 
Marsche  kamen  einige  Kolibas  in  Sicht,  und  in  einer  derselben  schlugen 
wir  unser  Lager  auf.  Schleunigst  wurde  das  Gepäck  geborgen,  Kulas 
wälzte  sich  vergnüglich  im  Grase  und  hörte  mit  Fressen  nimmer  auf. 
Wir  zündeten  ein  grosses  Feuer  an,  und  Arso  holte  aus  den  benach- 
barten Hütten  Milch  und  Schnee;  denn  noch  ist  die  Flur  wasserlos, 
und  die  Senner  sind  auf  die  Schneemassen  des  Borovnik  angewiesen. 
Nachdem  wir  mit  Erbssuppe  und  Cacao  unseren  Hunger  gestillt,  schauten 
wir  behaglich  dem  klatschenden  Regen  zu,  der  erst  gegen  6  Uhr  Abends 
nachliess.  Mit  Einbruch  der  Dunkelheit  wurden  die  blockenden  Heerden 
in  die  Pferche  getrieben ,  die  Hütten  füllten  sich  mit  Menschen, 
und  war  erhielten  Besuch,  Ein  alter  Mann  nahm  sich  unserer  be- 
besonders  an.  Er  war  erst  am  späten  Abend  aus  der  Zupa  heraufge- 
kommen und  Hess  seine  Frau  sofort  Käse,  Milch  und  Kiselo  Mlijeko  her- 
beiholen. Zum  Schluss  halfen  uns  unsere  Gäste  beim  Zurechtmachen 
der  einfachen  Schlafstätte  und  entfernten  sich  geräuschlos,  als  sie  mich 
einschlafen  sahen.  Uebrigens  wird  die  Form  der  Kolibas  von  nun  an 
eine  andere,  indem  statt  der  kastenartigen  Steinhäuser  zeltähnliche  Holz- 
hütten erbaut  sind,  deren  fest  zusammengefügte  Stangen  spitz  zum  Dache 
laufen  und  mit  einer  dicken  Laub-  oder  Moosschicht    überkleidet    sind. 


Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Morai^a-Thal.  72 

Wegen  der  beträchtlichen  Erhebung  der  Konjsko  Planina  über  den 
Meeresspiegel  ist  die  relative  Höhe  der  aufgesetzten  Gebirge  nicht  mehr 
bedeutend.  Unser  Standpunkt  überragt  sogar  den  Pusti  Lisac,  dessen 
Kuppe  gerade  noch  mit  ihrer  äussersten  Wölbung  hinter  den  vorge- 
lagerten Ketten  hervorlugt.  Auch  einzelne  Abschnitte  des  Küstengebirges 
sind  wahrnehmbar,  sonst  ist  indessen  der  Blick  beschränkt,  weil  die  üm- 
fassungsrücken  der  Hochebene  die  Aussicht  versperren. 

Als  wir  unseren  nächsten  Tagemarsch  begannen,  w'urde  die  Gegend 
zusehends  freundlicher.  Selten  kam  unter  dem  Humus  der  zucker- 
körnige Kalk  zum  Vorschein,  und  zahllose  Katuns  waren  im  Umkreise 
zerstreut.  Die  Bergreihen  rückten  zu  meiner  Thalenge  zusammen,  und 
ein  Urwald  kräftiger  Buchen  zierte  den  Grund  und  die  Lehnen.  Lustige 
Vögel  zwitscherten  in  den  Zweigen,  der  Kuckuk,  so  recht  ein  Bewohner 
Montenegros,  Hess  seinen  Ruf  erschallen,  und  mit  dem  dumpfen  Tone 
der  Axt  vermischte  sich  das  melodische  Glockengeläute  der  Heerden. 
Man  glaubte  nicht  mehr,  in  der  abstossenden  Crnagora  zu  sein,  sondern 
fühlte  sich  eher  in  unsere  mittel-europäischen  Länder  versetzt.  Noch 
mehr,  am  Thaleingange  war  eine  schmale.  Rinne  ins  Gestein  gerissen, 
die  wir  vorher  nicht  bemerkt  hatten.  Sie  war  trocken  und  mit  Gerollen 
besäet;  je  weiter  wir  indess  vordrangen,  um  so  schneller  veränderte  sich 
ihr  Aussehen.  Erst  sammelte  sich  ein  wenig,  dann  immer  mehr  Wasser 
an,  bis  wir  an  einem  schäumenden  Bache  aufwärts  wanderten.  Fanden 
wir  das  lange  vermisste  Wasser,  so  konnten  auch  die  langgesuchten 
Schiefer  nicht  mehr  fern  sein.  Die  schroffwandige  Erosionsschlucht 
leitete  uns  zu  einer  baumlosen  Grasmulde  namens  Bare  (1548 
Meter),  deren  schmale  Wasseradern  sich  im  versumpften  Erdboden 
verloren  oder  zu  dem  eben  passirten  Hauptbache  vereinigten.  Der 
Borovnik  bog  nach  Norden  um  und  begrenzte  eine  lange  grasige 
Ebene;  das  war  die  Lukavica,  die  im  Haushalte  und  in  der  Viehwirth- 
schaft  der  Eingeborenen  eine  segensreiche  Rolle  spielt  und  eine  \\'asser- 
scheide  zwischen  Piva  und  Zeta,  also  zwischen  Schwarzem  und  Adriati- 
schem  Meere  darstellt.  Vor  uns  aber  thürmte  sich  ein  grossartiger  Kalk- 
zahn auf.  Seine  dünnbankigen  Schichten  waren  zu  scharfen  Zacken 
zersägt,  und  Schutthalden  verhüllten  die  untere  Hälfte  seiner  Gehänge. 
Bereits  vom  Ostrog  aus  hatte  ich  diesen  phantastisch  ausgearbeiteten 
Berg,  den  Zurim,  gesehen,  in  dessen  Klüfte  grauweisse  Schneeflecken 
eingebettet  waren.  Hier  murmelnde  Bächlein,  dort  starrer  Firn,  hier 
saftige  Fluren,  dort  todtes  Gestein,  unten  muntere  Heerden,  oben  ein- 
same Hütten:  diese  Gegensätze  waren  das  einzig  Fesselnde  in  der  öden 
Landschaft. 


f^  A  Ueber  die  Lukavica   ins  obere  MoracaThal. 

Wir  klommen  am  jenseitigen  Rande  der  Mulde  empor,  um  die 
Kolibas  auf  einem  terrassenartigen  \'orsprunge  des  Zurim  (i6g8)  aufzu- 
suchen. Ueberall  standen  die  silbergrauen  oder  hellbraunen  Werfener 
Schiefer  an,  so  dass  wir  mit  Sicherheit  im  Bereiche  der  Triasformation 
waren.  Des  Holzmangels  wegen  waren  die  Sennhütten  roh  aus  Steinen 
errichtet.  Die  Aussicht,  die  sie  uns  darboten,  ergänzte  das  Panorama 
von  der  Konjsko  Planina  wesentlich  und  schloss  ein  weites  Stück  der 
Lukavica  ein.  Unsere  Fragen  betrafen  zuerst  den  Kapetanovo  Jezero, 
und  da  fand  ich  bei  den  allein  anwesenden  Frauen  eine  unglaubliche 
Unwissenheit.  Nicht  einmal  die  nächste  Umgebung  kannten  sie,  so  dass 
der  See  nach  den  Angaben  der  einen  gleich  hinter  dem  Zurim  liegen 
sollte,  eine  andere  wies  auf  die  entgegengesetzte  Richtung,  diese  ver- 
sicherte uns,  das  kleine  Meerauge  sei  ganz  nahe,  jene  bestritt  dieses 
mit  aller  Entschiedenheit,  so  dass  wir  unverrichteter  Dinge  abziehen 
mussten.  Das  Räthsel  des  Kapetanovo-Sees  ist  noch  nicht  gelöst,  denn 
Rovinski,  Baumann  und  Wünsch,  die  dieses  Gebiet  ebenfalls  durchforscht 
haben,  geben  zwei  Seen,  aber  mit  verschiedenen  Namen  —  Kapetanovo, 
Crno,  Rovacko,  Brnicko  und  Manito  Jezero  —  an. 

Umschwirrt  von  abscheulichen  Fliegenschwärmen  durchstreiften 
wir  abermals  die  Mulde  in  der  Richtung  nach  einem  tiefen  Thalriss. 
der  von  völlig  kahlen  Bergen  auf  150  Fuss  Breite  eingeengt  und  von 
einem  Bache  durchschnitten  wurde.  Die  Randgebirge  gingen  in  steil 
abstürzende  Plateaus  über,  deren  Scheitel  von  unregelmässig  angeord- 
neten Erhebungen  und  Vertiefungen  unterbrochen  ward.  Die  Sohle 
bestand  aus  feiner  Erde,  die  ein  Verwitterungsproduct  des  unterlagernden 
Schiefers  war,  dabei  aber  auch  die  Rückstände  des  aufgelösten  Kalkes 
in  sich  aufgenommen  hatte.  Beiderseits  mündeten  unbedeutende  Rinnsale 
in  den  kleinen  Bach  ein,  und  nachdem  wir  seinen  von  wilden  Trümmer- 
massen fast  verschütteten  Ausgang  nicht  ohne  Mühe  überwunden  hatten, 
eilten  wir  in  dem  trostlosen  Hochthale  weiter,  bis  es  an  einem  flachen, 
schmalen  Sattel,  einer  Wasserscheide,  endete.  Die  einzige  Abwechselung 
gewährten  die  Schneestreifen,  die  an  geschützten  Stellen  bis  auf  unseren 
Weg  hinabreichten;  erst  auf  dem  Sattel  stellten  sich  wieder  grüne  Wiesen 
und  hochstämmige  Buchen  ein.  Zur  Linken  lief  eine  grasige  Matte 
langsam  zum  finsteren  Berghintergrund  und,  wie  ich  leider  zu  spät 
erfuhr,  zum  Kapetanovo-See  hinauf.  Eine  neue  Schlucht  nahm  ihren 
Anfang;  gar  angenehm  marschirte  sichs  an  ihren  plätschernden  Wassern, 
auf  dem  schwellenden  Pflanzenteppich,  unter  dem  Schatten  der  statt- 
lichen Bäume,  und  schon  nach  einer  halben  Stunde  betraten  wir  das 
versteckte    Dörfchen    Milin  Do   (1537  Meterj.     Seine  Holzhäuser,    etwa 


Ueber   die   Lukavica   ins   obere   Moraca-Thal.  y^ 

zwanzig  an  der  Zahl,  waren  in  einem  Kessel  zerstreut,  dessen  niedriger 
Umfassungsgrat  das  Thal  zu  einer  Mulde  abschloss.  Kaum  hatten  wir  uns 
niedergesetzt,  so  strömte  das  Volk  zusammen,  und  im  Xu  drängten  sich 
mindestens  fünfzig  Männer  und  Weiber  um  uns  herum,  die  mich  mit 
offenen  Augen  anglotzten,  als  ob  sie  noch  nie  einen  Fremden  gesehen 
hätten.  Alles  wurde  betastet,  nach  Allem  gefragt;  Barometer,  Thermo- 
meter und  noch  mehr  der  Feldstecher,  mit  dem  ich  die  gewaltige  Fels- 
pyramide des  schneebedeckten  Maganik  betrachtete,  erregten  ihr  höchstes 
Erstaunen,  und  als  ich  ihnen  die  Nadel  des  Compasses  zeigte,  die  sie 
trotz  alles  Schütteins  und  Drehens  nicht  aus  ihrer  Richtung  bringen 
konnten,  während  ich  sie  mit  dem  Taschenmesser  flugs  im  Kreise 
herumdrehte,  waren  sie  geradezu  sprachlos.  Endlich  raffte  sich  eine 
Frau  auf,  mir  eine  Schale  saurer  Milch  zu  bringen,  und  dann  sagten 
wir  den  kindlich-aufdringlichen  Leuten  Lebewohl,  um  in  steil  geböschter 
Bachschlucht  600  Meter  tief  zur  Mrtvica  hinabzuklettern. 

Die  Schiefer  gewannen  beim  Abstieg  die  Oberhand.  Auf  beschwer- 
lichen Zickzackpfaden  durchmassen  wir  eine  Zone,  in  der  sich  beide 
Gesteinsarten  innig  miteinander  vermengten,  bis  der  Schiefer  vorherrschte. 
Am  linken  Hange  gingen  seine  dünnblätterigen  Schichten  viel  weiter 
in  die  Höhe  als  am  rechten  und  entsandten  zahllose  Rinnsale; 
an  der  anderen  Seite  dagegen  trat  nicnt  ein  einziges  Aederchen 
aus.  Endlich  waren  wir  in  eine  neue  Welt  gelangt.  Ein  hochstämmiger 
Wald  stieg  von  den  Gipfeln  herab  ins  Thal,  wo  Bach  an  Bach  dahin- 
rauschte,  zahllose  Quellen  murmelten,  und  wo  das  dichte  Grün  des 
näubdaches  die  Hitze  milderte.  Bald  hier,  bald  dort  taucRte  aus  einer 
ETchtung  ein  Häuschen  auf,  und  der  Weg,  der  mit  den  erbärmlichen 
Pfaden  des  Karstes  nicht  mehr  verglichen  werden  konnte,  brachte  uns 
nach  3  Uhr  in  das  weit  zerstreute  Dorf  Velje  Duboko  (933  Meter).  Es 
war  wie  ausgestorben,  da  sich  seine  Bewohner  fast  sämmtlich  auf  der 
Alm  befanden.  Ein  Eingeborener  liess  sich  erst  nach  eindringlichem 
Zureden  herbei,  uns  in  sein  Haus  aufzunehmen.  Immer  rief  er  aus,  er 
sei  ein  armer  Mann  und  könne  einem  Fremden  nichts  bieten.  Wir 
betonten,  dass  wir  mit  Wenigem  gern  vorlieb  nehmen  wollten  und  dass 
wir  vor  Allem  ein  Unterkommen  wünschten.  Endlich  erklärte  er  sich 
bereit,  uns  zu  beherbergen  und  erfüllte  seine  Obliegenheiten  als  Wirth 
aufs  beste.  Er  brachte  Honig,  Milch  und  wilde  Kirschen,  Abends  gab 
es  sogar  Fleisch,  das  allerdings  einen  bedenklichen  Geruch  und  Ge- 
schmack hatte,  und  aus  Stroh  und  Reisig  wurde  ein  bequemes  Lager 
für  mich  bereitet,  während  die  anderen  sich  auf  den  blossen  Dielen 
niederlegten.  Ich  merkte  schon  am  Tage,  dass  es  Ungeziefer  gab;  doch 


76  Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraiia-Thal. 

als  ich  schlafen  wollte  und  das  Dunkel  der  Nacht  den  stillen  Raum 
einhüllte,  da  wurde  es  überall  lebendig.  Aus  dem  Stalle  unterhalb  der 
sogenannten  Stube  kamen  die  widerwärtigen  Insecten  herauf,  von  der 
Decke  fielen  sie  herab,  von  den  Seiten  krochen  sie  heran.  Ueberall 
machten  sie  sich  fühlbar  und  peinigten  mich  derartig,  dass  ich  keine 
Secunde  Ruhe  hatte.  Bleiern  verflossen  die  Stunden  dieser  verwünschten 
Nacht,  und  schon  beim  schwachen  Morgengrauen  entfloh  ich  aus  dem 
schrecklichen  Gefängnisse ,  um  im  klaren  Flusse  den  zerstochenen 
Körper  abzukühlen,  der  so  viele  rothe  Punkte  aufwies,  als  ob  er  von 
der  Masernkrankheit  ergriffen  wäre. 

Velje  Duboko  liegt  in  dem  tief  eingerissenen  Thale  der  Mrtvica 
oder,  wie  sie  im  Oberlaufe  heisst,  der  Velje  Rijeka.  So  schmal  ist  der 
Grund,  dass  er  nur  dem  mit  lockeren  oder  verbackenen  Gerollen  er- 
füllten Flusse  Platz  gewährt,  weshalb  sich  die  Hütten  ängstlich  an  die 
Abhänge  schmiegen.  Der  Ort  verdient  seinen  Namen  »Grosse  Tiefe« 
mit  Recht,  denn  beiderseits  ragen  die  schroffen  Bergzüge  des  Maganik, 
Brnik  und  der  Siljevica  zu  beträchtlicher  Höhe  empor,  um.  als  maje- 
stätische Ketten  steil  zur  Moraca  abzustürzen.  Gleich  unterhalb  der 
letzten  Häuser  verengen  sich  die  senkrechten  Wände  zu  einem  un- 
passirbaren  Canon;  daher  klimmt  der  Saumpfad  bis  Lijesnje  rasch  an 
der  Berglehne  hinan,  und  dieser  steile  Aufstieg,  der  stellenweise  einen 
rothbraunen  Schiefer  aufschloss,  war  das  einzig  Anstrengende  auf  unserem 
heutigen  Tagemarsche. 

Hinter  Lijesnje  (1163  Meter)  wandten  wir  uns  vom  Mrtvica-Schlunde 
ab  und  gingen  am  Hange    des  Lukanjecelo    langsam    abwärts.     Leider 
forderte  die  schlaflose  Nacht  ihr  Recht,    so  dass  ich  nur  mit  getheilter 
Aufmerksamkeit  in  der  idyllischen  Gegend  Rundschau  hielt  und  die  reiz- 
vollen AusbHcke  auf  das  Moraca-Thal  kaum  beachtete.  Bald  ruhte  ich  unter 
schattigen  Baumkronen,  bald  im  weichen  Farnkraut,  am  rauschenden  Quell 
oder  an  silberhellen  Bächen,  und  längere  Zeit  rasteten  wir  im  Weiler  Jase- 
novo  (856  Meter).    Die  Leute  hatten  bloss  Skorup  (eine  Art  dicker,  süsser 
Milch)  zu  essen,  an  dessen  Geschmack  ich  mich  nie  gewöhnen  konnte, 
und  so  musste  ich  müde  und  hungrig  wieder    aufbrechen.     Mit   zuneh- 
mendem Abstiege  mischten    sich  Eichen    unter    die  Buchen,    und  aller- 
wärts  verkündeten  Kartoffel-  oder  Getreidefelder  die  Anwesenheit  fleissiger 
Menschen.  Giessbäche  zerfurchten  das  wenig  widerstandsfähige  Gestein, 
der  Kettencharakter  der  Moraca-Gebirge  wurde  immer  ausgesprochener, 
und  plötzlich  entrollte    sich    in    der  Ferne    die   stolze  Mauer    des  Kom. 
Zum   ersten    Male   sah   ich  Montenegros  zweithöchsten  Berg,  und   dun- 
stiges Gewölk  umwallte  wie    ein   feiner  Schleier  die  Zinnen  des  altehr- 


Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraöa-Thal.  yy 

würdigen  Grenzpfeilers.  Endlich  standen  wir  an  der  Moraca,  die  eine 
viel  schärfere  Rinne  als  die  Duga-Pässe  darstellt,  weil  ihre  absolute  Höhe 
bei  Kloster  Moraca  erst  280  Meter  und  die  relative  Höhe  ihrer  Um- 
gebung 900  Meter  und  mehr  beträgt.  Die  Duga-Pässe  dagegen  er- 
reichen rasch  1400  Meter  und  sind  viel  weniger  tief  in  die  benachbarten 
Plateaus  eingesenkt.  Noch  verbargen  die  waldigen  Ausläufer  das  er- 
sehnte Monasterium;  aber  nach  kurzer  Thalwanderung  leuchteten  uns 
seine  Gebäude  aus  nächster  Nähe  entgegen,  und  74  2  Uhr  hielten  wir 
vor  seinem  Thore  (314  Meter). 

Kaum  hat  die  schäumende  Moraca  ihr  Ursprungsgebirge,  die 
Javorje  Planina,  verlassen  und  ist  mit  sanfterem  Gefälle  in  die  Ebene 
des  Moracki  Monastir  eingetreten,  so  vertauscht  sie  die  enge  Thalrinne 
ihres  Oberlaufes  mit  einem  schauerlichen  Canon,  den  sie  bis  zur  Ebene 
von  Podgorica  beibehält.  Einige  Male  treten  die  umgebenden  Berg- 
ketten und  Plateaus  auseinander,  und  die  so  entstandenen  Becken,  zu 
denen  das  eben  erwähnte  gehört,  waren  von  Seen  eingenommen,  die 
der  reissende  Gebirgsstrom  nach  und  nach  anschnitt  und  entleerte. 
Steigen  wir  zu  seinen  schäumenden  Fluthen  hinab,  die  beim  Kloster  eine 
feste  Steinbrücke  überspannt,  so  finden  wir  unter  seinen  colossalen 
Geröllmassen  Kalke  aller  Farben  und  Grössen,  dunkelgrüne  Diabase, 
paläozoische  und  Werfener  Schiefer,  und  mächtige  Blöcke  haben  sich 
von  den  schroffen,  höhlenreichen  Wänden  abgelöst,  deren  mittelgrosse 
Conglomerate  durch  ein  ockeriges  Cement  nicht  allzu  fest  verkittet  sind. 
Kleine  Wasserfälle,  welche  die  einschneidende  Wirkung  des  Wassers 
gut  zum  Ausdruck  bringen ,  hüpfen  in  lustigen  Sprüngen  zur  blau- 
grünen Moraca  hinab,  und  auf  der  etwa  50  Meter  hohen  Flussterrasse 
ist  das  Kloster  errichtet,  welches  die  Gebeine  des  heiligen  Stephan  birgt. 
Es  ist  das  grösste  seiner  Art  in  Montenegro  und  streitet  sich  mit  Piva 
um  den  Ruhm,  das  älteste  zu  sein,  denn  ein  unscheinbares  Häuschen 
mit  Malereien  religiösen  Inhaltes  soll  noch  aus  den  Zeiten  der  Nemanja 
(13.  Jahrhundert)  stammen.  Das  Innere  der  Kirche  ist  ebenfalls  mit 
zahlreichen  Wandmalereien  geziert,  unter  denen  neben  einem  eigenartig 
ausgeführten  Teufelssturz  die  langen  Gestalten  der  Heiligen  auffallen, 
deren  Füsse  im  Verhältniss  zur  Körperlänge  viel  zu  kurz  gerathen  sind. 
Neben  der  Kirche  steht  die  Schule,  ihr  gegenüber  ein  grosses  Gebäude, 
in  welchem  die  \\'ohnung  des  Igumans,  die  Fremdenzimmer  und  ein 
von  zwei  Glocken  eingenommener  Altan  untergebracht  sind,  und  um 
den  gepflasterten  Hof  läuft   eine    mit  Schiessscharten  versehene  Mauer. 

Im  gesammtenFürstenthume  gibt  es  dreizehn  Klöster,  nämlich  :Ostrog, 
Cetinje,  Moracki  Monastir,    Pivski  Monastir,    Zdrebanik,  Celija  Piperska, 


78 


Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal. 


Duga,  Kosijerevü,  Bijela,  Brc-ele,  Podmalinsko  oder  Suma,  endlich  die  neu 
erbauten  Klöster  Sveti  Luka  und  Vranina.  Jedes  derselben  steht  unter 
einem  Iguman  (Abt)  oder  Kaludjer  (Mönch),  nur  in  Kosijerevo  und  im 
Doppelkloster  Ostrog  sind  deren  zwei,  und  Vranina  und  Brcele  werden 
vorläufig  von  einem  zeitweilig  anwesenden  Popen  verwaltet. 

Die  höhere  oder  Kloster-Geistlichkeit  darf  nicht  heiraten  und  er- 
hält ein  gewisses  Jahresgehalt,  Die  niederen  Geistlichen  oder  Popen 
unterscheiden  sich  äusserlich  bloss  dadurch  von  dem  gewöhnlichen 
Volke,  dass  sie  einen  Backenbart  tragen;  bei  heiligen  Handlungen  legen 
sie  die  Waffen  ab  und  ziehen  das  Ornat  über  ihre  Kleider.  Die  niederen 
Geistlichen  dürfen  heiraten,  aber  nur  einmal,  und  jeder  Montenegriner, 
den  das  geistliche  Oberhaupt,  der  Erzbischof  in  Cetinje,  weiht,  kann 
Pope  werden,  zumal  mit  dieser  Würde  kein  Anspruch  auf  Gehalt  ver- 
bunden ist. 

Der  würdige  Abt,  Michail  Dosic,  ein  sehr  sympathischer  Mann  in 
den  besten  Jahren,  nahm  mich  mit  derselben  Freundlichkeit  auf  wie 
meine  Vorgänger  Schwarz,  Tietze,  Baumann  und  Wünsch.  Er  hatte  in 
Belgrad  studirt,  und  sein  ganzes  Wesen  zeugte  von  einer  umfassenden 
Bildung;  aber  nicht  allein  seinen  Beruf  verstand  unser  Wirth  vortrefflich, 
er  hatte  sich  auch  im  Kriege  als  vorsichtigen  Commandanten  und  tapferen 
Krieger  bewährt,  als  Mehemed  Ali  Pascha  von  Kolasin  aus  verwüstend 
ins  obere  Moraca-Gebiet  einfiel.  Am  anderen  Morgen  wurde  das  Fest 
des  heiligen  Stephan  abgehalten,  und  zur  Unterstützung  des  Igumans 
war  Michail  Radovic,  der  Pope  der  Parochie  Gornje  Moraca  (Obere 
Moraca)  aus  dem  Kirchdorfe  Polje  herübergekommen.  In  ihm  lernte  ich 
einen  nicht  minder  gebildeten  Montenegriner  kennen,  der  in  Wien  und 
Petersburg  gewesen  war  und  in  allen  Fächern  des  Wissenswerthen 
guten  Bescheid  wusste.  Zu  ihnen  gesellte  sich  ein  Baumeister  aus  Bije- 
lopolje  (Sandsak  Novibazar),  der  geschäftlich  hier  zu  thun  hatte,  und 
lebhaft  plauderten  wir  im  Zimmer  des  Igumans  oder  lustwandelten  unter 
den  Pflaumen-  und  Apfelbäumen  des  Klostergartens,  bis  mich  schliesshch 
die  Müdigkeit  übermannte.  Ich  erwachte  erst,  als  ein  heftiger  Gewitter- 
regen an  die  Fensterläden  schlug  und  den  heissen  Tag  wohlthuend 
abkühlte,      i 

Am  II.  Juni  weckte  mich  schon  früh  das  feierliche  Glockengeläute, 
und  unverweilt  eilte  ich  auf  den  Hof,  auf  dem  es  bereits  von  Crno- 
gorcen  wimmelte.  Um  g  Uhr  sollte  der  Gottesdienst  beginnen,  und  um 
die  viel  beschäftigten  Geistlichen  nicht  abzuhalten,  erging  ich  mich  am 
Flusse,  bis  mich  der  helle  Glockenklang  wieder  hinüberrief.  Ehrerbietig 
räumte  mir   die    andächtige  Menge    den    vordersten    Platz    ein,    und    die 


Leber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal. 


79 


heilige  Handlung  nahm  ihren  Anfang.  Sie  beschränkte  sich  auf  das 
\'orlesen  einzelner  Bibelstellen  und  auf  das  Absingen  einer  monotonen 
Liturgie,  die  der  Abt  allein  oder  abwechselnd  mit  einem  gewöhnlichen 
Manne  vortrug.  Das  \'olk  begleitete  die  Ceremonien  mit  Kreuzeschlagen, 
\'erbeugungen,  Küssen  des  Fussbodens  und  der  Heiligenbilder,  ja  einige 
Frauen  krochen  unter  die  Decke  des  hölzernen  Altars  und  warteten 
in  dieser  gebückten  Stellung  das  Ende  des  etwa  halbstündigen  Gottes- 
dienstes ab.  Zuletzt  erhielt  Jeder  der  Anwesenden  das  Abendmahl  in 
Gestalt  eines  Stückchens  Brot,  und  dann  verlief  sich  die  Menge,  um  im 
Klosterhofe  zu  plaudern  oder  sich  im  Han  zu  erfrischen. 

Die  Niederschläge  des  gestrigen  Abends  hatten  die  gehoffte  Ab- 
kühlung nicht  gebracht,  und  wir  sassen  noch  beim  Frühmahl,  als  sich 
der  Himmel  von  Neuem  umdüsterte.  Doch  wir  mussten  aufbrechen,  da 
Polje,  unser  heutiges  Ziel,  sechs  gute  Stunden  entfernt  war  und  da  der 
liebensw^ürdige  Pope  durch  seinen  Diener  unsere  Ankunft  bereits  an- 
gemeldet hatte.  Mit  herzlichem  Gruss  und  Handschlag  schieden  wir  von 
unserem  Iguman,  aber  schon  nach  kurzer  Zeit  rauschte  ein  wolken- 
bruchartiger  Gewitterregen  nieder,  der  uns  in  wenigen  Minuten  durch- 
nässte,  den  Weg  in  einen  schlüpfrigen  Morast  verwandelte  und  mit 
geringen  Unterbrechungen  von  '/o  2  bis  4  Uhr  anhielt.  Umkehren 
wollten  und  konnten  wir  nicht  mehr,  darum  vorwärts,  es  sei  dem,  wie 
es  wolle!  Wie  mir  der  verständige  Pope  später  mittheilte,  kam  dieser 
Regen  vom  Meere,  weil  er  nach  Westen,  also  nach  dem  Meere  zu  an 
Stärke  gewann  und  weil  er  in  Cetinje  ebenfalls  aufgetreten  war.  Sonst 
haben  die  östlichen  Landestheile  vorzugsweise  Nord-  oder  Nordostregen, 
die  aus  Bosnien  oder  Serbien  herüberkommen  und  über  die  Osthälfte 
Montenegros  nicht  weit  hinausgehen. 

Kaum  hatte  das  Gewitter  etwas  nachgelassen,,  als  wir  schleunigst 
den  jäh  gestörten  Marsch  fortsetzten  und  uns  zuerst  im  Thale  hielten. 
Wir  zogen  längs  der  munteren  Moraca  hin;  aber  schnell  drängten  sich 
ihre  steilen  Uferwände  zusammen,  und  es  wurde  uns  klar,  dass  wir 
falsch  gegangen  waren.  Aufs  Gerathewohl  schlugen  wir  uns  in  die  Büsche 
und  bemerkten  bald  ein  Bauernhaus,  dessen  Bewohner  uns  die  Richtung 
angaben,  in  welcher  wir  auf  den  rechten  W'eg  stossen  würden.  Ueber 
100  Meter  mussten  wir  auf  dem  aufgeweichten  Boden  steil  emporklettern, 
bis  wir  den  bequemen  Pfad  erreichten,  der  nunmehr  viel  langsamer 
aufstieg  und  sich  schliesslich  ebenso  langsam  zum  Flusse  senkte.  Noch 
manchmal  überraschten  uns  kurze,  heftige  Schauer,  und  der  Abend 
näherte  sich  mit  starken  Schritten,  als  wir,  in  Jablan  (680  Meter)  ein- 
treffend, Zweidrittel  der  gesammten  Wegstrecke    zwischen    dem  Kloster 


go  lieber  die  Lukavica  ins  obere  Moratia-Thal. 

und  Polje  zurückgelegt  hatten.  Die  Brücke,  die  oberhalb  Jablan  sein 
sollte,  war  bei  der  ungenauen  Darstellung  und  dem  kleinen  Massstabe 
der  Karte  nicht  zu  finden,  und  überdies  wussten  die  allein  anwesenden 
Frauen  nichts  von  einer  solchen.  So  mussten  wir  in  einem  grossen 
Bogen  den  Unterlauf  des  tief  eingerissenen  Wildbaches  Poznja  umgehen, 
der  wie  viele  seinesgleichen  in  den  wenig  bekannten  Schluchten  des 
Tali  und  der  Kapa  Moracka  entspringt.  Der  wolkenverhangene  Himmel 
begünstigte  die  wachsende  Dunkelheit,  und  um  y^  8  Uhr  standen  wir 
rathlos  an  der  brausenden  Moraca  (516  Meter),  in  der  wir  weder  eine 
Furt,  noch  am  anderen  Hange  einen  Pfad  erblickten.  Glücklicherweise 
watete  als  hochwillkommener  Deus  ex  machina  ein  junger  Bursche  durch 
den  knietiefen  Fluss;  er  führte  das  Pferd  hinüber,  nahm  mich  auf  seinen 
Rücken  und  Hess  sich  durch  ein  kleines  Geldgeschenk  bewegen,  uns 
nach  dem  eine  halbe  Stunde  entfernten  Polje  zu  geleiten.  Bei  völliger 
Finsterniss  betraten  wir  die  Schule  (669  Meter),  in  der  unser  Wirth 
wohnte.  Wir  waren  keine  unbekannten  Gäste  mehr,  denn  der  Diener 
des  Popen  hatte  Alles  pünktlich  ausgerichtet.  Die  Popadija  (Frau  des 
Popen)  und  der  Pope  Savo  Rubezic  aus  Plana  bei  Kolasin,  der  seinen 
Freund  und  Amtsgenossen  bis  zu  dessen  Rückkehr  vertrat,  empfingen 
uns  aufs  freundlichste;  das  Abendessen  war  schon  zubereitet,  und  nach 
unserer  leiblichen  Stärkung  entledigte  ich  mich  der  feuchten  Kleider, 
um,  froh  über  unsere  Ankunft,  das  einfache  Lager  aufzusuchen. 

Die  Gornje  Moraca  besitzt  den  Charakter  der  zuletzt  durchwanderten 
Gebiete  in  vollstem  Masse.  Sie  bildet  eine  anmuthende  Wald-,  Wiesen- 
und  Parklandschaft,  welche  die  starren  Schönheiten  des  Hochgebirges 
mit  dem  lieblichen  Zauber  des  Mittelgebirges  vereinigt.  Viele  Berge 
sind  bis  zur  Spitze  von  einem  grünen  Grasteppich  oder  von  dichtem 
Laubholze  verhüllt;  die  höchsten  Gipfel  jedoch,  die  aus  Triaskalk  be- 
stehen, ragen  in  schroffen,  nackten  Mauern  auf  und  bergen  ewigen 
Schnee  in  ihren  Schluchten.  Theils  enden  sie  in  abgeplatteten  Rücken, 
z.  B.  Vrmac,  Kapa  Moracka,  Javorje  Planina,  theils  in  ausdrucksvollen 
Zinnen  oder  scharfen  Kämmen,  wie  z.  B.  die  meisten  Berge  der  Moracko 
Gradiste,  der  Tali,  Zebalac,  Podzki  Vrh  und  viele  andere.  Zahllose 
Quellen  und  Bäche  durchschneiden  in  schmalen  Klammen  jene  viel- 
gegliederten, schwer  zugänglichen  Gebirgsmassive,  und  das  tiefste  Bett 
hat  sich  die  Moraca  gegraben,  die  unter  ihren  Gerollen  nicht  selten 
hausgrosse  Blöcke  führt.  Auf  den  Hochwiesen  und  zwischen  den  aus- 
gedehnten Buchenwäldern  der  unteren  Lehnen  liegen  die  stattlichen 
Dörfer.  Sie  erfreuen  sich  eines  so  milden  Klimas,  dass  der  Schnee  nach 
Aussage    der  Einheimischen    nur    V2    t)is    i   Meter    hoch    fällt  und  sich 


Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal.  3l 

höchstens  8  bis  14  Tage  hält.  In  den  oberen  Theilen  ist  das  Klima 
natürlich  rauher,  und  häufige  Lawinenspuren  erinnern  dort  an  die  Schnee- 
massen des  langen  Winters. 

Unser  Wirth  kam  erst    am    nächsten  Morgen  an,  und  inzwischen 
war  mir  Pope  Savo,    der    die  gleichen  Reisen    wie  Pope  Michail  unter- 


Pope  Michail  Radonic  mit  seiner  Familie  und  Pope   Savo  Rubeicie. 


nommen  hatte  und  sich  ebenfalls  durch  eine  gediegene  Bildung  aus- 
zeichnete, ein  Heber  Gesellschafter.  Ich  musste  den  ganzen  Tag  in 
Polje  bleiben  und  kann  wohl  sagen,  dass  dieser  Aufenthalt  mit  zu 
meinen  schönsten  Erinnerungen  gehört.  Wir  erörterten  politische  und 
wissenschaftliche  Fragen;  über  die  Landeskunde  jener  Gegenden  erhielt  ich 
manche  werthvolle  Aufklärung,  und  mit  den  Principien  des  Thermometers 

Hassert.  Reise  durch  Montenegio.  O 


Q-j  Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Tlial. 

und  Barometers,  des  Luftballons  u.  s.  w.  waren  beide  um  so  mehr 
vertraut,  als  sie  ein  gutes  serbisches  Lehrbuch  der  Physik  besassen. 
Pope  Michaihvar  auch  sonst  ein  sehr  belesener  Mann;  leider  ging 
durch  einen  unglücklichen  Zufall  sein  Haus  in  Flammen  auf,  und  er 
vermochte  nur  das  Wenigste  von  seiner  Habe  und  von  seinen  Büchern 
zu  retten. 

Am  Nachmittage  hatte  ich  Gelegenheit,  einer  Taufe  beizuwohnen, 
zu  welcher  ausser  der  Mutter,  die  den  Säugling  trug,  und  einem 
ihrer  kleinen  Söhne  Niemand  erschienen  war.  Die  Mutter  gab  den 
Täufling  ihrem  Sohne  und  blieb  bis  zum  Ende  der  Feierlichkeit  vor 
der  Kirchenthüre  sitzen.  Der  Geistliche  warf  im  Gotteshause  das  Ornat 
über  und  sagte  lächelnd  die  vorgeschriebenen  Gebete  her  oder  schlug 
mechanisch  seine  Kreuze ,  wobei  er  den  Knaben  einige  Male  aus- 
schalt, wenn  er  die  Ceremonien  nicht  richtig  befolgte.  Hierauf  be- 
goss  er  den  Täufling,  der  schrie,  als  ob  er  am  Spiesse  stäke,  mit  nicht 
gerade  warmem  Wasser,  schnitt  einige  Haare  von  dessen  Haupte  ab 
und  liess  sie  durch  den  Jungen  an  die  Kirchenwand  kleben.  Damit 
war  der  heilige  Act  zu  Ende,  da  ein  Taufschein  oder  ein  anderes 
Schriftstück  nicht  ausgefertigt  wird. 

Was  den  Aufenthalt  beim  Popen  Michail  besonders  angenehm 
machte,  war  die  gute  Küche  seines  Hauses.  Zu  jedem  Mahle  setzte  uns 
die  Popadija  etwas  anderes  vor,  und  ich  bedauerte  es  lebhaft,  dass  sie, 
die  eine  der  schönsten  Frauen  Montenegros  war,  durch  die  Stellung  ihres 
Geschlechtes  zu  übergrosser  Zurückgezogenheit  gezwungen  ward  und 
dass  sie  statt  mit  uns  mit  der  Dienerschaft  in  einem  anderen  Räume 
essen  musste.  Sie  trat  nur  in  unser  Zimmer,  um  ihren  Gemahl  und  die 
Gäste  zu  bedienen  und  drehte  uns  beim  Hinausgehen  nie  den  Rücken 
zu.  Bei  diesem  verständigen  Manne  und  bei  anderen  vornehmen  Monte- 
negrinern nahm  die  Frau  also  noch  eine  niedrige  Stellung  ein,  die  in- 
dessen durchaus  nicht  als  einSklavereiverhältniss  aufzufassen  ist.  Im  Gegen- 
theil,  auch  hier  herrscht  ein  herzliches  Zusammenleben,  die  jungen 
Burschen  und  Mädchen  scherzen  fröhlich  miteinander,  und  viele  schöne 
Sagen,  z.  B.  das  montenegrinische  Weib,  das  Mädchen  auf  dem  Amsel- 
felde, der  Mädchensprung,  preisen  das  Eheglück  und  die  innige  Liebe 
zwischen  den  Familienangehörigen  in  tief  empfundenen  Worten.  Nicht 
die  Missachtung,  sondern  die  Achtung  der  schwächeren  Frau  ist  der 
Grund,  weshalb  sie  auch  zur  Zeit  der  Blutrache  unverletzbar  war,  im 
ganzen  Lande  sicherer  einhergeht  als  bei  uns  und  selbst  die  berüchtigtsten 
Theile  Albaniens  ohne  Furcht  betreten  kann.  Andererseits  versteht  es 
die  Frau,   ihrem  Gatten    das   Dasein    so    zu  vergällen,    dass    sie    ihn  — 


Ueber  die  Lukavica  ins  obere  Moraca-Thal.  3^ 

und  Dr.  Kustudija  erzählte  mir  einen  solchen  Fall  —  sogar  zum  Selbst- 
morde treibt.  Bei  einem  kriegerischen  Volke  mit  ursprünglichen  Sitten 
ist  es  natürlich,  dass  der  Mann  in  höherem  Ansehen  steht,  und  deshalb 
hat  sich  aus  der  alten  Zeit  die  Sitte  erhalten,  dass  sich  Frauen  und 
Mädchen  beim  Herankommen  eines  Mannes  erheben,  um  ihm  die  Hand 
zu  küssen  oder  seinen  Gruss  abzuwarten,  da  sie  es  nicht  wagen,  ihn 
zuerst  anzureden.  In  der  ihnen  zufallenden  Arbeitslast  sehen  die  weib- 
lichen Familienmitglieder  nichts  Ungewöhnliches,  handelten  doch  ihre 
Mütter  und  Grossmütter  nicht  anders.  Und  in  der  That,  bewunderns- 
werth  ist  der  Fleiss  der  Montenegrinerinnen.  Selbst  wenn  sie  schw^eres 
Gepäck  schleppen  müssen,  führt  die  geschäftige  Hand  den  Spinnrocken 
oder  den  Strickstrumpf.  Wenn  ihre  Gebieter,  die  übrigens  auch  fleissige 
Arbeiter  sind,  nach  vollbrachtem  Tagewerke  gemächlich  am  Herde 
lagern  und  ihre  Pfeife  rauchen,  müssen  sie  noch  Wasser  holen,  die 
Kinder  besorgen,  das  Vieh  melken,  den  Milchkessel  über  das  Feuer 
hängen,  das  Essen  bereiten  u.  s.  w.  Zugleich  werden  aber  die  Frauen 
viel  selbstständiger  als  bei  uns.  Auf  den  denkbar  schlechtesten 
Wegen  tragen  sie  Lasten ,  vor  denen  selbst  unsere  tüchtigsten  Bäue- 
rinnen zurückschrecken  würden,  und  im  Kriege  ersetzen  sie  den 
Train  und  die  Krankenpfleger,  ein  Vortheil,  der  bei  der  beschränkten 
Zahl  der  waffenfähigen  Mannschaft  im  Verhältniss  zu  der  feind- 
lichen Uebermacht  geradezu  unschätzbar  ist.  Allerdings  darf  nicht 
geleugnet  werden,  dass  die  Stellung  der  Frauen  noch  mancher  \'er- 
besserung  bedarf,  wenngleich  dieselbe  schon  längst  nicht  mehr  für  so  un- 
würdig gilt,  dass  sich  kein  Crnogorce  öffentlich  neben  seiner  Gemahlin 
zu  zeigen  wagte.  Am  Volksschulunterrichte  nehmen  jetzt  auch  die  Mädchen 
theil,  das  Mädchen-Institut  in  Cetinje  hat  den  Zweck,  seine  Zöghnge  zu 
verständigen  Hausfrauen  heranzubilden,  das  Herrscherhaus  und  die  ein- 
flussreichen Persönlichkeiten  geben  durch  die  Gleichstellung  ihrer  Frauen 
und  Töchter  ein  segensreiches  Beispiel,  und  nun  mögen  auch  die 
anderen  ihnen  nachahmen,  damit  die  montenegrinische  Frau  immer 
mehr  eine  gleichberechtigte  Gehilfin  ihres  Mannes  werde. 


6* 


84  Durch  das  Tuäina-Thal  auf  den  Vojnik  und  nach  Bresna. 


g.  Capitel. 

Durch  das  Tusina-Thal  auf  den  Vojnik  und  nach 

Bresna. 


Am  13.  Juli  mussten  wir  von  Polje  scheiden,  und  beide  Popen 
liessen  es  sich  nicht  nehmen,  uns  bis  auf  die  Javorje  Planina  das  Geleit 
zu  geben.  Nach  einem  aus  zarten  Forellen  bestehenden  Frühstück  wurde 
das  Pferd  beladen,  und  wohlgemuth  wanderten  wir  auf  dem  steilen, 
aber  nicht  zu  unbequemen  Saumwege  fort,  der  hoch  über  der  Moraca 
hinlief.  Die  Javorje  Planina  schob  einen  scharf  markirten,  dicht  be- 
waldeten Ausläufer  vor,  der  das  Thal  in  zwei  Hälften  th eilte.  Aus 
der  einen  kam  die  Moraca,  aus  der  anderen,  in  welcher  wir  gingen, 
eilte  ihr  wichtigster  Quellfluss,  der  Javorjski  Potok,  herab. 

Nach  kurzer  Wanderung  stellen  sich  die  freundlichen  Holzhäuser  von 
Aluga  (993  Meter)  ein,  die  an  der  Grenze  der  verkarsteten  Kalke  und 
der  von  Eruptivgesteinen  durchbrochenen  Schiefer  liegen,  und  vorbei 
an  mehreren  Kolibas  (1268  Meter)  steigen  wir  langsam  zu  dem  eben 
genannten  Bache  ab.  Eine  tiefe,  passartige  Einsattelung,  das  Dobri  Do 
(Gutes  Thal),  öffnet  sich.  Kalkbreccien  und  Sandsteine  setzen  abwechselnd 
mit  dem  unvermeidlichen  Kalke  den  Untergrund  zusammen,  und  im 
Schatten  alter  Buchen  erklimmen  wir  die  rasch  abfallenden  Gebirgshänge. 
Kurz  nach  12  Uhr  stehen  wir  auf  dem  Scheitel  der  Javorje  Planina 
(1634  Meterj,  die  nach  Nord  und  Süd  steil  abstürzt  und  auf  der  Höhe 
in  einem  wellenförmigen  Plateau  endet.  Kaum  einen  Kilometer  breit, 
trägt  es  zahlreiche  Sennhütten  und  bezeichnet  zugleich  die  Stelle,  wo 
sich  die  Wasserscheide  der  ins  Schwarze  und  Adriatische  Meer  fliessenden 
Gewässer  so  verschmälert,  dass  zwei  nach  den  entsprechenden  Stromge- 
bieten abrinnende  Quellen  nur  50  Meter  von  einander  entfernt  sind.  Zugleich 
gestattet  es  eine  umfassende  Aussicht  auf  das  obere  Moraca-Gebiet  und 
auf  das  Tusina-Thal;  hier  begrenzen  das  Ganze  die  wilden  Zacken  des 
Durmitor,  dort  grüsst  aus  blauer  Ferne  der  dreigipfelige  Kom  herüber. 
Pope  Michail  besass  auf  der  würzigen  Alpenweide  eine  Koliba,  und  heim- 
lich liess  er  die  Hirten  saure  Milch  für  uns  herbeibringen.  Nach  einer 
Stunde    trennte    ich    mich    mit   herzlichen    Dankesworten    von    unseren 


Durch  das   Tusina-Thal  auf  den   Vojnik  und  nach  Bresna.  Qr 

Freunden,    die  ich  leider  zu  bald  wieder  verlassen  musste,  und  beflügelten 
Schrittes    eilten  wir  am  jenseitigen  Gehänge  hinab. 

Wir  betraten  die  äussersten  Enden  des  Durmitor  und  mit  ihnen 
eine  durchaus  andere  Landschaft,  nämlich  die  der  Canons.  Zwar  ver- 
räth  das  obere  Tusina-Thal  den  Canon-Charakter  noch  wenig;  aber  je 
mehr  man  es  abwärts  verfolgt,  um  so  höher  und  schroffer  werden  seine 
Ränder.  An  die  Tusina  schliessen  sich  Bijela,  Bukovica,  Komarnica  und 
Piva,  die  an  Grossartigkeit  die  Tusina  übertreffen,  ihrerseits  aber  von 
den  schauerlichen  Tara-Schluchten  in  den  Schatten  gestellt  werden. 
W^ie  mit  einem  }.Iesser  scheinen  sie  in  die  ausgedehnten  Plateaus  ein- 
geschnitten zu  sein,  aus  denen  das  Durmitor-Gebiet  besteht,  und  die 
gähnenden  Schlünde  werden  meist  nicht  eher  sichtbar,  als  bis  man  un- 
mittelbar vor  ihnen  steht.  Diese  Rinnen,  die  in  mancher  Beziehung  als  ein 
würdiges  Seitenstück  zu  den  berühmten  Canons  des  nord-amerikanischen 
Colorado  gelten  können,  bedeuten  für  den  freien  Verkehr  ein  sehr  un- 
erwünschtes Hinderniss.  Obwohl  sie  so  schmal  sind,  dass  sich  die  Um- 
wohner mit  ihren  langgedehnten  Rufen  hinüber  und  herüber  verständigen, 
können,  so  sind  Ab-  und  Aufstieg  nur  an  einigen  Stellen  möglich  und  er- 
fordern stundenlange  Umwege.  Aus  diesen  Gründen  bildet  das  Tara-Thal  eine 
natürliche  Grenze  zwischen  der  Crnagora  und  dem  Sandsak  Novibazar. 

Je  mehr  die  Kettengebirge  den  Hochebenen  Platz  machten,  um  so 
eintöniger  wurde  die  Gegend,  und  der  Waldbestand  nahm  auffallend  ab. 
Die  Uferränder  der  Tusina  wurden  durch  übereinstimmende  Stufen,  die 
ehemaligen  Flussterrassen  entsprachen,  in  mehrere  Abschnitte  gegliedert, 
auf  denen  die  Ortschaften,  z,  B.  Zirovac  (1232  Meter)  und  ihm  gegen- 
über Bare,  errichtet  waren.  x\uch  hier  herrschten  die  Werfener  Schiefer 
und  die  in  ihrem  Bereich  so  oft  auftretenden  Diabase  vor;  daraus  er- 
klärte sich  der  Wasserreichthum  des  Flusses  und  die  sanfte  Abrundung- 
der  Ufer  im  Gegensatze  zu  den  kantigen  Zacken  der  auflagernden 
Kalke.  Der  Regen  und  die  Quellen  hatten  in  dem  weichen  Verwitterungs- 
schutte häufig  erdpyramidenartige  Ansätze  herausgearbeitet,  und  mächtige 
Trümmermassen  engten  zuweilen  das  Thal  ein.  Um  4  Uhr  erreichten 
wir  die  ersten  Häuser  von  Tusina,  die  unter  dem  Namen  Bohan  zu- 
sammengefasst  werden  und  auf  einer  niedrigen  Flussterrasse  (1095  Meter) 
liegen.  Sie  hatten  ein  sauberes  Aussehen  und  waren  fester  gebaut  als 
die  anderen  Wohnstätten  jenes  Gebietes.  Das  neugierige  Volk  verleidete 
mir  jedoch  mit  lästigen  Fragen  den  Aufenthalt,  und  ich  suchte  mir  dadurch 
etwas  Ruhe  zu  schaffen,  dass  ich  mich  auf  den  offenen  Brief  des  Ministers 
berief.  Das  half.  Sofort  wollte  man  mir  einen  ortskundigen  Führer  mit- 
geben, ja  man  forderte  mich  auf,  in  Bohan  zu  übernachten.  Ich  lehnte 


of.  Durch   das   Tu§ina-Thal  auf  den   Vojnik   und  nach   Bresna. 

beides  dankend  ab  und    nahm    nach    einem  Trünke    schwarzen  Kaffees 
meine  Wanderung  wieder  auf. 

Das  Thal  verengte  sich  rasch  zu  einem  ausgesprochenen 
Caiion,  und  horizontal  geschichtete  Conglomeratbänke,  die  beiderseits 
den  Wasserspiegel  um  20  Meter  überragten,  zeigten  an,  dass  die  Tusina 
einst  eine  bedeutendere  Höhe  besass.  Ein  kümmerlicher  Pfad  führte 
an  der  schroffen,  ebenfalls  von  Terrassen  unterbrochenen  Wand  hin  und 
verlor  sich  schliesslich  im  Grase.  Plötzlich  standen  wir  vor  einem 
finsteren  Spalte,  den  die  fessellosen  Wasserkräfte  in  das  Gestein  ge- 
wühlt hatten.  Gewaltige  Trümmer,  Kalke,  Diabase,  Schiefer-  und  Horn- 
steine  mit  rothen  Jaspissen,  erfüllten  die  Tiefe,  und  ein  krystallheller 
Giessbach  brauste  über  das  Gestein,  das  Getriebe  einer  Mühle  (983  Meter) 
in  Bewegung  setzend.  Das  war  die  Bukovica,  die  Durmitorgeborene, 
die  in  lustigen  Sprüngen  zur  Tusina  eilte. 

Der  Himmel,  der  sich  schon  im  Laufe  des  Nachmittags  umwölkte, 
machte  ein  immer  drohenderes  Gesicht.  Doch  schon  winkte  unser  Ziel, 
das  Kloster  Podmalinsko,  und  ich  freute  mich  der  guten  Aufnahme,  die 
mir  ein  Briefchen  seitens  des  Popen  Michail  zusichern  sollte.  Als  wir 
indessen  ankamen,  war  der  Kaludjer  nirgends  zu  entdecken,  und  das 
Monasterium  bestand  aus  einem  Kirchlein  und  einem  wenig  einladenden, 
gefängnissartigen  Hause.  Wir  traten  in  die  Thüre,  um  den  Regen  ab- 
zuwarten, und  gleich  darauf  erschien  ein  Mann  aus  einer  benachbarten 
Hütte  mit  der  Nachricht,  der  iMönch  sei  vor  wenigen  Minuten  nach 
Kloster  Bijela  gegangen;  obendrein  verkündete  uns  der  gesprächige 
Bote,  dass  es  hier  nichts  zu  essen  gäbe.  Wir  sagten  ihm,  dass  wir  selber 
genug  Vorräthe  hätten,  und  richteten  uns  zum  Dableiben  ein.  Mein 
Diener  Hess  die  Vermuthung  laut  werden,  der  Mönch  sei  vielleicht  gar 
nicht  nach  Bijela,  sondern  in  die  Hütte  jenes  Mannes  gegangen,  weil  sein 
armes  Kloster  nichts  bieten  konnte  und  er  sich  deshalb  schämte,  uns 
persönlich  zu  empfangen.  So  kauften  wir  uns  zu  unseren  Conserven 
etwas  Brot,  Käse  und  saure  Milch  und  legten  uns  frühzeitig  zum  Schlafe 
nieder. 

Frohen  Herzens  kehrte  ich  Podmalinsko  (969  Meter)  den  Rücken, 
denn  nun  näherten  wir  uns  dem  lange  ersehnten  Vojnik,  einem  der 
höchsten  Bergriesen  Montenegros,  immer  mehr.  Unter  blühenden,  duf- 
tenden Linden  stiegen  wir  hinter  dem  Kloster  an,  bis  wir  aus  der  Zone 
der  Werfener  Schiefer,  Diabase  und  Hornsteine  in  die  der  Kalke  ge- 
langten. Die  stark  zersetzten  Diabase  machten  den  sehr  steilen  Pfad 
erträglich,  der  in  vielen  Windungen  auf  das  300  Meter  höhere  Plateau 
lief,  um  dort  in  den    von  Tusina    kommenden  Hauptweg  einzumünden. 


Durch   das   Tusina-Thal   auf  den  Vojnik  und  nach  Bresna.  3? 

Noch  lange  begleitet  von  jenem  dunkelgrünen  Eruptivgestein  durchzogen 
wir  die  waldarme  Hochebene,  auf  der  sich  Kalk  und  Schiefer  um  die 
Herrschaft  stritten ,  und  passirten  nach  7>  ^  ^  ^'^i"  ^^^  Dörfchen 
Mleticak  (1350  Meten.  Die  einzige  Abwechselung  in  der  lang- 
weiligen Gegend  boten  die  jähen  Schluchten  der  Tusina  und  Bijela, 
und  endlich  erhob  sich  vor  uns  der  plumpe,  massige  Vojnik.  Ein 
500  Meter  tiefes  Thal  trennte  ihn  von  unserem  Standpunkte ,  und 
rüstig  kletterten  wir  zwischen  zerstreuten  Hütten  über  eine  Stunde  die 
starkgeböschte  Wand  abwärts,  von  deren  Grunde  die  winzig  kleinen 
Gebäude  von  Savniki  heraufleuchteten. 

Savniki  ( S44  Meter)  erinnert  vielfach  an  Bohan  und  ist  trotz  seiner 
Abgeschlossenheit  nicht  ohne  Bedeutung,  da  es  an  der  Handelsstrasse 
von  Niksic  nach  Plevlje  liegt.  Seine  einstöckigen,  mit  Schindeln  oder 
gar  mit  Ziegeln  gedeckten  Wohnstätten  gleichen  fast  den  Bauernhäusern 
des  Thüringer  Waldes  und  sind  grösstentheils  auf  einer  schmalen  Fluss- 
terrasse unterhalb  der  hier  zusammenstossenden  Bijela-,  Tusina-  und 
Savniki-Cauons  erbaut.  Als  Schwarz  im  Frühjahre  1^2  diese  romantische 
Gegend  bereiste,  stürzte  die  Bijela  als  brausender  Bergstrom  aus  der 
finsteren  Klamm ;  jetzt  war  sie  ganz  trocken,  und  aus  den  anderen 
Rinnen ,  von  deren  steilen  Rändern  Schutthalden  bis  zum  Grunde 
hinabreichten ,  strömten  seichte,  unbedeutende  Flüsschen  heraus, 
deren  W^asserkraft  nicht  mehr  genügte,  um  die  Räder  mehrerer  Mühlen 
herumzudrehen.  Das  interessanteste  der  drei  Gewässer  ist  jedenfalls  der 
Savniki  Potok,  weil  seine  Quelle  intermittirt.  Sie  entspringt  aus  einer 
dunklen  Höhle  und  versiegt  zu  gewissen,  regelmässigen  Zeitabschnitten 
gänzlich,  während  diese  merkwürdige  Naturerscheinung  bei  Savniki  nur 
noch  an  dem  schwächeren  Fliessen  kenntlich  ist.  Eine  Steinbrücke 
überspannt  die  Tusina,  und  der  nahe  Han  macht  einen  guten  Eindruck. 
Weniger  gefielen  mir  seine  Besitzer.  Zwar  empfing  der  Wirth  den 
-»Schwabski«  —  so  heisst  in  den  südslavischen  Landen  der  Fremde  und 
zumal  der  Deutsche  —  mit  ausgesuchter  Höflichkeit  und  redete  ihn 
sogar  in  schlechtem  dalmatinischem  Italienisch  an,  aber  bloss  deshalb, 
weil  er  fürchtete,  dass  derselbe  in  einem  anderen  Hause  einkehren 
könnte.  Die  Wirthin  forschte  meinen  Diener  nach  allem  Möglichen  aus 
und  wollte  auch  mich  mit  einer  weisen  Unterhaltung  beehren,  indem 
sie  mich  fragte,  ob  ich  »Naski«  verstünde.  Naski,  eigentlich  »unsere 
Sprache,«  wird  allgemein  zur  Bezeichnung  der  serbischen  Landessprache 
gebraucht. 

Nach  mehrstündiger  Rast  ging  es  am  Vojnik  steil  hinauf;  die  Hitze 
und  der  volle  Magen  erleichterten  den  Aufstieg  nicht  gerade,  und  öfters 


35  Durch  das  Tusina-Thal  auf  den   Vojnik  und  nach   Bresna. 

lagerten  wir  uns  unter  den  gedrungenen  Buchen ,  die  überall  aus  den 
stark  verkarsteten  Kalken  aufragten.  Aufathmend  betraten  wir  eine  mit 
Feldern  und  Wiesen  bedeckte  Stufe,  die  sich  zu  einem  Plateau  erweiterte. 
Von  einer  klaren,  kalten  Quelle  (1122  Meter),  deren  Wasser  -[-5"C. 
hatte,  überblickten  wir  das  nahe  Dorf  Gradac  und  die  wellige  Hoch- 
ebene von  Mokro;  nach  Norden  zu  ist  sie  offen  und  wird  auf  den 
anderen  Seiten  vom  Vojnik  und  Krnovo  umgeben.  Der  Boden  bestand 
aus  Werfener  Schiefern  und  wurde  in  Folge  dessen  von  sumpfigen 
Bächen  durchzogen,  die  in  einem  tiefen  Canon  zur  Piva  abflössen. 
Zahlreiche  Häuser  waren  in  der  Runde  zerstreut,  und  eins  derselben, 
das  wegen  seiner  Grösse  und  weissen  Farbe  am  meisten  auffiel,  be- 
stimmten w-ir  zu  unserem  Quartiere  (1069  Meter).  Es  gehörte  dem  Bar- 
jaktar,  dem  Fahnenträger  von  Mokro,  und  da  er  selbst  nicht  anwesend 
war,  so  forderte  uns  sein  Vater  zum  Dableiben  auf.  Das  Erste,  was  ich  be- 
merkte, war  eine  mächtige  Bärentatze.  Der  Vojnikbeherbergt  noch  genug 
Bären  und  Wölfe,  und  vor  wenigen  Tagen  hatte  sich  Meister  Petz  in  hellem 
Uebermuthe  aus  seinem  waldigen  \'erstecke  in  die  Ebene  gewagt,  um 
einen  der  vielen  Bienenstöcke  zu  plündern  oder  ein  fettes  Lamm  zu 
erhaschen,  ein  Vorhaben,  das  er  mit  seinem  Leben  büssen  musste. 
Hier,  wiein  Zanuglina,  trugen  die  Frauen  nicht  mehr  die  montenegrinische, 
sondern  die  hercegovinische  Tracht,  so  dass  auf  Grund  dieser  und 
anderer  Beobachtungen  die  erstere  nördlich  der  Linie  Kolasin-Obere 
Moraca-Tusina-Vojnik-Lukovo-Niksic-Banjani  endet. 

Als  ich  um  4  Uhr  Morgens  aufstand,  war  der  Barjaktar  ange- 
kommen. Ich  bat  ihn  um  einen  ortskundigen  Begleiter  auf  den  Vojnik; 
da  aber  gerade  die  Zeit  der  Heuernte  war,  so  Hess  sich  ein  solcher 
schwer  auftreiben,  und  unser  Wirth  verschmähte  es  trotz  seines  mili- 
tärischen Ranges  nicht,  uns  für  80  Kreuzer  selbst  als  Führer  zu  dienen. 
Ein  feuchter  Nebel  lagerte  über  den  Fluren,  der  reichliche  Thau  durch- 
nässte  die  dünnen  Opanken,  und  das  Thermometer  zeigte  nicht  mehr  als 
-h  6°  C,  so  dass  wir  rasch  ausschritten,  um  uns  einigermassen  zu  erwärmen. 
Bald  lag  die  grasige  Ebene  hinter  uns,  und  auf  einem  erbärmlichen 
Hirtenpfade,  der  schliesslich  ganz  aufhörte,  stiegen  wir  zwischen  Gebüsch 
bergan.  Unser  Mentor  eilte  mit  erstaunlicher  Geschwindigkeit  voraus, 
und  gern  hätte  es  ihm  mein  Diener  nachgemacht,  wenn  ich  schneller 
vorwärts  gekommen  wäre.  Mit  katzenartiger  Gewandtheit  sprang  er 
über  Steinblöcke,  Felszacken  und  breite  Klüfte,  ja,  er  zog  sogar  seine 
Opanken  aus  und  lief  barfuss  über  die  spitzigen  Steine.  Obwohl  ich 
ziemlich  schnell  ging,  so  konnte  sich  unser  Fahnenträger  nicht  genug 
wundern,    dass  ich   es    ihm    im  Klettern  nicht  gleich  thun  konnte,  und 


Durch  das  Tusina-Thal  auf  den  Vojnik  und  nach  Bresna.  8q 

theilnahmsvoll  fragte  er  mich,  ob  ich  schon  alt  oder  gar  krank  sei. 
WahrHch,  ein  Mann,  der  von  Jugend  auf  an  die  halsbrecherischen  Wege 
seiner  Heimat  gewöhnt  ist,  lernt  es  mit  der  Zeit,  wie  eine  Gemse  zu 
klettern:  ein  Vorzug,  um  den  ihn  der  Fremde  ebenso  sehr  beneidet, 
wie  er  erstaunt  ist,  dass  ein  Fremder  ihm  nicht  nachkommen  kann. 
Der  stark  verkarstete,  wasserlose  Kalk  war  mit  Dolinen  übersäet,  und 
die  Bäume  hatten  sich  schon  längst  zu  einem  dichten  Urwalde  zusammenge- 
schlossen. Endhch,  nach  zw^ei  Stunden,  war  bei  1700  Meter  ü.  M.  die  Wald- 
grenze erreicht.  Die  Buche  verschwand,  und  knorrige  Legföhren  überklei- 
deten die  fahle  Grashülle.  Dagegen  beherbergten  steilwandige,  geschützte 
Kessel,  die  wir  auf  der  Höhe  zu  Hunderten  fanden,  prächtige,  hochstämmige 
Fichtenbestände,  die  sich  schon  von  Niksic  aus  als  breite,  dunkle  Streifen 
abhoben.  Nicht  minder  häufig  waren  mächtige  Firnmassen,  die  eine 
feine  Decke  schmutzigen  Schlammes  überzog  und  die  das  ganze  Jahr 
überdauerten.  Noch  hatten  wir  eine  schroffe  Graslehne  zu  erklimmen, 
dann  war  —  ein  lautes  Hurrah  entrang  sich  der  keuchenden  Brust  — 
eine  1774  Meter  hohe  Kuppe  gegenüber  den  vom  Niksicko  Polje  aus 
sichtbaren  drei  Zinnen  gewonnen. 

Der  Vojnik  ist  ein  aus  Triaskalk  zusammengesetzter  plateauartiger 
Gebirgsstock,  dessen  Oberfläche  ein  wirres  Durcheinander  von  Er- 
hebungen und  Vertiefungen  darstellt  und  nur  wenige  scharf  umrissene 
Gipfel,  z.  B.  die  eben  genannten  drei  Zinnen  (Troglav)  besitzt.  Während 
er  in  die  Hochweiden  von  Krnovo  und  in  die  Lukavica  allmählich  über- 
geht, fällt  er  zur  Terrasse  von  Mokro,  zur  Piva  und  ins  Gornje  Polje 
steil  ab.  Seine  höchste  Höhe  beträgt  1997  Meter,  und  als  ich  dies 
unserem  wissbegierigen  Führer  auf  Befragen  mittheilte,  war  er  sehr  er- 
staunt. »Was?  so  niedrig?  rief  er  aus,  ich  hätte  geglaubt,  dass  unser 
Vojnik  mindestens  8000  Meter  haben  müsse!«  Und  in  der  That  Hess 
er  sich  schwer  überzeugen,  dass  der  höchste  Berg  auf  Erden  nicht  viel 
über  Sooo  Meter  hoch  sei.  Leider  herrschte  bei  den  Umwohnern  dieselbe 
Unkenntniss  wie  bei  den  Hirten  in  der  Nachbarschaft  des  Kapetanovo- 
Sees.  Keiner  wusste  genau  anzugeben,  w^o  das  russische  Triangulations- 
signal stand  und  wo  der  höchste  Gipfel  zu  suchen  sei.  Die  Frauen  in 
Mokro  erzählten  mir  von  zwei  Pyramiden,  •  der  Barjaktar  kannte  bloss 
eine;  diese  sagten,  der  Hauptgipfel  wäre  höchstens  drei  Stunden  ent- 
fernt, jener  behauptete,  dass  wir  vor  Abend  nicht  von  ihm  zurückkehren 
würden.  Daher  stellte  ich  es  ihm  frei,  uns  auf  irgend  eine  Kuppe  zu 
führen,  mochte  es  die  höchste  sein  oder  nicht. 

In  der  Einsamkeit  des  Hochgebirges  entfaltete  sich  ein  seltsamer 
Farbengegensatz.    Ueber  uns  wölbte  sich  das  blaue  Himmelszelt,    grell 


go  Durch  das  Tusina-Thal  auf  den   Vojnik  und  nach  Bresna. 

warf  der  helle  Kalk  die  Sonnenstrahlen  zurück,  und  grauweisser  Schnee 
leuchtete  aus  dem  ernsten,  schwarzen  Xadelwalde  oder  dem  vertrock- 
neten Pflanzenteppich  hervor.  Sonst  hat  der  Vojnik  einen  düsteren, 
abstossenden  Charakter;  er  ist  der  einzige  Berg  Montenegros,  der  im 
Sommer  nicht  von  Sennhütten  belebt  wird,  und  nicht  allzu  oft  treiben 
die  Eingeborenen  ihre  Heerden  in  das  finstere  Dickicht,  das  Raubthieren 
und  edlem  Wilde  zu  einem  selten  gestörten  Aufenthalte  dient. 

Was  aber  die  Natur  dem  Bergcoloss  versagte,  wird  überreich  durch 
die  umfassende  Rundschau  ersetzt,  die  er  dem  trunkenen  Blicke  dar- 
bietet. Was  will  das  Panorama,  das  man  von  Mokro  aus  geniesst,  gegen 
dieses  sagen?  In  der  von  schaurigen  Canons  zerschnittenen  Tiefe  sind 
freundliche  Dörfer  zerstreut,  und  vor  uns  breitet  sich  das  grüne  Gornje 
Polje  mit  der  Kula  Yir  und  dem  Eingange  zu  den  Duga-Pässen  aus. 
Niksic  ist  nicht  sichtbar,  wohl  aber  erblicken  wir  seine  wilden  Grenz- 
berge Ostrog,  Pusti  Lisac  und  Prekornica.  Aus  der  Ferne  grüssen 
Lovcen  und  Kom  herüber,  am  Ende  der  grasigen  Lukavica  erheben 
sich  die  wohlbekannten  Ketten  des  Borovnik  und  die  Berge  des  Moraca- 
Knies,  und  im  Norden  winkt  als  gewaltigster  von  allen  der  königliche 
Durmitor.  Ein  Dunstschleier  umfluthet  die  phantastischen  Spitzen  seiner 
langgestreckten  Mauer,  die  sich  halb  widerwillig  in  der  formenlosen 
Ivica  und  Sinjavina  verliert. 

Der  Barjaktar  trieb  zum  Aufbruche,  denn  er  hatte  wie  viele  seiner 
Landsleute  wenig  Sinn  für  die  Naturschönheiten  und  konnte  nicht  be- 
greifen, dass  ich  soviel  Geld  ausgäbe  und  soviel  Mühe  darauf  ver- 
wendete, um  das  Land  zu  untersuchen  und  die  Fernsichten  zu  bewundern. 
Frohe  und  ernste  Gespräche  verkürzten  den  Heimweg,  und  dabei  lernte 
ich  in  unserem  Begleiter  einen  der  ritterlichsten  Türkenkämpfer  kennen. 
Er  mochte  am  Ende  der  Dreissiger  Jahre  stehen  und  konnte  sich 
rühmen,  zehn  Feinde  getödtet  und  ebensoviele  Türkenköpfe  oder  Türken- 
nasen abgeschnitten  zu  haben.  Schon  als  fünfzehnjähriger  Knabe  nahm 
er  an  der  Seite  seines  nicht  minder  bewährten  Vaters  an  der  blutigen 
Schlacht  von  Grahovo  theil  und  erbeutete  an  jenem  Tage  die  ersten 
fünf  Köpfe.  Im  letzten  Kriege  pflückte  er  neue  Lorbeeren  und  wurde 
vom  Fürsten  zum  Barjaktar  ernannt.  Doch  gibt  es  in  Montenegro 
solcher  und  ähnlicher  Helden  noch  genug,  üebrigens  darf  man  das 
Kopfabschneiden  nicht  zu  hart  beurtheilen,  zumal  im  Orient  ein  Men- 
schenleben wenig  gilt  und  die  Türken  sich  der  gleichen  Barbarei 
schuldig  machten.  Auch  hier  trat  der  rauhe  Naturzwang  in  seine  Rechte, 
und  Jeder  verstand  das  schauerliche  Geschäft  so  meisterhaft,  dass  er 
mit  seinem  Handzar  in  einer  Secunde    den  Kopf  vom  Rumipfe  trennte. 


Durch  das  Tuäina-Thal  auf  den  Vojnik  und  nach  Bresna. 


91 


Im  Kampfe  gegen  die  feindliche  Uebermacht  war  der  letzte  Mann  nöthig 
und  konnte  zur  Bewachung  der  Gefangenen  kaum  entbehrt  werden. 
Und  wie  sollten  diese  beköstigt  werden,  da  die  eigenen  Leute  oft  nicht 
genug  zu  essen  und  zu  trinken  hatten;  mussten  sie  doch,  wie  unser 
Fahnenträger  erzählte,  einmal  drei  Tage  und  drei  Nächte  lang  ohne 
jede  Nahrung  ausharren!  \'ergebens  bemühten  sich  die  Beherrscher 
Montenegros,  durch  gegenseitiges  Uebereinkommen  mit  den  Türken 
diesen  barbarischen  Brauch  zu  unterdrücken;  erst  im  Kriege  von  1876/78 
zeigte  sich  eine  gewisse  ^^'endung  zum  Besseren  darin,  dass  man  sich 
meist  mit  der  Nase  als  Trophäe  begnügte  und  die  Besatzungen  der 
Duga-Pässe,  von  Niksic,  x\ntivari  u.  s.  w.  unverletzt  entliess.  Aber  nicht 
allein  den  Feind  machte  der  Crnogorce  um  einen  Kopf  kürzer,  denselben 
Dienst  erwies  er  auch  seinem  schwer  verwundeten  Bruder,  damit  er 
nicht  in  türkische  Gefangenschaft  fiele  und  vor  einem  grausamen  Tode 
bewahrt  bliebe.  Jetzt  pflegt  man  fürs  Aeusserste  den  sechsten  Revolver- 
schuss  aufzusparen. 

