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Full text of "reise durch Persien [von P. Loti.]"

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EISE     DURCH      PERSIEN 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/reisedurchpersieOOIoti 


UTSCHE 
EMEINSCHAFT 

M.    B.    H. 


, 


% 


JUL    4  1970 


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ERSTER  TEIL 


VORSPIEL 

Wer  mit  mir  kommen  und  die  Zeit  der  Rosen- 
blüte in  Ispahan  sehen  will,  der  entschließe 
sich,  langsam  in  Etappen  an  meiner  Seite 
zu  wandeln,  so  wie  im  Mittelalter. 

Wer  mit  mir  kommen  und  die  Zeit  der  Rosenblüte 
in  Ispahan  sehen  will,  der  mache  sich  gefaßt  auf  die 
Gefahren  eines  Rittes  über  unwegsame  Pfade  auf  stür- 
zenden Pferden  und  auf  das  Gewirre  der  Karawanse- 
reien, wo  man  übereinander  geschichtet  in  einer  Nische 
aus  gestampftem  Lehm  zwischen  Mücken  und  Ungezie- 
fer schläft. 

Wer  mit  mir  kommen  und  in  ihrer  trübseligen  Oase, 
inmitten  ihrer  Felder  von  weißem  Mohn  und  ihrer  Gär- 
ten von  roten  Rosen  die  alte  Stadt  der  Ruinen  und  der 
Mysterien,  mit  allen  ihren  kleinen  Kuppeln,  ihren 
blauen  Minaretts  von  unwandelbarer  Glasur  aufsteigen 
sehen  will,  wer  mit  mir  kommen  und  Ispahan  unter 
dem  schönen  Maienhimmel  sehen  will,  der  bereite  sich 
vor  auf  lange  Märsche,  in  der  sengenden  Sonne,  bei  den 
rauhen  kalten  Winden  der  höchsten  Regionen,  über 
diese  Hochländer  Asiens,  die  hochgelegensten  und  aus- 
gedehntesten der  Welt,  die  einst  die  Wiege  der  Mensch- 
heit waren,  heute  aber  in  Wüsten  verwandelt  sind. 

Wir  reiten  vorüber  an  Phantomen  von  Palästen  aus 
mausgrauem  Kiesel,    dessen    Gestein  dauerhafter    und 


feiner  ist  als  das  des  Marmors.  Dort  wohnten  einstmals 
die  Herren  der  Erde,  und  an  ihrem  Eingang  wachen 
seit  mehr  als  zweitausend  Jahren  Kolosse  mit  großen 
Flügeln,  von  der  Gestalt  eines  Stieres,  dem  Antlitz  eines 
Menschen  und  der  Tiara  eines  Königs.  Wir  reiten  vor- 
über, aber  hinfort  sehen  wir  nichts  als  das  unendliche 
Schweigen  der  blühenden  Gräser  und  der  grünenden 
Gerste. 

Wer  mit  mir  kommen  und  die  Zeit  der  Rosenblüte  in 
Ispahan  sehen  will,  der  mache  sich  gefaßt  auf  unermeß- 
liche Ebenen,  so  hoch  gelegen  wie  die  Gipfel  der  Alpen, 
bekleidet  mit  niedrigen  Kräutern  und  seltsamen  bleichen 
Blüten,  wo  nur  hin  und  wieder  ein  aus  taubengrauem 
Lehm  erbautes  Dorf  auftaucht,  mit  seiner  kleinen  bau- 
fälligen Moschee,  deren  Dom  von  entzückenderem  Blau 
ist,  als  das  eines  Türkis,  wer  mir  folgen  will,  der  füge 
sich  in  eine  lange  Reihe  von  Tagen,  deren  Einsamkeit 
und  Eintönigkeit  nur  von  Luftspiegelungen  unter- 
brochen wird. 


UNTERWEGS 

Dienstag,   17.  April. 

In  der  Dämmerung  liegt  unser  Nomadengepäck  aus- 
gebreitet auf  der  Erde,  durchnäßt  von  dem  Sprüh- 
regen, trostlos  anzuschauen.  Der  Wind  fegt  unter  den 
sich  hochauftürmenden  drohenden  Wolken  dahin.  Die 
weiten  Sandflächen,  in  die  wir  uns  jetzt  auf  gut  Glück 
hineinstürzen  sollen,  heben  sich  hell  vom  Horizont  ab; 
die  Wüste  ist  weniger  dunkel  als  der  Himmel. 

Eine  große  Segelbark,  die  wir  in  Bender-Bouchir  ge- 
heuert haben,  wirft  uns  hier  an  der  Schwelle  der  Ein- 
samkeiten aus,  auf  das  glühende  Ufer  des  Persischen 
Golfes,  wo  Menschen  aus  unserem  Klima  die  fieber- 
geschwängerte Luft  kaum  atmen  können.  Und  hier  ist 
der  Ausgangspunkt,  wo  sich  gewöhnlich  die  Karawanen 
bilden,  die  nach  Ghiraz  und  Mittel-Persien  aufsteigen 
sollen. 

Wir  waren  vor  ungefähr  drei  Wochen  auf  einem 
Schiff  von  Indien  fortgefahren,  das  uns  jetzt  langsam 
an  der  Küste  entlang  vorwärts  trägt,  indem  es  sich  auf 
den  schweren  und  heißen  Gewässern  dahinschleppt. 
Und  seit  mehreren  Tagen  sehen  wir  am  nördlichen 
Horizont  eine  Art  endloser  Mauer,  die,  bald  blau,  bald 
rosa,  uns  zu  folgen  scheint,  und  die  auch  an  diesem 
Abend  sich  vor  uns  aufgetürmt  hat.  Der  Rand  Per- 
siens,  das  Ziel  unserer  Reise,  das,  zwei-  oder  dreitau- 


send  Meter  über  dein  Meeresspiegel,  in  den  ungeheuren 
Höheflächen  Asiens  ruht 

Der  erste  Empfang  auf  persischem  Boden  war  für 
uns  kein  freundlicher:  Als  wir  von  Bombay  ankamen, 
wo  die  Pest  wütete,  mußten  mein  französischer  Diener 
und  ich  dort  fünf  Tage  in  Quarantäne  liegen,  allein  auf 
einer  sumpfigen  kleinen  Insel;  eine  Barke  brachte  uns 
jeden  Abend  die  nötigen  Lebensmittel,  die  uns  vor  dem 
Hungertode  schützen  sollten.  In  einer  Backofenhitze, 
inmitten  der  Qualen  des  heißen  Sandes,  den  uns  das 
benachbarte  Arabien  sandte,  inmitten  der  rätselhaften 
Winde,  mußten  wir  lange  dort  leiden.  Tagsüber  von  der 
Sonne  zu  Boden  gedrückt,  mit  Bremsen  und  giftigen 
Fliegen  bedeckt,  nachts  die  Beute  ungezählten  Unge- 
ziefers, das  das  Gras  verpestete. 

Als  wir  endlich  in  Bender-Bouchir,  der  Stadt  der 
Trauer  und  des  Todes,  mit  ihren  verfallenen  Mauern, 
mit  ihrem  unheilvollen  Himmel,  einziehen  durften,  tra- 
fen wir  in  aller  Eile  unsere  Vorbereitungen,  kauften 
Lagergegenstände,  mieteten  Pferde,  Maultiere,  Maul- 
tiertreiber, die,  um  wieder  mit  uns  zusammenzutreffen, 
heute  morgen  aufbrechen  mußten;  sie  hatten  eine  Bucht 
zu  umschreiten,  wir  aber  schnitten  zu  Wasser  eine  ganze 
Ecke  ab,  um  auf  diese  Weise  einen  Marsch  in  der  glü- 
henden Sonnenhitze  zu  vermeiden. 

So  haben  wir  uns  also  an  der  Schwelle  der  Wüste 
niedergelassen,  gegenüber  einem  ganz  verfallenen  Dorf, 
wo  die  Leute  in  Lumpen  gehüllt  auf  Mauertrümmern 
hocken  und  rauchen  und  unserem  Treiben  zuschauen. 

Lange  Unterredungen  mit  unseren  halbnackten 
Schiffern,  die  uns  auf  ihren  triefenden  Schultern  ans 
Land  getragen  haben,  denn  die  Barke  mußte  wegen  der 

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Sandbänke  ungefähr  hundert  Meter  vom  Ufer  entfernt 
liegen  bleiben.  Lange  Unterredungen  mit  dem  Ortsvor- 
steher, der  von  dem  Gouverneur  von  Bouchir  den  Be- 
fehl erhalten  hat,  mir  eine  berittene  Begleitmannschaft 
zu  stellen,  und  schließlich  mit  einem  „Tcharvadar" 
(dem  Anführer  meiner  Karawane),  dessen  Pferde  und 
Maultiere  hier  sein  sollten,  die  aber  nicht  ankommen. 

Von  allen  Seiten  der  weite  Raum,  den  der  Wind  be- 
wegt, der  Raum  der  Wüste  oder  des  Meeres.  Und  wir 
befinden  uns  ohne  Schutz,  unser  Gepäck  liegt  zerstreut 
auf  dem  Boden.  Und  der  Tag  erlischt  langsam  über 
unserer  Verwirrung. 

Einige  Tropfen  Regen.  Aber  in  diesem  Lande  achtet 
man  nicht  darauf;  man  weiß,  daß  es  nicht  regnen  wird, 
daß  es  nicht  regnen  kann.  Die  Leute,  die  rauchend  auf 
den  Ruinen  saßen,  haben  soeben  ihr  Moghreb  Gebet  ge- 
sprochen, und  die  Nacht  sinkt  herab,  Unheil  ver- 
kündend. 

Wir  warten  auf  unsere  Tiere,  die  noch  immer  nicht 
kommen.  In  der  Dunkelheit  tönen  von  Zeit  zu  Zeit  die 
Glöckchen  zu  einem  Glockenspiel  zusammen,  und  jedes- 
mal flößen  sie  uns  Hoffnung  ein.  Aber  nein,  es  ist 
irgendeine  fremde  Karawane,  die  vorüberzieht:  zu 
zwanzig  oder  dreißig,  die  Maultiere  streifen  uns;  um 
sie  daran  zu  verhindern,  unser  Gepäck  und  uns  selbst 
zu  zertrampeln,  schreien  unsere  Leute  —  und  alsbald 
verschwinden  sie,  dem  fernen  Nebel  entgegen.  (Wir  sind 
hier  am  Eingang  zu  der  Straße  von  Bouchir  nach  Ispa- 
han,  einer  jener  großen  Straßen  Persiens,  und  dieser 
kleine,  verfallene  Hafen  ist  ein  sehr  besuchter  Durch- 
gang-) 


Endlich  kommen  sie  an,  die  Unsrigen,  auch  sie  mit 
lauttönenden  Glöckchen. 

Eine  Nacht,  die  immer  dichter  wird,  unter  einem 
niedrigen,  unruhigen  Himmel. 

Alles  üegt  auf  der  Erde  durcheinander  geworfen.  Die 
Tiere  machen  Sprünge,  schlagen  hinten  aus  —  und  die 
Zeit  schreitet  fort,  wir  sollten  uns  eigentlich  schon 
längst  auf  dem  Marsche  befinden.  Zuweilen  hat  man 
im  nächtlichen  Alpdruck  ähnliche  unlösbare  Schwierig- 
keiten zu  überwinden  gehabt,  hat  vor  diesen  unentwirr- 
baren Hindernissen,  inmitten  wachsender  Nebel  gestan- 
den. Wirklich,  es  erscheint  unmöglich,  wie  so  viele 
verschiedene  Dinge,  Waffen,  Decken,  Geschirre,  die  in 
aller  Eile  in  Bouchir  gekauft  und  nicht  eingepackt  wur- 
den, und  die  jetzt  hier  im  Sande  verstreut  liegen,  in 
einer  solchen  Nacht  wie  der  heutigen  so  schnell  auf 
glöckchenbehangenen  Maultieren  verladen  werden  kön- 
nen, die  dann  in  einer  langen  Reihe,  eins  hinter  dem 
anderen  in  der  schwarzen  Wüste  untertauchen. 

Indessen,  man  geht  an  die  Arbeit,  indem  man  von 
Zeit  zu  Zeit  innehält,  um  Gebete  zu  sprechen. 

Die  Gegenstände  in  große  Karawanensäcke  von  bunt- 
bemalter Wolle  verstauen,  dieselben  zuschnüren,  um- 
winden, wägen,  das  Gewicht  jedes  Tieres  abmessen  — 
das  alles  geht  unter  dem  Scheine  zweier  kleiner,  jäm- 
merlich anzuschauender  Laternen,  inmitten  des  unruh- 
vollen Dunkels  vor  sich.  Kein  Stern,  keine  Öffnung  dort 
oben,  durch  die  der  geringste  Strahl  fällt.  Die  Wind- 
stöße wirbeln  mit  klagendem  Geheul  den  Sand  auf. 
Und  während  der  ganzen  Zeit  ertönt  hinter  der  Szene 
das  Geläute  der  Schellen  und  Glöckchen;  unbekannte 
Karawanen  ziehen  vorüber.  Jetzt  führt  mir  der  Orts- 


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Vorsteher  drei  Soldaten  zu,  die  mit  meinen  Dienern  and 
meinen  Maultiertreibern  diese  Nacht  meine  Wache  aus- 
machen sollen.  Die  beiden  kleinen  Laternen,  die  man 
auf  die  Erde  gestellt  hat,  und  die  die  Heuschrecken 
anziehen,  zeigen  mir  von  unten  in  unbestimmtem  Licht 
die  beiden  Ankömmlinge:  hohe  schwarze  Hüte  über 
feinen  Gesichtern,  lange  Haare  und  lange  Barte,  weite 
Kleider  mit  einem  Einschnitt  in  der  Taille  und  mit 
Ärmeln,  die  wie  Flügel  herunterhängen  . . . 

Endlich  gelingt  es  dem  Mond,  dem  Freund  der  No- 
maden, das  schwarze  Chaos  zu  entwirren.  In  einem 
jähen  Riß,  am  Rande  des  Horizontes  geht  er  riesenhaft 
und  rot  auf  und  enthüllt  im  selben  Augenblick  die  noch 
nahen  Gewässer,  auf  denen  sein  Widerschein  sich  zu 
einem  blutigen  Tuch  verlängert  (eine  Ecke  des  Persi- 
schen Golfes),  enthüllt  auch  die  Berge  dort  unten,  die  er 
zu  einer  Silhouette  ausschneidet  (die  große  Kette,  die 
wir  morgen  besteigen  müssen).  Sein  wohltuendes  Licht 
ergießt  sich  über  die  Wüste,  macht  den  Unmöglichkeiten 
des  Alpdrucks  ein  Ende,  befreit  uns  von  den  unlösbaren 
Verwirrungen,  zeigt  uns  einander,  Gestalten,  die  sich 
von  dem  weißen  Sand  in  schwarzer  Zeichnung  abheben, 
und  vor  allen  Dingen,  sondert  uns  ab,  uns  die  Gruppen, 
die  für  dieselbe  Karawane  bestimmt  sind,  von  anderen 
gleichgültigen  Gruppen  oder  Wegelagerern,  die  hier 
und  dort  Aufstellung  genommen  haben  und  deren 
Gegenwart  uns  überall  beunruhigte. 

Neuneinhalb  Uhr.  Der  Wind  legt  sich.  Es  teilen  sich 
die  Wolken,  die  Sterne  kommen  zum  Vorschein.  Alles 
ist  eingepackt,  verladen.  Meine  drei  Soldaten  sitzen  im 
Sattel  und  halten  ihre  langen  Gewehre  gerade  vor  sich 
hin.  Man  führt  uns  unsere  Pferde  zu,  auch  wir  sitzen 


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auf.  Unter  fröhlichem  Geläute  setzt  meine  kleine  Kara- 
wane sich  in  Bewegung,  ein  kleiner  unordentlicher 
Haufe,  aber  schließlich  schlägt  sie  durch  die  grenzen- 
lose Ebene  eine  bestimmte  Richtung  ein. 

Eine  Ebene  von  grauem  Schlamm,  der  gleich  nach 
dem  Sande  beginnt,  eine  Ebene  von  Schlamm,  den  die 
Sonne  getrocknet  hat,  und  der  mit  Eindrücken  übersät 
ist:  Wege  von  hellerem  Grau,  die  unzählige  Fußtritte 
im  Laufe  der  Jahre  getreten  haben,  das  sind  die  Pfade, 
die  uns  führen,  und  die  sich  vor  uns  in  dem  unendlichen 
Raum  verlieren. 

Sie  befindet  sich  auf  dem  Marsch,  meine  Karawane. 
Und  sechs  Stunden  Weges  liegen  vor  uns,  dann  werden 
wir  unser  Quartier  um  drei  oder  vier  Uhr  morgens  er- 
reichen. 

Trotz  des  entmutigenden  Aufbruchs,  der  niemals  ein 
Ende  zu  nehmen  schien,  befindet  sie  sich  auf  dem 
Marsch,  ziemlich  schnell,  ziemlich  leicht  und  behend 
zieht  sie  dahin,  durch  den  unbestimmten  Raum,  dessen 
Ausdehnung  durch  keinen  Merkstein  begrenzt  wird. 

Noch  nie  zuvor  war  ich  früher  in  tiefer  Nacht  durch 
die  W;üste  gereist.  In  Marokko,  Syrien,  in  Arabien 
schlug  man  stets  noch  vor  der  Stunde  des  Moghreb  sein 
Lager  auf.  Aber  hier  ist  die  Sonne  so  vernichtend,  daß 
weder  Menschen  noch  Tiere  eine  Reise  am  hellen  Tage 
aushalten  könnten:  diese  Wege  kennen  nur  nächtliches 
Leben. 

Der  Mond  geht  am  Himmel  auf,  schwere  Wolken, 
die  noch  nicht  verschwunden  sind,  hüllen  ihn  von  Zeit 
zu  Zeit  in  geheimnisvolle  Nebel. 

Meine  Begleitung  bilden  lauter  Fremde,  Silhouetten, 
deren  Umrisse  echt  persisch  erscheinen;  die  Gesichter 


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sind  alle  neu  für  mich,  diese  Kleidung,  diese  Rüstun- 
gen sehe  ich  zum  erstenmal. 

Unter  eintönig  harmonischem  Geläute  dringen  wir 
allmählich  in  der  Wüste  vor:  Große  Glocken  mit  ern- 
stem Ton,  die  unter  den  Bäuchen  der  Maultiere  hängen, 
kleine  Glöckchen  und  Schellen,  die  sich  in  einem  Kranz 
um  ihren  Hals  winden.  Und  ich  höre  auch  die  Leute 
meines  Gefolges,  wie  sie  in  den  hohen  Tönen  des  Musel- 
manns ganz  leise  singen,  als  träumten  sie. 

Meine  Karawane  ist  schon  ein  abgeschlossenes  Gan- 
zes geworden.  Ein  abgeschlossenes  Ganzes,  das  sich 
zuweilen  in  einer  langen  Reihe  ausdehnt,  dessen  ein- 
zelne Glieder  unter  dem  Mond,  in  der  grauen  Unend- 
lichkeit weiten  Abstand  voneinander  nehmen,  aber  das 
sich  dann  unwillkürlich  wieder  schließt,  das  sich  von 
neuem  zu  einem  geschlossenen  Körper  formt,  so  eng, 
daß  man  sich  gegenseitig  mit  den  Beinen  streift.  Und 
man  faßt  Zutrauen  zu  diesem  instinktiven  Zusammen- 
hang, so  daß  man  nach  und  nach  die  Tiere  laufen  läßt, 
wie  es  ihnen  beliebt. 

Allmählich  klärt  sich  der  Himmel  auf;  mit  einer  Ge- 
schwindigkeit, die  diesen  Zonen  eigen  ist,  zerteilen  sich 
die  Wolken  dort  oben,  die  so  schwer  erschienen,  ohne 
Regen  zu  spenden. 

Und  in  dieser  Einöde  strahlt  jetzt  der  Vollmond, 
wunderbar  und  einsam.  Die  ganze  heiße  Atmosphäre  ist 
gebadet  in  seinen  Strahlen,  die  ganze  sichtbare  Aus- 
dehnung ist  überflutet  von  einer  weißen  Klarheit. 

Es  kommt  zuweilen  vor,  daß  irgendein  launenhaftes 
Maultier  sich  hinterlistig  entfernt,  daß  es,  man  weiß 
nicht  warum,  eine  verkehrte  Richtung  einschlägt;  aber 

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es  ist  leicht  zu  erkennen,  da  es  sich  mit  seiner  Last,  die 
wie  ein  großer  buckliger  Rücken  aussieht,  schwarz  in- 
mitten dieser  ruhigen,  hellen  Fernen  abhebt,  wo  weder 
ein  Felsen  noch  ein  Grasbüschel  die  gerade  Fläche 
unterbricht;  einer  unserer  Leute  läuft  ihm  nach  und 
führt  es  zurück,  indem  er  mit  geschlossenem  Mund  den 
langen  Schrei  ausstößt,  der  hier  der  Ruf  der  Maultier- 
treiber ist. 

Und  die  leise  Musik  unserer  Reiseglocken  fährt  fort, 
uns  mit  ihrer  süßen  Eintönigkeit  einzuwiegen;  das 
unaufhörliche  Glockenspiel  in  dem  unaufhörlichen 
Schweigen  schläfert  uns  ein.  Einige  der  Leute  schlafen 
jetzt  ganz;  ausgestreckt  liegen  sie  wie  tot  auf  dem  Halse 
ihres  Maultieres,  den  sie  mechanisch  mit  beiden  Armen 
umschlingen.  Ihr  bewußtloser  Körper  ist  durch  ein 
Nichts  aus  dem  Sattel  zu  werfen,  und  ihre  langen  nack- 
ten Beine  baumeln  herunter.  Andere  sitzen  noch  auf- 
recht und  singen  ohne  Unterbrechung  zu  dem  Geläute 
der  hängenden  Glocken,  aber  vielleicht  schlafen  auch  sie. 

Wir  haben  jetzt  die  Zonen  des  rosa  Sandes  erreicht, 
mit  einer  seltsamen  Regelmäßigkeit  ist  er  gezeichnet, 
auf  dem  getrockneten  Schlamm  des  Bodens  zieht  er  sich 
in  zebraartigen  Streifen  dahin,  und  die  weite  Wüste 
gleicht  einem  großgemusterten  Teppich.  Und  vor  uns 
am  Horizont,  aber  noch  weit  entfernt,  liegt  die  Gebirgs- 
kette mit  ihrer  senkrechten  Mauer,  die  die  erstickenden 
Regionen  hier  unten  begrenzt  und  die  den  Rand  der 
weiten  Hochebene  Asiens  bildet,  den  Rand  des  wirk- 
lichen Persiens,  den  Rand  von  Persien,  Chiraz  und  Ispa- 
han:  dort  oben,  zwei-  oder  dreitausend  Meter  über  den 
todbringenden  Ebenen,  ist  das  Ziel  unserer  Reise,  das 
Land,  das  wir  ersehnen,  aber  das  so  schwer  zu  erklim- 

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men  ist,  das  Land,  wo  unsere  Mühen  ein  Ende  haben 
werden, 

Mitternacht.  Etwas,  das  einem  erfrischenden  Wind- 
hauch ähnlich  ist  und  uns  nach  der  Backofenhitze  des 
Tages  erquickend  erscheint,  wirkt  plötzlich  wie  be- 
freiend auf  uns.  Über  die  rosa  und  grau  gemusterte  un- 
endliche Ebene  ziehen  wir  wie  hypnotisiert  dahin. 

Ein  Uhr,  zwei  Uhr  morgens.  Wie  auf  dem  Meere  in 
Nächten,  wenn  man  Wache  geht,  alles  bei  schönem 
Wetter  leicht  erscheint,  und  man  nur  das  Schiff  gleiten 
zu  lassen  braucht,  so  auch  hier.  Man  verliert  das  Be- 
wußtsein von  der  Dauer  der  Zeit,  bald  erscheinen  die 
Minuten  lang  wie  Stunden,  bald  sind  die  Stunden  kurz 
wie  Minuten.  Übrigens  ist  auch  hier  nicht  mehr  zu  sehen 
als  auf  dem  ruhigen  Meer,  nichts  hebt  sich  in  der  Wrüste 
ab,  das  uns  den  zurückgelegten  Weg  angeben  könnte. 

Ich  schlafe  sicher,  denn  das  kann  nur  ein  Traum 
sein ! . . .  Ganz  in  meiner  Nähe  reitet  ein  junges  Mädchen 
auf  einem  Esel,  der  Mond  enthüllt  mir  ihre  wunderbare 
Schönheit.  Sie  trägt  einen  Schleier  und  einen  Madonnen- 
scheitel. Um  Schritt  zu  halten,  bewegt  der  Esel  seine 
kleinen  Beine  in  leisem  Trab  vorwärts  . . . 

Aber  nein,  sie  ist  wirklich  von  Fleisch  und  Blut, 
meine  hübsche  Reisebegleiterin,  und  ich,  ich  wache  1 . . . 
Und  dann  kommt  mir  in  dem  ersten  Augenblick  der 
Verwirrung  der  Gedanke,  daß  mein  Pferd  meinen  Halb- 
schlaf benutzt  hat,  um  mich  davonzutragen  und  sich 
irgendeiner  fremden  Karawane  anzuschließen. 

Indessen  erkenne  ich  zwei  Schritt  von  mir  entfernt 
einen  der  Soldaten  meiner  Begleitmannschaft,  und  die- 
ser Reiter  vor  mir  ist  ja  mein  Tcharvadar,  der  sich  im 
Sattel  umdreht  und  mich  mit  seinem  ruhigsten  Lächeln 

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begrüßt . . .  Rechts  und  links  von  uns  reiten  andere 
Frauen  auf  anderen  kleinen  Eseln;  es  ist  ganz  einfach 
eine  Schar  Perser  und  Perserinnen,  die  von  Bender- 
Bouchir  zurückgekehrt  -sind  und  jetzt  der  Sicherheit 
wegen  um  die  Erlaubnis  gebeten  haben,  mit  uns  diese 
eine  Nacht  reisen  zu  dürfen. 

Drei  Uhr  morgens.  Auf  der  hellen  Ebene  zeichnet 
sich  vor  uns  ein  dunkler  Fleck  ab  und  nimmt  an  Größe 
zu.  Die  Palmen,  das  Grün  der  Oase,  unser  Marsch- 
quartier, und  wir  sind  angelangt 

Vor  einem  Dorfe,  vor  schlafenden  Hütten  steige  ich 
mechanisch  ab,  ich  schlafe  stehend,  von  einer  guten, 
gesunden  Müdigkeit  heimgesucht.  Unter  einer  Art 
Scheune,  die  mit  Stroh  bedeckt  ist  und  in  die  die  Mond- 
strahlen hineindringen,  schlagen  meine  persischen  Die- 
ner in  aller  Eile  kleine  Feldbetten  für  meinen  Diener 
und  für  mich  auf,  nachdem  sie  hinter  uns  ein  durch- 
sichtiges, plumpes  aber  sicheres  Gitter  geschlossen 
haben.  Ich  sehe  dies  alles  nur  unbestimmt  und  sinke 
dann  in  einen  traumlosen  Schlaf. 

Mittwoch,   18.  April. 

Vor  Tagesanbruch  wurde  ich  von  Männer-  und 
Frauenstimmen  geweckt,  die  ganz  in  der  Nähe  und  ganz 
leise  mit  meinem  Dolmetscher  flüsterten.  Sie  baten  sehr 
bescheiden  um  die  Erlaubnis,  das  Tor  öffnen  und  hin- 
ausgehen zu  dürfen. 

Wie  es  scheint,  ist  das  Dorf  von  Mauern  und  Schanz- 
werken umgeben,  fast  befestigt,  gegen  die  Strolche  der 
Nacht  und  gegen  die  Bösewichte.  Und  wir  lagen  nun 

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am  Eingange,  am  einzigen  Eingange,  unter  dem  Schutz- 
dach des  Tores.  Und  diese  Leute,  die  uns  mit  Bedauern 
weckten,  waren  Hirten,  Hirtinnen:  Es  ist  an  der  Zeit, 
die  Herden  auf  die  Weide  zu  treiben,  denn  der  Sonnen- 
aufgang ist  nah. 

Sobald  die  Erlaubnis  gegeben  und  die  Pforte  geöff- 
net wurde,  ergoß  sich  ein  ganzer  Strom  von  Ziegen  und 
schwarzen  Böcklein,  die  sich  in  dem  engen  Gang  an 
uns  scheuerten,  zwischen  uns  hindurch,  an  unseren  Bet- 
ten entlang;  man  hört  ihr  anhaltendes  Meckern,  hört 
das  leichte  Trappeln  der  ungezählten  kleinen  Hufe  auf 
dem  Boden,  sie  riechen  nach  dem  Stall,  nach  dem  Gras, 
nach  den  würzigen  Düften  der  Wüste.  Und  dieser  Zug 
ist  so  lang,  es  sind  ihrer  so  unendlich  viele,  daß  ich  mich 
schließlich  frage,  ob  ich  Halluzinationen  habe,  ob  ich 
träume:  Ich  strecke  die  Arme  aus,  um  mich  davon  zu 
überzeugen,  daß  es  wirklich  ist,  um  den  Rücken,  die 
harte  Wolle  der  vorüberströmenden  Tiere  zu  befühlen. 
Alsbald  folgt  die  Schar  der  Esel  und  der  Füllen,  auch 
sie  scheuern  sich  an  uns  entlang,  aber  schon  habe  ich 
eine  weniger  klare  Vorstellung  von  ihnen,  denn  von 
neuem  versinke  ich  in  die  Bewußtlosigkeit  des  Schlafes. 

Vielleicht  eine  Stunde  später  werde  ich  wieder  ge- 
weckt; aber  diesmal  durch  ein  brennendes  Gefühl  an 
den  Schläfen,  es  ist  die  blendende  Sonne,  die  an  die 
Stelle  des  Mondes  getreten  ist.  Kaum  aufgegangen,  sen- 
det sie  schon  ihre  sengenden  Strahlen  auf  uns  herab. 
Unsere  Hände,  unsere  Gesichter  sind  schwarz  von  Flie- 
gen. Und  eine  Schar  kleiner  Babys,  braun  und  nackend, 
hat  sich  um  unsere  Betten  versammelt;  ihre  jungen, 
lebhaften,  weit  offenen  Augen  starren  uns  in  höchstem 
Erstaunen  an. 

2     Persien.  I  ^ 


Schnell  müssen  wir  aufstehen,  um  irgendwo  im 
Schatten  einen  Schutz  zu  suchen. 

Ich  miete  bis  zum  Abend  ein  Haus,  das  man  für  uns 
in  aller  Eile  leert.  Geborstene  Mauern,  aus  Lehm,  der 
unter  dem  Atem  der  Wüste  zerbröckelt,  Stämme  von 
Palmen  als  Deckenbalken,  Palmenblätter  als  Dach  und 
eine  Gittertür  aus  dem  Gewebe  der  Palmen. 

Kinder  kommen  wiederholt,  um  uns  zu  besuchen, 
sehr  kleine  Kinder,  fünf  oder  sechs  Jahre  alt,  ganz 
nackend  und  wunderbar  schön.  Sie  begrüßen  uns,  hal- 
ten Reden  und  ziehen  sich  wieder  zurück.  Wahrschein- 
lich sind  es  die  Kinder  des  Hauses,  die  sich  ein  wenig 
als  zu  uns  gehörig  betrachten.  Sogar  die  Hühner  be- 
stehen darauf,  einzutreten,  und  schließlich  erlauben  wir 
es  ihnen.  Und  um  die  Stunde  der  Mittagsruhe  kommen 
auch  die  Ziegen  herein,  um  sich  in  den  Schatten  zu 
legen,  und  wir  wehren  ihnen  nicht. 

Öffnungen  in  der  Mauer  dienen  als  Fenster,  durch 
die  der  Windhauch  wie  der  Atem  eines  Feuerschlundes 
streift.  Sie  zeigen  auf  der  einen  Seite  nach  der  blen- 
denden Wüste,  auf  der  anderen  nach  den  Kornfeldern, 
wo  die  Ernte  schon  begonnen  hat,  und  nach  der  persi- 
schen Mauer  dort  unten,  die  sich  während  der  Nacht 
sichtbar  dem  Himmel  genähert  hat.  Nach  dem  langen 
nächtlichen  Marsch  möchte  man  in  der  Mittagsstille  und 
der  allgemeinen  Müdigkeit  gern  schlafen.  Aber  unge- 
zählte giftige  Fliegen  sind  hier,  sobald  man  sich  nicht 
rührt,  bedecken  sie  Gesicht  und  Hände,  man  wird 
schwarz  übersät  von  ihnen;  so  viel  es  auch  kosten  mag, 
man  muß  sich  bewegen,  muß  den  Fächer  in  Schwin- 
gungen versetzen. 

iS 


Um  die  Stunde,  wo  die  Schatten  der  Lehmhäuser 
länger  werden,  gehen  wir  hinaus,  um  uns  vor  die  Tür 
zu  setzen.  Und  bei  allen  Nachbarn  tut  man  dasselbe. 
Das  Leben  beginnt  sich  zu  regen  in  diesem  beschei- 
denen Hirtendorf;  die  Männer  schärfen  ihre  Sensen,  die 
Frauen  sitzen  auf  Strohmatten  und  spinnen  die  Wolle 
ihrer  Schafe;  mit  sehr  gemalten  Augen  sind  sie  fast 
hübsch,  diese  Mädchen  der  Wüste,  scharf  heben  sich 
ihr  Profil  und  die  reinen  Linien  der  Piasse  Irans  ab. 

Auf  einem  schweißtriefenden  Pferd  kommt  ein  hüb- 
scher junger  Mann  herangesprengt;  die  kleinen  Kinder 
unseres  Hauses,  die  ihm  ähnlich  sehen,  eilen  ihm  ent- 
gegen, sie  bringen  ihm  frisches  Wasser,  und  er  küßt  sie  ; 
es  ist  ihr  Bruder,  der  älteste  Sohn  der  Familie. 

Jetzt  schreitet  ein  Greis  mit  weißem  Haar  auf  mich 
zu,  alle  verneigen  sich  vor  ihm,  man  eilt  herbei  und 
breitet  den  schönsten  Teppich  des  Dorfes  aus,  auf  den 
er  sich  setzen  soll;  aus  Ehrfurcht  ziehen  die  Frauen  sich 
unter  tiefen  Verbeugungen  zurück,  und  Männer,  mit 
langen  Gewehren  und  langen  Barten,  die  ihn  begleiten, 
bilden  einen  schreckeneinflößenden  Kreis  um  ihn :  es  ist 
der  Häuptling  der  Oase;  an  ihn  hatte  ich  einen  Brief, 
mit  der  Bitte  um  Begleitmannschaft  für  die  folgende 
Nacht  gesandt,  und  er  sagt  mir  jetzt,  daß  er  mir  vor 
Sonnenuntergang  drei  Reiter  zur  Verfügung  stellen 
wird. 

Sieben  Uhr  abends;  eine  durchsichtige  Dämmerung 
hat  sich  herabgesenkt,  es  ist  die  Stunde,  wo  ich  auf- 
zubrechen gedachte.  Trotz  der  langen  Unterredungen 
mit  meinem  Tcharvadar,  dem  es  gelungen  ist,  mir  noch 
ein  Maultier  und  einen  Maultiertreiber  mehr  aufzudrän- 

liJ 


gen,  würde  alles  bereit  sein,  wenigstens  würde  nicht 
viel  mehr  fehlen;  aber  die  drei  Reiter,  die  mir  ver- 
sprochen waren,  stellten  sich  nicht  ein,  als  man  sie  ruft, 
ich  habe  schon  meine  Boten  nach  ihnen  ausgesandt, 
aber  auch  diese  kommen  nicht  wieder.  Wie  gestern, 
wird  es  auch  heute  dunkle  Nacht,  bevor  wir  aufbrechen 
können. 

Bald  acht  Uhr.  Wir  warten  noch  immer.  Desto 
schlimmer  für  die  drei  Reiter.  Ich  werde  auch  ohne 
Begleitung  reisen;  ich  rufe  nach  meinem  Pferd,  und 
dann  aufgesessen!...  ^ber  plötzlich  wird  das  kleine 
Dorf,  wo  man  nichts  mehr  sehen  kann,  und  das  schon 
von  meinen  Leuten  angefüllt  ist,  von  einem  Strom 
schwarzer  Herden  überflutet,  die  blökend  heimkehren. 
Die  unabsichtlichen  und  lustigen  Püffe  Tausender  von 
Schafen,  Ziegen  und  Geißlein  trennen  uns  voneinander, 
bringen  uns  vollkommen  in  Verwirrung.  Sie  laufen  zwi- 
schen unseren  Beinen  hindurch,  sie  bahnen  sich  unter 
den  Bäuchen  der  Maultiere  einen  Weg,  überall  dringen 
sie  vor,  schmuggeln  sich  ein,  und  immer  wieder  kom- 
men noch  neue  hinzu. 

Und  als  endlich  der  Zug  ein  Ende  nimmt,  nachdem 
der  Platz  sich  geleert  hat,  das  Vieh  zur  Ruhe  gegangen 
ist,  da  begegnen  wir  einem  neuen  Abenteuer:  wo  in 
aller  Welt  ist  mein  Pferd?  WTährend  der  allgemeinen 
Verwirrung,  die  durch  die  Ziegen  hervorgerufen  wurde, 
hat  der  Mann,  der  es  hielt,  es  laufen  lassen;  das  Tor  des 
Dorfes  war  geöffnet,  und  so  ist  es  entflohen;  mit  dem 
Sattel  auf  dem  Rücken,  dem  Zügel  um  den  Hals,  ist  es 
in  die  freie  Wüste  hineingaloppiert . . .  Zehn  Männer 
stürzen  hinterher,  um  es  einzufangen,  sie  lassen  alle 
unsere  anderen  Tiere  los,  die  sofort  eine  heillose  Ver- 


20 


wiiTiing  anstiften  und  auch  im  Begriff  sind,  auf  und 
davon  zu  gehen.  Wir  werden  niemals  aufbrechen. 

Acht  Uhr  und  darüber.  Endlich  führt  man  den 
Flüchtling  zurück.  Er  ist  sehr  aufgeregt  und  ungedul- 
dig. Und  wir  verlassen  das  Dorf,  indem  wir  uns  unter 
den  Balken  bücken,  die  das  Schinidach  des  Tores  bil- 
den, hinter  dem  wir  in  der  letzten  Nacht  geschlafen 
haben. 

Zuerst  sind  wir  an  allen  Seiten  von  großen  Dattel- 
bäumen umgeben,  deren  schwarze  Federbüschel  sich 
von  dem  reichen  Sternhimmel  abheben. 

Aber  bald  treten  sie  nur  spärlich  auf,  die  großen 
Flächen  zeigen  uns  von  neuem  ihre  ruhige  Kreislinie, 
die  durch  kein  Hindernis  unterbrochen  wird.  Als  wir 
gerade  im  Begriff  stehen,  die  Oase  zu  verlassen,  pflan- 
zen sich  drei  bewaffnete  Reiter  vor  mir  auf  und  be- 
grüßen mich;  meine  drei  Beschützer,  denen  ich  schon 
nachgetrauert  hatte.  Es  sind  dieselben  Silhouetten  wie 
gestern,  schöne  Gestalten,  hohe  Hüte  und  lange  Barte. 
Und  nachdem  wir  eine  seichte  Stelle  durchwatet  haben, 
bildet  meine  Karawane  endlich  eine  geschlossene  Linie, 
die  durch  den  unbegrenzten  Raum,  durch  das  Unge- 
wisse der  nächtlichen  Wüste  zieht. 

Die  unebene  Wüste  ist  heute  noch  ungastlicher  als 
gestern.  Der  Boden  ist  schlecht,  er  flößt  kein  Vertrauen 
mehr  ein.  Die  tückischen,  schneidenden  Steine  machen 
unsere  Tiere  straucheln.  Und  ach !  der  Mond  wird  noch 
lange  nicht  aufgehen.  Zwischen  den  fernen  Sternen  sen- 
det Venus  allein,  die  glänzend  und  silbern  dort  oben 
steht,  ein  wenig  von  ihrem  Licht  auf  uns  herab. 

Nach  zweiundeinhalb  Stunden  Weges  erreichen  wir 
eine  andere  Oase,  die  viel  größer,  viel  grüner  ist  als  die 


21 


des  gestrigen  Tages.  Wir  streifen  sie,  ohne  einzudrin- 
gen, aber  eine  wunderbar  kühle  Luft  weht  uns  hier  ent- 
gegen, in  der  Nähe  der  Palmen,  unter  denen  man  Bäche 
fließen  hört. 

Elf  Uhr.  Endlich  verkündet  hinter  dem  Berge  dort 
unten  —  es  ist  noch  immer  derselbe  Berg,  dem  wir  uns 
stündlich  nähern,  und  der  den  Rand  der  Felsenküste 
Irans  darstellt  —  endlich  verkündet  hinter  dem  Berge 
ein  helles  Licht,  daß  der  Mond,  der  Freund  der  Kara- 
wanen, erscheinen  wird.  Er  geht  auf,  rein  und  schön, 
sendet  ein  Meer  von  Strahlen  herab  und  zeigt  uns  die 
Nebel,  die  wir  bis  jetzt  nicht  haben  sehen  können.  Es 
sind  nicht  mehr,  wie  in  den  letzten  Tagen,  Schleier  von 
Staub  und  Sand,  es  sind  wirkliche  köstliche  Wasser- 
dämpfe, die  sich  dicht  über  dem  Boden  der  ganzen 
Oase  lagern,  als  wollten  sie  in  diesem  kleinen  bevorzug- 
ten Himmelsstrich  Menschen  und  Pflanzen  zum  Leben 
erwecken,  während  überall  sonst  im  ganzen  Umkreis 
Trockenheit  herrscht;  sie  haben  sehr  bestimmte  For- 
men, man  könnte  fast  sagen,  gestrandete  Wolken,  die 
greifbar  geworden  sind;  ihre  Umrisse  leuchten  auf  in 
demselben  blassen  Gold  wie  die  luftförmigen  Flocken, 
die  dort  oben  nahe  dem  Monde  hängen;  und  darunter 
tauchen  die  Stämme  der  Datteln  auf,  mit  ihren  Zweigen, 
die  sie  zu  schwarzen  Sträußen  geordnet  haben.  Dies 
ist  keine  irdische  Landschaft  mehr,  denn  der  Boden  ist 
verschwunden,  nein,  vielmehr  glaubt  man  es  mit  einem 
Garten  der  Fata  Morgana  zu  tun  haben,  die  sich  am 
Himmel  zeigt. 

Ohne  dort  einzutreten  streifen  wir  Boradjoune,  das 
große  Oasendorf,  dessen  weiße  Häuser  unter  schillern- 
den Nebeln  und  dunklen  Palmen  liegen.  Zwei  persische 


22 


Reisende,  die  gebeten  hatten,  sich  uns  anschließen  zu 
dürfen,  lassen  mich  wissen,  daß  sie  hier  haltzumachen 
gedenken,  sie  nehmen  Abschied  und  verschwinden.  Und 
wo  sind  meine  drei  Reiter,  die  sich  mir  mit  einer  so 
schönen  Verbeugung  vorstellten?  Wer  hat  sie  gesehen? 
—  Niemand.  Sie  haben  Reißaus  genommen,  bevor  der 
Mond  aufging,  um  nicht  gesehen  zu  werden.  So  ist 
meine  Karawane  bis  auf  die  allernotwendigsten  Glieder 
zusammengeschmolzen:  mein  Tcharvadar,  meine  vier 
Maultiertreiber,  meine  zwei  persischen  Diener,  die  ich 
in  Bouchir  gemietet  hatte,  mein  treuer  Diener  und  ich. 
Zwar  habe  ich  einen  Brief  an  das  Oberhaupt  von  Borad- 
joune  bei  mir,  der  mich  berechtigt,  drei  neue  Reiter  zu 
fordern;  aber  der  wird  schon  schlafen,  es  ist  nach  elf 
Uhr,  und  das  ganze  Dorf  scheint  zur  Ruhe  gegangen 
zu  sein ;  wir  würden  unendlich  viel  Zeit  verlieren,  wenn 
wir  die  Flüchtlinge  durch  neue  ersetzen  wollten,  die 
dann  schließlich  auch  noch  bei  der  ersten  Biegung  der 
Wüste  das  Weite  suchen  könnten.  So  Gott  will,  laßt  uns 
lieber  alleine  ziehen,  der  helle  Mond  beschützt  uns. 

Und  hinter  uns  schwindet  die  Oase,  das  ganze  Blend- 
werk der  goldenen  Wolken  und  der  schwarzen  Palmen 
erlischt;  —  statt  dessen  eine  W'üste,  deren  Schrecken 
mit  jedem  Schritt  vorwärts  größer  werden,  und  in  der 
man  den  Mut  verlieren  muß.  Löcher,  Höhlen,  Spalten; 
ein  wellenförmiges,  hügeliges  Land;  ein  Land  mit  gro- 
ßen zerklüfteten  und  rollenden  Steinen,  wo  die  Pfade 
bergauf,  bergab  führen,  und  wo  unsere  Tiere  bei  jedem 
Schritt  straucheln.  Und  auf  diese  ganze  schimmernd 
weiße  Landschaft  fällt  das  volle  Licht  des  weißen 
Mondes. 

Der  frische  Hauch,  der  von  den  Bäumen  und  den 

23 


Bächen  zu  uns  herüberwehte,  ist  nicht  mehr  zu  spüren; 
von  neuem  begegnen  wir  der  glühenden,  trockenen 
Hitze,  die  auch  um  Mitternacht  nicht  nachläßt 

Unsere  aufgeregten  Maultiere  gehen  nicht  mehr  in 
einer  Reihe,  einige  laufen  davon,  verschwinden  hinter 
den  Felsen;  andere,  die  zurückgeblieben  sind,  geraten 
plötzlich  in  Angst,  weil  sie  sich  verlassen  sehen,  sie  tra- 
ben, was  sie  nur  können,  um  sich  dem  Zug  anzu- 
schließen und  scheuern  dabei  rücksichtslos  mit  ihrer 
Last  gegen  unsere  Beine. 

Die  schreckeneinflößende  Felswand  Persiens,  die  sich 
stets  vor  uns  auftürmte,  hat  sich  jetzt,  wo  wir  ihr  näher 
gekommen  sind,  um  das  Doppelte  vergrößert,  Sie  zeigt 
sich  uns  in  ihren  Einzelheiten,  zeigt  mehrere  aufeinan- 
der liegende  Stockwerke,  und  den  ersten  Absatz  werden 
wir  bald  erreichen. 

Es  ist  gar  nicht  möglich,  in  aller  Ruhe  hier  seinen 
Weg  zu  verfolgen  und  sich  den  Träumen  hinzugeben, 
was  sonst  den  Reiz  der  flachen,  eintönigen  Wüsten  aus- 
macht; in  diesem  schrecklichen  Durcheinander  von 
Steinen,  wo  man  sich  verloren  glaubt,  muß  man  unauf- 
hörlich über  das  Pferd,  über  die  Maultiere,  über  alles 
wachen;  —  wachen,  wachen,  selbst  wenn  der  unbe- 
zwingbare Schlaf  uns  die  Augen  schließt.  Gegen  diese 
Lähmung  anzukämpfen,  die  plötzlich  die  Arme,  die 
Hände  kraftlos  macht,  so  daß  sie  die  Zügel  nicht  mehr 
halten  können,  gegen  diese  Lähmung  anzukämpfen,  die 
die  Gedanken  verwirrt,  dies  Bestreben  wird  schließlich 
zu  einer  wirklichen  Angst.  Man  versucht  alle  Mittel, 
die  Stellang  zu  wechseln,  die  Beine  auszustrecken,  oder 
sie  nach  Art  der  Beduinen  auf  den  Kamelen  vor  dem 
Sattelknopf  zu  kreuzen.  Man  versucht  abzusteigen,  — 

24 


aber  alsbald  wird  man  bei  dem  schnellen  Marsch  durch 
die  vielen  Steine  verwundet,  das  Pferd  nimmt  Reißaus, 
und  man  verliert  den  Anschluß  in  dieser  großen,  weißen 
Einöde,  wo  man  in  dem  Chaos  von  dunklen  Felsen 
kaum  einander  zu  sehen  vermag.  So  schwer  es  einem 
auch  fallen  mag,  man  muß  im  Sattel  bleiben. 

Mitternacht  findet  uns  am  Fuße  der  Gebirgskette 
Persiens,  schrecklich  von  unten  ist  sie  in  dieser  Nähe 
anzuschauen;  eine  gerade,  steile  Wand  von  dunklem 
Braun,  deren  Falten,  Löcher,  Höhlen,  deren  ganzes 
stummes,  riesenhaftes  Gewirr,  der  Mond  rücksichtslos 
bloßstellt  Diese  schweigenden,  leblosen  Felsmassen 
atmen  uns  eine  schwere  Hitze  entgegen,  die  sie  während 
des  Tages  von  der  Sonne  aufgesogen  haben,  oder  viel- 
mehr, die  sie  von  dem  großen  unterirdischen  Feuer  ent- 
leihen, das  auch  die  Vulkane  speist,  denn  sie  riechen 
nach  Schwefel,  nach  dem  Schmelzofen  und  nach  der 
Hölle. 

Ein  Uhr,  zwei  Uhr,  drei  Uhr,  wir  schleppen  uns  am 
Fuße  der  riesenhohen  Gebirgswand  dahin,  die  die  Hälfte 
des  Himmels  über  unseren  Häuptern  verdunkelt;  rötlich 
braun  richtet  sie  sich  vor  diesen  weißen  Steinfeldern 
auf;  der  Geruch  von  Schwefel,  von  faulen  Eiern,  den  sie 
ausströmt,  wird  unerträglich,  sobald  man  an  den  großen 
Spalten,  an  den  großen  klaffenden  Höhlen  vorbei- 
kommt, die  aussehen,  als  wenn  sie  bis  zu  den  Ein- 
geweiden der  Erde  reichten.  Inmitten  eines  unendlichen 
Schweigens,  in  dem  sich  das  Getrampel  unserer  beschei- 
denen Karawane  und  die  mit  geschlossenem  Munde  aus- 
gestoßenen Schreie  unserer  Maultiertreiber  zu  verhallen, 
sich  zu  verlieren  scheinen,  schleppen  wir  uns  noch 
immer  durch  die  Schluchten  und  Spalten  dieser  blassen 


20 


Wüste  dahin.  Hin  und  wieder  sieht  man  einige  schwarze 
Gestalten,  deren  Schatten  der  Mond  auf  die  weißen 
Steine  zeichnet;  man  könnte  sagen,  es  seien  Tiere  oder 
Menschen,  die  sich  dort  aufgestellt  haben,  um  uns  auf- 
zulauern, aber  wenn  man  sich  ihnen  nähert,  ist  es  nur 
Buschwerk,  verkümmertes,  verkrüppeltes  Gesträuch. 
Überall  herrscht  eine  Backofenhitze,  man  erstickt,  man 
ist  durstig.  Zuweilen  hört  man  das  Wasser  in  den  Felsen 
der  höllischen  Mauer  brodeln,  und  in  der  Tat  sprudeln 
iranze  Ströme  daraus  hervor,  die  man  durchwaten  muß: 
aber  das  Wasser  ist  lau,  verpestet,  unter  den  Mond- 
strahlen erscheint  es  von  weißlicher  Farbe,  und  es  ver- 
breitet einen  schwefligen  Gestank,  den  man  nicht  ein- 
atmen kann.  In  diesen  Bergen  müssen  ungeheure,  unge- 
ahnte metallische  Reichtümer  liegen,  die  bis  jetzt  von 
keinem  Menschen  ausgebeutet  wurden. 

Zuweilen  glaubt  man  dort  unten  die  Palmen  der  er- 
sehnten Oase  zu  erspähen  —  die  sich  diesmal  Daliki 
nennen  wird  — ,  und  wo  man  endlich  seinen  Durst 
löschen  und  sich  zur  Ruhe  begeben  kann.  Aber  nein; 
immer  wieder  sind  es  die  traurigen  Sträucher  und  nichts 
weiter.  Man  ist  besiegt,  man  schläft  im  Sattel  ein,  man 
hat  nicht  mehr  den  Mut,  vergebliche  Ausschau  zu  hal- 
ten, man  vertraut  sich  dem  Instinkt  des  Tieres  und  dem 
Zufall  an  . . . 

Diesmal  täuschen  wir  uns  indessen  nicht;  vor  uns 
liegt  wirklich  die  Oase;  diese  dunklen  Wände  können 
nur  die  Palmenreihen,  diese  kleinen  weißen  Vierecke 
nur  die  Häuser  des  Dorfes  sein.  Und  um  uns  von  der 
Wirklichkeit  der  noch  fernen  Dinge  zu  überzeugen,  um 
uns  den  Willkommsgruß  entgegenzurufen,  dringt  jetzt 
das  Gebell  der  Hunde,  der  natürlichen  Wächter,  die 


schon  unsere  Ankunft  gewittert  haben,  dringt  auch  das 
helle  Morgenständchen  der  Hähne  durch  das  große 
Schweigen  des  anbrechenden  Tages  an  unser  Ohr.  Es 
ist  drei  Uhr  morgens. 

Bald  befinden  wir  uns  auf  den  schmalen  Wegen  des 
Dorfes,  zwischen  den  Stämmen  der  herrlichen  Palmen, 
und  endlich  öffnet  sich  vor  uns  die  schwere  Pforte  der 
Karawanserei,  in  die  wir  uns,  wie  in  einen  schirmenden 
Zufluchtsort,  durcheinander  hineinstürzen. 

Donnerstag,  19.  April. 

Ich  weiß  nicht,  ob  ich  wache  oder  schlafe . . . 
Seit  einem  Augenblick  habe  ich  das  unbestimmte  Ge- 
fühl, als  befände  ich  mich  inmitten  einer  Schar  von 
singenden  Vögeln,  die  so  dicht  an  mir  vorüberfliegen, 
daß  ich  den  Wind  ihrer  Flügel  spüre,  wenn  sie  mich 
streifen  . . .  Und  in  der  Tat,  es  sind  geschäftige  Schwal- 
ben, die  ihre  Nester  an  den  Balken  meiner  niedrigen 
Decke  gebaut  haben!  Die  Nester  sind  voll  von  Jungen. 
Wenn  ich  meine  Hand  ausstrecke,  würde  ich  sie  fast 
berühren.  Durch  meine  Fenster  —  die  weder  Scheiben 
noch  Läden  haben,  um  sie  zu  schließen  —  fliegen  und 
kommen  sie  mit  fröhlichem  Gezwitscher ;  und  die  Sonne 
geht  auf!  Jetzt  kehrt  die  Erinnerung  wieder;  ich  be- 
finde mich  in  der  Oase  Daliki,  ich  bewohne  das  Ehren- 
zimmerchen  der  Karawanserei.  Gestern  abend  bin  ich 
auf  einer  an  die  Außenseite  des  Hauses  angebrachten 
Treppe  in  diese  kleine  Wohnung  geführt,  die  nur  aus 
weißgekalkten  Lehmwänden  besteht.  Meine  beiden  Per- 
ser Yomsouf  und  Yakout  beeilten  sich,  unsere  Feldbetten 
aufzuschlagen  und  unsere  Decken  auszubreiten,  wäh- 


2T 


rend  mein  Diener  and  ich  vom  Schlaf  überwältigt  war- 
teten und  gierig  aus  einem  Kruge  frischen  Wassers 
tranken. 

Die  Hitze  ist  hier  schon -weniger  schwer  als  am  Rande 
des  schrecklichen  Golfes,  und  es  ist  so  strahlend  schön ! 
Mein  Zimmer,  das  einzige  des  Dorfes,  das  nicht  im  Erd- 
geschoß liegt  und  das  seine  Umgebung  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  beherrscht,  ist  durch  seine  vier  kleinen 
Fenster  den  vier  Winden  zugänglich.  Ich  liege  inmitten 
der  frischen,  grünen  Dattelbäume,  unter  einem  flachs- 
blauen Himmel,  der  von  sehr  leichten  Wölkchen  von 
weißer  Wolle  übersät  ist.  Auf  der  einen  Seite  türmt 
sich  etwas  Dunkles,  Riesenhaftes,  etwas  Rotbraunes  so 
hoch  auf,  daß  ich  den  Kopf  zum  Fenster  hinausstecken 
und  in  die  Höhe  sehen  muß,  um  sein  Ende  mit  den 
Augen  zu  erreichen:  es  ist  die  große  Kette  Irans,  die 
dort  ganz  in  der  Nähe  uns  fast  zu  überdachen  scheint. 
Auf  der  anderen  Seite  erstreckt  sich  das  Dorf,  ganz  in 
der  Ferne  schimmert  ein  Stückchen  der  Wüste  durch  die 
vielen  schlanken,  gleichmäßigen  Stämme  der  Palmen 
hindurch.  Der  Schrei  der  Hähne,  das  Gezwitscher  der 
Schwalben  ertönt  um  die  WTette.  Die  kleinen  Lehm- 
häuser haben  spitzbogige  Türen  in  rein  arabischem  Stil, 
und  flache,  terrassenförmige  Dächer,  auf  denen  das 
Gras  so  üppig  wie  in  den  Feldern  wächst.  Die  schönen 
Mädchen  der  Wüste  treten  ins  Freie,  um  ihre  Toilette 
unter  offenem  Himmel  zu  machen,  sie  sind  nicht  ver- 
schleiert, setzen  sich  auf  irgendeinen  Stein  vor  ihrer 
Wohnung  und  scheiteln  ihr  schwarzes  Haar.  Man  hört 
die  Gerätschaften  der  Weber  klappern.  Da  dieser  Ort 
sehr  besucht,  und  da  es  die  Ankunftsstunde  der  kauf- 
männischen Karawanen   ist,   die  allnächtlich   langsam 

28 


diese  Wege  dahinziehen,  so  ertönen  jetzt  von  allen 
Seiten  die  Glocken  der  Maultiere,  die  der  Karawanserei 
entgegeneilen,  und  die  mit  geschlossenem  Munde  aus- 
gestoßenen Rufe  der  Maultiertreiber;  den  hohen  schwar- 
zen Hut  der  Perser  weit  auf  dem  feinen  dunklen  Kopf 
zurückgeschoben,  schreiten  die  Führer  leichtfüßig  und 
fröhlich  heran. 

Nachmittags  wiederholte  lange  Wortstreitigkeiten 
mit  meinem  Tcharvadar.  In  Bouchir  hatte  ich  nach  der 
Karte  beschlossen,  den  Marsch  heute  abend  zu  verdop- 
peln, er  hatte  sich  geweigert,  war  in  Aufregung  geraten, 
war  nur  durch  Drohungen  zum  Nachgeben  zu  bewegen 
gewesen,  nachdem  er  zuvor  Miene  gemacht  hatte,  aus- 
zureißen, ohne  den  Kontrakt  zu  unterschreiben.  Heute 
da  ich  mich  von  der  Verfassung  der  Wege  überzeugt 
habe,  ziehe  ich  vor,  nur  6  Stunden  zu  marschieren,  um, 
so  wie  er  es  zuerst  vorgeschlagen  hatte,  in  dem  Dorfe 
Konor-Takte  ausruhen  zu  können  —  und  jetzt  ist  er 
derjenige,  der  nicht  darauf  eingehen  will.  Schließlich, 
als  mir  die  Geduld  reißt,  rufe  ich  aus:  „Übrigens  bleibt 
es  so,  wie  ich  gesagt  habe,  aus  dem  einfachen  Grunde, 
weil  ich  es  will,  und  damit  ist  die  Unterredung  been- 
det!" Sein  fein  gemeißeltes  Gesicht  klärt  sich  plötzlich 
auf,  und  er  spricht  lächelnd:  „Wenn  du  sagst:  ich  will, 
so  kann  ich  nur  antworten:  es  sei." 

Er  stritt  um  zu  streiten,  um  die  Zeit  totzuschlagen, 
einen  anderen  Grund  hatte  er  nicht 

Sechs  Uhr  abends.  Meine  drei  neuen  Begleiter,  die 
mir  das  hiesige  Oberhaupt  gestellt  hatte,  treten  an;  sie 
haben  schöne  geblümte  Kleider  aus  Baumwolle  und  sehr 
alte  Gewehre.  Zum  erstenmal  seit  der  Abreise  bricht 
meine  Karawane  noch  am  Tage,  bei  den  letzten  roten 

29 


Strahlen  der  Sonne,  auf.  Und  wir  verlassen  ruhig  die 
Oase,  wo  unter  hohen  Palmen  an  den  Ufern  der  klaren 
Bäche  zahllose,  fast  ausnahmslos  hübsche  Frauen  mit 
ihren  kleinen  Kindern  sich  der  Süße  des  melancholi- 
schen Abends  hingeben. 

Alsbald  beginnt  die  Einsamkeit  des  Sandes  und  der 
Steine.  Die  lange  persische  Felsenküste,  in  die  wir  uns 
endlich  über  Nacht  hereinstürzen  werden,  erstreckt  sich, 
so  weit  das  Auge  reicht,  bis  ans  Ende  des  unermeßlichen 
Horizontes;  man  kann  sagen,  sie  sei  von  mutwilliger 
Hand  mit  grellen,  schreienden  Farben  angestrichen, 
Gelb-orange  oder  Gelb-grün  wechseln  in  seltsamen 
Streifen  mit  einem  Rotbraun  ab,  das  die  untergehende 
Sonne  bis  zum  Unmöglichen  und  Schreckhaften  stei- 
gert, ganz  in  der  Ferne  gehen  die  Töne  ineinander  über, 
um  als  ein  wunderbares  Violett,  der  Farbe  des  Bischof- 
gewandes, wieder  zu  erstehen. 

Wie  in  der  letzten  Nacht  riecht  dieser  ungeheure 
Wall  Irans  auch  heute  nach  Schwefel,  nach  unterirdi- 
schem Feuer.  Man  hat  den  Eindruck,  daß  er  mit  gifti- 
gen Salzen,  mit  Stoffen  gesättigt  ist,  die  dem  Leben 
feindlich  sind;  er  nimmt  die  Farben  vergifteter  Dinge 
an,  er  zeigt  sich  in  Formen,  die  Furcht  einflößen. 
Außerdem  hebt  er  sich  von  einem  drohenden  Hinter- 
grunde ab,  denn  die  eine  Hälfte  des  Himmels  ist 
schwarz,  schwarz  wie  die  Sintflut  oder  der  Weltunter- 
gang: wieder  eins  jener  falschen  Gewitter,  die  in  die- 
sem Lande  heraufsteigen,  als  wenn  sie  alles  vernichten 
wollten,  aber  die,  man  weiß  nicht  wie,  verschwinden, 
ohne  jemals  einen  Tropfen  Wasser  zu  schenken  .... 
Ein  Mensch,  der  niemals  unser  Klima  verlassen  hat,  und 
den  man  ohne  irgendwelche  Vorbereitung  hierher  füh- 

3o 


ren,  ihn  vor  eine  Erscheinung  von  solcher  Kraft  und 
Größe  stellen  würde,  dieser  Mensch  könnte  sich  nicht 
freimachen  von  der  Angst  vor  dem  Unbekannten,  von 
dem  Gefühl,  nicht  mehr  auf  Erden  zu  sein,  oder  von 
dem  Schrecken  des  Weltunterganges  . . . 

Der  wellenförmigen  Wüste,  durch  die  wir  seit  zwei 
Tagen  geritten  sind,  folgt  ein  Abhang,  der  bis  zum  Fuße 
dieser  Berge  hinaufführt,  die  jetzt  über  unseren  Häup- 
tern zu  hängen  scheinen;  von  dem  Punkte  aus  gesehen, 
wo  wir  stehen,  liegt  die  weiße  Ebene  der  Wüste  schon 
unter  uns;  bis  ins  Unendliche  dehnt  sie  sich  vor  unseren 
Augen  aus,  hebt  sich  blaß  von  dem  (höhenden  Himmel 
ab,  und  zwei  oder  drei  fernliegende  Oasen  sind  als  gar 
zu  grüne  Flecken,  mit  einem  grellen  Grün,  wie  man  es 
auf  chinesischen  Aquarellen  sieht,  hineingezeichnet. 

So  trostlos  wie  die  Wüste,  von  der  wir  jetzt  Ab- 
schied nehmen,  auch  aussehen  mag,  so  gastfreundlich 
und  leicht  zugänglich  erscheint  sie  im  Vergleich  zu  die- 
ser Gebirgswand,  die  sich  dort  geheimnisvoll  und  dro- 
hend unter  den  schwarzen  Wolken  erhebt,  als  wolle 
sie  niemandem  Zutritt  gewähren. 

Zu  der  Stunde,  wo  die  blutrote  Scheibe  der  Sonne 
hinter  dem  Horizont  der  Ebenen  untertaucht,  öffnet 
sich  jäh  ein  großer  dunkler  Einschnitt  in  der  persischen 
Mauer,  zwischen  den  zwei-  bis  dreihundert  Meter 
hohen  senkrechten  Felswänden. 

Wir  reiten  dort  hinein.  Eine  plötzliche  Dämmerung 
senkt  sich  auf  uns  herab,  fällt  von  den  überhängenden 
Felsen,  als  sei  sie  ein  Schleier,  in  den  wir  ganz  uner- 
wartet eingehüllt  werden.  Das  Schweigen,  die  Schall- 
empfindlichkeit steigern  sich  in  demselben  Maße  wie 
der  Schwefelgeruch.  Und  die  Sterne,  die  man  noch  vor 

3t 


kurzem  nicht  entdecken  konnte,  erscheinen  alsbald,  als 
hätte  man  sie  alle  gleichzeitig  angezündet,  und  als  wür- 
den sie  aus  der  Tiefe  eines  Brunnens  geschaut;  sie 
stehen  am  hellen  Zenit,  den  die  Gewitterwolken  noch 
nicht  erreicht  haben. 

Eine  ganze  Stunde  lang,  bis  es  dunkle  Nacht  gewor- 
den, dringen  wir  unter  großen  Anstrengungen  in  dem 
Lande  der  geologischen  Schrecken  durch  das  Chaos  der 
wilden,  zerklüfteten  Steinmassen  vor;  immer  folgen  wir 
demselben  Spalt,  derselben  Kluft,  die  tiefer  und  tiefer 
in  die  Weichen  des  Berges  einschneidet,  gleich  einem 
endlosen  sich  schlängelnden  Geheimgang.  Dort  sind 
Locher,  Steinhaufen,  steil  ansteigende  Wege,  und  dann 
wieder  jähe  Abhänge,  mit  scharfen  Biegungen  über  tie- 
fen Schlünden.  Mitten  in  dies  Gewirr  hat  der  jahr- 
hundertelange Durchzug  der  Karawanen  unbestimmte 
Pfade  gezeichnet,  deren  Spur  unsere  Tiere  trotz  der 
Dunkelheit  nicht  verlieren.  Von  Zeit  zu  Zeit  ruft  man 
sich,  zählt  man  nach,  zählt  die  Begleiter  von  Daliki 
und  sich  selber;  man  reiht  sich  enger  aneinander,  man 
macht  halt,  um  Atem  zu  schöpfen.  Durch  die  Nebel, 
die  uns  umgeben,  hören  wir  die  unterirdischen  Wasser 
brodeln,  hören  die  Donner  rollen,  die  Wasserbäche  fal- 
len. In  diesen  Schlünden,  wo  man  von  allen  Seiten  von 
heißen  Steinmassen  eingeschlossen  ist,  herrscht  eine 
Backofenhitze,  und  manchmal  glaubt  man  zu  ersticken, 
wenn  man  den  Geruch  der  Schwefelgruben  einatmet 
Aber  noch  gefährlicher  zu  passieren  sind  die  Wege, 
dort,  wo  Granitplatten,  gleich  reihenweise  aufgestellten 
Tischen,  zur  Hälfte  aus  dem  Boden  hervorspringen  und 
schmale,  tiefe  Zwischenräume  bilden,  in  die  das  Bein 
eines  Maultieres,  wenn  es  unglücklicherweise  dort  hin- 

32 


Brunnen  in  der  Oase 


eingeraten  sollte,  wie  in  einer  Falle  gefangen  säße.  Und 
über  diese  Steine  hinweg  muß  man  in  der  Dunkelheit 
seinen  Weg  suchen. 

Eine  Stunde  relativer  Ruhe  gewährt  uns  der  Ritt  über 
einen  weißlichen  Boden  am  Ufer  eines  schlafenden 
Baches  entlang  .  .  .  Ein  unheilvoller  Fluß,  der  weder 
Baum  noch  Schilf  noch  Blumen  kennt,  sondern  der  sich 
geheimnisvoll  und  wie  verwünscht  dahinschleppt,  so 
eingeschlossen,  daß  die  Sonne  niemals  dort  hinunter 
dringen  wird.  Jetzt  spiegelt  er  ein  kleines  Stückchen 
Himmel  mit  einigen  Sternen  zwischen  den  umgekehrten 
Bildern  der  großen  schwarzen  Gipfel  wider. 

Und  nun  schließt  sich  der  Weg  vor  uns,  das  Tal  wird 
vollständig  abgesperrt  durch  eine  senkrechte,  drei-  bis 
vierhundert  Meter  hohe  Mauer. 

Wir  haben  uns  also  verirrt,  das  ist  klar,  uns  bleibt 
nichts  weiter  übrig,  als  denselben  Weg  zurückzugehen, 
auf  dem  wir  gekommen  sind  . .  . 

Mein  Tcharvadar  muß  wahnsinnig  sein,  er  schickt 
sich  an,  dort  hinaufzuklettern,  treibt  sein  Pferd  eine  Art 
Treppe  hinauf,  die  wohl  für  die  Ziegen  berechnet  sein 
mag,  und  behauptet,  dies  sei  der  Weg!  .  .  . 

Anmutig  verneigen  meine  drei  Begleiter  sich  vor  mir 
und  nehmen  Abschied.  Sie  dürfen  uns  nicht  weiter  fol- 
gen. Denn,  sagen  sie,  das  hieße  die  Grenze  ihres  Gebie- 
tes überschreiten.  Ich  glaube,  daß  sie  mich  genau  wie 
ihre  Brüder  gestern  im  Stich  lassen.  Aber  weder 
Drohungen  noch  Versprechungen  vermögen  hier  etwas 
auszurichten,  sie  machen  kehrt,  und  wir  sind  uns  selbst 
überlassen. 

Und  in  der  Tat  ist  diese  undenkbare  Treppe  der  rich- 
tige Weg;  ich  muß  es  ja  schließlich  glauben,  weil  alle  es 


3     Perslen. 


:::: 


bestätigen.  Offenbar  ist  dies  der  einzige  Pfad,  der  dort 
hinaufführt  nach  jenem  geheimnisvollen  und  unzu- 
gänglichen Chiraz,  wo  wir  vielleicht  nach  den  anstren- 
genden Ritten  dreier  weiterer  Nächte  uns  endlich  in  der 
gesunden  und  erfrischenden  Höhenluft  ausruhen  dür- 
fen. Dies  ist  die  weite  Straße  vom  Persischen  Golf  nach 
Ispahan  1 

Wenn  man  einem  vernünftigen  Mann,  der  unsere 
europäischen  Begriffe  betreffs  Wege  und  Reisen  mit- 
bringt, diesen  kleinen  Trupp  Pferde  und  Maultiere  zei- 
gen würde,  ihm  zeigen  würde,  wie  die  Tiere  sich  an- 
klammern, wie  sie  an  der  senkrechten  Mauer  eines  sol- 
chen Berges  hinaufklettern,  so  müßte  er  glauben,  ir- 
gendeinem phantastischen  Hexenritt  nach  dem  Brocken 
beizuwohnen. 

Dies  mühsame  Klettern,  bei  dem  man  sich  die  Kno- 
chen zerschlagen  kann,  dauert  mehr  als  zwei  lange 
Stunden.  Schon  allein  das  Sitzenbleiben  im  Sattel  er- 
fordert unaufhörlich  große  gymnastische  Anstrengun- 
gen; unsere  Tiere  —  die  übrigens  einen  seltenen  In- 
stinkt und  wunderbare  Vorsicht  an  den  Tag  legen  — 
tasten  in  der  Dunkelheit  mit  ihren  Vorderfüßen  umher, 
tasten  über  ihren  Kopf  hinweg,  suchen  einen  Vor- 
sprung, an  den  sie  sich  anklammern  können,  als  hätten 
sie  Krallen  und  ziehen  sich  dann  mit  einer  geschmeidi- 
gen Anstrengung  der  Schenkel  hinauf.  Und  so  sieht 
uns  jede  Minute  ein  kleines  Stückchen  höher  über  dem 
Abgrund  schweben,  der  in  der  Tiefe  gähnt  Die  soge- 
nannten Fußpfade,  denen  wir  folgen,  steigen  in  sehr 
kurzen  Zickzacklinien  mit  scharfen  Biegungen  hinan, 
derart,  daß  sich  der  eine  immer  unmittelbar  über  dem 
Kopfe  des  anderen  befindet,  alle  schmiegen  wir  uns 

n 


dicht  gegen  die  steile  Felswand,  und  wenn  einer  der 
Vordermänner  straucheln  und  in  den  Schlund  hinab- 
stürzen sollte,  so  würde  er  die  anderen  mit  sich  reißen, 
und  viele  würden  gleichzeitig  verunglücken.  Mit  all  den 
Steinen,  die  sich  unter  unseren  Füßen  loslösen,  und  die 
in  dem  Maße,  wie  wir  uns  von  dem  gähnenden  Schlund 
dort  unten  entfernen,  immer  länger  werdende  Kaska- 
den und  Lawinen  bilden,  mit  all  diesen  eisenbeschlage- 
nen Hufen,  die  über  die  Steine  dahinschrammen,  die 
ausgleiten  und  wieder  Boden  fassen,  tragen  wir  einen 
großen  Lärm  hinein  in  das  feierliche  Schweigen.  Wenn 
in  dieser  Gegend  Räuber  auf  der  Lauer  liegen,  so  müs- 
sen sie  uns  schon  von  weitem  hören  können.  Meinen 
Diener,  dessen  Leben  mir  anvertraut  ist,  lasse  ich  vor 
mir  reiten,  um  wenigstens  sicher  zu  sein,  daß  er,  so 
lange  ich  seine  Silhouette  sehen  kann,  nicht  mit  seinem 
Pferd  hinter  meinem  Rücken  in  die  tief  erliegen  den 
Täler  gestürzt  ist.  Zuweilen  strauchelt  ein  Maultier  mit 
seiner  Last  und  fällt  zu  Boden,  alsbald  stoßen  unsere 
Leute  lange  Warnungsrufe  aus,  und  dann  rette  sich  wer 
kann:  wenn  es  den  Abhang  herunterollt  und  im  Fallen 
alle,  die  hinter  ihm  sind,  mit  fortreißt,  dann  würde 
sich  eine  Lawine  bilden,  die  aus  uns,  unseren  Maul- 
tieren und  allen  unseren  Tieren  zusammengesetzt  wäre. 
Die  Pfade,  von  denen  wir  uns  nicht  entfernen  dürfen, 
sind  im  Laufe  der  Jahrhunderte  von  nächtlichen  Kara- 
wanen getreten,  sie  sind  so  schmal,  daß  man  sich  auf 
ihnen  wie  eingeschachtelt  in  einer  Schlitterbahn  befin- 
det, zwischen  Felsen,  die  den  Reiter  an  beiden  Seiten 
einzwängen,  an  denen  man  sich  die  Knie  wund  stößt 
Wiederum  hat  diese  schreckliche  Treppe  zuweilen  nicht 
den  geringsten  Schutzrand,  und  dann  sieht  man  lieber 

3*  35 


gar  nicht  hinab,  denn  stockdunkle  Schlünde  gähnen  fast 
unmittelbar  uns  zu  Füßen,  Schlünde,  deren  Grund  jetzt 
so  weit  entfernt  ist,  daß  man  fast  sagen  könnte,  es  sei 
die  unendliche  Leere  selbst  In  dem  Maße  wie  wir  vor- 
wärts schreiten,  wechselt,  verändert  sich  das  Bild  unter 
dem  unbestimmten  Licht  der  Sterne;  dort  öffnen  sich 
riesenhafte  Talkessel,  mit  eingestürzten  Seiten,  dort 
ziehen  wir  an  großen  überhängenden  Steinen  vorbei, 
deren  Formen  nur  undeutlich  in  der  Nacht  zu  erkennen 
sind,  sie  neigen  sich  vor  und  scheinen  uns  zu  drohen. 
Von  Zeit  zu  Zeit  erfüllt  ein  Leichengeruch  die  glühende, 
schwere  Luft,  während  eine  unbewegliche  Masse  uns 
den  Weg  versperrt:  ein  Pferd  oder  Maultier  irgendeiner 
früheren  Karawane  hat  sich  das  Rückgrat  gebrochen, 
und  man  hat  es  hier  verwesen  lassen;  wir  müssen  dar- 
über hinwegreiten  oder  einen  gefährlichen  Umweg 
wagen. 

Zum  Schluß  unserer  zweistündigen  Qual  erhellt  eine 
große  Klarheit  den  östlichen  HimmeL  Gottlob,  es  ist  der 
Mond,  der  uns  aus  dieser  Finsternis  erretten  will. 

Und  wie  soll  ich  die  Erlösung  beschreiben,  die  wir 
empfanden,  als  wir  uns  plötzlich  von  dem  großen 
Schweigen  umgeben,  auf  einem  freien  leichten  Boden 
wiedersahen!  In  demselben  Augenblick,  wo  man  dem 
Schwindel  der  Abgründe,  dem  Absturz  in  das  schwarze 
Nichts,  wo  man  dem  Ersticken  in  den  Steintalern  ent- 
flieht, in  demselben  Augenblick  atmet  man  auch  eine 
reinere,  wunderbar  frische  Luft  ein.  Man  befindet  sich 
auf  einer  Ebene  —  einer  Ebene,  die  tausend  bis  zwölf- 
hundert Meter  über  dem  Meeresspiegel  liegt  —  und  an 
Stelle  der  Wüste,  die  wir  eben  verlassen,  erstreckt  sich 
hier  das  blühende  Land,  erstrecken  sich  die  Kornfelder, 

36 


die  ungemähten  Wiesen  mit  ihrem  wunderbaren  Duft 
Der  Mond,  der  aufgegangen  ist,  zeigt  uns  überall  Mohn 
und  Gänseblümchen.  Auf  breiten  Wegen  reitet  man 
friedlich  über  die  weiche  Erde  und  über  das  Gras  dahin, 
begleitet  von  einer  Wolke  von  Leuchtkäferchen,  gleich- 
sam eingehüllt  in  einen  harmlosen  Funkenregen.  Wir 
befinden  uns  hier  auf  der  ersten  Stufe,  auf  der  ersten 
Terrasse  Persiens,  und  wenn  wir  eine  zweite  Bergwand 
überschritten  haben  werden,  die  sich  dort  hinten  vom 
Himmel  abhebt,  dann  haben  wir  endlich  die  Hochebene 
Asiens  erreicht.  Es  ist  übrigens  eine  Erleichterung  zu 
sagen,  daß  man  diese  schreckliche  Treppe  nicht  wieder 
hinabzusteigen  braucht,  wir  werden  nämlich  auf  den  be- 
suchteren nördlichen  Straßen  über  Teheran  und  das 
Kaspische  Meer  zurückkehren. 

Vor  uns  hören  wir  Glockengeläute,  die  Schellen  der 
Maultiere:  eine  andere  Karawane,  die  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  reist,  und  die  uns  jetzt  kreuzt.  Man 
hält  an,  um  WTorte  zu  wechseln,  um  unter  dem  schönen 
Mond  einander  in  Augenschein  zu  nehmen,  und  der  neue 
Tcharvadar,  der  herannaht,  ruft  mit  einem  Freuden- 
schrei den  meinen  mit  Namen:  „Abbas!"  Die  beiden 
Männer  fallen  sich  in  die  Arme  und  halten  sich  lange 
umschlungen:  es  sind  Zwillingsbrüder,  die  auf  den 
Fahrstraßen  als  Karawanenführer  leben,  und  die  sich 
scheinbar  lange  nicht  begegnet  waren. 

Der  jetzt  eintönige  Weg  und  die  vollkommene 
Sicherheit  treiben  uns  nach  so  viel  gesunder  Ermüdung 
unwiderstehlich  dem  Schlaf  in  die  Arme,  und  in  der 
Tat,  wir  schlafen  auf  unseren  Pferden  . .  .  Zwei  Uhr 
morgens.  Mein  Tcharvadar  kündet  Konor-Takte,  unser 
heutiges  Nachtquartier,  an. 

3? 


Ein  befestigtes  Dorf,  in  einem  Wald  von  Palmen  ge- 
legen, die  Pforten  der  Karawanserei,  die  sich  vor  uns 
auf  tun,  und  sich  hinter  unserem  Rücken  schließen :  das 
alles  sehe  ich  undeutlich,  wie  im  Traum  .  .  .  Und  dann 
ist  alles  erloschen,  wir  versinken  in  die  Ruhe  der  Be- 
wußtlosigkeit .  .  . 

» 

Freitag,  20.  April. 

Ich  erwache  in  dem  weißgekalkten  Zimmer  der  Ka- 
rawanserei von  Konor-Takte\  Ein  Kamin  verkündet,  daß 
wir  die  Regionen  der  ewigen  Hitze  verlassen  und  Gegen- 
den erreicht  haben,  die  sich  eines  Winters  rühmen 
können. 

An  der  Decke  scheinen  zahllose  kleine  rosa  Eidech- 
sen zu  schlafen,  andere  spazieren  harmlos  und  zutrau- 
lich auf  unseren  Decken  herum.  Draußen  hört  man  die 
Schwalben,  die  vor  Freude  jauchzen,  wie  sie  es  bei  uns 
zur  Zeit  des  Nistens  tun.  Durch  die  Fenster  sieht  man 
die  Sträucher  unserer  Gärten,  rosa  Oleander  und 
blühende  Granatbäume,  und  auch  reifes  Korn,  Felder, 
die  den  unseren  gleichen.  Keine  erstickende  Schwüle 
mehr,  keine  Fieberdünste  oder  Schwärme  giftiger  Flie- 
gen; man  fühlt  sich  fast  schon  befreit  von  dem  ver- 
wünschten Golf,  man  atmet  wie  in  unseren  Ländern  an 
einem  schönen  Frühlingsmorgen. 

Um  fünf  Uhr  abends  brechen  wir  auf,  nachdem  wir 
einen  Teil  des  Tages  geschlafen  haben.  Wir  gebrauchen 
ungefähr  eine  Stunde,  um  das  ländliche  Gefilde  zu 
durchschreiten,  wo  die  Ernte  reif  steht,  wro  Männer  und 
Frauen  die  Sichel  in  der  Hand,  im  goldenen  Korn  zwi- 
schen Mohn  und  Rittersporn  die  Ähren  zu  Garben  bin- 

38 


den;  alle  Blumen  Frankreichs  findet  man  hier  plötzlich, 
tausend  Meter  über  dem  Meeresspiegel  wieder.  Wie 
eine  Leinwand,  die  im  Hintergrunde  dies  Paradies  be- 
grenzt, erhebt  sich  senkrecht  eine  zweite  Stufe  der  per- 
sischen Mauer,  eine  Art  hoher,  dunkler  Umzäumung, 
ein  Wall,  auf  den  wir  zusteuern,  den  wir  diese  Nacht 
überwinden  wollen. 

Die  Sonne  steht  schon  tief  am  Himmel,  als  wir  in  das 
Gewirr  dieser  neuen  Mauer,  durch  blutrote  und  schwe- 
felgelbe Felsen  in  einen  engen  Spalt,  der  gradeswegs 
in  die  Hölle  zu  führen  scheint,  eindringen.  Und  im 
selben  Augenblick  umgibt  uns  eine  feindliche,  eine  wan- 
delte   schreckensreiche    Welt,    eine  Welt,    wo  keine 
Pflanze  mehr  sprießt,  sondern  wo  sich  überall  große, 
zerklüftete  Steine,  von  lebhaftem  Gelb  oder  tiefem  Rot- 
braun gefärbt,  erheben.  Brausend  durchschneidet  ein 
Bach  diese  Landschaft  der  Schrecken;  seine  milchigen 
Gewässer,  die  mit  Salzen  durchtränkt  und  von  metalli- 
schem Grün  gefleckt  sind,  scheinen  ein  Gemisch  von 
Seifenschaum  und  Kupferoxyd.  Man  hat  das  Gefühl, 
daß  man  hier  in  die  Geheimnisse  der  mineralischen 
Welt  eindringt,  daß  man  die  verschwiegenen  Zusam- 
menstellungen erlauscht,   die  dem  organischen  Leben 
vorangehen  und  es  vorbereiten. 

Am  Ufer  dieses  vergifteten  Flusses,  an  dem  wir  zur 
Stunde  des  Sonnenunterganges  entlang  reiten,  liegt  ein 
großes,  dunkles  Dorf,  ein  Lagerplatz  vielmehr,  ein  Hau- 
fen plumper,  schwärzlicher  Hütten,  in  deren  Umgebung 
kein  Gras,  nicht  einmal  grüne  Moose  wachsen.  Und 
Frauen  treten  dort  heraus,  kommen  heran,  um  uns  zu 
betrachten,  sie  sehen  spöttisch  und  feindlich  gesonnen 
aus;  ein  dunkler  Schleier  verbirgt  ihr  Haar,  sie  sind 

39 


sehr  schön,  haben  freche  gemalte  Augen,  und  sind  weit 
brauner,  von  einem  ganz  anderen  Typus  als  die  hüb- 
schen Schnitterinnen  der  Oase  ...  es  ist  dies  unsere 
erste  Begegnung  mit  den  Nomaden,  die  zu  Tausenden 
im  Süden  Persiens  auf  den  Hochländern  leben,  sie  sind 
nicht  zu  unterjochen,  sind  Rauber,  die  mit  der  Waffe 
in  der  Hand  die  seßhaften  Dörfer  plündern,  die  zuwei- 
len stark  befestigte  Städte  belagern. 

Es  ist  die  Stunde,  wo  die  Herden  heimzukehren  pfle- 
gen, und  von  allen  Seiten  eilen  sie  dem  Nachtlager  zu, 
sie  steigen  herab  aus  höheren  Zonen,  wo  man  zweifellos 
bessere  Weiden  findet;  durch  verschiedene  Spalten  in 
den  großen  Felsen  sehen  wir  Scharen  von  Ochsen  und 
Ziegen  senkrecht  heruntergleiten,  sehen  sie  wie 
schwarze  Bäche  hinabrollen.  Alles  von  derselben 
schwarzen  Farbe,  die  Herden  der  Nomaden,  die  Dächer 
ihrer  traurigen  Hütten,  und  die  Kleidung  ihrer  Frauen, 
Und  die  Hirten,  große,  wilde,  stolz  dreinschauende  Ge- 
sellen, kehren  auch  zurück,  neben  dem  Hirtenstab  tra- 
gen sie  über  der  Schulter  ein  Gewehr  und  am  Gürtel 
Säbel  und  Hirschfänger.  In  der  Dämmerung,  am  Ufer 
dieses  schreckeneinflößenden  Flusses,  in  einem  schma- 
len, von  Felsen  überdachten  Tal,  stoßen  wir  auf  alle 
diese  Menschen  und  Tiere,  einen  Augenblick  gerät  un- 
sere Karawane  in  Unordnung,  und  eins  unserer  Maul- 
tiere, das  ein  Stier  mit  den  Hörnern  gestoßen  hat,  wirft 
sich  mit  seiner  Last  zu  Boden. 

Die  Nacht  findet  uns  in  einer  wilden  Gegend  wieder, 
sie  ist  noch  schrecklicher  als  gestern,  erscheint  noch 
gefährlicher,  weil  sich  das  Chaos  immer  von  neuem 
ändert.  Überall  sieht  man  frische  Felsstürze,  sieht  man 
Querrisse,  die  sich  erst  kürzlich  gebildet  haben.  Und 

4o 


zuweilen  schweben  über  unseren  Köpfen  große  Stein- 
blöcke, von  denen  man  annehmen  kann,  daß  sie  am  Vor- 
abend losgelöst  und  irgendwie  im  vollen  Lauf  aufge- 
halten sind;  ohne  ein  Wort  zu  sagen,  deutet  der  Tchar- 
vadar  mit  erhobenem  Finger  darauf  hin,  und  indem 
wir  unseren  Schritt  verlangsamen  und  ein  unwillkür- 
liches Schweigen  beobachten,  reiten  wir  an  den  drohen- 
den Gestaltungen  vorbei. 

Wir  steigen  immer  weiter  aufwärts  an  dem  Lauf  der 
Bäche,  der  Wasserfälle  entlang,  die  ein  Längsbett  ge- 
graben haben,  zuweilen  aber  benützen  wir  auch  die  von 
den  Karawanen  ausgetretenen  Pfade.  Unaufhaltsam 
hören  wir  in  der  zunehmenden  Dunkelheit  der  Nacht 
das  Wasser  unter  den  lärmenden  Hufen  unserer  Tiere 
plätschern;  und  dazwischen  tönt  das  heisere  Gequake 
der  sich  anrufenden  Frösche.  Vergebens  sucht  man  den 
Schritten  des  Hintermannes  zu  folgen,  inmitten  dieser 
gewaltigen  Steine  verliert  man  sich  immer  wieder  aus 
dem  Auge, 

Eine  Sternennacht,  aber  vor  allem  ist  es  die  seltsam 
glänzende  Venus,  die  getreulich  ihr  sanftes  Licht  auf 
uns  herniederstrahlt.  Um  Mitternacht  hatten  wir  schon 
eine  beträchtliche  Höhe  erreicht,  und  auf  unbestimm- 
ten, überhängenden  Pfaden,  die  so  glatt  wie  Glas  sind, 
reiten  wir  unmittelbar  am  Saume,  ganz  am  Rande  der 
Abgründe  dahin. 

Und  zum  Schluß  stehen  wir  am  Fuße  eines  senk- 
rechten Berges,  ähnlich  dem,  den  wir  gestern  kennen- 
lernten, dieselben  schrecklichen  kleinen  Zickzacktrep- 
pen, dieselben  schwankenden  Stufen.  Unsere  Pferde 
stehen  auf  den  Hinterbeinen,  klammern  sich  wie  die 
Ziegen  an  das  Gestein  an,  von  neuem  müssen  wir  länger 


als  eine  Stunde  die  schwindelnden  Klettenersuche,  den 
unwahrscheinlichen  Ritt  nach  dem  Brocken  wagen,  es 
geht  mitten  durch  den  Gestank  der  verwesten  Maultiere 
hindurch,  die  längs  der  Mauer  aufgeschichtet  liegen. 

