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EISE DURCH PERSIEN
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University of Toronto
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UTSCHE
EMEINSCHAFT
M. B. H.
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JUL 4 1970
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ERSTER TEIL
VORSPIEL
Wer mit mir kommen und die Zeit der Rosen-
blüte in Ispahan sehen will, der entschließe
sich, langsam in Etappen an meiner Seite
zu wandeln, so wie im Mittelalter.
Wer mit mir kommen und die Zeit der Rosenblüte
in Ispahan sehen will, der mache sich gefaßt auf die
Gefahren eines Rittes über unwegsame Pfade auf stür-
zenden Pferden und auf das Gewirre der Karawanse-
reien, wo man übereinander geschichtet in einer Nische
aus gestampftem Lehm zwischen Mücken und Ungezie-
fer schläft.
Wer mit mir kommen und in ihrer trübseligen Oase,
inmitten ihrer Felder von weißem Mohn und ihrer Gär-
ten von roten Rosen die alte Stadt der Ruinen und der
Mysterien, mit allen ihren kleinen Kuppeln, ihren
blauen Minaretts von unwandelbarer Glasur aufsteigen
sehen will, wer mit mir kommen und Ispahan unter
dem schönen Maienhimmel sehen will, der bereite sich
vor auf lange Märsche, in der sengenden Sonne, bei den
rauhen kalten Winden der höchsten Regionen, über
diese Hochländer Asiens, die hochgelegensten und aus-
gedehntesten der Welt, die einst die Wiege der Mensch-
heit waren, heute aber in Wüsten verwandelt sind.
Wir reiten vorüber an Phantomen von Palästen aus
mausgrauem Kiesel, dessen Gestein dauerhafter und
feiner ist als das des Marmors. Dort wohnten einstmals
die Herren der Erde, und an ihrem Eingang wachen
seit mehr als zweitausend Jahren Kolosse mit großen
Flügeln, von der Gestalt eines Stieres, dem Antlitz eines
Menschen und der Tiara eines Königs. Wir reiten vor-
über, aber hinfort sehen wir nichts als das unendliche
Schweigen der blühenden Gräser und der grünenden
Gerste.
Wer mit mir kommen und die Zeit der Rosenblüte in
Ispahan sehen will, der mache sich gefaßt auf unermeß-
liche Ebenen, so hoch gelegen wie die Gipfel der Alpen,
bekleidet mit niedrigen Kräutern und seltsamen bleichen
Blüten, wo nur hin und wieder ein aus taubengrauem
Lehm erbautes Dorf auftaucht, mit seiner kleinen bau-
fälligen Moschee, deren Dom von entzückenderem Blau
ist, als das eines Türkis, wer mir folgen will, der füge
sich in eine lange Reihe von Tagen, deren Einsamkeit
und Eintönigkeit nur von Luftspiegelungen unter-
brochen wird.
UNTERWEGS
Dienstag, 17. April.
In der Dämmerung liegt unser Nomadengepäck aus-
gebreitet auf der Erde, durchnäßt von dem Sprüh-
regen, trostlos anzuschauen. Der Wind fegt unter den
sich hochauftürmenden drohenden Wolken dahin. Die
weiten Sandflächen, in die wir uns jetzt auf gut Glück
hineinstürzen sollen, heben sich hell vom Horizont ab;
die Wüste ist weniger dunkel als der Himmel.
Eine große Segelbark, die wir in Bender-Bouchir ge-
heuert haben, wirft uns hier an der Schwelle der Ein-
samkeiten aus, auf das glühende Ufer des Persischen
Golfes, wo Menschen aus unserem Klima die fieber-
geschwängerte Luft kaum atmen können. Und hier ist
der Ausgangspunkt, wo sich gewöhnlich die Karawanen
bilden, die nach Ghiraz und Mittel-Persien aufsteigen
sollen.
Wir waren vor ungefähr drei Wochen auf einem
Schiff von Indien fortgefahren, das uns jetzt langsam
an der Küste entlang vorwärts trägt, indem es sich auf
den schweren und heißen Gewässern dahinschleppt.
Und seit mehreren Tagen sehen wir am nördlichen
Horizont eine Art endloser Mauer, die, bald blau, bald
rosa, uns zu folgen scheint, und die auch an diesem
Abend sich vor uns aufgetürmt hat. Der Rand Per-
siens, das Ziel unserer Reise, das, zwei- oder dreitau-
send Meter über dein Meeresspiegel, in den ungeheuren
Höheflächen Asiens ruht
Der erste Empfang auf persischem Boden war für
uns kein freundlicher: Als wir von Bombay ankamen,
wo die Pest wütete, mußten mein französischer Diener
und ich dort fünf Tage in Quarantäne liegen, allein auf
einer sumpfigen kleinen Insel; eine Barke brachte uns
jeden Abend die nötigen Lebensmittel, die uns vor dem
Hungertode schützen sollten. In einer Backofenhitze,
inmitten der Qualen des heißen Sandes, den uns das
benachbarte Arabien sandte, inmitten der rätselhaften
Winde, mußten wir lange dort leiden. Tagsüber von der
Sonne zu Boden gedrückt, mit Bremsen und giftigen
Fliegen bedeckt, nachts die Beute ungezählten Unge-
ziefers, das das Gras verpestete.
Als wir endlich in Bender-Bouchir, der Stadt der
Trauer und des Todes, mit ihren verfallenen Mauern,
mit ihrem unheilvollen Himmel, einziehen durften, tra-
fen wir in aller Eile unsere Vorbereitungen, kauften
Lagergegenstände, mieteten Pferde, Maultiere, Maul-
tiertreiber, die, um wieder mit uns zusammenzutreffen,
heute morgen aufbrechen mußten; sie hatten eine Bucht
zu umschreiten, wir aber schnitten zu Wasser eine ganze
Ecke ab, um auf diese Weise einen Marsch in der glü-
henden Sonnenhitze zu vermeiden.
So haben wir uns also an der Schwelle der Wüste
niedergelassen, gegenüber einem ganz verfallenen Dorf,
wo die Leute in Lumpen gehüllt auf Mauertrümmern
hocken und rauchen und unserem Treiben zuschauen.
Lange Unterredungen mit unseren halbnackten
Schiffern, die uns auf ihren triefenden Schultern ans
Land getragen haben, denn die Barke mußte wegen der
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Sandbänke ungefähr hundert Meter vom Ufer entfernt
liegen bleiben. Lange Unterredungen mit dem Ortsvor-
steher, der von dem Gouverneur von Bouchir den Be-
fehl erhalten hat, mir eine berittene Begleitmannschaft
zu stellen, und schließlich mit einem „Tcharvadar"
(dem Anführer meiner Karawane), dessen Pferde und
Maultiere hier sein sollten, die aber nicht ankommen.
Von allen Seiten der weite Raum, den der Wind be-
wegt, der Raum der Wüste oder des Meeres. Und wir
befinden uns ohne Schutz, unser Gepäck liegt zerstreut
auf dem Boden. Und der Tag erlischt langsam über
unserer Verwirrung.
Einige Tropfen Regen. Aber in diesem Lande achtet
man nicht darauf; man weiß, daß es nicht regnen wird,
daß es nicht regnen kann. Die Leute, die rauchend auf
den Ruinen saßen, haben soeben ihr Moghreb Gebet ge-
sprochen, und die Nacht sinkt herab, Unheil ver-
kündend.
Wir warten auf unsere Tiere, die noch immer nicht
kommen. In der Dunkelheit tönen von Zeit zu Zeit die
Glöckchen zu einem Glockenspiel zusammen, und jedes-
mal flößen sie uns Hoffnung ein. Aber nein, es ist
irgendeine fremde Karawane, die vorüberzieht: zu
zwanzig oder dreißig, die Maultiere streifen uns; um
sie daran zu verhindern, unser Gepäck und uns selbst
zu zertrampeln, schreien unsere Leute — und alsbald
verschwinden sie, dem fernen Nebel entgegen. (Wir sind
hier am Eingang zu der Straße von Bouchir nach Ispa-
han, einer jener großen Straßen Persiens, und dieser
kleine, verfallene Hafen ist ein sehr besuchter Durch-
gang-)
Endlich kommen sie an, die Unsrigen, auch sie mit
lauttönenden Glöckchen.
Eine Nacht, die immer dichter wird, unter einem
niedrigen, unruhigen Himmel.
Alles üegt auf der Erde durcheinander geworfen. Die
Tiere machen Sprünge, schlagen hinten aus — und die
Zeit schreitet fort, wir sollten uns eigentlich schon
längst auf dem Marsche befinden. Zuweilen hat man
im nächtlichen Alpdruck ähnliche unlösbare Schwierig-
keiten zu überwinden gehabt, hat vor diesen unentwirr-
baren Hindernissen, inmitten wachsender Nebel gestan-
den. Wirklich, es erscheint unmöglich, wie so viele
verschiedene Dinge, Waffen, Decken, Geschirre, die in
aller Eile in Bouchir gekauft und nicht eingepackt wur-
den, und die jetzt hier im Sande verstreut liegen, in
einer solchen Nacht wie der heutigen so schnell auf
glöckchenbehangenen Maultieren verladen werden kön-
nen, die dann in einer langen Reihe, eins hinter dem
anderen in der schwarzen Wüste untertauchen.
Indessen, man geht an die Arbeit, indem man von
Zeit zu Zeit innehält, um Gebete zu sprechen.
Die Gegenstände in große Karawanensäcke von bunt-
bemalter Wolle verstauen, dieselben zuschnüren, um-
winden, wägen, das Gewicht jedes Tieres abmessen —
das alles geht unter dem Scheine zweier kleiner, jäm-
merlich anzuschauender Laternen, inmitten des unruh-
vollen Dunkels vor sich. Kein Stern, keine Öffnung dort
oben, durch die der geringste Strahl fällt. Die Wind-
stöße wirbeln mit klagendem Geheul den Sand auf.
Und während der ganzen Zeit ertönt hinter der Szene
das Geläute der Schellen und Glöckchen; unbekannte
Karawanen ziehen vorüber. Jetzt führt mir der Orts-
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Vorsteher drei Soldaten zu, die mit meinen Dienern and
meinen Maultiertreibern diese Nacht meine Wache aus-
machen sollen. Die beiden kleinen Laternen, die man
auf die Erde gestellt hat, und die die Heuschrecken
anziehen, zeigen mir von unten in unbestimmtem Licht
die beiden Ankömmlinge: hohe schwarze Hüte über
feinen Gesichtern, lange Haare und lange Barte, weite
Kleider mit einem Einschnitt in der Taille und mit
Ärmeln, die wie Flügel herunterhängen . . .
Endlich gelingt es dem Mond, dem Freund der No-
maden, das schwarze Chaos zu entwirren. In einem
jähen Riß, am Rande des Horizontes geht er riesenhaft
und rot auf und enthüllt im selben Augenblick die noch
nahen Gewässer, auf denen sein Widerschein sich zu
einem blutigen Tuch verlängert (eine Ecke des Persi-
schen Golfes), enthüllt auch die Berge dort unten, die er
zu einer Silhouette ausschneidet (die große Kette, die
wir morgen besteigen müssen). Sein wohltuendes Licht
ergießt sich über die Wüste, macht den Unmöglichkeiten
des Alpdrucks ein Ende, befreit uns von den unlösbaren
Verwirrungen, zeigt uns einander, Gestalten, die sich
von dem weißen Sand in schwarzer Zeichnung abheben,
und vor allen Dingen, sondert uns ab, uns die Gruppen,
die für dieselbe Karawane bestimmt sind, von anderen
gleichgültigen Gruppen oder Wegelagerern, die hier
und dort Aufstellung genommen haben und deren
Gegenwart uns überall beunruhigte.
Neuneinhalb Uhr. Der Wind legt sich. Es teilen sich
die Wolken, die Sterne kommen zum Vorschein. Alles
ist eingepackt, verladen. Meine drei Soldaten sitzen im
Sattel und halten ihre langen Gewehre gerade vor sich
hin. Man führt uns unsere Pferde zu, auch wir sitzen
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auf. Unter fröhlichem Geläute setzt meine kleine Kara-
wane sich in Bewegung, ein kleiner unordentlicher
Haufe, aber schließlich schlägt sie durch die grenzen-
lose Ebene eine bestimmte Richtung ein.
Eine Ebene von grauem Schlamm, der gleich nach
dem Sande beginnt, eine Ebene von Schlamm, den die
Sonne getrocknet hat, und der mit Eindrücken übersät
ist: Wege von hellerem Grau, die unzählige Fußtritte
im Laufe der Jahre getreten haben, das sind die Pfade,
die uns führen, und die sich vor uns in dem unendlichen
Raum verlieren.
Sie befindet sich auf dem Marsch, meine Karawane.
Und sechs Stunden Weges liegen vor uns, dann werden
wir unser Quartier um drei oder vier Uhr morgens er-
reichen.
Trotz des entmutigenden Aufbruchs, der niemals ein
Ende zu nehmen schien, befindet sie sich auf dem
Marsch, ziemlich schnell, ziemlich leicht und behend
zieht sie dahin, durch den unbestimmten Raum, dessen
Ausdehnung durch keinen Merkstein begrenzt wird.
Noch nie zuvor war ich früher in tiefer Nacht durch
die W;üste gereist. In Marokko, Syrien, in Arabien
schlug man stets noch vor der Stunde des Moghreb sein
Lager auf. Aber hier ist die Sonne so vernichtend, daß
weder Menschen noch Tiere eine Reise am hellen Tage
aushalten könnten: diese Wege kennen nur nächtliches
Leben.
Der Mond geht am Himmel auf, schwere Wolken,
die noch nicht verschwunden sind, hüllen ihn von Zeit
zu Zeit in geheimnisvolle Nebel.
Meine Begleitung bilden lauter Fremde, Silhouetten,
deren Umrisse echt persisch erscheinen; die Gesichter
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sind alle neu für mich, diese Kleidung, diese Rüstun-
gen sehe ich zum erstenmal.
Unter eintönig harmonischem Geläute dringen wir
allmählich in der Wüste vor: Große Glocken mit ern-
stem Ton, die unter den Bäuchen der Maultiere hängen,
kleine Glöckchen und Schellen, die sich in einem Kranz
um ihren Hals winden. Und ich höre auch die Leute
meines Gefolges, wie sie in den hohen Tönen des Musel-
manns ganz leise singen, als träumten sie.
Meine Karawane ist schon ein abgeschlossenes Gan-
zes geworden. Ein abgeschlossenes Ganzes, das sich
zuweilen in einer langen Reihe ausdehnt, dessen ein-
zelne Glieder unter dem Mond, in der grauen Unend-
lichkeit weiten Abstand voneinander nehmen, aber das
sich dann unwillkürlich wieder schließt, das sich von
neuem zu einem geschlossenen Körper formt, so eng,
daß man sich gegenseitig mit den Beinen streift. Und
man faßt Zutrauen zu diesem instinktiven Zusammen-
hang, so daß man nach und nach die Tiere laufen läßt,
wie es ihnen beliebt.
Allmählich klärt sich der Himmel auf; mit einer Ge-
schwindigkeit, die diesen Zonen eigen ist, zerteilen sich
die Wolken dort oben, die so schwer erschienen, ohne
Regen zu spenden.
Und in dieser Einöde strahlt jetzt der Vollmond,
wunderbar und einsam. Die ganze heiße Atmosphäre ist
gebadet in seinen Strahlen, die ganze sichtbare Aus-
dehnung ist überflutet von einer weißen Klarheit.
Es kommt zuweilen vor, daß irgendein launenhaftes
Maultier sich hinterlistig entfernt, daß es, man weiß
nicht warum, eine verkehrte Richtung einschlägt; aber
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es ist leicht zu erkennen, da es sich mit seiner Last, die
wie ein großer buckliger Rücken aussieht, schwarz in-
mitten dieser ruhigen, hellen Fernen abhebt, wo weder
ein Felsen noch ein Grasbüschel die gerade Fläche
unterbricht; einer unserer Leute läuft ihm nach und
führt es zurück, indem er mit geschlossenem Mund den
langen Schrei ausstößt, der hier der Ruf der Maultier-
treiber ist.
Und die leise Musik unserer Reiseglocken fährt fort,
uns mit ihrer süßen Eintönigkeit einzuwiegen; das
unaufhörliche Glockenspiel in dem unaufhörlichen
Schweigen schläfert uns ein. Einige der Leute schlafen
jetzt ganz; ausgestreckt liegen sie wie tot auf dem Halse
ihres Maultieres, den sie mechanisch mit beiden Armen
umschlingen. Ihr bewußtloser Körper ist durch ein
Nichts aus dem Sattel zu werfen, und ihre langen nack-
ten Beine baumeln herunter. Andere sitzen noch auf-
recht und singen ohne Unterbrechung zu dem Geläute
der hängenden Glocken, aber vielleicht schlafen auch sie.
Wir haben jetzt die Zonen des rosa Sandes erreicht,
mit einer seltsamen Regelmäßigkeit ist er gezeichnet,
auf dem getrockneten Schlamm des Bodens zieht er sich
in zebraartigen Streifen dahin, und die weite Wüste
gleicht einem großgemusterten Teppich. Und vor uns
am Horizont, aber noch weit entfernt, liegt die Gebirgs-
kette mit ihrer senkrechten Mauer, die die erstickenden
Regionen hier unten begrenzt und die den Rand der
weiten Hochebene Asiens bildet, den Rand des wirk-
lichen Persiens, den Rand von Persien, Chiraz und Ispa-
han: dort oben, zwei- oder dreitausend Meter über den
todbringenden Ebenen, ist das Ziel unserer Reise, das
Land, das wir ersehnen, aber das so schwer zu erklim-
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men ist, das Land, wo unsere Mühen ein Ende haben
werden,
Mitternacht. Etwas, das einem erfrischenden Wind-
hauch ähnlich ist und uns nach der Backofenhitze des
Tages erquickend erscheint, wirkt plötzlich wie be-
freiend auf uns. Über die rosa und grau gemusterte un-
endliche Ebene ziehen wir wie hypnotisiert dahin.
Ein Uhr, zwei Uhr morgens. Wie auf dem Meere in
Nächten, wenn man Wache geht, alles bei schönem
Wetter leicht erscheint, und man nur das Schiff gleiten
zu lassen braucht, so auch hier. Man verliert das Be-
wußtsein von der Dauer der Zeit, bald erscheinen die
Minuten lang wie Stunden, bald sind die Stunden kurz
wie Minuten. Übrigens ist auch hier nicht mehr zu sehen
als auf dem ruhigen Meer, nichts hebt sich in der Wrüste
ab, das uns den zurückgelegten Weg angeben könnte.
Ich schlafe sicher, denn das kann nur ein Traum
sein ! . . . Ganz in meiner Nähe reitet ein junges Mädchen
auf einem Esel, der Mond enthüllt mir ihre wunderbare
Schönheit. Sie trägt einen Schleier und einen Madonnen-
scheitel. Um Schritt zu halten, bewegt der Esel seine
kleinen Beine in leisem Trab vorwärts . . .
Aber nein, sie ist wirklich von Fleisch und Blut,
meine hübsche Reisebegleiterin, und ich, ich wache 1 . . .
Und dann kommt mir in dem ersten Augenblick der
Verwirrung der Gedanke, daß mein Pferd meinen Halb-
schlaf benutzt hat, um mich davonzutragen und sich
irgendeiner fremden Karawane anzuschließen.
Indessen erkenne ich zwei Schritt von mir entfernt
einen der Soldaten meiner Begleitmannschaft, und die-
ser Reiter vor mir ist ja mein Tcharvadar, der sich im
Sattel umdreht und mich mit seinem ruhigsten Lächeln
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begrüßt . . . Rechts und links von uns reiten andere
Frauen auf anderen kleinen Eseln; es ist ganz einfach
eine Schar Perser und Perserinnen, die von Bender-
Bouchir zurückgekehrt -sind und jetzt der Sicherheit
wegen um die Erlaubnis gebeten haben, mit uns diese
eine Nacht reisen zu dürfen.
Drei Uhr morgens. Auf der hellen Ebene zeichnet
sich vor uns ein dunkler Fleck ab und nimmt an Größe
zu. Die Palmen, das Grün der Oase, unser Marsch-
quartier, und wir sind angelangt
Vor einem Dorfe, vor schlafenden Hütten steige ich
mechanisch ab, ich schlafe stehend, von einer guten,
gesunden Müdigkeit heimgesucht. Unter einer Art
Scheune, die mit Stroh bedeckt ist und in die die Mond-
strahlen hineindringen, schlagen meine persischen Die-
ner in aller Eile kleine Feldbetten für meinen Diener
und für mich auf, nachdem sie hinter uns ein durch-
sichtiges, plumpes aber sicheres Gitter geschlossen
haben. Ich sehe dies alles nur unbestimmt und sinke
dann in einen traumlosen Schlaf.
Mittwoch, 18. April.
Vor Tagesanbruch wurde ich von Männer- und
Frauenstimmen geweckt, die ganz in der Nähe und ganz
leise mit meinem Dolmetscher flüsterten. Sie baten sehr
bescheiden um die Erlaubnis, das Tor öffnen und hin-
ausgehen zu dürfen.
Wie es scheint, ist das Dorf von Mauern und Schanz-
werken umgeben, fast befestigt, gegen die Strolche der
Nacht und gegen die Bösewichte. Und wir lagen nun
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am Eingange, am einzigen Eingange, unter dem Schutz-
dach des Tores. Und diese Leute, die uns mit Bedauern
weckten, waren Hirten, Hirtinnen: Es ist an der Zeit,
die Herden auf die Weide zu treiben, denn der Sonnen-
aufgang ist nah.
Sobald die Erlaubnis gegeben und die Pforte geöff-
net wurde, ergoß sich ein ganzer Strom von Ziegen und
schwarzen Böcklein, die sich in dem engen Gang an
uns scheuerten, zwischen uns hindurch, an unseren Bet-
ten entlang; man hört ihr anhaltendes Meckern, hört
das leichte Trappeln der ungezählten kleinen Hufe auf
dem Boden, sie riechen nach dem Stall, nach dem Gras,
nach den würzigen Düften der Wüste. Und dieser Zug
ist so lang, es sind ihrer so unendlich viele, daß ich mich
schließlich frage, ob ich Halluzinationen habe, ob ich
träume: Ich strecke die Arme aus, um mich davon zu
überzeugen, daß es wirklich ist, um den Rücken, die
harte Wolle der vorüberströmenden Tiere zu befühlen.
Alsbald folgt die Schar der Esel und der Füllen, auch
sie scheuern sich an uns entlang, aber schon habe ich
eine weniger klare Vorstellung von ihnen, denn von
neuem versinke ich in die Bewußtlosigkeit des Schlafes.
Vielleicht eine Stunde später werde ich wieder ge-
weckt; aber diesmal durch ein brennendes Gefühl an
den Schläfen, es ist die blendende Sonne, die an die
Stelle des Mondes getreten ist. Kaum aufgegangen, sen-
det sie schon ihre sengenden Strahlen auf uns herab.
Unsere Hände, unsere Gesichter sind schwarz von Flie-
gen. Und eine Schar kleiner Babys, braun und nackend,
hat sich um unsere Betten versammelt; ihre jungen,
lebhaften, weit offenen Augen starren uns in höchstem
Erstaunen an.
2 Persien. I ^
Schnell müssen wir aufstehen, um irgendwo im
Schatten einen Schutz zu suchen.
Ich miete bis zum Abend ein Haus, das man für uns
in aller Eile leert. Geborstene Mauern, aus Lehm, der
unter dem Atem der Wüste zerbröckelt, Stämme von
Palmen als Deckenbalken, Palmenblätter als Dach und
eine Gittertür aus dem Gewebe der Palmen.
Kinder kommen wiederholt, um uns zu besuchen,
sehr kleine Kinder, fünf oder sechs Jahre alt, ganz
nackend und wunderbar schön. Sie begrüßen uns, hal-
ten Reden und ziehen sich wieder zurück. Wahrschein-
lich sind es die Kinder des Hauses, die sich ein wenig
als zu uns gehörig betrachten. Sogar die Hühner be-
stehen darauf, einzutreten, und schließlich erlauben wir
es ihnen. Und um die Stunde der Mittagsruhe kommen
auch die Ziegen herein, um sich in den Schatten zu
legen, und wir wehren ihnen nicht.
Öffnungen in der Mauer dienen als Fenster, durch
die der Windhauch wie der Atem eines Feuerschlundes
streift. Sie zeigen auf der einen Seite nach der blen-
denden Wüste, auf der anderen nach den Kornfeldern,
wo die Ernte schon begonnen hat, und nach der persi-
schen Mauer dort unten, die sich während der Nacht
sichtbar dem Himmel genähert hat. Nach dem langen
nächtlichen Marsch möchte man in der Mittagsstille und
der allgemeinen Müdigkeit gern schlafen. Aber unge-
zählte giftige Fliegen sind hier, sobald man sich nicht
rührt, bedecken sie Gesicht und Hände, man wird
schwarz übersät von ihnen; so viel es auch kosten mag,
man muß sich bewegen, muß den Fächer in Schwin-
gungen versetzen.
iS
Um die Stunde, wo die Schatten der Lehmhäuser
länger werden, gehen wir hinaus, um uns vor die Tür
zu setzen. Und bei allen Nachbarn tut man dasselbe.
Das Leben beginnt sich zu regen in diesem beschei-
denen Hirtendorf; die Männer schärfen ihre Sensen, die
Frauen sitzen auf Strohmatten und spinnen die Wolle
ihrer Schafe; mit sehr gemalten Augen sind sie fast
hübsch, diese Mädchen der Wüste, scharf heben sich
ihr Profil und die reinen Linien der Piasse Irans ab.
Auf einem schweißtriefenden Pferd kommt ein hüb-
scher junger Mann herangesprengt; die kleinen Kinder
unseres Hauses, die ihm ähnlich sehen, eilen ihm ent-
gegen, sie bringen ihm frisches Wasser, und er küßt sie ;
es ist ihr Bruder, der älteste Sohn der Familie.
Jetzt schreitet ein Greis mit weißem Haar auf mich
zu, alle verneigen sich vor ihm, man eilt herbei und
breitet den schönsten Teppich des Dorfes aus, auf den
er sich setzen soll; aus Ehrfurcht ziehen die Frauen sich
unter tiefen Verbeugungen zurück, und Männer, mit
langen Gewehren und langen Barten, die ihn begleiten,
bilden einen schreckeneinflößenden Kreis um ihn : es ist
der Häuptling der Oase; an ihn hatte ich einen Brief,
mit der Bitte um Begleitmannschaft für die folgende
Nacht gesandt, und er sagt mir jetzt, daß er mir vor
Sonnenuntergang drei Reiter zur Verfügung stellen
wird.
Sieben Uhr abends; eine durchsichtige Dämmerung
hat sich herabgesenkt, es ist die Stunde, wo ich auf-
zubrechen gedachte. Trotz der langen Unterredungen
mit meinem Tcharvadar, dem es gelungen ist, mir noch
ein Maultier und einen Maultiertreiber mehr aufzudrän-
liJ
gen, würde alles bereit sein, wenigstens würde nicht
viel mehr fehlen; aber die drei Reiter, die mir ver-
sprochen waren, stellten sich nicht ein, als man sie ruft,
ich habe schon meine Boten nach ihnen ausgesandt,
aber auch diese kommen nicht wieder. Wie gestern,
wird es auch heute dunkle Nacht, bevor wir aufbrechen
können.
Bald acht Uhr. Wir warten noch immer. Desto
schlimmer für die drei Reiter. Ich werde auch ohne
Begleitung reisen; ich rufe nach meinem Pferd, und
dann aufgesessen!... ^ber plötzlich wird das kleine
Dorf, wo man nichts mehr sehen kann, und das schon
von meinen Leuten angefüllt ist, von einem Strom
schwarzer Herden überflutet, die blökend heimkehren.
Die unabsichtlichen und lustigen Püffe Tausender von
Schafen, Ziegen und Geißlein trennen uns voneinander,
bringen uns vollkommen in Verwirrung. Sie laufen zwi-
schen unseren Beinen hindurch, sie bahnen sich unter
den Bäuchen der Maultiere einen Weg, überall dringen
sie vor, schmuggeln sich ein, und immer wieder kom-
men noch neue hinzu.
Und als endlich der Zug ein Ende nimmt, nachdem
der Platz sich geleert hat, das Vieh zur Ruhe gegangen
ist, da begegnen wir einem neuen Abenteuer: wo in
aller Welt ist mein Pferd? WTährend der allgemeinen
Verwirrung, die durch die Ziegen hervorgerufen wurde,
hat der Mann, der es hielt, es laufen lassen; das Tor des
Dorfes war geöffnet, und so ist es entflohen; mit dem
Sattel auf dem Rücken, dem Zügel um den Hals, ist es
in die freie Wüste hineingaloppiert . . . Zehn Männer
stürzen hinterher, um es einzufangen, sie lassen alle
unsere anderen Tiere los, die sofort eine heillose Ver-
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wiiTiing anstiften und auch im Begriff sind, auf und
davon zu gehen. Wir werden niemals aufbrechen.
Acht Uhr und darüber. Endlich führt man den
Flüchtling zurück. Er ist sehr aufgeregt und ungedul-
dig. Und wir verlassen das Dorf, indem wir uns unter
den Balken bücken, die das Schinidach des Tores bil-
den, hinter dem wir in der letzten Nacht geschlafen
haben.
Zuerst sind wir an allen Seiten von großen Dattel-
bäumen umgeben, deren schwarze Federbüschel sich
von dem reichen Sternhimmel abheben.
Aber bald treten sie nur spärlich auf, die großen
Flächen zeigen uns von neuem ihre ruhige Kreislinie,
die durch kein Hindernis unterbrochen wird. Als wir
gerade im Begriff stehen, die Oase zu verlassen, pflan-
zen sich drei bewaffnete Reiter vor mir auf und be-
grüßen mich; meine drei Beschützer, denen ich schon
nachgetrauert hatte. Es sind dieselben Silhouetten wie
gestern, schöne Gestalten, hohe Hüte und lange Barte.
Und nachdem wir eine seichte Stelle durchwatet haben,
bildet meine Karawane endlich eine geschlossene Linie,
die durch den unbegrenzten Raum, durch das Unge-
wisse der nächtlichen Wüste zieht.
Die unebene Wüste ist heute noch ungastlicher als
gestern. Der Boden ist schlecht, er flößt kein Vertrauen
mehr ein. Die tückischen, schneidenden Steine machen
unsere Tiere straucheln. Und ach ! der Mond wird noch
lange nicht aufgehen. Zwischen den fernen Sternen sen-
det Venus allein, die glänzend und silbern dort oben
steht, ein wenig von ihrem Licht auf uns herab.
Nach zweiundeinhalb Stunden Weges erreichen wir
eine andere Oase, die viel größer, viel grüner ist als die
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des gestrigen Tages. Wir streifen sie, ohne einzudrin-
gen, aber eine wunderbar kühle Luft weht uns hier ent-
gegen, in der Nähe der Palmen, unter denen man Bäche
fließen hört.
Elf Uhr. Endlich verkündet hinter dem Berge dort
unten — es ist noch immer derselbe Berg, dem wir uns
stündlich nähern, und der den Rand der Felsenküste
Irans darstellt — endlich verkündet hinter dem Berge
ein helles Licht, daß der Mond, der Freund der Kara-
wanen, erscheinen wird. Er geht auf, rein und schön,
sendet ein Meer von Strahlen herab und zeigt uns die
Nebel, die wir bis jetzt nicht haben sehen können. Es
sind nicht mehr, wie in den letzten Tagen, Schleier von
Staub und Sand, es sind wirkliche köstliche Wasser-
dämpfe, die sich dicht über dem Boden der ganzen
Oase lagern, als wollten sie in diesem kleinen bevorzug-
ten Himmelsstrich Menschen und Pflanzen zum Leben
erwecken, während überall sonst im ganzen Umkreis
Trockenheit herrscht; sie haben sehr bestimmte For-
men, man könnte fast sagen, gestrandete Wolken, die
greifbar geworden sind; ihre Umrisse leuchten auf in
demselben blassen Gold wie die luftförmigen Flocken,
die dort oben nahe dem Monde hängen; und darunter
tauchen die Stämme der Datteln auf, mit ihren Zweigen,
die sie zu schwarzen Sträußen geordnet haben. Dies
ist keine irdische Landschaft mehr, denn der Boden ist
verschwunden, nein, vielmehr glaubt man es mit einem
Garten der Fata Morgana zu tun haben, die sich am
Himmel zeigt.
Ohne dort einzutreten streifen wir Boradjoune, das
große Oasendorf, dessen weiße Häuser unter schillern-
den Nebeln und dunklen Palmen liegen. Zwei persische
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Reisende, die gebeten hatten, sich uns anschließen zu
dürfen, lassen mich wissen, daß sie hier haltzumachen
gedenken, sie nehmen Abschied und verschwinden. Und
wo sind meine drei Reiter, die sich mir mit einer so
schönen Verbeugung vorstellten? Wer hat sie gesehen?
— Niemand. Sie haben Reißaus genommen, bevor der
Mond aufging, um nicht gesehen zu werden. So ist
meine Karawane bis auf die allernotwendigsten Glieder
zusammengeschmolzen: mein Tcharvadar, meine vier
Maultiertreiber, meine zwei persischen Diener, die ich
in Bouchir gemietet hatte, mein treuer Diener und ich.
Zwar habe ich einen Brief an das Oberhaupt von Borad-
joune bei mir, der mich berechtigt, drei neue Reiter zu
fordern; aber der wird schon schlafen, es ist nach elf
Uhr, und das ganze Dorf scheint zur Ruhe gegangen
zu sein ; wir würden unendlich viel Zeit verlieren, wenn
wir die Flüchtlinge durch neue ersetzen wollten, die
dann schließlich auch noch bei der ersten Biegung der
Wüste das Weite suchen könnten. So Gott will, laßt uns
lieber alleine ziehen, der helle Mond beschützt uns.
Und hinter uns schwindet die Oase, das ganze Blend-
werk der goldenen Wolken und der schwarzen Palmen
erlischt; — statt dessen eine W'üste, deren Schrecken
mit jedem Schritt vorwärts größer werden, und in der
man den Mut verlieren muß. Löcher, Höhlen, Spalten;
ein wellenförmiges, hügeliges Land; ein Land mit gro-
ßen zerklüfteten und rollenden Steinen, wo die Pfade
bergauf, bergab führen, und wo unsere Tiere bei jedem
Schritt straucheln. Und auf diese ganze schimmernd
weiße Landschaft fällt das volle Licht des weißen
Mondes.
Der frische Hauch, der von den Bäumen und den
23
Bächen zu uns herüberwehte, ist nicht mehr zu spüren;
von neuem begegnen wir der glühenden, trockenen
Hitze, die auch um Mitternacht nicht nachläßt
Unsere aufgeregten Maultiere gehen nicht mehr in
einer Reihe, einige laufen davon, verschwinden hinter
den Felsen; andere, die zurückgeblieben sind, geraten
plötzlich in Angst, weil sie sich verlassen sehen, sie tra-
ben, was sie nur können, um sich dem Zug anzu-
schließen und scheuern dabei rücksichtslos mit ihrer
Last gegen unsere Beine.
Die schreckeneinflößende Felswand Persiens, die sich
stets vor uns auftürmte, hat sich jetzt, wo wir ihr näher
gekommen sind, um das Doppelte vergrößert, Sie zeigt
sich uns in ihren Einzelheiten, zeigt mehrere aufeinan-
der liegende Stockwerke, und den ersten Absatz werden
wir bald erreichen.
Es ist gar nicht möglich, in aller Ruhe hier seinen
Weg zu verfolgen und sich den Träumen hinzugeben,
was sonst den Reiz der flachen, eintönigen Wüsten aus-
macht; in diesem schrecklichen Durcheinander von
Steinen, wo man sich verloren glaubt, muß man unauf-
hörlich über das Pferd, über die Maultiere, über alles
wachen; — wachen, wachen, selbst wenn der unbe-
zwingbare Schlaf uns die Augen schließt. Gegen diese
Lähmung anzukämpfen, die plötzlich die Arme, die
Hände kraftlos macht, so daß sie die Zügel nicht mehr
halten können, gegen diese Lähmung anzukämpfen, die
die Gedanken verwirrt, dies Bestreben wird schließlich
zu einer wirklichen Angst. Man versucht alle Mittel,
die Stellang zu wechseln, die Beine auszustrecken, oder
sie nach Art der Beduinen auf den Kamelen vor dem
Sattelknopf zu kreuzen. Man versucht abzusteigen, —
24
aber alsbald wird man bei dem schnellen Marsch durch
die vielen Steine verwundet, das Pferd nimmt Reißaus,
und man verliert den Anschluß in dieser großen, weißen
Einöde, wo man in dem Chaos von dunklen Felsen
kaum einander zu sehen vermag. So schwer es einem
auch fallen mag, man muß im Sattel bleiben.
Mitternacht findet uns am Fuße der Gebirgskette
Persiens, schrecklich von unten ist sie in dieser Nähe
anzuschauen; eine gerade, steile Wand von dunklem
Braun, deren Falten, Löcher, Höhlen, deren ganzes
stummes, riesenhaftes Gewirr, der Mond rücksichtslos
bloßstellt Diese schweigenden, leblosen Felsmassen
atmen uns eine schwere Hitze entgegen, die sie während
des Tages von der Sonne aufgesogen haben, oder viel-
mehr, die sie von dem großen unterirdischen Feuer ent-
leihen, das auch die Vulkane speist, denn sie riechen
nach Schwefel, nach dem Schmelzofen und nach der
Hölle.
Ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr, wir schleppen uns am
Fuße der riesenhohen Gebirgswand dahin, die die Hälfte
des Himmels über unseren Häuptern verdunkelt; rötlich
braun richtet sie sich vor diesen weißen Steinfeldern
auf; der Geruch von Schwefel, von faulen Eiern, den sie
ausströmt, wird unerträglich, sobald man an den großen
Spalten, an den großen klaffenden Höhlen vorbei-
kommt, die aussehen, als wenn sie bis zu den Ein-
geweiden der Erde reichten. Inmitten eines unendlichen
Schweigens, in dem sich das Getrampel unserer beschei-
denen Karawane und die mit geschlossenem Munde aus-
gestoßenen Schreie unserer Maultiertreiber zu verhallen,
sich zu verlieren scheinen, schleppen wir uns noch
immer durch die Schluchten und Spalten dieser blassen
20
Wüste dahin. Hin und wieder sieht man einige schwarze
Gestalten, deren Schatten der Mond auf die weißen
Steine zeichnet; man könnte sagen, es seien Tiere oder
Menschen, die sich dort aufgestellt haben, um uns auf-
zulauern, aber wenn man sich ihnen nähert, ist es nur
Buschwerk, verkümmertes, verkrüppeltes Gesträuch.
Überall herrscht eine Backofenhitze, man erstickt, man
ist durstig. Zuweilen hört man das Wasser in den Felsen
der höllischen Mauer brodeln, und in der Tat sprudeln
iranze Ströme daraus hervor, die man durchwaten muß:
aber das Wasser ist lau, verpestet, unter den Mond-
strahlen erscheint es von weißlicher Farbe, und es ver-
breitet einen schwefligen Gestank, den man nicht ein-
atmen kann. In diesen Bergen müssen ungeheure, unge-
ahnte metallische Reichtümer liegen, die bis jetzt von
keinem Menschen ausgebeutet wurden.
Zuweilen glaubt man dort unten die Palmen der er-
sehnten Oase zu erspähen — die sich diesmal Daliki
nennen wird — , und wo man endlich seinen Durst
löschen und sich zur Ruhe begeben kann. Aber nein;
immer wieder sind es die traurigen Sträucher und nichts
weiter. Man ist besiegt, man schläft im Sattel ein, man
hat nicht mehr den Mut, vergebliche Ausschau zu hal-
ten, man vertraut sich dem Instinkt des Tieres und dem
Zufall an . . .
Diesmal täuschen wir uns indessen nicht; vor uns
liegt wirklich die Oase; diese dunklen Wände können
nur die Palmenreihen, diese kleinen weißen Vierecke
nur die Häuser des Dorfes sein. Und um uns von der
Wirklichkeit der noch fernen Dinge zu überzeugen, um
uns den Willkommsgruß entgegenzurufen, dringt jetzt
das Gebell der Hunde, der natürlichen Wächter, die
schon unsere Ankunft gewittert haben, dringt auch das
helle Morgenständchen der Hähne durch das große
Schweigen des anbrechenden Tages an unser Ohr. Es
ist drei Uhr morgens.
Bald befinden wir uns auf den schmalen Wegen des
Dorfes, zwischen den Stämmen der herrlichen Palmen,
und endlich öffnet sich vor uns die schwere Pforte der
Karawanserei, in die wir uns, wie in einen schirmenden
Zufluchtsort, durcheinander hineinstürzen.
Donnerstag, 19. April.
Ich weiß nicht, ob ich wache oder schlafe . . .
Seit einem Augenblick habe ich das unbestimmte Ge-
fühl, als befände ich mich inmitten einer Schar von
singenden Vögeln, die so dicht an mir vorüberfliegen,
daß ich den Wind ihrer Flügel spüre, wenn sie mich
streifen . . . Und in der Tat, es sind geschäftige Schwal-
ben, die ihre Nester an den Balken meiner niedrigen
Decke gebaut haben! Die Nester sind voll von Jungen.
Wenn ich meine Hand ausstrecke, würde ich sie fast
berühren. Durch meine Fenster — die weder Scheiben
noch Läden haben, um sie zu schließen — fliegen und
kommen sie mit fröhlichem Gezwitscher ; und die Sonne
geht auf! Jetzt kehrt die Erinnerung wieder; ich be-
finde mich in der Oase Daliki, ich bewohne das Ehren-
zimmerchen der Karawanserei. Gestern abend bin ich
auf einer an die Außenseite des Hauses angebrachten
Treppe in diese kleine Wohnung geführt, die nur aus
weißgekalkten Lehmwänden besteht. Meine beiden Per-
ser Yomsouf und Yakout beeilten sich, unsere Feldbetten
aufzuschlagen und unsere Decken auszubreiten, wäh-
2T
rend mein Diener and ich vom Schlaf überwältigt war-
teten und gierig aus einem Kruge frischen Wassers
tranken.
Die Hitze ist hier schon -weniger schwer als am Rande
des schrecklichen Golfes, und es ist so strahlend schön !
Mein Zimmer, das einzige des Dorfes, das nicht im Erd-
geschoß liegt und das seine Umgebung bis zu einem
gewissen Grade beherrscht, ist durch seine vier kleinen
Fenster den vier Winden zugänglich. Ich liege inmitten
der frischen, grünen Dattelbäume, unter einem flachs-
blauen Himmel, der von sehr leichten Wölkchen von
weißer Wolle übersät ist. Auf der einen Seite türmt
sich etwas Dunkles, Riesenhaftes, etwas Rotbraunes so
hoch auf, daß ich den Kopf zum Fenster hinausstecken
und in die Höhe sehen muß, um sein Ende mit den
Augen zu erreichen: es ist die große Kette Irans, die
dort ganz in der Nähe uns fast zu überdachen scheint.
Auf der anderen Seite erstreckt sich das Dorf, ganz in
der Ferne schimmert ein Stückchen der Wüste durch die
vielen schlanken, gleichmäßigen Stämme der Palmen
hindurch. Der Schrei der Hähne, das Gezwitscher der
Schwalben ertönt um die WTette. Die kleinen Lehm-
häuser haben spitzbogige Türen in rein arabischem Stil,
und flache, terrassenförmige Dächer, auf denen das
Gras so üppig wie in den Feldern wächst. Die schönen
Mädchen der Wüste treten ins Freie, um ihre Toilette
unter offenem Himmel zu machen, sie sind nicht ver-
schleiert, setzen sich auf irgendeinen Stein vor ihrer
Wohnung und scheiteln ihr schwarzes Haar. Man hört
die Gerätschaften der Weber klappern. Da dieser Ort
sehr besucht, und da es die Ankunftsstunde der kauf-
männischen Karawanen ist, die allnächtlich langsam
28
diese Wege dahinziehen, so ertönen jetzt von allen
Seiten die Glocken der Maultiere, die der Karawanserei
entgegeneilen, und die mit geschlossenem Munde aus-
gestoßenen Rufe der Maultiertreiber; den hohen schwar-
zen Hut der Perser weit auf dem feinen dunklen Kopf
zurückgeschoben, schreiten die Führer leichtfüßig und
fröhlich heran.
Nachmittags wiederholte lange Wortstreitigkeiten
mit meinem Tcharvadar. In Bouchir hatte ich nach der
Karte beschlossen, den Marsch heute abend zu verdop-
peln, er hatte sich geweigert, war in Aufregung geraten,
war nur durch Drohungen zum Nachgeben zu bewegen
gewesen, nachdem er zuvor Miene gemacht hatte, aus-
zureißen, ohne den Kontrakt zu unterschreiben. Heute
da ich mich von der Verfassung der Wege überzeugt
habe, ziehe ich vor, nur 6 Stunden zu marschieren, um,
so wie er es zuerst vorgeschlagen hatte, in dem Dorfe
Konor-Takte ausruhen zu können — und jetzt ist er
derjenige, der nicht darauf eingehen will. Schließlich,
als mir die Geduld reißt, rufe ich aus: „Übrigens bleibt
es so, wie ich gesagt habe, aus dem einfachen Grunde,
weil ich es will, und damit ist die Unterredung been-
det!" Sein fein gemeißeltes Gesicht klärt sich plötzlich
auf, und er spricht lächelnd: „Wenn du sagst: ich will,
so kann ich nur antworten: es sei."
Er stritt um zu streiten, um die Zeit totzuschlagen,
einen anderen Grund hatte er nicht
Sechs Uhr abends. Meine drei neuen Begleiter, die
mir das hiesige Oberhaupt gestellt hatte, treten an; sie
haben schöne geblümte Kleider aus Baumwolle und sehr
alte Gewehre. Zum erstenmal seit der Abreise bricht
meine Karawane noch am Tage, bei den letzten roten
29
Strahlen der Sonne, auf. Und wir verlassen ruhig die
Oase, wo unter hohen Palmen an den Ufern der klaren
Bäche zahllose, fast ausnahmslos hübsche Frauen mit
ihren kleinen Kindern sich der Süße des melancholi-
schen Abends hingeben.
Alsbald beginnt die Einsamkeit des Sandes und der
Steine. Die lange persische Felsenküste, in die wir uns
endlich über Nacht hereinstürzen werden, erstreckt sich,
so weit das Auge reicht, bis ans Ende des unermeßlichen
Horizontes; man kann sagen, sie sei von mutwilliger
Hand mit grellen, schreienden Farben angestrichen,
Gelb-orange oder Gelb-grün wechseln in seltsamen
Streifen mit einem Rotbraun ab, das die untergehende
Sonne bis zum Unmöglichen und Schreckhaften stei-
gert, ganz in der Ferne gehen die Töne ineinander über,
um als ein wunderbares Violett, der Farbe des Bischof-
gewandes, wieder zu erstehen.
Wie in der letzten Nacht riecht dieser ungeheure
Wall Irans auch heute nach Schwefel, nach unterirdi-
schem Feuer. Man hat den Eindruck, daß er mit gifti-
gen Salzen, mit Stoffen gesättigt ist, die dem Leben
feindlich sind; er nimmt die Farben vergifteter Dinge
an, er zeigt sich in Formen, die Furcht einflößen.
Außerdem hebt er sich von einem drohenden Hinter-
grunde ab, denn die eine Hälfte des Himmels ist
schwarz, schwarz wie die Sintflut oder der Weltunter-
gang: wieder eins jener falschen Gewitter, die in die-
sem Lande heraufsteigen, als wenn sie alles vernichten
wollten, aber die, man weiß nicht wie, verschwinden,
ohne jemals einen Tropfen Wasser zu schenken ....
Ein Mensch, der niemals unser Klima verlassen hat, und
den man ohne irgendwelche Vorbereitung hierher füh-
3o
ren, ihn vor eine Erscheinung von solcher Kraft und
Größe stellen würde, dieser Mensch könnte sich nicht
freimachen von der Angst vor dem Unbekannten, von
dem Gefühl, nicht mehr auf Erden zu sein, oder von
dem Schrecken des Weltunterganges . . .
Der wellenförmigen Wüste, durch die wir seit zwei
Tagen geritten sind, folgt ein Abhang, der bis zum Fuße
dieser Berge hinaufführt, die jetzt über unseren Häup-
tern zu hängen scheinen; von dem Punkte aus gesehen,
wo wir stehen, liegt die weiße Ebene der Wüste schon
unter uns; bis ins Unendliche dehnt sie sich vor unseren
Augen aus, hebt sich blaß von dem (höhenden Himmel
ab, und zwei oder drei fernliegende Oasen sind als gar
zu grüne Flecken, mit einem grellen Grün, wie man es
auf chinesischen Aquarellen sieht, hineingezeichnet.
So trostlos wie die Wüste, von der wir jetzt Ab-
schied nehmen, auch aussehen mag, so gastfreundlich
und leicht zugänglich erscheint sie im Vergleich zu die-
ser Gebirgswand, die sich dort geheimnisvoll und dro-
hend unter den schwarzen Wolken erhebt, als wolle
sie niemandem Zutritt gewähren.
Zu der Stunde, wo die blutrote Scheibe der Sonne
hinter dem Horizont der Ebenen untertaucht, öffnet
sich jäh ein großer dunkler Einschnitt in der persischen
Mauer, zwischen den zwei- bis dreihundert Meter
hohen senkrechten Felswänden.
Wir reiten dort hinein. Eine plötzliche Dämmerung
senkt sich auf uns herab, fällt von den überhängenden
Felsen, als sei sie ein Schleier, in den wir ganz uner-
wartet eingehüllt werden. Das Schweigen, die Schall-
empfindlichkeit steigern sich in demselben Maße wie
der Schwefelgeruch. Und die Sterne, die man noch vor
3t
kurzem nicht entdecken konnte, erscheinen alsbald, als
hätte man sie alle gleichzeitig angezündet, und als wür-
den sie aus der Tiefe eines Brunnens geschaut; sie
stehen am hellen Zenit, den die Gewitterwolken noch
nicht erreicht haben.
Eine ganze Stunde lang, bis es dunkle Nacht gewor-
den, dringen wir unter großen Anstrengungen in dem
Lande der geologischen Schrecken durch das Chaos der
wilden, zerklüfteten Steinmassen vor; immer folgen wir
demselben Spalt, derselben Kluft, die tiefer und tiefer
in die Weichen des Berges einschneidet, gleich einem
endlosen sich schlängelnden Geheimgang. Dort sind
Locher, Steinhaufen, steil ansteigende Wege, und dann
wieder jähe Abhänge, mit scharfen Biegungen über tie-
fen Schlünden. Mitten in dies Gewirr hat der jahr-
hundertelange Durchzug der Karawanen unbestimmte
Pfade gezeichnet, deren Spur unsere Tiere trotz der
Dunkelheit nicht verlieren. Von Zeit zu Zeit ruft man
sich, zählt man nach, zählt die Begleiter von Daliki
und sich selber; man reiht sich enger aneinander, man
macht halt, um Atem zu schöpfen. Durch die Nebel,
die uns umgeben, hören wir die unterirdischen Wasser
brodeln, hören die Donner rollen, die Wasserbäche fal-
len. In diesen Schlünden, wo man von allen Seiten von
heißen Steinmassen eingeschlossen ist, herrscht eine
Backofenhitze, und manchmal glaubt man zu ersticken,
wenn man den Geruch der Schwefelgruben einatmet
Aber noch gefährlicher zu passieren sind die Wege,
dort, wo Granitplatten, gleich reihenweise aufgestellten
Tischen, zur Hälfte aus dem Boden hervorspringen und
schmale, tiefe Zwischenräume bilden, in die das Bein
eines Maultieres, wenn es unglücklicherweise dort hin-
32
Brunnen in der Oase
eingeraten sollte, wie in einer Falle gefangen säße. Und
über diese Steine hinweg muß man in der Dunkelheit
seinen Weg suchen.
Eine Stunde relativer Ruhe gewährt uns der Ritt über
einen weißlichen Boden am Ufer eines schlafenden
Baches entlang . . . Ein unheilvoller Fluß, der weder
Baum noch Schilf noch Blumen kennt, sondern der sich
geheimnisvoll und wie verwünscht dahinschleppt, so
eingeschlossen, daß die Sonne niemals dort hinunter
dringen wird. Jetzt spiegelt er ein kleines Stückchen
Himmel mit einigen Sternen zwischen den umgekehrten
Bildern der großen schwarzen Gipfel wider.
Und nun schließt sich der Weg vor uns, das Tal wird
vollständig abgesperrt durch eine senkrechte, drei- bis
vierhundert Meter hohe Mauer.
Wir haben uns also verirrt, das ist klar, uns bleibt
nichts weiter übrig, als denselben Weg zurückzugehen,
auf dem wir gekommen sind . . .
Mein Tcharvadar muß wahnsinnig sein, er schickt
sich an, dort hinaufzuklettern, treibt sein Pferd eine Art
Treppe hinauf, die wohl für die Ziegen berechnet sein
mag, und behauptet, dies sei der Weg! . . .
Anmutig verneigen meine drei Begleiter sich vor mir
und nehmen Abschied. Sie dürfen uns nicht weiter fol-
gen. Denn, sagen sie, das hieße die Grenze ihres Gebie-
tes überschreiten. Ich glaube, daß sie mich genau wie
ihre Brüder gestern im Stich lassen. Aber weder
Drohungen noch Versprechungen vermögen hier etwas
auszurichten, sie machen kehrt, und wir sind uns selbst
überlassen.
Und in der Tat ist diese undenkbare Treppe der rich-
tige Weg; ich muß es ja schließlich glauben, weil alle es
3 Perslen.
::::
bestätigen. Offenbar ist dies der einzige Pfad, der dort
hinaufführt nach jenem geheimnisvollen und unzu-
gänglichen Chiraz, wo wir vielleicht nach den anstren-
genden Ritten dreier weiterer Nächte uns endlich in der
gesunden und erfrischenden Höhenluft ausruhen dür-
fen. Dies ist die weite Straße vom Persischen Golf nach
Ispahan 1
Wenn man einem vernünftigen Mann, der unsere
europäischen Begriffe betreffs Wege und Reisen mit-
bringt, diesen kleinen Trupp Pferde und Maultiere zei-
gen würde, ihm zeigen würde, wie die Tiere sich an-
klammern, wie sie an der senkrechten Mauer eines sol-
chen Berges hinaufklettern, so müßte er glauben, ir-
gendeinem phantastischen Hexenritt nach dem Brocken
beizuwohnen.
Dies mühsame Klettern, bei dem man sich die Kno-
chen zerschlagen kann, dauert mehr als zwei lange
Stunden. Schon allein das Sitzenbleiben im Sattel er-
fordert unaufhörlich große gymnastische Anstrengun-
gen; unsere Tiere — die übrigens einen seltenen In-
stinkt und wunderbare Vorsicht an den Tag legen —
tasten in der Dunkelheit mit ihren Vorderfüßen umher,
tasten über ihren Kopf hinweg, suchen einen Vor-
sprung, an den sie sich anklammern können, als hätten
sie Krallen und ziehen sich dann mit einer geschmeidi-
gen Anstrengung der Schenkel hinauf. Und so sieht
uns jede Minute ein kleines Stückchen höher über dem
Abgrund schweben, der in der Tiefe gähnt Die soge-
nannten Fußpfade, denen wir folgen, steigen in sehr
kurzen Zickzacklinien mit scharfen Biegungen hinan,
derart, daß sich der eine immer unmittelbar über dem
Kopfe des anderen befindet, alle schmiegen wir uns
n
dicht gegen die steile Felswand, und wenn einer der
Vordermänner straucheln und in den Schlund hinab-
stürzen sollte, so würde er die anderen mit sich reißen,
und viele würden gleichzeitig verunglücken. Mit all den
Steinen, die sich unter unseren Füßen loslösen, und die
in dem Maße, wie wir uns von dem gähnenden Schlund
dort unten entfernen, immer länger werdende Kaska-
den und Lawinen bilden, mit all diesen eisenbeschlage-
nen Hufen, die über die Steine dahinschrammen, die
ausgleiten und wieder Boden fassen, tragen wir einen
großen Lärm hinein in das feierliche Schweigen. Wenn
in dieser Gegend Räuber auf der Lauer liegen, so müs-
sen sie uns schon von weitem hören können. Meinen
Diener, dessen Leben mir anvertraut ist, lasse ich vor
mir reiten, um wenigstens sicher zu sein, daß er, so
lange ich seine Silhouette sehen kann, nicht mit seinem
Pferd hinter meinem Rücken in die tief erliegen den
Täler gestürzt ist. Zuweilen strauchelt ein Maultier mit
seiner Last und fällt zu Boden, alsbald stoßen unsere
Leute lange Warnungsrufe aus, und dann rette sich wer
kann: wenn es den Abhang herunterollt und im Fallen
alle, die hinter ihm sind, mit fortreißt, dann würde
sich eine Lawine bilden, die aus uns, unseren Maul-
tieren und allen unseren Tieren zusammengesetzt wäre.
Die Pfade, von denen wir uns nicht entfernen dürfen,
sind im Laufe der Jahrhunderte von nächtlichen Kara-
wanen getreten, sie sind so schmal, daß man sich auf
ihnen wie eingeschachtelt in einer Schlitterbahn befin-
det, zwischen Felsen, die den Reiter an beiden Seiten
einzwängen, an denen man sich die Knie wund stößt
Wiederum hat diese schreckliche Treppe zuweilen nicht
den geringsten Schutzrand, und dann sieht man lieber
3* 35
gar nicht hinab, denn stockdunkle Schlünde gähnen fast
unmittelbar uns zu Füßen, Schlünde, deren Grund jetzt
so weit entfernt ist, daß man fast sagen könnte, es sei
die unendliche Leere selbst In dem Maße wie wir vor-
wärts schreiten, wechselt, verändert sich das Bild unter
dem unbestimmten Licht der Sterne; dort öffnen sich
riesenhafte Talkessel, mit eingestürzten Seiten, dort
ziehen wir an großen überhängenden Steinen vorbei,
deren Formen nur undeutlich in der Nacht zu erkennen
sind, sie neigen sich vor und scheinen uns zu drohen.
Von Zeit zu Zeit erfüllt ein Leichengeruch die glühende,
schwere Luft, während eine unbewegliche Masse uns
den Weg versperrt: ein Pferd oder Maultier irgendeiner
früheren Karawane hat sich das Rückgrat gebrochen,
und man hat es hier verwesen lassen; wir müssen dar-
über hinwegreiten oder einen gefährlichen Umweg
wagen.
Zum Schluß unserer zweistündigen Qual erhellt eine
große Klarheit den östlichen HimmeL Gottlob, es ist der
Mond, der uns aus dieser Finsternis erretten will.
Und wie soll ich die Erlösung beschreiben, die wir
empfanden, als wir uns plötzlich von dem großen
Schweigen umgeben, auf einem freien leichten Boden
wiedersahen! In demselben Augenblick, wo man dem
Schwindel der Abgründe, dem Absturz in das schwarze
Nichts, wo man dem Ersticken in den Steintalern ent-
flieht, in demselben Augenblick atmet man auch eine
reinere, wunderbar frische Luft ein. Man befindet sich
auf einer Ebene — einer Ebene, die tausend bis zwölf-
hundert Meter über dem Meeresspiegel liegt — und an
Stelle der Wüste, die wir eben verlassen, erstreckt sich
hier das blühende Land, erstrecken sich die Kornfelder,
36
die ungemähten Wiesen mit ihrem wunderbaren Duft
Der Mond, der aufgegangen ist, zeigt uns überall Mohn
und Gänseblümchen. Auf breiten Wegen reitet man
friedlich über die weiche Erde und über das Gras dahin,
begleitet von einer Wolke von Leuchtkäferchen, gleich-
sam eingehüllt in einen harmlosen Funkenregen. Wir
befinden uns hier auf der ersten Stufe, auf der ersten
Terrasse Persiens, und wenn wir eine zweite Bergwand
überschritten haben werden, die sich dort hinten vom
Himmel abhebt, dann haben wir endlich die Hochebene
Asiens erreicht. Es ist übrigens eine Erleichterung zu
sagen, daß man diese schreckliche Treppe nicht wieder
hinabzusteigen braucht, wir werden nämlich auf den be-
suchteren nördlichen Straßen über Teheran und das
Kaspische Meer zurückkehren.
Vor uns hören wir Glockengeläute, die Schellen der
Maultiere: eine andere Karawane, die in entgegen-
gesetzter Richtung reist, und die uns jetzt kreuzt. Man
hält an, um WTorte zu wechseln, um unter dem schönen
Mond einander in Augenschein zu nehmen, und der neue
Tcharvadar, der herannaht, ruft mit einem Freuden-
schrei den meinen mit Namen: „Abbas!" Die beiden
Männer fallen sich in die Arme und halten sich lange
umschlungen: es sind Zwillingsbrüder, die auf den
Fahrstraßen als Karawanenführer leben, und die sich
scheinbar lange nicht begegnet waren.
Der jetzt eintönige Weg und die vollkommene
Sicherheit treiben uns nach so viel gesunder Ermüdung
unwiderstehlich dem Schlaf in die Arme, und in der
Tat, wir schlafen auf unseren Pferden . . . Zwei Uhr
morgens. Mein Tcharvadar kündet Konor-Takte, unser
heutiges Nachtquartier, an.
3?
Ein befestigtes Dorf, in einem Wald von Palmen ge-
legen, die Pforten der Karawanserei, die sich vor uns
auf tun, und sich hinter unserem Rücken schließen : das
alles sehe ich undeutlich, wie im Traum . . . Und dann
ist alles erloschen, wir versinken in die Ruhe der Be-
wußtlosigkeit . . .
»
Freitag, 20. April.
Ich erwache in dem weißgekalkten Zimmer der Ka-
rawanserei von Konor-Takte\ Ein Kamin verkündet, daß
wir die Regionen der ewigen Hitze verlassen und Gegen-
den erreicht haben, die sich eines Winters rühmen
können.
An der Decke scheinen zahllose kleine rosa Eidech-
sen zu schlafen, andere spazieren harmlos und zutrau-
lich auf unseren Decken herum. Draußen hört man die
Schwalben, die vor Freude jauchzen, wie sie es bei uns
zur Zeit des Nistens tun. Durch die Fenster sieht man
die Sträucher unserer Gärten, rosa Oleander und
blühende Granatbäume, und auch reifes Korn, Felder,
die den unseren gleichen. Keine erstickende Schwüle
mehr, keine Fieberdünste oder Schwärme giftiger Flie-
gen; man fühlt sich fast schon befreit von dem ver-
wünschten Golf, man atmet wie in unseren Ländern an
einem schönen Frühlingsmorgen.
Um fünf Uhr abends brechen wir auf, nachdem wir
einen Teil des Tages geschlafen haben. Wir gebrauchen
ungefähr eine Stunde, um das ländliche Gefilde zu
durchschreiten, wo die Ernte reif steht, wro Männer und
Frauen die Sichel in der Hand, im goldenen Korn zwi-
schen Mohn und Rittersporn die Ähren zu Garben bin-
38
den; alle Blumen Frankreichs findet man hier plötzlich,
tausend Meter über dem Meeresspiegel wieder. Wie
eine Leinwand, die im Hintergrunde dies Paradies be-
grenzt, erhebt sich senkrecht eine zweite Stufe der per-
sischen Mauer, eine Art hoher, dunkler Umzäumung,
ein Wall, auf den wir zusteuern, den wir diese Nacht
überwinden wollen.
Die Sonne steht schon tief am Himmel, als wir in das
Gewirr dieser neuen Mauer, durch blutrote und schwe-
felgelbe Felsen in einen engen Spalt, der gradeswegs
in die Hölle zu führen scheint, eindringen. Und im
selben Augenblick umgibt uns eine feindliche, eine wan-
delte schreckensreiche Welt, eine Welt, wo keine
Pflanze mehr sprießt, sondern wo sich überall große,
zerklüftete Steine, von lebhaftem Gelb oder tiefem Rot-
braun gefärbt, erheben. Brausend durchschneidet ein
Bach diese Landschaft der Schrecken; seine milchigen
Gewässer, die mit Salzen durchtränkt und von metalli-
schem Grün gefleckt sind, scheinen ein Gemisch von
Seifenschaum und Kupferoxyd. Man hat das Gefühl,
daß man hier in die Geheimnisse der mineralischen
Welt eindringt, daß man die verschwiegenen Zusam-
menstellungen erlauscht, die dem organischen Leben
vorangehen und es vorbereiten.
Am Ufer dieses vergifteten Flusses, an dem wir zur
Stunde des Sonnenunterganges entlang reiten, liegt ein
großes, dunkles Dorf, ein Lagerplatz vielmehr, ein Hau-
fen plumper, schwärzlicher Hütten, in deren Umgebung
kein Gras, nicht einmal grüne Moose wachsen. Und
Frauen treten dort heraus, kommen heran, um uns zu
betrachten, sie sehen spöttisch und feindlich gesonnen
aus; ein dunkler Schleier verbirgt ihr Haar, sie sind
39
sehr schön, haben freche gemalte Augen, und sind weit
brauner, von einem ganz anderen Typus als die hüb-
schen Schnitterinnen der Oase ... es ist dies unsere
erste Begegnung mit den Nomaden, die zu Tausenden
im Süden Persiens auf den Hochländern leben, sie sind
nicht zu unterjochen, sind Rauber, die mit der Waffe
in der Hand die seßhaften Dörfer plündern, die zuwei-
len stark befestigte Städte belagern.
Es ist die Stunde, wo die Herden heimzukehren pfle-
gen, und von allen Seiten eilen sie dem Nachtlager zu,
sie steigen herab aus höheren Zonen, wo man zweifellos
bessere Weiden findet; durch verschiedene Spalten in
den großen Felsen sehen wir Scharen von Ochsen und
Ziegen senkrecht heruntergleiten, sehen sie wie
schwarze Bäche hinabrollen. Alles von derselben
schwarzen Farbe, die Herden der Nomaden, die Dächer
ihrer traurigen Hütten, und die Kleidung ihrer Frauen,
Und die Hirten, große, wilde, stolz dreinschauende Ge-
sellen, kehren auch zurück, neben dem Hirtenstab tra-
gen sie über der Schulter ein Gewehr und am Gürtel
Säbel und Hirschfänger. In der Dämmerung, am Ufer
dieses schreckeneinflößenden Flusses, in einem schma-
len, von Felsen überdachten Tal, stoßen wir auf alle
diese Menschen und Tiere, einen Augenblick gerät un-
sere Karawane in Unordnung, und eins unserer Maul-
tiere, das ein Stier mit den Hörnern gestoßen hat, wirft
sich mit seiner Last zu Boden.
Die Nacht findet uns in einer wilden Gegend wieder,
sie ist noch schrecklicher als gestern, erscheint noch
gefährlicher, weil sich das Chaos immer von neuem
ändert. Überall sieht man frische Felsstürze, sieht man
Querrisse, die sich erst kürzlich gebildet haben. Und
4o
zuweilen schweben über unseren Köpfen große Stein-
blöcke, von denen man annehmen kann, daß sie am Vor-
abend losgelöst und irgendwie im vollen Lauf aufge-
halten sind; ohne ein Wort zu sagen, deutet der Tchar-
vadar mit erhobenem Finger darauf hin, und indem
wir unseren Schritt verlangsamen und ein unwillkür-
liches Schweigen beobachten, reiten wir an den drohen-
den Gestaltungen vorbei.
Wir steigen immer weiter aufwärts an dem Lauf der
Bäche, der Wasserfälle entlang, die ein Längsbett ge-
graben haben, zuweilen aber benützen wir auch die von
den Karawanen ausgetretenen Pfade. Unaufhaltsam
hören wir in der zunehmenden Dunkelheit der Nacht
das Wasser unter den lärmenden Hufen unserer Tiere
plätschern; und dazwischen tönt das heisere Gequake
der sich anrufenden Frösche. Vergebens sucht man den
Schritten des Hintermannes zu folgen, inmitten dieser
gewaltigen Steine verliert man sich immer wieder aus
dem Auge,
Eine Sternennacht, aber vor allem ist es die seltsam
glänzende Venus, die getreulich ihr sanftes Licht auf
uns herniederstrahlt. Um Mitternacht hatten wir schon
eine beträchtliche Höhe erreicht, und auf unbestimm-
ten, überhängenden Pfaden, die so glatt wie Glas sind,
reiten wir unmittelbar am Saume, ganz am Rande der
Abgründe dahin.
Und zum Schluß stehen wir am Fuße eines senk-
rechten Berges, ähnlich dem, den wir gestern kennen-
lernten, dieselben schrecklichen kleinen Zickzacktrep-
pen, dieselben schwankenden Stufen. Unsere Pferde
stehen auf den Hinterbeinen, klammern sich wie die
Ziegen an das Gestein an, von neuem müssen wir länger
als eine Stunde die schwindelnden Klettenersuche, den
unwahrscheinlichen Ritt nach dem Brocken wagen, es
geht mitten durch den Gestank der verwesten Maultiere
hindurch, die längs der Mauer aufgeschichtet liegen.