Um  V4H  ^'hr  trafen  wir  wieder  in  Mokro  ein  und  machten  uns 
nach  zweistündiger  Rast  zum  Marsche  nach  Bresna  auf.  Unser  Freund 
trennte  sich  mit  Kuss,  Handschlag  und  den  besten  Rathschlägen  von 
uns,  denn  der  Weg  war  der  halsbrecherischsten  einer,  so  dass  ihn  selbst 
die  Eingeborenen  nicht  gern  benutzten.  Zu  unserer  Rechten  lief  eine 
finstere  Schlucht  hin,  welche  das  Wasser  des  Plateaus  in  die  Piva  leitete, 
und  gleich  hinter  den  letzten  Häusern  nahm  uns  ein  Urwald  auf,  wie 
ich  ihn  nimmer  erwartet  hatte.  Er  bestand  aus  uralten  Buchen  und 
Fichten,  die,  jede  Aussicht  versperrend,  für  sich  allein  oder  durcheinander 
gemischt  die  stark  verkarstetgii  Abhänge  bedeckten.  Ab  und  zu  störte  der 
Ruf  des  Kuckucks  oder  ein  anderer  Vogellaut  die  feierliche  Stille,  und 
leise  rauschte  der  Wind  in  den  Wipfeln,  die  das  Sonnenlicht  gedämpft 
bis  zum  laub-  und  nadelverhüllten  Grunde  eindringen  liessen.  Meter- 
dicke Stämme  vermoderten  am  Boden,  und  junge  Triebe  schössen  neben 
den  erstorbenen  Riesen  aus  der  Erde  empor.  Aber  unter  dem  trügeri- 
schen Pflanzenkleide  lagerte  der  zerfressene,  klüftige  Kalk  und  Karren- 
felder, die  genau  denen  von  Stitavica  glichen,  zerfurchten  öfters  die 
steilen  Lehnen.  Auf  einem  kümmerlichen  Pfade  gingen  wir  zunächst 
bergan,  dann  fortwährend  abwärts,  und  die  Felsen  beiderseits  des 
Steiges  rückten  einigemale  so  nahe  zusammen,  dass  Kulas  das  Gepäck 
nicht  ohne  Mühe  durchbringen  konnte.  Plötzlich  senkte  sich  der 
Hang  zu  jäher  Tiefe ,  und  aus  dem  Waldesdunkel  hob  sich  der 
Komarnica-Canon  ab.  Von  ihm  strahlte  ein  Schlund  aus,  den  das  Wasser 
im  Laufe  ungezählter  Jahrtausende  in  die  Flanken  des  Vojnik  gewühlt 


2Q  Durch  das  Tu§ina-Thal  auf  den  Vojnik  und  nach  Bresna. 

hatte,  und  an  seinen  fast  senkrechten  Wänden  mussten  wir  hinab.  Vor- 
sichtig setzte  das  Pferd  einen  Fuss  vor  den  anderen,  mit  gespannten 
Ohren  längs  des  drohenden  Abgrundes  hinschreitend,  und  wir  athmeten 
ebenfalls  auf,  als  der  120  Meter  betragende  Abstieg  überwunden  war. 
Noch  fünf  solcher  Wasserrisse,  die  allerdings  viel  weniger  gefährlich 
als  der  erste  waren,  mussten  wir  durchqueren.  Wir  fanden  keinen 
Schnee  und  keine  Quelle,  weder  einen  Menschen,  noch  ein  Haus,  aber 
das  Schlechteste  war  der  Saumweg,  der  bald  durch  seine  spitzen  Stein- 
trümmer den  Fuss  ermüdete,  bald  im  Humus  verschwand.  Endlich 
traten  wir  um  '/06  Uhr  aus  dem  Waldesschatten  in  eine  etwa  2  Kilo- 
meter breite  und  unabsehbar  lange  Ebene.  Wir  hatten  eines  der  grössten 
blinden  Thäler  Montenegros,  das  Becken  von  Bresna,_  erreicht,  das  leb- 
haft an  unsere  \'oralpen  oder  an  die  idyllischen  Bilder  Thüringens  er- 
innerte. Nun  trafen  wir  auch  Hütten  und  Menschen,  die  wir  im  ürwalde 
umsonst  gesucht  hatten.  Die  Komarnica  war  nicht  mehr  sichtbar,  denn 
schon  ehe  wir  ins  Polje  kamen,  bog  sie  nach  rechts  ab  und  ver- 
barg sich  hinter  einer  Reihe  niedriger  Hügel.  Das  Buschholz  wurde 
lichter  und  hörte  schliesslich  ganz  auf;  dafür  erschienen  am  nörd- 
lichen Rande  die  Holzhäuser  von  Gornje  Bresna  ''1055  Meter);,  und 
dünne  Wasserfäden  sammelten  sich  an,  zum  Beweise,  dass  eine  un- 
durchlässige Schicht  das  Erdreich  unterlagerte.  Unweit  einer  Cisterne 
gelangten  wir  auf  die  Strasse  NiksicGoransko,  die  an  Güte  ebenfalls 
mancherlei  zu  wünschen  übrig  lässt  und  mitunter  bloss  durch  die 
nebenher  laufende  Telegraphenleitung  verrathen  wird.  Da  es  stark 
dunkelte  und  die  Abendkühle  empfindlich  fühlbar  wurde,  so  baten  wir 
die  Hirten  mehrmals  um  ein  Quartier.  Es  ging  uns  aber  wie  vor  acht 
Jahren  Dr.  Baumann.  Wir  erhielten  in  gemessener  Höflichkeit  einen 
ablehnenden  Bescheid  und  machten  uns  schon  darauf  gefasst,  auf  dem 
feuchten  Rasen  unter  freiem  Himmel  zu  nächtigen,  als  eine  alte  Frau 
uns  in  ihre  Koliba  einlud.  8  Uhr  war  vorüber,  als  v.ir  nach  schwerem 
Tagewerke  in  die  Hütte  krochen  (ggg  Meter; ,  die  wie  die  anderen 
Kolibas  der  Bresna-Ebene  nach  dem  Muster  der  Sennereien  auf  der 
Konjsko  Planina  erbaut  war.  Bald  versammelten  sich  ihre  Insassen,  so 
dass  wir  uns  in  dem  beschränkten  Räume  kaum  rühren  konnten:  alle 
sprachen  dem  frugalen  Nachtmale  wacker  zu  und  erstaunten  wohl  auch 
über  unseren  Marsch,  doch  es  fiel  Niemandem  ein,  den  hungrigen  und 
ermüdeten  Wanderern  etwas  anzubieten.  \\'ir  mussten  erst  nach  Mais- 
brot und  Milch  fragen,  und  als  wir  endlich  im  Schlum.mer  Erholung  finden 
wollten,  raubte  uns  das  jämmerliche  Geschrei  eines  Säuglings  noch 
lange  die  ersehnte  Ruhe. 


Längs  der  Piva-Canons  nach  Foca. 


93 


10.  Capitel. 

Längs  der  Piva-Canons  nach  Foca. 


Nachdem  ich  mich,  nicht  ohne  auf  eine  überraschende  Unkentniss 
zu  stossen,  bei  den  Frauen  nach  der  Umgebung  erkundigt  hatte,  be- 
zahlte ich  unsere  Wirthin  und  und  durchmass  das  letzte  Stück  des 
Bresno  Polje.  Das  lockere  Erdreich  nahm  rasch  ab,  und  einige  Kalk- 
rücken ragten  gleich  Inseln  und  Halbinseln,  was  sie  einst  wohl  waren, 
aus  der  Niederung  auf.  Porphyrgeschiebe,  deren  auch  Tietze  gedenkt, 
waren  in  dem  blinden  Thale~zerstreut,  und  sie,  der  feine  Humus  und 
die  unbestimmten  Wasseransammlungen  lassen  vermuthen,  dass  vordem 
ein  Fluss,  wenn  nicht  ein  See  das  Polje  erfüllte.  Vielleicht  floss  er  in 
unserer  Marschrichtung  ab,  weil  die  Porphyre  in  diesem  Theile  nicht 
anstanden,  also  erst  hierher  verschleppt  wurden,  und  weil  die  Meeres- 
höhe des  Kessels  von  Südost  nach  Nordwest  abnimmt.  Schliesslich 
gewann  die  Gebirgsfaltung  die  Oberhand  und  versperrte  dem  Wasser 
den  Weg,  worauf  es  in  den  höhlenreichen  Kalken  einen  unterirdischen 
Abzugscanal  fand. 

Ein  unbedeutender  Höhenzug  trennte  die  grüne  Oase  von  Bresna 
von  dem  wenig  höheren  Bajevo  Polje,  und  wieder  empfing  uns  eine 
langweilige  Karstlandschaft.  Die  Hügel  und  Dohnen  waren  nothdürftig 
mit  einem  kurzen,  halbverdorrten  Grasmantel  überkleidet,  und  niederes 
Gebüsch  oder  schütterer  Nadelwald  zierte  die  Lehnen.  Drei  aufeinander 
folgende  Mulden ,  das  Bajevo-,  Milkovac-  (1028  Meter)  und  Rudenice 
Polje  (1012  Meter),  waren  von  entsprechenden  Höhenrücken  umsäumt 
und  im  Osten  von  dem  unvermittelt  eingeschnittenen  Komarnica-Canon 
begrenzt.  Endlich  gewann  die  öde  Landschaft,  die  fast  den  trostlosen 
Banjani  glich,  einige  Abwechselung.  Scharf  hoben  sich  von  der  welligen 
Hochebene  die  zerstreuten  Häuser  des  Dorfes  Goransko  ab,  und  hinter 
ihnen  strebte  die  kühn  gezackte  Krucica- Mauer  zum  wolkenlosen 
Himmel  auf,  während  die  Rinnen  des  Sinjac  und  der  Pluzinje 
noch  nicht  sichtbar  waren.  Endlos  setzte  sich  die  Piva-Schlucht 
nach  Norden  fort,  und  zu  ihrer  Rechten  behinderten  die  Vorberge  des 
Durmitor  den  Blick.     Wir  kamen  an  den   rothen  Kalken  von  Milkovac 


r,  A  Längs  der  Piva-Canons  nach   Foca. 

94  "^ 

vorüber,  in  denen  Tielze  die  einzigen  jurassischen  Ammoniten  der  Crna- 
gora  entdeckte,  und  machten  im  Han  von  Rudenice  Mittagsrast,  um 
nicht  zu  früh  im  Kloster  Piva  einzutreffen.  Die  kleine  Wirthschaft 
gehörte  einem  Officier;  denn  die  militärische  Beschäftigung  ist  in  Mon- 
tenegro nicht  ausschliesslicher  Lebenszweck,  sondern  eine  nebensäch- 
liche, für  den  Krieg  berechnete  Uebung. 

Schroffe  Rinnen  liefen  zu  dem  breiten  Schlünde  hinab,  in  welchem  wir 
nunmehr  abwärts  eilten.  Buchen-  und  Eichengestrüpp,  Haselnusssträucher 
und  saftiges  Gras  verbargen  den  nackten  Kalk,  und  mit  dem  Auftreten  der 
Werfener  Schichten  wurde  der  Weg  besser.  Je  mehr  er  sich  senkte, 
um  so  kräftiger  gedieh  die  Buche  und  bedeckte  in  stattlichen,  hie  und 
da  von  Lawinen  zerrissenen  Beständen  die  Uferwände.  Durch  das 
dichte  Blattgewirr  leuchtete  die  Kirche  von  Piva  herauf,  und  ein 
breiter,  grüner  Strom,  der  Sinjac,  der  eigentliche  Quellfluss  der  Piva, 
brauste  in  dem  300  Meter  tiefen  Bett  dahin.  Als  klarer  Bach 
springt  er  aus  dem  Felsen  und  nimmt  nach  dem  \'olksglauben  die  im 
Gacko  Polje  verschwindenden  Gewässer  auf,  um  sie  hier  zum  zweiten 
Male  ans  Tageslicht  zu  bringen.  Wenige  Minuten  später  standen  wir 
vor  dem  Kloster  (658  Meter). 

Pivski  Monastir  besteht  aus  einer  mittelgrossen  Kirche,  die  des 
Glockenthurmes  entbehrt  und  mit  originellen  Wandmalereien  geschmückt 
ist.  Trotz  der  Verwüstungen  seitens  der  Türken  kann  man  der  inneren 
Ausstattung  des  Gotteshauses  einen  gewissen  Prunk  nicht  absprechen. 
Der  Kirche  gegenüber  liegt  die  Wohnung  des  Igumans  und  an  der 
anderen  Seite  das  ungemüthliche  Gebäude  der  Dienerschaft.  Die  Frem- 
den und  vornehme  Montenegriner  finden  beim  Geistlichen,  die  geringeren 
Leute  im  Han  und  bei  den  Dienern  Unterkunft.  Eine  theilweise  zer- 
störte Mauer  umgibt  das  Kloster,  an  das  sich  ein  ausgedehnter  Obst- 
garten anschliesst. 

Der  Iguman  war  nach  Goransko  geritten  und  kehrte  erst  spät 
Abends  zurück.  Er  Hess  Thee  bereiten  und  einen  Hammel  schlachten, 
und  Mitternacht  war  vorüber,  als  wir  das  Lager  aufsuchten.  Am  an- 
deren Morgen,  dem  17.  Juli,  besichtigten  wir  das  Kloster  und  verab- 
schiedeten uns;  doch  fiel  mir  die  Trennung  trotz  der  guten  Aufnahme 
nicht  gerade  schwer. 

Ein  steiler  Aufstieg  über  Schiefer  und  Diabase  brachte  uns 
in  dreiviertel  Stunden  auf  das  Hochplateau  und  nach  Goransko  (1030 
Meter).  Vor  dem  Kriege  war  es  ein  befestigter  Ort  und  Sitz  eines  türki- 
schen   Kaimakam  (Richter),    und    seine    Garnison    unterhielt    auch     den 


Längs  der  Piva-Canons  nach  Foca. 


95 


letzten  vorgeschobenen  Posten  in  Bezuj.  Weiter  nach  dem  Durmitor 
zu  stand  die  türkische  Macht  nur  auf  dem  Papiere  ,  und  kein 
Türke  durfte  es  ohne  Gefahr  seines  Lebens  wagen,  zu  den  thatsächHch 
unabhängigen  und  zu  Montenegro  gehörenden  Hirten  Nord-Montenegros 
vorzudringen  oder  gar  Steuern  von  ihnen  zu  erheben.  Heute  besteht 
der  Ort  aus  wenigen  Häusern,  und  die  Befestigungen  sind  bis  auf  spär- 
hche  Trümmer  beseitigt.  Ausser  dem  Hane,  der  zugleich  das  Tele- 
graphenamt beherbergt,  sind  die  Wohnstätten  elende  Hütten;  in  euro- 
päischem Stile  aber  und  nicht  ohne  Comfort  ist  das  Haus  des 
Vojvoda  Lazar  Sozica  erbaut,  der  ebenso  wegen  seiner  körperlichen 
Kraft  und  Gewandtheit,  als  wegen  seines  Reichthums  berühmt  ist.  Bau- 
mann entwirft  von  seinem  Wesen  und  seiner  Häuslichkeit  eine  nicht 
sehr  schmeichelhafte  Schilderung,  doch  hat  sich  seitdem  vieles  geändert. 
Der  hohe  Herr  empfing  mich  in  einem  behaglich  ausgestatteten  Zimmer 
aufs  höflichste,  stellte  mir  seine  Frau  vor  und  liess  durch  einen  Diener 
Slivovic  und  Kaffee  auftragen.  Im  Laufe  des  Gespräches  bat  er  mich, 
eine  merkwürdige  Quelle  bei  Seljani  zu  besuchen  und  stellte  mir  zu 
diesem  Zwecke  eines  seiner  Reitpferde  zur  Verfügung.  Ich  versprach 
ihm  zu  willfahren,  lehnte  aber  sein  Pferd  ab  und  stärkte  mich  im  Han 
für  den  beschwerlichen  Marsch,  der  das  Sinjac-Thal  ein  gutes  Stück 
hinab  und  hinauf  und  dann  noch  300  Meter  tief  zur  Komarnica  hinab- 
führte. Anfangs  vermochte  ich  die  neugierigen  Montenegriner  kaum  zu 
befriedigen,  die  wie  Kinder  meine  Habseligkeiten  betasteten,  und  erst  als 
ich '  sie  energisch  zum  Hinausgehen  aufforderte,  konnte  ich  mir  für 
einige  Zeit  Ruhe  schaffen. 

Gleich  nach  Mittag  machte  ich  mich  auf,  begleitet  von  meinem 
Diener,  einem  berittenen  Knechte  des  Vojvoda  und  einem  ebenfalls  be- 
rittenen jungen  Manne  namens  Simo  Radov  Garcevic,  der  vor  der 
Unduldsamkeit  der  Türken  aus  seiner  Geburtsstadt  Bijelopolje  nach 
Montenegro  geflohen  war.  Der  Pfad  umging  in  grossem  Bogen 
den  Thalschluss  und  durchkreuzte  das  gestern  durchwanderte  Ge- 
biet, das  nach  der  Komarnica  zu  reich  an  Quellen  und  Häusern 
war.  Einiges  Interesse  boten  mehrere  verwitterte  Bogomilengräber- 
und  Denksteine  bei  Rudenice.  Die  Bogomilen  oder  Patarener,  welche 
um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  in  dem  theils  katholischen,  theils 
orthodoxen  Bosnien  eine  religiöse  Secte  bildeten  und  blutige  Yev- 
folgungen  zu  erleiden  hatten,  traten  nach  der  Unglücksschlacht  auf 
dem  Amselfelde  zum  Islam  über  und  vergalten  Jahrhunderte  lang  an 
den    ihrem    Glauben    treu    gebliebenen    Serben  Gleiches  mit    Gleichem. 


96 


Längs  der  Piva-Caüons  nach  Foöa. 


Die  muhamedanischen  Bosniaken  sind  also  die  Nachkommen  der  alten 
Bogomilen. 

Um  '/24  Uhr  waren  wir  an  der  Komarnica  angelangt  (683  Meter) 
und  passirten  auf  eine  ebenso  einfache  als  praktische  Weise  den  brücken- 
losen Fluss.  Zwei  von  uns  ritten  durch  das  klare  Wasser  und  trieben 
die  Pferde  ans  Ufer  zurück,  worauf  die  beiden  Anderen  nachfolgten.  Ich 
glaubte,  dass  wir  nunmehr  am  rechten  Hange  hinaufklettern  müssten, 
aber  unsere  Gefährten  überhoben  mich  dieser  Sorge;  sie  wiesen  auf 
einen  unansehnlichen  Wassertümpel,  der  zwischen  den  Gerollen  des 
Flusses  zusammensickerte  und  sagten,  dass  dieser  der  gesuchte  Quell 
sei.  So  armselig  hatte  ich  mir  ihn  allerdings  nicht  vorgestellt,  und  an- 
fangs schien  er  auch  gar  nichts  Sonderbares  darzubieten.  Geschmack 
und  Geruch  des  Wassers  hatten  nichts  Auffälliges,  und  allein  seine 
Temperatur  (-|-  29°  C.)  war  um  10  Grad  höher  als  die  des  unmittelbar 
benachbarten  Flusses.  Der  Wärmeunterschied  rührte  wohl  davon  her, 
dass  sich  der  seichte  W^assertümpel  viel  stärker  erwärmte  als 
die  knietiefe,  rasch  dahinschiessende  Komarnica.  Die  Ufer  waren 
hoch  hinauf  aus  den  vielbekannten  Conglomeraten  zusammengesetzt, 
und  an  ihrem  Fusse  rieselte  die  Quelle  hervor,  die  nach  der  Volksmeinung 
eine  heilkräftige  Wirkung  besitzt,  Luftblasen  stiegen  scharenweise  vom 
Grunde  auf  und  zerplatzten  an  der  Oberfläche,  wobei  das  von  Algen 
überwucherte  Wasser  in  eine  wallende  Bewegung  gerieth,  als  ob  es 
koche,  und  sich  dann  wieder  glättete,  bis  nach  fünf  Secunden  Pause 
das  ruckweise  Aufsteigen  von  Luftblasen  abermals  begann  und  sich  in 
regelmässigem  Wechsel  fortsetzte.  Eine  chemische  Untersuchung  der 
mitgenommenen  Proben  wird  lehren,  ob  und  wie  viel  Wahres  das 
Wasser  von  der  ihm  zugeschriebenen  heilsamen  Eigenschaft  besitzt. 

Auf  dem  Rückwege  bot  mir  Simo  sein  Pferd  an,  und  ich  versuchte 
mein  Glück,  obwohl  ich  der  Reitkunst  gänzlich  unkundig  war.  Anfangs 
ging  alles  gut,  bis  ich  dem  Thiere  einen  falschen  Sporentritt  gab^  so 
dass  es  im  Galopp  mit  mir  davonrannte  und  erst  durch  einen  zufällig 
vorüberkommenden  Montenegriner  aufgehalten  wurde.  Ich  er- 
kundigte mich  alsbald  nach  den  erforderlichen  Kunstgriffen  und  konnte 
mit  dem  unruhigen  Gaule  zufrieden  sein.  Als  er  jedoch  den  Stall  wit- 
terte, schoss  er  unbekümmert  um  jegliches  Commando  dahin  und  hielt 
erst  vor  der  altgewohnten  Thüre.  Die  Einwohner,  voran  der  Vojvoda, 
empfingen  uns  mit  sichtlicher  Spannung,  und  nachdem  ich  unsere  Er- 
gebnisse mitgetheilt,  musste  ich  ihnen  noch  versprechen,  sie  am  anderen 
Morgen  zu  photographiren.  Da  es  im  Han  nur  Pritschen  gab,  so  ruhte 


Länjrs  der  Pi\  a-Caüons  nach  Foca. 


97 


Simo  nicht  eher,  als  bis  ich  statt  dieses  harten  Lagers  für  die  Nacht 
sein  Bett  angenommen  hatte. 

Schon  am  frühesten  Morgen  waren  alle  wach  und  bereiteten  sich 
mit  ängstlicher  Sorgfalt  für  die  Aufnahme  vor,  denn  alle  wollten  ihr 
Bild  haben,  die  kleinen  Söhne  des  Vojvoda,  Freund  Simo,  der  Tele- 
graphenbeamte, der  gräfliche  Diener,  der  Wirt  und  seine  Frau.  Nach- 
dem der  Apparat  seine  Schuldigkeit  gethan  hatte,  sattelten  wir  das  Pferd 
und  durchmassen  bei  heissem  Sonnenbrande  die  einförmige,  baumarme 
Hochebene,  die  mit  grossen  flachen  Mulden  besetzt  war.  Hierauf 
mussten  wir  von  ihrem  nördlichen  Rande  (1122  Meter)  in  einen  300  Meter 
tiefen  Canon  hinabsteigen,  den  wir  früher  nicht  erblicken  konnten;  es 
war  die  mit  Buchen  dicht  bewaldete  Schlucht  der  Pluzinje,  die  sammt 
ihren  Zuflüssen  auf  dem  schneereichen  Lebersnik  und  den  benachbarten 
Grenzbergen  entspringt  und  das  einzige  wohl  entwickelte  Flussnetz 
im  Gebiete  der  mittleren  und  unteren  Piva  darstellt.  Die  schützenden  Thal- 
wände verbargen  eine  idyllische  Landschaft.  Ein  saftiger  Wiesenteppich 
überzog  den  Fels,  und  das  Buchendickicht  löste  sich  zu  kleinen  Gruppen 
auf;  Obst-  und  Gemüsegärten  lagen  neben  Getreide-,  Mais-  und  Kar- 
toffelfeldern, und  Holzhäuser  zierten  eine  schmale,  niedrige  Flussterrasse 
(626  Meter),  kurz,  das  Thal  trug  ein  ganz  anderes  Gepräge  als  die 
traurigen,  unfruchtbaren  Plateaus.  Die  Pluzinje  sprang  in  klaren,  schwarz- 
grünen Wellen  über  mächtige  Geröllmassen^  unter  denen  der  unver- 
meidliche Kalk  die  Hauptrolle  spielte;  doch  fehlten  Werfener  Schiefer. 
Hornsteine  und  Diabase  ebenfalls  nicht,  so  dass  eine  Zone  jener  Ge- 
steine irgendwo  im  Oberlaufe  ansteht.  Die  sonst  beobachteten  Con- 
glomeratbänke  umsäumten  auch  hier  den  unteren  Rand  der  Ufer  und 
begleiteten  uns  noch  immer,  nachdem  sich  die  Pluzinje  nahezu  recht- 
winklig in  die  grüne  Piva  ergossen  hatte  ('596  Meter).  An  der  Mündung 
engten  Schotterablagerungen  den  breiten  Fluss  zu  einem  engen  Streifen 
ein,  und  unwillig  ob  dieser  Beeinträchtigung  seiner  Freiheit  bedeckte 
er  sich  mit  weissem   Gischt. 

Ein  wildromantischer  Canon  erschloss  sich.  Senkrecht  strebten  die 
Kalkmauern  auf,  und  der  Thalgrund  wurde  ganz  von  der  Piva  erfüllt. 
Das  schmutzige  Grau,  das  mehrere  Meter  über  dem  Flussspiegel  die 
Gesteinsschichten  färbte,  zeigte  zur  Genüge,  wie  gewaltig  der  reissende 
Strom  während  der  Schneeschmelze  und  der  Frühlingsregen  anschwillt, 
und  Aeste,  Strohhalme  oder  erhärteter  Schlamm,  die  in  den  Baum- 
kronen fest  Sassen^  die  umgerissenen  Stämme  und  aufgewühlten  Ufer, 
sie  Hessen  ahnen,  wie  furchtbar  der  fessellose  Fluss  in  jenen  Zeiten 
wüthet.     Dann  ist  die  Rinne  für  den  Verkehr    überhaupt  gesperrt,    und 

Hassen.  Reise  durch  Montenegro.  n 


98 


Längs  der   Piva-Canons  nach  Foca. 


schon  im  Sommer  bedeutet  sie  ein  empßndliches  Hinderniss  zwischen 
hüben  und  drüben.  An  wenigen  Stellen  ist  sie  passierbar,  und  nur  bei 
der  Pluzinje-Mündung  und  unterhalb  des  Barni  Do  befinden  sich  Fähren. 
Eine  gute  Stunde  beansprucht  der  Abstieg,  nahezu  das  Doppelte  der 
Aufstieg  an  den  700  Meter  hohen  Steilwänden.  Mit  anderen  Worten, 
drei  Stunden  sind  nothwendig,  um  einen  Weg  zurückzulegen,  der  in 
Luftlinie  noch  nicht  2  Kilometer  beträgt!  Am  Grunde  treten  zahlreiche 
Quellen  als  kurze,  starke  Bäche  aus,  weil  die  Niederschläge  in  den 
porösen  Kalken  versickern  und  auf  der  undurchlässigen  Schieferunter- 
lage wieder  zum  Vorschein  kommen.  Daher  verdankt  die  Piva  ihren 
Wasserüberfluss  in  erster  Linie  den  Schiefern. 

Ein  geländerloser  Saumweg,  der  bald  hoch  über  dem  Wasser 
oder  am  Flusse  hinlief,  brachte  uns  rasch  vorwärts,  und  wir  be- 
durften der  Eile  um  so  mehr,  als  der  Mittag  längst  vorüber  war  und 
wir  noch  den  jenseitigen  Hang  zu  erklimmen  hatten.  Doch  wir  be- 
merkten keinen  Kahn,  keine  Furt  in  der  mehr  als  mannestiefen  Piva, 
Eingeborene  begegneten  uns  nirgends,  und  Häuser  fehlten  in  dem  von 
Ueberschwemmungen  heimgesuchten  Thale.  Obendrein  verloren  wir  un- 
sere Hartbrote,  und  es  dauerte  eine  gute  Weile,  bis  wir  wieder  in  ihrem 
Besitze  waren.  Endlich  drangen  Stimmen  an  unser  Ohr;  am  rechten 
Ufer  waren  Montenegriner,  die  Heu  abmähten,  und  sie  verkündeten 
uns  die  unwillkommene  Botschaft,  dass  die  Fähre  noch  weit  entfernt 
und  augenblicklich  nicht  benutzbar  sei.  So  blieb  uns  nichts  anderes 
übrig,  als  auf  einer  Furt,  welche  sie  uns  angaben,  den  kalten  Gebirgs- 
strom  zu  durchwaten  (577  Meter).  Diesmal  war  ich  auf  mich  allein 
angewiesen,  da  mein  Diener  mit  sich  und  dem  Pferde  genug  zu  thun 
hatte.  Trotzdem  mir  der  Bergstock  eine  gute  Stütze  gewährte,  kostete 
es  mir  grosse  Mühe,  ohne  Schuhe  über  die  glatten  Gerolle  zu  schreiten 
und  gegen  die  Gewalt  des  Flusses  anzukämpfen,  der  uns  bis  zum  Ober- 
schenkel reichte  und  mir  mehrmals  den  Boden  unter  den  Füssen  weg- 
zureissen  drohte.  Ich  athmete  auf,  als  wir  das  jenseitige  Ufer  ge- 
wonnen hatten  und  bis  zur  Fähre  an  der  Piva  hinwanderten.  Nun 
begann  der  anstrengende  Aufstieg,  der  uns  auf  zweifelhaften  Zickzack- 
pfaden in  zwei  Stunden  auf  das  Plateau  führte  (1278  Meter).  Der  mit 
Macht  hereinbrechende  Abend  Hess  uns  ernstlich  an  eine  Unterkunft 
denken,  und  glücklicherweise  nahm  uns  gleich  der  erste  Hirt,  mit  dem 
wir  zusammentrafen,  in  seine  Koliba  auf.  Als  wir  jedoch  die  enge, 
erbärmliche  Hütte  sahen  und  die  zerlumpten  Gestalten  durchmusterten, 
denen  sie  zum  Aufenthalte  diente,  zogen  wir  es  vor,  im  Freien  zu 
übernachten.    Ein  lustiges  Feuer  wurde  angefacht,  die  Leute  ergänzten 


Lüncs  der  Piva-Caüons  nach  Foca. 


99 


unsere  Vorräthe  mit  Milch  und  Käse;  und  da  die  Luft  ziemlich  warm 
war,  hatten  wir  einen  erquickenden  Schlummer. 

Am  Morgen  machten  unsere  Wirthe  ein  betrübtes  Gesicht;  der  un- 
ersättliche Kulas  war  in  ihr  kleines  Maisfeld  gerathen  und  hatte  dort 
mancherlei  Schaden  angerichtet.  Wir  ersetzten  den  Verlust  nach  Kräften 
und  verloren  uns  rasch  in  der  langweiligen  Hochebene,  die  den  Namen 
Barni  Do  trug  und  zu  den  weiten  Plateaus  um  den  Durmitor  gehörte. 
Selten  unterbrachen  Baumgruppen  das  Gewirr  der  flachen  ,  mit 
magerem  Grase  bewachsenen  Dolinen,  die  stellenweise  stark  verkarstet 
und  völlig  wasserlos  waren.  Daher  ist  auf  der  Höhe  der  Schnee  ein 
unschätzbares  Gut  und  hat  einen  tausendfach  höheren  Werth  als  das 
nimmer  versiegende  Wasser  im  Thale,  weil  der  mühsame  Auf-  und  Ab- 
stieg an  den  bis  zur  Unzugänglichkeit  schroffen  Gehängen  den  wirth- 
schaftlichen  Nutzen  der  Piva  fast  aufhebt. 

Ein  fesselndes  Bild  bot  die  Krucica,  deren  nackte  Ketten  auf 
einem  breiten  Sockel  ruhten  und  senkrecht  zum  Piva-Schlunde  ab- 
fielen. Weisser  Schnee  leuchtete  aus  den  Schluchten,  graue  Schutthal- 
den überkleideten  die  Lehnen,  und  ein  undurchdringlicher  Nebelschleier 
umfluthete  die  zackigen  Kämme.  Bei  jeder  Wegkrümmung  zeigte  das 
Gebirge  neue  Formen,  und  dieses  beständig  wechselnde  Schauspiel  war 
das  einzige  Interessante  in  der  öden,  stillen  Landschaft,  die  erst  hinter 
dem.  armsehgen  Weiler  Babici  (1264  Meter)  ein  anmuthiges  Gewand 
erhielt.  Saftige  Wiesen  und  stattliche  Bäume,  Buchen  untermischt  mit 
Birken,  würden  häufiger,  und  um  10  Uhr  erreichten  wir  das  Kirchdorf 
Doinji  Crkvice  (1163  Meter).  Die  Tara -Rinne  wurde  sichtbar,  die 
Berge  ihres  Ostrandes  lagen  bereits  in  der  Hercegovina  und  im  Sandsak 
Novibazar,  und  da  ich  hoffte,  heute  noch  bis  Foca  zu  kommen,  so 
hielt  ich  mich  nicht  auf,  so  höflich  mich  auch  der  Hanbesitzer  in  sein 
Haus  einlud. 

Aber  welche  trostlose  Gegend  that  sich  vor  uns  auf!  Waren  wir 
in  die  Wüsten  der  Prekornica  oder  der  Banjani  zurückversetzt?  Da  gab 
es  nichts  anderes  als  kahle  Dohnen,  spitze  Karren  und  zersprengten 
Fels,  aus  dessen  Fugen  kaum  ein  Grashalm  oder  verkümmertes  Gebüsch 
hervorsprosste.  In  der  Tiefe  schäumte  die  Piva,  und  zum  siebenten 
Male  mussten  wir  uns  an  ihrem  Canon  versuchen,  der  bei  Scepan- 
grad  in  den  noch  finstereren  Tara-Schlund  einmündet,  worauf  beide 
Bergwässer  vereint  als  Drina  weiterfliessen.  Endlich  wurden  die  Hänge 
sanfter;  wir  meinten,  in  einen  natürlichen  Garten  eingetreten  zu  sein, 
und  der  oft  gebrauchte  Ausspruch,  Montenegro  sei  ein  Land  der  Ge- 
gensätze, Traf  auch  in  der  Pivska  Zupa  zu.  Hecken  von  Brombeeren  und 
' 7- 


,^„  Längs  der  Piva-Canons  nach  Foca. 

XUD  ^ 

anderen  Zaungewächsen  umgaben  die  einzelnen  Gebäude,  bunte  Blumen 
durchwirkten  die  Matten,  und  die  weissen  Blüten  des  Flieders  waren  dem 
Verblühen  nahe  oder  setzten  bereits  grüne  Beeren  an.  Die  mageren 
Aecker  der  rauhen  Hochebene  machten  üppigen  Maisfeldern  und  Wein- 
o-ärten  Platz,  und  umfangreiche  Buchenhaine  oder  Kernobstbäume  der 
verschiedensten  Arten  waren  etwas  Allgewöhnliches.  Statt  des  Kalkes 
herrschten  die  Werfener  Schiefer  vor,  und  so  suchte  die  Natur  wieder 
auszugleichen,  was  sie  auf  andere  Weise  dem  Menschen  versagte.  In 
Gestalt  eines  Canons  schuf  sie  ein  unerwünschtes  Verkehrshindernis, 
aber  sie  gab  den  tiefen  Schluchten  einen  Ueberfluss  an  Wasser, 
ein  mildes  Klima  und  verwandelte  sie  in  eine  blühende  Oase.  Des- 
halb erfreuten  sich  die  gesegneten  Gefilde  schon  vor  Jahrhunderten 
einer  hohen  Cultur,  und  die  Ruinen  einer  uralten  Burg  in  Seepangrad, 
so  o-enannt  nach  dem  bosnischen  Herzogsgeschlecht  der  Stephane  (14. 
und  15.  Jahrhundert),  weisen  auf  jene  Zeiten  zurück. 

Nach  dreistündigem  Abstiege  betraten  wir  Seepangrad,  und  Arso 
Hess  dort  seine  Waffen  zurück,  denn  die  Drina  allein  trennte  uns  noch 
vom  österreichischen  Gebiete,  und  wir  mussten  den  FIuss  auf  einer  Fähre 
übersetzen.  (515  Meter).  Das  war  allerdings  leichter  gesagt  als  gethan,  da 
der  Kahn  am  österreichischen  Ufer  angekettet  und  obendrein  durch  ein 
Schloss  gesichert  war,  und  der  Fährmann  musste  erst  einen  Gendarmen  rufen, 
der  das  Schloss  öffnete.  Nicht  ohne  Mühe  trieben  wir  das  sich  sträubende 
Pferd  in  das  Boot  und  landeten  wenige  Minuten  später  am  andern  Ufer. 
Das  steilwandige  Bett  des  breiten,  tiefen  Flusses  bestand,  wie  kaum 
anders  zu  erwarten  war,  aus  verbackenen  Conglomeraten,  die  sich  aus 
den  bekannten  Rollsteinen  zusammensetzten  und  wegen  ihrer  leichten 
Zerstörbarkeit  zahlreiche  Risse  und  Höhlen  besassen. 

Zum  dritten  Male  stand  ich  unter  dem  Zeichen  des  Doppelaars, 
und  ich  hatte  eben  festen  Fuss  gefasst,  als  der  pflichteifrige  Gendarm 
unsere  Pässe  verlangte.  Ich  freute  mich  schon  im  Stillen,  hier  wie  in 
Gacko  dem  Zollcerberus  entgangen  zu  sein;  doch  in  demselben  Augen- 
blicke ersuchte  mich  unser  Begleiter,  meine  Reisekörbe  zu  öffnen.  Steuer- 
bares, vornehmHch  Pulver  und  Tabak,  fand  er  natürlich  nicht;  aber 
immerhin  erschien  es  mir  sonderbar,  dass  man  die  unvermeidliche  Zoll- 
revision nicht  in  dem  nahen  Cordonposten  Hum  abhielt,  den  wir  noth- 
wendig  passieren  mussten.  Der  commandirende  Gendarmerie-Wachtmeister 
begrüsste  mich  zuvorkommend  und  rieth  mir,  bei  seinem  Cameraden 
im  Bastaci  zu  übernachten,  da  ich  vor  Abend  nicht  mehr  nach  Foca 
kommen  würde.  Auf  seine  Empfehlung  hin  wurde  ich  dort  aufs  beste 
aufgenommen. 


Längs  der  Piva-Canons  nach  Foca.  10 1 

Wie  die  meisten  Gendamerie-Kasernen  gleicht  Bastaci  mehr  einem 
freundhchen  Hause  als  einem  militärischen  Stützpunkte,  und  bloss  die 
Schiessscharten  und  die  starken  Thore  verleihen  dem  Ganzen  einen 
kriegerischen  Anstrich.  Die  Mannschaften,  die  wegen  der  Sprachverwandt- 
schaft aus  Böhmen,  Kroaten  oder  selbst  Bosniaken  genommen  werden, 
bestehen  ausnahmlos  aus  starken,  kräftigen  Leuten  und  haben  einen 
ziemlich  anstrengenden  Tages-  und  Nachtdienst  zu  verrichten.  Als  Oester- 
reich  Bosnien  und  die  Hercegovina  occupierte,  haftete  den  Eingeborenen 
das  gesetzlose  Leben  so  an,  dess  sie  sich  schwer  davon  trennen  konnten, 
und  auch  die  blutsverwandten  Crnogorcen  Hessen  sich  in  den  ersten 
Jahren  zu  manchem  Uebergriffe  verleiten.  Aus  diesem  Grunde  wurde 
längs  der  Grenze  eine  Kette  von  Befestigungen,  der  Grenzcordon,  an- 
gelegt, wenige  Wege  blieben  für  den  gegenseitigen  Verkehr  offen,  und 
strenge  Passvorschriften  erschwerten  denselben  noch  mehr.  Zur  wirk- 
samen Unterstützung  von  Militär  und  Gendarmerie  organisirte  man  aus 
den  tüchtigsten  und  verwegensten  Leuten  das  berühmte  hercegovinische 
Streifcorps.  Durch  seine  Tapferkeit  und  durch  sein  rücksichtsloses  Vor- 
gehen nicht  minder  wie  durch  die  gut  abgerichteten  Spürhunde, 
von  denen  ich  einige  im  Blockhause  Grab  gesehen  habe,  wurde  es  bald 
der  Schrecken  aller  Räuber  und  erhielt  wegen  der  Farbe  seiner  Uniformen 
den  bezeichnenden  Beinamen  »Schar  der  grünen  Teufel«.  Dem  Streif- 
corps ist  vor  allem  die  Schaffung  geordneter  Zustände  zu  danken,  und 
es  erfüllte  seine  Aufgabe  in  einer  solchen  Weise,  dass  es  im  vorigen 
Jahre  aufgelöst  werden  konnte.  Jetzt  herrscht  in  Neu-Oesterreich 
eine  solche  Sicherheit,  dass  Niemand  vor  einem  Besuche  Bosniens 
und  der  Hercegovina  zurückschrecken  sollte,  wo  er  Fahrstrassen,  Reit- 
wege, Hotels  und  alle  Bequemlichkeiten  findet,  die  er  als  verwöhnter 
Reisender  verlangt. 

Von  Bastaci  bis  Foca  blieb  die  Gegend  gleich  anmuthig.  Aus  dem 
Schiefergestein  sprudelte  ein  Heer  von  Quellen  und  eilte  zur  grünen 
Drina,  Wiesen  und  Wälder  liefen  bis  zu  den  abgerundeten  Gipfeln  hinauf, 
und  Häuser  oder  Dörfer  folgten  sich  in  kurzen  Zwischenräumen,  während 
die  fernen  Zacken  des  Hochgebirges  ernst  herüberschauten.  Fünf 
Marschstunden  standen  uns  am  20.  Juli  noch  bis  Foca  bevor;  aber  sie 
verflogen  schnell,  und  als  wir  um  einen  Hügel  bogen ,  tauchte  zu 
unserer  Rechten  eine  bescheidene  Anhäufung  von  Häusern  auf,  zu 
denen  eine  alte  türkische  Fahrstrasse  hinführte.  Sollte  das  Foca  sein  ? 
Ich  muss  gestehen,  ich  war  anfangs  enttäuscht.  Je  näher  wir  indessen 
kamen,  um  so  mehr  entrollte  sich  das  Gewirr  der  rothen  Dächer  und 
Minarets,  und  um  Mittag  lag  das  vielgenannte  Handelscentrum  des  süd- 


J-Q2  Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje. 

Östlichen  Bosnien  (410  Meter)  vor  uns.  Rasch  schritten  wir  durch  die 
krummen  Gassen  zum  Hotel.  Mein  Diener  zog  es  vor,  in  einem  Han 
zu  wohnen,  weil  er  die  fränkische  Küche  nicht  vertragen  könne,  in 
Wahrheit  wohl,  um  bei  seinem  unmässigen  Trinken  nicht  beobachtet 
zu  werden.  Ich  sass  bald  am  schneeweiss  gedeckten  Tisch,  labte  mich 
wieder  am  edlen  Gerstensaft  und  durchblätterte  die  seit  drei  Wochen 
vermissten  Zeitungen. 


II.  Capitel. 

Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje. 


Trotz  zahlreicher  europäischer  Gebäude  hat  das  moscheenreicke 
Foca  seinen  echt  orientalischen  Charakter  treu  bewahrt  und  ist  in  jeder 
Beziehung  interessanter  als  Gacko,  das  es  auch  an  Einwohnerzahl 
bedeutend  übertrifft.  Zwar  ist  dieselbe  von  den  10.000  Seelen,  welche 
die  flüchtige  Schätzung  annahm,  nach  der  Volkszählung  von  18S5  auf 
etwa  4500  zusammengeschmolzen,  aber  noch  immer  besitzt  Foca  3500 
bis  4000  Köpfe  mehr  als  Gacko.  Beide  Städte  sind  von  einer  gewissen 
\\'ichtigkeit.  Dieses  liegt  in  einem  weiten  Polje,  das  die  natürliche 
Fortsetzung  der  Duga- Pässe  bildet;  es  ist  von  der  Grenze  nur  16  Kilo- 
meter entfernt,  und  es  wimmelt  dort  jederzeit  von  Montenegrinern. 
Jenes  wird  von  den  Crnogorcen  sehr  wenig  besucht,  weil  es  von 
der  Grenze  25  Kilometer  abgelegen  ist  und  weil  die  hindernden  Canons 
den  Zugang  erschweren;  dafür  hat  es  als  äusserster  Vorposten  gegen 
Serbien,  Montenegro  und  die  Türkei  einen  hervorragenden  strategischen 
Werth. 

Das  Häusergewirr  von  Foca  zieht  sich  als  langer,  schmaler  Streifen 
zwischen  der  Drina  und  der  hier  einmündenden  Cehotina  hin  und  wird 
von  wohlgeformten  Bergen  umschlossen.  Mehrere  von  den  öster- 
reichischen Pionnieren  geschlagene  Holzbrücken,  zu  denen  sich 
einige  aus  Stein  und  Eisen  errichtete  Brücken  gesellen,  überspannen 
die  breiten  Gebirgsströme,  und  eine  vorzügliche  Fahrstrasse  stellt  die 
Verbindung  mit  der  Landeshauptstadt  Sarajevo  her.  Nach  der  Occupation 


Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje.  IO3 

veränderte  sich  Foca  einigermassen,  aber  jedenfalls  nicht  zum  Schlech- 
teren. Eine  Menge  von  Kasernen  und  Magazinen  wurde  errichtet, 
und  eine  grosse  Vertheidigungskaserne  befindet  sich  im  Bau.  Auch  die 
Besatzung  ist  ziemlich  stark,  weil  Foca  ein  berüchtigtes  Räubernest 
war  und  weil  die  Nähe  des  türkischen  Gebietes  ein  wachsames  Auge 
seitens  der  österreichischen  Verwaltungsbehörden  erheischt.  Neue  Kirchen 
sind  längst  vollendet,  das  Hotel  ist  bequem  eingerichtet,  und  eben  so 
wenig  vermissen  wir  ein  Post-  und  Telegraphenamt,  das  wie  das  ganze 
Verkehrswesen    Neu-Oesterreichs    unter    militärischer  Verwaltung    steht. 

Welch'  eigenartige  Stadt  ist  Foca!  Regellos  zerstreut  zwischen 
kleinen  Gärten  sind  die  luftigen,  einstöckigen  Häuser,  die  einander 
gleichen  wie  ein  Ei  dem  andern.  Das  flachgeneigte  Dach  aus  gewellten 
Ziegeln  springt  über  einen  Altan  und  über  den  breiten  Flurein- 
gang vor.  Altan  und  Eingang  nehmen  die  Mitte  der  weissgetünchten 
Wand  ein  und  theilen  jedes  Haus  in  zwei  Hälften:  eine  Bauart,  die 
man  an  den  meisten  türkischen  Gebäuden  beobachten  kann.  Schade 
nur,  dass  die  \\'ohnstätten  nach  der  Strasse  zu  von  einer  Mauer  ver- 
sperrt und  von  engen,  vergitterten  Fenstern  verunziert  werden.  Das  Unter- 
geschoss  nehmen  nicht  selten  offene  Läden  ein,  die  Abends  durch  eine 
aus  Brettern  zusammengefügte  Klappe  geschlossen  werden.  Die  schlanken 
Minarets  und  die  gewölbten  Kuppeln  von  i8  Moscheen  überragen  die 
Dächer  und  Baumwipfel;  niedere  Mauern  oder  türkische  Friedhöfe  mit 
seltsamen  Grabdenkmälern  umgeben  die  Plätze  vor  den  theils  schmuck- 
losen, theils  mit  ausgesuchter  Pracht  ausgestatteten  Bethäusern,  und 
zur  bestimmten  Stunde  ruft  der  Muezzin  mit  langgedehnter  Stimme 
die  Zeit  aus  oder  mahnt  die  Gläubigen  zum  Gebet.  Denn  Stadt  und 
Bezirk  Foca  gehören  zu  den  wenigen  Gegenden  Bosniens,  in  denen 
die  Bekenner  des  Islam  überwiegen,  und  die  Stadtbewohner  bestehen 
zu  Dreiviertel  aus  muhamedanischen  Serben. 

Ein  reges  Leben  und  Treiben  herrscht  in  den  schmalen,  kreuz 
und  quer  verlaufenden  Gassen,  die  sich  nicht  allzuoft  zu  einem  kleinen 
Platze  erweitern ;  und  ich  bedauerte  es  lebhaft,  dass  ich  zu  spät  kam, 
um  einer  sonderbaren  Procession  beizuwohnen.  Kurz  vorher  hatten 
nämlich  die  Türken  mit  entsprechender  Feierlichkeit  70.000  Steine  in 
die  Drina  geworfen,  um  dadurch  den  mangelnden  Regen  herbei  zu 
zaubern.  Wie  in  Podgorica,  so  war  auch  hier  die  Tracht  eine  bunte 
und  mannigfaltige.  Besonders  fielen  die  verschiedenen  Farben  und 
Formen  des  Fez  auf,  und  in  Foca  trugen  die  Türken  den  Kopf  eben- 
falls bis  auf  einen  kurzen  Haarbüschel  glatt  geschoren.  Die  meiste 
Anziehungskraft    übten     natürlich    die    Türkinnen    aus,    die    sich     beim 


■jQ  ,  Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje. 

Herannahen  eines  Mannes  rasch  in  ihren  undurchdringhchen  Schleier 
hüllten  und  mit  sichtlicher  Neugierde  dem  Fremden  nachblickten,  der 
in  Foca  noch  immer  eine   seltene  Erscheinung  ist. 

Die  Emsigkeit,  mit  welcher  die  Handwerker  vor  Aller  Augen  ihren 
Geschäften  nachgingen,  erhöhte  den  Reiz  des  Strassenbildes  ungemein, 
und  ein  Blick  auf  die  ausgelegten  Waaren  überzeugte  einen,  dass  die 
Metropole  Südost- Bosniens  an  industrieller  Regsamkeit  nur  hinter 
Sarajevo  und  Banjaluka  zurücksteht.  Sind  doch  die  Focaner 
Schmiede  wegen  ihrer  geschmackvollen  Waffenbeschläge  und  wegen 
ihrer  Säbel-  und  Handzarklingen  berühmt.  Die  einheimischen  Schuhe 
sind  weit  verbreitet,  und  die  zierlichen  Lederarbeiten  gemessen  einen 
wohlverdienten  Ruf.  Die  wohlschmeckenden  Weizenbrote  Focas  sucht 
man  im  Umkreise  und  in  Montenegro  vergebens,  und  überall  bieten 
Obstverkäufer  ihre  Früchte  zu  erstaunlich  billigen  Preisen  feil.  An 
Fleischern,  Reis-,  Tabaks-  und  Kaffeehändlern  ist  kein  Mangel,  und 
Einkehrhäuser,  Schenken  und  Militär -Cantinen  sind  nicht  minder 
zahlreich. 

Ich  bemass  meinen  Aufenthalt  auf  drei  Tage  und  wollte  dann 
nach  Crkvice  zurückkehren,  um  kürzesten  Weges  zum  Durmitor  auf- 
zubrechen. Doch  es  sollte  anders  kommen.  Auch  in  Foca  war  es  für 
meinen  Diener  das  erste  gewesen,  sich  jeden  Tag  gründlich  zu  be- 
trinken und  seine  Pflichten  zu  vernachlässigen.  Ich  will  die  unerquick- 
lichen Scenen  nicht  näher  erörtern:  kurz,  als  ich  erfuhr,  dass  der 
charakterlose  Mensch  zur  Befriedigung  des  Schnapsteufels  seinen  von 
der  montenegrinischen  Regierung  ausgestellten  Pass  versetzt  und  Schulden 
gemacht  hatte,  die  ich  nachher  bezahlen  musste,  und  als  er  mir  oben- 
drein den  Gehorsam  verweigerte,  da  jagte  ich  ihn  mit  Schimpf  und 
Schande  fort.  Wohl  umklammerte  er  bittflehend  meine  Kniee  und  rief 
verzweiflungsvoll  aus,  er  würde  sich  erschiessen,  sobald  er  jenseits  der 
Grenze  sei.  Als  ich  jedoch  einen  Monat  später  in  Kolasin  eintraf,  hörte 
ich,  dass  er  soeben  das  Städtchen  verlassen  habe.  Waren  seine  selbst- 
mörderischen Absichten  also  leere  Worte  gewesen,  so  schien  er  sich 
wenigstens  vor  seinen  Landsleuten  zu  schämen.  Er  erzählte  ihnen,  ich 
sei  durch  ein  Telegramm  nach  Hause  gerufen  worden,  und  deshalb 
erklärte  sich  sein  überraschend  schnelles  Verschwinden  aus  Kolasin,  weil 
meine  unvermuthete  Ankunft  seine  Aussagen  Lügen  strafte.  Jetzt  war 
guter  Rath  theuer,  aber  die  österreichische  Gastfreundschaft  bewährte 
sich  wieder  aufs  glänzendste,  und  dank  der  Fürsorge  des  Bezirksamtes 
erhielt  ich  schon  nach  wenigen  Stunden  einen  erfahrenen,  nüchternen  Mann. 
Er  war  ein  Türke  namens  Bajro  Hadzimusic,  der  zwar  nur  seine  Mutter- 


Durch   die   Hercegovina  nach  Cetinje. 


10^ 


spräche,  das  vSerbische,  verstand;  indessen  hatte  ich  mir  dieselbe  im  Laufe 
der  Zeit  soweit  angeeignet,  dass  wir  uns  gegenseitig  verständigen  konnten. 
Die  Abreise  wurde  auf  den  nächsten  Tag,  den  25.  Juli,  verschoben.  Sie 
führte  durch  österreichisches  Gebiet;  und  wenn  mich  auch  dieser  un- 
freiwilHge  Umweg  etwas  verstimmte,  so  war  ich  doch  froh,  dass  ich 
meines  zweifelhaften  Begleiters  Arso  Popovic  für  immer  ledig  war.  — 
Da  die  obere  Drina  nicht  überbrückt  ist,  so  gingen  wir 
am   rechten  Ufer  ein  gutes  Stück  aufwärts  und  setzten  auf  einer  Fähre 


Foca. 


zwischen  Foca  und  Bastaci  über.  Noch  lange  wanderten  wir  längs  der  steilen, 
höhlenreichen  Conglomeratbänke  hin,  bis  wir  in  das  liebliche  Thal  der 
Suceska  einlenkten,  die  5  Kilometer  von  der  montenegrinischen  Grenze 
entfernt  ihre  klaren  Fluthen  mit  denen  der  Drina  vermischt.  Wald, 
Wiesen  und  Aecker  bedeckten  in  harmonischem  Wechsel  die  quellen- 
reichen Schiefer,  die  befiederten  Sänger  erfüllten  mit  tausendstimmigem 
Schmettern  die  Lüfte,  Dörfer  und  Kasernen  schauten  aus  dem  Ge- 
büsch, bis  sich  das  Thal  verengte  und  einen  romantischen  Charakter 
annahm.    Doch    der   Himmel  machte    ein    finsteres  Gesicht.    Schon  am 


Io6  Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje. 

Morgen  herrschte  eine  drückende  Schwüle,  die  durch  ein  unbedeutendes 
Gewitter  eher  vermehrt  ward,  und  jetzt,  am  Spätnachmittag,  rauschte 
ein  strömender  Gewitterregen  hernieder.  Völlig  durchnässt  suchten  wir 
unter  einem  Schuppen  Zuflucht,  aber  durch  die  Lücken  des  Daches 
ergoss  sich  das  Wasser  ungehindert,  und  erst  nach  einer  Stunde  war 
das  Unwetter  vorüber.  In  den  Vertiefungen  des  rauhen  Pfades  hatten 
sich  grosse  Pfützen  angesammelt,  und  die  Feuchtigkeit  durchweichte 
die  dünnen  Opanken  so  rasch,  dass  sie  nicht  den  geringsten  Widerstand 
mehr  boten.  Glücklicherweise  war  unser  Ziel,  die  Gendarmerie-Kaserne 
Suha  (6go  Meter),  nicht  mehr  weit  und  öffnete  uns  sofort  ihre  gast- 
lichen Thore. 

Schon  seit  einer  guten  Weile  gingen  wir  in  einem  wilden  Canon, 
aus  dem  uns  ein  kalter  Wind  entgegenwehte.  Zerrissene  Kalke  hatten 
die  sanften  Schiefergehänge  verdrängt ,  und  senkrechte  Wände 
traten  zu  einer  schaurigen  Schlucht  zusammen,  die  bei  1500  Meter  Tiefe 
kaum  15  Meter  Breite  besass.  Buntes  Buchendickicht  bekleidete  die 
unteren,  dunkler  Nadelwald  die  oberen  Theile,  die  sich  in  phantastische 
Nadeln,  Thürme  und  Pyramiden  auflösten.  Graue  Nebel  erfüllten  den 
gähnenden  Spalt,  und  am  Grunde  stürzte  die  eingeengte  Suceska  tosend 
über  das  Geröll.  So  setzte  sich  die  grossartige  Klamm  am  nächsten 
Morgen  bis  zum  Blockhause  Grab  fort,  das  an  der  Grenze  zwischen 
Bosnien  und  der  Hercegovina  liegt  und  die  Stelle  bezeichnet,  wo  sich 
die  schier  unersteiglichen  Felsmauern  im  Volujak  und  in  der  Tovarnica 
die  Hand  zu  reichen  scheinen.  Auf  ihren  \'orsprüngen  stehen  noch 
die  Mauerreste  zweier  Burgen,  die  im  15.  Jahrhundert  das  Thal  sperrten 
und  ihm  den  Namen  Vrata  (die  Thore)  gaben.  So  wenig  Raum 
blieb  für  den  schmalen  Pfad,  dass  er  auf  roh  zusammengefügten  Holz- 
stegen beständig  hinüber  und  herüber  führte  und  nicht  selten  in  den 
überhängenden  Felsen  gesprengt  war.  Obwohl  er  das  Schlussglied  der 
wichtigen  Handelsstrasse  von  Ragusa  nach  Foca  und  Alt-Serbien  bildete, 
thaten  die  Türken  wenig  für  seine  Erhaltung  und  Sicherheit;  erst  die 
Oesterreicher  verbesserten  ihn  und  säuberten  das  verrufene  Thal 
von  dem  räuberischen  Gesindel.  Ein  steiler  Aufstieg  brachte  uns  in 
dichtem  \\'ald  auf  den  Cemerno-Sattel,  und  dann  zogen  wir  auf  dem 
früher  begangenen  Wege  nach  Gacko. 

Dort  fand  ich  die  alten  Freunde  wieder  und  unter  ihnen  Herrn 
Oberlieutenant  Bednar,  der  mich  alsbald  auf  seinen  neuen  Posten,  das 
13  Kilometer  von  Gacko  entfernte  Fojnica  an  der  Strasse  nach  Neve- 
sinje,  mitnahm.  Zum  zweiten  Male  sollte  ich  meine  Reitkunst  auf  die 
Probe  stellen,  denn  Herr  Bednar    nahm    die  Büchse  über  die  Schulter. 


Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje.  jqj 

gab  mir  ebenfalls  ein  doppelläufiges  Gewehr,  und  hurtig  sprangen  wir 
auf  die  bereit  gehaltenen  Pferde,  um  die  trostlose  Umgebung  von  Foj- 
nica  zu  durchstreifen.  Trotz  des  zweifelhaften  Pfades  trugen  uns  die 
vorsichtigen  Thiere  sicher  an  schroffen  Abgründen  vorbei.  Hinter  dem 
elenden  Weiler  Jugovic  hielten  wir  in  der  tiefen  Rinne  eines  Karstbaches, 
der  zu  einem  Mühlenteiche  aufgestaut  war;  nicht  allzu  oft  zierte  ein 
hochstämmiger  Baum  die  zahllosen  Dohnen,  die  durch  ihre  dichte  Zu- 
sammendrängung das  bekannte  blattersteppige  Aussehen  hervorriefen. 
Gegen  Abend  kehrten  wir  in  einem  Gendarmerie-Posten  ein,  da  es  zu 
spät  war,  um  nach  Fojnica  zurückzureiten.  Ich  hatte  schon  auf  dem  Wege 
geahnt,  dass  mir  der  liebenswürdige  Oberlieutenant  eine  Ueberraschung 
bereiten  wollte,  und  diese  bestand,  wie  er  mir  jetzt  offenbarte,  in  nichts  gerin- 
gerem als  in  der 'Abhaltung  einer  Bärenjagd.  Die  Eingeborenen  hatten  ihm 
mitgetheilt,  dass  Meister  Petz  in  der  Nachbarschaft  des  Dörfchens  Borac 
wiederholt  Schaden  angerichtet  hatte,  und  so  wurde  die  Jagdgesellschaft 
zusammengerufen.  Sie  bestand  ausser  uns  beiden  aus  sechs  Gendarmen 
und  zwanzig  bosnischen  Treibern;  ich  erhielt  einen  achtschüssigen  Kara- 
biner, wie  ihn  die  Gendarmen  führten ,  und  um  '/.,3  Uhr  morgens, 
noch  leuchteten  die  Sterne  am  nächtlichen  Himmel,  machten  wir  uns 
auf.  Was  uns  der  28.  Juli  bringen  mochte,  darüber  war  ich  sehr 
gespannt. 

Das  Blockhaus  hat  eine  wunderbare  Lage.  Zwar  dehnt  sich  der 
öde  Karst  bis  zum  Horizonte  aus,  aber  vor  uns  läuft  eine  tiefe  Schlucht 
hin,  die  dichter  Laub-  und  Nadelwald  abwechselnd  mit  Häusern,  Wiesen 
und  kleinen  Feldern  bedeckt,  während  ein  silberner  Wasserstreifen  die 
saftigen  Matten  durchschneidet.  Das  ist  der  grösste  Strom  der  Herce- 
govina, die  Narenta  oder  Neretva,  die  in  jenen  Gegenden  entspringt 
und  der  todten  Natur  Leben  und  Abwechslung  verleiht. 

Beim  ersten  Morgengrauen  waren  wir  am  Flusse,  und  nachdem 
die  Eingeborenen  sich  mit  der  sprichwörtlichen  Saumseligkeit  der 
Orientalen  eingefunden  hatten,  drangen  wir  in  das  Dickicht  ein.  Ein 
alter  Türke  wies  den  Jägern  die  Plätze  auf  der  Höhe  an ;  die  Uebrigen 
eilten  an  die  Narenta,  um  das  Wild  von  der  Tränke  zu  verscheuchen 
und  es  uns  zuzutreiben.  Lautes  Schreien,  Pfeifen  und  Klopfen  hallte 
durchdringend  durch  die  Morgenstille,  und  aufmerksam  lauschten  wir 
auf  jedes  Knacken  der  Zweige,  auf  jedes  Geräusch,  das  der  Wind  in 
den  Baumkronen  verursachte,  doch  kein  Thier  kam  uns  zu  Gesicht. 
Daher  überschritten  wir  den  Fluss  auf  quer  durch  sein  Bett  gelegten 
Steinen,  um  im  Urwalde  des  rechten  Ufers  unser  W'^aidmannsheil  zu 
versuchen.     Aber  obwohl  wir   bis    zum   Nachmittage    noch    fünf    grosse 


Io8  Durch  die  Hercegovina   nach  Cetinje, 

Treiben  machten  und  obwohl  ich  mich  im  Geiste  mehrmals  dem  grimmen 
Bären  gegenüber  wähnte,  so  durchbrach  nirgends  ein  edles  Wild  unsere 
Kette,  und  mit  leeren  Händen  mussten  wir  das  Thal  verlassen.  Der 
alte  Türke  erfreute  uns  beim  Abschiede  mit  einer  Menge  Forellen 
und  benutzte  die  Gelegenheit,  den  Gospodin  Doktor,  den  er  gleich 
seinen  Landsleuten  für  einen  Arzt  hielt,  über  eine  Krankheit  zu  be- 
fragen. 

Um  wenigstens  etwas  nach  Fojnica  zu  bringen,  stiegen  wir  unter- 
wegs vom  Pferde  und  pürschten  das  an  Hasen  und  Hühnern  reiche 
Gelände  ab.  Darüber  wurde  es  Abend,  und  wir  mussten  an  die  Heim- 
kehr denken.  Mein  Pferd,  welches  ich  jetzt  so  gern  vorwärts  gehabt 
hätte,  war  nicht  zu  einem  gelinden  Trabe  zu  bewegen,  und  da  meine 
Begleiter  —  der  Officier  und  zwei  Gendarmen  —  ein  gutes  Stück  voraus 
waren,  so  überliess  ich  mich  ganz  meinem  Gaule,  bis  ich  plötzlich  be- 
merkte, dass  er  mich  wo  anders  hin,  nur  nicht  nach  der  Festung  trug. 
Das  war  eine  höchst  unangenehme  Situation,  und  in  der  Voraussetzung, 
dass  das  Thier  seinen  alten  Stall  aufsuchen  werde,  stieg  ich  ab  und 
Hess  es  vorangehen.  Und  richtig,  es  führte  mich  zu  seinem  Eigenthümer 
in  ein  kleines  Dorf,  aus  welchem  mich  ein  Bauer  zu  dem  eine  halbe 
Stunde  entfernten  Fojnica  geleitete,  wo  man  wegen  meines  Ausbleibens 
schon  besorgt  war. 

Nach  einem  Rasttage  schied  ich  von  der  Festung  und  durchwan- 
derte auf  drei  Tagemärschen  die  Hercegovina.  Sie  ist  ein  eintöniges 
Karstland,  das  des  üppigen  Pflanzenw'uchses  ebenso  wie  der  Quellen 
entbehrt.  Die  meisten  Wasserläufe  —  und  zu  ihnen  gehört  die  früher 
erwähnte  Trebinjcica  —  verlieren  sich  ganz  oder  theilweise  im  Erd- 
innern,  und  allein  die  Narenta  fliesst  bis  zur  Adria  in  einem  offenen 
Bett.  Wohl  zaubert  die  Kraft  der  südlichen  Sonne  in  dem  Steinmeere 
Oelbäume,  Tabaksfelder  und  Weingärten  hervor,  aber  in  welchem  Ver- 
hältnis steht  die  Fläche  des  bebauten  oder  anbaufähigen  Bodens  zu 
der  des  nackten,  vegetationslosen  Felsens?  Da  die  Niederschläge  in 
dem  klüftigen  Kalke  schnell  versickern,  so  ist  der  Humus  am  Grunde 
der  Dolinen  nur  in  beschränktem  Masse  ausnutzbar,  und  andererseits 
entzieht  das  Uebermass  der  Bewässerung  weite  Strecken  dem  Acker- 
bau, weil  die  Winterregen  zu  langsam  abfliessen  können  und  den  Boden 
versumpfen.  Tagtäglich  wiederholte  sich  dasselbe  Bild;  denn  kaum  hatten 
wir  das  magere  Gacko  Polje  hinter  uns,  so  traten  wir  in  die  endlose  Stein- 
wüste ein. 

Zwei  Handelsstrassen  erschliessen  die  österreichische  und  monte- 
negrinische   Hercegovina.      Die    eine,    die    wir    bereits    kennen    lernten, 


Durch  die  Hercegos'ina  nach  Cetinie. 


log 


führt  von  Risano  über  Grahovo,  Niksic  und  die  Landschaft  Drobnjak 
nach  Plevlje,  die  andere  läuft  von  Ragusa  über  Trebinje,  Bilek  und 
Gacko  nach  Foca,  um  abermals  in  Plevlje  zu  enden  und  Alt-Serbien 
mit  dem  Meere  zu  verbinden.  Während  die  erstere  Strasse  von  frag- 
würdiger Beschaffenheit  ist,  stellt  die  zweite  eine  wirkliche  Kunststrasse 
dar,  die  demnächst  von  Gacko  bis  Foca  ausgebaut  werden  soll.  Schon 
im  Mittelalter  herrschte  auf  den  nach  Bosnien  eindringenden  Verkehrs- 
adern ein  reges  Leben,  und  ihnen  verdankt  die  dalmatinische  Küste 
noch  heute  ihre  wirthschaftliche  Bedeutung,  da  sie  ganz  und  gar  vom 
Hinterlande  abhängt.  Deshalb  hatten  die  Strassen  und  Eisenbahnen, 
welche  man  parallel  der  Küste  anlegte,  wenig  ^^'e^t,  weil  das  Dampf- 
schiff den  Fernverkehr  schneller  und  billiger  besorgte  und  weil  die  ein- 
heimischen Erzeugnisse  nicht  darnach  angethan  waren,  zur  Förderung 
von  Handel  und  W^andel  wesentlich  beizutragen.  Kein  Wunder,  dass 
die  Eisenbahnlinie  Sebenico-Spalato-Knin  in  wirthschaftlicher  Beziehung 
keine  Rolle  spielte,  so  lange  Bosnien  unter  türkischer  Herrschaft  stand 
und  der  gegenseitige  Handel  fast  Null  war.  Welch'  einen  Aufsch^^•ung 
nimmt  dagegen  der  Schienenstrang  Brod-Sarajevo-Mostar-Metkovic,  der 
sammt  seinen  Nebenbahnen  Neu-Oesterreich  mitten  durchschneidet  und 
im  Anschluss  an  die  kroatischen  Bahnen  eine  der  wichtigsten  Durch- 
gangslinien zur  Adria  ist !  Ja  viel  hat  die  österreichische  Verwaltung 
für  die  Hebung  des  Landes  gethan.  Ueberall  gewinnen  die  Städte  ein 
europäisches  Aussehen,  die  Sicherheit  des  Eigenthums  und  Lebens  hebt 
Handel  und  Industrie,  die  Flüsse  werden  regulirt,  die  reichen  Boden- 
schätze ausgebeutet,  der  Ackerbau  wird  durch  die  Entwässerungsarbeiten 
verbessert,  die  \'iehzucht  durch  landwirthschaftliche  Musteranstalten  ge- 
hoben, Post-  und  Telegraphenanstalten  gibt  es  in  reichlicher  Zahl,  und 
das  Eisenbahnnetz  ist  längst  über  die  ersten  Ansätze  hinausgeschritten. 
Das  Militär  und  die  trefflich  organisirte  Gendarmerie  sorgen  für  die 
öffentliche  Ordnung  in  einer  solchen  Weise,  dass  man  allein  und  ohne 
Waffen  die  wilden  Gebirge  durchstreifen  kann.  Wehe  dem,  der  das  zur 
Türkenzeit  gewagt  hätte!  Und  wer  hat  das  alles  gethan?  Der  Soldat. 
Er,  der  sonst  bloss  zum  Zerstören  bestimmt  ist,  hat  mit  dem  Schwerte 
in  der  Hand  zugleich  die  Cultur  gebracht,  und  die  Hilfsmittel,  die  erst 
zur  Unterwerfung  der  aufständischen  Bewohner  dienten,  verwandte  er 
später  zur  segensreichen  Förderung  des  Landes.  Und  dadurch  hat  er 
nicht  allein  dem  Reisenden,  der  aus  dem  türkischen  Gebiet  nach  Neu- 
öesterreich  kommt,  sondern  der  gesammten  Civilisation  einen  unschätz- 
baren Dienst  erwiesen. 


IIO  Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje. 

Als  wir  in  die  flache  Mulde  Korito  (927  Meter)  hinabstiegen,  war 
die  montenegrinische  Grenze  etw^a  5  Kilometer  entfernt  und  hielt 
sich  bis  Trebinje  in  diesem  Abstände  von  der  Strasse.  Nach  einem 
Trünke  aus  einer  sorgfältig  ausgemauerten  Cisterne  durcheilten  wir 
das  Dolinenlabyrinth,  und  sein  kümmerlicher  Baumwuchs  war  ein  be- 
redtes Zeugniss  für  die  Waldverwüstung,  deren  sich  Menschen  und  Thiere, 
vor  allem  die  gefrässigen  Ziegen,  im  Rarste  schuldig  gemacht  haben. 
Trotz  unseres  rüstigen  Ausschreitens  brach  die  Nacht  herein,  und 
wir  erreichten  erst  spät  abends  die  Kaserne  von  Plana  (635  Meter).  In 
dem  Fremdenzimmer,  das  die  meisten  dieser  Wachthäuser  besitzen, 
fand  ich  nach  den  Anstrengungen  des  Tages  ein  w^eiches  Bett,  und  neu 
gekräftigt   gingen   wir   am  andern  Morgen  Trebinje  entgegen. 

Die  malerische  Kaserne  ist  auf  einem  Höhenrücken  erbaut,  und  in 
dem  weiten  Troge  an  seinem  Fusse  gruppieren  sich  die  ärmlichen  Bauern- 
häuser von  Plana  um  eine  schmucklose  Moschee.  Als  die  Strasse  einen 
grossen  Bogen  beschrieb,  den  wir  auf  einer  breiten  türkischen  Strasse 
abschnitten,  kam  einige  Abwechslung  in  das  monotone  Bild.  Vor  uns 
entrollte  sich  das  Kesselthal  von  Bilek,  und  drohende  Forts  krönten 
seinen  hohen,  steilwandigen  Bergkranz.  Die  Stadt  selbst  (476  Meter)  ist  un- 
interessant und  hat  höchstens  als  viel  umstrittener  Waffenplatz  eine  gewisse 
Berühmtheit.  Das  unansehnliche  Türkenviertel  wurde  im  letzten  Kriege 
und  während  der  Occupation  fast  völlig  zerstört,  aus  den  Trümmern 
aber  erhoben  sich  die  europäischen  Gebäude  von  Neu-Bilek,  das  unter 
anderm  auch  zwei  Hotels  besitzt.  Eine  Kaserne,  die  man  eher  eine  kleine 
Festung  nennen  möchte,  diente  der  starken  Garnison  zum  Aufenthalte. 

Um  Mittag  verliessen  wir  Bilek  im  glühendsten  Sonnenbrande  und 
standen  nach  einer  halben  Stunde  an  einer  tiefen  Schlucht,  deren  Sohle 
ein  klarer,  breiter  Wasserstreifen  ausfüllte.  Es  war  die  Trebinjcica,  die 
als  ergiebiger  Strom  aus  den  finsteren  Eingeweiden  der  Erde  sprudelte  und 
sogleich  ein  Pumpwerk  in  Bewegung  setzte,  das  die  120  Meter  höhere 
Stadt  mit  Wasser  versorgt.  Rasch  schiesst  sie  am  Kloster  Kosijerevo 
vorüber,  bewässert  in  vielfach  verschlungenen  Windungen  die  Niederung 
von  Trebinje  und  verschwindet  urplötzlich,  wie  sie  gekommen,  um  bei 
Ragusa  als  Ombla  oberirdisch  zur  Adria  abzufliessen.  Allmählich  wurde 
die  Landschaft  freundlicher,  unter  das  lichte  Eichengebüsch  mengten 
sich  einzelne  hochstämmige  Bäume,  und  der  Blick  schweifte  hinüber  zu 
den  Banjani,  deren  öde  Kalkschichten  ein  fahler  Grasmantel  überzog. 
Zwei  alte  Bekannte,  die  Straziste  und  der  Planik,  hoben  sich  vom  klaren 
Himmel  ab,  und  als  die  vorspringenden  Bergcoulissen  ihre  kahlen  Spitzen 
verdeckten,  entrollte  sich  das  weite  Polje  von  Trebinje. 


Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje.  I  j  j 

Trebinje  (213  Meter)  ist  eine  originelle  Stadt,  weil  sich  in  ihr  die 
Cultur  des  Abendlandes  mit  der  des  Orients  vermischt  und  weil  die 
Spuren  des  Jahrhunderte  langen  Handels  mit  Ragusa  noch  immer  be- 
merkbar sind.  Hörnes  schildert  den  etwa  2000  Seelen  zählenden  Ort 
als  ein  schauerliches  Nest,  und  das  mag  er  gewesen  sein,  als  das  Haus 
Habsburg  die  verwahrloste  türkische  Erbschaft  antrat.  Obgleich  ich  nur 
kurze  Zeit  in  der  Stadt  verweilte  und  einen  beschränkten  Theil  derselben 
kennen  lernte,  so  muss  ich  doch  sagen,  dass  ich  von  dem,  was  ich  sah, 
nicht  unangenehm  berührt  war.  Trebinje  erstreckt  sich  im  nordöstlichen 
Winkel  der  Ebene  zwischen  dem  Flusse  und  der  Felswand.  Eine  breite 
Strasse,  umrahmt  von  türkischen  Häusern,  löst  sich  einerseits  in  ein 
regelloses,  von  Moscheen  überragtes  Gewirr  auf,  andererseits  mündet  sie 
in  eine  mit  Bäumen  bepflanzte  Allee,  die  von  ebensolchen  Strassen 
durchschnitten  und  von  italienischen  Gebäuden  geziert  wird.  Auf  einem 
flachen  Hügel  erhebt  sich  der  plumpe  Uhrthurm;  wo  die  Berge  hart  an 
den  Fluss  treten,  tragen  sie  das  Castell,  und  von  jedem  dominierenden 
Punkte  der  Umfassungsketten  lugt  ein  Fort  ins  Land  hinein.  Das  Kessel- 
thal ist  als  tiefstes  Glied  der  staffeiförmig  abfallenden  Beckenreihe  Gacko- 
Korito-Plana-Bilek-Trebinje  bemerkenswerth,  die,  nach  den  bald  ober-, 
bald  unterirdisch  abfliessenden  Schlundgewässern  zu  urtheilen,  auch  einen 
hydrographischen  Zusammenhang  besitzt. 

Der  I.  August  sollte  uns  wieder  an  das  blaue  Meer  bringen,  und 
die  Strasse  wandte  sich  nach  Südwest,  um  den  bedeutendsten  Küsten- 
platz Dalmatiens,  Ragusa,  zu  gewinnen.  Noch  lange  waren  die  rothen 
Dächer  von  Trebinje  sichtbar,  als  wir  einen  Karstbach  überschritten,  der 
das  Wasser  des  bekannten  Popovo  Polje  Popenfeld)  zur  Trebinjcica  leitet, 
und  am  Rande  der  langsam  ansteigenden,  wild  verkarsteten  Ebene 
emporklommen.  Die  uns  begegnenden  Eingebornen  hatten  stets  ein  Wort 
des  Grusses;  mit  meinem  Türken  tauschten  sie  besonders  viele  Compli- 
mente  aus,  und  ich  will  an  dieser  Stelle  der  merkwürdigen  Begrüssungs- 
formen  kurz  gedenken.  Zwar  werden  sie  in  Gegenwart  eines  Fremden 
glücklicherweise  nicht  zu  ausführlich  befolgt;  wenn  aber  zwei  Bekannte 
zusammentreffen,  die  gerade  Zeit  haben  —  und  Zeit  hat  man  im  Orient 
ja  immer  —   so  beginnt  ungefähr  folgendes  Zwiegespräch: 

»Pomaga  ti  Bog  (Gott  behüte  dich)!«  sagt  der  erste,  »»Dobra  ti 
sreca  (Ich  wünsche  dir  viel  Glück)!««   der  zweite. 

>Kako  ste,  brate  (Wie  gehts,  Bruder)?«  fragt  der  erste  wieder. 

>  >Dobro,  hvala  Bogu!  Kako  ti  (Ich  danke  Gott,  gut;  und  wie  gehts 
Dir)?««   erwidert  der  andere. 


112 


Durch  die  Herce^ovina   nach  Cetinie. 