Wie  gestern  haben  wir  auch  heute  die  Freude  der 
plötzlichen  Ankunft  auf  dem  Gipfel,  die  Freude,  ganz 
unerwartet  eine  Ebene,  Land  und  Weiden  wiederzufin- 
den. Wir  sind  seit  der  vorhergehenden  Etappe  ungefähr 
sechshundert  Meter  höher  gestiegen,  und  zum  erstenmal 
seit  dem  Aufbruch  erquickt  uns  eine  wirkliche  Frische, 
eine  himmlisch  labende  Ruhe. 

Aber  heute  ist  die  Ebene  nur  eine  lange  Terrasse,  am 
Fuße  der  dritten  Bergstufe  gelegen,  die  man  hier  ganz 
in  der  Nähe  sieht;  eine  lange  Terrasse,  eigentlich  nur 
ein  Balkon,  dessen  Tiefe  kaum  mehr  als  eine  halbe  Meile 
beträgt;  irgendein  Riß,  wie  ihn  die  geologischen  Stürme 
gebildet  haben;  allmählich  hat  sich  dort  Dünger  an- 
gesammelt, und  so  ist  hier  im  Laufe  der  Jahre  ein 
hängender  Garten,  ein  kleines  von  der  übrigen  Welt  ab- 
geschiedenes Arkadien  entstanden.  Wir  reiten  durch  die 
Mohngefilde  dahin,  deren  Blüten  sich  während  der 
Nacht  zu  großen,  weißseidenen  Kelchen  erschlossen 
haben,  wir  streifen  die  Kornfelder,  die  Sonne  hat  die 
Ähren  noch  nicht  gereift  wie  dort  unten,  und  am  Tage 
müssen  sie  in  wunderbarem  Grün  aufleuchten. 

Nach  einstündigem,  friedlichen  Ritt  erscheinen  Lich- 
ter zwischen  den  Bäumen,  und  in  der  Ferne  bellen  die 
Wachthunde:  es  ist  Konoridje,  das  Dorf,  wo  wir  die 
Nacht  beschließen  werden :  bald  unterscheidet  man  zwi- 
schen den  schönen  Datteln,  die  es  beschatten,  die  kleine 
Moschee,  die  vielen  weißen  Terrassen,  die  in  dem  Ster- 
nenlicht bläulich  leuchten.   Hier  muß  ein  nächtliches 


42 


Fest  gefeiert  werden,  denn  man  hört  jetzt  Trommeln 
und  Pfeifen  und  von  Zeit  zu  Zeit  den  Freudenschrei 
einer  Frau,  der  ebenso  gellend  ist  wie  der  Schrei  der 
Mauren  in  Algier . . . 

Es  ist  mir  nicht  möglich  zu  sagen,  welch  ein  Reiz  des 
Orients  und  der  Vergangenheit  dies  kleine  einsam  ge- 
legene Land  erfüllt  und  es  jetzt  um  Mitternacht,  wo  wir 
uns  seinen  hohen  Palmen  nähern,  mit  jenen  alten,  kind- 
lichen Melodien  durchflutet.  Aber  mein  Diener,  ein  Ma- 
trose, der  keine  bilderreichen  Gleichnisse  kennt,  und  der 
die  Wörter  immer  nur  in  ihrer  absoluten  Bedeutung  ge- 
braucht, drückt  mir  sein  schüchternes  Entzücken  in  den 
ganz  einfachen  Sätzen  aus :  „Das  Dorf  hat  eine  Luft, . . . 
eine  verzauberte  Luft!" 

Sonnabend,  21.  April. 

Beim  strahlenden  Sonnenaufgang  hört  man  das 
jauchzende  Konzert  der  Schwalben,  Spatzen  und  Ler- 
chen. Ganz  klar  ist  der  Himmel,  ganz  klar  liegt  die  weite 
Ferne  da,  in  dem  Dorf  und  in  den  Feldern  herrscht  eine 
paradiesische  Ruhe.  Man  befindet  sich  hier  f ünf zehn- 
bis  achtzehnhundert  Meter  über  dem  Meeresspiegel,  in 
einer  so  reinen  Luft,  daß  man  sich  wie  durchflutet  fühlt 
von  neuem  Leben  und  neuer  Jugend.  Und  es  ist  wie  ein 
Zauber  aufzuwachen  und  ins  Freie  zu  gehen. 

Über  dem  Lehmschuppen,  wo  unsere  Maultiere  mit 
unserm  Vieh  zusammengepfercht  stehen,  haben  wir  in 
dem  einzigen  hohen  Zimmer  geschlafen  —  natürlich 
auch  zwischen  Lehmwänden  —  und  heute  morgen  bie- 
ten uns  die  Dächer  der  Karawanserei,  die  wie  eine 
Wiese  mit  Gras  bewachsen  sind,  einen  herrlichen  Spa- 


zierplatz.  Auf  den  benachbarten  Dächern,  wo  gleich- 
falls Gras  wächst,  haben  Männer  sich  niedergeworfen, 
um  zu  dieser  Stunde  ihr  erstes  Tagesgebet  zu  sprechen, 
mit  ihren  langen,  in  der  Taille  einschneidenden  Gewän- 
dern, ihren  wallenden  Ärmeln  und  ihren  tinraförmigen 
Hüten,  gleichen  sie  in  ihren  bescheidenen  Aleidern  den 
Silhouetten  der  Weisen  aus  dem  Morgenlande.  Hinter 
den  kleinen  Häusern,  mit  den  dicken  Mauern  und  spitz- 
bogigen  Türen,  sieht  man  weit  in  die  ruhige,  abgeschlos- 
sene Ebene  hinein,  man  sieht  die  grüne  Fläche  des  Ge- 
treides, in  die  einige  blühende  Mohnfelder  ihre  weißen 
Linien  ziehen  —  und  immer  sieht  man  die  Bergkette 
Irans,  die  in  dem  Maße,  wie  wir  steigen,  sich  zu  ver- 
größern, in  den  Himmel  zu  wachsen,  stets  neue  Stein - 
schichten  vor  uns  aufzutürmen  scheint. 

Karawanen,  die  die  ganze  Nacht  gereist  sind,  nähern 
sich,  sie  kommen  von  Chiraz  herab  oder  steigen  wie  wir 
von  Bender-Bouchir  auf.  Das  Geläute  der  Maultier- 
glöckchen,  das  von  verschiedenen  Seiten  ertönt,  fällt  in 
das  Morgenständchen  der  Vögel  ein.  Die  Hirten  treiben 
die  Herden  schwarzer  Ziegen  dem  Berge  zu.  Auf  den 
Dorfstraßen  galoppieren  geschmeidige,  bärtige  Reiter, 
sie  sind  mit  langen,  altmodischen  Steinschloßgewehren 
bewaffnet.  Das  Leben  spielt  sich  hier  ab  wie  in  ver- 
gangenen Zeiten.  Dies  kleine,  verlorene  Land,  das  in 
erster  Linie  von  der  glühenden  Wüste,  dann  von  zwei 
bis  drei  Terrassen  mit  ihren  Abgründen  und  schließlich 
von  den  wilden  Bergen  beschirmt  ist,  dies  kleine  Land 
hat  sich  eine  glückliche  Unveränderlichkeit  bewahrt 

Ach !  die  Ruhe,  die  dort  herrscht !  Und  der  Gegensatz 
zu  Indien,  das  wir  soeben  verlassen  haben,  zu  dem 
armen,   entweihten,    geplünderten    Indien   mit   seinem 

44 


manufakturelien  Betrieb,  wo  schon  die  schreckliche  An- 
steckung der  Fabriken  und  der  Eisenwerke  wütet,  wo 
schon  die  Bevölkerung  der  Städte  kriecht  und  leidet 
unter  dem  Peitschenhieb  dieser  aufgeregten  Herren  des 
Westens,  mit  ihren  Korkhelmen  und  „kakif  arbenen  An- 
zügen"! 

Unter  dem  schönen  goldenen  Licht  verlassen  wir  um 
die  fünfte  Stunde  nachmittags  das  verzauberte  Dorf, 
um  auf  die  im  Hintergrund  gelegenen  Berge  zuzureiten. 
Wir  durchschneiden  die  friedliche,  ländliche  Hoch- 
fläche, die  von  allen  Seiten  eingeschlossen  erscheint, 

In  dem  Augenblick,  wo  wir  uns  in  die  Schluchten  be- 
geben, um  noch  eine  Stufe  höher  zu  gelangen,  geht  die 
Sonne  für  uns  unter,  aber  die  uns  umgebenden  Gipfel 
leuchten  wreiter  in  seltsamem  Rosa.  Und  dort,  um  den 
Eingang  zu  bewachen,  ragt  ein  altes  Kastell  mit  Mauern 
und  Zinnen  auf,  und  auf  allen  Türmen  stehen  Wächter 
in  langen  persischen  Gewändern :  es  erinnert  an  irgend- 
ein Bild  aus  der  Zeit  der  Kreuzzüge. 

Weniger  schroff,  als  in  den  letzten  Nächten,  i3t  dies- 
mal der  Hohlweg.  Zwischen  den  mit  Bäumen,  Gras  und 
Blumen  bewachsenen  Felswänden  steigt  unser  Pfad 
weder  zu  steil  noch  gar  zu  gefährlich  an. 

Und  so  erreichen  wir  bald  ohne  große  Schwierig- 
keiten eine  ungeheure  Hochfläche,  deren  Luft  gesättigt 
ist  von  dem  Duft  des  Heues.  Bis  jetzt  waren  wir  dieser 
wirklichen  Frische,  die  man  hier  einatmet,  noch  nicht 
begegnet,  aber  wir  kennen  sie  daheim  an  schönen  Maien- 
abenden. Man  sollte  glauben,  daß  man  sich  auf  diesem 
Weg,  der  seit  unserem  Aufbruch  ununterbrochen  an- 
steigt, in  Riesenschritten  dem  Norden  näherte.  Wir  rei- 
ten ganze  vier  Stunden  durch  diese  Ebene,  bevor  wir 

45 


die  Etappe  erreichen,  und  nach  dem  Chaos  von  Steinen, 
nüt  denen  man  sich  die  letzten  Abende  hat  herumschla- 
gen müssen,  ist  es  jetzt  eine  Überraschung,  bequeme 
Wege  zu  betreten,  zwischen  rosa  blühendem  Klee  und 
Windhafer  dahinzuwandeln.  Als  aber  die  Nacht  voll- 
standig  hereingebrochen  ist,  erwacht  doch  allmählich 
das  Gefühl  in  uns,  daß  wir  uns  in  einer  großen  Einsam- 
keit befinden.  In  Europa  gibt  es  keine  Strecken,  wo 
meilenweit  soviel  leerer  Raum  und  soviel  Schweigen 
herrscht,  —  und  plötzlich  fällt  es  uns  ein,  daß  dieser 
Platz  übel  berüchtigt  ist. 

Neun  Uhr  abends.  Unwillkürlich  fühlt  man  nach  dem 
Revolver:  fünf  mit  Gewehren  bewaffnete  Leute,  die  im 
Gras  am  Grabenrand  lagerten,  erheben  sich  und  um- 
zingeln uns.  Nach  ihrer  Aussage  sind  es  ehrliche  Wäch- 
ter, die  von  Kazeroun,  dem  nächsten  Dorfe,  ausgeschickt 
sind,  um  die  Reisenden  zu  beschützen.  Seit  längerer 
Zeit,  so  erzählen  sie  uns,  werden  die  Karawanen  geplün- 
dert, und  sechs  Maultiertreiber  wurden  in  der  vorigen 
Nacht  an  dieser  Stelle  überfallen.  Deshalb  werden  sie 
uns  jetzt  auf  höheren  Befehl  zwei  bis  drei  Meilen  weit 
begleiten. 

Dies  erscheint  ein  wenig  verdächtig,  auch  leuchten 
die  Sterne  nicht  genug,  um  ihre  Gesichter  erkennen  zu 
können.  Da  sie  aber  doch  mehr  wie  gutmütige  Kerle 
aussehen,  so  nehmen  wir  ihr  Anerbieten,  uns  zu  beglei- 
ten, an;  sie  zu  Fuß,  wir  langsam  reitend  zu  Pferde; 
man  raucht  zu  zweien  dieselbe  Zigarette,  was  hierzu- 
lande eine  Höflichkeitsform  bedeutet,  und  man  schwatzt. 

Anderthalb  Stunden  später  tauchen  fünf  ähnlich  be- 
waffnete Männer,  die  im  Hinterhalt  lagen,  zwischen 
dem  hohen  Gras  auf  und  gehen  auf  uns  zu.  Es  sind  also 

46 


wirklich  Wächter,  und  wir  sollten  jetzt  unsere  Beglei- 
tung wechseln.  Die  ersten  fordern  jeder  2  Grans*  als 
Bezahlung,  vertrauen  uns  der  Fürsorge  der  anderen  an 
und  ziehen  sich  dann  unter  tiefen  Verbeugungen  zurück. 

Von  Zeit  zu  Zeit  durchschneidet  ein  lustig  fließendes 
Bächlein  den  unbestimmten  Pfad,  dem  wir  in  dem 
hohen  Gras  zu  folgen  versuchen,  dann  hält  man  an,  be- 
freit die  Pferde  oder  Maultiere  von  der  Trense  und  läßt 
sie  trinken. 

Ungezählte  Sterne  stehen  am  Himmel,  und  überall 
fliegen  die  Leuchtkäferchen,  von  denen  die  Luft  erfüllt 
ist,  umher;  so  ähnlich  sehen  sie  einem  Funkenregen, 
daß  man  fast  erstaunt  ist,  nicht  das  leise  Knattern  des 
Feuers  zu  hören. 

Wir  reiten  in  einer  langen  Reihe  durch  den  weißen 
Mohn,  dessen  große  Blumen  uns  streifen;  es  ist  fast 
Mitternacht,  da  sehen  wir  ganz  in  der  Ferne  einige  Lich- 
ter, später  riesengroße,  eingezäunte  Gärten  auftauchen, 
endlich  haben  wir  Kazeroun  erreicht  Und  wir  begrüßen 
die  ersten  Pappeln,  deren  hohe  Stämme  sich  weithin  er- 
kennbar von  dem  nächtlichen  Himmel  abheben,  sie  kün- 
den uns  die  wirklich  gemäßigten  Zonen  an,  in  denen 
wir  jetzt  atmen  dürfen. 

Von  nun  an  führen  die  Karawansereien  den  Namen 
Garten;  und  in  diesen  paradiesischen  Gegenden  des 
immer  schönen  Wetters  sind  es  in  der  Tat  Gärten, 
die  man  den  Reisenden  bietet,  um  sich  dort  auszuruhen. 


*)  Der  Cran  ist  ein  Geldstück  ungefähr  von  dem  Wert  eines 
Frank.  Es  ist  das  einzige  gebräuchliche  Geldstück  in  Persien, 
und  da  man  mehrere  Tausend  davon  mit  sich  führen  muß, 
ist  das  eine  der  Widerwärtigkeiten  und  der  Gefahren  der 
Reise. 


4? 


Eine  große,  spitzbogige  Pforte  gewährt  uns  Einlaß 
zu  einem  eingemauerten  Gehölz,  das  für  die  Nacht  unser 
Ruheplatz  sein  wird;  es  ist  fast  ein  Wald,  mit  geraden 
Alleen  aus  blühenden  Orangebäumen,  sofort  berauscht 
uns  der  starke  Duft.  Im  Vordergrund  sitzen  die  Kara- 
wanenreisenden in  Gruppen  zerstreut  auf  den  Teppichen 
und  kochen  über  einem  Reisigfeuer  ihren  Tee,  und  weit 
im  Hintergrunde  verlieren  sich  die  Alleen  im  Dunkel. 

Der  Wirt  hält  es  indessen  nicht  für  richtig,  daß  die 
Europäer  wie  die  Eingeborenen  im  Freien  unter  den 
Orangenbäumen  schlafen,  er  hat  deshalb  unsere  Feld- 
betten in  ein  kleines  Zimmer  über  dem  großen  Spitz- 
bogen des  Einganges  bringen  lassen,  und  dort  über- 
mannt uns  sofort  der  Schlaf. 

Sonntag,  22.  April. 

Das  kleine  Zimmer  war  wie  alle  Zimmer  der  Kara- 
wansereien vollständig  leer,  und  eine  unbeschreibliche 
Unsauberkeit  herrschte  dort.  Die  aufgehende  Sonne 
zeigt  uns  die  Lehmwände,  die  der  Rauch  geschwärzt 
hat,  und  die  mit  langen  persischen  Inschriften  übersät 
sind.  Den  Fußboden  bedeckten  alte  Salatblätter,  Kehr- 
richt,  Unflat,  Eulenfedern  und  Schmutz.  Aber  durch 
die  Risse  des  Daches,  wo  das  Gras  sprießt,  dringen  die 
goldenen  Strahlen  der  Sonne,  die  Düfte  der  Orangen- 
bäume, das  Morgenständchen  der  Schwalben.  Drum 
einerlei,  wie  auch  das  Lager  aussehen  mag,  wir  können 
sogleich  hinabsteigen,  können  in  all  die  Pracht  hinaus- 
fliehen. 

Unten  strahlt  das  wunderbare  Gehölz  in  hellstem 
Morgenschein  wieder,  darüber  spannt  sich  ein  unver- 

48 


gleichbarer  Himmel,  der  durch  zittert  ist  von  dem  jauch- 
zenden Lied  der  Schwalben.  Man  atmet  eine  feuchte, 
belebende,  schmeichelnde  Luft  ein.  Die  großen  Orangen- 
bäume mit  dem  dichten  Laub  werfen  einen  blau-schwar- 
zen Schatten  auf  den  Boden,  der  von  ihren  Blumen 
übersät  ist.  Alle  Karawanenreisenden,  die  über  Nacht  in 
den  Alleen  geschlafen  haben,  wachen  voller  Wohl- 
behagen auf,  bleiben  aber  noch  auf  ihren  schönen  Tep- 
pichen aus  Yezd  oder  Chiraz  liegen,  denn  sie  werden 
wie  wir  erst  bei  Sonnenuntergang  aufbrechen;  wir  sind 
also  darauf  angewiesen,  in  diesem  wunderbar  frischen 
Gehege,  das  den  Gasthof  darstellt,  den  Nachmittag  zu- 
sammen zu  verbringen  und  Bekanntschaft  zu  machen. 

Bald  kommen  aus  der  Stadt  die  Bäcker  und  Tee- 
kocher hierher.  Sie  stellen  ihre  Samowars,  ihre  win- 
zigen, vergoldeten  Tassen  im  Schatten  auf  und  machen 
sich  dann  daran,  ihre  langohrigen  „Kalyans",  die  persi- 
schen Pfeifen,  deren  Rauch  einen  einschläfernden  Duft 
verbreitet,  in  Ordnung  zu  bringen. 

Und  während  unsere  Pferde  und  Maultiere  rings- 
umher friedlich  grasen,  schwindet  der  Tag  für  uns  und 
für  unsere  zufälligen  Reisegefährten  in  einer  einzigen 
großen  Ruhe  dahin.  Unter  den  schattenden  Zweigen  der 
Bäume  rauchen  wir,  verträumen  wir  im  Halbschlaf  die 
Zeit,  bieten  wir  uns  gegenseitig  in  ganz  kleinen  Tassen 
den  sehr  süßen  Tee,  das  ständige  Getränk  der  Perser,  an. 

Von  einem  ganz  eigenartigen  Zauber  ist  der  Friede, 
der  um  die  Mittagsstunde  herrscht,  unter  den  Orangen- 
bäumen wohnt  auch  dann  noch  die  grüne  Dämmerung, 
aber  draußen  funkelt  und  brennt  die  Sonne  und  über- 
flutet mit  ihrem  Feuer  die  ausgedörrten  Berge,  zwischen 
denen  Kazeroun  eingeschlossen  liegt 


4     Persien. 


49 


Die  Mitglieder  meiner  kleinen  Karawane  lernen  sich 
jetzt  allmählich  näher  kennen,  mein  Tcharvadar  Abbas 
und  sein  Bruder  Ali  sind  meine  Kameraden  geworden, 
die  mir  bei  der  Kalyan  Gesellschaft  leisten,  und  mit 
denen  sich  gut  plaudern  läßt;  alles  erscheint  so  viel 
leichter,  das  abendliche  Aufladen,  die  Anordnungen  vor 
dem  Aufbruch,  und,  kaum  denkbar  ist  es,  wie  schnell 
man  sich  an  das  gesunde  Wanderleben,  sogar  an  die 
elenden,  immer  neuen  Nachtquartiere  gewöhnt,  die  man 
stets  erst  mitten  in  der  Nacht  schlaftrunken  erreicht 

Um  vier  Uhr  treffen  wir  in  aller  Ruhe  unsere  Vor- 
bereitung zum  Aufbruch.  Zwei  bis  drei  Männer,  die  auf 
der  Erde  hocken  und  ihre  Kalyan  rauchen,  zwei  bis 
drei  neugierige  Babys,  ungezählte  fröhliche  Schwalben, 
das  sind  unsere  Zuschauer.  Der  Räuber  wegen  stellt 
das  Oberhaupt  des  Landes  uns  vier  stark  bewaffnete 
Männer  als  Schutz,  sie  geben  uns  das  Geleite,  und  so 
reiten  wir  hintereinander  in  einer  langen  Reihe  unter 
dem  schwarzen,  verfallenen  Spitzbogen  hindurch,  der 
die  Pforte  zu  diesem  zauberhaften  Garten  bildet. 

Wir  müssen  zuerst  Kazeroun  durchqueren,  das  wir 
gestern  abend  noch  nicht  gesehen  haben.  Eine  kleine 
Stadt,  aus  alten  Zeiten;  umgeben  von  Pappeln  und 
grünen  Palmen,  lebt  sie  unverändert  weiter.  Zwischen 
den  hohen,  blühenden  Gräsern  tummelt  sich  gleich  am 
Eingang  eine  Schar  von  Kindern  —  ganz  kleine  Knaben, 
die  schon  die  langen  Gewänder  und  hohen  schwarzen 
Hüte  der  Männer  tragen  —  sie  spielen  mit  ihren  Ziegen 
und  wälzen  sich  in  dem  Windhafer  und  zwischen  den 
Gänseblümchen  umher.  Die  Kuppeln  einiger  bescheide- 
ner weißer  Moscheen  ragen  hervor.  Man  sieht  die  fest 
verschlossenen  Häuser,  auf  deren  Dächern  und  Terras- 

5o 


sen  Gras  und  Blumen  so  üppig  sprießen  wie  in  den 
Wiesen.  Das  Ganze  aber  wird  beherrscht  von  den  Gär- 
ten, den  Orangewäldern,  die  von  hohen,  eifersüchtig 
schirmenden  Mauern  mit  den  alten  spitzbogigen  Türen 
umschlossen  sind.  Schöne  bewaffnete  Reiter  tummeln 
ihre  Pferde  auf  den  Straßen.  Aber  die  Frauen  gleichen 
geheimnisvoll  in  Trauer  gekleideten  Schatten,  der 
schwarze  Schleier,  der  sowohl  ihr  Gesicht  wie  auch 
ihren  Körper  verhüllt,  zeigt  kaum  die  immer  grüne  oder 
gelbe  Pluderhose,  und  die  gleichfarbigen  Strümpfe,  die 
oft  sehr  stramm  über  den  zarten  Knöchel  gezogen  sind. 
Wir  hatten  bis  dahin  nur  die  Bäuerinnen  mit  den  un- 
verschleierten  Gesichtern  kennengelernt,  es  ist  das 
erstemal,  daß  wir  in  eine  Stadt  gelangen,  wo  sich  uns 
Städter  von  einem  gewissen  eleganten  Anstrich  zeigen. 

Auf  der  Erde  befinden  sich  noch  Plätze,  die  keinen 
Rauch,  keine  Maschinen,  keinen  Dampf,  keine  Hast,  die 
keine  Eisenwerke  kennen.  Und  von  allen  Winkeln  der 
Welt,  die  die  Geißel  des  Fortschrittes  verschont  hat, 
kann  gerade  Persien  sich  rühmen,  die  schönsten  zu  be- 
sitzen —  wenigstens  will  es  uns  Europäern  so  scheinen 
— ,  denn  die  Bäume,  die  Pflanzen,  die  Vögel  und  der 
Frühling  tragen  dort  dieselbe  Gestalt  wie  bei  uns,  man 
glaubt  kaum  in  der  Fremde  zu  sein,  fühlt  sich  vielmehr 
in  der  Zahl  der  Jahre  zurückversetzt 

Nachdem  wir  die  letzten  Gärten  Kazerouns  hinter 
uns  gelassen  haben,  reiten  wir  zwei  Stunden  schwei- 
gend durch  eine  seltsam  fruchtbare  und  frische  Ebene. 
Gerste,  Roggen,  Weizen,  grüne  Weiden,  erinnern  in 
ihrer  Üppigkeit  an  „das  Land  der  Verheißung",  und  ein 
süßer  Duft  von  Heu  und  Kräutern  durchschwängert  die 
stille  Abendluft . . . 

<•  5i 


Wir  vergessen  die  Höhe,  in  der  wir  uns  befinden, 
als  die  Felsen  sich  plötzlich  zu  unserer  Rechten  auftun. 
Unter  uns  liegt  eine  andere  weite  Ebene  mit  einem  wun- 
dervoll saphirblauen  See,  das  Ganze  wird  eingeschlossen 
von  Bergen,  die  weniger  drohend  sind,  als  die  der  letz- 
ten Tage;  sie  erinnern  an  die  wildesten  Partien  unserer 
Pyrenäen.  , 

In  diesen  See  verliert  sich  der  Fluß,  der  aus  Ispahan 
kommt;  als  wolle  er  die  Stadt  der  alten  Herrlichkeiten 
noch  mehr  von  allem  Leben  absondern,  ergießt  er  sich 
in  keinen  Strom,  mündet  er  in  kein  Meer,  sondern  er- 
lischt hier  in  diesem  Gewässer,  das  ohne  Abfluß  ist, 
dessen  Ufer  nicht  bewohnt  sind. 

Von  einer  ziemlichen  Höhe  aus  beherrschen  wir  den 
See  und  die  Ebene,  obgleich  auch  diese  zweifellos  un- 
gefähr zweitausend  Meter  über  dem  Meeresspiegel  ge- 
legen sind.  Und  ein  seltsam  schwarzes  Knäuel  hebt  sich 
von  den  Weiden  ab;  von  hier  oben  aus  gesehen,  könnte 
man  zuerst  annehmen,  daß  es  ein  vorüberziehender  In- 
»ektenschwarm  sei,  aber  es  sind  Nomaden,  die  sich  dort 
zu  Legionen  mit  ihrem  Vieh  eingefunden  haben.  Wie 
immer,  schwarze  Kleider,  schwarze  Zelte,  schwarze 
Herden:  Tausende  von  Schafen  und  Ziegen,  aus  deren 
Wolle  man  die  persischen  Teppiche,  die  ungezählten 
Decken,  Säcke,  Quersäcke  und  Lagergegenstande  webt 
Jedes  Jahr  im  April  findet  eine  große  Völkerwanderung 
aller  Nomadenstämme  nach  den  hochgelegenen  weiden- 
reichen Ebenen  des  Nordens  statt,  und  erst  im  Herbst 
steigen  die  Hirten  wieder  zu  den  Ufern  des  Persischen 
Golfs  hinunter.  Ihre  gemeinsame  Bewegung  hat  jetzt 
begonnen;  mein  Tcharvadar  kündet  mir  an,  daß  ihr 
Vortrab  schon  in  den  Schlünden,  die  nach  Chiraz  zu 

52 


hinaufführen,  uns  voraufgeht,  und  daß  wir  uns  darauf 
gefaßt  machen  müssen,  morgen  mit  ihnen  zusammen- 
zustoßen: es  sollen  übrigens  böse  Gesellen  sein,  und 
übel  kann  man  mit  ihnen  aneinandergeraten. 

Die  Macht  bricht  herein,  und  von  neuem  müssen  wir 
uns  zwischen  den  Felsen  einen  Weg  suchen,  der  uns 
sechs-  bis  achthundert  Meter  höher  hinaufführen  soll, 
wo  die  nächste  Etappe  gelegen  ist.  Von  unten  aus  der 
Ebene,  die  heute  von  den  vielen  weidenden  Tieren,  den 
vielen  wilden  Hirten  überflutet  ist,  dringt  das  Geräusch 
eines  lauten  primitiven  Lebens  zu  uns  herauf;  man  hört 
die  Tiere  blöken,  brüllen,  wiehern,  hört  die  Hunde  heu- 
len, und  auch  die  Männer  senden  ihre  lauten  Kufe  und 
Befehle  in  die  IN  acht  hinein,  oder  aber  sie  schreien  nur, 
schreien  wie  Tiere,  aus  lauter  Lebenslust  und  Lebens- 
übermut, ohne  Ziel  und  ohne  Zweck.  Die  Luft,  die  in 
dem  Maße  hellklingender  wird,  wie  die  Dämmerung  zu- 
nimmt, ist  durchzittert  von  dieser  furchtbaren  Sym- 
phonie. 

überall  werden  in  der  Ferne,  in  den  Biwaks  der  No- 
maden Holzfeuer  angezündet,  sie  verraten  uns  in  diesen 
vielen  Schlünden,  auf  diesen  vielen  Hochebenen  die 
Gegenwart  von  Menschen,  die  man  hier  nicht  vermutete. 
Wir  ziehen  mitten  durch  die  Planetenbahn  der  wan- 
dernden Stämme  hindurch,  und  als  wir  zum  letztenmal 
hinabsehen,  einen  ßiick  auf  die  Ebene  und  den  dunklen 
See  werfen,  da  leuchten  uns  ungezählte  Feuer  entgegen, 
und  man  könnte  glauben,  dort  unten  läge  eine  nimmer 
endende  Stadt. 

Sobald  wir  aber  wirklich  in  dem  nächtlichen  Engpaß 
vordringen,  gibt  es  weder  Lichter  noch  Stimmen,  noch 
sonst  etwas.  Die  Nomaden  sind  noch  nicht  angelangt, 

53 


und  wir  haben  unsere  gewohnte  Einsamkeit  wieder- 
gefunden, über  unseren  Häuptern  erheben  sich  seltsam 
durchlöcherte  Felsen,  die  versteinerten  Blumen,  Stern- 
korallen oder  riesenhaft  großen,  schwarzen  Schwäm- 
men ähneln.  Und  von  neuem  beginnt  das  verwegene 
Klettern  der  letzten  Nächte,  der  fast  senkrechte  Aufstieg 
inmitten  der  bröckelnden  Felswände.  Zwei  Stunden  tur- 
nen unsere  Pferde  und  Maultiere  fast  aufrechtstehend 
die  Treppen  über  den  Abgründen  hinan;  wieder  hört 
man  auf  den  sich  loslösenden  Steinen  das  Schrammen 
der  beschädigten  Hufe,  die  sich  an  jedem  Vorsprung 
anzuklammern  versuchen  —  und  wir  sind  dem  ewigen 
Stoßen,  dem  ewigen  „Schenkelanziehen"  des  Tieres  aus- 
gesetzt, wenn  es  sich  mit  den  Vorderfüßen  hochzieht, 
in  bestandiger  Angst,  herabzugleiten,  zurückzurollen,  in 
den  Abgrund  hinunterzustürzen.  Endlich,  um  zehn  Uhr, 
werden  wir  am  Eingange  zu  einem  wiesenreichen  Tal, 
mit  seinem  sanft  sich  neigenden  Abhang  von  allen  Stra- 
pazen erlöst.  Hier  liegt  eine  kleine,  viereckige  Festung, 
in  der  ein  Licht  scheint.  Es  ist  der  Stand  für  die  wach- 
habenden Soldaten,  die  den  Räubern  und  Nomaden  weh- 
ren sollen.  Man  macht  halt,  und  man  tritt  ein,  besonders 
da  hier  die  berittene  Begleitmannschaft  zu  wechseln  ist; 
wir  lassen  unsere  vier  Leute,  die  uns  in  Kazeroun  ge- 
stellt wurden,  zurück  und  ersetzen  sie  durch  vier  andere 
ausgeruhte  und  frische  Kräfte. 

Im  Innern  dieser  einsamen  Festung  wurde  ein  fröh- 
licher Abend  gefeiert  Um  den  kochenden  Samowar 
gruppiert,  sang  man  Lieder  und  rauchte,  und  sobald  wir 
eintreten,  reicht  man  uns  in  winzigen  Tassen  Tee.  Drei 
Reisende,  drei  Reiter  mit  langen  Gewehren,  sitzen  dort, 
sie  wollen  wie  wir  nach  Chiraz,  und  bieten  uns  ihre  Be- 


54 


gleitung  an,  und  30  brechen  wir  in  einem  großen  Trupp 
auf. 

Nach  dem  schrecklichen  Gewirr,  dem  wir  kaum  ent- 
ronnen sind,  ist  ein  Ritt  in  diesem  neuen  Tal,  auf  einem 
gleichmäßigen,  mit  Blumen  übersäten  Boden  eine  wahre 
Wohltat  Man  könnte  fast  glauben,  daß  man  sich  auf 
dieser  leicht  ansteigenden  Fläche  einem  verzauberten 
Schlosse  näherte,  so  wunderbar  ist  der  Weg  inmitten 
des  großen  Schweigens  der  Nacht,  er  gleicht  einer  Allee, 
die  man  für  die  Promenaden  der  Märchenprinzessinnen 
gepflanzt  hat,  einer  Allee,  eingeschlossen  von  bunt- 
blühenden Felswänden.  Es  stehen  auch  Bäume  dort, 
die  in  der  Dunkelheit  unseren  Eichen  ähnlich  sehen; 
riesenhaft  große  Bäume,  seit  Jahrhunderten  müssen  sie 
dort  wachsen.  Aber  bescheiden  stehen  sie  in  großen 
Abständen  auf  dem  Rasen,  oder  bilden  vereinzelte  Grup- 
pen, die  in  ihren  Umrissen  künstlerisch  schön  wirken. 
Auf  dem  dichten  grünen  Teppich  hört  man  nicht  mehr 
den  Schritt  der  Karawane.  Von  rechts,  von  links,  von 
den  Wipfeln  der  Bäume  senden  die  Sumpfeulen  uns  ver- 
einzelte kleine  Töne  herab,  Töne,  wie  sie  eine  Schilf- 
flöte hervorzuzaubern  vermag.  Es  wird  kühl,  immer 
kühler,  fast  ist  der  Temperaturwechsel  zu  empfindlich 
für  uns,  die  wir  kaum  den  heißen  Regionen  dort  unten 
entstiegen  sind,  aber  es  erfrischt  und  verscheucht  die 
Müdigkeit.  Und  übervoll  weißblühende  Sträucher 
durchschwängern  die  Luft  mit  ihrem  süßen  Duft.  Aber 
höher  als  all  dieses  stehen  die  Sterne,  sie  feiern  ein 
großes,  schweigendes  Fest  und  entfalten  eine  große, 
glitzernde  Pracht.  Und  alsbald  beginnt  der  Regen  der 
Meteore,  sie  erscheinen  weit  leuchtender  als  sonst, 
wahrscheinlich,  weil  wir  hier  dem  Himmel  näher  sind, 


55 


und  gleichen  kleinen  Blitzen,  die  eine  bleibende  Bahn 
hinterlassen,  und  manchmal,  wenn  sie  vorüberschießen, 
glaubt  man,  das  Geknatter  von  Gewehrfeuer  zu  hören. 

Von  all  den  Gegenden,  durch  die  wir  mitten  in  der 
Nacht  geritten  sind,  und  die  wir  niemals  am  folgenden 
Morgen  wiedersehen,  die  wir  uns  niemals  bei  hellem 
Tageslicht  vorstellen  konnten,  gleicht  auch  nicht  eine 
der  heutigen;  noch  'nirgends  sind  wir  einem  solchen 
Frieden  begegnet,  "irgends  hat  das  Geheimnisvolle  eine 
ähnliche  Gestalt  angenommen  . . .  Die  Majestät  der  gro- 
ßen Bäume,  die  kein  Windhauch  bewegt,  das  nimmer 
endende  Tal,  die  bläuliche  Durchsichtigkeit  der  Nebel 
flüstert  unserer  Einbildungskraft  leise  einen  Traum  des 
griechischen  Heidentums  zu:  Hier  mußte  die  Heimat 
der  seligen  Schatten  gewesen  sein,  und  in  dem  Maße, 
wie  die  Stunden  verrinnen,  werden  die  elysäischen  Ge- 
filde, die  finster  schweigenden  Wälder  heraufbeschwo- 
ren, in  denen  nur  die  Toten  ihre  Zwiegespräche  halten. 

Aber  um  Mitternacht  zerreißt  plötzlich  der  Zauber; 
von  neuem  versperren  wild  zerklüftete  Berge  unseren 
Weg,  und  ein  kleines  Licht,  das  man  kaum  dort  oben 
unterscheiden  kann,  zeigt  uns  die  Karawanserei,  die  es 
zu  erreichen  gilt.  Wieder  beginnt  das  waghalsige  Klet- 
tern unter  dem  ohrenbetäubenden  Lärm  der  Steine,  die 
sich  loslösen,  die  abbröckeln  und  herniederrollen,  wie- 
der muß  man  all  die  Erschütterungen,  all  die  Stöße  auf 
den  unermüdlichen  Tieren  erdtdden,  Schritt  für  Schritt 
tasten  diese  sich  vorwärts,  gleiten  oft  mit  allen  vieren 
aus,  aber  stürzen  eigentlich  nie  ganz  zu  Boden. 

Steigen,  immer  höher  steigen.  Seit  unserer  Abreise 
sind  wir  scheinbar  auch  zuweilen  abwärts  gestiegen, 
denn  sonst  würden  wir  uns  jetzt  fünf-  bis  sechstausend 

56 


Meter  über  dem  Meeresspiegel  befinden,  und  ich 
schätze,  daß  wir  höchstens  dreitausend  Meter  erreicht 
haben. 

Das  Nachtquartier  nennt  sich  diesmal  Myan-Kotal, 
es  ist  kein  Dorf,  nur  eine  Festung,  die,  wie  ein  Adler- 
nest auf  einer  einsamen  Bergspitze  errichtet  ist;  den 
Pteisenden  und  deren  Tieren  bietet  sie  zwischen  ihren 
dicken  Mauern  einen  sicheren  Schutz  gegen  die  Räuber, 
das  ist  aber  auch  alles. 

Wir  dringen  durch  eine  Pforte,  die  sich  unmittelbar 
hinter  uns  schließt,  in  die  mit  Zinnen  versehene  Festung 
ein;  überall  liegen  Pferde,  Maultiere,  Kamele,  Kara- 
wanensäcke bunt  durcheinander.  Und  von  all  den  aus 
Lehm  erbauten  Nischen,  die  die  Zimmer  der  Karawan- 
serei vorstellen,  ist  nur  noch  eine  einzige  frei;  diesmal 
müssen  wir  also  mit  den  Leuten  schlafen,  wir  haben 
nicht  einmal  so  viel  Platz,  um  unsere  Feldbetten  aufzu- 
schlagen ;  übrigens  ist  es  uns  ganz  gleichgültig,  in  aller 
Eile  strecken  wir  uns  der  Länge  nach  auf  der  Erde  aus, 
schieben  einen  Ballen  unter  den  Kopf,  decken  uns  warm 
zu,  denn  die  Luft  ist  eisig,  und  liegen  mit  Ali  Abbas  und 
mit  den  persischen  Dienern  durcheinandergewürfelt  zu- 
sammen. Sofort  überschleicht  uns  eine  unwidersteh- 
bare  Müdigkeit  und  trägt  uns  alle  in  die  Bewußtlosig- 
keit des  Schlafes  hinüber. 


Montag,  a3.  April. 

In  diese  kleine,  niedrige,  von  Rauch  geschwärzte 
Grotte,  wo  wir  wie  tot  daliegen,  sickern  schon  lange 
die  Sonnenstrahlen  durch  Löcher  und  Mauerrisse  hin- 
ein, ohne  daß  jemand  von  uns  sich  gerührt  hätte.  Wie 


57 


durch  einen  Nebel  hören  wir  die  uns  schon  vertrauten 
Laute:  in  dem  Hof  den  Lärm  der  aufbrechenden  Kara- 
wanen, die  mit  geschlossenem  Munde  ausgestoßenen 
Rufe  der  Maultiertreiber, -und  auf  den  Mauern  das  Mor- 
genständchen der  Schwalben,  —  das  diesmal  unzählige 
kleine  Kehlen  in  jubelnder  Lebensfreude  in  die  Lüfte 
schmettern.  Wir  aber  liegen  an  derselben  Stelle,  auf 
der  wir  gestern  niederfielen,  regungslos  ausgestreckt 
da,  eine  seltsame  Erstarrung  hält  uns  gefangen. 

Aber  nachdem  wir  endlich  unsere  Behausung  ver- 
lassen haben,  erfüllt  uns  der  erste  Anblick,  der  sich  uns 
bietet,  mit  Bestürzung  und  Schwindel.  Wir  waren  ja 
mitten  in  der  Nacht  angekommen,  und  konnten  deshalb 
etwas  Derartiges  nicht  vermuten.  Die  Luftschiffer,  die 
nach  einem  nächtlichen  Aufstieg  früh  morgens  er- 
wachen, müssen  eine  ähnliche  überwältigende  und  fast 
erschreckende  Überraschung  empfinden. 

In  unserer  Umgebung  ist  nichts,  was  die  unendliche 
Ausdehnung  der  Dinge  unseren  Blicken  verbergen 
könnte.  Wir  brauchen  nur  die  Augen  zu  öffnen,  um  uns 
der  schwindelnden  Höhe  bewußt  zu  werden,  zu  der  uns 
unser  ansteigender  Ritt  durch  die  vielen  Hohlwege,  an 
den  vielen  Schlünden  vorbei,  und  während  so  vieler 
Nächte,  geführt  hat;  wir  haben  in  einem  Adlernest  ge- 
schlafen, denn  wir  beherrschen  die  Erde.  Zu  unseren 
Füßen  neigen  sich  ungezählte  Gipfel  —  einst  wurden  sie 
alle  von  den  kosmischen  Stürmen  nach  ein  und  dersel- 
ben Richtung  gebeugt.  Ein  grelles,  allbeherrschendes, 
ein  schreckliches  Licht  fällt  von  einem  Himmel  herab, 
der  sich  noch  nie  zuvor  so  tief  geoffenbart  hat;  es  über- 
flutet die  vielen  sich  neigenden  Berge,  und  mit  der 
gleichen  Deutlichkeit,  so  weit  das  Auge  auch  reicht, 

58 


hebt  es  die  einzelnen  Formen  der  Felsen,  die  ungeheu- 
ren Kämme  hervor.  Zusammen,  und  von  dieser  Höhe 
aus  gesehen,  scheinen  die  scharfen  und  wie  vom  Winde 
gebeugten  Gipfel  in  ein  und  derselben  Richtung  zu 
fliehen,  sie  gleichen  einer  riesengroßen  Welle,  die  auf 
ein  Meer  von  Steinen  gehoben  ist,  und  so  täuschend  ist 
diese  Bewegung  nachgeahmt,  daß  man  sich  fast  von  so 
viel  Ruhe  und  Schweigen  verwirrt  fühlt.  —  Aber  seit 
hundert,  seit  hunderttausenden  von  Jahren  weht  dieser 
Sturm  nicht  mehr,  braust  er  nicht  mehr,  ist  er  erstarrt 
—  Und  nirgends  sieht  man  ein  Zeichen  von  Leben, 
keine  menschliche  Spur,  nichts,  was  Wald  oder  Gras 
verkünden  könnte,  einsam  stehen  die  Felsen  hier  und 
herrschen,  und  wir  schauen  auf  den  Tod  herab,  aber 
der  Tod  ist  voller  Liebe  und  Glanz  . . . 

Jetzt  liegt  die  Festung  schweigend  da,  die  andern 
Karawanen  sind  aufgebrochen,  und  sie  erscheint  fast 
ganz  verlassen.  In  einem  Winkel  des  von  Mauern  um- 
gegebenen Hofes,  wo  nur  unser  Geschirr  und  Gepäck 
liegt,  sitzen  die  Wächter  der  Festung,  zwei  Männer  in 
langen  Kleidern,  sie  rauchen  schweigend  ihre  Kalyan, 
haben  die  Auge  nzu  Boden  gesenkt  und  sind  unemp- 
fänglich für  diese  erhabene  Aussicht,  die  sie  nicht  mehr 
zu  sehen  vermögen.  Würden  die  Schwalben  nicht  sin- 
gen, man  hörte  in  dieser  großen,  schallempfindlichen 
Leere  nicht  den  geringsten  Laut. 

Alles  in  dieser  hochgelegenen  Karawanserei  ist  derb, 
rauh  und  verwittert;  die  bröckelnden  Mauern  sind  fünf 
bis  sechs  Fuß  dick,  die  alten  gespaltenen  Türen  haben 
Eisenbeschläge  und  armdicke  Riegel,  sie  erzählen  von 
Belagerung  und  Verteidigungen.  —  Außerdem  befindet 
sich    hier    eine    seltsame    Schwalbenstadt:    an    allen 


59 


Dächern,  allen  Gesimsen  entlang  bilden  die  sich  anein- 
anderreihenden Nester  wirkliche  kleine  Straßen;  sie 
sind  alle  fest  verschlossen  und  haben  nur  eine  winzige 
Tür.  Und  da  es  die  Jahreszeit  des  Ausbesserns,  de3 
Brütens  ist,  sind  die  kleinen  Tiere  sehr  beschäftigt, 
jedes  fliegt  schnurgerade,  ohne  sich  zu  täuschen,  in  sein 
eigenes  Haus,  —  das  nicht  einmal  mit  einer  Nummer 
versehen  ist 

Die  immer  tote  Mittagsstunde  führt  uns  wilde  Gesel- 
len, stark  bewaffnete  Pieiter  zu.  Reisende,  die  im  Vor- 
übergehen in  der  Festung  haltmachen,  um  sich  einen 
Augenblick  im  Schatten  auszuruhen  und  zu  rauchen. 
Ganz  in  unserer  Nähe  unter  den  Steinbogen  lassen  sie 
sich  mit  tiefen  Verbeugungen  nieder.  Schwarze  Hüte, 
schwarze  ßärte,  dunkle  assyrische  Gesichter,  die  der 
Wind  der  Berge  gebräunt  hat,  lange,  blaue  Kleider,  ein 
Patronengürtel,  der  um  die  Hüften  geschlungen  ist  Sie 
riechen  nach  wilden  Tieren  und  nach  Wüstenminze. 
Auf  wunderbare  Teppiche,  die  sie  unter  den  Sattel  ihrer 
Pferde  geschnallt  hatten,  setzen  oder  legen  sie  sich; 
wie  sie  uns  erzählen,  sind  es  die  Frauen,  die  die  Wolle 
also  zu  färben  und  zu  weben  wissen,  —  die  Frauen 
dieses  hochgelegenen,  ein  wenig  phantastischen  Chiraz, 
das  wir  wahrscheinlich  morgen  abend  endlich  er- 
reichen werden . . . 

Und  bald  hüllt  uns  der  einschläfernde  Rauch  der  Ka- 
lyans  ein  und  steigt  in  die  frischen  reinen  Lüfte  der 
Gipfel.  Mitten  im  Hof,  in  dem  leeren  Viereck,  das  die 
Sonne  überflutet,  schwirren  die  Schwalben  hin  und  her, 
ihre  kleinen  schnellen  Schatten  zeichnen  Tausende  von 
Hieroglyphen  auf  den  weii5en  Boden.  Unter  uns  aber 
liegt  immer  noch  der  Schwindel  der  Gipfel,  die  riesen- 

60 


große,  versteinerte  Welle,  die  noch  in  Bewegung  zu 
sein,  die  noch  zu  fliehen  scheint . . . 

Um  vier  Uhr  wollen  wir  aufbrechen,  aber  wo  in  aller 
Welt  ist  Abbas?  Er  wollte  unsere  Tiere  holen,  die  zwi- 
schen den  Felsen  weideten,  und  er  kommt  nicht  wieder 
zum  Vorschein.  Man  wird  unruhig,  alle  meine  Leute 
suchen  in  den  verschiedensten  Richtungen  den  Berg  ab; 
und  ihre  Rufe,  ihre  langen  singenden  Rufe,  die  sich 
Antwort  geben,  stören  das  gewöhnliche  Schweigen  der 
Gipfel.  Endlich  findet  man  ihn  wieder,  findet  man  Ab- 
bas, den  Verlorenen,  wieder,  er  kommt  von  weitem 
heran  und  führt  ein  Maultier,  einen  Flüchtling,  mit 
sich.  Um  viereinhalb  Uhr  wird  der  Aufbruch  stattfin- 
den können. 

Ich  hatte  zu  meiner  Begleitung  drei  Soldaten  ver- 
langt, wozu  ich,  nach  den  Anordnungen  des  Oberhaup- 
tes von  Bouchir  berechtigt  war,  aber  da  es  hier  in  die- 
ser Gegend  keine  gibt,  habe  ich  mich  statt  dessen  mit 
drei  Hirten  aus  der  Umgegend  zufrieden  erklärt,  und 
jetzt  führt  man  sie  mir  vor:  Wilde  Gesichter,  bis  auf 
die  Schultern  herabfallendes  Haar,  vollständige  Räu- 
bertypen; zerlumpte  Kleider  aus  wunderbar  stilvollen 
alten  Stoffen,  lange  Steinschloßgewehre,  an  denen  ein 
Amulett  hängt,  der  Gürtel  gespickt  von  Hirschfängern. 

Und  in  einer  langen  Reihe  ziehen  wir  über  Geröll, 
über  Pfade  dahin,  auf  denen  man  sich  den  Hals  brechen 
kann,  ständig  begleitet  von  einer  Herde  Büffel,  die  uns 
fortwährend  mit  den  Hörnern  streifen.  In  der  seltsamen 
Klarheit  des  Raumes  sieht  man  auch  in  der  Ferne  alle 
Einzelheiten,  das  große  Gewirr  der  Berge  und  der  Ab- 
gründe enthüllt  sich  unseren  Blicken,  breitet  sich  füg- 
sam vor  uns  aus.  Hier  und  da  in  den  Falten  der  großen 

61 


geologischen  Risse,  die  die  Abendsonne  mit  ihrem  Rot 
sanft  färbt,  schlafen  die  wunderbar  blauen  Flächen, 
die  Seen.  Wir  beherrschen  alles,  unsere  Augen  nehmen 
die  Unendlichkeit  auf,  wie  es  die  Augen  der  hochkrei- 
senden Adler  tun,  unsere  Brust  weitet  sich,  um  immer 
mehr  von  dieser  reinen  Luft  einzuatmen. 

Nachdem  wir  etwa  fünfhundert  Meter  hinabgestiegen 
sind,  sehen  wir  plötzlich  zur  Stunde  des  Sonnenunter- 
ganges, eine  weite,  grasbewachsene  Ebene  vor  uns  lie- 
gen, die  in  ihrer  Einförmigkeit  dem  Meere  gleicht,  und 
die  von  den  senkrechten  Wänden  der  Gebirgsketten  ein- 
geschlossen wird.  Das  grüne  Gras  ist  mit  schwarzen 
Punkten  übersät,  man  könnte  fast  glauben,  zahllose 
Mückenschwärme  hätten  sich  hier  niedergelassen:  es 
sind  die  Nomaden!  Ihr  Geschrei  dringt  zu  uns  herauf. 
Zu  Tausenden  liegen  sie  dort  mit  ihren  ungezählten 
schwarzen  Zelten,  ihren  ungezählten  Büffelherden,  mit 
ihren  schwarzen  Rindern  und  ihren  schwarzen  Ziegen. 
Und  wir  sollen  mitten  durch  diesen  Schwärm  hindurch- 
reiten. 

WTir  gebrauchen  anderthalb  mühevolle  Stunden,  um 
diese  Ebene  zu  durchkreuzen,  wo  die  Hufe  der  Tiere  in 
die  weiche,  fette  Erde  einsinken.  Das  Gras  ist  üppig, 
dicht;  der  Boden  heimtückisch,  mit  Wasserlachen  und 
Sümpfen  durchzogen.  Und  unaufhörlich  sind  wir  von 
Nomaden  umringt,  die  Frauen  eilen  scharenweise  her- 
bei, um  uns  zu  sehen,  und  die  jungen  Leute  galoppieren 
auf  Pferden,  die  wilden  Tieren  ähnlich  sind,  neben 
uns  her. 

So  reich  dieser  grüne  Teppich,  der  sich  in  gleicher 
Pracht  nach  allen  Richtungen  hin  ausdehnt,  auch  sein 


6a 


mag,  wie  ist  er  nur  imstande,  so  zahllose  Parasiten  zu 
ernähren,  die  ausschließlich  von  ihm  leben,  und  deren 
Kauwerkzeuge  in  ungezählter  Menge  ihn  ohne  Unter- 
brechung scheren?  Das  Wasser,  das  diesen  Pflanzen- 
reichtum unterhält,  das  überfließende  und  tückische, 
zwischen  Schilf  und  zarten  Gräsern  verborgene  Was- 
ser, quillt  unter  jedem  unserer  Schritte  auf.  Und  plötz- 
lich fällt  eins  der  Maultiere  mit  seiner  Last  zu  Boden, 
seine  Vorderfüße  sind  bis  zu  den  Knien  in  dem 
Schlamm  eingesunken;  sofort  stürzt  eine  Schar  junger 
Nomaden  in  schwarzen  Tunikas,  gleich  einem  Schwärm 
schwarzer  Raben,  der  sich  auf  ein  sterbendes  Tier  nie- 
derläßt, mit  lautem  Geschrei  heran,  —  aber  sie  wollen 
uns  nur  zu  Hilfe  kommen;  sehr  schnell  und  geschickt 
lösen  sie  die  Zügel,  befreien  das  gefallene  Tier  von 
seiner  Last  und  richten  es  wieder  auf;  ich  brauche  mich 
nur  bei  der  ganzen  Runde  zu  bedanken  und  Silbermün- 
zen auszuteilen,  die  sie  nicht  einmal  verlangt  haben, 
und  die  sie  nicht  ohne  einen  gewissen  Stolz  in  Emp- 
fang nehmen.  Und  doch  hatte  man  behauptet,  daß  diese 
Leute  bösartig  und  es  gefährlich  sei,  ihnen  zu  begegnen  1 
Es  ist  fast  Nacht,  als  wir  am  Ende  der  feuchten 
grünen  Ebene  den  Fuß  der  himmelhohen,  überhängen- 
den Felswand  erreichen,  aus  der  ein  schäumender  Fluß 
hervorspringt,  den  wir  durchwaten  müssen;  das  Was- 
ser geht  den  Pferden  bis  an  die  Brust  In  einer  Vertie- 
fung liegt  ein  Dorf  verborgen,  eng  schmiegt  es  sich 
an  den  steilen  Berg,  ein  Dorf,  ganz  aus  Steinen  erbaut, 
mit  Wällen,  Zinnen  und  Türmen;  alles  Sachen,  die  man 
kaum  unterscheiden  könnte,  —  so  plötzlich  dunkel  ist 
es  unter  dem  Vorsprung  dieser  schreckeneinflößenden 
Felsen,  —  wenn  nicht  rot  aufflackernde  Freudenfeuer 


03 


die  Häuser,  die  Moschee,  die  Zinnen  erleuchteten.  Im 
Kreise  um  diese  Feuer  spielen  die  Dudelsäcke,  schla- 
gen die  Trommeln,  und  man  hört  auch  den  grellen 
Schrei  der  Frauen;  eine  große  Hochzeit  wird  hier  ge- 
feiert 

Jetzt  müssen  wir  unsere  Begleiter  wechseln,  die  drei 
bewaffneten  Hirten,  die  wir  in  Myan-Kotal  aus  dem 
Adlerhorst  mitgenommen  haben,  werden  gegen  drei 
andere  Männer  vertauscht;  diese  aber  —  Leute  von  der 
Hochzeitsgesellschaft  —  müssen  an  den  Haaren  herbei- 
geschieift  werden,  bevor  sie  sich  dazu  bequemen,  auf- 
zusitzen. Und  es  ist  schwarze  Nacht,  als  wir  uns  end- 
lich, wenigstens  für  vier  Stunden  Weges,  in  einen  dunk- 
len Wald  begeben. 

Hier  ist  es  kalt,  wirklich  kalt,  was  wir  nicht  genü- 
gend vorgesehen  hatten,  und  bei  unserer  leichten  Be- 
kleidung wird  uns  frieren.  Zwei  unserer  neuen  Hüter 
benutzen  dies  dunkle  Dickicht,  um  kehrtzumachen  und 
zu  verschwinden.  Ein  einziger  bleibt  bei  uns,  er  reitet 
neben  mir  und  wird  uns  sicher  treu  bis  zu  der  Etappe 
begleiten.  Dieser  Wald  ist  unheimlich,  übrigens  auch 
übel  berüchtigt;  unsere  Leute  sprechen  kein  Wort  und 
sehen  sich  oft  um:  die  alten,  zu  dieser  Stunde  ganz 
schwarzen  Bäume,  mit  ihren  verkümmerten,  verkrüp- 
pelten Formen,  bilden  zwischen  den  Felsen  seltsame 
Gruppen;  bei  dem  unbestimmten  Licht  der  Sterne  fol- 
gen wir  den  schwankenden  Pfaden,  die  sich  weißlich 
auf  dem  grauen  Boden  abzeichnen:  wir  reiten  durch 
traurige  Lichtungen,  und  tauchen  wir  von  neuem  im 
Walde  unter,  so  erscheint  uns  dies  noch  furcht- 
erweckender ;  überall  gibt  es  Schlupfwinkel  und  manch 
einen  günstigen  Hinterhalt. 


Um  zehn  Uhr  hören  wir  plötzlich  ein  Geräusch:  Rei- 
ter, die  nicht  zu  uns  gehören,  traben  hinter  uns  her 
und  scheinen  uns  zu  verfolgen.  Wir  halten  an,  wir  fas- 
sen sie  ins  Auge.  Und  dann  erkennen  wir  sie  an  der 
Stimme;  es  sind  dieselben  Reisenden,  die  gestern  abend 
unsere  Gefährten  waren.  Warum  hatten  sie  sich  den 
ganzen  Tag  unsichtbar  gemacht,  und  woher  tauchen 
sie  jetzt  auf?  Trotzdem  nehmen  wir  wie  gestern  ihre 
Begleitung  an. 

Um  Mitternacht  verlassen  wir  den  Wald  und  reiten 
in  eine  Steppe  hinein,  die  endlos  zu  sein  scheint,  und 
wo  ein  eisiger  Wind  uns  entgegenweh l  Etwas  sehr 
Weißes  liegt  auf  dem  Boden  ausgebreitet.  Sind  es  stei- 
nerne Tafeln,  sind  es  große  Tücher?  —  Ach,  es  ist 
Schnee,  überall  weiß  beschneite  Flächen. 

Endlich  haben  wir  die  Hochländer  Asiens  erreicht, 
seit  sieben  Tagen  klettern  wir  zu  ihnen  hinan.  Diese 
Steppe  scheint  in  den  Himmel  überzugehen,  der  wie  ein 
schwarzer  Ballen  Seide  aussieht,  und  auf  dem  die  gro- 
ßen Sterne  fast  ohne  Strahlen  glänzen,  als  läge  zwischen 
ihnen  und  uns  kaum  jenes  sehr  luftförmige,  sehr 
durchsichtige  Etwas.  Unsere  Füße  und  Hände  sind  vor 
Kälte  erstarrt,  trotzdem  überfällt  uns  nach  all  den  vie- 
len Anstrengungen  der  letzten  Nächte  ein  unbezwing- 
bares Schlafbedürfnis,  zum  erstenmal  seit  unserer  Ab- 
reise haben  wir  wirkliche  Leiden  zu  ertragen,  jeden 
Augenblick  entfallen  die  Zügel  den  erstarrten  Fingern, 
die  sich,  gegen  unseren  Willen,  als  seien  sie  abgestor- 
ben, von  selbst  öffnen. 

Ein  Uhr  morgens.  Ganz  empfindungslos  und  fast  er- 
froren, müssen  wir  wohl  zu  Pferde  geschlafen  haben, 


Persie  o. 


65 


denn  wir  sahen  die  Karawanserei  nicht  auftauchen,  und 
trotzdem  ist  sie  ganz  nahe,  ragt  unmittelbar  vor  uns 
auf,  ein  befestigtes  Schloß  könnte  man  sie  nennen,  mit 
Türmen  geschmückte  Mauern,  ganz  verlassen  in  dieser 
öden  Einsamkeit  gelegen,  ruft  sie  den  Eindruck  von 
etwas  riesenhaft  Phantastischem  hervor.  Rings  umher 
auf  der  Steppe  liegen  Hunderte  von  grauen  Gestalten, 
sie  gleichen  einem  Wald  großer  Steine,  aber  unbe- 
stimmt hört  man  das  Geräusch  des  Atmens,  riedit  das 
Leben:  es  sind  schlafende  Kamele  und  Kamelhüter,  die 
sich,  in  Decken  eingehüllt,  zwischen  den  unzahligen 
Warenballen  ausgestreckt  haben.  Zwei  oder  drei  Kara- 
wanenstraßen kreuzen  sich  am  Fuße  dieser  befestigten 
Karawanserei;  hier  ist  scheinbar  ein  ewiges  Kommen 
und  Gehen;  im  Innern  wird  alles  überfüllt  sein.  In- 
dessen öffnet  man  uns  die  eisenbeschlagenen  Türen,  die 
unter  den  Schlägen  des  schweren  Klopfers  laut  wider- 
hallen: wir  treten  in  den  Hof  ein,  wo  Tiere  und  Leute 
durcheinander,  wie  auf  dem  Schlachtfelde  nach  einer 
Niederlage  zusammengewürfelt  liegen;  und  noch 
schneller  als  gestern  fallen  wir  dem  Schlaf  in  die  Arme, 
strecken  uns  ohne  Rangunterschied  im  Hintergründe 
einer  Lehmhütte  aus,  unbekümmert  um  das  Gewühl, 
den  Schmutz,  um  das  sehr  wahrscheinliche  Ungeziefer. 


Dienstag,  24.  April. 

Um  neun  Uhr  morgens  bei  herrlichstem  Sonnen- 
schein, beratschlagen  mein  Tcharvadar  und  ich  uns  in 
dem  befestigten  Schloß  unter  den  Bogengängen  des 
Hofes.  Beendet  sind  die  Streitigkeiten  zwischen  uns 
beiden,  wir  sind  die  besten  Freunde  von  der  Welt,  und 


66 


niemals  zündet  er  seine  Kalyan  an,  ohne  mich  einige 
Züge  daraus  tun  zu  lassen. 

In  diesem  Hof  herrscht  dasselbe  Gedränge  wie  am 
gestrigen  Abend  Einige  Maultiere  liegen,  andere 
stehen;  Tausende  von  Karawanensäcke  hat  man  hier 
aufgestellt,  sie  sind  alle  von  gleicher  Farbe,  alle  aus 
grauer  Wolle,  alle  schwarz  und  weiß  gestreift,  und  alle 
hat  der  Staub  der  Wege  mit  seiner  rötlichen  Schattie- 
rung überzogen:  Das  ganze  trägt  eine  traurige,  neutrale 
Farbe,  aber  zuweilen  wird  diese  von  einem  wunder- 
baren Teppich  unterbrochen,  der  wie  etwas  ganz  All- 
tagliches unter  einer  Gruppe  gleichgültiger  Raucher 
ausgebreitet  liegt 

Nach  meiner  Verabredung  mit  Abbas  wollen  wir  das 
Schloß  Kham-Simiane  mitten  am  Tage  verlassen,  um 
die  letzten  zehn  bis  zwölf  Meilen,  die  uns  noch  von 
Ghiraz  trennen,  zurückzulegen.  Die  Luft  ist  kühl,  die 
Sonne  ist  nicht  mehr  so  gefährlich  wie  dort  unten,  und 
ich  habe  die  nächtlichen  Reisen  herzlich  satt 

So  rüsten  wir  denn  gleich  nach  der  Mittags-Kalyan 
unsere  Karawane  zum  Aufbruch,  und  kaum  ist  es  zwei 
Uhr,  als  wir  auch  schon  den  zinnenverzierten  Mauern 
den  Rücken  kehren.  Alsbald  breitet  sich  die  herbe  Ein- 
samkeit vor  unseren  Augen  aus.  Traurig  und  unfrucht- 
bar liegt  sie  in  der  großen  Klarheit  unter  einem  blauen 
Himmel  da.  Und  die  Schneeflächen  gleichen  weißen 
Tüchern,  mit  denen  man  den  Boden  bedeckt  hat.  Hoch 
in  den  Lüften  kreist  ein  Adler.  Die  Sonne  brennt,  und 
der  Wind  ist  eisig.  Wir  befinden  uns  fast  dreitausend 
Meter  über  dem  Meeresspiegel. 

In  einem  Schlupfwinkel  des  Bodens  liegt  ein  wilder 
Weiler,  ungefähr  zehn  Hütten  sind  dort  aus  Felsblöcken 

5'  67 


erbaut,  ganz  niedrig  sind  diese  Hütten,  dicht  schmiegen 
sie  sich  dem  Erdboden  an,  denn  man  fürchtet  hier  die 
Windstöße,  die  über  diese  Hochländer  dahinfegen.  Am 
Rande  stehen  einige  kaum  belaubte  ganz  schlanke  Wei- 
den, der  Wind  hat  sie  gebeugt.  Und  das  ist  alles.  Soweit 
auch  das  Auge  reicht,  nichts  hebt  sich  hervor  in  dieser 
lichtreichen  Wüste. 

Nach  Chiraz,  wo  wir  gegen  Abend  ankommen  wer- 
den, steigen  wir  friedlich  auf  einem  unmerklich  sich 
neigenden  Pfade  hinab;  wir  sind  überflutet  von  Licht; 
allmählich  verschwindet  der  Schnee,  und  von  Stunde 
zu  Stunde  fühlen  wir,  wie  die  Kälte  den  lauen  Lüften 
weicht  Wir  begegnen  keinem  lebenden  Wesen,  mit 
Ausnahme  der  großen  kahlen  Geier,  die  auf  der 'Kara- 
wanenstraße sitzen  und  darauf  lauern,  daß  man  ein  vor 
Müdigkeit  umsinkendes  Tier  ihren  Klauen  anvertraut; 
wenn  wir  uns  ihnen  nähern,  fliegen  sie  auf,  aber  kaum 
hat  man  sie  verscheucht,  so  lassen  sie  sich  von  neuem 
auf  der  Straße  nieder  und  verfolgen  uns  mit  den  Augen. 
Die  blassen  Blümchen,  die  kurzgestielten  Pflanzen  sind 
auf  diesen  Steppen  zuerst  nur  spärlich  gesät,  aber  bald 
vermehren  sie  sich,  reihen  sich  aneinander  an  und  bil- 
den schließlich  unter  unseren  Schritten  einen  wunder- 
bar duftenden  Teppich.  Und  dann  beginnen  die  Sträu- 
cher unserer  Heimat,  Tamarinden,  knospender  Weiß- 
dorn, blühender  Schlehdorn.  Der  Kuckuck  ruft,  und 
wäre  nicht  der  unendliche,  immer  weite,  immer  ur- 
sprüngliche Horizont,  so  könnte  man  sich  nach  Süd- 
frankreich versetzt  glauben.  In  alten  Zeiten  muß  der 
Frühling  Galliens  einen  ähnlich  friedlich-schönen  An- 
blick gewährt  haben . . .  Und  jetzt  stoßen  wir  auch  auf 
einen  Fluß,  einen  wunderbar  durchsichtigen,  einen  kri- 


68 


stallklaren  Fluß.  An  seinem  Ufer  stehen  vereinzelte 
kleine  Weiden,  erhebt  sich  eine  dichte  VVeidenwand, 
aber  der  Fluß  fließt  einsam  in  seinem  Bett  über  die 
weißen  Steine  dahin,  und  unempfänglich  scheint  er  für 
all  das  schüchterne  Grün  dieser  Weidengebüsche  zu 
sein,  wahrscheinlich  wird  er  schließlich  als  Wasser- 
fall in  weniger  hoch  gelegene,  in  weniger  reine  Regio- 
nen hinabstürzen,  wird  er  sich  bei  den  vielen  Berührun- 
gen beschmutzen;  aber  hier,  wo  er  mitten  durch  den 
zeitlosen  Rahmen  fließt,  der  seit  Anbeginn  der  Welten 
also  gewesen  seüvmuß,  hier  haftet  diesem  klaren  Was- 
ser, ja,  wie  soll  ich  mich  ausdrücken,  etwas  Jungfräu- 
liches, etwas  Geheiligtes  an. 

Nach  dreistündigem  Marsch  erhebt  sich  ganz  einsam 
am  Rande  unseres  Weges  ein  kleiner  mit  Zinnen  ver- 
sehener Turm:  ein  Wachtposten,  wo  wir  zwei  weitere 
Soldaten  als  Verstärkung  zu  erlangen  hoffen;  aber 
nichts  rührt  sich,  und  die  Pforte  bleibt  geschlossen. 
Indessen  kommt  oben  im  Turm  zwischen  zwei  Schieß- 
scharten der  weißhaarige  Kopf  eines  Greises,  der  den 
hohen  Hut  der  Magier  trägt,  zum  Vorschein:  „Sol- 
daten," ruft  er  in  spöttischem  Ton,  „Ihr  fordert  Sol- 
daten? Jal  die  sind  alle  ausgezogen  und  machen  Jagd 
auf  die  Räuber,  die  uns  vier  Esel  gestohlen  haben.  Hier 
sind  keine  Soldaten,  und  Ihr  müßt  Euch  ohne  sie  be- 
helfenl  Glückliche  Reiset" 

Bei  Sonnenuntergang  machen  wir  halt  und  verzehren 
unsere  Abendmahlzeit  auf  einer  der  alten  gastlichen 
Bänke  vor  der  Tür  einer  Karawanserei,  eines  befestig- 
ten Schlosses,  das  wie  Kham-Simiane  einsam  gelegen 
ist,  und  den  Eingang  zu  einer  neuen  Ebene  beherrscht. 
Und  dies  ist  endlich  die  Hochebene  von  Ghiraz,  die  in 

69 


alten  Zeiten  von  den  Dichtern  besungen  wurde,  dies  ist 
das  Land  des  Saadi,  das  Land  der  Rosen. 

Von  hier  aus  gesehen  erscheint  die  hochgelegene 
Oase,  die  wir  zur  Stunde  der  Dämmerung  erreichen 
werden,  seltsam  friedlich  und  üppig  wild  zugleich;  das 
Gras  ist  dort  dicht  und  mit  Blumen  übersät,  die  Pap- 
pein stehen  in  dichten  Gruppen  und  fast  könnte  man 
glauben,  es  seien  Buchenhaine  von  weichem,  tiefem 
Grün.  Dieselben  Farbentöne,  die  sich  bei  uns  im  April 
über  Bäume  und  Wiesen  senken,  sieht  man  auch  hier, 
aber  die  Luft  ist  von  einer  Klarheit,  die  wir  nicht  ken- 
nen, und  über  dem  Paradies  mit  seinem  jetzt  schon 
in  Schatten  getauchten  Grün,  sind  die  großen,  alles 
einschließenden  Berge  zu  dieser  Stunde  in  tiefem  Hot 
gebadet,  ein  Anblick,  der  in  unseren  Ländern  und  bei 
unserem  Klima  unmöglich  wäre. 

Durch  diese  sanft  sich  neigende  Ebene,  wo  die  Luft 
allmählich  ganz  still  geworden  ist,  setzen  wir  unseren 
jetzt  immer  leichter  werdenden  Ritt  fort,  und  ungefähr 
vier  Meilen  weiter,  ziehen  sich  in  der  frischen,  sternen- 
klaren Nacht  zu  beiden  Seiten  unseres  Weges  die  lan- 
gen Mauern  der  Gärten  dahin:  die  Vorstädte  von 
Chiraz!  Kein  Lärm,  kein  Licht,  kein  Schritt,  der  den 
Wanderer  verkündet  Die  Ausläufer  der  alten  moham- 
medanischen Städte  zeigen,  sobald  die  Dunkelheit  an- 
bricht, immer  dasselbe  seltsame  Schweigen,  von  dem 
wir  Europäer  uns  gar  keine  Vorstellung  machen  können. 

Die  Mauern  bezeichnen  die  Karawansereien,  obgleich 
sie  eigentlich  nur  einen  Pappelwald  einzuschließen 
scheinen;  und  dort  klopfen  wir  zwei-,  dreimal  an  große 
spitzbogige  Türen  an,  die  sich  kaum  öffnen,  um  eine 
Stimme  antworten  zu  lassen,  daß  alles  überfüllt  sei. 


Di©  hohen  Gräser,  die  Kräuter,  die  Gänseblümchen 
überwuchern  die  Wege;  in  dieser  Dunkelheit,  in  diesem 
Schweigen  duftet  alles  nach  Frühling. 

Des  Kampfes  müde  geben  wir  uns  mit  einer  Kara- 
wanserei für  Arme  zufrieden,  wo  wir  über  den  Ställen 
einen  kleinen  Winkel  mit  Lehmwänden  finden,  der  sich 
in  keiner  Weise  von  unseren  früheren  elenden  Herber- 
gen unterscheidet 

Natürlich  kenne  ich  keine  lebende  Seele  in  dieser 
verschlossenen  Stadt,  in  die  ich  heute  abend  nicht  ein- 
dringen kann,  und  die  übrigens,  wie  ich  weiß,  auch 
keinen  einzigen  Gasthof  besitzt  Aber  in  Bender-Bou- 
chir  hat  man  mir  ein  versiegeltes  Zauberbuch  —  ein 
Empfehlungsschreiben  an  den  Vorstand  der 
Kaufmannschaft,  eine  gewichtige  Persönlichkeit 
von  Chiraz,  mitgegeben,  zweifellos  wird  dieser  mir  eine 
Wohnung  besorgen  können . . . 

Abends,  2  4.  April« 

Der  erste  Abend  senkt  sich  herab,  die  erste  Nacht 
bricht  herein  über  dem  drückenden  Schweigen  in  Chi- 
raz. Ganz  im  Hintergrunde  des  grofSen,  leeren,  frühzei- 
tig verschlossenen  Hauses,  in  dem  ich  gefangen  sitze, 
geht  mein  Zimmer  auf  einen  jetzt  dunklen  Hof.  Man 
hört  nichts,  nur  zuweilen  den  Schrei  eines  Kauzes.  Chi- 
raz schläft  in  dem  Geheimnis  seiner  dreifachen  Mauern 
und  seiner  geschlossenen  Wohnungen;  man  könnte  sich 
weit  eher  von  verlassenen  Ruinen,  als  von  einer  Stadt 
umgeben  glauben,  in  deren  Schatten  sechzig-  bis  acht- 
zigtausend Einwohner  atmen;  aber  den  Ländern  Islams 

71 


haftet  das  Schweigen  dieses  tiefea  Schlafes  und  dieser 
stummen  Nächte  an. 

Ich  sage  zu  mir  selbst:  „Ich  bin  in  Chiraz",  und  es 
liegt  ein  Reiz  darin,  diesen  Satz  zu  wiederholen;  —  ein 
Reiz  und  auch  ein  wenig  Angst,  denn  diese  Stadt  ge- 
hört, wenngleich  sie  auch  ein  Überbleibsel  altehrwürdi- 
ger, unversehrter  Trümmer  ist,  dennoch  zu  denjenigen 
menschlichen  Ansiedelungen,  die  am  wenigsten  zugäng- 
lich, am  abgeschiedensten  liegen;  man  empfindet  hier 
noch  das  Gefühl  eines  großen  Verlassenseins,  ein  Ge- 
fühl, das  den  Reisenden  früherer  Zeiten  vertraut  sein 
mußte,  das  wir  Nachgeborenen  aber  bald  nicht  mehr 
kennen  werden,  weil  die  Verkehrswege  die  ganze  Erde 
mit  ihrem  Netz  überziehen.  Wie  soll  man  von  hier  ent- 
kommen, von  hier  entfliehen,  wenn  plötzliches  Heim- 
weh, wenn  das  Bedürfnis  in  uns  aufsteigt,  vielleicht 
nicht  einmal  das  Vaterland,  sondern  nur  verwandte 
Menschen,  nur  einen  Ort  wiederzusehen,  der  wie  bei 
uns  ein  wenig  moderner  ist  Wie  soll  man  von  hier  ent- 
kommen? Durch  die  einsamen  Gegenden  des  Nordens, 
durch  Teheran  und  das  Kaspische  Meer  nach  zwanzig 
bis  dreißigtägigem  Karawanenritt?  Oder  soll  ich  auf 
dem  Wege  zurückkehren,  der  mich  hergeführt  hat,  soll 
ich  die  schrecklichen  Treppen  Irans  Stufe  für  Stufe 
hinabsteigen,  soll  ich  von  neuem  in  die  Schlünde,  die 
nur  nachts  passierbar  sind,  untertauchen,  soll  ich  von 
neuem  die  Qualen  der  immer  wachsenden  Hitze  ertra- 
gen, mich  bis  zu  dem  höllischen  Schmelzofen  dort  un- 
ten, dem  persischen  Golf,  vorwagen,  soll  ich  von  neuem 
durch  den  glühenden  Sand  waten,  um  Bender-Bouchir, 
die  Stadt  der  Verbannung  und  des  Fiebers  zu  erreichen, 
von  wo  aus  irgendein  Schiff  mich  nach  Indien  bringt? 


Beide  Wege  sind  mühsam  und  weit  Es  ist  wahr,  man 
fühlt  sich  verlassen  in  diesem  Chiraz,  das  höher  ge- 
legen ist  als  der  Gipfel  der  Pyrenäen  —  und  das  zu 
dieser  Stunde  eine  klare  Nacht,  aber  eine  seltsam 
stumme,  eine  eisige  Nacht  in  ihre  Fittiche  hüllt . . . 

In  dieser  Stadt,  wo  alles  von  Mauern  eingeschlossen 
ist,  habe  ich  sozusagen  noch  nichts  gesehen,  und  ich 
frage  mich,  ob  ich  während  eines  verlängerten  Aufent- 
haltes mehr  sehen  werde,  ich  bin  hier  ungefähr  in  der 
Art  eingedrungen,  wie  es  die  Ritter  der  Sage  zu  tun 
pflegten,  die  man  mit  verbundenen  Augen  in  die  unter- 
irdischen Schlösser  führte. 

Heute  morgen  trat  Hadji-Abbas,  der  Vorstand  der 
Kaufmannschaft,  benachrichtigt  durch  meinen  Brief,  in 
der  Karawanserei  an.  Einige  Honoratioren  begleiteten 
ihn,  lauter  zeremonielle,  höfliche  Leute  in  langen  Klei- 
dern, mit  plumpen,  runden  Brillen  und  sehr  hohen 
Astrachanmützen.  Wir  setzen  uns  vor  meinem  dunklen 
Zimmer  auf  die  Terrasse,  die  mit  Gras  und  blühendem 
Mohn  bewachsen  ist:  Nach  vielen  schönen  Komplimen- 
ten in  türkischer  Sprache  entspann  sich  eine  Unter- 
haltung über  die  Schwierigkeiten  der  Reise ! 

„Ach!"  sagten  sie  mit  einem  leisen  Anflug  von 
Spott,  —  „leider  haben  wir  noch  nicht  Ihre  Eisenbah- 
nen!" Und  als  ich  sie  dazu  beglückwünschte,  zeigte  mir 
ihr  Lächeln,  wie  sehr  wir  betreffs  der  Wohltaten  die- 
ser Erfindung  der  gleichen  Meinung  waren . . . 

Pappeln  und  blühende  Obstbäume  bildeten  eine  so 
dichte  Wand,  daß  wir  von  der  Stadt  auch  nicht  das  ge- 
ringste zu  erblicken  vermochten,  aber  die  Gärten,  Wie- 
sen, die  grünen  Felder  lagen  vor  uns,  eine  ganze  Ecke 
des  glücklichen  Chiraz,  das  kaum  mit  der  übrigen  Welt 

73 


in  Verbindung  steht,  und  wo  das  Leben  in  dem  gleichen 
Rahmen  dahinfließt,  wie  vor  tausend  Jahren.  Auf  allen 
Zweigen  stimmten  die  Vögel  ihr  fröhliches  ßrullied  an. 
Unten  im  Hofe,  wo  unsere  Tiere  sich  ausruhten,  standen 
einige  Burschen  aus  dem  Volk,  sie  sahen  vergnügt  und 
gesund  aus,  ihre  Wangen  hatte  die  freie  Luft  goldig  ge- 
färbt, und  nachlässig  rauchten  sie  in  der  Sonne,  wie  nur 
Leute  es  tun,  die  Zeit  haben,  zu  leben,  oder  sie  spielten 
mit  Kugeln,  und  ihr  Lachen  drang  zu  uns  herauf.  Und 
ich  verglich  das  schwarze  Gelände  unserer  großen 
Städte,  unserer  Bahnhöfe,  Fabriken,  das  ewige  Pfeifen 
und  den  Lärm  der  Eisenwerke  mit  diesem  allen,  ver- 
glich auch  unsere  Arbeiter,  blaß  sind  sie  unter  dem 
Kohlenstaub,  und  aus  ihren  Augen  spricht  die  Nüch- 
ternheit und  das  Leiden  . . . 

Beim  Abschiednehmen  bot  mir  der  Vorstand  der 
Kaufmannschaft  eines  seiner  zahlreichen  Häuser  in 
Chiraz,  ein  ganz  neues  Haus  an.  Er  wollte  mir  den 
Schlüssel  sofort  übersenden,  und  ich  begann  zu  war- 
ten, rauchte  auf  meiner  Terrasse  eine  Kalyan  nach  der 
anderen  und  wartete,  ohne  daß  der  Schlüssel  erschien: 
die  Orientalen,  jedermann  weiß  es  ja,  kennen  gar  keine 
Zeitberechnung. 

Endlich,  vier  Uhr  nachmittags,  wurde  der  Schlüssel 
mir  überreicht  (Er  war  einen  Fuß  zwei  Zoll  lang.) 
Und  dann  mußte  ich  meinen  Tcharvadar  und  alle  seine 
Leute  verabschieden,  mußte  mit  ihnen  abrechnen,  mit 
ihnen  alle  die  Silbermünzen  nachzählen.  Wir  tauschten 
viele  Wünsche  und  manchen  Händedruck  aus,  und  dann 
bestellte  ich  eine  Anzahl  Träger  (Juden  mit  langen 
Haaren),  ließ  unser  Gepäck  auf  ihren  Kücken  laden, 
und  wanderte  hinter  ihnen  der  Stadt  zu,  die  ganz  in 

74 


der  Nähe  liegen  mußte,  die  man  aber  immer  noch  nicht 
sehen  konnte. 

Wir  trabten  melancholisch  zwischen  den  hohen  aus 
grauen  S leinen  und  Lehm  erbauten  Mauern  dahin,  in 
weiten  Abständen  nur  zeigten  sie  eine  vergitterte  Öff- 
nung oder  eine  versteckte  Tür. 

Und  schließlich  bildeten  diese  immer  enger  werden- 
den Mauern  über  unseren  Köpfen  ein  Gewölbe,  und 
eine  plötzliche  Dunkelheit  hüllte  uns  ein,  mitten  durch 
die  schmalen  Gänge  flössen  kleine  schmutzige  Bäche 
über  Abfall,  Schmutz  und  Kot  hinweg,  es  roch  nach 
Abgußwasser  und  toten  Mäusen,  wir  hatten  Ghiraz  er- 
reicht 

In  einem  noch  größeren  Dunkel  machten  wir  vor 
einer  alten,  eisenbeschlagenen  Tür  mit  einem  großen 
Klopfer  hat:  das  war  meine  Wohnung.  Zuerst  stießen 
wir  durch  einen  dunklen  Gang  auf  das  staubige,  bau- 
fällige Hauptgebäude,  dann  aber  überraschte  uns  ein 
sonnenbeschienener  Hof,  mit  schönen  blühenden  Oran- 
genbäumen, um  einen  fließenden  Fischteich,  und  im 
Hintergründe  lag  das  zweistöckige,  ganz  neue,  weiße 
Häuschen,  in  dem  ich  jetzt  eingeschlossen  sitze  —  und 
ich  weiß  nicht  einmal,  auf  wie  lange,  —  „denn  es  ist 
leichter  in  Chiraz  einzudringen,  als  hinauszukommen", 
sagt  ein  persisches  Sprichwort 


7° 


ZWEITER    TEIL 

»  Mittwoch,  2  5.  April. 

Die  Sonne  neigte  sich  ihrem  Untergange  zu,  als 
wir  in  aller  Eile  unseren  ersten  Ausflug  in  die 
Stadt,  in  die  Basare  machten,  um  Kissen  und  Teppiche 
zu  kaufen.  (Denn  in  Hadji-Ahbas'  Haus  zeigen  die 
Zimmer  natürlich  nichts  als  ihre  vier  Wände.) 

Man  streicht  in  dieser  Stadt  umher,  wie  in  einem 
unterirdischen  Labyrinth.  Die  Gäßchen  sind  bedeckt, 
übersät  mit  Unrat,  mit  verfaultem  Abfall,  sie  winden 
und  kreuzen  sich  mit  einer  Laune,  die  jeden  irreführt; 
an  einigen  Stellen  sind  sie  so  eng,  daß  man  sich  mit 
beiden  Schultern  gegen  die  Mauer  drücken  muß,  will 
man  nicht  von  einem  Reiter  oder  sogar  von  einem  klei- 
nen Esel  gestoßen  werden;  die  Männer,  in  langen,  dunk- 
len Kleidern  mit  hohen  Astrachanmützen,  fassen  uns 
scharf,  doch  ohne  Mißtrauen,  ins  Auge.  Die  Frauen 
gleiten  dahin  und  verschwinden  wie  schweigende  Gei- 
ster, von  Kopf  zu  Fuß  sind  sie  in  einen  langen  schwar- 
zen Schleier  gehüllt,  und  das  Gesicht  verdeckt  eine 
weiße  Maske,  die  nur  zwei  runde  Löcher  für  die  Augen 
frei  läßt;  aber  die  kleinen  Mädchen,  die  man  noch  nicht 
verschleiert,  sind  alle  geschminkt,  ihre  Haare  mit  Henna 
gefärbt,  und  faßt  alle  erscheinen  sie  von  wunderbar 
feiner  lächelnder  Schönheit;  sogar  die  Ärmsten,  die  bar- 
fuß und  nachlässig  gekleidet  gehen,  sind  anmutig  unter 

76 


ihren  reizvollen  Lumpen.  In  den  toten,  langen  Mauer- 
reihen aus  grauem  Stein  oder  grauem  Lehm  öffnet  sich 
nie  ein  Fenster.  Hier  gibt  es  nur  Türen,  und  um  diese 
zu  verbergen,  sie  zu  schirmen,  ist  außerdem  noch  eine 
zweite  Mauer  hinter  der  ersten  errichtet  Einige  Tü- 
ren sind  eingerahmt  von  alten  kostbaren  Fayencen,  die 
Iriszweige  und  Rosenzweige  darstellen,  und  deren  Ko- 
lorit, belebt  durch  den  Gegensatz  zu  dem  vielen  Grau 
der  Umgebung,  inmitten  von  den  Ruinen  und  Trüm- 
mern, doppelt  frisch  hervorspringt  Ach !  diese  schwarz- 
gekleideten Frauen,  die  durch  diese  Türen  schreiten, 
um  die  Ecke  der  alten  Mauer  biegen  und  im  Innern  des 
verborgenen  Hauses  verschwinden  . . . 

In  meiner  tunnelförmigen  Straße,  auf  der  die  Kara- 
wanen von  Bouchir  kommend  zur  Stadt  hineinziehen, 
liegt  ein  kleiner,  jüdischer  Basar,  wo  Korn  und  Gemüse 
verkauft  wird.  Um  aber  den  wirklichen  Basar  von  Chi- 
raz,  den  unendlich  großen  Basar  mit  seinen  vielen 
Überraschungen  zu  erreichen,  muß  man  eine  ganze 
Strecke  durch  dies  Labyrinth  wandern.  Er  beginnt  in 
den  engen,  winkeligen,  dunklen  Straßen,  wo  man  yor 
den  ungezählten  kleinen  Läden  beständig  Gefahr  läuft, 
in  Löcher  und  Kloaken  zu  fallen.  Dann  folgen  die  gro- 
ßen, geraden,  die  vielen  regelmäßigen  Alleen  mit  ihren 
runden  Kuppelgewölben,  und  zum  erstenmal  sagt  man 
sich,  daß  die  Stadt,  in  die  man,  ohne  auch  nur 
das  geringste  zu  sehen,  eingedrungen  ist,  wirklich  eine 
große  Stadt  sein  muß.  Zu  beiden  Seiten  der  Alleen  fin- 
det man  die  Kaufleute  nach  Profession  und  Zunft  ge- 
ordnet, so  will  es  der  orientalische  Gebrauch.  —  Und 
man  sieht,  daß  die  Straße  der  Teppiche,  in  der  wir 
unsere  Einkäufe  machen,  für  die  Augen  ein  Hochgenuß 


77 


ist  —  In  den  dunkleren  Straßen  der  Kupferschmiede 
hört  man  den  ununterbrochenen  Lärm  der  Hämmer, 
und  dort  machen  wir  halt,  um  für  unseren  Gebrauch 
Schenkkannen  zu  kaufen,  die  hier  sehr  üblichen  Kan- 
nen, die  eine  wunderbare  Anmut  der  Linien  zeigen,  und 
deren  Form  in  alten  Zeiten  erfunden  und  seitdem  nie- 
mals geändert  wurde.  Überall  verkaufte  man  auch  Bü- 
schel rosenroter,  duftender  Rosen,  man  nennt  sie  bei 
uns  die  „Monatsrose",  und  blühende  Orangen  zweige. 
Bewaffnete  Reiter  versperrten  uns  oft  den  Weg,  be- 
sonders in  dem  Viertel,  wo  Sattel-  und  Zaumzeug  zu 
kaufen  ist;  dieses  Viertel  ist  das  größte  in  ganz  Chiraz, 
denn  hierzulande  gehen  alle  Reisen,  geht  jeder  Trans- 
port in  Karawanen  vor  sich,  und  das  Sattelzeug  spielt 
naturgemäß  eine  große  Rolle;  es  zeigt  die  allerverschie- 
densten  Formen:  in  Seide  oder  Gold  gestickte  Sättel, 
wollene  Quersäcke,  Zäume  für  Pferde  und  Maulesel, 
zierliche,  mit  Pailletten  benähte  Sammetpeitschen  für 
die  kleinen  Esel,  auf  denen  die  vornehmen  Damen  rei- 
ten, und  Federbüsche  für  die  Kamele. 