Wie gestern haben wir auch heute die Freude der
plötzlichen Ankunft auf dem Gipfel, die Freude, ganz
unerwartet eine Ebene, Land und Weiden wiederzufin-
den. Wir sind seit der vorhergehenden Etappe ungefähr
sechshundert Meter höher gestiegen, und zum erstenmal
seit dem Aufbruch erquickt uns eine wirkliche Frische,
eine himmlisch labende Ruhe.
Aber heute ist die Ebene nur eine lange Terrasse, am
Fuße der dritten Bergstufe gelegen, die man hier ganz
in der Nähe sieht; eine lange Terrasse, eigentlich nur
ein Balkon, dessen Tiefe kaum mehr als eine halbe Meile
beträgt; irgendein Riß, wie ihn die geologischen Stürme
gebildet haben; allmählich hat sich dort Dünger an-
gesammelt, und so ist hier im Laufe der Jahre ein
hängender Garten, ein kleines von der übrigen Welt ab-
geschiedenes Arkadien entstanden. Wir reiten durch die
Mohngefilde dahin, deren Blüten sich während der
Nacht zu großen, weißseidenen Kelchen erschlossen
haben, wir streifen die Kornfelder, die Sonne hat die
Ähren noch nicht gereift wie dort unten, und am Tage
müssen sie in wunderbarem Grün aufleuchten.
Nach einstündigem, friedlichen Ritt erscheinen Lich-
ter zwischen den Bäumen, und in der Ferne bellen die
Wachthunde: es ist Konoridje, das Dorf, wo wir die
Nacht beschließen werden : bald unterscheidet man zwi-
schen den schönen Datteln, die es beschatten, die kleine
Moschee, die vielen weißen Terrassen, die in dem Ster-
nenlicht bläulich leuchten. Hier muß ein nächtliches
42
Fest gefeiert werden, denn man hört jetzt Trommeln
und Pfeifen und von Zeit zu Zeit den Freudenschrei
einer Frau, der ebenso gellend ist wie der Schrei der
Mauren in Algier . . .
Es ist mir nicht möglich zu sagen, welch ein Reiz des
Orients und der Vergangenheit dies kleine einsam ge-
legene Land erfüllt und es jetzt um Mitternacht, wo wir
uns seinen hohen Palmen nähern, mit jenen alten, kind-
lichen Melodien durchflutet. Aber mein Diener, ein Ma-
trose, der keine bilderreichen Gleichnisse kennt, und der
die Wörter immer nur in ihrer absoluten Bedeutung ge-
braucht, drückt mir sein schüchternes Entzücken in den
ganz einfachen Sätzen aus : „Das Dorf hat eine Luft, . . .
eine verzauberte Luft!"
Sonnabend, 21. April.
Beim strahlenden Sonnenaufgang hört man das
jauchzende Konzert der Schwalben, Spatzen und Ler-
chen. Ganz klar ist der Himmel, ganz klar liegt die weite
Ferne da, in dem Dorf und in den Feldern herrscht eine
paradiesische Ruhe. Man befindet sich hier f ünf zehn-
bis achtzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel, in
einer so reinen Luft, daß man sich wie durchflutet fühlt
von neuem Leben und neuer Jugend. Und es ist wie ein
Zauber aufzuwachen und ins Freie zu gehen.
Über dem Lehmschuppen, wo unsere Maultiere mit
unserm Vieh zusammengepfercht stehen, haben wir in
dem einzigen hohen Zimmer geschlafen — natürlich
auch zwischen Lehmwänden — und heute morgen bie-
ten uns die Dächer der Karawanserei, die wie eine
Wiese mit Gras bewachsen sind, einen herrlichen Spa-
zierplatz. Auf den benachbarten Dächern, wo gleich-
falls Gras wächst, haben Männer sich niedergeworfen,
um zu dieser Stunde ihr erstes Tagesgebet zu sprechen,
mit ihren langen, in der Taille einschneidenden Gewän-
dern, ihren wallenden Ärmeln und ihren tinraförmigen
Hüten, gleichen sie in ihren bescheidenen Aleidern den
Silhouetten der Weisen aus dem Morgenlande. Hinter
den kleinen Häusern, mit den dicken Mauern und spitz-
bogigen Türen, sieht man weit in die ruhige, abgeschlos-
sene Ebene hinein, man sieht die grüne Fläche des Ge-
treides, in die einige blühende Mohnfelder ihre weißen
Linien ziehen — und immer sieht man die Bergkette
Irans, die in dem Maße, wie wir steigen, sich zu ver-
größern, in den Himmel zu wachsen, stets neue Stein -
schichten vor uns aufzutürmen scheint.
Karawanen, die die ganze Nacht gereist sind, nähern
sich, sie kommen von Chiraz herab oder steigen wie wir
von Bender-Bouchir auf. Das Geläute der Maultier-
glöckchen, das von verschiedenen Seiten ertönt, fällt in
das Morgenständchen der Vögel ein. Die Hirten treiben
die Herden schwarzer Ziegen dem Berge zu. Auf den
Dorfstraßen galoppieren geschmeidige, bärtige Reiter,
sie sind mit langen, altmodischen Steinschloßgewehren
bewaffnet. Das Leben spielt sich hier ab wie in ver-
gangenen Zeiten. Dies kleine, verlorene Land, das in
erster Linie von der glühenden Wüste, dann von zwei
bis drei Terrassen mit ihren Abgründen und schließlich
von den wilden Bergen beschirmt ist, dies kleine Land
hat sich eine glückliche Unveränderlichkeit bewahrt
Ach ! die Ruhe, die dort herrscht ! Und der Gegensatz
zu Indien, das wir soeben verlassen haben, zu dem
armen, entweihten, geplünderten Indien mit seinem
44
manufakturelien Betrieb, wo schon die schreckliche An-
steckung der Fabriken und der Eisenwerke wütet, wo
schon die Bevölkerung der Städte kriecht und leidet
unter dem Peitschenhieb dieser aufgeregten Herren des
Westens, mit ihren Korkhelmen und „kakif arbenen An-
zügen"!
Unter dem schönen goldenen Licht verlassen wir um
die fünfte Stunde nachmittags das verzauberte Dorf,
um auf die im Hintergrund gelegenen Berge zuzureiten.
Wir durchschneiden die friedliche, ländliche Hoch-
fläche, die von allen Seiten eingeschlossen erscheint,
In dem Augenblick, wo wir uns in die Schluchten be-
geben, um noch eine Stufe höher zu gelangen, geht die
Sonne für uns unter, aber die uns umgebenden Gipfel
leuchten wreiter in seltsamem Rosa. Und dort, um den
Eingang zu bewachen, ragt ein altes Kastell mit Mauern
und Zinnen auf, und auf allen Türmen stehen Wächter
in langen persischen Gewändern : es erinnert an irgend-
ein Bild aus der Zeit der Kreuzzüge.
Weniger schroff, als in den letzten Nächten, i3t dies-
mal der Hohlweg. Zwischen den mit Bäumen, Gras und
Blumen bewachsenen Felswänden steigt unser Pfad
weder zu steil noch gar zu gefährlich an.
Und so erreichen wir bald ohne große Schwierig-
keiten eine ungeheure Hochfläche, deren Luft gesättigt
ist von dem Duft des Heues. Bis jetzt waren wir dieser
wirklichen Frische, die man hier einatmet, noch nicht
begegnet, aber wir kennen sie daheim an schönen Maien-
abenden. Man sollte glauben, daß man sich auf diesem
Weg, der seit unserem Aufbruch ununterbrochen an-
steigt, in Riesenschritten dem Norden näherte. Wir rei-
ten ganze vier Stunden durch diese Ebene, bevor wir
45
die Etappe erreichen, und nach dem Chaos von Steinen,
nüt denen man sich die letzten Abende hat herumschla-
gen müssen, ist es jetzt eine Überraschung, bequeme
Wege zu betreten, zwischen rosa blühendem Klee und
Windhafer dahinzuwandeln. Als aber die Nacht voll-
standig hereingebrochen ist, erwacht doch allmählich
das Gefühl in uns, daß wir uns in einer großen Einsam-
keit befinden. In Europa gibt es keine Strecken, wo
meilenweit soviel leerer Raum und soviel Schweigen
herrscht, — und plötzlich fällt es uns ein, daß dieser
Platz übel berüchtigt ist.
Neun Uhr abends. Unwillkürlich fühlt man nach dem
Revolver: fünf mit Gewehren bewaffnete Leute, die im
Gras am Grabenrand lagerten, erheben sich und um-
zingeln uns. Nach ihrer Aussage sind es ehrliche Wäch-
ter, die von Kazeroun, dem nächsten Dorfe, ausgeschickt
sind, um die Reisenden zu beschützen. Seit längerer
Zeit, so erzählen sie uns, werden die Karawanen geplün-
dert, und sechs Maultiertreiber wurden in der vorigen
Nacht an dieser Stelle überfallen. Deshalb werden sie
uns jetzt auf höheren Befehl zwei bis drei Meilen weit
begleiten.
Dies erscheint ein wenig verdächtig, auch leuchten
die Sterne nicht genug, um ihre Gesichter erkennen zu
können. Da sie aber doch mehr wie gutmütige Kerle
aussehen, so nehmen wir ihr Anerbieten, uns zu beglei-
ten, an; sie zu Fuß, wir langsam reitend zu Pferde;
man raucht zu zweien dieselbe Zigarette, was hierzu-
lande eine Höflichkeitsform bedeutet, und man schwatzt.
Anderthalb Stunden später tauchen fünf ähnlich be-
waffnete Männer, die im Hinterhalt lagen, zwischen
dem hohen Gras auf und gehen auf uns zu. Es sind also
46
wirklich Wächter, und wir sollten jetzt unsere Beglei-
tung wechseln. Die ersten fordern jeder 2 Grans* als
Bezahlung, vertrauen uns der Fürsorge der anderen an
und ziehen sich dann unter tiefen Verbeugungen zurück.
Von Zeit zu Zeit durchschneidet ein lustig fließendes
Bächlein den unbestimmten Pfad, dem wir in dem
hohen Gras zu folgen versuchen, dann hält man an, be-
freit die Pferde oder Maultiere von der Trense und läßt
sie trinken.
Ungezählte Sterne stehen am Himmel, und überall
fliegen die Leuchtkäferchen, von denen die Luft erfüllt
ist, umher; so ähnlich sehen sie einem Funkenregen,
daß man fast erstaunt ist, nicht das leise Knattern des
Feuers zu hören.
Wir reiten in einer langen Reihe durch den weißen
Mohn, dessen große Blumen uns streifen; es ist fast
Mitternacht, da sehen wir ganz in der Ferne einige Lich-
ter, später riesengroße, eingezäunte Gärten auftauchen,
endlich haben wir Kazeroun erreicht Und wir begrüßen
die ersten Pappeln, deren hohe Stämme sich weithin er-
kennbar von dem nächtlichen Himmel abheben, sie kün-
den uns die wirklich gemäßigten Zonen an, in denen
wir jetzt atmen dürfen.
Von nun an führen die Karawansereien den Namen
Garten; und in diesen paradiesischen Gegenden des
immer schönen Wetters sind es in der Tat Gärten,
die man den Reisenden bietet, um sich dort auszuruhen.
*) Der Cran ist ein Geldstück ungefähr von dem Wert eines
Frank. Es ist das einzige gebräuchliche Geldstück in Persien,
und da man mehrere Tausend davon mit sich führen muß,
ist das eine der Widerwärtigkeiten und der Gefahren der
Reise.
4?
Eine große, spitzbogige Pforte gewährt uns Einlaß
zu einem eingemauerten Gehölz, das für die Nacht unser
Ruheplatz sein wird; es ist fast ein Wald, mit geraden
Alleen aus blühenden Orangebäumen, sofort berauscht
uns der starke Duft. Im Vordergrund sitzen die Kara-
wanenreisenden in Gruppen zerstreut auf den Teppichen
und kochen über einem Reisigfeuer ihren Tee, und weit
im Hintergrunde verlieren sich die Alleen im Dunkel.
Der Wirt hält es indessen nicht für richtig, daß die
Europäer wie die Eingeborenen im Freien unter den
Orangenbäumen schlafen, er hat deshalb unsere Feld-
betten in ein kleines Zimmer über dem großen Spitz-
bogen des Einganges bringen lassen, und dort über-
mannt uns sofort der Schlaf.
Sonntag, 22. April.
Das kleine Zimmer war wie alle Zimmer der Kara-
wansereien vollständig leer, und eine unbeschreibliche
Unsauberkeit herrschte dort. Die aufgehende Sonne
zeigt uns die Lehmwände, die der Rauch geschwärzt
hat, und die mit langen persischen Inschriften übersät
sind. Den Fußboden bedeckten alte Salatblätter, Kehr-
richt, Unflat, Eulenfedern und Schmutz. Aber durch
die Risse des Daches, wo das Gras sprießt, dringen die
goldenen Strahlen der Sonne, die Düfte der Orangen-
bäume, das Morgenständchen der Schwalben. Drum
einerlei, wie auch das Lager aussehen mag, wir können
sogleich hinabsteigen, können in all die Pracht hinaus-
fliehen.
Unten strahlt das wunderbare Gehölz in hellstem
Morgenschein wieder, darüber spannt sich ein unver-
48
gleichbarer Himmel, der durch zittert ist von dem jauch-
zenden Lied der Schwalben. Man atmet eine feuchte,
belebende, schmeichelnde Luft ein. Die großen Orangen-
bäume mit dem dichten Laub werfen einen blau-schwar-
zen Schatten auf den Boden, der von ihren Blumen
übersät ist. Alle Karawanenreisenden, die über Nacht in
den Alleen geschlafen haben, wachen voller Wohl-
behagen auf, bleiben aber noch auf ihren schönen Tep-
pichen aus Yezd oder Chiraz liegen, denn sie werden
wie wir erst bei Sonnenuntergang aufbrechen; wir sind
also darauf angewiesen, in diesem wunderbar frischen
Gehege, das den Gasthof darstellt, den Nachmittag zu-
sammen zu verbringen und Bekanntschaft zu machen.
Bald kommen aus der Stadt die Bäcker und Tee-
kocher hierher. Sie stellen ihre Samowars, ihre win-
zigen, vergoldeten Tassen im Schatten auf und machen
sich dann daran, ihre langohrigen „Kalyans", die persi-
schen Pfeifen, deren Rauch einen einschläfernden Duft
verbreitet, in Ordnung zu bringen.
Und während unsere Pferde und Maultiere rings-
umher friedlich grasen, schwindet der Tag für uns und
für unsere zufälligen Reisegefährten in einer einzigen
großen Ruhe dahin. Unter den schattenden Zweigen der
Bäume rauchen wir, verträumen wir im Halbschlaf die
Zeit, bieten wir uns gegenseitig in ganz kleinen Tassen
den sehr süßen Tee, das ständige Getränk der Perser, an.
Von einem ganz eigenartigen Zauber ist der Friede,
der um die Mittagsstunde herrscht, unter den Orangen-
bäumen wohnt auch dann noch die grüne Dämmerung,
aber draußen funkelt und brennt die Sonne und über-
flutet mit ihrem Feuer die ausgedörrten Berge, zwischen
denen Kazeroun eingeschlossen liegt
4 Persien.
49
Die Mitglieder meiner kleinen Karawane lernen sich
jetzt allmählich näher kennen, mein Tcharvadar Abbas
und sein Bruder Ali sind meine Kameraden geworden,
die mir bei der Kalyan Gesellschaft leisten, und mit
denen sich gut plaudern läßt; alles erscheint so viel
leichter, das abendliche Aufladen, die Anordnungen vor
dem Aufbruch, und, kaum denkbar ist es, wie schnell
man sich an das gesunde Wanderleben, sogar an die
elenden, immer neuen Nachtquartiere gewöhnt, die man
stets erst mitten in der Nacht schlaftrunken erreicht
Um vier Uhr treffen wir in aller Ruhe unsere Vor-
bereitung zum Aufbruch. Zwei bis drei Männer, die auf
der Erde hocken und ihre Kalyan rauchen, zwei bis
drei neugierige Babys, ungezählte fröhliche Schwalben,
das sind unsere Zuschauer. Der Räuber wegen stellt
das Oberhaupt des Landes uns vier stark bewaffnete
Männer als Schutz, sie geben uns das Geleite, und so
reiten wir hintereinander in einer langen Reihe unter
dem schwarzen, verfallenen Spitzbogen hindurch, der
die Pforte zu diesem zauberhaften Garten bildet.
Wir müssen zuerst Kazeroun durchqueren, das wir
gestern abend noch nicht gesehen haben. Eine kleine
Stadt, aus alten Zeiten; umgeben von Pappeln und
grünen Palmen, lebt sie unverändert weiter. Zwischen
den hohen, blühenden Gräsern tummelt sich gleich am
Eingang eine Schar von Kindern — ganz kleine Knaben,
die schon die langen Gewänder und hohen schwarzen
Hüte der Männer tragen — sie spielen mit ihren Ziegen
und wälzen sich in dem Windhafer und zwischen den
Gänseblümchen umher. Die Kuppeln einiger bescheide-
ner weißer Moscheen ragen hervor. Man sieht die fest
verschlossenen Häuser, auf deren Dächern und Terras-
5o
sen Gras und Blumen so üppig sprießen wie in den
Wiesen. Das Ganze aber wird beherrscht von den Gär-
ten, den Orangewäldern, die von hohen, eifersüchtig
schirmenden Mauern mit den alten spitzbogigen Türen
umschlossen sind. Schöne bewaffnete Reiter tummeln
ihre Pferde auf den Straßen. Aber die Frauen gleichen
geheimnisvoll in Trauer gekleideten Schatten, der
schwarze Schleier, der sowohl ihr Gesicht wie auch
ihren Körper verhüllt, zeigt kaum die immer grüne oder
gelbe Pluderhose, und die gleichfarbigen Strümpfe, die
oft sehr stramm über den zarten Knöchel gezogen sind.
Wir hatten bis dahin nur die Bäuerinnen mit den un-
verschleierten Gesichtern kennengelernt, es ist das
erstemal, daß wir in eine Stadt gelangen, wo sich uns
Städter von einem gewissen eleganten Anstrich zeigen.
Auf der Erde befinden sich noch Plätze, die keinen
Rauch, keine Maschinen, keinen Dampf, keine Hast, die
keine Eisenwerke kennen. Und von allen Winkeln der
Welt, die die Geißel des Fortschrittes verschont hat,
kann gerade Persien sich rühmen, die schönsten zu be-
sitzen — wenigstens will es uns Europäern so scheinen
— , denn die Bäume, die Pflanzen, die Vögel und der
Frühling tragen dort dieselbe Gestalt wie bei uns, man
glaubt kaum in der Fremde zu sein, fühlt sich vielmehr
in der Zahl der Jahre zurückversetzt
Nachdem wir die letzten Gärten Kazerouns hinter
uns gelassen haben, reiten wir zwei Stunden schwei-
gend durch eine seltsam fruchtbare und frische Ebene.
Gerste, Roggen, Weizen, grüne Weiden, erinnern in
ihrer Üppigkeit an „das Land der Verheißung", und ein
süßer Duft von Heu und Kräutern durchschwängert die
stille Abendluft . . .
<• 5i
Wir vergessen die Höhe, in der wir uns befinden,
als die Felsen sich plötzlich zu unserer Rechten auftun.
Unter uns liegt eine andere weite Ebene mit einem wun-
dervoll saphirblauen See, das Ganze wird eingeschlossen
von Bergen, die weniger drohend sind, als die der letz-
ten Tage; sie erinnern an die wildesten Partien unserer
Pyrenäen. ,
In diesen See verliert sich der Fluß, der aus Ispahan
kommt; als wolle er die Stadt der alten Herrlichkeiten
noch mehr von allem Leben absondern, ergießt er sich
in keinen Strom, mündet er in kein Meer, sondern er-
lischt hier in diesem Gewässer, das ohne Abfluß ist,
dessen Ufer nicht bewohnt sind.
Von einer ziemlichen Höhe aus beherrschen wir den
See und die Ebene, obgleich auch diese zweifellos un-
gefähr zweitausend Meter über dem Meeresspiegel ge-
legen sind. Und ein seltsam schwarzes Knäuel hebt sich
von den Weiden ab; von hier oben aus gesehen, könnte
man zuerst annehmen, daß es ein vorüberziehender In-
»ektenschwarm sei, aber es sind Nomaden, die sich dort
zu Legionen mit ihrem Vieh eingefunden haben. Wie
immer, schwarze Kleider, schwarze Zelte, schwarze
Herden: Tausende von Schafen und Ziegen, aus deren
Wolle man die persischen Teppiche, die ungezählten
Decken, Säcke, Quersäcke und Lagergegenstande webt
Jedes Jahr im April findet eine große Völkerwanderung
aller Nomadenstämme nach den hochgelegenen weiden-
reichen Ebenen des Nordens statt, und erst im Herbst
steigen die Hirten wieder zu den Ufern des Persischen
Golfs hinunter. Ihre gemeinsame Bewegung hat jetzt
begonnen; mein Tcharvadar kündet mir an, daß ihr
Vortrab schon in den Schlünden, die nach Chiraz zu
52
hinaufführen, uns voraufgeht, und daß wir uns darauf
gefaßt machen müssen, morgen mit ihnen zusammen-
zustoßen: es sollen übrigens böse Gesellen sein, und
übel kann man mit ihnen aneinandergeraten.
Die Macht bricht herein, und von neuem müssen wir
uns zwischen den Felsen einen Weg suchen, der uns
sechs- bis achthundert Meter höher hinaufführen soll,
wo die nächste Etappe gelegen ist. Von unten aus der
Ebene, die heute von den vielen weidenden Tieren, den
vielen wilden Hirten überflutet ist, dringt das Geräusch
eines lauten primitiven Lebens zu uns herauf; man hört
die Tiere blöken, brüllen, wiehern, hört die Hunde heu-
len, und auch die Männer senden ihre lauten Kufe und
Befehle in die IN acht hinein, oder aber sie schreien nur,
schreien wie Tiere, aus lauter Lebenslust und Lebens-
übermut, ohne Ziel und ohne Zweck. Die Luft, die in
dem Maße hellklingender wird, wie die Dämmerung zu-
nimmt, ist durchzittert von dieser furchtbaren Sym-
phonie.
überall werden in der Ferne, in den Biwaks der No-
maden Holzfeuer angezündet, sie verraten uns in diesen
vielen Schlünden, auf diesen vielen Hochebenen die
Gegenwart von Menschen, die man hier nicht vermutete.
Wir ziehen mitten durch die Planetenbahn der wan-
dernden Stämme hindurch, und als wir zum letztenmal
hinabsehen, einen ßiick auf die Ebene und den dunklen
See werfen, da leuchten uns ungezählte Feuer entgegen,
und man könnte glauben, dort unten läge eine nimmer
endende Stadt.
Sobald wir aber wirklich in dem nächtlichen Engpaß
vordringen, gibt es weder Lichter noch Stimmen, noch
sonst etwas. Die Nomaden sind noch nicht angelangt,
53
und wir haben unsere gewohnte Einsamkeit wieder-
gefunden, über unseren Häuptern erheben sich seltsam
durchlöcherte Felsen, die versteinerten Blumen, Stern-
korallen oder riesenhaft großen, schwarzen Schwäm-
men ähneln. Und von neuem beginnt das verwegene
Klettern der letzten Nächte, der fast senkrechte Aufstieg
inmitten der bröckelnden Felswände. Zwei Stunden tur-
nen unsere Pferde und Maultiere fast aufrechtstehend
die Treppen über den Abgründen hinan; wieder hört
man auf den sich loslösenden Steinen das Schrammen
der beschädigten Hufe, die sich an jedem Vorsprung
anzuklammern versuchen — und wir sind dem ewigen
Stoßen, dem ewigen „Schenkelanziehen" des Tieres aus-
gesetzt, wenn es sich mit den Vorderfüßen hochzieht,
in bestandiger Angst, herabzugleiten, zurückzurollen, in
den Abgrund hinunterzustürzen. Endlich, um zehn Uhr,
werden wir am Eingange zu einem wiesenreichen Tal,
mit seinem sanft sich neigenden Abhang von allen Stra-
pazen erlöst. Hier liegt eine kleine, viereckige Festung,
in der ein Licht scheint. Es ist der Stand für die wach-
habenden Soldaten, die den Räubern und Nomaden weh-
ren sollen. Man macht halt, und man tritt ein, besonders
da hier die berittene Begleitmannschaft zu wechseln ist;
wir lassen unsere vier Leute, die uns in Kazeroun ge-
stellt wurden, zurück und ersetzen sie durch vier andere
ausgeruhte und frische Kräfte.
Im Innern dieser einsamen Festung wurde ein fröh-
licher Abend gefeiert Um den kochenden Samowar
gruppiert, sang man Lieder und rauchte, und sobald wir
eintreten, reicht man uns in winzigen Tassen Tee. Drei
Reisende, drei Reiter mit langen Gewehren, sitzen dort,
sie wollen wie wir nach Chiraz, und bieten uns ihre Be-
54
gleitung an, und 30 brechen wir in einem großen Trupp
auf.
Nach dem schrecklichen Gewirr, dem wir kaum ent-
ronnen sind, ist ein Ritt in diesem neuen Tal, auf einem
gleichmäßigen, mit Blumen übersäten Boden eine wahre
Wohltat Man könnte fast glauben, daß man sich auf
dieser leicht ansteigenden Fläche einem verzauberten
Schlosse näherte, so wunderbar ist der Weg inmitten
des großen Schweigens der Nacht, er gleicht einer Allee,
die man für die Promenaden der Märchenprinzessinnen
gepflanzt hat, einer Allee, eingeschlossen von bunt-
blühenden Felswänden. Es stehen auch Bäume dort,
die in der Dunkelheit unseren Eichen ähnlich sehen;
riesenhaft große Bäume, seit Jahrhunderten müssen sie
dort wachsen. Aber bescheiden stehen sie in großen
Abständen auf dem Rasen, oder bilden vereinzelte Grup-
pen, die in ihren Umrissen künstlerisch schön wirken.
Auf dem dichten grünen Teppich hört man nicht mehr
den Schritt der Karawane. Von rechts, von links, von
den Wipfeln der Bäume senden die Sumpfeulen uns ver-
einzelte kleine Töne herab, Töne, wie sie eine Schilf-
flöte hervorzuzaubern vermag. Es wird kühl, immer
kühler, fast ist der Temperaturwechsel zu empfindlich
für uns, die wir kaum den heißen Regionen dort unten
entstiegen sind, aber es erfrischt und verscheucht die
Müdigkeit. Und übervoll weißblühende Sträucher
durchschwängern die Luft mit ihrem süßen Duft. Aber
höher als all dieses stehen die Sterne, sie feiern ein
großes, schweigendes Fest und entfalten eine große,
glitzernde Pracht. Und alsbald beginnt der Regen der
Meteore, sie erscheinen weit leuchtender als sonst,
wahrscheinlich, weil wir hier dem Himmel näher sind,
55
und gleichen kleinen Blitzen, die eine bleibende Bahn
hinterlassen, und manchmal, wenn sie vorüberschießen,
glaubt man, das Geknatter von Gewehrfeuer zu hören.
Von all den Gegenden, durch die wir mitten in der
Nacht geritten sind, und die wir niemals am folgenden
Morgen wiedersehen, die wir uns niemals bei hellem
Tageslicht vorstellen konnten, gleicht auch nicht eine
der heutigen; noch 'nirgends sind wir einem solchen
Frieden begegnet, "irgends hat das Geheimnisvolle eine
ähnliche Gestalt angenommen . . . Die Majestät der gro-
ßen Bäume, die kein Windhauch bewegt, das nimmer
endende Tal, die bläuliche Durchsichtigkeit der Nebel
flüstert unserer Einbildungskraft leise einen Traum des
griechischen Heidentums zu: Hier mußte die Heimat
der seligen Schatten gewesen sein, und in dem Maße,
wie die Stunden verrinnen, werden die elysäischen Ge-
filde, die finster schweigenden Wälder heraufbeschwo-
ren, in denen nur die Toten ihre Zwiegespräche halten.
Aber um Mitternacht zerreißt plötzlich der Zauber;
von neuem versperren wild zerklüftete Berge unseren
Weg, und ein kleines Licht, das man kaum dort oben
unterscheiden kann, zeigt uns die Karawanserei, die es
zu erreichen gilt. Wieder beginnt das waghalsige Klet-
tern unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Steine, die
sich loslösen, die abbröckeln und herniederrollen, wie-
der muß man all die Erschütterungen, all die Stöße auf
den unermüdlichen Tieren erdtdden, Schritt für Schritt
tasten diese sich vorwärts, gleiten oft mit allen vieren
aus, aber stürzen eigentlich nie ganz zu Boden.
Steigen, immer höher steigen. Seit unserer Abreise
sind wir scheinbar auch zuweilen abwärts gestiegen,
denn sonst würden wir uns jetzt fünf- bis sechstausend
56
Meter über dem Meeresspiegel befinden, und ich
schätze, daß wir höchstens dreitausend Meter erreicht
haben.
Das Nachtquartier nennt sich diesmal Myan-Kotal,
es ist kein Dorf, nur eine Festung, die, wie ein Adler-
nest auf einer einsamen Bergspitze errichtet ist; den
Pteisenden und deren Tieren bietet sie zwischen ihren
dicken Mauern einen sicheren Schutz gegen die Räuber,
das ist aber auch alles.
Wir dringen durch eine Pforte, die sich unmittelbar
hinter uns schließt, in die mit Zinnen versehene Festung
ein; überall liegen Pferde, Maultiere, Kamele, Kara-
wanensäcke bunt durcheinander. Und von all den aus
Lehm erbauten Nischen, die die Zimmer der Karawan-
serei vorstellen, ist nur noch eine einzige frei; diesmal
müssen wir also mit den Leuten schlafen, wir haben
nicht einmal so viel Platz, um unsere Feldbetten aufzu-
schlagen ; übrigens ist es uns ganz gleichgültig, in aller
Eile strecken wir uns der Länge nach auf der Erde aus,
schieben einen Ballen unter den Kopf, decken uns warm
zu, denn die Luft ist eisig, und liegen mit Ali Abbas und
mit den persischen Dienern durcheinandergewürfelt zu-
sammen. Sofort überschleicht uns eine unwidersteh-
bare Müdigkeit und trägt uns alle in die Bewußtlosig-
keit des Schlafes hinüber.
Montag, a3. April.
In diese kleine, niedrige, von Rauch geschwärzte
Grotte, wo wir wie tot daliegen, sickern schon lange
die Sonnenstrahlen durch Löcher und Mauerrisse hin-
ein, ohne daß jemand von uns sich gerührt hätte. Wie
57
durch einen Nebel hören wir die uns schon vertrauten
Laute: in dem Hof den Lärm der aufbrechenden Kara-
wanen, die mit geschlossenem Munde ausgestoßenen
Rufe der Maultiertreiber, -und auf den Mauern das Mor-
genständchen der Schwalben, — das diesmal unzählige
kleine Kehlen in jubelnder Lebensfreude in die Lüfte
schmettern. Wir aber liegen an derselben Stelle, auf
der wir gestern niederfielen, regungslos ausgestreckt
da, eine seltsame Erstarrung hält uns gefangen.
Aber nachdem wir endlich unsere Behausung ver-
lassen haben, erfüllt uns der erste Anblick, der sich uns
bietet, mit Bestürzung und Schwindel. Wir waren ja
mitten in der Nacht angekommen, und konnten deshalb
etwas Derartiges nicht vermuten. Die Luftschiffer, die
nach einem nächtlichen Aufstieg früh morgens er-
wachen, müssen eine ähnliche überwältigende und fast
erschreckende Überraschung empfinden.
In unserer Umgebung ist nichts, was die unendliche
Ausdehnung der Dinge unseren Blicken verbergen
könnte. Wir brauchen nur die Augen zu öffnen, um uns
der schwindelnden Höhe bewußt zu werden, zu der uns
unser ansteigender Ritt durch die vielen Hohlwege, an
den vielen Schlünden vorbei, und während so vieler
Nächte, geführt hat; wir haben in einem Adlernest ge-
schlafen, denn wir beherrschen die Erde. Zu unseren
Füßen neigen sich ungezählte Gipfel — einst wurden sie
alle von den kosmischen Stürmen nach ein und dersel-
ben Richtung gebeugt. Ein grelles, allbeherrschendes,
ein schreckliches Licht fällt von einem Himmel herab,
der sich noch nie zuvor so tief geoffenbart hat; es über-
flutet die vielen sich neigenden Berge, und mit der
gleichen Deutlichkeit, so weit das Auge auch reicht,
58
hebt es die einzelnen Formen der Felsen, die ungeheu-
ren Kämme hervor. Zusammen, und von dieser Höhe
aus gesehen, scheinen die scharfen und wie vom Winde
gebeugten Gipfel in ein und derselben Richtung zu
fliehen, sie gleichen einer riesengroßen Welle, die auf
ein Meer von Steinen gehoben ist, und so täuschend ist
diese Bewegung nachgeahmt, daß man sich fast von so
viel Ruhe und Schweigen verwirrt fühlt. — Aber seit
hundert, seit hunderttausenden von Jahren weht dieser
Sturm nicht mehr, braust er nicht mehr, ist er erstarrt
— Und nirgends sieht man ein Zeichen von Leben,
keine menschliche Spur, nichts, was Wald oder Gras
verkünden könnte, einsam stehen die Felsen hier und
herrschen, und wir schauen auf den Tod herab, aber
der Tod ist voller Liebe und Glanz . . .
Jetzt liegt die Festung schweigend da, die andern
Karawanen sind aufgebrochen, und sie erscheint fast
ganz verlassen. In einem Winkel des von Mauern um-
gegebenen Hofes, wo nur unser Geschirr und Gepäck
liegt, sitzen die Wächter der Festung, zwei Männer in
langen Kleidern, sie rauchen schweigend ihre Kalyan,
haben die Auge nzu Boden gesenkt und sind unemp-
fänglich für diese erhabene Aussicht, die sie nicht mehr
zu sehen vermögen. Würden die Schwalben nicht sin-
gen, man hörte in dieser großen, schallempfindlichen
Leere nicht den geringsten Laut.
Alles in dieser hochgelegenen Karawanserei ist derb,
rauh und verwittert; die bröckelnden Mauern sind fünf
bis sechs Fuß dick, die alten gespaltenen Türen haben
Eisenbeschläge und armdicke Riegel, sie erzählen von
Belagerung und Verteidigungen. — Außerdem befindet
sich hier eine seltsame Schwalbenstadt: an allen
59
Dächern, allen Gesimsen entlang bilden die sich anein-
anderreihenden Nester wirkliche kleine Straßen; sie
sind alle fest verschlossen und haben nur eine winzige
Tür. Und da es die Jahreszeit des Ausbesserns, de3
Brütens ist, sind die kleinen Tiere sehr beschäftigt,
jedes fliegt schnurgerade, ohne sich zu täuschen, in sein
eigenes Haus, — das nicht einmal mit einer Nummer
versehen ist
Die immer tote Mittagsstunde führt uns wilde Gesel-
len, stark bewaffnete Pieiter zu. Reisende, die im Vor-
übergehen in der Festung haltmachen, um sich einen
Augenblick im Schatten auszuruhen und zu rauchen.
Ganz in unserer Nähe unter den Steinbogen lassen sie
sich mit tiefen Verbeugungen nieder. Schwarze Hüte,
schwarze ßärte, dunkle assyrische Gesichter, die der
Wind der Berge gebräunt hat, lange, blaue Kleider, ein
Patronengürtel, der um die Hüften geschlungen ist Sie
riechen nach wilden Tieren und nach Wüstenminze.
Auf wunderbare Teppiche, die sie unter den Sattel ihrer
Pferde geschnallt hatten, setzen oder legen sie sich;
wie sie uns erzählen, sind es die Frauen, die die Wolle
also zu färben und zu weben wissen, — die Frauen
dieses hochgelegenen, ein wenig phantastischen Chiraz,
das wir wahrscheinlich morgen abend endlich er-
reichen werden . . .
Und bald hüllt uns der einschläfernde Rauch der Ka-
lyans ein und steigt in die frischen reinen Lüfte der
Gipfel. Mitten im Hof, in dem leeren Viereck, das die
Sonne überflutet, schwirren die Schwalben hin und her,
ihre kleinen schnellen Schatten zeichnen Tausende von
Hieroglyphen auf den weii5en Boden. Unter uns aber
liegt immer noch der Schwindel der Gipfel, die riesen-
60
große, versteinerte Welle, die noch in Bewegung zu
sein, die noch zu fliehen scheint . . .
Um vier Uhr wollen wir aufbrechen, aber wo in aller
Welt ist Abbas? Er wollte unsere Tiere holen, die zwi-
schen den Felsen weideten, und er kommt nicht wieder
zum Vorschein. Man wird unruhig, alle meine Leute
suchen in den verschiedensten Richtungen den Berg ab;
und ihre Rufe, ihre langen singenden Rufe, die sich
Antwort geben, stören das gewöhnliche Schweigen der
Gipfel. Endlich findet man ihn wieder, findet man Ab-
bas, den Verlorenen, wieder, er kommt von weitem
heran und führt ein Maultier, einen Flüchtling, mit
sich. Um viereinhalb Uhr wird der Aufbruch stattfin-
den können.
Ich hatte zu meiner Begleitung drei Soldaten ver-
langt, wozu ich, nach den Anordnungen des Oberhaup-
tes von Bouchir berechtigt war, aber da es hier in die-
ser Gegend keine gibt, habe ich mich statt dessen mit
drei Hirten aus der Umgegend zufrieden erklärt, und
jetzt führt man sie mir vor: Wilde Gesichter, bis auf
die Schultern herabfallendes Haar, vollständige Räu-
bertypen; zerlumpte Kleider aus wunderbar stilvollen
alten Stoffen, lange Steinschloßgewehre, an denen ein
Amulett hängt, der Gürtel gespickt von Hirschfängern.
Und in einer langen Reihe ziehen wir über Geröll,
über Pfade dahin, auf denen man sich den Hals brechen
kann, ständig begleitet von einer Herde Büffel, die uns
fortwährend mit den Hörnern streifen. In der seltsamen
Klarheit des Raumes sieht man auch in der Ferne alle
Einzelheiten, das große Gewirr der Berge und der Ab-
gründe enthüllt sich unseren Blicken, breitet sich füg-
sam vor uns aus. Hier und da in den Falten der großen
61
geologischen Risse, die die Abendsonne mit ihrem Rot
sanft färbt, schlafen die wunderbar blauen Flächen,
die Seen. Wir beherrschen alles, unsere Augen nehmen
die Unendlichkeit auf, wie es die Augen der hochkrei-
senden Adler tun, unsere Brust weitet sich, um immer
mehr von dieser reinen Luft einzuatmen.
Nachdem wir etwa fünfhundert Meter hinabgestiegen
sind, sehen wir plötzlich zur Stunde des Sonnenunter-
ganges, eine weite, grasbewachsene Ebene vor uns lie-
gen, die in ihrer Einförmigkeit dem Meere gleicht, und
die von den senkrechten Wänden der Gebirgsketten ein-
geschlossen wird. Das grüne Gras ist mit schwarzen
Punkten übersät, man könnte fast glauben, zahllose
Mückenschwärme hätten sich hier niedergelassen: es
sind die Nomaden! Ihr Geschrei dringt zu uns herauf.
Zu Tausenden liegen sie dort mit ihren ungezählten
schwarzen Zelten, ihren ungezählten Büffelherden, mit
ihren schwarzen Rindern und ihren schwarzen Ziegen.
Und wir sollen mitten durch diesen Schwärm hindurch-
reiten.
WTir gebrauchen anderthalb mühevolle Stunden, um
diese Ebene zu durchkreuzen, wo die Hufe der Tiere in
die weiche, fette Erde einsinken. Das Gras ist üppig,
dicht; der Boden heimtückisch, mit Wasserlachen und
Sümpfen durchzogen. Und unaufhörlich sind wir von
Nomaden umringt, die Frauen eilen scharenweise her-
bei, um uns zu sehen, und die jungen Leute galoppieren
auf Pferden, die wilden Tieren ähnlich sind, neben
uns her.
So reich dieser grüne Teppich, der sich in gleicher
Pracht nach allen Richtungen hin ausdehnt, auch sein
6a
mag, wie ist er nur imstande, so zahllose Parasiten zu
ernähren, die ausschließlich von ihm leben, und deren
Kauwerkzeuge in ungezählter Menge ihn ohne Unter-
brechung scheren? Das Wasser, das diesen Pflanzen-
reichtum unterhält, das überfließende und tückische,
zwischen Schilf und zarten Gräsern verborgene Was-
ser, quillt unter jedem unserer Schritte auf. Und plötz-
lich fällt eins der Maultiere mit seiner Last zu Boden,
seine Vorderfüße sind bis zu den Knien in dem
Schlamm eingesunken; sofort stürzt eine Schar junger
Nomaden in schwarzen Tunikas, gleich einem Schwärm
schwarzer Raben, der sich auf ein sterbendes Tier nie-
derläßt, mit lautem Geschrei heran, — aber sie wollen
uns nur zu Hilfe kommen; sehr schnell und geschickt
lösen sie die Zügel, befreien das gefallene Tier von
seiner Last und richten es wieder auf; ich brauche mich
nur bei der ganzen Runde zu bedanken und Silbermün-
zen auszuteilen, die sie nicht einmal verlangt haben,
und die sie nicht ohne einen gewissen Stolz in Emp-
fang nehmen. Und doch hatte man behauptet, daß diese
Leute bösartig und es gefährlich sei, ihnen zu begegnen 1
Es ist fast Nacht, als wir am Ende der feuchten
grünen Ebene den Fuß der himmelhohen, überhängen-
den Felswand erreichen, aus der ein schäumender Fluß
hervorspringt, den wir durchwaten müssen; das Was-
ser geht den Pferden bis an die Brust In einer Vertie-
fung liegt ein Dorf verborgen, eng schmiegt es sich
an den steilen Berg, ein Dorf, ganz aus Steinen erbaut,
mit Wällen, Zinnen und Türmen; alles Sachen, die man
kaum unterscheiden könnte, — so plötzlich dunkel ist
es unter dem Vorsprung dieser schreckeneinflößenden
Felsen, — wenn nicht rot aufflackernde Freudenfeuer
03
die Häuser, die Moschee, die Zinnen erleuchteten. Im
Kreise um diese Feuer spielen die Dudelsäcke, schla-
gen die Trommeln, und man hört auch den grellen
Schrei der Frauen; eine große Hochzeit wird hier ge-
feiert
Jetzt müssen wir unsere Begleiter wechseln, die drei
bewaffneten Hirten, die wir in Myan-Kotal aus dem
Adlerhorst mitgenommen haben, werden gegen drei
andere Männer vertauscht; diese aber — Leute von der
Hochzeitsgesellschaft — müssen an den Haaren herbei-
geschieift werden, bevor sie sich dazu bequemen, auf-
zusitzen. Und es ist schwarze Nacht, als wir uns end-
lich, wenigstens für vier Stunden Weges, in einen dunk-
len Wald begeben.
Hier ist es kalt, wirklich kalt, was wir nicht genü-
gend vorgesehen hatten, und bei unserer leichten Be-
kleidung wird uns frieren. Zwei unserer neuen Hüter
benutzen dies dunkle Dickicht, um kehrtzumachen und
zu verschwinden. Ein einziger bleibt bei uns, er reitet
neben mir und wird uns sicher treu bis zu der Etappe
begleiten. Dieser Wald ist unheimlich, übrigens auch
übel berüchtigt; unsere Leute sprechen kein Wort und
sehen sich oft um: die alten, zu dieser Stunde ganz
schwarzen Bäume, mit ihren verkümmerten, verkrüp-
pelten Formen, bilden zwischen den Felsen seltsame
Gruppen; bei dem unbestimmten Licht der Sterne fol-
gen wir den schwankenden Pfaden, die sich weißlich
auf dem grauen Boden abzeichnen: wir reiten durch
traurige Lichtungen, und tauchen wir von neuem im
Walde unter, so erscheint uns dies noch furcht-
erweckender ; überall gibt es Schlupfwinkel und manch
einen günstigen Hinterhalt.
Um zehn Uhr hören wir plötzlich ein Geräusch: Rei-
ter, die nicht zu uns gehören, traben hinter uns her
und scheinen uns zu verfolgen. Wir halten an, wir fas-
sen sie ins Auge. Und dann erkennen wir sie an der
Stimme; es sind dieselben Reisenden, die gestern abend
unsere Gefährten waren. Warum hatten sie sich den
ganzen Tag unsichtbar gemacht, und woher tauchen
sie jetzt auf? Trotzdem nehmen wir wie gestern ihre
Begleitung an.
Um Mitternacht verlassen wir den Wald und reiten
in eine Steppe hinein, die endlos zu sein scheint, und
wo ein eisiger Wind uns entgegenweh l Etwas sehr
Weißes liegt auf dem Boden ausgebreitet. Sind es stei-
nerne Tafeln, sind es große Tücher? — Ach, es ist
Schnee, überall weiß beschneite Flächen.
Endlich haben wir die Hochländer Asiens erreicht,
seit sieben Tagen klettern wir zu ihnen hinan. Diese
Steppe scheint in den Himmel überzugehen, der wie ein
schwarzer Ballen Seide aussieht, und auf dem die gro-
ßen Sterne fast ohne Strahlen glänzen, als läge zwischen
ihnen und uns kaum jenes sehr luftförmige, sehr
durchsichtige Etwas. Unsere Füße und Hände sind vor
Kälte erstarrt, trotzdem überfällt uns nach all den vie-
len Anstrengungen der letzten Nächte ein unbezwing-
bares Schlafbedürfnis, zum erstenmal seit unserer Ab-
reise haben wir wirkliche Leiden zu ertragen, jeden
Augenblick entfallen die Zügel den erstarrten Fingern,
die sich, gegen unseren Willen, als seien sie abgestor-
ben, von selbst öffnen.
Ein Uhr morgens. Ganz empfindungslos und fast er-
froren, müssen wir wohl zu Pferde geschlafen haben,
Persie o.
65
denn wir sahen die Karawanserei nicht auftauchen, und
trotzdem ist sie ganz nahe, ragt unmittelbar vor uns
auf, ein befestigtes Schloß könnte man sie nennen, mit
Türmen geschmückte Mauern, ganz verlassen in dieser
öden Einsamkeit gelegen, ruft sie den Eindruck von
etwas riesenhaft Phantastischem hervor. Rings umher
auf der Steppe liegen Hunderte von grauen Gestalten,
sie gleichen einem Wald großer Steine, aber unbe-
stimmt hört man das Geräusch des Atmens, riedit das
Leben: es sind schlafende Kamele und Kamelhüter, die
sich, in Decken eingehüllt, zwischen den unzahligen
Warenballen ausgestreckt haben. Zwei oder drei Kara-
wanenstraßen kreuzen sich am Fuße dieser befestigten
Karawanserei; hier ist scheinbar ein ewiges Kommen
und Gehen; im Innern wird alles überfüllt sein. In-
dessen öffnet man uns die eisenbeschlagenen Türen, die
unter den Schlägen des schweren Klopfers laut wider-
hallen: wir treten in den Hof ein, wo Tiere und Leute
durcheinander, wie auf dem Schlachtfelde nach einer
Niederlage zusammengewürfelt liegen; und noch
schneller als gestern fallen wir dem Schlaf in die Arme,
strecken uns ohne Rangunterschied im Hintergründe
einer Lehmhütte aus, unbekümmert um das Gewühl,
den Schmutz, um das sehr wahrscheinliche Ungeziefer.
Dienstag, 24. April.
Um neun Uhr morgens bei herrlichstem Sonnen-
schein, beratschlagen mein Tcharvadar und ich uns in
dem befestigten Schloß unter den Bogengängen des
Hofes. Beendet sind die Streitigkeiten zwischen uns
beiden, wir sind die besten Freunde von der Welt, und
66
niemals zündet er seine Kalyan an, ohne mich einige
Züge daraus tun zu lassen.
In diesem Hof herrscht dasselbe Gedränge wie am
gestrigen Abend Einige Maultiere liegen, andere
stehen; Tausende von Karawanensäcke hat man hier
aufgestellt, sie sind alle von gleicher Farbe, alle aus
grauer Wolle, alle schwarz und weiß gestreift, und alle
hat der Staub der Wege mit seiner rötlichen Schattie-
rung überzogen: Das ganze trägt eine traurige, neutrale
Farbe, aber zuweilen wird diese von einem wunder-
baren Teppich unterbrochen, der wie etwas ganz All-
tagliches unter einer Gruppe gleichgültiger Raucher
ausgebreitet liegt
Nach meiner Verabredung mit Abbas wollen wir das
Schloß Kham-Simiane mitten am Tage verlassen, um
die letzten zehn bis zwölf Meilen, die uns noch von
Ghiraz trennen, zurückzulegen. Die Luft ist kühl, die
Sonne ist nicht mehr so gefährlich wie dort unten, und
ich habe die nächtlichen Reisen herzlich satt
So rüsten wir denn gleich nach der Mittags-Kalyan
unsere Karawane zum Aufbruch, und kaum ist es zwei
Uhr, als wir auch schon den zinnenverzierten Mauern
den Rücken kehren. Alsbald breitet sich die herbe Ein-
samkeit vor unseren Augen aus. Traurig und unfrucht-
bar liegt sie in der großen Klarheit unter einem blauen
Himmel da. Und die Schneeflächen gleichen weißen
Tüchern, mit denen man den Boden bedeckt hat. Hoch
in den Lüften kreist ein Adler. Die Sonne brennt, und
der Wind ist eisig. Wir befinden uns fast dreitausend
Meter über dem Meeresspiegel.
In einem Schlupfwinkel des Bodens liegt ein wilder
Weiler, ungefähr zehn Hütten sind dort aus Felsblöcken
5' 67
erbaut, ganz niedrig sind diese Hütten, dicht schmiegen
sie sich dem Erdboden an, denn man fürchtet hier die
Windstöße, die über diese Hochländer dahinfegen. Am
Rande stehen einige kaum belaubte ganz schlanke Wei-
den, der Wind hat sie gebeugt. Und das ist alles. Soweit
auch das Auge reicht, nichts hebt sich hervor in dieser
lichtreichen Wüste.
Nach Chiraz, wo wir gegen Abend ankommen wer-
den, steigen wir friedlich auf einem unmerklich sich
neigenden Pfade hinab; wir sind überflutet von Licht;
allmählich verschwindet der Schnee, und von Stunde
zu Stunde fühlen wir, wie die Kälte den lauen Lüften
weicht Wir begegnen keinem lebenden Wesen, mit
Ausnahme der großen kahlen Geier, die auf der 'Kara-
wanenstraße sitzen und darauf lauern, daß man ein vor
Müdigkeit umsinkendes Tier ihren Klauen anvertraut;
wenn wir uns ihnen nähern, fliegen sie auf, aber kaum
hat man sie verscheucht, so lassen sie sich von neuem
auf der Straße nieder und verfolgen uns mit den Augen.
Die blassen Blümchen, die kurzgestielten Pflanzen sind
auf diesen Steppen zuerst nur spärlich gesät, aber bald
vermehren sie sich, reihen sich aneinander an und bil-
den schließlich unter unseren Schritten einen wunder-
bar duftenden Teppich. Und dann beginnen die Sträu-
cher unserer Heimat, Tamarinden, knospender Weiß-
dorn, blühender Schlehdorn. Der Kuckuck ruft, und
wäre nicht der unendliche, immer weite, immer ur-
sprüngliche Horizont, so könnte man sich nach Süd-
frankreich versetzt glauben. In alten Zeiten muß der
Frühling Galliens einen ähnlich friedlich-schönen An-
blick gewährt haben . . . Und jetzt stoßen wir auch auf
einen Fluß, einen wunderbar durchsichtigen, einen kri-
68
stallklaren Fluß. An seinem Ufer stehen vereinzelte
kleine Weiden, erhebt sich eine dichte VVeidenwand,
aber der Fluß fließt einsam in seinem Bett über die
weißen Steine dahin, und unempfänglich scheint er für
all das schüchterne Grün dieser Weidengebüsche zu
sein, wahrscheinlich wird er schließlich als Wasser-
fall in weniger hoch gelegene, in weniger reine Regio-
nen hinabstürzen, wird er sich bei den vielen Berührun-
gen beschmutzen; aber hier, wo er mitten durch den
zeitlosen Rahmen fließt, der seit Anbeginn der Welten
also gewesen seüvmuß, hier haftet diesem klaren Was-
ser, ja, wie soll ich mich ausdrücken, etwas Jungfräu-
liches, etwas Geheiligtes an.
Nach dreistündigem Marsch erhebt sich ganz einsam
am Rande unseres Weges ein kleiner mit Zinnen ver-
sehener Turm: ein Wachtposten, wo wir zwei weitere
Soldaten als Verstärkung zu erlangen hoffen; aber
nichts rührt sich, und die Pforte bleibt geschlossen.
Indessen kommt oben im Turm zwischen zwei Schieß-
scharten der weißhaarige Kopf eines Greises, der den
hohen Hut der Magier trägt, zum Vorschein: „Sol-
daten," ruft er in spöttischem Ton, „Ihr fordert Sol-
daten? Jal die sind alle ausgezogen und machen Jagd
auf die Räuber, die uns vier Esel gestohlen haben. Hier
sind keine Soldaten, und Ihr müßt Euch ohne sie be-
helfenl Glückliche Reiset"
Bei Sonnenuntergang machen wir halt und verzehren
unsere Abendmahlzeit auf einer der alten gastlichen
Bänke vor der Tür einer Karawanserei, eines befestig-
ten Schlosses, das wie Kham-Simiane einsam gelegen
ist, und den Eingang zu einer neuen Ebene beherrscht.
Und dies ist endlich die Hochebene von Ghiraz, die in
69
alten Zeiten von den Dichtern besungen wurde, dies ist
das Land des Saadi, das Land der Rosen.
Von hier aus gesehen erscheint die hochgelegene
Oase, die wir zur Stunde der Dämmerung erreichen
werden, seltsam friedlich und üppig wild zugleich; das
Gras ist dort dicht und mit Blumen übersät, die Pap-
pein stehen in dichten Gruppen und fast könnte man
glauben, es seien Buchenhaine von weichem, tiefem
Grün. Dieselben Farbentöne, die sich bei uns im April
über Bäume und Wiesen senken, sieht man auch hier,
aber die Luft ist von einer Klarheit, die wir nicht ken-
nen, und über dem Paradies mit seinem jetzt schon
in Schatten getauchten Grün, sind die großen, alles
einschließenden Berge zu dieser Stunde in tiefem Hot
gebadet, ein Anblick, der in unseren Ländern und bei
unserem Klima unmöglich wäre.
Durch diese sanft sich neigende Ebene, wo die Luft
allmählich ganz still geworden ist, setzen wir unseren
jetzt immer leichter werdenden Ritt fort, und ungefähr
vier Meilen weiter, ziehen sich in der frischen, sternen-
klaren Nacht zu beiden Seiten unseres Weges die lan-
gen Mauern der Gärten dahin: die Vorstädte von
Chiraz! Kein Lärm, kein Licht, kein Schritt, der den
Wanderer verkündet Die Ausläufer der alten moham-
medanischen Städte zeigen, sobald die Dunkelheit an-
bricht, immer dasselbe seltsame Schweigen, von dem
wir Europäer uns gar keine Vorstellung machen können.
Die Mauern bezeichnen die Karawansereien, obgleich
sie eigentlich nur einen Pappelwald einzuschließen
scheinen; und dort klopfen wir zwei-, dreimal an große
spitzbogige Türen an, die sich kaum öffnen, um eine
Stimme antworten zu lassen, daß alles überfüllt sei.
Di© hohen Gräser, die Kräuter, die Gänseblümchen
überwuchern die Wege; in dieser Dunkelheit, in diesem
Schweigen duftet alles nach Frühling.
Des Kampfes müde geben wir uns mit einer Kara-
wanserei für Arme zufrieden, wo wir über den Ställen
einen kleinen Winkel mit Lehmwänden finden, der sich
in keiner Weise von unseren früheren elenden Herber-
gen unterscheidet
Natürlich kenne ich keine lebende Seele in dieser
verschlossenen Stadt, in die ich heute abend nicht ein-
dringen kann, und die übrigens, wie ich weiß, auch
keinen einzigen Gasthof besitzt Aber in Bender-Bou-
chir hat man mir ein versiegeltes Zauberbuch — ein
Empfehlungsschreiben an den Vorstand der
Kaufmannschaft, eine gewichtige Persönlichkeit
von Chiraz, mitgegeben, zweifellos wird dieser mir eine
Wohnung besorgen können . . .
Abends, 2 4. April«
Der erste Abend senkt sich herab, die erste Nacht
bricht herein über dem drückenden Schweigen in Chi-
raz. Ganz im Hintergrunde des grofSen, leeren, frühzei-
tig verschlossenen Hauses, in dem ich gefangen sitze,
geht mein Zimmer auf einen jetzt dunklen Hof. Man
hört nichts, nur zuweilen den Schrei eines Kauzes. Chi-
raz schläft in dem Geheimnis seiner dreifachen Mauern
und seiner geschlossenen Wohnungen; man könnte sich
weit eher von verlassenen Ruinen, als von einer Stadt
umgeben glauben, in deren Schatten sechzig- bis acht-
zigtausend Einwohner atmen; aber den Ländern Islams
71
haftet das Schweigen dieses tiefea Schlafes und dieser
stummen Nächte an.
Ich sage zu mir selbst: „Ich bin in Chiraz", und es
liegt ein Reiz darin, diesen Satz zu wiederholen; — ein
Reiz und auch ein wenig Angst, denn diese Stadt ge-
hört, wenngleich sie auch ein Überbleibsel altehrwürdi-
ger, unversehrter Trümmer ist, dennoch zu denjenigen
menschlichen Ansiedelungen, die am wenigsten zugäng-
lich, am abgeschiedensten liegen; man empfindet hier
noch das Gefühl eines großen Verlassenseins, ein Ge-
fühl, das den Reisenden früherer Zeiten vertraut sein
mußte, das wir Nachgeborenen aber bald nicht mehr
kennen werden, weil die Verkehrswege die ganze Erde
mit ihrem Netz überziehen. Wie soll man von hier ent-
kommen, von hier entfliehen, wenn plötzliches Heim-
weh, wenn das Bedürfnis in uns aufsteigt, vielleicht
nicht einmal das Vaterland, sondern nur verwandte
Menschen, nur einen Ort wiederzusehen, der wie bei
uns ein wenig moderner ist Wie soll man von hier ent-
kommen? Durch die einsamen Gegenden des Nordens,
durch Teheran und das Kaspische Meer nach zwanzig
bis dreißigtägigem Karawanenritt? Oder soll ich auf
dem Wege zurückkehren, der mich hergeführt hat, soll
ich die schrecklichen Treppen Irans Stufe für Stufe
hinabsteigen, soll ich von neuem in die Schlünde, die
nur nachts passierbar sind, untertauchen, soll ich von
neuem die Qualen der immer wachsenden Hitze ertra-
gen, mich bis zu dem höllischen Schmelzofen dort un-
ten, dem persischen Golf, vorwagen, soll ich von neuem
durch den glühenden Sand waten, um Bender-Bouchir,
die Stadt der Verbannung und des Fiebers zu erreichen,
von wo aus irgendein Schiff mich nach Indien bringt?
Beide Wege sind mühsam und weit Es ist wahr, man
fühlt sich verlassen in diesem Chiraz, das höher ge-
legen ist als der Gipfel der Pyrenäen — und das zu
dieser Stunde eine klare Nacht, aber eine seltsam
stumme, eine eisige Nacht in ihre Fittiche hüllt . . .
In dieser Stadt, wo alles von Mauern eingeschlossen
ist, habe ich sozusagen noch nichts gesehen, und ich
frage mich, ob ich während eines verlängerten Aufent-
haltes mehr sehen werde, ich bin hier ungefähr in der
Art eingedrungen, wie es die Ritter der Sage zu tun
pflegten, die man mit verbundenen Augen in die unter-
irdischen Schlösser führte.
Heute morgen trat Hadji-Abbas, der Vorstand der
Kaufmannschaft, benachrichtigt durch meinen Brief, in
der Karawanserei an. Einige Honoratioren begleiteten
ihn, lauter zeremonielle, höfliche Leute in langen Klei-
dern, mit plumpen, runden Brillen und sehr hohen
Astrachanmützen. Wir setzen uns vor meinem dunklen
Zimmer auf die Terrasse, die mit Gras und blühendem
Mohn bewachsen ist: Nach vielen schönen Komplimen-
ten in türkischer Sprache entspann sich eine Unter-
haltung über die Schwierigkeiten der Reise !
„Ach!" sagten sie mit einem leisen Anflug von
Spott, — „leider haben wir noch nicht Ihre Eisenbah-
nen!" Und als ich sie dazu beglückwünschte, zeigte mir
ihr Lächeln, wie sehr wir betreffs der Wohltaten die-
ser Erfindung der gleichen Meinung waren . . .
Pappeln und blühende Obstbäume bildeten eine so
dichte Wand, daß wir von der Stadt auch nicht das ge-
ringste zu erblicken vermochten, aber die Gärten, Wie-
sen, die grünen Felder lagen vor uns, eine ganze Ecke
des glücklichen Chiraz, das kaum mit der übrigen Welt
73
in Verbindung steht, und wo das Leben in dem gleichen
Rahmen dahinfließt, wie vor tausend Jahren. Auf allen
Zweigen stimmten die Vögel ihr fröhliches ßrullied an.
Unten im Hofe, wo unsere Tiere sich ausruhten, standen
einige Burschen aus dem Volk, sie sahen vergnügt und
gesund aus, ihre Wangen hatte die freie Luft goldig ge-
färbt, und nachlässig rauchten sie in der Sonne, wie nur
Leute es tun, die Zeit haben, zu leben, oder sie spielten
mit Kugeln, und ihr Lachen drang zu uns herauf. Und
ich verglich das schwarze Gelände unserer großen
Städte, unserer Bahnhöfe, Fabriken, das ewige Pfeifen
und den Lärm der Eisenwerke mit diesem allen, ver-
glich auch unsere Arbeiter, blaß sind sie unter dem
Kohlenstaub, und aus ihren Augen spricht die Nüch-
ternheit und das Leiden . . .
Beim Abschiednehmen bot mir der Vorstand der
Kaufmannschaft eines seiner zahlreichen Häuser in
Chiraz, ein ganz neues Haus an. Er wollte mir den
Schlüssel sofort übersenden, und ich begann zu war-
ten, rauchte auf meiner Terrasse eine Kalyan nach der
anderen und wartete, ohne daß der Schlüssel erschien:
die Orientalen, jedermann weiß es ja, kennen gar keine
Zeitberechnung.
Endlich, vier Uhr nachmittags, wurde der Schlüssel
mir überreicht (Er war einen Fuß zwei Zoll lang.)
Und dann mußte ich meinen Tcharvadar und alle seine
Leute verabschieden, mußte mit ihnen abrechnen, mit
ihnen alle die Silbermünzen nachzählen. Wir tauschten
viele Wünsche und manchen Händedruck aus, und dann
bestellte ich eine Anzahl Träger (Juden mit langen
Haaren), ließ unser Gepäck auf ihren Kücken laden,
und wanderte hinter ihnen der Stadt zu, die ganz in
74
der Nähe liegen mußte, die man aber immer noch nicht
sehen konnte.
Wir trabten melancholisch zwischen den hohen aus
grauen S leinen und Lehm erbauten Mauern dahin, in
weiten Abständen nur zeigten sie eine vergitterte Öff-
nung oder eine versteckte Tür.
Und schließlich bildeten diese immer enger werden-
den Mauern über unseren Köpfen ein Gewölbe, und
eine plötzliche Dunkelheit hüllte uns ein, mitten durch
die schmalen Gänge flössen kleine schmutzige Bäche
über Abfall, Schmutz und Kot hinweg, es roch nach
Abgußwasser und toten Mäusen, wir hatten Ghiraz er-
reicht
In einem noch größeren Dunkel machten wir vor
einer alten, eisenbeschlagenen Tür mit einem großen
Klopfer hat: das war meine Wohnung. Zuerst stießen
wir durch einen dunklen Gang auf das staubige, bau-
fällige Hauptgebäude, dann aber überraschte uns ein
sonnenbeschienener Hof, mit schönen blühenden Oran-
genbäumen, um einen fließenden Fischteich, und im
Hintergründe lag das zweistöckige, ganz neue, weiße
Häuschen, in dem ich jetzt eingeschlossen sitze — und
ich weiß nicht einmal, auf wie lange, — „denn es ist
leichter in Chiraz einzudringen, als hinauszukommen",
sagt ein persisches Sprichwort
7°
ZWEITER TEIL
» Mittwoch, 2 5. April.
Die Sonne neigte sich ihrem Untergange zu, als
wir in aller Eile unseren ersten Ausflug in die
Stadt, in die Basare machten, um Kissen und Teppiche
zu kaufen. (Denn in Hadji-Ahbas' Haus zeigen die
Zimmer natürlich nichts als ihre vier Wände.)
Man streicht in dieser Stadt umher, wie in einem
unterirdischen Labyrinth. Die Gäßchen sind bedeckt,
übersät mit Unrat, mit verfaultem Abfall, sie winden
und kreuzen sich mit einer Laune, die jeden irreführt;
an einigen Stellen sind sie so eng, daß man sich mit
beiden Schultern gegen die Mauer drücken muß, will
man nicht von einem Reiter oder sogar von einem klei-
nen Esel gestoßen werden; die Männer, in langen, dunk-
len Kleidern mit hohen Astrachanmützen, fassen uns
scharf, doch ohne Mißtrauen, ins Auge. Die Frauen
gleiten dahin und verschwinden wie schweigende Gei-
ster, von Kopf zu Fuß sind sie in einen langen schwar-
zen Schleier gehüllt, und das Gesicht verdeckt eine
weiße Maske, die nur zwei runde Löcher für die Augen
frei läßt; aber die kleinen Mädchen, die man noch nicht
verschleiert, sind alle geschminkt, ihre Haare mit Henna
gefärbt, und faßt alle erscheinen sie von wunderbar
feiner lächelnder Schönheit; sogar die Ärmsten, die bar-
fuß und nachlässig gekleidet gehen, sind anmutig unter
76
ihren reizvollen Lumpen. In den toten, langen Mauer-
reihen aus grauem Stein oder grauem Lehm öffnet sich
nie ein Fenster. Hier gibt es nur Türen, und um diese
zu verbergen, sie zu schirmen, ist außerdem noch eine
zweite Mauer hinter der ersten errichtet Einige Tü-
ren sind eingerahmt von alten kostbaren Fayencen, die
Iriszweige und Rosenzweige darstellen, und deren Ko-
lorit, belebt durch den Gegensatz zu dem vielen Grau
der Umgebung, inmitten von den Ruinen und Trüm-
mern, doppelt frisch hervorspringt Ach ! diese schwarz-
gekleideten Frauen, die durch diese Türen schreiten,
um die Ecke der alten Mauer biegen und im Innern des
verborgenen Hauses verschwinden . . .
In meiner tunnelförmigen Straße, auf der die Kara-
wanen von Bouchir kommend zur Stadt hineinziehen,
liegt ein kleiner, jüdischer Basar, wo Korn und Gemüse
verkauft wird. Um aber den wirklichen Basar von Chi-
raz, den unendlich großen Basar mit seinen vielen
Überraschungen zu erreichen, muß man eine ganze
Strecke durch dies Labyrinth wandern. Er beginnt in
den engen, winkeligen, dunklen Straßen, wo man yor
den ungezählten kleinen Läden beständig Gefahr läuft,
in Löcher und Kloaken zu fallen. Dann folgen die gro-
ßen, geraden, die vielen regelmäßigen Alleen mit ihren
runden Kuppelgewölben, und zum erstenmal sagt man
sich, daß die Stadt, in die man, ohne auch nur
das geringste zu sehen, eingedrungen ist, wirklich eine
große Stadt sein muß. Zu beiden Seiten der Alleen fin-
det man die Kaufleute nach Profession und Zunft ge-
ordnet, so will es der orientalische Gebrauch. — Und
man sieht, daß die Straße der Teppiche, in der wir
unsere Einkäufe machen, für die Augen ein Hochgenuß
77
ist — In den dunkleren Straßen der Kupferschmiede
hört man den ununterbrochenen Lärm der Hämmer,
und dort machen wir halt, um für unseren Gebrauch
Schenkkannen zu kaufen, die hier sehr üblichen Kan-
nen, die eine wunderbare Anmut der Linien zeigen, und
deren Form in alten Zeiten erfunden und seitdem nie-
mals geändert wurde. Überall verkaufte man auch Bü-
schel rosenroter, duftender Rosen, man nennt sie bei
uns die „Monatsrose", und blühende Orangen zweige.
Bewaffnete Reiter versperrten uns oft den Weg, be-
sonders in dem Viertel, wo Sattel- und Zaumzeug zu
kaufen ist; dieses Viertel ist das größte in ganz Chiraz,
denn hierzulande gehen alle Reisen, geht jeder Trans-
port in Karawanen vor sich, und das Sattelzeug spielt
naturgemäß eine große Rolle; es zeigt die allerverschie-
densten Formen: in Seide oder Gold gestickte Sättel,
wollene Quersäcke, Zäume für Pferde und Maulesel,
zierliche, mit Pailletten benähte Sammetpeitschen für
die kleinen Esel, auf denen die vornehmen Damen rei-
ten, und Federbüsche für die Kamele.