»Dobro,  hvala  Bogu!;<  entgegnet  jener  und  fährt  fort  Este  li  zdravi 
(Bist  du  gesund)?- 

»»Jesam  Bogami,  hvala  Bogu  (Ja,  ich  bin,  Gott  sei  Dank,  gesund)  !< 
ist  meist  die  Antwort. 

»Bogu  hvala  (Ich  danke  Gott)!«  wiederholt  der  erste  erleichtert 
und  forscht  weiter:  »Wie  geht  es  deinem  \'ater?  deiner  Mutter?  deinen 
Kindern?  deinem  Bruder?  deiner  Schwester?  deiner  Grossmutter ?<; 

Immer  folgt  ein  salbungsvolles   *  »Dobro,  hvala  Bogu!<< 

Nachdem  sich  nun  der  erste  vergewissert  hat,  dass  es  den  Familien- 
gliedern gut  geht,  will  er  sich  auch  überzeugen,  was  der  Hausstand 
macht.  »Wie  geht  es  deinen  Pferden?  deinen  Kühen?  deinen  Schweinen? 
deinen  Ziegen?  deinen  Bienen?«  Und  damit  er  in  übergrossem  Anstände 
ja  nichts  vergisst,  fragt  er  zum  Schlüsse:  »I  kako  jos  (Und  wie  gehts 
dir  noch)?« 

»»Dobro,  hvala  Bogu!««  ist  die  unvermeidliche  Antwort,  und  dann 
wiederholt  sich  oft  das  gleiche  Frage-  und  Antwortspiel. — 

Aus  den  Kalken  hob  sich  ein  niedriger  Rücken  ab,  der  senkrecht 
zur  Strasse  verlief,  und  als  wir  ihn  überwunden  hatten,  leuchtete  in 
überwältigender  Pracht  das  Meer  herauf.  Fest  gebannt  blieben  wir  stehen, 
und  meinem  Begleiter,  der  die  unendliche  See  noch  nie  gesehen,  ent- 
rang sich  ein  Ausruf  der  Bewunderung.  Wir  hatten  das  Dinarische  Ge- 
birgsplateau  durchwandert,  das  im  Küstengebirge  jäh  zur  Adria  abstürzt, 
und  zum  letzten  Male  verlangte  ein  Gendarm  meinen  Pass,  ob  er  auch 
vorschriftsmässig  beglaubigt  war.  Zum  Zwecke  einer  genauen  Ueber- 
wachung  hat  die  Landesregierung  angeordnet,  dass  jeder  Pass  mit 
einem  Visum  der  österreichischen  Botschaften  oder  Consulate  ver- 
sehen sein  muss,  und  beim  Besuche  einer  grösseren  Stadt  ist  genau 
die  Dauer  des  Aufenthaltes  und  die  Richtung  der  Weiterreise  anzugeben. 
Zwar  ist  dieses  Verfahren  etwas  umständlich  und  lästig,  aber  es  ent- 
schädigt reichlich  durch  die  angenehmen  Bekanntschaften,  die  man  bei 
dieser  Gelegenheit  mit  den  stets  zuvorkommenden  Behörden  macht. 
Jetzt  standen  wir  an  der  Grenze  zwischen  Dalmatien  und  der  Hercegovina, 
an  einer  Stelle  also,  die  vor  15  Jahren  die  österreichische  Küste  und 
das  türkische  Hinterland  von  einander  schied.  Man  kann  die  bitteren 
Gefühle  jener  \"'ölker  begreifen,  die  einen  Büchsenschuss  entfernt  vom 
Meere  wohnen  und  durch  eine  streng  beaufsichtigte  politische  Grenze 
seiner  Segnungen  verlustig  gehen.  Zwar  besass  die  Türkei  am  Hafen  von 
Klek-Neum  und  in  der  Sutorina  bei  Castel  Nuovo  zwei  schmale  Küsten- 
streifen. Aber  sie  wurden  von  österreichischem  Gebiete  umgeben,  Oester- 


Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje. 


113 


reich  beherrschte  die  Einfahrt  durch  die  langgestreckte  Halbinsel  Sabbion- 
cello und  die  Punta  d'Ostro,  und  so  hing  von  Oesterreichs  Willen  und 
Erlaubniss  die  Benutzung  beider  Häfen  ab. 

Wir  durchschritten  eine  gut  bebaute  Mulde,  die  zwischen  den 
Hauptkamm  des  Küstengebirges  und  eine  vorgelagerte  Parallelkette  ein- 
gesenkt war,  und  kamen  immer  mehr  aus  dem  Reiche  der  Armuth 
und  Oede  in  glücklichere  Gefilde.  Schlanke  Pinien  und  ernste  Cypressen, 
Lorbeergebüsche  und  Granaten,  Feigen  und  mannshohe  Aloes,  der  an- 
dern Kinder  Floras  nicht  zu  gedenken,  wechselten  mit  Aeckern,  Dörfern 
oder  finsteren  Festungen  ab,  und  bald  grüsste  das  ehrwürdige  Ragusa  herauf. 
Ein  enger,  von  Schiffen  erfüllter  Hafen  wurde  von  einer  waldigen  Insel, 
dem  lieblichen  Lacroma,  einigermassen  geschützt;  aber  viel  wichtiger 
ist  die  Bai  von  Gravosa,  die  den  grössten  Fahrzeugen  Einlass  und 
Sicherheit  gewährt.  Da  hier  das  Gewirr  der  Inselklippen  endet,  welches 
die  Schifffahrt  nicht  unwesentlich  beeinträchtigt  und  über  eine  locale 
Bedeutung  nicht  hinauskommen  lässt,  so  war  Ragusa  zu  einem  Mittel- 
punkt des  Fernverkehrs  wie  geschaffen  und  das  um  so  mehr,  als  die 
Felsküste  bis  zu  den  Bocche  keinen  guten  Landungsplatz  mehr  aufweist. 
Seit  Jahrzehnten  ist  allerdings  die  Blütezeit  dieses  dalmatinischen 
Emporiums  vorüber,  und  treffend  hat  man  es  im  Gegensatze  zu  Zara, 
der  Stadt  der  Gegenwart,  und  Spalato,  der  Stadt  der  Zukunft,  die  Stadt 
der  Vergangenheit  genannt.  Doch  warum  sollen  wir  den  vielen  Be- 
schreibungen von  Ragusa   noch  eine  neue  hinzufügen? 

Am  nächsten  Tage  brachte  uns  der  von  Fiume  kommende  Eil- 
dampfer nach  Cattaro,  und  auf  der  Fahrt  lernte  ich  eine  Anzahl  junger 
Montenegriner  kennen,  die  aus  der  Kriegsschule  von  Caserta  in  ihre 
rauhe  Heimat  zurückkehrten.  Wir  tauschten  gegenseitig  unsere  Erlebnisse 
aus,  und  mit  Freuden  stimmte  ich  ihnen  bei,  noch  während  der  Nacht 
gemeinsam  nach  Cetinje  zu  fahren.  Um  10  Uhr  Abends  verliess  unsere 
kleine  Gesellschaft  Cattaro,  und  um  5  Uhr  rollten  die  beiden  Kutschen 
durch  die  stillen  Strassen  der  Landeshauptstadt.  Mit  neuen  Hoffnungen 
und  Erwartungen  betrat  ich  die  Schwarzen  Berge,  konnte  ich  doch 
nun  meine  so  jäh  unterbrochenen  Pläne  wieder  aufnehmen  und  in  die 
östliche  Crnagora  eindringen! 


üassert.  Reise  durch  Montenegro. 


jj  «  Nach  Kolasin. 


12.  Capitel. 

Nach  Kolasin. 


Ungern  trennte  ich  mich  von  meinem  wackeren  Bajro,  da  das 
Reisen  mit  einem  Türken  in  Montenegro  seine  Schwierigkeiten  hat.  Ein 
neuer  Begleiter,  ein  sehr  sympathischer  Jünghng  namens  Marko  Bosko 
Pravilovic  Bjelica,  war  rasch  gefunden,  und  am  6.  August  brach  ich 
zum  zweiten  Male  nach  Cetinje  auf.  Bis  Sindjon  benutzten  wir  die  neue 
Strasse  und  kamen  im  Fluge  an  die  Rijeka.  Ihr  Spiegel  hatte  sich  be- 
trächtlich erniedrigt,  und  in  zahllosen  Windungen  durchschnitt  der 
Fluss  das  dichte  Gewirr  der  Sumpfpflanzen.  Dann  wandten  wir  uns 
nach  links,  wo  ein  knapper  Pfad  auf  den  zerklüfteten  Kalken  sichtbar 
wurde  (i86  Meter),  und  bei  -\-  30*^  C.  Mittagshitze  erklommen  wir 
schweisstriefend  das  Plateau.  Da  war  nichts  als  Stein  gethürmt  auf 
Stein,  den  lichter  Karstwald  überwucherte.  Wo  jedoch  von  der  harten 
Natur  ein  Fleckchen  Erde  aufgespeichert  war,  das  hatten  fleissige  Hände 
mit  bewundernswerther  Zähigkeit  dem  Ackerbau  dienstbar  gemacht.  Im 
Schatten  eines  alten  Baumes  schlürften  wir  begierig  das  erfrischende  Nass. 
einer  Quelle  und  setzten  nicht  ohne  ein  gewisses  Unbehagen  die  müh- 
selige Wanderung  fort.  Hinter  den  Dörfern  Meterizi  und  Carevlaz  öffnete 
sich  eine  ausgedehnte,  nach  Kräften  bebaute  Mulde ;  die  nackte  Velja 
Gora,  die  wie  viele  Berge  der  Crnagora  ein  Gotteshaus  trägt,  schloss 
sie  ab,  und  vorbei  an  der  Dorfkirche  (361  Meter)  durchzogen  wir  das 
Becken  (254  Meter)  mit  seinen  Cisternen  und  ärmlichen  Hütten. 

Von  der  Höhe  aus  genossen  wir  eine  wunderbare  Fernsicht  auf 
die  grüne  Ebene  von  Podgorica,  den  blauen  Scutari-See  und  die  Alba- 
nesischen  Alpen.  Welche  Gefühle  mögen  die  Brust  der  Montenegriner 
durchtobt  haben,  die  überall  von  ihren  wüsten  Bergen  auf  jene  geseg- 
neten Gegenden  herabblicken  konnten.  Oft  fehlte  es  ihnen  am  Noth- 
wendigsten,  und  dort  unten  lag  der  fruchtbarste  Boden  brach,  dort 
gab  es  Nahrung  in  Fülle.  Wer  solche  Gegensätze  gesehen,  der  muss 
die  Raubzüge  der  Crnogorcen,  die  Cetas,  ganz  anders  beurtheilen  als 
Diejenigen,  welche  sie  in  Unkenntnis  der  Verhältnisse  für  unehrenhafte 
Raubritterstreiche   halten.     Selbst    heute,    wo    dank    den    neuen    Ervver- 


Nach  Kolasin.  IIS 

bungen  die  Zustände  sich  wesentlich  gebessert  haben,  müssen  alljähr- 
lich viele  auswandern,  um  dem  Mangel  zu  entgehen.  Allerdings  nahmen 
die  Plünderungszüge  mit  der  Zeit  einen  rohen,  grausamen  Charakter 
an,  weil  die  Türken  Gleiches  mit  Gleichem  vergalten  und  weil  der 
religiöse  Hass  hinzukam ;  aber  Fürst  Danilo  unterdrückte  mit  aller  Energie 
diesen  barbarischen  Brauch,  der  seine  Landeskinder  in  den  Augen 
Europas  zu  Räubern  und  Hammeldieben  stempelte. 

Die  Strasse,  obwohl  noch  heute  als  kürzeste  Verbindung  zwischen 
Cetinje  und  Danilovgrad  wichtig  und  stellenweise  auf  einem  steinernen 
Unterbau  ruhend,  Hess  mancherlei  zu  wünschen  übrig.  So  passirten  wir  die 
zerstreuten  Ortschaften  Parci  (505  Meter)  und  Gradac  (503  Meter)  und 
gelangten  um  V27  Uhr  ziemlich  ermüdet  in  das  langgestreckte  Kessel- 
thal Buronje  (434  Meter)^  von  dessen  abstossender  Umgebung  sich  die 
wogenden  Mais-  und  Roggenfelder  wohlthuend  abhoben.  Ein  Einge- 
borener nahm  uns  bei  sich  auf;  Kulas  musste  mit  ausgedroschenem 
Stroh  als  Futter  vorlieb  nehmen,  und  w'ir  erhielten  Maisbrot  und  mit 
Wasser  verdünnte  Milch.  Ein  mächtiger  Waldbrand  in  den  albanesi- 
schen  Bergen  fesselte  noch  lange  unsere  Aufmerksamkeit;  und  da  die 
Luft  so  lau  war,  dass  auch  während  der  Nacht  das  Thermometer  nicht 
unter  -|-  20-  C.  fiel,  so  legten  wir  uns  auf  der  steinernen  Tenne  ohne 
jegliche  Decke  zum  Schlummer  nieder. 

Um  '/27  Uhr  schieden  wir  von  den  armen  Leuten  und  verloren 
uns  wieder  in  den  sonnendurchglühten  Einöden.  Die  wild  verkarsteten 
Kuppen  waren  fast  kahl,  aber  an  den  unteren  Hängen  oder  in  den  Do- 
hnen bildeten  Gestrüpp,  Buschholz  und  kräftigere  Bäume  erträgliche 
Bestände.  Nach  r'/.T  Stunden  standen  wir  vor  der  Kirche  von  Komani 
(436  Meter)  und  tranken  in  einem  verräucherten  Han  den  landesübli- 
chen schwarzen  Kaffee,  der  uns  in  schmutzigen,  halb  zerbrochenen 
Tassen  gereicht  ward.  Welche  Armuth  herrschte  auf  jenen  Höhen,  die 
nur  wenige  Stunden  von  der  ergiebigen  Zeta-  und  Moraca-Niederung 
entfernt  sind!  Auch  an  den  Einwohnern  war  der  Einfluss  der  rauhen 
Natur  nicht  spurlos  vorübergegangen.  Dürftige  Kleider  bedeckten  ihren 
mageren  Körper,  in  ihren  eingefallenen  Gesichtern  spiegelte  sich  die 
Noth  wider,  und  aus  der  gedrückten  Stimmung  sprach  die  Sorge  um 
das  tägliche  Brot. 

Wie  alle  Ortschaften  in  deu  südslavischen  Landen  nahm  Komani 
einen  weiten  Raum  ein.  Die  Häuser  waren  bald  hier,  bald  dort  und  mög- 
lichst in  der  Nähe  der  kleinen  Aecker  angelegt.  Die  Siedelungen  gingen 
aus  den  Mitgliedern  einer  Familie  oder  aus  der  Zusammenhäufung  ver- 
wandter   Familien    hervor    und    tragen    oft    noch    deren    Namen,    z.  B. 


jj5  Nach  Kolasin. 

Petrovici,  Miljanici,  Milosani,  Lipovac,  Njegusi.  Wer  das  Bedürfniss  nach 
einem  eigenen  Heim  fühlte,  suchte  sich  einen  ihm  zusagenden  Platz 
aus.  Mit  der  Zeit  umfassten  die  Hütten  ein  so  ausgedehntes  Gebiet, 
dass  sie  Viertel-  oder  halbe  Stunden  von  einander  abliegen  und  dann  ge- 
wöhnlich den  Namen  der  betreffenden  Gemarkung,  z.  B.  Velimje,  Du- 
bocke,  Grnikuk,  Ljesevice,  Mrkovici,  Bratonozici  führen.  Daher  wird 
ein  Ort,  selbst  wenn  seine  Einwohnerzahl  noch  so  gering  ist,  als  Stadt 
bezeichnet,  sobald  sich  seine  Häuser  zu  einer  Strasse  zusammenschliessen, 
und  man  spricht  von  stadtartigen  Dörfern,  wenn  sie  wie  Grahovo, 
Vilusi  und  \'elimje  die  ersten  Anfänge  einer  geschlossenen  Bauweise 
besitzen. 

Jetzt  fiel  das  Plateau  zur  anmuthigen  Zeta-Ebene  ab,  und  vor  uns 
thürmten  sich  die  plumpen  Gipfel  des  Garac  auf.  Rudisten,  die  be- 
kanntesten Kreideversteinerungen,  erfüllten  den  A-erwitterten  Kalk,  und 
mit  der  Tiefe  wurde  der  Buchenwald  üppiger  und  hochstämmiger.  An 
den  Hängen  und  am  Grunde  eines  Thaies  waren  die  Hütten  von  Za- 
garac  vertheilt,  und  der  geplagte  Fuss  fand  weichen  Humusboden. 
Ein  letzter  Steilabstieg  brachte  uns  an  einen  Nebenfluss  der  Zeta,  die 
Susica,  die  sich  mit  schroffen  Ufern  in  das  Schwemmland  eingewühlt 
hatte  und  bis  auf  wenige  Tümpel  völlig  wasserlos  war.  Wir  überschritten 
sie  auf  einer  Steinbrücke  (58  Meter)^  durchmassen  auf  bequemem  Wege, 
den  indessen  die  Hitze  und  der  bei  jedem  Tritte  aufwirbelnde  Staub 
sehr  beeinträchtigten,  die  fruchtbare,  Kosovi  Lug  (Amselnhain)  ge- 
nannte Niederung  und  zogen  um  2  Uhr  in  Danilovgrad  ein. 

Drohende  Gewitter  hatten  sich  in  den  letzten  Tagen  zusammen- 
geballt, aber  immer  lösten  sie  sich  auf,  ohne  das  erquickende  Nass  ge- 
spendet zu  haben,  bis  endlich  während  der  Nacht  ein  wolkenbruch- 
artiger  Gewitterregen  die  verdurstenden  Pflanzen  tränkte.  Leider  hielt 
die  angenehme  Kühle  nicht  lange  an,  und  schon  um  10  Uhr  betrug 
die  Luftwärme  wieder  -j-25^C.  Bald  war  das  alte  Kloster  Zdre- 
banik  (68  Meter)  am  linken  Zeta-Ufer  erreicht,  und  zwischen  Fel- 
dern, Wiesen  und  Hainen  führte  uns  der  Weg  bis  in  die  Nähe  von 
Spuz.  Ein  Saumpfad,  den  eine  halb  verfallene  Kula  sicherte,  lief  längs 
eines  trockenen  Wasserrisses  am  unfreundlichen  Randgebirge  empor, 
das  genau  so  beschaffen  war  wie  seine  nördlichen  Abdachungen 
bei  Jovanovici  und  Ostrog  und  von  Rudisten  wimmelte.  Auf  einer 
grasigen  Terrasse  rasteten  wir  längere  Zeit  und  betraten  nach  einem 
kurzen  Marsche  das  einsame  Kloster  Celija  Piperska  (448  Meter).  Der 
alte  Geistliche  arbeitete  auf  seinem  Felde  und  eilte  sofort  herbei,  als 
ihm  unsere  Ankunft  gemeldet  ward.    Was  er  uns    bieten  konnte,  setzte 


Nach  Kolasin. 


117 


er  uns  vor.  Eine  Henne  wurde  geschlachtet,  eine  Menge  steinharten 
Brotes,  das  die  Bauern  dem  Monasterium  zu  schenken  pflegten,  wurde 
aufgeweicht,  und  der  rothe  Zeta-Wein    mundete  mir  vortreffHch. 

Noch  war  das  Ende  der  langweihgen  Karstwanderung  nicht  ab- 
zusehen, als  wir  am  9.  August  in  den  Gau  der  Piperi  eindrangen,  und 
bloss  der  stets  wechselnde  Blick  auf  Zeta-  und  Moraca-Thal,  auf  den 
Scutari-See,  die  Rumija  und  den  Lovcen  entschädigte  uns  einigermassen 
für  die  trostlose  Umgebung.  Ein  orkanartiger  Sturm  hatte  die  Nacht 
über  gerast  und  die  Atmosphäre  gereinigt;  die  frische  Morgenluft  liess 
uns  rüstig  ausschreiten,  und  bald  lagen  die  kleinen  Ortschaften  Crnci 
(438  Meter)  und  Stijena  (47g  Meter;  hinter  uns.  Zwischen  beiden  Dörfern 
wurden  die  Rudistenkalke  von  scharfeckigen,  massig  grossen  Kalk- 
trümmern überlagert.  Ein  Kalkcement  hatte  sie  wieder  verkittet;  doch 
waren  sie  stellenweise  aus  ihrer  Verkittung  gelöst  oder  ganz  beseitigt, 
so  dass  ihr  Gefüge  einem  viellöcherigen  Schwämme  glich.  Dass 
bei  diesem  Verwitterungsprocesse  das  Wasser  eine  wesentliche  Rolle 
spielte,  war  aus  den  zahlreichen  Kalkspath-Kryställchen  zu  schliessen, 
die  als  ein  feiner  Ueberzug   die  Wände    der    Hohlräume    überkleideten. 

Die  schmale  Terrasse,  welche  längs  des  Zeta-Thales  beständig  an 
der  Gebirgsmauer  hinzulaufen  scheint,  verbreiterte  sich  zu  der  Hoch- 
ebene von  Petrovici,  und  plötzlich  schössen  dünne  Lagen  der  hellbraunen, 
feinblätterigen  Schiefer  zwischen  den  Kalken  hervor.  Sie  entsprechen 
in  jeder  Beziehung  den  cretaceischen  Schiefern  der  Duga-Pässe  und 
gehören  wegen  ihrer  Einbettung  zwischen  Rudistenkalke  unzweifelhaft 
zur  Kreide.  Ihre  Ausdehnung  und  Mächtigkeit  ist  sehr  gering ,  so 
dass  der  Kalk  gleich  wieder  vorherrscht  und  den  Stempel  der  ent- 
setzlichsten Verkarstung  trägt.  Die  Banjani  sind  nicht  so  abschreckend 
wie  jene  Stätte  des  Todes,  wo  kein  Aeckerchen,  kein  grüner  Wiesen- 
fleck, kein  sprudelnder  Quell  das  Auge  erfreut.  Scharfe  Rinnen  verwan- 
deln das  unverhüllte  Gestein  in  ein  endloses  Karrenfeld,  und  vorsichtig 
gleitet  der  Fluss  über  den  glatten,  braunen  Strich,  der  in  dem  pfadlosen 
Gewirr  von  Zacken  und  Löchern  den  Weg  andeutet.  Das  ganze  Gebiet 
der  mittleren  Moraca,  dessen  Erhebung  zwischen  250  und  650  Meter 
schwankt,  ist  von  Karrenfeldern  erfüllt,  die  ihrer  Entstehung  nach  in 
erster  Linie  auf  die  chemisch  auflösende  Kraft  des  Wassers  zurückzu- 
führen sind.  Neuere  Theorien,  welche  den  Schmelzwassern  einstiger 
Firn-  und  Gletscheranhäufungen  eine  hervorragende  Rolle  zutheilen, 
möchten  für  diese  Gegenden  ausgeschlossen  sein,  da  selbst  im  monte- 
negrinischen Hochgebirge  eine  ehemalige  Vergletscherung  nicht  nach- 
gewiesen ist   und  die  Meereshöhe    der    langen    Erhaltung    des    Schnees 


jj3  Nach  KolaSin. 

entgegensteht.  Da  jedoch  tiefe  Canons  das  Plateau  durchschneiden,  so 
muss  es  vor  Zeiten  wasserreicher  gewesen  sein,  weil  die  Erosions- 
wirkung der  armsehgen  Rinnsale  und  der  spärlichen  Sommerregen,  wie 
wir  sie  heute  finden,  jene  geheimnisvollen  Gebilde  kaum  schaffen 
konnte. 

Wenige  Dörfer  belebten  die  Wüste ,  und  ich  bedauerte  die 
armen  Eingeborenen,  die  im  Schweisse  ihres  Angesichtes  dem  undank- 
baren Boden  einen  kärglichen  Ertrag  an  Tabak^  Kartoffeln  und  anderen 
Feldfrüchten  abzuringen  suchten.  Man  sollte  meinen,  dass  sie  der  müh- 
selige Kampf  ums  Dasein  zu  gleichgiltigen,  mürrischen  Menschen 
machte,  aber  unter  der  rauhen  Brust  schlug  ein  gutes  Herz,  und  es 
wartete  unser  stets  ein  freundlicher  Empfang.  Als  wir  das  weithin 
sichtbare  Kirchlein  von  Zavala  (354  Meter)  verlassen  hatten  und  in  dem 
öden  Karstthale  von  Mrki  (205  Meter)  abwärts  wanderten,  trat  das 
Kettengebirge  längs  der  Moraca  immer  schärfer  hervor,  und  der  nackte 
Brotnik  überragte  den  mit  magerem  Buschholz  bestandenen  Sockel.  Da 
nördlich  und  südlich  die  Kalkmauern  fast  unmittelbar  aufsteigen,  so  ist 
die  Senke  von  Mrki  als  einziger  bequemer  Zugang  vom  Moraca-Thal 
auf  die  Hochebene  nicht  unwichtig. 

Wir  betraten  das  Becken  von  Bijoce,  das  trotz  seiner  zahlreichen 
Häuser  einen  nichts  weniger  als  anheimelnden  Eindruck  machte.  Nach 
Passirung  der  auf  steinernen  Pfeilern  ruhenden  Moraca-Brücke  (95  Meter) 
folgten  wir  den  Spuren  Heinrich  Barths,  der  vor  26  Jahren  von  Pod- 
gorica  nach  Bijelopolje  reiste.  Die  von  Podgorica  nach  Kolasin  führende 
Telegraphenleitung  begleitet  den  steinigen,  stellenweise  untermauerten 
Saumweg.  Trockene  Bachrisse  zerfurchen  die  Gehänge,  und  den  grössten 
derselben,  die  Mala  Rijeka  (Kleiner  Fluss),  überspannt  eine  Steinbrücke. 
Mächtige  Geröllmassen  sind  in  ihrem  Bett  abgelagert,  das  zur  Zeit  der 
Schneeschmelze  einen  zügellosen  Strom  beherbergt.  Im  Oberlaufe  ver- 
siegt er  nie,  weil  er  seine  Nahrung  aus  den  quellenreichen  Schiefern 
von  Vasojevic  bezieht;  aber  im  Unterlaufe  verschwinden  seine  klaren 
Fluthen  während  des  Hochsommers  vollständig  unter  den  Trümmern. 
Nun  durchmassen  wir  das  wild  verkarstete  Plateau  zwischen  den  Ca- 
nons der  Moraca  und  Mala  Rijeka,  und  wohin  wir  blickten,  immer  hatten 
wir  dasselbe  abstossende  Bild  der  Trostlosigkeit.  Zugleich  gibt  es  jedoch 
den  Schlüssel  an  die  Hand,  warum  sich  das  kleine  Montenegro  sieg- 
reich gegen  die  türkische  Uebermacht  behaupten  konnte.  Die  Crno- 
gorcen  wussten  recht  wohl,  dass  sie  allein  in  ihren  Bergen  stark  waren; 
und  hatte  der  Feind  wirklich  einen  Erfolg  errungen,  so  vertrieb  ihn 
der  drückendste  Mangel  bald  wieder    aus   den  unwirthlichen  Gegenden. 


Nach  Kola§in. 


119 


Daraus  erklärt  es  sich,  dass  die  Montenegriner  mit  grosser  Liebe  an 
ihrer  Heimat  hängen  und  mich  oft  fragten,  wie  mir  ihre  Kalke 
gefielen. 

Einmal  war  in  den  Einöden  ein  kleines  Paradies  verborgen.  In 
der  Tiefe  wand  sich  die  schäumende  Moraca  durch  einen  länglichen 
Kessel,  der  das  Polje  von  Bijoce  fortsetzte  und  mit  Baumgruppen, 
Wiesen,  Maisfeldern  und  vereinzelten  Häusern  geziert  war.  Aber  im 
nächsten  Augenblicke  wurde  die  liebliche  Idylle  wieder  von  den  vorge- 
lagerten Hügeln  verdeckt,  und  im  Hintergrunde  erhob  sich  der  Brotnik 
finsterer  als  zuvor.  Im  Kirchdorfe  Peljev  Brijeg  (460  Meter)  kehrten 
wir  beim  Popen  ein,  und  unter  anderem  erzählten  die  armen  Leute. 
dass  sie  in  den  letzten  regenarmen  Jahren  wegen  Futtermangels  einen 
grossen  Theil  ihres  Viehes  verkaufen  mussten.  Mit  peinlicher  Gewissen- 
haftigkeit war  jeder  kleine  Ackergrund,  jedes  Fleckchen  Buschwald  mit 
einer  schützenden  Steinmauer  umgeben,  und  die  dünnen  Baumäste 
wurden  im  Spätsommer  abgehauen,  um  statt  des  fehlenden  Heues  als 
Winterfutter  zu  dienen.  In  Peljev  Brijeg  lebte  ein  alter  Haudegen,  der 
den  berühmten  Türkentödter  von  Mokro  noch  übertraf  und  in  der  Schlacht 
auf  der  Fundina  seinen  Säbel  vom  Griff  bis  zur  Klinge  mit  erbeuteten 
Nasen  gespickt  haben  soll.  Leider  habe  ich  den  gefürchteten  Krieger 
nicht  gesehen ;  dafür  besuchte  uns  der  alte  Pope,  der  Vater  unseres 
Wirthes,  und  erkundigte  sich  angelegentlich  nach  Russland  und  Deutsch- 
land, er  fragte,  ob  wir  auch  eine  türkische  Grenze  hätten,  und  wollte 
vor  allem  wissen,  ob  es  mehr  Protestanten  und  Katholiken  oder  mehr 
Anhänger  seiner  Religion  gäbe. 

Am  nächsten  Morgen  war  noch  der  \'jeternik  auf  zahlreichen 
Zickzacken  zu  überwinden.  An  seinem  Fusse  dehnte  sich  das  Dorf 
Bratonozici  (652  Meter)  aus,  und  auf  der  Höhe  überraschte  uns  ein  kräfti- 
ger Buchenwald,  der  zwischen  seinen  Stämmen  eine  grosse  Cisterne 
(11 20  Meter)  verbarg.  Nun  ging  es  unaufhaltsam  abwärts,  und  so  un- 
vermittelt verschwand  der  Kalk  unter  den  Sandsteinen,  Mergeln  und 
Schiefern  der  Werfener  Schichten,  dass  noch  nicht  20  Schritte  vom 
Vjeternik  entfernt  eine  klare  Quelle  austrat  und  dass  sich  die  Natur  in 
ein  neues  Gewand  einhüllte,  wie  wir  es  auf  unserem  Marsche  nach 
Kloster  Moraca  kennen  lernten.  Längs  der  brausenden  Lijeva  Rijeka, 
eines  Quellflusses  der  Mala  Rijeka,  eilten  wir  zum  gleichnamigen  Dorfe 
(1041   Meter),  das  aus  einer  Kirche  und  einigen  Holzhäusern  bestand. 

Hinter  Lijeva  Rijeka  oder  Lopata  steigen  die  massig  hohen  Berg- 
ketten zu  einer  ausgeprägten  Wasserscheide  zwischen  der  Donau  und 
dem  Adriatischen  Meere  an.     Grasmatten    und    Laubwälder    überziehen 


j  20  Nach  Kolasin. 

allerorts  die  ausdrucksvoll  gegliederten  Hänge,  und  überall  rieseln  Quellen 
über  den  Weg,  die  zuweilen  ein  sehr  kaltes  Wasser  {-\-  5  ^  C.)  besitzen. 
Das  ist  ein  Rauschen,  ein  Murmeln,  ein  Leben,  in  den  Wipfeln  treibt 
der  Wind  sein  Spiel,  lustige  V'ögel  schmettern  ihre  Weisen,  und  im 
Thale  hüpfen  die  munteren  Gebirgsbäche  über  das  Gestein.  Die  ab- 
gerundeten Schieferrücken  verbergen  die  kahlen  Mauern  des  Hochge- 
birges, und  so  gleicht  die  Gegend  am  ehesten  den  Landschaften  des 
Harzes  oder  des  Thüringer  Waldes.  Die  Werfener  Schiefer  gehen  in 
die  zuweilen  von  Kalkeinlagerungen  unterbrochenen  paläozoischenSchiefer 
über,  aber  der  landschaftliche  Charakter  bleibt  derselbe. 

Langsam  senkt  sich  der  bequeme  Saumpfad  zu  dem  schmalen 
Thale  der  Verusa^  die  sich  beim  Han  Garandzic  (1168  Meter)  mit  der 
Opasanica  zu  ^lontenegros  grösstem  Strome,  der  Tara,  vereinigt,  an 
deren  Mündung  wir  bereits  vor  Wochen  standen.  Der  Marsch  an  ihren 
Ufern  gehört  zu  einem  der  angenehmsten  und  macht  die  lang  gewohnte 
Unwirthlichkeit  der  Schwarzen  Berge  ganz  vergessen.  Die  Tara  selbst 
schoss  in  einem  breiten,  geröllreichen  Bett  dahin,  aber  sie  führte  so 
wenig  Wasser,  dass  ihre  Anschwemmungen  zahlreiche  Inseln  bildeten 
und  dass  man  mit  Leichtigkeit  die  schmalen  Wasserfäden  durchwaten 
konnte,  wenn  sie  nicht  stellenweise  gänzlich  unter  den  Unmassen  der 
abgelagerten  Trümmer  verschwanden. 

Seit  früh  5  Uhr  marschirend,  rasteten  wir  um  10  Uhr  in  dem 
anmuthigen  Jabuka  (1060  Meter),  das  sich  zwischen  wohlbestellten  Fel- 
dern an  die  bewaldete  Berglehne  schmiegte.  Die  Einwohner  brachten 
uns  ein  Kind,  das  jedenfalls  infolge  der  Unreinlichkeit  einen  Ausschlag 
bekommen  hatte.  Wie  in  jedem  Fremden,  so  sahen  sie  auch  in  mir 
einen  Arzt,  und  wohl  oder  übel  musste  ich  den  Doctor  Eisenbart 
spielen  und  in  Ermangelung  einer  geeigneten  Medicin  den  Leuten  vor 
allem  Reinlichkeit  anempfehlen. 

Jetzt  erhielten  wir  einen  Begleiter,  indem  sich  ein  montenegrini- 
scher Briefträger  —  denn  als  solchen  kennzeichnete  ihn  die  grosse, 
wohlverschlossene  Ledertasche  —  zu  uns  gesellte.  Da  die  Verbindung 
zwischen  den  neun  Postämtern  des  Fürstenthums  —  Cetinje,  Rijeka,  Pod- 
gorica,  Danilovgrad,  Xiksic,  Kolasin,  Antivari,  Dulcigno,  Virbazar  — 
wöchentlich  bloss  zweimal  stattfindet,  so  gibt  es  keinen  fest  angestellten 
Briefboten,  sondern  irgend  ein  Mann  wird  für  den  Weg  gemiethet  und 
entsprechend  bezahlt.  Obwohl  Montenegro  zwei  Häfen  besitzt,  in  denen 
auch  die  Lloyd-Dampfer  anlegen,  so  werden  die  für  das  Ausland  be- 
stimmten Sendungen  über  Cetinje  nach  Cattaro  geleitet,  und  man  kann 
daher  mit  einem  gewissen  Rechte  sagen,    dass   die  österreichische  Post 


Nacli   Kolasin.  12  1 

den  Auslandsverkehr  besorgt.  Zu  den  genannten  Post-  und  Telegraphen- 
stationen kommen  noch  die  drei  Telegraphenämter  Grahovo,  Goransko 
und  Andrijevica. 

Bei  Matesevo  (1050  Meter)  gingen  wir  auf  das  linke  Ufer  der 
erlenumsäumten  Tara,  wo  schwarze,  glimmerige  Thonschiefer  mit  Sand- 
steinen, Quarziten  und  fest  verbackenen  Conglomeraten  abwechselten. 
Gegen  4  Uhr  wurde  auf  einem  sanften  Rücken  ein  weisses  Fort  sicht- 
bar. Es  war  eins  der  alten  Türkenforts  von  Kolasin,  und  als  wir  um 
jenen  Bergzug  bogen,  erblickten  wir  auf  einer  niedrigen  Terrasse  der 
Svinjaca-Xiederung  die  einfachen  Häuser  der  kleinen  Stadt  (1008  Meter). 

Kolasin  als  Ganzes  genommen  bildet  eine  weit  zerstreute  Siede- 
lung  inmitten  waldbekränzter  Berge.  Ein  Theil  seiner  meist  aus  Fach- 
werk erbauten  W'ohnstätten  schliesst  sich  jedoch  zu  einem  Marktplatze 
und  einigen  Strassen  zusammen,  und  eine  kürzlich  vollendete  Kirche 
schaut  von  einem  künstlich  aufgeschütteten  Hügel  auf  das  freundliche 
Landstädtchen  herab.  Zur  Türkenzeit  war  Kolasin  ein  wichtiger 
Grenzpunkt,  da  unweit  des  Tara-Ufers  das  montenegrinische  Gebiet 
begann  und  hier  die  von  Berani  und  Bijelopolje  kommenden  Handels- 
strassen zusammenliefen.  Einige  fast  ganz  zerstörte  Festungen  erinnern 
noch  an  die  türkische  Herrschaft;  die  Mohamedaner  selbst  sind  ausge- 
wandert, und  ihre  schmucklose  Moschee  dient  seitdem  als  Stall  oder 
Bretterniederlage.  Kurz  unterhalb  der  Svinjaca  mündet  die  Plasnica  ein, 
und  die  durch  den  Zusammenfluss  beider  Bäche  geschaffene  Verbreite- 
rung war  für  eine  Niederlassung  die  geeignetste  Stelle.  Gleich  darauf 
verengt  sich  die  Tara  wieder,  und  ihre  unwegsamen  Canons  bilden  eine 
natürliche  Grenzscheide  zwischen  Montenegro  und  dem  türkischen 
Gebiete. 

Kolasin  liegt  zwei  Tagereisen  von  Podgorica  und  einen  Tage- 
marsch von  Andrijevica ,  Berani  oder  Bijelopolje  ab ;  doch  ist  der 
Verkehr  gering,  weil  ihn  die  Gebirgs-  und  Flussschranken  und 
noch  mehr  die  unsichere  Nachbarschaft  nicht  gerade  begünstigen. 
Wurde  doch  einige  Wochen  nach  meiner  Abreise  eine  Schar  Montene- 
griner bei  Bijelopolje  von  den  räuberischen  Albanesen  überfallen  und 
zersprengt,  und  dieses  Ereignis  ist  nur  eines  unter  vielen.  Der  Bau 
einer  Eisenbahn  möchte  auch  hier  manche  \'ortheile  bringen,  und 
bereits  hat  ein  französischer  Ingenieur  die  Linien  für  eine  schmalspurige 
Eisenbahn  nach  dem  System  Decouville  abgesteckt.  Von  Podgorica 
strahlt  ein  Schienenstrang  nach  Niksic,  der  andere  über  Kolasin  nach 
Trebca  bei  Andrijevica  aus;  dieser  wird  vielleicht  nach  Serbien,  jener 
nach    Neu-Oesterreich     verlängert.     Von    Podgorica    soll    die    Bahn   bis 


122 


Nach  Kolasin, 


Plavnica  am  Scutari-See  geleitet  werden,  und  ist  erst  das  Unternehmen 
gesichert,  so  wäre    pohtischen    Zwecken    nicht    minder    wie  wirthschaft- 


Hchen  Interessen  Rechnung  getragen. 


In  der  Locanda  schräg  gegenüber  dem  Post-  und  Telegraphen- 
amte wurden  wir  aufs  beste  untergebracht,  obwohl  unser  niedriges  Zimmer 
ausser  zwei  Bettstellen,  einem  roh  gearbeiteten  Tische  und  einem  verbliche- 
nen Spiegel  nichts  weiter  enthielt  und  mit  seinen  kahlen  Wänden  und 


Kolasin. 


den  kleinen,  vergitterten  Fenstern  wie  eine  Gefängsniszelle  aussah.  Ich 
traf  einen  alten  Bekannten  vom  Kloster  Moraca  her,  den  Baumeister 
aus  Bijelopolje,  wieder;  ein  zweiter  guter  Freund  dagegen,  mein  Diener 
Arso  Popovic,  zog  es  vor,  bei  meiner  Ankunft  das  Städtchen  schleunigst 
zu  verlassen.  Kaum  war  ich  in  Kolasin  angelangt,  so  erkundigte  sich 
ein  junger  Mensch,  ob  ich  ihn  photographiren  wolle.  Bald  darauf  fragte 
mich  ein  Fieberkranker  um  Rath,  und  wie  ich  früher  meine  zahnschmerz- 
stillenden Mittel  vertheilt  hatte,  so  musste  ich  jetzt  meinen  Chinin-Vor- 
rath  angreifen.  Nun  besuchten  mich  angenehme  Gäste.  Der  erste  und 
mir  der  liebste  war  Djordjijo  Stanic,  ein  liebenswürdiger,  des  Italienischen 
kundiger  Jüngling.    Nach  ihm  kam  der    Barjaktar    Milos    Radonic,    und 


Im  Durmitor. 


123 


in  seinem  Hause  lernte  ich  die  Vojvodina  Milica  Todorova,  eine  statt- 
liche Frau  aus  einem  der  edelsten  Geschlechter  der  Crnagora,  kennen» 
die  ihr  feines  Benehmen  und  die  überraschende  Beherrschung  der  fran- 
zösischen Sprache  der  sorgfältigen  Erziehung  im  Mädchen-Institute  zu 
Cetinje  verdankte.  Pope  Savo  Rubezic  aus  dem  benachbarten  Plana, 
unser  Gesellschafter  in  Polje,  wurde  auch  nicht  vergessen,  und  er  wusste 
mir  mancherlei  aus  der  Gornje  Moraca  zu  erzählen.  So  verflossen  die 
drei  Tage  meines  Aufenthaltes,  und  ich  nahm  Abschied  von  den  Freun- 
den, nicht  ohne  ihnen  eine  nochmalige  Rückkehr  zu  versprechen.  Mein 
Hauptziel,  der  Durmitor,  war  nicht  mehr  weit  entfernt,  und  nach  drei 
Tagen  sollte  ich  an  seinen  Zinnen  stehen,  von  denen  mich  die  Flucht 
der  Ereignisse  so  lange  fern  gehalten  hatte. 


13.  Capitel. 

Im  Durmitor*). 


Ein  nicht  zu  anstrengender  Marsch  brachte  uns  am  14.  August 
aus  dem  Plasnica-Thale  auf  eine  600  Meter  höhere,  flachwellige  Hoch- 
ebene, die  ein  dichter  Urwald  alter  Buchen  und  Aleppokiefern  und  zahl- 
reiche Katuns  bedeckten. 

Aber  bald  verschwand  das  anmuthige  Bild,  um  einer  end- 
losen Reihe  bäum-  und  wasserloser  Mulden  Platz  zu  machen,  und  erst 
nach  stundenlanger  Wanderung  herrschten  die  Schiefer  wieder  vor. 
Um  den  mit  Nadelholz  bestandenen  und  mit  Firnflecken  erfüllten  Resoas 
gruppirten  sich  die  ärmlichen  Hütten  von  Mulece  (1706  Meter),  und  hier 
gedachen  wir  zu  übernachten,  obwohl  die  Hirten  wenig  Lust  hatten,  uns 
bei  sich  aufzunehmen,  und  sich  unser  unter  allerlei  \'orwänden  zu  ent- 
ledigen suchten.  Daher  bedeutete  ich  meinen  Diener,  er  solle  sich  auf 
unser  Empfehlungsschreiben  berufen,  und  das  half  sofort.  Der  Kapetan 
liess  Decken  für  mich  ausbreiten,  und  die  neugierigen  Leute  fanden  des 


'■')  Ausführlicheres  ist  enthalten  in  K.  Hassert,  Der  Durmitor,  Wanderungen  im 
montenegrinischen  Hochgebirge.  Zeitschrift  des  Deutschen  und  Oesterreichischen 
Alpenvereins  1892. 


j  2  /  Ini  Durmitor. 

Fragens  und  Untersuchens  gar  kein  Ende.  Der  eine  erkundigte  sich 
nach  meiner  ReHgion,  der  andere  nach  Bismarck,  dieser  nach  Russland, 
jener  nach  Deutschland;  und  nachdem  die  Ruhrast  meines  Revolvers 
und  meine  Zither  genugsam  angestaunt  waren,  streckte  ich  mich  im 
Winkel  einer  Koliba  aus,  um  mein  Lager  brüderlich  mit  Menschen, 
Flöhen  und  Fliegen  zu  theilen. 

Von  Mulece  bis  zur  Landschaft  Jezera  bestand  die  traurige  Hoch- 
ebene aus  14  langgestreckten  Kesselthälern,  die  mit  wenigen  Ausnahmen 
völlig  wald-  und  wasserlos  waren,  so  dass  die  Hirten  mit  Schnee  vorlieb 
nehmen  mussten.  Noch  vor  zwei  Jahrhunderten  trug  die  Sinjavina 
einen  zusammenhängenden  Hochwald  und  war  von  stattlichen,  dauernd 
bewohnten  Ortschaften  belebt,  an  deren  einstiges  Dasein  spärliche 
Ruinen  erinnern.  Aber  verheerende  Brände  und  vor  allem  die  rück- 
sichtslose Zerstörungswuth  der  Eingeborenen  vernichteten  die  kostbaren 
Bestände  bis  auf  wenige  Reste,  die  eisige  Bora  und  die  gewaltigen 
Massen  des  Winterschnees  verwandelten  das  schutzlose  Plateau  Monate 
lang  in  eine  unwirthliche  Wüste,  und  in  demselben  Masse,  in  welchem 
der  Wald  verschwand  und  der  lockere  Humus  fortgetragen  wurde, 
verminderte  sich  auch  der  Graswuchs.  Das  Vieh  fand  keine  genügende 
Nahrung  mehr,  an  Ackerbau  war  wegen  des  rauhen  Klimas  nicht  zu 
denken,  und  so  blieb  dem  Menschen  nichts  anderes  übrig,  als  die  er- 
traglosen Gegenden  zu  verlassen.  Im  kurzen  Sommer  konnte  er  mit 
seinen  Heerden  hierher  zurückkehren;  doch  ist  der  magere,  steinige 
Boden  so  grasarm  geworden,  dass  auf  der  Sinjavina  die  goldene  Zeit 
des  Hirtenlebens  längst  vorüber  ist.  Um  die  Unbilden  voll  zu  machen, 
war  auch  der  Holzmangel  so  drückend,  dass  man  getrockneten  Dünger 
zur  Feuerung  benutzte. 

W^ir  rasteten  heute  in  den  Kolibas  am  Starac  und  hatten  hier  fast 
noch  geistreichere  Fragen  zu  beantworten  als  in  Mulece,  bis  endlich  die 
Leute  den  Eingang  der  Hütte  mit  Brettern  schlössen,  um  das  Eindringen 
der  kalten  Nachtluft  zu  erschweren,  und  in  ihre  Decken  gehüllt  sich 
auf  dem  nackten  Fussboden  zur  Ruhe  niederlegten.  Einige  Kälber  aber, 
die  mit  uns  den  Raum  theilten,  und  noch  mehr  die  sechsfüssigen  Blut- 
sauger Hessen  mich  erst  gegen  Morgen  den  ersehnten  Schlummer  linden. 

Am  16.  August  verloren  wir  uns  zum  dritten  Male  in  der  trost- 
losen Hügellandschaft.  Nach  einer  guten  Stunde  stiessen  zwei  Mon- 
tenegriner zu  uns,  die  auf  ihren  Saumthieren  Aepfel  aus  den  Tara- 
Dörfern  nach  Zabljak  schafften.  Wir  schlössen  uns  ihnen  an  und  durch- 
eilten mit  montenegrinischer  Geschwindigkeit  die  langweiligen,  stillen 
Hochthäler. 


Im   Durmitor.  1-5 

Noch  war  jegliche  Aussicht  benommen,  da  fällt  von  der  Höhe 
Kurozeb  das  Plateau  rasch  ab,  und  vor  dem  erstaunten  Blicke  entrollt 
sich  in  überwältigender  Grossartigkeit  der  Durmitor.  Hochstämmiger  Nadel- 
wald umkränzt  seinen  Fuss,  grauschimmernde  Firnflecken  lagern  in 
seinen  Schluchten,  und  mächtige  Schutthalden  laufen  von  den  Hängen 
herab  ins  Thal. 

Um  den  brennenden  Durst  zu  stillen,  verzehrten  wir  einige  der 
halb  unreifen  Aepfel  und  nahmen  nach  zweistündiger  Rast  unsern  Weg 


Zabijak     am  Durmitor. 


wieder  auf.  Bald  war  der  Durmitor  hinter  einem  Gewirr  von  Bergcoulissen 
verschwunden:  die  Mulden  wurden  tiefer,  der  Hochwald  stellte  sich  \Nieder 
ein,  und  ebenso  nahm  die  Zahl  der  Sennhütten  zu. 

So  betreten  wir  am  Nachmittag  die  ausgedehnten  Niederungen  um 
Zabijak,  und  der  Durmitor  zeigt  sich  jetzt  unverwandt  dem  Auge.  Auch 
hier  vermag  das  kümmerliche  Pflanzenkleid  die  Eintönigkeit  nicht  zu 
verwischen,  obwohl  das  lockere  Erdreich  eine  ziemliche  Mächtigkeit 
erlangt  hat.  Es  wird  von  einer  undurchlässigen  Schicht  unterlagert  und 
ist  stellenweise  so  aufgeweicht,  dass  es  unter  den  Füssen  schwankt. 
Sehr  oft  tritt  das  überreichliche  Nass  in  schmalen  Rinnsalen  zu  Tage, 
die    ein     schmutzigblaues,    meist    stagnirendes    Sumpfwasser    von    unan- 


120  ^"^   Durmitor. 

genehmem  Geschmacke  besitzen.  Einladende  Häuschen  und  dürftige 
Getreide-  oder  Kartoffelfelder  gewähren  eine  willkommene  Abwechslung; 
doch  mischt  sich  in  den  Ausdruck  der  Freude  zugleich  das  Gefühl  des 
Mitleids,  wenn  man  sich  die  spärlichen  Ernteerträge  vorstellt,  welche 
die  dünnstehenden,  noch  im  Hochsommer  grünen  Halme  unter  dem 
Drucke  des  rauhen  Klimas  abwerfen.  Kein  Wunder,  dass  dort  oben 
das  Brot  theurer  ist  als  das  Fleisch. 

Die  Sonne  geht  zur  Rüste,  und  ungeduldig  erwarten  wir  den 
Augenblick,  der  den  Schluss  unseres  Tagemarsches  verkünden  soll. 
Endlich  ist  das  Dörfchen  Juncev  Do  durchschritten,  ein  flacher  Rücken 
wird  erklommen,  und  an  seinen  jenseitigen  Hang  schmiegen  sich  die 
kleinen  Holzhäuser  von  Zabljak  (1455  Meter). 

Ein  reges  Leben  herrscht  vom  Spätfrühling  bis  zum  Frühherbst 
auf  den  Ebenen  um  den  Durmitor,  weil  aus  den  umliegenden  Gebieten 
die  Eingebornen  heraufkommen,  um  ihre  Kühe,  Schafe  und  Ziegen  auf 
den  saftigen  Alpenwiesen  zu  weiden.  Kaum  zieht  jedoch  der  Herbst  ein, 
so  erlischt  mit  einem  Male  das  fröhliche  Treiben.  Die  Schluchten  des 
Durmitor  werden  anfangs  September  bereits  wieder  verlassen,  und 
wenige  Wochen  später  sind  die  weiten  Flächen  von  Kolasin  bis  zur 
Tara  vollkommen  menschenleer.  Nur  wenige  Orte  werden  dauernd  be- 
wohnt, und  zu  ihnen  gehört  Zabljak.  Seine  niederen  Gebäude  besitzen  meist 
einen  steinernen  Unterbau,  damit  sie  von  den  Lawinen  nicht  fortgerissen 
werden.  Das  Dach  springt  über  die  kleinen  lukenartigen  Fenster  vor  und 
ist  stark  geneigt,  um  die  Schneemassen  leichter  abrollen  zu  lassen  und 
die  Häuser  vor  übermässiger  Belastung  zu  sichern.  Nicht  selten  steigt 
indessen  das  weisse  Kleid  des  strengen  Winters  bis  zum  Giebel  empor 
und  erreicht  nach  Aussage  der  Eingebornen  sogar  10  Meter  Mächtig- 
keit, so  dass  es  sechs  Monate  lang  den  Verkehr  unterbindet  und  die  Leute 
auf  die  Benutzung  von  Schneeschuhen  hinweist. 

Wir  kehrten  im  Hane  ein,  und  für  Kulas  begann  in  dem 
kleinen  Stalle  des  Untergeschosses  eine  achttägige  Ruhepause.  Unser 
Wohn-  und  Schlafraum  bestand  aus  einem  kaum  3  Quadratmeter 
grossen  Kämmerchen,  und  auf  den  harten  Pritschen  konnten  wir  inter- 
essante Beobachtungen  über  die  unberechtigten  Mitbewohner,  Schwaben 
und  Wanzen,  anstellen,  die  vor  dem  Scheine  der  Lampe  eiligst  in  dunkle 
Schlupfwinkel  flohen. 

Am  zweiten  Tage  nach  unserer  Ankunft  wurde  zur  Erinnerung  an 
irgendeinen  der  vielen  Türkenkämpfe  ein  Volksfest  in  Verbindung  mit 
einem  Jahrmarkt  abgehalten.  Die  Häuser  waren  bald  so  überfüllt,  dass 
viele    der    Ankommenden   im   Freien  nächtigen  mussten,    und  die  aller- 


Im   Durmitor. 


127 


orts  aufflammenden  Feuer,  die  frei  herumlaufenden  Pferde  und  die  in 
Decken  gehüllten  Gestalten  gewährten  ein  eigenartiges  Bild,  das  der 
gestirnte  Himmel  und  die  unbestimmten  schattenhaften  Umrisse  des 
Durmitor  stimmungsvoll  ergänzten. 

Wie  hatte  sich  das  stille  Dorf  am  nächsten  Morgen  verändert! 
Eine  vielköpfige  Menge  wogte  auf  und  nieder,  und  man  konnte  sich 
wieder  einmal  an  der  schmucken  montenegrinischen  Tracht  erfreuen. 
Schade  nur,  dass  der  immer  mehr  Eingang  findende  Regenschirm  so 
wenig  dazu  passt  wie  zu  der  Uniform  eines  Officiers.  Das  Scherzen, 
Singen  und  Tanzen  nahm  kein  Ende,  Wein,  Raki  und  Kaffee  wurden 
stark  begehrt,  und  erst  mit  Einbruch  der  Dunkelheit  breitete  sich  die 
Ruhe  der  Einsamkeit  wieder  über  den  abgeschiedenen  Ort. 

Inzwischen  war  einer  der  beiden  Montenegriner,  die  uns  auf  dem 
Marsche  über  die  Sinjavina  begleitet  hatten,  ein  schlichter,  treuherziger 
Einwohner  aus  Zabljak  namens  Ilija  Kovacevic,  als  Führer  gewonnen 
worden.  Er  musste  die  Schlafdecken,  unsere  Koch-  und  Essgeschirre 
und  einen  kleinen  Vorrath  an  Erbswurst,  Cacao  und  Brot  tragen, 
während  meinem  Diener  Marko  der  photographische  Apparat  zufiel.  Am 
Morgen  des  ig.  August  wurde  der  Marsch  in  das  geheimnissvolle  Hoch- 
gebirge angetreten.  Eine  flachgewellte  grüne  Wiesenfläche,  mit  kräftigem 
Nadelwald  besetzt  und  von  mäandrischen  Wasseradern  durchzogen, 
senkt  sich  so  langsam  gegen  die  Riesenmauer  des  Durmitor,  dass  der 
Höhenunterschied  zwischen  Zabljak  und  dem  Schwarzen  See,  der 
tiefsten  Stelle  jener  Mulde,  kaum  20  Meter  beträgt.  Wir  schritten  rüstig 
unter  dem  schattigen  Dache  vorwärts  und  standen  nach  vierzig  Minuten 
an  dem  idyllischen  Crno  Jezero  (1497  Meter),  der  seinen  Namen  »Schwar- 
zer See«  wegen  seiner  Farbe  und  Umgebung  vollauf  rechtfertigt.  Kein 
Vogellaut,  kein  Plätschern  des  Wassers  störte  die  feierliche  Stille,  zu 
der  die  melancholische  Landschaft  und  das  leichtbewegte  Meer  der 
schlanken  Wipfel  harmonisch  passte.  Soll  doch  hier  einst  ein  Kloster 
gestanden  haben,  das  der  heilige  Sava  durch  seinen  Fluch  in  die  Erde 
versenkte. 

Die  Fichten  rückten  näher  zusammen,  und  schliesslich  waren  wir 
in  einem  majestätischen  Urwalde,  dessen  Grund  das  belebende  Sonnen- 
licht nur  spärlich  erhellte.  Mächtige  Stämme  lagen  vermodernd  auf  dem 
weichen  Boden,  Moose  und  Flechten  überwucherten  das  morsche  Holz, 
und  die  nackten  Wände  des  Bergkönigs,  welche  ab  und  zu  sichtbar 
wurden,  trugen  das  Ihre  zu  dem  düsteren  Bilde  bei.  Nach  einer  halben 
Stunde  betraten  wir  eine  sumpfige  Lichtung  in  der  Nachbarschaft  des 
Barno-Sees  und  gelangten   an  den  Mlinski  Potok  (Mühlenbach),  dessen 


J28  I''''^   Durmitor. 

lustige  \\"ellen  mehrere  Mühlen  treiben  (1524  Meter),  um  nach  kurzem 
Laufe  dem  Crno  Jezero  zuzueilen. 

Trotz  der  beträchtlichen  Erhebung  über  den  Meeresspiegel  machte 
sich  die  Wärme  des  Sommers  sehr  fühlbar,  und  zusehends  ballte  sich 
schwarzes  Gewölk  zusammen.  Eben  so  schnell  aber,  wie  es  gekommen, 
war  es  auch  wieder  vergangen,  und  die  Sonne  schien  freundlich  vom 
klaren  Himmel,  als  vor  uns  eine  kleine,  grüne  Dolina  auftauchte  (1617 
Meter).  x'\uf  drei  Seiten  umrahmten  sie  hebten-  und  buchenbestandene 
Kalkrücken,  und  auf  der  vierten  erhob  sich  in  seltener  Grossartigkeit  die 
senkrechte  \\"and  der  Crvena  Greda,  die  ihre  Bezeichnung  »Rothe  Klippe«- 
jedenfalls  den  rothbraunen,  eisenschüssigen  Verwitterungsproducten  des 
Kalkes  verdankt.  Frische  Flecken  auf  der  grauen  Oberfläche  zeigten  die 
Stellen  an,  wo  jüngst  das  lose  Gestein  abstürzte,  und  mächtige  Schutt- 
halden umkränzten  den  nackten,  wild  zerrissenen  Fels.  Die  auffallende, 
fast  kreisrunde  Form  des  versteckten  Kessels  ruft  im  Verein  mit  der 
Horizontalität  des  Bodens  und  der  Lage  unmittelbar  am  Fusse  der  zer- 
klüfteten, durchlässigen  Gebirgswand  die  \'ermuthung  wach,  ob  wir  es 
hier  nicht  mit  einem  alten  See  zu  thun  haben,  der,  wie  so  viele  Karst- 
seen, durch  irgendwelche  Umstände  trocken  gelegt  wurde. 

Nun  war  der  bequeme  Weg  zu  Ende.  Mit  dem  Ueberwiegen  des 
verkarsteten  Kalkes  wurde  er  so  schlecht,  dass  er  oft  kaum  zu  finden 
war,  und  stieg  zuweilen  so  rasch  an,  dass  wir  ihn  nicht  ohne  Mühe  er- 
klimmen konnten.  Das  Nadelholz  hat  allmählich  einem  dichten  Laub- 
walde den  Platz  geräumt,  dessen  verschlungenes,  überhängendes  Ast- 
werk den  kümmerlichen  Fusssteig  noch  mehr  versperrt.  Doch  schon 
winkt  wieder  die  Erlösung,  denn  wir  betreten  ein  zweites  Kesselthal,  die 
Srijepulna  Poljana  (1743  Meter)  an  der  noch  immer  schroffen  Crvena 
Greda.  Ein  altes  Mütterchen  nimmt  uns  freundlich  in  ihre  bescheidene 
Koliba  auf,  und  wir  halten  —  es  ist  i  Uhr  vorüber  —  eine  wohlver- 
diente Mittagsrast. 

Mit  frischen  Kräften  begannen  wir  den  eigentlichen  Aufstieg  an 
der  Durmitor-  Mauer.  Die  Zickzacke  liefen  an  steilen  Bergwiesen  vor- 
über, auf  denen  fleissige  Arbeiter  mit  Lebensgefahr  das  Gras  abmähten, 
und  erst  vor  kurzem  hatte  einer  derselben,  wie  uns  das  alte  Mütterchen 
ziemlich  gleichgiltig  erzählte,  durch  einen  Sturz  sein  Leben  verloren. 
Die  Hauptschuld  an  dem  Ausgleiten  trägt  die  einheimische  Fuss- 
bekleidung:  denn  so  brauchbar  die  leichten  Opanken  auf  dem  blossen 
Stein  sind,  so  wenig  erfüllen  sie  ihren  Zweck  auf  grasigen  Lehnen.  In 
letzterem  Falle  meint  man  wie  auf  einer  Eisfläche  zu  gehen  und  kann 
sich  kaum  auf  den  Füssen  halten,    und  wenn   auch  die  Crnogorcen  so 


Im   Darmitor. 


I2g 


geübt  sind,  dass  selten  einer  ausgleitet,  so  ist  bei  stark  geneigten 
Hängen  die  Gefahr  doppelt  gross.  Ich  habe  dieselben  Erfahrungen  ge- 
macht; und  gerade  im  Durmitor  vermisste  ich  meine  Bergschuhe  um 
so  schmerzlicher,  weil  mich  die  steilen  Matten  und  die  in  ihrer  un- 
mittelbaren Nachbarschaft  gähnenden  Schlünde  sehr  oft  zum  Ablegen 
der  Schuhe  zwangen. 


Crvena  Greda  (Durmitor). 


In  geschützten  Einschnitten  stiegen  hochstämmige  Fichten 
bis  zu  den  Zinnen  des  Gebirges  an,  während  der  Laubwald  mit 
wachsender  Höhe  zu  niederem  Buschholz  herabsank  und  schon  unter- 
halb des  Sattels  kräftigen  Legföhren  Platz  machte,  die  nunmehr  aus- 
schliesslich vorherrschten.  Zusehends  erweiterte  sich  die  Aussicht.  Im 
.dunklen  Grün  der  Ebene  war  ein  neuer  See,  der  Zmijino  Jezero,  ein- 
Hasse rt.  Reise  durch  Montenegro.  n 


I30 


Im   Durniitor. 


gebettet,  einladend  grüsste  Zabljak  herüber,  und  die  tiefen  Canons  der  Tara 
trennten  die  Bergketten  Montenegros  von  denen  des  Sandsaks  Novibazar. 
Wir  wandten  uns  um  und  blickten  in  ein  Thal  von  schauerlicher 
Oede.  Kaum  ein  Gräslein  zierte  den  nackten  Boden,  und  Firnflecken 
bedeckten  die  zerklüfteten  Hänge,  die  eine  schmale,  von  einer  un- 
unterbrochenen Dolinenreihe  erfüllte  Mulde  frei  Hessen.  x\ber  auch 
in  diesem  Reiche  des  Todes  hausen  Hirten.  Vier  steinerne  Kolibas 
kommen  in  Sicht,  und  da  Stunden  vergehen,  ehe  wir  wieder  auf  ein 
lebendes  Wesen  stossen,  so  schlagen  wir  hier  unser  Nachtlager  auf 
(1989  Meter). 

Wir  trafen  \U4^  Uhr  ein,  so  dass  mir  genug  Zeit  zur  Durch- 
musterung unserer  Umgebung  verblieb.  Ueberall  waren  die  dünnbankigen 
Kalke  stark  gefaltet  und  geknickt,  und  Sprünge  durchsetzten  das  Gestein 
meist  senkrecht  zur  Schichtenbildung.  Am  auffälligsten  waren  jedoch 
zahlreiche  Dolinen ,  die  dem  Thalhange  ein  blattersteppiges  Aus- 
sehen verliehen,  auf  ihrem  Grunde  ewigen  Schnee  beherbergten 
und  nach  der  dem  Gebirge  zugewandten  Seite  steil  abfielen.  Die  Ent- 
stehung dieser  Trichter  ergibt  sich  von  selbst:  es  ist  die  chemisch 
lösende  Fähigkeit  des  Firns,  welche  das  kleinste  Loch  nach  und  nach 
zu  einem  stattlichen  Kessel  erweitert,  wobei  natürlich  Abbröckelungen 
des  aufgeweichten  oder  vom  Froste  zersprengten  Gesteins  nicht  aus- 
geschlossen sind. 

Nach  der  Faltungsrichtung  zu  urtheilen,  scheint  der  gebirgsbildende 
Schub  das  Hochthal  als  solches  schon  vorgebildet  zu  haben.  Der 
klüftige  Kalk  liess  jedoch  das  Wasser  rasch  versinken,  so  dass  es  seine 
erodirende  Thätigkeit  nicht  ausüben  konnte.  Deshalb  besitzt  die  roh 
ausgearbeitete  Thalanlage  einen  ausserordentlich  unregelmässigen  Boden^ 
indem  höhere  oder  niedrigere  Querriegel  eine  Schnur  grosser  und 
kleiner,  flacher  und  tiefer  Mulden  von  einander  trennen. 

Noch  lagen  wir  in  festem  Schlafe,  als  eine  empfindliche  Kühle  uns  auf- 
weckte ;  ein  heftiger  Weststurm  hatte  sich  erhoben,  und  es  war  schau- 
rig anzuhören,  wie  er  mit  Pfeifen  und  Aechzen  die  todte  Natur  durch- 
tobte. Mit  dem  Schlummer  war  es  nun  vorüber,  denn  zu  den  Plagen, 
welche  die  sechsfüssigen  Hausbewohner  verursachten,  gesellte  sich  das 
unangenehme  Gefühl  der  Kälte.  Plötzlich  schlugen  die  frei  herum- 
streifenden Hunde  an.  Sofort  sprangen  die  Männer  auf  und  eilten  mit 
ihren  Gewehren  ins  Freie;  aber  bald  stellten  sie  sich  wieder  ein,  da  ihre 
Furcht,  dass  Wölfe  in  die  Heerden  eingefallen  seien,  sich  als  unbe- 
gründet erwiesen  hatte.  Kurz  nach  5  Uhr  waren  Alle  wach;  halb  über- 
nächtig: trat  ich  in  die  frische  Morgenluft    und    wusch   mir   mit   eisigem 


Im   Durmitor. 


131 


Schneewasser  Gesicht  und  Hände.  Der  Himmel,  der  sich  gestern  stark 
umzogen  hatte,  war  noch  dicht  mit  Wollcen  verhangen  und  drohte  je- 
den Augenblick  seine  Regenmassen  auszuschütten, 

Ueber  einen  Querriegel  ging  es  hinab  in  einen  länglichen  Kessel, 
dessen  tiefste  Stelle  eine  kleine  trübe  Lache  einnahm;  sie  und  einige 
andere  Tümpel  spielten  hier  oben  als  Viehtränken  eine  wichtige 
Rolle.  Bald  war  ein  eigentlicher  Weg  nicht  mehr  vorhanden,  und  auf 
Pfaden ,  die  das  Vieh  getreten  hatte ,  wanderten  wir  über  Schw-ellen 
und  Dohnen,  vorbei  an  fahlem  Gras  oder  ausgedehnten  Firnflecken. 
Dazu  kamen  die  Beschwerden,  die  der  uns  entgegenrasende  Sturm 
verursachte,  indem  er  uns  oft  zu  Boden  w^arf  oder  geradezu  am 
Weiterklettern  hinderte.  Wir  mussten  uns  mitunter  an  vorspringenden 
Felskanten  oder  an  den  knorrigen  Stämmen  des  Krummholzes  festhalten, 
um  nicht  den  Berg  hinabgeweht  zu  werden;  und  die  Anstrengungen 
ermüdeten  uns  in  kurzer  Zeit  derart,  dass  wir  auf  einem  steilen  Hange 
eine  viertelstündige  Rast  hielten. 

Endlich  standen  wir  auf  dem  über  2200  Meter  hohen  und  etwa 
30  Meter  breiten  Hauptkamme,  und  vor  uns  lief  ein  tiefer,  schmaler 
Riss,  das  Medjedi  Do  fBärenthal),  zum  Trockenthale  der  Susica  hinab. 
Glänzender  Firn  und  graue  Schutthalden,  dunkle  Latschen  und  gelbes 
Gras  boten  auch  hier  die  einzige  Abwechslung;  bis  zum  Horizont  aber 
entrollte  sich,  ein  unerw^artetes  Bild  der  Oede,  das  starre  Tafelland  Nord- 
und  Mittel -Montenegros,  und  in  der  Ferne  thürmte  sich  als  alter  Be- 
kannter der  massige  Vojnik  auf. 

Meine  Begleiter  würdigten  die  grossartige  Naturscenerie  kaum  eines 
Blickes  und  waren  schon  weit  vorausgeeilt,  w^ährend  ich  noch  be- 
wundernd zurückgeblieben  war.  Plötzlich  drangen  menschliche  Laute 
an  unser  Ohr;  etwa  zehn  Crnogorcen  kamen  langsam  herauf  und 
trieben  ihre  keuchenden  Pferde  unter  vielen  Scheltworten  vorwärts! 
Also  selbst  ein  solcher  Weg,  den  bei  uns  ein  Fussgänger  kaum  be- 
nutzt, ist  für  die  armen  Thiere  noch  gut  genug!  Leider  machten  uns 
die  Leute  die  nicht  gerade  angenehme  Mittheilung,  dass  wir  eine  andere 
Richtung  einschlagen  müssten,  um  unser  Ziel  ohne  Zeitverlust  zu  er- 
reichen. So  arbeiteten  wir  uns  denn  mit  Händen  und  Füssen  am  linken 
Hange  empor,  bis  w-ir  auf  ein  steil  am  Susica-Canon  endendes  Plateau 
gelangten.  Immer  schärfer  traten  die  phantastisch  ausgemeisselten 
Formen  des  wälden  Durmitor  hervor.  Noch  wenige  Schritte,  und  wieder 
entrollte  sich  ein  Bild  so  abstossend  und  anheimelnd  zugleich, 
dass  man  es  nie  vergessen  kann.  Die  ungefügen  Gipfel  Prutas,  Stit 
und  Cirova    Pecina    verbargen    ein    schmales   Thal,    aus   dessen    Grunde 

9* 


-j-o'>  Im  Durmitor. 

zwei  wundersame  grüne  Seen  heraufleuchteten.  Breite,  bis  an  ihren 
Rand  vortretende  Schuttkegel  engten  den  Hintergrund  der  Thalschlucht 
ein,  und  ein  niederer  Querriegel  unterbrach  die  sonst  ganz  augenfällige 
Verbindung  mit  der  Susica. 

Ein  halsbrecherischer  Abstieg  brachte  uns  gegen  ii  Uhr  an  eine 
Kohba,  und  ein  schmutziges  altes  Weib  bewirthete  uns  mit  Maisbrot, 
Milch  und  Käse.  Ich  erkundigte  mich  sofort  nach  dem  Wege;  allein 
diesmal  hatte  ich  die  Rechnung  ohne  den  Wirth  gemacht.  Die  Frau 
schüttelte  bedenklich  den  Kopf,  und  meine  Leute  weigerten  sich  ent- 
schieden, weiter  zu  marschieren,  da  sich  die  Gewalt  des  Sturmes  fast 
verdoppelt  hatte  und  uns  leicht  die  schroffen  Abgründe  hinabstürzen 
konnte,  die  wir  noch  zu  überwinden  hatten.  Auf  meine  Frage,  wo  wir 
ein  Unterkommen  finden  könnten,  schlug  uns  unsere  zungenfertige 
Spenderin  eine  benachbarte  Hütte  vor,  die  einem  wohlhabenden  Manne 
gehören  sollte.  Als  wir  indessen  vor  die  bezeichnete  Koliba  kamen, 
überlegten  wir  uns  allen  Ernstes,  welche  von  beiden  besser  sei.  Doch 
was  halfs?  Wir  trugen  der  ebenfalls  allein  anwesenden  Frau  unser  An- 
liegen vor  und  wurden  freundlich  aufgenommen.  Bald  bliesen  Marko 
und  Ilija,  behaglich  hingestreckt,  den  Dampf  ihrer  Cigarretten  in  die 
Luft,  w^ährend  ich  meine  Aufmerksamkeit  der  interessanten  Umgebung 
zuwandte. 

Ich  war  noch  nicht  lange  an  den  Ufern  des  stillen  Sees  umher- 
gewandelt, als  der  Himmel  seine  Schleusen  öffnete  und  einen  heftigen 
Platzregen  niederrauschen  liess.  Entsprechend  der  Natur  des  Hochge- 
birges war  er  mit  Schnee  und  Hagel  vermischt;  aber  ein  lauter  Donner 
mit  tausendfachem  Echo  rief  sogleich  die  Erinnerung  an  die  letzten 
drückendheissen  Tage  des  Hochsommers  zurück.  Eilends  wurde  das 
schützende  Dach  aufgesucht,  und  fröstelnd  hüllten  wir  uns  in  unsere 
Mäntel;  doch  von  allen  Seiten  ergossen  sich  unangenehm  kalte  Schauer 
in  die  Hütte  und  weichten  den  Fussboden  zu  einem  schlammigen  Morast 
auf.  Gegen  3  Uhr  Hessen  Sturm  und  Niederschläge  merklich  nach  und 
waren  um  V25  Uhr  gänzlich  eingeschlafen.  Dafür  ballten  sich  dunstige 
Nebel  zusammen  und  verbargen  die  drohenden  Grate  unter  einem 
wallenden  Schleier;  schliesslich  verschwanden  auch  sie,  und  die  scheidende 
Sonne  vergoldete  die  einsamen  Bergriesen  mit  magischem  Lichte.  \"on 
ihren  Flanken  aber  rollten  dröhnende  Steinströme  herab ;  bald  hier, 
bald  dort  löste  sich  ein  Stück  aus  der  Kalkwand  los,  und  bis  zum  Morgen 
hielt  die  rastlose  Arbeit  der  Verwitterung  an. 

Jetzt  kam  Leben  in  das  stille  Thal;  überall  ertönte  das  Glocken- 
geläut der    heimkehrenden    Heerden,    und    in    das  Blöken    der  Schafe, 


Im   Durmitor. 


133 


das  Brüllen  der  Kühe  oder  das  Meckern  der  Ziegen  mischte  sich  der 
Ruf  der  geschäftigen  Hirten.  Die  engen  Kolibas  füllten  sich  mit  ihren 
hungrigen  Insassen,  und  unser  Wirth  Hess  nicht  lange  auf  sich  warten. 
Doch  schien  er  von  seinen  Gästen  wenig  erbaut  zu  sein  und  hatte 
kaum  ein  Wort  des  Grusses.  Meine  Begleiter  mussten  erst  nach  dem 
Abendessen  verlangen,  denn  Niemand  bot  ihnen  etwas  an,  und  ich  griff 
wieder  einmal  zu  Erbswurst,  Fleisch-Extract  und  Cacao.  Da  man  keine 
Anstalten  machte,  um  auf  den  schmutzigen  Boden  etwas  Stroh,  Schilf 
oder  Reisig  zu  streuen,  so  breitete  ich  meine  Schlafdecken  über  dem 
Schlamme  aus  und  hatte  bald  den  anstrengenden,  langweiligen  Tag 
vergessen. 