In  der  Straße,  wo  die  Seidenhändler  ihren  Stand 
haben,  war  großer  Zuspruch  von  schwarzen  Gestalten 
—  den  hiesigen  Frauen  —  mit  ihren  hübschen,  drolli- 
gen Babys,  deren  Augen  alle  durch  einen  gemalten 
Strich  bis  zum  Haar  verlängert  sind. 

Wir  hatten  den  Basar  zu  ziemlich  später  Stunde  be- 
sucht, schon  schlössen  sich  die  Läden,  schon  ver- 
schwand das  Tageslicht  hinter  den  aus  Stein  oder  Lehm 
gebauten  Gewölben.  Und  nachdem  wir  uns  soundso 
viele  Male  durch  die  überdachten,  jetzt  immer  dunkler 
werdenden  Gänge  hindurchgeschlängelt  hatten,  bedeu- 
tete es  eine  wirkliche  Freude,  endlich  einen  freien  Platz 

78 


unter  freiem  Himmel  zu  treffen,  der  von  der  herrlichen 
Abendsonne  beschienen  war.  Vielleicht  der  einzige  Win- 
kel in  Chiraz,  wo  das  Leben  sich  fröhlich  und  nicht 
geheimnisvoll  außerhalb  des  Hauses  abspielt. 

Dieser  Platz  liegt  in  der  Nähe  der  Stadtwälle,  und 
im  Hintergründe  erhebt  sich  eine  Moschee  mit  einem 
riesenhaft  großen  Portal,  das  unter  seiner  allen 
Glasurbekleidung  rosenrot  strahlt  Hier  und  da  haben 
die  Blumen-,  Obst-  und  Kuchenverkäufer  ihre  Buden 
errichtet,  und  gerade  gegenüber  der  rosenroten  Pforte, 
deren  Schwelle  ich  wohl  niemals  übertreten  darf,  steht 
ein  kleines,  reizendes,  verfallenes  Cafe,  unter  dessen 
Bäume  wir  uns  setzen,  um  unter  freiem  Himmel  die 
letzte  Tageskaiyan  zu  rauchen.  (Der  Name  Cafe  ist  übri- 
gens nicht  richtig,  denn  hier  in  Chiraz  reicht  man  nur 
Tee  in  kleinen  winzigen  Täßchen.) 

Sofort  bildet  sich  ein  Kreis  um  uns,  aber  diese  Neu- 
gierigen waren  bescheiden  und  höflich,  und  wenn  man 
sie  ansah,  antworteten  sie  mit  einem  freundlichen,  ein 
wenig  katzenhaften  Lächeln.  Alle  die  Leute  hier  sehen 
entgegenkommend  und  sanftmütig  aus;  sie  haben  fein- 
geschnittene Züge,  große  Augen  und  einen  zugleich  leb- 
haften und  träumerischen  Blick. 

Und  ich  kam  zurück,  um  vor  Einbruch  der  Nacht 
meine  vorübergehende  Wohnung,  in  dem  ganz  neuen, 
hinter  dem  Hofe  gelegenen  Gebäude,  einzurichten.  Das 
Erdgeschoß  weise  ich  meiner  Bedienung  an,  im  ersten 
Stock  liegt  mein  Zimmer,  im  zweiten  mein  Salon. 
Überall  sieht  man  sehr  weiße  Mauern,  derer  gewölbte 
Spitzbogen  Nischen  bilden,  in  die  ich  meine  Sachen  auf- 
stelle. Die  Decke  besteht  aus  Lehm  und  wird  von  einer 


79 


Reihe  junger,  ganz  gleichmäßig  viereckiger  Pappel- 
stämme gestützt. 

In  zehn  Minuten  ist  mein  Salon  eingerichtet,  Tep- 
piche und  Kissen  sind  auf  die  Erde  geworfen,  Decken 
mit  alten  Nägeln  an  den  Wänden  befestigt,  und  den 
Ehrenplatz  nehmen  die  schönen  Waffen  ein,  die  mir 
der  Sultan  von  Mascat  kürzlich  bei  meiner  Durchreise 
schenkte,  ein  Dolch  in  silberner  und  ein  Säbel  in  golde- 
ner Scheide. 

Aber  die  Nacht  senkt  sich  herab  und  hüllt  alles  in 
ihr  großes,  schweigendes  Leichentuch  ein.  Sie  unter- 
bricht unseren  kindlichen  Zeitvertreib  und  erfüllt  meine 
Wohnung,  die  gar  zu  eng  eingeschlossen  inmitten  einer 
nicht  erkennbaren  Umgebung  liegt,  mit  unheilvollem 
DunkeL 

Als  wir  eintraten,  haben  wir  die  schweren  Eisen- 
riegel von  der  Tür  hinweggezogen,  die  hinaus  in  die 
nächtliche  Umgebung  führt,  aber  wir  wissen  nichts  von 
all  den  Räumen,  Winkeln  und  Nebengebäuden  des  gro- 
ßen Hauses;  keiner  von  uns  hat  das  alte  zweistöckige 
Haus,  das  mit  dem  Rücken  nach  der  Straße  zu  gelegen 
ist,  erforscht,  keiner  von  uns  ist  in  die  unendlich  ge- 
räumigen Heuspeicher,  in  die  Gewölbe  und  unterirdi- 
schen Keller  eingedrungen,  die  sich  hinter  unseren  Zim- 
mern erstrecken. 

Was  die  anderen  W'ohnungen  in  unserer  Nachbar- 
schaft anbelangt,  so  ist  es  selbstverständlich,  daß  unser 
Auge  sie  nicht  hinter  den  hohen  Verschanzungen  er- 
spähen kann.  Wer  dort  wohnt,  was  sich  dort  zuträgt? 
Wir  werden  es  nie  erfahren.  Von  den  Fenstern  aus,  die 
auf  unsern,  von  hohen  Mauern  eingeschlossenen  Hof 
zeigen,  wird  man  auch  bei  Tage  nichts  von  diesen  Nach- 

80 


Persisches  Techaus 


barhäusern  entdecken  können.  Nur  die  Wipfel  der  Pap- 
peln, die  die  kleinen  Gärten  beschatten,  nur  die  Lehm- 
dächer, auf  denen  das  Gras  wächst,  auf  denen  die 
Katzen  promenieren,  und  dann  in  der  Ferne  über  den 
Giebeln  der  alten  staubfarbenen  Gebäude  hinweg  die 
Linie  der  kahlen  Berge,  die  die  grüne  Ebene  einschlie- 
ßen. Das  ist  alles,  was  sich  dem  Auge  zeigt. 

Jetzt  ist  es  Nacht.  Meine  Diener  schlafen  fest  nach 
den  Anstrengungen  der  letzten  Abende,  in  dem  schönen 
Gefühl,  eine  Reise  hinter  sich  zu  haben,  in  der  Gewiß- 
heit, nicht  morgen  den  nächtlichen  Ritt  fortsetzen  zu 
müssen. 

Die  schöne  Sternennacht  kühlt  fühlbar  ab,  kein 
menschliches  Geräusch  stört  ihr  Schweigen.  Man  hört 
die  weiche,  verhaltene  Stimme  der  Käuze,  die  aus  ver- 
schiedenen Richtungen  sich  rufen  und  Antwort  geben, 
und  darunter  liegt  Ghiraz  in  seinem  beunruhigenden 
Todesschlaf. 


Donnerstag,  26.  April. 

„Allah  oder  Akbarl...  Allah  oder  Akbarl"...  so 
lautet  der  endlose,  eintönige,  mohammedanische  Ge- 
sang, der  mich  vor  Tagesanbruch  weckt;  von  irgend- 
einem nahen  Dache  meines  Stadtviertels  aus  steigt  die 
Stimme  des  Ausrufers,  der  zum  Gebet  ruft,  laut  singend 
in  die  blasse  Morgenluft  hinauf. 

Und  bald  darauf  dringt  das  silberhelle  Glocken- 
geläute in  den  kleinen  Gäßchen  bis  an  mein  Ohr:  der 
Einzug  der  Karawanen.  Große,  tief  tönende  Glocken 
hängen  am  Bauche  der  Maultiere,  kleine  Schellen  rei- 

6     Persien.  8l 


hen  sich  zu  einem  Kranz  um  ihren  Hals,  sie  klingen 
zusammen,  und  dieser  fröhliche  Lärm  erfüllt  allmäh- 
lich das  ganze  unterirdische  Labyrinth  in  Chiraz  und 
verjagt  den  Schlaf  und  das  Schweigen  der  Nacht  Es 
dauert  sehr  lange;  —  sicher  sind  Hunderte  von  Maul- 
tieren an  meiner  Tür  vorbeigezogen,  —  und  sie  werden 
allmorgendlich  hier  vorüberziehen,  um  mir  den  Tag 
zu  verkünden,  denn  die  Stunde  der  Karawanen  ist  un- 
wandelbar. Und  durch  mein  Viertel  dringen  sie  in  die 
Stadt  hinein,  alle  die,  die  von  dort  unten,  von  den  Ufern 
des  Persischen  Golfes,  aus  den  heißen,  in  der  Höhe  des 
Wasserspiegels  gelegenen  Gegenden  kommen. 

Der  erste  Morgen  verstreicht  für  mich  mit  vergeb- 
lichen Unterhandlungen,  die  ich  mit  Tcharvadaren, 
Maultiertreibern,  Pferdevermietern  in  der  Hoffnung 
pflege,  daß  es  mir  gelingen  wird,  schon  jetzt  den  Auf- 
bruch zu  veranstalten;  denn  man  muß  sich  mehrere 
Tage  im  voraus  richten,  und  die  Reisenden  werden  oft 
unendlich  lange  zurückgehalten. 

Aber  nichts  kommt  zustande,  nicht  das  geringste  An- 
nehmbare bietet  sich  mir.  Das  Sprichwort  scheint  sich 
zu  bewahrheiten:  Es  ist  leichter,  in  Chiraz  einzudrin- 
gen, als  hinauszukommen. 

Nachmittags  statte  ich  dem  Vorstand  der  Kaufmann- 
schaft meinen  Besuch  ab.  Er  wohnt  in  demselben  Stadt- 
viertel wie  ich,  und  der  Weg  zu  ihm  führt  ununter- 
brochen an  den  schattigen,  traurig  sich  neigenden 
Mauern  vorbei,  die  sich  fast  alle  zu  einem  Gewölbe 
vereinen.  Eine  alte  Gefängnistür,  durch  eine  innere 
Schutzwand  aus  weißem  Mauerwerk  verkleidet:  das  ist 
sein  Heim.  Und  dann  folgt  ein  kleiner  Garten  voller 
Rosen,  mit  geraden  altmodischen  Alleen  und  mit  einem 

82 


Springbrunnen;  im  Hintergründe  aber  liegt  das  gan2 
alte,  ganz  orientalische  Haus. 

Hadji-Abbas  Salon:  Eine  Decke  aus  blau  und  golde- 
nen Arabesken,  mit  Rosenzweigen,  deren  Schattierun- 
gen im  Laufe  der  Zeiten  verblaßt  sind;  die  Mauern  sind 
reich  ausgearbeitet,  sind  in  kleine  Rautenflächen  zer- 
legt, vertiefen  sich  zu  kleinen  Grotten  und  zeigen  eine 
alte  Elfenbeinfarbe,  die  durch  matte  Goldlinien  ge- 
hoben wird;  auf  der  Erde  liegen  Kissen  und  dicke,  wun- 
derbare Teppiche.  Und  die  kleinscheibigen  Fenster  zei- 
gen auf  die  Rosen  des  Gartens,  der  sehr  versteckt 
daliegt,  der  keine  Aussicht  gewährt,  und  in  dem  das 
leise  plätschernde  Geräusch  des  Springbrunnens  er- 
tönt. 

Mitten  im  Salon  stehen  zwei  Sessel,  einer  für  Hadji- 
Abbas,  der  seit  gestern  seinen  weißen  Bart  brennend  rot 
gefärbt  hat,  und  der  andere  für  mich.  Die  Söhne  meines 
Wirts,  die  Nachbarn,  die  Honoratioren,  alles  Leute  in 
langen  Kleidern  mit  hohen  schwarzen  Hüten,  wie  sie 
die  Magier  trugen,  treten  nacheinander  an;  schweigend 
setzen  sie  sich  auf  die  Teppiche,  die  an  den  schönen 
verblaßten  Wänden  entlang  ausgebreitet  liegen,  und  bil- 
den so  einen  großen  Kreis;  Diener  tragen  in  sehr  alten, 
kleinen  chinesischen  Tassen  Tee  herbei,  bieten  dann 
gefrorenen  Sorbet  und  schließlich  die  unvermeidlichen 
Kalyans  an,  aus  denen  alle  der  Reihe  nach  rauchen 
müssen.  Man  fragt  mich  nach  Stambul,  da  man  weiß, 
daß  ich  dort  gewohnt  habe.  Dann  nach  Europa,  und  die 
Naivität  und  die  unvermutete  Gründlichkeit  ihrer  Fra- 
gen zeigen  mir  deutlicher  als  alles  andere,  wie  weit 
diese  Leute  von  uns  entfernt  sind.  Allmählich  geht  die 
Unterhaltung  zur  Politik  über,  man  spricht  von  den 

6*  83 


letzten  Tricks  der  Engländer  vor  Koueit:  —  „Wenn 
unser  Land  jemals  unterjocht  werden  sollte,  so  hoffe 
ich  doch  wenigstens,  daß  es  nicht  durch  sie  geschieht I 
Wir  haben  leider  nur  hunderttausend  Soldaten  in  Per- 
sien, aber  alle  Nomaden  sind  bewaffnet;  und  ich,  meine 
Söhne,  meine  Diener,  alle  gesunden  Männer  in  den 
Städten  und  auf  dem  Lande  werden  zu  den  Waffen 
greifen,  wenn  es  sich  um  die  Engländer  handelt!" 

Der  gute  Hadji-Abbas  führt  mich  alsdann  zu  zwei 
oder  drei  Honoratioren,  deren  Häuser  noch  viel  schöner 
als  das  seine  sind,  und  die  noch  viel  hübschere  Gärten 
mit  Orangen,  Zypressenalleen  und  Rosengängen  be- 
sitzen. Aber  wie  versteckt,  mißtrauisch,  geheimnisvoll 
spielt  sich  hier  das  Leben  ab.  Die  Gärten  würden  ent- 
zückend sein,  wenn  sie  nicht  so  eifersüchtig  eingeschlos- 
sen, so  verborgen  dalägen;  damit  die  Frauen  hier  un- 
verschleiert  lustwandeln  können,  umgibt  man  sie  mit 
gar  zu  hohen  Mauern,  die  man  vergebens  freundlicher 
zu  gestalten  sucht,  indem  man  sie  mit  Spitzbogen,  mit 
Kacheln  verziert:  es  bleiben  doch  immer  dieselben  Ge- 
fängnismauern. 

Der  Gouverneur  der  Provinz,  den  ich  heute  auf- 
suchen wollte,  um  ihn  zu  bitten,  mir  den  Weg  nach 
Ispahan  zu  erleichtern,  ist  für  einige  Tage  abwesend. 

Bis  zum  Schluß  behalte  ich  mir  den  Besuch  bei  einer 
jungen,  holländischen  Familie,  den  van  L . .  .s,  vor,  sie 
leben  hier  so  abgeschieden  wie  Robinson.  Ein  altes 
Paschahaus  —  natürlich  in  einem  alten,  ganz  von 
Mauern  umgebenen  Garten  gelegen  —  bewohnen  sie, 
und  selten  überraschend  berührt  es  mich,  hier  plötzlich 
einen  kleinen  europäischen  Winkel,  plötzlich  liebens- 
würdige Menschen,  die  unsere  Sprache  sprechen,  wie- 

34 


derzusehen!  Sie  sind  übrigens  gleich  so  entgegenkom- 
mend, daß  uns,  die  wir  doch  sozusagen  in  der  Verban- 
nung leben,  vom  ersten  Augenblick  an  ein  schönes  Band 
wahrer  Freundschaft  verbindet.  Seit  zwei  oder  drei 
Jahren  wohnen  sie  in  Chiraz,  wo  M.  van  L . . .  Leiter 
der  kaiserlich  persischen  Bank  ist  Sie  vertrauen  mir 
alle  ihre  täglichen  Sorgen  an,  von  denen  ich  keine 
Ahnung  hatte,  die  aber  in  dieser  Stadt  natürlich  sind; 
denn  alles  fehlt  hier,  was  nach  unseren  Begriffen  zu  den 
notwendigsten  Nutzgegenständen  des  Lebens  gehört, 
alle  Sachen,  deren  man  bedarf,  müssen  zwei  Monate  im 
voraus  über  Rußland  oder  Indien  verschrieben  werden ; 
was  sie  mir  da  erzählen,  bestärkt  mich  übrigens  in  dem 
Gefühl,  daß  wir  uns  hier  in  einer  Welt  befinden,  die 
man  fast  auf  dem  Monde  suchen  könnte. 

Den  Schluß  des  Nachmittags  bildet  für  mich  ein  Spa- 
ziergang durch  das  Labyrinth;  mit  meinen  drei  Dienern, 
dem  Franzosen  und  zwei  Persern,  irre  ich  umher  und 
suche  vergebens  nach  den  Moscheen.  Ich  habe  keine 
Hoffnung,  jemals  Eintritt  zu  erlangen,  aber  ich  möchte 
doch  wenigstens  gerne  von  außen  die  Portale,  die  schö- 
nen Bogen  und  die  kostbaren  Fayencen  sehen. 

Achl  Diese  seltsamen  kleinen  Straßen,  wo  einem 
auch  am  hellen  Tage  ein  Fallstrick  nach  dem  andern 
gelegt  wird;  so  öffnet  sich  mitten  in  einer  Gasse  ein 
tiefer  Brunnen,  der  auch  nicht  das  geringste  Schutz- 
gitter zeigt,  oder  am  Fuße  einer  Mauer  gähnt  plötzlich 
ein  Kellerloch,  und  man  sieht  hinab  in  ein  schwarzes 
Verließ.  Und  überall  ist  der  Weg  mit  Lumpen,  Unrat, 
mit  krepierten  Hunden  bedeckt,  über  deren  Leichen  die 
Fliegen  herfallen. 

Ich  weiß,  daß  es  Moscheen,  daß  es  sogar  berühmte 

85 


Moscheen  hier  gibt,  aber  man  kann  wirklich  sagen,  daß 
sie  vor  uns  fliehen,  daß  ihre  Umgebung  verzaubert  ist 
Zuweilen,  wenn  ich  aufsehe,  entdecke  ich  durch  ein 
Loch  in  der  Straßenmauer  ganz  in  der  Nähe  eine  grün- 
blaue Kuppel,  die  sich  in  den  reinen  Himmel  erhebt,  und 
die  in  der  Sonne  glänzt.  Dann  stürze  ich  in  einen  dunk- 
len Gang,  er  scheint  dorthin  zu  führen:  Den  Gang 
schließt  eine  Mauer  ab,  oder  er  endet  in  einem  großen 
eingestürzten  Erdhaufen.  Ich  kehre  um,  ich  suche  einen 
anderen :  er  führt  mich  in  falsche  Richtung,  ich  verirre 
mich.  Nicht  einmal  die  kleine  Lücke,  die  ins  Freie  führt, 
und  von  wo  aus  mir  die  Emaillekuppel  entgegenleuch- 
tete, kann  ich  wiederfinden;  ich  weiß  nicht  mehr,  wo 
ich  bin . . .  Diese  Moscheen  werden  keinen  Zugang 
haben,  denn  sie  liegen  ganz  eingeschachtelt  zwischen 
alten  Lehmhäusern,  zwischen  Maulwurfshügeln  you 
Menschenhand  erbaut;  wahrscheinlich  kann  man  sie  nur 
auf  versteckten  Umwegen  erreichen,  die  keinem  ande- 
ren als  dem  Eingeborenen  bekannt  sind.  Und  dies  er- 
innert an  einen  bösen  Traum,  man  will  ein  Ziel  er- 
reichen, aber  in  dem  Maße,  wie  man  sich  ihm  nähert, 
werden  die  Schwierigkeiten  größer,  die  Gänge  enger. 

Wir  sind  schließlich  des  Suchens  müde  und  kehren 
wie  gestern  um  die  Abendstunde  nach  dem  kleinen  Cafe 
zurück,  das  wir  wahrscheinlich  zu  unserem  Standquar- 
tier erheben  werden.  Dort  atmet  oder  fühlt  man  wenig- 
stens einen  freien  Raum  vor  sich,  und  dort  liegt  auch 
—  zwar  ein  wenig  im  Hintergrunde  —  eine  rosenrote 
Moschee,  die  schon  sehenswert  ist.  Die  Leute  kennen 
uns.  In  aller  Eile  stellen  sie  für  uns  Sessel  unter  den 
Platanen  hin,  bringen  Kalyans  und  Tee  herbei.  Hirten 
wollen  uns  Felle  von  Panthern  verkaufen,  die  zu  un- 

86 


gezählten  Mengen  in  den  nahen  Bergen  hausen.  Aber 
der  Andrang  ist  heute  schon  weniger  groß  als  gestern : 
morgen  oder  übermorgen  werden  wir  niemanden  mehr 
in  Erstaunen  setzen. 

Die  eine  Seite  des  Platzes  wird  von  den  Wällen  Chi- 
raz'  eingeschlossen;  wie  alles  in  Persien  sind  auch  sie 
elegant  und  baufällig:  die  hohen,  geraden  Mauern  tragen 
große  runde  Türme  und  sind  mit  einer  endlosen  Reihe 
gewölbter  Spitzbogen  verziert.  Das  Baumaterial  —  graue 
Terrakotta  mit  gelbgrüner  Glasur  —  gibt  dem  Ganzen 
einen  assyrischen  Anstrich.  Diese  Wälle  erstrecken  sich 
in  einer  Ausdehnung  von  ungefähr  zweihundert  Metern 
und  laufen  dann  in  einem  Trümmerhaufen  von  Steinen 
aus,  die  wahrscheinlich  niemals  wieder  aufgebaut 
werden. 

Jetzt,  wo  der  Tag  sich  neigt,  herrscht  in  diesem  klei- 
nen Cafe*  ein  beständiges  Kommen  und  Gehen.  Leute 
aus  allen  Standen,  die  vom  Lande  zurückkehren,  treten 
hier  ein,  vornehme  Reiter  auf  mutigen  Pferden,  kleine 
Bürger  auf  fransenbehangenen  Maultieren,  oder  noch 
bescheideneren  Eseln.  Und  die  langsamen  Kamele  ziehen 
vorüber.  Sie  kommen  von  Yezd,  von  Kerman,  aus  der 
östlichen  Wüste.  Überall  werden  die  Kalyans  angezün- 
det, und  unsere  Nachbarn,  die  wie  wir  unter  ein  und 
derselben  Platane  träumen,  fangen  ein  freundliches  Ge- 
spräch an.  Einer  von  ihnen  bietet  mir,  nachdem  ich  ihm 
von  meinem  heutigen  Ausflug  nach  den  Moscheen  er- 
zählt habe,  für  morgen  abend  seine  Begleitung  dorthin 
an;  er  will  mich  über  die  Dächer  der  Stadt  führen,  ein 
Spaziergang,  der  scheinbar  sehr  besucht  wird,  weil  er 
der  einzige  ist,  von  wo  aus  man  einen  allgemeinen  Aus- 
blick hat. 


87 


Friedlich  schwindet  der  Tag,  und  langsam  trägt  die 
Dämmerung  ihre  Traurigkeit  zu  diesem  hochgelegenen, 
einsamen  Lande  hinauf.  Die  Farben  verlöschen  auf  der 
Glasurbekleidung  der  schönen  Moschee:  die  Fayencen, 
mit  denen  sie  bedeckt  ist,  zeigen  Wolken  von  Rosen, 
Rosenzweige,  Rosensträucher,  Sträucher,  durch  die  ver- 
einzelte, langstielige  Iris  emporwachsen;  aber  dies  alles 
liegt  jetzt  in  einem  violetten  Dunkel,  und  nur  noch  die 
Kuppel  erstrahlt  weithin.  In  der  fast  gar  zu  durch- 
sichtigen Luft  kreisen  die  Segler  und  stoßen,  ganz  wie 
bei  uns  an  Frühlingsabenden  gellende  Schreie  aus. 
Kaum  aber  ist  die  Sonne  untergegangen,  so  macht  sich 
infolge  der  großen  Höhe  eine  empfindliche  Kälte  fühl- 
bar. 

Durch  kleine  schon  dunkle  Gäßchen  kehren  wir  über 
Schmutz  und  Unrat  nach  Hause  zurück. 

Und  dort  herrscht,  nachdem  die  Pforte  verriegelt  ist, 
die  Abgeschlossenheit,  die  Einsamkeit,  das  Schweigen 
eines  Klosters.  Und  die  Käuze  beginnen  ihr  Lied. 

Freitag,  27.  April. 

Bim  bam,  bim  bam,  kling,  ling,  ling . . .  Der  Einzug 
der  Karawanen! . . .  Das  Glockenspiel,  hier  die  ständige 
Musik  um  Sonnenaufgang,  weckt  mich  diesmal  kaum, 
und  morgen  werde  ich  es  wahrscheinlich  wie  alle  andc  • 
ren  Laute  überhaupt  nicht  mehr  hören. 

Heute  ist  ein  Freitag,  das  heißt  der  Sonntag  des 
Muselmanns,  so  kann  ich  also  keine  Reise  Vorbereitungen 
treffen,  alles  ist  geschlossen. 

Ein  zufälliges  Ereignis  des  heutigen  Morgens  wird 
von  Wichtigkeit  für  unser  puritanisches  Leben:  mein 

88 


Diener  erzählt  mir.  daß  auf  dem  ISachbardach.  einem 
terrassenförmigen  Dach,  auf  dem  wir  bis  jetzt  nur 
einige  nachdenkliche  Katzen  sahen,  zwei  Paar  grün- 
seidene Strümpfe  und  ein  Paar  Damenpluderhosen  zum 
Trocknen  aufgehängt  sind;  vor  Hereinbruch  der  Nacht 
wird  wahrscheinlich  jemand  hinaufsteigen,  um  sie  zu 
holen,  und  wenn  wir  auf  der  Lauer  liegen,  haben  wir 
dann  vielleicht  Gelegenheit,  eine  der  geheimnisvollen 
Nachbarinnen  zu  sehen. 

Um  die  Sitte  der  guten  Bürger  von  Ghiraz  zu  beob- 
achten, laßt  uns  diesen  Freitagmorgen  dazu  benutzen, 
einen  Ausflug  aufs  Land  zu  machen  (man  verläßt  die 
Stadt  durch  die  großen,  spitzbogigen  Tore,  oder,  wenn 
man  es  vorzieht,  durch  die  zahlreichen  Öffnungen  in 
den  Wällen,  wo  der  ständige  Durchzug  der  Karawanen 
wirkliche  Pfade  getreten  hat).  Und  dann  liegt  die  Ebene 
vor  uns,  die  weite  Ebene,  die  überall  von  wild  zerklüf- 
teten Bergen  umgeben,  die  von  allen  Seiten  so  hoch 
eingeschlossen  ist,  als  wäre  sie  nur  der  unendlich  große 
Garten  eines  eifersüchtigen  Persers.  Das  Grün  des 
Grases  und  des  Getreides,  das  frische  Grün  der  Pappel- 
wände unterbricht  zuweilen  das  ewige  Grau  der  Land- 
schaft; aber  man  kann  trotzdem  sagen,  daß  dieses  sehr 
weiche,  oft  rosa  schattierte  Grau  alles  in  Chiraz  be- 
herrscht, den  Boden  der  Felder,  die  Erde  oder  die  Stein- 
mauern. Über  den  hohen,  fast  verfallenen  Wällen,  von 
denen  wir  uns  allmählich  entfernen,  erheben  sich  in 
gewissen  Abständen  ganz  kleine,  spindelförmige,  blau 
und  grün  glasierte  Obelisken.  Und  je  weiter  wir  reiten, 
um  so  deutlicher  tauchen  die  großen  Kuppeln  der  Mo- 
scheen aus  der  grauen  Stadt  auf.  Auch  sie  zeigen  die- 
selbe Farbe,  die  ewig  gleiche  blaugrüne  Glasur.  Unter 

89 


dem  bleichen,  reinen  Himmel  ziehen  sich  gleich  Katzen- 
schwänzen weiße  Wolken  von  der  Durchsichtigkeit  ganz 
leichter  Gewebe  dahin.  In  diesem  hochgelegenen  Lande 
sind  die  Farben  aller  Gegenstände  zuweilen  so  zart, 
daß  uns  jede  Bezeichnung  für  sie  fehlt,  und  dem  Licht, 
der  Ruhe  dieses  Morgens  haftet  etwas  unaussprechlich 
Weiches,  Paradiesisches  an.  Trotzdem  ist  dies  alles 
traurig,  —  und  zwar  tragen  hieran  schuld:  die  Abge- 
schiedenheit von  aller  Welt,  die  alles  einschließende 
Kette  der  Berge,  das  Geheimnis  der  langen  Mauern,  der 
ewige  schwarze  Schleier,  die  ewige  Maske  vor  dem 
Antlitz  der  Frau. 

Da  heute,  wie  gesagt,  mohammedanischer  Sonntag 
ist,  ergehen  sich  alle  Frauen  von  Chiraz,  gleich  schwarz- 
gekleideten Gespenstern,  in  der  hellen  Ebene,  schon  vom 
frühen  Morgen  an  richten  sie  ihre  Schritte  nach  den 
großen,  eingeschlossenen  Gärten,  nach  dem  Paradiese, 
das  uns  nicht  zugänglich  ist,  und  dort  entfernen  sie 
ihren  Schleier  und  ihre  Maske,  um  in  Freiheit  in  den 
Orangen-,  Zypressen-  und  Rosenalleen  lustwandeln  zu 
können,  wir  aber  werden  sie  nicht  sehen.  Auf  dem  Wege, 
dem  wir  folgen,  ertönt  das  Glockenspiel  von  tausend 
kleinen  Glöckchen,  eine  verspätete  Maultier-Karawane 
zieht  zu  ungewohnter  Stunde  zur  Stadt  hinein.  Und  in 
der  Ferne  sieht  man  die  Straße,  die  gen  Ispahan  führt, 
sieht  man  wie  immer  den  Zug  der  Esel  und  der  Kamele, 
den  Zug,  der  dies  Land  mit  dem  Persien  des  Nordens 
verbindet 

Die  Frauen,  die  hier  dem  Rosenpflücken  entgegen- 
eilen, sind  von  verschiedenem  Rang;  aber  alle  tragen 
sie  den  schwarzen  Schleier,  alle  sind  sie  in  Trauer- 
gewänder gehüllt  Nur  granz  in  der  Nähe,  wenn  man 


90 


die  Hand,  den  Pantoffel,  die  mehr  oder  weniger  feinen, 
die  mehr  oder  weniger  stramm  sitzenden  Strümpfe  be- 
obachtet, entdeckt  man  den  Unterschied.  Zuweilen 
reitet  eine  der  vornehmen  Damen,  in  grünseidenen 
Strümpfen,  ganz  mit  Ringen  übersät,  auf  einem  weißen 
Maultier  oder  einer  weißen  Eselin,  die  ein  Diener  am 
Zügel  führt  Das  Tier  trägt  eine  goldgefranste  Decke. 
Die  Kinder  dieser  unsichtbaren  Schönen  folgen  ihr  zu 
Fuß;  die  kleinen  Knaben,  sogar  die  allerkleinsten,  sehen 
sehr  wichtig  aus  mit  ihren  hohen  Astrachanhüten  und 
ihren  gar  zu  langen  Kleidern ;  die  kleinen  Mädchen  sind 
fast  alle  entzückend,  besonders  die  zwölfjährigen,  sie 
verhüllen  noch  nicht  ihr  Gesicht,  tragen  aber  schon 
einen  schwarzen  Schleier,  unter  dem  sie  sich  sofort  in 
drolliger  Verwirrung  verbergen,  sobald  man  sie  ansieht. 

Das  ganze  schöne  Geschlecht  verschwindet  durch  die 
bogenförmigen  Pforten  hinter  den  Mauern  der  Gärten, 
wo  sie  alle  den  übrigen  Teil  des  Tages  verbringen 
werden. 

Bald  sind  wir  allein  mit  den  einfachen  Leuten  in 
einer  Ebene,  deren  graue  Töne  durch  Rosa  und  zartes 
Grün  belebt  werden;  über  uns  wölbt  sich  ein  wunder- 
barer Himmel.  Aber  man  sieht  nichts  mehr;  wir  kehren 
deshalb  in  die  alte  Stadt  mit  ihren  Lehmwällen  und 
ihren  Glasurbekleidungen  durch  irgendeine  Öffnung  in 
der  Mauer  zurück.  Sobald  wir  das  überdachte  Laby- 
rinth erreicht  haben,  ist  es  dunkel  und  schwül.  Das 
Labyrinth  ist  fast  menschenleer.  Die  Traurigkeit  eines 
Sonntags  liegt  über  Chiraz,  eine  Traurigkeit,  die  hier 
noch  weit  empfindlicher  ist,  als  in  den  westlichen 
Städten.  Besonders  dunkel  ist  der  große  Basar,  wie  er 
in  dem  Schatten  seiner  steinernen  Gewölbe  daliegt;  in 


91 


den  langen  Alleen  begegnet  man  keiner  lebenden  Seele, 
alle  Läden  sind  mit  alten  Holzjalousien  verrammelt,  mit. 
dicken,  uralten  Riegeln  verschlossen,  hier  herrscht  das 
Schweigen,  der  Schrecken  der  Katakomben;  der  Druck, 
der  über  Chiraz  liegt,  wird  an  einem  solchen  Tage  zur 
.Angst,  und  wir  empfinden  die  größte  Lust,  koste  es, 
was  es  wolle,  davonzulaufen  und  von  neuem  das  Wan- 
derleben unter  freiem  Himmel,  in  einem  großen  Raum, 
aufzunehmen . . . 

Was  soll  man  heute  beginnen?  Nach  dem  Mittags- 
schläfchen wollen  wir  bei  dem  guten  Hadji-Abbas  eine 
Kalyan  rauchen  und  einen  gefrorenen  Sorbet  trinken,  er 
hat  uns  versprochen,  uns  einen  dieser  Tage  zu  den  Grä- 
bern des  Dichters  Saadi  und  des  edlen  Hafiz  zu  führen. 

Und  dann  geht's  zu  den  van  L...s,  ich  empfinde 
fast  etwas  wie  Freude,  heute  nachmittag  Leute,  die  mir 
verwandt  sind,  um  einen  Fünf -Uhr-Tee  tisch  versam- 
melt, wiederzufinden.  Sie  erzählen  mir  diesmal,  daß  es 
noch  weitere  drei  Europäer  in  Chiraz,  dort  unten  in  den 
Gärten  der  Vorstadt  gibt:  einen  englischen  Missionar 
mit  seiner  Frau,  einen  jungen  englischen  Arzt,  der  ein- 
sam lebe  und  den  Armen  hilft.  —  Und  dann  teilt  Madame 
van  L.  mir  ihren  Traum  mit,  sich  ein  Klavier  kommen 
zu  lassen,  man  hat  ihr  ein  zerlegbares  Klavier  ver- 
sprochen, das  stückweise  auf  Karawanenmaultiere  ge- 
laden werden  könnte! . ..  Ein  Klavier  in  Chiraz,  welch 
ein  Unsinn !  Nein,  ich  kann  mir  das  Klavier,  und  sei  es 
auch  zerlegbar,  nicht  zu  nächtlicher  Stunde  die  zerklüf- 
teten Felstreppen  Irans  hinanreitend,  vorstellen. 

In  der  Wohnung,  wo  wir  uns  zur  Stunde  des  Mogh- 
reb  verbarrikadieren,  stehen  uns  im  Laufe  des  Abends 
zwei   Ereignisse   bevor.    Die   Ausrufer,   oberhalb    der 


93 


Stadt,  haben  kaum  ihr  Abendgebet  gesungen,  als  auch 
schon  der  Diener  ganz  aufgeregt  in  mein  Zimmer  stürzt: 
„Die  Dame,  die  die  grünen  Strümpfe  trocknet,  ist  auf 
dem  Dachl"  Und  ich  folge  ihm  eilend. ..  In  der  Tat, 
die  Dame  steht  da,  aber  ihr  Rücken  ist  in  ganz  gewöhn- 
lichen Kattun  gehüllt  und  ihr  Kopf  mit  einem  Tuch  be- 
deckt, dieser  Anblick  ist  schon  enttäuschend  für  uns  . . . 
Sie  wendet  sich  um  und  sieht  uns  spöttisch  an,  als  wolle 
sie  sagen:  „Meine  Nachbarn,  geniert  euch  doch  nicht l" 
Sie  ist  in  den  Siebzigern  und  zahnlos;  wahrscheinlich 
irgendeine  alte  Dienerin . . .  Waren  wir  so  naiv,  zu 
glauben,  daß  eine  Schöne  auf  das  Dach  steigen  und  sich 
der  Gefahr,  gesehen  zu  werden,  aussetzen  würde! 

Zwei  Stunden  später;  es  ist  ganz  dunkel,  und  auf  all 
den  alten  Mauern  in  der  Umgegend  stimmen  die  Käuze 
ihr  Lied  an.  Die  Kerzen  brennen ;  durch  die  geöffneten 
Fenster  sieht  man  hinaus  in  das  durchsichtige  Dunkel, 
ich  nehme  in  Gesellschaft  meines  Dieners,  an  dessen 
Nähe  ich  mich  in  den  Karawansereien  gewöhnt  habe, 
und  der  mein  ständiger  Begleiter  geworden  ist,  eine  ein- 
fache Abendmahlzeit  ein.  Ein  kleiner  Sperling  dringt 
plötzlich  mit  unruhigem  Flügelschlag  zu  uns  herein 
und  fällt  auf  einen  Strauß  Monatsrosen,  —  jenen 
Rosen,  die  in  Chiraz  so  allgemein  sind,  und  die  jetzt  un- 
seren bescheidenen  Tisch  schmücken.  An  einer  unsicht- 
baren Wunde  muß  er  leiden,  denn  sein  ganzer  kleiner 
Körper  zittert.  Da  wir  ihm  nicht  helfen  können,  bleiben 
wir  unbeweglich  sitzen,  um  ihn  wenigstens  nicht  zu  er- 
erschrecken.  Und  einen  Augenblick  später  stirbt  er  auf 
demselben  Platz  vor  unseren  Augen,  es  ist  vorbei,  sein 
Kopf  fällt  in  die  Rosen  zurück.  Irgendein  giftiges  Tier 
wird  ihn  gestochen  haben,  folgert  mein  braver  Tisch- 

93 


genösse.  Möglich,  oder  es  mag  auch  eine  Katze  gewesen 
sein,  die  auf  ihrem  nächtlichen  Streifzug  diesen  Mord 
begangen  hat.  Aber  ich  weiß  nicht,  warum  dieser  ganz 
schwache  Todeskampf  auf  diesen  Blumen  so  traurig 
zu  beobachten  war,  und  meine  beiden  Perser,  die  uns 
bedienten,  sahen  hierin  eine  üble  Vorbedeutung. 

Sonnabend,  28.  April. 

Der  Vezir  von  Chiraz  kehrt  noch  immer  nicht  zu- 
rück, und  so  verzögert  sich  meine  Abreise  beständig, 
denn  ich  muß  ihn  sprechen,  damit  er  mir  für  die  Reise 
eine  Begleitung,  damit  er  mir  Soldaten  stellt. 

Indessen  gelingt  es  mir,  dank  M.  van  L.s  Beistand, 
mit  einem  Pferdevermieter  zu  verhandeln,  um  die  Reise 
fortsetzen  zu  können.  Ein  langer,  mühsamer  Kontrakt, 
der  schließlich  nach  Verlauf  einer  Stunde  unterschrie- 
ben und  versiegelt  wird.  Nächsten  Dienstag  soll  der 
Aufbruch  stattfinden,  und  in  zwölf  bis  dreizehn  Tagen, 
inch'  Allah  I  werden  wir  Ispahan  erreichen.  Aber  ich 
habe  zuviele  Leute,  zuviel  Gepäck  für  die  Anzahl  von 
Tieren,  die  man  mir  liefern  soll,  und  die  ich  scheinbar 
unmöglich  werde  vergrößern  können.  So  sehe  ich  mich 
also  gezwungen,  einen  meiner  persischen  Diener  zu  ver- 
abschieden. Und  ich  schicke  ungezählte,  in  Bouchir 
erstandene  Sachen  zum  Verkauf  nach  dem  Basar:  Ge- 
schirr, Feldbetten  usw.  Man  muß  sich  eben,  so  gut  es 
geht,  beim  Essen  und  Schlafen  behelfen;  die  Haupt- 
sache  ist,  daß  endlich  einmal  Schluß  gemacht  wird. 

Für  heute  hatte  ich  ein  Rendezvous  mit  dem  liebens- 
würdigen Chirazianer  verabredet,  der  so  freundlich  ge- 
wesen war,  mir  einen  Spaziergang  auf  den  Dächern 

94 


nach  den  Moscheen  vorzuschlagen.  Nachdem  wir  eine 
endlose  Zeit  durch  den  schmalen  Irrgang  hindurch- 
gekrochen waren,  erreichten  wir  über  die  Treppen  eines 
verfallenen  Hauses  den  Teil  der  Stadt,  wo  hunderte  aus 
Lehm  erbaute  Dächer  in  Verbindung  miteinander  stehen, 
wo  sie  eine  große,  traurige  Promenade  bilden,  die  von 
hellem  Licht  überflutet  ist,  und  deren  Erde  riesengroße 
Maultiere  aufgeworfen  haben.  Das  Gras  ist  gelb,  stellen- 
weise verbrannt,  und  noch  weit  mehr  mit  Unrat,  Abfall 
und  Schmutz  bedeckt,  als  es  der  Boden  in  den  Straßen 
war.  In  diesem  Augenblick  brennt  die  Sonne  auf  uns 
herab,  und  deshalb  unterscheidet  man  nur  mit  Mühe  im 
Hintergrunde  der  seltsam  kleinen  Wüste  zwei  oder  drei 
auf  Raub  ausgehende  Katzen,  zwei  oder  drei  träumende, 
vielleicht  sinnende  Perser  in  langen  Kleidern.  Aber  alle 
Kuppeln  der  Moscheen  sehen  wir  hier:  mit  kostbarer 
blau  und  grüner  Glasur  sind  sie  überzogen  und  gleichen 
so  Edelsteinen,  die  aus  einem  trockenen  Lehmhaufen 
—  der  Stadt  Chiraz  —  hervorleuchten.  Stellenweise 
entdeckt  man  auch  viereckige  Vertiefungen,  und  daraus 
empor  ragen  die  Orangenbäume  und  die  Platanen,  es 
sind  die  eingeschlossenen  Höfe,  die  kleinen  Gärten  der 
reichen  Häuser. 

Dieser  Platz  muß,  so  verlassen  wie  er  am  Tage  auch 
daliegt,  in  den  stillen  Dämmerstunden  und  spät  abends 
sehr  besucht  sein,  denn  zahlreiche  Fußstapfen  zeichnen 
sich  auf  dem  Boden  ab,  und  geebnete  Wege  führen 
nach  allen  Richtungen  hin.  Die  Einwohner  Chiraz'  lust- 
wandeln über  den  Häusern,  über  den  Straßen,  über  der 
Stadt,  sie  benutzen  ihre  Dächer  als  Ablagerungsort,  und 
alles  findet  man  hier  —  sogar  ein  totes,  schon  von  den 
Raben  zerhacktes  Pferd.  Unterhalb  dieser  Erdkruste, 


uö 


die  dem  Rückenpanzer  einer  Schildkröte  gleicht,  also 
unterhalb  unserer  Füße,  entfaltet  sich  die  ganze  Tätig- 
keit von  Chiraz;  das  Leben  spielt  sich  hier  unter  der 
Erde  ab,  ein  wenig  stickig  zwar,  aber  schattig  und  kühl, 
und  sehr  geschützt  gegen  die  Regengüsse,  während  man 
hier  oben,  ganz  wie  in  den  westlichen  Städten,  allen 
Launen  des  Himmels  ausgesetzt  ist. 

Die  Monumente  aus  alter  Fayence,  dort  unten  suchte 
man  sie  vergebens  —  große,  abgerundete  und  eiförmig 
gebauchte  Kuppeln,  viereckige  Türme,  oder  kleine  Obe- 
lisken in  der  Gestalt  von  Torso-Säulen  und  -Spindeln  — 
springen  hier,  fern  und  nah,  leicht  und  ins  Auge  fallend 
aus  dieser  künstlichen  Wiese  hervor.  Eine  Wiese,  die 
übrigens  schmutzig  und  schäbig  anzuschauen  ist,  und 
aus  deren  Innern  man  das  Gesumme  eines  mensch- 
lichen Rienenschwarms  vernimmt;  von  dort  unten  aus 
den  überdachten  Straßen,  aus  den  Tunnels,  die  sich  in 
dem  ungeheuer  großen  Maulwurfshügel  kreuzen,  dringt 
das  Stampfen  der  Pferde,  das  Glockenspiel  der  Kara- 
wane, die  feilbietenden  Rufe  der  Kaufleute,  das  Stim- 
mengewirr zu  uns  herauf.  Die  miteinander  in  Verbin- 
dung stehenden  Dächer  sind  oft  von  ungleicher  Höhe, 
und  so  gibt  es  hier  Hügel  und  Täler,  gefährliche  Schlit- 
terbahnen, auch  Löcher,  Spalten,  oft  stößt  man  in 
diesem  verfallenen  Viertel  auf  große  Vertiefungen;  aber 
die  langen,  geraden  Alleen  der  Rasare  bilden  bequeme 
Wege,  wo  eine  jede  Öffnung,  durch  die  die  Leute  dort 
unter  atmen,  uns  im  Vorübergehen  einen  unerwarteten 
Lärm  entgegenschickt. 

Um  uns  einer  großen,  ganz  blauen,  der  ältesten  und 
ehrwürdigsten  Moschee  nähern  zu  können,  müssen  wir 
über  den  Kupferbasar  schreiten,  und  dort  hören  wir  ein 

96 


Spazierritt  vornehmer  Perserinnen 


seltsames  Geräusch,  das  aus  dem  Innern  der  Erde  zu 
dringen  scheint:  den  Lärm  lausender  von  Hämmern. 

Von  Zeit  zu  Zeit  sielht  man  in  irgendeinen  Hof  hinab, 
aber  es  wäre  unhöflich,  lange  stehenzubleiben;  seine 
Lehmwände  sind  verfallen  und  mit  alten,  selten  gefärb- 
ten Fayencen  bekleidet,  und  wie  überall,  so  stehen  auch 
hier  Orangenbäume,  blühende  Rosenbüsche.  Die  Sonne 
Persiens  strahlt  fast  ein  wenig  zu  sehr  auf  die  mit 
Trümmern  bedeckten  Dächer  herab,  wo  das  Gras  so 
verbrannt  ist,  wie  bei  uns  im  Herbst,  und  wirklich,  man 
beneidet  die  Menge,  die  dort  unten  im  Schatten  kreist. 

In  der  Nähe  gesehen,  ist  die  schöne,  heilige  Moschee, 
vor  der  wir  jetzt  stehen,  nur  noch  eine  Ruine;  unter 
einem  Traum  von  Emaillereichtum  verfällt,  verschwin- 
det sie  —  und  niemals  wird  sie  ausgebessert  werden. 
In  das  verschiedene  Blau  ihrer  Fayencebekleidung 
mischt  sich  ein  wenig  Gelb,  ein  wenig  Grün,  gerade 
genug,  um  in  der  Ferne  zu  der  Farbe  des  alten  Türkise- 
blau zu  verschmelzen.  Einige  Iriszweige,  einige  Rosen- 
zweige springen  auch  hier  und  da  aus  dem  Ganzen  her- 
vor; die  Meister  der  Glasierkunst  haben  sie  wie  zufällig 
hingeworfen  über  die  langen  religiösen  Inschriften,  die 
in  weißen  Lettern  auf  kaiserblauem  Grunde  die  Tore 
einrahmen  und  an  den  Friesen  entlanglaufen.  Aber  wie 
kann  man  in  diese  Moschee  eindringen?  Von  uns  aus 
gesehen,  verschwinden  die  ganz  niedrigen  Portale  unter 
Erd-  und  Trümmerhaufen.  Die  hundertjährigen  Häuser 
der  Umgegend,  die  fast  vollständig  verfallen  sind,  be- 
graben sie  unter  ihrem  Schutt. 

Auf  meinem  Naohhausewege  komme  ich  an  dem 
kleinen  jüdischen  Basar  meines  Viertels  vorüber,  alle 
Läden  sind  geschlossen,  die  Kaufleute  sitzen  vor  der 

7     Perilen.  97 


Tür  und  halten  irgendein  mosaisches  Buch  in  der  Hand: 
Heute  ist  Sabbath;  ich  hatte  es  vergessen.  Hier  erkennt 
man  alle  Leute  Israels  an  der  üblichen  Tonsur,  die  sich 
hinten  vom  Nacken  bis  zum  Wirbel  des  Kopfes  hin  er- 
streckt. , 

Sonntag,  29.  April. 

Der  frühe  Morgen  schon  sieht  mich  mit  Hadji-Abbas 
auf  dem  Lande,  wir  wollen  noch  vor  der  großen  Mit- 
tagshitze das  Grab  des  Dichters  Saadi  und  das  Grab  des 
Dichters  Hafiz  besuchen. 

Zuerst  folgen  wir  der  Landstraße  nach  Ispahan,  auf 
der  ich  zweifellos  in  zwei  oder  drei  Tagen  dahinwan- 
dern  werde,  um  nie  wieder  zurückzukehren ;  sie  ist  groß 
und  breit  und  läuft  zwischen  Moscheen,  zwischen  fried- 
lichen, von  Zypressen  beschatteten  Kirchhöfen,  zwi- 
schen Orangengärten  dahin,  deren  lange  Lehmmauern 
mit  ungezählten  Spitzbogen  verziert  sind;  viele  Bäche 
und  Gräben  durchschneiden  sie,  aber  diese  wirken  nicht 
störend,  denn  hier  fahren  keine  Fuhrwerke.  Die  Vögel 
verkünden  den  Frühling,  und  wie  immer  ist  die  Land- 
schaft unter  diesem  merkwürdig  klaren  Himmel  wun- 
derbar schön.  Am  Fuße  der  großen  Berge,  die  von  allen 
Seiten  die  Aussicht  versperren,  sieht  man  auf  den 
nächstgelegenen  Hügeln  ein  leichtes,  grünes  Gewebe 
sich  ausbreiten;  es  sind  die  Weinberge,  denen  wir  den 
berühmten  Wein  von  Chiraz  verdanken,  —  und  man 
sagt  auch,  daß  die  Iraner  im  Verborgenen  gegen  das 
Gesetz  des  Korans  diesem  Wein  zusprechen.  Die  Land- 
straße des  Nordens  ist  weit  mehr  besucht  als  der  Weg 
nach  ßouchir,  den  wir  benutzten:  so  sehen  wir  auch 


98 


shier  in  den  Feldern  Hunderte  von  angepflöckten  Kame- 
len, die,  umgeben  von  ungezählten  Warenballen,  stehen 
oder  Jtnien.  Sie  ersetzen  in  dem  Lande  des  glücklichen 
Stillstandes  die  Eisenwerke  und  Kohlenhaufen  unserer 
großen  Vorstädte. 

Schließlich  steigen  wir  auf  Querpfaden  zu  dem 
Friedhof  an,  wo  seit  bald  sechshundert  Jahren  der  an- 
mutige Dichter  Persiens  ruht.  Das  Geschick  dieses  Hafiz 
ist  bekannt,  bescheiden  begann  er  im  vierzehnten  Jahr- 
hundert in  irgendeiner  Lehmruine  Chiraz'  Brot  zu  kne- 
ten, aber  er  sang  mit  den  Vögeln  um  die  Wette,  bald 
wurde  er  berühmt,  wurde  der  Freund  der  Vezire  und 
Prinzen,  entzückte  sogar  den  wilden  Tamerlan.  Die  Zeit 
hat  keine  Asche  auf  ihn  gestreut;  noch  heutigen  Tages 
sind  seine  Sonette  ebenso  bekannt  wie  die  des  Saadi, 
entzücken  in  gleichem  Maße  die  Gelehrten  Irans,  wie 
die  unbekannten  Tcharvadare,  die  sich  an  ihnen  er- 
freuen, wenn  sie  ihre  Karawanen  führen. 

Der  Dichter  schläft  unter  einem  Achatgewölbe,  um- 
geben von  dem  herrlichsten  Gehege,  wo  blühende  Oran- 
genalleen, Rosenbeete  und  kühle  Springbrunnen  stehen. 
Und  dieser  Garten  wuchs  im  Laufe  der  Jahrhunderte  zu 
einem  vollendet  schönen  Friedhof  an;  denn  allen  vor- 
nehmen Bewunderern  des  Dichters  wurde  einem  nach 
dem  andern  auf  ihre  Bitten  gestattet,  neben  ihm  zu 
scthlafen.  Überall  ragen  jetzt  ihre  weißen  Gräber  zwi- 
schen den  Blumen  hervor.  Die  Nachtigallen  wohnen 
hier  zu  Tausenden,  allabendlich  werden  sie  ihre  kleinen 
kristallhellen  Stimmen  zu  Ehren  der  glücklichen  Toten 
erheben,  die,  aus  verschiedenen  Zeitaltern  stammend, 
in  gemeinsamer  Bewunderung  des  harmonischen  Hafiz 
in  seiner  Nähe  schlafen. 


99 


In  diesem  Garten  liegen  auch  kleine  von  Kuppeln 
überdachte  Lusthäuser,  in  denen  man  beten  oder  träu- 
men kann.  Die  Wände  sind  ganz  mit  Glasur  bekleidet, 
sie  schimmern  in  den  "verschiedensten  blauen  Tönen, 
vom  dunklen  Indigo  bis  zum  blassen  Türkis,  sie  sind 
alle  mit  denselben  Zeichnungen  geschmückt,  wie  man 
sie  von  den  alten  Stickereien  kennt.  Kostbare  Teppiche 
liegen  auf  der  Erde,  und  die  Decke,  die  in  tausend  Fa- 
zetten,  tausend  kleine  geometrische  Flächen  zerlegt  ist, 
gleicht  dem  Werk  vieler  fleißiger  Bienen.  Zahllose 
Vasen  stehen  hier,  immer  sind  sie  mit  großen  Sträußen 
gefüllt,  und  heute  morgen  sind  fromme  Menschen  da- 
mit beschäftigt,  diese  zu  erneuern:  Rosen,  Löwenzahn, 
Lilien,  alles  Blumen,  wie  sie  in  unseren  Ländern  auch 
schon  unsere  Väter  kannten,  aber  die  Rosen  herrschen 
vor,  riesenhaft  große  Rosensträuße. 

Und  schließlich  gelangen  wir  an  dem  Punkt  an,  wo 
man  die  schönste  Aussicht  auf  Ghiraz  hat,  „die  Königin 
von  Iran"  ist  ein  großer  nach  allen  Seiten  hin  geöffneter 
Saal,  er  wurde  in  alten  Zeiten  erbaut,  um  den  beschau- 
lichen Besuchern  als  Schutz  gegen  die  Sonne  zu  dienen, 
eigentlich  besteht  er  nur  aus  einem  flachen,  sehr  bunt 
gestrichenen  Dach,  das  von  vier  persichen  Säulen  ge- 
tragen, in  einer  beträchtlichen  Höhe  liegt,  diese  Säulen 
sind  ungewöhnlich  schlank,  ungewöhnlich  hoch,  und 
ihr  Kapital  gleicht  auch  der  fleißigen  Arbeit  der  Bienen 
oder  der  Wespen.  Auf  den  Gebetsteppichen  sitzen  zwei 
oder  drei  Greise.  Wie  sie  dort  am  Fuße  der  seltsamen 
Säulen  lehnen,  ähneln  sie  Vignetten  aus  alten  Zeiten; 
ihre  Astrachanhüte  sind  so  hoch  wie  Bischofsmützen, 
sie  rauchen  ihre  Kalyan,  und  der  ziselierte  Wasserbehäl- 
ter steht  auf  einem  metallenen  Dreifuß.  Vor  ihnen  liegt 


ioo 


glänzend  in  der  Morgensonne  das  nimmer  wechselnde 
Land,  das  Land,  das  Hafiz  besungen  hat.  Zwischen  den 
dunklen  Stammen  der  nahen  Zypressen,  hinter  den  Fel- 
dern von  weißem  Mohn,  den  Feldern  von  lila  Mohn, 
deren  Tinten  sich  zu  einer  weichen  Marmorierung  ver- 
schmelzen, weit  hinten  in  der  klaren  Ferne  grüßt  uns 
die  Stadt  des  trockenen  S  taubes;  wir  sehen  ihre  zarten 
grau  und  rosa  Töne,  sehen  die  Fayence-Moscheen  in 
der  Sonne  leuchten,  sehen  die  turbanähnlich  auf- 
gebauchten  Kuppeln  mit  ihrem  unvergleichbaren,  viel- 
farbigen Blau.  Alles  dies  ist  wunderbar  orientalisch,  die 
Gärten,  die  glasierten  Lusthäuser,  die  Säulen  des  Vor- 
dergrundes, die  Greise,  deren  Silhouetten  den  Magiern 
gleichen,  und  dort  in  der  Ferne  hinter  den  schwarzen 
Zypressen,  diese  Stadt,  von  deren  Art  es  auch  keine 
zweite  mehr  gibt.  Man  befindet  sich  gleichsam  in  dem 
Rahmen  eines  alten  persischen  Miniaturbildes,  das  bis 
ins  Unermeßliche  gestiegen  und  fast  zur  Wahrheit  ge- 
worden ist.  —  Die  Orangenbäume,  die  Rosen  strahlen 
einen  süßen  Duft  aus,  der  Stunde  haftet  etwas  Ab- 
geschlossenes, etwas  Unbewegliches  an,  die  Zeit  scheint 
nicht  mehr  zu  fliehen  . . .  Ach,  welch  ein  Gefühl  an 
einem  solchen  Morgen  hierhergekommen  zu  sein,  dies 
alles  gesehen  zu  haben! . . .  Man  vergißt  die  vielen  Lei- 
den, die  man  während  der  Reise  zu  erdulden  hatte,  ver- 
gißt die  nächtlichen  Aufstiege,  vergißt  den  Staub  und 
das  Ungeziefer,  man  fühlt  sich  für  alle  Strapazen  reich- 
lich belohnt.  Über  diesem  Chiraz  liegt  wirklich  ein  Zau- 
ber, etwas  Geheimnisvolles,  das  wir  nicht  in  Worte  zu 
kleiden  vermögen,  das  zwischen  unserem  westlichen 
Phrasenreichtum  hindurchschlüpft.  Ich  verstehe  in  die- 
sem Augenblick  die  Begeisterung  der  persischen  Dich- 


lor 


ter,  die  Überschwenglichkeit  ihrer  Bilder,  die  allein 
die  geschauten  Wunder  auszudrücken  vermochten,  weil 
sie  genügend  Verschwommenheit,  genügend  Farbe  be- 
saßen. 

Weiterhin  liegt  das  Grab  des  Saadi,  der  nach  unserer 
Zeitrechnung  ungefähr  i  ig4  zu  Chiraz  geboren  wurde, 
also  zwei  Jahrhunderte  vor  Hafiz.  Er  kämpfte  in  Palä- 
stina gegen  die  Kreuzfahrer.  Weit  einfacher,  mit  größe- 
rer Natürlichkeit,  mit  weniger  Übertreibung  als  sein 
Nachfolger,  wird  bei  uns  im  Westen  mehr  gelesen  als 
jener.  Ich  erinnere  mich  noch  meines  Entzückens,  als 
ich  in  frühester  Jugend  irgendeine  übersetzte  Stelle  aus 
seinem  „Land  der  Rosen"  las.  Hier  sagen  sogar  die 
kleinen  Kinder  noch  seine  Gedichte  auf.  —  Alle  Dichter 
können  dies  Land  beneiden,  dies  Persien,  wo  weder 
Formen,  noch  Gedanken,  noch  die  Sprache  sich  ändert, 
wo  nichts  in  Vergessenheit  gerät!  Wer  entsinnt  sich 
bei  uns,  mit  Ausnahme  der  Gelehrten,  noch  unserer 
Minnesänger,  der  Zeitgenossen  des  Saadi;  wer  entsinnt 
sich  nur  noch  des  einen,  des  wunderbaren  Ronsard? 

Trotzdem  hat  der  Scheik  Saadi  nur  ein  einfaches 
Grab;  er  liegt  nicht  wie  Hafiz  unter  einem  Achat- 
gewölbe, sondern  nur  unter  einem  weißen  Stein  in  einem 
bescheidenen  Leichenhäuschen,  und  obgleich  diese 
Stätte  erst  vor  einem  Jahrhundert  ausgebessert  wurde, 
erzählt  sie  doch  schon  jetzt  von  Verfall  und  Verlassen- 
heit. Aber  in  dem  das  Grab  einschließenden  Hain  wach- 
sen so  viele  Rosen,  stehen  so  viele  Rosensträucher!  Und 
neben  den  echten  Rosen,  die  man  dem  Dichter  pflanzte, 
sprießen  auch  wilde  Rosen  aus  der  Erde  hervor,  sie 
bilden  eine  lange  Hecke  und  führen  in  der  Richtung 
des  einsamen  Weges  ganz  bis  zu  ihm.  Und  die  Bäume 


102 


seines  kleinen  Waldes  sind  voll  von  Nestern  der  Nach- 
tigallen. 

Aus  dem  reinen  Licht  und  dem  großen  Frieden  des 
Landes  in  die  Stadt  zurückgekehrt,  legt  sich  die  Dunkel- 
heit und  der  unterirdische  Lärm  schwer  auf  uns,  der 
Geruch  von  Schimmel,  Unrat,  von  toten  Mäusen  folgt 
gar  zu  unmittelbar  auf  den  Duft  der  Gärten,  und  da  die 
Augen  noch  durch  die  Sonne  verwöhnt  sind,  fällt  es  im 
ersten  Augenblick  schwer,  den  Pferden  und  Maultieren 
auszuweichen. 

Wir  erreichen  den  Basar  der  Sattler,  der  der  präch- 
tigste der  ganzen  Stadt  ist,  und  der  einem  unendlich 
langen  Kirchenschiff  gleicht.  —  Er  wurde  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  zur  letzten  Glanzzeit  Chiraz'  von 
dem  Regenten  Persiens,  Kerim-Khan  erbaut.  Damals 
war  Chiraz  sogar  Hauptstadt,  und  ihr  Herrscher  brachte 
ehemaligen  Pomp  und  Wohlfahrt  in  das  Innere  der 
alten  Mauern.  —  Der  Basar  bildet  eine  lange  Allee,  die 
aus  schiefergrauen  Steinen  besteht,  sie  ist  sehr  hoch 
gewölbt  und  zeigt  eine  endlos  lange  Reihe  kleiner  Kup- 
peln; ein  wenig  Licht  dringt  durch  die  durchlöcherten 
Spitzbogen,  zuweilen  fällt  auch  ein  Sonnenstrahl,  gleich 
einem  goldenen  Pfeil,  auf  einen  seidenen,  seltenen  Tep- 
pich, auf  einen  kostbar  gestickten  Sattel,  oder  auf  eine 
Gruppe  von  Frauen  —  immer  dieselben  schwarzen 
Schatten  mit  der  kleinen  weißen  Maske  — ,  die  mit 
leiser  Stimme  Rosensträuße  feilbieten. 

Nachmittags  wird  mir  als  besondere  Gunst  gestattet, 
in  den  Hof  der  Moschee  Kerim-Khans  einzudringen. 
Von  Tag  zu  Tag  sehe  ich  das  Mißtrauen  um  mich  her 
fallen,  und  so  liebenswürdig  und  gutmütig  erscheinen 
mir  die  Leute,  daß,  bliebe  ich  noch  länger  hier,  mir 


ioo 


sicher  erlaubt  würde,  auch  die  allerverbotensten  Plätze 
aufzusuchen. 

Von  einem  Ende  Chiraz'  bis  zum  anderen  ist  die 
Auffassung  der  Portale  aller  Moscheen  und  Schulen 
immer  dieselbe,  stets  ein  gewaltiger  Spitzbogen,  den 
eine  Mauerquader  in  seiner  ganzen  Höhe  durchbricht, 
kein  Gesims,  kein  Fries  stört  die  einfachen  strengen 
Linien,  aber  die  gleichmäßige  Oberfläche  ist  von  oben 
bis  unten  mit  einer  wunderbaren  bunten  Glasur  geklei- 
det, ist  gemustert  wie  ein  kostbarer  Brokatstoff. 

Das  große  Portal  des  Kerim-Khan  zeigt  denselben 
Stil.  Es  scheint  über  ein  hohes  Alter  zu  klagen,  und 
doch  zählt  es  noch  kaum  zwei  Jahrhunderte,  seine  Gla- 
surbekleidung, deren  Glanz  sich  fast  ganz  erhalten  hat, 
fällt  stellenweise  ab,  und  macht  den  wilden  Blümchen 
und  dem  grünen  Gras  Platz.  Einige  Chirazianer  wollen 
es  verantworten,  mich  vor  die  ehrwürdige  Schwelle  zu 
führen,  aber  sie  zittern  ein  wenig,  als  ich  sie  über- 
schreite. Ihr  Zögern  und  das  Schweigen  der  Moschee  zu 
der  verlassenen  Stunde,  die  sie  gewählt  haben,  lassen 
diesen  glänzenden,  ruhigen  Ort,  diesen  heiligen  Hof 
noch  reizvoller  erscheinen  . . . 

Die  architektonischen  Linien  sind  von  seltener  Er- 
habenheit und  absoluter  Ruhe,  aber  überall  herrscht 
eine  wahnsinnige  Verschwendung  in  blauer  und  roter 
Glasur,  kein  Teilchen  der  Mauer,  das  nicht  glasiert 
wäre;  man  befindet  sich  in  einem  melancholischen  aus 
Lapislazuli  und  Türkisen  erbauten  Palast,  nur  zuwei- 
len belebt  eine  Füllung  von  blühenden  Rosen  die  trau- 
rige Umgebung.  Der  ungeheure  Hof  liegt  fast  ganz 
verlassen  da,  an  seine  geraden,  glatten  Wände  lehnen 
sich  vollendet  schön  geformte  Spitzbogen,  —  sie  bilden 


Gewölbe,  Kreuzgänge,  in  deren  Schallen  die  reiche  Gla- 
sur leuchtet  und  strahlt;  und  dort  im  Hintergrunde,  uns 
Eintretenden  gerade  gegenüber,  erhebt  sich  ein  groß- 
artiger  Quaderbau,  der  alles  andere  überragt  und  in 
dessen  Mitte  ein  einzelner,  gewaltiger  Spitzbogen  ein- 
gehauen ist:  die  Tür  des  Heiligtums,  in  das  man  mich 
nicht  hineinzuführen  wagt. 

Zwei  oder  drei  Greise,  die  sich  in  einer  der  Nischen 
zum  Gebet  niedergeworfen  hatten,  erheben  den  Kopf 
und  sehen  den  Eindringling  prüfend  an,  aber  da  sie 
mich  in  guter  muselmännischer  Begleitung  finden, 
kehren  sie  alsbald,  ohne  ein  Wort  zu  sagen,  zu  ihrem 
Gebet  zurück.  Bettier  sitzen  in  der  Sonne,  sie  nähern 
sich  uns  bei  unserem  Eintritt,  um  sich  unter  Segens- 
wünschen wieder  zurückzuziehen,  nachdem  ich  ihnen, 
wie  man  mir  geheißen  hat,  große  Almosen  in  die  Hand 
drückte.  Alles  geht  gut,  und  wir  können  uns  auf  den 
alten  gerissenen,  zerspaltenen  Fliesen,  zwischen  denen 
das  Gras  wächst,  weiter  vorwagen,  können  bis  zu  dem 
Abwaschungsbecken  mitten  im  Hofe  vordringen.  Die 
tausend  verschiedenen  komplizierten  und  trotzdem  so 
harmonischen,  beruhigenden  Muster,  die  die  Perser 
schon  seit  Jahrhunderten  für  ihren  Sammet,  ihre  Seide 
und  Wolle  entwerfen,  sind  auch  hier  unter  der  unver- 
wüstlichen Glasur  der  Fayencen  überall  zu  sehen;  sie 
decken  die  Mauern  von  oben  bis  unten.  Von  einer  wun- 
derbaren Farbenstimmung,  von  einer  naiven  Anmut  ist 
aber  jede  einzelne  der  großen  Blumenfüllungen,  die 
stellenweise  die  Eintönigkeit  der  Arabesken  verdrängen. 
Man  könnte  fast  sagen,  daß  alle  Mauern  der  großen 
Umzäumung  mit  den  verschiedenartigsten  persischen 
Teppichen  behangen  sind.  Und  die  Erdbeben,  von  denen 


ioj 


die  alte  Moschee  heimgesucht  wurde,  haben  tiefe  Spal- 
ten hinterlassen,  die  den  Rissen  in  den  kostbaren  Ge- 
weben ähnlich  sehen. 

Nachdem  die  betenden  Greise  wieder  in  das  Land 
ihrer  Träume  untergetaucht  sind,  nachdem  die  Bettler 
von  neuem  auf  den  Fliesen  kauern,  kehrt  das  Schwei- 
gen, der  erhabene  Friede  in  den  Palast  des  Lapislazuli 
und  der  Türkisen  zurück.  Die  rötlichen  Strahlen  der 
Abendsonne  fallen  schon  schräge  auf  den  großen  Reich- 
tum der  bläulich  wiederscheinenden  Glasur  herab,  un- 
willkürlich stelle  ich  mir  vor,  daß  eine  sehr  alte  Sonne, 
deren  ungezählte  Jahre  sich  ihrem  Ende  zuneigen,  eine 
ähnliche  Farbenwirkung  hervorzurufen  vermag,  und  in 
vollen  Zügen  genieße  ich  den  Reiz,  zu  einer  so  stim- 
mungsvollen Stunde  mich  an  einem  weltfernen,  ge- 
heimnisvollen, verbotenen  Ort  befinden  zu  dürfen  . . . 

Ich  glaube  nicht,  daß  viele  Europäer  vor  mir  in  Chi- 
raz  den  Hof  einer  Moschee  betreten  haben. 

Unsere  Abreise  war  auf  morgen  festgesetzt,  aber  es 
scheint,  daß  niemand  Wort  hält;  der  Tcharvadar  hat 
nach  einer  genaueren  Prüfung  meines  Gepäcks  erklärt, 
daß  es  zu  viele  Stücke  seien  und  zieht  sich  deshalb 
zurück.  So  muß  ich  wieder  von  vorne  anfangen. 

Ich  werde  allmählich  ganz  heimisch  in  dieser  Stadt; 
ich  gehe  allein  aus  und  finde  mich  sehr  gut  in  dem 
Labyrinth  der  dunklen  Gäßchen  zurecht.  Dort  unten 
auf  dem  Platz,  zwischen  der  rosaroten  Moschee  und  den 
baufälligen  Wällen  empfängt  man  mich  in  dem  klei- 
nen Cafe,  wohin  ich  allabendlich  pilgere,  schon  ganz 
vertraulich;  man  bringt  mir  ,, meine"  Kalyan,  und  par- 
fümiert das  klare  Wasser  des  Behälters  mit  Orangen- 

106 


bluten  und  einigen  roten  Rosen.  Aber  sobald  der  April- 
abend hereinbricht,  kehre  ich  in  meine  Wohnung  zu- 
rück, denn  immer  macht  sich  in  diesem  hochgelegenen 
Lande  eine  empfindliche  Kälte  fühlbar,  und  immer  ist 
die  Dämmerung  trotz  der  jauchzenden  Schreie  der  Seg- 
ler, die  sich  mit  dem  Gesang  der  Gebetsrufer  in  den 
Lüften  verschmelzen,  unendlich  traurig. 

Heute  abend,  während  ich  einsam  heimwärts  wan- 
dere, entdecke  ich  an  dem  perlmutterf arbenen  Himmel 
zwischen  zwei  hohen  Giebeln  eine  schmale,  zuneh- 
mende Mondsichel;  Neumand,  der  erste  Mond  der  per- 
sischen Fastenzeit.  Unterwegs  begegne  ich  einer  unge- 
wöhnlichen Menge  schwarzer,  undurchdringlicher  ver- 
hüllter Schatten,  die  in  der  Dunkelheit  an  mir 
vorüberschweben;  man  muß  in  den  streng  mohamme- 
danischen Städten  gewohnt  haben,  um  verstehen  zu  kön- 
nen, wie  sehr  das  Leben  dadurch  getrübt  wird,  nie, 
niemals  das  Gesicht,  niemals  das  Lächeln  einer  jungen 
Frau  oder  eines  Mädchens  zu  sehen ...  In  dem  kleinen, 
meiner  Wohnung  gegenüberliegenden  israelitischen  Ba- 
sar sind  die  dreiarmigen  Lampen  schon  angezündet.  Sie 
brennen  in  den  Buden  der  Kaufleute.  Die  Jüdinnen 
haben  nicht  das  Recht,  die  kleine  weiße  Maske  der 
Mohammedaner  zu  tragen,  aber  da  sie  trotzdem  ihr 
Gesicht  nicht  zeigen  dürfen,  schließen  sie  bei  meinem 
Anblick  ihren  schwarzen  Schleier  noch  fester;  und  so 
sind  auch  mir  alle  ganz  unbekannt.  Endlich  finde  ich 
meine  Tür,  sie  ist  ebenso  versteckt,  ebenso  baufällig, 
ebenso  eisenbeschlagen  wie  alle  anderen  der  Umgegend, 
aber  der  Klang  ihres  Klopfers,  der  in  der  Dunkelheit 
und  dem  Schweigen  widerhallt,  ist  mir  schon  ein  ver- 
trautes Geräusch. 


IO' 


Dienstag,  i.  Mai. 
Bereits  vor  Hereinbruch  der  Morgendämmerung 
saßen  wir  zu  Pferde.,  und  die  aufgehende  Sonne  findet 
uns  in  den  Ruinen  eines  uralten,  aus  grauen  Vorzeiten 
stammenden  Palastes  wieder.  Auf  den  Basreliefs  sind 
die  Stellungen,  die  Bewegungen,  die  Kämpfe  und  die 
Todesangst  der  Menschen  und  Tiere,  wie  sie  vor  Tau- 
senden von  Jahren  lebten,  verewigt.  Die  Ruinen  liegen 
am  Fuße  der  Berge,  die  im  Norden  die  Ebene  von  Ghi- 
raz  einschließen;  auf  einem  dürren,  staubigen,  von  der 
Sonne  verbrannten  Plateau  sind  sie  immer  mehr  dem 
Verfall  anheimgegeben;  man  sieht,  daß  hier  große  Säu- 
lenreihen, mächtige  Mauern  gestanden  haben,  aber  alles 
ist  so  verwischt,  daß  sich  kein  übersichtlicher  Plan  aus 
dem  Ganzen  herauslöst;  was  früher  das  Werk  mensch- 
licher Hände  war,  geht  jetzt  in  die  einfache  Felswand 
über;  unter  dem  Staub  und  Trümmerhaufen  sieht  man 
noch  zuweilen  die  Darstellung  einer  Jagd  oder  einer 
Schlacht,  sie  ist  in  ein  Mauerstück  gehauen;  die  Orna- 
mentik der  Friese,  weit  gröber  zwar,  erinnert  an  die 
Denkmäler  Thebens:  man  könnte  glauben,  es  seien 
ägyptische,  sehr  naive  Zeichnungen,  die  von  Barbaren 
wiedergegeben  wurden.  Der  Palast,  der  heute  keinen 
Xamen  mehr  trägt,  beherrscht  ein  kühles  Tal,  wo  das 
Gebirgswasser  zwischen  Schilf  und  Weiden  dahinfließt, 
und  am  anderen  Ufer  des  kleinen  Flusses,  den  Ruinen, 
auf  denen  wir  stehen,  gegenüber,  erhebt  sich  ein  senk- 
rechter Berg,  der  mit  den  gleichen  Figuren  der  Fels- 
wand geschmückt  ist.  Menschen  mit  Bischofmützen, 
sie  strecken  die  verstümmelten  Arme  in  die  Luft,  sie 
rufen  und  machen  unverständliche  Zeichen.  Welcher 
Monarch  mag  hier  gewohnt  haben?  Welcher  Monarch 

10S 


ist  verschwunden,  ohne  eine  Spur  in  der  Geschichte  zu 
hinterlassen?  Ich  glaubte,  daß  diese  Ruinen,  die  mir 
fast  ganz  unbekannt  waren,  und  auf  die  ich  durch 
Hadji-Abbas  aufmerksam  gemacht  wurde,  von  Achä- 
menides  herstammten ;  aber  würde  dieser  Herrscher  der 
Erde  sich  mit  einer  so  plumpen,  so  einfachen  Wohnung 
zufriedengegeben  haben?  Nein,  dies  alles  muß  auf  die 
graue  Vorzeit  zurückzuführen  sein.  Nirgends  sieht  man 
eine  Inschrift,  und  nur  den  angestrengtesten  Nachfor- 
schungen würde  es  gelingen,  diesen  Steinen  ihr  Ge- 
heimnis zu  entlocken.  Aber  solche  Trümmer  genügen, 
um  zu  beweisen,  daß  die  Hochländer  Chiraz'  von  An- 
beginn an  der  Mittelpunkt  menschlicher  Tätigkeit  wa- 
ren. Nach  Aussage  meiner  chirazianischen  Freunde  gibt 
es  auch  in  den  Höfen  gewisser  Moscheen  geheimnis- 
volle, vorgeschichtliche  Grundmauern,  altehrwürdige, 
gehauene  Porphyre,  deren  Alter  niemand  zu  sagen  weiß, 
und  nach  all  diesem  könnte  man  annehmen,  daß  die 
Gründung  der  Stadt  noch  viel  früher  stattgefunden 
haben  muß,  als  um  das  Jahr  695  nach  unserer  Zeit- 
rechnung —  das  die  mohammedanische  Chronologie  als 
Gründungs  jähr  festgesetzt  hat. 

Kurz  nur  war  der  Besuch,  den  wir  diesen  Palästen 
abstatten  durften,  dann  kehrten  wir  mit  verhängtem 
Zügel  zurück,  um  noch  mit  dem  Pferdehändler  ver- 
handeln, um  noch  wenigstens  den  Versuch  machen  zu 
können,  die  nötigsten  Reisevorbereitungen  zu  treffen. 

In  dem  Augenblick,  wo  die  Ausrufer  ihr  Mittags- 
gebet gen  Himmel  senden,  langen  wir  wieder  zu  Hause 
an.  Der  Mittag  ist  heißer  als  gewöhnlidh ;  wir  haben 
heute  den  ersten  Mai  und  man  fühlt  den  Sommer  nahen. 
,, Allah  oder  Akbar!"   Von  meinem  Fenster  aus  sehe 


109 


ich  den  Sänger  der  nächsten  Moschee,  sein  Anblick  ist 
mir  schon  bekannt;  ein  Mann  in  einem  grünen  Ge- 
wände mit  einem  grauen  Bart,  ein  wenig  alt  zwar  für 
einen  Gebetsausrufer,  aber  seine  gellende  Stimme  ent- 
zückt noch  immer.  Hoch  steht  er  dort  oben  auf  der 
grasbewachsenen  Terrasse,  doch  nicht  vom  Himmel, 
sondern  von  der  alles  einschließenden,  aschgrauen  Ge- 
birgskette hebt  er  sich  ab.  Unbekümmert  läßt  ihn  die 
brennende  Sonne,  das  Gesicht  gegen  den  blauen  Zenit 
gewandt,  stößt  er  seinen  langen,  melancholischen  Schrei 
in  das  Schweigen,  in  das  Licht  hinaus,  und  seine  Töne 
verschlingen  für  mich  all  die  anderen,  die  zur  selben 
Stunde  von  den  verschiedensten  Punkten  Chiraz'  aus 
gen  Himmel  steigen.  Nachdem  er  geendet  hat,  höre  ich 
in  der  Ferne  eine  andere,  eine  ganz  frische,  ganz  junge 
Stimme  erklingen,  für  Augenblicke  zittert  sie  in  der 
Luft,  dann  schweigt  auch  sie,  und  der  mittägliche 
Todesschlaf  senkt  sich  über  die  Stadt  hernieder.  Von 
dem  wunderbaren  Himmel  heben  sich  zartweiße  Wölk- 
chen ab,  gleich  Vögeln  schweben  sie  dahin,  gepeitscht 
von  einem  glühenden  Wind.  . . . 

Nach  einer  anderthalbstündigen  Unterhaltung,  die 
sich  hauptsächlich  um  zwei  weitere  Pferde  dreht,  ist 
mein  Reisekontrakt  endlich  niedergeschrieben,  auf  un- 
verständlichem Persisch  auf  eine  Seite  gezwängt,  un- 
terzeichnet und  gesiegelt.  Morgen  soll  der  Aufbruch 
stattfinden,  und  obgleich  ich  eigentlich  gar  nicht  mehr 
daran  glaube,  mache  ich  mich  doch  schnell  auf  den 
Weg  nach  dem  Teppichbasar,  um  für  die  Reise  einige 
chirazianische  Quersäcke  zu  kaufen,  die  mit  ihrem  Ge- 
webe von  bunter  Wolle,  für  jeden  Reisenden,  der  etwas 
auf  sich  hält,  unentbehrlich  sind.  In  die  lange,  halb- 


1 10 


dunkle  Straße  sickern  die  Sonnenstrahlen  durch  Löcher 
in  dem  Gewölbe  herab,  und  lassen  die  kolibribunten 
Gebetteppiche  hier  und  da  in  grellem  Licht  aufleuch- 
ten. Hier  treffe  ich  auch  Hadji-Abbas  mit  zwei  oder 
drei  Honoratioren;  wir  bleiben  stehen,  tauschen  Höf- 
lichkeitsreden aus,  und  da  es  der  letzte  Tag  ist,  rau- 
chen wir  zusammen  eine  Abschieds-Kalyan  und  trinken 
eine  kleine,  ganz  kleine  Tasse  Tee.  —  Als  Stätte  für 
dieses  Rauchfest  haben  wir  in  der  Nähe  der  Silber- 
schmiede einen  jener  sehr  kleinen  Plätze  gewählt,  die 
in  gewissen  Abständen  unter  freiem  Himmel,  mitten 
in  der  drückenden,  schattenreichen  Stadt  gelegen  sind, 
und  die  für  jeden  eine  Überraschung  in  Bereitschaft 
halten:  eine  Flut  von  Licht  und  einen  plätschernden 
Springbrunnen,  umgeben  von  blühenden  Orangen- 
bäumen und  Rosensträuchern. 

Der  Vezir  von  Chiraz,  der  endlidh  in  seine  gute 
Stadt  zurückgekehrt  ist,  hat  mir  heute  morgen  sagen 
lassen,  daß  er  mioh  noch  heute,  zwei  Stunden  vor  Son- 
nenuntergang, was  bei  uns  ungefähr  fünf  Uhr  nach- 
mittags bedeutet,  zu  sehen  wünsdhe.  Er  wohnt  sehr 
weit  von  mir  entfernt,  in  dem  Stadtteil  der  Würden- 
träger. Mitten  in  einer  langen.,  grauen  Mauer  liegt  ein 
Spitzbogen,  dieser  wird  bewaoht  von  vielen  Soldaten 
und  Dienern,  die  alle  auf  teppichbelegten  Bänken  sitzen, 
er  dient  als  erstes  Eingangstor  zu  dem  Palast.  Zuerst 
schreite  ich  durch  die  Orangenallee  eines  Gartens,  und 
erreiche  schließlich  das  ganz  mit  Fayencen  bekleidete 
Wohnhaus,  das  abwechselnd  große,  buntfarbige  Por- 
träts und  kleinere  rosenbemalte  Fläohen  zeigt  Wäch- 
ter, verschiedene  Diener  mit  großen  Astrachanmützen 
stehen  Posten  vor  der  Tür  des  schönen  glasierten  Hau- 


iii 


ses,  und  auf  den  Fliesen  des  Vorraumes  liegen  un- 
gezählte türkische  Babuschen.  Die  Fliesen  sind  wie 
immer  so  auch  hier  mit  R.osen,  über  und  über  mit  Ro- 
sen bemalt.  In  dem  Salon  ist  die  Decke  zu  einem  Tropf- 
steingewölbe geformt,  man  sieht  viele  rote  Brokat- 
diwane, und  die  Erde  ist  mit  ganz  feinen,  sammetähn- 
lichen  Teppichen  bedeckt.  Nachdem  ich  neben  dem 
liebenswürdigen  Vezir  Platz  genommen  habe,  bringt 
man,  wie  für  Alladin,  für  jeden  von  uns  eine  aus  Gold 
ziselierte  Kalyan  und  in  einem  goldenen  Glase,  auf 
einem  chirazianischen  Mosaiktischchen  einen  geeisten 
Sorbet  Viele  Menschen  kommen  herbei,  schweigend 
grüßen  sie  uns,  setzen  sich  auf  ihre  Fersen  und  bilden 
einen  Kreis.  Die  orientalische  Etikette  verlangt,  daß  der 
Besuch  ein  wenig  lang  sei,  und  darüber  braucht  man 
sich  nicht  zu  beklagen,  wenn  der  Wirt,  wie  hier,  zu- 
gleich intelligent  und  vornehm  ist.  Man  spricht  von 
Indien,  wo  ich  eben  gewesen  bin,  der  Vezir  fragt  mich 
nach  der  dort  herrschenden  Hungersnot,  nach  der  Pest, 
deren  Nachbarschaft  ihn  beunruhigt.  —  „Ist  es  wahr, 
daß  die  Engländer  aus  Bosheit  Pestkranke  nach  Ara- 
bien geschickt  haben,  um  dort  die  Ansteckung  zu  ver- 
breiten?" Ich  weiß  nicht,  wie  ich  hierauf  antworten 
soll.  Als  ich  durch  Maskat  kam,  lautete  das  allgemeine 
Gerücht  also,  aber  die  Anschuldigung  ist  übertrieben. 
Dann  beklagt  er  den  immer  mehr  schwindenden  fran- 
zösischen Einfluß  in  dem  Persischen  Golf,  wo  unsere 
Flagge  fast  nie  mehr  zu  sehen  ist.  Und  nichts  macht 
mich  in  peinlicherer  Weise  darauf  aufmerksam,  wie 
sehr  wir  in  den  Augen  der  Fremden  gesunken  sind,  als 
die  mitleidige  Stimme,  mit  der  er  mich  fragt:  „Haben 
Sie  noch  einen  Konsul  in  Maskat?" 


1 12 


Was  meine  Reiseangelegenheiten  nach  Ispahan  be- 
trifft, so  stellt  der  Vezir  mir  bereitwilligst  eine  berittene 
Begleitmannschaft  zur  Verfügung;  aber  ob  sie  morgen 
schon  werden  aufbrechen  können,  das  kann  Allah  allein 


Abends  beantworten  lange  Schreie  den  Gesang  der 
Gebetsausrufer,  der  laute  Lärm  vieler  menschlicher 
Stimmen  steigt  von  unten  aus  dem  Schatten  der  Mo- 
scheen gen  Himmel.  Die  Fastenzeit  hat  begonnen,  und 
die  religiöse  Begeisterung  wird  sich  bis  zu  dem  Tage 
des  allgemeinen  Schluß rausches  steigern,  wo  man  sich 
die  Brust  zerfleischt  und  den  Schädel  verwundet.  Seit- 
dem der  verbotene,  verfolgte  Babismus  in  Persien  ein- 
gedrungen ist,  befindet  sich  der  Fanatismus  derjenigen, 
die  noch  schiitische  Muselmänner  geblieben  sind  und 
besonders  aller  derjenigen,  die  es  noch  zu  sein  vor- 
geben, in  stetem  Wachsen. 

Da  es  aber  vielleicht  mein  letzter  Tag  in  Chiraz  ist, 
gehe  ich  abend  gegen  den  Rat  meiner  vorsichtigen 
Diener,  noch  einmal  allein  aus.  Die  Eingeschlossenheit 
und  die  Traurigkeit  meines  Hauses  fallen  mir  auf 
die  Nerven,  und  ich  verspüre  große  Lust,  das  kleine 
Cafe  außerhalb  der  Mauern  mit  seinen  rosenroten 
Fayenzen  aufzusuchen  und  mir  meine  Kalyan  geben 
geben  zu  lassen. 

Der  Anblick  dieses  Platzes,  den  ich  niemals  bei  La- 
ternenbeleuchtung gesehen  habe,  bringt  mich  sofort 
außer  Fassung.  Er  ist  überfüllt  von  Menschen,  Leute 
aus  dem  Volk  oder  vom  Lande,  die  dicht  gedrängt 
nebeneinander  sitzen.  Kaum  finde  ich  einen  Platz  in  der 
Nähe  der  Tür  auf  einer  Bank,  neben  einem  Stammgast, 
der  mich  gewöhnlich  mit  ausgesuchtester  Höflichkeit 

8     Pereien.  Il3 


empfängt,  aber  der  jetzt  kaum  auf  meinen  Gruß  ant- 
wortet. Mitten  in  der  Versammlung  steht  ein  Greis  mit 
leuchtendem  Blick,  er  spricht  beredt  mit  übertriebenen, 
oft  aber,  schönen  Bewegungen.  Niemand  raucht,  nie- 
mand trinkt,  man  lauscht  seinen  Worten  und  unter- 
streicht einzelne  besonders  rührende,  besonders  schreck- 
liche Stellen  durch  leises  Wimmern.  Von  der  nahe- 
gelegenen Moschee  dringt  zuweilen  das  Geschrei  tausen- 
der  menschlicher  Stimmen  zu  uns  herüber.  Augen- 
scheinlich erzählt  der  Greis  von  den  Schmerzen,  dem 
Sterben  des  Hussin  *,  dessen  Namen  er  immer  wieder- 
holt: es  ist,  als  wenn  bei  uns  der  Prediger  von  der 
Leidensgeschichte  Christi  erzählt 

Plötzlich  ruft  mein  Nachbar,  mein  früherer  Freund, 
der  mich  kaum  eines  Blickes  würdigt,  mir  leise  auf 
türkisch  zu:  „Geht." 