In der Straße, wo die Seidenhändler ihren Stand
haben, war großer Zuspruch von schwarzen Gestalten
— den hiesigen Frauen — mit ihren hübschen, drolli-
gen Babys, deren Augen alle durch einen gemalten
Strich bis zum Haar verlängert sind.
Wir hatten den Basar zu ziemlich später Stunde be-
sucht, schon schlössen sich die Läden, schon ver-
schwand das Tageslicht hinter den aus Stein oder Lehm
gebauten Gewölben. Und nachdem wir uns soundso
viele Male durch die überdachten, jetzt immer dunkler
werdenden Gänge hindurchgeschlängelt hatten, bedeu-
tete es eine wirkliche Freude, endlich einen freien Platz
78
unter freiem Himmel zu treffen, der von der herrlichen
Abendsonne beschienen war. Vielleicht der einzige Win-
kel in Chiraz, wo das Leben sich fröhlich und nicht
geheimnisvoll außerhalb des Hauses abspielt.
Dieser Platz liegt in der Nähe der Stadtwälle, und
im Hintergründe erhebt sich eine Moschee mit einem
riesenhaft großen Portal, das unter seiner allen
Glasurbekleidung rosenrot strahlt Hier und da haben
die Blumen-, Obst- und Kuchenverkäufer ihre Buden
errichtet, und gerade gegenüber der rosenroten Pforte,
deren Schwelle ich wohl niemals übertreten darf, steht
ein kleines, reizendes, verfallenes Cafe, unter dessen
Bäume wir uns setzen, um unter freiem Himmel die
letzte Tageskaiyan zu rauchen. (Der Name Cafe ist übri-
gens nicht richtig, denn hier in Chiraz reicht man nur
Tee in kleinen winzigen Täßchen.)
Sofort bildet sich ein Kreis um uns, aber diese Neu-
gierigen waren bescheiden und höflich, und wenn man
sie ansah, antworteten sie mit einem freundlichen, ein
wenig katzenhaften Lächeln. Alle die Leute hier sehen
entgegenkommend und sanftmütig aus; sie haben fein-
geschnittene Züge, große Augen und einen zugleich leb-
haften und träumerischen Blick.
Und ich kam zurück, um vor Einbruch der Nacht
meine vorübergehende Wohnung, in dem ganz neuen,
hinter dem Hofe gelegenen Gebäude, einzurichten. Das
Erdgeschoß weise ich meiner Bedienung an, im ersten
Stock liegt mein Zimmer, im zweiten mein Salon.
Überall sieht man sehr weiße Mauern, derer gewölbte
Spitzbogen Nischen bilden, in die ich meine Sachen auf-
stelle. Die Decke besteht aus Lehm und wird von einer
79
Reihe junger, ganz gleichmäßig viereckiger Pappel-
stämme gestützt.
In zehn Minuten ist mein Salon eingerichtet, Tep-
piche und Kissen sind auf die Erde geworfen, Decken
mit alten Nägeln an den Wänden befestigt, und den
Ehrenplatz nehmen die schönen Waffen ein, die mir
der Sultan von Mascat kürzlich bei meiner Durchreise
schenkte, ein Dolch in silberner und ein Säbel in golde-
ner Scheide.
Aber die Nacht senkt sich herab und hüllt alles in
ihr großes, schweigendes Leichentuch ein. Sie unter-
bricht unseren kindlichen Zeitvertreib und erfüllt meine
Wohnung, die gar zu eng eingeschlossen inmitten einer
nicht erkennbaren Umgebung liegt, mit unheilvollem
DunkeL
Als wir eintraten, haben wir die schweren Eisen-
riegel von der Tür hinweggezogen, die hinaus in die
nächtliche Umgebung führt, aber wir wissen nichts von
all den Räumen, Winkeln und Nebengebäuden des gro-
ßen Hauses; keiner von uns hat das alte zweistöckige
Haus, das mit dem Rücken nach der Straße zu gelegen
ist, erforscht, keiner von uns ist in die unendlich ge-
räumigen Heuspeicher, in die Gewölbe und unterirdi-
schen Keller eingedrungen, die sich hinter unseren Zim-
mern erstrecken.
Was die anderen W'ohnungen in unserer Nachbar-
schaft anbelangt, so ist es selbstverständlich, daß unser
Auge sie nicht hinter den hohen Verschanzungen er-
spähen kann. Wer dort wohnt, was sich dort zuträgt?
Wir werden es nie erfahren. Von den Fenstern aus, die
auf unsern, von hohen Mauern eingeschlossenen Hof
zeigen, wird man auch bei Tage nichts von diesen Nach-
80
Persisches Techaus
barhäusern entdecken können. Nur die Wipfel der Pap-
peln, die die kleinen Gärten beschatten, nur die Lehm-
dächer, auf denen das Gras wächst, auf denen die
Katzen promenieren, und dann in der Ferne über den
Giebeln der alten staubfarbenen Gebäude hinweg die
Linie der kahlen Berge, die die grüne Ebene einschlie-
ßen. Das ist alles, was sich dem Auge zeigt.
Jetzt ist es Nacht. Meine Diener schlafen fest nach
den Anstrengungen der letzten Abende, in dem schönen
Gefühl, eine Reise hinter sich zu haben, in der Gewiß-
heit, nicht morgen den nächtlichen Ritt fortsetzen zu
müssen.
Die schöne Sternennacht kühlt fühlbar ab, kein
menschliches Geräusch stört ihr Schweigen. Man hört
die weiche, verhaltene Stimme der Käuze, die aus ver-
schiedenen Richtungen sich rufen und Antwort geben,
und darunter liegt Ghiraz in seinem beunruhigenden
Todesschlaf.
Donnerstag, 26. April.
„Allah oder Akbarl... Allah oder Akbarl"... so
lautet der endlose, eintönige, mohammedanische Ge-
sang, der mich vor Tagesanbruch weckt; von irgend-
einem nahen Dache meines Stadtviertels aus steigt die
Stimme des Ausrufers, der zum Gebet ruft, laut singend
in die blasse Morgenluft hinauf.
Und bald darauf dringt das silberhelle Glocken-
geläute in den kleinen Gäßchen bis an mein Ohr: der
Einzug der Karawanen. Große, tief tönende Glocken
hängen am Bauche der Maultiere, kleine Schellen rei-
6 Persien. 8l
hen sich zu einem Kranz um ihren Hals, sie klingen
zusammen, und dieser fröhliche Lärm erfüllt allmäh-
lich das ganze unterirdische Labyrinth in Chiraz und
verjagt den Schlaf und das Schweigen der Nacht Es
dauert sehr lange; — sicher sind Hunderte von Maul-
tieren an meiner Tür vorbeigezogen, — und sie werden
allmorgendlich hier vorüberziehen, um mir den Tag
zu verkünden, denn die Stunde der Karawanen ist un-
wandelbar. Und durch mein Viertel dringen sie in die
Stadt hinein, alle die, die von dort unten, von den Ufern
des Persischen Golfes, aus den heißen, in der Höhe des
Wasserspiegels gelegenen Gegenden kommen.
Der erste Morgen verstreicht für mich mit vergeb-
lichen Unterhandlungen, die ich mit Tcharvadaren,
Maultiertreibern, Pferdevermietern in der Hoffnung
pflege, daß es mir gelingen wird, schon jetzt den Auf-
bruch zu veranstalten; denn man muß sich mehrere
Tage im voraus richten, und die Reisenden werden oft
unendlich lange zurückgehalten.
Aber nichts kommt zustande, nicht das geringste An-
nehmbare bietet sich mir. Das Sprichwort scheint sich
zu bewahrheiten: Es ist leichter, in Chiraz einzudrin-
gen, als hinauszukommen.
Nachmittags statte ich dem Vorstand der Kaufmann-
schaft meinen Besuch ab. Er wohnt in demselben Stadt-
viertel wie ich, und der Weg zu ihm führt ununter-
brochen an den schattigen, traurig sich neigenden
Mauern vorbei, die sich fast alle zu einem Gewölbe
vereinen. Eine alte Gefängnistür, durch eine innere
Schutzwand aus weißem Mauerwerk verkleidet: das ist
sein Heim. Und dann folgt ein kleiner Garten voller
Rosen, mit geraden altmodischen Alleen und mit einem
82
Springbrunnen; im Hintergründe aber liegt das gan2
alte, ganz orientalische Haus.
Hadji-Abbas Salon: Eine Decke aus blau und golde-
nen Arabesken, mit Rosenzweigen, deren Schattierun-
gen im Laufe der Zeiten verblaßt sind; die Mauern sind
reich ausgearbeitet, sind in kleine Rautenflächen zer-
legt, vertiefen sich zu kleinen Grotten und zeigen eine
alte Elfenbeinfarbe, die durch matte Goldlinien ge-
hoben wird; auf der Erde liegen Kissen und dicke, wun-
derbare Teppiche. Und die kleinscheibigen Fenster zei-
gen auf die Rosen des Gartens, der sehr versteckt
daliegt, der keine Aussicht gewährt, und in dem das
leise plätschernde Geräusch des Springbrunnens er-
tönt.
Mitten im Salon stehen zwei Sessel, einer für Hadji-
Abbas, der seit gestern seinen weißen Bart brennend rot
gefärbt hat, und der andere für mich. Die Söhne meines
Wirts, die Nachbarn, die Honoratioren, alles Leute in
langen Kleidern mit hohen schwarzen Hüten, wie sie
die Magier trugen, treten nacheinander an; schweigend
setzen sie sich auf die Teppiche, die an den schönen
verblaßten Wänden entlang ausgebreitet liegen, und bil-
den so einen großen Kreis; Diener tragen in sehr alten,
kleinen chinesischen Tassen Tee herbei, bieten dann
gefrorenen Sorbet und schließlich die unvermeidlichen
Kalyans an, aus denen alle der Reihe nach rauchen
müssen. Man fragt mich nach Stambul, da man weiß,
daß ich dort gewohnt habe. Dann nach Europa, und die
Naivität und die unvermutete Gründlichkeit ihrer Fra-
gen zeigen mir deutlicher als alles andere, wie weit
diese Leute von uns entfernt sind. Allmählich geht die
Unterhaltung zur Politik über, man spricht von den
6* 83
letzten Tricks der Engländer vor Koueit: — „Wenn
unser Land jemals unterjocht werden sollte, so hoffe
ich doch wenigstens, daß es nicht durch sie geschieht I
Wir haben leider nur hunderttausend Soldaten in Per-
sien, aber alle Nomaden sind bewaffnet; und ich, meine
Söhne, meine Diener, alle gesunden Männer in den
Städten und auf dem Lande werden zu den Waffen
greifen, wenn es sich um die Engländer handelt!"
Der gute Hadji-Abbas führt mich alsdann zu zwei
oder drei Honoratioren, deren Häuser noch viel schöner
als das seine sind, und die noch viel hübschere Gärten
mit Orangen, Zypressenalleen und Rosengängen be-
sitzen. Aber wie versteckt, mißtrauisch, geheimnisvoll
spielt sich hier das Leben ab. Die Gärten würden ent-
zückend sein, wenn sie nicht so eifersüchtig eingeschlos-
sen, so verborgen dalägen; damit die Frauen hier un-
verschleiert lustwandeln können, umgibt man sie mit
gar zu hohen Mauern, die man vergebens freundlicher
zu gestalten sucht, indem man sie mit Spitzbogen, mit
Kacheln verziert: es bleiben doch immer dieselben Ge-
fängnismauern.
Der Gouverneur der Provinz, den ich heute auf-
suchen wollte, um ihn zu bitten, mir den Weg nach
Ispahan zu erleichtern, ist für einige Tage abwesend.
Bis zum Schluß behalte ich mir den Besuch bei einer
jungen, holländischen Familie, den van L . . .s, vor, sie
leben hier so abgeschieden wie Robinson. Ein altes
Paschahaus — natürlich in einem alten, ganz von
Mauern umgebenen Garten gelegen — bewohnen sie,
und selten überraschend berührt es mich, hier plötzlich
einen kleinen europäischen Winkel, plötzlich liebens-
würdige Menschen, die unsere Sprache sprechen, wie-
34
derzusehen! Sie sind übrigens gleich so entgegenkom-
mend, daß uns, die wir doch sozusagen in der Verban-
nung leben, vom ersten Augenblick an ein schönes Band
wahrer Freundschaft verbindet. Seit zwei oder drei
Jahren wohnen sie in Chiraz, wo M. van L . . . Leiter
der kaiserlich persischen Bank ist Sie vertrauen mir
alle ihre täglichen Sorgen an, von denen ich keine
Ahnung hatte, die aber in dieser Stadt natürlich sind;
denn alles fehlt hier, was nach unseren Begriffen zu den
notwendigsten Nutzgegenständen des Lebens gehört,
alle Sachen, deren man bedarf, müssen zwei Monate im
voraus über Rußland oder Indien verschrieben werden ;
was sie mir da erzählen, bestärkt mich übrigens in dem
Gefühl, daß wir uns hier in einer Welt befinden, die
man fast auf dem Monde suchen könnte.
Den Schluß des Nachmittags bildet für mich ein Spa-
ziergang durch das Labyrinth; mit meinen drei Dienern,
dem Franzosen und zwei Persern, irre ich umher und
suche vergebens nach den Moscheen. Ich habe keine
Hoffnung, jemals Eintritt zu erlangen, aber ich möchte
doch wenigstens gerne von außen die Portale, die schö-
nen Bogen und die kostbaren Fayencen sehen.
Achl Diese seltsamen kleinen Straßen, wo einem
auch am hellen Tage ein Fallstrick nach dem andern
gelegt wird; so öffnet sich mitten in einer Gasse ein
tiefer Brunnen, der auch nicht das geringste Schutz-
gitter zeigt, oder am Fuße einer Mauer gähnt plötzlich
ein Kellerloch, und man sieht hinab in ein schwarzes
Verließ. Und überall ist der Weg mit Lumpen, Unrat,
mit krepierten Hunden bedeckt, über deren Leichen die
Fliegen herfallen.
Ich weiß, daß es Moscheen, daß es sogar berühmte
85
Moscheen hier gibt, aber man kann wirklich sagen, daß
sie vor uns fliehen, daß ihre Umgebung verzaubert ist
Zuweilen, wenn ich aufsehe, entdecke ich durch ein
Loch in der Straßenmauer ganz in der Nähe eine grün-
blaue Kuppel, die sich in den reinen Himmel erhebt, und
die in der Sonne glänzt. Dann stürze ich in einen dunk-
len Gang, er scheint dorthin zu führen: Den Gang
schließt eine Mauer ab, oder er endet in einem großen
eingestürzten Erdhaufen. Ich kehre um, ich suche einen
anderen : er führt mich in falsche Richtung, ich verirre
mich. Nicht einmal die kleine Lücke, die ins Freie führt,
und von wo aus mir die Emaillekuppel entgegenleuch-
tete, kann ich wiederfinden; ich weiß nicht mehr, wo
ich bin . . . Diese Moscheen werden keinen Zugang
haben, denn sie liegen ganz eingeschachtelt zwischen
alten Lehmhäusern, zwischen Maulwurfshügeln you
Menschenhand erbaut; wahrscheinlich kann man sie nur
auf versteckten Umwegen erreichen, die keinem ande-
ren als dem Eingeborenen bekannt sind. Und dies er-
innert an einen bösen Traum, man will ein Ziel er-
reichen, aber in dem Maße, wie man sich ihm nähert,
werden die Schwierigkeiten größer, die Gänge enger.
Wir sind schließlich des Suchens müde und kehren
wie gestern um die Abendstunde nach dem kleinen Cafe
zurück, das wir wahrscheinlich zu unserem Standquar-
tier erheben werden. Dort atmet oder fühlt man wenig-
stens einen freien Raum vor sich, und dort liegt auch
— zwar ein wenig im Hintergrunde — eine rosenrote
Moschee, die schon sehenswert ist. Die Leute kennen
uns. In aller Eile stellen sie für uns Sessel unter den
Platanen hin, bringen Kalyans und Tee herbei. Hirten
wollen uns Felle von Panthern verkaufen, die zu un-
86
gezählten Mengen in den nahen Bergen hausen. Aber
der Andrang ist heute schon weniger groß als gestern :
morgen oder übermorgen werden wir niemanden mehr
in Erstaunen setzen.
Die eine Seite des Platzes wird von den Wällen Chi-
raz' eingeschlossen; wie alles in Persien sind auch sie
elegant und baufällig: die hohen, geraden Mauern tragen
große runde Türme und sind mit einer endlosen Reihe
gewölbter Spitzbogen verziert. Das Baumaterial — graue
Terrakotta mit gelbgrüner Glasur — gibt dem Ganzen
einen assyrischen Anstrich. Diese Wälle erstrecken sich
in einer Ausdehnung von ungefähr zweihundert Metern
und laufen dann in einem Trümmerhaufen von Steinen
aus, die wahrscheinlich niemals wieder aufgebaut
werden.
Jetzt, wo der Tag sich neigt, herrscht in diesem klei-
nen Cafe* ein beständiges Kommen und Gehen. Leute
aus allen Standen, die vom Lande zurückkehren, treten
hier ein, vornehme Reiter auf mutigen Pferden, kleine
Bürger auf fransenbehangenen Maultieren, oder noch
bescheideneren Eseln. Und die langsamen Kamele ziehen
vorüber. Sie kommen von Yezd, von Kerman, aus der
östlichen Wüste. Überall werden die Kalyans angezün-
det, und unsere Nachbarn, die wie wir unter ein und
derselben Platane träumen, fangen ein freundliches Ge-
spräch an. Einer von ihnen bietet mir, nachdem ich ihm
von meinem heutigen Ausflug nach den Moscheen er-
zählt habe, für morgen abend seine Begleitung dorthin
an; er will mich über die Dächer der Stadt führen, ein
Spaziergang, der scheinbar sehr besucht wird, weil er
der einzige ist, von wo aus man einen allgemeinen Aus-
blick hat.
87
Friedlich schwindet der Tag, und langsam trägt die
Dämmerung ihre Traurigkeit zu diesem hochgelegenen,
einsamen Lande hinauf. Die Farben verlöschen auf der
Glasurbekleidung der schönen Moschee: die Fayencen,
mit denen sie bedeckt ist, zeigen Wolken von Rosen,
Rosenzweige, Rosensträucher, Sträucher, durch die ver-
einzelte, langstielige Iris emporwachsen; aber dies alles
liegt jetzt in einem violetten Dunkel, und nur noch die
Kuppel erstrahlt weithin. In der fast gar zu durch-
sichtigen Luft kreisen die Segler und stoßen, ganz wie
bei uns an Frühlingsabenden gellende Schreie aus.
Kaum aber ist die Sonne untergegangen, so macht sich
infolge der großen Höhe eine empfindliche Kälte fühl-
bar.
Durch kleine schon dunkle Gäßchen kehren wir über
Schmutz und Unrat nach Hause zurück.
Und dort herrscht, nachdem die Pforte verriegelt ist,
die Abgeschlossenheit, die Einsamkeit, das Schweigen
eines Klosters. Und die Käuze beginnen ihr Lied.
Freitag, 27. April.
Bim bam, bim bam, kling, ling, ling . . . Der Einzug
der Karawanen! . . . Das Glockenspiel, hier die ständige
Musik um Sonnenaufgang, weckt mich diesmal kaum,
und morgen werde ich es wahrscheinlich wie alle andc •
ren Laute überhaupt nicht mehr hören.
Heute ist ein Freitag, das heißt der Sonntag des
Muselmanns, so kann ich also keine Reise Vorbereitungen
treffen, alles ist geschlossen.
Ein zufälliges Ereignis des heutigen Morgens wird
von Wichtigkeit für unser puritanisches Leben: mein
88
Diener erzählt mir. daß auf dem ISachbardach. einem
terrassenförmigen Dach, auf dem wir bis jetzt nur
einige nachdenkliche Katzen sahen, zwei Paar grün-
seidene Strümpfe und ein Paar Damenpluderhosen zum
Trocknen aufgehängt sind; vor Hereinbruch der Nacht
wird wahrscheinlich jemand hinaufsteigen, um sie zu
holen, und wenn wir auf der Lauer liegen, haben wir
dann vielleicht Gelegenheit, eine der geheimnisvollen
Nachbarinnen zu sehen.
Um die Sitte der guten Bürger von Ghiraz zu beob-
achten, laßt uns diesen Freitagmorgen dazu benutzen,
einen Ausflug aufs Land zu machen (man verläßt die
Stadt durch die großen, spitzbogigen Tore, oder, wenn
man es vorzieht, durch die zahlreichen Öffnungen in
den Wällen, wo der ständige Durchzug der Karawanen
wirkliche Pfade getreten hat). Und dann liegt die Ebene
vor uns, die weite Ebene, die überall von wild zerklüf-
teten Bergen umgeben, die von allen Seiten so hoch
eingeschlossen ist, als wäre sie nur der unendlich große
Garten eines eifersüchtigen Persers. Das Grün des
Grases und des Getreides, das frische Grün der Pappel-
wände unterbricht zuweilen das ewige Grau der Land-
schaft; aber man kann trotzdem sagen, daß dieses sehr
weiche, oft rosa schattierte Grau alles in Chiraz be-
herrscht, den Boden der Felder, die Erde oder die Stein-
mauern. Über den hohen, fast verfallenen Wällen, von
denen wir uns allmählich entfernen, erheben sich in
gewissen Abständen ganz kleine, spindelförmige, blau
und grün glasierte Obelisken. Und je weiter wir reiten,
um so deutlicher tauchen die großen Kuppeln der Mo-
scheen aus der grauen Stadt auf. Auch sie zeigen die-
selbe Farbe, die ewig gleiche blaugrüne Glasur. Unter
89
dem bleichen, reinen Himmel ziehen sich gleich Katzen-
schwänzen weiße Wolken von der Durchsichtigkeit ganz
leichter Gewebe dahin. In diesem hochgelegenen Lande
sind die Farben aller Gegenstände zuweilen so zart,
daß uns jede Bezeichnung für sie fehlt, und dem Licht,
der Ruhe dieses Morgens haftet etwas unaussprechlich
Weiches, Paradiesisches an. Trotzdem ist dies alles
traurig, — und zwar tragen hieran schuld: die Abge-
schiedenheit von aller Welt, die alles einschließende
Kette der Berge, das Geheimnis der langen Mauern, der
ewige schwarze Schleier, die ewige Maske vor dem
Antlitz der Frau.
Da heute, wie gesagt, mohammedanischer Sonntag
ist, ergehen sich alle Frauen von Chiraz, gleich schwarz-
gekleideten Gespenstern, in der hellen Ebene, schon vom
frühen Morgen an richten sie ihre Schritte nach den
großen, eingeschlossenen Gärten, nach dem Paradiese,
das uns nicht zugänglich ist, und dort entfernen sie
ihren Schleier und ihre Maske, um in Freiheit in den
Orangen-, Zypressen- und Rosenalleen lustwandeln zu
können, wir aber werden sie nicht sehen. Auf dem Wege,
dem wir folgen, ertönt das Glockenspiel von tausend
kleinen Glöckchen, eine verspätete Maultier-Karawane
zieht zu ungewohnter Stunde zur Stadt hinein. Und in
der Ferne sieht man die Straße, die gen Ispahan führt,
sieht man wie immer den Zug der Esel und der Kamele,
den Zug, der dies Land mit dem Persien des Nordens
verbindet
Die Frauen, die hier dem Rosenpflücken entgegen-
eilen, sind von verschiedenem Rang; aber alle tragen
sie den schwarzen Schleier, alle sind sie in Trauer-
gewänder gehüllt Nur granz in der Nähe, wenn man
90
die Hand, den Pantoffel, die mehr oder weniger feinen,
die mehr oder weniger stramm sitzenden Strümpfe be-
obachtet, entdeckt man den Unterschied. Zuweilen
reitet eine der vornehmen Damen, in grünseidenen
Strümpfen, ganz mit Ringen übersät, auf einem weißen
Maultier oder einer weißen Eselin, die ein Diener am
Zügel führt Das Tier trägt eine goldgefranste Decke.
Die Kinder dieser unsichtbaren Schönen folgen ihr zu
Fuß; die kleinen Knaben, sogar die allerkleinsten, sehen
sehr wichtig aus mit ihren hohen Astrachanhüten und
ihren gar zu langen Kleidern ; die kleinen Mädchen sind
fast alle entzückend, besonders die zwölfjährigen, sie
verhüllen noch nicht ihr Gesicht, tragen aber schon
einen schwarzen Schleier, unter dem sie sich sofort in
drolliger Verwirrung verbergen, sobald man sie ansieht.
Das ganze schöne Geschlecht verschwindet durch die
bogenförmigen Pforten hinter den Mauern der Gärten,
wo sie alle den übrigen Teil des Tages verbringen
werden.
Bald sind wir allein mit den einfachen Leuten in
einer Ebene, deren graue Töne durch Rosa und zartes
Grün belebt werden; über uns wölbt sich ein wunder-
barer Himmel. Aber man sieht nichts mehr; wir kehren
deshalb in die alte Stadt mit ihren Lehmwällen und
ihren Glasurbekleidungen durch irgendeine Öffnung in
der Mauer zurück. Sobald wir das überdachte Laby-
rinth erreicht haben, ist es dunkel und schwül. Das
Labyrinth ist fast menschenleer. Die Traurigkeit eines
Sonntags liegt über Chiraz, eine Traurigkeit, die hier
noch weit empfindlicher ist, als in den westlichen
Städten. Besonders dunkel ist der große Basar, wie er
in dem Schatten seiner steinernen Gewölbe daliegt; in
91
den langen Alleen begegnet man keiner lebenden Seele,
alle Läden sind mit alten Holzjalousien verrammelt, mit.
dicken, uralten Riegeln verschlossen, hier herrscht das
Schweigen, der Schrecken der Katakomben; der Druck,
der über Chiraz liegt, wird an einem solchen Tage zur
.Angst, und wir empfinden die größte Lust, koste es,
was es wolle, davonzulaufen und von neuem das Wan-
derleben unter freiem Himmel, in einem großen Raum,
aufzunehmen . . .
Was soll man heute beginnen? Nach dem Mittags-
schläfchen wollen wir bei dem guten Hadji-Abbas eine
Kalyan rauchen und einen gefrorenen Sorbet trinken, er
hat uns versprochen, uns einen dieser Tage zu den Grä-
bern des Dichters Saadi und des edlen Hafiz zu führen.
Und dann geht's zu den van L...s, ich empfinde
fast etwas wie Freude, heute nachmittag Leute, die mir
verwandt sind, um einen Fünf -Uhr-Tee tisch versam-
melt, wiederzufinden. Sie erzählen mir diesmal, daß es
noch weitere drei Europäer in Chiraz, dort unten in den
Gärten der Vorstadt gibt: einen englischen Missionar
mit seiner Frau, einen jungen englischen Arzt, der ein-
sam lebe und den Armen hilft. — Und dann teilt Madame
van L. mir ihren Traum mit, sich ein Klavier kommen
zu lassen, man hat ihr ein zerlegbares Klavier ver-
sprochen, das stückweise auf Karawanenmaultiere ge-
laden werden könnte! . .. Ein Klavier in Chiraz, welch
ein Unsinn ! Nein, ich kann mir das Klavier, und sei es
auch zerlegbar, nicht zu nächtlicher Stunde die zerklüf-
teten Felstreppen Irans hinanreitend, vorstellen.
In der Wohnung, wo wir uns zur Stunde des Mogh-
reb verbarrikadieren, stehen uns im Laufe des Abends
zwei Ereignisse bevor. Die Ausrufer, oberhalb der
93
Stadt, haben kaum ihr Abendgebet gesungen, als auch
schon der Diener ganz aufgeregt in mein Zimmer stürzt:
„Die Dame, die die grünen Strümpfe trocknet, ist auf
dem Dachl" Und ich folge ihm eilend. .. In der Tat,
die Dame steht da, aber ihr Rücken ist in ganz gewöhn-
lichen Kattun gehüllt und ihr Kopf mit einem Tuch be-
deckt, dieser Anblick ist schon enttäuschend für uns . . .
Sie wendet sich um und sieht uns spöttisch an, als wolle
sie sagen: „Meine Nachbarn, geniert euch doch nicht l"
Sie ist in den Siebzigern und zahnlos; wahrscheinlich
irgendeine alte Dienerin . . . Waren wir so naiv, zu
glauben, daß eine Schöne auf das Dach steigen und sich
der Gefahr, gesehen zu werden, aussetzen würde!
Zwei Stunden später; es ist ganz dunkel, und auf all
den alten Mauern in der Umgegend stimmen die Käuze
ihr Lied an. Die Kerzen brennen ; durch die geöffneten
Fenster sieht man hinaus in das durchsichtige Dunkel,
ich nehme in Gesellschaft meines Dieners, an dessen
Nähe ich mich in den Karawansereien gewöhnt habe,
und der mein ständiger Begleiter geworden ist, eine ein-
fache Abendmahlzeit ein. Ein kleiner Sperling dringt
plötzlich mit unruhigem Flügelschlag zu uns herein
und fällt auf einen Strauß Monatsrosen, — jenen
Rosen, die in Chiraz so allgemein sind, und die jetzt un-
seren bescheidenen Tisch schmücken. An einer unsicht-
baren Wunde muß er leiden, denn sein ganzer kleiner
Körper zittert. Da wir ihm nicht helfen können, bleiben
wir unbeweglich sitzen, um ihn wenigstens nicht zu er-
erschrecken. Und einen Augenblick später stirbt er auf
demselben Platz vor unseren Augen, es ist vorbei, sein
Kopf fällt in die Rosen zurück. Irgendein giftiges Tier
wird ihn gestochen haben, folgert mein braver Tisch-
93
genösse. Möglich, oder es mag auch eine Katze gewesen
sein, die auf ihrem nächtlichen Streifzug diesen Mord
begangen hat. Aber ich weiß nicht, warum dieser ganz
schwache Todeskampf auf diesen Blumen so traurig
zu beobachten war, und meine beiden Perser, die uns
bedienten, sahen hierin eine üble Vorbedeutung.
Sonnabend, 28. April.
Der Vezir von Chiraz kehrt noch immer nicht zu-
rück, und so verzögert sich meine Abreise beständig,
denn ich muß ihn sprechen, damit er mir für die Reise
eine Begleitung, damit er mir Soldaten stellt.
Indessen gelingt es mir, dank M. van L.s Beistand,
mit einem Pferdevermieter zu verhandeln, um die Reise
fortsetzen zu können. Ein langer, mühsamer Kontrakt,
der schließlich nach Verlauf einer Stunde unterschrie-
ben und versiegelt wird. Nächsten Dienstag soll der
Aufbruch stattfinden, und in zwölf bis dreizehn Tagen,
inch' Allah I werden wir Ispahan erreichen. Aber ich
habe zuviele Leute, zuviel Gepäck für die Anzahl von
Tieren, die man mir liefern soll, und die ich scheinbar
unmöglich werde vergrößern können. So sehe ich mich
also gezwungen, einen meiner persischen Diener zu ver-
abschieden. Und ich schicke ungezählte, in Bouchir
erstandene Sachen zum Verkauf nach dem Basar: Ge-
schirr, Feldbetten usw. Man muß sich eben, so gut es
geht, beim Essen und Schlafen behelfen; die Haupt-
sache ist, daß endlich einmal Schluß gemacht wird.
Für heute hatte ich ein Rendezvous mit dem liebens-
würdigen Chirazianer verabredet, der so freundlich ge-
wesen war, mir einen Spaziergang auf den Dächern
94
nach den Moscheen vorzuschlagen. Nachdem wir eine
endlose Zeit durch den schmalen Irrgang hindurch-
gekrochen waren, erreichten wir über die Treppen eines
verfallenen Hauses den Teil der Stadt, wo hunderte aus
Lehm erbaute Dächer in Verbindung miteinander stehen,
wo sie eine große, traurige Promenade bilden, die von
hellem Licht überflutet ist, und deren Erde riesengroße
Maultiere aufgeworfen haben. Das Gras ist gelb, stellen-
weise verbrannt, und noch weit mehr mit Unrat, Abfall
und Schmutz bedeckt, als es der Boden in den Straßen
war. In diesem Augenblick brennt die Sonne auf uns
herab, und deshalb unterscheidet man nur mit Mühe im
Hintergrunde der seltsam kleinen Wüste zwei oder drei
auf Raub ausgehende Katzen, zwei oder drei träumende,
vielleicht sinnende Perser in langen Kleidern. Aber alle
Kuppeln der Moscheen sehen wir hier: mit kostbarer
blau und grüner Glasur sind sie überzogen und gleichen
so Edelsteinen, die aus einem trockenen Lehmhaufen
— der Stadt Chiraz — hervorleuchten. Stellenweise
entdeckt man auch viereckige Vertiefungen, und daraus
empor ragen die Orangenbäume und die Platanen, es
sind die eingeschlossenen Höfe, die kleinen Gärten der
reichen Häuser.
Dieser Platz muß, so verlassen wie er am Tage auch
daliegt, in den stillen Dämmerstunden und spät abends
sehr besucht sein, denn zahlreiche Fußstapfen zeichnen
sich auf dem Boden ab, und geebnete Wege führen
nach allen Richtungen hin. Die Einwohner Chiraz' lust-
wandeln über den Häusern, über den Straßen, über der
Stadt, sie benutzen ihre Dächer als Ablagerungsort, und
alles findet man hier — sogar ein totes, schon von den
Raben zerhacktes Pferd. Unterhalb dieser Erdkruste,
uö
die dem Rückenpanzer einer Schildkröte gleicht, also
unterhalb unserer Füße, entfaltet sich die ganze Tätig-
keit von Chiraz; das Leben spielt sich hier unter der
Erde ab, ein wenig stickig zwar, aber schattig und kühl,
und sehr geschützt gegen die Regengüsse, während man
hier oben, ganz wie in den westlichen Städten, allen
Launen des Himmels ausgesetzt ist.
Die Monumente aus alter Fayence, dort unten suchte
man sie vergebens — große, abgerundete und eiförmig
gebauchte Kuppeln, viereckige Türme, oder kleine Obe-
lisken in der Gestalt von Torso-Säulen und -Spindeln —
springen hier, fern und nah, leicht und ins Auge fallend
aus dieser künstlichen Wiese hervor. Eine Wiese, die
übrigens schmutzig und schäbig anzuschauen ist, und
aus deren Innern man das Gesumme eines mensch-
lichen Rienenschwarms vernimmt; von dort unten aus
den überdachten Straßen, aus den Tunnels, die sich in
dem ungeheuer großen Maulwurfshügel kreuzen, dringt
das Stampfen der Pferde, das Glockenspiel der Kara-
wane, die feilbietenden Rufe der Kaufleute, das Stim-
mengewirr zu uns herauf. Die miteinander in Verbin-
dung stehenden Dächer sind oft von ungleicher Höhe,
und so gibt es hier Hügel und Täler, gefährliche Schlit-
terbahnen, auch Löcher, Spalten, oft stößt man in
diesem verfallenen Viertel auf große Vertiefungen; aber
die langen, geraden Alleen der Rasare bilden bequeme
Wege, wo eine jede Öffnung, durch die die Leute dort
unter atmen, uns im Vorübergehen einen unerwarteten
Lärm entgegenschickt.
Um uns einer großen, ganz blauen, der ältesten und
ehrwürdigsten Moschee nähern zu können, müssen wir
über den Kupferbasar schreiten, und dort hören wir ein
96
Spazierritt vornehmer Perserinnen
seltsames Geräusch, das aus dem Innern der Erde zu
dringen scheint: den Lärm lausender von Hämmern.
Von Zeit zu Zeit sielht man in irgendeinen Hof hinab,
aber es wäre unhöflich, lange stehenzubleiben; seine
Lehmwände sind verfallen und mit alten, selten gefärb-
ten Fayencen bekleidet, und wie überall, so stehen auch
hier Orangenbäume, blühende Rosenbüsche. Die Sonne
Persiens strahlt fast ein wenig zu sehr auf die mit
Trümmern bedeckten Dächer herab, wo das Gras so
verbrannt ist, wie bei uns im Herbst, und wirklich, man
beneidet die Menge, die dort unten im Schatten kreist.
In der Nähe gesehen, ist die schöne, heilige Moschee,
vor der wir jetzt stehen, nur noch eine Ruine; unter
einem Traum von Emaillereichtum verfällt, verschwin-
det sie — und niemals wird sie ausgebessert werden.
In das verschiedene Blau ihrer Fayencebekleidung
mischt sich ein wenig Gelb, ein wenig Grün, gerade
genug, um in der Ferne zu der Farbe des alten Türkise-
blau zu verschmelzen. Einige Iriszweige, einige Rosen-
zweige springen auch hier und da aus dem Ganzen her-
vor; die Meister der Glasierkunst haben sie wie zufällig
hingeworfen über die langen religiösen Inschriften, die
in weißen Lettern auf kaiserblauem Grunde die Tore
einrahmen und an den Friesen entlanglaufen. Aber wie
kann man in diese Moschee eindringen? Von uns aus
gesehen, verschwinden die ganz niedrigen Portale unter
Erd- und Trümmerhaufen. Die hundertjährigen Häuser
der Umgegend, die fast vollständig verfallen sind, be-
graben sie unter ihrem Schutt.
Auf meinem Naohhausewege komme ich an dem
kleinen jüdischen Basar meines Viertels vorüber, alle
Läden sind geschlossen, die Kaufleute sitzen vor der
7 Perilen. 97
Tür und halten irgendein mosaisches Buch in der Hand:
Heute ist Sabbath; ich hatte es vergessen. Hier erkennt
man alle Leute Israels an der üblichen Tonsur, die sich
hinten vom Nacken bis zum Wirbel des Kopfes hin er-
streckt. ,
Sonntag, 29. April.
Der frühe Morgen schon sieht mich mit Hadji-Abbas
auf dem Lande, wir wollen noch vor der großen Mit-
tagshitze das Grab des Dichters Saadi und das Grab des
Dichters Hafiz besuchen.
Zuerst folgen wir der Landstraße nach Ispahan, auf
der ich zweifellos in zwei oder drei Tagen dahinwan-
dern werde, um nie wieder zurückzukehren ; sie ist groß
und breit und läuft zwischen Moscheen, zwischen fried-
lichen, von Zypressen beschatteten Kirchhöfen, zwi-
schen Orangengärten dahin, deren lange Lehmmauern
mit ungezählten Spitzbogen verziert sind; viele Bäche
und Gräben durchschneiden sie, aber diese wirken nicht
störend, denn hier fahren keine Fuhrwerke. Die Vögel
verkünden den Frühling, und wie immer ist die Land-
schaft unter diesem merkwürdig klaren Himmel wun-
derbar schön. Am Fuße der großen Berge, die von allen
Seiten die Aussicht versperren, sieht man auf den
nächstgelegenen Hügeln ein leichtes, grünes Gewebe
sich ausbreiten; es sind die Weinberge, denen wir den
berühmten Wein von Chiraz verdanken, — und man
sagt auch, daß die Iraner im Verborgenen gegen das
Gesetz des Korans diesem Wein zusprechen. Die Land-
straße des Nordens ist weit mehr besucht als der Weg
nach ßouchir, den wir benutzten: so sehen wir auch
98
shier in den Feldern Hunderte von angepflöckten Kame-
len, die, umgeben von ungezählten Warenballen, stehen
oder Jtnien. Sie ersetzen in dem Lande des glücklichen
Stillstandes die Eisenwerke und Kohlenhaufen unserer
großen Vorstädte.
Schließlich steigen wir auf Querpfaden zu dem
Friedhof an, wo seit bald sechshundert Jahren der an-
mutige Dichter Persiens ruht. Das Geschick dieses Hafiz
ist bekannt, bescheiden begann er im vierzehnten Jahr-
hundert in irgendeiner Lehmruine Chiraz' Brot zu kne-
ten, aber er sang mit den Vögeln um die Wette, bald
wurde er berühmt, wurde der Freund der Vezire und
Prinzen, entzückte sogar den wilden Tamerlan. Die Zeit
hat keine Asche auf ihn gestreut; noch heutigen Tages
sind seine Sonette ebenso bekannt wie die des Saadi,
entzücken in gleichem Maße die Gelehrten Irans, wie
die unbekannten Tcharvadare, die sich an ihnen er-
freuen, wenn sie ihre Karawanen führen.
Der Dichter schläft unter einem Achatgewölbe, um-
geben von dem herrlichsten Gehege, wo blühende Oran-
genalleen, Rosenbeete und kühle Springbrunnen stehen.
Und dieser Garten wuchs im Laufe der Jahrhunderte zu
einem vollendet schönen Friedhof an; denn allen vor-
nehmen Bewunderern des Dichters wurde einem nach
dem andern auf ihre Bitten gestattet, neben ihm zu
scthlafen. Überall ragen jetzt ihre weißen Gräber zwi-
schen den Blumen hervor. Die Nachtigallen wohnen
hier zu Tausenden, allabendlich werden sie ihre kleinen
kristallhellen Stimmen zu Ehren der glücklichen Toten
erheben, die, aus verschiedenen Zeitaltern stammend,
in gemeinsamer Bewunderung des harmonischen Hafiz
in seiner Nähe schlafen.
99
In diesem Garten liegen auch kleine von Kuppeln
überdachte Lusthäuser, in denen man beten oder träu-
men kann. Die Wände sind ganz mit Glasur bekleidet,
sie schimmern in den "verschiedensten blauen Tönen,
vom dunklen Indigo bis zum blassen Türkis, sie sind
alle mit denselben Zeichnungen geschmückt, wie man
sie von den alten Stickereien kennt. Kostbare Teppiche
liegen auf der Erde, und die Decke, die in tausend Fa-
zetten, tausend kleine geometrische Flächen zerlegt ist,
gleicht dem Werk vieler fleißiger Bienen. Zahllose
Vasen stehen hier, immer sind sie mit großen Sträußen
gefüllt, und heute morgen sind fromme Menschen da-
mit beschäftigt, diese zu erneuern: Rosen, Löwenzahn,
Lilien, alles Blumen, wie sie in unseren Ländern auch
schon unsere Väter kannten, aber die Rosen herrschen
vor, riesenhaft große Rosensträuße.
Und schließlich gelangen wir an dem Punkt an, wo
man die schönste Aussicht auf Ghiraz hat, „die Königin
von Iran" ist ein großer nach allen Seiten hin geöffneter
Saal, er wurde in alten Zeiten erbaut, um den beschau-
lichen Besuchern als Schutz gegen die Sonne zu dienen,
eigentlich besteht er nur aus einem flachen, sehr bunt
gestrichenen Dach, das von vier persichen Säulen ge-
tragen, in einer beträchtlichen Höhe liegt, diese Säulen
sind ungewöhnlich schlank, ungewöhnlich hoch, und
ihr Kapital gleicht auch der fleißigen Arbeit der Bienen
oder der Wespen. Auf den Gebetsteppichen sitzen zwei
oder drei Greise. Wie sie dort am Fuße der seltsamen
Säulen lehnen, ähneln sie Vignetten aus alten Zeiten;
ihre Astrachanhüte sind so hoch wie Bischofsmützen,
sie rauchen ihre Kalyan, und der ziselierte Wasserbehäl-
ter steht auf einem metallenen Dreifuß. Vor ihnen liegt
ioo
glänzend in der Morgensonne das nimmer wechselnde
Land, das Land, das Hafiz besungen hat. Zwischen den
dunklen Stammen der nahen Zypressen, hinter den Fel-
dern von weißem Mohn, den Feldern von lila Mohn,
deren Tinten sich zu einer weichen Marmorierung ver-
schmelzen, weit hinten in der klaren Ferne grüßt uns
die Stadt des trockenen S taubes; wir sehen ihre zarten
grau und rosa Töne, sehen die Fayence-Moscheen in
der Sonne leuchten, sehen die turbanähnlich auf-
gebauchten Kuppeln mit ihrem unvergleichbaren, viel-
farbigen Blau. Alles dies ist wunderbar orientalisch, die
Gärten, die glasierten Lusthäuser, die Säulen des Vor-
dergrundes, die Greise, deren Silhouetten den Magiern
gleichen, und dort in der Ferne hinter den schwarzen
Zypressen, diese Stadt, von deren Art es auch keine
zweite mehr gibt. Man befindet sich gleichsam in dem
Rahmen eines alten persischen Miniaturbildes, das bis
ins Unermeßliche gestiegen und fast zur Wahrheit ge-
worden ist. — Die Orangenbäume, die Rosen strahlen
einen süßen Duft aus, der Stunde haftet etwas Ab-
geschlossenes, etwas Unbewegliches an, die Zeit scheint
nicht mehr zu fliehen . . . Ach, welch ein Gefühl an
einem solchen Morgen hierhergekommen zu sein, dies
alles gesehen zu haben! . . . Man vergißt die vielen Lei-
den, die man während der Reise zu erdulden hatte, ver-
gißt die nächtlichen Aufstiege, vergißt den Staub und
das Ungeziefer, man fühlt sich für alle Strapazen reich-
lich belohnt. Über diesem Chiraz liegt wirklich ein Zau-
ber, etwas Geheimnisvolles, das wir nicht in Worte zu
kleiden vermögen, das zwischen unserem westlichen
Phrasenreichtum hindurchschlüpft. Ich verstehe in die-
sem Augenblick die Begeisterung der persischen Dich-
lor
ter, die Überschwenglichkeit ihrer Bilder, die allein
die geschauten Wunder auszudrücken vermochten, weil
sie genügend Verschwommenheit, genügend Farbe be-
saßen.
Weiterhin liegt das Grab des Saadi, der nach unserer
Zeitrechnung ungefähr i ig4 zu Chiraz geboren wurde,
also zwei Jahrhunderte vor Hafiz. Er kämpfte in Palä-
stina gegen die Kreuzfahrer. Weit einfacher, mit größe-
rer Natürlichkeit, mit weniger Übertreibung als sein
Nachfolger, wird bei uns im Westen mehr gelesen als
jener. Ich erinnere mich noch meines Entzückens, als
ich in frühester Jugend irgendeine übersetzte Stelle aus
seinem „Land der Rosen" las. Hier sagen sogar die
kleinen Kinder noch seine Gedichte auf. — Alle Dichter
können dies Land beneiden, dies Persien, wo weder
Formen, noch Gedanken, noch die Sprache sich ändert,
wo nichts in Vergessenheit gerät! Wer entsinnt sich
bei uns, mit Ausnahme der Gelehrten, noch unserer
Minnesänger, der Zeitgenossen des Saadi; wer entsinnt
sich nur noch des einen, des wunderbaren Ronsard?
Trotzdem hat der Scheik Saadi nur ein einfaches
Grab; er liegt nicht wie Hafiz unter einem Achat-
gewölbe, sondern nur unter einem weißen Stein in einem
bescheidenen Leichenhäuschen, und obgleich diese
Stätte erst vor einem Jahrhundert ausgebessert wurde,
erzählt sie doch schon jetzt von Verfall und Verlassen-
heit. Aber in dem das Grab einschließenden Hain wach-
sen so viele Rosen, stehen so viele Rosensträucher! Und
neben den echten Rosen, die man dem Dichter pflanzte,
sprießen auch wilde Rosen aus der Erde hervor, sie
bilden eine lange Hecke und führen in der Richtung
des einsamen Weges ganz bis zu ihm. Und die Bäume
102
seines kleinen Waldes sind voll von Nestern der Nach-
tigallen.
Aus dem reinen Licht und dem großen Frieden des
Landes in die Stadt zurückgekehrt, legt sich die Dunkel-
heit und der unterirdische Lärm schwer auf uns, der
Geruch von Schimmel, Unrat, von toten Mäusen folgt
gar zu unmittelbar auf den Duft der Gärten, und da die
Augen noch durch die Sonne verwöhnt sind, fällt es im
ersten Augenblick schwer, den Pferden und Maultieren
auszuweichen.
Wir erreichen den Basar der Sattler, der der präch-
tigste der ganzen Stadt ist, und der einem unendlich
langen Kirchenschiff gleicht. — Er wurde um die Mitte
des 18. Jahrhunderts zur letzten Glanzzeit Chiraz' von
dem Regenten Persiens, Kerim-Khan erbaut. Damals
war Chiraz sogar Hauptstadt, und ihr Herrscher brachte
ehemaligen Pomp und Wohlfahrt in das Innere der
alten Mauern. — Der Basar bildet eine lange Allee, die
aus schiefergrauen Steinen besteht, sie ist sehr hoch
gewölbt und zeigt eine endlos lange Reihe kleiner Kup-
peln; ein wenig Licht dringt durch die durchlöcherten
Spitzbogen, zuweilen fällt auch ein Sonnenstrahl, gleich
einem goldenen Pfeil, auf einen seidenen, seltenen Tep-
pich, auf einen kostbar gestickten Sattel, oder auf eine
Gruppe von Frauen — immer dieselben schwarzen
Schatten mit der kleinen weißen Maske — , die mit
leiser Stimme Rosensträuße feilbieten.
Nachmittags wird mir als besondere Gunst gestattet,
in den Hof der Moschee Kerim-Khans einzudringen.
Von Tag zu Tag sehe ich das Mißtrauen um mich her
fallen, und so liebenswürdig und gutmütig erscheinen
mir die Leute, daß, bliebe ich noch länger hier, mir
ioo
sicher erlaubt würde, auch die allerverbotensten Plätze
aufzusuchen.
Von einem Ende Chiraz' bis zum anderen ist die
Auffassung der Portale aller Moscheen und Schulen
immer dieselbe, stets ein gewaltiger Spitzbogen, den
eine Mauerquader in seiner ganzen Höhe durchbricht,
kein Gesims, kein Fries stört die einfachen strengen
Linien, aber die gleichmäßige Oberfläche ist von oben
bis unten mit einer wunderbaren bunten Glasur geklei-
det, ist gemustert wie ein kostbarer Brokatstoff.
Das große Portal des Kerim-Khan zeigt denselben
Stil. Es scheint über ein hohes Alter zu klagen, und
doch zählt es noch kaum zwei Jahrhunderte, seine Gla-
surbekleidung, deren Glanz sich fast ganz erhalten hat,
fällt stellenweise ab, und macht den wilden Blümchen
und dem grünen Gras Platz. Einige Chirazianer wollen
es verantworten, mich vor die ehrwürdige Schwelle zu
führen, aber sie zittern ein wenig, als ich sie über-
schreite. Ihr Zögern und das Schweigen der Moschee zu
der verlassenen Stunde, die sie gewählt haben, lassen
diesen glänzenden, ruhigen Ort, diesen heiligen Hof
noch reizvoller erscheinen . . .
Die architektonischen Linien sind von seltener Er-
habenheit und absoluter Ruhe, aber überall herrscht
eine wahnsinnige Verschwendung in blauer und roter
Glasur, kein Teilchen der Mauer, das nicht glasiert
wäre; man befindet sich in einem melancholischen aus
Lapislazuli und Türkisen erbauten Palast, nur zuwei-
len belebt eine Füllung von blühenden Rosen die trau-
rige Umgebung. Der ungeheure Hof liegt fast ganz
verlassen da, an seine geraden, glatten Wände lehnen
sich vollendet schön geformte Spitzbogen, — sie bilden
Gewölbe, Kreuzgänge, in deren Schallen die reiche Gla-
sur leuchtet und strahlt; und dort im Hintergrunde, uns
Eintretenden gerade gegenüber, erhebt sich ein groß-
artiger Quaderbau, der alles andere überragt und in
dessen Mitte ein einzelner, gewaltiger Spitzbogen ein-
gehauen ist: die Tür des Heiligtums, in das man mich
nicht hineinzuführen wagt.
Zwei oder drei Greise, die sich in einer der Nischen
zum Gebet niedergeworfen hatten, erheben den Kopf
und sehen den Eindringling prüfend an, aber da sie
mich in guter muselmännischer Begleitung finden,
kehren sie alsbald, ohne ein Wort zu sagen, zu ihrem
Gebet zurück. Bettier sitzen in der Sonne, sie nähern
sich uns bei unserem Eintritt, um sich unter Segens-
wünschen wieder zurückzuziehen, nachdem ich ihnen,
wie man mir geheißen hat, große Almosen in die Hand
drückte. Alles geht gut, und wir können uns auf den
alten gerissenen, zerspaltenen Fliesen, zwischen denen
das Gras wächst, weiter vorwagen, können bis zu dem
Abwaschungsbecken mitten im Hofe vordringen. Die
tausend verschiedenen komplizierten und trotzdem so
harmonischen, beruhigenden Muster, die die Perser
schon seit Jahrhunderten für ihren Sammet, ihre Seide
und Wolle entwerfen, sind auch hier unter der unver-
wüstlichen Glasur der Fayencen überall zu sehen; sie
decken die Mauern von oben bis unten. Von einer wun-
derbaren Farbenstimmung, von einer naiven Anmut ist
aber jede einzelne der großen Blumenfüllungen, die
stellenweise die Eintönigkeit der Arabesken verdrängen.
Man könnte fast sagen, daß alle Mauern der großen
Umzäumung mit den verschiedenartigsten persischen
Teppichen behangen sind. Und die Erdbeben, von denen
ioj
die alte Moschee heimgesucht wurde, haben tiefe Spal-
ten hinterlassen, die den Rissen in den kostbaren Ge-
weben ähnlich sehen.
Nachdem die betenden Greise wieder in das Land
ihrer Träume untergetaucht sind, nachdem die Bettler
von neuem auf den Fliesen kauern, kehrt das Schwei-
gen, der erhabene Friede in den Palast des Lapislazuli
und der Türkisen zurück. Die rötlichen Strahlen der
Abendsonne fallen schon schräge auf den großen Reich-
tum der bläulich wiederscheinenden Glasur herab, un-
willkürlich stelle ich mir vor, daß eine sehr alte Sonne,
deren ungezählte Jahre sich ihrem Ende zuneigen, eine
ähnliche Farbenwirkung hervorzurufen vermag, und in
vollen Zügen genieße ich den Reiz, zu einer so stim-
mungsvollen Stunde mich an einem weltfernen, ge-
heimnisvollen, verbotenen Ort befinden zu dürfen . . .
Ich glaube nicht, daß viele Europäer vor mir in Chi-
raz den Hof einer Moschee betreten haben.
Unsere Abreise war auf morgen festgesetzt, aber es
scheint, daß niemand Wort hält; der Tcharvadar hat
nach einer genaueren Prüfung meines Gepäcks erklärt,
daß es zu viele Stücke seien und zieht sich deshalb
zurück. So muß ich wieder von vorne anfangen.
Ich werde allmählich ganz heimisch in dieser Stadt;
ich gehe allein aus und finde mich sehr gut in dem
Labyrinth der dunklen Gäßchen zurecht. Dort unten
auf dem Platz, zwischen der rosaroten Moschee und den
baufälligen Wällen empfängt man mich in dem klei-
nen Cafe, wohin ich allabendlich pilgere, schon ganz
vertraulich; man bringt mir ,, meine" Kalyan, und par-
fümiert das klare Wasser des Behälters mit Orangen-
106
bluten und einigen roten Rosen. Aber sobald der April-
abend hereinbricht, kehre ich in meine Wohnung zu-
rück, denn immer macht sich in diesem hochgelegenen
Lande eine empfindliche Kälte fühlbar, und immer ist
die Dämmerung trotz der jauchzenden Schreie der Seg-
ler, die sich mit dem Gesang der Gebetsrufer in den
Lüften verschmelzen, unendlich traurig.
Heute abend, während ich einsam heimwärts wan-
dere, entdecke ich an dem perlmutterf arbenen Himmel
zwischen zwei hohen Giebeln eine schmale, zuneh-
mende Mondsichel; Neumand, der erste Mond der per-
sischen Fastenzeit. Unterwegs begegne ich einer unge-
wöhnlichen Menge schwarzer, undurchdringlicher ver-
hüllter Schatten, die in der Dunkelheit an mir
vorüberschweben; man muß in den streng mohamme-
danischen Städten gewohnt haben, um verstehen zu kön-
nen, wie sehr das Leben dadurch getrübt wird, nie,
niemals das Gesicht, niemals das Lächeln einer jungen
Frau oder eines Mädchens zu sehen ... In dem kleinen,
meiner Wohnung gegenüberliegenden israelitischen Ba-
sar sind die dreiarmigen Lampen schon angezündet. Sie
brennen in den Buden der Kaufleute. Die Jüdinnen
haben nicht das Recht, die kleine weiße Maske der
Mohammedaner zu tragen, aber da sie trotzdem ihr
Gesicht nicht zeigen dürfen, schließen sie bei meinem
Anblick ihren schwarzen Schleier noch fester; und so
sind auch mir alle ganz unbekannt. Endlich finde ich
meine Tür, sie ist ebenso versteckt, ebenso baufällig,
ebenso eisenbeschlagen wie alle anderen der Umgegend,
aber der Klang ihres Klopfers, der in der Dunkelheit
und dem Schweigen widerhallt, ist mir schon ein ver-
trautes Geräusch.
IO'
Dienstag, i. Mai.
Bereits vor Hereinbruch der Morgendämmerung
saßen wir zu Pferde., und die aufgehende Sonne findet
uns in den Ruinen eines uralten, aus grauen Vorzeiten
stammenden Palastes wieder. Auf den Basreliefs sind
die Stellungen, die Bewegungen, die Kämpfe und die
Todesangst der Menschen und Tiere, wie sie vor Tau-
senden von Jahren lebten, verewigt. Die Ruinen liegen
am Fuße der Berge, die im Norden die Ebene von Ghi-
raz einschließen; auf einem dürren, staubigen, von der
Sonne verbrannten Plateau sind sie immer mehr dem
Verfall anheimgegeben; man sieht, daß hier große Säu-
lenreihen, mächtige Mauern gestanden haben, aber alles
ist so verwischt, daß sich kein übersichtlicher Plan aus
dem Ganzen herauslöst; was früher das Werk mensch-
licher Hände war, geht jetzt in die einfache Felswand
über; unter dem Staub und Trümmerhaufen sieht man
noch zuweilen die Darstellung einer Jagd oder einer
Schlacht, sie ist in ein Mauerstück gehauen; die Orna-
mentik der Friese, weit gröber zwar, erinnert an die
Denkmäler Thebens: man könnte glauben, es seien
ägyptische, sehr naive Zeichnungen, die von Barbaren
wiedergegeben wurden. Der Palast, der heute keinen
Xamen mehr trägt, beherrscht ein kühles Tal, wo das
Gebirgswasser zwischen Schilf und Weiden dahinfließt,
und am anderen Ufer des kleinen Flusses, den Ruinen,
auf denen wir stehen, gegenüber, erhebt sich ein senk-
rechter Berg, der mit den gleichen Figuren der Fels-
wand geschmückt ist. Menschen mit Bischofmützen,
sie strecken die verstümmelten Arme in die Luft, sie
rufen und machen unverständliche Zeichen. Welcher
Monarch mag hier gewohnt haben? Welcher Monarch
10S
ist verschwunden, ohne eine Spur in der Geschichte zu
hinterlassen? Ich glaubte, daß diese Ruinen, die mir
fast ganz unbekannt waren, und auf die ich durch
Hadji-Abbas aufmerksam gemacht wurde, von Achä-
menides herstammten ; aber würde dieser Herrscher der
Erde sich mit einer so plumpen, so einfachen Wohnung
zufriedengegeben haben? Nein, dies alles muß auf die
graue Vorzeit zurückzuführen sein. Nirgends sieht man
eine Inschrift, und nur den angestrengtesten Nachfor-
schungen würde es gelingen, diesen Steinen ihr Ge-
heimnis zu entlocken. Aber solche Trümmer genügen,
um zu beweisen, daß die Hochländer Chiraz' von An-
beginn an der Mittelpunkt menschlicher Tätigkeit wa-
ren. Nach Aussage meiner chirazianischen Freunde gibt
es auch in den Höfen gewisser Moscheen geheimnis-
volle, vorgeschichtliche Grundmauern, altehrwürdige,
gehauene Porphyre, deren Alter niemand zu sagen weiß,
und nach all diesem könnte man annehmen, daß die
Gründung der Stadt noch viel früher stattgefunden
haben muß, als um das Jahr 695 nach unserer Zeit-
rechnung — das die mohammedanische Chronologie als
Gründungs jähr festgesetzt hat.
Kurz nur war der Besuch, den wir diesen Palästen
abstatten durften, dann kehrten wir mit verhängtem
Zügel zurück, um noch mit dem Pferdehändler ver-
handeln, um noch wenigstens den Versuch machen zu
können, die nötigsten Reisevorbereitungen zu treffen.
In dem Augenblick, wo die Ausrufer ihr Mittags-
gebet gen Himmel senden, langen wir wieder zu Hause
an. Der Mittag ist heißer als gewöhnlidh ; wir haben
heute den ersten Mai und man fühlt den Sommer nahen.
,, Allah oder Akbar!" Von meinem Fenster aus sehe
109
ich den Sänger der nächsten Moschee, sein Anblick ist
mir schon bekannt; ein Mann in einem grünen Ge-
wände mit einem grauen Bart, ein wenig alt zwar für
einen Gebetsausrufer, aber seine gellende Stimme ent-
zückt noch immer. Hoch steht er dort oben auf der
grasbewachsenen Terrasse, doch nicht vom Himmel,
sondern von der alles einschließenden, aschgrauen Ge-
birgskette hebt er sich ab. Unbekümmert läßt ihn die
brennende Sonne, das Gesicht gegen den blauen Zenit
gewandt, stößt er seinen langen, melancholischen Schrei
in das Schweigen, in das Licht hinaus, und seine Töne
verschlingen für mich all die anderen, die zur selben
Stunde von den verschiedensten Punkten Chiraz' aus
gen Himmel steigen. Nachdem er geendet hat, höre ich
in der Ferne eine andere, eine ganz frische, ganz junge
Stimme erklingen, für Augenblicke zittert sie in der
Luft, dann schweigt auch sie, und der mittägliche
Todesschlaf senkt sich über die Stadt hernieder. Von
dem wunderbaren Himmel heben sich zartweiße Wölk-
chen ab, gleich Vögeln schweben sie dahin, gepeitscht
von einem glühenden Wind. . . .
Nach einer anderthalbstündigen Unterhaltung, die
sich hauptsächlich um zwei weitere Pferde dreht, ist
mein Reisekontrakt endlich niedergeschrieben, auf un-
verständlichem Persisch auf eine Seite gezwängt, un-
terzeichnet und gesiegelt. Morgen soll der Aufbruch
stattfinden, und obgleich ich eigentlich gar nicht mehr
daran glaube, mache ich mich doch schnell auf den
Weg nach dem Teppichbasar, um für die Reise einige
chirazianische Quersäcke zu kaufen, die mit ihrem Ge-
webe von bunter Wolle, für jeden Reisenden, der etwas
auf sich hält, unentbehrlich sind. In die lange, halb-
1 10
dunkle Straße sickern die Sonnenstrahlen durch Löcher
in dem Gewölbe herab, und lassen die kolibribunten
Gebetteppiche hier und da in grellem Licht aufleuch-
ten. Hier treffe ich auch Hadji-Abbas mit zwei oder
drei Honoratioren; wir bleiben stehen, tauschen Höf-
lichkeitsreden aus, und da es der letzte Tag ist, rau-
chen wir zusammen eine Abschieds-Kalyan und trinken
eine kleine, ganz kleine Tasse Tee. — Als Stätte für
dieses Rauchfest haben wir in der Nähe der Silber-
schmiede einen jener sehr kleinen Plätze gewählt, die
in gewissen Abständen unter freiem Himmel, mitten
in der drückenden, schattenreichen Stadt gelegen sind,
und die für jeden eine Überraschung in Bereitschaft
halten: eine Flut von Licht und einen plätschernden
Springbrunnen, umgeben von blühenden Orangen-
bäumen und Rosensträuchern.
Der Vezir von Chiraz, der endlidh in seine gute
Stadt zurückgekehrt ist, hat mir heute morgen sagen
lassen, daß er mioh noch heute, zwei Stunden vor Son-
nenuntergang, was bei uns ungefähr fünf Uhr nach-
mittags bedeutet, zu sehen wünsdhe. Er wohnt sehr
weit von mir entfernt, in dem Stadtteil der Würden-
träger. Mitten in einer langen., grauen Mauer liegt ein
Spitzbogen, dieser wird bewaoht von vielen Soldaten
und Dienern, die alle auf teppichbelegten Bänken sitzen,
er dient als erstes Eingangstor zu dem Palast. Zuerst
schreite ich durch die Orangenallee eines Gartens, und
erreiche schließlich das ganz mit Fayencen bekleidete
Wohnhaus, das abwechselnd große, buntfarbige Por-
träts und kleinere rosenbemalte Fläohen zeigt Wäch-
ter, verschiedene Diener mit großen Astrachanmützen
stehen Posten vor der Tür des schönen glasierten Hau-
iii
ses, und auf den Fliesen des Vorraumes liegen un-
gezählte türkische Babuschen. Die Fliesen sind wie
immer so auch hier mit R.osen, über und über mit Ro-
sen bemalt. In dem Salon ist die Decke zu einem Tropf-
steingewölbe geformt, man sieht viele rote Brokat-
diwane, und die Erde ist mit ganz feinen, sammetähn-
lichen Teppichen bedeckt. Nachdem ich neben dem
liebenswürdigen Vezir Platz genommen habe, bringt
man, wie für Alladin, für jeden von uns eine aus Gold
ziselierte Kalyan und in einem goldenen Glase, auf
einem chirazianischen Mosaiktischchen einen geeisten
Sorbet Viele Menschen kommen herbei, schweigend
grüßen sie uns, setzen sich auf ihre Fersen und bilden
einen Kreis. Die orientalische Etikette verlangt, daß der
Besuch ein wenig lang sei, und darüber braucht man
sich nicht zu beklagen, wenn der Wirt, wie hier, zu-
gleich intelligent und vornehm ist. Man spricht von
Indien, wo ich eben gewesen bin, der Vezir fragt mich
nach der dort herrschenden Hungersnot, nach der Pest,
deren Nachbarschaft ihn beunruhigt. — „Ist es wahr,
daß die Engländer aus Bosheit Pestkranke nach Ara-
bien geschickt haben, um dort die Ansteckung zu ver-
breiten?" Ich weiß nicht, wie ich hierauf antworten
soll. Als ich durch Maskat kam, lautete das allgemeine
Gerücht also, aber die Anschuldigung ist übertrieben.
Dann beklagt er den immer mehr schwindenden fran-
zösischen Einfluß in dem Persischen Golf, wo unsere
Flagge fast nie mehr zu sehen ist. Und nichts macht
mich in peinlicherer Weise darauf aufmerksam, wie
sehr wir in den Augen der Fremden gesunken sind, als
die mitleidige Stimme, mit der er mich fragt: „Haben
Sie noch einen Konsul in Maskat?"
1 12
Was meine Reiseangelegenheiten nach Ispahan be-
trifft, so stellt der Vezir mir bereitwilligst eine berittene
Begleitmannschaft zur Verfügung; aber ob sie morgen
schon werden aufbrechen können, das kann Allah allein
Abends beantworten lange Schreie den Gesang der
Gebetsausrufer, der laute Lärm vieler menschlicher
Stimmen steigt von unten aus dem Schatten der Mo-
scheen gen Himmel. Die Fastenzeit hat begonnen, und
die religiöse Begeisterung wird sich bis zu dem Tage
des allgemeinen Schluß rausches steigern, wo man sich
die Brust zerfleischt und den Schädel verwundet. Seit-
dem der verbotene, verfolgte Babismus in Persien ein-
gedrungen ist, befindet sich der Fanatismus derjenigen,
die noch schiitische Muselmänner geblieben sind und
besonders aller derjenigen, die es noch zu sein vor-
geben, in stetem Wachsen.
Da es aber vielleicht mein letzter Tag in Chiraz ist,
gehe ich abend gegen den Rat meiner vorsichtigen
Diener, noch einmal allein aus. Die Eingeschlossenheit
und die Traurigkeit meines Hauses fallen mir auf
die Nerven, und ich verspüre große Lust, das kleine
Cafe außerhalb der Mauern mit seinen rosenroten
Fayenzen aufzusuchen und mir meine Kalyan geben
geben zu lassen.
Der Anblick dieses Platzes, den ich niemals bei La-
ternenbeleuchtung gesehen habe, bringt mich sofort
außer Fassung. Er ist überfüllt von Menschen, Leute
aus dem Volk oder vom Lande, die dicht gedrängt
nebeneinander sitzen. Kaum finde ich einen Platz in der
Nähe der Tür auf einer Bank, neben einem Stammgast,
der mich gewöhnlich mit ausgesuchtester Höflichkeit
8 Pereien. Il3
empfängt, aber der jetzt kaum auf meinen Gruß ant-
wortet. Mitten in der Versammlung steht ein Greis mit
leuchtendem Blick, er spricht beredt mit übertriebenen,
oft aber, schönen Bewegungen. Niemand raucht, nie-
mand trinkt, man lauscht seinen Worten und unter-
streicht einzelne besonders rührende, besonders schreck-
liche Stellen durch leises Wimmern. Von der nahe-
gelegenen Moschee dringt zuweilen das Geschrei tausen-
der menschlicher Stimmen zu uns herüber. Augen-
scheinlich erzählt der Greis von den Schmerzen, dem
Sterben des Hussin *, dessen Namen er immer wieder-
holt: es ist, als wenn bei uns der Prediger von der
Leidensgeschichte Christi erzählt
Plötzlich ruft mein Nachbar, mein früherer Freund,
der mich kaum eines Blickes würdigt, mir leise auf
türkisch zu: „Geht."