Eine  unbedeutende  Erhebung  trennt  den  Malo  und  Veliko  Skrcko 
Jezero  (1790  Meter)  von  einander.  Der  erstere  ist  eher  ein  kleiner  Teich 
als  ein  See  zu  nennen  und  verräth  durch  seine  Kreisform,  dass  eine 
Dolina  seine  Umrisse  bestimmt  hat.  Der  grosse  See,  auch  Zeleno  Jezero 
(grüner  See)  genannt,  hat  eine  der  Längsrichtung  des  Thaies  parallel 
laufende  Gestalt,  und  Marken  rings  am  Strande  zeigen  den  ziemlich 
beträchtlichen  Unterschied  zwischen  Hoch-  und  Niederwasser  an.  Beide 
werden  von  den  nie  verschwindenden  Firnmassen  und  von  den  at- 
mosphärischen Niederschlägen  gespeist,  die  durch  die  Geröllhalden  und 
•Gesteinsklüfte  sickern,  und  ihre  Anwesenheit  spricht  mit  Sicherheit  für 
eine  undurchlässige  Schicht.  Zwar  erfüllen  die  in  den  See  vorgeschobe- 
nen Schutthalden  und  feiner  Grus  den  Boden  völlig,  aber  unter  dem 
Trümmerchaos  sind  nicht  selten  Sandsteinfetzen  zerstreut.  Dort,  wo 
ein  niederer  Wall  den  Zusammenhang  des  Veliko  Jezero  mit  der  Susica 
unterbindet,  kräuselt  sich  das  Wasser  in  kleinen  Strudeln  und  ver- 
schwindet zwischen  dem  Gestein.  Die  schmutzig  graue  Färbung 
der  Kalke  fehlt  auch  hier  nicht  und  legt  einige  Katavothren  bloss.  Die 
meisten  derselben  sind  mehr  oder  minder  verstopft,  einige  aber  haben 
sich  verhältnissmässig  rein  erhalten.  Hier  fiiesst  demnach  der  See  unter- 
irdisch ab,  um  ein  gutes  Stück  weiter  unterhalb  in  lustigen  Kaskaden 
wieder  aus  Tageslicht  zu  kommen  und  als  echter  Karstfluss  der  Tara 
zuzueilen. 

Die  senkrecht  abfallenden,  ausserordentlich  stark  gefalteten  Kalk- 
mauern sind  wohl  auf  colossale  Verwerfungen  zurückzuführen;  aller- 
dings sind  diese  noch  nicht  nachgewiesen ,  und  man  hat  der 
Erosion,  welche  die  grossartige  Susica-Schlucht  aushöhlte,  bei  der 
Bildung  dieses  Thaies  ebenfalls  einen  wesentlichen  Antheil  zuzu- 
schreiben. Andererseits  lassen  sich  die  500  bis  800  Meter  hohen  Um- 
fassungswände   des    Skrk-Thales  durch  die  Wasserwirkung  allein  schwer 


134 


Im   Durmitor. 


erklären,  zumal  dann  das  Thal,  anstatt  unvermittelt  in  steilen  Wänden 
zu  endigen,  mit  einer  schwächer  ausgeprägten  Furche  zum  Gebirgs- 
kamm  laufen  würde.  Ferner  müsste  im  Falle  eines  Einsturzes,  wie 
ihn  der  Karst-Process  vorschreibt,  die  Thalsohle  von  Gesteinstrüm- 
mern überdeckt  sein.  Ueberall  steht  jedoch  der  Kalk  an,  und  die  Ge- 
röllhalden beschränken  sich  auf  den  Gebirgsfuss.  Wie  so  oft,  ergänzten 
also  Wasserkraft  und  Verkarstung  die  geheimnissvollen  tektonischen 
Kräfte,  bis  die  Faltung  die  Erosion  überflügelte  und  die  Seen  ab- 
sperrte. 

Als  ich  am  anderen  Morgen  erwachte,  lag  ich  mit  der  einen  Seite 
des  Gesichtes  im  Schlamme  des  noch  immer  durchweichten  Fussbodens, 
und  hurtig  sprang  ich  auf  die  Beine,  um  mich  in  den  krystallenen 
Fluten  des  \'eliko  Jezero  zu  reinigen.  Ein  paar  Tassen  Cacao  bildeten 
den  Frühtrunk,  dann  schnürten  wir  unser  Bündel  und  schieden  frohen 
Muthes  von  dem  ungastlichen  Dache.  Es  war  ',2^  Uhr;  die  Luftwärme 
betrug  nur  5^C.,  und  um  uns  zu  erwärmen,  sprangen  wir  munter  von 
Stein  zu  Stein  oder  umgingen  die  mächtigen  Blöcke,  welche  über- 
all auf  den  Wiesen  zerstreut  waren.  Bald  standen  wir  an  der 
Grenze  des  Laubgebüsches  und  am  Thalhintergrunde,  der  nur  am 
rechtsseitigen  Hange  einen  steilen  Aufstieg  gestattete.  Stark  geböschte 
Graslehnen  zogen  sich  längs  des  Pfades  hin,  der  eigentlich  keiner  war, 
und  feuchte  Flecken  mit  frischer,  saftiger  Vegetation  und  einem  feinen 
Schlammüberzuge  zeigten  die  Stellen  an,  wo  jüngst  der  Schnee  \'er- 
schw^unden  war.  Aus  der  mageren  Erdhülle  traten  aber  als  nacktes 
Knochengerüst  die  kahlen  Felsen  hervor,  in  deren  Flanken  die  Frühlings- 
wässer jähe  trümmererfüllte  Furchen  gewühlt  hatten.  Eine  derselben 
führte  zu  einem  Sattel  empor,  den  die  Faltung  zwischen  Stit  und  Prutas 
legte  und  den  die  \'erwitterung  weiter  austiefte. 

Bei  2060  Meter  erreichte  der  ^^'ald  sein  Ende,  und  bloss  in  geschützten 
Schluchten  wagten  sich  schüchterne  Ausläufer  noch  ein  Stück  bergaufwärts. 
Zuweilen  machte  der  unvermeidliche  Triaskalk  einer  aus  winzigen,  bunt- 
farbigen Stückchen  fest  zusammengefügten  Kalkbreccie  Platz,  deren  An- 
wesenheit schon  im  Skrk-Thale  zerstreute  Bruchstücke  verrathen  hatten 
und  die  im  Hochgebirge  noch  mehrmals  anstand.  Eben  wollte  ich  zur  Ver- 
vollständigung der  barometrischen  Höhenmessung  die  Luftwärme  ablesen, 
als  das  Schleuder-Thermometer  —  das  einzige,  welches  ich  aus  meinem 
bereits  sehr  zusammengeschmolzenen  \'orrathe  mitgenommen  hatte  —  an 
einen  Stein  stiess  und  in  tausend  Splitter  zersprang.  So  sehr  mich  dieser 
Verlust  schmerzte,  so  bald  vergass  ich  ihn  wieder :  denn  unter  der 
Fülle  des  Neuen  fand  ich  ein  kleines  Karrenfeld  (21 14  Meter),    das  bis 


Im   Durmitor. 


135 


ins  Feinste  ausgebildet  war  und  seine  Entstehung  zweifelsohne  der 
chemisch  auflösenden  Kraft  des  Schnees  verdankte.  Breite  Kalkplatten 
überspannte  ein  Netz  schmaler,  unscheinbarer  Rillen,  die  jenen  merk- 
würdigen, viel  bewunderten  Process  einleiten.  Auf  andern  hatten  sich 
rechtwinkelig  gekreuzte  Spalten  bereits  tief  eingeschnitten  und  um- 
grenzten eine  Anzahl  regelmässig  nebeneinander  gelagerter  \'ierecke. 
Hier  war  das  Rinnensystem  beträchtlich  verbreitert,  das  Gestein  da- 
gegen ausgefranst  und  zugeschärft,  und  dort  trugen  die  Karren  ihre 
messerartige  Form  in  typischer  Vollendung. 

Ueber  rauhe  Felsen  oder  trockenes  Gras  kletterten  wir  unauf- 
haltsam in  die  Höhe,  bis  wir  %  8  Uhr  die  Einschartung  (2232  Meter) 
betraten.  Wieder  entrollte  sich  eine  Landschaft,  die  an  Oede  und 
Starrheit  den  früheren  nichts  nachgab.  Der  eben  gewonnene  Grat  fiel 
200  Meter  unvermittelt  zum  Todorov  Do  ab  und  umgrenzte  mit  dem 
Steilabsturz  des  jenseitigen  Plateau-Randes  eine  Senke,  die  unwillkürlich 
an  das  Susica-Thal  erinnerte,  nur  dass  ihr  dessen  beängstigender 
Schluchten-Charakter  mangelte.  Das  einzig  /auffallende  war  der  plumpe 
Sockel  des  Sedlo  (Sattelberg)  mit  einem  breiten,  massigen  und  einem 
schlanken,  spitzen  Hörne,  der  im  Süden  den  Karst  abschloss. 

Auf  der  Höhe  blies  ein  schneidend  kalter  \\'ind:  doch  bald  wurde 
uns  wieder  warm,  als  wir,  jeden  Schritt  vorher  prüfend,  die  schroffe 
Wand  hinabkletterten.  Abermals  musste  ich  mich  der  Opanken  ent- 
ledigen und  in  Strümpfen  den  höchst  zweifelhaften  Abstieg  fortsetzen, 
der  uns  langsam  zu  Thal  führte.  Endlich  waren  wir  mehr  rutschend 
als  gehend  unten  angelangt  (2030  Meter)  und  durchmassen  eilends  den 
zum  Dobri  Do  abfallenden  Grund.  Er  ist  stark  verkarstet,  mit  Dohnen 
förmlich  gespickt  und  entspricht  einem  verborgenen  Flusslaufe,  der  im 
Dobri  Do  oberirdisch  austritt.  Sehr  häufig  waren  schmale  Natur- 
schächte, die  sogenannten  Jamas,  deren  senkrechte  Wände  sich  im 
finsteren  Erdinnern  verloren. 

Durch  eine  enge  Schlucht,  in  der  soeben  ein  Ochse  mit 
Aufbietung  aller  seiner  Kräfte  einen  schweren  Krummholzast  hinauf- 
schleifte, kamen  wir  in  jene  Mulde,  die  ebenso  einförmig  und  wald- 
arm wie  die  anderen  Thäler  des  Durmitor  ist.  Sie  verdient  höchstens 
wegen  des  Vorherrschens  der  Werfener  Schiefer  und  der  von  ihnen  be- 
dingten Rinnsale  einige  Beachtung,  und  das  Auftreten  des  Wassers  mag 
wohl  die  Bezeichnung  Dobri  Do  (gutes  Thal)  mit  veranlasst  haben. 
Wir  bemerkten  bald  umfangreiche  Hürden  und  eine  Sennhütte  (1728 
Meter).  Ohne  Zögern  traten  wir  ein  und  wurden  auf  das  gastlichste 
empfangen;  die  Frauen  holten  Brot,   Eier,  Käse  und  Milch  und  freuten 


j  j5  ^■^''    Durmitor. 

sich  an  dem  regen  Appetite,  mit  dem  wir  die  einfache,  derbe  Kost  ver- 
zehrten. Ausgenommen  für  das  Brot,  das  ihnen  bei  den  geringen  Ernte- 
erträgen und  bei  dem  schwierigen  Transporte  selbst  theuer  zu  stehen 
kam,  verweigerten  die  guten  Menschen  jede  Bezahlung;  und  nach  einer 
stärkenden  Rast  nahmen  wir  unser  Hauptziel,  die  Cirova  Pecina,  in 
Angriff. 

Gegen  lo  Uhr  standen  wir  am  Fusse  des  schroffen  Bergriesen, 
und  nun  wurde  der  Anstieg  in  einer  längs  des  Stit  hinauflaufenden 
Rinne  zusehends  beschwerlicher.  Dürftige  Graslehnen  und  sehr  steile 
Geröllhalden  wechselten  unaufhörlich  ab ;  letztere  gaben  bei  jedem 
Tritte  nach,  so  dass  wir  öfters  ausglitten  oder  auf  allen  \'ieren  die  schwan- 
kende Bahn  hinaufklettern  mussten.  War  dann  der  scheinbar  erlösende 
Wiesenteppich  erreicht,  so  erschwerten  wieder  die  Opanken  das  Gehen, 
und  deshalb  begrüsste  ich  einen  vom  Vieh  ausgetretenen  Pfad  als  wahre 
Erlösung.  Ein  kleiner,  flacher  Kessel  und  ein  schmaler  Kamin  waren 
noch  zu  überwinden,  worauf  uns  eine  grasbewachsene  Fläche  aufnahm,  die 
von  Dohnen  und  Firnflecken  erfüllt  war  und  den  vom  ewigen  Schnee 
gespeisten  Teich  Zelena  Lokva  beherbergte.  Jetzt  empfing  uns  ganz  die 
schauerliche  Einsamkeit  des  Hochgebirges.  Zur  Linken  erhoben  sich 
die  wild  zusammengeschobenen,  von  Rissen  und  Knicken  durchkreuzten 
Falten  des  Stit,  und  die  grüne  Lache  spiegelte  den  zersägten  Gipfel 
der  Cirova  Pecina,  den  Bobotov  Kuk,  wieder.  Ein  mächtiger,  von  vor- 
springenden Felskanten  in  eine  Reihe  von  Absätzen  gegliederter  Stein- 
strom stellte  die  einzige  Verbindung  mit  dem  luftigen  Grate  her.  Hier 
waren  wir  auf  uns  selbst  angewiesen;  denn  kaum  verirrt  sich  ein  Hirt 
in  jene  verlorenen  Einöden ,  deren  ärmliche  Grashälmchen  bald 
zwischen  den  sonnendurchglühten  Gerollen  verschmachten.  Jeder 
suchte  aufs  Gerathewohl  seinen  Weg;  auf  und  ab  ging  es  an  nackten 
Wänden,  über  Firnlager  und  durch  Dolinen,  bis  die  trostlose  graue 
Trümmerhalde  ihren  Anfang  nahm.  Bruchstücke  vom  winzigen  Steinchen 
bis  zum  mannsgrossen  Block  waren  wirr  durcheinander  geworfen.  Mit 
grösster  Vorsicht  betraten  wir  das  lockere  Meer,  die  Hand  klammerte 
sich  fest  um  jedes  Pflänzchen;  und  doch,  wie  oft  gab  die  trügerische 
Masse  nach,  den  Fuss  mit  fortreissend  und  zahllose  Trümmer  in  eine 
jähe  Tiefe  schleudernd. 

Sehnsüchtig  schaute  das  Auge  nach  der  scharf  eingeschnittenen 
Scharte,  auf  die  wir  zusteuerten.  Endlich  — ■  welch'  ein  erhebendes 
Gefühl  —  standen  wir  am  äussersten  Gipfelzacken,  der  ohne  Leitern 
nicht  erstiegen  werden  kann.  Ein  paar  Minuten  fehlten  an  i  Uhr,  da 
hatten  wir  die  kaum   lo  Meter  niedrigere  Scharte  (2567  Mtr.)  gewonnen, 


Im   Durmitor. 


T-il 


und,  Hurrah,  der  höchste  Berg  Montenegros  war  unser!  Aber  sofort 
prallten  wir  wieder  zurück,  denn  vor  uns  fiel  der  noch  nicht  2  Meter 
breite  Sattel  in  schwindelerregendem  Abstürze  in  das  von  senkrechten 
Mauern  umrahmte  Skrk-Thal  ab,  dessen  liebliche  Meeraugen  zum  zweiten 
Male  heraufgrüssten.  Deutlich  hob  sich  das  weisse  Kirchlein  Zabljaks 
vom  finsteren  Xadelwalde  ab,  im  Osten  begrenzten  die  Gebirgsketten 
der  Bunetina,  Kraljeva  Gora  und  Ljubicna  den  Blick;  hier  schweifte  er 
ungehindert  über  die  Crnagora,  und  rings  um  uns  thürmten  sich  die 
drohenden  Giganten  des  Durmitor  auf. 

Eine  für  diesen  Zweck  mitgenommene  Flasche  Mastica-Schnaps 
wurde  zur  Hälfte  geleert,  ein  Zettel  mit  unseren  Xamen  unter  einer 
kleinen  Pyramide  verborgen,  und  dann  legten  sich  meine  Begleiter  zum 
Schlummer  nieder.  Sie  waren  eben  für  die  Reize  der  Natur  wenig  em- 
pfänglich, und  das  einzige  Interesse,  welches  sie  ihnen  entgegenbrachten, 
beschränkte  sich  auf  einen  nichtssagenden  Streit,  ob  dieser  oder  jener 
Berg  der  Vojnik  sei. 

Die  Sommersonne  hatte  ein  freundliches  Pflanzenkleid  hervorge- 
zaubert. Wohlriechender  Salbei  und  bescheidene  \'ergissmeinnicht, 
grossblütige  Glockenblumen  und  schlichte  Veilchen,  blauer  Enzian, 
kräftiger  Steinbrech  und  andere  Kinder  Floras  schmückten  mit  bunten 
Farben  den  vergilbten  Teppich  kurzgeschorenen  Grases  und  brachten 
Leben  in  die  starren  Zinnen,  auf  deren  übermässig  steil  geneigten 
Hängen  sich  der  Schnee  nur  kurze  Zeit  hält. 

Doch  wir  konnten  nicht  allzu  lange  der  beschaulichen  Ruhe  pflegen, 
da  ein  beschwerlicher  und  durchaus  nicht  gefahrloser  Abstieg  uns  noch 
bevorstand.  Wir  sagten  nach  etwa  i  Vo-stündigem  Aufenthalte  dem 
Bobotov  Kuk  wohl  für  immer  Lebewohl  und  begannen  wieder  die 
Durchquerung  der  unsicheren  Geröllhalde.  Schliesslich  nahm  auch  diese 
Plage  ein  Ende,  der  Gipfel  war  umgangen,  und  seine  östliche  Ein- 
sattelung lag  vor  uns.  Wir  glaubten  bereits  das  Schwerste  überwunden 
zu  haben,  als  sich  ein  neuer  Schlund  aufthat.  Schneefelder  in  einer 
Ausdehnung  und  Mächtigkeit,  wie  ich  sie  noch  nie  im  montenegrini- 
schen Hochgebirge  beobachtet,  füllten  seine  Schluchten  aus,  und  ge- 
waltige Schuttmassen  umkränzten  die  abschüssigen  Umfassungswände. 
Dort  hinab  führte  unser  Weg;  die  Sorge,  kein  Nachtquartier  zu  finden  und 
bei  schneidender  Kälte  im  Freien  schlafen  zu  müssen,  gab  uns  neuen 
Muth,  und  rutschend,  kriechend  oder  springend  erreichten  wir  eines 
jener  Firnlager,  das  von  einem  geräumigen  Kessel  umschlossen  wurde. 
Noch  ein  flüchtiger  Blick  galt  der  finsteren  Wand,  die  wir  soeben  be- 
zwungen   hatten;     dann    durchmassen    wir    den    weichen,    schmutzigen 


138 


Im  Durrnitor. 


Schnee  und  erklommen  den  rauhen  Thahand.  Zwei,  drei  und  mehr 
Firnflecken  wurden  passirt,  bis  wir  aus  dem  Bereich  des  nackten  Felsens 
wieder  in  die  Zone  des  Krummholzes  kamen  und  inmitten  leuchtender 
Alpenblumen  unserem  Körper  eine  nothwendige  Erholung  gönnten. 

Rastlos  wandern  wir  weiter  und  zählen  nicht  mehr  die  übermanns- 
hohen Wände,  an  denen  wir  nur  mit  gegenseitiger  Hilfe  herabklettern 
können,  und  achten  kaum  der  hier  und  da  auftretenden,  schon  beim  Auf- 
stieg einige  Male  beobachteten  Kalkbreccie  des  Skrk-Thales.  Vorwärts  ist 
die  Losung,  denn  die  Sonne  neigt  sich  bereits  zum  Horizonte,  und  das 
tief  eingerissene  Thal,  zu  welchem  sich  die  schmalen  Rinnen  des  Hinter- 
tergrundes  erweitern,  zeigt  keine  Spur  von  Ansiedelungen.  Plötzlich 
ruft  Ilija,  auf  eine  Schlucht  weisend:  »Dort  sind  Pferde!«  Und  in  der 
That,  auch  hier  hatten  die  ausdauernden  Thiere  einen  Weg  gefunden 
und  deuteten  mit  Sicherheit  auf  die  Nähe  von  Menschen  hin.  Sogar 
ein  kümmerlicher  Hirtenpfad  stellte  sich  ein,  der  längs  der  überhän- 
genden Felswände  auf  den  ununterbrochen  aneinander  gereihten  Schutt- 
kegeln hinlief.  Eben  waren  wir  an  einer  Lokvica  (kleiner  Teich),  wel- 
che der  ganzen  Mulde  ihren  Namen  Lokvice  Do  gibt,  vorübergeeilt, 
als  das  Blöken  heimwärts  ziehender  Heerden  an  unser  aufhorchendes 
Ohr  drang.  Das  war  ein  willkommener  Ruf,  und  bald  arbeiteten  wir 
uns  ungestüm  durch  die  Rinder,  Ziegen  und  Schafe,  bis  wir  in  eines 
der  linken  Nebenthäler  einbogen.  Flache,  mit  hinderndem  Krummholz 
bestandene  Wellen  und  grasige  Dohnen  vermochten  uns  nicht  aufzu- 
halten, denn  nun  musste  Ilijas  Sennerei  ganz  nahe  sein.  Ja  dort  lo- 
derten mehrere  Lagerfeuer,  wachsame  Hunde  verkündeten  mit  lautem 
Gebell  die  A.nkunft  Fremder,  und  gegen  6  Uhr  standen  wir  vor  den 
Kolibas  von  Lokvice  pod  Medjed  (1993  Meter).  Der  Abstieg,  den  bisher 
wohl  noch  kein  Reisender  ausgeführt  hatte,  war  beendet,  und  ich  machte 
es  mir  auf  den  Strukas  bequem,  welche  die  aufmerksamen  Montene- 
griner am  besten  Platze  des  Feuers  für  mich  ausbreiteten.  Nachdem 
der  nagende  Hunger  mit  den  bekannten  Nationalgerichten  gestillt 
war,  suchten  alle  das  Lager  auf.  Die  Frauen  —  denn  jede  grössere 
Hütte  wird  von  mehreren  Familien  bewohnt  —  hatten  bereits  ihren  ge- 
sammten  Deckenvorrath  ausgebreitet;  und  obgleich  sich  etwa  15  Per- 
sonen in  den  engen  Raum  theilten,  so  dass  wir  wie  die  Häringe  zu- 
sammengedrängt waren  und  uns  kaum  rühren  konnten,  lagen  wir  bald 
in  sanftem  Schlummer. 

Früh  um  5  Uhr  trat  ich  in  die  frische  Morgenluft  hinaus,  doch 
gingen  wir  erst  um  '/g^  Uhr  mit  Zurücklassung  des  grössten  Theiles 
unseres    Gepäckes    an    die    Besteigung    des    Medjed  (Bärenberg).     Wir 


Im   Durmitor. 


^39 


schlugen  bis  zu  dem  erwähnten  Teiche  den  gestrigen  Weg  ein,  durch- 
querten die  steile  Thalschlucht,  die  sich  schönen  Krummholzes  und  reich- 
lichen Graswuchses  erfreute,  und  standen  nach  einer  Stunde  am  jNIedjed. 
Die  allseitig  tief  eingegrabenen  Risse  gewähren  den  Firnflecken  einen 
vortrefflichen  Schutz,  weil  der  Schnee,  der  hier  wie  auf  dem  zum  Dobri 
Do  abfallenden  Kamme  wegen  des  zu  grossen  Neigungswinkels  nicht 
lange  haften  bleibt,  in  den  zahllosen  ]\Iulden  oder  am  Bergfusse  um  so 


Savin  Kuk  und  Medjed  (Durmitor). 


geeignetere  Sammelplätze  findet.  Die  Wände  des  Medjed  sind  eben- 
falls stark  zerklüftet  und  reich  an  Höhlen,  deren  eine,  wie  die  Einge- 
borenen behaupten  und  wie  der  Name  Ledenica  Pecina  (Eishöhle)  be- 
sagt, in  der  Kühle  ihrer  Finsternis  beständig  Eis  absetzt.  Eine  achmale 
Rinne  fordert  eine  neue  Probe  von  Geduld  und  Ausdauer,  denn  sie  ist 
viel  schroffer  als  die  von  der  Cirova  Pecina  ausstrahlenden  Furchen. 
Ein  wüstes  Gewirr  übereinander  geworfener  Geröllmassen  engt  ihre 
Flanken  ein  und  schliesst  sie  nahezu  vom  Hauptthale  ab,  dieselbe  Un- 
sicherheit des  Ganges  hervorrufend,  wie  wir  sie  früher  kennen  lernten, 
und    nur  da  einen  festen  Tritt  ermöglichend,  wo  ein  üppig  wucherndes 


j_iQ  Im  Durmitor. 

Pflanzenkleid  die  Trümmer  einigermassen  verkittet  hat.  Stattliche  Lat- 
schen aber,  die  wir  am  Bobotov  Kuk  so  sehr  vermissten,  reichen  am 
Bärenberg  bis  zur  Spitze  hinauf. 

Oft  hatten  wir  Hände  und  Füsse  nöthig,  da  senkrechte  Absätze 
die  Hänge  unterbrachen  und  auf  Vorsprüngen  oder  durch  Kamine 
erklommen  werden  mussten.  Nicht  selten  riss  uns  der  trügerische 
Trümmermantel  von  dem  mühsam  errungenen  Standpunkte  wieder 
hinab,  und  die  Zwischenräume  zwischen  Rasten  und  Gehen  wurden 
rasch  kürzer.  Schliesslich  hatten  wir  eine  Einsattelung  gewonnen,  die 
jählings  zum  schnee-  und  schutterfüllten  Kessel  des  Medjed  und  Savin 
Kuk  abstürzte  und  einen  vortrefflichen  Ueberblick  über  die  zurückge- 
legte Strecke  gestattete. 

Nun  war  der  Gipfel  nicht  mehr  weit,  und  weiches  Gras  oder 
ästiges  Krummholz  liessen  seine  gedrungenen  Formen  auf  unserer  Seite 
nicht  gar  so  abschreckend  erscheinen.  Aber  wir  sollten  bald  eines  an- 
deren belehrt  werden,  und  gleich  der  erste  Versuch,  über  eine  Gras- 
lehne kürzesten  Weges  die  Höhe  zu  erklimmen,  musste  wegen  des  fast 
go  Grad  betragenden  Böschungswinkels  als  aussichtslos  aufgegeben 
werden.  Zusehends  verschmälerte  sich  der  Grat,  die  Schluchten  beider- 
seits wurden  sciiauriger  und  tiefer,  und  obendrein  versperrte  eine  dichte 
Gruppe  knorriger  Legföhren  den  einzig  möglichen  Weg.  Sie  war 
um  jeden  Preis  zu  überwinden ,  und  es  dauerte  eine  geraume 
Weile,  bis  das  jedem  Bergsteiger  unerwünschte  Hindernis  hinter  uns 
lag.  Doch  kaum  hatten  wir  uns  durch  das  Gewirr  durchgearbeitet,  als 
jede  Faser  unserer  ^Muskeln  zum  zweiten  Male  angespannt  werden 
musste.  Ein  schmaler  Kamm  aus  lockerem,  verwittertem  Gestein,  der 
den  früher  erwähnten  Sattel  mit  dem  Bärenberge  verbindet,  stürzte  vor 
uns  ab,  und  unverwandt  mussten  wir  das  Auge  auf  den  stellenweise 
kaum  I  Meter  breiten  Grat  richten,  sollte  uns  der  Blick  in  die  senk- 
rechten Abgründe  nicht  schwindelig  machen.  Ganz  langsam  krochen 
wir  vorwärts,  bald  auf  den  scharfen  Kanten  reitend  oder  uns  mit  den 
Händen  auf  der  einen,  mit  den  Füssen  auf  der  anderen  Seite  fest- 
haltend und  vorsichtig  jeden  Stein  prüfend,  ob  er  noch  fest  in  seinen 
Fugen  sass.  Eine  gute  Viertelstunde  hielt  diese  ungemüthliche  Felsklet- 
terei an;  doch  endlich  wurde  sie  belohnt,  und  einige  Minuten  nach 
10  Uhr  war    der  Medjed    (2415  Meter)  bezwungen. 

Behaglich  streckten  wir  uns  im  kurzen  Grase  des  kleinen,  in  un- 
ersteiglichen  Mauern  abfallenden  Gipfelplateaus  aus,  auf  dem  die  Sommer- 
sonne ebenfalls  einen  anheimelnden  Blumenteppich  hervorgezaubert 
hatte.  Der  Rest  unseres  Branntweins  wurde  geleert,  und  abermals  nahm 


Im   Durmitor.  j  .j 

ein  Steinmann  einen  Zettel  mit  unseren  Namen  auf.  Meine  Leute  be- 
kundeten ihren  ausgeprägten  Natursinn  dadurch,  dass  sie  bald  aus 
Leibeskräften  schnarchten,  und  erst  ein  kalter  Wind,  der  von  der  Sin- 
javina  herüberblies,  weckte  sie  gegen    Mittag  aus  ihrem  festen    Schlafe. 

Der  Abstieg  war  fast  noch  anstrengender  und  gefahrvoller  als  der 
Aufstieg  und  wurde  auf  demselben  Wege  ausgeführt,  den  wir  herauf- 
gekommen waren.  Nach  zwei  Stunden  langten  wir  wohlbehalten  bei 
unserem  \\"irte  an  und  Hessen  uns  nach  den  Mühen  des  \'or- 
mittags  das  derbe,  einfache  Mahl  doppelt  schmecken.  Dabei  konnte 
ich  Ilijas  Genügsamkeit  nicht  genug  bewundern :  wie  viele  seiner  Lands- 
leute ass  er  Fleisch  nur  in  den  seltensten  Fällen;  Milch  und  Milch- 
speisen genoss  er  gar  nicht  und  begnügte  sich  mit  Brot  oder  einer 
dünnen  Suppe  aus  Brot,  Salz,  Mehl,  Fett  und  Wasser.  Unter  Schlafen, 
Gusla-Spielen  und  allerlei  Kurzweil  verging  der  Tag,  und  der  Abend 
verlief  genau  so  wie  die  anderen.  Nochmals  wurde  das  Feuer  mit 
Nahrung  versorgt,  und  dann  legten  wir  uns  nieder;  allein  diesmal  machte 
mir  das  nimmer  fehlende  Ungeziefer  die  Nacht  unerträglich,  und  mit 
Sehnsucht  erwartete  ich  den  Morgen,  der  uns  nach  Zabljak  zurück- 
bringen sollte. 

Am  22.  August  sagten  wir  den  Kolibas  von  Lokvice  pod  Medjed 
Lebewohl  und  wanderten  im  Hauptthale  abwärts,  das  genau  dem  \'alis- 
nica  Do  glich  und  sich  nur  durch  seinen  Gras-  und  Krummholz- 
reichthum  vortheilhaft  von  ihm  unterschied.  Sehr  rasch  mischte  sich 
Buchengebüsch  unter  die  Legföhren,  und  beide  gingen  auf  dem  zum 
Crno  Jezero  offenen  Abfalle  in  kräftige  Bäume  über.  Wie  bei  den 
anderen  Durmitor-Thälern,  ist  der  Boden  mit  Dohnen  übersäet,  die  eine 
vorwiegend  reihenweise  Anordnung  zeigen. 

Da  die  Zeit  nicht  drängte,  so  gingen  wir  gemächlich  weiter.  Bald 
öffnete  sich  die  Ebene  von  Zabljak,  und  wie  ein  Edelstein  auf  grünem 
Grunde  leuchtete  der  Crno  Jezero  herauf.  Zu  der  Heiterkeit  der  Natur 
gesellte  sich  unsere  eigene  FröhHchkeit:  denn  der  beschwerlichste 
Theil  der  ganzen  Reise  lag  hinter  uns,  und  in  gehobener  Stim- 
mung betraten  wir  wieder  die  saftigen  Alpenwiesen,  wo  wir  vor 
fünf  Tagen  unsere  Durmitor -Wanderung  begonnen  hatten.  Um 
II  Uhr  zogen  wir  im  Dörfchen  ein,  Ilija  wurde  mit  seinem  wohl- 
verdienten Lohne  entlassen,  und  ich  suchte  das  kleine  Kämmerlein  auf, 
um  mich  der  Instrumente  zu  entledigen.  Doch  was  ist  das?  Stösse  von 
Löschpapier  und  frische  Pflanzen  nehmen  die  Pritschen  ein,  und  gleich 
darauf  erschallt  hinter  mir  eine  Stimme:  >Come  sta  (wie  geht's),  Signore 
H.?«   Erstaunt  drehe  ich  mich  um,  und  ein  junger  Mann  reicht  mir  die 


142 


Im   Durmitor. 


Hand;  es  ist  der  italienische  Botaniker  Dr.  Antonio  Baldacci,  der, 
ein  eifriger  Vertreter  seiner  Wissenschaft  und  ein  warmer  Freund  der 
Montenegriner,  zum  siebenten  Male  im  Lande  der  Schwarzen  Berge 
weilte.  In  wenigen  Minuten  hatten  wir  Freundschaft  geschlossen;  in 
seinen  Begleitern  Krsto  Popovic  und  Gajo  Radonic  aus  Njegus  lernte 
ich  zwei  treffliche  Eingeborene  kennen,  und  in  Krstos  Tragthiere  Murad 
fand  auch  Kulas  einen  Kameraden.  Mit  Nichtsthun  und  Kartenspielen 
wurde  der  Tag  hingebracht,  die  aufmerksamen  Zabljaker  kargten  nicht 
mit  Hochachtungs-Kaffee's  oder  Hochachtungs-Schnäpsen,  und  erst 
spät  Abends  dachten  wir  daran,  den  Fussboden  des  niedrigen  Gast- 
zimmers in  eine  Lagerstätte  umzuwandeln.  Nun,  liegen  konnten  wir 
wohl,  aber  nicht  schlafen,  denn  gerade  unter  der  Stube  war  der  Stall, 
und  die  Ritzen  der  Dielen  boten  unberufenen  Thierchen  einen  will- 
kommenen Weg  nach  oben.  Wir  hatten  wenigstens  keine  Langeweile 
und  verkürzten  uns  die  träge  dahinschleichenden  Stunden  auf  jede 
Weise,  bis  uns  endlich  gegen  Morgen  die  Müdigkeit   übermannte. 

Unsere  unerwartete  Begegnung  durchkreuzte  die  Absichten  eines 
Jeden.  Wir  beschlossen,  unsere  Streifzüge  in  den  nächsten  Wochen 
gemeinsam  fortzusetzen  und  bestimmten  den  heutigen  Tag  zu  einem 
Besuche  des  Stulac.  Der  Stulac  stellt  einen  verhältnismässig  flachen 
Doppelkegel  dar,  der  mit  seiner  sanft  abgerundeten  Gestalt,  seiner  Wald- 
bedeckung und  leichten  Zugänglichkeit  auffallend  von  den  übrigen  Ab- 
schnitten des  Durmitor-Massives  absticht.  Zwar  besitzt  er  ebenfalls 
schroffe  Schluchten,  steilwandige  Einsturztrichter  und  mächtige,  bis  zu 
2200  Meter  herabgehende  Lager  ewigen  Schnees;  aber  diese  Formen 
der  Auflagerung  und  feineren  Ausarbeitung  können  das  Charakteristische 
des  allgemeinen  Eindruckes  nicht  verwischen.  An  den  bis  zur  Spitze 
mit  Gras  bewachsenen  Hängen  weicht  der  Nadelwald  (Abies  excelsa  und 
pectinata,  Pinus  Mughus  und  picea)  erst  bei  igöo  Meter  vor  dem  wetter- 
harten Krummholz  (Pinus  pumilio)  zurück  und  dringt  in  geeigneten 
Rinnen  weit  in  den  Bereich  der  Legföhren  vor,  die  ihrerseits  wieder 
den  Firnflecken  den  Platz  streitig  machen. 

Durch  den  bekannten  Nadelwald  der  Klijestina-Senke  brachte  uns 
der  Weg  zwischen  Wiesen  und  Häuschen  mühelos  auf  die  Gehänge 
des  zahmen  Durmitor.  Nach  zweistündiger  Rast  im  Schatten  einer 
dichten  Latschengruppe  und  nach  mancherlei  Kreuz-  und  Querzügen, 
die  mit  Ausnahme  einer  nicht  ganz  harmlosen  Kletterei  längs  einer 
schroffen  Felsmauer  wenig  Bemerkenswerthes  boten  und  eher  einer 
genussreichen  Mittelgebirgswanderung  glichen,  kamen,  wir  in  die  Zone 
der  Firnflecken. 


Im   Durmitor. 


143 


Gegen  2  Uhr  Mittags  gelangten  wir  auf  unserem  Spaziergange 
—  anders  Hess  sich  für  montenegrinische  Verhältnisse  die  Wanderung 
kaum  bezeichnen  —  an  die  Crvena  Greda  und  stiegen  auf  einer 
der  vielen  Schutthalden,  welche  die  kühnen  Zinnen  umsäumten,  zu 
einem  See,  dem  Jablan  Jezero  (1919  3ileter),  ab.  Welch'  ein  reizen- 
des Fleckchen  in  der  abstossenden  Gebirgseinsamkeit!  Der  grüne  Grund 
jenes  mit  ernsten  Fichten  bestandenen  Kessels  beherbergte  in  seiner 
Mitte  ein  schw^arzblaues  Meerauge.  Dieselbe  feierliche  Stille  wie  am 
Crno  Jezero  waltete  in  seiner  Umgebung,  die  nur  zur  Winters-  oder 
Frühlingszeit  von  dröhnenden  Lawinen  oder  donnernden  Steinströmen 
gestört  wird.  An  den  Ufern  waren  zahlreiche  Gerolle  zerstreut,  unter 
denen  äusserlich  sehr  verwitterte;,  inwendig  aber  ausserordentlich  frische 
Bruchstücke  eines  jungen,  vermuthlich  obertriassischen  Diabas-Por- 
phyrites  vorherrschten,  den  auch  Pancic  und  Tietze  erwähnen. 

Auf  dem  am  Morgen  begangenen  Pfade  kehrten  wir  in  unser 
Quartier  zurück. 

Die  Tage  unseres  Aufenthaltes  in  Zabljak  waren  vorüber,  und  am 
25.  August  mussten  wir,  wenn  auch  ungern,  ans  Scheiden  denken. 
Schon  zeitig  hatten  sich  unsere  Zabljaker  eingestellt;  zum  letzten 
Male  wurden  Briscola,  Quaranta  und  andere  Kartenspiele  gespielt,  zum 
letzten  Male  kam  die  gegenseitige  Hochachtung  in  Gestalt  von  Wein, 
Kaffee  und  Mastica  zum  Ausdruck,  und  dann  bereiteten  sich  unsere 
Freunde  für  eine  photographische  Abschiedsaufnahme  vor.  Leider  musste 
ich  den  guten  Leuten  bedeuten,  dass  sie  ihr  Bild  nicht  gleich  erhalten 
konnten,  und  sie  waren  darüber  einigermassen  betrübt. 

Doch  jetzt  waren  die  Pferde  beladen,  und  mit  Kuss  und  herz- 
lichem Händedruck  trennten  wir  uns.  Einige  gaben  uns  auf  eine 
kurze  Strecke  das  Geleit;  und  als  auch  sie  uns  verlassen  hatten,  nahm 
uns  die  w'eite,  flachwellige  Ebene  auf.  Ihre  Eintönigkeit  wird  höchstens 
von  den  kahlen  Mauern  des  Savin  Kuk  und  von  den  Bergketten  jenseits 
der  Tara  unterbrochen;  der  Baumwuchs  ist  spärlich,  und  nur  den  Fuss 
des  Durmitor  schmücken  anmuthige  Matten  und  hochwipfelige  Buchen. 
Die  zerstreuten  Sennhütten  des  Komarski  Katuns  (1610  Meter)  sind 
nach  Juncev  Do  die  ersten  und  zugleich  letzten  Wohnstätten  auf  dem 
heutigen  Marsche,  und  daher  gedenken  wir,  unter  einem  alten  Baum- 
riesen Halt  zu  machen.  Brot  und  Raki  haben  wir  bei  uns,  Eier 
und  Milch  kaufen  wir  bei  den  Hirten,  und  nachdem  die  neugierig 
fragenden  Eingeborenen  befriedigt  sind,  überlassen  wir  uns  sorglos  dem 
Schlafe. 


lAA  Im  Durmitor. 

Als  wir  erwachten,  neigte  sich  die  Sonne  bereits  dem  Untergange 
zu  und  mahnte  zu  eilendem  Aufbruche.  Ueberdies  hörte  der  bequeme 
Weg  auf,  und  ein  kümmerlicher  Pfad  lief  an  den  Ausläufern  der  Stozina 
empor.  Wieder  traten  wir  in  die  traurige  Hochgebirgsvvüste,  in  eine 
trostlose  Karst-  und  Karrenlandschaft  ein  und  marschirten  über  einen 
flachen  Rücken  in  ein  nicht  allzu  breites  Thal,  das  nach  der  Buko- 
vica  ausmündete  und  an  dem  nackten  Doppelkegel  des  Sedlo  endete. 
Die  auf  dem  Skrk  Do  und  auf  der  Cirova  Pecina  gefundene  Kalk- 
breccie  steht  hier  ebenfalls  an,  und  der  Kalk  wird  dünnblätterig,  um 
an  den  unteren  Lehnen  beiderseits  des  Sedlo  in  helle  oder  rothbraune 
Schiefer  überzugehen,  die  eine  Verbindung  mit  den  entsprechenden 
Gebilden  des  Dobri  Do  herstellen  und  als  Werfener  Schichten  an- 
zusprechen sind,  da  sie  den  Triaskalk  unterteufen.  Sofort  erscheinen 
in  der  bis  zu  jener  wasserdichten  Unterlage  eingestürzten  oder  ausero- 
dirten  Rinne  Quellen,  Wasserfäden  und  zwei  kleine  Weiher,  die  Srablje- 
Seen,  und  am  Thalausgange  liegen  abermals  zwei  durch  einen  meist 
trockenen  Bach  verbundene  Teiche,  der  Podransko  und  Poscensko  Jezero 
(1566  Meter).  Damit  ist  der  Kranz  undurchlässigen  Gesteins  geschlossen, 
der  den  Durmitor  mit  Ausnahme  einiger  Lücken  rings  umsäumt  und 
vor  allem  durch  30  Seen  und  Teiche  angezeigt  wird. 

Eine  beängstigende  Stille  lagerte  über  dem  öden  Thale,  in 
welchem  wir  aufwärts  wanderten.  Dicht  zusammengedrängte ,  bis 
ins  Feinste  ausgeführte  Falten  und  Fältelungen,  die  in  Doppelschlingen 
oder  bis  zur  Ueberkippung  umgebogen  an  den  grauen  Felswänden 
hinliefen  und  ihre  phantastisch  zerfressenen  Köpfe  gleich  Mauerzinnen 
gen  Himmel  sandten,  waren  ein  beredtes  Zeugniss  der  kolossalen  Stö- 
rungen, welche  die  gebirgsbildenden  Kräfte  nach  der  Triaszeit  im  Dur- 
mitor verursacht  haben.  Mitunter  lugten  aus  den  Ritzen  dunkle  Leg- 
föhren hervor,  tief  unten  am  Srablje-Teich  endeten  bei  1830  Meter  ver- 
krüppelte Gebüsche  von  Juniperus  Nana,  und  dort  standen  auch  — 
man  traute  seinen  Augen  kaum  —  einige  alte,  kräftige  Buchen.  In- 
zwischen hatte  die  Dunkelheit  so  zugenommen,  dass  die  weitere  Um- 
gebung schwer  zu  unterscheiden  war;  und  trotz  eiligen  Zuschreitens 
dauerte  es  geraume  Zeit,  bis  wir,  ungeduldig  wie  wir  waren,  den  Sedlo- 
Sattel  (1974  Meter;  erklommen  hatten. 

Die  wachsende  Finsterniss  und  der  sehr  zweifelhafte  Saumpfad 
des  abschüssigen  Hanges  machten  uns  um  unser  Quartier  besorgt.  Da 
^vir  wegen  der  Nachtkühle  eines  Feuers  dringend  bedurften  und  doch 
kein  Holz  fanden,  so  schien  es  gewagt ,  im  Freien  zu  schlafen : 
und  was  nützten  die  Conserven,  wenn  es  hier  oben  Vveder  Wasser  noch 


Im   Durmitor. 


145 


Schnee  gab?  x\Ilein  ein  gütiges  Geschick  entriss  uns  der  Verlegenheit. 
Hinter  uns  bog  ein  scharf  bewaffneter  Crnogorce  um  die  Ecke,  sein 
Tragpferd  vor  sich  hertreibend,  und  reichte  uns  mit  freundHchem  »Dobar 
Vecer!  (Guten  Abend!)«  die  Hand.  Als  wir  ihm  unsere  Noth  ausein- 
andersetzten, war  er  fofort  bereit,  uns  in  seine  Hütte  aufzunehmen; 
»aber,  setzte  er  hinzu,  es  giebt  Flöhe!«  Doch  was  kümmerte  uns  diese 
leider  zu  wahre  Verheissung;  für  den  Augenblick  waren  wir  froh, 
einen  kundigen  Mentor  gefunden  zu  haben,  und  folgten  ihm  'eilends 
nach. 

\'iertelstunde  auf  Viertelstunde  verrann,  und  wir  sahen  die  Wohn- 
stätte unseres  Führers  noch  nicht,  die  nach  seiner  \'ersicherung  ganz 
nahe  sein  sollte,  in  Wirklichkeit  aber  noch  ziemlich  weit  entfernt 
war,  da  der  Montenegriner  die  Zeit  nach  unseren  Marschbegriffen  nicht 
zu  schätzen  versteht.  Endlich  tauchten  aus  der  Tiefe  einige  Feuer  auf. 
Hunde  schlugen  an,  und  gegen  9  Uhr  standen  wir  an  einer  Sennhütte 
(1747  Meter).  Sie  war  mit  mehreren  anderen  auf  der  schmalen  Stufe 
eines  Bergzuges  errichtet,  der  vom  Sedlo-Ranisava  zum  Lojanik  läuft. 
Die  Pferde  wurden  entlastet,  und  wir  krochen  durch  die  enge  Thür- 
öffnung,  um  die  Familie  unseres  \\'irthes  zu  begrüssen.  In  dem  be- 
schränkten Raum  war  unseres  Bleibens  nur  kurze  Zeit,  zumal  das  wider- 
wärtige Ungeziefer  nicht  lange  auf  sich  warten  liess.  Nach  \'erzehrung 
des  frugalen  Abendessens  flüchteten  wir  schleunigst  ins  Freie,  wo  bereits 
ein  mächtiges  Feuer  brannte.  Flöhe  und  Läuse  hatten  uns  jedoch  den 
Schlaf  gründlich  verdorben ;  und  da  die  glühenden  Krummholzstösse 
eine  behagliche  Wärme  verbreiteten  und  die  Ausstrahlung  von  der 
Wolkenbedeckung  sehr  herabgemindert  ward  —  das  Thermometer  fiel 
nicht  unter  -\-  10  ^'C.  — •  so  entledigten  wir  uns  sämmtlicher  Kleidungs- 
stücke, wendeten  sie  von  oben  bis  unten  herum  und  überlieferten  in 
einer  Nacht  über  120  der  hässlichen  Feinde  dem  Tode. 

Der  nächste  Tag  war  der  Ruhe  und  dem  reizvollen  montenegrini- 
schen Lagerleben  gewidmet.  Für  den  erstaunlich  billigen  Preis  von 
zwei  Gulden  erstanden  wir  einen  feisten  Hammel,  und  im  Nu  hatte 
der  gewandte  Eingeborene  mit  einem  gewöhnlichen  Messer  den  Hals 
des  zuckenden  Thieres  durchschnitten,  so  dass  der  Kopf  nur  noch  an 
der  Haut  hing.  Eben  so  schnell  ging  das  Abhäuten  von  statten,  grosse 
Fleischstücke  wurden  mit  Salz  und  ein  paar  Händen  voll  Reis  im  rus- 
sigen Kessel  gekocht,  die  edlen  Eingeweide  zerkleinert  und  am  Spiesse 
gebraten;  und  nach  zwei  Stunden  wartete  unser  ein  schmackhaftes  Früh- 
mahl, wie  wir  es  selten  gehabt  hatten. 

Hassen.  Reise  durch  Montenegro.  lO 


TAff  Im   Durmitor. 

Der  Himmel  war  noch  immer  umzogen  und  sandte  zuweilen  feine, 
kalte  vSchauer  hernieder,  so  dass  wir  einige  Male  die  ängstlich  gemie- 
dene Hütte  aufsuchen  mussten  und  uns  drinnen  mit  Lesen  oder  Tage- 
buchschreiben beschäftigten.  Am  Nachmittage  stellten  sich  Verwandte 
zum  Besuch  ein;  allgemeines  Küssen  und  Umarmen  begleitete  die  lan- 
desüblichen Begrüssungsfragen,  und  wir  erhielten  ebenfalls  unseren 
Theil  davon.  Nach  Eintritt  der  Dämmerung  kamen  auch  die  Bewohner 
der  benachbarten  Kolibas,  und  die  Männer  nahmen  am  Feuer  Platz, 
während  die  Frauen  ehrerbietig  im  Hintergrunde  standen.  Ein  wunder- 
bares poetisches  Gefühl  durchweht  das  Volk  der  Südslaven,  und  unser 
Wirth  war  einer  jener  Vielbeneideten,  von  dessen  Lippen  die  Worte 
in  dichterischem  Feuer  flössen.  In  rhythmischen  Weisen,  die  trotz  ihrer 
Eintönigkeit  fesseln  und  taktmässig  dahingleiten  wie  die  Epen  Homers, 
pries  er  begeistert  die  Heldenthaten  seines  Volkes  und  seiner  Herrscher, 
nach  allgemeinem.  Brauche  in  jedem  Liede  das  Wohl  des  Fürsten  an- 
deutend oder  ausführend.  Da  sang  er  vom  Garen  Lazar,  vom  Unglücks- 
tage auf  dem  Amselfelde  und  von  den  siegreichen  Türkenkriegen,  in 
kunstlosen  und  doch  eigenartigen  Versen  rühmte  er  die  beiden  Fremden, 
die  ein  wildes  Land  und  ein  armes  Volk  kennen  lernen  wollten:  und 
lautlos  horchte  die  Menge,  um  ihm  dann  dankbar  ihren  Beifall  zu 
bezeugen. 

Gegen  Abend  heiterte  sich  der  Himmel  auf,  und  ein  frischer 
Wind  verscheuchte  die  Wolken.  Kaum  war  jedoch  der  blutrothe 
Sonnenball  hinter  der  Gebigswand  versunken,  als  die  Abküh- 
lung des  nackten  Kalkes  so  stark  wurde,  dass  wir  uns  fröstelnd  den 
Winterüberzieher  umwarfen.  Da  eilten  die  guten  Menschen  fort,  um 
ihre  schweren,  grobwollenen  Mäntel  zu  holen.  Sorgsam  deckten 
sie  uns  damit  zu,  schürten  nochmals  die  Gluth  und  verschwanden 
mit  freundlichem  »Dobra  vi  noc  (Gute  Nacht)!«  Das  waren  also  die 
viel  verschrieenen  Nasenabschneider  und  Hammeldiebe,  und  unwill- 
kürlich mussten  wir  an  die  falsche,  vorurtheilsvolle  Meinung  denken, 
die  bei  uns  noch  immer  über  die  Montenegriner  herrscht.  Zusehends 
fiel  die  Temperatur ;  und  als  ich  beim  Morgengrauen  des  27.  August 
nach  dem  Thermometer  sah,  zeigte  es  einige  Grade  unter  Null  an. 
Die  langsam  am  Körper  heraufkriechende  Kälte  Hess  mich  nicht  mehr 
einschlafen  ;  aber  das  grossartige  Schauspiel  eines  Sonnenaufganges  im 
Hochgebirge  entschädigte  mich  reichlich  für  die  verlorene  Ruhe.  Bald 
entfaltete  Helios  seine  ganze  Kraft ;  und  ebenso  rasch  wie  es  sich  ab- 
gekühlt, nahm  das  kahle  Gestein  die  Wärme  wieder  an. 


Zurück  nach  Niksic   und   Podgorica.  j^y 

Da  das  Endziel  unseres  heutigen  Marsches  in  wenigen  Stunden 
zu  erreichen  war,  so  Hessen  wir  uns  mit  dem  Aufbruche  bis  zum  Mittag 
Zeit.  Derselbe  Weg  wie  vorgestern  wurde  eingeschlagen,  und  langsam 
verschwanden  die  stolzen  Mauern  des  Durmitor  hinter  den  Hügel- 
wellen der  Ebene  von  Bukovica. 


14.  Capitel. 

Zurück  nach  Niksic  und  Podgorica. 


Die  ausgedehnte  Mulde  von  Bukovica  trägt  den  Charakter  der 
Einförmigkeit,  weil  ihr  ausdrucksvolle  Gebirgsformen  fehlen  und  weil 
ihre  Ausnutzung  noch  nicht  in  dem  Masse  fortgeschritten  ist,  dass  sie 
dem  Auge  einige  Abwechslung  gewährte.  Die  Meereshöhe  verbietet 
den  Gewinn  versprechenden  Anbau  von  Körnerfrüchten,  Kartoffeln  da- 
gegen gedeihen  vorzüglich,  und  es  ist  zu  bedauern,  dass  Montenegro 
nicht  genug  Hände  besitzt,  die  das  neuerworbene  Ackerland  ausgiebiger 
bearbeiten  könnten.  Eine  dünne  Kalk-  und  Humusdecke  verbirgt  die 
wasserhaltigen  Schichten,  die,  nach  häutigen  Aufschlüssen  zu  urtheilen, 
aus  Werfener  Schiefern  oder  aus  hellgelben,  von  Tietze  den  Wengener 
Schichten  zugezählten  Sandsteinen  bestehen.  Aus  zahlreichen  Sümpfen 
und  Lachen  rinnt  die  Bukovica  zusammen,  und  nicht  lange  dauert  es, 
so  vertieft  sich  ihre  Rinne  zu  einem  finsteren  Caüon.  Wie  das 
Schnalser  Thal  am  Fusse  der  Oetzthaler  Alpen  eine  breite,  wasserreiche 
Wiese  darstellt  und  sich  flussabwärts  in  eine  schroffwandige  Klamm 
verwandelt,  dieselbe  Erscheinung  wiederholt  sich  hier. 

An  den  Steilufern  treten  die  so  oft  beobachteten  Conglomerate 
auf,  und  in  demselben  Masse,  in  welchem  wir  abwärts  wandern,  wird 
der  Wiesenteppich  saftiger,  der  Buchenwald,  der  dem  ganzen  Gebiete 
seinen  Namen  giebt,  dichter  und  stattlicher.  Um  4  Uhr  standen  wir 
vor  dem  Hane  des  weit  zerstreuten  Bukovica  (1376  Meter).  Ein  kaltes 
Bad  in  dem  knietiefen  Gebirgsflusse  bot  uns  eine  lang  entbehrte  Er- 
quickung, wohlschmeckende  Forellen  und  der  letzte  Rest  unseres  Vor- 
rathes    an    frischem    Fleische    versprachen   ein  leckeres  Mahl,    und  zum 

10* 


148 


Zurück  nach  ISikSic   und  Pod^orica. 


ersten  JNIale  seit  meinem  Aufbruche  von  Kolasin  fand  ich  wieder  ein 
Bett.  Wie  immer,  so  kamen  auch  hier  die  Eingeborenen,  um  sich  von 
dem  reisenden  Photographen,  für  den  sie  mich  hielten,  ihr  Bild  an- 
fertigen zu  lassen,  und  sie  waren  höchst  \erwundert,  als  ich  ihre 
Wünsche  höflichst  ablehnte. 

Am  nächsten  Morgen  zogen  wir  gemächlich  an  den  versteckten 
Alpenhäuschen  von  Ober-  und  Unter-Bukovica  (1333  Meter)  vorüber. 
Zwei  Neugierigen,  die  den  Zweck  unserer  Reise  wissen  wollten,  theilten 
wir  geheimnissvoll  mit,  dass  wir  Goldsucher  seien,  und  die  biederen 
Crnogorcen  nahmen  diesen  Bescheid  mit  sichtlicher  Genugthuung  hin. 
Die  Bergzüge  waren  von  abstossender  Kahlheit,  soweit  sie  die  Aus- 
läufer der  Ivica  oder  der  wegen  ihrer  Holzarmut  berüchtigten  Sinjavina 
bildeten.  Zugleich  endeten  sie  weniger  in  Plateaus  als  in  sanften 
Kuppen  und  Ketten,  die  den  Thalgrund  nicht  allzusehr  überragten.  Der 
silberne  Fluss,  der  beiderseits  wasserlose,  geröllerfüllte  Bäche  aufnahm, 
war  schon  eine  geraume  Weile  unserem  Blicke  entschwunden,  und  ein 
schmaler,  mit  Buchen,  Erlen  und  Haselnusssträuchern  bewachsener 
Spalt  gähnte  an  seiner  Stelle.  Auch  kleine  Aecker  waren  auf  dem 
grünen  Plane  vertheilt,  und  fleissige  Leute  mähten  die  goldgelben  Halme 
ab.  Noch  war  das  Dorf  Timar  (Kirche  1230  Meter)  nicht  in  Sicht,  als  ein 
mächtiger  Diabasstock,  wie  deren  die  Werfener  Schichten  in  Montenegro 
so  viele  beherbergen,  unsere  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenkte.  Er  war 
an  der  Oberfläche  sehr  zersetzt,  mit  einer  dunkelgrünen  Verwitterungs- 
kruste überzogen  und  in  rundliche  Trümmer  zerfallen.  Noch  lange 
begleitete  uns  das  für  die  Crnagora  so  charakteristische  Eruptivgestein, 
und  rasch  absteigend  gelangten  wir  nach  kaum  fünfstündigem  Marsche 
nach  Tusina  (Kirche  iiio  Meter)  und  Bohan,  den  letzten  Ortschaften 
der  sich  nunmehr  zu  einem    unwegsamen  Canon    verengenden    Tusina. 

Am  2g.  August  wartete  unserer  eine  beschwerliche  Wanderung 
auf  die  W^asserscheide  der  Hochebene  von  Krnovo.  Die  linken  Ufer- 
gehänge der  Tusina  gliedern  sich  in  mehrere  Terrassen,  die  aus  Diabasen, 
mergeligen  Schiefern  und  dünnblätterigen  Kalken  bestehen  und  von 
einer  üppigen  Buschvegetation  überwuchert  werden.  Emsige  Landleute 
gehen  ihrer  Beschäftigung  nach,  und  ihre  vielgeplagten  Pferde  ziehen 
keuchend  die  plumpen,  zweiräderigen  Karren  oder  die  flachen,  auf 
einem  schlittenartigen  Gestelle  ruhenden  Kästen.  Wir  verlassen  diese 
erste  Stufe,  von  der  aus  sich  ein  anmuthender  Blick  auf  das  schmucke 
Tusina  und  das  Kloster  Podmalinsko  darbietet,  und  betreten  eine  zweite 
Terrasse  mit  dem  Dörfchen  Malinsko  ('11S4  Meter).  Deutlich  überschauen 
wir  jetzt  die  waldarmen,  eintönigen  Plateaus  jenseits  des  Flusses,  deren 


Zurück  nach  Niksic  und  Podsrorica. 


149 


orographische  Gliederung  genau  mit  der  des  linken  Ufers  übereinstimmt. 
Hier  wie  dort  krönt  das  Ganze  ein  dünn  bewohntes  Hauptplateau,  und 
wir  durchschreiten  die  schroffe  Schlucht  eines  trockenen  Baches,  deren 
massenhafte  Gerolle  fast  ausschliesslich   dem   Kalke  angehören. 

Da  die  Rovinski'sche  und  die  österreichische  Karte  in  diesen  Ge- 
genden versagten,  so  verirrten  wir  uns  öfters.  Statt  der  Haselnuss- 
gebüsche  stellten  sich  Ahorngruppen  und  prächtige  Buchenwälder  ein, 
auf  blumigen  Matten  öffneten  die  Herbstpflanzen  bereits  ihre  Knospen, 
und  plötzlich  mündete  die  Rinne,  in  welcher  wir  gingen,  in  das 
Bijela-Thal  ein.  Wie  ganz  anders  sah  es  aus  als  die  Tusnia-Klamm. 
Spärliche  Bäume  zierten  die  grasarmen  Hänge,  und  in  der  Tiefe  zog 
sich  statt  des  brausenden  Flusses  ein  hell  leuchtender  Geröllstreifen 
hin,  dessen  weisse  Farbe,  verbunden  mit  der  kahlen,  weissgrauen 
Umgebung,  wohl  den  Namen  Bijela  (die  Weisse)  veranlasst  hat.  Hoch 
über  dem  tückischen  Gebirgswasser  lagen  die  Häuser  von  Bijela 
(1128  Meter),  und  400  Meter  hatten  wir  zu  überwinden,  bis  wir  an  die 
einfache  Holzbrücke  (1053  Meter)  gelangten. 

Der  Triaskalk  herrscht  vor:  doch  fehlen  auch  die  im  Durmitor 
beobachteten  Breccien  nicht,  und  die  quellenreichen  Sandsteine  und 
Werfener  Schiefer  behaupten  die  untere  Hälfte  der  Uferränder.  Eine 
mächtige  Zwischenlagerung  schieferigen  Kalkes  trennt  sie  vom  eigent- 
lichen Kalke,  von  dem  sie  auch  durch  ihre  gelb-  oder  rothbraune 
Färbung  leicht  zu  unterscheiden  sind.  Den  untersten  Horizont  endlich 
nehmen  die  in  Montenegro  ungemein  häufigen  Conglomeratbänke  ein. 
Da  die  Schichten  wenig  gestört  sind,  so  muss  man  die  Bijela-Schlucht 
als  ein  reines  Erosionsthal  auffassen,  und  zugleich  ist  eine  terrassen- 
förmige Ausbildung  unverkennbar.  Die  Hochebene  fällt  zu  einer  steil 
geneigten  Stufe  und  dann  erst  zum  Bette  des  Flusses  ab. 

Wir  verloren  auf  dem  Humusboden  rasch  unseren  Weg  und 
kletterten  im  Schatten  uralter  Buchen  aufs  Gerathewohl  zu  dem  sonnen- 
verbrannten Plateau  empor,  das  im  Frühling  von  einem  endlosen  Gras- 
teppich überzogen  wird.  Unbestimmt  verlaufende,  trockene  Bäche 
schliessen  zuweilen  die  unter  der  Erdkrume  oder  unter  dem  Kalke  ver- 
borgenen Schiefer  auf,  aber  trotzdem  ist  der  Wassermangel  so 
empfindlich,  dass  die  Bewohner  von  Gvozd  sich  mit  dem  Schnee  des 
Vojnik  behelfen  müssen,  und  wegen  des  rauhen  Winters  sind  auf 
der  Höhe  sehr  wenige  dauernd  bewohnte  Siedlungen  zerstreut.  Wie 
schon  erwähnt,  läuft  die  grosse  montenegrinische  Wasserscheide  über 
dieses  Krnovo  genannte  Plateau  :  doch  ist  sie  hier  wegen  der  geringen 


jrQ  Zurück  nach  Niksic  und  Podgorica. 

Höhenunterschiede    und    wegen   des  Zusammenhanges    mit  dem  mittel- 
montenegrinischen Rarste  weniger  scharf  ausgeprägt. 

Eine  gute  Stunde  durchwanderten  wir  die  langweiHge  Gegend, 
deren  massig  verkarstete,  dünn  bewaldete  Hügel  jede  Aussicht  ver- 
sperrten. Der  Vojnik,  der  sich  beim  Marsche  nach  Bijela  in  seiner 
ganzen  Grösse  zeigte,  war  zu  einem  wenig  imponirenden  Rücken 
zusammengeschrumpft.  Eine  jener  giftigen  Sandottern,  deren  wir  in 
der  sonnendurchglühten  Crnagora  so  viele  antrafen,  schlängelte  sich  träge 
über  den  Weg,  und  unsere  Leute  bliesen  ihr  unbarmherzig  das  Lebens- 
licht aus. 

Vor  Zeiten  mögen  ausgedehnte  Bestände  die  Hochebene  bedeckt 
haben,  denn  Gvozd  (1432  Meter),  der  Name  des  kleinen  Weilers,  in 
welchem  wir  um  V23  ^^^'  ankamen,  bedeutet  Urwald,  und  die  drei 
oder  vier  Gebäude  sind  von  riesigen  Buchen  umgeben,  deren  Stamm 
zwei  Männer  kaum  zu  umfassen  vermögen.  Die  ebenerdigen  Häuser 
sind  aus  Steinen  erbaut,  die  runden  Viehhürden  bestehen  aus  fest  mit- 
einander verbundenen  Stangen,  und  kleine  Aecker  nehmen  den  Grund 
der  flachen  Dohnen  ein.  Die  genügsame  Rartoffel  verspricht  einen 
guten  Ertrag,  das  Getreide  dagegen  steht  sehr  dünn  und  hat  noch 
einen  grünlichen  Anflug.  Gegen  Abend  traf  der  Gerichtspräsident  von 
Niksic  ein ;  der  Han  bot  aber  so  wenig,  dass  der  hohe  Gast  mit  einigen 
Eiern  vorlieb  nehmen  musste,  während  wir  zu  den  Conserven  griffen. 
Dann  Hess  er  sich  am  Herde  ein  hartes  Lager  bereiten ;  wir  dagegen 
zogen  die  freie  Natur  der  wenig  \^ertrauen  erweckenden  Herberge  vor, 
schürten  im  Walde  ein  tüchtiges  Feuer  und  betteten  uns  auf  dem 
weichen  Rasen. 

Erst  kurz  vor  den  Buchenhainen  von  Bukovik  (1299  Meter)  nahm 
das  monotone  Dolinenplateau  ein  Ende,  und  ein  hübscher  Blick  öffnete 
sich  auf  die  Ebene  von  Niksic  und  die  Gebirge  Alt-Montenegros.  Niedere 
Mauern  umgaben  die  wenigen  Gebäude  des  Ortes,  und  unter  ihren  roh 
aufeinandergelegten  Blöcken  waren  Sandsteine,  Werfener  Schiefer  und 
die  Ralkbreccien  des  Durmitor  häufig  vertreten.  In  der  Nähe  rieselte 
eine  Quelle  über  das  Gestein ;  doch  war  ihr  \'orrath  so  gering,  dass 
der  Schnee  im  Haushalte  der  Eingeborenen  nach  wie  vor  unentbehrlich 
blieb.  Die  undurchlässige  Gesteinsschicht  bestand  aus  Werfener  Schiefern, 
deren  Bruchstücke  noch  immer  anzutreffen  waren,  als  wir  die  trockene 
Rinne  eines  etwa  3  Meter  tief  eingerissenen  Baches  passirt  hatten.  Da 
im  Ralke  keine  Versteinerungen  zu  finden  waren,  so  konnte  die  in 
diese  Gegend  fallende  Grenze  zwischen  Trias-  und  Rreideformation  nur 

\ 


Zurück   nach  Niksic   und  Podgorica.  I  c  j 

auf  Grund    der  Werfener  Schiefer    bestimmt    werden,    eine  Grenze,  die 
bereits  Tietze  mit  bewundernswerthem  Scharfsinn  hier  vermuthete. 

Hinabgehend  in  das  Becken  von  Lukovo  sahen  wir  uns  im  un- 
beschränkten Bereiche  des  Karstes,  und  Eschen-,  Buchen-,  Eichen-  und 
Ostryagebüsche  überwuchsen  den  grauschwarz  verwitterten  Kreidekalk. 
Das  Polje  selbst  wird  durch  eine  Stufe  getheilt  (1032  und  920  Meter) 
und  steht  an  Grösse  der  Ebene  von  Cetinje  wenig  nach,  obgleich  es  t-tyy-i^  *^ 
iri  diesem  Umfange  auf  Rovinski's  Karte  nicht  zum  Ausdruck  kommt. 
Unvollkommen  abgerundete  Kalkgerölle  machen  die  Anwesenheit  eines 
alten  Karstsees  sehr  wahrscheinlich,  und  der  staffeiförmige  Abfall  der 
Kessel  von  Gvozd  bis  Niksic  weist  auf  einen  inneren  Zusammenhang 
hin.  Vielleicht  deutet  die  von  Lukovo  nach  Niksic  laufende  Furche 
die  Richtung  an,  in  welcher  das  Wasser  einst  abfloss.  Eine  spärliche, 
dünn  bebaute  Humusdecke  überlagert  das  Trümmerfeld,  und  in  die 
zuckerkörnigen  Kalke  der  oberen  Mulde,  die  sehr  an  die  Kalke  der 
Quelle  Osjecenica  erinnern,  ist  eine  Cisterne  bis  auf  das  Grundwasser 
eingelassen.  Einige  Frauen  schöpften  dort  das  kostbare  Nass,  und 
während  sie  unsere  Feldflaschen  füllten,  hatten  wir  Mühe,  ein  schwach- 
sinniges Mädchen  fern  zu  halten,  das  uns  in  zudringlicher  Weise  an- 
bettelte und  laut  zu  weinen  begann,    als  wir  uns  von    ihm  abwandten. 

Ein  drittes  Polje  schloss  sich  den  andern  an,  und  die  Dohnen  j  (^  f 
und  steinerfüllten  Wege  machten  im  \"ereine  mit  der  -|~  25°  C.  be- 
tragenden Nachmittagshitze  unsere  Wanderung  nicht  gerade  angenehm. 
Immer  näher  kamen  die  Randberge  der  Niksicer  Ebene :  die  wilde 
Prekornica  begrenzte  den  Hintergrund,  und  zu  unserer  Linken  stürzte 
der  Ostrog  jäh  zum  Planinica-Sattel  ab.  Unser  Krsto,  ein  alter  Krieger 
aus  dem  Jahre  1877,  wies  uns  voller  Begeisterung  die  Stelle,  wo  der 
linke  Flügel  der  Crnogorcen    den  schier  unersteiglichen  Bergcoloss  er-  ^ 

klomm   und  die  sich  bereits  siegreich  wähnenden  Türken  nach  grauen-     /u-^^M^^ 
vollem  Ringen  zersprengte.  Eine  verfallene  türkische  Strasse,  die   nicht     ^,  ,      r>s 
viel  besser  war  als  die  zweifelhaften  einheimischen  Fusspfade,    führte   uns 
zu  den  wogenden  Maisfeldern  von  Rubezi  (732  Meter),  und  auf  breiten  ''^^^ 
Kalkplatten    stiegen    wir    wie    auf   roh    behauenen  Stufen    in    die    w:2ite  /''■'" 
Niederung  hinab.    Gajo  und  Marko,   welche  mit  den  Pferden  einen  be- 
quemeren   \\'eg    eingeschlagen    hatten,     empfingen    uns    mit    Revolver- 
schüssen   und  lauten  ^ivio-Rufen,    und  zusammen  zogen  wir   längs  der 
wasserlosen  Bistrica    zu    dem    Randdörfchen    Dragovaluka    (689  Meter), 
wo    uns  Krstos  Verwandte    zuvorkommend  aufnahmen.     Um  die  guten 
Leute    nicht    ihrer    Betten    zu    berauben,    wählten    wir    ein  abgemähtes 


■J--2  Zurück   nach  Niksic  und  Podgorica. 

Feld  zu  unserer  Schlafstätte;  und  die  Nacht  war  so  warm,  dass  wh- 
unsere  schweren  Mäntel  ganz  entbehren  konnten. 

Die  nächsten  beiden  Tage  verweilten  wir  in  Niksic.  Das  Obst  war 
reif  geworden,  und  wir  schwelgten  in  einem  Ueberflusse  von  Feigen, 
Melonen,  Aepfeln,  Birnen  und  Trauben,  von  denen  das  Pfund  nur 
wenige  Kreuzer  kostete.  Zu  den  alten  Bekannten  gesellten  sich  neue 
Freunde.  Da  trafen  wir  Dr.  Kustudija  und  seine  mittlerweile  aus  Graz 
zurückgekehrte  Gemahlin,  einen  liebenswürdigen  Major  und  mehrere 
junge  Montenegriner,  die  eben  ihre  Studien  in  Italien  und  Frankreich 
beendet  hatten.  Diesmal  machten  wir  auch  dem  Stadtoberhaupte  Voj- 
voda  Cako  Petrovic  unsere  Aufwartung;  nur  war  guter  Rath  betreffs 
einer  würdigen  Kleidung  theuer,  denn  so  sehr  wir  unsere  Koffer  durch- 
stöberten, so  wenig  tadellose  Wäsche  fanden  wir  noch  darin.  Die  Berg- 
schuhe mussten  die  Salonstiefeln  vertreten,  der  Lodenhut  ersetzte  den 
Cylinder,  und  ein  bunt  gestreifter  Kragen,  eine  blaue  Halsbinde  und 
ein  Paar  noch  halbwegs  erträgliche  Handschuhe  passten  mehr  oder 
minder  zu  dem  schwarzen  Rocke  und  den  dunklen  Hosen,  die  wir 
allein  aus  dem  allgemeinen  Schiffbruche  unserer  im  Laufe  der  Zeit  ab- 
.    genutzten  Kleider  gerettet  hatten. 

Am  Nachmittage  des  2.  September  nahm  ich  zum  dritten  Male 
von  Niksic  Abschied.  Wir  blieben  auf  der  neuen -Strasse,  die  bis  zum 
Beckenrande  fertig  ist;  eine  Brücke  jedoch,  die  das  Trockenbett  der 
Zeta  überspannen  und  bei  dem  allwinterlichen  Hochwasser  den  Verkehr 
aufrecht  erhalten  soll,  muss  erst  in  Angriff  genommen  werden,  und 
/y^"'^  [ebenso  harrt  die  Strasse,  soweit  sie  das  Gebirge  bis  Bogetic^  durch- 
I  schneidet,  noch  der  Vollendung.  Die  erforderlichen  Felssprengungen 
sind  bereits  ausgeführt,  die  Fundamente  theilweise  gelegt,  und  so  ist  zu 
hoffen,  dass  auch  dieser  letzte  Theil  baldigst  dem  Verkehre  übergeben 
werden  kann,  zumal  jeder  Montenegriner  eipige  Tage  im  Jahre  um- 
sonst oder  gegen  eine  geringe  Entschädigung  an  öffentlichen  Bauten 
1  arbeiten  muss. 

Die  flachgewölbten  Faltungen  der  dünnbankigen  Kalke  sind  an 
den  Strasseneinschnitten  gut  erkennbar  und  halten  wenige  Minuten 
oder  Viertel-  und  halbe  Stunden  lang  an.  Die  starke  Ausnagung  und 
Zerklüftung  hat  in  den  oberen  Schichten  grosse  Zerstörungen  und  Ab- 
tragungen verursacht,  so  dass  eine  und  dieselbe  Kalklage  in  eine  Menge 
zusammenhangsloser  Fetzen  getrennt  ist. 

Weil  der  Höhenunterschied  zwischen  Danilovgrad  und  dem  Ge- 
birgsrücken über  700  Meter  beträgt,  so  lief  die  Strasse  in  zahlreichen 
Krümmungen  am  Abhänge  hin ;    und  diese  Biegungen   durch  holperige 


Zurück  nach   Niköic   und  Pod^orica. 


153 


Steige  abschneidend,  erreichten  wir  gegen  7  Uhr  Abends  das  Dörfchen 
Bogetic  (435  Meter).  Der  Hanbesitzer  wollte  uns  nicht  aufnehmen,  da 
seine  Frau  auf  den  Tod  darniederlag  und  er  kaum  für  sich  das  Nöthigste 
zu  essen  hatte.  Er  nannte  uns  einen  wohlhabenden  Montenegriner,  der 
uns  gewiss  in  sein  Haus  rufen  würde.  Doch  wir  erhielten  ebenfalls 
einen  ablehnenden  Bescheid  und  dachten  schon  daran,  die  ganze  Nacht 
hindurch  bis  Danilovgrad  oder  Podgorica  zu  marschiren,  als  sich  der 
Eigenthümer  des  Hans  endlich  dazu  verstand,  uns  etwas  Heu  zu 
bringen  und  auf  einem  kleinen  Sturzacker  ein  Feuer  anzuzünden.  Aber 
die  Verpflegung?  Er  machte  ein  bedenkliches  Gesicht,  denn  der  heisse 
regenarme  Sommer  hatte  die  Saaten  verbrannt,  und  ein  Mandel  Eier, 
einige  Zwiebeln  und  etwas  Schnaps  war  alles,  was  er  uns  vorsetzte, 
»Mehr  kann  ich  Euch  beim  besten  Willen  nicht  bringen«,  sagte  er, 
»hat  uns  der  liebe  Gott  doch  selber  bloss  Steine  gegeben!«  Fürwahr 
ein  bezeichnendes  Wort  für  den  Mangel,  der  die  montenegrinischen 
Berge  so  oft  heimsucht.  Wie  gut  war  es,  dass  wir  ein  Brot  mit- 
genommen, sonst  hätten  wir  sogar  dieses  wichtigste  Nahrungsmittel 
entbehren  müssen. 