„Gehtl"  Es  wäre  lächerlich,  ja  unvorsichtig,  länger 
zu  bleiben;  diese  Leute  brauchen  ja  keinen  Ungläubi- 
gen bei  ihrer  frommen  Abendandacht  zu  dulden. 

So  gehe  ich.  Von  neuem  umschließt  mich  das 
Schweigen  und  die  Dunkelheit,  ich  stehe  inmitten  der 
baufälligen  Wände,  inmitten  des  Labyrinths  überdach- 
ter Gäßchen.  Wie  der  kleine  Däumling  im  Walde  muß 
ich  auf  jedes  Zeichen  achten,  das  ich  mir  gemerkt 
habe,  um  die  gähnenden  Löcher  unter  meinen  Füßen 
zu  vermeiden,  das  ich  mir  gemerkt  habe,  um  in  die  rich- 
tigen Gänge  einbiegen  zu  können;  ich  schreite  lang- 
sam vorwärts,  strecke  wie  ein  Blinder  die  Arme  vor 
mich  hin,  und  begegne  auf  meinem  Wege  keinem  ande- 


*  Hussin  ist  ein  in  Persien  verehrter  Märtyrer,  Sohn  des 
Ali  und  Enkel  des  Propheten  Mahomet. 

n4 


ren  lebenden  Wesen,  als  den  vor  mir  fliehenden  Katzen, 
die  zu  dieser  Stunde  auf  nächtlichen  Raub  ausgehen. 

Und  niemals  habe  ich  in  einem  Land  des  Islam  ein 
solches  Gefühl  von  Einsamkeit  und  Verlassenheit  ge- 
habt 


Mittwoch,  2.  Mai. 

Wahrscheinlich  kann  heute  der  Aufbruch  stattfin- 
den, denn  seit  heute  morgen  werden  die  Vorbereitungen 
allen  Ernstes  betrieben.  In  der  Mittagsstunde  stellen 
sich  mir  zwei  Reiter  vor,  der  Gouverneur  schickt  sie 
mir,  ihre  Pferde  haben  sie  an  den  Klopfer  meiner  Tür 
gebunden,  und  man  hört  sie  in  der  Straße  stampfen 
und  wiehern.  Um  ein  Uhr  wird  unser  Gepäck  von  Juden 
auf  dem  Rücken  durch  den  kleinen  Basar  unseres  Vier- 
tels getragen  und  auf  die  Lasttiere  geladen. 

Es  herrscht  kein  Zweifel  mehr:  Man  legt  den  Pfer- 
den das  Geschirr  an.  Viele  Menschen  sind  außerhalb 
der  Wälle  Chiraz'  vor  den  Steinmauern  und  Erdhaufen 
herbeigeeilt,  um  unserer  Abreise  beizuwohnen,  und 
Bettler  scharen  sich  um  uns,  sie  bieten  uns  kleine  Ro- 
sensträuche an  und  wünschen  uns  glückliche  Reise. 

Um  zwei  Uhr  verlassen  wir  die  Stadt  auf  dem  Wege, 
der  sich  die  „Landstraße  von  Ispahan"  nennt,  und  der 
in  der  Tat  während  der  ersten  halben  Meile  eine  ziem- 
lich breite  Landstraße  ist,  dann  aber,  nachdem  wir  den 
Vorstädten,  Moscheen,  Gärten,  den  Friedhöfen  den 
Rücken  gekehrt  haben,  sehen  wir  nur  das  gewöhnliche 
Netz  schmaler  Stege  sich  vor  uns  ausbreiten,  Stege, 
wie  sie  die  Karawanen  zu  treten  pflegen. 


8* 


n5 


Wir  reiten  auf  eine  Öffnung,  einen  Ausgang  in  der 
die  Hochebene  Chiraz  einschließenden  Gebirgskette  zu, 
und  kaum  liegen  die  nördlichen  Mauern  eine  Meile  hin- 
ter uns,'  so  befinden  -wir  uns  auch  schon  in  den  öden 
Steppen,  außerhalb  der  grünen  Zonen,  außerhalb  der 
Oase  und  der  Stadt  des  Schlafes. 

Vor  einem  Jahrhundert  hat  der  Vezir  von  Chiraz  ein 
monumentales  Tor  errichtet,  das  den  Eingang  zu  dem 
Hohlweg  bildet:  einen  Triumphbogen,  der  sich  auf  die 
Einsamkeit,  auf  das  Chaos  von  Steinen,  auf  die 
Schrecken  der  Berge  öffnet. 

Ehe  wir  uns  hier  hineinbegeben,  machen  wir  halt, 
um  rückwärts  zu  blicken,  um  dieser  Stadt,  die  für 
immer  verschwindet,  Lebewohl  zu  sagen  . . .  Und  von 
welcher  Schönheit,  von  welchem  Reiz,  zeigt  sie  sich 
uns  zum  letztenmal . . .  Niemals  vor  heute  abend  haben 
wir  sie  in  einem  solchen  Überblick,  in  einer  so  günsti- 
gen Beleuchtung,  haben  wir  sie  in  diesem  alles  ver- 
zaubernden Licht  gesehen.  Man  könnte  sagen,  sie  sei 
gewachsen,  habe  eine  andere  Gestalt  angenommen!  Alle 
diese  vielen  Lehmhäuser,  Lehmwälle,  alle  die  Gegen- 
stände mit  ihren  weichen,  fast  formlosen  Umrissen,  ver- 
schmelzen, wachsen,  vereinen  sich  zu  einem  unbestimm- 
ten Ganzen.  Und  überall  nur  sieht  man  den  einen  grauen, 
zart  rosa  überhauchten  Ton,  die  eine  Färbung  des  Mor- 
gennebels: Gleich  Juwelen  strahlen  die  Kuppeln  der 
unnahbaren  Moscheen  in  der  Sonne  wieder,  deutlich 
heben  sie  sich  von  dem  übrigen  ab;  ihre  blauen 
Fayencen,  ihre  grünen  Fayencen  —  deren  Glanz  man 
heute  nicht  mehr  nachahmen  kann  — ,  leuchten  zu  die- 
ser Stunde  in  voller  Pracht,  mit  ihren  bauchigen  Kon- 
turen, ihren  runden  Silhouetten,  gleichen  sie  Riesen- 

116 


eiern  aus  lebhaftem,  aus  blassem  Türkis,  die  man,  ich 
weifo  nicht,  auf  ein  Nichts,  auf  dem  schieferfarbenen, 
taubengrauen  Umriß  einer  großen  Stadt  aufgebaut  hat. 

Bei  einer  plötzlichen  Senkung  des  Weges  verschwin- 
det dies  alles  auf  Nimmerwiedersehen,  und  wir  befinden 
uns  von  neuem  einsam  in  der  großen  Welt  der  Steine. 
Acht  Leute,  acht  Pferde,  das  ist  mein  ganzes  Gefolge, 
und  wenig  erscheint  es  in  dieser  Gegend  der  Wüsten 
und  der  Unendlichkeiten . . .  Steine,  Steine,  bis  in  die 
Ewigkeit  Steine.  Über  die  einsamen  Flächen  huschen 
die  Schatten  einiger  kleiner  wandernder  Wölkchen  da- 
hin. Die  Gipfel  der  Umgegend,  wo  noch  kein  Gras  hat 
wachsen  können,  zeigen  die  Formen,  die  ihnen  irgend- 
ein großer  geologischer  Sturm  verlieh;  zur  Zeit  der 
mineralischen  Umwälzungen  hat  ein  Wirbelwind  ihre 
verschiedenen  Schichten  durcheinander  geworfen,  in 
die  Höhe  getragen,  und  jetzt  heben  sie  sich  überall  mit 
denselben  krampfhaften  Bewegungen  ab,  wie  sie  sie  da- 
mals annahmen,  und  wie  sie  sie  bis  ans  Ende  der  Welt 
behalten  werden. 

Unser  Ritt  ist  langsam  und  beschwerlich,  jeden 
Augenblick  müssen  wir  absitzen,  um  die  Pferde  am 
Zügel  zu  führen,  denn  die  Abhänge  sind  zu  steil,  die 
Löcher  zu  gefährlich. 

Abends  sehen  wir  einen  schmalen  grünen  Streifen 
hervortauchen,  es  sind  die  Wiesen  einer  neuen  kleinen 
Oase,  die  dort  hinten  ganz  verlassen  in  diesem  Reich 
von  Steinen  liegt;  sie  ernährt  ein  Dorf.  Die  kleinen 
Lehmhäuschen  kleben  an  dem  Fuße  eines  majestätischen 
Berges  und  gleichen  in  der  Ferne  bescheidenen  Schwal- 
bennestern. Es  ist  Zaragoun,  wo  wir  die  Nacht  verbrin- 
gen werden.   Wir   setzen  den   ganzen   kleinen   Basar, 


117 


durch  den  wir  in  der  Dämmerung  reiten,  in  Bewegung. 
Die  Zimmer  der  Karawanserei  haben  gespaltene  Wände, 
und  die  Decke  ist  mit  Fledermäusen  übersät,  und  dort 
schlafen  wir  ein,  gefächelt  von  einem  kühlen  Wind- 
hauch, eingewiegt  von  dem  nächtlichen  Konzert  der 
Frösche,  die  zu  tausenden  unter  dem  Gras  in  dieser 
hochgelegenen  Oase  hausen. 


Donnerstag,  3.  Mai. 

Unsere  Reisezeit  haben  wir  jetzt  ein  für  allemal  an- 
ders gelegt,  seitdem  die  Sonne  nicht  mehr  so  tödlich 
brennt  wie  dort  unten.  Bis  nach  Ispahan  werden  wir 
täglich  zwei  Märsche  machen,  für  jeden  rechnen  wir 
vier  bis  fünf  Stunden,  und  zwischendurch  können  wir  in 
irgendeiner  Karawanserei  des  Weges  unseren  Mittags- 
schlaf halten.  Natürlich  müssen  wir  uns  früh  erheben, 
und  die  Sonne  steht  noch  nicht  am  Horizont,  als  man 
uns  heute  morgen  in  Zaragoun  weckt 

Das  erste  Bild  dieses  Tages,  von  der  unvermeidlichen 
kleinen  Terrasse  aus  gesehen,  nachdem  wir  unser  lehm- 
erbautes Zimmer  verlassen  haben  und  in  die  frische 
Morgenluft  hinausgetreten  sind,  ist  folgendes:  Zuerst, 
im  Vordergrund,  liegt  der  Hof  der  Karawanserei,  er  ist 
angefüllt  mit  Erde  und  Staub.  In  der  Mitte  stehen  meine 
Pferde,  an  den  Wänden  halten  sich  meine  Diener  und 
andere  Leute,  die  des  Weges  daher  kommen,  auf,  sie 
rauchen  ihre  Kalyan,  trinken  ihren  Morgentee  und  liegen 
auf  einem  Haufen  von  Teppichen,  Decken  und  Quer- 
säcken —  lauter  unverwüstliche  Gegenstände  aus  grober 
Wolle  gewebt,  mit  denen  hierzulande  ein  großer  Luxus 
getrieben  wird.  Und  dahinter  dehnt  sich  das  eintönige 

118 


Land  der  Oase,  dehnen  sich  die  weißen  Mohnfelder 
aus,  die  sich  auf  der  einen  Seite  in  dem  unendlichen 
Raum  verlieren,  auf  der  anderen  Seite  vor  der  wilden 
Gebirgskette  ersterben.  Wie  seltsam  jungfräulich,  wie 
rein  steht  dieser  Mohn  beim  Anbruch  des  Tages  in 
seinem  weißen  Kleide  da  —  und  trotzdem  ist  es  seine 
Bestimmung,  als  ein  schnelles  Gift  zu  wirken,  das  man 
in  den  Rauchsälen  des  äußersten  Ostens  mit  schwerem 
Geld  bezahlt...  Nirgends  ein  Baum;  aber  überall  ein 
Meer  von  weißen  Blumen,  das  sich  gleichsam  zwischen 
den  Ufern  der  großen  wilden  Berge  wie  ein  Meerbusen 
vorgedrängt  hat.  Und  die  Nebel  des  Sonnenaufganges, 
die  bunt  violetten  Nebel,  ziehen  sich  in  der  Ferne  dahin, 
sie  verwischen  die  reinen  Linien  des  Horizontes  dort,  wo 
die  Sonne  auftauchen  wird,  sie  verschmelzen  die  ein- 
farbig blühenden  Flächen,  die  seltsamen  Felder  dort 
unten  mit  dem  Himmel. 

Jetzt  geht  die  Sonne  auf;  was  noch  vom  nächtlichen 
Schatten  blieb,  flieht  gleich  einem  braunen  Gazeschleier 
vor  ihr  über  die  Blumenfelder  dahin.  Und  junge  Mäd- 
chen verlassen  in  Scharen  das  Dorf,  sie  gehen  an  irgend- 
eine Feldarbeit,  und  fröhlich  lachend  suchen  sie  die 
kleinen  Pfade  auf,  wo  sie  bis  zum  Gürtel  in  dem  weißen 
Mohn  untertauchen. 

Es  ist  auch  unsere  Abschiedsstunde,  darum  vor- 
wärts, auf  denselben  Pfaden  wollen  wir  den  jungen 
Mädchen  folgen,  wo  dieselben  Blumen,  dieselben  Gräser 
uns  streifen  . . . 

Aber  unsere  Etappe  ist  diesmal  nicht  von  langer 
Dauer,  denn  in  einer  Viertelstunde  werden  wir  die  gro- 
ßen Paläste  des  Schweigens,  die  Paläste  des  Darius  und 


119 


des  Xerxes  treffen,  die  es  wohl  verdienen,  daß  man  bei 
ihnen  haltmacht. 

Nachdem  wir  zwei  Mohnfelder,  endlose  feuchte  Wie- 
sen, Bäche  und  tiefe  Ströme  überschritten  haben,  bleiben 
wir  vor  einem  bescheidenen,  ganz  verlassenen  Weiler 
stehen,  der  von  einer  Reihe  von  Pappeln  umgeben  ist 
Zwei  Nächte  verweilen  wir  in  der  verfallensten,  wil- 
desten aller  Karawansereien,  die  weder  Türen  noch  Fen- 
ster besitzt,  deren  alter  Garten  aber  mit  seinen  Rosen- 
sträuchen, seinen  Aprikosenalleen  und  seinen  wilden 
Gräsern  eine  seltene  Fruchtbarkeit  zeigt.  Kleine  Kinder 
nähern  sich  uns,  sie  verneigen  sich  und  überreichen  uns 
bescheidene,  fast  gewöhnliche  Monatsrosen.  Umgeben 
ist  der  Weiler  von  einsamen  Wiesen,  überall  herrscht 
Friede  und  Schweigen.  Der  Himmel  bedeckt  sich,  es 
ist  kühl.  Man  könnte  glauben,  man  befände  sich  in 
Frankreich  auf  dem  Lande,  aber  nicht  heute,  in  ver- 
gangenen, in  alten  Zeiten . . . 

Vielleicht  zwei  Meilen  von  uns  entfernt,  liegt  am 
Ende  der  grasreichen  Ebene,  am  Fuß  einer  jener  Ge- 
birgsketten, die  gleich  Mauern  das  Land  von  allen 
Seiten  durchschneiden,  ein  einsamer,  auf  den  ersten 
Blick  wenig  auffälliger  Gegenstand,  der,  je  länger  man 
ihn  betrachtet,  desto  schwerer  festzustellen  ist . . .  Ein 
Dorf,  eine  Karawanserei,  dachten  wir  zuerst;  Mauern 
oder  Terrassen,  die  wie  überall,  so  auch  hier  aus  grauem 
Lehm  erbaut  sind,  auf  die  man  aber  ungezählte  Mast- 
bäume bunt  durcheinander  gepflanzt  hat.  Die  große 
Durchsichtigkeit  der  Luft  täuscht  über  die  Entfernun- 
gen hinweg,  man  muß  schon  genau  hinsehen,  um  sich 
klar  machen  zu  können,  daß  dies  Rätsel  weit  entfernt 
liegt,  daß  die  Terrassen  in  keinem  Verhältnis  zu  den 


120 


anderen  des  Landes  stehen,  daß  das  Mastwerk  riesen- 
groß sein  müßte.  Je  mehr  man  prüft,  desto  seltsamer 
erscheint  es  einem . . .  Und  in  der  Tat  haben  wir  es  hier, 
ebenso  wie  bei  den  Pyramiden  Ägyptens,  mit  einem 
jener  großen,  klassischen  Wunderwerke  der  Welt  zu 
tun ;  —  aber  weit  seltener  kommt  man  dorthin  als  nach 
Memphis,  und  auch  der  Schleier,  der  über  diesem  Platze 
liegt,  ist  weit  weniger  gelüftet.  Die  Könige,  die  die  Welt 
erzittern  machten,  Xerxes  und  Darius,  haben  an  diesem 
Ort  ihren  traumhaften  Hof  abgehalten,  sie  verschöner- 
ten ihn  mit  Statuen  und  mit  Basreliefs,  denen  auch  der 
Zahn  der  Zeit  nichts  anhaben  konnte.  Seit  mehr  als 
zweitausend  Jahren,  seit  der  Durchzug  der  Heere  des 
Mazedoniers  den  westlichen  Völkern  sein  Dasein  ver- 
raten hat,  trägt  er  einen  Namen,  der  schon  an  und  für 
sich  groß  und  ehrfurchteinflößend  klingt:  Persepolis. 
Aber  wie  er  ursprünglich  hieß,  und  welche  sagenhaften 
Herrscher  seinen  Grundstein  legten,  das  weiß  man  nicht 
Geschichtsschreiber,  Gelehrte  haben  schon  zur  Zeit  des 
Herodot  bis  in  unser  Jahrhundert  hinein  so  viele  sich 
widersprechende  Meinungen  geäußert!  Im  Laufe  der 
Zeiten  haben  ungezählte  Forscher,  durch  die  Ruinen 
angelockt,  Tausenden  von  Gefahren  getrotzt,  um  hier  in 
der  Umgegend  zu  hausen,  um  die  Inschriften  zu  ent- 
ziffern, die  Gräber  zu  durchstöbern,  ohne  daß  sie  doch 
jemals  zu  einem  Schluß  gelangt  wären.  Und  wieviele 
dicke  Bände  sind  über  diesen  Winkel  Asiens  geschrieben 
worden,  wo  der  kleinste  Stein  der  Hüter  aller  Geheim- 
nisse istl 

Übrigens  kommt  die  ganz  genaue  Feststellung  der 
historischen  Tatsachen  für  mich,  den  einfachen  Reisen- 
den, kaum  in  Betracht.  Was  liegt  daran,  ob  es  dieser 


iai 


oder  jener  Monarch  ist,  der  in  der  Tiefe  jenes  Grabes 
ruht,  ob  dieser  Palast  oder  jener  der  des  Pasargades  ist, 
der  von  den  Soldaten  Alexanders  eingeäschert  wurde. 
Es  genügt  mir  zu  wissen,  daß  diese  Ruinen  die  gewaltig- 
sten, die  besterhaltensten  ihrer  Zeit  sind,  die  in  unseren 
Augen  das  Genie  einer  ganzen  Epoche,  einer  ganzen 
Rasse  verewigen. 

Aber  welch  ein  Geheimnis,  daß  der  Fluch  immer 
solche  Plätze  trifft,  die  im  Altertum  besonders  glänzend 
waren!...  Warum  haben  hier  zum  Beispiel  die  Men- 
schen ein  so  fruchtbares,  so  schönes  Land  verlassen,  das 
unter  einem  so  reinen  Himmel  gelegen  ist?  Warum 
waren  früher  so  viele  Herrlichkeiten  in  Persepolis  an- 
gehäuft, wo  heute  nichts  ist  als  eine  blühende  Einöde? 

Wir  lassen  unser  Gepäck  und  unser  Gefolge  in  der 
ärmlichen  Karawanserei  zurück,  in  der  wir  die  Nacht 
verbringen  werden,  und  reiten  nach  einem  Mittags- 
schläfchen unter  Führung  von  zwei  jungen  Leuten  aus 
dem  Weiler  auf  die  großen  Ruinen  zu.  Während  der 
ersten  Meile  schwimmen  wir  in  einem  wirklichen  Meer 
von  weißen  Mohnblumen  und  grüner  Gerste;  dann  folgt 
eine  wilde  Wiese,  die  mit  Krauseminze  und  gelben 
Immortellen  übersät  ist.  Und  dort  unten,  hinter  Perse- 
polis, dem  wir  immer  näher  kommen,  und  das  sich 
immer  deutlicher  abhebt,  wird  die  Ebene  von  wilder, 
lederfarbenen  Bergen  durchkreuzt,  wo  sich  Schlünde 
und  Schluchten  öffnen.  Übrigens  trägt  seit  Chiraz  das 
baumlose  Land  überall  den  gleichen  Charakter:  Weite 
Flächen,  die  so  ruhig  wie  ein  Wasserspiegel  daliegen, 
und  die  durch  eine  kahle,  schreckeneinflößende  Berg- 
kette voneinander  getrennt  werden. 

Aber  nirgends   haben   die  Formen   der   Berge,   die 


123 


immer  überraschend  wirken,  uns  etwas  Ähnliches  ge- 
zeigt wie  das,  was  sich  in  diesem  Augenblick  in  der 
klaren  Ferne  zu  unserer  Linken  erhebt.  Es  ist  viel  zu 
gewaltig,  um  von  Menschenhand  erbaut  worden  zu  sein, 
und  dann  beunruhigt  es  durch  seine  gesuchte  Stellung : 
im  Mittelpunkt  liegt  ein  ganz  viereckiger,  fünf-  bis 
sechshundert  Meter  hoher  Bau,  der  einer  Gottesfeste, 
oder  dem  Grundstein  zu  irgendeinem  unterbrochenen 
Turmbau  von  Babel  gleicht,  zu  beiden  Seiten  türmen 
sich  symmetrisch  wie  zwei  Wachtposten  zwei  ganz 
gleiche,  ganz  regelmäßige,  riesengroße  Blöcke,  zwei 
sitzende  Ungeheuer  auf.  Seit  Anbeginn  der  Zeiten  sind 
die  Menschen  durch  die  Gestalt  dieser  drei  Berge,  die 
wohl  geeignet  sind,  Schrecken  vor  dem  Übersinnlichen 
einzuflößen,  in  Erstaunen  gesetzt  worden,  und  es  ist 
zweifellos  keine  zufällige  Wahl,  die  sie  getroffen  haben, 
als  sie  an  dieser  Stelle  den  drohenden  Bau  der  Herr- 
scher errichteten.  Von  dem  Palaste,  wo  wir  jetzt  an- 
gelangt sind,  aus  gesehen,  rufen  die  Steine  gerade  den 
größten  Eindruck  hervor,  sie  liegen  nahe  genug,  um 
imposant  zu  wirken,  und  sind  doch  wiederum  weit  ge- 
nug entfernt,  um  nicht  entziffert  werden  zu  können. 

Die  Wege,  denen  wir  inmitten  des  Schweigens,  der 
Einsamkeiten  und  der  Blumen  folgen,  sind  von  Zeit  zu 
Zeit  von  klaren  Bächen  durchschnitten,  die  immer  wie- 
der nutzlose  Fruchtbarkeit  um  diese  Ruinen  verbreiten. 

Jetzt,  wo  wir  dies  tote  Dorf,  den  Fuß  des  toten  Ber- 
ges erreicht  haben,  herrscht  kein  Zweifel  mehr  über 
seine  ungeheuren  Proportionen;  seine  Terrassen  sind 
fünf-  oder  sechsmal  höher  als  die  gewöhnlichen  und  be- 
stehen nicht  wie  überall  sonst  aus  Lehm,  an  dem  die 
Regengüsse  sofort  ihr  Zerstörungswerk  vornehmen,  son- 

ia3 


dem  aus  zyklopischen,  ewig  haltbaren  Blöcken,  und  die 
langen  Gegenstände,  die  uns  in  der  Ferne  an  Schiffs- 
mastbäume erinnerten,  sind  seltsam  schlanke,  kühne, 
aus  einem  Stein  gehauene  Säulen  —  in  früheren  Zeiten 
werden  sie  die  Decken  von  Zedernholz  und  das  Gebälk 
dieses  wunderbaren  Palastes  getragen  haben. 

Wir  erreichen  jetzt  die  steinerne,  harte,  leuchtende 
Treppe,  sie  ist  breit  genug,  um  gleichzeitig  eine  ganze 
Armee  passieren  lassen  zu  können;  dort  sitzen  wir  ab 
und  steigen  zu  der  Terrasse  hinan,  wo  sich  die  Säulen 
erheben.  Ich  weiß  nicht,  was  unseren  Persern  einfällt, 
aber  sie  ziehen  unsere  Pferde,  die  zuerst  nicht  wollten, 
sich  sträubten  und  mit  ihren  Hufen  die  herrlichen  Stufen 
abschrammten,  hinter  sich  her,  und  so  ist  unser  Einzug 
in  diese  unendliche  Andacht  laut  und  lärmend. 

Wir  stehen  jetzt  auf  den  Terrassen,  die  zu  unserer 
Überraschung  noch  viel  größer  sind,  als  sie  von  unten 
erschienen.  Eine  ganze  Stadt  würden  sie  fassen  können, 
und  die  Säulen,  mit  denen  sie  früher  geschmückt  waren, 
standen  einst  so  dicht  wie  die  Bäume  eines  Waldes. 
Jetzt  sind  nur  noch  zwanzig  davon  erhalten,  die  ande- 
ren sind  gestürzt  und  liegen  auf  den  Fliesen  zerstückelt 
da,  zahllose  wunderbare  Überreste  erheben  sich  in  bun- 
ter Unordnung  in  dieser  großen,  mit  Steinen  gepflaster- 
ten Einöde :  bis  in  die  kleinsten  Kleinigkeiten  sorgfältig 
ausgehauene  Pylonen,  Mauerwände,  die  mit  Inschriften 
und  Basreliefs  bedeckt  sind.  Und  dies  alles  zeigt  ein 
dunkles,  gleichmäßiges,  seltsames  Grau,  ein  Grau,  das 
in  den  Ruinen  ungewöhnlich  ist,  das  die  Patina  der 
Jahrhunderte  nicht  hat  hervorrufen  können,  es  muß 
schon  von  der  Farbe  des  Materials  selbst  herrühren, 
aus  dem  diese  Paläste  erbaut  wurden. 


124 


Man  wird  hier  ganz  in  der  Nähe  von  der  gewaltigen, 
schwarzbraunen  Gebirgskette  beherrscht,  die  sich  seit 
unserem  Aufbruch  aus  dem  Dorf  wie  eine  Mauer  vor 
uns  erhob,  aber  andererseits  beherrscht  man  selbst  alle 
diese  gräserreichen,  blumengewachsenen  Wiesen,  wo  im 
Hintergrunde  der  schreckeneinflößende  viereckige  Berg 
mit  seinen  zwei  sitzenden  Wächtern  aufragt.  Zwei  oder 
drei  kleine,  sehr  bescheidene  Weiler  liegen  ganz  in  der 
Ferne,  durch  Pappeln  voneinander  getrennt,  gleich 
Inseln  zwischen  einem  Meer  von  blühenden  Gräsern 
und  grüner  Gerste  da;  und  der  erhabene  Friede,  der 
ewige  Friede  der  Welten  ruht  über  diesen  Frühlings- 
wiesen —  die  im  Laufe  der  Jahrhunderte  Zeugen  des 
sardanapalischen  Prunks,  der  Feuerbrände,  Nieder- 
metzelungen, der  Aufstellung  großer  Heere,  des  Lärms 
großer  Schlachten  wurden. 

Das  Plateau  aber,  zu  dem  wir  jetzt  hinaufsteigen,  ist 
zu  dieser  Stunde,  bei  Hereinbruch  der  Dämmerung,  der 
Ort  einer  unaussprechlichen  Melancholie;  hier  weht  ein 
köstlich  sanfter  Wind,  und  ein  Licht,  das  bestimmt  und 
doch  weich  ist,  fällt  auf  uns  herab;  man  könnte  fast 
sagen,  daß  wir  uns  auf  diesen  Terrassen  weit  mehr  als 
in  der  umgebenden  Ebene,  der  zweitausend  Meter  Höhe 
bewußt  werden,  und  zwar  ist  der  frische  Windhauch, 
die  Reinheit,  der  stille  Glanz  der  Sterne,  die  Durchsich- 
tigkeit der  Schatten  daran  schuld.  Zwischen  den  Flie- 
sen, die  beim  Durchzug  der  Könige  mit  Purpurteppichen 
belegt  waren,  wachsen  jetzt  sehr  feine  Gräser,  die 
Freunde  der  Trockenheit  und  des  Schweigens,  blühen 
Quendel  und  Majoran,  und  wo  einst  die  Thronsäle  lagen, 
weiden  die  Ziegen  und  verbreiten  den  Duft  ländlicher 
Wohlgerüche.  —  Aber  vor  allem  ist  es  das  Licht  das 

125 


keinem  anderen  Lichte  ähnlich  sieht;  die  Beleuchtung 
dieses  Abends,  die  gleich  dem  Widerschein  einer  Apo- 
theose auf  so  viele  alte  Basreliefs,  auf  so  viele  in  Stein 
verewigte  menschliche  Silhouetten  fällt . . . 

Ach,  wie  ergriffen  fühle  ich  mich,  als  mich  gleich 
beim  Eintritt  zwei  jener  schweigenden  Riesen  emp- 
fingen, deren  Anblick  mir  von  Kindheit  an  bekannt  war: 
der  Rumpf  eines  geflügelten  Stieres,  der  Kopf  eines 
Menschen  mit  langem  gekräuselten  Bart  unter  der  Tiara 
eines  Magierkönigs!  —  Ich  finde  zweifellos  zu  großes 
Wohlgefallen  daran,  auf  meine  Kindheitseindrücke  zu- 
rückzukommen;  aber  ich  muß  bemerken,  daß  sie  für 
mich  voller  Geheimnisse  und  zugleich  ungewöhnlich 
lebhaft  waren.  —  Als  ich  zwölf  Jahre  alt  war,  traf  ich 
zum  erstenmal  diese  Riesenwächter  aller  assyrischen 
Paläste  unter  den  Bildern  einer  gewissen  Partitur  Semi- 
ramis,  die  damals  häufig  aufgeschlagen  auf  dem  Klavier 
stand,  und  sofort  versinnbildlichten  sie  in  meinen  Augen 
die  schwere  Pracht  von  Ninive  und  Babylon.  Was  aber 
ihre  Brüder  anbelangt,  die  noch  heute  dort  unten  zwi- 
schen den  Ruinen  stehen  mußten,  so  stellte  ich  sie  mir 
immer  umgeben  von  den  zarten  Blümchen  vor,  wie  sie 
dem  steinichten  Boden  eines  Landstriches,  „La  Li- 
moise"  genannt,  entwachsen,  der  damals  zur  selben 
Zeit  eine  große  Rolle  in  meinen  exotischen  Träumen 
spielte...,  und  nun  finde  ich  gerade  heute  am  Fuße 
der  mich  begrüßenden  Wächter  den  Tymian,  die  Krause- 
minze und  den  Majoran,  die  ganze  kleine  Flora  meiner 
Wälder,  unter  einem  ähnlichen  Himmel  wie  dem  unsri- 
gen  wieder. 

Xerxes'  Laune  hat  die  beiden  geflügelten  Riesen  hier 
als  Posten  aufgestellt,  und  jetzt  empfangen  sie  mich  an 

126 


der  Schwelle  zu  diesen  Palästen.  —  Und  sie  weihen  mich 
in  die  geheimsten  Dinge  über  ihren  Herrscher  ein, 
Dinge,  die  ich  niemals  zu  erfahren  wähnte;  während 
ich  sie  betrachte,  verstehe  ich,  was  mir  auch  zehn 
Geschichtsbände  nicht  begreiflich  gemacht  hätten,  wie 
majestätisch,  wie  priesterlich  und  erhaben  das  Leben  in 
den  Augen  dieses  halb  sagenhaften  Mannes  gewesen 
sein  muß. 

Aber  die  ungeheuren  Säle,  deren  Eingang  sie  be- 
wachten, sind  seit  bald  dreiundzwanzig  Jahrhunderten 
verschwunden,  und  nur  in  Gedanken  vermag  man  sie 
noch  aufzubauen.  Weit  größer  zwar,  müssen  sie  doch 
demjenigen  gleichen,  was  man  noch  von  den  alten  fürst- 
lichen Wohnung  aus  dem  persischen  Mittelalter  sieht: 
ungezählte  Säulen  von  seltsamer  Feinheit  im  Vergleich 
zu  ihrer  Länge  großen  Schilfblättern  ähnlich,  die  hoch- 
in die  Lüfte  hinein  ein  glattes  Dach  tragen.  —  Die  Men- 
schen, die  hier  wohnten,  waren  wohl  die  einzigen,  die 
eine  so  hohe  Säule,  eine  solche  Schlankheit  der  Formen 
erfinden  konnten,  wo  man  im  Altertum  überall  sonst 
nur  massive,  seltsam  plumpe,  stämmige  Sachen  baute. 
Immer  gefolgt  von  unseren  Pferden,  deren  Schritte  gar 
zu  laut  auf  den  Fliesen  widerhallen,  schreiten  wir  auf 
das  Innere  des  Palastes,  auf  den  wunderbaren  Wohn- 
sitz des  Darius  zu.  Die  gestürzten  Säulen  bedecken  den 
Boden;  nur  noch  zwanzig  sind  stehengeblieben,  in  ge- 
wissen Abständen  ragen  sie  einsam  empor,  ganz  gerade, 
ganz  schlank  wachsen  sie  in  den  reinen  Himmel  hinein ; 
sie  sind  von  oben  bis  unten  ausgekehlt,  ihr  Sockel  ist  zu 
einem  mächtigen  Blumenkelch  geformt,  und  ihr  weit 
vorspringendes  Kapital,  das  in  der  Luft  das  Gleich- 
gewicht zu  suchen  scheint,  zeigt  auf  allen  vier  Flächen 


127 


den  Kopf  und  die  Brust  eines  Ochsen.  Wie  vermögen 
diese  kühnen,  ungewöhnlich  langen  Säulen  sich  noch 
nach  zweitausend  Jahren  zu  halten,  wo  ihnen  doch  das 
Zederngebälk  dort  oben  genommen  ist,  das  sie  ver- 
binden sollte? 

Die  freien  Plätze  bauen  sich  übereinander  auf,  die 
Treppen  folgen  einander  in  dem  Maße,  wie  man  sich 
den  Sälen  nähert,  in  denen  der  König  Darius  thronte. 
Und  die  Oberfläche  jeder  neuen  Stufe  ist  mit  Basreliefs 
bedeckt,  die  Hunderte  von  Menschen  in  vornehmer 
steifer  Haltung ,  mit  krausen  Barten  und  gelocktem 
Haar  zur  Darstellung  bringen:  Schützenphalanxen,  alle 
im  Profil  gezeichnet;  rituale  Umzüge,  Herrscher  unter 
großen  Sonnenschirmen,  die  von  Sklaven  getragen  wer- 
den, Stiere,  Dromedare,  Ungeheuer.  In  welchen  wunder- 
baren Stein  ist  dies  alles  gehauen  worden,  daß  so  viele 
Jahrhunderte  es  nicht  zu  zerstören  vermochten?  Der 
härteste  Granit  unserer  Kirchen  zeigt  nach  drei-  oder 
vierhundert  Jahren  keine  einzige  scharfe  Kante,  die 
byzantinischen  Porphyre,  der  griechische  Marmor,  der 
immer  unter  freiem  Himmel  steht,  wird  abgenutzt  und 
verwischt;  hier  könnte  man  sagen,  daß  alle  diese  selt- 
samen Figuren  soeben  aus  der  Hand  des  Bildhauers 
kommen.  Die  Archäologen  haben  sich  darüber  gestrit- 
ten, ohne  jemals  über  den  Ursprung  dieses  eigenartigen 
Materials  einig  zu  werden,  das  ein  so  feines  Korn,  eine 
so  eintönige  graue  Farbe  zeigt,  das  einer  Art  Kiesel, 
einem  sehr  dunklen  Feuerstein  gleicht;  eine  Schere 
würde  sich  hier  wie  an  Metall  stumpf  schneiden;  übri- 
gens ist  es  auch  so  spröde  wie  Beilstein,  denn  man  sieht 
große  Basreliefs  von  oben  bis  unten  gesprungen  —  unter 
dem  Einfluß  der  ewigen  Sonne  vielleicht,  oder  aber 

128 


ist  die  Zeit,  sind  die  Stöße  der  Kriegsgeräte  schuld 
daran. 

Und  diese  stummen  Ruinen  lassen  ungezählte  In- 
schriften ihre  Geschichte  erzählen,  ihre  Geschichte  und 
die  der  Welt;  der  kleinste  Block  möchte  sprechen,  wenn 
man  seine  einfache  Schrift  zu  entziffern  verstände.  Zu- 
erst sind  da  die  keilförmigen  Buchstaben,  sie  bildeten 
einen  Teil  der  anfänglichen  Ornamentik;  überall  brin- 
gen sie  ihre  tausend  kleinen,  gedrängten,  bestimmten 
Zeichnungen  auf  den  Sockeln  und  Friesen,  zwischen 
den  wunderbaren  Verzierungen,  die  ihnen  als  Rahmen 
dienen,  an.  Und  dann,  wie  durch  Zufall  hin  gestreut, 
sieht  man  die  Betrachtungen  all  der  Menschen,  die  im 
Laufe  der  Jahre,  angezogen  durch  den  großen  Namen 
Persepolis,  hierhergekommen  sind;  gewöhnliche  Bemer- 
kungen, Aussprüche,  alte  Gedichte  über  die  Eitelkeiten 
dieser  Welt,  und  zwar  auf  griechisch,  kufisch,  syrisch, 
persisch,  auf  hindustanisch  und  sogar  auf  chinesisch. 
„W o  sind  die  Herrscher,  die  in  diesen  Pa- 
lästen regierten,  bis  zu  dem  T  a  g  e  ,  wo  der 
Tod  sie  einlud,  aus  seiner  Schale  zu  trin- 
ken? Wie  viele  Städte  wurden  am  Morgen 
erbautundstürztendesAbendszuRuinen 
zusammen?"  schrieb  ein  Dichter  vor  ungefähr  drei 
Jahrhunderten  auf  arabisch  ein  und  zeichnete  sich :  A 1  i, 
SohndesSultansKhaled...  Zuweilen  sieht  man 
nur  eine  Jahreszahl  mit  seinem  Namen ;  und  dann  trifft 
man  auch  auf  die  Unterschriften  der  Forscher  aus  den 
Jahren  1826  und  i83o  —  Daten,  die  für  uns  fast  fern 
zu  liegen  scheinen,  und  die  trotzdem  von  gestern  sind, 
vergleicht  man  sie  mit  denen,  die  in  Hieroglyphenschrift 
die  Namen  der  Könige  umrahmen. 

9     Persien.  I  2  9 


Besonders  schön  ist  das  Pflaster,  auf  dem  wir 
schreiten.  Jeder  Riß,  jeder  Spalt  zeigt  einen  winzigen 
Garten,  voll  kleiner  Pflanzen,  den  Lieblingen  der  Ziegen, 
und  zerreibt  man  die  Blumen  zwischen  den  Fingern,  so 
duftet  die  ganze  Hand  nach  ihrem  süßen  Wohlgeruch. 

Hinter  den  Prunksälen,  mit  den  offenen  Säulen- 
reihen, erreichen  wir  die  weit  schwerer  zu  entwirrenden 
Gebäude,  die  ein  noch  größeres  Geheimnis  zu  bewachen 
scheinen.  Hier  müssen  die  Zimmer,  die  tiefen  Gemächer 
gelegen  haben.  Die  Mauerreste,  die  Pylonen,  mit  ihren 
ein  wenig  ägyptischen  Umrissen,  mit  ihren  zu  Blumen- 
kronblättern  geformten  Architraven  verdoppeln  sich. 
Wenn  ich  so  sagen  darf,  fühlt  man  sich  hier  weit  mehr 
umgeben,  eingeschlossener,  viel  mehr  beschattet  von  der 
gewaltigen  Vergangenheit.  Diese  Viertel  sind  reich  an 
großen,  wunderbar  erhaltenen  Basreliefs.  Auf  ihren 
assyrischen  Kleidern  oder  auf  ihrem  gekräuselten  Haar 
zeigen  die  Figuren  noch  heute  den  Glanz  des  neuen  Mar- 
mors; die  einen  tragen  sitzend  eine  kaiserliche  Würde 
zur  Schau,  andere  spannen  den  Bogen  oder  kämpfen  mit 
Ungeheuern.  Sie  sind  von  menschlicher  Größe,  haben 
ein  regelmäßiges  Profil,  edle  Gesichtszüge.  Überall  sieht 
man  sie  auf  den  Wänden,  die  heute  planlos  hingepflanzt 
zu  sein  scheinen;  man  ist  von  ihnen  umgeben,  von  die- 
sen einschüchternden  Gruppen  umzingelt,  und  die  Farbe 
der  Steine,  die  ewig  graue  Farbe  gibt  ihnen  einen  düste- 
ren Anstrich.  Die  Tafeln  aber,  die  mit  kleinen  keilför- 
migen Legenden  bekritzelt  sind,  haben  eine  so  glatte 
Oberfläche,  daß  man  seine  eigene  Silhouette  darauf, 
wie  auf  einem  Zinnspiegel,  leuchten  sieht.  Und  man 
fühlt  sich  verwirrt,  wenn  man  bedenkt,  wie  alt  diese 
scheinbar  ganz   frischen   Eingravierungen  sind,   wenn 

i3o 


man  sich  sagt,  daß  eine  jede  dieser  blanken  Tafeln  die- 
selbe sei,  in  der  sich  an  demselben  Ort  seit  mehr  als 
zweitausend  Jahren  die  Gesichter,  die  Schönheiten,  die 
verschwundenen  Herrlichkeiten  widergespiegelt  haben. 
Nimmt  man  nur  ein  kleines  Bruchstück  eines  dieser 
Steine  mit  nach  Hause,  so  würde  es  in  jedem  Museum 
als  ein  seltener  Schatz  betrachtet  werden;  und  dies  alles 
ist  der  Gnade  des  ersten  besten  Räubers  anheimgegeben, 
der  in  diese  große  Einsamkeit  eindringt,  dies  alles  wird 
nur  von  den  beiden  nachdenklichen  Riesen,  von  den 
Schildwachen  dort  unten  an  der  Schwelle  bewacht. 

Weiterhin  sieht  man  einige  ganz  zerstörte  Skulptu- 
ren, einige  ganz  eingestürzte,  unförmliche  Trümmer- 
haufen, und  dann  findet  Persepolis  seinen  Abschluß,  am 
Fuße  des  traurigen,  kupferfarbenen  Berges,  der  bis  in 
seine  geheimsten  Tiefen  durchbohrt  und  ausgehöhlt  sein 
muß,  denn  in  gewissen  Abständen  entdeckt  man  dort 
große  schwarze,  regelmäßige  Löcher  mit  Giebeln  und 
Säulen,  die  in  den  Felsen  selbst  hineingehauen  sind;  sie 
liegen  alle  verschieden  hoch  und  dienen  als  Eingang  zu 
den  Begräbnisstätten.  In  den  unterirdischen  Gewölben 
schlafen  zweifellos  ungeahnte  Reichtümer  oder  seltene 
Reliquien  1 

Die  Sonne  geht  unter,  die  Schatten  der  Säulen,  der 
Riesen  werden  länger  auf  diesem  Boden,  der  einst  ein 
königliches  Pflaster  war;  diese  Dinge,  müde  zu  leben, 
müde  unter  dem  Hauch  der  Jahrhunderte  rissig  zu  wer- 
den, erleben  noch  einen  Abend . . . 

Die  beiden  Riesen  mit  dem  lockigen  Bart,  beobachten 
alles  voller  Aufmerksamkeit,  der  eine  wendet  sein  gro- 
ßes  abgeschrammtes   Gesicht  der  Begräbnisstätte   des 

r  i3i 


Berges  zu;  der  andere  sondiert  die  Ferne  dieser  Ebene, 
von  woher  einstmals  die.  Krieger,  die  Sieger,  die  Herr- 
scher der  Welt  herannahten.  x\ber  kein  Heer  zieht  jetzt 
noch  vor  diesem  verlassenen  Ort,  vor  diesen  stolzen 
Palästen  auf;  diese  Gegend  der  Erde  ist  für  immer 
dem  ländlichen  Frieden  und  dem  Schweigen  wieder- 
geschenkt . . . 

Die  Ziegen,  die  zwischen  den  Ruinen  weideten,  wur- 
den von  ihren  bewaffneten  Hirten  gerufen,  sie  scharen 
sich  zusammen  und  ziehen  fort,  denn  bald  naht  sich 
die  für  die  Herden  gefährliche  Stunde,  die  Stunde  der 
Panther.  Ich  möchte  gern  bis  zum  Anbruch  der  Nacht 
oder  doch  wenigstens  bis  zum  Aufgang  des  Mondes 
bleiben;  aber  die  beiden  Hirten,  meine  Führer,  weigern 
sich  auf  das  bestimmteste,  sie  fürchten  sich  vor  den 
Räubern,  oder  vor  den  Gespenstern,  oder  was  weiß  ich, 
wovor,  und  sie  bestehen  darauf,  ehe  die  Dämmerung 
hereinbricht,  heimzukehren  nach  ihrem  kleinen  Weiler, 
hinter  die  Lehmmauern,  die  doch  überall  gerissen  sind. 

So  heißt  es  also,  morgen  wieder  zurückkommen  und 
für  heute  aufbrechen,  der  Fährte  der  Ziegen  folgend, 
die  sich  schon  in  den  endlosen  Wiesen  verlieren.  Einst 
sahen  die  beiden  Riesen  zahllose  Könige  mit  ihrem  Ge- 
folge eintreten  und  hinausgehen,  jetzt  schreiten  wir  an 
ihnen  vorüber.  Unsere  Pferde  hatten  sich  schon  ge- 
weigert, die  Stufen  des  Darius  und  Xerxes  hinanzu- 
klettern,  natürlich  sind  sie  noch  weit  weniger  geneigt, 
dieselben  hinabzusteigen,  sie  sträuben  sich,  versuchen 
sich  loszureißen,  und  so  gibt  es  ganz  plötzlich  inmitten 
des  Schweigens  dieser  großen,  toten  Gegenstände  zum 
Schluß  eine  lebhafte  Szene,  Kämpfe  und  Muskel- 
anstrengungen, und  inzwischen  erhebt  sich  ein  frischer 

i3a 


Wind,  ein  M aienabendwind  and  trägt  uns  von  den  Wie- 
sen dort  unten  den  süßen  Duft  des  Heues  zu . . . 

Nachdem  wir  durch  die  lange  gleichmäßige  Ebene 
der  Gräser,  der  Gerste,  der  Mohnfelder  gezogen  sind, 
biegen  wir  in  die  Gäßchen  des  einsamen  Weilers  ein 
und  erreichen  schließlich  unser  aus  Lehm  gebautes 
Nachtquartier,  das  keine  Türen  noch  Fenster  kennt. 
Ein  wirklich  kalter  Wind  schüttelt  jetzt  die  Pappeln 
draußen  und  die  Aprikosenbäume  des  wilden  kleinen 
Gartens;  der  Tag  erlischt  an  einem  wunderbar  blau- 
grünen Himmel,  über  den  winzige  korallenrote  Wolken 
dahinhuschen,  und  man  hört  die  Stimmen  der  Hirten, 
die  zum  Abendgebete  rufen. 


i33 


DRITTER    TEIL 


Freitag,   4.  Mai, 


B 


ei  kaltem,  klarem  Sonnenaufgang  brechen  wir  auf 
und  reiten  über  die  weißen  Mohnblumen  hinweg, 
auf  denen  noch  der  ganze  Tau  der  Maiennacht  liegt. 
Zum  erstenmal  seit  Chiraz  legen  meine  Perser  ihren 
Burnus  an  und  ziehen  ihre  Magiermützen  tief  über  die 
Ohren. 

Nachdem  die  Ebene  hinter  uns  liegt,  steigen  wir  noch 
einmal  zu  den  großen  Palästen  des  Schweigens  hinan, 
um  von  ihnen  Abschied  zu  nehmen.  Aber  das  Licht  des 
Morgens,  das  niemals  verfehlt,  das  ganze  Alter,  den 
ganzen  Verfall  der  Dinge  bloßzulegen,  zeigt  uns  weit 
mehr  als  die  Abendsonne  es  vermochte,  welcher  Ver- 
nichtung die  Herrlichkeiten  des  Darius  und  des  Xerxes 
entgegengehen,  wie  verfallen  die  wunderbaren  Treppen 
sind,  wie  traurig  der  Anblick  der  gestürzten  Säulen  ist. 
Nur  die  seltsamen  Basreliefs  aus  grauem  Kiesel,  dem 
auch  die  Jahrhunderte  nichU  anzuhaben  vermögen, 
können  unter  den  Strahlen  der  aufgehenden  Sonne  be- 
stehen: Prinzen  mit  glatten  Barten,  Krieger  oder  Prie- 
ster strahlen  in  dem  hellen,  grellen  Licht  mit  einem 
Glanz  wieder,  der  ebenso  neu  erscheint  wie  an  dem 
Tage,  als  die  mazedonischen  Horden  gleich  einem 
Wirbelwind  herangebraust  kamen. 

Während  ich  über  den  Boden  der  Geheimnisse  da- 

i34 


hinschreite,  stößt  mein  Fuß  auf  ein  halbverstecktes 
Stück  Holz,  das  ich  herausgrabe,  um  es  näher  zu  be- 
trachten; es  ist  ein  Teil  irgendeines  riesengroßen  Bal- 
kens aus  den  unverwüstlichen  Zedern  des  Libanon  ge- 
hauen, und  —  es  herrscht  kein  Zweifel  — ,  dies  Stück 
gehört  zu  dem  Gebälk  der  Gemächer  des  Darius . . . 
Ich  hebe  es  auf  und  kehre  es  um.  Eine  der  Seiten  ist 
geschwärzt,  verkohlt  und  zerbröckelt  unter  dem  Druck 
meiner  Finger:  Das  Feuer,  das  die  Fackel  Alexanders 
angelegt  hat!...  Hier  haben  wir  die  Spur  dieses 
sagenhaften  Feuers,  zwischen  den  Händen  halte  ich  sie 
jetzt  nach  mehr  als  zweitausend  Jahren  I . . .  Während 
eines  Augenblickes  verschwinden  die  dazwischenlie- 
genden Jahre  für  mich;  es  scheint  mir,  als  habe  diese 
Feuersbrunst  gestern  gewütet;  man  könnte  sagen,  daß 
diesem  Stück  Zedernholz  die  Kraft  innewohnt,  Geister 
heraufzubeschwören,  weit  klarer  als  gestern,  fast  wie 
eine  Vision  sehe  ich  den  Glanz  dieser  Paläste,  das 
Leuchten  der  Emaillen,  des  Goldes  und  der  purpurnen 
Teppiche,  sehe  ich  den  Prunk  dieser  unausdenkbar  rei- 
chen Säle,  die  höher  waren  als  das  Schiff  der  Madeleine, 
und  deren  Säulenreihen  gleich  Riesenalleen  sich  in  einen 
Waldesschatten  verloren.  Eine  Stelle  des  Plutarch 
kehrt  mir  ins  Gedächtnis  zurück,  eine  Stelle,  die  ich 
einst,  in  Schülertagen,  unter  der  Fuchtel  meines  Leh- 
rers übelgelaunt  und  voll  Langerweile  übersetzte,  aber 
plötzlich  belebt  sie  sich,  wird  sie  mir  verständlich;  es 
handelt  sich  um  die  Beschreibung  einer  Nacht  der 
Orgien  in  der  Stadt,  die  sich  hier  um  diese  freien  Plätze 
ausdehnte,  auf  der  Stelle,  wo  jetzt  die  wilden  Blumen- 
felder liegen:  Der  Mazedonier  ist  durch  einen  zu 
langen  Aufenthalt  inmitten  des  ihm  unbekannten  Luxus 

i35 


aus  dem  Gleichgewicht  geraten,  er  ist  berauscht, 
hat  sich  mit  Rosen  bekränzt,  ihm  zur  Seite  sitzt  die 
schöne  Thais,  die  Beraterin  in  allen  Ausschweifungen, 
und  zum,  Schluß  des  Mahles,  erhebt  er  sich  mit  einer 
Fackel  in  der  Hand  —  um  eine  Laune  seiner  Geliebten 
zu  befriedigen  —  und  begeht  das  nie  wieder  gutzu- 
machende Opfer,  entfacht  die  Feuersbrunst,  legt  das 
Freudenfeuer  in  den  Gemächern  der  Achämeniden  an. 
Alsbald  ertönt  das  laute  Geschrei  der  Trunkenheit  und 
des  Schreckens,  steht  plötzlich  das  Zederngebälk  in 
hellen  Flammen,  hört  man  das  Geknatter  der  Emaille 
an  den  Mauern,  das  Fallen  der  riesenhaft  großen  Säu- 
len, die  übereinander  zusammenstürzen  und  mit  Don- 
nergetös gegen  den  Boden  anprallen . . .  Der  kleine 
schwärzliche  Teil  des  Balkenstückes,  das  noch  übrig- 
geblieben ist,  und  das  meine  Hände  berühren,  wurde  in 
jener  Nacht  zu  Kohle  verbrannt . . . 

Die  Etappe  heute  wird  neun  Stunden  dauern  und 
wir  verlängern  sie  noch,  indem  wir  einen  Umweg 
machen,  um  den  braunen  Berg  in  nächster  Nähe  sehen 
zu  können.  Hinter  Persepolis  ragt  dieser  Berg  gleich 
einer  Mauer  aus  Kupfer  auf,  und  schwarze  Löcher,  die 
Begräbnisstätten  der  Achämeniden-Könige,  führen  in 
sein  Inneres  hinein. 

Um  an  den  Fuß  dieses  Felsens  zu  gelangen,  muß  man 
über  die  endlosen  Schutthaufen  ausgehauener  Stein- 
blöcke, eingestürzter  Mauerreste  klettern;  die  gewal- 
tige Vergangenheit  hat  diesen  Boden  befruchtet,  in  dem 
viele  Schätze,  viele  Totengebeine  ruhen  müssen. 

Drei  ungeheuer  große  Begräbnisstätten  liegen  im 
Schöße  des  Berges  voneinander  getrennt,  aber  in  einer 
Reihe;  um  die  Gräber  des  Darius  und  der  Prinzen  sei- 

i36 


nes  Hauses  unzugänglich  zu  machen,  wurden  die  Öff- 
nungen zu  diesen  Gewölben  in  halber  Höhe  der  steilen 
Felswand  gelegt,  und  wir  können  nur  mit  Leitern, 
Stricken,  mit  einem  ganzen  Belagerungs-  und  Ein- 
bruchsmaterial dort  hinauf  gelangen.  Der  monumentale 
Eingang  zu  jeder  einzelnen  dieser  Stätten  ist  von  Säu- 
len umgeben  und  von  figürlichen  Basreliefs  überragt; 
die  alle  in  den  Felsen  selbst  hineingehauen  sind;  die 
Verzierungen  scheinen  von  den  Ägyptern  und  den  Grie- 
chen zugleich  beeinflußt  zu  sein;  die  Säulen,  das  Ge- 
sims sind  jonisch,  aber  der  Gesamteindruck  erinnert 
doch  mehr  an  die  schwere  Pracht  der  Portale  Thebens. 

Unterhalb  der  Gräber,  am  Fuße  des  als  Begräbnis- 
stätte dienenden  Berges,  sieht  man  hier  und  dort,  ohne 
irgendwelchen  Zusammenhang,  andere  riesengroße  Bas- 
reliefs in  vertiefte  Vierecke  ausgehauen,  sie  gleichen 
eingerahmten  Gemälden.  Übrigens  sind  sie  älter  als  die 
Begräbnisstätten,  sie  stammen  aus  der  Zeit  der  Sas- 
saniden-Könige ;  fast  alle  Gesichter  der  fünfzehn  bis 
zwanzig  Fuß  hohen  Figuren  haben  die  Mohammedaner 
verstümmelt,  aber  trotzdem  wirken  verschiedene 
Kampfes-  oder  Siegesdarstellungen  noch  immer.  Be- 
sonders ins  Auge  fallend  ist  ein  Sassaniden-König,  der 
in  stolzer  Haltung  auf  einem  Kriegsroß  sitzt,  vor  ihm 
kniet  und  demütigt  sich  wahrscheinlich  ein  Besiegter, 
ein  römischer  Kaiser,  an  seiner  Toga  erkenntlich,  dies 
ist  die  ergreifendste  und  zugleich  die  größte  aller  Grup- 
pen, die  von  dem  roten  Felsen  eingerahmt  werden. 

Die  Sieger  alter  Zeiten  verstanden  zu  zerstören! 
Man  ist  bestürzt,  wenn  man  heute  dem  Nichts  gegen- 
übersteht, in  das  so  viele  alte  ruhmreiche  Städte  durch 
einen  einzigen  Stoß  getaucht  werden  konnten,  Karthago 

137 


zum  Beispiel  und  auch  hier  am  Fuße  dieser  Palaste,  dies 
Istakhar,  das  solange  gestanden  hatte,  das  einer  der 
herrlichsten  Plätze  der  Welt  gewesen,  und  das  im  VII. 
Jahrhundert  nach  unserer  Zeilrechnung  unter  dem  letz- 
ten Sassaniden-König  noch  immer  eine  große  Haupt- 
stadt war:  eines  Tages  aber  zog  der  Kalif  Omar  vorbei, 
er  befahl  sie  zu  unterjochen  und  ihre  Einwohner  nach 
Chiraz  zu  verpflanzen;  sein  Befehl  wurde  ausgeführt, 
und  nichts  ist  von  der  Stadt  zurückgeblieben,  kaum  ein 
Haufen  Steine  unter  dem  Gras;  man  zögert,  an  diesem 
ihre  Spur  zu  erkennen. 

Ich  suchte  zwischen  den  Trümmerhaufen  nach  einem 
älteren  Denkmal,  nach  einem  Denkmal,  das  mehr  in  die 
Augen  fällt  und  das  die  Zoroaster,  die  Emigranten  in 
Indien,  mir  als  noch  erhalten  bezeichnet  hatten.  Und 
jetzt  liegt  es  ganz  in  der  Nähe,  wild  und  schweigend 
auf  dem  Postament  eines  Felsblockes  vor  mir.  Nach 
der  Beschreibung  erkannte  ich  es  sofort  wieder,  außer- 
dem wurde  mir  seine  Identität  durch  die  Bezeichnung 
des  Tcharvadaren  „Ateuchka!"  bestätigt  —  in  der  ich 
das  türkische  Wort  a  t  e  u  c  h  wiederfinde,  das  Feuer 
bedeutet.  Zwei  schwere,  einfache,  abgestumpfte  Pyra- 
miden, von  grobem  Zackenwerk  gekrönt,  zwei  Zwil- 
lingsältäre  für  den  Kultus  des  Feuers  bestimmt,  aus  der 
Zeit  der  ersten  Magier  stammend,  die  mehrere  Jahr- 
hunderte vor  Beginn  des  großen  Baues  der  Persepolis 
und  des  ausgehauenen  Berges  lebten;  sie  waren  schon 
sehr  alt  und  ehrwürdig,  als  die  Achämeniden  diesen  Ort 
erwählten,  um  hier  ihre  Paläste,  ihre  Stadt  und  ihre 
Gräber  zu  errichten,  sie  standen  schon  da  in  den  dun- 
kelsten Zeiten,  wo  die  zur  Begräbnisstätte  dienenden 
Berge  noch  unberührt  und  jungfräulich  waren,  und  wo 

i38 


die  ruhige  Ebene  sich  an  Stelle  so  vieler  ungeheurer 
Vorhallen  und  steinerner  Plätze  ausdehnte:  sie  haben 
die  gesteigerten  Zivilisationen  anwachsen  und  ver- 
schwinden sehen,  und  immer  sind  sie  auf  ihrem  Posta- 
ment fast  dieselben,  die  beiden  Ateuchkas  geblieben, 
unverwüstlich  und  gleichsam  ewig  in  ihrer  derben 
Herbheit  Wie  man  weiß,  verschwinden  die  Feueran- 
beter immer  mehr  aus  ihrem  Heimatland,  ja  sogar  von 
der  Erde;  die  Übriggebliebenen  sind,  ähnlich  wie  das 
Volk  Israels,  in  alle  Winde  verstreut;  aber  in  Yezd,  der 
Wüstenstadt,  die  ich  auf  meinem  Wege  rechts  liegen 
ließ,  gibt  es  eine  noch  ziemlich  große  Gemeinde,  man 
findet  auch  einige  in  Arabien,  andere  in  Teheran,  und 
schließlich  bilden  sie  eine  wichtige,  reine  Kolonie  in 
Bombay,  wo  sie  ihre  großen  Begräbnistürme  errichtet 
haben.  Aber  von  allen  Punkten  der  Erde,  wohin  sie  ihr 
Schicksal  auch  geführt  haben  mag,  kehren  sie  doch 
immer  wieder  als  Pilger  zu  diesen  beiden  erschreckend 
alten  Pyramiden  zurück,  die  ihre  heiligsten  Altäre  sind 

In  dem  Maße,  wie  wir  uns  entfernen,  scheinen  die 
schwarzen  Löcher  der  Grabstätten  uns  gleich  dem  Auge 
des  Todes  zu  verfolgen.  Indem  die  Könige  ihren  Be- 
gräbnisplatz so  hoch  legten,  wollten  sie  zweifellos  be- 
zwecken, daß  ihr  Schatten,  noch  von  der  Schwelle  der 
dunklen  Pforte  aus,  mit  Herrscheraugen  über  das  Land 
dahinschweben  und  immer  von  neuem  den  Betenden 
Furcht  einflößen  könnte. 

Um  weiter  vorzudringen,  folgen  wir  zuerst  einem 
schmalen  Bach,  der  eingeschachtelt  und  tief  über  Kie- 
selsteine, durch  Schilf  und  Weiden  dahinfließt;  ein 
Streifen  Grün  liegt  halbversteckt  in  einem  Spalt  des 
Bodens,  umgeben  von  den  dunklen  Steinregionen.   Und 

i3g 


bald,  nachdem  wir  die  Grabstätte  alter  Herrlichkeiten, 
nachdem  wir  auch  das  schattige  kleine  Tal  aus  dem 
Auge  verlieren,  umgibt  uns  von  neuem  die  gewohnte, 
gleichmäßige  Eintönigkeit:  die  baumlose  Ebene,  mit 
kurzen  Gräsern  und  blassen  Blumen  bewachsen,  dehnt 
sich,  zweitausend  Meter  hoch  gelegen,  ruhig  wie  das 
Wasser  eines  Flusses  zwischen  zwei  Bergketten  aus,  die 
eine  aschgraue,  oder  vielmehr  eine  lederbraune  Farbe, 
die  Farbe  des  toten  Tieres  zeigen. 

Und  in  dieser  Ebene  reiten  wir  dahin,  bis  zur 
Stunde  der  Dämmerung,  bis  es  plötzlich  ganz  kalt  wird. 

Aber  während  die  Sonne  noch  hoch  am  Himmel  steht 
und  ihre  sengenden  Strahlen  auf  uns  herniederwirft, 
sehen  wir  schon  am  Ende  der  grünen  Fläche  das  Dorf 
Ali-Abad  liegen,  wo  wir  zu  übernachten  gedenken.  Doch 
zahllose  tückische  Spalten  durchschneiden  hier  und  dort 
die  Ebene,  die  so  leicht  erschien,  gefährliche  Risse  im 
Boden,  über  die  der  Reiter  nicht  hinwegsetzen  kann, 
zwingen  uns  immer  wieder,  neue  Umwege  zu  machen; 
wir  sind  wie  in  einem  Labyrinth  gefangen,  kommen 
nicht  von  von  der  Stelle,  und  in  diesen  Schluchten  liegen 
die  Leichnahme  der  Pferde,  Esel  oder  Maultiere,  wie 
sie  der  ewige  Durchzug  der  Karawanen  dort  hingesät 
hat,  und  bilden  den  Sammelplatz  der  schwarzen  Vögel. 
Ali-Abad  sehen  wir  noch  immer  sich  in  der  gleichen 
Entfernung  vor  uns  erheben,  man  könnte  sagen,  es  sei 
ein  befestigtes  Schloß  aus  dem  Mittelalter:  dreißig  Fuß 
hohe,  mit  Schießscharten  und  Türmen  versehene 
Mauern  bilden  den  Schutzwall  gegen  die  Nomaden  und 
Panther. 

Jetzt  müssen  wir  einen  Gießbach  überschreiten,  der 
durch  eine  Schlucht  dahinbraust.  Bauern  eilen  zu  unse- 


i4o 


rer  Hilfe  herbei,  um  uns  die  Furt  zu  zeigen,  sie  heben 
ihre  blauen,  baumwollenen  Kleider  bis  über  den  Gürtel 
auf,  steigen  in  das  schäumende  Wasser  und  wir  folgen 
ihnen,  auch  unsere  Pferde  werden  bis  an  den  Bauch 
durchnäßt  Endlich  nähern  wir  uns  Ali-Abad;  noch  eine 
halbe  Meile  reiten  wir  an  Friedhöfen,  eingestürzten 
Gräbern  entlang;  dann  geht's  an  den  Umzäunungen, 
den  Gärten,  den  Lehmmauern  vorbei,  über  die  das  zit- 
ternde Laub  unserer  heimatlichen  Bäume  herabhängt, 
Kirschen-,  Aprikosen-,  Maulbeerbäume,  alle  schon  tra- 
gen sie  kleine  grüne  Früchte ;  und  schließlich  erreichen 
wir  das  Eingangstor  der  Wälle,  unter  dessen  großen 
Spitzbogen  alle  Frauen  sich  aufgestellt  haben,  um  uns 
vorüberziehen  zu  sehen.  Diese  Warten,  Mauern,  diese 
Zinnen,  dieser  ganze  furchteinflößende  Verteidigungs- 
apparat,  dieses  alles  macht,  in  der  Nähe  besehen,  den 
Eindruck  eines  bloßen  Festungsschattens,  dies  alles  be- 
steht nur  aus  Lehm,  hält  sich  nur  wie  durch  ein  Wunder 
aufrecht,  genügt  vielleicht  als  Schutz  gegen  das  Ge- 
wehrfeuer der  Nomaden,  wird  aber  bei  dem  ersten 
Kanonenschuß  wie  ein  Kartenhaus  zusammenstürzen. 
Die  Frauen  stehen  dicht  gegen  die  mit  großen  eiser- 
nen Nägeln  beschlagenen  Türflügel  gelehnt  und  be- 
obachten uns,  wie  wir  im  bunten  Durcheinander  mit 
einer  Herde  Ochsen  an  ihnen  vorüber  zum  Tor  hinein- 
ziehen. Hier  gibt  es  keine  schwarzen  Gespenster  mit 
weißen  Masken  mehr,  die  die  Straßen  Ghiraz'  verdun- 
kelten, die  langen  Schleier  sind  aus  klarem  Stoff,  mit 
Palmenzweigen  oder  altmodischen  Blumen  übersät,  und 
bilden  mit  ihren  verblaßten  Farben  ein  harmonisches 
Ganzes;  man  hält  sie  mit  der  Hand  gegen  den  Mund, 
um  nur  die  Augen  zu  zeigen,  aber  der  Abend  wind,  der 

i4i 


sich  mit  uns  unter  den  Spitzbogengewölben  verliert, 
hebt  ihn  in  die  Höhe  und  mehr  als  ein  Antlitz,  mehr  als 
ein  naives  Lächeln  können  wir  überraschen. 

Die  Karawanserei  befindet  sich  an  dem  Tor  selbst, 
und  diese  fast  ganz  gleichmäßigen  Löcher,  unterhalb 
der  Zinnen,  mit  denen  der  Spitzbogen  gekrönt  ist,  sind 
die  Fenster  unserer  Schlaf  räume.  Wir  klettern  auf 
Lehmtreppen  dort  hinauf,  gefolgt  von  dem  gefälligen 
Volk,  man  trägt  uns  unser  Gepäck,  schleppt  uns  Krüge 
mit  Wasser,  Näpfe  mit  Milch  herbei,  bringt  uns  Reisig- 
bündel, um  Feuer  machen  zu  können.  Und  bald  dürfen 
wir  uns  an  den  hellflammenden  Scheiten  erwärmen, 
die  de  nganzen  Raum  mit  ihrem  süßen  Wohlgeruch  er- 
füllen. 

Zwischen  den  Wällen  liegen  zahllose  Lehmdächer 
nebeneinander  gedrängt,  sie  bilden  die  innere  Terrasse, 
von  wo  aus  man  einen  Überblick  über  das  Dorf  hat  Und 
auf  diesen  Dächern  treten  jetzt  alle  Frauen,  all  die  be- 
scheidenen, geblümten,  verblaßten  Schleier  ihren  ge- 
wohnten Spaziergang  an;  sie  können  nicht  in  die  Ferne 
sehen,  die  Damen  Ali-Abads,  denn  die  sehr  hohen 
Festungsmauern  halten  sie  hier  wie  in  einem  Gefängnis 
gefangen,  aber  sie  betrachten  sich  gegenseitig  und  un- 
terhalten sich  von  einem  Haus  zum  andern;  in  diesem 
eingeschlossenen  und  verlorenen  Dorf  müßte  die  abend- 
liche Stunde  im  Freien  besonders  süß  und  reizvoll  sein, 
und  man  würde  dieselbe  noch  länger  ausdehnen,  wenn 
es  weniger  kalt  wäre. 

Der  Gebetsausrufer  singt.  Und  jetzt  kehren  die  Her- 
den heim.  So  oft  haben  wir  diesen  dicht  gedrängten, 
blökenden  Einzug  gesehen,  daß  wir  wirklich  nicht  wie- 
der von  neuem  Gefallen  daran  zu  finden  brauchten,  aber 


4a 


hier  an  diesem  engen  Ort  ist  er  wirklich  noch  ganz  be- 
sonders eigenartig:  Durch  das  spitzbogige  Eingangstor 
bricht  die  lebende,  schwarze  Flut  herein,  wie  ein  Fluß 
nach  heftigen  Regengüssen  überschwemmt  sie  das 
Land.  Und  sofort  teilt  sie  sich  in  verschiedene  kleine 
Zweige,  in  kleine  Bäche,  die  durch  die  engen  Gäßchen 
laufen:  Jede  Herde  kennt  ihr  Haus,  trennt  sich  von 
selbst  und  zögert  nicht;  die  Zicklein,  die  Lämmlein  fol- 
gen ihrer  Mama,  die  weiß,  wohin  sie  zu  gehen  hat,  nie- 
mand täuscht  sich,  und  sehr  schnell  ist  die  Sache  er- 
ledigt, das  Geblöke  schweigt,  der  Fluß  der  schwarzen 
Schafe  hat  sich  aufgelöst  und  läßt  nur  in  der  Luft 
den  Duft  der  Weiden  zurück,  all  die  kleinen  artigen 
Tiere  sind  heimgekehrt 

Und  auch  wir  sehnen  uns  nach  unserem  Lager,  nach 
dem  Schlaf  unter  dem  eisigen  Wind,  der  durch  die 
Löcher  unserer  Mauern  streicht,  und  lenken  deshalb 
unsere  Schritte  dem  Hause  zu. 


Sonnabend,  5.  Mai. 

Dieselben  geblümten  Schleier  stehen  bei  Sonnenauf- 
gang vor  dem  Tor,  um  uns  fortreiten  zu  sehen;  auch  die 
Männer  haben  sich  hier  versammelt,  alle  in  blauen  Ge- 
wändern, alle  mit  schwarzen  Hüten.  Lange  rosenrote 
Strahlen  dringen  durch  die  klare,  kalte  Luft  und  lassen 
die  Zinnen,  die  Spitzen  der  Türme  leuchten,  während 
unter  der  morgendliche  Schatten  noch  auf  den  un- 
beweglichen Gruppen  ruht,  die  sich  am  Fuße  der  Wälle 
aufgestellt  haben,  und  die  uns  bis  zu  dem  Augenblick, 
wo  wir  in  einem  Spalt  des  sehr  nahen  Berges  ver- 
schwinden, mit  den  Augen  verfolgen. 

iA3 


Sofort  befinden  wir  uns  inmitten  der  wilden,  engen 
und  tiefen  Schlünde,  und  über  unseren  Köpfen  neigen 
die  schrägen  Felsen  ihre  drohenden  Gipfel  herab.  Über- 
all sieht  man  hier,  was  sonst  in  Persien  eine  Seltenheit 
ist,  Sträucher,  blühenden  Weißdorn,  der  den  Frühling 
verkündet,  ja,  sogar  'Bäume,  große  Eichen;  und  sie  be- 
freien uns  für  eine  Stunde  von  dem  ewigen  Einerlei  der 
Gräser  und  der  Steine.  Da  diese  Gegend  scheinbar  der 
Zufluchtsort  der  Räuber  ist,  hielten  meine  Reiter  von 
Ghiraz  es  für  gut,  sich  drei  kräftigen,  jungen  Leuten 
aus  Ali-Abad  anzuschließen.  Diese  gehen  zu  Fuß,  sind 
mit  langen  Steinschloßgewehren,  mit  Hirschfängern 
und  Amuletten  bewaffnet;  aber  trotzdem  halten  sie  uns 
kaum  auf,  denn  sie  sind  gute  Läufer  und  ungewöhnlich 
geschmeidig.  „Vorwärts,  vorwärts"  —  rufen  sie  uns 
immer  wieder  zu,  —  „trabt  nur  ruhig  vorwärts,  es  er- 
müdet uns  gar  nicht."  Um  besser  laufen  zu  können, 
haben  sie  die  beiden  Zipfel  ihres  langen  blauen  Kleides 
mit  einem  Lederriemen,  der  um  die  Hüften  geschnallt 
ist,  hochgehoben,  ihre  braunen,  muskulösen  Schenkel 
kommen  zum  Vorschein,  und  sie  gleichen  also  den 
Jägerprinzen  auf  den  Basreliefs  von  Persopolis,  die  ihre 
Kleider  genau  auf  dieselbe  Weise  mit  dem  Gürtel  be- 
festigten, wenn  sie  ausgingen,  um  die  Löwen  oder  Un- 
geheuer zu  bekämpfen. 

Und  sie  machen  Seitensprünge,  sie  finden  noch  Zeit, 
Wachteln  und  Perlhühner,  die  überall  aufsteigen,  zu 
verfolgen,  —  ja,  sogar  können  sie  uns  Königskräuter, 
kleine  duftende  Sträuße  mit  ihrem  schönsten  Lächeln 
überreichen,  wobei  sie  ihre  weißen  Zähne  zeigen.  Kaum, 
daß  ihnen  der  Schweiß  unter  den  schweren  Mützen  her- 
vortropft. 

i44 


Plötzlich  öffnen  sich  die  Schlünde,  und  vor  uns  liegt 
die  Wüste,  strahlend,  ewig,  unendlich.  Die  Gefahr,  so 
sagt  man  uns,  sei  jetzt  beendet,  da  die  Räuber  nur  in  den 
Schlünden  der  Berge  arbeiten.  Wir  können  also  unseren 
drei  Beschützern  aus  Ali-Abad  danken  und  durch  den 
weiten  Raum  dahingaloppieren ;  unsere  Pferde  wün- 
schen sich  übrigens  nichts  Besseres,  sie  waren  schon 
ungeduldig,  durch  die  Fußgänger,  die  zweibeinigen 
Läufer,  zurückgehalten  zu  werden,  jetzt  setzten  sie,  wie 
zu  einer  Fantasia  davon.  Die  Pferde  aber,  die  von  mei- 
nen Reitern  aus  Chiraz  geritten  waren,  sind  weniger 
schnell,  weniger  launenhaft,  sie  scheinen  mit  einer  Art 
Wollust  dahinzugaloppieren  und  mit  der  Grazie  eines 
Schwanes  biegen  sie  ihre  langen  Hälse.  Nirgends  ein 
vorgezeichneter  Weg,  keine  Einzäunung,  keine  Gren- 
zen, keine  menschliche  Spur;  es  lebe  der  freie  Raum, 
der  jedermann  und  niemandem  gehört  1  Die  Wüste  wird 
ganz  in  der  Ferne,  rechts  und  links,  von  schneebedeck- 
ten Gipfeln  eingerahmt,  sie  dehnt  sich  vor  uns  aus, 
dehnt  sich  aus  bis  zu  dem  fliehenden  Horizont  hinan, 
den  man  niemals  erreichen  wird;  die  Wüste  ist  durch- 
zogen von  weichen,  wellenförmigen  Linien,  sie  glei- 
chen den  Wogen  des  Ozeans,  wenn  es  windstill  ist.  Die 
Wüste  zeigt  eine  blasse,  grüne  Färbung,  sie  scheint  hier 
und  dort  von  einer  leicht  violetten  Asche  bestäubt  zu 
sein;  —  und  diese  Asche  ist  der  Blütenflor  der  selt- 
samen, traurigen,  kleinen  Pflanzen,  die  unter  der  gar 
zu  sengenden  Sonne,  unter  dem  gar  zu  kalten  Winde 
ihre  farblosen,  fast  grauen  Keiche  öffnen,  die  aber 
immer  duften,  deren  Saft  selbst  ein  Wohlgeruch  ist 
Die  Wüste  ist  anziehend,  die  Wüste  ist  voller  Reize, 
die  Wüste  ist  reich  an  wunderbaren  Düften;  ihr  fester, 


10     Persiea. 


145 


trockener  Boden  ist  ganz  von  Wohlgerüchen  durch- 
tränkt 

So  belebend  scheint  die  Luft,  daß  man  behaupten 
könnte,  unsere  Pferde  seien  unermüdlich;  heute  morgen 
galoppieren  sie  so  leicht  und  munter  dahin,  und  ihr 
kupferner  Schmuck  rasselt,  und  ihre  Mähnen  flattern 
launisch  im  Wind.  Unsere  Reiter  von  Ghiraz  vermögen 
nicht,  uns  zu  folgen,  wir  verlieren  sie  aus  dem  Auge, 
jetzt  verschwinden  sie  hinter  uns  in  der  Ferne  der  blaß- 
grünen, der  blaßschillernden  endlosen  Ebene.  Tut 
nichts!  Man  sieht  so  weit  nach  allen  Seiten,  und  der 
leere  Raum  ist  so  tief,  welche  Überraschungen  brauch- 
ten wir  wohl  zu  befürchten? 

Wir  treffen  eine  große  Herde  schwarzer  Rinder, 
schwarzer  Kühe,  kein  Hirte  bewacht  sie;  einige  der 
jungen  Stiere  springen  und  schlagen  hinten  aus  bei 
unserem  Anblick,  beschreiben  seltsame  Linien,  aber  nur 
zum  Vergnügen  und  um  Aufsehen  zu  erwecken,  nicht 
um  sich  auf  uns  zu  stürzen,  da  wir  ihnen  kein  Leid  zu- 
fügen wollen. 

Gegen  neun  Uhr  morgens  sieht  man,  ungefähr  im 
Abstand  von  einer  Meile,  zur  linken  Hand,  in  der  sich 
neigenden  Ebene,  große  Ruinen  hervorragen,  Ruinen 
der  Achämeniden,  zweifellos,  denn  die  auf  dem  Stein- 
haufen noch  aufrechtstehenden  Säulen  sind  fein  und 
schlank  wie  in  Persepolis.  Welch  ein  Palast  ist  dies,  und 
welcher  erhabene  Fürst  bewohnte  ihn  zu  jenen  Zeiten? 
Kennt  man  diese  Ruinen,  hat  irgend  jemand  sie  er- 
forscht? Wir  wollen  nicht  den  Umweg  machen  und 
uns  hier  aufhalten,  heute  morgen  haben  wir  einen 
schnellen  Ritt  von  fünf  Stunden  zurückzulegen,  und 
wir  befinden  uns  ganz  in  dem  physischen  Rausch,  vor- 

i46 


wärts  durch  den  Raum  dahinzufliegen.  Die  höher  stei- 
gende Sonne  brennt  ein  wenig  auf  unsere  Köpfe  herab, 
um  uns  zu  erfrischen,  weht  ein  Wind,  der  über  die 
Schneegefilde  dahingestrichen  ist.  Die  weißen  Gipfel 
verfolgen  uns  noch  immer  zu  beiden  Seiten  der  Ebene. 
Diese  gleicht  einer  endlosen  Allee,  ist  mehrere  Meilen 
breit,  und  lang,  ja,  man  weiß  nicht  zu  sagen  wie 
lang... 

Um  elf  Uhr  zeichnet  sich  ein  wirklich  grüner  Fleck 
dort  unten  ab  und  wächst  schnell  heran,  unseren  Augen, 
die  sich  schon  an  die  Oasen  Irans  gewöhnt  haben,  ver- 
kündet er  ein  Stückchen  Erde,  durch  das  ein  Bach 
fließt,  ein  Stückchen  Erde,  das  man  bebaut,  eine 
menschliche  Ansiedlung.  Und  in  der  Tat,  zwischen  das 
ganz  frische,  zitternde  Grün  mischen  sich  Wälle  und 
Zinnen;  es  ist  ein  kleiner  Weiler,  er  nennt  sich  Kader- 
Abad,  und  gibt  sich  durch  seine  baufälligen  Lehm- 
mauern den  Anschein  einer  Festung.  Dort  nehmen  wir 
unser  mittägliches  Mahl  ein,  auf  den  Teppichen  Ghiraz' 
sitzend,  in  dem  Gärtchen  der  bescheidenen  Karawanse- 
rei, im  Schatten  der  dürren  Maulbeerbäume,  die  der 
Frost  des  Frühlings  entblättert  hat  Und  nach  und  nach 
wird  die  Mauer  hinter  uns  geschmückt  mit  den  Köp- 
fen der  Frauen  und  der  kleinen  Mädchen,  eine  nach  der 
anderen  tauchen  sie  schüchtern  hervor,  um  uns  zu  be- 
trachten. 

Wir  wollten  gerade  aufbrechen,  als  ein  verworrenes 
Getöse  das  Dorf  erfüllt,  alles  eilt  herbei,  hier  geht 
etwas  vor  sich . . .  Man  sagt  uns,  es  sei  eine  vornehme 
Dame  angekommen,  eine  sehr  vornehme  Dame,  ja  so- 
gar eine  Prinzessin  mit  ihrem  Gefolge.  Seit  einer  Woche 
befindet  sie  sich  auf  der  Reise  nach  Ispahan,  und  für 


W 


147 


diese  Nacht  bittet  sie  in  den  Mauern  Kader-Abdas  um 
Schutz  und  Obdach. 

In  der  Tat  nähert  sich  jetzt  ein  Trupp  berittener 
Männer,  ihre  Beschützer,  sie  reiten  vor  ihr  her,  sitzen 
auf  schönen  Pferden,  deren  gestickte  Sättel  goldene 
Fransen  zeigen.  Und  in  dem  Tor  der  zinnengekrönten 
Mauer  sieht  man  etwas  ganz  Seltsames  zum  Vorschein 
kommen:  eine  Karosse!  Eine  Karosse  mit  purpurroten, 
seidenen  Vorhängen,  die  Pferde  sind  abgespannt,  und 
sie  wird  von  einer  Anzahl  Hirten  gezogen;  scheinbar 
kommt  sie  von  Chiraz,  man  hat  einen  längeren,  aber 
weniger  gefährlichen  Weg  als  den  unsern  gewählt;  ein 
Rad  ist  gebrochen,  alle  Federn  mußten  durch  Taue  ver- 
stärkt werden,  die  Reise  verlief  nicht  ohne  Beschwer* 
den.  Und  hinter  dem  beschädigten  Wagen  schreitet  die 
geheimnisvolle  Schöne  ruhigen  Schrittes  daher.  Jung 
oder  alt,  wer  vermöchte  es  zu  sagen?  Natürlich  ist  es 
ein  Schatten,  aber  ein  Schatten  voller  Anmut;  sie  ist 
ganz  in  schwarze  Seide  gehüllt  und  trägt  vor  dem  Ge- 
sicht eine  weiße  Maske,  aber  ihre  kleinen  Füße  zeigen 
elegantes  Schuhwerk,  und  ihre  zarte  Hand,  die  den 
Schleier  zusammenhält,  ist  mit  grauen  Perlen  bedeckt 
Um  besser  sehen  zu  können,  steigen  alle  Frauen  Kader- 
Abads  auf  die  Dächer,  und  die  braunen  Mädchen  eines 
Nomadenstammes  laufen  so  schnell  die  Füße  sie  zu 
tragen  vermögen,  aus  ihrem  Lager  herbei.  Der  Dame 
folgen  ihre  Begleiterinnen,  auch  sie  sind  undurch- 
dringlich verschleiert,  zu  zweien  nähern  sie  sich  auf 
weißen  Maultieren,  in  großen,  rotverhangenen  Käfigen. 
Und  endlich  bilden  zwanzig  Maultiere  den  Beschluß, 
sie  tragen  Ballen  oder  Koffer,  die  mit  kostbaren  samt- 
ähnlichen Geweben  bedeckt  sind. 

i48 


Wir  unsererseits  brechen  jetzt  auf  und  verlieren  uns 
sofort  in  der  großen  Wüste.  Von  einem  jeden  dieser 
Hügel  aus,  die  wir  unaufhörlich  erklimmen  müssen, 
um  dann  wieder  hinabzusteigen,  entdecken  wir  immer 
neue  Ebenen,  und  alle  sind  sie  gleich  leer,  gleich  un- 
berührt und  wild,  alle  liegen  sie  in  der  gleichen  wun- 
derbaren Klarheit  da.  Man  atmet  eine  süße  Luft  ein, 
eine  Luft,  die  unter  einer  blendenden  Sonne  doch  kalt 
ist  Der  mittagliche  Himmel  zeigt  ein  hartes  Blau,  und 
einige  perlmutterfarbene  Wolken  zeichnen  die  be- 
stimmten Umrisse  ihrer  Schatten  auf  den  nimmer  en- 
denden Teppich,  der  hier  den  Boden  bedeckt,  ein  Tep- 
pich aus  zarten  Gräsern,  aus  Königskraut  und  Quendel, 
aus  kleinen  seltenen  Orchideen,  deren  Blüte  einer  grauen 
Fliege  gleicht . . .  Wir  reiten  in  einer  Höhe  von  zwei- 
bis  dreitausend  Meter  dahin.  Heute  abend  treffen  wir 
keine  Karawane,  haben  keine  Erlebnisse. 

Seit  heute  morgen  haben  die  beiden  Gebirgsketten 
uns  verfolgt,  jetzt  wo  der  Tag  erstirbt,  nähern  sie  sich 
einander.  Mit  einer  Klarheit,  die  das  Auge  tauscht,  zei- 
gen sie  uns  das  ganze  Chaos  ihrer  Gipfel,  wie  es  in 
einem  dunklen  Blau,  in  den  wunderbar  violetten  Tönen, 
die  in  Rosa  übergehen,  daliegt,  man  könne  sagen,  es 
seien  Geisterschlösser,  babylonische  Türme,  apokalyp- 
tische Städte,  die  Trümmer  einer  Welt;  und  der  Schnee, 
der  dort  in  allen  Falten  der  Abgründe  schläft,  sendet 
uns  eine  wirkliche  Kälte  entgegen. 

Indessen  winkt  uns  ein  neuer  grüner  Fleck  in  der 
Ferne,  er  zeigt  uns  unser  Nachtquartier  für  heute 
abend.  Die  immer  gleiche,  kleine  Oase,  die  Korn- 
felder, einige  Pappeln  und  in  der  Mitte  die  Zinnen  eines 
Walles. 


Es  ist  Abas-Abad.  Aber  die  Karawanserei  ist  be- 
setzt, sie  beherbergt  eine  reiche  kaufmännische  Kara- 
wane, und  nicht  für  Gold  kann  man  uns  dort  Platz  ver- 
schaffen. So  müssen  wir  uns  also  ein  Obdach  bei  ganz 
bescheidenen  Leuten  suchen,  die  über  einem  Stall  zwei 
aus  Lehm  erbaute  £immer  besitzen,  das  eine  wollen  sie 
uns  abtreten.  Die  zahlreiche  Familie,  die  Knaben  und 
Mädchen  siedeln  in  den  andern  Raum  über,  der  sonst. 
wegen  eines  schadhaften  Daches,  durch  das  die  Kälte 
eindringt,  unbewohnt  war.  Auf  einer  abgenutzten 
Treppe,  auf  der  man  ausgleitet,  steigen  wir  zu  diesem 
wüsten,  verräucherten,  schwarzen  Lager  hinauf;  man 
beeilt  sich,  die  armseligen  Matratzen,  die  Krüge,  die 
Näpfe,  die  Weizenkuchen,  die  Steinschloßgewehre,  die 
alten  Säbel  fortzutragen  und  die  Hühner  mit  ihren 
Küchlein  hinauszujagen.  Dann  muß  man  uns  ein  Feuer 
anzünden,  denn  die  Luft  ist  eisig.  In  diesem  waldarmen 
Ländern,  wo  es  nicht  einmal  Strauchwerk  gibt,  heizt 
man  mit  einer  Art  Distel,  die  wie  die  Sternkorallen  in 
der  Gestalt  von  stachlichten  Fladen  wächst;  die  Frauen 
sammeln  sie  in  den  Bergen  und  trocknen  sie  für  den 
Winter.  Diese  Disteln  schichtet  man  mehrere  Fuß  hoch 
im  Herd  auf,  und  sie  knattern  und  brennen  in  tausend 
lustigen  kleinen  Flammen.  Die  Hauskatze  war  zuerst 
mit  ihren  Herren  umgezogen,  sie  entschließt  sich  jetzt 
aber,  zurückzukehren,  um  sich  an  unserem  Feuer  zu 
wärmen,  und  sie  geht  auch  darauf  ein,  mit  uns  zusam- 
men zu  Abend  zu  essen.  Die  beiden  jüngsten  Mädchen, 
zwölf  und  fünfzehn  Jahre  alt,  hatten  bei  unserm  Aus- 
packen wie  versteinert  dagestanden,  jetzt  schleichen  sie 
auf  Zehenspitzen  heran  und  können  sich  gar  nicht  los- 
reißen von  dem  Anblick,  den  ihnen  unsere  Mahlzeit  ge- 

i5o 


währt.  Übrigens  sind  sie  alle  beide  so  komisch,  daß 
man  ihnen  nicht  böse  sein  kann,  sind  so  unschuldig 
schön,  unter  ihren  persischen  Schleiern  mit  dem  alt- 
modischen Muster,  mit  ihren  roten  samtweichen  Wan- 
gen, die  einem  Septemberpfirsich  gleichen,  mit  den  fast 
zu  langen,  zu  geraden  Augen,  deren  Winkel  sich  unter 
dem  schwarzen  Schleier  verlieren  —  schauen  aber  vor 
allen  Dingen  so  ehrlich,  keusch,  so  naiv  drein.  Erst  als 
wir  uns  hinlegen,  ziehen  sie  sich  zurück,  nachdem  sie 
noch  einmal  einen  ganzen  Haufen  Disteln  ins  Feuer  ge- 
worfen haben;  und  alsdann  umfängt  uns  die  Kälte,  das 
erhabene  Schweigen,  das  die  nahen  Gipfel  und  ihre 
Schneegefilde  ausstrahlen,  und  das  sich  mit  der  Nacht 
über  die  Einsamkeiten  der  Umgebung  lagert,  über  das 
kleine  lehmerbaute  Dorf,  über  unsere  elende  Kammer 
und  unseren  gesunden,  traumlosen  Schlaf. 