„Gehtl" Es wäre lächerlich, ja unvorsichtig, länger
zu bleiben; diese Leute brauchen ja keinen Ungläubi-
gen bei ihrer frommen Abendandacht zu dulden.
So gehe ich. Von neuem umschließt mich das
Schweigen und die Dunkelheit, ich stehe inmitten der
baufälligen Wände, inmitten des Labyrinths überdach-
ter Gäßchen. Wie der kleine Däumling im Walde muß
ich auf jedes Zeichen achten, das ich mir gemerkt
habe, um die gähnenden Löcher unter meinen Füßen
zu vermeiden, das ich mir gemerkt habe, um in die rich-
tigen Gänge einbiegen zu können; ich schreite lang-
sam vorwärts, strecke wie ein Blinder die Arme vor
mich hin, und begegne auf meinem Wege keinem ande-
* Hussin ist ein in Persien verehrter Märtyrer, Sohn des
Ali und Enkel des Propheten Mahomet.
n4
ren lebenden Wesen, als den vor mir fliehenden Katzen,
die zu dieser Stunde auf nächtlichen Raub ausgehen.
Und niemals habe ich in einem Land des Islam ein
solches Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit ge-
habt
Mittwoch, 2. Mai.
Wahrscheinlich kann heute der Aufbruch stattfin-
den, denn seit heute morgen werden die Vorbereitungen
allen Ernstes betrieben. In der Mittagsstunde stellen
sich mir zwei Reiter vor, der Gouverneur schickt sie
mir, ihre Pferde haben sie an den Klopfer meiner Tür
gebunden, und man hört sie in der Straße stampfen
und wiehern. Um ein Uhr wird unser Gepäck von Juden
auf dem Rücken durch den kleinen Basar unseres Vier-
tels getragen und auf die Lasttiere geladen.
Es herrscht kein Zweifel mehr: Man legt den Pfer-
den das Geschirr an. Viele Menschen sind außerhalb
der Wälle Chiraz' vor den Steinmauern und Erdhaufen
herbeigeeilt, um unserer Abreise beizuwohnen, und
Bettler scharen sich um uns, sie bieten uns kleine Ro-
sensträuche an und wünschen uns glückliche Reise.
Um zwei Uhr verlassen wir die Stadt auf dem Wege,
der sich die „Landstraße von Ispahan" nennt, und der
in der Tat während der ersten halben Meile eine ziem-
lich breite Landstraße ist, dann aber, nachdem wir den
Vorstädten, Moscheen, Gärten, den Friedhöfen den
Rücken gekehrt haben, sehen wir nur das gewöhnliche
Netz schmaler Stege sich vor uns ausbreiten, Stege,
wie sie die Karawanen zu treten pflegen.
8*
n5
Wir reiten auf eine Öffnung, einen Ausgang in der
die Hochebene Chiraz einschließenden Gebirgskette zu,
und kaum liegen die nördlichen Mauern eine Meile hin-
ter uns,' so befinden -wir uns auch schon in den öden
Steppen, außerhalb der grünen Zonen, außerhalb der
Oase und der Stadt des Schlafes.
Vor einem Jahrhundert hat der Vezir von Chiraz ein
monumentales Tor errichtet, das den Eingang zu dem
Hohlweg bildet: einen Triumphbogen, der sich auf die
Einsamkeit, auf das Chaos von Steinen, auf die
Schrecken der Berge öffnet.
Ehe wir uns hier hineinbegeben, machen wir halt,
um rückwärts zu blicken, um dieser Stadt, die für
immer verschwindet, Lebewohl zu sagen . . . Und von
welcher Schönheit, von welchem Reiz, zeigt sie sich
uns zum letztenmal . . . Niemals vor heute abend haben
wir sie in einem solchen Überblick, in einer so günsti-
gen Beleuchtung, haben wir sie in diesem alles ver-
zaubernden Licht gesehen. Man könnte sagen, sie sei
gewachsen, habe eine andere Gestalt angenommen! Alle
diese vielen Lehmhäuser, Lehmwälle, alle die Gegen-
stände mit ihren weichen, fast formlosen Umrissen, ver-
schmelzen, wachsen, vereinen sich zu einem unbestimm-
ten Ganzen. Und überall nur sieht man den einen grauen,
zart rosa überhauchten Ton, die eine Färbung des Mor-
gennebels: Gleich Juwelen strahlen die Kuppeln der
unnahbaren Moscheen in der Sonne wieder, deutlich
heben sie sich von dem übrigen ab; ihre blauen
Fayencen, ihre grünen Fayencen — deren Glanz man
heute nicht mehr nachahmen kann — , leuchten zu die-
ser Stunde in voller Pracht, mit ihren bauchigen Kon-
turen, ihren runden Silhouetten, gleichen sie Riesen-
116
eiern aus lebhaftem, aus blassem Türkis, die man, ich
weifo nicht, auf ein Nichts, auf dem schieferfarbenen,
taubengrauen Umriß einer großen Stadt aufgebaut hat.
Bei einer plötzlichen Senkung des Weges verschwin-
det dies alles auf Nimmerwiedersehen, und wir befinden
uns von neuem einsam in der großen Welt der Steine.
Acht Leute, acht Pferde, das ist mein ganzes Gefolge,
und wenig erscheint es in dieser Gegend der Wüsten
und der Unendlichkeiten . . . Steine, Steine, bis in die
Ewigkeit Steine. Über die einsamen Flächen huschen
die Schatten einiger kleiner wandernder Wölkchen da-
hin. Die Gipfel der Umgegend, wo noch kein Gras hat
wachsen können, zeigen die Formen, die ihnen irgend-
ein großer geologischer Sturm verlieh; zur Zeit der
mineralischen Umwälzungen hat ein Wirbelwind ihre
verschiedenen Schichten durcheinander geworfen, in
die Höhe getragen, und jetzt heben sie sich überall mit
denselben krampfhaften Bewegungen ab, wie sie sie da-
mals annahmen, und wie sie sie bis ans Ende der Welt
behalten werden.
Unser Ritt ist langsam und beschwerlich, jeden
Augenblick müssen wir absitzen, um die Pferde am
Zügel zu führen, denn die Abhänge sind zu steil, die
Löcher zu gefährlich.
Abends sehen wir einen schmalen grünen Streifen
hervortauchen, es sind die Wiesen einer neuen kleinen
Oase, die dort hinten ganz verlassen in diesem Reich
von Steinen liegt; sie ernährt ein Dorf. Die kleinen
Lehmhäuschen kleben an dem Fuße eines majestätischen
Berges und gleichen in der Ferne bescheidenen Schwal-
bennestern. Es ist Zaragoun, wo wir die Nacht verbrin-
gen werden. Wir setzen den ganzen kleinen Basar,
117
durch den wir in der Dämmerung reiten, in Bewegung.
Die Zimmer der Karawanserei haben gespaltene Wände,
und die Decke ist mit Fledermäusen übersät, und dort
schlafen wir ein, gefächelt von einem kühlen Wind-
hauch, eingewiegt von dem nächtlichen Konzert der
Frösche, die zu tausenden unter dem Gras in dieser
hochgelegenen Oase hausen.
Donnerstag, 3. Mai.
Unsere Reisezeit haben wir jetzt ein für allemal an-
ders gelegt, seitdem die Sonne nicht mehr so tödlich
brennt wie dort unten. Bis nach Ispahan werden wir
täglich zwei Märsche machen, für jeden rechnen wir
vier bis fünf Stunden, und zwischendurch können wir in
irgendeiner Karawanserei des Weges unseren Mittags-
schlaf halten. Natürlich müssen wir uns früh erheben,
und die Sonne steht noch nicht am Horizont, als man
uns heute morgen in Zaragoun weckt
Das erste Bild dieses Tages, von der unvermeidlichen
kleinen Terrasse aus gesehen, nachdem wir unser lehm-
erbautes Zimmer verlassen haben und in die frische
Morgenluft hinausgetreten sind, ist folgendes: Zuerst,
im Vordergrund, liegt der Hof der Karawanserei, er ist
angefüllt mit Erde und Staub. In der Mitte stehen meine
Pferde, an den Wänden halten sich meine Diener und
andere Leute, die des Weges daher kommen, auf, sie
rauchen ihre Kalyan, trinken ihren Morgentee und liegen
auf einem Haufen von Teppichen, Decken und Quer-
säcken — lauter unverwüstliche Gegenstände aus grober
Wolle gewebt, mit denen hierzulande ein großer Luxus
getrieben wird. Und dahinter dehnt sich das eintönige
118
Land der Oase, dehnen sich die weißen Mohnfelder
aus, die sich auf der einen Seite in dem unendlichen
Raum verlieren, auf der anderen Seite vor der wilden
Gebirgskette ersterben. Wie seltsam jungfräulich, wie
rein steht dieser Mohn beim Anbruch des Tages in
seinem weißen Kleide da — und trotzdem ist es seine
Bestimmung, als ein schnelles Gift zu wirken, das man
in den Rauchsälen des äußersten Ostens mit schwerem
Geld bezahlt... Nirgends ein Baum; aber überall ein
Meer von weißen Blumen, das sich gleichsam zwischen
den Ufern der großen wilden Berge wie ein Meerbusen
vorgedrängt hat. Und die Nebel des Sonnenaufganges,
die bunt violetten Nebel, ziehen sich in der Ferne dahin,
sie verwischen die reinen Linien des Horizontes dort, wo
die Sonne auftauchen wird, sie verschmelzen die ein-
farbig blühenden Flächen, die seltsamen Felder dort
unten mit dem Himmel.
Jetzt geht die Sonne auf; was noch vom nächtlichen
Schatten blieb, flieht gleich einem braunen Gazeschleier
vor ihr über die Blumenfelder dahin. Und junge Mäd-
chen verlassen in Scharen das Dorf, sie gehen an irgend-
eine Feldarbeit, und fröhlich lachend suchen sie die
kleinen Pfade auf, wo sie bis zum Gürtel in dem weißen
Mohn untertauchen.
Es ist auch unsere Abschiedsstunde, darum vor-
wärts, auf denselben Pfaden wollen wir den jungen
Mädchen folgen, wo dieselben Blumen, dieselben Gräser
uns streifen . . .
Aber unsere Etappe ist diesmal nicht von langer
Dauer, denn in einer Viertelstunde werden wir die gro-
ßen Paläste des Schweigens, die Paläste des Darius und
119
des Xerxes treffen, die es wohl verdienen, daß man bei
ihnen haltmacht.
Nachdem wir zwei Mohnfelder, endlose feuchte Wie-
sen, Bäche und tiefe Ströme überschritten haben, bleiben
wir vor einem bescheidenen, ganz verlassenen Weiler
stehen, der von einer Reihe von Pappeln umgeben ist
Zwei Nächte verweilen wir in der verfallensten, wil-
desten aller Karawansereien, die weder Türen noch Fen-
ster besitzt, deren alter Garten aber mit seinen Rosen-
sträuchen, seinen Aprikosenalleen und seinen wilden
Gräsern eine seltene Fruchtbarkeit zeigt. Kleine Kinder
nähern sich uns, sie verneigen sich und überreichen uns
bescheidene, fast gewöhnliche Monatsrosen. Umgeben
ist der Weiler von einsamen Wiesen, überall herrscht
Friede und Schweigen. Der Himmel bedeckt sich, es
ist kühl. Man könnte glauben, man befände sich in
Frankreich auf dem Lande, aber nicht heute, in ver-
gangenen, in alten Zeiten . . .
Vielleicht zwei Meilen von uns entfernt, liegt am
Ende der grasreichen Ebene, am Fuß einer jener Ge-
birgsketten, die gleich Mauern das Land von allen
Seiten durchschneiden, ein einsamer, auf den ersten
Blick wenig auffälliger Gegenstand, der, je länger man
ihn betrachtet, desto schwerer festzustellen ist . . . Ein
Dorf, eine Karawanserei, dachten wir zuerst; Mauern
oder Terrassen, die wie überall, so auch hier aus grauem
Lehm erbaut sind, auf die man aber ungezählte Mast-
bäume bunt durcheinander gepflanzt hat. Die große
Durchsichtigkeit der Luft täuscht über die Entfernun-
gen hinweg, man muß schon genau hinsehen, um sich
klar machen zu können, daß dies Rätsel weit entfernt
liegt, daß die Terrassen in keinem Verhältnis zu den
120
anderen des Landes stehen, daß das Mastwerk riesen-
groß sein müßte. Je mehr man prüft, desto seltsamer
erscheint es einem . . . Und in der Tat haben wir es hier,
ebenso wie bei den Pyramiden Ägyptens, mit einem
jener großen, klassischen Wunderwerke der Welt zu
tun ; — aber weit seltener kommt man dorthin als nach
Memphis, und auch der Schleier, der über diesem Platze
liegt, ist weit weniger gelüftet. Die Könige, die die Welt
erzittern machten, Xerxes und Darius, haben an diesem
Ort ihren traumhaften Hof abgehalten, sie verschöner-
ten ihn mit Statuen und mit Basreliefs, denen auch der
Zahn der Zeit nichts anhaben konnte. Seit mehr als
zweitausend Jahren, seit der Durchzug der Heere des
Mazedoniers den westlichen Völkern sein Dasein ver-
raten hat, trägt er einen Namen, der schon an und für
sich groß und ehrfurchteinflößend klingt: Persepolis.
Aber wie er ursprünglich hieß, und welche sagenhaften
Herrscher seinen Grundstein legten, das weiß man nicht
Geschichtsschreiber, Gelehrte haben schon zur Zeit des
Herodot bis in unser Jahrhundert hinein so viele sich
widersprechende Meinungen geäußert! Im Laufe der
Zeiten haben ungezählte Forscher, durch die Ruinen
angelockt, Tausenden von Gefahren getrotzt, um hier in
der Umgegend zu hausen, um die Inschriften zu ent-
ziffern, die Gräber zu durchstöbern, ohne daß sie doch
jemals zu einem Schluß gelangt wären. Und wieviele
dicke Bände sind über diesen Winkel Asiens geschrieben
worden, wo der kleinste Stein der Hüter aller Geheim-
nisse istl
Übrigens kommt die ganz genaue Feststellung der
historischen Tatsachen für mich, den einfachen Reisen-
den, kaum in Betracht. Was liegt daran, ob es dieser
iai
oder jener Monarch ist, der in der Tiefe jenes Grabes
ruht, ob dieser Palast oder jener der des Pasargades ist,
der von den Soldaten Alexanders eingeäschert wurde.
Es genügt mir zu wissen, daß diese Ruinen die gewaltig-
sten, die besterhaltensten ihrer Zeit sind, die in unseren
Augen das Genie einer ganzen Epoche, einer ganzen
Rasse verewigen.
Aber welch ein Geheimnis, daß der Fluch immer
solche Plätze trifft, die im Altertum besonders glänzend
waren!... Warum haben hier zum Beispiel die Men-
schen ein so fruchtbares, so schönes Land verlassen, das
unter einem so reinen Himmel gelegen ist? Warum
waren früher so viele Herrlichkeiten in Persepolis an-
gehäuft, wo heute nichts ist als eine blühende Einöde?
Wir lassen unser Gepäck und unser Gefolge in der
ärmlichen Karawanserei zurück, in der wir die Nacht
verbringen werden, und reiten nach einem Mittags-
schläfchen unter Führung von zwei jungen Leuten aus
dem Weiler auf die großen Ruinen zu. Während der
ersten Meile schwimmen wir in einem wirklichen Meer
von weißen Mohnblumen und grüner Gerste; dann folgt
eine wilde Wiese, die mit Krauseminze und gelben
Immortellen übersät ist. Und dort unten, hinter Perse-
polis, dem wir immer näher kommen, und das sich
immer deutlicher abhebt, wird die Ebene von wilder,
lederfarbenen Bergen durchkreuzt, wo sich Schlünde
und Schluchten öffnen. Übrigens trägt seit Chiraz das
baumlose Land überall den gleichen Charakter: Weite
Flächen, die so ruhig wie ein Wasserspiegel daliegen,
und die durch eine kahle, schreckeneinflößende Berg-
kette voneinander getrennt werden.
Aber nirgends haben die Formen der Berge, die
123
immer überraschend wirken, uns etwas Ähnliches ge-
zeigt wie das, was sich in diesem Augenblick in der
klaren Ferne zu unserer Linken erhebt. Es ist viel zu
gewaltig, um von Menschenhand erbaut worden zu sein,
und dann beunruhigt es durch seine gesuchte Stellung :
im Mittelpunkt liegt ein ganz viereckiger, fünf- bis
sechshundert Meter hoher Bau, der einer Gottesfeste,
oder dem Grundstein zu irgendeinem unterbrochenen
Turmbau von Babel gleicht, zu beiden Seiten türmen
sich symmetrisch wie zwei Wachtposten zwei ganz
gleiche, ganz regelmäßige, riesengroße Blöcke, zwei
sitzende Ungeheuer auf. Seit Anbeginn der Zeiten sind
die Menschen durch die Gestalt dieser drei Berge, die
wohl geeignet sind, Schrecken vor dem Übersinnlichen
einzuflößen, in Erstaunen gesetzt worden, und es ist
zweifellos keine zufällige Wahl, die sie getroffen haben,
als sie an dieser Stelle den drohenden Bau der Herr-
scher errichteten. Von dem Palaste, wo wir jetzt an-
gelangt sind, aus gesehen, rufen die Steine gerade den
größten Eindruck hervor, sie liegen nahe genug, um
imposant zu wirken, und sind doch wiederum weit ge-
nug entfernt, um nicht entziffert werden zu können.
Die Wege, denen wir inmitten des Schweigens, der
Einsamkeiten und der Blumen folgen, sind von Zeit zu
Zeit von klaren Bächen durchschnitten, die immer wie-
der nutzlose Fruchtbarkeit um diese Ruinen verbreiten.
Jetzt, wo wir dies tote Dorf, den Fuß des toten Ber-
ges erreicht haben, herrscht kein Zweifel mehr über
seine ungeheuren Proportionen; seine Terrassen sind
fünf- oder sechsmal höher als die gewöhnlichen und be-
stehen nicht wie überall sonst aus Lehm, an dem die
Regengüsse sofort ihr Zerstörungswerk vornehmen, son-
ia3
dem aus zyklopischen, ewig haltbaren Blöcken, und die
langen Gegenstände, die uns in der Ferne an Schiffs-
mastbäume erinnerten, sind seltsam schlanke, kühne,
aus einem Stein gehauene Säulen — in früheren Zeiten
werden sie die Decken von Zedernholz und das Gebälk
dieses wunderbaren Palastes getragen haben.
Wir erreichen jetzt die steinerne, harte, leuchtende
Treppe, sie ist breit genug, um gleichzeitig eine ganze
Armee passieren lassen zu können; dort sitzen wir ab
und steigen zu der Terrasse hinan, wo sich die Säulen
erheben. Ich weiß nicht, was unseren Persern einfällt,
aber sie ziehen unsere Pferde, die zuerst nicht wollten,
sich sträubten und mit ihren Hufen die herrlichen Stufen
abschrammten, hinter sich her, und so ist unser Einzug
in diese unendliche Andacht laut und lärmend.
Wir stehen jetzt auf den Terrassen, die zu unserer
Überraschung noch viel größer sind, als sie von unten
erschienen. Eine ganze Stadt würden sie fassen können,
und die Säulen, mit denen sie früher geschmückt waren,
standen einst so dicht wie die Bäume eines Waldes.
Jetzt sind nur noch zwanzig davon erhalten, die ande-
ren sind gestürzt und liegen auf den Fliesen zerstückelt
da, zahllose wunderbare Überreste erheben sich in bun-
ter Unordnung in dieser großen, mit Steinen gepflaster-
ten Einöde : bis in die kleinsten Kleinigkeiten sorgfältig
ausgehauene Pylonen, Mauerwände, die mit Inschriften
und Basreliefs bedeckt sind. Und dies alles zeigt ein
dunkles, gleichmäßiges, seltsames Grau, ein Grau, das
in den Ruinen ungewöhnlich ist, das die Patina der
Jahrhunderte nicht hat hervorrufen können, es muß
schon von der Farbe des Materials selbst herrühren,
aus dem diese Paläste erbaut wurden.
124
Man wird hier ganz in der Nähe von der gewaltigen,
schwarzbraunen Gebirgskette beherrscht, die sich seit
unserem Aufbruch aus dem Dorf wie eine Mauer vor
uns erhob, aber andererseits beherrscht man selbst alle
diese gräserreichen, blumengewachsenen Wiesen, wo im
Hintergrunde der schreckeneinflößende viereckige Berg
mit seinen zwei sitzenden Wächtern aufragt. Zwei oder
drei kleine, sehr bescheidene Weiler liegen ganz in der
Ferne, durch Pappeln voneinander getrennt, gleich
Inseln zwischen einem Meer von blühenden Gräsern
und grüner Gerste da; und der erhabene Friede, der
ewige Friede der Welten ruht über diesen Frühlings-
wiesen — die im Laufe der Jahrhunderte Zeugen des
sardanapalischen Prunks, der Feuerbrände, Nieder-
metzelungen, der Aufstellung großer Heere, des Lärms
großer Schlachten wurden.
Das Plateau aber, zu dem wir jetzt hinaufsteigen, ist
zu dieser Stunde, bei Hereinbruch der Dämmerung, der
Ort einer unaussprechlichen Melancholie; hier weht ein
köstlich sanfter Wind, und ein Licht, das bestimmt und
doch weich ist, fällt auf uns herab; man könnte fast
sagen, daß wir uns auf diesen Terrassen weit mehr als
in der umgebenden Ebene, der zweitausend Meter Höhe
bewußt werden, und zwar ist der frische Windhauch,
die Reinheit, der stille Glanz der Sterne, die Durchsich-
tigkeit der Schatten daran schuld. Zwischen den Flie-
sen, die beim Durchzug der Könige mit Purpurteppichen
belegt waren, wachsen jetzt sehr feine Gräser, die
Freunde der Trockenheit und des Schweigens, blühen
Quendel und Majoran, und wo einst die Thronsäle lagen,
weiden die Ziegen und verbreiten den Duft ländlicher
Wohlgerüche. — Aber vor allem ist es das Licht das
125
keinem anderen Lichte ähnlich sieht; die Beleuchtung
dieses Abends, die gleich dem Widerschein einer Apo-
theose auf so viele alte Basreliefs, auf so viele in Stein
verewigte menschliche Silhouetten fällt . . .
Ach, wie ergriffen fühle ich mich, als mich gleich
beim Eintritt zwei jener schweigenden Riesen emp-
fingen, deren Anblick mir von Kindheit an bekannt war:
der Rumpf eines geflügelten Stieres, der Kopf eines
Menschen mit langem gekräuselten Bart unter der Tiara
eines Magierkönigs! — Ich finde zweifellos zu großes
Wohlgefallen daran, auf meine Kindheitseindrücke zu-
rückzukommen; aber ich muß bemerken, daß sie für
mich voller Geheimnisse und zugleich ungewöhnlich
lebhaft waren. — Als ich zwölf Jahre alt war, traf ich
zum erstenmal diese Riesenwächter aller assyrischen
Paläste unter den Bildern einer gewissen Partitur Semi-
ramis, die damals häufig aufgeschlagen auf dem Klavier
stand, und sofort versinnbildlichten sie in meinen Augen
die schwere Pracht von Ninive und Babylon. Was aber
ihre Brüder anbelangt, die noch heute dort unten zwi-
schen den Ruinen stehen mußten, so stellte ich sie mir
immer umgeben von den zarten Blümchen vor, wie sie
dem steinichten Boden eines Landstriches, „La Li-
moise" genannt, entwachsen, der damals zur selben
Zeit eine große Rolle in meinen exotischen Träumen
spielte..., und nun finde ich gerade heute am Fuße
der mich begrüßenden Wächter den Tymian, die Krause-
minze und den Majoran, die ganze kleine Flora meiner
Wälder, unter einem ähnlichen Himmel wie dem unsri-
gen wieder.
Xerxes' Laune hat die beiden geflügelten Riesen hier
als Posten aufgestellt, und jetzt empfangen sie mich an
126
der Schwelle zu diesen Palästen. — Und sie weihen mich
in die geheimsten Dinge über ihren Herrscher ein,
Dinge, die ich niemals zu erfahren wähnte; während
ich sie betrachte, verstehe ich, was mir auch zehn
Geschichtsbände nicht begreiflich gemacht hätten, wie
majestätisch, wie priesterlich und erhaben das Leben in
den Augen dieses halb sagenhaften Mannes gewesen
sein muß.
Aber die ungeheuren Säle, deren Eingang sie be-
wachten, sind seit bald dreiundzwanzig Jahrhunderten
verschwunden, und nur in Gedanken vermag man sie
noch aufzubauen. Weit größer zwar, müssen sie doch
demjenigen gleichen, was man noch von den alten fürst-
lichen Wohnung aus dem persischen Mittelalter sieht:
ungezählte Säulen von seltsamer Feinheit im Vergleich
zu ihrer Länge großen Schilfblättern ähnlich, die hoch-
in die Lüfte hinein ein glattes Dach tragen. — Die Men-
schen, die hier wohnten, waren wohl die einzigen, die
eine so hohe Säule, eine solche Schlankheit der Formen
erfinden konnten, wo man im Altertum überall sonst
nur massive, seltsam plumpe, stämmige Sachen baute.
Immer gefolgt von unseren Pferden, deren Schritte gar
zu laut auf den Fliesen widerhallen, schreiten wir auf
das Innere des Palastes, auf den wunderbaren Wohn-
sitz des Darius zu. Die gestürzten Säulen bedecken den
Boden; nur noch zwanzig sind stehengeblieben, in ge-
wissen Abständen ragen sie einsam empor, ganz gerade,
ganz schlank wachsen sie in den reinen Himmel hinein ;
sie sind von oben bis unten ausgekehlt, ihr Sockel ist zu
einem mächtigen Blumenkelch geformt, und ihr weit
vorspringendes Kapital, das in der Luft das Gleich-
gewicht zu suchen scheint, zeigt auf allen vier Flächen
127
den Kopf und die Brust eines Ochsen. Wie vermögen
diese kühnen, ungewöhnlich langen Säulen sich noch
nach zweitausend Jahren zu halten, wo ihnen doch das
Zederngebälk dort oben genommen ist, das sie ver-
binden sollte?
Die freien Plätze bauen sich übereinander auf, die
Treppen folgen einander in dem Maße, wie man sich
den Sälen nähert, in denen der König Darius thronte.
Und die Oberfläche jeder neuen Stufe ist mit Basreliefs
bedeckt, die Hunderte von Menschen in vornehmer
steifer Haltung , mit krausen Barten und gelocktem
Haar zur Darstellung bringen: Schützenphalanxen, alle
im Profil gezeichnet; rituale Umzüge, Herrscher unter
großen Sonnenschirmen, die von Sklaven getragen wer-
den, Stiere, Dromedare, Ungeheuer. In welchen wunder-
baren Stein ist dies alles gehauen worden, daß so viele
Jahrhunderte es nicht zu zerstören vermochten? Der
härteste Granit unserer Kirchen zeigt nach drei- oder
vierhundert Jahren keine einzige scharfe Kante, die
byzantinischen Porphyre, der griechische Marmor, der
immer unter freiem Himmel steht, wird abgenutzt und
verwischt; hier könnte man sagen, daß alle diese selt-
samen Figuren soeben aus der Hand des Bildhauers
kommen. Die Archäologen haben sich darüber gestrit-
ten, ohne jemals über den Ursprung dieses eigenartigen
Materials einig zu werden, das ein so feines Korn, eine
so eintönige graue Farbe zeigt, das einer Art Kiesel,
einem sehr dunklen Feuerstein gleicht; eine Schere
würde sich hier wie an Metall stumpf schneiden; übri-
gens ist es auch so spröde wie Beilstein, denn man sieht
große Basreliefs von oben bis unten gesprungen — unter
dem Einfluß der ewigen Sonne vielleicht, oder aber
128
ist die Zeit, sind die Stöße der Kriegsgeräte schuld
daran.
Und diese stummen Ruinen lassen ungezählte In-
schriften ihre Geschichte erzählen, ihre Geschichte und
die der Welt; der kleinste Block möchte sprechen, wenn
man seine einfache Schrift zu entziffern verstände. Zu-
erst sind da die keilförmigen Buchstaben, sie bildeten
einen Teil der anfänglichen Ornamentik; überall brin-
gen sie ihre tausend kleinen, gedrängten, bestimmten
Zeichnungen auf den Sockeln und Friesen, zwischen
den wunderbaren Verzierungen, die ihnen als Rahmen
dienen, an. Und dann, wie durch Zufall hin gestreut,
sieht man die Betrachtungen all der Menschen, die im
Laufe der Jahre, angezogen durch den großen Namen
Persepolis, hierhergekommen sind; gewöhnliche Bemer-
kungen, Aussprüche, alte Gedichte über die Eitelkeiten
dieser Welt, und zwar auf griechisch, kufisch, syrisch,
persisch, auf hindustanisch und sogar auf chinesisch.
„W o sind die Herrscher, die in diesen Pa-
lästen regierten, bis zu dem T a g e , wo der
Tod sie einlud, aus seiner Schale zu trin-
ken? Wie viele Städte wurden am Morgen
erbautundstürztendesAbendszuRuinen
zusammen?" schrieb ein Dichter vor ungefähr drei
Jahrhunderten auf arabisch ein und zeichnete sich : A 1 i,
SohndesSultansKhaled... Zuweilen sieht man
nur eine Jahreszahl mit seinem Namen ; und dann trifft
man auch auf die Unterschriften der Forscher aus den
Jahren 1826 und i83o — Daten, die für uns fast fern
zu liegen scheinen, und die trotzdem von gestern sind,
vergleicht man sie mit denen, die in Hieroglyphenschrift
die Namen der Könige umrahmen.
9 Persien. I 2 9
Besonders schön ist das Pflaster, auf dem wir
schreiten. Jeder Riß, jeder Spalt zeigt einen winzigen
Garten, voll kleiner Pflanzen, den Lieblingen der Ziegen,
und zerreibt man die Blumen zwischen den Fingern, so
duftet die ganze Hand nach ihrem süßen Wohlgeruch.
Hinter den Prunksälen, mit den offenen Säulen-
reihen, erreichen wir die weit schwerer zu entwirrenden
Gebäude, die ein noch größeres Geheimnis zu bewachen
scheinen. Hier müssen die Zimmer, die tiefen Gemächer
gelegen haben. Die Mauerreste, die Pylonen, mit ihren
ein wenig ägyptischen Umrissen, mit ihren zu Blumen-
kronblättern geformten Architraven verdoppeln sich.
Wenn ich so sagen darf, fühlt man sich hier weit mehr
umgeben, eingeschlossener, viel mehr beschattet von der
gewaltigen Vergangenheit. Diese Viertel sind reich an
großen, wunderbar erhaltenen Basreliefs. Auf ihren
assyrischen Kleidern oder auf ihrem gekräuselten Haar
zeigen die Figuren noch heute den Glanz des neuen Mar-
mors; die einen tragen sitzend eine kaiserliche Würde
zur Schau, andere spannen den Bogen oder kämpfen mit
Ungeheuern. Sie sind von menschlicher Größe, haben
ein regelmäßiges Profil, edle Gesichtszüge. Überall sieht
man sie auf den Wänden, die heute planlos hingepflanzt
zu sein scheinen; man ist von ihnen umgeben, von die-
sen einschüchternden Gruppen umzingelt, und die Farbe
der Steine, die ewig graue Farbe gibt ihnen einen düste-
ren Anstrich. Die Tafeln aber, die mit kleinen keilför-
migen Legenden bekritzelt sind, haben eine so glatte
Oberfläche, daß man seine eigene Silhouette darauf,
wie auf einem Zinnspiegel, leuchten sieht. Und man
fühlt sich verwirrt, wenn man bedenkt, wie alt diese
scheinbar ganz frischen Eingravierungen sind, wenn
i3o
man sich sagt, daß eine jede dieser blanken Tafeln die-
selbe sei, in der sich an demselben Ort seit mehr als
zweitausend Jahren die Gesichter, die Schönheiten, die
verschwundenen Herrlichkeiten widergespiegelt haben.
Nimmt man nur ein kleines Bruchstück eines dieser
Steine mit nach Hause, so würde es in jedem Museum
als ein seltener Schatz betrachtet werden; und dies alles
ist der Gnade des ersten besten Räubers anheimgegeben,
der in diese große Einsamkeit eindringt, dies alles wird
nur von den beiden nachdenklichen Riesen, von den
Schildwachen dort unten an der Schwelle bewacht.
Weiterhin sieht man einige ganz zerstörte Skulptu-
ren, einige ganz eingestürzte, unförmliche Trümmer-
haufen, und dann findet Persepolis seinen Abschluß, am
Fuße des traurigen, kupferfarbenen Berges, der bis in
seine geheimsten Tiefen durchbohrt und ausgehöhlt sein
muß, denn in gewissen Abständen entdeckt man dort
große schwarze, regelmäßige Löcher mit Giebeln und
Säulen, die in den Felsen selbst hineingehauen sind; sie
liegen alle verschieden hoch und dienen als Eingang zu
den Begräbnisstätten. In den unterirdischen Gewölben
schlafen zweifellos ungeahnte Reichtümer oder seltene
Reliquien 1
Die Sonne geht unter, die Schatten der Säulen, der
Riesen werden länger auf diesem Boden, der einst ein
königliches Pflaster war; diese Dinge, müde zu leben,
müde unter dem Hauch der Jahrhunderte rissig zu wer-
den, erleben noch einen Abend . . .
Die beiden Riesen mit dem lockigen Bart, beobachten
alles voller Aufmerksamkeit, der eine wendet sein gro-
ßes abgeschrammtes Gesicht der Begräbnisstätte des
r i3i
Berges zu; der andere sondiert die Ferne dieser Ebene,
von woher einstmals die. Krieger, die Sieger, die Herr-
scher der Welt herannahten. x\ber kein Heer zieht jetzt
noch vor diesem verlassenen Ort, vor diesen stolzen
Palästen auf; diese Gegend der Erde ist für immer
dem ländlichen Frieden und dem Schweigen wieder-
geschenkt . . .
Die Ziegen, die zwischen den Ruinen weideten, wur-
den von ihren bewaffneten Hirten gerufen, sie scharen
sich zusammen und ziehen fort, denn bald naht sich
die für die Herden gefährliche Stunde, die Stunde der
Panther. Ich möchte gern bis zum Anbruch der Nacht
oder doch wenigstens bis zum Aufgang des Mondes
bleiben; aber die beiden Hirten, meine Führer, weigern
sich auf das bestimmteste, sie fürchten sich vor den
Räubern, oder vor den Gespenstern, oder was weiß ich,
wovor, und sie bestehen darauf, ehe die Dämmerung
hereinbricht, heimzukehren nach ihrem kleinen Weiler,
hinter die Lehmmauern, die doch überall gerissen sind.
So heißt es also, morgen wieder zurückkommen und
für heute aufbrechen, der Fährte der Ziegen folgend,
die sich schon in den endlosen Wiesen verlieren. Einst
sahen die beiden Riesen zahllose Könige mit ihrem Ge-
folge eintreten und hinausgehen, jetzt schreiten wir an
ihnen vorüber. Unsere Pferde hatten sich schon ge-
weigert, die Stufen des Darius und Xerxes hinanzu-
klettern, natürlich sind sie noch weit weniger geneigt,
dieselben hinabzusteigen, sie sträuben sich, versuchen
sich loszureißen, und so gibt es ganz plötzlich inmitten
des Schweigens dieser großen, toten Gegenstände zum
Schluß eine lebhafte Szene, Kämpfe und Muskel-
anstrengungen, und inzwischen erhebt sich ein frischer
i3a
Wind, ein M aienabendwind and trägt uns von den Wie-
sen dort unten den süßen Duft des Heues zu . . .
Nachdem wir durch die lange gleichmäßige Ebene
der Gräser, der Gerste, der Mohnfelder gezogen sind,
biegen wir in die Gäßchen des einsamen Weilers ein
und erreichen schließlich unser aus Lehm gebautes
Nachtquartier, das keine Türen noch Fenster kennt.
Ein wirklich kalter Wind schüttelt jetzt die Pappeln
draußen und die Aprikosenbäume des wilden kleinen
Gartens; der Tag erlischt an einem wunderbar blau-
grünen Himmel, über den winzige korallenrote Wolken
dahinhuschen, und man hört die Stimmen der Hirten,
die zum Abendgebete rufen.
i33
DRITTER TEIL
Freitag, 4. Mai,
B
ei kaltem, klarem Sonnenaufgang brechen wir auf
und reiten über die weißen Mohnblumen hinweg,
auf denen noch der ganze Tau der Maiennacht liegt.
Zum erstenmal seit Chiraz legen meine Perser ihren
Burnus an und ziehen ihre Magiermützen tief über die
Ohren.
Nachdem die Ebene hinter uns liegt, steigen wir noch
einmal zu den großen Palästen des Schweigens hinan,
um von ihnen Abschied zu nehmen. Aber das Licht des
Morgens, das niemals verfehlt, das ganze Alter, den
ganzen Verfall der Dinge bloßzulegen, zeigt uns weit
mehr als die Abendsonne es vermochte, welcher Ver-
nichtung die Herrlichkeiten des Darius und des Xerxes
entgegengehen, wie verfallen die wunderbaren Treppen
sind, wie traurig der Anblick der gestürzten Säulen ist.
Nur die seltsamen Basreliefs aus grauem Kiesel, dem
auch die Jahrhunderte nichU anzuhaben vermögen,
können unter den Strahlen der aufgehenden Sonne be-
stehen: Prinzen mit glatten Barten, Krieger oder Prie-
ster strahlen in dem hellen, grellen Licht mit einem
Glanz wieder, der ebenso neu erscheint wie an dem
Tage, als die mazedonischen Horden gleich einem
Wirbelwind herangebraust kamen.
Während ich über den Boden der Geheimnisse da-
i34
hinschreite, stößt mein Fuß auf ein halbverstecktes
Stück Holz, das ich herausgrabe, um es näher zu be-
trachten; es ist ein Teil irgendeines riesengroßen Bal-
kens aus den unverwüstlichen Zedern des Libanon ge-
hauen, und — es herrscht kein Zweifel — , dies Stück
gehört zu dem Gebälk der Gemächer des Darius . . .
Ich hebe es auf und kehre es um. Eine der Seiten ist
geschwärzt, verkohlt und zerbröckelt unter dem Druck
meiner Finger: Das Feuer, das die Fackel Alexanders
angelegt hat!... Hier haben wir die Spur dieses
sagenhaften Feuers, zwischen den Händen halte ich sie
jetzt nach mehr als zweitausend Jahren I . . . Während
eines Augenblickes verschwinden die dazwischenlie-
genden Jahre für mich; es scheint mir, als habe diese
Feuersbrunst gestern gewütet; man könnte sagen, daß
diesem Stück Zedernholz die Kraft innewohnt, Geister
heraufzubeschwören, weit klarer als gestern, fast wie
eine Vision sehe ich den Glanz dieser Paläste, das
Leuchten der Emaillen, des Goldes und der purpurnen
Teppiche, sehe ich den Prunk dieser unausdenkbar rei-
chen Säle, die höher waren als das Schiff der Madeleine,
und deren Säulenreihen gleich Riesenalleen sich in einen
Waldesschatten verloren. Eine Stelle des Plutarch
kehrt mir ins Gedächtnis zurück, eine Stelle, die ich
einst, in Schülertagen, unter der Fuchtel meines Leh-
rers übelgelaunt und voll Langerweile übersetzte, aber
plötzlich belebt sie sich, wird sie mir verständlich; es
handelt sich um die Beschreibung einer Nacht der
Orgien in der Stadt, die sich hier um diese freien Plätze
ausdehnte, auf der Stelle, wo jetzt die wilden Blumen-
felder liegen: Der Mazedonier ist durch einen zu
langen Aufenthalt inmitten des ihm unbekannten Luxus
i35
aus dem Gleichgewicht geraten, er ist berauscht,
hat sich mit Rosen bekränzt, ihm zur Seite sitzt die
schöne Thais, die Beraterin in allen Ausschweifungen,
und zum, Schluß des Mahles, erhebt er sich mit einer
Fackel in der Hand — um eine Laune seiner Geliebten
zu befriedigen — und begeht das nie wieder gutzu-
machende Opfer, entfacht die Feuersbrunst, legt das
Freudenfeuer in den Gemächern der Achämeniden an.
Alsbald ertönt das laute Geschrei der Trunkenheit und
des Schreckens, steht plötzlich das Zederngebälk in
hellen Flammen, hört man das Geknatter der Emaille
an den Mauern, das Fallen der riesenhaft großen Säu-
len, die übereinander zusammenstürzen und mit Don-
nergetös gegen den Boden anprallen . . . Der kleine
schwärzliche Teil des Balkenstückes, das noch übrig-
geblieben ist, und das meine Hände berühren, wurde in
jener Nacht zu Kohle verbrannt . . .
Die Etappe heute wird neun Stunden dauern und
wir verlängern sie noch, indem wir einen Umweg
machen, um den braunen Berg in nächster Nähe sehen
zu können. Hinter Persepolis ragt dieser Berg gleich
einer Mauer aus Kupfer auf, und schwarze Löcher, die
Begräbnisstätten der Achämeniden-Könige, führen in
sein Inneres hinein.
Um an den Fuß dieses Felsens zu gelangen, muß man
über die endlosen Schutthaufen ausgehauener Stein-
blöcke, eingestürzter Mauerreste klettern; die gewal-
tige Vergangenheit hat diesen Boden befruchtet, in dem
viele Schätze, viele Totengebeine ruhen müssen.
Drei ungeheuer große Begräbnisstätten liegen im
Schöße des Berges voneinander getrennt, aber in einer
Reihe; um die Gräber des Darius und der Prinzen sei-
i36
nes Hauses unzugänglich zu machen, wurden die Öff-
nungen zu diesen Gewölben in halber Höhe der steilen
Felswand gelegt, und wir können nur mit Leitern,
Stricken, mit einem ganzen Belagerungs- und Ein-
bruchsmaterial dort hinauf gelangen. Der monumentale
Eingang zu jeder einzelnen dieser Stätten ist von Säu-
len umgeben und von figürlichen Basreliefs überragt;
die alle in den Felsen selbst hineingehauen sind; die
Verzierungen scheinen von den Ägyptern und den Grie-
chen zugleich beeinflußt zu sein; die Säulen, das Ge-
sims sind jonisch, aber der Gesamteindruck erinnert
doch mehr an die schwere Pracht der Portale Thebens.
Unterhalb der Gräber, am Fuße des als Begräbnis-
stätte dienenden Berges, sieht man hier und dort, ohne
irgendwelchen Zusammenhang, andere riesengroße Bas-
reliefs in vertiefte Vierecke ausgehauen, sie gleichen
eingerahmten Gemälden. Übrigens sind sie älter als die
Begräbnisstätten, sie stammen aus der Zeit der Sas-
saniden-Könige ; fast alle Gesichter der fünfzehn bis
zwanzig Fuß hohen Figuren haben die Mohammedaner
verstümmelt, aber trotzdem wirken verschiedene
Kampfes- oder Siegesdarstellungen noch immer. Be-
sonders ins Auge fallend ist ein Sassaniden-König, der
in stolzer Haltung auf einem Kriegsroß sitzt, vor ihm
kniet und demütigt sich wahrscheinlich ein Besiegter,
ein römischer Kaiser, an seiner Toga erkenntlich, dies
ist die ergreifendste und zugleich die größte aller Grup-
pen, die von dem roten Felsen eingerahmt werden.
Die Sieger alter Zeiten verstanden zu zerstören!
Man ist bestürzt, wenn man heute dem Nichts gegen-
übersteht, in das so viele alte ruhmreiche Städte durch
einen einzigen Stoß getaucht werden konnten, Karthago
137
zum Beispiel und auch hier am Fuße dieser Palaste, dies
Istakhar, das solange gestanden hatte, das einer der
herrlichsten Plätze der Welt gewesen, und das im VII.
Jahrhundert nach unserer Zeilrechnung unter dem letz-
ten Sassaniden-König noch immer eine große Haupt-
stadt war: eines Tages aber zog der Kalif Omar vorbei,
er befahl sie zu unterjochen und ihre Einwohner nach
Chiraz zu verpflanzen; sein Befehl wurde ausgeführt,
und nichts ist von der Stadt zurückgeblieben, kaum ein
Haufen Steine unter dem Gras; man zögert, an diesem
ihre Spur zu erkennen.
Ich suchte zwischen den Trümmerhaufen nach einem
älteren Denkmal, nach einem Denkmal, das mehr in die
Augen fällt und das die Zoroaster, die Emigranten in
Indien, mir als noch erhalten bezeichnet hatten. Und
jetzt liegt es ganz in der Nähe, wild und schweigend
auf dem Postament eines Felsblockes vor mir. Nach
der Beschreibung erkannte ich es sofort wieder, außer-
dem wurde mir seine Identität durch die Bezeichnung
des Tcharvadaren „Ateuchka!" bestätigt — in der ich
das türkische Wort a t e u c h wiederfinde, das Feuer
bedeutet. Zwei schwere, einfache, abgestumpfte Pyra-
miden, von grobem Zackenwerk gekrönt, zwei Zwil-
lingsältäre für den Kultus des Feuers bestimmt, aus der
Zeit der ersten Magier stammend, die mehrere Jahr-
hunderte vor Beginn des großen Baues der Persepolis
und des ausgehauenen Berges lebten; sie waren schon
sehr alt und ehrwürdig, als die Achämeniden diesen Ort
erwählten, um hier ihre Paläste, ihre Stadt und ihre
Gräber zu errichten, sie standen schon da in den dun-
kelsten Zeiten, wo die zur Begräbnisstätte dienenden
Berge noch unberührt und jungfräulich waren, und wo
i38
die ruhige Ebene sich an Stelle so vieler ungeheurer
Vorhallen und steinerner Plätze ausdehnte: sie haben
die gesteigerten Zivilisationen anwachsen und ver-
schwinden sehen, und immer sind sie auf ihrem Posta-
ment fast dieselben, die beiden Ateuchkas geblieben,
unverwüstlich und gleichsam ewig in ihrer derben
Herbheit Wie man weiß, verschwinden die Feueran-
beter immer mehr aus ihrem Heimatland, ja sogar von
der Erde; die Übriggebliebenen sind, ähnlich wie das
Volk Israels, in alle Winde verstreut; aber in Yezd, der
Wüstenstadt, die ich auf meinem Wege rechts liegen
ließ, gibt es eine noch ziemlich große Gemeinde, man
findet auch einige in Arabien, andere in Teheran, und
schließlich bilden sie eine wichtige, reine Kolonie in
Bombay, wo sie ihre großen Begräbnistürme errichtet
haben. Aber von allen Punkten der Erde, wohin sie ihr
Schicksal auch geführt haben mag, kehren sie doch
immer wieder als Pilger zu diesen beiden erschreckend
alten Pyramiden zurück, die ihre heiligsten Altäre sind
In dem Maße, wie wir uns entfernen, scheinen die
schwarzen Löcher der Grabstätten uns gleich dem Auge
des Todes zu verfolgen. Indem die Könige ihren Be-
gräbnisplatz so hoch legten, wollten sie zweifellos be-
zwecken, daß ihr Schatten, noch von der Schwelle der
dunklen Pforte aus, mit Herrscheraugen über das Land
dahinschweben und immer von neuem den Betenden
Furcht einflößen könnte.
Um weiter vorzudringen, folgen wir zuerst einem
schmalen Bach, der eingeschachtelt und tief über Kie-
selsteine, durch Schilf und Weiden dahinfließt; ein
Streifen Grün liegt halbversteckt in einem Spalt des
Bodens, umgeben von den dunklen Steinregionen. Und
i3g
bald, nachdem wir die Grabstätte alter Herrlichkeiten,
nachdem wir auch das schattige kleine Tal aus dem
Auge verlieren, umgibt uns von neuem die gewohnte,
gleichmäßige Eintönigkeit: die baumlose Ebene, mit
kurzen Gräsern und blassen Blumen bewachsen, dehnt
sich, zweitausend Meter hoch gelegen, ruhig wie das
Wasser eines Flusses zwischen zwei Bergketten aus, die
eine aschgraue, oder vielmehr eine lederbraune Farbe,
die Farbe des toten Tieres zeigen.
Und in dieser Ebene reiten wir dahin, bis zur
Stunde der Dämmerung, bis es plötzlich ganz kalt wird.
Aber während die Sonne noch hoch am Himmel steht
und ihre sengenden Strahlen auf uns herniederwirft,
sehen wir schon am Ende der grünen Fläche das Dorf
Ali-Abad liegen, wo wir zu übernachten gedenken. Doch
zahllose tückische Spalten durchschneiden hier und dort
die Ebene, die so leicht erschien, gefährliche Risse im
Boden, über die der Reiter nicht hinwegsetzen kann,
zwingen uns immer wieder, neue Umwege zu machen;
wir sind wie in einem Labyrinth gefangen, kommen
nicht von von der Stelle, und in diesen Schluchten liegen
die Leichnahme der Pferde, Esel oder Maultiere, wie
sie der ewige Durchzug der Karawanen dort hingesät
hat, und bilden den Sammelplatz der schwarzen Vögel.
Ali-Abad sehen wir noch immer sich in der gleichen
Entfernung vor uns erheben, man könnte sagen, es sei
ein befestigtes Schloß aus dem Mittelalter: dreißig Fuß
hohe, mit Schießscharten und Türmen versehene
Mauern bilden den Schutzwall gegen die Nomaden und
Panther.
Jetzt müssen wir einen Gießbach überschreiten, der
durch eine Schlucht dahinbraust. Bauern eilen zu unse-
i4o
rer Hilfe herbei, um uns die Furt zu zeigen, sie heben
ihre blauen, baumwollenen Kleider bis über den Gürtel
auf, steigen in das schäumende Wasser und wir folgen
ihnen, auch unsere Pferde werden bis an den Bauch
durchnäßt Endlich nähern wir uns Ali-Abad; noch eine
halbe Meile reiten wir an Friedhöfen, eingestürzten
Gräbern entlang; dann geht's an den Umzäunungen,
den Gärten, den Lehmmauern vorbei, über die das zit-
ternde Laub unserer heimatlichen Bäume herabhängt,
Kirschen-, Aprikosen-, Maulbeerbäume, alle schon tra-
gen sie kleine grüne Früchte ; und schließlich erreichen
wir das Eingangstor der Wälle, unter dessen großen
Spitzbogen alle Frauen sich aufgestellt haben, um uns
vorüberziehen zu sehen. Diese Warten, Mauern, diese
Zinnen, dieser ganze furchteinflößende Verteidigungs-
apparat, dieses alles macht, in der Nähe besehen, den
Eindruck eines bloßen Festungsschattens, dies alles be-
steht nur aus Lehm, hält sich nur wie durch ein Wunder
aufrecht, genügt vielleicht als Schutz gegen das Ge-
wehrfeuer der Nomaden, wird aber bei dem ersten
Kanonenschuß wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.
Die Frauen stehen dicht gegen die mit großen eiser-
nen Nägeln beschlagenen Türflügel gelehnt und be-
obachten uns, wie wir im bunten Durcheinander mit
einer Herde Ochsen an ihnen vorüber zum Tor hinein-
ziehen. Hier gibt es keine schwarzen Gespenster mit
weißen Masken mehr, die die Straßen Ghiraz' verdun-
kelten, die langen Schleier sind aus klarem Stoff, mit
Palmenzweigen oder altmodischen Blumen übersät, und
bilden mit ihren verblaßten Farben ein harmonisches
Ganzes; man hält sie mit der Hand gegen den Mund,
um nur die Augen zu zeigen, aber der Abend wind, der
i4i
sich mit uns unter den Spitzbogengewölben verliert,
hebt ihn in die Höhe und mehr als ein Antlitz, mehr als
ein naives Lächeln können wir überraschen.
Die Karawanserei befindet sich an dem Tor selbst,
und diese fast ganz gleichmäßigen Löcher, unterhalb
der Zinnen, mit denen der Spitzbogen gekrönt ist, sind
die Fenster unserer Schlaf räume. Wir klettern auf
Lehmtreppen dort hinauf, gefolgt von dem gefälligen
Volk, man trägt uns unser Gepäck, schleppt uns Krüge
mit Wasser, Näpfe mit Milch herbei, bringt uns Reisig-
bündel, um Feuer machen zu können. Und bald dürfen
wir uns an den hellflammenden Scheiten erwärmen,
die de nganzen Raum mit ihrem süßen Wohlgeruch er-
füllen.
Zwischen den Wällen liegen zahllose Lehmdächer
nebeneinander gedrängt, sie bilden die innere Terrasse,
von wo aus man einen Überblick über das Dorf hat Und
auf diesen Dächern treten jetzt alle Frauen, all die be-
scheidenen, geblümten, verblaßten Schleier ihren ge-
wohnten Spaziergang an; sie können nicht in die Ferne
sehen, die Damen Ali-Abads, denn die sehr hohen
Festungsmauern halten sie hier wie in einem Gefängnis
gefangen, aber sie betrachten sich gegenseitig und un-
terhalten sich von einem Haus zum andern; in diesem
eingeschlossenen und verlorenen Dorf müßte die abend-
liche Stunde im Freien besonders süß und reizvoll sein,
und man würde dieselbe noch länger ausdehnen, wenn
es weniger kalt wäre.
Der Gebetsausrufer singt. Und jetzt kehren die Her-
den heim. So oft haben wir diesen dicht gedrängten,
blökenden Einzug gesehen, daß wir wirklich nicht wie-
der von neuem Gefallen daran zu finden brauchten, aber
4a
hier an diesem engen Ort ist er wirklich noch ganz be-
sonders eigenartig: Durch das spitzbogige Eingangstor
bricht die lebende, schwarze Flut herein, wie ein Fluß
nach heftigen Regengüssen überschwemmt sie das
Land. Und sofort teilt sie sich in verschiedene kleine
Zweige, in kleine Bäche, die durch die engen Gäßchen
laufen: Jede Herde kennt ihr Haus, trennt sich von
selbst und zögert nicht; die Zicklein, die Lämmlein fol-
gen ihrer Mama, die weiß, wohin sie zu gehen hat, nie-
mand täuscht sich, und sehr schnell ist die Sache er-
ledigt, das Geblöke schweigt, der Fluß der schwarzen
Schafe hat sich aufgelöst und läßt nur in der Luft
den Duft der Weiden zurück, all die kleinen artigen
Tiere sind heimgekehrt
Und auch wir sehnen uns nach unserem Lager, nach
dem Schlaf unter dem eisigen Wind, der durch die
Löcher unserer Mauern streicht, und lenken deshalb
unsere Schritte dem Hause zu.
Sonnabend, 5. Mai.
Dieselben geblümten Schleier stehen bei Sonnenauf-
gang vor dem Tor, um uns fortreiten zu sehen; auch die
Männer haben sich hier versammelt, alle in blauen Ge-
wändern, alle mit schwarzen Hüten. Lange rosenrote
Strahlen dringen durch die klare, kalte Luft und lassen
die Zinnen, die Spitzen der Türme leuchten, während
unter der morgendliche Schatten noch auf den un-
beweglichen Gruppen ruht, die sich am Fuße der Wälle
aufgestellt haben, und die uns bis zu dem Augenblick,
wo wir in einem Spalt des sehr nahen Berges ver-
schwinden, mit den Augen verfolgen.
iA3
Sofort befinden wir uns inmitten der wilden, engen
und tiefen Schlünde, und über unseren Köpfen neigen
die schrägen Felsen ihre drohenden Gipfel herab. Über-
all sieht man hier, was sonst in Persien eine Seltenheit
ist, Sträucher, blühenden Weißdorn, der den Frühling
verkündet, ja, sogar 'Bäume, große Eichen; und sie be-
freien uns für eine Stunde von dem ewigen Einerlei der
Gräser und der Steine. Da diese Gegend scheinbar der
Zufluchtsort der Räuber ist, hielten meine Reiter von
Ghiraz es für gut, sich drei kräftigen, jungen Leuten
aus Ali-Abad anzuschließen. Diese gehen zu Fuß, sind
mit langen Steinschloßgewehren, mit Hirschfängern
und Amuletten bewaffnet; aber trotzdem halten sie uns
kaum auf, denn sie sind gute Läufer und ungewöhnlich
geschmeidig. „Vorwärts, vorwärts" — rufen sie uns
immer wieder zu, — „trabt nur ruhig vorwärts, es er-
müdet uns gar nicht." Um besser laufen zu können,
haben sie die beiden Zipfel ihres langen blauen Kleides
mit einem Lederriemen, der um die Hüften geschnallt
ist, hochgehoben, ihre braunen, muskulösen Schenkel
kommen zum Vorschein, und sie gleichen also den
Jägerprinzen auf den Basreliefs von Persopolis, die ihre
Kleider genau auf dieselbe Weise mit dem Gürtel be-
festigten, wenn sie ausgingen, um die Löwen oder Un-
geheuer zu bekämpfen.
Und sie machen Seitensprünge, sie finden noch Zeit,
Wachteln und Perlhühner, die überall aufsteigen, zu
verfolgen, — ja, sogar können sie uns Königskräuter,
kleine duftende Sträuße mit ihrem schönsten Lächeln
überreichen, wobei sie ihre weißen Zähne zeigen. Kaum,
daß ihnen der Schweiß unter den schweren Mützen her-
vortropft.
i44
Plötzlich öffnen sich die Schlünde, und vor uns liegt
die Wüste, strahlend, ewig, unendlich. Die Gefahr, so
sagt man uns, sei jetzt beendet, da die Räuber nur in den
Schlünden der Berge arbeiten. Wir können also unseren
drei Beschützern aus Ali-Abad danken und durch den
weiten Raum dahingaloppieren ; unsere Pferde wün-
schen sich übrigens nichts Besseres, sie waren schon
ungeduldig, durch die Fußgänger, die zweibeinigen
Läufer, zurückgehalten zu werden, jetzt setzten sie, wie
zu einer Fantasia davon. Die Pferde aber, die von mei-
nen Reitern aus Chiraz geritten waren, sind weniger
schnell, weniger launenhaft, sie scheinen mit einer Art
Wollust dahinzugaloppieren und mit der Grazie eines
Schwanes biegen sie ihre langen Hälse. Nirgends ein
vorgezeichneter Weg, keine Einzäunung, keine Gren-
zen, keine menschliche Spur; es lebe der freie Raum,
der jedermann und niemandem gehört 1 Die Wüste wird
ganz in der Ferne, rechts und links, von schneebedeck-
ten Gipfeln eingerahmt, sie dehnt sich vor uns aus,
dehnt sich aus bis zu dem fliehenden Horizont hinan,
den man niemals erreichen wird; die Wüste ist durch-
zogen von weichen, wellenförmigen Linien, sie glei-
chen den Wogen des Ozeans, wenn es windstill ist. Die
Wüste zeigt eine blasse, grüne Färbung, sie scheint hier
und dort von einer leicht violetten Asche bestäubt zu
sein; — und diese Asche ist der Blütenflor der selt-
samen, traurigen, kleinen Pflanzen, die unter der gar
zu sengenden Sonne, unter dem gar zu kalten Winde
ihre farblosen, fast grauen Keiche öffnen, die aber
immer duften, deren Saft selbst ein Wohlgeruch ist
Die Wüste ist anziehend, die Wüste ist voller Reize,
die Wüste ist reich an wunderbaren Düften; ihr fester,
10 Persiea.
145
trockener Boden ist ganz von Wohlgerüchen durch-
tränkt
So belebend scheint die Luft, daß man behaupten
könnte, unsere Pferde seien unermüdlich; heute morgen
galoppieren sie so leicht und munter dahin, und ihr
kupferner Schmuck rasselt, und ihre Mähnen flattern
launisch im Wind. Unsere Reiter von Ghiraz vermögen
nicht, uns zu folgen, wir verlieren sie aus dem Auge,
jetzt verschwinden sie hinter uns in der Ferne der blaß-
grünen, der blaßschillernden endlosen Ebene. Tut
nichts! Man sieht so weit nach allen Seiten, und der
leere Raum ist so tief, welche Überraschungen brauch-
ten wir wohl zu befürchten?
Wir treffen eine große Herde schwarzer Rinder,
schwarzer Kühe, kein Hirte bewacht sie; einige der
jungen Stiere springen und schlagen hinten aus bei
unserem Anblick, beschreiben seltsame Linien, aber nur
zum Vergnügen und um Aufsehen zu erwecken, nicht
um sich auf uns zu stürzen, da wir ihnen kein Leid zu-
fügen wollen.
Gegen neun Uhr morgens sieht man, ungefähr im
Abstand von einer Meile, zur linken Hand, in der sich
neigenden Ebene, große Ruinen hervorragen, Ruinen
der Achämeniden, zweifellos, denn die auf dem Stein-
haufen noch aufrechtstehenden Säulen sind fein und
schlank wie in Persepolis. Welch ein Palast ist dies, und
welcher erhabene Fürst bewohnte ihn zu jenen Zeiten?
Kennt man diese Ruinen, hat irgend jemand sie er-
forscht? Wir wollen nicht den Umweg machen und
uns hier aufhalten, heute morgen haben wir einen
schnellen Ritt von fünf Stunden zurückzulegen, und
wir befinden uns ganz in dem physischen Rausch, vor-
i46
wärts durch den Raum dahinzufliegen. Die höher stei-
gende Sonne brennt ein wenig auf unsere Köpfe herab,
um uns zu erfrischen, weht ein Wind, der über die
Schneegefilde dahingestrichen ist. Die weißen Gipfel
verfolgen uns noch immer zu beiden Seiten der Ebene.
Diese gleicht einer endlosen Allee, ist mehrere Meilen
breit, und lang, ja, man weiß nicht zu sagen wie
lang...
Um elf Uhr zeichnet sich ein wirklich grüner Fleck
dort unten ab und wächst schnell heran, unseren Augen,
die sich schon an die Oasen Irans gewöhnt haben, ver-
kündet er ein Stückchen Erde, durch das ein Bach
fließt, ein Stückchen Erde, das man bebaut, eine
menschliche Ansiedlung. Und in der Tat, zwischen das
ganz frische, zitternde Grün mischen sich Wälle und
Zinnen; es ist ein kleiner Weiler, er nennt sich Kader-
Abad, und gibt sich durch seine baufälligen Lehm-
mauern den Anschein einer Festung. Dort nehmen wir
unser mittägliches Mahl ein, auf den Teppichen Ghiraz'
sitzend, in dem Gärtchen der bescheidenen Karawanse-
rei, im Schatten der dürren Maulbeerbäume, die der
Frost des Frühlings entblättert hat Und nach und nach
wird die Mauer hinter uns geschmückt mit den Köp-
fen der Frauen und der kleinen Mädchen, eine nach der
anderen tauchen sie schüchtern hervor, um uns zu be-
trachten.
Wir wollten gerade aufbrechen, als ein verworrenes
Getöse das Dorf erfüllt, alles eilt herbei, hier geht
etwas vor sich . . . Man sagt uns, es sei eine vornehme
Dame angekommen, eine sehr vornehme Dame, ja so-
gar eine Prinzessin mit ihrem Gefolge. Seit einer Woche
befindet sie sich auf der Reise nach Ispahan, und für
W
147
diese Nacht bittet sie in den Mauern Kader-Abdas um
Schutz und Obdach.
In der Tat nähert sich jetzt ein Trupp berittener
Männer, ihre Beschützer, sie reiten vor ihr her, sitzen
auf schönen Pferden, deren gestickte Sättel goldene
Fransen zeigen. Und in dem Tor der zinnengekrönten
Mauer sieht man etwas ganz Seltsames zum Vorschein
kommen: eine Karosse! Eine Karosse mit purpurroten,
seidenen Vorhängen, die Pferde sind abgespannt, und
sie wird von einer Anzahl Hirten gezogen; scheinbar
kommt sie von Chiraz, man hat einen längeren, aber
weniger gefährlichen Weg als den unsern gewählt; ein
Rad ist gebrochen, alle Federn mußten durch Taue ver-
stärkt werden, die Reise verlief nicht ohne Beschwer*
den. Und hinter dem beschädigten Wagen schreitet die
geheimnisvolle Schöne ruhigen Schrittes daher. Jung
oder alt, wer vermöchte es zu sagen? Natürlich ist es
ein Schatten, aber ein Schatten voller Anmut; sie ist
ganz in schwarze Seide gehüllt und trägt vor dem Ge-
sicht eine weiße Maske, aber ihre kleinen Füße zeigen
elegantes Schuhwerk, und ihre zarte Hand, die den
Schleier zusammenhält, ist mit grauen Perlen bedeckt
Um besser sehen zu können, steigen alle Frauen Kader-
Abads auf die Dächer, und die braunen Mädchen eines
Nomadenstammes laufen so schnell die Füße sie zu
tragen vermögen, aus ihrem Lager herbei. Der Dame
folgen ihre Begleiterinnen, auch sie sind undurch-
dringlich verschleiert, zu zweien nähern sie sich auf
weißen Maultieren, in großen, rotverhangenen Käfigen.
Und endlich bilden zwanzig Maultiere den Beschluß,
sie tragen Ballen oder Koffer, die mit kostbaren samt-
ähnlichen Geweben bedeckt sind.
i48
Wir unsererseits brechen jetzt auf und verlieren uns
sofort in der großen Wüste. Von einem jeden dieser
Hügel aus, die wir unaufhörlich erklimmen müssen,
um dann wieder hinabzusteigen, entdecken wir immer
neue Ebenen, und alle sind sie gleich leer, gleich un-
berührt und wild, alle liegen sie in der gleichen wun-
derbaren Klarheit da. Man atmet eine süße Luft ein,
eine Luft, die unter einer blendenden Sonne doch kalt
ist Der mittagliche Himmel zeigt ein hartes Blau, und
einige perlmutterfarbene Wolken zeichnen die be-
stimmten Umrisse ihrer Schatten auf den nimmer en-
denden Teppich, der hier den Boden bedeckt, ein Tep-
pich aus zarten Gräsern, aus Königskraut und Quendel,
aus kleinen seltenen Orchideen, deren Blüte einer grauen
Fliege gleicht . . . Wir reiten in einer Höhe von zwei-
bis dreitausend Meter dahin. Heute abend treffen wir
keine Karawane, haben keine Erlebnisse.
Seit heute morgen haben die beiden Gebirgsketten
uns verfolgt, jetzt wo der Tag erstirbt, nähern sie sich
einander. Mit einer Klarheit, die das Auge tauscht, zei-
gen sie uns das ganze Chaos ihrer Gipfel, wie es in
einem dunklen Blau, in den wunderbar violetten Tönen,
die in Rosa übergehen, daliegt, man könne sagen, es
seien Geisterschlösser, babylonische Türme, apokalyp-
tische Städte, die Trümmer einer Welt; und der Schnee,
der dort in allen Falten der Abgründe schläft, sendet
uns eine wirkliche Kälte entgegen.
Indessen winkt uns ein neuer grüner Fleck in der
Ferne, er zeigt uns unser Nachtquartier für heute
abend. Die immer gleiche, kleine Oase, die Korn-
felder, einige Pappeln und in der Mitte die Zinnen eines
Walles.
Es ist Abas-Abad. Aber die Karawanserei ist be-
setzt, sie beherbergt eine reiche kaufmännische Kara-
wane, und nicht für Gold kann man uns dort Platz ver-
schaffen. So müssen wir uns also ein Obdach bei ganz
bescheidenen Leuten suchen, die über einem Stall zwei
aus Lehm erbaute £immer besitzen, das eine wollen sie
uns abtreten. Die zahlreiche Familie, die Knaben und
Mädchen siedeln in den andern Raum über, der sonst.
wegen eines schadhaften Daches, durch das die Kälte
eindringt, unbewohnt war. Auf einer abgenutzten
Treppe, auf der man ausgleitet, steigen wir zu diesem
wüsten, verräucherten, schwarzen Lager hinauf; man
beeilt sich, die armseligen Matratzen, die Krüge, die
Näpfe, die Weizenkuchen, die Steinschloßgewehre, die
alten Säbel fortzutragen und die Hühner mit ihren
Küchlein hinauszujagen. Dann muß man uns ein Feuer
anzünden, denn die Luft ist eisig. In diesem waldarmen
Ländern, wo es nicht einmal Strauchwerk gibt, heizt
man mit einer Art Distel, die wie die Sternkorallen in
der Gestalt von stachlichten Fladen wächst; die Frauen
sammeln sie in den Bergen und trocknen sie für den
Winter. Diese Disteln schichtet man mehrere Fuß hoch
im Herd auf, und sie knattern und brennen in tausend
lustigen kleinen Flammen. Die Hauskatze war zuerst
mit ihren Herren umgezogen, sie entschließt sich jetzt
aber, zurückzukehren, um sich an unserem Feuer zu
wärmen, und sie geht auch darauf ein, mit uns zusam-
men zu Abend zu essen. Die beiden jüngsten Mädchen,
zwölf und fünfzehn Jahre alt, hatten bei unserm Aus-
packen wie versteinert dagestanden, jetzt schleichen sie
auf Zehenspitzen heran und können sich gar nicht los-
reißen von dem Anblick, den ihnen unsere Mahlzeit ge-
i5o
währt. Übrigens sind sie alle beide so komisch, daß
man ihnen nicht böse sein kann, sind so unschuldig
schön, unter ihren persischen Schleiern mit dem alt-
modischen Muster, mit ihren roten samtweichen Wan-
gen, die einem Septemberpfirsich gleichen, mit den fast
zu langen, zu geraden Augen, deren Winkel sich unter
dem schwarzen Schleier verlieren — schauen aber vor
allen Dingen so ehrlich, keusch, so naiv drein. Erst als
wir uns hinlegen, ziehen sie sich zurück, nachdem sie
noch einmal einen ganzen Haufen Disteln ins Feuer ge-
worfen haben; und alsdann umfängt uns die Kälte, das
erhabene Schweigen, das die nahen Gipfel und ihre
Schneegefilde ausstrahlen, und das sich mit der Nacht
über die Einsamkeiten der Umgebung lagert, über das
kleine lehmerbaute Dorf, über unsere elende Kammer
und unseren gesunden, traumlosen Schlaf.