Da  das  Plateau  ziemlich  unvermittelt  abfiel,  so  lag  das  Zeta-Thal 
fast  in  seiner  ganzen  Länge  vor  uns.  Die  Bergkegel  von  Orjaluka  und 
Spuz,  der  Garac  und  das  in  die  scheinbar  senkrechte  Felswand  ein- 
gemauerte Kloster  Ober-Ostrog  begleiteten  uns  beständig  auf  unserem 
Wege,  der  an  den  armseligen  Hütten  von  Cerovo  und  Drenovstica 
vorbeiführte.  Rauchgeschwärzte  Ruinen,  die  wir  gestern  schon  in  Stu- 
bica  bemerkten,  waren  hier  am  häufigsten,  und  voller  Stolz  zeigte  uns 
Krsto  die  Stelle,  wo  seine  Abtheilung  in  der  denkwürdigen  Schlacht 
von  Ostrog  stand.  Nun  mussten  wir  uns  für  zwei  Tage  trennen,  weil 
Dr.  Baldacci  Danilovgrad  und  ich  das  Gebiet  von  Kcevo  noch  nicht 
kannte.  Gajo  nahm  sich  unseres  Pferdes  an,  und  mit  leichtem  Gepäck 
schlugen  Marko  und  ich  einen  steinigen  Saumpfad  ein,  während  unsere 
Freunde  die  Fahrstrasse  verfolgten. 

Schon  strahlte  die  Sonne  heiss  vom  wolkenlosen  Firmamente 
herab  und  verkündete  einen  jener  Tage ,  die  um  Mittag  -}-  28*^  C. 
Wärme  im  Schatten  besitzen.  Doch  hatte  uns  die  Länge  der  Zeit  so- 
wohl an  das  Ungemach  der  Hitze  als  an  die  Beschwerden  des  Weges 
gewöhnt,  und  rüstig  wanderten  wir  in  den  jungen  Morgen  hinein.  Wir 
betraten  eine  mit  Dohnen  übersäete  Terrasse.  Lichter^  gestrüppartiger 
Eichenwald,  den  zuweilen  stattliche  Bäume  überragten,  sprosste  aus  den 
Fugen  des  dünnbankigen  Gesteins,  und  am  Grunde  der  Trichter  grünten 
kleine  Kartoffelfelder,    Um  8  Uhr  ging  es  an  dem  rauhen,    wasserlosen 


.^-^ 


j-i  Zurück  nach  Xik§ic   und   Podgorica. 


Felshange    500  Meter    steil    in    die  Höhe,    wobei    die  Eiche    der    Buche 
h^  Platz    machte.     Unser    Weg,    bekannt    als    Pisine  Strane,   bildete  einen 

Theil  der  kürzesten  Verbindungslinie  zwischen  Cetinje  und  Niksic,  war 
aber  nichtsdestoweniger  ein  erbärmlicher,  ermüdender  Steig.  Endlich 
winkte  uns  der  Weiler  Orani  Do  (loio  Meten,  und  wir  flüchteten  vor 
der  drückenden  Sonnengluth  in  den  primitiven  Han.  Der  anstrengende 
Aufstieg  war  überwunden,  denn  die  Häuser  des  Ortes  lagen  am  oberen 
Rande  der  Hochebene,  die  sich  in  zwei  Terrassen  zur  Zeta  senkt. 
Ein  niedriger,  verwischter  Hügelzug  sondert  beide  Absätze  von  einander, 
so  dass  die  Gliederung  des  linksseitigen  Thalhanges  genau  mit  der  des 
rechtsseitigen  übereinstimmt. 

Die  Inhaber  des  Hans  waren  mürrische,  stumpfsinnige  Menschen. 
Als  ich  das  Barometer  ablas,  in  der  Gegend  Umschau  hielt  und  die 
rudistenreichen  Kalke  betrachtete,  hielten  sie  mich  für  verrückt  und 
bereiteten  nicht  ohne  einen  vielsagenden  Seitenblick  auf  den  sonder- 
baren Fremden  ein  frugales  Frühstück.  Da  auch  meinem  Diener  ihre 
Gesellschaft  nicht  gerade  behagte,  so  brachen  wir  nach  dem  Essen 
gleich  wieder  auf  und  bogen  in  eine  schmale  Mulde  ein,  die  sich  zu 
einem  wohlbestellten  Dolinenthale  verlängerte.  Einmal  erfreute  uns 
*^''  ein  stattlicher  Buchenhain,  vielleicht  der  letzte  Rest  eines  ausgedehnten 

<^  A  d^x^A  «^Waldes,    und  unter   seinem  grünen  Dache    überliessen  wir   uns  sorglos 
dem  Schlummer. 

Der  Weitermarsch  führte  uns  über  das  unabsehbare  Hochplateau, 
das  ebenso  wasserlos  und  öde  war,  wie  das  Gebiet  des  Ostrog  und  der 
Prekornica.  Quellen  waren  nirgends,  Häuser  und  Menschen  nur  in  ver- 
schwindend geringer  Zahl  anzutreffen.  Der  Höhenunterschied  zwischen 
Orani  Do  und  Ploca  betrug  etwa  100  Meter,  und  daher  konnten  wir  das 
dachähnlich  abfallende  Plateau  deutlich  überschauen,  das,  um  das  alte 
Bild  nochmals  zu  gebrauchen,  einem  im  wildesten  Sturme  erstarrten 
Ocean  glich.  Froh  ob  des  zurückgelegten  Weges  rasteten  wir  an  einem 
nie  versiegenden  Brunnen  des  Beckens  von  Ploca  1 1060  Meter),  dessen 
klares,  kaltes  Wasser  in  einer  finsteren  Jama  zusammensickerte.  Wenige 
Minuten  später  sahen  wir  unser  Ziel,  Kcevo,  zu  unseren  Füssen, 
und  bis  zum  Lovcen  und  den  von  Festungen  gekrönten  Bergen  der 
Krivosije  schweifte  der  überraschte  Blick.  Eine  von  Dohnen  und  Ab- 
sätzen unterbrochene  Furche  verbindet  die  Polje  von  Ploca  und  Kcevo 
und  stürzt  so  jäh  ab,  dass  der  Saumweg  einen  grossen  Bogen  be- 
schreibt, ehe  er  in  den  halsbrecherischen  Fusspfad  einmündet. 

Kcevo,  berühmt  als  Geburtsort  der  Landesfürstin  Milena,  hat  vor 
den  anderen  montenegrinischen    Siedelungen    nichts    voraus,    und    von 


Zurück   nach  Niksic   und   Fodgorica.  !  =  :; 

seinen  Häusern  sind  höchstens  das  Pulvermagazin  und  der  geräumige 
Wohnsitz  des  fürstlichen  Schwiegervaters  bemerkenswerth.  Wir  hatten 
es  uns  in  dem  bescheidenen  Han  (767  Meter),  einem  schmalen,  eben- 
erdigen Gebäude,  nicht  lange  bequem  gemacht,  als  uns  der  Kapetan 
nach  Landessitte  seinen  Besuch  abstattete.  Andere  trieb  die  Neugierde 
her,  und  indem  sie  sich  um  uns  setzten,  sich  beständig  räusperten  — 
eine  hässliche  Angewohnheit  der  Montenegriner  —  und  ihren  Gast 
einem  regelrechten  Bombardement  aussetzten,  fragten  sie:  »Woher 
kommt  er  ?  Was  will  er  ?  Wie  heisst  er  ?  Wer  bezahlt  seine  Reise  ? 
Dient  er  seinem  Vaterlande  ?  Spricht  er  unsere  Sprache  ?  Wie  alt  ist 
er?  Lebt  sein  Vater  noch?  Ist  er  verheiratet?  Hat  er  Familie  ?  Raucht 
er?  Trinkt  er  Branntwein?«  u.  s.  w.  Zwar  wird  man  das  Rede-  und 
Antwortstehen  bei  einem  noch  sehr  ursprünglichen  Volke  bald  gewohnt, 
und  diese  landläufigen  Fragen  sind  aus  den  alten  Zeiten  der  Blutrache 
übernommen,  indem  man  sich  bei  Ankunft  eines  jeden  Fremden  ver- 
gewissern wollte,  ob  man  es  mit  einem  Freunde  oder  Feinde  zu  thun 
hatte.  Diesmal  schienen  mir  aber  die  Zumuthungen  so  unerhört,  dass 
ich  den  lästigen  Fragern  nur  halben  Bescheid  gab  und  mich  mit  einem 
jungen  Menschen  unterhielt,  der  mir  von  vornherein  artig  entgegen- 
gekommen war.  Er  hatte  das  Gymnasium  zu  Cetinje  besucht,  und  sein 
Benehmen  liess  eine  gediegene  Schulung  wohl  erkennen. 

Meine  müden  Glieder  fanden  die  erhoffte  Ruhe  nicht,  denn  sechs- 
füssige  Plagegeister  setzten   mir  so  zu,   dass  ich  erst  gegen  Morgen  ein- 
schlief und  vor  7  Uhr  nicht  an  den  Abmarsch  dachte.    So  anheimelnd 
sich  das  Kcevsko  Polie    von    der  Höhe    ausnahm,    so     traurig   war    es    ,        1    ,  .^ 
in    Wirklichkeit.     Dürftige    Aecker     und    dürres    Gras     bedeckten     den       ^1     J 
steinigen  Boden,    der    statt   der  Quellen   einige  Cisternen  enthielt.     Der  l 

spärliche  Baumwuchs  vermochte  sich  noch    immer    nicht    zu    dichteren  j 

Beständen    aufzuschwingen,     und     die    Wärmestrahlung     der    nackten.  ^ 

wiederum  von  Rudisten  wimmiclnden  Kalke  steigerte  sich  zu  einem  un- 
erträglich hohen  Grade.  -vv^ 

Die  wild  verkarsteten,  mit  Eichen-,  Eschen-  und  Ostrya-Gebüsch 
bewachsenen  Lehnen  gewähren  einem  flachen  Dolinenthale  Raum,  das 
an  einem  nicht  allzuhohen  Rücken  (940  Meter)  nach  Nordost  abbog. 
Zum  letzten  Male  grüsste  aus  dunstiger  Ferne  der  gewaltige  Orjen  her- 
über, und  vor  uns  erhob  sich  der  schroffe,  massige  Garac.  Von  welcher 
Seite  man  ihn  sehen  mag,  immer  zeigt  er  zwei  flache  Kuppen,  und  ein 
tiefer  Pass  trennt  ihn  von  dem  ähnlich  geformten,  aber  viel  niedrigeren 
Mali  Garac.  Eine  Mulde  begleitet  ihn  bis  zu  unserem  Kamm,  und  in 
ihr  soll  die  in  Aussicht  genommene  Fahrstrasse  Cetinje-Danilovgrad  ver- 


1^5  Zurück  nach  Niksic   und  Podgorica. 

laufen.  Plötzlich  vernahm  ich  einen  hellen  Klang,  wie  wenn  Glas  mit 
einem  Stein  in  Berührung  kommt;  voll  banger  Ahnung  drehte  ich  mich 
um,  aber  das  Unglück  war  schon  geschehen.  Mein  letztes  Thermometer 
war  aus  seiner  Hülle  gefahren  und  lag  in  tausend  Scherben  am  Boden, 
nachdem  es  Marko  13  Tage  lang  mit  ängstlicher  Sorgfalt  behütet  hatte. 
Verstimmt  setzten  wir  unsern  Marsch  bis  zum  Dörfchen  Miogost  fort 
und  erkletterten  bei  -j-So"  C.  Hitze  den  steilen  Pass  (732  Meter),  nach- 
dem wir  einen  Schluck  schalen  Zisternenwassers  getrunken  hatten.  Doch 
die  Schwüle  war  zu  drückend,  und  die  Mittagssonne  stand  gerade  über 
uns,  so  dass  wir  ermattet  unter  einem  verkrüppelten  Baume  Schutz 
suchten  und  der  keuchenden  Brust  eine  Stunde  Erholung  gönnten. 

Hinter  dem  Gebirge  zog  dunkles  Gewölk  herauf,  und  der  Donner 
trieb  uns  wieder  fort.  Beiderseits  fielen  die  nackten  Gipfel  des  Garac 
schroff  zu  der  schmalen  Einsattelung  ab,  und  ihre  dünnbankigen  Kalke 
waren  zu  mannshohen  Riesentreppen  verwittert.  Eine  kleine  Häuser- 
ansammlung belebte  die  mit  Getreidefeldern  besetzte  Mulde,  die  nach 
einer  Viertelstunde  endete ;  und  das  freundliche  Danilovgrad  vor  Augen, 
eilten  wir  auf  zahlreichen  Serpentinen  zur  leuchtenden  Zeta  hinab. 
Wohl  stellt  dieser  Pass  den  kürzesten,  geradesten  Weg  über  das  Gebirge 
dar,  aber  trotzdem  wird  er  von  der  geplanten  Fahrstrasse  nicht  benutzt, 
da  sein  700  Meter  betragender,  übermässig  steiler  Absturz  ohne  schwere 
Opfer  an  Zeit  und  Geld  nicht  bezwungen  werden  kann.  Die  Strasse  um- 
geht ihn  daher  in  einem  grossen  Bogen  um  den  Mali  Garac,  und  auf 
ihr  wird  man  ebenso  schnell  zum  Ziele  kommen  wie  auf  dem  müh- 
seligen Wege  über  den  entsetzlich  verkarsteten  Bergrücken. 

Schon  tränkten  schwere  Regentropfen  die  durstende  Erde,  als  wir 
auf  einer  Steinbrücke  die  Susica  überschritten  und  die  Ebene  betraten, 
in  der  wir  eine  bequeme  Fahrstasse  vorfanden.  Nächtliches  Dunkel 
legte  sich  über  die  lechzenden  Fluren,  ein  orkanartiger  Sturm  durch- 
raste die  schwüle  Luft  und  wirbelte  den  Staub  zu  thurmhohen  Wolken 
auf.  So  heftig  war  er  zuweilen,  dass  er  uns  am  Weitergehen  hinderte; 
aber  die  Hoffnung,  noch  ein  schützendes  Dach  zu  gewinnen,  gab  uns 
Flügel,  und  eben  hielten  wir  vor  der  bekannten  Locanda,  als  sich  ein 
schw'eres  Gewitter  mit    einem    wolkenbruchähnlichen  Platzregen    entlud. 

Nach  einer  halben  Stunde  drang  die  Sonne  wieder  siegreich  durch 
die  Wolken,  ein  frischer  Hauch  spielte  mit  den  Baumwipfeln,  und  Mil- 
lionen Wassertröpfchen  erglänzten  in  den  Farben  des  Regenbogens.  Da 
hielt  es  uns  nicht  länger  in  dem  dumpfen  Zimmer,  und  nicht  eher 
hemmten  wir  unsere  Schritte,  als  bis  wir  im  iVbenddunkel  das  traute 
Podgorica  erreichten. 


Das  Kuöi-Land. 


157 


15.  Capitel. 

Das  Kuci-Land. 


Herzlich  bewillkommnet  von  Dr.  Baldacci  und  den  andern  Freunden 
zogen  wir  in  der  Locanda  des  Ivo  Carevic  ein.  Die  Anstrengungen  des 
über  40  Kilometer  betragenden  Marsches  von  Kcevo  nach  Podgorica 
wurden  erst  am  andern  Morgen  fühlbar;  daher  that  uns  die  Ruhe 
doppelt  wohl,  und  wir  konnten  mit  Müsse  nach  einem  Thermometer 
Umschau  halten.  Aber  obwohl  Podgorica  gegen  5000  Einwohner  zählte, 
blieb  unsere  Nachfrage  erfolglos,  bis  ich  erfuhr,  dass  der  Gouverneur 
ein  für  mich  so  werthvolles  Instrument  besitze.  Er  überliess  es  mir  mit 
der  grössten  Bereitwilligkeit,  und  wenn  es  auch  ein  ganz  gewöhnliches 
Reaumur- Thermometer  war,  so  reichte  es  für  meine  Zwecke  vollkommen 
aus.  Nun  konnte  ich  mich,  um  eine  Sorge  erleichtert,  den  Bekannten 
widmen,  zu  denen  sich  ein  fein  gebildeter  Montenegriner  namens  Peter 
Lipovac  gesellt  hatte,  der  das  Russische,  Französische,  Italienische. 
Englische  und  Deutsche  mit  einer  seltenen  Vollkommenheit  beherrschte. 
Der  drückenden  Hitze  wegen  machten  wir  wenig  Ausflüge  in  die  Um- 
gebung und  besuchten  dafür  fleissig  die  Lesehalle,  die  Citaonica,  deren 
es  in  jeder  montenegrinischen  Stadt  eine  giebt.  Die  grösste  besitzt 
Cetinje,  und  man  vermisst  dort  auch  die  englische,  französische,  deutsche 
und  österreichische  Presse  nicht,  während  in  Podgorica  die  wichtigsten 
türkischen  Blätter  vertreten  sind.  Ausserdem  liegt  in  jeder  Lesehalle 
eine  mehr  oder  minder  grosse  Zahl  russischer  und  serbischer  Zeitungen 
auf,  und  der  montenegrinische  Staatsanzeiger  »Glas  Crnogorca«  (Die 
Stimme  des  Montenegriners)  fehlt  natürlich  nirgends.  Er  erscheint 
wöchentlich  einmal  und  bringt  auf  vier  grossen  Folioseiten  eine  Fülle 
politischer,  belletristischer  und  anderer  Darstellungen. 

Der  Abend  bescherte  uns  eine  eigenartige  Ueberraschung.  Eben 
wollten  wir  schlafen  gehen,  als  die  ^^'irthsleute  in  unser  Zimmer 
stürzten  und  in  jedes  Fenster  ein  Licht  stellten.  In  andern  Häusern 
geschah  dasselbe,  und  binnen  wenigen  Minuten  war  die  ganze  Stadt 
erleuchtet.  Auf  unsere  Frage,  was  das  zu  bedeuten  habe,  erhielten  wir 
die  Antwort,    es    seien    soeben    an  der  Grenze   Schüsse    gefallen,    und 


I^Ö 


Das  Kuci-Land. 


um  den  Albanesen  zu  zeigen,  dass  die  wachsamen  Einwohner  auf 
ihrer  Hut  seien,  pflege  man  bei  derartigen  Anlässen  eine  brennende 
Lampe  nach  der  albanesischen  Seite  zu  ins  Fenster  zu  setzen.  Doch 
es  wurde  kein  Schuss  mehr  hörbar,  und  bald  herrschte  in  Podgorica 
wieder  ungestörte  Ruhe. 

Leider  nahm  unser  dreitägiger  Aufenthalt  wie  immer  zu  rasch 
ein  Ende.  Dr.  Baldacci  schloss  seine  2';.,  monatliche  Reise  ab,  und  ich 
wollte  noch  fünf  Wochen  lang  die  albanesisch-montenegrinischen  Grenz- 
gebiete und  das  Küstenland  durchstreifen.  Da  ich  in  14  Tagen  wieder 
in  Podgorica  einzutreffen  gedachte,  so  liess  ich  den  grössten  Theil  des 
Gepäcks  und  darunter  meine  Zither  zurück,  die  mir  oft  die  Langeweile 
vertrieben  und  manche  Gelegenheit  zu  lustigen  Erlebnissen  gegeben 
hatte.  Am  8.  September  schieden  wir  mit  Kuss  und  herzlichem  Hände- 
druck von  Dr.  Baldacci,  Krsto  und  Gajo  und  durchwanderten  bei  -j-28"  C. 
Hitze  etwas  niedergeschlagen  ob  der  Trennung  \on  unseren  Reisegefährten 
die  staubige,  magere  Ebene. 

Von  der  Fruchtbarkeit,  welche  sonst  die  Ebenen  um  Podgorica 
auszeichnet,  war  hier  wenig  zu  bemerken.  Der  Boden,  den  vor 
Zeiten  ein  ausgedehnter  Binnensee  überflutete,  setzt  sich  aus  locker 
verbackenen  Gerollen  zusammen,  die  den  Regen  nicht  lange  festhalten 
und  nur  selten  von  einer  anbaufähigen  Krume  überlagert  werden.  Gras 
-und  Buschholz  überkleiden  die  wasserlose  Steinfläche;  aber  die  Riesel- 
felder an  der  Ribnica  und  die  Aecker  längs  der  Gorica  geben  reichliche 
Erträge.  Unser  Weg  führt  durch  die  Weingärten  von  Doljani,  und 
glutrothe,  pfundschwere  Trauben  schimmern  verlockend  durch  die  breiten 
Blätter. 

Bald  standen  wir  vor  dem  Kirchlein  von  Doljani  (94  Meter)  und 
erklommen  unter  den  sengenden  Sonnenstrahlen  die  stark  verkarsteten 
Gehänge,  bis  mit  dem  Weiler  Sjenica  (265  Meter)  das  Plateau  gewonnen 
war.  x\uf  dem  Wege  waren  noch  die  Reste  von  Unterbauten  und  roher 
Pflasterung  erkennbar,  lief  er  doch  zu  der  vielgenannten  Zwingburg 
Medun.  Neben  der  charakteristischen  Karst-Vegetation  herrschten  dick- 
blättrige Eichen  vor,  und  an  einer  ergiebigen  Quelle  (-I-15"  C.)  rasteten 
wir  einige  Minuten.  Zu  unserer  Rechten  erhob  sich  die  Kakaricka  Gora, 
ein  sanfter,  mit  dem  Plateau  wenig  zusammenhängender  Kalkrücken, 
und  das  schmale,  gut  bebaute  Ribnica-Thal  trennte  sie  von  den  Aus- 
läufern unserer  Hochebene,  der  Fundina,  die  wegen  ihres  Wasserüber- 
flusses schon  bei  den  Römern  Fontana  hiess.  Eine  grauenvolle  Schlacht, 
in  der  es  keinen  Pardon  gab,  tobte  1876  auf  jenen  Höhen.  8000 
Crnogorcen  schlugen  unter  dem  Befehle  Marko  Miljanovs  40.000  Türken, 


Das  Kuci-Land. 


159 


und  11.000  Feinde  bedeckten  am  Abend  das  blutgedüngte  Schlachtfeld. 
Noch  heute  sind  die  Reste  der  türkischen  Feldschanzen  zu  sehen,  und 
noch  immer  findet  der  Wanderer  gebleichte  Gebeine  in  den  einsamen 
Schluchten.  Marko  Miljanov!  Mit  Ehrfurcht  spricht  der  Montenegriner 
von  dem  ritterlichen  Kämpen,  dessen  Wunden  eben  so  zahlreich  wie 
die  Köpfe  sind,  die  er  im  erbitterten  Handgemenge  erbeutet.  Jetzt  wohnt 
er  in  Medun,  dessen  Eroberung  ihm  einen  neuen  Lorbeerzweig  ins  g/a^e 
Haar  wand,  und  mit  Genugthuung  kann  er  allabendlich  die  Fundina- 
Berge  überschauen.   — 

Zu  unserer  Rechten  begleitet  uns  ein  freundliches  Thal,  bis  ihm 
die  150  Meter  hohe,  senkrechte  Felswand  von  Dolnji  Medun  Halt  ge- 
bietet. Schon  von  Podgorica  aus  ist  sie  deutlich  sichtbar,  dernn  die  Fels- 
zinnen, welche  nirgends  so  plump  und  abstossend  wie  auf  dieser  Seite  die 
Zeta-Ebene  umgrenzen,  bilden  hier  eine  Lücke  und  lassen  im  Hintergrunde 
eine  jäh  abstürzende  Mauer  frei.  Plötzlich  ragt  vor  uns  ein  nackter,  weisser 
Kalkzahn  auf.  Zerstörte  Ruinen  krönen  seinen  Scheitel,  und  bel'derseits 
scheinen  sich  die  schroffen  Bergmauern  die  Hand  zu  reichen.  Das  ist 
Medun,  das  Medione  der  Römer,  und  kaum  erblickt  man  von  der  Ebene 
aus  die  alte  Türkenveste,  die ^  den  weiten  Plan  von  Podgorica  und  die 
tiachen  Becken  auf  der  Höhe  überwacht.  Steinmauern  umgeben  die  Felder 
und  die  von  Feigenbäumen  beschatteten  Häuser  von  Gornji  Medun 
1^469  Meter),  und  eine  Cisterne  bietet  uns  einen  erwünschten  Ruheplatz. 

Die  geologische  Zusammensetzung  dieser  Gegend  scheint  auf  eine 
Wechsellagerung  zwischen  Kreide  und  Trias  hinzuweisen.  Die  Kalke 
von  Doljani  bis  Unter-Medun  gehören  wegen  ihrer  zahlreichen  Rudisten 
unzweifelhaft  zur  Kreide  und  werden  hinter  Ober-Medun  an  der  Weg- 
kreuzung nach  Ducici  durch  das  beschränkte  Auftreten  von  Kreide- 
schiefern und  Rudisten  abermals  als  kretaceisch  gekennzeichnet.  Im 
Kessel  von  Ober-Medun  dagegen  verschwinden  die  Rudisten  ganz,  der 
Habitus  der  Kalke  wird  ein  anderer,  und  die  im  Triaskalk  des  Durmitor 
beobachtete  Breccie  stellt  sich  ein;  dazu  kommen  Sandsteine  und  Schiefer, 
die  durchaus  den  Typus  der  Werfener  Schichten  tragen.  Kurz  vor  übli 
werden  die  Kalke  vollkommen  versteinerungslos,  ohne  sich  im  äusseren 
Aussehen  irgendwie  zu  verändern;  man  kann  daher  hier  die  Trias- 
formation beginnen  lassen,  zumal  die  bisher  ziemlich  häufigen  Rudisten 
plötzlich  und  für  immer  ausbleiben. 

Ueber  eine  zweite  Gebirgswand  gelangten  wir  auf  ein  neues 
Plateau  (502  Meter),  dessen  wellige  Oberfläche  an  einer  dritten  Mauer 
endete,  die  in  eine  vierte  Hochebene  übergmg.  Nun  wurde  der  Karst 
noch   trostloser    als    bisher,    so    dass    er    den    verlorenen  Einöden    von 


T  5'Q  Das  Kuci-Land. 

Bratonozici  nicht  nachstand.  Wo  aber  eine  culturfähige  Dohna  in  den 
verwitterten  Stein  eingebettet  war,  da  umschloss  sie  ein  kleines  Feld, 
und  um  die  Weingärten  oder  die  lichten  Maulbeer-,  Feigen-  und  Stein- 
eichenhaine hatten  fleissige  Hände  einen  schützenden  Steinwall  auf- 
geschichtet. 

So  erreichten  wir  die  zerstreuten  Hütten  von  Ubli  (500  Meter),  und 
da  wir  keine  grosse  Lust  verspürten,  im  heissen  Sonnenbrands  weiter 
zu  marschieren,  so  schauten  wir  uns  nach  einem  Quartiere  um.  Ein 
solches  war  bei  den  gastfreien  Kuci  bald  gefunden ;  unsere  Wirthe 
thaten  alles  Mögliche,  um  uns  den  Aufenthalt  bei  sich  angenehm  zu 
machen,  und  als  wir  am  Morgen  von  dannen  zogen,  entschuldigten  sie 
sich  immer  wieder,  dass  sie  uns  wegen  ihrer  Armuth  nichts  Besseres 
als  Brot,  Trauben  und  Eier  vorsetzen  konnten. 

Die  Kuci  zerfallen  in  die  beiden  Hauptstämme  Kuci  Drekalovici 
und  Kuci  Krajna  und  sind  ihrem  Ursprünge  nach  Albanesen,  die  ihre 
Muttersprache  und  die  meisten  ihrer  heimischen  Gebräuche  zu  Gunsten 
der  montenegrinischen  Sprache  und  Sitte  aufgegeben  haben.  Doch  ist 
die  Mehrzahl  dem  römisch-katholischen  Glauben  treu  geblieben  und  stand 
um  deswillen  mit  den  streng  orthodoxen  Crnogorcen  zuweilen  in  scharfem 
Gegensatze.  Wechselheiraten  mit  den  Arnauten  sind  nichts  Seltenes;  das 
hindert  indessen  die  einzelnen  Familien  nicht,  sich  wüthend  zu  bekriegen. 
Im  Gegentheil,  während  die  Regierung  die  Blutrache  durch  energische 
Massregeln  unterdrückt  hat,  ist  sie  in  diesen  Grenzgebieten  noch 
immer  nicht  erloschen  und  wird  es  nicht  eher  sein,  als  bis  sich 
auch  die  Albanesen  zu  einem  Vergleich  herbeilassen.  Dam^'t  wird  es 
aber  noch  gute  Wege  haben,  denn  ihre  Häuptlinge  erklärten  in  Djakova 
auf  die  diesbezüglichen  Vorschläge  der  Pforte,  es  sei  von  den  Montene- 
grinern Blut  vergossen,  und  dieses  erheische  Sühne. 

Die  Kuci  waren  stets  ein  freies  Volk,  das  sich  um  die  türkische 
Herrschaft  eben  so  wenig  kümmerte  w^ie  vor  dem  letzten  Kriege  die 
Hirten  des  Durmitor  und  wie  noch  heute  die  Albanesen  der  schwer 
zugänglichen  Gebirge.  Sie  verspotteten  die  drohende  Zwingburg  Medun 
und  trotzten  in  ihren  Häusern  oft  den  türkischen  Soldaten.  Eine  feste 
Mauer  umgiebt  den  gepflasterten  Hof  und  die  Wohnstätten,  deren  Bau- 
art vielfach  an  das  türkische  Haus  erinnert  und  deren  kleine,  schiess- 
schartenartige  Fenster  den  festungsähnlichen  Eindruck  noch  erhöhen. 

Der  öde,  nackte  Hang,  an  dessen  Fusse  Ubli  liegt,  wurde  auf 
vielgewundenem  Pfad  erstiegen.  Wein  und  Feigen  kamen  fortan  nicht 
mehr  fort,  und  in  die  fleischrothen  Kalke  waren  gähnende  Klammen 
und    Bonos    gebohrt.     Beachtet    man,    dass    diese  Schlünde    das    Ende 


Das  Kuci-Land.  l5l 

eines  tief  eingeschnittenen,  geröllerfüllten  Trockenthaies  sind  und  sich 
im  Becken  von  Medun  und  in  der  Ribnica-Furche  fortsetzen,  so  haben 
wir  ein  neues  Beispiel  für  den  hydrographischen  Zusammenhang,  der 
mit  den  Karsterscheinungen  so  oft  Hand  in  Hand  geht.  Das  Wasser 
rundete  die  Steine  ab  und  zerriss  die  Flanken  des  Gebirges;  allein  der 
klüftige  Kalk  hat  es  längst  verzehrt,  so  dass  es  auf  unterirdischen 
Canälen  zur  Ribnica  und  I\Ioraca  abfloss.  Die  unbeschreibliche  Wasser- 
armuth,  ja  Wasserlosigkeit  jener  Bezirke  im  Allgemeinen  und  dieses 
Karstbaches  im  Besonderen  konnte  sich  das  einfache  \'olksgemüth  nicht 
besser  erklären  als  durch  die  Sage,  der  heilige  Sava  habe,  ergrimmt 
über  die  Sünden  der  Umwohner,  ihr  kostbarstes  Gut  auf  Nimmerwieder- 
kehr verflucht. 

Nicht  weniger  langweilig  und  wild  verkarstet  war  die  Gegend,  die 
sich  j-tzt  vor  uns  öffnete,  und  bald  nahm  uns  das  eben  erwähnte 
Trockenthal  auf,  dessen  5  Meter  hohe  Wände  senkrecht  in  das  Gestein 
gegraben  waren.  Ueberall  waren  die  Leute  mit  dem  Einbringen  der 
Feldfrüchte  beschäftigt,  und  die  Mehrzahl  der  Aecker  stand  bereits  in 
Stoppeln.  Der  dicht  bewölkte  Himmel  entsandte  einen  feinen  Regen, 
aber  er  war  wie  der  Tropfen  auf  einen  heissen  Stein  und  belästigte  uns 
längst  nicht  mehr,  als  die  roh  ausgearbeitete  Schlucht  bei  der  Kirche  von 
Dolnji  Krzanje  (1082  Meter)  aufhörte. 

Ein  weniger  steiler  Hang  führt  auf  ein  fünftes  Plateau,  das  frucht-  .       \^ 

bare  Becken  von  GberTvrzanje  (1123  Meter).  Der  Karstwald  wird  hoch- 
stämmiger, und  die  Steineiche  weicht  in  diesen  kühleren  Regionen  all- 
mählich vor  der  Buche  zurück.  Die  Laubbäume  würden  noch  kräftiger""  ,' 
sein,  wenn  nicht  die  Eingebornen  hier  wie  in  andern  Theilen  Monte-  (^  '^*^ 
negros  gezwungen  wären,  das  mangelnde  Heu  durch  die  Blätter  der 
jungen  Aeste  zu  ersetzen,  so  dass  die  verstümmelten  Bäume  wie  unsere 
geköpften  Weiden  einen  traurigen  Anblick  darbieten.  Sonst  verändert 
sich  die  Gegend  nicht  zum  Bessern,  ja  sie  wird  bei  dem  kleinen  Weiler 
Strapce  (1275  Meter)  besonders  wüst  und  trostlos. 

Nachdem  ein  Mann  aus  seiner  entfernten  Hütte  bereitwilligst  etwas 
Cisternenwasser  für  uns  herbeigeholt  hatte,  setzten  wir  unseren  Marsch 
fort.  Der  Canon  der  Mala  Rijeka,  der  uns  zur  Linken  begleitete,  und 
die  grauen  Kuppen  des  Vjeternik  verschwanden  langsam,  und  zu  unserer 
Rechten    trat    das  imposante   Gebirgsmassiv  der  Zijovo   Planina    in    den  /      j^ 

Vordergrund.    Leidlich    dichter  Laubwald    bekleidete    die    untere  Hälfte    ' 
ihrer  stark  verkarsteten  Gehänge,  und  schmutzige  Firnflecken    lagerten 
in  den  Nischen  des  zersägten  Kammes. 

Hassert.  Reise  durch  Montenegro.  *  I' 


102 


Das  Kuci-Land. 


Endlich  winkte  die  Erlösung.  ■  Wir  näherten  uns  den  Werfener 
und  paläozoischen  Schiefern,  die  schon  von  weitem  an  ihren  sanft  abge- 
rundeten Bergformen  und  ihrer  rothbraunen  Färbung  kenntlich  w^aren,  und 
auf  Schritt  und  Tritt  vollzog  sich  eine  durchgreifende  Veränderung  in  dem 
landschaftlichen  Bilde.  Als  wir  um  den  niederen  Zagon-Rücken  in  eine 
flache  Mulde  einbogen,  verlor  sich  der  öde  Karst  immer  mehr;  inmitten 
grüner  Wiesen  lag  eine  Viehtränke,  und  an  einer  ebenso  spärlichen 
Quelle,  der  zweiten  seit  Podgorica,  rastete  eine  Schar  lustig  plaudernder 
Kuci  mit  ihren  schwer  beladenen  Packpferden,  Sie  schafften  reichliche 
Vorräthe  an  Käse  und  Skorup  für  den  langen  Winter  in  ihre  Dörfer, 
und  Andere  trugen  ihre  Gerätschaften  zu  Thal;  denn  bereits  er- 
hielten die  Bäume  ein  herbstliches  Gewand,  und  Mitte  oder  spätestens 
Ende  September  verlassen  die  letzten  Senner  die  Alpenweiden,  welche 
bald  darauf  der  erste  Schnee  unter  einem  weissen  Schleier  begräbt. 
Wegen  der  nahen  Grenze  und  aus  Furcht  vor  der  Blutrache  vermeidet 
man  es,  allein  zu  gehen  und  schliesst  sich  möglichst  z.u  kleinen,  scharf 
bewaffneten  Gesellschaften  zusammen. 

Das  rechte  Gehänge  der  tiefen,  grasigen  Brskut-Schlucht,  eines 
Quellarmes  der  Mala  Rijeka,  vermittelte  den  Uebergang  zu  dem  lang- 
gestreckten Treskavac,  und  die  Schiefer,  aus  denen  das  gesammte  Südost; 
Montenegro  besteht,  gewannen  mit  Macht  die  Oberh^and.  Der  Kalk 
beschränkte  sich  auf  die  oberen  Theile  der  Gebirge  und  prägte  ihnen 
seine  charakteristischen  Erosionserscheinungen  auf.  Die  Cebesa  z.  B.  setzte 
sich  zu  Dreiviertel  aus  wenig  mächtigen,  wohlbewaldeten  Schieferbänken 
zusammen,  den  zerzackten  Kamm  aber  bildete  nackter  Kalk,  der  in  breiten 
Schutthalden  an  seiner  kaum  gestörten  Unterlage  hinabgeglitten  und  sich 
mit  den  Trümmern  derselben  nicht  selten  zu  einem  festen  Conglomerat 
verbunden  hatte.  Neben  dem  Farbencontrast  stellt  also  die  üppige  Pflanzen- 
bedeckung auf  der  einen^  die  fast  bis  zur  Vegetationslosigkeit  sich  steigernde 
Pflanzenarmuth  auf  der  anderen  Seite  ein  nicht  minder  wesentliches 
Unterscheidungsmerkmal  beider   Gesteinsarten  dar. 

Wieviel  schöner  ist  die  östliche  Crnagora  als  Nord-Montenegro !  Müssen 
wir  auch  dem  königlichen  Durmitor  vor  dem  jvom  entschieden  die  Palme 
zuerkennen,  so  birgt  die  Umgebung  des  letzeren^^us^ndjnial  mehr  Reiz.e. 
in  sich  als  die  des  ersteren,  und  es  ist  nur  zu  bedauern,  dass  die  Sicher- 
heit des  Lebens  längs  der  berüchtigten  albanesischen  Grenze  viel  zu 
wünschen  übrig  lässt.  Verschwunden  sind  die  sonnverbrannten,  wald- 
und  wasserarmen  Plateaus  des  montenegrinischen  Nordens;  statt  ihrer 
erfüllt  ein  Heer  steiler,  runder  Kuppen  das  ausgedehnte  Gebiet.  Ueppige 
Laub-  un3~"Kadel\välder,    die  uns  dort  nicht  gerade  häufig    begegneten. 


Das  Kuci-Land. 


163 


klettern  bis  auf  die  niedrigeren  Gipfel,  und  grüne  Alpenmatten  fehlen  -'<-'-  -^ «--*»- 
selbst  den  höchsten  Pfeilern  nicht.  Was  Wunder,  dass  bei  igoo  Meter  ><<^  '2.<^  i^ 
noch  zahllose  Kolibas  anzutreffen  sind,  eine  Höhe,  die  seinerzeit  bloss  ^d^<,^/^^^e.^ 
von  den  wenigen  Hütten  des  Valisnica-  und  Lokvice-Thales  überboten  ^/  / 
wurde.  Quellen  und  Bäche  eilen  in  brausenden  Cascaden  zu  den  silber- ^^-'^^  /^^^ 
hellen  Flüssen  hinab,  die  nie  versiegend  in  waldigen  Thalern  über  die  ^1^  '>^  OL«y/ 
Gerolle    springen,    und    des    Durmitor    tiefgrüne    Meeraugen    finden    im  V-ä 

Rikavac-See,  \"ukomirsko  Jezero  und  einigen  andern  versteckten  Teichen 


Die  Zijovo  Planina  und  Ucr  Vukomirsko  Jezero  (Kuci-Land). 

ebenfalls  ihre  Vertreter.  So  gleicht  die  Landschaft  der  freundlichen  Gornje 

Moraca  oder  den  bosnisclvhercegovinischen  Alpen;  und   dass    ihr   auch 

der  ausdrucksvolle  Hintergrund  nicht  fehle,  dafür  sorgen  die  seltsamen 

Kalkrücken    mit    ihren    Teufelsmauern,    Riesentreppen    und    Hexentanz- 

plätzen.   Ein  Berg  auf  unserem  Wege  ragt  wie  das  Matterhorn  als  scharfer 

Zahn  empor;  es  ist  der  östliche  Theil  der  wilden,  wenig  bekannten  Zijovo 

Planina,  und  unmittelbar  vor  uns  werfen   die  schwarzgrünen  Fluten  des 

geheimnisvollen  VukomirskoAVeihers  kleine  Wellen. 

Noch  bewunderte  ich  das  fesselnde  Bild,  als  mich  der  Ruf  meines 

Dieners:   »Herr,  Kulas  ist  gestürzt!«  in  die  Wirklichkeit  zurückversetzte. 

I  I-:: 


164 


Das  Kiici-Land. 


Das  arme  Thier  war  erschöpft  zusammengesunken,  nicht  bloss,  weil  wir 
eine  zehnstündige,  anstrengende  Wanderung  zurückgelegt  hatten,  sondern 
weil  für  unseren  Gaul  die  goldene  Jugendzeit  schon  lange  vorüber  war. 
Zum  Glück  fand  sich  rasch  Hilfe.  Ein  junger  Bursche,  der  von  Strapce 
aus  mit  uns  gegangen  war  und  ein  lediges  Pferd  führte,  erklärte  sich 
zur  Uebernahme  unseres  Gepäckes  bereit,  Kulas  trabte  trübselig  hinter- 
drein, und  eine  halbe  Stunde  später  hielten  wir  vor  dem  Katun  von 
Mokro  (1551  Meter).  Bei  den  wackeren  Kuci  brauchten  wir  nicht  erst 
zu  sagen,  was  wir  wollten.  Decken  \\'urden  ausgebreitet,  die  Frauen  be- 
reiteten ein  einfaches  Abendessen,  und  da  die  Luft  sich  empfindlich  ab- 
kühlte, so  krochen  wir  in  die  Hütte  und  suchten  um  9  Uhr  das  harte 
Lager  auf. 

Das  schmale  Thal  Mokro  ist  zwischen  die  schroffen  Hänge  der 
Cebesa  und  des  Maglic  eingebettet  und  wird  durch  einen  niederen 
Kalkrücken  vom  Plateau  Sirokar  und  dem  in  einen  250  Meter  tiefen 
Kessel  eingesenkten  Rikavac  Jezero  getrennt.  Seinen  Namen  Mokro 
(feuchter  Ort)  verdient  es  mit  Recht,  da  sein  Grund,  der  auffallend  einem 
alten  Flussbette  ähnelt  und  in  die  romantische  Schlucht  des  Tara-Quell- 
flusses Verusa  ausmündet,  reich  an  Quellen  und  Bächen  ist.  —  Um  sich 
für  den  Ausfall  schadlos  zu  halten,  den  sie  in  Folge  anhaltender  Miss- 
^  f-  ^  jähre  durch  Verkleinerung  ihrer  Heerden  erlitten,  wenden  sich  die  Ein- 

^  geborenen  immer  mehr  dem  Feldbau  zu.  Unser  Wirth  hatte  ebenfalls  den 
Versuch  gemacht,  Erdäpfel  um  seine  Hütte  anzupflanzen  und  war  damit 
so  zufrieden,  dass  er  einen  grossen  Theil  seiner  Weiden  in  Kartoffel- 
land umzuwandeln  beabsichtigte. 

Als  wir  dem  armen  Kulas  seine  leichte  Last  wieder  auflegten,  sagten 
mir  die  erfahrenen  Männer  und  Marko  gleich,  dass  wir  keinen  guten 
Weg  haben  würden,  und  ein  Sohn  des  Hauses  bot  sich  uns  als  Soldat, 
^^^egweiser  und  nöthigenfalls  auch  als  Helfer  in  der  Noth  an.  Da  ich  den 
abgetriebenen  Gaul  wenigstens  bis  Andrijevica  zu  bringen  hoffte  und  dort 
um  jeden  Preis  zu  verkaufen  gedachte,  so  wollte  ich  es  noch  einmal  mit 
ihm  versuchen,  und  in  der  Ebene  ging  Alles  nach  Wunsch.  Als  wir  jedoch 
am  steilen  Maglic  emporzusteigen  begannen,  fing  das  Ungemach  an. 
Ganz  langsam  schritt  das  alte  Pferd  fürbass  und  blieb  nach  jeder  halben 
Minute  keuchend  stehen.  Der  Weg,  der  vielleicht  in  i  '/.^  Stunden  zurück- 
gelegt worden  wäre,  beanspruchte  unter  diesen  Verhältnissen  das  Doppelte, 
und  schliesslich  sah  ich  ein,  dass  wir  so  nicht  v/eiterkommen  würden. 
So  nahmen  wir  Kulas  seine  Bürde  ab  und  überliessen  ihn  vorläufig  sich 
selbst.  Alsbald  fiel  er,  gefrässig  wie  er  war,  über  das  saftige  Gras  her,  und 
wir  schleppten  das  nicht  gerade  schwere  Gepäck  zu  dem  nahen  Katun 


SlXL^'^> 


Das  Kuci-Land.  lÖ'^ 

auf  dem  Kurlaj  (1762  Meter).  Unser  Freund  war  gern  bereit,  unsere 
Sachen  gegen  eine  geringe  Bezahlung  nach  Podgorica  zu  schaffen,  und 
ich  schenkte  ihm  unser  Pferd  sammt  Sattelzeug,  da  es  für  uns  keinen 
Werth  mehr  hatte.  Als  ich  nach  Podgorica  zurückkehrte,  war  der  Reise- 
korb längst  angekommen,  und  von  seinem  Inhalte  fehlte  nicht  das 
Geringste.  Ueberhaupt  kann  ich  von  der  Ehrlichkeit  der  Montenegriner 
viel  Rühmliches  sagen.  Dr.  Baldacci  liess  seine  Leute  stets  einen  Theil 
seines  Geldes  tragen,  und  ich  brachte  meinem  Diener  Marko  das  gleiche 
\'ertrauen  entgegen,  ohne  mich  jemals  getäuscht  zu  sehen. 

Wir  nahmen  Abschied  von  dem  treuen  Thiere,  das  manche 
ernste  und  heitere  Stunde  mit  uns  getheilt,  das  in  Montenegro  und  in 
der  Hercegovina  unser  unverdrossener  Reisegefährte  gewesen  war  und 
das,  am  Durmitor  geboren,  am  Kom  seine  dornenvolle  Laufbahn  für 
uns  wenigstens  beendete! 

Die  Buchengrenze  lag  schon  längst  unter  uns,  als  wir  um  V4I0  Uhr 
eine  schmale  Scharte  zwischen  Maglic  und  Crna  Planina  betraten.  Ein 
steinernes  Grab  zierte  die  einsame  Höhe  (1945  Meter)  und  verlieh  '{^xJ*""^' 
den  Namen  Groblje  (Friedhof).  Ueber  den  schwach  gefalteten  Schiefern  'u-^^^^^ 
lagerten  als  letzte  Reste  einer  einst  zusammenhängenden  Decke  ein-  /^  H  C 
zelne  verwitterte  Kalkfetzen,  und  beiderseits  fiel  das  Gebirge  nahezu 
senkrecht  ab.  Ein  schneidend  kalter  Ostwind  blies  uns  ins  Gesicht,  aber 
trotzdem  blieb  ich  festgebannt  stehen,  weil  das  Bild,  das  sich  uns  dar- 
bot, zu  überwältigend,  zu  grossartig  war.  Selbst  der  Pinsel  eines  geübten 
Malers  ist  nicht  im  Stande,  dem  farbenfrohen  Reize  der  Landschaft  gerecht 
zu  werden;  wie  viel  weniger  vermögen  das  erst  Worte  zu  thun?  Eine 
majestätische  Gebirgsmauer,  aus  deren  finsteren  Schluchten  breite  Firn- 
flecken leuchteten  und  deren  kühn  geschwungener  Kamm  drohendeThürme 
und  Zinnen  trug,  so  strebten  die  unnahbaren  Alpen  Albaniens  zu  dem 
W^olkenmeere  auf,  das  um  die  zerrissenen  Spitzen  w^ogte.  Dort,  wo  der 
zackige  Wall  nach  Süden  umbog,  übertraf  er  den  Durmitor  an  Höhe, 
und  auf  ihm  thronte  in  starrer  Pracht  der  Verfluchte  Berg,  die  Prokletija. 
Tief  unten  umsäumte  eine  Waldschlucht  die  nackten,  schutterfüllten 
Ketten,  und  in  ihr  wand  sich  das  weisse  Geröllbett  der  Skrobotusa- 
Vrmosa,  des  bedeutendsten  Quellflusses  des  Lim,  dahin.  Uns  am  nächsten 
beherrschte  ein  Fort  die  kleine  Ebene  Veli  Polje,  und  hinter  einem  Berg- 
vorsprung vermischte  sich  eine  zarte  Rauchsäule  mit  der  frischen  Morgen- 
luft. Das  war  das  liebliche  und  doch  so  verrufene  Thal  von  Gusinje  und 
Flava,  und  der  aufsteigende  Rauch  verrieth  die  Stelle,  wo  Gusinje  lag.  Leider 
sind  beide  Städte  den  Fremden  seit  Jahren  so  gut  wie  verschlossen; 
denn  wild   wie  das  Gebirge  sind  die  hier  hausenden  Albanesen,  die  dem 


l66  Das   Kuci-Land. 

berüchtigten  Clan  der  Malissoren  angehören.  Der  Berliner  Congress  hatte 
den  lange  gewünschten  Bezirk  den  Montenegrinern  zugesprochen,  aber 
die  fanatischen  Bewohner  leisteten  ihrem  bewaffneten  Einschreiten  er- 
folgreichen Widerstand,  und  es  blieb  den  Grossmächten  nichts  übrig, 
als  die  Crnogorcen  durch  die  Abtretung  von  Dulcigno  zu  entschädigen. 
Selbst  die  Türken  besitzen  trotz  ihrer  Garnisonen  so  wenig  Autorität, 
dass  die  Eingebornen  von  Gusinje  jüngst  den  Kaimakam  (Richter)  ver- 
trieben, und  dass  es  nicht  möglich  war,  die  Festung  im  \'eli  Polje  ^•on 
dem  nahen  Gusinje  aus  zu^•erproviantiren.  Die  türkischen  Soldaten  mussten 
vielmehr  durch  montenegrinisches  Gebiet  ziehen  und  auf  einem  mehrere 
Tagemärsche  betragenden  Umwege  die  Lebensmittel  in  das  Fort  schaffen. 
Während  meines  Aufenthaltes  in  Andrije\"ica  sah  ich  täglich  die  schmutzigen, 
schlecht  gekleideten  Gestalten  auf  schwer  beladenen  Saumthieren  Mais, 
Reis,  Aepfel  und  andere  Dinge  über  die  Grenze  befördern.  Ja  als  um 
dieselbe  Zeit  ein  Pascha  mit  starker  Geleitmannschaft  von  Berani  nach 
Scutari  reiste,  hielten  ihn  die  getreuen  Unterthanen  von  Gusinje  vier 
Tage  lang  gefangen.  Nur  die  montenegrinischen  und  albanesischen 
Frauen  können  ungefährdet  aus-  und  eingehen,  und  in  Carine  wusste 
uns  ein  Mädchen  viel  von  den  eigenartigen  Arnautenstädten  zu  erzählen. 
Doch  unsere  Rundschau  ist  noch  nicht  beendet.  Zur  Linken  erhebt 
sich  das  stolze,  dreigipfelige  Massiv  des  Kom,  dessen  schroffe  Kalkwände 
auf  einem  fahlgrünen  Hochplateau  ruhen.  Es  ist  von  viel  begrenzterer 
Längen-  und  Breitenausdehnung  als  der  Durmitor  und  bedeckt  mit 
seinen  äusserten  Ausläufern,  seinen  Füssen  oder  ^^'urzeln,  wie  das  ^'olk 
sagt,  die  Fläche  zwischen  Tara,  Svinjaca,  Jelovica  und  Lim.  Im  Einzelnen 
zeigen  jedoch  seine  Kalkschroffen  dieselbe  Ausarbeitung  wie  die  Cirova 
Pecina.  Lockere,  halsbrecherische  Grate,  unzugängliche  Pyramiden  und 
steil  geböschte  Schutthalden  gibt  es  auf  ihm  ebenfalls  genug,  und 
/  blumige  Wiesen,  die  man  dort  vergebens  sucht,  zieren  den  Scheitel 
dieses  interessanten  Berges.  Quellen  und  Bäche,  vom  ewigen  Schnee 
gespeist,  rinnen  von  den  Hochweiden  hinab,  und  ihnen  ist  ein  grosser 
Theil  der  Reize  zuzuschreiben,  die  eine  vom  fliessenden  Wasser  durch- 
zogene Gegend  in  unseren  Augen  so  sehr  auszeichnen.  Wie  sich  aber 
von  seinen  Gipfeln  eine  umfassende  Rundsicht  über  Montenegro,  Bos- 
nien und  Albanien  erschliesst,  so  gewährt  der  Kom  selbst  einen  über- 
raschenden Anblick.  Auf  Wiesen  und  Felder  folgt  eine  Zone  üppigen 
Eichen-  und  Buchenwaldes,  dann  stellen  sich  ausgedehnte  Bestände 
an  Fichten  und  Schwarzkiefern  ein,  und  saftige  Alpenmatten  vermitteln 

/   y^  den  Uebergang  zu  den  Zinnen  und  Schluchten,  die  Bären,  Wölfen  und 

'''^-'*^*'***^' Gemsen  einen  sicheren  Schutz  gewähren. 


Das  Kuci-Land. 


167 


Unser  ^^"eg  lief  auf  der  Höhe  der  Crna  Planina  hin,  deren  kaum 
I  Centimeter  mächtige  Schieferlagen  stark,  ja  bis  zur  Ueberkippung 
gefältelt  waren.  So  jäh  stürzt  der  Hang  in  die  Tiefe,  und  so  abschüssig 
wird  zuweilen  der  geländerlose  Pfad,  dass  eine  kräftige  Hand  die  schwer 
beladenen  Pferde  festhalten  und  dass  man  sich  vorsichtig  vor  einem 
Fehltritt  hüten  muss,  ein  Umstand,  der  den  Genuss  jenes  einzigen 
Panoramas  sehr  beeinträchtigt. 


Der  Kom  von  Konj  u  he  aus. 


Der  Rücken  bildet  einen  Theil  der  grossen  Wasserscheide,  die  von  \'^*^^^^. 
Gacko  durch  die  Duga-Pässe,  über  den  Vojnik  und  die  Lukavica,  über  \ /Cc'^^^*"*"^ 
die  Javorje  Planina  und  Moracko  Gradiste  zur  Crna  Planina  streicht  und 
sich  über  die  \'ila  zu  den  Albanesischen  Alpen  fortsetzt.  Oft  beträgt 
die  Entfernung  der  beiderseitigen  Quellsysteme  noch  nicht  i  Kilometer, 
und  die  ^^'asserscheiden  sind  mitunter  sehr  verwischt.  Der  Rikavac- 
See  z.  B.  fliesst  verborgen  zur  Cijevna  (also  zur  Moracai  und  zur  Skro- 
botusa  (also  zum  Lim)  ab:  und  als  wir  in  eine  sich  beiderseits  thalartig 
verlängernde  Senke  (1698  Meter)  hinabstiegen,  sagte  uns  ein  Hirt,  dass 
sich  in  einer  flachen   Bodenvertiefunsf    während    des  \\'inters  ein  Teich 


j58  ^^^  Kuci-Lancl. 

sammle,  der  seinen  Inhalt  an  die  Opasanica  (also  die  Tara)  und  die 
Vucji  Rijeka  (also  den  Lim)  abgäbe. 

Ein  ausgedehnter  Buchenwald  nahm  den  Raum  zwischen  diesem 
Sattel  und  der  Grenze  ein.  Sein  dichtes  Unterholz  bot  bei  räuberischen 
Ueberfällen  einen  vortrefflichen  Schutz,  und  mehrere  einfache  Stein- 
pfeiler verriethen  die  Stellen,  wo  das  Blei  des  feige  im  Hinterhalte 
lauernden  Malissoren  das  nichts  ahnende  Opfer  niederstreckte.  Wir  be- 
obachteten daher  unsere  Umgebung  mit  gespanntester  Aufmerksamkeit, 
bis  wir  in  den  Kolibas  des  Kurlaj  anlangten  und  dort  den  grössten 
Theil  unseres  Gepäckes  zum  Rücktransport  nach  Podgorica  zurückliessen. 
Dreimal  schneller  kamen  wir  ohne  unser  Pferd  vorwärts  und  rasteten 
nur  einmal  an  einer  sehr  kalten  Quelle  (-)-  3 "  C),  die  zwischen  den 
auflagernden  Kalken  und  den  unterlagernden  Schiefern  austrat  und  zu- 
gleich die  Grenze  der  Buchen  (1800  Meter)  anzeigte.  Oefters  bemerkten 
wir  schwarze  Kalke,  die  von  röthlichen  und  weissen  Adern  durch- 
setzt waren.  Sämmtliche  Kalke  und  Dolomite  sind  triadisch,  weil  sie 
auf  den  alten  Schiefern  ruhen  und  am  Kom,  wie  es  scheint,  durch 
eine  dünne  Schicht  Werfener  Schiefer  von  jenen  getrennt  werden. 

Gegen  3  Uhr  langten  wir  in  unserem  Bestimmungsorte,  dem  vom 
Kurlaj  aus  gut  sichtbaren  Sommerdörfchen  Carine  (1884  Meter)  an,  dessen 
Hütten  auf  einem  flachwelligen  Plateau  unterhalb  des  Kucki  Kom  zer- 
streut sind.  Ein  aus  Albanien  herüberwehender  Wind  erniedrigte  die 
Lufttemperatur  auf  -{-8"  C,  und  die  Kühle  steigerte  sich  in  der  Nacht 
so,  dass  das  Thermometer  um  6  Uhr  des  nächsten  Morgen  erst  -|-  6"  C. 
angab.  In  der  reinlichen  Hütte  des  Kapetans  von  Medun  fanden  wir 
ein  behagliches  Unterkommen,  und  am  11.  September  schied  ich  von 
Carine  und  dem  Kuci-Lande.  Von  einer  Besteigung  des  600  Meter 
höheren  Kom-Gipfels  sah  ich  ab,  da  sie  mit  meinen  Plänen  nicht  mehr 
recht  vereinbar  war  und  ich  schon  damals  darauf  rechnete,  auf 
einer  zweiten  Reise  das  Versäumte  nachzuholen. 

Als  wir  ins  Freie  traten,  hüllte  ein  undurchdringlicher  Nebel  das 
gewaltige  Gebirge  ein,  so  dass  die  kaum  20  Schritte  entfernten 
Hütten  nicht  zu  erkennen  waren.  Ein  Hirt  begleitete  uns  deshalb,  bis 
sich  der  knappe  Pfad  von  der  hier  oben  entspringenden  Carinska  Rijeka 
abwandte  und  zur  Perucica  führte.  Unser  Mentor  hatte  uns  noch  nicht 
lange  verlassen,  als  die  Sonne  siegreich  dur'^.h  die  Finsterniss  drang; 
binnen  Kurzem  war  der  Nebel  zu  kleinen  Wölkchen  aufgelöst,  die  als 
\'orzeichen  guten  Wetters  ins  Thal  sanken  und  dort  zerrannen.  Hurtig 
schritten  wir  auf  dem  weichen  Boden  eines  erhabenen  Kiefernwaldes 
aus,  der  an   den  Kalkklippen    zahlreiche    Ausläufer    nach    oben    sandte. 


Das   Kuci-Land. 


109 


Uralte,  stark  herbstlich  angehauchte  Buchen  mischten  sich  darunter  ^-^<-'^'^''^^' 
und  gewannen  schliesslich  die  Oberhand.  Die  wetterfesten  Laub-  und 
Nadelbäume  waren  am  unteren  Theile  ihres  Stammes  ausnahmslos 
krumm  gebogen  und  wandten  sich  vom  Gebirge  ab,  weil  durch  die  La- 
winen und  die  vorherrschenden  \\'inde  schon  das  junge  Stämmchen 
gebeugt  ward  und  in  dieser  Lage  weiterwuchs.  Nach  einiger  Zeit  ver- 
nahmen wir  helles  Glockengeläut,  Blöken,  Meckern  und  lautes  Rufen. 
Eine  endlose  Heerde  von  Kühen,  Ziegen  und  Schafen,  wohl  1000  Stück 
und  mehr,  wurde  bergab  getrieben,  und  es  dauerte  eine  geraume  Weile^ 
bis  wir  uns  durch  die  scheu  auseinander  w'eichenden  oder  störrisch 
^^'iderstand  leistenden  Thiere  hindurchgearbeitet  hatten. 

^^'ir  stiessen  auf  zwei  Kuci,  die  uns  mit  Kuss  und  Handschlag  be- 
grüssten  und  bis  Andrijevica  unsere  Gefährten  blieben.  Da  die  Zeit 
nicht  drängte,  so  rasteten  wir  inmitten  der  mannshohen  Farnkräuter,  , 
aus  denen  ein  guter  Theil  des  Unterholzes  bestand,  und  liessen  uns  ifJj^'^  *-^ 
von  unseren  Freunden  nicht  lange  zum  Essen  nöthigen.  Ein  Schluck 
kalten  Wassers,  trockenes  Brot  und  in  \Vürfel  geschnittener  Käse,  wie 
köstlich  mundete  das  bescheidene  Mahl,  das  uns  zu  neuer  Wanderlust 
stärkte.  Je  mehr  wir  ins  enge  Thal  hinabstiegen,  um  so  häufiger  wurden 
die  Ansiedelungen  und  Felder,  und  um  so  öfter  begegneten  wir  Einge- 
borenen. Eine  kleine  Gesellschaft  schloss  sich  uns  auf  ein  Stündchen 
an.  Die  Gesprächigste  von  allen  war  ein  altes  Mütterchen,  das  der 
Hexe  im  Dornröschen  aufs  Haar  glich  und  seinen  Redefluss  nur  dann 
unterbrach,  wenn  es  einer  Schnupftabaksdose  eine  tüchtige  Prise  ent- 
nahm. Dabei  vergass  jedoch  die  sorgsame  Grossmutter  nicht,  ihrem 
schreienden  Enkelchen,  das  sie  in  einer  schmalen,  hölzernen  Wiege 
auf  dem  Rücken  trug,  zur  Beruhigung  dann  und  wann  ein  Stück  Käse 
in  den  Mund  zu  stecken. 

Unweit  der  Einmündung  der  Desna  Rijeka  (967  Meter)  betraten 
wir  den  Thalgrund  der  Perucica,  die  sich  mühevoll  einen  Abtiuss  durch 
die  Unmassen  ihrer  Kalk-,  Schiefer-  und  Diabas-Gerölle  bahnte.  Ihre 
Umgebung,  Konj  u  he  genannt,  entsprach  genau  den  reizvollen  Ufern 
der  oberen  Moraca  und  mittleren  Tara,  und  die  von  dichten  Hecken 
umgrenzten    Holzhäuser   waren    eben  so    freundlich    wie    dort.     Aepfel-..  ,  .-^  • 

Birnen-,  Pflaumen-  und  Herlitzenbäume  wuchsen  in  den  Obstgärten,  und  ^..^^^^  ^ 

Tabak-,    Mais-    oder    Kartoffeläcker    nahmen    die    Uferlehnen    ein.     Der    /         <  - 
zahllosen  Quellen  und  Bäche  wollen  wir  ebensowenig  wie  der  stets  an-      ^''"  ''^  ^"^"^ 
muthigen  Landschaft  gedenken,    die    in    den    dominirenden   Zacken  des 
Kom   und  Zelentin  einen  würdigen   Hintergrund  findet.     Dort,    wo    sich 
das  klare  Wasser  nach  Aufnahme  der  Kucka  Rijeka  in  scharfem  Bogen  r  yy 


170 


Von  Andriievica  nach  Berani   und  über  Kolasin  zurück  nach  Podgorica. 


nordwärts  wendet,  heisst  es  Zlorjecica,  und  noch  5  Kilometer  waren 
in  dieser  nicht  minder  anheimelnden,  gut  bewohnten  Gegend  mit  monte- 
negrinischer Geschwindigkeit  zu  durchmessen,  bis  einige  Häuschen  auf- 
tauchten. »Andrijevica !«  riefen  meine  Begleiter,  und  voller  Erwartungen 
umging  ich  den  niederen  Hügel,  der  die  freie  Aussicht  verhinderte.  Nach 
wenigen  Minuten  standen  wir  vor  dem  kleinen  Grenzstädtchen,  ein 
letzter  Händedruck  galt  unseren  beiden  Kuci.  und  wir  eilten  in  die 
einfache  Locanda  hinauf. 


16.  Capitel. 

Von  Andrijevica  nach  Berani    und   über  Kolasin 
zurück  nach  Podgorica. 


Andrijevica  (S27  Meter),  der  Endpunkt  einer  montenegrinischen 
Telegraphenlinie,  zählt  höchstens  200  Einwohner,  gilt  aber  als  eine  Stadt, 
weil  seine  Gebäude  sich  zu  einer  breiten,  mit  grünen  Laternen  gezierten 
Strasse  zusammenschliessen.  Die  vor  wenigen  Jahren  vollendete  Kirche 
ist  etwa  fünf  Minuten  vom  Orte  enfernt,  unter  dessen  Häusern  das 
stattlichste  und  massivste  dem  Vojvoda  Tomaso  gehört.  Die  Lage  von 
Andrijevica  gleicht  vielfach  der  von  Kolasin.  Es  wurde  auf  einer  hohen 
Flussterrasse  des  Lim  am  Rande  einer  nicht  sehr  ausgedehnten  Thal- 
weitung gegründet,  die  aus  einer  engen  Schlucht  hervorgeht  und  sich 
wiederum  zu  einer  solchen  verschmälert.  Sanft  geformte,  mit  Wald, 
Wiesen  und  Feldern  bedeckte  Berge  schützen  rings  die  Niederung.  Die 
Eiche  ist  für  jenes  Gebiet  charakteristisch  und  bildet  umfangreiche  Be- 
stände, die  jedoch  nicht  hochstämmig  werden  können,  weil  die  gefrässi- 
gen  Ziegen  mit  \'orliebe  den  jungen  Trieben  nachstellen  und  weil  der 
Mensch  in  Ermangelung  genügender  Heuvorräthe  die  zarten  Aeste  ab- 
schneidet. 

Da  es  zu  verlockend  schien,  türkische  Zustände  kennen  zu  lernen, 
so  plante  ich  einen  Ausflug  nach  Berani,  der  nächsten  Grenzstadt  des 
türkischen  Sandsaks  Novibazar.  Der  liebenswürdige  Kapetan  Jevrem 
Bakic    stellte    mir    einen    Gendarmen    zur    \'erfüs:uns:   und    sab   uns  ein 


Von  Andrijevica  nach  Berani  und  über  Kolasin  zurück  nach   Podirorica. 


171 


Schreiben  an  den  Kaimakam  mit,  worin  er  Zeitdauer  und  Zweck 
unseres  durchaus  harmlosen  Besuches  mittheilte.  Savo  Bjelica,  ein 
\"erwandter  meines  Marko,  wechselte  uns  etwas  türkisches  Geld  ein, 
und  dem  Wirth  gab  ich  meine  Barschaft  in  Verwahrung.  Montenegro 
besitzt  keine  eigene  Münze;  italienische  und  französische  Goldstücke, 
türkisches  Silbergeld  (Medzidie)  und  vor  allem  österreichische  Geldstücke 
sind  im  Umlauf.  Ausserdem  cursieren  sehr  viele  sogenannte  Zwanziger, 


Andrijevica. 

die    in    der   Crnagora    und  den  meisten   Orten  Bosniens  33'  Kreuzer,  in 
manchen  Städten,  z.   B.   Foca  aber  nur  30  Kreuzer  gelten. 

Es  war  ein  klarer  Sonntagsmorgen,  und  die  Uhr  zeigte  noch 
nicht  Sechs,  als  wir  am  13.  September  mit  unserm  militärischen 
Begleiter  Ivan  das  Städtchen  verliessen.  Ein  lindes  Lüftchen  spielte 
mit  der  herbstlichen  Natur,  und  wir  schritten  bald  auf  den  links- 
seitigen Terrassen,  bald  im  Thale  des  luftig  dahinplätschernden  Lim 
unserem  interessanten  Ziele  zu.  Nach  einer  guten  Stunde  hatten  N\'ir 
das  kleine  von  Aeckern  und  Pflaumenbäumen  erfüllte  Becken  von 
Trebca  (745  Meter)  erreicht  und  stärkten  uns  im  russigen  Han  mit 
einigen   Gläschen  Slivovic.     Nach    15    Minuten   brachen  wir  wieder    auf, 


172  ^'on  Andrijevica  nach  Berani  und  über  Kolasin  zurück  nach  Podgorica, 

und  höher  wuchs  unsere  Neugierde,  denn  von  grüner  Bergeshöhe  winkte 
das  erste  türkische  Wachthaus  herab.  Nicht  lange,  so  stelUen  sich  die  kunst- 
los aus  Steinen  aufgethürmten  Grenzpyramiden  ein,  und  die  breite  Ebene 
von  Berani  entrollte  sich  vor  uns.  Sie  war  von  massig  bewaldeten  Berg- 
ketten umrahmt,  auf  denen  weisse  Kulas  sichtbar  wurden,  und  den  Ein- 
gang beherrschte  ein  grosses  kreisrundes  Fort.  Ein  Vorposten  sass,  das 
Gewehr  an  einen  Pfeiler  gelehnt,  gemächlich  unter  einer  Laube,  und 
abseits  von  ihm  war  eine  Abtheilung  Soldaten  mit  Freiübungen  be- 
griffen. 

Die  Ebene  ist  noch  lange  nicht  in  dem  Masse  bebaut,  wie  ihr 
fruchtbares  Schwemmland  es  verdient.  Sie  wird  von  zahlreichen  Bächen 
durchschnitten  und  ist  vor  den  Ueberschwemmungen  des  Lim  gesichert, 
weil  sich  dieser  ein  tiefes  Bett  gegraben  hat,  das  mitunter  zwei  sich 
genau  entsprechende  Reihen  von  Terrassen  besitzt.  Der  Boden  ist,  nach 
den  ihn  zusammensetzenden  Gerollen  zu  urtheilen,  wohl  der  Grund 
eines  alten  Seebeckens. 

Kurz  nach  g  Uhr  zogen  wir  in  Berani  (745  Meter)  ein,  neugierig 
betrachtet  von  den  Stadtbewohnern,  Türken,  Serben,  Albanesen,  und 
von  den  zahlreichen  Soldaten.*)  Ich  habe  nie  einen  zerlumpteren  und 
tüchtigeren  Soldaten  gesehen  als  den  türkischen.  Die  Officiere  waren 
sauber  gekleidet;  aber  die  verschossenen  Uniformen  der  Gemeinen  und 
der  vielfarbige  und  vielgestaltige  Fez  schillerten  in  allen  Abstufungen 
von  Blau,  Grün  und  Roth.  Hosen  und  Waffenrock  waren  trotz  ihres  Flick- 
werkes so  zerrissen,  dass  die  nackten  Füsse  und  Ellenbogen  aus  grossen 
Löchern  hervorschauten;  ja  einige  mussten  sich  mit  Civilkleidern  und 
zusammengenähten  Säcken  begnügen.  Die  einen  gingen  in  Stiefeln, 
die  anderen  in  Schuhen,  die  dritten  in  Opanken,  die  mit  wenigen  Aus- 
nahmen ebenfalls  so  abgenutzt  waren,  dass  die  durch  keinen  Strumpf 
verhüllten  Füsse  einen  nicht  gerade  ästhetischen  Anblick  darboten. 

Bei  einem  serbischen  Kaufmanne  Hessen  wir  unsere  Waffen  zu- 
rück und  begaben  uns  zum  Kaimakam,  um  unsere  Ankunft  anzumelden. 
Im  Gerichtszimmer,  einer  niedrigen  Kammer,  die  ausser  zerrissenen  Ta- 
peten, einigen  Tischen  und  Bänken  keinen  Schmuck  besass,  war  die 
Gerichtsbarkeit  bereits  vollzählig  versammelt.  Gemäss  der  türkischen 
Etiquette  traten  wir  bedeckten   Hauptes  ein,   machten  statt  des  Grusses 


'•')  V'ielfach  werden  Berani  und  Bijelopolje  fälschlich  zu  den  Städten  des  Sandsaks 
gezählt,  die  von  Oesterreich  besetzt  sind.  Nur  in  Plevlje,  Prijepolje  und  Priboj  liegen 
gemeinsame  österreichische  und  türkische  Garnisonen,  in  allen  übrigen  Orten  steht 
ausschliesslich  türkisches  Militär. 


Von  Andrijevica  nach  Berani   und   über  Kolasin  zurück  nach  Podgorica 


/^ 


mit  der  rechten  Hand  ein  Zeichen  auf  Kopf  und  Brust  und  setzten  uns, 
worauf  ein  Diener  ungezuckerten  schwarzen  Kaffee  und  die  unvermeid- 
lichen Cigaretten  brachte.  Darauf  überreichten  wir  unsere  Papiere.  Aber, 
o  wehe,  die  hochwohlweisen  Herren  waren  wohl  der  serbischen  Sprache, 
nicht  jedoch  der  serbischen  Schrift  kundig;  und  da  sie  unseren  Gen- 
darmen in  übergrossem  Misstrauen  das  Schreiben  nicht  vorlesen  lassen 
wollten,  so  dauerte  es  eine  gute  Viertelstunde,  bis  sie  einen  des  Lesens 
kundig:en  Mann  nach  ihrer  Art    .srefunden    hatten.     Der   wieder    konnte 


Die  Jerinja  Glava  bei  Andrijevica. 


die  lateinischen  Buchstaben  nicht  entziffern,  und  daher  richteten  die 
Beamten  eine  Unmenge  Kreuz-  und  Querfragen  an  mich.  Was  will  der 
Fremde  in  unserem  Lande?  Wie  lange  denkt  er  hier  zu  bleiben,  und 
woher  kommt  er?  Spricht  er  die  französische  Sprache,  und  ist  er  ein 
Russe  oder  Franzose?  Es  hatte  sich  nämlich  das  Gerücht  verbreitet,  dass 
Russland  für  die  noch  immer  nicht  getilgte  Kriegsschuld  das  Sandsak 
verlangen  und  zwischen  Serbien  und  ISIontenegro  theilen  wollte.  Was 
Wunder,  dass  ich  gleich  für  einen  Spion  galt,  der  nur  gekommen  war, 
um   sich  das  Land  anzuschauen  und  darüber  den  verhassten  Moskovitern 


174  ^'^'^  Andrijevica  nacli  Berani   und   über  Kolasin   zurück  nach  Podgorica. 

ZU  berichten?  »Aber  Herren  des  Gerichtes,  begann  jetzt  der  Mann,  der 
unsere  Pässe  vorgelesen,  was  fragt  ihr  den  Reisenden  so  aus?  In 
Deutschland  reisen  auch  viele  Türken,  und  Keiner  unterzieht  sie  einem 
so  peinlichen  Verhöre  wie  ihr!«  Diese  Worte  kümmerten  indessen  den 
würdigen  Kaimakam  Murad  Aga  Ganic  wenig ;  er  wollte  uns  sogar  einen 
Zaptieh  (Gendarmen)  als  Begleiter  oder  vielmehr  als  Wächter  mitgeben, 
und  erst  auf  den  energischen  Protest  unseres  Ivan  verzichtete  er  auf  die 
uns  zugedachte  zweifelhafte  Ehre.  Wir  wurden  ohne  unsere  Pässe  ent- 
lassen, aber  fortwährend  folgte  uns  ein  Gerichtsdiener  nach  und  beob- 
achtete unsere  Bewegungen. 