Sonntag,  6.  Mai. 

Schon  frühmorgens  finden  wir  die  Freude  an 
Schnelligkeit  und  Weite  wieder,  in  der  immer  glei- 
chen Wüste,  zwischen  den  beiden  Gebirgsketten  mit 
ihren  schneebedeckten  Gipfeln.  Die  Wüste  ist  wie  mar- 
moriert, durch  ihre  verschiedenen  Blumenfelder.  Aber 
hier  herrscht  nicht  mehr  die  Pracht  der  Ebenen  Marok- 
kos und  Palästinas,  die  sich  im  Frühling  mit  Schwert- 
lilien, Rosen,  mit  blauen  Winden  und  roten  Anemonen 
bedecken.  Es  scheint  fast,  als  wenn  alles  sich  unter  den 
Strahlen  einer  zu  nahen,  zu  blendenden  Sonne  ent- 
färbte: Der  Quendel  zeigt  eine  unbestimmte  Farbe,  das 
Maßliebchen  ein  verblaßtes  Gelb,  das  Violett  der  blas- 
sen Iris  ist  hier  perlgrau,  die  Orchideen  haben  graue 


iüi 


Blüten,  und  tausend  kleine  unbekannte  Pflanzen  schei- 
nen zu  Asche  verbrannt  zu  sein. 

Wir  haben  beschlossen,  unsere  Lasttiere  mit  den 
überflüssigen,  langsamen  Reitern  aus  Chiraz  zurück- 
zulassen; wir  sind  jetzt  ganz  vertrauensvoll,  und  so 
geht  es  denn  vorwärts. 

Aber  dort  hinten  bewegt  sich  eine  Herde,  die  unse- 
ren Weg  kreuzen  wird;  es  sind  Nomaden,  Leute  von 
schlechtem  Ruf,  es  ist  ein  Volksstamm,  der  auf  eine 
andere  Weide  zieht  An  der  Spitze  schreiten  bewaff- 
nete Männer,  sie  haben  ganz  das  Äußere  von  Räubern; 
unsere  Perser  beschließen,  im  gestreckten  Galopp,  mit- 
ten hindurch  zu  sprengen,  sie  stoßen  wilde  Schreie  aus, 
um  die  Pferde  anzuspornen,  und  man  weicht  zur  Seite, 
und  macht  uns  Platz.  Im  langsamen  Trab  setzen  wir 
unseren  Weg  durch  das  Gewühl  der  Tiere  fort  Und 
schließlich  kreuzen  wir  im  Schritt  die  Nachhut,  Frauen 
und  kleine  —  sehr  kleine  Kinder,  kleine  Kamele,  kleine 
Böcklein,  ein  lustiges,  reizendes  Durcheinander;  —  aus 
ein  und  demselben  Korbe,  auf  dem  Rücken  eines  Maul- 
tieres, sehen  wir  den  Kopf  eines  Babys  und  den  eines 
soeben  geborenen  Esels  hervorlugen,  und  man  vermag 
wirklich  nicht  zu  sagen,  welcher  von  beiden  der  hüb- 
scheste ist,  der  kleine  Nomade  mit  den  rollenden  Augen, 
oder  der  kleine  Esel  mit  dem  noch  ganz  lockigen  Fell; 
der  eine  sowohl  wie  der  andere  betrachten  uns  übrigens 
mit  der  gleichen  Offenherzigkeit,  demselben  Erstaunen. 

Nach  vierstündigem  Ritt  machen  wir  vor  dem  ver- 
lassenen Dorfe  Dehbid  halt  (zweitausendsechshundert 
Meter  hoch  gelegen.)  Inmitten  der  grauen  Ebene  er- 
hebt sich  eine  alte  Festung,  sie  stammt  aus  den  Zeiten 
der  Sassaniden-Herrscher,   elende,   aus  Lehm  erbaute 

102 


Hütten  schmiegen  sich  an  sie  an,  gleichsam  als  fürchten 
sie  die  Stürme,  die  über  diese  hohen  Länder  dahinfegen. 
Ein  eisiger  Wind,  in  der  Nähe  die  endlosen  Schnee- 
gefilde, und  ein  funkelndes  Licht 

Aber  unsere  Lasttiere,  wie  auch  unsere  Reiter  von 
Chiraz,  denen  wir  heute  morgen  vorausgeeilt  waren, 
schließen  sich  uns  nicht  an.  Den  ganzen  Tag  harren 
wir  ihrer,  sehen  von  dem  Dach  der  Karawanserei  nach 
ihnen  aus,  befragen  den  Horizont:  Karawanen  kommen 
zum  Vorschein,  Maultiere,  Kamele,  Esel,  Tiere  und 
Leute  aller  Art,  aber  die  unsrigen  nicht.  Um  die  Stunde, 
wo  die  Berge  übernatürlich  großen  Schatten  auf  die 
Wüste  werfen,  erscheint  endlich  einer  der  Reiter:  „Be- 
unruhigt euch  nicht",  sagt  er,  „sie  haben  einen  ande- 
ren, ihnen  bekannten  Weg  eingeschlagen ;  schlafet  hier, 
auch  ich  werde  mich  zur  Ruhe  begeben;  morgen  trefft 
ihr  vier  Stunden  weiter  mit  ihnen  in  der  Karawanserei 
von  Khan-Korrah  zusammen." 

So  laßt  uns  also  in  Dehbid  übernachten,  es  bleibt 
uns  in  der  Tat  auch  nichts  anderes  übrig,  denn  bald 
schon  senkt  sich  die  schweigende  Nacht  herab.  Aber 
man  soll  uns  trockene  Disteln  auf  den  Herd  schütten, 
wo  wir  unser  Feuer  anzünden  werden. 

Die  langgezogenen  Töne  des  Gebetsausrufers  stei- 
gen hinauf  in  die  Luft.  Die  Vögel  stellen  das  Kreisen 
ein,  sie  begeben  sich  zur  Ruhe  in  den  Zweigen  einiger 
verkrüppelter  Pappeln,  der  einzigen  Bäume,  die  es 
meilenweit  im  Umkreise  gibt.  Und  kleine,  zwölfjährige 
Mädchen  drehen  sich  im  Kreise,  wie  sie  es  wohl  bei 
uns  an  einem  schönen  Maienabend  zu  tun  pflegen; 
kleine  persische  Schönheiten,  bald  wird  man  euch  ver- 
schleiern, kleine  Wüstenblumen,  euer  Schicksal  ist  es, 


i53 


in  diesem  verlorenen  Dorfe  zu  verwelken.  Sie  tanzen, 
sie  singen;  so  lange  die  durchsichtige  Dämmerung  an- 
hält, treten  sie  ihren  Reigen,  und  ihre  Fröhlichkeit  steht 
im  Widerspruch  zu  der  herben  Trauer  von  Dehbid . . . 

Montag,  7.  Mai. 

Die  Sonne  ist  gerade  im  Begriff  aufzugehen,  als  wir 
durch  die  Löcher  unserer  Erdmauer  einen  Blick  ins 
Freie  werfen.  Eine  große  Karawane,  die  soeben  ange- 
gekommen ist,  hat  sich  auf  dem  weißbereiften,  glitzern- 
den Grase  gelagert;  die  höckerigen  Rücken  der  Kamele, 
die  Spitzen  ihrer  Sättel  heben  sich  im  klaren  Osten  von 
dem  wunderbar  reinen  Morgenhimmel  ab,  und  für  un- 
sere, noch  kaum  geöffneten  Augen  geht  dies  alles  zu- 
erst in  die  zackigen  Berge  über  —  und  doch  liegen 
diese  so  fern  dort  hinten  am  Ende  der  weiten  Ebene. 

Von  neuem  reiten  wir  durch  die  eintönige  Wüste  da- 
hin, wo  einige  Asphodelos  auftauchen,  ihre  weißen  Blü- 
ten ragen  über  den  kleinen  grauen  oder  violetten  Blu- 
men auf,  denen  wir  immer  wieder  begegnen.  In  der 
Mittagsstunde,  unter  den  Strahlen  einer  plötlich  sen- 
genden Sonne  finden  wir  an  dem  bezeichneten  Platz 
unsere  verloren  geglaubten  Tiere  und  Leute  wieder. 
Aber  welch  ein  trauriger  Ort  des  Wiedersehens  ist  diese 
Karawanserei  von  Khan-Korrah.  Nicht  das  kleinste 
Dorf  in  der  Umgegend.  Inmitten  einer  großen  Einöde, 
einer  Wüste  von  Steinen,  liegt  hier  nur  ein  hoher,  krene- 
lierter  Wall,  ein  Platz,  wo  man  im  Schutze  vor  den 
nächtlichen  Angriffen  hinter  Mauern  schlafen  kann. 
Gleich  am  Eingang  bedecken  ein  Dutzend  Skelette,  die 
Gebeine  von  Pferden  und  Kamelen,  und  einige  kürzlich 

i54 


gestürzte  Tiere,  auf  denen  die  Geier  hocken,  den  Weg. 
Riesengroße  Hirtenhunde  und  drei,  bis  an  die  Zähne 
bewaffnete,  wild  dreinblickende  Männer,  sind  die 
Wächter  dieser  Festung,  in  derem  Schatten  wir  uns 
für  kurze  Zeit  zum  Schlafe  niederlegen.  Das  Innere  des 
Hofes  ist  mit  Unrat,  mit  den  Gerippen  der  Maultiere 
bedeckt,  die  hier  den  Verwesungsprozeß  durchgemacht 
haben:  nach  irgendeinem  gewaltsamen  Marsch  sind  die 
Tiere  an  diesem  Platz  der  Überanstrengung  erlegen,  und 
man  hat  sich  nicht  einmal  die  Mühe  gemacht,  sie  hin- 
auszuwerfen, sondern  übergab  sie  der  Obhut  der  Geier ; 
jetzt  zu  dieser  heißen  Tagesstunde  sind  sie  in  eine 
Wolke  von  Fliegen  eingehüllt. 

Es  wird  zweifellos  über  Nacht  frieren,  aber  in  diesem 
Augenblick  ist  die  Hitze  kaum  erträglich;  und  unser 
Mittagsschläfchen  wird  durch  dieselben  blauen  Fliegen 
gestört,  die  vor  unserer  Ankunft  die  verwesten  Tiere 
bedeckten . . . 

Nachmittags  machen  wir  einen  fünfstündigen  Ritt 
durch  die  graue  Einöde,  unter  einer  bleiernen  Sonne, 
und  begeben  uns  dann  in  die  Karawanserei  von  Surah, 
in  der  Nähe  einer  alten  Festung  der  Sassaniden,  am 
Fuße  der  Schneegefilde  zur  Ruhe. 


Dienstag,  8.  Mai. 

Heute  tauchen  die  grünen  Flecke  der  kleinen  Oase 
zu  beiden  Seiten  unseres  Weges  immer  häufiger  auf. 
Über  einen  ausgedörrten  Boden  eilen  zahllose  kristall- 
klare Bäche  dahin,  sie  springen  aus  den  Spalten  der 
schneebedeckten  Berge  hervor,  werden  von  eifriger 
Menschenhand  geleitet  und  verteilt  und  tragen  hier  und 

1 55 


dort  zu  den  verstreut  liegenden,  urbar  gemachten 
Landstrichen  dieser  hohen  Ebenen  Leben  und  Frucht- 
barkeit 

Gegen  zehn  Uhr  morgens  erreichen  wir  eine  Stadt, 
die  erste  seit  Chiraz.  Sie  nennt  sich  Abadeh.  Ihre  drei- 
fachen Mauern  aus  Ton  und  Lehm  fallen  schon  stellen- 
weise zusammen,  sie  sind  ungewöhnlich  hoch,  werden 
von  drohenden  Türmen  überragt,  und  ihre  blauglasier- 
ten Steine  reihen  sich  zu  Arkaden  aneinander.  Den 
Schmuck  der  Tore  bilden  Gazellenhörner,  die  man  ober- 
halb des  Spitzbogens  in  einem  Kreise  angebracht  hat 
Hier  gibt  es  einen  großen,  überdachten  Basar,  in  dem 
ein  ungewöhnlich  reges  Leben  herrscht;  man  verkauft 
Teppiche,  Wolle,  gewebt  und  in  Docken,  verarbeitetes 
Leder,  Steinschloßge wehre,  Korn,  Spezereien,  die  aus 
Indien  gekommen  sind.  Heute  findet  außerdem  in  den 
engen  Straßen  ein  Viehmarkt  statt  Wohin  das  Auge 
sieht:  Schafe  und  Ziegen.  Die  Frauen  von  Abadeh 
tragen  hier  nicht  die  kleine  weiße,  durchlöcherte  Maske, 
aber  ihr  Schleier  verhüllt  sie  deshalb  nicht  weniger:  er 
ist  nicht  schwarz  wie  in  Chiraz,  hat  keine  gestickten 
Blumen  oder  Zweige  wie  auf  dem  Lande,  nein  ,  er  ist 
stets  blau,  sehr  lang,  wird  nach  unten  zu  breiter  und  bil- 
det eine  Schleppe;  um  ihren  Weg  finden  zu  können, 
wagen  sie  von  Zeit  zu  Zeit  einen  Blick  durch  die  ver- 
borgenen Falten.  Die  also  verschleierten  Schönen  glei- 
chen anmutigen  Madonnen,  die  kein  Gesicht  haben.  Na- 
türlich betrachtet  man  uns  viel  in  dieser  Stadt,  aber  ohne 
Mißtrauen,  die  Kinder  folgen  uns  scharenweise,  und  in 
ihren  Augen  leuchtet  die  verhaltene  Neugierde. 

Wir  beabsichtigten  nach  einer  zweistündigen  Ruhe- 
pause aufzubrechen,  aber  der  Besitzer  der  Pferde  wei- 

i56 


gert  sich,  er  behauptet,  die  Tiere  seien  gar  zu  müde  und 
wir  müßten  hier  übernachten. 

So  sieht  uns  der  melancholische  Abend  also  in  der 
Karawanserei  von  Abadeh  vor  dem  Tore  sitzend,  auf 
dem  man  den  Schmuck  der  Gazellenhörner  angebracht 
hat  Hinter  uns  zeichnen  die  Zacken  der  jetzt  im  Schat- 
ten liegenden  krenelierten  Mauern  sich  von  dem  grün- 
goldenen Himmel  ab.  Und  vor  uns  liegt  die  Stadt  der 
Gräber:  ein  grauer  Boden,  auf  dem  kein  Gras  wächst, 
bescheidene  Grabgewölbe  aus  grauem  Stein,  kleine 
Kuppeln,  oder  einfache  Leichensteine;  so  weit  das  Auge 
reicht,  nichts  als  Gräber,  zum  größten  Teil  sind  diese 
schon  so  alt,  daß  wahrscheinlich  niemand  sie  noch  ken- 
nen wird.  Die  blauen  Madonnen  mit  dem  schleppenden 
Schleier  wandeln  in  Scharen  dort  umher;  in  der  herein- 
brechenden Dämmerung  gleichen  sie  mehr  denn  je  Ge- 
spenstern. Im  Hintergrunde  wird  der  Horizont  durch 
vier-  bis  fünftausend  Meter  hohe  Gipfel  abgeschlossen, 
deren  Schneefelder  in  dieser  Stunde  bläulich  leuchten, 
ihr  Anblick  erfüllt  uns  mit  Kälte. 

Sobald  der  erste  Stern  am  klaren  Himmel  angezün- 
det wird,  schreiten  die  blauen  Schatten  langsam  der 
Stadt  zu,  und  die  Tore  schließen  sich  hinter  ihnen.  In 
diesen  Ländern  erstarrt  das  Leben  mit  Hereinbruch  der 
Nacht;  man  fühlt  die  Traurigkeit,  die  unerklärliche 
Angst 

Mittwoch,  9.  MaL 

Unsere  Pferde  haben  sich  jetzt  ausgeruht,  schon 
frühmorgens  beginnen  sie  von  neuem  ihren  schnellen 
Lauf   durch    den    stets   schweigenden,    klaren  Raum. 

157 


Blühender  Asphodelos  und  Akanthus  verleiht  dieser 
Einöde  zuweilen  den  Anblick  von  Gärten,  ein  dunkler, 
farbloser  Garten,  der  sich  meilenweit  erstreckt,  ohne 
jemals  eine  Abwechslung  zu  zeigen.  Zur  Rechten  und 
Linken,  bis  in  die  Unendlichkeit,  verfolgen  uns  noch 
immer  die  beiden  Gebirgsketten,  sie  bilden  auf  der  Erd- 
oberfläche einen  doppelten  Kamm,  einen  der  höchsten 
der  Welt  Aber  heute  gewähren  uns  die  Öffnungen  in 
der  östlichen  Kette  einen  Blick  auf  den  Eingang  zu  den 
endlosen  Sand-  und  Salzwüsten,  die  zweihundert  Mei- 
len lang  sind,  und  die  bis  an  die  afghanistanische  Grenze 
reichen. 

Nach  einem  vierstündigen  Ritt  erscheint  in  dem 
glühenden,  grauen  Raum,  an  dem  blendenden  Horizont 
etwas  Blaues,  ein  ganz  unnatürliches  Blau,  es  strahlt 
und  lockt;  man  könnte  glauben,  es  sei  irgendein  großer 
kostbarer  Stein,  irgendein  mächtiger  Türkis . . .  Und  es 
ist  nur  die  glasierte  Kuppel  einer  kleinen,  alten,  ver- 
fallenen Ruine,  die  in  jenem  traurigen,  verlassenen 
Weiler  steht;  die  Hütten  gleichen  den  ehemaligen  Höh- 
len wilder  Tiere.  Im  Schatten  eines  Gewölbes  aus  ge- 
trocknetem Lehm  machen  wir  dort  halt,  um  uns  in  der 
Mittagsstunde  auszuruhen. 

Wie  endlos,  wie  herbe  ist  dieser  Weg,  der  gen  Ispa- 
han  führt!  Abends  legen  wir  einen  sieben  bis  acht  Meilen 
langen  Ritt  in  der  Einöde  zurück,  und  nirgends  begeg- 
nen wir  einer  menschlichen  Spur.  Zweimal  kreuzt  eine 
Staubwolke  sehr  schnell  unseren  Weg,  sie  fliegt  über 
dem  blassen  Teppich  der  Königskräuter  und  Quen- 
del dahin:  Gazellen  auf  der  Fluchtl  Kaum  haben  wir 
sie  erkannt,  so  sind  sie  wieder  verschwunden,  sie  laufen 
wie  der  Wind.  Und  schon  geht  der  Tag  zur  Neige. 

i58 


Aber  bei  Sonnenuntergang  erreichen  wir  auf  unse- 
ren einsamen  Hochebenen  den  Rand  eines  gewaltigen 
Spaltes,  und  dort  unten  erwartet  uns  die  Überraschung 
eines  fruchtbaren  Gefildes,  durch  das  sich  ein  Fluß  da- 
hinschlängelt,  Karawanen,  Maultiere,  zahllose  Kamele 
ziehen  ihres  Weges,  in  der  Luft  auf  einem  Felsen,  wie 
man  ihn  sonst  nirgends  sieht,  schwebt  eine  phantastische 
Stadt.  Dieses  Tal  unter  uns  ist  nur  eine  halbe  Meile 
breit,  aber  es  erscheint  endlos  lang  zwischen  den  senk- 
rechten Felswänden,  die  es  von  beiden  Seiten  ein- 
schließen und  verbergen. 

Während  wir  auf  den  gefährlichen  Windungen  hin- 
absteigen, ist  man  überwältigt  von  dieser  hochgelege- 
nen Stadt,  dies  ist  eine  Stadt,  die  keiner  Mauern  bedarf  ; 
aber  wie  können  ihre  Einwohner  zu  ihr  gelangen? . . . 

Ein  großer,  alleinstehender,  sechzig  Meter  hoher 
Felsen  dient  ihr  als  Fuß,  er  zeigt  die  genaue  Form  eines 
Helmstutzes,  ist  nach  unten  zu  ganz  ausgehöhlt,  voller 
Grotten  und  Löcher,  wird  aber  nach  oben  hin  beängsti- 
gend breit,  und  darauf  haben  die  Menschen  einen  un- 
glaublichen Bau  aus  getrocknetem  Lehm  errichtet,  der 
dem  Gesetz  des  Gleichgewichtes,  dem  gesunden  Men- 
schenverstand Hohn  zu  sprechen  scheint:  Hier  schwe- 
ben die  Häuser  eins  über  dem  anderen,  alle  werden  sie, 
wie  der  Felsen  selbst,  nach  oben  zu  breiter,  entfalten 
sich  über  dem  Abgrunde  in  vorspringenden  Balkons  und 
Terrassen.  Dieser  Ort  nennt  sich  Yezdi-Khast,  man 
könnte  sagen,  es  sei  eine  jener  unwahrscheinlichen  An- 
siedelungen von  Wasservögeln,  wie  sie  an  den  steilen 
Felswänden  über  dem  Meere  schweben.  Es  ist  alles  so 
verwegen  und  außerdem  so  ausgetrocknet,  so  alt,  daß 
der  Zusammenbruch  nicht  auf  sich  warten  lassen  kann. 


i5q 


Mittlerweile  aber  stehen  auf  jedem  Balkon,  an  jedem 
Fenster  Menschen:  Kinder,  Frauen,  die  sich  hinab- 
beugen und  ruhig  dem  Leben  und  Treiben  dort  unten 
zuschauen. 

Am  Fuße  dieser  phantastischen  Stadt,  die  bald  in 
Trümmer  zerfallen  Wird,  sehen  wir  Höhlen,  unter- 
irdische Gänge,  tiefe  und  klaffende  Löcher,  aus  denen 
man  einst  die  viele  Erde  geholt  hat,  um  sie  dort  oben  in 
so  unvorsichtiger  Weise  aufzuhäufen.  Hier  gibt  es  auch 
eine  Moschee,  eine  große  Karawanserei  mit  schön  ver- 
zierten Mauern  aus  blauer  Fayence;  auch  einen  Fluß 
mit  einer  starkgewölbten  Brücke,  auch  die  frischen  Ufer 
eines  Baches,  Kornfelder,  junge  Bäume;  hier  herrscht 
auch  das  Leben  der  Karawanen,  das  muntere  Treiben 
der  Kamel-  und  Maultierhüter,  auf  dem  Grase  liegen 
die  Warenballen  aufgestapelt,  alles  verrät  einen  großen 
Durchgangsort  Auf  einem  Felde  hat  man  sogar  einige 
hundert  Zuckerhüte  niedergelegt,  heute  abend  werden 
sie  von  neuem  auf  die  Rücken  der  Kamele  geladen,  um 
in  den  Dörfern  der  entfernter  gelegenen  Oasen  zu  stran- 
den, — ■  es  sind  dies  ganz  gewöhnliche,  in  blauem  Papier 
verpackte  Zuckerhüte,  so  wie  man  sie  bei  uns  kennt,  die 
Perser  verzehren  eine  beträchtliche  Menge  von  diesem 
Zucker  zu  ihrem  ungemein  süßen  Tee,  den  sie  sich 
gegenseitig  abends  und  morgens  in  winzig  kleinen  Tas- 
sen anbieten.  (Und  diese  Zuckerhüte,  die  bis  vor  einigen 
Jahren  aus  Frankreich  geliefert  wurden,  kommen  jetzt 
alle  aus  Deutschland  oder  Rußland:  dies  erzählen  mir 
die  Tcharvadare,  und  sie  verhehlen  mir  nicht  ihr  ein 
wenig  verächtliches  Mitleid  mit  dem  Zurückgang  un- 
seres Handels.)  Große  Scharen  von  Kamelen  umgeben 
unsere  Karawanserei,  und  dies  ist  der  Augenblick,  wo 

160 


Karawanserei  in  Südpersien 


sie  ihre  lauten  Wut-  oder  Leidensschreie  ausstoßen, 
die  durch  Wasser  hindurchzudringen  scheinen,  die  an 
die  gurgelnden  Laute  eines  Ertrinkenden  erinnern.  In 
diesem  Lärm,  gleichsam  inmitten  einer  Menagerie,  neh- 
men wir  unser  Abendessen  ein. 

Aber  das  Schweigen  kehrt  zur  Stunde  des  Mondes, 
des  Vollmondes  zurück;  wie  immer,  so  folgen  ihm  auch 
heute  Blendwerk  und  trügerische  Beleuchtung,  seltsam 
verschönert  er  die  alte  Stadt,  die  so  lächerlich  hoch 
dort  oben  in  unserem  Himmel  schwebt,  er  hüllt  sie  in 
ein  rosenrotes  Licht,  aber  das  Licht  ist  hart,  ist  eisig 
zugleich. 

Donnerstag,  10.  MaL 

Um  aus  der  großen,  außerhalb  der  Wüste  gelegenen 
Oase  hinauszugelangen,  suchen  wir  uns  frühmorgens 
mitten  durch  die  Höhlen  und  Löcher  am  Fuße,  ja  fast 
unterhalb  der  hängenden,  hohen  Stadt  einen  Weg;  der 
vorspringende  Felsen,  der  sie  stützt,  hüllt  uns  noch 
immer  in  seinen  kalten  Schatten  ein,  während  die 
schöne,  aufgehende  Sonne  sonst  alles  erwärmt,  über 
unseren  Köpfen,  in  ihrem  Adlerhorst,  stehen  viele  Leute, 
am  Rande  der  schwindelerregenden  Terrassen,  oder 
sie  neigen  sich  aus  den  vorspringenden  Fenstern  her- 
aus und  sehen  senkrecht  auf  uns  herab. 

Ein  schmaler  Pfad  führt  an  der  oberen  Felswand 
des  Tales  zu  den  Einöden  hinauf,  einige  hundert  gleich- 
gültige Eselchen  versperren  uns  den  Weg  und  machen 
keinen  Platz.  Wie  immer,  wenn  ihnen  ein  Hindernis 
begegnet,  setzen  unsere  Perser  auch  diesmal  im  Galopp 
mit  lautem  Geschrei  mitten  durch  den  Schwärm  hin- 

11      Forsien  jßl 


durch.  Schrecken  und  Verwirrung  entsteht  unter  den 
Eseln,  und  mit  großem  Gepolter  gelangen  wir  dort  oben 
in  der  dürren,  grauen  Ebene  an,  erreichen  wir  die  Höhe, 
im  üblichen  Galoppe. 

Heute  ist  der  Eselmorgen,  wir  kreuzen  tausende  von 
ihnen,  begegnen  meilenlangen  Zügen,  sie  kehren  aus 
Ispahan  zurück,  wohin  sie  Waren  gebracht  haben,  keh- 
ren müßig  zurück,  auf  ihrem  Rücken  liegt  nur  die  ge- 
streifte Decke  von  Chiraz.  Doch  einige  tragen  ihren 
Herrn,  der,  in  einen  Filzkaftan  gehüllt,  der  Länge  nach 
auf  dem  Rücken  seines  guten  Tieres  liegt,  die  Arme  um 
dessen  Hals  geschlungen  hat,  und  seinen  nächtlichen 
Schlaf  fortsetzt  Man  sieht  auch  Eselmamas,  in  einem 
Korbe  haben  sie  ihr  Junges  bei  sich,  das  am  Vorabend 
geboren  wurde.  Und  schließlich  sind  da  auch  kleine 
Esel,  die  schon  laufen  können  und  schelmisch  hinter 
ihrer  Mutter  herspringen. 

Die  Gegend  ist  heute  nicht  gar  zu  verlassen,  die 
kleinen,  grünen  Oasen  liegen  nicht  gar  zu  weit  ausein- 
ander, eine  jede  hat  ihren  Weiler  mit  den  krenelierten 
Zinnen  und  wird  von  einigen  schlanken,  mächtigen 
Pappeln  beschattet 

In  dem  Dorfe  Makandbey  machen  wir  um  die  Mit- 
tagsstunde Rast,  mehrere  Gespensterdamen  neigen  sich 
über  den  Rand  der  Mauern  hinüber  und  sehen  zwischen 
den  Zinnen  in  die  traurige  Ebene  hinaus.  Unter  den 
Bogen  der  Karawanserei,  im  Hof,  haben  viele  stattliche 
Reisende  mit  Turbanen  und  in  Kaschmirkleidern  Platz 
genommen;  wir  tauschen  feierliche  Begrüßungen  mit 
ihnen  aus,  auf  Kissen,  auf  Teppichen  von  selten  schönen 
Farben  sitzen  sie  scharenweise  um  Samowars  und 
kochen  ihren  Tee  und  rauchen  ihre  Kalyan. 

162 


Wir  haben  heute  den  vorletzten  Tag  des  persischen 
Fastens,  und  morgen  Ist  der  Todestag  Alis*;  deshalb 
ist  die  religiöse  Begeisterung  in  Makandbey  besonders 
groß.  Auf  einem  Platz,  vor  der  bescheidenen  Moschee 
mit  ihren  Spitzbogen  aus  Lehm,  bilden  etwa  hundert 
Leute  einen  Kreis  um  einen  Derwisch,  dieser  singt, 
seufzt,  schlägt  sich  in  die  Brust.  Sie  haben  alle  ihre 
Schulter  und  ihre  linke  Brust  entblößt,  und  schlagen 
sich  selbst  mit  einer  solchen  Gewalt,  daß  das  Fleisch 
anschwillt  und  die  Haut  fast  blutig  ist;  man  hört  die 
Schläge  in  ihrem  breiten  Brustkasten  hohl  widerhallen. 
Der  alte  Mann,  dem  sie  lauschen,  erzählt  ihnen,  halb 
singend,  halb  sprechend,  in  Versen  die  Leidensgeschichte 
ihres  Propheten,  und  sie  unterstreichen  die  ergreifend- 
sten Stellen,  indem  sie  Schreie  der  Verzweiflung  aus- 
stoßen oder  lautes  Schluchzen  nachahmen.  In  immer 
größere  Aufregung  gerät  der  alte  Derwisch  mit  dem 
wilden  Blick;  jetzt  singt  er  wie  die  Gebetsausrufer  mit 
schwacher,  meckernder  Stimme,  und  doppelt  schnell 
sausen  die  Schläge  auf  die  nackten  Schultern  hernieder. 
Alle  Gespensterdamen  kommen  auf  den  umliegenden 
Dächern  zum  Vorschein;  sie  schmücken  die  Terrassen 
und  die  schwankenden  Mauern.  Der  Kreis  der  Männer 
schließt  sich,  und  es  beginnt  ein  furchtbarer  Tanz,  sie 
tanzen  und  springen  im  Wahnsinn  an  ein  und  demsel- 
ben Platz  umher,  sie  reihen  sich  enger  aneinander  an, 
bilden  eine  dichte,  runde  Kette,  schlingen  den  linken 
Arm  um  ihren  nächsten  Nachbar,  aber  schlagen  noch 


*  Ali,  Kalif  von  Islam,  der  vierte  nach  Mahomet,  wurde  be- 
sonders verehrt  in  Persien.  Ali  fiel  unter  dem  Dolch  eines 
Morders,  seine  beiden  Söhne,  Hassan  und  Hussin,  wurden 
niedergemetzeil. 


immer  in  steigendem  Schmerzenseifer  mit  der  rechten 
Hand  wie  wütend  auf  sich  ein.  Einige  werden  durch 
diesen  Rausch  so  sehr  entstell,,  daß  sie  Mitleid  erregen, 
andere  erlangen  den  höchsten  Grad  menschlicher  Schön- 
heit Alle  Muskeln  sind  gewaltsam  angespannt,  und  in 
den  Augen  leuchte^  es  wider  von  Sehnsucht  nach  einem 
Blutbad,  nach  dem  Märtyrertod.  Gellende  Gchreie  und 
rauhes,  tierisches  Gebrüll  steigen  aus  diesem  Knäuel 
menschlicher  Gestalten  empor;  der  Schweiß  und  die 
Blutstropfen  rollen  über  die  braunroten  Körper  herab. 
Der  Staub  wird  vom  Boden  aufgewirbelt  und  hüllt  den 
Ort,  auf  den  die  brennende  Sonne  ihre  sengenden  Strah- 
len wirft,  in  eine  dichte  Wolke  ein=  Auf  den  Mauern 
dieses  kleinen  wilden  Platzes  stehen  die  Frauen  mit 
ihren  Masken  wie  versteinert  da.  Und  über  dem  allen 
ragen  die  Gipfel  der  Berge,  die  Schneegefilde  zu  dem 
wunderbar  blauen  Himmel  hinauf. 

Nachmittags  reiten  wir  durch  eine  Gegend,  die  immer 
belebter  wird,  wir  stoßen  auf  Städte,  auf  Kornfelder, 
auf  eingefriedigte  Obstgärten.  Abends  sehen  wir  schließ- 
lich eine  große  Stadt  mit  ihrer  trügerisch  drohenden 
Mauer  vor  uns  liegen;  es  ist  Koumichah,  und  von  dort 
bis  nach  Ispahan  sind  es  nur  noch  acht  bis  neun  Meilen. 

In  Persien  sind  die  Zugänge  zu  den  Städten  weit 
schwieriger  und  gefährlicher  für  die  Pferde  als  das 
platte  Land.  Bevor  wir  das  Tor  der  Wälle  erreichen, 
mühen  wir  uns  deshalb  auf  Pfaden  ab,  auf  denen  man 
ßich  den  Hals  brechen  kann,  wo  die  Gebeine  der  Kamele 
und  Maultiere  überall  den  W7eg  versperren;  mitten 
durch  die  Ruinen,  Trümmer  und  Erdhaufen  führt  der 
Weg  hindurch,  und  immer  müssen  wir  zur  Rechten  und 
Linken  nach  den  klaffenden  Löchern  spähen,  aus  denen 

i64 


man  die  Bauerde  für  die  Festungen,  Häuser  und  Mo- 
scheen geholt  hat. 

Die  Sonne  geht  unter,  als  wir  durch  das  spitzbogige 
Tor  reiten,  das  sich  immer  wieder  vor  uns  zu  verbergen 
wußte.  Die  Stadt  lag  fast  ganz  versteckt  hinter  den 
Mauern  da,  jetzt  aber  bietet  sie  uns  einen  bezaubernden 
Anblick.  Sie  ist  von  demselben  rosenroten  Grau,  wie 
wir  es  in  Chiraz,  in  Abadeh,  in  jedem  Dorf  am  Wege 
sahen,  denn  überall  bedient  man  sich  beim  Bau  der- 
selben tonartigen  Erde,  aber  hier  breitet  sie  sich  auf 
dem  hügeligen  Boden  aus,  entfaltet  sich  in  der  Art  einer 
prächtigen  Dekoration.  Wie  kann  man  es  nur  wagen, 
so  viele  kleine  Kuppeln  aus  Lehm  zu  errichten,  sie  mit- 
einander zu  verbinden,  sie  in  Pyramiden  übereinander 
aufzutürmen?  Wie  können  die  vielen  Arkaden,  die  gro- 
ßen, eleganten  Spitzbogen,  die  nur  aus  getrocknetem 
Lehm  bestehen,  wie  können  die  vielen  Minaretts,  deren 
Galerien  mit  Stakalit  verbrämt  zu  sein  scheinen,  wie 
können  sie  alle  sich  aufrecht  halten  und  den  Regen- 
güssen widerstehen?  Das  Ganze  zeigt,  wohlverstanden, 
keine  scharfen  Linien,  keine  bestimmten  Umrisse;  der 
Schatten  und  das  Licht  laufen  zwischen  den  immer 
weichen,  runden  Formen  unmerklich  ineinander  über. 
Auf  den  Denkmälern  sieht  man  keine  blauen  Fayencen, 
in  den  Gärten  keine  Bäume,  nichts,  was  den  eintönigen 
Farbenton  dieser  Gebäude,  die  alle  von  einem  silbernen 
Tau  durchtränkt  zu  sein  scheinen,  unterbrechen  könnte. 
Aber  dort  unten  in  den  belebten  Straßen  geht  das  Far- 
benspiel vor  sich.  Männer  in  blauen  Kleidern,  Männer 
in  grünen  Kleidern;  Scharen  von  verschleierten  Frauen, 
tief  schwarze  Scharen  mit  grellen,  weißen  Flecken;  das 
Weiß  der   Masken,   die  das  Gesicht  verbergen.   Vor 

i65 


allem  aber  herrscht  dort  oben  ein  prächtiges  Spiel; 
oberhalb  der  grauen  Kuppeln,  der  grauen  Arkaden, 
stoßen  die  Farben  aufeinander:  in  der  Dämmerung 
breiten  die  nicht  zu  erklimmenden  Berge  der  Umgegend 
das  kostbare  Violett  des  Bischofsgewandes  aus,  ihr  Vio- 
lett, durch  das  die  Schneegefilde  lange,  silberne  Streifen 
ziehen;  und  an  dem  grünlichen  Himmel  scheinen  die 
rot-gelben  Wölkchen  in  Brand  zu  geraten,  sie  leuchten 
wie  Flammen  auf . . .  Wir  befinden  uns  noch  immer 
etwa  zweitausend  Meter  über  dem  Meeresspiegel,  in  der 
reinen  Luft  der  Berge,  und  die  Nachbarschaft  der  was- 
serlosen Wüste  steigert  noch  mehr  die  Durchsichtigkeit, 
belebt  noch  mehr  den  zauberhaften  Glanz  der  Abende, 

Heute  begeht  man  das  große  religiöse  Fest  der  Per- 
ser, den  Jahrestag  des  Martyriums  ihres  Kalifen.  In  den 
Moscheen  stöhnen  tausende  von  Menschen  vereint; 
man  hört  von  weitem  ihre  Stimmen,  ein  unverständ- 
liches Murmeln,  das  dem  Rauschen  des  Meeres  gleicht 

Sobald  wir  in  der  Karawanserei  angelangt  sind,  eile 
ich  nach  dem  heiligen  Ort,  um  noch  ein  wenig  von  dem 
Fest  zu  sehen,  das  vor  Hereinbruch  der  Nacht  beendet 
sein  wird.  Zuerst  will  keiner  mich  dorthin  begleiten. 
Schließlich  aber  willigen  zwei  Leute  mit  energischen 
Gesichtern  und  starken  Schultern  nach  langem  Zögern 
ein,  gegen  hohe  Bezahlung  mich  an  den  Ort  zu  führen. 
Der  eine  von  ihnen  behauptet,  ich  müsse  eins  seiner  Ge- 
wänder anlegen  und  seinen  Astrachanhut  aufsetzen,  der 
andere  erklärt,  dies  sei  noch  weit  gefährlicher,  und  ich 
solle  nur  tapfer  meine  europäische  Kleidung  anbehalten. 
Schließlich  bleibe  ich,  wie  ich  bin,  und  wir  eilen  im 
Sturmschritt  nach  der  großen  Moschee,  denn  es  ist 
schon  spät  Kurz  vor  Anbruch  der  Nacht  befinden  wir 

166 


uns  in  dem  dunklen  Labyrinth,  das  ich  schon  im  voraus 
zu  kennen  glaubte:  Mauern  ohne  Fenster,  hohe  Ge- 
fängnismauern, in  großen  Abstanden  nur  einige  eisen- 
beschlagene Türen,  Mauern,  die  von  Zeit  zu  Zeit  oben 
zusammenstoßen   und   uns  in  die   in   den  persischen 
Städten  so  beliebte  Dunkelheit  eines  Kellers  hüllen.  Auf- 
stiege, Abstiege,   Brunnen  ohne  Schutzwand,   Höhlen 
und  Löcher.  Zuerst  begegnen  wir  niemandem,  und  fast 
könnte  man  glauben,  man  eilte  durch  die  düsteren,  ver- 
lassenen Katakomben.  Dann  aber,  als  wir  uns  einem 
jener  lärmenden  Plätze  nähern,  an  denen  die  Stadt  heute 
abend  reich  ist,  und  von  wo  aus  das  Stimmengewirr 
wie  Wogenrauschen  an  unser  Ohr  schlägt,  treffen  wir 
Scharen  von  Männern,  alle  kommen  sie  von  derselben 
Seite,  und  fast  ist  diese  Begegnung  schrecklich.  Sie 
haben  die  große  Moschee,   den    Mittelpunkt    des  Ge- 
schreies und  der  Klagen  verlassen,  denn  die  Trauer- 
feier ist  gleich  beendet;  haufenweise,  zu  zehn,  zwanzig, 
dreißig  eilen  sie  vorwärts,  halten  sich  eng  umschlungen, 
ihr  Kopf  fällt  zurück,  sie  blicken  nicht  um  sich;  man 
sieht  das  Weiße  in  ihren  Augen,  die  unnatürlich  weit 
geöffnet  sind,  und  deren  gen  Himmel  gewandter  Aug- 
apfel fast  in  die  Stirn  einzudringen  scheint  Auch  der 
Mund  ist  geöffnet,  und  unaufhörlich  stoßen  sie  ein 
lautes  Gebrüll  aus;  die  rechten  Hände  fallen  mit  harten 
Schlägen  auf  die  blutende  Brust  Vergebens  drückt  man 
sich  gegen  die  Mauern  oder  in  die  Türen,  wenn  man 
zufällig  eine  findet,  man  wird  doch  sehr  empfindlich 
gestreift.  Sie  riechen  nach  Schweiß,  nach  Blut;  blind, 
in  unaufhaltbarem  Lauf  rollen  sie  wie  eine  große  Welle 

vorüber. 

Nach  den  engen  Straßen  gelangen  wir  durch  einen 

167 


großen  Spitzbogen  in  den  Hof  der  Moschee,  und  dieser 
Ort  erscheint  uns  jetzt  unendlich  weit.  Zwei-  bis  drei- 
tausend Menschen  stehen  dort  dicht  nebeneinander  ge- 
drängt und  rufen  mit  lauter  Stimme,  mit  einem 
schreckeneinflößenden  Rhythmus:  „Hassan,  Hussin! 
Hassan,  Hussin  I"  *  Im  Hintergrunde  führt  ein  zweiter, 
riesengroßer  Spitzbögen,  der  alles  beherrscht  und  der 
mit  den  unvermeidlichen  blauen  Fayenzen  verziert  ist, 
in  das  dunkle  Heiligtum  ein.  Auf  den  Zinnen  der 
Mauern,  am  Rande  aller  Terrassen  der  Umgegend,  stehen 
die  Frauen  unbeweglich  und  stumm,  sie  gleichen  einem 
Schwann  schwarzer  Vögel,  der  sich  auf  die  Stadt  her- 
abgelassen hat  In  einem  Winkel,  gegen  den  mensch- 
lichen Strom,  durch  den  Stamm  eines  hundertjährigen 
Maulbeerbaumes  geschützt,  sitzt  ein  Greis  und  schlägt 
wie  besessen  auf  eine  gewaltige  Trommel:  im  Drei- 
takt sausen  die  ohrenbetäubenden  Schläge  so  schnell 
herab,  als  wollten  sie  irgendeinem  Ungetüm  zum  Tan- 
zen aufspielen;  —  das  Ding  nämlich,  das  zum  Takt  der 
Trommel  tanzt,  ist  ein  Haus,  am  Ende  langer  Stangen 
wird  es  von  mehreren  hundert  Armen  hochgehalten 
und  trotz  seines  großen  Gewichtes  wahnsinnig  schnell 
hin  und  her  bewegt  Das  tanzende  Haus  ist  mit  altem, 
gemusterten  Samt,  mit  alten  seidenen  Stickereien  be- 
deckt, es  schwebt  zehn  Fuß  über  der  Menge,  über  den 
erhobenen  Köpfen,  den  wildblickenden  Augen,  und  zu- 
weilen dreht  es  sich  herum,  die  Getreuen,  die  es  tragen, 
laufen  im  Kreise  mitten  durch  den  dichten  Haufen,  es 
dreht  sich,  es  wirbelt  herum.  Drinnen  sitzt  ein  ver- 
zückter Derwisch,  um  nicht  zu  fallen,  klammert  er  sich 


*  Hassan,  Hussin,  die  beiden  Söhne  des  Kalifen  Ali. 
168 


fest,  seine  gellenden  Schreie  durchdringen  den  Lörm 
dort  unten;  und  jedesmal,  wenn  er  den  Namen  eines 
iranischen  Propheten  ausstößt,  dringt  ein  noch  lauterer 
Schrei  aus  allen  Kehlen,  und  die  grausamen  Fäuste  fal- 
len so  schwer  auf  die  Brust  herab,  daß  der  dumpfe 
Widerhall  das  Schlagen  der  Trommel  ühertönt  Einige 
Männer  haben  ihre  Mützen  von  sich  geworfen  und  brin- 
gen sich  blutige  Wunden  auf  dem  Schädel  bei;  der 
Schweiß  und  die  Blutstropfen  rollen  über  die  Schultern 
herab;  neben  mir  gibt  ein  junger  Mensch,  der  sich  zu 
heftig  geschlagen  hat,  einen  roten  Auswurf  von  sich, 
und  auch  ich  werde  damit  bespritzt 

Zuerst  hatte  keiner  meine  Gegenwart  beachtet,  und 
ich  drückte  mich  hinter  meinen  beiden  besorgten  Füh- 
rern eng  an  die  Wand.  Aber  zufällig  fällt  das  Auge 
eines  Kindes  auf  mich,  es  errät,  daß  ich  ein  Fremder  bin 
und  schlägt  Lärm,  alsbald  kehren  sich  andere  Gesichter 
mir  zu,  einen  Augenblick  herrscht  Schweigen,  Todes- 
stille... „Kommt!"  rufen  mir  meine  beiden  Leute  zu, 
sie  sohlingcn  ihre  Arme  um  mich,  wollen  mich  mit  sich 
ziehen,  und  rückwärts  gehend,  wie  die  Tierbändiger, 
die  den  Tieren  ins  Auge  blicken,  wenn  sie  den  Käfig 
verlassen,  wenden  wir  der  Menge  das  Gesicht  zu  und 
erreichen  glücklich  den  Ausgang ...  In  der  Straße  ver- 
folgt man  uns  nicht  mehr . . . 

Abends  gegen  neun  Uhr,  nachdem  ein  großes 
Schweigen  sich  über  die  Stadt  herabgesenkt  hat,  die 
von  dem  vielen  Geschrei,  von  all  dem  Klagen  erschöpft 
ist,  verlasse  ich  von  neuem  die  Karawanserei  und  be- 
gebe mich  zu  einem  vornehmen  Bürger,  wo  ich  zu  einer 
ganz  geschlossenen,  religiösen  Feier  eingeladen  bin. 

Einsam  liegt  Koumichah  unter  dem  Mond  in  seinem 

169 


rosenroten  Gewände  da,  so  ernst  und  feierlich  ist  es 
hier,  wie  in  einem  großen  Grabgewölbe.  Nirgends  eine 
menschliche  Seele;  der  Mond  allein  beherrscht  diese 
Stadt  aus  getrocknetem  Lehm,  der  Mond  beherrscht  die 
ungezählten  kleinen  Kuppeln  mit  ihren  weichen  Um- 
rissen, das  Labyrinth  mit  seinen  engen  Gängen,  die 
Trümmerhaufen  und 'die  Spalten. 

Aber  wenn  auch  die  Straßen  verlassen  sind,  so 
wacht  man  doch  in  allen  Häusern,  hinter  den  doppelt 
verschlossenen  Türen;  man  wacht,  man  klagt,  man 
betet 

Nach  einer  langen,  schweigenden  Wanderung  zwi- 
schen meinen  beiden  Laternenträgern  erreiche  ich  die 
geheimnisvolle  Tür  meines  Wirtes.  In  dem  von  Mauern 
umgebenen  kleinen  Garten,  beim  Schein  des  Mondes 
und  einiger  Lampen,  die  an  Jasminzweigen  oder  Wein- 
lauben hängen,  findet  die  Trauerfeier  statt  Vor  dem 
versteckt  liegenden  Hause  hat  man  Teppiche  auf  die 
Erde  gebreitet,  und  dort  sitzen  zwanzig  bis  dreißig 
Männer  im  Kreise,  sie  tragen  hohe,  schwarze  Hüte  und 
rauchen  ihre  Kalyan;  mitten  zwischen  ihnen  liegt  ein 
Brett,  mit  einem  Berg  stengelloser  Rosen  —  persische 
Rosen,  die  immer  wunderbar  duftenden  Rosen,  steht 
auch  ein  Samovar,  auf  dem  man  Tee  kocht,  und  diesen 
schenken  die  Diener  immer  von  neuem  in  die  winzig 
kleinen  Tassen  ein.  In  Anbetracht  des  religiösen  Cha- 
rakters dieses  Abends  würde  meine  Gegenwart  im 
Garten  selbst  unzulässig  sein;  deshalb  bringt  man  mich 
allein  mit  meiner  Kalyan  in  dem  Ehrenzimmer  unter, 
von  wo  aus  ich  durch  die  offen  stehende  Tür  alles  sehen 
und  hören  kann. 

Einer  der  Gäste  steigt  auf  eine  steinerne  Bank,  zwi- 


sehen  den  übervoll  blühenden  Rosen,  er  erzählt  mit 
tränenerstickter  Stimme  von  dem  Tod  des  Ali,  de* 
Kalifen,  den  die  Perser  so  sehr  verehren,  und  zu  dessen 
Andenken  wir  hier  versammelt  sind.  Die  Zuhörer  unter- 
streichen selbstverständlich  seine  Beschreibung  durch 
Klagen  und  Schluchzen,  hauptsächlich  aber  durch  Aus- 
rufe, die  ihren  ganzen  Zweifel  ausdrücken  sollen,  sie 
haben  diese  Geschichte  tausendmal  gehört,  und  doch 
scheinen  sie  zu  fragen:  „Darf  ich  meinen  Ohren  trauen? 
Ist  eine  solche  Schandtat  überhaupt  möglich?"  Nach- 
dem der  Erzähler  geendet  hat,  setzt  er  sich  neben  dem 
Samovar  nieder,  und  während  man  ihm  seine  Kalyan 
anzündet,  betritt  ein  anderer  die  Kanzel,  um  von  neuem 
alle  die  Einheiten  dieses  unvergeßlichen  Verbrechens 
auszumalen. 

Der  kleine  Salon,  wo  ich,  getrennt  von  den  anderen, 
wache,  zeigt  eine  wunderbare,  nicht  gewollte  Altertüm- 
lichkeit; wenn  man  ihn  auf  diese  Weise  eingerichtet 
hat,  wie  man  es  auch  schon  vor  fünfhundert  Jahren 
hätte  machen  können,  so  liegt  es  daran,  daß  es  in  Kou- 
michah  keine  neuere  Mode  gibt,  daß  bis  jetzt  noch 
keiner  unserer  westlichen  Schundgegenstände  in  diese 
Wohnung  eingedrungen  ist,  nirgends  sieht  man  hier 
Spur  von  den  bedruckten  Baumwollstoffen,  mit  denen 
England  jetzt  Asien  überflutet;  die  Augen  können  zum 
Zeitvertreib  alle  diese  Dinge  genau  betrachten,  ohne 
daß  sie  auch  nur  ein  einziges  Merkmal  unserer  Zeit 
darunter  fänden.  Auf  der  Erde  liegen  die  alten  persi- 
sischen  Teppiche;  als  Möbel  dienen  Kissen  und  große 
Zederntruhen,  mit  Kupfer  oder  Perlmutter  eingelegt 
In  die  dicken  weißgekalkten  Mauern  hat  man  kleine  Ni- 
schen, kleine  spitzbogige  oder  ausgezackte  Grotten  ein- 


171 


gelassen,  sie  ersetzen  in  diesen  Ländern  die  Schränke, 
und  werden  mit  kieinen,  silbernen  Kästen,  mit  Karaffen 
und  Schalen  verziert;  dies' alles  ist  alt,  dies  alles  steht 
auf  viereckigen,  altertümlich  gestickten  Atlasdeckchen. 
Vor  den  inneren  Türen,  durch  die  mir  der  Zutritt  ver- 
weigert ist,  hat  man  Vorhänge  aus  seltsam  reichen,  har- 
monischen Seidenstoffen  herabgelassen,  die  absichtlich 
verwischten  Zeichnungen  dieser  Vorhänge  zeigen  ein 
buntes  Gewirr  von  Linien,  sie  gleichen  zuerst  nur  gro- 
ßen phantastischen  Flecken,  aber  nach  Art  der  Im- 
pressionisten enthüllen  sie  mir  schließlich  die  Umrisse 
dunkler  Zypressen. 

In  dem  Garten,  wo  das  Fest  seinen  Lauf  nimmt,  fol- 
gen die  immer  gescheckter  oder  immer  aufgeregter 
werdenden  Erzähler  einander  auf  der  steinernen  Bank. 
Die  Redner,  die  jetzt  sprechen,  bringen  durch  Stellung 
und  Bewegung  einen  wirklichen  Schmerz  zum  Aus- 
druck. Bei  gewissen  Sätzen  stoßen  die  Zuhörer  einen 
verzweifelten  Schrei  aus,  werfen  den  Körper  nach  vorne 
und  schlagen  mit  der  Stirn  gegen  den  Boden;  oder  sie 
entblößen  alle  die  Brust,  die  schon  in  der  Moschee  zer- 
schlagen ist,  und  rufen  mit  angsterfüllter  Stimme  immer 
wieder  die  beiden  Namen:  „Hassan,  Hussinl...  Has- 
san, Kussin l"  Einige  bleiben  ganz  auf  der  Erde  liegen, 
In  der  Allee  des  Hintergrundes  unter  dem  vorspringen- 
den Jasmingebüsch  der  Mauer  stehen  die  schwarzen, 
gespensterhaften  Frauen,  man  sieht  sie  kaum,  sie  treten 
auch  nicht  näher,  aber  man  weiß,  daß  sie  da  sind,  und 
ihre  Klagen  verlängern  das  Echo  dieses  traurigen  Kon- 
zerts. Wie  für  die  Sänger  des  Gartens,  so  hat  man 
auch  mir  auf  einem  Brett  Rosen  gebracht,  und  diese 
fallen  auf  die  alten,  kostbaren  Teppiche  herunter.  Auch 


17a 


der  Jasmin  da  draußen  durchflutet  trotz  der  Kälte  die 
klare,  sternenglänzende  Maiennacht  mit  seinem  Wohl- 
geruch. Dies  ist  eine  Szenerie  aus  der  ganz  alten  orien- 
talischen Vergangenheit  mit  ihrer  unherührten  Aus- 
schmückung, die  durch  die  vielen  Mauern,  die  jetzt  ver- 
riegelten Tore  beschützt  wird:  doppelte,  sich  windende 
Mauern  umgeben  dies  Haus;  hohe  Mauern  schließen 
das  Viertel  ein  und  sondern  es  ab,  noch  höhere  Mauern 
beschirmen  diese  Stadt  mit  ihrer  hunderjährigen  Unver- 
gänglichkeit  —  und  dies  alles  liegt  inmitten  der  ein- 
samen Umgebung,  auf  die  sich  in  diesem  Augenblick 
das  unendliche  Schweigen  herabsenkt,  und  deren 
Schneegefilde  unter  den  Strahlen  des  Mondes  bläulich 
leuchten . . . 

Freitag,  u.  Mal 

Als  wir  uns  bei  Aufgang  einer  strahlenden  Sonne 
zur  Weiterreise  rüsten,  ist  es  so  kalt,  daß  die  Finger- 
spitzen erfrieren.  Wir  befinden  uns  auf  einem  Platz, 
von  wo  aus  man  die  tausend  kleinen  rosenroten  Lehm- 
kuppeln mit  ihren  Minaretts  und  ihren  Trümmern,  von 
wo  aus  man  die  herben  violetten  Berge  sich  im  Halb- 
kreis aufreihen  sieht 

Die  Stadt,  die  gesterrn  von  dem  Geschrei,  den 
Klagerufen  widerhaUte,  ruht  jetzt  in  dem  frischen 
Schweigen  des  Morgens.  Ein  verzückter  Derwisch  pre- 
digt noch  an  irgendeiner  Straßenecke  und  bemüht  sich, 
einige  Arbeiter,  die  gefolgt  von  ihren  Eseln,  die  Hacke 
über  der  Schulter,  nach  dem  Felde  hinausgehen,  heran- 
zuziehen, aber  vergebens,  niemand  bleibt  stehen:  Jedes 
zu  seiner  Zeit,  und  heute  ist  das  Fest  vorüber. 

Die  schönen  Frauen  von  Koumichah  sind  wirkliche 


173 


Frühaufsteher,  schon  kommen  einige  sehr  elegante  zum 
Vorschein,  jede  reitet  eine  weiße  Eselin,  jede  hat  ritt- 
lings  vor  sich  auf  dem  Sattel  ein  Baby,  das  sie  in  ihren 
schwarzen  Schleier  einhüllt,  und  das  nur  seine  Nasen- 
spitze dem  lustigen  Morgenwind  zeigt.  Es  ist  Freitag, 
und  man  will  außerhalb  der  Stadt,  zwischen  dem  jun- 
gen Grün  der  Gärten,  hinter  den  hohen,  alles  verber- 
genden Mauern  den  Maientau  genießen. 

Unsere  Pferde  sind  erschöpft,  obgleich  man  ihnen 
während  der  ganzen  Nacht  die  Füße  gerieben,  die  Ohren 
gestrichen  hat  —  was  scheinbar  das  allerstärkendste 
Mittel  ist.  Deshalb  reiten  wir  jetzt  ganz  langsam  an  den 
verschlossenen  Gärten  entlang,  deren  Lehmmauern  an 
allen  Ecken  mit  kleinen  Türmen  aus  blauer  Glasur  ver- 
ziert sind.  An  der  Grenze  der  Einsamkeiten  spiegelt 
eine  sehr  heilige  Moschee  ihre  wunderbare  Kuppel  in 
einem  Teich  wider,  nach  den  vielen  Lehmgebäuden  er- 
scheint sie  uns  wie  ein  Stück  feiner  Juwelenkunst;  sie 
leuchtet  in  der  Sonne  mit  dem  Glanz  eines  geschliffenen 
Achats;  die  Glasur,  mit  der  sie  bekleidet  ist,  zeigt  ein 
Gewirr  von  blauen  Arabesken,  durch  das  sich  einige 
gelbe  Blumen  mit  schwarzen  Kelchen  hindurchziehen. 

Und  dann  verschwindet  plötzlich,  hinter  einem  aus- 
gedörrten Hügel,  das  große,  aus  Lehm  erbaute  Werk, 
das  sich  Koumichah  nennt  Es  verschwindet  mit  seinen 
Türmen,  seinen  fünfzig  Minaretts,  seinen  tausend  klei- 
nen, höckerigen  Kuppeln;  vor  uns  liegt  wieder  der  leere 
Raum,  der  Teppich,  mit  seinen  unendlich  vielen,  farb- 
losen Blümchen,  die  wir  zermalmen,  die  noch  im  Ster- 
ben ihre  süßen  Düfte  ausströmen.  Wir  glaubten,  die 
traurige  wohlriechende  Wüste  für  immer  verlassen  zu 
haben,  aber  während  unseres  sieben-  bis  achtstündigen 

174 


Rittes  dehnt  sie  sich  eintöniger  denn  je,  unter  einer  sich 
steigernden  Hitze,  mit  ihren  ewigen  Luftspiegelungen 
vor  uns  aus. 

Hätten  wir  den  Ritt  ein  wenig  beschleunigt,  so  wür- 
den wir  noch  vor  Sonnenuntergang  Ispahan  erreicht 
haben;  aber  es  schien  uns  ein  ungünstiger  Augenblick, 
bei  Hereinbruch  der  Nacht  in  eine  Stadt  einzuiehen, 
deren  Gastfreundschaft  nur  zweifelhaft  ist,  und  deshalb 
beschlossen  wrir,  in  einer  Karawanserei  drei  Meilen  vor 
den  Mauern  abzusteigen. 

Luftspiegelungen,  Luftspiegelungen  wohin  man 
sieht:  man  könnte  glauben,  sich  in  den  einsamen  Ebenen 
Arabiens  zu  befinden.  Ein  unaufhörliches  Zittern  be- 
wegt den  Horizont,  der  in  stetem  Wechsel  begriffen  ist, 
beständig  neue  Formen  annimmt.  Von  verschiedenen 
Seiten  spiegeln  sich  kleine,  wunderbar  blaue  Seen,  Fel- 
sen oder  Ruinen  wider,  sie  locken  uns  an,  verschwinden 
alsbald,  erscheinen  in  einer  anderen  Richtung,  und  ver- 
bergen sich  abermals  vor  uns . . .  Eine  Karawane  mit 
seltsamen  Kamelen  schreitet  auf  uns  zu,  die  Kamele 
haben  zwei  Köpfe,  aber  keine  Beine,  sie  verdoppeln  sich 
in  der  Mitte  wie  die  Könige  und  die  Königinnen  der 
Kartenspiele ...  In  der  Nähe  gesehen,  werden  es  plötz- 
lich ganz  natürliche  Tiere,  ganz  gewöhnliche,  brave 
Kamele,  die  schon  weit  hinter  uns  den  Weg  nach  Chiraz 
verfolgen.  In  den  verschnürten  Ballen,  die  an  ihren 
Seiten  herabhängen,  tragen  sie  Opium ;  nach  dem  äußer- 
sten Osten  wird  es  geschafft;  ein  großer  Vorrat  von 
Traum  und  Tod,  in  den  Feldern  Persiens  hat  er  als 
weiße  Blume  geblüht,  jetzt  schickt  man  ihn  zu  den 
schlitzäugigen  Leuten  des  himmlischen  Reiches. 

Gegen  Abend,  nachdem  wir   durch    die  gefurchten 

,75 


Schlünde  zwischen  den  spitzen,  schwarzen  Bergen,  die 
Beduinenzelten  gleichen,  hindurchgedrungen  sind,  er- 
reichen wir  ein  glücklicheres  Persien;  überall  erschei- 
nen in  der  Ferne  die  grünen  Flecke  der  Kornfelder  und 
der  Pappeln. 

Als  Nachtquartier  dient  uns  diesmal  aber  ein  ziem- 
lich wüstes,  kleines  befestigtes  Schloß,  das  mitten  in 
einem  fruchtbaren  Landstrich  liegt  In  der  Abendröte 
der  untergehenden  Sonne  langen  wir  dort  an,  und  sehen, 
daß  die  Karawanserei  von  ungezählten  Warenballen, 
von  einigen  hundert  knienden  Kamelen  umgeben  ist 
Wir  haben  hier  eine  jener  großen  Karawanen  vor  uns, 
die,  langsamer  als  Züge  der  Maultiere  oder  der  Esel, 
die  ganz  schweren  Frachtladungen  befördern  und  fünf- 
zig bis  fünfundfünfzig  Tage  gebrauchen,  um  von  Tehe- 
ran nach  Chiraz  zu  gelangen.  Wie  gewöhnlich  bewoh- 
nen wir  die  Ehrenzimmer,  oberhalb  des  spitzbogigen 
Eingangstores:  ein  hochgelegener  Raum  mit  Lehmwän- 
den, mit  einer  Wandelbahn,  die  über  den  Dächern,  über 
dem  krenelierten  Rücken  des  Walles  führt  —  Ispahan, 
das  Ziel  unserer  Sehnsucht,  liegt  nur  drei  Stunden  We- 
ges von  hier  entfernt,  aber  der  hügelige  Boden  verbirgt 
die  Stadt  vor  unseren  Augen. 

Sobald  die  Sonne  untergegangen  ist,  gerät  die  Kara- 
wane unter  den  Mauern  in  Bewegung,  bei  dem  hellen 
Mondschein,  bei  dem  Licht  der  funkelnden  Sterne  will 
sie  durch  die  Nacht  dahinziehen.  Der  Wind  trägt  uns 
den  Moschusgestank  der  Kamele,  ihre  lauten  Wut-  oder 
Leidensschreie  zu,  die  sie  jedesmal  dann  ausstoßen, 
wenn  man  sie  beladen  will;  wir  stehen  mitten  in  einer 
wütenden  Menagerie  und  man  versteht  nicht  mehr  sein 
eigenes  W7ort 

ih6 


Felsen  und  Höhlen  am  Dvala 


Das  rötlich  goldene  Licht  verschwindet  bei  Son- 
nenuntergang vor  dem  runden  Mond,  der  die  Schatten 
unserer  krenelierten  Mauern  und  unserer  Türme  auf 
den  Erdboden  wirft  Allmählich  werden  die  zahllosen 
Ballen,  di8  verstreut  umherlagen,  auf  die  Rücken  der 
Kamele  gepackt  und  verteilt;  die  Tiere  sind,  jetzt,  wo 
sie  stehen,  wieder  gefügig  und  bewegen  leise  ihre 
Glöckchen.  Die  Karawane  bricht  auf. 

Die  Kamele  schreien  nicht  mehr,  und  jetzt  entfernen 
sie  sich  im  Gänsemarsch  unter  dem  süßen  Klang  ihres 
Glockenspiels.  Nach  den  Ländern  des  Südens,  aus  denen 
wir  kommen,  kehren  sie  langsam  zurück;  alle  Spalten, 
alle  Schlünde,  die  wir  überwunden  haben,  müssen  sie 
durchschreiten.  Von  einer  Etappe  zur  anderen,  von 
einem  Stein  zum  anderen  führt  sie  der  mühsame  Weg. 
Und  immer  von  neuem  werden  sie  wieder  aufbrechen, 
bis  sie  schließlich  zu  Boden  stürzen  und  den  Geiern 
zum  Opfer  fallen.  Der  Wind  trägt  uns  nicht  mehr  ihren 
Gestank,  sondern  den  süßen  Duft  der  Gräser  zu.  In 
einer  langen  Reihe  entfernen  sie  sich,  sind  jetzt  nur 
noch  ein  winziges  Pünktchen,  das  sich  durch  die  dunkle 
Ebene  dahinschleppt;  der  Ton  ihrer  Glöckchen  ist  bald 
verklungen.  —  Von  unseren  Mauern  herab  sehen  wir, 
wie  die  Burgherren  des  Mittelalters,  in  die  vor  uns 
liegende  Ebene  hinein.  —  Seitdem  die  Karawane  ver- 
schwunden ist,  kehrt  das  große  Schweigen  zu  den  wei- 
ten uns  umgebenden  Steppen  zurück.  Alle  Zacken  unse- 
res kleinen  Walles  werfen  jetzt  ihre  hellen,  bestimmten 
scharfen  Schatten  auf  den  Boden.  Unter  uns  schließt 
man  mit  großem  Gepolter  die  eisen  beschlagene  Tür, 
die  uns  vor  nächtlichen  Überraschungen  schützen  soll. 
Bei  dem  Lied  der  Heimchen  senkt  sich  die  Nacht  immer 

12     Persien.  jn« 


tiefer  auf  uns  herab,  aber  sie  ist  so  durchsichtig,  daß 
man  unendlich  weit,  nach  allen  Seiten  hin  sehen  kann. 
Von  Zeit  zu  Zeit  fühlen  wir  einen  heißen  Hauch,  der  uns 
den  Duft  des  Quendels  und  der  Königskräuter  zuträgt 
Und  dann  streicht  unter  dem  gespenstischen  Licht  des 
Mondes  ein  Frösteln  dahin,  und  plötzlich  ist  es  kalt 

Sonnabend,  is.  Mal 

Bei  Sonnenaufgang  brechen  wir  endlich  nach  Ispa- 
han  auf.  Eine  Stunde  lang  reiten  wir  durch  eine  trau- 
rige kleine  Wüste,  deren  Boden  aus  braunen  Lehm- 
hügeln und  Tälern  besteht  —  zweifellos  liegt  die  Wüste 
hier,  um  die  Stadt  der  blauen  Glasur  mit  ihrer  frischen 
Oase  doppelt  schön  erscheinen  zu  lassen. 

Und  dann,  wie  auf  dem  Theater,  wenn  der  Vorhang 
aufgeht,  teilen,  trennen  sich  zwei  einzeln  dastehende 
Hügel;  und  das  dahin terliegende  Paradies  entfaltet  sich 
langsam  vor  unseren  Augen.  Zuerst  sieht  man  Felder 
mit  hohen  weißen  Blumen,  und  nach  der  Einförmigkeit 
der  erdigen  Wüste  leuchten  uns  diese  wie  Schnee  ent- 
gegen. Dann  folgen  mächtige  Baumgruppen  —  Pap- 
peln, Weiden,  immergrüne  Eichen,  Platanen  — ,  und 
zwischen  den  Bäumen  hindurch  leuchten  all  die  blauen 
Kuppeln,  all  die  blauen  Minaretts  von  Ispahan  auf... 
Ein  Wald  und  eine  Stadt  zugleich.  Dies  Maiengrün  ist 
noch  üppiger  als  bei  uns,  ist  von  wunderbarer  Frische, 
aber  besonders  ist  es  diese  blaue  Stadt,  diese  Stadt  von 
Türkis  und  Lapislazuli,  die  unter  den  Strahlen  eines 
Morgenhimmels  so  seltsam  unwahrscheinlich,  so  zau- 
berhaft schön  wie  eine  alte  orientalische  Sage  daliegt 

178 


Ungezählte  kleine  Kuppeln  aus  rosenrotem  Lehm 
tauchen  zwischen  den  Zweigen  auf,  aber  alles,  was  ein 
wenig  höher  in  den  Himmel  hinaufragt,  die  schlanken, 
gleich  Spindeln  gewundenen  Minaretts,  die  ganz  runden 
Kuppeln,  diese  auf  gebauchten  Kuppeln,  die  Turbanen 
gleichen,  und  in  einer  Spitze  enden,  die  majestätischen 
Kuppeln  der  Moscheen,  die  Mauervierecke  mit  ihren 
spitzbogigen  Toren,  dies  alles  glitzert,  flimmert  in  so 
kräftigen,  wunderbaren,  blauen  Tönen,  daß  man  un- 
willkürlich an  Edelsteine,  an  Paläste  aus  Saphiren,  an 
eine  überirdische  zauberhafte  Pracht  erinnert  wird.  Und 
in  der  Ferne  beherrschen,  verteidigen  die  Schneegefilde 
diese  hochgelegene,  heute  vereinsamte  Oase,  die  zu  ihrer 
Zeit  doch  der  Mittelpunkt  aller  Herrlichkeiten,  aller 
Wunder  der  Welt  war. 

Ispahan  I . . .  Aber  welches  Schweigen  herrscht  in 
seinem  Umkreise!...  Bei  uns,  außerhalb  einer  großen 
Stadt,  sieht  man  noch  kilometerlange  Strecken  mit  ruß- 
farbenen  Schmutzhaufen,  mit  Kohlen,  mit  lärmenden 
Maschinen,  vor  allem  aber  mit  dem  Netz  der  Eisenbahn- 
linien bedeckt,  die  eine  törichte  Verbindung  mit  der 
übrigen  Welt  herstellten. 

Ispahan,  einsam  und  entlegen,  ragt  es  in  seiner  Oase 
auf,  und  nicht  einmal  Fußsteige  scheinen  dorthin  zu 
führen.  Große,  verlassene  Friedhöfe,  wo  Ziegen  grasen, 
klare  Bäche,  die  ungehemmt  dahineilen,  über  die  man 
keine  Brücke  geschlagen  hat,  alte  eingefallene  krene- 
lierte  Mauern,  das  ist  alle3.  Lange  suchen  wir  zwischen 
den  Trümmerhaufen  der  Wälle,  zwischen  den  fließen- 
den Gewässern  nach  einem  Durchgang  und  wagen  uns 
schließlich  vorwärts,  auf  einem  geraden  Pfade,  der  von 
zwanzig  Fuß  hohen  Mauern  eingeschlossen  wird,  der 

12*  I79 


uns  keine  Aussicht  gewahrt  und  durch  den  mitten  hin- 
durch ein  kleiner  Bach  fließt  Er  gleicht  einer  langen 
Mausefalle  und  mündet  in  einen  großen  Platz,  wo  die 
summenden  Stimmen  der  Menge  ertönen,  Käufer,  Ver- 
käufer, gespensterhafte  Frauen,  Tscherkessen  mit  an- 
schließenden Waffenröcken,  syrische  Beduinen,  die  mit 
den  Karawanen  aus  dem  Osten  gekommen  sind  (ihre 
Köpfe  erscheinen  von  gewaltigem  Umfang  durch  die 
darum  gewickelten  Seidenstoffe,  Armenier,  Juden... 
Auf  der  Erde,  im  Schatten  der  Platanen,  liegen  ganze 
Haufen  von  Teppichen,  Decken,  Sätteln,  von  alten 
Burnussen  oder  alten  Hüten;  im  Vorübergehen  treten 
die  Esel  mit  ihren  Füßen  darauf  —  gleichfalls  unsere 
Pferde,  die  sich  jetzt  ängstigen.  Aber  noch  haben  wir 
nicht  die  Stadt  der  blauen  Minaretts  erreicht.  Dies  ist 
nicht  das  Ispahan,  das  wir  beim  Verlassen  der  Wüste 
sahen,  und  das  uns  in  der  klaren  Morgenluft  so  nahe 
erschien;  das  wirkliche  Ispahan  liegt  eine  Meile  weiter, 
liegt  hinter  den  Mohnfeldern,  hinter  einem  großen 
Fluß.  Hier  haben  wir  es  nur  mit  einer  armenischen  Vor- 
stadt zu  tun,  mit  der  profanen  Vorstadt,  in  der  alle 
Fremden,  die  nicht  der  mohammedanischen  Religion 
angehören,  wohnen  dürfen.  Und  diese  bescheidenen, 
fast  ganz  verfallenen  Viertel,  mit  der  großen  armen  Be- 
völkerung, das  sind  die  Überreste  des  Djoulfa,  das  am 
Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts,  unter  dem  Schah 
Abbas,  groß  und  mächtig  war.  (Es  ist  bekannt,  daß  die- 
ser ruhmreiche  Herrscher  —  allerdings  durch  ein  etwaä 
gewaltsames  Verfahren  —  von  den  nördlichen  Gren- 
zen eine  ganze  armenische  Kolonie  kommen  ließ,  um 
sie  hier  am  Fuße  seiner  Hauptstadt  anzusiedeln,  später 
überhäufte  er  sie  mit  Vorrechten,  und  so  wurde  diese 


180 


handeltreibende  Vorstadt  eine  Quelle  großer  Reich- 
tümer für  das  Kaiserreich.  In  den  darauffolgenden 
Jahrhunderten,  unter  auderen  Schahs,  sah  sich  diese 
immer  wachsende  arineuische  Ansiedlung  bedrängt,  ver- 
folgt, auf  jede  Weise  unterdrückt*.  Heute  jedoch,  unter 
dem  jetzt  herrschenden  Yezir  von  Jrak,  hat  sie  wieder 
die  Erlaubnis  erhalten,  ihre  Kirchen  zu  öffnen  und  in 
Frieden  zu  leben.) 

Man  drängt  sich  um  uns,  wir  sollen  in  Djoulfa  blei- 
ben: Christen,  so  erzählt  man  uns,  dürfen  nicht  in  dem 
heiligen  lspahan  wohnen.  Auch  werden  unsere  Pferde 
uns  nicht  dorthin  bringen,  ihr  Besitzer  weigert  sich;  es 
steht  nicht  im  Kontrakt,  folgüch  läßt  es  sich  nicht 
machen.  Armenier  bieten  uns  Zimmer  in  ihren  Häusern 
zur  Miete  an.  Unser  Gepäck  und  unsere  Waffen  liegen 
auf  der  Erde,  und  da  stehen  wir,  umringt  von  der 
Menge,  die  einen  immer  dichteren  Kreis  um  uns 
schließt,  die  immer  lebhafter  wird.  —  Nein,  ich  will  in 
der  schönen,  blauen  Stadt  wohnen,  deshalb  bin  ich  hier- 
her gekommen,  und  man  soll  mir  keinen  anderen  Vor- 
schlag machen  1  Man  bringe  mir  Maultiere  oder  Esel, 
gleichgültig  was,  und  dann  fort  aus  dieser  kaufmän- 
nischen Vorstadt,  die  nur  der  Ungläubigen  würdig  ist 

Wie  ich  vorausgesehen  hatte,  sind  die  Maultiere,  die 
man  herbeiführt,  störrische,  boshafte  Tiere,  zwei-,  drei- 
mal werfen  sie  ihre  Last  zu  Boden.  Und  die  Leute  sehen 
unseren  Vorbereitungen  zum  Aufbruch  mit  spöttischem 


*  Neben  den  Erpressungen  und  Gewalttätigkeiten,  die  die 
Armenier  zu  erduldeu  hatten,  erließ  man  ganz  lächerliche  Ver- 
ordnungen gegen  sie.  So  wurde  es  ihnen  verboten,  bei  Regen- 
wetter, wenn  sie  durchnäßt  waren,  die  Stadt  zu  betreten,  weil 
ihre  Kleider  in  dein  großen  Basar  die  Gewänder  der  Musel- 
männer berühren  und  dann  beschmutzen  würden. 

181 


Gesicht  zu,  mit  einem  Gesicht,  auf  dem  geschrieben 
steht:  Man  wirft  sie  hinaus,  und  dann  kommen  sie  zu- 
rück. Was  tut  das?  Vorwärts  auf  den  schmalen  Pfaden, 
durch  die  engen  Gäßchen,  an  den  dort  fließenden 
Bächen  entlang,  die  in  den  nahen  Schueegefilden  ent- 
springen. Bald  befinden  wir  uns  von  neuem  in  den 
Korn-  und  Mohnblumenfeldern.  Und  dort  liegt  der  Fluß 
von  Ispahan,  nur  wenig  tief  fließt  er  in  seinem  Bett  von 
Kieselsteinen  dahin ;  er  könnte  als  Verkehrsweg  dienen, 
wenn  er  sich  ins  Meer  ergösse,  statt  in  die  unterirdischen 
Lager  einzudringen  und  schließlich  in  dem  See  zu  mün- 
den, den  wir  zu  Anfang  unserer  Reise  inmitten  der  Ein- 
öden haben  liegen  sehen;  an  seinen  Ufern  trocknet  man 
hunderte  von  diesen  Wandbekleidungen,  auf  die  man 
Muster  in  Form  eines  Tempeiportals  druckt,  und  die 
dann  ganz  Persien,  die  ganze  Türkei  überschwemmen. 

Es  ist  eine  prachtvolle,  seltsame  Brücke,  auf  der  wir 
der  Stadt  entgegen  ziehen;  sie  stammt,  wie  aller  Luxus 
in  Ispahan,  aus  der  Zeit  des  Schah  Abbas;  sie  ist  drei- 
hundert Meter  lang  und  besteht  aus  zwei  übereinander 
liegenden,  spitzbogigen  Arkaden,  deren  graue  Steine 
durch  das  herrliche  Blau  der  Glasur  hervorgehoben 
werden.  Gleichzeitig  mit  uns  halt  eine  Karawane  ihren 
Einzug,  eine  sehr  lange  Karawane;  sie  kommt  aus  den 
Wüsten  des  Westens,  und  ihre  Kamele  sind  alle  mit 
wilden  Federbüschen  geschmückt  Zu  beiden  Seiten  der 
Fahrstraße,  die  die  Mitte  der  Brücke  einnimmt,  liegen 
die  für  Fußgänger  bestimmten  Wege,  geschützt  von 
anmutigen,  fayencebekleideten  Bogenwölbungen;  sie 
gleichen  gotischen  Klostergängen. 

All  die  schwarzen,  gespensterhaften  Frauen,  die  auf 
den    überdachten    Pfaden    lustwandein,    halten    einen 


i8a 


Rosenstrauß  in  der  Hand.  Rosen,  überall  Rosen.  All 
die  kleinen  Zuckergebäck-  und  Teeverkäufer  am  Wege 
haben  ihre  Aufsatzplatten  mit  Rosen  überladen,  haben 
Rosen  in  den  Gürtel  gesteckt,  und  die  in  Lumpen  ge- 
hüllten Bettler  unter  den  Spitzbogen  entblättern  die 
Rosen  zwischen  ihren  Fingern. 

Die  blauen  Kuppein,  die  blauen  Minaretts,  die  blauen 
Zinnen  zeigen  uns  jetzt  die  Einzelheiten  ihrer  Arabes- 
ken, die  den  Zeichnungen  alter  Gebetsteppiche  gleichen. 
Und  unter  dem  wundervollen  Himmel,  der  sich  über 
Ispahan  wölbt,  tummeln  sich  viele  Taubensch warme, 
sie  fliegen  auf,  sie  kreisen  in  der  Luft,  sie  lassen  6ich 
von  neuem  auf  den  fayencebekleideten  Türmen  nieder. 

Nachdem  wir  die  Brücke  überschritten  haben,  er- 
reichen wir  eine  große,  gerade  Allee,  die  allen  unseren 
bis  jetzt  gesammelten  Eindrücken  von  orientalischen 
Städten  widerspricht  Zu  beiden  Seiten  des  Weges 
läuft  eine  Hecke  von  dichten  Rosenbüschen  entlang; 
im  Hintergrunde  sieht  man  die  Gärten  liegen,  aber  die 
Häuser,  die  vielleicht  schon  verfallenen  Paläste,  schim- 
mern nur  undeutlich  zwischen  den  hundertjährigen 
Bäumen  hindurch;  das  Laub  ist  gar  zu  dicht  Dies« 
Rosenwände,  die  hier  auf  offener  Straße  stehen,  und  die 
die  Vorübergehenden  plündern  können,  haben  in  toller 
Üppigkeit  geblüht,  und  da  jetzt  die  Zeit  der  Ernte  ge- 
kommen ist,  da  man  jetzt  an  die  Essenzbereitung  geht, 
stehen  die  verschleierten  Frauen  mit  der  Schere  in  der 
Hand  zwischen  den  Büschen  und  schneiden  und  schnei- 
den ;  sie  lassen  einen  Blätterregen  herniederfallen ;  über- 
all Körbe,  gefüllt  mit  Rosen,  überall  Berge  von  Rosen 
auf  der  Erde . . .  Erzählte  man  uns  nicht  in  Djoulf a, 
daß  wir  einen  üblen  Empfang  haben  würden  in  dieser 

i83 


Stadt  der  großen  Bäume  und  der  Blumen,  die  so  offen 
daliegt,  und  in  die  man  uns  so  ruhig  hineinziehen  läßt? 

Aber  die  Eingeschlossenheit,  die  Beklommenheit  der 
Ruinen  und  des  Geheimnisvollen  wartet  unser  bei  der 
ersten  Biegung  des  Weges.  Plötzlich  finden  wir  uns  wie 
in  Chiraz  in  einem  Labyrinth  von  verlassenen,  dunklen 
Gäßchen,  zwischen  hohen,  fensterlosen  Mauern  wieder, 
und  auch  hier  ist  der  Boden  mit  Unrat,  mit  Gebeinen, 
mit  verreckten  Hunden  bedeckt  Alles  ist  unbewohnt, 
baufällig  und  finster;  zuweilen  sehen  wir  durch  einen 
Riß  in  der  Mauer  einige  Häuser,  aber  diese  können  nur 
Geistern  und  Eulen  als  Unterschlupf  dienen.  Und  in  der 
unendlichen,  grauen  Eintönigkeit  der  Wände  streuen 
die  immer  reizvollen  alten  Türen  mit  ihren  wunderbar 
glasierten  Einfassungen  ihr  Mosaik  in  kleinen  blauen 
Stückchen  auf  die  Erde,  so,  wie  die  Bäume  im  Herbst 
ihre  Blätter  über  den  Boden  säen.  Es  ist  kalt,  und  man 
atmet  schwer  zwischen  diesen  Trümmern,  durch  die  wir 
im  Gänsemarsch  dahinziehen,  und  mehr  als  einmal  ver- 
lieren wir  unsere  störrischen  Tiere,  die  uns  nicht  folgen 
wollen,  aus  dem  Auge.  Wir  wandern,  wir  wandern 
immer  weiter,  ohne  recht  zu  wissen,  wohin. 

Unser  Führer  scheint  auch  nicht  zuversichtlicher  als 
die  Armenier  in  Djoulfa  in  bezug  auf  den  Empfang  zu 
sein,  den  man  uns  wird  zuteil  werden  lassen.  Zuerst 
wollen  wir  es  in  den  Karawansereien  versuchen,  später 
können  wir  uns  immer  an  die  Einwohner  wenden  . . . 

Wir  erreichen  jetzt  die  großen  gewölbten  Schiffe  der 
Basare  und  befinden  uns  plötzlich  mitten  im  Volks- 
gewühl, hier  ist  es  schattig  und  kühl.  Die  Stadt  kann 
also  doch  nicht  überall  ausgestorben  sein,  denn  ein 
lautes  Gesumme  dringt  an  unser  Ohr.  Aber  es  ist  fast 

i84 


dunkel,  und  das  Kommen  und  Gehen  der  burnusgeklei- 
deten Kaufleute,  der  gespensterhaften  Frauen,  der  Rei- 
ter, der  Karawanen,  das  Treiben,  in  das  man  plötzlich 
nach  den  vielen  Trümmern,  nach  dem  großen  Schwei- 
gen hineingerät,  erscheint  zuerst  fast  märcheuhaft- 

Die  Basare  Ispahans,  einst  die  reichsten  Handeis- 
plätze Asiens,  sind  eine  Welt  für  sich.  Ihre  steinernen 
Schiffe,  ihre  Reihen  hoher  Kuppeln  verlieren  sich  in 
der  Unendlichkeit,  sie  kreuzen  sich,  bilden  regelmäßige 
Plätze,  und  diese  sind  mit  Springbrunnen  geschmückt, 
und  sind  inmitten  ihres  Verfalls  noch  immer  großartig 
anzusehen. 

Löcher,  Kloaken,  ein  holperiges  Pflaster,  auf  dem 
man  ausgleitet;  nur  mühsam  dringen  wir  vorwärts,  wir 
werden  von  den  Leuten,  von  den  Tieren  gestoßen,  und 
immer  wieder  müssen  wir  uns  mit  unseren  Maultieren 
beschäftigen,  die  sich  in  dem  seltsamen  Gewühl  ver- 
lieren. 

Zu  beiden  Seiten  dieser  Alleen  öffnen  sich  die  Kara- 
wansereien, sie  werfen  eine  Flut  von  Licht  auf  den  Weg. 
Alle  besitzen  sie  ihren  unter  freiem  Himmel  gelegenen 
Hof,  wo  die  Reisenden  ihre  Kaiyan  im  Schatten  einer 
alten  Platane,  neben  einem  plätschernden  Springbrun- 
nen, zwischen  den  Büschen  der  rosewroten,  der  weißen 
Rosen  rauchen,  kleine,  ganz  gleiche  Zimmer,  die  zwei 
oder  drei  übereinander  liegende  Stockwerke  bilden, 
gehen  auf  die  inneren  Gärten  und  erhalten  ihr  Licht 
durch  die  blauglasierten  Spitzbogen. 

Wir  haben  an  der  Tür  von  drei,  vier,  fünf  Karawan- 
sereien um  Einlaß  gebeten,  und  immer  wurde  uns  die 
Antwort  zuteil,  daß  alles  überfüllt  sei 

i85 


Hier  wohnt  scheinbar  niemand;  aber  welch  ein  trau- 
riges, dunkles  Schmutzloch  ist  dies,  das  am  Ende  eine« 
verlassenen,  einstürzenden  Stadtviertels  liegt!  —  Um 
so  schlimmerl  Es  ist  nach  zwölf  Uhr  mittags,  wir  ster- 
ben vor  Hunger,  wir  können  nicht  mehr,  also  laßt  uns 
hineingehen.  —  Außerdem  weigern  sich  unsere  Maul- 
tiere und  Maultiertreiber,  ihren  Weg  fortzusetzen,  sie 
werfen  alles  von  sich  auf  das  Pflaster,  vor  die  Tür,  in 
der  einsamen,  unheimlichen  Straße,  die  unter  den  dicken 
Gewölben  fast  ganz  in  Dunkelheit  gehüllt  daliegt  — 
„Alles  ist  überfüllt",  antwortete  uns  der  Wirt  mit  seinem 
höflichsten  Lächeln ...  Was  jetzt  anfangen? . . . 