Sonntag, 6. Mai.
Schon frühmorgens finden wir die Freude an
Schnelligkeit und Weite wieder, in der immer glei-
chen Wüste, zwischen den beiden Gebirgsketten mit
ihren schneebedeckten Gipfeln. Die Wüste ist wie mar-
moriert, durch ihre verschiedenen Blumenfelder. Aber
hier herrscht nicht mehr die Pracht der Ebenen Marok-
kos und Palästinas, die sich im Frühling mit Schwert-
lilien, Rosen, mit blauen Winden und roten Anemonen
bedecken. Es scheint fast, als wenn alles sich unter den
Strahlen einer zu nahen, zu blendenden Sonne ent-
färbte: Der Quendel zeigt eine unbestimmte Farbe, das
Maßliebchen ein verblaßtes Gelb, das Violett der blas-
sen Iris ist hier perlgrau, die Orchideen haben graue
iüi
Blüten, und tausend kleine unbekannte Pflanzen schei-
nen zu Asche verbrannt zu sein.
Wir haben beschlossen, unsere Lasttiere mit den
überflüssigen, langsamen Reitern aus Chiraz zurück-
zulassen; wir sind jetzt ganz vertrauensvoll, und so
geht es denn vorwärts.
Aber dort hinten bewegt sich eine Herde, die unse-
ren Weg kreuzen wird; es sind Nomaden, Leute von
schlechtem Ruf, es ist ein Volksstamm, der auf eine
andere Weide zieht An der Spitze schreiten bewaff-
nete Männer, sie haben ganz das Äußere von Räubern;
unsere Perser beschließen, im gestreckten Galopp, mit-
ten hindurch zu sprengen, sie stoßen wilde Schreie aus,
um die Pferde anzuspornen, und man weicht zur Seite,
und macht uns Platz. Im langsamen Trab setzen wir
unseren Weg durch das Gewühl der Tiere fort Und
schließlich kreuzen wir im Schritt die Nachhut, Frauen
und kleine — sehr kleine Kinder, kleine Kamele, kleine
Böcklein, ein lustiges, reizendes Durcheinander; — aus
ein und demselben Korbe, auf dem Rücken eines Maul-
tieres, sehen wir den Kopf eines Babys und den eines
soeben geborenen Esels hervorlugen, und man vermag
wirklich nicht zu sagen, welcher von beiden der hüb-
scheste ist, der kleine Nomade mit den rollenden Augen,
oder der kleine Esel mit dem noch ganz lockigen Fell;
der eine sowohl wie der andere betrachten uns übrigens
mit der gleichen Offenherzigkeit, demselben Erstaunen.
Nach vierstündigem Ritt machen wir vor dem ver-
lassenen Dorfe Dehbid halt (zweitausendsechshundert
Meter hoch gelegen.) Inmitten der grauen Ebene er-
hebt sich eine alte Festung, sie stammt aus den Zeiten
der Sassaniden-Herrscher, elende, aus Lehm erbaute
102
Hütten schmiegen sich an sie an, gleichsam als fürchten
sie die Stürme, die über diese hohen Länder dahinfegen.
Ein eisiger Wind, in der Nähe die endlosen Schnee-
gefilde, und ein funkelndes Licht
Aber unsere Lasttiere, wie auch unsere Reiter von
Chiraz, denen wir heute morgen vorausgeeilt waren,
schließen sich uns nicht an. Den ganzen Tag harren
wir ihrer, sehen von dem Dach der Karawanserei nach
ihnen aus, befragen den Horizont: Karawanen kommen
zum Vorschein, Maultiere, Kamele, Esel, Tiere und
Leute aller Art, aber die unsrigen nicht. Um die Stunde,
wo die Berge übernatürlich großen Schatten auf die
Wüste werfen, erscheint endlich einer der Reiter: „Be-
unruhigt euch nicht", sagt er, „sie haben einen ande-
ren, ihnen bekannten Weg eingeschlagen ; schlafet hier,
auch ich werde mich zur Ruhe begeben; morgen trefft
ihr vier Stunden weiter mit ihnen in der Karawanserei
von Khan-Korrah zusammen."
So laßt uns also in Dehbid übernachten, es bleibt
uns in der Tat auch nichts anderes übrig, denn bald
schon senkt sich die schweigende Nacht herab. Aber
man soll uns trockene Disteln auf den Herd schütten,
wo wir unser Feuer anzünden werden.
Die langgezogenen Töne des Gebetsausrufers stei-
gen hinauf in die Luft. Die Vögel stellen das Kreisen
ein, sie begeben sich zur Ruhe in den Zweigen einiger
verkrüppelter Pappeln, der einzigen Bäume, die es
meilenweit im Umkreise gibt. Und kleine, zwölfjährige
Mädchen drehen sich im Kreise, wie sie es wohl bei
uns an einem schönen Maienabend zu tun pflegen;
kleine persische Schönheiten, bald wird man euch ver-
schleiern, kleine Wüstenblumen, euer Schicksal ist es,
i53
in diesem verlorenen Dorfe zu verwelken. Sie tanzen,
sie singen; so lange die durchsichtige Dämmerung an-
hält, treten sie ihren Reigen, und ihre Fröhlichkeit steht
im Widerspruch zu der herben Trauer von Dehbid . . .
Montag, 7. Mai.
Die Sonne ist gerade im Begriff aufzugehen, als wir
durch die Löcher unserer Erdmauer einen Blick ins
Freie werfen. Eine große Karawane, die soeben ange-
gekommen ist, hat sich auf dem weißbereiften, glitzern-
den Grase gelagert; die höckerigen Rücken der Kamele,
die Spitzen ihrer Sättel heben sich im klaren Osten von
dem wunderbar reinen Morgenhimmel ab, und für un-
sere, noch kaum geöffneten Augen geht dies alles zu-
erst in die zackigen Berge über — und doch liegen
diese so fern dort hinten am Ende der weiten Ebene.
Von neuem reiten wir durch die eintönige Wüste da-
hin, wo einige Asphodelos auftauchen, ihre weißen Blü-
ten ragen über den kleinen grauen oder violetten Blu-
men auf, denen wir immer wieder begegnen. In der
Mittagsstunde, unter den Strahlen einer plötlich sen-
genden Sonne finden wir an dem bezeichneten Platz
unsere verloren geglaubten Tiere und Leute wieder.
Aber welch ein trauriger Ort des Wiedersehens ist diese
Karawanserei von Khan-Korrah. Nicht das kleinste
Dorf in der Umgegend. Inmitten einer großen Einöde,
einer Wüste von Steinen, liegt hier nur ein hoher, krene-
lierter Wall, ein Platz, wo man im Schutze vor den
nächtlichen Angriffen hinter Mauern schlafen kann.
Gleich am Eingang bedecken ein Dutzend Skelette, die
Gebeine von Pferden und Kamelen, und einige kürzlich
i54
gestürzte Tiere, auf denen die Geier hocken, den Weg.
Riesengroße Hirtenhunde und drei, bis an die Zähne
bewaffnete, wild dreinblickende Männer, sind die
Wächter dieser Festung, in derem Schatten wir uns
für kurze Zeit zum Schlafe niederlegen. Das Innere des
Hofes ist mit Unrat, mit den Gerippen der Maultiere
bedeckt, die hier den Verwesungsprozeß durchgemacht
haben: nach irgendeinem gewaltsamen Marsch sind die
Tiere an diesem Platz der Überanstrengung erlegen, und
man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie hin-
auszuwerfen, sondern übergab sie der Obhut der Geier ;
jetzt zu dieser heißen Tagesstunde sind sie in eine
Wolke von Fliegen eingehüllt.
Es wird zweifellos über Nacht frieren, aber in diesem
Augenblick ist die Hitze kaum erträglich; und unser
Mittagsschläfchen wird durch dieselben blauen Fliegen
gestört, die vor unserer Ankunft die verwesten Tiere
bedeckten . . .
Nachmittags machen wir einen fünfstündigen Ritt
durch die graue Einöde, unter einer bleiernen Sonne,
und begeben uns dann in die Karawanserei von Surah,
in der Nähe einer alten Festung der Sassaniden, am
Fuße der Schneegefilde zur Ruhe.
Dienstag, 8. Mai.
Heute tauchen die grünen Flecke der kleinen Oase
zu beiden Seiten unseres Weges immer häufiger auf.
Über einen ausgedörrten Boden eilen zahllose kristall-
klare Bäche dahin, sie springen aus den Spalten der
schneebedeckten Berge hervor, werden von eifriger
Menschenhand geleitet und verteilt und tragen hier und
1 55
dort zu den verstreut liegenden, urbar gemachten
Landstrichen dieser hohen Ebenen Leben und Frucht-
barkeit
Gegen zehn Uhr morgens erreichen wir eine Stadt,
die erste seit Chiraz. Sie nennt sich Abadeh. Ihre drei-
fachen Mauern aus Ton und Lehm fallen schon stellen-
weise zusammen, sie sind ungewöhnlich hoch, werden
von drohenden Türmen überragt, und ihre blauglasier-
ten Steine reihen sich zu Arkaden aneinander. Den
Schmuck der Tore bilden Gazellenhörner, die man ober-
halb des Spitzbogens in einem Kreise angebracht hat
Hier gibt es einen großen, überdachten Basar, in dem
ein ungewöhnlich reges Leben herrscht; man verkauft
Teppiche, Wolle, gewebt und in Docken, verarbeitetes
Leder, Steinschloßge wehre, Korn, Spezereien, die aus
Indien gekommen sind. Heute findet außerdem in den
engen Straßen ein Viehmarkt statt Wohin das Auge
sieht: Schafe und Ziegen. Die Frauen von Abadeh
tragen hier nicht die kleine weiße, durchlöcherte Maske,
aber ihr Schleier verhüllt sie deshalb nicht weniger: er
ist nicht schwarz wie in Chiraz, hat keine gestickten
Blumen oder Zweige wie auf dem Lande, nein , er ist
stets blau, sehr lang, wird nach unten zu breiter und bil-
det eine Schleppe; um ihren Weg finden zu können,
wagen sie von Zeit zu Zeit einen Blick durch die ver-
borgenen Falten. Die also verschleierten Schönen glei-
chen anmutigen Madonnen, die kein Gesicht haben. Na-
türlich betrachtet man uns viel in dieser Stadt, aber ohne
Mißtrauen, die Kinder folgen uns scharenweise, und in
ihren Augen leuchtet die verhaltene Neugierde.
Wir beabsichtigten nach einer zweistündigen Ruhe-
pause aufzubrechen, aber der Besitzer der Pferde wei-
i56
gert sich, er behauptet, die Tiere seien gar zu müde und
wir müßten hier übernachten.
So sieht uns der melancholische Abend also in der
Karawanserei von Abadeh vor dem Tore sitzend, auf
dem man den Schmuck der Gazellenhörner angebracht
hat Hinter uns zeichnen die Zacken der jetzt im Schat-
ten liegenden krenelierten Mauern sich von dem grün-
goldenen Himmel ab. Und vor uns liegt die Stadt der
Gräber: ein grauer Boden, auf dem kein Gras wächst,
bescheidene Grabgewölbe aus grauem Stein, kleine
Kuppeln, oder einfache Leichensteine; so weit das Auge
reicht, nichts als Gräber, zum größten Teil sind diese
schon so alt, daß wahrscheinlich niemand sie noch ken-
nen wird. Die blauen Madonnen mit dem schleppenden
Schleier wandeln in Scharen dort umher; in der herein-
brechenden Dämmerung gleichen sie mehr denn je Ge-
spenstern. Im Hintergrunde wird der Horizont durch
vier- bis fünftausend Meter hohe Gipfel abgeschlossen,
deren Schneefelder in dieser Stunde bläulich leuchten,
ihr Anblick erfüllt uns mit Kälte.
Sobald der erste Stern am klaren Himmel angezün-
det wird, schreiten die blauen Schatten langsam der
Stadt zu, und die Tore schließen sich hinter ihnen. In
diesen Ländern erstarrt das Leben mit Hereinbruch der
Nacht; man fühlt die Traurigkeit, die unerklärliche
Angst
Mittwoch, 9. MaL
Unsere Pferde haben sich jetzt ausgeruht, schon
frühmorgens beginnen sie von neuem ihren schnellen
Lauf durch den stets schweigenden, klaren Raum.
157
Blühender Asphodelos und Akanthus verleiht dieser
Einöde zuweilen den Anblick von Gärten, ein dunkler,
farbloser Garten, der sich meilenweit erstreckt, ohne
jemals eine Abwechslung zu zeigen. Zur Rechten und
Linken, bis in die Unendlichkeit, verfolgen uns noch
immer die beiden Gebirgsketten, sie bilden auf der Erd-
oberfläche einen doppelten Kamm, einen der höchsten
der Welt Aber heute gewähren uns die Öffnungen in
der östlichen Kette einen Blick auf den Eingang zu den
endlosen Sand- und Salzwüsten, die zweihundert Mei-
len lang sind, und die bis an die afghanistanische Grenze
reichen.
Nach einem vierstündigen Ritt erscheint in dem
glühenden, grauen Raum, an dem blendenden Horizont
etwas Blaues, ein ganz unnatürliches Blau, es strahlt
und lockt; man könnte glauben, es sei irgendein großer
kostbarer Stein, irgendein mächtiger Türkis . . . Und es
ist nur die glasierte Kuppel einer kleinen, alten, ver-
fallenen Ruine, die in jenem traurigen, verlassenen
Weiler steht; die Hütten gleichen den ehemaligen Höh-
len wilder Tiere. Im Schatten eines Gewölbes aus ge-
trocknetem Lehm machen wir dort halt, um uns in der
Mittagsstunde auszuruhen.
Wie endlos, wie herbe ist dieser Weg, der gen Ispa-
han führt! Abends legen wir einen sieben bis acht Meilen
langen Ritt in der Einöde zurück, und nirgends begeg-
nen wir einer menschlichen Spur. Zweimal kreuzt eine
Staubwolke sehr schnell unseren Weg, sie fliegt über
dem blassen Teppich der Königskräuter und Quen-
del dahin: Gazellen auf der Fluchtl Kaum haben wir
sie erkannt, so sind sie wieder verschwunden, sie laufen
wie der Wind. Und schon geht der Tag zur Neige.
i58
Aber bei Sonnenuntergang erreichen wir auf unse-
ren einsamen Hochebenen den Rand eines gewaltigen
Spaltes, und dort unten erwartet uns die Überraschung
eines fruchtbaren Gefildes, durch das sich ein Fluß da-
hinschlängelt, Karawanen, Maultiere, zahllose Kamele
ziehen ihres Weges, in der Luft auf einem Felsen, wie
man ihn sonst nirgends sieht, schwebt eine phantastische
Stadt. Dieses Tal unter uns ist nur eine halbe Meile
breit, aber es erscheint endlos lang zwischen den senk-
rechten Felswänden, die es von beiden Seiten ein-
schließen und verbergen.
Während wir auf den gefährlichen Windungen hin-
absteigen, ist man überwältigt von dieser hochgelege-
nen Stadt, dies ist eine Stadt, die keiner Mauern bedarf ;
aber wie können ihre Einwohner zu ihr gelangen? . . .
Ein großer, alleinstehender, sechzig Meter hoher
Felsen dient ihr als Fuß, er zeigt die genaue Form eines
Helmstutzes, ist nach unten zu ganz ausgehöhlt, voller
Grotten und Löcher, wird aber nach oben hin beängsti-
gend breit, und darauf haben die Menschen einen un-
glaublichen Bau aus getrocknetem Lehm errichtet, der
dem Gesetz des Gleichgewichtes, dem gesunden Men-
schenverstand Hohn zu sprechen scheint: Hier schwe-
ben die Häuser eins über dem anderen, alle werden sie,
wie der Felsen selbst, nach oben zu breiter, entfalten
sich über dem Abgrunde in vorspringenden Balkons und
Terrassen. Dieser Ort nennt sich Yezdi-Khast, man
könnte sagen, es sei eine jener unwahrscheinlichen An-
siedelungen von Wasservögeln, wie sie an den steilen
Felswänden über dem Meere schweben. Es ist alles so
verwegen und außerdem so ausgetrocknet, so alt, daß
der Zusammenbruch nicht auf sich warten lassen kann.
i5q
Mittlerweile aber stehen auf jedem Balkon, an jedem
Fenster Menschen: Kinder, Frauen, die sich hinab-
beugen und ruhig dem Leben und Treiben dort unten
zuschauen.
Am Fuße dieser phantastischen Stadt, die bald in
Trümmer zerfallen Wird, sehen wir Höhlen, unter-
irdische Gänge, tiefe und klaffende Löcher, aus denen
man einst die viele Erde geholt hat, um sie dort oben in
so unvorsichtiger Weise aufzuhäufen. Hier gibt es auch
eine Moschee, eine große Karawanserei mit schön ver-
zierten Mauern aus blauer Fayence; auch einen Fluß
mit einer starkgewölbten Brücke, auch die frischen Ufer
eines Baches, Kornfelder, junge Bäume; hier herrscht
auch das Leben der Karawanen, das muntere Treiben
der Kamel- und Maultierhüter, auf dem Grase liegen
die Warenballen aufgestapelt, alles verrät einen großen
Durchgangsort Auf einem Felde hat man sogar einige
hundert Zuckerhüte niedergelegt, heute abend werden
sie von neuem auf die Rücken der Kamele geladen, um
in den Dörfern der entfernter gelegenen Oasen zu stran-
den, — ■ es sind dies ganz gewöhnliche, in blauem Papier
verpackte Zuckerhüte, so wie man sie bei uns kennt, die
Perser verzehren eine beträchtliche Menge von diesem
Zucker zu ihrem ungemein süßen Tee, den sie sich
gegenseitig abends und morgens in winzig kleinen Tas-
sen anbieten. (Und diese Zuckerhüte, die bis vor einigen
Jahren aus Frankreich geliefert wurden, kommen jetzt
alle aus Deutschland oder Rußland: dies erzählen mir
die Tcharvadare, und sie verhehlen mir nicht ihr ein
wenig verächtliches Mitleid mit dem Zurückgang un-
seres Handels.) Große Scharen von Kamelen umgeben
unsere Karawanserei, und dies ist der Augenblick, wo
160
Karawanserei in Südpersien
sie ihre lauten Wut- oder Leidensschreie ausstoßen,
die durch Wasser hindurchzudringen scheinen, die an
die gurgelnden Laute eines Ertrinkenden erinnern. In
diesem Lärm, gleichsam inmitten einer Menagerie, neh-
men wir unser Abendessen ein.
Aber das Schweigen kehrt zur Stunde des Mondes,
des Vollmondes zurück; wie immer, so folgen ihm auch
heute Blendwerk und trügerische Beleuchtung, seltsam
verschönert er die alte Stadt, die so lächerlich hoch
dort oben in unserem Himmel schwebt, er hüllt sie in
ein rosenrotes Licht, aber das Licht ist hart, ist eisig
zugleich.
Donnerstag, 10. MaL
Um aus der großen, außerhalb der Wüste gelegenen
Oase hinauszugelangen, suchen wir uns frühmorgens
mitten durch die Höhlen und Löcher am Fuße, ja fast
unterhalb der hängenden, hohen Stadt einen Weg; der
vorspringende Felsen, der sie stützt, hüllt uns noch
immer in seinen kalten Schatten ein, während die
schöne, aufgehende Sonne sonst alles erwärmt, über
unseren Köpfen, in ihrem Adlerhorst, stehen viele Leute,
am Rande der schwindelerregenden Terrassen, oder
sie neigen sich aus den vorspringenden Fenstern her-
aus und sehen senkrecht auf uns herab.
Ein schmaler Pfad führt an der oberen Felswand
des Tales zu den Einöden hinauf, einige hundert gleich-
gültige Eselchen versperren uns den Weg und machen
keinen Platz. Wie immer, wenn ihnen ein Hindernis
begegnet, setzen unsere Perser auch diesmal im Galopp
mit lautem Geschrei mitten durch den Schwärm hin-
11 Forsien jßl
durch. Schrecken und Verwirrung entsteht unter den
Eseln, und mit großem Gepolter gelangen wir dort oben
in der dürren, grauen Ebene an, erreichen wir die Höhe,
im üblichen Galoppe.
Heute ist der Eselmorgen, wir kreuzen tausende von
ihnen, begegnen meilenlangen Zügen, sie kehren aus
Ispahan zurück, wohin sie Waren gebracht haben, keh-
ren müßig zurück, auf ihrem Rücken liegt nur die ge-
streifte Decke von Chiraz. Doch einige tragen ihren
Herrn, der, in einen Filzkaftan gehüllt, der Länge nach
auf dem Rücken seines guten Tieres liegt, die Arme um
dessen Hals geschlungen hat, und seinen nächtlichen
Schlaf fortsetzt Man sieht auch Eselmamas, in einem
Korbe haben sie ihr Junges bei sich, das am Vorabend
geboren wurde. Und schließlich sind da auch kleine
Esel, die schon laufen können und schelmisch hinter
ihrer Mutter herspringen.
Die Gegend ist heute nicht gar zu verlassen, die
kleinen, grünen Oasen liegen nicht gar zu weit ausein-
ander, eine jede hat ihren Weiler mit den krenelierten
Zinnen und wird von einigen schlanken, mächtigen
Pappeln beschattet
In dem Dorfe Makandbey machen wir um die Mit-
tagsstunde Rast, mehrere Gespensterdamen neigen sich
über den Rand der Mauern hinüber und sehen zwischen
den Zinnen in die traurige Ebene hinaus. Unter den
Bogen der Karawanserei, im Hof, haben viele stattliche
Reisende mit Turbanen und in Kaschmirkleidern Platz
genommen; wir tauschen feierliche Begrüßungen mit
ihnen aus, auf Kissen, auf Teppichen von selten schönen
Farben sitzen sie scharenweise um Samowars und
kochen ihren Tee und rauchen ihre Kalyan.
162
Wir haben heute den vorletzten Tag des persischen
Fastens, und morgen Ist der Todestag Alis*; deshalb
ist die religiöse Begeisterung in Makandbey besonders
groß. Auf einem Platz, vor der bescheidenen Moschee
mit ihren Spitzbogen aus Lehm, bilden etwa hundert
Leute einen Kreis um einen Derwisch, dieser singt,
seufzt, schlägt sich in die Brust. Sie haben alle ihre
Schulter und ihre linke Brust entblößt, und schlagen
sich selbst mit einer solchen Gewalt, daß das Fleisch
anschwillt und die Haut fast blutig ist; man hört die
Schläge in ihrem breiten Brustkasten hohl widerhallen.
Der alte Mann, dem sie lauschen, erzählt ihnen, halb
singend, halb sprechend, in Versen die Leidensgeschichte
ihres Propheten, und sie unterstreichen die ergreifend-
sten Stellen, indem sie Schreie der Verzweiflung aus-
stoßen oder lautes Schluchzen nachahmen. In immer
größere Aufregung gerät der alte Derwisch mit dem
wilden Blick; jetzt singt er wie die Gebetsausrufer mit
schwacher, meckernder Stimme, und doppelt schnell
sausen die Schläge auf die nackten Schultern hernieder.
Alle Gespensterdamen kommen auf den umliegenden
Dächern zum Vorschein; sie schmücken die Terrassen
und die schwankenden Mauern. Der Kreis der Männer
schließt sich, und es beginnt ein furchtbarer Tanz, sie
tanzen und springen im Wahnsinn an ein und demsel-
ben Platz umher, sie reihen sich enger aneinander an,
bilden eine dichte, runde Kette, schlingen den linken
Arm um ihren nächsten Nachbar, aber schlagen noch
* Ali, Kalif von Islam, der vierte nach Mahomet, wurde be-
sonders verehrt in Persien. Ali fiel unter dem Dolch eines
Morders, seine beiden Söhne, Hassan und Hussin, wurden
niedergemetzeil.
immer in steigendem Schmerzenseifer mit der rechten
Hand wie wütend auf sich ein. Einige werden durch
diesen Rausch so sehr entstell,, daß sie Mitleid erregen,
andere erlangen den höchsten Grad menschlicher Schön-
heit Alle Muskeln sind gewaltsam angespannt, und in
den Augen leuchte^ es wider von Sehnsucht nach einem
Blutbad, nach dem Märtyrertod. Gellende Gchreie und
rauhes, tierisches Gebrüll steigen aus diesem Knäuel
menschlicher Gestalten empor; der Schweiß und die
Blutstropfen rollen über die braunroten Körper herab.
Der Staub wird vom Boden aufgewirbelt und hüllt den
Ort, auf den die brennende Sonne ihre sengenden Strah-
len wirft, in eine dichte Wolke ein= Auf den Mauern
dieses kleinen wilden Platzes stehen die Frauen mit
ihren Masken wie versteinert da. Und über dem allen
ragen die Gipfel der Berge, die Schneegefilde zu dem
wunderbar blauen Himmel hinauf.
Nachmittags reiten wir durch eine Gegend, die immer
belebter wird, wir stoßen auf Städte, auf Kornfelder,
auf eingefriedigte Obstgärten. Abends sehen wir schließ-
lich eine große Stadt mit ihrer trügerisch drohenden
Mauer vor uns liegen; es ist Koumichah, und von dort
bis nach Ispahan sind es nur noch acht bis neun Meilen.
In Persien sind die Zugänge zu den Städten weit
schwieriger und gefährlicher für die Pferde als das
platte Land. Bevor wir das Tor der Wälle erreichen,
mühen wir uns deshalb auf Pfaden ab, auf denen man
ßich den Hals brechen kann, wo die Gebeine der Kamele
und Maultiere überall den W7eg versperren; mitten
durch die Ruinen, Trümmer und Erdhaufen führt der
Weg hindurch, und immer müssen wir zur Rechten und
Linken nach den klaffenden Löchern spähen, aus denen
i64
man die Bauerde für die Festungen, Häuser und Mo-
scheen geholt hat.
Die Sonne geht unter, als wir durch das spitzbogige
Tor reiten, das sich immer wieder vor uns zu verbergen
wußte. Die Stadt lag fast ganz versteckt hinter den
Mauern da, jetzt aber bietet sie uns einen bezaubernden
Anblick. Sie ist von demselben rosenroten Grau, wie
wir es in Chiraz, in Abadeh, in jedem Dorf am Wege
sahen, denn überall bedient man sich beim Bau der-
selben tonartigen Erde, aber hier breitet sie sich auf
dem hügeligen Boden aus, entfaltet sich in der Art einer
prächtigen Dekoration. Wie kann man es nur wagen,
so viele kleine Kuppeln aus Lehm zu errichten, sie mit-
einander zu verbinden, sie in Pyramiden übereinander
aufzutürmen? Wie können die vielen Arkaden, die gro-
ßen, eleganten Spitzbogen, die nur aus getrocknetem
Lehm bestehen, wie können die vielen Minaretts, deren
Galerien mit Stakalit verbrämt zu sein scheinen, wie
können sie alle sich aufrecht halten und den Regen-
güssen widerstehen? Das Ganze zeigt, wohlverstanden,
keine scharfen Linien, keine bestimmten Umrisse; der
Schatten und das Licht laufen zwischen den immer
weichen, runden Formen unmerklich ineinander über.
Auf den Denkmälern sieht man keine blauen Fayencen,
in den Gärten keine Bäume, nichts, was den eintönigen
Farbenton dieser Gebäude, die alle von einem silbernen
Tau durchtränkt zu sein scheinen, unterbrechen könnte.
Aber dort unten in den belebten Straßen geht das Far-
benspiel vor sich. Männer in blauen Kleidern, Männer
in grünen Kleidern; Scharen von verschleierten Frauen,
tief schwarze Scharen mit grellen, weißen Flecken; das
Weiß der Masken, die das Gesicht verbergen. Vor
i65
allem aber herrscht dort oben ein prächtiges Spiel;
oberhalb der grauen Kuppeln, der grauen Arkaden,
stoßen die Farben aufeinander: in der Dämmerung
breiten die nicht zu erklimmenden Berge der Umgegend
das kostbare Violett des Bischofsgewandes aus, ihr Vio-
lett, durch das die Schneegefilde lange, silberne Streifen
ziehen; und an dem grünlichen Himmel scheinen die
rot-gelben Wölkchen in Brand zu geraten, sie leuchten
wie Flammen auf . . . Wir befinden uns noch immer
etwa zweitausend Meter über dem Meeresspiegel, in der
reinen Luft der Berge, und die Nachbarschaft der was-
serlosen Wüste steigert noch mehr die Durchsichtigkeit,
belebt noch mehr den zauberhaften Glanz der Abende,
Heute begeht man das große religiöse Fest der Per-
ser, den Jahrestag des Martyriums ihres Kalifen. In den
Moscheen stöhnen tausende von Menschen vereint;
man hört von weitem ihre Stimmen, ein unverständ-
liches Murmeln, das dem Rauschen des Meeres gleicht
Sobald wir in der Karawanserei angelangt sind, eile
ich nach dem heiligen Ort, um noch ein wenig von dem
Fest zu sehen, das vor Hereinbruch der Nacht beendet
sein wird. Zuerst will keiner mich dorthin begleiten.
Schließlich aber willigen zwei Leute mit energischen
Gesichtern und starken Schultern nach langem Zögern
ein, gegen hohe Bezahlung mich an den Ort zu führen.
Der eine von ihnen behauptet, ich müsse eins seiner Ge-
wänder anlegen und seinen Astrachanhut aufsetzen, der
andere erklärt, dies sei noch weit gefährlicher, und ich
solle nur tapfer meine europäische Kleidung anbehalten.
Schließlich bleibe ich, wie ich bin, und wir eilen im
Sturmschritt nach der großen Moschee, denn es ist
schon spät Kurz vor Anbruch der Nacht befinden wir
166
uns in dem dunklen Labyrinth, das ich schon im voraus
zu kennen glaubte: Mauern ohne Fenster, hohe Ge-
fängnismauern, in großen Abstanden nur einige eisen-
beschlagene Türen, Mauern, die von Zeit zu Zeit oben
zusammenstoßen und uns in die in den persischen
Städten so beliebte Dunkelheit eines Kellers hüllen. Auf-
stiege, Abstiege, Brunnen ohne Schutzwand, Höhlen
und Löcher. Zuerst begegnen wir niemandem, und fast
könnte man glauben, man eilte durch die düsteren, ver-
lassenen Katakomben. Dann aber, als wir uns einem
jener lärmenden Plätze nähern, an denen die Stadt heute
abend reich ist, und von wo aus das Stimmengewirr
wie Wogenrauschen an unser Ohr schlägt, treffen wir
Scharen von Männern, alle kommen sie von derselben
Seite, und fast ist diese Begegnung schrecklich. Sie
haben die große Moschee, den Mittelpunkt des Ge-
schreies und der Klagen verlassen, denn die Trauer-
feier ist gleich beendet; haufenweise, zu zehn, zwanzig,
dreißig eilen sie vorwärts, halten sich eng umschlungen,
ihr Kopf fällt zurück, sie blicken nicht um sich; man
sieht das Weiße in ihren Augen, die unnatürlich weit
geöffnet sind, und deren gen Himmel gewandter Aug-
apfel fast in die Stirn einzudringen scheint Auch der
Mund ist geöffnet, und unaufhörlich stoßen sie ein
lautes Gebrüll aus; die rechten Hände fallen mit harten
Schlägen auf die blutende Brust Vergebens drückt man
sich gegen die Mauern oder in die Türen, wenn man
zufällig eine findet, man wird doch sehr empfindlich
gestreift. Sie riechen nach Schweiß, nach Blut; blind,
in unaufhaltbarem Lauf rollen sie wie eine große Welle
vorüber.
Nach den engen Straßen gelangen wir durch einen
167
großen Spitzbogen in den Hof der Moschee, und dieser
Ort erscheint uns jetzt unendlich weit. Zwei- bis drei-
tausend Menschen stehen dort dicht nebeneinander ge-
drängt und rufen mit lauter Stimme, mit einem
schreckeneinflößenden Rhythmus: „Hassan, Hussin!
Hassan, Hussin I" * Im Hintergrunde führt ein zweiter,
riesengroßer Spitzbögen, der alles beherrscht und der
mit den unvermeidlichen blauen Fayenzen verziert ist,
in das dunkle Heiligtum ein. Auf den Zinnen der
Mauern, am Rande aller Terrassen der Umgegend, stehen
die Frauen unbeweglich und stumm, sie gleichen einem
Schwann schwarzer Vögel, der sich auf die Stadt her-
abgelassen hat In einem Winkel, gegen den mensch-
lichen Strom, durch den Stamm eines hundertjährigen
Maulbeerbaumes geschützt, sitzt ein Greis und schlägt
wie besessen auf eine gewaltige Trommel: im Drei-
takt sausen die ohrenbetäubenden Schläge so schnell
herab, als wollten sie irgendeinem Ungetüm zum Tan-
zen aufspielen; — das Ding nämlich, das zum Takt der
Trommel tanzt, ist ein Haus, am Ende langer Stangen
wird es von mehreren hundert Armen hochgehalten
und trotz seines großen Gewichtes wahnsinnig schnell
hin und her bewegt Das tanzende Haus ist mit altem,
gemusterten Samt, mit alten seidenen Stickereien be-
deckt, es schwebt zehn Fuß über der Menge, über den
erhobenen Köpfen, den wildblickenden Augen, und zu-
weilen dreht es sich herum, die Getreuen, die es tragen,
laufen im Kreise mitten durch den dichten Haufen, es
dreht sich, es wirbelt herum. Drinnen sitzt ein ver-
zückter Derwisch, um nicht zu fallen, klammert er sich
* Hassan, Hussin, die beiden Söhne des Kalifen Ali.
168
fest, seine gellenden Schreie durchdringen den Lörm
dort unten; und jedesmal, wenn er den Namen eines
iranischen Propheten ausstößt, dringt ein noch lauterer
Schrei aus allen Kehlen, und die grausamen Fäuste fal-
len so schwer auf die Brust herab, daß der dumpfe
Widerhall das Schlagen der Trommel ühertönt Einige
Männer haben ihre Mützen von sich geworfen und brin-
gen sich blutige Wunden auf dem Schädel bei; der
Schweiß und die Blutstropfen rollen über die Schultern
herab; neben mir gibt ein junger Mensch, der sich zu
heftig geschlagen hat, einen roten Auswurf von sich,
und auch ich werde damit bespritzt
Zuerst hatte keiner meine Gegenwart beachtet, und
ich drückte mich hinter meinen beiden besorgten Füh-
rern eng an die Wand. Aber zufällig fällt das Auge
eines Kindes auf mich, es errät, daß ich ein Fremder bin
und schlägt Lärm, alsbald kehren sich andere Gesichter
mir zu, einen Augenblick herrscht Schweigen, Todes-
stille... „Kommt!" rufen mir meine beiden Leute zu,
sie sohlingcn ihre Arme um mich, wollen mich mit sich
ziehen, und rückwärts gehend, wie die Tierbändiger,
die den Tieren ins Auge blicken, wenn sie den Käfig
verlassen, wenden wir der Menge das Gesicht zu und
erreichen glücklich den Ausgang ... In der Straße ver-
folgt man uns nicht mehr . . .
Abends gegen neun Uhr, nachdem ein großes
Schweigen sich über die Stadt herabgesenkt hat, die
von dem vielen Geschrei, von all dem Klagen erschöpft
ist, verlasse ich von neuem die Karawanserei und be-
gebe mich zu einem vornehmen Bürger, wo ich zu einer
ganz geschlossenen, religiösen Feier eingeladen bin.
Einsam liegt Koumichah unter dem Mond in seinem
169
rosenroten Gewände da, so ernst und feierlich ist es
hier, wie in einem großen Grabgewölbe. Nirgends eine
menschliche Seele; der Mond allein beherrscht diese
Stadt aus getrocknetem Lehm, der Mond beherrscht die
ungezählten kleinen Kuppeln mit ihren weichen Um-
rissen, das Labyrinth mit seinen engen Gängen, die
Trümmerhaufen und 'die Spalten.
Aber wenn auch die Straßen verlassen sind, so
wacht man doch in allen Häusern, hinter den doppelt
verschlossenen Türen; man wacht, man klagt, man
betet
Nach einer langen, schweigenden Wanderung zwi-
schen meinen beiden Laternenträgern erreiche ich die
geheimnisvolle Tür meines Wirtes. In dem von Mauern
umgebenen kleinen Garten, beim Schein des Mondes
und einiger Lampen, die an Jasminzweigen oder Wein-
lauben hängen, findet die Trauerfeier statt Vor dem
versteckt liegenden Hause hat man Teppiche auf die
Erde gebreitet, und dort sitzen zwanzig bis dreißig
Männer im Kreise, sie tragen hohe, schwarze Hüte und
rauchen ihre Kalyan; mitten zwischen ihnen liegt ein
Brett, mit einem Berg stengelloser Rosen — persische
Rosen, die immer wunderbar duftenden Rosen, steht
auch ein Samovar, auf dem man Tee kocht, und diesen
schenken die Diener immer von neuem in die winzig
kleinen Tassen ein. In Anbetracht des religiösen Cha-
rakters dieses Abends würde meine Gegenwart im
Garten selbst unzulässig sein; deshalb bringt man mich
allein mit meiner Kalyan in dem Ehrenzimmer unter,
von wo aus ich durch die offen stehende Tür alles sehen
und hören kann.
Einer der Gäste steigt auf eine steinerne Bank, zwi-
sehen den übervoll blühenden Rosen, er erzählt mit
tränenerstickter Stimme von dem Tod des Ali, de*
Kalifen, den die Perser so sehr verehren, und zu dessen
Andenken wir hier versammelt sind. Die Zuhörer unter-
streichen selbstverständlich seine Beschreibung durch
Klagen und Schluchzen, hauptsächlich aber durch Aus-
rufe, die ihren ganzen Zweifel ausdrücken sollen, sie
haben diese Geschichte tausendmal gehört, und doch
scheinen sie zu fragen: „Darf ich meinen Ohren trauen?
Ist eine solche Schandtat überhaupt möglich?" Nach-
dem der Erzähler geendet hat, setzt er sich neben dem
Samovar nieder, und während man ihm seine Kalyan
anzündet, betritt ein anderer die Kanzel, um von neuem
alle die Einheiten dieses unvergeßlichen Verbrechens
auszumalen.
Der kleine Salon, wo ich, getrennt von den anderen,
wache, zeigt eine wunderbare, nicht gewollte Altertüm-
lichkeit; wenn man ihn auf diese Weise eingerichtet
hat, wie man es auch schon vor fünfhundert Jahren
hätte machen können, so liegt es daran, daß es in Kou-
michah keine neuere Mode gibt, daß bis jetzt noch
keiner unserer westlichen Schundgegenstände in diese
Wohnung eingedrungen ist, nirgends sieht man hier
Spur von den bedruckten Baumwollstoffen, mit denen
England jetzt Asien überflutet; die Augen können zum
Zeitvertreib alle diese Dinge genau betrachten, ohne
daß sie auch nur ein einziges Merkmal unserer Zeit
darunter fänden. Auf der Erde liegen die alten persi-
sischen Teppiche; als Möbel dienen Kissen und große
Zederntruhen, mit Kupfer oder Perlmutter eingelegt
In die dicken weißgekalkten Mauern hat man kleine Ni-
schen, kleine spitzbogige oder ausgezackte Grotten ein-
171
gelassen, sie ersetzen in diesen Ländern die Schränke,
und werden mit kieinen, silbernen Kästen, mit Karaffen
und Schalen verziert; dies' alles ist alt, dies alles steht
auf viereckigen, altertümlich gestickten Atlasdeckchen.
Vor den inneren Türen, durch die mir der Zutritt ver-
weigert ist, hat man Vorhänge aus seltsam reichen, har-
monischen Seidenstoffen herabgelassen, die absichtlich
verwischten Zeichnungen dieser Vorhänge zeigen ein
buntes Gewirr von Linien, sie gleichen zuerst nur gro-
ßen phantastischen Flecken, aber nach Art der Im-
pressionisten enthüllen sie mir schließlich die Umrisse
dunkler Zypressen.
In dem Garten, wo das Fest seinen Lauf nimmt, fol-
gen die immer gescheckter oder immer aufgeregter
werdenden Erzähler einander auf der steinernen Bank.
Die Redner, die jetzt sprechen, bringen durch Stellung
und Bewegung einen wirklichen Schmerz zum Aus-
druck. Bei gewissen Sätzen stoßen die Zuhörer einen
verzweifelten Schrei aus, werfen den Körper nach vorne
und schlagen mit der Stirn gegen den Boden; oder sie
entblößen alle die Brust, die schon in der Moschee zer-
schlagen ist, und rufen mit angsterfüllter Stimme immer
wieder die beiden Namen: „Hassan, Hussinl... Has-
san, Kussin l" Einige bleiben ganz auf der Erde liegen,
In der Allee des Hintergrundes unter dem vorspringen-
den Jasmingebüsch der Mauer stehen die schwarzen,
gespensterhaften Frauen, man sieht sie kaum, sie treten
auch nicht näher, aber man weiß, daß sie da sind, und
ihre Klagen verlängern das Echo dieses traurigen Kon-
zerts. Wie für die Sänger des Gartens, so hat man
auch mir auf einem Brett Rosen gebracht, und diese
fallen auf die alten, kostbaren Teppiche herunter. Auch
17a
der Jasmin da draußen durchflutet trotz der Kälte die
klare, sternenglänzende Maiennacht mit seinem Wohl-
geruch. Dies ist eine Szenerie aus der ganz alten orien-
talischen Vergangenheit mit ihrer unherührten Aus-
schmückung, die durch die vielen Mauern, die jetzt ver-
riegelten Tore beschützt wird: doppelte, sich windende
Mauern umgeben dies Haus; hohe Mauern schließen
das Viertel ein und sondern es ab, noch höhere Mauern
beschirmen diese Stadt mit ihrer hunderjährigen Unver-
gänglichkeit — und dies alles liegt inmitten der ein-
samen Umgebung, auf die sich in diesem Augenblick
das unendliche Schweigen herabsenkt, und deren
Schneegefilde unter den Strahlen des Mondes bläulich
leuchten . . .
Freitag, u. Mal
Als wir uns bei Aufgang einer strahlenden Sonne
zur Weiterreise rüsten, ist es so kalt, daß die Finger-
spitzen erfrieren. Wir befinden uns auf einem Platz,
von wo aus man die tausend kleinen rosenroten Lehm-
kuppeln mit ihren Minaretts und ihren Trümmern, von
wo aus man die herben violetten Berge sich im Halb-
kreis aufreihen sieht
Die Stadt, die gesterrn von dem Geschrei, den
Klagerufen widerhaUte, ruht jetzt in dem frischen
Schweigen des Morgens. Ein verzückter Derwisch pre-
digt noch an irgendeiner Straßenecke und bemüht sich,
einige Arbeiter, die gefolgt von ihren Eseln, die Hacke
über der Schulter, nach dem Felde hinausgehen, heran-
zuziehen, aber vergebens, niemand bleibt stehen: Jedes
zu seiner Zeit, und heute ist das Fest vorüber.
Die schönen Frauen von Koumichah sind wirkliche
173
Frühaufsteher, schon kommen einige sehr elegante zum
Vorschein, jede reitet eine weiße Eselin, jede hat ritt-
lings vor sich auf dem Sattel ein Baby, das sie in ihren
schwarzen Schleier einhüllt, und das nur seine Nasen-
spitze dem lustigen Morgenwind zeigt. Es ist Freitag,
und man will außerhalb der Stadt, zwischen dem jun-
gen Grün der Gärten, hinter den hohen, alles verber-
genden Mauern den Maientau genießen.
Unsere Pferde sind erschöpft, obgleich man ihnen
während der ganzen Nacht die Füße gerieben, die Ohren
gestrichen hat — was scheinbar das allerstärkendste
Mittel ist. Deshalb reiten wir jetzt ganz langsam an den
verschlossenen Gärten entlang, deren Lehmmauern an
allen Ecken mit kleinen Türmen aus blauer Glasur ver-
ziert sind. An der Grenze der Einsamkeiten spiegelt
eine sehr heilige Moschee ihre wunderbare Kuppel in
einem Teich wider, nach den vielen Lehmgebäuden er-
scheint sie uns wie ein Stück feiner Juwelenkunst; sie
leuchtet in der Sonne mit dem Glanz eines geschliffenen
Achats; die Glasur, mit der sie bekleidet ist, zeigt ein
Gewirr von blauen Arabesken, durch das sich einige
gelbe Blumen mit schwarzen Kelchen hindurchziehen.
Und dann verschwindet plötzlich, hinter einem aus-
gedörrten Hügel, das große, aus Lehm erbaute Werk,
das sich Koumichah nennt Es verschwindet mit seinen
Türmen, seinen fünfzig Minaretts, seinen tausend klei-
nen, höckerigen Kuppeln; vor uns liegt wieder der leere
Raum, der Teppich, mit seinen unendlich vielen, farb-
losen Blümchen, die wir zermalmen, die noch im Ster-
ben ihre süßen Düfte ausströmen. Wir glaubten, die
traurige wohlriechende Wüste für immer verlassen zu
haben, aber während unseres sieben- bis achtstündigen
174
Rittes dehnt sie sich eintöniger denn je, unter einer sich
steigernden Hitze, mit ihren ewigen Luftspiegelungen
vor uns aus.
Hätten wir den Ritt ein wenig beschleunigt, so wür-
den wir noch vor Sonnenuntergang Ispahan erreicht
haben; aber es schien uns ein ungünstiger Augenblick,
bei Hereinbruch der Nacht in eine Stadt einzuiehen,
deren Gastfreundschaft nur zweifelhaft ist, und deshalb
beschlossen wrir, in einer Karawanserei drei Meilen vor
den Mauern abzusteigen.
Luftspiegelungen, Luftspiegelungen wohin man
sieht: man könnte glauben, sich in den einsamen Ebenen
Arabiens zu befinden. Ein unaufhörliches Zittern be-
wegt den Horizont, der in stetem Wechsel begriffen ist,
beständig neue Formen annimmt. Von verschiedenen
Seiten spiegeln sich kleine, wunderbar blaue Seen, Fel-
sen oder Ruinen wider, sie locken uns an, verschwinden
alsbald, erscheinen in einer anderen Richtung, und ver-
bergen sich abermals vor uns . . . Eine Karawane mit
seltsamen Kamelen schreitet auf uns zu, die Kamele
haben zwei Köpfe, aber keine Beine, sie verdoppeln sich
in der Mitte wie die Könige und die Königinnen der
Kartenspiele ... In der Nähe gesehen, werden es plötz-
lich ganz natürliche Tiere, ganz gewöhnliche, brave
Kamele, die schon weit hinter uns den Weg nach Chiraz
verfolgen. In den verschnürten Ballen, die an ihren
Seiten herabhängen, tragen sie Opium ; nach dem äußer-
sten Osten wird es geschafft; ein großer Vorrat von
Traum und Tod, in den Feldern Persiens hat er als
weiße Blume geblüht, jetzt schickt man ihn zu den
schlitzäugigen Leuten des himmlischen Reiches.
Gegen Abend, nachdem wir durch die gefurchten
,75
Schlünde zwischen den spitzen, schwarzen Bergen, die
Beduinenzelten gleichen, hindurchgedrungen sind, er-
reichen wir ein glücklicheres Persien; überall erschei-
nen in der Ferne die grünen Flecke der Kornfelder und
der Pappeln.
Als Nachtquartier dient uns diesmal aber ein ziem-
lich wüstes, kleines befestigtes Schloß, das mitten in
einem fruchtbaren Landstrich liegt In der Abendröte
der untergehenden Sonne langen wir dort an, und sehen,
daß die Karawanserei von ungezählten Warenballen,
von einigen hundert knienden Kamelen umgeben ist
Wir haben hier eine jener großen Karawanen vor uns,
die, langsamer als Züge der Maultiere oder der Esel,
die ganz schweren Frachtladungen befördern und fünf-
zig bis fünfundfünfzig Tage gebrauchen, um von Tehe-
ran nach Chiraz zu gelangen. Wie gewöhnlich bewoh-
nen wir die Ehrenzimmer, oberhalb des spitzbogigen
Eingangstores: ein hochgelegener Raum mit Lehmwän-
den, mit einer Wandelbahn, die über den Dächern, über
dem krenelierten Rücken des Walles führt — Ispahan,
das Ziel unserer Sehnsucht, liegt nur drei Stunden We-
ges von hier entfernt, aber der hügelige Boden verbirgt
die Stadt vor unseren Augen.
Sobald die Sonne untergegangen ist, gerät die Kara-
wane unter den Mauern in Bewegung, bei dem hellen
Mondschein, bei dem Licht der funkelnden Sterne will
sie durch die Nacht dahinziehen. Der Wind trägt uns
den Moschusgestank der Kamele, ihre lauten Wut- oder
Leidensschreie zu, die sie jedesmal dann ausstoßen,
wenn man sie beladen will; wir stehen mitten in einer
wütenden Menagerie und man versteht nicht mehr sein
eigenes W7ort
ih6
Felsen und Höhlen am Dvala
Das rötlich goldene Licht verschwindet bei Son-
nenuntergang vor dem runden Mond, der die Schatten
unserer krenelierten Mauern und unserer Türme auf
den Erdboden wirft Allmählich werden die zahllosen
Ballen, di8 verstreut umherlagen, auf die Rücken der
Kamele gepackt und verteilt; die Tiere sind, jetzt, wo
sie stehen, wieder gefügig und bewegen leise ihre
Glöckchen. Die Karawane bricht auf.
Die Kamele schreien nicht mehr, und jetzt entfernen
sie sich im Gänsemarsch unter dem süßen Klang ihres
Glockenspiels. Nach den Ländern des Südens, aus denen
wir kommen, kehren sie langsam zurück; alle Spalten,
alle Schlünde, die wir überwunden haben, müssen sie
durchschreiten. Von einer Etappe zur anderen, von
einem Stein zum anderen führt sie der mühsame Weg.
Und immer von neuem werden sie wieder aufbrechen,
bis sie schließlich zu Boden stürzen und den Geiern
zum Opfer fallen. Der Wind trägt uns nicht mehr ihren
Gestank, sondern den süßen Duft der Gräser zu. In
einer langen Reihe entfernen sie sich, sind jetzt nur
noch ein winziges Pünktchen, das sich durch die dunkle
Ebene dahinschleppt; der Ton ihrer Glöckchen ist bald
verklungen. — Von unseren Mauern herab sehen wir,
wie die Burgherren des Mittelalters, in die vor uns
liegende Ebene hinein. — Seitdem die Karawane ver-
schwunden ist, kehrt das große Schweigen zu den wei-
ten uns umgebenden Steppen zurück. Alle Zacken unse-
res kleinen Walles werfen jetzt ihre hellen, bestimmten
scharfen Schatten auf den Boden. Unter uns schließt
man mit großem Gepolter die eisen beschlagene Tür,
die uns vor nächtlichen Überraschungen schützen soll.
Bei dem Lied der Heimchen senkt sich die Nacht immer
12 Persien. jn«
tiefer auf uns herab, aber sie ist so durchsichtig, daß
man unendlich weit, nach allen Seiten hin sehen kann.
Von Zeit zu Zeit fühlen wir einen heißen Hauch, der uns
den Duft des Quendels und der Königskräuter zuträgt
Und dann streicht unter dem gespenstischen Licht des
Mondes ein Frösteln dahin, und plötzlich ist es kalt
Sonnabend, is. Mal
Bei Sonnenaufgang brechen wir endlich nach Ispa-
han auf. Eine Stunde lang reiten wir durch eine trau-
rige kleine Wüste, deren Boden aus braunen Lehm-
hügeln und Tälern besteht — zweifellos liegt die Wüste
hier, um die Stadt der blauen Glasur mit ihrer frischen
Oase doppelt schön erscheinen zu lassen.
Und dann, wie auf dem Theater, wenn der Vorhang
aufgeht, teilen, trennen sich zwei einzeln dastehende
Hügel; und das dahin terliegende Paradies entfaltet sich
langsam vor unseren Augen. Zuerst sieht man Felder
mit hohen weißen Blumen, und nach der Einförmigkeit
der erdigen Wüste leuchten uns diese wie Schnee ent-
gegen. Dann folgen mächtige Baumgruppen — Pap-
peln, Weiden, immergrüne Eichen, Platanen — , und
zwischen den Bäumen hindurch leuchten all die blauen
Kuppeln, all die blauen Minaretts von Ispahan auf...
Ein Wald und eine Stadt zugleich. Dies Maiengrün ist
noch üppiger als bei uns, ist von wunderbarer Frische,
aber besonders ist es diese blaue Stadt, diese Stadt von
Türkis und Lapislazuli, die unter den Strahlen eines
Morgenhimmels so seltsam unwahrscheinlich, so zau-
berhaft schön wie eine alte orientalische Sage daliegt
178
Ungezählte kleine Kuppeln aus rosenrotem Lehm
tauchen zwischen den Zweigen auf, aber alles, was ein
wenig höher in den Himmel hinaufragt, die schlanken,
gleich Spindeln gewundenen Minaretts, die ganz runden
Kuppeln, diese auf gebauchten Kuppeln, die Turbanen
gleichen, und in einer Spitze enden, die majestätischen
Kuppeln der Moscheen, die Mauervierecke mit ihren
spitzbogigen Toren, dies alles glitzert, flimmert in so
kräftigen, wunderbaren, blauen Tönen, daß man un-
willkürlich an Edelsteine, an Paläste aus Saphiren, an
eine überirdische zauberhafte Pracht erinnert wird. Und
in der Ferne beherrschen, verteidigen die Schneegefilde
diese hochgelegene, heute vereinsamte Oase, die zu ihrer
Zeit doch der Mittelpunkt aller Herrlichkeiten, aller
Wunder der Welt war.
Ispahan I . . . Aber welches Schweigen herrscht in
seinem Umkreise!... Bei uns, außerhalb einer großen
Stadt, sieht man noch kilometerlange Strecken mit ruß-
farbenen Schmutzhaufen, mit Kohlen, mit lärmenden
Maschinen, vor allem aber mit dem Netz der Eisenbahn-
linien bedeckt, die eine törichte Verbindung mit der
übrigen Welt herstellten.
Ispahan, einsam und entlegen, ragt es in seiner Oase
auf, und nicht einmal Fußsteige scheinen dorthin zu
führen. Große, verlassene Friedhöfe, wo Ziegen grasen,
klare Bäche, die ungehemmt dahineilen, über die man
keine Brücke geschlagen hat, alte eingefallene krene-
lierte Mauern, das ist alle3. Lange suchen wir zwischen
den Trümmerhaufen der Wälle, zwischen den fließen-
den Gewässern nach einem Durchgang und wagen uns
schließlich vorwärts, auf einem geraden Pfade, der von
zwanzig Fuß hohen Mauern eingeschlossen wird, der
12* I79
uns keine Aussicht gewahrt und durch den mitten hin-
durch ein kleiner Bach fließt Er gleicht einer langen
Mausefalle und mündet in einen großen Platz, wo die
summenden Stimmen der Menge ertönen, Käufer, Ver-
käufer, gespensterhafte Frauen, Tscherkessen mit an-
schließenden Waffenröcken, syrische Beduinen, die mit
den Karawanen aus dem Osten gekommen sind (ihre
Köpfe erscheinen von gewaltigem Umfang durch die
darum gewickelten Seidenstoffe, Armenier, Juden...
Auf der Erde, im Schatten der Platanen, liegen ganze
Haufen von Teppichen, Decken, Sätteln, von alten
Burnussen oder alten Hüten; im Vorübergehen treten
die Esel mit ihren Füßen darauf — gleichfalls unsere
Pferde, die sich jetzt ängstigen. Aber noch haben wir
nicht die Stadt der blauen Minaretts erreicht. Dies ist
nicht das Ispahan, das wir beim Verlassen der Wüste
sahen, und das uns in der klaren Morgenluft so nahe
erschien; das wirkliche Ispahan liegt eine Meile weiter,
liegt hinter den Mohnfeldern, hinter einem großen
Fluß. Hier haben wir es nur mit einer armenischen Vor-
stadt zu tun, mit der profanen Vorstadt, in der alle
Fremden, die nicht der mohammedanischen Religion
angehören, wohnen dürfen. Und diese bescheidenen,
fast ganz verfallenen Viertel, mit der großen armen Be-
völkerung, das sind die Überreste des Djoulfa, das am
Ende des sechzehnten Jahrhunderts, unter dem Schah
Abbas, groß und mächtig war. (Es ist bekannt, daß die-
ser ruhmreiche Herrscher — allerdings durch ein etwaä
gewaltsames Verfahren — von den nördlichen Gren-
zen eine ganze armenische Kolonie kommen ließ, um
sie hier am Fuße seiner Hauptstadt anzusiedeln, später
überhäufte er sie mit Vorrechten, und so wurde diese
180
handeltreibende Vorstadt eine Quelle großer Reich-
tümer für das Kaiserreich. In den darauffolgenden
Jahrhunderten, unter auderen Schahs, sah sich diese
immer wachsende arineuische Ansiedlung bedrängt, ver-
folgt, auf jede Weise unterdrückt*. Heute jedoch, unter
dem jetzt herrschenden Yezir von Jrak, hat sie wieder
die Erlaubnis erhalten, ihre Kirchen zu öffnen und in
Frieden zu leben.)
Man drängt sich um uns, wir sollen in Djoulfa blei-
ben: Christen, so erzählt man uns, dürfen nicht in dem
heiligen lspahan wohnen. Auch werden unsere Pferde
uns nicht dorthin bringen, ihr Besitzer weigert sich; es
steht nicht im Kontrakt, folgüch läßt es sich nicht
machen. Armenier bieten uns Zimmer in ihren Häusern
zur Miete an. Unser Gepäck und unsere Waffen liegen
auf der Erde, und da stehen wir, umringt von der
Menge, die einen immer dichteren Kreis um uns
schließt, die immer lebhafter wird. — Nein, ich will in
der schönen, blauen Stadt wohnen, deshalb bin ich hier-
her gekommen, und man soll mir keinen anderen Vor-
schlag machen 1 Man bringe mir Maultiere oder Esel,
gleichgültig was, und dann fort aus dieser kaufmän-
nischen Vorstadt, die nur der Ungläubigen würdig ist
Wie ich vorausgesehen hatte, sind die Maultiere, die
man herbeiführt, störrische, boshafte Tiere, zwei-, drei-
mal werfen sie ihre Last zu Boden. Und die Leute sehen
unseren Vorbereitungen zum Aufbruch mit spöttischem
* Neben den Erpressungen und Gewalttätigkeiten, die die
Armenier zu erduldeu hatten, erließ man ganz lächerliche Ver-
ordnungen gegen sie. So wurde es ihnen verboten, bei Regen-
wetter, wenn sie durchnäßt waren, die Stadt zu betreten, weil
ihre Kleider in dein großen Basar die Gewänder der Musel-
männer berühren und dann beschmutzen würden.
181
Gesicht zu, mit einem Gesicht, auf dem geschrieben
steht: Man wirft sie hinaus, und dann kommen sie zu-
rück. Was tut das? Vorwärts auf den schmalen Pfaden,
durch die engen Gäßchen, an den dort fließenden
Bächen entlang, die in den nahen Schueegefilden ent-
springen. Bald befinden wir uns von neuem in den
Korn- und Mohnblumenfeldern. Und dort liegt der Fluß
von Ispahan, nur wenig tief fließt er in seinem Bett von
Kieselsteinen dahin ; er könnte als Verkehrsweg dienen,
wenn er sich ins Meer ergösse, statt in die unterirdischen
Lager einzudringen und schließlich in dem See zu mün-
den, den wir zu Anfang unserer Reise inmitten der Ein-
öden haben liegen sehen; an seinen Ufern trocknet man
hunderte von diesen Wandbekleidungen, auf die man
Muster in Form eines Tempeiportals druckt, und die
dann ganz Persien, die ganze Türkei überschwemmen.
Es ist eine prachtvolle, seltsame Brücke, auf der wir
der Stadt entgegen ziehen; sie stammt, wie aller Luxus
in Ispahan, aus der Zeit des Schah Abbas; sie ist drei-
hundert Meter lang und besteht aus zwei übereinander
liegenden, spitzbogigen Arkaden, deren graue Steine
durch das herrliche Blau der Glasur hervorgehoben
werden. Gleichzeitig mit uns halt eine Karawane ihren
Einzug, eine sehr lange Karawane; sie kommt aus den
Wüsten des Westens, und ihre Kamele sind alle mit
wilden Federbüschen geschmückt Zu beiden Seiten der
Fahrstraße, die die Mitte der Brücke einnimmt, liegen
die für Fußgänger bestimmten Wege, geschützt von
anmutigen, fayencebekleideten Bogenwölbungen; sie
gleichen gotischen Klostergängen.
All die schwarzen, gespensterhaften Frauen, die auf
den überdachten Pfaden lustwandein, halten einen
i8a
Rosenstrauß in der Hand. Rosen, überall Rosen. All
die kleinen Zuckergebäck- und Teeverkäufer am Wege
haben ihre Aufsatzplatten mit Rosen überladen, haben
Rosen in den Gürtel gesteckt, und die in Lumpen ge-
hüllten Bettler unter den Spitzbogen entblättern die
Rosen zwischen ihren Fingern.
Die blauen Kuppein, die blauen Minaretts, die blauen
Zinnen zeigen uns jetzt die Einzelheiten ihrer Arabes-
ken, die den Zeichnungen alter Gebetsteppiche gleichen.
Und unter dem wundervollen Himmel, der sich über
Ispahan wölbt, tummeln sich viele Taubensch warme,
sie fliegen auf, sie kreisen in der Luft, sie lassen 6ich
von neuem auf den fayencebekleideten Türmen nieder.
Nachdem wir die Brücke überschritten haben, er-
reichen wir eine große, gerade Allee, die allen unseren
bis jetzt gesammelten Eindrücken von orientalischen
Städten widerspricht Zu beiden Seiten des Weges
läuft eine Hecke von dichten Rosenbüschen entlang;
im Hintergrunde sieht man die Gärten liegen, aber die
Häuser, die vielleicht schon verfallenen Paläste, schim-
mern nur undeutlich zwischen den hundertjährigen
Bäumen hindurch; das Laub ist gar zu dicht Dies«
Rosenwände, die hier auf offener Straße stehen, und die
die Vorübergehenden plündern können, haben in toller
Üppigkeit geblüht, und da jetzt die Zeit der Ernte ge-
kommen ist, da man jetzt an die Essenzbereitung geht,
stehen die verschleierten Frauen mit der Schere in der
Hand zwischen den Büschen und schneiden und schnei-
den ; sie lassen einen Blätterregen herniederfallen ; über-
all Körbe, gefüllt mit Rosen, überall Berge von Rosen
auf der Erde . . . Erzählte man uns nicht in Djoulf a,
daß wir einen üblen Empfang haben würden in dieser
i83
Stadt der großen Bäume und der Blumen, die so offen
daliegt, und in die man uns so ruhig hineinziehen läßt?
Aber die Eingeschlossenheit, die Beklommenheit der
Ruinen und des Geheimnisvollen wartet unser bei der
ersten Biegung des Weges. Plötzlich finden wir uns wie
in Chiraz in einem Labyrinth von verlassenen, dunklen
Gäßchen, zwischen hohen, fensterlosen Mauern wieder,
und auch hier ist der Boden mit Unrat, mit Gebeinen,
mit verreckten Hunden bedeckt Alles ist unbewohnt,
baufällig und finster; zuweilen sehen wir durch einen
Riß in der Mauer einige Häuser, aber diese können nur
Geistern und Eulen als Unterschlupf dienen. Und in der
unendlichen, grauen Eintönigkeit der Wände streuen
die immer reizvollen alten Türen mit ihren wunderbar
glasierten Einfassungen ihr Mosaik in kleinen blauen
Stückchen auf die Erde, so, wie die Bäume im Herbst
ihre Blätter über den Boden säen. Es ist kalt, und man
atmet schwer zwischen diesen Trümmern, durch die wir
im Gänsemarsch dahinziehen, und mehr als einmal ver-
lieren wir unsere störrischen Tiere, die uns nicht folgen
wollen, aus dem Auge. Wir wandern, wir wandern
immer weiter, ohne recht zu wissen, wohin.
Unser Führer scheint auch nicht zuversichtlicher als
die Armenier in Djoulfa in bezug auf den Empfang zu
sein, den man uns wird zuteil werden lassen. Zuerst
wollen wir es in den Karawansereien versuchen, später
können wir uns immer an die Einwohner wenden . . .
Wir erreichen jetzt die großen gewölbten Schiffe der
Basare und befinden uns plötzlich mitten im Volks-
gewühl, hier ist es schattig und kühl. Die Stadt kann
also doch nicht überall ausgestorben sein, denn ein
lautes Gesumme dringt an unser Ohr. Aber es ist fast
i84
dunkel, und das Kommen und Gehen der burnusgeklei-
deten Kaufleute, der gespensterhaften Frauen, der Rei-
ter, der Karawanen, das Treiben, in das man plötzlich
nach den vielen Trümmern, nach dem großen Schwei-
gen hineingerät, erscheint zuerst fast märcheuhaft-
Die Basare Ispahans, einst die reichsten Handeis-
plätze Asiens, sind eine Welt für sich. Ihre steinernen
Schiffe, ihre Reihen hoher Kuppeln verlieren sich in
der Unendlichkeit, sie kreuzen sich, bilden regelmäßige
Plätze, und diese sind mit Springbrunnen geschmückt,
und sind inmitten ihres Verfalls noch immer großartig
anzusehen.
Löcher, Kloaken, ein holperiges Pflaster, auf dem
man ausgleitet; nur mühsam dringen wir vorwärts, wir
werden von den Leuten, von den Tieren gestoßen, und
immer wieder müssen wir uns mit unseren Maultieren
beschäftigen, die sich in dem seltsamen Gewühl ver-
lieren.
Zu beiden Seiten dieser Alleen öffnen sich die Kara-
wansereien, sie werfen eine Flut von Licht auf den Weg.
Alle besitzen sie ihren unter freiem Himmel gelegenen
Hof, wo die Reisenden ihre Kaiyan im Schatten einer
alten Platane, neben einem plätschernden Springbrun-
nen, zwischen den Büschen der rosewroten, der weißen
Rosen rauchen, kleine, ganz gleiche Zimmer, die zwei
oder drei übereinander liegende Stockwerke bilden,
gehen auf die inneren Gärten und erhalten ihr Licht
durch die blauglasierten Spitzbogen.
Wir haben an der Tür von drei, vier, fünf Karawan-
sereien um Einlaß gebeten, und immer wurde uns die
Antwort zuteil, daß alles überfüllt sei
i85
Hier wohnt scheinbar niemand; aber welch ein trau-
riges, dunkles Schmutzloch ist dies, das am Ende eine«
verlassenen, einstürzenden Stadtviertels liegt! — Um
so schlimmerl Es ist nach zwölf Uhr mittags, wir ster-
ben vor Hunger, wir können nicht mehr, also laßt uns
hineingehen. — Außerdem weigern sich unsere Maul-
tiere und Maultiertreiber, ihren Weg fortzusetzen, sie
werfen alles von sich auf das Pflaster, vor die Tür, in
der einsamen, unheimlichen Straße, die unter den dicken
Gewölben fast ganz in Dunkelheit gehüllt daliegt —
„Alles ist überfüllt", antwortete uns der Wirt mit seinem
höflichsten Lächeln ... Was jetzt anfangen? . . .