Berani  zieht  sich  längs  des  breiten,  von  einer  wackeligen  Holz- 
brücke überspannten  Lim  hin  und  bietet  durchaus  nichts  Originelles. 
Die  Holzhäuser  zeigen  die  altbekannte  Bauart,  und  an  einer  niederen 
Kaserne,  einer  nüchternen  Moschee,  einem  von  einem  Kiosk  überdachten 
Brunnen  und  einigen  Feldschanzen  auf  der  rechtsseitigen  Höhe  lindet 
das  Auge  keine  grosse  Befriedigung.  Wir  gingen  dehalb  zur  Post,  um 
einige  Karten  zu  kaufen,  klopften  aber  vergebens  an,  da  man  sich  erst 
vergewissern  wollte,  ob  man  den  verdächtigen  Individuen  solche  aus- 
händigen dürfe.  Auf  eine  zweite  Anfrage  erhielten  wir  das  Gewünschte, 
doch  aus  dem  Schreiben  wurde  noch  immer  nichts.  Der  Kaimakam 
liess  mich  aufs  neue  zu  einem  peinlichen  Verhör  rufen ;  er  wollte 
wissen,  ob  ich  ein  eifriger  Politiker  sei  und  die  neuesten  Zeitungen  ge- 
lesen hätte,  was  ich  zu  den  Bündnissen  der  europäischen  Grossmächte 
meinte,  und  auf  welcher  Seite  der  Sultan  stünde.  Ich  antwortete  ihm. 
der  Sultan  stünde  zunächst  auf  keiner  Seite,  würde  aber  wahrschein- 
lich zu  uftserer  Allianz  halten  und  nahm  zugleich  die  Gelegenheit  wahr, 
unsere  Pässe  zu  verlangen.  Nunmehr,  nach  3  Stunden,  wurden  sie  uns 
zugestellt,  ohne  dass  ein  einziger  Federstrich  darinnen  gemacht  worden 
wäre,  und  ich  konnte  endlich  die  Postkarten  schreiben,  nachdem  ich 
den  Herrn  Kaimakam  noch  um  seine  gütige  Erlaubni«  gebeten  hatte. 

Nach  Mittaf]p  brachen  wir  zu  dem  nahen  Kloster  Djurdjevi  Stupovi 
(774  Meter)  auf,  das  schon  vor  dem  Unglückstage  von  Kosovo  ge- 
gründet sein  soll.  Kaum  hatten  wir  jedoch  das  Innere  der  Kirche  be- 
sichtigt, als  ein  Mann  serbischer  Nationalität  erschien  und  meinen  Be- 
gleitern zuflüsterte,  dass  der  Kaimakam  uns  mit  einer  Abtheilung  Sol- 
daten auf  der  Spur  sei.  Daher  eilten  wir,  Gewehr  und  Revolver  schuss- 
bereit, ohne  Zögern  der  Grenze  zu  und  athmeten  erst  erleichtert  auf, 
als  wir  den  gastlichen  Boden  Montenegros  wieder  betraten.  Bei  hellem 
Mondschein  trafen  wir  in  Andrijevica  ein,  und  ein  kräftiges  Nachtmahl 
beschloss  den   abenteuerlichen  Ta<T. 


Von  Andrijevica  nach  Berani   und  über  Kolasin  zurück   nach  Podgorica. 


/D 


Nach  einem  Ruhetage  wurde  am  14.  September  der  Marsch  quer 
über  das  Gebirge  nach  Kolasin  angetreten.  Da  wir  das  Dorf  Zabrdje 
(gi6  Meter)  durchwandern  mussten  und  unser  Kapetan  dort  sein  Haus 
besass,  so  scheute  er  den  einstündigen  Weg  nicht,  um  uns  abzuholen  und 
in  seiner  Familie  zu  bewirten.  Schwer  wurde  es  mir,  von  dem  wackeren 
Manne  zu  scheiden,  der,  wie  die  ordengeschmückte  Brust  zeigte,  in 
manchen  Stunden  der  Gefahr  seinem  Vaterlande  treu  gedient  hatte, 
ohne  über  dem  rauhen   Kriegerhandwerk  das  fein  fühlende  Herz  zu  ver- 


Der  Kljur,  von  Kolasin  aus. 

lieren.  Wir  stiegen  an  steilen,  mit  dünnästigen  Eichen  bedeckten  Schiefer- 
lehnen empor  und  waren  froh,  als  wir  die  Höhe  (13C0  Meter)  erklom- 
men hatten.  Stark  erodierte  Kalkreste  überlagerten  die  leicht  zer- 
fallenden Schiefer,  und  kleine  Häuser,  die  letzten  dauernd  besiedelten 
Wohnstätten,  umsäumten  ein  endloses  Buchendickicht.  Im  schattigen 
Hochwalde  kamen  wir  zur  schmalen  Schlucht  der  klaren  Gradisnica, 
die  bei  Trebca  in  den  Lim  mündet.  Machten  am  Rande  des  Plateaus 
—  denn  ein  solches  stellte  das  weite  Gebiet  dar  —  die  Eichen  und 
Herlitzensträucher  den  Buchen  Platz,  so  stritten  sich  diese  hier  mit 
schlanken  Fichten  um  die  Herrschaft,  bis  sie  schliesslich  wieder  vor- 
herrschten. 


l'jß  Von  Andrijevica  nach  Berani   und   über  KolaSin  zurück   nach  Podgorica. 

Doch  bald  verliess  der  Weg  das  anmuthige  Thälchen,  und  bis 
zum  breitrückigen  Kljuc  ging  es  unaufhaltsam  bergan.  Grüne  Wiesen 
und  schweigende  Wälder  wechselten  mit  luftigen  Kolibas  ab,  und  auf 
dem  weichen,  quellendurchtränkten  Erdreich  schritt  sichs  leicht  dahin, 
obgleich  das  beständige  Aufsteigen  einigermassen  anstrengte.  Eine  röth- 
liche  Kuppe  wurde  unser  Markstein,  und  als  wir  neben  ihr  standen, 
blickten  wir  rechts  in  die  tiefe  Jelovica-Rinne  hinab.  Die  wellige  Hoch- 
fläche bildete  eine  Wasserscheide  zwischen  Lim  und  Tara,  und  die 
beiderseitigen  Quellbäche  hatten  enge  Schluchten  in  das  Plateau  ge- 
rissen. Nun  gelangten  wir  in  das  grasige  Krivi  Do,  das  trotz  seiner 
bedeutenden  Meereshöhe  (1900  Meter)  von  zahlreichen  Sennhütten  be- 
lebt ward,  und  endlich  war  der  Kljuc  nicht  mehr  weit.  Stark  verwitterter 
Diabas  stand  dort  an,  und  der  Kalk  gewann  für  ein  kurzes  Stück  eine 
ziemliche  Mächtigkeit.  Die  Conturen  des  Tara-Thales  traten  deutlicher 
hervor,  und  unser  imposanter  Begleiter,  der  Kom,  verschwand  allmählich. 
Gottlob,  jetzt  senkte  sich  der  waldige  Hang,  dauernd  bewohnte  Häuser 
fanden  sich  wieder  ein,  und  die  Stiahlen  der  scheidenden  Sonne  be- 
leuchteten das  kleine  Kolasin.  Als  wir  den  Thalgrund  betraten,  war 
es  Nacht  geworden,  und  beim  Sternenschein  hielten  wir  vor  der  Lo- 
canda.  Die  Nachricht  von  unserer  Ankunft  verbreitete  sich  rasch,  und 
noch  am  späten  Abend  kamen  die  Freunde,  darunter  der  fein  gebildete 
Stadt-Kapetan  Bogdan  Memedovic  Drobnjak  und  unser  alter  Bekannter 
Pope  Michail  aus  Polje,  um  uns  zu  besuchen. 

Drei  Tage  waren  Kolasin  gewidmet,  und  am  ig.  September  über- 
schritten wir  das  wasserarme  Geröllbett  der  Tara.  Djordjijo  Stanic  ge- 
leitete uns  als  Getreuester  von  Allen  ein  Stück,  und  dann  lenkten  wir. 
uns  selbst  überlassen,  in  die  schmale  Bachschlucht  der  Bistrica  ein, 
die  durchaus  in  den  Rahmen  der  reizenden  Landschaften  Südost-Mon- 
tenegros passte.  Ein  mahnendes  Zeichen  des  Todes  unterbrach  das 
frohe  Bild  des  Lebens.  Im  friedlichen  Walde  waren  zwei  Gräber  ver- 
borgen, in  denen  mehrere  Crnogorcen  ruhten.  Noch  vor  15  Jahren 
durchtobte  der  Guerillakrieg  das  kleine  Thal,  da  unweit  desselben  die 
viel  umstrittene  Grenze  verlief.  Wir  begegneten  einem  Trupp  serbischer 
Zigeuner,  die  wie  alle  ihre  Stammesgenossen  mit  Stehlen,  Betteln, 
Wahrsagen  und  dem  Schmiedehandwerk  ihr  unstätes  Leben  fristen  und 
uns  sofort  um  Tabak  oder  ein  Geldgeschenk  angingen.  Der  bequeme 
Pfad  führte  in  dem  leider  rasch  endigenden  Thale  auf  die  schmale 
Wasserscheide  zwischen  Tara  und  Moraca;  und  überraschend,  wenn 
auch  etwas  beschränkt,  war  die  Fernsicht,  die  sich  dort  oben  eröft- 
nete.  Die  regelmässigen  Bergformen  der  vielgipfeligen  Moracko  Gradiste 


Von  Andrijevica  nach  Berani   und   über  Kolasin  /.urück  nach  Podgorica. 


177 


versperrten  den  Blick  nach  Norden,  und  ihr  gegenüber  thürmte  sich 
die  wilde  Mauer  des  Tali  und  der  tafelartigen  Kapa  Moracka  auf.  Noch 
einige  Minuten,  da  fällt  der  schroffe  Hang  wohl  1000  Meter  tief  zur 
Moraca  ab,  und  aus  ihrem  waldumsäumten  Grunde  leuchtet  das  Monastir 
Moracki  herauf. 

Nun  stiegen  wir  an  den  Schieferlehnen  ab,  deren  Wasserrisse  wir 
öfters  in  grossen  Bögen  umgehen  mussten,  und  betraten  nach  Passi- 
rung  der  Dörfer  Ravni  (1002  Meter)  und  Bare-Djurdjevine  (642  Meter)  die 


Die  Vucje  (Moracko  GradiJte)  von  Kolasin  aus. 


fruchtbaren  Uferlandschaften  der  Moraca.  Auch  hier  räumen  die  Buchen 
vor  den  Eichen  das  Feld,  stattliche  Herlitzen-,  Pflaumen-  und  Nuss- 
bäume  mischen  sich  unter  die  unabsehbaren  Bestände,  und  alle  Ge- 
treidearten gedeihen  vortrefflich.  In  wohlgepflegten  Obst-  und  Gemüse- 
gärten rankt  sich  die  Melone  am  Boden  hin,  und  erst  oberhalb  Bare 
endet  das  Reich  des  Weinstockes.  Isolirte  Kalkfetzen,  welche  in  die 
paläozoischen  Schiefer  eingelagert  sind,  verschlechtern  stellenweise  den 
aufgewühlten  Pfad,  der  sich  wegen  der  überhand  nehmenden  Steilheit 
des  Abhanges  zu  kleinen  Zickzacken  auflöst  und  an  der  schroffwan- 
digen  Mündung  eines  Baches  den   Hauptstrom  erreicht.    Auch  er  hatte 

Hassert.   Reise  durch  Montenegro.  12 


178  ^  o^  Andriievica  nach  L'erani  und  über  Kolaäin  zurück  nach  Podgorica. 

sich  in  die  verbackenen  Geröllmassen  eingegraben,  die  längs  der  Mo- 
raca  bis  Podgorica  zu  beobachten  sind  und  das  einstige  Niveau  des 
Wasserspiegels  andeuten.  Im  Popenhause  zu  Medjurec  (232  Meter) 
Avurden  wir  gastlich  aufgenommen,  und  das  muntere,  aufgeweckte 
Söhnlein  des  Hauses  konnte  nicht  genug  Fragen  an  mich  richten.  Was 
Küche  und  Garten  aufbieten  konnten,  wurde  uns  vorgesetzt ;  und  da 
sich  eine  milde  Nacht  über  das  Thal  breitete,  so  schlugen  wir  unser 
Lager  auf  der  schmalen  \^eranda  auf. 

Medjurec  führt  seinen  Namen  »Zwischen  den  Flüssen«  nicht  um- 
sonst, weil  es  zwischen  der  Moraca  und  der  hier  ausmündenden  Aht- 
vica  liegt.  Die  letztere  braust  aus  einem  gähnenden  Schlund  hervor, 
der  sich  mit  senkrechten  Wänden  im  Gebirge  verliert  und  dessen  Ober- 
lauf wir  früher  besuchten.  Auch  die  Ufer  der  Moraca  werden  zusehends 
wilder,  ihr  Canon-Charakter  prägt  sich  immer  mehr  aus,  und  bald  bietet 
das  Thal  nur  noch  für  den  forellenreichen,  grünen  Fluss  Raum.  Selten 
kann  man  an  den  Conglomeratbänken  hinabklettern,  und  zeitraubende 
Umwege  sind  nothwendig,  um  hinüber  und  herüber  zu  kommen.  So  ge- 
niesst  die  Moraca  den  Ruhm,  der  grösste  Strom  Montenegros  zu  sein,  wirth- 
schaftlich  aber  ist  sie  von  sehr  geringem  Werthe,  und  die  breite  Zeta- 
Ebene  bildet  den  Lebensnerv  des  armen,  unfruchtbaren  Ländchens.  Im 
mittel-montenegrinischen  Rarste  empfängt  jene  von  der  Sjevernica  bis 
zur  Mala  Rijeka  keinen  Nebenfluss  mehr.  Die  kurzlebigen  Giessbäche 
trocknen  sehr  bald  aus,  und  in  besonders  regenarmen  Jahren  trifft  ihren 
Mutterstrom  dasselbe  Schicksal.  So  wirkt  die  unwirthliche  Gegend  be- 
klemmend und  niederdrückend,  weil  sie  dem  Menschen  feindlich  gegen- 
übersteht und  weil  die  hohen  Bergketten  beängstigend  nahe  zusammen- 
treten. Deshalb  gehört  das  weite  Gebiet  zu  den  wenigst  bekannten  und 
unzugänglichsten  von  ganz  Montenegro,  und  nur  zwei  Wege  vermitteln 
den  Verkehr  zwischen  dem  Zeta-Thale  und  der  reichen  Gornje  Moraca. 
Der  eine  führt  durch  die  Kessel  von  Kobilje  und  Radovce  über  das 
wasser-  und  menschenarme  Plateau  von  Central-Montenegro  zu  einem 
Passe  zwischen  Kamenik  und  Maganik  und  senkt  sich  bei  Medjurec 
steil  zur  Moraca.  Der  zweite  benutzt  die  Moraca  bis  zum  Brotnik, 
klimmt  an  ihm  empor  und  steigt  ebenfalls  zu  jenem  Dorfe  hinab,  wo 
eine  vom  Fürsten  Danilo  erbaute  Steinbrücke    die  Mrtvica    überspannt. 

Als  wir  unsere  Augen  prüfend  über  die  himmelan  strebenden 
Felsen  gleiten  Hessen,  begannen  wir  mit  nicht  gerade  angenehmen  Ge- 
fühlen unsere  Wanderung,  die  ich  zu  einer  der  beschwerlichsten  auf 
meiner  Reise  rechne.  Der  hoffnungsvolle  Sprössling  des  Popen  wies 
uns  eine  Furt,  zu  der  wir  uns  auf  einem  kaum  fussbreiten  Steige  hinab- 


\'on  Andrijevica  nach  Berani  und  über  KoIa§in   zurück  nach  Pod^orica. 


1/9 


arbeiteten.  x\m  jenseitigen  Steilufer  gelangten  wir  bald  zu  dem  kleinen 
Becken  von  Gunjen.  Ein  tiefer  Bachriss  stürzte  vom  waldigen  Gebirge 
herab,  und  hoch  über  seinem  Bett  waren  dieselben  Conglomerate  auf- 
geschichtet wie  an  der  Moraca,  eine  Erscheinung,  die  im  Verein  mit 
der  Umgebung  für  die  einstige  Anwesenheit  eines  Sees  spricht. 

Nun  nahm  die  sauere  Kletterei  ihren  Anfang,  denn  bis  zur  ersten 
Ortschaft,  Andrijevo.  kam  auf  3  Meter  Weglänge  i  Meter  Steigung.  Ob- 
wohl kräftige  Buchen  sich   zu  einem  dichten  Walde  zusammenschlössen, 


Tali  und  Kapa  Moracka  (Quellgebiet  der  Moraüa). 


brannte  die  Sonne  mit  voller  Kraft  in  den  engen  Mulden  und  liess  die 
Luftwärme  bis  -j-  25 "  C.  anwachsen.  Als  wir  die  wenigen  Häuser  von 
Andrijevo  1615  Meterj  erreichten,  hatte  der  Kalk  und  mit  ihm  die 
Verkarstung  schon  so  überhand  genommen,  dass  nur  noch  die  unteren 
Theile  des  Gebirges  aus  Schiefer  bestanden  und  obendrein  vielfach  von 
den  abgebröckelten  Kalktrümmern  überschüttet  waren.  Als  der  Weiler 
Bogutov  Do  (670  Meter)  in  Sicht  kam,  glaubten  wir,  das  Schwerste 
hinter  uns  zu  haben ;  aber  leider  hatten  wir  uns  getäuscht  und  mussten 
nochmals  200  Meter  überwinden.  Keuchend  stiegen  wir  in  einer  wal- 
digen Schlucht  an,  die  kein   Ende    nehmen    wollte,    während    der    Pfad 

12* 


l8o  ^o"  Andrijevica  nach  Berani   und   über  Kolasin  zurück  nach  Podgorica. 

von  Minute  zu  Minute  schlechter  ward  und  Quellen  schon  längst  zu  den 
unbekannten  Dingen  gehörten.  Aus  dem  Buchengewirr  tauchte  ein  läng- 
liches Polje,  das  Jasenov  Do  (Eschenthal,  892  Meter),  mit  wogenden 
Maisfeldern  und  einigen  Bauernhäuschen  auf.  Wasser  gab  es  in  der 
Nähe  nicht,  denn  was  half  die  in  Luftlinie  kaum  i  Kilometer  entfernte 
Moraca,  wenn  sie  in  einem  unerreichbaren,  800  Meter  tiefen  Grunde  dahin- 
floss?  So  mussten  die  armen  Hirten  i '/2  Stunden,  wie  sie  sagten,  nach 
dem  unersetzlichen  Nass  laufen ;  und  wer  die  montenegrinischen  Zeit- 
masse schätzen  gelernt  hat,  der  weiss,  dass  sie  nach  unseren  Begriffen 
fast  das  Doppelte  bedeuten.  Um  den  Leuten,  die  mit  ihren  Aeckern 
beschäftigt  waren,  nicht  lästig  zu  fallen,  brachen  wir  nach  kurzer  Rast 
wieder  auf;  noch  100  Meter  wurden  zwischen  den  wild  verkarsteten 
Kalkhügeln  erklommen,  und  endlich  war  die  höchste  Stelle  des  Plateaus 
gewonnen,  zu  der  wir  so  sehnsuchtsvoll  emporgeschaut  hatten.  Da  die 
letzten  menschlichen  Wohnstätten  nicht  mehr  fern  waren,  so  legten 
wir  uns  in  einer  grasigen  Dolina  zu  einem  zweistündigen  Schlummer 
nieder,  den  wir  nach  den  Plagen  des  Vormittags  auch  verdient  zu  haben 
meinten.  Ein  frischer  Wind  weckte  uns  auf,  und  rasch  durcheilten 
wir  eine  neue  Mulde  namens  Sriete  (1036  Meter),  die  einige  voll- 
ständig zerfallene  Hütten  enthielt  und  seit  Jahren  nicht  mehr  benutzt 
zu  sein  schien.  Jetzt  standen  wir  auf  dem  sie  abschliessenden  Quer- 
riegel und  blickten  erstaunt  in  ein  drittes  Becken  hinab,  das  in  mancher 
Beziehung  an  die  Konjsko  Planina  oder  das  Bresno  Polje  erinnerte. 
Ihr  weiches,  mit  kurzem  Gras  bedecktes  Erdreich  ist  jedenfalls  der 
Rückstand  eines  alten  Karstsees,  dessen  Existenz  auch  die  auffallende 
Horizontalität  des  Bodens  und  die  regelmässige  Begrenzung  seiner 
Ränder  wahrscheinlich  macht.  Klüftige  Kalkberge  ziehen  sich  als  aus- 
gesprochenes Kettengebirge  längs  der  mittleren  Moraca  hin,  und  in  unser 
Polje  schaut  der  wilde  Kamenik  (der  Steinige)  herab.  Finsterer  Urwald 
erfüllt  hoch  hinauf  seine  Schluchten,  die  wilde  Thiere  in  Menge  beher- 
bergen und  aus  denen  die  Hirten  sich  ihren  Bedarf  an  Schnee  holen, 
da  das  anheimelnde  Trmanje  völlig  wasserlos  ist. 

Am  Beckenrande  von  Trmanje  lagen  Kolibas,  die  theils  nichts  anderes 
als  roh  aneinandergelegte  Windschirme  aus  Baumzweigen,  theils  dauer- 
hafte Holzhütten  waren.  Als  die  Niederung  nach  links  umbog,  fanden  wir 
sogar  einige  nach  allen  Regeln  der  montenegrinischen  Baukunst  er- 
richtete Steinhäuser,  die  sehr  stark  gebaut  waren,  weil  sie  auch  den 
strengen,  schneereichen  Winter  über  bewohnt  werden.  Eines  derselben 
war  Eigenthum  des  Kapetans,  und  wir  durften  bei  ihm  eines  freund- 
lichen Willkommens  sicher  sein.     Der    breitschulterige    Mann    lud    uns 


Von  Andrijevica  nach  Berani  und  über  Kolasin   zurück   nach   Podgorica.  j  8  i 

mit  kräftigem  Händedruck  zum  Nähertreten  ein  und  stellte  uns  seine 
Frau  vor,  die  sich  sofort  in  ihre  besten  Kleider  warf.  Alsbald  liess  er 
ein  Lamm  schlachten  und  führte  uns  in  das  einfache  Wohnzimmer.  In 
den  gedielten  Fussboden  war  eine  viereckige  Feuerstelle  eingemauert, 
an  den  weiss  getünchten  Wänden  hingen  Waffen  und  Wirthschaftsge- 
räthe,  und  eine  anstossende  Kammer  enthielt  ein  breites  Bett,  das  so- 
fort für  mich  bestimmt  wurde. 

Waren  wir  gestern  in  Luftlinie  höchstens  12  Kilometer  vorwärts 
gekommen,  so  legten  wir  heute  trotz  des  erbärmlichen  Weges  mehr 
als  das  Doppelte  zurück,  weil  wir  beständig  bergab  gingen.  Unser 
Kapetan  war  nicht  zu  bewegen,  irgendwelche  Bezahlung  anzunehmen ; 
er  entschuldigie  sich  sogar,  dass  er  uns  nicht  mehr  bieten  konnte.  Nach 
wenigen  Minuten  waren  wir  in  dem  urwaldartigen  Buchendickicht  ver- 
schwunden, das  ein  unregelmässiges  Dolinenthal  überwucherte.  Da  der 
Himmel  stark  umwölkt  war  und  zuweilen  feine  Regentropfen  nieder- 
fielen, so  sprangen  wir  eilends  von  Stein  zu  Stein,  bis  wir  an  eine 
Stelle  gelangten,  wo  der  vorgelagerte  niedrige  Gebirgskamm  endete  und 
das  Gebiet  jenseits  der  Moraca  enthüllte.  Wieder  sahen  wir  die  Stein- 
wüsten des  Kuci-Landes,  den  Kom,  den  Vjeternik,  die  Ebene  von  Pod- 
gorica und  den  glänzenden  Streifen  des  Scutari-Sees,  Messerscharf  war 
der  Moraca-Canon  in  das  Plateau  eingeschnitten,  und  in  flachem  Bogen 
führte  der  Weg  am  schroffen  Brotnik  zu  Thal.  Statt  der  Buchen  stellten 
sich  rasch  Eichen  ein,  aber  es  waren  keine  kräftigen  Bäume  mehr, 
sondern  kümmerliches  Gestrüpp  bedeckte  die  dünnbankigen  Kalke.  Der 
Pfad  spottete  aller  Beschreibung,  denn  er  führte  durch  ein  endloses 
Karrenfeld,  und  nur  derjenige,  der  die  Wanderung  durch  ein  solches 
aus  eigener  Erfahrung  kennt,  vermag  sich  von  den  mit  ihr  verbunde- 
nen Mühseligkeiten  einen  Begriff  zu  machen.  In  Begleitung  mehrerer 
Hirten  kamen  wir  zu  einer  ergiebigen  Cisterne,  und  dann  stand  uns 
noch  ein  ermüdender,  jäher  Abstieg  bevor.  Die  Füsse  schmerzten  uns 
und  die  Knie  zitterten  infolge  der  stundenlangen  Anstrengungen,  als 
wir  um  1 1  Uhr  das  Thal  betraten.  Wohl  konnten  wir  fortan  ganz  anders 
ausschreiten  als  auf  dem  hindernden  Karste,  aber  doch  fanden  wir  auf 
dem   unebenen,  steinigen   Grunde  die    gehoffte   Erleichterung    nicht. 

Die  Moraca  ist  von  Polje  bis  Podgorica  mit  verbackenen  Geröll- 
schichten hoch  angefüllt,  in  welche  sich  der  reissende  Strom  eine 
schmale  Rinne  gegraben  hat.  Die  Humusdecke,  welche  dieses  Stein- 
feld überlagert,  ist  an  verhältnismässig  wenigen  Stellen  von  einiger 
Mächtigkeit  und  kann  auch  in  dieser  Beziehung  nicht  mit  der  Zeta- 
Ebene  wetteifern.     Nicht  allzu  oft  treten  die  Bergketten  beiderseits  des 


l82  Von  Andrijevica  nach  Berani  und   über  Kolasin  zurück  nach  Podgorica, 

Flusses  zurück  und  lassen  mehrere  kettenförmig  aneinander  gereihte 
Becken  frei,  in  denen  die  vielgewundene  Moraca  hin-  und  herläuft  und 
wegen  ihrer  brückenlosen  Steilwände  zu  unliebsamen  Umwegen  nöthigt. 
Diese  Kessel  hingen  früher  nicht  zusammen,  bis  sie  der  schäumende 
Gebirgsstrom  durchbrach,  zu  Karstseen  umwandelte  und  seine  Gerolle 
in  ihnen  absetzte,  sich  dann  wieder  in  letztere  einschnitt  und  endlich 
nach  Ausarbeitung  einer  6  Kilometer  langen  Enge  ungehindert  zur  Zeta- 
Niederung  abfliessen  konnte. 

Das  kleine  Becken  am  Fusse  des  Brotnik  war  bald  durchmessen, 
und  über  einen  niedrigen  Riegel  stiegen  wir  in  einen  grösseren  Kessel 
ab,  der  einige  Dörfchen  und  das  ehrwürdige  Kloster  Duga  (137  Meter) 
beherbergte.  Die  ihn  umrandenden  Berge  verdienten  um  deswillen  Be- 
achtung, weil  Tietze  hier  die  Grenze  zwischen  Trias  und  Kreide  ver- 
muthete.  /\eusserlich  war  nichts  wahrzunehmen,  aber  30  Minuten  unter- 
halb des  Klosters  lag  am  unteren  Gehänge  der  rechtsseitigen  Berg- 
mauer ein  grosser,  mit  Rudisten  gespickter  Block.  Da  der  Regen  ge- 
nauere Untersuchungen  verbot  und  die  Fossilien  bloss  noch  in  undeut- 
lichen Exemplaren  auftraten,  so  gewährten  die  für  die  Kreide  so  cha- 
rakteristischen bituminösen  Ausschwitzungen  bei  Bijoce  einen  um  so  will- 
kommeneren Anhalt.  Vermuthlich  war  das  Kalkstück  aus  der  Höhe 
herabgefallen;  demnach  überlagern  die  Kreidekalke  die  sich  auskeilenden 
Schichten  der  Triaskalke,  und  die  von  Tietze  gezogene  Formationsgrenze 
wäre  hier  wie  zwischen  Medun  und  Ubli  nur  um  wenige  Kilometer  nach 
Süden  zu  verschieben. 

Feigenbäume,  Granatäpfel  und  andere  südliche  Pflanzen  zierten 
bereits  den  heissen  Kessel  von  Duga.  Eben  wollten  wir  am  Dörfchen 
Sviba  vorübereilen,  als  der  Zuruf  eines  Eingeborenen  unsere  Schritte 
hemmte.  »Halt,  Zigeuner,  wo  wollt  Ihr  hin?«  herrschte  uns  der  naive 
Montenegriner  an,  der  uns  vermuthlich  wegen  unseres  Gepäckes  für 
Angehörige  jenes  missachteten  Volkes  hielt.  Erstaunt  blieben  wir  stehen. 
In  Zabrdje  galten  wir  wenigstens  bloss  für  Holzfäller,  und  die  Leute 
beeilten  sich,  uns  die  Stellen  anzugeben,  wo  die  besten  Bäume  wuchsen ; 
dass  wir  aber  Zigeuner  sein  sollten,  das  war  meinem  Marko  ausser 
Spass.  »Was  sagst  Du?«  antwortete  er  in  hellem  Zorne,  »dieser  Herr 
ist  ein  Russe,  und  ich  bin  ein  Crnogorce !«  »Entschuldigt,  dass  ich  mich 
so  irren  konnte!«  tönte  es  zurück,  und  im  Nu  verschwand  der  unbe- 
rufene Frager  hinter  einem   Zaun. 

Trotzdem  die  Sonne  vergebens  das  Gewölk  zu  durchdringen  strebte, 
herrschte  eine  drückende  Schwüle,  und  der  Durst  plagte  uns  sehr.  Wohl 
gingen  w'ir  immer  neben  dem  Wasser  hin,  aber  wir  konnten    nicht    zu 


Von  Andrijevica  nach  Berani  und  über  Kolaäin  zurück  nach  Podgorica.  l8^ 

ihm  hinabsteigen  und^  setzten  unsere  Hoffnung  auf  einen  Bachriss,  der 
das  Polje  durchquerte  und  in  die  Moraca  mündete.  Doch  nicht  genug, 
dass  er  für  den  freien  Weg  ein  unerwünschtes  Hinderniss  bedeutete, 
er  war  auch  vollkommen  ausgetrocknet,  und  verstimmt  durchmassen 
wir  die  schroffwandige  Rinne,  die  über  8  Meter  tief  in  die  Conglomerate 
eingewühlt  war,  ohne  deren  Grund  erreicht  zu  haben.  Endlich  be- 
merkten wir  dort,  wo  das  Becken  sich  verschmälerte,  einen  zum  Wasser 
fuhrenden  Steig.  Als  Trinkgefäss  dienten  meine  noch  ungebrauchten 
türkischen  Schuhe,  und  Marko  brachte  in  ihnen  so  schnell  als  möglich 
das  kühle  Nass  herauf. 

Der  Querwall,  der  den  Kessel  von  Duga  von  der  noch  ausgedehn- 
teren Mulde  von  Bijoce  trennte,  ward  auf  einem  senkrecht  über  dem 
Flusse  verlaufenden  Pfade  überwunden,  und  um  2  Uhr  passirten  wir 
die  wohlbekannte  Brücke  von  Bijoce.  Die  W^olken  hatten  sich  immer 
dichter  zusammengezogen,  gewitterhaftes  Dunkel  lastete  über  der  er- 
schlafften Natur,  und  endlich  verwandelte  sich  der  feine  Niederschlag, 
der  mit  grösseren  Unterbrechungen  bereits  seit  7  Uhr  Morgens  an- 
hielt, in  einen  wolkenbruchartigen  Platzregen,  um  erst  gegen  '/o^  Uhr 
Abends  nachzulassen.  In  einer  Minute  w^aren  wir  vollständig  durchnässt, 
und  ehe  wir  den  Han  an  der  Mala  Rijeka  aufsuchten,  konnten  wir  in 
unseren  triefenden  Kleidern  auch  bis  Podgorica  eilen,  wo  uns  wenig- 
stens trockene  Wäsche  und  ein  behagliches  Zimmer  erwartete.  iVber 
wenn  nur  der  dreistündige  Weg  bis  dorthin  besser  gewesen  wäre,  denn, 
theilweise  in  den  Fels  eingesprengt,  war  er  mit  runden  und  eckigen  Ge- 
steinstrümmern wild  übersäet.  Bald  hingen  die  aufgeweichten  Opanken 
wie  Lappen  an  den  Füssen,  so  dass  ihre  dünnen  Sohlen  keinen  Schutz 
mehr  gewährten.  Bei  jedem  Schritte  fühlte  der  ohnehin  angestrengte 
Fuss  die  spitzen  Steine,  welche  das  widerstandslose  Schuhleder 
in  wenigen  Viertelstunden  zerschnitten.  Schweigend  und  uns  mit 
Gleichmuth  in  unser  Schicksal  fügend,  gingen  wir  nicht  mehr,  wir 
rannten  unbekümmert  um  die  hoch  aufspritzenden  Pfützen  vorwärts, 
bis  wir  an  einige  Häuser  oberhalb  Zlatica  kamen  und  in  einem  dersel" 
ben  ein  Weilchen  verschnauften.  Das  unfreundliche  Benehmen  seines 
Eigenthümers  trieb  uns  bald  wieder  fort,  und  von  neuem  versuchten 
wir  uns  an  dem  martervollen  Pfade,  der  nicht  besser  als  der  Weg  zx^v 
Hölle  war.  Endlich  verschwand  der  Spalt,  den  unsichtbare  Hände  in 
das  Gebirge  gemeisselt  zu  haben  schienen  und  der  noch  eben  den 
Fluss  einengte,  und  vor  uns  breitete  sich  die  unabsehbare  Ebene  von 
Podgorica  aus.  Zahlreiche  Montenegriner  kamen  lustig  plaudernd  vom 
Bazar  zurück  und   schienen  sich  wenig  um   das  Unwetter  zu  kümmern. 


iSj.  Der  Scutari-See. 

Unter  ihnen  begegneten  "wir  manchem  heben  Freunde  und  wechselten 
mit  jedem  einige  ^^'orte;  sonst  aber  hielten  wir  uns  nicht  auf  und 
langten  nach  2'/o-stündigem  Eilmarsche  ziemlich  erschöpft  vor  dem 
Hause  des  Ivo  Carevic  an. 


17.  Capitel. 

Der  Scutari-See. 


Heiterer  Sonnenschein  vergoldete  am  anderen  Morgen  die  Berge, 
und  wenige  Spuren  erinnerten  noch  an  den  wolkenbruchartigen  Guss 
des  gestrigen  Tages,  \^'ieder  herrschte  in  dem  weiten  Kessel  eine 
solche  Wärme,  dass  das  Thermometer  bis  -^  25  "  C.  stieg,  und  so  war 
es  an  jedem  unserer  drei  Rasttage,  von  denen  keiner  ohne  Gewitter 
und  heftige  Platzregen  vorüberging.  Ich  fürchtete  schon,  die  Zeit  der 
Herbstniederschläge  sei  gekommen,  aber  glücklicherweise  hielten  ihre 
mahnenden  \'orboten  nicht  lange  an,  und  bis  zu  meiner  Abreise  wurde 
ich  nur  noch  zweimal  von  ihnen  überrascht.  Sonst  verlief  unser  Auf- 
enthalt im  alten  Geleise,  und  nachdem  ich  mein  Gepäck  mit  Ausnahme 
des  photographischen  und  des  Tiefenlothungs-Apparates  nach  Cetinje 
vorausgesandt  hatte,  sagte  ich  am  24.  September  Podgorica    Lebewohl. 

Wieder  war  es  ein  drückend  heisser  Tag,  als  wir  auf  der  Fahr- 
strasse nach  Plavnica  einherschritten.  Beständig  begleiteten  uns  zur  Rechten 
die  Bergzüge  Alt-Montenegros,  zur  Linken  die  Albanesischen  Alpen,  und 
beiden  waren  isolirte  Rücken  vorgelagert,  die  sich  längs  des  Seerandes 
fortsetzten,  und,  soweit  sie  auf  dem  benachbarten  türkischen  Gebiete 
lagen,  von  Festungen  gekrönt  wurden.  Diese  Hügel  stellen  die  Reste 
ausgedehnter  und  vielleicht  zusammenhängender  Ketten  dar,  welche  der 
die  Ebene  einst  überfluthende  See  zerstörte.  Nach  dreistündigem 
Marsche  kamen  wir  an  die  friedliche  Kirche  Srpska  Crkva  und  an  die 
125  Schritte  lange  Bogenbrücke,  welche  die  vollkommen  wasserlose 
Cijevna  überspannt.  Hier  verliessen  wir  die  Fahrstrasse  und  schlugen 
einen  ihr  ungefähr  parallel  laufenden  Feldweg  ein.  Das  montenegrinische 
Element  wich  vor  dem  albanesischen  immer  mehr  zurück  und  war 
in    den   Dörfern,   die  wir  passirten,  bereits  in  der  Minderzahl.     U eberall 


Der  Scutari-See.  iSt 

begegneten  wiv  den  fleissigen  Bauern,  die,  auf  den  landesüblichen  Karren 
sitzend,  ihre  \'orräthe  einbrachten,  und  schon  von  weitem  war  das 
markdurchdringende  Geräusch  der  mannshohen,  roh  aus  Holzscheiben 
zusammengefügten  Räder  hörbar.  Die  Gerolle,  welche  den  oberen 
Theil  des  Polje  ausfüllten,  verschwanden  unter  einer  feinen  Humus- 
decke; die  Gegend  wurde  zusehends  fruchtbarer  und  gewährte  ein 
freundliches,  wenn  auch  nicht  gerade  interessantes  Landschaftsbild. 
Wiesen  und  Maisfelder  bildeten  ein  w^ogendes  Meer,  Obstbäume,  Maul- 
beerbäume und  die  bisher  nur  bei  Podgorica  beobachteten  Pappeln 
schlössen  sich  zu  kleinen  Gruppen  zusammen,  und  dichte  Hecken  aus 
Brombeersträuchern,  wildem  Wein,  Weissdorn  und  anderen  vielrankigen 
Zaungewächsen  umgaben  Häuser  und  Aecker  mit  einer  lebenden  Mauer. 
Abzugsgräben,  die  nach  allen  Richtungen  hin  den  Boden  durchkreuzten, 
hatten  den  Grund  der  mächtigen  Humusschicht  noch  lange  nicht  er- 
reicht, auch  in  den  2,  3  und  mehr  Meter  tiefen  Flussbetten  war  das 
anstehende  Gestein  nicht  erkennbar,  und  verwundert  fragte  man  sich  : 
Wo  ist  das  steinige  Montenegro,  wo  die  steinige  Umgebung  von  Pod- 
gorica geblieben? 

Hinter  dem  Kirchdorfe  Mahala  bringt  uns  der  Weg  an  die  Mo- 
raca;  ihr  wohl  300  Meter  breites  Bett  ist  mit  hell  leuchtenden  Ge- 
rollen hoch  angefüllt,  und  selten  stagniert  ein  Tümpel  schmutzigen 
Wassers  zwischen  dem  wilden  Trümmergewirr.  Wie  die  Cijevna,  so 
trocknet  auch  die  untere  Moraca  im  Hochsommer  aus,  weil  die  Zufuhr 
aus  dem  Sammelgebiete  zu  gering  ist,  um  das  breite  von  Gesteinsbruch- 
stücken verstopfte  Bett  des  Unterlaufes  zu  speisen.  Der  poröseKalk-  undCon- 
glomerat-Untergrund  verzehrt  schon  unterwegs  einen  grossen  Theil  des 
^^'assers,  und  erst  dort,  wo  die  Ueberschwemmungen  des  Scutari-Sees 
als  Grundwasser  zurückbleiben,  füllt  sich  das  Bett  wieder  mit  schmu- 
tzigem, träge  dahingleitendem  Wasser.  Zur  Regenzeit  dagegen  ist  die 
Moraca  ein  majestätischer  Strom,  und  die  Kähne,  die  im  Sommer  un- 
benutzt am  Ufer  liegen,  vermitteln  dann  allein  den  \^erkehr,  weil  erst 
bei  Podgorica  eine  Brücke  über  die  aufgeregten  Fluten  geschlagen  ist. 

Der  Himmel  hatte  sich  drohend  umdüstert,  und  schon  in  Goricani 
überraschte  uns  ein  kurzer,  kräftiger  Guss.  Da  wir  jedoch  hofften,  noch 
heute  trockenen  Busses  nach  Zabljak  zu  gelangen,  so  Hessen  wir  uns 
durch  ihn  nicht  aufhalten  und  hatten  bereits  die  Stelle  gewonnen,  \\o 
das  Kalkplateau  und  mit  ihm  die  Moraca  nach  Westen  umbog,  als  ein 
strömender  Gewitterregen  herniederrauschte.  Anfangs  suchten  wir,  unbe- 
kümmert um  die  zuckenden  Blitze,  unter  einem  Baume  Schutz:  aber 
auch  hier  durchnässte  uns  der  Regen  bis    auf  die   Haut,    und  so  sahen 


I  35  Der  Scutari-See. 

wir  den  einzigen  Ausweg  darin,  sobald  als  möglich  ein  sicheres  Dach 
zu  finden.  Nach  einer  Viertelstunde  erblickten  wir  jenseits  des  Flusses 
einige  Häuser;  das  nahe  Ziel  vor  Augen  sprangen  wir  hurtig  über  das 
aufgehäufte  Blockwerk,  und  einmal  in  der  dunklen,  ärmlichen  Hütte 
angelangt,  lauschten  wir  mit  einem  gewissen  Behagen  dem  Klatschen 
des  Regens  und  dem  Rollen  des  Donners. 

Da  wir  keine  trockenen  Kleider  mehr  zum  Wechseln  hatten,  so 
wurde  es  uns  in  unserer  nasskalten  Hülle  etwas  unbehaglich,  und  wir 
vernahmen  mit  innerlicher  Freude,  wie  uns  das  alte  Hausmütterchen 
die  Vorzüge  des  nahen  Hans  von  Bijelopolje  in  lebhaften  Farben  schil- 
derte. Nach  einer  Stunde  war  das  Unwetter  vorüber,  und  ein  starker 
Wind  reinigte  die  Luft;  daher  machten  wir  uns  wieder  auf  die  W^ander- 
schaft  und  durchquerten  zum  zweiten  Male  das  Moraca-Bett,  in  dem  sich 
schmale  Wasserstreifen  anzusammeln  begannen.  Die  vom  Sturm  be- 
wegten Bäume  überschütteten  uns  freigebig  mit  perlenden  Tropfen,  und 
grosse  Pfützen  erfüllten  den  aufgeweichten  Pfad.  Zuerst  umgingen  wir 
sie  mit  ängstlicher  Sorgfalt,  da  unsere  türkischen  Schuhe  dem  Ein- 
dringen der  Feuchtigkeit  noch  Stand  gehalten  hatten.  Schliesslich 
nahmen  jedoch  die  knöcheltiefen  Lachen  so  überhand,  dass  sie  den 
ganzen  Weg  versperrten  und  dass  uns  nichts  anderes  übrig  blieb,  als 
sie  zu  durchwaten.  Doch  schon  tauchte  der  Han  von  Bijelopolje  vor 
uns  auf.  Er  bestand  aus  einem  stattlichen  Hause,  dessen  weissgetünchte 
Wände  und  schmucke  Fensterläden  ihren  guten  Eindruck  auf  uns  nicht 
verfehlten.  Das  Untergeschoss  beherbergte  ein  kleines  Warenmagazin, 
in  dem  man  Kaffee,  Zucker^  Raki,  Reis,  Nägel,  Kapas,  Kleiderstoffe, 
Opanken,  Flaschen,  Tinte  und  dgl.  mehr  erhalten  konnte.  Wir  stiegen 
auf  der  schmalen  Treppe  ins  Oberstock  hinauf;  aber  da  waren  meine 
Illusionen  gleich  zerronnen.  Wir  traten  in  einen  abschreckend  kahlen 
Raum,  der  nach  unseren  Begriffen  einen  Trockenboden  darstellte;  Bet- 
ten gab  es  ebenso  wenig  wie  Fensterscheiben,  und  unangenehm  blies 
der  frostige  Nord  in  das  ungemüthliche,  zugige  Zimmer.  In  einer  Ecke 
brannte  ein  kümmerliches  Feuerchen,  um  welches  schon  eine  ganze 
Zahl  frierender  Gestalten  kauerte.  Wir  drängten  uns  in  den  kleinen 
Kreis,  zogen  Schuhe  und  Strümpfe  aus  und  trockneten  unsere  Kleider 
so  gut  als  wir  konnten.  Noch  mehr  sank  uns  der  Muth,  als  das  Abend- 
essen aufgetragen  wurde,  denn  es  bestand  aus  abscheulich  schmecken- 
dem Reis  und  einem  uralten,  steinharten  Huhn.  Als  wir  uns  endlich 
schlafen  legen  wollten,  reichten  für  die  Menge  der  Gäste  die  Decken 
nicht  aus:  kurz,  alles  vereinigte  sich,  um  uns  diesen  Tag  auf  jede 
Weise  zu  vergällen. 


Der  Scutari-See.  iSv 

Bald  neben,  bald  in  dem  über  300  Meter  breiten  Trockenbett 
der  Moraca  hinwandernd,  näherten  wir  uns  dem  malerischen  Festungs- 
kegel von  Zabljak.  den  wir  vordem  nur  undeutlich  über  die  hohen 
Bäume  hervorragen  sahen,  immer  mehr.  So  vollkommen  eben  ist  die 
Niederung,  dass  der  Ausblick  ziemlich  beschränkt  ist  und  dass  Nichts 
auf  die  unmittelbare  Nachbarschaft  des  Scutari-Sees  hinweist.  Plötzlich 
ist  in  den  Gebirgswall  eine  fast  kreisrunde  Lücke  geschnitten ;  sumpfige 
Wiesen  umziehen  ihren  Rand  und  umschliessen  eine  tiefgrüne  Wasser- 
fläche, den  Kartsee  Gornje  Blato  (Oberer  Sumpf).  Der  nimmer  ver- 
siegende Sinjac-Bach  und  zahlreiche  Quellen  versorgen  ihn  das  ganze 
Jahr  hindurch  mit  Wasser,  während  ein  unbedeutendes,  meist  ausge- 
trocknetes Bächlein  die  Verbindung  mit  der  Moraca,  die  Karatuna  eine 
solche  mit  dem  Skadarsko  Jezero  (Scutari-See)  herstellt.  Vor  Zeiten  war 
der  Gornje  Blato  ein  oberirdisch  abfiussloser  Binnensee,  und  an  Stelle 
der  eben  erwähnten  Lücke  thürmte  sich  ein  absperrender  Kalkwall  auf, 
der  bis  auf  spärliche  Reste,  z.  B.  den  Berg  von  Zabljak,  der  Erosion 
zum  Opfer  fiel. 

Der  Blick  wurde  freier,  und  wir  sahen  die  einstöckigen  Häuser 
meist  türkischer  Bauart,  welche  rings  den  kahlen,  steilen  Bergkegel 
umgaben.  Auf  seinem  abgeplatteten  Scheitel  ruhte  eine  starke  \'este, 
die  eigentliche  Stammburg  des  montenegrinischen  Herrschergeschlechtes 
der  Crnojevic.  Wegen  ihrer  militärischen  Wichtigkeit  wurde  sie  von 
den  Türken  erobert  und  fiel  nach  mancherlei  Wechselfällen  erst 
1S7S  den  Crnogorcen  wieder  zu.  Vor  uns  dehnte  .  sich  ein  mauerloser 
türkischer  Friedhof  aus.  Dornen-  und  anderes  Gestrüpp  überwucherten 
die  verwitterten  Grabsteine  und  Grabdenkmäler,  das  Vieh  weidete  auf 
der  geweihten  Stätte,  und  eine  altersgraue  Moschee  passte  nicht  minder 
in  dieses  Reich  des  Verfalls  wie  eine  baufällige  Kula,  deren  vor  dem 
letzten   Kriege  so  viele  die   Grenze  überwachten. 

Wir  sind  in  dem  unansehnlichen  Orte  angelangt  und  kehren  in 
einem  der  beiden  Hane  d.  h.  in  einem  engen,  verrussten  Räume  ein, 
der  Küche,  Schlafstätte,  Wohn-  und  Gastzimmer  zugleich  ist.  Der  blosse 
Fels  bildet  die  Rückwand  und  den  ungedielten,  holperigen  Boden;  die 
Vorderseite  besteht  aus  einer  niedrigen  Brüstung,  und  die  bis  zum  Dache 
frei  bleibende  Oeffnung  vertritt  das  Fenster,  das  durch  eine  herabklapp- 
bare Fallthür  verschlossen  werden  kann.  Essen  und  Trinken  giebt  es 
nicht  gerade  im  Uebermass,  und  mit  Marko  muss  ich  in  einem  Bette 
schlafen,  was  unsere  widerwärtige  Wirthin,  deren  Mundwerk  und  Ge- 
baren    mit     dem    Benehmen     der    montenegrinischen    Frauen    durchaus 


jgg  Der  Scutari-See. 

nicht  im  Einklänge  steht,  gleichwohl  nicht  hindert,  einen  unverschämten 
Preis  von  uns  zu  verlangen. 

Unser  erster  Besuch  galt  der  wohl  erhaltenen  Festung  (12g  m), 
die  eine  Rundsicht  darbot,  wie  sie  umfassender  kaum  gedacht  werden 
konnte.  Bis  zum  Lovcen  und  dem  fernen  Scutari  schweifte  das  Auge. 
hier  haftete  es  an  dem  massigen  Doppelkegel  von  Vranina,  dort  an  den 
schroffen  Ketten  des  Küstengebirges  Rumija  und  an  den  Albanesischen 
Alpen.  Zu  unsern  Füssen  lag  die  endlose,  über  alle  Begriffe  fruchtbare 
Niederung,  und  unmerklich  senkte  sie  sich  zu  dem  leuchtenden  Scutari- 
See,  während  sich  im  Gornje  Blato  die  nackten  Kalkkuppen  der  Bobija 
und  Ponorska  Gora  widerspiegelten. 

Der  Rundgang  um  den  kleinen  Ort  war  bald  vollendet,  denn  die 
vor  Schmutz  starrenden  Gebäude,  die  zu  einem  guten  Theile  zerfallen 
und  verlassen  waren,  und  der  übelriechende,  schlammige  Wassergraben 
hatten  wenig  Verlockendes  an  sich.  Eben  wolhe  ich  meine  Wanderung 
beenden,  als  mich  einige  Leute  einholten  und  ohne  weiteres  aufforderten, 
sie  zu  photographiren.  Da  mein  Plattenvorrath  nicht  mehr  gross  war 
und  ich  schon  genug  Eingeborene  aufgenommen  hatte,  so  trug  ich 
wenig  Verlangen,  ihren  Wunsch  zu  erfüllen  und  erklärte  ihnen  achsel- 
zuckend, mein  Apparat  sei  bloss  für  Landschaften  eingerichtet.  Mit 
dieser  Antwort  waren  beide  Theile  zufriedengestellt,  die  Montenegriner, 
weil  sie  einen  unerfüllbaren  Wunsch  vorgebracht  zu  haben  meinten, 
und  ich,  weil  ich  durch  dieses  harmlose  Manöver  meine  Platten  ge- 
rettet  hatte. 

Nachdem  ich  Zabljak  gebührend  gewürdigt,  musste  ich  auch  daran 
denken,  dass  ich  die  nächsten  Tage  im  Skadarsko  Jezero  Lothungen  an- 
stellen wollte.  Dazu  brauchte  ich  natürlich  ein  Boot,  und  durch  Ver- 
mittelung  des  Festungsaufsehers  war  ein  solches  bald  gemiethet.  Die 
beiden  Ruderer  verpflichteten  sich  allerdings  nur  für  einen  Tag,  da  der 
See  wegen  seines  unbeständigen  Charakters  gefürchtet  ist,  wie  alle 
seichten  Gewässer  vom  Sturme  stark  aufgewühlt  wird  und  alljährlich 
einige  Opfer  fordert.  Auf  Vranina  waren  indessen  leicht  andere  Leute 
zu  finden,  und  so  entschloss  ich  mich,  am  ersten  Tage  bis  zu  jener  Insel 
zu  fahren.  Unser  Kahn,  Londra  oder  schlechthin  Ladja  (Schiff)  genannt, 
war  eines  jener  Fahrzeuge,  wie  sie  ausschliesslich  auf  dem  Scutari-See 
und  seinen  schiffbaren  Flüssen  gebräuchlich  sind.  Die  Londra  ist  ein 
enges,  schmales  Boot  mit  spitz  zulaufenden  Enden,  deren  hinteres  viel 
länger  als  das  vordere  ist.  Je  nach  seiner  Grösse  wird  das  Fahrzeug 
von  zwei  oder  drei  Menschen  fortbewegt,  und  der  am  Hintertheil  ste- 
hende Mann  versieht    mit    seinem,    langen    Ruder    zugleich   die  Dienste 


Der  Scutari-See.  189 

des  Steuermannes,  da  es  eine  besondere  Steuervorrichtung  nicht  giebt. 
Weht  ein  günstiger  Wind,  so  wird  ein  Mastbaum  aufgerichtet  und  ein 
breites  Segel  aufgezogen,  und  die  hierdurch  erzielte  Geschwindigkeit  ist 
so  bedeutend,  dass  man  in  drei  Stunden  von  Plavnica  nach  Scutari 
gelangen  kann.  Bänke  oder  Quersitze  sind  in  den  Londras  nicht  an- 
gebracht: man  muss  daher  mit  einem  beliebigen  Brett  vorlieb  nehmen 
oder  sich  aus  etwa  vorhandenen  Gepäckstücken  einen  Ruheplatz  be- 
reiten. 

Kein  Lüftchen  regte  sich,  als  wir  am  26.  September  unser  schwim- 
mendes Haus  bestiegen  und  sanft  auf  den  trägen,  lehmigen  Fluthen  der 
Karatuna    hinabglitten.    Die    erdigen   Ufer    des    breiten    Stromes    waren 
meist    über    2  m  hoch,    so    dass    wir   selten,   und    auch    dann    nur    auf- 
recht stehend  die  endlose  Ebene  überschauen  konten.    Wenn   ich  eine 
Messung  machte,  liess  ich    das    Boot    halten.  Zahlreiche  Kähne  kamen 
uns  entgegengefahren,  und  ihre  Insassen  waren  über  unsere  Arbeit  nicht 
wenig  verwundert.  Ja,  als  ich  gegenüber  dem  Dörfchen  Dodosi  das  Loth 
auswarf,  sammelten  sich  die  Bewohner  am  Strande  und  verlangten  über 
unser  seltsames  Vorhaben  sofort  Aufklärung.  Von  hier  an  sank  die  Tiefe 
rasch  auf  i'/.,  m  und  weniger,  so  dass  wir  mehrmals  aufstiessen  und    uns 
nicht  ohne  Mühe  wieder  frei  machen  konnten.  Das  fruchtbare  Ackerland 
hatte  bereits  ausgedehnten,  halb  versumpften  Wiesen  Platz  gemacht,  und 
isolierte    Kalkhügel,    die    Odrinska    Gora,    der    Lipovnjak,  Kamenik  und 
die  Cakavica-Klippen,   wurden  theils  von  ihnen,  theils  vom  Wasser  um- 
geben. Das  nunmehr  kaum  noch  fusshohe  Schwemmland,  an  welchem 
wir  vorüberruderten,    konnte    augenblicklich  zur  Noth  als   magere  Trift 
benutzt  werden,  vom  Spätherbst  bis  zum  Frühsommer  aber    ist    es  ein 
unzugänglicher,  unbenutzbarer  Tummelplatz  von  Fröschen  und  Wasser- 
vögeln. Diese  Eigenschaften    erschweren    eine    genaue   Begrenzung  un- 
gemein,   da    das    beständig    v/echselnde    Niveau    des    Sees  keine  festen 
Normen  gestattet.  Bloss  die  Flüsse  besitzen  ein   halbwegs  offenes  Bett; 
beiderseits  der  Ufer  aber  erstreckt  sich  eine  mit  Schilf  dicht  überwachsene 
Wasserfläche,  die  landeinwärts  den  Charakter    eines    schlammigen  Mo- 
rastes annimmt  und  schliesslich  zu  festem  Boden  wird.  Man  kann  also 
am  Ost-  und    Nordostufer    vier    Zonen  unterscheiden.    Die  entfernteste, 
die  aus  den  verbackenen    Gerollen    der   ehemals    einmündenden  Flüsse 
besteht,    ist    wald-    und    wasserlos    und  mit  magerem  Grase  überkleidet. 
Sie   verliert    sich    in    dem    gut    bewachsenen   Landstriche,  der    von  den 
Ueberschwemmungen  verschont  ist  und  reiche   Erträge    liefert.   Südlich 
der    Linie    Karatuna-Hum    beginnt    ein    weniger  stark   bewirthschafteter 
Streifen,  der  dem  jährlichen  Hochwasser  ausgesetzt  ist  und  die  Ernte- 


jQQ  Der  Scutari-See. 

hoffnungen  nicht  selten  zu  Schanden  werden  lässt.  Den  See  endlich 
umsäumt  ein  versumpfter  Gürtel,  der  zeitweilig  als  dürftige  Weide 
W'erth  hat  und  unter  den  Strahlen  der  Sommersonne  so  hart  und 
brüchig  wird,  dass  er  in  grossen  Rissen  aufspringt. 

Inmitten  dieser  zweifelhaften  Umgebung,  nicht  weit  von  dem  wegen 
des  Scoranzenfanges  berühmten  Weiler  Ploca  vereinigt  sich  die  Karatuna 
mit  der  noch  breiteren,  trägeren  und  wasserreicheren  Rijeka.  Einige 
Minuten  später  fahren  wir  in  den  Skadarsko  Jezero  ein.  Leicht  kräuseln 
sich  seine  Wellen  im  fluthenden  Sonnenlichte,  silberglänzende  Fische 
schnellen  blitzschnell  aus  dem  blauen  Wasser,  und  kleine  Kähne  oder 
grosse  Londras  werden  sichtbar.  Vorspringende  Caps  lassen  uns  den 
See  noch  nicht  in  seiner  Gesammtausdehnung  überschauen;  vielmehr 
rudern  wir  in  einer  schmalen  Strasse  hin,  die  von  schroffen  Gebirgs- 
ketten und  nackten  Inselleibern  eingerahmt  und  von  einem  wirren 
Ueberzuge  grüner  Sumpfpflanzen,  zahlloser  Wassernüsse  und  gelber 
oder  weisser  Nymphäen  noch  mehr  eingeengt  w^ird.  Gerade  vor  uns 
ragen  stolzer  als  zuvor  die  imposanten  Felskegel  von  Vranina  auf,  und 
ein  kleines,  in  den  Wogen  fast  verschwindendes  Eiland,  Lesendra,  das 
eine  drohende  Festung  trägt,  schmiegt  sich  ängstlich  an  ihren  Fuss. 

Bald  sind  wir  am  Kamenik  und  an  den  Cakavica-Klippen  vorüber- 
gesegelt und  lenken  in  den  Hafen  von  Vranina,  der  grössten  Insel  des 
Sees,  ein.  Ausser  Lesendra  und  Grmozur  ist  sie  das  einzig  bewohnte 
Eiland  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  am  unteren  Horizonte  der 
nackten,  dünnbankigen  Kalke  einige  Quellen  austreten.  Im  kleinen  Han 
(27  Meter)  des  hoch  über  dem  Wasserspiegel  angelegten  Dorfes  fanden 
wir  eine  gute  Aufnahme.  Zum  Mittag  gab  es  freilich  bloss  Käse  und 
Maisbrot;  doch  vertrösteten  wir  uns  auf  den  Abend,  für  den  uns  ein 
Gericht  schmackhafter  Fische  in  Aussicht  gestellt  wurde.  Da  die  elenden 
Fischerhütten  und  der  übelriechende  Strand  keine  grosse  Anziehungs- 
kraft auf  uns  ausüben  konnten,  so  unternahmen  wir  eine  Besteigung 
der  einen  Bergspitze.  Sehr  steil  mussten  wir  auf  den  wild  verkarsteten, 
stellenweise  mit  Karrenfeldern  überzogenen  Kalken  emporklettern,  und 
nicht  ohne  Anstrengung  gewannen  wir  im  heissen  Sonnenbrande  den 
Gipfel  (330  Meter).  Aber  was  sahen  wir?  Dort  oben  waren  von  Menschen.- 
hand  Feldschanzen  aus  Steinblöcken  errichtet.  Zwar  waren  sie  zum 
grössten  Theile  zerfallen,  aber  noch  immer  bezeugten  sie  die  zähe 
Energie,  mit  welcher  die  Türken  diese  öden  Felsen  zu  behaupten 
suchten.  Auf  dem  jenseitigen  Kegel  entdeckten  wir  ähnliche  Brust- 
wehren, denn  diese  Höhen  waren  zur  Anlage  von  Befestigungen  wie 
geschaffen.     Von  ihnen  entrollte  sich  ein  Panorama   so  reizend  und  so 


Der  Scutari-See.  jgj 

wild,  SO  grossartig  und  so  interessant,  dass  nur  wenige  Gegenden  der 
südslavischen  Lande  sich  mit  dieser  messen  können.  Von  Nord  bis 
nach  Süd,  von  Ost  bis  nach  West  war  der  Scutari-See  zu  übersehen, 
jede  Bucht,  jede  KHppe  hob  sich  scharf  von  der  stahlblauen  Wasser- 
fläche ab,  und  bis  zu  den  starren  Gebirgen  Albaniens  und  des  Kuci- 
Landes  lag  die  weite  Ebene  vor  uns.  i\ls  eine  stattliche  Hochgebirgs- 
kette stieg  vom  Lovcen  bis  zum  breitrückigen  Tarabos  das  Küstengebirge 
auf,  und  zum  ersten  Male  blickte  ich  in  die  vor  Fruchtbarkeit  strotzenden 
Fluren  der  Crmnica  hinab.  Ein  vielgewundener  Fluss  durchschnitt  die 
grünen  Wiesen,  und  aus  lichtem  Laubwalde  schimmerte  das  Städtchen 
Virbazar  hervor.  Dort  grüssten  der  scheinbar  eng  mit  der  Hinterwand 
verwachsene  Festungsberg  von  Zabljak  und  der  in  blauen,  grünen  und 
braunen  Farbentönen  schillernde  Gornje  Blato  herüber,  und  im  Süden 
erhob  sich  das  weisse  Castell  von  Scutari,  hinter  dem  sich  finster  und 
drohend  die  Berge  jenseits  des  Drin  aufthürmten. 

Lange  standen  wir  fest  gebannt  auf  unserem  Platze;  als  wir  uns 
aber  umwandten,  umfing  uns  wieder  die  trostloseste  Karst-Einsamkeit, 
und  lange  dauerte  es,  bis  wir  ein  schattiges  Fleckchen  bemerkten, 
das  uns  einige  Stunden  vor  den  unbarmherzigen  Sonnenstrahlen  schützen 
sollte.  Dann  stiegen  wir,  um  noch  das  Kloster  zu  besuchen,  zu  einer 
mit  Dohnen  erfüllten  Einsattelung  hinab,  welche  die  beiden  Kegel  von 
einander  trennt,  und  standen  nach  einer  beschwerlichen,  pfadlosen 
Wanderung  ^•or  dem  Monasterium,  einem  geräumigen,  einstöckigen  Ge- 
bäude mit  einem  kleinen  Kirchlein.  Da  das  Kloster  noch  nicht  ganz 
ausgebaut  war,  so  führte  vorläufig  ein  Pope  die  Aufsicht,  der  uns  nach 
freundlicher  Bewirthung  ein  Stück  das  Geleit  gab.  Der  Rückweg  brachte 
uns  am  Nordfusse  der  Insel,  der  von  dem  baumbewachsenen  Nieder- 
lande nur  durch  einen  schmalen,  stellenweise  ganz  ausgetrockneten 
Sumpf-  oder  Wasserstreifen  getrennt  wurde,  zum  Dorfe  Vranina  zurück. 

Am  Spätabend  erschienen  die  Leute,  mit  denen  ich  wegen  einer 
neuen  Bootfahrt  unterhandeln  wollte;  als  Endstation  wurde  das  alba- 
nesische  Dorf  Muric  bestimmt,  und  um  7  Uhr  des  nächsten  Morgens 
stieg  unsere  von  drei  Fischern  bediente  Londra  vom  Ufer  ab.  War  ich 
schon  in  Zabljak  über  die  abgehärmten  Gestalten  der  Eingeborenen  einiger- 
massen  erstaunt,  so  bedauerte  ich  noch  mehr  die  Insulaner  von  Vranina, 
wenn  ich  ihre  eingefallenen  Gesichtszüge  betrachtete,  in  die  das  nimmer 
rastende  Fieber  seine  Spuren  eingegraben  hatte.  Die  Ueberschwemmungen, 
welche  den  grössten  Theil  der  Niederung  heimsuchen,  weichen  sehr 
langsam  zurück,  und  die  Kraft  der  südlichen  Sonne  verwandelt  die 
zurückbleibenden    Sümpfe,    das    aufgeweichte    Erdreich    und    die    ver- 


1Q2  I^sr  Scutari-See. 

faulenden  organischen  Stoffe  in  einen  unerschöpflichen  Brutkessel 
schädHcher  Miasmen. 

Es  war  ein  heiterer,  windstiller  Tag,  und  langsam  durchschnitten 
wir  die  trüben,  undurchsichtigen  Fluthen.  Nach  einer  Stunde  ankerten 
wir  in  der  seichten  Bucht  von  Virbazar,  und  einige  unserer'  Leute  be- 
sorgten in  dem  nahen  Städtchen  etwas  Proviant.  Wir  andern  be- 
obachteten indessen  eine  schwache  Rauchsäule,  die  rasch  näher  kam. 
Ein  Schiff  wurde  sichtbar  und  hielt  weit  von  uns  entfernt  in  einer 
durch  Stangen  angezeigten  Fahrbahn.  Es  war  ein  kleiner  Raddampfer, 
der  im  Dienste  der  kürzlich  gegründeten  montenegrinischen  Dampf- 
schiffahrtsgesellschaft den  Verkehr  zwischen  Rijeka,  Virbazar,  Plavnica 
und  Scutari  vermittelte. 

Erst  um  i  i  Uhr  waren  wir  wieder  reisefertig  und  schlugen  die 
Richtung  nach  dem  entgegengesetzten  Ufer  ein.  Da  sich  dieses  ganz 
langsam  unter  den  Seespiegel  senkt,  so  konnten  wir,  ohne  auszusteigen, 
nicht  an  die  Stelle  kommen,  wo  das  feste  Land  aus  dem  Wasser  empor- 
taucht. Das  war  für  unsere  Zwecke  jedoch  nicht  nöthig,  und  übrigens 
sahen  wir  deutlich,  wie  sich  zahlreiche  Heerden  auf  dem  weichen 
Wiesenplane  tummelten  und  wie  Reiher,  Pelikane,  Störche,  Wasser- 
hühner, Wildenten  und  andere  Wasservögel  im  mannshohen  Röhricht 
ihrer  Nahrung  nachgingen.  Ueber  den  leise  plätschernden  Wellen 
zogen  gefrässige  Möven  ihre  Kreise  und  schössen  gewandt  herab, 
wenn  ihr  scharfes  Auge  einen  Fisch  erspähte,  an  denen  der  Scutari- 
See  überreich  ist.  Man  wird  nicht  müde,  dem  lustigen  Spiele  der 
stummen  Geschöpfe  zuzuschauen,  und  erstaunt  über  die  Tausende  der 
grössten  und  schwersten  Aale,  Hechte,  Karpfen,  Forellen,  Schleien  u.  s.  w., 
die  täglich  auf  dem  Bazar  von  Scutari  verkäuflich  sind.  Am  wichtigsten 
von  allen  ist  die  Scoranze  oder  Uklijeva,  ein  sardellenartiger  Fisch,  der 
zur  Herbstzeit  seeaufwärts  zieht,  um  in  den  breiten  Strömen  zu  über- 
wintern. Sein  Fang  gilt  als  ein  wahres  Volksfest  und  wird  durch  einen 
feierlichen  Gottesdienst  eingeleitet,  der  wohl  am  sinnigsten  den  un- 
geheueren Werth  und  die  mit  dem  Erscheinen  des  kleinen  Fisches 
verknüpften  Hoffnungen  zum  Ausdruck  bringt.  Vermag  man  doch  an 
einem  Tage  nicht  selten  15  bis  20  der  grössten  Londras  mit  den  Un- 
massen der  Scoranzen  zu  füllen! 

Schon  nach  wenigen  Stunden  griffen  wir  zu  unseren  Vorräten 
und  stillten  in  Ermangelung  eines  Besseren  unseren  Durst  mit  dem 
trüben,  unangenehm  schmeckenden  Seewasser.  Da  sich  ein  schwacher 
Wind  erhob,  so  setzten  wir  den  Mast  ein  und  zogen  ein  Segel  auf; 
leider  fiel  das  gelinde  Lüftchen    bald    wieder    ab,    und    das    ermüdende 


Der  ScutariSee.  TQ^ 

Rudern  begann  von  neuem.  Die  Sonne  hatte  ihren  höchsten  Stand 
bereits  überschritten,  als  wir  den  Curs  nach  dem  Steilufer  des  Ska- 
darsko  Jezero  nahmen.  2';.,  Stunden  später  hatten  wir  Starcevo,  eine 
der  dreissig  Inselklippen,  erreicht,  die  sich  längs  des  felsigen  West- 
randes hinziehen.  Wildes  Trümmerwerk  umgab  ihren  Fuss,  und  ein 
gelbbrauner,  etwa  3  Meter  hoher  Schmutzstreifen,  der  sich  an  der  Küste 
fortsetzte,  zeigte  das  Niveau  des  Hochwassers  an.  Keine  Quelle 
sprudelte  aus  dem  von  Gras,  Glockenblumen,  Brombeersträuchern  und 
niederem  Weidengebüsch  überwucherten  Kalkbänken,  kein  Mensch  hat 
je  auf  ihnen  seine  Hütte  aufgeschlagen,  und  nur  auf  Muric  und  Moracnik 
stehen  noch  die  spärlichen  Ruinen  uralter  Kirchen. 

Um  '/oS  Uhr  fuhren  wir  in  den  kleinen  Hafen  von  Muric  ein. 
Gern  wäre  ich  am  nächsten  Tage  bis  Scutari  gerudert;  aber  unsere 
Montenegriner  wollten  nicht  darauf  eingehen,  weil  sie  einige  Arnauten 
auf  ihrem  Gewissen  hatten  und  die  in  Albanien  noch  immer  nicht  er- 
loschene Blutrache  fürchten  mussten.  Ein  treuherziger  Albanese,  der 
auch  des  Serbischen  kundig  war  und  unser  Gespräch  angehört  hatte, 
lud  uns,  ohne  unsere  Frage  abzuwarten,  in  sein  Haus  ein  und  versprach 
mir,  für  eine  neue  Londra  Sorge  zu  tragen.  Sorglos  konnten  wir  uns 
ihm  anvertrauen;  denn  die  Albanesen  des  montenegrinischen  Gebietes 
sind  fleissige,  friedfertige  Menschen,  bei  denen  die  Gastfreundschaft 
noch  in  ihrer  patriarchalischen  Schlichtheit  fortblüht.  Hurtig  packte  unser 
Freund  unsere  Habseligkeiten  auf  seinen  Esel,  und  wir  folgten  lustig 
plaudernd  hinterdrein. 

Nicht  bloss  die  Sprache  und  die  abweichende,  vielfach  an  die 
türkische  Bauart  erinnernde  Einrichtung  der  Häuser  verrieth,  dass  wir 
zu  einem  fremden  Volksstamme  gekommen  waren;  der  Typus  der  Ein- 
geborenen, ihre  Tracht,  Religion  und  Denkweise  waren  anders  geworden. 
Unser  Wirth  bekannte  sich  sammt  den  übrigen  Dorfbewohnern  zum 
muhamedanischen  Glauben;  daher  Hessen  sich  seine  Frauen  vor  uns 
nicht  sehen,  und  er  besorgte  unser  ^Abendessen  und  Nachtlager  in 
eigener  Person.  Der  Speisezettel  war  allerdings  sehr  einfach,  denn  es 
gab  weiter  nichts  als  Brot,  Käse  und  Wasser.  Vor  und  nach  dem  Essen 
mussten  wir  uns  die  Hände  und  den  Mund  waschen,  und  erst  nach- 
dem wir  zufriedengestellt  waren,  eilte  unser  aufmerksamer  Wirth  ins 
Nebenzimmer,  um  dort  seine  Abendmahlzeit  einzunehmen. 

Zum  dritten  Male  trug  uns  eine  von  drei  Albanesen  geruderte 
Londra  auf  den  See  hinaus,  der  sich  den  farbenprächtigen  Strand- 
bildern Istriens  und  Dalmatiens  würdig  zur  Seite  stellt  und  wegen 
seiner  Schönheiten  die  Perle  Montenegros  genannt  werden  kann.  Unsere 

Hassert.  Reise  durch  Montenegro.  1 .1 


l(\±  Der  Scutari-See. 

Fahrt  verlief  genau  so  wie  früher.  Wir  drangen  südHch  bis  zur  Gorica 
Topal,  der  Grenzinsel  zwischen  dem  türkischen  und  montenegrinischen 
Seeantheile,  vor  und  steuerten  nordostwärts  bis  in  die  Nähe  des  Hoti 
Hum.  Unsere  Bootsleute  verspürten  durchaus  keine  Lust,  sich  dem 
sumpfigen,  schilfbewachsenen  Ufer  des  ungastlichen  Albaniens  noch 
mehr  zu  nähern  oder  gar  ihren  rohen,  räuberischen  Stammesgenossen 
dort  drüben  einen  Besuch  abzustatten.  So  lenkten  wir  wieder  zum 
Küstengebirge  um   und  trafen   um   5   Uhr  \\-ohlbehalten  in   Muric  ein.  — 

Es  sei  mir  gestattet,  die  Eindrücke,  welche  wir  aus  der  knappen 
Schilderung  unserer  Kreuz-  und  Querfahrten  über  das  \\*esen  des  Ska- 
darsko  Jezero  gewonnen  haben,  durch  einige  Bemerkungen  zu  er- 
gänzen. Vor  Zeiten  war  der  Scutari-See  viel  umfangreicher  als  hevite  ; 
er  endete  bei  Podgorica,  wenn  nicht  gar  bei  Spuz  und  bildete  sich  in 
einem  ausgedehnten  Polje.  Auf  die  Dauer  konnte  der  klüftige  Kalk- 
wall, der  die  Wasserfläche  rings  umgrenzte,  der  Erosion  nicht  Stand 
halten;  er  wurde  an  zwei  Stellen,  am  Bojana-  und  Kiri-Austritt,  durch- 
brochen, und  die  tosenden  Wellen  fanden  einen  Ausweg  zur  i\dria. 
Der  Seespiegel  musste  infolge  dessen  beträchtlich  fallen  und  sank  zu 
einem  breiten  Strome  herab,  der  die  Rijeka  und  Moraca  mit  der  Bojana 
verband.  In  den  trockenen  JMonaten  hielten  sich  Zu-  und  Abfluss  das 
Gleichgewicht;  zur  Schnee-  und  Regenzeit  aber  konnten  die  schmalen 
Ausgänge  die  Zufuhr  nicht  mehr  bewältigen,  und  es  traten  regelmässig 
wiederkehrende  Ueberschwemmungen  ein,  wie  sie  für  viele  Karstbecken 
charakteristisch  sind.  Die  Ueberfluthungen  begannen  die  Physiognomie 
der  Ebene  sofort  umzugestalten;  schon  vor  Christi  Geburt  existirte  ein 
guter  Theil  des  alten  Sees  wieder,  und  die  im  Wachsen  begriffene 
Wasserfläche  war  nichts  anderes,  als  eine  \'erbreiterung  des  oben  ge- 
nannten Verbindungsstromes.  Sagen  und  Urkunden  bezeugen  das  all- 
mähliche Anschwellen  des  Skadarsko  Jezero,  und  nach  einem  Schriftstück 
wurde  Vranina  zwischen  1200  und  1233  zur  Insel.  Als  1858/59  der 
Drin  seinen  Lauf  veränderte  und  senkrecht  in  die  Bojana  einmündete, 
verstopften  seine  Ablagerungen  den  ungenügenden  Abfluss  des  Sees 
noch  mehr,  und  seitdem  stieg  sein  Niveau  unverhältnissmässig  rasch. 
Fruchtbare  Felder,  die  vor  50  Jahren  völlig  trocken  waren,  sind  jetzt 
in  einen  Morast  verwandelt,  zwei  Häuser  unweit  der  Insel  Moracnik 
sind  heute  verlassen  und  eingestürzt,  weil  die  periodischen  Ueberschwem- 
mungen bereits  ihre  halbe  Höhe  erreicht  haben,  und  allwinterlich  wird 
der  Bazar  von  Scutari  3  Meter  und  höher  überflutet.  Der  neu  ent- 
standene See    ist  also  eine    in    ihren    tiefsten  Theilen  unter  ^^'asser  ge- 


Der  Scutari-See, 


195 


setzte  Niederung  und  nimmt  ein  Gebiet  von  350  Quadratkilometern  ein, 
das    sich    zur  Regenzeit  nahezu  um   die   Hälfte  vergrössert. 