Ein  alter  Mann  mit  schlauem  Gesicht  verfolgt  uns 
seit  einem  Augenblick,  jetzt  nähert  er  sich  uns  und  will 
mich  im  Vertrauen  sprechen:  Ein  Herr,  der  sich  in 
Geldverlegenheit  befindet,  flüstert  er  mir  ins  Ohr,  hat 
ihn  beauftragt,  ein  Haus  zu  vermieten.  Es  mag  ein 
wenig  teuer  sein,  fünfzig  Tomans  (zweihundertfünfzig 
Franks)  im  Monat,  aber  immerhin,  wenn  ich  es  mir 
ansehen  möchte . . .  Und  er  führt  mich  weit,  sehr  weit, 
eine  halbe  Meile  durch  Trümmer-  und  Schutthaufen 
hindurch,  um  schließlich,  am  Ende  einer  Sackgasse, 
eine  wurmstichige  Tür  zu  öffnen,  die  in  eine  Totengruft 
zu  führen  scheint 

Ach!  Welch  eine  wunderbare  Wohnung  ist  dies!  Ein 
Garten,  oder  vielmehr  ein  Nest  von  Rosen:  schlanke 
Rosenstamme,  hoch  wie  Bäume,  Kletterrosen,  die  die 
Mauern  unter  einem  Netz  von  Blüten  verbergen.  Und 
im  Hintergrunde  liegt  ein  kleiner  Palast  aus  Tausend- 
undeiner Nacht,  mit  einer  langen,  schlanken  Säulen- 
reihe, in  altem  persischen  Stil,  der  noch  von  der  achä- 
menidischen  Architektur,  von  dem  Glanz  des  Königs 

186 


Darius  erzählt  Im  Innern  herrscht  der  alte,  sehr  reine 
Orient;  ein  hoher  Saal,  einst  Weiß  mit  Gold,  jetzt  aber 
in  Elfenbeinton,  durch  ein  verblaßtes  Purpurrot  belebt 
An  der  Decke  sieht  man  ein  Mosaik  aus  winzig  kleinen 
Spiegelteilchen  zusammengesetzt,  es  leuchtet  mit  dem 
Glanz  getrübten  Silbers,  und  dann  die  Anläufe  jener 
unvermeidlichen  Ornamente  der  persischen  Palaste,  sie 
gleichen  Perlen  aus  Stalaktit  oder  ungezählten  ßienen- 
zellen.  Die  Diwane  sind  mit  graugrüner  Seide  bedeckt, 
in  die  ein  altmodisches  Muster  von  roten  Flammen  hin- 
eingewebt ist  Kissen,  Teppiche  aus  Kerman  und  Chi- 
raz.  Im  Hintergrunde  gewähren  die  Türen,  deren  Bogen 
gleichsam  aus  Stalaktit  ausgezackt  zu  sein  scheinen, 
einen  Blick  in  eine  begrenzte  Ferne,  wo  es  bereits  dun- 
kelt Und  über  diesem  allen  liegt  der  beunruhigende 
Reiz  des  Verfalls,  des  Geheimnisvollen,  des  Abenteuer- 
lichen. Und  in  den  süßen  üauch  der  Rosen  mischt  sich 
der  unbestimmte  Duft  der  üaremessenzen,  mit  denen 
alle  Stoffe  durchtränkt  sind . . . 

Schnell  will  ich  meine  Leute  und  mein  Gepäck  her- 
beiholen, während  der  gute  Kerl  seinen  Herrn  benach- 
richtigt, daß  der  Handel  zu  jedem  beliebigen  Preis  ge- 
schlossen ist  Für  mich,  den  durchreisenden  Fremden, 
ist  es  ja  ein  ungeahnter  Zeitvertreib,  ein  solches  Haua 
zu  bewohnen,  das  in  einer  Stadt  wie  Ispahan,  umgeben 
von  den  Ruinen,  in  Schweigen  gehüllt,  daliegt! 

Aber  ach!  Bald  höre  ich  in  der  Straße  jemanden 
hinter  mir  herlaufen;  es  ist  der  brave  Alte,  der  mir  ganz 
bestürzt  zuruft:  Der  Herr  in  Geldverlegenheit  lehnt  das 
Anerbieten  mit  Entrüstung  ab.  „Christen!"  —  hat  er 
geantwortet,  „nicht  für  tausend  Tomans  den  Tag;  sie 
sollen  sich  scheren,  nach  Djoulfa  oder  zum  Teufel  1" 

187 


Es  ist  halb  zwei  Uhr.  Wir  sind  mit  jedem  beliebigen 
Lager  zufrieden,  wenn  wir  uns  nur  im  Schatten  aus- 
ruhen und  zu  einem  Ende  kommen  können. 

In  einem  Hause  armer  Leute,  über  einem  Hof,  wo 
zerlumpte  Kinder  heruinwiimneln,  will  uns  eine  alte 
Frau  ein  Hundeioch  vermieten,  vier  aus  Stampf  erde 
errichtete  Mauern  und  ein  Dach  aus  Zweigen,  weiter 
nichts;  zuerst  aber  muß  sie  bei  ihrem  Vater  die  Er- 
laubnis einholen,  und  das  ist  äußerst  umständlich,  denn 
der  Greis  ist  schon  kindisch,  ist  blind  und  taub,  und 
unendlich  lange  dauert  es,  bis  man  ihm  erst  ins  eine, 
dann  ins  andere  Ohr  die  ganze  Geschichte  hinein- 
getutet hat 

Kaum  hatten  wir  uns  dort  oben  zur  Ruhe  hingelegt, 
als  ein  ohrenbetäubender  Lärm  zu  uns  hinauf  drängt 
und  uns  stört:  Der  Hof  ist  voller  Leute,  ebenso  die 
Straße;  und  wir  sehen  die  alte  Frau  schluchzend  in  der 
Menge  stehen,  die  auf  sie  einschreit  und  mit  Fäusten 
droht 

—  Was  bedeutet  dies?  fragt  man  sie,  sie  beherbergt 
Christen  1  Heraus  mit  dem  Geld!  Heraus  mit  ihrem  Ge- 
päck, sofort  hinaus  mit  ihnen i 

—  Nein,  diesmal  weichen  wir  nicht I 

Ich  las^e  meine  Tür  verrammeln  und  der  Menge 
durch  einen  Herold  mitteilen,  daß  ich  weit  eher  bereit 
wäre,  alle  Schrecken  einer  Belagerung  zu  ertragen,  als 
hinabzugehen;  und  dann  stellen  mein  französischer  Die- 
ner und  ich  uns  ans  Fenster  und  lassen  unsere  Revolver 
blitzen,  —  nachdem  wir  sie  zuvor  entladen  hatten,  um 
allen  etwaigen  Unglücksfällen  vorzubeugen. 


188 


VIERTER    TEIL 


Auf  einem  Stuck  Papier,  das  ich  im  ersten  Augen- 
blick der  Belagerung  meinem  treuesten  Perser  an- 
vertraute, hatte  ich  in  meiner  Not  einige  Worte  an  den 
einzigen  Europäer,  der  in  Ispahan  wohnt,  an  den  Für- 
sten D...,  den  russischen  Generalkonsul,  gekritzelt 
Mein  belagertes  Haus  liegt  zufälligerweise  dem  seinen 
ungefähr  gegenüber,  und  alsbald  sehe  ich  zwei  kosa- 
kische Kerle,  in  der  offiziellen  großen  Livree  gekleidet, 
herbeieilen,  alles  verneigt  sich  vor  ihnen.  Man  hat  sie 
mir  schleunigst  gesandt,  und  sie  überbringen  mir  jetzt 
die  liebenswürdigste  Einladung  des  Fürsten,  bei  ihm 
abzusteigen,  und  trotz  der  Furcht,  unbescheiden  zu  er- 
scheinen, bleibt  mir  wirklich  nichts  weiter  übrig,  als 
die  Einladung  anzunehmen.  Ich  willige  also  ein,  den 
Platz  zu  räumen  und  mit  erhobenem  Haupte  den  beiden 
silbergalonierten  Befreiern  zu  folgen,  während  die 
Menge,  die  im  Grunde  nicht  bösartig,  sondern  vielmehr 
kindlich  ist,  mir  eigenhändig  mein  Gepäck  nachträgt 
Im  Hintergrunde  eines  großen  Gartens  —  der  natürlich 
voller  Rosen,  selbstverständlich  aber  hoch  umfriedigt 
ist  —  liegt  ein  geräumiges,  reinliches,  helles  Haus,  und 
ich  empfinde  es  als  seltsames  Wohlbehagen,  als  ein 
wunderbares  Gefühl  der  Ruhe,  daß  ich  mich  nach  dem 
taglichen  Aufenthalt  in  den  Lehmhöhlen,  in  dem  Durch- 

189 


einander  der  Karawansereien,  plötzlich  in  einer  Woh- 
nung von  europäischem  Komfort,  umgeben  von  orien- 
talischem Luxus  wiederfinde.  Der  Fürst  und  die  Fürstin 
D . . .  sind  übrigens  reizende  Wirte,  sie  verstehen  es, 
mich  vom  ersten  Augenblick  an  fühlen  zu  lassen,  daß 
ich  ihnen  nicht  ein  zufällig  aufgelesener  Wegelagerer, 
sondern  ein  erwarteter,  willkommener  Freund  bin. 

Sonntag,  i3.  Mal 

Spät  wache  ich  auf,  beim  Gezwitscher  der  Vögel, 
und  noch  bevor  mir  das  Bewußtsein  ganz  zurückgekehrt 
ist,  habe  ich  ein  Gefühl  der  Sicherheit  und  der  Muße: 
der  Tcharvadar  wird  mich  heute  morgen  nicht  zum 
Aufbruch  anspornen;  ich  brauche  mich  nicht  auf  den 
Weg  zu  machen,  brauche  nicht  auf  schlechten  Pfaden, 
über  Spalten  und  Risse  dahinzureiten.  Mich  umgeben 
nicht  mehr  die  durchlöcherten,  schwärzlichen  Mauern, 
nicht  mehr  Erde  und  Unrat;  das  Zimmer  ist  geräumig 
und  weiß,  hat  breite  Diwans  und  bunte  orientalische 
Teppiche.  Der  Garten  vor  meiner  Tür  ist  ein  einziges, 
großes  Rosenbeet,  einige  gelbe  Ginsterpflanzen,  die  an 
verschiedenen  Stellen  in  goldenen  Büscheln  hervor- 
springen, beleben  es,  und  darüber  wölbt  sich  ein  Maien- 
himmel so  klar,  so  tief,  wie  man  ihn  in  anderen  Gegen- 
den kaum  kennt  Die  Vögel,  Bachstelzen,  Meisen,  Nach- 
tigallen tragen  ihr  bräutliches  Lied  bis  an  die  Schwelle 
meiner  Tür.  In  der  Luft  zittert  gleichsam  der  Rausch 
des  Lenzes;  es  ist  die  große  Schönheit  des  persischen 
Frühlings,  die  so  bald  vor  dem  sengenden  Sommer  ent- 
flieht, es  ist  die  wilde  Begeisterung  der  Rosen  zeit  zu 
Ispahan,  die  nicht  schnell  genug  ihre  Säfte  verschwen- 


190 


den  kann,  die  in  wenigen  Tagen  alle  ihre  Blüten,  ihren 
ganzen  Wohlgeruch  ausströmen  muß. 

Außerdem  habe  ich  beim  Erwachen  das  Gefühl,  daß 
jetzt  der  schwierige  Teil  der  Reise  überstanden  ist,  — 
daß  jetzt  —  glücklicherweise  und  leider!  —  Persien 
und  die  Wüsten  hinter  uns  liegen.  Ispahan  ist  eine  der 
letzten  Etappen  auf  dem  gefährlichen  Wege,  denn  es 
steht  in  Verbindung  mit  dem  Norden,  mit  Teheran  und 
dem  Kaspischen  Meer,  über  das  ich  den  Heimweg  an- 
treten werde;  die  Furcht  vor  den  Räubern  ist  jetzt  über- 
flüssig, und  die  Pfade,  auf  denen  die  Karawanen  dahin- 
ziehen, können  nicht  mehr  so  ganz  unmöglich  sein,  denn 
man  weiß  schon  von  Reisenden  zu  erzählen,  die  diese 
Strecken  zu  Wagen  zurückgelegt  haben  sollen. 

Was  meinen  Aufenthalt  hier  anbetrifft,  so  brauche 
ich  keine  Belästigungen  zu  befürchten,  da  ich  unter  dem 
Schutz  der  russischen  Fahne  stehe.  Aber  die  Leute  in 
Ispahan  scheinen  den  Fremden  nicht  so  günstig  geson- 
nen zu  sein  wie  die  Bevölkerung  in  Chiraz  oder  in 
Koumichah,  wenn  ich  spazieren  gehe,  wird  mir  jedes- 
mal eine  Wache  mitgegeben,  ebensosehr  des  Schutzes 
wie  des  Anstandes  wegen:  zwei  mit  Stöcken  bewaff- 
nete Soldaten  eröffnen  den  Marsch;  hinter  ihnen  ein 
galonierter  Kosak  in  der  Livree  des  Fürsten.  Und  in 
diesem  Aufzug  verlasse  ich  heute,  an  einem  schönen 
Maienmorgen,  zum  erstenmal  das  Haus,  um  den  Kaiser- 
platz* zu  besuchen,  das  Wunder  der  Stadt,  das  im  sieb- 
zehnten Jahrhundert  von  den  ersten  Europäern,  die  hier 
eindringen  durften,  so  sehr  angestaunt  wurde. 

Nachdem  wir  durch  mehrere  gewundene  Gäßchen 


*  Meidan  Schah. 

I91 


über  Löcher  und  Trümmerhaufen  dahingeeilt  sind,  um- 
gibt uns  von  neuem  der  ewige  Schatten  der  Basar©. 
Das  Gewölbe,  das  wir  jetzt  erreicht  haben,  gehört  den 
Schneidern;  Burnusse,  blaue  Kleider,  grüne  Kleider, 
Kleider  aus  buntem  Kaschmir  werden  hier  in  einer  Art 
Yon  Kathedrale,  die  unendlich  lang  und  wohl  dreißig 
bis  vierzig  Fuß  hoch  ist,  genäht  und  verkauft  Ein  ganz 
mit  Emaillemosaik  ausgelegter  Bogen  zeigt  von  der  Erde 
bis  zur  äußersten  Spitze  des  Gewölbes  eine  Öffnung, 
durch  die  wir  plötzlich  den  Platz  Ispahans  vor  uns  lie- 
gen sehen,  der  in  keiner  europäischen  Stadt  seines- 
gleichen findet,  weder  was  die  Größe,  noch  was  die 
Pracht  anbelangt.  Er  ist  im  reinen  Rechteck  erbaut, 
wird  von  gleichmäßigen  Gebäuden  eingerahmt  und  hat 
eine  so  gewaltige  Ausdehnung,  daß  die  Karawanen,  die 
langen  Reihen  der  Kamele,  die  Züge,  die  ihn  in  diesem 
Augenblick  unter  einem  wunderbar  strahlenden  Mor- 
genhimmel kreuzen,  daß  dies  alles  sich  hier  zu  verlieren 
scheint;  seine  vier  Seiten  werden  zum  größten  Teil  von 
den  langen,  geraden  Schiffen  der  Basare  gebildet,  mit 
ihren  übereinander  liegenden,  riesengroßen,  gemauer- 
ten Spitzbogen  aus  graurotem  Stein,  die  sich  in  ein- 
tönigen, endlosen  Reihen  dahinziehen;  aber,  um  diese 
zu  große  Gleichgültigkeit  der  Linien  zu  unterbrechen, 
leuchten  die  seltsamen,  herrlichen  Gebäude  uns  gleich 
kostbaren  Porzellanstücken  von  verschiedenen  Seiten 
entgegen.  Im  Hintergrunde,  in  majestätischer  Zurück- 
gezogenheit und  doch  im  Mittelpunkt  von  allem,  liegt 
die  kaiserliche  Moschee*.  Alles  ist  aus  blauem  Lapis- 
lazuli,  aus  blauem  Türkis,  ihre  Kuppeln,  ihre  Portale, 

*  Die  Masjed  Chah. 
[93 


ihre  ungeheuren  Spitzbogen,  ihre  vier  Minaretts,  die 
gleich  riesengroßen  Spindeln  in  die  Luft  hineinragen. 
Mitten  auf  der  rechten  Seite  sieht  man  den  Palast  des 
großen  Kaisers,  den  Palast  des  Schah  Abbas,  seine 
schlanke  Säulenhalle  im  alten  assyrischen  Stil,  die  auf 
einem  dreißig  Fuß  hohen  Sockel  ruht,  hebt  sich  wie 
etwas  Leichtes,  Luftförmiges  in  dem  leeren  Räume  ab. 
Auf  unserer  Seite  blitzen  die  Minaretts,  die  Kuppeln  aus 
gelber  Glasur  auf,  hier  liegt  die  alte  Freitagsmoschee, 
eine  der  heiligsten  und  der  ältesten  in  ganz  Iran*.  Und 
dann  überall  in  der  Ferne  andere  blaue  Kuppeln,  andere 
blaue  Minaretts,  andere  blaue  Türme,  von  Tauben  um- 
kreist, sie  tauchen  zwischen  den  Wipfeln  der  Platanen 
auf.  Und  schließlich  am  äußersten  Rande  der  Ebene 
umrahmen  die  Berge  dies  große  Bild  mit  ihren  leuch- 
tenden Schneezacken. 

In  Persien,  wo  vor  undenkbaren  Zeiten  die  Leute  die 
gewaltige  Arbeit  der  Bewässerung  unternahmen,  um  ihre 
Wüsten  fruchtbar  zu  machen,  geht  nichts  ohne  fließen- 
des Wasser;  so  sieht  man  auch  hier  zu  beiden  Seiten 
des  großartigen  Platzes  klare  Bäche  durch  weiße  mar- 
morne Rinnen  dahineilen;  sie  kommen  aus  weiter  Ferne 
und  speisen  zwei  Alleen  und  Rosengebüsche.  Und  dort 
unter  kleinen  Zelten  rauchen  die  vielen  müßigen  Träu- 
mer ihre  Kalyan  und  trinken  ihren  Tee;  die  einen 
kauern  auf  der  Erde,  die  anderen  sitzen  auf  Bänken, 
die  sie  über  den  Bach  gelegt  haben,  um  in  nächster 
Nähe  den  kühlen  Hauch  genießen  zu  können,  den  die 
kleine  vorüberfließende  Welle  mit  sich  bringt  Hunderte 
von  Leuten,  die  verschiedensten  Tiere  bewegen  sich  auf 


•  Die  Masjed  Djummah. 
13     Persieii.  jg3 


diesem  Platz,  ohne  ihn  doch  jemals  ganz  zu  füllen,  denn 
er  ist  unendlich  groß,  und  immer  liegt  seine  Mitte  fast 
ganz  verlassen,  in  ein  Meer  von  Licht  gebadet,  da. 
Schöne  Reiter  führen  ihre  Pferde  im  Galopp  vor  —  im 
persischen  Galopp,  wo  sie  mit  straffen  Zügeln  dem  Hals 
ihres  Pferdes  die  Biegung  eines  Schwanenhalses  geben. 
Scharen  von  turbangekleideten  Männern  verlassen  nach 
der  Morgenandacht  die  Moscheen,  sie  erscheinen  zuerst 
in  den  großen,  wahnsinnig  blauen  Portalen  und  ver- 
lieren sich  dann  in  der  Sonne.  Kamele  ziehen  langsam 
vorüber,  Truppen  kleiner,  mit  schweren  Lasten  belade- 
ner  Esel  trippeln  heran.  Gespensterhafte  Damen  reiten 
auf  ihren  weißen  Eselinnen  spazieren,  in  der  Hand 
haben  sie  überaus  prächtige  Gerten  aus  gesticktem  Samt 
mit  goldenen  Fransen  besetzt.  —  Und  doch,  wie  jäm- 
merlich würde  dies  Treiben,  würden  die  heutigen  Trach- 
ten sich  neben  dem  machen,  was  man  auf  demselben 
Platze  unter  der  Herrschaft  des  großen  Kaisers  sehen 
konnte,  als  die  Vorstadt  Djoulfa  noch  mit  Reichtümern 
überschwemmt  war!  Zu  seiner  Zeit  floß  alles  Geld 
Asiens  nach  Ispahan;  die  Glasurpaläste  schössen  so 
schnell  wie  das  Maiengras  aus  der  Erde  hervor;  und 
Kleider  aus  Brokat,  Kleider  aus  gold-  und  silbergewirk- 
ten Stoffen  wurden  tagtäglich  auf  den  Straßen  getragen,, 
ebenso  wie  die  Agraffen  aus  kostbaren  Steinen.  Wenn 
man  näher  hinsieht,  so  ist  man  entsetzt  über  den  Ver- 
fall aller  dieser  Gebäude,  die  beim  ersten  Anblick  noch 
so  glanzvoll  erschienen!  —  Dort  oben,  die  schöne  luft- 
förmige  Säulenhalle  des  Schah  Abbas  hat  sich  unter 
dem  Dach,  das  schon  einzustürzen  beginnt,  geneigt.  An 
der  Seite,  wo  die  winterlichen  Winde  wehen,  sind  alle 
Minaretts  der  Moscheen,  alle  Kuppeln  zur  Hälfte  ihres 

iq4 


geduldigen  Fayencemosaiks  beraubt  und  scheinen  von 
einem  grauen  Aussatz  angenagt  zu  sein;  mit  der  Fahr- 
lässigkeit, die  den  Persern  eigen  ist,  lassen  sie  dem  Ver- 
fall seinen  Lauf;  und  außerdem  wäre  dies  alles  heute 
auch  nicht  mehr  auszubessern:  man  hat  weder  das 
nötige  Geld  noch  die  Zeit,  und  das  Geheimnis  dieses 
wunderbaren  Blaus  ist  seit  langen  Jahren  verloren.  Man 
bessert  also  nichts  aus,  und  dieser  einzig  dastehende 
Platz,  der  mehr  als  dreihundert  Jahre  alt  ist,  wird  nie- 
mals den  Schluß  des  Jahrhunderts  erleben,  in  das  wir 
jetzt  hineingehen. 

Wie  Chiraz  die  Stadt  Kerim-Khans  war,  so  ist  Ispa- 
han  die  Stadt  des  Schah-Abbas.  Jederzeit  ist  es  den 
Herrschern  Persiens  eine  Kleinigkeit  gewesen,  ihre 
Hauptstadt  zu  wechseln,  auch  dieser  Prinz  entschloß 
sich  ungefähr  im  Jahre  i565,  hier  seinen  Hof  zu  er- 
richten und  aus  dieser  schon  sehr  alten  und  außerdem 
durch  den  Durchzug  des  Tamerlan  fast  ganz  verödeten 
Stadt  etwas  zu  machen,  was  die  Welt  in  Erstaunen 
setzen  würde.  Zu  einer  Zeit,  wo  wir  selbst  im  Westen 
an  enge  Plätze,  an  winkelige  Gäßchen  gewohnt  waren, 
ein  ganzes  Jahrhundert,  bevor  man  die  stolzen  Per- 
spektiven Versailles'  erschuf,  hat  dieser  Orientale  das 
großartige  Ebenmaß,  die  Entfaltung  der  Alleen  erson- 
nen und  geschaffen,  die  noch  nie  ein  Mensch  nachzu- 
ahmen verstanden  hat.  Das  neue  Ispahan,  das  aus  seinen 
Händen  hervorging,  widersprach  allen  Vorstellungen, 
die  man  sich  damals  über  den  Entwurf  der  Grundrisse 
machte,  und  heute  rufen  seine  Ruinen  auf  diesem  persi- 
schen Boden  den  Eindruck  einer  großen  Ausnahme  her- 
vor. Es  erschiene  mir  natürlich,  wenn  ich,  wie  in  Chiraz, 
mich  im  Schatten  neben  den  friedlichen  Leuten  nieder- 

13*  *95 


ließ,  die  eine  Rose  zwischen  den  Fingern  halten;  aber 
meine  Ehrenwache  ist  mir  lästig,  und  außerdem  wäre 
es  hier  scheinbar  gar  nicht  möglich:  man  würde  mir 
den  Tee  mit  Verachtung  reichen,  würde  mir  die  Kalyan 
verweigern. 

So  laßt  uns  vorwärts  wandern,  da  mir  die  süße  Träg- 
heit der  Muselmänqer  versagt  ist 

Um  die  kleine  Sahara  der  Mitte  zu  vermeiden,  hal- 
ten wir  uns  am  äußersten  Rand  des  Platzes,  wir  schrei- 
ten an  der  endlosen  Flucht  der  großen  gemauerten 
Arkaden  vorüber,  damit  ich  mich  wenigstens  der  kaiser- 
lichen Moschee  nähern  kann,  deren  riesenhaftes  Portal 
dort  hinten  mich  wie  der  zauberhafte  Eingang  zu  einer 
blauen  Grotte  anzieht!  In  dem  Maße,  wie  wir  vorwärts 
schreiten,  scheinen  die  Minaretts  und  die  Kuppel  des 
tiefen  Heiligtums  —  all  das,  was  hinter  dem  Vorhof  be- 
schützt und  geheiligt  daliegt  —  scheinen  die  Gegen- 
stände zu  entweichen,  zu  verschwinden,  während  ich 
mich  immer  mehr  dem  Portale  nähere,  dem  Spitzbogen, 
der  sich  in  seinem  Mauergeviert,  mit  seinen  seitsam 
leuchtenden  Fayenzen,  so  hoch  wie  ein  Triumphbogen 
erhebt  Steht  man  unter  diesem  gewaltigen  Tor,  so 
sieht  man  einen  Wasserfall  von  blauem  Stalaktit  von 
dem  Gewölbe  herabstürzen,  er  teilt  sich  in  regelmäßige 
Wassergarben,  dann  in  symmetrische  Strahlen  und 
gleitet  an  den  inneren  Mauern  herab,  die  mit  wunder- 
barer blauer,  grüner,  gelber  und  weißer  Emaille  be- 
stickt sind.  Diese  herrlich  glanzenden  Muster  stellen 
Blumenzweige  dar,  durch  die  sich  feine,  weiße,  religiöse 
Inschriften  ziehen,  darunter  sieht  man  ein  Gewirr  von 
Arabesken  in  den  verschiedensten  Türkisschattierungen. 
Die    Wasserfälle,    die    Ströme    von     Stalaktit    oder 

196 


Schlüsselstein,  stürzen  von  dem  Gewölbe  herab,  fließen 
bis  zu  den  kleinen  Säulen  herab,  wo  sie  sich  schließlich 
ausruhen;  auf   diese  Weise  bilden  sie   ganze  Reihen 
kleiner,  wunderbar  fein  ausgezackter  Bogen,  die  sich 
in  einer  harmonischen  Verschlingung  unter  dem  riesen- 
großen Hauptbogen  reihen.   Das  Ganze,   unbeschreib- 
lich verworren,   unbeschreiblich   glänzend,  mit  seinen 
Farben,  die  den  Edelsteinen  anzugehören  scheinen,  ruft 
doch  den  Eindruck  der  Ruhe  und  der  Einheit  hervor,  so- 
bald man  sich  unter  seinem  kühlen  Schatten  befindet 
Und  im  Hintergrunde  dieses  Peristyls  liegt  die  Tür,  die 
den  Christen  verschlossen  bleibt,  die  Tür  der  heiligen 
Stätte,  sie  ist  breit  und  hoch,  aber  man  könnte  sie  klein 
nennen,  so  erdrückend  wirkt  der  Umfang  des  Eingangs- 
portals; sie  ist  eingelassen  in  die  dicken,  mit  lapis- 
fazulifarbener  Glasur  bekleideten   Wände;  3ie  scheint 
in  einem  Reich    zu    versinken,    wo    das  Blau    allein 
herrscht 

Als  ich  in  die  russische  Gesandtschaft  zurückkehre, 
ist  das  Tor,  das  einzige  in  der  Mauer,  mit  alten  golde- 
nen Stickereien,  mit  alten  Gebetsteppichen  geschmückt, 
die  man  aufs  Geratewohl,  wie  für  eine  vorüberziehende 
Prozession,  mit  Nadeln  an  der  Wand  befestigt  hat 
Scheinbar  will  man  mich  hiermit  locken,  die  armeni- 
schen und  jüdischen  Kaufleute  haben  von  der  Ankunft 
eines  Fremden  Wind  bekommen  und  sind  herbeigeeilt 
Ich  erbitte  für  sie  die  Erlaubnis,  den  Rosengarten  be- 
treten zu  dürfen  — ,  und  von  jetzt  an  gehört  die  Auf- 
stellung der  Kinkerlitzchen,  die  mir  angeboten  werden, 
die  Handelsabschlüsse  in  den  verschiedensten  Spra- 
chen, mit  zu  meinem  morgendlichen  Zeitvertreib. 
Nachmittags  spazieren  meine  mit  Stöcken  bewaff- 

197 


nete  Begleitung  und  ich  durch  die  Basare,  wo  stets  ein 
gedämpftes  Tageslicht  und  die  angenehme  Kühle  der 
Gewölbe  herrscht.  Alle  Gänge  drohen  einzustürzen., 
viele  liegen  verfallen,  verlassen  da ;  die  Alleen,  in  denen 
die  Verkäufer  sich  noch  aufhalten,  sind  ihrer  alten 
Pracht  fast  ganz  beraubt,  aber  noch  findet  man  dort  die 
lärmende  Menge,  und  tausend  drollige,  ins  Auge  fallende 
Gegenstände,  die  Plätze,  wo  diese  Alleen  sich  kreuzen, 
sind  stets  von  großen,  herrlichen,  hochschwebenden 
Kuppeln  überdacht,  durch  deren  Öffnung  in  der  Mitte 
die  hellen  Strahlen  persischer  Sonne  herniederfallen: 
Jeder  dieser  viereckigen  Plätze  hat  seinen  Spring- 
brunnen, sein  Marmorbassin,  in  das  die  Rosenhändler 
ihre  schönen  Sträuße  tauchen,  aus  dem  die  Menschen, 
die  Esel,  die  Kamele  und  die  Hunde  trinken. 

Der  Basar  der  Färber,  der  monumental,  traurig  und 
finster  daliegt,  erinnert  an  eine  unendlich  lange,  mit 
schwarzem  Tuch  ausgeschlagene  gotische  Kirche,  bis 
oben  hinauf,  bis  zum  Gewölbe  hängen  die  Stoffe,  von 
denen  die  Farbe  herabtropft,  —  dunkles  Blau  für  die 
Männerkleider,  Schwarz  für  die  Schleier  der  gespen- 
sterhaften Frauen. 

In  dem  Basar  der  Kupferschmiede,  der  sich  eine 
halbe  Meile  weit  erstreckt  und  unaufhörlich  von  dem 
höllischen  Lärm  der  Hämmer  widerhallt,  sind  die  an- 
mutigsten Wasserkaraffen  aufgestellt,  und  die  kupfer- 
nen Schenkkannen,  mit  ihren  schlanken,  seltenen  For- 
men, leuchten  in  neuem  Glanz  in  den  Schaufenstern 
der  Läden,  durch  den  rauchgeschwängerten  Schatten 
hindurch. 

Wie  in  Chiraz,  so  ist  auch  hier  der  Basar  der  Sattler 
der  größte,  er  glitzerte  von  Stickereien,  Goldperlen  und 

i98 


Pailetten.  Die  verschiedenen  orientalischen  Gebrauchs- 
gegenstände der  Karawanenreisenden  sind  hier  in  un- 
gezählten Mengen  ausgestellt!  Ledersäcke  mit  seide- 
nen Stickereien  verziert,  stark  vergoldete  Pulverhörner, 
Kürbisflaschen  mit  Gehängen  überladen ;  kleine  Schalen 
aus  ziseliertem  Metall,  mit  deren  Hilfe  man  das  Quell- 
wasser am  Wege  schöpft.  Und  dann  folgen  die  Gerten 
aus  Samt  und  Gold,  sie  sind  für  die  weißen  Eselinnen 
der  Damen  bestimmt,  die  paillettenbenähten  Zaumzeuge 
der  Pferde  oder  der  Maultiere,  die  Glockenkränze,  deren 
Geläute  die  wilden  Tiere  zurückschreckt  Und  schließ- 
lich sieht  man  all  das,  was  zu  der  wirklichen  Eleganz 
der  Kamele  gehört:  Perlenreihen,  die  durch  die  Nasen- 
löcher gezogen  werden,  Quersäcke  mit  bunten  Fran- 
sen; Kopfstücke  mit  Glasperlen  verziert,  Federbüsche 
und  kleine  Spiegel,  in  denen  die  Sonnenstrahlen  oder 
die  Mondstrahlen  während  der  Reise  aufgefangen  wer- 
den. Einer  der  großen  Spitzbogen  sendet  uns  plötzlich 
eine  Flut  von  Licht  entgegen,  und  wieder  liegt  der 
kaiserliche  Platz  vor  uns,  stets  wirkt  er  ergreifend  durch 
seine  ungeheure  Ausdehnung  und  seine  Pracht,  mit  sei- 
nen regelmäßigen  Arkadenreihen,  seinen  Moscheen,  die 
mit  gewaltigen  glasierten  Turbanen  bedeckt  zu  sein 
scheinen,  seinen  spindelförmigen  Minaretts,  an  denen 
sich  von  unten  nach  oben  in  spiralförmiger  Linie 
weiße  Raupen,  wunderbar  blaue  Arabesken,  hinauf- 
schlängeln. 

Schnell  wollen  wir  den  großen  Platz  durchschreiten, 
der  jetzt  in  der  glühenden  Sonnenhitze  ganz  verlassen 
daliegt,  unter  einem  anderen,  ähnlichen  Spitzbogen 
suchen  wir  von  neuem  Schutz,  tauchen  wir  von  neuem 
in  der  Kühle  der  Gewölbe  unter. 


*99 


Der  Basar,  in  dessen  Schatten  wir  uns  jetzt  befinden, 
gehört  den  Bäckern.  Hier  herrscht  eine  glühende  Tem- 
peratur, die  Öfen  sind  in  allen  Läden  geheizt;  der  Duft 
der  gebackenen  Naschwerks  dringt  uns  entgegen.  Viele 
Rosensträuße  in  den  kleinen  Schaufenstern,  zwischen 
den  Zuckersachen  und  den  Torten;  verschiedenfarbiger 
Sirup  in  Gläsern ;  Eingemachtes  in  großen,  alten,  chine- 
sischen Porzellangefäßen,  die  unter  der  Herrschaft  des 
Schah-Abbas  hierher  gekommen  sind;  eine  Wolke  von 
Fliegen.  Ungezählte  schwarze  Frauen  mit  weißen  Mas- 
ken. Und  vor  allem  die  entzückenden  Kinder,  die  man 
merkwürdigerweise  ganz  wie  große  Leute  kleidet ; 
kleine  Knaben  in  langen  Gewändern  und  gar  zu  hohen 
Hüten;  kleine  Mädchen  mit  gemalten  Augen,  niedlich 
wie  Puppen  anzuschauen,  sie  tragen  überfallende  Hem- 
den, kurze  Röcke  und  darunter  Hosen. 

Auf  dem  folgenden  Platz,  der  ganz  verfallen  daliegt, 
bilden  viele  Menschen  einen  Kreis  um  den  Spring- 
brunnen: auf  dem  Rande  des  marmornen  Beckens  sitzt 
ein  alter  Derwisch  und  predigt;  unter  den  Strahlen,  die 
von  der  Kuppel  herabfallen,  leuchtet  sein  Bart  und  sein 
Haar  weiß  auf,  er  scheint  hundert  Jahre  zu  zählen, 
zwischen  den  knöchernen  Fingern  hält  er  eine  Rose. 

Und  dann  erreichen  wir  den  Basar  der  Juweliere, 
niemand  geht  hier  hindurch.  Man  verkauft  ziseliertes 
Silber,  Kästchen,  Schalen,  Spiegel,  Kalyan-Karaffen; 
unter  den  trüben  Sdheiben  des  Kasten,  um  die  man  in 
höchster  Vorsicht  noch  eine  blaue  seidene  Schnur  ge- 
wunden hat,  liegen  alte  Schmucksachen  zum  Verkauf, 
aus  Silber  oder  aus  Gold,  aus  echten  oder  unechten 
Edelsteinen;  dort  sieht  man  auch  ungezählte  Agraffen, 
deren  Bestimmung  es  ist,  die  kleine  weiße,  mit  zwei 


200 


Löchern  versehene  Maske,  die  das  Gesicht  der  Frauen 
verhüllt,  hinter  dem  Kopf  zusammenzuhalten.  Fast  alle 
Kaufleute  sind  Greise  mit  weißen  Barten,  sie  hocken  in 
dunklen  Nischen,  jeder  hält  seine  kleine  Wage  in  der 
Hand,  auf  der  die  Türkise  abgewogen  werden,  und  jeder 
verfolgt  seinen  Traum,  den  kaum  ein  Käufer  stört.  Der 
Staub,  die  Fledermäuse,  die  Spinngewebe,  der  schwarze 
Schutt  sucht  diesen  verödeten  Basar  heim,  wo  doch  so 
viele  wunderbare  Dinge  schlafen. 

Wir  beschließen  unseren  Tag  in  einem  ausgestorbe- 
nen, verfallenen  Ispahan,  das  sich,  je  tiefer  die  Sonne 
sinkt,  in  immer  dunklere  Schatten  hüllt.  Es  ist  dies  der 
gewaltige  Stadtteil,  in  dem  nach  der  afghanischen  Ver- 
heerung, nach  den  Schrecken  der  großen  Belagerung, 
die  der  Sultan  Mahmoud  vor  bald  zweihundert  Jahren 
gegen  die  Mauren  unternahm,  alles  Leben  erstorben  ist, 
Ispahan  hat  sich  nach  diesem  zweiten,  schrecklichen 
Sturm,  der  seine  Einwohner  von  siebenhunderttausend 
auf  kaum  sechzigtausend  zusammenschmelzen  ließ,  nie 
wieder  aufrichten  können,  außerdem  führte  Kerim- 
Khan  fast  unmittelbar  darauf  den  gänzlichen  Verfall 
herbei,  indem  er  die  Hauptstadt  des  Kaiserreiches  nach 
Chiraz  verlegte.  In  einer  Ausdehnung  von  mehr  als  einer 
Meile  liegen  die  Häuser,  die  Paläste,  die  Basare  ver- 
lassen da,  alles  bricht  zusammen.  Auf  den  Straßen,  in 
den  Moscheen  haben  die  Füchse  und  die  Schakale  ihre 
Löcher  gegraben  und  sich  dort  wohnlich  niedergelas- 
sen; und  hier  und  dort  zerbröckelt  die  schöne  Mosaik, 
zerbröckeln  die  schönen  Fayencen  und  legen  sich  wie 
eine  himmelblaue  Asche  auf  die  Steinhaufen,  über  die 
graue  Erde.  Abgesehen  von  einem  Schakal,  der  uns  in 
dem  Eingang  zu  seiner  Höhle  seine  spitze  Schnauze 


201 


zeigt,  begegnen  wvr  keinem  lebenden  Wesen,  wir  schrei- 
ten durch  das  kalte  Schweigen  dahin,  und  der  einzige 
Laut,  der  an  unser  Ohr  dringt,  ist  der  Widerhall  unse- 
rer Schritte  und  der  Stöße,  die  meine  beiden  Wächter 
mit  ihren  Stöcken  gegen  die  Steine  führen.  Aber  über- 
all blühen  die  Frühlingsblumen,  Margueriten,  Ritter- 
sporn, Mohn,  Heckenrosen,  auf  dem  Rand  der  Mauer 
bilden  sich  kleine  bunte  Gärten ;  der  Tag  geht  klar  und 
goldig  zur  Neige,  in  der  Ferne  dort  hinten  auf  den 
Gipfeln  erglühen  die  Schneegefilde  in  wunderbar  zar- 
tem Rot,  und  bevor  die  Nacht  hereinbricht,  läßt  das; 
Licht  noch  einmal  sein  ganzes  Farbenspiel  über  dieser 
Verwüstung  leuchten. 

Wir  müssen  spätestens  um  die  Dämmerstunde  zu- 
rückgekehrt sein,  denn  die  alte  Hauptstadt  des  Schah - 
Abbas  kennt  kein  nächtliches  Leben.  Das  Tor  des 
fürstlichen  Hauses  wird  bei  Hereinbruch  der  Dunkel- 
heit hermetisch  verschlossen,  und  alsbald  verriegelt  man 
auch  die  alten,  eisenbeschlagenen  Türen,  die  die  ver- 
schiedenen Stadtviertel  voneinander  trennen.  Das  unent- 
wirrbare Labyrinth  der  Stadt,  wo  binnen  kurzem  voll- 
ständige Finsternis  herrschen  wird,  zerlegt  sich  in  un- 
endlich viele,  abgesonderte  Teile,  die  bis  zum  Tages- 
anbruch in  keiner  Verbindung  miteinander  stehen.  Das 
große  Schweigen  des  Islam  senkt  sich  über  Ispahan 
herab. 

Die  Rosen  durchschwängern  die  Nacht  mit  ihrem 
Duft,  die  Rosen  des  Gartens,  der  von  hohen  Mauern 
eingerahmt  und  geschützt  daliegt;  meine  Zimmer  gehen 
auf  ihn  hinaus.  Kein  Geräusch  von  Fußtritten  dringt 
von  draußen  an  mein  Ohr,  weil  niemand  sich  mehr  im 
Freien  aufhält;  kein  Rollen  der  Räder,  weil  es  hier 


202 


keine  Wagen  gibt;  nur  von  Zeit  zu  Zeit  trägt  die  klare, 
klangreiche  Luft  uns  die  Töne  kreischender,  trauriger 
Stimmen  zu;  die  Muezzine  schmettern  ihren  Aufruf 
zum  Gebet  durch  die  Luft,  die  Nachtwächter  schreien 
von  dem  einen  geschlossenen  Viertel  zum  anderen  ihre 
Antwort  hinüber;  die  wachenden  Hunde  bellen,  die 
Schakale  heulen  in  der  Ferne.  Und  seltsam  hell  leuchten 
die  Sterne ;  wir  befinden  uns  noch  immer  in  einer  ziem- 
lichen Höhe,  ungefähr  in  derselben  Luftlinie  mit  den 
Gipfeln  der  größten  Berge  Frankreichs. 


Montag,  i4.  Mai. 

Der  Schah-Abbas  wollte  auch,  daß  seine  Hauptstadt 
mit  unvergleichlichen  Gärten,  mit  wunderbaren  Alleen 
geschmückt  sei.  Der  Weg  Tscharbag,  eine  der  Stra- 
ßen, die  nach  Djoulfa  führt,  und  die  der  herrlichen 
Brücke  folgt,  auf  der  wir  den  ersten  Tag  zur  Stadt  hin- 
einritten, war  einst  eine  Promenade,  wie  es  keine  zweite 
auf  Erden  gab,  man  könnte  sie  die  Ghamps-Elysee  von 
Ispahan  nennen,  eine  vierfache  Plantagenreihe,  eine 
halbe  Meile  lang,  die  drei  gerade  Alleen  bildet;  die  Allee 
in  der  Mitte,  für  Reiter  und  Karawanen  bestimmt,  mit 
großen,  regelmäßigen  Fliesen  gepflastert,  die  seitwärts 
gelegenen  Alleen  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  durch 
Springbrunnen,  blühende  Beete,  durch  Rosenhecken  be- 
grenzt, und  am  Rande,  zu  beiden  Seiten,  hatte  man  die 
offenen  Paläste  *  erbaut,  deren  Mauern  ganz  mit  Fayen- 


*  Diese  Paläste,  mit  ihren  Balkons,  waren  in  erster  Linie 
für  die  Frauen  des  Harems  bestimmt,  man  erbaute  acht  und 
nannte  sie:  Die  „Acht  Paradiese". 

2o3 


cen  bekleidet,  deren  Decken  mit  Arabesken  und  ver- 
goldetem Stalaktit  geschmückt  waren.  Ais  bei  uns  der 
Hof  des  Sonnenkönigs  von  Anmut  und  Reichtum  wie- 
derstrahlte, war  der  Hof  des  Schahs  von  Persien  der 
einzige,  der  sich  mit  ihm  messen  konnte.  Kurz  bevor 
Ispahan  von  den  Barbaren  des  Westens  überflutet 
wurde,  erreichte  es  den  Höhepunkt  seines  Glanzes,  sei- 
ner verfeinerten  Ausschmückung,  und  Tscharbag  war 
der  Ort,  wo  sich  alle  Anmut  —  wie  sie  nicht  einmal 
Versailles  gesehen  haben  kann  —  zusammenfand.  Zu 
den  Stunden  der  Parade  strömten  die  verschleierten 
Schönen  auf  den  Terrassen  der  Paläste  herbei,  um  ihren 
Herren  zuzuschauen,  die  auf  den  weißen  Fliesen,  zwi- 
schen den  beiden,  die  Allee  abgrenzenden  Rosenhecken 
ihre  Rosse  tummelten.  Die  stolzen  Pferde  mit  dem  ver- 
goldeten Sattelzeuge  galoppierten  in  edler  Haltung  da- 
hin, sie  zeigten  die  starke  Biegung  des  Halses,  wie  sie 
die  Perser  noch  heute  bei  ihren  Pferden  erstreben.  Und 
die  schlanken  Reiter  trugen  sehr  enge,  sehr  anschmie- 
gende Kleider  aus  Kaschmir  oder  aus  golddurchwirktem 
Brokat;  sie  trugen  Ringe  und  Armbänder,  und  ihr  hoher 
Kopfputz  war  mit  Agraffen  geschmückt,  sie  glitzerten 
von  Edelsteinen;  die  Fresken  und  die  alten  Miniaturen 
haben  uns  die  Einzelheiten  ihrer  ein  wenig  dekatenten 
Moden  überliefert,  die  in  gutem  Einklang  mit  dem  gan- 
zen Lebensbild  jener  Zeit,  mit  der  wunderbaren,  zarten 
Ausschmückung  der  Paläste,  mit  der  unendlichen 
Duchsichtigkeit  der  Luft,  mit  dem  großen  Blütenreich- 
tum standen. 

Tscharbag,  so  wie  es  heute  in  der  Sonne  an  diesem 
schönen  Maienmorgen  vor  mir  liegt,  mutet  es  mich  un- 
sagbar traurig  an,  ein  fast  verödeter  Verbindungsweg 

2Q& 


zwischen  den  beiden  Trümmerhaufen  Ispahan  und 
Djoulfa.  Die  mehr  als  dreimal  hundert  Jahre  alten  Pla- 
tanen sind  zu  Riesen  herangewachsen,  die  absterben, 
die  ihrer  Krone  beraubt  sind.  Die  Fliesen  zeigen  große 
Risse,  traurig  schießt  das  Gras  dort  hervor.  Die 
Wasserbassins  sind  ausgetrocknet  oder  haben  sich  in 
stagnierende  Sümpfe  verwandelt.  Die  blühenden  Beete 
sind  verschwunden,  und  die  letzten  Rosen  bilden  nur 
noch  ein  wildes  Gestrüpp.  Jeder,  der  Lust  hat,  kann  die 
wenigen,  noch  aufrechtstehenden  Paläste  betreten,  wo 
die  empfindlichen  Wände  zu  Staub  zerfallen,  und  wo 
die  Afghanen  aus  Fanatismus  bei  ihrer  Ankunft  die  Ge- 
sichter der  schönen,  gemalten  Damen  auf  den  Fayence- 
tafeln zertrümmert  haben.  Mit  seinen  noch  lebenden 
Alleen  ist  Tscharbag,  —  der  Zeuge  eines  ruhmvollen 
Jahrhunderts,  das  dem  unseren  noch  nicht  so  fern  liegt 
— ,  weit  mehr  von  Heimweh  befallen,  als  die  Trümmer 
aus  der  ganz  alten  Vergangenheit 

Nach  unserem  Besuch,  den  wir  der  großen  toten 
Allee  abstatteten,  kehren  wir  ins  Innere  von  Ispahan 
zurück;  unser  Weg  geht  durch  die  Basare,  wo  es 
immer  wundervoll  kühl  und  schattig  ist  Dort  führte 
mich  mein  Begleiter  zuerst  zu  den  Seidenwebern,  die 
die  Brokatstoffe  für  die  Feierkleider,  die  Taffetseiden  * 
anfertigen;  im  Hintergrunde  trauriger,  tief  gelegener 
Wohnungen,  in  die  nur  ein  wenig  Licht  aus  der  über- 
dachten dunklen  Straße  fällt,  sind  die  Webstühle  auf- 
gestellt Und  dann  gelangen  wir  zu  den  Leuten,  die  die 
in  den  Oasen  der  Umgegend  geerntete  Baumwolle  ver- 
arbeiten, und  dann  zu  denen,  die  nach  einem  uralten 


*  Es  ist  bekannt,  daß  der  Taffet  aus  Persien  kommt,  ebenso 
wie  sein  Name. 

ao5 


Verfahren  diese  Stoffe  mittels  großer  Platten  aus  gra- 
viertem Holz  bedrucken.  Es  herrscht  auch  hier  fast 
vollständiges  Dunkel  in  dem  unterirdischen  Gemach, 
wo  man  die  vielen  tausend  Wandbehänge  (die  stets  das 
Portal  einer  Moschee  darstellen)  färbt,  um  sie  dann,  wie 
es  seit  undenkbaren  Zeiten  geschah,  in  dem  Fluß  zu 
spülen,  und  sie  in  de'r  schönen  Sonne,  auf  dem  weißen 
Kies  der  Ufer  zu  trocknen. 

Wir  beschließen  unsere  Wanderung  in  dem  Viertel 
der  Fayencearbeiter;  sehr  eifrig  sind  diese  noch  damit 
beschäftigt,  nach  alten,  unveränderten  Mustern  Blumen 
und  Arabesken  auf  die  Steine  zu  klecksen,  die  für  die 
neuen  persischen  Häuser  bestimmt  sind.  Aber  weder 
diese  Farben,  noch  die  Glasur  können  mit  denen  der 
alten  Kacheln  verglichen  werden.  Besonders  gibt  es 
das  Blau  nicht  mehr,  das  leuchtende,  tiefe,  fast  über- 
natürliche Blau,  das  die  Kuppeln  der  alten  Moscheen  in 
der  Ferne  wie  Blöcke  kostbarer  Steine  erscheinen  ließ, 
Der  Schah-Abbas,  der  die  Kunst  der  Fayencen  so  all- 
gemein bekannt  gemacht  hat,  führte  aus  dem  Innern 
Indiens  und  aus  China  seltene  Kobalt-  und  Indigofarben 
ein,  die  man  dann,  nach  einem  heute  nicht  mehr  be- 
kannten Verfahren,  einbrannte.  Er  hatte  auch  aus 
Europa  und  aus  Peking  Meister  der  Zeichenkunst  zu 
sich  entboten,  und  diese  stellten,  trotz  des  Korans, 
menschliche  Gesichter  neben  die  persischen  Verzie- 
rungen. —  So  läßt  es  sich  auch  erklären,  daß  die  gla- 
sierten Wandflächen  in  dem  Hause  des  Fürsten  Frauen 
der  westlichen  Renaissance  mit  Mediciskragen  zeigen, 
und  wieder  andere  Frauen  mit  ganz  kleinen,  geschlitz- 
ten Augen,  die  auf  chinesische  Art  voller  Anmut  schön 
tun. 


206 


Meine  beiden  mit  Stöcken  bewaffneten  Soldaten  und 
mein  schöner  galonierter  Kosak  langweilen  mich  wirk- 
lich. Heute  nachmittag  habe  ich  mich  entschlossen,  sie 
mit  Dank  fortzuschicken  und  alleine  umherzustreifen. 
Und  was  man  mir  auch  sagen  mag,  ich  will  versuchen, 
mich  jetzt,  wo  ich  allmählich  in  Ispahan  bekannt  bin, 
auf  einer  der  kleinen  Bänke  der  Teehändler,  am  Ufer 
eines  kühlen  Baches  des  kaiserlichen  Platzes,  auf  der 
schattigen  Seite  niederzulassen.  Ich  wußte  es:  man 
bringt  mir  ganz  freundlich  meine  winzige  Tasse  Tee, 
meine  Kalyan  und  eine  Rose;  mit  meinen  Freunden, 
den  Muselmännern,  wird  man  sich  immer  verständigen 
können,  wenn  man  es  nur  anzufangen  weiß. 

Die  Maiensonne  brennt  seit  zwei  oder  drei  Tagen 
wie  Feuer  hernieder,  man  sehnt  sich  nach  dem  kühlen 
Hauch  des  fließenden  Wassers  vor  den  kleinen  Cafes, 
nach  der  Ruhe  im  Schatten  der  Zelte,  oder  der  jungen 
Bäume.  Es  ist  zwei  Uhr;  in  der  Mitte  des  ungeheuren 
Platzes,  den  eine  Flut  von  weißem  Licht  überschwemmt, 
liegen  nur  einige  nachlässig  ausgestreckte  Esel,  knien 
nur  einige  Kamele  im  Staube.  An  beiden  Enden  des  er- 
habenen, des  toten  Platzes,  erheben  sich  die  beiden  gro- 
ßen Moscheen  Ispahans  und  begrüßen  sich  aus  weiter 
Ferne,  sie  lassen  ihre  bunten  Kuppeln,  ihre  seltsamen, 
mit  Arabesken  verzierten  Spindeln  in  den  hellen  Son- 
nenstrahlen leuchten :  die  eine  sehr  alt,  sehr  heilig,  die 
Freitagsmoschee,  ist  mit  gelbem  Gold  bekleidet,  das 
durch  ein  wenig  Grün  noch  mehr  hervorgehoben  wird ; 
die  andere,  die  Königin  allen  Blaus,  des  tiefen  Blaus 
und  des  blassen  Himmelblaus,  ist  die  kaiserliche 
Moschee. 

Bei  Sonnenuntergang  lenke  ich  meine  Schritte  nach 


207 


der  alten  theologischen  Schule  der  Muselmänner,  „die 
Schule  der  Mutter  des  Schahs"  genannt;  der  Fürst  D . . . 
war  so  gütig  gewesen,  mir  eine  Begleitung  zu  geben, 
die  mich  bei  dem  leitenden  Priester  einführen  konnte. 

Es  ist  nicht  nötig  zu  fragen,  wer  die  breite,  gerade 
Allee,  die  dorthin  führt,  erbaut  hat:  Natürlich  der 
Schah-Abbas,  stets  der  Schah-Abbas;  alles,  was  in 
Ispahan  von  den  winkeligen  Gäßchen,  wie  man  sie  in 
den  persischen  Städten  sieht,  abweicht,  war  das  Werk 
dieses  Fürsten.  Die  schöne  Allee  wird  von  hundert- 
jährigen Platanen  eingerahmt,  man  hat  ihre  unteren 
Zweige  nach  persischer  Art  beschnitten,  um  ihre  wei- 
ßen, elfenbeinernen  Stämme  noch  höher  erscheinen  zu 
lassen,  und  so  gleichen  sie,  die  sich  erst  nach  dem 
Gipfel  zu  ausbreiten,  erst  dort  oben  dicht  belaubt  wer- 
den, in  der  Tat  langen,  schlanken  Säulen.  Zu  beiden 
Seiten  des  Weges  öffnen  sich  verfallene  Tore,  einst 
wurden  sie  von  Fayencen  eingerahmt,  über  sie  hinaus 
ragt  als  Wappen  Irans:  Ein  Löwe,  der  ein  Schwert 
vor  die  Sonne  hält 

Diese  Universität  —  sie  ist  drei  Jahrhunderte  alt, 
und  ihr  Lehrplan  ist  derselbe,  wie  am  ersten  Tage  — - 
wurde  mit  einem  Pomp  erbaut,  der  diesem  Volk  der 
Denker  und  der  Dichter,  das  seit  alten  Zeiten  die  Bil- 
dung des  Geistes  in  Ehren  hielt,  würdig  ist  Man  wird 
sofort  von  dem  wunderbaren  Eingang  geblendet;  in 
einer  glatten,  weiß  und  blau  emaillierten  Mauer  ist  eine 
Art  riesengroße  Vertiefung  eingelassen,  eine  Art  Höhle, 
zu  der  sich  ein  hoher  Spitzbogen  öffnet,  das  Innere  ist 
mit  einem  Regen  von  blauem  und  gelbem  Stalaktit  über- 
zogen. Die  Tür  zeigt  zwei  Flügel  aus  Zedernholz,  wohl 
fünfzehn  bis  achtzehn  Fuß  hoch,  sie  sind  von  oben  bis 

208 


unten  mit  einer  feinen,  silbernen  Panzerung  bedeckt, 
mit  getriebenem,  ziselierten  Silber,  durch  dessen  Netz 
von  Arabesken  und  Rosen  sich  purpurrote  religiöse  In- 
schriften hindurchziehen.  Diese  Kunstarbeiten  haben 
selbstverständlich  unter  dem  Zahn  der  Zeit,  unter  der 
afghanischen  Verheerung  gelitten,  sie  sind  abgenutzt, 
verbeult,  stellenweise  abgerissen,  sie  erinnern  in  trau- 
rigster Weise  an  eine  nie  wiederkehrende  Zeit  des 
wahnsinnigsten  Luxus  und  der  ausgesuchtesten  Ver- 
feinerung. 

Wenn  man  durch  dies  ausgezackte  Gewölbe  in  einen 
monumentalen  Vorhof  tritt,  auf  den  der  Garten  folgt, 
sieht  man,  wie  sich  das  Gerinnsel  des  Stalaktit  in  regel- 
mäßige Arme  teilt,  die  an  den  inneren  Mauern  herunter- 
laufen, ihre  Emaillen  zeigen  ein  phantastisches  blaues 
Laubwerk,  das  von  Inschriften,  von  alten  Sprüchen  in 
bläulichen,  in  weißen  Buchstaben  durchzogen  wird;  im 
Hintergrunde  liegt  der  Garten,  von  einer  gewaltigen 
Fayencebucht  eingeschlossen:  ein  trauriges  Eden,  wo 
die  Rosensträuche,  die  Rosenbüsche  im  Schatten  der 
dreihundert  Jahre  alten  Platanen  blühen.  Zu  beiden 
Seiten  des  Pfades,  der  zu  irgendeinem  Zauberschloß  zu 
führen  scheint,  haben  die  bescheidenen,  kleinen  Zucker- 
werk-, Erdbeeren-  und  Teehändler  ihre  Tische,  ihre 
rosengeschmückten  Platten  aufgestellt  Und  wir  be- 
gegnen einer  Schar  Studenten,  die  das  Schulgebäude 
verlassen,  junge  Leute  mit  fanatischem,  eigensinniges 
Blick,  mit  dunklen  Gesichtern  unter  den  großen  Prie- 
sterturbanen. 

Der  Garten  ist  ein  Viereck,  wird  von  wohl  fünfzig 
Fuß  hohen  glasierten  Mauern  eingeschlossen,  und  ehr- 
würdige Platanen,  die  so  groß  wie  Affenbrotbäume  sind, 

U     Pfcnte». 

209 


bedecken  ihn  mit  ihren  Zweigen  und  hüllen  ihn  in  ihren 
grünen  Schatten  ein.  In  der  Mitte  steht  ein  Spring- 
brunnen, liegt  ein  Marmorbassin,  und  überall  zu  beiden 
Seiten  der  kleinen  Alleen  mit  ihren  grünlichen  Kacheln 
vereinen  sich  die  beiden  Blumenarten,  die  man  stets  in 
allen  persischen  Gärten  sieht:  die  echten  süßduftenden 
rosenroten  Rosen  und  die  einfachen  weißen  Hecken- 
rosen. Rosenhecken  und  Rosensträucher  strecken  ihre 
überschlanken  Zweige  unter  dem  Druck  der  hoben 
blauen  Mauern  und  der  alten  Platanen  unendlich  weit 
von  sich,  sie  umklammern  die  gewaltigen  Stämme  und 
fallen  gleichsam  tränend  zurück,  immer  aber  sind  sie 
unermüdlich  im  Blühen.  Da  der  Zutritt  zu  diesem  Platz 
allen  vorübergehenden  Muselmännern  gestattet  ist,  so 
sieht  man  hier  die  Lraven  Leute  aus  dem  Volk,  die  von 
der  Kühle  und  dem  Schatten  angelockt  wurden,  auf  den 
Fliesen  sitzen  oder  liegen  und  ihre  Kalyan  rauchen, 
deren  kleine,  vertraute,  glucksende  Töne  man  von  allen 
Seiten  hört  Und  von  oben  dringt  das  Gezwitscher  der 
gefiederten  Welt  zu  uns  herab;  die  Zweige  sind  voll 
von  Nestern;  Meisen,  Buchfinken,  Spatzen  haben  diesen 
ruhigen  Zufluchtsort  zu  ihrer  Wohnstätte  ausersehen, 
und  auch  die  Schwalben  haben  überall  an  allen  Dächern 
ihre  Nester  angeklebt  Diese  Mauern,  die  den  Garten 
einschließen,  werden  von  oben  bis  unten  von  einer  ein- 
zigen, unendlichen,  ganz  blauen  Mosaikf lache  bekleidet, 
und  darauf  baut  sich  eine  dreireihige  Bogenöffnung 
auf,  durch  die  das  Licht  in  die  Zellen  fällt,  wo  die  jun- 
gen Priester  ihren  einsamen  Gedanken  nachhängen.  Je 
in  den  vier  Wänden  des  rechteckigen  Platzes  nimmt 
ein  gewaltiger  Spitzbogen  die  Mitte  ein,  er  gleicht  dem 
Eingangstor  und  zeigt  ein  Gewölbe,  an  dem  die  FayenGe- 


310 


tropf chen  herniederfließen,  in  dem  Eiszapfen  in  Lapis- 
lazuü  und  safrangelber  Farbe  leuchten. 

Und  der  Spitzbogen  im  Hintergrunde  ist  der  präch- 
tigste von  allen  vieren,  er  wird  auf  beiden  Seiten  von 
Minaretts  geschmückt,  jenen  blauen  Spindeln,  die  in 
den  Himmel  hinaufragen;  er  führt  zu  der  Moschee  der 
Schule,  deren  turbanartige  Kuppel  man  dort  oben  über 
dem  alten  Gezweig  erglänzen  sieht  In  den  Minaretts 
schlängeln  sich  in  spiralförmigen  Windungen  von  unten 
lange  religiöse  Inschriften  aus  weißer  Glasur  hinauf  bis 
zur  Spitze,  wo  sie  in  einer  Flut  von  Licht  gebadet  da- 
liegen ;  die  Kuppel  ist  übersät  mit  gelben  Emaillcblumen, 
mit  grünem  Emaillelaubwerk,  die  wie  im  Kaleidoskop 
ihre  unentwirrbaren  Linien  über  die  blauen  Arabesken 
ziehen.  Wenn  man  das  Auge  über  den  Schatten,  der 
hier  unten  herrscht,  erhebt,  so  sieht  man  durch  das  hohe 
Blätterdach,  unter  dem  das  Alter  und  der  Verfall  ver- 
borgen liegt,  an  einem  klaren  Himmel,  die  ganze  Pracht 
der  Juwelen  glitzern,  und  die  großen,  lichtreichen  Wel- 
len der  persischen  Sonne  fluten  darüber  hin. 

Alter  und  Verfall,  sobald  man  nur  näher  hinsieht; 
eine  letzte  Täuschung  läßt  uns  an  wunderbare  Herr- 
lichkeilen glauben,  aber  auch  sie  wird  nur  noch  wenige 
Jahre  leben;  die  Kuppel  ist  gespalten,  die  Minaretts 
werden  ihres  feinen,  durchsichtigen  Schmuckes  beraubt, 
und  die  glasierte  Bekleidung,  deren  Farbe  heute  noch 
so  leuchtend  ist  wie  im  großen  Jahrhundert,  fällt  schon 
an  vielen  Stellen  ab,  graue  Steinflächen,  Löcher  und 
Risse  kommen  zum  Vorschein,  in  denen  das  Gras,  die 
wilden  Pflanzen  wuchern.  Ich  habe  den  Eindruck,  als 
wenn  dies  alles  hoffnungslos  dahinschwindet,  dahin- 

W  2I1 


schwindet  wie  das  alte,  bezaubernde  Persien,  ohne  daß 
es  je  wieder  hergestellt  werden  könnte. 

Auf  kleinen,  steilen,,  dunklen  Treppen,  wo  mehr  als 
eine  Stufe  fehlt,  steigen  wir  zu  den  Zellen  der  Studenten 
hinauf;  Die  meisten  liegen  schon  lange  verlassen  da, 
angefüllt  mit  Asche,  Vogelschmutz,  Eulenfedern;  nur 
in  einigen  wenigen  zeigen  alte,  heilige  Manuskripte, 
zeigt  ein  Gebetsteppich,  daß  man  hier  noch  hineintritt, 
um  sich  zu  sammeln.  Diese  Zellen  haben  zum  Teil  Aus- 
sicht auf  den  schattenreichen  Garten,  auf  seine  grün- 
lichen Fliesen  und  seine  Rosengebüsche,  auf  das  ganze 
kleine,  traurige  Gehölz,  wo  man  das  Lied  der  Vögel  und 
das  ruhige  Plätschern  der  Kalyan  hört;  zum  Teil 
blicken  sie  auf  die  weite  Ebene,  auf  das  Weiß  der 
Mohnfelder,  das  am  Horizont  durch  einen  schmalen 
Strich  der  Wüste  abgeschnitten  wird,  auf  ein  anderes 
silberhelles  Weiß  dort  hinten:  die  Schneegefilde  der 
Gipfel.  Weich  einen  wunderbaren  Zufluchtsort  bieten 
diese  Zellen,  umgeben  von  der  Ruhe  dieser  Trümmer- 
stadt, umgeben  von  der  Einöde,  allen  denen,  die  sich 
den  Träumen  des  orientalischen  Mystizismus  hingeben 
wollen ...  I 

Ein  Gewirr  von  Treppen  und  Gängen  führt  uns  zu 
dem  alten  Priester,  der  dies  Schemen  von  einer  Schule 
leitet  In  dem  Schatten  einer  blauen,  glasierten  Grotte 
liegt  seine  Wohnung,  eine  Art  Loggia  mit  einem  Ralkon, 
von  wo  aus  er  das  ganze  Innere  der  Moschee  beherrscht 
Und  es  ist  ein  ergreifender  Eindruck,  plötzlich  dies 
Heiligtum,  diese  Gebetsnische  erscheinen  zu  sehen, 
Dinge,  von  denen  ich  glaubte,  daß  sie  mir,  dem  Ungläu- 
bigen, stets  verborgen  bleiben  würden.  Der  hagere, 
blasse  Priester  in   schwarzem  Kleid,   mit  schwarzem 


312 


Turban,  sitzt  auf  einem  Gebetsteppich,  und  ihm  zur 
Seite  sein  Sohn,  ein  Kind  von  zwölf  Jahren,  gleichfalls 
in  Schwarz  gekleidet,  mit  einem  kleinen,  schwärme- 
rischen Gesicht,  das  unter  dem  heiligen  Schatten  seine 
Farbe  verloren  hat;  zwei  oder  drei  ernste  Greise  hocken 
daneben,  jeder  hält  eine  Rose  in  der  Hand,  mit  derselben 
ein  wenig  gezierten  Anmut,  die  den  Figuren  auf  den 
alten  Miniaturen  eigen  ist  Sie  träumten  oder  besprachen 
heilige  Dinge;  nach  tiefen  Verbeugungen  und  langen 
Höflichkeitsreden  bietet  man  uns  Kissen  an,  bringt  uns 
Kalyans,  Tee,  und  dann  beginnt  die  Unterhaltung,  wir 
sprechen  langsam,  sie  riechen  an  ihren  Rosen  mit 
greisenhafter  Geziertheit,  oder  verfolgen  mit  starrem 
Auge  den  Sonnenstrahl,  der  an  den  wunderbaren  Gla- 
suren im  Hintergrunde  des  Heiligtums  hinabsickert.  Die 
Schattierungen  dieser  Moschee,  das  Glitzern  dieser 
Wände  halten  mich  davon  ab,  dem  Gespräch  zu  folgen; 
ich  glaube  durch  ein  bläuliches  Eis,  in  den  kristallisier- 
ten, aus  Stalaktit  erbauten  Palast  eines  unterirdischen 
Geistes  hineinzusehen.  Lapislazuli  und  Türkis  in  ewiger 
Abwechslung,  eine  Apotheose  des  Blaus.  Die  Ströme 
kleiner,  blauer  Eiszapfen,  kleiner,  blauer  Prismen  flie- 
ßen von  der  Kuppel  herab  und  überfluten  an  einzelnen 
Stellen  die  vielen  blauen  Muster  der  Wände ...  In  ihren 
Einzelheiten  erscheint  die  Zeichnung  unentwirrbar,  aber 
sie  ruft  doch  als  Ganzes  den  Eindruck  der  Einfachheit 
und  der  Ruhe  hervor:  dies  ist,  wie  überall,  das  große 
Geheimnis  der  persischen  Kunst 

Aber  welch  ein  trauriger  Verfall.  Der  Priester,  mit 
dem  schwarzen  Turban,  beklagt  sich,  daß  er  seine  wun- 
derbare Moschee  in  Staub  zusammenfallen  sehen  muß. 
„Schon  lange",  sagt  er,  „habe  ich  meinem  Kinde  ver- 

2l3 


boten,  herumzulaufen,  damit  keine  Erschütterung  her- 
vorgerufen wird.  Täglich  höre  ich  etwas  fallen,  höre 
die  Glasuren  fallen...'  Zu  der  Zeit,  in  der  wir  leben, 
nehmen  die  Großen  kein  Interesse  daran,  und  ebenso 
das  Volk . . .  Was  soll  man  dabei  machen?"  Und  er 
führt  die  Rose  an  seine  abgemagerten,  wachsgelben 
Nasenflügel. 

In  ihrer  Gesellschaft  war  man  umgeben  von  einem 
Traum  aus  alten  Zeiten,  von  einem  unwandelbaren  Frie- 
den, und  zwar  in  dem  Maße,  daß  uns  beim  Hinaustritt 
aus  den  schönen,  silberziseiierten  Türen,  die  Allee  der 
Platanen,  durch  die  einige  lebende  Wesen,  einige  Reiter, 
einige  Züge  von  Eseln  und  Kamelen  ziehen,  modern,  ja 
belebt  erscheint. .. 

Vor  Hereinbruch  der  Nacht  bleibt  mir  noch  ein  wenig 
Zeit,  um  auf  dem  großen  Platz  haltzumachen,  wo  die 
religiöse  Stunde  des  Moghreb  mit  einer  Zeremonie  ver- 
bunden ist,  die  aus  dem  ganz  alten  Islam  stammt,  die 
auf  die  uranfängliche  Religion  der  Magier  zurückzu- 
führen ist.  Die  kaiserliche  Moschee  war  während  des 
ganzen  Tages  ein  einziges  Blau,  sobald  sie  sich  aber 
unter  den  Strahlen  der  untergehenden  Sonne  für  eine 
kurze  Minute  in  ein  starkes  Violett  verwandelt,  er- 
scheint ein  Orchester  am  anderen  Ende  des  Platzes,  in 
einer  Loggia  oberhalb  des  großen  Portales,  das  der  gel- 
ben, glasierten  Moschee  gegenüber  liegt:  gewaltige 
Trommeln  und  lange  Trompeten,  wie  in  den  Tempeln 
Indiens.  Nach  vieltausendjähriger  Überlieferung  bietet 
man  der  Sonne  Persiens,  genau  in  dem  Augenblick,  wo 
sie  stirbt,  einen  Gruß  dar.  Wenn  die  Strahlen  erlöschen, 
ertönt  die  Musik,  plötzlich  und  wild;  laute,  hohle 
Schläge,  die  sich  überstürzen,  der  Lärm  eines  nahen 

2i4 


Gewitters,  der  sich  über  den  ganzen,  jetzt  bald  ver- 
ödeten Platz  ergießt,  wo  nur  noch  einige  Karawanen 
am  Boden  liegen,  und  die  Trompetenstöße  gleichen  dem 
Gebrüll  eines  Tieres,  das  sich  vor  dem  fliehenden  Licht 
im  Todeskampf  windet . . .  Morgen  früh  werden  die 
Musikanten  auf  denselben  Platz  hinaufsteigen,  um  der 
aufgehenden  Sonne  ein  lärmendes  Morgenstandchen 
darzubringen. .. 

—  Und  also  tut  man  auch  am  Ufer  des  Ganges,  der- 
selbe Gruß,  der  der  Geburt  und  dem  Sterben  dieses 
herrschenden  Gestirns  das  Geleite  gibt,  hallt  zweimal 
taglich  über  ganz  Benares  wider . . . 

In  der  Dämmerung,  nachdem  man  in  das  russische 
Haus  zurückgekehrt,  nachdem  die  Tür  geschlossen  ist, 
erinnert  nichts  an  Ispahan,  bis  morgen  hat  man  von 
Persien  Abschied  genommen.  Und  es  ist  ein  seltsamer 
Eindruck,  sich  plötzlich  in  einem  liebenswürdigen,  ver- 
feinerten Winkel  Europas  wiederzufinden:  der  Fürst 
und  die  Fürstin  sprechen  unsere  Sprache  wie  die  ihre; 
den  Abend  verbringen  wir  im  Kreise,  geschart  um  das 
Klavier,  und  man  weiß  wirklich  nicht,  daß  ganz  in  der 
Nähe  eine  fremde  Stadt  und  die  Wüsten  liegen,  die  uns 
von  der  zeitgenössischen  Welt  trennen. 

Das  einzige,  was  ich  diesem  Hause,  der  offenen,  an- 
mutigen Gastfreundschaft  vorzuwerfen  habe,  das  sind 
die  Hunde,  die  es  bewachen,  ein  halbes  Dutzend  dieser 
boshaften  Tiere  verfolgen  mich  noch  immer  als  Wege- 
lagerer; und  wenn  ich  einmal  nach  Hereinbruch  der 
Nacht,  mit  der  Meute  hinter  mir  drein,  die  Allee  des 
Gartens,  die  hundert  Meter  lange  Rosenallee,  die  meine 
Wohnung  von  dem  Hause  meiner  Wirte  trennt,  durch- 

2l5 


kreuze,  so  ist  dies  ein  weit  gefährlicheres  Abenteuer, 
als  durch  die  Wüsten  des  Südens,  von  woher  ich 
komme,  zu  ziehen. 

Dienstag,  i5.  Mai. 

Heute  morgen  stellt  mich  der  Fürst  D . . .  Seiner 
Hoheit  Zelleh-Sultan,  dem  Bruder  Seiner  Majestät  des 
Schahs,  dem  Vezir  von  Ispahan  und  Irak,  vor.  Aufein- 
ander folgende  Gärten  führen  bis  zu  seinem  Schloß,  sie 
sind  natürlich  voller  weißer  Heckenrosen  und  rosa 
Rosen;  sie  werden  verbunden  durch  Tore,  vor  die  man 
Wächter  aufgestellt  hat,  und  diese  Tore  tragen  alle  das 
persische  Wappen :  über  dem  Gesims  ein  Löwe  und  eine 
Sonne. 

Ich  erwartete  bei  diesem  Satrapen  den  Luxus  von 
Tausendundeiner  Nacht,  einen  sprichwörtlichen  Reich- 
tum zu  finden;  aber  es  war  eine  vollständige  Täuschung, 
sein  moderner  Palast  könnte  jedem  Beliebigen  gehören, 
wenn  nicht  die  wunderbaren  Teppiche  wären,  die  zu 
betreten  eine  Entweihung  ist  In  dem  Salon,  wo  Seine 
Hoheit  uns  empfängt,  liegen  Bücher  auf  dem  Schreib- 
tisch aufgestapelt,  und  geographische  Karten  hängen 
eingerahmt  an  den  Wänden.  Zelleh-Sultan  ist  verbind- 
lich und  geistreich,  er  hat  einen  schneidenden  Blick, 
ein  bitteres  Lächeln.  Ich  lasse  hier  eine  kurze  Schätzung 
der  beiden  benachbarten  Völker  folgen,  die  wörtlich  von 
ihm  stammt:  „Von  den  Russen  haben  wir  stets  nur 
gute  Dienste  erfahren.  Von  den  Engländern  im  Süden 
unseres  Landes  beständige  Eroberungsversuche,  und 
zwar  mit  Benutzung  von  Mitteln,  wie  sie  das  ganze 
Weltall  an  ihnen  kennt" 


3l6 


In  derselben  Gegend  der  Stadt  liegen  die  großen 
Gärten  und  das  verlassene  Schloß  der  alten  Sophis- 
Könige,  Nachfolger  des  Schah-Abbas,  deren  Dynastie 
sich  immer  eleganter,  immer  verfeinerter  bis  zur  afgha- 
nischen Überschwemmung  hielt  (1721  nach  unserer 
Zeitrechnung).  Auch  hier  herrschen  die  Heckenrosen, 
aber  vor  allem  die  rosenroten  Rosen,  man  sieht  jedoch 
auch  jene  altmodischen  Blumen,  die  man  bei  uns  kennt, 
und  die  man  „Priesterblumen"  nennt:  Löwenzahn,  Rit- 
tersporn, Ringelblume,  Tausendschön  und  Levkojen. 
Die  Rosenstöcke  wachsen  hier  so  groß  wie  Bäume,  die 
Platanen  sind  Riesen  —  immer  von  unten  beschnitten, 
wie  weiße  Säulen  geformt  — ,  sie  bilden  regelmäßige 
Alleen,  die  mit  ihrer  ein  wenig  dunklen  Fliesenpflaste- 
rung, die  langen,  geraden,  altmodisch  abgesteckten 
Wasserbassins  einrahmen.  Der  Palast,  der  inmitten  die- 
ser Schatten,  dieser  zwei-  oder  dreihundert  Jahre  alten 
Lustgärten  thront,  nennt  sich  der  Palast  der  vierzig 
Spiegel.  Man  sieht  ihn  stets  über  seinem  eigenen  Bilde 
liegen,  das  von  einer  ruhigen  Wasserfläche  zurück- 
geworfen wird,  darum  nennt  man  ihn  auch  den  Palast 
der  vierzig  Säulen,  obgleich  er  in  Wirklichkeit  nur 
zwanzig  hat,  aber  die  Perser  zählen  das  umgekehrte 
Spiegelbild  mit,  das  seit  Jahrhunderten  nicht  von  dieser 
blanken,  trostlosen  Fläche  vor  der  Schwelle  verschwun- 
den ist.  In  unseren  Augen  erscheint  dieser  Palast  die 
seltsame  Linienführung,  die  übertriebene  Schlankheit 
der  achämenidischen  Baukunst  zu  besitzen;  die  wunder- 
bar hohen,  gebrechlichen  Säulen  tragen  ein  flaches 
Dach,  und  sogar  die  langen  gestützten  Platanen,  die  es 
umgeben,  setzen  in  dem  Park  die  aufrechtstrebende 
Linie  fort  Ungeheure  Vorhänge,  seit  der  Verheerung 


217 


der  Barbaren  versch wunden,  bildeten  scheinbar  den  Ab- 
schluß vor  den  Sälen,  in  die  das  Auge  heute  bis  zum 
Hintergründe,  wie  in  eine  Art  prächtig  ausgestatteter 
Halle  vordringen  kann.  Zur  Zeit  der  prunkvollen  Emp- 
fänge, als  alle  diese  Vorhänge  geöffnet  waren,  konnte 
man  von  draußen  den  Schah  in  einer  glitzernden,  gol- 
denen Ferne,  gleich  einem  Götzenbild  auf  seinem  Thron 
sitzen  sehen.  Der  Hauptfarbenton  zeigt  ein  mattes  Gold, 
ein  blasses  Rot;  aber  die  Säulen  mit  ihrer  Mosaikbeklei- 
dung aus  Spiegelstiickchen,  die  das  Alter  oxydiert  hat, 
schimmern  wie  Silber. 

Der  weit  geöffnete,  schweigende  Palast  scheint  nicht 
der  Wirklichkeit  anzugehören,  und  doch  ist  sein  Spie- 
gelbild in  diesem  traurigen  Wasserbecken  noch  weit 
unwahrscheinlicher.  An  dem  Rande  des  viereckigen  Bas- 
sins, das  schon  so  lange  das  Schloß  der  verschwunde- 
nen Könige  widerspiegelt,  halten  ungekünstelte,  kleine 
Statuen  aus  grauem  Kiesel,  so  wie  in  Persepolis,  Blu- 
mentöpfe in  die  Höhe.  Der  Umkreis  ist  mit  großen, 
grünlichen  Fliesen  gepflastert,  über  die  einst  die  vielen 
gestickten,  vergoldeten  Babuschen  dahineilten.  Und 
überall  Rosen,  Heckenrosen,  die  sich  an  den  glatten, 
weißen  Stämmen  der  Platanen  hinaufwinden. 

Im  Innern  herrscht  das  rote  Gold,  herrschen  die  ge- 
duldigen Spiegelmosaiks,  die  stellenweise  noch  wie 
Diamanten  funkein  können;  unter  den  kleinen  Kuppel- 
gewölben vereinen  die  Arabesken  und  Zeilen  sich  zu 
einer  nicht  entwirrbaren  Verschlingung.  Ganz  im  Hin- 
tergrunde erhebt  sich  in  der  Mitte  ein  gewaltiger  spitz- 
bogiger  Rahmen  und  umgibt  den  Thron  und  den  Herr- 
scher gleichsam  mit  einer  Strahlenkrone;  er  scheint  wie 
mit  Eiszapfen,  mit  Rauhreif  ausgelegt  zu  sein;  und  über 

ai8 


den  Gesimsen  fügen  sich  die  Bilder  in  wunderbar 
feiner  Ausführung  aneinander,  sie  steilen  Festgelage, 
Schlachtenszenen  dar;  man  sieht  dort  einige  altertüm- 
liche, übertrieben  schöne  Könige,  mit  langen  Augan- 
wimpern,  mit  langen,  seidenweichen  Barten,  der  Körper 
ist  in  Goldbrokat  gehüllt,  und  sie  sind  mit  Edelstein- 
ketten behangen. 

Hinter  diesen  traumhaften  Sälen,  die  sich  immer 
wieder  auf  der  Oberfläche  des  Wassers  verdoppeln, 
liegen,  geschützt  von  den  Bäumen,  zahllose  Neben- 
gebäude, sie  erstrecken  sich  bis  zu  dem  Palast,  der 
heute  von  Zellen-Sultan  bewohnt  wird.  Es  waren  dies 
die  Harems  der  Prinzessinnen,  der  untergeordneten 
Frauen,  auch  lagen  hier  die  Speicher  für  die  auf- 
gehäuften Vorräte,  für  die  phantastischen  Reichtümer: 
Speicher  für  die  Kasten  und  Kisten,  Speicher  für  die 
Fackeln,  Speicher  für  die  Gewänder  usw.,  und  hier  hat 
man  auch  das  Weinlager  zu  suchen,  von  dem  Chardin 
im  siebzehnten  Jahrhundert  uns  erzählt,  daß  es  ange- 
füllt sei  mit  Schalen  und  Karaffen,  „aus  venezianischem 
Glas,  aus  Porphyr,  aus  Beilstein,  aus  Korallen,  aus 
kostbaren  Steinen".  —  Es  gibt  hier  sogar  unterirdische 
Säle  aus  weißem  Marmor,  die  man  für  die  heißen  Som- 
mertage erbaut  hatte,  und  an  deren  Wänden  wirkliches 
Wasser  herabfloß. 

Von  meinen  morgendlichen  Streifzügen  kehre  ich  in 
dem  Augenblick  zurück,  wo  die  Muezzine  zum  Mittags- 
gebet rufen  (es  ist  zwölf  Uhr,  oder  kurz  davor).  In 
Ispahan  geben  die  Gebetsausrufer  die  Stunde  an,  wie 
es  bei  uns  die  Schläge  der  Turmuhren  tun.  Sie  singen 
mit  ernstem  Ton,  was  man  in  den  anderen  Ländern  des 
Islam  nicht  kennt.  In  der  benachbarten  Moschee  stehen 

219 


mehrere  Muezzins  zusammen,  sie  rufen,  sie  wieder- 
holen in  langgezogenen  Lauten  den  Namen  Allahs,  und 
es  umgibt  sie  das  Schweigen  des  Mittags,  der  Schlaf 
und  das  Licht,  das  mit  jedem  Tage  stechender  wird. 
Während  ich  ihnen  lausche,  scheine  ich  dem  Weg  ihrer 
Stimme  folgen  zu  können,  ich  fühle  sie  über  die  ge- 
heimnisvollen Wohnungen  der  Umgegend  dahinstrei- 
chen,  über  alle  diese  Gärten  voller  Rosen,  in  deren 
Schatten  die  Frauen,  die  man  niemals  sieht,  ohne 
Maske  vertrauensvoll  im  Schutz  der  hohen  Mauern 
sitzen. 

Mittwoch,  16.  Mai. 

Nachmittags  gehe  ich  unter  sicherer  Führung  auf  die 
Suche  nach  seltenen  Nippsachen,  die  nicht  in  den  Schau- 
fenstern aufgestellt  werden,  sondern  die  man  in  den 
Häusern,  in  Truhen  verborgen  hält  und  nur  den  bevor- 
zugten Käufern  zeigt.  <\uf  alten,  engen  Treppen,  deren 
Stufen  so  weit  voneinander  entfernt  sind  wie  die 
Sprossen  einer  Leiter,  durch  dunkle,  winkelige  Gäßchen 
dringen  wir  in,  ich  weiß  nicht  wie  viele,  altertümliche, 
mißtrauisch,  heimlich  dreinblickende  Wohnungen  ein. 
Die  Zimmer,  wo  man  uns  Kissen  zum  Sitzen  anbietet, 
sind  klein,  ihre  Wände  sind  mit  zellenartigen  Geweben 
und  Arabesken  bedeckt;  sie  werden  nur  spärlich  be- 
leuchtet durch  die  dunklen  Höfe,  deren  kachelausgelegte 
Mauern  seltsam  mit  menschlichen  Figuren,  Tieren  und 
Blumen  bekleckst  sind.  Zuerst  trinken  wir  eine  kleine 
Tasse  Tee,  denn  es  gehört  zum  guten  Ton,  daß  man  uns 
sofort  eine  Tasse  anbietet  Dann  werden  die  Zedern- 
läden, die  mit  ungeahnten  Altertümern  angefüllt  sind, 
langsam  vor  uns  geöffnet,  und  man  zieht  einen  Ver- 


220 


kaufsgegenstand  nach  dem  andern  hervor,  den  man  aus 
altem  Plunder  und  Flitterkram  herausschälen  muß. 
Dies  alles  stammt  aus  dem  großen  Jahrhundert  des 
Schah-Abbas,  oder  wenigstens  aus  der  Zeit  der  Sophis- 
Könige,  seinen  Nachfolgern,  und  diese  Ausgrabung, 
diese  Aufstellung  in  dem  Staub  und  dem  Schatten,  zeigt 
uns,  wie  zart,  wie  vornehm,  wie  anmutig  die  geduldige 
Kunst  der  Perser  war.  Hier  sieht  man  Kästchen  in  allen 
Formen  aus  Martin-Lack,  ihr  wunderbares  Kolorit  hat 
der  Zeit  widerstanden,  sie  sind  mit  den  Bildern  vor- 
nehmer Perser  bemalt,  und  zwar  ist  ihre  Zeichnung  von 
ungekünstelter  Anmut,  von  seltener  Genauigkeit,  die 
kleinsten  Einzelheiten  ihrer  Wappen,  ihrer  Edelsteine 
können  eine  Prüfung  durch  die  Lupe  bestehen;  jener 
Teil  der  iranischen  Bevölkerung,  der  mir  zu  sehen  ver- 
sagt ist,  wird  hier  mit  einer  Art  verliebten  Anbetung 
zur  Darstellung  gebracht:  schöne  Frauen  aus  früheren 
Jahrhunderten,  ilire  Schönheit  ist  sichtbar  übertrieben, 
Sultaninnen  mit  runden,  rotgeschminkten  Wangen, 
mit  gar  zu  langen,  von  schwarzen  Ringen  umgebenen 
Augen,  sie  neigen  den  Kopf  in  gezierter  Anmut  und  hal- 
ten eine  Rose  in  ihren  zu  kleinen  Händen . . .  Und 
manchmal  begegnet  man  neben  den  echt  persischen  Bil- 
dern einem  anderen,  das  plötzlich  an  die  holländische 
Renaissance  erinnert:  das  Werk  eines  westlichen  Künst- 
lers, der  große  Kaiser  Ispahans  hatte  ihn  zu  sich  ent- 
boten, und  in  seiner  Abenteuerlust  ist  er  dem  Ruf  ge- 
folgt 

Man  zeigt  uns  feine  Emaillearbeiten,  die  auf  Silber 
oder  Gold  gelegt  sind,  Waffen  Aladins,  golddurdhwirkte 
Brokatstoffe,  die  die  Schultern  der  Sultaninnen  umhüll- 
ten, Schmuckgegenstände,  Stickereien,   Teppiche,  wie 


S2I 


man  sie  nur  in  Persien  findet,  einst  wurden  diese  von 
den  Nomaden  angefertigt,  und  ihre  Arbeit  erforderte 
zehn  volle  Jahre  eines  Menschenlebens;  Teppiche,  sei- 
diger als  Seide,  samtartiger  als  Samt,  die  engen,  engen 
Zeichnungen  erscheinen  uns  so  rätselhaft  wie  die 
Schönschreibekunst  des  Koran.  Und  schließlich  sehen 
wir  Fayencen,  die  heute  kaum  mehr  aufzufinden  sind, 
ihre  Glasurkleidung  hat  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
einen  Zersetzungsprozeß  durchgemacht  und  zeigt  des- 
halb jene  seltenen  goldenen  oder  kupferroten  Töne. 

Nachdem  wir  die  verfallenen  Häuser  verlassen  haben, 
wo  die  Überreste  der  toten  Herrlichkeiten  uns  mit  dem 
Wunsch  nach  Frieden,  mit  einem  Heimweh  nach  der 
Vergangenheit  erfüllen,  kehre  ich,  heute  ohne  Beglei- 
tung, nach  der  „Schule  der  Mutter  des  Schahs"  zurück, 
um  mich  im  Schatten  der  hundertjährigen  Platanen, 
in  dem  alten,  von  Fayencemauern  eingeschlossenen 
Garten  auszuruhen.  Und  hier  finde  ich  eine  noch  grö- 
ßere Stille,  eine  noch  größere  Abgeschiedenheit  als  am 
Vorabend.  Vor  dem  wunderbaren  Eingang  bettelt  ein 
Derwisch,  ein  in  Lumpen  gehüllter  Greis,  er  sitzt,  den 
Kopf  gegen  die  silber  und  hochrot  leuchtende  Schmiede- 
arbeit gelehnt,  ganz  winzig  am  Fuß  dieser  gewaltigen 
Tür  da,  fast  nackend,  halbtot,  mit  Erde  und  Staub  be- 
deckt, schreckeneinflößend  hebt  er  sich  von  diesem 
Hintergrund  der  höhnischen  Herrlichkeiten  ab.  Auf  das 
große  glasierte  Tor  folgt  die  grüne  Nacht  des  Gartens, 
und  die  leise  Musik,  die  diesem  Platz  eigen  ist;  ganz 
oben,  dem  Himmel  und  dem  Licht  nah,  singen  die 
Schwalben  und  die  Meisen;  unten  hört  man  das  leise 
Gurgeln  der  ausgestreckten  Raucher  und  das  Geplät- 
scher  des  Wasserstrahls  in  dem  Springbrunnen.   Die 


333 


Leute  haben  mich  schon  gesehen  und  beunruhigen  sich 
nicht,  ohne  Widerspruch  zu  begegnen,  setze  ich  mich, 
wohin  ich  will  auf  die  grünlichen  Fliesen.  Vor  mir 
sehe  ich  in  die  Verschlingungen,  in  die  Büsche,  in  das 
Geriesel  der  weißen  Heckenrosen  hinein,  sehe  die 
Heckenrosen  sich  an  den  Platanen  hinaufschlängeln, 
deren  gewaltige  Stämme,  fast  so  weiß  wie  die  Blüten 
selbst,  den  Säulen  eines  Tempels  gleichen.  Und  dort 
oben,  wo  die  Vögel  wohnen,  durch  die  Spalte  des 
Blätterdaches  hindurch,  leuchtet  die  Glasur  auf  und 
erinnert  an  die  Minaretts,  an  die  Kuppeln,  an  die  ganze 
Herrlichkeit,  die  sich  unter  den  Sonnenstrahlen  aus- 
breitet In  Ispahan,  in  der  Stadt  der  blauen  Ruinen, 
kenne  ich  keinen  Zufluchtsort,  der  anziehender  wäre 
als  dieser  alte  Garten. 