Ein alter Mann mit schlauem Gesicht verfolgt uns
seit einem Augenblick, jetzt nähert er sich uns und will
mich im Vertrauen sprechen: Ein Herr, der sich in
Geldverlegenheit befindet, flüstert er mir ins Ohr, hat
ihn beauftragt, ein Haus zu vermieten. Es mag ein
wenig teuer sein, fünfzig Tomans (zweihundertfünfzig
Franks) im Monat, aber immerhin, wenn ich es mir
ansehen möchte . . . Und er führt mich weit, sehr weit,
eine halbe Meile durch Trümmer- und Schutthaufen
hindurch, um schließlich, am Ende einer Sackgasse,
eine wurmstichige Tür zu öffnen, die in eine Totengruft
zu führen scheint
Ach! Welch eine wunderbare Wohnung ist dies! Ein
Garten, oder vielmehr ein Nest von Rosen: schlanke
Rosenstamme, hoch wie Bäume, Kletterrosen, die die
Mauern unter einem Netz von Blüten verbergen. Und
im Hintergrunde liegt ein kleiner Palast aus Tausend-
undeiner Nacht, mit einer langen, schlanken Säulen-
reihe, in altem persischen Stil, der noch von der achä-
menidischen Architektur, von dem Glanz des Königs
186
Darius erzählt Im Innern herrscht der alte, sehr reine
Orient; ein hoher Saal, einst Weiß mit Gold, jetzt aber
in Elfenbeinton, durch ein verblaßtes Purpurrot belebt
An der Decke sieht man ein Mosaik aus winzig kleinen
Spiegelteilchen zusammengesetzt, es leuchtet mit dem
Glanz getrübten Silbers, und dann die Anläufe jener
unvermeidlichen Ornamente der persischen Palaste, sie
gleichen Perlen aus Stalaktit oder ungezählten ßienen-
zellen. Die Diwane sind mit graugrüner Seide bedeckt,
in die ein altmodisches Muster von roten Flammen hin-
eingewebt ist Kissen, Teppiche aus Kerman und Chi-
raz. Im Hintergrunde gewähren die Türen, deren Bogen
gleichsam aus Stalaktit ausgezackt zu sein scheinen,
einen Blick in eine begrenzte Ferne, wo es bereits dun-
kelt Und über diesem allen liegt der beunruhigende
Reiz des Verfalls, des Geheimnisvollen, des Abenteuer-
lichen. Und in den süßen üauch der Rosen mischt sich
der unbestimmte Duft der üaremessenzen, mit denen
alle Stoffe durchtränkt sind . . .
Schnell will ich meine Leute und mein Gepäck her-
beiholen, während der gute Kerl seinen Herrn benach-
richtigt, daß der Handel zu jedem beliebigen Preis ge-
schlossen ist Für mich, den durchreisenden Fremden,
ist es ja ein ungeahnter Zeitvertreib, ein solches Haua
zu bewohnen, das in einer Stadt wie Ispahan, umgeben
von den Ruinen, in Schweigen gehüllt, daliegt!
Aber ach! Bald höre ich in der Straße jemanden
hinter mir herlaufen; es ist der brave Alte, der mir ganz
bestürzt zuruft: Der Herr in Geldverlegenheit lehnt das
Anerbieten mit Entrüstung ab. „Christen!" — hat er
geantwortet, „nicht für tausend Tomans den Tag; sie
sollen sich scheren, nach Djoulfa oder zum Teufel 1"
187
Es ist halb zwei Uhr. Wir sind mit jedem beliebigen
Lager zufrieden, wenn wir uns nur im Schatten aus-
ruhen und zu einem Ende kommen können.
In einem Hause armer Leute, über einem Hof, wo
zerlumpte Kinder heruinwiimneln, will uns eine alte
Frau ein Hundeioch vermieten, vier aus Stampf erde
errichtete Mauern und ein Dach aus Zweigen, weiter
nichts; zuerst aber muß sie bei ihrem Vater die Er-
laubnis einholen, und das ist äußerst umständlich, denn
der Greis ist schon kindisch, ist blind und taub, und
unendlich lange dauert es, bis man ihm erst ins eine,
dann ins andere Ohr die ganze Geschichte hinein-
getutet hat
Kaum hatten wir uns dort oben zur Ruhe hingelegt,
als ein ohrenbetäubender Lärm zu uns hinauf drängt
und uns stört: Der Hof ist voller Leute, ebenso die
Straße; und wir sehen die alte Frau schluchzend in der
Menge stehen, die auf sie einschreit und mit Fäusten
droht
— Was bedeutet dies? fragt man sie, sie beherbergt
Christen 1 Heraus mit dem Geld! Heraus mit ihrem Ge-
päck, sofort hinaus mit ihnen i
— Nein, diesmal weichen wir nicht I
Ich las^e meine Tür verrammeln und der Menge
durch einen Herold mitteilen, daß ich weit eher bereit
wäre, alle Schrecken einer Belagerung zu ertragen, als
hinabzugehen; und dann stellen mein französischer Die-
ner und ich uns ans Fenster und lassen unsere Revolver
blitzen, — nachdem wir sie zuvor entladen hatten, um
allen etwaigen Unglücksfällen vorzubeugen.
188
VIERTER TEIL
Auf einem Stuck Papier, das ich im ersten Augen-
blick der Belagerung meinem treuesten Perser an-
vertraute, hatte ich in meiner Not einige Worte an den
einzigen Europäer, der in Ispahan wohnt, an den Für-
sten D..., den russischen Generalkonsul, gekritzelt
Mein belagertes Haus liegt zufälligerweise dem seinen
ungefähr gegenüber, und alsbald sehe ich zwei kosa-
kische Kerle, in der offiziellen großen Livree gekleidet,
herbeieilen, alles verneigt sich vor ihnen. Man hat sie
mir schleunigst gesandt, und sie überbringen mir jetzt
die liebenswürdigste Einladung des Fürsten, bei ihm
abzusteigen, und trotz der Furcht, unbescheiden zu er-
scheinen, bleibt mir wirklich nichts weiter übrig, als
die Einladung anzunehmen. Ich willige also ein, den
Platz zu räumen und mit erhobenem Haupte den beiden
silbergalonierten Befreiern zu folgen, während die
Menge, die im Grunde nicht bösartig, sondern vielmehr
kindlich ist, mir eigenhändig mein Gepäck nachträgt
Im Hintergrunde eines großen Gartens — der natürlich
voller Rosen, selbstverständlich aber hoch umfriedigt
ist — liegt ein geräumiges, reinliches, helles Haus, und
ich empfinde es als seltsames Wohlbehagen, als ein
wunderbares Gefühl der Ruhe, daß ich mich nach dem
taglichen Aufenthalt in den Lehmhöhlen, in dem Durch-
189
einander der Karawansereien, plötzlich in einer Woh-
nung von europäischem Komfort, umgeben von orien-
talischem Luxus wiederfinde. Der Fürst und die Fürstin
D . . . sind übrigens reizende Wirte, sie verstehen es,
mich vom ersten Augenblick an fühlen zu lassen, daß
ich ihnen nicht ein zufällig aufgelesener Wegelagerer,
sondern ein erwarteter, willkommener Freund bin.
Sonntag, i3. Mal
Spät wache ich auf, beim Gezwitscher der Vögel,
und noch bevor mir das Bewußtsein ganz zurückgekehrt
ist, habe ich ein Gefühl der Sicherheit und der Muße:
der Tcharvadar wird mich heute morgen nicht zum
Aufbruch anspornen; ich brauche mich nicht auf den
Weg zu machen, brauche nicht auf schlechten Pfaden,
über Spalten und Risse dahinzureiten. Mich umgeben
nicht mehr die durchlöcherten, schwärzlichen Mauern,
nicht mehr Erde und Unrat; das Zimmer ist geräumig
und weiß, hat breite Diwans und bunte orientalische
Teppiche. Der Garten vor meiner Tür ist ein einziges,
großes Rosenbeet, einige gelbe Ginsterpflanzen, die an
verschiedenen Stellen in goldenen Büscheln hervor-
springen, beleben es, und darüber wölbt sich ein Maien-
himmel so klar, so tief, wie man ihn in anderen Gegen-
den kaum kennt Die Vögel, Bachstelzen, Meisen, Nach-
tigallen tragen ihr bräutliches Lied bis an die Schwelle
meiner Tür. In der Luft zittert gleichsam der Rausch
des Lenzes; es ist die große Schönheit des persischen
Frühlings, die so bald vor dem sengenden Sommer ent-
flieht, es ist die wilde Begeisterung der Rosen zeit zu
Ispahan, die nicht schnell genug ihre Säfte verschwen-
190
den kann, die in wenigen Tagen alle ihre Blüten, ihren
ganzen Wohlgeruch ausströmen muß.
Außerdem habe ich beim Erwachen das Gefühl, daß
jetzt der schwierige Teil der Reise überstanden ist, —
daß jetzt — glücklicherweise und leider! — Persien
und die Wüsten hinter uns liegen. Ispahan ist eine der
letzten Etappen auf dem gefährlichen Wege, denn es
steht in Verbindung mit dem Norden, mit Teheran und
dem Kaspischen Meer, über das ich den Heimweg an-
treten werde; die Furcht vor den Räubern ist jetzt über-
flüssig, und die Pfade, auf denen die Karawanen dahin-
ziehen, können nicht mehr so ganz unmöglich sein, denn
man weiß schon von Reisenden zu erzählen, die diese
Strecken zu Wagen zurückgelegt haben sollen.
Was meinen Aufenthalt hier anbetrifft, so brauche
ich keine Belästigungen zu befürchten, da ich unter dem
Schutz der russischen Fahne stehe. Aber die Leute in
Ispahan scheinen den Fremden nicht so günstig geson-
nen zu sein wie die Bevölkerung in Chiraz oder in
Koumichah, wenn ich spazieren gehe, wird mir jedes-
mal eine Wache mitgegeben, ebensosehr des Schutzes
wie des Anstandes wegen: zwei mit Stöcken bewaff-
nete Soldaten eröffnen den Marsch; hinter ihnen ein
galonierter Kosak in der Livree des Fürsten. Und in
diesem Aufzug verlasse ich heute, an einem schönen
Maienmorgen, zum erstenmal das Haus, um den Kaiser-
platz* zu besuchen, das Wunder der Stadt, das im sieb-
zehnten Jahrhundert von den ersten Europäern, die hier
eindringen durften, so sehr angestaunt wurde.
Nachdem wir durch mehrere gewundene Gäßchen
* Meidan Schah.
I91
über Löcher und Trümmerhaufen dahingeeilt sind, um-
gibt uns von neuem der ewige Schatten der Basar©.
Das Gewölbe, das wir jetzt erreicht haben, gehört den
Schneidern; Burnusse, blaue Kleider, grüne Kleider,
Kleider aus buntem Kaschmir werden hier in einer Art
Yon Kathedrale, die unendlich lang und wohl dreißig
bis vierzig Fuß hoch ist, genäht und verkauft Ein ganz
mit Emaillemosaik ausgelegter Bogen zeigt von der Erde
bis zur äußersten Spitze des Gewölbes eine Öffnung,
durch die wir plötzlich den Platz Ispahans vor uns lie-
gen sehen, der in keiner europäischen Stadt seines-
gleichen findet, weder was die Größe, noch was die
Pracht anbelangt. Er ist im reinen Rechteck erbaut,
wird von gleichmäßigen Gebäuden eingerahmt und hat
eine so gewaltige Ausdehnung, daß die Karawanen, die
langen Reihen der Kamele, die Züge, die ihn in diesem
Augenblick unter einem wunderbar strahlenden Mor-
genhimmel kreuzen, daß dies alles sich hier zu verlieren
scheint; seine vier Seiten werden zum größten Teil von
den langen, geraden Schiffen der Basare gebildet, mit
ihren übereinander liegenden, riesengroßen, gemauer-
ten Spitzbogen aus graurotem Stein, die sich in ein-
tönigen, endlosen Reihen dahinziehen; aber, um diese
zu große Gleichgültigkeit der Linien zu unterbrechen,
leuchten die seltsamen, herrlichen Gebäude uns gleich
kostbaren Porzellanstücken von verschiedenen Seiten
entgegen. Im Hintergrunde, in majestätischer Zurück-
gezogenheit und doch im Mittelpunkt von allem, liegt
die kaiserliche Moschee*. Alles ist aus blauem Lapis-
lazuli, aus blauem Türkis, ihre Kuppeln, ihre Portale,
* Die Masjed Chah.
[93
ihre ungeheuren Spitzbogen, ihre vier Minaretts, die
gleich riesengroßen Spindeln in die Luft hineinragen.
Mitten auf der rechten Seite sieht man den Palast des
großen Kaisers, den Palast des Schah Abbas, seine
schlanke Säulenhalle im alten assyrischen Stil, die auf
einem dreißig Fuß hohen Sockel ruht, hebt sich wie
etwas Leichtes, Luftförmiges in dem leeren Räume ab.
Auf unserer Seite blitzen die Minaretts, die Kuppeln aus
gelber Glasur auf, hier liegt die alte Freitagsmoschee,
eine der heiligsten und der ältesten in ganz Iran*. Und
dann überall in der Ferne andere blaue Kuppeln, andere
blaue Minaretts, andere blaue Türme, von Tauben um-
kreist, sie tauchen zwischen den Wipfeln der Platanen
auf. Und schließlich am äußersten Rande der Ebene
umrahmen die Berge dies große Bild mit ihren leuch-
tenden Schneezacken.
In Persien, wo vor undenkbaren Zeiten die Leute die
gewaltige Arbeit der Bewässerung unternahmen, um ihre
Wüsten fruchtbar zu machen, geht nichts ohne fließen-
des Wasser; so sieht man auch hier zu beiden Seiten
des großartigen Platzes klare Bäche durch weiße mar-
morne Rinnen dahineilen; sie kommen aus weiter Ferne
und speisen zwei Alleen und Rosengebüsche. Und dort
unter kleinen Zelten rauchen die vielen müßigen Träu-
mer ihre Kalyan und trinken ihren Tee; die einen
kauern auf der Erde, die anderen sitzen auf Bänken,
die sie über den Bach gelegt haben, um in nächster
Nähe den kühlen Hauch genießen zu können, den die
kleine vorüberfließende Welle mit sich bringt Hunderte
von Leuten, die verschiedensten Tiere bewegen sich auf
• Die Masjed Djummah.
13 Persieii. jg3
diesem Platz, ohne ihn doch jemals ganz zu füllen, denn
er ist unendlich groß, und immer liegt seine Mitte fast
ganz verlassen, in ein Meer von Licht gebadet, da.
Schöne Reiter führen ihre Pferde im Galopp vor — im
persischen Galopp, wo sie mit straffen Zügeln dem Hals
ihres Pferdes die Biegung eines Schwanenhalses geben.
Scharen von turbangekleideten Männern verlassen nach
der Morgenandacht die Moscheen, sie erscheinen zuerst
in den großen, wahnsinnig blauen Portalen und ver-
lieren sich dann in der Sonne. Kamele ziehen langsam
vorüber, Truppen kleiner, mit schweren Lasten belade-
ner Esel trippeln heran. Gespensterhafte Damen reiten
auf ihren weißen Eselinnen spazieren, in der Hand
haben sie überaus prächtige Gerten aus gesticktem Samt
mit goldenen Fransen besetzt. — Und doch, wie jäm-
merlich würde dies Treiben, würden die heutigen Trach-
ten sich neben dem machen, was man auf demselben
Platze unter der Herrschaft des großen Kaisers sehen
konnte, als die Vorstadt Djoulfa noch mit Reichtümern
überschwemmt war! Zu seiner Zeit floß alles Geld
Asiens nach Ispahan; die Glasurpaläste schössen so
schnell wie das Maiengras aus der Erde hervor; und
Kleider aus Brokat, Kleider aus gold- und silbergewirk-
ten Stoffen wurden tagtäglich auf den Straßen getragen,,
ebenso wie die Agraffen aus kostbaren Steinen. Wenn
man näher hinsieht, so ist man entsetzt über den Ver-
fall aller dieser Gebäude, die beim ersten Anblick noch
so glanzvoll erschienen! — Dort oben, die schöne luft-
förmige Säulenhalle des Schah Abbas hat sich unter
dem Dach, das schon einzustürzen beginnt, geneigt. An
der Seite, wo die winterlichen Winde wehen, sind alle
Minaretts der Moscheen, alle Kuppeln zur Hälfte ihres
iq4
geduldigen Fayencemosaiks beraubt und scheinen von
einem grauen Aussatz angenagt zu sein; mit der Fahr-
lässigkeit, die den Persern eigen ist, lassen sie dem Ver-
fall seinen Lauf; und außerdem wäre dies alles heute
auch nicht mehr auszubessern: man hat weder das
nötige Geld noch die Zeit, und das Geheimnis dieses
wunderbaren Blaus ist seit langen Jahren verloren. Man
bessert also nichts aus, und dieser einzig dastehende
Platz, der mehr als dreihundert Jahre alt ist, wird nie-
mals den Schluß des Jahrhunderts erleben, in das wir
jetzt hineingehen.
Wie Chiraz die Stadt Kerim-Khans war, so ist Ispa-
han die Stadt des Schah-Abbas. Jederzeit ist es den
Herrschern Persiens eine Kleinigkeit gewesen, ihre
Hauptstadt zu wechseln, auch dieser Prinz entschloß
sich ungefähr im Jahre i565, hier seinen Hof zu er-
richten und aus dieser schon sehr alten und außerdem
durch den Durchzug des Tamerlan fast ganz verödeten
Stadt etwas zu machen, was die Welt in Erstaunen
setzen würde. Zu einer Zeit, wo wir selbst im Westen
an enge Plätze, an winkelige Gäßchen gewohnt waren,
ein ganzes Jahrhundert, bevor man die stolzen Per-
spektiven Versailles' erschuf, hat dieser Orientale das
großartige Ebenmaß, die Entfaltung der Alleen erson-
nen und geschaffen, die noch nie ein Mensch nachzu-
ahmen verstanden hat. Das neue Ispahan, das aus seinen
Händen hervorging, widersprach allen Vorstellungen,
die man sich damals über den Entwurf der Grundrisse
machte, und heute rufen seine Ruinen auf diesem persi-
schen Boden den Eindruck einer großen Ausnahme her-
vor. Es erschiene mir natürlich, wenn ich, wie in Chiraz,
mich im Schatten neben den friedlichen Leuten nieder-
13* *95
ließ, die eine Rose zwischen den Fingern halten; aber
meine Ehrenwache ist mir lästig, und außerdem wäre
es hier scheinbar gar nicht möglich: man würde mir
den Tee mit Verachtung reichen, würde mir die Kalyan
verweigern.
So laßt uns vorwärts wandern, da mir die süße Träg-
heit der Muselmänqer versagt ist
Um die kleine Sahara der Mitte zu vermeiden, hal-
ten wir uns am äußersten Rand des Platzes, wir schrei-
ten an der endlosen Flucht der großen gemauerten
Arkaden vorüber, damit ich mich wenigstens der kaiser-
lichen Moschee nähern kann, deren riesenhaftes Portal
dort hinten mich wie der zauberhafte Eingang zu einer
blauen Grotte anzieht! In dem Maße, wie wir vorwärts
schreiten, scheinen die Minaretts und die Kuppel des
tiefen Heiligtums — all das, was hinter dem Vorhof be-
schützt und geheiligt daliegt — scheinen die Gegen-
stände zu entweichen, zu verschwinden, während ich
mich immer mehr dem Portale nähere, dem Spitzbogen,
der sich in seinem Mauergeviert, mit seinen seitsam
leuchtenden Fayenzen, so hoch wie ein Triumphbogen
erhebt Steht man unter diesem gewaltigen Tor, so
sieht man einen Wasserfall von blauem Stalaktit von
dem Gewölbe herabstürzen, er teilt sich in regelmäßige
Wassergarben, dann in symmetrische Strahlen und
gleitet an den inneren Mauern herab, die mit wunder-
barer blauer, grüner, gelber und weißer Emaille be-
stickt sind. Diese herrlich glanzenden Muster stellen
Blumenzweige dar, durch die sich feine, weiße, religiöse
Inschriften ziehen, darunter sieht man ein Gewirr von
Arabesken in den verschiedensten Türkisschattierungen.
Die Wasserfälle, die Ströme von Stalaktit oder
196
Schlüsselstein, stürzen von dem Gewölbe herab, fließen
bis zu den kleinen Säulen herab, wo sie sich schließlich
ausruhen; auf diese Weise bilden sie ganze Reihen
kleiner, wunderbar fein ausgezackter Bogen, die sich
in einer harmonischen Verschlingung unter dem riesen-
großen Hauptbogen reihen. Das Ganze, unbeschreib-
lich verworren, unbeschreiblich glänzend, mit seinen
Farben, die den Edelsteinen anzugehören scheinen, ruft
doch den Eindruck der Ruhe und der Einheit hervor, so-
bald man sich unter seinem kühlen Schatten befindet
Und im Hintergrunde dieses Peristyls liegt die Tür, die
den Christen verschlossen bleibt, die Tür der heiligen
Stätte, sie ist breit und hoch, aber man könnte sie klein
nennen, so erdrückend wirkt der Umfang des Eingangs-
portals; sie ist eingelassen in die dicken, mit lapis-
fazulifarbener Glasur bekleideten Wände; 3ie scheint
in einem Reich zu versinken, wo das Blau allein
herrscht
Als ich in die russische Gesandtschaft zurückkehre,
ist das Tor, das einzige in der Mauer, mit alten golde-
nen Stickereien, mit alten Gebetsteppichen geschmückt,
die man aufs Geratewohl, wie für eine vorüberziehende
Prozession, mit Nadeln an der Wand befestigt hat
Scheinbar will man mich hiermit locken, die armeni-
schen und jüdischen Kaufleute haben von der Ankunft
eines Fremden Wind bekommen und sind herbeigeeilt
Ich erbitte für sie die Erlaubnis, den Rosengarten be-
treten zu dürfen — , und von jetzt an gehört die Auf-
stellung der Kinkerlitzchen, die mir angeboten werden,
die Handelsabschlüsse in den verschiedensten Spra-
chen, mit zu meinem morgendlichen Zeitvertreib.
Nachmittags spazieren meine mit Stöcken bewaff-
197
nete Begleitung und ich durch die Basare, wo stets ein
gedämpftes Tageslicht und die angenehme Kühle der
Gewölbe herrscht. Alle Gänge drohen einzustürzen.,
viele liegen verfallen, verlassen da ; die Alleen, in denen
die Verkäufer sich noch aufhalten, sind ihrer alten
Pracht fast ganz beraubt, aber noch findet man dort die
lärmende Menge, und tausend drollige, ins Auge fallende
Gegenstände, die Plätze, wo diese Alleen sich kreuzen,
sind stets von großen, herrlichen, hochschwebenden
Kuppeln überdacht, durch deren Öffnung in der Mitte
die hellen Strahlen persischer Sonne herniederfallen:
Jeder dieser viereckigen Plätze hat seinen Spring-
brunnen, sein Marmorbassin, in das die Rosenhändler
ihre schönen Sträuße tauchen, aus dem die Menschen,
die Esel, die Kamele und die Hunde trinken.
Der Basar der Färber, der monumental, traurig und
finster daliegt, erinnert an eine unendlich lange, mit
schwarzem Tuch ausgeschlagene gotische Kirche, bis
oben hinauf, bis zum Gewölbe hängen die Stoffe, von
denen die Farbe herabtropft, — dunkles Blau für die
Männerkleider, Schwarz für die Schleier der gespen-
sterhaften Frauen.
In dem Basar der Kupferschmiede, der sich eine
halbe Meile weit erstreckt und unaufhörlich von dem
höllischen Lärm der Hämmer widerhallt, sind die an-
mutigsten Wasserkaraffen aufgestellt, und die kupfer-
nen Schenkkannen, mit ihren schlanken, seltenen For-
men, leuchten in neuem Glanz in den Schaufenstern
der Läden, durch den rauchgeschwängerten Schatten
hindurch.
Wie in Chiraz, so ist auch hier der Basar der Sattler
der größte, er glitzerte von Stickereien, Goldperlen und
i98
Pailetten. Die verschiedenen orientalischen Gebrauchs-
gegenstände der Karawanenreisenden sind hier in un-
gezählten Mengen ausgestellt! Ledersäcke mit seide-
nen Stickereien verziert, stark vergoldete Pulverhörner,
Kürbisflaschen mit Gehängen überladen ; kleine Schalen
aus ziseliertem Metall, mit deren Hilfe man das Quell-
wasser am Wege schöpft. Und dann folgen die Gerten
aus Samt und Gold, sie sind für die weißen Eselinnen
der Damen bestimmt, die paillettenbenähten Zaumzeuge
der Pferde oder der Maultiere, die Glockenkränze, deren
Geläute die wilden Tiere zurückschreckt Und schließ-
lich sieht man all das, was zu der wirklichen Eleganz
der Kamele gehört: Perlenreihen, die durch die Nasen-
löcher gezogen werden, Quersäcke mit bunten Fran-
sen; Kopfstücke mit Glasperlen verziert, Federbüsche
und kleine Spiegel, in denen die Sonnenstrahlen oder
die Mondstrahlen während der Reise aufgefangen wer-
den. Einer der großen Spitzbogen sendet uns plötzlich
eine Flut von Licht entgegen, und wieder liegt der
kaiserliche Platz vor uns, stets wirkt er ergreifend durch
seine ungeheure Ausdehnung und seine Pracht, mit sei-
nen regelmäßigen Arkadenreihen, seinen Moscheen, die
mit gewaltigen glasierten Turbanen bedeckt zu sein
scheinen, seinen spindelförmigen Minaretts, an denen
sich von unten nach oben in spiralförmiger Linie
weiße Raupen, wunderbar blaue Arabesken, hinauf-
schlängeln.
Schnell wollen wir den großen Platz durchschreiten,
der jetzt in der glühenden Sonnenhitze ganz verlassen
daliegt, unter einem anderen, ähnlichen Spitzbogen
suchen wir von neuem Schutz, tauchen wir von neuem
in der Kühle der Gewölbe unter.
*99
Der Basar, in dessen Schatten wir uns jetzt befinden,
gehört den Bäckern. Hier herrscht eine glühende Tem-
peratur, die Öfen sind in allen Läden geheizt; der Duft
der gebackenen Naschwerks dringt uns entgegen. Viele
Rosensträuße in den kleinen Schaufenstern, zwischen
den Zuckersachen und den Torten; verschiedenfarbiger
Sirup in Gläsern ; Eingemachtes in großen, alten, chine-
sischen Porzellangefäßen, die unter der Herrschaft des
Schah-Abbas hierher gekommen sind; eine Wolke von
Fliegen. Ungezählte schwarze Frauen mit weißen Mas-
ken. Und vor allem die entzückenden Kinder, die man
merkwürdigerweise ganz wie große Leute kleidet ;
kleine Knaben in langen Gewändern und gar zu hohen
Hüten; kleine Mädchen mit gemalten Augen, niedlich
wie Puppen anzuschauen, sie tragen überfallende Hem-
den, kurze Röcke und darunter Hosen.
Auf dem folgenden Platz, der ganz verfallen daliegt,
bilden viele Menschen einen Kreis um den Spring-
brunnen: auf dem Rande des marmornen Beckens sitzt
ein alter Derwisch und predigt; unter den Strahlen, die
von der Kuppel herabfallen, leuchtet sein Bart und sein
Haar weiß auf, er scheint hundert Jahre zu zählen,
zwischen den knöchernen Fingern hält er eine Rose.
Und dann erreichen wir den Basar der Juweliere,
niemand geht hier hindurch. Man verkauft ziseliertes
Silber, Kästchen, Schalen, Spiegel, Kalyan-Karaffen;
unter den trüben Sdheiben des Kasten, um die man in
höchster Vorsicht noch eine blaue seidene Schnur ge-
wunden hat, liegen alte Schmucksachen zum Verkauf,
aus Silber oder aus Gold, aus echten oder unechten
Edelsteinen; dort sieht man auch ungezählte Agraffen,
deren Bestimmung es ist, die kleine weiße, mit zwei
200
Löchern versehene Maske, die das Gesicht der Frauen
verhüllt, hinter dem Kopf zusammenzuhalten. Fast alle
Kaufleute sind Greise mit weißen Barten, sie hocken in
dunklen Nischen, jeder hält seine kleine Wage in der
Hand, auf der die Türkise abgewogen werden, und jeder
verfolgt seinen Traum, den kaum ein Käufer stört. Der
Staub, die Fledermäuse, die Spinngewebe, der schwarze
Schutt sucht diesen verödeten Basar heim, wo doch so
viele wunderbare Dinge schlafen.
Wir beschließen unseren Tag in einem ausgestorbe-
nen, verfallenen Ispahan, das sich, je tiefer die Sonne
sinkt, in immer dunklere Schatten hüllt. Es ist dies der
gewaltige Stadtteil, in dem nach der afghanischen Ver-
heerung, nach den Schrecken der großen Belagerung,
die der Sultan Mahmoud vor bald zweihundert Jahren
gegen die Mauren unternahm, alles Leben erstorben ist,
Ispahan hat sich nach diesem zweiten, schrecklichen
Sturm, der seine Einwohner von siebenhunderttausend
auf kaum sechzigtausend zusammenschmelzen ließ, nie
wieder aufrichten können, außerdem führte Kerim-
Khan fast unmittelbar darauf den gänzlichen Verfall
herbei, indem er die Hauptstadt des Kaiserreiches nach
Chiraz verlegte. In einer Ausdehnung von mehr als einer
Meile liegen die Häuser, die Paläste, die Basare ver-
lassen da, alles bricht zusammen. Auf den Straßen, in
den Moscheen haben die Füchse und die Schakale ihre
Löcher gegraben und sich dort wohnlich niedergelas-
sen; und hier und dort zerbröckelt die schöne Mosaik,
zerbröckeln die schönen Fayencen und legen sich wie
eine himmelblaue Asche auf die Steinhaufen, über die
graue Erde. Abgesehen von einem Schakal, der uns in
dem Eingang zu seiner Höhle seine spitze Schnauze
201
zeigt, begegnen wvr keinem lebenden Wesen, wir schrei-
ten durch das kalte Schweigen dahin, und der einzige
Laut, der an unser Ohr dringt, ist der Widerhall unse-
rer Schritte und der Stöße, die meine beiden Wächter
mit ihren Stöcken gegen die Steine führen. Aber über-
all blühen die Frühlingsblumen, Margueriten, Ritter-
sporn, Mohn, Heckenrosen, auf dem Rand der Mauer
bilden sich kleine bunte Gärten ; der Tag geht klar und
goldig zur Neige, in der Ferne dort hinten auf den
Gipfeln erglühen die Schneegefilde in wunderbar zar-
tem Rot, und bevor die Nacht hereinbricht, läßt das;
Licht noch einmal sein ganzes Farbenspiel über dieser
Verwüstung leuchten.
Wir müssen spätestens um die Dämmerstunde zu-
rückgekehrt sein, denn die alte Hauptstadt des Schah -
Abbas kennt kein nächtliches Leben. Das Tor des
fürstlichen Hauses wird bei Hereinbruch der Dunkel-
heit hermetisch verschlossen, und alsbald verriegelt man
auch die alten, eisenbeschlagenen Türen, die die ver-
schiedenen Stadtviertel voneinander trennen. Das unent-
wirrbare Labyrinth der Stadt, wo binnen kurzem voll-
ständige Finsternis herrschen wird, zerlegt sich in un-
endlich viele, abgesonderte Teile, die bis zum Tages-
anbruch in keiner Verbindung miteinander stehen. Das
große Schweigen des Islam senkt sich über Ispahan
herab.
Die Rosen durchschwängern die Nacht mit ihrem
Duft, die Rosen des Gartens, der von hohen Mauern
eingerahmt und geschützt daliegt; meine Zimmer gehen
auf ihn hinaus. Kein Geräusch von Fußtritten dringt
von draußen an mein Ohr, weil niemand sich mehr im
Freien aufhält; kein Rollen der Räder, weil es hier
202
keine Wagen gibt; nur von Zeit zu Zeit trägt die klare,
klangreiche Luft uns die Töne kreischender, trauriger
Stimmen zu; die Muezzine schmettern ihren Aufruf
zum Gebet durch die Luft, die Nachtwächter schreien
von dem einen geschlossenen Viertel zum anderen ihre
Antwort hinüber; die wachenden Hunde bellen, die
Schakale heulen in der Ferne. Und seltsam hell leuchten
die Sterne ; wir befinden uns noch immer in einer ziem-
lichen Höhe, ungefähr in derselben Luftlinie mit den
Gipfeln der größten Berge Frankreichs.
Montag, i4. Mai.
Der Schah-Abbas wollte auch, daß seine Hauptstadt
mit unvergleichlichen Gärten, mit wunderbaren Alleen
geschmückt sei. Der Weg Tscharbag, eine der Stra-
ßen, die nach Djoulfa führt, und die der herrlichen
Brücke folgt, auf der wir den ersten Tag zur Stadt hin-
einritten, war einst eine Promenade, wie es keine zweite
auf Erden gab, man könnte sie die Ghamps-Elysee von
Ispahan nennen, eine vierfache Plantagenreihe, eine
halbe Meile lang, die drei gerade Alleen bildet; die Allee
in der Mitte, für Reiter und Karawanen bestimmt, mit
großen, regelmäßigen Fliesen gepflastert, die seitwärts
gelegenen Alleen in ihrer ganzen Ausdehnung durch
Springbrunnen, blühende Beete, durch Rosenhecken be-
grenzt, und am Rande, zu beiden Seiten, hatte man die
offenen Paläste * erbaut, deren Mauern ganz mit Fayen-
* Diese Paläste, mit ihren Balkons, waren in erster Linie
für die Frauen des Harems bestimmt, man erbaute acht und
nannte sie: Die „Acht Paradiese".
2o3
cen bekleidet, deren Decken mit Arabesken und ver-
goldetem Stalaktit geschmückt waren. Ais bei uns der
Hof des Sonnenkönigs von Anmut und Reichtum wie-
derstrahlte, war der Hof des Schahs von Persien der
einzige, der sich mit ihm messen konnte. Kurz bevor
Ispahan von den Barbaren des Westens überflutet
wurde, erreichte es den Höhepunkt seines Glanzes, sei-
ner verfeinerten Ausschmückung, und Tscharbag war
der Ort, wo sich alle Anmut — wie sie nicht einmal
Versailles gesehen haben kann — zusammenfand. Zu
den Stunden der Parade strömten die verschleierten
Schönen auf den Terrassen der Paläste herbei, um ihren
Herren zuzuschauen, die auf den weißen Fliesen, zwi-
schen den beiden, die Allee abgrenzenden Rosenhecken
ihre Rosse tummelten. Die stolzen Pferde mit dem ver-
goldeten Sattelzeuge galoppierten in edler Haltung da-
hin, sie zeigten die starke Biegung des Halses, wie sie
die Perser noch heute bei ihren Pferden erstreben. Und
die schlanken Reiter trugen sehr enge, sehr anschmie-
gende Kleider aus Kaschmir oder aus golddurchwirktem
Brokat; sie trugen Ringe und Armbänder, und ihr hoher
Kopfputz war mit Agraffen geschmückt, sie glitzerten
von Edelsteinen; die Fresken und die alten Miniaturen
haben uns die Einzelheiten ihrer ein wenig dekatenten
Moden überliefert, die in gutem Einklang mit dem gan-
zen Lebensbild jener Zeit, mit der wunderbaren, zarten
Ausschmückung der Paläste, mit der unendlichen
Duchsichtigkeit der Luft, mit dem großen Blütenreich-
tum standen.
Tscharbag, so wie es heute in der Sonne an diesem
schönen Maienmorgen vor mir liegt, mutet es mich un-
sagbar traurig an, ein fast verödeter Verbindungsweg
2Q&
zwischen den beiden Trümmerhaufen Ispahan und
Djoulfa. Die mehr als dreimal hundert Jahre alten Pla-
tanen sind zu Riesen herangewachsen, die absterben,
die ihrer Krone beraubt sind. Die Fliesen zeigen große
Risse, traurig schießt das Gras dort hervor. Die
Wasserbassins sind ausgetrocknet oder haben sich in
stagnierende Sümpfe verwandelt. Die blühenden Beete
sind verschwunden, und die letzten Rosen bilden nur
noch ein wildes Gestrüpp. Jeder, der Lust hat, kann die
wenigen, noch aufrechtstehenden Paläste betreten, wo
die empfindlichen Wände zu Staub zerfallen, und wo
die Afghanen aus Fanatismus bei ihrer Ankunft die Ge-
sichter der schönen, gemalten Damen auf den Fayence-
tafeln zertrümmert haben. Mit seinen noch lebenden
Alleen ist Tscharbag, — der Zeuge eines ruhmvollen
Jahrhunderts, das dem unseren noch nicht so fern liegt
— , weit mehr von Heimweh befallen, als die Trümmer
aus der ganz alten Vergangenheit
Nach unserem Besuch, den wir der großen toten
Allee abstatteten, kehren wir ins Innere von Ispahan
zurück; unser Weg geht durch die Basare, wo es
immer wundervoll kühl und schattig ist Dort führte
mich mein Begleiter zuerst zu den Seidenwebern, die
die Brokatstoffe für die Feierkleider, die Taffetseiden *
anfertigen; im Hintergrunde trauriger, tief gelegener
Wohnungen, in die nur ein wenig Licht aus der über-
dachten dunklen Straße fällt, sind die Webstühle auf-
gestellt Und dann gelangen wir zu den Leuten, die die
in den Oasen der Umgegend geerntete Baumwolle ver-
arbeiten, und dann zu denen, die nach einem uralten
* Es ist bekannt, daß der Taffet aus Persien kommt, ebenso
wie sein Name.
ao5
Verfahren diese Stoffe mittels großer Platten aus gra-
viertem Holz bedrucken. Es herrscht auch hier fast
vollständiges Dunkel in dem unterirdischen Gemach,
wo man die vielen tausend Wandbehänge (die stets das
Portal einer Moschee darstellen) färbt, um sie dann, wie
es seit undenkbaren Zeiten geschah, in dem Fluß zu
spülen, und sie in de'r schönen Sonne, auf dem weißen
Kies der Ufer zu trocknen.
Wir beschließen unsere Wanderung in dem Viertel
der Fayencearbeiter; sehr eifrig sind diese noch damit
beschäftigt, nach alten, unveränderten Mustern Blumen
und Arabesken auf die Steine zu klecksen, die für die
neuen persischen Häuser bestimmt sind. Aber weder
diese Farben, noch die Glasur können mit denen der
alten Kacheln verglichen werden. Besonders gibt es
das Blau nicht mehr, das leuchtende, tiefe, fast über-
natürliche Blau, das die Kuppeln der alten Moscheen in
der Ferne wie Blöcke kostbarer Steine erscheinen ließ,
Der Schah-Abbas, der die Kunst der Fayencen so all-
gemein bekannt gemacht hat, führte aus dem Innern
Indiens und aus China seltene Kobalt- und Indigofarben
ein, die man dann, nach einem heute nicht mehr be-
kannten Verfahren, einbrannte. Er hatte auch aus
Europa und aus Peking Meister der Zeichenkunst zu
sich entboten, und diese stellten, trotz des Korans,
menschliche Gesichter neben die persischen Verzie-
rungen. — So läßt es sich auch erklären, daß die gla-
sierten Wandflächen in dem Hause des Fürsten Frauen
der westlichen Renaissance mit Mediciskragen zeigen,
und wieder andere Frauen mit ganz kleinen, geschlitz-
ten Augen, die auf chinesische Art voller Anmut schön
tun.
206
Meine beiden mit Stöcken bewaffneten Soldaten und
mein schöner galonierter Kosak langweilen mich wirk-
lich. Heute nachmittag habe ich mich entschlossen, sie
mit Dank fortzuschicken und alleine umherzustreifen.
Und was man mir auch sagen mag, ich will versuchen,
mich jetzt, wo ich allmählich in Ispahan bekannt bin,
auf einer der kleinen Bänke der Teehändler, am Ufer
eines kühlen Baches des kaiserlichen Platzes, auf der
schattigen Seite niederzulassen. Ich wußte es: man
bringt mir ganz freundlich meine winzige Tasse Tee,
meine Kalyan und eine Rose; mit meinen Freunden,
den Muselmännern, wird man sich immer verständigen
können, wenn man es nur anzufangen weiß.
Die Maiensonne brennt seit zwei oder drei Tagen
wie Feuer hernieder, man sehnt sich nach dem kühlen
Hauch des fließenden Wassers vor den kleinen Cafes,
nach der Ruhe im Schatten der Zelte, oder der jungen
Bäume. Es ist zwei Uhr; in der Mitte des ungeheuren
Platzes, den eine Flut von weißem Licht überschwemmt,
liegen nur einige nachlässig ausgestreckte Esel, knien
nur einige Kamele im Staube. An beiden Enden des er-
habenen, des toten Platzes, erheben sich die beiden gro-
ßen Moscheen Ispahans und begrüßen sich aus weiter
Ferne, sie lassen ihre bunten Kuppeln, ihre seltsamen,
mit Arabesken verzierten Spindeln in den hellen Son-
nenstrahlen leuchten : die eine sehr alt, sehr heilig, die
Freitagsmoschee, ist mit gelbem Gold bekleidet, das
durch ein wenig Grün noch mehr hervorgehoben wird ;
die andere, die Königin allen Blaus, des tiefen Blaus
und des blassen Himmelblaus, ist die kaiserliche
Moschee.
Bei Sonnenuntergang lenke ich meine Schritte nach
207
der alten theologischen Schule der Muselmänner, „die
Schule der Mutter des Schahs" genannt; der Fürst D . . .
war so gütig gewesen, mir eine Begleitung zu geben,
die mich bei dem leitenden Priester einführen konnte.
Es ist nicht nötig zu fragen, wer die breite, gerade
Allee, die dorthin führt, erbaut hat: Natürlich der
Schah-Abbas, stets der Schah-Abbas; alles, was in
Ispahan von den winkeligen Gäßchen, wie man sie in
den persischen Städten sieht, abweicht, war das Werk
dieses Fürsten. Die schöne Allee wird von hundert-
jährigen Platanen eingerahmt, man hat ihre unteren
Zweige nach persischer Art beschnitten, um ihre wei-
ßen, elfenbeinernen Stämme noch höher erscheinen zu
lassen, und so gleichen sie, die sich erst nach dem
Gipfel zu ausbreiten, erst dort oben dicht belaubt wer-
den, in der Tat langen, schlanken Säulen. Zu beiden
Seiten des Weges öffnen sich verfallene Tore, einst
wurden sie von Fayencen eingerahmt, über sie hinaus
ragt als Wappen Irans: Ein Löwe, der ein Schwert
vor die Sonne hält
Diese Universität — sie ist drei Jahrhunderte alt,
und ihr Lehrplan ist derselbe, wie am ersten Tage — -
wurde mit einem Pomp erbaut, der diesem Volk der
Denker und der Dichter, das seit alten Zeiten die Bil-
dung des Geistes in Ehren hielt, würdig ist Man wird
sofort von dem wunderbaren Eingang geblendet; in
einer glatten, weiß und blau emaillierten Mauer ist eine
Art riesengroße Vertiefung eingelassen, eine Art Höhle,
zu der sich ein hoher Spitzbogen öffnet, das Innere ist
mit einem Regen von blauem und gelbem Stalaktit über-
zogen. Die Tür zeigt zwei Flügel aus Zedernholz, wohl
fünfzehn bis achtzehn Fuß hoch, sie sind von oben bis
208
unten mit einer feinen, silbernen Panzerung bedeckt,
mit getriebenem, ziselierten Silber, durch dessen Netz
von Arabesken und Rosen sich purpurrote religiöse In-
schriften hindurchziehen. Diese Kunstarbeiten haben
selbstverständlich unter dem Zahn der Zeit, unter der
afghanischen Verheerung gelitten, sie sind abgenutzt,
verbeult, stellenweise abgerissen, sie erinnern in trau-
rigster Weise an eine nie wiederkehrende Zeit des
wahnsinnigsten Luxus und der ausgesuchtesten Ver-
feinerung.
Wenn man durch dies ausgezackte Gewölbe in einen
monumentalen Vorhof tritt, auf den der Garten folgt,
sieht man, wie sich das Gerinnsel des Stalaktit in regel-
mäßige Arme teilt, die an den inneren Mauern herunter-
laufen, ihre Emaillen zeigen ein phantastisches blaues
Laubwerk, das von Inschriften, von alten Sprüchen in
bläulichen, in weißen Buchstaben durchzogen wird; im
Hintergrunde liegt der Garten, von einer gewaltigen
Fayencebucht eingeschlossen: ein trauriges Eden, wo
die Rosensträuche, die Rosenbüsche im Schatten der
dreihundert Jahre alten Platanen blühen. Zu beiden
Seiten des Pfades, der zu irgendeinem Zauberschloß zu
führen scheint, haben die bescheidenen, kleinen Zucker-
werk-, Erdbeeren- und Teehändler ihre Tische, ihre
rosengeschmückten Platten aufgestellt Und wir be-
gegnen einer Schar Studenten, die das Schulgebäude
verlassen, junge Leute mit fanatischem, eigensinniges
Blick, mit dunklen Gesichtern unter den großen Prie-
sterturbanen.
Der Garten ist ein Viereck, wird von wohl fünfzig
Fuß hohen glasierten Mauern eingeschlossen, und ehr-
würdige Platanen, die so groß wie Affenbrotbäume sind,
U Pfcnte».
209
bedecken ihn mit ihren Zweigen und hüllen ihn in ihren
grünen Schatten ein. In der Mitte steht ein Spring-
brunnen, liegt ein Marmorbassin, und überall zu beiden
Seiten der kleinen Alleen mit ihren grünlichen Kacheln
vereinen sich die beiden Blumenarten, die man stets in
allen persischen Gärten sieht: die echten süßduftenden
rosenroten Rosen und die einfachen weißen Hecken-
rosen. Rosenhecken und Rosensträucher strecken ihre
überschlanken Zweige unter dem Druck der hoben
blauen Mauern und der alten Platanen unendlich weit
von sich, sie umklammern die gewaltigen Stämme und
fallen gleichsam tränend zurück, immer aber sind sie
unermüdlich im Blühen. Da der Zutritt zu diesem Platz
allen vorübergehenden Muselmännern gestattet ist, so
sieht man hier die Lraven Leute aus dem Volk, die von
der Kühle und dem Schatten angelockt wurden, auf den
Fliesen sitzen oder liegen und ihre Kalyan rauchen,
deren kleine, vertraute, glucksende Töne man von allen
Seiten hört Und von oben dringt das Gezwitscher der
gefiederten Welt zu uns herab; die Zweige sind voll
von Nestern; Meisen, Buchfinken, Spatzen haben diesen
ruhigen Zufluchtsort zu ihrer Wohnstätte ausersehen,
und auch die Schwalben haben überall an allen Dächern
ihre Nester angeklebt Diese Mauern, die den Garten
einschließen, werden von oben bis unten von einer ein-
zigen, unendlichen, ganz blauen Mosaikf lache bekleidet,
und darauf baut sich eine dreireihige Bogenöffnung
auf, durch die das Licht in die Zellen fällt, wo die jun-
gen Priester ihren einsamen Gedanken nachhängen. Je
in den vier Wänden des rechteckigen Platzes nimmt
ein gewaltiger Spitzbogen die Mitte ein, er gleicht dem
Eingangstor und zeigt ein Gewölbe, an dem die FayenGe-
310
tropf chen herniederfließen, in dem Eiszapfen in Lapis-
lazuü und safrangelber Farbe leuchten.
Und der Spitzbogen im Hintergrunde ist der präch-
tigste von allen vieren, er wird auf beiden Seiten von
Minaretts geschmückt, jenen blauen Spindeln, die in
den Himmel hinaufragen; er führt zu der Moschee der
Schule, deren turbanartige Kuppel man dort oben über
dem alten Gezweig erglänzen sieht In den Minaretts
schlängeln sich in spiralförmigen Windungen von unten
lange religiöse Inschriften aus weißer Glasur hinauf bis
zur Spitze, wo sie in einer Flut von Licht gebadet da-
liegen ; die Kuppel ist übersät mit gelben Emaillcblumen,
mit grünem Emaillelaubwerk, die wie im Kaleidoskop
ihre unentwirrbaren Linien über die blauen Arabesken
ziehen. Wenn man das Auge über den Schatten, der
hier unten herrscht, erhebt, so sieht man durch das hohe
Blätterdach, unter dem das Alter und der Verfall ver-
borgen liegt, an einem klaren Himmel, die ganze Pracht
der Juwelen glitzern, und die großen, lichtreichen Wel-
len der persischen Sonne fluten darüber hin.
Alter und Verfall, sobald man nur näher hinsieht;
eine letzte Täuschung läßt uns an wunderbare Herr-
lichkeilen glauben, aber auch sie wird nur noch wenige
Jahre leben; die Kuppel ist gespalten, die Minaretts
werden ihres feinen, durchsichtigen Schmuckes beraubt,
und die glasierte Bekleidung, deren Farbe heute noch
so leuchtend ist wie im großen Jahrhundert, fällt schon
an vielen Stellen ab, graue Steinflächen, Löcher und
Risse kommen zum Vorschein, in denen das Gras, die
wilden Pflanzen wuchern. Ich habe den Eindruck, als
wenn dies alles hoffnungslos dahinschwindet, dahin-
W 2I1
schwindet wie das alte, bezaubernde Persien, ohne daß
es je wieder hergestellt werden könnte.
Auf kleinen, steilen,, dunklen Treppen, wo mehr als
eine Stufe fehlt, steigen wir zu den Zellen der Studenten
hinauf; Die meisten liegen schon lange verlassen da,
angefüllt mit Asche, Vogelschmutz, Eulenfedern; nur
in einigen wenigen zeigen alte, heilige Manuskripte,
zeigt ein Gebetsteppich, daß man hier noch hineintritt,
um sich zu sammeln. Diese Zellen haben zum Teil Aus-
sicht auf den schattenreichen Garten, auf seine grün-
lichen Fliesen und seine Rosengebüsche, auf das ganze
kleine, traurige Gehölz, wo man das Lied der Vögel und
das ruhige Plätschern der Kalyan hört; zum Teil
blicken sie auf die weite Ebene, auf das Weiß der
Mohnfelder, das am Horizont durch einen schmalen
Strich der Wüste abgeschnitten wird, auf ein anderes
silberhelles Weiß dort hinten: die Schneegefilde der
Gipfel. Weich einen wunderbaren Zufluchtsort bieten
diese Zellen, umgeben von der Ruhe dieser Trümmer-
stadt, umgeben von der Einöde, allen denen, die sich
den Träumen des orientalischen Mystizismus hingeben
wollen ... I
Ein Gewirr von Treppen und Gängen führt uns zu
dem alten Priester, der dies Schemen von einer Schule
leitet In dem Schatten einer blauen, glasierten Grotte
liegt seine Wohnung, eine Art Loggia mit einem Ralkon,
von wo aus er das ganze Innere der Moschee beherrscht
Und es ist ein ergreifender Eindruck, plötzlich dies
Heiligtum, diese Gebetsnische erscheinen zu sehen,
Dinge, von denen ich glaubte, daß sie mir, dem Ungläu-
bigen, stets verborgen bleiben würden. Der hagere,
blasse Priester in schwarzem Kleid, mit schwarzem
312
Turban, sitzt auf einem Gebetsteppich, und ihm zur
Seite sein Sohn, ein Kind von zwölf Jahren, gleichfalls
in Schwarz gekleidet, mit einem kleinen, schwärme-
rischen Gesicht, das unter dem heiligen Schatten seine
Farbe verloren hat; zwei oder drei ernste Greise hocken
daneben, jeder hält eine Rose in der Hand, mit derselben
ein wenig gezierten Anmut, die den Figuren auf den
alten Miniaturen eigen ist Sie träumten oder besprachen
heilige Dinge; nach tiefen Verbeugungen und langen
Höflichkeitsreden bietet man uns Kissen an, bringt uns
Kalyans, Tee, und dann beginnt die Unterhaltung, wir
sprechen langsam, sie riechen an ihren Rosen mit
greisenhafter Geziertheit, oder verfolgen mit starrem
Auge den Sonnenstrahl, der an den wunderbaren Gla-
suren im Hintergrunde des Heiligtums hinabsickert. Die
Schattierungen dieser Moschee, das Glitzern dieser
Wände halten mich davon ab, dem Gespräch zu folgen;
ich glaube durch ein bläuliches Eis, in den kristallisier-
ten, aus Stalaktit erbauten Palast eines unterirdischen
Geistes hineinzusehen. Lapislazuli und Türkis in ewiger
Abwechslung, eine Apotheose des Blaus. Die Ströme
kleiner, blauer Eiszapfen, kleiner, blauer Prismen flie-
ßen von der Kuppel herab und überfluten an einzelnen
Stellen die vielen blauen Muster der Wände ... In ihren
Einzelheiten erscheint die Zeichnung unentwirrbar, aber
sie ruft doch als Ganzes den Eindruck der Einfachheit
und der Ruhe hervor: dies ist, wie überall, das große
Geheimnis der persischen Kunst
Aber welch ein trauriger Verfall. Der Priester, mit
dem schwarzen Turban, beklagt sich, daß er seine wun-
derbare Moschee in Staub zusammenfallen sehen muß.
„Schon lange", sagt er, „habe ich meinem Kinde ver-
2l3
boten, herumzulaufen, damit keine Erschütterung her-
vorgerufen wird. Täglich höre ich etwas fallen, höre
die Glasuren fallen...' Zu der Zeit, in der wir leben,
nehmen die Großen kein Interesse daran, und ebenso
das Volk . . . Was soll man dabei machen?" Und er
führt die Rose an seine abgemagerten, wachsgelben
Nasenflügel.
In ihrer Gesellschaft war man umgeben von einem
Traum aus alten Zeiten, von einem unwandelbaren Frie-
den, und zwar in dem Maße, daß uns beim Hinaustritt
aus den schönen, silberziseiierten Türen, die Allee der
Platanen, durch die einige lebende Wesen, einige Reiter,
einige Züge von Eseln und Kamelen ziehen, modern, ja
belebt erscheint. ..
Vor Hereinbruch der Nacht bleibt mir noch ein wenig
Zeit, um auf dem großen Platz haltzumachen, wo die
religiöse Stunde des Moghreb mit einer Zeremonie ver-
bunden ist, die aus dem ganz alten Islam stammt, die
auf die uranfängliche Religion der Magier zurückzu-
führen ist. Die kaiserliche Moschee war während des
ganzen Tages ein einziges Blau, sobald sie sich aber
unter den Strahlen der untergehenden Sonne für eine
kurze Minute in ein starkes Violett verwandelt, er-
scheint ein Orchester am anderen Ende des Platzes, in
einer Loggia oberhalb des großen Portales, das der gel-
ben, glasierten Moschee gegenüber liegt: gewaltige
Trommeln und lange Trompeten, wie in den Tempeln
Indiens. Nach vieltausendjähriger Überlieferung bietet
man der Sonne Persiens, genau in dem Augenblick, wo
sie stirbt, einen Gruß dar. Wenn die Strahlen erlöschen,
ertönt die Musik, plötzlich und wild; laute, hohle
Schläge, die sich überstürzen, der Lärm eines nahen
2i4
Gewitters, der sich über den ganzen, jetzt bald ver-
ödeten Platz ergießt, wo nur noch einige Karawanen
am Boden liegen, und die Trompetenstöße gleichen dem
Gebrüll eines Tieres, das sich vor dem fliehenden Licht
im Todeskampf windet . . . Morgen früh werden die
Musikanten auf denselben Platz hinaufsteigen, um der
aufgehenden Sonne ein lärmendes Morgenstandchen
darzubringen. ..
— Und also tut man auch am Ufer des Ganges, der-
selbe Gruß, der der Geburt und dem Sterben dieses
herrschenden Gestirns das Geleite gibt, hallt zweimal
taglich über ganz Benares wider . . .
In der Dämmerung, nachdem man in das russische
Haus zurückgekehrt, nachdem die Tür geschlossen ist,
erinnert nichts an Ispahan, bis morgen hat man von
Persien Abschied genommen. Und es ist ein seltsamer
Eindruck, sich plötzlich in einem liebenswürdigen, ver-
feinerten Winkel Europas wiederzufinden: der Fürst
und die Fürstin sprechen unsere Sprache wie die ihre;
den Abend verbringen wir im Kreise, geschart um das
Klavier, und man weiß wirklich nicht, daß ganz in der
Nähe eine fremde Stadt und die Wüsten liegen, die uns
von der zeitgenössischen Welt trennen.
Das einzige, was ich diesem Hause, der offenen, an-
mutigen Gastfreundschaft vorzuwerfen habe, das sind
die Hunde, die es bewachen, ein halbes Dutzend dieser
boshaften Tiere verfolgen mich noch immer als Wege-
lagerer; und wenn ich einmal nach Hereinbruch der
Nacht, mit der Meute hinter mir drein, die Allee des
Gartens, die hundert Meter lange Rosenallee, die meine
Wohnung von dem Hause meiner Wirte trennt, durch-
2l5
kreuze, so ist dies ein weit gefährlicheres Abenteuer,
als durch die Wüsten des Südens, von woher ich
komme, zu ziehen.
Dienstag, i5. Mai.
Heute morgen stellt mich der Fürst D . . . Seiner
Hoheit Zelleh-Sultan, dem Bruder Seiner Majestät des
Schahs, dem Vezir von Ispahan und Irak, vor. Aufein-
ander folgende Gärten führen bis zu seinem Schloß, sie
sind natürlich voller weißer Heckenrosen und rosa
Rosen; sie werden verbunden durch Tore, vor die man
Wächter aufgestellt hat, und diese Tore tragen alle das
persische Wappen : über dem Gesims ein Löwe und eine
Sonne.
Ich erwartete bei diesem Satrapen den Luxus von
Tausendundeiner Nacht, einen sprichwörtlichen Reich-
tum zu finden; aber es war eine vollständige Täuschung,
sein moderner Palast könnte jedem Beliebigen gehören,
wenn nicht die wunderbaren Teppiche wären, die zu
betreten eine Entweihung ist In dem Salon, wo Seine
Hoheit uns empfängt, liegen Bücher auf dem Schreib-
tisch aufgestapelt, und geographische Karten hängen
eingerahmt an den Wänden. Zelleh-Sultan ist verbind-
lich und geistreich, er hat einen schneidenden Blick,
ein bitteres Lächeln. Ich lasse hier eine kurze Schätzung
der beiden benachbarten Völker folgen, die wörtlich von
ihm stammt: „Von den Russen haben wir stets nur
gute Dienste erfahren. Von den Engländern im Süden
unseres Landes beständige Eroberungsversuche, und
zwar mit Benutzung von Mitteln, wie sie das ganze
Weltall an ihnen kennt"
3l6
In derselben Gegend der Stadt liegen die großen
Gärten und das verlassene Schloß der alten Sophis-
Könige, Nachfolger des Schah-Abbas, deren Dynastie
sich immer eleganter, immer verfeinerter bis zur afgha-
nischen Überschwemmung hielt (1721 nach unserer
Zeitrechnung). Auch hier herrschen die Heckenrosen,
aber vor allem die rosenroten Rosen, man sieht jedoch
auch jene altmodischen Blumen, die man bei uns kennt,
und die man „Priesterblumen" nennt: Löwenzahn, Rit-
tersporn, Ringelblume, Tausendschön und Levkojen.
Die Rosenstöcke wachsen hier so groß wie Bäume, die
Platanen sind Riesen — immer von unten beschnitten,
wie weiße Säulen geformt — , sie bilden regelmäßige
Alleen, die mit ihrer ein wenig dunklen Fliesenpflaste-
rung, die langen, geraden, altmodisch abgesteckten
Wasserbassins einrahmen. Der Palast, der inmitten die-
ser Schatten, dieser zwei- oder dreihundert Jahre alten
Lustgärten thront, nennt sich der Palast der vierzig
Spiegel. Man sieht ihn stets über seinem eigenen Bilde
liegen, das von einer ruhigen Wasserfläche zurück-
geworfen wird, darum nennt man ihn auch den Palast
der vierzig Säulen, obgleich er in Wirklichkeit nur
zwanzig hat, aber die Perser zählen das umgekehrte
Spiegelbild mit, das seit Jahrhunderten nicht von dieser
blanken, trostlosen Fläche vor der Schwelle verschwun-
den ist. In unseren Augen erscheint dieser Palast die
seltsame Linienführung, die übertriebene Schlankheit
der achämenidischen Baukunst zu besitzen; die wunder-
bar hohen, gebrechlichen Säulen tragen ein flaches
Dach, und sogar die langen gestützten Platanen, die es
umgeben, setzen in dem Park die aufrechtstrebende
Linie fort Ungeheure Vorhänge, seit der Verheerung
217
der Barbaren versch wunden, bildeten scheinbar den Ab-
schluß vor den Sälen, in die das Auge heute bis zum
Hintergründe, wie in eine Art prächtig ausgestatteter
Halle vordringen kann. Zur Zeit der prunkvollen Emp-
fänge, als alle diese Vorhänge geöffnet waren, konnte
man von draußen den Schah in einer glitzernden, gol-
denen Ferne, gleich einem Götzenbild auf seinem Thron
sitzen sehen. Der Hauptfarbenton zeigt ein mattes Gold,
ein blasses Rot; aber die Säulen mit ihrer Mosaikbeklei-
dung aus Spiegelstiickchen, die das Alter oxydiert hat,
schimmern wie Silber.
Der weit geöffnete, schweigende Palast scheint nicht
der Wirklichkeit anzugehören, und doch ist sein Spie-
gelbild in diesem traurigen Wasserbecken noch weit
unwahrscheinlicher. An dem Rande des viereckigen Bas-
sins, das schon so lange das Schloß der verschwunde-
nen Könige widerspiegelt, halten ungekünstelte, kleine
Statuen aus grauem Kiesel, so wie in Persepolis, Blu-
mentöpfe in die Höhe. Der Umkreis ist mit großen,
grünlichen Fliesen gepflastert, über die einst die vielen
gestickten, vergoldeten Babuschen dahineilten. Und
überall Rosen, Heckenrosen, die sich an den glatten,
weißen Stämmen der Platanen hinaufwinden.
Im Innern herrscht das rote Gold, herrschen die ge-
duldigen Spiegelmosaiks, die stellenweise noch wie
Diamanten funkein können; unter den kleinen Kuppel-
gewölben vereinen die Arabesken und Zeilen sich zu
einer nicht entwirrbaren Verschlingung. Ganz im Hin-
tergrunde erhebt sich in der Mitte ein gewaltiger spitz-
bogiger Rahmen und umgibt den Thron und den Herr-
scher gleichsam mit einer Strahlenkrone; er scheint wie
mit Eiszapfen, mit Rauhreif ausgelegt zu sein; und über
ai8
den Gesimsen fügen sich die Bilder in wunderbar
feiner Ausführung aneinander, sie steilen Festgelage,
Schlachtenszenen dar; man sieht dort einige altertüm-
liche, übertrieben schöne Könige, mit langen Augan-
wimpern, mit langen, seidenweichen Barten, der Körper
ist in Goldbrokat gehüllt, und sie sind mit Edelstein-
ketten behangen.
Hinter diesen traumhaften Sälen, die sich immer
wieder auf der Oberfläche des Wassers verdoppeln,
liegen, geschützt von den Bäumen, zahllose Neben-
gebäude, sie erstrecken sich bis zu dem Palast, der
heute von Zellen-Sultan bewohnt wird. Es waren dies
die Harems der Prinzessinnen, der untergeordneten
Frauen, auch lagen hier die Speicher für die auf-
gehäuften Vorräte, für die phantastischen Reichtümer:
Speicher für die Kasten und Kisten, Speicher für die
Fackeln, Speicher für die Gewänder usw., und hier hat
man auch das Weinlager zu suchen, von dem Chardin
im siebzehnten Jahrhundert uns erzählt, daß es ange-
füllt sei mit Schalen und Karaffen, „aus venezianischem
Glas, aus Porphyr, aus Beilstein, aus Korallen, aus
kostbaren Steinen". — Es gibt hier sogar unterirdische
Säle aus weißem Marmor, die man für die heißen Som-
mertage erbaut hatte, und an deren Wänden wirkliches
Wasser herabfloß.
Von meinen morgendlichen Streifzügen kehre ich in
dem Augenblick zurück, wo die Muezzine zum Mittags-
gebet rufen (es ist zwölf Uhr, oder kurz davor). In
Ispahan geben die Gebetsausrufer die Stunde an, wie
es bei uns die Schläge der Turmuhren tun. Sie singen
mit ernstem Ton, was man in den anderen Ländern des
Islam nicht kennt. In der benachbarten Moschee stehen
219
mehrere Muezzins zusammen, sie rufen, sie wieder-
holen in langgezogenen Lauten den Namen Allahs, und
es umgibt sie das Schweigen des Mittags, der Schlaf
und das Licht, das mit jedem Tage stechender wird.
Während ich ihnen lausche, scheine ich dem Weg ihrer
Stimme folgen zu können, ich fühle sie über die ge-
heimnisvollen Wohnungen der Umgegend dahinstrei-
chen, über alle diese Gärten voller Rosen, in deren
Schatten die Frauen, die man niemals sieht, ohne
Maske vertrauensvoll im Schutz der hohen Mauern
sitzen.
Mittwoch, 16. Mai.
Nachmittags gehe ich unter sicherer Führung auf die
Suche nach seltenen Nippsachen, die nicht in den Schau-
fenstern aufgestellt werden, sondern die man in den
Häusern, in Truhen verborgen hält und nur den bevor-
zugten Käufern zeigt. <\uf alten, engen Treppen, deren
Stufen so weit voneinander entfernt sind wie die
Sprossen einer Leiter, durch dunkle, winkelige Gäßchen
dringen wir in, ich weiß nicht wie viele, altertümliche,
mißtrauisch, heimlich dreinblickende Wohnungen ein.
Die Zimmer, wo man uns Kissen zum Sitzen anbietet,
sind klein, ihre Wände sind mit zellenartigen Geweben
und Arabesken bedeckt; sie werden nur spärlich be-
leuchtet durch die dunklen Höfe, deren kachelausgelegte
Mauern seltsam mit menschlichen Figuren, Tieren und
Blumen bekleckst sind. Zuerst trinken wir eine kleine
Tasse Tee, denn es gehört zum guten Ton, daß man uns
sofort eine Tasse anbietet Dann werden die Zedern-
läden, die mit ungeahnten Altertümern angefüllt sind,
langsam vor uns geöffnet, und man zieht einen Ver-
220
kaufsgegenstand nach dem andern hervor, den man aus
altem Plunder und Flitterkram herausschälen muß.
Dies alles stammt aus dem großen Jahrhundert des
Schah-Abbas, oder wenigstens aus der Zeit der Sophis-
Könige, seinen Nachfolgern, und diese Ausgrabung,
diese Aufstellung in dem Staub und dem Schatten, zeigt
uns, wie zart, wie vornehm, wie anmutig die geduldige
Kunst der Perser war. Hier sieht man Kästchen in allen
Formen aus Martin-Lack, ihr wunderbares Kolorit hat
der Zeit widerstanden, sie sind mit den Bildern vor-
nehmer Perser bemalt, und zwar ist ihre Zeichnung von
ungekünstelter Anmut, von seltener Genauigkeit, die
kleinsten Einzelheiten ihrer Wappen, ihrer Edelsteine
können eine Prüfung durch die Lupe bestehen; jener
Teil der iranischen Bevölkerung, der mir zu sehen ver-
sagt ist, wird hier mit einer Art verliebten Anbetung
zur Darstellung gebracht: schöne Frauen aus früheren
Jahrhunderten, ilire Schönheit ist sichtbar übertrieben,
Sultaninnen mit runden, rotgeschminkten Wangen,
mit gar zu langen, von schwarzen Ringen umgebenen
Augen, sie neigen den Kopf in gezierter Anmut und hal-
ten eine Rose in ihren zu kleinen Händen . . . Und
manchmal begegnet man neben den echt persischen Bil-
dern einem anderen, das plötzlich an die holländische
Renaissance erinnert: das Werk eines westlichen Künst-
lers, der große Kaiser Ispahans hatte ihn zu sich ent-
boten, und in seiner Abenteuerlust ist er dem Ruf ge-
folgt
Man zeigt uns feine Emaillearbeiten, die auf Silber
oder Gold gelegt sind, Waffen Aladins, golddurdhwirkte
Brokatstoffe, die die Schultern der Sultaninnen umhüll-
ten, Schmuckgegenstände, Stickereien, Teppiche, wie
S2I
man sie nur in Persien findet, einst wurden diese von
den Nomaden angefertigt, und ihre Arbeit erforderte
zehn volle Jahre eines Menschenlebens; Teppiche, sei-
diger als Seide, samtartiger als Samt, die engen, engen
Zeichnungen erscheinen uns so rätselhaft wie die
Schönschreibekunst des Koran. Und schließlich sehen
wir Fayencen, die heute kaum mehr aufzufinden sind,
ihre Glasurkleidung hat im Laufe der Jahrhunderte
einen Zersetzungsprozeß durchgemacht und zeigt des-
halb jene seltenen goldenen oder kupferroten Töne.
Nachdem wir die verfallenen Häuser verlassen haben,
wo die Überreste der toten Herrlichkeiten uns mit dem
Wunsch nach Frieden, mit einem Heimweh nach der
Vergangenheit erfüllen, kehre ich, heute ohne Beglei-
tung, nach der „Schule der Mutter des Schahs" zurück,
um mich im Schatten der hundertjährigen Platanen,
in dem alten, von Fayencemauern eingeschlossenen
Garten auszuruhen. Und hier finde ich eine noch grö-
ßere Stille, eine noch größere Abgeschiedenheit als am
Vorabend. Vor dem wunderbaren Eingang bettelt ein
Derwisch, ein in Lumpen gehüllter Greis, er sitzt, den
Kopf gegen die silber und hochrot leuchtende Schmiede-
arbeit gelehnt, ganz winzig am Fuß dieser gewaltigen
Tür da, fast nackend, halbtot, mit Erde und Staub be-
deckt, schreckeneinflößend hebt er sich von diesem
Hintergrund der höhnischen Herrlichkeiten ab. Auf das
große glasierte Tor folgt die grüne Nacht des Gartens,
und die leise Musik, die diesem Platz eigen ist; ganz
oben, dem Himmel und dem Licht nah, singen die
Schwalben und die Meisen; unten hört man das leise
Gurgeln der ausgestreckten Raucher und das Geplät-
scher des Wasserstrahls in dem Springbrunnen. Die
333
Leute haben mich schon gesehen und beunruhigen sich
nicht, ohne Widerspruch zu begegnen, setze ich mich,
wohin ich will auf die grünlichen Fliesen. Vor mir
sehe ich in die Verschlingungen, in die Büsche, in das
Geriesel der weißen Heckenrosen hinein, sehe die
Heckenrosen sich an den Platanen hinaufschlängeln,
deren gewaltige Stämme, fast so weiß wie die Blüten
selbst, den Säulen eines Tempels gleichen. Und dort
oben, wo die Vögel wohnen, durch die Spalte des
Blätterdaches hindurch, leuchtet die Glasur auf und
erinnert an die Minaretts, an die Kuppeln, an die ganze
Herrlichkeit, die sich unter den Sonnenstrahlen aus-
breitet In Ispahan, in der Stadt der blauen Ruinen,
kenne ich keinen Zufluchtsort, der anziehender wäre
als dieser alte Garten.