Wegen  der  Natur  des  Scutari-Sees  haben  wir  es  mit  sehr  geringen 
Tiefen  zu  thun,  ein  Umstand,  der  das  Volk  häufiger  Sumpf  von  Scutari 
als  See  von  Scutari  sagen  lässt.  Seine  nördlichen  Theile  spiegeln 
durch  ihre  ausserordentliche  Seichtigkeit,  die  geringe  Höhe  der  Ufer 
und  ihr  unmerkliches  Hinabtauchen  unter  das  Wasser  am  deutlichsten  die 
überschwemmte  Ebene  wider.  Dagegen  senkt  sich  der  flache  Ufer- 
saum südlich  des  Hoti  Hum  viel  rascher  als  man  erwarten  sollte  und 
fällt  erst  von  4  Meter  an  langsamer  ab.  Am  felsigen  ^^'estrande  ist 
der  Böschungswinkel  am  grössten,  so  dass  bei  einem  Abstände  von 
I  bis  2  Kilometer  bereits  die  grösste  Tiefe,  7  Meter,  erreicht  wird.  Noch 
bedeutendere  Tiefen  wie  8  und  10  Meter  gehören  entschieden  zu  den 
Seltenheiten.  — 

Ein  lieblicher  Küstenstreifen,  erfüllt  von  blumigen  Grasmatten, 
schmiegsamen  Weidenbüschen,  Feigen-  und  Olivenbäumen,  das  war  der 
Hintergrund  der  schmalen  Düne,  auf  deren  feinen  Sand  unser  Boot 
gestern  auffuhr.  Ganz  anders  sah  die  Stelle  aus,  wo  wir  heute  landeten. 
Eine  enge  Bucht,  die  von  der  langgestreckten  Insel  Muric  verdeckt 
ward,  nahm  uns  auf.  Ein  chaotisches  Trümmerwerk  aus  \erwitterten 
Kalkblöcken  aller  Formen  und  Grössen  war  ebenfalls  mit  einem  grauen 
Schmutzbande  überzogen,  und  erst  nach  5  Minuten  angestrengten 
Kletterns  fühlten  wir  den  weichen  Wiesenplan  unter  den  Füssen.  Dies- 
mal kehrten  wir  beim  Kommandir  Omer  Ali  ein.  der  erst  gestern  Nachts 
von  seinen  Reisfeldern  bei  Scutari  zurückgekommen  war  und  sich 
schon  in  der  Frühe  entschuldigte,  dass  war  nicht  seine  Gastfreunde  ge- 
wesen waren. 

Um  die  albanesischen  Unterthanen  an  sich  zu  fesseln  und  ihrer 
Eigenart  in  jeder  Weise  Rechnung  zu  tragen,  hat  die  montenegrinische 
Regierung  den  meisten  albanesischen  Gemeinden  albanesische  Vorge- 
setzte gegeben.  Natürlich  müssen  dieselben,  um  die  ihnen  ertheilten 
Aufträge  zu  verstehen,  der  Landessprache  kundig  sein,  und  Omer  AH 
beherrschte  dieselbe  meisterhaft.  Sein  Haus  war  einfach  und  sauber 
eingerichtet.  Aus  den  Kammern  und  Stallungen  des  Untergeschosses 
führte  eine  Treppe  zu  den  Wohnräumen  im  oberen  Stock,  wo  uns 
mehrere  unverschleierte  Frauen  begrüssten.  Sie  brachten  \\'asser  zum 
\\'aschen,  und  dann  setzten  wir  uns  mit  gekreuzten  Beinen  zum 
Essen  nieder.  W^ieder  einmal  musste  ich  unfreiwilliger  \'egetarianer 
sein;  aber  wenigstens  gab  es  zur  Abwechslung  türkische  Gerichte,  die 
ich  bisher  noch  nicht  gegessen  hatte  und  die  mir  vortrefflich  mundeten. 


ig6 


Nach  Antivari  und  Dulcigno. 


Sie  bestanden  aus  fettem  Pilav,  dem  bekanntesten  Nationalgericht  der 
Türken,  und  einem  Kuchen  aus  Reis  und  Brot.  Statt  des  Tisches  diente 
eine  Bastmatte,  statt  des  Tellers  die  Hand,  und  die  Finger  vertraten 
das  Besteck.  Nach  dem  Essen  bereiteten  die  Frauen  aus  weichen 
Decken  unser  Lager,  und  der  unermüdliche  Gastgeber  drehte  noch 
eine  Menge  Cigarretten.  Als  wir  am  anderen  Morgen  aufbrachen, 
konnten  wir  unseren  Wirthen  nur  mit  aufrichtigem  Danke  ihre  Gast- 
freundschaft lohnen,  denn  ein  Geldgeschenk  wiesen  sie  entschieden  zu- 
rück. Bloss  für  den  Transport  meines  Loth-Apparates  nach  Virbazar 
hatte  ich  eine  geringfügige  Summe  zu  bezahlen;  und  ich  brauche  wohl 
kaum  zu  erwähnen,  dass  mein  Auftrag  pünktlich  und  gewissenhaft  aus- 
geführt wurde. 


i8.  Capitel. 


Nach  Antivari  und  Dulcigno. 


Kaum  lag  die  Moschee  (107  Meter)  sammt  den  letzten  Häusern  von 
Muric  unter  uns,  als  das  öde  Gebirge  unverhüllt  zu  Tage  trat.  Ver- 
schwunden waren  die  zarten  Kinder  des  Südens,  dorniges  Gesträuch 
behauptete  sich  auf  den  plattigen  Kalken,  und  die  trockene  Schlucht 
eines  Giessbaches  durchfurchte  den  Abhang.  Ehe  wir  den  schweren 
Marsch  begannen,  der  uns  quer  über  den  Gebirgskamm  ans  Meer 
bringen  sollte,  schauten  wir  uns  noch  einmal  um.  Aus  den  blitzenden 
Fluthen  des  Scutari-Sees  ragten  die  weissen  Inselklippen  empor,  und 
ihnen  gegenüber  entschwanden  in  dunstiger  Ferne  die  firnbedeckten 
Alpen  Albaniens  und  die  massigen  Gebirgswälle  des  Kuci-Landes.  Als 
breiter,  glänzender  Arm  drang  der  Hoti  Hum  tief  ins  ebene  Flachland 
ein,  aus  dessen  lichtem  Walde  der  festungsgekrönte  Hum  und  das 
Kirchlein  von  Vraka  herübergrüssten.  Aber  wer  möchte  für  das  Leben 
dessen  einstehen,  der  dort  ans  Land  zu  gehen  wagt?  So  berüchtigt 
sind  die  Albanesen  des  jenseitigen  Ufers  und  insbesondere  die  Bewohner 
von  Vraka,  dass  selbst  die  montenegrinischen  Albanesen  nicht  ohne 
Abscheu  von  ihnen  sprechen. 


Nach  Antivari  und  Dulcigno.  IQ7 

Ein  knapper,  stellenweise  ganz  verschwindender  Pfad  lief  zwischen 
Karrenrinnen  und  Steintrümmern  zu  einer  schmalen  Scharte,  die  in  eine 
wenig  ausdrucksvolle  Kette  von  niedrigen  Kuppen  und  Rücken  einge- 
senkt war.  Sie  verbarg  eine  grosse,  freundliche  Doline,  Mittel-Muric 
(489  Meter),  deren  sorgsam  bebaute  Maisfelder,  wie  überall  im  Küsten- 
lande und  am  Scutari-See,  bereits  die  zweite  Ernte  trugen.  Feigen, 
dickblätterige  Eichen  und  edle  Kastanien  überschatteten  die  Wiesen 
und  Bauernhäuschen,  und  eine  ebenfalls  wasserlose  Rinne  mündete  in 
die  fruchtbare  Oase  ein.  Auf  einem  kümmerlichen  Steige  gelangten  wir 
in  einen  dritten,  ebenso  anheimelnden  Kessel,  Ober-Muric  (678  Meter), 
und  dann  verloren  wir  uns  ganz  im  trostlosen  Rarste.  Der  Weg  liess 
sich  gut  an,  denn  er  führte  zu  einer  Cisterne;  aber  doch  hatte  er 
uns  irre  geleitet,  denn  er  verlor  sich  plötzlich  im  Grase,  und  auf  einem 
kümmerlichen  Hirtenpfade  mussten  wir  uns  querfeldein  durch  ein  Heer 
von  Dohnen  hindurcharbeiten.  Sie  wurden  von  duftendem  Salbei,  Busch- 
holz und  hochstämmigen  Bäumen  überwuchert,  die,  entsprechend  der 
Meereshöhe,  aus  blattabwerfenden  Eichen  bestanden.  Endlich  gelangten 
wir  in  eine  flache  Mulde  und  sahen  an  ihrem  jenseitigen  Rande  einen 
Saumweg.  Ueberdiess  trafen  wir  einen  Hirtenknaben,  und  wenn  auch 
wegen  der  Sprachverschiedenheit  ein  gegenseitiges  Verständniss  sehr 
schwer  war,  so  glückte  es  uns  doch,  unter  Zuhilfenahme  von  Zeichen 
und  Geberden,  aus  dem  anstelligen  Albanesen-Jünglinge  herauszulocken, 
dass  jener  der  richtige  Weg  nach  Antivari  sei. 

Um  II  Uhr  hatten  wir  den  Pass,  bekannt  unter  dem  Namen  Bi- 
jela  Skala  (Weisse  Treppe,  959  Meter),  erklommen.  Zur  Rechten  und 
Linken  erhob  sich  eine  schmale  Gebirgskette ;  ihre  zerrissenen  Zinnen, 
unter  denen  die  massige  Rumija  wohl  die  höchste,  aber  nicht  gerade 
die  imposanteste  war,  strebten  gespensterhaft  zum  wolkenlosen  Himmel 
auf,  und  ein  einförmiges  Gewand  hüllte  die  Dolinenlandschaft  ein,  die 
wir  soeben  durchmessen  hatten.  Auf  der  Einsattelung  befand  sich  ein 
kaum  quadratfussgrosses  Loch,  ein  Schöpfbecher  mit  langem  Holzstiel 
lag  daneben,  und  mit  ihm  holten  wir  einen  erquickenden  Trunk  Wasser 
aus  der  dunklen  Tiefe  herauf.  Behaglich  streckten  wir  uns  an  dem  klei- 
nen Börnlein  aus  und  hielten  Umschau.  Ein  schmaler,  glitzernder 
Streifen,  der  hinter  den  abstossenden  Kalken  hervortauchte,  entrollte 
sich  als  der  Scutari-See.  Wir  wandten  uns  um,  und  viel  jäher  als  auf 
der  andern  Seite  stürzte  das  Gebirge  ab;  brausende  Bäche  durchschnitten 
seine  Flanken,  Wiesen,  Aecker  und  Häuser  erfüllten  die  Becken,  und 
in  spitzen  Zickzacken  lief  eine  Fahrstrasse  zum  dunstumwobenen  Su- 
torman-Passe  empor.  Wie  Wetterleuchten  aber  schimmert  es  am  Gebir^^s- 


IqS  Nach  Antivari  und   Dulcigno. 

fusse,  und  blaue  Wogen  ziehen  ihre  Kreise,  um  am  unendlichen  Hori- 
zonte zu  verschwinden.  Ja,  vor  uns  breitet  es  sich  aus  in  seiner  zaube- 
rischen Pracht  das  Meer,  das  allgewaltige  und  unermessliche! 

In  wenigen  Secunden  hatten  wir  den  kaum  5  Meter  breiten  Ge- 
birgsrücken überschritten  und  stiegen  neu  gestärkt  zur  Adria  ab,  die 
uns  bald  durch  einen  flachen  Rücken  entzogen  wurde  und  erst  bei  An- 
tivari wieder  in  Sicht  kam.  Der  Abhang  war  geologisch  ganz  anders 
beschaffen  als  der  Abfall  zum  Skadarsko  Jezero.  Schon  100  Meter  un- 
terhalb des  Passes  wurden  die  Kalke  dünnblätteriger  und  gingen  rasch 
in  gelbliche  Schiefer  über,  die  sich  sandig  anfühlten  und  auch  dort, 
wo  sie  noch  nicht  zu  Grus  verwittert  waren,  beim  Berühren  leicht  ab- 
bröckelten. Sie  lagen  in  der  Verlängerungszone  der  analog  ausgebildeten 
Schichtencomplexe,  die  Tietze  zwischen  Antivari  und  dem  Sutorman- 
Passe  beobachtete,  und  wurden  weiter  unterhalb  von  glimmerglänzenden 
Sandsteinschiefern  und  intensiv  grünen  oder  braunrothen  Schiefern  ab- 
gelöst, die  für  die  Werfener  Schichten  Montenegros  so  charakteristisch 
sind  und  in  ihren  untersten  Horizonten  von  dem  genannten  Reisenden 
ebenfalls  bereits  festgestellt  wurden.  Zahlreiche  Bruchstücke  der  über- 
lagernden Kalke  waren  auf  die  weichen  Schiefer  herabgefallen  und 
wieder  verkittet,  doch  konnten  sie  die  Oberflächenformen  nicht  beein- 
flussen, die  sich  ebenfalls  auffallend  von  denen  der  minder  begünstigten 
Ostseite  unterschieden.  Zwar  fehlten  auch  hier  steile  Schluchten  nicht, 
aber  ihre  sanft  abgeböschten  Hänge  nahmen  sich  ganz  anders  aus  als 
die  scharf  abgebrochenen,  harten  Kalkbänke.  Und  endlich,  welch'  ein 
Wasserreichthum !  Zahllos  waren  die  Quellen,  die  den  undurchlässigen 
Schiefern  entsprangen  und  sich  zu  nimmer  versiegenden  Bächen  ver- 
einigten, eine  Erscheinung,  die   wir  auf  dem  Ostabfall  vergebens  suchten. 

Obwohl  unser  Weg  die  kürzeste  Verbindung  zwischen  dem  Meere 
und  dem  Scutari-See  darstellt,  war  er  ein  erbärmlicher  Pfad.  Im  Orient 
ist  eben  der  Begriff  Strasse  ein  sehr  ausgedehnter,  denn  er  umfasst  so- 
wohl die  nach  allen  Regeln  der  Technik  angelegte  Fahrstrasse  als  den 
halsbrecherischen  Steig,  auf  welchem  kaum  die  gewandte  Ziege  fort- 
kommt. Im  Bereiche  der  Schiefer  wurde  der  Weg  auffallend  besser, 
leider  nur  stellte  sich  zu  bald  eine  türkische  Strasse  ein,  und  mit  der 
Bequemlichkeit  war  es  vorbei.  Die  roh  zubehauenen  Steine  waren  so 
glatt,  dass  wir  uns  vor  dem  Ausrutschen  hüten  mussten;  an  den  meisten 
Stellen  war  der  Saumweg  jedoch  verfallen,  und  schliesslich  wanderten 
wir  auf  einem  endlosen  Blockmeere  wie  in  dem  trockenen  Bett  eines 
Wildbaches  abwärts.  Vor  dem  letzten  Kriege  lief  über  den  Sutorman- 
Pass    die  Grenze,    und   der  Pfad  Antivari-Muric   wurde  aus  dem   Grunde 


Nach  Antivari  und  Dulcigno. 


igy 


viel  benutzt,  weil  die  Türkei  sich  eine  von  Montenegro  unabhängige 
Strasse  sichern  wollte.  Nachdem  aber  das  Küstenland  in  montenegri- 
nischen Besitz  übergegangen  und  Antivari  mit  Virbazar  durch  eine  Fahr- 
strasse verbunden  war,  überliess  man  den  alten  überaus  beschwer- 
lichen Pfad  quer  über  das  Gebirge  seinem   Schicksal. 

Wir  waren  in  eine  schroftwandige  Thalenge  gelangt,  die  uns  den 
Anblick  der  Stadt  noch  immer  missgönnte.  Der  am  Grunde  schäumende 
Wildbach  wurde  auf  schmalen  Steinbrücken  zweimal   überschritten,  und 


Die  Rumija  und  Antivari,  vom  Hafen  aus. 


endlich  mehrten  sich  die  Anzeichen,  dass  die  alte  Türkenveste  nicht 
mehr  fern  sein  konnte.  Einige  vollständig  in  Trümmer  geschossene 
Forts  waren  die  ersten  Vorboten,  dann  rasteten  wir  an  einer  überhän- 
genden Schieferwand,  die  eine  mit  Schiessscharten  gespickte  Mauer 
stützte.  Aus  sorgsam  gearbeiteter  Steinfassung  sprang  ein  heller  Wasser- 
strahl, und  verborgene  Röhren  leiteten  den  Ueberschuss  in  die  Festung. 
Wir  bogen  um  einen  niedrigen  Felsvorsprung,  und  mehr  erschrocken 
als  erstaunt  hemmten  wir  unseren  Schritt,  denn  vor  uns  lagen  —  die 
Ruinen  von  Antivari.  Da  gab  es  kein  Gebäude,  in  welches  die  monte- 
negrinischen    Kanonen     nicht     eine    klaffende    Bresche    gelegt    hätten. 


200  Nach  Antivari  und  Dulcigno. 

Selten  war  von  den  Dächern,  den  spitzen  Minarets  und  den  hohen 
Rauchfängen  ein  dürftiger  Rest  erhalten  ;  hier  schauten  verkohlte  Balken 
aus  den  rauchgeschwärzten  Mauern,  dort  standen  noch  die  blendend 
weissen  Wände  und  drohten,  jeden  Augenblick  einzustürzen.  Mächtige 
Rosen-  und  Goldregensträucher,  Feigen-  und  Lorbeerbüsche  verhüllten 
schmeichelnd  die  zerborstenen  Mauern  und  umschlangen  die  zersprun- 
genen Quadern  in  fester  Umarmung.  Noch  schrecklicher  entrollten  sich 
die  Spuren  der  Verwüstung,  als  wir  am  nächsten  Tage  die  Trümmer- 
stadt durchwanderten.  Undurchdringliche  Schuttmassen  erfüllten  die 
Gassen,  in  denen  kein  Haus  unversehrt  geblieben  war,  verrostete  Ka- 
nonen lagen  überall  herum,  und  der  eingegrabene  Stern  und  die  fremd- 
artigen, verschnörkelten  Buchstaben  zeigten,  dass  es  türkische  Geschütze 
waren,  die  den  Siegern  in  die  Hand  fielen.  Sechs  Wochen  belagerten 
die  Montenegriner  die  feindlichen  Wälle,  und  erst  nachdem  sie 
durch  einen  kühnen  Handstreich  die  Wasserleitung  zerstört  hatten,  er- 
gab sich  die  Garnison.  Auch  Spizza  und  Dulcigno  mussten  vor  den 
triumphirenden  Bergsöhnen  die  Flagge  streichen,  und  \'ojvoda  Maso 
Vrbica,  dem  Befehlshaber  der  Artillerie  und  zugleich  einem  scharfsin- 
nigen Ingenieur,  gebührte  in  erster  Linie  die  Siegespalme. 

Langsam  näherten  wir  uns  den  hochromantischen  Ruinen,  die 
einer  verwunschenen  Stadt  aus  Tausend  und  einer  Nacht  glichen.  \'on 
den  Hügeln  bis  zum  Meere  breitete  sich  ein  silbergrüner  Olivenwald 
aus,  der  so  hoch  und  dicht  war,  dass  nur  zuweilen  ein  rothes  Dach  aus 
ihm  hervorschaute.  Unter  den  verschlungenen  Baumkronen  wandelten 
wir  leicht  dahin  und  sahen  uns  bald  zwischen  den  zerstreuten  Häusern, 
die,  umschlossen  von  hässlichen  Mauern,  sich  zu  einem  Labyrinth 
enger,  winkeliger  Gässchen  aneinanderreihten.  Jetzt  stehen  wir  vor  einem 
festen  Wall,  der  wie  die  Wasserleitung  ein  Werk  der  \'enetianer  ist. 
Im  Osten  findet  er  an  der  tiefen  Schlucht,  in  der  wir  abwärts  wanderten 
und  in  der  die  neue  Olivenöl-Raffinerie  errichtet  ist.  einen  natürlichen 
Graben.  Die  Mauer  umschliesst  das  Reich  des  Todes,  und  um  sie  grup- 
pieren sich  die  vom  Feuer  verschonten  oder  neu  aufgebauten  Häuser. 
Ueberhaupt  kann  man  für  unsere  Stadt  vier  Perioden  unterscheiden. 
Sie  wurde  von  den  Römern  gegründet  und  Antibarium  genannt,  weil 
sie  dem  italienischen  Hafen  Bari  gegenüberliegt.  Gut  erhaltene  Inschriften 
und  einige  leider  sehr  beschädigte  Gebäude  erinnern  an  diese  alte 
Zeit.  Hierauf  kamen  die  Venetianer,  nach  ihnen  die  Türken,  bis  endlich 
das  jugendkräftige  j\Iontenegro  die   Herrschaft  in  die   Hand  nahm. 

Obwohl  nach  dem  Kriege  sehr  viele  Türken  Antivari  (slavisch  Bar) 
verliessen,   kann  man  die  Bevölkerung  doch  auf  looo  bis   1500    Seelen 


Nach  Antivari  und  Du'.cigno.  20I 

veranschlagen,  unter  denen  das  türkische  und  albanesische  Element  weit- 
aus überwiegt.  Eine  breite,  stark  geneigte  Strasse,  auf  deren  glattem 
Pflaster  man  sehr  vorsichtig  gehen  muss,  stellt  den  Bazar  dar,  und  in 
offenen  \''erkaufsbuden  mit  vorspringendem  Dach  werden  allerhand 
Dinge  feilgeboten;  doch  sucht  man  vergebens  nach  Artikeln,  die  wir 
nicht  schon  in  Podgorica  gesehen  hätten,  und  nur  eins  gab  es,  wonach 
sich  der  Deutsche  immer  sehnt:  Bier!  Dankbar  gedachte  ich  des  österrei- 
chisch-ungarischen Lloyd,  dessen  Schiffe  zweimal  wöchentlich  hier  halten 
und  den  schäumenden  Gerstensaft  an  diese  halb  vergessenen  Küsten 
tragen,  und  eilends  trat  ich  in  den  Laden,  der  die  wohlverkorkten 
Flaschen  enthielt.  Auch  Besuch  stellte  sich  ein,  nicht  das  faule, 
bettelnde  Volk,  welches  sich  vor  dem  Verkaufsstande  ansammelte, 
sondern  ein  alter  österreichischer  Tischler,  der  gleich  von  mir  wissen 
wollte,  wie  es   »draussen«   aussähe. 

Erst  um  4  Uhr  dachten  wir  daran,  zupi  Pristan  (Hafen)  zu  wan- 
dern. Wohl  gab  es  in  der  Stadt  einige  Schänken  und  Hans;  da  sich 
indessen  der  Hafen  einer  nach  abendländischer  Art  eingerichteten  Lo- 
canda  erfreute,  so  zog  ich  diese  natürlich  vor.  Der  belebte  Bazar  mit 
seinen  Läden  und  offenen  Werkstätten  nahm  rasch  ein  Ende,  aber  am 
Bergrande  waren  noch  zahlreiche  Häuser  angelegt,  und  im  Umkreise 
zierten  freundliche  Ortschaften  die  grasigen  Bergrücken.  Die  Ebene, 
in  welche  wir  hinabstiegen,  bildete  einen  einzigen  Garten  voll 
unbeschreiblicher  Fruchtbarkeit.  Wo  der  Wald  der  hundertjährigen  Oel- 
bäume  eine  Lücke  aufwies,  da  drängten  sich  Maisfelder,  Feigen  und 
Granaten  hinein,  an  schlanken  Pappeln  rankte  sich  der  edle  W^ein 
empor  und  kaum  verbarg  das  Blattgewirr  die  schweren,  grossbeerigen 
Trauben.  Quellen  und  Bäche  bewässerten  dieses  Paradies,  und  so  gross 
war  der  Ueberfluss  an  Feuchtigkeit,  dass  er  den  Grund  stellenweise  in 
einen  Morast  Acrwandelte,  während  die  tiefsten  Fluren  in  der  Nachbar- 
schaft des  Meeres  wegen  der  alljährlichen  Ueberschwemmungen  nur 
schmiegsame  \\'eiden,  düstere  Lebensbäume  und  mageres  Gras  trugen. 
Welch'  eine  Fülle  landschaftlicher  Gegensätze  bot  sich  dar,  wenn  man 
den  Blick  über  die  Niederung  schweifen  Hess!  Im  Westen  schienen  die 
brandenden  Wogen  der  Adria  mit  den  \\'olken  zu  verschwimmen  ;  im 
Norden  thürmten  sich  Sutorman  und  \'rsuta  auf,  aber  die  wildesten  Berg- 
zinnen umschlossen  im  Osten  und  Süden  die  Ivbene,  die  ihre  Entstehung 
den  Meeres-  und  Flussanschwemmungen  verdankt.  Hier  fiel  der  eben- 
,  massige  Lisin  in  steilen,  zerrissenen  Wänden  ab,  an  ihn  stiess,  durch 
ein  breites  Thal  getrennt,  die  Rumija.  Bestimmte  Formen  sind  in  ihrer 
von    Schutthalden    und    Erosionsrinnen    erfüllten    Mauer    schwer  zu  er- 


202  Nach   Antivari  und  Dulcigno. 

kennen :  was  sie  aber  vor  allem  auszeichnet,  das  ist  nicht  bloss  die  pit- 
toreske Lage  von  Antivari  (182  Meter),  in  noch  höherem  Grade  sind 
es  die  colossalen  Faltungen  und  Knickungen  der  fast  senkrecht  abge- 
brochenen Gesteinsschichten,  die  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  für 
eine  Verwerfung  sprechen,  wie  wir  sie  eben  deshalb  für  das  Skrk-Thal 
im  Durmitor  annahmen  und  wie  sie  bereits  Tietze  hierher  verlegte.  In 
diesem  Falle  kommt  hinzu,  dass  die  Kalke  der  Rumija  wegen  der  unter- 
lagernden Werfener  und  W'engener  Schichten  triadisch  sind,  dabei  aber 
unmittelbar  neben  einer  Zone  tertiären  Flysches  lagern,  ferner  dass 
Tietze  hier  ein  Erdbeben  erlebte,  wie  solche  für  Gebiete  tektonischer 
Stöi'ungen  bekanntermassen  charakteristisch  sind. 

Der  Hafen  ist  mit  der  5  Kilometer  entfernten  Stadt  durch  eine 
Fahrstrasse  verbunden,  und  seinen  Einrichtungen  merkt  man  sofort  das 
jugendliche  Alter  an,  wenngleich  nicht  geleugnet  werden  kann,  dass 
bereits  ein  anerkennenswerther  Fortschritt  zum  Bessern  gemacht  worden 
ist.  Etwa  ein  Dutzend  einstöckiger  Häuser  zieht  sich  längs  der  weit  ins 
Meer  vorspringenden  Volovica  hin,  kräftige  Bäume  beschatten  die  Ma- 
rina, und  erbeutete  Geschützrohre,  sowie  mehrere  Pyramiden  verrosteter 
Kanonenkugeln  verleihen  dem  Ganzen  ein  kriegerisches  Gepräge.  Die 
Bai  selbst  ist  wegen  ihrer  Seichtigkeit  grösseren  Schiffen  nicht  zugänglich; 
doch  wird  eine  Ausbaggerung,  die  bei  gesteigertem  Verkehr  nothwendig 
vorgenommen  werden  muss,  dieses  Hindernis  leicht  beseitigen,  und  wo 
die  Volovica  gegen  Stürme  nicht  mehr  wirksam  genug  ist,  lassen  sich 
Wellenbrecher  oder  andere  Schutzanlagen  anbringen.  Obwohl  Monte- 
negro beide  Hafenplätze  der  weiten  Bucht,  Antivari  und  Spizza,  mit 
stürmender  Hand  eroberte,  nahm  Oesterreich  Spizza  und  den  grössten 
Theil  des  Bassins  für  sich  in  Anspruch,  und  zwar  aus  militärischen 
Gründen,  weil  es  so  den  montenegrinischen  Küstenantheil  überwachen 
konnte. 

Doch  nun  machen  wir  es  uns  in  der  wohnlichen  Locanda  be- 
quem und  versparen  uns  die  Besichtigung  der  Stadt  und  ihrer  Umge- 
bung auf  morgen.  Längs  des  Meeres  gehen  wir  zu  dem  innerlich  wie 
äusserlich  eleganten  Palaste  des  Fürsten  und  zu  dem  Leuchtthurm,  der 
auf  der  Punta  Volovica  neben  den  Trümmern  eines  alten  Türkenforts 
erbaut  ist.  Am  Nachmittag  führt  uns  ein  Soldat  in  die  grausige  Trüm- 
merstadt von  Antivari,  deren  Besuch  ohne  Erlaubniss  der  Behörden  nicht 
gestattet  ist,  und  in  der  Frühe  des  i.  October  sind  wir  zu  unserem 
Marsche  nach   Dulcigno  gerüstet. 

Anfangs  war  der  Weg  sehr  schlecht,  da  wir  einen  abkürzenden 
Fusspfad    längs    der   stark   verkarsteten    Volovica   einschlugen.    Oft  gab 


Nach  x\ntivari  und  Dulcieno. 


203 


uns  nur  die  Telegraphenleitung  nach  Scutari  die  Richtung  an,  und 
schliesslich  verirrten  wir  uns  ganz,  so  dass  wir  querfeldein  liefen,  bis 
wir  zu  einem  Dorfe  unweit  Antivari  kamen  und  eine  türkische  Strasse 
betraten,  die  wie  alle  ihresgleichen  von  höchst  fragwürdiger  Beschaffen- 
heit war  und  den  armen  Füssen  ein  grosses  Opfer  zumuthete.  \\'ir 
waren  daher  sehr  froh,  als  der  Mensch  ganz  und  gar  aufgehört  hatte, 
die  Natur  zu  verschlechtern,   statt  zu  verbessern. 


Der  Lisin,  von  Antivari  aus. 


Unser  Weg  führte  zwischen  Olivenhainen,  Obstgärten  und  den 
hohen  Mauern  der  peinlich  verwahrten  Türkenhäuser  hin.  In  die  Fugen 
hatten  sich  mit  verschwenderischer  Ueppigkeit  die  lieblichen  Kinder  der 
süd-europäischen  Flora  eingenistet  und  begleiteten  uns  bis  zu  unserem 
Ziele.  Immergrüne  Eichen  und  ernste  Pinien,  Lorbeer-  und  Myrthen- 
büsche  umsäumten  die  Gehänge,  dornige  Sträucher  zogen  schützende 
Hecken  um  die  Getreide-  und  Tabakfelder,  und  bis  auf  die  höchsten 
Spitzen  der  thurmhohen  Pappeln  kletterten  die  fruchtbeladenen  Reben, 
deren  ■  unerreichbare,  pfundschwere  Trauben  vertrockneten  oder  eine 
Beute  der  gefrässijren  Vösrel  wurden. 


204  Nach  Antivari  und  Dulcigno. 

Nun  stiegen  wir,  begleitet  von  dem  azurblauen  Meere,  an  den 
Ausläufern  des  Lisin  über  Dobravoda  (Gutes  Wasser,  262  Meter),  Pe- 
curica  (225  Meter)  und  Kunje  (325  Meter)  beständig  auf  und  ab,  denn 
vor  das  zusehends  niedriger  werdende  Küstengebirge  schiebt  sich  eine 
Reihe  flacher  Ketten,  die  quer  zu  unserem  Wege  zur  Adria  streichen, 
aus  leicht  zerstörbaren  Nummulitenkalken,  Flyschschiefern  und  Sand- 
steinen bestehen  und  von  der  Brandung  in  eine  imposante  Steilküste 
umgewandelt  sind.  Dabei  leisteten  die  härteren  Kalke  länger  Widerstand 
als  die  weichen  Schiefer,  und  daher  setzt  sich  das  Gestade  aus  einer 
Menge  kleiner  Buchten  zusammen,  die  durch  die  vorragenden  Kalk- 
zungen von  einander  getrennt  werden.  Man  kann  sich  keine  schärferen 
landschaftlichen  Gegensätze  denken  als  zwischen  diesen  beiden  Gesteins- 
complexen,  die  zwischen  Antivari  und  Dulcigno  je  dreimal  mit  einander 
abwechseln.  Der  graue  verkarstete  Kalk,  der  z.  B.  bei  Kunje  reich  an 
Nummuliten  ist,  bildet  baumarme,  wasserlose  Rücken,  die  unter  sich 
und  mit  dem  Küstengebirge  parallel  laufen  und  in  der  Mozura-Planina 
ihre  bedeutendste  Höhe  erlangen.  Die  dunkelgrünen,  feinblätterigen  und 
leicht  ablösbaren  Schiefer  zeichnen  sich  durch  eine  Fülle  von  Vegetation 
und  Wasser  aus;  sie  nehmen  die  Thalmulden  ein,  werden  von  Bach- 
schluchten mannigfach  zerschnitten  und  neigen  gern  zu  Rutschungen. 
In  ihnen  sind  Acker-  und  Weinbau  zu  Hause,  und  manche  der  kleinen 
Becken  wie  Mirkojevici  und  Gorana  gleichen    einem    lieblichen    Garten. 

Bei  Kunje  begann  dichter  Eichenwald  vorzuherrschen,  und  in 
grossen  Biegungen  erklomm  der  Pfad  die  steinige  Mozura  Planina. 
Nichts  verrieth  in  diesen  gesegneten  Gefilden  den  Einzug  des  Herbstes, 
im  Gegentheil,  die  Sonne  brannte  so  heiss,  dass  wir  uns  im  Hochsom- 
mer wähnten.  Mancher  Schweisstropfen  rollte  von  der  gebräunten  Stirn, 
als  wir  uns  an  den  nicht  gerade  steilen  Lehnen  versuchten,  und  er- 
wartungsvoll begrüssten  wir  drei  ausgemauerte  Cisternen,  die  auf  halber 
Bergeshöhe  angelegt  waren.  Wohl  leuchtete  aus  der  Tiefe  das  kühle 
Nass  herauf,  und  doch  war  es  für  uns  werthlos,  denn  es  gab  keine 
Schöpfgeräthe,  mittelst  deren  wir  das  durststillende  Getränk  heraufholen 
konnten.  Da  der  Bergrücken  (452  Meter)  bald  überwunden  war,  so  ver- 
gassen  wir  unser  Missgeschick,  zumal  sich  zu  der  Aussicht,  die  wir  bis- 
her genossen,  ein  lieber  alter  Bekannter,  der  Scutari-See,  gesellte.  Auch 
der  südliche  Theil  der  Adria  öffnete  sich.  Dulcigno  war  noch  nicht 
sichtbar,  aber  die  unserem  Standpunkte  parallel  laufenden  Hügelzüge 
lagen  frei  vor  uns,  und  hinter  ihnen  breitete  sich  die  endlose  Bojana- 
Ebene  aus,  der  erst  die  nebelverhüllten  Berge  jenseits  des  Drin  ein 
Ziel  setzten. 


Nach  Antivari  und  Dulcisino. 


:o5 


Eben  wollte  ich  meinen  Diener  einholen,  als  ich  ein  lautes  »Stani 
(Halt)!«  vernahm  und  sah,  wie  ein  Montenegriner  mit  schussfertigem 
Revolver  vor  dem  erbosten  Marko  stand  und  bei  meiner  Ankunft  die 
gefährliche  Waffe  sinken  liess.  Es  war  der  Briefträger,  der  die  Post  von 
Dulcigno  nach  Antivari  beförderte  und  uns  über  sein  Gebaren  sofort 
aufklärte.  Es  sei,  sagte  er,  in  diesen  von  den  Albanesen  noch  immer 
unsicher  gemachten  Gegenden  ein  Gebot  der  Klugheit,  den  Revolver 
jederzeit  bereit  zu  halten  und  von  Jedem  Aufschluss  über  seine  Perso- 
nalien zu  verlangen,  da  jene  unbotmässigen  Menschen  oft  genug  einen 
Raubmord  verübten  und  in  das  nahe  türkische  Gebiet,  das  Eldorado 
aller  Verbrecher,  flüchteten.  Höchlichst  vergnügt  über  das  lustige  Aben- 
teuer sagte  ich  dem  kriegerischen  Diener  Stephans  Lebewohl,  Marko 
dagegen  konnte  seine  Aufregung  nicht  gleich  bemeistern  und  ärgerte 
sich  weidlich  über  seinen  unhöflichen  Landsmann. 

Vorbei  an  den  Dörfern  Kruc  und  Kruse  stiegen  wir  in  ein  schma- 
les Thal  hinab,  dessen  geröllreicher  Bach  so  wenig  Wasser  führte, 
dass  die  Mühlen  an  seinen  Ufern  still  standen.  Die  kalkigen  Hügel 
beiderseits  wurden  niedriger,  bei  Bratica  (53  Meter)  erweiterte  sich  die 
enge  Rinne  mehr  und  mehr,  und  die  \"egetation  wurde  wieder  üp- 
piger. Auf  dem  kahlen,  sonnigen  Gestein  wuchsen  stachelblätterige 
Eichen,  mächtige  Aloes,  der  überall  im  warmen  Küstenlande  heimische 
spanische  Ginster,  und  zwischen  dichtem  Gestrüpp  bemerkte  ich  die 
erste  Palme  in  Montenegro,  die  Stechpalme.  Jetzt  öffnete  sich  auch  die 
grüne  Bojana-Ebene ;  ein  paar  Schritte  noch  auf  der  verfallenen  tür- 
kischen Strasse  und  das  vielgenannte  Dulcigno  lag  vor  uns.  Im  ersten 
Augenblicke  wusste  ich  nicht,  was  ich  sagen  und  denken  sollte.  Ich 
erinnerte;  mich  eines  Holzschnittes  aus  einer  illustrirten  Zeitschrift,  der 
eine  kleine  Felsinsel  mit  einer  Zusammienhäufung  elender  Gebäude  dar- 
stellte. Ich  hatte  deshalb  meine  Erwartungen  nicht  sehr  hoch  gespannt 
und  erstaunte  um  so  mehr,  als  nichts  von  diesen  Phantasiegebilden 
vorhanden  war.  Doch  versparen  wir  unsere  Eindrücke  auf  eine  zusam- 
menhängende Schilderung  und  führen  wir  rasch  unsere  Erlebnisse 
zu  Ende.  Am  Hafen  bot  uns  die  saubere  Locanda  eines  Albanesen 
einen  angenehmen  Aufenthalt,  und  der  nächste  Tag  galt  der  Besich- 
tigung der  Stadt,  der  ich  viel  mehr  Reize  und  Interesse  abgewinnen 
konnte  als  dem  vielgepriesenen  Scutari. 

Dulcigno,  das  Olcinium  der  Römer,  Uljcinj  der  Slaven,  Olgun  der 
Albanesen,  zerfällt  in  die  alte  und  in  die  neue  Stadt.  Erstere,  auf  den 
schroff  zum  Meere  abfallenden  Ausläufern  der  Bijela  Gora  errichtet, 
bietet  das    malerische    Bild  zerstörter     Ruinen    und    beherbergt  für  den 


2(55  Nach   Antivari  und  Dulcigno. 

Archäologen  manchen  kostbaren  Schatz,  da  sie  nicht  weniger  als  fünf 
Herren,  den  Römern,  Byzantinern,  Serben,  Venetianern  und  Türken, 
gehörte,  bis  sie  als  Entgelt  für  das  Gebiet  von  Gusinje  und  Flava  den 
Montenegrinern  zugesprochen  wurde.  Allerdings  hat  die  Flotten-Demon- 
stration, durch  welche  die  Grossmächte  die  Türkei  oder  vielmehr  die  nach 
Selbstständigkeit  strebende  Albanesische  Liga  zur  Abtretung  dieses  Ha- 
fens zwangen,  beträchtlichen  Schaden  angerichtet,  obgleich  das  Zer- 
störungswerk nicht  von  so  furchtbaren  Wirkungen  begleitet  war,  wie  in 
Antivari.  Kümmerliche  Reste  von  Häusern  und  Minarets,  die  Ruinen 
einer  alten  lateinischen  Kirche  und  durchlöcherte  Mauern  ragen  in 
die  Luft,  und  bloss  der  starke  Festungswall  und  die  meterdicken 
Wände  des  Castells  haben  sich  ziemlich  gut  erhalten.  Jetzt  ist  das  alte 
Dulcigno  fast  verlassen,  und  seine  als  kühne  Piraten  berüchtigten  Be- 
wohner machen  nicht  mehr  die  Küsten  der  Adria  bis  hinüber  nach 
Italien  und  Sicilien  unsicher. 

Wir  suchen  die  Neustadt  auf,  wo  ein  warm  pulsirendes  Leben 
uns  entgegenschlägt  und  wo  wir  drei  Theile  unterscheiden  können, 
den  Hafen,  den  Bazar  und  die  sich  um  beide  gruppirenden  Gebäude. 
Der  erstere  bildet  ein  kleines,  auf  drei  Seiten  von  klippigen  Uferwänden 
umschlossenes  Bassin,  das  sich  mit  der  ausgedehnten  Bai  von  Antivari 
in  keiner  Weise  messen  kann.  Die  schroffen  Hügel  gehören  dem  ma- 
rinen Neogen  an  und  bestehen  aus  abgerundeten  Kalkstücken,  die  durch 
ein  gelb  gefärbtes,  ockeriges,  lehmiges  oder  sandiges  Bindemittel  ver- 
kittet sind  und  Reste  von  Austern  und  Bohrmuscheln  enthalten.  Leider 
ist  die  Bucht  so  versandet,  dass  sich  viele  Meter  entfernt  vom  Strande 
die  Wellen  brechen  und  dass  tiefgehende  Schiffe  nicht  einfahren  kön- 
nen. Eine  gründliche  Ausbaggerung  ist  also  auch  hier  nothwendig.  Die 
Bucr;t  ist  der  Ausläufer  eines  schmalen  Querthaies,  wie  deren  mehrere 
von  den  früher  erwähnten  Parallelketten  herabkommen;  eine  Senke  da- 
gegen, die  zwischen  Bijela  Gora  und  Mendra  verlaufend  die  parallele 
Hauptrichtung  beibehält  und  Val  di  Xoce  fNussthal)  heisst,  endigt  in 
dem  zweiten  Hafen,  der  einen  Leuchtthurm  besitzt.  Er  liegt  4  Kilometer 
von  der  Stadt  ab,  ist  viel  grösser  als  der  erstere  und  bis  ans  Ufer  tief 
genug.  Auf  drei  Seiten  vortrefflich  geschützt,  wäre  er  auf  der  vierten 
leicht  durch  Dämme  zu  sichern,  eine  Fahrstrasse  Hesse  sich  ohne  wei- 
teres anlegen,  und  alle  Bedingungen  wären  gegeben,  um  hier  den  Zu- 
kunftshafen von  Dulcigno  zu  schaffen. 

Ehe  wir  vom  Strande  auf  den  Bazar  gelangen,  müssen  wir  mehrere 
schmale  Gässchen  durchwandern,  die  in  einer  breiten  Fahrstrasse  enden. 
Eine  Bachrinne  läuft  neben  ihr  hin,   und  zu  beiden  Seiten  tauchen  zer- 


Nach  Antivari  und  Dulcigno. 


20- 


streute  Häuser  aus  dem  Grün  auf,  bis  die  Handelsstadt  Dulcigno  ihren 
Anfang  nimmt,  auf  deren  Getriebe  ein  altehrwürdiger  Uhrthurm  her- 
niederschaut. Die  Läden  zwar  haben  sich  nicht  verändert,  und  auch  die 
Waren  sind  zum  kleinsten  Theil  Erzeugnisse  des  einheimischen  Gewerbe- 
fieisses.  Da  aber  die  Handwerker  ihre  Beschäftigung  nicht  hinter  ver- 
schlossenen Thüren  ausüben,  so  kann  man  mit  Müsse  die  Geschicklich- 
keit der  Töpfer  und  Klempner,  Tischler  und  Holzschnitzer,  Schuhmacher 
und  Schneider  bewundern,  während  vom  andern  Ende  der  Strasse  das 


L 


Dulcigno  (Altstadt). 


Hummern  der  gewandten  Schmiede  heraufschallt.  Hier  legen  die  Bäcker 
ihre  flachen  Brote  aus  dort  zerhackt  der  Fleischer  das  wichtigste 
Schlachtthier  des  Orients,  den  Hammel,  und  überall  halten  Obstverkäufer 
oder  geschwätzige,  vermummte  Frauen  ihre  verlockenden  Früchte  feil. 
Neben  einem  der  vielen  Tabaksläden  hat  ein  Materialwarenhändler  seinen 
Stand  aufgeschlagen,  und  dort  locken  Kleiderstoffe,  Schmucksachen  und 
farbige  Kleinigkeiten  die  Damenwelt  an.  Die  Kaufleute  sind  mit  wenigen 
Ausnahmen  Türken  und  Albanesen,  die  Montenegriner  besitzen  meist 
die     Hans    oder    die  primitiven    Kaffeehäuser,    und    fortwährend    tragen 


2oS  Nach  Antivari  und  Duicigno. 

flinke  Jungen  den  duftenden  Mocca  in  kleinen  Schälchen  von  Haus 
zu  Haus. 

In  Duicigno  tritt  das  montenegrinische  Element  noch  mehr  zurück 
wie  in  Antivari;  auch  die  Tracht  ist  südlich  der  Mozura  eine  andere 
geworden,  indem  sie  sich  mehr  an  die  prunkvolle  Scutariner  Kleidung 
anlehnt.  Das  grösste  Interesse  gebührt  jedoch  den  Frauen,  denen 
gerade  hier  die  Sitte  eine  abscheuliche  \"ermummung  aufgezwungen 
hat.  Auf  gelbe  Schuhe  fallen  weite,  faltige  Hosen  herab,  bauschige 
seidene  Obergewänder  werden  von  einem  bunt  gestreiften  Gürtel  zu- 
sammengehalten, und  rabenschwarzes  Haar  hängt  über  das  weiche  Ge- 
sicht, aus  welchem  zwei  schwarze,  lebhafte  Augen  blitzen.  Aber  wie 
wenig  kann  man  von  den  feinen  Zügen  sehen.  Ein  seidener  Schleier 
verhüllt  das  Gesicht  bis  auf  Augen  und  Stirn,  darüber  wird  ein  Shawl 
geschlungen  und  um  Alles  ungeachtet  der  Hitze  ein  Mantel  aus 
schwerem,  grobem  Stoff  geworfen,  der  zum  Ueberfluss  eine  hässliche 
Kaputze  besitzt  und  mit  dem  vielfarbigen  Costüm  nicht  im  geringsten 
harmonirt.  Allerdings  lüften  die  Muhamedanerinnen,  wenn  sie  sich  unbe- 
achtet glauben,  gern  die  lästige  Hülle,  und  man  erkennt  zuweilen  die 
zarten,  ebenmässigen  Züge,  die  man  an  den  unverschleierten  Mädchen 
bewundert;  sowie  sie  jedoch  des  Mannes  ansichtig  werden,  ziehen  sie 
rasch  den  Mantel  um  und  wenden  das  Gesicht  ab,  bis  der  Fremde 
vorüber  ist.  Wie  ungeheuer  stechen  von  den  Türkinnen  die  knöchernen, 
sonnenverbrannten  und  dürftig  gekleideten  Montenegrinerinnen  ab,  die 
sich  beim  Strassen-  und  Hausbau  ihr  Brot  verdienen  müssen,  Sie  sind 
die  abgehärteten  Vertreterinnen  der  Entbehrung  und  der  Arbeit,  während 
jene  auf  weichem  Pfühl  dem  Nichtsthun  huldigen. 

Ueber  den  Frauen  hätten  wir  beinahe  etwas  vergessen,  was  unsere 
Aufmerksamkeit  nicht  minder  verdient.  Begegneten  wir  schon  in  Anti- 
vari vereinzelten  Söhnen  des  Schwarzen  Erdtheils,  so  giebt  es  in  Dui- 
cigno gleich  eine  ganze  Negercolonie,  die  sich  aus  allen  Farben  und 
Stämmen  der  äthiopischen  Rasse  zusammensetzt  und  ein  origineller 
Rest  aus  der  Türkenzeit  ist,  in  welcher  diese  schwarzen  und  dunkel- 
braunen  Gestalten  im  Haremsdienst  u.   s.  w.   Verwendung  fanden. 

Wir  haben  noch  den  dritten  Theil  des  eigenartigen  Küstenplatzes, 
die  Villencolonie  und  die  vom  Meere  aus  nicht  sichtbare  Neustadt,  zu 
durchwandern.  Jene  liegt  am  Hafen  und  zeigt  bereits  eine  recht  statt- 
liche Entwicklung;  dort  steht  das  Palais  des  Fürsten,  die  Wohnung 
des  Gouverneurs,  das  Lusthaus  des  russischen  Residenten,  das  türkische 
Consulat  u,  s,  w.  Auch  eine  Moschee  fehlt  nicht:  von  ihrem  Minaret 
aus    fordert    der    Muezzin    die  Moslims    zum    Gebet  auf,    ihm  antwortet 


Nach   Antivari  und  Dulcitjno. 


2og 


der  Muezzin  aus  der  Altstadt,  und  bald  erschallt  der  gleiche  Ruf  von 
den  übrigen  Minarets,  die  wie  Nadeln  die  rothen  Dächer  von  Neu-Ulj- 
cinj  überragen. 

In  dem  anmuthigen  Thale,  dessen  wir  schon  mehrfach  gedacht, 
sind  die  Wohnstätten  des  neuen  Viertels  zerstreut.  Die  Häuser  sind 
ganz  nach  türkischer  Art  gebaut,  die  Wände  mit  Malereien  und 
Inschriften  bedeckt,  die  Fenster  nach  der  Strasse  zu  klein  und  ver- 
gittert oder  gänzlich  durch  feine  Holzgitter  ersetzt.  Auf  der  Bijela  Gora 
stehen  die  kleinen  Kirchen  der  Orthodoxen  und  Katholiken  (138  Meter), 
die  wogenumtoste  Mendra  ziert  das  neu  erbaute  stattliche  Gotteshaus 
der  Orthodoxen,  und  nun  nimmt  uns  ein  unabsehbarer  Olivenwald 
auf,  in  dessen  Schatten  wir  stundenlang  sitzen,  um  den  Blick  über 
das  blaue  Meer  und  die  malerischen  Ruinen  der  i\ltstadt  schweifen  zu 
lassen. 

Dulcigno  fordert  von  selbst  zu  einem  \'ergleiche  mit  Antivari  auf. 
Die  Beschaffenheit  der  Häfen  haben  wir  schon  hervorgehoben;  nur  ist 
die  Lage  der  Stadt  zum  Hafen  hier  eine  günstigere,  indem  beide  un- 
mittelbar zusammenhängen.  Die  Einwohnerzahl  von  Uljcinj  übertrifft 
die  von  Bar  um  ein  Bedeutendes,  denn  man  kann  trotz  der  massen- 
haften Auswanderung  der  Muhamedaner  4000  bis  4500  Seelen  an- 
nehmen. Wie  Antivari  als  Stapelplatz  für  Virbazar,  Podgorica  und  den 
nördlichen  Scatari-See  gelten  kann,  so  ist  Dulcigno  der  Vorhafen  von 
Scutari  und  dem  ertragreichen  Bojana-Gebiet.  Leider  fällt  der  Um- 
stand schwer  ins  Gewicht,  dass  die  Metropole  Nord-Albaniens  sich  in 
türkischem  Besitze  befindet  und  dass  ihre  Umgebung  zu  den  un- 
sichersten Theilen  der  Türkei  gehört.  Andererseits  liegt  das  von  den 
Montenegrinern  viel  benutzte  Cattaro  auf  österreichischem  Boden,  und  das 
Haus  Habsburg  wird  nie  daran  denken,  dasselbe  einer  anderen  Macht 
zu  überlassen.  Warum  streben  indessen  die  Crnogorcen  so  sehr  nach 
Cattaro,  das  einer  steilen  Gebirgsmauer  angelehnt  ist  und  Montenegros 
werthlosesten  Bezirk,  die  Katunska  Nahija,  zum  Hinterlande  hat?  Anti- 
vari und  Dulcigno  dagegen  besitzen  als  Hinterland  die  fruchtbaren 
Niederungen  um  den  Skadarsko  Jezero,  die  den  wirthschaftlichen  Mittel- 
punkt Albaniens  und  der  Schwarzen  Berge  ausmachen.  Allerdings 
müssten  beide  Häfen  eine  durchgreifende  Ausbaggerung  und  Ver- 
besserung erfahren,  und  die  Bojana-Regulirung  wäre  eine  ebenso  un- 
erlässliche  Vorbedingung,  damit  das  zeitraubende  und  preisvertheuernde 
Umladen  der  Waren  erspart  bliebe  und  damit  der  Dampfer  vom  Meere 
bis  Scutari  und  Rijeka    fahren    könnte.     Aber    das    kleine    Montenegro, 

Hassen.  Reise  durch  Montenegro.  I4 


210  Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari. 

jenes  Räubernest,  wie  man  es  noch  immer  gern  nennt,  hat  bereits 
eine  so  erspriesshche  reformatorische  Thätigkeit  entfaltet,  dass  es 
sicherHch  auch  hier  nach  Kräften  zur  Förderung  seiner  Interessen  bei- 
trasfen  wird. 


ig.    Capitel. 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück 

nach  Antivari. 


Da  jetzt  ein  Gebiet  vor  uns  lag,  in  welchem  die  serbische  Sprache 
nur  noch  von  den  Wenigsten  verstanden  wurde,  so  musste  uns  darum 
zu  thun  sein,  einen  des  Albanesischen  kundigen  Begleiter  zu  gewinnen. 
Marko,  so  hiess  unser  Dragoman,  war  ein  guter  Bekannter  meines 
Dieners  und  hatte  eine  bewegte  Vergangenheit  hinter  sich.  Er  war 
ein  Hercegoviner  aus  Bilek,  der  in  dem  berüchtigten  Corps  des  Insur- 
gentenführers Kovacevic  acht  Jahre  lang  ein  vogelfreies  Hajduken-,  d.  i. 
Räuberleben  führte  und  schliesslich  nach  Montenegro  flüchtete,  als  die 
verwegene  Schar  zersprengt  wurde  und  sich  auflöste.  Mir  gegenüber  zeigte 
er  sich  anfangs  etwas  zurückhaltend,  da  er  mich  bei  seinen  beschränkten 
geographischen  Kenntnissen  für  einen  der  verhassten  Oesterreicher  hielt; 
allmählich  thaute  er  jedoch  auf,  und  nach  vier  Tagen  schieden  wir  als 
die  besten  Freunde  von  einander. 

Südlich  von  Dulcigno  beginnt  die  öfters  erwähnte  Niederung,  die 
sich  weit  über  die  Bojana  und  den  Drin  fortsetzt  und  mit  dem  flachen 
Ostufer  des  Scutari-Sees  ein  Ganzes  bildet.  Sie  ist  wegen  ihrer  Frucht- 
barkeit berühmt,  und  nicht  ohne  Grund  heisst  ein  Theil  derselben,  das 
Stoj,  die  Kornkammer  Montenegros.  Zahllos  sind  die  Wiesen,  die 
Mais-,  Getreide-  und  Tabaksfelder,  die  Feigen-  und  Quittenbäume,  und 
üppige  Hecken  aus  Himbeer-,  Brombeer-  und  Haselnussgesträuch  um- 
geben die  einzelnen  Besitzthümer,  während  aus  dichtem  Unterholze 
Eichen  und  Erlen  hervorragen,  und  wegen  ihres  Reichthums  an  Reb- 
hühnern, Wildenten  und  anderem  Vogelwild  für  den  Jäger  ein  wahres 
Paradies  bedeuten.     Kein  Stein  ist  in  den  weichen  Humusboden  einge- 


Durch   ilie  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari.  211 

bettet,  der,  wie  die  vielen  Geleise  verrathen,  auch  fahrbar  ist,  ohne  dass 
der  Mensch  nöthig  hätte,  mit  künstlichen  Mitteln  einzugreifen.  3  Meter, 
ja  stellenweise  6  Aleter  und  tiefer  hat  sich  die  Bojana  in  das  Erdreich 
eingegraben,  ohne  auf  das  unterlagernde  Gestein  gestossen  zu  sein,  und 
alljährlich  führt  der  majestätische  Strom  durch  seine  Ueberschwem- 
mungen  dem  Boden  neue  Ackerkrume  zu.  Da  sein  Gefäll  ein  fast  un- 
merkliches ist,  so  vermag  er  bloss  die  feinen,  schlammigen  Stoffe 
niederzuschlagen,  und  wie  man  Aegypten  als  ein  Geschenk  des  Nil  be- 
zeichnet, so  kann  man  diese  Gegenden  als  ein  Geschenk  der  Bojana 
auffassen.  Leider  lässt  sie  Sümpfe  zurück  und  hat  lästige  Fieber  im 
Gefolge,  und  gerade  das  Stoj  ist  wegen  seiner  bösartigen  Bojana-Fieber 
so  verrufen,  dass  die  wenigen  Ansiedelungen  ausnahmslos  am  kühlen 
Meere  oder  am  luftigen  Gebirgshang  angelegt  sind. 

So  vollkommen  horizontal  ist  das  Niederland  und  so  dicht  sein 
Baumwuchs,  dass  man  das  Meer  nicht  sieht,  obwohl  der  Weg  noch 
nicht  I  Kilometer  entfernt  an  ihm  entlang  führt.  Nur  durch  das 
Brausen  der  Wogen,  das  noch  15  Kilometer  landeinwärts  in  Oboti  als 
dumpf  grollender  Donner  vernehmbar  ist,  verräth  sich  seine  unmittel- 
bare Nachbarschaft.  Man  muss  jedoch  hinzufügen,  dass  sich  flache 
Dünen,  die  einzigen  in  Montenegro,  an  der  Küste  hinziehen,  weshalb 
schon  aus  diesem  Grunde  der  freie  Ausblick  unmöglich  ist.  Ebenso 
bemerkt  man  die  Bojana  erst,  wenn  man  noch  wenige  hundert  Schritte 
von  ihr  entfernt  ist,  und  den  Zoganjsko-  und  Sas-See  bekommt  man 
überhaupt  nicht  zu  Gesicht,  obwohl  man  an  ihnen  gar  nur  in  Y2  Kilo- 
meter Entfernung  vorüberwandert.  So  plötzlich  sind  die  Berge  und 
die  schlechten  Wege  verschwunden,  dass  dieser  Umstand  geradezu 
befremdet,  und  in  der  That  haben  wir  in  dieser  Ebene  die  grossartige 
Wirkung  eines  geologischen  Ereignisses  vor  uns.  Bis  nach  Scutari 
und  über  den  Drin  wurden  die  schroffen  Mauern  des  Küstengebirges 
durch  tektonische  Störungen  abgebrochen  und  bildeten  die  innerste 
Piucht  des  grossen  süd-adriatischen  Einbruchskessels;  zahlreiche  Kalk- 
klippen, die  in  der  Streichungsrichtung  des  Küstengebirges  verlaufen, 
waren  die  Inseln  dieses  Golfes,  der  im  Laufe  der  Jahrtausende  wieder 
verlandet  wurde.  Am  Rande  der  Ebene,  bei  Dulcigno,  soll  eine  abbau- 
würdige Braunkohlenmine  aufgeschlossen  und  bereits  in  Angriff  ge- 
nommen worden  sein;  ich  hörte  davon  erst  in  Cetinje  und  kann  daher 
weder  Einzelheiten  angeben,  noch  für  die  Wahrheit  dieses  Gerüchtes 
einstehen. 

Wohlgemuth  marschirten  wir  am  3.  October  in  die  grüne,  wenig 
abwechslungsreiche   Ebene  und  standen  nach  einer  halben    Stunde    auf 

14* 


212  Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari. 

der  Holzbrücke  (lo  Meter),  welche  einen  schmalen  Canal  überspannt. 
Er  leitet  den  Ueberschuss  des  Zoganjsko  Jezero  ins  unersättliche  Meer, 
denn  dieser  abflusslose  Binnensee  entzog  durch  Versumpfung  seiner 
Ufer  grosse  Strecken  fruchtbaren  Ackerbodens  der  Cultur  und  ist  nach 
Anlage  des  Canals  beträchtlich  zurückgegangen. 

Wir  rasteten  einige  Zeit  in  dem  Hause  eines  unserem  Marko  be- 
freundeten Albanesen  und  erblickten  von  dort  die  Masten  der  an  der 
Bojana-Mündung  ankernden  Schifte.  Um  Yg^  Uhr  war  der  schmutzig- 
gelbe, 700  Meter  breite  Riesenstrom  und  das  Kirchdorf  Sinkol  oder 
Sveti  Nikola  (8  Meter)  erreicht.  Zahlreiche  Schiffe,  meist  Küstenfahrer, 
liefen  aus  und  ein,  und  auch  für  kleine  Dampfer  wäre  die  Bojana  zu- 
gänglich, hätten  sich  an  ihrer  Mündung  die  Sinkstoffe  nicht  zu  einer 
fliegenden  Barre  angehäuft,  die  mit  dem  Wechsel  von  Wind  und 
Strömung  beständig  ihre  Lage  verändert  und  bloss  noch  2  bis  5  Meter 
unter  dem  Meeresspiegel  liegt.  In  diesem  dritten  Hafen  seines  Landes 
besass  der  Fürst  ein  Landhaus,  das  in  seiner  Abwesenheit  der  Bezirks- 
Kapetan  inne  hatte.  Der  verantwortungsvolle  Posten  bedurfte  einer 
tüchtigen  Kraft,  und  Kapetan  Philipp  war  seiner  Stellung  durchaus  ge- 
wachsen. Der  fein  gebildete  Mann,  der  sammt  seiner  Gemahlin  das 
Italienische,  Französische  und  Albanesische  geläufig  sprach,  lud  uns 
mit  herzgewinnender  Freundlichkeit  ein  und  zog  uns  in  eine  interessante 
Unterhaltung.  Am  meisten  klagte  er  über  die  unausgesetzt  anhaltenden 
Fieber,  die  ihn  und  seine  Familie  schon  so  geschwächt  hatten,  dass 
^ie  tagtäglich  eine  nicht  unbedeutende  Dosis  Chinin  einnehmen  mussten, 
um  einem  sofortigen  Rückfalle  vorzubeugen. 

Unser  Pfad  führte  längs  der  Bojana  hin,  und  in  dem  regellosen 
Durcheinander  von  Feldwegen,  Hecken  und  Sümpfen  wussten  wir  oft 
nicht,  wo  aus  und  ein.  Nach  zwei  Stunden  betraten  wir  das  Dörfchen 
Rec  und  kehrten  bei  einem  katholischen  Albanesen  ein.  Zum  ersten 
Male  wurden  uns  hier  Süssigkeiten,  candierte  Aniskörner  u.  s.  w.  vor- 
gesetzt, die  in  dem  Paris  aller  Albanesen,  in  Scutari,  zubereitet  waren. 
Sonst  herrschten  dieselben  Gebräuche  wie  in  Muric;  doch  waren 
die  katholischen  Amanten  nicht  so  enthaltsam  wie  ihre  muhame- 
danischen  Stammesgenossen,  und  die  Branntweinflasche  machte  fleissig 
die  Runde, 

Vor  Einbruch  der  Dunkelheit  bestiegen  wir  eine  Hügelkuppe 
(76  Meter),  an  deren  Fuss  sich  das  kleine  Dorf  anschmiegte.  Die 
dünnbankigen,  mit  niederem  Buschholz  bewachsenen  Kalke  waren  des- 
halb von  Interesse,  weil  sie  Nummuliten  enthielten,  also  ein  isolirter 
Rest    der    früher    durchwanderten    Nummulitenkalke    waren.     Von    der 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari.  21  ^ 

Höhe  konnten  wir  die  weite  Ebene  überschauen  und  entdeckten 
jetzt  erst  die  stahlblaue  Wasserfläche  des  Zoganjsko-  und  Sas-Sees, 
während  sich  die  blutrothe  Scheibe  der  untergehenden  Sonne  in  der 
vielgewundenen  Bojana  wiederspiegelte. 

Von  unserem  Hügel  und  einem  ihm  gegenüberliegenden,  auf 
welchem  türkische  Soldaten  eben  Befestigungen  anlegten,  wird  der  ge- 
waltige Strom  zum  ersten  Male  eingeengt.  Allmählich  treten  die  letzten 
Ausläufer  des  Küstengebirges  und  die  flachen  Flügel  des  linken  Ufers 
näher  zusammen,  und  die  Gegend  verliert  den  Charakter  einer  voll- 
kommenen Ebene.  Sonst  bot  unser  Marsch  nach  dem  Grenzorte  Snerc 
oder  Sveti  Djordjijo  eben  so  wenig  etwas  Neues  wie  der  Rückweg 
längs  des  Gebirges  nach  Zoganj.  Das  Bemerkenswertheste  waren  die 
Rudisten,  die  der  Mali  Brijeg  (Kleiner  Hügel)  bei  Kneta,  einem  halb 
verfallenen  Weiler  zwischen  jenen  beiden  Orten,  enthielt. 

In  Zoganj  wusste  unser  Dolmetscher  ebenfalls  ein  gastliches  Dach, 
und  wir  wurden  von  seinem  Freunde,  einem  wohlhabenden  albanesischen 
Grundbesitzer  namens  Marko  Uijk,  aufs  herzlichste  empfangen.  Die 
Frauen  mussten  eine  grosse  Kanne  Feigenschnaps  herbeiholen,  und 
auf  die  erste  folgte  bald  eine  zweite.  Das  einzige  Glas  unseres  Wirthes 
kreiste  ohne  Aufhören  von  Mund  zu  ^^lund;  es  wurde  auf  gegenseitige 
Gesundheit,  auf  das  Wohlergehen  von  Haus,  Familie  und  Staat  ge- 
trunken, und  wenn  unsere  Complimente  erschöpft  waren,  so  begnügten 
wir  uns  mit  einem  einfachen  Ziviol  oder  Na  Zdravlje  (Zur  Gesundheit)! 
Als  Dankeswort  folgte  das  übliche  Zivio!  Zdravi  bio  (Ich  bin  gesund 
gewesen)!  oder  Bog  ti  da  zdravlje  (Gott  gebe  dir  Gesundheit)!  und  so 
ging  es  bis  zum  Mittagsmahle  hin  und  her.  Natürlich  wurde  uns  auch 
die  unvermeidliche  Cigarrette  gereicht;  denn  überall  waren  die  abge- 
ernteten Tabaksblätter  zum  Trocknen  aufgehängt,  und  Marko  Uijk  nahm 
eine  Handvoll  derselben,  legte  sie  auf  eine  Maschine  und  schnitt  soviel  als 
wir  brauchten,  in  feine,  dünne  Streifen.  Die  eben  so  einfache  als 
praktische  Maschine  bestand  aus  einem  mit  einer  Rinne  versehenen 
Holzbalken,  an  dessen  Ende  ein  scharfes,  breites  Messer  befestigt  war; 
in  der  Rinne  wurde  das  Blätterbündel  langsam  vorgeschoben  und 
durch  einfaches  Niederdrücken  des  Messers  abgeschnitten.  Im  Nu  hatte 
sich  die  Familie  unseres  neuen  Freundes  um  uns  versammelt,  und  ein 
kaum  i6-jähriger  Bursche  wurde  uns  als  glücklicher  Bräutigam  vorge- 
stellt, der  deminächst  heiraten  wollte.  Er  sah  noch  recht  kindlich  aus, 
doch  das  that  dem  kleinen  Manne  keinen  Abbruch;  sind  doch  im  Orient 
frühe  Heiraten  nichts  Ungewöhnliches!  Bei  unserem  Gespräch  spielte 
natürlich  Scutari  und  die  Unsicherheit  jenseits  der  Grenze  eine  Haupt- 


214 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari. 


rolle,  und  wenn  dabei  auch  vieles  übertrieben  war,  so  entsprachen 
im  Grunde  genommen  die  IMittheilungen  doch  den  thatsächlichen  \'er- 
hältnissen. 

Im  ganzen  sind  die  montenegrinischen  Albanesen  fleissige,  wohl- 
habende Menschen;  als  getreue  Unterthanen  jedoch  lassen  sie  mancherlei 
zu  wünschen  übrig,  da  sie  es  schwer  empfinden,  dass  der  arme  Mann 
über  den  reichen  herrscht.  An  einem  Kriege  gegen  ihre  Glaubensge- 
nossen würden  die  muhamedanischen  Amanten  wohl  nur  mit  Wider- 
streben theilnehmen,  und  immer  sprechen  sie  in  einem  Athemzuge  vom 
Landesfürsten  und  vom  Sultan.  Zwar  hält  sie  das  montenegrinische 
Regiment  streng  darnieder,  jedoch  der  ungünstige  Verlauf  der  Grenze 
leistet  einem  Verbrecher  in  jeder  Weise  Vorschub,  und  mancher  Mörder 
entkam  ungestraft  auf  türkisches  Gebiet.  Trotzdem  kann  der  Sprach- 
kundige allein  und  ungefährdet  Montenegrinisch-Albanien  durchstreifen, 
wehe  aber  dem,  der  das  im  Nachbarstaate  versuchen  wollte.  Die 
türkischen  Albanesen  stehen  zur  Regierung  in  einem  sehr  lockeren 
Abhängigkeitsverhältnis;  sie  haben  einige  Abgaben,  z.  B.  die  Kriegs- 
steuer zu  entrichten,  aber  oft  genug  verweigern  sie  dieselben  und  lassen 
es  auf  die  Entscheidung  der  Waffen  ankommen.  Bismarck's  berühmtes 
Wort:  »Wir  Deutsche  fürchten  Gott  und  sonst  Niemanden  in  der 
Welt!«  hat  auch  bei  den  Amanten  seine  Geltung,  nur  lautet  es  bei 
ihnen:  »Wir  Albanesen  fürchten  Niemanden  ausser  Gott  und  auch 
diesen  nur  ein  wenig!«  Kein  Wunder,  dass  sie  von  der  türkischen 
Herrschaft  nichts  wissen  wollen;  sagte  doch  ein  alter  Malissore  zu  mir: 
»Wenn  du  einmal  in  unser  Land  reisen  willst,  so  komme  nicht  etwa 
mit  türkischen  Gendarmen,  denn  dann  findest  du  verschlossene  Thüren; 
gehst  du  hingegen  mit  zweien  von  uns,  so  bist  du  sicherer  als  unter 
■dem  Schutze  von  zwanzig  Türken!«  Unter  diesen  Verhältnissen  muss 
•es  als  ein  groser  Fortschritt  der  türkischen  Machtbefestigung  gelten, 
dass  der  energische  Gouverner  von  Scutari,  Ferik  Pascha,  den  unbot- 
mässigen  Stämmen  50.000  Gewehre  abgenommen  hat,  da  frühere  \er- 
suche  von  den  Albanesen  schroff  abgelehnt  wurden. 

Fast  täglich  hört  man  von  einem  Morde,  und  es  mag  Wenige 
geben,  die  ihre  Hand  nicht  mit  Menschenblut  befleckt  haben.  Doch 
nicht  im  offenen,  ehrlichen  Kampfe,  sondern  feige  und  wohlversteckt 
aus  dem  Hinterhalte  lauern  die  elenden  Strauchdiebe  ihrem  Opfer  auf, 
und  ein  beliebter  Kunstgriff  besteht  darin,  sich  hinter  einem  Busche 
schlafend  zu  stellen.  Daher  schiesst  der  vorsichtige  Reisende  auf  jeden 
am  Wege  schlafenden  Albanesen,  und  unser  Begleiter  Marko  rettete  auf 
diese  Art  zweimal  sein  Leben.  Wie  oft  aber  erreicht  der  Schurke  seinen 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari.  215 

Zweck  und  flieht  nach  vollbrachter  That  in  ein  Dorf,  wo  man  ihn  an- 
standslos aufnimmt  und  vor  den  nachforschenden  Gendarmen  verbirgt. 
Einige  Tage  vor  unserer  Ankunft  in  Rec  hatte  ein  Arnaut  seinen  Feind 
aus  Blutrache,  —  ein  barbarischer  Brauch,  der  in  diesen  Gebieten  noch 
in  furchtbarer  Blüthe  steht,  ■ —  erschossen  und  Hess  dessen  Bruder  in 
beissendem  Hohne  sagen:  »Komm  und  begrabe  deinen  Bruder,  ich  habe 
ihn  getödtet!«  Darauf  entfloh  er  und  lebt  irgendwo  unbehelligt  weiter, 
bis  ihn  vielleicht  doch  die  gerechte  Strafe,  sei  es  durch  die  türkischen 
Behörden  oder  durch   die  Kugel  des  unermüdlichen  Rächers,  ereilt. 

Alle  diese  Umstände  waren  nicht  darnach  angethan,  einen  Besuch 
von  Scutari  auf  dem  Landwege  als  etwas  Verlockendes  erscheinen  zu 
lassen;  da  aber  unsere  Freunde  die  Schönheiten  von  Scutari  mit  be- 
redter Zunge  schilderten,  so  konnte  ich  der  Versuchung  nicht  mehr 
widerstehen.  »Wollen  wir  nach  Scutari  gehen?«  fragte  ich.  »»Wir 
wollen«,  riefen  meine  Leute  wie  aus  einem  Munde  »da  es  im  Grunde 
unrecht  wäre,  wenn  wir,  unserem  Ziele  so  nahe,  Skadar  nicht  gesehen 
hätten.««  So  brachen  wir  um  V22  Uhr  eilends  auf,  w^eil  wir  hofften, 
noch  vor  Abend  in  dem  Bagdad  Albaniens  einzutreffen.  Nach  einer 
Stunde  hatten  wir  das  Kirchdorf  Snerc  hinter  uns  und  betraten  klopfen- 
den Herzens  die  schmale  Holzbrücke,  die  über  den  Ausfluss  des  Sas- 
Sees  geschlagen  war.  Noch  ein  Schritt,  und  das  ungastliche  Albanien 
nahm  uns  auf.  Der  Charakter  der  Ebene  war  derselbe  wie  drüben  in 
Montenegro;  daher  widmeten  wir  unsere  Aufmerksamkeit  ganz  und  gar 
der  Strasse.  Vorsichtig  spähten  wir  nach  den  Zäunen  zur  Rechten 
und  Linken  und  schauten  unverwandt  nach  den  Baumkronen;  denn 
düstere  Wahrzeichen  verkündeten,  dass  es  mit  der  Sicherheit  durchaus 
nicht  aufs  beste  bestellt  war.  Wir  waren  kaum  einige  Minuten  jenseits 
der  Grenze,  als  uns  ein  Grabstein  auffiel,  der  dort  errichtet  war, 
wo  ein  unglücklicher  Reisender  seinen  Tod  von  Mörderhand  ge- 
funden hatte.  Mit  jedem  Fuss  breit  mehrten  sich  diese  stummen  Zeugen 
einer  Blutthat  und  häuften  sich  stellenweise  so,  dass  fünf,  sechs  und 
mehr  neben  einander  lagen. 