Als  ich  nach  dem  Hause  des  Fürsten  zurückkehre, 
ist  es  gerade  die  Hauptstunde  des  Muezzin,  die  unbe- 
stimmte, die  scheidende  Stunde,  wo  man  zum  letztenmal 
am  Tage  den  Aufruf  zum  Gebet  vernimmt  Das  Abend- 
lied zittert  durch  die  Luft,  und  gleichzeitig  kreisen  die 
Segler  am  Himmel;  sehr  deutlich  unterscheidet  man  den 
immer  wiederkehrenden  Namen:  Allah  ;  aber  die  schönen 
wohlklingenden  Stimmen,  die  Eintönigkeit  des  Vortrags 
erinnern  fast  an  Glockengeläute,  man  könnte  glauben, 
es  sei  der  Ruf  eines  frommen  Glockenspiels,  der  über 
diesen  alten  Terrassen,  über  den  alten  Mauern  Ispahans 
ertönt 

Donnerstag,  17.  MaL 

Rosen,  überall  Rosen;  in  dieser  kurzen  Jahreszeit, 
die  so  schnell  dem  alles  versengenden  Sommer  Platz 
macht,  lebt  man  in  einer  Flut  von  Rosen.  Sobald  ich 

923 


des  Morgens  meine  Tür  öffne,  beeilt  sich  der  Gärtner, 
mir  einen  Strauß  zu  bringen,  der  frisch  gepflückt  noch 
ganz  feucht  von  dem  Tau  der  Maiennacht  ist  In  den 
Cafes  reicht  man  uns  eine  Rose  zur  traditionellen  klei- 
nen Tasse  Tee.  In  den  Straßen  bieten  uns  die  Bettler 
Rosen  an,  die  wir  aus  Mitleid  nicht  zurückweisen,  die 
wir  aber  kaum  zu  berühren  wagen,  weil  sie  aus  solchen 
Händen  kommen. 

Heute  erscheinen  in  Ispahan  zum  erstenmal  in  die- 
sem Jahr  die  kleinen  Esel,  die  Eisträger,  um  die  un- 
schuldigen Getränke,  das  klare  Wasser  zu  kühlen;  ein 
Knabe  führt  sie,  er  treibt  sie  von  Tür  zu  Tür  und  meldet 
sie  durch  einen  lauten,  singenden  Schrei  an.  Das  Eis 
hat  man  aus  den  weißen  Schneeregionen  geholt,  die 
man  dort  oben  auf  den  Gipfeln  der  Berge  leuchten  sieht, 
man  hat  es  in  Körben  auf  den  Rücken  der  Esel  geladen 
und  mit  Zweigen  gegen  die  Sonne  geschützt,  —  natür- 
lich zieren  auch  einige  Rosen  den  Korb. 

Viele  kleine  Esel  kreuzen  meinen  Weg,  als  ich  mich 
heute  morgen  zu  einem  Babuschenhändler  begebe,  dem 
ich  für  schweres  Geld  das  Versprechen  abgelockt  habe, 
mir  heimlich  drei  Frauen  Ispahans  zu  zeigen.  Wrir  klet- 
tern zusammen  auf  eine  verfallene  Mauer  hinauf,  um 
durch  ein  Loch  in  den  Garten  hineinzusehen,  wo  man 
heute  bei  der  Rosenernte  beschäftigt  ist  Und  wirklich, 
dort  stehen  drei  Frauen,  sie  halten  große  Scheren  in 
der  Hand,  schneiden  Rosen  und  legen  diese  in  Körbe, 
zweifellos,  um  aus  den  Blättern  Essenzen  zu  bereiten. 
Ich  hatte  gehofft,  daß  sie  hübscher  wären ;  die  Damen, 
die  auf  den  altmodischen  Schachteln  gemalt  sind  und 
auch  die  wenigen  unverschleierten  Bäuerinnen,  denen 
wir  unterwegs  in  den  Dörfern  begegnet  sind,  haben 

224 


mich  verwöhnt  Sehr  blaß,  ein  wenig  zu  fett,  sind  sie 
trotzdem  anziehend  mit  ihren  altmodisch  naiven  Augen. 
Bestickte,  paillettenbenähte  Seidenstoffe  verhüllen  ihr 
Haar.  Sie  tragen  überfallende  Hemden,  und  über  den 
Hosen  kurze,  abstehende  Röcke,  wie  die  Röcke  der 
Balletteusen;  alles  dies  scheint  aus  Seide  zu  sein,  und 
ist  mit  Stickereien  verziert,  die  an  das  Jahrhundert  des 
Schah-Abbas  erinnern.  Übrigens  versichert  mich  mein 
Führer,  daß  es  Frauen  der  besten  Gesellschaft  sind. 

Freitag,  18.  Mai. 

Heute  ist  Freitag,  der  Sonntag  des  Muselmanns,  und 
da  muß  ich  wie  alle  anderen  in  die  Felder  hinausgehen. 
Ein  Sonntag  im  Mai,  das  immer  gleiche  Fest  des  Früh- 
lings und  des  blauen  Himmels.  Die  großen  Alleen  des 
Schah-Abbas,  die  von  Platanen,  von  Pappeln,  von 
Rosenbüschen  eingerahmt  werden,  sind  mit  Fußgängern 
überschwemmt,  alle  streben  sie  hinaus  nach  den  Gär- 
ten oder  einfach  hinaus  nach  den  grünen  Kornfeldern. 
Scharen  von  Männern  mit  Turbanen  oder  schwarzen 
Astrachanmützen  wandern  träge  und  träumerisch  da- 
her, jeder  hält  eine  Rose  in  der  Hand.  Scharen  von  ge- 
spensterhaften Frauen,  auch  sie  sind  selbstverständlich 
mit  einer  Rose  geschmückt  und  tragen  fast  alle  ein 
Baby  an  ihrer  Brust,  dessen  kleiner,  mit  einer  goldenen 
Mütze  bedeckter  Kopf  zur  Hälfte  zwischen  ihren 
Schleiern  zum  Vorschein  kommt  Heute  entvölkert  sich 
Ispahan,  es  leitet  alles  Leben,  das  ihm  noch  zwischen 
seinen  Ruinen  geblieben  ist,  in  die  Oase  hinaus. 

Außer  den  neben  mir  einherschreitenden  Spazier- 
gängern ist  das  freie  Land,  wo  wir  bald  anlangen,  von 

15     Peraien.  22  5 


den  ganz  schwarzen  Frauen  überschwemmt,  die  sich 
schon  frühmorgens  auf  den  Weg  gemacht  haben  müs- 
sen. Man  sieht  sie  nebeneinander  in  den  weißen  Mohn- 
feldern, zwischen  den  bunt  blühenden  Kornblumen, 
dem  roten  Mohn  sitzen.  Niemals  sah  ich  Sonntags  einen 
solchen  Müßiggang  unter  einem  so  strahlenden  Him- 
mel, inmitten  so  leuchtend  grüner  Felder. 

Ich  sitze  zu  Pferde  und  reite  ziellos  vorwärts.  Da 
ich  mich  zufällig  einem  Trupp  persischer  Reiter  ange- 
schlossen habe,  die  anscheinend  wissen,  wohin  sie  wol- 
len, so  sehe  ich  mich  plötzlich  umgeben  von  den 
Ruinen  eines  Palastes,  den  glitzernden  Ruinen  der 
Spiegelmosaike,  den  wunderbaren,  zerbrechlichen  Rui- 
nen, die  niemand  behütet.  —  Im  Jahrhundert  des  Schah- 
Abbas  gab  es  vieler  solcher  Märchenpaläste  I  —  Der 
Ehrenhof  ist  in  einen  Sumpf  verwandelt,  ist  angefüllt 
mit  Gebüsch  und  wilden  Blumen;  und  ein  kleiner  Tee- 
händler hat  in  Anbetracht  des  Freitags  seine  Öfen  in 
einer  der  wunderbaren  Säulenhallen  aufgestellt,  deren 
Decken  mit  einer  überraschenden  Pracht,  mit  einer  zar- 
ten Anmut  verziert,  vergoldet  sind.  Dies  war  einst  der 
kaiserliche  Palast,  die  Liebhaberei  eines  Herrschers,  der 
Thronplatz  ist  noch  leicht  erkennbar.  Hinten,  in  einem 
zweiten,  ein  wenig  schattigen  Saal,  liegt  die  Estrade, 
wo  er  sich  ausruhte,  liegt  der  gewaltige  Spitzbogen, 
der  ihm  als  Heiligenschein  diente.  Er  ist  natürlich  ganz 
mit  Stalaktit  behangen  und  wird  von  zwei  goldenen 
Ghimäras  überragt,  die  in  einzelnen  Teilen  einen  chine- 
sischen Einfluß  verraten;  aber  der  Hintergrund  wirkt 
ganz  überraschend;  statt  wie  sonst  eine  unentwirrbare 
Verschlingung  von  Rosetten  und  Zellengeweben  zu  zei- 
gen, deren  kleinste  Flächen  von  Gold  umrahmt  sind, 

226 


ist  er  leer,  öffnet  sich  auf  ein  Gemälde  in  der  Ferne, 
das  in  Wirklichkeit  weit  herrlicher  ist  als  alle  Schmiede- 
arbeiten der  Weit:  Gebadet  von  den  hellen  Sonnenstrah- 
len liegt  dort  das  Panorama  von  Ispahan,  das  der  voll- 
endete Kunstgeschmack  sich  erwählt  hat,  liegt  dort  die 
Stadt  der  rosenroten  Erde  und  der  blauen  Fayencen, 
über  der  seltsamen  Brücke  mit  den  beiden  aufeinander 
ruhenden  Bogengängen,  vor  den  Bergen  und  den  Schnee- 
gefilden, läßt  sie  ihre  Kuppeln,  ihre  Minaretts,  ihre  un- 
natürlich farbigen  Türme  in  der  Sonne  leuchten.  Ein- 
gerahmt von  diesem  Spitzbogen,  von  dem  rot-  und  gold- 
funkelnden Schatten  aus  gesehen,  in  dem  wir  uns  be- 
finden, wirkt  dies  alles  wie  ein  orientalisches,  sehr 
phantastisches  Gemälde,  wie  ein  sehr  durchsichtiges 
Fächergemälde. 

Es  hält  sich  hier  niemand  mehr  auf,  der  dies  betrach- 
ten könnte,  was  einst  die  Augen  der  Kaiser  erfreut  haben 
muß;  der  kleine  Teehändler  am  Eingang  hat  nicht  ein- 
mal mehr  Zuspruch.  Lange  stehe  ich  hier  allein  unter 
den  schönen,  bald  einstürzenden  Decken,  während  ein 
Hirte  mein  Pferd  auf  dem  Hof,  zwischen  dem  Brom- 
beergesträuch, dem  Mohn  und  dem  Windhafer  am 
Zügel  hält. 

Eine  halbe  Stunde  weiter  entfernt,  in  den  Feldern 
von  weißem  Mohn  und  Veilchen,  erhebt  sich  ein  zwei- 
ter Palast,  eine  zweite  Liebhaberei  eines  Herrschers, 
ein  zweiter  Thronplatz.  Er  nennt  sich  „das  Haus  der 
Spiegel",  und  seinerzeit  wird  er  einem  Palast  von  Rauh- 
reif und  Eiszapfen  geglichen  haben;  er  ist  gänzlich  ver- 
fallen, aber  an  den  noch  übriggebliebenen  Teilen  des 
Gewölbes  glänzen  tausende  von  Spiegelstückchen,  die 
das  Alter  oxydiert  hat,  gleich  Salz.  Ein  bescheidener 

15»  227 


Tee-  und  Kuchenverkäufer  steht  im  Schatten  dieser 
Ruine,  und  meine  Ankunft  stört  eine  Gesellschaft  von 
gespensterhaften  Frauen,  sie  hatten  sich  fröhlich  zu 
einer  kleinen  Mahlzeit  im  Gras  auf  dem  Hofe  nieder- 
gelassen, aber  jetzt  verstummen  sie  und  senken  vor 
meinem  Anblick  ihren  Schleier  herab. 

Wie  immer  muß  ich  vor  Sonnenuntergang  in  die 
Stadt  zurückgekehrt  sein.  Übrigens  ist  der  Abend  nach 
einem  so  strahlenden  Mittag  traurig,  ein  Wind  hat  sich 
erhoben,  der  aus  der  Richtung  der  Schneefelder  kommt, 
er  führt  eine  leise  Erinnerung  an  den  Winter  mit  sich, 
während  gleichzeitig  die  Wolken  am  Himmel  dahin- 
ziehen. 

Auf  dem  schmalen  Pfade,  auf  dem  ich  zurückkehre, 
inmitten  der  Kornfelder,  der  Kornblumen  und  des 
Mohns  schreitet  eine  Frau  mir  entgegen,  sie  ist  natür- 
lich ganz  schwarz  und  trägt  eine  weiße  Maske,  sie  geht 
langsam  mit  gesenktem  Kopf,  man  könnte  sagen,  sie 
schleppe  sich  dahin :  irgendeine  arme  Alte,  die  zum  letz- 
tenmal den  Monat  Mai  erlebt,  und  ihr  Nahen  stimmt 
mich  traurig . . .  Hier  steht  sie  zwei  Schritte  vor  mir,  die 
einsame,  müde  Spaziergängerin  . . .  Ein  Windstoß  zerrt 
an  ihrem  langen  Trauerschleier,  ihre  weiße  Maske  löst 
sich  und  fällt  zu  Boden I...  Ah!  welch  ein  Lächeln 
fange  ich  auf  zwischen  den  strengen  schwarzen  Fal- 
ten!.. .  Sie  ist  zwanzig  Jahre  alt,  sie  ist  eine  kleine 
Schönheit,  drollig  und  schelmisch,  mit  ihren  runden, 
rosenroten  Wangen,  Onyxaugen,  die  aus  dem  Flaum 
des  Rabengefieders  gemacht  zu  sein  scheinen,  ganz  wie 
die  Sultaninnen  auf  den  alten  Schachteln...  Wovon 
mochte  sie  träumen,  diese  kleine  Person,  da  sie  eine  so 
schmerzliche  Haltung  zeigte? . . .  Halb  beschämt  über 

238 


ihr  Mißgeschick,  halb  belustigt,  schenkt  sie  mir  ein 
reizendes  Lächeln :  aber  sehr  schnell  befestigt  sie  wieder 
ihre  weiße  Maske  und  läuft  leichtfüßiger  als  ein  junges 
Zicklein  durch  die  Felder  dahin. 

Als  ich  um  fünf  Uhr  nachmittags  auf  der  Brücke  an- 
lange, herrscht  dort  ein  großes  Gedränge.  Alle  Freitag- 
Spaziergänger  kehren  eilends  zurück,  denn  in  Persien 
fürchtet  man  sich  immer  vor  der  Nacht;  rechts  und 
links  von  der  großen  Straße,  auf  den  beiden  überdach- 
ten Wegen,  die  gotischen  Klostergängen  gleichen,  zieht 
sich  eine  ununterbrochene  Kette  von  schwarzen  Frauen 
dahin,  ihre  müden  Babys  klammern  sich  an  sie,  und 
lassen  sich  ziehen. 

In  dem  Basar,  den  ich  durchkreuzen  muß,  bringt  die 
Rückkehr  von  dem  Felde  zu  dieser  Stunde  Leben  und 
Treiben  mit  sich,  und  dies  freut  mich,  denn  ich  kenne 
nichts  Traurigeres,  als  wenn  diese  zu  langen  Gewölbe 
an  den  Festtagen  von  einem  Ende  bis  zum  anderen  ver- 
ödet daliegen,  ohne  die  Pracht  der  Stoffe,  der  Sattel- 
zeuge, der  Waffen,  ohne  die  geöffneten  Läden. 

Mein  Weg  führt  durch  die  größten  aller  Gewölbe, 
durch  die  Gewölbe  des  Kaisers;  oben  an  den  Decken 
laufen  die  noch  immer  leuchtenden  Fresken  entlang,  die 
das  Bild  des  Herrschers  darstellen,  besonders  häufig 
aber  sieht  man  ihn  auf  den  Kuppeln,  auf  den  großen, 
die  Plätze  überdachenden  Kuppeln  verewigt:  der  Schah- 
Abbas  mit  seinem  langen,  bis  zum  Gürtel  herabwallen- 
den Bart,  wie  er  zu  Gericht  sitzt,  der  Schah-Abbas,  wie 
er  auf  die  Jagd  geht,  der  Schah-Abbas,  wie  er  in  den 
Krieg  zieht,  wohin  das  Auge  fällt,  überall  der  Schah- 
Abbas.  Ich  eile  vorwärts  in  der  geheimnisvollen,  schwei- 
genden   Begleitung    der    verschleierten    Frauen,    die 


229 


Heckenrosen  und  echte  Rosen  mit  sich  nach  Hause 
tragen.  Von  Zeit  zu  Zeit  wirft  die  Bogen tür  einer  Kara- 
wanserei oder  der  blaue  Bogen  einer  Moschee  einen 
Lichtstreifen  auf  den  Weg,  der  die  Dunkelheit  noch 
dunkler  erscheinen  läßt.  In  einer  Nische,  halb  versteckt 
durch  ein  ganz  vergoldetes  Gitter,  steht  ein  Mensch  mit 
weißem  Bart  und  einem  Gesicht,  das  hundert  Jahre  alt 
sein  könnte,  umgeben  von  einer  Schar  gespensterhafter 
Frauen;  es  ist  dies  ein  alter,  heiliger  Derwisch;  er  be- 
wacht eine  kleine  Wunderquelle,  die  hinter  dem  schönen 
Gitter  aus  dem  Felsen  hervorspringt,  er  füllt  die  bronze- 
nen Becher  mit  Wasser,  und  seine  vertrocknete  lland 
reicht  sie  durch  die  Stäbe  hindurch  der  Reihe  nach  den 
Damen,  diese  lüften  ein  wenig  den  Schleier  und  trinken 
darunter,  indem  sie  darauf  achten,  daß  ihr  Mund  nicht 
zum  Vorschein  kommt.  Dies  alles  trug  sich  bei  mattem 
Dämmerlicht  zu,  und  jetzt,  als  ich  den  Basar  verlasse, 
scheint  der  kaiserliche  Platz  durch  einige  rote,  benga- 
lische Flammen  erleuchtet  zu  sein.  Die  Sonne  wird 
untergehen,  denn  hier  stehen  die  Musikanten  mit  ihren 
langen  Trompeten  und  ihren  gewaltigen  Trommeln,  auf 
dem  gewohnten  Balkon  erwarten  sie  die  nahe  Stunde, 
bereit,  ihren  schreckeneinfiößenden  Gruß  in  die  Luft 
hinauszuschicken.  Aber  wo  sind  denn  all  die  Wolken 
geblieben?  Zweifellos  hält  sich  kein  bedecktes  Wetter 
in  diesem  Lande,  diese  trockene,  reine  Luft  saugt  die 
Dämpfe  auf.  Der  blaßgelbe  Himmel  ist  rein  und  klar 
und  gleicht  einem  riesengroßen  Topas,  und  an  den  ver- 
schiedenen Seilen  des  Platzes  wechselt  der  große  Reich- 
tum der  Glasuren  seine  Farbe,  wie  an  jedem  schönen 
Abend  breiten  sich  rosige  und  goldige  Tinten  über 
ihm  aus. 


230 


Mein  Gott!  ich  habe  mich  verspätet,  denn  dies  ist 
das  letzte  Erglühen  der  Minaretts  und  Kuppeln,  das 
Schlußbild  allen  Blendwerks;  die  Gebäude  erstrahlen 
in  rotem  Glanz,  die  Sonne  geht  unter . . .  Und  als  idh 
durch  die  große  Einöde,  über  den  Platz  dahinschreite, 
bricht  der  Lärm  der  Trompeten  dort  oben  los,  ächzend, 
stöhnend,  und  die  Trommelschläger  schlagen  den  Takt 
dazu,  und  ihr  Schlag  gleicht  dem  Rollen  des  Donners. 

Um  schnell  von  hier  in  das  russische  Haus  zurück- 
zugelangen, versuche  ich  den  Weg  durch  die  Gärten 
des  Zellen-Sultan;  man  wird  jetzt  allmählich  wissen, 
daß  ich  der  Fremde  bin,  den  der  Fürst  D  . . .  aufgenom- 
men hat,  und  vielleicht  läßt  man  mich  deshalb  passieren. 

Und  in  der  Tat,  an  allen  aufeinander  folgenden  Toren 
schauen  die  Wächter,  die  zwischen  den  Rosenbüschen 
ihre  Kalyan  rauchen,  mir  wortlos  nach.  Aber  ich  hatte 
nicht  vorausgesehen,  wie  bestrickend  und  reizvoll  diese 
Stunde  in  den  Blumenalleen  ist,  und  ich  empfinde  große 
Lust,  hier  länger  zu  verweilen.  Man  ist  wie  berauscht 
von  den  ungezählten  Rosen,  deren  Düfte  sich  abends 
unter  den  Bäumen  vereinen.  Und  der  Gesang  der 
Muezzine,  der  plötzlich  über  Ispahan  schwebt,  erscheint 
nach  dem  Blasen  der  Trompeten  von  einem  süßen, 
himmlischen  Klang,  man  könnte  glauben,  es  seien 
Orgeln  und  Glocken,  die  in  der  Luft  zusammenklingen. 

Da  es  mein  letzter  Tag  ist  (ich  reise  morgen),  so 
habe  ich  ausnahmsweise  die  Erlaubnis  erbeten,  in  später 
Abendstunde  umherzustreifen,  und  meine  Wirte  waren 
so  gütig,  die  Nachtwächter  benachrichtigen  zu  lassen, 
welchen  Weg  ich  einzuschlagen  gedächte,  damit  sie  mir 
die  schweren  Tore  mitten  in  den  Straßen  öffnen  kön- 
ten,  die  man  nach  Sonnenuntergang  verriegelt,  und  die 

23l 


einen    Verkehr   von    einem   Viertel    zum    andern   ver- 
hindern. 

Es  ist  ungefähr  zehn  Uhr,  als  ich  das  Haus  des  Für- 
sten verlasse,  zum  Erstaunen  der  Kosaken,  der  Wäch- 
ter an  dem  einzigen  Ausgang.  Und  sofort  tauchen  wir 
in  dem  Schweigen  und  in  der  Dunkelheit  unter.  Keine 
Hauptstadt  ruft  in  'dem  Maße  wie  das  nach th' che  Ispa- 
han  den  Eindruck  des  Todes  und  der  Verlassenheit  her- 
vor. Unter  den  Gewölben  klingen  die  Stimmen  viel  zu 
laut,  und  gleichsam,  als  befände  man  sich  in  einer 
Totengruft,  wirft  das  Pflaster  den  Schall  der  Tritte 
dumpf  zurück.  Zwei  Wächter  folgen  mir,  ein  dritter 
geht  mir  vorauf;  er  trägt  eine  drei  Fuß  hohe  Laterne, 
die  er  von  rechts  nach  links  schwingt,  um  mir  die 
Löcher,  die  Kloaken,  den  Schmutz  und  die  toten  Tiere 
zu  zeigen.  Zuerst  begegnen  wir  in  großen  Abständen 
ähnlichen  Fackeln,  sie  leuchten  einem  verspäteten  Reiter 
oder  einer  Schar  verschleierter  Frauen,  die  in  Begleitung 
eines  bewaffneten  Mannes  daherkommen,  und  dann 
zeigt  sich  bald  kein  einziger  Mensch  mehr  auf  den 
Straßen.  Schreckliche,  graugelbe  Hunde,  herrenlose 
Hunde;  sie  nähren  sich  von  Abfall,  schlafen  rudelweise 
an  dieser  oder  jener  Ecke  zusammen  und  knurren  den 
Vorübergehenden  an;  sie  sind  jetzt  die  einzigen,  leben- 
den Wesen  in  diesen  Straßen,  aber  sie  erheben  sich 
nicht  einmal,  sondern  begnügen  sich  damit,  den  Kopf 
aufzurichten  und  die  Zähne  zu  zeigen.  Sonst  rührt  sich 
nichts.  Außer  den  gespaltenen  Ruinen  auch  nicht  ein 
Haus,  das  nicht  furchtsam  verschlossen  wäre.  Bis  an 
die  Zähne  bewaffnet  schleicht  der  Wächter  des  Vier- 
tels auf  leisen  Babuschen  hinter  uns  her.  Wenn  man 
vor  der  eisenbeschlagenen  Tür  anlangt,  die  sein  Reich 

23a 


abgrenzt  und  den  Weg  versperrt,  ruft  er  mit  laut  tönen- 
dem Schrei  den  Wächter  herbei;  dieser  antwortet  zuerst 
aus  weiter  Ferne,  dann  kommt  seine  Stimme  immer 
näher,  und  schließlich  öffnet  sich  das  Tor  unter  lautem 
Geknarr  der  Schlüssel,  der  Riegel  und  der  rostigen 
Angeln.  Alsdann  betreten  wir  ein  neues  Reich  der  Schat- 
ten und  der  zusammenstürzenden  Ruinen,  während  die 
Tür  sich  hinter  uns  schließt  und  uns  plötzlich  noch 
mehr  von  dem  Hause  trennt,  aus  dessen  Bereich  wir 
uns  immer  weiter  entfernen.  Und  so  geht  es  fort,  kein 
Grabesviertel,  das  wir  durcheilen,  steht  in  Verbindung 
mit  dem  vorhergehenden,  aus  dem  wir  kommen.  In  den 
überdachten  Gegenden  herrscht  ein  Geruch  von  Schim- 
mel, Fäulnis  und  Unrat;  es  ist  dort  so  dunkel,  daß  man 
glauben  könnte,  man  befände  sich  zwanzig  Fuß  tief 
unter  der  Erde.  Aber  unter  freiem  Himmel  schaut  man 
das  Wunder  der  Sterne  Persiens,  mit  denen  sich  keine 
anderen  Sterne  der  Welt  vergleichen  können,  sie  er- 
scheinen noch  weit  strahlender  zwischen  den  gespalte- 
nen Mauerresten,  zwischen  den  Trümmerhaufen,  in 
dem  Rahmen  des  Verfalls  und  der  Schatten.  Alles  trägt 
dazu  bei,  diese  Atmosphäre  so  durchlässig,  so  leicht  zu 
machen,  daß  kein  funkelndes  Licht  zurückgehalten 
werden  kann :  Die  Höhe,  die  Nachbarschaft  dieser  Sand- 
wüsten, die  niemals  Wasserdünste  ausatmen.  Die  Sterne 
Persiens  haben  dasselbe  Feuer  wie  die  reinen  Diaman- 
ten, sie  haben,  sieht  man  genau  hin,  ein  buntes  Feuer, 
ein  rotes,  ein  violettes,  ein  bläuliches  Feuer.  Und  dann 
sind  sie  unzählig,  stellen  Tausende  von  Welten  dar, 
die  in  anderen  Gegenden  auf  unserer  Erde  nicht  sicht- 
bar sind,  die  aber  in  diesem  Lande,  aus  der  Tiefe  der 
Unendlichkeit  heraus,  zu  den  Menschen  hinabstrahlen. 


233 


Welch  ein  Gegensatz,  dieser  jämmerliche  Verfall 
hier  auf  dem  Boden!  Trümmerhaufen,  Schutt  und  Un- 
rat, das  ist  schließlich  ,alles,  was  von  diesem  Ispahan 
übriggeblieben  ist,  das  in  der  Ferne  und  unter  den 
Strahlen  der  Sonne  noch  die  große,  bezaubernde  Stadt 
spielt . . . 

Über  unseren  Köpfen  dehnen  die  Gewölbe  sich  aus, 
werden  immer  gewaltiger;  wir  erreichen  die  Stadt- 
viertel, die  der  Schah-Abbas  erbaut  hat,  und  jetzt 
machen  wir  vor  dem  Tor  einer  der  Ilauptadern  des 
Basars  halt.  Der  Wächter,  unser  Führer,  stößt  einen 
langgezogenen  Schrei  aus,  und  bald  antwortet  eine 
Stimme  in  der  Ferne,  eine  schleppende,  unheilverkün- 
dende Stimme,  die  ein  endloses  Echo  zurückwirft, 
gleichsam,  als  stieße  man  nachts  in  einer  Kirche  einen 
Hilferuf  aus.  Derjenige,  der  hinter  dem  Zedernportal 
steht,  antwortet,  daß  er  den  Schlüssel  nicht  finden 
könne,  daß  ein  anderer  ihn  behalten  habe,  und  so  weiter, 
Und  die  Hunde  der  Straße  werden  unruhig,  wachen 
überall  auf  und  stimmen  ein  Konzert  an,  ihr  Gebell 
pflanzt  sich  in  dem  klangreichen,  überdachten  Laby- 
rinth immer  weiter  fort  Inzwischen  aber  entfernt  sich 
der  Mann,  der  vorgibt,  den  Schlüssel  zu  suchen,  sei 
es  aus  bösem  Willen,  sei  es  aus  Angst,  sicher  aber  ist, 
daß  er  uns  das  Tor  nicht  öffnen  wird.  Deshalb  laßt 
uns  auf  einem  Umweg  durch  andere  Straßen  versuchen, 
endlich  das  Ziel  unseres  Ausfluges  zu  erreichen. 

Das  Ziel  ist  der  kaiserliche  Platz,  den  ich  ein  letztes 
Mal  vor  meiner  Abreise  in  dunkler  Nacht  sehen  möchte. 
Endlich  liegt  dieser  Platz  vor  uns,  man  hat  uns  das 
hohe  Tor  des  Färberbasars  geöffnet,  und  schwach  be- 
leuchtet von  all  den  kleinen,  dort  oben  funkelnden  Dia- 


234 


manten,  erscheint  er  noch  größer,  als  bei  hellem  Tages- 
licht Eine  ganze  Karawane  schläft  dort  an  einem  der 
Torflügel,  die  starke  Ausdünstung  der  knienden  Kamele 
trübt  die  reine  Luft;  und  ringsumher  liegen  die  Wäch- 
ter, gleichsam  als  befände  man  sich  auf  freiem  Felde. 
Außerdem  schreiten  einige  gespensterhafte  Frauen  in 
zwei  kleinen  Abteilungen  durch  diese  Einöde,  beiden 
geht  ein  Laternen  träger,  gehen  Wächter  vorauf:  Die 
Frauen  kehren  sicher  von  einem  Fest,  von  irgendeinem 
Haremsfest  zurück,  zu  dem  die  Ehemänner  keinen  Zu- 
tritt haben,  und  das  im  Innern  der  fast  verschlossenen 
Wohnungen  gefeiert  wird.  Einen  dieser  geheimnisvollen 
Trupps  sehen  wir  in  weiter  Ferne,  ganz  hinten  am  an- 
deren Ende  des  Platzes  vorübergehen,  fast  könnte  man 
glauben,  es  sei  ein  Zug  winziger  Zwerge.  Man  hört  das 
Rufen,  das  Klopfen  an  den  Toren  des  Viertels,  die  ge- 
öffnet werden  sollen,  und  dann  ertönt  das  Knarren  der 
Riegel,  und  die  beiden  dunklen  Flecke,  der  eine  nach 
dem  anderen,  tauchen  in  den  gewölbten  Gängen  unter, 
wir  bleiben  allein  mit  der  schlafenden  Karawane  zu- 
rück, allein  auf  dem  großen,  auf  dem  zu  dieser  Stunde 
erhabenen  Platze,  zwischen  den  symmetrischen  Rei- 
hen der  gemauerten  Arkaden. 

Während  der  Platz  gewachsen  zu  sein  scheint,  ist 
die  kaiserliche  Moschee  dort  unten,  deren  Umrisse  sich 
scharf  von  dem  bläulichen  Himmel  abheben,  zusam- 
mengeschmolzen, ist  kleiner  geworden,  —  wie  es  auch 
mit  den  Bergen  und  Denkmälern  geht,  wenn  man  sie 
zur  nächtlichen  Stunde  aus  weiter  Ferne  betrachtet 
Aber  sobald  man  sich  ihr  nähert,  sobald  sie  ihre  Be- 
deutung in  dem  Raum  einnimmt,  wächst  sie  zu  einem 
Wunder  an,  das,  durch  diese  unnatürliche  Klarheit  ge- 

235 


sehen,  inmitten  der  Abgeschiedenheit  und  des  ewigen 
Schweigens,  noch  überraschender  wirkt  Die  Sterne,  die 
kleinen  bunt  schillernden  Diamanten  lassen  ihr  fun- 
kelndes Licht  von  oben  aus  der  unermeßlichen  Leere 
auf  sie  herabfallen,  lassen  ihre  Fayencen,  ihre  glatten 
Flächen,  die  Bogen  ihrer  Kuppeln  und  ihrer  spindel- 
förmigen Türme,  in'  mattem  Glanz  erstrahlen.  Und  sie 
versteht  es  auch  jetzt  noch,  ihr  Blau  zur  Geltung  zu 
bringen,  wo  alle  anderen  Farben  auf  der  Erde  verblaßt 
sind;  ganz  blau  hebt  sie  sich  von  den  Tiefen  des  nächt- 
lichen Himmels  ab,  die  neben  ihrer  Glasur  fast  schwarz, 
von  einem  sternenbesäten  Schwarz  erscheinen.  Und  man 
könnte  sagen,  sie  sei  zu  Eis  erstarrt,  denn  nicht  nur 
begegnet  uns  wie  immer  ein  Friede  unter  ihren  Mauern, 
sondern  sie  ruft  auch  den  Eindruck  hervor,  als  strahle 
sie  Kälte  aus. 

Sonnabend,  19.  MaL 

Heute  morgen  um  sieben  Uhr,  bei  herrlichstem 
Sonnenschein,  schreite  ich  zum  letztenmal  durch  den 
Garten,  der  von  den  schönen  Ispahanrosen  über- 
schwemmt wird.  Hier  habe  ich  mich  eine  Woche  aus- 
geruht Jetzt  reise  ich  ab,  setze  meinen  Weg  nach  dem 
Norden  fort  Und  wahrscheinlich  werde  ich  meine 
liebenswürdigen  Wirte  niemals  wiedersehen,  mit  denen 
ich  diese  Abende  in  einer  fast  vertraulichen  Gemein- 
schaft verbracht  habe. 

Obgleich  von  hier  nach  Teheran  kaum  ein  richtiger 
Weg  führt,  so  werde  ich  doch  zu  Wagen  reisen,  denn 
mein  armer  französischer  Diener,  der  noch  sehr  von 
den  ausgestandenen  Strapazen  mitgenommen  ist,  würde 

336 


gar  keinen  Ritt  vertragen.  Vor  der  Tür  steht  mein  selt- 
samer Wagen  schon  angespannt;  eine  Art  Viktoria,  von 
besonders  starker  Bauart,  deren  Federn  durch  Stricke 
befestigt  und  verstärkt  sind;  in  Frankreich  würde  man 
ein,  höchstens  zwei  Pferde  davorspannen ;  hier  gibt  man 
mir  vier,  vier  kräftige  Pferde  zum  Ziehen,  sie  tragen  ein 
buntes,  mit  Kupfer  beschlagenes  Sattelzeug,  so  wie  es 
in  Persien  gebräuchlich  ist.  Auf  dem  Bock  haben  zwei 
Männer  Platz  genommen,  beide  sind  mit  Revolvern  be- 
waffnet, der  Kutscher  und  sein  Gehilfe,  der  stets  bereit 
sein  muß,  im  kritischen  Augenblick  an  die  Spitze  des 
Gespanns  zu  springen.  Acht  Pferde  folgen,  sie  tragen 
mein  Gepäck  und  meine  Perser;  die  kleineren  Sachen, 
die  ich  hinten  am  Wagen  befestigt  hatte,  muß  ich  auf 
Befehl  des  Kutschers  bis  auf  die  Hälfte  vermin- 
dern, „denn",  sagt  er,  „wenn  wir  umschmeißen  soll- 
ten . . ." 

Wir  gebrauchen  fast  eine  Stunde,  um  aus  dem  Laby- 
rinth Ispahans  hinauszugelangen,  wo  unsere  Pferde,  die 
es  gar  zu  eilig  haben,  möglichst  viel  Unheil  in  den  engen 
Straßen  anstiften,  sie  fahren  gegen  die  Schauläden  oder 
werfen  beladene  Maultiere  um.  Bald  geht's  durch  das 
Dunkel  der  Basare,  bald  unter  strahlendem  Himmel 
zwischen  den  Ruinen  im  schnellen  Trab  hindurch,  der 
Wagen  rumpelt  über  die  Steine  dahin,  man  schnellt  em- 
por und  könnte  fast  die  Knochen  zerbrechen.  Bettler 
laufen  neben  uns  her,  sie  werfen  uns  Rosen  zu  und 
wünschen  uns  glückliche  Reise. 

Darauf  folgt  das  freie  Land,  das  frische  Grün  der 
Pappeln  und  der  Weiden,  die  junge  Farbe  der  Gersten- 
felder, die  ganz  mit  Kornblumen  übersät  sind,  das 
weiße  Licht  der  Mohngärten. 

287 


Um  zwölf  Uhr  befinden  wir  uns  von  neuem  inmitten 
des  Staubes  und  des  gewöhnlichen  Verfalls  irgendeiner 
Karawanserei,  wo  wir  eingekehrt  sind;  —  in  weiter 
Ferne  verschwindet  die  Stadt  der  blauen  Kuppeln,  die 
Stadt  der  taubenfarbenen  Ruinen  hinter  uns. 

Und  während  der  Abendetappe  sehen  wir  uns  wie- 
der in  der  Wüste,  in  'der  Wüste,  die  wir  auf  dem  Wege 
nach  Teheran  nicht  mehr  vermuteten,  eine  wirkliche 
W'üste  mit  weiten  Sandflächen,  mit  flimmerndem  Licht, 
mit  Karawanen  und  Luftspiegelungen,  —  mit  den 
schönen  blauen  Seen,  die  drei  iMinuten  sichtbar  sind,  die 
uns  anlocken  und  dann  wieder  verschwinden  . . .  Durch 
dies  alles  im  Wagen  durchzufahren,  im  scharfen 
Trab  über  die  Pfade  der  Kameltreiber  dahinzurollen, 
das  ist  wirklich  für  mich  eine  ganz  neue,  seltene  Be- 
gebenheit 

Sonntag,  20.  MaL 

Mourchakar  heißt  das  Dorf,  in  dem  wir  diese  Nacht 
geschlafen  haben,  und  unser  Wagen  hat  Aufsehen  er- 
weckt; als  er  gestern  abend  ausgespannt  vor  der  Tür 
der  Karawanserei  stand,  sprangen  die  vom  Felde  zu- 
rückkehrenden Tiere  zur  Seite,  sie  fürchteten  sich,  ihm 
zu  nahe  zu  kommen. 

Den  ganzen  Tag  sind  wir  ohne  ernste  Schwierig- 
keiten in  scharfem  Trab  durch  diese  ziemlich  „befahr- 
bare" Wüste  über  den  alten  persischen  Boden,  über  die 
harte  Erde  dahingerollt,  über  einen  Teppich  von  süß- 
duftenden Blumen,  wie  wir  ihnen  seit  Chiraz  schon  so 
oft  begegnet  sind.  Die  Berge  rechts  und  links  mit  ihren 
Schneegefilden  scheinen  wir  schon  zu  kennen;  ein  §to- 

338 


ßes  Gewirr  von  Felsen,  niemals  zeigen  sie  das  geringste 
Grün,  sie  erinnern  an  all  die  anderen,  die  sich  vor  vielen 
Tagen  als  eine  eintönige  Kette  zu  beiden  Seiten  unseres 
Weges  hinzogen. 

Und  abends  sahen  wir  in  einem  Tal  eine  frische, 
kleine  Oase  liegen,  das  Dorf  ist  nicht  mehr  befestigt,  es 
scheint  sich  nicht  mehr  zu  fürchten,  wie  die  anderen 
Dörfer  in  den  südlichen  Gegenden,  es  breitet  sich  im 
Gegenteil  friedlich  am  Ufer  eines  Bache3,  zwischen  den 
Obstbäumen  und  den  Blumen  aus. 

Aber  welch  ein  ungewöhnliches  Treiben  herrscht 
vor  seinem  Eingang,  in  der  Ebene!  Es  muß  irgendeine 
große  Persönlichkeit  sein,  die  mit  einem  Gefolge  von 
Satrapen  reist:  sechs  Wagen,  ungefähr  zwanzig  von  den 
mit  rotem  Tuch  bedeckten  Holzkäfigen,  in  denen  die 
Frauen  auf  den  Rücken  der  Maultiere  eingeschlossen 
sitzen,  wenigstens  fünfzig  Pferde,  herrliche  Zelte,  die 
auf  dem  Gras  errichtet  sind;  und  zwischen  den  Bäumen 
hat  man  Stoffe  aufgehängt,  sie  schließen  einen  kleinen 
Wald  ein,  augenscheinlich,  um  den  Harem  des  durch- 
reisenden Herrn  vor  den  Blicken  der  Menschen  zu 
schützen.  —  Man  erzählt  uns,  e3  sei  ein  neuer  Vezir, 
der  von  Teheran  nach  Fars  geschickt  wird,  um  diese 
Provinz  zu  regieren,  und  der  sich  jetzt  auf  seinen  Posten 
begibt  Die  ganze  Karawanserei  ist  von  seinem  Gefolge 
besetzt,  so  ist  es  unnötig,  dort  nach  einem  Raum  für  uns 
zu  fragen. 

Aber  niemals  haben  Dorfbewohner  uns  so  gast- 
freundlich empfangen,  wie  es  diese  tun,  die  jetzt  einen 
Kreis  um  uns  bilden  —  alle  in  langen,  gemusterten  per- 
sischen Kleidern,  sehr  strammsitzend  in  der  Taille,  mit 
weiten,  wallenden  Ärmeln,  mit  großen  Hüten,  die  man 

23Q 


weit  zurückschiebt  auf  dem  fast  immer  edlen,  schönen 
Kopf.  Man  streitet  sidh  darum,  wer  uns  sein  Haus  öff- 
net, und  wer  uns  unser  Gepäck  nachträgt 

Das  Lehmzimmerchen,  das  wir  dankend  annehmen, 
liegt  auf  einer  Terrasse  und  sieht  in  einen  Obstgarten 
hinab,  der  voller  Kirschbäume  steht,  und  durch  den  die 
fließenden  Bäche  dahinrauschen.  Es  ist  sehr  sauber,  mit 
Kalk  geweißt  und  mit  bescheidenen  Spiegelmosaiks  ver- 
ziert, die  hier  und  dort  in  der  Mauer  eingelassen  sind. 
Auf  dem  Kamin,  zwischen  den  orientalischen  Karaffen 
und  den  kupfernen  Kästchen,  hat  man  vorjährige  Gra- 
naten und  Äpfel  in  einer  geraden  Reihe  hingelegt,  ganz 
so  wie  es  in  Frankreich  die  Bauern  tun.  Hier  heoTscht 
nicht  mehr  die  einfache  Derbheit  der  südlichen  Oasen, 
man  fühlt  sich  nicht  mehr  so  weit  von  der  Heimat  ent- 
fernt; viele  Sachen  erinnern  fast  an  die  Dörfer  bei  uns. 

Montag,  21.  Mal 

Morgens  bewegt  ein  frischer  Windhauch  die  Kirsch- 
bäume und  drückt  die  grünen  Ähren  nieder,  das  Lager 
der  Satrapen  erwacht,  und  es  beginnen  die  Vorberei- 
tungen zum  Aufbruch,  zuerst  springen  die  schönen  Vor- 
reiter mit  geschultertem  Gewehr  in  die  Sättel,  deren 
Knöpfe  in  silbernem  oder  perlmutterartigem  Glanz  er- 
strahlen, und  die  mit  goldenen  Fransen  besetzt,  mit 
Gold  bestickt  sind.  Im  Galopp  sprengen  die  Reiter  ein- 
zeln davon.  Und  dann  nimmt  man  die  Staatskutschen  in 
Angriff,  vier  Pferde  werden  vorgespannt,  zwanzig  Die- 
ner; silbergalonierte  Leute,  mit  hohen  Stiefeln  und  lan- 
gen Tuniken,  ganz  nach  der  tscherkessischen  Mode  ge- 
kleidet, sind  dabei  angestellt 

a4o 


Beim  Schreibunterricht 


Der  Satrap  sitzt  vornehm  und  müde  in  dem  Grase, 
neben  seinen  schönen,  jetzt  bald  zum  Aufbruch  fertigen 
Wagen,  er  raucht  nachlässig  seine  Kalyan,  aus  ziselier- 
tem Silber,  die  von  zwei  Dienern  gehalten  wird.  Man 
spannt  sechs  Pferde  vor  seinen  Wagen,  vier  an  die 
Deichsel  und  zwei  davor,  auf  denen  die  Vorreiter  in 
ihren  silbergesticklen  Gewändern  sitzen.  Und  sobald 
der  Gebieter  alleine  in  seine  prachtvoll  ausgestattete 
Karosse  gestiegen  ist,  fährt  alles  im  gestreckten  Galopp 
der  Wüste  zu,  wo  der  Vortrupp  sich  schon  in  der  Ferne 
verliert 

Aber  uns  interessiert  besonders  der  Harem,  der 
Harem,  der  jetzt  auch  hinter  den  eifersüchtigen  Vor- 
hängen seine  Vorbereitungen  trifft;  wir  hegen  die  un- 
bestimmte Hoffnung,  daß  irgendeine  Schöne,  dank  der 
Zwanglosigkeit  des  Lagerlebens,  ihr  Gesicht  zeigen 
wird;  den  kleinen  Wald,  in  dem  sie  alle  eingeschlossen 
sind,  verhüllen  noch  immer  die  undurchsichtigen  Vor- 
hänge, aber  man  sieht,  daß  dahinter  ein  großes  Treiben 
herrscht,  Eunuchen  laufen  herein  und  heraus,  sie 
schleppen  Säcke  und  Schleier,  tragen  auf  goldenen  Tel- 
lern Leckerbissen  herbei.  Augenscheinlich  werden  die 
Gefangenen  gleich  erscheinen. 

Die  Sonne  steigt  höher  am  Himmel,  und  ihre  Wärme 
erfüllt  uns  mit  Wohlbehagen;  im  weiten  Umkreis  ist 
das  Gras  mit  Blumen  besät,  man  hört  das  Rauschen 
der  Bäche,  man  atmet  den  Duft  der  wilden  Krause- 
minze ein,  und  auf  den  Bergen  glitzert  der  Schnee;  es 
ist  angenehm  hier  zu  warten,  und  deshalb  laßt  uns 
bleiben . . . 

Endlich  lösen  die  Vorhänge  sich  alle  zugleich,  durch 
die  gemeinsame  Handhabe  der  Eunuchen,  und  fallen  zu 

16     Per 6ien.  2  4  I 


Boden.  Ach,  das  ist  eine  große  Enttäuschung.  Wohl 
sehen  wir  die  schönen  Frauen,  ungefähr  zwanzig  an  der 
Zahl,  aber  alle  stehen  sie  gerade,  steif  da,  von  Kopf  bis 
zu  Füßen  in  ihre  schwarzen  Schleier  gehüllt,  das  Ge- 
sicht bedeckt  durch  eine  Maske:  dieselben  ewig  gleichen 
Schatten,  denen  wir  schon  überall  begegneten. 

Wir  wollen  aber  wenigstens  jetzt  ihrem  Aufbruch 
beiwohnen,  da  wir  schon  eine  volle  Stunde  verloren 
haben.  Die  Frauen,  die  die  vierspännigen  Karossen  be- 
steigen, müssen  Prinzessinnen  sein,  man  sieht  es  an 
ihren  kleinen  Füßen,  an  den  kleinen  behandschuhten 
Händen,  an  den  Edelsteinen,  die  hinten  am  Kopf  die 
weiße  Maske  zusammenhalten.  Die  anderen  dagegen 
sind  untergeordnete  Gattinnen  oder  Dienerinnen,  sie 
klettern  zu  zweien  auf  die  Rücken  der  Maultiere,  in  die 
mit  rotem  Tuch  ausgeschlagenen  Käfige.  Und  alle  ent- 
fernen sich  unter  Aufsicht  der  Eunuchen  auf  demselben 
Wege  nach  der  Küste  zu,  den  der  Satrap  eingeschlagen 
hat,  und  dessen  Pferde  noch  immer  dahinjagen  müssen, 
denn  sein  Wagen  ist  nur  als  schwacher  Punkt  ganz 
hinten  in  der  strahlenden  Ferne  sichtbar. 

Jetzt  brechen  wir  selbst  in  der  entgegengesetzten 
Richtung  auf.  Sofort  befinden  wir  uns  mitten  in  der 
Einöde,  wir  folgen  von  neuem  den  Pfaden  der  Kara- 
wanen, die  sich  in  dem  Maße,  wie  wir  vorwärtsdringen, 
immer  mehr  mit  Schädeln  und  Gerippen  bedecken,  die 
einem  endlosen  Friedhof  für  Maultiere  und  Kamele 
gleichen. 

Dort  kreuzen  wir  die  verspätete  Nachhut  des  Ve- 
zirs:  dieselben  bewaffneten  Reiter,  dieselben  roten 
Tragsessel,  in  denen  die  Frauen  gefangen  sitzen,  sehr 
große  Tragsessel,   die  auf  zwei  zusammengekoppelten 

a  4a 


Maultieren  ruhen,  und  zu  deren  kleinen  Fenstern  die 
schönen  Reisenden  hinausblicken,  um  uns  vorüber- 
fahren zu  sehen;  den  Schluß  bilden  eine  endlose  Reihe 
Lasttiere,  sie  tragen  eingelegte  oder  ziselierte  Kästchen, 
Ballen,  mit  wunderbaren  Teppichen  bedeckt,  Kupfer- 
geschirr, Silbergeschirr,  silberne  Karaffen,  große  sil- 
berne Teller. 

Und  dann  begegnen  wir  auf  dem  harten  Lehmboden 
der  Wüste  keinem  menschlichen  Wesen,  bis  wir  um  die 
Mittagsstunde  in  einer  traurigen,  einsam  gelegenen  Ka- 
rawanserei haltmachen,  wir  sind  umgeben  von  Skelet- 
ten, von  Kinnladen  und  von  Wirbelknochen  und  finden 
hier  nicht  einmal  das  nötigste  Futter  für  unsere  Pferde. 

Nachmittags  dehnt  sich  die  Wüste  schwärzlich  zwi- 
schen zwei  Bergketten  von  derselben  Farbe  aus,  deren 
Felsen  große  Brüche  und  den  Glanz  von  Steinkohlen 
zeigen.  Und  plötzlich  glaubt  man  den  Ozean  sich  auf 
unserem  Wege  unter  den  seltsam  dunklen  Wolken  aus- 
breiten zu  sehen :  Es  sind  dies  die  tief  gelegenen  Ebenen 
(natürlich  im  Verhältnis  zu  uns,  denn  sie  liegen  noch 
tausend  Meter  über  dem  Meeresspiegel) ;  und  in  der 
Luft  erheben  sich  gewaltige  Staub-  und  Sandwolken, 
ein  furchtbarer  Wind,  der  sich  jetzt  auch  uns  nähert, 
hat  sie  emporgewirbelt 

Gewöhnlich,  wenn  ein  zu  steiler  Hügel  unseren  Weg 
versperrt,  den  unser  Gespann  vielleicht  nicht  zu  erklim- 
men vermag,  so  treibt  unser  Kutscher  seine  vier  Pferde 
in  wütendem  Lauf  vorwärts,  er  spornt  sie  durch  Rufe 
an  und  peitscht  mit  beiden  Armen  auf  sie  los.  Bei  den 
Abstiegen  im  Gegenteil  hält  er  sie  nach  Leibeskräften 
zurück,  aber  diesmal  stürzen  sie  wie  zu  einem  Aufstieg 
davon,  und  wir  rollen  mit  einer  schwindelerregenden 

16«  ^43 


Geschwindigkeit  in  die  Ebene  hinab,  der  Wind  nimmt 
uns  den  Atem,  und  der  Staub  brennt  in  den  Augen.  Nie- 
mals habe  ich  wirkliche  Wolken  so  dicht,  so  schwarz 
gesehen,  wie  es  diejenigen  sind,  die  uns  jetzt  entgegen- 
fliegen, um  uns  in  ihren  dunklen  Mantel  einzuhüllen. 
Hier  und  dort  steigen  Sandhosen  so  kerzengerade  wie 
Rauchsäulen  von  der  Erde  auf,  sie  scheinen  ohne  Glanz, 
ohne  Flamme  zu  brennen.  Die  neue  Wüste,  in  die 
wir  so  schnell  hinabgefahren  sind,  ist  voller  Dunkelheit, 
voll  Luftspiegelungen,  ihre  ganze  Oberfläche  zittert  und 
verändert  sich;  es  liegt  etwas  Schreckliches,  etwas 
Furchteinflößendes  in  der  Luft;  übrigens  ist  der  Wind 
glühend,  man  kann  nicht  mehr  atmen;  die  Sonne  ver- 
dunkelt sich,  man  möchte  von  hier  entfliehen,  und  auch 
die  Pferde  leiden,  ein  unbestimmter  Schrecken  beflügelt 
ihren  Lauf. 

Geblendet,  den  Mund  voller  Sand,  kommen  wir  un- 
ten an,  und  da  liegt  glücklicherweise  auch  der  kleine, 
einsame  Weiler,  wo  wir  die  Nacht  verbringen  werden, 
es  war  Zeit:  zehn  Schritte  vor  uns  konnten  wir  nichts 
mehr  unterscheiden,  die  Sonne,  die  noch  hoch  am  Him- 
mel steht,  ist  nur  eine  matte,  gelbe  Scheibe,  ist  so  dun- 
kel, wie  eine  durch  den  Rauch  gesehene  Lampenkuppel. 
Eine  Sonnenfinslernis  oder  der  Weltuntergang  scheint 
sich  auf  uns  herabzusenken.  In  einer  Art  Grotte  aus 
geschwärztem  Lehm,  dem  Zimmer  der  Karawanserei, 
dringt  der  Sand  durch  die  Löcher  hinein,  die  als  Tür 
und  Fenster  dienen,  man  erstickt,  —  und  trotzdem  müs- 
sen wir  hierbleiben,  denn  draußen  würde  es  noch 
schlimmer  sein;  hier  ist  der  einzig  geschützte  Platz 
gegen  die  glühende,  dunkle  Wolke,  die  sich  draußen 
über  die  weite  Einöde  lagert 

a44 


Dienstag,   22.  MaL 

Die  Nebel  gestern  abend,  der  dumpfe,  brennende 
Sturm  müssen  ein  böser  Traum  gewesen  sein.  Beim 
Erwachen  heute  morgen  ist  alles  ruhig,  die  Luft  hat  ihre 
tiefe  Durchsichtigkeil  wiedererlangt,  und  der  Tag  bricht 
strahlend  an.  Um  den  Weiler  dehnt  sich  die  rosenrote 
Sandwüste  aus;  und  die  tierge,  die  wir  bei  unserer  An- 
kunft nicht  gesehen  hatten,  liegen  hier  ganz  in  der  Nähe 
und  ragen  mit  ihren  weißen  Schneegipfeln  in  den  Him- 
mel hinauf. 

Unsere  heutige  Etappe  verspricht  leicht  zu  werden, 
denn  die  Sandflächen  liegen  gleich  einer  ebenen  Land- 
straße vor  uns,  eine  Landstraße,  die,  fünf  bis  sechs  Mei- 
len breit,  sich  in  uneudlicher  Länge,  zwischen  den  bei- 
den uns  immer  noch  folgenden  Bergketten,  erstreckt 

Und  die  Etappe  wird  auch  kurz  sein,  höchstens  ein 
Dutzend  Meilen;  heute  abend  erreichen  wir  die  große 
Stadt  Kachan;  sie  wurde  einst  von  der  Gemahlin  des 
Kalifen  üarun-ai-Raschid,  der  Sultanin  Zobeide,  ge- 
gegründet, von  der  Suitanin,  die  uns  aus  „Tausendund- 
einer Nacht"  bekannt  ist 

Den  ganzen  Vormittag  verfolgen  wir  die  mit  Kno- 
chen besäten  Pfade,  lautlos  rollen  wir  über  den  weichen 
Sand  dahin,  der  hier  den  gewohnten  Lehm-  und  Stein- 
boden ersetzt  Ein  beständiges  Zittern,  der  Vorläufer 
der  Luftspiegelungen,  bewegt  die  überhitzte  Ferne; 
oben  heben  die  Gipfel  sich  mit  wunderbarer  Klarheit, 
mit  einer  herrlichen  Farbenpracht  von  dem  Himmel  ab, 
während  auf  der  Erde,  über  dem  Sand,  der  unter  unse- 
ren Wagenrädern  einsinkt,  alles  Unbestimmtheit,  alles 
Flimmern  ist  Und  gegen  Mittag  beginnen  die  anmuti- 

245 


gen  Luftspiegelungen  um  uns  herum,  von  denen  wir  uns 
jetzt  aber  nicht  mehr  tauschen  lassen,  beginnt  das  Ver- 
steckspiei  der  kleinen  blauen  Seen,  die  hier,  die  dort 
auftauchen,  die  verschwinden,  an  anderer  Stelle  er- 
scheinen, um  wieder  zurückzukehren... 

Aber  gegen  Abend  erhebt  sich  wie  gestern  ein 
Wind,  und  sofort  fliegt  der  Sand  auf;  die  Kämme  der 
uns  umgebenden  Dünen  scheinen  zu  rauchen.  Staub- 
wolken, Staubhosen  bilden  sich,  die  Sonne  leuchtet 
gelblich  und  erblaßt;  von  neuem  herrscht  unter  dem 
schrecken  einflöß  enden  Himmel  eine  Sonnenfinsternis. 

Man  befindet  sich  auf  einem  ausgestorbenen  Pla- 
neten, der  nur  den  Schatten  einer  Sonne  kennt;  der  Ge- 
sichtskreis hat  sich  mit  einer  erschreckenden  Ge- 
schwindigkeit verkleinert;  zwei  Schritte  vor  uns  liegt 
alles  in  einem  gelben  Nebel  gebadet,  kaum  unterscheidet 
man  die  Mähnen  der  Pferde,  die  der  Wind  wie  Furien- 
haare zerzaust  Man  erkennt  die  Pfade  nicht  wieder, 
man  ist  geblendet,  man  erstickt . . . 

—  Ich  sehe  nichts,  ich  sehe  Kachan  nicht,  ■ —  ruft 
uns  der  Kutscher  zu,  der  den  Kopf  verloren  hat,  und 
dessen  Mund  sich  bei  diesen  drei  Worten  ganz  mit 
Sand  füllt. 

Wir  glauben  gern,  daß  er  Kachan  nicht  findet,  schon 
vor  dem  Sturm  sah  das  Auge  ja  nichts  als  die  Wüste . . . 
Das  Gespann  hält  an.  Wer  sagt  uns,  wo  wir  sind,  und 
was  soll  daraus  werden?  ■ 

Dies  muß  eine  Halluzination  sein:  wir  glauben  das 
Läuten  von  Kirchenglocken  zu  vernehmen,  von  großen 
Glocken,  zahllosen  Glocken,  die  sich  uns  immer  mehr 
nähern ...  bis  sie  unmittelbar  vor  uns  ertönen . . .  Und 
plötzlich  taucht  ein  Kamel  auf,  es  streift  uns  fast,  ein 

246 


phantastisch  aussehendes  Tier,  dessen  Umrisse  im 
Nebel  verschwimmen.  An  seinen  Seiten  sohaukeln 
Kupfergefäße,  sie  schlagen  mit  dem  Lärm  einer  großen 
Glocke  aneinander.  Ein  zweites  folgt,  gebunden  an  den 
Schwanz  des  ersten,  und  dann  drei,  und  dann  fünfzig, 
und  dann  hundert;  alle  sind  mit  Schalen,  mit  Gefäßen, 
mit  Krügen,  mit  vieigeformten,  kupferroten  Sachen  be- 
laden, die  einen  Höllenlärm  verursachen,  Kachan  ist  im 
walirsten  Sinne  des  Wortes  die  Stadt  der  Kupferarbei- 
ter, sie  versorgt  die  Provinz  und  die  Nomaden  mit  den 
Wirtschaftegeräten,  die  in  ihren  Basaren  gehämmert 
werden;  täglich  befrachte!  sie  ähnliche  Karawanen,  und 
diese  machen  sich  noch  von  weitem  im  ganzen  Um- 
kreis der  großen  Einöde  hörbar. 

—  Wo  ist  Kachan?  fragt  unser  Kutscher  eine 
menschliohe  Erscheinung,  die  einen  Augenblick  auf 
dem  Rücken  eines  Kamels  über  einem  Haufen  von 
Trinkgefäßen  sichtbar  wird. 

—  Gerade  vor  euch,  kaum  eine  Stunde  von  ihier, 
antwortet  der  Unbekannte  mit  erstickter  Stimme,  denn 
sein  Gesicht  verhüllt  ein  Schleier  zum  Schutz  gegen 
den  vielen  Sand,  den  man  hier  schluckt.  Er  verschwin- 
det vor  unseren  Augen  in  dem  trockenen  Nebel. 

Gerade  vor  uns...  Drum  laßt  uns  auf  die  Pferde 
lospeitschen,  damit  sie  wenn  möglich  vorwärtslaufen, 
laßt  uns  versuchen  die  Stadt  zu  erreiohen.  Übrigens 
legt  sich  das  Unwetter,  der  Wind  flaut  ab,  es  ist  weni- 
ger dunkel;  auf  der  Erde  liegen  Knochen,  wir  müssen 
uns  auf  richtiger  Fährte  befinden. 

Noch  eine  halbe  Stunde  fahren  wir  auf  gut  Glück 
darauf  los.  Und  dann  erscheint  plötzlich  ein  helles 
Licht,  erscheint  plötzlich  die  Stadt  der  Sultanin  Zo* 

3^7 


beide,  viel  hoher  als  wir  sie  suchten:  die  Kuppeln,  die 
Minaretts,  die  Türme.  Die  Stadt  ist  uns  nahe  und  er- 
scheint doch  so  fern,  denn  ihre  Linien  sind  ganz  ver- 
schwommen. Noch  eingehüllt  in  den  Nebel,  vor  einem 
schwarzen  Himmel,  beleuchtet  von  der  untergehenden 
Sonne,  erhebt  sie  sich,  und  rot  leuchtet  sie  auf,  die  alte 
Stadt  aus  Lehm,  rot  wie  jene  Kupfergefäße,  die  vor 
kurzem  so  viel  Lärm  um  sich  verbreiteten.  Und  auf  der 
Spitze  jedes  Minaretts,  auf  der  Spitze  jeder  Kuppel  sitzt 
sehr  gravitätisch  ein  Storch,  ein  Storch,  deu  Nebel  und 
Sand  vergrößert  haben,  und  der  in  unseren  Augen  den 
Umfang  eines  Puesenvogels  annimmt. 


348 


FÜNFTER  TEIL 


Im  Rücken  der  Stadt  der  Sultanin  Zob6ide,  die  uns 
so  plötzlich  dort  oben  ihre  unzähligen  Kuppeln  ge- 
zeigt hat,  und  die  einer  großen  kupferroten  Erschei- 
nung  gleicht,  liegen  diesmal  wirkliche  Wolken,  sie  bil- 
den diesen  tief  schwarzen  Hintergrund;  —  Wolken, 
durch  die  der  Blitz  immer  wieder  seine  blasse  Zick- 
zacklinie zieht  Das  Unwetter,  dem  wir  kaum  entron- 
nen sind,  das  Unwetter  des  Staubes  und  des  Sandes, 
setzt  seinen  Weg  nach  der  Wüste  zu  fort,  wir  sehen 
seinen  schweren  Schleier,  seine  dantische  Dunkelheit 
hinter  uns  am  Horizonte  dahinf liehen.  Immer  mehr 
klärt  es  sich  auf,  immer  mehr  nehmen  die  Umrisse  an 
Bestimmtheit  zu,  die  Gegenstande  werden  wirklich,  wir 
durchkreuzen  jetzt  die  Felder  der  Oase,  die  Korn-,  die 
Mohn-,  die  R.eis-  und  die  Baumwollfelder,  die  ziemlich 
unter  dem  Unwetter  gelitten  haben.  Was  die  Stadt  an- 
belangt, so  erschien  sie  auf  den  ersten  Blick  hin  wun- 
derbar, aber  wir  lassen  uns  nicht  ineiir  tauschen,  wie 
alles  andere,  so  ist  auch  sie  nur  ein  Trümmerhaufen.  — 
Es  handelt  sich  jetzt  darum,  dort  hineinzudringen,  und 
dies  ist  nicht  leicht;  für  einen  Reiter  wäre  es  schon 
schwierig,  aber  für  einen  vierspännigen  Wagen  ist  es 
ein  Rätsel;  lange  müssen  wir  suchen,  müssen  uns  für 
einen  Weg  entscheiden,  müssen  diesen  aufgeben  und 
einen  neuen  einschlagen :  Nirgends  haben  diese  mensch- 

249 


liehen  Ameisen,  die  Iraner,  in  dem  Maße  überraschend 
und  eifrig  gearbeitet,  haben  so  tief  gegraben,  wie  ge- 
rade hier.  Zwischen  den  Trümmern  der  vielen  Lehm- 
mauern, von  denen  fast  keine  mehr  aufrecht  steht,  die 
man  nie  wieder  aufbauen  wird,  zwischen  den  Bächen 
mit  ihrem  ausgehöhlten,  tiefen  ßett,  besonders  aber 
zwischen  den  zahllosen  Löchern,  aus  denen  man  die 
Bauerde  genommen  hat,  und  die  nun  ewig  klaffend  da- 
liegen werden,  läuft  kein  einziger  Weg,  führt  kein  ein» 
ziger  Pfad.  Eins  meiner  äußeren  Pferde  fällt  in  einen 
Keller,  zieht  beinahe  das  ganze  Gespann  und  uns  selbst 
mit  sich,  aber  es  bleibt  mit  seinem  Zaumzeug  hängen 
und  es  gelingt  ihm,  wieder  hochzukiettern  —  und 
schließlich  erreichen  wir  das  Tor, 

Dumpf  groiit  der  Donner,  als  wir  in  die  Stadt  ein- 
dringen, die  dunkel  und  gewaltig  daliegt;  Moscheen, 
Türme,  altertümliche,  schwere,  vierkantige  Pyramiden 
mit  stufenförmigen  Etagen,  wie  man  sie  bei  einigen 
indischen  Tempeln  sieht,  ein  kühner  Lehmhaufen,  der 
heute  inmitten  seines  Verfalls  noch  groß  erscheinen 
wilL 

Wir  fahren  über  einen  Platz,  wo  ein  Derwisch  in 
weißem  Gewände  mit  einem  langen  zinnoberrot  gefärb- 
ten Bart  zwanzig  sehr  artigen  Kindern,  die  auf  Steinen 
im  Kreis  um  ihn  sitzen,  den  Koran  erklärt. 

Wir  sehen  ein  Minarett  von  wenigstens  sechzig 
Meter  Höhe,  groß  und  einsam  steht  es  da,  es  ist  er- 
schreckend schief,  ist  schiefer  als  der  Turm  von  Pisa 
(dies  ist  der  Hinrichtungsort  der  Ehebrecherinnen; 
man  stürzt  sie  von  oben  herab,  und  zwar  von  der  sich 
neigenden  Seite,  um  ihnen  den  Augenblick,  der  dem 
Fall  voraufgeht,  um  ihnen  den  leeren  Raum,  in  den  sie 

2ÖO 


stürzen    werden,    noch    schrecklicher   erscheinen     zu 
lassen). 

Und  dann  folgen  die  großen  gotischen  Spitzbogen 
und  die  Nacht  der  Basare.  Alles,  was  in  Kachan  lebt 
und  lärmt,  hat  sich  hier  unter  diesen  Gewölben  zusam- 
mengefunden, in  diesen  langen,  hohen  Schiffen,  in 
denen  man  kaum  sehen  kann,  wo  Hunderte  von  großen 
Kamelen,  die  noch  ihr  lockiges  Winterfell  tragen,  den 
Platz  versperren.  Um  dort  durchdringen  zu  können, 
mußten  wir  unsere  beiden  äußeren  Pferde  abspannen, 
denn  wir  nehmen  zu  viel  Raum  in  der  Breite  ein,  und 
außerdem  machen  uns  die  zwei  Pferde,  die  wir  behal- 
ten haben,  noch  Sorge  genug,  sie  fürchten  sich  vor  den 
schreienden  Stimmen,  sie  fürchten  sich  vor  der  Nähe 
der  Kamele;  trotz  der  Anstrengung  des  Tages  sind  sie 
schwer  zu  zügeln,  sie  bewegen  sich  nur  in  Sätzen  und 
Sprüngen  vorwärts.  Der  Donner  rollt  immer  lauter, 
und,  als  wir  durch  den  Basar  der  Kupferschmiede  fah- 
ren, wo  die  Arbeiter  ihre  letzten  Hammerschläge  vor 
Hereinbruch  der  Nacht  mit  doppelter  Wucht  herab- 
sausen lassen,  wird  der  Lärm  so  ohrenbetäubend,  daß 
unsere  Tiere  scheuen;  wir  müssen  aussteigen  und  aus- 
spannen. Und  dann  sind  wir  wehrlos  gegen  die  Kauf- 
leute, die  auf  uns  eindringen,  sich  unserer  Hände  be- 
mächtigen und  uns  mit  sich  fortziehen.  Nirgends  sahen 
wir  so  viele  rotgefärbte  Barte,  so  hohe  schwarze  Hüte; 
alle  Leute  gleichen  Astrologen.  Wir  mögen  wollen  oder 
nicht,  wir  müssen  ihnen  folgen;  bald  finden  wir 
uns  in  den  fast  unterirdischen  Seidenspinnereien  wie- 
der, wo  die  Arbeiter  Katzenaugen  haben  müssen,  wenn 
sie  sehen  wollen;  bald  unter  freiem  Himmel,  auf  einem 
Hof,  dessen  rotblühende  Granatbäume  ein  wenig  Licht 

a5i 


hindurchfallen  lassen,  dort  packt  man  zu  unseren 
Füßen  die  Schätze  Aladins  aus,  die  dainascierten  Waf- 
fen, die  Brokatstoffe,  die  Schmucksachen,  die  Edel- 
steine. Besonders  lange  hält  man  uns  bei  den  Teppich- 
ver'käufern  gefangen,  wir  werden  gezwungen,  eine  Ka- 
lyan  zu  rauchen  und  eine  Tasse  Tee  zu  trinken,  man 
breitet  die  unvergleichlichen  Gewebe  Kachaus  vor  uns 
aus,  die  wie  das  Gefieder  der  Kolibris  schillern;  jeder 
Gebetsteppich  stellt  ein  Gebüsch  mit  zahllosen  Vögeln 
dar,  dessen  Äste  sich  symmetrisch  in  dem  Portal  einer 
Moschee  verzweigen,  und  immer  ist  die  Farbenzusam- 
mensteilung  ein  Wunder.  Die  Preise  sind  stets  zu  An- 
fang übermäßig  hochgeschraubt,  wir  erheben  uns 
voller  Entrüstung  und  wollen  aufbrechen;  dann  hält 
man  uns  am  Ärmel  zurück,  zündet  unsere  Kalyan  wie- 
der an,  und  zwingt  uns  zum  Sitzen.  In  dieser  Weise 
geht  übrigens  stets  die  Komödie  des  orientalischen 
Kaufhandels  vor  sich. 

Es  ist  dunkel,  als  wir  endlich  die  große  Karawanserei 
erreichen,  wo  unser  Wagen  schon  angelangt  ist;  eine 
ganz  verfallene  Karawanserei  natürlich,  aber  von  einer 
solchen  monumentalen  Größe,  daß  kein  Basilikaportal 
sich  in  der  Ausdehnung  mit  diesem  blauen,  von  Fayencen 
bekleideten  Eingang  messen  kann.  Ein  alter  xMann  mit 
blutrotem  Bart  führt  uns  nach  den  oberen  Zimmerchen, 
durch  die  zu  dieser  Stunde  der  Gewittersturm  fegt 

Hier  kreuzen  sich  die  Wege,  die  von  den  westlichen 
Wüsten  nach  Kachan  führen,  und  die  Wege,  die  bis 
zum  Kaspischen  Meer  laufen:  Ein  beständiges  Kommen 
und  Gehen  von  Karawanen  herrscht  infolgedessen  in 
dieser  Stadt.  Als  der  Tag  zur  Neige  geht,  sehen  wir 
unter  uns,  durch  den  Spitzbogen  des  Portals,  wenig- 

a5a 


stens  zweihundert,  in  einer  langen  Reihe  aneinander 
gebundene  Kamele  hineinströmen;  seltsame  Kamele, 
mit  barbarischer  Pracht  ausgeschmückt,  sie  tragen 
Federbüsche  auf  dem  Höcker,  Hahnenfedern  auf  der 
Stirn,  Fuchsschwänze  an  den  Ohren,  unechte  Hals- 
krausen aus  aufgezogenen  Muscheln.  Die  Kamelreiter, 
ihre  Führer,  haben  alle  flache,  typisch  mongolische  Ge- 
sichter, sie  sind  mit  kleinen,  kurzen,  buntgestreiften 
Röcken  bekleidet,  und  ihre  Kopfbedeckung  besteht  aus 
einer  riesengroßen  Pelzmütze.  Dieser  ganze  Zug  scheint 
geradeswegs  von  Djellahadah,  aus  Afghanistan,  zu 
kommen,  scheint  die  unendlichen  Salzebenen  durch- 
quert zu  haben  und  zieht  jetzt,  majestätisch  und  lang- 
sam, mit  Glockengeiäute  hinein.  Es  sind  so  viele  Tiere, 
daß  es  ganz  dunkel  ist,  als  die  letzten  erscheinen,  die 
beim  Licht  der  Blitze  so  unwirklich  anzuschauen  sind. 
In  einer  nahen  Moschee  singt  man  mehrstimmig  ein 
Lied,  eintönig  wie  das  Brausen  des  Meeres.  Und  alle 
Geräusche  vereinen  sich,  um  uns  in  unseren  ersten 
Schlaf  hinüberzutragen:  die  religiösen  Lieder,  der  Name 
Allahs,  den  man  mit  süßer  Schwermut  in  den  verschie- 
densten hohen  Tönen  singt,  das  Glockengeläute  der 
Karawanen,  das  Grollen  des  sich  entfernenden  Donners, 
das  Plätschern  des  Regens,  und  die  leisen  Klagen  des 
Windes  in  den  Mauerspalten. 

Mittwoch,  2  3.  MaL 

Heute  legen  wir  einen  achtstündigen  Weg  durch  die 
einsamste  aller  Einöden  zurück.  Abends  wird  vor  einem 
armseligen  Weiher  haltgemacht;  zehn  kleine  Lehm- 
häuser, denen  ein  heller  Bach  Leben  zuträgt,  einige 

»53 


winzige  Kornfelder,  ein  Gebüsch  von  drei  oder  vier 
Maulbeerbäumen,  über  und  über  besät  mit  weißen 
Maulbeeren;  das  ist  alles,  soweit  das  Auge  sieht  im 
ganzen  Umkreise,  nichts  als  Wüste.  Die  Leute  scheinen 
sehr  arm  zu  sein,  und  wahrscheinlich  ist  der  Ort  un- 
gesund, denn  sie  sehen  leidend  aus.  In  dem  Loch,  unse- 
rem Zimmer,  haben  die  zutraulichen  Schwalben  meh- 
rere Nester  über  dem  Kamine  gebaut;  streckt  man  den 
Arm  aus,  so  könnte  man  die  Jungen  erreichen,  deren 
kleine  Köpfe  alle  sichtbar  sind. 

Und  wir  kommen  gerade  an  dem  Tage  an,  als  die 
Ältesten  des  Dorfes  —  etwa  zehn  vertrocknete  alte 
Leute  —  bestimmt  haben,  ihre  erste  Maulbeerernte  ab- 
zuhalten. Dies  soll  zur  Stunde  der  Vesper,  der  Kalyan 
und  des  süßen  Müßigganges  vor  sich  gehen,  zur  Stunde, 
wo  wir  mit  zwei  oder  drei  Hirten  in  der  Tür  der  ver- 
fallenen Herberge  sitzen,  und  dem  sanften  Gemurmel 
des  einzigen,  herrlichen  Flusses  lauschen  und  die  Sonne 
an  dem  weiten  Horizont  untertauchen  sehen.  Die  weni- 
gen Kinder  sind  alle  zerlumpt  und  blaß,  sie  schließen 
einen  Kreis  um  die  verkrüppelten  Maulbeerstämme,  die 
man  jetzt  schütteln  will,  und  diesmal  leuchtet  die  Freude 
der  Erwartung  in  ihren  sonst  so  schwermütigen  Augen 
auf.  Bei  jedem  Stoß  fällt  ein  Regen  von  Früchten  auf 
den  traurigen,  harten  Boden  herab,  und  die  Kleinen 
stürzen  sich  wie  Sperlinge,  denen  man  Körner  hinstreut, 
darüber,  während  der  magerste  der  Greise  die  allzu- 
großen Leckermäuler  zurückhält  und  mit  Strenge  dar- 
über wacht,  daß  die  Teilung  gleichmäßig  geschieht. 
Diese  Bäume  sind  der  einzige  Schatz  im  meilenweiten 
Umkreise;  und  höchstwahrscheinlich  denkt  man  in  dem 
einsamen  Dorf  wochenlang  im  voraus  an  die  Ernte,  die 

»54 


in  der  Dämmerstunde  vor  sich  geht,  die  man  sich  für 
die  langen  Maienabende  aufspart...  Ist  das  Fest  vor- 
über, so  senkt  sich  die  kalte  Nacht  herab,  die  Abgeschie- 
denheit macht  sich  noch  fühlbarer.  Diese  kleine 
menschliche  Ansiedlung  kennt  keine  Mauern,  wie  sie 
die  Oasen  des  Südens  umgeben;  die  Tür  zu  unserer 
Herberge  läßt  sich  nicht  einmal  schließen,  und  mit  dem 
Pievolver  in  der  Hand  schlafen  wir  ein. 


Donnerstag,  i/j.  Mai. 

Frühmorgens  brechen  wir  auf,  um  noch  heute  abend 
die  Stadt  zu  erreichen,  wo  die  heilige  Fatime,  die  Enke- 
lin des  Propheten,  ruht. 

Nach  fünf-  oder  sechsstündigem  Weg,  in  einer  strah- 
lenden Wüste,  deren  Pfade  mit  Gerippen  besät  sind, 
gegen  zwölf  Uhr  mittags,  um  die  Stunde  des  Blend- 
werks und  der  Luftspiegelungen,  leuchtet  dort  hinten, 
in  der  unbestimmbaren  Ferne,  ein  Gegenstand  auf, 
etwas,  was  sich  dem  Auge,  den  Sternen  gleich,  nur 
durch  seine  Strahlen  zeigt;  ein  aufgehendes  Gestirn, 
eine  goldene  Kugel,  eine  Feuerkugel,  etwas  ganz  Un- 
geahntes, etwas  nie  Gesehenes. 

—  Koum!  sagt  der  Rosseienker,  indem  er  mit  dem 
Finger  dajauf  zeigt...  Also  dies  ist  die  berühmte  gol- 
dene Kuppel,  die  in  der  mittäglichen  Sonne  funkelt,  die 
einem  Leuchtfeuer  mitten  am  hellen  Tage  gleicht,  die 
die  Karawanen  aus  tiefer  Wüste  heranlockt...  Sie  er- 
scheint und  verschwindet  wieder,  ganz  nach  Laune  des 
hügeligen  Bodens,  und  nachdem  wir  mehr  als  eine 
Stunde  in  dieser  Richtung  dahingetrabt  sind,  ohne  daß 

a55 


wir  uns  ihr  merklich  genähert  hätten,  ist  sie  plötzlich 
nicht  mehr  sichtbar. 

Es  ist  vier  Uhr  nachmittags,  als  wir  die  Bäume  der 
Ooase  Koum,  die  Kornfelder  und  schließlich  die  Stadt 
entdecken;  ein  gewaltiger,  grauer  Trümmerhaufen,  und 
immer  und  überall  Schutt,  Spalten  und  Risse.  Natürlich 
sieht  man,  wohin  das  Auge  auch  fällt,  die  verschieden 
gestalteten  Kuppeln,  Zinnen  und  Minaretts,  graubraune 
Türme,  rosenrote  Türme,  die  von  einem  blauglasierten 
Turban  bedeckt  zu  sein  scheinen.  Und  jede  aufragende 
Spitze  ziert  ein  Storch,  gravitätisch  steht  er  in  seinem 
Nest.  Hier  gibt  es  viele  verlassene  Gärten,  die  mit 
Granatbäumen  angefüllt  sind,  deren  Boden  durch  die 
fallenden  Blütenblätter  blutrot  gefärbt  wird...  Aber 
wo  ist  die  goldene  Kuppel,  das  Grab  der  Fatime,  das 
wir  von  weitem  zwischen  den  Luftspiegelungen  des 
Mittags  sahen?  Wir  müssen  geträumt  haben,  denn  nicht 
die  geringste  Spur  von  ihr  ist  sichtbar. 

Von  Zeit  zu  Zeit,  beim  Rollen  unseres  Wagens,  beim 
Läuten  unserer  Schellen,  öffnet  sich  eine  Tür,  und 
irgendeine  Frau  zeigt  ihr  eines  Auge,  die  Hälfte  ihres 
stets  hübschen  Gesichtes,  um  zu  sehen,  was  sich  dort 
zuträgt  Ungefähr  zwanzig  kleine  Babys,  alle  wunderbar 
schön,  mit  Amuletts  behangen,  mit  brandrot  gefärbten 
Haaren,  laufen  hinter  uns  her,  ganz  erstaunt  über  unser 
Gespann,  und  mit  diesem  Gefolge  halten  wir  unseren 
Einzug  in  dem  Basar.  Von  neuem  hüllt  uns  da3  plötz- 
liche Dunkel  der  Basare  ein,  während  zwanzig  langer 
Minuten  haben  wir  die  größten  Schwierigkeiten  zu  be- 
stehen, immer  wieder  streifen  wir  inmitten  der  zottigen 
Kamele,  ein  Hindernis  nach  dem  anderen,  und  unsere 
vier  Pferde  schnauben,  der  Moschusgeruch  erfüllt  sie 

256 


Straßencafe 


mit  Abscheu.  Dort  drängen  sich  die  schön  gekleideten 
Iraner,  die  Afghanen,  mit  den  spitzen  Mützen,  die  Be- 
duinen Syriens,  deren  Kopf  glänzende  Seidenstoffe  und 
seidene  Bänder  schmücken;  die  verschiedensten  Leute, 
eine  große  Menge  hält  sich  hier  auf,  und  kaum  kann 
man  die  Hand  vor  Augen  sehen. 

Aber  dann  gelangen  wir  durch  den  Ausgangsbogen 
in  die  helle  Abendluft  hinaus,  und  endlich  liegt  die 
strahlende  Kuppel  wieder  yor  uns,  ganz  nah  thront  sie 
inmitten  einer  feenhaften  Umgebung,  die,  um  uns  zu 
blenden,  von  irgendeinem  Zauberer  aufgebaut  zu  sein 
scheint.  An  dem  Ufer  eines  ausgetrockneten  Flusses, 
an  dem  Bett  aus  weißen  Kieseln,  über  das  eine  Bogen- 
brücke  mit  einem  Fayencegeländer  führt,  breitet  ein 
märchenhaftes  Panorama  sich  aus;  in  bunter  Reihe,  in 
wilden  Verschlingungen,  übereinander  aufgetürmt  sind 
hier  die  Portale,  die  Minaretts  und  die  Kuppeln,  alles 
trieft  von  Gold;  alles,  was  unmittelbar  über  dem  Erd- 
boden liegt,  ist  aus  blauer  Glasur,  alles  was  sich  vom 
Erdboden  erhebt,  ist  aus  grüner  Glasur,  hat  jenen 
metallischen  Glanz,  der  auch  dem  Schwanz  des  Pfaues 
eigen  ist;  in  dem  Maße,  wie  der  Bau  in  die  Luft  hinauf- 
steigt, zeigt  er  ein  immer  reicheres  Gold,  er  endet 
schließlich  nach  dem  Himmel  zu  in  goldenen  Spitzen. 
Neben  den  wirklichen  Minaretts,  die  groß  genug  sind, 
daß  die  Muezzine  dort  zum  Singen  hinaufsteigen  kön- 
nen, gibt  es  zahllose  schmächtige  Spindeln,  in  die  man 
nicht  hineinklettern  kann,  auch  sie  streben  aufwärts 
und  glänzen  wie  Goldschmiedearbeit.  So  neu,  so  schön, 
so  flammend,  so  überraschend  liegt  dies  alles  in  dieser 
Stadt  der  Trümmer  und  des  S  taubes  . . . 

Mitten  in  der  Pracht  und  dem  Glanz  wachsen  tief- 

17     Persien.  2^<] 


rote  Bäume,  überall  blühende  Granatbäume;  man  könnte 
sagen,  es  habe  Korallenperlen  geschneit  Und  im  Hin- 
tergrunde zeichnen  sich  die  hohen  Gipfel,  zweimal  höher 
als  unsere  Alpen,  beleuchtet  von  der  untergehenden 
Sonne,  rosenrot  von  einem  meergrünen  Himmel  ab. 

Meine  Augen  haben  schon  so  unendlich  viel  gesehen, 
aber  sie  erinnern  sidh  an  nichts,  das  so  überwältigend, 
so  phantastisch,  so  ausgesprochen  orientalisch  war,  wie 
dieser  Anblick,  den  uns  das  Grab  der  heiligen  Fatime 
gewährte,  an  einem  Maienabend,  als  wir  aus  einem 
dunklen  Schiff  heraustraten. 

Es  gibt  also  in  Persien  noch  Dinge,  die  nicht  ver- 
fallen sind,  und  die  man  noch  heute,  wie  in  den  Zeiten 
zu  Tausendundeiner  Nacht,  aufbauen  und  wiederher- 
stellen kann. 

Der  Schah  Nasr-ed-din  ließ  im  neunzehnten  Jahr- 
hundert die  heilige  Moschee,  wo  heute  sein  Vater  und 
seine  Mutter  neben  Fath-Ali-Thah  und  der  Enkelin  des 
Propheten  ruhen,  mit  unsinnigem  Luxus  vollständig 
neu  herrichten,  ließ  sie  mit  goldenem  Mosaik  be- 
kleiden. 

Die  Karawanserei  ist  scheinbar  noch  weit  entfernt, 
sie  liegt  an  der  anderen  Seite  der  Bogenbrücke,  des 
wasserlosen  Flusses.  Darum  schicken  wir  den  Wagen 
voraus,  und  bevor  die  Sonne  untergeht,  wollen  wir  die 
Moschee  besehen. 

Ein  gewaltiger,  seltsamer  Platz  dient  ihr  als  Vor- 
hof; er  stellt  gleichzeitig  einen  alten,  staubigen  Fried- 
hof und  einen  lärmenden  Hof  der  Wunder  dar.  Das 
scheinbare  Pflaster,  die  langen  Fliesen,  auf  denen  man 
geht,  sind  dicht  nebeneinander  liegende  Gräber,  der 
Boden  ist  angefüllt  von  den  Gebeinen  aller  Zeiten,  er  ist 

208 


mit  menschlichem  Staub  vermischt.  Und  da  die  Reli- 
quien der  heiligen  Fatime  zahllose  Pilger  anziehen,  da 
sie  Wunder  wirken,  so  ist  hier  aus  allen  Teilen  Per- 
siens  ein  trauriges  Völkchen  zusammengelaufen,  um 
sich  ringsumher  niederzulassen.  Neben  den  Verkäufern 
der  Rosenkränze  und  der  Amulette,  die  an  der  Erde  ihre 
Waren  auf  Lumpen  ausbreiten,  zeigen  die  verkrüppel- 
ten Bettler  ihre  blutigen  Glieder3tümpfe;  andere  ent- 
blößen ihren  Aussatz,  ihre  Krebsgeschwüre,  oder  ihre 
brandigen  Wunden,  die  mit  Fliegen  bedeckt  sind.  Der- 
wische mit  langen  Haaren  schreiten  singend  vorüber, 
das  Auge  gen  Himmel  gerichtet;  andere  lesen  mit  wil- 
der Begeisterung  in  den  alten  Büchern.  Alle  sind  in 
staubige  Lumpen  gekleidet,  alle  sehen  ungastlich  und 
angsteinflößend  aus;  derselbe  Fanatismus  spricht  aus 
dem  zu  feurigen  Auge  und  aus  dem  erloschenen  Auge. 

Mitten  auf  diesem  Platze,  auf  diesem  Gräberfelde, 
umgeben  von  der  grauen,  schmutzigen,  lumpengeklei- 
deten Menge,  erscheint  der  frische  Glanz  einer  solchen 
Moschee  noch  unwahrscheinlicher. 