Als ich nach dem Hause des Fürsten zurückkehre,
ist es gerade die Hauptstunde des Muezzin, die unbe-
stimmte, die scheidende Stunde, wo man zum letztenmal
am Tage den Aufruf zum Gebet vernimmt Das Abend-
lied zittert durch die Luft, und gleichzeitig kreisen die
Segler am Himmel; sehr deutlich unterscheidet man den
immer wiederkehrenden Namen: Allah ; aber die schönen
wohlklingenden Stimmen, die Eintönigkeit des Vortrags
erinnern fast an Glockengeläute, man könnte glauben,
es sei der Ruf eines frommen Glockenspiels, der über
diesen alten Terrassen, über den alten Mauern Ispahans
ertönt
Donnerstag, 17. MaL
Rosen, überall Rosen; in dieser kurzen Jahreszeit,
die so schnell dem alles versengenden Sommer Platz
macht, lebt man in einer Flut von Rosen. Sobald ich
923
des Morgens meine Tür öffne, beeilt sich der Gärtner,
mir einen Strauß zu bringen, der frisch gepflückt noch
ganz feucht von dem Tau der Maiennacht ist In den
Cafes reicht man uns eine Rose zur traditionellen klei-
nen Tasse Tee. In den Straßen bieten uns die Bettler
Rosen an, die wir aus Mitleid nicht zurückweisen, die
wir aber kaum zu berühren wagen, weil sie aus solchen
Händen kommen.
Heute erscheinen in Ispahan zum erstenmal in die-
sem Jahr die kleinen Esel, die Eisträger, um die un-
schuldigen Getränke, das klare Wasser zu kühlen; ein
Knabe führt sie, er treibt sie von Tür zu Tür und meldet
sie durch einen lauten, singenden Schrei an. Das Eis
hat man aus den weißen Schneeregionen geholt, die
man dort oben auf den Gipfeln der Berge leuchten sieht,
man hat es in Körben auf den Rücken der Esel geladen
und mit Zweigen gegen die Sonne geschützt, — natür-
lich zieren auch einige Rosen den Korb.
Viele kleine Esel kreuzen meinen Weg, als ich mich
heute morgen zu einem Babuschenhändler begebe, dem
ich für schweres Geld das Versprechen abgelockt habe,
mir heimlich drei Frauen Ispahans zu zeigen. Wrir klet-
tern zusammen auf eine verfallene Mauer hinauf, um
durch ein Loch in den Garten hineinzusehen, wo man
heute bei der Rosenernte beschäftigt ist Und wirklich,
dort stehen drei Frauen, sie halten große Scheren in
der Hand, schneiden Rosen und legen diese in Körbe,
zweifellos, um aus den Blättern Essenzen zu bereiten.
Ich hatte gehofft, daß sie hübscher wären ; die Damen,
die auf den altmodischen Schachteln gemalt sind und
auch die wenigen unverschleierten Bäuerinnen, denen
wir unterwegs in den Dörfern begegnet sind, haben
224
mich verwöhnt Sehr blaß, ein wenig zu fett, sind sie
trotzdem anziehend mit ihren altmodisch naiven Augen.
Bestickte, paillettenbenähte Seidenstoffe verhüllen ihr
Haar. Sie tragen überfallende Hemden, und über den
Hosen kurze, abstehende Röcke, wie die Röcke der
Balletteusen; alles dies scheint aus Seide zu sein, und
ist mit Stickereien verziert, die an das Jahrhundert des
Schah-Abbas erinnern. Übrigens versichert mich mein
Führer, daß es Frauen der besten Gesellschaft sind.
Freitag, 18. Mai.
Heute ist Freitag, der Sonntag des Muselmanns, und
da muß ich wie alle anderen in die Felder hinausgehen.
Ein Sonntag im Mai, das immer gleiche Fest des Früh-
lings und des blauen Himmels. Die großen Alleen des
Schah-Abbas, die von Platanen, von Pappeln, von
Rosenbüschen eingerahmt werden, sind mit Fußgängern
überschwemmt, alle streben sie hinaus nach den Gär-
ten oder einfach hinaus nach den grünen Kornfeldern.
Scharen von Männern mit Turbanen oder schwarzen
Astrachanmützen wandern träge und träumerisch da-
her, jeder hält eine Rose in der Hand. Scharen von ge-
spensterhaften Frauen, auch sie sind selbstverständlich
mit einer Rose geschmückt und tragen fast alle ein
Baby an ihrer Brust, dessen kleiner, mit einer goldenen
Mütze bedeckter Kopf zur Hälfte zwischen ihren
Schleiern zum Vorschein kommt Heute entvölkert sich
Ispahan, es leitet alles Leben, das ihm noch zwischen
seinen Ruinen geblieben ist, in die Oase hinaus.
Außer den neben mir einherschreitenden Spazier-
gängern ist das freie Land, wo wir bald anlangen, von
15 Peraien. 22 5
den ganz schwarzen Frauen überschwemmt, die sich
schon frühmorgens auf den Weg gemacht haben müs-
sen. Man sieht sie nebeneinander in den weißen Mohn-
feldern, zwischen den bunt blühenden Kornblumen,
dem roten Mohn sitzen. Niemals sah ich Sonntags einen
solchen Müßiggang unter einem so strahlenden Him-
mel, inmitten so leuchtend grüner Felder.
Ich sitze zu Pferde und reite ziellos vorwärts. Da
ich mich zufällig einem Trupp persischer Reiter ange-
schlossen habe, die anscheinend wissen, wohin sie wol-
len, so sehe ich mich plötzlich umgeben von den
Ruinen eines Palastes, den glitzernden Ruinen der
Spiegelmosaike, den wunderbaren, zerbrechlichen Rui-
nen, die niemand behütet. — Im Jahrhundert des Schah-
Abbas gab es vieler solcher Märchenpaläste I — Der
Ehrenhof ist in einen Sumpf verwandelt, ist angefüllt
mit Gebüsch und wilden Blumen; und ein kleiner Tee-
händler hat in Anbetracht des Freitags seine Öfen in
einer der wunderbaren Säulenhallen aufgestellt, deren
Decken mit einer überraschenden Pracht, mit einer zar-
ten Anmut verziert, vergoldet sind. Dies war einst der
kaiserliche Palast, die Liebhaberei eines Herrschers, der
Thronplatz ist noch leicht erkennbar. Hinten, in einem
zweiten, ein wenig schattigen Saal, liegt die Estrade,
wo er sich ausruhte, liegt der gewaltige Spitzbogen,
der ihm als Heiligenschein diente. Er ist natürlich ganz
mit Stalaktit behangen und wird von zwei goldenen
Ghimäras überragt, die in einzelnen Teilen einen chine-
sischen Einfluß verraten; aber der Hintergrund wirkt
ganz überraschend; statt wie sonst eine unentwirrbare
Verschlingung von Rosetten und Zellengeweben zu zei-
gen, deren kleinste Flächen von Gold umrahmt sind,
226
ist er leer, öffnet sich auf ein Gemälde in der Ferne,
das in Wirklichkeit weit herrlicher ist als alle Schmiede-
arbeiten der Weit: Gebadet von den hellen Sonnenstrah-
len liegt dort das Panorama von Ispahan, das der voll-
endete Kunstgeschmack sich erwählt hat, liegt dort die
Stadt der rosenroten Erde und der blauen Fayencen,
über der seltsamen Brücke mit den beiden aufeinander
ruhenden Bogengängen, vor den Bergen und den Schnee-
gefilden, läßt sie ihre Kuppeln, ihre Minaretts, ihre un-
natürlich farbigen Türme in der Sonne leuchten. Ein-
gerahmt von diesem Spitzbogen, von dem rot- und gold-
funkelnden Schatten aus gesehen, in dem wir uns be-
finden, wirkt dies alles wie ein orientalisches, sehr
phantastisches Gemälde, wie ein sehr durchsichtiges
Fächergemälde.
Es hält sich hier niemand mehr auf, der dies betrach-
ten könnte, was einst die Augen der Kaiser erfreut haben
muß; der kleine Teehändler am Eingang hat nicht ein-
mal mehr Zuspruch. Lange stehe ich hier allein unter
den schönen, bald einstürzenden Decken, während ein
Hirte mein Pferd auf dem Hof, zwischen dem Brom-
beergesträuch, dem Mohn und dem Windhafer am
Zügel hält.
Eine halbe Stunde weiter entfernt, in den Feldern
von weißem Mohn und Veilchen, erhebt sich ein zwei-
ter Palast, eine zweite Liebhaberei eines Herrschers,
ein zweiter Thronplatz. Er nennt sich „das Haus der
Spiegel", und seinerzeit wird er einem Palast von Rauh-
reif und Eiszapfen geglichen haben; er ist gänzlich ver-
fallen, aber an den noch übriggebliebenen Teilen des
Gewölbes glänzen tausende von Spiegelstückchen, die
das Alter oxydiert hat, gleich Salz. Ein bescheidener
15» 227
Tee- und Kuchenverkäufer steht im Schatten dieser
Ruine, und meine Ankunft stört eine Gesellschaft von
gespensterhaften Frauen, sie hatten sich fröhlich zu
einer kleinen Mahlzeit im Gras auf dem Hofe nieder-
gelassen, aber jetzt verstummen sie und senken vor
meinem Anblick ihren Schleier herab.
Wie immer muß ich vor Sonnenuntergang in die
Stadt zurückgekehrt sein. Übrigens ist der Abend nach
einem so strahlenden Mittag traurig, ein Wind hat sich
erhoben, der aus der Richtung der Schneefelder kommt,
er führt eine leise Erinnerung an den Winter mit sich,
während gleichzeitig die Wolken am Himmel dahin-
ziehen.
Auf dem schmalen Pfade, auf dem ich zurückkehre,
inmitten der Kornfelder, der Kornblumen und des
Mohns schreitet eine Frau mir entgegen, sie ist natür-
lich ganz schwarz und trägt eine weiße Maske, sie geht
langsam mit gesenktem Kopf, man könnte sagen, sie
schleppe sich dahin : irgendeine arme Alte, die zum letz-
tenmal den Monat Mai erlebt, und ihr Nahen stimmt
mich traurig . . . Hier steht sie zwei Schritte vor mir, die
einsame, müde Spaziergängerin . . . Ein Windstoß zerrt
an ihrem langen Trauerschleier, ihre weiße Maske löst
sich und fällt zu Boden I... Ah! welch ein Lächeln
fange ich auf zwischen den strengen schwarzen Fal-
ten!.. . Sie ist zwanzig Jahre alt, sie ist eine kleine
Schönheit, drollig und schelmisch, mit ihren runden,
rosenroten Wangen, Onyxaugen, die aus dem Flaum
des Rabengefieders gemacht zu sein scheinen, ganz wie
die Sultaninnen auf den alten Schachteln... Wovon
mochte sie träumen, diese kleine Person, da sie eine so
schmerzliche Haltung zeigte? . . . Halb beschämt über
238
ihr Mißgeschick, halb belustigt, schenkt sie mir ein
reizendes Lächeln : aber sehr schnell befestigt sie wieder
ihre weiße Maske und läuft leichtfüßiger als ein junges
Zicklein durch die Felder dahin.
Als ich um fünf Uhr nachmittags auf der Brücke an-
lange, herrscht dort ein großes Gedränge. Alle Freitag-
Spaziergänger kehren eilends zurück, denn in Persien
fürchtet man sich immer vor der Nacht; rechts und
links von der großen Straße, auf den beiden überdach-
ten Wegen, die gotischen Klostergängen gleichen, zieht
sich eine ununterbrochene Kette von schwarzen Frauen
dahin, ihre müden Babys klammern sich an sie, und
lassen sich ziehen.
In dem Basar, den ich durchkreuzen muß, bringt die
Rückkehr von dem Felde zu dieser Stunde Leben und
Treiben mit sich, und dies freut mich, denn ich kenne
nichts Traurigeres, als wenn diese zu langen Gewölbe
an den Festtagen von einem Ende bis zum anderen ver-
ödet daliegen, ohne die Pracht der Stoffe, der Sattel-
zeuge, der Waffen, ohne die geöffneten Läden.
Mein Weg führt durch die größten aller Gewölbe,
durch die Gewölbe des Kaisers; oben an den Decken
laufen die noch immer leuchtenden Fresken entlang, die
das Bild des Herrschers darstellen, besonders häufig
aber sieht man ihn auf den Kuppeln, auf den großen,
die Plätze überdachenden Kuppeln verewigt: der Schah-
Abbas mit seinem langen, bis zum Gürtel herabwallen-
den Bart, wie er zu Gericht sitzt, der Schah-Abbas, wie
er auf die Jagd geht, der Schah-Abbas, wie er in den
Krieg zieht, wohin das Auge fällt, überall der Schah-
Abbas. Ich eile vorwärts in der geheimnisvollen, schwei-
genden Begleitung der verschleierten Frauen, die
229
Heckenrosen und echte Rosen mit sich nach Hause
tragen. Von Zeit zu Zeit wirft die Bogen tür einer Kara-
wanserei oder der blaue Bogen einer Moschee einen
Lichtstreifen auf den Weg, der die Dunkelheit noch
dunkler erscheinen läßt. In einer Nische, halb versteckt
durch ein ganz vergoldetes Gitter, steht ein Mensch mit
weißem Bart und einem Gesicht, das hundert Jahre alt
sein könnte, umgeben von einer Schar gespensterhafter
Frauen; es ist dies ein alter, heiliger Derwisch; er be-
wacht eine kleine Wunderquelle, die hinter dem schönen
Gitter aus dem Felsen hervorspringt, er füllt die bronze-
nen Becher mit Wasser, und seine vertrocknete lland
reicht sie durch die Stäbe hindurch der Reihe nach den
Damen, diese lüften ein wenig den Schleier und trinken
darunter, indem sie darauf achten, daß ihr Mund nicht
zum Vorschein kommt. Dies alles trug sich bei mattem
Dämmerlicht zu, und jetzt, als ich den Basar verlasse,
scheint der kaiserliche Platz durch einige rote, benga-
lische Flammen erleuchtet zu sein. Die Sonne wird
untergehen, denn hier stehen die Musikanten mit ihren
langen Trompeten und ihren gewaltigen Trommeln, auf
dem gewohnten Balkon erwarten sie die nahe Stunde,
bereit, ihren schreckeneinfiößenden Gruß in die Luft
hinauszuschicken. Aber wo sind denn all die Wolken
geblieben? Zweifellos hält sich kein bedecktes Wetter
in diesem Lande, diese trockene, reine Luft saugt die
Dämpfe auf. Der blaßgelbe Himmel ist rein und klar
und gleicht einem riesengroßen Topas, und an den ver-
schiedenen Seilen des Platzes wechselt der große Reich-
tum der Glasuren seine Farbe, wie an jedem schönen
Abend breiten sich rosige und goldige Tinten über
ihm aus.
230
Mein Gott! ich habe mich verspätet, denn dies ist
das letzte Erglühen der Minaretts und Kuppeln, das
Schlußbild allen Blendwerks; die Gebäude erstrahlen
in rotem Glanz, die Sonne geht unter . . . Und als idh
durch die große Einöde, über den Platz dahinschreite,
bricht der Lärm der Trompeten dort oben los, ächzend,
stöhnend, und die Trommelschläger schlagen den Takt
dazu, und ihr Schlag gleicht dem Rollen des Donners.
Um schnell von hier in das russische Haus zurück-
zugelangen, versuche ich den Weg durch die Gärten
des Zellen-Sultan; man wird jetzt allmählich wissen,
daß ich der Fremde bin, den der Fürst D . . . aufgenom-
men hat, und vielleicht läßt man mich deshalb passieren.
Und in der Tat, an allen aufeinander folgenden Toren
schauen die Wächter, die zwischen den Rosenbüschen
ihre Kalyan rauchen, mir wortlos nach. Aber ich hatte
nicht vorausgesehen, wie bestrickend und reizvoll diese
Stunde in den Blumenalleen ist, und ich empfinde große
Lust, hier länger zu verweilen. Man ist wie berauscht
von den ungezählten Rosen, deren Düfte sich abends
unter den Bäumen vereinen. Und der Gesang der
Muezzine, der plötzlich über Ispahan schwebt, erscheint
nach dem Blasen der Trompeten von einem süßen,
himmlischen Klang, man könnte glauben, es seien
Orgeln und Glocken, die in der Luft zusammenklingen.
Da es mein letzter Tag ist (ich reise morgen), so
habe ich ausnahmsweise die Erlaubnis erbeten, in später
Abendstunde umherzustreifen, und meine Wirte waren
so gütig, die Nachtwächter benachrichtigen zu lassen,
welchen Weg ich einzuschlagen gedächte, damit sie mir
die schweren Tore mitten in den Straßen öffnen kön-
ten, die man nach Sonnenuntergang verriegelt, und die
23l
einen Verkehr von einem Viertel zum andern ver-
hindern.
Es ist ungefähr zehn Uhr, als ich das Haus des Für-
sten verlasse, zum Erstaunen der Kosaken, der Wäch-
ter an dem einzigen Ausgang. Und sofort tauchen wir
in dem Schweigen und in der Dunkelheit unter. Keine
Hauptstadt ruft in 'dem Maße wie das nach th' che Ispa-
han den Eindruck des Todes und der Verlassenheit her-
vor. Unter den Gewölben klingen die Stimmen viel zu
laut, und gleichsam, als befände man sich in einer
Totengruft, wirft das Pflaster den Schall der Tritte
dumpf zurück. Zwei Wächter folgen mir, ein dritter
geht mir vorauf; er trägt eine drei Fuß hohe Laterne,
die er von rechts nach links schwingt, um mir die
Löcher, die Kloaken, den Schmutz und die toten Tiere
zu zeigen. Zuerst begegnen wir in großen Abständen
ähnlichen Fackeln, sie leuchten einem verspäteten Reiter
oder einer Schar verschleierter Frauen, die in Begleitung
eines bewaffneten Mannes daherkommen, und dann
zeigt sich bald kein einziger Mensch mehr auf den
Straßen. Schreckliche, graugelbe Hunde, herrenlose
Hunde; sie nähren sich von Abfall, schlafen rudelweise
an dieser oder jener Ecke zusammen und knurren den
Vorübergehenden an; sie sind jetzt die einzigen, leben-
den Wesen in diesen Straßen, aber sie erheben sich
nicht einmal, sondern begnügen sich damit, den Kopf
aufzurichten und die Zähne zu zeigen. Sonst rührt sich
nichts. Außer den gespaltenen Ruinen auch nicht ein
Haus, das nicht furchtsam verschlossen wäre. Bis an
die Zähne bewaffnet schleicht der Wächter des Vier-
tels auf leisen Babuschen hinter uns her. Wenn man
vor der eisenbeschlagenen Tür anlangt, die sein Reich
23a
abgrenzt und den Weg versperrt, ruft er mit laut tönen-
dem Schrei den Wächter herbei; dieser antwortet zuerst
aus weiter Ferne, dann kommt seine Stimme immer
näher, und schließlich öffnet sich das Tor unter lautem
Geknarr der Schlüssel, der Riegel und der rostigen
Angeln. Alsdann betreten wir ein neues Reich der Schat-
ten und der zusammenstürzenden Ruinen, während die
Tür sich hinter uns schließt und uns plötzlich noch
mehr von dem Hause trennt, aus dessen Bereich wir
uns immer weiter entfernen. Und so geht es fort, kein
Grabesviertel, das wir durcheilen, steht in Verbindung
mit dem vorhergehenden, aus dem wir kommen. In den
überdachten Gegenden herrscht ein Geruch von Schim-
mel, Fäulnis und Unrat; es ist dort so dunkel, daß man
glauben könnte, man befände sich zwanzig Fuß tief
unter der Erde. Aber unter freiem Himmel schaut man
das Wunder der Sterne Persiens, mit denen sich keine
anderen Sterne der Welt vergleichen können, sie er-
scheinen noch weit strahlender zwischen den gespalte-
nen Mauerresten, zwischen den Trümmerhaufen, in
dem Rahmen des Verfalls und der Schatten. Alles trägt
dazu bei, diese Atmosphäre so durchlässig, so leicht zu
machen, daß kein funkelndes Licht zurückgehalten
werden kann : Die Höhe, die Nachbarschaft dieser Sand-
wüsten, die niemals Wasserdünste ausatmen. Die Sterne
Persiens haben dasselbe Feuer wie die reinen Diaman-
ten, sie haben, sieht man genau hin, ein buntes Feuer,
ein rotes, ein violettes, ein bläuliches Feuer. Und dann
sind sie unzählig, stellen Tausende von Welten dar,
die in anderen Gegenden auf unserer Erde nicht sicht-
bar sind, die aber in diesem Lande, aus der Tiefe der
Unendlichkeit heraus, zu den Menschen hinabstrahlen.
233
Welch ein Gegensatz, dieser jämmerliche Verfall
hier auf dem Boden! Trümmerhaufen, Schutt und Un-
rat, das ist schließlich ,alles, was von diesem Ispahan
übriggeblieben ist, das in der Ferne und unter den
Strahlen der Sonne noch die große, bezaubernde Stadt
spielt . . .
Über unseren Köpfen dehnen die Gewölbe sich aus,
werden immer gewaltiger; wir erreichen die Stadt-
viertel, die der Schah-Abbas erbaut hat, und jetzt
machen wir vor dem Tor einer der Ilauptadern des
Basars halt. Der Wächter, unser Führer, stößt einen
langgezogenen Schrei aus, und bald antwortet eine
Stimme in der Ferne, eine schleppende, unheilverkün-
dende Stimme, die ein endloses Echo zurückwirft,
gleichsam, als stieße man nachts in einer Kirche einen
Hilferuf aus. Derjenige, der hinter dem Zedernportal
steht, antwortet, daß er den Schlüssel nicht finden
könne, daß ein anderer ihn behalten habe, und so weiter,
Und die Hunde der Straße werden unruhig, wachen
überall auf und stimmen ein Konzert an, ihr Gebell
pflanzt sich in dem klangreichen, überdachten Laby-
rinth immer weiter fort Inzwischen aber entfernt sich
der Mann, der vorgibt, den Schlüssel zu suchen, sei
es aus bösem Willen, sei es aus Angst, sicher aber ist,
daß er uns das Tor nicht öffnen wird. Deshalb laßt
uns auf einem Umweg durch andere Straßen versuchen,
endlich das Ziel unseres Ausfluges zu erreichen.
Das Ziel ist der kaiserliche Platz, den ich ein letztes
Mal vor meiner Abreise in dunkler Nacht sehen möchte.
Endlich liegt dieser Platz vor uns, man hat uns das
hohe Tor des Färberbasars geöffnet, und schwach be-
leuchtet von all den kleinen, dort oben funkelnden Dia-
234
manten, erscheint er noch größer, als bei hellem Tages-
licht Eine ganze Karawane schläft dort an einem der
Torflügel, die starke Ausdünstung der knienden Kamele
trübt die reine Luft; und ringsumher liegen die Wäch-
ter, gleichsam als befände man sich auf freiem Felde.
Außerdem schreiten einige gespensterhafte Frauen in
zwei kleinen Abteilungen durch diese Einöde, beiden
geht ein Laternen träger, gehen Wächter vorauf: Die
Frauen kehren sicher von einem Fest, von irgendeinem
Haremsfest zurück, zu dem die Ehemänner keinen Zu-
tritt haben, und das im Innern der fast verschlossenen
Wohnungen gefeiert wird. Einen dieser geheimnisvollen
Trupps sehen wir in weiter Ferne, ganz hinten am an-
deren Ende des Platzes vorübergehen, fast könnte man
glauben, es sei ein Zug winziger Zwerge. Man hört das
Rufen, das Klopfen an den Toren des Viertels, die ge-
öffnet werden sollen, und dann ertönt das Knarren der
Riegel, und die beiden dunklen Flecke, der eine nach
dem anderen, tauchen in den gewölbten Gängen unter,
wir bleiben allein mit der schlafenden Karawane zu-
rück, allein auf dem großen, auf dem zu dieser Stunde
erhabenen Platze, zwischen den symmetrischen Rei-
hen der gemauerten Arkaden.
Während der Platz gewachsen zu sein scheint, ist
die kaiserliche Moschee dort unten, deren Umrisse sich
scharf von dem bläulichen Himmel abheben, zusam-
mengeschmolzen, ist kleiner geworden, — wie es auch
mit den Bergen und Denkmälern geht, wenn man sie
zur nächtlichen Stunde aus weiter Ferne betrachtet
Aber sobald man sich ihr nähert, sobald sie ihre Be-
deutung in dem Raum einnimmt, wächst sie zu einem
Wunder an, das, durch diese unnatürliche Klarheit ge-
235
sehen, inmitten der Abgeschiedenheit und des ewigen
Schweigens, noch überraschender wirkt Die Sterne, die
kleinen bunt schillernden Diamanten lassen ihr fun-
kelndes Licht von oben aus der unermeßlichen Leere
auf sie herabfallen, lassen ihre Fayencen, ihre glatten
Flächen, die Bogen ihrer Kuppeln und ihrer spindel-
förmigen Türme, in' mattem Glanz erstrahlen. Und sie
versteht es auch jetzt noch, ihr Blau zur Geltung zu
bringen, wo alle anderen Farben auf der Erde verblaßt
sind; ganz blau hebt sie sich von den Tiefen des nächt-
lichen Himmels ab, die neben ihrer Glasur fast schwarz,
von einem sternenbesäten Schwarz erscheinen. Und man
könnte sagen, sie sei zu Eis erstarrt, denn nicht nur
begegnet uns wie immer ein Friede unter ihren Mauern,
sondern sie ruft auch den Eindruck hervor, als strahle
sie Kälte aus.
Sonnabend, 19. MaL
Heute morgen um sieben Uhr, bei herrlichstem
Sonnenschein, schreite ich zum letztenmal durch den
Garten, der von den schönen Ispahanrosen über-
schwemmt wird. Hier habe ich mich eine Woche aus-
geruht Jetzt reise ich ab, setze meinen Weg nach dem
Norden fort Und wahrscheinlich werde ich meine
liebenswürdigen Wirte niemals wiedersehen, mit denen
ich diese Abende in einer fast vertraulichen Gemein-
schaft verbracht habe.
Obgleich von hier nach Teheran kaum ein richtiger
Weg führt, so werde ich doch zu Wagen reisen, denn
mein armer französischer Diener, der noch sehr von
den ausgestandenen Strapazen mitgenommen ist, würde
336
gar keinen Ritt vertragen. Vor der Tür steht mein selt-
samer Wagen schon angespannt; eine Art Viktoria, von
besonders starker Bauart, deren Federn durch Stricke
befestigt und verstärkt sind; in Frankreich würde man
ein, höchstens zwei Pferde davorspannen ; hier gibt man
mir vier, vier kräftige Pferde zum Ziehen, sie tragen ein
buntes, mit Kupfer beschlagenes Sattelzeug, so wie es
in Persien gebräuchlich ist. Auf dem Bock haben zwei
Männer Platz genommen, beide sind mit Revolvern be-
waffnet, der Kutscher und sein Gehilfe, der stets bereit
sein muß, im kritischen Augenblick an die Spitze des
Gespanns zu springen. Acht Pferde folgen, sie tragen
mein Gepäck und meine Perser; die kleineren Sachen,
die ich hinten am Wagen befestigt hatte, muß ich auf
Befehl des Kutschers bis auf die Hälfte vermin-
dern, „denn", sagt er, „wenn wir umschmeißen soll-
ten . . ."
Wir gebrauchen fast eine Stunde, um aus dem Laby-
rinth Ispahans hinauszugelangen, wo unsere Pferde, die
es gar zu eilig haben, möglichst viel Unheil in den engen
Straßen anstiften, sie fahren gegen die Schauläden oder
werfen beladene Maultiere um. Bald geht's durch das
Dunkel der Basare, bald unter strahlendem Himmel
zwischen den Ruinen im schnellen Trab hindurch, der
Wagen rumpelt über die Steine dahin, man schnellt em-
por und könnte fast die Knochen zerbrechen. Bettler
laufen neben uns her, sie werfen uns Rosen zu und
wünschen uns glückliche Reise.
Darauf folgt das freie Land, das frische Grün der
Pappeln und der Weiden, die junge Farbe der Gersten-
felder, die ganz mit Kornblumen übersät sind, das
weiße Licht der Mohngärten.
287
Um zwölf Uhr befinden wir uns von neuem inmitten
des Staubes und des gewöhnlichen Verfalls irgendeiner
Karawanserei, wo wir eingekehrt sind; — in weiter
Ferne verschwindet die Stadt der blauen Kuppeln, die
Stadt der taubenfarbenen Ruinen hinter uns.
Und während der Abendetappe sehen wir uns wie-
der in der Wüste, in 'der Wüste, die wir auf dem Wege
nach Teheran nicht mehr vermuteten, eine wirkliche
W'üste mit weiten Sandflächen, mit flimmerndem Licht,
mit Karawanen und Luftspiegelungen, — mit den
schönen blauen Seen, die drei iMinuten sichtbar sind, die
uns anlocken und dann wieder verschwinden . . . Durch
dies alles im Wagen durchzufahren, im scharfen
Trab über die Pfade der Kameltreiber dahinzurollen,
das ist wirklich für mich eine ganz neue, seltene Be-
gebenheit
Sonntag, 20. MaL
Mourchakar heißt das Dorf, in dem wir diese Nacht
geschlafen haben, und unser Wagen hat Aufsehen er-
weckt; als er gestern abend ausgespannt vor der Tür
der Karawanserei stand, sprangen die vom Felde zu-
rückkehrenden Tiere zur Seite, sie fürchteten sich, ihm
zu nahe zu kommen.
Den ganzen Tag sind wir ohne ernste Schwierig-
keiten in scharfem Trab durch diese ziemlich „befahr-
bare" Wüste über den alten persischen Boden, über die
harte Erde dahingerollt, über einen Teppich von süß-
duftenden Blumen, wie wir ihnen seit Chiraz schon so
oft begegnet sind. Die Berge rechts und links mit ihren
Schneegefilden scheinen wir schon zu kennen; ein §to-
338
ßes Gewirr von Felsen, niemals zeigen sie das geringste
Grün, sie erinnern an all die anderen, die sich vor vielen
Tagen als eine eintönige Kette zu beiden Seiten unseres
Weges hinzogen.
Und abends sahen wir in einem Tal eine frische,
kleine Oase liegen, das Dorf ist nicht mehr befestigt, es
scheint sich nicht mehr zu fürchten, wie die anderen
Dörfer in den südlichen Gegenden, es breitet sich im
Gegenteil friedlich am Ufer eines Bache3, zwischen den
Obstbäumen und den Blumen aus.
Aber welch ein ungewöhnliches Treiben herrscht
vor seinem Eingang, in der Ebene! Es muß irgendeine
große Persönlichkeit sein, die mit einem Gefolge von
Satrapen reist: sechs Wagen, ungefähr zwanzig von den
mit rotem Tuch bedeckten Holzkäfigen, in denen die
Frauen auf den Rücken der Maultiere eingeschlossen
sitzen, wenigstens fünfzig Pferde, herrliche Zelte, die
auf dem Gras errichtet sind; und zwischen den Bäumen
hat man Stoffe aufgehängt, sie schließen einen kleinen
Wald ein, augenscheinlich, um den Harem des durch-
reisenden Herrn vor den Blicken der Menschen zu
schützen. — Man erzählt uns, e3 sei ein neuer Vezir,
der von Teheran nach Fars geschickt wird, um diese
Provinz zu regieren, und der sich jetzt auf seinen Posten
begibt Die ganze Karawanserei ist von seinem Gefolge
besetzt, so ist es unnötig, dort nach einem Raum für uns
zu fragen.
Aber niemals haben Dorfbewohner uns so gast-
freundlich empfangen, wie es diese tun, die jetzt einen
Kreis um uns bilden — alle in langen, gemusterten per-
sischen Kleidern, sehr strammsitzend in der Taille, mit
weiten, wallenden Ärmeln, mit großen Hüten, die man
23Q
weit zurückschiebt auf dem fast immer edlen, schönen
Kopf. Man streitet sidh darum, wer uns sein Haus öff-
net, und wer uns unser Gepäck nachträgt
Das Lehmzimmerchen, das wir dankend annehmen,
liegt auf einer Terrasse und sieht in einen Obstgarten
hinab, der voller Kirschbäume steht, und durch den die
fließenden Bäche dahinrauschen. Es ist sehr sauber, mit
Kalk geweißt und mit bescheidenen Spiegelmosaiks ver-
ziert, die hier und dort in der Mauer eingelassen sind.
Auf dem Kamin, zwischen den orientalischen Karaffen
und den kupfernen Kästchen, hat man vorjährige Gra-
naten und Äpfel in einer geraden Reihe hingelegt, ganz
so wie es in Frankreich die Bauern tun. Hier heoTscht
nicht mehr die einfache Derbheit der südlichen Oasen,
man fühlt sich nicht mehr so weit von der Heimat ent-
fernt; viele Sachen erinnern fast an die Dörfer bei uns.
Montag, 21. Mal
Morgens bewegt ein frischer Windhauch die Kirsch-
bäume und drückt die grünen Ähren nieder, das Lager
der Satrapen erwacht, und es beginnen die Vorberei-
tungen zum Aufbruch, zuerst springen die schönen Vor-
reiter mit geschultertem Gewehr in die Sättel, deren
Knöpfe in silbernem oder perlmutterartigem Glanz er-
strahlen, und die mit goldenen Fransen besetzt, mit
Gold bestickt sind. Im Galopp sprengen die Reiter ein-
zeln davon. Und dann nimmt man die Staatskutschen in
Angriff, vier Pferde werden vorgespannt, zwanzig Die-
ner; silbergalonierte Leute, mit hohen Stiefeln und lan-
gen Tuniken, ganz nach der tscherkessischen Mode ge-
kleidet, sind dabei angestellt
a4o
Beim Schreibunterricht
Der Satrap sitzt vornehm und müde in dem Grase,
neben seinen schönen, jetzt bald zum Aufbruch fertigen
Wagen, er raucht nachlässig seine Kalyan, aus ziselier-
tem Silber, die von zwei Dienern gehalten wird. Man
spannt sechs Pferde vor seinen Wagen, vier an die
Deichsel und zwei davor, auf denen die Vorreiter in
ihren silbergesticklen Gewändern sitzen. Und sobald
der Gebieter alleine in seine prachtvoll ausgestattete
Karosse gestiegen ist, fährt alles im gestreckten Galopp
der Wüste zu, wo der Vortrupp sich schon in der Ferne
verliert
Aber uns interessiert besonders der Harem, der
Harem, der jetzt auch hinter den eifersüchtigen Vor-
hängen seine Vorbereitungen trifft; wir hegen die un-
bestimmte Hoffnung, daß irgendeine Schöne, dank der
Zwanglosigkeit des Lagerlebens, ihr Gesicht zeigen
wird; den kleinen Wald, in dem sie alle eingeschlossen
sind, verhüllen noch immer die undurchsichtigen Vor-
hänge, aber man sieht, daß dahinter ein großes Treiben
herrscht, Eunuchen laufen herein und heraus, sie
schleppen Säcke und Schleier, tragen auf goldenen Tel-
lern Leckerbissen herbei. Augenscheinlich werden die
Gefangenen gleich erscheinen.
Die Sonne steigt höher am Himmel, und ihre Wärme
erfüllt uns mit Wohlbehagen; im weiten Umkreis ist
das Gras mit Blumen besät, man hört das Rauschen
der Bäche, man atmet den Duft der wilden Krause-
minze ein, und auf den Bergen glitzert der Schnee; es
ist angenehm hier zu warten, und deshalb laßt uns
bleiben . . .
Endlich lösen die Vorhänge sich alle zugleich, durch
die gemeinsame Handhabe der Eunuchen, und fallen zu
16 Per 6ien. 2 4 I
Boden. Ach, das ist eine große Enttäuschung. Wohl
sehen wir die schönen Frauen, ungefähr zwanzig an der
Zahl, aber alle stehen sie gerade, steif da, von Kopf bis
zu Füßen in ihre schwarzen Schleier gehüllt, das Ge-
sicht bedeckt durch eine Maske: dieselben ewig gleichen
Schatten, denen wir schon überall begegneten.
Wir wollen aber wenigstens jetzt ihrem Aufbruch
beiwohnen, da wir schon eine volle Stunde verloren
haben. Die Frauen, die die vierspännigen Karossen be-
steigen, müssen Prinzessinnen sein, man sieht es an
ihren kleinen Füßen, an den kleinen behandschuhten
Händen, an den Edelsteinen, die hinten am Kopf die
weiße Maske zusammenhalten. Die anderen dagegen
sind untergeordnete Gattinnen oder Dienerinnen, sie
klettern zu zweien auf die Rücken der Maultiere, in die
mit rotem Tuch ausgeschlagenen Käfige. Und alle ent-
fernen sich unter Aufsicht der Eunuchen auf demselben
Wege nach der Küste zu, den der Satrap eingeschlagen
hat, und dessen Pferde noch immer dahinjagen müssen,
denn sein Wagen ist nur als schwacher Punkt ganz
hinten in der strahlenden Ferne sichtbar.
Jetzt brechen wir selbst in der entgegengesetzten
Richtung auf. Sofort befinden wir uns mitten in der
Einöde, wir folgen von neuem den Pfaden der Kara-
wanen, die sich in dem Maße, wie wir vorwärtsdringen,
immer mehr mit Schädeln und Gerippen bedecken, die
einem endlosen Friedhof für Maultiere und Kamele
gleichen.
Dort kreuzen wir die verspätete Nachhut des Ve-
zirs: dieselben bewaffneten Reiter, dieselben roten
Tragsessel, in denen die Frauen gefangen sitzen, sehr
große Tragsessel, die auf zwei zusammengekoppelten
a 4a
Maultieren ruhen, und zu deren kleinen Fenstern die
schönen Reisenden hinausblicken, um uns vorüber-
fahren zu sehen; den Schluß bilden eine endlose Reihe
Lasttiere, sie tragen eingelegte oder ziselierte Kästchen,
Ballen, mit wunderbaren Teppichen bedeckt, Kupfer-
geschirr, Silbergeschirr, silberne Karaffen, große sil-
berne Teller.
Und dann begegnen wir auf dem harten Lehmboden
der Wüste keinem menschlichen Wesen, bis wir um die
Mittagsstunde in einer traurigen, einsam gelegenen Ka-
rawanserei haltmachen, wir sind umgeben von Skelet-
ten, von Kinnladen und von Wirbelknochen und finden
hier nicht einmal das nötigste Futter für unsere Pferde.
Nachmittags dehnt sich die Wüste schwärzlich zwi-
schen zwei Bergketten von derselben Farbe aus, deren
Felsen große Brüche und den Glanz von Steinkohlen
zeigen. Und plötzlich glaubt man den Ozean sich auf
unserem Wege unter den seltsam dunklen Wolken aus-
breiten zu sehen : Es sind dies die tief gelegenen Ebenen
(natürlich im Verhältnis zu uns, denn sie liegen noch
tausend Meter über dem Meeresspiegel) ; und in der
Luft erheben sich gewaltige Staub- und Sandwolken,
ein furchtbarer Wind, der sich jetzt auch uns nähert,
hat sie emporgewirbelt
Gewöhnlich, wenn ein zu steiler Hügel unseren Weg
versperrt, den unser Gespann vielleicht nicht zu erklim-
men vermag, so treibt unser Kutscher seine vier Pferde
in wütendem Lauf vorwärts, er spornt sie durch Rufe
an und peitscht mit beiden Armen auf sie los. Bei den
Abstiegen im Gegenteil hält er sie nach Leibeskräften
zurück, aber diesmal stürzen sie wie zu einem Aufstieg
davon, und wir rollen mit einer schwindelerregenden
16« ^43
Geschwindigkeit in die Ebene hinab, der Wind nimmt
uns den Atem, und der Staub brennt in den Augen. Nie-
mals habe ich wirkliche Wolken so dicht, so schwarz
gesehen, wie es diejenigen sind, die uns jetzt entgegen-
fliegen, um uns in ihren dunklen Mantel einzuhüllen.
Hier und dort steigen Sandhosen so kerzengerade wie
Rauchsäulen von der Erde auf, sie scheinen ohne Glanz,
ohne Flamme zu brennen. Die neue Wüste, in die
wir so schnell hinabgefahren sind, ist voller Dunkelheit,
voll Luftspiegelungen, ihre ganze Oberfläche zittert und
verändert sich; es liegt etwas Schreckliches, etwas
Furchteinflößendes in der Luft; übrigens ist der Wind
glühend, man kann nicht mehr atmen; die Sonne ver-
dunkelt sich, man möchte von hier entfliehen, und auch
die Pferde leiden, ein unbestimmter Schrecken beflügelt
ihren Lauf.
Geblendet, den Mund voller Sand, kommen wir un-
ten an, und da liegt glücklicherweise auch der kleine,
einsame Weiler, wo wir die Nacht verbringen werden,
es war Zeit: zehn Schritte vor uns konnten wir nichts
mehr unterscheiden, die Sonne, die noch hoch am Him-
mel steht, ist nur eine matte, gelbe Scheibe, ist so dun-
kel, wie eine durch den Rauch gesehene Lampenkuppel.
Eine Sonnenfinslernis oder der Weltuntergang scheint
sich auf uns herabzusenken. In einer Art Grotte aus
geschwärztem Lehm, dem Zimmer der Karawanserei,
dringt der Sand durch die Löcher hinein, die als Tür
und Fenster dienen, man erstickt, — und trotzdem müs-
sen wir hierbleiben, denn draußen würde es noch
schlimmer sein; hier ist der einzig geschützte Platz
gegen die glühende, dunkle Wolke, die sich draußen
über die weite Einöde lagert
a44
Dienstag, 22. MaL
Die Nebel gestern abend, der dumpfe, brennende
Sturm müssen ein böser Traum gewesen sein. Beim
Erwachen heute morgen ist alles ruhig, die Luft hat ihre
tiefe Durchsichtigkeil wiedererlangt, und der Tag bricht
strahlend an. Um den Weiler dehnt sich die rosenrote
Sandwüste aus; und die tierge, die wir bei unserer An-
kunft nicht gesehen hatten, liegen hier ganz in der Nähe
und ragen mit ihren weißen Schneegipfeln in den Him-
mel hinauf.
Unsere heutige Etappe verspricht leicht zu werden,
denn die Sandflächen liegen gleich einer ebenen Land-
straße vor uns, eine Landstraße, die, fünf bis sechs Mei-
len breit, sich in uneudlicher Länge, zwischen den bei-
den uns immer noch folgenden Bergketten, erstreckt
Und die Etappe wird auch kurz sein, höchstens ein
Dutzend Meilen; heute abend erreichen wir die große
Stadt Kachan; sie wurde einst von der Gemahlin des
Kalifen üarun-ai-Raschid, der Sultanin Zobeide, ge-
gegründet, von der Suitanin, die uns aus „Tausendund-
einer Nacht" bekannt ist
Den ganzen Vormittag verfolgen wir die mit Kno-
chen besäten Pfade, lautlos rollen wir über den weichen
Sand dahin, der hier den gewohnten Lehm- und Stein-
boden ersetzt Ein beständiges Zittern, der Vorläufer
der Luftspiegelungen, bewegt die überhitzte Ferne;
oben heben die Gipfel sich mit wunderbarer Klarheit,
mit einer herrlichen Farbenpracht von dem Himmel ab,
während auf der Erde, über dem Sand, der unter unse-
ren Wagenrädern einsinkt, alles Unbestimmtheit, alles
Flimmern ist Und gegen Mittag beginnen die anmuti-
245
gen Luftspiegelungen um uns herum, von denen wir uns
jetzt aber nicht mehr tauschen lassen, beginnt das Ver-
steckspiei der kleinen blauen Seen, die hier, die dort
auftauchen, die verschwinden, an anderer Stelle er-
scheinen, um wieder zurückzukehren...
Aber gegen Abend erhebt sich wie gestern ein
Wind, und sofort fliegt der Sand auf; die Kämme der
uns umgebenden Dünen scheinen zu rauchen. Staub-
wolken, Staubhosen bilden sich, die Sonne leuchtet
gelblich und erblaßt; von neuem herrscht unter dem
schrecken einflöß enden Himmel eine Sonnenfinsternis.
Man befindet sich auf einem ausgestorbenen Pla-
neten, der nur den Schatten einer Sonne kennt; der Ge-
sichtskreis hat sich mit einer erschreckenden Ge-
schwindigkeit verkleinert; zwei Schritte vor uns liegt
alles in einem gelben Nebel gebadet, kaum unterscheidet
man die Mähnen der Pferde, die der Wind wie Furien-
haare zerzaust Man erkennt die Pfade nicht wieder,
man ist geblendet, man erstickt . . .
— Ich sehe nichts, ich sehe Kachan nicht, ■ — ruft
uns der Kutscher zu, der den Kopf verloren hat, und
dessen Mund sich bei diesen drei Worten ganz mit
Sand füllt.
Wir glauben gern, daß er Kachan nicht findet, schon
vor dem Sturm sah das Auge ja nichts als die Wüste . . .
Das Gespann hält an. Wer sagt uns, wo wir sind, und
was soll daraus werden? ■
Dies muß eine Halluzination sein: wir glauben das
Läuten von Kirchenglocken zu vernehmen, von großen
Glocken, zahllosen Glocken, die sich uns immer mehr
nähern ... bis sie unmittelbar vor uns ertönen . . . Und
plötzlich taucht ein Kamel auf, es streift uns fast, ein
246
phantastisch aussehendes Tier, dessen Umrisse im
Nebel verschwimmen. An seinen Seiten sohaukeln
Kupfergefäße, sie schlagen mit dem Lärm einer großen
Glocke aneinander. Ein zweites folgt, gebunden an den
Schwanz des ersten, und dann drei, und dann fünfzig,
und dann hundert; alle sind mit Schalen, mit Gefäßen,
mit Krügen, mit vieigeformten, kupferroten Sachen be-
laden, die einen Höllenlärm verursachen, Kachan ist im
walirsten Sinne des Wortes die Stadt der Kupferarbei-
ter, sie versorgt die Provinz und die Nomaden mit den
Wirtschaftegeräten, die in ihren Basaren gehämmert
werden; täglich befrachte! sie ähnliche Karawanen, und
diese machen sich noch von weitem im ganzen Um-
kreis der großen Einöde hörbar.
— Wo ist Kachan? fragt unser Kutscher eine
menschliohe Erscheinung, die einen Augenblick auf
dem Rücken eines Kamels über einem Haufen von
Trinkgefäßen sichtbar wird.
— Gerade vor euch, kaum eine Stunde von ihier,
antwortet der Unbekannte mit erstickter Stimme, denn
sein Gesicht verhüllt ein Schleier zum Schutz gegen
den vielen Sand, den man hier schluckt. Er verschwin-
det vor unseren Augen in dem trockenen Nebel.
Gerade vor uns... Drum laßt uns auf die Pferde
lospeitschen, damit sie wenn möglich vorwärtslaufen,
laßt uns versuchen die Stadt zu erreiohen. Übrigens
legt sich das Unwetter, der Wind flaut ab, es ist weni-
ger dunkel; auf der Erde liegen Knochen, wir müssen
uns auf richtiger Fährte befinden.
Noch eine halbe Stunde fahren wir auf gut Glück
darauf los. Und dann erscheint plötzlich ein helles
Licht, erscheint plötzlich die Stadt der Sultanin Zo*
3^7
beide, viel hoher als wir sie suchten: die Kuppeln, die
Minaretts, die Türme. Die Stadt ist uns nahe und er-
scheint doch so fern, denn ihre Linien sind ganz ver-
schwommen. Noch eingehüllt in den Nebel, vor einem
schwarzen Himmel, beleuchtet von der untergehenden
Sonne, erhebt sie sich, und rot leuchtet sie auf, die alte
Stadt aus Lehm, rot wie jene Kupfergefäße, die vor
kurzem so viel Lärm um sich verbreiteten. Und auf der
Spitze jedes Minaretts, auf der Spitze jeder Kuppel sitzt
sehr gravitätisch ein Storch, ein Storch, deu Nebel und
Sand vergrößert haben, und der in unseren Augen den
Umfang eines Puesenvogels annimmt.
348
FÜNFTER TEIL
Im Rücken der Stadt der Sultanin Zob6ide, die uns
so plötzlich dort oben ihre unzähligen Kuppeln ge-
zeigt hat, und die einer großen kupferroten Erschei-
nung gleicht, liegen diesmal wirkliche Wolken, sie bil-
den diesen tief schwarzen Hintergrund; — Wolken,
durch die der Blitz immer wieder seine blasse Zick-
zacklinie zieht Das Unwetter, dem wir kaum entron-
nen sind, das Unwetter des Staubes und des Sandes,
setzt seinen Weg nach der Wüste zu fort, wir sehen
seinen schweren Schleier, seine dantische Dunkelheit
hinter uns am Horizonte dahinf liehen. Immer mehr
klärt es sich auf, immer mehr nehmen die Umrisse an
Bestimmtheit zu, die Gegenstande werden wirklich, wir
durchkreuzen jetzt die Felder der Oase, die Korn-, die
Mohn-, die R.eis- und die Baumwollfelder, die ziemlich
unter dem Unwetter gelitten haben. Was die Stadt an-
belangt, so erschien sie auf den ersten Blick hin wun-
derbar, aber wir lassen uns nicht ineiir tauschen, wie
alles andere, so ist auch sie nur ein Trümmerhaufen. —
Es handelt sich jetzt darum, dort hineinzudringen, und
dies ist nicht leicht; für einen Reiter wäre es schon
schwierig, aber für einen vierspännigen Wagen ist es
ein Rätsel; lange müssen wir suchen, müssen uns für
einen Weg entscheiden, müssen diesen aufgeben und
einen neuen einschlagen : Nirgends haben diese mensch-
249
liehen Ameisen, die Iraner, in dem Maße überraschend
und eifrig gearbeitet, haben so tief gegraben, wie ge-
rade hier. Zwischen den Trümmern der vielen Lehm-
mauern, von denen fast keine mehr aufrecht steht, die
man nie wieder aufbauen wird, zwischen den Bächen
mit ihrem ausgehöhlten, tiefen ßett, besonders aber
zwischen den zahllosen Löchern, aus denen man die
Bauerde genommen hat, und die nun ewig klaffend da-
liegen werden, läuft kein einziger Weg, führt kein ein»
ziger Pfad. Eins meiner äußeren Pferde fällt in einen
Keller, zieht beinahe das ganze Gespann und uns selbst
mit sich, aber es bleibt mit seinem Zaumzeug hängen
und es gelingt ihm, wieder hochzukiettern — und
schließlich erreichen wir das Tor,
Dumpf groiit der Donner, als wir in die Stadt ein-
dringen, die dunkel und gewaltig daliegt; Moscheen,
Türme, altertümliche, schwere, vierkantige Pyramiden
mit stufenförmigen Etagen, wie man sie bei einigen
indischen Tempeln sieht, ein kühner Lehmhaufen, der
heute inmitten seines Verfalls noch groß erscheinen
wilL
Wir fahren über einen Platz, wo ein Derwisch in
weißem Gewände mit einem langen zinnoberrot gefärb-
ten Bart zwanzig sehr artigen Kindern, die auf Steinen
im Kreis um ihn sitzen, den Koran erklärt.
Wir sehen ein Minarett von wenigstens sechzig
Meter Höhe, groß und einsam steht es da, es ist er-
schreckend schief, ist schiefer als der Turm von Pisa
(dies ist der Hinrichtungsort der Ehebrecherinnen;
man stürzt sie von oben herab, und zwar von der sich
neigenden Seite, um ihnen den Augenblick, der dem
Fall voraufgeht, um ihnen den leeren Raum, in den sie
2ÖO
stürzen werden, noch schrecklicher erscheinen zu
lassen).
Und dann folgen die großen gotischen Spitzbogen
und die Nacht der Basare. Alles, was in Kachan lebt
und lärmt, hat sich hier unter diesen Gewölben zusam-
mengefunden, in diesen langen, hohen Schiffen, in
denen man kaum sehen kann, wo Hunderte von großen
Kamelen, die noch ihr lockiges Winterfell tragen, den
Platz versperren. Um dort durchdringen zu können,
mußten wir unsere beiden äußeren Pferde abspannen,
denn wir nehmen zu viel Raum in der Breite ein, und
außerdem machen uns die zwei Pferde, die wir behal-
ten haben, noch Sorge genug, sie fürchten sich vor den
schreienden Stimmen, sie fürchten sich vor der Nähe
der Kamele; trotz der Anstrengung des Tages sind sie
schwer zu zügeln, sie bewegen sich nur in Sätzen und
Sprüngen vorwärts. Der Donner rollt immer lauter,
und, als wir durch den Basar der Kupferschmiede fah-
ren, wo die Arbeiter ihre letzten Hammerschläge vor
Hereinbruch der Nacht mit doppelter Wucht herab-
sausen lassen, wird der Lärm so ohrenbetäubend, daß
unsere Tiere scheuen; wir müssen aussteigen und aus-
spannen. Und dann sind wir wehrlos gegen die Kauf-
leute, die auf uns eindringen, sich unserer Hände be-
mächtigen und uns mit sich fortziehen. Nirgends sahen
wir so viele rotgefärbte Barte, so hohe schwarze Hüte;
alle Leute gleichen Astrologen. Wir mögen wollen oder
nicht, wir müssen ihnen folgen; bald finden wir
uns in den fast unterirdischen Seidenspinnereien wie-
der, wo die Arbeiter Katzenaugen haben müssen, wenn
sie sehen wollen; bald unter freiem Himmel, auf einem
Hof, dessen rotblühende Granatbäume ein wenig Licht
a5i
hindurchfallen lassen, dort packt man zu unseren
Füßen die Schätze Aladins aus, die dainascierten Waf-
fen, die Brokatstoffe, die Schmucksachen, die Edel-
steine. Besonders lange hält man uns bei den Teppich-
ver'käufern gefangen, wir werden gezwungen, eine Ka-
lyan zu rauchen und eine Tasse Tee zu trinken, man
breitet die unvergleichlichen Gewebe Kachaus vor uns
aus, die wie das Gefieder der Kolibris schillern; jeder
Gebetsteppich stellt ein Gebüsch mit zahllosen Vögeln
dar, dessen Äste sich symmetrisch in dem Portal einer
Moschee verzweigen, und immer ist die Farbenzusam-
mensteilung ein Wunder. Die Preise sind stets zu An-
fang übermäßig hochgeschraubt, wir erheben uns
voller Entrüstung und wollen aufbrechen; dann hält
man uns am Ärmel zurück, zündet unsere Kalyan wie-
der an, und zwingt uns zum Sitzen. In dieser Weise
geht übrigens stets die Komödie des orientalischen
Kaufhandels vor sich.
Es ist dunkel, als wir endlich die große Karawanserei
erreichen, wo unser Wagen schon angelangt ist; eine
ganz verfallene Karawanserei natürlich, aber von einer
solchen monumentalen Größe, daß kein Basilikaportal
sich in der Ausdehnung mit diesem blauen, von Fayencen
bekleideten Eingang messen kann. Ein alter xMann mit
blutrotem Bart führt uns nach den oberen Zimmerchen,
durch die zu dieser Stunde der Gewittersturm fegt
Hier kreuzen sich die Wege, die von den westlichen
Wüsten nach Kachan führen, und die Wege, die bis
zum Kaspischen Meer laufen: Ein beständiges Kommen
und Gehen von Karawanen herrscht infolgedessen in
dieser Stadt. Als der Tag zur Neige geht, sehen wir
unter uns, durch den Spitzbogen des Portals, wenig-
a5a
stens zweihundert, in einer langen Reihe aneinander
gebundene Kamele hineinströmen; seltsame Kamele,
mit barbarischer Pracht ausgeschmückt, sie tragen
Federbüsche auf dem Höcker, Hahnenfedern auf der
Stirn, Fuchsschwänze an den Ohren, unechte Hals-
krausen aus aufgezogenen Muscheln. Die Kamelreiter,
ihre Führer, haben alle flache, typisch mongolische Ge-
sichter, sie sind mit kleinen, kurzen, buntgestreiften
Röcken bekleidet, und ihre Kopfbedeckung besteht aus
einer riesengroßen Pelzmütze. Dieser ganze Zug scheint
geradeswegs von Djellahadah, aus Afghanistan, zu
kommen, scheint die unendlichen Salzebenen durch-
quert zu haben und zieht jetzt, majestätisch und lang-
sam, mit Glockengeiäute hinein. Es sind so viele Tiere,
daß es ganz dunkel ist, als die letzten erscheinen, die
beim Licht der Blitze so unwirklich anzuschauen sind.
In einer nahen Moschee singt man mehrstimmig ein
Lied, eintönig wie das Brausen des Meeres. Und alle
Geräusche vereinen sich, um uns in unseren ersten
Schlaf hinüberzutragen: die religiösen Lieder, der Name
Allahs, den man mit süßer Schwermut in den verschie-
densten hohen Tönen singt, das Glockengeläute der
Karawanen, das Grollen des sich entfernenden Donners,
das Plätschern des Regens, und die leisen Klagen des
Windes in den Mauerspalten.
Mittwoch, 2 3. MaL
Heute legen wir einen achtstündigen Weg durch die
einsamste aller Einöden zurück. Abends wird vor einem
armseligen Weiher haltgemacht; zehn kleine Lehm-
häuser, denen ein heller Bach Leben zuträgt, einige
»53
winzige Kornfelder, ein Gebüsch von drei oder vier
Maulbeerbäumen, über und über besät mit weißen
Maulbeeren; das ist alles, soweit das Auge sieht im
ganzen Umkreise, nichts als Wüste. Die Leute scheinen
sehr arm zu sein, und wahrscheinlich ist der Ort un-
gesund, denn sie sehen leidend aus. In dem Loch, unse-
rem Zimmer, haben die zutraulichen Schwalben meh-
rere Nester über dem Kamine gebaut; streckt man den
Arm aus, so könnte man die Jungen erreichen, deren
kleine Köpfe alle sichtbar sind.
Und wir kommen gerade an dem Tage an, als die
Ältesten des Dorfes — etwa zehn vertrocknete alte
Leute — bestimmt haben, ihre erste Maulbeerernte ab-
zuhalten. Dies soll zur Stunde der Vesper, der Kalyan
und des süßen Müßigganges vor sich gehen, zur Stunde,
wo wir mit zwei oder drei Hirten in der Tür der ver-
fallenen Herberge sitzen, und dem sanften Gemurmel
des einzigen, herrlichen Flusses lauschen und die Sonne
an dem weiten Horizont untertauchen sehen. Die weni-
gen Kinder sind alle zerlumpt und blaß, sie schließen
einen Kreis um die verkrüppelten Maulbeerstämme, die
man jetzt schütteln will, und diesmal leuchtet die Freude
der Erwartung in ihren sonst so schwermütigen Augen
auf. Bei jedem Stoß fällt ein Regen von Früchten auf
den traurigen, harten Boden herab, und die Kleinen
stürzen sich wie Sperlinge, denen man Körner hinstreut,
darüber, während der magerste der Greise die allzu-
großen Leckermäuler zurückhält und mit Strenge dar-
über wacht, daß die Teilung gleichmäßig geschieht.
Diese Bäume sind der einzige Schatz im meilenweiten
Umkreise; und höchstwahrscheinlich denkt man in dem
einsamen Dorf wochenlang im voraus an die Ernte, die
»54
in der Dämmerstunde vor sich geht, die man sich für
die langen Maienabende aufspart... Ist das Fest vor-
über, so senkt sich die kalte Nacht herab, die Abgeschie-
denheit macht sich noch fühlbarer. Diese kleine
menschliche Ansiedlung kennt keine Mauern, wie sie
die Oasen des Südens umgeben; die Tür zu unserer
Herberge läßt sich nicht einmal schließen, und mit dem
Pievolver in der Hand schlafen wir ein.
Donnerstag, i/j. Mai.
Frühmorgens brechen wir auf, um noch heute abend
die Stadt zu erreichen, wo die heilige Fatime, die Enke-
lin des Propheten, ruht.
Nach fünf- oder sechsstündigem Weg, in einer strah-
lenden Wüste, deren Pfade mit Gerippen besät sind,
gegen zwölf Uhr mittags, um die Stunde des Blend-
werks und der Luftspiegelungen, leuchtet dort hinten,
in der unbestimmbaren Ferne, ein Gegenstand auf,
etwas, was sich dem Auge, den Sternen gleich, nur
durch seine Strahlen zeigt; ein aufgehendes Gestirn,
eine goldene Kugel, eine Feuerkugel, etwas ganz Un-
geahntes, etwas nie Gesehenes.
— Koum! sagt der Rosseienker, indem er mit dem
Finger dajauf zeigt... Also dies ist die berühmte gol-
dene Kuppel, die in der mittäglichen Sonne funkelt, die
einem Leuchtfeuer mitten am hellen Tage gleicht, die
die Karawanen aus tiefer Wüste heranlockt... Sie er-
scheint und verschwindet wieder, ganz nach Laune des
hügeligen Bodens, und nachdem wir mehr als eine
Stunde in dieser Richtung dahingetrabt sind, ohne daß
a55
wir uns ihr merklich genähert hätten, ist sie plötzlich
nicht mehr sichtbar.
Es ist vier Uhr nachmittags, als wir die Bäume der
Ooase Koum, die Kornfelder und schließlich die Stadt
entdecken; ein gewaltiger, grauer Trümmerhaufen, und
immer und überall Schutt, Spalten und Risse. Natürlich
sieht man, wohin das Auge auch fällt, die verschieden
gestalteten Kuppeln, Zinnen und Minaretts, graubraune
Türme, rosenrote Türme, die von einem blauglasierten
Turban bedeckt zu sein scheinen. Und jede aufragende
Spitze ziert ein Storch, gravitätisch steht er in seinem
Nest. Hier gibt es viele verlassene Gärten, die mit
Granatbäumen angefüllt sind, deren Boden durch die
fallenden Blütenblätter blutrot gefärbt wird... Aber
wo ist die goldene Kuppel, das Grab der Fatime, das
wir von weitem zwischen den Luftspiegelungen des
Mittags sahen? Wir müssen geträumt haben, denn nicht
die geringste Spur von ihr ist sichtbar.
Von Zeit zu Zeit, beim Rollen unseres Wagens, beim
Läuten unserer Schellen, öffnet sich eine Tür, und
irgendeine Frau zeigt ihr eines Auge, die Hälfte ihres
stets hübschen Gesichtes, um zu sehen, was sich dort
zuträgt Ungefähr zwanzig kleine Babys, alle wunderbar
schön, mit Amuletts behangen, mit brandrot gefärbten
Haaren, laufen hinter uns her, ganz erstaunt über unser
Gespann, und mit diesem Gefolge halten wir unseren
Einzug in dem Basar. Von neuem hüllt uns da3 plötz-
liche Dunkel der Basare ein, während zwanzig langer
Minuten haben wir die größten Schwierigkeiten zu be-
stehen, immer wieder streifen wir inmitten der zottigen
Kamele, ein Hindernis nach dem anderen, und unsere
vier Pferde schnauben, der Moschusgeruch erfüllt sie
256
Straßencafe
mit Abscheu. Dort drängen sich die schön gekleideten
Iraner, die Afghanen, mit den spitzen Mützen, die Be-
duinen Syriens, deren Kopf glänzende Seidenstoffe und
seidene Bänder schmücken; die verschiedensten Leute,
eine große Menge hält sich hier auf, und kaum kann
man die Hand vor Augen sehen.
Aber dann gelangen wir durch den Ausgangsbogen
in die helle Abendluft hinaus, und endlich liegt die
strahlende Kuppel wieder yor uns, ganz nah thront sie
inmitten einer feenhaften Umgebung, die, um uns zu
blenden, von irgendeinem Zauberer aufgebaut zu sein
scheint. An dem Ufer eines ausgetrockneten Flusses,
an dem Bett aus weißen Kieseln, über das eine Bogen-
brücke mit einem Fayencegeländer führt, breitet ein
märchenhaftes Panorama sich aus; in bunter Reihe, in
wilden Verschlingungen, übereinander aufgetürmt sind
hier die Portale, die Minaretts und die Kuppeln, alles
trieft von Gold; alles, was unmittelbar über dem Erd-
boden liegt, ist aus blauer Glasur, alles was sich vom
Erdboden erhebt, ist aus grüner Glasur, hat jenen
metallischen Glanz, der auch dem Schwanz des Pfaues
eigen ist; in dem Maße, wie der Bau in die Luft hinauf-
steigt, zeigt er ein immer reicheres Gold, er endet
schließlich nach dem Himmel zu in goldenen Spitzen.
Neben den wirklichen Minaretts, die groß genug sind,
daß die Muezzine dort zum Singen hinaufsteigen kön-
nen, gibt es zahllose schmächtige Spindeln, in die man
nicht hineinklettern kann, auch sie streben aufwärts
und glänzen wie Goldschmiedearbeit. So neu, so schön,
so flammend, so überraschend liegt dies alles in dieser
Stadt der Trümmer und des S taubes . . .
Mitten in der Pracht und dem Glanz wachsen tief-
17 Persien. 2^<]
rote Bäume, überall blühende Granatbäume; man könnte
sagen, es habe Korallenperlen geschneit Und im Hin-
tergrunde zeichnen sich die hohen Gipfel, zweimal höher
als unsere Alpen, beleuchtet von der untergehenden
Sonne, rosenrot von einem meergrünen Himmel ab.
Meine Augen haben schon so unendlich viel gesehen,
aber sie erinnern sidh an nichts, das so überwältigend,
so phantastisch, so ausgesprochen orientalisch war, wie
dieser Anblick, den uns das Grab der heiligen Fatime
gewährte, an einem Maienabend, als wir aus einem
dunklen Schiff heraustraten.
Es gibt also in Persien noch Dinge, die nicht ver-
fallen sind, und die man noch heute, wie in den Zeiten
zu Tausendundeiner Nacht, aufbauen und wiederher-
stellen kann.
Der Schah Nasr-ed-din ließ im neunzehnten Jahr-
hundert die heilige Moschee, wo heute sein Vater und
seine Mutter neben Fath-Ali-Thah und der Enkelin des
Propheten ruhen, mit unsinnigem Luxus vollständig
neu herrichten, ließ sie mit goldenem Mosaik be-
kleiden.
Die Karawanserei ist scheinbar noch weit entfernt,
sie liegt an der anderen Seite der Bogenbrücke, des
wasserlosen Flusses. Darum schicken wir den Wagen
voraus, und bevor die Sonne untergeht, wollen wir die
Moschee besehen.
Ein gewaltiger, seltsamer Platz dient ihr als Vor-
hof; er stellt gleichzeitig einen alten, staubigen Fried-
hof und einen lärmenden Hof der Wunder dar. Das
scheinbare Pflaster, die langen Fliesen, auf denen man
geht, sind dicht nebeneinander liegende Gräber, der
Boden ist angefüllt von den Gebeinen aller Zeiten, er ist
208
mit menschlichem Staub vermischt. Und da die Reli-
quien der heiligen Fatime zahllose Pilger anziehen, da
sie Wunder wirken, so ist hier aus allen Teilen Per-
siens ein trauriges Völkchen zusammengelaufen, um
sich ringsumher niederzulassen. Neben den Verkäufern
der Rosenkränze und der Amulette, die an der Erde ihre
Waren auf Lumpen ausbreiten, zeigen die verkrüppel-
ten Bettler ihre blutigen Glieder3tümpfe; andere ent-
blößen ihren Aussatz, ihre Krebsgeschwüre, oder ihre
brandigen Wunden, die mit Fliegen bedeckt sind. Der-
wische mit langen Haaren schreiten singend vorüber,
das Auge gen Himmel gerichtet; andere lesen mit wil-
der Begeisterung in den alten Büchern. Alle sind in
staubige Lumpen gekleidet, alle sehen ungastlich und
angsteinflößend aus; derselbe Fanatismus spricht aus
dem zu feurigen Auge und aus dem erloschenen Auge.
Mitten auf diesem Platze, auf diesem Gräberfelde,
umgeben von der grauen, schmutzigen, lumpengeklei-
deten Menge, erscheint der frische Glanz einer solchen
Moschee noch unwahrscheinlicher.
Im Innern des Heiligtums wird ein unausdenkbarer
Reichtum herrschen, aber wir Ungläubigen sind ohne
Erbarmen davon ausgeschlossen, und wir müssen an
dem Tor der äußeren Umzäunung stehenbleiben . . .