Nach  einer  zweiten  Stunde  sehen  wir  uns  dem  Weiler  Belaj 
gegenüber,  wo  zwei  Hügel  so  nahe  an  die  Bojana  treten,  dass  sie  den 
geeignetsten  Platz  für  Sperrforts  darbieten  und  wirklich  von  Feld- 
schanzen gekrönt  sind.  Hier  beschreibt  der  Strom  eine  solche 
Biegung,  dass  deren  Umgehung  einen  zeitraubenden  Umweg  erfordern 
würde.  Deshalb  führt  eine  Fähre  über  die  trägen,  schmutzigen  Fluthen, 
und  ein  zerlumpter  Albanese  setzte  uns  über,  der  ausser  seiner  Be- 
zahlung   sofort    ein    Trinkgeld,    ein    Backschisch,    verlangte.     Wir    ver- 


2l6  Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari, 

trösteten  den  wackeren  Bootsmann  bis  zu  unserer  Rückkehr,  konnten  es 
aber  trotz  unserer  beschränkten  Zeit  nicht  ausschlagen,  einen  Kaffee 
zu  trinken.  Die  verdächtigen  Gesellen,  die  sich  in  der  rauchigen  Hütte 
aufhielten,  benützten  die  Gelegenheit,  um  mitzutrinken,  denn  für  sie 
verstand  es  sich  ja  von  selbst,  dass  wir  alles  bezahlen  würden.  Rüstig 
durchmassen  wir  die  Niederung,  die  im  Verhältnis  zu  ihrem  cultur- 
fähigen  Lande  noch  lange  nicht  ausgiebig  genug  bebaut  war;  und  als 
wir  nach  5  Uhr  in  Oboti  ankam.en,  ging  der  kurze  Herbsttag  bereits 
zur  Rüste.  Daher  hielten  wir  es  für  gerathener,  nicht  weiter  zu  mar- 
schieren, und  Hessen  uns  ans  rechte  Ufer  des  700  Meter  breiten  Stromes 
rudern,  wo  uns  die  kaiserlich  türkische  Zollwache  in  Gestalt  eines 
nichts  weniger  als  höflichen  und  elegant  gekleideten  Beamten  den  Pass 
abverlangte.  Der  gestrenge  Herr  richtete  seine  Augen  durchdringend 
auf  mich,  und  ich  zog  es  vor,  Barometer  und  Thermometer  im  Ge- 
heimen abzulesen,  damit  man  mich  wegen  dieser  unschuldigen  Instru- 
mente nicht  zu  einem  Spion  stempelte.  Ein  einfacher  Han  gewährte 
uns  eine  leidliche  Unterkunft,  und  die  wie  ferner  Kanonendonner  herüber- 
schallende Brandung  wiegte  uns  in  festen  Schlumm^er. 

Die  steilen,  erdigen  Ufer  der  Bojana  sind  5  Meter  hoch 
und  höher  geworden,  die  Wassertiefe  dagegen  ist  von  5  Meter  auf  i 
und  2  Meter  gesunken,  so  dass  grössere  Schiffe  nicht  weiter  vordringen 
können  und  ihren  Inhalt  auf  die  flachen  Londras  umladen  müssen. 
Um  deswillen  ist  Oboti  der  beste  Ort  für  eine  Zollstelle,  und  zur  Ueber- 
wachung  des  Stromes  liegt  hier  ein  Raddampfer  vor  Anker,  der  bei 
Hochwasser  von  Scutari  bis  zum  Meere  verkehren  kann.  Unser  Dol- 
metscher fand  einige  Bekannte  aus  Dulcigno  wieder,  und  ein  herculischer 
Neger  beehrte  uns  alsbald  mit  Raki  und  Kaffee.  Ans  Bezahlen  dachte 
er  nicht,  und  so  hatte  er  nebst  einigen  anderen  eine  erkleckliche  Zahl 
von  Kreidestrichen  auf  dem  Kerbholze,  eine  Einrichtung,  die  dem- 
nach das  halbwilde  Albanien  nicht  minder  kennt  wie  das  civilisierte 
Abendland. 

Am  5.  October  waren  wir  sehr  früh  auf  den  Beinen  und  wanderten 
mit  verdoppelter  Schnelligkeit  Scutari  entgegen,  dessen  weisses  Castell 
uns  schon  lange  entgegenleuchtete.  Deutlich  konnten  wir  die  Zer- 
störungen beobachten,  welche  die  Bojana  alljährlich  an  ihren  Ufern 
und  dem  umliegenden  Lande  anrichtet.  Tiefe  Buchten  waren  in  das 
weiche  Schwemmland  gewühlt,  und  mächtige  Erdmassen  stürzten  in 
den  fischreichen  Strom  hinab,  Barren  und  fliegende  Inseln  bildend  und 
raubgierigen  Möven  einen  erwünschten  Ruheplatz  darbietend.  An 
seichten  Stellen  hatten  sich    vielästige    Bäume    verfangen,    Sand,    Erde, 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari.  21/ 

Zweige  und  Holzstücke  setzten  sich  an  ihnen  fest  und  verwuchsen  zu 
neuen  Insehi,  bis  eine  kräftige  Hochwasserströmung  die  eine  oder 
andere  derselben  fortriss.  Infolge  dieser  Verstopfungen  hat  der  Strom 
an  Breite  gewonnen  und  an  Tiefe  verloren,  er  musste  sich  andere 
Auswege  suchen  und  brach  da  durch,  wo  er  den  schw^ächsten 
Widerstand  fand.  Eine  ebenfalls  den  Charakter  der  Verwilderung 
tragende  Vegetation  verhüllte  die  Ufer,  und  oft  mussten  wir  uns  durch 
eine  dichte  Wand  von  Ulmen,  Erlen  und  Espen,  durch  Farnkraut, 
'Weidengebüsch  und  Dornensträucher  hindurcharbeiten,  die  nur  in  der 
Nähe  eines  Dorfes  Weinreben,  Feigen,  Xussbäume  und  Aecker  an- 
muthig  unterbrachen. 

Die  Fundamente  einer  türkischen  Strasse  und  die  zunehmende 
Menge  der  Häuser  verkündeten  die  Nähe  der  Metropole  Ober-Albaniens. 
Wir  holten  zwei  Gendarmen  ein,  deren  Uniformen  bedenkliche  Risse 
und  Flecken  aufwiesen  und  deren  mit  Rost  überzogene  Carabiner  uns 
keine  sonderliche  Achtung  vor  dem  türkischen  Armeewesen  einflössten. 
Nun  engte  der  Tarabos  im  Verein  mit  dem  Bergkegel  von  Scutari  zum 
letzten  Male  die  Bojana  ein,  und  die  Strasse  war  in  den  Felsen  hinein- 
gesprengt. Die  Festung,  wiederum  ein  Werk  der  Venetianer,  ist  nicht 
mehr  in  bestem  Zustande  und  hat  an  strategischem  Werthe  sehr 
verloren,  da  sie  von  dem  400  Meter  höheren  Tarabos  leicht  bestrichen 
werden  kann. 

Doch  das  grösste  Interesse  hat  für  den  Naturfreund  die  Ver- 
einigung von  Drin  und  Bojana  südwesthch  des  Festungsberges.  Baum- 
inseln, Schlamm-  und  Sandbänke  werden  von  seichten  Wasserstreifen 
umschlossen,  die  ihrerseits  in  die  sumpfige  Niederung  übergehen.  Senk- 
recht zu  dieser  schmutzigen  W^asser-  und  Morastfläche,  welche  die 
Bojana  darstellt,  mündet  eine  breite,  trockene  Rinne  ein,  die  hoch 
hinauf  mit  Gerollen  erfüllt  ist  und  einen  mächtigen  Schuttkegel  in  den 
Hauptstrom  vorgeschoben  hat.  Das  ist  der  Drin,  der  im  Winter 
1858/59  die  Ebene  durchbrach  und  sich  rechtwinklig  in  die  Bojana 
einbohrte.  Zwar  hatte  er  schon  früher  seine  Richtung  mehrfach  ge- 
wechselt, aber  so  gross  war  seine  Geröllführung  und  mechanische 
Wirkung  noch  nie  gewesen.  Die  schon  im  Sommer,  geschweige  denn 
im  Winter  unzureichenden  Abzugsöffnungen  zwangen  nunmehr  das 
Wasser  zum  Stillstande,  zur  Versumpfung  und  trieben  es  in  den 
Scutari-See  zurück.  Ausgedehnte,  lang  anhaltende  Ueberschwem- 
mungen  wurden  unvermeidlich  ;  allwinterlich  steht  der  Bazar  von  Skadar 
unter  Wasser,  und  eine  durchgreifende  Stromregulierung  ist  nothwendig, 
um  das  Schlimmste  abzuwenden.     Vor    allem    muss    der    Drin    in  sein 


2i8  Durch   die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari. 

altes  Bett  zurückgedrängt  und  die  Bojana  auf  der  seichten  Strecke  von 
Scutari  bis  Oboti  ausgebaggert  werden.  Dann  können  die  Ueber- 
schwemmungen  keinen  so  hohen  Stand  mehr  erreichen  wie  bisher,  weil 
ihre  Ursache,  der  verzögerte,  ungenügende  Abfluss,  beseitigt  .ist,  und 
überdies  würden  umfangreiche  Moraststrecken  in  fruchtbares  Ackerland 
umgewandelt. 

Schon  eine  geraume  ^^'eile  waren  beiderseits  des  Festungskegels 
einzelne  Gebäude  und  die  wohlbekannten  Minarets  sichtbar  geworden. 
Sie  boten  aus  der  Ferne  ein  recht  freundliches  Bild,  aber  jetzt  trugen 
sie  einen  entschieden  kleinstädtischen,  verwahrlosten  Anstrich.  Das  war 
also  das  oft  genannte  Skadar  der  Serben,  das  viel  gepriesene  Skodra 
der  Albanesen  !  Ich  muss  gestehen,  dass  mich  sein  Anblick  enttäuschte 
und  meine  Vorstellungen  sofort  zerstörte,  die  mir  die  Königin  Ober- 
Albaniens  als  eine  echt  türkische  Stadt,  ausgestattet  mit  allen  Reizen 
der  orientalischen  Pracht,  erscheinen  Hessen.  Und  nun  die  schmutzigen 
Häuser  und  eine  250  Schritte  lange,  wackelige  Holzbrücke,  die  über 
die  missfarbige  Bojana  führte.  Doch  wir  haben  zu  Betrachtungen  wenig 
Zeit,  denn  die  am  Ende  der  Brücke  stationierte  Polizeiwache  hält  uns 
an  und  fragt  nach  dem  Passe,  dessen  Inhalt  natürlich  kaum  be- 
achtet wird. 

Zuerst  gelangen  wir  auf  den  Bazar,  der  entschieden  das  Eigen- 
artigste von  Scutari  ist.  Er  besteht  aus  2000  offenen  Läden  oder  leicht 
gebauten  Baracken,  die  sich  zu  einem  Labyrinthe  von  Gassen  zusam- 
menschliessen.  Allerdings  gibt  es  auch  in  der  eigentlichen  Stadt  \er- 
kaufsstände  übergenug,  doch  drängt  sich  hier  das  unruhige  Hasten  und 
Treiben  zusammen,  während  dort  eine  schläfrige  Langweile  herrscht. 
Die  vorspringenden  Ladendächer,  aufgespannte  Leinwandschirme  oder 
üppig  sich  emporrankender  Wein  machen  die  engen  dunklen  Gassen 
noch  dunkler,  und  wegen  der  Menschenmenge,  die  sie  erfüllt,  ist  unsere 
Wanderung  ein  ununterbrochenes  Drängen,  Schieben,  Stossen  und  Aus- 
weichen. Finster  blickende  Albanesen,  reich  gekleidete  Scutariner,  bis 
an  die  Zähne  bewaffnete  Polizisten  und  Soldaten,  dicht  verschleierte 
Türkinnen,  Albanesinnen  im  kurzen,  rothgestreiften  Rock  und  einzelne 
Söhne  Afrikas  wogen  in  buntem  Durcheinander  an  uns  vorüber.  Und 
was  für  zierliche  Dinge  findet  man  nicht  in  den  Läden !  Fein  gear- 
beitete Schuhe,  elegante  Ledersachen,  vielfarbige  Truhen  und  geschmack- 
volle Klempnerei-Erzeugnisse  sind  am  häufigsten  vertreten,  Holzschnitzer 
fertigen  gefällig  zugerichtete  und  bemalte  Stühle,  Tischchen  und  Wand- 
schränke an^  und  der  Töpfer  legt  die  bauchigen  Krüge  aus,  die  in  keiner 
albanesischen    Wirthschaft   fehlen.    Dort   hängt    der  Metzger    sein  nicht 


Durch   die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück   nach  Antivari. 


219 


gerade  appetitliches  Fleisch  auf,  und  hier  breitet  der  Bäcker  seine  dün- 
nen Brotfladen  oder  eine  beliebte  Leckerei  der  Scutariner,  fingerdicke 
Maiskuchen  mit  Obstfülle,  aus,  und  vor  den  verlockenden  Süssigkeiten 
eines  Conditors  bleiben  die  schönen  Scutarinerinnen  stehen.  Gleich  darauf 
fesselt  sie  das  glänzende  Geschmeide  eines  Goldschmiedes,  und  so  kann 
man  stundenlang  gehen  und  schauen,  ^^'ie  in  den  Markthallen  unserer 
grossen  Städte  die  Anordnung  der  \'erkaufsstände  nach  gewissen  Grup- 
pen geschieht,  so  wird  auch  hier  diese  Strasse  vornehmlich  von  den 
Bäckern,  jene  von  den  Getreide-  und  Reishändlern  eingenommen,  dort 
sind  die  Fleischer  oder  Schmiede  in  der  Ueberzahl,  und  an  einer  an- 
dern Stelle  erfreuen  die  Fische  des  Skadarsko  Jezero  und  der  Bojana 
das  Auge.  Bald  kommen  die  Tuch-  und  Teppichhändler,  bald  die  Nipp- 
sachenverkäufer, deren  Gegenstände  wohl  ausschliesslich  mittel-euro- 
päisches  Fabrikat  sind.  Dazwischen  halten  Obsthändler  ihre  Früchte 
feil,  und  aus  den  Tabaksläden  strömt  der  aromatische  Geruch  des  edlen 
Scutariner  Krautes,  das  bekanntlich  einen  Weltruf  geniesst.  Beständig 
laufen  schreiende  Fleischverkäufer  und  flinke  Jungen  hin  und  her,  die 
in  glühenden  Kohlenbecken  die  kleinen  Tässchen  und  die  kleinen 
blechernen  Kaffeekannen  in  die  Läden  tragen. 

Um  das  \'olksleben  recht  kennen  zu  lernen  und  meinen  nicht 
mehr  allzustraffen  Geldbeutel  zu  schonen,  vertauschte  ich  das  Hotel 
—  Scutari  besitzt  deren  zwei — mit  der  Behausung  eines  türkischen  Gar- 
koches, deren  es  neben  Schenken  und  Kaffeehäusern  eine  grosse  Zahl 
gibt.  Es  wurde  uns  ein  mit  Matten  belegter  Raum  im  oberen  Stoc  k 
eingeräumt,  und  mit  ^^^ohlbehagen  verzehrten  wir  die  türkischen  Ge- 
richte, eine  säuerliche  Suppe  mit  kleinen  Fleischwürfeln  und  eine  fette, 
süsse  Mehlspeise.  \'iele  Gäste  gingen  aus  und  ein  und  wählten  sich  unter 
den  Gerichten  aus,  die  auf  kleinen  Blechtellern  bereit  standen.  Dann 
wuschen  sie  sich  die  Hände,  zogen  die  Schuhe  aus  und  setzten  sich 
mit  gekreuzten  Beinen  auf  das  Strohgeflecht,  nach  dem  Essen  wuschen 
sie  sich  abermals  und  gingen  ebenso  schweigend  und  würdevoll  von 
dannen,  wie  sie  gekommen.  Eben  wollte  ich  meine  Instrumente  ablesen, 
als  mich  ein  türkischer  Polizist  vertraulich  auf  die  Schulter  klopfte  und 
zum  zweiten  Maie  nach  meinen  Papieren  fragte.  \'ielleicht  hoffte  er, 
sich  ein  Backschisch  zu  erjagen;  aber  ich  wies  ihm  kaltblütig  meinen 
Pass  hin  und  wartete  mit  der  Beobachtung,  bis  der  pflichteifrige  Diener 
der  heiligen  Hermandad  um  die  Ecke  bog. 

Wir  wollten  nun  auch  der  Stadt  einen  Besuch  abstatten,  die  sich 
eine  gute  Mertelstunde  entfernt  längs  des  langgestreckten  Festungs- 
berges  hinzieht  und  mit  dem  Bazar  durch  eine  vortreffliche  Fahrstrasse 


2  20  Durch   die  Bojana  Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari. 

verbunden  ist.  Zur  Linken  dehnt  sich  eine  sumpfige,  baumbewachsene 
\Viese  aus,  die  im  Winter  unter  Wasser  steht  und  in  die  stahlblauen 
Fluthen  des  Scutari-Sees  übergeht,  dessen  Charakter  als  übersch\\-emmte 
Niederung  hier  ganz  augenfällig  ist.  Ohrenzerreissendes  Trompeten- 
geschmetter schallt  uns  entgegen ;  Dutzende  von  Soldaten  lagern  auf  dem 
grünen  Plane  und  üben  sich  im  Signalblasen,  denn  Skadar  gleicht 
einem  grossen  Kriegslager  und  hat  eine  starke  Garnison  von  Truppen 
aller  W^affengattungen.  Rasch  eilen  wir  aus  dem  Bereiche  dieser  ab- 
scheulichen Musik  und  betreten  die  Stadt  (ii  Meterj;  aber  noch  immer 
will  sie  uns  ihren  orientalischen  Charakter  nicht  offenbaren,  sondern 
eine  breite  Strasse  mit  Häusern  abendländischen  Stiles  nimmt  uns  auf. 
Da  finden  wir  das  russische,  österreichische  und  griechische  Consulat, 
die  Tabak-Regie,  die  Hotels  u.  s.  w.  Das  türkische  Post- und  Telegraphen- 
amt und  das  österreichische  Postamt  sind  in  türkischen  Häusern  unter- 
gebracht. In  allen  Haupt-  und  Handelsstädten  des  Osmanischen  Reiches 
besitzt  die  eine  oder  andere  europäische  Grossmacht  eine  Postanstalt, 
und  so  kann  uns  die  Anwesenheit  einer  österreichischen  Post  in  Scutari 
nicht  überraschen. 

Endlich  beginnen  die  türkischen  Häuser,  und  die  krummen,  hoch 
ummauerten  Gassen  haben  dasselbe  nüchterne  Aussehen  wie  in  jeder 
orientalischen  Stadt.  Grosse  Thorwege  sperren  das  Innere  des  Hofes 
ab  und  machen  es  unmöglich,  hinter  seine  Geheimnisse  zu  dringen,  ja 
man  verliert  darüber  leicht  die  Orientierung,  denn  der  sich  ohne  jeden 
Plan  kreuzenden  Strassen  gibt  es  unzählige,  und  noch  immer  soll  in 
ihnen  der  Christ  vor  dem  thätlichen  Angriffe  eines  fanatischen  Moslims 
nichr  sicher  sein.  Regellos  —  im  Orient  ist  ja  Regellosigkeit  die 
Regel  —  sind  auch  die  Friedhöfe  angelegt ;  oft  gruppieren  sie  sich  um 
eine  Moschee  oder  Schule,  und  stürmt  nach  beendetem  unterrichte  die 
liebe  Jugend  mit  Schreien  und  Zanken  heraus,  so  fragt  man  sich  allen 
Ernstes,  ob  man  auf  einem  Kinderspielplatze  oder  einer  Ruhestätte  der 
Todten  angelangt  ist.  Zuweilen  liegen  die  Gräber  beiderseits  der  Strasse, 
und  dort  sitzt  mit  Vorliebe  der  bettelnde  Faullenzer,  um  sich  sein  Brot 
durch  Nichtsthun  zu  verdienen.  Endlich  stehen  wir  vor  einem  stattlichen, 
in  europäischem  Stile  gehaltenen  Uhrthurme  und  vor  der  mächtigen 
Kaserne,  die  wie  eine  kleine  Festung  mit  Wall  und  Graben  umgeben 
ist  und  auf  drei  Seiten  einen  geräumigen  Hof  umschliesst.  Ihre  zwei- 
stöckigen Gebäude,  die  den  mitteleuropäischen  Kasernen  aufs  Haar 
gleichen,  beherbergen  die  gesammte  Garnison  und  gewähren  auch  dem 
Pascha  von  Scutari  Wohnung.  Ein  türkisches  Bad  .fehlt  selbstverständ- 
lich   nicht,  und  ein  kleiner,  wohlgepflegter  Park  bildet  den  Abschluss  der 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari.  221 

Sehenswürdigkeiten.  So  entspricht  Skadar  trotz  seiner  30.000  Einwohner 
und  als  Hauptstadt  des  gleichnamigen  Paschaliks  einer  gewöhnlichen 
türkischen  Stadt,  die  wenig  von  dem  geheimnissvollen  Zauber  des 
Morgenlandes  an  sich  hat. 

Die  brennende  Sonne  neigt  sich  zum  Horizonte,  und  die  Kühle 
des  Spätnachmittags  lockt  die  Menschen  aus  ihren  vergitterten  Häusern. 
Scharen  türkischer  Frauen,  begleitet  von  gravitätisch  einherschreitenden 
Eunuchen,  huschen  schüchtern  und  sich  zugleich  neugierig  umbhckend 
über  die  Strasse;  Scutariner,  Officiere  und  reich  ausstaffierte  Neger 
plaudern  in  kleinen  Gruppen,  und  stark  bewaffnete  Albanesen  machen 
sich  nach  ihren  freien  Bergen  auf.  Die  Posten  treten  stets  mit  gelade- 
nem Gewehr  und  patronengespicktem  Gürtel  an,  und  ebenso  halten  die 
Polizeimannschaften  den  Revolver  schussbereit,  da  der  wilde  Arnaut  in 
Scutari  oft  seinen  Gegner  trifft  und  ohne  Gnade  und  ohne  an  seine 
eigene  Sicherheit  zu  denken,  niederschiesst. 

Nach  einem  Ausfluge  an  den  Drin,  den  See  und  die  von  Fischerei- 
reusen fast  versperrte  Bojana  suchten  wir  den  Bazar  wieder  auf  und 
kehrten  bei  einem  andern  Garkoch  ein.  Das  verdross  indessen  seinen 
Nachbar,  und  als  mein  Diener  sein  Messer  von  ihm  zurückforderte, 
welches  er  am  Morgen  in  dessen  Hause  vergessen  hatte,  wollte  er  es 
nicht  herausgeben  und  bequemte  sich  hierzu  erst  auf  energisches  Ver- 
langen. Als  wir  ihn  ob  seines  Benehmens  zur  Rede  stellten,  anwoitete 
er  gereizt,  er  hätte  das  Messer  eigentlich  behalten  sollen,  weil  wir  bei 
ihm  nicht  zu  Abend  gegessen  hätten.  Nach  diesem  sonderbaren  Zwischen- 
fall mussten  wir  schleunigst  den  Heimweg  in  unsern  Han  jenseits  der 
Brücke  antreten,  denn  es  dunkelte  stark,  die  meisten  Kaufleute  hatten 
ihre  Läden  schon  geschlossen,  und  das  rege  Leben  war  überraschend 
schnell  verstummt.  Noch  lange  genossen  wir  am  offenen  Fenster  die 
milde  Abendluft  und  blickten  auf  die  weite  Stadt,  die  wie  ausgestorben 
schien.  Zuweilen  zog  eine  Patrouille  gemessenen  Schrittes  vorüber,  dann 
wurde  wieder  alles  still,  und  nur  den  Wind  hörten  wir  leise  in  den 
Blättern  rauschen,  da  lästige  Insecten  uns  erst  gegen  Morgen  einen 
kurzen  Schlaf  gönnten. 

Der  6.  October  war  zur  Abreise  von  Scutari  bestimmt;  als  wir  je- 
doch zum  Fenster  hinausschauten,  war  der  Himmel  dicht  umwölkt  und 
sandte  einen  wolkenbruchähnlichen  Gewitterregen  hernieder.  Drei  Stun- 
den hielt  derselbe  an,  und  erst  um  g  Uhr  konnten  wir  an  den  Abmarsch 
denken.  Der  Weg  freilich  war  überall  aufgeweicht  und  mit  knöcheltiefen 
Pfützen  bedeckt;  denn  Skadar  steht  mit  dem  Meere  bloss  durch  kunstlose 
Saumpfade  in  Verbindung,  die  von  einem   kräftigen  Regen  in  einen  ein- 


222  Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari, 

zigen  Morast  verwandelt  werden.  Ungeachtet  des  Schmutzes  und  der 
sonstigen  Unannehmlichkeiten  eilten  wir  vorwärts,  brannten  wir  doch 
vor  Verlangen,  den  sicheren  Boden  Montenegros  baldigst  wieder  zu 
betreten.  Um  lo  Uhr  rasteten  wir  in  Oboti,  setzten  bei  Belaj  zum 
letzten  Male  über  die  Bojana  und  gaben  dem  bettelnden  Fährmanne 
das  versprochene  Trinkgeld.  Um  7^  2  Uhr  standen  wir  auf  montene- 
grinischer Erde,  und  ein  kräftiges  »Zivio  Crnagora!«  entrang  sich  unserer 
aufathmenden  Brust.  Eine  Stunde  später  empfingen  uns  die  albanesischen 
Freunde  in  Zoganj,  und  nun  gings  an  ein  Erzählen,  Essen  und  Trinken, 
dass  wir  uns  erst  spät  Abends  der  feuchten  Kleider  entledigten  und  auf 
dem  Altan  unser  Lager  bereiteten. 

Mit  herzlichem  Danke  trennten  wir  uns  von  den  gastlichen  Ar- 
nauten,  Marko,  um  nach  Dulcigno,  wir,  um  nach  Antivari  zurückzu- 
kehren. Hinter  Zoganj  erhebt  sich  der  Mozura-Rücken  und  wird  durch 
ein  tiefes,  schmales  Thal  vom  Mali  Brijeg  getrennt.  In  diese  Schlucht 
bogen  wir  ein,  klommen  an  der  stark  verkarsteten  Mozura  empor  und 
wanderten  in  der  flachen  Mulde  von  Gorana  (250  Meter)  fort.  Der  klüf- 
tige Kalk  war  von  wohlriechendem  Salbei  und  dickblätterigen  Eichen 
überwuchert,  und  am  Beckenrande  lagen  die  Häuser  der  Albanesen. 
Einer  von  ihnen  bot  uns  eine  Tasse  Kaffee  an,  und  wir  leisteten  seiner 
Einladung  Folge.  Diese  hatte  aber  den  Zweck  gehabt,  uns  zu  einem 
Gegendienst  zu  verpflichten,  denn  der  schlaue  Eingeborene  führte  mich 
zu  seiner  kranken  Frau  und  bat  mich,  ich  solle  sie  gesund  machen. 
Wie  es  dem  Fremden  bei  einem  naturwüchsigen  Volke  so  oft  ergeht, 
so  war  ich  wieder  einmal  für  einen  Arzt  gehalten  worden  und  musste 
meine  Unkenntnis  hinter  einer  ernsthaften  Miene  und  einigen  allge- 
meinen Worten  verbergen,  um  dem  Ansehen  des  Europäers  keine 
Blosse  zu  geben. 

Eben  lenkten  wir  bei  Kunje  in  die  vor  einer  Woche  begangene 
Strasse  ein,  als  uns  ein  reisender  Handwerksbursche  begegnete.  Gilt  der 
fahrende  Gesell  schon  bei  uns  als  eine  originelle  Gestalt,  wieviel  mehr 
musste  seine  Anwesenheit  in  einem  Lande  überraschen,  wo  man  ihn 
kaum  vermuthet!  Sonst  verlief  unser  Marsch  bis  Pristan  Bar  ohne 
dass  sich  etwas  Bemerkenswertes  ereignet  hätte.  Nur  die  vor  kurzem 
noch  spärlichen  Rinnsale  glichen  infolge  des  Regens  brausenden  Bächen, 
und  die  schmalen  Wasserläufe  der  Ebene  von  Antivari  waren  so  breit 
und  tief  geworden,  dass  mich  Marko  hinübertragen  musste.  War  also 
unsere  Wanderung  mit  einigen  Hindernissen  verknüpft,  so  sollte  der 
letzte  Theil  derselben  noch  unangenehmer  werden.  Die  Niederung  ist 
reich    an   wilden    Tauben,    und    die    Umwohner    liegen    deren  Jagd  mit 


Durch  die  Bojana-Ebene  nach  Scutari  und  zuiück  nach  Antivari.  22^ 

einer  gewissen  Leidenschaft  ob.  Auch  heute  knallte  bald  hier,  bald  dort 
ein  Schuss,  und  plötzlich  stiessen  wir  auf  einige  Männer,  die,  obwohl 
sie  uns  bemerkt  und  unsern  warnenden  Zuruf  vernommen  hatten,  in 
blindem  Eifer  dreinfeuerten,  so  dass  uns  die  Schrote  um  das  Gesicht 
flogen,  glücklicherweise  ohne  Schaden  anzurichten.  Als  wir  die  Unvor- 
sichtigen darob  anfuhren,  waren  sie  sogar  so  naiv,  uns  ihre  Beute 
zum  Kaufe  anzubieten.  Noch  mehr.  An  der  Brücke,  welche  im 
Zuge  der  Fahrstrasse  einen  Bach  überspannt  und  wenige  Minuten 
vom  Hafen  entfernt  ist,  hatten  wir  einige  Zeit  gerastet  und  waren  in 
fröhlichster  Stimmung  bis  zu  den  ersten  Häusern  des  Pristan  gelangt, 
als  ich  mein  Tagebuch  mit  den  Aufzeichnungen  der  letzten  beiden 
Monate  vermisste.  Um  so  grösser  ward  mein  Schrecken,  als  ich  es  aut 
der  Brücke  nicht  mehr  fand,  obwohl  ich  mich  genau  entsann,  es  dort 
zuletzt  in  der  Hand  gehabt  zu  haben.  Schon  wollte  ich  niedergeschlagen 
die  aussichtslosen  Bemühungen  aufgeben,  als  mein  Diener  ausrief: 
»Herr,  ich  sehe  Ihr  Buchl.  Und  wirklich,  da  ragte  ein  kleines  Endchen 
desselben  unter  einem  Steine  hervor,  der  unter  der  Brücke  halb  im 
Wasser  lag.  Sofort  sicherte  ich  mir  den  kostbaren  Fund,  Marko  da- 
gegen, auch  hier  das  Richtige  erkennend,  holte  zwei  Jungen  ein,  die 
eilends  Fersengeld  gaben.  Obgleich  das  Buch  für  sie  nicht  den  geringsten 
Werth  hatte,  ganz  abgesehen  davon,  dass  sein  Inhalt  in  deutscher 
Sprache  geschrieben  und  obendrein  stenographirt  war,  so  waren  sie 
unehrlich  genug,  es  an  sich  zu  nehmen,  und  ich  musste  es  als 
ein  Glück  betrachten,  dass  sie  das  gestohlene  Gut  nicht  gleich  mit- 
genommen hatten.  Wir  verspürten  nicht  wenig  Lust,  ihnen  eine  hand- 
greifliche Strafe  zu  Theil  werden  zu  lassen ;  aber  ihr  Vater,  der  an  der 
Volovica  Steine  klopfte,  war  über  unsere  Absicht  sehr  erbost,  statt  seinen 
Sprösslingen  den  Unterschied  zwischen  Mein  und  Dein  gehörig  klar  zu 
machen.  Nach  diesem  letzten  und  bedenklichsten  Zwischenfalle  suchten 
wir  die  Locanda  auf,  um  uns  für  den  morgigen  genussreichen  Marsch 
zu  stärken. 


224  Durch  die  Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 


20.  Capitel. 

Durch    die  Crmnica  nach  Cetinje   und   über  den 
Lovcen  nach  Cattaro. 


Wenige  Tage  noch,  und  ich  stand  am  Ende  meiner  Reise;  an- 
genehm war  dieser  Gedanke,  und  doch  mischte  sich  in  die  Freude  ein 
unbestimmtes  wehmüthiges  Gefühl,  wenn  ich  der  schönen  Stunden  ge- 
dachte, deren  ich  in  den  Schwarzen  Bergen  so  viele  erlebt  hatte.  Bald 
frohen,  bald  ernsten  Sinnes  schritten  wir  durch  die  Ebene,  bis  zur  Weg- 
kreuzung am  Gebirgsrande  immer  der  neuen  Strasse  folgend.  Statt- 
liche Ortschaften,  wie  es  deren  vor  dem  Südthore  von  Antivari  gab, 
waren  auf  der  Nordseite  nicht  minder  zahlreich,  und  hier  wie  dort 
grünte  eine  üppige  Vegetation.  Je  mehr  wir  auf  der  vortrefflichen 
Kunststrasse  anstiegen,  die  den  Wanderer  mühelos  auf  den  Sutorman- 
Pass  hinaufbringt,  um  so  ausdrucksvoller  traten  die  zackigen  Mauern 
des  Küstengebirges  hervor,  und  um  die  kahlen  Häupter  wogte  ein  wal- 
lender, sich  proteushaft  verändernder  Nebel.  Als  die  kleinen  Dörfer 
Sustas  (174  Meter)  und  Tudjemile  (308  Meter)  hinter  uns  lagen,  gewann 
das  Pflanzenkleid  ein  anderes  Aussehen.  Die  Oliven,  Feigen  und  anderen 
Vertreter  der  südeuropäischen  Flora  machten  dickblätterigen  Eichen 
Platz,  die  als  ausgedehnter  Niederwald  die  Lehnen  bedeckten.  Die  Ein- 
lagerungen der  Werfener  und  Wengener  Schichten  stachen  unver- 
kennbar vom  Triaskalke  ab,  und  die  Bäche,  die  uns  auf  der  Höhe 
einen  kühlen  Trunk  gespendet,  flössen  zwischen  beiden  Orten  zur 
Zelesnica  (Eisenwasser)  zusammen.  In  Tudjemile,  einer  der  letzten  al- 
banesischen  Siedelungen,  rasteten  wir  in  Gesellschaft  mehrerer  be- 
dauernswerther  Crnogorcen,  die  im  Stoj  ihr  Glück  zu  finden  hofften, 
aber  vom  Fieber  geschwächt  und  ärmer  als  zuvor  in  ihre  rauhe  Heimat 
zurückkehren  mussten.  Der  beschwerliche  Steig  über  die  Bijela  Skala, 
an  dem  wir  uns  vor  zehn  Tagen  versucht  hatten,  kam  stellenweise  der 
neuen  Strasse  sehr  nahe,  allein  ein  überaus  schroffer  Abhang  trennte 
beide  von  einander.  Die  tiefen  Wasserrisse  zwangen  die  Strasse  öfters 
zu  weiten  Biegungen;  trotzdem  zog  ich  es  vor,  auf  ihr  zu  bleiben,  da 
wir    mit  unserer  Zeit  nicht  zu  geizen  brauchten  und  da  ich    die  kunst- 


Durch   die  Crmnica  nach   Cetinje   und  über  den   Lovcen  nach  Cattaro. 


225 


volle  Anlage  kennen  lernen  wollte,  der  die  Strasse  von  Cattaro  nach 
Cetinje  zum  Vorbilde  gedient  hat.  Schlangengleich  winden  sich  die 
Serpentinen  empor  und  erreichen  bei  der  Ueberwindung  des  Passes  ihre 
höchste  technische  Vollendung. 

Da  die  Fahrstrasse  wieder  eine  grqsse  Curve  beschrieb,  so  kürzten 
wir  sie  auf  einem  Saumpfade  ab,  der,  wie  auc  seinesgleichen,  mit  Steinen 
übersäet  war  und  uns  unter  der  heissen  Sonnenhitze  manchen  Seufzer 
abpresste.  Und    doch    bedeutete  dieser    Pfad,    der   in    gerader  Richtung 


Der  Sutorman-Pas3  von  Tudjemile  aus. 


von  Antivari  nach  Virbazar  führt  und  an  dem  auch  die  Telegraphen- 
leitung hinläuft,  die  Haupthandelsstrasse  über  den  Sutorman !  Fünf 
malerische  und  zum  Theil  gut  erhaltene  Festungen  beherrschten  ihn 
gänzlich;  das  oberste  Fort  war  auf  dem  Kamme  errichtet  und 
bestrich  zugleich  die  Einsattelung  und  die  Crmnica- Ebene.  Nun 
befanden  wir  uns  im  traurigen  Rarste,  und  nordischer,  niedriger 
Eichenwald  überzog  das  verwitterte  Gestein.  Welch  ein  Gegensatz 
zwischen  unserer  Höhe  und  den  Landschaften  unmittelbar  an  ihrem 
Fusse,    die,    so    schien    es,    ein    Steinwurf   treffen    musste.    Wir   waren 

Hassert.   Reise  durch  Montenegro.  "5 


226  Durch  die  Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 

froh,  als  der  Pfad  wieder  in  die  bequeme  Fahrstrasse  einmündete,  und 
noch  froher,  als  wiv  in  eine  wasserreiche  Zone  gelangten,  die  beider- 
seits den  Pass  unterlagert  und  Basena  Voda  heisst. 

Hier  konnte  mein  Diener  seinen  langgehegten  Wunsch  nicht 
mehr  verheimlichen.  Er  hatte  von  jeher  den  für  mjich  vollkommen  über- 
flüssigen Revolver  tragen  dürfen  und  bat  mich  jetzt  mit  einem  viel- 
sagenden Blicke,  ihm  statt  des  zugedachten  Abschiedsgeschenkes  die 
Waffe  zu  geben,  die  ihm  eine  liebe  Erinnerung  an  unsere  gemeinsame 
Wanderung  sein  würde.  Anfangs  that  ich,  als  ob  mir  an  ihrem  Be- 
sitze selber  viel  gelegen  sei,  schliessHch  sagte  ich  ihm  aber  zu,  und  da 
hätte  einer  die  Freude  meines  Marko  sehen  sollen.  Wie  ein  Kind  sprang 
er  herum,  überglücklich,  dass  der  Revolver  endlich  sein  war;  denn  es 
ist  der  Stolz  eines  jeden  Montenegriners,  einen  solchen  zu  besitzen. 

Die  Strasse  klomm  in  grossen  Windungen  an  der  Gebirgswand 
empor  und  hatte  bald  den  Sutorman-Pass  (844  Meter)  gewonnen,  der  sich 
w^esentlich  von  den  schmalen  Passeinschnitten  des  Njegos,  Garac  und 
der  Javorje  Planina  unterschied.  Rings  von  Bergen  umgeben,  glich  er, 
wie  der  Brenner,  einem  aussichtslosen  Hochthale,  das  mit  einem  wahren 
Urwalde  kräftiger  Steineichen  und  unserer  nordischen  Eichen  bestanden 
war  und  in  einer  schroffwandigen  Schlucht  endete.  Sehr  langsam  er- 
weitert sich  der  Ausblick  nach  Süden  zum  Meere  und  nach  Norden 
gegen  Alt-Montenegro;  eine  Kette  jedoch,  die  dem  Hauptkamme  des 
Küstengebirges  parallel  streicht  und  erst  bei  Virbazar  von  einer  Scharte 
unterbrochen  wird,  entzieht  den  Scutari-See  unseren  Augen.  Noch  immer 
bildet  der  Sutorman  die  Völkerscheide  zwischen  Montenegrinern  und 
Albanesen,  wie  vor  1Y2  Jahrzehnten  die  politische  Grenze  über  ihn  lief. 
Daher  die  türkischen  Befestigungen,  die  gleichwohl  die  Raubzüge  der 
Crnogorcen  ebensowenig  aufhielten,  wie  ihrerseits  die  Türken  sehr  oft 
verwüstend  in  die  Crmnica  einfielen.  Auch  die  österreichische  Grenze 
hält  sich  stets  in  nächster  Nähe  der  Strasse,  und  ein  bewaldeter  Höhen- 
zug, die  Vrsuta,  gehört  halb  dem  kleinen  Fürstenthum  und  halb  dem 
grossen  Kaiserstaate. 

Da  unser  Weg  in  einer  grossen  Biegung  die  tiefe  Crmnica- 
Schlucht  übersetzte,  um  an  der  dem  Skadarsko  Jezero  vorgelagerten 
Kette  Virbazar  zu  gewinnen,  so  schlugen  wir  den  alten  Saumpfad  ein, 
der  direct  in  die  dicht  mit  Weissbuchen,  Eichen  und  Eschen  bewaldete 
Rinne  hinabführte.  Eine  ergiebige,  ebenfalls  Basena  Voda  genannte  Quelle 
sprudelte  aus  dem  laubverhüllten  Gestein,  und  nach  einem  tüchtigen 
Trünke  ihres  kalten,  reinen  Wassers  stiegen  wir  rüstig  zu  Thal.  Immer 
freier  wurde  der  Blick  auf  die  fruchtbare  Ebene  vor  uns,  die  Vegetation  der 


Durch  tue  Crmnica  nach   Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro.  227 

kühlen  Höhe  bHeb  zurück,  und  als  wir  in  Limljani  (425  jSleter)  an- 
langten, waren  wir  in  einen  gesegneten  Landstrich,  den  Garten  Monte- 
negros, eingetreten,  der  keine  oder  bloss  kurze,  milde  Winter  kennt. 
Schüchtern  stellt  sich  die  Olive,  die  Feige,  der  Maulbeerbaum  und  der  Tabak 
wieder  ein,  edle  Obstbäume  wechseln  mit  anmuthigen  Pappel-  oder 
Eichenhainen  ab,  und  auf  kleinen  Beeten  werden  Gemüsepflanzen  und 
Melonen  angebaut,  wie  man  sie  in  gleicher  Güte  nirgends  in  der  Crnagora 
wiederfindet.  Im  hohen  Grase  der  saftigen  Wiesen  weiden  strotzende 
Herden,  auf  den  sorgsam  gepflegten  und  bewässerten  Aeckern  gedeihen 
alle  Getreidearten  in  üppiger  Fülle,  und  auf  den  sonnendurchglühten 
Kalkgehängen  kriechen  die  genügsamen  Reben  dahin,  deren  Trauben- 
blut den  berühmten,  weit  über  die  Landesgrenze  hinaus  bekannten 
Crmnica-\\'ein  liefert.  Um  die  Fruchtbarkeit  und  den  Wasserreichthum 
zu  erhöhen,  besteht  der  Grund  der  Ebene  aus  undurchlässigen  Werfe- 
ner Schichten,  die  an  den  Hängen  hoch  hinaufreichen  und  wegen 
ihrer  leichten  Zerstörbarkeit  dieselben  Erosionsformen  aufweisen  wie 
die  Flyschbildungen  zwischen  Antivari  und  Dulcigno.  Endlich  wurde 
unterhalb  Boljevici,  als  würdiges  Gegenstück  zu  den  Petroleumquellen 
von  Bukovik,  im  anstehenden  Schiefer  und  unweit  eines  Diabasstockes 
Manganit  entdeckt;  doch  bleibt  noch  abzuwarten,  ob  sich  der  bereits  in 
Angriff  genommene  Abbau  lohnt,  da  die  chemische  Untersuchung  ziem- 
lich abweichende  Resultate  ergab  und  die  Ausdehnung  jenes  Eisenlagers 
bis  jetzt  verhältnismässig  beschränkt  ist.  Seltsam  contrastirten  mit  dieser 
blühenden,  friedlichen  Natur  und  den  kleinen  Kirchen  die  älteren 
Häuser,  die  mit  ihren  schiessschartenartigen  Fenstern  und  hohen  Mauern 
wie  Festungen  aussahen.  Das  waren  sie  in  der  That,  als  die  Türken 
fortwährend  das  schöne  Land  bedrohten  und  in  jedem  Gebäude  ein 
tapfer  vertheidigtes  Bollwerk  fanden.  Hing  doch  von  der  Erhaltung  der 
Ernten,  auf  deren  \'ernichtung  der  Gegner  es  hauptsächlich  absah,. 
nicht  allein  das  Wohl  und  Wehe  der  Crmnica,  sondern  von  einem 
grossen  Theile  Alt-Montenegros  ab.  Bereits  sind  neue,  freundliche 
Häuser  in  grosser  Zahl  erbaut  worden,  deren  Einrichtung  sofort  den 
Wohlstand  ihrer  Bewohner  erkennen  lässt.  Auf  der  einen  Seite  schauen 
die  nackten,  coulissenartig  in  einander  geschobenen  Ketten  der  Crnagora 
herab,  auch  vom  Lovcen  —  und  welcher  Sohn  der  Schwarzen  Berge 
wäre  nicht  stolz  auf  ihn  —  ist  ein  kleines  Stück  sichtbar,  und  im 
Süden  schliesst  der  Sutorman  die  lieblich-ernste  Landschaft  ab.  Zwar 
erscheint  er  von  der  Crmnica  aus  viel  weniger  imposant  als  vom  Meere, 
dafür  ist  er  jedoch  leichter  zugänglich,  und  die  Fahrstrasse  macht  nur 
wenige  Biegungen. 

15* 


228  Durch  die  Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 

Nach  einer  angenehmen  Wanderung  langten  wir  in  Boljevici 
(i68  Meter)  an,  wo  ich  einen  der  jungen  ^Montenegriner  wieder  antraf, 
mit  denen  ich  Anfang  August  auf  dem  DampfschiiTe  enge  Freundschaft 
geschlossen  hatte.  Pavle  Plamenac,  so  hiess  er,  war  ein  naher  \'er- 
wandter  des  Kriegsministers,  seine  Familie  gehörte  einem  der  edelsten 
Geschlechter  ISlontenegros  an  und  besass  hier  ihr  Haus.  Selbstverständ- 
lich musste  ich  bis  zum  nächsten  Morgen  in  Boljevici  bleiben,  und  über 
unserer  angenehmen  Unterhaltung  verflog  die  Zeit  gar  zu  schnell.  Das 
Abendessen  wurde  aufgetragen,  und  die  Frau  des  Hauses,  die  in  der 
Familie  die  einer  Frau  vom  Stande  gebührende  Stellung  einnahm,  wies 
uns  die  Plätze  an  dem  schneeweiss  gedeckten  Tische  an.  Nach  dem 
zweiten  Gange  erhob  sich  Pavle  zu  einer  kurzen  Rede,  er  hiess  mich 
namens  seiner  Familie  herzlich  willkommen  und  bedankte  sich,  dass 
ich  auf  meinen  Streifzügen  auch  ihr  Heim  aufgesucht  hätte.  Zugleich 
verlieh  er  der  Hoffnung  Ausdruck,  dass  ich  befriedigt  von  meiner  Reise 
in  die  Heimat  zurückkehren  und  seinem  Vaterlande  ein  freundliches 
Andenken  bewahren  möge.  Zum  Schluss  stiess  er  mit  allen  Anwesenden 
auf  mein  Wohl  an,  und  ich  dankte  ihm  unverzüglich  auf  seine  ein- 
fachen, warm  empfundenen  Worte. 

Ungern  schied  ich  von  dem  gastlichen  Dache,  und  Pavle  gab 
mir  noch  auf  eine  kurze  Strecke  das  Geleit.  Schon  winkte  am  Ende 
der  Ebene  Virbazar,  und  langsam  senkte  sich  die  Strasse  zu  dem 
kleinen  Marktflecken  hinab,  den  zwei  von  den  Montenegrinern  erbaute 
Kulas  beherrschten.  Der  Bergzug,  an  welchem  die  Strasse  hinlief,  ver- 
schmälerte sich  immer  mehr,  und  plötzlich  lag,  ein  überraschendes 
Bild,  der  blaue  Scutari-See  vor  uns.  Im  hellen  Sonnenschein  spielten 
seine  Wellen,  aus  dem  Morgennebel  tauchten  die  Alpen  Albaniens 
und  des  Kuci-Landes  hervor,  und  ein  breiter,  mit  zahlreichen  Wasser- 
tümpeln besetzter  Moraststreifen  umgab  den  Fuss  unseres  schroff  ab- 
fallenden Hanges.  Nun  war  der  Hauptort  der  Crmnicka  Nahija  nicht 
mehr  weit;  bald  standen  wir  an  der  schmalen,  hochgewölbten  Stein- 
brücke, die  theils  von  den  Türken,  theils  von  den  Crnogorcen  errichtet 
worden  ist,  und  wenige  Minuten  später  nahm  uns  die  einfache 
Locanda  auf. 

Die  meist  einstöckigen  und  im  Untergeschoss  von  Läden  einge- 
nommenen Häuser  des  Städtchens  schliessen  sich  zu  einem  grossen 
Platze  zusammen,  der  auf  drei  Seiten  von  den  Flüssen  Oraostica  und 
Crmnica  begrenzt  wird,  während  die  vierte  nach  der  sumpfigen 
Niederung  zu  offen  ist.  Trotzdem  der  Platz  und  die  in  ihn  einmünden- 


Durch  die  Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 


229 


den  Saumwege  mehrere  Meter  hoch  aufgeschüttet  oder  aufgemauert 
sind,  so  werden  sie  fast  ahwinterhch  von  den  Hochfluthen  des  Ska- 
darsko  Jezero  überschwemmt,  und  wegen  des  zurückbleibenden  stag- 
nirenden  Wassers  sind  Fieber  so  häufig,  dass  die  Umgebung  von 
\'irbazar  oder  \'ir  zu  den  ungesundesten  Gegenden  Montenegros 
gehört. 

Trotz  seiner  geringen  \'olksmenge  war  das  Städtchen  von  jeher  ein 
Stapelplatz  für  den  Localverkehr  und  Binnenhandel ;  wegen  der  Ungunst 
der  politischen  und  commerciellen  Verhältnisse  konnte  von  einem  Fernver- 
kehr allerdings  keine  Rede  sein,  und  erst  nach  dem  glücklichen  Ausgange 
des  letzten  Krieges  und  nach  Fertigstellung  der  Fahrstrasse  Antivari- 
\'irbazar  fängt  auch  dieser  an,  sich  einzubürgern.  Die  ununterbrochenen 
und  mit  wechselndem  Erfolge  geführten  Kämpfe  gegen  den  muhame- 
danischen  Erbfeind  unterbanden  Handel  und  \\'andel,  und  wegen  der 
ewigen  Einfälle  der  Türken  und  Albanesen  konnte  der  ergiebige  Boden 
nicht  in  dem  Masse  ausgenutzt  werden,  wie  er  es  verdiente.  Wieviel 
Blut  hat  nicht  schon  die  Gefilde  um  den  Scutari-See  getränkt,  wie  viele 
erbitterte  Schlachten  haben  seine  Ufer  nicht  gesehen!  In  Vir  war  es, 
wo  1702  die  montenegrinische  \'esper  ausbrach.  Die  Soldaten  des 
Paschas  von  Scutari  waren  gekommen,  den  Tribut  zu  holen,  und  einer 
derselben  beschuldigte  einen  Crnogorcen,  sein  Mass  sei  zu  klein.  Der 
aber  schlug  ihm  mit  den  Worten:  »Das  ist  Montenegriner-Mass!«  den 
Schädel  ein,  und  in  dem  nun  beginnenden  grauenvollen  Ringen  fielen 
fast  sämmtliche  Türken  der  Volkswuth  zum  Opfer.  Heute  war  jede 
Spur  der  Jahrhunderte  langen  Fehde  verwischt;  von  allen  Seiten 
strömten  die  Landleute  auf  dem  vielbesuchten  \\'ochenmarkte  zusam- 
men und  erfüllten  in  buntem  Durcheinander  den  Platz  und  die  Schänken. 
Vom  See  und  aus  der  Rijeka  kam.en  die  Londras  herangefahren,  aus 
den  Dörfern  der  Crmnica  und  des  Küstengebirges  trieben  die  Bauern 
ihre  schwer  beladenen  Saumthiere  vor  sich  her,  und  den  ganzen  Tag 
dauerte  das  rege  Leben.  Hier  hielten  die  Fischer  von  Vranina  frische 
und  getrocknete  Fische  feil,  dort  wurden  die  Erzeugnisse  der  reichen 
Crmnica  ausgeboten,  und  redselige  Frauen  breiteten  Brot,  Eier  und 
pfundschwere  Käse  auf  groben  Decken  aus.  Die  Einen  untersuchten 
prüfend  die  goldgelben  Maiskörner  oder  den  hellbraunen  Roggen,  die 
Anderen  handelten  Werkzeuge  und  Geräthe  für  den  Ackerbau  und 
Haushalt  ein,  und  jenseits  der  Brücke  waien  die  Schafe,  Ziegen, 
Schweine,  Kühe  und  Pferde  zum  Verkaufe  ausgestellt.  Der  Freund  fand 
den  Freund  und  lud  ihn  zu  einem  Kaffee,  Raki  oder  einem  Glase 
Wein  ein,   die  Kapetane    und    die    anderen    Behörden    trafen    mit    ihren 


230  Durch   die  Crmnica  nach  Cetinje   und   über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 

Amtsgenossen    zusammen,   und    der    einfache  Mann  sprach  mit    seinem 
V'orgesetzten  nach  höfhcher  Begrüssung  wie  mit  seinesgleichen. 

Nach  Mittag  Hess  das  unruhige  Treiben  nach,  und  die  meisten 
der  entfernter  Wohnenden  machten  sich  in  ihre  Dörfer  auf.  Da 
mehrere  Londras  aus  Rijeka  in  dem  kleinen  Hafen  vor  Anker  lagen, 
so  bot  sich  uns  eine  willkommene  Gelegenheit,  für  einen  billigen 
Preis  und  in  lustiger  Gesellschaft  nach  unserem  heutigen  Ziele  befördert 
zu  werden,  und  das  umsomehr,  als  wir  den  aus  Muric  nach  Vir  ge- 
schafften Tiefenlothungsapparat  mitzunehmen  hatten,  der  unser  Gepäck 
nach  Umfang  und  Gewicht  nicht  unbeträchtlich  vermehrte.  Wir  wurden 
mit  den  Fährleuten  schnell  handelseinig  und  nahmen  gegen  i  Uhr 
unseren  Platz  im  Boote  ein.  Die  anderen  Fahrgäste,  meist  Frauen 
und  Mädchen,  Hessen  ebenfalls  nicht  lange  auf  sich  warten;  ihre  Körbe 
waren  bis  zum  Rande  mit  Feigen,  Trauben,  Aepfeln  und  Melonen  an- 
gefüllt, und  bald  war  der  grosse  Kahn  so  voll,  dass  man  sich  kaum 
rühren  konnte.  Ueberall  gab  es  fröhliche  Gesichter,  und  nur  zwei 
Fieberkranke  sassen  theilnahmslos  und  in  sich  gekehrt  da.  Wir  stiessen 
ab,  um  im  nächsten  Augenblicke  auf  dem  Schlamme  fest  zu  sitzen, 
denn  die  schwer  beladene  Londra  besass  für  die  seichte  Rijeka  Vir, 
den  Unterlauf  der  bei  der  Stadt  zusammenfliessenden  Crmnica  und 
Oraostica,  einen  viel  zu  grossen  Tiefgang.  Daher  mussten  wir  aus- 
steigen und  ein  gutes  Stück  längs  des  Wassers  hinlaufen,  während 
unser  schwimmendes  Haus  erst  nach  mancherlei  Anstrengungen  wieder 
flott  gemacht  werden  konnte.  So  erging  es  uns  noch  mehrmals,  bis 
wir  den  Scutari-See  vor  uns  sahen  und  hoffen  konnten,  in  ein  günsti- 
geres Fahrwasser  zu  gelangen.  Aber  weit  gefehlt.  An  der  Mündung 
verflachte  sich  der  Fluss  immer  mehr,  und  seine  i\blagerungen,  die 
gleich  den  Sedimentabsätzen  an  den  Mündungsarmen  der  Moraca  ein 
vorgeschobenes  Delta  bildeten,  tauchten  so  langsam  unter  das  Wasser, 
dass  dessen  Tiefe  höchstens  einen  Fuss  betrug.  Was  blieb  uns 
abermals  übrig,  als  Schuhe  und  Strümpfe  auszuziehen  und,  Männer 
und  Weiber  in  buntem  Durcheinander,  im  See  herumzuwaten?  Wohl 
eine  Viertelstunde  dauerte  es,  ehe  wir  knietiefes  Wasser  fanden  und 
unsere  Fahrt  ungestört  fortsetzen  konnten.  Unter  den  gleichmässigen 
Ruderschlägen  dreier  Schiffer  glitt  das  Boot  hurtig  auf  dem  ruhigen 
Skadarsko  Jezero  dahin,  und  wir  bedurften  der  Eile,  weil  über  dem 
abwechselnden  Aus-  und  Einsteigen  viel  Zeit  verloren  gegangen 
war.  Die  Sonne  neigte  sich  stark  zum  Horizonte,  als  wir  in  die 
Rijeka  einbogen,  die  trotz  ihrer  stattlichen  Breite  so  von  einem 
wirr    verfilzten    Sumpfpflanzenteppich    verhüllt     war,     dass     bloss    eine 


Durch  die   Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den   Lovcen  nach  Cattaro. 


231 


schmale,  vielgewundene  Fahrstrasse  frei  blieb.  Unaufhörlich  folgten  sich 
die  neckischen  Schlangenlinien  aufeinander,  und  bald  zwang  ein  vor- 
springender Hügel,  bald  ein  inselartig  emporragender  Fels  den  Fluss  zu 
einer  grossen  Krümmung.  Ohne  Aufenthalt  passirten  wir  die  schmutzige, 
träge  Karatuna  und  den  ärmlichen,  aber  wegen  des  Scoranzenfanges 
berühmten  Weiler  Ploca,  und  doch  kamen  wir  so  langsam  von  der 
Stelle,  dass  bereits  die  Sterne  am  abendlichen  Himmel  erglänzten,  als 
wir  die  Bergkette  ereichten,  in  welche  die  nach  Podgorica  führende 
Fahrstrasse  eingesprengt  ist  und  die  der  bisher  nordwärts  fliessenden 
Rijeka  eine  westliche  Richtung  gibt.  Von  neuem  begann  das  Boot 
aufzufahren,  und  die  Seichtigkeit  des  Bettes  nahm  so  überhand,  dass 
unsere  Londrafahrt  zu  Ende  war.  Wir  ruderten  ans  Ufer,  erklommen 
auf  einem  schmalen  Pfade  das  steile  Gehänge  und  wanderten  auf  der 
Kunststrasse  nach  Rijeka,  wo  wir  gegen  8  Uhr  abends  eintrafen. 

Der  wissenschaftliche  Theil  meiner  Reise  war  abgeschlossen,  und 
in  gehobener  Stimmung  brachen  wir  am  nächsten  Tage,  dem  10.  Oc- 
tober,  nach  Cetinje  auf,  nicht  ohne  zuvor  dem  wildromantischen  Höhlen- 
austritte der  Rijeka  einen  Besuch  abgestattet  zu  haben.  Im  heissen 
Sonnenschein  schritten  wir  auf  der  wohlbekannten  Fahrstrasse  gemäch- 
lich aus,  schauten  vom  Belvedere  noch  einmal  auf  den  See  und  die 
dunstumwobene  Gebirgswelt  hinter  uns  und  begrüssten  eine  halbe  Stunde 
später  mit  kräftigem  Hurrah  die  freundliche  Ebene  von  Cetinje.  Reges 
Leben  herrschte  in  der  Hauptstadt  der  Crnagora;  vor  wenigen  Tagen 
war  die  neu  erbaute  Wasserleitung  unter  dem  Jubel  der  Bewohner  dem 
allgemeinen  Gebrauche  übergeben  worden,  und  heute  feierte  der  Landes- 
vater seinen  Geburtstag.  Ueberall  ertönten  Böllerschüsse,  Musik  und 
froher  Gesang,  und  eine  festlich  gekleidete  Volksmenge  wogte  durch  die 
reich  beflaggten  Strassen.  Das  legte  ich  auch  als  einen  guten  Will- 
kommengruss  für  uns  aus,  und  herzlich  empfangen  von  den  Freunden 
und  Bekannten,  deren  ich  hier  wie  in  Montenegro  so  viele  gefunden, 
hielt  ich  meinen  Einzug  in  Cetinje.  Zwei  Tage  waren  der  Ruhe  und  den 
Abschiedsbesuchen  gewidmet,  der  Bruder  meines  bewährten  Marko  über- 
nahm den  Transport  des  Gepäckes  nach  Cattaro,  und  am  Morgen  des 
13.  October  sagte  ich   Cetinje  Lebewohl. 

Doch  ich  wollte  mich  von  den  mir  lieb  gewordenen  Schwarzen 
Bergen  nicht  trennen,  ohne  auf  ihrem  berühmtesten  Gipfel,  dem  Lovcen, 
gewesen  zu  sein.  Der  Eildampfer  nach  Fiume  fuhr  erst  in  zwei  Tagen 
ab,  und  so  blieb  mir  zur  Verwirklichung  meines  Planes  Zeit  genug. 
Zahlreiche  Fusssteige,  Saumpfade    und    ein    bequemer    Reitweg    führen 


232 


Durch   die   Crmnica  nach  Cetinje   und   über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 


von  allen  Seiten  zum  Lovcen  hinauf,  und  wir  wählten  den  von  Bajce 
aus  auf  die  Höhe  laufenden  Pfad.  Ueber  stark  verkarstetes,  mit 
dichtem  Buchenwalde  bestandenes  und  von  zahllosen  Dohnen  erfülltes 
Kalkgestein  stiegen  wir  mehrere  Stunden  lang  zu  einer  ausgedehnten 
Ebene  empor,  die  eine  sehr  unregelmässige  Oberfläche  besass  und  in 
die  ausgedehnte  Mulde  Korita  überging.  Ein  kleiner  Karstbach  und 
nie  versiegende  Quellen  tränken  die  grasige  Niederung;  eine  derselben 
sprudelt  mit  mächtigem  Strahl  unweit  einer  uralten,  zerfallenen  Kirche 
aus  den  Kalkbänken^  und  ihr  ausserordentlich  kaltes  Wasser  (-{-5"C.) 
fliesst  durch  eine  Reihe  von  Trögen  ab,  um  sich  dann  in  den  blumigen 
\\iesen  zu  verlieren.  Ein  schier  undurchdringlicher  Urwald  riesiger 
Buchen  umsäumt  die  vortrefflichen  Weiden  und  die  grösseren  Becken, 
die  in  den  meisten  Fällen  wohlbestellte  Aecker  und  menschliche  Wohn- 
stätten beherbergen,  und  aus  dem  Gewirr  von  Bergen  und  Vertiefungen 
erheben  sich  in  stolzer  Majestät  die  beiden  Hauptgipfel  des  Lovcen- 
Gebietes,  der  Stirovnik  und  der  Jezerski  Vrh,  auch  schlechthin  Lovcen 
genannt.  Unvermittelt  ruht  der  ungefüge  würfelähnliche  Coloss  des 
Stirovnik  auf  seiner  breiten  Unterlage,  in  vollkommen  senkrechten 
Mauern  stürzt  er  zu  dem  schmalen  Dolinenthale  ab,  das  ihn  vom  Je- 
zerski \'rh  trennt,  und  kein  Baum  wächst  auf  seinen  wild  verkarsteten, 
nackten  und  schwer  zugänglichen  Felsen.  Ganz  anders  der  ausdrucks- 
vollere Xachbarberg.  Zwar  ragen  seine  hellen,  nicht  selten  krystal- 
linischen  Kalke  ebenfalls  in  schroffen  Wänden  empor  und  werden  nur 
in  ihren  unteren  Horizonten  von  lichtem  Eichen-  und  Buchenwalde  über- 
kleidet; aber  sie  sind  zu  einem  scharfen,  schmalen  Rücken  ausge- 
arbeitet, der  beiderseits  mit  Schutthalden  überdeckt  ist  und  einen 
kleineren,  sargdeckelartigen  Aufsatz  trägt.  In  allen  Theilen  Montenegros 
ist  seine  charakteristische  Gestalt  erkennbar,  und  als  ein  weithin  sicht- 
bares Wahrzeichen  lugt  die  dem  Andenken  des  Fürsten  Petar  II.  ge- 
weihte Capelle  ins  Land  hinein.  Ein  sumpfiger  See,  eigentlich  ein 
Teich  mit  tiefgrünem  W^asser,  der  von  unterirdischen  Quellen  gespeist 
wird  und  zu  gewissen  Monaten  ganz  verschwindet,  gibt  dem  Jezerski 
Vrh  seinen  Namen  Seeberg,  und  es  möchten  hier  einige  abschliessende 
Bemerkungen  über  die  einheimischen  Ortsnamen  am  Platze  sein,  soweit 
sie  auf  die  Eigenschaften  ihrer  Umgebung  hinweisen.  In  einem 
trockenen  Lande  spielen  Wasser  und  Schnee  eine  hervorragende  Rolle, 
daher  kehren  die  entsprechenden  Namen  am  häufigsten  wieder,  z.  B. 
Suvo  Polje  Trockenes  Feld,  Dobra  Voda  Gutes  Wasser,  Mokro  Feuchter 
Ort,  Ponorska  Gora  Schlundgebirge,  Ponikvica  Loch,  Ubli  Brunnen- 
oder Cisternenort,  Susica  Wildbach,  Ledenica  Pecina  Eishöhle,    Drecin 


Durch  die  Crmnica  nach   Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 


233 


Usov  Lawinenberg.  Der  Wald  und  seine  Baumarten  spiegeln  sich 
wider  in  den  Bezeichnungen  Gvozd  Urwald,  Golija  Nacktes  Gebirge. 
Travni  Do  Grasthal,  Borovnik  Fichtenberg,  Lipa  oder  Lipnik  Linden- 
ort, Bukovik  oder  Bukovica  Buchengegend,  Dubovik  oder  Dubrave 
Eichengegend,  Jabuka  Apfelort,  Tresnjevo  Kirschenort,  Javorje  Planina 
Ahorngebirge  u.  a.  Die  Viehzucht  oder  das  Vorhandensein  irgend  eines 
Thieres  gaben  ^'eranlassungen  zu  den  Xamen  Zabljak  Froschort,  Riblje 


Jezero  Fischsee,  Golubovci  Taubenort..  Katunska  Nahija  Sennerei-Bezirk, 
Medjed  Bärenberg,  Jelen  Do  Hirschthal,  Kosovi  Lug  Amselnhain.  Die 
Farbe  bedingt  Namen  wie  Crvena  Greda  Rothe  Klippen,  Bijela  die 
Weisse,  Crno  Jezero  Schwarzer  See  u.  v.  a.  Nach  der  äusseren  Form, 
der  Lage  oder  einer  Kirche  richten  sich  die  Bezeichnungen  Crkvice 
Kirchenort,  Podgorica  Unter  dem  kleinen  Berge,  Troglav  Drei  Köpfe, 
Bijela  Skala  Weisse  Treppe,  Korito  Trog,  Krivi  Do  Schiefes  Thal,  Sto 
Tisch.  Aus  dem  Klima  entspringen  die  Namen  Studena  Planina  Kaltes 
Gebirge,  Zupa  Sonniges  Land,  von  Volkssagen  rühren  her  Savinkuk 
Berg  des  heiligen  Sava,  Drobnjak  Land  des  Riesen  Drob,  und  an  die 
bereits  erwähnten  Familien-  und  \'erwandtschaftsnamen  knüpfen  an 
Kuci,  \'asojevici,  Petrovici,  Banjani  u.  v.  a. 

Hassen.  Reise  durch  Montenegro.  lo 


234  Durch  die  Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro. 

Nach  kurzer  Rast  an  der  kalten  Quelle  von  Korita  wanderten  wir 
in  die  von  einigen  Häusern  belebte  Thalrinne  zwischen  Stirovnik  und 
Jezerski  Vih  und  klommen,  eine  ergiebige  Cisterne  hinter  uns  lassend, 
an  den  steilen  Lehnen  des  letzteren  in  die  Höhe.  Die  Gewinnung  des 
Grates  machte  keine  allzugrossen  Schwierigkeiten,  denn  der  vom  Fürsten 
angelegte  Reitweg  lief  bis  auf  ihn  hinauf,  und  ein  wendeltreppenartiger, 
durch  Mauern  geschützter  Fusssteig  leitete  uns  in  kurzer  Frist  an  den 
senkrechten  Zinnen  des  aufgesetzten  Rückens  zu  dem  kleinen,  einsamen 
Kirchlein  (1657  Meter)  empor.  Um  12  Uhr  betraten  wir  das  nach 
Länge  und  Breite  beschränkte  Plateau,  in  welchem  jener  Rücken  endete, 
und  ein  schneidender  Wind  wehte  uns  entgegen,  sodass  wir  uns  fröstelnd 
in  unsere  Mäntel  hüllten.  Doch  wir  achteten  nicht  der  unangenehmen 
Kälte  und  hörten  kaum  das  Pfeifen  des  Sturmes,  der  unsern  Stand- 
punkt umtobte,  weil  das  Bild,  das  sich  zu  unseren  Füssen  ausbreitete, 
uns  alles  Andere  vergessen  Hess.  Wer  könnte  dieses  Panorama  be- 
schreiben, gegen  welches  die  Rundsicht  vom  Durmitor,  Vojnik,  Ostrog 
oder  von  Vranina  in  nichts  zusammenschrumpft  und  dem  selbst  der 
umfassende  Blick  vom  Kom  an  zauberischer  Schönheit  nicht  gleich- 
kommt? Wahrlich,  ein  poetisches  Gemüth,  wie  das  des  Fürsten  Petar, 
konnte  es  wieder  und  immer  wieder  auf  jene  starre  Höhe  ziehen,  von 
welcher  der  als  Dichter  und  Herrscher  gleich  erprobte  Sohn  der  Schwarzen 
Berge  sein  kleines  Land,  das  einst  allmächtige  Serbenreich  und  das 
türkische  Gebiet  überschaute,  wo  er  die  Gedanken  zu  seinem  berühmten 
Heldenliede  Gorski  Vijenac,  dem  Bergkranz,  sammelte  und  wo  er, 
seinem  Wunsche  gemäss,  begraben  wurde.  Leider  beeinträchtigte  ein 
feiner  Nebel  die  Aussicht,  so  dass  die  entfernteren  Bergzüge  un- 
deutlich aus  der  Dunsthülle  hervortraten;  aber  das  gesammte  Monte- 
negro lag  wie  auf  einer  Reliefkarte  vor  uns.  Hier  spielte  die  Sonne 
mit  den  leicht  bewegten  Fluthen  der  Bocche,  dort  leuchtete  der  Spiegel 
des  Scutari-Sees  herauf,  und  am  Horizonte  verschwand  die  blaue  Adria. 
In  wilder  Pracht  erhoben  sich  die  Albanesischen  Alpen  und  das  Küsten- 
gebirge Rumija,  und  allerorts  schweifte  das  Auge  über  ein  endloses 
Durcheinander  von  Ketten  und  Thälern,  aus  deren  Hintergrunde  die 
schneebedeckten  Zacken  des  Durmitor  und  Kom  zum  letzten  Male 
herübergrüssten.  Vom  grünen  Plane  hob  sich  Podgorica  ab,  die  kleinen 
Becken  von  Cetinje,  Njegus  und  Kcevo  unterbrachen  anmuthig  das 
Grau  in  Grau  gehüllte  Gestein,  und  100  Meter  unter  uns  war  in  einen 
kreisrunden  Kessel  der  See  des  Jezerski  Vrh  eingebettet. 

Nur  schwer  vermochte  ich  mich  von  dem  überwältigenden  Bilde 
zu  trennen,  und  beflügelten  Schrittes  eilten  wir  auf  dem  einzig  mögHchen 


Durch  die  Crmnica  nach  Cetinje  und  über  den  Lovcen  nach  Cattaro.  -73:; 

Wege  wieder  ins  Thal  hinab,  das  nach  kurzer  Wanderung  rasch  abfiel 
und  sich  zu  der  mit  Häusern,  Feldern  und  Wiesen  bedeckten  Mulde 
Zanjev  Do  erweiterte.  Die  Bocche  di  Cattaro  zeigten  sich  uns  un- 
verwandt, und  bei  jeder  Biegung  des  erträglichen  Pfades  schien  die 
reizvolle,  farbei^frohe  Landschaft  am  Meeresstrand  ein  anderes  Gewand 
anzunehmen,  während  hoch  oben  selten  ein  grünes  Becken  oder  ein 
kleiner  Buchenhain  die  zersprengten,  fast  vegetationslosen  Kalke  zierte. 
In  Zanjev  Do  angelangt,  hatten  wir  noch  wenige  Schritte  bis  zum  Han 
Krstac  an  der  neuen  Strasse,  und  hier  verbrachte  ich  die  letzte  Xacht 
auf  montenegrinischem  Boden,  um  mich  noch  einmal  in  die  Einfachheit 
der  einheimischen  Unterkunftsverhältnisse  zurückzuversetzen  und  am 
Morgen  mit  frischen  Kräften  auf  dem  alten,  noch  heute  viel  benutzten 
Saumwege  nach  Cattaro  hinabzusteigen.  Zwei  nebeneinander  gestellte 
Holzladen  bildeten  das  Bettgestell,  einige  Decken  das  Bett,  aber  erst  in 
der  Frühe  konnte  ich  wegen  der  unbefugten  sechsfüssigen  Bewohner 
meiner  harten  Lagerstatt  einschlafen  und  trieb  schon  zeitig  zum  Ab- 
märsche. In  67  kurzen  Windungen  führte  der  mauer-  und  geländerlose 
Pfad  längs  einer  schroffwandigen  Schlucht  an  den  abschüssigen  Lehnen 
hinab  zum  Meere.  Verv/itterte  Kalktrümmer  überdeckten  den  kümmer- 
lichen, mitunter  sogar  halsbrecherischen  Steig,  oft  hatte  das  Wasser  tiefe 
Löcher  und  Risse  in  die  stellenweise  vorhandenen  Fundamente  gewühlt, 
und  überall  starrten  uns  seltsame  Felsformen  an.  Ohne  Aufhören  ging 
es  von  rechts  nach  links  und  von  links  nach  rechts,  ja  w^enn  uns  die 
Curven  gar  zu  gross  dünkten,  kürzten  wir  sie  nach  montenegrinischer 
Art  durch  gerade  Verbindungswege  ab  und  und  kamen  rasch  an  die 
Linie,  welche  den  Besitz  des  Hauses  Habsburg  von  dem  des  Hauses 
Petrovic  sondert.  Auf  österreichischem  Gebiet  wurde  der  Weg  nach 
Breite  und  Ausbau  besser,  doch  lässt  man  ihn  seit  \'ollendung  der 
Fahrstrasse  verfallen,  und  die  Gewalt  der  Elemente  hat  bereits  mannig- 
fachen Schaden  angerichtet.  Nach  zweistündiger  Wanderung  standen 
wir  vor  dem  Festungsthore  von  Cattaro,  und  ein  allzupflichteifriger  Zoll- 
wächter unterwarf  mein  Handgepäck  einer  peinlichen  Durchsuchung. 
Die  für  die  Abreise  nöthigen  Vorkehrungen  waren  binnen  kurzem 
erledigt,  und  wir  konnten  den  Nachmittag  der  Müsse  und  unseren  Ge- 
danken widmen.  Am  Morgen  des  13.  October  schlug  die  Scheidestunde, 
und  mein  treuer  Marko  Hess  es  sich  nicht  nehmen,  mich  bis  an  Bord 
zu  begleiten.  Noch  ein  herzlicher  Abschied,  dann  mussten  wir  uns 
trennen;  er  kehrte  zurück  zu  seinen  Bergen,  und  mich  trugen  Dampf- 
schiff und  Eisenbahn  eilenden  Flugs  der  Heimat  zu. 

i6* 


2^6 


Inhalt. 


Seite 

1.  Capitel:  Nach   Cetinje i 

2.  »  UeberRijekanachPodgorica lo 

3-  >■  DurclidasZeta-ThalnachDanilovgradundKlosterOstrog       .     19 

4  '  Durch   das  Gebirgsgebiet  des   Ostrog  und  der  Prekornica     ...     29 

5-  •         Nach  Nikäic   und  durch  die  Duga-Pässe  nach  Gacko      36 

6.  »  Die  Banjani       48 

7-  Nach   Grahovo,   durch   die  Krivoäije  und  zurück   nach   Nik§ic  .    .     60 

8.  "  UeberdieLukavicainsobereMoraca-Thal ög 

9  "  Durch  das  Tusina- Thal   auf  den  Vo  in  ik   und  nach   l?resna  .    .    .    .     84 

10.  »         LängsderPiva-CanonsnachFoca        93 

11.  »         Durch  die  Hercegovina  nach  Cetinje      102 

12.  »         Nach  Kolasin 114 

13.  »  Im   Durmitor -. 123 

i+.  »  Zurück  nackNiksic   und  Podgorica 147 

15.  »         Das  Kuci-Land 157 

16.  »  Von  Andrijevica  nach   Berani    und    über    Kolasin    zurück    nach 

Podgorica 170 

17.  >         Der  Scutari-See 184 

18.  »  Nach   An  t  i  vari  und  Dulcign  o 196 

19.  »  Durch  dieBojana-Ebene  nach  Scutari  und  zurück  nach  Antivari   210 

20.  »         Durch    die    Crmnica    nach    Cetinje    und    über  den  Lovcen  nach 

C  a  1 1  a  r  o 224 


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