Im  Innern  des  Heiligtums  wird  ein  unausdenkbarer 
Reichtum  herrschen,  aber  wir  Ungläubigen  sind  ohne 
Erbarmen  davon  ausgeschlossen,  und  wir  müssen  an 
dem  Tor  der  äußeren  Umzäunung  stehenbleiben . . . 
Aber  diese  Mauer  ist  schon  von  oben  bis  unten  mit 
Glasur  bekleidet  und  herrlich  anzuschauen;  sie  um- 
schließt eifersüchtig  —  wie  die  Mauer  eines  persischen 
Gartens  ihre  Bäume  umschließt  —  die  Minaretts  und 
die  Spindeln  aus  grüner  und  goldener  Glasur,  die  gleich 
schlanken  Stämmen  aus  der  Erde  hervorschießen  und 
die  eigentliche  Moschee  und  die  funkelnden  Kuppeln 
einrahmen. 


17« 


s5a 


Das  Volk  quält  uns,  es  schleppt  seine  Wunden,  seinen 
Gestank  und  seinen  Staub  hinter  uns  her,  es  verfolgt 
uns  bis  an  das  Tor,  wo  es  uns  mit  hundert  schrecklichen 
Händen  zurückhalten  würde,  wollten  wir  weiter  vor- 
dringen. Auf  der  Schwelle  stehenbleiben  und  von  dort 
aus  Umschau  halten,  ist  alles,  was  uns  erlaubt  wird. 

Der  Sockel  des  Gebäudes  ist  aus  weißem  Marmor, 
er  stellt  eine  gerade  Reihe  von  Vasen  dar,  Vasen,  aus 
denen  alle  Blumen  hervorzusprießen  scheinen,  die  unter 
der  Glasur  an  die  Wände  gemalt  sind;  Rosenzweige, 
Irispflanzen  beginnen  kaum  einige  Fuß  hoch  über  dem 
Boden :  sie  schlingen  sich  an  den  blauen  Arabesken  em- 
por, wie  es  die  Kletterpflanzen  an  einem  Baumgeländer 
tun  würden,  sie  steigen  aufwärts  und  vereinen  sich  mit 
dem  goldenen  Mosaik  der  Friese  und  der  Kuppeln.  Ich 
glaube  nicht,  daß  es  auf  der  Welt  —  vielleicht  mit  Aus- 
nahme der  Tempel  des  heiligen  Berges  Japans  —  ein 
Gebäude  gibt,  das  von  außen  mit  einer  solchen  Pracht, 
mit  einem  solchen  Glanz  der  Farben  bekleidet  wäre, 
wie  dieses  Grabmal  es  ist,  das  man  hier,  in  der  alten 
Stadt  der  Trümmer  und  des  Staubes,  zwei  Schritte  von 
den  Wüsten  entfernt  liegen  sieht. 

Freitag,  2  5.  Mal 

Während  des  Schlafes  hatten  wir  vergessen,  in  wel- 
cher unvergleichlichen  Nachbarschaft  wir  uns  befinden, 
und  auf  "welche  Herrlichkeiten  unsere  elende  Herberge 
zeigt  Die  Tür  der  Terrasse  öffnen  und  vor  sich  das 
Grab  der  heiligen  Fatime  bei  Sonnenaufgang  liegen 
sehen,  das  ist  ein  selten  ergreifender  Anblick:  über  den 
ganz  mit  Korallen  besäten  Bäumen,  den  rotblühenden 

260 


Granatbäumen,  erhebt  sich  ein  Bauwerk  von  orienta- 
lischer, fast  übertriebener  Anmut,  es  glitzert  von  oben 
bis  unten  wie  die  Gewänder  des  Schah-Abbas;  goldene 
Spitzen,  goldene  Kuppeln,  blaue  und  rosenrote  Spitz- 
bogen; Türme  und  Türmchen  mit  so  wechselnden 
Lichtern,  daß  sie  den  Vögeln  der  Inseln  entlehnt  zu 
sein  scheinen;  und  hinter  dem  allen  die  Ruinen  und 
der  leblose  Horizont  der  Einöden. 

Die  Stadt  Koum  hatte  bei  unserer  Abreise  noch  eine 
andere  Überraschung  für  uns  in  Bereitschaft,  eine  wirk- 
liche Landstraße  liegt  vor  uns,  sie  ist  gepflastert  wie 
bei  uns,  wird  von  zwei  kleinen  Gräben  und  einer  Reihe 
Telegraphenstangen  eingerahmt,  sie  führt  durch  die  un- 
endlichen Felder.  Und  sie  erscheint  uns  als  der  Gipfel 
der  Zivilisation. 

Zwar  reicht  sie  nicht  weit,  und  im  Laufe  des  Tages 
befinden  wir  uns  von  neuem  in  der  tiefen  Wüste,  wo 
der  Pfad  sich  kaum  auf  dem  Sand,  in  den  glänzenden 
Salzfeldern,  zwischen  den  vielen  Luftspiegelungen,  ab- 
zeichnet Aber  unser  nächtliches  Quartier,  umgeben  von 
Weiden  und  Platanen,  in  dem  Weiler  einer  grünen  Oase, 
hat  nichts  mehr  von  der  wüsten  Karawanserei  an  sich, 
die  wir  vorzufinden  gewohnt  sind;  dies  ist  fast  eine 
Herberge,  wie  man  sie  in  unseren  europäischen  Dör- 
fern antrifft,  mit  einem  Gärtchen,  und  einem  Gitter  am 
Rande  des  Weges.  Das  ganze  Land  liegt  übrigens  so 
zuversichtlich,  so  alltaglich  da. 

Aber  trotzdem  ist  die  sich  herabsenkende  Nacht  noch 
voller  Reize,  und  man  fühlt  jetzt,  daß  die  Wüste  nicht 
weit  entfernt  sein  kann;  die  Gebetsstunde  hat  etwas 
Rührendes  in  diesem  kleinen  Garten  unter  den  Linden 
und  den  Weiden,  mit  seinem  Kuckucksruf  und  seinem 


261 


Froschgequak;  während  die  persischen  Katzen  mit 
ihrem  langen,  seidigen  Feli  leise  in  den  dunklen  Alieen 
umherslreichen,  knien  die  Reisenden  nieder,  oft  sieht 
man  die  Armen  in  ihren  baumwollenen  Gewändern 
neben  den  in  Kaschmir  gekleideten  Reichen  auf  ein 
und  demselben  Teppich  knien, 

» 

Sonnabend,  26.  Mai 

Unser  Himmel  ist  dasjenige,  was  sich  am  meisten 
verändert,  je  mehr  wir  uns  dem  Norden  nähern,  die 
unvergleichliche  Klarheit  der  Luft,  unsere  beständige 
Augenweide,  ist  für  immer  verschwunden. 

Man  glaubte  nicht  mehr  an  den  Regen,  und  heute  ist 
er  da.  Während  unserer  siebenstündigen  Etappe  fällt 
er  als  feiner  Sprühregen  auf  uns  herab,  ganz  wie  der 
Regen  in  der  Bretagne.  Wir  legen  uns  in  einem  alten, 
kalten  Hause  mit  triefenden  Mauern  zur  Ruhe  nieder, 
das  verlassen  und  einsam  im  Hintergrunde  eines  ge- 
waltigen Gartens  steht  Wie  gestern  ruft  der  Kuckuck, 
quaken  die  Frösche.  Das  Haus  ist  umgeben  von  jungen 
Pappeln,  von  Rosensträuchern,  von  Ligustrum,  von  lan- 
gen Gräsern.  Und  der  Sturm  zerzaust  das  zarte,  junge 
Maiengrün. 

Mit  !«—  .suen  und  Bedauern  werden  wir  morgen 
in  Teheran  einziehen;  nach  den  alten  Hauptstädten  aus 
früheren  Zeiten,  nach  Ispahan  und  Chiraz,  wird  uns 
diese  Stadt  gar  zu  modern,  gar  zu  wenig  persisch  er- 
scheinen. 


2Q2 


Sonntag,  27.  Mal 

Im  Regen,  unter  einem  dunklen  Himmel,  brechen 
wir  auf.  Unmerklich  neigen  sich  die  Pfade,  und  so 
steigen  wir  schließlich  in  die  weniger  verlassenen,  in 
die  grüneren  Ebenen  hinab.  Korn-  und  Heufelder,  aber 
immer  noch  keine  Bäume,  zuweilen  Streifen  Landes 
von  klebriger,  weißlicher  Erde,  wo  nicht  einmal  das 
Gras  mehr  wachsen  kann.  Unsere  ganze  Umgebung  ist 
wirklich  häßlich.  Die  Schönheit  liegt  über  uns,  zwischen 
den  schwarzen  Wolken;  wenn  die  Sonne  durchbricht, 
zeigen  die  schrecklichen  Berge  uns  in  einer  schwin- 
delnden Höhe  ihre  langen  Schueegewänder,  und  schließ- 
lich sehen  wir  durch  einen  Spalt,  höher,  als  wir  ihn  zu 
suchen  wagten,  die  Spitze  des  Berges  Demavend,  der 
Teheran  überragt;  er  ist  mehr  als  sechstausend  Meter 
hoch,  und  niemals  legt  er  sein  leuchtendes  weißes 
Leichentuch  ab. 

Trotz  des  eisigen  Regens  und  der  winterlichen  Kälte 
begegnen  wir  vielen  Menschen :  Karawanen,  gespenster- 
haften Frauen  auf  Eselinnen  oder  zu  Wagen;  Reitern 
in  schönen  Tuchkleidern,  die  schon  ganz  das  Äußere 
von  Städtern  zeigen.  Man  fühlt,  daß  man  sich  der 
Hauptstadt  nähert,  und  unser  Kutscher  hält  an,  zieht 
einen  Haufen  roter  Bänder  aus  seinem  Sack  hervor  und 
schmückt  hiermit  die  Mähnen  unserer  vier  Pferde,  denn 
es  ist  Sitte,  daß  man  also  geziert  naoh  einer  glücklich 
überstandenen  Reise  zur  Stadt  hineinfährt 

Zu  beiden  Seiten  des  Weges  stehen  jetzt  schmäch- 
tige, arme  Bäume:  verkrüppelte  Ulmen,  stark  von  der 
Kälte  mitgenommene  Granatbäume;  beklagenswerte 
Maulbeerbäume,  die  auf  jedem  Zweig  zwei  oder  drei 

a63 


Straßenjungen  schaukeln,  und  diese  tun  sich  gütlich 
an  den  kleinen,  weißen  Früchten.  Jetzt  nahen  wir  die 
endlosen  Friedhöfe  erreicht;  auf  der  schrecklichen, 
weichen,  grauen  Erde,  wo  auch  nicht  der  kleinste  Gras- 
halm wächst,  ziehen  sich  die  Kuppeln  der  Grabgewölbe 
oder  die  einfachen,  fast  immer  verfallenen  Gräber  in 
langen  Reihen  dahin. 

Ein  Sonnenstrahl  zeigt  uns  zwischen  zwei  Regen- 
güssen, rechts  an  unserem  Wege  eine  Kuppel  aus 
funkelndem  Golde,  die  an  das  Mausoleum  der  Fatime 
erinnert:  es  ist  die  Moschee  des  Schahs  Abd-ul-Azim, 
eine  heilige  Stätte  und  zugleich  der  unverletzliche  Zu- 
fluchtsort der  persischen  Verbrecher;  vor  zehn  Jahren 
fiel  der  Schah  Slasr-ed-din  hier  unter  dem  Dolch  eines 
Abenteurers. 

In  diesem  Lande,  wo  die  Bäume  nicht  von  selbst 
wachsen,  werden  sie  oft  groß  und  prächtig,  wenn  di6 
Menschen  sie  neben  ihre  kleinen  Bewässerungskanäle 
zwecks  Beschattung  Ihrer  Wohnungen,  pflanzen.  Das 
Dorf  der  Vorstadt,  durch  das  wir  in  diesem  Augenblick 
hindurchfahren,  liegt  ganz  in  Grün  getaucht,  und  Tehe- 
ran dort  vor  uns  scheint  noch  heute  den  Namen  „die 
Stadt  der  Platanen"  zu  verdienen,  den  man  ihr  im  drei- 
zehnten Jahrhundert  gab.  Aber  wir,  die  wir  bis  jetzt 
daran  gewöhnt  waren,  die  Städte  in  Licht  gebadet,  zwi- 
schen den  Luftspiegelungen  in  strahlender  Pracht  auf- 
tauchen zu  sehen,  wir  finden,  daß  dieser  Haufen  kalter, 
grauer  Häuser,  unter  einem  trüben  Regen  himmel  ge- 
legen, seltsam  unfreundlich  wirkt! 

Immer  zahlreicher  werden  die  Vorübergehenden. 
Alles  Leute,  die  uns  kreuzen  und  die  die  Stadt  zu  ver- 
lassen scheinen.  Wahrscheinlich  die  alljährlich  wieder- 

26A 


kehrende  Frühlingsauswanderung;  der  Sommer  in 
Teheran  ist  so  dürr  und  ungesund,  daß  die  Hälfte  der 
Bevölkerung  sich  im  Mai  entfernt,  um  erst  im  Herbst 
zurückzukehren.  Gespanne  aller  Art  ziehen  vorbei  — 
und  alle  biegen  sie  aus  vor  den  toten  Pferden,  deren 
Bauch  die  Geier  geöffnet  haben,  und  die  jetzt  in  kurzen 
Zwischenräumen  auf  der  Landstraße  liegen,  ohne  daß 
jemand  daran  dächte,  sie  zu  entfernen. 

Wie  dunkel  ist  alles  oberhalb  der  Hauptstadt  Irans  I 
Wolkenwände,  hinter  denen  man  Bergwände  ahnt, 
füllen  den  Himmel  mit  ihren  fast  erschreckenden  Mas- 
sen an.  —  Und  stets  sieht  man  durch  denselben  Spalt 
den  Demavend,  der  uns  in  verschwommenen  Umrissen 
seine  silberne  Spitze  auf  einem  dunklen  Hintergrund 
zeigt,  man  sieht,  daß  dies  keine  Wolke,  daß  es  etwa$ 
„Festes"  ist,  daß  es  zu  der  Gattung  der  Felsen  gehört, 
aber  es  scheint  zu  hoch  hinaufzuragen,  als  daß  es  der 
Erde  angehören  könnte,  man  möchte  fast  sagen,  es 
neige  sich  vorwärts . . .  Wahrscheinlich  ist  es  ein  Teil 
eines  fremden  Gestirns,  das  sich  geräuschlos  hinter  dem 
Nebelvorhang  nähert  —  und  die  Welt  wird  unter- 
gehen . . . 

Die  Tore  Teherans.  Sie  leuchten  in  dem  klatschen- 
den Regen.  Von  vier  kleinen  ornamentalen  Türmchen 
werden  sie  geschmückt,  und  diese  sind  fein  wie  Peit- 
schenstiele, und  das  Ganze  bedeckt  ein  Überzug  von 
glasierten  Ziegeln,  gelbe,  grüne,  schwarze  Ziegel,  die  zu 
einer  Zeichnung  zusammengestellt  sind,  wie  man  sie 
auf  der  Haut  der  Eidechsen  oder  Schlangen  sieht. 

In  der  Stadt  erwartet  uns  die  schon  geahnte  Ent- 
täuschung. Durch  die  Regengüsse  sind  die  Gäßchen,  die 
bis  zur  Herberge  führen,  in  schmutzige  Flüsse  ver- 

a65 


wandelt,  sie  laufen  zwischen  Steinhaufen  dahin,  and 
diese  kenneu  keine  Fenster,  sie  sind  trübselig  und  farb- 
los, und  bei  ihrem  Anblick  liefe  man  am  liebsten  davon. 
Das  Wirtshaus  aber  ist  das  Schlimmste  von  ailem; 
die  jämmerlichste  Karawanserei  war  besser  als  die* 
dunkle,  alle  Zimmer,  das  auf  einen  feuchten  Garten, 
auf  triefende  Bäume, zeigt.  Und  ich  begrüße  die  liebens- 
würdigen Herren  der  Gesandtschaft  als  Befreier,  denn 
sie  bieten  mir  die  Gastfreundschaft  des  französischen 
Hauses  an. 

Die  Gesandtschaft  ist  wie  alle  anderen  schon  aus 
Teheran  geflohen,  zwei  Meilen  von  den  Mauern  ent- 
fernt, am  Fuße  des  weißgekleideten  Demavends  hat  sie 
sich  für  den  Sommer  auf  dem  Lande  niedergelassen, 
und  dorthin  werden  auch  wir  heute  abend  übersiedeln, 
wenn  mein  Gepäck,  das  noch  mit  meiner  Nachhut  auf 
den  irgendwo  steckengebliebenen  Pferden  schwebt,  an- 
gekommen sein  wird. 

Inzwischen  will  ich  mich  ein  wenig  in  dieser  Stadt 
umsehen,  die  ich  gerne  so  bald  wie  möglich  verließe. 

Hier  gibt  es  nichts  wirklich  Altes,  nichts  wirklich 
Schönes.  Vor  hundertfünfzig  Jahren  war  Teheran  noch 
ein  unbekannter  Flecken,  aber  da  kam  Agha  Muham- 
med  Khan,  der  Eunuchenfürst,  der  den  Thron  an  sich 
gerissen  hatte,  auf  den  Einfall,  die  persische  Haupt- 
stadt hierher  zu  verlegen. 

Zuerst  nach  den  Basaren.  Sie  sind  groß  und  sehr 
besucht  Dieselben  gotischen  Gewölbe,  wie  wir  sie  schon 
überall  sahen;  man  verkauft  hier  ungeahnte  Mengen 
von  jenen  Teppichen,  die  nach  einem  neuen  Verfahren 
gewebt  und  gefärbt  werden,  und  die  im  Vergleich  zu 

266 


den  Teppichen  Ispahans,  Kachans  and  Chiraz'  gar  zu 
gewöhnlich  erscheinen. 

Wir  wollen  den  Sonnenschein  zwischen  zwei  Regen- 
güssen benutzen,  um  auf  die  Dächer  zu  klettern,  von 
wo  aus  man  einen  allgemeinen  Überblick  hat  Immer 
wieder  sieht  man  auf  zahllose  kleine  Terrassen  und 
Kuppeln  herab,  aber  es  fehlt  das  Licht,  das  ihnen  in 
den  alten,  unveränderten  Städten,  aus  denen  wir  kom- 
men, jenen  unvergleichlichen  Zauber  verleiht,  die  Kup- 
peln der  Moscheen  sind  grün  oder  vergoldet,  statt  wie 
im  Süden  in  blauem  Türkis  zu  erstrahlen,  die  beiden 
rosenroten  Türme  aber,  die  dort  hinten  aufragen,  be- 
zeichnen den  Palast  des  Schahs.  —  In  diesem  Augen- 
blick treten  die  Berge  aus  den  Wolken  hervor,  und 
diese  Werke,  von  Menschenhand  erbaut,  erscheinen 
winzig  klein,  wie  sie  dort  am  Fuße  der  erdrückenden 
Felsmassen  liegen.  Seine  Majestät  der  Schah  ist  so- 
eben nach  Europa  abgereist,  und  sein  Palast  mit  den 
rosenroten  Türmen  liegt  verlassen  da.  Wir  haben  nicht 
die  Erlaubnis,  ihn  heute  zu  besehen.  Aber  wir  wollen 
es  trotzdem  versuchen. 

Die  Wächter,  gutmütige  Burschen,  lassen  uns  in  die 
Gärten  eintreten,  die  in  diesem  Augenblick  ganz  aus- 
gestorben und  deshalb  besonders  reizvoll  sind.  Diese 
Gärten  bestehen  eigentlich  nur  aus  Seen,  aus  ruhigen, 
schwermütigen  Spiegeln,  umgeben  von  Fayencemauern, 
auf  denen  die  Störche  einherstolzieren.  Das  Wasser  ist 
in  Persien  eine  große  Seltenheit,  und  deshalb  auch  eine 
große  Verschwendung,  und  gerade  die  Fürsten  sparen 
innerhalb  ihrer  Mauern  nicht  damit.  Die  Gärten  des 
Schahs  bestehen  fast  ausschließlich  aus  Wasserbassins, 
die  von  alten  Bäumen  und  Blumen  eingerahmt  sind, 

367 


und  in  denen  sich  die  Lilienbeete,  die  hundertjährigen 
Rüstern,  die  Pappeln,  die  riesengroßen  Lorbeerbäume, 
die  hohen,  eifersüchtigen,  die  glasierten  Mauern  wider- 
spiegeln. Alles  in  dieser  königlichen  Wohnung,  deren 
Herrscher  in  fernen  Landen  reist,  ist  eingezäunt,  ver- 
schlossen, leer  und  schweigend,  einzelne  Türen  sind 
versiegelt,  die  Vorhänge  sind  herabgelassen,  sie  ver- 
decken alle  Fenster,  alle  Öffnungen  des  Hauses,  die 
auf  die  eingefriedigten  Seen  hinausgehen,  —  Vorhänge 
aus  gesticktem  Leinen,  feste  große  Vorhänge,  wie  die 
Segel  einer  Fregatte.  An  den  Wänden  zeugen  die 
modernen  Glasurbekleidungen,  auf  denen  man  Figuren 
oder  Rosenzweige  dargestellt  sieht,  von  einem  kläg- 
lichen Rückgang  in  der  persischen  Kunst,  aber  trotz- 
dem ist  der  allgemeine  Eindruck  noch  reizvoll,  und  ent- 
zückend ist  ihr  Spiegelbild  auf  der  Wasserfläche 
zwischen  den  umgekehrten  Bäumen  und  dem  Grün. 
—  Es  regnet  nicht  mehr;  am  Himmel  zerteilen  sich 
die  Wolken  und  fliehen  dahin;  in  diesem  sehr  ent- 
legenen Winkel,  wo  die  vertrauensvollen  Wächter  uns 
allein  umherstreifen  lassen,  genießen  wir  den  hellen 
Nachmittag. 

Der  gewaltige  Vorhang,  der  hier  durch  viele  Stricke 
gehalten  wird,  verbirgt  den  Thronsaal;  dieser  ist  so  alt 
wie  der  Palast  selbst  und  ist,  nach  altem  Gebrauch,  in 
seiner  ganzen  Breite  geöffnet,  um  es  dem  Volk  zu  er- 
möglichen, von  weitem  ihr  Götzenbild  sitzen  zu  sehen, 
der  marmorne  Sockel  —  ohne  Treppe,  damit  die  Menge 
nicht  dort  hinaufsteigt  —  hebt  den  Thron  ungefähr 
zwei  Meter  über  die  Gärten  empor,  und  davor  spiegelt 
sich  ein  großes,  viereckiges  Wasserbassin,  um  das  sich 
an  hohen  Feiertagen  alle  Würdenträger  aufstellen,  und 

268 


wenn  der  Herrscher  erscheint,  funkeln  dort  die  präch= 
tigen  Burnusse  und  die  Edelsteinagraffen  in  schweigen- 
der Pracht  durch  das  Dunkel  des  Saales  hindurch. 

Wir  möchten  diesen  Saal  gern  sehen.  Mit  einem 
Wächter,  der  ungefähr  weiß,  was  für  Leute  er  vor  sich 
hat,  stiften  wir  ein  unschuldiges  Komplott,  wir  klam- 
mern uns  an  die  Vorsprünge  des  Marmors,  wir  schwin- 
gen uns  hinauf  und  gleiten  unter  dem  herabgelassenen 
Vorhang  hindurch,  —  und  wir  betreten  den  Platz. 

Hier  ist  es  natürlich  ganz  dunkel,  weil  das  einzige 
Licht  durch  diese  große  Öffnung  fallen  soll,  die  heute 
durch  einen  dichten  Vorhang  abgeschlossen  ist.  Als 
erstes  unterscheiden  wir  den  Thron,  nah,  ganz  am 
Rande  steht  er  da;  er  zeigt  eine  Altertümlichkeit,  die 
wir  nicht  erwartet  hatten,  weiß  hebt  er  sich  von  der 
allgemeinen  rot  und  goldenen  Ausschmückung  ab.  Es 
ist  dies  einer  der  geschichtlichen  Throne  der  Mogol- 
Kaiser,  eine  Art  Estrade  aus  Alabaster  mit  goldenen 
Linien,  die  von  den  aus  einem  Block  gehauenen,  klei- 
nen, seltsamen  Göttinnen  und  Ungeheuern  gehalten 
wird;  der  gewöhnliche  Springbrunnen,  unumgänglich 
notwendig  für  die  Einrichtung  eines  persischen  Herr- 
schers, nimmt  den  Vordergrund  dieser  Estrade  ein,  wo 
sich  der  Schah,  bei  besonders  festlichen  Gelegenheiten, 
auf  einem  mit  Perlen  besetzten  Teppich  sitzend,  dem 
Volke  zeigt;  sein  Kopf  ist  mit  Edelsteinen  überladen, 
und  er  stellt  sich,  als  rauche  er  die  Kalyan,  —  eine 
Kalyan  ohne  Feuer,  auf  die  man  gewaltige  Rubine« 
legt,  um  die  glühende  Kohle  nachzuahmen. 

Wie  in  den  alten  Palästen  Ispahans,  so  hebt  sich 
auch  hier  ein  Spitzbogen,  der  den  Herrscher  mit  einem 
Heiligenschein   umgeben  soll,  von  dem  durchsichtig 

269 


weißen  Thron  ab.  Er  ist,  ganz  in  der  Art  wie  die 
Decken,  mit  einem  Netz  von  Arabesken  und  einem  Re- 
gen von  kristallenem  Stalaktit  verziert  Und  dies  alles 
erinnert  an  die  Zeiten  der  Sophis-Könige ;  stets  ist  es 
dieselbe  bezaubernde  Grotte,  in  die  die  persischen  Prin- 
zen ihre  Räume  zu  verwandeln  bemüht  waren.  Zu  bei- 
den Seiten  des  Saales  sieht  man  die  Schahs  früherer 
Jahrhunderte  auf  Fresken  verewigt  Männer  mit 
strammsitzenden  Goldbrokatgewändern,  unnatürlich 
jung  und  schön,  mit  geschweiften  Augenbrauen,  mit 
schwarzgeränderten  Augen,  mit  langen  Barten,  die  von 
ihren  rosenroten  Wangen  in  einer  schwarzen,  seidigen 
Welle  bis  zu  den  Edelsteinen  ihrer  Gürtel  herabfließen. 

Einer  von  uns  hebt  abwechselnd  eine  Ecke  des  gro- 
ßen Vorhangs  in  die  Höhe,  um  einen  Lichtstrahl  in  die- 
sen Halbschatten  hereinsickern  zu  lassen;  und  alsbald 
leuchten  die  kristallenen  Stalaktite  an  der  dunklen 
Decke  gleich  Diamanten  auf.  Wir  haben  uns  eigentlich 
einer  Übertretung  schuldig  gemacht,  befinden  uns  auf 
Schleichwegen,  aber  das  macht  diesen  heimlichen  Spa- 
ziergang noch  reizvoller.  Und  eine  Katze,  eine  wahr- 
haftige Katze  —  wenn  die  Perser  dies  lesen,  mögen  sie 
mir  diese  unschuldige  Zusammenstellung  der  Wörter 
verzeihen  — ,  eine  schöne  Angorakatze,  gut  genährt, 
zutraulich,  an  Liebkosungen  gewöhnt,  ist  in  diesem 
Augenblick  der  alleinige  Herrscher  der  kaiserlichen 
Pracht,  eine  Katze  sitzt  auf  dem  Thron  und  sieht  uns 
mit  größter  majestätischer  Herablassung  kommen  und 
gehen« 

Als  wir  den  Saal  verlassen,  machen  wir  noch  einmal 
einen  Gang  um  die  Wasserba3sins,  dasselbe  Schweigen, 
dieselbe  ewige   Ruhe   wie  vorhin   herrscht  hier  auch 


270 


jetzt  Leise  gleiten  die  Schwäne  über  die  blanken, 
Flächen  dahin,  sie  ziehen  Linien  und  Kreise,  die  das 
Spiegelbild  der  hohen,  rosenroten  Fayencewände,  der 
großen  Zypressen,  der  großen  Lorbeerbäume,  der  Blu- 
men, der  schwermütigen  Sträucher  zerschneiden»  Sonst 
rührt  sich  nichts  in  dem  Palast,  nicht  einmal  die 
Zweige,  denn  es  ist  windstill;  man  hört  nur  die  Tropfen 
von  den  nassen  Blättern  zu  Boden  fallen. 

Als  der  Tag  sich  zu  Ende  neigt,  verlassen  wir  Te- 
heran in  der  entgegengesetzten  Richtung  durch  das  Tor, 
durch  das  wir  heute  morgen  unseren  Einzug  hielten; 
aber  der  Anblick  ist  auch  jetzt  derselbe,  dieselbe  grün, 
gelb  und  schwarze  Glasurbekleidung,  dieselben  zebra- 
artigen Streifen  einer  Schlangenhaut 

Und  bald  rollt  unser  Wagen  durch  eine  kleine  Wüste, 
über  Steine,  über  einen  grauen  Boden  dahin;  ein 
schrecklicher  Leichengeruch  weht  uns  entgegen:  Ge- 
beine liegen  dicht  gesät  auf  der  Erde,  Leichname,  in 
den  verschiedensten  Verwesungsstadien  begriffen,  be- 
decken den  Boden,  dies  ist  der  Friedhof  der  Tiere,  der 
Pferde,  der  Kamele  und  der  Maultiere.  Tagsüber  wird 
dieser  Platz  von  den  Geiern  heimgesucht,  nachts  tref- 
fen sich  hier  die  Schakale. 

Wir  fahren  auf  den  Demavend  zu,  der  jetzt  ganz  frei 
daliegt;  wie  kaum  ein  zweiter  Berg  der  Welt  ruft  er 
einen  gewaltigen  Eindruck  hervor,  weil  ihm  nichts  auf 
»einem  Wege  nach  dem  Himmel  zu  folgt;  mehr  als  um 
die  Hälfte  ragt  dieser  Schneekegel  einsam  über  die 
ganze  andere  Kette  hinaus.  Zu  seinen  Füßen  sieht  man 
den  grünen  Flecken  einer  Oase,  auch  sie  liegt  schon 
hundert  oder  hundertfünfzig  Meter  hoher  als  die  Stadt, 


a7i 


und  dorthin   sind   die  europäischen   Gesandtschaften 
während  der  heißen  Jahreszeit  geflüchtet 

Wir  verlassen  jetzt  die  kleine  Wüste  mit  ihren» 
Geiern  und  stoßen  zuerst  auf  einige  größere  Gehölze, 
die  die  fleißige  Menschenhand  geschaffen  hat,  sie  sind 
von  Mauern  umgeben:  hier  liegen  die  Sommerwoh« 
nungen  der  vornehmen  Herren  und  die  Lusthäuser  ihrer 
Haremsdamen.  Der  aufsteigende  Weg  ist  bald  ganz 
schattig,  er  wird  von  Granatbäumen  eingerahmt,  von 
fruchttragenden  Maulbeerbäumen,  die  die  Straßen- 
jungen in  den  langen  Gewändern  plündern,  und  end- 
lich erreichen  wir  die  schon  von  weitem  erspähte  Oase. 
In  diesem  Lande,  wo  alle  Gärten,  alle3  Buschwerk 
künstlich  ist,  freut  man  sich,  einen  richtigen  kleinen 
Wald,  ganz  wie  bei  uns  daheim,  zu  sehen,  in  dem  die 
Bäume  von  selbst  gewachsen  zu  sein  scheinen,  einen 
Wald,  der  Strauchwerk,  Moose  und  Farnkräuter  hat.  — 
Die  französische  Legation  liegt  in  diesem  Eden,  am 
Fuße  des  Schneeberges,  zwischen  Sumpfpflanzen, 
schlanken  Pappeln,  langen  Gräsern,  und  um  das  Haus 
herum  fließen  kühle  Bäche;  man  hört  den  Kuckuck 
rufen,  die  Eule  schreien;  dies  ist  die  ganze  Frühlings- 
botschaft, der  ganze  zitternde  Reiz  eines  Frühlings,  der 
sich  später  als  der  unsere  einstellt,  der  von  kurzer 
Dauer  ist,  auf  den  eine  sengende  Jahreszeit  folgt  Und 
sobald  die  Nacht  hereinbricht,  erschaudert  man  wie 
im  Winter  unter  dem  Blütendach  dieses  Waldes. 


272 


Montag,  28.  Mai. 

Um  ein  Uhr  nachmittags  verlasse  ich  das  kühle  Ge- 
hölz, um  in  die  Stadt  hinabzusteigen  und  Besuche  zu 
machen.  Teheran  ist  bei  Sonnenschein,  der  es  auch  in 
der  Regel  verschönert,  weniger  häßlich  als  gestern,  wo 
es  regnete  und  Wolken  den  Himmel  bedeckten.  Seine 
Alleen  sind  mit  hundertjährigen  Rüstern  bewachsen, 
seine  Plätze  werden  von  rießengroßen,  altehrwürdigen 
Platanen  beschattet,  und  auch  hier  findet  man  noch  ent- 
legene Winkel,  die  einen  orientalischen  Reiz  besitzen. 
Überall  zeigen  sich  kleine  Läden,  in  denen  die  fried- 
lichen Handwerke  früherer  Zeiten  geübt  werden.  Die 
Mosaikarbeiter  neigen  sich  über  die  Tische  herab  und 
suchen  ihre  winzigen  Kupfer-,  Gold-  und  Elfenbein- 
stücke zusammen.  Die  geduldigen  Maier,  mit  den  fein- 
geschnittenen Gesichtern,  verzieren  die  langen  Schreib- 
zeugkästen, die  länglichen  Kästen,  in  denen  die  Spie- 
gel der  Damen,  die  Kästen,  in  denen  die  heiligen  Bücher 
aufbewahrt  werden;  mit  leichter,  sicherer  Hand  streuen 
sie  die  goldenen  Arabesken  darüber  hin,  tuschen  sie 
die  seltsamen  Vögel,  die  Früchte,  die  Blumen  an.  Und 
die  Miniaturmaler  schaffen  immer  von  neuem  in  den 
verschiedensten  Stellungen  die  kleine  Person,  die  eine 
Rose  zwischen  den  Fingern  hält,  die  stets  die  gleiche 
zu  sein  scheint,  die  seit  dem  Jahrhundert  des  Schah- 
Abbas  nicht  gealtert  hat :  sehr  rosige,  sehr  runde  Wan- 
gen, fast  keine  Nase,  fast  kein  Mund,  nur  ein  paar 
schwarze  Samtaugen,  gewaltig  große  Augen,  deren 
dicke  Brauen  über  der  Nase  zusammenwachsen.  —  Es 
gibt  übrigens  noch  in  Wirklichkeit  diesen  Typ  der  per- 
sischen Schönheit;  zuweilen  habe  ich  ihn  einen  kurzen, 


18     Persien. 


273 


blitzähnlichen  Augenblick  gesehen,  wenn  ein  Windstoß 
einen  Schleier  hochwirbelte;  und  man  sagt:  daß  einige 
Prinzessinnen  bei  Hof  ihn  noch  in  seiner  idealen  Voll- 
kommenheit bewahrt  haben  . . . 

Von  allen  den  Alleen,  die  mit  alten  Rüstern  bepflanzt 
sind,  mündet  die  schönste  in  einen  der  Eingange  des 
Palastes;  das  Tor  der  Diamanten  genannt  Und  dieses 
Tor  gleicht  einer  Art  Zauberhöhle,  die  mit  langsam  sich 
bildenden,  unterirdischenKristallisierungen  geschmückt 
ist  Von  den  Wänden  tropft  der  Stalaktit  herab,  die 
Säulen  sind  mit  ungezählten  kleinen  Spiegelstückchen, 
kleinen  geschliffenen  Facetten  ausgelegt,  und  dies  alles 
glitzert  bei  Sonnenschein  in  den  Farben  eines  Prismas, 

Ich  kehre  heute  nach  dem  Palast  zurück,  um  dem 
jungen  Thronerben  Persiens,  Seiner  Kaiserlichen  Ho- 
heit Choah-es-Saltaneh  meinen  Besuch  abzustatten,  er 
will  mich  in  Abwesenheit  seines  Vaters  empfangen. 
Leider  sind  die  Salons,  in  die  man  mich  hineinführt, 
auf  europäische  Art  möbliert,  und  der  zwanzigjährige 
Prinz,  der  mich  so  liebenswürdig  begrüßt,  scheint  sich 
wie  ein  eleganter  Pariser  zu  kleiden.  Er  ist  zart  und 
sehr  verfeinert;  seine  großen,  schwarzen  Augen  mit 
den  fast  zu  schönen  Wimpern  erinnern  an  die  Augen 
seiner  Vorfahren,  deren  Gemälde  man  in  dem  Thron- 
saal sah ;  wäre  er  in  Goldbrokat  gekleidet  und  mit  kost- 
baren Gemmen  geschmückt,  so  würde  er  ihr  voll- 
kommenes Ebenbild  sein.  Er  hat  in  Paris  gewohnt,  hat 
sich  dort  amüsiert  und  weiß  als  ein  kluger  Mensch 
davon  zu  erzählen,  er  hält  sich  auf  dem  laufenden  mit 
der  künstlerischen  Entwicklung  Europas,  und  die  Un- 
terhaltung mit  ihm  ist  leicht  und  lebhaft.  In  sehr  klei- 
nen Sevrestassen  reicht  man  uns  Tee  Trotz  der  An- 


274 


Weisungen,  die  für  die  Abwesenheit  des  Herrschers  er- 
lassen sind,  trotz  der  verschiedenen  versiegelten  Türen, 
hat  Seine  Hoheit  die  Gute  zu  befehlen,  daß  ich  morgen 
den  ganzen  Palast  besichtigen  kann. 

Mein  zweiter  Besuch  gilt  dem  Großvezir,  der  mor- 
gen für  mich  ein  Diner  veranstalten  will.  Auch  dort 
werde  ich  aufs  liebenswürdigste  empfangen.  Übrigens, 
lägen  die  kostbaren  seidenen  Teppiche  nicht  auf  der 
Erde,  trüge  man  hier  nicht  die  kleinen  Astrachanmützen 
auf  der  Stirn,  die  letzten  Spuren  eines  orientalischen 
Kostüms,  so  könnte  man  sich  in  Europa  wähnen.  Wie 
schade  ist  dies,  und  welch  eine  Geschmacksverirrung . . . 
Diesen  Nachahmungstrieb  würde  ich  schon  bei  den 
Hottentotten  oder  bei  den  Kaffern  verstehen.  Aber 
wenn  man  die  Ehre  hat,  ein  Perser  oder  ein  Araber  oder 
ein  Hindu  oder  selbst  ein  Japaner  zu  sein,  —  mit  ande- 
ren Worten,  wenn  man  uns  mehrere  Jahrhunderte  in 
den  verschiedensten  Dingen  der  verfeinerten  Lebens- 
führung voraus  ist,  wenn  man  zu  den  Leuten  gehört, 
die  lange  vor  uns  sich  rühmen  konnten,  eine  wunder- 
bare Kunst,  eine  Architektur,  eine  große  Anmut  der 
Sitten,  der  Hauseinrichtung,  der  Kostüme,  zu  besitzen, 
—  so  ist  es  wirklich  verfehlt,  uns  nachahmen  zu 
wollen. 

Dann  besuchen  wir  einen  der  vornehmsten  Prinzen 
Teherans,  den  Bruder  Seiner  Majestät  des  Schahs. 
Sein  Palast  liegt  in  einem  Park  junger  Pappeln,  die  so 
lang  und  schlank  sind,  wie  das  biegsame  Schilf,  der 
Park  wurde  für  schweres  Geld  angelegt,  es  kostete  viel, 
das  Wasser  von  den  Bergen  hierher  zu  führen.  Die 
unteren  Säle  sind  ganz  mit  Spiegelfacetten  ausgelegt, 
sie  werden  durch  lange,  von  der  Decke  herabhängende 


18* 


275 


Stalaktittrauben  verziert,  und  erinnern  den  Beschauer 
an  die  Fingalhöhle,  aber  sie  glitzern  weit  mehr  als  die 
wirklichen,  zeigen  einen  überirdischen  Glanz.  Der  Prinz 
empfängt  uns  im  ersten  Stockwerk,  wo  hinauf  uns  eine 
breite,  blumengeschmückte  Treppe  führt;  er  trägt  Uni- 
form, hat  einen  weißen  Bart,  sieht  vornehm  und  zuvor- 
kommend aus  und 'streckt  uns  eine  tadellos  weiß  be- 
handschuhte Hand  entgegen.  (Soweit  die  Fremden  sich 
dessen  erinnern  können,  hat  man  ihn  nie  ohne  diese 
stets  zugeknöpften,  stets  neuen  Handschuhe  gesehen, 
—  und  scheinbar  will  er  dadurch  vermeiden,  die  Finger 
eines  Christen  zu  berühren,  denn  er  soll  hinter  seinem 
zuvorkommenden  Äußeren  einen  wilden  Fanatismus 
verbergen.)  Die  Säle  des  vornehmen,  persischen  Herrn 
sind  in  europäischem  Stil  reich  ausgestattet,  aber  die 
Mauern  zeigen  eine  Glasurbekleidung,  und  auf  der  Erde 
liegen  immer  wieder  die  glänzenden,  samtartigen 
Stoffe,  die  Teppiche,  so  kostbar  wie  man  sie  sonst 
nirgends  mehr  sieht.  Auf  einem  Tisch  steht  ein  Imbiß 
in  Bereitschaft:  Karaffen  mit  klarem  Wasser,  etwa 
zwölf  große,  wertvolle,  rote  Schalen  mit  den  verschie- 
densten  Frühlingsfrüchten,  die  eine  ist  mit  Aprikosen, 
die  andere  mit  Maulbeeren,  eine  dritte  mit  Kirschen  ge- 
füllt, Himbeeren,  ja  sogar  rohe  Gurken,  auf  die  die 
Iraner  so  lecker  sind,  hat  man  aufgetischt.  Und  wie 
in  dem  Schloß,  reicht  man  auch  hier  den  Tee  in  sehr 
feinen  Sevrestassen.  Wir  sitzen  vor  einer  großen,  mit 
Fenstern  verschlossenen  Maueröffnung,  man  sieht  über 
den  Park,  über  den  Wald  junger  Pappeln  hinaus,  die 
sich  gleich  einer  Wiese  von  hohem  Schilf  im  Maien- 
winde bewegen,  man  sieht  auf  den  Demavend,  dessen 
silberner  Kegel  in  den  Himmel  hinaufragt.  Der  Prinz  er- 

276 


zählt  von  seinen  Jagden,  von  den  Gazellen-  und  Panther- 
jagden in  den  benachbarten  Bergen.  An  einem  klaren 
Herbsttag  ist  es  ihm  gelungen,  so  erzählt  er,  die 
äußerste  Spitze  des  Demavend  zu  erreichen,  der  hier 
vor  uns  liegt:  „Obgleich  es  kein  trübes  Wetter  war, 
sah  ich  doch  nichts  von  der  Welt  unter  mir,  es  war 
mir,  als  beherrsche  ich  den  leeren  Raum  selbst.  Und 
als  dann  die  Luft  noch  durchsichtiger  wurde,  zeich- 
neten sich  die  Umrisse  der  Erde  allmählich  ab,  ein  er- 
greifender Anblick;  sie  erschien  hohl,  man  glaubte  sich 
in  der  Mitte  einer  ausgehöhlten  Halbkugel  zu  befinden, 
deren  scharfe  Ränder  bis  zum  Himmel  hinanstiegen." 

Um  abends  wieder  in  die  französische  Legation  zu- 
rückzukehren, muß  ich,  wie  immer,  durch  die  schreck- 
lich kleine  Wüste  fahren,  wo  die  Karawanentiere  ver- 
wesen. « 

Endlich  erreichen  wir  den  Fuß  des  Berges,  und  dies- 
mal halten  wir  an,  um  eins  der  bezaubernden  Paradiese 
aufzusuchen,  die  von  Mauern  eingeschlossen  sind,  und 
die  den  stets  verborgen  gehaltenen  Prinzessinnen  als 
Zufluchtsort  dienen  sollen;  —  das  älteste  von  allen  liegt 
heute  verlassen  da,  es  wurde  von  Agha  Mohammed 
Khan,  dem  Gründer  der  jetzigen  Dynastie  der  Kad- 
jaren,  angelegt. 

Eine  Reihe  ansteigender  Gebüsche,  Wasserbassins 
und  Terrassen  führen  zu  einem  schwermütigen  Lust- 
schlößchen hinan,  in  dem  einst  so  viele  schöne  Ge- 
fangene geschmachtet  haben.  Man  ist  ganz  überrascht, 
zu  sehen,  wie  sicher  und  üppig  die  Vegetation  sich  hier 
entwickelt  hat,  die  von  Menschenhand  an  diesen  Platz 
getragen  wurde,  während  die  Bäume  draußen,  außer- 
halb der  Mauer,  jämmerlich  von  Wind  und  Kälte  mit- 


377 


genommen  erscheinen.  Hier  gibt  es  riesengroße  Lor- 
beerbäume, ihre  abgerundeten  Kronen  gleichen  einer 
Blätterkuppel,  hier  gibt  es  Zedern,  gewaltige  Rüstern. 
Rosensträuche,  mit  Zweigen,  so  dick  wie  Schiffstaue, 
stehen  in  voller  Maienblüte,  sie  klammern  sich  an  die 
Stämme  der  Räume  an,  und  überziehen  diese  gleichsam 
mit  einem  Kleid  von  Rosen.  Die  Erde  ist  mit  Moos,  mit 
den  Blütenblättern  der  echten  und  wilden  Rosen  be- 
deckt, ist,  zur  größten  Freude  der  Vögel,  von  weißen 
Maulbeeren  übersät.  Zahllose  Wiedehopfe  und  Häher, 
auf  die  niemals  Jagd  gemacht  wird,  hüpfen  in  den 
Steigen  umher,  ohne  sich  vor  uns  zu  fürchten;  die 
Wiedehopfe  sind  besonders  geheiligt  in  diesem  Gehölz, 
denn  die  Seele  irgendeiner  sagenhaften  Prinzessin  soll 
lange  in  dem  Körper  eines  dieser  Tiere  gewohnt  haben, 
oder  wohnt  vielleicht  noch  heute  dort,  was  man  aber 
nicht  mit  Bestimmtheit  zu  sagen  vermag...  Der  alte, 
kleine,  verschlossene  Palast,  der  auf  dem  höchstenPunkt 
des  schattigen  Parkes,  auf  der  höchsten  Terrasse  er- 
baut, wurde,  fällt  jetzt  unter  dem  Zahn  der  Zeit  zu- 
sammen, im  Sande  und  auf  dem  Moos  glänzen  Gla- 
sur- und  Spiegelstückchen,  die  Teile  einer  früheren, 
einer  zerbrechlichen  Dekoration . . .  Und  was  ist  aus 
den  Schöuen  geworden,  die  an  diesem  mißtrauischen, 
geheimnisvollen  Ort  gewohnt  haben,  den  Schönsten  aller 
Schönen,  die  unter  Tausenden  erlesen  wurden?  Ihr 
vollkommener  Körper  und  ihr  wunderbares  Antlitz,  ihre 
einzige  Daseinsberechtigung,  die  sie  liebenswert  mach- 
ten, und  um  deretwilien  man  sie  eingeschlossen  hielt, 
wo  sind  sie  geblieben  in  ihren  Gräbern?  Zweifellos  dort, 
unter  irgendeinem  kleinen,  vergessenen  Stein  ruhen  ihre 
Gebeine. 


278 


Dienstag,  39.  Mal 

Heute  sollen  mir  die  Säle  des  Schlosses  zu  Teheran 
gezeigt  werden,  dank  dem  Befehl  des  jungen  Prinzen. 

In  den  Garten,  im  Umkreise  der  Wasserbassins, 
herrscht  dasselbe  Schweigen  wie  gestern  und  vor- 
gestern; und  auch  die  Schwäne  ziehen  dieselben  Kreise 
zwischen  den  Spiegelbildern  der  rosenroten  Mauern 
und  der  großen  dunklen  Bäume. 

Hier  gibt  es  sogar  einen  Saal  mit  alten  Gobelins,  auf 
denen  Nymphen  tanze  dargestellt  sind.  Viel  zu  viele 
europäische  Sachen,  wohin  das  Auge  blickt,  an  den 
Wänden  hängen  zahllose  Spiegel,  eine  richtige  Spiegel- 
ausstellung; die  verschiedenartigsten  Spiegel  in  Rah- 
men, aus  dem  letzten  Jahrhundert,  mit  ganz  gewöhn- 
licher Vergoldung,  Spiegel,  überall  Spiegel,  wie  bei  den 
Möbelhändlern  dicht  nebeneinander  aufgehängt.  Um 
sich  dies  erklären  zu  können,  muß  man  wissen,  daß 
diese  Stadt  erst  seit  zwei  oder  drei  Jahren  eine  fahr- 
bare Straße  besitzt,  die  sie  mit  dem  Kaspischen  Meer 
und  mit  Europa  verbindet;  alle  Spiegel  wurden  in  Sänf- 
ten auf  steilen  Pfaden  unter  zwei-  bis  dreitausend  Meier 
hohen  Bergen  herbeigetragen;  wie  viele  also  müssen 
unterwegs  zerbrochen  sein,  damit  ein  einziger  heil  an- 
kommen konnte,  und  dieser  war  dann  natürlich  ein  sehr 
wertvoller  Gegenstand  1  Vielleicht  sind  die  Perser  durch 
diese  unzähligen  Glassplitter  zum  erstenmal  auf  den 
Gedanken  gekommen,  die  glänzenden  Stalaktite  als  Aus- 
schmückung zu  verwenden,  mit  denen  es  ihnen  gelun- 
gen ist,  etwas  so  Überraschendes  und  einzig  Dastehen- 
des zu  schaffen. 

Eigenartig  in  diesem  Palast  sind  übrigens  nur  die 


279 


mit  Eiszapfen  behangeneu  Gewölbe,  eine  unerschöpf- 
liche Phantasie  hat  es  verstanden,  hier  Abwechslung 
hineinzutragen.  Und  alles,  was  wir  heute  sehen,  kann 
sich  nicht  im  entferntesten  mit  dem  noch  in  reinem  per- 
sischen Stil  erbauten  Thronsaal  messen,  den  wir  den 
ersten  Tag  auf  Schleichwegen  betraten. 

Im  ersten  Stockwerk  liegt  eine  Galerie,  sie  ist  so 
groß,  wie  die  Säle  des  Louvre  und  enthält  viele  kost- 
bare Gegenstände.  Der  Fußboden,  aus  rosenroten 
Fayencen,  verschwindet  unter  seidigen  Teppichen, 
Probestücke  verschiedener  Zeiten  und  verschiedener 
Stile  Persiens.  Eine  übertriebene  Menge  von  Kristall- 
kronleuchtern hängen  in  langen  Reihen  dicht  nebenein- 
ander, ihre  zahllosen  Glasstückchen  vereinen  sich  mit 
den  Stalaktiten  des  Gewölbes  und  rufen  den  Eindruck 
eines  zauberhaften  Regens,  eines  Wasserfalles  hervor, 
der  noch,  bevor  er  herabstürzte,  zu  Eis  erstarrt  ist.  Und 
die  Fenster  zeigen  hinaus  auf  die  traurigen  Gärten,  auf 
die  ruhigen  Spiegelflächen  der  Wasserbassins.  In  den 
Glaskästen,  auf  den  Etageren,  den  Seitentischen,  über- 
all, liegen  tausend  verschiedene  Gegenstände,  aus  dem 
Anfang  der  jetzigen  Dynastie  stammend :  goldene  Uhren, 
mit  Edelsteinen  besetzt,  mit  kunstreichen  Mechanismen 
und  kleinen  Automaten  versehen,  Weltkarten  aus  Gold, 
mit  Diamanten  übersät;  Vasen,  Schüsseln,  Service  aus 
Sevres,  aus  Meißen  und  aus  China,  lauter  Geschenke 
der  Könige  und  Kaiser  an  die  Herrscher  Persiens.  In 
Abwesenheit  des  Schahs  werden  ungezählte  Kostbar- 
keiten in  verschlossenen  Truhen  in  den  Kellern  auf- 
bewahrt; unter  der  Erde,  in  den  Gewölben  des  Schlos- 
ses, schlafen  zahllose  Edelsteine  von  unschätzbarem 
Wert.  Aber  ganz  im  Hintergrunde  der  Galerie  steht  in 

280 


der  Mitte  des  letzten,  mit  Kristall  behangenen  Bogens 
das  Wunder  aller  Wunder,  es  ist  zu  schwer,  als  daß  ein 
Diebstahl  möglich  wäre,  man  hat  es  ohne  Hülle,  ohne 
Decke,  wie  irgendein  beliebiges  Stück  Möbel  auf  den 
Fußboden  gestellt:  der  alte  Thron  der  Großen  Mogolen, 
der  einst  im  Palast  von  Delhi  in  dem  wunderbaren, 
durchbrochenen  Marmorsaal  seinen  Platz  hatte.  Er  be- 
steht aus  einer  Estrade  aus  schwerem  Gold,  von  zwei 
oder  drei  Meter  Länge,  seine  acht  goldenen  Füße  sind 
wie  Reptilien  gewunden,  an  seinen  vier  Seiten  bilden 
Blumenzweige  in  erhabener  Arbeit  eine  Kante,  ihre 
Blätter  sind  aus  Smaragden,  ihre  Kronblätter  aus  Ru- 
binen oder  Perlen  hergestellt  Auf  diesem  sagenhaft 
schönen  Sockel  prangt  in  stolzer  Pracht  ein  seltsamer 
Sessel  aus  Gold,  der  ganz  mit  großen  Blutstropfen  be- 
sprengt zu  sein  scheint.  —  Dies  sind  geschliffene  Ru- 
binen in  Cabochonf orm ;  über  der  Lehne  strahlt  eine 
Sonne  aus  riesengroßen  Diamanten,  sobald  man  Platz 
nimmt,  wird  sie  durch  einen  Mechanismus  gedreht,  und 
alsdann  glitzert  und  funkelt  sie  wie  ein  herrliches 
Feuerwerk. 

Heute  abend  findet  das  Diner  statt,  das  Seine  Exzel- 
lenz, der  Großvezir,  mir  zu  Ehren  zu  geben  geruht. 

Eine  ganz  nach  europäischer  Art  gedeckte  und  mit 
Blumen  geschmückte  Tafel;  Minister  in  schwarzem 
Frack  und  weißer  Binde,  mit  Großkordons  und  Orden; 
dies  sah  man  schon  überall.  Außer  den  Kalyans,  die 
zum  Nachtisch  die  Runde  bei  den  Gästen  machten, 
gleicht  dies  Mahl  ganz  demjenigen,  das  unser  Minister 
der  auswärtigen  Angelegenheiten  —  der  bei  uns  die 
Stelle  des  Großvezirs  einnimmt  —  irgendeinem  durch- 
reisenden Fremden  in  seinen  Räumen  am  Quai  d'Orsay 

381 


geben  würde.  Zwischen  dieser  Stadt  und  Ispahan  liegen 
nur  hundert  Meilen  wüsten  Landes,  durch  das  wir  in 
Etappen  gereist  sind,  aber  es  trennt  sie  auch  drei  Jahr- 
hunderte wenigstens,  drei  Jahrhunderte  menschlicher 
Entwicklung. 

Mittwoch,  3o.  Mai. 

Auf  dem  neuen,  fahrbaren  Weg  kann  man  mit  einem 
Wagen  in  vier  oder  fünf  Tagen  von  Teheran  an  das 
Ufer  des  Kaspischen  Meeres  nach  Recht  kommen,  und 
von  Recht  mit  einem  russischen  Dampfer  nach  der 
Petroleumstadt  Baku,  die  an  der  Schwelle  Europas  liegt 
Aber  es  ist  nicht  immer  leicht,  sich  diesen  Wagen,  und 
noch  weniger  leicht,  sich  die  Pferde  zu  verschaffen,  ge- 
rade jetzt,  wo  die  kürzlich  erfolgte  Abreise  Seiner  Ma- 
jestät des  Schahs  und  seines  Gefolges  alle  Pferdeställe 
auf  den  Poststationen  geleert  hat 

Und  während  man  von  morgens  bis  abends  für  mich 
nach  den  unauffindbaren  Wagen  sucht,  wird  das  kleine 
Gehölz  der  französischen  Legation  von  jüdischen  Kauf- 
leuten  überschwemmt,  die  immer  wie  durch  ein  Wun- 
der von  der  Gegenwart  eines  Fremden  benachrichtigt 
werden.  Sie  steigen  von  Teheran  zu  uns  hinauf,  die 
©inen  auf  einem  Maulesel,  die  anderen  auf  einem  Klep- 
per, wieder  andere  zu  Fuß,  gefolgt  von  Lastträgern,  die 
schwere  Ballen  schleppen;  vor  den  kühlen  Veranden, 
im  Schatten  der  Pappeln,  breiten  sie,  um  mich  zu  locken, 
ihre  alten  Teppiche,  ihre  seltenen  Stickereien  aus. 


282 


Donnerstag,  3i.  Mai. 

Es  ist  gelungen,  mir  einen  schlechten  Wagen  mit 
vier  Pferden  und  einen  Packwagen  für  mein  Gepäck, 
mit  abermals  vier  Pferden,  zu  verschaffen.  Ich  fahre 
durch  die  unfreundlichen  Ebenen,  unter  den  traurigen 
Wolken  dahin,  hinter  denen  die  wunderbaren,  die 
schreckeneinflößenden  Berge  verborgen  liegen. 


Freitag,  i.  Juni 

Noch  immer  keine  Bäume.  Gegen  Abend  fahren  wir 
in  Kasbine  ein,  eine  Stadt  von  zwanzigtausend  Einwoh- 
nern, inmitten  der  Kornfelder  gelegen,  eine  Stadt  mit 
Fayencetoren,  eine  alte  persische  Hauptstadt,  einst  war 
sie  sehr  bevölkert,  heute  liegt  sie  in  Trümmern  da;  in 
ihren,  schon  ein  wenig  europäischen  Straßen  sieht  man 
die  ersten  Schilder  mit  russischen  Buchstaben. 


Sonnabend,  2.  JunL 

Eins  meiner  Pferde  ist  über  Nacht  gestorben,  in  aller 
Eile  muß  ein  neues  gekauft  werden.  Meine  beiden  Kut- 
scher sind  betrunken,  und  sie  spannen  erst  an,  nachdem 
man  sie  mit  Stockschlägen  bedroht  hat 

Immer  weniger  einsam  erscheinen  die  Ebenen;  die 
Wiesen  sind  mit  Blumen  übersät,  ungezählte,  schwarze 
Schafe  weiden  hier;  die  Kornfelder  leuchten  goldig, 
turkomanische  Nomaden  ernten  dort  Der  Wind  ist  nicht 
mehr  so  empfindlich,  die  Sonne  nicht  mehr  so  bren- 
nend, wir  sind  schon  ein  wenig  von  unserer  gewöhn- 
lichen Höhe  herabgestiegen.  Es  ist  wunderbar  schön,  so 

283 


schön  wie  bei  uns  an  hellen  Junitagen.  In  der  Mittags- 
stunde kehren  die  Luftspiegelungen  noch  einmal  wie- 
der, sie  verdoppeln  die  Schafe  auf  den  Wiesen  und  las- 
sen die  Hirten  zu  Riesen  anwachsen. 

Vor  dem  kleinen  Dorf  Kouine,  wo  wir  für  eine  Nacht 
ausruhen  werden,  sehen  wir  endlich  Bäume  wachsen; 
große,  mehr  als  hundertjährige  Nußbäume  werfen  ihre 
Schatten  auf  die  Wiesen,  die  mit  ihren  Esparsetten 
rosenrot  daliegen.  Und  trotz  des  gewaltigen  Zaubers  der 
Wüsten  läßt  man  sich  doch  von  der  Anmut  dieser 
Landschaft  rühren. 

Sonntag,  3.  Juni. 

Alle  meine  Iraner  sind  betrunken.  Meine  neuen  Die- 
ner, die  ich  in  Teheran  angeworben  habe,  sind  betrun- 
ken. Meine  beiden  Kutscher  sind  noch  betrunkener  als 
am  gestrigen  Abend;  sie  haben  ihre  Mützen  verkehrt 
herum  aufgesetzt  und  fahren  uns  ebenso  verkehrt  in 
den  Bergen  umher.  Vier  Stunden  lang  wagen  wir  uns 
auf  den  sich  dahinschlängelnden  Pfaden  vorwärts,  wo 
uns  Kamele  und  Maultiere  den  Weg  versperren,  und  wo 
sich  keine  Felswand  als  Schutz  gegen  die  Abgründe 
erhebt.  Ich  hatte  die  Angst  vor  dem  Alkohol  ganz  ver- 
gessen, als  ich  mit  meinen  guten  Tcharvadaren  aus 
Mittelpersien  reiste;  aber  jetzt  sehe  ich,  daß  mein  neues 
Gefolge  sich  schon  durch  einen  leisen  Anflug  europä- 
ischer Zivilisation  auszeichnet. 

Wir  steigen  immer  mehr  zu  der  normalen  Durch- 
schnittsfläche der  Erde  herab.  Um  die  Mittagsstunde 
wird  in  einem  paradiesischen  Winkel,  der  schon  ganz 
im  Schutz  gegen  den  zu  scharfen  Wind  der  Gipfel  ge- 

a84 


legen  ist,  haltgemacht.  Diese  Schlucht  scheint  unseren 
entwöhnten  Augen  einem  irdischen  Paradies  zu  glei- 
chen. Große  Feigenbäume,  so  gewaltig,  so  dicht  be- 
laubt wie  die  Banianenbäume  Indiens,  verzweigen  sich 
und  bilden  über  dem  Wege  ein  Blättergewölbe;  das 
Gras  ist  hoch  und  mit  Kornblumen,  mit  rötlichen 
Kuckucksblumen  übersät;  die  Granatbäume,  die  ihre 
wunderbare  Blüte  fast  ganz  beendet  haben,  streuen  rote 
Korallen  auf  das  Moos;  ein  sehr  klarer  Bach  plätschert 
zwischen  den  hohen,  lilagetönten  Blumen.  Dieser  Ort 
muß  im  ganzen  Lande  bekannt  sein,  denn  die  verschie- 
densten Reisenden  halten  hier  ihren  Mittagsschlaf;  auf 
dem  weichen  Teppich,  den  die  Stengel  der  Gräser  noch 
schwellender  machen,  sitzen  Perser  und  Perserinnen, 
sie  kochen  ihren  Tee,  essen  Früchte  und  Kuchen;  die 
verschleierten  Damen  lüften  mit  einer  Hand  ihre  weiße 
Maske  und  stopfen  darunter  Kirschen  in  den  Mund; 
Tscherkessen  mit  Pelzmützen,  mit  einem  langen  sil- 
bernen Dolch,  der  gerade  wie  ein  Daggert  ist,  sitzen 
abseits  unter  einer  Eiche,  und  die  Turkomanen  hocken 
um  eine  Schüssel  und  greifen  mit  den  Fingern  nach 
dem  gekochten  Fleisch.  Es  gibt  hier  kein  Dorf,  keine 
Karawanserei;  nichts  als  ein  altes  Lehmhäuschen,  das 
dem  Teehändler  gehört,  und  dessen  drei  oder  vier  kleine 
Knaben  eifrig  bemüht  sind,  die  Leute  draußen  im 
Freien,  im  kühlen  Schatten  zu  bedienen.  Alles  geht  so 
natürlich,  so  lustig  zu,  denn  jeder  ist  von  der  Schönheit 
des  Platzes,  der  entzückenden  Lage  bezaubert,  man  sieht 
hohe  Herren,  in  Kaschmirgewändern  eigenhändig  aus 
dem  klaren  Bach  ihren  kupfernen  Becher  oder  ihren 
Samovar  füllen,  und  die  Bettler,  zerlumpte,  halbnackte 
Leute,  haben  die  schönen  Blätter  auf  ihre  Beinwunden 

285 


geklebt  und  warten  darauf,  daß  man  ihnen  die  Über- 
reste des  Mahls  reichen  wird.  Im  Schatten  der  großen 
Feigenbäume,  auf  hölzernen,  mit  roten  Teppichen  be- 
deckten Bänken  bringt  man  uns  unter,  und  dort  nehmen 
wir,  nach  persischer  Sitte  hockend,  unser  Mittagsessen 
ein. 

Aber  plötzlich  ertönt  ein  furchtbarer  Lärm  hinter 
dem  überhängenden  Berg  am  Himmel:  ein  Gewitter, 
das  wir  nicht  sehen  konnten,  das  heimlich  heran- 
geschlichen ist.  Und  sofort  pladdert  es  auf  das  Blätter- 
dach herab;  Regen,  Hagel,  Wasserströme,  Sintflut. 

Rette  sich,  wer  kann;  in  dem  kleinen,  dunklen  Loch 
des  Teehändlers  drängen  sich  so  viele  Leute,  wie  nur 
hineingehen,  zusammen,  alles  im  bunten  Durcheinander 
mit  den  Tscherkessen,  den  Turkomanen,  den  zerlump- 
ten Bettlern.  Nur  die  Damen  sind  anstandshalber 
draußen  geblieben.  Es  regnet  in  Strömen;  ein  schmutzi- 
ges, mit  Lehm  vermischtes  Wasser  fließt  durch  die 
Risse  des  Daches  auf  uns  herab;  der  duftende  Rauch 
der  Kalyan  vereint  sich  mit  dem  Rauch  der  auf  dem 
Boden  stehenden  Öfen,  wo  die  Kessel  der  Teetrinker 
warm  gehalten  werden;  man  kann  nicht  mehr  atmen; 
wir  wollen  uns  dem  Loch  nähern,  das  als  Tür  dient. .. 

Von  hier  aus  sehen  wir  die  Damen  unter  den  Bäu- 
men, unter  den  Teppichen  sitzen,  die  sie  wie  Zelte  aus- 
gespannt haben;  ihre  durchnäßten  Schleier  kleben  drol- 
lig an  den  Nasen  fest;  der  niedliche  Bach  ist  zum  Strom 
angewachsen,  er  bedeckt  sie  mit  Schmutz;  sie  haben 
ihre  Babuschen,  ihre  Strümpfe,  ihre  Hosen  ausgezogen, 
und  während  sie  noch  immer  züchtig  das  Gesicht  ver- 
hüllen, zeigen  sie  ihre  hübschen,  sehr  rundlichen  Beine; 
—  und  trotzdem  sind  sie  guter  Laune,  denn  man  sieht, 

286 


wie  ein  kindliches  Lachen  ihre  durchnäßten  Formen 
schüttelt. .. 

Wir  schlafen  nachts  in  einem  traurigen  Weiler,  am 
Ende  einer  Brücke,  sie  führt  über  eine  wilde  Schlucht, 
über  einen  reißenden  Gießbach  dahin.  Und  ein  Chaos 
von  Bergen  umgibt  uns:  Alle  Stufen,  die  wir  vom  Ara- 
bischen Meer  erklommen  haben,  um  nach  Persien  hin- 
auf zugelangen,  müssen  wir  natürlich  auf  dieser  Seite 
hinabsteigen,  wollen  wir  das  Kaspische  Meer  erreichen. 

Kaum  sind  wir  in  das  kleine,  unbekannte  Häuschen 
eingetreten,  so  kehrt  auch  der  Donner,  die  Sintflut  zu- 
rück. Und  gegen  Ende  der  Nacht  beunruhigt  uns  ein 
beständiger  Lärm,  ein  schrecklicher  Höllenlärm,  er 
wird  nicht  durch  das  Gewitter  verursacht,  sondern 
kommt  von  unten,  aus  dem  Innern  der  Erde,  möchte 
man  sagen.  —  Es  ist  der  Fluß  unter  uns,  der  plötzlich 
dreißig  Fuß  gestiegen  ist,  und  der  jetzt  in  furchtbarer 
Wut  die  Felsen  peitscht 

Montag,  4.  Juni 

Wir  brechen  morgens,  bei  einem  noch  drohend  be- 
wölkten Himmel  auf.  Eine  Karawane,  die  von  Recht 
hinaufsteigt,  trägt  uns  schlechte  Nachrichten  zu:  weiter 
unten  sind  die  Brücken  gesprengt,  ist  die  Straße  auf- 
gerissen; vierzehn  Tage,  so  behaupten  die  Kameltreiber, 
könne  ein  Wagen  nicht  dort  passieren. 

Und  solche  Abenteuer  gehören  mit  zu  den  alltäg- 
lichen Dingen  in  dieser  wilden  Gegend,  wo  man  für 
große  Kosten  eine  viel  zu  eingeschachtelt  liegende 
Straße  erbaut  hat,  ohne  den  Strömen,  die  in  einer 
Stunde  anschwellen  können,  genügenden  Platz  zu  las- 

287 


sen.  Der  junge  Erbprinz  Persie ns  erzählte  mir  in  Tehe- 
ran, daß  er  in  dieser  Gegend  von  einem  Unwetter  über- 
rascht worden  sei  und  sich  in  Todesgefahr  befunden 
habe;  Blöcke,  von  denen  der  eine  seinen  Wagen  in  zwei 
Teile  spaltete,  fielen  dicht  wie  Hagel  von  den  Bergen 
herab,  die  Wasserfälle  rissen  sie  mit  sich. 

Während  der  ersten  vier  Stunden  fahren  wir,  ohne 
daß  uns  ein  Unglück  begegnet  wäre,  durch  die  traurige 
Gegend  hindurch,  die  übrigens  ebenso  kahl  ist  wie  die 
der  hochgelegenen  Ebenen.  —  Bis  jetzt  haben  wir  nur 
ausnahmsweise  Bäume  in  den  von  der  Natur  bevorzug- 
ten Winkein  gesehen,  wo  sich  etwas  Dünger  angehäuft 
hatte.  —  Aber  nun  versperrt  ein  ganzes  Felsstück  den 
Weg,  über  Nacht  ist  es  gespalten  und  herabgestürzt 
Persische  Chausseearbeiter  sind  hier  mit  Stangen, 
Hebeln  und  Hacken  tätig.  Sie  gebrauchen  wenigstens 
einen  Tag,  so  behaupten  sie.  Ich  gebe  ihnen  eine  Stunde 
und  verspreche  ihnen  eine  königliche  Belohnung,  wenn 
sie  sich  mit  Eifer  darüber  hermachen :  Die  zu  schweren 
Blöcke  sollen  sie  auseinandersprengen,  sollen  sie  bis  an 
den  Rand  rollen  und  in  die  Abgründe  hinabstürzen  und 
Allah  und  Mohammed  dabei  um  Hilfe  anrufen.  Kaum 
ist  die  Stunde  verflossen,  so  haben  sie  auch  ihre  Arbeit 
beendet,  und  wir  können  passieren  1 

Nachmittags  wagen  wir  uns  auf  gefährlichen  Pfaden 
an  den  Abhängen  eines  senkrechten  Berges  vorwärts; 
von  neuem  grollt  der  Donner,  setzt  die  Sintflut  mit  er- 
schreckender Gewalt  ein.  Und  bald  sausen  die  Steine 
um  uns  herum,  zuerst  die  kleinen,  dann  die  großen, 
Blöcke,  von  denen  ein  einziger  unsere  Pferde  zermal- 
men könnte.  Wo  Schutz  suchen  1  Kein  Haus  in  zwei 
Meilen  weitem  Umkreis,  und  außerdem,  welche  Dächer, 

288 


welche  Gewölbe  könnten  ähnlichen  Stößen  wider- 
stehen? So  laßt  uns  also  hierbleiben  und  unser  Schick- 
sal erwarten. 

Als  das  Unwetter  sich  gelegt  hat  und  niemand  ge- 
tötet wurde,  fahren  wir  in  schnellem  Tempo  nach  dem 
Meere  zu  hinab  und  erreichen  allmählich  ein  feuchtes, 
baumreiches  Persien;  aber  in  keiner  Weise  gleicht  dies 
dem  Persien,  das  wir  soeben  verlassen  haben.  Und  wir 
sehnen  uns  nach  diesem  anderen,  dem  großen,  wirk- 
lichen Persien,  wie  es  sich  dort  oben,  hoch  oben, 
schwermutig  in  seine  alten  Traume  unter  dem  ewig 
gleichen  Himmel  einspinnt  Sogar  die  Luft,  die  Luft 
hier  unten,  die  wir  doch  unser  ganzes  Leben  lang  ein- 
geatmet haben,  erscheint  so  drückend  schwer  und  un- 
gesund nach  der  belebenden  Reinheit,  in  der  wir  uns 
zwei  Monate  aufhalten  durften. 

Und  doch  sind  die  Wälder,  die  Buchenwälder  mit 
ihrem  frischen  Junilaub  schön!  überall,  wohin  das 
Auge  fällt,  bedecken  sie  diese  neuen  Gipfel  —  die  mehr 
als  tausend  Meter  tiefer  liegen  als  die  wüsten  Ebenen, 
aus  denen  wir  kommen  — ,  bedecken  sie  die  Gipfel  mit 
einem  gleichmäßigen  und  wunderbar  reichen  ManteL 
Nach  dem  Gewitter  fällt  ein  leiser,  ruhiger  Regen  auf 
dieses  grüne  Land.  Alle  Nebel,  alle  Wolken,  die  das 
Kaspiscbe  Meer  heraufschickt,  hält  der  riesensroße 
Backofen  Irans  zurück,  und  hier  auf  diesem  schmalen 
Streifen  verteilen  sie  sich  und  füllen  ihn  wie  den  Wald 
der  Tropen  mit  schattigem  Grün,  während  oben  die 
weiten  Ebenen  strahlend  und  ausgedörrt  wie  immer 
bleiben.  Wir  erreichen  abends  ein  Dorf,  das  zwischen 
Rüstern  und  blühenden  Granatbäumen  versteckt  liegt; 
hier  ist  die  Luft  drückend,  die  Leute  sehen  abgemagert 


19     Per*ie<*. 


a8g 


und  blaß  aas.  Es  regnet  noch  immer,  sehr  widerwillig 
und  sehr  teuer  vermietet  man  uns  einen  Raum  aus 
Lehm,  wo  der  Fußboden  aufgeweicht  ist,  und  wo  es 
fast  ebenso  regnet  wie  draußen.  Außerdem  wird  uns 
mitgeteilt,  daß  eine  Viertelmeile  weiter  die  Brücke 
nachts  durch  den  Strom  mit  fortgeschwemmt  ist,  und 
daß  unsere  Wagen  nicht  passieren  können,  —  für  mor- 
gen früh  müssen  wir  zu  fabelhaft  hohem  Preise  Maul- 
tiere mieten.  Eine  Karawane,  die  duroh  den  Fluß 
gewatet  ist,  zieht  uns  in  einem  seltsamen  Aufzug  ent- 
gegen, die  Kamele  sind  bis  an  die  Augen  mit  klebrigem 
Schmutz  bezogen;  sind  zu  unförmlichen,  schuppigen 
Ungeheuern  angewachsen,  während  die  sie  begleitenden 
Maultiere  scheinbar  durch  Schlamm  haben  waten  müs- 
sen. Und  die  Bauern  tragen  ungewöhnlich  große  Fische 
herbei,  —  fabelhafte  Karpfen,  phänomenale  Forellen, 
die  der  angeschwollene  Fluß  auf  den  Ufern  zurück- 
gelassen hat. 

Eine  Stunde  später  herrscht  Kampf  und  Blutver= 
gießen  unter  meiner  Dienerschaft,  sie  haben  alle  zu 
viel  russischen  Branntwein  getrunken.  Niemand  ist  da, 
der  uns  unsere  Abendmahlzeit  bereiten  könnte.  Von 
den  Dorfbewohnern  ist  nichts  zu  erreichen.  Mein  armer 
Diener  liegt  fiebernd  darnieder,  und  ich  allein  bin  hier, 
um  ihn  zu  pflegen  und  zu  bedienen. 

Und  während  der  Weg  durch  die  Wüsten  des  Südens, 
der  allgemein  als  so  gefährlich  geschildert  wird,  ein 
Kinderspiel  war,  so  erwartete  mich  das  seltsamste  Un- 
gemach auf  dieser  alltäglichen  Straße  von  Teheran,  wo 
alle  Welt  passiert,  aber  wo  die  Perser,  durch  die  Be- 
rührung mit  den  Europäern  unverschämte  Kerle,  Trun- 
kenbolde und  Diebe  geworden  sind. 


390 


Dienstag,  5.  Juni. 

Bei  aufgehender  Sonne  beginne  ich  mein  Tagewerk, 
indem  ich  dem  Kutscher  die  Stockschläge  zuerteile,  auf 
die  er  wirklich  Anspruch  zu  machen  hat.  Dann  kommt 
die  Reihe  an  die  Maultiervermieter,  sie  fordern  heute 
noch  einmal  soviel,  als  wir  am  Abend  vorher  abge- 
macht hatten,  ich  schmeiße  sie  hinaus. 

Eine  Schar  Dorfbewohner  bietet  mir  dann  an,  im 
Laufe  des  Vormittags  aus  Felsen,  Baumstämmen, 
Stricken  und  so  weiter  eine  provisorische  Brücke  zu 
erbauen;  meine  leeren  Wagen  wollen  sie  hinüberrollen, 
und  dann  sollen  unsere  Pferde,  unser  Gepäck  und  wir 
selbst  durch  den  Fluß  waten.  Trotz  des  hohen  Preises 
gehe  ich  auf  den  Vorschlag  ein.  Und  mit  Balken, 
Schaufein,  Haken,  wie  zur  Belagerung  einer  Stadt  aus- 
gerüstet,  ziehen  sie  von  dannen. 

Um  die  Mittagsstunde  ist  alles  fertig.  Meine  beiden 
abgeladenen  Wagen  gelangen  scheinbar  durch  ein  Wun- 
der über  das  Gerüst  hinüber,  und  so  auch  wir;  auch  die 
Gepäckträger  und  unsere  Pferde  erreichen  schließlich 
das  andere  Ufer,  nachdem  sie  sich  ganz,  wie  die  Kara- 
wane gestern  abend,  von  oben  bis  unten  mit  Schlamm 
bespritzt  hatten.  Man  lädt  auf,  man  spannt  an;  die  jetzt 
nüchternen  Kutscher  nehmen  ihre  Plätze  ein. 

Und  bis  zum  Abend  reisen  wir  durch  das  Reich  der 
Bäume,  durch  die  eintönige,  grüne  Nacht,  in  einem 
wirklichen  Wald,  bei  feinem,  anhaltendem  Regen.  Die 
Tropen  kennen  kaum  ein  schöneres  Grün,  als  wie  es 
hier  in  dieser  feuchten,  stets  bewässerten  Gegend 
wächst.  Ulmen,  Buchen,  alle  voll  entwickelt,  alle  mit 
Efeu  umrankt,  sie  stehen  dicht  gedrängt,  vereinen  ihre 

19*  391 


prächtigen,  frischen,  blattreichen  Zweige  zu  einem 
Dach,  legen  sich  wie  ein  einziger  großer  Mantel  über 
die  Berge;  man  sieht  in  der  Ferne,  wie  die  kleinen, 
gleichmäßigen  Gipfel  mit  den  abgerundeten  Umrissen 
sich  aneinanderreihen,  wie  sie  alle  mit  dem  dichten 
Grün  bekleidet  sind,  gleichsam,  als  trügen  sie  einen 
grünen  Schafpelz. 

Plötzlich  hat  sich  die  Landschaft  verändert,  über- 
raschend ist  es,  im  äußersten  Norden  dieses  hochgele- 
genen, kalten,  ausgedörrten  Persiens  eine  niedrige, 
feuchte,  laue  Zone  zu  finden,  wo  die  Natur  so  ganz  un- 
vermittelt an  die  erschlaffende  Atmosphäre  eines  Treib- 
hauses erinnert  I 

Der  sich  durch  die  Wälder  dahinschlängelnde,  stets 
sich  abwärts  neigende  Weg  wird  wie  bei  uns  instand 
gehalten,  wie  man  es  in  den  sehr  beschatteten  Gegen- 
den unserer  Pyrenäen  findet;  aber  die  Reisenden  und 
ihre  Tiere  bleiben  asiatisch:  Karawanen,  Kamele,  Maul- 
tiere mit  perlenbesticktem  Sattelzeug,  verschleierte 
Frauen  auf  kleinen,  weißen  Eselinnen. 

Und  jetzt  trifft  man  gelegentlich  am  Rande  des 
grünen  Weges  mehrere  Häuser,  die  gar  nicht  in  diesen 
Ort  hineinzupassen  scheinen.  Häuser,  ganz  aus  runden 
Baiken  erbaut,  wie  man  sie  am  Rande  des  Ural  und  in 
den  Steppen  Sibiriens  trifft.  Und  auf  der  Schwelle  der 
Türen  zeigen  sich  Männer  mit  flachen  Mützen,  blond 
und  rosig,  und  ihr  blaues  Auge  scheint  nach  all  den 
schwarten  Augen  der  Iraner  gleichsam  von  einem  nörd- 
lichen Nebel  verschleiert  zu  sein;  das  benachbarte 
Rußland,  das  diese  Wege  erbaut  hat,  stellte  hier  über- 
all Beamte  an,  um  die  Straßen  beaufsichtigen  und  in- 
stand halten  zu  lassen, 


293 


Gegen  Ende  der  Etappe  befinden  wir  uns  in  gleicher 
Höhe  mit  dem  Kaspischen  Meer  (das,  wie  man  weiß, 
noch  dreißig  Fuß  über  dem  Wasserspiegel  der  anderen 
Meere  liegt),  und  in  der  Dämmerung  machen  wir  vor 
einer  alten,  aus  ßuchenstämmen  erbauten  Karawanserei 
halt,  inmitten  einer  sumpfigen,  mit  Seerosen  bewach- 
senen Ebene,  wo  Frösche  und  Wasserschildkröten 
hausen. 

Mittwoch,  6.  Juni 

Ein  dreistündiger  Weg  heute  morgen  führt  stets 
durch  Grün  zwischen  Feigen-  und  Nußbäumen,  Mimo- 
sen und  Farnkräutern  hindurch,  bis  man  schließlich 
die  kleine  Stadt  Recht  erreicht,  die  nicht  einmal  mehr 
einen  persischen  Anstrich  zeigt.  Vorbei  mit  den  Mauern 
aus  Lehm,  den  Terrassen  aus  Lehm,  vorbei  mit  den 
regenlosen  Gegenden;  die  Häuser  von  Recht  sind  alle 
aus  Stein  und  Fayence  erbaut,  ihre  Dächer  sind  alle 
mit  römischen  Ziegeln  bedeckt  und  springen  zum 
Schutz  gegen  die  Regengüsse  weit  hervor.  Überall  auf 
den  Straßen  sieht  man  Wasserpfützen,  die  Luft  ist  ge- 
witterschwül l 

Noch  eine  Stunde  bis  nach  Pire-Bazar,  wo  die  große 
Straße,  die  fast  einzige  Straße  Persiens,  endet  Dort 
fließt  ein  Kanal  zwischen  dem  überhängenden,  blühen- 
den Schilf  dahin,  er  ist  wie  eine  chinesische  Arroyo 
mit  Barken  überladen.  Dies  ist  der  Verkehrsweg 
zwischen  Iran  und  Rußland,  und  es  wimmelt  auf  die- 
sem schmalen  Wasserstreifen  von  einem  ganzen  see- 
liebenden Völkchen;  ungezählte  Boots  Vermieter  halten 
Ausschau  nach  der  Ankunft  von  Reisenden  und  Kara- 
wanen. 

293 


Wir  müssen  eine  der  großen  Barken  mieten,  und 
dann  geht's  vorwärts;  unsichtbare  Leute,  hinter  hohen 
Gräsern  versteckt,  wandern  zu  Land  voraus  und  ziehen 
uns  an  einem  Strick  nach  sich;  und  so  gleiten  wir 
ruhig  unter  einem  Zelt  dahin,  streifen  das  Grün  des 
Ufers,  kreuzen  viele  andere  Barken,  die  der  unsrigen 
ähnlich  sind,  und  die,  wie  wir,  gezogen  werden;  sie 
tragen  Leute  und  Gepäck,  und  in  diesem  kleinen  Schilf- 
gäßchen  muß  man  sich  vor  ihnen  in  acht  nehmen. 

Endlich  öffnet  sich  ein  See  vor  uns,  sehr  groß,  sehr 
blau,  liegt  er  zwischen  den  Inseln  der  Gräser  und  der 
Seerosen  inmitten  einer  ungezählten  Schar  von  Reihern 
und  Kormoranen  da.  Das  andere  Ufer  dort  unten  zeich- 
net sich  nur  als  ein  schmaler,  grüner  Streifen  ab,  dar- 
über sieht  man  den  Horizont  der  stillen  Wasser,  den 
Horizont  des  Kaspischen  Meeres.  —  Und  man  könnte 
glauben,  dies  sei  eine  japanische  Landschaft. 

Man  betritt  das  neue  Ufer,  wo  wieder  hohes  Schilf 
aufragt,  wo  die  Kormorane  und  Reiher  in  dichten 
Scharen  auffliegen.  Zwischen  dem  See  und  dem  Meer, 
zwischen  dem  fast  zu  kühlen  Grün  der  Bäume,  in  dem 
Orangenhain,  liegt  eine  kleine  Stadt;  sie  hat  einen  leisen 
türkischen  Anstrich,  scheint,  von  weitem  gesehen, 
lächelnd  und  hübsch  und  taucht  an  beiden  Enden  ins 
Wasser.  Am  Eingang  ragt  ein  schönes  Lusthaus  aus 
rosenroten  und  biauen  Fayencen  auf,  der  letzte  Gruß 
Persiens,  es  nennt  sich  „die  strahlende  Sonne"  —  und 
dient  Seiner  Majestät  dem  Schah  als  Absteigequartier, 
wenn  er  sich  auf  seine  Reisen  nach  Europa  begibt 

Die  kleine  Stadt  heißt  Enzeli;  in  der  Nähe  gesehen 
ist  es  ein  schrecklicher  Haufen  moderner  Läden,  die 
dem  Reisenden  geöffnet  sind,  ein   Zufluchtsort  für 

394 


Schurken  und  Lumpengesindel,  weder  Perser,  noch 
Russen,  noch  Armenier,  noch  Juden,  Leute  von  unbe- 
stimmbarer Nationalität,  Leute,  die  die  Grenze  auszu- 
beuten verstehen.  Aber  in  den  Gärten  Enzelis  blühen 
und  duften  Rosen,  Lilien,  Nelken,  und  die  Orangen- 
bäume wachsen  voller  Zuversicht  am  Ufer  des  Meeres, 
das  keine  Flut  noch  Ebbe  kennt  —  wachsen  inmitten 
des  feinen  Sandes,  des  ruhigen  Gestades. 

In  diesem  Enzeli  müssen  wir  voller  Ergebung  auf 
ein  russisches  Schiff  warten,  morgen,  die  Stunde  ist 
noch  nicht  festgesetzt,  wird  es  uns  nach  Baku  tragen. 
Von  Baku  braucht  man  nur  über  Tiflis  durch  Tscher- 
kessien  zu  fahren,  um  in  Batum  anzugelangen,  wo  die 
Schiffe  des  Schwarzen  Meeres  die  Reisenden  nach 
Odessa  oder  nach  Konstantinopel  tragen,  nach  der 
Schwelle  der  großen  europäischen  Linien  — ,  mit  ande- 
ren Worten  —  hier  ist  der  Endpunkt  unserer  Reise . , . 
Und  abends,  unter  den  Orangenbäumen  des  Ufers,  beim 
leisen  Wellenschlag  des  eingeschlossenen  Meeres,  werfe 
ich  einen  Blick  zurück  auf  den  Weg,  den  ich  gegangen 
bin,  und  dort  sehe  ich  noch  einmal  Persien  liegen,  das 
hohe,  das  wirkliche  Persien,  das  Persien  der  Gebirgs- 
regionen  und  der  Wüsten.  Über  den  Wäldern,  über  den 
schon  sich  verdunkelnden  Wolken  liegt  es  rosenrot  da; 
noch  für  einen  kleinen  Augenblick  leuchtet  es  in  der 
Sonne  auf,  mich  aber  hüllt  schon  die  Dämmerung  ein. 
Von  hier  aus  gesehen,  bietet  es  uns  denselben  Anblick 
der  endlosen  Mauer,  den  es  uns  das  erstemal  bei  un- 
serem Aufstieg  von  dem  Persischen  Golf  geboten;  es 
ist  weniger  farbenprächtig,  weil  wir  uns  jetzt  in  den 
nördlichen  Gegenden  befinden,  aber  es  hebt  sich  ebenso 
scharf  in  der  selten  klaren  Luft  von  den  anderen 

a95 


irdischen  Gegenständen  ab.  Als  wir  von  dem  heißen 
Golf  kamen,  lag  es  vor  uns,  wir  mußten  es  erklimmen, 
und  es  hielt  alle  seine  ungeahnten  Wunder  für  uns  in 
Bereitschaft  Jetzt  steigen  wir  hinab,  nach  einem  Ritt 
von  vierhundert  Meilen  durch  die  vielen  Berge,  über 
Spalten  und  Risse  dahin.  Es  wird  in  der  irdischen  Ent- 
fernung und  in  der  Vergangenheit  der  Erinnerung 
mehr  und  mehr  verschwinden.  Aber  von  all  den  Wun- 
dern, die  unsere  Augen  erblickten,  wird  uns  dieses  am 
längsten  vorschweben:  Eine  Stadt,  in  Trümmer  zer- 
fallen, dort  oben  in  einer  Oase  von  weißen  Blumen^ 
eine  Stadt  aus  Lehm  und  aus  blauer  Glasur,  unter  den 
dreihundertjährigen  Platanen,  die  in  Staub  zerfällt 
Paläste  aus  Mosaik  und  aus  wunderbaren  Fayencen,  die 
rettungslos  zerbröckein  unter  dem  einschläfernden  Plät- 
schern der  zahllosen  kleinen,  klaren  Bäche,  unter  dem 
ewigen  Gesang  der  Muezzine  und  der  Vögel;  — 
zwischen  hohen,  mit  Glasur  bekleideten  Mauern,  in 
alten  Gärten  voll  blühender  Rosen,  mit  Toren  aus  zise- 
liertem Silber,  aus  blassem  Purpurrot;  —  das  ist  dies 
Ispahan  des  Lichts  und  des  Todes,  in  die  durchsichtige 
Luft  der  Bergesgipfel  gehüllt 


Druck  von  A.  Seydel  &  Cie.  Aktiengesellschaft,  Berlin  8W  61. 


aud,  Julien 

sien 

V55 


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