Aber diese Mauer ist schon von oben bis unten mit
Glasur bekleidet und herrlich anzuschauen; sie um-
schließt eifersüchtig — wie die Mauer eines persischen
Gartens ihre Bäume umschließt — die Minaretts und
die Spindeln aus grüner und goldener Glasur, die gleich
schlanken Stämmen aus der Erde hervorschießen und
die eigentliche Moschee und die funkelnden Kuppeln
einrahmen.
17«
s5a
Das Volk quält uns, es schleppt seine Wunden, seinen
Gestank und seinen Staub hinter uns her, es verfolgt
uns bis an das Tor, wo es uns mit hundert schrecklichen
Händen zurückhalten würde, wollten wir weiter vor-
dringen. Auf der Schwelle stehenbleiben und von dort
aus Umschau halten, ist alles, was uns erlaubt wird.
Der Sockel des Gebäudes ist aus weißem Marmor,
er stellt eine gerade Reihe von Vasen dar, Vasen, aus
denen alle Blumen hervorzusprießen scheinen, die unter
der Glasur an die Wände gemalt sind; Rosenzweige,
Irispflanzen beginnen kaum einige Fuß hoch über dem
Boden : sie schlingen sich an den blauen Arabesken em-
por, wie es die Kletterpflanzen an einem Baumgeländer
tun würden, sie steigen aufwärts und vereinen sich mit
dem goldenen Mosaik der Friese und der Kuppeln. Ich
glaube nicht, daß es auf der Welt — vielleicht mit Aus-
nahme der Tempel des heiligen Berges Japans — ein
Gebäude gibt, das von außen mit einer solchen Pracht,
mit einem solchen Glanz der Farben bekleidet wäre,
wie dieses Grabmal es ist, das man hier, in der alten
Stadt der Trümmer und des Staubes, zwei Schritte von
den Wüsten entfernt liegen sieht.
Freitag, 2 5. Mal
Während des Schlafes hatten wir vergessen, in wel-
cher unvergleichlichen Nachbarschaft wir uns befinden,
und auf "welche Herrlichkeiten unsere elende Herberge
zeigt Die Tür der Terrasse öffnen und vor sich das
Grab der heiligen Fatime bei Sonnenaufgang liegen
sehen, das ist ein selten ergreifender Anblick: über den
ganz mit Korallen besäten Bäumen, den rotblühenden
260
Granatbäumen, erhebt sich ein Bauwerk von orienta-
lischer, fast übertriebener Anmut, es glitzert von oben
bis unten wie die Gewänder des Schah-Abbas; goldene
Spitzen, goldene Kuppeln, blaue und rosenrote Spitz-
bogen; Türme und Türmchen mit so wechselnden
Lichtern, daß sie den Vögeln der Inseln entlehnt zu
sein scheinen; und hinter dem allen die Ruinen und
der leblose Horizont der Einöden.
Die Stadt Koum hatte bei unserer Abreise noch eine
andere Überraschung für uns in Bereitschaft, eine wirk-
liche Landstraße liegt vor uns, sie ist gepflastert wie
bei uns, wird von zwei kleinen Gräben und einer Reihe
Telegraphenstangen eingerahmt, sie führt durch die un-
endlichen Felder. Und sie erscheint uns als der Gipfel
der Zivilisation.
Zwar reicht sie nicht weit, und im Laufe des Tages
befinden wir uns von neuem in der tiefen Wüste, wo
der Pfad sich kaum auf dem Sand, in den glänzenden
Salzfeldern, zwischen den vielen Luftspiegelungen, ab-
zeichnet Aber unser nächtliches Quartier, umgeben von
Weiden und Platanen, in dem Weiler einer grünen Oase,
hat nichts mehr von der wüsten Karawanserei an sich,
die wir vorzufinden gewohnt sind; dies ist fast eine
Herberge, wie man sie in unseren europäischen Dör-
fern antrifft, mit einem Gärtchen, und einem Gitter am
Rande des Weges. Das ganze Land liegt übrigens so
zuversichtlich, so alltaglich da.
Aber trotzdem ist die sich herabsenkende Nacht noch
voller Reize, und man fühlt jetzt, daß die Wüste nicht
weit entfernt sein kann; die Gebetsstunde hat etwas
Rührendes in diesem kleinen Garten unter den Linden
und den Weiden, mit seinem Kuckucksruf und seinem
261
Froschgequak; während die persischen Katzen mit
ihrem langen, seidigen Feli leise in den dunklen Alieen
umherslreichen, knien die Reisenden nieder, oft sieht
man die Armen in ihren baumwollenen Gewändern
neben den in Kaschmir gekleideten Reichen auf ein
und demselben Teppich knien,
»
Sonnabend, 26. Mai
Unser Himmel ist dasjenige, was sich am meisten
verändert, je mehr wir uns dem Norden nähern, die
unvergleichliche Klarheit der Luft, unsere beständige
Augenweide, ist für immer verschwunden.
Man glaubte nicht mehr an den Regen, und heute ist
er da. Während unserer siebenstündigen Etappe fällt
er als feiner Sprühregen auf uns herab, ganz wie der
Regen in der Bretagne. Wir legen uns in einem alten,
kalten Hause mit triefenden Mauern zur Ruhe nieder,
das verlassen und einsam im Hintergrunde eines ge-
waltigen Gartens steht Wie gestern ruft der Kuckuck,
quaken die Frösche. Das Haus ist umgeben von jungen
Pappeln, von Rosensträuchern, von Ligustrum, von lan-
gen Gräsern. Und der Sturm zerzaust das zarte, junge
Maiengrün.
Mit !«— .suen und Bedauern werden wir morgen
in Teheran einziehen; nach den alten Hauptstädten aus
früheren Zeiten, nach Ispahan und Chiraz, wird uns
diese Stadt gar zu modern, gar zu wenig persisch er-
scheinen.
2Q2
Sonntag, 27. Mal
Im Regen, unter einem dunklen Himmel, brechen
wir auf. Unmerklich neigen sich die Pfade, und so
steigen wir schließlich in die weniger verlassenen, in
die grüneren Ebenen hinab. Korn- und Heufelder, aber
immer noch keine Bäume, zuweilen Streifen Landes
von klebriger, weißlicher Erde, wo nicht einmal das
Gras mehr wachsen kann. Unsere ganze Umgebung ist
wirklich häßlich. Die Schönheit liegt über uns, zwischen
den schwarzen Wolken; wenn die Sonne durchbricht,
zeigen die schrecklichen Berge uns in einer schwin-
delnden Höhe ihre langen Schueegewänder, und schließ-
lich sehen wir durch einen Spalt, höher, als wir ihn zu
suchen wagten, die Spitze des Berges Demavend, der
Teheran überragt; er ist mehr als sechstausend Meter
hoch, und niemals legt er sein leuchtendes weißes
Leichentuch ab.
Trotz des eisigen Regens und der winterlichen Kälte
begegnen wir vielen Menschen : Karawanen, gespenster-
haften Frauen auf Eselinnen oder zu Wagen; Reitern
in schönen Tuchkleidern, die schon ganz das Äußere
von Städtern zeigen. Man fühlt, daß man sich der
Hauptstadt nähert, und unser Kutscher hält an, zieht
einen Haufen roter Bänder aus seinem Sack hervor und
schmückt hiermit die Mähnen unserer vier Pferde, denn
es ist Sitte, daß man also geziert naoh einer glücklich
überstandenen Reise zur Stadt hineinfährt
Zu beiden Seiten des Weges stehen jetzt schmäch-
tige, arme Bäume: verkrüppelte Ulmen, stark von der
Kälte mitgenommene Granatbäume; beklagenswerte
Maulbeerbäume, die auf jedem Zweig zwei oder drei
a63
Straßenjungen schaukeln, und diese tun sich gütlich
an den kleinen, weißen Früchten. Jetzt nahen wir die
endlosen Friedhöfe erreicht; auf der schrecklichen,
weichen, grauen Erde, wo auch nicht der kleinste Gras-
halm wächst, ziehen sich die Kuppeln der Grabgewölbe
oder die einfachen, fast immer verfallenen Gräber in
langen Reihen dahin.
Ein Sonnenstrahl zeigt uns zwischen zwei Regen-
güssen, rechts an unserem Wege eine Kuppel aus
funkelndem Golde, die an das Mausoleum der Fatime
erinnert: es ist die Moschee des Schahs Abd-ul-Azim,
eine heilige Stätte und zugleich der unverletzliche Zu-
fluchtsort der persischen Verbrecher; vor zehn Jahren
fiel der Schah Slasr-ed-din hier unter dem Dolch eines
Abenteurers.
In diesem Lande, wo die Bäume nicht von selbst
wachsen, werden sie oft groß und prächtig, wenn di6
Menschen sie neben ihre kleinen Bewässerungskanäle
zwecks Beschattung Ihrer Wohnungen, pflanzen. Das
Dorf der Vorstadt, durch das wir in diesem Augenblick
hindurchfahren, liegt ganz in Grün getaucht, und Tehe-
ran dort vor uns scheint noch heute den Namen „die
Stadt der Platanen" zu verdienen, den man ihr im drei-
zehnten Jahrhundert gab. Aber wir, die wir bis jetzt
daran gewöhnt waren, die Städte in Licht gebadet, zwi-
schen den Luftspiegelungen in strahlender Pracht auf-
tauchen zu sehen, wir finden, daß dieser Haufen kalter,
grauer Häuser, unter einem trüben Regen himmel ge-
legen, seltsam unfreundlich wirkt!
Immer zahlreicher werden die Vorübergehenden.
Alles Leute, die uns kreuzen und die die Stadt zu ver-
lassen scheinen. Wahrscheinlich die alljährlich wieder-
26A
kehrende Frühlingsauswanderung; der Sommer in
Teheran ist so dürr und ungesund, daß die Hälfte der
Bevölkerung sich im Mai entfernt, um erst im Herbst
zurückzukehren. Gespanne aller Art ziehen vorbei —
und alle biegen sie aus vor den toten Pferden, deren
Bauch die Geier geöffnet haben, und die jetzt in kurzen
Zwischenräumen auf der Landstraße liegen, ohne daß
jemand daran dächte, sie zu entfernen.
Wie dunkel ist alles oberhalb der Hauptstadt Irans I
Wolkenwände, hinter denen man Bergwände ahnt,
füllen den Himmel mit ihren fast erschreckenden Mas-
sen an. — Und stets sieht man durch denselben Spalt
den Demavend, der uns in verschwommenen Umrissen
seine silberne Spitze auf einem dunklen Hintergrund
zeigt, man sieht, daß dies keine Wolke, daß es etwa$
„Festes" ist, daß es zu der Gattung der Felsen gehört,
aber es scheint zu hoch hinaufzuragen, als daß es der
Erde angehören könnte, man möchte fast sagen, es
neige sich vorwärts . . . Wahrscheinlich ist es ein Teil
eines fremden Gestirns, das sich geräuschlos hinter dem
Nebelvorhang nähert — und die Welt wird unter-
gehen . . .
Die Tore Teherans. Sie leuchten in dem klatschen-
den Regen. Von vier kleinen ornamentalen Türmchen
werden sie geschmückt, und diese sind fein wie Peit-
schenstiele, und das Ganze bedeckt ein Überzug von
glasierten Ziegeln, gelbe, grüne, schwarze Ziegel, die zu
einer Zeichnung zusammengestellt sind, wie man sie
auf der Haut der Eidechsen oder Schlangen sieht.
In der Stadt erwartet uns die schon geahnte Ent-
täuschung. Durch die Regengüsse sind die Gäßchen, die
bis zur Herberge führen, in schmutzige Flüsse ver-
a65
wandelt, sie laufen zwischen Steinhaufen dahin, and
diese kenneu keine Fenster, sie sind trübselig und farb-
los, und bei ihrem Anblick liefe man am liebsten davon.
Das Wirtshaus aber ist das Schlimmste von ailem;
die jämmerlichste Karawanserei war besser als die*
dunkle, alle Zimmer, das auf einen feuchten Garten,
auf triefende Bäume, zeigt. Und ich begrüße die liebens-
würdigen Herren der Gesandtschaft als Befreier, denn
sie bieten mir die Gastfreundschaft des französischen
Hauses an.
Die Gesandtschaft ist wie alle anderen schon aus
Teheran geflohen, zwei Meilen von den Mauern ent-
fernt, am Fuße des weißgekleideten Demavends hat sie
sich für den Sommer auf dem Lande niedergelassen,
und dorthin werden auch wir heute abend übersiedeln,
wenn mein Gepäck, das noch mit meiner Nachhut auf
den irgendwo steckengebliebenen Pferden schwebt, an-
gekommen sein wird.
Inzwischen will ich mich ein wenig in dieser Stadt
umsehen, die ich gerne so bald wie möglich verließe.
Hier gibt es nichts wirklich Altes, nichts wirklich
Schönes. Vor hundertfünfzig Jahren war Teheran noch
ein unbekannter Flecken, aber da kam Agha Muham-
med Khan, der Eunuchenfürst, der den Thron an sich
gerissen hatte, auf den Einfall, die persische Haupt-
stadt hierher zu verlegen.
Zuerst nach den Basaren. Sie sind groß und sehr
besucht Dieselben gotischen Gewölbe, wie wir sie schon
überall sahen; man verkauft hier ungeahnte Mengen
von jenen Teppichen, die nach einem neuen Verfahren
gewebt und gefärbt werden, und die im Vergleich zu
266
den Teppichen Ispahans, Kachans and Chiraz' gar zu
gewöhnlich erscheinen.
Wir wollen den Sonnenschein zwischen zwei Regen-
güssen benutzen, um auf die Dächer zu klettern, von
wo aus man einen allgemeinen Überblick hat Immer
wieder sieht man auf zahllose kleine Terrassen und
Kuppeln herab, aber es fehlt das Licht, das ihnen in
den alten, unveränderten Städten, aus denen wir kom-
men, jenen unvergleichlichen Zauber verleiht, die Kup-
peln der Moscheen sind grün oder vergoldet, statt wie
im Süden in blauem Türkis zu erstrahlen, die beiden
rosenroten Türme aber, die dort hinten aufragen, be-
zeichnen den Palast des Schahs. — In diesem Augen-
blick treten die Berge aus den Wolken hervor, und
diese Werke, von Menschenhand erbaut, erscheinen
winzig klein, wie sie dort am Fuße der erdrückenden
Felsmassen liegen. Seine Majestät der Schah ist so-
eben nach Europa abgereist, und sein Palast mit den
rosenroten Türmen liegt verlassen da. Wir haben nicht
die Erlaubnis, ihn heute zu besehen. Aber wir wollen
es trotzdem versuchen.
Die Wächter, gutmütige Burschen, lassen uns in die
Gärten eintreten, die in diesem Augenblick ganz aus-
gestorben und deshalb besonders reizvoll sind. Diese
Gärten bestehen eigentlich nur aus Seen, aus ruhigen,
schwermütigen Spiegeln, umgeben von Fayencemauern,
auf denen die Störche einherstolzieren. Das Wasser ist
in Persien eine große Seltenheit, und deshalb auch eine
große Verschwendung, und gerade die Fürsten sparen
innerhalb ihrer Mauern nicht damit. Die Gärten des
Schahs bestehen fast ausschließlich aus Wasserbassins,
die von alten Bäumen und Blumen eingerahmt sind,
367
und in denen sich die Lilienbeete, die hundertjährigen
Rüstern, die Pappeln, die riesengroßen Lorbeerbäume,
die hohen, eifersüchtigen, die glasierten Mauern wider-
spiegeln. Alles in dieser königlichen Wohnung, deren
Herrscher in fernen Landen reist, ist eingezäunt, ver-
schlossen, leer und schweigend, einzelne Türen sind
versiegelt, die Vorhänge sind herabgelassen, sie ver-
decken alle Fenster, alle Öffnungen des Hauses, die
auf die eingefriedigten Seen hinausgehen, — Vorhänge
aus gesticktem Leinen, feste große Vorhänge, wie die
Segel einer Fregatte. An den Wänden zeugen die
modernen Glasurbekleidungen, auf denen man Figuren
oder Rosenzweige dargestellt sieht, von einem kläg-
lichen Rückgang in der persischen Kunst, aber trotz-
dem ist der allgemeine Eindruck noch reizvoll, und ent-
zückend ist ihr Spiegelbild auf der Wasserfläche
zwischen den umgekehrten Bäumen und dem Grün.
— Es regnet nicht mehr; am Himmel zerteilen sich
die Wolken und fliehen dahin; in diesem sehr ent-
legenen Winkel, wo die vertrauensvollen Wächter uns
allein umherstreifen lassen, genießen wir den hellen
Nachmittag.
Der gewaltige Vorhang, der hier durch viele Stricke
gehalten wird, verbirgt den Thronsaal; dieser ist so alt
wie der Palast selbst und ist, nach altem Gebrauch, in
seiner ganzen Breite geöffnet, um es dem Volk zu er-
möglichen, von weitem ihr Götzenbild sitzen zu sehen,
der marmorne Sockel — ohne Treppe, damit die Menge
nicht dort hinaufsteigt — hebt den Thron ungefähr
zwei Meter über die Gärten empor, und davor spiegelt
sich ein großes, viereckiges Wasserbassin, um das sich
an hohen Feiertagen alle Würdenträger aufstellen, und
268
wenn der Herrscher erscheint, funkeln dort die präch=
tigen Burnusse und die Edelsteinagraffen in schweigen-
der Pracht durch das Dunkel des Saales hindurch.
Wir möchten diesen Saal gern sehen. Mit einem
Wächter, der ungefähr weiß, was für Leute er vor sich
hat, stiften wir ein unschuldiges Komplott, wir klam-
mern uns an die Vorsprünge des Marmors, wir schwin-
gen uns hinauf und gleiten unter dem herabgelassenen
Vorhang hindurch, — und wir betreten den Platz.
Hier ist es natürlich ganz dunkel, weil das einzige
Licht durch diese große Öffnung fallen soll, die heute
durch einen dichten Vorhang abgeschlossen ist. Als
erstes unterscheiden wir den Thron, nah, ganz am
Rande steht er da; er zeigt eine Altertümlichkeit, die
wir nicht erwartet hatten, weiß hebt er sich von der
allgemeinen rot und goldenen Ausschmückung ab. Es
ist dies einer der geschichtlichen Throne der Mogol-
Kaiser, eine Art Estrade aus Alabaster mit goldenen
Linien, die von den aus einem Block gehauenen, klei-
nen, seltsamen Göttinnen und Ungeheuern gehalten
wird; der gewöhnliche Springbrunnen, unumgänglich
notwendig für die Einrichtung eines persischen Herr-
schers, nimmt den Vordergrund dieser Estrade ein, wo
sich der Schah, bei besonders festlichen Gelegenheiten,
auf einem mit Perlen besetzten Teppich sitzend, dem
Volke zeigt; sein Kopf ist mit Edelsteinen überladen,
und er stellt sich, als rauche er die Kalyan, — eine
Kalyan ohne Feuer, auf die man gewaltige Rubine«
legt, um die glühende Kohle nachzuahmen.
Wie in den alten Palästen Ispahans, so hebt sich
auch hier ein Spitzbogen, der den Herrscher mit einem
Heiligenschein umgeben soll, von dem durchsichtig
269
weißen Thron ab. Er ist, ganz in der Art wie die
Decken, mit einem Netz von Arabesken und einem Re-
gen von kristallenem Stalaktit verziert Und dies alles
erinnert an die Zeiten der Sophis-Könige ; stets ist es
dieselbe bezaubernde Grotte, in die die persischen Prin-
zen ihre Räume zu verwandeln bemüht waren. Zu bei-
den Seiten des Saales sieht man die Schahs früherer
Jahrhunderte auf Fresken verewigt Männer mit
strammsitzenden Goldbrokatgewändern, unnatürlich
jung und schön, mit geschweiften Augenbrauen, mit
schwarzgeränderten Augen, mit langen Barten, die von
ihren rosenroten Wangen in einer schwarzen, seidigen
Welle bis zu den Edelsteinen ihrer Gürtel herabfließen.
Einer von uns hebt abwechselnd eine Ecke des gro-
ßen Vorhangs in die Höhe, um einen Lichtstrahl in die-
sen Halbschatten hereinsickern zu lassen; und alsbald
leuchten die kristallenen Stalaktite an der dunklen
Decke gleich Diamanten auf. Wir haben uns eigentlich
einer Übertretung schuldig gemacht, befinden uns auf
Schleichwegen, aber das macht diesen heimlichen Spa-
ziergang noch reizvoller. Und eine Katze, eine wahr-
haftige Katze — wenn die Perser dies lesen, mögen sie
mir diese unschuldige Zusammenstellung der Wörter
verzeihen — , eine schöne Angorakatze, gut genährt,
zutraulich, an Liebkosungen gewöhnt, ist in diesem
Augenblick der alleinige Herrscher der kaiserlichen
Pracht, eine Katze sitzt auf dem Thron und sieht uns
mit größter majestätischer Herablassung kommen und
gehen«
Als wir den Saal verlassen, machen wir noch einmal
einen Gang um die Wasserba3sins, dasselbe Schweigen,
dieselbe ewige Ruhe wie vorhin herrscht hier auch
270
jetzt Leise gleiten die Schwäne über die blanken,
Flächen dahin, sie ziehen Linien und Kreise, die das
Spiegelbild der hohen, rosenroten Fayencewände, der
großen Zypressen, der großen Lorbeerbäume, der Blu-
men, der schwermütigen Sträucher zerschneiden» Sonst
rührt sich nichts in dem Palast, nicht einmal die
Zweige, denn es ist windstill; man hört nur die Tropfen
von den nassen Blättern zu Boden fallen.
Als der Tag sich zu Ende neigt, verlassen wir Te-
heran in der entgegengesetzten Richtung durch das Tor,
durch das wir heute morgen unseren Einzug hielten;
aber der Anblick ist auch jetzt derselbe, dieselbe grün,
gelb und schwarze Glasurbekleidung, dieselben zebra-
artigen Streifen einer Schlangenhaut
Und bald rollt unser Wagen durch eine kleine Wüste,
über Steine, über einen grauen Boden dahin; ein
schrecklicher Leichengeruch weht uns entgegen: Ge-
beine liegen dicht gesät auf der Erde, Leichname, in
den verschiedensten Verwesungsstadien begriffen, be-
decken den Boden, dies ist der Friedhof der Tiere, der
Pferde, der Kamele und der Maultiere. Tagsüber wird
dieser Platz von den Geiern heimgesucht, nachts tref-
fen sich hier die Schakale.
Wir fahren auf den Demavend zu, der jetzt ganz frei
daliegt; wie kaum ein zweiter Berg der Welt ruft er
einen gewaltigen Eindruck hervor, weil ihm nichts auf
»einem Wege nach dem Himmel zu folgt; mehr als um
die Hälfte ragt dieser Schneekegel einsam über die
ganze andere Kette hinaus. Zu seinen Füßen sieht man
den grünen Flecken einer Oase, auch sie liegt schon
hundert oder hundertfünfzig Meter hoher als die Stadt,
a7i
und dorthin sind die europäischen Gesandtschaften
während der heißen Jahreszeit geflüchtet
Wir verlassen jetzt die kleine Wüste mit ihren»
Geiern und stoßen zuerst auf einige größere Gehölze,
die die fleißige Menschenhand geschaffen hat, sie sind
von Mauern umgeben: hier liegen die Sommerwoh«
nungen der vornehmen Herren und die Lusthäuser ihrer
Haremsdamen. Der aufsteigende Weg ist bald ganz
schattig, er wird von Granatbäumen eingerahmt, von
fruchttragenden Maulbeerbäumen, die die Straßen-
jungen in den langen Gewändern plündern, und end-
lich erreichen wir die schon von weitem erspähte Oase.
In diesem Lande, wo alle Gärten, alle3 Buschwerk
künstlich ist, freut man sich, einen richtigen kleinen
Wald, ganz wie bei uns daheim, zu sehen, in dem die
Bäume von selbst gewachsen zu sein scheinen, einen
Wald, der Strauchwerk, Moose und Farnkräuter hat. —
Die französische Legation liegt in diesem Eden, am
Fuße des Schneeberges, zwischen Sumpfpflanzen,
schlanken Pappeln, langen Gräsern, und um das Haus
herum fließen kühle Bäche; man hört den Kuckuck
rufen, die Eule schreien; dies ist die ganze Frühlings-
botschaft, der ganze zitternde Reiz eines Frühlings, der
sich später als der unsere einstellt, der von kurzer
Dauer ist, auf den eine sengende Jahreszeit folgt Und
sobald die Nacht hereinbricht, erschaudert man wie
im Winter unter dem Blütendach dieses Waldes.
272
Montag, 28. Mai.
Um ein Uhr nachmittags verlasse ich das kühle Ge-
hölz, um in die Stadt hinabzusteigen und Besuche zu
machen. Teheran ist bei Sonnenschein, der es auch in
der Regel verschönert, weniger häßlich als gestern, wo
es regnete und Wolken den Himmel bedeckten. Seine
Alleen sind mit hundertjährigen Rüstern bewachsen,
seine Plätze werden von rießengroßen, altehrwürdigen
Platanen beschattet, und auch hier findet man noch ent-
legene Winkel, die einen orientalischen Reiz besitzen.
Überall zeigen sich kleine Läden, in denen die fried-
lichen Handwerke früherer Zeiten geübt werden. Die
Mosaikarbeiter neigen sich über die Tische herab und
suchen ihre winzigen Kupfer-, Gold- und Elfenbein-
stücke zusammen. Die geduldigen Maier, mit den fein-
geschnittenen Gesichtern, verzieren die langen Schreib-
zeugkästen, die länglichen Kästen, in denen die Spie-
gel der Damen, die Kästen, in denen die heiligen Bücher
aufbewahrt werden; mit leichter, sicherer Hand streuen
sie die goldenen Arabesken darüber hin, tuschen sie
die seltsamen Vögel, die Früchte, die Blumen an. Und
die Miniaturmaler schaffen immer von neuem in den
verschiedensten Stellungen die kleine Person, die eine
Rose zwischen den Fingern hält, die stets die gleiche
zu sein scheint, die seit dem Jahrhundert des Schah-
Abbas nicht gealtert hat : sehr rosige, sehr runde Wan-
gen, fast keine Nase, fast kein Mund, nur ein paar
schwarze Samtaugen, gewaltig große Augen, deren
dicke Brauen über der Nase zusammenwachsen. — Es
gibt übrigens noch in Wirklichkeit diesen Typ der per-
sischen Schönheit; zuweilen habe ich ihn einen kurzen,
18 Persien.
273
blitzähnlichen Augenblick gesehen, wenn ein Windstoß
einen Schleier hochwirbelte; und man sagt: daß einige
Prinzessinnen bei Hof ihn noch in seiner idealen Voll-
kommenheit bewahrt haben . . .
Von allen den Alleen, die mit alten Rüstern bepflanzt
sind, mündet die schönste in einen der Eingange des
Palastes; das Tor der Diamanten genannt Und dieses
Tor gleicht einer Art Zauberhöhle, die mit langsam sich
bildenden, unterirdischenKristallisierungen geschmückt
ist Von den Wänden tropft der Stalaktit herab, die
Säulen sind mit ungezählten kleinen Spiegelstückchen,
kleinen geschliffenen Facetten ausgelegt, und dies alles
glitzert bei Sonnenschein in den Farben eines Prismas,
Ich kehre heute nach dem Palast zurück, um dem
jungen Thronerben Persiens, Seiner Kaiserlichen Ho-
heit Choah-es-Saltaneh meinen Besuch abzustatten, er
will mich in Abwesenheit seines Vaters empfangen.
Leider sind die Salons, in die man mich hineinführt,
auf europäische Art möbliert, und der zwanzigjährige
Prinz, der mich so liebenswürdig begrüßt, scheint sich
wie ein eleganter Pariser zu kleiden. Er ist zart und
sehr verfeinert; seine großen, schwarzen Augen mit
den fast zu schönen Wimpern erinnern an die Augen
seiner Vorfahren, deren Gemälde man in dem Thron-
saal sah ; wäre er in Goldbrokat gekleidet und mit kost-
baren Gemmen geschmückt, so würde er ihr voll-
kommenes Ebenbild sein. Er hat in Paris gewohnt, hat
sich dort amüsiert und weiß als ein kluger Mensch
davon zu erzählen, er hält sich auf dem laufenden mit
der künstlerischen Entwicklung Europas, und die Un-
terhaltung mit ihm ist leicht und lebhaft. In sehr klei-
nen Sevrestassen reicht man uns Tee Trotz der An-
274
Weisungen, die für die Abwesenheit des Herrschers er-
lassen sind, trotz der verschiedenen versiegelten Türen,
hat Seine Hoheit die Gute zu befehlen, daß ich morgen
den ganzen Palast besichtigen kann.
Mein zweiter Besuch gilt dem Großvezir, der mor-
gen für mich ein Diner veranstalten will. Auch dort
werde ich aufs liebenswürdigste empfangen. Übrigens,
lägen die kostbaren seidenen Teppiche nicht auf der
Erde, trüge man hier nicht die kleinen Astrachanmützen
auf der Stirn, die letzten Spuren eines orientalischen
Kostüms, so könnte man sich in Europa wähnen. Wie
schade ist dies, und welch eine Geschmacksverirrung . . .
Diesen Nachahmungstrieb würde ich schon bei den
Hottentotten oder bei den Kaffern verstehen. Aber
wenn man die Ehre hat, ein Perser oder ein Araber oder
ein Hindu oder selbst ein Japaner zu sein, — mit ande-
ren Worten, wenn man uns mehrere Jahrhunderte in
den verschiedensten Dingen der verfeinerten Lebens-
führung voraus ist, wenn man zu den Leuten gehört,
die lange vor uns sich rühmen konnten, eine wunder-
bare Kunst, eine Architektur, eine große Anmut der
Sitten, der Hauseinrichtung, der Kostüme, zu besitzen,
— so ist es wirklich verfehlt, uns nachahmen zu
wollen.
Dann besuchen wir einen der vornehmsten Prinzen
Teherans, den Bruder Seiner Majestät des Schahs.
Sein Palast liegt in einem Park junger Pappeln, die so
lang und schlank sind, wie das biegsame Schilf, der
Park wurde für schweres Geld angelegt, es kostete viel,
das Wasser von den Bergen hierher zu führen. Die
unteren Säle sind ganz mit Spiegelfacetten ausgelegt,
sie werden durch lange, von der Decke herabhängende
18*
275
Stalaktittrauben verziert, und erinnern den Beschauer
an die Fingalhöhle, aber sie glitzern weit mehr als die
wirklichen, zeigen einen überirdischen Glanz. Der Prinz
empfängt uns im ersten Stockwerk, wo hinauf uns eine
breite, blumengeschmückte Treppe führt; er trägt Uni-
form, hat einen weißen Bart, sieht vornehm und zuvor-
kommend aus und 'streckt uns eine tadellos weiß be-
handschuhte Hand entgegen. (Soweit die Fremden sich
dessen erinnern können, hat man ihn nie ohne diese
stets zugeknöpften, stets neuen Handschuhe gesehen,
— und scheinbar will er dadurch vermeiden, die Finger
eines Christen zu berühren, denn er soll hinter seinem
zuvorkommenden Äußeren einen wilden Fanatismus
verbergen.) Die Säle des vornehmen, persischen Herrn
sind in europäischem Stil reich ausgestattet, aber die
Mauern zeigen eine Glasurbekleidung, und auf der Erde
liegen immer wieder die glänzenden, samtartigen
Stoffe, die Teppiche, so kostbar wie man sie sonst
nirgends mehr sieht. Auf einem Tisch steht ein Imbiß
in Bereitschaft: Karaffen mit klarem Wasser, etwa
zwölf große, wertvolle, rote Schalen mit den verschie-
densten Frühlingsfrüchten, die eine ist mit Aprikosen,
die andere mit Maulbeeren, eine dritte mit Kirschen ge-
füllt, Himbeeren, ja sogar rohe Gurken, auf die die
Iraner so lecker sind, hat man aufgetischt. Und wie
in dem Schloß, reicht man auch hier den Tee in sehr
feinen Sevrestassen. Wir sitzen vor einer großen, mit
Fenstern verschlossenen Maueröffnung, man sieht über
den Park, über den Wald junger Pappeln hinaus, die
sich gleich einer Wiese von hohem Schilf im Maien-
winde bewegen, man sieht auf den Demavend, dessen
silberner Kegel in den Himmel hinaufragt. Der Prinz er-
276
zählt von seinen Jagden, von den Gazellen- und Panther-
jagden in den benachbarten Bergen. An einem klaren
Herbsttag ist es ihm gelungen, so erzählt er, die
äußerste Spitze des Demavend zu erreichen, der hier
vor uns liegt: „Obgleich es kein trübes Wetter war,
sah ich doch nichts von der Welt unter mir, es war
mir, als beherrsche ich den leeren Raum selbst. Und
als dann die Luft noch durchsichtiger wurde, zeich-
neten sich die Umrisse der Erde allmählich ab, ein er-
greifender Anblick; sie erschien hohl, man glaubte sich
in der Mitte einer ausgehöhlten Halbkugel zu befinden,
deren scharfe Ränder bis zum Himmel hinanstiegen."
Um abends wieder in die französische Legation zu-
rückzukehren, muß ich, wie immer, durch die schreck-
lich kleine Wüste fahren, wo die Karawanentiere ver-
wesen. «
Endlich erreichen wir den Fuß des Berges, und dies-
mal halten wir an, um eins der bezaubernden Paradiese
aufzusuchen, die von Mauern eingeschlossen sind, und
die den stets verborgen gehaltenen Prinzessinnen als
Zufluchtsort dienen sollen; — das älteste von allen liegt
heute verlassen da, es wurde von Agha Mohammed
Khan, dem Gründer der jetzigen Dynastie der Kad-
jaren, angelegt.
Eine Reihe ansteigender Gebüsche, Wasserbassins
und Terrassen führen zu einem schwermütigen Lust-
schlößchen hinan, in dem einst so viele schöne Ge-
fangene geschmachtet haben. Man ist ganz überrascht,
zu sehen, wie sicher und üppig die Vegetation sich hier
entwickelt hat, die von Menschenhand an diesen Platz
getragen wurde, während die Bäume draußen, außer-
halb der Mauer, jämmerlich von Wind und Kälte mit-
377
genommen erscheinen. Hier gibt es riesengroße Lor-
beerbäume, ihre abgerundeten Kronen gleichen einer
Blätterkuppel, hier gibt es Zedern, gewaltige Rüstern.
Rosensträuche, mit Zweigen, so dick wie Schiffstaue,
stehen in voller Maienblüte, sie klammern sich an die
Stämme der Räume an, und überziehen diese gleichsam
mit einem Kleid von Rosen. Die Erde ist mit Moos, mit
den Blütenblättern der echten und wilden Rosen be-
deckt, ist, zur größten Freude der Vögel, von weißen
Maulbeeren übersät. Zahllose Wiedehopfe und Häher,
auf die niemals Jagd gemacht wird, hüpfen in den
Steigen umher, ohne sich vor uns zu fürchten; die
Wiedehopfe sind besonders geheiligt in diesem Gehölz,
denn die Seele irgendeiner sagenhaften Prinzessin soll
lange in dem Körper eines dieser Tiere gewohnt haben,
oder wohnt vielleicht noch heute dort, was man aber
nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermag... Der alte,
kleine, verschlossene Palast, der auf dem höchstenPunkt
des schattigen Parkes, auf der höchsten Terrasse er-
baut, wurde, fällt jetzt unter dem Zahn der Zeit zu-
sammen, im Sande und auf dem Moos glänzen Gla-
sur- und Spiegelstückchen, die Teile einer früheren,
einer zerbrechlichen Dekoration . . . Und was ist aus
den Schöuen geworden, die an diesem mißtrauischen,
geheimnisvollen Ort gewohnt haben, den Schönsten aller
Schönen, die unter Tausenden erlesen wurden? Ihr
vollkommener Körper und ihr wunderbares Antlitz, ihre
einzige Daseinsberechtigung, die sie liebenswert mach-
ten, und um deretwilien man sie eingeschlossen hielt,
wo sind sie geblieben in ihren Gräbern? Zweifellos dort,
unter irgendeinem kleinen, vergessenen Stein ruhen ihre
Gebeine.
278
Dienstag, 39. Mal
Heute sollen mir die Säle des Schlosses zu Teheran
gezeigt werden, dank dem Befehl des jungen Prinzen.
In den Garten, im Umkreise der Wasserbassins,
herrscht dasselbe Schweigen wie gestern und vor-
gestern; und auch die Schwäne ziehen dieselben Kreise
zwischen den Spiegelbildern der rosenroten Mauern
und der großen dunklen Bäume.
Hier gibt es sogar einen Saal mit alten Gobelins, auf
denen Nymphen tanze dargestellt sind. Viel zu viele
europäische Sachen, wohin das Auge blickt, an den
Wänden hängen zahllose Spiegel, eine richtige Spiegel-
ausstellung; die verschiedenartigsten Spiegel in Rah-
men, aus dem letzten Jahrhundert, mit ganz gewöhn-
licher Vergoldung, Spiegel, überall Spiegel, wie bei den
Möbelhändlern dicht nebeneinander aufgehängt. Um
sich dies erklären zu können, muß man wissen, daß
diese Stadt erst seit zwei oder drei Jahren eine fahr-
bare Straße besitzt, die sie mit dem Kaspischen Meer
und mit Europa verbindet; alle Spiegel wurden in Sänf-
ten auf steilen Pfaden unter zwei- bis dreitausend Meier
hohen Bergen herbeigetragen; wie viele also müssen
unterwegs zerbrochen sein, damit ein einziger heil an-
kommen konnte, und dieser war dann natürlich ein sehr
wertvoller Gegenstand 1 Vielleicht sind die Perser durch
diese unzähligen Glassplitter zum erstenmal auf den
Gedanken gekommen, die glänzenden Stalaktite als Aus-
schmückung zu verwenden, mit denen es ihnen gelun-
gen ist, etwas so Überraschendes und einzig Dastehen-
des zu schaffen.
Eigenartig in diesem Palast sind übrigens nur die
279
mit Eiszapfen behangeneu Gewölbe, eine unerschöpf-
liche Phantasie hat es verstanden, hier Abwechslung
hineinzutragen. Und alles, was wir heute sehen, kann
sich nicht im entferntesten mit dem noch in reinem per-
sischen Stil erbauten Thronsaal messen, den wir den
ersten Tag auf Schleichwegen betraten.
Im ersten Stockwerk liegt eine Galerie, sie ist so
groß, wie die Säle des Louvre und enthält viele kost-
bare Gegenstände. Der Fußboden, aus rosenroten
Fayencen, verschwindet unter seidigen Teppichen,
Probestücke verschiedener Zeiten und verschiedener
Stile Persiens. Eine übertriebene Menge von Kristall-
kronleuchtern hängen in langen Reihen dicht nebenein-
ander, ihre zahllosen Glasstückchen vereinen sich mit
den Stalaktiten des Gewölbes und rufen den Eindruck
eines zauberhaften Regens, eines Wasserfalles hervor,
der noch, bevor er herabstürzte, zu Eis erstarrt ist. Und
die Fenster zeigen hinaus auf die traurigen Gärten, auf
die ruhigen Spiegelflächen der Wasserbassins. In den
Glaskästen, auf den Etageren, den Seitentischen, über-
all, liegen tausend verschiedene Gegenstände, aus dem
Anfang der jetzigen Dynastie stammend : goldene Uhren,
mit Edelsteinen besetzt, mit kunstreichen Mechanismen
und kleinen Automaten versehen, Weltkarten aus Gold,
mit Diamanten übersät; Vasen, Schüsseln, Service aus
Sevres, aus Meißen und aus China, lauter Geschenke
der Könige und Kaiser an die Herrscher Persiens. In
Abwesenheit des Schahs werden ungezählte Kostbar-
keiten in verschlossenen Truhen in den Kellern auf-
bewahrt; unter der Erde, in den Gewölben des Schlos-
ses, schlafen zahllose Edelsteine von unschätzbarem
Wert. Aber ganz im Hintergrunde der Galerie steht in
280
der Mitte des letzten, mit Kristall behangenen Bogens
das Wunder aller Wunder, es ist zu schwer, als daß ein
Diebstahl möglich wäre, man hat es ohne Hülle, ohne
Decke, wie irgendein beliebiges Stück Möbel auf den
Fußboden gestellt: der alte Thron der Großen Mogolen,
der einst im Palast von Delhi in dem wunderbaren,
durchbrochenen Marmorsaal seinen Platz hatte. Er be-
steht aus einer Estrade aus schwerem Gold, von zwei
oder drei Meter Länge, seine acht goldenen Füße sind
wie Reptilien gewunden, an seinen vier Seiten bilden
Blumenzweige in erhabener Arbeit eine Kante, ihre
Blätter sind aus Smaragden, ihre Kronblätter aus Ru-
binen oder Perlen hergestellt Auf diesem sagenhaft
schönen Sockel prangt in stolzer Pracht ein seltsamer
Sessel aus Gold, der ganz mit großen Blutstropfen be-
sprengt zu sein scheint. — Dies sind geschliffene Ru-
binen in Cabochonf orm ; über der Lehne strahlt eine
Sonne aus riesengroßen Diamanten, sobald man Platz
nimmt, wird sie durch einen Mechanismus gedreht, und
alsdann glitzert und funkelt sie wie ein herrliches
Feuerwerk.
Heute abend findet das Diner statt, das Seine Exzel-
lenz, der Großvezir, mir zu Ehren zu geben geruht.
Eine ganz nach europäischer Art gedeckte und mit
Blumen geschmückte Tafel; Minister in schwarzem
Frack und weißer Binde, mit Großkordons und Orden;
dies sah man schon überall. Außer den Kalyans, die
zum Nachtisch die Runde bei den Gästen machten,
gleicht dies Mahl ganz demjenigen, das unser Minister
der auswärtigen Angelegenheiten — der bei uns die
Stelle des Großvezirs einnimmt — irgendeinem durch-
reisenden Fremden in seinen Räumen am Quai d'Orsay
381
geben würde. Zwischen dieser Stadt und Ispahan liegen
nur hundert Meilen wüsten Landes, durch das wir in
Etappen gereist sind, aber es trennt sie auch drei Jahr-
hunderte wenigstens, drei Jahrhunderte menschlicher
Entwicklung.
Mittwoch, 3o. Mai.
Auf dem neuen, fahrbaren Weg kann man mit einem
Wagen in vier oder fünf Tagen von Teheran an das
Ufer des Kaspischen Meeres nach Recht kommen, und
von Recht mit einem russischen Dampfer nach der
Petroleumstadt Baku, die an der Schwelle Europas liegt
Aber es ist nicht immer leicht, sich diesen Wagen, und
noch weniger leicht, sich die Pferde zu verschaffen, ge-
rade jetzt, wo die kürzlich erfolgte Abreise Seiner Ma-
jestät des Schahs und seines Gefolges alle Pferdeställe
auf den Poststationen geleert hat
Und während man von morgens bis abends für mich
nach den unauffindbaren Wagen sucht, wird das kleine
Gehölz der französischen Legation von jüdischen Kauf-
leuten überschwemmt, die immer wie durch ein Wun-
der von der Gegenwart eines Fremden benachrichtigt
werden. Sie steigen von Teheran zu uns hinauf, die
©inen auf einem Maulesel, die anderen auf einem Klep-
per, wieder andere zu Fuß, gefolgt von Lastträgern, die
schwere Ballen schleppen; vor den kühlen Veranden,
im Schatten der Pappeln, breiten sie, um mich zu locken,
ihre alten Teppiche, ihre seltenen Stickereien aus.
282
Donnerstag, 3i. Mai.
Es ist gelungen, mir einen schlechten Wagen mit
vier Pferden und einen Packwagen für mein Gepäck,
mit abermals vier Pferden, zu verschaffen. Ich fahre
durch die unfreundlichen Ebenen, unter den traurigen
Wolken dahin, hinter denen die wunderbaren, die
schreckeneinflößenden Berge verborgen liegen.
Freitag, i. Juni
Noch immer keine Bäume. Gegen Abend fahren wir
in Kasbine ein, eine Stadt von zwanzigtausend Einwoh-
nern, inmitten der Kornfelder gelegen, eine Stadt mit
Fayencetoren, eine alte persische Hauptstadt, einst war
sie sehr bevölkert, heute liegt sie in Trümmern da; in
ihren, schon ein wenig europäischen Straßen sieht man
die ersten Schilder mit russischen Buchstaben.
Sonnabend, 2. JunL
Eins meiner Pferde ist über Nacht gestorben, in aller
Eile muß ein neues gekauft werden. Meine beiden Kut-
scher sind betrunken, und sie spannen erst an, nachdem
man sie mit Stockschlägen bedroht hat
Immer weniger einsam erscheinen die Ebenen; die
Wiesen sind mit Blumen übersät, ungezählte, schwarze
Schafe weiden hier; die Kornfelder leuchten goldig,
turkomanische Nomaden ernten dort Der Wind ist nicht
mehr so empfindlich, die Sonne nicht mehr so bren-
nend, wir sind schon ein wenig von unserer gewöhn-
lichen Höhe herabgestiegen. Es ist wunderbar schön, so
283
schön wie bei uns an hellen Junitagen. In der Mittags-
stunde kehren die Luftspiegelungen noch einmal wie-
der, sie verdoppeln die Schafe auf den Wiesen und las-
sen die Hirten zu Riesen anwachsen.
Vor dem kleinen Dorf Kouine, wo wir für eine Nacht
ausruhen werden, sehen wir endlich Bäume wachsen;
große, mehr als hundertjährige Nußbäume werfen ihre
Schatten auf die Wiesen, die mit ihren Esparsetten
rosenrot daliegen. Und trotz des gewaltigen Zaubers der
Wüsten läßt man sich doch von der Anmut dieser
Landschaft rühren.
Sonntag, 3. Juni.
Alle meine Iraner sind betrunken. Meine neuen Die-
ner, die ich in Teheran angeworben habe, sind betrun-
ken. Meine beiden Kutscher sind noch betrunkener als
am gestrigen Abend; sie haben ihre Mützen verkehrt
herum aufgesetzt und fahren uns ebenso verkehrt in
den Bergen umher. Vier Stunden lang wagen wir uns
auf den sich dahinschlängelnden Pfaden vorwärts, wo
uns Kamele und Maultiere den Weg versperren, und wo
sich keine Felswand als Schutz gegen die Abgründe
erhebt. Ich hatte die Angst vor dem Alkohol ganz ver-
gessen, als ich mit meinen guten Tcharvadaren aus
Mittelpersien reiste; aber jetzt sehe ich, daß mein neues
Gefolge sich schon durch einen leisen Anflug europä-
ischer Zivilisation auszeichnet.
Wir steigen immer mehr zu der normalen Durch-
schnittsfläche der Erde herab. Um die Mittagsstunde
wird in einem paradiesischen Winkel, der schon ganz
im Schutz gegen den zu scharfen Wind der Gipfel ge-
a84
legen ist, haltgemacht. Diese Schlucht scheint unseren
entwöhnten Augen einem irdischen Paradies zu glei-
chen. Große Feigenbäume, so gewaltig, so dicht be-
laubt wie die Banianenbäume Indiens, verzweigen sich
und bilden über dem Wege ein Blättergewölbe; das
Gras ist hoch und mit Kornblumen, mit rötlichen
Kuckucksblumen übersät; die Granatbäume, die ihre
wunderbare Blüte fast ganz beendet haben, streuen rote
Korallen auf das Moos; ein sehr klarer Bach plätschert
zwischen den hohen, lilagetönten Blumen. Dieser Ort
muß im ganzen Lande bekannt sein, denn die verschie-
densten Reisenden halten hier ihren Mittagsschlaf; auf
dem weichen Teppich, den die Stengel der Gräser noch
schwellender machen, sitzen Perser und Perserinnen,
sie kochen ihren Tee, essen Früchte und Kuchen; die
verschleierten Damen lüften mit einer Hand ihre weiße
Maske und stopfen darunter Kirschen in den Mund;
Tscherkessen mit Pelzmützen, mit einem langen sil-
bernen Dolch, der gerade wie ein Daggert ist, sitzen
abseits unter einer Eiche, und die Turkomanen hocken
um eine Schüssel und greifen mit den Fingern nach
dem gekochten Fleisch. Es gibt hier kein Dorf, keine
Karawanserei; nichts als ein altes Lehmhäuschen, das
dem Teehändler gehört, und dessen drei oder vier kleine
Knaben eifrig bemüht sind, die Leute draußen im
Freien, im kühlen Schatten zu bedienen. Alles geht so
natürlich, so lustig zu, denn jeder ist von der Schönheit
des Platzes, der entzückenden Lage bezaubert, man sieht
hohe Herren, in Kaschmirgewändern eigenhändig aus
dem klaren Bach ihren kupfernen Becher oder ihren
Samovar füllen, und die Bettler, zerlumpte, halbnackte
Leute, haben die schönen Blätter auf ihre Beinwunden
285
geklebt und warten darauf, daß man ihnen die Über-
reste des Mahls reichen wird. Im Schatten der großen
Feigenbäume, auf hölzernen, mit roten Teppichen be-
deckten Bänken bringt man uns unter, und dort nehmen
wir, nach persischer Sitte hockend, unser Mittagsessen
ein.
Aber plötzlich ertönt ein furchtbarer Lärm hinter
dem überhängenden Berg am Himmel: ein Gewitter,
das wir nicht sehen konnten, das heimlich heran-
geschlichen ist. Und sofort pladdert es auf das Blätter-
dach herab; Regen, Hagel, Wasserströme, Sintflut.
Rette sich, wer kann; in dem kleinen, dunklen Loch
des Teehändlers drängen sich so viele Leute, wie nur
hineingehen, zusammen, alles im bunten Durcheinander
mit den Tscherkessen, den Turkomanen, den zerlump-
ten Bettlern. Nur die Damen sind anstandshalber
draußen geblieben. Es regnet in Strömen; ein schmutzi-
ges, mit Lehm vermischtes Wasser fließt durch die
Risse des Daches auf uns herab; der duftende Rauch
der Kalyan vereint sich mit dem Rauch der auf dem
Boden stehenden Öfen, wo die Kessel der Teetrinker
warm gehalten werden; man kann nicht mehr atmen;
wir wollen uns dem Loch nähern, das als Tür dient. ..
Von hier aus sehen wir die Damen unter den Bäu-
men, unter den Teppichen sitzen, die sie wie Zelte aus-
gespannt haben; ihre durchnäßten Schleier kleben drol-
lig an den Nasen fest; der niedliche Bach ist zum Strom
angewachsen, er bedeckt sie mit Schmutz; sie haben
ihre Babuschen, ihre Strümpfe, ihre Hosen ausgezogen,
und während sie noch immer züchtig das Gesicht ver-
hüllen, zeigen sie ihre hübschen, sehr rundlichen Beine;
— und trotzdem sind sie guter Laune, denn man sieht,
286
wie ein kindliches Lachen ihre durchnäßten Formen
schüttelt. ..
Wir schlafen nachts in einem traurigen Weiler, am
Ende einer Brücke, sie führt über eine wilde Schlucht,
über einen reißenden Gießbach dahin. Und ein Chaos
von Bergen umgibt uns: Alle Stufen, die wir vom Ara-
bischen Meer erklommen haben, um nach Persien hin-
auf zugelangen, müssen wir natürlich auf dieser Seite
hinabsteigen, wollen wir das Kaspische Meer erreichen.
Kaum sind wir in das kleine, unbekannte Häuschen
eingetreten, so kehrt auch der Donner, die Sintflut zu-
rück. Und gegen Ende der Nacht beunruhigt uns ein
beständiger Lärm, ein schrecklicher Höllenlärm, er
wird nicht durch das Gewitter verursacht, sondern
kommt von unten, aus dem Innern der Erde, möchte
man sagen. — Es ist der Fluß unter uns, der plötzlich
dreißig Fuß gestiegen ist, und der jetzt in furchtbarer
Wut die Felsen peitscht
Montag, 4. Juni
Wir brechen morgens, bei einem noch drohend be-
wölkten Himmel auf. Eine Karawane, die von Recht
hinaufsteigt, trägt uns schlechte Nachrichten zu: weiter
unten sind die Brücken gesprengt, ist die Straße auf-
gerissen; vierzehn Tage, so behaupten die Kameltreiber,
könne ein Wagen nicht dort passieren.
Und solche Abenteuer gehören mit zu den alltäg-
lichen Dingen in dieser wilden Gegend, wo man für
große Kosten eine viel zu eingeschachtelt liegende
Straße erbaut hat, ohne den Strömen, die in einer
Stunde anschwellen können, genügenden Platz zu las-
287
sen. Der junge Erbprinz Persie ns erzählte mir in Tehe-
ran, daß er in dieser Gegend von einem Unwetter über-
rascht worden sei und sich in Todesgefahr befunden
habe; Blöcke, von denen der eine seinen Wagen in zwei
Teile spaltete, fielen dicht wie Hagel von den Bergen
herab, die Wasserfälle rissen sie mit sich.
Während der ersten vier Stunden fahren wir, ohne
daß uns ein Unglück begegnet wäre, durch die traurige
Gegend hindurch, die übrigens ebenso kahl ist wie die
der hochgelegenen Ebenen. — Bis jetzt haben wir nur
ausnahmsweise Bäume in den von der Natur bevorzug-
ten Winkein gesehen, wo sich etwas Dünger angehäuft
hatte. — Aber nun versperrt ein ganzes Felsstück den
Weg, über Nacht ist es gespalten und herabgestürzt
Persische Chausseearbeiter sind hier mit Stangen,
Hebeln und Hacken tätig. Sie gebrauchen wenigstens
einen Tag, so behaupten sie. Ich gebe ihnen eine Stunde
und verspreche ihnen eine königliche Belohnung, wenn
sie sich mit Eifer darüber hermachen : Die zu schweren
Blöcke sollen sie auseinandersprengen, sollen sie bis an
den Rand rollen und in die Abgründe hinabstürzen und
Allah und Mohammed dabei um Hilfe anrufen. Kaum
ist die Stunde verflossen, so haben sie auch ihre Arbeit
beendet, und wir können passieren 1
Nachmittags wagen wir uns auf gefährlichen Pfaden
an den Abhängen eines senkrechten Berges vorwärts;
von neuem grollt der Donner, setzt die Sintflut mit er-
schreckender Gewalt ein. Und bald sausen die Steine
um uns herum, zuerst die kleinen, dann die großen,
Blöcke, von denen ein einziger unsere Pferde zermal-
men könnte. Wo Schutz suchen 1 Kein Haus in zwei
Meilen weitem Umkreis, und außerdem, welche Dächer,
288
welche Gewölbe könnten ähnlichen Stößen wider-
stehen? So laßt uns also hierbleiben und unser Schick-
sal erwarten.
Als das Unwetter sich gelegt hat und niemand ge-
tötet wurde, fahren wir in schnellem Tempo nach dem
Meere zu hinab und erreichen allmählich ein feuchtes,
baumreiches Persien; aber in keiner Weise gleicht dies
dem Persien, das wir soeben verlassen haben. Und wir
sehnen uns nach diesem anderen, dem großen, wirk-
lichen Persien, wie es sich dort oben, hoch oben,
schwermutig in seine alten Traume unter dem ewig
gleichen Himmel einspinnt Sogar die Luft, die Luft
hier unten, die wir doch unser ganzes Leben lang ein-
geatmet haben, erscheint so drückend schwer und un-
gesund nach der belebenden Reinheit, in der wir uns
zwei Monate aufhalten durften.
Und doch sind die Wälder, die Buchenwälder mit
ihrem frischen Junilaub schön! überall, wohin das
Auge fällt, bedecken sie diese neuen Gipfel — die mehr
als tausend Meter tiefer liegen als die wüsten Ebenen,
aus denen wir kommen — , bedecken sie die Gipfel mit
einem gleichmäßigen und wunderbar reichen ManteL
Nach dem Gewitter fällt ein leiser, ruhiger Regen auf
dieses grüne Land. Alle Nebel, alle Wolken, die das
Kaspiscbe Meer heraufschickt, hält der riesensroße
Backofen Irans zurück, und hier auf diesem schmalen
Streifen verteilen sie sich und füllen ihn wie den Wald
der Tropen mit schattigem Grün, während oben die
weiten Ebenen strahlend und ausgedörrt wie immer
bleiben. Wir erreichen abends ein Dorf, das zwischen
Rüstern und blühenden Granatbäumen versteckt liegt;
hier ist die Luft drückend, die Leute sehen abgemagert
19 Per*ie<*.
a8g
und blaß aas. Es regnet noch immer, sehr widerwillig
und sehr teuer vermietet man uns einen Raum aus
Lehm, wo der Fußboden aufgeweicht ist, und wo es
fast ebenso regnet wie draußen. Außerdem wird uns
mitgeteilt, daß eine Viertelmeile weiter die Brücke
nachts durch den Strom mit fortgeschwemmt ist, und
daß unsere Wagen nicht passieren können, — für mor-
gen früh müssen wir zu fabelhaft hohem Preise Maul-
tiere mieten. Eine Karawane, die duroh den Fluß
gewatet ist, zieht uns in einem seltsamen Aufzug ent-
gegen, die Kamele sind bis an die Augen mit klebrigem
Schmutz bezogen; sind zu unförmlichen, schuppigen
Ungeheuern angewachsen, während die sie begleitenden
Maultiere scheinbar durch Schlamm haben waten müs-
sen. Und die Bauern tragen ungewöhnlich große Fische
herbei, — fabelhafte Karpfen, phänomenale Forellen,
die der angeschwollene Fluß auf den Ufern zurück-
gelassen hat.
Eine Stunde später herrscht Kampf und Blutver=
gießen unter meiner Dienerschaft, sie haben alle zu
viel russischen Branntwein getrunken. Niemand ist da,
der uns unsere Abendmahlzeit bereiten könnte. Von
den Dorfbewohnern ist nichts zu erreichen. Mein armer
Diener liegt fiebernd darnieder, und ich allein bin hier,
um ihn zu pflegen und zu bedienen.
Und während der Weg durch die Wüsten des Südens,
der allgemein als so gefährlich geschildert wird, ein
Kinderspiel war, so erwartete mich das seltsamste Un-
gemach auf dieser alltäglichen Straße von Teheran, wo
alle Welt passiert, aber wo die Perser, durch die Be-
rührung mit den Europäern unverschämte Kerle, Trun-
kenbolde und Diebe geworden sind.
390
Dienstag, 5. Juni.
Bei aufgehender Sonne beginne ich mein Tagewerk,
indem ich dem Kutscher die Stockschläge zuerteile, auf
die er wirklich Anspruch zu machen hat. Dann kommt
die Reihe an die Maultiervermieter, sie fordern heute
noch einmal soviel, als wir am Abend vorher abge-
macht hatten, ich schmeiße sie hinaus.
Eine Schar Dorfbewohner bietet mir dann an, im
Laufe des Vormittags aus Felsen, Baumstämmen,
Stricken und so weiter eine provisorische Brücke zu
erbauen; meine leeren Wagen wollen sie hinüberrollen,
und dann sollen unsere Pferde, unser Gepäck und wir
selbst durch den Fluß waten. Trotz des hohen Preises
gehe ich auf den Vorschlag ein. Und mit Balken,
Schaufein, Haken, wie zur Belagerung einer Stadt aus-
gerüstet, ziehen sie von dannen.
Um die Mittagsstunde ist alles fertig. Meine beiden
abgeladenen Wagen gelangen scheinbar durch ein Wun-
der über das Gerüst hinüber, und so auch wir; auch die
Gepäckträger und unsere Pferde erreichen schließlich
das andere Ufer, nachdem sie sich ganz, wie die Kara-
wane gestern abend, von oben bis unten mit Schlamm
bespritzt hatten. Man lädt auf, man spannt an; die jetzt
nüchternen Kutscher nehmen ihre Plätze ein.
Und bis zum Abend reisen wir durch das Reich der
Bäume, durch die eintönige, grüne Nacht, in einem
wirklichen Wald, bei feinem, anhaltendem Regen. Die
Tropen kennen kaum ein schöneres Grün, als wie es
hier in dieser feuchten, stets bewässerten Gegend
wächst. Ulmen, Buchen, alle voll entwickelt, alle mit
Efeu umrankt, sie stehen dicht gedrängt, vereinen ihre
19* 391
prächtigen, frischen, blattreichen Zweige zu einem
Dach, legen sich wie ein einziger großer Mantel über
die Berge; man sieht in der Ferne, wie die kleinen,
gleichmäßigen Gipfel mit den abgerundeten Umrissen
sich aneinanderreihen, wie sie alle mit dem dichten
Grün bekleidet sind, gleichsam, als trügen sie einen
grünen Schafpelz.
Plötzlich hat sich die Landschaft verändert, über-
raschend ist es, im äußersten Norden dieses hochgele-
genen, kalten, ausgedörrten Persiens eine niedrige,
feuchte, laue Zone zu finden, wo die Natur so ganz un-
vermittelt an die erschlaffende Atmosphäre eines Treib-
hauses erinnert I
Der sich durch die Wälder dahinschlängelnde, stets
sich abwärts neigende Weg wird wie bei uns instand
gehalten, wie man es in den sehr beschatteten Gegen-
den unserer Pyrenäen findet; aber die Reisenden und
ihre Tiere bleiben asiatisch: Karawanen, Kamele, Maul-
tiere mit perlenbesticktem Sattelzeug, verschleierte
Frauen auf kleinen, weißen Eselinnen.
Und jetzt trifft man gelegentlich am Rande des
grünen Weges mehrere Häuser, die gar nicht in diesen
Ort hineinzupassen scheinen. Häuser, ganz aus runden
Baiken erbaut, wie man sie am Rande des Ural und in
den Steppen Sibiriens trifft. Und auf der Schwelle der
Türen zeigen sich Männer mit flachen Mützen, blond
und rosig, und ihr blaues Auge scheint nach all den
schwarten Augen der Iraner gleichsam von einem nörd-
lichen Nebel verschleiert zu sein; das benachbarte
Rußland, das diese Wege erbaut hat, stellte hier über-
all Beamte an, um die Straßen beaufsichtigen und in-
stand halten zu lassen,
293
Gegen Ende der Etappe befinden wir uns in gleicher
Höhe mit dem Kaspischen Meer (das, wie man weiß,
noch dreißig Fuß über dem Wasserspiegel der anderen
Meere liegt), und in der Dämmerung machen wir vor
einer alten, aus ßuchenstämmen erbauten Karawanserei
halt, inmitten einer sumpfigen, mit Seerosen bewach-
senen Ebene, wo Frösche und Wasserschildkröten
hausen.
Mittwoch, 6. Juni
Ein dreistündiger Weg heute morgen führt stets
durch Grün zwischen Feigen- und Nußbäumen, Mimo-
sen und Farnkräutern hindurch, bis man schließlich
die kleine Stadt Recht erreicht, die nicht einmal mehr
einen persischen Anstrich zeigt. Vorbei mit den Mauern
aus Lehm, den Terrassen aus Lehm, vorbei mit den
regenlosen Gegenden; die Häuser von Recht sind alle
aus Stein und Fayence erbaut, ihre Dächer sind alle
mit römischen Ziegeln bedeckt und springen zum
Schutz gegen die Regengüsse weit hervor. Überall auf
den Straßen sieht man Wasserpfützen, die Luft ist ge-
witterschwül l
Noch eine Stunde bis nach Pire-Bazar, wo die große
Straße, die fast einzige Straße Persiens, endet Dort
fließt ein Kanal zwischen dem überhängenden, blühen-
den Schilf dahin, er ist wie eine chinesische Arroyo
mit Barken überladen. Dies ist der Verkehrsweg
zwischen Iran und Rußland, und es wimmelt auf die-
sem schmalen Wasserstreifen von einem ganzen see-
liebenden Völkchen; ungezählte Boots Vermieter halten
Ausschau nach der Ankunft von Reisenden und Kara-
wanen.
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Wir müssen eine der großen Barken mieten, und
dann geht's vorwärts; unsichtbare Leute, hinter hohen
Gräsern versteckt, wandern zu Land voraus und ziehen
uns an einem Strick nach sich; und so gleiten wir
ruhig unter einem Zelt dahin, streifen das Grün des
Ufers, kreuzen viele andere Barken, die der unsrigen
ähnlich sind, und die, wie wir, gezogen werden; sie
tragen Leute und Gepäck, und in diesem kleinen Schilf-
gäßchen muß man sich vor ihnen in acht nehmen.
Endlich öffnet sich ein See vor uns, sehr groß, sehr
blau, liegt er zwischen den Inseln der Gräser und der
Seerosen inmitten einer ungezählten Schar von Reihern
und Kormoranen da. Das andere Ufer dort unten zeich-
net sich nur als ein schmaler, grüner Streifen ab, dar-
über sieht man den Horizont der stillen Wasser, den
Horizont des Kaspischen Meeres. — Und man könnte
glauben, dies sei eine japanische Landschaft.
Man betritt das neue Ufer, wo wieder hohes Schilf
aufragt, wo die Kormorane und Reiher in dichten
Scharen auffliegen. Zwischen dem See und dem Meer,
zwischen dem fast zu kühlen Grün der Bäume, in dem
Orangenhain, liegt eine kleine Stadt; sie hat einen leisen
türkischen Anstrich, scheint, von weitem gesehen,
lächelnd und hübsch und taucht an beiden Enden ins
Wasser. Am Eingang ragt ein schönes Lusthaus aus
rosenroten und biauen Fayencen auf, der letzte Gruß
Persiens, es nennt sich „die strahlende Sonne" — und
dient Seiner Majestät dem Schah als Absteigequartier,
wenn er sich auf seine Reisen nach Europa begibt
Die kleine Stadt heißt Enzeli; in der Nähe gesehen
ist es ein schrecklicher Haufen moderner Läden, die
dem Reisenden geöffnet sind, ein Zufluchtsort für
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Schurken und Lumpengesindel, weder Perser, noch
Russen, noch Armenier, noch Juden, Leute von unbe-
stimmbarer Nationalität, Leute, die die Grenze auszu-
beuten verstehen. Aber in den Gärten Enzelis blühen
und duften Rosen, Lilien, Nelken, und die Orangen-
bäume wachsen voller Zuversicht am Ufer des Meeres,
das keine Flut noch Ebbe kennt — wachsen inmitten
des feinen Sandes, des ruhigen Gestades.
In diesem Enzeli müssen wir voller Ergebung auf
ein russisches Schiff warten, morgen, die Stunde ist
noch nicht festgesetzt, wird es uns nach Baku tragen.
Von Baku braucht man nur über Tiflis durch Tscher-
kessien zu fahren, um in Batum anzugelangen, wo die
Schiffe des Schwarzen Meeres die Reisenden nach
Odessa oder nach Konstantinopel tragen, nach der
Schwelle der großen europäischen Linien — , mit ande-
ren Worten — hier ist der Endpunkt unserer Reise . , .
Und abends, unter den Orangenbäumen des Ufers, beim
leisen Wellenschlag des eingeschlossenen Meeres, werfe
ich einen Blick zurück auf den Weg, den ich gegangen
bin, und dort sehe ich noch einmal Persien liegen, das
hohe, das wirkliche Persien, das Persien der Gebirgs-
regionen und der Wüsten. Über den Wäldern, über den
schon sich verdunkelnden Wolken liegt es rosenrot da;
noch für einen kleinen Augenblick leuchtet es in der
Sonne auf, mich aber hüllt schon die Dämmerung ein.
Von hier aus gesehen, bietet es uns denselben Anblick
der endlosen Mauer, den es uns das erstemal bei un-
serem Aufstieg von dem Persischen Golf geboten; es
ist weniger farbenprächtig, weil wir uns jetzt in den
nördlichen Gegenden befinden, aber es hebt sich ebenso
scharf in der selten klaren Luft von den anderen
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irdischen Gegenständen ab. Als wir von dem heißen
Golf kamen, lag es vor uns, wir mußten es erklimmen,
und es hielt alle seine ungeahnten Wunder für uns in
Bereitschaft Jetzt steigen wir hinab, nach einem Ritt
von vierhundert Meilen durch die vielen Berge, über
Spalten und Risse dahin. Es wird in der irdischen Ent-
fernung und in der Vergangenheit der Erinnerung
mehr und mehr verschwinden. Aber von all den Wun-
dern, die unsere Augen erblickten, wird uns dieses am
längsten vorschweben: Eine Stadt, in Trümmer zer-
fallen, dort oben in einer Oase von weißen Blumen^
eine Stadt aus Lehm und aus blauer Glasur, unter den
dreihundertjährigen Platanen, die in Staub zerfällt
Paläste aus Mosaik und aus wunderbaren Fayencen, die
rettungslos zerbröckein unter dem einschläfernden Plät-
schern der zahllosen kleinen, klaren Bäche, unter dem
ewigen Gesang der Muezzine und der Vögel; —
zwischen hohen, mit Glasur bekleideten Mauern, in
alten Gärten voll blühender Rosen, mit Toren aus zise-
liertem Silber, aus blassem Purpurrot; — das ist dies
Ispahan des Lichts und des Todes, in die durchsichtige
Luft der Bergesgipfel gehüllt
Druck von A. Seydel & Cie. Aktiengesellschaft, Berlin 8W 61.
aud, Julien
sien
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